PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reformation.
Dritter Band.
Berlin,1840.Bei Duncker und Humblot.
[II][III]

Vorrede.

Im Fortgange der Arbeit wurde ich inne, daß ich aus den mir zu Gebote ſtehenden Sammlungen noch immer nicht zu einer ſichern Anſchauung der allge - meinen europäiſchen Verhältniſſe in meiner Epoche gelangen könne.

Und doch zeigte mir jeder Tag aufs neue, welch einen weitgreifenden Einfluß dieſe Verhältniſſe ſo damals wie faſt immer auf den Gang unſerer innern Angelegenheiten ausgeübt haben.

Wie hätte es auch anders ſeyn können, in einer Zeit, wo ein Kaiſer regierte, dem ſo viele andere Länder gehorchten, und deſſen Politik bei weitem mehr von den Geſichtspunkten beſtimmt ward, die ihm ſeine perſönliche, allgemeine Lage an die Hand gab, als von deutſchen Intereſſen? Bei der ins Einzelne gehenden Darſtellung, die ich unternommen, mußte ich wünſchen, ſeine Beziehungen zu den mäch -* 2IVVorrede.tigeren Fürſten von Europa in jedem Moment ſo ge - nau wie möglich zu kennen.

Um nun dem Mangel, den ich empfand, abzu - helfen, beſuchte ich im Herbſt 1839 Brüſſel. Hier in einem Hauptſitz der burgundiſchen Macht durfte ich hoffen, Denkmale nicht allein ſeiner provinciellen, ſondern auch ſeiner allgemeinen Staatsverwaltung zu finden.

Glücklicherweiſe hatte mir ein durch germaniſchen Eifer ausgezeichneter Beamter des dortigen Archivs auf das trefflichſte vorgearbeitet. Eine Reihe ver - geſſener Papiere aus dem ſechszehnten Jahrhundert war vor kurzem aufgefunden, in Ordnung gebracht, und unter dem Titel: Documens relatifs à l’hi - stoire de la réforme religieuse in 25 prächtigen Bänden aufgeſtellt worden. Da fanden ſich nun Correſpondenzen zwiſchen Carl V und ſeinem Bru - der, zwiſchen den beiden Brüdern und ihrer Schwe - ſter Maria, Regentin der Niederlande, die auf alle europäiſchen Angelegenheiten Bezug nahmen; An - weiſungen an ihre Bevollmächtigten in Deutſchland, Dänemark, der Schweiz, der Türkei und deren Be - richte; Aufſätze, zuweilen von Granvella in der Mitte der Geſchäfte entworfen; eine Fülle von mehr oder minder wichtigen Literalien über die Beziehun - gen der niederländiſchen Regierung, wie zu ihren übrigen Nachbarn, ſo denn auch zu deutſchen Für -VVorrede.ſten und Feldhauptleuten. An vielen Stellen, wo mir noch Zweifel übrig geblieben, ſah ich die Noti - zen, die wir Bucholz verdanken, oder meine eignen ältern Sammlungen auf das erwünſchteſte ergänzt. Wie hätte ich aber vollends hoffen dürfen, die in Weimar unterbrochene Arbeit in Brüſſel fortſetzen zu können? Als Carl V den Churfürſten Johann Friedrich bei Mühlberg gefangen nahm, fielen auch deſſen Papiere in ſeine Hände, und er nahm ſie nach den Niederlanden mit. Sie bilden jetzt den 7ten, 8ten und 9ten Band der bezeichneten Samm - lung. Ich durchlief die mir wohlbekannten Schrift - züge der Canzlei Johann Friedrichs mit um ſo grö - ßerer Genugthuung, da ich unerwartet zwar ſehr einfachen, aber doch unentbehrlichen Aufſchlüſſen über die Kataſtrophe des ſchmalkaldiſchen Bundes begegnete.

Neben dem Kaiſer wirkte aber auch deſſen Ne - benbuhler, der König von Frankreich, der ihm einſt die Krone ſtreitig gemacht, unaufhörlich auf Deutſch - land ein. So nahe bei Paris konnte ich unmöglich verſäumen, mein Glück auch in den dortigen Samm - lungen zu verſuchen.

Was man in Deutſchland von jeher in die Archive verſchloſſen, hat man früherhin in Frank - reich, wie in Italien, nicht ſelten den Bibliotheken anvertraut.

Die königliche Bibliothek in Paris iſt für dieVIVorrede.neuere Geſchichte, ſo gut wie für ſo viele andere Zweige der Literatur und Gelehrſamkeit eine noch lange nicht erſchöpfte Fundgrube. Nur ſind die Ac - tenſtücke, die ſich in dem Archiv vielleicht in chrono - logiſcher Ordnung beieinander finden würden, in der Bibliothek in verſchiedene Handſchriftenſammlun - gen, zerſtreut. Die Sammlungen: Dupuis, Be - thune, Brienne, Melanges de Colbert, Colbert Cinq Cent mußten für den kleinen Zeitraum, den ich im Auge hatte, ſämmtlich durchgegangen werden. Die Ausbeute war in der Regel nur fragmentariſch, aber immer ſehr willkommen. Dann und wann boten ſich auch zuſammenhängende Correſpondenzen dar; z. B. Caſtillon’s von dem engliſchen Hofe, Ma - rillac’s von dem kaiſerlichen die man mit eben ſo viel Vergnügen wie Belehrung ſtudirt. Von Ma - rillac fand ich auch zuletzt noch eine Art Finalrela - tion, die ich im Anhange mitzutheilen denke.

Bei dieſem Reichthum der Bibliothek können nun aber die Archive für jene Zeiten nicht ſo er - giebig ſeyn, wie man ſonſt erwarten dürfte. Der Vorſteher des Archivs der auswärtigen Angelegen - heiten verſicherte mich, daß ſich für meinen Zweck nichts von Belang darin finde. In den dem allge - meinen Gebrauch zugänglichen Archives du ro - yaume war auch wirklich für die deutſch-franzö - ſiſchen Angelegenheiten nur eine Nachleſe zu hal -VIIVorwort.ten. Dagegen giebt es dort andere Documente von unſchätzbarem Werth. Es iſt bekannt, daß ein Theil des Archives von Simancas einſt nach Frankreich wandern mußte. Nach dem Frieden iſt das Meiſte davon zurückgegeben worden; anderes jedoch, na - mentlich alles was ſich unmittelbar auf Frankreich bezieht, daſelbſt zurückgeblieben. Das hat nun we - nigſtens den Vortheil, daß man es leichter benutzen kann. Ich fand hier zu dem, was aus Wien be - kannt geworden, und was Brüſſel mir ſelbſt dar - geboten, gleichſam den dritten Theil: Eingaben von Gelehrten und Staatsmännern: Aufzeichnungen der an dem ſpaniſchen Hof über die Geſchäfte gepflo - genen Deliberationen: Vorſchläge des geheimen Ra - thes und kurze Entſcheidungen, mit der großen und etwas unleſerlichen Handſchrift Carls V an den Rand gezeichnet. Die Hauptſache iſt aber auch hier der ge - ſandtſchaftliche Verkehr; und es machte mir nicht ge - ringes Vergnügen, mit den Briefen der franzöſiſchen Geſandten vom kaiſerlichen Hofe, die des kaiſerlichen vom franzöſiſchen Hofe zu vergleichen: St. Mauris ge - wann mir nicht geringere Theilnahme ab als Marillac.

Wer auch ſonſt nicht eine natürliche Neigung zur Unparteilichkeit hätte, müßte ſich doch durch dieſe nahe Zuſammenſtellung des Entgegengeſetzten aufge - fordert fühlen, einem Jeden ſein Recht angedeihen zu laſſen.

VIIIVorwort.

Indem ich nun den Reichthum dieſer Samm - lungen preiſe, ſo wie die Bereitwilligkeit, mit der ſie mir eröffnet wurden, brauche ich wohl kaum hin - zuzufügen, daß mir doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten gehoben, alle Zweifel gelöſt worden ſind; immer aber fühlte ich mich weſentlich gefördert, und konnte nun mit um ſo größerer Zuverſicht zu den deutſchen Studien zurückkehren.

Auch für dieſe fand ich in dem reichen und wohlgeordneten Archive zu Düſſeldorf, namentlich für die cleviſch-cölniſchen Sachen, neue und gern mitgetheilte Ausbeute.

Denn bei aller Einwirkung von außen her, kommt doch noch bei weitem mehr auf die ſelbſtän - dige innere Entwickelung der deutſchen Angelegenhei - ten an: wo ſich eigenthümliche Kräfte in ihren ur - ſprünglichen Trieben erheben und geltend machen. Der Zeitraum iſt überhaupt einer von denen, in welchen der große Impuls, der Europa beherrſchte, nicht, wie ſonſt öfter, von außen her auch in Deutſch - land vordrang, ſondern wo er vielmehr von Deutſch - land ausging, und zwar von der ächten reinen Tiefe und eingebornen Macht des deutſchen Geiſtes; von unſerm Vaterland aus ergriff die religiöſe Bewe - gung Europa.

[IX]

Inhalt.

  • Seite
  • Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholiſchen Majoritaͤt. 1527 15301
  • Erſtes Capitel. Schwankungen der allgemeinen politiſchen Verhaͤltniſſe Europa’s10
  • Zweites Capitel. Zeiten der Packiſchen Haͤndel in Deutſchland34
  • Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz54
  • Anfaͤnge Zwingli’s 55. Emancipation der Stadt Zuͤrich vom Bisthum Conſtanz 65.
  • Abendmahlsſtreitigkeit 77. Siege der Reform in der Schweiz 96.
  • Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529102
  • Spaniſcher Katholicismus 109. Verbindung des Kaiſers mit dem Papſt 119.
  • Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1529142
  • Proteſtation 153.
  • Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Pro - teſtanten161
  • Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien187
  • Achtes Capitel. Reichstag von Augsburg im Jahr 1530226
  • Augsburgiſche Confeſſion 241. Confutation 249. Bedrohungen 257. Widerſtand 258. [Vermittelungsverſuch] 275. Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt 291.
  • X
  • Seite
  • Sechstes Buch. Emporkommen des ſchmalkal - diſchen Bundes. 1530 1535297
  • Erſtes Capitel. Grundlegung des ſchmalkaldi - ſchen Bundes302
  • Zweites Capitel. Fortſchritte der Reformation in der Schweiz321
  • Drittes Capitel. Verſuch einer Vermittelung zwiſchen den proteſtantiſchen Parteien339
  • Viertes Capitel. Kataſtrophe der Reformation in der Schweiz352
  • Fuͤnftes Capitel. Reform in den niederdeut - ſchen Staͤdten, Vollziehung des ſchmal - kaldiſchen Buͤndniſſes375
  • Magdeburg 377. Braunſchweig 379. Ham - burg 381. Bremen 382. Luͤbeck 384. Ver - faſſung des Bundes 393.
  • Sechstes Capitel. Angriff der Osmanen. Er - ſter Religionsfriede399
  • Verhandlungen zu Nuͤrnberg 412. Zugeſtaͤnd - niſſe beider Theile 417.
  • Siebentes Capitel. Einwirkung von Frankreich. Reſtauration von Wirtemberg434
  • Achtes Capitel. Fortſchritte der Kirchenrefor - mation in den Jahren 1532 1534469
  • Einrichtungen in den evangeliſchen Laͤndern 471. Irrungen mit dem Kammergericht 477. Re - formation in Wirtemberg 485. Augsburg 487. Anhalt 488. Pommern 490. Weſtfaͤliſche Staͤdte 492.
  • Neuntes Capitel. Wiedertaͤufer in Muͤnſter505
  • Zehntes Capitel. Der Buͤrgermeiſter Wullen - weber in Luͤbeck565
[1]

Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholiſchen Majorität. 1527 1530.

Ranke d. Geſch. III. 1[2][3]

In der Einleitung zu dieſer Geſchichte überblickten wir die früheren Schickſale der deutſchen Nation, beſonders in Bezug auf den Kampf der geiſtlichen und der weltlichen Macht. Wir bemerkten wie das Papſtthum nicht allein den Sieg davon trug, ſondern ſich zu einer wahrhaften Gewalt im Reiche und zwar zur mächtigſten von allen erhob; wie aber dann, ſelbſt als es ſich mit dem über - wundenen Kaiſerthum verſtändigt und verbündet hatte, das Reich nicht mehr regiert werden konnte[,]im Innern in Verwirrung und Anarchie gerieth[,]ſein Anſehn nach Außen von Jahr zu Jahr mehr verlor; bis endlich das National - Gefühl, das weiter keinen Raum zu wahrer Thätigkeit fand, ſich nur noch in der allgemeinen Ueberzeugung kund - gab, daß dieſer Zuſtand unhaltbar und verderblich ſey.

In den letzten Decennien des funfzehnten und den erſten des ſechszehnten Jahrhunderts machte man die ernſt - lichſten Verſuche denſelben zu verbeſſern. Wir beobachte - ten in unſerm erſten Buche, wie man die Sache zunächſt von der weltlichen Seite angriff. Die Abſicht wurde ge - faßt, eine zugleich auf kaiſerlichen und ſtändiſchen Berech - tigungen beruhende, vornehmlich aber auf die Mitwirkung1*4Fuͤnftes Buch.der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nicht etwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her - vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er - folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver - ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge - meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be - ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi - derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an Ingrimm ſtreifte, verbunden war.

Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio - nale Geiſt, wie wir in unſerm zweiten Buche ſahen, da es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältniſſe nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At - tribute des Papſtthums, das einen ſo großen Theil der öffentlichen Gewalt im Reiche beſaß. Hier aber traf er mit noch umfaſſendern Regungen des allgemeinen Lebens zuſammen. War das Papſtthum noch immer in ſtrengerer Ausbildung des Particularismus ſeiner Dogmen und Dienſte5Ruͤckblick.und der gewaltſamſten Handhabung derſelben begriffen, ſo regten ſich doch auch innerhalb ſeines Kreiſes Tendenzen der Wiſſenſchaft, die ſich dem herrſchenden Syſtem der Schulen entgegenſetzten, und Bedürfniſſe des religiöſen Gei - ſtes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienſte keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geſchick war, daß eben als der Mißbrauch am ärgſten geworden, dage - gen auch die reine Idee des Chriſtenthums, in Folge eines neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Urſprache auf das hellſte hervorleuchtete. Alle dieſe Momente wirkten zuſammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein - heit der religiöſen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf die er lebte und ſtarb, zu verfechten unternahm, der aber, da man ſie ihm zu entreißen ſuchte, auch die andern Elemente der Oppoſition an ſich zog, wiſſenſchaftliche und nationale, und ihnen einen Ausdruck gab, der von ſeiner Stelle aus die ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Menſch eine ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papſt - thum ohnehin nicht durch Verfaſſungsformen zu beſchränken. Wollte man der Uebergriffe deſſelben ſich entledigen, ſo mußte man den geiſtigen Grund beſtreiten, aus dem ſie hervorgingen.

Die vornehmſte Frage war dann, welche Stellung die Reichsgewalten in dieſem Kampfe ergreifen würden. Der junge Kaiſer blieb dem alten Syſtem treu; da er aber Deutſchland nach kurzer Anweſenheit verließ, und jene ſtän - diſche Regierung nun zur Ausführung kam, welche man früher beabſichtigt, ſo hing zunächſt alles von der Hal - tung ab, welche dieſe nehmen würde. Wir ſahen in un - ſerm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur -6Fuͤnftes Buch.zem Schwanken ſich doch unzweifelhaft für Luther entſchied. Als in der Verſammlung der Stände die Rede davon war, die Prediger wenigſtens auf die Schriften der vier älteſten canoniſchen Lehrer der lateiniſchen Kirche zu verpflichten, wußte das Regiment ſelbſt dieß zu verhüten; ſo weit war man davon entfernt, an eine Feſthaltung der im Laufe der ſpäteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrſätze zu den - ken. Dieſe Regierung faßte überhaupt die großartigſten Abſichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage hoffte ſie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann würde ſie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei - ten, der geiſtlichen ſowohl wie der weltlichen, kraftvoll in die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus einem Nationalconcilium, wie ein ſolches bereits angeſetzt war, unter ihrer Leitung hervorgegangen ſeyn! Allein zu lange ſchon war man in Deutſchland der Ordnung ent - wöhnt. Weder die Ritterſchaft, noch die Fürſten, noch auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor - kommen laſſen, der ſie hätten gehorchen müſſen. Den Be - ſchlüſſen der Reichstage zum Trotz vereinigten ſich einige Fürſten auf das engſte mit dem Papſt; von Spanien her verbot der Kaiſer jenes Nationalconcilium; die ganze Re - gierung ward geſprengt. Der Bauernkrieg war das Sym - ptom der allgemeinen Auflöſung, die hieraus erfolgte. Auch iſt er nicht durch die Reichsgewalt beſiegt worden, ſondern durch die angegriffenen Fürſten und Stände in ihren beſondern Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das Reichsregiment ſie beabſichtigt, war nicht mehr zu denken.

7Ruͤckblick.

Ebendarum aber ließ ſich auch eine Einrichtung der - jenigen Landſchaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im Sinne derſelben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai - ſer ſelbſt des Beiſtandes dieſer Ideen nicht entbehren. Bei dem Verſuch die Rechte des Reichs in Italien herzuſtellen, die er Anfangs im Einverſtändniß mit der päpſtlichen Gewalt un - ternommen, gerieth er, wie wir in unſerm vierten Buche er - örterten, allmählig in die bitterſten Irrungen mit derſelben, in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an - wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre ihm nicht jene populare Entrüſtung wider das Papſtthum, die von Jahr zu Jahr noch gewachſen, zu Hülfe gekommen. Um ſie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeſtändniſſe machen. Es war ein feierlicher Reichstagsſchluß, wodurch den Fürſten und Ständen in ihren Gebieten eine faſt unbedingte religiöſe Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand. Während ein deutſches Heer in Italien vordrang, Rom er - oberte, den Papſt daſelbſt zum Gefangenen machte, richtete ſich dieſſeit der Alpen eine große Anzahl fürſtlicher und ſtädti - ſcher Gebiete nach den Grundſätzen Luthers ein; ſie ſagten ſich auf immer von den römiſchen Satzungen los und grün - deten ihre eigenen kirchlichen Organiſationen.

Auf dieſe Weiſe geſchah, daß der Kreis jener Hierar - chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft - vollſten und entwickeltſten derſelben eine neue Bildung ver - ſucht ward, deren Sinn es war, die religiöſe Ueberzeugung aus den reinſten und erſten Quellen zu ſchöpfen und das bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geiſtlichen Inſtitute zu8Fuͤnftes Buch.befreien. Ein Unternehmen, für die Fortentwickelung der Welt von der größten Bedeutung und Ausſicht.

Aber es leuchtet ein, auf wie mannichfaltige Hinder - niſſe man dabei nun auch ſtoßen mußte.

Einmal, wie ſollte es möglich ſeyn, auch unter De - nen, die ſich demſelben anſchloſſen, Verſchiedenheiten der Auffaſſung, Entzweiungen zu vermeiden?

Durfte man ferner wohl verſtändiger Weiſe voraus - ſetzen, daß die thatkräftigen Fürſten, welche die Neuerung vollzogen, ſich in dem neuen Verhältniß ganz ohne Tadel, ohne Gewaltſamkeiten, die dem Zeitalter ſo natürlich gewor - den, bewegen würden?

Vor allem aber, wie ließ ſich erwarten, daß der Geiſt der Alleinherrſchaft, der in der römiſchen Kirche von jeher vorgewaltet, kraft deſſen ſie noch immer eine höchſte Auto - rität über die Welt in Anſpruch nahm, ſich in Verluſte ſo drohender Art finden, nicht alle ſeine Kräfte anſtrengen ſollte, die Abgewichenen wieder herbei zu bringen?

Der Sinn der Nation wäre geweſen, daß der Kaiſer ſeine in Italien erworbene Macht behauptet, ihr dagegen geſtattet hätte, ihre kirchlichen Ideen, womit ſie den Wil - len und das Geheiß Gottes zu vollziehen überzeugt war, durchzuführen. Dazu hätte aber gehört, daß der Kaiſer perſönlich einen lebendigen, und über die Berechnungen der Politik erhabenen Antheil an ihren Ideen genommen hätte. War dies nicht der Fall, wie ſich denn davon keine Spur zeigt, ſo ſtand ſeine eigene Gewalt in viel zu engen und mannichfaltigen Beziehungen zu dem Papſtthum, als daß er lange im Kriege mit demſelben hätte verharren können.

9Lage der Dinge.

Endlich das Reich war ſehr hierarchiſcher Natur; alle die Jahrhunderte daher hatte es ſich unter dem vorherrſchen - den Einfluß des römiſchen Stuhles entwickelt. Da es mit dem Verſuch, eine Regierung zu gründen, welche die Oppo - ſition gegen Rom ſelber durchgeführt hätte, nicht gelungen war, ſo mußten die hierarchiſchen Sympathien ſich noch ein - mal regen. Schon waren, wie berührt, neue Verbindungen mit dem Papſt geſchloſſen, die Biſchöfe waren entrüſtet, daß ſie ihre geiſtliche Gerichtsbarkeit verlieren ſollten.

Es war wohl nicht zu vermeiden, daß Kaiſer und Reich noch einmal die Sache der Hierarchie ergriffen; dann mußte die bitterſten und gefährlichſten Kämpfe eintreten.

In der That ſind Zeiten gekommen, wo es der unter - nommenen evangeliſchen Organiſation nicht anders ergehn zu können ſchien, als alle den früheren Bildungen, welche den Verſuch gemacht, ſich von Rom getrennt zu behaup - ten, aber entweder vernichtet, oder doch auf ſehr enge Gren - zen beſchränkt worden waren.

Dieſe Zeiten haben wir nunmehr zu betrachten: die Schwankungen in denen die Dinge ſich bewegten, den An - griff welcher geſchah, den Widerſtand welcher geleiſtet wor - den iſt.

Die Gründung haben wir wahrgenommen: ſehen wir nun, ob ſie fähig ſeyn wird ſich zu behaupten, nachhalti - gen Einfluß in der Welt zu gewinnen.

Wir gehen aus von den auswärtigen Verhältniſſen, von denen die allgemeine Stellung des Kaiſers beſtimmt ward, und die deshalb, ſo wie er ſich den deutſchen Dingen wid - mete, die größte Rückwirkung auf dieſe ausüben mußten.

[10]

Erſtes Capitel. Schwankungen der allgemeinen politiſchen Verhält - niſſe Europa’s. 1527, 28.

Das Heer Carls V hatte Rom erobert, und welches auch das Bezeigen des Kaiſers geweſen ſeyn mag, als er die Nachricht von dieſem Siege empfing, ſo iſt doch gar nicht zu läugnen, daß er eine Zeitlang ſehr weit ausſehende politiſche Entwürfe daran knüpfte.

Vor Kurzem iſt die Inſtruction bekannt geworden, mit welcher er einen ſeiner Hofleute Pierre de Verey an den Vicekönig von Neapel ſendete. Der Kaiſer bemerkt darin, daß er wohl wünſchte, entweder ſelbſt unverzüglich nach Italien zu gehen oder den Papſt nach Spanien kom - men zu laſſen, um alle Streitigkeiten perſönlich und münd - lich auszugleichen. Und noch immer würde ihm das Liebſte ſeyn, wenn der Vicekönig den Papſt ſicher nach Spanien zu bringen wüßte, nur ſchreckt ihn die Gefahr, daß er etwa unterwegs einem feindlichen Geſchwader in die Hände falle. Unter dieſen Umſtänden erklärt er für das Beſte, den Papſt in ſeine Freiheit auf ſeinen Stuhl wiederherzuſtellen. Aber hören wir unter welchen Bedingungen. Dieſe Freiheit, ſagt11Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.der Kaiſer ausdrücklich, ſey nur zu verſtehen von der geiſt - lichen Amtsführung, und auch in dieſer Hinſicht müſſe man, ehe man ſie ihm gebe, hinreichende Sicherheit haben, daß man nicht von ihm betrogen werde. 1Inſtruction an Pierre de Verey, Baron von Mont St. Vincent excerpirt bei Bucholz Ferdinand III, 97 104. Beſonders p. 101. Haben wir bedacht falls kein Mittel iſt, daß S. H. mit Sicherheit hieher kommen koͤnne, gegen S. Heiligkeit ungeachtet des Vorgefallenen ſo großer Freigebigkeit zu gebrauchen, ihm die Freiheit zuruͤckzugeben und daß er durch die Hand meines Vicekoͤnigs als Repraͤſentanten unſerer Perſon auf ſeinen Stuhl zu Rom wie - derhergeſtellt werde. Aber bevor er in dieſe Freiheit herzuſtellen waͤre, welche zu verſtehen iſt von der geiſtlichen Amtsfuͤhrung, muͤßte unſer Vicekoͤnig ſo gut von ihm verſichert ſeyn in allen Dingen, welche menſchlicher Weiſe und mit weltlicher Macht geſchehen koͤn - nen, daß wir dabei nicht betrogen wuͤrden, und daß wenn derſelbe den Willen haben ſollte, er nicht das Vermoͤgen haͤtte uns Uebles zu thun, damit wir nicht fuͤr ihm Erwieſenes Gute allezeit Nach - theil und Schaden empfiengen, wie die Erfahrung der Vergangen - heit es gezeigt hat. Bucholz ſetzt die Inſtruction 3 Wochen nach dem 30ſten Juni, alſo 21. Juli 1527.Er giebt an, wodurch er ſich geſichert glauben würde: es iſt die Ueber - lieferung der Städte Oſtia und Civitavecchia, Parma und Piacenza, Bologna und Ravenna, endlich auch von Civita - caſtellana. Er fordert, wie man ſieht, alle wichtigern Plätze des damaligen Kirchenſtaats. Denn der Grundſatz des Kai - ſers iſt, daß falls auch der Papſt jemals wieder des Willens ſeyn ſollte zu ſchaden, er doch das Vermögen dazu nicht haben dürfe. Die genannten Plätze will er in ſeinen Hän - den behalten, bis der Papſt ein Concilium beruft, um eine Reformation der Kirche zu bewirken. Abſichten welche den Ideen der deutſchen Nation in der That nicht übel ent - ſprachen[.]Die Kirchenreform die der Kaiſer forderte, war allerdings nicht die lutheriſche, namentlich nicht doctrineller12Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.Natur; er wollte nur die Mißbräuche der Verwaltung ab - geſtellt wiſſen: wie das frühere Könige und Kaiſer ſo oft verlangt, Glapio noch zuletzt in Worms gerathen: aber au - genſcheinlich iſt doch, daß die beiden Gedanken ſich gegen - ſeitig unterſtützen. Ueberdieß aber, welch eine neue Ausſicht für die weltliche Macht des Kaiſers, wenn er den Kirchen - ſtaat bis auf ein ſo fernes unbeſtimmtes Ziel in Händen be - hielt! So hatte Ferdinand vor Kurzem das Bisthum Brixen bis auf eine künftige Vereinbarung beſetzt und die Meinung erweckt, er wolle es auf immer behalten. So überließ in eben dieſem Jahr der Biſchof von Utrecht, durch ſeinen kriegeriſchen Nachbar von Geldern verjagt, alle Rechte der weltlichen Herrſchaft über ſein Bisthum gegen eine jähr - liche Geldzahlung an die niederländiſche Regierung des Kaiſers. 1Die Unterhandlungen von Schoonhoven (October 1527) erhellen aus dem Vortrag in der Verſammlung der hollaͤndiſchen Staͤnde bei Wagenaar II, 349.Nicht anders ſchien es jetzt der größten geiſt - lichen Pfründe dem Kirchenſtaat ſelbſt gehn zu müſſen. Man glaubte, der Kaiſer werde ſeinen Sitz in Rom nehmen, die Weltlichkeit des Kirchenſtaats für ſich behalten und den Papſt abſetzen oder wegführen. Was ſollte man auch denken, wenn der Kaiſer den Herzog von Ferrara einmal ohne Rückhalt aufforderte die Herſtellung der verjagten Dy - naſten im Kirchenſtaat zu unternehmen, der Saſſatelli in Imola, der Bentivogli in Bologna. Der Vicekönig von Neapel hat wirklich dem ſpaniſchen Oberſten Alarcon, dem die Hut des Papſtes in der Engelsburg übertragen war, den Vorſchlag gemacht, denſelben nach Gaëta zu bringen. Alarcon ſchlug es jedoch ab, nicht aus böſem Willen ,13Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.bemerkt der Berichterſtatter ſondern weil er Gewiſſens - angſt empfand . Gott wolle nicht, ſagte der tapfere Oberſt daß ich den Leib Gottes gefangen führe . 1Schreiben Vereys bei Bucholz p. 110, p. 118.

Es iſt nicht eben allemal nöthig, daß die Pläne einer Macht genau bekannt ſeyen um Widerſtand zu erwecken; dieſelbe Möglichkeit, welche auf der einen Seite den Gedan - ken einer Unternehmung hervorbringt, erzeugt auf der andern auch die Furcht davor, den Entſchluß ſich ihr zu widerſetzen.

Carl V hatte, wie wir uns erinnern, noch mit den mächtigſten Feinden zu kämpfen. Die Liga lag noch in voller ungebrochner Macht gegen ihn zu Felde. So eben hatte der zweifelhafte Freund, welcher ſchon in der letzten Zeit immer zu ihr geneigt, der König von England, ſich ihr auf eine entſchiedene Weiſe genähert. Daß Carl ſich weigerte, denſelben an den Vortheilen des Sieges von Pavia Antheil nehmen zu laſſen, oder die Vermählung zu vollziehn, welche zwiſchen ihm und der engliſchen Prinzeſſin Maria verabredet worden eine Weigerung die ſogar, wofür Heinrich ſehr empfindlich war, einen pecuniären Nachtheil einſchloß, denn eine alte Schuld des Kaiſers hatte als Mitgift angerech - net werden ſollen ſchien dem König Grund genug ſich gänzlich von dem alten Verbündeten zu trennen. Schon am 30ſten April war ein Bund zwiſchen Heinrich VIII und Franz I zu Stande gekommen, als deſſen Motiv ſie die gegenſeitige Zuneigung nennen, welche ihnen die Na - tur, die ſie an Geiſt und Körper ähnlich geſchaffen, einge - pflanzt habe und die durch die letzte Unterbrechung guter Verhältniſſe nur um ſo mehr gewachſen ſey. Sie vereini -14Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.gen ſich darin den Kaiſer durch gemeinſchaftliche Geſandte zur Herausgabe der franzöſiſchen Prinzen unter annehm - baren Bedingungen und zur Befriedigung der engliſchen Geldanſprüche aufzufordern, und wenn er ihrem Vorſchlage kein Gehör gebe ihm ohne Verzug den Krieg anzukündi - gen. 1Traité de Westminster 30 April 1527 Du Mont IV, 1, 476. Wie viel mehr aber mußte nun ihr Kriegseifer durch die Eroberung von Rom entflammt werden. Hein - rich VIII ſagt in der Vollmacht zu neuen Tractaten, die er dem Cardinal Wolſey ertheilt: die Sache des heiligen Stuhles ſey eine gemeinſchaftliche aller Fürſten; nie ſey aber demſelben eine größere Schmach zugefügt worden als jetzt; und da dieſe nun von keiner Art von Beleidigung veranlaßt ſey, ſondern lediglich in ungezähmter Herrſchſucht ihren Grund habe, ſo müſſe man ſolchem ſeiner ſelbſt nicht mächtigen Ehrgeiz bei Zeiten mit gemeinſchaftlichen Kräf - ten begegnen. 2Ad tractandum super quocumque foedere pro resarcienda romanae sedis dignitate commissio regis bei Rymer VI, II, p. 80. Seine erſte Idee war, daß die noch freien Cardinäle ſich in Avignon verſammeln möchten, wo auch Wolſey erſcheinen werde; er rieth gleichſam einen neuen Mittelpunct für die Kirche zu erſchaffen. Da aber die Cardinäle nicht darauf eingingen, ſo verſprachen einander wenigſtens die beiden Könige, in keine Ankündigung eines Conciliums zu willigen, ſo lange der Papſt nicht frei ſey; ſich überhaupt jeder im Intereſſe des Kaiſers verſuchten Anwendung der kirchlichen Gewalt gemeinſchaftlich zu wi - derſetzen. 3Praesertim cum juris naturalis aequitate pensata non proprie a summo pontifice factum dici possit, quod ad aliorumJetzt endlich beſeitigten ſie definitiv die alten15Bund zwiſchen England und Frankreich.Streitigkeiten zwiſchen den beiden Reichen. Wolſey, der zu Amiens erſchienen war, gab in ſeines Königs Na - men alle Anſprüche deſſelben auf die franzöſiſche Krone auf. Als Entſchädigung wurde eine Geldzahlung feſtge - ſetzt, welche dem König Heinrich und allen Nachfolgern deſſelben zu leiſten ſey, ohne Unterlaß, bis zu dem Ab - lauf der Jahre, welche die göttliche Vorſicht dem menſch - lichen Geſchlecht geſetzt hat. Früher hatten ſie ihren An - griff vornehmlich gegen die Niederlande zu richten gedacht; jetzt kamen ſie überein, alle ihre Kräfte nach Italien zu wenden. Heinrich ließ ſich geneigt finden, Hülfsgelder zu zahlen; er hoffte durch eine immerwährende Penſion, die dem Herzogthum Mailand aufzulegen ſey, reichlich dafür entſchädigt zu werden. Vorſchläge die der Kaiſer in die - ſem Augenblick machte, ſo billig ſie lauteten, wurden zu - rückgewieſen. Im Auguſt 1527 erſchien ein neues fran - zöſiſches Heer unter Lautrec in Italien, nahm Bosco, Aleſ - ſandria und das feſte Pavia, an dem jetzt der Widerſtand grauſam gerächt wurde, den es vor dritthalb Jahren ge - leiſtet: im October 1527 überſchritt Lautrec den Po; er wollte nur noch einige Verſtärkungen abwarten, um als - dann in den Kirchenſtaat vorzudringen. 1Schreiben von Angerer 5. Nov. in Hormayrs Archiv 1812, 456. Wir laſſen uns mit Worten aufhalten und die Liga proſe - quirt ihren Sieg. Hab warlich keine Hofnung oder Herz mehr. Ein Schreiben Leiva’s vom 23. October zeigt jedoch, daß der das Herz nicht verloren hatte.

Es wäre ſchon an und für ſich dem Kaiſer ſehr un - angenehm geweſen, wenn der Papſt, mit ihm noch unver -3arbitrium facit captivus, etiamsi verbis diversissimum profiteatur. Traité d’Amiens 18 Août bei Dumont IV, 1, 494. 16Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.ſöhnt, durch dieſes Heer aus dem Caſtell befreit worden wäre; was ſo unmöglich nicht ſchien, da die deutſchen Truppen in Folge ihrer Unordnungen und durch die Krank - heiten des italieniſchen Sommers große Verluſte erlitten hatten und niemals ganz zufrieden waren; aber noch beſonders verdrießlich und unbequem wäre ihm dieß durch einen Gedanken geworden, den König Heinrich gefaßt hatte und mit Eifer ja mit Heftigkeit verfolgte.

König Heinrich VIII war mit Katharina von Ara - gonien, die früher die Gemahlin ſeines Bruders Arthur geweſen, einer Tante des Kaiſers verheirathet. Nicht ohne Dispenſation des Papſtes hatte dieß geſchehen kön - nen. Julius II hatte dieſelbe gegeben, kraft apoſtoliſcher Autorität, jener höchſten ihm verliehenen Macht, welche er verwalte, wie Zeit und Umſtände es erfordern. 1Breve bei Burnet: Collection p. 9. es heißt da: cum matrimonium contraxissetis illudque carnali copula forsan con - summavissetis. Es iſt klar, daß die Dispenſation auch auf dieſen Fall berechnet war.Allein in der Nation ja in der nächſten Umgebung des Königs waren wohl nie alle Scrupel verſchwunden. Ein Spruch im dritten Buch Moſe bedroht Den mit Kinderloſigkeit, der das Weib ſeines Bruders nehme. 2Leviticus XX, 21. Von Johannes dem Taͤufer dem He - rodes in Erinnerung gebracht Marci VI, 18.Eben an dem - nig, dem die Söhne welche ihm Katharina brachte alle bald wieder ſtarben, ſchien ſich dieß zu bewähren. Ob der Papſt von einem Geſetz der Schrift entbinden könne, war ſelbſt bei Thomas von Aquino zweifelhaft; wie viel mehr aber mußten die Reformationsideen, welche auch in Eng - land eindrangen, und von verwandten Fragen ausgegan -17Eheſcheidung Heinrichs VIII. gen waren, dieſen Zweifel verſtärken! Der Beichtvater des Königs ſagte ſchon lange ſeinen Freunden, jene Ehe des Herrn werde nicht bis aus Ende beſtehen. 1Polydorus Virgilius Historia Anglica, Henricus VIII p. 82. Jam pridem conjugium regium velut infirmum labefactatum iri censebat idque clam suis saepe intimis amicis insusurrabat.

Da geſchah nun daß Cardinal Wolſey, der Vertraute des Königs ſich mit dem Kaiſer entzweite. Der Kaiſer hatte ihm einſt in Windſor angetragen ihn zum Papſtthum zu befördern und dann, als der Fall eintrat, wenig oder nichts für ihn gethan. In Spanien hat man immer be - hauptet, Wolſey habe dem Kaiſer dafür ewige Rache ge - ſchworen, er habe ſich gerühmt, einen ſolchen Umſchwung in den Geſchäften hervorzubringen, wie ſeit 100 Jahren nicht Statt gefunden, und ſollte das Königreich Eng - land darüber zu Grunde gehn. 2Respuesta del emperador al cartel presentado por Cla - rençao bei Sandoval lib. XVI, Tom. I, p. 358. So viel iſt gewiß, er faßte die Idee, ſeinen Herrn, auf den, wie wir ſahen, auch ſonſt mannichfaltige Beweggründe wirkten, auf immer von dem Kaiſer zu trennen. Dazu aber war eine Auflöſung der Ehe, durch welche einſt Ferdinand der Katholiſche und Heinrich VIII die Verbindung beider Familien zu verewigen gedacht, vor allem nothwendig. Wir können es Wolſey glauben, wenn er ſpäter vor Gericht behauptete, er ſey es nicht, der zuerſt von der Eheſcheidung geredet: aber eben ſo gewiß iſt, daß er dieſelbe zuerſt ernſtlich in Vorſchlag gebracht hat, und zwar in der bezeichneten Ab - ſicht; er ſelbſt hat das dem franzöſiſchen Geſandten, Jean du Bellai, mit der größten Beſtimmtheit verſichert. 3Depeche de l’evêque de Bayonne, J. du Bellay, 28. Oc -

Ranke d. Geſch. III. 218Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Leidenſchaft, welche der König indeß für ein Hoffräu - lein ſeiner Gemahlin, Anna Boleyn faßte, kam Wolſey zu Stat - ten, doch lag ſie nicht in ſeinem Plan. Er hätte lieber eine fran - zöſiſche Verwandtſchaft an die Stelle der ſpaniſchen geſetzt. Als er in Amiens war, ſagte er der Mutter des Königs, wenn ſie noch Ein Jahr lebe, werde ſie eine ewige Verbindung Englands mit der einen, der franzöſiſchen und eine eben ſo vollkommene Trennung von der andern Seite erleben. Er drückte ſich noch geheimnißvoll aus: er bat ſie, ſeine Worte im Gedächtniß zu behalten, er werde ſie zu ſeiner Zeit daran erinnern.

In dieſer Stimmung kamen ihm die Entzweiungen des Papſtes mit dem Kaiſer eben erwünſcht; in dieſer Ab - ſicht beförderte er die neue Allianz und die italieniſche Un - ternehmung.

Man kann aber denken, wie ein Plan ein Verfahren dieſer Art nun auf den Kaiſer zurückwirken mußte und eine Bemerkung dringt ſich uns auf, die wohl ſehr paradox lautet, aber wenn wir nicht irren eine einleuchtende Wahrheit hat.

Jedermann weiß und wir werden öfter davon zu hören3tobre 1528. Wolſey klagt uͤber einige Maaßregeln der Franzoſen, aus denen erfolgt ſey: totale alienation de Nre dit St. Père avec rompture dudit mariage (der Unterhandlung uͤber die Eheſache). La quelle rompture encore, que la perte de Nre dit St. père ne soit pour rien comptée, est de telle importance, ce dit mon dit Seigneur Legat (Wolſey), que tout homme en pourra juger, qui saura, que les premiers termes du divorce ont eté mis par luy en avant, afin de mettre perpetuelle separation entre les maisons d’Angleterre et de Bourgogne. Schon abgedruckt in Le Grand: Histoire du divorce III, p. 185. Ich habe die Hand - ſchrift (Depesches de Messire J. du Bellay Koͤnigl. Bibl. zu Pa - ris Colbert Vc 468) welche Le Grand benutzt neuerdings durchgeſehn und noch manchen neuen Moment darin gefunden.19Eheſcheidung Heinrichs VIII. haben, wie ſo höchſt verderblich für die Fortdauer des Papſtthums in England der Gedanke jener Eheſcheidung ge - worden iſt. Stellen wir uns aber auf einen höheren Stand - punkt, faſſen wir die allgemeinen Verhältniſſe ins Auge, ſo können wir uns dagegen auch wieder nicht verhehlen, daß die die Abſicht Heinrichs VIII in Beziehung auf das übrige Eu - ropa der päpſtlichen Herrſchaft in dieſem entſcheidenden Au - genblick ſogar Vortheil gebracht hat. Der Kaiſer, der eine ſo gebieteriſche, ja gewaltſame Haltung gegen den Papſt an - genommen, ward nun doch inne, daß derſelbe, auch noch in ſeinem Gefängniß, etwas zu bedeuten habe und ihm eine em - pfindliche Beleidigung zufügen könne.

Der Kaiſer hörte gegen Ende Juli 1527 von der Sache. In der Inſtruction für Verey vom 21ſten dieſes Monats findet ſich, wenn wir uns auf unſere Auszüge verlaſſen können, noch keine Spur davon: ſchon vom 31ſten aber haben wir einen Brief des Kaiſers, der ſich ausdrücklich damit beſchäf - tigt. Er trägt darin dem Vicekönig auf, mit dem Papſt von der Sache zu reden, aber vorſichtig, damit ſie dieſer nicht als Mittel zu unheilvollem Verſtändniß mit dem König ergreife. Carl hätte gewünſcht, daß der Papſt den Plan durch ein paar verbietende Breven an den König und den Cardinal ſofort niedergeſchlagen hätte. 1Excerpt dieſes Schreibens bei Bucholz III, 94 Note.

Es ſpringt in die Augen, welch ein bedeutendes Ge - wicht zu Gunſten des Papſtes dadurch in die Wagſchale ge - worfen wurde, daß der Kaiſer deſſelben in einer ſo wichti - gen häuslichen Angelegenheit bedurfte.

Dazu kam nun aber auch, daß das Gefangenhalten2*20Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.des oberſten Prieſters in Spanien keinen günſtigen Eindruck machte. Die Großen des Reiches, die ſich am Hofe be - fanden, ſowohl weltlichen wie geiſtlichen Standes, nahmen Gelegenheit, mit dem Kaiſer darüber zu ſprechen, ihn an die Ergebenheit der ſpaniſchen Nation gegen den römiſchen Stuhl zu erinnern. Der Nuntius durfte den Gedanken hegen, die kirchlichen Functionen in Spanien einſtellen zu laſſen; die Prälaten ſollten in Trauer gekleidet vor dem Kaiſer erſcheinen, um den Vicarius Chriſti von ihm zu fordern. Es gehörte ein unmittelbares Einſchreiten des Hofes dazu, um eine Manifeſtation ſo auffallender Art zu verhindern. 1Castiglione 10. Dez. 1527, bei Pallavicini lib. II, c. 14.

Unter dieſen Umſtänden konnte der kaiſerliche Staats - rath nicht mehr ſo ſchlechtweg bei jenen erſten Inſtructio - nen ſtehen bleiben. Gattinara meinte, man dürfe den Papſt nicht gefangen halten, wenn man anders in ihm den wahren Papſt ſehe. De Praet machte darauf aufmerk - ſam, daß man die in Rom liegenden Truppen zur Verthei - digung des Königreichs Neapel brauche, und ſie nur dann wegführen könne, wenn man den Papſt befreit habe. Er rieth die Ausführung der Inſtruction durch den vielbedeu - tenden Zuſatz: ſo viel als thunlich, zu ermäßigen. Der Staatsrath beſchloß, daß der Papſt auf jeden Fall befreit werden müſſe. 2Notiz bei Bucholz III, p. 119.

In dieſem Sinne ward nun auch bereits durch den Franciscaner-General degli Angeli mit dem Papſt verhan - delt. Unglücklicherweiſe beſitzen wir keine nähere Nachricht21Befreiung des Papſtes.über den Gang der Unterhandlung. Wir haben nur den Vertrag, der am 26. November zu Stande kam, kraft deſ - ſen der Papſt nun nicht allein in ſeine geiſtliche Amtsfüh - rung, ſondern auch in ſeine weltliche Gewalt wiederherge - ſtellt werden ſollte. Der Kaiſer begnügte ſich mit der Ueber - lieferung einiger wenigen feſten Plätze, Oſtia, Civitavecchia, Civitacaſtellana. Der Papſt verſprach ein Concilium zur Einigung und Reformirung der Kirche zu berufen und zur Befriedigung des Kriegsvolkes ſo viel als möglich beizu - tragen. 1Vereinigungsbrief zwiſchen Papſt Clemens und Carl V bei Reisner p. 155. Die Worte des Eingangs ſind jedoch mehr eine Formel des Ausdrucks, als eine hiſtoriſche Wahrheit.Die definitive Bezahlung deſſelben ſollte durch eine große Säculariſation geiſtlicher Güter im Neapolitani - ſchen bewirkt werden.

Auch noch über einen andern Punct, deſſen die Tractate nicht gedenken, ſoll hier verhandelt worden ſeyn. Der Papſt ſoll gleich damals dem Kaiſer verſprochen haben, nicht in die Eheſcheidung des Königs von England zu willigen.

Hierauf ward Clemens VII wieder frei. Er beſetzte die Engelsburg mit ſeinem eigenen Volke, ließ alle Glocken läuten, und ernannte aufs neue die Beamten der Kammer und der Stadt. Mit jenen weitausſehenden Plänen einer Beſchränkung des Papſtes auf ſeine geiſtliche Gewalt, einer Abführung deſſelben nach einer Feſtung war es vorbei; viel - mehr kam jetzt die Zukunft der eigenen Macht des Kai - ſers in Italien aufs neue in Frage.

Zunächſt fehlte noch viel, daß der Papſt dem Kaiſer oder den Beamten deſſelben getraut, daß er ſich im Frie -22Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.den mit ihnen zu befinden geglaubt hätte. Man war übereingekommen, daß er ſich nach Orvieto begeben ſolle. Aber er beſorgte noch immer, Hugo Moncada, der nach Lannoys Tode Vicekönig von Neapel geworden war, werde ſich ſeiner Perſon auf dem Wege bemächtigen und ihn nach irgend einer kaiſerlichen Feſtung abführen. 1Jovius Vita Pompeji Columnae 197 f. Guicciardini lib. 18, p. 469. Er entſchloß ſich, in der Nacht vor dem beſtimmten Tag durch die Pforte des vaticaniſchen Gartens verkleidet zu entfliehen. So kam er nach Orvieto 10 Dezember 1527.

Hier gelangte er nun wohl wieder zu dem Gefühl ei - ner Möglichkeit von Selbſtbeſtimmung, allein ſo wie er ſeine Augen erhob, fand er ſich doch allenthalben von Ge - fahr umgeben.

Auf der einen Seite ſah er ſein Land größtentheils in den Händen des Siegers, der ihn mißhandelt hatte. Wäh - rend des Winters ward ſeine Hauptſtadt von den kaiſerli - chen Truppen, die noch immer nicht vollſtändig beſoldet worden, erſt recht zu Grunde gerichtet.

Auf der andern Seite waren aber auch ſeine Freunde, welche die Miene angenommen ihn zu beſchützen, ihm wider - wärtig und verderblich. Florenz, welches das Haus Medici aufs neue verjagt hatte und eine Republik im Sinne Sa - vonarolas zu gründen verſuchte, fand Schutz bei Frankreich. Die Venezianer hatten ſich der Städte Ravenna und Cer - via bemächtigt, welche Julius II wieder erworben zu ha - ben, ſich zu ſo hoher Ehre gerechnet.

Clemens fürchtete jetzt die eine wie die andere Partei. 23Italieniſcher Krieg im J. 1528.Es ſchien ihm höchſt gefährlich, daß der Kaiſer zugleich Mailand und Neapel beſitzen ſolle;1Literae Gregorii de Cassellis bei Fiddes Life of Wolsey p. 467. Et cum ei persuasissem, ut nihil dubitaret, et quod to - tum se rejiceret in manus regiae majestatis et rev. D. Legati, dixit se ita velle facere et quod in eorum brachia se et omnia sua remittat. Et caput jam ponit sub supplicio, nisi a regia Ma - jestate adjuvetur. Si Caesar permittatur aliquid possidere in Ita - lia praeterquam in regno Neapolitano, omnium rerum semper erit dominus, nisi mature confundatur: man ſieht er war noch der Mei - nung, daß dem Kaiſer Mailand zum Heile des roͤm. Stuhls entriſ - ſen werden muͤſſe. dann werde er doch Herr aller Dinge ſeyn. Jede Begünſtigung der Feinde des Kaiſers werde ſein Haupt unter das Beil bringen. Aber faſt noch mehr verſtimmten ihn die Schritte der Liga. Als ihn die Franzoſen aufforde[r]ten, die Liga wie ſie nunmehr war zu beſtätigen, ſich zu ihr zu bekennen, entgegnete er, es ſey ein ſonderbarer Vorſchlag, daß er das billigen, dem beitreten ſolle, was gegen ihn gethan ſey. In Florenz habe man ſeine Familie zu Grunde gerichtet, Ferrara befehde ihn jeden Augenblick, dennoch ſolle er ſich mit ihnen verbünden.

Die Franzoſen ſagten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen, dem Kaiſer nicht allein Mailand ſondern auch Neapel zu ent - reißen, und die Verfügung über Neapel ganz in des Pap - ſtes Willen zu ſtellen. Sie fragten ihn, ob er ſich wenig - ſtens dann erklären wolle, wenn Lautrec in Neapel einge - drungen ſey und die Feinde von da verjagt habe. Der Papſt vermied ſich beſtimmt zu äußern, doch ſah man an ſeinen Gebehrden, daß er es auch dann nur unter gewiſ - ſen Bedingungen thun werde. 2Nicolas Raince au Grandmaitre 28 Janv. 1528 MS. Bethune 8534.

Alles kam nun zunächſt auf den Ausgang der fran - zöſiſchen Unternehmung, auf das Glück der Waffen an.

24Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Noch im Januar 1528 drang Lautrec ins Königreich Neapel ein. Das deutſche Heer, das der Prinz von Ora - nien nicht ohne große Mühe endlich aus Rom weggeführt hatte, ſtellte ſich ihm bei Troja in den Weg, und wünſchte es zu einer Feldſchlacht zu bringen. Aber Lautrec erwartete venezianiſche Verſtärkungen und begnügte ſich indeß, die Kaiſerlichen das Uebergewicht ſeines Geſchützes fühlen zu laſſen. Nachdem die Verſtärkungen angekommen, bei der ſtarken Hinneigung, die ſich im ganzen Reiche zu Gunſten Frankreichs offenbarte, ſelbſt von Geſchütz entblöst, hielten es endlich die Kaiſerlichen für nothwendig ſich nach Nea - pel zurückzuziehen, vor allem dieß zu vertheidigen; denn das Haupt folge nicht den Gliedern nach, ſondern die Glieder dem Haupte. Gegen Ende April langte Lautrec vor Nea - pel an, ſchlug ſein Lager zu beiden Seiten der Heerſtraße von Capua auf und eröffnete die Belagerung. Es ſchien faſt unmöglich, daß die volkreiche, für den Mangel an Nahrungsmitteln mehr als jede andere empfindliche Stadt ſich einem ſiegreichen Heere gegenüber lange würde halten kön - nen. Schon war der größte Theil des Reiches in den Hän - den der Verbündeten. Die Venezianer nahmen die apu - liſchen Häfen in Beſitz. Filippino Doria brachte den Kai - ſerlichen in den Gewäſſern von Amalfi eine Niederlage bei. In England berechnete man bereits die Zeit, wo Neapel ge - fallen, wo alles beendigt ſeyn würde. Ueberhaupt hegte man dort die kühnſten Hoffnungen. Wolſey meinte einmal, man müſſe den Papſt vermögen, den Kaiſer wegen der ſchweren Beleidigungen, die er von ihm erfahren habe, geradezu ab - zuſetzen. Er möge nur erklären, daß den Churfürſten wie -25Italieniſcher Krieg im J. 1528.der das Recht zuſtehe, zu einer Wahl zu ſchreiten, und ſie ermahnen, Einen aus ihrer Mitte zu wählen. Damit werde man ſie gewinnen. Zugleich werde dadurch ein ſolcher Zwie - ſpalt zwiſchen dem Kaiſer und dem Papſt entſtehen, daß dann niemals mehr an eine Ausſöhnung zwiſchen ihnen zu denken ſey. 1Bellay au Grandmaitre. 2 Janv. 1528 (MS. Colbert Ve). Es iſt in der That dem Papſt hierüber eine Eröffnung gemacht worden. Er hielt es nur für nothwen - dig, daß beide Könige ſich über den zu Wählenden verei - nigen möchten, damit nicht wieder ein ähnlicher Irrthum geſchehe, wie bei der erſten Wahl (Carls V); er meinte auf vier Churfürſten zählen zu können. 2Gardiner et Cassalis to C. Wolsey, o. D., jedoch vom April 28, bei Strype Eccles. Memorials 5, 427. It were, ſagt der Papſt, to be foreseen before sentence of privation, who were most meet to be chosen.

Allein auch dieß Mal blieben dem Kaiſer ſeine glück - lichen Geſtirne getreu.

Vor allem gelang es ihm, eins der mächtigſten Häup - ter von Italien, den Genueſen Andrea Doria für ſich zu gewinnen. Schon längſt war darüber unterhandelt wor - den; ſchon ehe Doria zuletzt in die Dienſte der Liga trat; aufs neue während einer Anweſenheit des kaiſerlichen Kanz - lers Gattinara in Oberitalien im Mai 1527; ein Augu - ſtiner-Eremit, mit einem Diener Doria’s, des Namens Erasmo einverſtanden, war das eine wie das andere Mal der geheime Vermittler. 3Die Nachrichten, die wir hieruͤber in Hormayrs Archiv 1810 p. 61, und bei Bucholz finden, fließen ohne Zweifel aus denſelben Documenten des Wiener Archivs. Die Verpflichtungen Dorias zu Franz ſollen aufhoͤren 1ſten Julius 1528 und dann die zum KaiſerMan kann ſich nicht wundern,26Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.wenn unter dieſen Umſtänden der König von Frankreich die Wärme und den Eifer in Doria vermißte, die man wohl ſonſt von ihm hätte erwarten dürfen. Auch Doria ſeinerſeits führte mancherlei Beſchwerden, über perſönliche Kränkungen, ſo wie über die Behandlung ſeiner Vaterſtadt, der man ihre alten Rechte auf Savona ſtreitig machte. In England, wo damals viele Genueſen lebten und man alle dieſe Dinge auf das genaueſte kannte, war man außer ſich darüber. Wolſey meinte, man ſolle dem Doria ſo viel Geld geben, ſo viel Ehre erweiſen, als er nur irgend verlange, Sa - vona lieber ſechs Mal fahren laſſen, nur dieſen Mann nicht aufgeben in einer Zeit, wo man ſeiner am meiſten bedürfe. Allein die franzöſiſche Politik ward nicht ſo ſtreng aus Ei - nem herrſchenden Geſichtspunkt geleitet, daß man dieſen Verluſt in aller ſeiner Bedeutung erwogen hätte. Dage - gen unterſchrieb der Kaiſer alle Bedingungen, die Doria vorſchlug; er ſtellte das Schickſal Genua’s, ſo wie das perſönliche Dorias vollkommen ſicher; von freien Stücken fügte er noch einige Gnadenerweiſungen z. B. ein nicht unbedeutendes Landgeſchenk im Neapolitaniſchen hinzu. 1Schreiben an Salviati L. d. principi II, 129. In einer handſchriftlichen Lebensbeſchreibung Guaſto’s in der Bibliothek Chigi zu Rom findet ſich auch ein Abſchnitt uͤber das Cambiamento di A. Doria, der freilich etwas abenteuerlich lautet. Die Gefangenen Do -Er wußte ſehr wohl was er that. Gar bald pflanzte An - drea Doria die Fahnen, welche Filippino in jener See - ſchlacht den Kaiſerlichen abgenommen, im Dienſte des Kai - ſers auf ſeiner Flotte auf. 1Sein Uebertritt allein reichte hin um das Uebergewicht in den ſpaniſch-italieniſchen Ge -3anfangen. Vgl. uͤbrigens Folieta historia Gennensis p. 309. Si - gonius de rebus gestis Andreae Auriae Opp. Sigonii I, 241. 27Italieniſcher Krieg im J. 1528.wäſſern an den Kaiſer zu bringen. Aber überdieß war es ein großer Vortheil, daß ſich eine Stadt wieder an den Kaiſer anſchloß, welche eine unmittelbare Verbindung zwi - ſchen Spanien und Mailand möglich machte.

In dieſem Moment war nun auch ſchon über Neapel entſchieden.

Anſteckende Krankheiten, wie ſie immer im Gefolge ver - wüſtender Kriege entſtehen, brachen in dem franzöſiſchen Heere vor Neapel aus und griffen auf das verderblichſte um ſich. Gott ſchickte unter ſie , ſagt ein deutſcher Be - richt, eine ſolche Peſtilenz, daß von 25000 nicht über 1000 übrig blieben. Lautrec ſelbſt erlag: Vaudemont, dem man die Krone zugedacht, kam vor den Thoren um, in die er als König einzuziehen gehofft hatte. Dazu kamen dann die glücklichen Ausfälle der Belagerten. Die kaiſerlichen Deutſchen ſuchten wie bei Pavia vor allem ihre Landsleute auf, welche unter dem Grafen von Lupfen den Franzoſen dienten, und brachten deren Fähnlein als Siegeszeichen in die Stadt zurück; endlich ſah der Reſt der franzöſiſchen Armee ſich genöthigt, auf ſeinen Rückzug Bedacht zu neh - men; in dieſem Augenblick aber wurde er angegriffen und vollends zu Grunde gerichtet; 29. Aug. 1528. 1Sepulveda der damals in Gaeta war, VIII, 34 f. Reisner, p. 173.

1rias hoͤren ihn im Schlafe ſich uͤber Koͤnig Franz beklagen: non ba - sta al Francesco, avermi tolti i ricatti guadagnati col rischio del mio sangue, ma vuol Genova sottoporre a Savona ma io cambiarò la bandiera, sarò signore del mare, farò libero non che soggetta la patria mia; man ſieht aber auch hier die Motive. Nach jener Erzaͤhlung bediente ſich ihrer Guaſto im Geſpraͤch mit Doria, fuͤhrte ihm die Beiſpiele von La Palice und Joh. Jacob Trivulzio an, die auch von Koͤnig Franz hoͤchſt undankbar behandelt worden und brachte ihn auf ſeine Seite.

28Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Kaiſerlichen, die ſo eben verloren geſchienen, blieben vollkommen Sieger und nahmen das Königreich wieder ein.

Wie glücklich war der Papſt, daß er ſich dieß Mal neutral gehalten! Ohne dieß, ſchrieb ſein Staatsſecre - tär Sanga, jetzt ſein vornehmſter Miniſter,1Al Cl Campeggio Lettere di principi II, 127. Se sua San - tità non faceva cosi, hora si sarebbe nel profondo della total ruina. in welchem Abgrund von Verderben würden wir ſeyn! Es war in einer Conferenz zwiſchen Clemens VII und Sanga, am 6. September, daß der Entſchluß gefaßt wurde, ſich nun ernſtlicher an den Kaiſer anzuſchließen. Schon öfter hatte man den Papſt erſucht nach Rom zurückzukommen, wo man ihn nach dem Befehl des Kaiſers gegen Jedermann vertheidigen werde. 2Lra di Roma a B. Castiglione L. d. p. II, 140. Jetzt entſchloß er ſich dazu. Am 6. October finden wir ihn wieder in Rom.

Aber wir dürften nicht glauben, daß er nun ſchon ein Verbündeter des Kaiſers geweſen ſey. Noch im Novem - ber 1528 ermunterte er Franz I, die Bewegungen in Deutſchland, durch welche Carl in ſeiner kaiſerlichen Würde gefährdet werde, zu unterhalten, den Woiwoden von Sie - benbürgen zu unterſtützen. 3Gio Joachim a Montmorency Roma 7 Nov. 1528 bei Mo - lini II, 122. Mi disse S. Santità, che l’imperatore fosse quasi costretto, in persona trovarsi ben tosto in Alamagna, per dar ordine a molte cose, le quali non ordinate producevano gran pregiudizio e non minor movimento, minacciavano a l’impe - ratore suo stato, titulo e dignità (er zielt ohne Zweifel auf die Abſichten des Hauſes Baiern, zum Roͤmiſchen Koͤnigsthron zu gelan - gen) Se mo le cose in Germania fussero nel stato che si dice, a S. Sà parrebbe chel chrmo re per ben degli suoi affari le mantenesse, augumentasse e fomentasse. Im December 1528 verſichert der franzöſiſche Geſandte, wie ganz anders die Sache auch29Italieniſcher Krieg im J. 1528.ſcheinen möge, der Papſt ſey den Franzoſen ſo geneigt, wie jemals; es mißfalle ihm in ſeinem Herzen, daß die Sachen ſo ſchlecht gegangen: hätte man ſeinen Rath be - folgt, ſo wäre es nicht dahin gekommen. Ich wage zu behaupten, fügt der Geſandte hinzu, daß dabei keine Täu - ſchung obwaltet. 1Raince 14 Dec. 1528. qu’il n’y a fiction aucune. Cardinal Campeggi der nach England gegangen, um den Proceß über des Königs Eheſcheidung zu führen, wiederholte dort unaufhörlich, der Kaiſer ſey voll böſen Willens, entſchloſſen, ſo viel Uebel zu thun als er könne; man müſſe ihm ernſtlich zu Leibe gehn; das ſey der wahre Weg, ihn zur Vernunft zu bringen; könnte man ihm nur in Spanien wehe thun! aber ſehr zu loben ſey auch eine Unternehmung in Deutſchland wider ihn, möge ſie nun geführt werden wie ſie wolle. 2Bellay 1 Janv. 1529. louant fort l’entreprise d’Allemagne par quel moyen qu’elle se puisse conduire.

Noch hätte Niemand einen baldigen Frieden weiſſa - gen können. Zwiſchen dem Kaiſer und dem König kam es zu einer förmlichen Herausforderung, und es lag in der That nicht an dem Kaiſer, daß nicht ein wirklicher Zweikampf erfolgte. 3Relacion da Borgoña bei Sandoval 888. Er wird von dem Koͤnig feierlich empfangen: der ihm ſagt: bringſt du mir den Kampfplatz? Der Herold antwortet: Sire die heil. Maj. des Kai - ſers. Der Koͤnig faͤllt ein: ich ſage dir, daß du mir von keiner Sache redeſt, ehe du mir die Sicherheit des Kampfplatzes gebracht. Der Herold konnte ſeinen Auftrag nicht völlig ausfuͤhren und es geſchah zuletzt was Wolſey gemeint: 21 July St. P. p. 320. I trust to God these youg couragious passions shal be finally converted into fume. In Italien war der König jenem neapolitaniſchen Verluſte zum Trotz, in den letzten Mona - ten von 1528 und den erſten von 1529 noch immer ſehr30Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.ſtark. Die nemlichen Krankheiten, welche bei Neapel das franzöſiſche Heer zerſtörten, ergriffen auch die deutſchen Truppen, welche im Sommer 1528 unter Heinrich von Braunſchweig und Marx Sittich von Ems dem Kaiſer zu Hülfe über die Alpen ſtiegen und in der Lombardei erſchie - nen. Herzog Heinrich war ohnehin nicht der Mann, eine Unternehmung zu Ende zu führen, wobei er mit der Ei - ferſucht ſeiner Verbündeten, der Abneigung des Landvolks, dem Klima und den Feinden zugleich zu kämpfen hatte. Gar bald ſah man ihn mißmuthig über die Alpen zurück - kehren; ſeine Haufen löſten ſich auf, und traten zum Theil in venezianiſche Dienſte.

Hierauf erſchien ein neues franzöſiſches Heer unter St. Pol in Ivrea, dem die Venezianer Geld und Truppen ent - gegen ſandten: ſo daß man Pavia, das wieder verloren gegan - gen, aufs neue eroberte und gar bald die größten Hoffnungen faßte. St. Pols Meinung wäre geweſen, ſogleich nach dem Neapolitaniſchen vorzudringen, wo noch eine Anzahl feſter Plätze ſich in den Händen der Franzoſen befanden: er zwei - felte nicht, das ganze Königreich werde ihm dann zufallen. Die franzöſiſche Regierung dagegen hielt es für nöthiger, zuerſt einen Verſuch gegen Genua und Andrea Doria zu machen. Obwohl es damit nicht gelang, ſo beherrſchte doch das Heer den größten Theil der Lombardei in der That, und in England hoffte man noch, daß es in Kurzem Mailand einnehmen, ja durch die Beſetzung von Parma und Piacenza ſich wieder Einfluß auf den Papſt verſchaffen werde.

Und in nicht minderer Verwirrung war das öſtliche Europa.

31Unruhen in Ungarn 1528.

So lange Ferdinand ſelbſt in Ungarn anweſend war, wurde die Ordnung einigermaaßen erhalten. So wie er ſich aber entfernt hatte, brach die allgemeine Gährung wie - der hervor. Schon ſeine eigenen Anhänger konnten ſich nicht unter einander verſtehen. Der Biſchof von Erlau klagte über Andreas Bathory, der ihn ſchmähe und ihn zerreiße; kein Sokrates habe mehr Geduld üben müſſen als er. Franz Batthyan konnte die Schlöſſer nicht erlangen, die Ludwig Pekry für ihn in Beſitz genommen. Ein allgemeines Ge - ſchrei erhob ſich gegen die Gewaltthätigkeit des deutſchen Heeres unter Katzianer, welches ſeinen Sold unmittelbar von dem Lande eintrieb und dann doch gegen die Johan - niſten nur ſehr langſamen Schrittes vorrückte; Katzianer replicirte energiſch und rauh. 1Briefwechſel bei Bucholz III, 269 279. Bei Urſinus Ve - lius de bello Pannonico p. 91 ſieht man, daß die Ungariſchen Gro - ßen ſtritten de bonis hostis Joannis jam olim inter se partitis. Schon die Behauptung, wenn ſie auch nicht wahr ſeyn ſollte, daß man den Deutſchen mit Kalk gemengtes Brot gebe, um ſie zu vergiften, zeugt von der ſtarken nationalen Antipathie, welche ſich ausge - bildet hatte. Wie viel weniger konnten da die Anhänger Zapolya’s in Zaum gehalten werden! Auf dem Reichstag von Ofen im Januar 1528 unterſchied man drei Claſſen derſelben, geheime, welche dem Eid zu Trotz, den ſie dem König Ferdinand geleiſtet, die Getreuen deſſelben zu ver - führen trachten; zweifelhafte, welche um ſicheres Geleit nachgeſucht, um dem Könige zu huldigen und dann nicht erſchienen ſind; endlich ganz offene, welche Plünderungen vollziehen und das Land unſicher machen. Es findet ſich nicht, daß gegen die einen oder die andern etwas Nach -32Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.drückliches geſchehen ſey. Dagegen verſäumte Johann Za - polya nichts, um auch von ſeinem Exil zu Tarnow aus Ungarn in Bewegung zu erhalten. Ein Paulinermönch, Georg Martinuzzi, der früher im Dienſte der Mutter Za - polyas geweſen, beſaß Hingebung genug, ſich drei Mal zu Fuß nach Ungarn zu wagen. Er rühmt die gute Auf - nahme, die er bei Jacob von Thornaly, Stephan Bathory von Somlyo, Paul Arthandy gefunden. Er wanderte von Schloß zu Schloß, belebte die alten Verbindungen, berei - tete alles zur Aufnahme ſeines Herrn vor. 1Sein Schreiben an Verantius bei Pray und daraus bei Katona XX, I, 409. Vgl. Isthuanfi p. 126.Die Haupt - ſache war, daß er die Verſicherung osmaniſcher Hülfe brachte. Schon im Anfang des Jahres 1528 war nemlich eine Uebereinkunft zwiſchen Zapolya und Suleiman geſchloſ - ſen worden. Sie war nicht der Erfolg von Geſchenken, deren der Geſandte Hieronymus Lasko überhaupt keine mit - gebracht, noch auch des Verſprechens zinsbar zu werden, wozu er ſich nicht verſtand, ſondern lediglich der Politik. Zapolya hatte erklärt mit allen Kräften ſeines Reiches, ſei - nen Erbgütern, ja ſeiner Perſon dem mächtigen Sultan unaufhörlich dienen zu wollen. Ich dagegen, ſagte Sulei - man in der feierlichen Abſchiedsaudienz, will deinem Herrn ein wahrer Freund und Verbündeter ſeyn, ihm mit allen meinen Kräften gegen ſeine Feinde beiſtehn: bei dem Pro - pheten, bei dem großen von Gott geliebten Propheten Mu - hamed, bei meinem Schwerd. 2Relation Laskys bei Katona XX, I. In Zapolyas Namen erklaͤrte Lasky: non solum Ungariae regnum non solum dominia patrimonii sui, sed et personam suam propriam non suam csse vult sed vestram p. 319.Sehr wohl ſah Suleiman,33Italieniſcher Krieg im J. 1528.was ihm die entſchiedene Verbindung mit einem ſo ange - ſehenen Häuptling nützen könne. Er betrachtete ſich als den Mittelpunct der Oppoſition gegen Oeſtreich, als deren Mit - glieder er Frankreich, Venedig, Polen und den Papſt ſelbſt nannte, dieſen armen Prieſter, von welchem der Glaube der Chriſten ausgeht, und den ſie doch ſo ſchonungslos mißhandele. Er war überzeugt, er müſſe ſich bei Zeiten der Macht des Kaiſers entgegenſetzen. Denn ſie ſey, ſagt er, wie ein aus kleinen Bächen und ſchmelzendem Schnee zuſammenſtrömendes Gewäſſer, das zuletzt das feſte Haus in der Bergkluft untergrabe. 1Bericht des Habordancz bei Bucholz III, 596.Die öſtreichiſchen Geſand - ten behaupten, der König von Polen habe den Sultan noch im October 1528 durch eine eigne Botſchaft auffordern laſ - ſen, den Krieg gegen den Kaiſer im nächſten Jahr zu un - ternehmen, da werde auch er ihm zu Hülfe kommen. Su - leiman war wohl ſchon ohnehin entſchloſſen dazu. Dem Geſandten Ferdinands, Habordancz, der nach Conſtantino - pel gekommen war, um die Zurückgabe von 24 altungriſchen Plätze zu fordern, und dafür nichts als eine Geldentſchä - digung anzubieten, antwortete er: er werde in eigner Per - ſon mit aller ſeiner Macht ſich erheben um die Feſtungen zurückzuſtellen. Man kann denken, welch eine Gährung bei dieſer Kriegsausſicht in Ungarn entſtand. Schon im Sep - tember 1528 ſchrieb Andreas Bathory dem König Ferdi - nand, er ſtehe in Mitte der Rebellen, und habe den Tod vor Augen. Es war noch in demſelben Jahr, daß der Hospodar der Moldau, Peter Rareſch, lange Zeit ein Fi - ſcher, aber jetzt als wahrer Dragoſchide vom Hauſe desRanke d. Geſch. III. 334Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.großen Stephan anerkannt, in den Szekler Stühlen verwü - ſtend einbrach. 1Engel Geſchichte der Wallachei p. 170.Alles ließ ſich zu einer großen Entſchei - dung an.

Und war nun dergeſtalt Oſt und Weſt in allgemeiner Gährung, wie wäre es möglich geweſen, daß nicht auch das ſtürmiſche Deutſchland davon wäre ergriffen worden?

Betrachten wir näher wie das geſchah.

[35]

Zweites Capitel. Zeiten der Packiſchen Händel in Deutſchland.

Zuerſt geſchah es politiſch.

Die Herzoge von Baiern finden wir nach wie vor in der engſten Beziehung zu der Oppoſition gegen Oeſtreich, zu dem Papſt, dem König von Frankreich,1Lettre de Breton au Grmtre 17. May 1528 (MS. Bethune.) Le secretaire du duc de Bavière, que vous savez, est depuis deux (jours?) ici et a eu fort bonne audience du roi. dem Woiwoden.

Noch immer hatten ſie das Kaiſerthum nicht aufge - geben. Sie unterhandelten unaufhörlich mit den leitenden Churfürſten und machten ihnen die weitausſehendſten Ver - ſprechungen; auch den König von Frankreich ſuchten ſie noch einmal dazu in Bewegung zu ſetzen.

Es iſt ein Plan in unſern Händen, den ſie zur Er - reichung ihres Zweckes dem franzöſiſchen Hofe eingaben. 2Forme et manière de conduire et mener l’affaire d’élection au nom du roi de France MS. Bethune 6593 f. 93. Vgl. die Ver - handlung mit Mainz bei Stumpf p. 50.Franzöſiſche Geſandte, von lothringiſchen und engliſchen un - terſtützt, ſollten an dem nächſten Reichstag erſcheinen, den Ständen in Erinnerung bringen, wie viele Verluſte erlitten worden, ſeit das Haus Oeſtreich das Kaiſerthum beſitze; da ſey Conſtantinopel, Rhodus, und nunmehr Ungarn der3*36Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Chriſtenheit, Baſel und Coſtnitz dem Reiche verloren ge - gangen; die einzige Abſicht der öſtreichiſchen Brüder ſey, das Reich erblich zu machen, und ſich auf alle Weiſe zu vergrößern, wie denn Don Ferdinand vor kurzem Salzburg an ſich zu ziehn geſucht; hierauf ſollen ſie dieſelben auf - fordern, zur Wahl eines neuen Kaiſers zu ſchreiten, einen Mann dazu zu erheben, der Gerechtigkeit handhabe und das deutſche gemeine Weſen wieder in ſeinen alten Zuſtand brin - gen könne, der zugleich gut katholiſch geſinnt und fähig ſey, die Ketzereien zu vertilgen. Mit einem ſolchen Kaiſer ſoll der König von Frankreich verſprechen, ſich auf das engſte zu verbinden. 1Der Schluß lautet. Au surplus nos princes sont delibe - rés de n’obmettre rien de leur labeur et vigilance, et d’essayer tous les moyens, qu’ils verront être necessaires pour la fin de cette affaire et qu’ils ont esperance, dieu aidant et la bonté du roi tres chrétien achever l’affaire ainsi qu’ils le desirent.

Merkwürdig aber, indeſſen hatte ſich auch die entgegen - geſetzte evangeliſche Partei den Oppoſitionsmächten genähert.

Auch einen Geſandten des Landgrafen von Heſſen Dr. Walter finden wir in Frankreich. Einen andern ſehen wir den Weg zu Johann Zapolya einſchlagen. Wir begleiten ihn es iſt Doctor Pack auf ſeiner ganzen Reiſe. In der Charwoche 1528 finden wir ihn in Senftenberg, wo er ſich für einen meißniſchen Domherrn ausgiebt; Oſtern zu Breslau wo er ſich mit einem Diener verſieht, der pol - niſch ſpricht; 18. April in Cracau. Hier, in der Kirche St. Barbara hat er ſeine erſte Zuſammenkunft mit einem Angehörigen des Woiwoden; ſie finden nöthig, daß er die - ſen ſelbſt beſuche. Wie nun Pack in der Nähe von Tar -37Deutſche Oppoſition gegen Oeſtreich.now kommt, wo der Woiwode ſich aufhält, ſteigt er von ſeinem Wagen ab, und geht zu Fuß in die Stadt um nicht bemerkt zu werden. Dem 26. und 27. April finden wir ihn dann mit dem Woiwoden in Unterhandlung; es ward ein förmlicher Vertrag entworfen, dem nur noch die Rati - fication des Landgrafen fehlte. 1Das ganze Detail entnehmen wir aus dem Bekenntniß des Hans Schuoch aus Breslau, deſſelben, welchen Pack zu ſeinem Die - ner annahm.Der Landgraf hatte Geld gefordert, um Ferdinand in Deutſchland angreifen zu kön - nen. Der Woiwode verſprach, 100000 G. von ſeinem Schwager dem König von Polen aufzubringen. Wenn wir hören, Polen habe dem Sultan verſprochen, König Ferdinand mit deutſchen Truppen anzugreifen, ſo mag ſich das auf dieſe Unterhandlungen beziehen.

Was hätte es für Folgen haben müſſen, wenn dieſe Dinge weiter geführt worden wären, die eine Partei ſich wirklich gegen die kaiſerliche Würde Karls V aufgelehnt, die andere Ferdinand in ſeinen Erblanden angegriffen hätte. 2Man war der Meinung, die Unruhen in der Mark, die minkwitziſchen Befehdungen von Lebus ſeyen damit in Zuſammenhang. Herzog Georg ſchreibt an Hoyer von Mansfeld Maͤrz 1529. Uns langt glaublichen an, wye noch gar eyn groß gewerb vorhanden und wyewol es im Namen etzlicher von Adel angeſtellt, ſo khuͤnen wir es doch davor nicht achten, dyeweil den Beſtellten viel Geld heraus - gegeben wird. Man ſagt es ſolle ſolch gewerb dem Wayda zu gut und wyder das Land zu Laußnitz und den Churfuͤrſten von Branden - burg vorgenommen ſeyn. Der Herzog war eben im Begriff, mit dem Churfuͤrſten eine Zuſammenkunft zu halten. Er iſt es, der Mink - witz gefangen genommen.Und zwar in jenen Momenten, wo auch alle anderen Ver - hältniſſe erſchüttert waren.

Indeſſen geſchah das nicht. Die Herzoge von Baiern38Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.und der Landgraf von Heſſen wußten nichts davon, daß ſie Verbündete waren. Die religiöſen Antipathien der verſchie - denen Fürſten waren vielmehr ſo ſtark, daß eine der ſelt - ſamſten Verwickelungen, die wohl jemals vorgekommen iſt, unter ihnen ſelbſt entſtand.

Das iſt ganz richtig, daß jene Emancipationen von der geiſtlichen Jurisdiction, zu der die evangeliſchen Für - ſten geſchritten waren, Klagen am kaiſerlichen Hofe veran - laßt hatten, daß daſelbſt von Beſtrafungen, ſelbſt von der Acht die Rede war. Schon ſuchte ſich Naſſau, das in al - ten Territorialſtreitigkeiten mit dem Landgrafen von Heſſen lag, für dieſen Fall durch Mandate ſicher zu ſtellen. 1Heinrich v. Naſſau an Joh. v. Naſſau, Arnoldi Denkwuͤr - digkeiten p. 200. Das Schreiben iſt vom 13. April, vor den Pa - ckiſchen Unruhen, von denen man damals uͤberhaupt noch nichts wußte, am wenigſten in Spanien.

Davon drang nun ein dunkles Gerücht auch nach Deutſch - land. Der Landgraf ward gewarnt, von einem Manne gro - ßen Anſehens, wie er ſagt, den er nicht nennen könne, der aber gut Wiſſens darum trage, es ſey etwas im Werke eine merkliche Practica gegen die Lutheriſchen.

Der Landgraf ſuchte jedoch den Urſprung der Gefahr nicht ſo in der Ferne; er faßte nur die Feindſeligkeiten ins Auge, welche in Baiern und ganz Oberdeutſchland gegen die Be - kenner der Lehre ausgeübt wurden die heftigen Drohungen, welche Herzog Georg von Sachſen gegen ſeinen Vetter den Churfürſten ausſtieß, als mit dem er ſeine Zwiſtigkeiten nicht austragen wolle, wenn er nicht von Luthers Sekte ablaſſe, gegen den er nur einen Befehl des Kaiſers erwarte; es war39Packiſche Haͤndel.ihm verdächtig, daß einige eifrige katholiſche Fürſten im Mai 1527 den König Ferdinand in Breslau beſucht und ihm dann Hülfe in Ungarn geleiſtet hatten; er glaubte nicht anders als daß ein Bund ſeiner Nachbarn wider ihn im Werke ſey.

Da geſchah es nun, daß der Canzleiverweſer des Her - zogs Georg, Otto von Pack, derſelbe der jene Reiſe nach Tarnow unternahm wohl noch im Laufe des Jahres 1527 zu dem Landgrafen nach Caſſel kam, um ihm in der naſſauiſchen Sache rechtlichen Rath zu ertheilen. Der Land - graf eröffnete demſelben ſeine Befürchtungen und drang in ihn, ihm zu ſagen ob er nichts davon wiſſe. Pack ſeufzte und ſchwieg. Um ſo eifriger redete der Landgraf ihm zu. Pack erklärte endlich, ja es ſey ein Bündniß wider die Lutheri - ſchen nicht allein im Werke, ſondern bereits geſchloſſen. Er verſprach, dem Landgrafen das Original der Urkunde zu ſchaffen; der ſagte ihm dafür ſeinen Schutz und eine Beloh - nung von 10000 Gulden zu. Landgraf Philipp war nun Feuer und Flamme geworden. Im Februar 1528 finden wir ihn in Dresden; und in der That brachte hier Pack zwar nicht das Original des Bündniſſes, das der Canzler wegge - legt habe, aber eine Copie deſſelben zum Vorſchein, die auch alle äußeren Zeichen der Authentie hatte. Der ſchwarzſei - denen Schnur, welche die Schrift durchzog, war an beiden Seiten das ſächſiſche Canzleiſiegel aufgedrückt; unter dem hing das Siegel des Handringes, den Herzog Georg trug, und den der Landgraf ſehr wohl kannte, mit ſeinen drei Schilden, in dem obern den Rautenkranz, in den untern zwei Löwen. Pack geſtattete, daß der landgräfliche Secre - tär eine Copie davon nahm und empfing 4000 G. 1Erzaͤhlung des Landgrafen in einem Schreiben an Herzog

40Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.

In dieſer Urkunde war nun aber das Allergefähr - lichſte und Feindſeligſte zu leſen. Danach hatten ſich die Churfürſten von Mainz und Brandenburg, die Herzoge von Sachſen und Baiern, die Biſchöfe von Salzburg, Würzburg, und Bamberg mit dem König Ferdinand verbündet, um zuerſt den Churfürſten von Sachſen, wenn er ſich nach erneuerter Aufforderung weigere, Luther und deſſen Anhän - ger auszuliefern, mit vereinigten Kräften zu überziehen und ſein Land zu theilen: demnächſt auch den Landgrafen anzu - gehn, und wenn er nicht widerrufe, ihn aus ſeinem Lande zu verjagen, das dann an Herzog Georg fallen ſolle. Auch die Stadt Magdeburg ſolle ihrem Erzbiſchof unterwürfig gemacht werden. Die Art und Weiſe, ſo wie die Stärke des Angriffs war genau beſtimmt.

Der Landgraf, ſchon längſt erfüllt mit Vermuthungen dieſer Art, zweifelte keinen Augenbllck an der Authentie des ihm vorgelegten Actenſtückes; ſtürmiſch eilte er, um auch dem Churfürſten davon Nachricht zu geben, nach Weimar; auch hier wirkte das Ueberraſchende, Beſtimmte, Dringende der Gefahr betäubend und fortreißend; ſchon am 9. März kam ein Bund zwiſchen den beiden Fürſten zu Stande, worin ſie einander verſprachen, zu gegenſeitigem Schutz 6000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferd zuſammenzubringen. Man faßte die Ab - ſicht, den Angriff nicht allein zu erwarten, ſondern ihm zuvor - zukommen. Der Landgraf ſelbſt reiſte nach Nürnberg, nach Ansbach. Unter dieſen Umſtänden war es, daß er den Otto1Georg vom 28. Juni, welches Rommel (III, 21) als verloren be - trachtet, das ſich aber im Archiv zu Dresden findet; ich werde es im Anhang mittheilen.41Packiſche Haͤndel 1528.Pack, den er nun näher an ſich gezogen, an den Woiwoden ſchickte. Unverweilt begannen die Rüſtungen. Die heſſiſchen Truppen verſammelten ſich bei Herrenbreitungen, die ſäch - ſiſchen am Thüringer Wald. Ganz Deutſchland gerieth in Bewegung.

Die Lage der Dinge in dem evangeliſchen Deutſchland war aber nicht ſo beſchaffen, daß es allein auf den raſchen Muth eines oder des andern Fürſten angekommen wäre. Auch die Theologen, vor allen Luther hatten eine Stimme zu füh - ren; und es fragte ſich erſt, was dieſe dazu ſagen würden.

Luther zweifelte ſo wenig, wie die Fürſten an der Aecht - heit des Vertrages, den man ihm vorlegte, allein er fand, man werde dadurch noch nicht berechtigt, ſofort zu den Waf - fen zu greifen. Dieß ſtürmiſche Zuſchlagen widerſtritt ſeinen Begriffen von Recht und Sitte. Er meint, man müſſe den Fürſten ihr Vorhaben vorhalten und ſie bitten, davon ab - zuſtehn; man müſſe ſie verklagen und ihre Antwort verneh - men. Sonſt könnte ein Fürſten-Aufruhr entſtehn, der zur Freude des Satans Deutſchland verwüſte. Luther iſt von Allen, die ſich jemals an die Spitze einer Weltbewegung geſtellt haben, vielleicht Derjenige, der am wenigſten von Gewalt und Krieg hat wiſſen wollen. Er hielt dafür, man könne ſich vertheidigen, namentlich gegen Fürſten, wie die genannten, welche als die Gleichen ſeines Herrn nicht deſſen Obrigkeit ſeyen, aber daß man die Waffen zuerſt in die Hand nehme, zu einem Angriff ſchreiten ſolle, das war über ſeine Vorſtellung. 1Bedenken bei de Wette III, 316, nr. 986, 987; ohne Zwei - fel aber noch in den Maͤrz zu ſetzen, nicht in den Mai. Sie wer -Er wandte den Spruch: ſelig ſind die42Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Sanftmüthigen, die Friedfertigen, auch auf die politiſchen Verhältniſſe an. Wer das Schwerd nimmt, ſoll durch das Schwerd umkommen. Der Krieg, ſagt er, wagt alles, gewinnt wenig, und verliert gewiß, aber Sanftmuth ver - liert nichts, wagt wenig und gewinnt alles.

Damit war nun Churfürſt Johann leicht zu überzeu - gen, der das Evangelium eben ſo verſtand, wie Luther, und von ganzem Herzen liebte; er war nur durch den heftigen Verbündeten mit fortgeriſſen worden. Jetzt ſtellte er dem - ſelben vor, ein Angriff könne dem Evangelium Unehre brin - den und man müſſe davon abſtehn. Der Landgraf erwie - derte, das Bündniß der Feinde, von ihnen verſiegelt und beſchworen, ſey ſo gut wie der Angriff ſelbſt; er machte auf die Vortheile aufmerkſam, die ein raſches Vorſchreiten mit ſich bringe; das würde Manchen aufwecken, der jetzt ſchlafe; auf dieſe Weiſe werde man zu ſicherem Vertrage gelangen. Der Churfürſt war aber nun nicht mehr zu be - wegen. Er ſendete ſeinen Sohn, von einem zuverläſſigen Rath, des Namens Wildenfels, begleitet, nach Caſſel, mit ſo beſtimmter Anweiſung, daß der Landgraf ſich endlich ent - ſchließen mußte, Luthers Rath zu befolgen und vor allem das Bündniß bekannt zu machen, die darin genannten Für - ſten zur Verantwortung aufzufordern. Zunächſt ſandte er es ſeinem Schwiegervater zu. 1Schreiben im Weim. Arch. undatirt, aber von der erſten

1den nemlich ſchon in einer Inſtruction in Neudeckers Actenſtuͤcken p. 33 erwaͤhnt; einer Urkunde, die zwar auch undatirt iſt, aber ohne Zweifel noch in den Maͤrz faͤllt, da der Churfuͤrſt darin ſagt, er habe einige ſeiner Freunde auf Freitag nach Judica ſchirſtkuͤnftig (3. April) zu ſich beſchieden.

43Packiſche Haͤndel 1528.

Man kann das Erſtaunen nicht ſchildern, das die deut - ſchen Höfe bei dem Erſcheinen dieſer Anklage dieſes Acten - ſtückes ergriff.

Auf der Stelle antwortete Herzog Georg, und bezeich - nete den, der das Original eines ſolchen Bündniſſes geſe - hen zu haben behaupte, als einen ehrloſen und meineidigen Böſewicht. Churfürſt Joachim drang wie Herzog Georg auf die Nennung des verlogenen Mannes, der dieß Bünd - niß erdichtet, damit man nicht glaube, der Landgraf ſelbſt habe es erſonnen. So antworteten alle die Andern. Der Landgraf ſah ſich genöthigt, ſeinen Gewährsmann feſtneh - men und gerichtlich verhören zu laſſen. 1Die Antworten, wie der angebliche Vertrag ſelbſt, ſtehen bei Hortleder und Walch. Im Dresdner Archiv findet ſich noch eine Inſtruction Ferdinands, in welcher er Herzog Georg auffordert, der Sache auf den Grund zu kommen, wo ſie ihren Anfang und Ur - ſprung habe.

Auch wir müſſen hier wohl die Frage erörtern, die bis auf den heutigen Tag nicht erledigt ſcheint, was an dieſer Sache, dieſem Bündniß iſt.

Vor allem enthält es in ſich die größten Unwahrſchein - lichkeiten. Churfürſt Joachim z. B. ſoll Heſſen, auf das er kraft der Erbeinigung dieſer Häuſer ebenſo viel Anſprüche hatte, dem Herzog von Sachſen überlaſſen und ſich dagegen Beeskow und Storkow ausbedungen haben, die doch ſchon ſeit1Haͤlfte Aprils: Antwort auf jene Inſtruction. Ich verſehe mich ge - wißlich, daſſelbe (das Original) zu bekommen in der Kurz. Hett aber F. L. mir u. andern zu Weimar gefolgt und ſich ein klein Koſten nicht dauern laſſen, ſo wulte ich es uf dieſe Tage haben. Man ſieht daß Pack gleich anfangs Geld gefordert haben muß. Philipp ver - ſichert in einem ſpaͤtern Briefe an Herzog Georg bei Rommel III, 17, erſt uͤber 3 oder 4 Wochen habe er dem Pack Geld anbieten laſſen.44Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.einigen Jahren ein Eigenthum des Bisthums Lebus gewor - den waren. 1Wohlbruͤck Geſchichte von Lebus. II, 414.Die Herzoge von Baiern ſollen mit Ferdi - nand im Bunde ſeyn, um ihm Ungarn zu verſchaffen, was ſie ihm eben zu entreißen dachten. Auch der Kriegsplan iſt höchſt wunderlich, und es liegt eine gewiſſe Wahrheit der Ironie darin, wenn Pack ſpäter, um ſich zu entſchuldigen, den ganzen Entwurf als närriſch geſtellt bezeichnete. 2Abgedruckt in den Acten von Doctor Ottens v. Pack Abhoͤrung in Caſſel in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten p. 98.

Ferner aber, was für ein Menſch war doch dieſer Pack! Im Dresdner Archiv finden ſich Acten über ihn, in denen er höchſt unzuverläſſig, betrügeriſch, ja eigentlich als ein ſchlechtes Subject erſcheint. Er benutzte ſeine Stellung am Hofe, um Geld zu erpreſſen. Dem Rath von Tennſtädt z. B. borgte er unter ſehr glänzenden Vorwänden, haupt - ſächlich dem, daß er ſeinen Fürſten bei der Auslöſung von Weißenſee unterſtützen müſſe, ein paar hundert Gulden ab, deren Wiedererſtattung er dann von Termin zu Termin ver - ſchob. In dem Verzeichniß ſeiner Gläubiger ſtehen noch vier andre Landſtädte, Pirna, Meißen, Oſchatz und Chem - nitz. 3Miſſive ſo in Dr. Packs Hauſe, als er gefangen angenom - men, gefunden worden im Dresdner Archiv nr. 7398.Aber noch viel mehr fällt ihm folgende Geſchichte zur Laſt. Als er einſt in Geſchäften ſeines Herrn nach Nürnberg reiſte mehr als einmal finden wir ihn als Reichstagsgeſandten gab ihm der Biſchof von Merſe - burg ſeinen Anſchlag für Regiment und Kammergericht mit, einen Betrag von 103½ Gulden. Der Reichstag war zu Ende, Pack ſchon lange zurückgekehrt, als der Biſchof wegen eben45Packiſche Haͤndel 1528.jenes Anſchlages von Reichswegen gemahnt ward. Pack hierüber angegangen, erklärte ohne Verlegenheit, er habe das Geld einem Nürnberger Bürger, des Namens Friede - mann, eingehändigt, der es auch in der That dem Regi - ment abgeliefert, aber von dieſem keine Quittung bekommen habe, weil noch alte unbezahlte Reſte da ſeyen. Er legte hierüber Brief und Siegel Friedemanns bei. Natürlich ging man nun dieſen ſelber an. Wie ſehr mußte man er - ſtaunen, als der ehrſame Bürger erklärte, er kenne Doctor Pack ſo gut wie gar nicht, habe nie mit ihm Geſchäfte ge - habt, nie von ihm Geld empfangen; auch würde ihm ja das Regiment eine Quittung für die Summe, die er wirk - lich erlegt hätte, wenn gleich nicht für die ganze Schuld gezahlt haben; Handſchrift und Siegel, welche der Doctor eingeſandt, könne unmöglich den ſeinen gleich ſeyn. Dort im Archiv finden ſich beide Actenſtücke, und in der That iſt die Handſchrift, welche Pack beigebracht, von der ächten des Friedemann gänzlich verſchieden. Genug, Pack war ſchon in Verfälſchungen geübt, als ſich ihm dieſe neue Ge - legenheit, grandioſer als jemals, darbot, Geld zu machen. Er benutzte ſie, wie wir ſahen, auf eine Weiſe, daß Deutſch - land darüber beinahe in innerlichen Krieg gerathen wäre. Er ſelbſt hat ſpäter nicht mehr auf der Aechtheit ſeines Mach - werks beſtanden. Er ließ die Behauptung, daß er ein mit den Siegeln aller Fürſten bekräftigtes Original in Händen gehabt, am Ende fahren, und gab nur an, ein böhmiſcher1Verhoͤr Wuriſyns in einem Convolut des Dresdner Archivs betitelt Haͤndel betreffend des Dr. Otto Pack mit Caspar Wuriſyn. Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich mich in der ganzen Darſtellung auf nichts ſtuͤtze, was Pack auf der Folter bekannt hat.46Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Schreiber Wuriſyn habe ihm eine Copie aus Schleſien ge - bracht. Allein auch dieß zeigte ſich unwahr. Der Schrei - ber bewies, daß er in der Zeit, welche Pack bezeichnet, gar nicht nach Dresden gekommen war. Er war damals aus Furcht vor den Gläubigern, die ihn verfolgten, auf flüch - tigem Fuß geweſen.

Ein in ſich ſo mit Widerſprüchen angefülltes, von ei - nem ſo unzuverläſſigen betrügeriſchen Menſchen dargebotenes Actenſtück muß ohne Zweifel völlig verworfen werden. Ich finde auch, daß die Meinung Pack habe einen Betrug aus - geübt, ſich damals ſehr bald auch dieſſeit geltend machte. Melanchthon war davon ſogleich überzeugt, als er die erſten Verhöre geleſen hatte. 1An Camerarius Corp. Ref. I, 988. Alter sane odiose ex - torsit pecuniam nobis valde dissuadentibus: αἰδὼς δ̕ οὐκ ἀγαϑὴ κεχϱημένῳ ἀνδϱὶ. Camerarius hatte dieſe Ausdruͤcke ſehr ermaͤßigt; Hr. Dr. Bretſchneider hat ſie wieder hergeſtellt.Der Landgraf Philipp hat es mehr als einmal unumwunden bekannt. Man warf ihm wohl ſpäter einmal vor, er habe da viel vorgenommen und wenig ausgerichtet. Das geſchah, darum, ſagt er, daß wir fühleten, daß wir betrogen waren. 2Dritte Verantwortung bei Hortleder IV, 19 nr. 26 p. 567. Wir befanden, daß wir zu milde (d. i. falſch) berichtet waren.

Und hätte er dieſer Ueberzeugung nur noch früher Raum gegeben, als er wirklich that!

Allein ehe noch die Nichtigkeit jenes Entwurfes voll - kommen klar geworden, war er ſchon ins Würzburgiſche eingefallen, und bedrohte die Gebiete von Bamberg auf der einen, von Mainz auf der andern Seite. Von denen, welche durch ihre Drohungen ſeine Rüſtungen veranlaßt, forderte47Packiſche Haͤndel 1528.er jetzt die Koſten derſelben. Da Niemand gerüſtet war, um ihm zu Widerſtand zu leiſten, ſo mußten unter Vermittelung von Pfalz und Trier die Biſchöfe ſich in der That zu Geld - zahlungen und ungünſtigen Verträgen verſtehn.

So glücklich man in Wittenberg war, daß ein unge - rechter Krieg vermieden wurde, ſo tief empfand man doch das Unzuläſſige eines ſo gewaltſamen Verfahrens: die Ueber - eilung, die in der ganzen Sache geherrſcht hatte. Es ver - zehrt mich faſt, ſagt Melanchthon, wenn ich bedenke, mit welchen Flecken unſre gute Sache dadurch behaftet wird. 113. Spt. a. a. O. p. 998.Nur durch Gebet weiß ich mich aufrecht zu erhalten.

Auch der Landgraf war wohl ſpäterhin ſelbſt davon beſchämt. Wäre es nicht geſchehen, ſagt er einmal, jetzt würde es nicht geſchehen. Wir wiſſen keinen Handel, den wir unſer Lebelang begangen, der uns mehr mißfiele. 2Acta Handlungen Legation und Schriften, ſo durch den durchlauchtigen Herrn Philipſen in der Muͤnſterſchen Sache geſche - hen: Caſſel im Mai 1535. Die Biſchoffe betreffend, iſt uns ein Handel fuͤrkommen, den haben wir nebſt vielen vor warhaftig gehal - ten und demnach unſere unterthanen retten wollen, da wir aber be - funden, das wir zu milde berichtet geweſen, ſeind wir mit unſerm Fuͤrhaben ſtill geſtanden; daß uns aber Geld geworden iſt, haben uns die Churfuͤrſten mit gutem Willen getaͤdingt und duͤrfet euch dieſe unſre Handlung zu keinem exempel fuͤrbilden, denn wir wiſſen keinen Handel, der uns mehr mißfaͤllt, den wir unſer Lebe - lang begangen, denn eben dieſer, were er nicht geſchehen, er wuͤrde nunmals nicht geſchehen.

Allein damit war die Sache doch nicht wieder gut ge - macht. Sie zog vielmehr die ernſtlichſten und gefährlichſten Folgen nach ſich.

Man hatte kühne Pläne einer Theilnahme an den gro - ßen europäiſchen Verwickelungen gehegt; oder man hatte ge -48Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.ſucht, einen Ausſchlag in den innern religiös-politiſchen Ir - rungen herbeizuführen. Es war nichts als ein grober Land - friedensbruch erfolgt, der auf alles Beſtreben der religiöſen Partei ein nachtheiliges Licht warf.

Denn dagegen regte ſich nun natürlich das Gefühl des Rechtes und des Reiches.

Vor allem war man im ſchwäbiſchen Bunde mißver - gnügt, zu welchem ſowohl der Landgraf als die Biſchöfe gehörten. Der Landgraf ſchickte entſchuldigende Schrei - ben: er erbot ſich, vor Churfürſt Ludwig zu Recht zu ſtehn. Der Bund antwortete (Nov. 1528): es bedürfe keines Rechtens: er werde auf dem Buchſtaben der Einigung verharren. Ich wollte, daß der jüngſte Tag hereinbräche, ruft ein Abgeordneter in ſeinem Eifer aus, damit man nur dieſer und anderer Gefahren überhoben würde.

War in den Oberhäuptern beider Parteien eine gewiſſe Tendenz, ſich dem Haus Oeſtreich entgegenzuſetzen, der eu - ropäiſchen Oppoſition wider daſſelbe anzuſchließen, ſo ſehen wir nun, wie die Bewegungen eine ganz andre Richtung nahmen, und eigentlich durch einen Irrthum, einen Be - trug, eine Uebereilung, alle gegenſeitigen Leidenſchaften auf - geregt wurden.

Freilich hätte das nicht geſchehen können, wenn nicht die inneren Gegenſätze ſich jeden Augenblick mehr befeſtigt hätten.

Eben wie auf der evangeliſchen Seite Organiſationen im Sinne der Neuerung unternommen wurden, ſo war man auf der andern bedacht, die wankenden katholiſchen Ueber - zeugungen neu zu begründen.

49Verfolgungen der Evangeliſchen.

Hie und da brauchte man dieſelben Mittel. In Oeſtreich finden wir 1527 und 1528 Kirchenviſitationen, wie in Sach - ſen, aus geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern zuſammenge - ſetzt; nur ganz im entgegengeſetzten Sinne. Man ſuchte da - durch die Beobachtung des Regensburger Edicts und der dar - auf gegründeten erzherzoglichen Mandate zunächſt gütlich in Gang zu bringen;1Bucholz VIII, 139. gar bald aber ſah man, daß die neuen Mei - nungen ſchon ſehr weit vorgedrungen waren und ſchritt zu Strafen. Am 20. Juli 1528 ward verordnet, daß die Ketzer nicht nur gemein, ſondern hochmalefiziſch zu ſtrafen ſeyen;2Raupach Ev. Oeſtr. II, 49. am 24. Juli wurden alle Drucker, ja alle Feilhaber ſectireri - ſcher Bücher bedroht, als Vergifter der Länder mit dem Tod im Waſſer beſtraft zu werden. Es ergingen Edicte, um die ſchon ſehr herabgekommene geiſtliche Autorität herzuſtellen. 3Z. B. bei Raupach II, Beil. nr. VIII.

In Tyrol legte man den Reichsſchluß von 1526 zu Gunſten des Katholicismus aus, und wollte an die das Jahr zuvor gemachten Zugeſtändniſſe nicht mehr gebunden ſeyn.

In Baiern war die Hauptſache ſchon gethan und man trug nur Sorge, die verhaßten Richtungen nicht aufs Neue eindringen zu laſſen. Die Straßen wurden bewacht, um Diejenigen, welche zu den evangeliſchen Predigten in der Nachbarſchaft gingen, zu fangen und zu ſtrafen. Anfangs um Geld; da man aber wohl ſagte, der Herzog thue das aus Geiz, ſo nahm er kein Geld weiter. Jetzt ließ er in Landsberg 9 Männer zum Tode im Feuer, in München 29 Männer zum Tode im Waſſer verdammen. Wer kennt nicht4Schelhorn bei Winter I, 258.Ranke d. Geſch. III. 450Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.den Namen des unglücklichen Bernhard Käſer? Er war nur darum von Wittenberg in ſeine Heimath nach Schärding ge - reiſt, um ſeinen todtkranken Vater zu beſuchen; hier aber ward er gar bald verrathen und ergriffen, auf dem Schrammenplatz zu Paſſau verurtheilt und bald darauf verbrannt.

So fuhr denn auch der ſchwäbiſche Bund in ſeinen Executionen fort. Die Bundeshauptleute bekamen im Fe - bruar 1528 Befehl, Alle, welche der Wiedertaufe verdäch - tig, aus ihrer ordentlichen Gerichtsbarkeit abzuführen, und ohne Proceß vom Leben zum Tode zu bringen. Der Rath in Nürnberg proteſtirte hiegegen; wahrhaftig nicht aus Hin - neigung zu den Wiedertäufern, ſondern, weil er meinte, man gebe vor die Wölfe zu jagen und fange die Schaafe, man werde auf dieſe Weiſe auch die Bekenner und Prediger des Wortes verfolgen.

Der Biſchof von Coſtnitz brachte ein kaiſerliches Man - dat aus, durch welches Alle, die in dem Kreiſe dieſes Stif - tes geſeſſen, angewieſen wurden, demſelben ſeine geiſtlichen Jurisdictionen, Bannalen, Präſentationen, erſte Frucht, an - dere Altherkommen und gute Gewohnheit folgen zu laſſen. Und ſehr ernſtlich verfuhr dieſer Biſchof gegen die Abtrünnigen. Johann Hüglin von Lindau ward in Mörsburg als ein Gegner der heiligen Mutter Kirche, den weltlichen Gerichten und dem Feuer übergeben.

So gieng es den Rhein hinab. Ein Prediger von Halle, der nach Aſchaffenburg citirt worden, wurde auf dem Rückweg ermordet; man trug kein Bedenken dieſe Unthat dem Capitel von Mainz Schuld zu geben.

In Cöln ward Adolf Clarenbach verurtheilt, weil er51Verfolgungen der Evangeliſchen.nicht glauben wollte, daß der Papſt das Haupt der heili - gen Kirche ſey, zu zweifeln ſchien, ob nicht in den Con - cilien zuweilen etwas feſtgeſetzt worden ſey, oder doch feſtgeſetzt werden könne, was dem göttlichen Worte entgegenlaufe;1Die erſte Frage, die ihm gegeben ward. Montag nach Palm - ſonntag 1528. und was dem mehr iſt. Die Ueberlegenheit, die Einſicht und der beſonnene Muth, welche der Angeklagte in ſeinem Verhöre bewies, ſind wahrhaft bewunderungswürdig. Auch zögerte der Rath zu Cöln lange Zeit, in die Execution zu willigen. Man behauptet, er ſey nur dadurch zuletzt dazu vermocht worden, daß die Prieſter die Verwüſtungen, welche der engliſche Schweiß in Cöln anrichtete, als eine Rache Gottes über die Stadt, weil ſie die Ketzerei nicht ſtrafe, bezeichneten. O Cöln, Cöln, rief Clarenbach aus, als er zum Hochgericht hingeführt ward, was verfolgſt du Gottes Wort? Es iſt noch ein Nebel in der Luft, aber er wird einmal reißen. 2Rabi Martyrerbuch Thl. II, fol. 243, 249. Es iſt auch hier wie ſonſt eine alte, gleichzeitige, alle Spuren der Glaubwuͤrdig - keit tragende, ſehr ausfuͤhrliche Erzaͤhlung, was wir bei Rabus finden.

Zu ſo grauſamen Exceſſen prieſterlicher Verfolgung kam es nun in dem nördlichen Deutſchland wohl nicht mehr, allein noch immer ließ Herzog Georg die armen Leute, welche das Abendmahl nicht nahmen, weil ſie es nicht unter bei - derlei Geſtalt empfangen durften, im ſchimpflichſten Auf - zug mit Staupenſchlag von Scharfrichter und Büttel aus dem Lande bringen. In Brandenburg vereinigten ſich auf dem Landtag Viſitationis Mariä von 1527 noch einmal Churfürſt und Stände, mit allen ihren Kräften über die4*52Fuͤnftes Buch Zweites Capitel.Beobachtung der alten Cerimonien zu halten; keinen Pfarrer ohne Zulaſſung des Ordinarius anzunehmen, die Geiſtlichen in ihrem Beſitz zu ſchützen, gegen die Uebertreter nach den Mandaten päpſtlicher Heiligkeit und kaiſerlicher Majeſtät zu verfahren. 1Mandat. Donnerſtag nach V. M. 4. Juli neuerdings bei Muͤller Geſch. der Reform. in der Mark p. 138.Jedoch war nicht das ganze Land wie Fürſt und Stände geſinnt. Die erſte nahmhafte Widerſetzlichkeit erfuhr Joachim II von ſeiner eigenen Gemahlin Eliſabeth. Sie ſchloß ſich lieber an das erneſtiniſche Haus Sachſen, von dem ſie ſtammte, an ihren Oheim Churfürſt Johann an als an ihren Gemahl, gegen den ſie manche andre Klage hatte; ihr Leibarzt Ratzenberger, Phyſicus zu Brandenburg, einer der eifrigſten Bekenner der neuen Lehre vermittelte ihre Verbindung mit Dr. Luther, deſſen Bücher ſie längſt bewun - derte und verehrte; endlich wagte ſie es, insgeheim, in ihren Gemächern, auf dem Schloſſe zu Berlin das Abendmahl un - ter beiderlei Geſtalt zu nehmen; aber die Sache blieb nicht verborgen: die ganze Heftigkeit ihres Gemahls erwachte; es ſchien als wollte er die ergangenen Mandate auch an ſeiner Gemahlin ausführen; er ließ ſie in ihrem Zimmer einſchlie - ßen und ſoll ſie bedroht haben, ſie einmauern zu laſſen. Es gelang ihr jedoch zu entkommen. Mit einem Kammer - diener und einer Jungfer, als Bäuerin, auf einem Bauerwa - gen langte ſie am 26. März 1528, zu Nacht in Torgau bei dem Churfürſten von Sachſen an. 2Nachricht Spalatins bei Menken II, 1116. Die Auszuͤge Seckendorfs II, 42, add. III, ſind nicht ganz genau. Auch glaube ich an der Erzaͤhlung zweifeln zu duͤrfen, die ſich dort findet und in ſo viele Geſchichten der Mark und ihrer Reformation verbreitet hat, daß die Tochter der Churfuͤrſtin, des Namens Eliſabeth, es geweſen ſey, die ſie verrathen habe. Ein Maͤdchen von 14 Jahren war ſie wenigſtensSie erklärte ihm, wenn53Verfolgungen der Evangeliſchen.ſie ihm läſtig falle, oder gar Gefahr zuziehe, wolle ſie weiter gehen, ſo weit ihre Augen ſie weiſen würden. Churfürſt Johann behielt ſie jedoch bei ſich und gab ihr Lichtenburg ein, wo ſie ganz ihrer frommen Ueberzeugung leben konnte.

So ſtand es aber in Deutſchland: was man in einem Theile beſſelben für die Summe der Frömmigkeit hielt, be - ſtrafte man in dem andern als das abſcheulichſte Verbre - chen. Was man dort zu gründen trachtete, ſuchte man hier unter jeder Bedingung durch jedes Mittel auszurotten.

Die Irrungen, welche Pack veranlaßte, ſind recht be - zeichnend für die politiſchen Rückwirkungen, die aus dem geiſtlichen Streite entſprangen.

Allein dieß waren nicht die einzigen Feindſeligkeiten, welche es in Deutſchland gab. Nicht minder lebhaft waren die Zerwürfniſſe, der in Folge der Entwickelung der ſchwei - zeriſchen Kirche bereits unter den Evangeliſchen ſelbſt aus - gebrochen waren, und nach und nach auch ſchon zu politi - ſchen Bedeutung heranwuchſen.

Wir können keinen Schritt weiter gehen, ohne ſie - her ins Auge zu faſſen. Es liegt darin einer der wichtig - ſten Momente für den Fortgang des ganzen Ereigniſſes.

2nicht, wie man geſagt hat. Sie war 1510 geboren und bereits im Jahre 1527 (7. Juli) an Herzog Erich von Kalenberg verheirathet worden. (Buͤnting Braunſchw. Chronik II, 68b). Sollte ſie im Maͤrz 1528 in Berlin geweſen ſeyn? Wenigſtens im Auguſt die - ſes Jahres brachte ſie ihren erſtgeborenen Sohn zu Muͤnden zur Welt. Ihr Gemahl, 40 Jahr aͤlter als ſie, entzuͤckt daruͤber, daß er einen Erben hatte, geſtattete ihr eine Bitte. Sie bat um die Be - freiung eines Pfarrers, den man feſtgenommen, weil er das Abend - mahl unter beiderlei Geſtalt ausgetheilt hatte. (Vgl. Havemann Her - zogin Eliſabeth p. 13.) Und dieſe Fuͤrſtin ſoll ein paar Monate vor - her die eigene Mutter angeklagt haben? Es iſt alles gleich unwahr - ſcheinlich.

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Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz.

Obgleich die Schweiz ein eigenthümliches Gemeinweſen bildete, und eine von dem Reiche unabhängige Politik ver - folgte, ſo war ſie doch von denſelben geiſtigen Trieben durch - drungen, welche unter den Deutſchen namentlich den Ober - deutſchen vorwalteten.

Die anticlericaliſchen Beſtrebungen des Jahrhunderts hatten auch hier ſchon früh um ſich gegriffen. Man beſtritt die Exemtionen der Geiſtlichkeit von dem weltlichen Gericht, wie ſie der Biſchof von Chur, oder von außerordentlichen Auflagen, wie ſie die im Thurgau poſſeſſionirten Prälaten und Capitel in Anſpruch nahmen.

Eben ſo hatte das literariſche Treiben der deutſchen Poe - tenſchulen hier gar bald Eingang gefunden. In Luzern, St. Gallen, Freiburg, Bern, Chur und Zürich finden wir ähnliche Anſtalten. Es entſtand auch hier ein ziemlich verbreitetes li - terariſches Publicum, für welches Erasmus, ſeitdem er ſich in Baſel niedergelaſſen, den lebendigen Mittelpunct bildete.

Daher kam es nun auch, daß die erſten Schriften Lu - thers in der Schweiz eine ſo große Theilnahme fanden. In Baſel hat man ſie zum erſten Mal zuſammengedruckt. Schon55Zwingli.1520 finden wir ein kurz Gedicht Luthern zu Lob, und ſeinen Widerwärtigen zu Spott von einem thurgauiſchen Bauer. Dieſen Geiſt nährten dann die von Wittenberg zu - rückkehrenden Studirenden. Man hat die Namen Derjeni - gen aufgezeichnet, die dabei waren als Luther die Bulle ver - brannte. Von der Ebene und den Städten drang die Pre - digt ins Gebirg, nach Graubündten, Appenzell, Schwytz. Der Adminiſtrator von Einſiedeln, ein Geroldseck, wird von Zwingli als der Vater aller, welche Gott lieben, bezeichnet. 1Brief an Myconius 26. Aug. 1522. Zwinglii Opera, cu - rantibus Melch. Schulero et Jo. Schulthessio Tom. VII. Epp. vol. I, p. 218.

Wenn nun dennoch die Bewegung, die in der Schweiz eintrat, einen andern Character, auch in Bezug auf die re - ligiöſen Fragen, entwickelte als die deutſche, ſo hing das vor allem von der Sinnesweiſe und dem Bildungsgange desjenigen Mannes ab, der daſelbſt den Kampf über ſich nahm und durchführte, Ulrich Zwingli’s.

Anfänge Zwingli’s.

Zwingli iſt in der Gemeinde Wildenhaus in Toggen - burg geboren, in deren Markung die Thur entſpringt; in einer Höhe, wo keine Feldfrüchte noch Obſtbäume mehr fort - kommen, zwiſchen grünen Alpenwieſen, über welche die kahlen, kühnen Firſten emporſtreben.

Seine Kindheit (er iſt einige Wochen jünger als Lu - ther, geboren am Neujahrstag 1484) fiel in Zeiten, in welchen ſich die Gemeinde von den drückendſten feudalen La - ſten, zu denen ſie dem Abt von St. Gallen verpflichtet war,56Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nach und nach freimachte. Hauptſächlich unter der Leitung ſeines Vaters geſchah dieß, welcher der vornehmſte Mann im Orte war, Ammann daſelbſt, viele Wieſen und Alpen ei - genthümlich beſaß, und von einer großen Familie umgeben er hatte acht Söhne patriarchaliſch würdig Haus hielt.

Von ſo vielen Brüdern pflegte ſich aber in jenen Zei - ten immer Einer oder der Andere dem geiſtlichen Stande zu widmen: dazu ward unſer Huldreich Zwingli beſtimmt: ſein Oheim, welcher der erſte Pfarrer geweſen, den die Wilden - hauſer ſich ſelbſt gewählt, und der jetzt in Weſen ſtand, übernahm ſeine Vorbereitung.

Unter den Zügen, die uns aus Zwingli’s Jugend über - liefert worden, iſt wohl der der merkwürdigſte, daß er von Natur einen beſonders reinen Sinn für die Wahrheit be - ſaß. Er erzählt einmal, daß ihm bei dem erſten Er - wachen des Denkens über öffentliche Dinge der Gedanke aufgeſtiegen, ob nicht die Lüge eigentlich härter zu beſtrafen wäre als der Diebſtahl. Denn Wahrhaftigkeit, fügt er hinzu, ſey doch die Mutter und Quelle aller Tugenden.

Mit dieſem unverdorbenen Sinn, den er aus der reinen Luft ſeiner Berge mitbrachte, trat er nun in Literatur, öf - fentliches Leben und Kirche ein.

Er ſtudirte auf den Schulen zu Baſel und zu Bern, und den Univerſitäten zu Wien und wieder zu Baſel. 1Sein vornehmſter Lehrer in Baſel war Thomas Wittenbach, ſelbſt ein Schuͤler des Paul Scriptoris in Tuͤbingen. Gualtherus Prae - fatio ad priorem partem homiliarum in Ev, Matthaei ad Josuam Wittenbachium (Misc. Tigur. III, p. 103.) Eben trat die Epoche ein, in welchen die claſſiſchen Studien, im Gegenſatz mit der Scholaſtik des Mittelalters allenthalben57Zwingli.in Aufnahme kamen. Zwingli ſchloß ſich wie ſeine Lehrer, alle ſeine Freunde, dieſer Richtung an; und hielt ſie feſt, auch als er noch ſehr jung im Jahr 1506 Pfarrer in Gla - rus wurde. Alle Muße, die ſein Amt ihm ließ, widmete er den Studien. Zuweilen hat er ſich in ſchriftſtelleriſchen Productionen im Sinne der Latiniſten jener Zeit verſucht; doch iſt es ihm nicht gelungen, ſich der Antike mit voller Freiheit anzuſchließen. 1De gestis inter Helvetios et Gallos ad Ravennam Pa - piam aliisque locis relatio bei Freher-Struve III, 171.Hauptſächlich las und ſtudirte er die Alten. Mehr noch ihr Inhalt, ihr großer Sinn für das Einfache und Wahre feſſelte ihn, als ihn ihre Form zur Nachahmung reizte. Er meinte wohl, der göttliche Geiſt ſey nicht auf Paläſtina beſchränkt geweſen, auch Plato habe aus dem göttlichen Born getrunken, Seneca nennt er einen heiligen Mann: vor allem verehrt er Pindar, der ſo erha - ben von ſeinen Göttern rede, daß ihm eine Ahnung von der einen heiligen Gotteskraft beigewohnt haben müſſe,2Nihil est in omni opere, quod non sit doctum, amoenum, sanctum. Quum aliquando dei munere oculos recipimus eos - que ad vetustissimos scriptores attollimus, jam videntur lux et virtus in conspectum venisse. Siehe die Vorrede und Nachrede, welche Zwingli unter dem Namen Huldrychus Geminius ber Ausgabe des Pindar von Ceporin 1526 hinzufuͤgte Tig - III, 207. er iſt ihnen allen dankbar, weil er von ihnen allen gelernt, weil ſie ihn zur Wahrheit geführt. In dieſen Studien be - griffen nahm er nun auch das griechiſche neue Teſtament, in der Ausgabe von Erasmus, zur Hand und widmete ihm den größten Fleiß. Um ſich mit den Epiſteln Pauli vertraut zu machen, ließ er ſich die Mühe nicht verdrießen, ſie mit eigner Hand ſauber abzuſchreiben;3Schuler: Huldreich Zwingli: Geſchichte ſeiner Bildung zum Reformator. Anmerkungen p. 7. am Rande merkte er58Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.ſich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen ſtör - ten ihn noch die theologiſchen Begriffe, die er von den Uni - verſitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entſchluß, von allem andern abzuſehn, und die Meinung Gottes aus deſſen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm heller, wenn er ſich ſo unbedingt dem Texte hingab. Aber zugleich bildete ſich eine von dem bisherigen Kirchenweſen abgewandte Geſinnung ganz von ſelbſt in ihm aus. In Einſiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, ſagte er einſt dem Cardinal Schiner unverholen, das Papſtthum habe keinen Grund in der Schrift.

Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un - aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinweſen aufgewachſener Republikaner geweſen ſeyn, wenn er ſich da - mit allein hätte beſchäftigen, dabei hätte ſtehen bleiben ſol - len. In jenen Jahren brachten die italieniſchen Kriege alle Lebenskräfte der Eidgenoſſenſchaft in Bewegung, erhoben ſie zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein - mal hat Zwingli ſeine kriegeriſche Gemeinde ins Feld beglei - tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege war nun zugleich das Unweſen des Reislaufens und der Jahrgelder eingeriſſen So ſehr es von dem Geiſte des Vol - kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewieſen, die von Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich ausbrachen; die gemeinen Leute wollten von Bündniſſen nichts wiſſen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde Länder, in den Tod geführt würden; ſie forderten die Be - ſtrafung der Deutſchfranzoſen, der Kronenfreſſer; zuwei - len mußten die großen Räthe wirklich Miethe und Gaben 59Zwingli.verſchwören: nicht ſelten die Tagſatzungen ſich dagegen erklä - ren ſo knüpften ſich doch zu ſtarke Vortheile der Macht - haber in den Cantonen daran. Eine kriegsluſtige Jugend fand ſich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der ſich wie der latiniſtiſchen gelehrten, ſo auch der deutſchen populären Li - teratur anſchloß, die ſich, wie wir uns entſinnen, überhaupt in der Oppoſition gegen die obwaltenden Mißbräuche be - wegte, ſchrieb ſchon im J. 1510 eine ziemlich ausgeſpon - nene Fabel, worin er der Eidgenoſſenſchaft die Umtriebe vor - ſtellt, deren Opfer ſie ſey, wie ſie von liſtigen Katzen ver - führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie ſie darüber ihre Freiheit verlieren müſſe, die Freiheit, eine ſo hohe Gnade, daß man ſie mit Spieß und Streitaxt nach dem Beiſpiel der Alten vertheidigen ſollte, und welche nicht beſtehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe alle Bundesbrüderſchaft zu Grunde. 1Huldrychen Zwingli, prieſters, fabeliſch gedicht von einem ochſen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich.Es war jedoch in dem wüſten Treiben jener Zeit wohl ſehr ſchwer, ſich nur ſelber von dieſem Unweſen frei zu halten, und auch Zwingli band ſich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpſtlichen Pen - ſion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach - kommenſchaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor - kämpfers nichts als Licht ſieht, ſo unbedingt nicht beitreten. In den Briefen Zwingli’s finden ſich Geſtändniſſe von ſinn - lichen Vergehungen, die ſogar etwas Widerwärtiges haben. 2An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.Es iſt ſehr ſein Ernſt und ſehr die Wahrheit, wenn er ſich ſelbſt öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber ſchon aus60Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.dieſem Geſtändniß ergiebt ſich, daß er mit keiner Heuchelei umging, weder in ſich noch gegen andere. Aus ſeinem Brief - wechſel ſehen wir, daß er an ſich arbeitet, ſich doch ſo viel wie möglich hütet, die ausdrücklichen Gebote der Schrift zu verletzen, Vorſätze faßt, und eine Zeitlang hält; am Ende finden wir ihn ohne Tadel leben. So konnte denn auch jene Penſion, die er damit entſchuldigte, daß der Papſt die geiſtliche Obrigkeit der Eidgenoſſenſchaft ſey, ſeine Geſinnung nicht feſſeln. Etwas ganz anders war es ohnehin, von ei - nem völlig fremden Fürſten, wie der König von Frankreich Geld zu nehmen. Im Jahr 1516 widerſetzte ſich Zwingli der franzöſiſchen Faction, die wie im größten Theile der Schweiz ſo auch in Glarus das Uebergewicht bekam, aus allen Kräften. Er unterlag zwar, da der König die mächtigſten Eingebornen gewonnen; er kann nicht genug klagen, wie viel er darüber habe aushalten müſſen; er ſah ſich am Ende ſogar genöthigt, ſeine Pfarre vorläufig zu verlaſſen und eine untergeordnete Vicarſtelle zu Einſiedeln anzunehmen. Allein eben das führte ihn um ſo früher und vollſtändiger zu ſeiner urſprünglichen Geſinnung zurück. Da die franzö - ſiſche Partei allmählig die herrſchende wurde, ſo entwickelte ſich der Widerſtand gegen dieſelbe in ihm zu einer Bekäm - pfung des Penſionsweſens überhaupt. Die Bildung einer über die ganze Eidgenoſſenſchaft verbreiteten Verbindung von Familien und Oberhäuptern, in einem doch vorzüglich per - ſönlichen Intereſſe ſah er mit Recht als eine Neuerung an, welche die allgemeine Freiheit gefährde. Die öffentliche Mo -1Epistola ad Joachimum Vadianum: ex Eremo 13 Jun. 1517. Epp. I, p. 24. Locum mutavimus Gallorum technis. Fuimus pars rerum gestarum: calamitates multas vel tulimus vel ferre didicimus. 61Zwingli.ral, die durch dieß Unweſen beleidigt war, die Meinung des Volkes fand in ihm ihren beredteſten Sprecher. Das Studium der Alten und der Schrift, im Gegenſatz gegen die um ſich greifende ſittliche und religiöſe Verwilderung, das Bewußtſeyn einer redlichen Vaterlandsliebe im Kampfe mit erkaufter Dienſtbefliſſenheit gegen fremde Höfe, bildete in ihm eine Geſinnung aus, in der ſich ſchon der zukünftige Verſuch, die kirchlichen wie die weltlichen Zuſtände umzuge - ſtalten, ankündigte: es kam nur darauf an, daß er freien Raum bekam, an die rechte Stelle gelangte.

Die ward ihm im J. 1519 in Zürich zu Theil.

Zürich war wenn damals noch nicht der einzige, doch der vornehmſte Ort in der Eidgenoſſenſchaft, der ſich nicht wieder zur Annahme franzöſiſcher Jahrgelder überreden ließ. Ein Chorherr am Münſter, Conrad Hofmann, der ein au - ßerordentliches Anſehen genoß, hielt hier die vaterländiſchen Grundſätze gegen den Fremdendienſt und die Penſionen auf - recht; er war ein Redner, welcher der Menge auch bittere Wahrheiten nicht erſparte. Durch dieſen hauptſächlich ge - ſchah es, daß Zwingli manchen Einwendungen zum Trotz, aber eben wegen ſeiner politiſchen Geſinnung zum Leutprie - ſter am großen Münſter gewählt wurde. 1Bullinger: Reformationsgeſchichte p. 11 furnamlich darum das er vernommen, wie er heftig wider penſionen penſioͤner, der fuͤr - ſten puͤndtniſſen und kriegen prediget.

Und hier nahm nun Ulrich Zwingli ſogleich nach beiden Seiten hin die Stellung ein, die er darnach behauptet hat.

Zunächſt bekämpfte er alle jene Partei-Verbindungen mit den auswärtigen Mächten, ſelbſt mit dem Papſt. Er ſoll geſagt haben: der Cardinal von Sitten, der für den62Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Papſt warb, trage nicht mit Unrecht rothen Hut und Man - tel; man dürfte ſie nur winden, ſo würde man das Blut der nächſten Verwandten daraus rinnen ſehen. Er ſpottete dar - über, daß man wider einen Wolf ſtürme, der doch nur Thiere anfalle, gegen die Wölfe aber ſtill ſitze, durch welche Men - ſchen zu Grunde gehn.

Dann drangen die Wirkungen der lutheriſchen Bewe - gung auch in die Schweiz. Niemand war vorbereiteter und eifriger, daran Theil zu nehmen, als eben Zwingli. Auch er hatte an ſeiner Stelle mit einem Ablaßverkäufer zu käm - pfen und wußte ihn entfernt zu halten. Er ſchrieb gegen das Verfahren, das der römiſche Hof gegen Luther beobach - tete,[und] gab eine Apologie deſſelben gegen die Bulle heraus.

Eine ungemeine Wirkung hatten ſeine Predigten, zu denen er eine große natürliche Gabe beſaß. Er griff die obwaltenden Mißbräuche mit einem Ernſt an, der keine Rück - ſicht kannte. Er ſchilderte die Verantwortlichkeit der Geiſt - lichen eines Tages ſo lebhaft, daß junge Leute unter ſeinen Zuhörern wohl auf der Stelle die Abſicht fahren ließen, geiſtlich zu werden; ich fühlte mich, ſagt Thomas Plater, wie an den Haaren emporgezogen. 1Autobiographie Platers Misc. Tig. III, 253.Zuweilen glaubte wohl Einer und der Andre, der Prediger ziele perſönlich auf ihn und Zwingli hielt es für nothwendig, ein Wort darüber zu ſagen: Frommer Mann, rief er aus, nimm dir’s nicht an; dann fuhr er in ſeinem Eifer weiter fort, ohne der Gefahren zu achten, die zuweilen ſein Leben bedrohten.

Hauptſächlich aber war doch ſein Bemühen, den Sinn der Schrift ſeinen Zuhörern näher zu bringen. Mit Er -63Zwingli.laubniß des Stiftes1In der zweiten Zuͤricher Disputation erinnert er daran; er begann mit Matthaͤus. erklärte er nicht mehr die Perikopen allein, ſondern die ganzen Bücher der Schrift, wie er ſie ſtudirt hatte; denn den Zuſammenhang des göttlichen Ge - dankens ſuchte er zu ergreifen und mitzutheilen. Seine Lehre war, daß die Religion in Gottvertrauen, Gottesliebe und Unſchuld beſtehe. 2De vera et falsa religione: Veram pietatem, quae nihil aliud est quam ex amore timoreque dei servata innocentia ed. Gualth. p. 202.Er vermied alles was fremdartig oder allzugelehrt lautete; es gelang ihm die allgemeine Verſtänd - lichkeit zu erreichen, nach der er ſtrebte, und in einem wei - ten Kreiſe von Zuhörern eine Ueberzeugung zu begründen, die dann in den Tagen des Sturmes aushielt, und ihm zu allen ſeinen Unternehmungen eine feſte Grundlage gab.

In ſeinem täglichen Leben zeigte er ſich bequem und heiter. In den republikaniſchen Gemeinden, dem Feldla - ger, jenem Zuſammenfluß mannichfaltiger Fremden bei Ein - ſiedeln hatte er mit Menſchen umgehn, ſie behandeln gelernt. Aufwallungen des Zorns, wie andre Wallungen der Lei - denſchaft war er bemüht zu beherrſchen; aufſteigende Gril - len verſcheuchte er durch Muſik; denn auch er war ein gro - ßer Muſikfreund, und auf gar manchem Inſtrumente Mei - ſter: in Toggenburg iſt das ſo gewöhnlich wie in Thürin - gen. 3Bullinger Reformationsgeſchichte p. 31.Am liebſten lebte er häuslich eingezogen, auf die Weiſe ſeines Vaterlandes, etwa von Milchſpeiſen, wie dort herkömmlich; doch ſchlug er darum nie eine Einladung aus: er ging auf die Zünfte mit den Bürgern, man ſah ihn auf den Gaſtereien der Bauern, die er mit munterem Geiſt und64Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.vergnügtem Geſpräch erheiterte. 1Myconius in Staͤudlins und Tzſchirners Archiv I, II: inge - nio amoenus, ore jocundus. So arbeitſam er war, ſo viel er auch unternahm und zu Stande brachte, ſo wies er doch Niemand von ſich, er wußte einem Jedem etwas Zufriedenſtellendes zu ſagen. Ein wohlgeſtalteter, kerngeſun - der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich lebensfroh und dabei von den großartigſten Gedanken er - füllt; ein ächter Republikaner.

Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, ſo hatte er nicht ſo gewaltige Stürme zu beſtehen, wie ſie in Luther die geheimſten Tiefen des inneren Seelenlebens erſchütterten. Da er ſich nie ſo unbedingt dem beſtehenden Kirchenweſen hingegeben, ſo hatte er ſich auch jetzt nicht mit ſo gewalt - ſamer und ſchmerzlicher Anſtrengung davon loszureißen. Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie - fere Verſtändniß der Idee des Glaubens und ihres Ver - hältniſſes zur Erlöſung, von welchem Luther ausgegangen, ſondern vor allem, daß er bei ſeinem wahrheitſuchenden Stu - dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen Inhalt derſelben in Widerſpruch begriffen ſah. Auch war Zwingli kein Univerſitätsgelehrter; die herrſchenden Lehrmei - nungen hatte er niemals ernſtlich getheilt: eine hohe Schule umzubilden, feſthaltend an allem was ſich erhalten ließ, und abweichend nur in den weſentlichſten Puncten, war nicht ſein Beruf. Die Aufgabe ſeines Lebens ſah er vielmehr darin, die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und ſittlich um - zubilden, die Eidgenoſſenſchaft zu ihren urſprünglichen Grund - ſätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbeſ - ſerung der Lehre beabſichtigte, welcher Leben und Sitte dann65Zwingli.von ſelbſt nachfolgen müſſe, ſo nahm Zwingli einen unmittel - baren Anlauf auf die Verbeſſerung des Lebens; er faßte vor - nehmlich die praktiſche Bedeutung des allgemeinen Inhalts der Schrift ins Auge; ſeine urſprünglichen Geſichtspunkte waren moraliſch-politiſcher Natur: wodurch denn auch ſein religiöſes Beſtreben eine eigenthümliche Färbung empfing.

Und berühren wir hier auch mit einem Worte die Frage über die Priorität ſeiner Reformbeſtrebungen, ſo läßt ſich nicht läugnen, daß er ſchon vor dem Jahre 1517 da - hin zielende Geſinnungen entwickelt Lehren ausgeſprochen hatte. Indeß theilten auch viele Andre Ueberzeugungen die - ſer Art. Worauf alles ankommt, das iſt der Kampf mit der geiſtlichen Gewalt, die Befreiung von derſelben. Die - ſen Kampf hat Luther allein und zuerſt ausgehalten; er hat der Lehre zuerſt in einem nahmhaften deutſchen Fürſtenthum freien Raum gemacht und die Emancipation begonnen. Als Luther von Rom verdammt wurde, bezog Zwingli noch eine Penſion von Rom. Luther hatte ſchon vor Kaiſer und Reich geſtanden, ehe Zwingli eine Anfechtung erfuhr. Der ganze Kreis, in dem ſich dieſer bewegte, war ein anderer. Wäh - rend wir dort immer die oberſten Gewalten der Welt in Thätigkeit erblicken, iſt hier zunächſt von der Losſagung ei - ner Stadt von ihrem Bisthum die Rede. Dieſe haben wir nunmehr zu betrachten.

Emancipation der Stadt Zürich von dem Bisthum Conſtanz.

Wie die übrigen ſchweizeriſchen Städte, behauptete auch Zürich ſchon längſt dem Bisthum Conſtanz zu dem es ge -Ranke d. Geſch. III. 566Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.hörte gegenüber, eine gewiſſe hauptſächlich auf dem Colle - giatſtift am Münſter ruhende Selbſtändigkeit, deren Gefühl und Ausübung aber in den letzten Jahren durch beſondere Umſtände außerordentlich gewachſen war.

Der Ablaßhandel war dem Biſchof in ſeiner Diöceſe ſo verhaßt, wie er der Stadt nur immer ſeyn konnte. Er war ganz damit einverſtanden, daß der Rath von Zürich den Ablaßverkäufer Samſon, der ſchon bis an die Sil, an ein zürcheriſches Wirthhaus herangekommen, zurückwies. Zwingli bewahrte ſorgfältig die Briefe auf, in denen er von Seiten der geiſtlichen Behörde ſelbſt aufgefordert worden, je - nem Emiſſar der Curie Widerſtand zu leiſten. Es liegt am Tage wie ſehr hiedurch der Biſchof die Autonomie der Stadt in kirchlicher Hinſicht beförderte. 1Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i, p. 7; ferner die Antwort an Faber 30. April 1526.

Indeſſen bewirkten die politiſchen Verhältniſſe, daß - rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward.

Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits ſehr weit und erfreute ſich einer nicht geringen Anzahl entſchiedener An - hänger. Wirklich hat der Rath ſchon damals den Leutprie - ſtern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande die Erlaubniß gegeben,2 Daß ſie alle insgemein frey, wie dieſes auch die paͤpſtlichen Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epiſtel der Apoſtel gleich - foͤrmig nach dem Geiſte Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al - ten und neuen Teſtamentes predigen und was ſie mit gemeldeter Schrift erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli - gen Neuerungen und Satzungen ſchweigen ſollen. Antworten, die ein Buͤrgermeiſter, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih - ren Eidgenoſſen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl. Bullinger I, p. 20. nach der göttlichen Schrift des67Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520.alten und neuen Teſtamentes zu predigen, zufällige Neue - rungen und Satzungen fahren zu laſſen: eine Anordnung, welche ſchon den Abfall von der römiſchen Kirche in ſich ſchließt. Man könnte nicht ſagen, daß die Sache dem - miſchen Hofe unbekannt geblieben ſey; es waren ein Paar päpſtliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anweſend, doch wagten ſie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt ſich recht an dem Beiſpiele Zwingli’s. Sie verſprachen ihm ſeine Penſion von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch ſollte er nicht mehr gegen den Papſt predigen. Zwingli hätte die - ſes Zuſchuſſes wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor - ſchlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne dieſe Bedingung an; allein auch ſo wollte es Zwingli nicht mehr annehmen. 1Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359.Den Nunzien lag jedoch mehr an der Werbung der Mannſchaft, mit der ſie Mailand zu erobern ge - dachten, als an allen theologiſchen Fragen. Obwohl die Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, ſo traten ſie doch mit derſelben in eben dieſem Momente in Bund. Wir wurden, ſagt Zwingli, nicht abgefallen abtrünnig geſchol - ten, ſondern mit hohen Titeln geprieſen. 2Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papſtes Schrei - ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393.

Da nun hier das Decret von Worms ſchon an ſich keine Wirkung hatte, und die Repräſentanten des römiſchen Stuhles ſtill ſchwiegen, ſo konnte die Lehre ungehindert ge - predigt werden und in den Gemüthern feſte Wurzel ſchlagen.

Die Sache machte erſt Aufſehen, als endlich auch die äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März5*68Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.1522 in Zürich die Faſten brach und ſich erlaubte Eier und Fleiſch zu genießen. Da erſt regte ſich der Biſchof. Durch eine beſondere Geſandtſchaft forderte er den Rath auf, die bisherigen Cerimonien der Kirche aufrecht zu erhalten.

Sollte das aber überhaupt noch möglich ſeyn? Soll - ten ſich in dieſer Epoche voll feurigen Religionseifers die von Grund aus umgewandelten Ueberzeugungen einfach dem Worte eines Biſchofs unterwerfen?

In der Discuſſion vor dem großen Rathe behauptete Zwingli, viele kirchliche Cerimonien ſeyen eben ſolche, welche Petrus einſt für unerträglich erklärt habe. Nicht einmal bei den Geſandten fand er nachhaltigen Widerſpruch hiegegen; einer von ihnen, der Prädicant des Stiftes zu Coſtnitz, Wan - ner, war im Herzen der nemlichen Meinung. 1Zwinglii ad Fabricium de actis legationis Opp. I, p. 12. Der große Rath, der den Biſchof nur nicht geradezu beleidigen wollte, faßte den ausweichenden Beſchluß, es ſolle Niemand die Fa - ſten brechen ohne merkliche Urſach und erſuchte den Bi - ſchof, bei den kirchlichen Gewalten oder bei den Gelehrten eine Erläuterung auszubringen, wie man ſich in Hinſicht der Cerimonien zu verhalten habe, um nicht zugleich gegen die Satzungen Chriſti zu verſtoßen. 2Bei Fuͤßli: Beitraͤge II, 15.Natürlich gab darum der Biſchof nicht nach. Im Mai ſchärfte er dem Rath aufs neue die Nothwendigkeit ein, die Ordnungen und guten Ge - wohnheiten der h. Kirche zu beobachten; das erachte er dem h. Evangelio gleichförmig. In einem noch feurigern Schrei - ben an das Chorherrnſtift geſtand er wohl zu, daß ſich ei - niges eingeſchlichen haben könne, was der heiligen Schrift69Emancipation von Zuͤrich 1522.nicht ſehr gemäß ſey; aber der gemeinſchaftliche Irrthum bilde ein Recht; auf keine Weiſe dürfe man Lehren anneh - men, die von Kaiſer und Papſt verdammt ſeyen; wer ſich nicht zu den Biſchöfen halten wolle, möge denn auch ganz von ihnen geſchieden werden. 1Sein Grundſatz war: Communis error facit jus. Haec dogmata non praedicentur, nihil innovetur contra ecclesiae ritum.

Noch waren einige Klöſter in der Stadt, die von je - nem erſten Beſchluß des großen Rathes unberührt geblie - ben; noch hielten ſich gar Manche, Vornehmere oder Ge - ringere, zu dem bisher Gebräuchlichen; und ſo geſchah, daß dieſe Anmahnung doch nicht ganz ohne Wirkung blieb. Die heftigſten Widerſacher der Mönche bekamen die Weiſung, ſich auf der Kanzel oder bei Disputationen zu mäßigen.

Allein es bedurfte nur eines im Grunde ſehr zufälli - gen Ereigniſſes, um doch eine ganz entgegengeſetzte Entſchei - dung herbeizuführen.

In dieſen Tagen erſchien ein Franziscanermönch von Avignon, derſelbe Franz Lambert, deſſen wir bei der Sy - node von Homberg gedacht, in der Schweiz. In einem Kloſter ſtrengerer Obſervanz, in das er in frühen Jahren getreten war, hatte er ſtatt der Ruhe und Frömmigkeit, die er ſuchte, nichts als geheime Laſter und Neid gefunden;2Francisci Lamberti rationes propter quas minoritarum con - versationem traditumque rejecit. Bei Schelhorn: commentatio de vita Lamberti Amoenitatt. literariae III, p. 312. da waren ihm einige Schriften Luthers zugekommen, und er hatte ſich entſchloſſen, ſein Kloſter zu verlaſſen, und Lu - thern ſelbſt in Wittenberg aufzuſuchen. Dieſer Mönch, noch immer in ſeiner Kutte auf einem Eſel reitend, er - ſchien jetzt in Zürich. Seine katholiſche Rechtgläubigkeit70Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.war erſchüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt wollte er weder die Cerimonien fallen laſſen noch die Für - bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün - ſters, am Frohnaltar ſitzend, hielt er einige lateiniſche Pre - digten in dieſem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort mit dem Ausruf, Bruder du irrſt. Die Altgläubigen mein - ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er ſich gelehrt und ſprachfertig zeigte, ſo veranſtalteten ſie eine Dis - putation zwiſchen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines Donnerſtags, in der Trinkſtube der Chorherrn ging dieſelbe vor ſich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte. Dieſer Franciscaner war ein Menſch, der die Wahrheit wirk - lich liebte und ſuchte. Er ſah ſehr bald ein, daß Zwingli’s Gründe die ſeinen überwogen: durch die Stellen der Schrift, die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt. Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein anzurufen, allen Roſenkränzen zu entſagen. 1Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42.Hierauf ver - ließ er Zürich auf ſeinem Thiere; wir finden ihn nach eini - ger Zeit in Eiſenach, in Wittenberg, ſpäter wie geſagt in Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Verſuch, der Kirchenverfaſſung in Deutſchland eine andre Form zu ge - ben, als die lutheriſche, wird ihn für alle Zeiten unvergeß - lich machen.

Dieſe Disputation hatte nun den größten Erfolg in Zürich. Des Donnerſtags war ſie gehalten worden: Mon - tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Leſemeiſter der Orden, die Chorherrn und die Weltprieſter noch ein - mal in der Propſtei zuſammen. Zwingli fühlte ſich jetzt ſtark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre -71Emancipation von Zuͤrich 1522.digten in den Klöſtern zu beginnen. Der Bürgermeiſter ſchlug den beiden Theilen aufs neue vor, ihre Streitig - keiten der Entſcheidung von Propſt und Capitel anheimzu - ſtellen. Aber Zwingli erklärte, er ſey der Prediger, der Bi - ſchof der Stadt; er habe die Seelſorge derſelben mit ſeinem Eid übernommen; er werde nicht dulden, daß in den Klö - ſtern, wo man ohnedieß keinen rechten Beruf habe, wider Gottes Wort gepredigt werde, und ſollte er an der Kan - zel erſcheinen und öffentlich widerſprechen. Schon war Je - dermann auf ſeiner Seite; der Bürgermeiſter erklärte end - lich im Namen des Rathes, deſſen Wille ſey, daß das reine Gottes Wort und nichts anderes in der Stadt gepre - digt werde.

Früher war die Predigt nach der Schrift nur erlaubt, den Leutprieſtern anempfohlen worden; jetzt ward ſie gebo - ten, und zwar auch den Mönchen.

Und fragen wir, worauf Zwingli bei dieſem Verfah - ren ſich gründete, welches Recht er den Anordnungen des Bi - ſchofs entgegenſetzte, ſo entſpringt dieß vor allem aus dem Begriff von der Gemeinde. Er iſt der Meinung, daß alles, was die Schrift von der Kirche ſage, eben hauptſächlich auch von den einzelnen Gemeinden gelte. Er ſcheint angenom - men zu haben,1Zweite Disputation Zw. W. I, p. 470. Hieraus folgt auch, daß dieſe unſere Zuſammenrufung, die nit zu nachteil einiger Chri - ſten, ſondern das Wort Gottes zu verhoͤren verſammelt iſt, nit irren mag: denn ſy nit ſetzen noch entſetzen undernimmt, ſunder allein hoͤren will, was in gemeldten ſpaͤnen im Worte Gottes erfunden wird. daß eine ſolche, ſobald ſie nur nichts Neues aufzubringen ſuche, ſondern ſich damit begnüge, das Wort Gottes zu hören und danach in ſtreitigen Fällen zu urthei -72Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun ſchon eine ſo hohe Autorität in Glaubensſtreitigkeiten zu, wie viel mehr mußte er das in Hinſicht der Verfaſſung thun! Das Recht der Geſammtheit ſah er aber nicht minder kirchlich als po - litiſch in dem großen Rathe repräſentirt. Sein Verfahren war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu - erſt durch die Predigt ſo lange zu verhandeln, bis Jeder - mann von der Sache überzeugt worden: alsdann ſie erſt vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver - ſtändniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche nothwendig ſey. Der Rath, ſagt er, hat die höchſte Ge - walt anſtatt der Gemeinde. 1Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere ita factum est, ut quicquid diacosii (der gr. Rath) cum verbi ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia Opp. III, 339.

Man ſieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage einer neu zu errichtenden kirchlichen Genoſſenſchaft dieß gab, als die war, auf die man in Deutſchland baute. Factiſch iſt der Unterſchied am Ende ſo groß nicht. Dort vereini - gen ſich die Prediger mit der fürſtlichen Gewalt im Lande, hier mit der ſtädtiſchen Behörde in einer Stadt; aber daß man dort auf die Reichsabſchiede angewieſen iſt, hier da - gegen die Souveränetät ſchon durch die That beſitzt und ſie auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterſchied.

Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Biſchof die Meinung, ein Chriſt ſey nicht gehalten nach menſchli -73Emancipation von Zuͤrich 1523.chen Kirchenſatzungen zu leben, durch ein neues Decret ver - dammte; an eben dieſer Meinung hielt die freie Gemeinde feſt, welche ſich von ihm losſagte.

Die einzige wahre Schwierigkeit, welche ſich dieſer auf ihrem Wege entgegenſtellte, lag in der Hartnäckigkeit ein - zelner abweichenden Meinungen in ihrem Innern. Noch immer fanden ſich Leute, welche Zwingli für einen Ketzer erklärten.

Um dem ein Ende zu machen und auf den Grund ge - ſtützt, daß die von ihm begehrte Erläuterung niemals ausge - bracht worden, veranſtaltete der Rath im Februar 1523 eine Disputation ſeiner Leutprieſter, Seelſorger, Pfarrer und Prä - dicanten. Ohnehin entſprach das dem Begriffe Zwingli’s. Er meinte, Gott werde einmal nicht fragen, was der Papſt mit ſeinen Biſchöfen, was Concilien und Univerſitäten ſta - tuirt, ſondern was in ſeinem Worte enthalten ſey. Der Biſchof, der noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben ſcheint, ſendete auch einige Abgeordnete, unter ihnen ſeinen Generalvicar Faber, zwar nicht um an der Disputation eigentlich Theil zu nehmen, aber um ihr beizuwohnen und den Zwiſt der Parteien zu ſchlichten. 1 nit zu disputiren, ſondern allein uffhoͤren, rath geben und ſchidluͤt zu ſeyn. Faber Warlich Unterrichtung bei Hottinger I, 437.Die Disputation fiel jedoch vollkommen zu Gunſten Zwingli’s aus. Was wollte man auch ſagen, ſo wie man ihm ſeinen Grundſatz zugab, daß die Schrift die nicht lüge noch trüge die einige Richtſchnur des Glaubens ſey. Ich wundre mich, daß ſich der kluge Faber auf dieſen ſchlüpfrigen Boden wagte. Er rühmte ſich, die Anrufung der Heiligen einem74Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.gefangenen Pfarrer aus der Schrift nachgewieſen zu haben; es war einer der größten Triumphe Zwingli’s, daß Faber, von ihm aufgefordert, dieſen Beweis doch noch einmal zu führen und zwar hier zur Stelle, damit natürlich nicht zum Ziel kommen konnte. Ueberhaupt geſtanden ſelbſt eifrige Gegner damals ein, und noch heute kann es Niemand, der die Verhandlungen lieſt, in Abrede ſtellen, daß Zwingli vollkommen den Platz behielt. Daraus folgte dann, daß der Rath ihn ausdrücklich ermächtigte, fortzufahren, wie bisher, und die Geiſtlichkeit aufs neue anwies, nichts vor - zunehmen oder zu lehren, was ſie nicht aus dem Worte Gottes beweiſen könne.

Bemerken wir wohl die Worte vornehmen oder lehren, ſie ſchließen ſo gut eine Aenderung der Cerimonien wie der Predigt ein.

Schon war die Umwandlung der Aeußerlichkeiten des Kirchenweſens in vollem Gange. Die Geiſtlichen verhei - ratheten ſich: den Kloſterfrauen ward freigeſtellt, auszutre - ten oder zu bleiben: Wiſſet lieber Meiſter Ulrich, ſchrieb der Schaffner des Kloſter Cappel an Zwingli, wir ſind alle mit dem Abt einhellig geworden, anzunehmen das heilig Evangelium und göttlich Wort, und dabei zu ſter - ben. 2Chunrad Hofmanns ſchriftlicher Fuͤrtrag wider Zwingli’s Reformation: Fuͤßli Beitraͤge III, 93.Obwohl im Stift am Münſter noch ſehr eifrige Anhänger des Alten lebten, ſo ward doch am Ende von den Chorherrn ſelbſt der Beſchluß, daſſelbe zu reformiren,1Handlung der Verſammlung in der loͤblichen Stadt Zuͤrich von Hegenwaldt, mit Auszuͤgen aus Fabers warlicher unterrichtung in Zwingli’s Werken I, p. 105.3Jakob Leu der Schaffner an Zwingli Epp. I, 367.75Emancipation von Zuͤrich 1523.gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem zum größten Theil erlaſſen; über die Zehnten und übrigen Renten ward eine ſolche Verfügung getroffen, daß ſich eine recht bedeutende und einflußreiche Lehranſtalt da entwickeln konnte. Noch mehr Aufſehn aber als alles Andre machten die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die Meſſe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage ſtärker her - vortraten. Schon erſchienen Schriften gegen den Meßcanon; an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt für nothwendig, dieſe Fragen einer beſondern geiſtlichen Ver - ſammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand.

Und ſchärfer konnte nun wohl die Autonomie einer ſich von dem großen hierarchiſchen Zuſammenhang trennenden und ſelber conſtituirenden Genoſſenſchaft nicht hervortreten, als bei dieſer Verſammlung. Der Biſchof von Coſtnitz - tete ſich wohl, abermals Geſandte zu ſchicken. Der alte Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt ſey, über Dinge dieſer Art zu disputiren. 1 Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg geweſen, ſo bin ich bei einem gelehrten Mann geweſen, derſelbige hieß Doc - tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demſelbigen habe ich geeſſen und getrunken dick, da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es zieme ſich nicht von dieſen Dingen zu disputiren. Eben das war Zwingli’s Prin - zip, daß die Kirche nicht in Papſt, Cardinälen, Biſchöfen und deren Verſammlungen beſtehe, ſondern die Gemeinde, die Kilchhöri, das ſey die Kirche wie die erſte Kirche zu Jeruſalem: Actorum XV. 2 Ja Hoͤng und Kuͤßnacht iſt eine gewiſſere Kirche, denn alle zuſammengerottete Biſchoͤfe und Paͤpſte. Die Verſammlung ſelbſtJetzt waren es in der That76Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nur Zürcheriſche Geiſtliche aus der Stadt und vom Lande, mit wenigen Fremden wie dort Boten von Antiochien zuge - gen geweſen die ſich unter Leitung des Bürgermeiſters Marx Röuſt auf dem Rathhauſe verſammelten, um über zwei der wichtigſten Fragen, welche die Chriſtenheit beſchäftigen konn - ten, zu Rathe zu gehn. Meiſter Leu (Leo Judä) Leutprie - ſter zu St. Peter und Zwingli ſtellten die Sätze auf, welche ſie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder zum Gottesdienſt machen dürfe, der andre, daß die Meſſe kein Opfer ſey; und luden einen Jeden der eine andre Mei - nung hege ein, ſie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl erhob ſich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe leicht beſeitigt. Dann wurden die, welche ſich den Neue - rungen beſonders eifrig entgegengeſetzt und ſie etwa ketzeriſch geſcholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre Rede zu beweiſen. Einige waren nicht erſchienen: Andre ſchwiegen: noch Andere erklärten ſich zuletzt überzeugt und entſchuldigten ſich nur, daß ſie den allgemeinen Irrthum getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum Schluß die Herren von Zürich ermahnte, ſich nun auch unerſchrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats) Zwingli’s Werke I, 539. Es exiſtirt auch ein Bericht daruͤber von Johann Salat, Gerichtſchreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen III, 1 iſt demſelben ſein Recht geſchehn.Hierauf ward den Seelſorgern befohlen, nicht wider die Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für ſie, die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde,2iſt freilich auch keine Kirche, aber ſie vindicirt der Gemeinde das Recht der Autonomie. Sie iſt der erſte Anſatz zur Presbyterialverfaſſung.77Verhaͤltniß zu Luther.und als das erſte aller ſymboliſchen Bücher der evangeli - ſchen Kirche betrachtet werden kann.

So riß ſich Zürich von dem Bisthum und damit von dem ganzen Complex der lateiniſchen Hierarchie los, und unternahm eine neue Kirchenverfaſſung auf die Idee der Gemeinde zu gründen.

Wir müſſen zwar anerkennen, daß dieſe Idee nicht vollkommen nach ihrem theoretiſchen Inhalt realiſirt ward. Im Grunde trat ſie nur in ſo weit hervor, als ſie politi - ſche Bedeutung gewonnen. Aber unläugbar iſt doch, daß Stadt und Land den größten ſelbſtthätigen Antheil an der Um - wandlung nahmen. Keine Neuerung ward ins Werk geſetzt, die nicht durch den ausgeſprochenen Beifall der ſtädtiſchen Gemeinde ihres Erfolges ſicher geweſen wäre: der große Rath rief die Meinung nicht hervor, er folgte ihr nur nach. Schon früher hatte die Geiſtlichkeit des Zürcher Capitels die Beſchlüſſe der Stadt wiederholt. 1Hottinger Helvetiſche Kirchengeſchichte III, 109.Später ſprachen die ein - zelnen Gemeinden in eigenen Adhäſionsurkunden ihre Ueber - einſtimmung mit dem Vorgange der Bürgerſchaft aus. Die ganze Bevölkerung erfüllte ſich mit dem poſitiven evange - liſchen Geiſte, der ihr ſeitdem eigen geblieben, und der ſeine uralte Spontaneität von Zeit zu Zeit auf das merkwürdigſte kund gegeben hat.

Verhältniß zu Luther. Abendmahlsſtreitigkeit.

Es leuchtet ein, daß hier keine Wiederholung der Wit - tenberger Doctrinen zum Vorſchein gekommen war. Wie die perſönliche Entwickelung der beiden Reformatoren, ſo78Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.waren auch die Verhältniſſe der öffentlichen Gewalt, an die ſie ſich anſchloſſen, und die Gegenſätze, welche ſie zu bekäm - pfen hatten, ſehr verſchieden. Auch in der Richtung der Ideen und der Auffaſſung der Lehre zeigten ſich bei aller Analogie doch ſehr bald weſentliche Abweichungen.

Der vornehmſte Unterſchied iſt, daß Luther an dem beſtehenden geiſtlichen Inſtitut alles feſthalten wollte, was nicht durch einen ausdrücklichen Spruch der Schrift wider - legt werde; Zwingli dagegen alles abzuſchaffen entſchloſſen war, was ſich nicht durch die Schrift beweiſen laſſe. Lu - ther blieb auf dem gewonnenen Grund und Boden der la - teiniſchen Kirche ſtehen; er wollte nur reinigen, die Lehre außer Widerſpruch mit dem Evangelium ſetzen; Zwingli hielt dagegen für nothwendig, die erſten einfachſten Zuſtände der chriſtlichen Kirche ſo viel wie immer möglich herzuſtellen; er ſchritt zu einer totalen Umwandlung fort.

Wir wiſſen, wie weit Luther entfernt war, auf die Abſchaffung der Bilder zu dringen; er begnügte ſich den Aberglauben zu bekämpfen, der ſich daran geknüpft hatte. Zwingli dagegen betrachtete dieſen Dienſt ſchlechthin als Ab - götterei und verdammte die Bilder ſelbſt und an ſich. Im Einverſtändniß mit ihm erklärte der Rath zu Pfingſten 1524, er wolle die Bilder abſchaffen, er halte dieß für ein gött - liches Werk. Glücklich vermied man die Unordnungen, welche ein ähnliches Vorhaben an ſo manchen andern Orten hervorgebracht hat. Die drei Leutprieſter mit zwölf Raths - gliedern, einem aus jeder Zunft, begaben ſich nach den Kirchen, um die Sache unter ihrer Aufſicht ausführen zu laſſen. Die Kreuze bei den Frohnaltären verſchwanden. 79Veraͤnderung der Gebraͤuche 1524, 25.Die Bilder wurden von den Altären genommen, die Fres - co’s an den Mauern abgepickt, die Mauern weiß vertüncht. In den Landgemeinden hat man die köſtlichſten Tafeln hie und da wohl geradezu verbrannt; Gott zu Lob und Ehre. 1Bernhard Weiß a. a. O. p. 49. Bullinger Reform. Geſch. I, p. 102. Leben Leonis Judaͤ Misc. Tigur, III, 33. Anno 24 ſtalt man ab die Proceſſionen der Moͤnchen und Pfaffen, ordnet Leut, die uͤber die Saͤrch (Reliquienkaͤſten) gingend und vergrubind die Ge - bein oder Heilthum. Man taͤht die Orglen auß den kilchen, das tod - tenlaͤuten ward abgeſtellt, das wychen des Saltzes Waſſers Palmen; das verrichten der Krankeen; hernach that man in der Stadt die Bilder us den Kilchen und uf dem Land wo es das Mehr werden moͤcht.Auch das Spiel der Orgeln fand keine Gnade, wegen der Superſtition, die ſich damit verbunden habe. Man wollte nur den erſten einfachen Dienſt am Worte. In allen Kir - chengebräuchen ſetzte man ſich nun das nemliche Ziel. Es ward eine neue Formel der Taufe aufgeſtellt, ohne alle die Zuſätze welche in Gottes Wort nicht Grund haben. 2Zwingli’s Werke II, ii, p. 230.Dann ſchritt man zu einer Veränderung der Meſſe. Lu - ther hatte ſich mit Weglaſſung der auf die Lehre vom Opfer bezüglichen Worte, mit der Herſtellung des Kelchs begnügt. Zwingli richtete Oſtern 1525 ein förmliches Liebes - mahl ein. Die Communicanten ſaßen, in einer beſondern Abtheilung der Stühle, zwiſchen Chor und Durchgang, rechts die Männer, links die Frauen; das Brot wurde in breiten hölzernen Schüſſeln herumgetragen; ein jeder brach ſich einen Biſſen ab; dann trug man den Wein in hölzer - nen Bechern umher. 3Vorrede p. 234 ebenda.So glaubte man ſich der urſprüng - lichen Einſetzung am meiſten anzunähern.

Und hier kommen wir noch auf eine tiefer liegende80Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Differenz, die nicht allein die Anwendung, ſondern auch die Auffaſſung der Schrift eben in Bezug auf dieſe wich - tigſte aller geiſtlichen Handlungen betraf.

Es iſt bekannt, wie mannichfaltig dies Myſterium auch in frühern Zeiten aufgefaßt worden iſt, namentlich vom neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der Transſubſtantiation die Alleinherrſchaft errang. Kein Wun - der, wenn nun, nachdem dieſe erſchüttert worden, auch neue Verſchiedenheiten der Auffaſſung erſchienen.

Damals waren ſie mehr ſpeculativer, jetzt, der veränder - ten Richtung der Gelehrſamkeit gemäß, mehr exegetiſcher Art.

Bald nachdem Luther das Wunder der Transſubſtan - tiation verworfen, regte ſich in mehrern Köpfen zugleich die Idee, ob nicht überhaupt auch abgeſehen davon ſich den Einſetzungsworten eine andre Deutung geben laſſe.

Luther ſelbſt bekennt, eine Anwandlung nach dieſer Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern und innern Kämpfen ſeine allezeit ſiegreiche Waffe der Grund - text geweſen war, deſſen wörtlicher Verſtand, ſo gab er ſeine Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie weiter beſtimmen zu wollen.

Nicht Alle aber waren ſo zurückhaltend, dem Wort - verſtande ſo unterwürfig wie Luther.

Zuerſt wagte ſich Carlſtadt, als er im Jahr 1524 aus Sachſen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor, die nun freilich exegetiſch unhaltbar, ja abenteuerlich aus - fiel, die er auch zuletzt ſelber wieder aufgegeben hat, bei deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente81Abendmahlsſtreitigkeit.von beſſerm Gehalt vorbrachte,1Dialog von dem abgoͤttiſchen Mißbrauch des Sacraments bei Walch XX, 2878. Von dem widerchriſtlichen Mißbrauch des Herrn Brot und Kelch Ibid. 138. und mit der er überhaupt der dieſem Punkte ſchon zugewandten Richtung der Geiſter einen großen Anſtoß gab.

Der beſcheidene Oekolampadius zu Baſel, in deſſen Kreiſe ſich verwandte Anſichten geregt, fing an ſich zu ſchä - men, daß er ſeine Zweifel ſo lange unterdrückt, Lehren gepre - digt, von denen er nicht vollkommen überzeugt geweſen, und faßte ſich das Herz, den Sinn der geheimnißreichen Einſetzungs - worte, wie er ihn verſtand, nicht länger zu verläugnen. 2Zuſammenſtellung der verſchiedenen Aeußerungen des Oeko - lampadius in deſſen Leben von Heß p. 102.

Von einer andern Seite kam der junge Bullinger an dieſe Frage. Er ſtudirte die Acten des berengariſchen Strei - tes, und urtheilte, daß Berengar’n in jenem wichtigen Mo - mente wo die ſpätere Lehre ſich feſtſetzte Unrecht geſche - hen ſey. Er glaubte Berengar’s Meinung ſchon bei Au - guſtinus nachweiſen zu können. 3Lavater vom Laͤben und Tod Heinrychen Bullingers 1578 p. 8.

Die Hauptſache aber war, daß Zwingli das Wort er - griff. In dem Studium der Schrift, wie er es trieb, mehr im Ganzen, als ſtellenweiſe, und nicht ohne unaufhörlich auf das claſſiſche Alterthum zurückzukommen, hatte er die Ueberzeugung gefaßt, daß das Iſt der Einſetzungsworte nichts anders heiße, als bedeutet. Schon in einem Briefe vom Juni 1523 äußert er, der wahre Verſtand der Eu - chariſtie könne erſt dann begriffen werden, wenn man Brod und Wein im Nachtmal nicht anders betrachte als dasRanke d. Geſch. III. 682Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Waſſer bei der Taufe. 1An Hans Wyttenbach 15. Juni 1523. Panem et vinum vere esse puto ac edi etiam, sed frustra, nisi edens firmiter cre - dat, hunc solum esse animae cibum. Omnia sunt planiora si τὰ σῦκα σῦκα i. e. ficus ficus appellaverimus, panem dixerimus panem, vinum vinum (Epp. I, 258). Indem er die Meſſe angriff, hatte er ſchon die Abſicht gefaßt, darnach auch die Eucha - riſtie, wie er ſagt, ſich ſelber zurückzugeben. 2Deliberavimus usui esse futurum si missa everteretur, qua eversa speravimus etiam eucharistiam sibi restitui posse. De vera et falsa religione p. 269.Da nun jetzt Carlſtadt mit einer ſehr nahe verwandten Meinung hervor - trat, die er jedoch nicht zu erhärten vermochte, ſo glaubte Zwingli nicht länger ſchweigen zu können. Zuerſt in einem gedruckten Schreiben an einen Pfarrer in Reutlingen (No - vember 1524), dann ausführlich in ſeiner Schrift von der wahren und falſchen Religion trug er ſeine Erklärungsweiſe vor. So wenig er die Auslegung Carlſtadts billigte, ſo be - diente er ſich doch einiger Argumente, die derſelbe gebraucht, z. B. Chriſti Körper ſey im Himmel und könne unmöglich auf Erden den Gläubigen ſo ſchlechthin, realiter, ausge - theilt werden. Hauptſächlich ſtützte er ſich auf das ſechste Capitel im Evangelium St. Johannis, das ihm erſt hie - durch volles Licht zu erlangen ſchien.

Welch ein Moment war der im Spätjahr 1524, in dem ſich auf der einen Seite die Entzweiung zwiſchen einem katholiſchen und einem evangeliſchen Theile feſtſetzte, und nun dieſe Meinung hervortrat, welche die Evangeliſchen wie - der ſo gewaltſam trennen ſollte.

Luther trug kein Bedenken, auch Zwingli für einen jener Schwärmer zu erklären, mit denen er ſo oft zu käm -83Abendmahlsſtreitigkeit.pfen gehabt; er nahm keine Rückſicht darauf, daß man dort die Bilder unter öffentlicher Autorität abgeſchafft und allerdings einen Punct gefunden hatte, wo die weltliche Ordnung beſtehn konnte, nur ein paar Schritte weiter als er; er hatte überhaupt von den ſchweizeriſchen Zuſtänden nur dunkle Begriffe. Mit großer Heftigkeit begann er den Krieg.

Es würde nun nicht hieher gehören, die Streitſchrif - ten aufzuführen, welche gewechſelt, die Argumente, welche von beiden Seiten gebraucht worden; es ſey dem Betrach - tenden nur erlaubt eine Bemerkung zu machen.

Unläugbar ſcheint mir, daß die Sache durch das le - diglich exegetiſche Verfahren nicht auszumachen war.

Daß das Iſt einen tropiſchen Sinn haben könne, iſt an ſich nicht in Abrede zu ſtellen, und ſtellt auch Luther im Grunde nicht in Abrede. Er giebt es bei Ausdrücken zu, wie: Chriſtus iſt ein Fels iſt ein Weinſtock: darum weil Chriſtus nicht ſeyn kann ein natürlicher Fels. Er läugnet nur, daß das Wort dieſen Sinn im vorliegenden Falle habe, ihn haben müſſe. 1Große Confeſſion in Walchs Sammlung der Werke Luthers Thl. XX, p. 1138.

Dadurch ſpringt nun weiter ins Auge, daß der Grund der Streitigkeit in einer allgemeinen Auffaſſung lag.

Zwingli hat gegen die Gültigkeit der wörtlichen Er - klärung vor allem eingeworfen, daß Chriſtus ja ſelbſt ge - ſagt habe, ich werde nicht bei Euch ſeyn alle Tage, mithin auch im Abendmahl gar nicht gegenwärtig ſeyn wolle; daß er ferner dann allenthalben ſeyn müßte, eine locale Allenthalbenheit ſich aber nicht denken laſſe. Lu -6*84Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen klaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er - hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger, als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor - den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein - tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun - gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. 1De divisione naturae bei Neander Kirchengeſchichte IV, 472. Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent - ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur. Lu - thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa - craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri - ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea -85Abendmahlsſtreitigkeit.tur erhaben, und daher auch in dem Brode füglich mit - theilbar. Die Einwendung, daß Chriſtus geſagt, er werde nicht immer gegenwärtig ſeyn, hebt er ohne Zweifel mit Recht durch die Bemerkung, daß Chriſtus dort nur von ſei - nem irdiſchen Daſeyn rede.

Es iſt deutlich, in wie fern Zwingli’s Beweisführung nun weiter für Luther nichts Schlagendes hatte. Er konnte wie er es liebte, bei dem Wortſinn bleiben, der ihm keinen Widerſpruch darbot. Durch eine Auffaſſung, welche die höchſten Myſterien der Religion berührt, wiewohl er ſie mit einer ehrwürdigen Scheu, das Geheimnißvolle in den Streit des Tages zu ziehen, nur dann und wann hervorhob, war er ſeiner Sache ſicher.

Ueberhaupt erſcheint uns Luther hier in ſeinem eigen - ſten Weſen.

Wir haben oft bemerkt, er weicht nur ſo viel von dem Herkömmlichen ab, als die Worte der Schrift ihn un - bedingt nöthigen. 1Z. B. fragt Carlſtadt: wo hat Chriſtus geboten, daß man ſein Abendmahl in die Hoͤhe aufheben und dem Volke zeigen ſolle? (Walch 2876), Luther antwortet: wo verbietet es Chriſtus? (p. 252).Etwas Neues aufzubringen oder das Beſtehende umzuſtürzen, was der Schrift nicht geradezu un - gemäß, wären Gedanken, die ſeine Seele nicht kennt. Er würde die ganze Entwickelung der lateiniſchen Kirche be - haupten, wenn ſie nur nicht durch fremdartige, dem ächten Sinn des Evangeliums widerſprechende ſpätere Bildungen verunſtaltet wäre, er würde die Hierarchie ſelbſt anerkennen, wofern ſie ihm nur das Wort frei ließe. Da das aber nicht ſeyn kann, ſo hat er das Amt der Reinigung noth - gedrungen ſelber übernommen. Er hat ſich, denn ſeine Seele86Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.lebt und webt in den kirchlichen Ueberlieferungen, nicht ohne die heftigſten inneren Stürme von dem Zufälligen, dem unbegründeten Zuſatz frei gemacht. Aber um ſo uner - ſchütterlicher hält er nun auch an dem Myſterium feſt, in ſo fern es mit dem Wortſinn der Schrift übereinſtimmt und dadurch bewährt wird. Er weiß es mit alle dem Tief - ſinn aufzufaſſen, der ihm urſprünglich zu Grunde gelegen; er iſt empfänglich für die großartigſte Myſtik, ja durch - drungen davon.

Es iſt wahr, Luther fiel von der römiſchen Kirche ab, oder vielmehr er ward von ihr ausgeſtoßen, und hat ihr mehr geſchadet als ein andrer Menſch. Allein er verläug - nete nie ſeinen Urſprung. Wenn wir die welthiſtoriſche Be - wegung der Meinung und Lehre ins Auge faſſen, ſo iſt eben Luther das Organ, durch welches ſich das lateiniſche Kirchenweſen zu einer freieren minder hierarchiſchen, mit den urſprünglichen Tendenzen des Chriſtenthums wieder au - ßer Widerſpruch geſetzten Entwickelung umbildete.

Geſtehen wir aber, daß ſeine Auffaſſung beſonders in dieſem Stück doch immer etwas Individuelles behielt, nicht einem Jeden einleuchten konnte, wie denn auch ſeine Stel - lung keineswegs von Allen getheilt wurde. Auch die tie - fern und bedeutendern Geiſter, die an der Thätigkeit des Jahrhunderts lebendigen Antheil nahmen, waren mit nich - ten alle ſo kirchlich geſinnt wie Luther. So wie Zwingli’s Beweisführung Luther’n nicht überzeugen konnte, ſo ging die Auffaſſung Luthers an Zwingli vorüber, ohne auf ihn Eindruck zu machen.

Zwingli lebte, wie berührt, überhaupt nicht ſo tief in87Abendmahlsſtreitigkeit.dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhanges mit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. Wir ſa - hen ſchon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be - griff der Gemeinde um vieles mehr beſchäftigte: wie er denn auch jetzt beſchäftigt war, ſeine Zürcheriſche Gemeinde durch ſtrengere Kirchenzucht zuſammenzuhalten. Er ſuchte die öf - fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Aſyle auf, ließ unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt ſchaf - fen. Mit den Geſichtspuncten, die ihm daher entſprangen, verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog - matik abſehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht, ſo bewieß er in der That für den Zuſammenhang des ur - ſprünglichen Gedankens derſelben einen feinen und treffenden Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, ſah er das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtniſſes und der Liebe an. Er hielt ſich an das Wort Pauli, daß wir Ein Leib ſind, weil wir von Einem Brode eſſen. Denn ein Je - der, ſagt er, bekenne ſich dadurch zu der Gemeinſchaft, die in Chriſtus ihren Heiland erkenne, in der alle Chriſten Ein Leib ſeyen; das ſey die Gemeinſchaft des Blutes Chriſti. Wenigſtens er ſelbſt wollte nicht Wort haben, daß er die Euchariſtie für bloßes Brod halte. Wenn Brod und Wein, die durch Gottes Gnade geheiligt ſind, ausgetheilt wer - den, wird da, ſagt er, nicht der ganze Chriſtus gleich - ſam fühlbar den Seinen dargeboten? Es gereichte ihm zu beſonderer Genugthuung, daß er durch dieſe Auffaſſung unmittelbar zu einer praktiſchen Wirkung gelangte. Denn wie ſollte es nicht zu chriſtlichem Leben und chriſtlicher Liebe anleiten, wenn man wiſſe, daß man zu ſeinem Leibe gehöre? 88Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Der Unwürdige werde ſchuldig an Chriſti Leib und Blut. Er erlebte die Freude zu ſehen, daß ſein Ritus und dieſe ſeine Anſicht zur Beilegung alter und verhärteter Feindſchaf - ten beitrugen. 1Expositio fidei Werke II, II, 241.

Obgleich Zwingli gern das Uebernatürliche hervorhebt, das ſeine Auffaſſung noch darbot, ſo iſt doch klar, daß dieß nicht das Myſterium war, welches bisher den Mittelpunkt des Cultus in der lateiniſchen Kirche gebildet hatte. Man kann begreifen, welchen Eindruck es auf den gemeinen Mann machte, daß man ihm die ſinnliche Gegenwart Chriſti entreißen wollte; es gehörte ein gewiſſer Muth dazu, ſich dazu zu entſchließen; als das aber einmal geſchehen, ſo zeigte ſich, wie wenigſtens Oekolampadius ſagt, eine weit größere Empfänglichkeit dafür, als man hätte vermuthen ſollen. Auch dieß iſt auf der andern Seite wohl zu erklä - ren. Da man ſich einmal im Abfall von der römiſchen Kirche begriffen ſah, ſo gewährte es eine gewiſſe Befriedi - gung des Selbſtgefühles, welches ſich dabei entwickelte, daß dieß ſo vollſtändig wie möglich geſchah, daß man in einen vollkommenen Gegenſatz trat.

Luther war von dem römiſchen Hofe vom erſten Au - genblicke an mit großer Härte, Zwingli dagegen mit äußer - ſter Schonung behandelt worden; noch im Jahr 1523 em - pfing er ein überaus gnädiges Breve Adrians VI, in wel - chem alle ſeine Neuerungen ignorirt wurden. Deſſenun - geachtet liegt am Tage, daß Zwingli dem bisherigen Kir - chenweſen bei weitem ſchärfer und unverſöhnlicher entgegen - trat als Luther. Auf ihn machten Dienſt und Dogma, wie89Abendmahlsſtreitigkeit.ſie im Laufe des Jahrhunderts ſich gebildet, ganz und gar keinen Eindruck mehr; Abwandlungen, die an ſich unſchäd - lich waren, an die ſich aber der Mißbrauch geknüpft hatte, verwarf er mit ſo durchgreifender Raſchheit, wie den Miß - brauch ſelbſt; die älteſten Formen, in denen ſich das chriſtliche Princip zuerſt ausgeſprochen, ſuchte er herzuſtellen: gewiß auch Formen, und nicht das Weſen, aber die doch wie die nächſten, ſo auch die reinſten und angemeſſenſten waren.

Luther war bei alle ſeinem Eifer gegen den Papſt, bei aller ſeiner Abneigung gegen die weltliche Herrſchaft der Hierarchie, doch übrigens ſelbſt in Lehre und Ritus ſo viel als möglich conſervativ, hiſtoriſch geſinnt; er war tiefſin - nig und von dem Myſterium durchdrungen; Zwingli war bei weitem durchgreifender im Verwerfen und Umbilden, den Bedürfniſſen des täglichen Lebens zugewandt, nüchtern, verſtändig.

Wäre Luther mit ſeinen Schülern allein geblieben, ſo würde das reformirende Prinzip wohl ſehr bald zur Sta - bilität gelangt ſeyn, ſeine lebendig fortſchreitende Kraft viel - leicht bald eingebüßt haben. Daß Zwingli allein geweſen wäre, kann man ſich ſo eigentlich nicht denken. Wäre aber eine Anſicht, wie die ſeine, ohne Luther emporgekommen, ſo würde die Continuation der kirchenhiſtoriſchen Entwickelung dadurch gewaltſam unterbrochen worden ſeyn.

So war es, wenn wir uns ſo weit erheben dürfen, von der göttlichen Vorſehung beſtimmt, daß beide Auffaſſun - gen mit einander ihren Gang zu machen hatten. Sie wa - ren neben einander jede an ihrer Stelle, jede mit einer ge - wiſſen innern Nothwendigkeit entſprungen, ſie gehörten zu - ſammen, ergänzten ſich wechſelsweiſe.

90Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.

Aber ſeit den Zeiten der Inquiſitionsgerichte, der feſt - geſetzten, intoleranten Herrſchaft eines dogmatiſchen Sy - ſtems, war ein ſo ſtarrer Begriff von Rechtgläubigkeit in die Welt gekommen, daß ſich beide doch zunächſt, ohne Rück - ſicht auf ihre gemeinſchaftlichen Gegner, unter einander mit heftigem Eifer befehdeten.

Wir werden ſpäter der Wechſelfälle gedenken, in de - nen dieſer Streit ſich bewegt hat; jetzt faſſen wir ins Auge, wie Zwingli ſich an ſeiner Stelle weiter Raum machte.

Vertheidigung. Ausbreitung.

Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther, ſo erhob ſich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei - nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.

Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft - gläubigen abzuſondern, denn nur denen allein gelte die Ver - heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel nicht auf Erden einführen, Chriſtus habe gelehrt, das Un - kraut mit dem Waizen aufwachſen zu laſſen. 1Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.

Man verlangte dann wenigſtens, daß er die ganze Zür - cheriſche Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, ſich nicht mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie - dern beſtand, begnügen ſolle. Aber Zwingli fürchtete den Einfluß der geiſtvorgebenden leidenſchaftlichen Demagogen auf eine größere Verſammlung. Er hielt dafür, daß die Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich ſo wie politiſch hinreichend repräſentirt ſey. Das ſtillſchweigende Einver - ſtändniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende91Wiedertaͤufer.Sanction der Beſchlüſſe des großen Rathes. Dieſer übe die kirchliche Gewalt aus, aber unter der Bedingung, daß er die Regel der heiligen Schrift nicht verletze, auch nicht im Minde - ſten, denn das ſey der Gemeinde von ihren Predigern verhei - ßen worden. Zwingli ging, wie geſagt, von dem Begriff der Gemeinde aus, realiſirte ihn aber nicht vollſtändig; wie man wohl in neuern Zeiten, auf das Prinzip der Natio - nalſouveränetät ſich ſtützend, es gleichwohl vermeiden hat, die Nation ſelbſt thätig auftreten zu laſſen.

Um der beſtehenden äußeren Ordnung doch wenigſtens Einen Vortheil abzugewinnen, forderten die Nichteinver - ſtandenen hierauf, daß der Zehnte abgeſchafft würde, der ja keineswegs von göttlichem Rechte ſey. Zwingli bemerkte, der Zehnte ſey entweder durch bürgerlichen Vertrag ſchon in die dritte Hand übergegangen, oder die Unterhaltung von Kirchen und Schulen ſey darauf gegründet. 1Fuͤßli’s Beitraͤge I, 235.Er wollte die öffentliche Ordnung ſo wenig erſchüttern laſſen wie Luther. Er ſtützte ſich nicht ſo gewaltig wie dieſer auf den Begriff der Obrigkeit; aber auch er war entſchloſſen, die einmal gebildete politiſche Welt nicht gefährden zu laſſen. Irgendwo mußte die Bewegung einhalten, wenn nicht alles in Frage geſtellt werden ſollte. Er war an dieſem Punkt angekom - men, ließ ſich keinen Schritt weiter bringen und hatte da - bei den allgemeinen Willen, von der in der Republik alles abhing, auf ſeiner Seite.

Da nun aber hiedurch alle weiter vordrängenden Be - ſtrebungen zurückgehalten wurden, ſo machten die Mißver - gnügten Verſuche, ſich für ſich ſelber zu conſtituiren. Die92Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Wiedertaufe trat auch in Zürich ſehr ſtark auf. Der Ritus der Wiedertaufe iſt nur das Wahrzeichen jener Lehre, die zur Bildung der Gemeinde volle Gleichheit der Geſinnung, wahrhafte Chriſtlichkeit fordert. Allein da die Gemeinſchaft der Wiedertäufer zugleich ihr Staat war, ſo geriethen ſie mit den beſtehenden Gewalten in unmittelbaren Gegenſatz. Wur - den ſie vor Gericht geſtellt, ſo erklärten ſie wohl, ſie ſeyen der irdiſchen Macht nicht unterthan: Gott allein ſey ihr Oberer. Sie behaupteten vielleicht nicht geradezu, daß man keine Obrigkeit dulden ſolle, aber ſie lehrten, ein Chriſt könne ſolch ein Amt nicht verwalten, das Schwerd nicht führen; ſo daß ſie die Chriſtlichkeit der weltlichen Gewalt nicht mehr anerkannten. Als das Ideal alles irdiſchen Zuſtandes, nach welchem man trachten müſſe, ſtellten ſie die Gemeinſchaft der Güter dar. 1Bekenntniſſe und Actenſtuͤcke in Fuͤßli’s Beitraͤgen I. 229, 246, 258. II, 263.Da nun Ideen dieſer Art eben in dem Bauernaufruhr ſo furchtbare Wirkungen geäußert, und auch hier die Wiedertäufer, wie wenigſtens Zwingli genau zu wiſſen behauptet, mit der Lehre hervortraten, daß man tödten dürfe, die Pfaffen tödten müſſe, ſo erhob ſich endlich, mit den Predigern einverſtanden, die ganze Gewalt der beſtehenden Ordnung der Dinge, um ſich ihrer zu entledigen. Einige wurden verbannt, andere entflohen; einer und der andere der Hauptanführer wurde ohne Erbarmen ertränkt.2In Rodolphi Gualtheri Epistola ad lectorem, vor dem zweiten Theile der Werke 1544 wird proteſtirt, daß Zwingli dieß nicht gewuͤnſcht. Quod homines vaesani, non jam infideles modo, verum etiam seditiosi, reipublicae turbatores, magistratuum ho - stes justa senatus sententia damnati sunt, num id Zwinglio fraudi esse poterit? Die93Politiſcher Widerſtand.neue Kirchenform ſetzte ſich feſt, ohne daß das Beſtehen, die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er - ſchüttert, gefährdet worden wären.

Mittlerweile hatte ſich aber von einer andern Seite her, aus politiſchen Motiven noch ein gefährlicherer Wi - derſpruch geregt.

Zwingli hatte nicht allein religiöſe, ſondern auch pa - triotiſche Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch - gedrungen; die Prieſter mußten einſt alle Penſionen feier - lich verſchwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von allen Cantonen den neuen franzöſiſchen Bund nicht an. Die Unglücksfälle, welche dieſer Bund nach ſich zog, ſuchte Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für ſein Sy - ſtem zu gewinnen. Man muß die göttliche Vermahnung leſen, die er nach der Schlacht von Bicocca an die älteſten ehrenfeſten Eidgenoſſen zu Schwytz ergehen ließ, um den Zuſammenhang zu bemerken, der ſeine religiöſen und poli - tiſchen Beſtrebungen verband. Seine Ueberzeugung war, daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht geſtiftet werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban - nen müſſe. Und frage Jemand, wie dieß möglich ſey, da der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, ſo ſey die Antwort, man müſſe dafür ſorgen, daß das göttliche Wort gelehrt werde, klar und verſtändlich, ohne den Zwang menſch - licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein. Wo aber Gott in des Menſchen Herzen nicht iſt, da iſt94Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nichts als der Menſch ſelbſt, und er gedenkt an nichts, als was ihm zu Nutzen und Wolluſt dient. Es iſt ganz die höhere Moral, die zugleich Myſtik und Religion iſt, und ſeine Ideen überhaupt belebt, was ihn auch zu ſeiner po - litiſchen Tendenz führt. In Schwytz, wo er eine Anzahl perſönlicher Freunde hatte, machte ſein Schreiben ſo viel Eindruck, daß die Landsgemeinde am 18. Mai 1522 den franzöſiſchen Bund abkündigte und auch Andere davon ab - zuſtehn mahnte, alle die, welche es zu mahnen habe. Es war ſehr zu erwarten, daß Schwytz, wo Geroldseck und Zwingli und Leo Judä ſo lange gewirkt, nun auch in den eigentlich religiöſen Angelegenheiten dem Beiſpiele von Zürich folgen werde.

Es liegt jedoch am Tage und kein Menſch konnte ſich verbergen, daß dieſe politiſche Richtung, ſo vernünftig ſie auch an ſich war, doch zunächſt dem Fortgange der reli - giöſen Bewegung wieder hinderlich werden mußte. Allent - halben hatten ſich aus den Vorſtehern der Gemeinden, welche die Penſionen empfingen, und den Hauptleuten, welche die kriegsluſtige Jugend ins Feld führten, Factionen gebildet, die ihren Vortheil nicht ſo leicht fahren zu laſſen gemeint waren: Oligarchien die dann vereinigt die Tagſatzungen be - herrſchten. Zwingli fand, es ſey ein neuer Adel ſo gefährlich wie der alte. Und allerdings waren dieſe Machthaber ſtark ge - nug, um zunächſt die Schwytzer dahin zu bringen, daß ſie ih - ren wider die fremden Dienſte gefaßten Beſchluß zurücknahmen. Beſonders der Einfluß des Schultheißen Hans Hug in Lucern, hielt die bisherige Politik in den Waldcantonen aufrecht.1Klagen Zwingli’s 19. Febr. 1523 an Steiner. Epp. I, p. 275. Auf95Politiſcher Widerſtand.der Tagſatzung von 1523 ward förmlich Klage gegen Zwingli erhoben; ſo gegen ſeine religiöſen wie ſeine politiſchen Un - ternehmungen. Im Jahre 1524 forderte die Tagſatzung die Zürcher auf, von ihren Neuerungen abzuſtehn. Da ſie eine ausweichende Antwort gaben, drohte man ihnen, in Zukunft auf Tagen nicht mehr neben ihnen zu ſitzen, ihnen die Bundesbriefe zurückzugeben. Nicht als ob nun die Tag - ſatzung entſchioſſen geweſen wäre, alles beim Alten zu laſ - ſen; vielmehr kam noch 1525 ein ſehr merkwürdiger Be - ſchluß zu Stande, durch welchen man die geiſtliche Gerichts - barkeit zu beſchränken gedachte,1Z. B. ſoll der Geiſtlichkeit zwar vorbehalten bleiben, was Eheſachen oder Gotteshaͤuſer und Sacramente, oder Irrungen im Glauben betrifft, aber auch dieß ſoll erſt der weltlichen Obrigkeit vorgelegt werden, die nur, wenn es ihr nothwendig ſcheint, an den geiſtlichen Richter verweiſen mag. Artikel bei Bullinger I, 203. nach Art und Weiſe der deutſchen Reichstage. Das zeigt aber nur, daß auch in der Tagſatzung verſchiedene Meinungen obwalteten. Wer ſo recht ſtreng an Rom feſt hielt, wollte auch von keiner Beſchränkung der geiſtlichen Gerichtsbarkeit wiſſen. Vor - übergehend konnte man einmal nachgeben, allein im Gan - zen ſetzte ſich die engſte Verbindung jener Oligarchen mit den Prälaten durch, die eine Zeit daher nicht wenig ge - fährdet, plötzlich wieder Grund unter ihren Füßen fühlten. Wir ſtoßen hier auf die merkwürdige Thätigkeit des General - vicars zu Coſtnitz, Johann Faber, eines Mannes, der frü - her die literariſche Richtung ſeiner oberdeutſchen Zeitgenoſ - ſen getheilt, Zwingli ſelbſt zum Widerſtand gegen den Ab - laß ermuntert hatte, aber im Jahre 1521 ganz umgewan - delt von Rom zurückgekommen war, und es ſich nun zum96Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Beruf ſeines Lebens machte, die alte Religion aufrecht zu erhalten; deſſen Bemühen war es, jene Verbindung zu Stande zu bringen und wirkſam zu machen. Das Geſpräch zu Baden, im Mai 1526, bei welchem auch Eck erſchien, war der Ausdruck des neuen Einverſtändniſſes der Oligar - chen und der geiſtlichen Gewalt. 1Zwingli an Vadian I, 485. Istud unum caveo, ne optima plebs Helvetica horum nebulonum Fabri videlicet et Ecciorum stro - phis committatur, id autem Oligarcharum perfidia 3 Kal. Apr. 1526.Trotziger und mit grö - ßerem Schein als jemals behaupteten die Altgläubigen, daß der Sieg auf ihrer Seite geblieben ſey.

Aber eben dieſes Geſpräch ſollte ihnen höchſt verderb - lich werden.

Zwingli war daſelbſt nicht erſchienen: wahrſcheinlich ſchreckten ihn die Executionen, welche man ſo eben im Coſt - nitzer Sprengel z. B. an Hans Hüglin vornahm; dage - gen hatten Bern und Baſel ein paar Vertreter der neuen Lehre, Berthold Haller und Oekolampadius geſchickt, die nun aber nicht allein weit davon entfernt waren, ihren Geg - nern den Sieg zuzugeſtehn, ſondern wie ſie nach Hauſe ka - men, auch in ihren Mitbürgern ein patriotiſches Mitgefühl für ihre Sache erregten. 2Wie das Lied des Nicolaus Manuel beweiſt: ain Lid in ſchilers Hofthon; bei Gruͤneiſen p. 409. Egg zablet mit fuͤßen und henden, fing an ſchelken und ſchenden: er ſprach ich blib by dem verſtand, den Baͤpſt Cardinaͤl Biſchof hand. Es erſcheint in Baden juſt wie in Leipzig.Bern und Baſel forderten auch ih - rerſeits Theilnahme an der Herausgabe der Acten des Ge - ſprächs, und wollten ſie der katholiſchen Majorität nicht ſo ohne Weiteres überlaſſen. Schon in der jurisdictionellen Frage waren jene Städte mit derſelben in Mißverſtändniß gerathen; jetzt bahnte ſich eine völlige Entzweiung an.

97Siege der Reformation.

Sie zum Ausbruch zu bringen trat jetzt ein weiterer politiſcher Moment hinzu. War der Lehre ihre Verbin - dung mit der Politik in der Schweiz bisher hinderlich ge - weſen, ſo kam ſie ihr endlich auch zu Gute.

Jenen Oligarchien ſtand überall in den Städten ein mächtiges demokratiſches Element in den großen Räthen und Bürgerſchaften entgegen. Wie ſich die Erſten an die geiſt - liche Macht anſchloſſen, ſo neigten ſich die Andern zur Re - form. Die allgemeine Stimmung des Volkes, der Beiſtand der Prediger waren auf ihrer Seite. Da wurde es nun entſchei - dend, daß ſich nach langem Schwanken dieſe Tendenz, hauptſächlich durch die Irrungen über das Badener Ge - ſpräch begünſtigt, in dem mächtigen Bern durchſetzte. Bei den neuen Wahlen des Jahres 1527 drang eine nicht ge - ringe Anzahl von Anhängern der Reform, Gegner der Oli - garchen, in den großen Rath ein. Die erſte Folge hievon war, daß der große Rath alle ſeine alten Rechte zurückfor - derte. Zwanzig Jahre lang hatte er es ſich gefallen laſſen, daß der kleine Rath von Vennern und Sechzehnern geſetzt wurde, jetzt nahm er das Recht, das ihm zuſtand, denſel - den zu wählen, wieder an ſich. 1Ad viginti annos 4 Pandareti cum 16 e civibus senatum minorem elegerunt, ea conditione ut per eos delectos civium turma non haberet abjicere; nunc ablata est illis potestas et concio universa civium senatum deligit. Schreiben B. Hallers an Vadian, in Kirchhofers Berthold Haller p. 89.Nachdem er dergeſtalt die Summe der bürgerlichen Gewalt, der Verfaſſung ge - mäß, in ſich vereinigt, griff er zu den religiöſen Angele - genheiten. Die Mandate, den alten Glauben feſtzuhalten, wurden zurückgenommen; eine Disputation veranſtaltet, beiRanke d. Geſch. III. 798Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.der auch Zwingli erſchien, und die nun ganz zu Gunſten ſeiner Meinung ausfiel; alle Einrichtungen die er in Zürich geſtattete, eignete man in Bern ſich an. Im Jahre 1528 ward noch vollends aus den beiden Räthen entfernt, was an dem alten Glauben feſthielt. Die Gemeinde ward in der Kirche verſammelt; Kopf bei Kopf, Herren, Meiſter und Knechte ge - lobten Alle den beiden Räthen Gehorſam. 1Stettler II, 6.Dann griff man, nach dem zwiefachen Charakter dieſer Reform über - haupt, die Jahrgelder an, welche in Bern auch unter den Evangeliſchgeſinnten mächtige Anhänger zählten. Nicht ohne lebhaften Kampf, und erſt nachdem man aufs neue die Mei - nung des Volkes in Stadt und Land befragt, wurden die Jahrgelder aberkannt (24. Aug.) und dem König von Frank - reich aufgekündigt. 2Bullinger II, 13. Haller nennt es pecunia sanguinaria; Hofmeiſter redet von execrabile foedus Gallicum. Auch Manuel gehoͤrte zu den Verfechtern der Penſionen. Gruͤneiſen 109. Kirch - hofer 133.

Einen Augenblick länger hielt ſich die bisherige Regie - rung in Baſel; ſie ſchmeichelte ſich noch ein Gleichgewicht zwiſchen beiden Bekenntniſſen zu behaupten. Allein allmäh - lig ward die evangeliſche Gemeinde ihre Ueberlegenheit inne: bei einer Volksverſammlung im Januar 1529 zeigten ſich nur 800 Katholiſche, dagegen bei 3000 Evangeliſche. Hier - auf, im folgenden Februar, brach eine aufrühreriſche Bewe - gung aus. Zuerſt ward die Verfaſſung geändert. Die Zünfte nahmen ihre frühere Selbſtändigkeit wieder an ſich und beka - men das Recht, künftig immer 60 der Jhren dem großen Ra - the beizuordnen; Niemand ſollte in dem kleinen Rathe ſeyn,99Siege der Reformation.der nicht durch den großen dazu vorgeſchlagen würde; alle Katholiſch-geſinnten verließen den kleinen Rath. 1Vgl. Ochs Geſchichte von Baſel V, p. 626 f. Das dioece - sium suffragio, cum dioecesiis disponenda in Oekolampads Be - richt, womit ſich Ochs V, 653 ſo viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia - cosion suffragio, cum diacosiis, mit welchem Wort Zwingli und auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich den großen Rath bezeichnen.Auf der Stelle hörte man in den Kirchen deutſche Pſalmen ſingen und ſchon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes - dienſtes nach dem Muſter von Zürich publicirt, die ganz den religiöſen Ernſt und die ſittliche Zucht athmet, welche eins der vornehmſten inneren Motive dieſes Unternehmens war, und in der man zugleich auf die Abſtellung der muth - willigen Kriege Bedacht nahm.

Zwiſchen den drei Städten ward nun ein Burgrecht abgeſchloſſen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an - deren Eidgenoſſen aufzunehmen gedenke, wenn ſie, wie es hier heißt, des göttlichen Wortes ſo viel berichtet ſeyen.

Dazu war in der That viele Ausſicht vorhanden. In Glarus, Appenzell, Graubündten regten ſich die Anhänger der Neuerung gewaltig; in Schafhauſen ſchwankte der Rath unaufhörlich zwiſchen den entgegengeſetzten Richtungen;2Dieſe unentſchiedene Geſinnung ſtellt ſich individuell in dem 1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar. in St. Gallen war der Sieg ſchon entſchieden. Noch im Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende - rung des Rathes, die katholiſchen Cerimonien abgeſtellt, Ar - tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt.3Arx Geſchichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptſache fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤſſigen Nebendingen ausfuͤhrlich. Daſſelbe7*100Fuͤnftes Buch Drittes Capitel.geſchah in Mühlhauſen, wo einer jener Staatsmänner, welche an den eidgenöſſiſchen Angelegenheiten ſowohl in dem In - nern als in den Verhältniſſen zu Kaiſer und Papſt thätigen Antheil genommen, der Stadtſchreiber Gamshorſt der Be - wegung mit ſeiner wohlgegründeten Autorität zu Hülfe kam. In den Jahren 1528 und 1529 wurden St. Gallen, Bern und Mühlhauſen, das letztere nicht ohne eine gewiſſe Schwie - rigkeit, und nur auf beſondere Verwendung von Bern in das chriſtliche Bürgerrecht aufgenommen. 1Bullinger Reformationsgeſchichte II, p. 46.

In denſelben Zeiten, in welchen ſich in dem öſtlichen Deutſchland an ſo vielen Stellen evangeliſche Organiſatio - nen in Luthers Sinne erhoben, traten dieſe nahe verwandten Bildungen in der Schweiz im Geiſte Zwingli’s ins Leben.

Und ſchon griffen die Ideen der Zürcher Reform in ganz Oberdeutſchland mächtig um ſich. War doch die Eid - genoſſenſchaft ſelbſt noch immer ein Glied des Reiches. Die Reformatoren von Straßburg, Buzer und Capito hat - ten an dem Geſpräch zu Bern Antheil genommen, und wa - ren lange Zeit eifrige Anhänger der zwingliſchen Auffaſ - ſung des Abendmahls. Gar bald ſchloſſen ſich Lindau und Memmingen an Strasburg an. In demſelben Sinne predig - ten Somius in Ulm, Cellarius in Augsburg, Blaurer in Coſtnitz, Hermann in Reutlingen, und wie viele andere in den meiſten Städten jener Gegenden! Hie und da regte ſich der Gedanke, ſich an die evangeliſchen Orte der Eidgenoſ - ſenſchaft auf das engſte und für immer anzuſchließen.

Gewiß es war ein Unglück, daß die beiden Bildungen in dem öſtlichen und in dem weſtlichen Deutſchland einander wie -101Siege der Reformation.der entgegengeſetzt waren. Die Streitſchriften der beiden Theile erfüllten alle Gemüther mit gegenſeitigem Widerwillen.

Jedoch iſt das nicht die einzige Betrachtung, die wir an das Ereigniß knüpfen. Die Differenz beruhte nicht al - lein auf der verſchiedenen Auffaſſung eines Dogma, ſondern ſie war in dem Urſprung der beiderſeitigen Bewegung, in dem politiſchen und kirchlichen Zuſtand, von dem man ſich hier und dort losriß, gegeben. Ob man nicht in dem Dogma eine befriedigende Verſtändigung finden würde, ſtand noch dahin. Daß aber die Reform in der Schweiz aus urſprünglichen Trieben hervorgegangen war, ihre eigenthüm - lichen Wurzeln ſchlug, und dem gemäß ſich in eignen Bil - dungen verſuchte, war ohne Zweifel ein Glück; es gab dem Prinzip derſelben eine neue Nachhaltigkeit und innere Kraft.

[102]

Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529.

Das war nun die Lage der damaligen Welt.

Das große Weltverhältniß, von welchem im Laufe der mittleren Jahrhunderte alles abgehangen, zwiſchen Orient und Occident war noch einmal zweifelhaft geworden. Der mächtige Fürſt, in welchem ſich die kriegeriſchen Kräfte des Orients concentrirten, ſtand wieder im Begriff, einen An - fall auf die Chriſtenheit zu verſuchen, von dem er ſich ei - nen ſo großen Erfolg verſprechen durfte, wie ihn ſeine letzte Unternehmung nur immer gehabt; es ließ ſich ſchon gar nicht erwarten, daß ihn die nur ſehr ſchwachen Vorkehrungen, die ſeitdem von der deutſchen Seite her in Ungarn getroffen wa - ren, aufhalten würden. Ein unmittelbares Zuſammentreffen der germaniſchen Kräfte zu Lande und der romaniſchen zur See mit den osmaniſchen ſtand nunmehr bevor.

In der Chriſtenheit ſelber aber war alles in Entzweiung.

Noch war der Friede zwiſchen den beiden oberſten Häup - tern nicht hergeſtellt. Der Kaiſer hatte wohl einmal den Gedanken gehegt, den Papſt aller weltlichen Herrſchaft zu berauben; in den Gegnern des Kaiſers war dagegen der103Lage der Welt.Plan aufgeſtiegen, mit Hülfe des Papſtes ihn den Kaiſer ſel - ber abzuſetzen. Noch waren dieſe Pläne nicht ganz beſeitigt.

Eben ſo wenig war das militäriſche Uebergewicht der einen oder der andern von den beiden großen Mächten, die ſchon ſo lange gegen einander unter den Waffen ſtanden, entſchieden. Von Jahr zu Jahr immer glücklicher hatte ſich das Haus Oeſtreich erhoben, noch wollte ſich aber Frank - reich mit nichten in den Verluſt des vorwaltenden Anſehens finden, das es bisher beſeſſen, oder ſeinen Beſitz in Ita - lien aufgeben.

Zu dieſen Kämpfen der Staatsintereſſen kam nun aber, wenn auch für den Augenblick nicht ſo geräuſchvoll, aber in ſich ſelber doch noch bedeutender die religiöſe Bewegung. Die Autorität der römiſchen Kirche, welche ſo viele Jahr - hunderte daher das Abendland beherrſchte, fand jetzt einen Widerſtand wie noch niemals. Schon öfter hatten ſich ihr Feinde erhoben, aber niemals hatten dieſelben eine zugleich ſo energiſche und ſo gut begründete Religioſität entwickelt; nie - mals waren ihre Beſtrebungen mit dem allgemeinen Leben des Geiſtes, dem Gange der europäiſchen Cultur ſo ver - bündet geweſen; auch hatten ſie noch nie ſo raſch und le - bendig in allen Nationen um ſich gegriffen.

Da war nun aber auch überdieß noch geſchehen, daß dieſe Reformationsideen in zwei verſchiedenen einander zu - widerlaufenden Richtungen emporkamen. Die eine ſchloß ſich ſo viel wie möglich an die entwickelte Lehre, den be - ſtehenden Staat an, die andere war von Anfang mit dem Gedanken einer Umbildung der Staatsverhältniſſe verſchmol - zen und ſetzte ſich zum Ziel, die urſprünglichen Zuſtände104Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.der Chriſtenheit wiederherzuſtellen. In der abweichenden Auf - faſſung des vornehmſten Dogmas traten ſie einander entgegen.

Es waren nicht Irrungen über eine und die andere Modification, ein oder das andere Beſitzthum, ſondern Strei - tigkeiten über die wichtigſten Angelegenheiten, über die Summe der Dinge die Verhältniſſe des Orients und Occidents, des Kaiſerthums und des Papſtthums, der beiden vorwal - tenden Mächte unter einander, die Fortdauer der hierarchi - ſchen Gewalten oder das Emporkommen neuer kirchlicher Formen; und auch in dieſer letzten Hinſicht über die Beibe - haltung des Irgend-haltbaren oder eine totale Veränderung.

Wie nun aber am Tage liegt, daß alle dieſe Gegen - ſätze, ſo weltumfaſſend ſie auch ſind, doch hauptſächlich die deutſche Nation berührten, in ihr zuſammentrafen denn wir zunächſt hatten den Kampf mit den Osmanen auf dem Continent auszufechten, das Uebergewicht in Italien zu be - haupten, den religiöſen Streit zur Entſcheidung oder zum Austrag zu bringen, ſo kam nun für den Fortgang der Dinge alles darauf an, welche Haltung unſer Kaiſer in dem Getümmel ſo mannichfaltiger Bewegungen annehmen würde.

Bisher war ſeine Politik, nach den Nothwendigkeiten der verſchiedenen Momente, auf eine nicht immer zuſam - menſtimmende Weiſe geleitet worden; jetzt aber, da die Ent - ſcheidung um ſo viel näher gekommen, mußte ein Syſtem ergriffen und durchgeſetzt werden.

Wie oben bemerkt, der Wunſch der Deutſchen wäre geweſen, daß der Kaiſer ſich mit dem Widerſtande wider die Hierarchie verbündet, und von den friſchen Kräften der Na - tion unterſtützt, die Rechte des Kaiſerthums nach allen Sei -105Stellung des Kaiſers.ten hin wahrgenommen, den Barbarenſtaat die Donau hinunter zurückgewieſen hätte. Und mußte nicht der Kai - ſer in der That hiezu eine gewiſſe Hinneigung empfinden? Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie - derholt? War nicht in denjenigen deutſchen Fürſten, die auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichſte Ei - ferſucht gegen ſein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn darin gelegen hätte, ſich mit den populären Tendenzen zu verbünden, von deren unaufhaltſamen Um-ſich-greifen alle Briefe redeten, die ihm aus Deutſchland kamen, und die ſich nichts Beſſeres wünſchten als unter ſeinen Fahnen zu dienen?

Selten jedoch iſt ein Menſch fähig, in dem Kampfe entgegengeſetzter Weltkräfte ſich mit voller Freiheit für die eine oder die andre Seite zu entſcheiden; ich glaube nicht, daß ſich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutſchen Nation war es nicht beſtimmt, ſich unter der Führung eines gemein - ſchaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch ſeine perſönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik ſah ſich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünſchen entgegen - geſetzten Syſteme hingedrängt.

Die Erfahrung hatte ſo eben gezeigt, in welche gar nicht abzuſehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den Papſt ferner zu bekämpfen. Im Angeſicht einer unüber - windlichen Nothwendigkeit hatte er ſich zu einem nachgie - bigern Verhalten gegen denſelben, zu einer Verbindung mit ihm entſchloſſen.

106Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Es iſt merkwürdig, wie alle auswärtigen Verhältniſſe zuſammenwirkten, um ihn dabei feſtzuhalten.

Wir berührten ſchon, daß er der Ehre ſeines Hauſes wegen den Zweifel gar nicht aufkommen laſſen durfte, ob der Papſt befugt geweſen ſey, Heinrich VIII jenen Ehedis - pens zu geben, den dieſer jetzt ſelbſt für unſtatthaft erklärte.

In den nordiſchen Reichen offenbarten die Gegner, welche ſeinen Schwager Chriſtiern von da vertrieben hatten, eine ſtarke Hinneigung zu den Reformideen der Deutſchen, die ſogar in Schweden ſchon beinahe zur Herrſchaft gelangt waren. Wollte der Kaiſer ſeinen Schwager und den Einfluß des Hauſes Oeſtreich im Norden wiederherſtellen, ſo war das nur durch eine Verbindung mit den dem Katholicis - mus zugethan verbliebenen Elementen möglich.

Ferner aber: die Verbindung, in welche die reformir - ten Städte der Schweiz mit ihren Glaubensgenoſſen in dem benachbarten Oberdeutſchland traten, veranlaßte die katho - liſchen Cantone, ſich einen Rückhalt an dem Hauſe Oeſtreich zu ſuchen; ſie vergaßen die gleichſam ererbte Feindſeligkeit gegen daſſelbe und ſchloſſen in den erſten Monaten des Jah - res 1529 mit König Ferdinand einen förmlichen Bund ab.

Auch in dem Streite mit dem Woiwoden und deſſen Anhängern in Ungarn konnte es dieſem Hauſe nicht anders als ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn die Kirche ſeine Rechte anerkannte.

Und warf der Kaiſer die Augen auf das deutſche Reich ſelbſt, ſo konnte er nicht verkennen, daß ſeine Au - torität das Meiſte von einer Verbindung mit den geiſt -107Stellung des Kaiſers.lichen Fürſten zu erwarten hatte. Wir erinnern uns, wie angelegen es ſich ſchon Maximilian ſeyn ließ, die biſchöf - lichen Stühle mit ergebenen Leuten zu beſetzen, den geiſtli - chen Stand zu gewinnen. Um wie viel beſſer aber mußte dieß jetzt gelingen, ſobald die Biſchöfe, von den Ideen des Jahrhunderts in ihren geiſtlichen Gerechtſamen bedroht, an der kaiſerlichen Macht einen ſichern Rückhalt fanden. Bei der Bedeutung, welche dieſer hierarchiſche Beſtandtheil in der deutſchen Reichsverfaſſung noch behauptete, war es in der That kein geringer Gewinn denſelben für ſich zu haben. Ich könnte nicht urkundlich nachweiſen, daß Carl V dieſe Be - trachtung gemacht habe, allein ſie liegt zu nahe, als daß ſie ihm entgangen ſeyn ſollte. Wer weiß nicht, daß in ei - ner ſpätern Epoche mit der Auflöſung der geiſtlichen Für - ſtenthümer auch das Kaiſerthum zu Grunde gegangen iſt, Etwas Aehnliches hätte ſich ſchon damals erwarten laſſen. Das Kaiſerthum hatte nicht Wurzel genug, um ſich unter lau - ter weltlichen Gewalten, ſelbſt wenn ſie nicht alle erblich ge - weſen wären, zu behaupten, wenigſtens hätte dazu die größte Anſtrengung gehört; unendlich viel leichter war es, die her - kömmlichen Verhältniſſe zu benutzen. Nicht mit Unrecht ſagte Zwingli einmal, Kaiſerthum und Papſtthum ſeyen ſo enge in einander verflochten, daß man letzteres nicht be - kämpfen könne, ohne auch das erſte anzugreifen.

So geſchah es, daß die Politik des Kaiſers eine durchaus andere ward, als die deutſche Nation gewünſcht hatte. Er dachte auf Ausſöhnung mit dem Papſt Erhebung des Kai - ſerthums, aber lediglich auf den bisherigen hierarchiſchen Grundlagen Widerſtand gegen die Osmanen, aber ganz in108Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.dem gewohnten Sinne der lateiniſchen Chriſtenheit; zu den deutſchen Reformationsideen hatte er keine Sympathie; ſie waren ihm vielmehr widerwärtig und wir werden ſehen, wie er ſich entſchloß ſie zu beſeitigen.

Dazu wirkte in ihm vor allem, daß er ja nicht allein deutſcher Kaiſer war, ſondern König von Spanien. Er hatte die entſcheidenden Jahre männlicher Jugend, in denen der Menſch ſeine Lebensrichtung definitiv einſchlägt, in Spa - nien zugebracht und weſentliche Elemente der nationalen Ge - ſinnung in ſich aufgenommen.

Wäre der Katholicismus allenthalben in ſeiner tiefern Bedeutung erſtorben geweſen, ſo hätte er dem Sturme die - ſes Jahrhunderts erliegen müſſen.

Wie aber in einigen andern Theilen des romaniſchen Europa, ſo hatte er vor allem in Spanien lebendige Wurzel.

In Spanien war der Staat des Mittelalters, in wel - chem ſich Königthum und Prieſterthum durchdrangen, noch in vollen kräftigen Trieben.

Jener Kampf mit dem Islam, der ſo weſentlich zur Entwickelung dieſer Staats - und Kirchenform beigetragen, dauerte hier noch immer fort; man war noch fortwährend beſchäftigt, das Land zu chriſtianiſiren: man nahm ſich keine Gewaltſamkeit dabei übel. Im Jahre 1524 ließ ſich Carl von dem Eide entbinden, der ihn verpflichtete, die Mau - risken der Krone Aragon zu ſchonen. 1Breve des Papſtes vom 12. Maͤrz 1524 bei Llorente I, 427.Noch beſonders feuerte ihn der Sieg von Pavia an; er braucht in dieſer Beziehung einmal den Ausdruck, weil Gott ihm ſeine Feinde in die Hand gegeben, müſſe er die Feinde Gottes bekeh -109Spaniſcher Katholicismus.ren;1Bei Sandoval I, 673, uͤberhaupt hier unſerm Gewaͤhrsmann. zunächſt ſchritt er in Valencia zum Werke. Hier lebten noch 26000 mauriſche Familien, während man nur 22000 chriſtliche zählte; es kam zu einer Art von Krieg; nur dadurch konnten die Mauren auf der Sierra Espadan endlich beſiegt werden, daß man die Deutſchen an - rücken ließ, die dem Kaiſer nach Spanien gefolgt waren. Hierauf wurden die Moſcheen zu Kirchen gemacht; der Zehn - ten ward zu Gunſten der doppelſeitigen Hierarchie eingeführt. Von ſo viel Tauſenden, meint Sandoval, waren nicht Sechs, die ſich mit gutem Willen taufen ließen; aber wehe dem, der ſich nicht bei dem Anblick des Hochwürdigſten auf der Stelle niedergeworfen hätte! Die ſtrengſte Inquiſition wachte über ihr äußeres Bezeigen.

Wohl mochte das auch ſonſt nothwendig ſeyn. Noch 1528 entdeckte man unter den Mauren von Valencia einen Menſchen, der als der geheime König der Mauren betrach - tet wurde. 2Uno que se dize rey encubierto, que es nombre de baxa suerte, publican, que eran muchos con el que estaban deter - minados depassando el emperador de matar a la reyna Germana y el duque de Calavria su marido e levantarse por rey esto di - cho rey encubierto. Han fecho morir ata 50 hombres que se dezia ser de su lignage y tienen presos mas de ata ciento. Ad - vertimiento de la corte del empr. K. Biblioth. zu Paris, Samm - lung Bethune 8531 f. 110.Seine Abſicht ſoll geweſen ſeyn, ſich bei der erſten Entfernung des Kaiſers zu empören. Er ward mit ſeinem ganzen Stamme umgebracht.

Und in demſelben Sinne ward nun auch Amerika co - loniſirt. Hatte man nicht den Entdecker ſelbſt, wenn er nach Sevilla zurückgekommen, im Franciscanerhabit an den110Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.Proceſſionen Theil nehmen ſehn? Columbus hielt ſich für beſtimmt in den Ländern des Großchan, die er gefunden zu haben glaubte, den chriſtlichen Glauben auszubreiten. Wie oft ſpricht er die Abſicht aus, der Krone die Mittel zu verſchaffen, um das heilige Grab zu erobern. 1Humboldt, III, 260.So iſt denn auch in allen ſeinen Fortſetzern mit der Begier, reich, mächtig und berühmt zu werden, ein ſehr beſonderer Eifer, das römiſche Chriſtenthum auszubreiten, vereinigt. 2Prescott History of Ferdinand and Isabella III, 418 citirt eine hiefuͤr ſehr bemerkenswerthe Stelle von Gonzalo von Oviedo: who can doubt, that powder against the infidels, is incense to the Lord? Für die Krone war das eine Art von Nothwendigkeit: ihr ge - ſammtes Recht leitete ſie von dem römiſchen Stuhle her; das war die offizielle Doctrin, die ſie den Indianern verkündigen ließ. Sie übertrug das ganze lateiniſche Kirchenweſen, nur wo möglich noch prächtiger und reicher, auf die neue Welt.

Man dürfte das nicht ſo verſtehn, als ob Jedermann von dieſen Tendenzen durchdrungen geweſen wäre. Unter andern iſt es von Cortez merkwürdig, daß er die voll - ſtändige Uebertragung der Hierarchie nicht billigte; er wollte keine Biſchöfe, ſondern nur eine thätige niedere Geiſtlich - keit, eifrige Mönche; wobei er wohl ſelbſt an die Mittel dachte, die biſchöfliche Ordination entbehrlich zu machen. 3Bericht des Cortez 15. October 1524. Bei Koppe p. 487.Aber ſo mächtig war die Vorliebe für die Geſammtheit des Herkömmlichen, daß ſelbſt er, der Eroberer und Geſetzgeber, nichts dagegen ausrichtete.

Wohl war Spanien nicht ſo abgeſchloſſen von dem übrigen Europa, daß ſich die Beſtrebungen der neuernden Literatur gar nicht daſelbſt geregt hätten. Antonio von Le -111Spaniſcher Katholicismus.brixa verdient es z. B., neben Erasmus und Reuchlin ge - nannt zu werden. Auch er widmete ſeinen Fleiß den hei - ligen Urkunden, und gab ein Werk unter dem Titel heraus: Dreimal funfzig beſſer erklärte Stellen der heiligen Schrift. 1Quinquagenae tres locorum sacrae scripturae non vulga - riter enarratorum. Allein jene Inquiſition der Dominikaner, die in Deutſch - land nicht durchdringen konnte, herrſchte in Spanien un - bedingt. Der Großinquiſitor, Biſchof von Palencia, Diego Deza, nahm dem gelehrten Autor den größten Theil ſeines Buches weg, und verhehlte nicht, daß er denſelben damit von allem weiterem Schreiben über dieſen Gegenſtand ab - zuhalten gedenke. Dieſer Biſchof, behauptet man, hätte lie - ber die Urſprache der heiligen Schrift ſelber ausgerottet. Deza’s Nachfolger, Ximenes, war wie man weiß mit nich - ten ſo beſchränkt; er hatte Sinn für das Originale, deſſen durch keine Uebertragung zu erſetzende innere Kraft, und ging ſelbſt an die Herausgabe des Grundtextes in ſeiner Polyglotte. Allein der Vulgata, der angenommenen Ueber - ſetzung der lateiniſchen Kirche, maß doch auch er einen höchſt übertriebenen Werth bei. Er vergleicht den griechiſchen und den hebräiſchen Text, in deren Mitte er den lateiniſchen ab - drucken ließ, mit den beiden Schächern zur Rechten und Linken des Heilands;3Prologus ad lectorem. Medium autem inter has (den hebraͤi - ſchen und den griechiſchen Text) latinam beati Hieronymi translationem es iſt nicht in Abrede zu ſtellen,2Bonus ille praesul in tota quaestione sua nihil magis la - borabat, quam ut duarum linguarum, ex quibus religio nostra pen - det, neque ullum vestigium relinqueretur, per quod ad dignoscen - dam in rebus dubiis certitudinem pervenire possemus. (Apolo - gia pro se ipso. N. Antonii Bibl. Hisp. Nova I, p. 138.) 112Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.daß er die Worte der Septuaginta, ja ſogar den griechi - ſchen Text des neuen Teſtamentes nach der Vulgata abge - ändert hat; eine dogmatiſche Hauptbeweisſtelle, die ſich in keiner Handſchrift finden will, hat er wohl geradezu nur der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1Semlers genauere Unterſuchung der ſchlechten Beſchaffenheit des zu Alcala gedruckten griech. n. Teſtamentes 1766. Bei der Doxo - logie Matth. 6 ließen ſie weg, was, wie ſie meinten, obwohl es ſchon Chryſoſtomus geleſen, doch wohl ſchon damals ex corruptis origina - libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle iſt bekanntlich 1 Joh. 5, 7. Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron ſagt: videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis. Denn an dem re - cipirten Syſteme der lateiniſchen Kirche hätte man hier auch nicht die mindeſte Aenderung verſtattet. Es iſt ſehr merk - würdig, daß die Scholaſtik eben in unſerer Epoche, als ſie in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erſt emporkam. Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonſo von Cor - dova die nominaliſtiſchen, Francisco von Vittoria die rea - liſtiſchen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erſt durchzuſetzendes vor; ſie wollten die hohe Schule von Pa - ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte Franz Vittoria den größten Erfolg; den philoſophiſch-prak - tiſchen, moraliſchen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung; Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei - ſter; die vornehmſten ſpaniſchen Theologen ſind aus ſeiner Schule hervorgegangen. Es iſt ungefähr, wie ein großer Theil des allgemeinen Romanzenbuches ſeinen Urſprung erſt dem ſechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li -2velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive latinam ecclesiam collocantes. 2Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus. 113Spaniſcher Katholicismus.teratur dauerte die Herrſchaft der excluſiven Doctrinen der lateiniſchen Kirche ununterbrochen fort.

Und nothwendig brachte nun dieſer Zuſtand der herr - ſchenden Ueberzeugungen auch eine um ſo feindlichere Hal - tung gegen die Abweichungen der übrigen Welt hervor. Nicht allein, daß man hier die Verordnungen gegen Luther in aller Strenge ausführte; ſondern auch Erasmus, der Gunſt zum Trotz, welche ihm der Hof erwies, fand bei der mönchiſchen Gelehrſamkeit keine Gnade. Ein in beiden Sprachen ſehr wohl bewanderter Mann, Diego Lopez Zu - niga machte es gleichſam zum Zweck ſeines Lebens, die Neuerungen dieſes Autors zu bekämpfen. 1Auch er hielt an dem Vorzug der Vulgata feſt. Sciendum est, ſagt er von 1 Joh. 5, 7, Graecorum codices apertissime esse corruptos, nostros vero veritatem ipsam continere. Eben hier je - doch iſt die Vulgata ſelbſt interpolirt. Vgl. Griesbach App. 12.In der Faſten 1527 klagten ein paar Dominicaner den Erasmus, oder vielmehr, denn er ſelber war glücklicherweiſe außer dem Be - reiche ihrer Angriffe, ſeine Schriften förmlich bei der In - quiſition der Irrlehre an. Es ward ein Gericht niederge - ſetzt, und obgleich ſich dieſes nicht ſofort zu einem einmü - thigen Urtheil vereinigen konnte, ſo hielt ſich doch die In - quiſition für berechtigt, von jenen Schriften wenigſtens ei - nige, die Colloquien, das Lob der Narrheit und die Pa - raphraſe des N. Teſtaments zu verbieten. 2Llorente I, 459. Erasmi Epistolae 989. 1032. Er bezeich - net beſonders Peter von Victoria als ſeinen Gegner.

Es giebt überall eine geiſtige Atmoſphäre, deren Ein - fluſſe man ſich nicht entziehen kann.

Woher hätte namentlich dem jungen Kaiſer die ener - giſche Selbſtändigkeit des Geiſtes dazu kommen ſollen?

Ranke d. Geſch. III. 8114Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

In dem Brüſſeler Archiv findet ſich eine ſpaniſche Dia - tribe gegen Luther und Oekolampadius, die man dem Kaiſer eingab, um ihn gegen alle Einwirkung der neuen Meinungen zu befeſtigen. 1Siguense los errores de Luther y Colampadio su disci - pulo con la determinacion de l’iglesia. Die verſchiedenen Ar - tikel werden nach einander abgehandelt, z. B. Art. 3 wie oben; Art. 6 Santo es y justo commendarnos a los santos y adorar sus ima - gines. 7. La iglesia puede licitamente tener patrimonio y poseer bienes temporales. 8. Justa pena es por los hereges, que seen quemados. Darin wird vor allem das gute Recht der Kirche, bei Strafe einer Todſünde zu verpflichten, erhärtet; denn ohne dieß würde ein Jeder bloß ſeinem Belieben fol - gen wollen. Hierauf werden die angegriffenen Glaubens - artikel in aller ihrer Strenge verfochten, z. B. daß Ehe, Firmelung, Weihe, letzte Oelung Sacramente ſeyen, von Chriſtus eingeſetzt. Zum Schluß wird gezeigt, die gerechte Strafe der Ketzer ſey verbrannt zu werden.

Dieſe Geſinnung mußte ſich natürlich mit mehr oder minder Schärfe des Kaiſers bemächtigen.

Gleich bei der erſten Inſtruction ſeiner Geſandten an den gefangenen Papſt iſt von der Nothwendigkeit die Rede, die irrige Secte Luthers auszurotten. 2Bei Bucholz III, 99.In dem Vertrag vom 26. Nov. 1527 verſpricht demzufolge der Papſt ein Concilium damit die Kirche wiederum zu recht gebracht und die lu - theriſche Ketzerei ausgerottet werde. Schon im Frühjahr 1528 erſchien der kaiſerliche Vicekanzler, Propſt von Wald - kirchen, in Deutſchland, um die katholiſchen Tendenzen wie - derzubeleben. Er erklärte unter anderm in Augsburg, daß der Kaiſer eine Ungnade auf die Stadt geworfen, weil ſie die Religion verändert habe. Indem er von Hof zu Hof115Erſte Wirkung auf Deutſchland.reiſte, glaubte man nicht anders, als er wolle nun erſt ein Bündniß wider die Evangeliſchen zu Stande bringen. 1Stetten p. 308. Von der Lith p. 217.Al - lein auch mit dieſen Bezeigungen war der Papſt noch nicht zufrieden. Wir haben ein Schreiben Sanga’s vom Octo - ber 1528, worin er den Nuntius am kaiſerlichen Hofe an - weiſt, den Kaiſer auf das dringendſte aufzufordern, ſich der Religion mehr als bisher anzunehmen. Schon gehe man weiter als Luther gegangen, läugne bereits Abendmahl und Kindertaufe. Was werde die Nachwelt ſagen, wenn ſie einmal leſe, daß Deutſchland gerade unter dem größten Kai - ſer, den es ſeit vielen Jahrhunderten gehabt, ſich mit Ketze - reien erfüllt habe! 2Lettere di diversi, 56.

An dem guten Willen des Kaiſers ließ ſich nicht zwei - feln. Man brauchte nur die Executionen ins Auge zu faſſen, die in den Niederlanden, wo er Herr war, verhängt wurden. Erasmus der ihn kannte, war überzeugt, er werde nicht glau - ben Kaiſer zu ſeyn, wenn er das Lutherthum nicht dämpfe. 3Erasmi Epp. p. 963. In Hollandia mire fervet carnificina. Das klingt doch anders, als was Le Glay Correspondance de Maximi - lian et Marguerite II, p. 449 zur Entſchuldigung Margaretha’s bemerkt.

Je mehr ſich nun aber dieſe Idee in dem Kaiſer feſt - ſetzte, wohlverſtanden jedoch, nicht ohne daß er zugleich ein Concilium, eine Reinigung der Kirche von ſo viel ein - geriſſenen Mißbräuchen gefordert hätte, um ſo dringen - der ward es für den Frieden zu ſorgen.

Wir ſahen, wie kriegeriſch die Ausſichten noch im An - fange des Jahres 1529 waren.

8*116Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Allein das fortdauernde Glück des Kaiſers machte die neuen wie die alten Unternehmungen ſeiner Feinde zu Schan - den und brach ihren Muth.

Noch immer hatten Venezianer und Franzoſen den Ge - danken, Mailand zu erobern: von beiden Seiten rückten ſie im Frühjahr 1529 noch einmal gegen die Hauptſtadt heran: ſie rechneten auf die Erſchöpfung und den Unmuth der Bür - ger, und die geringe Anzahl der Truppen: ſie waren zu baldigem Angriff entſchloſſen.

Allein ſo eben zeigte ſich, was es auch für Mailand be - deute, Genua verloren zu haben. Der Kaiſer gewann dadurch den Vortheil, nicht ſo ausſchließend auf deutſche Hülfstrup - pen angewieſen zu ſeyn, wie früher. Er konnte jetzt ein paar tauſend Mann aus Spanien nach Genua ſchicken, die doch hernach, denn dazu beherrſchten die Feinde das Feld nicht entſchieden genug, nicht abgehalten wer - den konnten, nach Mailand vorzudringen. Es waren Leute von dem ſchlechteſten Ausſehn, ohne Schuhe und auch übri - gens halbnackt, ſchwarz und verhungert. Für den Kaiſer aber zeigten ſie ſich unſchätzbar. Seinem Befehlshaber, An - tonio Leiva, kamen ſie, wie ſie waren, höchſt erwünſcht. Leiva hatte ſich bisher hauptſächlich mit Deutſchen vertheidigt; er zählte ihrer im September 1528 bei 5000, Spanier nur noch 800;1Schreiben Leiva’s an den Kaiſer bei Sandoval II, 19. man kann denken, wie willkommen ihm eine Verſtärkung von Landsleuten war, die ſich um ſo tapferer ſchlagen mußten, je mehr ſie noch ihr Glück zu machen hatten.

Zuerſt ſahen nun die Verbündeten ein, daß ſie unter dieſen Umſtänden nicht ſtark genug wären, Mailand ernſt -117Italieniſcher Krieg 1529.lich anzugreifen. Sie entſchloſſen ſich es von ferne einzu - ſchließen, und ihm vor allem die Zufuhr abzuſchneiden. St. Pol hegte zugleich die Hoffnung, indem er ſich von Mailand entfernte, etwas gegen Genua auszurichten.

Eben dieſen Augenblick aber hielt Leiva für gün - ſtig, um einen Schlag auszuführen, wie er ihm öfter ge - lungen. Bei Nacht, ohne Trompeten und Trommeln ſetz - ten ſich ſeine Leute, weiße Hemden über dem Harniſch, in Bewegung; er ſelbſt, ſo ſehr ihn das Podagra plagte, wollte nicht fehlen; in voller Rüſtung, an der man einen wallen - den Helmbuſch nicht vermißte, ließ er ſich auf einer Sänfte daher tragen; es gelang ihm glücklich, die Franzoſen bei Landriano zu überraſchen, als ſie noch im Aufbruch begrif - fen waren, in einem Augenblick, wo St. Pol eben ein Haus abzubrechen befahl, um mit den Balken des Daches ein Stück Geſchütz hervorzuarbeiten, das im Schlamm ſtecken geblieben war. 1Fruͤh am 27. Juni; in sul passar dell Ambra. Varchi p. 214. Nach Leoni ruͤhrte der Verluſt daher, weil S. Pol den Rath des Herzogs von Urbino, das Geſchuͤtz vorausgehen zu laſſen und ſeine uͤbrigen Truppen in ein paar Colonnen zu vertheilen, von denen eine die andere unterſtuͤtzen könne, nicht befolgt habe. Vita di Fran - cesco Maria 414.Leiva erfocht einen vollkommenen Sieg; St. Pol und die vornehmſten Befehlshaber führte er gefangen mit ſich nach Mailand zurück.

In der Lombardei ward der Kaiſer hierdurch ſo gut Herr wie in Neapel. Wollte man ihn noch einmal bekäm - pfen, ſo hätten dazu neue gewaltige Anſtrengungen gehört, zu denen ſich Niemand mehr fähig oder geneigt fühlte.

Denn ſchon waren auf allen Seiten Friedensunter - handlungen angeknüpft. Eben in den Tagen der Entſchei - dung in Mailand kam man mit dem Papſt zum Abſchluß.

118Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Dem Papſt waren, wie wir wiſſen, die vortheilhaf - teſten Vorſchläge gemacht worden, wie über die deutſchen, ſo über die italieniſchen Verhältniſſe: er ſolle darüber zu ver - fügen haben; der Kaiſer werde in jeder Beziehung ſeinem Rathe folgen, ihm beſonders die kirchlichen Güter zurück - geben, unter ſeiner Vermittelung den allgemeinen Frieden ſchließen, und was dem mehr iſt: allein man dürfte nicht glauben, daß dieß allein auf denſelben gewirkt habe. Was ihn beſtimmte war zugleich die Furcht. Noch im April 1529 beſchwerte er ſich gegen den Cardinal Triulzio über den Ei - fer, mit welchem er von den kaiſerlichen Agenten zum Ver - trag gedrängt werde; er verſicherte, er würde nimmermehr darauf eingehn, wenn er nur Kräfte hätte, ihnen zu wi - derſtehen; aber er ſey von den Anhängern des Kaiſers auf allen Seiten umgeben, jeden Augenblick könne er einen neuen Anfall erfahren; er ſey im Grunde noch immer ihr Ge - fangener: er ſehe da keinen Unterſchied, außer etwa, daß er früher nicht habe davon gehen können, und dieß jetzt al - lenfalls auszuführen im Stande wäre; in der That müſſe er entweder fliehen, und den Kirchenſtaat dem Feinde über - laſſen, oder ſich mit demſelben auf die am wenigſten nach - theilige Art verſtändigen. Er drückte ſich ſo lebhaft aus, daß er den Cardinal vollkommen überzeugte. Ich weiß nicht, ſagt Triulzio, was S. Heiligkeit thun wird. Aber wenn er ja zum Abſchluß ſchreitet, ſo ſehe ich wohl, daß er es nur thun wird in Folge der Gewalt und bei den Haaren dazu gezogen. 1Lettera del Cardinale Triulzio a M. Hieronymo, Roma 9 Avr. 1529. Bibliothèque du roi, MS Bethune.

119Unterhandlungen mit dem Papſt.

Ich möchte zwar nicht behaupten, daß dieß das Ge - fühl geweſen ſey, was den Papſt während jener Unterhand - lungen durchaus beherrſcht habe, er wußte wohl, daß der Cardinal Triulzio, gegen den er ſo ſprach, ein Anhän - ger von Frankreich war; aber ſo ganz ohne Wahrhaftig - keit war er doch auch nicht, daß er es erheuchelt hätte; in der Regel unterdrückt mochte es ihn zuweilen übernehmen.

Dazu geſellten ſich aber auch Betrachtungen des eig - nen perſönlichen Vortheils. Die Verbindung mit dem Kai - ſer gewährte ihm die einzige Ausſicht, über ſeine Feinde in ſeiner Vaterſtadt Florenz Herr zu werden.

Eine Zeitlang zwar hatte er die Hoffnung gehegt, zu dieſem vornehmſten Begehren ſeines Herzens auf friedlichem Wege durch eine innere Umwandlung der Republik zu ge - langen: er ſtand wenn nicht unmittelbar doch durch einige Freunde mit dem Gonfaloniere Capponi in einer gewiſſen Verbindung. Durch Mäßigung der gegenſeitigen Anſprüche ließ ſich noch ein friedliches Abkommen zwiſchen der medi - ceiſchen und der republikaniſchen Partei erwarten.

Aber eben in dieſem Zeitpunkte erfolgte in Florenz eine entgegengeſetzte Bewegung. Eine exaltirte republikaniſche Partei, welche ſich unter ſo ganz veränderten Umſtänden doch die Meinung nicht entreißen ließ, daß ſie ſich jetzt ſo gut behaupten werde, wie früher, machte dem Gonfalo - niere eben jene Verbindungen und Abſichten zum Verbre - chen und bewirkte ſeine Abſetzung (April 1529), obwohl man ihn zuletzt von aller eigentlichen Schuld freiſprechen mußte. Seitdem kamen nur noch die entſchiedenſten Geg - ner der Medici in die Aemter: von dem Papſt redete man120Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.nur noch mit Haß und Verachtung; an eine Ausſöhnung mit demſelben war nicht weiter zu denken. Papſt Clemens VII gerieth in Ingrimm, wenn er daran dachte. Hatte man doch unter andern die Geſchichte von ſeiner unächten Geburt wieder hervorgezogen; man ſagte, er habe gar nicht das Recht gehabt, den päpſtlichen Stuhl zu beſteigen; man nannte ihn dort nicht mehr Papſt. 1Varchi Storia Fiorentina 208. Jovius Historiae 27, 45.In ſehr aufgeregter Stimmung traf ihn einſt der engliſche Geſandte. Clemens ſagte, er wolle lieber der Caplan, ja der Stallknecht des Kaiſers ſeyn, als ſich von ſeinen ungehorſamen Untertha - nen beſchimpfen laſſen. 2Casalis bei Herbert 233.Mit der Unmöglichkeit das Joch ab - zuwerfen, das man ihm auflegte, verband ſich in ihm Rach - ſucht und Ehrgeiz, die er auf eine andere Weiſe nicht be - friedigen konnte.

Am 29. Juni kam der Friede zwiſchen dem Kaiſer und dem Papſt zu Barcellona zu Stande. Der Papſt fand ſich in die Herrſchaft des Kaiſers in Italien. Er erneuerte die Belehnung mit Neapel und hob den dafür herkömmlichen Zins auf; die Darbringung des Zelters war das einzige was er ſich vorbehielt. Auch beſtand er nicht mehr gera - dezu auf die Aufrechthaltung Sforza’s in Mailand. Er gab zu, daß ein förmliches Gericht über Schuld oder Unſchuld deſſelben entſcheiden ſolle. Schon genug, daß dann der Kaiſer bei der neuen Beſetzung des Herzogthums nicht ohne ſeine Zuſtimmung verfahren zu wollen erklärte. Den kaiſerli - chen Truppen bewilligte er freien Durchzug von Neapel nach Toskana oder der Lombardei. Dagegen verſprach der Kai -121Friede von Barcellona.ſer nun auch den römiſchen Stuhl in den Beſitz der ihm von Ferrara und Venedig entriſſenen Landſchaften jedoch mit ausdrücklichem Vorbehalt der Rechte des Reichs, und die mediceiſche Familie in den Beſitz von Florenz wieder - herzuſtellen. 1Tractatus confoederationis inter Carolum V Imperatorem Romanorum et Clementem VII Romanum pontificem con - clusus bei Du Mont IV, II, 1.In die engſte Verbindung trat der Kaiſer mit dieſem Hauſe. Er ſagte ſeine natürliche Tochter dem jungen Aleſſandro Medici zu, an den die Herrſchaft in Flo - renz kommen ſollte. Denn ſo ſehr hatten ſich die Dinge geändert, daß der Kaiſer jetzt ſelbſt den Papſt gegen die unmittelbaren Wirkungen der Ligue in Schutz nehmen mußte. Aufs neue vereinte er ſich mit einem Papſt vom Hauſe Medici, wie im Jahre 1521. Allein welch ein Unterſchied gegen damals! Leo X hatte hoffen dürfen, in Mailand und Genua Herr zu werden, Ferrara zu erobern: Clemens VII mußte ſich begnügen, daß ihm durch fremde Hülfe der Kirchenſtaat wieder zurückgegeben, ſeine Vaterſtadt wieder - erobert werden ſollte.

Dieſer Anordnung der italieniſchen Angelegenheiten gin - gen nun noch andere Verabredungen zur Seite, obwohl ſie nicht eben alle in den Vertrag aufgenommen worden ſind.

Johann Zapolya, der bis jetzt die Gnade des apoſto - liſchen Stuhles genoſſen, ward nunmehr verlaſſen, und bald darauf mit den ſtrengſten kirchlichen Cenſuren heimgeſucht2Bei Katona XX, I, 551 die Klage Zapolya’s uͤber die Bulle, aus der er ſah, S. Sem me et incolas regni per censuras ecclesiasticas devovisse et a capite nostro Jesu Christo quod in ea erat resectos declarasse. In der engliſchen Sache vereinigte der Geſandte Ferdinands122Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.ſeine Bitten mit denen des kaiſerlichen. Schon hatte dort kraft der früheren Commiſſion der Proceß begonnen; aber der Papſt gab den beiden Brüdern das Wort, daß es zu keinem Urtheil kommen ſollte. Dagegen ſagten ſie ihm in der Religionsſache ihre Hülfe auf das unzweifelhafteſte zu. Der Kaiſer erklärt in dem Vertrage von Barcellona, auch ihm liege es am Herzen, daß der verpeſtenden Krankheit der neuen Meinungen ein Ziel geſetzt werde. 1Cum Caesareae Mti cordi sit, ut huic pestifero morbo congruum antidotum praeparari possit. Sollte es aber nicht möglich ſeyn, die Gemüther der Irrenden in Güte herbeizuziehen, ſollten ſie die Stimme des Hirten nicht - ren und hartnäckig bleiben, ſo werden, heißt es daſelbſt weiter, ſowohl der Kaiſer als der König von Ungarn und Böhmen, ihre ganze Macht gegen ſie in Bewegung ſetzen, und das Unrecht, das Chriſto zugefügt worden, nach Kräften rächen.

Einen ſo unerwarteten Umſchwung nahmen dieſe Er - eigniſſe. Der Kaiſer hatte ſeine Siege vornehmlich dem Antheil zu verdanken, den die lutheriſche Geſinnung ſeiner Sache in der deutſchen Nation verſchaffte. Nur durch dieß Uebergewicht zwang er den Papſt zum Frieden. In dem Vertrage jedoch, den der Kaiſer nun mit dem Papſte ſchloß, verſprach er demſelben die Ausrottung eben dieſer lutheri - ſchen Meinungen.

Indeſſen würde es auch jetzt noch nicht ſo weit ge - kommen ſeyn, hätte der Papſt nicht die Ausſicht und gleich darauf die Gewißheit gehabt, daß König Franz ſeinem Bei - ſpiele folgen und ebenfalls Frieden ſchließen würde.

123Unterhandlungen mit Frankreich.

Auch König Franz ging nur mit ſchwerem Herzen daran.

Bei den Unterhandlungen im Jahre 1527 hatte der Kaiſer ſchon nicht mehr ſo unbedingt wie früher die Zu - rückgabe ſeines Stammlandes gefordert, ſondern die Nei - gung gezeigt, ſich ſtatt deſſen mit einer Zahlung von zwei Millionen Scudi zu begnügen. Alles hatte ſich daran ge - ſtoßen, daß der König nicht auch Mailand und Genua auf - geben, ſeine Truppen überhaupt nicht aus Italien zurück - ziehen wollte. 1Ce qui a été dit en la communication tenue à Palencia bei Du Mont IV, I, 502.Es ſchien, als betrachte man in Frankreich die Wiedereroberung von Mailand als eine Pflicht und als eine Ehrenſache. Der Kanzler Du Prat hat erklärt, er werde ſich nie an den Schimpf gewöhnen, daß dieſes Land zur Zeit ſeiner Verwaltung der franzöſiſchen Krone verloren ge - gangen; habe er es ihr aber wieder verſchafft, ſo ſey er zu - frieden, in der nächſten Stunde darauf zu ſterben. 2Bellay 13 Juill. 1529. MS. Maitre de Barre ſagt ihm, daß dieſe Aeußerung, welche Margaretha und alſo auch der Kaiſer wiſſe, den Frieden verhindere. Sie lautet: puisque le roi avoit perdu Mi - lan, estant luy en administration des affaires, il aimeroit mieux la mort que de faillir à le luy faire recouvrer: cela fait il étoit con - tent de mourir une heure après.

Trotz alle dem war jetzt die Nothwendigkeit gekom - men, ſich dieſen Verluſt gefallen zu laſſen.

Einmal bot die Fortſetzung des Kriegs keine Ausſicht mehr dar. Selbſt die Anhänger des Königs in Italien brachten in Erinnerung, daß es unmöglich ſeyn werde, ein Heer ins Feld zu ſtellen, ehe der Kaiſer in Italien erſcheine; durch ſeine Verbindung mit dem Papſt werde derſelbe Herr in dem mittlern wie in dem obern und dem untern; Flo -124Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.renz werde ihm nicht zu widerſtehn vermögen; Venedig ſey durch den Uebertritt von Mantua ſelbſt gefährdet und könne auf nichts denken als auf die eigne Vertheidigung: ganz allein würde man es mit dem Kaiſer zu thun haben, und der habe nun einmal die tapferſten Truppen und die Gunſt des Glückes. 1Ottaviano Sforza al vescovo di Lodi. Molini II, 210. Vgl. Instruzione di Teodoro Triulzio Guido Rangoni et Joachim a Mess. Mauro da Nova; Venezia 15 Luglio bei Molini II, 219. In effecto quest impresa de tanta extrema importantia si deve extimare, quanta possa essere da l’onore al disonore o per me - glio dirlo dal vivere al morire de la prima corona, re et regno di Christianità.

Sodann aber war es auch dem Reiche und dem Hofe unerträglich, die Prinzen von Frankreich länger in Spanien zu laſſen. Zuweilen liefen von ihrer Geſundheit beunruhi - gende Nachrichten ein.

Indem man ſich noch rüſtete, die Italiener die per - ſönliche Ankunft des Königs hoffen ließ, einen Einfall in Deutſchland vorbereitete, mußte man doch zugleich auf Frie - den denken. 2Hieronymus Niger an Sadolet V. Cal. April. 1529 quo - tidie in ore habet (pontifex) divinum consilium suum, de pro - fectione ad Caesarem, et de pace publica, quo quidem consilio si integris rebus usus fuisset, non laboraremus. (Sadoleti Epp. lib. VIII, p. 323.)

In Rom war lange davon die Rede, daß der Papſt die Vermittelung übernehmen müſſe. Er ſollte an irgend einem Platze an der ſpaniſch-franzöſiſchen Gränze, etwa in Perpignan, die Sache perſönlich führen. Auch ſchien er dazu ſehr geneigt zu ſeyn; noch im März 1529 bezeichnete man die Galeeren, die ihn hinüberbringen ſollten. Zuletzt aber unterblieb das doch; die Sache kam in ganz andre Hände.

125Unterhandlungen mit Frankreich.

Schon früher nemlich finden wir einen geheimen Agen - ten Franz I in Spanien, durch den er ſich unmittelbar an ſeine Verlobte, Königin Leonora wendet, ihr ſeinen Wunſch erklären läßt, ſobald wie möglich die Hinderniſſe hinweg - geräumt zu ſehen, die ſich ihrer Vermählung entgegenſtellen, und ſeine ganze Sache mit dem Kaiſer in ihre Hände legt. Die Königin iſt wie man denken kann ſehr erfreut über dieſe Botſchaft; ſie verſichert, ſie habe immer auf den gu - ten Willen des Königs vertraut und damit ſey ſie über al - les bisher Geſchehene hinweggekommen. Man fragt den Agenten, ob er keine Aufträge an den Großkanzler habe. Er weigert ſich mit demſelben zu unterhandeln, weil der ein Mann ſey, welcher den Krieg liebe; wie ihm denn auch die Entfernung angeſehener Leute vom Hof, die daher ent - ſpringen, ſehr zu Statten komme die Königin Leonora verſichert ihn, es ſey jetzt ihre Sache, Niemand ſolle ſich einmiſchen: ſie werde allein den Abſchluß herbeiführen. 1Dechiffrement d’une depesche écrite d’Espagne Bibl. d. R. MS Bethune 8543 f. 182, ohne Datum, Ort, noch Unterſchrift. Vielleicht ſogar ſchon von 1527, auf jeden Fall von einer Zeit, in welcher die franzoͤſiſchen Prinzen in Gefangenſchaft waren. Elle me demanda, si vous vouliez mettre en sa main l’affaire d’entre vous et l’empereur; je luy ai dit que pour cet effet m’aviez de - pesché vers elle. Elle m’a dit, que la fiance quelle avoit toujours eu en votre bonne voulonté envers elle l’avoit tenue en bonne esperance et lui avoit fait porter patiemment tout ce qui avoit passé. Qu’elle vouloit mener cette affaire et que autre ne se meslat qu’elle, et c’estoit son propre fait.

Ich kann nicht genau angeben, in welche Epoche dieſe Miſſion fiel; bemerken wir nur, daß ſie den Verſuch ent - hält, die Unterhandlung den gewohnten Wegen, einem re - gelmäßigen Verfahren zu entziehen.

126Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

So wendete ſich nun auch jetzt Herzogin Luiſe, ohne Zweifel vornehmlich aus perſönlichen Motiven, denn bei der Gefangenſchaft ihrer Enkel wäre ihr ein neuer Kriegs - zug ihres Sohnes, der ſich faſt nicht vermeiden ließ, un - erträglich geworden, an die Gouvernante der Niederlande, Margaretha, die Tante des Kaiſers, und ſtellte ihr vor, daß es ihnen, den beiden nächſten ältern Verwandtinnen der ſtreitenden Fürſten, vor allen zukomme, deren Ausſöhnung zu verſuchen. 1Teneur du pouvoir, donné a l’archiduchesse: DM. IV, 2, 15.Auch Margaretha fand, die Erbitterung zwiſchen den beiden Fürſten ſey durch die langen Feindſe - ligkeiten, die Schriften die man gewechſelt, die ergangenen Herausforderungen, in einem Grade geſtiegen, daß es wohl nur ihnen, den Frauen, gelingen werde, eine Uebereinkunft zu Stande zu bringen. 2Ihre Aeußerungen bei Hormayr Archiv 1810 p. 108.Es ward ihr nicht ganz leicht, den Kaiſer zu gewinnen: wenigſtens hat ſie ſich ſpäter ein Verdienſt daraus gemacht. Endlich aber, am 8. April empfing ſie den vollſtändigſten Auftrag, der ſich denken läßt. Karl V verſprach bei ſeinem kaiſerlichen Wort, auf ſeine Ehre, unter Verpfändung ſeiner Güter, alles zu ge - nehmigen, worüber ſie abſchließen würde. Leichter ward es wohl Franz I, ſeine Vollmacht zu geben. Unter den Grün - den, weshalb nicht der König, ſondern ſeine Mutter die Unterhandlung führen müſſe, war es einer der vornehmſten, daß ſie nicht gleichſam perſönlich, wie er, Verpflichtungen3Als Procuratrix généralle et especialle avec plein pou - voir auctorité et mandement especiall pour et en nom de nous pour parler et finallement traiter et conclure bonne ferme sceure paix amitié ligue et conféderation. 127Friede von Cambrai.gegen die italieniſchen Mächte, Mailand, Florenz oder Ve - nedig übernommen habe.

Am 5. Juli zogen die beiden Damen von entgegen - geſetzten Seiten kommend, in Cambrai ein, und nahmen ihre Wohnungen in zwei durch einen bedeckten Gang verbunde - nen Häuſern, ſo daß ſie einander ſehen und ſprechen konn - ten, ohne bemerkt zu werden.

Die Unterhandlung konnte nicht ſehr ſchwer ſeyn, da man über die Präliminarien einverſtanden ſeyn mußte, ehe man ſie anfing. Frankreich verſtand ſich nun wirklich dazu, jene zwei Millionen zu zahlen, auf alle Rechte und Ver - bindungen in Italien Verzicht zu leiſten, endlich ſeiner Lehns - herrſchaft über Flandern und Artois zu entſagen. Dage - gen ließ auch Carl V einige freilich weit weniger bedeutende Anſprüche, z. B. auf Peronne und Boulogne fallen, und gab fürs Erſte die Eroberung von Burgund auf. 1In ſeinem Gegenbericht von 1536 bemerkt der Kaiſer jedoch, daß er wohl damals urſach und gewalt gehabt haͤtte, noch groͤßers und mehrers von ihm (dem Koͤnig) zu begeren und abzunehmen, die - weil ich damals zu waſſer und zu land ſighaft von Gott und mit treffenlicher ruͤſtung gefaßt und vil ſterker denn er geweſen bin.Das Prinzip, welches in Europa überhaupt herrſchte, die ver - ſchiedenen Staaten zu ſondern, einen von dem andern un - abhängig zu machen, war auch bei dieſem Friedensſchluſſe zu bemerken. Indem Frankreich ſeine auswärtigen Unter - nehmungen aufgab, blieb es doch in ſeinem Innern unan - getaſtet. Burgund und Valois ſetzten ſich nach ſo langen blutigen Kriegen endlich auseinander. Burgund hatte zwar nicht alle ſeine Prätenſionen erreicht, aber es war doch in unermeßlichem Vortheil. Es war ihm gelungen, das Haus128Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.ſeiner Nebenbuhler, es ringsum einſchließend, auf Frank - reich allein zu beſchränken.

Wohl dürfte man nicht glauben, es ſey nun damit alles beendigt geweſen. Franz I hat gegen den Vertrag von Cambrai, ſo gut wie gegen den Madrider proteſtirt. Er iſt dabei geblieben, Aſti und Mailand ſeyen ſein und ſeiner Kinder unveräußerliches Erbtheil, Genua gehöre ihm an, unmöglich könne ein erſt durch die eigne, dann durch die Gefangenſchaft ſeiner Kinder ihm abgezwungener Ver - trag ihn verpflichten. 1Protestation du roy François contre les traités de Ma - drid et de Cambray. So lautet der Titel der bei Du Mont ab - gedruckten Urkunde in der Sammlung von Dupuy 179.Als die Verification deſſelben im Parlamente vor ſich gehen ſollte, proteſtirte der General - procurator Maitre Franz Rogier feierlich dagegen; denn die Gewaltthätigkeit eines Lehnsmannes gegen ſeinen Lehns - herrn habe denſelben bewirkt, er ſtreite gegen die Grund - geſetze des Reiches. 2Protestation du procureur général DuM. IV: II, 52, nr. 39.Allein in dieſen Proteſtationen liegt nur der Ausdruck des Gefühls, daß man der Gewalt, und zwar ſehr ungern weiche; ſie ſind ein Vorbehalt für die Zukunft, der für den Augenblick nichts bedeutet und ganz unbemerkt bleibt.

Zunächſt war Jedermann glücklich, daß der Friede wirklich zu Stande gekommen. In allen Punkten, wo man nicht eine ausdrückliche Veränderung beliebt hatte, deren es doch im Ganzen nur vier gab, war der Madrider Ver - trag beſtätigt worden; ſie wurden jetzt beide mit einander ausgerufen und in die Staatsregiſter eingetragen. Sehr bezeichnend iſt der Brief, mit welchem Herzogin Luiſe ihrem129Friede von Cambray.Sohne den Abſchluß ankündigte: die Sicherheit ſeiner Per - ſon, ſchreibt ſie ihm, welche aus dem Frieden entſprungen, den Gott ihnen gegeben, ſey ihr lieber, als ihr eignes Le - ben;1Lettre de Madame au roi après le traité de Cambray. Bethune 8471. Copie. La seureté, Monseigneur, en la quelle je cognois votre personne par la paix que j’estime plus que ma propre vie. in der perſönlichen Gefahr, in die ſich der König zu ſtürzen im Begriff geweſen, lag eins der vornehmſten Motive ihrer Bemühungen. Die Niederländer wußten ſich viel damit, daß ein ſolcher Act von ihrer Regentin ausge - gangen; bei einem Mittagsmahl ward der franzöſiſche Ab - geordnete gefragt, ob man das dieſer Dame wohl zuge - traut habe, ob man in Frankreich damit zufrieden ſey. Der Franzoſe hob hervor, daß auch ſeinem Könige einiges Verdienſt zukomme: auf das bloße Wort der Erzherzogin habe er 15000 Landsknechte, mit denen er einen entſchei - denden Schlag hätte führen können, aus ſeinen Dienſten entlaſſen. 2De la Pommeraye au connetable 17 Sept. 1529. Beth. 8610.Vor allem war der Papſt erfreut; er fand nicht Worte genug, um die Dienſte zu preiſen, welche Luiſe der öffentlichen Sache geleiſtet. Zu beſonderer Genugthuung gereichte ihm, daß die Mitglieder der Ligue, über die er ſich zu beklagen hatte, bei dem Vertrag nicht berückſichtigt worden. Allen Beſtimmungen deſſelben zum Trotz, glaubte er doch an keine lange Dauer der Herrſchaft des Kaiſers. Zu den franzöſiſchen Proteſtationen paßt es ſehr gut, daß Cle - mens VII zu verſtehn gab, wenn der König nur erſt ſeine Söhne wieder habe, ſo werde ſich gegen alle andern Uebel ein Heilmittel finden laſſen. 3Lettre de Raince 12 Aôut 1529. Surtout ne pourroit

Ranke d. Geſch. III. 9130Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Und noch einen andern Grund der Zufriedenheit hatte der Papſt. In den Verhandlungen wie in dem Tractat erſchien der König ſo gut wie der Kaiſer als ein Gegner der religiöſen Neuerungen. In ſeiner Vollmacht führt Franz I unter den Gründen ſeiner Friedensliebe an, daß er die Ketze - reien unterdrücken wolle, die in der Chriſtenheit aufkom - men, damit die Kirche verehrt werde, wie es ſich zum Heile der Seelen gebühre. 1Pour extirper les heresies qui pullulent en la Chrestienté et que l’eglise soit reverée et honorée ainsi qu’il appertient pour le salut de nos ames. DuM. II, IV, p. 16.In dem 43ſten Artikel des Friedens heißt es, daß Kaiſer und König entſchloſſen ſeyen, den heiligen Stuhl in ſeinem Anſehn und ſeiner Würde zu erhalten, wie es ihrem kaiſerlichen und königlichen Stande zukomme. Unter den beſtätigten Artikeln des Madrider Ver - trags war auch der, in welchem der König dem Kaiſer ſeine Hülfe wider die Ketzer nicht minder, als gegen die Türken zuſagte.

So glücklich entging der Papſt bei ſeiner Pacification mit dem Kaiſer der Gefahr, welche ihm gedroht hatte, mit Frankreich brechen zu müſſen. Der Kaiſer legte Bei - den die nemliche Nothwendigkeit auf, unter deren Einfluß ſie ſich dann wieder begegneten.

3etre plus content, qu’il est de ce, qu’il entend qu’on a eu me - moire de luy et semble qu’il ayt quelque advis que aucuns des confederes soient aucunement (einigermaaßen) demeurés en der - riere; que luy confirme la satisfaction en quoi il est autant ou plus que nulle autre chose et fait bien compte, s’ils vouloient aller le chemin qui sera requis, que delivrés et retournés en France Messrs que à tout se aura bon remède.

131Friede von Cambray.

Auch mit England ward in Cambray unterhandelt. Heinrich VIII hatte jedoch zuletzt an dem Kriege ſo wenig ernſtlichen Antheil genommen, daß ſein Friede nur als ein Anhang zu dem franzöſiſchen erſchien; in der engliſchen Ge - ſchichte wird er kaum erwähnt. Es war ſchon genug, daß Frankreich die Schulden, welche der Kaiſer bei dem König contrahirt hatte, von jenen zwei ſtipulirten Millionen zu zahlen übernahm. 1Vgl. Commissio ad tractandum de jocalibus recipiendis bei Rymer VI, II, 19. cum oratoribus ſagt Franz I Angliae regis, pro omnibus obligationibus absque pignore contractis con - venimus.

Nichts deſto minder hatte die Wendung der Dinge den größten Einfluß auf England, ſie rief eine Cataſtro - phe hervor, die für den Augenblick und für immer von unberechenbarer Wirkung geweſen iſt.

Wir wiſſen, unter welcher Conjunctur politiſcher Um - ſtände der engliſche Hof die Idee der Eheſcheidung des - nigs gefaßt hatte.

Im Anfang des Jahres 1528 hoffte Wolſey alles von dem Einfluß des franzöſiſchen Hofes auf den römiſchen Stuhl und von deſſen Dankbarkeit und Rückſicht für Eng - land. Der Papſt war im Grunde der Meinung, der - nig würde am beſten thun, wenn er ohne ſo viel zu fra - gen eine zweite Frau nähme, und alsdann den apoſtolichen Stuhl zu richterlicher Entſcheidung auffordere;2Casalis 13 Jan. 1513 bei Fiddes p. 461. Quia nullus do - ctor in mundo est, qui de hac re melius decernere possit, quam ipse rex; itaque si in hoc se resolverint, ut pontifex credit, statim committat causam (in England), aliam uxorem ducat, litem se - quatur, mittat pro legato. der Geiſt9*132Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.buchſtäblicher Geſetzlichkeit, den England ſchon damals be - herrſchte, ließ das jedoch nicht zu; der König wünſchte die Legitimität der aus einer neuen Ehe zu erwartenden Nach - kommen im Voraus geſichert zu ſehn; von dem, der ge - bunden hatte, wollte er auch gelöſt ſeyn. Wolſey hoffte, daß die Fortſchritte der Ligue den Papſt hiezu vermögen würden. Mehr als einmal forderte er den König von Frankreich auf, eben ſo viel für die Auflöſung der Ehe zu thun, wie England für die Herausgabe der Kinder von Frankreich: er möge nur dem Papſt erklären, daß er die Sache Heinrichs VIII für gerecht halte, und daß, wenn man ſie zu Rom abſchlage, er ſo gut wie dieſer ſich für beleidigt halten und es niemals vergeſſen werde. Wohl wußte Franz I, wie viel Wolſey ihm in England werth war. Wolſey erinnerte denſelben, er werde verloren ſeyn, wenn dieſe Sache nicht durchgehe, allzuſtarke Verſicherungen habe er dem König darüber gegeben. 1Bellay à Montmorency 22 Mai 1528, en la quelle (l’af - faire du divorce) s’il ne s’employoit tant et si avant, qu’il von - droit faire pour le recouvremt de Mss les enfans il pourroit étre sur, d’avoir causé a mon d. Sr le legat une totale ruine, pour les grandes asseurances qu’il en a toujours baillé à son dit maistre. Und in der That hätte der Papſt ſelbſt, z. B. bei Lautrecs Annäherung nur[recht] ernſt - lich angegangen zu werden gewünſcht: er würde ſich dann mit einer Art von moraliſchem Zwang bei dem Kaiſer haben entſchuldigen können. Allein es ſcheint nicht, als hätten die Franzoſen für nützlich gehalten, ſo weit zu gehn. Sie2D. Knigt bei Herbert 218: The Pope thinketh he might by good colour say to the emperor, that he was required by the english ambassadeurs et Mr de Lautrech to proceed in the business133Verhandlungen zwiſchen Rom und England.hatten den Gedanken noch nicht aufgegeben, die engliſche Prinzeſſin Maria, die präſumtive Erbin des Reiches, mit einem ihrer Prinzen zu vermählen. 1Bellay erwaͤhnt dieß Motiv in einer Depeſche vom 8. Nov. Er traͤgt fuͤr ſeine Perſon Bedenken, die Nullitaͤt der Ehe mit Ca - tharinen zuzugeben, weil man ſich dieſes Bekenntniſſes bedienen koͤnne, ou le mariage de Mr. d’Orleans tireroit. Aucuns de deça disent, que, quoique on fasse, qui espousera la princesse sera aprês roi d’Angleterre.

Da man nun weder ohne den Papſt vorſchreiten wollte, noch auch Anſtalt machte, ihm Zwang anzuthun, ſo kam es zu diplomatiſchen Verhandlungen, die ihrer Na - tur nach zweifelhaft ſeyn mußten, ſo lange es die Ereig - niſſe waren.

Die engliſchen Abgeordneten, die ſich im März und April 1528 in der Nähe des Papſtes aufhielten, täuſchten ſich nicht darüber. Alle Schwierigkeiten, aller Verzug, ſa - gen ſie, auf die wir in dieſer Sache ſtoßen, kommt ledig - lich von Furcht her: wir finden bei Jedermann ſo viel Neigung als möglich die Sache zu fördern, aber man be - ſorgt, wenn man dem König eine ungewöhnliche Vergün - ſtigung gewährt, ſo könne dieß zu einer neuen Gefangen - ſchaft führen, wofern der Kaiſer den Platz behält. 2Gardiner a. Fox Orviet the last day of March bei Strype Ecclesiastical Memorials. Tom. V p. 402. that if there were any thing doon novum et gratiosum agaynst the emperors purpose, it should be materia novae captivitatis. Die Geſandten machten noch einmal einen Verſuch, Furcht mit Furcht zu bekämpfen. Eines Tages ſtellten ſie dem Papſt vor, er werde den einzigen Fürſten verlieren, der ihm noch wahrhaft zugethan ſey, wie Wolſey einſt ſich ausgedrückt, nicht allein den König von England, ſon -134Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.dern den Vertheidiger des Glaubens; dann werde das ſchon gebeugte Papſtthum vollends zuſammenbrechen, zu allgemeiner Freude. Der Papſt war nicht unempfänglich für dieſe Gefahr; unter lebhaften Geſticulationen ging er in dem Zimmer auf und ab, und es dauerte eine Weile, bis ſeine Bewegung ſich legte. 1Dieſelben; Monday in Esterwoke ibid. 423. Auch dem franzoͤſiſchen Geſandten ließ der Papſt 8. April hoffen, qu’entre cy et demain prendra quelque bonne forme de conclusion, qui pourra satisfaire au roy l’Angleterre. Raince bei Le Grand III p. 190.Er trat wirklich den Eng - ländern einen Schritt näher. Er ernannte den Cardinal Campeggi, der ohnehin im beſten Vernehmen mit Hein - rich VIII ſtand und von deſſen Abgeordneten dazu vorge - ſchlagen war, zum Legaten von England, und gab ihm die Erlaubniß, zugleich mit Cardinal Wolſey die päpſtliche Dis - penſation, auf welche ſich die Ehe Heinrichs VIII gründete, nach Befinden für wirkſam oder für unwirkſam, die Ehe ſelbſt für gültig oder für ungültig zu erklären. Er that dieß im Anfang des Juni 1528, als die Sachen der Franzoſen vor Neapel noch vortrefflich ſtanden. 2Commiſſion Viterbii VI Junio (8. Juni) abgedruckt bei Her - bert p. 233.Man hatte ihm ver - ſprochen, wenn er den Legaten ſende, werde man die Ve - nezianer bewegen, ihm ſeine Städte herauszugeben. 3Man ſieht das aus dem Briefe von Caſalis bei Burnet: History of the Reformation Records II, nr. 17. Der Papſt ſagt den Geſandten: vos scire volo, promissum mihi fuisse, si legatns hic in Angliam mitteretur, futurum ut mihi civitates a Venetis re - stituerentur.

Bald hierauf aber erfolgte die Niederlage Lautrecs vor Neapel; wir ſahen, welchen Umſchwung die päpſtliche Po - litik hierauf augenblicklich zu Gunſten des Kaiſers nahm.

135Verhandlungen zwiſchen Rom und England.

Schon am 2. September ward Campeggi erinnert, daß, ſo verpflichtet ſich auch Seine Heiligkeit dem König von England fühle, ſie doch auch auf den ſiegreichen Kai - ſer Rückſicht zu nehmen habe, und ihm nicht neuen Anlaß zum Bruch geben dürfe, was nicht allein den Frieden ver - hindern, ſondern auch zum äußerſten Ruin des Kirchen - ſtaats gereichen würde. 1Sanga an Campeggi, Viterbo 2. Sptr. 1528. Paͤpſte I, 126.

Im October 1528 kam Campeggi in England an. So ſtark auch zuweilen die Ausdrücke waren, deren er ſich gegen den Kaiſer bediente, ſo zeigte ſich doch gar bald, daß er nichts Ernſtliches wider ihn vornehmen würde. Er er - mahnte noch zuweilen den König, zuweilen Wolſey, von ihrem Vorhaben abzuſtehen. Eine Bulle, mit welcher Wol - ſey dem geheimen Rathe des Königs den guten Willen des Papſtes zu beweiſen hoffte, weigerte er ſich ſchlechterdings vorzuzeigen;2Pallavicini laͤugnet lib. II, c. XV die Exiſtenz dieſer Bulle, welche Guicciardini behauptet hatte. Allein man braucht nur den ſchon erwaͤhnten Bericht von Caſalis uͤber ſeine Verhandlungen mit dem Papſt im December 1528 zu leſen, um alle Zweifel fahren zu laſſen. S. D. N. injecta in meum brachium manu, dixit bullam decretalem dedisse, ut tantum regi ostenderetur concremaretur - que. Burnet. Records II, 17, p 42. Was nun aber dieſe Bulle ent - hielt, iſt natuͤrlich nicht auszumachen, da ſie Niemand geſehen hat, als der Koͤnig und Campeggi. Da moͤchte ich denn freilich den Ver - ſicherungen Guicciardinis auch nicht glauben. er hat ſie wahrſcheinlich ſelber verbrannt; bei jedem Schritte machte er Miene, nach Rom zu recur - riren. Die Meinung, die ſich allmählig Bahn brach, da eine Vermählung mit des Bruders Wittwe im alten Teſta - mente verboten worden, ſo ſey das ein Fall, wo der Papſt gar nicht dispenſiren könne, verwarf er mit großer Lebhaf -136Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.tigkeit. Er wollte nicht ſagen hören, daß die Macht des Papſtes auf irgend eine Weiſe beſchränkt ſey. Es blieb nur übrig zu beweiſen, daß jene Dispenſation nicht gehö - rig begründet geweſen. Aber auch dabei fanden ſich un - überſteigliche Schwierigkeiten, da die Königin worauf alles ankam fortwährend behauptete, ihre Ehe mit dem Bruder Heinrichs ſey nie vollſtändig vollzogen worden. Sie hatte ſo viel Würde und Haltung, daß man ihr das allgemein glaubte. Auch verſäumte ſie nicht das Rechts - mittel der Proteſtation gegen die beiden Richter, die ſie für parteiiſch erklärte, zu gebrauchen.

Während dieſer Zögerungen aber ſchloß ſich der Papſt beſonders ſeit jenen florentiner Ereigniſſen immer enger an den Kaiſer an, der die Sache ſeiner Tante für ſeine eigne erklärte. Im Mai 1529 fürchtete der engliſche Abgeord - nete, die Commiſſion der beiden Cardinäle werde förmlich widerrufen werden. 1Bellay: 17. Nov. 1528.

Wahrſcheinlich war dieß der Grund, weshalb der - nig, ohne länger zu zögern, die Verhandlungen in aller Form eröffnen ließ.

Am 31. Mai 1529 fingen ſie an, aber ſchon unter dem 29ſten ward Campeggio von Rom aus angewieſen, ſo langſam wie möglich vorzuſchreiten, und auf keine Weiſe das Urthel ergehen zu laſſen. 2Gardiner 4 Mai. Which was confirmed by divers other letters from our agents. Herbert p. 232.Er führte dieß wörtlich aus. Es war zu nichts als zu Vorbereitungen und For -3Sanga al Cl Campeggio 29 Maggio 1529. Sua Beatitu - dine ricorda, che il procedere sia lento et in modo alcuno non si venghi al giudicio. Lettere di principi II. 137Bruch zwiſchen Rom und England.malitäten gekommen, als Campeggi am 28ſten Juli die Sitzungen bis auf den 1ſten October verlegte. Er nahm die Ferien der Römiſchen Rota auch für ſich in Anſpruch.

Als nun der Papſt ſeinen Frieden mit dem Kaiſer ge - ſchloſſen, blieb ihm noch immer Zeit, den Proceß aus Eng - land an die Tribunale der Curie zu avociren.

Am 9ten Juli eröffnete der Papſt den engliſchen Ab - geordneten, es ſey die allgemeine Meinung der Römiſchen Rechtsgelehrten, daß die Avocation bei der Lage der Dinge nicht mehr abgeſchlagen werden könne. Die Geſandten ver - ſäumten nichts, um ihn davon zurückzubringen. Er erwie - derte ihnen, er ſey rings von der Macht des Kaiſers um - geben, der ihn nicht allein nöthigen könne, zu thun was Rechtens ſey, ſondern in deſſen Händen er ſich befinde. Ich ſehe, ſagt er, die Folge ſo gut voraus wie ihr; aber ich bin zwiſchen Hammer und Amboß. Wenn ich dem - nig gefällig bin, ziehe ich den verderblichſten Sturm über mich und die Kirche herbei. 1Burnet aus den Depechen des Geſandten p. 76.

Am 18. Juli ward der Friede zwiſchen Kaiſer und Papſt in Rom ausgerufen. Am 19ten meldete der Papſt dem Car - dinal Wolſey, daß er zu ſeinem großen Schmerze ſich genö - thigt ſehe, die Sache von England an die Curie zu avociren.

Wolſey hatte Heinrich VIII immer verſichert, ſeine große, ſeine geheime Angelegenheit ihm in Rom durchſetzen zu kön - nen: jetzt ſah ſich der König ſelber nach Rom citirt, und zwar, was ihn noch beſonders verdroß, bei einer nahm - haften Geldſtrafe;2The K. Highness supposeth that it should not er wollte das ſeine Unterthanen nicht wiſſen laſſen; er fand ſeine Würde dadurch beleidigt.

138Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Ueberdieß aber hatte ihm Wolſey auch verſichert, daß ſich Frankreich niemals von ihm trennen werde. Noch im Mai 1529 wollte er nicht glauben, daß dieß geſchehe; leb - haft ergriff er jedes Gerücht einer neuen Entzweiung und gründete Pläne darauf; allein zuletzt geſchah es denn doch.

Die Politik Wolſeys, die auf eine Vereinigung zwi - ſchen England, Frankreich und dem Papſt berechnet war, ſcheiterte vollkommen.

Gewiß wäre es für jeden Miniſter ſchwer geweſen, nach einem ſo vollſtändigen Mißlingen ſich länger zu hal - ten; für Wolſey entſprangen aber aus den übrigen Ver - hältniſſen ſeiner Stellung noch beſondere Gefahren.

Man muß wiſſen, daß alle ſeine anti-öſtreichiſchen Maaßregeln ſo in dem geheimen Rathe des Königs wie in der Nation Widerſtand fanden. Jede Feindſeligkeit gegen die Niederlande war in England unbeliebt; einſt konnten die über den Friedensbruch mißvergnügten Kaufleute des eignen Landes nur durch eine Art von Zwang dahin ge - bracht werden, die Märkte nach wie vor zu beſuchen. Der König ſelbſt war hauptſächlich dadurch überredet worden, daß ihm Wolſey einen unmittelbaren pecuniären Vortheil aus der Allianz nachwies. Der Cardinal ſtellte oft dem franzöſiſchen Geſandten vor, welch eine große Gewandtheit, wie er ſich ausdrückte, ſchreckliche Alchemie dazu gehöre, ſeinen Gegnern Widerſtand zu leiſten. Aber jetzt waren2be nedeful any such letters citatorial, conteyning matier pre - judicial to his persone and royal estate to be showed to his sub - jects. Gardiner to Wolsey 4 Aug. Statepapers I, p. 336.1Bellay 16. Februar 1528, bei Le Grand, Hist. du divorce, III, p. 84.139Fall Wolſey’s.alle ſeine Kräfte erſchöpft. Selbſt die allmählig zur herr - ſchenden Leidenſchaft gewordene Neigung des Königs, von Anna Boleyn einen Erben zu haben, hatte der Cardinal zuletzt beleidigt; es iſt wohl nicht zu läugnen, daß er am Ende, als er ſah die Sache werde nicht durchzuſetzen ſeyn, dem Könige ſelbſt gerathen hat, davon abzuſtehn. Aber damit hatte er die ganze Partei, welche Anna ſchon für ſich gewonnen, ihren Vater, der zum Marquis von Ro - chefort ernannt worden, erbittert; eben kam Suffolk aus Frankreich zurück, der ſchon dort ſich ihm wenig günſtig gezeigt, und nun in offenbaren Zwiſt mit ihm gerathen;1Nach einem Schreiben Bellays vom 29. Mai war der Koͤ - nig vom Cardinal uͤberredet, qu’il n’a tant avancé le mariage, qu’il eust fait, s’il eust voulu. Bei Le Grand p. 313. Norfolk war nie ſein beſonderer Freund geweſen.

So geſchah es, daß Wolſey fiel. Im November 1529 ward ihm das Siegel genommen: im December ward er ſchuldig befunden, die Privilegien des Reichs durch unge - bührliche Legatengewalt verletzt zu haben: weder die wie - derbeginnende Unterſtützung der Franzoſen, noch wie Nor - folk ſich ausdrückt, der Rath ſeiner Sternſeher konnten ihn ſchützen.

Die Bewegung, welche Wolſey veranlaßt, hatte ſchon eine innere Kraft gewonnen, der er ſelber unterlag.

Wir werden darauf zurückzukommen haben, welch mäch - tigen Fortgang ſie nahm; denn unaufhörlich ward unſer Deutſchland davon berührt. Zunächſt war es für den Kai - ſer ſchon von hoher Bedeutung, daß er des verhaßten Fein - des entledigt war. Mußte doch dieſer Feind ihn ſelber un - terſtützen. Wolſey ſoll den Papſt noch aufgefordert haben,140Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.den König von England zu excommuniciren, weil das Volk ſich alsdann gegen denſelben empören würde. 1Vgl. die Auszuͤge aus dem Schreiben von Chapuis an Carl in Hormayrs Archiv 1810 p. 131. Der Joncquim, deſſen dort ge - dacht wird, iſt wohl kein anderer als der Genueſe Johann Joachim, der auch ſonſt oft vorkommt.Aber auch ohnedieß ward England durch dieſe Sache ſo lebhaft in ſich ſelbſt beſchäftigt, daß es an den allgemeinen Verwickelun - gen zunächſt wenig Theil nehmen konnte.

Hatte der Kaiſer Frankreich und den Papſt zum Frie - den genöthigt, ſo behielt er auch in Bezug auf England freie Hand. Eben darauf kam es ihm jetzt vor allem an. Er trug Sorge auch noch eine andre Streitigkeit zu beſei - tigen, die im entfernten Orient zwiſchen Caſtilien und Por - tugal ausgebrochen war. Beide Kronen glaubten Anſpruch auf den Beſitz der Molukken machen zu dürfen, und hat - ten militäriſche Beſatzungen dahin geſendet. Zwiſchen dieſen war es dort zu lebhaften und mörderiſchen Feindſeligkeiten gekommen, die ſchon in den Eingebornen den Gedanken erweckten, die Einen ſo gut wie die Andern zu verjagen. Noch kannte man nicht die volle Bedeutung dieſer Inſeln. Carl V entſchloß ſich ſeine Anſprüche fallen zu laſſen. Die Portugieſen kauften ihm dieſelben um 350000 Duc. ab, und machten ſich anheiſchig, ihm dieſe Summe in kurzen Friſten zu bezahlen. 2Herrera Historia de las Indias Diec. IIII, lib. V, p. 117.

Carl war nunmehr entſchloſſen, wenn wir nicht ſagen wollen zur Vollführung weiterer Plane, doch gewiß zu vollſtändigerer Ergreifung ſeiner großen Stellung, ſich nach141Der Kaiſer in Italien.Italien und Deutſchland zu begeben. In Italien wollte er die Krone empfangen: nach Deutſchland rief ihn, wie er ſich in ſeinem Ausſchreiben ausdrückte, die Betrach - tung, daß ein großer Theil des Reiches in Gefahr ſey, nicht allein ſich von der Einheit der römiſchen Kirche zu trennen, ſondern auch von den Türken überzogen und er - obert zu werden. 1Sandoval II, p. 25.

Am 27. Juli 1529 ſtieg der Kaiſer zu Schiff; am 9. Aug. langte er zu Savona, am 12. zu Genua an.

Ueberaus mächtig, jedoch nicht, wie die alten Kaiſer, allein durch deutſche Kräfte, ſondern durch eine wunder - bare Combination des Südens und des Nordens, erſchien er an den Grenzen des alten Reiches. In ſeinem Gefolge finden wir alle die berühmten Namen der caſtilianiſchen Geſchichte: Mendoza, Guzman, Pacheco, Manrique, Zuniga, Toledo, Cueva, Rojas, Ponce de Leon; jedes große Haus hatte gleichſam ſeinen Repräſentanten geſchickt; der Glän - zendſte von allen war Alvarez Oſſorio, Marques von Aſtorga; Navareſen, Catalanen, Aragoneſen ſchloſſen ſich an. Schon hatte Antonio de Leiva dafür geſorgt, daß auch Mailand nicht mehr in deutſchen, ſondern in ſpaniſchen Händen war. Die Reichsgewalt, die ſich in dem Kaiſer darſtellte, bekam durch dieſen Einfluß fremder Elemente einen ganz neuen, romaniſchen, nunmehr ſehr katholiſchen Charakter Sah man dieſen Hof nur an, ſo konnten ſeine Intentionen nicht zweifelhaft ſeyn.

Und ſchon hatte ſich in Deutſchland eine Entwickelung vollzogen, die denſelben begünſtigend entgegenkam.

[142]

Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im J. 1529.

Seitdem der Reichstag im Jahre 1526 ſelbſt daran verzweifelt hatte, allgemein verbindliche Maaßregeln in re - ligiöſer Hinſicht durchzuſetzen, hatte es zu keiner nachhal - tigen und wirkſamen Reichshandlung weiter gebracht wer - den können.

Die Geſandtſchaft an den Kaiſer, die man damals beſchloſſen, war unter nichtigen Vorwänden zurückgehalten worden. Wenigſtens ſächſiſcher Seits behauptete man zu - verſichtlich, daß dieß lediglich in Folge geheimer Betrei - bungen der geiſtlichen Stände geſchehen ſey. Bei den da - mals noch wachſenden Irrungen zwiſchen Kaiſer und Papſt ſchienen ſie zu fürchten, die kaiſerliche Entſcheidung möchte zu ihrem Nachtheil ausfallen.

Eine Fürſtenzuſammenkunft zu Eßlingen im Dec. 1526 bezog ſich nur auf die Vertheidigung gegen die Osmanen; die Beſchlüſſe, welche ſie faßte, waren weder an ſich be - deutend, noch ward ihnen die mindeſte Folge gegeben.

Im Mai 1527 kam ein Reichstag zu Regensburg zu143Reichshandlungen 1528.Stande, aber er war ſo ſchlecht beſucht, daß die Verſam - melten ſich nicht einmal für befugt hielten, Gegenſtände, welche ausdrücklich an ſie verwieſen worden waren, vorzu - nehmen, z. B. jene Geſandtſchaft, ſondern den Beſchluß faßten, ſich überhaupt keiner Handlung zu unterziehen. 1Ich bemerke daß der Auszug aus dieſem Abſchied bei Haͤ - berlin XI, 46 dem Inhalt deſſelben (Reichsabſchiede II, 185) nicht eben ſehr adaͤquat iſt.

Auf den März 1528 war ein neuer Reichstag nach Regensburg ausgeſchrieben: allein noch immer waren die Anhänger des Papſtes nicht ohne Beſorgniß vor den Be - ſchlüſſen der verſammelten Stände; zuerſt verſchob König Ferdinand die Eröffnung der Verſammlung vom März in den Mai;2Neudecker Actenſtuͤcke I, 26. dann erſchien ein Edict des Kaiſers, welches ſie, ohne viel Gründe anzugeben, nur, wie die Worte lauten, aus merklichen Obligen und Ehaften geradezu verbot. 3Abkuͤndigung in den frankfurter Acten vom 10. April, die jedoch in Deutſchland noch immer zur rechten Zeit eintraf.Vom päpſtlichen Hofe aus hören wir, das man da eine nicht gute Beſchlußnahme gefürchtet habe. 4Sanga a Castiglione: Lettere di diversi autori p. 56. Pru - dentemente pensò, poter facilmente essere, che ne succedesse qualche non buona determinatione.

Jene packiſchen Unruhen waren eben ein Symptom dieſer Nichtigkeit der Reichsgewalt.

Jetzt aber hatte ſich die Lage der Dinge geändert. Die Siege des Kaiſers, ſeine allmählig ſich erneuernde Ver - bindung mit dem Papſt äußerten, ſo entfernt er auch war, eine unmittelbare Rückwirkung auf Deutſchland. War nicht eben die Entzweiung der beiden höchſten Gewalten, das144Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Schwanken der allgemeinen Verhältniſſe für Aufkommen und Feſtſetzung der religiöſen Reformen von entſcheiden - dem Einfluß geweſen? Eben ſo gefährlich mußte nun der Umſchwung der Dinge denſelben werden. Ich berührte ſchon die Thätigkeit Waldkirchs. In Strasburg hat er die Adlichen, die im Rathe ſaßen, mit Verluſt ihrer Lehen bedroht, wenn ſie ſich der Abſchaffung der Meſſe nicht wi - derſetzen würden. 1Roͤhrich Geſch. d. Reform. im Elſaß I, 360.Im October 1528 forderte nun der Papſt den Kaiſer förmlich auf, ſich der Sachen der Reli - gion auf einem demnächſt zu haltenden Reichstage kräftiger anzunehmen, als bisher. Schon verwerfe man, woran auch nur zu zweifeln ein Verbrechen ſey, Abendmahl und Kin - dertaufe. Fürs Erſte laſſe ſich wenigſtens dafür ſorgen, daß das Uebel nicht weiter um ſich greife. Und ſo erging denn auch noch am letzten Tage des November das Ausſchreiben zu einem neuen Reichstage auf den 21. Febr. 1529 nach Speier. Die Stände wurden bedeutet, daß man keine Rückſicht auf die Ausbleibenden nehmen, mit den Anweſenden nichts deſto minder zu Berathung und Beſchluß ſchreiten werde. 2Der Druck des Ausſchreibens ſetzt den 1ſten, die Nachſchrift den 21ſten feſt. Und wo yhr in zehen Tagen, den nechſten nach dem benannten angeſetzten Tag nicht erſcheinet, ſo wird nichts deſt - minder durch gedacht unſer Potſchafft und Comiſſari mit den anwe - ſenden Stenden gehandlet und beſchloſſen in allermaſſen als ob ihr und andre ſo aus geringen Urſachen auspleyben moͤchten, entgegen (zugegen) geweſt waͤren. Welchs alles wir feſt ſtet und crefftig in - maſſen als ob alle Stend die an - und abweſenden darin bewilligt haͤt - ten achten und vollziehen wollen.Als Gegenſtände der Verabredungen machte man die Rüſtung gegen die Türken, die gewaltigen Handlungen, die wider145Reichstag zu Speier 1529.den Landfrieden vorgenommen worden und vor allem die Religionsneuerungen namhaft.

Und dießmal war es nun Ernſt auf allen Seiten. Die kaiſerlichen Commiſſarien erſchienen zur beſtimmten Zeit: die Stände trafen ſehr zahlreich ein.

Kaum waren ſie aber beiſammen, ſo ſah man auch, wie ſehr ſich ihre Meinung und Tendenz verändert hatte.

Die geiſtlichen Fürſten waren in größerer Anzahl zu - gegen als ſonſt; Die welche nicht perſönlich kamen, hatten an ihrer Stelle die Eifrigſten von ihren Beamten geſchickt, z. B. der Biſchof von Coſtnitz denſelben Faber, deſſen au - ßerordentlich wirkſame politiſch-religiöſe Thätigkeit in den ſchweizeriſchen Irrungen wir oben wahrnahmen. Es war wohl nicht ohne Bedeutung, daß der kaiſerliche Commiſſar Waldkirch zum Coadjutor von Coſtnitz ernannt worden war. Unterweges hatte Faber bei Erasmus eingeſprochen, und ſich auf eine Weiſe ausgedrückt, daß dieſer nichts als Krieg und Gewaltthaten erwartete. 1Erasmi Epistolae II, 1220.Wir wiſſen wie ſo man - cher weltliche Fürſt den Haß der Geiſtlichen gegen die Neue - rungen theilte. Der ſchwäbiſche Bund war durch die letz - ten Gewaltſamkeiten des Landgrafen in ſeinem anti-evange - liſchen Syſtem noch mehr beſtärkt worden. Er ſchloß ſo eben den Abgeordneten von Memmingen aus dem Bundes - rath aus, weil Memmingen die Meſſe abgeſchafft hatte und ſich zu den Meinungen Zwingli’s bekannte. Auch einige neue Anhänger hatte das katholiſche Prinzip gewonnen. Herzog Heinrich von Meklenburg, der bisher für evangeliſch ge - golten, ſtimmte jetzt mit ſeinem Sohne Magnus, BiſchofRanke d. Geſch. III. 10146Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.von Schwerin, der ſich den Veränderungen heftig wider - ſetzte. Der Churfürſt von der Pfalz, ehedem ſo gut wie einverſtanden, verbot jetzt ſeinen Leuten, die Predigt zu be - ſuchen. Man glaubte, er werde von ſeinem Bruder, Pfalz - graf Friedrich, der ſich aufs neue Hoffnung auf eine öſtrei - chiſche Prinzeſſin machte, dazu beſtimmt. Pfalz, heißt es in einem Schreiben aus Speier, kennt kein Sachſen mehr.

Unter dieſen Umſtänden, von einer ihren Wünſchen ent - ſprechenden Stimmung umgeben, konnten nun die kaiſerli - chen Commiſſarien in ihrer Propoſition 15. März mit einem Antrag von entſcheidendem Inhalt hervortreten. 2 Damit aber etc. heißt es in der Propoſition, ſo hebt J. Kaiſ. Maj. angezaigten Artikel, wie der in gedachten Ab - ſchied begriffen iſt, hiemit auf, caſſirt und vernichtet denſelben, jetzt als dann, dann als jetzt alles aus Kaiſerlicher Machtvollkommenheit. Muͤller Hiſtorie von der evangeliſchen Staͤnde Proteſtation und Appellation p. 22.

Indem ſie ein Concilium mit größerer Beſtimmtheit als früher, da nun auch der Papſt damit einverſtanden ſey, ankündigten, und dabei die alte Frage berührten, wie es bis zu demſelben gehalten werden ſolle, ſchlugen ſie vor, jenen Artikel des Abſchieds von 1526, kraft deſſen alle bis - herigen Neuerungen unternommen worden, weil er zu gro - ßem Unrath und Mißverſtand Anlaß gegeben, förmlich zu widerrufen und ihn gegen eine andre, geradezu entgegenge - ſetzte, die geiſtliche Obrigkeit begünſtigende Anordnung zu vertauſchen.

Es war das wohl ein Gedanke, den die meiſten Alt -1Beſorg, ſchreibt Jacob Sturm an Peter Buͤtz, Mitte Maͤrz, wie ich die Perſonen, ſo hie ſind anſehe, es werd nitt vil zu erlan - gen ſinn. In Summa, Christus est denuo in manibus Caiphae et Pilati, bei Jung: Geſch. des Reichstags zu Speier, Beil. nr. 4.147Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.gläubigen hegten. Wenigſtens finden wir in der Inſtruc - tion, die Herzog Georg von Sachſen ſeinem Geſandten an den Reichstag mitgab, daß auch er in jenem Artikel die Urſache aller Irrungen ſah. 1Denn dieweil es ein Jeder ſol machen wie er wil und ge - gen Gott und kaiſ. Maj. vornimmt zu verantworten, ſo kann kein Einigkeit ſeyn. Inſtr. im Dresdner Archiv.Er fordert, daß denſelben Maaß geſetzt werde, namentlich, daß ſich Statthalter und Regiment Kaiſ. Maj. ihrer Gewalt nicht ſo ganz begeben.

Zunächſt ward nun ein Ausſchuß zur Begutachtung der Propoſition niedergeſetzt.

Darin hatten die Altgläubigen, wie es nicht anders zu vermuthen war, auf der Stelle die Oberhand. Von den churfürſtlichen Stimmen war nur die ſächſiſche evangeliſch; unter den neun fürſtlichen waren fünf geiſtliche, drei welt - liche entſchieden katholiſch: wie Faber, ſo ſaß auch Leon - hard von Eck darin, der die Reaction in Baiern geleitet. Da konnte es denn wenig Zweifel geben. Schon am 24. März erklärte ſich der Ausſchuß mit dem Vorſchlag ein - verſtanden, und fügte nur einige nähere Beſtimmungen hinzu. Wer bis jetzt das Wormſer Edict gehalten, ſolle dieß auch ferner thun. In den Landſchaften, wo man davon abgewichen, ſolle man doch keine weitere Neuerung machen, und Niemandem verwehren, Meſſe zu halten. Kein geiſt - licher Stand ſolle ſeiner Obrigkeit, Rente und Gült entſetzt werden dürfen, bei Acht und Aberacht. Die Secten end - lich, welche dem Sacramente des wahren Leibes und Blu - tes widerſprechen, ſolle man ganz und gar nicht dulden, ſo wenig wie die Wiedertäufer. Mit dieſen Erläuterungen ward das Gutachten an die Stände gebracht.

10*148Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be - ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es ihr aus dem Ausſchuß zukam.

Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte, als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer - den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.

Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den[Land - ſchaften] beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha - nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin - ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini - niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen. Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf - öſung des eben Gegründeten?

Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände - rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli - chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,149Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.Prediger zu ſetzen oder abzuſetzen, an ſie zurückkam. 1Fuͤrſtenberg Mitwoch nach Quaſimodogeniti 7. April: Es werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeſchlichen, die den Staͤdten als den man ufſetzig und gefer iſt nit treglich noch leidlich ſeyn; mit Na - men daß man niemand an ſeiner Oberkeyt und Herkommen vergwel - tigen ſoll, damit wird den Geiſtlichen, ſo ſolcher Artikel angenom - men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu ſetzen und zu entſetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an - zurichten. Frankf. Acten.Wie hätte man dabei einen Augenblick länger beſtehen können?

Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in beſtem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge - zögert, weil ſie von dem Reichstage noch irgend ein neues ausdrückliches Zugeſtändniß, z. B. die Erlaubniß beider Geſtalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei dem Hergebrachten unbedingt und auf immer feſtzuhalten.

Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie - den des Reiches geradezu ausgeſchloſſen.

Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab - ſchiede auch nicht ausdrücklich angewieſen wurden, in den Schooß der verlaſſenen Kirche zurückzukehren, ſo iſt doch un - läugbar, daß, wenn ſie ihn annahmen, die noch in den An - fängen ihrer Bildung begriffene evangeliſche Welt dadurch in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte.

Da war nun die Frage, ob man ſich dieß gefallen laſſen müſſe, ob ein Beſchluß der Mehrheit der Reichs - ſtände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich ſey.

Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn auf geſetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi - ges Daſeyn gepflanzt worden iſt, darf alsdann die geſetzliche Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders conſti -150Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.tuirt, die Befugniß in Anſpruch nehmen, das Gegründete wieder umzuſtürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr das zum Daſeyn Gelangte nun auch das Recht, zu ſeyn, ſich zu vertheidigen?

Die Reichsgewalt hatte ſich in einem frühern Zeitpunkt unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen; mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel - nen Territorialgewalten übergegangen; war ſie nun wohl berechtigt, das was in Folge dieſer ihrer Delegation ge - ſchehen, nachdem ſie zu größerer Energie gelangt, wieder zu zerſtören? Niemand könnte dieß zugeben; ſonſt würde bei dem natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beſchließenden Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes ſelbſt das Lang - hergebrachte in Frage geſtellt werden können. Nichts würde ſeines Daſeyns einen Augenblick ſicher ſeyn. Denn wo - durch unterſchiede ſich dem Prinzipe nach das neu zu Stande Gekommene, in den Kreis der Geſetzlichkeit Aufgenommene, von dem Althergebrachten, Länger-beſtehenden?

Hier war nun noch beſonders bedenklich, daß von ei - ner der wichtigſten jener Anordnungen der Erlaubniß der Meſſe weder in Propoſition, noch Commiſſion, noch Ausſchreiben etwas verlautet war. 1Auszug aus der Beſchwerungsſchrift bei Muͤller p. 33.Landgraf Philipp wollte der Mehrheit der Stände nicht zugeſtehn, über die Ge - biete der Minderheit ſo tief in ihr Inneres eingreifende Be - ſchlüſſe faſſen zu dürfen, ohne deren Beiſtimmung.

Wie Heſſen, ſo erklärten ſich Chur-Sachſen, Lüneburg, Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.

Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache151Widerſpruch der Evangeliſchen.auf. Ihre Abgeordneten in dem Ausſchuß bemerkten, wie Faber beſonders dadurch auf die Fürſten gewirkt, daß er die gefährlichen Folgen jenes früheren Zugeſtändniſſes her - vorhob und übertrieb. 1Matthias Pfarrer bei Jung nr. VII. Der Doctor Faber bildt mit ſolcher Unworheit und Luͤgen in die Fuͤrſten was der Ler gefolgt hab und noch folgen werd, das do frilich in keines menſchen gedanken ich geſwige thun file und verbittert die Fuͤrſten mit ſolchen Reden.Dieſem Argumente ſetzten ſie nun die Bemerkung entgegen, daß es eben dem letzten Abſchiede zu verdanken ſey, wenn ſeitdem in Deutſchland Ruhe ge - blieben. Wolle man aber ſo ernſtliche Satzung in die - ſen geſchwinden Zeiten vornehmen, ſo müſſe Zertrennung und unbeſchreibliche Beſchwerde daraus erfolgen. 2Der erbern Frei und Reichsſtaͤte Geſandten Bedenken (8. April) bei Jung nr. 26.Noch waren ſie alle einmüthig, die, welche katholiſch geblieben, mit denen, die evangeliſch geworden. Die erwähnte Entgegnung iſt ihr gemeinſchaftliches Werk. Vergebens hielt Pfalzgraf Friedrich den Evangeliſchen vor, daß ſie ja dem kaiſerlichen Edict ungehorſam, ihre Neuerungen mehr zu Unfrieden, als zu Gottes Ehre dienlich ſeyen; ſie entgegneten: was ſie gethan, ſey nicht dem Kaiſer zuwider geſchehn, ſondern nur um den Frieden unter den Ihren zu erhalten und um des Gewiſſens willen; Empörung könne Niemand we - niger leiden, als eben ſie. König Ferdinand ſelbſt bat ſie zwei oder drei Mal, das vorgetragene Gutachten zu billi - gen, der Kaiſer werde ihnen das zu allen Gnaden geden - ken; ſie antworteten ihm, ſie würden dem Kaiſer in alle dem gehorſam ſeyn, was zur Erhaltung des Friedens und zur Ehre Gottes diene. 3Fuͤrſtenberg Montag nach Quaſimodogeniti (7. Apr.) Key -

152Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

So überwiegend auch die Majorität ſeyn mochte, ſo ſchien es ihr doch nicht gut, ſich um einen ſo ſtarken Wi - derſpruch ganz und gar nicht zu kümmern. Beſonders hat - ten ſich die Städte bei dem Artikel von der geiſtlichen Ge - walt wider das Wort Obrigkeit geſetzt, das im Abſchied von 1526 ſorgfältig vermieden worden. Auch der Ma - jorität ſchien es am Ende beſſer, dieſes Wort wegzulaſ - ſen, und wie früher nichts als die Entziehung der Renten Zinſen und Güter zu verbieten. Doch fügte ſie hinzu, daß Niemand eines andern Standes Verwandte und Untertha - nen wider denſelben in Schutz nehmen ſolle. 1So iſt es in den Abſchied gekommen § 10. Unterthanen und Verwandte.Allein auch dieſe Faſſung ſchien der evangeliſchen Minorität unzuläſſig. Sie fürchtete, wenn man die Worte genau nehme, werde ein Biſchof die Prediger als ſeine Untergebenen und Ver - wandten betrachten dürfen; man werde ſie dem Reichsab - ſchied zufolge ihm ausliefern müſſen, eine Pflicht, die man lange vor dieſen Neuerungen verweigert habe; ſchon vor 40 Jahren habe das Frankfurt dem Erzbiſchof Berthold abgeſchlagen. Ueberdieß war dieß nur ein einziger Punkt, und ſie hatten ſich über ſo viele andre zu beſchweren.

Da aber die Majorität unerſchütterlich blieb, ſollte nun wohl die evangeliſche Partei einen Beſchluß zu geſetzlicher Kraft gelangen laſſen, der ſie mit dem Verderben bedrohte?

Schon am 12. April erklärte der ſächſiſche Geſandte Minkwitz in voller Reichsverſammlung, daß ſie das nicht3ſerlich Maj. begeren halber wiren ſie urbittig, weß ſie zu der ere Gottes, auch frieden und ruhe dienlich gehelfen mochten, ſollt man ſie allerunterthaͤnig gehorſam ſpuͤren.153Widerſpruch der Evangeliſchen.thun würde. Er führte hauptſächlich die religiöſen Gründe auf. In Sachen des Gewiſſens dürfe man überhaupt der Majorität nicht Statt geben; wie komme aber vollends der Reichstag dazu, eine Lehre, die von einem Theile der Stände für chriſtlich gehalten werde, noch vor allem Con - cilium, auf das ſo oft provocirt worden, für unchriſtlich zu erklären? man werde ſich das auf der andern Seite nicht gefallen laſſen, man werde z. B. nicht darin willigen, daß Denen, welche das Edikt von Worms bisher gehalten, ge - boten werde, dabei zu bleiben: denn damit würde man in gewiſſem Sinne die eigene Lehre verdammen Die Gleich - geſinnten waren hocherfreut, daß ſie ihre Sache ſo eifrig führen ſahen. 1Fuͤrſtenberg: Er habe ihre Sache mit hoͤchſtem Ernſt weid - lich und zum Beſten herausgeſtrichen. Minkwitz forderte die Reichsſtände noch auf, an dem früheren Beſchluſſe feſt zu halten; ſey er gemiß - braucht worden, was auf der evangeliſchen Seite wahrhaf - tig nicht geſchehen, ſo könne man dem durch eine Declara - tion abhelfen. Er verſprach, daß man alsdann auch auf dieſer Seite den übrigen Beſchlüſſen anhangen werde.

Allein es war alles vergebens.

Am 19. April erſchienen König Ferdinand, Waldkirch und die übrigen Commiſſarien in der Verſammlung der Stände, dankten ihr für ihre chriſtlichen getreuen und em - ſigen Dienſte und erklärten ihre Beſchlüſſe für angenommen, ſo daß man ſie nur in die Form eines Abſchiedes zu bringen habe. Den Churfürſten von Sachſen und deſſen Anhän - ger mit ihren Eingaben und Widerreden verwieſen ſie le - diglich darauf, daß doch jene Beſchlüſſe altem löblichen154Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Gebrauch nach durch den mehrern Theil der Churfürſten und Fürſten gefaßt worden, ſo daß auch die übrigen ſich den - ſelben zu unterwerfen haben würden. 1Vermeinter Beſcheid, ſo koͤnigl. Durchlauchtigkeit etc. haben vorleſen laſſen in dem Inſtrumentum Appellationis bei Muͤller p. 72.Die evangeliſchen Fürſten, durch eine ſo völlig abſchlägliche Antwort, die wie eine Zurechtweiſung ausſah,2Sie nennen es faſt eine angemaßte Weiſung. und nun, wie ſie vor allen Ständen verleſen worden, zu den Acten des Reiches ge - legt werden ſollte, traten einen Augenblick in ein Nebenzim - mer, um ſich unverzüglich zu einer Antwort zu vereinigen. Allein der König und die kaiſerlichen Commiſſarien waren nicht gemeint, dieſelbe zu erwarten. Auf die Bitte der Für - ſten, ſich einen kurzen Verzug nicht beſchweren zu laſſen, antwortete König Ferdinand: er habe einen Befehl von kai - ſerlicher Majeſtät: den habe er ausgerichtet und dabei müſſe es ſein Verbleiben haben: die Artikel ſeyen beſchloſſen;3Erzaͤhlung in dem Appellationsinſtrument p. 75 und in dem Schreiben der Strasburger Geſandten 21. April bei Jung nr. 44. hierauf verließ er ſammt den Commiſſarien das Haus. Durch die Mißachtung ihrer Würde und ihrer Rechte, die in dieſem Verfahren lag, noch mehr gereizt, beſchloſſen nun die evangeliſchen Stände, einen Gedanken auszuführen, den ſie ſchon einige Wochen früher, ſo wie ſie ſahen, welche Wendung die Geſchäfte am Reichstag nehmen würden, ge - faßt hatten. Rückgängig machen ließen ſich, wie vor Au - gen lag, die Beſchlüſſe der Verſammlung nicht; ſich ihnen unterwerfen, hieß das eigene Daſeyn aufgeben. Sie beſchloſſen das Rechtsmittel der Appellation zu ergrei - fen. Noch in derſelben Sitzung erſchienen ſie, zwar nicht155Proteſtation.mehr vor König und kaiſerlichen Commiſſarien, aber noch immer vor verſammelten Ständen, und ließen die Prote - ſtation verleſen, die ihnen den Namen der Proteſtanten ge - geben hat.

Darin hoben ſie nun beſonders den reichsrechtlichen Geſichtspunkt hervor. 1Ein allgemeiner juridiſcher Grund, den ſie anfuͤhren iſt: daß auch in menſchen Handlungen und Sachen das mirer wider das minder nicht fuͤrdruͤcken moͤcht, da die Sachen nit ir vil in ein gemein, ſundern ieden ſunderlich belangt. Muͤller p. 114.Sie erklärten, daß ſie nicht ver - pflichtet ſeyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächſt zu Speier gemachten Abſchied zu ſchreiten, den man mit ſo ſtarken Clauſeln gegenſeitiger Verſprechungen bekräftigt und gemeinſchaftlich verſiegelt habe; das Vorhaben der übrigen Stände, denſelben einſeitig aufzuheben, ſey machtlos, nich - tig und in Rückſicht auf ſie unverbindlich: ſie würden fort - fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abſchiedes, mit ihren Unterthanen in Hinſicht der Religion ſich ſo zu verhalten, wie ſie es gegen Gott und den Kaiſer zu verantworten ge - dächten. Laſſe man ſich nicht abhalten, den Abſchied nach den genommenen Beſchlüſſen zu verfaſſen, ſo möge man auch dieſe ihre Proteſtation demſelben einverleiben.

Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem ſehr merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück - ſicht abgefaßt. Die Stände werden lieben Herren Vet - tern, Oheime, Freunde, genannt; ſorgfältig ſondernd titu - lirt man ſie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter - ſcheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge - ſinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick ſeine fürſtliche Würde aus den Augen ſetzt, bittet man die Geg -156Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.ner doch, das Verfahren zu dem man ſich genöthigt ſieht, nicht falſch zu verſtehen; das wird man um die Einen freundlich verdienen, und gegen die Andern mit günſtigem Willen erkennen. Die Actenſtücke dieſes Jahrhunderts ſind gewiß weit entfernt, ſchön oder claſſiſch genannt werden zu können, aber ſie ſind den Umſtänden angemeſſen und haben Charakter; wie die Menſchen ſelbſt, ſo alles was ſie thun.

Der König, dem dieſe Proteſtation mit einigen Zu - ſätzen des andern Tages übergeben ward, hielt es nicht für gut ſie anzunehmen; aber ſie hatte doch den größten Eindruck gemacht; daß ein Reichstag in ſo offenbarer Ent - zweiung endige, ſchien wohl gar zu unmittelbarem Unfrie - den führen zu können; noch am 20ſten erſchienen, im Auf - trag der Mehrheit Heinrich von Braunſchweig und Philipp von Baden, um eine Vermittelung zu verſuchen.

Und ſehr merkwürdig ſind die Punkte, über welche ſie ſich hiebei mit den Evangeliſchen vereinigten.

Sie gaben zu, daß der Artikel über die Gerechtſame der Geiſtlichkeit auf deren weltliche Verwandte und Unter - thanen beſchränkt werde.

Die Evangeliſchen dagegen willigten ein, daß bis auf das Concilium keine weitere Neuerung vorgenommen, be - ſonders keine Secte zugelaſſen werde, die dem Sacramente des wahren Fronleichnams und Blutes entgegen ſey.

Die Verſchiedenheiten der Meſſe ſollten beide Theile an einander dulden; Niemand ſollte in dieſer Hinſicht au - ßerhalb ſeines weltlichen Gebietes etwas zu ſagen haben. 1 Alſo daß kein Churfuͤrſt noch andre Staͤnde ußerthalb ih -

157Vermittlungsverſuch.

Dieſe Vorſchläge haben die evangeliſchen Fürſten wirk - lich genehmigt: auch die zu den Anſichten Zwinglis nei - genden Städte glaubten dabei beſtehen zu können.

Man ſieht wohl: wäre es blos darauf angekommen, ſich einen Einhalt in dem Lauf der Neuerung, in ſo fern er geſetzlich bewirkt werden konnte, gefallen zu laſſen, ſo würden ſie nachgegeben haben; ihr Standpunkt war ledig - lich der der Vertheidigung: es war nur der Einfluß der von dem Reichstag wieder anerkannten geiſtlichen Juris - diction, gegen den ſie ſich zur Wehre ſtellten.

Allein bei der Zuſammenſetzung der Majorität war wohl wenig Hoffnung, mit dieſen Vorſchlägen bei ihr durch - zudringen. Ein paar weltliche Fürſten konnten ſie billigen: die geiſtlichen, die in der Umwandlung der allgemeinen An - gelegenheiten ſo eben eine glänzende Ausſicht zur Herſtellung ihrer Gewalt wahrnahmen, verſchmähten darauf einzugehn. Waren doch auch die weltlichen Fürſten noch nicht einmal alle mit den erſten Beſtimmungen des Ausſchuſſes zufrieden. Herzog Georg von Sachſen forderte eine nähere Feſtſetzung über die verlaſſenen Klöſter, die beweibten Prieſter, er wollte alle von dem Herkömmlichen abweichende Deutungen der hei - ligen Schrift verboten wiſſen. 1Schreiben an ſeinen Geſandten 17. April. Er fordert den Zuſatz, daß ſich niemands unterſtehe, die h. Schrift weiter zu deu - ten oder Disputation einzufuͤhren, denn wie dieſelbigen angenomme - nen Lerer oder der merer Tail unter inen thut anzeigen und beſchließen. Am wenigſten wäre König1rer weltlichen Oberkeiten (Gebiete) den andern zu oder von ſinem alten oder neuen Fuͤrnemen oder Haltung der Meſſen in eynichem Wege vergweltigen, darzu oder davon dringen ſol. Compoſitionsar - tikel bei Muͤller p. 42, bei Walch XVI, 422, wo jedoch ſehr falſche arten vorkommen (z. B. beſſern ſtatt beſten). Jung 45.158Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Ferdinand zu gewinnen geweſen. Es verdroß ihn, daß man zur Proteſtation geſchritten war, ohne erſt mit ihm zu un - terhandeln, ihm dieſelbe ſo ohne weiteres zugeſendet, Un - terhandlungen die er ſelber durch Planitz eröffnet, zurück - gewieſen hatte. Auch auf die evangeliſchen Städte war er ſehr unwillig, namentlich auf Strasburg, das noch kurz vor dem Reichstag die Meſſe abgeſchafft hatte, er ließ ſich nicht bewegen, dem Abgeordneten dieſer Stadt, Daniel Mieg, ſeinen Sitz in dem Reichsregiment zuzugeſtehn. So lehnte er denn auch jetzt jede weitere Annäherung ab, und verwarf die Vorſchläge der beiden Vermittler. Er verwei - gerte, die Proteſtation dem Abſchiede einzuverleiben, oder auch nur derſelben darin Meldung thun zu laſſen.

Da nahmen nun auch die Evangeliſchen auf das Er - ſuchen Ferdinands, die Proteſtation nicht weiter zu exten - diren, noch ſie bekannt zu machen, keine weitere Rückſicht.

Es ward ein ausführliches, mit allen Actenſtücken ver - ſehenes Inſtrument aufgenommen, in welchem die vereinig - ten Fürſten, Churfürſt Johann von Sachſen, Markgraf Georg von Brandenburg, die Herzoge Ernſt und Franz von Braunſchweig-Lüneburg, Landgraf Philipp zu Heſſen und Fürſt Wolfgang zu Anhalt, von den Beſchwerden, die ihnen am gegenwärtigen Reichstag begegnet, und allen Be - ſchlüſſen deſſelben an den Kaiſer, die nächſte gemeine freie Verſammlung der heiligen Chriſtenheit, oder auch ein Zu - ſammenkommen der deutſchen Nation appellirten.

Den nächſten Sonntag, 25. April, ward dieſer Ap - pellation in der Behauſung des Caplan Peter Mutterſtadt an der Johanniskirche zu Speier, in der Johannisgaſſe159Trennung der Staͤdte.daſelbſt, in der untern kleinen Stube des Hauſes, die nöthige gerichtliche Form gegeben. Bald darauf ward ſie öffentlich bekannt gemacht, denn Jedermann ſolle wiſſen, daß die Für - ſten in den neuen Abſchied mit nichten gewilligt, ſondern entſchloſſen ſeyen, an dem früheren feſtzuhalten.

Und dieſe Erklärung bekam nun noch dadurch ein be - ſonderes Gewicht, daß ihr eine große Anzahl von Reichsſtäd - ten beitrat.

Anfangs hatte es nicht anders geſchienen, als wür - den ſie alle noch einmal für Einen Mann ſtehen. Denn das war ihre alte Regel, wenn Eine von ihnen eine Be - ſchwerde hatte, ſich alle für dieſelbe zu verwenden, ſich auf keine Weiſe von einander abzuſondern. Wir bemerkten, daß in der That die erſte Eingabe der Städte, ſo anti - clericaliſch auch ihr Inhalt lautete, doch von allen unter - zeichnet war. Allein die Religionsintereſſen gingen zu tief in Fleiſch und Blut, als daß die alten Regeln dagegen aus - gehalten hätten. Die kaiſerlichen Commiſſarien ließen die Abgeordneten der katholiſch-gebliebenen Städte zu ſich kom - men, lobten ſie wegen ihrer Treue, ermunterten ſie darin zu beharren. Auf einige kleinere, wie Rottweil, Ravens - burg, hatte Joh. Faber viel perſönlichen Einfluß. Von andern behauptete man, die Hoffnung bei dem Reichsan - ſchlag erleichtert zu werden, habe ſie nachgiebiger geſtimmt. Genug in der entſcheidenden Stunde, als der Mainziſche Canzler fragte, welches nun die Städte ſeyen, die ſich be - ſchwert fühlten, zögerte man zwar einen Moment, in Er - innerung an die alten Grundſätze, aber nur einen Moment. Zuerſt erklärte der Geſandte von Rottweil, es gebe unter den Städten auch viele mit dem Beſchluſſe Einverſtandene. 160Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Andre ſtimmten ihm bei. Es ward ein Verzeichniß ange - legt, in das die, welche ſich beſchwert glaubten, ihre Na - men eintrugen. Anfangs ſchrieb ſich ſelbſt Cöln ein, nicht ſowohl, weil es die neuen Meinungen getheilt hätte, als weil es in Streitigkeiten mit ſeiner Geiſtlichkeit begriffen war; doch zog es ſich ſpäter zurück. Auch Frankfurt ſchrieb ſich anfänglich ein und hier waren denn wirklich die neuen Meinungen ſchon feſt gewurzelt; ſpäter trat es zurück, weil es ſich nicht von dem Kaiſer zu ſcheiden gedenke. Aber die übrigen blieben ſtandhaft. In dem Inſtrument werden ihrer vierzehn als Theilnehmer der Proteſtation genannt: Strasburg, Nürnberg, Ulm, Coſtnitz, Lindau, Memmin - gen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, das hier noch einmal als Reichsſtadt auftritt, Weißenburg und Windsheim. Es ſind, wie man ſieht, auch alle die dabei, welche ſich zu der Zwingliſchen Auf - faſſung hielten. In dem dringenden Momente hatten die Fürſten kein Bedenken getragen, ſich mit ihnen zu verbinden. So bedeutende Fürſten hauptſächlich in dem nördlichen, ſo anſehnliche und reiche Städte vornehmlich in dem ſüdlichen und weſtlichen Deutſchland, alle in Einem Sinn vereinigt, bildeten noch immer eine ſehr reſpectable Macht. Sie wa - ren entſchloſſen ſich gegen jede Gewaltthat von Seiten der Majorität mit gemeinſchaftlichen Kräften zu vertheidigen.

1Berichte Fuͤrſtenbergs in den frankfurter und des Matthis Pfarrer in den ſtrasburger Acten. Auf den Tag iſt die Sonderung un - ter den Staͤdten vor ſich gegangen, ruft M. aus, das haben die Geiſt - lichen bisher geſucht.
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Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Proteſtanten.

Fragt man nach dem reinen Reſultate des Reichs - tags von 1529, ſo iſt es folgendes.

An ein Einverſtändniß des Reiches in religiöſer Hinſicht war ſchon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien ſetzten ſich einander immer ſchärfer gegenüber. Die Reichsgewalt ſelbſt hatte dieß geſtattet; wie ſie ſich 1526 ausgeſprochen, konnte ſie als neutral angeſehen werden. Jetzt aber, nachdem der erſte Sturm vorüber gegangen war, der geiſtliche Stand nach eigenen lebhaften Irrungen ſich zur Handhabung ſei - ner gemeinſchaftlichen Intereſſen wieder vereinigt, der Kai - ſer mit dem Papſt wieder freundſchaftliche Verhältniſſe an - geknüpft hatte, gelang es der katholiſchen Geſinnung ſich der höchſten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholiſche Farbe und Haltung an.

Die Evangeliſchen, die noch eben auf das Bewußt - ſeyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und ſich die Hof - nung gemacht hatten, auf dieſem Wege immer weiter zu ſchreiten, ſahen ſich plötzlich nicht allein von jedem AntheilRanke d. Geſch. III. 11162Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.an der Reichsverwaltung, die ſie vor einigen Jahren ſogar geleitet hatten, ausgeſchloſſen, ſondern von derſelben in ih - rem Daſeyn bedroht.

Es blieb ihnen nur übrig, ſich als Minorität zu con - ſtituiren, und zwar als eine ſolche, die ſich keine Zurück - ſetzung gefallen laſſen will und alle ihre Kräfte dagegen zu - ſammenzunehmen entſchloſſen iſt.

Man darf nie vergeſſen, daß der muthige Gedanke, dieſe Stellung zu ergreifen, ſich auf dem Boden der Reichs - geſetze zur Wehre zu ſtellen, von welchem die folgende Ent - wickelung des Proteſtantismus abhängt, in der Idee einer Vereinigung des ſächſiſchen und des ſchweizeriſchen Bekennt - niſſes gefaßt und ausgeführt ward.

Am 21. April wies König Ferdinand die braunſchwei - giſch-badenſche Vermittelung zurück; am 22ſten ſchloſſen Sachſen und Heſſen eine, wie es in der Urkunde heißt, ſonderlich geheime Verſtändniß mit den Städten Nürn - berg, Ulm und Strasburg. Man war darüber einig, daß man ſich vertheidigen wolle, wenn man des göttlichen Wor - tes halber angegriffen werde, möchte das nun durch den ſchwäbiſchen Bund, oder von Seiten des Kammergerichts, oder ſelbſt durch die Reichsregierung geſchehen. Geſandte, die im Juni zu Rotach an dem fränkiſchen Gebirge zu - ſammenkommen würden, ſollten näher beſtimmen, wie man einander Hülfe zu leiſten habe. 1Artikel des Bedenkens auf die vertraute Unterrede im W. A.

Zwiſchen Nürnberg, welches dem lutheriſchen, und Strasburg, welches dem ſchweizeriſchen Begriff anhing, ward hier, wie man ſieht, noch kein Unterſchied gemacht.

163Entwurf eines proteſt. Buͤndniſſes.

Auch ſäumte man nach dem Reichstag nicht, den beſchloſſenen Bund näher in Ueberlegung zu ziehen. Es ſind zwei Entwürfe dazu in unſern Händen, der eine von ſtädtiſcher, der andere von fürſtlicher Seite. Jener geht davon aus, daß ein Bundesrath aus den Geſandten der verſchiedenen Stände gebildet werden müſſe, der, ſeiner beſondern Pflichten entledigt nur in Rückſicht auf das all - gemeine Beſte Beſchluß zu faſſen habe; der angegriffene Theil ſolle immer den Feldhauptmann ſetzen. In dieſem dagegen wird eine der Reichsverfaſſung entſprechende An - ordnung vorgeſchlagen. Ein Fürſt ſoll zum Hauptmann ernannt werden und einen Kriegsrath von 6 Mitgliedern zur Seite haben, drei von den Fürſten, einen von den Gra - fen, zwei von den Städten. Der ſtädtiſche Entwurf ſucht beſonders zu verhüten, daß man nicht um anderer als re - ligiöſer Gründe willen zu den Waffen greife; nur dann dürfe dieß geſchehn, wenn man des Glaubens wegen ange - griffen, oder unter dem Scheine geiſtlicher Jurisdiction ver - hindert werden ſolle, die Kirchen zu viſitiren. In dem fürſtlichen, der von der Hand des Churprinzen iſt, wird beſonders das Recht hervorgehoben, das man zur Gegen - wehr habe; des Kaiſers wird darin noch nicht gedacht; die letzten Beſchlüſſe werden nur als Unternehmungen der Stände betrachtet, denen man auch dieſſeit in aller Hin - ſicht ebenbürtig und gleich, denen ſich entgegenzuſtellen man nicht allein berechtigt, ſondern ſogar verpflichtet ſey. 1Bedenken der Eynung des Evangeliums halber; im W. A., und erſtgeſtellte Notel des Verſtendnuß, von den von Nuͤrnberg uͤber - geben, bei Muͤller.

Welcher von beiden nun aber auch beliebt worden11*164Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.wäre, ſo würde man alle Mal eine bedeutende Macht ha - ben aufſtellen können. Der Churprinz berechnete, daß man 10000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferde aufbringen müſſe; er rieth nahe und ferne Freunde dazu einzuladen. Zunächſt würde man die Schweiz zur Seite gehabt haben. St. Gallen, eine ſchweizeriſche Stadt, hatte auch die Proteſta - tion mitunterzeichnet. Die Reichsſtädte Coſtnitz und Straß - burg traten in Bürgerrecht mit Zürich und Bern. Land - graf Philipp ſtand in engem Verhältniß zu Zürich und na - mentlich zu Zwingli. So ganz harmlos und ohne Bezug auf den Kaiſer würde wohl der Bund nicht lange geblie - ben ſeyn. Landgraf Philipp und der Rath von Zürich hat - ten ganz offenbar die Herſtellung Herzog Ulrichs von Wir - temberg ins Auge gefaßt. Von Zürich aus wendete man ſich an Venedig, an Frankreich. Bei den Unterhandlungen mit Frankreich trug Zwingli darauf an, daß auch der Land - graf von Heſſen in den Bund aufgenommen würde, den er als großherzig, ſtandhaft und klug ſchilderte. 1Hottinger, II, 282, 313.Indem der Kaiſer in dem ſüdlichen Europa entſchieden die Ober - hand behielt, ſchien es als würde ſich ihm ſofort in der Schweiz und in Deutſchland eine religiös-politiſche Partei entgegenſtellen und den Mittelpunkt für eine neue euro - päiſche Oppoſition bilden. Auf jeden Fall durfte man die Zuverſicht hegen, in dieſer Vereinigung dem Kaiſer und der Majorität der Reichsſtände einen unüberwindlichen Wi - derſtand entgegenſetzen zu können.

Allein wie bald ſollte doch die neue Partei, und zwar in Folge ihrer eignen Zuſammenſetzung, dieſe Ausſichten fahren laſſen!

165Theologiſche Bedenklichkeiten.

Indem man ſie faßte, hatte man die Entzweiung aus den Augen geſetzt, welche zwiſchen den beiden Bekenntniſſen obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte. Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz - lich aufſteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen - über fühlte man ſeine Gemeinſchaft und die Nothwendig - keit ſich politiſch zuſammenzuhalten. Aber ſo wie man wieder allein war, jener Eindruck wieder verloſch, mußte auch die alte Stimmung wieder aufſteigen.

Der Charakter des Jahrhunderts iſt eben, daß indem man ſich von der Herrſchaft der Geiſtlichkeit zu emancipi - ren ſucht, doch das theologiſche Element, durch deſſen Ener - gie dieß geſchieht, hinwieder ſich von keiner politiſchen Be - trachtung beſeitigen läßt.

Man hatte in Speier den Theologen anfangs das neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen dann mittheilte, ſie vermocht, es ſich gefallen zu laſſen

Aber ſie waren auch die erſten, in denen nun Scru - pel aufſtiegen. Melanchthon, ein Menſch, der jede Schwie - rigkeit, auf die er ſtieß, innerlich durcharbeitete, und ſich da - bei keine Pein erſparte, kam ſchon ohne die gewohnte Hei - terkeit nach Hauſe. Er bildete ſich ein, wenn man nur die Anhänger Zwingli’s hätte fallen laſſen, ſo würde ſich die Ma - jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es ſich ſelber Schuld, daß dieß nicht geſchehen ſey, denn ſeine Pflicht wäre geweſen darauf zu dringen. Er erſchrak bei dem Gedan - ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion daraus hervorgehn könne. In Wittenberg ſprach er mit Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm. 166Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Melanchthon gerieth in die ſchmerzlichſten innern Beküm - merniſſe. Mein Gewiſſen, ſchreibt er am 17. Mai, iſt durch dieſe Dinge beunruhigt; ich bin halb todt, indem ich ſie mir überlege. Am 11. Juni: meine Seele iſt von ſo bitteren Schmerzen ergriffen, daß ich darüber alle Pflichten der Freundſchaft, meine Studien verſäume. Am 14ten: ich fühle mich in ſolcher Unruhe, daß ich lieber ſterben, als ſie länger ertragen wollte. Gleich, als wollte er das begangene Unrecht wieder gut machen, erſuchte er endlich auf ſeine eigne Hand ſeine Freunde in Nürnberg, den Abſchluß der entworfenen Verbindung lieber zu verhü - ten. Denn die gottloſe Meinung Zwingli’s dürfe man nimmermehr vertheidigen.

Seinen Herrn, den Churfürſten, konnte er getroſt der Einwirkung Luthers überlaſſen.

Luther, wie geſagt, hatte keinen Augenblick gezögert, die Verbindung mit den Anhängern Zwingli’s zu verdam - men. Auf der Stelle, und unaufgefordert, nur auf die Erzählung Melanchthons wandte er ſich an Chf. Johann, um die zu Speier geſchloſſene Abkunft auch jetzt noch rück - gängig zu machen. Er ſtellte ihm vor, daß alle Bündniſſe überhaupt gefährlich ſeyen; erinnerte ihn, wie ſchon das vorige von dem unruhigen jungen Landgrafen mißbraucht worden. Wie ſollte man ſich aber vollends mit Leuten verbinden dürfen, welche wider Gott und das Sacrament ſtreben? Da gehe man mit Leib und Seele der Verdamm - niß entgegen.

1Schreiben Melanchthons an Camerar: 17 Maji redii neu - tiquam afferens domum illam, quam solebam, hilaritatem. An Baumgaͤrtner C. Ref. p. 1070. An Spengler und Juſtus Jonas 1069. 1075, 76.
1167Theologiſche Bedenklichkeiten.

Und dürfte man wohl dieſe theologiſchen Bedenklich - keiten ſo ſchlechthin verwerfen? Es namentlich Luthern zum Vorwurf machen, daß er ſie hegte?

Wir müſſen bedenken, daß der Grund der ganzen Re - formbewegung in der religiöſen Ueberzeugung lag, die nicht mit ſich unterhandeln, ſich keine Bedingung noch Ermäßi - gung abgewinnen ließ. Der Geiſt einer excluſiven, in For - meln feſtgeſetzten, den Gegner verdammenden Rechtgläubig - keit, herrſchte nun einmal in der Welt vor. Ebendarum war der Streit zwiſchen den beiden Bekenntniſſen, die ſich doch ſonſt nahe ſtanden, ſo heftig geworden.

Eine Verbindung der Anhänger derſelben war nur ent - weder dadurch ausführbar, daß man über die Differenz hin - wegſah oder dadurch daß man ſie beilegte.

In Speier in dem Tumulte des Reichstags, im An - geſicht der gemeinſchaftlichen Gefahr hatte man das Erſtere für möglich gehalten. Allein wie ſollte es ſich durchführen laſſen, da noch immer die heftigſten Streitſchriften zwiſchen den Oberhäuptern gewechſelt wurden? Bei der Ueberzeu - gung, die nun einmal beide Parteien hegten und nicht fahren ließen, hätte darin faſt ein Beweis gelegen, daß das urſprüngliche religiöſe Motiv nicht ſo ganz rein geweſen ſey.

Luther war weit davon entfernt und es bedurfte nur ſeiner Anmahnung, um auch den Churfürſten davon zurück zu bringen.

Churfürſt Johann ſchickte wohl zur beſtimmten Zeit ſeine Abgeordneten nach Rotach, aber mit dem Auftrage, nur zu hören und ihm zu berichten; er werde dann mit den Gelehrten berathſchlagen, ob die Sache ohne Beſchwe - rung des Gewiſſens auszuführen ſey. Er meinte, vielleicht168Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.würden auch in den Nürnbergern ähnliche Scrupel erwacht ſeyn. 1Inſtruction auf Herr Hanſen Minkwitz Ritter gen Rotach. Er ſoll aufmerken, ob nicht vielleicht die Nuͤrnbergiſchen Geſandten von ſelbſt ihm ſagen werden daß ſie befunden, beſchwerlich ſeyn, ſich mit den Ihenen, ſo der Zwingliſchen Meinung des Sacraments halber (anhangen) in Buͤndniß zu begeben, dergeſtalt wo ſie des goͤttlichen Worts des Glaubens halben beſchwert wollten werden, als were dieſer Artikel im goͤttlichen Wort und im Glauben auch gegruͤn - det, das dann wider die Gewiſſen ſtillſchweigend bekannt muſt wer - den; und ihnen dann ſagen, daß uns dergleichen Beſchwerung und Bedenken ſeyther dem naͤchſten Reichstag zu Speier auch zuge - fallen. Der Abſchied iſt Dienſtag nach Bonifacii (8. Juni).

Wirklich war die Meinung der Nürnberger Theolo - gen ganz wie die der ſächſiſchen. Auch ſie überzeugten ih - ren Rath, daß man mit den Sacramentirern nichts zu ſchaffen haben müſſe. 2Canzler Bruͤck ſagte zu Schmalkalden, es komme alles aus dem Rathſchlag v. Nuͤrnberg. Strobel Miscellaneen IV, 130.

Daher kam es in Rotach zu nichts als zu allgemeinen Zuſicherungen gegenſeitiger Hülfe, vorläufigen Beſprechun - gen; nähere Berathung verwies man auf eine andre Zu - ſammenkunft im Auguſt nach Schwabach, die aber gleich gar nicht zu Stande kam. Sie war ſchon abgekündigt, als die oberländiſchen Geſandten anlangten: ſie hatten den weiten Weg vergeblich gemacht. 3Schreiben an Nuͤrnberg 23. Aug. Sie wollen die Sache ihren Freunden daheim melden, obwohl ſie uns den Geſandten nit allein unſer Leibs Schwacheit, ſondern auch Ferne des Wegs und der ſchwebenden ſorglichen Laͤufe halber ganz beſchwerlich iſt (W. A.).

So mächtig ſetzte ſich das theologiſche Element, wie jenem Kriegsunternehmen in den Packiſchen Händeln vor drei Jahren, ſo jetzt einem Bündniß entgegen, das zur Ret - tung vor der überlegenen Gewalt das einzige Mittel ſchien. 169Geſpraͤch zu Marburg.Wie damals den Angriff, ſo verhinderte es jetzt alle Maaß - regeln der Vertheidigung.

Kein Wunder, wenn ſich Landgraf Philipp, der jene Ausſichten ſchon mit ſeinem ganzen Ehrgeiz ergriffen hatte, darüber betroffen, unglücklich fühlte. Er that alles, um ſeinen ſächſiſchen Verbündeten bei dem einmal gefaßten Ent - ſchluß feſtzuhalten. Jedoch es war alles vergebens. 1Gruͤnde und Gegengruͤnde in den Schreiben des Churfuͤr - ſten und des Landgrafen bei Muͤller. Geſch. d. Proteſt. p. 256, 261.

Und glauben wir darum nicht, daß Landgraf Philipp dem Geiſt ſeines Jahrhunderts untreu geworden ſey. Der Grund ſeiner Nachgiebigkeit lag darin, daß er von der Lu - therſchen Auffaſſung nicht ſo vollkommen durchdrungen war, wie die Uebrigen.

War nun aber das Ignoriren der Zwiſtigkeit nicht möglich, ſo wurde es doppelt dringend noch einen Verſuch zu machen, ob ſich nicht eine Vereinigung zwiſchen den ſtreitenden Theologen ſtiften laſſe.

Schon in Speier hatte Landgraf Philipp dieſen Ge - danken gehabt, und darüber an Zwingli geſchrieben. Jetzt ſchritt er zu einer definitiven Einladung beider Parteien, zum Michaelisfeſt 1529 auf ſein Schloß zu Marburg.

Merkwürdig wie verſchieden beide ſeine Einladung auf - nahmen. Zwingli hätte gefürchtet, von dem großen Rathe3Auch eine Verſammlung zu Zerbſt unterblieb: ſie war anberaumt weil der Churfuͤrſt fuͤr gut angeſehn, dasjenige was er ſich mit etzlichen Fuͤrſten und Staͤnden einer freundlichen Verſtaͤndniß halber unterredet, hinter denen ſo in die Magdeburgiſche Vereinigung gehen nicht zu ſchließen. Ich finde, daß dahin auch Erich, Biſchof von Paderborn und Osnabruͤck eingeladen war, der ſich ſchon zu Speier den erſten Proteſtationsſchritten angeſchloſſen hatte.170Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu - rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe - lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini - gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em - pfang genommen hatte. 1Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk - wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.

Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg - nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei - nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen, ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.

So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu - ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men - ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des Momentes zu Werke geht.

Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.

171Geſpraͤch zu Marburg.

Die trefflichen Geiſter, die auf beiden Seiten mit ſo großer Kraft die Bewegung geleitet, zwiſchen denen aber Mißverſtändniſſe ausgebrochen, kamen zuſammen, um in perſönlichem Zwiegeſpräch eine Ausgleichung zu verſuchen, dem Hader, der dem Fortgang der gemeinſchaftlichen Sache nicht anders als überaus hinderlich ſeyn konnte, ein Ende zu machen.

So faßte Euricius Cordus dieſe Sache, wenn er ſie alle anredet, die Fürſten des Wortes, den ſcharfſinnigen Luther, den ſanften Oecolampad, den großherzigen Zwingli, den braven Melanchthon, und die Uebrigen, welche ange - kommen Schnepf, Brenz, Hedio, Oſiander, Jonas, Crato, Menius, Miconius, deren jeden er mit einem entſprechenden Worte des Lobes ſchmückt und ſie dann ermahnt, das neue Schisma zu heben. Die Kirche fällt Euch weinend zu Füßen, fleht Euch an und beſchwört Euch bei den Einge - weiden Chriſti, die Sache mit reinem Ernſt, zum Heile der Gläubigen zu unternehmen, einen Beſchluß zu Stande zu bringen, von dem die Welt ſagen könne, er ſey vom heiligen Geiſte ausgegangen. 1Das Gedicht iſt von Melanchthon in das Paralipomenon zum Chronikon Urſpergenſe aufgenommen (p. 495).Es war eine Kirchenver - ſammlung Derer, die vom Katholicismus abgewichen. Wäre es einmal damit gelungen, ſo würde das Mittel gefunden geweſen ſeyn, auch fortan in der neuen Partei die kirchliche Einheit zu erhalten.

Zuerſt wurden einige vorläufige Zweifel beſeitigt. Man hatte Zwingli’n Irrthümer über die Gottheit Chriſti beige - meſſen; er ſprach ſich ganz in dem Sinne des Niceniſchen172Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Glaubensbekenntniſſes aus. Auch über den Begriff der Erb - ſünde, auf welchen die geſammte Heilsordnung baſirt iſt, die Wirkſamkeit des äußerlichen Wortes, die Taufe, welche nicht ein bloßes Zeichen ſey, erklärte er ſich mit den Wit - tenbergern einverſtanden. Es iſt wohl unläugbar, daß Zwingli in allen dieſen Punkten, indem er zu einem unver - mittelten Verſtändniß der Schrift zu gelangen ſuchte, ſich von den angenommenen kirchlichen Begriffen ziemlich weit entfernt hatte. Er kehrte hierin, wie Luther, auf die Baſis der lateiniſchen Kirche zurück. 1Loͤſcher Hiſtoria Motuum ſetzt p. 103 auseinander, in wie fern fruͤhere Aeußerungen der Oberlaͤnder mit den damaligen Feſt - ſetzungen in Widerſpruch ſtanden. Selbſt Planck, ſonſt ein großer Verfechter der Oberlaͤnder, iſt uͤberzeugt, daß Loͤſcher hier Recht hat.Nur in dem Einen Punkte, auf den es vor allem ankam, welcher die allgemeine Auf - merkſamkeit beſchäftigte, in der Frage über die Euchariſtie, wich er keinen Schritt breit; da hoffte er vielmehr den Sieg davon zu tragen. Mit großer Lebhaftigkeit brachte er ſeine Argumente vor, die figürliche Bedeutung des Iſt in andern Stellen, die Erläuterung, die Chriſtus im 6ten Capitel Jo - hannis ſelbſt gebe, von welcher er ſich wohl vernehmen ließ, ſie breche Luthern den Hals ab, was dieſer faſt miß - verſtanden hätte; die Uebereinſtimmung mehrerer Kirchen - väter; endlich die Unmöglichkeit, daß ein Leib anders als an Einem Ort ſey. Allein Luther hatte vor ſich auf die Tafel die Worte geſchrieben das iſt mein Leib; er blieb dabei, daß das Gottes Worte ſeyen, an denen man nicht deuteln müſſe, vor denen der Satan nicht vorüber könne; er ließ ſich auf die tiefergreifenden Erklärungen, mit denen er das Argument von der Localität, ohne die ein Körper nicht173Geſpraͤch zu Marburg.zu denken ſey, wohl ſonſt beſtritten hatte, dieß Mal nicht ein; das Bedeutet wollte er ſchlechthin nicht dulden, denn das nehme den Leib hinweg. Der Unterſchied iſt: auch Zwingli’n iſt die Gegenwart Chriſti an das Brod geknüpft; Luther’n da - gegen iſt das Brod ſelbſt die Gegenwart, und zwar der gegen - wärtige Leib; das Sichtbare enthält das Unſichtbare, wie die Scheide das Schwert. Wohl verſtand auch er das Ge - nießen ſpirituell, er wollte ſich aber das Myſterium, das in dem Zeichen liegt, nicht entreißen laſſen. Er meinte, die Gegner möchten wohl noch nicht in den Fall gekom - men ſeyn, ihre Erklärung in geiſtigen Anfechtungen zu er - proben. 2Erklaͤrung Luthers an Landgraf Philipp bei de W. III, p. 510.Er dagegen war ſich bewußt, damit gegen Sa - tan und Hölle gekämpft, und den Troſt daraus geſchöpft zu haben, deſſen die Seele in ihren verzweiflungsvollſten Stürmen bedarf.

Für die Fortentwickelung der religiöſen Ideen wäre es, dünkt mich, nicht einmal zu wünſchen geweſen, wenn Zwingli ſeine Auffaſſung, die durch die Zurückführung des1Als eine Hauptſtelle fuͤr die Differenz moͤchte ich folgende in dem Auszug aus den Acten bei Scultetus anſehen, p. 143. Lu - therus affirmat (die Rede iſt vom 6ten Capitel Johannis) non ip - sam manducationem oralem, sed manducationis modum, crassum illum, qualis est carnis suillae aut bovinae rejici. Oecolampadius arrepta inde occasione de duplici verborum Christi intelligentia disserit, humili sive carnali, et sublimi sive spirituali: humilem sive carnalem verborum Christi intellectum eum esse, quem Lu - therus asserat a Christo repudiatum: spiritualem sive sublimem esse illum, quem Christus jusserit amplecti. Contra Lutherus fieri non posse nec debere, ut ad spiritualem tantum intellectum verba coenae referantur, siquidem remissio peccatorum, vita ae - terna ac regnum coelorum carnalibus istis ac humilibus ut ap - pareant rebus per verbum dei annexa sint. 174Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Myſteriums auf die urſprünglichen, hiſtoriſch überlieferten Momente der Einſetzung eine ſo unermeßliche Bedeutung für die ganze Auffaſſung des Chriſtenthums außerhalb der conſtituirten Kirchlichkeit in ſich ſchloß, aufgegeben hätte. In den übrigen Punkten, wo er nachgab, war er noch nicht ſo ſicher, ſo feſt geworden; dieſen aber hatte er nach allen Seiten durchdacht; hier war er ſei - nes Gegenſtandes Meiſter, er enthielt ſein Prinzip; den ließ er ſich nicht entreißen.

Eben ſo wenig wäre es aber auch von Luther zu er - warten, oder gar zu fordern geweſen, daß er der andern Erklärung beigetreten wäre. Sein Standpunkt iſt überhaupt, daß er ein Inwohnen des göttlichen Elementes in der chriſt - lichen Kirche feſthält, wie die Katholiſchen. Er ſieht es nur nicht in den mancherlei Zufälligkeiten, welche phantaſtiſche und ſophiſtiſirende Jahrhunderte überliefert hatten. Da dieſe ihm die Gewißheit nicht gewähren, deren er bedarf, ſo geht er auf die urſprünglichen Quellen zurück, auf welche auch ſie ſich beziehen; und nur das nimmt er an, was er da findet. Von den ſieben Sacramenten hält er nur die zwei feſt, von denen das neue Teſtament unläugbare Meldung thut. Aber dieſe will er ſich nun auch um keinen Preis entwinden, oder in ihrer geheimnißvollen Bedeutung ſchmä - lern laſſen.

Es ſind, wie geſagt, zwei von verſchiedenen Geſichts - punkten, aber mit gleicher Nothwendigkeit entſtandene Auf - faſſungen.

Gewinn genug, wenn man nun aufhörte, ſich ge - genſeitig zu verketzern. Luther hatte gefunden, daß die Gegner es nicht ſo böſe meinten, wie er geglaubt. Auch175Geſpraͤch zu Marburg.die Schweizer gaben jene grobe Vorſtellung auf, die ſie von der lutheriſchen Auffaſſung bisher gehegt hatten. Lu - ther meint, die Heftigkeit der Streitſchriften werde ſich nun legen. 1Melanchthon ſagt in dem Anhang zum Chron. Urſpergenſe: Triduo duravit colloquium et durasset diutius spe uberioris tum concordiae futurae, nisi horrendus ille morbus sudatorius vocatos dispersisset. Das iſt dann in Bullinger uͤbergegangen. Es zeigt wenigſtens, welcher Eindruck bei Melanchthon geblieben war.

Zunächſt wurden alle die wichtigſten Glaubensartikel, in denen man übereinſtimmte, verzeichnet und von den Theo - logen beider Parteien unterſchrieben; die Abweichungen von dem römiſchen Bekenntniß ſowohl, wie von den wiedertäu - feriſchen Secten ſind darin ſorgfältig bemerkt; es war doch auch dieß eine erwünſchte Grundlage gemeinſchaftlicher Fort - entwickelung, und das Marburger Geſpräch iſt durch die Feſtſtellung derſelben auf immer wichtig. Der funfzehnte und letzte dieſer Artikel betrifft das Abendmahl. Man iſt über die Art und Weiſe der Feier, und den Zweck der - ſelben, ſelbſt darin einſtimmig, daß hier der wahre Leib und das wahre Blut Chriſti geiſtlich genoſſen werde; nur über die Eine Frage kann man ſich nicht vereinigen, ob dieſer wahre Leib nun auch leiblich im Brode ſey. Da trennt ſich eine freiere Auffaſſung der Schrift von dem in der Kirchengemein - ſchaft geltend gewordenen Begriff des Myſteriums. Doch will ein Theil gegen den andern chriſtliche Liebe ausüben.

Nur ſo weit gab Luther nicht nach, daß er auch brü - derliche Liebe gewährt, d. i., daß er anerkannt hätte, man bilde nun eine einzige Gemeinſchaft. 2Luther an Gerbellius 4. Oct.: Denuntiatum est eis, nisi et hoc articulo resipiscant, charitate quidem nostra posse eos utiDazu war ihm die176Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Differenz bei weitem zu tiefgreifend, das Myſterium, der Mittelpunkt des Glaubens und Dienſtes, viel zu weſentlich.

Für die Zukunft demnach, für das Bewußtſeyn, daß man der Abweichung zum Trotz im Grunde doch dem nemlichen Bekenntniſſe angehöre, war durch das Geſpräch nicht wenig gewonnen; der politiſche Zweck dagegen, den Landgraf Philipp im Auge gehabt, wie er von dem Mo - ment geboten wurde, war und blieb verfehlt.

So eben hielten Churfürſt Johann von Sachſen und Markgraf George von Brandenburg eine Zuſammenkunft zu Schleiz, um über die Zuläſſigkeit des oberländiſchen Bündniſſes zu rathſchlagen. Dahin begab ſich auch Luther. Man ward eins, daß eine vollkommene Einheit des Glau - bens dazu gehöre, wenn man ſich gegenſeitig vertheidigen wolle; beſchloß, die Artikel, worauf jene Einheit be - ruhe, gegen einander zu bekennen, und Niemand in die Verbindung aufzunehmen, wer auch nur in dem einem oder dem andern derſelben abweiche. 1Der Abſchied in Schleiz war wohl nur muͤndlich. Man erſieht ſeinen Inhalt aus der Inſtruction fuͤr die churf. und mggf. brandenburgiſchen Raͤthe zu dem ſchwabacher Convent bei Muͤller p. 281 und bei Walch Bd. 17 p. 669. Erſter Artikel.

Und auf der Stelle ging man an dieſes Werk. Als die oberländiſchen Geſandten zu einem neuen Convent in Schwabach, im October, eintrafen, ward ihnen vor allen Dingen ein Bekenntniß zur Unterſchrift vorgelegt. Es ſind die ſogenannten ſchwabacher Artikel. So wie man dieſel - ben durchſicht, bemerkt man, daß ſie die größte Aehnlich - keit mit der marburger Uebereinkunft haben. Die Folge2sed in fratrum et Christi membrorum numero a nobis censeri non posse. 177Schwabacher Artikel.iſt von vorn herein, z. B. in den erſten neun Artikeln die nemliche;1Was die ſchwabacher Art. VIII mehr zu haben ſcheinen, findet ſich in den marburgiſchen unter dem Titel: de usu sacramenti. Vgl. den Abdruck der 17 Artikel bei Walch Tom. 16, 778 und di - plomatiſch genau in Webers Kritiſcher Geſchichte der Augsb. Confeſ - ſion, Bd. I, Anh. 1. auch die Ausdrücke ſtimmen meiſtentheils wörtlich zuſammen; nur einige wenige Veränderungen fin - den ſich, unter denſelben aber die entſcheidende im 10ten Artikel, die Lehre, daß der wahre Leib und Blut Chriſti wahrhaftiglich im Brod und Wein gegenwärtig ſey, ſo - gar mit der polemiſchen Bemerkung, daß der Widertheil vorgebe, es ſey eben nur Brot und Wein. Die ſchwaba - cher Artikel ſind eine etwas umgearbeitete Redaction der marburgiſchen Uebereinkunft, in der jedoch der Begriff Lu - thers als allein gültig angenommen worden. 2Riederer fand bei dem Autograph einer in das Jahr 1530 fallenden Vorrede Luthers zu den 17 Artikeln folgende Worte von Veit Diedrichs Hand: Praefatio ad 17 articulos Marburgi scriptos, und gruͤndete darauf die Behauptung, daß die 17 Artikel ſelbſt zu Marburg verfaßt worden. Dann wuͤrde ſie Luther ſchon fertig nach Schleiz mitgebracht haben. In der That, ſehr beſchaͤftigt wuͤrde Lu - ther geweſen ſeyn. Am 30. Spt. kam man, am 1, 2, 3. October dibputirte man, am 4ten wurde die Marburgiſche Uebereinkunft un - terſchrieben, am 5ten reiſte er ab. Mit dem Charakter der 17 Ar - tikel ſtimmt aber die dortige Abfaſſung nicht uͤbel zuſammen. Nur muͤſſen ſie ſpaͤter revidirt, hie und da naͤher beſtimmt worden ſeyn, wenn es wahr iſt, was man in Schmalkalden den Staͤdten ſagte, die Artikel ſeyen ſere wolbedaͤchtig und mit tapferm Rath gelerter und ungelerter Raͤthe geſtellt. Natürlich konnten die Geſandten von Ulm und Strasburg dieß Be - kenntniß nicht unterſchreiben. Sie bemerkten, es ſtimme mit der bei ihnen herrſchenden Predigtweiſe nicht überein, ſie ſeyen auf die Veränderung nicht inſtruirt; ſie könntenRanke d. Geſch. III. 12178Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.erſt auf der nächſten Zuſammenkunft eine Erklärung darüber beibringen.

Es ließ ſich vorausſehen, daß unter dirſen Bedingun - gen der entworfene Bund wieder aufgegeben werden mußte.

Und gerade in einem Momente geſchah dieß, in wel - chem die kaiſerliche Gewalt ſich immer feindſeliger zeigte.

Der Kaiſer hatte noch von Spanien aus ſeine Miß - billigung der Proteſtation ausgeſprochen; die vereinigten Stände hatten ſich hierauf entſchloſſen, eine Geſandtſchaft nach Italien an ihn zu ſchicken, um ihre Schritte zu recht - fertigen; allein wie war das ſpaniſch-katholiſche Weltele - ment, auf das die Geſandten in der Umgebung des Kai - ſers ſtießen, ihren Abſichten ſo ganz entgegengeſetzt. Der Kaiſer wiederholte nur ſeine früheren Erklärungen. Er wollte die Proteſtation nicht annehmen, und war ſehr un - willig, als die Geſandten dieſelbe dem Secretär, der mit ihnen unterhandelte, auf den Tiſch legten. Den ganzen Hof entrüſtete es, daß der eine der Geſandten, Michael Ka - den, eine ihm von dem Landgrafen mitgegebene Schrift pro - teſtantiſchen Inhalts dem rechtgläubigen Kaiſer, der als das weltliche Oberhaupt der katholiſchen Chriſtenheit daher zog, in die Hände brachte. Die Geſandten mußten dem Hofe eine Zeitlang als Gefangene folgen; nur durch eine Art von Flucht konnten ſie ſich retten.

Es wäre jedoch ein Irrthum geweſen, wenn man ge - hofft hätte, daß ſo feindſelige und drohende Begegniſſe die Proteſtanten wieder vereinigen würden.

Auf eben der Verſammlung, auf welcher über dieſel -159Spaltung.ben Bericht erſtattet wurde, zu Schmalkalden im Dezbr. 1529, brach unter ihnen erſt der volle Zwieſpalt aus.

Den Oberländern die ſich hier bei weitem zahlrei - cher eingefunden hatten, als zu Schwabach wurden die ſiebzehn Artikel neuerdings vorgelegt; Ulm und Strasburg, deren Beiſpiel die übrigen zu folgen pflegten, erklärten de - finitiv, daß ſie dieſelben nicht unterſchreiben würden. Hier - auf ward ihnen eben ſo beſtimmt erwiedert, daß man dann auch nicht mit ihnen in Bund treten könne. So leb - haft ſie dennoch darum baten, ſo dringend ſich der Land - graf für ſie verwandte, denn von dem Kaiſer habe man nichts anderes zu erwarten, als Ungnade und Gewalt, ſo war doch alles vergeblich. Nicht einmal die Relation der Geſandten wollte man ihnen mittheilen, wenn ſie ſich nicht zuvor im Glauben einhellig bekennen würden. 1Protocoll der Verſammlung Sonntag nach Katharinaͤ 1529 bei Strobel IV, 113.

Und im Laufe dieſer Verhandlungen war nun auch noch eine andre Frage von mehr politiſcher Natur zur Sprache gekommen.

Als Luther ſeinen Herrn von dem Bunde mit den Oberländern abmahnte, hegte er noch die Hoffnung, daß ein Verſtändniß mit dem Kaiſer möglich ſey.

Er faßte dabei die reformatoriſche Thätigkeit nur in ihrer allgemeinſten Bedeutung auf, in wie fern ſie ſich auf eine Be - freiung des weltlichen Standes von der Hoheit und dem An - ſpruch eines religiöſen Vorzuges bezog, welchen die Geiſtlich - keit bisher gemacht hatte. Er ſtellte vor, wie unzählige von Jedermann gerügte Mißbräuche er gehoben, und doch dabei12*180Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.nach der andern Seite hin Wiedertaufe und Bilderſturm rit - terlich bekämpft; hauptſächlich aber und ganz mit Recht rech - nete er ſich als ein Verdienſt an, daß er den Begriff von Obrig - keit und weltlicher Majeſtät wieder erweckt und zu allgemei - ner Anerkennung gebracht habe. Von dem Kaiſer hatte er eine ſo hohe Meinung, daß er glaubte, es müſſe ihm ein - leuchten, wenn man ihm vorſtelle, daß in den evangeliſchen Ländern die Lehre des Chriſtenthums reiner gepredigt werde, als ſeit tauſend Jahren. Luther war von dem Begriffe des Reiches nicht viel minder durchdrungen, als von dem der Kirche ich ſage nicht von der momentanen Erſcheinung deſſelben, ſondern von ſeinem Inhalt und Weſen und er fühlte eine ähnliche Pein, ſich von demſelben losreißen zu ſollen.

In der That ſind hierauf Unterhandlungen zwiſchen dem Churfürſten und König Ferdinand angeknüpft worden. Bei Ferdinand gingen ſie, wie er ſeinem Bruder mehr als einmal ſchreibt, hauptſächlich von der Beſorgniß aus, daß etwa vor deſſen Ankunft eine Bewegung der Proteſtanten erfolge, was ihm ſehr verderblich hätte werden können; bei dem Churfürſten von der natürlichen Scheu, ſich von dem Oberhaupte des Reiches zu trennen, die Luther noch beſonders in ihm erweckt hatte. Dem Landgrafen kam die Sache zuweilen bedenklich vor. Er fragte einſt ſehr trotzig bei dem Churfürſten an, weſſen er ſich zu ihm zu verſehen habe, wenn er angegriffen werden ſollte. 1Rommel Urkundenbuch nr. 9.

Aber allmählig mußte ſich doch zeigen, wie wenig ſich von dieſen Unterhandlungen erwarten ließ. Es war klar,181Reichsrechtliche Streitfrage.daß man nicht, wie der Churprinz bei jenem Entwurf des Bundes vorausgeſetzt hatte, blos mit den Ständen zu thun haben werde. Schon in der Inſtruction des Churfürſten für ſeine Geſandtſchaft nach Schwabach heißt es: die große Gefahr werde jetzt an der höchſten Stelle ſeyn.

Da trat nun erſt jene weitere Frage ein, ohne de - ren Beantwortung auch die im Glauben Gleichförmigen ſich nur vergeblich verbanden, in wie fern es nemlich überhaupt erlaubt ſey, dem Kaiſer zu widerſtehn.

Mit Recht bemerkte Sachſen, daß wenn man ſich nicht vor allen Dingen hierüber verſtehe, jedes Bündniß nur zum Schein dienen, keine Zuverſicht geben, keine Rettung mög - lich machen werde.

War aber nicht der Kaiſer die höchſte Obrigkeit? Mußte man ihm nicht nach den Worten der Schrift, die man ſelbſt ſo oft aufgerufen, in jedem Falle Gehorſam leiſten?

Keinesweges war dieß etwa vergeſſen. So eben ward die Frage auf das ſcrupulöſeſte unterſucht.

In Sachſen war man noch zur Zeit der ſchwabacher Zuſammenkunft für das Recht des Widerſtandes. Die Ju - riſten ſtützten ſich auf den Grundſatz des Rechtes, daß dem Bedrängten die Gegenwehr geſtattet ſey. Dann ward die Frage auch den Theologen vorgelegt, jedoch in Luthers und Melanchthons Abweſenheit, die ſich eben in Marburg be - fanden. Bugenhagen, dem nun die Entſcheidung oblag, kam den Juriſten mit einem theologiſchen Grunde zu Hülfe. Er urtheilte, wenn eine Gewalt, die allerdings von Gott ſtamme, ſich wider Gott auflehne, ſo könne ſie nicht mehr als eine rechte Obrigkeit betrachtet werden.

1Inſtruction nach Schwabach bei Muͤller 282.
1182Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.

Ganz eine andre Meinung aber ſtellte Luther auf, als er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtsſprüchen, welche den Widerſtand gut heißen, andere entgegenſtehen, welche ihn verbieten; mit dieſen aber ſtimme die Schrift überein. Wolle man ſich gegen einen Fürſten auflehnen, der wider Gottes Wort handle, ſo werde man ſich am Ende heraus - nehmen, nach eignem Ermeſſen alle Obrigkeit zu verwerfen.

In demſelben Sinne erklärten ſich auch die Theologen von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein ebendahin zielendes Gutachten.

Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden - den Gehorſam und vom Rechte des Widerſtandes, welche hier einander entgegentraten.

Man weiß, wie viel dieſe Lehren und zwar eben in ihrer Verbindung mit geiſtlichen Geſichtspunkten zur Ent - wickelung der politiſchen Theorien in Europa beigetragen ha - ben; ſehr merkwürdig, daß ſie ſo früh und zunächſt in Deutſchland zur Sprache kamen.

Doch konnten ſie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil - dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus - gegangen iſt, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält - niß von Fürſt und Unterthan. Dieſe konnte hier gar nicht erhoben werden. Hier bewegte ſich die Differenz in an - dern Kreiſen; es war ein Streit zwiſchen einer tiefer ge - ſtellten Regierung und einer höheren, zwiſchen den Reichs - fürſten und dem Kaiſer.

In Deutſchland hatte die Frage mehr einen reichs - rechtlichen als einen allgemeinen ſtaatsrechtlichen Inhalt. Sie lag eigentlich darin, ob die höchſte Gewalt im Reiche monarchiſcher oder ariſtokratiſcher Natur ſey.

183Reichsrechtliche Streitfrage.

Luther, der im Kaiſerthum eine Fortſetzung des alt - römiſchen ſah, wie es in der Schrift vorkommt, hielt an dem Begriffe der Monarchie feſt, welcher dort vorwaltet.

Er verglich wohl das Verhältniß ſeines Churfürſten zum Kaiſer mit dem Verhältniß eines Bürgermeiſters in Torgau zum Churfürſten ſelbſt. Brenz meinte, die Fürſten ſeyen ſo wenig berechtigt, gegen den Kaiſer die Waffen zu ergreifen, wie einſt die Bauern gegen Adel und Prälaten.

Eben bei dieſen Vergleichungen aber ſprang ins Auge, wie wenig damit das Weſen der Sache bezeichnet wurde. Von der andern Seite machte man geltend, daß die Für - ſten auch nicht einmal mit den römiſchen Landpflegern in der Schrift, geſchweige denn mit Bürgermeiſtern oder gar Bauern zu vergleichen ſeyen; ſie ſeyen dem Kaiſer mit Be - dingung ihrer Freiheit und Rechte, mit Maaß und Be - ſchränkung, nach den ihnen verliehenen Gerechtſamen un - terworfen. Ueberdieß ſeyen auch ſie Obrigkeit und ihre Pflicht das Evangelium zu beſchützen. 1Einrede auf das geſtellte Bedenken, als ob Kaiſerlicher Ma - jeſtaͤt nicht moͤg Widerſtand geſchehen. Bei Hortleder II, II, 12. H. ſetzt es etwan 1531, da es ſich aber auf die Begegnung be - zieht, welche die juͤngſte der proteſtirenden Rathbotſchaft erfahren, ſo ſollte ich glauben, es muͤßte Ende 1529 oder Anfang 1530 geſetzt werden.

Auf dem Convente zu Nürnberg äußerte der ſächſiſche Kanzler, aber unter der ausdrücklichen Verwahrung, daß er damit nur eine perſönliche Meinung ausſpreche, er ſey allerdings von der Rechtmäßigkeit eines Widerſtandes ge - gen den Kaiſer überzeugt. Er führte die beiden erwähn - ten Gründe an: einmal, auch die Gewalt der andern Für - ſten ſtamme von Gott; und ſodann, wolle der Kaiſer zur184Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Wiederannahme des Papſtthums zwingen, ſo ſey er mehr ein Feind und man dürfe es nicht dulden.

Er fand jedoch damit wenig Beifall. Als er ſich eines Tages in ſeine Kanzlei verfügte, trat ihn der nürn - bergiſche Stadtſchreiber Spengler an, den wir doch als einen in Rechtsgeſchäften ſehr geübten Mann kennen, und beſchuldigte ihn des Irrthums. Sie geriethen mit einan - der in lebhaften Wortwechſel, den ſie der Umſtehenden hal - ber die Beſonnenheit hatten lateiniſch zu führen.

Wie Nürnberg ſo war auch Brandenburg geſinnt. Kanzler Vogler verſicherte, ſein Herr ſey entſchloſſen, wenn der Kaiſer ihn überziehe, ſich nicht zu wehren, ſondern al - les zu dulden was Gott ihm auflege.

Dieſe Meinung behielt damals ſelbſt in Sachſen den Platz. Luther erklärte, auch wenn der Kaiſer ſeinen Eid übertrete, ſo bleibe er dennoch Kaiſer, die von Gott ge - ſetzte Obrigkeit: wolle man ihm nicht mehr gehorchen, ſo müſſe man ihn abſetzen. Aber wohin könne es führen, wenn man ihn angreife. Man müßte ihn verjagen und ſel - ber Kaiſer werden, was denn Niemand dulden werde.

Luther wußte keinen andern Rath, als wenn der Kai - ſer erſcheine, um Gewaltſamkeiten zu verüben, ſo dürfe ihn freilich kein Fürſt dabei unterſtützen, denn damit würde er ſelber gegen den Glauben ſündigen; aber man dürfe ſich auch nicht weigern, ihm das Land zu öffnen und ihn darin nach ſeinem Willen verfahren zu laſſen. Er wiederholte, wenn der Kaiſer ihn und die Andern fordere, ſo würden ſie erſcheinen; der Churfürſt ſolle ihrethalben keine Sorge haben. Denn ein Jeder müſſe auf ſeine Gefahr glauben.

185Haltung der Proteſtanten.

Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ - ſen glaubten.

Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.

Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück - ſichtsloſer, großartiger hervor.

Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver - nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab - ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver - ſuchen werde.

Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre - ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verſchmäht es.

Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See - len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.

Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann, fortreißen laſſen.

Ferner aber, man will nur den Glauben, den man ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch - ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn186Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.auch nur in Einem, aber in einem weſentlichen Punkte abweichen.

Endlich, man zweifelt an dem Rechte, dem Oberherrn zu widerſtehn, die altherkömmlichen Ordnungen des Reiches zu verletzen.

So nimmt man mitten in den wider einanderlaufen - den, getümmelvollen Intereſſen der Welt eine Haltung ein, die nur mit Gott und dem Gewiſſen berathen wird. So erwartet man die Gefahr. Denn Gott iſt treu, ſagt Lu - ther, und wird uns nicht laſſen. Er führt den Spruch des Jeſaias an, wenn ihr ſtill bliebet, ſo würde euch ge - holfen.

Gewiß, klug iſt das nicht, aber es iſt groß.

[187]

Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien.

Wie die Beſchlüſſe, ſo waren denn auch die Erfolge der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durch - aus entgegengeſetzt.

Der erſte führte die Evangeliſchen unter Gewährlei - ſtung des Reichs zu ihren großen Gründungen; der zweite, der ihnen dieſe Gewähr entzog, zerſetzte ſie zugleich unter - einander.

Der Zwieſpalt, der ſeit jenen Regensburger Satzun - gen begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen.

Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir auch in Hinſicht der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegenſatz zwiſchen den Folgen der beiden Reichs - tage zu bemerken glauben.

Denn faſt alle Zeit iſt mit einer entſprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden innern Entwickelung auch eine glückliche Tendenz nach Außen verbunden.

Das Haus Oeſtreich, das damals den Fortgang der Evangeliſchen guthieß, war dafür auch mit Hülfe der deut - ſchen Nation zur Herrſchaft in Italien und in Ungarn er -188Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.hoben worden. Es ließ ſich nicht erwarten, daß nachdem dieſes Haus eine ſo ganz andre Richtung eingeſchlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zu Gute kommen würde.

Ich habe gehört, ſchrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeſchloſſen worden, an den Altam - meiſter zu Strasburg, die Königl. Majeſtät habe um Pulver angeſucht; mein Rath wäre, es ihr nicht zu be - willigen, da uns ſolch eine Schmach geſchehen iſt. Es wird gut ſeyn, daß wir unſer Geld und unſer Pulver ſelbſt behalten, wir werden es ſelber brauchen. 1Samſtag vor Jubilate 1529. Bei Jung Beil. nr. 37.

Schon machte das Verfahren, das Umſichgreifen des Hauſes Oeſtreich eine allgemeine Beſorgniß rege; und man hatte keine Luſt, es ernſtlich zu unterſtützen. Ein Beiſitzer des Reichsregiments, Abgeordneter der ſonſt ſo gut kaiſer - lich geſinnten Frankfurt, Hammann von Holzhuſen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen ſie nun lutheriſch ſeyn oder nicht, nicht wiſſen was ſie von Oeſtreich zu erwarten ha - ben; ſie beſorgen, die Hülfe welche ſie leiſten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. 2Speier 9. Oct. E. W. werden auch fleiſſik bedenken und ermeſſen die ſchwinnen (geſchwinden) laͤuf und brattig (Practiken) ſo in etlich Jaren vorhanden geweſt und noch ſint, alſo, das alle Chff. und Fuͤrſten geiſtlich und weltlich, auch ander Praͤlaten Herrn und Staͤdt ſie ſeyen lotters (lutheriſch) wie man denn die nennen will oder nit, nit wol wiſſen moͤgen, wes ſie ſich verſehen ſollen und alſo das dieſelbig Hilf, ſo gemelt mein gnſt. und gn. Herrn, Chur und Fuͤrſten, auch andre Stende und Stet thun werden, dem hilligen Reich und Teutzer Nation und inen ſelber zu großen unuͤberwind - lichen Schaden und nachtail reichen und kommen moge. Er traͤgt auf eine Verſammlung der Staͤdte an: von der und andern Sachen rede zu haben und zu beratſchlagen, ſich vorgleichen einer Meinung und was hierin zu thun ſie und Antwort zu geben were.

189Osmaniſche Rechtglaͤubigkeit.

Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensſtreitigkeiten, in welche Ferdi - nand mit den Großen in Deutſchland gerathen, die Un - möglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn vertheidige. 1Bei Katona XX, I, p. 634. Rex Ferdinandus propter dissensionem suam cum imperio et aliis magnatibus Alemanniae propter fidem, nullum habere potest populum.

Und indem nun dieſe Stimmung herrſchend wurde, erſchien der mächtigſte Feind, den das Reich ſeit vielen Jahrhunderten gehabt, Repräſentant einer andern, der chriſt - lichen entgegengeſetzten Welt an den Pforten deſſelben.

Eben in dieſen Jahren trat in Conſtantinopel ein Ge - ſetzgelehrter, des Namens Katib, mit der Behauptung auf, dem Propheten Jeſus komme der Vorrang zu vor dem Propheten Mohammed. Der Divan, vor dem dieſer Neue - rer angeklagt wurde, verſuchte vergebens ihn zu widerle - gen. Auch der Mufti, an welchen die Sache alsdann kam, widerlegte ihn nicht, hörte ihn aber in aller Form ab, und verurtheilte ihn zum Tode. Das Urtheil ſtimmte ganz mit der Meinung des Sultans überein.

Ohne zu widerrufen erlitt Katib in Mitte der Mos - lems den Tod für den Namen Jeſu.

Denn Suleiman, der erſte von den osmaniſchen Sul - tanen, der ſich um Mecca bekümmert hat; er ließ dort das heilige Haus der Kaaba, die Moſchee der Chadidſcha erneuern, Waſſerleitungen bauen, Collegien einrichten ſah ſich vor allen gern als den Stellvertreter des Prophe - ten an. Ich, deſſen Macht aufrecht erhalten wird durch die Gnade des Allmächtigen, durch die Segnungen des Größten ſeiner Propheten, durch den Schutz der vier erſten190Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Begünſtigten deſſelben, ich, Schatten Gottes über beide Welten. So bezeichnete er ſich in einem Schreiben an den König von Frankreich. Darauf gründete er ſeine An - ſprüche. Weißt du nicht, ſagte ſein Schwiegerſohn Mu - ſtapha 1528 zu Lasky, daß unſer Herr der nächſte iſt nach Allah, daß wie nur Eine Sonne am Himmel, ſo auch er der einzige Herr auf Erden iſt?

Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede ge - ſchloſſen war, wo er erwarten konnte, die ganze Oppo - ſition gegen Carl V in voller Thätigkeit zu finden, 4. Mai 1529, erhob ſich Suleiman mit einem Heere, das man auf dritthalbhunderttauſend Mann berechnet hat, zum heiligen Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands auseinander; dann ſtieg Johann Zapolya mit der kleinen Truppe, die ſich um ihn geſammelt, von den Karpathen herunter; er hatte das Glück, auf die Ferdinandeiſchen Un - garn zu treffen, ehe ſie ſich mit den Deutſchen vereinigt, und ſie zu ſchlagen; auf dem Schlachtfelde von Mohacz kam er mit dem Sultan zuſammen. Suleiman fragte ihn, wodurch er ſich bewogen fühle zu ihm zu kommen, der Ver - ſchiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. Der Padiſchah, antwortete Johann, iſt die Zuflucht der Welt und ſeine Diener ſind unzählig, ſowohl Moslems als Ungläubige. Von dem Papſt und der Chriſtenheit ausgeſtoßen, floh Za - polya unter den Schutz des Sultans. Eben dieſes Be - dürfniß momentanen Schutzes war es von jeher geweſen, was das osmaniſche Reich groß gemacht hatte.

In Ungarn fand Suleiman dieß Mal ſo gut wie gar191Suleiman in Ungarn.keinen Widerſtand. Die öſtreichiſche Regierung wagte nicht die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünſtigen Stim - mung des Landes fürchtete ſie einen Aufruhr zu veranlaſ - ſen. Aber eben ſo wenig hatte ſie auch eigene Kräfte um das Land zu vertheidigen. Dem Befehlshaber der Flotte, welcher ſeinen Leuten 40,000 G. zahlen ſollte, konnten nach langer Mühe nicht mehr als 800 G. überſendet werden. Man hatte die Mittel nicht, um die Feſtungen ordentlich zu beſetzen.

Der Weſir Suleimans lachte über die abendländiſchen Fürſten, welche, wenn ſie einen Krieg zu führen hätten, das nöthige Geld erſt von armen Bauern erpreſſen müß - ten; er zeigte auf die ſieben Thürme, wo ſeinem Herrn Gold und Silber in Fülle liege, während ſein Wort hin - reiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu ſtellen.

Man darf ſich wohl ſo ſehr nicht verwundern, wenn unter dieſen Umſtänden die ſtarke Partei, die ſich zu Za - polya hielt, das volle Uebergewicht bekam. Wetteifernd eilten die Magnaten, die ungriſchen Begs, wie Solimans Tagebuch ſie nennt, in deſſen Lager, um ihm die Hand zu küſſen. Peter Pereny wollte wenigſtens die heilige Krone für Oeſtreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Ver - wandter Zapolya’s, der Biſchof von Fünfkirchen, nahm ihn mit allen ſeinen Kleinodien gefangen und brachte ſie ins osmaniſche Lager. 1Zermegh Historia rerum inter Johannem et Ferdinandum gestarum bei Schwandner II, lib. I, § 12.Wer kennt nicht die ungemeine Ver - ehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die ſie ei - ner unmittelbar göttlichen Sendung zuſchreiben, bei deren192Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter in die Scheide zurückgekehrt waren. Nicht ſtärker, ſagt Rewa, zieht den Magnet das Eiſen an, als die Krone die Verehrung der Ungarn; ſie halten für ihre Pflicht, ohne Rückſicht auf Koſten und Gefahr, ſie allenthalben ſchützend zu begleiten. 1Rewa de sacra corona regni Hungariae bei Schwandner II, 456. Vgl. Tuberonis Commentarii ibid. 113, 114.Die Türken verſtanden, ſie werde hergelei - tet von Nuſchirwan dem Gerechten. Und dieß Palladium nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer Nationalität und ihres Reiches ſahen, befand ſich jetzt in dem Lager Solimans, ward auf deſſen Zuge mitgeführt.

Bei dieſem allgemeinen Abfall konnte man in der That nicht darauf rechnen, daß die deutſchen Beſatzungen, die es in einigen feſten Plätzen gab, dieſelben zu behaupten ver - mögen würden. In Ofen ſtanden ungefähr 700 vor kur - zem angeworbene Landsknechte unter dem Oberſt Beſſerer. Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt ge - nommen und die Burg vom St. Gerhardsberg her, den ſie beherrſchte, faſt in Grund geſchoſſen war, verzweifelten ſie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes be - ſtehen zu können, und hielten ſich für berechtigt, auf ihre Rettung zu denken; ſie nöthigten ihren Anführer, zu capi - tuliren. Sie wußten jedoch nicht, mit wem ſie zu thun hatten. Ibrahim Paſcha verſprach ihnen auf das feierlichſte freien Abzug: noch in den Thoren von Ofen wurden ſie ſämmtlich niedergehauen. 2Die etwas dramatiſch ausgeſchmuͤckten Klagen des Urſinus Velius, (lib. VI), daß die Landsknechte die alte deutſche Tapferkeit hier vergeſſen, welche in neuere Geſchichtsbuͤcher uͤbergegangen, ver -

193Suleiman in Deutſchland.

Und von da wälzte ſich nun ohne weitern Widerſtand das barbariſche Heer nach den deutſchen Grenzen, nach ei - nem Lande, ſagen die osmaniſchen Geſchichtſchreiber, das noch nie von den Hufen moslimiſcher Roſſe geſchlagen worden.

Da traf die orientaliſche Weltmacht, die über zertrüm - merten, in den unentwickelten Anfängen oder dem ſchon wieder halbbarbariſirten Abſterben der Cultur begriffenen Rei - chen errichtet worden, zuerſt mit den Kernlanden des occiden - taliſchen Lebens, in denen die ununterbrochene Continua - tion des Fortſchrittes des allgemeinen Geiſtes ihren Sitz genommen und in vollen Trieben war, zuſammen.

Die Osmanen empfanden doch einen Unterſchied als ſie unſer Vaterland berührten.

Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, denn ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als derſelbe Unglaube, als ein waldiges Reich, ſchwer zu durch - ziehen; aber ſie bemerken doch, daß es von den Fackeln des Unglaubens ganz beſonders erleuchtet, von einem ſtreit - baren Volke unter grauſamen Fahnen bewohnt, allenthal -2ſchwinden, wenn wir einfachere Berichte jener Zeit zur Hand nehmen, z. B. den des Pagenhofmeiſters bei Schardius III, 238. Arx ad voluptatem magis, quam vim instructa erat etc. oder bei Sebaſt. Frank; (wohl identiſch mit einem der damals herausgekommenen flie - genden Blaͤtter) p. CCLVI: das Schloß ſey mit vier Faͤhnlein beſetzt geweſen, die nitt ſo vil man oder einzelich perſonen vermoch - ten, als der Tuͤrk tauſend; noch hat er eilf gewaltiger ſtuͤrm davon verloren, daß er meynet es weren eitel Teufel im Schloß. Wo die nit geweſt, fuͤgt Peſſel hinzu, wer vielleicht die Stat Wien uͤbereilet worden. Achthundert frummer deutſcher Knecht, die hiel - ten ſich redlich und recht; ſagt das Lied bei Soltau p. 337.Ranke d. Geſch. III. 13194Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.ben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beſchützt ſey; es macht auf ſie Eindruck, daß ſie, ſo wie ſie die Grenze überſchritten haben, alles in Ueberfluß finden, deſ - ſen das tägliche Leben bedarf. 1Sſolokſade bei Hammer: Wiens erſte tuͤrkiſche Belagerung p. 101. Vgl. das Tagebuch Suleimans 22. Septemb, Osm. Geſch. III, 650.Sie nehmen wahr, daß ſie ein von den Elementen der Cultur durchdrungenes, in ſei - nen Wohnſitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöſes Volk vor ſich haben.

Ibrahim erzählte ein Jahr ſpäter öſtreichiſchen Ge - ſandten, dem Sultan ſey von ihrer Seite angeſagt worden, er möge nicht vorrücken: ſchon halte ihr Herr, Ferdinand, das Schwert in der Rechten, um ihn zu empfangen. Dieſe Drohung aber habe den Sultan erſt recht angefeuert, den - ſelben zu ſuchen. Er habe ihn in Ofen zu finden gedacht, wo ein König von Ungarn ſeinen Sitz haben ſollte, jedoch vergebens. Er ſey weiter gerückt an die öſtreichiſche Grenze, da, habe er gemeint, werde Ferdinand ſeiner warten; man habe dem anrückenden Sultan aber vielmehr die Schlüſſel von Bruck entgegengetragen. So ſey er bis nach Wien gelangt, aber auch auch da habe er weder Ferdinand noch ſein Heer getroffen; er habe vernehmen müſſen, derſelbe ſey nach Linz oder nach Prag geflüchtet. Als er nun Wien ge - ſehen, ſo ſchön gelegen zwiſchen Weingärten und Bergen, und doch in der Mitte einer fruchtbaren Ebene, habe er geſagt, hier wolle er ausruhn, das ſey ein Ort, würdig eines Kaiſers; er habe ſeinen Schoos ausgebreitet, d. i. ſeine leichten Truppen nach allen Seiten hin ausgehn laſ -195Suleiman in Deutſchland.ſen, um anzuzeigen, der wahre Kaiſer ſey gekommen in ſei - ner Macht. 1Lamberg und Juriſchitſch bei Gevay 1830 p. 36. Lateiniſch, zwar uͤbereinſtimmend aber doch eigenthuͤmlich p. 80.

So ſtellt auch Suleiman ſelbſt in einem Schreiben an Venedig das Ereigniß vor. Er erzählt, wie er Ofen ge - wonnen, Ungarn an ſich gebracht, dieſes Reich dem - nig Johann gegeben habe, wie die alte Krone in ſeine Hand gefallen ſey. Aber mein Vorſatz war nicht, dieſe Dinge zu ſuchen, ſondern mit König Ferdinand zuſammenzutref - fen. 2Copia della lettera del Sultan Solimano. Belgr. 9 Nov. bei Hammer Belagerung p. 77.Den erſten deutſchen Gefangenen, die vor ihn ge - bracht wurden, ſagte er, er werde Ferdinand aufſuchen und wenn derſelbe mitten in Deutſchland wäre.

Am 26. September langte er vor Wien an und ſchlug daſelbſt ſein Lager auf. Vom Stephansthurme aus ſah man ein paar Meilen über Berg und Thal nichts als Zelte, und auf dem Fluſſe die Segel der türkiſchen Donauflotte. Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Haupt - gezelt Suleimans ſtand, deſſen innere Pracht die goldenen Knäufe verriethen, mit denen es auswendig geſchmückt war. Er lagerte wie er gezogen war. Ihn zunächſt umgaben die Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte ſich das anatoliſche Heer unter ſeinem Beglerbeg aus; vor ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäiſchen Si - pahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandſchaks von Moſtar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegs - heer iſt, ſo repräſentirt das Lager ſelbſt in ſeiner Anord - nung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch13*196Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.immer wetteiferten ſich mit dem Halsbande der Unterthä - nigkeit zu ſchmücken, in dieſem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das weſtliche Aſien und das öſtliche Europa, wie ſie unter dem Einfluß des erobernden Islam ſich geſtaltet hatten und geſtalteten; jetzt machten ſie einen er - ſten Verſuch auf das Herz des chriſtlichen Europa’s. Die leichten Truppen ſuchten höher an der Donau hinauf die fa - belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze der phantaſtiſchen Welt der orientaliſchen Mythe. Das Laſtthier der arabiſchen Wüſte ward mit Mundvorrath und Munition an die Mauern einer deutſchen Stadt herange - trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele. Mit orientaliſchem Pomp feiert man das Andenken der vor Wien Gefallenen; vom Iskendertſchauſch Farfara heißt es in der Geſchichte Potſchewi’s, er habe hier bei der An - kunft den Becher des islamitiſchen Martyrthums getrun - ken, und der Welt vergeſſen. Denn einen heiligen Krieg gegen die ſtaubgleichen Ungläubigen glaubte man zu füh - ren. Im Angeſicht der vornehmſten Burg der letzten deut - ſchen Kaiſer erſcholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müſſe, wie nur Ein Gott im Himmel ſey, und Soliman ließ ſich verneh - men, der Herr wolle er ſeyn; er werde ſein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Chriſtenheit mit ſeinem Säbel bezwungen. Man erzählte ſich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abweſenheit von Conſtantinopel, um dieſen Plan auszuführen.

So ſtumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht die Größe dieſer Gefahr zu fühlen.

197Entwuͤrfe des Widerſtandes.

Es erlebte einen ähnlichen Moment, wie damals, als die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert hatten, nach Frankreich vordrangen, oder damals, als die mongoliſche Weltmacht, nachdem ſie den Nordoſten und Südoſten von Europa überfluthet, zugleich an der Donau und an der Oder das chriſtliche Germanien angriff.

In die Augen ſprang, daß Europa jetzt bei weitem ſtär - ker war; es wußte ſehr gut, daß es die Kraft beſaß, dieſe Teufel, wie man ſich ausdrückte, aus Griechenland zu ver - jagen; aber es konnte ſich nicht dazu vereinigen.

Wir haben ein Schreiben des Königs Franz aus die - ſen Tagen, worin er erklärt, die Abſicht, die er immer ge - hegt, ſeine Kräfte und ſeine Perſon gegen die Türken zu verwenden, wolle er jetzt ins Werk ſetzen; er hoffe auch ſeinen Bruder, den König von England dazu zu bewegen; er denke dann 60,000 Mann ins Feld zu ſtellen, eine Macht, die wahrhaftig nicht zu verachten ſey. Er drückt ſich ſo lebhaft aus, als wäre es ihm wahrer Ernſt damit, doch fügt er eine Bedingung hinzu, die alles wieder ver - nichtet. Er meint, der Kaiſer müſſe ihm dafür von den beiden Millionen, die er ihm kraft des Tractats zu bezah - len habe, die eine erlaſſen. 1Lettres de Gilles de Pommeraye, MS Bethune 8619. En cas, que led. empereur pour m’ayder à souldoyer les gens que je menerois en ma compaignie, me voulut sur lesd. 2 Millions d’escus en rabattre ung million, je me faisois fort etc. etc. Wie wäre das jemals zu er - warten geweſen.

Auch auf der kaiſerlichen Seite, wo man noch drin - gendern Anlaß dazu hatte, und es unerträglich fand, daß alles Land dem Sultan zufalle, das er nur durchziehen198Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.wolle, dachte man auf Mittel, um die geſammte Chriſten - heit in die Waffen zu bringen. Und ſehr merkwürdig iſt wor - auf man hier verfiel. Der leitende Miniſter in den Nie - derlanden, Hoogſtraten, eröffnete ſich einſt darüber dem fran - zöſiſchen Geſandten. Er meinte, der wahre Weg, den Türken zu widerſtehn, ſey, daß man den Papſt zu einer allgemeinen Säculariſation bewege. Ein Drittel der geiſt - lichen Güter, an den Meiſtbietenden verkauft, werde hinrei - chen um ein Heer ins Feld zu bringen, das die Türken zu verjagen und Griechenland wieder zu erobern vermöge. 1Que ces deux princes conduississent le pape jusques à ce point que il se contente de ce, qu’il a qu’il permette qu’à l’eglise des six mille duc. de rente on preigne les deux uni. versellement par toute la Chretienté; les quelles seront vendus au plus offront et avec l’argent que les princes fourniront (denn etwas ſollen ſie doch thun) sera suffisant pour deloger ce diable de la Grèce qui seroit grandement accroistre l’eglise d’y adjoin - dre un tel pays que celui . Lettre de Pommeraye 17. Spt.

Man braucht nur dieſe Vorſchläge ins Auge zu faſſen, um einzuſehn, wie unmöglich es war ſie auszuführen, eine Unternehmung zu bewerkſtelligen, die an Bedingungen ſo weitausſehender Art geknüpft wurde.

Wollte Deutſchland ſich vertheidigen, ſv war es ohne Zweifel lediglich auf ſeine eigenen Kräfte angewieſen.

Aber ſtanden die Dinge nicht auch hier ſehr zweifelhaft? Gab es nicht in der That Leute, welche das Mißvergnügen mit der beſtehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, ſich eine türkiſche Herrſchaft zu wünſchen? Hatte nicht Luther einſt ſelbſt geſagt, es ſtehe dem Chriſten nicht zu, ſich den Türken zu widerſetzen, die er vielmehr als eine Ruthe Gottes anſehn müſſe? Es iſt das einer jener Sätze, welche die päpſtliche199Meinung Luthers.Bulle verurtheilt. Der Reichstag von Speier hatte ſo eben eine Wendung genommen, durch die ſich alle An - hänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet fühlten. Es war ihnen wie berührt ſehr bedenklich, daß ſie dem Oberhaupt jener Majorität, welche ſie von ſich ſtieß, dem König Ferdinand, Hülfe leiſten ſollten.

Was nun Luther anbetrifft, ſo iſt ganz wahr, daß er jene Meinung geäußert hat, allein er redet da nur von den Chriſten als ſolchen, von dem religiöſen Prinzip an und für ſich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums erſcheint. Jenes frommthuende Geſchrei, welches um der chriſtlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Tür - ken anreizte und dann die Beiträge der Gläubigen zu fremd - artigen Zwecken verwandte, hatte ſeinen Widerwillen er - weckt. Er ſagte ſich überhaupt los von dem kriegeriſchen Chriſtenthum; er wollte die religiöſe Geſinnung nicht ſo un - mittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War aber nun von einer wirklichen Gefahr und von den An - ſtrengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, ſo erklärte er deſto entſchiedener, daß man ſich mit allem Ernſt den Türken entgegenſtellen müſſe. 1 Darum ſol man auch das reizen und hetzen laſſen anſtehen, da man den Kaiſer und Fuͤrſten bisher gereizt hat, zum Streit wi - der die Tuͤrken, als das Haupt der Chriſtenheit, als den Beſchirmer der Kirchen, und Beſchuͤtzer des Glaubens, daß er ſol des Tuͤrken Glauben ausrotten. Vom Kriege wider die Tuͤrken. Erſchienen gegen Oſtern 1529. Altenb. IV, 525Dazu ſey das Reich dem Kaiſer anvertraut, er und die Fürſten würden ſonſt ſchuldig ſeyn an dem Blute ihrer Unterthanen, das Gott von ihnen fordern werde. Es kommt ihm ſonderbar vor, daß man ſich in Speier wieder ſo viel darum bekümmert hat, ob200Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Jemand in den Faſten Fleiſch eſſe, ob eine Nonne ſich verheirathe, und indeß den Türken vorrücken, Länder und Städte, ſo viel er wolle erobern läßt. Er fordert die Für - ſten auf, das Panier des Kaiſers nicht mehr für ein blo - ßes ſeidenes Tuch anzuſehn, ſondern demſelben pflichtgemäß in das Feld zu folgen. Er nimmt ſich die Mühe, zur Be - kehrung Derjenigen, welche die Regierung der Türken wün - ſchen möchten, die Gräuel aufzuzählen, die der Koran enthalte. Die Uebrigen ermahnt er, in des Kaiſers Na - men getroſt auszuziehen; wer in dieſem Gehorſam ſterbt, deſſen Tod werde Gott wohlgefällig ſeyn.

Denn es iſt wohl erlaubt, in dieſer großen Gefahr der deutſchen Nation auch den Mann reden zu laſſen, wel - cher damals in derſelben am meiſten gehört ward. Die Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geiſt, der die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu ſcheiden un - ternahm, in aller ſeiner durchgreifenden Schärfe.

Und ſo viel wenigſtens bewirkte er, daß die Proteſti - renden, obwohl ſie die Furcht hegten, von der Majorität mit Krieg überzogen zu werden und in den Reichsſchluß nicht gewilligt hatten, doch ſo gut wie die andern ihre Hülfe ausrüſteten. Auch Churfürſt Johann ſtellte ein paar tauſend Mann unter der Anführung ſeines Sohnes ins Feld. 1Spalatin Vita Johannis Electoris bei Menken II, 1117.

Von allen Seiten zog die eilende Hülfe dem Feldhaupt - mann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indeß zu Linz bei König Ferdinand angelangt war. 2Hubert Thomas Leodius de vita Friderici p. 119, woͤrt - lich abgeſchrieben in Melchior Soiter de Vinda Bellum Pannonicum lib. I, bei Schardius III, p. 250.

201Belagerung von Wien.

Zunächſt kam es jedoch noch darauf an, wie die Be - ſatzung in Wien ſich halten würde, die ſich ſo plötzlich von Suleiman eingeſchloſſen geſehn.

Denn daran fehlte viel, daß die deutſchen Mannſchaf - ten ſo ſtark geweſen wären, namentlich in dem erſten Schrecken und Getümmel, um einen Entſatz zu verſuchen.

Bleiben wir einen Augenblick bei dieſer Belagerung ſtehen, welche damals die Aufmerkſamkeit der Welt feſſelte und der in der That eine hohe Bedeutung beiwohnt. Wenn Suleiman Wien erobert hätte, würde er es auf eine Weiſe zu befeſtigen gewußt haben, daß man es ihm nicht ſo leicht wieder hätte entreißen können. Welch eine Station wäre das für ihn geworden, um die geſammten Gebiete der mitt - leren Donau in Athem zu halten.

Man dürfte aber nicht glauben, daß Wien ſehr feſt geweſen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ring - mauer umgeben, noch ohne alle alle Vorkehrungen der neue - ren Befeſtigungskunſt; ſelbſt ohne Baſteien, auf denen man Geſchütz hätte aufpflanzen können, um ein feindliches Lager zu beſchießen. Die Gräben waren ohne Waſſer. Die Feld - hauptmannſchaft von Niederöſtreich hatte anfangs gezwei - felt, ob ſie den weitſchichtigen unverbauten Flecken werde behaupten können; ſie hatte einen Augenblick den Gedan - ken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten, um ſich im Nothfall auf die friſchen Truppen zurückziehen zu können, welche der Pfalzgraf und der König zuſammen - zubringen beſchäftigt waren: am Ende aber hatte ſie doch gefunden, daß ſie ihre alte Hauptſtadt nicht aufgeben dürfe, und ſich entſchloſſen, die Vorſtädte zu verbrennen, die in - nere Stadt zu halten.

202Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Waren aber die Befeſtigungen untüchtig, ſo kam da - gegen die Liebhaberei Maximilians für das Geſchützweſen jetzt nach ſeinem Tode ſeiner Hauptſtadt zu Gute. Auf allen Thürmen an den Thoren, auf den Häuſern an den Mauern, von denen man die Schindeln abgeriſſen, unter den Dächern, ja in den Schlafhäuſern der Klöſter, wie ſich verſteht in der Burg und hinter den Schießlöchern, die man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonete, Halb - ſchlangen, Carthaunen, Mörſer, Singerinnen, den Anlauf des Feindes.

Die Beſatzung beſtand aus 5 Regimentern: vier deut - ſchen, von denen zwei auf Koſten des Reiches, zwei von Ferdinand ſelbſt angeworben waren, und einem böhmiſchen. Die Reichstruppen, unter dem Pfalzgrafen Philipp, dem Stellvertreter Friedrichs, beſetzten die Mauer vom rothen Thurm bis gegen das Kärnthnerthor, von da dehnten ſich die königlichen Haufen unter Eck von Reiſchach und Leonhard von Fels gegen das Schottenthor hin aus. Es waren Leute von allen deutſchen Landesarten, viele nahm - hafte Oeſtreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meiß - ner, Hamburger, beſonders Franken und Schwaben; wir finden Hauptleute von Memmingen, Nürnberg, Anſpach, Bamberg, einen Wachtmeiſter von Gelnhauſen; der Schult - heiß über den ganzen Haufen war aus dem frundsbergi - ſchen Mindelheim, der oberſte Profoß von Ingolſtadt. Vom Schottenthor bis zum rothen Thurm ſtanden die Böhmen. Auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei vertheilt, unter den trefflichen Hauptleuten, Niclaus von Salm, Wil - helm von Rogendorf, Hans Katzianer. Es mochten 16 bis 17000 Mann ſeyn.

203Belagerung von Wien.

Ob nun aber dieſe Mannſchaft den an Zahl ſo un - endlich überlegenen Feind zu beſtehen vermögen würde, war doch ſehr zweifelhaft.

Suleiman ließ der Beſatzung ankündigen, wolle ſie ihm die Stadt übergeben, ſo verſpreche er weder ſelbſt hinein - zukommen, noch ſein Volk hineinzulaſſen, ſondern er werde dann weiter vorrücken und den König ſuchen. Wo aber nicht, ſo wiſſe er doch, daß er am dritten Tage (am Mi - chaelisfeſt) ſein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verſchonen.

In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort der Beſatzung ſey geweſen, er möge nur zum Mahle kom - men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an - richten. Doch iſt das nicht ſo ganz wahr. Man hatte nicht Unbenommenheit des Geiſtes genug, um eine ſo kecke Antwort zu geben. Die Antwort, ſagt ein authentiſcher Be - richt der Befehlshaber, iſt uns in der Feder ſtecken geblie - ben. Man rüſtete ſich alles Ernſtes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man ſiegen werde; man ſah die ganze Gefahr ein, in der man ſich be - fand, aber man war entſchloſſen ſie zu beſtehen. 1Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein officieller Bericht, wie die Nachſchrift und die ganze Faſſung zeigt, ſchon am 19. October verfaßt.

Und ſo mußte ſich denn Suleiman anſchicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.

Zuerſt ſtellten ſich die Janitſcharen mit ihren Halb - hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer - ſtörten Vorſtädte auf: ſie ſchoſſen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenſchützen geſellte ſich ihnen zu; es hätte204Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.ſich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken laſſen. Sie beherrſchten den ganzen Umkreis derſelben; die Gie - bel der benachbarten Häuſer waren mit Pfeilen wie bepflanzt.

Unter dem Dunſt und Hall dieſes Schießens bereite - ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An - griff vor. Welches auch die Meiſter geweſen ſeyn - gen, von denen ſie urſprünglich darin unterwieſen wor - den ſind, Armenier oder andere, eine Hauptſtärke ihrer damaligen Belagerungskunſt beſtand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1Spaͤter hat ſich Marſigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah - ren der Tuͤrken hiebei zu erforſchen. Vgl. Stato militare degli Ot - tomanni II, c. XI, p 37. Das Corps der Lagumdſchi, Minengraͤber, war belehnt nicht beſoldet und um ſo mehr in Ehren. Hammer Staatsverfaſſung der Osm. II, 233.Die Abend - länder erſtaunten, wenn ſie dieſelben ſpäter einmal anſich - tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemeſſene, weite Höhlungen; zugleich darauf berechnet, daß das ſtürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Dieſe Kunſt denn eigent - liches Belagerungsgeſchütz führten ſie nur wenig bei ſich wendeten ſie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen ſie auf ein Volk, das ſich ebenfalls auf unterirdiſche Arbeiten verſtand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor - haben des Feindes; Waſſerbecken und Trommeln wurden aufgeſtellt, um die geringſte Erſchütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauſchte in allen Kellern und unterirdiſchen Gemächern es ſind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange und grub ihnen dann entge - gen. Es begann gleichſam ein Krieg unter der Erde. 205Belagerung von Wien.Schon am 2. October ward eine halbvollendete Mine des Feindes gefunden und zerſtört. Bald darauf ward eine an - dere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man ſchon anfing ſie mit Pulver zu füllen. Die Minirer ka - men einander zuweilen ſo nahe, daß eine Partei die andre arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer andern Richtung bei Seite. Um den Kärnthner Thurm auf alle Fälle zu ſichern, hielten die Deutſchen für nothwendig, ihn mit einem Graben von hinreichender Tiefe zu umgeben.

Natürlich aber war das nicht allenthalben möglich.

Am 9. October gelang es den Türken wirklich, einen nicht unbedeutenden Theil der Mauer zwiſchen dem Kärnth - ner Thor und der Burg zu ſprengen; in demſelben Mo - ment traten ſie unter wildem Schlachtruf den Sturm an.

Allein ſchon war man auch hierauf vorbereitet. Eck von Reiſchach, der bei der Vertheidigung von Pavia ge - lernt, wie man ſtürmenden Feinden begegnen müſſe, hatte die Leute unterwieſen, mit welchem Geſchrei und Anlauf der Sturm geſchehe, und wie man ihm zu begegnen habe. Dieſe jungen Landsknechte, von denen uns ein Be - richt verſichert, daß Reiſchachs Anweiſung ihnen ein tapfer männlich Herz gemacht, ſtanden in der That vortreff - lich. Mit einem furchtbaren Her erwiederten ſie das os - maniſche Schlachtgeſchrei. Hallbarden, Handröhre und Kanonen unterſtützten einander mit dem glücklichſten Er - folg. Die Kugeln der Karthaunen und Flinten, ſagt Dſchelalſade, flogen wie die Schwärme kleiner Vögel durch die Luft; es war ein Feſtgelage, bei dem die Genien des Todes die Gläſer credenzten. Die deutſchen Berichte206Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.rühmen beſonders die Tapferkeit, die der alte Salm, Ver - walter der niederöſtreichiſchen Feldhauptmannſchaft, in die - ſer heißen Stunde bewies. 1Beſonders in dem Tagebuche bei Anton p. 34, uͤber Rei - ſchach p. 32 beim 4. October.Die Osmanen erlitten ſo mör - deriſche Verluſte, daß ſie ſich zurückziehen mußten. Die niedergeworfene Mauer ward auf der Stelle ſo gut wie möglich hergeſtellt.

Was aber hier nicht gelungen, verſuchte der Feind gleich darauf an der andern Seite des Kärnthnerthurms. Nach manchem falſchen Lärm ſprengte er am 11. Octo - ber einen guten Theil der Mauer gegen das Stubenthor hin, und erneuerte unverzüglich ſeinen Sturm. Dießmal waren die Colonnen dichter formirt; zu den Aſafen und Janitſcharen hatten ſich Sipahi von Janina und Awlona, albaneſiſcher Herkunft geſellt; mit ihren krummen Schwer - tern und kleinen Schilden drangen ſie, dem Haufen voran, über die gefallenen Mauern daher. Allein hier ſtellte ſich ihnen Eck von Reiſchach mit vier Fähnlein muthiger Lands - knechte ſelber in den Weg. Zur Seite hatte er, wie einſt in Pavia, geübte ſpaniſche Schützen;2S. beſonders den erſten venezianiſchen Bericht bei Hammer p. 158; er nennt Rogendorf, Erich de Rays et alcuni nobili con 4 bandiere de fanti insieme cum li Spagnoli. auch der Feldmarſchall Wilhelm von Rogendorf war zugegen. Dieß Mal kam es zum ernſtlichen Handgemenge. Man ſah die langen Schlacht - ſchwerter der Deutſchen, die ſie mit beiden Händen führ - ten, ſich meſſen mit dem Türkenſäbel. Ein türkiſcher Ge - ſchichtſchreiber redet von ihrer feuerregnenden Wirkung. Dreimal erneuerten die Osmanen ihren Anlauf. Jovius,207Belagerung von Wien.der ſo viele Schlachten beſchrieben hat, bemerkt doch, daß man in dieſem Jahrhundert kaum jemals ernſtlicher an ein - ander gerathen ſey. 1Jovius 28, 69 folgt uͤberhaupt eigenthuͤmliche Relationen. Die Erwaͤhnung des Grafen von Oettingen beweiſt, daß er vom 11. October redet.Aber alle Anſtrengungen der Osmanen waren vergebens, ſie erlitten noch bei weitem ſtärkere Ver - luſte als das erſte Mal.

Und damit war nun eigentlich ihr guter Muth er - ſchöpft.

Am 12. October ward abermal ein Theil der Mauer gefällt, aber als ſie dahinter die Deutſchen und Spanier mit aufgereckten Fähnlein erblickten, wagten ſie ſich nicht ernſtlich heran.

Schon regte ſich bei den Osmanen die Meinung, in Gottes des Allmächtigen Rathſchluß ſey für dieß Mal die Er - oberung von Wien dem Islam nicht beſtimmt. Die Nächte wurden bereits ungewöhnlich kalt; am Morgen ſah man die Berge mit Reif bedeckt;2 Pomis uvisque immaturis vescebantur: equi strictis ar - borum frondibus et vitium pampinis tolerabantur. Vrsinus Velius. mit Beſorgniß dachte Je - dermann an die Länge und Gefahr des Rückwegs, denn zu jener dreijährigen Abweſenheit war doch in der That nichts vorbereitet. Dazu kam, daß ſich Nachrichten von einem nahen Entſatz vernehmen ließen. Ein erbländiſches Heer ſammelte ſich in Mähren; in den Bezirken des ſchwäbiſchen Bundes ward eifrig gerüſtet, wie denn Schärtlin von Bur - tenbach berichtet, was für treffliche Leute er in Würtem - berg zuſammengebracht; Pfalzgraf Friedrich, der ganz in der Nähe geblieben, nahm eine drohendere Haltung an. 208Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Schon lernten die Bauern den ſtreifenden Reitern Wider - ſtand leiſten. Suleiman entging es nicht, in welche ge - fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im feindlichen Lande, ohne feſte Plätze, in der ſchlechten Jah - reszeit von einem Feinde angegriffen würde, deſſen Tapfer - keit er ſo eben kennen gelernt. Er beſchloß noch einen letz - ten Verſuch auf Wien zu machen, und wenn derſelbe miß - linge, ſofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit - tagsſtunde verſammelte ſich ein guter Theil des Heeres im An - geſicht der Mauern; Tſchauſche riefen Belohnungen aus, Mi - nen ſprangen, Breſchen öffneten ſich, und das Zeichen zum Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen mehr, ſie mußten faſt mit Gewalt herbeigetrieben werden, wo ſie dann unter das Feuer des Geſchützes geriethen, und ganze Haufen erlagen, ehe ſie nur den Feind erblickt hat - ten. Gegen Abend ſah man eine Schaar aus den Wein - gärten hervorkommen, aber ſich auf der Stelle wieder zu - rückziehn. 1Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, ſagt der of - ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten Laune eines ſiegenden Kriegsmannes abgefaßt iſt.

Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana - tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der Sultan ſelbſt auf; auch die Janitſcharen zündeten ihr La - ger in den Vorſtädten an und eilten ihren Herrn zu beglei - ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Reſt der europäiſchen Truppen nach.

Es war das erſte Mal, daß dem ſiegreichen Sultan209Ruͤckzug der Osmanen.ein Unternehmen ſo ganz geſcheitert war. Er konnte inne werden, daß er nicht ſo geradezu, wie ſeine Dichter rühm - ten, das Gold im Schachte der Welt, die Seele im Wel - tenleibe ſey,1Baki’s Kaſſide uͤberſ. v. Hammer p. 7. daß es außer ihm gewaltige und unbezwing - liche Kräfte gab, die ihm noch zu ſchaffen machen ſollten.

Zunächſt aber konnte er ſich wohl tröſten. Er hatte Ungarn den Deutſchen entwunden. Aus den Händen os - maniſcher Beamten empfing Johann Zapolya die heilige Krone. Obwohl er König hieß, ſo war er doch in der That nichts anders, als ein Verweſer des Sultans.

Es hätte wohl ſcheinen ſollen, als würde Ferdinand die Unordnung dieſes Abzugs, und das zum Entſatz von Wien geſammelte Heer zur Wiedereroberung des Reiches benutzen können; auch fielen die Grenzplätze, Altenburg, Trentſchin in ſeine Hände; aber gleich das Schloß Gran behauptete ſich; Ofen zu erobern, waren die dagegen her - anrückenden Truppen viel zu ſchwach. 2Vrsinus Velius lib. VIII. Der Grund des Mißlingens liegt am Tage: es fehlte dem König auch jetzt an allem Gelde. Er hätte wenigſtens 20,000 Gulden ge - braucht, um die Truppen in Bewegung zu ſetzen; er konnte endlich nicht mehr als 1400 Gulden aufbringen, und ſelbſt ſo viel nur in ſchlechten Münzſorten, wozu er noch für ein paar Tauſend Gulden Tuch hinzufügte. Alles war mißvergnügt. Der Tyroliſche Haufe, den man auf das dringendſte er - ſuchte, an jener Unternehmung Theil zu nehmen, hatte es in voller Gemeinde abgeſchlagen; die Leute erklärten geradezu, ſie hätten keine Luſt ferner zu dienen. 3Inſtruction der Kriegscommiſſarien zu Presburg fuͤr GrafAls SuleimanRanke d. Geſch. III. 14210Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.von Wien abzog, hatte er die Janitſcharen für ihre An - ſtrengungen, ſo erfolglos ſie auch geweſen waren, mit ei - nem reichen Geſchenk belohnt; den Landsknechten dagegen, welche die Stadt ſo wacker und glücklich vertheidigt, konnte man den Sturmſold nicht zahlen, auf den ſie wohl ein ge - wiſſes Recht beſaßen, und es entſtand ein wilder Aufruhr unter ihnen. Das war überhaupt das Verhältniß. Sehr bald behielten die Gegner in Ungarn das Uebergewicht. In den oberen Landſtrichen finden wir ſchon namhafte deutſche Hauptleute, namentlich jenen Nickel Minkwitz, der dem Churfürſten von Brandenburg ſo viel zu ſchaffen machte, in den Dienſten Zapolya’s; von Kesmark aus durchzog er das Land; es gelang ihm Leutſchau in Brand zu ſtecken. 1Sperfogel und das Tagebuch des Pfarrers Moller zu Leut - ſchau, deſſen eigene volle Scheunen angezuͤndet wurden bei Katona XX, I, p. 540, 546. Minkwitz heißt hier Nicolaus Mynkowitz: er ging bald darauf von Kesmark nach Ofen.Indeſſen brachen die Türken von Bosnien her in den Gren - zen ein: auch Croatien war in Gefahr, in ihre Hand zu fallen. Ja ſelbſt auf die entlegenen Landſchaften dehnte dieß Mißgeſchick ſeine Rückwirkung aus. In Böhmen gab es unter den Vornehmſten des Reiches warme Anhänger Zapolya’s. Als Ferdinand Ende Januar 1530 nach Prag ging, war er überzeugt, daß er Alle, die an der Regierung von Böhmen Antheil nahmen, entfernen müſſe, wenn er Herr im Lande bleiben wolle. 2Schreiben Ferdinands an Carl 21. Januar 1530 bei Ge - vay p. 68. Entre tant, que ils ont le gouvernement, je ne sa - roie avoir obeisance ne poroie meintenir la justice In der That, es war für ihn dringend nothwendig, daß ſein Bruder in Deutſchland er -3Niclas zu Salm d. juͤngern, kaiſ. Rath und Caͤmmerer an Koͤnig Ferdinand bei Hormayr Taſchenbuch auf 1840 p. 506.211Carl V in Italien.ſchien, um ſeiner ſchwankenden erſchütterten Macht einen neuen Rückhalt zu geben.

Während dieſer ganzen Zeit war Carl V in Italien. Er hatte ſo viel wir ſehen anfangs gehofft, die dortigen Geſchäfte raſch beendigen und ſeinen Bruder noch gegen den Anfall Suleimans vertheidigen zu können; er ſtieß aber auf Schwierigkeiten, die eine bei weitem längere Zeit ſeine ganze Thätigkeit beſchäftigen ſollten.

So viele Siege er auch erfochten, ſo wäre man in Italien, ſelbſt nachdem man von Franz I ſo plötzlich und wider alle Zuſage verlaſſen war, wohl noch fähig geweſen, ihm Widerſtand zu leiſten.

Venedig war im Beſitz ſeiner geſammten Terra ferma, einiger Städte im Kirchenſtaat, mehrerer feſten Plätze im Neapolitaniſchen, die es ſo eben mit vielem Glück verthei - digte; es hielt ein ſtattliches Heer im Felde, das wenn es keine namhaften Siege erfochten, ſich doch auch nicht hatte ſchlagen laſſen, und an deſſen Spitze einen General, der es vollkommen verſtand, zugleich dem bedächtigen eiferſüch - tigen Senate zu genügen und ſeinen Ruhm zu behaup - ten. Auch ihre Seemacht befand ſich in blühendem Zu - ſtande; in Corfu war man mit einer Expedition nach den neapolitaniſchen Küſten, zunächſt gegen Brindiſi beſchäftigt.

Der Herzog von Mailand beſaß nach ſo langem ver - derblichen Kriege doch noch immer den größten Theil ſei - nes Landes, und außer einigen andern minder bedeutenden die ſtärkſten Plätze des damaligen Italiens, Cremona, Lodi und Aleſſandria.

14*212Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Sollte der Herzog von Ferrara, der ein durch Natur und Kunſt ſehr wohl befeſtigtes Gebiet gegen ſo unzählige Anfälle beſchützt hatte, ſich nicht auch dieß Mal zu ver - theidigen wiſſen?

In Florenz herrſchte eine zur Behauptung ihrer Frei - heit, und ſollte es einen Kampf auf Leben und Tod koſten, entſchloſſene Partei; Michelangelo Buonarotti, der ſelber zu ihr gehörte, befeſtigte die Stadt mit einer Erfindungsgabe und Tüchtigkeit in der Ausführung, die nach anderthalb Jahrhunderten wohl noch einem Vauban bemerkenswerth ſchienen; in dem Gebiete war eine Art von Landſturm ein - gerichtet. Mit Perugia waren die Florentiner bereits ver - bündet, und ſie hofften wohl, es ganz zu gewinnen. Auch mit Siena, das ſich ebenfalls von dem Papſt bedrängt ſah, ſtanden ſie in ziemlich gutem Vernehmen. 2Relatio n. v. Antonii Suriani de legatione Florentina 1529. Et pero cum questo fondamento de inimicitia con il papa, queste republiche hanno trattato insieme qualche intelligentia.

Der Kirchenſtaat und Neapel waren noch erfüllt von Unruhe und Gährungen.

Wie oft hatte Italien den kriegeriſchen Kaiſern, die mit einem bei weitem überlegenen Heere über die Alpen ka - men, ſelbſt dann, wenn ſich eine Partei im Lande für ſie erklärte, Widerſtand geleiſtet! Eben wenn ein Kaiſer einmal feſten Fuß gefaßt hatte, ſo war das für die Einheimiſchen der Anlaß geweſen, alle ihre Kräfte aufzubieten, um ihn wieder zu entfernen. Keine Tapferkeit und kein Talent, we - der Friedrich I noch Friedrich II hatten die Herrſchaft zu befeſtigen, fortzupflanzen vermocht.

1Vasari Vita di Buonarotti. (Vite d. P. X, 110.)
1213Unterhandlungen in Italien.

Jetzt kam dieſer junge Kaiſer an, der noch keinen recht ernſtlichen Krieg geſehen, der ſich auch mit ſeinem bleichen Antlitz, ſeinem wohlgehaltenen und noch geſunden, aber kei - neswegs kräftigen Körper, mit ſeiner ſchwachen Stimme, mehr wie ein Hofmann als wie ein Krieger ausnahm; der von nichts als von Frieden ſprach: der ſetzte es durch.

Er hatte für ſich, daß er durch die florentiniſche Sache mit dem Papſt auf das engſte vereinigt war. Die Flo - rentiner ſchickten, ſo wie er nach Genua gekommen, eine Geſandtſchaft an ihn, aber natürlich mit einer beſchränkten Vollmacht; ihre jetzige Verfaſſung wollten ſie auf keine Weiſe gefährden: der Kaiſer antwortete ihnen, ſie möchten vor allen Dingen die Medici zurückrufen und in den Rang einſetzen, den dieſelben vor ihrer letzten Verjagung einge - nommen[.]1Nach Jacopo Pitti: Apologia de capucci, einem MS voll trefflicher Nachrichten hatten die Geſandten die segreta commis - sione, di non pregiudicare ne alla libertà ne al dominio; il che notificato con piu segretezza a Cesare hebbono per ultima rispo - sta che se volevano levarsi da dosso la guerra, rimettessero i Medici nello stato che erano avanti si partissero dalla città; onde li oratori se ne partirono subito. Vgl. Varchi IX, 234.Schon befand ſich der junge Aleſſandro, den er zu ſeinem Schwiegerſohn und zum Herrn in Florenz be - ſtimmt hatte, in ſeiner Umgebung. 2Carlo V a Clemente VII 29 d’Agosto. Similmente dico, ch’io sto molto contento della persona del Duca Alessandro. Lettere di principi II, p. 185.Auch ohnehin konnte er eine Regierung nicht dulden, die ſich von jeher guelfiſch, franzöſiſch gezeigt. So lange nun bis dieſe Sache ge - ſchlichtet wurde, war der Kaiſer des Papſtes, der die Geg - ner ſeines Hauſes in Florenz leidenſchaftlich haßte, voll - kommen ſicher.

214Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Eine Zeitlang ſtieß ſich alles daran, daß das Vor - rücken des Großſultans bei den italieniſchen Mächten die Hoffnung erweckte, in den Türken den Rückhalt gegen das Haus Oeſtreich zu finden, den ihnen Frankreich nicht mehr gewährte. Da ſchloſſen ſich Mailand und Venedig noch einmal enger an einander. Sie ſetzten gegenſeitige Hülfs - leiſtungen feſt und verſprachen, ein Theil nicht ohne den andern Frieden zu machen. Der Krieg erneuerte ſich in der Lombardei; Leiva nahm Pavia weg; ein paar tauſend Landsknechte unter Graf Felix von Werdenberg drangen den Gardaſee entlang in das Venezianiſche ein, und plün - derten das Gebiet von Brescia. 1Leoni Vita di Francesco Maria 419.

Allein nach dem Abzug Suleimans verlor man in Oberitalien die Luſt, ſich länger und zwar im Grunde doch um eines geringen Vortheils willen zu ſchlagen. 2Jacopo Pitti: tutti calarono le bracche per la fuga Tur - chescha, altrimente l’imperatore haberebbe havuto che fare molto piu che non si pensasse.

Denn ſchon zeigte ſich der Kaiſer zu den billigſten Bedingungen bereit.

Von allem Anfang hatte ihm dieß der Papſt wenig - ſtens in Hinſicht auf Venedig und Mailand gerathen. Er hatte ihm vorgeſtellt, daß er die feſten Plätze der Venezia - ner nicht ohne große Anſtrengung und unverhältnißmäßige Koſten angreifen könne, und ihn erſucht, den Schadener - ſatz, den er von ihnen fordere, fallen zu laſſen. Er war auf die Frage eingegangen, ob es gut ſey, Mailand zu theilen, oder es in ſeiner Integrität an Sforza zurückzugeben, und hatte ihm bewieſen, daß das letzte das ſicherſte ſey, indem215Unterhandlungen in Italien.jede andre Combination neue Feindſeligkeiten erwecken dürfte. 1Schreiben von Rom, doch ohne Zweifel von Sanga, an den ppl. Nuntius, Biſchof von Vaſona, bei dem Kaiſer. Lettere di principi II, 181 185.Es waren hierauf Unterhandlungen hauptſächlich unter päpſt - licher Vermittelung angeknüpft worden.

Der Herzog von Ferrara, der auf ein ähnliches Für - wort des Papſtes nicht rechnen durfte, bahnte ſich ſelbſt ſeinen Weg. Andrea Doria ſoll ihm geſchrieben haben, er könne den Kaiſer nur dadurch gewinnen, daß er ihm Vertrauen zeige. Der Herzog ſah den Kaiſer in Modena; er trug ihm ſelbſt die Schlüſſel der Stadt entgegen; und in der That fand man von Stund an, daß ſich ihm der Kaiſer geneigt erweiſe.

So war alles vorbereitet, als der Kaiſer am 5. Novem - ber 1529 in Bologna einzog, wo der Papſt ſeiner wartete.

Aehnlich, wie die beiden Damen in Cambray, wohnten jetzt Kaiſer und Papſt in zwei an einanderſtoßenden Häu - ſern, die durch eine innere Thür verbunden waren, zu der beide den Schlüſſel hatten. 2Romiſcher keyſerlicher Majeſtat eynreyten gen Bolonia, auch wie ſich bebſtliche Heyligkeit gegen ſeyne Keyſerliche Majeſtat gehal - ten habe 1529. Am Schluß: Und liegen der Keyſer und der Bebſt alſo nah bei einander, das nit mer dan ein kleyn wand zwyſchen inen iſt und haben ein Thuͤr zuſamengehn und jeder ein ſchluͤſſel darzu.

Der Kaiſer bereitete ſich gleichſam vor, ſo oft er mit dem alten Politiker, dem Papſt, perſönlich verhandeln wollte. Er erſchien dann mit einem Zettel in der Hand, worauf er ſich alle Punkte verzeichnet hatte, welche dieß Mal in Betracht kamen.

Das Erſte, worin er den Rathſchlägen des Papſtes Gehör gab, war, daß ſein Rebell, Franz Sforza, den er216Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.einſt ſchon des Herzogthums verluſtig erklärt, vor ihm er - ſcheinen durfte.

Es ſchadete dem Sforza wohl nicht, daß er ſehr krank war. Er mußte ſich auf einen Stab ſtützen, wenn er mit dem Kaiſer redete; der Papſt vermied, ſich den Fuß von ihm küſſen zu laſſen. Aber übrigens zeigte er ſich geſcheidt und wohlgeſinnt; er ſprach ſehr gut und verſtand ſein In - tereſſe hinreichend, um eine völlige Hingebung gegen den Herrn zu zeigen. 1Confidarsi in lei (S. M.) ponersi in man sua. Conta - rini Relatione di Bologna 1530.Den Großen des Hofes kam er mit andern Mitteln bei. Allmählig ließ man da den alten Wi - derwillen gegen ihn fallen.

Indeſſen bemühte ſich auch der venezianiſche Geſandte die Verſtimmung zu beſeitigen, die der Kaiſer gegen ſeine Republik fühlen mochte. Er hatte wohl einmal eine zwei Stunden lange Audienz; er fand doch, daß der Kaiſer die Lage der Republik einſah, ihre Rechtfertigung begriff.

So ward man denn ſehr bald über die Grundlage eines Abkommens einig; die Venezianer ſollten herausge - ben, was ſie vom Kirchenſtaat oder von Neapel beſaßen, aber übrigens ohne Anfechtung bleiben. Auch Franz Sforza ſollte mit dem Staat von Mailand belehnt werden.

Die einzige Schwierigkeit machten die Geldforderun - gen, ſowohl an Venedig als an Mailand. Um der mai - ländiſchen Zahlungen ſicher zu ſeyn, wünſchte der Kaiſer für’s Erſte die Caſtelle von Mailand und Como mit ſeinen Truppen beſetzt zu halten. Am 12. Dez. traf der Courier ein, welcher die Einwilligung des venezianiſchen Senates217Friedensſchluͤſſe zu Bologna.ſowohl in die ihm auferlegten Zahlungen, als in die mai - ländiſchen Verpflichtungen brachte. 1Gregorio Casale 13 Dc. Bei Molini II, p. 263.

Hierauf ward am 23. Dez. ein Vertrag abgeſchloſſen, der zugleich ein Bündniß war. Die Venezianer verſtanden ſich dazu, die Rückſtände an Hülfsgeldern, welche ſie kraft der Verträge von 1523 ſchuldig geworden, im Laufe der nächſten 8 Jahre allmählig abzutragen; überdieß in dem nächſten Jahre noch andre 100,000 Sc.2Tractatus pacis ligae et perpetuae confoederationis bei Du Mont IV, II, p. 53. Bei weitem ſtärker ward Franz Sforza heimgeſucht. Er ſollte in be - ſtimmten Terminen nach und nach 900,000 Sc., und da - von gleich im nächſten Jahre 400,000 Sc. zahlen. Man ſicht, das war jetzt das Syſtem des Kaiſers; er behandelte Mailand und Venedig, wie Portugal und Frankreich; die Anſprüche, die er hätte machen können, ließ er ſich durch Geld vergüten. Wie der Kaiſer Mailand und Venedig, ſo verſprachen die Venezianer Neapel und Mailand im Fall eines Angriffs zu vertheidigen.

Bei weitem minder verſöhnlich als der Kaiſer, zeigte ſich der Papſt. Nur mit großer Mühe ward er bewogen, ſeine Streitigkeiten mit Ferrara einer neuen Erörterung durch den Kaiſer ſelbſt zu überlaſſen. Der Herzog hatte ſich be - quemt, Modena ſogleich als ein Depoſitum in deſſen Hand zu ſtellen.

In der florentiſchen Sache wich Clemens aber vollends keinen Schritt breit. Noch einmal erſchienen Geſandte der Republik in Bologna; aber ſie hatten nur die Aufwallun -3Galeacius Capella lib. VIII, p. 218.218Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.gen des Papſtes zu vernehmen, der ihnen alle die perſön - lichen Beleidigungen vorrückte, welche man ſich dort gegen ihn und ſeine Freunde, die ihn hier umgaben, erlaubt habe. Der Kaiſer ſagte, er ſey nicht nach Italien gekommen, um Jemand etwas zu Leide zu thun, ſondern nur, um Frie - den zu machen, aber er habe dem Papſt nun einmal ſein Wort verpfändet. 1Jacopo Pitti: rispose loro Cesare gratamente dolerli del male pativa la Citta, perche egli non era venuto in Italia, per nuocere ad alcuno, ma per metterci pace, non poter gia in que - sto caso mancare al papa ne credere che voglia il papa cose inconvenienti; replicaronli li oratori, che la citta desiderava so - lamente mantenere il suo governo Cesare disse, che forse il governo parerebbe loro ragionevole, nondimeno haberebbe bi - sogno di qualche corretione. Die Sache war in ſeinem geheimen Rathe öfters erwogen worden. Man hatte geurtheilt, ein - mal ſey Florenz durch die Rebellion ſeiner Privilegien ver - fallen, und der Kaiſer völlig in ſeinem Recht, wenn er es ſtrafen laſſe, ſodann werde die Forderung des Papſtes auch ohnehin die Gerechtigkeit für ſich haben, da ja der Vica - rius Chriſti nichts ungerechtes beginnen werde. 2Erklaͤrung des kaiſ. Beichtvaters bei Varchi p. 338.Schon längſt waren Perugia, Arezzo, Cortona in den Händen der Kaiſerlichen; der Prinz von Oranien, obwohl er von der Rechtmäßigkeit der Anſprüche des Papſtes nicht ſo über - zeugt war, wie ſein Herr, war demſelben doch gehorſam und lagerte mit dem Heer im Februar in der Nähe von Florenz. Während des Carnevals gab es alle Tage Schar - mützel an den Thoren.

Und nun konnte der Kaiſer keinen Augenblick länger in Italien verweilen. Er hatte wohl daran gedacht, ſich219Kroͤnung Carls V. in Rom ſelbſt krönen zu laſſen, und dann nach Neapel zu gehn, aber immer dringender wurden die Aufforderungen ſeines Bruders, die Vorſtellungen deſſelben, daß ſeine An - weſenheit in Deutſchland für alle religiöſen und politiſchen Angelegenheiten unbedingt nothwendig ſey. Es ward be - ſchloſſen, daß die Krönung in Bologna vor ſich gehen ſollte; ſeinen Geburtstag, den Jahrestag der Schlacht von Pavia, wollte der Kaiſer mit dieſem Acte bezeichnen.

Feierliche Handlungen dieſer Art haben das Eigene, daß ſie mit der Bedeutung, die ſie für den Moment ha - ben, unmittelbare Beziehungen mit den fernſten Jahrhun - derten verknüpfen.

Dieß Mal hatte die Krönung viel Beſonderes. Sie geſchah nicht in Rom, wie ſonſt immer, ſondern in Bo - logna. Die Kirche S. Petronio ſollte die Stelle der Pe - terskirche vertreten; die Capellen, welche zu den verſchie - denen Functionen gebraucht wurden, empfingen die Namen der Capellen von S. Peter. Es ward ein Ort in der Kirche beſtimmt, der die Confeſſion Petri vorſtellte. 1Consurgens electus venit ad confessionem B. Petri et in loco humili et depresso ad instar loci ante ingressunr ca - pellae S. Petri de urbe procubuit. Rainaldus XX, 568.

Auch der Kaiſer war nicht wie ſeine Vorgänger er - ſchienen. Er hatte verſäumt die Churfürſten einzuberufen; ein einziger deutſcher Fürſt war zugegen, der noch zu gu - tem Glück den Tag vor der Krönung eintraf, Philipp von der Pfalz, derſelbe, der ſich bei der Vertheidigung von Wien ſo eben einen gewiſſen Namen erworben, auch dem aber kam keine amtliche Bedeutung zu. An eine deut - ſche Ritterſchaft, wie ſie ſonſt ihren Kaiſer an die Tiber -220Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.brücke zu begleiten pflegte, war nicht zu denken; unten auf dem Platz hielten 3000 deutſche Landsknechte, wackere Kriegs - leute, von guter Haltung, aber von einem Spanier befeh - ligt: es war Antonio de Leiva, der auf ſeinem Tragſeſſel von ſchwarzbraunem Sammet ſeinen Einzug vor ihnen her ge - halten hatte. Alles Glänzende, was den Kaiſer umgab, war von Spanien mitgekommen, oder hatte ſich in Italien zu ihm geſellt. Den Zug, mit welchem er ſich am 24. Februar 1530 zwei Tage vorher war ihm unter etwas modificir - ten Feierlichkeiten die eiſerne Krone aufgeſetzt worden zur Kaiſerkrönung nach der Kirche begab, eröffneten ſpaniſche Edelknaben; dann folgten jene ſpaniſchen Herren, deren wir gedacht, wetteifernd in Pomp und Glanz; hierauf die He - rolde, nicht etwa der deutſchen, ſondern vornehmlich der verſchiedenen ſpaniſchen Provinzen; das Scepter trug der Markgraf von Montferrat, das Schwert der Herzog von Urbino, den Reichsapfel jener Pfalzgraf Philipp, endlich die Krone der Herzog von Savoyen. Die Churfürſten ver - wunderten ſich, daß man ihre Aemter Andern zu verwal - ten gegeben, ohne ſie nur zu fragen. Hinter ihnen trat dann der Kaiſer in der Mitte zweier Cardinäle daher: die Mitglieder ſeines geheimen Raths folgten ihm nach. Als wenig Schritte hinter dem Kaiſer der hölzerne Gang, durch den man den Pallaſt mit S. Petronio verbunden, zuſammen - brach, deuteten das Viele dahin, daß er wohl der letzte Kaiſer ſeyn werde, der zu einer römiſchen Krönung gehe, wie das denn in der That wahr geworden iſt; er ſelbſt ſah ſich lächelnd um: er meinte ſein Glück zu erkennen, das ihn auch in dieſem Augenblick vor einem Unfall geſchützt hatte. 1Jovius 27ſtes Buch. De duplici coronatione Caroli V

221Kroͤnung Carls V.

Und nun ward er mit den Sandalen und dem von Edelſteinen ſtarrenden Kaiſermantel bekleidet, der von dem byzantiniſchen Hofe herübergenommen worden; er ward mit dem exorciſirten Oel geſalbt, mit einer Formel, faſt noch ganz der nemlichen, welche einſt Hinkmar von Rheims ge - braucht;1Die Worte der Salbung in dem Ritual: ipse super caput tuum infundat benedictionem, eandem usque ad interiora cordis tui penetrare faciat (bei Rainaldus p. 569 nr. 23, erinnert ſehr an Hinkmars Formel von 877) cujus sacratissima unctio su - per caput ejus defluat atque ad interiora ejus descendat et in - tima cordis illius penetret. Doch iſt die alte Formel durchaus ſchoͤner. er empfing die Krone Carls des Großen, die Inſignien jener alten geheiligten Würde, in der er als das Oberhaupt der Chriſtenheit erſchien; aber zugleich leiſtete er auch den Schwur, den einſt in den Zeiten der Siege der Hierarchie die Päpſte den Kaiſern aufgelegt, daß er den Papſt und die Römiſche Kirche, alle ihre Beſitzthümer, Ehren und Rechte vertheidigen wolle; er war ein gewiſſen - hafter Menſch und wir können nicht zweifeln, daß er den Eid mit allem Ernſt ſeines Gemüthes ablegte. Jene Ver - einigung der geiſtlichen und weltlichen Hierarchie, welche die Idee der lateiniſchen Chriſtenheit fordert, ward noch einmal vollzogen.

Während der Cerimonie ſtand der franzöſiſche Geſandte, Biſchof von Tarbes, zwiſchen dem Stuhl des Kaiſers und dem des Papſtes neben dem Grafen von Naſſau; ſie ſpra - chen viel von der Freundſchaft, die nun zwiſchen ihren Fürſten beſtehe, von der nichts zu wünſchen ſey, als daß ſie lange dauere. Man braucht aber nur den Bericht1Caesaris ap. Bononiam, historiola, autore H. C. Agrippa bei Schardius III, 266.222Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.zu leſen, den der Biſchof darüber an ſeinen Hof erſtattet, um ſich zu überzeugen, daß er wenigſtens davon eben das Gegentheil meinte. Er wollte wahrnehmen, daß der Papſt ſeufze, wenn er ſich unbemerkt glaube. Er verſichert in demſelben Briefe, das lange Beiſammenſeyn der beiden Fürſten habe eher Widerwillen als Freundſchaft zwiſchen ihnen erzeugt: der Papſt habe ihm geſagt, er ſehe daß man ihn betrüge, aber er müſſe thun, als bemerke ers nicht. Genug, er erklärt es für gewiß, daß die Zeit bei dem Papſt Wirkungen hervorbringen werde, mit denen der König von Frankreich zufrieden ſeyn könne. 1Lettre de Mr. de Gramont Ev. de Tarbes à M. l’Admiral Boulogne 25 Fevrier in Le Grand Histoire du divorce tom. III, p. 386.

Auch aus der Correſpondenz des Kaiſers mit ſeinem Bruder ſehen wir, daß er ſich des Papſtes mit nichten für verſichert hielt.

Ueberhaupt dürfte man nicht glauben, daß er als Herr in Italien hätte handeln können: aber den geeigneten Mo - ment, wo die Gegner erſchöpft und muthlos waren, er da - gegen vollkommen ſiegreich, wußte er auf das geſchickteſte zu benutzen, um ſein Uebergewicht zu befeſtigen, eine künf - tige Herrſchaft vorzubereiten.

Der Widerſtand, welchen Florenz leiſtete, feſſelte den Papſt, er mochte ſich in Momenten des Unmuths anſtellen wie er wollte, doch an den Kaiſer. Als es endlich unter - worfen war, gab der Kaiſer dem Hauſe Medici eine ſtaats - rechtlich feſter begründete Macht daſelbſt, als es jemals gehabt, eine Familienverbindung ward vollzogen, die es zu Entzweiungen, wie ehedem, ſchwerlich mehr kommen ließ.

223Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.

Auch Mailands konnte der Kaiſer ſicher ſeyn. Sforza wußte ſehr wohl, daß Franz I ſeine lombardiſchen Anſprüche nicht völlig aufgegeben hatte; wie denn auch vornehme Mi - laneſen ihre Verbindung mit Frankreich ſo bald wie möglich zu erneuern ſuchten. So mußte ſich Sforza wohl unbe - dingt an den Kaiſer, der ihn allein ſchützen konnte, an - ſchließen. In Kurzem trat auch er in öſtreichiſche Ver - wandtſchaft; ein kaiſerlicher General commandirte fortwäh - rend die Truppen in der Lombardei.

Bei weitem unabhängiger hielt ſich Venedig. Aber auch hier hatte im Gegenſatz mit dem Dogen eine Partei den Frieden bewirkt, die der freundſchaftlichen Verhältniſſe mit Oeſtreich und Spanien bedurfte, um ſich zu behaupten. Ueberdieß ward die Republik durch die Osmanen in die Nothwendigkeit geſetzt, einen Rückhalt in Europa zu ſuchen, den ihr keine andre Macht gewähren konnte als die ſpa - niſche. Sie hatte ſich allmählig überzeugt, daß die Zeit der Eroberung und Ausbreitung für ſie auf immer vorüber ſey; für Venedig begann eine neue Aera, deren Charakter durch die Verhältniſſe zu Spanien beſtimmt wurde.

Und nicht minder hatte der Kaiſer Sorge getragen, die kleineren Fürſten und Republiken an ſich zu feſſeln.

Der Markgraf von Mantua empfing die herzogliche Würde; dem Herzoge von Ferrara überließ der Kaiſer Carpi; dem Herzog von Savoyen, ſeinem Schwager, übergab er Aſti, das Franz I abgetreten hatte, zu deſſen nicht geringem Ver - druß; dem Herzoge von Urbino, damals dem namhafteſten italieniſchen Kriegsmanne, hatte er ſeine Dienſte angeboten und in Bologna perſönlich viele Gnade erwieſen.

224Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

In Siena und Lucca lebte der alte gibelliniſche Geiſt wieder auf; er ward von dem Kaiſer ſo viel als thunlich be - günſtigt. Was man auch von der wiederhergeſtellten Frei - heit von Genua ſagen mochte, ſo war doch der Erfolg der Veränderungen, daß Andrea Doria alles leitete. 1Baſadonna: Relatione di Milano 1533. Esso Doria fa il privato e guberna absolutamente Genoa. Del che si doleno Genoesi. Der Zuname, den man ihm noch gab, Il Figone, der Gärtner, denn er war von der Riviera, machte gar bald einem andern Platz: man nannte ihn den Monarchen. Und dieſer Monarch von Genua war der Admiral des Kai - ſers. Die großen Geldbeſitzer traten auf eine andere, nicht minder bindende Weiſe durch die Anleihen, die der Kai - ſer bei ihnen machte mit demſelben in Verhältniß.

Ohne Zweifel: unabhängig konnten ſich dieſe Gewal - ten noch alle dünken: ſie hätten auch eine andere Politik ergreifen können; und zuweilen dachten ſie daran. Aber in ihrer innern oder äußern Lage gab es Beweggründe, die ſie zu einer Vereinigung mit dem Kaiſer trieben; und dieſe wurden jetzt theils mit Abſicht gepflegt, theils auch durch die bloße Natur der Dinge entwickelt, indem Carl ſo mäch - tig war, daß es eine Sache des Ehrgeizes wie des Nutzens wurde, mit ihm in Verbindung zu ſtehen.

So ward die Gewalt eines Kaiſers erneuert, doch war es nicht das alte Kaiſerthum.

Am wenigſten hätte das Reich ſich rühmen dürfen, daß ihm ſeine Gewalt wiedergegeben worden.

Die Churfürſten beklagten ſich, daß ſie weder zu der Krönung berufen, noch zu den Verträgen herbeigezogen wor -225Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.den, die der Kaiſer mit den italieniſchen Mächten geſchloſ - ſen habe. Sie proteſtirten in aller Form, wenn etwas in jenen Verträgen angenommen ſey, das jetzt oder künftig dem h. römiſchen Reiche zum Abbruch oder Nachtheil ge - reichen könne, ſo wollen ſie nicht darin gewilligt haben. 1Proteſtation vom 30. Juli 1530 im Coblenzer Archiv.

Schon früher hatte man bei dem Kaiſer in Erinne - rung gebracht, daß was in Italien erobert worden nicht ihm, ſondern dem Reiche gehöre, man hatte ihn aufgefordert, dem Reiche ſeine Kammern, namentlich Mailand und Ge - nua zurückzuſtellen; dieß werde dann den Gubernator ſetzen, und den Ueberſchuß der Verwaltung zur Handhabung von Frieden und Recht verwenden. Das waren aber nicht die Gedanken des Kaiſers oder ſeiner ſpaniſchen Haupt - leute. Der Herzog von Braunſchweig behauptete, mit Abſicht ſeyen ihm bei ſeinem italieniſchen Zuge im Jahre 1528 von Antonio Leiva Hinderniſſe in den Weg gelegt worden; der Spanier habe keinen deutſchen Fürſten im Mailändiſchen dulden wollen. Und dieſer Leiva nun ward jetzt mit Pavia belehnt, er behielt den Oberbefehl und fürs Erſte die Waffen in den Händen. An deutſchen Einfluß war weder damals noch auch ſpäter zu denken.

Man ſieht: auch politiſch erſchien der Kaiſer nicht als der Repräſentant der nationalen Macht, als er Anfang Mai 1530 über die Tridentiner Alpen nach Deutſchland zurück - kehrte.

2Bucholz III, 92 Anmerkung.
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Ranke d. Geſch. III. 15[226]

Achtes Capitel. Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530.

Ankunft, Abſichten des Kaiſers.

In welchem Gegenſatz ſtanden nun der Kaiſer und die Proteſtanten.

Die Proteſtanten hatten ſich unter einander entzweit, von einander iſolirt, ſie glaubten nicht einmal das Recht des Widerſtandes zu haben. Granvella ſagte noch in Ita - lien, bei dem erſten Sturme würden ſie auseinander flie - gen, wie Tauben, wenn der Geier unter ſie fährt. 1Leodius lib. VII p. 139. Vgl. wie ſich Erasmus gegen Sa - dolet aͤußert: Duae res nonnullam praebent spem, una est genius Caesaris mire felix, altera, quod isti in dogmatibus mire inter se dissentiunt. Ende 1529 oder Anfang 1530. Epp. II, 1258.

Dagegen concentrirte ſich, wenn wir ſo ſagen dürfen, die Energie der lateiniſchen Chriſtenheit in dem Kaiſer; ſie ſah in ihm noch einmal ein mächtiges Oberhaupt an ih - rer Spitze. Unter den großen Mächten war fürs Erſte Friede, und da man auch von den Osmanen für das nächſte Jahr keinen neuen Angriff zu beſorgen brauchte, ſo konnte227Reichstag zu Augsburg 1530.Carl V alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die innern Angele - genheiten von Deutſchland wenden.

Fragen wir nun, welche Abſichten er hegte, indem er über die Alpen nach Deutſchland zurückkam, ſo kann hier nicht von weit in die Zukunft reichenden Plänen die Rede ſeyn, die überhaupt nicht ſo ſehr in ſeiner Natur lagen, wie man wohl glaubt; er hielt im Grunde nur an eini - gen Maximen feſt, die durch die Verträge ſchon feſtgeſtellt, oder ſonſt durch ſeine Lage ihm geboten waren.

Seinem Bruder, der ſich ihm in allen italieniſchen Ver - wickelungen unerſchütterlich treu, bei ſchwachen Kräften doch immer zur Hülfe bereit, und überaus nützlich erwieſen, hatte er dafür verſprochen, ihn zum römiſchen Könige zu erhe - ben. Den Abſichten, dieſe Würde an ein anderes Haus zu bringen, die ſich nicht ohne Gefahr immer wieder er - neuerten, mußte ein Ende gemacht werden. Eben jetzt war dazu die Zeit, in dieſer Fülle von Macht und Sieg.

Ferner mußte man endlich einmal daran gehn, eine aus - reichende Maaßregel gegen die Türken ins Werk zu richten. Die letzten Ereigniſſe hatten den Deutſchen gezeigt, daß es jetzt nicht mehr Ungarn allein gelte, ſondern ihr eignes Vaterland; die in die Augen fallende Noth mußte ſie will - fähriger machen. Für das Beſtehen des Hauſes Oeſtreich war das eine unerläßliche Bedingung.

Noch dringender aber zeigte ſich die Nothwendigkeit in den kirchlichen Angelegenheiten irgend eine Ordnung zu treffen.

Und da hatte ſich nun der Kaiſer in Barcellona ver - pflichtet, zuerſt noch einmal die Herbeiziehung der Abge - wichenen zu verſuchen, ſollte ihm das aber nicht gelingen,15*228Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.alsdann alle ſeine Macht anzuwenden,1Vim potestatis distringent (Carl und Ferdinand). um die Schmach, die man Chriſto angethan, zu rächen.

Ich zweifle nicht, daß dieß wie ſeine Verpflichtung, ſo in der That ſeine Abſicht war.

Wie anſtößig und gewaltſam auch das Gutachten lau - tet, das ihm ſein Begleiter der päpſtliche Legat, Campeggi, überreichte, ſo iſt das doch der Grundgedanke, auf dem es beruht. Zuerſt giebt Campeggi darin die Mittel an, durch welche man die Proteſtanten wieder gewinnen könne: Verſprechungen, Bedrohungen, Verbindung mit den katho - liſch gebliebenen Ständen: für den Fall aber, daß dieß nichts fruchte, hebt er auf das ſtärkſte die Nothwendigkeit hervor, ſie mit Gewalt, wie er ſich ausdrückt, mit Feuer und Schwert zu züchtigen; er fordert, daß man ihre - ter einziehe, und die Wachſamkeit einer Inquiſition wie die ſpaniſche über Deutſchland verhänge. 2Instructio data Caesari dal revmo Campeggio con offerte prima, poi con minaccie ridurli nella via sua cioè del Dio omni - potente. Das Gutachten iſt wohl der Rathſchlag zu Bononien be - ſchloſſen, welchen Eck kannte. Vgl. Luther: Warnung an ſeine lie - ben Deutſchen. Altenb. V, 534.

Eben dahin zielt alles, was uns aus der Correſpon - denz des Kaiſers mit ſeinem Bruder bekannt geworden iſt.

Ferdinand hatte, wie wir wiſſen, ſich in Unterhand - lungen mit Churfürſt Johann von Sachſen eingelaſſen, aber er verſichert den Kaiſer, er thue es nur, um die Sache hinzuhalten. Ihr könntet meinen, fügt er hinzu, es ſey zu viel was ich gewähre, und Ihr möchtet dadurch gehindert werden zur Strafe zu ſchreiten. Monſeigneur, ich werde ſo lange wie möglich unterhandeln und nicht abſchließen;229Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.ſollte ich aber auch abgeſchloſſen haben, ſo giebt es viele andre Anläſſe, ſie zu züchtigen, ſo oft es Euch gefällt, Rechtsgründe, ohne daß Ihr der Religion zu gedenken braucht; ſo manchen ſchlimmen Streich haben ſie auch au - ßerdem ausgeübt, und Ihr werdet Leute finden, die Euch dazu gern behülflich ſind. 1Schreiben Ferdinands an den Kaiſer, Budweis 18. Januar bei Gevay Urkunden von 1531 p. 67. Vgl. das Excerpt aus dem Schreiben des Kanzlers bei Bucholz III, 427.

Das war alſo die Abſicht, zuerſt in aller Güte einen Verſuch zu machen, ob man nicht die Proteſtanten zur Ein - heit der lateiniſchen Chriſtenheit, die nun wieder in Frie - den geſetzt war, und als ein großes Syſtem erſchien, zu - rückführen könne; für den Fall aber, daß das nicht gelinge, ſtellte man ſich ſelbſt die Anwendung von Gewalt in Aus - ſicht, und behielt ſich das Recht dazu ſorgfältig vor.

Doch wäre es nicht gerathen geweſen, die Antipathien eines beleidigten Selbſtgefühls durch Bedrohungen zu rei - zen. Milde iſt nur dann Milde, wenn ſie allein erſcheint. Zunächſt beſchloß man, nur dieſe Seite hervorzukehren.

In Wahrheit, es kann nichts Friedeathmenderes ge - ben als das Ausſchreiben des Kaiſers zum Reichstag, worin er ſeinen Wunſch ankündigt, die Zwietracht hin - zulegen, vergangene Irrſal unſerm Heiland zu ergeben, und ferner eines jeden Gutdünken, Opinion und Meinung in Liebe zu hören, zu erwägen, zu einer chriſtlichen Wahrheit zu bringen, alles abzuthun, was zu beiden Seiten nicht recht ausgelegt worden. In dem Pallaſt, wo der Kaiſer neben dem Papſt wohnte, ward dieſer Erlaß unterzeichnet. Der Papſt ließ dem Kaiſer freie Hand. Auch er wäre230Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.höchlich zufrieden geweſen, wenn die Maaßregeln der Milde Erfolg gehabt hätten.

Auch brachte dieſes Ausſchreiben eine ſehr gute Wir - kung hervor. Die altgläubigen Fürſten hatten von der Stimmung des kaiſerlichen Hofes, ſeiner Verbindung mit dem päpſtlichen hinreichende Kenntniß, um bei der Erſchei - nung Carls die lebhafteſten Hoffnungen zu faſſen, wie er ſich auch immer ausdrücken mochte. Sie eilten, ihre Be - ſchwerden zuſammenzuſtellen, die alten Gutachten und Rath - ſchläge zur Abſtellung der lutheriſchen Bewegung noch ein - mal zu revidiren. Es gefällt uns wohl, heißt es in der Inſtruction des Adminiſtrators von Regensburg an ſei - nen Reichstagsgeſandten, daß die Neuerung wider die wohl und lang hergebrachten Gebräuche der Kirche ausgerot - tet und zum beſten gewandt werde. 1Foͤrſtemann Urkundenbuch zur Geſchichte des Reichstags von Augsburg Bd. I, p. 209.Zunächſt hielt der Kaiſer in Insbruck Hof, um ſich nach dem Rathe ſeines Bruders den Erfolg der Reichstagsgeſchäfte durch vorbe - reitende Verhandlungen zu ſichern. Welcher Art dieſelben wenigſtens zum Theil geweſen ſind, läßt ſich unter andern daraus abnehmen, daß der venezianiſche Geſandte eine Rech - nung ſah, nach welcher der kaiſerliche Hof von ſeiner Ab - reiſe aus Bologna bis zum 12. Juli 1530 270,000 Schild - thaler an Geſchenken verausgabt hatte. Zu der Erſcheinung des Glückes und der Macht, welche durch eine natürliche Kraft anziehen, kam nun, wie es ſeit Jahrhunderten in Deutſchland der Gebrauch war, Gnade und Begabung. Al - les was von dem Hofe Gunſt zu erwarten hatte, ſtrömte da -231Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.hin, und man vergaß faſt, daß der Reichstag ſchon längſt hätte angehn ſollen; ein jeder ſuchte hier ohne Verzug ſeine Geſchäfte abzumachen.

Schon glaubte man an einem Beiſpiel abnehmen zu können, welche Wirkung die Erſcheinung des Kaiſers auch auf die religiöſen Angelegenheiten ausüben werde. Der Schwager deſſelben, der verjagte König Chriſtiern von - nemark, der ſich bisher an Luther gehalten, mit dieſem in Briefwechſel geſtanden, und ſich unumwunden zu deſſen Lehre bekannt hatte, fühlte ſich in Insbruck bewogen, zu dem alten Glauben zurückzukehren. Der Papſt war entzückt, als er es vernahm. Ich kann nicht ausdrücken, ſchreibt er dem Kaiſer, mit welcher Rührung mich dieſe Nachricht erfüllt hat. Der Glanz der Tugenden Ew. Majeſtät be - ginnt die Nacht zu verſcheuchen, dieß Beiſpiel wird auf Unzählige wirken. 1Relatio viri nobiiis Nic. Theupulo doctoris, 1533: ne in esso vi erano spese se non di doni fatti a diversi signori (wohl auch italieniſche).Er genehmigte die Abſolution Chri - ſtierns und legte demſelben eine Buße auf, die er nach der Herſtellung in ſeinem Reiche zu vollziehen habe. Der Kai - ſer ſelbſt hoffte, wie es ihm wider ſein eignes Erwarten gelungen, Italien zu beruhigen, ſo werde es ihm auch in Deutſchland nicht fehlen. In Rom erwartete man alles von dem glücklichen Geſtirn, unter dem er zu ſtehen ſchien.

Und ließen ſich nicht die Dinge in der That auch hiezu ſehr günſtig an?

Auch bei den Proteſtanten hatte das Ausſchreiben des Kaiſers die beſte Aufnahme gefunden. Von allen Fürſten2Roma 3 Giugno 1530. Lettere di principi II, p. 194.232Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.war der, auf welchen das Meiſte ankam, der Churfürſt von Sachſen, auch der Erſte der in Augsburg eintraf. Er verſäumte nicht, dem Kaiſer, der in denſelben Tagen die Alpen überſtiegen, zu ſeiner Ankunft im Reiche Glück zu wünſchen, die er mit unterthäniger Freude vernommen; er werde Sr. Majeſtät, ſeines einigen Obern und Herrn, zu Augsburg in Unterthänigkeit warten. 1An Naſſau und Waldkirch, 14. Mai bei Foͤrſtemann I, 162. 164.Er hatte auch ſeine Bundesgenoſſen aufgefordert, ihm zu folgen; denn der Reichstag zu Augsburg ſcheine das Nationalconcilium zu ſeyn, das man ſo lange erwartet, das man ſchon ſo oft vergebens gefordert habe; wo man nun die Beilegung des religiöſen Zwieſpaltes hoffen könne. 213. Maͤrz ibid. p. 24. Vgl. das Gutachten von Bruͤck, p. 11. In einer Ermanung reymenweiß von Hans Marſchalk 1530, wird Gott gebeten offenbar zu machen ſein Wort, damit es komme an ein Ort in dieſem Reichstag und Concilio. Da erſcheinen noch einmal die Hoffnungen der fruͤhern Jahre. Der Kaiſer wird ermahnt ſich des göttlichen Wortes anzunehmen, damit nicht weyter werd ge - plent das arm volk der Chriſtenheit, welches lang auf ſchmaler weyd des Glaubens halb irr gangen iſt.

Die Unterhandlungen des Churfürſten mit König Fer - dinand hatten, wie man ſchon nach obigen Aeußerungen vermuthen kann, zu keinem Abſchluß geführt, doch waren ſie eben ſo wenig abgebrochen worden. Auch Churf. Johann hatte gar manche anderweite Geſchäfte mit dem kaiſerli - chen Hofe: auch von ihm erſchien ein Geſandter in Ins - bruck. Sollte es da nicht möglich ſeyn, ihn zu gewin - nen? Man machte einen Verſuch, ihn ſelber nach Ins - bruck zu ziehn. Der Kaiſer ließ ihm ſagen, er möge ſich aller Freundſchaft zu ihm verſehen, ihn auffordern,233Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.ſo gut wie viele andre zu ihm an den Hof zu kommen. In den Sachen, die durch ſie beide ausgerichtet werden können, denke er wohl ſich mit ihm zu vereinigen.

Hier aber zeigte ſich nun auch der erſte Widerſtand. Es hatte den Churfürſten unangenehm berührt, daß der Kaiſer durch eine andre Geſandtſchaft in ihn gedrungen, den Predigern, die er mit ſich gebracht, Stillſchweigen auf - zuerlegen. Er hielt dieſe Forderung für den Verſuch einer unbefugten Entſcheidung vor aller Unterſuchung, und glaubte nicht anders, als daß man dieſen Act der Nachgiebigkeit, den er in Augsburg zurückgewieſen, in Insbruck von ihm erzwingen werde, falls er daſelbſt erſcheine. Ferner ſah er den Hof mit ſeinen perſönlichen Gegnern bereits er - füllt. Auch ſchien es ihm nicht gut, Reichstagsgeſchäfte an einem andern Orte vorzunehmen, als der dazu beſtimmt war. Genug er blieb dabei, er wolle des Kaiſers in Augs - burg warten.

Ueberhaupt war die Haltung, welche die in Augsburg angekommenen Proteſtanten annahmen, der Beifall, welche die Predigten in der Stadt fanden, die allgemeine Gunſt, welche ſie in Deutſchland genoſſen, dem kaiſerlichen Hofe unerwartet. Gattinara ſah bald, daß der Kaiſer mehr Schwierigkeiten finden werde, als er wohl ſelber geglaubt. Gattinara, ein alter Gegner der päpſtlichen Politik, und ohne Zweifel der gewandteſte Politiker, den der Kaiſer beſaß, wäre vielleicht der Mann geweſen, den Abſichten des Hofes eine Modification zu geben, in der ſie ſich er - reichen ließen; ſelbſt die Proteſtanten rechneten auf ihn. Gerade in dieſem Augenblick aber ſtarb er; eben hier, zu234Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Insbruck. Den Uebrigen machte die Lage der Dinge ſo viele Bedenklichkeiten nicht. Was zu Insbruck nicht ge - lungen, hofften ſie auf die eine oder die andre Weiſe in Augsburg durchzuſetzen.

Am 6. Juni brach der Kaiſer dahin auf. Er nahm ſeinen Weg über München, wo er prächtig empfangen ward. Mit den weltlichen und geiſtlichen Fürſten von Oeſtreich und Baiern, denſelben, die einſt das Regensburger Bünd - niß geſchloſſen hatten, langte er am 15ten gegen Abend an der Lechbrücke vor Augsburg an.

Schon ein paar Stunden wartete ſeiner die glänzendſte Verſammlung von Reichsfürſten, die man ſeit langer Zeit geſehn; geiſtliche und weltliche, von Ober - und von Nie - derdeutſchland, beſonders zahlreich auch die jungen Fürſten, die noch nicht zur Regierung gelangt waren. So wie der Kaiſer ſich näherte, ſtiegen ſie ſämmtlich vom Pferde und gingen ihm entgegen; auch der Kaiſer ſtieg ab und reichte einem jeden freundlich die Hand. Der Churfürſt von Mainz begrüßte ihn im Namen aller dieſer verſammelten Glieder des heiligen römiſchen Reichs. Hierauf ſetzte ſich alles zu dem feierlichen Einzuge in die Reichsſtadt in Bewegung. Haben wir der dem deutſchen Weſen ſchon faſt entfrem - deten Kaiſerkrönung unſre Aufmerkſamkeit gewidmet, ſo -1Raince, Rome 1. Juin. Le s. père est adverti, que le chancelier se trouvoit aucunement (einigermaaßen, wie Raince das Wort oft braucht) deçu de l’oppinion facille, en quoy il en avoit été et qu’il commençoit à confesser qu’il s’appercevoit les choses en tout cas y être plus laides, qu’ils ne pensoient. MS Be - thune 8534.235Reichstag zu Augsburg. Einzug.gen wir auch bei dieſer noch weſentlich vaterländiſchen Ce - rimonie des Einzuges einen Augenblick verweilen. 1Wir haben daruͤber vier verſchiedene Berichte, 1) in der Altenb. Sammlung lutheriſcher Werke, 2) in Cyprians Geſchichte der augsburgiſchen Confeſſion, und zwei fliegende Blaͤtter, 3) Kaiſerl. Maj. Einreitung zu Muͤnchen etc., 4) Kaiſ. Maj. Einreiten zum Reichstag gen Augsburg. Die erſten beiden ſind auch bei Walch, die beiden andern bei Foͤrſtemann abgedruckt. Einige Momente ent - nahm ich noch aus den Briefen Fuͤrſtenbergs.

Voran zogen zwei Fähnlein Landsknechte, denen der Kaiſer, der nun als der gekommene Herr dieſer kaiſerlichen Stadt betrachtet ſeyn wollte, die Wache derſelben anzuver - trauen gedachte. Sie waren jetzt erſt geworben, und nicht alle hatten bereits die militäriſche Haltung, die man in Deutſchland fordert, jedoch fanden ſich viele unter ihnen, welche die italieniſchen Kriege mitgemacht, einige, die darin reich geworden waren. Vor allem bemerkte man einen Augs - burger Bürger, Simon Seitz, der dem Kaiſer als Feld - ſchreiber gedient, und der jetzt, prächtig in Gold gekleidet auf brauner Jenete mit koſtbar geſtickter Decke, nicht ohne glänzenden Troß zurückkehrte.

Hierauf folgten die reiſigen Mannen der ſechs Chur - fürſten. Die ſächſiſchen führten nach altem Herkommen den Zug an; ungefähr 160 Pferde, alle mit ihrem Schieß - zeug, in Leberfarbe gekleidet. Es waren zum Theil das Hofgeſinde, Fürſten und Grafen, Vierroſſer, Zweiroſſer und Einroſſer; zum Theil die Grafen, Räthe und Edelleute, die vom Lande einberufen waren. Man bemerkte bereits den Churprinzen, der das erſte Bündniß mit Heſſen vermittelt. Dem ſächſiſchen folgten die pfälziſchen, brandenburgiſchen, cölniſchen, mainziſchen und trieriſchen Haufen, alle in ihrer236Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.beſondern Farbe und Rüſtung. Nach der Hierarchie des Reiches hätten die Baiern nicht hieher gehört. Aber ſie hatten, ehe man ſie verhindern konnte, ihren Platz ſich ſel - ber genommen; und wenigſtens ſtellten ſie ſich vortrefflich dar. Sie waren alle in lichtem Harniſch, rothen Leibröcken gekleidet; je fünfe ritten in einem Gliede; große Federbüſche kündigten ſie von fern an: es mochten 450 Pferde ſeyn.

Man bemerkte den Unterſchied, als nun nach dieſer ſo durchaus kriegeriſchen Pracht die Höfe des Kaiſers und des Königs anlangten; voran die Pagen, in gelbem oder rothem Sammet gekleidet, dann die ſpaniſchen, böhmiſchen und deutſchen Herrn, in ſammetnen und ſeidnen Kleidern, mit großen goldnen Ketten, aber faſt alle ohne Harniſch. Dagegen ritten ſie die ſchönſten Pferde; türkiſche, ſpaniſche und polniſche. Die Böhmen verſäumten nicht, ihre Hengſte wacker zu tummeln.

Dem Geleite folgten nun die Herren ſelbſt.

Ein paar Reihen Trompeter, zum Theil in des - nigs, zum Theil in des Kaiſers Farben, Heerpauker mit ihren Trommelſchlägern, Perſevanten und Herolde kündig - ten ſie an.

Es waren alle die mächtigen Herren, die in ihren wei - ten Gebieten faſt ohne Widerſpruch herrſchten, deren nach - barliche Entzweiungen Deutſchland mit Getümmel und Krieg zu erfüllen pflegten; Ernſt von Lüneburg und Heinrich von Braunſchweig, die noch wegen der Hildesheimiſchen Fehde in unausgetragenem Zwiſte lagen; Georg von Sachſen und ſein Schwiegerſohn Philipp von Heſſen, die aber vor Kur - zem in den Packiſchen Unruhen ſo hart an einander gera -237Reichstag zu Augsburg. Einzug.then waren; die Herzoge von Baiern und ihre Vettern, die Pfalzgrafen, die nach flüchtiger Annäherung ſich wieder von einander zu entfernen begannen; neben den Brandenburgern die Herzoge von Pommern, die jenen zum Trotz auf dem Reichstag zu einer unmittelbaren Belehnung zu gelangen gedachten. Jetzt erkannten ſie einmal ſämmtlich einen - heren über ſich an, und erwieſen ihm gemeinſchaftliche Ver - ehrung. Den Fürſten folgten die Churfürſten, ſowohl welt - liche wie geiſtliche. Neben einander ritten Johann von Sachſen und Joachim von Brandenburg, die einander nicht wenig grollten, und wäre es nur wegen der Irrungen gewe - ſen, welche die Flucht der Gemahlin des Markgrafen ver - anlaßt hatte; ſchon war dieſe Sache bei dem Kaiſer zur Sprache gekommen; noch einmal trug da Churfürſt Hans ſeinem Kaiſer das bloße Schwert vor. Denn den Chur - fürſten folgte ihr erkorner und nun gekrönter Kaiſer, un - ter einem prächtigen dreifarbigen Baldachin, welchen ſechs Herren vom Augsburger Rathe trugen, auf einem polniſchen weißen Hengſte. Man bemerkte, daß er allein in dieſer Umgebung fremd erſchien; vom Kopf bis auf den Fuß war er ſpaniſch gekleidet. Er hätte ſeinen Bruder auf der einen und den Legaten auf der andern Seite neben ſich zu haben gewünſcht; denn dieſem wollte er überhaupt die höchſte Ehre erweiſen: die geiſtlichen Churfürſten ſollten demſelben den Vor - rang laſſen. Allein ſie waren dahin nicht zu bringen geweſen. Es ſchien ihnen ſchon Ehre genug, daß, als der Legat er - ſchien, der Gelehrteſte aus ihrem Collegium, Churfürſt Joa - chim, der ſich im Lateiniſchen mit hinreichender Geläufig - keit ausdrückte, und wenigſtens bei weitem beſſer als die238Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Geiſtlichen, ihn begrüßte. Außerhalb des Baldachins ritten nun König Ferdinand und der Legat neben einander. Ihnen folgten die deutſchen Cardinäle und Biſchöfe, die fremden Geſandten und Prälaten. Man nahm darunter den ſtolzen Beichtvater des Kaiſers, den Biſchof von Osma wahr. 1Contarini: di spirito molto alto.

An den Zug der Fürſten und Herrn ſchloſſen ſich aufs neue die Reiſigen an, die des Kaiſers alle in Gelb, die des Königs alle in Roth gekleidet, mit denen hier die Reiter der geiſtlichen und weltlichen Fürſten wetteiferten; jede Schaar in ihrer beſondern Farbe, alle entweder mit Harniſchen und Spießen, oder als Schützen mit Schießzeug gerüſtet.

Die Augsburger Mannſchaften, die am Morgen aus - gezogen, den Kaiſer zu empfangen, zu Fuß und zu Pferd, Söldner und Bürger, machten bei dem Einzug den Beſchluß.

Denn das war überhaupt der Sinn der Cerimonie, daß das Reich ſeinen Kaiſer einholte. Bei St. Leonhard empfing ihn die Cleriſey mit dem Geſang: Advenisti de - siderabilis; die Fürſten begleiteten ihn noch in den Dom, wo ein Tedeum geſungen und der Segen über ihn ausge - ſprochen ward, und verließen ihn erſt, als er in ſeiner Woh - nung in der Pfalz angekommen war.

Aber gleich hier, nachdem man kaum noch einmal, und zwar auch in der Kirche, vereinigt geweſen, trat die große alles zerſetzende Frage, welche die Verſammlung beſchäfti - gen ſollte, in aller ihrer Schärfe hervor.

Die Proteſtanten hatten den geiſtlichen ſo wie den welt - lichen Cerimonien beigewohnt, und es mochte dem Kaiſer239Reichstag zu Augsburg. Erſte Irrung.rathſam ſcheinen, den erſten Moment ſeiner Anweſenheit, den Eindruck ſeiner Ankunft zu benutzen, um ſie zu einer weſentlichen Nachgiebigkeit zu vermögen.

Indem die übrigen Fürſten ſich entfernten, ließ der Kaiſer den Churfürſten von Sachſen, den Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzog Franz von Lüneburg und Landgraf Philipp in ein beſonderes Zimmer rufen, und ſie durch ſeinen Bruder auffordern, die Predigten nunmehr abzuſtellen. Die älteren Fürſten erſchraken und ſchwiegen. Der Landgraf ergriff das Wort und ſuchte die Weigerung darauf zu begründen, daß ja in den Predigten nichts an - deres vorkomme, als das reine Gotteswort, wie es auch S. Auguſtinus gefaßt habe. Argumente, die dem Kaiſer höchſt widerwärtig waren. Das Blut ſtieg ihm darüber ins Geſicht, und er wiederholte ſeine Forderung um ſo ſtär - ker. Allein er ſtieß hier auf einen Widerſtand ganz an - derer Art, als ihm jene italieniſchen Mächte leiſteten, die nur Intereſſen eines ſchon ſehr zweifelhaft gewordenen Be - ſitzes verfochten. Herr, ſagte jetzt der alte Markgraf Ge - org, ehe ich von Gottes Worte abſtünde, wollte ich lieber auf dieſer Stelle niederknien, und mir den Kopf abhauen laſ - ſen. Der Kaiſer, der nichts als Worte der Milde von ſich hören laſſen wollte, und von Natur wohlwollend war, erſchrak ſelbſt über die Möglichkeit, die ihm hier aus frem - dem Munde entgegentrat. Lieber Fürſt, erwiederte er dem Markgrafen in ſeinem gebrochenen Niederdeutſch, nicht Köpfe ab. 1Eine ſehr glaubwuͤrdige Nachricht hieruͤber in dem Schrei - ben des nuͤrnbergiſchen Geſandten, die der Landgraf in derſelben Nacht

240Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Auch an der Frohnleichnamsproceſſion, die des an - dern Tages gehalten ward, weigerten ſich die Proteſtanten Theil zu nehmen. Hätte der Kaiſer ihre Begleitung ver - langt als einen Hofdienſt, ſo würden ſie ihm dieſelbe wahr - ſcheinlich geleiſtet haben, ſie ſagten ſelbſt, wie Naman in der Schrift ſeinem König, allein er forderte ſie auf, dem allmächtigen Gott zu Ehren. Auf einen ſolchen Grund hin ſich einzuſtellen, würde ihnen als eine Verletzung des Gewiſſens erſchienen ſeyn. Sie erwiederten, nicht dazu habe Gott das Sacrament eingeſetzt, daß man es anbete. Die Proceſſion, der es überhaupt an dem alten Glanze fehlte, fand ohne ſie Statt.

In Hinſicht der Predigt gaben ſie zwar zuletzt nach, aber erſt dann, als der Kaiſer verſprochen, auch der ent - gegengeſetzten Partei Stillſchweigen zu gebieten. Er ſelbſt ernannte einige Prediger, die aber nur den Text ohne alle Auslegung verleſen ſollten. Und auch ſo weit würden ſie nicht zu bringen geweſen ſeyn, wenn man ihnen nicht bemerk - lich gemacht hätte, daß der Reichsſchluß von 1526, auf den ſie ſich immer bezogen, den ſie nicht hatten widerrufen laſſen wollen, dieß rechtfertige. Der Kaiſer ward wenig - ſtens, ſo lange er anweſend war, als die rechtmäßige Obrig - keit einer Reichsſtadt betrachtet. 1Schrift aus Augsburg. Altenb. V, 26. Walch 16, 873. (Bei W. unter Spalatins Namen aber nicht vollſtaͤndig.) Brenz an Iſenmann 19. Juni Corp. Ref. II, 117.

Wir ſehen wohl: keinen Schritt breit ließen ſich die Proteſtanten von ihrer Ueberzeugung, von ihrem guten Recht1noch hatte wecken und ihnen den Vorgang melden laſſen, 16. Juni bei Bretſchneider C. Ref. III, 106. Ein wenig abweichend, Heller bei Foͤrſtemann.241Augsburgiſche Confeſſion.verdrängen. Die Forderungen des anweſenden Kaiſers mach - ten bei ihnen nicht im mindeſten mehr Eindruck, als die Anmuthungen des noch entfernten gethan. Hatte der Kai - ſer auf Nachgiebigkeit gerechnet, ſo waren dieß keine Vor - zeichen, die ihm Hoffnung geben konnten.

Endlich am 20. Juni wurden die Verhandlungen er - öffnet. In der Propoſition, die an dieſem Tage verleſen ward, drang der Kaiſer, wie billig, vor allem auf eine dem Zwecke entſprechende Rüſtung wider die Türken; zugleich er - klärte er aber ſeine Abſicht, die religiöſen Irrungen in Milde und Güte beizulegen, und wiederholte die Aufforderung des Ausſchreibens, daß zu dem Ende ein jeder ſeine Mei - nung, Gutbedünken, Opinion ihm in Schriften überant - worten möge.

Da der Reichsrath den Beſchluß faßte, zuvörderſt die Religionsſache vorzunehmen, ſo mußte nun ſofort der große Kampf ſich eröffnen.

Augsburgiſche Confeſſion.

Die Proteſtanten eilten zunächſt eine Schrift vollends fertig zu machen, in der ſie ihre religiöſe Ueberzeugung den Reichsſtänden zuſammengefaßt darzulegen gedachten.

1J. Mt. hat aus angeporner Guͤte und Miltigkeit dieſen Weg (der Guͤte) nach vermoͤge des Ausſchreibens furgenommen, der ent - lichen Hofnung, der ſoll bei allen verſtendigen ein billiges anſehn ha - ben und menniglich dahin bewegen und leitten, daß alle Sachen wie - der zum Beſten gekehrt und gewendet werden, damit J. Mt. inn irem gnedigen Fuͤrhaben verharren und pleiben. Bei Foͤrſtemann I, 308 ſieht man, wie manche Abweichungen die Copien darbieten. Die Frankfurter hat deren noch viel mehr z. B. aus eingeborner Gun - ſtigkeit, der moͤglichen Hofnung u. ſ. w. Doch iſt der Sinn der nemliche.
1Ranke d. Geſch. III. 16242Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Es iſt dieß die Augsburgiſche Confeſſion und ihr Ur - ſprung folgender.

Unmittelbar nach Empfang des kaiſerlichen Ausſchrei - bens hatte man in Sachſen für gut gehalten, die Meinung, auf welcher man bisher geſtanden und auf welcher man verharre, in der regelmäßigen Form einer Schrift zuſam - menzuſtellen. 1So faßte zuerſt Kanzler Bruͤck den Gedanken, wie ſein Zeddel ausweiſt; bei Foͤrſtemann I, 39.

So hatte man ſich einſt zu jener Nationalverſammlung im J. 1524 von allen Seiten vorbereitet; etwas Aehnliches geſchah auch in dieſem Augenblick wieder auf der entgegen - geſetzten Seite, z. B. in Ingolſtadt. 219. Februar 1530. Auszug bei Winter I, 270.

In Wittenberg legte man nun in Hinſicht der Lehre jene ſchwabacher Artikel zu Grunde, in denen ſich die Tren - nung der lutheriſchen von den oberländiſchen Theologen aus - geſprochen. Es iſt ſehr merkwürdig, daß bei Abfaſſung der Confeſſion das Gefühl einer Abſonderung von den Na - heverwandten wenigſtens nicht minder lebhaft war, als das Bewußtſeyn des urſprünglichen Gegenſatzes, welcher die große Bewegung hervorgebracht hatte. Die Abſonderung erſchien um ſo ſtärker, da indeß Zwingli und die Seinen von einigen Zugeſtändniſſen, die ſie in Marburg gemacht, und die von der marburger Uebereinkunft in die ſchwaba - cher Artikel übergegangen, wieder zurückgetreten waren.

Dieſe ſchwabacher Artikel überarbeitete nun Melanch - thon mit dem Geiſte der Gründlichkeit und Ordnung, der ihm eigen war, und in der unläugbaren Abſicht möglichſter Näherung an den katholiſchen Lehrbegriff. Die Erläuterun - gen über die Lehre vom freien Willen und vom Glauben,243Augsburgiſche Confeſſion.die er neu hinzufügte, waren höchſt gemäßigt; er bezeich - nete ausführlicher, welche Irrthümer der Ketzer, die dann auch immer von der römiſchen Kirche verworfen waren, man bei den verſchiedenen Artikeln verdamme; er ſuchte dieſe Artikel nicht allein mit der Schrift, ſondern auch mit den Lehren der Kirchenväter, namentlich des Auguſti - nus zu bewähren; das Gedächtniß der Heiligen verwarf er nicht durchaus, er ſuchte es nur näher zu beſtimmen; die Würde der weltlichen Obrigkeit hob er auf das nachdrück - lichſte hervor, und ſchloß endlich mit der Behauptung, daß dieſe Lehre nicht allein in der Schrift klar gegründet ſey, ſondern auch der römiſchen Kirche, ſo weit ſich das aus den Vätern abnehmen laſſe, nicht widerſtreite; unmöglich könne man darüber mit ihnen uneins ſeyn, oder gar ſie Ketzer nennen.

Und meines Dafürhaltens kann man gar nicht läug - nen, daß die Lehre, wie ſie hier erſcheint, noch ein Pro - dukt des lebendigen Geiſtes der lateiniſchen Kirche iſt, das ſich ſogar noch innerhalb der Grenzen derſelben hält, von allen ſeinen Hervorbringungen vielleicht die merkwürdigſte, innerlich bedeutendſte. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſie die Farbe ihres Urſprunges trägt, daß ihr nament - lich der Grundbegriff, von dem Luther in dem Artikel von der Rechtfertigung ausgegangen, etwas Individuelles ver - leiht; aber ohne dieß entſtehen menſchliche Dinge nun ein - mal nicht. Derſelbe Grundbegriff war in der lateiniſchen Kirche mehr als einmal überaus wirkſam hervorgetreten; Luther hatte ihn nur wieder mit aller Gewalt des religiö - ſen Bedürfniſſes ergriffen, und in dem Kampfe mit ent -16*244Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gegengeſetzten Meinungen ſo wie in der Ueberlieferung an das Volk bis zur Allgemeingültigkeit ausgebildet; kein Menſch könnte ſagen, daß ihm, wie er hier erſcheint, etwas Sectireri - ſches beiwohne. Dabei blieb es, daß man ſich den Ausbildun - gen des Dogma’s, welche in den letzten Jahrhunderten herr - ſchend geworden, widerſetzte; man war weit entfernt, auch nur den Ausſprüchen eines Kirchenvaters maaßgebende, be - weiſende Autorität zuzuſchreiben; aber man war ſich bewußt, daß man ſich von ihrer Auffaſſung nicht weſentlich entfernt habe. Es giebt eine geheime Tradition, die ſich nicht ſo - wohl in Formeln ausſpricht, als in der urſprünglichen Faſ - ſung des Begriffes, welcher nicht immer alle die Nothwen - digkeit hat, die ihm beizuwohnen ſcheint, und doch die in - nere Thätigkeit des denkenden ſchaffenden Geiſtes beherrſcht. Man fühlte ſehr wohl, daß man noch auf dem alten Grund und Boden ſtand, wie er durch Auguſtinus befeſtigt wor - den. Man hatte den Verſuch gemacht, den Particularis - mus zu durchbrechen, deſſen Feſſeln die lateiniſche Kirche in den letzten Jahrhunderten ſich hatte auflegen laſſen, ſein Joch von ſich zu werfen; man war ganz allein auf die Schrift zurückgegangen, an deren Buchſtaben man ſich hielt. Aber war nicht die Schrift lange Zeiträume hindurch auch in der lateiniſchen Kirche eifrig ſtudirt, als die Norm des Glaubens betrachtet worden? War nicht vieles, was dieſe Kirche annahm, wirklich in der Schrift gegründet? Daran hielt man ſich; das übrige ließ man fallen.

Ich wage nicht zu ſagen, daß die augsburgiſche Con - feſſion den reinen Inhalt der Schrift dogmatiſch feſtſtelle; ſie iſt nur eine Zurückführung des in der lateiniſchen Kirche245Augsburgiſche Confeſſion.entwickelten Syſtems bis zur Uebereinſtimmung mit der Schrift, oder eine Auffaſſung der Schrift in dem urſprüng - lichen Geiſt der lateiniſchen Kirche: der jedoch mehr un - bewußt wirkte, als daß man ſich an irgend eine ſchon da - geweſene Manifeſtation deſſelben gebunden hätte; unſer Be - kenntniß iſt ſelber ſeine reinſte, der Quelle am nächſten kom - mende, am ächteſten chriſtliche Manifeſtation.

Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß man damit nicht gemeint war, eine Norm auf immer anzuge - ben. Es iſt nur eine Feſtſtellung des Factums; Unſre Kirchen lehren; es wird gelehrt; es wird einmüthig ge - lehrt; man beſchuldigt die Unſren fälſchlich: das ſind die Ausdrücke, deren ſich Melanchthon bedient; er will nur die bereits entwickelte Ueberzeugung ausſprechen.

Und in demſelben Sinne hat er nun auch den zweiten Abſchnitt geſchrieben, in welchem er die Mißbräuche erör - tert, die man abgeſchafft hat.

Welch ein weites Feld bot ſich hier einer gehäſſigen Polemik dar! Was ließ ſich alles über die Eingriffe der päpſtlichen Gewalt ſagen, zumal an dem Reichstag, deſſen Antipathien dagegen man vielleicht hätte erwecken können, über die Ausartungen eines falſchen Gottesdienſtes, wie wir denn in der That unter den Entwürfen der Schrift ein langes Regiſter derſelben vorfinden doch hielt man für beſſer, dieß zu vermeiden. Melanchthon blieb dabei ſtehen, den kirchlichen Zuſtand zu rechtfertigen, in den man dieſſeit allmählig gekommen war. Er erörterte, weshalb man beiderlei Geſtalt und die Prieſterehe zulaſſe, Gelübde und Privatmeſſen verwerfe, weder Faſten noch Ohrenbeichte246Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gebiete; er ſuchte überall zu zeigen, wie neu und gefährlich die entgegenſtehenden Einrichtungen, wie ſie ſelbſt mit den alten canoniſchen Satzungen in Widerſpruch ſeyen. Mit gutem Vorbedacht ſchwieg er von dem göttlichen Recht des Papſtes, oder dem Charakter indelebilis, ſelbſt von der Zahl der Sacramente; er wollte nicht bekehren, ſondern nur ver - theidigen. Schon genug, daß er den Unterſchied des geiſt - lichen Berufes der Biſchöfe von deren weltlicher Gewalt hervorhob; indem er jene nach dem Inhalt des Evange - liums beſtimmte, hütete er ſich doch wohl dieſe anzutaſten. Er behauptete, daß die Evangeliſchen auch hierin von den ächten Grundſätzen der katholiſchen Kirche nicht abgewichen ſeyen, daß der Kaiſer die neue Einrichtung der Kirche ſehr wohl dulden könne. 1Es iſt bekannt, daß die beiden von den Fuͤrſten unterzeich - neten Originale der Augsburgiſchen Confeſſion ſich nirgend mehr vor - finden. Man glaubte lange das Eine, deutſche in Mainz entdeckt zu haben, doch hat Weber in der Kritiſchen Geſchichte der Augsburger Confeſſion mit ſcrupuloͤſem Fleiße gezeigt, daß das ſo gut eine Ab - ſchrift ohne authentiſchen Werth iſt, wie viele andere. Dieſe Ab - ſchriften bieten eine Menge Abweichungen dar, ſowohl unter einan - der, als von der erſten Ausgabe, die Melanchthon noch im Jahre 1530 beſorgte. Gluͤcklicherweiſe ſind die Abweichungen wohl zahlreich aber nicht wichtig. Die Schreiber jener Zeit erlaubten ſich kleine Ei - genmaͤchtigkeiten, namentlich in der Rechtſchreibung, die noch ſo we - nig fixirt war. Fuͤr Sinn und Inhalt traͤgt das beinah nie etwas aus. Eine ſehr fleißige Collation einiger Handſchriften findet ſich in Foͤrſtemanns zweitem Bande.

Es ließe ſich fragen, ob die Proteſtanten nicht viel - leicht beſſer gethan haben würden, wenn ſie ſtatt ſich ſo entſchieden in der Vertheidigung zu halten, wieder einmal muthig die Offenſive ergriffen, und alle die ſtarken refor - matoriſchen Sympathien aufgerufen hätten.

247Augsburgiſche Confeſſion.

Bekennen wir aber: ſeit dem Tage, daß ſie ſich entſchloſſen hatten, den Anhängern Zwingli’s ihr Bündniß zu verſagen, war dieß unmöglich. Von der Gunſt, welche die Zwingliſchen Lehren fanden, ſahen ſie ſich faſt überflü - gelt, in Schatten geſtellt; in Augsburg hing der größte Theil der Einwohner denſelben an; man ſprach von einem Bunde der Oberdeutſchen und der Schweizer zum Umſturz der ganzen Hierarchie des Reichs. War doch eins ihrer vornehmſten Oberhäupter, Landgraf Philipp ſelbſt, wenn man ihn reden hörte, mehr auf der Seite Zwingli’s! 1Schreiben des Urban Rhegius an Luther 21. Mai 1530. Landgraf Philipp fuͤhrt innumera Sacramentariorum argumenta an. Sentit cum Zwinglio ut ipsi mihi est fassus. Doch hat weder dieß noch auch ein Schreiben Melanchthons Luthern vermocht, ſich ſelbſt an den Landgrafen zu wenden. Er that dieß ſchon am 20. Mai. (D W. IV p. 23.)Es gehörte noch eine beſondere Anmahnung Luthers dazu, um ihn nur zu bewegen, die Confeſſion zu unterſchreiben.

Auch konnten ſie nicht daran denken, die Majorität der Reichsſtände, die allzu entſchieden Partei genommen, zu gewinnen, auf ihre Seite zu ziehen.

Sie wünſchten nichts als Friede und Duldung; ſie meinten gezeigt zu haben, daß man ihre Lehre mit Unrecht verdamme, ketzeriſch ſchelte. Luther gewann es über ſich, dieß ſeinem alten Gegner, dem Erzbiſchof von Mainz, der jetzt milder geſtimmt zu ſeyn ſchien, aus Herz zu legen. Im Namen der Fürſten wendete ſich Melanchthon an den Legaten Campeggi, und beſchwur ihn, bei der Mäßigung, zu verharren, die er noch an demſelben wahrzunehmen glaubte: jede neue Bewegung könne eine unermeßliche Ver - wirrung der Kirche hervorbringen. 2Philipps Fuͤrſtenberg an Frankfurt, 27 Juni berichtet, daß

248Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

In dieſem Sinne der Annäherung, dem Gefühle des Nochnichtvollkommengetrenntſeyns, dem Wunſche, eine wie im tiefern Grunde der Dinge waltende, ſo in einigen Ein - zelnheiten des Bekenntniſſes ſichtbare Verwandtſchaft geltend zu machen, war die Confeſſion gedacht und abgefaßt.

Am 25. Juni 1530 Nachmittags ward ſie in der Ver - ſammlung des Reiches verleſen. Die Fürſten baten den Kaiſer, dieß in dem größern Locale geſchehen zu laſſen, wo auch Fremde zugelaſſen wurden, ſo zu ſagen in einer öffentli - chen Sitzung; der Kaiſer beliebte das kleinere, die Capi - telſtube des biſchöflichen Hofes, wo er wohnte, und wo nur die Mitglieder der Reichsverſammlung Zutritt fanden. Aus einem ähnlichen Grunde hätte er es gern geſehen, daß die lateiniſche Abfaſſung verleſen worden wäre, aber da erinnerten ihn die Fürſten, auf deutſcher Erde möge Seine Majeſtät die deutſche Sprache erlauben. Hierauf verlas der jüngere ſächſiſche Kanzler, Dr. Chriſtian Baier, das deutſche Bekenntniß mit einer Vernehmlichkeit der Stimme, die der Klarheit und Feſtigkeit der darin ausge - drückten Ueberzeugung entſprach. 1Fuͤrſtenberg hell und klar, daß menniglich, ſo dabei was, der anders deutſch verſtunde, alle Wort eigentlich, was doch in ſol - cher Verſammlung ſelten geſchieht, verſtehen mocht. Auch den Ka - tholiken erſchien die Verleſung als eine große und zwar ſehr unver - diente Ehre. Noch zwei Jahr ſpaͤter ſchmaͤhlt Eck daruͤber. Luthe - ranismus in arcem dignitatum evectus ita invaluit, ut assertoresDie geiſtlichen Fürſten waren nicht ſehr zahlreich zugegen: ſie hatten gefürchtet,2daruͤber foͤrmlich unterhandelt worden. Der Churfuͤrſt und ſeine Mit - verwandten baten: J. Mt. wolt morgen wieder an dem Ort, (im Pallaſt) erſcheinen und den Umbſtand (die Umſtehenden) ire Verant - wortung vernehmen zu laſſen geſtatten, denn ſie weren von iren Wid - derwertigen nit alleyn bei J. M., ſondern auch bei menniglich verun - glimpft; aber endlich iſt es bei dem Beſcheyd blieben.249Augsburgiſche Confeſſion.manchen unbequemen Vorwurf anhören zu müſſen. Die Einverſtandenen fühlten ſich glücklich, daß es ſo weit ge - kommen, und hatten ihre Freude ſo am Inhalt wie am Vortrag des Bekenntniſſes. Andere benutzten wohl die Ge - legenheit, ſich die Hauptpunkte aufzuzeichnen. Nachdem man zu Ende gekommen, wurden die beiden Exemplare dem Kaiſer überreicht: das deutſche gab er dem Reichserzkanz - ler, das lateiniſche behielt er zu eignen Händen. Beide waren von dem Churfürſten und dem Churprinzen von Sachſen, dem Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzogen Franz und Ernſt von Lüneburg, dem Landgrafen Philipp, dem Fürſten Wolfgang von Anhalt und den Ab - geordneten der Städte Nürnberg und Reutlingen unterzeichnet.

Confutation, Bedrohungen.

Die evangeliſchen Fürſten erwarteten, daß auch die Partei ihrer Gegner mit einer ähnlichen Erklärung hervor - treten und der Kaiſer ſich alsdann bemühen würde, den Zwieſpalt zwiſchen beiden Theilen zu vermitteln. So lau - tete die Propoſition und noch deutlicher als dieſe das Aus - ſchreiben, in deſſen Folge ſie ſich eingefunden hatten.

Höchſtwahrſcheinlich war das auch die Meinung des Kaiſers. Er hätte ſogar gewünſcht, daß der katholiſche Theil mit einer Anklage wider den evangeliſchen hervorgetreten wäre, er würde dann die Rolle eines Schiedsrichters zwi - ſchen beiden übernommen haben. In der Verſammlung der Stände hat Ferdinand einmal einen darauf zielenden Antrag gemacht.

1erroris non vererentur in publicis comitiis Augustae offerre Cae - sari novi dogmatis confessionem. Praefatio in homilias V con - tra Turcam. A. III.

250Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

So vollkommen aber waren die beiden Brüder mit nichten Meiſter der Verſammlung, um dieß durchſetzen zu können.

Die Majorität, die ſich in Speier gebildet, und ſich hier noch enger zuſammenſchloß, ſah ſich als rechtmäßige In - haberin der Reichsgewalt an. Gegen die beiden Brüder, deren katholiſcher Eifer ihr höchlich erwünſcht war, fand ſie doch ſonſt gar manches Andre zu erinnern. Namentlich hatte Ferdinand päpſtliche Bewilligungen geiſtlicher Einkünfte ausgebracht, wie ſie wohl in Spanien durchgingen, aber in Deutſchland unerhört waren, und die nun in der ge - ſammten Geiſtlichkeit Mißvergnügen und Widerſtand her - vorriefen. Die Majorität lehnte ab, ſich als Partei zu conſtituiren, und den Kaiſer als Richter zwiſchen ihr und den Proteſtanten anzuerkennen. Sie meinte, ſie habe nichts Neues vorzutragen; ſie habe ſich nur an das kaiſerliche Edict gehalten: brauche der Kaiſer eine Anklage, ſo möge er ſie von der Uebertretung ſeines Edictes hernehmen. Viel - mehr, wie es immer das Herkommen geweſen, daß der Kaiſer den Meinungen der Reichsverſammlung beitrat, ſo war ſie der Anſicht, daß der Kaiſer auch jetzt ihr Intereſſe zu dem ſeinigen zu machen habe. Das wollte es ſagen, wenn ſie ihn erſuchte, in dieſer Sache mit der Churfürſten Fürſten und Stände Rath aus kaiſerlicher Machtvollkom - menheit zu procediren. Es kümmerte ſie wenig, daß dieß den Worten des Ausſchreibens widerſprach. Waren dieſe doch nicht von ihr ausgegangen. Der Kaiſer konnte in der That nicht anders als jene Idee einer gleichſam rich - terlichen Vermittelung fahren[laſſen].

251Berathungen der Majoritaͤt.

Man glaubt wohl in der Regel an dem Reichstage ſelbſtändige Verhandlungen des Kaiſers mit den Proteſtan - ten wahrzunehmen. In der That aber handelt von dieſem Augenblick an nur noch die Majorität der Stände. Ueber die geringſten Dinge, z. B. die Mittheilung eines Acten - ſtückes, muß der Kaiſer mit der Majorität Rückſprache nehmen; er verfügt zuletzt nur, wie dieſe für gut gehalten.

Schade, daß wir von den Sitzungen der katholiſchen Majorität keine Protocolle haben: weiß man doch nicht einmal, ob deren überhaupt aufgenommen worden ſind. Auch ausführliche Berichte findet man nicht und hat ſie ſchwerlich zu erwarten, da die bedeutendſten Fürſten per - ſönlich zugegen waren, die Geſandten der Städte aber an den Sitzungen nicht Theil nahmen.

Nur ſo viel wiſſen wir, daß ſich zwei verſchiedene Meinungen einander entgegenſetzten. Der Sinn der Einen wäre geweſen, daß der Kaiſer auf der Stelle zu den Waf - fen gegriffen und ſein altes Edict auf dem Wege der Ge - walt zur Ausführung gebracht hätte. Der Erzbiſchof von Salzburg ſagte: Entweder müſſen wir ſie heben oder ſie heben uns: welches von beiden kommt uns zu? Ein nicht minder heftiges Mitglied der Verſammlung hörte man über dieſe Confeſſion ſpotten, die mit ſchwarzer Tinte geſchrie - ben ſey: wären wir Kaiſer, wir wollten die rothen Rubri - ken dazu machen. Herr, fiel ihm ein Anderer ins Wort, daß Euch nur nicht da das Roth ſelber unter die Augen ſprützt. Denn keineswegs Alle waren von ſo entſchiedner Feindſelig - keit. Namentlich der Erzbiſchof von Mainz ſtellte die Gefahr vor, in die ein Anfall de[r]Türken ſtürzen werde, wenn252Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.zugleich dieſe offene Entzweiung ausbreche. Es ward endlich beſchloſſen, dem Kaiſer zu rathen, die Confeſſion vor allen Dingen widerlegen zu laſſen: indeſſen wolle man einen Ver - ſuch machen, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und welt - lichen Ständen unter einander zu ſchlichten. Der Kaiſer nahm dieſen Rath an. Er gab ſich der Hoffnung hin, daß beides vereinigt, zuſammentreffend, die Beilegung der Irrungen und die Widerlegung auf die Proteſtanten ei - nen Eindruck machen werde, der ſie nachzugeben beſtimme. 1Dieſe Verhandlungen lernen wir beſonders aus den Auszuͤ - gen bei Bucholz III kennen. Ein merkwuͤrdiges Actenſtuͤck daraus findet ſich in ſeiner Integritaͤt bei Foͤrſtemann Bd. II p. 9. Es iſt ohne Datum, doch muß es vom 9ten oder 10ten Juli ſeyn; da der Kaiſer einer Anfrage an die Proteſtanten gedenkt, ob ſie nemlich noch mehr Artikel einzubringen geſonnen, die er am 9ten erlaſſen hat, auf die er doch noch keine Antwort habe. Die Antwort erfolgte un - ter dem 10ten, mag aber vielleicht erſt den Tag darauf eingelaufen ſeyn. Vgl. die Nachrichten bei Schmidt VIII, 244. Melanchthon an Luther 8. Juli C. R. II, 175.

Wie war hiemit die Lage der Proteſtanten plötzlich ſo ungünſtig verändert!

Bisher hatten ſie von der höhern Stellung des Kai - ſers Anerkennung und Vermittlung erwartet: aber gar bald bemerkten ſie, daß er nicht treibe, ſondern getrieben werde; die alten erbitterten Gegner, mit denen ſie ſchon ſo lange geſtritten, als Mehrheit conſtituirt, leiteten jetzt auch alle Schritte der kaiſerlichen Autorität.

Und auf das eifrigſte ging man nun an die Wider - legung. An Arbeitern konnte es nicht fehlen. Von allen Seiten waren auch die Gegner der reformirenden Theolo - gen mit ihren Fürſten eingetroffen: Faber von Wien, er war jetzt Probſt zu Ofen geworden Eck von Ingol - ſtadt, Cochläus von Dresden, Wimpina von Frankfurt253Katholiſche Theologen.a. d. O.; mit den Biſchöfen waren ihre Vicarien oder ge - lehrten Weihbiſchöfe angelangt: man ſah einige nahmhafte Mönche, Barfüßer, Carmeliter, beſonders Dominikaner, den Provincial Paul Haug, den Vicarius Johann Burk - hard, den Prior Conrad Colli, der einſt wider Luthers Ehe geſchrieben. 1Unter andern brachte Eck eine ſchon in Ingolſtadt gedruckte Schrift mit, unter folgendem Titel: Sub domini Jhesu et Mariae pa - trocinio. Articulos 404 partim ad disputationes Lipsicam, Ba - den. et Bernen. attinentes partim vero ex scriptis pacem ecclesiae perturbantium extractos coram divo Caesare Carolo V Ro. Imp. semper Augu. ac proceribus imperii Joan. Eckius minimus eccle - siae minister offert se disputaturum ut in scheda latius explicatur; Augustae Vindelicorum die et hora consensu Caesaris posterius publicandis. Er fuͤhrt dann erſt zuerſt die vom Papſt verurtheilten 41 Artikel auf: assero, qui bullae contradixerint, schismaticos esse ac fidei hostes, quos catholicus habet pro ethnicis et publicanis. Dann bringt er die Artikel vor, die er in Leipzig und Baden ver - theidigt, ſo wie die, welche er den Berner Schluͤſſen entgegenge - ſetzt; endlich errores novi et veteres jam ventilati unter gewiſſen Ru - briken. Er bringt ihrer 404 zuſammen: ex infinitis eorum erro - ribus hos paucos subitarie excerpsi. In der Eile hat er da auch erasmiſche Saͤtze mit aufgerafft. Man ſetzte ihm Propositiones de vino venere et balneo entgegen, die wir auch in den Geſellſchaften der Katholiken circuliren ſehen, und die ihn dem oͤffentlichen Gelaͤch - ter Preis gaben.Es begreift ſich, wenn ein Mann wie Eras - mus, den man auch eingeladen, keine Neigung fühlte, ſich dieſen Namen beizugeſellen. Es waren eben die Repräſen - tanten des ariſtoteliſch-dominikaniſchen Syſtems, das die Schulen von Europa ſo lange beherrſcht, das er ſelber be - kämpft hatte, die hier das Wort führen ſollten. Mit der literariſchen Fehde, in der ſie ſich bisher bewegt, hatten ſie wenig ausgerichtet. Ihre ganze Stärke lag in ihrer Ver - bindung mit der Gewalt. Jetzt waren ſie nicht eigentlich mehr Privatleute; im Namen des Reiches ſollten ſie ſpre - chen und ſchreiben.

254Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Allerdings ließ man ihnen nicht völlig freie Hand. Sie waren viel zu heftig, zu weitläuftig. Ein jeder brachte ſeine alten Feindſeligkeiten, Widerlegungen lutheriſcher Mei - nungen, von denen hier gar nicht die Rede war, herbei. 1Cochlaͤus hat in ſeinem Buche: Philippicae quatuor in apo - logiam Melanchthonis Lipsiae 1534 einige Artikel dieſer Confutation drucken laſſen. Beim dritten Artikel Bog. D wird darin gefordert: damnent diras blasphemias Lutheri errorem suum Pugen - hagium Melanchthonem suum Antonium Zimerman, hominem insigniter Lutheranum studiosum Lutheri discipulum Burgue - rum. Von Allen werden die zu verdammenden Stellen angefuͤhrt. Daher kam eben, wie Cochlaͤus ſagt, quorundam consilium qui ju - dicabant ejusmodi responsionem fore nimis acrem et prolixam. Den erſten Entwurf gab ihnen die Reichsverſammlung ge - radehin zurück, und wies ſie an, ſich nur an die Artikel der Confeſſion zu halten. Auch einen zweiten kürzern, der darnach einlief, unterwarf die Verſammlung, Artikel für Artikel, ausführlicher Berathſchlagung. Es dauerte bis den dritten Auguſt, ehe man mit der Confutation zu Stande kam, und ſie nun auch in jenem Saal des biſchöflichen Hofes verleſen laſſen konnte.

Sie beſteht, wie die Confeſſion aus zwei Theilen, von denen ſich der eine auf den Glauben, der andere auf die Gebräuche bezieht.

In dem erſten näherte ſich die Streitfrage bereits den Standpunkten, auf welchen ſie ſeitdem feſtgehalten worden iſt. Man behauptete nicht mehr, daß das Sacrament, das bloße Vollziehen der Handlung, das Opus operatum Gnade verdiene. Man lehrte nicht mehr, daß ein gutes Werk ohne Gnade gethan, von derſelben Gattung ſey, wie eins mit Gnade gethan, daß zwiſchen beiden nur ein gra - dueller Unterſchied ſey. Das waren die Lehren, gegen die255Confutation.ſich Luther erhoben. Man ging vielmehr auf die tiefern Begriffe der Rechtfertigung durch Chriſtum, wie ſie ſeitdem in aller Welt gäng und gebe geworden, näher ein. Wenn man zugleich die Nothwendigkeit der guten Werke feſtzuhalten ſuchte, ſo geſchah das doch in einem andern Sinne als früher. 1Vgl. außer der Confutation De principum protestantium confessione Joannis Eccii censura archiepiscopo Moguntino et Georgio D. S. Augustae exhibita bei Coeleſtin III, 36. Da dieſe Schrift, an ein paar katholiſche Fuͤrſten gerichtet, ſchon das Weſent - liche der ſpaͤtern Zugeſtaͤndniſſe enthaͤlt, ſo hebt ſich damit die Ver - muthung der Heuchelei, die man wohl vorgebracht hat.

Dieß iſt aber auch die einzige Modification, zu der man ſich verſtand.

Denn in allen übrigen Punkten blieb man dem einmal feſtgeſtellten Syſteme treu. Man forderte die Anerkennung der Transſubſtantiation, der ſieben Sacramente, die An - rufung der Heiligen; man blieb bei der Verſagung des Kelchs und der Nothwendigkeit des Cölibats ſtehn, und machte ſogar einen Verſuch, der freilich nicht anders als mißlingen konnte, ſie aus Ausſprüchen der Schrift, oder dem Gebrauch der älteſten Jahrhunderte, wobei man ſich denn wieder auf die falſchen Decretalen ſtützte, herzu - leiten; das Meßopfer ließ man ſich nicht entreißen; vor al - lem hielt man an dem Begriffe der lateiniſchen Kirche als der allgemeinen feſt. Den lateiniſchen Ritus in der Meſſe vertheidigte man damit, daß der fungirende Prieſter bei wei - tem mehr der ganzen Kirche angehöre, als der Gemeinde die ihn umgebe.

Genug, wenn man auf der proteſtantiſchen Seite, durch den Mißverſtand der Lehre, und die eingeriſſenen Mißbräuche veranlaßt worden war, unmittelbar auf die Schrift zurück -256Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.zugehen, die man zwar in einem Sinne faßte, der den Grundanſchauungen der alten lateiniſchen Kirche entſprach, aber bei dem die Ideen und Bildungen der letzten hier - archiſchen Jahrhunderte nicht beſtehen konnten, ſo bequem - ten ſich jetzt auch die Gegner, einige der ſchroffſten Aus - wüchſe der Lehre fallen zu laſſen, auf die Abſchaffung der Mißbräuche zu denken, welche ohnehin zu ſo vielen Irrun - gen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Fürſten geführt hat - ten, aber übrigens blieben ſie dabei, daß das ganze hierar - chiſche Syſtem von unmittelbar göttlichem Urſprung ſey. Wir ſehen ſie nach einer Methode ſuchen, denn in der That hatten ſie eine ſolche noch nicht gefunden, um die Ueberein - ſtimmung ihres Syſtemes mit der Schrift nachzuweiſen.

Und dieß hätte nun ſo viel nicht zu ſagen gehabt, wenn es dabei blos auf Vertheidigung abgeſehen geweſen wäre. Allein mit Nichten. Die Majorität erklärte nicht allein, ſie finde dieſe Meinung recht und katholiſch, mit dem Evangelium übereinſtimmend, ſondern ſie forderte nun auch, daß die proteſtantiſche Minorität die widerlegten Ar - tikel ihrer Confeſſion fahren laſſen, und mit der allgemei - nen rechtgläubigen Kirche einförmig glauben ſolle. Auf den Nachweis der Uebereinſtimmung mit dem Weſentlichen, Al - ten, Urſprünglichen ward keine Rückſicht genommen, ſo lange noch die geringſte Differenz, wenn auch nur in dem Zufälligen, Unweſentlichen zu bemerken war. Alles was im Laufe der Zeit, entweder in dem unabweislichen Drange der Ereigniſſe oder auf den Grund legaler Beſtimmungen einer andern Reichsverſammlung abgeändert worden, ſollte wieder hergeſtellt werden. Der Kaiſer, dem die Idee als257Bedrohungen.als Richter zwiſchen den beiden Parteien aufzutreten, ver - leidet worden, erklärte ſich ganz im Sinne der Majorität. Am Schluß der Confutation, die in ſeinem Namen publi - cirt ward, ermahnte er die Evangeliſchen, ſich nun der - miſchen und katholiſchen Kirche wieder gehorſam zu be - zeigen. Wo nicht, ſo werde er gegen ſie verfahren müſſen, wie einem römiſchen Kaiſer, Schutzherrn und Vogt der Kirche zukomme.

Die Zeit der Milde war vorüber, die Zeit der Strenge ſchien gekommen.

Schon hatte der Papſt geſprochen.

Es war ein Brief Campeggi’s in Rom eingegangen, in welchem die vornehmſten Forderungen der Proteſtanten nahmhaft gemacht worden waren. Gleich im Anfang der Verſammlung nemlich hatte der Kaiſer ſich eine kurze An - gabe derſelben von Melanchthons Hand verſchafft und dieſe dem Legaten mitgetheilt. Am 6. Juli kam die Sache im Conſiſtorium des Papſtes und der Cardinäle zum Vor - trag. So viel wir wiſſen, forderten die Proteſtanten bei - derlei Geſtalt, Prieſterehe, Weglaſſung des Canons in der Meſſe, Ueberlaſſung der eingezogenen geiſtlichen Güter und Erörterung der übrigen Streitpunkte auf einem Concilium. In Rom aber hielt man nicht für gut, darauf einzugehn. Man fand dieſe Artikel im Widerſtreit mit dem Glauben und der Disciplin, ſo wie mit dem Intereſſe der Kirche. Man beſchloß ſie zurückzuweiſen und dem Kaiſer einfach für den bewieſenen Eifer zu danken. 1Pallavicini aus einem gleichzeitigen Diario III, IV, 280. Articoli opposti alla ragion della chiesa. Eine Art kirchlicher Staatsraiſon.

Ranke d. Geſch. III. 17258Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die Reichsverſammlung ſelbſt hatte den Kaiſer auf - gefordert, als Vogt der Kirche aufzutreten.

Von beiden Seiten angeregt, durch ſeine Verträge ge - bunden, und nur von Leuten umgeben, die entweder keinen Begriff von dem Thun und Laſſen der Proteſtanten hat - ten, oder vorlängſt ihre Feinde waren, nahm er die ernſt - lichſte Haltung an. Den allgemeinen Erklärungen fügte er ungnädiges Bezeigen gegen die Einzelnen hinzu; nament - lich dem Churfürſten Johann gab er durch eine beſondere Abordnung ſein Mißfallen zu erkennen, daß er ſich von dem Kaiſer, der doch Schützer des Glaubens ſey, getrennt, Neuerungen vorgenommen, Bündniſſe geſucht habe. Auch S. Majeſtät habe eine Seele und ein Gewiſſen, und wolle nichts gegen Gottes Wort thun. Werde daher der Chur - fürſt nicht zu dem Glauben zurückkehren, den man ſeit zwei, drei Jahrhunderten gehalten,1Im Abdruck bei Muͤller p. 672 heißt es ſeit 20, 30 Jahren, was ohne Zweifel ein Schreibfehler iſt. ſo ſey es auch Sr. Maje - ſtät nicht gelegen, ihn zu belehnen, oder ihm irgend eine von den andern Gnaden zu gewähren, die er begehre.

Widerſtand.

Es konnte wohl zweifelhaft ſcheinen, ob deutſche Für - ſten und Herren, in dem ritterlichen Leben der Höfe er - wachſen, und in ſpätern Jahren durch fremde Unterwei - ſung zur Lehre gelangt, des guten Verſtändniſſes mit ihren Nachbarn und in ihren wichtigſten Angelegenheiten der Gnade des Kaiſers bedürftig, ob dieſe wirklich ſtandhaft genug ſeyn würden, dem ausgeſprochenen Unwillen des letztern, und einer immer engeren Vereinigung der ſtändiſchen Ma -259Widerſtand.jorität gegenüber, ohne durch einen haltbaren Bund auch nur unter einander geſichert zu ſeyn, ihre Ueberzeugung mit der nöthigen Feſtigkeit zu behaupten.

Zunächſt kam es hiebei auf den vornehmſten von ihnen an, auf welchen die Andern blickten, und den auch der Kaiſer am härteſten anging, den Churfürſten Johann von Sachſen.

Churfürſt Johann von Sachſen, der letzte von den vier trefflichen Söhnen des Churfürſten Ernſt, die einſt zu Grimma mit großer Sorgfalt zu geiſtlichen oder weltlichen Reichswürden erzogen worden, der Stammvater des noch heute in mannichfaltigen Zweigen blühenden erneſtiniſchen Hauſes, beſaß nicht die politiſche Genialität ſeines Bruders Friedrich, deſſen feinen durchdringenden Geiſt; dagegen zeigte er ſich von Jugend auf gutmüthig und treuherzig, ohne alles Falſch wie Luther ſagt, ohne Galle, aber dabei erfüllt von dem ſittlichen Ernſt, der einer ſo einfachen Seele erſt ihren Werth verleiht. Man weiß nicht an - ders, als daß er bis zu ſeiner Vermählung in ſeinem 32ſten Lebensjahre vollkommen keuſch gelebt hat. 1Spalatin von Herzog Hanſen zu Sachſen Churfuͤrſten in Struve’s neu eroͤffnetem Archiv III, 16, leider weit unergiebiger, als deſſelben Verfaſſers Nachricht uͤber Friedrich d. W.Die rauſchenden ritterlichen Feſtlichkeiten, an denen er zuwei - len am Hofe Maximilians Theil nahm, obwohl auch er ſich dabei hervorthat, befriedigten ihn doch nicht; er meinte ſpäter, von dieſen Tagen ſey doch auch keiner ohne irgend ein Herzeleid vergangen. 2Eine Aeußerung von ihm in Beckmanns Anhaltiſcher Ge - ſchichte II, V, p. 140.Man ſieht, für Vergnügun -17*260Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gen und Weltluſt war er nicht geboren; das Unangenehme, das dabei nicht zu vermeiden iſt, ging ihm allzutief, und quälte ihn mehr, als ihn der leichte Genuß erfreute. Mit ſeinem Bruder, deſſen Mitregent er war, hat er ſich nie entzweit; nie hat Einer einen Diener angenommen, ohne daß der Andere damit einverſtanden geweſen wäre. Vom erſten Aufgang Luthers an, widmete er der Lehre deſſelben die freudigſte Theilnahme; ſein von Natur ernſtes und in der Tiefe religiöſes Gemüth ward von derſelben allmählig ganz durchdrungen. Es war ihm Vergnügen und Genug - thuung, ſich die h. Schrift, die ihm nun erſt bekannt ward, in den Abendſtunden vorleſen zu laſſen. Er ſchlief darüber zuweilen ein, denn ſchon war er bejahrt; wenn er auf - wachte, wiederholte er den letzten Spruch, der ihm im Ge - dächtniß geblieben. Die Predigten Luthers ſchrieb er zu - weilen nach: man hat ein von ſeiner Hand geſchriebenes Exemplar des kleinen Catechismus Lutheri. 1Cyprian Geſchichte der Augsburgiſchen Confeſſion p. 184.Früher und ſpäter hat es Fürſten gegeben, die durch eine Hingebung dieſer Art in ihrer Thatkraft gelähmt worden; bei ihm war das nicht der Fall. Bei aller Einfachheit entwickelte ſeine Seele doch auch Schwung und Willen. Als in dem Bauern - kriege die Sache der Fürſten ſo ſchwankend ſtand, verbarg er ſich nicht, daß es zu einem völligen Umſchlag kommen könne; er war ſogar darauf gefaßt und man hörte ihn ſa - gen, auch er könne ſich am Ende mit ein paar Pferden be - gnügen und ein Mann ſeyn wie ein anderer Mann, aber das hielt ihn nicht ab, ſein gutes Recht doch ſo tapfer zu vertheidigen wie irgend ein Andrer; nur in dem Siege261Churfuͤrſt Johann von Sachſen.zeigte er ſich milder. Und wann wäre in den folgenden Jahren ein Moment eingetreten, wo eine blos beſchauliche Frömmig - keit auch nur möglich geweſen wäre. Wir kennen keinen Für - ſten, der ſich um die Feſtſtellung der proteſtantiſchen Kirche ein größeres Verdienſt erworben hätte. Sein Bruder und Vorgänger hatte die Lehre nur nicht unterdrücken laſſen, ſie in ſeinem Lande und ſo viel er vermochte im Reiche in Schutz genommen. Doch gab es auf jeder Seite noch Klip - pen, an denen alles ſcheitern konnte, als Johann zur Re - gierung kam. Nur durch eine Politik, die von einer in je - dem Augenblicke bewußten höhern Ueberzeugung getragen war, konnten ſie vermieden werden. Nach dem Bauernkriege erhoben ſich die Ideen der Reaction auf das gewaltigſte; ſo ſehr ſie ihm von ſeinem weltklugen und in den Geſchäf - ten geübten Vetter empfohlen wurden, ſo ließ Johann ſich nicht von ihnen übermeiſtern. Auf dem nächſten Reichstage nahm er vielmehr eine Haltung an, durch welche er jenen Ab - ſchied, auf dem alle weitere geſetzliche Entwickelung beruht hat, herbeiführen half. Bald darauf ſchien es wohl, als werde der Ungeſtüm ſeines heſſiſchen Verbündeten auch ihn ergreifen, und ihn nach der andern Seite hin auf eine nicht mehr abzuſehende Bahn politiſcher Verwickelungen fort - reißen, aber noch zur rechten Zeit nahm er beſſern Bedacht, und kehrte in die defenſive Stellung zurück, die ihm na - türlich war und die er behaupten konnte. Sein Bemü - hen ging allein dahin, der Lehre in ſeinem Lande Ausdruck und ein entſprechendes öffentliches Daſeyn zu geben. Er führte die erſte evangeliſche Kirchenform in Deutſchland ein, die allen andern mehr oder minder zum Muſter gedient hat. 262Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Er verſäumte nicht, die Uebergriffe ſeines Adels zu verhin - dern: ſo mild und gutmüthig er war, ſo ließ er ſich doch keine ungerechte Begünſtigung abgewinnen; er tadelte an ſei - nem Sohn, daß derſelbe ſeiner Umgebung wohl mehr als billig Gehör gebe. In alle dem hatte nun Luther den größ - ten Einfluß auf ihn: Luther wußte die inneren Motive, welche dieſe Seele beherrſchten, zur rechten Zeit in Anre - gung zu bringen, und in friſchem Bewußtſeyn zu erhalten. So geſchah denn auch unter Johanns Vortritt die Pro - teſtation, die der ganzen Partei Namen und Weltſtellung gegeben hat. Denn wo Recht und Religion auf ſeiner Seite war, da hatte er kein Bedenken. Da führte auch er wohl das Sprichwort: gradaus giebt einen guten Ren - ner. Eine zur Zurückgezogenheit geneigte, friedfertige, anſpruchloſe Natur, in der aber durch ein großes Vorha - ben eine Entſchloſſenheit und Thatkraft geweckt waren, die ſich demſelben vollkommen gewachſen zeigten.

Hier zu Augsburg hatte nun Churfürſt Johann die Prüfung zu beſtehen, ob dieſe Geſinnung wahres gediegenes Gold ſey, oder auch mit Schlacken vermiſcht.

Er fühlte eine natürliche reichsfürſtliche Verehrung für den Kaiſer, nnd anfangs zweifelte er nicht, dieſe mit ſeiner religiöſen Ueberzeugung ohne Schwierigkeit vereinigen zu können. Sehr bald aber ſah man ein, daß das unmöglich ſeyn werde, und um die Gefahr wenigſtens zunächſt von dem Haupte des Fürſten abzuwenden, kamen einige ſeiner Gelehrten auf den alten Gedanken zurück, daß er ſich ihrer nicht annehmen, ſie für ſich ſelbſt ſtehen laſſen263Churfuͤrſt Johann von Sachſen.ſolle. Sie waren bereit, die Confeſſion blos in ihrem eig - nen Namen einzugeben. Der Churfürſt erwiederte ihnen: ich will meinen Chriſtus auch mit bekennen.

Seitdem zeigte ſich aber der Kaiſer von Tag zu Tag abgeneigter. Wir haben, ſagt der Churfürſt in einem ſeiner Briefe,1An Nicol. v. Ende, Amtmann in Georgenthal. 28. Juli. S. Kaiſerl. Majeſtät gebeten, uns mit der Churwürde zu belehnen: das iſt uns abgeſchlagen wor - den. Wir liegen mit großen Koſten hier, haben eben 12000 Gulden aufnehmen müſſen: Kaiſerl. Majeſtät hat uns noch mit keinem Worte zugeſprochen. Wir können nicht anders denken, als daß wir bei Kaiſerlicher Majeſtät ſchwer ver - unglimpft ſind, und daß uns dieß durch unſere eignen Ver - wandten geſchehen iſt.

Wir ſehen, in welche Stimmung man ihn bereits ge - ſetzt hatte, und darauf folgte nun die Confutation und die derſelben beigefügte drohende Erklärung.

Daß er dem Kaiſer, der ſo eben den König von Frank - reich beſiegt, Italien zur Ruhe gebracht hatte, der jetzt mit der Majorität des Reichs auf das engſte verbündet war und in ihrem Namen handelte, Widerſtand leiſten könne, er mit dem ſchmalen Strich Landes an der Elbe und ſei - nem kleinen Thüringen, ohne zuverläſſige Verbündete, daran ließ ſich gar nicht denken. Und lähmte ihn nicht über - dieß der Zweifel, ob er auch nur das Recht habe, ſich zu widerſetzen? Er neigte ſich zu der Meinung, daß es ihm nicht zukomme.

Man trug Sorge, ihn ganz deutlich wiſſen zu laſſen,264Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.was ihm bevorſtehe. Ein mit dem Hofe ſehr vertrauter Fürſt erklärte ihm eines Tages, werde er ſich nicht - gen, ſo werde ihn der Kaiſer mit gewaffneter Hand an - greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an ſeiner Per - ſon das äußerſte Recht vollſtrecken. 1Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 715. Wie verbreitet Beſorgniſſe dieſer Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach - richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die Abſichten des Kaiſers geſchildert wurden: der Kaiſer wolle Herzog Joͤrgen von Sachſen an Herzog Hanſen (bringen), dem er ſeinen Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrſt ſey, zu nehmen und Herzog Joͤrgen zu geben, unterſtehen wird. Archiv fuͤr ſchweiz. Geſchichte I, p. 278.

Der Churfürſt zweifelte nicht, daß es dahin kommen könne. In großer Bewegung kam er nach Hauſe; er zeigte ſich entſetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver - läugnen müſſe, oder ſich mit den Seinen in ein unvermeid - liches Verderben ſtürzen werde.

Luther verſichert, hätte er gewankt, ſo würde keiner ſeiner Räthe feſtgehalten haben.

Allein eben das entſchied ihn, daß er ſich die Frage, die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen ſchneidenden Schärfe vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, ſagte er: wer kann zweifeln, was das Beſte ſey? Gott hat mich zu einem Churfürſten des Reichs gemacht, was ich niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir, was ihm gefällt.

Was in ſeiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein Traum, den er in dieſer Zeit hatte. Es ergriff ihn jene Beklemmung, in welcher der Menſch unter einer ſeine Bruſt niederdrückenden Laſt zu vergehen meint. Er glaubte, er265Luther in Coburg.liege unter einem hohen Berg, auf deſſen Spitze ſein Vet - ter Georg ſtehe; gegen Morgen ſank der Berg zuſammen, und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder.

Genug, der alte Fürſt wich und wankte nicht. Große Ereigniſſe geſchehen überhaupt nicht ohne eine große mo - raliſche Anſtrengung. Neue Bildungen bedürfen dieſes ge - heimnißvollen innern Kerns. Churfürſt Johann erklärte nach wie vor, der Kaiſer ſolle in ihm in allen Stücken einen getreuen friedlichen Fürſten finden, aber dazu werde er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got - teswort zu betrachten.

Der Mann, der ihn hiebei am meiſten feſthielt, iſt ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war.

Luther war von der Acht, mit der er belegt worden, noch nicht freigeſprochen; ſo ſicher er demungeachtet auch ſeitdem geblieben, ſo konnte ihn der Churfürſt doch nicht an den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen ſei - nes Landes, in Coburg.

Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge - dränge der Geſchäfte und Tagesbegebenheiten fortgeriſſen, die Ereigniſſe von einem höhern Standpunkte aus über - blicken konnte.

Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiſer ſo enge verbündet mit dem Papſt, der Franzoſen ſo ſicher ſchien, daß auch die Reichsſtände die Partei des Papſtes wieder ergriffen. Er betrachtet dieſe Dinge mit einer ge - wiſſen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den - nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs266Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.von Pavia niemals vergeſſen; der Herr: in nomine do - mini, der Papſt werde an dem zerſtörten Rom keine Freude haben; ihre Eintracht mit dem Kaiſer gehöre in das Capitel: non credimus. 1An Teutleben 19. Juni.Er fand die Fürſten unbegreiflich, die es ſo hinnahmen, daß der Papſt den Kaiſer ſo eben ohne ihr Beiſeyn gekrönt hatte. 2An den Churfuͤrſten von Mainz 6. Juli.Er verglich die Verſammlung mit dem Lärm der Dohlen vor ſeinem Fenſter: da ſehe er daſ - ſelbe Zu - und Abreiten, das Schreien und Scherwänzen der Scharrhanſe, das eintönige Predigen der Sophiſten;3An ſeine Tiſchgeſellen 28. April und Spalatin 9. Mai. ein nützliches Volk, alles zu verzehren was auf Erden iſt, und dafür ihre Beſchlüſſe in die Luft zu rufen für die lange Weile. Es deuchte ihm ſehr beſonders, daß man ſo ganz vergeſſen haben wollte wie die Sachen ſtanden, als er auf - trat, und er rief wohl wieder ins Gedächtniß, wie damals der Ablaß in Schwang gegangen und die Lehre, daß man durch fromme Werke Gott genug thue; wie damals täglich neue Dienſte, Wallfahrten, Reliquien, zuletzt noch die Fa - bel vom Rocke Chriſti aufgekommen; wie man die Meſ - ſen doch in der That für ein paar Pfennige mehr oder minder verkauft, und das für ein Gott wohlgefälliges Opfer gehalten, ohne der tieferen Begriffe auch nur zu gedenken, die man jetzt wieder hervorſuche. Er brachte in Erinne - rung, daß von den Proteſtanten, wenigſtens literariſch, das Beſte gegen den Bauernaufruhr geſchehen ſey, dafür aber wolle man ſie nun vertilgen. Denn keinen Augenblick war ihm zweifelhaft, wohin dieſe Sache führen werde. So wie der Kaiſer die Predigten verboten, hoffte er auf keine Ver -267Stimmung Luthers.ſöhnung mehr. Er ſah voraus, daß er in ſeine Fürſten dringen werde, eben ſo gut die ganze Lehre fahren zu laſ - ſen. Nicht daß er den Kaiſer ſelbſt für gewaltſam gehal - ten hätte, er ſpricht von dem edlen Blut Kaiſer Carolus nie ohne Ehrerbietung, aber er weiß, in welchen Händen der Herr iſt; er erblickt in ihm nur die Larve, hinter der ſich die alten Feinde verbergen. Er bezweifelt nicht, daß dieſe nur auf Gewalt denken, auf ihre Mehrzahl trotzen. Er meint, jener Florentiner auf dem päpſtlichen Stuhl werde wohl noch Gelegenheit finden, den Deutſchen ein Blutbad anzurichten.

Aber dieſe Abſichten ſchrecken ihn nicht. Laß ſie nur machen, ſie ſind noch nicht am Ende.

Daran könnte er nicht denken, einen Schritt breit wei - ter nachzugeben: Tag und Nacht lebe ich in dieſen Din - gen. Ich durchſuche die Schrift, überlege, disputire: täg - lich wächſt mir die Gewißheit: ich werde mir nichts mehr nehmen laſſen, es gehe mir darüber wie Gott will. Es macht ihn lachen, daß ſie auf Reſtitution dringen. Sie mögen erſt das Blut des Leonhard Kaiſer herausgeben und ſo vieler Andern, die ſie unſchuldig ermordet.

Daß er aber ſo wenig fürchtet, iſt allein die Folge der Ueberzeugung, daß ſeine Sache Gottes Sache iſt. Ei - nige ſind wehmüthig, als habe Gott unſer vergeſſen; da er doch uns nicht vergeſſen kann, er müßte denn zuvor ſein ſelbſt vergeſſen: unſre Sache müßte nicht ſeine Sache, unſre Lehre nicht ſein Werk ſeyn. Wäre aber Chriſtus nicht mit uns, wo wäre er denn in der Welt? Hätten wir nicht Gottes Wort, wer hätte es denn. Er tröſtet ſich des268Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Spruchs, verlaßt Euch auf mich, ich habe die Welt über - wunden.

Der Herr wohnt im Nebel; im Dunkel hat er ſeine Zuflucht. Man ſieht nicht wer er iſt, aber er wirds ſeyn, ſo werden wirs ſehen.

Und ſollten wir ja nicht würdig ſeyn, ſo wird es durch Andre geſchehen. Haben etwa unſre Vorfahren gemacht, daß wir ſind, was wir ſind. Gott allein macht es, wel - cher der Schöpfer ſeyn wird nach uns wie vor uns, wie er es mit uns iſt. Denn nicht mit uns wird er ſterben, der Gott, der die Gedanken regiert. Werden die Feinde mich umbringen, ſo werde ich ſchon beſſer gerächt werden als ich wünſchte; es wird Einer ſeyn, der da ſpricht: wo iſt Abel dein Bruder.

In dieſer Stimmung ſind alle ſeine Briefe in dieſen Tagen geſchrieben. Nie war ein Menſch von dem Gefühl der Unmittelbarkeit des göttlichen Weſens lebendiger durch - drungen. Er kannte die ewigen, ſiegreichen Mächte, in deren Dienſt er ſtand, er kannte ſie, wie ſie ſich geoffen - bart und rief ſie bei ihren Namen. Er trotzte auf das Wort, das ſie in den Pſalmen oder in dem Evangelium dem menſchlichen Geſchlechte gegeben.

Er ſprach mit Gott, wie mit einem gegenwärtigen Herrn und Vater. Sein Amanuenſis in Coburg hörte ihn einſt unbemerkt, als er einſam betete. Ich weiß daß du unſer Gott biſt, daß du die Verfolger der Deinen zer - ſtören wirſt; thäteſt du es nicht, ſo gäbſt du deine eigene Sache auf; ſie iſt nicht unſer, wir ſind nur gezwungen dazu getreten; du mußt ſie auch vertheidigen. Er betete269Stimmung Luthers.mit dem männlichen Muthe, der ein gutes Recht zu haben glaubt auf den Schutz der ewigen Gotteskraft, der er ſich gewidmet: ſein Gebet iſt ein Verſenken in den Abgrund der Tiefe der dennoch perſönlichen Gottheit; er läßt nicht ab, bis er das Gefühl der Erhörung hat, das größte, deſ - ſen das menſchliche Herz, über alle Täuſchung erhaben, in ſeinen heiligſten Augenblicken fähig iſt. Ich habe für dich gebetet, ſchreibt er an Melanchthon, ich habe das Amen gefühlt in meinem Herzen.

Ein ächter Ausdruck dieſer Stimmung iſt das Lied eine feſte Burg iſt unſer Gott, deſſen Entſtehung man von jeher ſehr mit Recht in dieſe Zeiten geſetzt hat. 1Schon Coͤleſtin giebt es an. Olearius hat dagegen erinnert, daß das Lied ſich bereits in einer Sammlung von 1529 befinde. Er meinte damit wohl nichts, als die mit der Jahrzahl 1529 bezeichnete Sammlung lutheriſcher Lieder in der Jen. und Altb. Ausg. luth. Werke, die aber hier, wie ſo manches andere auf einem Irrthum beruht. Niemals iſt eine Sammlung von 1529 wieder bekannt geworden, und es laͤßt ſich an ihrer Exiſtenz zweifeln. Diejenige, welche man dafuͤr ausgiebt, enthaͤlt auch ſpaͤtere Lieder.Es kün - digt ſich als eine Bearbeitung des 16ten Pſalmes an, an den es jedoch nur erinnert: es iſt ganz das Produkt des Momentes, wo man im Kampfe mit einer Welt voller Feinde ſich auf das Bewußtſeyn zurückzieht, daß man eine göttliche Sache vertheidigt, die nicht untergehen kann. Es ſcheint, als lege man die Waffen nieder, aber es iſt die männlichſte Verzichtleiſtung, die es geben kann, nur auf den momentanen Erfolg; des ewigen iſt man gewiß. Wie erhebt ſich die Melodie ſo freudig und muthvoll, treuher - zig in ihrer Sicherheit, gottinnig und weltverachtend! Sie iſt identiſch mit dem Geſange; in den Stürmen jener Tage entſtanden ſie mit einander.

270Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und in dieſer Stimmung ſprach er nun wie ſeinen nächſten Freunden, ſo auch dem Fürſten und deſſen Räthen Muth ein.

Er tröſtet den Fürſten damit, daß man ihm ja keine andere Schuld beimeſſe, als die Vertheidigung des reinen lebendigen Wortes Gottes. Darin liege aber vielmehr alle ſeine Ehre. In ſeinem Lande habe er die beſten Prediger; die zarte Jugend wachſe daher mit Catechismus und Gottes - wort, daß es eine Freude ſey; das ſey das Paradies, über welches ihn Gott zum Wächter geſetzt; er ſchütze das Wort nicht allein, er erhalte und ernähre es auch; dafür komme es ihm auch wieder zu Hülfe. O das junge Volk wird es thun, das mit ſeinem unſchuldigen Zünglein ſo herzlich gen Himmel ruft.

Ich habe neulich zwei Wunder geſehen, ſchrieb er an den Kanzler Brück. Das erſte, da ich zum Fenſter hin - ausſah, die Sterne am Himmel und das ganze ſchöne Ge - wölbe Gottes, und ſah doch nirgend einen Pfeiler, darauf der Meiſter ſolch Gewölb geſetzt hatte, und doch ſteht es feſt. Das andre, ich ſah große dicke Wolken über uns ſchweben, und doch keinen Boden, darauf ſie ruhten, keine Kufen, darin ſie gefaßt waren: noch fielen ſie nicht herab, ſondern grüßten uns mit einem ſauren Angeſichte und flo - hen davon. Denn Gottes Gedanken ſind weit über un - ſern Gedanken ſind wir nur deß gewiß, daß unſre Sache ſeine Sache iſt, ſo iſt auch unſer Gebet ſchon erhört und die Hülfe ſchon beſchloſſen gäbe uns der Kaiſer Frie - den, wie wir wünſchen, ſo würde der Kaiſer die Ehre ha -271Haltung der proteſtantiſchen Fuͤrſten.ben; aber Gott ſelbſt will uns Frieden ſchaffen, daß er allein die Ehre habe. 14. Aug. de W. IV.

In einem entſchloſſenen Willen liegt jedesmal eine die Gemüther mit ſich fortreißende Gewalt. Wie viel mehr in einem ſolchen, der ſich ſo gotterfüllt zeigt! Luther übte von Coburg her vielleicht einen größern Einfluß auf die Seinen aus, als ihm tägliche perſönliche Gegenwart nur immer hätte verſchaffen können.

Alle die andern Fürſten wetteiferten mit Churfurſt Jo - hann in Standhaftigkeit.

Herzog Ernſt von Lüneburg erwarb ſich hier den Na - men des Bekenners. Statt einen Schritt zurückzuweichen, ſetzte er ſich mit dem Manne in Verbindung, der dann die Reformation ſeines Landes vorzüglich geleitet hat, mit Ur - banus Rhegius. Er nahm ihn mit ſich als das beſte Kleinod, das er von Augsburg den Seinen habe mit - bringen können.

Dem Markgrafen Georg von Brandenburg hatten Kai - ſer und König Begünſtigung in ſeinen Angelegenheiten ver - ſprochen, wenn er von der Lehre abſtehe; das Haus Brandenburg hatte ſchon damals Anſprüche auf ſchleſiſche Beſitzungen; der Markgraf wies jeden Antrag dieſer Art von ſich. 2Schreiben an die Stammesvettern 19. Juli bei Foͤrſtemann II, 93.Aber nicht minder lebhaft drang nun ſein an - geſehener und noch eifrig katholiſcher Vetter, Churfürſt Joa - chim in ihn: es kam zwiſchen beiden zuweilen zu bitterer Zwieſprache. Der Markgraf erklärte ſich überzeugt, daß die Lehre kein Irrthum genannt werden könne, wenn272Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.anders Chriſtus noch Chriſtus ſey: ſie weiſe nur auf Chri - ſtum: er habe ſie ſelber an ſich erprobt. Ohne hierauf ernſt - lich einzugehn, hielt ihm der Churfürſt hauptſächlich entge - gen, daß der Kaiſer alles in den vorigen Stand zu ſetzen ent - ſchloſſen ſey. Der Markgraf erwiederte, der Kaiſer möge ab - ſchaffen was er wolle, er müſſe es geſchehen laſſen, doch werde er nicht dazu helfen. Der Churfürſt fragte, ob der Markgraf auch bedenke, was ihm auf dem Spiele ſtehe; die - ſer verſetzte: man ſagt, ich ſoll aus dem Lande verjagt werden: ich muß es Gott befehlen. 1Gleichzeitige Aufzeichnung uͤber dieſe Verhandlungen a. a. O. 630.

Nur von geringer Macht war Fürſt Wolfgang von Anhalt. Ganz angemeſſen ließ er ſich vernehmen: er habe für gute Freunde und Herrn gar manchen Ritt gethan; ſein Herr Chriſtus verdiene wohl auch, daß er etwas für ihn wage. Herr Doctor, ſagte er zu Eck, denkt ihr auf Krieg, ſo werdet ihr dieſſeit auch Leute finden. 2Beckmann Anh. Chronik II, V, 142.

Und wie hätte ſich, zumal bei dieſer Stimmung der Ue - brigen, der muthvolle Landgraf etwas abgewinnen laſſen ſol - len? Der heſſiſche Chroniſt Lauze erzählt, nach der Uebergabe der Confeſſion habe man den Landgrafen auf den hohen Berg geführt, und ihm die Güter der Welt gezeigt, d. i. ihn Begünſtigungen in der Naſſauiſchen und der Würtember - giſchen Sache hoffen laſſen, aber er habe alles abgelehnt. 3Schreiben der nuͤrnbergiſchen Geſandten C. R. II, 167.Eines Tages hörte er, der Kaiſer wolle ihn zur Rede ſtel - len; allezeit fertig wie er war, ſäumte er nicht ſelbſt nach Hofe zu gehn, und den Kaiſer zu erſuchen, ihm die Punkte nahmhaft zu machen, wegen deren er ungehalten ſey. Der273Der Landgraf, die Staͤdte.Kaiſer nannte einige; der Landgraf gab eine Auskunft, mit der ſich jener zufrieden zeigte: die Hauptſache war, daß der Kaiſer ihn aufforderte, in dem Artikel des Glaubens ſich unterthänigen Gehorſams zu erzeigen: wo nicht, ſo werde er verfahren, wie ihm als römiſchen Kaiſer gebühre. Noch weniger aber wirkten Drohungen auf ihn als Verſprechun - gen. Ueberdieß ward es ihm von Tag zu Tag unbequemer, bei einer Verſammlung auszuhalten, wo er vermöge der hier - archiſchen Ordnungen des Reiches keineswegs eine Stellung einnahm, die ſeiner Macht entſprach. Er erſuchte den Kaiſer ihn zu entlaſſen, der ſchlug es ihm ab; er ritt nichts deſto minder eines Abends von dannen. 16. Aug. Am 30. Juli war er in Buͤrgerrecht mit Zuͤrich getreten, was hierauf wohl den meiſten Einfluß hatte. Vgl. Eſcher und Hottinger Archiv fuͤr ſchweiz. Geſch. und Landeskunde I, 426.Aus der Ferne verſicherte er dem Churfürſten von Sachſen, er wolle Leib und Gut, Land und Leute bei ihm und bei Gottes Wort laſſen. Sa - get den Städten, ſchrieb er an ſeine Räthe, daß ſie nicht Weiber ſeyen, ſondern Männer: es hat keine Noth, Gott iſt auf unſrer Seite.

Und in der That, die Städte machten den Fürſten keine Schande. Unſres Erachtens, ſchreiben die Nürnber - ger Abgeordneten, iſt nicht zu weichen, man wollte denn des Kaiſers Gnade höher anſchlagen, als die Huld Gottes: Gott wolle nunmehr Beſtändigkeit verleihen. Bürgermeiſter und Rath waren geſinnt, wie ihre Bevollmächtigten.

In weiter Ferne nahmen andere in gleichem Sinne an dieſen Ereigniſſen Antheil. Ew. Gnaden, ſchreiben die Rathmannen von Magdeburg dem Churfürſten von Sach -Ranke d. Geſch. III. 18274Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.ſen, ſtehen in Angelegenheiten der ganzen Chriſtenheit un - ter dem Heerbanner unſres Heilands in ſchwerem Kampfe: wir bitten täglich von Gott dem Herrn Geduld und Stärke.

Und hiedurch waren nun die Dinge in Deutſchland bereits zu einer entſchiedenen Geſtalt entwickelt. Einer alle Rechte des Reichs in Anſpruch nehmenden, mit dem Kai - ſer vereinten, mit den Kräften des alten Europa verbün - deten Majorität gegenüber, ſuchte eine Minorität ſich zu halten, noch vereinzelt und formlos, aber voll von religiö - ſer Entſchloſſenheit. Die Majorität, den Kaiſer an der Spitze, ſchien geſonnen, Gewalt zu brauchen;1Butzer fuͤrchtet eine laniena sanctorum qualis vix Diocle - tiani tempore fuit. 14. Aug. 1530 bei Roͤhrich II, p. 136. ſchon ward über eine Werbung leichter Reiterei in Italien unterhan - delt. 2Nicc. Tiepolo Relatione. Essendo in Augusta intesi che si offersero (die beiden Herzoge von Baiern) all imperatore vo - lendo lui muover guerra a Lutheranis e seppi che tentorno col duca di Mantova d’haver il modo di condur 1000 cavalli leggieri d’Italia in caso si facesse guerra in Germania. Die Minorität hatte noch keine Abſicht; ſie wußte nur, daß ſie nicht weichen werde.

War aber nicht jeder Schritt der Gewalt auch für die Majorität der Stände höchſt gefährlich? Sie war ihrer eignen Unterthanen nicht ſicher: die Erinnerung des Chur - fürſten von Mainz an die Gefahr, mit der ein im rechten Moment eintreffender Angriff der Türken beide Theile be - drohe, machte einen allgemeinen Eindruck. Wie die fried - liche Partei gleich anfangs beabſichtigt und den Beſchlüſſen einverleibt hatte, ſo zog man es doch vor, noch einen Ver - ſuch der Vermittelung zu machen.

275

Vermittelungsverſuch von Seiten der Stände.

Am 16. Auguſt begann eine Conferenz, an der von jeder Seite zwei Fürſten und fünf Gelehrte, nemlich zwei Doctoren des canoniſchen Rechtes und drei Theologen Theil nahmen, und die ſehr bald einen vielverſprechenden Gang nahm.

Die eigentlich dogmatiſchen Streitpunkte machten dieß Mal keine unüberwindliche Schwierigkeit. In dem Artikel von der Erbſünde ſtimmte Eck bei, als ihm Melanchthon zeigte, daß ein angefochtener Ausdruck ſeiner Definition nur die populäre Erklärung einer ältern ſcholaſtiſchen enthalte. Bei dem Artikel von der Rechtfertigung allein durch den Glauben erklärte Wimpina ausdrücklich, kein Werk ſey verdienſtlich, wenn es ohne Gnade geſchehe;1Auch Eck ſagt in ſeinem Gutachten: de principum pro - testantium confessione Johannis Eccii censura (bei Coͤleſtin III, 36): quod opera de sui natura et in se non essent meritoria, sed solum ex deo ex gratia dei assistente. er forderte nur die Verbindung der Liebe mit dem Glauben; nur in ſo fern beſtritt er das Wort allein. In dieſem Sinne dachten aber auch die Proteſtanten nicht es feſtzuhalten: ſie ließen ſich gefallen daß es geſtrichen wurde; war doch ihr Sinn von jeher nur geweſen, daß die Verſöhnung mit Gott durch eine innerliche Hingebung, nicht durch äußer - liches Bezeigen geſchehen könne. Dagegen erläuterte dann auch Eck, daß die Genugthuung, welche man katholiſcher Seits bei der Buße fordere, nichts anders als die Beſſe - rung ſey; eine Erklärung, bei der ſich freilich nichts mehr18*276Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1Spalatin, der in den erſten Sitzungen das Amt eines No - tars verſah, bei Foͤrſtemann II, p. 228. So iſt denn auch Ecks ei - gene Aeußerung zu verſtehen: Coͤleſtin p. 36 nos ponimus satisfa - ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non realis. Selbſt über den ſchwierigen Punkt des Meßopfers kam man einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für ein ſacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel - ches am Kreuzesſtamm vollzogen worden. 2Relation bei Coͤleſtin III, 45. Est ergo missa non revera victima sed mysterialis et repraesentativa. Ueber die Ge - genwart Chriſti im Abendmahl ſtritt man ohnehin nicht. Gern ließen ſich die Proteſtanten beſtimmen, nicht allein eine wahrhaftige, ſondern auch eine reale Gegenwart zu be - kennen. Dieſer Zuſatz findet ſich in dem Anſpacher Exem - plar der Confeſſion bereits eingetragen.

Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtſeyn ge - bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateiniſchen Kirche oh - nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchiſchen Syſteme der ſpätern Zeit und den überhandnehmenden Miß - brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie dieſe konnte man an einander dulden, wie ja immer verſchiedene Meinungen neben einander beſtanden hatten. Der ganze Zwieſpalt lag vielmehr in der Verfaſſung und den Gebräuchen.

Und da gaben nun die Proteſtanten ihrerſeits ſo viel nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt, daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal -277Vermittelungsverſuch.tung erſchwert, daß auch das Kirchenregiment von den Für - ſten nicht hinreichend gehandhabt werden könne, ihnen ſo - gar zu viel koſte. Die proteſtantiſchen Theologen und Für - ſten erklärten ſich bereit, den Biſchöfen ihre Jurisdiction, geiſtlichen Bann, Auſſicht über die Pfarren zurückzugeben, vorausgeſetzt, daß man das Evangelium frei verkündigen dürfe. 1Unvorgreifliche Antwort bei Foͤrſtemann II, 256. Vgl. mit dem Bedenken, ebendaſ. p. 245, p. 75. Aus dem letzten ergiebt ſich, daß ſie doch alle hierarchiſchen Einrichtungen ausdruͤcklich vom menſch - lichen Rechte herleiten wollten, gleichwie das Papſtthum ſelbſt, das man aber dann dulden koͤnne. In wie fern Luther hiemit uͤberein - ſtimmte, zeigt ein von ihm unterzeichnetes Bedenken bei Walch XX, 2178Sie waren ſelbſt geneigt, nicht weil es ein Got - tesdienſt ſey, aber der guten Ordnung halber, die Faſten beobachten und in Hinſicht der Beichte die Leute anweiſen zu laſſen, alle Fälle zu bekennen, in denen ſie beſondern Troſtes bedürftig ſeyen.

Vorſchläge, die doch in der That eine Herſtellung der Aeußerlichkeiten der Kirche einſchloſſen, welche man gar nicht mehr hätte erwarten ſollen.

Und auch den Vorwurf ſollte man nicht wiederholen, daß die Herſtellung der eingezogenen Kloſtergüter die Ver - ſöhnung verhindert habe. Obwohl die Proteſtanten den Gegnern einwarfen, daß von ihrer Seite noch ſchlimmere Beraubungen vorgekommen, z. B. die Beſetzung des Bis - thums Utrecht durch den Kaiſer, was bei weitem mehr ſagen wolle, als Einziehung von ein paar Klöſtern, da die Kirche auf die Biſchöfe, nicht auf die Mönche gegrün - det ſey, ſo erbot ſich am Ende doch der Churfürſt von Sachſen, alle eingezogenen Klöſter einer Sequeſtration zu278Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.unterwerfen; die Sequeſtrirenden, ehrbare Leute aus dem Landesadel, ſollten dem Kaiſer verpflichtet ſeyn, nichts von den Gütern abkommen zu laſſen, bis zu einer Beſtimmung des Conciliums. 1Saͤchſiſche Apologia bei Muͤller p. 861 und in dem Archiv von Foͤrſtemann p. 150.

So weit näherten ſich die Proteſtanten noch einmal dem römiſchen Kirchenweſen, der Majorität des Reiches. Es iſt kaum zu verſtehen, daß man ſie dabei nicht feſthielt.

Trat doch der Ausſchuß der Majorität von einer an - dern Seite hinwiederum den Proteſtanten ſehr nahe. Er ſprach die Hoffnung aus, bei dem künftigen Concilium die Zulaſſung verheiratheter Prieſter ganz im Allgemeinen aus - zuwirken, wie das in der alten Kirche Statt gefunden. 2Das die conjugati mochten zu prieſterlichem ſtand genomen und ordiniret werden, inmaaſſen wie vor allters In der erſten kirchen etlich hundert jar Im Gebrauch geweſen. Unſchluͤſſige unnd unver - griffliche chriſtliche Mittel (Vorſchlaͤge des katholiſchen Ausſchuſſes) bei Foͤrſtemann II, p. 250.Er ſah kein Bedenken dabei, beide Geſtalten zuzulaſſen.

War man einander ſo nahe gekommen, was lag im Grunde an ein paar abweichenden Gebräuchen? Mußte man darum die Einheit des Reichs und der Nation, und den gegenſeitigen Frieden aufgeben?

Daß man dieß doch am Ende that, kam wohl haupt - ſächlich daher, weil die Führer der Katholiſchen nicht han - deln konnten, wie ſie vielleicht gewollt hätten. Wir wiſſen, daß die Sache am päpſtlichen Hofe bereits in Berathung gezogen und entſcheiden war. Der päpſtliche Legat, Campeggi, ſäumte nicht, in dem dringenden Augenblick den Kaiſer zu be - ſuchen, ſeinen ausſchließend katholiſchen Eifer zu entflammen,279Vermittelungsverſuch.ihn zu den Geſichtspunkten der Curie zurückzurufen. 1Thom. Leodius Vita Friderici Palatini VII, 151. Ut in - tellexit, ita rejecit. Vgl. Melanchthon an Camerar (Corp. Ref. II, 590.) Dahin ging auch das erſte Gutachten Campeggi’s. I Santi padri, ſagt er, con la santità della vita osservantia delli precetti divini con summa vigilantia e studio si sono sforzati a partecipare del spirito santo, dal quale senza dubio spinti hanno cosi santamente ordinate tutte le cose della chiesa. Nach ſeiner Lehre waren alle Ordnungen der Kirche vom heili - gen Geiſt eingegeben. In dieſem Sinne bearbeitete er auch die Stände. Zuletzt forderten dieſe nun doch, daß auf der proteſtantiſchen Seite bis zum Ausſpruch des Conci - liums keine verheiratheten Prieſter mehr angeſtellt werden ſollten; ſie beſtanden auf dem Beichtzwang; ſie wollten ſich weder die Auslaſſung des Canons in der Meſſe, noch die Abſtellung der Privatmeſſen in den proteſtantiſchen Ländern gefallen laſſen; ſie verlangten endlich, in den Pre - digten der Proteſtanten ſolle der Genuß des Abendmahls unter Einer Geſtalt für eben ſo richtig erklärt werden, wie der unter beiden.

Dieß waren aber alles Dinge, welche die bereits be - gonnene Bildung proteſtantiſcher Organiſationen ſo gut zer - ſetzt haben würden, wie die Forderungen vom Jahre 1529. Die kaum gewonnene Ueberzeugung wäre dadurch wieder in ihrer Grundlage erſchüttert worden. Die Proteſtanten waren bereit, den Genuß des Abendmahls unter Einer Geſtalt nicht zu verdammen; aber ſie konnten ſich unmöglich entſchließen, ihn für gleich richtig mit dem ihren zu erklären, da ja Chriſtus beiderlei Geſtalt eingeſetzt habe. Und wie ſollten ſie vollends die Privatmeſſe wieder einführen, die ſie als dem Begriffe des Sacraments widerſprechend, mit ſo gro -280Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.

Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan - ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al - lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote - ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.

Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden, Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben - heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ - ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die281Vermittelungsverſuch.Nürnberger äußerten, ſie würden ſich der Herrſchaft eines Biſchofs niemals wieder unterwerfen. 1Gutachten Spenglers in Hausdorfs Leben Spenglers p. 65.

Wohl hat man nun, nachdem die erſten Verhandlun - gen abgebrochen worden, gegen Ende Auguſt eine noch engere Verſammlung gebildet, nur von drei Mitgliedern von jeder Seite; aber es iſt nicht nöthig, ihre Beſprechungen zu be - gleiten; ſie führten nicht einmal bis zu dem Punkt, der ſchon früher erreicht war.

Es ſind dann noch einige einzelne Verſuche der An - näherung gemacht worden. Im Garten eines Augsburger Bürgers hielt Herzog Heinrich von Braunſchweig eine Zu - ſammenkunft mit dem Sohne des Churfürſten, Johann Frie - drich; in der Kirche zu St. Moritz machte der Kanzler von Baden dem ſächſiſchen, welchen Melanchthon begleitete, Er - öffnungen, die ſich dann eine Weile fortſpannen, aber zu keinem Ziele führen konnten.

Der proteſtantiſche Theil hatte ſo weit nachgegeben, als es die religiöſe Ueberzeugung nur irgend zuließ; er hatte aber die äußerſte Grenze bereits erreicht, ja ſchon regte ſich in ſeinem eignen Innern Widerſpruch gegen die gemach - ten Zugeſtändniſſe; er war nun um kein Haarbreit weiter zu bringen. Auch bei dieſen Verhandlungen erinnerte Chur - fürſt Johann die Theologen, nur die Sache im Auge zu behalten, auf ihn und ſein Land keine Rückſicht zu nehmen.

Eben ſo wenig aber wäre auf der andern durch den Papſt gefeſſelten Seite irgend eine weitere Conceſſion zu er - reichen geweſen.

282Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Verhandlungen des Kaiſers.

Unmöglich konnte der Kaiſer geneigt ſeyn, es hiebei bewen - den, den Reichstag auf dieſe Weiſe auseinandergehn zu laſſen.

Gleich im Anfange der Berathungen hatte die katho - liſche Majorität die alte Forderung eines Conciliums wie - derholt und der Kaiſer darüber an den Papſt geſchrieben. Clemens VII legte die Forderung einer Congregation vor, die er für die Glaubensſachen niedergeſetzt. Hier ſprachen ſich jedoch noch Viele dagegen aus und zwar hauptſächlich aus zwei Gründen: einmal weil Leute, welche die frühern Con - cilien verworfen, ſich auch einem neuen nicht fügen wür - den, ſodann weil ein etwaniger Anfall der Türken, wäh - rend man ſeine ganze Aufmerkſamkeit auf dieſe inneren Sa - chen wende, um ſo gefährlicher werden müſſe. Allein der Papſt war durch vorläufigen Zuſagen, die noch von ſei - ner Gefangenſchaft im Caſtell herrührten, ſo wie durch mündliche Erörterungen, die zu Bologna vorgekommen, ge - bunden; er bat zwar den Kaiſer die Sache ja noch einmal auf allen Seiten zu erwägen: ſollte aber S. Majeſtät, die am Orte und ſo gut katholiſch ſey, es für unumgänglich nothwendig erachten, ſo willige auch er ein; jedoch nur unter der Bedingung, die von Kaiſer und Ständen ſelbſt angegeben worden, daß die Proteſtanten bis dahin zu dem Ritus und den Lehren der heil. Mutter Kirche gehorſam zurückkehren müßten. Als den geeignetſten Ort für die Ver - ſammlung brachte er Rom in Vorſchlag. 1All imperatore di man propria di Clemente (L. di pr. II, 197) Pregatala prima che esamini maturamente dico a V.

283Vorſchlag des Conciliums.

Es war in Folge dieſes Briefwechſels, daß der Kai - ſer am 7. September den Proteſtanten eine Eröffnung zu - gehn ließ, in der er ihnen das Concilium ankündigte, aber mit dem Zuſatz, daß ſie ſich mittler Zeit dem Kaiſer, den Ständen und der gemeinen chriſtlichen Kirche gleichförmig würden zu halten haben.

Glaubte Carl wirklich, nach allem was vorgegangen, mit einem ſolchen Befehle Gehör zu finden? Es würde verrathen, daß ihm Stimmung und Geſinnung der Prote - ſtanten noch immer verſchloſſen und ganz unverſtändlich ge - blieben waren. Dieſe aber hatten ſchon von dem Vorha - ben eines ſolchen Antrags gehört und waren vorbereitet. Sie antworteten: ſich in dieſe Forderung zu fügen, würde wider Gott und Gewiſſen laufen, überdieß aber ſeyen ſie auch rechtlich dazu nicht verpflichtet. In Folge früherer Reichsſchlüſſe werde jetzt ein Concilium bewilligt; nie ſey da von einer ähnlichen Bedingung die Rede geweſen. Was nun auch immer die Majorität zuletzt in Speier in dieſer Hinſicht beſchloſſen haben möge, ſo könne das ſie, die ſie dagegen feierlich proteſtirt, nicht binden. In dem münd - lichen Vortrag hatte ſie der Kaiſer als Secte bezeichnen laſ - ſen, ſie ſäumten nicht, ſich darüber ernſtlich zu beſchweren. 1Anmerkung zu den Anſpachiſchen Acten in Foͤrſtemanns Ur - kundenbuch II, 393. Saͤchſiſche Apologia in Foͤrſtemanns Arch. 136.

Wir haben das Schreiben, das nun der Kaiſer hin - wieder an den Papſt erließ. Wir ſehen, daß er über die1M. che son contento, che quella in caso giudichi esser cosi ne - cessario, offerisca e prometta la convocatione del concilio, con conditione però, che appartandosi da loro errori tornino incon - tinente al viver catholicamente. 284Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Antwort ſo verwundert wie entrüſtet war. Sie haben mir, ſchreibt er, in ihrem hartnäckigen Irrthum geant - wortet, worüber ich in Gedanken bin.

Indem ſich ihm ſchon die Ausſicht erhob, daß es zur Anwendung der Gewalt kommen werde, hielt er doch noch für möglich, da ja nur die Vermittelung der Stände frucht - los abgelaufen, etwas auszurichten, wenn er ſelbſt perſön - lich hervortrete. Damit alles deſto mehr gerechtfertigt ſey, ſchreibt er dort weiter, ſcheint es mir gut, daß ich ſelbſt mit ihnen rede, ſowohl Allen zuſammen, als einem Je - den allein: was ich auf der Stelle ins Werk zu ſetzen denke. Nicht ohne dem römiſchen Hof davon Nachricht gegeben zu haben, bot er demnach den Proteſtanten ſeine perſön - liche Bemühung an, um Mittel der Einigkeit bis auf das Concilium zu finden.

Wie ſehr aber täuſchte er ſich auch jetzt, wenn er mit ei - ner Schrift, wie er ſie nunmehr an die Proteſtanten erließ, et - was bei ihnen auszurichten hoffte. Er behauptete darin die Nichtigkeit der Proteſtation, ohne auf die Gründe für dieſelbe einzugehn, nur deshalb, weil ein ſo gar geringer Theil dem größern billig nachfolgen müſſe. Zugleich gab er ſeine Ver - wunderung zu erkennen, daß die katholiſchen Deputirten noch ſo weit nachgegeben. Da die Proteſtanten bereits ihr letztes Wort ausgeſprochen, ſo mußten ſie wohl eine Verhandlung zurückweiſen, die auf dieſen Vorausſetzungen beruhte. Die religiöſen Fragen erörterten ſie in ihrer Antwort nicht mehr; ſie ſuchten dem Kaiſer nur ihren rechtlichen Standpunkt klar zu machen. Sie entgegneten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen auf den Abſchieden der Reichstage von 1524 und 1526 zu ver -285Kriegsgefahr.harren, deren ſie keine Majorität entſetzen könne, und ba - ten übrigens lediglich um den äußern Frieden. 1Antwort der Proteſtanten, datirt vom 8. Septemb. Foͤrſte - manns Urkunden II, 411.

So unvermeidlich eine Antwort dieſer Art war, ſo fühlte ſich doch der Kaiſer dadurch nicht wenig gekränkt. Er ließ die Proteſtanten wiſſen, er habe dieſelbe mit merk - lichem Mißfallen vernommen. Er ſagt in einem ſeiner Briefe, er könne nicht beſchreiben, wie viel Verdruß ihm dieſe Angelegenheit mache. Er hätte an den Ideen der la - teiniſchen Chriſtenheit feſthaltend, über alle ſeine Gegner zu triumphiren gewünſcht; ſein Ehrgeiz war ritterlicher Natur; ſtatt deſſen ſah er ſich in dieſe ihm weſentlich unverſtänd - lichen, auf jeden Fall höchſt unerfreulichen Händel verwickelt. 2Bericht Hellers ibid. 422.

In der That glaubte er nunmehr alle Mittel erſchöpft zu haben und zu den Waffen greifen zu müſſen. Bereits in dem obenangeführten Schreiben an den Papſt ſagt er: Gewalt wäre jetzt, was die meiſte Frucht bringen würde ; es hielt ihn nur noch zurück, daß man nicht hinreichend dazu vorbereitet war. Nachdem die neue Antwort der Proteſtanten eingegangen, eröffnete er der Majorität der Stände, da er nichts nachgeben könne, was das Weſen des Glaubens verletze, und da alle gnädige Handlung nichts geholfen, ſo ſey er bereit, Leib und Gut daran zu ſtrecken und mit Hülfe und Rath der Stände alles zu thun, was nothwendig ſey. Auch beim Papſt und bei andern Fürſten werde er um Hülfe zu dieſem Zwecke anſuchen.

Er ſchien die Proteſtanten behandeln zu wollen, wie ſeine Mauren in Valencia. Hätte er ſofort Kriegsmittel286Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.bereit gehabt, wäre er nicht an die Beſchlüſſe der Majo - rität gebunden geweſen, ſo würde er ſich aller ſeiner Milde zum Trotz durch die Conſequenz ſeiner Verpflichtungen wahr - ſcheinlich haben bewegen laſſen, an dieß Werk zu ſchreiten.

Es iſt aber wohl ſehr erklärlich, wenn die Majorität des Reichstags doch einiges Bedenken trug, hierauf einzu - gehen. Es hatten ſich doch, wie berührt, Intereſſen erge - ben, in denen die Stände mit dem Kaiſer nicht völlig über - einſtimmten;1Koͤnigklich wirde zu Hungern etc. Revocation der babſtlichen bulle ſo auf den vierten Tail d geiſtlichen gutter erlangt bei Foͤrſte - mann Urk. II, 843. ſich ihm zu einem Kriegszug ſo unbedingt anzuſchließen waren ſie nicht gemeint. So durchaus hat - ten die alten reichsſtändiſchen Geſinnungen dem religiöſen Haſſe noch nicht Platz gemacht. Vielmehr erregte ſo eben der Plan der römiſchen Königswahl, wir werden darauf zurückkommen, neue Verſtimmung.

Die Stände brachten einen Abſchied in Vorſchlag, der den Krieg zwar in Ausſicht ſtellte, aber noch ver - ſchob: den Proteſtanten ſollte bis den nächſten 5. Mai Be - denkzeit geſtattet werden, um ſich über die unverglichen ge - bliebenen Artikel zu erklären.

Unglücklicherweiſe war aber auch dieſer Entwurf wie - der in Ausdrücken abgefaßt, welche das Selbſtgefühl der Proteſtanten verletzten. Es hieß darin, ſie ſollten Nie - mand zu ihrer Secte nöthigen; Wort und Sache war ihnen gleich verhaßt; er enthielt Anordnungen, denen ſie ſich ſchlech - terdings nicht unterwerfen zu dürfen glaubten, z. B. in Sa - chen des Glaubens binnen dieſer Zeit nichts Neues drucken zu laſſen, den Mönchen Beichte und Meſſe zu geſtatten;287Vorſchlag des Abſchieds.endlich ward darin ausgeſprochen, die Confeſſion ſey mit gutem Grunde der heiligen Schrift widerlegt worden. Hät - ten ſie dieſen Abſchied angenommen und unterſchrieben, ſo hätten ſie ihre eigne Sache verurtheilt. Ohne Beden - ken wieſen ſie ihn weit von ſich. Indem ſie die übrigen Gründe ihrer Weigerung ausführlich deducirten, nahmen ſie von der Behauptung, daß ſie widerlegt worden, zugleich Gelegenheit, dem Kaiſer eine Apologie ihrer Confeſſion zu überreichen. Der Hauptſache nach iſt dieſe Schrift der Con - feſſion gleichartig; irre ich aber nicht, ſo iſt doch die Art und Weiſe der Abfaſſung in einem ſich von dem Katholi - cismus wieder mehr entfernenden Sinne ausgefallen.

Darüber hatten ſie denn noch einmal einen Sturm zu beſtehen. Churfürſt Joachim von Brandenburg kündigte ihnen an, würden ſie den Abſchied nicht annehmen, ſo ſeyen Kaiſer und Stände entſchloſſen, Leib und Gut, Land und Leute daran zu ſetzen, daß dieſer Sache geholfen werde. Der Kaiſer erklärte, weitere Aenderungen könne er ſich nicht gefallen laſſen: wolle die proteſtantiſche Partei den Abſchied annehmen, da ſey er: wo nicht, ſo müſſe er der Kaiſer ſammt den übrigen Ständen unverzüglich auf die Ausrot - tung ihrer Secte Bedacht nehmen.

Waren aber die frühern Drohungen fruchtlos gewe - ſen, ſo konnten auch dieſe keinen Eindruck weiter machen. Das religiöſe Element, das in Strenge ſeiner Gewiſſenhaf - tigkeit jedes Bündniß verſchmäht hatte, welches ihm nicht ganz gleichartig war, erwies ſich nun auch dem Sy - ſtem, von dem es ausgeſchieden, gegenüber eben ſo uner - ſchütterlich.

288Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und ſo war jeder Verſuch der Annäherung mißlun - gen; die Minorität war entſchloſſen ihren Standpunkt voll - ſtändig zu behaupten, und es darauf ankommen zu laſſen was man wider ſie unternehmen würde. So mußte man auseinandergehn.

Es wäre ſehr falſch zu glauben, dem Churfürſten von Sachſen habe politiſch daran gelegen, dem Kaiſer Oppo - ſition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid, ſich von ſeinem Kaiſer und Herrn ſo trennen zu müſſen: aber es konnte nun nicht anders ſeyn. Endlich war der Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureiſen, an ihn herantrat, um ſich von ihm zu beurlauben. Oheim, Oheim, ſagte der Kaiſer, das hätte ich mich zu Ew. Liebden nicht verſehen. Der Churfürſt erwiederte nichts darauf: die Augen füllten ſich ihm mit hellen Thränen; Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den Pallaſt und gleich darauf die Stadt. 1Erzaͤhlung der ſaͤchſiſchen Apologia in Foͤrſtemanns Archiv p. 206. Granvella erinnerte 1542 an dieſen Zug, als an ein Zeichen der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrſten gegen kaiſ. Majeſtaͤt.

Es war eine vollkommene Trennung zwiſchen den Für - ſten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die Fürſten allein, jetzt war auch der Kaiſer zugegen und darin verflochten.

Der Zwieſpalt, den bisher die Ausſicht einer Verſöh - nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage.

Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen.

Wie zuerſt Reutlingen, ſo hatten ſich allmählig auch Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord - gau an Nürnberg angeſchloſſen.

289Spaltung der Staͤdte.

Vier andere Städte, Strasburg, Memmingen, Con - ſtanz und Lindau, die ſich bisher zu der ſchweizeriſchen Auf - faſſung des Abendmahls gehalten, hatten ihre eigene Con - feſſion eingegeben, die ſogenannte Tetrapolitana, auf de - ren für die innere Geſchichte des Proteſtantismus höchſt merkwürdigen Inhalt wir ſpäter zurückkommen werden; auch ihnen ließ der Kaiſer eine katholiſche Widerlegung vorleſen; natürlich ohne alle Frucht. Strasburg zeigte ſo viel Muth, wie Nürnberg und andere Städte. Wäre zwiſchen Lutheranern und Katholiken die beabſichtigte Ver - ſöhnung zu Stande gekommen, ſo würden die vier Städte wohl in nicht geringe Bedrängniß gerathen ſeyn. Wie aber die Sachen in Augsburg gegangen waren, hatten ſie weniger zu fürchten, als im Anfang, und um ſo weniger gaben ſie einer Einſchüchterung Gehör.

Es waren nur die übrigen Städte, denen der Kaiſer am 24. September vorſtellen ließ, wie ſo ganz mit Unrecht Sachſen und ſeine Mitverwandten einen im Grunde zu ih - ren Gunſten verfaßten Abſchied ausgeſchlagen, ohne Zweifel hauptſächlich deshalb, weil ſie darin zur Reſtitution der Klo - ſtergüter angehalten worden: allein er ſey entſchloſſen, dieſe Sache zu Ende zu bringen. Wie die andern Stände Leib1Fuͤrſtenberg 5. Juli meldet noch folgendes: Es haben die von Strasburg vergangener Tag uns und etlich mehr von Staͤdten bei ſich erfordert, und die Bekanntniß irer Lere und Predig ſo ſie der Keyſ. Mt. zu uͤbergeben willens zuvor anhoren laſſen, ob ſich jemand villeicht mit inen unterſchreiben wolt. Wie wol nun dieſelbig faſt wol geſtellt und etwas ſubtiler und zugtiger dan der Furſten ge - weſt, ſo haben wir doch diweyl bis anher bei uns des Sacraments halber ire Opinion nit gepredigt, das underſchreyben abgeſchlagen; dergleichen haben auch andere gethan, urſachen von jeglichen in - ſonderheit furgewandt. Ranke d. Geſch. III. 19290Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.und Gut dabei zuzuſetzen verſprochen, ſo hoffe er, werde das auch von ihnen geſchehen. Die Städte baten ſich aus, erſt bei ihren Oberen anfragen zu dürfen; der Kaiſer drang auf unverzügliche Antwort.

Hierauf trugen nun diejenigen, die noch katholiſch ge - blieben, kleinere ſo gut wie größere, Rottweil, Ueberlin - gen, Cöln, Hagenau, ſelbſt Regensburg kein Bedenken, ſich dem Kaiſer anzuſchließen.

In nicht geringe Verlegenheit dagegen geriethen die an - dern, die dem Bekenntniß bisher Raum gegeben, ohne doch, ſo viel es irgend möglich, mit dem Kaiſer und der Majorität in Oppoſition zu treten. Jetzt aber zogen ſie in Betracht, daß ſie durch die Annahme des Abſchieds die Confeſſion für widerlegt erklären, daß ſie dann gezwungen werden wür - den, wider ihre eigenen Glaubensgenoſſen zu fechten; nach und nach erklärten ſich Frankfurt, Ulm, Schwäbiſch-Hall, endlich auch Augsburg verweigernd. In Augsburg hatte das, wie ſich denken läßt, bei der Anweſenheit des Kaiſers die meiſte Schwierigkeit; man hielt für nothwendig, was hier nur ſelten geſchah, den größern Rath zu berufen, an welchem Mitglieder aller Zünfte Theil nahmen. Aber ſchon war der proteſtanti - ſche Geiſt allzutief in die Bürgerſchaft gedrungen, als daß ſie ihn hätte verläugnen können. Im Angeſichte des Kai - ſers verweigerte Augsburg ſeinen Abſchied anzunehmen. 1Kreß und Volkamer an Nuͤrnberg im Corp. Ref. II, 422. Beſonders merkwuͤrdig iſt der Briefwechſel zwiſchen der Stadt Frank - furt und ihren Abgeordneten. Sollte es aber mit ſich bringen, wie es on Zweyfel thut, ſchrieb Fuͤrſtenberg am 3. October, daß wir ſtillſchweygend gehellen, daß die Bekenntniß des Churfuͤrſten und ſey - nes Anhangs mit den heyligen Evangelien und Geſchriften gruͤndlich abgeleynet worden, welche Ableynung wir doch nie geſehn noch an

291Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt.

Es waren nunmehr vierzehn Städte, und gerade die reichſten und blühendſten unter ihnen, Strasburg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Nürnberg, welche ſich dem Abſchied widerſetzten. Eine Minorität, doch nicht mehr ſo unbedeu - tend, wie ſie anfangs ausgeſehen.

Mittlerweile hatte der Kaiſer einige beſondere Geſchäfte mit der Majorität verhandelt, die ſich wie geſagt nicht ſo ganz unbedingt an ihn und ſein Haus anſchloß, wie die Unterſtützung es mit ſich zu bringen ſchien, welche ſie jetzt von ihm erfuhr.

Jene Bewilligung, die der Papſt dem König Ferdi - nand von den geiſtlichen Gütern in Deutſchland und Oeſtreich zugeſtanden, wurde hartnäckig zurückgewieſen. Zuerſt er - klärten die Geiſtlichen ſich entſchloſſen, ſie nicht zu ge -1Tag kommen iſt, daß iſt unſers Erachtens wider unſer Gewiſſen und Verſtand und deshalb zu bewilligen ganz beſchwerlich und nit thun - lich und wan es gleich deßfalls nit zu widerfechten were, khan E. W. on Zweyffel wol ermeſſen, wo es zur Handlung kommen ſolt, was E. W. derwegen mit Pulver Buxen Geld und andern zu leihen und darzuſtrecken zugemut woed werden: wir wollen geſchweygen was das uf im hab zuzuſagen und zu halten was weiter beſchloſſen wird. Der hoͤchſt bedaͤchtige Rath zu Frankfurt entſchließt ſich hierauf den 14. Oct. zu folgender Antwort an den Kaiſer. Dieweil Kaiſ. Mt. ein Concilium zu verſchaffen, ſich allergnediglichſt erpotten und ein erparer Rath kainswegs ſich ye verſehen, daß Kayſ. Mt. dem ewigen Gottes Wort etwas zuwider werde aufrichten oder handhaben helffen, ſo wolle ein erbarer Rath in Bedacht hochgedachter Kayſ. Mt. als eines allergnedigſten guͤtigen milten Kaiſers ſelbß erpieten ſich deſſel - bigen getroiſten, auch fuͤran, als einem chriſtlichen Magiſtrat wol ge - ziemt, und ſo viel ſie gegen Gott der Seelen und Gewiſſen halb und dem Kayſ. Mt. von des Reichs wegen Gehorſam zu leiſten ſchuldig wie pillig allerunterthaͤnigſt gehorſamen. In ſo faltenreiches Dun - kel huͤllen ſie ihre abſchlaͤgliche Antwort. Im Ganzen ſind ſie mit ihren Geſandten einverſtanden.19*292Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.nehmigen; dann machte die ganze Verſammlung dieſe Sache zu der ihren. In einer Aufzeichnung mit Rand - bemerkungen Granvella’s findet ſich, daß ſie keine Türken - hülfe leiſten zu wollen drohte, wenn man dabei verharre. Weder im Reiche noch auch in den öſtreichiſchen Erblan - den könne eine ſolche Neuerung, eine ſolche Anmaßung des Papſtes geduldet werden. 1Les deputés ont dit clerement, que la dite hastive ayde ne sera en manière nulle consentie si premierement le roi (Fer - dinand) n’abolit entierement la bulle du pape et ce non seule - ment en l’empire mais aussi a l’encontre des subjects de tous les états qui sont demourans et habitans en pays d’Autriche, car ils donnent à entendre que de la sorte ils ne veulent nullement être en subjection du pape. (Archiv zu Bruͤſſel.) Granv. macht die Anmerkung: au roi, que S. M. regarde etc. Granvella ſetzte den König da - von in Kenntniß. Ferdinand mußte ſich wirklich entſchlie - ßen, die Bulle fallen zu laſſen.

Erſt hierauf ward die Türkenhülfe zugeſtanden. Zwar auch jetzt noch nicht, wie der Kaiſer gewünſcht hatte, eine beharrliche; eine ſolche, ſagten die Stände, werde erſt durch den Beitritt der geſammten Chriſtenheit möglich wer - den. Dagegen ward ihm eine eilende Hülfe in ganz be - deutender Anzahl bewilligt; noch einmal ſo ſtark, als zum Römerzug von 1521, 40,000 M. zu Fuß, 8000 M. zu Pferde; zwar zunächſt nur auf ſechs Monat, die man aber nöthigen Falls auch erſtrecken wolle; die Hülfe ſollte nicht in Geld, ſondern in Mannſchaften, und zwar nach der Abtheilung der Kreiſe geleiſtet werden.

Auch mit einigen andern innern Geſchäften kam man zu Stande.

Eine von dem Ausſchreiben angekündigte Hauptabſicht293Verhandlungen der Majoritaͤt.des Reichstags war, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren ſo viel Lär - men gemacht, beizulegen. Die geiſtlichen Stände waren früher ſehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch ſie ihre Beſchwerden ein. Früher würde das die heftigſten Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenſeitigen Animoſitäten einer andern gemeinſchaftlichen Antipathie ge - wichen waren, ward ein Ausſchuß aus beiden Theilen nie - dergeſetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht, den der Kaiſer als Conſtitution in das Reich zu verkün - digen Willens war. 1Concordata der geiſtlichen und weltlichen Beſchwerung, con - ſtitutionsweis zuſammengezogen bei Bucholz III, 636.

Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürſten, gewohnt auf ihre Beſchlüſſe zu beſtehn, überreichten ſie aufs neue. Da der päpſtliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber ermächtigt war, ſo übernahm der Kaiſer ſie durch ſeinen Geſandten in Rom in Anregung zu bringen. 2In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr. 296 (p. 93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se - dem ap. inferuntur, die hieher gehoͤren wird.

Es ſcheint faſt, als habe man die Abſchaffung der Be - ſchwerden ſpäter als bewilligt angeſehen, als habe ſelbſt jene Conſtitution eine gewiſſe Autorität gehabt. 3Spittler Geſchichte der Fundamentalgeſetze der deutſch-ka - tholiſchen Kirche (Werke VIII, p. 501) verſichert, daß die beiden Ac - tenſtuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeſchloſſen betrach - tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiſerl. Hofraths zum taͤg - chen Gebrauch gelegen.Allein wie ſehr verſchwanden jetzt dieſe Intereſſen vor den bei weitem mächtigern der Reform.

294Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die vornehmſte Frage blieb, welche Haltung Kaiſer und Majorität in ihrem Verhältniß zu den Ständen, die ihren Abſchied verworfen hatten, nunmehr ergreifen würden.

So viel ich ſehe, war der Kaiſer mehr für einen un - mittelbaren Angriff, die Majorität mehr für weiteres Ver - ſchieben der Waffengewalt.

Auf wiederholtes Anfragen gab ſie ihr Gutachten da - hin ab, daß der Kaiſer ein neues Religionsmandat auf den Grund des Edictes von Worms ausgehen laſſen möge. Verweigere Sachſen mit ſeinen Anhängern demſelben ſeinen Gehorſam, ſo möge der Kaiſer ſie vorladen, die gebühr - liche Pön gegen ſie erkennen und zur Ausführung derſel - ben ſchreiten.

In dieſem Sinne iſt nun auch der Reichsabſchied ver - faßt worden.

Der Kaiſer verkündigt darin den ernſtlichen Entſchluß, ſein Edict von Worms zu vollziehn; eine Menge Abwei - chungen von demſelben führt er an, die er alle verwirft, gleichviel ob ſie lutheriſch, zwingliſch oder wiedertäuferiſch lauten; er ſchärft die Handhabung der angegriffenen Ge - bräuche und Lehren einzeln ein, und beſtätigt aufs neue die Gerechtigkeiten der geiſtlichen Fürſten. Gegen die Un - gehorſamen ſoll der kaiſerliche Fiscal gerichtlich und zwar bis zur Strafe der Acht, die nach den Anordnungen des Landfriedens auszuführen iſt, procediren.

Man verſäumte nicht, und das iſt einer der Haupt - punkte, auf den wir ſogleich zurückkommen werden, das Kammergericht neu zu conſtituiren und auf dieſen Abſchied zu verpflichten.

295Briefe Carls an den roͤm. Hof.

Dabei blieb nun aber, wie ſchon hieraus hervorgeht, ein Angriff mit den Waffen noch immer vorbehalten; mit dieſem Gedanken ging der Kaiſer unaufhörlich um.

In einem Schreiben an den Papſt vom 4. October drückte er ſich aufs neue ſehr lebhaft aus. Er meldete ihm, die Unterhandlungen ſeyen abgebrochen, die Gegner hart - näckiger als jemals, er aber entſchloſſen, alle ſeine Kraft zu ihrer Unterdrückung anzuwenden. Der Papſt möge die übrigen Fürſten der Chriſtenheit ermuntern an dieſer Sache Theil zu nehmen. 1Raince 18. October. Lui (au Pape) escrivoit le dit em - perereur estre deliberé employer tous ses biens et forces et sa pro - pre personne à leur faire la guerre, priant S. Stà vouloir admone - ster et requerir tous les princes chretiens vouloir aider et entrer à l’expedition de la dite emprise, et sur cela s. d. Sté fait dimanche congregation de cardinaux. MS. Bethune zu Paris.

Wir haben ein anderes Schreiben Carls vom 25ſten October an die Cardinäle, in welchem er ſie vor allem um die Beförderung des Conciliums bittet. Zugleich aber er - ſucht er ſie zu berathſchlagen, wie man bis dahin mit den Lu - theriſchen verfahren müſſe, um weitere Gefahren zu verhüten, und beſonders wie er das ihm obliegende Amt eines Kaiſers verwalten ſolle. Wir kündigen Euch an, fügt er hinzu, daß wir zur Vollendung dieſer Sache weder Königreiche noch Herrſchaften ſparen, ja daß wir Leib und Seele da - bei anwenden wollen, die wir dem Dienſt Gottes, des All - mächtigen vollkommen gewidmet haben. 2Il vous plaira, selon votre prudence et bonté, adviser comment on se peut gouverner avec Eux (les Lutheriens) tant pour empescher, qu’il n’advienne plus detriment à la chose publique, que partiellement pour la satisfaction de charges et of - fices, esquels par la divine clemence fumes constitués, vous ad - visans que n’epargnerons ni royaumes ni seigneuries pour la con - sommation de chose tant necessaire etc. Bethune 8539.Am 30. Oc -296Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.tober ſendete er ſeinen Mayordomo Pedro de la Cueva nach Rom, um dem Papſt anzuzeigen, die Meinung der katholiſchen Fürſten ſey zwar, daß das Jahr zu weit vor - gerückt ſey, um auf der Stelle etwas gegen die Lutheri - ſchen zu unternehmen, aber er möge deswegen nicht die Vorbereitungen zu einem ſolchen Unternehmen unterlaſſen. Seinerſeits werde er, ſo wünſchenswerth es auch für ihn wäre, nach Spanien zurückzukehren, doch alles andre hint - anſetzen, um zunächſt nach dem Rathe des Papſtes das - jenige auszuführen, was zum Dienſte Gottes und Seiner Heiligkeit gereiche.

Damit war man in Rom längſt einverſtanden. Cam - peggi hatte dem Kaiſer vor allem Anfang geſagt, ohne ir - gend ein muthiges Unternehmen werde er ſchwerlich zu Ende kommen. Er hatte ihn an Kaiſer Maximilian erinnert, der erſt Gehorſam gefunden, nachdem er die Waffen gegen das Haus Pfalz ergriffen und glücklich geführt. 1Molto più a V. conviensi in questa impresa santa e christiana a farsi obedire con tutte le vie e modi che si ponno trovare, che fece la felice memoria di Maximiliano suo avo, nelle imprese che contra i Palatini si gloriosam. fini, dipoi la quale sem - pre fu poi tenuto e riverito e obedito, Ricordando sempre che è impossibile senza qualche gagliarda exeactione et ordine estirpare le heresie.

Genug: die abendländiſche Chriſtenheit und das deut - ſche Reich, in Kaiſer und Papſt und Reichsverſammlung repräſentirt, zeigten ſich entſchloſſen, die Proteſtanten, die ſich ihnen nicht in Güte fügen wollten, durch rechtliches Verfahren und Anwendung der Gewalt zu unterdrücken.

Es mußte ſich nun zeigen, ob dieſe Kräfte haben und es verſtehen würden ſich zu behaupten.

[297]

Sechstes Buch. Emporkommen des ſchmalkaldiſchen Bundes. 1530 1535.

[298][299]

Wie es bei den Deutſchen ſchon in den Zeiten, welche Tacitus ſchildert, von allen Strafen beinahe die vornehmſte geweſen, den öffentlichen Verſammlungen und Opfern nicht beiwohnen zu dürfen, ſo ward es während des Mittelalters für ein unerträgliches Mißgeſchick gehalten, die Mitgenoſ - ſenſchaft der Kirche, den Frieden des Reiches zu verlieren. Dieſe beiden Gemeinſchaften ſchienen alles jenſeitige und dieſſeitige Heil zu umfaſſen.

Die evangeliſchen Stände ſahen ſich jetzt auf dem Punkt, ſowohl von der einen als von der andern ausgeſchloſſen zu werden.

Von der Kirche, die mit Mißbräuchen überladen war, die ſie zu reformiren gedacht, hatten ſie ſich, da es ihnen damit nicht gelang, durch eigenen Entſchluß losgeſagt. Sie hielten in ihrem Herzen nur noch an der Idee der verbeſ - ſerten Kirche feſt. Die beſtehende Kirche dagegen wollte bleiben wie ſie war, und wies jede Annäherung ohne voll - kommene Unterwerfung von ſich.

Deshalb geſchah nun aber jetzt den Evangeliſchen, daß die Reichsgewalt, auf welche ſie ſich bei ihrem Vorhaben300Sechstes Buch.anfangs zu ſtützen gedacht, die ſich aber wieder an Rom angeſchloſſen, ſie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte.

Betrachten wir die Evangeliſchen allein, mit ihren ge - ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der Stände, dem mächtigen Kaiſer und der vereinigten lateini - ſchen Chriſtenheit gegenüber, ſo mußten ſie, ſo bald es zu ernſtlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren ſcheinen.

Eben darin liegt das vornehmſte Ereigniß des Reichs - tags zu Augsburg, daß ſie im Angeſicht dieſer Gefahr ſich doch entſchloſſen, den einmal gewonnenen religiöſen Stand - punkt, deſſen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder zu verlaſſen.

Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben hat, als von der moraliſchen Energie, die ihrer ſelbſt ge - wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen trachtet, oder den feindſeligen Kräften wenigſtens einen un - überwindlichen Widerſtand entgegenſtellt?

So wie nun aber einmal dieſer Entſchluß gefaßt wor - den, ſo war auch, wenn man um ſich her ſah, bei aller Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte, doch mit nichten verloren.

Vor allem lag die reformatoriſche Tendenz nun einmal in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die Kraft des Prinzipes, das die Proteſtirenden vertheidigten, mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen.

Sodann war das geſammte germaniſch-romaniſche301Vorwort.Abendland eben von dem gewaltigſten Feinde angegriffen, den es jemals gehabt. Mochte man nun auch ſagen was man wollte, ſo gehörten auch ſie, obwohl man ſie ver - warf, zu der gefährdeten, angegriffenen Geſammtheit; eben in ihnen repräſentirte ſich ein neuer Moment der Cultur, welche der barbariſche Feind zu vertilgen geſonnen war; Europa konnte und wollte ihrer Hülfe nicht entbehren.

Endlich aber: die Einheit, in der die katholiſche Chri - ſtenheit noch einmal erſchien, war nur das Produkt eines Momentes, glücklicher Siege, und raſcher, treffender Po - litik. Ließ ſich wohl erwarten, daß dieſer Friede zu ernſt - lichem Zuſammenwirken führen, oder auch daß er nur lange dauern würde?

Ich glaube nicht, daß irgend Jemandem von den da - mals Lebenden dieſe Lage der Dinge zu vollem Bewußt - ſeyn gekommen iſt. Ein Gefühl davon hatte wohl am er - ſten noch Landgraf Philipp. Die Uebrigen gingen, ohne weiter viel um ſich zu ſehen, mit ihrem Gewiſſen zu Rathe.

Sowohl für dieſe aber, als für die allgemeine Ent - wickelung kam nun zunächſt alles darauf an, daß ſich ein Kern des Widerſtandes feſtſetzte, um nicht von dem erſten Sturme überwältigt zu werden, um die Gunſt der Um - ſtände, die jetzt den Gegnern zu Statten gekommen, für ein ander Mal auch dieſſeit benutzen zu können.

[302]

Erſtes Capitel. Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.

Die Kirche hatte an und für ſich keine politiſche Macht; ſie bekam deren nur dann, wenn das Reich ihr ſeinen Arm lieh. Der Bann, ſagt der Sachſenſpiegel, ſchadet nur der Seele; Kränkung an Landrecht und Lehnrecht erfolgt erſt aus des Königs Acht.

So feindſelig auch die Stimmung der Majorität auf dem Reichstage den Proteſtanten war, ſo kam es daſelbſt, trotz der Abweichung derſelben von der Kirche, doch nicht zu dieſer Acht. Die Majorität, die den Kaiſer ſchon nicht hatte wollen Richter ſeyn laſſen, trug Bedenken, ihm die Waffen in die Hände zu geben.

Sie faßte die Abſicht, während ein kriegeriſches Un - ternehmen doch immer als nahe bevorſtehend erſchien, den Streit zunächſt auf ein andres Feld zu verſetzen: ſie wollte wie man ſich ausdrückte, nicht fechten ſondern rechten. Von jenen großen Reichsinſtituten, welche zur Erhaltung der nationalen Einheit mit ſo vieler Mühe gegründet wor - den, das einzige, das ſich in Anſehn erhalten, das Reichs -303Umgeſtaltung des Kammergerichtes.kammergericht, welches den kaiſerlichen Gerichtszwang aus - übte, und doch vorzugsweiſe ſtändiſcher Natur war, dachte ſie zu dieſem Zwecke zu benutzen.

Noch in Augsburg ward das Kammergericht vor allen Dingen erweitert, zu ſeinen Geſchäften beſſer ausgerüſtet. Man vermehrte die Anzahl der Beiſitzer von 18 auf 24; wie ſich verſteht, mit Beibehaltung des Wahlrechts der Kreiſe; noch außerdem aber hielt man für nothwendig, um die alten Händel zu erledigen, acht erfahrene Doctores an - zuſtellen. Ferner beſchloß man das Gericht einer neuen Vi - ſitation zu unterwerfen. Wir erinnern uns, in welchem Sinne es ſchon damals, als das alte Regiment fiel, ge - reinigt worden war. 1Bd. II, p. 138.Die nemliche Tendenz herrſchte auch jetzt vor. Unter den Procuratoren und Advocaten waren ſieben, die wegen ihrer religiöſen Haltung ernſtlich gewarnt wurden; ein achter mußte ſich eine Zeitlang entfernen. 2Harpprecht, Staatsarchiv des Kammergerichts V, 82.Und dieſes verſtärkte, von aller Hinneigung zu den neuen Meinungen gereinigte Gericht, ward nun auf das ernſt - lichſte angewieſen, den Augsburger Reichsabſchied beſonders in dem Artikel über den Glauben zu beobachten; wer den - ſelben übertrete, den ſolle der Kammerrichter nicht allein die Befugniß, ſondern auch die Pflicht haben abzuſetzen, bei Vermeidung kaiſerlicher Ungnade. 3Reichsabſchied vom 19. Nov. 1530 § 76, § 82, § 91. Alle Kammergerichtsperſonen ſollen ſich des Abſchieds dieſes jetzo allhie gehaltenen Reichstages, ſonderlich in dem Articul des Glaubens und Religion gemaͤß halten.

Das Kammergericht ward hiedurch ſo recht zum Aus -304Sechstes Buch. Erſtes Capitel.druck der in der Majorität der Stände herrſchenden Geſin - nung gemacht.

Sehr wohl bemerkten dieß die Proteſtanten. In einem ihnen am Schluſſe des Reichstags über den Frieden mit - getheilten Entwurf hieß es, es ſolle Niemand den Andern ohne Recht überziehen. Sie ſchloſſen daraus, daß es auf einen Spruch des Kammergerichts, der nicht zweifelhaft ſeyn konnte, allerdings geſchehen dürfe.

Zugleich war nun aber auch wegen der Reichsregie - rung eine neue Maaßregel genommen worden.

Das Haus Oeſtreich hatte in den letzten Jahren mehr als einmal die Beſorgniß hegen müſſen, daß man bei der Nichtigkeit des Reichsregimentes und der Entfernung des Kaiſers entweder zur Wahl eines neuen Hauptes ſchreiten oder die Rechte der Reichsvicarien, von denen der eine der Churfürſt von Sachſen war, hervorziehen und anerken - nen werde.

Um Plänen dieſer Art auf immer ein Ende zu machen, ſetzte der Kaiſer alles bei Seite, was ſich wegen der der - einſtigen Nachfolge dagegen ſagen laſſen mochte, und faßte, wie wir ſchon berührten, den Entſchluß, ſeinen Bruder zum römiſchen König erheben zu laſſen.

Da man Maximilian I bei einem ähnlichen Vorha - ben eingewendet hatte, daß er ſelber ja eigentlich nur - miſcher König, nicht gekrönter Kaiſer ſey, ſo war das ein Grund mehr, weshalb ſich Carl in Bologna krönen ließ.

Auch machten hierauf die fünf katholiſchen Churfürſten wenig Schwierigkeit; vorausgeſetzt, daß ihre Beiſtimmung mit Gnadenerweiſungen erwiedert wurde. Der Pfalz wurde305Vorbereitung der Koͤnigswahl.eine Entſchädigung für ihre Verluſte im Landshuter Kriege und überdieß die Summe von 160,000 G. verſprochen. Dem Churfürſten von Brandenburg ward ein endlicher Ver - trag über Zoſſen und die böhmiſchen Lehen, ſo wie eine Verbeſſerung an Züllichau und Croſſen zugeſagt; mit Freu - den meldete er nach Hauſe, welch einen gnädigen Kaiſer und König er habe. 1Schreiben vom 18. Aug. 1530. Archiv zu Berlin.Für den Churfürſten von Mainz finden ſich eine ganze Anzahl außerordentlicher, ja beinahe widerſprechender Vergünſtigungen; z. B. ihm von dem - miſchen Stuhle die Facultäten eines Legatus a Latere für ſeine Diöceſen zu verſchaffen, und zugleich einzuwilligen, daß er dieſe ſeine Diöceſen an Coadjutoren überlaſſen und ſich einen Complex von Gütern zu fortwährendem Genuß vor - behalten könne. 2Die letzte in dem Gnadenbrief vom 6. Sept. bei Bucholz III, 662. Die erſte im Archiv von Bruͤſſel; 7. Sept. Contendemus obtinere a. D. N. Clemente VII, facultates ad instar legati a la - tere pro electore antedicto in omnibus suis dioecesibus, nempi Moguntina, Magdeburgensi et Halberstadiensi. Trier war ſeit einigen Jahren durch ein Dienſtgeld gewonnen. Am längſten zögerte Cöln, dem die vor eilf Jahren bei der Wahl Carls V geſchehenen Verſprechun - gen noch nicht erfüllt waren, mit ſeiner Einwilligung; aber endlich auf hinreichende Bürgſchaft ſtimmte es bei. Es fehlte nur noch Sachſen.

Sollte es nicht am gerathenſten ſcheinen, denn auf keinen Fall ließ ſich Sachſen ohne Conceſſionen gewinnen, die man ihm nicht gewähren wollte, den Abfall des Chur - fürſten von der römiſchen Kirche zu benutzen, um ihn ge - radezu auszuſchließen? Wirklich überſendete der Papſt ein Breve, nach welchem Churfürſt Johann auf den GrundRanke d. Geſch. III. 20306Sechstes Buch. Erſtes Capitel.der Bulle Leo’s X, welche die Vertheidiger Luthers der Strafe der Ketzer unterwarf, ſeines Wahlrechts beraubt werden konnte. 1Auszug bei Bucholz IX, 17.Auch iſt darüber förmlich berathſchlagt worden. Dahin aber war es mit den Churfürſten doch nicht gekommen, daß ſie ſich ein ſo formloſes Verfahren, das bei einem jeden von ihnen ein ander Mal wiederholt werden konnte, hätten gefallen laſſen. So viel wir finden, ſetzte ſich vor allem die Pfalz dagegen,2Taubenheim an Chf. Johann bei Foͤrſtemann II, 821. Wie ichs vermerke, ſo ſzolle Pfalz die vornehmſte Urſach ſein, damit E. Ch. G. nicht ausgeſchloſſen werden. und Johann von Sachſen wurde wirklich eingeladen. Auch für dieſen Fall hatte der beugſame Papſt ein Breve gegeben, worin er er - klärte, daß die Theilnahme deſſelben, wenn er gleich kraft der Bulle Leo’s als excommunicirt betrachtet werden könnte, der Gültigkeit der Wahl nicht nachtheilig ſeyn ſolle.

Dieſe Anmahnung nun und die Bedrohung, welche in der neuen Weiſung des Kammergerichts lagen, waren es zunächſt, was dem ſchmalkaldiſchen Bunde ſeinen Ur - ſprung gab.

Wir wiſſen, wie wenig es die evangeliſchen Fürſten bis dahin zu nachhaltigen Verbindungen gebracht hatten; auch jetzt ſchwankten ſie, ſo lange der Kaiſer noch in Augsburg ver - weilte, und es nicht ganz außer Zweifel war, welche Maaß - regeln er im Verein mit der Majorität ergreifen würde. Eine ſchon ausgeſchriebene Zuſammenkunft3Sie war auf Montag nach Catharinaͤ (28. Novemb. 1530) anberaumt. wurde wieder aufgegeben, als der Kaiſer ſich einmal friedlich geäußert hatte. Als nun aber der Abſchied erſchien, der ſo entſchie -307Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.den feindſelig lautete, als zu gleicher Zeit auch jene Ci - tation an den ſächſiſchen Hof einlief, konnte man nicht län - der zögern, zuſammenzutreten.

In einem Schreiben an Georg von Brandenburg giebt Churfürſt Johann folgende Gründe an. Einmal: auf eine Anfrage wegen der dem Fiscal des Kammergerichts gegebenen Weiſungen habe der Kaiſer geantwortet, es ſolle demſelben unverboten ſeyn, wider diejenigen zu procediren, die ſich ſeinem Reichsabſchied nicht unterwerfen würden: man müſſe daher auf eine einhellige Exception gegen ein ſolches Verfahren Bedacht nehmen. Sodann aber: die Einladung zur Wahl mache nöthig, daß man ſich unverzüglich darüber beſpreche und zu gemeinſchaftlichen Gegenſchritten vereinige. 1Im Grunde geſchieht es in dem Zettel, der dem Schreiben Torgau St. Andreaͤ Abend 29. Nov. beiliegt. Der Churfuͤrſt ladet den Markgrafen ein ir (S. Gn.) ſelbſt und der ſachen zu gut. (W. A.)

Ich weiß nicht, ob ich irre, wenn ich annehme, daß in dieſer Wendung der Dinge ſchon an und für ſich ein Vortheil für die Proteſtanten lag.

Eben darauf kam alles an, daß ſie durch die kirchli - chen Veränderungen nicht auch von dem Frieden des Reichs ausgeſchloſſen wurden.

Wären die alten Ideen herrſchend geweſen, ſo würde man einen Kreuzzug gegen ſie begonnen haben.

Indem aber die Majorität ſich entſchloß, ſie mit dem ſtändiſchen Gericht anzugreifen, auf dem Boden der alten Reichsgeſetze, indem der Kaiſer ſie zur Wahl ſeines Bru - ders herbeizuziehen ſuchte, wurde die Rechtmäßigkeit ihrer Theilnahme an den Reichsgeſchäften ihrer kirchlichen Abwei - chung zum Trotz noch anerkannt.

20*308Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Der ganze Streit ward aus einem kirchlichen, allge - meinen, ein politiſcher, reichsrechtlicher; und zunächſt auf dieſem Boden hatten nun die Proteſtanten ſich zu vereini - gen und ihren Widerſtand zu organiſiren.

Am 22. Dez. 1530 kamen Johann von Sachſen, Ernſt von Lüneburg, Philipp von Heſſen, Wolfgang von Anhalt, die Grafen Gebhard und Albrecht von Mansfeld, von de - nen der letztere zugleich die Stimme von Grubenhagen führte, ſo wie Abgeordnete Georgs von Brandenburg und meh - rerer Städte in Schmalkalden zuſammen. Der Schnee mochte ſchon die Anhöhen bedecken, welche die Stadt um - geben. Es war kein Vergnügen, das Weihnachtsfeſt in dieſem rauhen Bergland, dieſem kleinen Grenzort zuzubringen.

Vor allem beſchloſſen ſie nun hier, ſobald Einer von ihnen in Sachen des Glaubens, von wem es auch ſeyn möge, namentlich von dem kaiſerlichen Fiscal rechtlich be - langt werde, dem Angegriffenen ſämmtlich gemeinſchaftlichen Beiſtand zu leiſten. 1Wo der kaiſ. Fiscal, der Bund zu Schwaben oder Jemand anders J. Chf. und Fuͤrſtlichen Gnaden oder die gemeldten Staͤdte, eine oder mehre, oder jemand von den Iren in Sachen unſern heil. Glauben oder was demſelben anhanget (belangend), auf den aus - gegangenen Abſchied fuͤrnehmen und im Schein des Rechtens oder andere Wege beklagen wuͤrde das Ire aller Gn. und Gunſten ein - ander in ſolche beiſtendig raͤthlich und huͤlflich ſeyn ſollen.Sie ſetzten einige Exceptionen feſt, die ſie gleichmäßig vorwenden wollten; ein oder zwei Pre - curatoren am Kammergericht ſollten mit der Sache beauf - tragt werden.

Dieß iſt der Kern des Bundes; er zeigt am deutlich - ſten, wie ſich der Religionsſtreit in einen Rechtsſtreit ver - wandelte. Hiezu vereinigten ſich alle, welche die augsbur -309Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.giſche Confeſſion unterzeichnet, oder ſich ſeitdem hinzuge - ſellt hatten.

Auch darin kamen ſie überein, daß man den Kaiſer um Milderung des Abſchieds erſuchen, vielleicht dagegen proteſtiren müſſe.

Wäre nur unverzüglich ans Werk gegangen worden, ſo würde wahrſcheinlich auch in den neuen Kirchen eine gleichförmig äußere Einrichtung zu Stande gekommen ſeyn. Die Meiſten waren dafür, daß eine allgemeine Kirchenord - nung eingeführt würde, hauptſächlich um eine kirchliche Züch - tigung der öffentlichen Laſter möglich zu machen.

Dagegen konnte man ſich über den zweiten Hauptge - genſtand der Berathung, die Wahl des Königs nicht ſo ganz einverſtehen.

Sachſen trug vor, daß man dem Kaiſer nicht ſo weit Raum laſſen dürfe, um eine Sache dieſer Art einſeitig durch - zuſetzen; ſonſt würde es bald um die Reichsfreiheiten ge - than ſeyn. Anders verhalte es ſich mit einer Wahl nach förmlicher Vacanz; anders wenn einem noch lebenden Kai - ſer ein römiſcher König zur Seite geſetzt werden ſolle. In dem letzten Falle müſſe dem Ausſchreiben eines Wahltags Berathung ſämmtlicher Churfürſten, einſtimmiger Beſchluß derſelben vorhergehn. Daran ſey aber jetzt nicht gedacht worden. Selbſt die Citation, die an den Churfürſten gelangt, beſtimme ihm viel zu kurze Zeit, und ſey ſo nichtig wie das ganze Verfahren. Am wenigſten endlich dürfe man Fer - dinand ſich aufdringen laſſen, der ſich als ein Feind des Evangeliums zeige; ſchon als Statthalter habe er aben - teuerliche Ränke angeſponnen; als König werde er das Spiel ſelbſt in die Hand nehmen: Ferdinand, ſo ohne Be -310Sechstes Buch. Erſtes Capitel.dingung wählen, würde heißen, ſeinen eignen Feinden das Meſſer reichen. Man müſſe für Einen Mann ſtehn und ſich gemeinſchaftlich der Obedienz erwehren. Später werde es an Unterhandlung doch nicht fehlen. Da habe man dann gute Gelegenheit den König zu verpflichten, daß er dem Fiscal Stillſtand gebiete, oder den Abſchied gänzlich aufhebe. 1Artikel, ſo auf kuͤnftigen Tag zu Schmalkalden ſeind zu han - deln (Weim. Arch.).Man könne ihm, ſo iſt der Ausdruck, ein Ge - biß ins Maul legen.

Anſichten, welche ſich ſehr gut hören ließen, beſonders den Meinungen Landgraf Philipps entſprachen, auch den Beifall bei weitem der meiſten Stände für ſich hatten.

Nur Markgraf Georg und ſeine Nachbarn zu Nürn - berg wollten ſo weit nicht gehen. Der eine ſtand in zu mannichfaltigen und eigenthümlichen Verhältniſſen zu Fer - dinand, als daß er hätte wagen ſollen, ihn perſönlich zu beleidigen. Die andern liebten, ſich ganz beſonders als Un - terthanen des Kaiſers anzuſehn. Auf die erſte kaiſerliche Aufforderung hatten ſie bereits den Krönungsornat, der bei ihnen verwahrt wurde, verabfolgt, und ihre Geſandten zu dem Acte ſelber an den kaiſerlichen Hof geſandt.

Und damit ſtand nun noch eine andre Frage in enger Verbindung.

Wenn gleich die nächſten Angriffe, die man zu beſor - gen hatte, mehr juridiſcher Natur waren, ſo ließ ſich doch nicht verkennen, daß der Kaiſer im Nothfall Gewalt zu brauchen gedenke. Man bemerkte, daß er im Reichsabſchiede zwar Andern Frieden geboten, aber nicht ſelber zugeſagt311Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.hatte. 1Schreiben der ſaͤchſiſchen Geſandten bei Foͤrſtemann II, 711. Die Nuͤrnberger meldeten ſchon am 21. October, alles ſey dahin gericht, wie man die thatliche Handlung wider die Anhenger des Evangeliums zum tapferſten anfange. Wirklich ſind im Anfange des Jahres 1531 zwi - ſchen Ferdinand und dem päpſtlichen Hofe Verhandlungen über die Nothwendigkeit einer Kriegsrüſtung gepflogen wor - den. [2A. de Burgo an Ferdinand 2 Maͤrz 1531. Dixi quod es - set providendum de viribus et remediis in re Lutherana, quod solum concilium non futurum esset sufficiens, sed paratae vires facerent bonum concilium et quod paratis viribus possint illi (ae?) converti, ubi etc. etc. ]Man wollte Heinrich von Braunſchweig haben ſa - gen hören, er und Eck von Reiſchach würden die Heer - führung übernehmen.

Vor allen Dingen mußte nun die Frage erwogen wer - den, ob es erlaubt ſey dem Kaiſer Widerſtand zu leiſten.

Die Meinung der Theologen, welche ihre Begriffe vom Kaiſerthum aus dem neuen Teſtament nahmen, war, wie wir wiſſen, dagegen.

Allein in einer Zeit ſo großer Umwandlung, bei dieſer allgemeinen Emancipation der weltlichen Elemente von der Hierarchie, mußten nun auch die ſtaatsrechtlichen Begriffe ſich von der theologiſchen Auffaſſung losreißen.

Die Juriſten führten einige Gründe privatrechtlicher Natur auf, betreffend den Widerſtand, der einem auf ge - ſetzmäßige Appellation nicht Rückſicht nehmenden Richter geleiſtet werden könne; hauptſächlich aber zogen ſie in Frage, ob dem Kaiſerthum wirklich jene Gewalt von Rechtswegen zukomme, welche die Theologen vorausſetzten. 3Etlicher fuͤrtrefflicher Rechtsgelehrten in Wittenberg Sentenz. Hortleder Buch II, cp. VI.

312Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Hatten die Theologen den Fürſten gerathen, den Kai - ſer in ihren Ländern nach Belieben ſchalten, ſie, die Predi - ger ſelbſt vorfordern zu laſſen, ſo wandte man ihnen ein, daß ein ähnliches Verfahren in keiner andern Sache Her - kommens ſeyn würde, daß der Kaiſer eine ſolche Gewalt gar nicht beſitze.

Allmählig brachen ſich überhaupt neue Ideen über die Natur der deutſchen Verfaſſung Bahn. Man bemerkte, wenn die Fürſten dem Kaiſer gehuldigt, ſo habe auch die - ſer dagegen ihnen einen Eid geleiſtet, den er halten müſſe: die Fürſten ſeyen die Erbherrn, der Kaiſer gewählt. Eine Lehre, die noch lange brauchte um ſich durchzuarbeiten, die erſt bei dem weſtfäliſchen Frieden in ſtaatsrechtliche Gel - tung kam, ward gleich damals aufgeſtellt: die Lehre, daß die Verfaſſung des deutſchen Reiches nicht monarchiſcher, ſon - dern ariſtokratiſcher Natur ſey. Das Verhältniß der Fürſten ſey nicht viel anders, als der altrömiſchen Senatoren zu den Conſuln, oder der venezianiſchen zu ihrem Dogen, oder eines Capitels zu ſeinem Biſchof. Niemals aber ſeyen die Domherrn oder jene Senatoren zu eigentlichem Gehorſam verpflichtet geweſen. Die Stände regieren mit dem Kai - ſer, und der Kaiſer iſt kein Monarch. 1Juriſtiſcher Rathſchlag bei Hortleder Thl. II Buch II Cap. VIII. Am Schluß.

Dieſen Behauptungen wußten nun die Theologen nichts mehr entgegenzuſetzen. Ihren Satz aus der Schrift konn - ten ſie jetzt feſthalten, und brauchten darum doch den Wi - derſtand gegen den Kaiſer nicht zu verdammen. Wir313Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.haben nicht gewußt, ſagten ſie, daß ſolches der Obrig - keit Rechte ſelbſt geben.

Den Ernſt ihrer Bedenklichkeiten bewies es, daß dieſe ſo lange feſtgehalten wurden und auch ſpäter von Zeit zu Zeit wieder emporſtiegen.

Auf Luther machte es noch beſondern Eindruck, daß wie er ſchon immer bemerkt hatte, der Kaiſer gar nicht ſelbſtändig verfuhr, ſondern nach dem Rathe des Papſtes und der deutſchen Fürſten. Man urtheilte, er ſey kein Meh - rer des Reichs, ſondern ein Hauptmann und Geſchworner des Papſtes. Und ſollte man den alten Feinden, den - ſen Nachbarn, die ſich nun der Autorität des kaiſerli - chen Namens bedienen wollten, damit Muth machen, daß man den Widerſtand für unerlaubt erklärte? Sie hoffen, ſagt Luther, daß man ſich nicht wehren werde: wollen ſie aber Ritter werden an dem Unſern Blut, ſo ſollen ſie es mit Gefahr und Sorgen werden. 2Vgl. Warnung an ſeine lieben Deutſchen Altb. V p. 538. Alles iſt ein Getrieb des oberſten Schalks in der Welt. Er rieth nicht, die Waffen zu ergreifen, ſondern wie er an Spengler ſchreibt, Ego pro mea parte dixi: ego consulo ut theologus sed si juristae possent docere legibus suis, id licere, ego permitterem eos suis legibus uti. Ipsi viderint.

Und auf dieſen Grund nun trug Sachſen bei den ver - ſammelten Ständen auf ein Bündniß zur Gegenwehr ſelbſt wider den Kaiſer an. Man habe ihn bei früheren Verei - nigungen immer ausgenommen, doch könne das nichts hel - fen, da die Partei der Gegner ſich des kaiſerlichen Na - mens bediene. 3 Dieſelbig Widerpartei die Sachen in die kaiſerlich Majeſtaͤt, als ob ſy diſelbig gar nicht zu thun haͤtte ſchieben wil.

1Bedenken der Theologen ibid. cap. 9.
1314Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Auch dieſe Anſicht theilten Nürnberg und Markgraf Georg keinesweges. Die Gutachten ihrer Theologen und Juriſten waren bei weitem nicht ſo unzweifelhaft ausgefal - len. Nürnberg erklärte, auf widerwärtige Rathſchläge wie dieſe könne es einen ſo wichtigen Beſchluß nicht gründen. Wir wiſſen daß eine ähnliche Differenz ſchon vor dem Jahr die beiderſeitigen Gelehrten getrennt hatte. 1Muͤllers Annales norici. Eine Streitfrage war, in wie fern die kaiſerliche Autoritaͤt ſich auf Religionsſachen erſtrecke. Na - mentlich der Landgraf von Heſſen wollte das leugnen. Das bran - denburgiſche Gutachten aber beſteht darauf. In jenem Antrag ſagt nun Sachſen: wo ſich gleichwol J. Mt. Amt in des Glaubens Sa - chen erſtrecken ſollt, waͤre das doch burch die Appellation, ſo an J. Maj. und ein Concilium ſaͤmtlich nach rechtlicher Ordnung erſchienen iſt, ſuspendirt.

Die übrigen aber, ſchon immer gewohnt ſich an Sach - ſen zu halten, oder ſogar erfreut, daß es frühere Wider - ſprüche jetzt ſelber aufgegeben, erklärten ſich vollkommen ein - verſtanden.

Es ward ſogleich der Entwurf eines Verſtändniſſes gemacht, worin man ſich zwar ſehr hütete den Kaiſer zu nennen, die Abſichten, welche gefürchtet wurden, nur un - beſtimmt andeutete, es laſſe ſich an, als werde darauf ge - dacht, die Anhänger des reinen Wortes Gottes zu unter - drücken, allein ihn in Hinſicht der Gegenwehr doch auch nicht mehr ausnahm. Die Verbündeten verpflichteten ſich, Demjenigen von ihnen, der um dieſes göttlichen Wortes willen angegriffen werde, zu Hülfe zu eilen. Ja ſie wol - len das auch dann thun, wenn der Angriff unter einem andern Vorwand geſchieht, ſie aber ermeſſen, daß der ei - gentliche Grund eben dieſes göttliche Wort iſt. Hieß es315Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.dann weiter, der Bund ſolle nicht wider den Kaiſer noch ſonſt Jemand gerichtet ſeyn, ſo wollte das nichts anders ſagen, als daß man Niemand angreifen, ſondern ſich nur vertheidigen werde.

Dieſes Bündniß nun nahmen Sachſen, Heſſen, Lüne - burg, Wolfgang von Anhalt, die beiden Grafen von Mans - feld, die Städte Magdeburg und Bremen unverzüglich an. Die übrigen Verſammelten verſprachen ſich binnen einiger Zeit darüber zu erklären. So ſchied man am 31. Decem - ber 1530 von einander. 1Abſchied auf gehaltenen Tag zu Schmalkalden. 1530 letzte Dec. Weim. Arch.

Neun Tage von der größten Bedeutung für die Welt. Die geängſtigte, verachtete Minorität, die aber einer reli - giöſen Idee, auf welcher die Fortentwickelung des menſch - lichen Geiſtes beruhte, bei ſich Raum gegeben, nahm eine kraftvolle und ſogar kriegeriſche Haltung an. Sie war ent - ſchloſſen, wie ſie die Lehre bekannt und ſich von derſelben nicht hatte treiben laſſen, ſo nun auch den geſammten Zu - ſtand, in den ſie dadurch gekommen, vor allem rechtlich zu vertheidigen, ſollte es aber nothwendig werden, auch mit den Waffen in der Hand. Zu dem Erſten waren alle verbün - det, zu dem Zweiten, denn nicht bei allen waren die Bedenklichkeiten über ihre rechtliche Befugniß dazu gehoben wenigſtens die Meiſten; eben um den Urſprung der Neuerung her bildete ſich eine compacte zur Handhabung derſelben entſchloſſene Vereinigung, welche zu überwältigen den Gegnern wahrhaft ſchwer werden ſollte.

Schon zeigte ſich in der Wahlſache, was dieſer Wi - derſtand zu bedeuten habe.

316Sechstes Buch. Erſtes Capitel.

Noch während der Berathungen in Schmalkalden war der Erbe der Chur, Johann Friedrich von Sachſen, nach Cöln gereiſt, um daſelbſt im Namen ſeines Vaters zu wi - derſprechen.

Sein Widerſpruch hinderte, wie man denken kann, die einmal beſchloſſene Sache mit nichten. Von den fünf übri - gen Churfürſten ward Ferdinand am 5. Januar 1531 zu Cöln gewählt; ein paar Tage darauf ward er zu Aachen gekrönt. 1Spalatin Verzeichniß der Handlung in Coͤln in Struve’s Archiv I, 62.In ſeiner Wahlcapitulation ward er ausdrück - lich auf den augsburgiſchen Reichsabſchied verpflichtet. Denn dieſer Abſchied, in welchem alle Intereſſen der ka - tholiſchen Majorität zuſammengefaßt waren, die vornehm - ſten Waffe in ihren Händen, erſchien jetzt als das wich - tigſte Reichsgeſetz. Hierauf überließ der Kaiſer die Reichs - verwaltung zum größten Theil ſeinem Bruder. 2Auszug der Urkunden. Bucholz IX, 19. Mir faͤllt die Be - ſtimmung auf: imperium per Germaniam superiorem regat. Nahm man das niedere Germanien aus, weil der ſaͤchſiſche Reichs - vicar nicht eingewilligt? Oder vielmehr nur deshalb, weil der Kai - ſer keine Einmiſchung der Reichsgewalt in ſeine niederlaͤndiſche Re - gierung dulden wollte?Er be - hielt ſich nur vor, in einigen wichtigen Fällen, z. B. bei Ertheilungen von Fahnenlehen, oder von vornehmen Adelsti - teln, bei den Beſtimmungen über die Monopolien, den bedeutendſten mercantilen Intereſſen der damaligen Zeit, und etwa bei ſolchen Achtserklärungen oder Verbindungen, die in einen förmlichen Krieg verwickeln könnten, conſultirt zu wer - den. 3Im Bruͤſſeler Archiv findet ſich das Sommaire mémoire au roi des Romains d’aucuns points esquels il semble à l’em -Wie vollſtändig aber auch hiedurch die Wahlhandlung317Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.zu werden ſchien, ſo blieb doch jener ſächſiſche Widerſpruch nicht ohne die größte Wirkung. Ohnehin war die öffentliche Stimme gegen das Verfahren der Churfürſten. Vornehmlich aber bekamen die alten Nebenbuhler, die Herzöge von Baiern, die es gar nicht verhehlten, daß auch ſie nach der Krone getrachtet, denn Mitglieder ihres Stammes ſeyen ſchon Kai - ſer und Könige geweſen, als die Ahnherrn der Habsbur - ger noch unter den Grafen geſeſſen, einen geſetzlich gegründe - ten Anlaß, auch ihrerſeits die Anerkennung abzulehnen. Es kümmerte ſie wenig, von welchem Motiv der Widerſpruch Sachſens ausging. Merkwürdig daß in dieſem Punkt die äußerſten Katholiken mit den Führern der Proteſtanten verei - nigt waren. Auf einer zweiten Verſammlung, welche die Ver - bündeten zu Schmalkalden kurz vor Oſtern 1531 (29. März) hielten, erklärten Grubenhagen, Heſſen und Anhalt, noch nachdrücklicher als früher, mit Sachſen bei der Verweigerung der Obedienz gegen Ferdinand verharren zu wollen. Die Städte waren nicht alle ſo entſchloſſen, jedoch enthielten auch ſie ſich größtentheils, demſelben den Titel eines - miſchen Königs zu geben.

Sehr bald klagte Ferdinand ſeinem Bruder, er führe dieſen Titel zwar nun, aber ohne Anerkennung zu finden; er gelte für nichts mehr als ein anderer Reichsfürſt. 1Yo no soy mas que un principe de los del ymperio por agora, no siendo obedecido por rey de Romanos. (B. A.)

Und auch übrigens nahm der Bund von Tag zu Tag eine bedeutendere Haltung an.

Auf der zweiten Verſammlung ward das Bündniß zur3pereur que le dit S. roi doit avoir consideration et regard tou - chant le gouvernement de l’empire, pour lequel l’empereur luy envoye ample pouvoir. 318Sechstes Buch. Erſtes Capitel.Gegenwehr, deſſen Dauer vorläufig auf ſechs Jahr beſtimmt worden, von Sachſen, Heſſen, Lüneburg und Grubenha - gen verſiegelt. Für die Ratification in den Städten ward ein beſtimmtes Verfahren angeordnet, welches darnach auch ausgeführt worden iſt. Da man ſich noch nicht über eine förmliche Kriegsverfaſſung vereinigte, und doch die Geg - ner ſich regten, ſo hielt man vorläufig für nothwendig, eine Anzahl Reiter in Sold zu nehmen, bis man ſehe, wohinaus ſich dieſe geſchwinden und ſeltſamen Läufe er - ſtrecken würden.

Auf einer dritten Verſammlung zu Frankfurt a. M. am 5. Juni, zog man dann vor allem die kammergericht - lichen Angelegenheiten in Berathung. Man war noch nicht ganz einig, wem man die Procuration auftragen wolle; gegen die Vorgeſchlagenen wurden einige Einwen - dungen gemacht, aber in der Hauptſache hatte man kein Bedenken; die Procuratoren ſollten ermächtigt werden, alle Sachen, den Glauben und die Religion betreffend, welche der Fiscal wider einen von den Verbündeten vorbringen dürfte, in ihrer aller Namen zu vertreten, und ausführen zu helfen. 1Alle und jede Sachen die Religion Cerimonien und was dem anhangt anlangend, ſo der kſ. Fiscal vielleicht us befel kſ. Me. oder uf anhalten ſonderer Perſonen oder Parteien wider die ernann - ten Staͤdte eine oder mehr fuͤrgewendt hette oder noch fuͤrpringen wuͤrde, in irer aller Namen ſemptlich und ſonderlich zu vertreten und usfuͤhren zu helfen. Der Entwurf war ſchon zu Schmalkalden gemacht, ward aber hier angenommen.Man vereinte ſich zu einer kleinen Anlage, um die Procuratoren zu beſolden. Sonderbarer Weiſe war die erſte fortwährende Leiſtung, zu der man ſich verſtand, im Bunde wie im Reiche jurisdictioneller Beſtimmung.

319Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.

So begann der Bund ſich nach ſeinen beiden Rich - tungen hin, nach der juridiſchen und der militäriſchen, in den erſten Grundzügen zu entwickeln. Nicht alle Mitglie - der jedoch gehörten beiden Tendenzen an. Brandenburg und Nürnberg wollten von eigentlicher Gegenwehr nichts wiſſen. Die Verfaſſung war, daß deshalb auch ihre Ge - ſandten zu den Verſammlungen nicht zugelaſſen wurden, in welchen man von der Gegenwehr handelte. Es wurden zweierlei Abſchiede gemacht, von denen der eine als der all - gemeine, gemeine, der andere als der beſondere, ſunder - liche bezeichnet wird. Jener bezog ſich auf das weitere, le - diglich friedliche, dieſer auf das engere und zugleich kriegeri - ſche Verſtändniß. Noch hoffte man aber auch, Branden - burg und Nürnberg in den engern Verein zu ziehen. Bran - denburg ward zuerſt von dem ſchwäbiſchen Bunde bedroht; man hielt dem Markgrafen vor, hätte er ſich auch zur Ge - genwehr verbündet, ſo würde ihn der ſchwäbiſche Bund wohl ungeirrt laſſen.

Ueberhaupt war noch alles im Werden.

Wir haben bis jetzt hauptſächlich die Verhältniſſe der Fürſten ins Auge gefaßt; aber nicht minder merkwürdig waren die Verhältniſſe der Städte in dem obern und in dem niedern Deutſchland. Namentlich ziehen ſich durch alle dieſe Bundestage Verhandlungen mit den oberdeutſchen1Untertheniger Bericht der Sachen ſo ſich in der Handlung zu Frankfurt Trinitatis 1531 zugetragen und im Abſchiede nit ver - zeichnet ſind. (W. A.) Man ſieht, es exiſtiren uͤber dieſe Verſamm - lung drei Actenſtuͤcke, der allgemeine, der ſunderliche Abſchied und endlich dieſer Bericht.320Sechstes Buch. Erſtes Capitel.Städten, welche die glücklichſten Reſultate gewähren und zu den größten Ausſichten berechtigen.

Wir würden dieſelben jedoch nicht richtig zu würdigen vermögen, wenn wir nicht zuvor den Gang, den die Sache der Reform indeß in der Schweiz genommen, einen Au - genblick ins Auge faſſen wollten.

[321]

Zweites Capitel. Fortſchritte der Reformation in der Schweiz.

Die erneuerte Einheit der lateiniſchen Chriſtenheit war, wie ſich von ſelbſt verſteht, den von derſelben Abgewichenen in der Schweiz ſo gefährlich, wie Denen in Deutſchland.

Wenn ſich die katholiſche Bewegung zunächſt gegen Deutſchland wendete, ſo geſchah das, weil das Oberhaupt der Chriſtenheit, der Kaiſer hier im heil. römiſchen Reiche eine allgemein anerkannte und verehrte Autorität genoß: aber von jedem Fortſchritt, den er machte, fühlte man ſich auch in der Schweiz unmittelbar bedroht.

Allein die Dinge lagen doch in der Schweiz bei wei - tem anders. Auch da ſtellte ſich der Reformation eine mit herkömmlichen Vorrechten verſehene Majorität entgegen: nach und nach hatte ſie aber bereits die größten Verluſte erlitten.

Wir haben geſehen, wie Zwingli von den acht äl - tern Orten die beiden mächtigſten, Bern und Zürich, von den ſpäter hinzugekommenen Baſel, und von den in weite -Ranke d. Geſch. III. 21322Sechstes Buch. Zweites Capitel.rem Verbande ſtehenden St. Gallen, Biel und Mühlhau - ſen, für ſeine Ideen gewann nnd kirchlich umgeſtaltete.

Dagegen aber fand er bei den übrigen Cantonen hart - näckigen Widerſtand; beſonders zeigten ſich von den alten Or - ten ihrer fünf, die vier Waldſtätte und Zug entſchieden feind - ſelig. Wir erinnern uns, welche Partei dort gleich im Jahr 1522 die Oberhand behalten hatte. Sie wollte ſich die Jahrgelder, das Recht fremder Kriegsdienſte nicht entreißen laſſen und war entſchloſſen, den alten Glauben in allen ſeinen Aeußerlichkeiten aufrecht zu erhalten.

Wären die verſchiedenen Cantone vollkommen geſon - dert geweſen, ſo hätte man allenfalls ohne offene Zwie - tracht neben einander beſtehen können. Allein es gab Ge - biete, in welchen die Regierung beiden Theilen angehörte: die gemeinen Herrſchaften und Vogteien; auf denen muß - ten nun die entgegengeſetzten Kräfte einander begegnen. Bedenken wir, daß die Eidgenoſſenſchaft hauptſächlich da - durch erſtarkt und zuſammengewachſen war, daß ſie ge - meinſchaftliche Eroberungen gemacht hatte, daß in dieſen der den Bund zuſammenhaltende Moment lag, ſo leuchtet auch ein, wie wichtig eine Entzweiung werden mußte, die hier zum Ausbruch kam. Eben hier hatte die Majorität von jeher ein vorwaltendes Anſehn; es mußte ſich zeigen, ob ſie es behaupten würde.

Die fünf alten Orte duldeten die neue Lehre weder in den Vogteien noch in den freien Aemtern. Die Landvögte Joſeph am Berg von Schwytz und Jacob Stocker von Zug ſtraften die Neugläubigen an Geld, warfen ſie in Thurm, ließen ſie mit Ruthen ſchlagen, des Landes ver -823[323]Fortſchritte der Reformation in der Schweiz.weiſen. Die Prediger wurden mit aufgeſchlitzter Zunge ver - jagt, oder gar mit dem Schwert hingerichtet. Flüchtlinge, die ſich von der deutſchen Seite nach der Schweiz gerettet, wurden der öſtreichiſchen Regierung der Vorlande ausgelie - fert, die ſie ohne Weiteres umbringen ließ. 1Ausſchreiben von Zuͤrich 3. Maͤrz 1529. Vgl. Bullinger II, p. 31.Alle Bücher der neuen Lehre, auch Teſtamente und Bibeln wurden wegge - nommen. In dem Bade zu Baden wurde den Verſtor - benen, wenn ſie evangeliſch geweſen, ein ehrliches Begräb - niß verſagt.

Schon längſt hatten das die Züricher mit Unwillen wahrgenommen; ſo wie ſie einigermaaßen die Kraft dazu fühlten, beſchloſſen ſie es nicht mehr zu leiden. Es iſt einer der vornehmſten Artikel in dem Bunde zwiſchen Zürich und Bern, daß man in den gemeinen Herrſchaften und Vog - teien, die auch ihnen an ihrem gebührenden Theile gehören, fortan die Kirchengemeinden, die durch Stimmenmehrheit beſchließen ſich zu dem Evangelium zu halten, durch keine Gewalt daran verhindern laſſen wolle. 2Urkunde des Burgrechtes bei Bullinger Bd. II, p. 11.

Hierauf regten ſich allenthalben in Thurgau und Rhein - thal die unterdrückten evangeliſchen Neigungen. Die fünf Orte verzweifelten, ſie lediglich mit ihrer landvogtlichen Gewalt niederzuhalten; am 30. Nov. 1528 verſammelten ſie alle Gerichtsherrn und Sendboten der Gemeinden von Thurgau in Frauenfeld, um ſie zu ermahnen, ſich von dem Mehrtheil der Orte, denen ſie Gehorſam ſchuldig, in Hin - ſicht des Glaubens nicht zu ſondern, vielmehr dem Land - vogt zur Beſtrafung der Abtrünnigen beizuſtehn. An die -21*324Sechstes Buch. Zweites Capitel.ſem Tage hatten ſich aber, ohne berufen zu ſeyn, auch - richer und Berner Abgeordnete eingefunden; ſie ließen es an entgegengeſetzten Anmahnungen und Zuſicherungen nicht fehlen. Die Landleute baten ſich Bedenkzeit bis Nicolai aus, wo ſie wieder in Winfelden zuſammenkamen. Hier zeigte ſich anfangs einiges Schwanken; allmählig aber ſtellte ſich eine Mehrheit heraus, welche an dem Evangelium hal - ten zu wollen entſchloſſen war; Zürich und Bern ſagten derſelben ihre Hülfe offen zu. Auch den Rheinthalern, die ſich zunächſt an Zürich als den vorderſten Ort der Eidge - noſſenſchaft gewandt, verſprach dieſe Stadt, ſie von Got - tes Wort nicht treiben zu laſſen. 1Abſchied zu Frauenfeld, und Inſtruction der Zuͤricher nach Winfelden bei Bullinger II, 27. Bernh. Weiß p. 93.

Es war noch einmal ein Act der Autonomie, den die Unterthanen ausübten. Da die Regierenden entzweit wa - ren, kam es auf ihren freien Entſchluß an, welche Partei ſie ergreifen wollten. Sie wählten die Sache der Reform.

In Thurgau gab es bald nur noch 9 Edelleute, welche nicht beigetreten, und auch dieſe baten lediglich um Auf - ſchub; im Rheinthal fand ſich ein einziges Kirchſpiel, wo die Mehrheit nicht für die Verbrennung der Bilder und die Abſtellung der Meſſe ſtimmte; für die freien Aemter ward es entſcheidend, daß in Bremgarten die reformirt geſinnte Gemeinde mit Hülfe von Zürich über den katholiſch und fünfortiſch geſinnten Rath den Sieg davontrug; hierauf folgte die umliegende Landſchaft nach.

So ſtark man nun auch hiebei verſichern mochte, daß der weltliche Gehorſam, den man den bisherigen Ober -352[325]Fortſchritte der Reformation.herren ſchuldig ſey, darunter nicht leiden ſolle, ſo iſt doch offenbar, daß die Grundlage der Macht, d. i. der Einfluß, dem der Unterthan ſich willig unterwirft, den fünf Orten hiebei verloren gehen mußte.

Und ſchon war auf einem andern Gebiete eine Irrung eingetreten, die ihnen nicht minder nachtheilig ward.

Unterwalden hatte es gewagt, dem Berner Oberlande, wo die Maaßregeln, welche die Stadt zur Einführung der Reform traf, namentlich die raſche Einziehung des Kloſters Interlachen, Mißvergnügen und Widerſtand erweckte, zu Hülfe zu kommen, und in das Gebiet eines ihrer Eidgenoſſen, mit aufgereckten Fahnen, unabgeſagt einzufallen. 1Die Unterwaldner und Walliſer hatten dabei freilich das Meiſte zu verlieren, wenn es wahr iſt, daß ſie fruͤher fleißige Hasle - rinnen heimfuͤhrten, und ſpaͤter mit Urnerinnen vorlieb nehmen muß - ten, die nicht ſo gut einſchlugen. Kirchhofer B. Haller p. 142.Bern ſetzte ſich zur Wehre, brachte die Unterthanen zum Gehorſam, die Eingedrungenen zum Rückzug: aber es läßt ſich erachten, welche Nachwirkungen ein ſo offenbarer Bruch des alten Bundes haben mußte.

An den vier Orten, mit denen Unterwalden überhaupt verbündet war, fand es auch dieß Mal Rückhalt. Aber alle Bürgerſtädte waren der Meinung, daß man Unterwal - den ſtrafen müſſe. Auch Solothurn und Freiburg verſpra - chen ihren Verpflichtungen gemäß den Bernern hiezu ihren Beiſtand.

Dergeſtalt politiſch und kirchlich überflügelt, mit Rache bedroht, faßten die fünf Orte den Gedanken, bei dem Hauſe Oeſtreich Hülfe zu ſuchen. War es doch ohnehin ihr Prin - zip, die Verbindungen mit fremden Mächten nicht aufzugeben.

326Sechstes Buch. Zweites Capitel.

An den ſchweizeriſchen Grenzen befanden ſich noch alle Die im Beſitz der Gewalt, welche den Bauernaufruhr ge - dämpft und der Predigt in dieſen Gegenden ein Ende gemacht hatten; Graf Sulz und Graf Fürſtenberg, ſo wie der Vogt zu Bregenz Marx Sittich von Ems. Die Emſer Verwandt - ſchaft, die ſich ſo eben durch den Caſtellan von Muſſo ver - ſtärkt, hielt überhaupt in den Gebirgen die Fahne des Ka - tholicismus aufrecht. Den Fünforten ward es ohne Zwei - fel nicht ſchwer, bei dieſen Herrn Eingang zu finden. Man hielt Zuſammenkünfte in Feldkirch und Waldshut; das ſchweizeriſche und das öſtreichiſche Wappen waren neben - einander aufgeſchlagen; man behauptet, die alten Bekäm - pfer des öſtreichiſchen Zeichens der Pfauenfeder jetzt mit der - ſelben geſchmückt geſehen zu haben. Es kam ein Bund zu Stande, in welchem König Ferdinand und die fünf Orte einander das Wort gaben, bei dem alten Glauben feſtzu - halten, einen jeden, der denſelben in ihrem Gebiete antaſte, zu züchtigen, und ſich auf den Fall, daß ſie darüber an - gegriffen würden, gegenſeitige Hülfe zu leiſten. Alles was dann innerhalb der Eidgenoſſenſchaft erobert werde, ſolle den fünf Orten, alles was außerhalb, dem König verbleiben.

Die vornehmſte Bedingung des Bundes iſt wohl, daß Ferdinand den Fünforten alles das garantirte, was ihnen verpflichtet und verwandt ſey, alſo auch die gemein - ſchaftlichen Vogteien, auch den Thurgau, die Fünf - orte dagegen ausdrücklich erklärten, Conſtanz als nicht eid - genoſſiſch betrachten, es dem König überlaſſen zu wollen. 1Urkunde des Bundes bei Hottinger II, 475.

Die Fünforte hatten nicht Unrecht, wenn ſie den Bür -327Bund der fuͤnf Orte mit Oeſtreich.gerſtädten, die ihnen dieß Bündniß zum Vorwurf machten, entgegneten, daß ja auch ſie ſelbſt ſich mit Auswärtigen verbündet; aber ein großer Unterſchied war da doch alle - mal. Durch das Burgrecht, das Zürich mit Conſtanz ge - ſchloſſen, ward dieſe Stadt auf das engſte mit der Eidge - noſſenſchaft verbunden. Es war immer ein Geſichtspunkt der öſtreichiſchen Politik geweſen, dieß nicht zu geſtatten, und Maximilian hatte einſt deshalb einen großen Theil der Gemeinde in ſeine Dienſte genommen; die Fünforte über - ließen jetzt Conſtanz an Oeſtreich.

Merkwürdig, daß dieß in denſelben Zeiten geſchah, in den erſten Monaten des Jahres 1529, in welchen auch die Majorität der Reichsſtände ſich wieder an das Haus Oeſtreich anſchloß. Aller politiſche Widerwille verſchwand in dieſem Augenblick vor der religiöſen Gemeinſchaft.

Ferdinand ſuchte die ſchweizeriſche Vereinigung ſo gut wie möglich zu befeſtigen. In Insbruck, wo ſie beſchloſ - ſen ward, hatte er auch einen Theil der tyroler Landſaſ - ſen zu Rathe gezogen; alle vordern Länder, Würtemberg eingeſchloſſen, ſollten in dieſelbe eintreten. Er hoffte damit vielleicht die Macht der Eidgenoſſen[auf] immer zu brechen,1Werbung an die Wuͤrtemberg, Landſchaft II, Urk. nr. 144. das dieſelbig eidgenoſſenſchaft durch bemelte Vereynigung in irer Macht zertrennt, S. Koͤn. Maj. und die Iren, ſo dem alten chriſt - lichen Glauben anhangen mit frembder Hilf als obgemeldter fuͤnf Orte erſtaͤrkt. gewiß aber den weiter vordringenden neuen Meinungen ein unüberwindliches Bollwerk entgegenzuſetzen.

Konnte jedoch ein Bund dieſer Art den fünf Orten wohl wirklich Schutz gewähren? Ihre Schritte waren, wenn328Sechstes Buch. Zweites Capitel.wir ſie vom eidgenöſſiſchen Standpunkt aus betrachten, im Grunde durchaus falſch; jener erfolgloſe Einfall ins berne - riſche Gebiet nicht minder, als der Bund mit Ferdinand. Sie liefen wider das Beſtehen und die Idee der geſamm - ten Eidgenoſſenſchaft. Zu dem glücklichen Fortgang, in welchem die Bürgerſtädte vermöge der ſiegreichen Lehre, die ſie verfochten, begriffen waren, kam noch die Macht des vaterländiſchen Intereſſes und ein unläugbares Recht.

Auf keinen Fall war nun an weiteren Frieden in der Eidgenoſſenſchaft zu denken. Die Geſandten der Bürger - ſtädte, welche ſich in das hohe Land begaben, um die al - ten Bundesbrüder von dieſer Vereinigung abzumahnen, fan - den da wohl ihre Wappen an dem Galgen angeſchlagen, ſie ſahen ſich als Ketzer und Verräther behandelt; ihnen zum Trotz verhing man gegen die Abgewichenen die furchtbarſten Strafen. Auch die Reformirten der innern Schweiz haben ihre Märtyrer; ein Prediger aus dem Züricher Gebiet, Ja - cob Keyſer, der von Zeit zu Zeit nach Gaſter ging, um auch da eine evangeliſche Kirche zu verſehen, ward auf dieſem Weg, auf freier Reichsſtraße, in dem Eſchibacher Holz aufgegrif - fen und nach Schwytz geſchleppt. Die Schwytzer hatten damals Gaſter gar nicht zu belandvogten. Wäre dieß auch der Fall geweſen, ſo hätte die Sache doch vor die Utzna - cher Gerichte gehört. Nichts deſto minder verdammte die Landsgemeinde den armen unſchuldigen Mann zum Tode im Feuer, den er ſtandhaft erlitt. 1Bullinger Ref. Geſch. II, p. 148. Eidgenoͤſſiſche ſchweize - riſche Maͤrtyrer. Misc. Tig. II, p. 35 (unbedeutend).

Da hielt nun aber auch Zürich nicht länger an ſich. Als im Juni 1529 ein neuer Vogt von Unterwalden in329Kriegsgefahr, 1529.Baden aufreiten ſollte, erklärte es geradezn, dieß nicht dul - den zu wollen. Es wolle mit den Unterwaldern überhaupt keine Gemeinſchaft mehr haben; es werde ihnen fortan in den Herrſchaften, die auch ihnen gemein ſeyen, keine Be - vogtung mehr geſtatten. 1Ecks Repulsio macht ihnen das beſonders zum Vorwurf.

Den Schwytzern hatte Zürich längſt angekündigt, ſich rächen zu wollen, wenn dem Prediger ihrem Hinterſaſſen Gewalt geſchehe. Seine Hinrichtung war das Zeichen des Krieges.

Am 5. Juni rückte das erſte zürcheriſche Fähnlein aus, um die freien Aemter vor einer blutigen Wieder - herſtellung des alten Glaubens zu ſchützen; bald darauf ein zweites nach Thurgau und Rheinthal, ein drittes, um den ſchwytzeriſchen Antheil an Gaſter, der zu dem Tode des Predigers Anlaß gegeben, zu beſetzen. Da hierauf auch die Feinde ſich unverweilt zu Bar am Boden ſammelten, ſo zog am 9. Juni auch das große Banner der Stadt aus, unter dem Bannerherrn Hans Schweizer, der es ſchon in den mailändiſchen Kriegen getragen.

So ſtanden, zum erſten Mal in Folge der religiöſen Unruhen, ein paar ſchlagfertige Heere, nicht von Bauern und Herren wie früher, ſondern von gleich berechtigten Gegnern, einander gegenüber. Sie ſind ſo voll Haß ge - geneinander, ſagt König Ferdinand, daß man nichts anders als Thätlichkeiten erwarten darf.

Ohne Zweifel aber hatten die Evangeliſchen in dieſem Augenblicke das Uebergewicht.

Das zürcheriſche Heer hatte ſeines Gleichen nicht. Es330Sechstes Buch. Zweites Capitel.beſtand aus den wackeren Männern, welche die Reform mit alle dem ſittlichen Ernſt in ſich aufgenommen, mit welchem Zwingli ſie predigte. Keine gemeine Dirne ward geduldet; man hörte kein Fluchen noch Schwören; ſelbſt das Würfel - ſpiel war verbannt; die Erholung beſtand in Leibesübungen, Springen, Werfen, Steinſtoßen. Streitigkeiten fielen bei - nahe nicht vor; Niemand hätte verſäumt, vor und nach Tiſche zu beten. Zwingli ſelbſt war zugegen; man hatte ihn der Pflicht überhoben, als Prediger mit dem Banner aus - zuziehn; aber er hatte ſich aus freien Stücken zu Pferd ge - ſetzt und die Hallbarde über die Achſel genommen. Zwingli war vor allen andern von dem Gefühl der Uebermacht durchdrungen, und wie ihn die Nachrichten von allen Sei - ten darin beſtätigten denn wenigſtens von Ferdinand, welcher anderweit beſchäftigt war, und ſich zu wenig ver - ſprechenden Anforderungen an ſeine Stände genöthigt ſah, hatten die Fünforte nichts zu erwarten ſo faßte er die kühnſten Hoffnungen. Jetzt dachte er zu dem Ziele zu ge - langen, welches er ſich von Anfang an vor Augen ge - ſtellt. Er wollte von keinem Frieden wiſſen, es würden denn die beiden großen Zugeſtändniſſe eingegangen, auf die er ſchon immer gedrungen hatte. Das Jahrgelderweſen ſollte auf ewig verſchworen werden; die Predigt des Evan - geliums in allen Cantonen der Schweiz erlaubt ſeyn. Er ſtellte den Regierungsmitgliedern vor, daß nur auf dieſe Weiſe Einheit in der Regierung wie in der Kirche zu be - wirken ſey; Steht feſt in Gott, ruft er ihnen zu: jetzt geben ſie gute Worte, aber laßt Euch nicht irre machen; gebt nichts auf ihr Flehen, bis das Recht aufgerichtet iſt. 331Erſter Friede von Cappel.Dann werden wir einen Krieg geführt haben, vortheilhaf - ter als je ein anderer geweſen iſt; Dinge ausgerichtet ha - ben, die Gottes und der Städte Ehre nach viel hundert Jahren noch verkündigen werden. 1Gutachten und Schreiben im Anhang zu Hottinger: Ge - ſchichte der Eidgenoſſen II, 482.

Wäre es auf Zwingli und auf Zürich allein ange - kommen, ſo würden ſie alles daran gewagt, und ihren Vortheil bis zum äußerſten Ziele verfolgt haben.

Allein, Krieg zu beginnen, Blut zu vergießen hat man natürlich immer eine gerechte Scheu. Indem die Züricher ſchon im Anzug waren, erſchien der Ammann Ebli von Glarus bei ihnen, und ſtellte ihnen vor, wie oft ſie Liebes und Leides mit denen erfahren, denen ſie jetzt abgeſagt. Er machte um ſo mehr Eindruck, da er als ein braver Mann bekannt war, der im Grunde dieſelben Anſichten hegte, wie in Zürich herrſchten. Man bewilligte ihm einen Stillſtand. Nur Zwingli, der weiter in die Zukunft ſah als die Andern, war mit einer Nachgiebigkeit nicht zufrieden, die ihm ſehr unzeitig erſchien. Gevatter Ammann, ſagte er zu Ebli, du wirſt Gott müſſen Rechenſchaft geben. 2Bullinger II, 170.

Und indeſſen ſprach ſich auch Bern aus. Das ge - waltige Umſichgreifen Zürichs war ihm nicht angenehm. Bern erklärte, es werde ſeine Hülfe leiſten, aber nur wenn Zürich angegriffen werde, nicht wenn es angreife.

Auch in der Schweiz machte ſich der Gedanke der Standesabgeſchloſſenheit geltend, der in Deutſchland herr - ſchend geworden. Bern hielt die Bedingungen, welche Zwingli332Sechstes Buch. Zweites Capitel.vorſchlug, nicht für angemeſſen, weil man nicht ſo tief in die Regierung der einzelnen Orte eingreifen dürfe.

Aus der eignen evangeliſchen Partei gingen die Hin - derniſſe hervor, die den Reformator abhielten, ſeine Ab - ſichten mit den Waffen in der Hand durchzuſetzen.

Es kam zu Unterhandlungen, die bei der Kraft, welche die Gegenpartei noch immer beſaß, und bei der Geſinnung, die in den Verbündeten noch überwog,1Hans Stockar von Schafhauſen Tagebuch 199. Dye von Zuͤrych mianttend, uns hye och jn zu zychen, das nun wyder unſer Bunntbryef was und uns nitt zuſtund. nicht zu dem reinen Reſultat führen konnten, das Zwingli vor Augen hatte.

Es war ſchon genug, daß die Fünforte ſich bequem - ten das Ferdinandiſche Bündniß auszuliefern, Erſtattung der Kriegskoſten, Beſtrafung der Schmähreden verſprachen, und in die Satzung der Bürgerſtädte, daß in den gemeinen Herrſchaften die Mehrheit in einem Kirchſpiel über den Glauben zu entſcheiden habe, förmlich einwilligten. Auch von dem Verbot der Jahrgelder und der Freiheit des Evan - geliums war die Rede. Aber ſie wurden bei weitem nicht ſo unumwunden zugeſtanden, wie Zwingli gewünſcht hätte. Die Abſchaffung der Penſionen erſchien nur als eine Bitte der Bürgerſtädte an die Fünforte. Statt der Freiheit der Predigt hieß es nur, kein Theil wolle den Glauben des andern ſtrafen. 2Landsfried zu Cappel ufgericht: 25. Juni 1529 bei Bullin - ger II, 185.

Und auch ſo ſchien nun doch nicht wenig erreicht zu ſeyn.

Die fünf Orte mußten ſich entſchließen, die Urkunde333Weitere Fortſchritte der Reform.ihres Bundes mit Ferdinand noch in Cappel herauszuge - ben. Die Vermittler verhinderten, daß ſie verleſen würde; ſie hätten gefürchtet, der alte Widerwille möchte dadurch wieder angefacht werden. Ammann Ebli durchſtach den Bundesbrief als er zum Vorſchein kam mit ſeinem Meſſer und zerriß ihn; die Umſtehenden griffen nach dem Wachs der Siegel.

In Folge des unläugbaren Vortheils der Evangeli - ſchen nahm nun die Reform nach dem Frieden einen noch viel raſchern Fortgang.

Bei Bullinger kann man ſehen, in wie viel gemein - ſchaftlichen Orten ſich eine Majorität für dieſelbe bildete, wie er ſich ausdrückt, das Gotteswort ermehret ward. Noch im Jahre 1529 konnte Zwingli eine Synode im Thur - gau halten und das Land evangeliſch einrichten. Große Abteien wie Wettingen und Hitzkirch traten über; in Wet - tingen waren in allem nur zwei Mönche, die ſich weiger - ten. Der Abt Georg Müller in Baden ſorgte nur, daß die Bilder, die er aus der Kirche ſchaffte. nicht wie an ſo vielen andern Orten vernichtet würden. 1Aus N. Manuels Miſſiven bei Gruͤneiſen p. 135.Endlich ward von Groß - und Kleinräthen in Schafhauſen beſchloſſen, daß man die Meſſe und Bilder abſchaffen ſollte. Nicht ohne verhaltenen Schmerz berichtet Hans Stockar, wie Freitag nach Michaelis der groß Gott im Münſter von dannen gethan ward. 2Tagebuch 201.Die Stadt trat in das Bürger - recht von Bern, Baſel und Zürich. In Solothurn mußte den Neugläubigen fürs Erſte wenigſtens eine Kirche bewil -334Sechstes Buch. Zweites Capitel.ligt werden, und nur ein vermeintes Wunder konnte die Verehrung von St. Urs noch retten. Unter dem Schutz von Bern erhoben ſich die Evangeliſchen in Neuenburg; ſchon griffen auch die Katholiſchen zu den Waffen, und es ſchien zu Blutvergießen kommen zu wollen, als man den Beſchluß faßte, die Majorität entſcheiden zu laſſen. 1Chambrier Histoire de Neuchatel p. 296.Sie entſchied für die Reform. Oft war die Majorität frei - lich nur ſchwach. In Neuenburg betrug ſie nur 18, in Neuenſtadt 24 Stimmen. 2Stettler II, 36.So war es aber auch auf der andern Seite, unter entgegengeſetzten Einflüſſen. Ganz in der Nähe, in Rottweil, übten die 6 katholiſchen Zünfte gegen die fünf evangeliſchen die größten Gewaltſamkeiten aus; mehrere Hundert Bürger mußten die Stadt verlaſſen.

Wichtiger als alles andere für den Fortgang der Ideen Zwingli’s war nun aber, daß auch in einem der acht alten Orte, der ſich bisher neutral gehalten, in Gla - rus die evangeliſche Majorität, die jedoch um vieles ausge - ſprochener war, zur Alleinherrſchaft gelangte. Schon war die reformirte Lehre ſo weit vorgedrungen, daß nur noch ein paar Kirchen ihre Heiligenbilder behalten hatten. Ob - wohl die Genoſſen derſelben um nichts als kurzen Aufſchub ba - ten, bis etwa Kaiſer und Reich wegen der Mißbräuche Ver - fügung träfen, ſo beſchloß doch die Landgemeinde im April 1530, daß auch dieſe Kirchen zu reinigen und dem übri - gen Lande gleichförmig zu machen ſeyen. Es mochte noch3Tſchudi bei Hottinger p. 287 nota 30. Bullinger p. 289. Meßaltaͤre und Goͤtzen wurden abgemant: etlich Goͤtzen uf beſſer Gluͤck entzuͤckt und verborgen. 335Fortſchr. der Reform. Glarus. St. Gallen.einige Widerſtrebende geben, ſtaatsrechtlich aber ward Gla - rus hiedurch wirklich evangeliſch.

Zu dem Vortheil, dieſen Ort, von welchem Zwingli im Anfang ſeines Unternehmens hatte weichen müſſen, ge - wonnen zu haben, kam noch, daß der Kreis einer geſetz - mäßigen Einwirkung auf Andere dadurch erweitert ward.

Der Abt Geißberger in St. Gallen hatte in ſeinem Gebiete nicht der Stadt, welche bereits übergetreten ſondern dem Lande den Lauf der Lehre ſo viel wie möglich zurückgehalten, doch war ſie daſelbſt ſo mächtig wie an - derwärts vorgedrungen. Der Abt war Fürſt des heiligen Reiches, aber Glarus, Lucern, Schwytz und Zürich übten das Schutzrecht über ihn aus, und maßten ſich deshalb auch einen nicht geringen Einfluß auf die innern Ange - legenheiten an. Jetzt ſtarb nun der Abt, und beſonders für dieſen Fall war es wichtig, daß von den vier ſchützen - den Orten zwei evangeliſch waren. Zwar wußten die Conventualen wider deren ausdrücklichen Wunſch eine Wahl zu bewerkſtelligen, welche die Beſtätigung der höch - ſten Autoritäten des Kaiſers und des Papſtes und die Billigung von Schwytz und Lucern fand, aber Zürich und Glarus weigerten ſich dieſelbe anzuerkennen. Sie fühl - ten ſich bei weitem mehr mit der Landſchaft, wo nun die evangeliſchen Regungen die Oberhand bekamen, als mit den Conventualen verbündet. Zürich ging von dem Grund - ſatz aus, nicht der Abt ſey das Gotteshaus, ſondern alle Landleute, Gerichte und Gemeinden, die ſeyen den Schirm - herren zu ſchirmen befohlen. In Einverſtändniß mit den Ein - gebornen ward eine Landesordnung gemacht, nach welcher336Sechstes Buch. Zweites Capitel.immer ein Hauptmann aus den vier Schirmorten und ein Landrath von zwölf Mitgliedern die Regierung führen ſoll - ten. Um aber nicht aus Schwytz oder Lucern etwa einen Feind der neuen Lehre zum Hauptmann zu bekommen, ſetzte man zugleich die Bedingung feſt, daß der Hauptmann der evangeliſchen Lehre zugethan ſeyn müſſe; nicht eher ſollte ihm gehuldigt werden, ehe er nicht geſchworen, die Unter - thanen des Gotteshauſes bei dem göttlichen Wort bleiben zu laſſen. Auch auf Toggenburg erſtreckte ſich die neue Freiheit; es kaufte ſich, womit es während Zwinglis Jugend begonnen, von den Pflichten gegen das Kloſter nun voll - kommen los. Zwingli erlebte die Freude, im Anfang des Jahres 1531 in ſeinem völlig freien Vaterlande erſcheinen und es nach ſeiner Weiſe kirchlich einrichten zu können.

So umfaſſend nun aber auch dieſe Fortſchritte waren, ren, ſo erfüllten ſie doch immer noch nicht die Abſicht, welche er urſprünglich gehegt und an deren Erreichung alles lag. Die herrſchende Partei in den Fünforten zeigte ſich unerſchütterlich; noch auf dem Felde zu Cappel ſol - len die Machthaber einander verſprochen haben, dem er - ſten Artikel des Landfriedens zum Trotz, den neuen Mei - nungen nicht Raum zu geben, ja einen Jeden umzu - bringen, der ihnen davon rede. Gewiß iſt wenigſtens, daß Niemand ſich in ihrem Gebiete damit hervorwagte, ob - wohl es gar nicht an Leuten fehlte, denen ſie zuſagten. An die Abſtellung der Schmähreden war nicht zu denken. 1Ordnung und Satzung wie hinfuͤro by den Gottshusluͤten Rat und Gericht zhalten.2Bullinger II, 271, 344.337Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.Züricher und Berner wurden als ein verrätheriſches ketze - riſches Krämervolk, ihre Prediger als Kelchdiebe Seelenmör - der bezeichnet; Zwingli, ſagte man im Gebirg, ſey ein Gott der Lutheriſchen. Dem Eifer der dortigen Prieſter galten zwingliſche und lutheriſche Meinung noch gleich viel. War auch der Bundesbrief mit Oeſtreich herausgegeben, ſo wurden doch fortwährend neue Unterhandlungen gepflogen. Auf dem Reichstag von Augsburg erſchienen die Geſandten von Lucern und Zug. Sie waren auf ihrer Reiſe von den Gleichge - ſinnten ſehr ehrenvoll empfangen worden; in Augsburg wohnten ſie auf Befehl des Kaiſers in deſſen Nähe; man bemerkte, daß ſie ihm Schriften einreichten. An ihren alten Verbündeten, Marx Sittich, Eck von Rei - ſchach, Hans Jacob von Landau fanden ſie auch jetzt Rück - halt, und man trug ſich aufs neue mit weitausſehenden Plänen, wie Strasburg angegriffen, und den Eidgenoſſen, die demſelben zu Hülfe kommen würden, der Tod bereitet, wie dann die reformirte Schweiz zugleich von Savoyen, dem Rheinland und dem Gebirg angefallen werden ſolle. 1Chriſtian Friedbold von St. Gallen, Augsburg 16 Juli in Eſcher und Hottingers ſchweizeriſchem Archiv I, p. 433.Dieſe Dinge fanden um ſo mehr Glauben, da der Adel von Savoyen wirklich zu einem Angriff auf Genf ſchritt, und zu gleicher Zeit der Caſtellan von Muſſo mit ſei - nen emſiſchen Verwandten Graubünden anfiel. Die fünf Orte hüteten ſich wohl den Gefährdeten Hülfe zu leiſten. Die Walliſer erklärten ohne Rückhalt, daß ihnen das des Glaubens halber nicht zu thun ſey. Natürlich beachte manRanke d. Geſch. III. 22338Sechstes Buch. Zweites Capitel.in Bern und Zürich alle dieſe Dinge in Verbindung. 1Aus dem Schreiben von Bern an Zuͤrich 16. Octob. 1530 bei Hottinger II, 326. Das Spiel ſey zu fruͤh angefangen; ein Savoyer habe ſich merken laſſen, es ſey der Geiſtlichen Anſchlag. Vgl. Inſtruetion Landgraf Philipps in Eſchers Archiv II, p. 304.Auch auf der andern Seite aber geſchah dies. König Ferdinand fürchtete, würden die Bürgerſtädte in Graubünden Herrn bleiben, ſo würden ſie alsdann die fünf Orte angreifen; ſo - bald ſie aber dieſe bezwungen, ihre Unternehmungen gegen die Erblande und das Reich richten. Er erſuchte den Kai - ſer, hauptſächlich aus dieſem Grunde den fünf Orten wenn es nöthig werde Hülfe zu leiſten. 2Auszug aus dem Schreiben Ferdinands an Carl bei Bucholz V, 258.

[339]

Drittes Capitel. Verſuch einer Vermittelung zwiſchen den beiden proteſtantiſchen Parteien.

In ſehr naher Beziehung finden wir nun die Eidge - noſſenſchaft zu dem Reiche.

Einer aufſtrebenden mit der öffentlichen Meinung ver - bündeten Minorität ſtand auf den Tagſatzungen, wie auf dem Reichstag eine altgläubige Mehrheit gegenüber.

Der nächſte Unterſchied lag darin, daß Kaiſer und Reich zugleich eine kirchliche Autorität beſaßen, welche der Tag - ſatzung, die ſich hiebei auch nicht auf den Kaiſer berufen konnte, zu dem ſie als ſolche kein geſetzliches Verhältniß hatte, mit nichten zukam. Dagegen hatte aber auch die Minorität in der Schweiz nicht wie die deutſche frühere allgemeine Beſchlüſſe für ſich. Der Kampf war in der Schweiz mehr factiſcher, in Deutſchland mehr rechtlicher Natur.

Beide Majoritäten ſuchten ihre vornehmſte Hülfe bei dem Hauſe Oeſtreich. Sollten da nicht auch die Minori - täten auf das ernſtlichſte daran denken, die alte Zwietracht, die ſich zwiſchen ihnen erhoben, fallen zu laſſen?

22*340Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Das Unglück war nur, daß Zwingli ſich im Jahr 1530 auf eine Weiſe ausgeſprochen hatte, welche eher Widerwillen und weitere Entfernung als Annäherung ir - gend einer Art hervorbringen mußte. Sey es, daß ihn die ungünſtigen Berichte reizten, welche lutheriſcher Seits über das marburger Geſpräch verbreitet wurden, oder daß die Anweſenheit Carlſtadts, der eben damals bei Zwingli an - gekommen und kurz darauf in der Schweiz wieder zu ei - nem Amte gelangte, auf ihn wirkte: genug, kaum war ihm die augsburgiſche Confeſſion zu Händen gekommen, ſo ſandte auch er, ohne daß er gerade eine dringende Auffor - derung dazu gehabt hätte, eine Rechenſchaft über ſeinen Glauben an den Kaiſer, worin er nicht allein der ka - tholiſchen Kirche lebhafter entgegentrat, als Melanchthon es gethan, z. B. die biſchöfliche Verfaſſung ohne weiteres verwarf, ſondern auch von einigen frühern Zugeſtändniſſen, namentlich in dem Artikel von der Erbſünde weiter abwich, ja Luthern faſt ausdrücklich den Vorwurf machte, er ſehne ſich nach den Fleiſchtöpfen Aegypti zurück, und ihm die craſſeſte Auffaſſung beimaß. 1Ad Carolum Romanum Imperatorem Fidei Huldrychi Zwinglii Ratio. Quod Christi corpus per essentiam et realiter h. e. corpus ipsum naturale in coelo aut adsit aut ore dentibus - que manducetur, quemadmodum Papistae et quidam qui ad ollas Egyptiacas respectant pernibent, id vero neque tantum negamus sed Mitratum genus atque pedatum, ſagt er weiterhin, credimus νόϑον.

Kein Wunder wenn nun auch die Lutheraner eine ver - ſtärkte Abneigung gegen die Anhänger Zwingli’s kund gaben.

Das Bedürfniß des Friedens war aber ſo dringend, daß in eben dieſem Augenblick an einer andern Stelle doch341Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.die Abſicht gefaßt ward, eine Vermittelung des Streites zu verſuchen.

Die oberländiſchen Stände, namentlich Strasburg, ge - hörten im Grunde beiden Theilen an.

Auf der einen Seite waren hier die eigenthümlichen Verhältniſſe deutſcher Städte, beſonders der Wunſch, die Geiſtlichen in bürgerliche Pflicht zu nehmen, die Einwirkung der hohen Stifter auf die Beſetzungen der Pfarren zu be - ſeitigen, ſo wirkſam geweſen, wie irgend wo ſonſt; und in allem was man gethan, hatte man ſich auf die Abſchiede der Reichsverſammlungen bezogen. In Folge des Abſchieds von 1523 hatte der Rath den Predigern die Weiſung zu - gehn laſſen, hinfüro die heilige Schrift lauter und unver - miſcht mit Menſchenfabeln zu predigen, unerſchrocken, denn ein ehrſamer Rath wolle ſie dabei handhaben. 1Roͤhrich I, 175, 455. Im erſten Capitel der Tetrapolitana wird als Motiv der Veraͤnderung angefuͤhrt, daß der große Reichs - tag von 1523 die Predigten aus der heiligen Schrift zu nehmen und zu beweiſen befohlen habe.Aus dem Abſchied des Jahrs 1526 leiteten die Strasburger ferner das Recht her auch in den Cerimonien Aenderungen zu treffen, namentlich die Meſſe abzuſtellen, wovon ſie ſich durch keine Mahnungen König Ferdinands oder des Reichs - regiments abhalten ließen. 2Relation der Abgeordneten des Reichsregimentes bei Jung: Actenſtuͤcke p. 66.Dafür gehörten ſie auch zu den erſten, welche bei dem Kammergericht verklagt wurden. In allen dieſen Beziehungen mußten ſie ſich nun ganz wie andre deutſche Städte zu vertheidigen ſuchen.

Auf der andern Seite aber hatten die dogmatiſchen Vorſtellungen Zwingli’s den größten Einfluß auf Stras -342Sechstes Buch. Drittes Capitel.burg, und gewannen daſelbſt nach und nach völlig die Oberhand; man räumte endlich auch Bilder und Altäre weg, übertünchte die mit Gemählden geſchmückten innern Wände der Kirchen mit Steinfarbe; die Prediger machten einen Beweis dekannt, daß bei den Gottgläubigen kein Bild geduldet werden dürfe; keine Inſtrumentalmuſik ward wei - ter zugelaſſen; die Orgel verſtummte. 1Roͤhrich Ref. v. Strasburg II, p. 8. Auch politiſch hatte Strasburg in ſo fern dieſelben Intereſſen mit den Schweizern, als die öſtreichiſche Macht im Elſaß beiden gefährlich war. Im Januar 1530 trat Strasburg in das Bürgerrecht der Schweizerſtädte; ſie verſprachen einander wechſelſeitige Hülfleiſtung; namentlich machte ſich Stras - burg anheiſchig, den Schweizern Pulver zuzuführen.

Bei dieſer Doppelſeitigkeit der politiſchen und religiö - ſen Haltung war es nun wohl ſehr natürlich, daß man nirgends dringender eine Ausſöhnung der ſtreitenden Par - teien wünſchte, als eben in Strasburg.

Und ſchon war auch der Mann gefunden, der es ſich zu einer Lebensangelegenheit machte, eine ſolche doctrinell durchzuführen.

Es war Martin Butzer, der nach dem Fall Sickin - gens, in deſſen Dienſten er geſtanden, überall verfolgt, mit einer ſchwangern Frau er war einer der erſten evan - geliſchen Prediger, die ſich verheiratheten und in großer Armuth in Strasburg angekommen, und hier nicht allein Aufnahme, ſondern einen großen Schauplatz höherer Thä - tigkeit gefunden hatte. Man ſagt von ihm, er habe ſich in der Jugend, bei den ſcholaſtiſchen Disputationen die343Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.Methode zu eigen gemacht, das Weſentliche und Nothwen - dige von dem Minder-Weſentlichen und Zufälligen zu un - terſcheiden. 1Adami Vitae theologorum 102.Indem er nun das einfache Weſen zwei ein - ander entgegenſtehender Behauptungen verglich, fand er wohl einen dritten Moment, der dieſelben wieder vereinigte. Butzer ſteht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen - den Beugſamkeit. Die Meiſten urtheilen, er habe den For - derungen der Umſtände zuweilen mehr als billig nachgege - ben. Unläugbar iſt, daß ſeine Vermittelungsverſuche zu - gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in - nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm ſelber haben ſie alle mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffaſſung fremder Ideen und Weiterbildung derſelben, man möchte ſagen, für ſecundäre Production, beſaß er ein unzweifelhaftes Talent.

Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom Abendmahl, wie er ſelbſt einmal ſagt, nichts als eine neue Verbrotung Chriſti geſehn; allein bei einem tiefern Studium, namentlich des großen Bekenntniſſes vom Abendmahl war ihm klar geworden, daß ſich das nicht ſo verhalte; ſchon in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk - ſam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer ſey, als man meine. 2Fragment eines Schreibens von Butzer an die Bruͤder in Chur bei Roͤhrich II, 135. Recht bezeichnend iſt auch das Schrei - ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae - sentiam tueri voluerunt, iis verbis eam affirmarunt, quae si ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo - luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror - sus excludere. In dieſer Anſicht beſtärkte ihn das Geſpräch von Marburg.

344Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Eben ſo wenig aber wollte auch er nun die Meinung zugeben, die man lutheriſcher Seits hegte, daß von den Oberländern nichts als Brod und Wein im Abendmahl angenommen werde. Auf dem Reichstag von Augsburg ſahen ſich die vier Städte, wie wir wiſſen, genöthigt, da man ihre Mitunterzeichnung der ſächſiſchen Confeſſion ab - ſchlug, ein eignes Bekenntniß einzugeben. Butzer, der an der Abfaſſung deſſelben den vornehmſten Antheil hatte, wählte ſolche Ausdrücke, welche jenen Vorwurf ferner un - möglich machten. In dem 18ten Artikel der Bekenntniß der vier Frei - und Reichsſtädte, Strasburg, Conſtanz, Memmingen und Lindau, oder der ſogenannten Tetrapo - litana, heißt es: der Herr gebe in dem Sacrament ſeinen wahren Leib und ſein wahres Blut wahrlich zu eſſen und zu trinken zur Speiſe der Seelen, zum ewigen Leben. 2Zuerſt gedruckt 1531; mit einer Apologie Bucers, in wel - cher Hospinian, ein eifriger Zwinglianer, die vera et orthodoxa sen - tentia de coena domini findet. Historia sacramentaria II, 221.Man ſieht, das Wort wahr iſt recht mit Abſicht wie - derholt, ohne daß man doch darum die geiſtige Bedeutung des Genuſſes fallen ließe.

Denn eben darauf beruhte die Vermittelungsidee Bu - tzers, daß auch Luther den Leib nicht räumlich in das Brot einſchließen wolle, ſondern nur eine ſacramentale Einheit des Leibes und Blutes Chriſti mit dem Brot und Wein annehme; und daß hinwieder der geiſtige Genuß die wahr - hafte Anweſenheit des Leibes Chriſti nicht aufhebe. In ſo fern als Luther dem Leibe Chriſti eine geiſtigere Weſenheit1Vergleichung Doctor Luthers und ſeines Gegentheyls Dia - logus 1528.345Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.zuſchrieb, trat ihm Butzer bei. Er gab zu, der Leib könne allerdings eine andere, als eine locale Gegenwart haben: Brot und Wein hören darum nicht auf Zeichen deſſelben zu ſeyn, aber des anweſenden, nicht des abweſenden; leibliche Gegenwart das heiße: wahrhafte Gegenwart. 1Melanchthon de Buceri sententia. Corp. Ref. II, 316. Vgl. Literae Buceri ad Pontanum 4 Aug. 1530 bei Coͤleſtin II, 302. Schreiben Butzers an Herzog Ernſt von Luͤneburg bei Heß: Leben Oekolampads p. 317.

Es fragte ſich nun, ob Butzer dieſe Erläuterungen nach beiden Seiten hin annehmbar machen würde.

In Augsburg legte er ſie zuerſt Melanchthon vor, dann eilte er zu Luther nach Coburg, dem er die Stellen ſeiner Schriften, die von dem ſacramentalen, geiſtigen Ge - nuß am deutlichſten lauteten, vorhielt; er berichtet, daß er von Beiden Verſicherungen erhalten habe, welche alles Beſte hoffen ließen.

Leicht machte es jedoch Luther dem Vermittler nicht. Um nicht getäuſcht zu werden ſtellte er zwei Fragen auf, die weiter keinem Zweifel Raum ließen: die eine, ob der Leib wahrhaft bei den Zeichen ſey, die andre, ob er auch von den Gottloſen empfangen werde. Es iſt merkwürdig, daß die letzte und ſchwerere dieſer Fragen ſchon im 12ten Jahrhundert erhoben worden; ſchon Otto von Freiſingen gedenkt ihrer, doch hält er für beſſer, ſie zu vermeiden, als ihre Bejahung zu gebieten. 2Chronicorum liber VIII, prologus: utrum mali veraciter sacramentis communicent, an exterius tantum ea accipiant. Luther meinte, dieſe Bejahung könne ſo ſchwer nicht ſeyn, da man doch zugeben müſſe, daß Gottes Wort von den Gottloſen gehört werde, daß Gottes Sonne auch über die Blinden ſcheine. Und in der That er -346Sechstes Buch. Drittes Capitel.klärte ſich Butzer in beiderlei Hinſicht genügend. Er bekannte, Chriſtus ſey im Sacrament auch dem Brot und dem Mund wahrhaft zugegen; da alle Verheißung Chriſti wahr ſeyn müſſe, ſo zweifle er nicht, daß Gottloſe, gleich wie Gläubige, den Leib und das Blut Chriſti genießen. Für ſeine Perſon bekannte er beides. Wegen ſeiner Mitdiener am Wort aber bemerkte er, daß ſie zwar von dem erſten Punkte über - zeugt, dagegen in Hinſicht des zweiten nicht von allem Zwei - fel frei ſeyen. 1Wir haben zwar die Schreiben Butzers nicht ſelbſt, aber die Aeußerungen Luthers, an den ſie gerichtet waren, laſſen keinen Zweifel uͤber ihren Inhalt uͤbrig. An Wenceslaus Link bei de Wette IV, 327. Ferner an Menius: Bucerus effecit tantum, ut conce - dant omnes vere adesse et porrigi corpus domiui, etiam corpo - rali praesentia; caeteri tantum, fideli animae ac piae; Bueerus vero consentit et impiorum mann porrigi et ore sumi. Bei Planck III, 340 ſind dieſe Briefe offenbar uͤberſehen.Luther hatte ſchon früher nachgegeben, auf die letzte Frage zunächſt noch nicht dringen zu wollen, wenn man ſich nur in Hinſicht der erſten mit einander einver - ſtehe. So wiederholte er auch jetzt: durch das Bekenntniß daß das Sacrament bei dem Zeichen ſey, werde demſelben ſeine gebührende Eigenſchaft gegeben; die Frage, was die Gottloſen empfangen, wolle man für dieß Mal vertagen.

Wir beſchäftigen uns mit einer Epoche, in welcher politiſche und kirchliche, ja dogmatiſche Entwickelungen auf das engſte mit einander verwebt ſind.

Schon die erſte Annäherung Butzers hatte die Folge, daß die Abgeordneten der oberländiſchen Städte bei der Zuſam - menkunft in Schmalkalden Dezbr. 1530 zu den Berathun - gen zugezogen wurden. Nachdem nun aber eine Erklärung wie die eben berührte eingegangen, blieb kein Bedenken übrig,347Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.ſie bei der zweiten Zuſammenkunft förmlich in das Bünd - niß aufzunehmen. 1Inſtruction uf den angeſetzten Tag gegen Schmalkalden. Tor - gau 25. Maͤrz. Uns iſt itzo wieder ein Schreiben von Wittenberg zukommen, ſo der Butzer an Dr. Martin und Phil. Mel. gethan, daraus die zween wie uns angezeigt iſt worden, nit anders zu ver - nehmen wiſſen, denn das der Artikel der hinterſtelligen Punkt halber auch vollend verglichen. (W. A.)Johann Friedrich, der hier die Stelle ſeines Vaters verſah, ließ es ſein erſtes Geſchäft ſeyn, ſich mit den Abgeordneten der vier Städte zu beſprechen; er forderte ſie auf, dieſe Vergleichung nun auch öffentlich pre - digen, in alle Welt verkündigen zu laſſen. Dieſe verſicher - ten, da Butzer nicht allein für ſich, ſondern im Auftrag ſeiner Herren handle, ſo ſey daran kein Zweifel. 2Verzeichniß der Handellung auf gehaltenem Tage zu Schmal - kalden in der Woche nach Judica. Haben keinen Zweivel, ſie (ihre Herrn) werden verſchaffen, daß dergleichen gepredigt gelehrt und ver - kuͤndigt werde, auch ſolches lautbar zu machen. Zu Stras - burg, Lindau, Coſtnitz, Memmingen, hatten ſich nicht al - lein Biberach, Ysni, Reutlingen, ſondern auch das mächtige Ulm geſellt. Auch Ulm nemlich hatte gegen den Abſchied von Speier proteſtirt, und den Abſchied von Augsburg allen Mahnungen des Kaiſers zum Trotz nicht unterſchrieben. Es leuchtet ein, wie ſtark daſelbſt die reformatoriſche Tendenz bereits ſeyn mußte, um dieſe entſchiedenen Schritte hervorzu - bringen. Aber auch die entgegengeſetzte Partei war lange Zeit nicht ſchwach, und es fehlte nicht an unruhigen Gegenwir - kungen. Endlich gab die Bürgerſchaft dem Rathe Voll - macht, die Ordnung herzuſtellen. Gar bald ſehen wir dann ein Bekenntniß in evangeliſchem Sinne erſcheinen, das ſich in dem Artikel vom Abendmahl an die Tetrapolitana an - ſchließt. In Schmalkalden unterſchrieben dieſe Städte nun ſämmtlich das Bündniß zur Gegenwehr.

348Sechstes Buch. Drittes Capitel.

Nach der ſächſiſchen Seite hin war demnach die Be - mühung Butzers gelungen; und er ging nun daran, ſeine Anſicht auch in der Schweiz geltend zu machen.

Ohne Mühe gewann er von den beiden vornehmſten Reformatoren in der Schweiz wenigſtens den Einen. Der friedfertige Oekolampadius urtheilte,1Vtriusque (veritatis et caritatis) Bucerus mea sententia observantissimus est. Proinde confido non ingratum tibi fore, quicquid ille in medium attulit. 19. Nov. 1530 bei Hottinger II, 320. Butzer befleißige ſich eben ſo ſehr der Wahrheit, wie der Liebe; er empfahl deſ - ſen Auffaſſung ſeinem zürcheriſchen Collegen Zwingli.

Unmöglich aber konnte auch Zwingli ſo geneigt ſeyn.

Einmal hatte er Luthern allzuhäufig und allzubeſtimmt jene grobe Vorſtellung Schuld gegeben, als daß er davon ſo leicht hätte zurückgebracht werden können. Sodann war auch nicht zu läugnen, daß ſich Butzer bei allem Feſt - halten des Begriffes vom geiſtlichen Genuß doch der luthe - riſchen Vorſtellung vom Myſterium auf eine Weiſe näherte, die Zwingli nicht billigen konnte. Er war ſich zu gut be - wußt, daß ſeine Anſicht von ganz anderem Urſprung aus - gegangen. Er verwarf die Formel Butzers nicht geradezu, aber ſehr anſtößig war ihm die dreimalige Wiederholung des Wortes wahr; er meinte, man werde darunter nichts anders verſtehn, als natürlich. Er hatte nichts dagegen, daß Butzer einen Brief, den er über die Identität beider Leh - ren verfaßt und den Schweizern mitgetheilt, ausgehn laſſe, aber er behielt ſich vor darüber eine Erläuterung zu geben, die ſeinen eigenthümlichen Sinn ausſpreche. Wenn er ſich zu der Formel bequemte, der Leib Chriſti ſey im Nacht - mahl gegenwärtig, ſo geſchah das doch immer mit dem349Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.Beiſatz nur der gläubigen Seele; die Anmuthung, zu be - kennen, Chriſti Leib werde dem Munde dargereicht, wies er weit von ſich. 1Schreiben bei Heß, Oekolampadius p. 341.In ihm, dem Urheber, erhob ſich die ganze Energie ſeiner urſprünglichen Idee, und er war um keinen Schritt weiter zu bringen.

Das hinderte jedoch nicht, daß Baſel, von Oekolam - padius geleitet, ſich nicht jener Vermittelung zugeneigt hätte. Schon ſprach man in der Schweiz von einer eigenthüm - lichen Lehre Oekolampads, die doch auch ziemlich zahlreiche Anhänger habe. 2Aus der uͤbrigens ſehr inhaltsleeren Schrift Fabers de ad - mirabili catholicis data victoria, erſieht man dieß (cap. VI. Opp. III, 145). In einem Schreiben Landgraf Philipps Freitag nach Palmarum (W. A.) wird Oekolampadius ganz als einverſtan - den betrachtet, weil nun Oekolampadius und die andern in Sachen des Sacraments mit uns eins Verſtand ſein, und zu hoffen iſt, daß die andern auch noch zu uns kommen werden.

Ueberhaupt war von einem engern Bündniß zwiſchen beiden reformirten Parteien unaufhörlich auf das ernſt - lichſte die Rede. In gewiſſem Sinne beſtand es ſchon dadurch, daß Strasburg und ſeit dem Juli 1530 auch Landgraf Philipp in das ſchweizeriſche Bürgerrecht getre - ten und zugleich Mitglieder des ſchmalkaldiſchen Bundes waren. Beſonders auffallend finde ich Folgendes. In dem Geſchichtsbuch Bullingers wird ein Bundesbrief mit - getheilt, welchen Zürich im Februar 1531 bei einer Zu - ſammenkunft mit Bern und Baſel vorlegte, mit der Be - merkung, daß er von einigen Deutſchen ſchon angenommen worden. Indem ich denſelben näher betrachte, finde ich, daß er von Wort zu Wort, von Anfang bis Ende nichts anderes iſt, als die Formel des ſchmalkaldiſchen Bünd -350Sechstes Buch. Drittes Capitel.niſſes. Wie merkwürdig, daß Zürich ſeinen nächſten Ver - bündeten den Eintritt in das ſchmalkaldiſche Bündniß, wie es wenigſtens ſcheint, ſo ernſtlich vorgeſchlagen hat.

Es giebt wohl keinen Zeitpunkt, in welchem die Eid - genoſſenſchaft wie einer innern Umgeſtaltung in Folge der fortſchreitenden Kirchenreform, ſo auch ihrer Wiederverei - nigung mit Deutſchland ſo nahe geweſen wäre wie damals. Die beiden Factionen, in welche ſie zerfiel, waren von den entſprechenden Elementem des deutſchen Mutterlandes ge - waltig angezogen. Zwingli meinte, man müſſe die Sache in der Schweiz zu Ende bringen, ehe der Kaiſer in Deutſch - land freie Hand bekomme. Ferdinand fürchtete eine allge - meine Vereinigung der Evangeliſchen. In dem ungewöhn - lich lebhaften Widerſtand, den er überall fand, glaubte er ſchon die Wirkungen des Selbſtvertrauens wahrzunehmen, das ein ſolcher Bund ihnen einflöße. 1Es cierto que se haran todos unos y peores que nunca por las fuerças y ventaja que de dia en dia van cobrando los que siguen estas sectas Prina 27. Maͤrz 1531.

Allein die religiöſe Differenz verhinderte die Vereini - gung auch dieß Mal.

Auf der Verſammlung zu Frankfurt a. M. im Juni 1531 kam die Sache noch einmal zur Sprache.

Bern und Zürich hatten aufs neue erklärt, die Butze - riſche Formel nicht annehmen zu wollen; nicht weil ſie ihnen unchriſtlich erſcheine, ſondern weil ſie zu dunkel ſey und leicht zu gefährlichen Mißverſtändniſſen Anlaß geben könne. 2Briefwechſei zwiſchen Bern, Baſel und Zuͤrich bei Eſcher und Hottinger Archiv II, p. 290. Baſel beſteht darauf, Butzers Er - klaͤrung ſey alſo luter, das ſie mit irem (der Gegner) natuͤrlichen lyb - lichen ſubſtanzlichen oder weſentlichen Lyb gar keine Gemeinſchaft hat.

351Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.

Dagegen hatte der Churfürſt von Sachſen ſeine Ge - ſandten inſtruirt, wenn die Eidgenoſſenſchaft nicht ein dem augsburgiſchen gleichförmiges Bekenntniß ablege, über eine Verbindung mit derſelben nicht weiter zu unterhandeln; nicht einmal anzunehmen, darüber etwas an ihn zu bringen.

Nothwendig hatte das dann auch auf die innern Ver - handlungen des ſchmalkaldiſchen Bundes ſelber wieder Einfluß.

In Frankfurt ward ein Entwurf zu einer Kriegsver - faſſung vorgelegt; die Oberländer fanden ihn ſehr verſtän - dig und angemeſſen; allein ſie weigerten ſich ihn zu unter - zeichnen, da die Eidgenoſſen nicht aufgenommen worden. Sie erklärten, ihre Widerwärtigen rings um ſie her ſeyen zu ſtark; ſo entfernte Verbündete würden ihnen nicht hin - reichende Hülfe leiſten können.

Ohne Zweifel wollten ſie erſt den Ausgang der Dinge in der Schweiz abwarten.

Denn ſchon ließ ſich dort alles zu einer Entſcheidung durch die Waffen an, von der dann auch Action und Re - aetion in dem obern Deutſchland abhing.

[352]

Viertes Capitel. Kataſtrophe der Reformation in der Schweiz.

Der Angriff Savoyens auf Genf ward noch 1530 zurückgeſchlagen; im Frühjahr 1531 ward auch der Caſtel - lan von Muſſo aus Graubünden vertrieben. So wenig die Städte in den ſchmalkaldiſchen Bund getreten, ſo we - nig war eine wirkliche Verbindung der fünf Orte mit Oeſtreich geſchloſſen worden. Auf ſich allein beſchränkt, ſtanden die beiden Theile der Eidgenoſſenſchaft einander ge - genüber; aber erbitterter als je.

Die fünf Orte klagten, und in der That nicht mit Un - recht, daß man ihre Mehrheit nicht mehr anerkenne, ſie ihres Rechtes entſetze. Sie weigerten ſich, in Ordnungen zu willigen, wie ſie z. B. in St. Gallen getroffen worden. Der erſte Hauptmann, der nach der neuen Einrichtung da - ſelbſt antreten ſollte er war von Lucern verſchmähte den Bauern zu ſchwören und ritt davon.

Dagegen waren die evangeliſchen Städte wohl noch mit augenſcheinlicherm Rechte entrüſtet, daß man ſie in je - nen gemeineidgenöſſiſchen Sachen nicht unterſtützt hatte;353Idee einer politiſchen Reform.ſie fanden, dadurch ſeyen die Bünde im Grunde ſchon gebro - chen; und ſollte man die groben unmenſchlichen Schmäh - reden ſich noch länger gefallen laſſen? Die Verantwortun - gen der fünf Orte darüber ſeyen ſelber ein Schimpf. 1Antwurtten und Meinungen der Radtsbotten der chriſtlichen Stetten. 24. April 1531. Bei Bullinger II, 362.

Zwingli’s Meinung wäre geweſen, der Sache ohne längern Verzug mit Gewalt ein Ende zu machen.

In politiſcher Beziehung waltete wenigſtens ein nicht minderer Unterſchied zwiſchen Luther und Zwingli ob, als in der Lehre. Luthers Politik, wenn wir ja davon reden können, hing ganz vom religiöſen Geſichtspunkte ab, und war auf die nächſte Vertheidigung beſchränkt. Zwingli da - gegen verfolgte von Anfang an zugleich poſitiv politiſche Zwecke; eine Umgeſtaltung der Eidgenoſſenſchaft war der Mittelpunkt aller ſeiner Ideen; er hatte dazu die weit - ausſehendſten Pläne gefaßt; er iſt ohne Zweifel in beider - lei Hinſicht der größte Reformer, den die Schweiz je ge - habt hat.

Schon öfter war das Mißverhältniß zur Sprache ge - kommen, welches darin lag, daß die Waldſtädte, die in den eidgenöſſiſchen Kriegen an Mannſchaft und Geld ſo viel weniger leiſteten, als die volkreichen Bürgerſtädte, doch an den Vortheilen des Sieges und der Herrſchaft gleichen Antheil nahmen. Das war eigentlich der Grund der Irrun - gen nach den Burgunderkriegen geweſen. Schon damals muß - ten die Wunder der Religion in Thätigkeit geſetzt werden: der Bruder Claus mußte erſcheinen, um die Ausſöhnung zu be - wirken, die in der Verkommniß von Stanz ausgeſprochen iſt. Ranke d. Geſch. III. 23354Sechstes Buch. Viertes Capitel.Zwingli fand nun aber, daß das Verhältniß ſeitdem noch unerträglicher geworden. Dadurch nemlich, daß ſich zu den vier andern Waldcantonen auch Zug geſellt, hatte ſich eine Majorität gebildet, die über alle Geſchäfte der Tagſatzungen entſchied, und gegen die kein geſetzliches Mittel anzuwen - den war. Zwingli urtheilte, daß dieſer Vortheil, der ſo ruchlos gemißbraucht werde, auch höchſt ungerecht ſey. Die Leitung der Eidgenoſſenſchaft gebühre vielmehr den beiden Städten Zürich und Bern, die doch immer das Beſte ge - than und die Stärkern geweſen; die müßten die Eidgenoſ - ſenſchaft führen, wie zwei Zugthiere den Wagen. Man müſſe den fünf Orten den Bund zurückgeben, und ſie bei einer neuen Einrichtung entweder aus den gemeinſchaftlichen Vogteien, wenigſtens dieſſeit des Gebirges, geradezu aus - ſchließen, eine neue Theilung machen, oder auf jeden Fall ihre Mehrheit abſtellen. 1Was Zuͤrich und Bern Not zu betrachten ſey in dem fuͤnf - ortiſchen Handel; bei Hottinger II, 487.

Wir ſehen: Zwingli wollte der Verfaſſung einen ganz andern Schwerpunkt geben, und ihre Einheit auf das Ueber - gewicht der factiſchen Macht begründen. In dem geſamm - ten Gebiete würden dann die nemlichen religiös-politiſchen Grundſätze herrſchend geworden ſeyn.

Pläne dieſer Art laſſen ſich natürlich nicht ausfüh - ren, ohne ein energiſches Zuſammenwirken aller Kräfte in dem günſtigen Augenblick. Es fragte ſich erſt, ob Meiſter Ulrich Zwingli, ſo mächtig und angeſehn er auch war, dieß in einem Grade ſeyn würde, um ſeine eigne Partei zu ei - ner Unternehmung dieſer Art zu vereinigen.

Selbſt in Zürich aber hatte Zwingli noch mit entge -355Gegenwirkung in Zuͤrich.gengeſetzten Geſinnungen und hartnäckigen Privatintereſſen zu kämpfen. Im großen Rathe, der doch die kirchlichen Angelegenheiten leitete, gab es noch gegen Ende des Jah - res 1528 Leute, welche die alten Gebräuche vorzogen. Zwingli forderte auf dem Predigtſtuhl die Reinigung des Rathes von den Gottloſen, denen das Wort Gottes nicht munden wolle. In der That ſchritt man endlich dazu, in den Zünften Einen nach dem Andern zu verhören, ob er ſich zum Tiſch des Herr halten wolle, wie andre Chri - ſtenmenſchen, und ſchloß diejenigen von dem Rathe aus, die das verweigerten. 1Bernhard Weiß p. 91 gluͤcklicherweiſe umſtaͤndlicher als Bul - linger. Die Schwierigkeit des Zuſtandes deutet auch folgende Stelle bei Zwingli ſelbſt an; An non optimi quique acinnocentissimi cum senatores tum plebei sic me colunt ac tuentur, ut nisi id con - stantissime facerent, minor esset publica tranquillitas. Respon - sio ad amici haud vulgaris epistolam. Gualth. II, 323Doch war damit noch nicht alles geſchehn. Unter den adlichen Geſchlechtern gab es noch gar Manche, welche die frühern Jahrgelder nur ungern entbehrten, und nicht alle Verhältniſſe zu den Oberhäup - tern in den fünf Orten abgebrochen hatten. Konnte Zwingli dieſen Zuſammenhang nicht zerreißen, ſo war er doch ent - ſchloſſen ihn unſchädlich zu machen. Der Einfluß der Ge - ſchlechter in Zürich beruhte darauf, daß während von je - der der übrigen Zünfte nur immer drei Mitglieder in den kleinen und zwölf in den großen Rath traten, die adliche Zunft, die Conſtafel das Vorrecht beſaß, aus ihrer Mitte ſechs in jenen, und achtzehn in dieſen treten zu laſſen. 2Vgl. Bluntſchli Staats - und Rechtsgeſchichte von Zuͤrich I, 359. Leider werden die obigen Verhaͤltniſſe in dieſem Buche ſpaͤter nicht eroͤrtert.Zwingli war mächtig genug, dieſe Ungleichheit abzuſchaffen;23*356Sechstes Buch. Viertes Capitel.er ſetzte durch, daß die Conſtafel den übrigen Zünften gleich geſtellt wurde.

Nur durch ſo ſtrenge Maaßregeln konnte in Zürich ſelbſt die politiſch-religiöſe Einheit der öffentlichen Gewalt zu Stande gebracht werden, deren Zwingli bedurfte. Allein waren da nicht ſtatt der offenen, geheime Gegenwirkungen unvermeid - lich? Gar bald ſollte er ſie zu fühlen bekommen.

Und noch bei weitem größere Schwierigkeiten ſetzte ihm das verbündete Bern entgegen, wo die Neigung zu den Jahrgeldern an und für ſich tiefer eingewurzelt war, eine gewiſſe Eiferſucht gegen Zürich ſich immer wieder zeigte, die bisherige Abſonderung der verſchiedenen Cantone, wenn nicht eifrige doch zähe Vertheidiger fand.

Ich weiß nicht ob jener Plan, der doch ſo vortheilhaft für die Berner lautete, ihnen auch nur vorgelegt worden iſt; in den Verhandlungen der Tagſatzungen wenigſtens finde ich keine Spur deſſelben.

Da beſchränkten ſich die Forderungen der Bürgerſtädte nur immer auf folgende drei: erſtlich, daß die Läſterer ge - ſtraft, zweitens, daß die armen Leute, die um des Glau - bens willen von Haus und Hof verjagt worden, wieder aufgenommen, endlich, daß auch in den jenſeitigen Gebie - ten die Glaubenslehren der dieſſeitigen geduldet würden. 1In Bullingers Chronik, welche ſchon fuͤr die fruͤhern Au - toren faſt immer die Hauptquelle und welche jetzt gedruckt iſt, finden ſich alle Verhandlungen. Sehr ungern entbehrt man die Fortſetzung des Zwingliſchen Briefwechſels.Forderungen, die ohne Zweifel in der Natur der Sache lagen. Denn welche Eidgenoſſenſchaft konnte es geben, wo die Ei - nen den Eid der Andern nicht anerkannten; welche Rechtsge -357Forderungen der Buͤrgerſtaͤdte.meinſchaft in den Vogteien, ſobald der eine Theil der Herr - ſchaften den Glauben verfolgte, in welchem der andere ſein Heil erblickte? Wie konnten die evangeliſchen Mitglieder des Bundes überhaupt zuſehen, daß ihre Glaubensgenoſſen ein paar Meilen von ihnen mit Gefängniß beſtraft wurden? Darin lag doch im Grunde nichts, als eine Anerkennung der Chriſtlich - keit des neuen Zuſtandes; nur dieſe nahmen ſie in Anſpruch.

In dieſen Zeiten hatte ſich aber das religiöſe Bekenntniß viel zu enge mit der Staatsgewalt vereinigt, als daß Zuge - ſtändniſſe auch nur ſolcher Art anders als auf dem Wege des Zwanges hätten durchgeſetzt werden können. Die Staats - gewalt in den fünf Orten beruhte auf der ausſchließenden Herrſchaft des Katholicismus. Hätten die Machthaber ſich bequemt, die entgegengeſetzten Meinungen zuzulaſſen, ſo würde ſich unter ihren Augen ein ihnen feindſeliges Element in der Bevölkerung gebildet haben, das von den Tendenzen der Zeit getragen, und von außen her unterſtützt ihnen leicht ſelbſt hätte gefährlich werden können. Sie wieſen alle jene Anmuthungen entſchieden von der Hand.

Da trug nun Zwingli kein Bedenken, Krieg zu fordern, unverzüglichen Angriff, ſo lange man den Vortheil in Hän - den habe; er bewirkte, daß Zürich, wo jetzt Niemand mehr ihm offen widerſprach, ſich in ſeinem Sinn erklärte.

In Bern jedoch war ſeine Autorität nicht ſo groß. Zwangsmaaßregeln hielt auch Bern für nothwendig, aber es wollte nicht zu den äußerſten Mitteln ſchreiten. Es ſetzte durch, daß man, wie es auch in dem Landfrieden ſchon vor - geſehen war, die fünf Orte zuerſt durch Entziehung der Zu - fuhr zu bekämpfen beſchloß.

Wie hätte das aber Zwingli befriedigen ſollen? Er358Sechstes Buch. Viertes Capitel.ſah wohl, daß Verzögerung alles verderben werde. Schon fühlte er aufs neue ſeine einheimiſchen Gegner ſich regen und zuweilen klagte er auf der Kanzel über den Rückhalt, den - rich ſelbſt dem Feinde gewähre: alles Ernſtes wollte er ein - mal abdanken. Da er, wiewohl nur mit Mühe daran ver - hindert worden, machte er noch einmal den Verſuch, die Berner von der Nothwendigkeit eines andern Verfahrens zu überzeugen. In tiefem Geheimniß finden wir ihn zu Brem - garten eine Zuſammenkunft mit einem paar Berner Abgeord - neten halten, bei Nacht, im Hauſe des Prädicanten Bullinger; Bremgartner Rathsherren hielten Wache. Aber viel Hoffnung kann er auch hier nicht empfangen haben. Ehe der Tag graute, brachte Bullinger ſeinen Meiſter durch eine Pforte beim Schü - tzenhaus auf den Weg. Ueber Zwingli lag eine ſchmerzliche Stimmung. Er weinte als er von Bullinger Abſchied nahm: Gott behüte dich Heinrich, ſagte er, und bleib nur treu am Herrn Chriſto und ſeiner Kirche. 1Erzaͤhlung Bullingers III, 49.Im Auguſt war ein Comet erſchienen: der Abt Georg Müller von Wettingen fragte eines Tags auf dem Kirchhof zum großen Münſter Zwingli’n, was der wohl bedeuten möge. Mein Georg, antwortete Zwingli, mich und manchen Ehrenmann wird es koſten; die Kirche wird Noth leiden, doch werdet ihr darum von Chriſto nicht verlaſſen werden. 2In einer Note ſey mir erlaubt an den anmuthigen Bericht eines Zeitgenoſſen zu erinnern, der im Schw. Muſ. II, 535 abge - druckt iſt. Er ſchildert da, wie er in dieſen Tagen in St. Gallen mit dem Freunde Zwingli’s Vadianus, dem Dr. Joachim von Watt und einigen Andern einſt zu Nacht auf die Bernegh ſtieg und dann noch weiter hinauf auf die Hoͤhe, wo ſich der Doctor unter ſie ſetzte, auf den Boden in den Thau, ihnen die Namen der Geſtirne, die entgegengeſetzte Bewegung des Zodiacus und des uͤbrigen Firmaments

359Widerſtand der fuͤnf Orte.

Die Dinge gingen, wie Zwingli vorausgeſehn, und wie ſie gehen mußten. Wenn Bern gehofft hatte, das ge - meine Volk in den fünf Orten werde den Mangel nicht aushalten können und ſich wider die Machthaber empören, ſo geſchah eher das Gegentheil. Auch der gemeine Mann wurde dort nun erbittert, weil man ihm unter dem Schein des Chriſtenthums die Früchte entziehe, die Gott frei wach - ſen laſſe. 1Hallwyl in Kirchhofers Haller 107.Die Gewalthaber brauchten jedes Mittel, um ihr Anſehen aufrecht zu erhalten. Die Züricher hatten ein Manifeſt zu ihrer Rechtfertigung ausgehn laſſen und es auch nach Lucern geſchickt: der Rath von Lucern behan - delte alle Die, die es empfangen und etwa Andern mit - getheilt, als Verräther, und ſpannte ſie an das Folterſeil. Auch ſchon an und für ſich mußte durch das Gefühl der fort - dauernden Beleidigung die feindſelige Stimmung von Tage zu Tage wachſen. So ſcheiterten denn alle Unterhandlungen. Die Fünforte blieben dabei, die Städte bei ihrem Bund zu mahnen, ihnen den Proviant zu eröffnen oder ihnen Recht zu geſtatten. Die Städte verweigerten auf die Rechtsforde - rung einzugehn, da ja der Friede ausdrücklich das Abſchla -2erklaͤrte, die Wunder des Schoͤpfers, den er bald zu ſehen wuͤnſche, worauf er ſeine Augen auf die Landſchaft richtete, des erſten Anbaues durch die Roͤmer gedachte, der Gruͤndung und der Schickſale der Stadt, wie oft ſie verbrannt, woher ein jedes Thor ſeinen Namen habe, wie ſie den nahen Wald ausgerodet, das eintraͤgliche Leinwand - gewerb gegruͤndet; bei dieſem Gedanken wieder ſich zu dem Co - meten wandte, von dem man nicht anders glaubte, als daß er den Zorn Gottes andeute. Theophraſtus von Hohenheim, damals zu St. Gallen und Andere erklaͤrten, er zeige nicht allein Blutvergießen, Aen - derung des Regiments, ſondern auch beſonders einen Abgang gelehr - ter Maͤnner an.360Sechstes Buch. Viertes Capitel.gen des Proviants als Strafe für die fortdauernden Schmä - hungen feſtgeſetzt hatte; eben dieſe Strafe wollten ſie nun vollziehen. Die Vermittler, bei denen wir auch ſtraßbur - giſche Abgeordnete finden, machten den Vorſchlag, daß man die Züchtigung der Schmähreden ihnen überlaſſen möge. Die Städte gingen das ein, die Länder waren nicht dazu zu bringen.

Es war kein Mittel zu erdenken: es mußte, und zwar nunmehr unter ganz andern Auſpicien, als Zwingli ge - wünſcht, zum Kriege kommen.

Im September hielten die Fünforte eine Tagſatzung zu Lucern, um darüber zu berathſchlagen. Anfangs waren Uri, Schwytz, Unterwalden ob dem Wald gegen einen na - hen Aufbruch: Uri ſchlug ſogar vor, die Beſchlüſſe des nächſten Reichstags zu erwarten. Aber Unterwalden nied dem Wald drang darauf, daß man unverzüglich den Krieg an die Hand nehmen müſſe: und dahin ging zuletzt die all - gemeine Meinung. Denn man könne nicht Hungers ver - derben, man müſſe ſich Leibesnahrung holen, man werde Leib und Leben daran binden. 1Bullinger III, 73. Der erſte Angriff auf Bern war mehr von Obwalden ausgegangen.

Die Freunde der fünf Orte ſahen ihr Vorhaben nicht ohne einige Furcht an. König Ferdinand beſorgte, ſie wür - den unterliegen und alsdann erſt die allgemeine Verwirrung überhand nehmen.

Und gewiß waren ſie die bei weitem geringere Anzahl: aber vor allem: ſie hielten zuſammen; die Oberhäupter waren durch gemeinſchaftliches Intereſſe und gemeinſchaftliche Ge - fahr auf das engſte verbunden, ihre Gewalt durch die allge -361Ausbruch des Krieges. Octob. 1531.meine Entrüſtung noch verſtärkt. Dann hatten ſie den Vor - theil, während in den Städten nichts geſchah, von der Burg ihrer Alpen her den Angriff plötzlich auf die verwund - barſte Stelle ausführen zu können. Einige Tage hindurch hörte man nichts von ihnen; die Päſſe wurden auf das ſtrengſte bewacht, kein Verdächtiger ward ein - oder auch nur ausgelaſſen. Es gab auch im hohen Land Freunde der Züricher, die ihnen Nachricht zu geben verſprochen, wenn etwas gegen ſie im Werke ſey; durch die ſtrenge Auf - ſicht ward ihnen das unmöglich. Und nur wenige Tage reichten ſchon hin, um dort alles zum Aufbruch fertig zu machen. Plötzlich, am 9. October überſchritt von Lucern her ein Fähnlein die Grenzen und fiel plündernd in die freien Aemter ein; am 10 ſah man auf dem Zuger See Schiffe mit Kriegsleuten daher fahren; der Klang der Hör - ner kündigte ihre Ankunft in Zug an; an den Grenzen ward das Luyen des Uriſtiers vernommen. Gleich auf der oben - berührten Tagleiſtung zu Lucern war beſchloſſen worden, die Hauptmacht in Zug zu vereinigen; die Kriegsräthe hat - ten nur den Tag zu beſtimmen und die Dinge dann in Gang zu bringen. 1Kurze Beſchreibung der 5 katholiſchen Orte Kriegs wider ihre Eidgenoſſen der fuͤnf zwingliſchen Orte; die man ſeit Haller dem Gilg Tſchudi zuſchreibt, waͤhrend ſie handſchriftlich auch unter dem Namen von Cyſat, und andern erſcheint; in Balthaſar’s Helvetia II, p. 186.

Wären die Städte auf dieſen Anfall vorbereitet gewe - ſen, ſo würden ſie ihn leicht abgewehrt haben: Zürich dnrfte nur den Paß über den Albis beſetzen, ſo behielt es Zeit ſich auf das beſte zu rüſten. Allein man war bisher noch immer mit den einmal ergriffenen Zwangsmaaßregeln be -362Sechstes Buch. Viertes Capitel.ſchäftigt geweſen: man hatte ſo eben auf die Mittel gedacht, die Zufuhr auch aus dem Elſaß her, zu beiden Seiten der Reuß zu verhindern. Indem man noch zu zwingen gedachte, ſah man ſich plötzlich ſelber angegriffen. Daß der Angriff auf verſchiedene Seiten geſchah, brachte eine um ſo größere Verwirrung hervor, da man nicht wußte, wohin er haupt - ſächlich gerichtet ſey.

Am 11. October 1531 des Morgens ſchwuren die Mannſchaften der fünf Orte auf der Zuger Allmende ihre Ordinanz, und ſetzten ſich, 8000 Mann ſtark, unter ihren fünf Bannern in Bewegung, um in das Gebiet ihrer vor - nehmſten Feinde der Züricher vorzudringen.

Vor ihnen bei Cappel hatten ſich bei dem Zürcher Fähnlein nur ungefähr 1200 Mann geſammelt.

Zwar hatte man an demſelben Morgen in der Stadt Zürich ſelbſt das große Banner ausgeſteckt und die dazu ge - hörigen Mannſchaften fingen an ſich zu ſammeln: allein alles geſchah mit Unordnung und Uebereilung. Noch in der nemlichen Stunde zog ein Theil der Truppen nach den freien Aemtern. Jetzt, an dem entſcheidendem Tage zeigte ſich, daß nicht Alle gleichgeſinnt waren. Eine geheime Ge - genwirkung hatte jede raſche Maaßregel gelähmt. 1Verantwortung Rudolf Lavaters bei Eſcher II, 311.Da Botſchaft auf Botſchaft einlief, daß die geſammte Macht des Feindes das Fähnlein bei Cappel bedrohe, und es ver - nichten werde, wenn man ihm nicht zu Hülfe komme, ſo mußte die Mannſchaft bei dem Banner, ſo ſchwach ſie auch noch war, man behauptet, ſie habe kaum 700 M. ge - zählt, ſich doch entſchließen auf der Stelle ins Feld zu rücken.

363Schlacht bei Cappel.

Die einzige Rettung wäre geweſen, Cappel aufzuge - ben, das Fähnlein zurückzuziehen.

Auch geſchah wohl bei dem Fähnlein der Vorſchlag, vor der Uebermacht auszuweichen. Es hätte aber den tapfern Leuten eine Feigheit geſchienen, ſelbſt in dieſem offenbaren Nachtheil einen Schritt rückwärts zu thun. Rüdy Gallmann ſtampfte bei dem Vorſchlag mit dem Fuß auf den Boden. Gott laſſe mich den Tag nicht erleben, rief er aus, wo ich den Leuten einen Schritt breit weiche Da muß mein Kirchhof ſeyn.

Schon näherte ſich der überlegene Feind, und das Schießen fing an, als der Banner auf dem Albis ankam. Wie geſagt, noch war er ſehr ſchwach. Der Schützenhaupt - mann Wilhelm Töning ſah um ſich her und meinte, man würde am beſten thun eine Weile zu halten, und ſich erſt mit dem zuſammenlaufenden Volke zu verſtärken, ehe man weiter rücke. Aber Meiſter Ulrich Zwingli, der auch jetzt wieder mit dem Banner ausgezogen, dieß Mal jedoch als Prediger, von ſeines Amts wegen, das man ihm nicht wie - der abgenommen, entgegnete: es würde ſich ſchlecht ſchicken, dem Schießen der biderben Leute von der Höhe unthätig zuzuſehn. Ich will im Namen Gottes zu ihnen hin, mit ihnen ſterben oder ſie retten helfen. Warte Töning bis du wieder friſch biſt, ſagte der Bannerherr. Ich bin ſo friſch wie ihr, antwortete Töning, und will mich bei Euch finden laſſen.

Das Fähnlein hatte eine von Wald umkränzte Anhöhe beſetzt, der Schürenberg genannt;1In der kurzen Beſchreibung: Schoͤnenberg; ſoll aber wohl auch da heißen Schuͤrenberg iſt ein ziemlich hoher Buͤhel, daruff da ſtieß nun der Ban -364Sechstes Buch. Viertes Capitel.ner zu ihm. Wohl war es die Macht von Zürich, die hier den fünf Orten gegenüberſtand, aber Unbedachtſamkeit frü - her, Uneinigkeit und Ungeſtüm zuletzt hatten bewirkt, daß ſie kaum etwa 2000 Mann betrug, während die Stadt leicht über 10,000 ins Feld ſtellen konnte.

Auf dieſe kleine Schaar nun rückte jetzt der vierfach größere, wenigſtens nicht minder kriegsfertige, und bei wei - tem beſſer geführte Haufe der fünf Orte heran. Was iſt da viel von der Schlacht zu berichten? Sie war durch die Umſtände entſchieden, ehe ſie begann. Die Züricher hatten das Wäldchen am Fuß des Hügels unbeſetzt gelaſ - ſen; durch dieſes drangen die Feinde, wenig bemerkt, hervor, und machten von zwei Seiten im vollen Gefühl der Ueber - legenheit ihren Angriff. Die Tapferkeit der Züricher konnte ſie nicht retten; gleich im erſten Moment ſahen ſie ſich ge - worfen, übermannt; ein wildes Gemetzel begann. Von den 2000 Zürchern ſind 500 umgekommen; was aber das ſchmerzhafteſte, darunter waren eben die namhafteſten Män - ner, die eifrigſten Evangeliſchen; denn eben dieſe hatten ſich zuerſt unter die Waffen geſtellt. Da fand denn Rüdy Gall - mann ſeinen Kirchhof; der Bannerherr Schweizer und Wil - helm Töning fielen (kaum konnte der Banner ſelbſt geret - tet werden): der Zunftmeiſter Funk, der wackere Bernhard Weiß, dem wir ſo manche gute Nachricht verdanken, der Pfleger Geroldseck, mehrere Prädicanten,1Nach Accolti (in Epistolis Sadoleti VII, 273) blieben von 300 Senatoren nur ſieben uͤbrig. Die Wahrheit iſt, daß 7 Mit - glieder des kleinen und 19 Mitglieder des großen Rathes in der in der Mitte ſei -1vor Zyten ettliche huͤſer und ſchuͤren geſtanden ſind, daher mans ge - nambt hat, wie es noch heißt zu oder uff Schuͤren. Bulling III, 111.365Zwingli’s Tod.ner Heerde auch Zwingli. Die Feinde durchzogen ſchon ſiegestrunken und plündernd das Schlachtfeld, als er noch athmend dalag, unter einem Birnbaum; die Hände ge - faltet, die Augen gen Himmel gerichtet. Wagen wir zu viel wenn wir annehmen, daß, als er ſo verblutend da - lag, ſeine Seele ſich noch einmal einen Gedanken vergegen - wärtigte, den er zuletzt in trüben Ahnungen ausgeſprochen? Die Zukunft der Eidgenoſſenſchaft, in dem Sinne, wie er ſie beabſichtigt, mußte er wohl aufgeben, die Zukunft der Kirche und des Evangeliums wird er unerſchütterlich feſt - gehalten haben. So fanden ein paar gemeine Kriegsleute den Sterbenden, ermahnten ihn, einem Prieſter zu beich - ten, oder da das ſchon zu ſpät ſchien, wenigſtens die Jung - frau Maria und die Heiligen in ſein Herz zu faſſen. Er antwortete nicht mehr, er ſchüttelte nur mit dem Kopfe; ſie wußten nicht, daß er der Zwingli war; ſie meinten ir - gend einen namenloſen verſtockten Ketzer vor ſich zu ha - ben, und gaben ihm den Todesſtoß. Erſt den andern Tag bemerkte man, daß man unter ſo viel andern namhaften Männern auch Zwingli getödtet; alles kam herbei ihn zu ſehen. Einer ſeiner Bekannten aus Zug verſichert, das Geſicht des Todten habe den Ausdruck gehabt, wie wenn ihn in der Predigt das Feuer des Gedankens ergriff. Was hätte aber den Gegnern, den Jahrgeldsbeziehern erwünſch - ter ſeyn können als dieſer Anblick? Sie beſetzten ein Un - gericht über Zwingli, viertheilten ſeinen Leib, verbrannten denſelben und ließen die Aſche vom Winde verwehen.

1Schlacht geblieben ſind; außerdem 60 gemeine Ehrenbuͤrger und 7 Geiſt - liche (quam plurimi sacerdotes!). Bullinger zaͤhlt ſie alle auf. Die uͤbrigen waren von der Landſchaft. Acc. rechnet freilich die Zuͤricher auf 20,000 M.

366Sechstes Buch. Viertes Capitel.

Damit waren jedoch die fünf Orte noch nicht voll - kommen Sieger und Herren in der Eidgenoſſenſchaft. Die Züricher entſchloſſen ſich jetzt, den Paß über den Albis zu beſetzen, und ſammelten unter dieſem Schutz ihre Kräfte. Gar bald hatten ſie aus Eingebornen und Bundesgenoſſen ein Heer von 12000 M. im Feld. Indeß war auch Bern aufgebrochen. Man berechnet die Schaar von Bern, Ba - ſel und Biel auf eine gleiche Anzahl. Wie nun dieſe Heere ſich zu Bremgarten vereinigten, ſahen die fünf Orte wohl, daß ſie gegen ſo große Maſſen nichts ausrichten würden, verließen die ausgeplünderten Gebiete und begaben ſich wie - der nach Zug, wo ſie bei Bar am Boden lagerten.

Und nun ſchien es wohl, als könne von ſtädtiſcher Seite ein Angriffskrieg geführt werden, wie ihn Zwingli immer gerathen hatte. Die Städte zogen in der That ihren Feinden nach. Allein wie ſehr waren nun die Umſtände verändert.

Die fünf Orte waren durch den erſten Sieg trotziger geworden, als ſie jemals geweſen; dagegen bemerkte man, daß es unter den Städten an einem Antrieb fehlte, wie ihn Zwingli vielleicht gegeben haben würde. Zürich vermißte überhaupt ſeine beſten Leute; man ſagte da wohl, man habe aus ſeinem Getreide den Roggen verloren; die Ber - ner hatten niemals großen Kriegseifer gezeigt. So kam es, daß man nicht mit dem nöthigen Nachdruck zu Werke ging. Man verſäumte den Feind in dem günſtigen Mo - ment anzufallen, als er ſeine Stellung veränderte. Als man ſich dann entſchloß, das nunmehr ſehr feſte Lager deſ - ſelben von zwei Seiten zugleich, vom Zuger Berg und vom367Treffen am Zuger Berg.Thal her, anzugreifen, und zu dem Ende den Berg beſetzte, that man das doch mit ſo wenig Gewandtheit und Vorſicht, daß der Feind, den man hatte überraſchen wollen, ſelber Gelegenheit bekam, einen Ueberfall auf die Heeresabtheilung am Berg auszuführen1 Das was ungfar um die zwei nach Mitternacht Morgens Zinſtag den 24. Octobris. Maria, die Mutter Gottes war dero Nacht ihr Kriegszeichen. Kurzer Bericht. und ihr einen nicht geringen Verluſt beizubringen. Die Städte fühlten trotz ihrer Uebermacht hierauf nicht mehr den Muth, dem tapfern und ſiegreichen Feind ernſtlich zu Leibe zu gehn. Sie dachten nur noch ihn durch ein Winterlager, das ſie um ihn her ziehen wollten, allmählig zu ermüden.

Wie waren da die kühnen Plane, die Zwingli einſt gehegt, ſo völlig geſcheitert! Wir ſehen wohl, daß das politiſch-religiöſe Prinzip, das er repräſentirte und verthei - digte, doch auch in Zürich nicht ſo ſtark war, wie er ge - wünſcht hatte, noch viel weniger aber in Bern. Es ver - mochte die nun einmal vorhandenen Elemente nicht ganz zu beleben, zu durchdringen. In den entſcheidenden Momenten wurden falſche Maaßregeln ergriffen, deren Grund immer der Mangel an Eintracht und großartiger Energie war, die allein zum Ziele hätten führen können.

Hatte man aber bei dem Beginn dieſer Bewegungen katholiſcher Seits Unfälle gefürchtet, ſo machte[eine] ſo un - erwartete glückliche Wendung derſelben auch die größten Hoffnungen rege.

Mit unverhehltem Jubel gab Ferdinand ſeinem Bru - der von dem Tode des großen Ketzers Zwingli und der368Sechstes Buch. Viertes Capitel.Schlacht bei Cappel Nachricht. Es ſey das Erſte, was wieder einmal zu Gunſten des Glaubens und der Kirche geſchehn.

Als auch aber hierauf die Nachricht von dem zweiten glücklichen Treffen einlief, fing er an Pläne zu entwerfen. Er erinnerte ſeinen Bruder, wie gnädig ſich Gott den Ver - theidigern ſeiner Sache beweiſe. Wäre der Kaiſer nicht ſo nahe, ſo würde er ſelbſt, ſo ſchwach und arm er auch ſey, zur Fortſetzung ſo heiliger Unternehmungen ſchreiten. Jetzt aber könne er wenigſtens nicht unterlaſſen ihn dazu zu er - mahnen, ihn, das Haupt der Chriſtenheit; nie könne eine ſchönere Gelegenheit ſich zeigen, Ruhm zu erwerben. Ohne die Schweiz ſeyen die deutſchen Secten leicht zu bezwin - gen. Er räth ihm, den katholiſchen Kantonen offen oder insgeheim zu Hülfe zu kommen. Er geht ſo weit, dem Kaiſer zu ſagen, das ſey der wahre Weg für ihn, die Glau - bensſtreitigkeiten zu beendigen und Herr von Deutſchland zu werden. 11. Nov. Vra Magestad a la qual suplico quiera mirar lo que ymporta y usar de la occasion y opportunidad del tiempo, pues es el mas a proposito, que se pudo desear i camino para remediar las quiebras de nuestra fe y ser Va Md senor de Alemanna y hazer una cosa la mas sennalada que in nuestros tempos se ha hecho.

Und keineswegs unempfänglich war Carl V für Com - binationen dieſer Art. Er antwortete, der gute Rath ſei - nes Bruders leuchte ihm immer mehr ein, je länger er ihn überlege; etwas zu thun verpflichte ihn die Würde die er bekleide, die Fürſorge für die rechtgläubigen Fürſten, die Pflicht, die Chriſtenheit und das gemeine Weſen zu verthei - digen, und die Rückſicht auf ihr Haus Oeſtreich.

369Einwirkung des Kaiſers.

Den fünf Orten waren im Lager am Zuger Berg einige italieniſche Fähnlein zugezogen; wir erfahren aus dem Briefe, daß dieß mit Vorwiſſen des Kaiſers geſchehn war; er meint, daß auch jede künftige Hülfe im Namen des Papſtes geſchehen müſſe. 1Bruxelles 2 Nov. 1531. Archiv zu Bruͤſſel.

Indeſſen blieb er hiebei nicht ſtehen. Unverzüglich ließ er den König von Frankreich auffordern, die fünf Orte zu unterſtützen, und den ungläubigen Cantonen förmlich den Krieg zu machen.

Bei König Franz aber, der die enge Verbindung der fünf Orte mit Oeſtreich ſehr ungern geſehen, ein Gegen - gewicht gegen dieſelben in den übrigen Cantonen zu erhal - ten wünſchte, mit dieſen ſogar noch kurz vor der Kata - ſtrophe in Unterhandlung getreten war, fand er wenig An - klang. Der König rechnete dem Geſandten alle die Zahlun - gen her, die er in Folge ſeiner Verpflichtungen von Cam - brai habe machen müſſen. Habe er jetzt von ſeiner Mut - ter etwas geerbt, ſo wolle er das zur Vertheidigung ſeines Reiches aufbewahren. Der Kaiſer, fuhr er dann immer bitterer und gereizter fort, habe ihm die Hände für alle Dinge gebunden, wo etwas zu gewinnen ſeyn würde; nur da finde er ihn gut, wo es nichts davon zu tragen gebe als Schläge und Koſten, gegen die Türken und die Schweizer. 2Lettre du roi a Mr. d’Auxerre21 Nov. MS. Bethune 8477. Pour la guerre du Turc ou des Suisses, ou il n’y a que coups et despenses d’argent.

Auch mit dem venezianiſchen Geſandten in Mailand ward unterhandelt. Der päpſtliche Nuntius, Biſchof vonRanke d. Geſch. III. 24370Sechstes Buch. Viertes Capitel.Veroli, bat die Republik um die Erlaubniß, zweitauſend Spanier durch das Gebiet von Bergamo in die Schweiz zu ſchicken. Gleich der Geſandte, Johann Baſadonna, ging jedoch nicht darauf ein. Er wollte die Vollmacht des Nun - tius ſehen, machte demſelben bemerklich, daß die Spanier eingreifend in den innern Krieg der Eidgenoſſenſchaft, ſich leicht zu Herren derſelben aufwerfen könnten, und bewirkte, daß er ſein Geſuch ſelber wieder fallen ließ. Der Nuntius begab ſich perſönlich in die Schweiz. Er äußerte die Hoff - nung, die Abgefallenen durch Freunde und Geld wieder zum alten Gehorſam gegen den römiſchen Stuhl zu vermögen. 1Relatio V. N. Joannis Basadone. Come el mi disse, an - dava cum proposito di rimover Lutherani dalla loro mala opi - nione con mezzo di alcuni suoi amici e cum danari. Archiv zu Venedig.

Man ſieht: an dem Kaiſer und ſeinem Bruder lag es nicht, daß ſich an den Sieg der fünf Orte nicht ſogleich ein allgemeines Unternehmen zur Wiederherſtellung des Katho - licismus in der Schweiz knüpfte.

Indeſſen hatten aber die Schweizer ſchon ſelbſt auf eine Beilegung ihrer Streitigkeiten Bedacht genommen.

Das ſtädtiſche Heer war viel zu wenig in Ordnung, um das Feld zu behaupten, als die ſchlechte Jahreszeit an dem Gebirg eintrat. Da nun die fünf Orte wieder zum Angriff ſchritten, mußte erſt Zürich, dann auch Bern ſich zu dem Frieden bequemen, den dieſelben vorſchrieben.

Er war eben das Widerſpiel des letzten Landfriedens. Jetzt mußten die Städte die Bündniſſe herausgeben, die ſie mit Auswärtigen geſchloſſen, und in einer oder der an - dern Form Kriegskoſten zahlen.

371Reſtaurat. des Katholicismus in der Schweiz.

Ihre Religion ward ihnen gelaſſen. So tief waren ſie nicht heruntergebracht, daß man ihnen ſelbſt die hätte antaſten dürfen; ſie hatte einige Verluſte erlitten, ihr An - griff war mißlungen, aber beſiegt, überwältigt waren ſie nicht.

Allein dahin waren ſie doch gebracht, daß ſie in eine gewaltige Beſchränkung ihres politiſch-religiöſen Einfluſſes willigten. Die fünf Orte behielten ſich vor, nicht allein die Landſchaften, welche ihnen näher zugehörten, Rapperſchwyl, Toggenburg, Gaſter und Weſen, ſondern auch die, wo die Städte an der Gewalt Antheil gehabt, die freien Aemter in Aargau, Bremgarten und Mellingen, für ihren Abfall zu züchtigen. In den übrigen gemeinen Vogteien, ſollte es denen, welche den neuen Glauben angenommen, zwar nicht geboten, aber doch geſtattet ſeyn, zu dem alten wah - ren chriſtlichen Glauben zurückzutreten. Ausdrücke dieſer Art ließen ſich die Städte in der ganzen Urkunde gefallen. 1Die Urkunde des Landfriedens in Hottingers Anhang zu Bd. II, neu mit dem Original collationirt.

Und ſchon hatte, als Bern dieſen Frieden annahm, die Reſtauration des Katholicismus allenthalben begonnen.

Gleich nach der Cappeler Schlacht hatte ſich die ka - tholiſche Minorität in Glarus geregt, die ſchon beſchloſſene Hülfleiſtung des Cantons rückgängig gemacht, auch die dem - ſelben Zugehörigen abgemahnt, und ihrerſeits ſo viel wie möglich die Wendung befördert, welche die Dinge nahmen. Gar bald mußten ihr wieder eine Anzahl von Kirchen ein - geräumt werden, und auf die allgemeinen Geſchäfte des Can - tons übte ſie ſeitdem bei weitem größern Einfluß aus, als die evangeliſche Partei, die ſich durch die großen Verluſte ihrer24*372Sechstes Buch. Viertes Capitel.Glaubensgenoſſen gelähmt fühlte. Daher fand Schwyz kei - nen Widerſtand mehr, als es ſich Gaſter und Weſen unter - warf, die alten Freiheiten vernichtete, Altäre, Bilder und Meſſe wiederherſtellte. Mit Schwyz und Uri bildete Glarus jetzt die Mehrheit unter den Schirmherrn, welche den Abt von St. Gallen wieder zurückzuführen unternahm. Sein Klo - ſter ward ihm zurückgegeben, die Stadt mußte ſich zu ſchwe - ren Entſchädigungen verſtehen. Die Gotteshausleute wur - den aufs neue als Unterthanen betrachtet und der Abt behaup - tete, ſelbſt daran nicht gebunden zu ſeyn, was etwa im Landfrieden zu ihren Gunſten vorkam, denn er ſey ein freier Herr und der Schirm der Orte könne ihm für ſeine Regie - rung kein Maaß geben: ſie ſind allmählig wieder katholiſch geworden. Glücklicherweiſe hatte ſich Toggenburg noch in dem letzten Moment, bei ſeinem Abzuge von den Städten, beſſer geſichert; es ward ſeiner Religion und ſeiner Frei - heiten nicht vollkommen entſetzt, wie viel es auch daran verlor. Der Abt bediente ſich aller derer, die in den letz - ten Unruhen aus dem Lande getrieben worden waren, jetzt zur Regierung deſſelben.

Indeſſen war auch Rapperſchwyl wieder herbeigebracht worden. Bei der Nachricht von den Vortheilen ihrer Glau - bensgenoſſen erhoben ſich die Katholiſchen; durch einen Zu - ſatz von Schwytz verſtärkt, bekamen ſie völlig die Ober - hand. Die Häupter der evangeliſchen Partei mußten flie - hen oder ſie wurden getödtet. Damals lebte dort ein ge - ſchickter Büchſenſchmidt, Michael Wohlgemuth aus Cöln, der den Muth hatte, ſich im Styl der alten Zeit zu ver - theidigen; er verbollwerkte ſein Haus, legte ſeine Büchſen373Reſtaurat. des Katholicismus in der Schweiz.an die Fenſter und wehrte ſich eine Zeitlang tapfer und glücklich, bis man endlich große Stücke auf Rädern gegen ihn auffuhr und ihn gefangennahm. Unter gräulichen Mar - tern ward er umgebracht. Von den Uebrigen unterwarfen ſich Einige; Andere wurden in den Thurm gelegt, noch Andere verjagt. 1 Schon am 19. November hielt man wieder Meſſe.

In Aargau machten die fünf Orte das volle Recht des Siegers geltend. So wie ihre Fähnlein erſchienen, wi - chen die Prädicanten, es ward ihnen von den Deutſchen, beſonders aber von den Wälſchen der Tod gedroht. Brem - garten und Mellingen mußten ſich ausdrücklich verpflichten, die bisherigen Gebräuche herzuſtellen. Der alte Schultheiß Mütſchli, der Bremgarten bisher regiert, lag im Sterben, als ihm die neueingeſetzte katholiſche Behörde den Befehl zugehn ließ, Bremgarten zu verlaſſen. Er antwortete, er wolle ihr nicht mehr lange beſchwerlich ſeyn. Er ſtarb ſehr bald und iſt in Oberwyl begraben worden.

In Thurgau und Rheinthal ließ der Friede den fünf Orten nicht ſo freie Hand; ſie mußten ſich begnügen die Klöſter herzuſtellen, die nun aber ihre alten Gerechtſame wiedererlangten.

Dagegen bekamen die Katholiſchen zu Solothurn voll - kommen das Uebergewicht. Bei ſiebzig evangeliſche Fami - lien mußten die Stadt verlaſſen.

Es war die zweite Reſtauration des Katholicismus, der wir in unſerer Geſchichte begegnen, nicht ſo blutig wie die erſte, die in Oberdeutſchland nach dem Bauernkrieg ein - trat, aber eben ſo durch Kriegsereigniſſe hergeführt, doch auch gewaltſam, und bei weitem nachhaltiger. Hier an den Alpen374Sechstes Buch. Viertes Capitel.wurde gleich damals das Verhältniß der beiden Bekenntniſſe im Ganzen ſo feſtgeſtellt, wie es dann die folgenden Jahr - hunderte ausgehalten.

Selbſt auf die evangeliſchen Cantone wirkten die Ideen der Reſtauration zurück. Die Conſtafel in Zürich trat wie - der in die verlornen Rechte ein. Man war ſchon zufrie - den, wenn nur der Katholicismus ſich nicht wieder regte. Der große Rath mußte der[Landſchaft] Verſicherungen ge - ben, durch die er ſich nicht wenig beſchränkte.

Der Krieg hatte nur anderthalb Monate gedauert, aber er hatte die Zukunft der Schweiz vollkommen umgewan - delt. In Bullingers Chronik findet ſich am Schluß eine kurze Zuſammenſtellung deſſen, was beabſichtigt worden, und deſſen was wirklich eingetreten war. Gewollt hatte man die einhellige Einführung des Evangeliums, die Er - niedrigung der Oligarchen, die Abſchaffung der Mehrheit der fünf Orte; der Erfolg war, daß die neue Lehre in vielen Gegenden, wo ſie ſchon herrſchte, ausgerottet, das Papſtthum dagegen wieder hergeſtellt wurde, daß die fünf Orte nunmehr erſt zu einem vollen Uebergewicht gelang - ten, die Oligarchen mehr vermochten als jemals. 1Bullinger III, 353. Den Zuſtand ſchildert beſonders ein Aufſatz, den Leo Judaͤ zu ſeiner Rechtfertigung verfaßte. Es ſind zwo große Parteien in Zuͤrich, die eine wil Gottes wort ſchirmen und aller Gerechtigkeit wieder herfuͤr helfen, die andere wil alle unerbar - keit pflantzen und das Wort Gottes ußruͤthen, das Bapſtthum wie - der aufrichten, wieder kriegen und penſionen nemen. Da wil nun die Frommen bedunken, daß die Partei allweg mehr Gunſt und Foͤrde - rung habe denn ſie. Die Ehrbarkeit iſt zerrüttet, ein muthwillig Regiment iſt ange - richtet worden, ſagt Bullinger: des Herrn Rath - ſchläge ſind wunderbar.

[375]

Fuͤnftes Capitel. Reformation in den niederdeutſchen Städten. Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bündniſſes.

Der reformatoriſche Geiſt hatte zwei von einander ſehr verſchiedene Bildungen entwickelt; die eine, von weitausſe - hendern poſitiven Tendenzen; wie in der Lehre, ſo in ih - rer politiſchen Haltung, zu unbedingtem Verwerfen des Her - kömmlichen geneigt, und zum Angriff fertig; die andere auch in der Lehre ſo viel wie möglich conſervativ, politiſch nur mit Mühe zu entſchloſſener Vertheidigung zu bringen.

Von dieſen war nun die eine in ihrem Vorhaben ge - ſcheitert. Ganz von ſelbſt mußte geſchehen, daß die Kraft des ſich vollziehenden Ereigniſſes ſich hierauf an die andre anſchloß. Der ſchmalkaldiſche Bund trat den Wi - derſachern gegenüber um ſo nachdrücklicher auf, da die al - ten Nebenbuhler fürs Erſte nicht mehr mit ihm wetteiferten.

Die oberländiſchen Städte hatten ſich ſchon in den confeſſionellen Bewegungen dem religiöſen Prinzip des ſchmal - kaldiſchen Bundes ſo viel wie möglich angenähert; jetzt war ihnen auch politiſch, da ihre ſchweizeriſchen Verbün - deten genöthigt worden, das mit ihnen geſchloſſenen Bür -376Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.gerrecht aufzulöſen, kein andrer Rückhalt übrig geblieben, als die Macht der einverſtandenen deutſchen Stände.

Ihre eigne Gefahr war durch das Unglück der Schwei - zer noch gewachſen. Man kannte die Theilnahme, welche am Hofe König Ferdinands den eidgenöſſiſchen Angelegen - heiten gewidmet worden war, man wollte von Rüſtungen wiſſen, die im Elſaß, Breisgau und Sundgau vorgenom - men würden.

Jetzt trugen nun die Oberländer kein Bedenken mehr, auf die definitive Berathung der Kriegsordnung einzugehn. Es geſchah zunächſt auf einer Verſammlung zu Nordhau - ſen im November 1531.

Ehe wir aber die Verfaſſung, die der Bund ſich als - dann gab, betrachten, müſſen wir uns noch die Entwicke - lung vergegenwärtigen, welche die Sache der Reform mitt - lerweile in den niederdeutſchen Städten genommen hatte.

Reform in den niederdeutſchen Städten.

Die erſte Stadt, die zu den Fürſten getreten, war, wie wir wiſſen, Magdeburg. Hier, wo man auf Reichs - unmittelbarkeit Anſpruch machte, und ſich erſt ſeit Kurzem mit vielem Verdruß dem Anſchlag des Erzbiſchofs zuge - wieſen ſah, wo Luther zur Schule gegangen, und ihm von dieſer Zeit her perſönliche Freunde lebten, die nun auch zu Aemtern und Anſehn gelangt waren, hatten ſeine Ideen ſehr früh die ganze Bürgerſchaft ergriffen. Eines Tages ſang ein alter Tuchmacher dort am Denkmal Otto’s des Gr. ein lutheriſches Lied, und bot zugleich Exemplare davon feil. Der Bürgermeiſter Rubin, der aus der Meſſe kom -377Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Magdeburg.mend da vorüberging, ließ ihn feſtnehmen. Aber ſchon be - durfte es nichts mehr, um das ſchlummernde Feuer zu wecken. Von den Zuhörern des Alten breitete ſich die Be - wegung über die ganze Stadt aus. Die Bürger, welche hier ſchon ſeit 1330 weſentlichen Antheil an den weltlichen Angelegenheiten nahmen, waren der Meinung, daß ihnen ein nicht geringerer auch an der Verwaltung der geiſtlichen zukomme. Zuerſt, noch an demſelben Tage, 6. Mai 1524, ſchritt die St. Ulrichsgemeine dazu, ſich in den Beſitz die - ſes Rechtes zu ſetzen. Sie kam auf dem Kirchhof zuſam - men und beſchloß, acht Männer aus ihrer Mitte zu wäh - len, die mit ihrer Zuſtimmung in Zukunft das Kirchenre - giment verſehen und Prediger wählen ſollten. Dieſem Bei - ſpiele folgten alle andern Gemeinden; der Rath fand ſich nicht berufen, es zu verhindern. Zur Seite der katholi - ſchen Pfarrer wurden allenthalben evangeliſche Prediger gewählt.

Unmöglich aber ließ ſich ein Zuſtand dieſer Art lange behaupten. Die Pfarrer verwalteten die Meſſe nach altem Ritus; die Prediger griffen nichts eifriger an als eben die Meſſe. Es wurde keine Ruhe, bis die Pfarrer entweder übertraten, wie M. Scultetus bei der Petrigemeinde, oder ſchwiegen oder entfernt wurden. Die Kirchſpiele St. Jo - hann und St. Ulrich, eröffneten eine förmliche Verhandlung mit dem Probſt zu U. L. Fr., und da ſich dieſer weigerte, ihnen Pfarrer nach ihrem Sinne zu bewilligen, ſo ſagten ſie ſich feierlich von ihm los, um ihre Zuflucht zu nehmen zu dem einigen ewigen, mit dem göttlichen Eide beſtätigten allerhöchſten Pfarrer, Seelſorger, Biſchof und Papſt, Jeſu378Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.Chriſto, bei dem als bei ihrem Hauptmann wollen ſie rit - terlich fechten. 1Urſach und Handlung in der kaiſ. loͤbl. und chriſtl. Stadt Magdeburg ein chriſtlich weſen und wandel belangende. Von Wolff Cycloff den Erznei Dr. 1524. Abgedruckt in Hahn’s Collectio Monumentorum II, 459.Am 17. Juli 1524 ward in allen Kir - chen der Altſtadt ein Abendmahl nach Luthers Weiſe ge - halten. Hierauf verſammelten ſich Rathsherrn und Hun - dertmänner in ihrem Harniſch; die Bürgerſchaft nach ihren fünf Vierteln mit Büchſen und Hallbarden; ſie ſchwuren einander, ſich treulich beiſammen finden zu laſſen, wenn der Stadt durch die Abſchaffung der Meſſe Noth entſtehe. Man zweifelte nicht, der Erzbiſchof Cardinal Albrecht werde Ernſt gegen ſie brauchen. Sie eilten einen Canal von der Elbe nach den Stadtgräben zu ziehen, um dieſe nöthigenfalls mit Waſſer zu füllen; die Wälle wurden erhöht, die Palliſaden mit Böcken verſehen, die Arbeiter in den Werkſtätten mit einer kleinen Beſoldung in Dienſt genommen. Sie waren entſchloſſen, die in Beſitz genommene geiſtliche Autonomie mit Leib und Leben zu vertheidigen. Die Zeit ſollte ein ander Mal eintreten, wo ihr Entſchluß geprüft werden würde; damals kam es nicht ſo weit. 2Sebaſtian Langhans, damaliger Moͤllenvoigt hat eine Ge - ſchichte des Jahres 1524 hinterlaſſen, deren Abdruck wohl zu wuͤn - ſchen waͤre. Bis dahin ſind Rathmanns Auszuͤge und ſonſtige Zu - ſammenſtellungen (III, 346 400) ſehr brauchbar.

Einen ſehr ähnlichen Gang nahm die Sache ein paar Jahre ſpäter in Braunſchweig. Man las unter den Bür - gern die Bücher Luthers, die Bibelüberſetzung; hauptſäch - lich fühlte man ſich von ſeinen Liedern ergriffen; in allen Häuſern ſang man ſie, die ganze Schuhſtraße erſcholl da -379Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Braunſchw.von. Nun hatte ſich auch hier eingeführt, daß die Pfar - rer, welche die Pfründe genoſſen, das Amt der Predigt ge - mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen nannte. Man darf ſich in der That nicht wundern, wenn dieſe ſich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür - gerſchaft anſchloſſen. Zuweilen ſtimmte wohl einer von ihnen ſelbſt ſtatt des Hymnus zum Lobe der Maria eins von jenen neuen deutſchen Liedern an, in welches dann die Gemeinde feurig einfiel.

Schon wollte dieſe keine Predigten von anderm Inhalt mehr dulden. Scholaſtiſche Demonſtrationen wurden mit Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Kleriſei berief einen der angeſehenſten altgeſinnten Prediger, den man in dieſen Gegenden kannte, der in Behandlung dieſer Streitfragen ſchon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver - mochte derſelbe nichts auszurichten; beim Schluß ſeiner Pre - digt rief ihm ein Bürger zu: Pfaffe du lügſt und ſtimmte das neue lutheriſche Lied an, ach Gott vom Himmel ſieh darein, was die Gemeinde freudig nachſang.

Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel, als daß ſie den Rath erſuchten, ſie ihrer abgefallenen Ver - weſer wieder zu entledigen.

Aber eben darum ſchloß ſich die Gemeinde nur deſto enger an dieſe an. Stadt und Vorſtädte vereinigten ſich, ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der noch jener ältern literariſchen Richtung der Neuerung an - gehörte; ſie erſuchten nun ihrerſeits den Rath, die Pfarrer zu entfernen.

380Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Anfangs neigte ſich der Rath mehr zu der beſtehen - den Ordnung der Dinge; aber am Ende riß auch ihn die populäre Bewegung mit ſich fort. Es waren die Zeiten, wo man in Folge des Reichsſchluſſes von 1526 allenthal - ben reformirte, namentlich auch in dem nahen Lüneburgi - ſchen: Herzog Heinrich von Braunſchweig-Wolfenbüttel, der ſich ohne Zweifel widerſetzt haben würde, war gerade auf ſeinem Kriegszuge in Italien begriffen. Unter dieſen Umſtänden faßte der Rath 13. März 1528 den Beſchluß, daß in Zukunft nur das lautere Gotteswort gepredigt wer - den ſolle, und man das Abendmahl wohl auch unter bei - derlei Geſtalt austheilen, die Taufe deutſch verwalten möge. Von Wittenberg kam Dr. Bugenhagen herüber, um der neuen Ordnung der Dinge eine Form auf immer in Lu - thers Sinne zu geben. 1Am ausfuͤhrlichſten berichtet hieruͤber Rehtmeiers Kirchenhi - ſtorie der Stadt Braunſchweig Thl. III, deren Quelle hiebei einen gleichzeitigen Bericht von Heinrich Lampe, Prediger zu St. Michae - lis iſt, was ſich kurz vor und nach Annemung des h. Evangelii all - hie zu Braunſchweig in Kirchenſachen zugetragen; auch Gasmers Leichenrede auf Lampe, die bei Lenz: Braunſchweigs Kirchenreforma - tion 1828, zu Grunde liegt, iſt wohl hauptſaͤchlich aus jenem Be - richt gezogen.Der Herzog von Lüneburg ver - ſprach der Stadt ſeinen Schutz. 2Herzog Ernſt erwaͤhnt in einem Briefe 2. Februar 1531 ei - ner fruͤhern Verſchreibung mit Braunſchweig, worin ſie einander zu - geſagt: in Sachen das goͤttliche Wort betreffend und was dem an - hengig irs Leibs und Guts Vermoͤgen bei einander aufzuſetzen. (W. A.)

So ging es nun in den meiſten Städten dieſer Lan - desart. Ueberall erſcheinen einzelne Prediger, dringen die Lieder ein, nimmt die Gemeinde Antheil. Der Rath ſetzt anfangs mehr oder minder Widerſtand entgegen, fügt ſich aber am Ende. In Goßlar wurden funfzig Männer aus381Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Hamburg.den verſchiedenen Pfarren aufgeſtellt, welche die Sache durch - ſetzten; in Göttingen kam es zu einem Aufruhr, da die Vorſteher der Gemeinde ihr anfangs ſelbſt Widerpart hiel - ten; in Eimbeck bequemte ſich der Rath auf Andringen der Gemeinde eben die Prediger wieder zu berufen, welche er auf Bitte der Chorherrn vor kurzem entfernt hatte.

Wir erinnern uns der heftigen Bewegungen, welche 1510 16 in allen Städten, auch in den niederdeutſchen ausgebrochen waren. Jetzt entſtand die Frage, in wie fern der religiöſe Impuls ſich mit dieſer demokratiſchen Regung vereinigen, ob nicht alsdann eine vorzugsweiſe politiſche Tendenz die Oberherrſchaft bekommen werde.

In dieſer Hinſicht finden wir nun einen großen Un - terſchied unter den Städten.

Es gab ſolche, wo ſich Rath und Gemeinde noch zur rechten Zeit vereinigten. Da wurden die Städtever - faſſungen erſt während der Bewegungen wahrhaft ſtark. Denn nicht allein, daß ſie ſich des Einfluſſes der fremden Prälaten, der ihnen immer beſchwerlich geweſen, entledigten, ſondern durch die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten und der Kirchengüter, die ihnen zufiel, bekamen ſie auch ein gemeinſchaftliches Intereſſe, das ſie noch enger verei - nigte. In Magdeburg bildeten ſich aus Mitgliedern des bisherigen Rathes und den neugewählten Vorſtehern der Gemeinden die Kirchencollegien aus,1Vgl. Rathmann IV, II, 28. welche der ohnehin etwas demokratiſchen Stadtverfaſſung noch eine neue Stärke verliehen. Ohne Zweifel am merkwürdigſten iſt in dieſer Hinſicht Hamburg. Man folgte auch hier dem Rathe Lu -382Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.thers, welchen Bugenhagen dann theoretiſch in Büchern1In dem Anhang zu der Schrift vom rechten Glauben, welche Bugenhagen 1526 hochdeutſch und niederdeutſch herausgab und Buͤr - germeiſter, Rathsleuten und der ganzen Gemeinde der ehrenreichen Stadt Hamburg widmete. und praktiſch durch ſeine Einrichtungen in Braunſchweig weiter ausgebildet, bei jedem Kirchſpiele Gotteskaſten zu errichten, um aus dem Kirchenvermögen die Bedürfniſſe der Pfarrer und Schulen zu beſtreiten, und Fürſorge für die Armen zu tragen, und wählte zu Vorſtehern derſelben zwölf angeſehene Bürger, die zum Theil ſchon früher das Amt von Kirchengeſchwornen bekleidet, denen man aber jetzt noch 24 Mitglieder jedes Kirchſpiels an die Seite ſetzte. Aehn - lich war man auch in den meiſten andern Städten ver - fahren: Hamburg unterſcheidet es, daß die Einrichtung zu einer neuen politiſchen Organiſation diente. Die Kirch - ſpielsvorſteher bildeten das Collegium der Acht und vierzig und mit ihren Beigegebenen vereinigt das der Hundert vier und vierzig, zwei Collegien, die als eine wahre Re - präſentation der erbgeſeſſenen Bürgerſchaft angeſehen wer - den konnten. Ueberdieß richtete man noch einen fünften Hauptkaſten ein, bei welchem die Verwaltung des geſamm - ten Kirchenvermögens ſich vereinigen ſollte,2Nichtesdeweyniger ſchollen de veer Kiſten in den Carſpel - karcken, wo ſe nu ſtahn, tho Verſamelinge der Almiszen blyven, ſo doch, dathme allendt wes bether tho daeinn gegeven, und hyrnamals tho allen Tyden darinn gegeven werden mag, alles getrouwlik in und by de Hoͤvetkyſten preſentere und averantwehrde Urkunde der Stiftung der Overalten; Michaelistag 1528. und ernannte hiezu die drei Oberalten der verſchiedenen Kirchſpielvorſte - her. Dieß geſchah mit Vollwort eines ehrbaren Rathes, am Michaelistag 1528. Es leuchtet ein, welche Bedeutung383Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Bremendieſes Collegium für die Ewickelung der Stadt bekommen konnte, und man weiß, daß es dieſelbe wirklich gehabt hat. Nach dreihundert Jahren hat man noch den Tag der erſten Einrichtung derſelben mit ſtädtiſchen Feſtlichkeiten begangen. 1Lappenberg: Programm zur dritten Saͤcularfeier der buͤrger - ſchaftlichen Verfaſſung Hamburgs am 29. September 1528, worin gelehrt und belehrend ausgefuͤhrt wird, was die Reden des Buͤrger - meiſters Bartels und des Praͤſes der Oberalten Ruͤcker populaͤrer an - deuten oder entwickeln.

Auch in Roſtock ſchloſſen ſich Rath und Bürgerſchaft im Gegenſatz gegen die meklenburgiſchen Fürſten, welche ſich im Jahr 1531 einen Augenblick der katholiſchen Geiſt - lichkeit annahmen, nur um ſo enger an einander. 2Rudlof N. Geſch. Mklnbg. I, 81.

Aber nicht allenthalben kam es zu dieſem friedlichen Einverſtändniß. In Bremen, wo die Kirchen ſchon 1525 in die Hände lutheriſcher Prediger gerathen, ſchon 1527 die beiden Klöſter der Stadt, das eine in eine Schule, das andre in ein Spital verwandelt worden waren, hatte ſich in der Bürgerſchaft, während der unaufhörlichen Streitig - keiten, in die ſie mit der Geiſtlichkeit am Dome verwickelt war, ein ſo heftiger Widerwille gegen dieſelbe gebildet, daß ihr noch nicht genügte, ſie ihres geiſtlichen Einfluſſes auf die Stadt beraubt zu haben. Sie erhob vielmehr Anſpruch auf eine ganze Anzahl von Wieſen, Gärten und Kämpe, welche der Dom der Stadt unrechtmäßig entriſſen habe; und da der Rath ihr hierin nicht beipflichtete, ſo wählte ſie ſich einen demokratiſchen Vorſtand von hundert und vier Männern, der nun nicht allein dieſe Sache durch - zufechten, ſondern die geſammte Verfaſſung zu ändern384Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.ſuchte, ihre bisherigen Grundlagen, Tafel und Buch um - ſtürzte, überhaupt auf das gewaltſamſte verfuhr und end - lich nur durch die entſchloſſene Entwickelung einer bewaff - neten Macht beſeitigt werden konnte. 1Roller Geſchichte von Bremen II, p. 380 u. f.

Und noch viel weitausſehender waren die Bewegungen in Lübek.

Hier hatten ſich die vornehmen Geſchlechter auf das engſte mit der Geiſtlichkeit vereinigt; Capitel, Rath, Jun - ker und große Kaufleute bildeten nur Eine Partei. 2Die Prieſterſchaft war beſonders durch die Stiftung der Vicarien ſehr zahlreich geworden. In der Mitte des funfzehnten Jahrhunderts gab es in Luͤbek am Dom 59, an Marien 51, an Petri 22, an Jacobi 16, an Aegidien 13 und an den Nebenkirchen noch 8 Vicare. Es waren meiſtens Verwandte Derjenigen, welche das Capital zur Leſung einiger Seelmeſſen geſtiftet. Vgl. Grautoff Schriften I, 266. Die Verſchreibung uͤber das Capital blieb in den Haͤnden der Proviſoren.Da - gegen regte ſich das religiöſe Begehren hier eben ſo gut wie anderwärts in der Bürgerſchaft; es ward aber mit un - nachſichtigem Eifer zurückgedrängt; es wurden Familien ge - ſtraft, wo nur das Geſinde einen deutſchen Pſalm geſun - gen: Luthers Poſtille ward 1528 auf öffentlichem Markt verbrannt.

Das Unglück der regierenden Herren war nur, daß ſie die Finanzen der Stadt in Unordnung hatten gerathen laſſen, und ſich genöthigt ſahen, die Bürgerſchaft zu ver - ſammeln und ihre außerordentliche Beihülfe in Anſpruch zu nehmen.

Wohl ging die Bürgerſchaft hierauf ein; ſie ernannte 1529 einen Ausſchuß, der nach und nach auf 64 Mit -385Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Luͤbeck.glieder anwuchs, um mit dem Rath deſſen Geldvorſchläge zu überlegen; allein ſie ergriff zugleich dieſe Gelegenheit, um nicht allein eine größere politiſche Macht, ſondern auch re - ligiöſe Veränderungen in Anſpruch zu nehmen. Sie for - derte, daß ihr Ausſchuß auch an Einnahme und Ausgabe gebührenden Antheil habe, und daß ihr die freie Predigt geſtattet werde. Gar bald erhob ſich hiefür die allgemeine Stimme. Man drang auf die Wiederherſtellung der Pre - diger, die vor einigen Jahren verwieſen worden; auch hier unterbrach der Pſalm ach Gott vom Himmel ſieh darein den fungirenden Prieſter; man ſang Spottlieder gegen Jo - hann Rode, Kirchherrn zu unſerer Frauen, als welcher be - haupte, Chriſtus habe nur die Altväter erlöſt, von Spä - tergebornen müſſe das Heil ihm abverdient werden: die uns ſollen weiden, heißt es in einem dieſer Lieder, das ſind, die uns verleiten; 1Das Lieb in Regkmanns Chronik p. 133. als man einſt in einer großen Ver - ſammlung von Bürgern diejenigen bei Seite treten hieß, welche katholiſch bleiben wollten, that das nur ein Einziger.

Von dieſen Manifeſtationen gedrängt und durch ſeine finanziellen Bedürfniſſe aller nachhaltigen Kraft zum Wi - derſtand beraubt, mußte der Rath Schritt für Schritt nachgeben.

Noch im Dec. 1529 rief er die verjagten Prediger zurück; im April 1530 entfernte er die Katholiken von allen Kanzeln der Stadt; im Juni dieſes Jahres ſah er ſich genöthigt, den Kirchen und Klöſtern zur Unterlaſſung ihrer bisherigen Gebräuche anzuweiſen. Eben indem Carl der V zu Augsburg den alten Glauben in DeutſchlandRanke d. Geſch. III. 25386Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.wiederherzuſtellen gedachte, ward derſelbe in einer der wich - tigſten Städte des Nordens abgeſchafft. Wohl blieb das zu Augsburg nicht unbemerkt. Der Kaiſer befahl durch ein Pönalmandat den Vier und ſechzig auf das ernſtlichſte, ih - res Thuns abzuſtehn, und wies den Rath, falls das nicht geſchehe, auf die Hülfe einiger benachbarten Fürſten an. Es läßt ſich aber denken, welche Wirkung dieſe Drohun - gen einer entfernten Gewalt in der gährenden Stadt haben mußten. Die Bewegung erhob ſich mit doppeltem Ungeſtüm; ſie wuchs ſo gewaltig an, daß der Rath ſich in der Nothwen - digkeit ſah, die Vier und ſechszig ſelbſt um Beibehaltung ihrer Functionen zu erſuchen, ja ihre Verſtärkung durch einen neuen Zuſatz von 100 Bürgern gutzuheißen. 1In der Antwort der verordneten Buͤrger bei Regkmann 139 heißt es, daß dieß vom Rath vorgeſchlagen worden ſey um vieler ungeſtuͤmheit willen, muͤh und verdrieß zuvorzukommen. Dann ward Doctor Johann Bugenhagen auch nach Lübeck berufen, um mit einer Commiſſion aus Rath und Bürgerſchaft die neue Kirche einzurichten. Die Klöſter wurden in Schulen und Krankenhäuſer verwandelt; die Kloſterjungfern zu St. Jo - hannis, die man beſtehen ließ, zum Unterricht der Jugend verpflichtet; in allen Kirchſpielkirchen wurden Pfarrer und Caplane angeſtellt, die ſich zur augsburgiſchen Confeſſion hielten, und denen ein Superintendent, Hermannus Bou - nus vorſtand.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Vier und Sechzig, deren Urſprung politiſch-religiöſer Natur war, ſich2Notizen bei Grautoff II, 159. Der bedeutende Einfluß, der bei G. einer milden Partei im Rath zugeſchrieben wird, muͤßte wohl noch naͤher bewieſen werden.387Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Luͤbeck.nun mit kirchlichen Conceſſionen nicht begnügten; der Rath mußte verſprechen, ihnen Rechenſchaft zu legen, ohne ihre Einwilligung kein Bündniß zu machen, ſie auch in militä - riſchen Angelegenheiten Mitaufſicht führen zu laſſen, genug ſeine weſentlichſten Befugniſſe mit ihnen zu theilen. 1Der Gemeinde Articul 13. Oct. 1530 gemacht bewilligt und confirmirt bei Regkmann 151. Becker Luͤb. Geſch. III, 27 ſagt, nicht alle Forderungen der Gemeinde ſeyen bewilligt worden, unb dann fuͤhrt er blos die Punkte an, deren in dem Tagebuche bei Kirchring und Muͤller p. 166 ausdruͤcklich gedacht wird. Sollte der Titel der Articul ſo falſch ſeyn?Un - gern fügten ſich die eines ziemlich unumſchränkten Regimen - tes gewohnten Herren. Zwar verſöhnten ſich die Bürger - meiſter noch einmal öffentlich mit den Vorſtehern der Vier und ſechzig und der Hundert; allein feierliche Handlungen dieſer Art haben niemals gedient, den einmal eingewurzelten innern Widerwillen zu beſeitigen; wenige Wochen darauf fan - den nichtsdeſtominder die beiden worthaltenden Bürgermeiſter, Claus Brömſe und Herrmann Plönnies, den Zuſtand der Machtloſigkeit, in den ſie gerathen waren, das Mißrauen das man ihnen bewies, ſo unerträglich, daß ſie die Stadt verließen. Es war zu Oſtern 1531. Aber welch ein Sturm trat ein, als dieſe Entfernung der Bürgermeiſter unter der Bürgerſchaft ruchtbar wurde. Man ſetzte ein Einverſtändniß derſelben und des geſammten Rathes mit den benachbarten Fürſten voraus, und glaubte einen Angriff auf die Stadt erwarten zu müſſen. Erſt wurden die Vier und ſechzig, dann die Hundert, dann aufs neue alle Mitglieder der Gemeinde zu - ſammenberufen, die Thore verſchloſſen, die Rathsglieder entweder in ihren Häuſern oder auf dem Rathhaus ſelbſt25*388Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.feſtgehalten, bis endlich dieſer beſiegte, beſchränkte, gepei - nigte, und ſeiner Vorſteher beraubte Rath ſich entſchloß, das große Inſiegel der Stadt an die Vier und ſechzig zu überliefern. Die Gemeinde ging nicht ſo weit, ihn abzu - ſetzen, niemals hätten das die lutheriſchen Prediger gutge - heißen. Aber indem ſie eine Satzung hervorſuchte, nach welcher der Rath aus einer größern Anzahl von Mitglie - dern beſtehen ſollte, als die er wirklich zählte, und ſogleich zur Ernennung der fehlenden ſchritt, indem ſie auch an die Stelle der zwei ausgetretenen Bürgermeiſter zwei neue er - nannte, kam ſie doch dahin, den Rath umzuwandeln, und der ſiegreichen Meinung einen überwiegenden Einfluß auf die Beſchlüſſe deſſelben zu verſchaffen. Nur widerſtrebend gaben die Prediger nach, die ihren Begriff von der hohen Würde der Obrigkeit auch auf die Stadträthe ausdehnte, und bei jeder Bewegung auf der Kanzel eifrig davor warn - ten, daß man ſich an der Obrigkeit vergreife. 1In der Chronik des Hermannus Bonnus heißt es ſogar, es gebe kein beſſeres Mittel ein beſtaͤndiges Regiment zu erhalten, als daß die Wahl des Rathes bei der Obrigkeit ſelbſt ſtehe.

Herzog Ernſt von Lüneburg war höchlich erfreut, als er von Augsburg nach Hauſe kam, und rings um ſich her wahrnahm, wie wenig man ſich aus kaiſerlicher Gnade oder Ungnade mache, wie vielmehr in allen jenen Städten die Predigt eben jetzt beſſern Fortgang habe als jemals vorher. 2Ernſt an Chf. Johann, Zelle Montag nach Galli (17. Oct.) Befinde, das wynzig Gottlob in dieſen umliegenden Staͤdten kaiſ. Maj. Gnaden oder Ungnaden geſcheuet; denn ſye itzunder heftiger als vor nie, in allen Staͤdten predigen und das Wort Gottes fuͤrdern. (W. A.)Der Kaiſer hatte ſo eben die Stadt Lüneburg durch ein beſonderes Schreiben ermahnt, bei dem alten389Reform. in den niederdeutſchen Staͤdten.Glauben zu verharren; die Folge war, daß ſie den Her - zog bat, ihr den Reformator, den er aus Augsburg mit - gebracht, Urbanus Regius, auf eine Zeitlang zu überlaſſen, um auch ihre Kirche einzurichten; was dieſer dann nach und nach wirklich ausführte. 1Obiges Schreiben: haben heud der Rath und die Gemeyne mir ſemptlich geſchrieben.

So gewaltig drang der proteſtantiſche Geiſt in den niederdeutſchen Gebieten vor. Schon hatte er einen Theil der Fürſtenthümer inne; ſchon war er in den wendiſchen Städten zur Herrſchaft gelangt; er griff in Weſtfalen wir werden darauf zurückkommen mächtig um ſich; er machte den Verſuch, das norddeutſche Weſen ganz zu durchdringen.

Es ließ ſich jedoch vorherſehen, daß ehe dieß gelingen konnte, noch manche Stürme zu beſtehen waren.

Dem kirchlichen Beſtreben hatten ſich überaus ſtarke politiſche Tendenzen beigemiſcht, und es war erſt die Frage, in wie fern ſich dieſelben in das Geleis der herkömmlichen Zuſtände lenken, oder umwälzende Kräfte in ſich entwickeln würden.

Damit hingen auch Abwandlungen der religiöſen Mei - nung zuſammen, die ſich nicht immer innerhalb der Schran - ken des lutheriſchen Syſtems hielten, und von denen nicht ab - zuſehen war, welche Richtung ſie noch einſchlagen konnten.

Wir werden dieſe Entwickelungen, die ſo höchſt merk - würdig geworden ſind, weiter wahrnehmen; es kam die Zeit, wo der mächtig aufgeregte Geiſt ſich noch einmal auf ganz ungewohnten Bahnen verſuchte.

Zunächſt war jedoch davon noch nicht die Rede.

390Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Zunächſt bemerkte man nur die Unterſtützung, welche der ruhig ſich entwickelnde Proteſtantismus in einem Au - blicke, wo er von dem Kaiſer aufs äußerſte bedroht ward, in dieſer neuen Erweiterung fand. Vor allem ward der ſchmalkaldiſche Bund dadurch gefördert, auf den wir jetzt unſere Augen zurückwenden müſſen.

Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bundes.

Die Magdeburger waren ſchon in den frühern Ver - ſtändniſſen begriffen geweſen. Im Jahr 1531 von ihrem Erzbiſchof mit der Anmuthung heimgeſucht, ſich nach dem Abſchied von Augsburg zu halten, ſahen ſie ihre einzige Rettung in dem Churfürſten von Sachſen, den ſie anriefen, ſie bei dem ewigen Gotteswort zu ſchützen. Sie zöger - ten keinen Augenblick dem Bunde beizutreten. 1Magdeburg Sonnabend nach Eſtomihi 1531. Hat ſich zugetragen, daß unſers gnaͤdigſten Herrn des[Cardinals] Mullin - voigt, Mitwoch Cineris, vor uns, dem ganzen ſitzenden Rathe er - ſchienen und eyn Miſſiven nach Vermeldung eyngelegter Copeyen von hochgedachten unſern gnaͤdigſten Herren uͤberantwort, und darbeneben angezeygt, daß er einen Truck haͤtte, wollte denſelbigen uns auch uͤberantworten; und als er ſich zuvor gegen unſern Buͤrgermeiſter und Rathsverwandte verlauten laſſen, das ſolchem Druck der Abſchied des gehaltenen Tags zu Augspurg auch das man an den alten Ge - brauch halten ſollte, inſerirt waͤre, haben wir ſolchen Truck nicht an - nemen wollen.

Unaufgefordert erſuchte Bremen den Herzog von - neburg, ihm den erſten Entwurf des Bundes zukommen zu laſſen, und erklärte ſich ſehr bereit, die Verſammlung zu beſchicken, die ihm aufgelegte Hülfe zu tragen. 2Schreiben des Herzogs Ernſt, Dienſtag nach Clement.

Mit Lübeck dagegen mußte der Herzog die Unterhand - lung eröffnen. Es geſchah noch in einer Zeit, wo der alte391Vollziehung des ſchmalkaldiſchen Bundes.Rath einige Macht beſaß; der hatte aber ganz andere Sym - pathien, und trug natürlicher Weiſe Bedenken darauf ein - zugehn. Allein die Hundert vier und ſechzig waren deſto leichter gewonnen. Auf deren Antrieb erſchien ſchon bei der zweiten Verſammlung zu Schmalkalden im März 1531 ein Abgeordneter der Stadt, der nur noch im Voraus zu wiſſen wünſchte, welche Unterſtützung ſie ſich in ihren Strei - tigkeiten mit dem vertriebenen König von Dänemark, wenn der Kaiſer ihn zurückzuführen ſuche, von den Fürſten ver - ſprechen könne, und an die Nothwendigkeit erinnerte, die Stadt dagegen bei der von ihr zu leiſtenden Hülfe nicht zu ſtark anzuſehn. Und auch dieſen Vorbehalt ließ man fallen, als indeß jene große Veränderung in Lübeck einge - treten war. Obgleich der Abgeordnete auf ſeine Fragen nur ſehr ungenügende Antworten empfing, ſo nahm doch Lübeck das Verſtändniß unmittelbar hierauf an. Dieſe drei Städte finden wir gleich in der erſten beſiegelten Bundes - formel aufgeführt.

In der folgenden Verſammlung, im Juni, traten Göt - tingen und Braunſchweig bei. Braunſchweig meinte an - fangs, durch ſeine Verbindung mit dem Herzog von Lüne - burg dem Bunde ſchon genugſam anzugehören; allein die Verbündeten urtheilten, daß ſie der Stadt einmal im Noth - fall mit beſſerem Grunde würden Hülfe leiſten können, wenn ſie ſelbſt in das Verſtändniß eintrete. Ein Abgeſandter des Landgrafen beſeitigte dann vollends ihre Bedenklichkeiten.

1Schreiben der Stadt an Ernſt von Luͤneburg 22. Maͤrz 1531. Dieweil wir mit E. F. Gn. uͤber unſre natuͤrliche untertaͤnige Ver - wandniß und ſonderlich aufgerichtete Vertraͤge der chriſtlichen ange - fangen Sachen halber im Namen Gottes zuſammengeſetzt haben.
1392Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Einige Zeit darauf folgten auch Goslar und Eimbeck nach.

So mächtig breitete ſich das Verſtändniß der Für - ſten über beide Theile von Deutſchland aus. Es umfaßte jetzt ſieben oberländiſche und ſieben niederländiſche Städte.

Länger konnte man nicht verſchieben, dem Bunde nun auch eine Verfaſſung zu geben. Wir wiſſen, wie ſehr die ſchweizeriſchen Ereigniſſe dazu aufforderten,1Melanchthon an Camerarius 30 Dec. Scis ejus periculi partem ad nos pertinere. Ein Schreiben von Ulm (Samſtag nach Simon und Judaͤ) meldete, daß am Hofe Ferdinands daruͤber die groͤßte Freude herrſche; im Sundgau, Breisgau, Elſaß habe man das Volk ermahnt, ſich geruͤſtet zu halten; in des Abt von Kempten Land ſey befohlen, wenn der Sturm angehe, des naͤchſten aufzuſein, und zuzuziehn. wie auch die Oberländer jetzt dazu bereit waren.

Vorläufig iſt darüber im November 1531 zu Nord - hauſen, definitiv im December darauf zu Frankfurt am Main berathſchlagt worden.

Die erſte Frage betraf die Bundeshauptmannſchaft.

Und da lag es nun, wie in der Natur der Sache, ſo in dem bisherigen Herkommen, daß man nur einen ein - zigen Bundeshauptmann, der ja auch im Krieg anführen ſollte, zu ernennen gedachte. Sachſen wünſchte, daß einer der beiden Welfen, entweder der Lüneburger oder der Gru - benhagener gewählt würde. Den Landgrafen, den man für zu raſch, für zu enge mit den Schweizern verbunden hielt, wünſchte man lieber zu vermeiden.

Allein das war doch nicht recht ausführbar. Viel zu mächtig und kriegeriſch geſinnt war der Landgraf, als daß er ſich von der Hauptmannſchaft des Bundes hätte393Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.ausſchließen laſſen. Nach der Niederlage der Schweizer hatte man von einer Hinneigung nach jener Seite nichts mehr zu fürchten.

Da aber auch der Churfürſt von Sachſen neben dem Landgrafen nicht in Schatten treten wollte, ſo verei - nigte man ſich in Nordhauſen, zwei Hauptleute zu ernen - nen, eben dieſe Fürſten. Jeder von beiden ſoll die Hälfte der Hülfe aufbringen; einer um den andern ſoll die allge - meinen Geſchäfte leiten; iſt der Krieg in Sachſen und Weſt - falen zu führen, ſo ſoll der Churfürſt, iſt er in Heſſen und in Oberdeutſchland, ſo ſoll der Landgraf den Oberbefehl haben.

Es wäre aber nicht daran zu denken geweſen, daß man nun den beiden Hauptleuten volle Macht nach ihrem Gutdünken zu verfahren gegeben hätte; mit nicht minde - rem Ernſt ward die andere Frage erörtert, wie die Bera - thungen gehalten, die Stimmen vertheilt werden, in welchem Verhältniß dieſe zu den Leiſtungen ſtehen ſollten.

Der erſte Vorſchlag von der fürſtlichen Seite war, fünf Stimmen einzurichten, zwei für Sachſen und Heſſen, zwei für die Städte, die letzte für die übrigen Fürſten und Grafen zuſammen. Die einfache Hülfe, zunächſt auf 2000 zu Pferd, 10000 zu Fuß berechnet, ward auf 70000 Gul - den des Monats angeſchlagen, wovon die Fürſten 30000, die Städte 40000 zu tragen haben würden.

Auf den erſten Blick ſieht man, was ſich gegen die - ſen Entwurf einwenden läßt. Den Herren wäre die grö - ßere Hälfte der Stimmen, und nur die kleinere der Leiſtungen zugefallen. Die Städte ſäumten nicht einen Gegenentwurf einzubringen, bei dem es auf volle Gleichheit abgeſehen394Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.war. Jeder Theil ſollte 35000 G. übernehmen, und von acht Stimmen vier haben.

Wie aber dann, wenn dieſe Stimmen ſich bei irgend einer Frage nach ihrer Gleichzahl trennten? Ein Uebel - ſtand, den man damals bei allen Deliberationen gefliſ - ſentlich zu vermeiden ſuchte. Die Städte ſchlugen vor, in einem ſolchen Falle ſolle dem Churprinzen von Sachſen, der ohnehin ſonſt nichts werde zu ſagen haben, die Ent - ſcheidung überlaſſen bleiben. Dazu aber war der Landgraf nicht zu bringen. Er entgegnete, er wünſche ſeinem Freund und Bruder alles Wohlergehn der Welt: Johann Friedrich möge Römiſcher König und Kaiſer werden, in dieſer Sache aber müſſe man nach der erſten Zuſage auf volle Gleich - heit halten.

Und ſo kam man doch zuletzt wieder auf einen dem erſten ſehr ähnlichen Entwurf zurück. Man errichtete neun Stimmen, von denen vier zwiſchen Sachſen und Heſſen, vier zwiſchen den Städten getheilt wurden, die neunte ſollte den übrigen Fürſten und Herren gemeinſchaftlich ſeyn. Die Städte hatten nur den Vortheil, daß die Beiträge gleichmäßiger getheilt waren. Von ihren vier Stimmen bekamen die oberländiſchen zwei, die niederſächſiſchen die beiden andern, wie ſie denn auch die Beiträge zu gleichen Theilen über ſich nahmen. Von den beiden niederſächſiſchen Stimmen führten Magdeburg und Bremen die eine, Lübeck und die übrigen Städte die andere.

So ordnete man, nachdem der Bund ſich nun erſt einmal vereinigt, die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten deſ - ſelben. Die Verfaſſung iſt nur der Ausdruck des Ereig - niſſes und der Verhältniſſe; des einen, in wie fern die -395Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.jenigen, auf deren erſter Vereinigung alles beruhte, nun auch als die Häupter auftreten; der anderen, indem die Macht und die Summe des Beitrags auch den geſetzlichen Einfluß auf die Beſchlüſſe beſtimmte.

Wir brauchen nach allem was wir wahrgenommen nicht weiter zu erörtern, daß ſich nun hier jenes zugleich erhaltende und defenſive Prinzip der Reform, wie es der Sinnesweiſe Luthers entſprach, zu der ſtärkſten Repräſen - tation erhob; irre ich aber nicht, ſo läßt ſich hinzufügen, daß dieſer Bund, der die beiden ſonſt noch immer vielfach getrennten großen Provinzen Oberdeutſchland und Nieder - deutſchland umfaßte, auch für die Einheit der Entwickelung des deutſchen Geiſtes von hohem Werth war. Neben den Reichstagen bildete ſich nun ein anderer Mittelpunkt, eine Einheit, die nicht durch ein Gebot der höchſten Gewalt auf - erlegt war, ſondern kraft einer innern Nothwendigkeit von unten her emporſtieg; zugleich politiſch-militäriſcher, haupt - ſächlich aber doch intellectueller Natur. Luther war der große Autor, der beiden Theilen verſtändlich, bei beiden Eingang fand, und eine gleichartige Bildung zu begründen vorzüglich beitrug. Es war ein Verein, der nach beiden Seiten bis an die äußerſten Grenzen reichte. Wie das nahe Magdeburg, wie Strasburg im Elſaß, ſo ſuchten auch Bürgermeiſter und Rathmannen von Riga, zugleich im Namen der Evangeliſchen von Dorpat und Reval, ge - gen die Verſuche ihres Erzbiſchofs, der ſie mit der Aus - führung des augsburger Abſchieds bedrohte, bei dem Chur - fürſten von Sachſen, auf dem nach Gott alle ihre Hoff - nung ſtehe, Hülfe und Schutz. 1Schreiben des Rathes, Mittwoch vor Palmarum, ſo wie

396Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Zugleich hatte der Bund eine große politiſche Bedeu - tung. Alles was von Oeſtreich zu fürchten oder über dieß Haus zu klagen hatte, näherte ſich den Verbündeten, der Herzog von Geldern, Jülich, dem man ſo eben Raven - ſtein entzogen, der König von Dänemark, der täglich ei - nen neuen Angriff Chriſtiern des II mit öſtreichiſcher Hülfe fürchtete; endlich jene Wahl-Oppoſition, welche Bai - ern leitete. Im Februar 1531 finden wir den baieri - ſchen Rath Weichſelfelder in Torgau;1Man erwartete die baieriſchen Raͤthe auf der zweiten Zu - ſammenkunft zu Schmalkalden, wie ein Schreiben Philipps an Dr. Leonh. Eck (undatirt aber ohne Zweifel vom Jan. 31) ausweiſt. im Auguſt Leon - hard Eck bei Landgraf Philipp zu Gießen; im October ward eine Zuſammenkunft ſämmtlicher antiferdinandiſchen Stände zu Saalfeld gehalten. Hier verſprachen ſie einander, bei ihren churfürſtlichen, fürſtlichen und gräflichen2Neudeckers Urkunden p. 60. Man muß aber nicht brieflichen leſen; es ſind die Grafen von Mansfeld gemeint. wahren Worten auf Ehre, Treue und Glauben in die Wahl und beſonders in die Adminiſtration Ferdinands nicht zu willigen, und ſich, im Fall ſie hierüber angegriffen würden, gegenſeitig zu unterſtützen. Einige Monate darauf ward auch die Form dieſer Hülfe näher verabredet. 3Mai 1532. Urkunde bei Stumpf nr. V, p. 20.

Es iſt merkwürdig, wie dieſe Dinge in der Ferne er - ſchienen, wie ſich unter anderm Heinrich VIII in einem Geſpräch mit dem däniſchen Geſandten, Peter Schwaben darüber ausdrückte. Der Kaiſer, meinte Heinrich VIII hätte wohl zu Augsburg in den wenigen Artikeln nachge - ben ſollen, über die man ſich nicht vereinigen konnte;1des Syndicus Lehnmuͤller, Mittw. nach Palm. 29. Maͤrz, 5. April 1531 im Weim. Arch.397Verfaſſung des ſchmalkaldiſchen Bundes.Campeggi möge ihn daran gehindert haben. Der Kai - ſer iſt einfältig, fuhr er fort, er verſteht kein Latein. Man hätte mich und den König von Frankreich zu Schieds - richtern nehmen ſollen; wir würden die gelehrteſten Leute aus ganz Europa berufen und die Sache bald zur Ent - ſcheidung gebracht haben. Dann kam er auf die Wahl zu reden. Warum wählen die Fürſten, ſagte er, nicht einen Andern zum König, etwa den Herzog von Baiern, der ganz dazu paſſen würde? Sie mögen ſich nicht von dem Kaiſer betrügen laſſen, wie dieſer den Papſt betrogen hat. Herr, ſetzte er hinzu, gleich als ſey er ſelbſt über dieſe Offenherzigkeit erſchrocken, es darf Niemand erfah - ren, daß ich dieß geſagt habe, ich bin der Verbündete des Kaiſers. In der That, fuhr er nach kurzer Pauſe fort, es wäre dem Kaiſer ein Schimpf, wenn er Deutſch - land verlaſſen müßte, ohne dieſe Unruhen beigelegt zu ha - ben. Ich ſehe, die Zeit iſt da, wo entweder der Kaiſer ſich berühmt machen wird, oder der Chürfürſt von Sachſen.

Dahin war es gekommen, daß ein benachbarter geiſt - reicher Fürſt die Ausſicht auf Ruhm und Weltbedeutung, welche der Churfürſt habe, mit der des Kaiſers vergleichen konnte.

Wir laſſen uns davon nicht irren: es entgeht uns nicht, daß der König mit Gedanken dieſer Art ſeinem dem Kaiſer feindſeligen Herzen ſchmeichelte.

Aber ſo viel iſt doch auch klar, daß die föderative Stellung, welche der alte Churfürſt jetzt am Ende ſeiner Tage eingenommen, eine hohe Bedeutung in ſich ſchloß.

Hatte die erobernde Tendenz der ſchweizeriſchen Re - form bei dem Verſuche, die gegenüberſtehenden Feindſelig -398Sechstes Buch. Fuͤnftes Capitel.keiten zu brechen, unterliegen müſſen, ſo war ein ähnliches Unglück bei der durchaus defenſiven Haltung, die der Bund nahm, nicht zu beſorgen. Selbſt wenn der Kaiſer den ſchwei - zeriſchen Glückswechſel benutzt und den großen Krieg begon - nen hätte, ſo wäre es ihm ſo leicht nicht geworden, wie Ferdinand vielleicht meinte, den Proteſtantismus zu unter - drücken, Herr in Deutſchland zu werden.

Allein überdieß waren Umſtände eingetreten, die das auch an ſich ganz unmöglich machten.

[399]

Sechstes Capitel. Angriff der Osmanen. Erſter Religionsfriede. 1531, 32.

Das Schickſal hatte, wenn wir ſo ſagen dürfen, dem Kaiſer eine Zeitlang freie Hand gelaſſen, um die religiöſe Irrung auf eine oder die andere Weiſe zu beſeitigen. Er hatte zwei Jahre lang Friede gehabt.

Ein auffallendes Schauſpiel aber bietet dieſe Zeit dar. Diejenigen, welche mit Krieg und Verderben gedroht, ſehn wir auseinandergehn, einen Jeden ſeine beſonderen Ge - ſchäfte beſorgen.

Die Bedrohten dagegen halten ihre Geſichtspunkte unerſchütterlich feſt; und es gelingt ihnen eine religiös-po - litiſche Vereinigung von wahrhafter Energie zu gründen. Der Nachtheil, den die Reform in der Schweiz erleidet, muß ihrer Organiſation in Deutſchland zum Vortheil ge - reichen.

Das iſt nun aber einmal immer ſo, und namentlich bringt es die Natur deutſcher Verhältniſſe mit ſich, daß die erkannte Nothwendigkeit gemeinſchaftlicher Vertheidigung bei weitem beſſer vereinigt, als ein Plan des Angriffs.

400Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

Hier kam hinzu, daß die alten Irrungen in der ka - tholiſchen Partei noch nicht ganz beſchwichtigt waren. Wir wiſſen, daß die Reichsſtände keineswegs vollkommen mit dem Kaiſer übereinſtimmten; die geſandtſchaftliche Cor - reſpondenz zeigt, daß auch nach allen andern Seiten hin Bezeigen und in Anſpruch nehmen von Freundſchaft durch geheime Feindſeligkeiten unterbrochen ward.

Vornehmlich ward jedes Unternehmen gegen die Pro - teſtanten durch die Gefahr unmöglich gemacht, welche von der öſtlichen Welt unaufhörlich drohte.

Endlich erhob ſich nun dieſer mächtigſte und gefähr - lichſte Feind noch einmal in aller ſeiner Kraft. Sein letz - ter Verſuch auf Wien hatte ihn eher angereizt als ab - geſchreckt.

Wir haben zugleich mit dem Kriege auch die Rück - wirkung, die er auf Deutſchland hat, zu betrachten. War ſchon die Befürchtung den Proteſtanten förderlich geweſen, ſo läßt ſich erwarten, daß ihnen der Ausbruch des Krie - ges noch viel mehr zu Statten kommen mußte.

Aufbruch der Osmanen.

Im Jahre 1530 war die Idee Ferdinands und ſo - gar des Kaiſers, die ungariſche Sache durch Vertrag mit der Pforte zu beendigen. Da Johann Zapolya ſich rühmte, daß er derſelben keinen Tribut zahle, ſo faßte man in Wien die Hoffnung, ſie durch Erbieten einer Geldſumme für ſich zu gewinnen. Man ſchmeichelte ſich ſogar, das ganze Ungarn, wie es König Wladislaw beſeſſen, wieder zu bekommen. In dieſem Sinn war der Auftrag abge -401Unterhandlungen mit den Osmanen.faßt, mit dem Ferdinand bereits im Mai 1530 eine Bot - ſchaft nach Conſtantinopel ſchickte. 1Inſtruction an Lamberg und Juriſchitz bei Gevay, Urkun - den und Actenſtuͤcke Heft I.

Von dem Kriege mit dem Woiwoden hoffte er in der That nichts mehr. Ein neuer Verſuch auf Ofen war fehlgeſchlagen. Die Ungarn beider Parteien zeigten ſich der innern Fehde müde: ja ſie hatten ſogar einmal den Plan zur Wahl eines neuen, dritten Königs zu ſchreiten, den ſie dann ſämmtlich anerkennen würden. Ferdinand be - quemte ſich zu einem Stillſtand mit Zapolya. Seine Hoff - nungen waren nur auf Conſtantinopel gerichtet.

Aber wie ſehr ſah er ſich da getäuſcht!

Man wußte in Conſtantinopel ſehr gut, daß in Deutſchland, Italien und Spanien unaufhörlich von einer allgemeinen Unternehmung gegen die Türken die Rede war, daß der Papſt und das Reich Geld dazu bewilligten, der Kaiſer den Ruhm ſeines Namens durch einen ſolchen Feldzug zu verherrlichen dachte. Allein man wußte auch, daß die bewilligten Gelder entweder nicht eingingen, oder doch nicht zu ihrem Zweck verwendet werden konnten, daß die Chriſtenheit, allen Friedensſchlüſſen zum Trotz, doch voll geheimer oder offener Entzweiungen war, und ſpottete der Drohung, daß ſie einmal ihre Kräfte gegen die Osmanen vereinigen werde. Der König der Spa - nier habe ſich das Stirnband der kaiſerlichen Krone um - gelegt; aber was wolle das ſagen? Gehorche man ihm darum wohl mehr? Kaiſer ſey wer ſein Reich mit dem Schwert erweitere. Als die Geſandten mit jenen Anträ -Ranke d. Geſch. III. 26402Sechstes Buch. Sechstes Capitel.gen hervortraten, verfärbte ſich der Großweſir Ibrahim und widerrieth ihnen, ſie dem Sultan auch nur vorzulegen. Denn gar nicht dem Januſch Kral, wie er den König-Woi - woden nannte, gehöre Ungarn, ſondern dem Sultan, der eben darum auch keinen Tribut ziehe, ſondern vielmehr je - nem ſeinem Knecht und Verweſer Beihülfe gebe. Der Sultan habe Ungarn mit dem Schwert, mit ſeinem und ſei - ner Kriegsleute Schweiß und Blut, zweimal erobert und es gehöre ihm von Rechtswegen. Ja auch Wien und alles was Ferdinand in Deutſchland beſitze gehöre ihm, nachdem er dieſe Länder in Perſon heimgeſucht und ſeine Jagd daſelbſt gehalten habe. Carl V drohe die Tür - ken anzugreifen; er ſolle nicht weit zu gehn brauchen, man bereite ſich vor, ihm entgegenzukommen. 1Bericht der beiden Geſandten, und die Briefe Suleimans und Ibrahims bei Gevay ibid. Ich bin der Sultan hieß es unter anderm in dem Schreiben, das Suleiman den Geſandten mitgab der große Kaiſer, der höchſte und vortrefflichſte, ich habe mir die griechiſche Krone unterworfen, das weiße und das ſchwarze Meer; mit Gottes Hülfe und meiner Arbeit, nach der Weiſe mei - nes Vaters und Großvaters mit meiner Perſon und mei - nem Schwert habe ich auch das Reich und den König von Ungarn an mich gebracht. Dem öſtreichiſchen Antrag be - gegnete er mit der viel ernſtlicher gemeinten Forderung, daß Ferdinand alle die Feſtungen herauszugeben habe, die er in einem Theil von Ungarn noch beſitze. 2Aus dem Schreiben Suleimans ib. p. 91. Schade daß das mehr ein Auszug iſt, ſo wie auch Nr. VII, als eine Ueberſetzung.

Suleiman lebte und webte in dem Gedanken, Conſtan -403Unterhandlungen mit den Osmanen.tinopel noch einmal zur Hauptſtadt der Welt zu machen; er nannte Carl V nur König von Spanien; den Titel eines Kaiſers nahm er, den der Orient den Chalifen von Rum nannte, allein in Anſpruch und war entſchloſſen, demſelben ſeine ganze Bedeutung zurückzugeben.

Aus einem Schreiben Ferdinands vom 17. März 1531 ſieht man, welch einen gewaltigen Eindruck die wider - wärtige Antwort, die ſeine Geſandten ihm zurückbrach - ten, auf ihn machte. Er ſtellt ſeinem Bruder darin vor, wie es gegen alle Vernunft und Ehre ſtreite, ein Reich wie Ungarn, ſo groß und edel und fruchtbar, und ſo viele unſchuldige Seelen, alles Bilder des lebendigen Got - tes, in die Hände des türkiſchen Tyrannen gelangen zu laſſen. Aber man öffne demſelben überdies damit zugleich ganz Europa. Der Sultan werde auf der einen Seite Böhmen und Mähren, auf der andern Inneröſtreich und Iſtrien in Be - ſitz nehmen; von Signa habe er nicht weit nach der Mark Ancona und nach Neapel. 1Bei Gevay I, p. 99. Umgearbeitet erſcheint daſſelbe Gut - achten noch einmal im zweiten Heft.

In einem folgenden Briefe beſchwört er den Kaiſer, deshalb, weil das Anrücken der Osmanen noch zweifelhaft ſey, nicht etwa die Vorbereitung zum Widerſtand gegen ſie aufzuſchieben. Denn die Gefahr iſt groß, ſagt er, die Zeit kurz, und meine Macht geringfügig oder null und nichtig. 227 Maͤrz. Vea V. Md si es razon ni cordura, de estar assi desapercebidos y desunidos, alla defensa necessaria debaxo desta sombra de operation dudosa, cerca de lo qual suplico a V. Mo quiera mirar y tener proveydo lo que convenga, porque el peligro es muy grande y el tiempo breve, y mi pusanza muy poca o ninguna. (Br. A.)

26*404Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

So wie man ſah, daß es mit der Abſicht des Sul - tans Ernſt ſey, daß er wirklich daran denke, entweder ſo - gleich, oder nach kurzem Verzug den Weg nach der deut - ſchen Grenze einzuſchlagen, mußte dieß der Geſichtspunkt werden, welcher die Politik der beiden Brüder beherrſchte.

Es war ein Moment, wie im Anfang des zehnten Jahrhunderts, als die Ungarn zuerſt ihre Sitze eingenom - men, und von da plündernd und zerſtörend in das Abend - land eindrangen. Zwar war das Abendland unendlich vor - geſchritten, bei weitem beſſer gerüſtet, aber auch der Feind war ohne Vergleichung mächtiger und gefährlicher.

Ueberlegte man nun aber, wie demſelben zu begeg - nen ſey, ſo ſtellte ſich die Entzweiung von Deutſch - land als die vornehmſte Schwierigkeit vor Augen. Die Hülfe des Reichs, ſagt Ferdinand in ſeinem erſten Schrei - ben, wird nur langſam erſcheinen. Man muß für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers, ſelbſt wenn ſie die Noth - wendigkeit der Hülfe einſehn und geneigt ſind, ſie zu lei - ſten, doch damit an ſich halten, weil ſie fürchten, daß, wenn man die Türken beſiegt hat, und der Frieden mit Frankreich, England und Italien fortdauert, man die Waf - fen gegen ſie richten wird; ſie denken, das Kriegsvolk werde ſich nach einem glücklichen Schlachttag nicht mit dem ver - goſſenen Blute begnügen, ſondern noch Andere aufſuchen, um ſeine Luſt zu büßen.

Wir wiſſen ſchon, wie viel die Rathſchläge Ferdinands bei Carl V vermochten. Sie entſpringen immer aus dem Moment: ſie ſind gut begründet und haben das Gepräge der Entſchloſſenheit und Raſchheit. Jetzt trug Ferdinand405Erſte Annaͤherung an die Proteſtanten.kein Bedenken, ſeinem Bruder ein friedliche Abkunft mit den Proteſtanten anzurathen, ſo fern ſolche ohne Verlet - zung der weſentlichen Punkte des katholiſchen Glaubens möglich ſey. Man müſſe ihren Eifer austoben laſſen, der ſich nur um ſo mehr entzünde, je mehr man Waſſer dazu gieße. Auf einem Reichstag müſſe man ſie zu ge - winnen ſuchen. Sie werden gerne Hülfe gegen die Tür - ken leiſten, ſobald ſie ſich in dem geſichert ſehn, was ihre eitlen Glaubensmeinungen angeht. 1Assentandose esto avria mas disposition y menos ym - pedimento para resistir al Turco assi in los principes como en las otras personas; a lo qual ajudaran de mejor gana, estando as - securados dello que toca a sus vanas creencias. (Prima 27 Marzo.)

Schon im Februar 1531 war, wie das in Deutſch - land zu geſchehen pflegte, ſobald irgend eine Entzweiung eine drohende Geſtalt annahm, durch Pfalz und Mainz eine Vermittelung bei dem Kaiſer verſucht worden; da aber die Proteſtanten als eine Vorbedingung zu allen Verhand - lungen wenigſtens eine einſtweilige Einſtellung der kammer - gerichtlichen Proceſſe forderten, ſo war man nicht weiter gekommen. Der Kaiſer meinte es ſey ihm ſchwer, etwas aufzuthun, was von den Ständen des Reichs beſchloſſen worden. 2Inſtruction was wir beide Ludwig Graf zu Stolberg und Wolf von Affenſtein, Ritter, bei Kſ. Mt. handeln ſollen. Dienſtag nach Eſtomihi (23. Fbr.) Ferner: Summariſche Aufzeichnung, was wir beide bei Kſ. Mt. gehandelt haben (Weim. A.)

Nunmehr aber drang auch Ferdinand darauf. Am 27 April ſandte er dem Kaiſer ein Gutachten der Kriegs - räthe über die Vertheidigung gegen die Türken. Um aber indeß die Gefahr zu heben, welche aus den Verbindungen406Sechstes Buch. Sechstes Capitel.und Practiken der Lutheraner entſpringe, rieth er ihm jenes Zugeſtändniß nicht länger zu verzögern.

Indem nun der Kaiſer den Reichstag nach Regensburg ausſchrieb, wies er in der That ſeinen Fiscal an, mit den Proceſſen, zu dem ihn der augsburgiſche Abſchied in der Re - ligionsſache ermächtigt habe, bis auf den nächſten Reichs - tag inne zu halten. 1 Aus trefflichen redlichen Urſachen gebieten wir dir mit Ernſt, daß du mit ſolchem Procediren, ſo du laut unſeres augsburgiſchen Abſchiedes des Artikels der Religion halb Gewalt haſt, zwiſchen hier und dem naͤchſtkommenden Reichstag gaͤnzlich ſtillſteheſt. Copie bei einem Schreiben des Churfuͤrſten von Mainz 25. Juli.Wenigſtens konnte man nun un - terhandeln, und es war Ausſicht da, die Kräfte des Reichs im dringenden Fall noch einmal zu vereinigen.

Noch lag ſie jedoch ſehr im Weiten.

Dem Urheber der Annäherung, dem König Ferdinand, wäre es zuweilen noch lieber geweſen, wenn er eine Abkunft mit den Türken, auch unter ungünſtigen Bedingungen, hätte treffen können. In den Tagen, in welchen die ſchweizeriſchen Er - eigniſſe ſeinen Religionseifer und Ehrgeiz gegen die Neugläu - bigen ſo lebhaft erweckt hatten, entſchloß er ſich zu den größ - ten Conceſſionen in Bezug auf Ungarn. In einer In - ſtruction vom 5 November 1531 wies er die Geſandt - ſchaft, die er nach Conſtantinopel abordnete, fürs Erſte allerdings an, jede Abtretung in Ungarn abzulehnen; für den Fall aber, daß der Sultan unter dieſer Bedingung keinen Anſtand bewilligen wolle, ermächtigte er ſie doch wirklich auch darauf einzugehn. Sie ſollten nur wenig - ſtens die Schlöſſer retten, die der deutſchen Grenze zu - nächſt liegen; oder doch die Summe ſich ausbedingen,407Vergebliche Erbietungen.welche der Woiwode früher angeboten. Würde aber auch dies nicht zu erlangen ſeyn, der Sultan Gemüth und Hals ſtärken, und auf eine freie Ueberlaſſung aller Schlöſſer an den Woiwoden dringen, ſo ſollten ſie Vollmacht ha - ben, ſelbſt darin einzuwilligen; nur unter dem Vorbehalt, daß ſo dieſe Schlöſſer, wie das ganze Königreich, nach dem Tode des Woiwoden an Ferdinand gelangen ſollen. 1Instructio de iis, quae Leonardus Comes de Nogaro - lis et Josephus a Lamberg apud sermum Turcarum imperatorem nomine nostro agere debent bei Gevay II (1531). Sicubi vero de hac quoque conditione fuerit desperatum, videlicet quod Turcus gratuito et sine pecunia castra illa omnia Waywodae reddi vo - luerit, tum demum sic fortuna volente fiat per eosdem oratores nostros de iis omnibus promissio. So weit ließ ſich Ferdinand herbei. Auf eine ſo weit ausſehende Bedingung hin, wie der Tod des Nebenbuhlers war, wollte er alles herausgeben, was ihm in Ungarn noch gehörte. So hoch ſchlug er den türkiſchen Frieden an. Er wünſchte, daß auch der Papſt und ſein Bruder in den Stillſtand aufgenommen würden; ſollte ſein Bru - der ihn brechen, ſo ſolle das eben ſo viel ſeyn, als wenn er ihn ſelbſt breche. Wirklich erinnerte ihn Carl V nichts unverſucht zu laſſen, um es zu einem Vertrag mit den Türken zu bringen.

Allein ſchon waren alle dieſe Erbietungen vergebens. Ehe noch ein Geſandter an die osmaniſche Grenze ge - kommen, lief die gewiſſe Nachricht von den großartigſten Rüſtungen des Sultans zu Land und zur See ein. Am 26. April 1532 erhob ſich Suleiman in der That zu dem entſcheidenden Feldzug wider den mächtigſten Feind, den er408Sechstes Buch. Sechstes Capitel.noch auf Erden hatte, den Kaiſer Carl, in dem ſich, ſo weit dieß noch möglich, die Kraft des Abendlandes darſtellte.

Ein Venezianiſcher Chroniſt hat uns eine Beſchreibung dieſes Auszugs hinterlaſſen, die noch an den Pomp der älteſten orientaliſchen Herrſcher erinnert. 1Avviso venuto di Ragusi di un nuovo esercito messo da Solimano per ritornar una secunda volta alla citta di Vienna l’anno nuovo 1532 in der Chronica Ven. welche Guazzo benutzt, aber doch ſehr frei.

Hundertundzwanzig Stücke Geſchütz eröffneten ihn; dann folgten 8000 Janitſcharen, denen man das Vergnügen anſah, das es ihnen machte, gegen die Deutſchen geführt zu werden;2marchiando con gran solazzo verso Vienna. hinter denen trugen Schaaren von Cameelen ein unermeßliches Gepäck. Hierauf kamen die Sipahi der Pforte, 2000 Pferde ſtark; ihnen war die heilige Fahne anvertraut, der Adler des Propheten, die ſchon bei der Eroberung von Rhodus geweht, mit Edelſteinen und Per - len auf das reichſte geſchmückt. An dieſe ſchloſſen ſich die jungen Knaben an, die eben als ein Tribut der unter - worfenen chriſtlichen Bevölkerung ausgehoben worden, und an der Pforte ihre Erziehung bekamen; in Goldſtoff ge - kleidet, mit langen Locken wie die Frauen, rothe Hüte mit weißen Federbüſchen auf dem Kopf, alle mit gleichen, auf die Weiſe von Damascus künſtlich gearbeiteten Lan - zen. Hinter denen ward die Krone des Sultans getragen, die vor Kurzem ein Sanuto von S. Canzian zu Venedig für 120000 Ducaten nach Conſtantinopel gebracht hatte. Dann erblickte man das unmittelbare Hofgeſinde des Sul - tans, tauſend Männer, die ſchönſten Leute die man hatte finden können, von gigantiſcher Geſtalt; die Einen hat -409Aufbruch der Osmanen.ten Jagdhunde an Leitriemen, die Andern führten Fal - ken zur Vogelbaize; alle waren mit Bogen bewaffnet. In deren Mitte nun ritt Suleiman in goldverbrämtem carmo - ſinen Gewand, mit ſchneeweißem edelſteinbeſetzten Turban; Dolch und Schwert an ſeiner Seite, auf kaſtanienbraunem Roß. Dem Sultan folgten die vier Weſire, unter denen man Ibrahim bemerkte, der ſich oberſten Rathgeber des Sul - tans nannte, Befehlshaber des ganzen Reichs deſſelben und aller ſeiner Sklaven und Baronen; und dieſen dann die übrigen Herren des Hofes mit ihren Dienern. Der An - blick drückte Zucht und Gehorſam aus; ohne Geräuſch, in ſtiller Ordnung bewegte der Zug ſich vorwärts.

So erhob ſich die hohe Pforte von ihrem Sitz, um das Kaiſerthum der Welt an ſich zu bringen. Von allen Seiten eilten die bewaffneten Schaaren des Reichs ihr zu. Man berechnete das Heer, als es im Juni die Grenze von Ungarn überſchritt, auf dritthalbhundertauſend Mann.

Da waren endlich auch jene Geſandten in dem Lager eingetroffen. Aber wie hätten jetzt noch Unterhandlungen den daherfluthenden Strom aufhalten können?

Ich finde nicht, daß ſich die Geſandten ſehr genau an ihre Inſtruction gehalten hätten. Aber ſo weit gin - gen ſie wirklich, daß ſie ſowohl dem Sultan als dem Weſir eine jährliche Zahlung für denjenigen Theil von Un - garn verſprachen, der noch in Ferdinands Händen ſey. Auf den Weſir machten ſie damit allerdings einigen Eindruck; der Sultan wies aber auch dies Erbieten von ſich. Denn wer wolle ihm dafür gut ſagen, daß nicht, während er mit Ferdinand Frieden habe, der Bruder deſſelben, der -410Sechstes Buch. Sechstes Capitel.nig von Spanien, ihn angreife. Dieſen aber, der ſich ſeit drei Jahren großer Dinge wieder rühme, wolle er aufſu - chen. Wenn der König von Spanien Muth hat, ſo er - warte er mich im offenen Felde. Mit Gottes Gnade ziehe ich wider ihn. Es wird geſchehn, was Gott gefällt!

Die Geſandten wurden gefragt, wie lang man brauche, um nach Regensburg zu kommen: ſie antworteten, man reite einen Monat, wenn man den kürzeſten Weg nehme. Die Osmanen zeigten ſich entſchloſſen, den weiten Weg zu machen.

Eben in Regensburg nemlich waren indeſſen die Stände des Reichs zu dem lange verſchobenen Reichstag zuſam - mengekommen; am 17. April hatte man die Verhandlun - gen eröffnet.

Der Kaiſer wünſchte die ihm in Augsburg bewilligte Hülfe noch zu ſteigern. Es war ein Gutachten der Kriegs - räthe eingegangen, nach welchem 90000 Mann, wobei 20000 M. leichte Reiterei, erforderlich waren. 1Zu Fuß forderten ſie 32000 M. mit langen Spießen, 10000 mit kurzer Wehr, 8000 gute Schuͤtzen, 500 Halbhaken und ein paar tauſend Mann, um das Feldgeſchuͤtz zu bedienen. Dieß berechneten ſie auf 118 Stuͤck. 34 Falconen, 32 Falconet, 12 Schlangen, 8 Rothſchlangen, 8 Singerin, 8 Carthaunen, 8 Scharfwetzen, 8 Moͤr - ſer. Gutachten der Kriegsraͤthe. Ueber die erſten Verhandlungen des Reichstags enthaͤlt das Berliner Archiv die Briefe von Barfuß, wo wir ſehn, daß die Eroͤffnung deſſelben ſchon am 17. April geſchah.Der Kai - ſer wünſchte nun, von dem Reiche 60000 M. zu erhal - ten; dann verſprach er auf eigne Koſten 30000 M. ins Feld zu ſtellen. Es wäre aber ganz gegen das Herkom - men des Reiches geweſen, eine frühere Bewilligung noch zu erhöhen. Darauf war keine Geſandtſchaft angewieſen. 411Reichstag zu Regensburg.Auch die ſchon bewilligte Hülfe, 40000 M. zu Fuß, 8000 M. zu Pferde war größer als jemals eine andere. Am 28. Mai erklärte ſich der Kaiſer damit zufrieden, und drang nur darauf, daß die Mannſchaften ſo raſch und vollſtän - dig wie möglich aufgebracht würden. Zum Sammelplatz ward nicht, wie Anfangs der Plan geweſen, Regensburg, ſondern dem Feinde näher, Wien beſtimmt; am 15. Aug. ſollte alles Volk daſelbſt zuſammentreffen. Zum erſten Mal trat hierbei die Kreisverfaſſung in einer wahren und be - merkenswerthen Thätigkeit auf. Noch während des Reichs - tags wurden Kreistage berufen, Hauptleute ernannt, und mit Gehalt verſehen; die Rüſtungen allmählig in Gang gebracht.

Worauf nun aber bei der Ausführung dieſer Be - ſchlüſſe alles ankam, das waren die Unterhandlungen mit den Proteſtanten.

Was ihre Weigerung zu bedeuten habe, ſah man ſo - gleich, als der Kaiſer ſein eigenes Heer ins Feld zu bringen Anſtalt machte. Es mangelte ihm vor allem an Geſchütz und Pulver und er mußte ſich entſchließen, die Städte Straßburg, Augsburg, Ulm, Nürnberg, Coſtnitz, Frankfurt anzugehn, ihm dabei mit dem ihrigen zu Hülfe zu kommen. Das waren ſämmtlich Proteſtanten. 1Fuͤrſtenberg an Frankfurt 7. Juni.

Aber auch die katholiſchen Stände machten den Kai - ſer aufmerkſam, daß man des innern Friedens ſicher ſeyn müſſe, um den äußeren Krieg zu führen.

Ja man darf wohl ſagen, daß die religiöſe Entzweiung der Deutſchen unter den Beweggründen Suleimans zu ſei -412Sechstes Buch. Sechstes Capitel.nem Unternehmen nicht der letzte war. Als die Geſandten in dem türkiſchen Lager viel davon ſprachen, daß der Kai - ſer ſich des Gehorſams und der Liebe ſeiner Unterthanen erfreue, fragte man ſie, ob er Friede mit Martin Luther gemacht habe. Die Geſandten entgegneten, es geſchehe wohl zuweilen, daß in der Chriſtenheit eine Irrung entſtehe, doch verhindere dieß nicht die gemeine Wohlfahrt: ſolch ein Friede werde ſich bald ſchließen laſſen. 2Bericht der Geſandten p. 31.

Das mußte man nun eben ſehen. Wenden auch wir unſere Aufmerkſamkeit dieſen Unterhandlungen zu, welche für uns, ſo wichtig und dringend auch der Moment iſt, doch noch eine andere darüber hinausreichende Bedeutung haben.

Verhandlungen zu Nürnberg.

Als man im Sommer 1531 die Unterhandlungen er - öffnete, dachte man ſie katholiſcher Seits da wieder aufzu - nehmen, wo ſie in Augsburg abgebrochen worden waren.

Aber es zeigte ſich ſogleich der ganze Unterſchied der Verhältniſſe. Die Proteſtanten baten jetzt nicht mehr, ſie wurden gebeten. Sie erklärten, auf einen Vergleich in der Religion zu denken, ſcheine ihnen jetzt nicht mehr rathſam; ſie ſeyen entſchloſſen, an ihrer Proteſtation und Confeſſion feſtzuhalten; vor einem chriſtlichen Concilium würden ſie davon weiteren Beſcheid geben.

1Denken Chf. FF. und Staͤnde, wo der eußerlich Krieg ſtat - lichen ſol volnbracht werden, daß zuvor die hohe Notdurft erfordern wolle, anheym den Frieden zu halten, damit ein yder wiſſ, wie er neben dem andern ſitz. daß auch in allen andern Artikeln vermoͤg E. K. M. Ausſchreybens daneben furgeſchritten, gehandelt, einer mit dem andern beſchloſſen werde.
1413Differenzpunkte in der prot. Unterhandl.

Auch auf alle andern Anträge hatten ſie eine entſpre - chende Antwort bereit.

Man muthete ihnen an, die Geiſtlichen des Ihren nicht weiter zu entſetzen. Sie entgegneten, ſollte den Bi - ſchöfen ihre Jurisdiction verbleiben, denn dieſe haupt - ſächlich verſtand man unter dem Ihren, ſo würden die - ſelben ein Schwert in der Hand behalten, um damit die Lehre jederzeit auszurotten.

Ferner erneuerte der Kaiſer die Forderung, daß in den proteſtantiſchen Ländern die Ausübung des alten Ri - tus, namentlich der Communion unter Einer Geſtalt ge - ſtattet werde. Der ſächſiſche Canzler Brück erwiederte, daß dann auch in dem ganzen Reiche beide Geſtalten erlaubt ſeyn müßten: erſt das werde ein Frieden zu nennen ſeyn, wenn man ſich in den beiden wichtigſten Sacramen - ten in der ganzen Nation gleichförmig halten dürfe.

Endlich gedachte man auch der Wahl: der mainziſche Canzler Türk äußerte die Anſicht, daß die proteſtantiſche Partei durch ihre Oppoſition in dieſer Sache wohl nur die Religionsangelegenheit zu fördern gedenke. Dr. Brück verſetzte, er müſſe ihm ſagen, man habe dieſſeit der Reli - gion halber keinerlei Furcht; ſie ſey zu tief in das Volk gedrungen; Jedermann wiſſe Recht oder Unrecht zu unter - ſcheiden. Die Meinung der Proteſtanten gehe ernſtlich dahin, daß der König die Sache entweder zum rechtlichen Austrag kommen laſſen, oder zufrieden ſeyn möge über die zu herrſchen, welche ihn gewählt. 1Dr. Brucken Bericht, was er mit Dr. Tuͤrken in Bitterfeld

414Sechstes Buch. Sechstes Capitel.

Das ſind die wichtigſten Punkte dieſer Unterhandlun - gen, welche in mehr als Einem Archiv dicke Actenſtöße anfüllen. 1In Weimar, Caſſel, Magdeburg, Wien. (Vergl. Bucholz Bd. IX. Erhard Ueberlieferungen Bd. I.)Unaufhörlich correſpondirten der Churfürſt von der Pfalz mit dem Landgrafen, der Churfürſt von Mainz mit dem Churfürſten von Sachſen; dieſe beiden unterein - ander und mit ihren Bundesgenoſſen. Zuweilen trafen kaiſerliche Bevollmächtigte in Weimar ein; der Churfürſt von Mainz nahm auf ſeinen Reiſen zwiſchen Halle und Aſchaffenburg Gelegenheit, mit einem oder dem andern ein - flußreichen ſächſiſchen Beamten zu ſprechen; dann kamen die Canzler in Bitterfeld zuſammen, und faßten neue Vor - ſchläge ab, die ſie nach Brüſſel überbringen ließen. Der Kaiſer erblaßte, wenn ihm dieſe widerwärtige Sache wie - der einmal vorgetragen werden mußte, doch entzog er ſich ihr nicht, holte ſeines Bruders Rath ein, ermäßigte oder beſtätigte ſeine Anträge.

So lange nun nicht alle Möglichkeit einer Abkunft mit den Osmanen verſchwunden war, dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Sachen doch nicht fortſchreiten wollten. In Schweinfurt, wo in den erſten Monaten des Jahres 1532 die Conferenzen gehalten wurden, kam man im Grunde keinen Schritt vorwärts; die Vermittler hiel - ten für das Beſte die Sache der Wahl ganz und gar fal - len zu laſſen. Auch in Nürnberg, wohin man die Ver - handlungen verlegte um dem Kaiſer näher zu ſeyn, erneuer -1gehandelt. Mittwoch in den Weihnachtsfeiertagen; 27. Dzr. 1531. Eine zweite Zuſammenkunft war Donnerſtag nach Purificationis; 5. Fbr., woruͤber ſich im Weim. Arch. ein aͤhnlicher Bericht findet.415Verhandlungen zu Nuͤrnberg.ten die Vermittler anfangs nur die alten Vorſchläge, und zwar noch etwas eingeſchränkt. 1Endliche Mittel und Fuͤrſchlaͤg, worauf Kaiſ. Mt. uf d Schweinfurtiſchen Handlung empfangenen Bericht zu handeln befohlen. Montag nach Bonifacii 10. Juni. Es iſt ein Irrthum in den meiſten Ausgaben lutheriſcher Werke, (z. B. Walch XVII, p. 2202) daß ſie zu Schweinfurt eingegeben ſeyn. Darauf antworteten nun die Proteſtanten am 12. Juni. Art. 1 vermißten ſie die Worte, die ſo ſich kuͤnftiger Zeit in der Lehre ihrer gethanen Confeſſion und Apologia einlaſſen, deren ſie ſich aus chriſtlicher Pflicht anzunehmen ſchuldig erkennen. Art. 2 fehlen beim Concilium die Worte: daß es allein nach Gottes reinem Wort determiniren ſolle ; ſo geht das fort; und man ſieht, daß ſie keineswegs nachgaben. Am 18. Juni baten ſie vielmehr, daß in den aͤußerlichen Sachen, ſo Gottes Wort und die Gewiſſen nit belangen, uf einen gemeinen beſtaͤndigen Landfrieden ge - handelt, und derſelbe ufgericht mocht werden. Dieſe Wendung der Dinge wird noch ausdruͤcklich durch ein Schreiben Johann Friedrichs an den Grafen von Nuenar, Sonntag nach Jacobi 30. Juli 32 be - ſtaͤtigt, worin er ſich beklagt, daß er nun ſchon in die achte Woche zu Nuͤrnberg liege; und dann die Verhandlungen berichtet. Iſt von den zwei Churfuͤrſten Kſ. Mt. Gemuͤt ſo weytleuftigk eingebracht, das nichts Nutzliches darauf hat gehandelt mugen werden, dan wyr an unſern Teyl ſo vil Beſchwerungen darynnen vermerket, das wir myt Got und gutem Gewiſſen dyſelbigen Artikel nicht haben handeln koͤnnen. Deßhalben man letzlichen von den Artikeln, die zur Eynigkeit dynſtlyck ſyn ſolten, da man ſich dergeſtalt vergleychen ſollte, ganz abgeſtanden, und davon geredet, wie eyn gemeyner Fried im Reych aufgericht ſolt werden. (Weim. Arch.)

Erſt als die ſichere Kunde einlief, daß der Sultan nicht abzuhalten ſey, daß er ſtärker als jemals vorrücke, begann man ſich einander ernſtlich zu nähern.

Nicht als ob man daran gedacht hätte, zu einer voll - ſtändigen Ausgleichung zu gelangen. Die Proteſtanten wünſchten nichts als die Stellung, die ſie eingenommen, wenigſtens vorläufig von dem Kaiſer anerkannt zu ſehn. Sie forderten die Verkündigung eines allgemeinen Friedens416Sechstes Buch. Sechstes Capitel.und die Einhaltung der Proceſſe am Kammergericht, durch die ſie ſich bedrängt fühlten.

Allein auch ſchon dieß zeigte ſich unendlich ſchwer zu erreichen.

Die Vermittler hatten aufs neue den Ausdruck ge - braucht, Niemand ſolle den Andern des Seinen entſetzen; kein Wunder, wenn die Proteſtanten widerſprachen. Es war abermals nur von dem Frieden unter den Ständen die Rede; die Proteſtanten forderten, daß der Friede zwi - ſchen J. Kaiſ. Maj., auch allen Ständen der deutſchen Na - tion verkündigt würde.

Eine andere Weiterung machte die Bezeichnung des Conciliums. Die Proteſtanten hatten vorgeſchlagen, ein Concilium, worin nach dem reinen Wort Gottes determi - nirt würde. Man fand eine ſolche Bezeichnung verfänglich und nicht katholiſch. Indem man aber dafür ſchrieb, ein gemeines freies Concilium, wie ſolches auf dem Reichstag von Nürnberg beſchloſſen worden iſt, konnten die Prote - ſtanten ſich leicht zufrieden geben, da ſie immer auf jenen alten Beſchlüſſen verharrt waren.

Noch viel größer aber war die Schwierigkeit, die nun in Hinſicht der Proceſſe entſtand.

Der Gedanke, die Proteſtanten rechtlich anzugreifen, gehörte bei weitem mehr der Majorität an als dem Kai - ſer. Das Gericht ſelbſt war, wie wir wiſſen, ein ſtändi - ſches Inſtitut. Wir erinnern uns, wie viel Mühe es ge - koſtet hatte, den Einfluß des kaiſerlichen Hofes darauf zu beſchränken. In dem zu Augsburg beſchloſſenen und ſchon in vollem Gange begriffenen Verfahren des Gerichtes ge -417Zugeſtaͤndniß des Kaiſers.gen die Proteſtanten, ſah die katholiſche Partei ihre vor - nehmſte Waffe. Und noch fortwährend beharrte ſie darauf, ſo ſehr ſie auch zuweilen die Nothwendigkeit des Friedens hervorhob. In dem Entwurf eines Abſchieds, den ſie dem Kaiſer am 10. Juli vorlegte, lautet ein Artikel darauf, daß es in Sachen der Religion nach dem Augsburger Ab - ſchiede gehalten werden müſſe, wie überhaupt, ſo beſonders am Kammergericht. 1Schreiben von Planitz an Taubenheim; am 11. Juli.Auch der päpſtliche Legat weigerte ſich zu einer Inhibition des kaiſerlichen Fiscals in Glau - bensſachen ſeine Beiſtimmung zu geben.

Wir ſehen, in welche Verlegenheit der Kaiſer hiedurch gerieth. Um den Türken zu widerſtehen, war die Ruhe im Reich ſchlechterdings nothwendig. Aber die einzige Bedin - gung, welche die Proteſtanten des Friedens verſichern konnte, ſchlugen ihm die Katholiſchen ab. 2Erklaͤrung des Kaiſers mitgetheilt von Planitz nach Sach - ſen, Donnerſtag nach Joannis Baptiſtaͤ (27. Juni). Und nachdem die gemelten Staͤnde fuͤr gut anſehen, zu unterlaſſen alle weitere Mittel und Handlung des Friedens und verharren auf dem Abſchiede von Augsburg, begert J. Mt. mit ſonderem Fleiß an die gemelten Staͤnde, ſie wollen bedenken, was hernach des Glaubens halber ge - folgt ſey.

Endlich entſchloß man ſich am kaiſerlichen Hofe zu der Auskunft, in dem öffentlichen Erlaß nur den Frieden zu verkündigen, über den Stillſtand der Proceſſe aber den Proteſtanten eine abgeſonderte Verſicherung zu geben. Auch dieſe fiel nicht ganz ſo vollſtändig aus wie die Proteſtan - ten wünſchten. Sie hatten die Erklärung gefordert, daß der Kaiſer weder durch ſeinen Fiscal, noch durch ſein Kam - mergericht, noch an andern Gerichtsſtühlen, und zwar wederRanke d. Geſch. III. 27418Sechstes Buch. Sechstes Capitel.von Amtswegen, noch auf Jemandes Anſuchen gegen Sach - ſen und deſſen Mitgewandte procediren laſſen ſolle. Der Kaiſer war zur Annahme ſo vieler ausdrücklichen Clauſeln nicht zu bringen. Er verſprach nur, daß er alle Rechtferti - gungen in Sachen des Glaubens, durch J. Mt. Fis - cal und Andre 1Nur den Zuſatz Und Andere ließ er ſich abgewinnen. In dem urſpruͤnglichen Entwurfe war nur von J. Mt. Fiscal die Rede. Die Unterhandlung ſchwankte bis auf den Tag des Abſchluſ - ſes, Dienſtag nach Mariaͤ Magdalenaͤ. wider den Churfürſten von Sachſen und deſſen Zugewandte bis zum Concilium einſtellen wolle. Dieſe Zuſage verletzte die Majorität nicht geradezu, ließ ſich aber doch auch nach dem Sinne der Proteſtanten ausle - gen, und erfüllte ihre vornehmſte Forderung.

Dagegen hatten nun aber auch dieſe ſich zu einem großen Schritte der Nachgiebigkeit, der ſchon in jenen Worten begriffen iſt, entſchloſſen. Ihre urſprüngliche Mei - nung war geweſen, daß die Verſicherungen, die ihnen ge - ſchähen, auch allen Denen zu Gute kommen ſollten, die noch in Zukunft zu ihrer Confeſſion treten würden; ja ſie hatten die Freiheit der Predigt und des Abendmahls nach ihrem Ritus auch für die Unterthanen fremder Gebiete ge - fordert. Das ließ ſich nun aber hinwiederum bei dem Kai - ſer nicht erreichen. Darin, daß man den Proteſtantismus durch den Vertrag doch auch wieder beſchränke, lag das vornehmſte Motiv, durch welches er den Widerſpruch des Legaten beſeitigen konnte. 2Granvella hob hervor das inconvenient irremediable, sans quelque traité pour (?) infecter le reste de la chretienté; comme l’experience l’a evidemment demontré. Bucholz IX, p. 32.Und war namentlich die zweite Forderung nicht im Ganzen dieſelbe, welche die Bürger -419Zugeſtaͤndniß der Proteſtanten.ſtädte der Schweiz aufgeſtellt, die dort den Krieg veran - laßte, der zu einem ſo unglückſeligen Ausgang führte? Luther ſelbſt ſprach aus, es könne von den Gegnern nicht zuge - ſtanden werden: oder dürfe man hoffen, daß Herzog Georg das Evangelium in Leipzig freigebe? unmöglich; würde man doch auch dieſſeit den benachbarten Fürſten keinen Eingriff in die innern Landes-Angelegenheiten geſtatten! Luther war, wie man ſieht, mit der Territorialmacht der Fürſten wahrhaft verbündet. Aber auch ſein Begriff vom Reiche verhinderte ihn, jene Forderung gutzuheißen. Er ſagt, es ſey als wolle man ſich dieſſeit das Kaiſerthum anmaaßen; das heißt wohl, als nehme man einen über die Vertheidigung hinausgehenden Einfluß auf die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in Anſpruch. Vielmehr fühlte er ſich in ſeiner Seele getröſtet, daß der Kaiſer, die höchſte von Gott geordnete Obrigkeit ſich ſo gnädiglich erbiete, und ſo milden freien Befehl gebe, Friede zu ma - chen. Ich achte es nicht anders, als biete uns Gott ſeine Hand. Daß man damit dem Evangelium ſeinen weiteren Lauf hemme, machte ihm wenig Sorge: er meinte, ein Jeder müſſe auf ſeine Gefahr glauben, d. i. ſein Glaube müſſe ſo ſtark ſeyn, daß er in der Gefahr aushalte. 1Bedenken von Luther und Juſtus Jonas. De Wette IV, 339. In einem etwas ſpaͤtern Bedenken fuͤhrt er ſeinen Fuͤrſten im Verhaͤltniß zu ihren Nachbarn den Grundſatz zu Gemuͤthe: quod tibi non vis fieri, alteri ne feceris. Ganz dieſer Meinung war nun auch Churfürſt Johann: ſie entſprach der nur defenſiven Haltung, welche er von Anfang an genom - men: ſeine Geſinnung war eine vollkommene innere Rechtfer - tigung Bedürfniß. Durch die glänzende Ausbreitung des27*420Sechstes Buch. Sechstes Capitel.Bündniſſes, an deſſen Spitze er ſtand, ließ er ſich doch nicht hinreißen, über die Grundſätze hinauszugehn, auf denen es ur - ſprünglich beruhte. Auch er meinte wie Luther, daß man nicht um der vielleicht künftig einmal Hinzutretenden willen, das ge - genwärtige Gut, das höchſte irdiſche, den Frieden aufgeben müſſe. Und ſo ließ er geſchehn, nicht, daß in den Vertrag eine beſchränkende Clauſel aufgenommen würde, durch ein Verſprechen band er ſich nicht für die Zukunft, ſondern nur daß ausſchließlich diejenigen Stände in demſelben ein - begriffen wurden, die zum Bunde gehörten, auch Mark - graf Georg und Nürnberg, alle die Fürſten und Städte, die wir bereits kennen, zu denen jetzt noch Nordhauſen und Hamburg gekommen waren. Der Landgraf von Heſ - ſen, der die entgegengeſetzte Meinung hegte, war anfangs nicht zufrieden, doch trat er ſpäter hinzu. 1Gutachten ſeiner Theologen bei Neudecker Urkk. 199.

Man darf es wohl als eine beſondere Gunſt der Vor - ſehung betrachten, daß der alte Churfürſt von Sachſen dieſe Tage des Friedens noch erlebte. Wir ſahen oben, welch großes Verdienſt ſich dieſer einfache Mann um die Grün - dung der evangeliſchen Kirche erworben hat. Er genoß nun eines hohen Anſehens im Reiche. Selbſt ein Mitglied des kaiſerlichen Hofes, Graf von Nuenar, bezeichnet ihn als den einigen Vater des deutſchen Vaterlandes in gött - lichen und menſchlichen Dingen. 2Wilh. von Nuenar an Johann Friedrich 11. Juni. (W. A.) Dann wir haben leyder keynen mynſchen, den wir fuͤr ein vater des duytſchen vaterlandes in gotlichen und menſchlichen Sachen ach - ten mogen, denn alleyn U. F. G. Herr Vater und U. F. G. wir wol - len widder mit gotlicher Huͤlfe um U. F. G. ſtan. etc. Doch war ſein reichs -421Tod Johann des Beſtaͤndigen.fürſtliches Gemüth nicht befriedigt, ſo lange er ſich noch im Widerſpruch mit ſeinem Kaiſer befand. Es gehörte zur Vollendung ſeines Schickſals, daß auch der wieder ſein Freund wurde, daß er auch in Beziehung auf die höchſte Gewalt im Reiche den Boden der anerkannten Legalität wieder gewann, von dem man ihn hatte verdrängen wol - len; für die Fortdauer der religiöſen Stiftung, die von ihm ausgegangen, war dadurch ein neuer großer Schritt geſchehn. Im Auguſt erſchienen ſowohl die öffentlichen Erklärungen als die private Verſicherung des Kaiſers. Kurz darauf, nachdem der Churfürſt ſich noch einmal mit ſeinen beiden Töchtern und der geflüchteten Churfürſtin von Brandenburg auf der Jagd vergnügt er kam ſehr hei - ter zurück überraſchte ihn ein plötzlicher Tod am Schlag - fluß. Wer nur auf Gott vertrauen kann, ſagt Luther in ſeiner Grabſchrift, der bleibt ein unverdorben Mann.

Indem nun aber der Kaiſer, von der Nothwendigkeit gedrängt, ſich entſchloß, den Proteſtanten Conceſſionen zu machen, die von der Majorität nicht ausgegangen waren noch gebilligt wurden, veränderte ſich ſeine ganze Stellung. Was er in Augsburg verſucht hatte, mit der Majorität zu regieren, gab er jetzt auf. Aber auch die Majorität ſah, daß ſie an ihm den Schutz nicht fand, den ſie erwar - tete; ſie ſetzte ihm auf dem Reichstag von Regensburg ei - nen Widerſpruch entgegen, wie er noch nie erfahren. Die Stände machten dem Kaiſer tadelnde Vorſtellungen über ſeine ganze Regierungsweiſe, die Verzögerung der Geſchäfte, die Anſtellung von Fremden, ſelbſt in der Kanzlei, die Rück - ſtände ſeines Antheils an der Beſoldung des Kammerge -422Sechstes Buch. Sechstes Capitel.richts, ſein eigenmächtiges Verfahren gegen Würtemberg, Maaſtricht, das er wirklich wieder von Brabant trennen, und in ſeine Libertäten herſtellen mußte, ſo wie gegen Utrecht. 1Schreiben von Fuͤrſtenberg 8. Juli. Auf einen Vorwurf dieſer Art antwortete der Kaiſer, die Erinnerung ſey ganz onzeitig und onbeſonnen, und wie J. Mt. achten moͤge nit mit Fuͤrwiſſen al - ler Stende beſchehen, alles mit ſpitzigen und ſcharpfen Worten. Fuͤrſtenberg findet die Vorwuͤrfe ſehr wahr, doch hat er kein Gefal - len daran, weil man den Kaiſer leicht erzuͤrnen koͤnne, der doch Weib und Kind verlaſſen habe, um die Reichsgeſchaͤfte zu verwalten.Er durfte nicht allein jene Verſicherung zu Gun - ſten der Proteſtanten nicht publiciren, ſondern in offenem Widerſpruch mit derſelben war er genöthigt, die Beſchlüſſe zu beſtätigen, die bei der ſo eben beendigten Viſitation des Kammergerichts gefaßt worden waren, worin die Ausfüh - rung des Augsburger Abſchieds neuerdings geboten ward. Ja ſchon ließ man in der Ferne eine Möglichkeit der Ver - einigung der beiden Religionsparteien[gegen] ihn erſcheinen. Wenn man in dem Reichsabſchied lieſt, daß die Stände leb - haft auf das Concilium gedrungen, ſo macht das einen ſo großen Eindruck nicht. Erwägt man aber die Worte näher und kennt man ihren Urſprung, ſo hatte das eine große Be - deutung. Schon im Sommer 1531 nemlich hatte ſich Baiern und Heſſen hiezu vereinigt; auf einer Zuſammenkunft, welche Landgraf Philipp mit Dr. Leonhard von Eck zu Gießen hielt, war beſchloſſen worden, wenn der Papſt das Concilium noch länger verzögere den Kaiſer anzugehn, es aus eigner Macht zu berufen: würde es aber auch der Kaiſer aus einem oder dem andern Grunde unterlaſſen, ſo ſolle eine Ständever - ſammlung berufen werden, um ſowohl von der Einigkeit in der Religion als von der Abſtellung anderer Gebrechen423Reichsabſchied.zu verhandeln. 1Correſpondenz im Weim. Arch. Auszuͤge daraus im Arti - kel der Uebereinkunft von Gießen und Anhang.Es fällt in die Augen, daß die Oppo - ſition gegen den Kaiſer dazu gehörte, um zwei Oberhäup - ter der entgegengeſetzten Parteien zu dieſem Beſchluß zu ver - einigen; aber merkwürdig iſt immer, daß es geſchah. In der That, es war nicht des Kaiſers guter Wille, daß er in dem Reichsabſchied zu Regensburg verſprach, wenn das allgemeine Concilium nicht binnen ſechs Monaten von dem Papſt ausgeſchrieben, und binnen einem Jahr nicht wirk - lich gehalten werde, eine Reichsverſammlung zu berufen, wo über die gemeine Nothdurft deutſcher Nation berath - ſchlagt und Mittel zu ihrer Abhülfe geſucht werden ſollten. Er fühlte ſehr wohl, daß dieſer Beſchluß ihm aufgedrun - gen war und höchſt gefährlich werden konnte. Auch hat er acht Jahre lang vermieden, wieder einen Reichstag zu berufen, aus Beſorgniß, daß derſelbe ſich als Nationalver - ſammlung conſtituiren und im Widerſpruch mit ihm religiöſe Beſchlüſſe faſſen würde. 2Erklaͤrung des Kaiſers an den Papſt im J. 1539. Rai - naldus XXI, 104, rempesse periculi plenam, alia indicere comitia, perpensa maxime sanctione ordinum imperii, ut Op. Clemens de convocando concilio rogaretur; quo non convocato Caesar illud convocaret, ac si huic muneri is deesset ut concilium natio - nale cogerent.

So ſah es nun in dieſem Augenblick in Deutſchland aus. Die beiden religiöſen Parteien ſtanden einander nicht nur feindſelig gegenüber, ſondern in ihrer Mitte ſelbſt waren neue Entzweiungen ausgebrochen. Die katholiſche Majorität war mißvergnügt über den Kaiſer: der Landgraf von Heſſen wechſelte in dieſen Tagen anzügliche, ja beleidigende Briefe424Sechstes Buch. Sechstes Capitel.mit dem Churprinzen Johann Friedrich von Sachſen, der nach dem Tode ſeines Vaters nun ſelbſt an deſſen Stelle trat. 1Ein ganzes Convolut dieſer Briefe findet ſich copirt im W. A.Heſſen und Baiern waren dagegen in ein näheres politiſches Verhältniß getreten; allein wohin konnte dieß führen, da der Gegenſatz der religiöſen Tendenzen gerade zwiſchen dieſen Fürſten am ſtärkſten war. Der Kaiſer und Sachſen hatten eine Abkunft getroffen: es läßt ſich aber ſchon vorausſehn, welche Schwierigkeiten die Ausführung derſelben haben mußte.

Der Kaiſer ſelbſt erſchien nicht mehr, wie noch zuletzt in Augsburg, in der Fülle der Kraft, wie die jugendlichen Jahre, in denen er noch ſtand, es mit ſich zu bringen ſchie - nen; den ganzen Sommer über war er leidend. Eine Ver - letzung am Bein, die er ſich durch einen Sturz auf der Wolfsjagd zugezogen, nahm eine ſo gefährliche Wendung, daß man meinte, man werde ihm den Schenkel ablöſen müſſen, und ihm einſt in der Nacht bereits die Sacramente gab. Das Uebel hatte ſich ſpäter durch unzeitige Theil - nahme an einer Proceſſion, vielleicht auch durch Exceſſe anderer Art wieder erneuert; während des Reichstags ſuchte er in dem Bade von Abach Heilung und war zuweilen ſelbſt für ſeinen Bruder unzugänglich. Als die Stände ihn auf - ſuchten, um ihm die Bewilligung der Türkenhülfe anzukün - digen, fanden ſie ihn in ſeiner Schlafkammer, auf einer ungepolſterten Bank ſitzen, ohne allen Schmuck, mit einem Maienreis in der Hand, womit er ſich die Fliegen ab - wehrte, in ſeinem Leibröcklein, ſagt der Frankfurter Ge -425Feldzug gegen die Osmanen 1532.ſandte, ſo demüthiglich, daß der geringſte Diener nicht ſo gebaren konnte. 1Fuͤrſtenberg, Dienſtag nach Pfingſten und in andern Brie - fen. Ferdinand an Maria 3. April 1532. Gevay II, 74.

Feldzug gegen die Osmanen.

Und dieſer körperlich ſo ſchwache Kaiſer, dieß durch ſo tiefeingreifende Zwiſtigkeiten geſpaltene Reich waren es nun, die der gewaltige Fürſt der Osmanen an der Spitze ſeiner unzählbaren Kriegsbande überzog. Wie ganz anders nahm dieſer ſich aus! Als die Geſandten Ferdinands un - fern Belgrad bei ihm Audienz haben ſollten, zogen ſie erſt weit und breit durch das Lager ſo der Fußvölker wie der Reiſigen, die auf das prächtigſte herausgeputzt waren, dann durch die Reihen der Janitſcharen, die ihnen ziemlich über - müthig begegneten, bis ſie, in der Nähe des kaiſerlichen Gezeltes von Heerpaukern und Trommetern empfangen, endlich daſelbſt eintraten, und nun den Herrn in ſei - ner Pracht erblickten, ſitzend auf einem goldnen Thron, neben ſich eine koſtbare Krone, vor ſich an den Säulen oder Stollen des Throns zwei prächtige Säbel in perlen - beſetzten Scheiden, reichgeſchmückte Köcher und Handbogen. Die Geſandten ſchätzten den Schmuck, den ſie ſahen, auf 1,200,000 Ducaten. Am 20. Juli ging das türkiſche Heer auf 12 Schiffbrücken in der Gegend von Eſſek über die Drau. Suleiman zog Ungarn aufwärts, als in ſeinem eignen Gebiet. Die Schlöſſer, die er vorüberkam, ſchick - ten ihm ihre Schlüſſel entgegen. Er beſtrafte die Magna - ten, die etwa von Zapolya abgefallen. Seine Ankunft426Sechstes Buch. Sechstes Capitel.machte auch auf die Uebrigen großen Eindruck, und Viele von Denen, die bis jetzt zu Ferdinand gehalten und ſich verlaſſen ſahen, wurden irre.

Denn erſt jetzt fing man in Deutſchland ernſtlich an ſich zu rüſten.

Die Erſten, welche im Feld erſchienen, noch ehe man mit den Unterhandlungen zu Ende gekommen, waren die Nürnberger. Sie hätten nur ein Fähnlein zu ſtellen ge - habt; allein dem Kaiſer zu Ehren und gemeiner Chriſten - heit zum Beſten, hatten ſie deren zwei gerüſtet; zuſammen 800 Mann; bei denen 200 M. mit Handröhren und 50 M. mit Halbhacken waren. Indeß ließen ſie, mit einigen ihrer Nachbarn zuſammen, im Braunſchweigiſchen eine Schaar von 100 Reitern werben, bei denen wir einen Kamp, ei - nen Bürsberg, zwei Münchhauſen finden, die bei ihrer Ankunft in der Stadt gaſtlich empfangen, mit Bier und Wein und Haber verehrt, am 21. Aug. unter Sebaſtian von Jeſſen und Martin Pfinzing ihren Weg gegen den Feind nahmen. Ueberdieß gab Nürnberg dem Kaiſer 15 Stück grobes Geſchütz, 175 Centner Pulver, 1000 Fuß - knechtſpieße, 200 Harniſche für die Trabanten, und einen großen Vorrath von Mehl. 1Muͤllners Annales: dieß alles iſt zu Beſetzung und Ver - proviantirung der Stadt Wien angeſehn worden. Man ſieht was eine einzige Stadt leiſtete. Und alle andern wetteiferten mit Nürnberg. Der kaiſerliche Abgeordnete, welcher der Stadt Ulm die Aufforderung zur Rüſtung gebracht, war noch nicht wie - der nach ſeiner Herberge zurück, als er ſchon die Trommel rühren hörte, um das geforderte Volk zu werben. Augs -427Ruͤſtungen in den Kreiſen.burg erklärte ſich auf der Stelle bereit, ſein Geſchütz nach Wien abgehen zu laſſen. Aus einem Schreiben des Frank - furter Geſandten ſehen wir, daß die feſte Haltung, die der Kaiſer der Majorität gegenüber genommen, auf die Städte den größten Eindruck machte. 1Es erwindet fuͤrwahr nicht an Kſ. Mt. und wird J. Mt. gnedig Gemuͤth und Herz auch von den Staͤdten dermaaßen geſpuͤrt, daß ſie J. Mt. mehr als ihre gebuͤhrliche Huͤlfe ſenden.Einen Augenblick warfen die Proteſtanten die Frage auf, ob es für ſie nicht rathſam ſey, ſich zuſammenzuhalten und unter Einem Hauptmann zu ſtehn; allein bald wies man dieſen Gedanken von ſich; es hätte darin eine neue Trennung gelegen: man unterwarf ſich der Ordnung der Kreiſe. Allenthalben wurden die Kreistage gehalten. Es ward ein Hauptmann ernannt, dem jeder Stand im Kreiſe ein Verzeichniß der Leute überlieferte, die er ſtellen wollte; der denn darauf ſah, daß ſie vollſtändig waren. Der Stand wies ſie an, dem ernannten Haupt - mann gehorſam zu ſeyn. Dieſer hatte das Recht, die Aem - ter mit den tüchtigſten Leuten des Kreiſes zu beſetzen. Es ward beſtimmt, von wem er ſeine Beſoldung empfangen, wie dieſe dann hinwiederum den Zahlenden zu Gute kom - men ſollte. 2Verhandlungen des oberrheiniſchen Kreistags, wo Philipp von Ohun ernannt ward, in den frankfurter Acten.In dem niederſächſiſchen Kreiſe konnte man es, ohne Zweifel der täglich überhandnehmenden religiöſen Irrungen wegen, nicht zur einmüthigen Wahl eines Haupt - manns bringen; der Kaiſer ernannte, kraft ſeines in die - ſem Fall eintretenden Rechtes, den jungen Markgrafen Joa - chim von Brandenburg. Anfang Auguſt war das ganze Reich in kriegeriſcher Bewegung. Täglich ſehen wir, ſchreibt428Sechstes Buch. Sechstes Capitel.der Cardinal Campeggi am 8ten, hier in Regensburg die ſchönſten Compagnien zu Pferd und zu Fuß durchziehen: ſie gehen mit großem Muth zu ihrer Unternehmung und zweifeln nicht an dem Siege. Auch der Kaiſer war voll guten Muthes. Er machte die Bemerkung, daß er bei die - ſem Krieg nur gewinne, möchte er nun ſiegen oder unter - liegen. Sollte er unterliegen, ſo werde er doch einen gu - ten Namen auf der Welt zurücklaſſen und in das Para - dies eingehen; ſollte er aber ſiegen, ſo werde er nicht al - lein ein Verdienſt bei Gott erwerben, ſondern vielleicht das Kaiſerthum bis an ſeine alten Grenzen wieder ausdehnen; auf Erden glorreich leben, der Nachwelt einen großen Na - men hinterlaſſen. 1Niccolo Tiepolo Relatione di 1533: il che diceva sem - pre, che si vedeva non solamente pronto a questa impresa ma quasi arder di desiderio che li venisse occasione di sorte che potesse honestamente esponere la persona sua a tal fortuna. Er ſchien nichts ſehnlicher zu wünſchen, als dieſen Gegner perſönlich zu beſtehn.

Indeſſen war es bereits in Ungarn zu einer überaus ruhmwürdigen, ja faſt wunderbaren Waffenthatgekommen.

Wir kennen ſchon den Namen des Niklas Juriſchitz, des einen von den beiden Geſandten König Ferdinands an den Sultan 1530, 31. Als damals alle Unterhandlun - gen vergeblich waren, ſagten die Geſandten, ſie ſähen wohl, Ungarn ſolle der Kirchhof der Türken und Chriſten werden. Juriſchitz ſchien jetzt dieſes Wort ſelbſt bewähren zu wol - len. Er war eben im Begriff Stadt und Schloß Günz, wo er die Stelle eines Hauptmanns bekleidete, einem Stell - vertreter zu überlaſſen, und mit einer kleinen Reiterſchaar,429Juriſchitz in Guͤnz.zehn ſchweren, zwanzig leichten Pferden, ſeinem König zu - zuziehen, als die Türken in die Nähe kamen und der Ort ſich mit Schaaren von Flüchtlingen anfüllte. Da beſchloß auch er zu bleiben, ſo viele Unglückliche wenigſtens eine Zeit - lang zu vertheidigen, den großen Zug ein paar Tage auf - zuhalten. Denn den Feind wirklich abwehren zu können, traute er ſich nicht zu; ich hatte meine Sache, ſagt er, in ge - wiſſen Tod geſtellt. Hierauf erſchienen die Türken mit al - ler ihrer Macht und begannen die Belagerung auf ge - wohnte Weiſe, pflanzten ihr Geſchütz auf den nächſten An - höhen auf, gruben Minen, und ſuchten durch die Bre - ſchen einzudringen. Juriſchitz hatte keine andern Soldaten als jene 30 Reiter; die übrigen waren alle Einwohner des Ortes oder zuſammengelaufene Bauern; es mochten ihrer ſiebenhundert ſeyn. Aber eilfmal ſchlugen ſie den Sturm der Türken ab, ſie leiſteten den beherzten Widerſtand, welchen allein der Entſchluß, ſich bis zum Tode zu vertheidigen, einflößen kann; zuletzt aber war, wie natürlich, doch alles vergebens. Die Türken hatten zwei große Schütten von Reiſig bis zur Höhe der Mauer aufgeworfen; auf der ei - nen pflanzten ſie ihr Hauptgeſchütz auf, das nun die Mauer beherrſchte, und unter deſſen Schutze von der andern ein breiter Weg nach der Mauer geführt werden konnte. Den ſo vorbereiteten Sturm liefen am 28ſten Auguſt Janit - ſcharen und Reiſige an; wie hätte ihrer Ueberzahl, bei die - ſem Vortheil, Widerſtand geleiſtet werden können. Bald waren die Vertheidiger in einen letzten Verhau zurückge - drängt, wo ſie ſich noch mit ſinkenden Kräften ſchlugen; ſchon weheten die türkiſchen Banner an acht Stellen auf430Sechstes Buch. Sechstes Capitel.der Mauer; Juriſchitz erwartete nur den Tod: ich freue mich, ſagte er, daß mir die Gnade Gottes ein ſo ehren - volles Ende beſtimmt hat. Wunderbar, was ihn dennoch rettete. Jene wehrloſen Flüchtlinge, Weiber, Greiſe und Kinder, ſahen ſich nun doch der Wuth des entſetzlichen barbariſchen Feindes preisgegeben. Indem er auf ſie ein - drang, ſtießen ſie ein Geſchrei aus, in dem ſich das Anru - fen der Gottheit mit dem Tone der Verzweiflung vermiſchte, jenes durchdringende Geſchrei, wie es die Natur aus dem lebendigen Geſchöpf bewußtlos hervortreibt, wenn es ſich von dem unabwendbaren Verderben bedroht ſieht. Kann man dieß ein Gebet nennen, ſo ward nie ein Gebet un - mittelbarer erhört. Die ſiegreichen Osmanen erſchraken vor der Verzweiflung. Längſt war ihnen der Widerſtand, den ſie hier fanden, wunderbar vorgekommen, jetzt meinten ſie, aus dem Schloſſe, aus jedem Hauſe friſche Mannſchaften vordringen zu ſehen, ſie glaubten in den Lüften einen Rit - ter in ſeinem Harniſch zu erblicken, der ihnen mit gezück - tem Schwerte drohe. So wichen ſie zurück. Der allmäch - tige Gott, ruft Juriſchitz aus, hat uns ſichtbarlich gerettet. 1Schreiben von Juriſchitz in Goͤbels Beitraͤgen p. 303. Fer - ner was Jovius aus ſeinem Munde hoͤrte lib. XXX, p. 105. Se - pulveda X, 17 23.

Ein Ereigniß, welches an die Delphiſchen Götter ge - mahnen könnte, die ſich dem Einbruch der Gallier in Grie - chenland entgegenſtellten; an die Erſcheinung, die dem Dru - ſus mitten in Deutſchland zurief: Bis hieher und nicht weiter; an andere Wendungen des Geſchicks, welche die Meinung der Menſchen in dem Moment ihres Geſchehens mit einer höhern Waltung, wie ſie dieſelbe nun auch auf -431Das Heer des Kaiſers.faſſen mochte, in Verbindung gebracht hat: jedoch wir wollen ſo weit nicht gehn; genug, daß ſelbſtvergeſſene Ta - pferkeit und vollkommene Hingebung auch hier einen gro - ßen Erfolg nach ſich zogen.

Suleiman entſchloß ſich, dem wackern Feinde, der ſich allerdings keine Stunde länger hätte wehren können, eine Schutzwache zu geben und vorüberzuziehen.

Aber indeſſen hatte nun der Kaiſer Zeit gehabt, ſeine Streitkräfte zu ſammeln. Er ſelbſt hatte 12000 Lands - knechte geworben und in der Gegend von Augsburg mu - ſtern laſſen. Spaniſche Granden waren eingetroffen, um unter den Augen ihres Königs im Kriege gegen die Un - gläubigen Ruhm zu erwerben. Der Herzog von Ferrara hatte 100 italieniſche Huomini d’armi geſendet. Andere Italiener führte der junge Hippolyt Medici, Neffe Papſt Clemens VII. Die Erblande König Ferdinands hatten ihr Beſtes gethan, und kein Mittel war verſäumt worden, Geld herbeizuſchaffen; ſelbſt an einzelne niederländiſche Große, an devote, reiche Frauen, denn eine beſſere Anwendung könne Niemand von ſeinem Reichthum machen, hatte er ſich ge - wendet. 1Schreiben Ferdinands an Maria. Gevay II, 83.Doch den Kern des Heeres bildeten ihm im - mer die Mannſchaften des Reiches. Auf dem Tulnerfeld in der Nähe von Wien geſchah die große Verſammlung. Die Geſammtzahl der Truppen läßt ſich nicht genau be - ſtimmen, die glaubwürdigſten Angaben ſchwanken zwiſchen 76000 und 86000 Mann. Darin aber kommen alle über - ein, daß es das ſchönſte Heer war, das man ſeit Jahr - hunderten in der Chriſtenheit geſehn hatte. Es vereinigte die Elemente, welche in Italien die großen Siege davon432Sechstes Buch. Sechstes Capitel.getragen, deutſche Kraft und Ordnung, italieniſche Beweg - lichkeit, und die beharrliche Verſchlagenheit der Spanier. Doch war der deutſche Beſtandtheil bei weitem überwiegend.

Suleiman war in der Erwartung ausgezogen, daß die Entzweiungen der Chriſtenheit, namentlich die deutſchen, dem Kaiſer die Hände binden, ihm jeden großartigen Wi - derſtand unmöglich machen würden. Da er ein ſo zahl - reiches, trefflich gerüſtetes Heer ſich gegenüber ſah, hatte er nicht den Muth, wie er ſich ſo oft vermeſſen, es im Felde aufzuſuchen.

Indem er nun ſeine Akindſchi, an Zahl 15000, leichte Truppen unter einem Anführer, auf deſſen Helme man Geierflügel erblickte, Flüchtigkeit und Raub zu bezeichnen, nach Oeſtreich ſchickte, wandte er ſich ſelbſt nach Steier - mark und erſchien vor Gräz. 1Wahrhaftige Beſchreibung des andern Zuges in Oeſtreich. Aus einem alten Nuͤrnberger Druck von 1539 in Goͤbels Beitraͤgen p. 309. Die Schrift iſt aus dem Briefwechſel des Pfalzgrafen ge - zogen.Aber die Akindſchi wur - den von einem Haufen der Deutſchen einem andern in die Hände gejagt, und faſt völlig vernichtet; Gräz leiſtete Wi - derſtand; und indeſſen mögen auch von der See her, wo Doria in den ioniſchen Gewäſſern über Zai-begh offenbar die Oberhand hatte, ungünſtige Nachrichten eingelaufen ſeyn. Suleiman glaubte die glücklichen Geſtirne ſeines Nebenbuh - lers zu erkennen, und entſchloß ſich, dem gefährlichen Kam - pfe durch raſchen Rückzug auszuweichen. 2Schaͤrtlins Lebensbeſchreibung p. 35. Hammer III, p. 118.

Der Kaiſer hätte, wie wir wiſſen, dem Feind zwar eine Schlacht zu liefern gewünſcht; ein entſchiedener Sieg433Ruͤckzug Suleimans.hätte ſeinem Bruder Ungarn wieder verſchaffen können. Aber auch ſchon mit dem geringern Erfolg war er zufrie - den. Gottes Gnade hat uns, ſchrieb er dem Papſt, die Ehre und das Glück verliehen, daß wir den gemeinſchaft - lichen Feind der Chriſtenheit zur Flucht genöthigt, und das Unglück verhütet haben, was er uns zuzufügen im Sinne hatte. 1Bei Sandoval II. Auch fühlte er wohl, daß man nicht blos einen Vortheil für den Augenblick davon getragen. Es war ein Gewinn auf immer, daß die Furcht vor den Kriegsrüſtungen der Deutſchen, der Eindruck ihrer Ueberle - genheit, dem Sultan den Kampf verleidet, ihn zum Rück - zug bewog.

Und indeſſen hatte auch Doria dem Kaiſer glänzende Vortheile erfochten. Er hatte das osmaniſche Geſchwader aus dem ioniſchen Meere verjagt, bis nach Cerigo verfolgt, und dann raſch hinter einander Coron, Patras und die Dardanellen von Morea erobert. Gewaltige Kanonen mit arabiſchen Inſchriften wurden nach Genua gebracht, und in der Capelle der Doria am Molo aufgeſtellt. 2Jovius lib. XXXI. Historia del Guazzo, p. 124.

Bei weitem minder zufrieden war König Ferdinand. Seine Hoffnung war wirklich geweſen im Sturm des Sieges ganz Ungarn wieder einzunehmen, Belgrad nicht ausgeſchloſ - ſen. Allein die Truppen glaubten ſchon genug gethan zu haben, daß ſie den Feind von der deutſchen Grenze entfernt hatten. Die Kriegshauptleute zogen ihre Inſtructionen hervor, in denen von einer Eroberung Ungarns nicht die Rede war. Der oberſte Feldhauptmann, Pfalzgraf Fried -Ranke d. Geſch. III. 28434Sechstes Buch. Sechstes Capitel.rich, weigerte ſich vorzurücken. Das machte hauptſächlich, daß Ferdinand durch den Eifer für das Papſtthum, den er bewies, die Gunſt der Nation wieder verloren hatte: ſie wollte keine Eroberungen für ihn machen. Sie wollte ihn lieber ſchwächer als ſtärker ſehn, wie ſich das ſogleich weiter an den Tag legte.

[435]

Siebentes Capitel. Einwirkung von Frankreich, Reſtauration von Wirtemberg 1533, 34.

Es hatte geſchienen, als werde die lateiniſche Chri - ſtenheit, unter Kaiſer und Papſt vereinigt, ſich auf die von ihr Abgewichenen ſtürzen, um ſie zu vernichten.

Statt deſſen ſah ſich das eine ihrer Oberhäupter ge - nöthigt, um den Anfall einer entgegengeſetzten Weltmacht, der doch zunächſt ihm und ſeinem Hauſe galt, abzuweh - ren, mit den Proteſtanten in Vertrag zu treten, und ihnen einſtweilige Sicherheit zuzugeſtehen. Die poſitive Conceſ - ſion war nicht das Einzige, was dieſe hiebei gewannen; einen nicht mindern Vortheil gewährte es ihnen, daß ſie ſich der großen nationalen Unternehmung zugeſellt, zu der glücklichen Vertheidigung des Vaterlandes ſo viel wie ir - gend Jemand ſonſt beigetragen hatten.

Aber indeſſen waren nun in jener Welt, welche ſie bedroht, die inneren Feindſeligkeiten, deren Regung wir er - wähnten, noch einmal ausgebrochen.

König Franz wäre durch die Verträge allerdings ver - pflichtet geweſen, dem Hauſe Oeſtreich gegen die Türken28*436Sechstes Buch. Siebentes Capitel.Hülfe zu leiſten. Aber es widerſtrebte ſeinem Stolze, dieß auf eine Weiſe zu thun, wie der Kaiſer gewünſcht hätte. Franz I erbot ſich, die Türken in Egypten anzugreifen. Aber die Kaiſerlichen meinten, ſein Zweck ſey wohl nur, ſich unter dieſem Vorwand zu rüſten und dann Genua und Neapel anzufallen: und alles zerſchlug ſich. 1Schreiben des A. de Burgo an Ferdinand. Rom 2. Maͤrz 1531 bei Bucholz IX, p. 90.

Wir wiſſen, wie heftig er jene Anträge auf einen ge - meinſchaftlichen Krieg gegen die Schweiz zurückwies.

Auch in Hinſicht des Conciliums gab er nur eine ausweichende Erklärung. Ihm lag bei weitem mehr an der Gunſt des Papſtes, der es vermeiden wollte, als an der Freundſchaft des Kaiſers, der es wünſchte. 2Gregorio Casali au Grand Maistre bei Le Grand Histoire è divorce III, 542. 5. Maggio 1531. Questa corte fin adesso è stata in gran timore del concilio, hora sono alquanto assecurati, si per le ultime lettere del imperatore, che sono state meno fu - riose delle altre, si anche per quello si spera in voi altri.

Denn keinen Augenblick war ſeine Meinung, die Ab - tretungen, zu denen er ſich in Cambray hatte verſtehen müſſen, namentlich die Verzichtleiſtung auf Genua und Mailand, als definitiv zu betrachten. Er ſah dieſe Herr - ſchaften als ſein gutes Eigenthum an, deſſen er ſeine Kin - der gar nicht einmal habe berauben dürfen. Er fühlte ſeine Ehre gekränkt, ſo oft er daran dachte, daß er ſie ver - loren hatte.

Um ſie aber wieder zu erwerben, ſchien ihm eine neue Verbindung mit dem Papſt das einzige Mittel.

Schon zeigten ſich von Tag zu Tage neue Differen - zen zwiſchen Papſt und Kaiſer.

437Differ. zwiſch. Clemens VII u. Carl V 1531, 32.

In Rom war man unglücklich, daß der Kaiſer ſo eifrig auf das Concilium drang. Man hat ihm wohl einmal vorgeſtellt, daß er Geld vom Papſt fordere, und demſelben doch zugleich die Mittel entreiße, deſſen aufzu - bringen. Kein Menſch wollte ſich verſtehn auf die kirch - lichen Einkünfte etwas darzuleihen, deren Reduction man von dem Concilium erwartete. Ueberdieß fühlte ſich Cle - mens VII gekränkt, daß man auf ſeine Empfehlungen we - nig achtete, bei den Verleihungen vacanter Pfründen auf ſeinen Neffen Hippolyt nicht die Rückſicht nahm, auf die er gerechnet, daß man in Neapel dem Cardinal Colonna freie Hand ließ, der ein geſchworener Feind des römiſchen Hofes war. Was nun aber den alten Widerwillen am meiſten erweckte, das war der Ausſpruch des Kaiſers in der Sache von Ferrara. Der Kaiſer ſoll dem Papſt zugeſagt haben, wenn er ſehe, daß das Recht nicht auf Seiten Sr. Heiligkeit ſey, einen Ausſpruch überhaupt nicht zu thun. Nichts deſto minder entſchied er nun zu Gunſten von Fer - rara. Dieß, ſagt ein Vertrauter des Papſtes, hat das Herz Sr. Heiligkeit verwundet. Wollte Gott , ruft der Geſchäftsträger des Königs Ferdinand aus, der Kaiſer hätte dieſen Spruch nicht gethan; er will bemerken, daß ſich die kaiſerliche Partei bei Hofe und im Collegium deshalb vermindere. 1A. de Burgo 8. Juni 1531. a. a. O. p. 99.

Dagegen ſchlug nun der König von Frankreich dem Papſt die ehrenvollſte Verbindung vor, die je einem päpſt - lichen Hauſe angetragen worden. Einen ſeiner Söhne, Hein - rich Herzog von Orleans, der eine nicht allzu entfernte Ausſicht auf den franzöſiſchen Thron hatte, wie er ihn438Sechstes Buch. Siebentes Capitel.denn wirklich beſtiegen hat, bot er der Nichte des Papſtes, Catharina Medici, zum Gemahl an.

Wie viel das dem Papſt werth war, ſieht man aus dem Vertrage, der am 9. Juni 1531 hierüber abgeſchloſ - ſen worden iſt.

Der König hatte nicht wenig gefordert: vor allem die Bildung eines Fürſtenthums für das künftige Ehe - paar, beſtehend aus Piſa und Livorno, Reggio, Modena, Rubiera, Parma und Piacenza; damit ſollte denn auch Urbino, das dem Vater Catharinas eine Zeitlang ge - hört hatte, ja ſelbſt Mailand und Genua vereinigt wer - den. Der Papſt ſollte ſeine Hülfe zur Wiedereroberung dieſer Landſchaften verſprechen. 1Articles secrets zu dem Heirathsvertrag, unterzeichnet wie dieſer am 24. April. Unter andern ward gefordert Ayde et se - cours audit futur epoux pour lui ayder à recouvrer l’etat et du - ché de Milan et la seigneurie de Gennes, qui luy appartiennent.

Der Papſt ging nun hierauf in der That ein. In Gegenwart der franzöſiſchen Geſandten, Cardinal Gram - mont und Herzog von Albany, erklärte er ſich bereit, nach - dem die Vermählung vollzogen worden, Piſa, Livorno, Modena, Reggio und Rubiera dem jungen Ehepaar zu übergeben, ſobald als er und der König es thunlich und nützlich erachten würden, auch Parma und Piacenza, wofür jedoch der König der Kirche einen Erſatz gewähren müſſe, über den ihre beiderſeitigen Commiſſare ſich zu einigen hät - ten; er zeigte ſich ſehr willig, zur Wiedereroberung von Urbino das Seine beizutragen. Nur über Mailand und Genua ſprach er ſich nicht beſtimmt aus. Aber er er - klärte doch, daß er die geheimen Artikel, in denen dieſe439Verbindung zwiſchen Clemens u. Franz I. Forderung vorkam, überhaupt billig und recht finde, und ihre Ausführung wünſche, ſobald ſich nur eine gute Ge - legenheit dazu zeige. 1Nre St. père ayant veu les articles secrets les a trou - vés et trouve très raisonnable. Artikel und Erklaͤrung fand ich in der K. Bibl. z. Paris. MS. Bethune 8541. f. 36.

Man ſieht, welch ein enges gemeinſchaftliches Inter - eſſe ſich hiedurch zwiſchen König und Papſt für die Um - geſtaltung Italiens bildete, wie ſehr dieß aber mit dem Prinzip und Vortheil des Kaiſers in Widerſpruch ſtand.

Es verſteht ſich, daß der Papſt ſeine Verabredungen mit Frankreich ſo geheim wie möglich hielt.

Im Auguſt 1531 wagte er einmal den öſtreichi - ſchen Bevollmächtigten zu ſagen, er halte es für ſchlech - terdings nothwendig, etwas zur Befriedigung des Königs von Frankreich zu thun: er ſehe wohl, der Kaiſer werde dem König Mailand und Genua niemals abtreten, aber könne man ihm nicht wenigſtens Hoffnung dazu machen, ohne es ihm wirklich zu geben? 2Burgo 11. Auguſt. a. a. O. 101.Aber der Eindruck, den ſelbſt ein ſolcher Vorſchlag machte, war wohl ſehr ungünſtig. Wenigſtens ſagte der Papſt den franzöſiſchen Geſandten hierauf, er ſehe ſich in der Nothwendigkeit, ſeine gute Geſinnung noch zu verheimlichen, um Aufſchub zu bitten. An ſeiner Geſinnung brauchten darum die Franzoſen keinen Augenblick zu zweifeln. Im Vertrauen geſtand er zu wiederholten Malen ein, der Kaiſer habe in dem letzten Tractate ſeinen Vortheil zu weit getrieben, es ſey zu wünſchen, daß er dem König deſſen Eigenthum zurückgebe. Der Geſandte hielt ſich im März 1532 über -440Sechstes Buch. Siebentes Capitel.zeugt, des Papſtes wahrhafter Wunſch ſey, daß der König in Mailand, der Kaiſer in Neapel herrſche; dann werde er glauben, in der Mitte von beiden etwas zu vermögen. 1Depesches de l’eveque d’Auxerre Ambassadeur pour le r. François I près le Pape Clement 11. Spt., 28. Octbr., 4. Jan., 20. März. Bibl. Royale. MS. Dupuis nr. 260.

Man erwartet in dieſen Jahren Pläne gar nicht mehr, wie die, zu denen den Papſt alle dieß Hin - und Herüber - legen ſeines Vortheils, dieſe Hinneigung zu Frankreich, die er doch zu verheimlichen ſuchte, am Ende geführt hat.

Im Mai 1532 ließ er dem König Ferdinand den Vorſchlag machen, Ungarn, wie er es noch beſitze, dem Woiwoden zu überlaſſen, und ſich dafür in Italien und zwar im Venezianiſchen zu entſchädigen. Wie ganz vergeſſen hatte er doch die Lehre, die Andere aus dem Kriege der Ligue von Cambray gezogen. Der Woiwode, den er, obwohl geheim vor dem Richterſtuhl des Gewiſſens, von jenen Cenſuren befreit hatte, die er einſt, den öſtreichiſchen Brü - dern zu Gunſten, ausgeſprochen, ſollte ſich jetzt mit denſel - ben wider Venedig verbinden. Auch der König von Frank - reich ſollte das thun. Dafür ſollte er den größten Theil von Mailand und einen Theil von Piemont bekommen. Franz Sforza ſollte zum Herzog von Cremona gemacht und mit einem aus Mailändiſchen und Venezianiſchen Beſitz - thümern gebildeten Gebiete befriedigt werden. In der That, ganz ein Anſchlag im Sinne ſeiner letzten politiſch ſo unruhigen Vorfahren. Auf das ſonderbarſte hatte ſich der Wunſch verhüllt, den König von Frankreich noch ein - mal in Italien mächtig zu ſehen. 2Andreas de Burgo an den Cl. v. Trient 23. Mai 1532, ſehr ausfuͤhrlich; vgl. die Schreiben vom 29. Aug. u. 14. Septbr.

441Zuſammenkunft in Bologna 1532.

Wirklich hat man darüber unterhandelt; den Bevoll - mächtigten Ferdinands und wahrſcheinlich auch ihm ſelbſt kam die Sache nicht ſo ganz unannehmbar vor; aber in - deß näherte ſich der Anfall der Osmanen; alle Aufmerk - ſamkeit mußte auf die Abwehr derſelben gewendet werden, und indeß waren die Umſtände verändert.

Auf der Stelle erſchien auch der Kaiſer ſelber wieder in Italien.

Es mag wahr ſeyn, was man behauptet, daß Man - gel an hinreichenden Geldmitteln ihn bewog, das große Heer wieder aufzulöſen, und ſeinen Bruder nur mit unzu - reichenden Kräften zurückzulaſſen: ein anderes Motiv lag aber ohne Zweifel darin, daß perſönliche Unterhandlungen mit dem Papſt noch einmal ſehr dringend geworden wa - ren. Am 5. Dezember traf er zu einer neuen Zuſammen - kunft mit demſelben in Bologna ein.

Vor allem mußte hier die Sache des Conciliums vor - genommen werden. Der Kaiſer täuſchte ſich darüber nicht, daß der Papſt es zu vermeiden wünſche. 1Schon am 29. Juli 1531 ſchrieb er dieß ſeinem Bruder. Plus va l’on avant, plus l’on appercoit que le pape n’y (fuͤr das Concil) a voulenté et que le roy de France luy ne veult de - plaire, pensant par ce moyen le tenir gaigné. (A. z. Bruͤſſel.)Aber er mochte hoffen, ſeine perſönliche Gegenwart, erneuerte Vorſtellun - gen über die Lage der Dinge in Deutſchland, namentlich die Gefahren einer Nationalverſammlung, würden dem Papſt doch etwas abgewinnen. Unverzüglich begannen die Conferenzen; der Papſt bildete eine Congregation dafür, die aus den Cardinälen Farneſe, Ceſis, Campeggi, und je -442Sechstes Buch. Siebentes Capitel.nem Erzbiſchof von Brindiſi, Aleander beſtand; Conſiſto - rien wurden darüber gehalten. Die Frage war, ob man das Concilium definitiv berufen, oder erſt den Verſuch ma - chen wolle, die noch obſchwebenden Feindſeligkeiten zwi - ſchen den chriſtlichen Fürſten beizulegen. Denn mit die - ſen Zwiſtigkeiten pflegte der Papſt ſeine Verzögerung zu entſchuldigen. In dem erſten Conſiſtorium erklärten ſich in der That die Cardinäle für unverzügliche Berufung; denn zu weit ausſehend ſey der Verſuch jener Verſöhnung. Der Papſt verſchob die Beſchlußnahme bis auf die nächſte Sitzung. In dieſer, am 20. Dezember, fiel dann die Ent - ſcheidung im Sinne des Papſtes aus. Die Stimmenmehr - heit erklärte, daß vor der Verſöhnung das Concilium nicht gehalten, ja ſogar keine gemeinſchaftliche Maaßregel ge - gen die Türken oder gegen die Lutheraner genommen wer - den könne. 1Dieſe Nachrichten finden ſich freilich nicht bei Pallavicini, allein ſie ſind authentiſch. Ich entnahm ſie aus dem Schreiben des franzoͤſiſchen Geſandten, Biſchof von Auxerre, 24. Dez. 1532. Sire, au premier consistoire, on partie des Cardinaux opina, qu’il fal - loit pourvoir de faire ung concille tant pour obvier aux Luthe - riens que au Turc, disans que la chose seroit trop longue de vouloir à cette heure appoincter les princes chretiens, fut par notre st. père la chose remise a correcture jusqu’au pronchain consistoire qui fut vendredi dernier, auquel fut conclu par sez S et à la pluralité des voix que sans accorder lad. princes chretiens ne se pouvoit faire ny concille ny pourvoir au Turc ny auxd. Lutheriens. Es läßt ſich denken, wie mißvergnügt der Kaiſer hierüber war. Man ſuchte nur den Schein zu retten, erließ Erklärungen, daß das Concilium auf jeden Fall gehalten werden ſolle, ſchickte Abgeordnete, um es ſcheinbar vorzubereiten, nach Deutſchland; das war aber,443Zuſammenkunft in Bologna 1533.wenn ich mich dieſes Ausdrucks bedienen darf, alles Spie - gelfechterei. Ernſtlich beabſichtigte man durch dieſe Miſſio - nen nichts weiter, als den Deutſchen den Gedanken des Nationalconciliums auszureden. Darin allein verſtanden ſich Kaiſer und Papſt. 1Auszug aus der Inſtruction fuͤr den Nuntius Ugo Rangoni bei Pallavicini lib. III, c. XIII (V. I, p. 327).

Hierauf kam die Erhaltung des Friedens in Italien zur Sprache. Der Kaiſer glaubte einen Angriff Franz I auf Genua erwarten zu müſſen; und ſein Entwurf war, denſelben durch ein gegenſeitiges Vertheidigungsbündniß aller italieniſchen Staaten zu verhüten. Allein auch hier - bei ſah er ſich von dem Papſt nur wenig unterſtützt. In Gegenwart des Kaiſers ſprach ſich Clemens wohl für dieſen Bund aus, aber insgeheim ließ er den veneziani - ſchen Geſandten wiſſen, was er da geäußert, habe er nur als die Meinung des Kaiſers geſagt, nicht als die ſeine, er möge davon der Republik vorſichtige Meldung thun. 2que ce qu’il avoit dict present l’empereur, il l’avoit dict comme opinion de l’empereur, mais non pas comme la sienne et qu’il le fist entendre saigement à la Srie. L’eveque d’Auxerre 1. Janv. 1533.Die Venezianer erklärten, ihr Verhältniß zu den Osmanen hindere ſie in ein Bündniß zu treten, das zu Gunſten Andrea Doria’s geſchloſſen werde. Eine andere Schwierigkeit machten die Mißverhältniſſe des Papſtes mit Ferrara. Nur mit großer Mühe konnte Clemens dahin gebracht werden, dem Herzog auf 18 Monat Sicherheit zuzuſagen. 3Vergl. Guicciardini (damals Vicelegat in Bologna und zu den Conferenzen zugezogen) lib. XX, p. 109.Endlich ward denn der Bund geſchloſſen; es444Sechstes Buch. Siebentes Capitel.wurden die Beiträge beſtimmt, die ein jeder beſonders im Fall des Krieges zu leiſten habe. Aber ſchon die Ver - handlungen zeigen, wie wenig zuſammenhaltende Kraft dem - ſelben inwohnen konnte. Franz hatte eher den Vortheil davon, daß er Gelegenheit bekam, ſich über die Feindſelig - keit des Kaiſers, die ſich in dieſen Vorkehrungen ausſpreche, zu beklagen.

Und hätte der Kaiſer gehofft, durch eine Abkunft die - ſer Art das Verhältniß zwiſchen dem Papſt und dem - nig aufzulöſen, ſo wäre er in einer ſchweren Täuſchung be - fangen geweſen. Gegen eine ſo ehrenvolle Familienverbin - dung, wie die vorgeſchlagene, vermochte keine Einwendung etwas auszurichten.

Im folgenden Herbſt machte ſich der Papſt per - ſönlich auf den Weg, um ſeine Nichte nach Frankreich zu führen. In Marſeille hielt er eine Zuſammenkunft mit König Franz, die ohne Vergleich wichtiger geworden iſt, als die letzte mit dem Kaiſer.

Die Natur der Sache bringt es leider mit ſich, da die Verhandlungen mündlich gepflogen wurden, daß wir keine Aufzeichnungen finden, die uns darüber eine authen - tiſche Kunde zu gewähren vermöchten.

Allein wie man den Kaiſer von Rom aus warnte, denn es ſey nicht anders möglich, als daß der Papſt mit dem König etwas gegen ihn vorhabe,1Schreiben bei Sandoval XX, § 20: que no se descuy - ſo verſichern uns die florentiniſchen Vertrauten des Papſtes, und ein ſo ſchar - fer und guter Beobachter wie der venezianiſche Geſandte, einſtimmig, daß dieß geſchehen ſey.

445Zuſammenkunft in Marſeille 1533.

In Marſeille wurden nicht allein franzöſiſche Cardi - näle ernannt; bei weitem mehr hatte zu bedeuten, daß der Papſt ſich entſchloß ſeinen Nuntius in der Schweiz, den Biſchof von Veroli, welcher für kaiſerlich geſinnt galt, auf Bitten des Königs zurückzurufen. 1Sanchez bei Bucholz IX, 122.

Bald aber ſtellte ſich noch weiter heraus, was zwi - ſchen den beiden Fürſten verabredet ſeyn mochte.

Der Herzog von Orleans, Gemahl der Nichte des Papſtes, machte auf Urbino Anſpruch, welches das Erb - theil ſeiner Gemahlin ſey, und der päpſtliche Nuntius in Deutſchland verhehlte nicht, daß der Papſt denſelben un - terſtützen werde. Allerdings ſey ihm durch die Tractate verboten, Neuerungen anzufangen, aber unmöglich könne man es eine Neuerung nennen, wenn Jemand das Seine zurückfordere. Sey doch Urbino ein Lehen der Kirche; ge - wiß werde ſich der Kaiſer keines päpſtlichen Vaſallen gegen dieſelbe annehmen. 2Schreiben des Erzbiſchofs von Lunden an Granvella, 15. Febr. 1534. Der Nuntius hatte geſagt: scire se, ob id bellum futurum in Italia et pontificem auxilia daturum duci Aurelianensi contra quoscunque pro recuperatione dicti ducatus.

Das bekam aber eine noch weit höhere Bedeu - tung, als auch der König ſeine Anſprüche auf Mailand bald darauf ſtärker als bisher erneuerte. Er forderte, daß Sforza durch ein Jahrgeld abgefunden und Mailand ihm auf der Stelle eingeräumt werde. 3Excerpte bei Raumer; Briefe aus Paris I, 262.

1asse porque no era possible se no que el papa y el rey avian tratado algun negocio contra el.

446Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Bemerken wir nun, daß dieß die Stipulationen des Ehe - vertrags waren, ſo wird wohl höchſt wahrſcheinlich, daß die Beſprechungen in Marſeille eben die Vollziehung deſſelben zur Abſicht hatten. Wie ſollte es nicht auch dem Papſt erwünſcht ſeyn, ſeine Nichte als mächtige italieniſche Für - ſtin zu begrüßen?

Den Kaiſer brauchte er wegen ſeiner Annäherung an Frankreich nicht ſogleich zu fürchten; wir werden ſehen, wie er demſelben durch Erfüllung ſeiner Wünſche in der engliſchen Sache doch wieder die Hände band, ja ſeiner Politik eine andere Richtung zu geben ſuchte.

Es fragte ſich nur, wie man ihn in den italieniſchen Angelegenheiten zur Nachgebigkeit nöthigen wollte, ob durch offene Gewalt oder durch indirecte Mittel.

Die Verſicherung des venezianiſchen Geſandten iſt, daß der Papſt das erſte abgelehnt, aber zu dem letzten ſeine Zuſtimmung gegeben habe.

Nachdem die politiſche Oppoſition gegen das Haus Oeſtreich, welches dem katholiſchen Europa zuletzt mit den Waffen ſeinen Willen aufgenöthigt hatte, einen Augenblick beſchwichtigt geweſen, erwachte ſie wieder, und nahm die alten Pläne auf. Der Gedanke des Papſtes und des - nigs war, ſich zunächſt fremder Feindſeligkeiten zu ihrem Zwecke zu bedienen.

Der venezianiſche Geſandte urtheilt, daß in Marſeille auch von einer Bewegung von Seiten der Osmanen die Rede geweſen ſey, doch will er es nicht behaupten; ohne allen Zweifel dagegen verſichert er, daß eine Erhebung der Waffen in Deutſchland hier berathen worden ſey. Auch447Einwirkungen auf Deutſchland.Guicciardini behauptet, daß der König dem Papſt ſeine Abſicht, die deutſchen Fürſten gegen den Kaiſer in Bewe - gung zu ſetzen, mitgetheilt habe. 1Relatione di Francia di M. Marino Giustiniani, 1535. Giudico, che l’intelligentia coi Turchi fusse medesimam delibe - rata in Marsiglia con Clemente Pontifice, come fu ancora quella di Germania. Guicciardini XX, 111. havendogli (al papa) com - municato il re di Francia molte di suoi consigli, e specialmente il disegno che haveva di conciliare contro Cesare alcuni di principi di Germania, massimam il Landgravio d’Hassia. Vgl. Sandoval lib. XX, § 20. Mai. Sie trennten ſich hierauf in vollkommner Satis - faction von einander.

Ich finde nichts, was dieſen Verſicherungen ihre Glaubwürdigkeit nehmen, ihnen mit Grund entgegengeſetzt werden könnte.

Denn zunächſt waren die Verbindungen, welche der König mit den deutſchen Fürſten unterhielt, doch lediglich politiſcher Natur.

Vor allem unterſtützte er den Widerſpruch gegen die Wahl König Ferdinands. Als ſich die opponirenden Für - ſten im Mai 1532 enger vereinigten, und ſogar eine förm - liche Kriegsverfaſſung verabredeten, machte ſich Franz I verbindlich, für den Fall des Krieges 100000 Kronen bei den Herzogen von Baiern niederzulegen. Die kühnſten und umfaſſendſten Pläne tauchten zuweilen auf; z. B. im Fe - bruar 1533 eines Anfalls der Franzoſen auf die Beſitz - thümer Carls, und zugleich der deutſchen Fürſten und Za - polya’s auf Ferdinand. 2Stumpf, Baierns politiſche Geſchichte I, 94.Unaufhörlich durchzogen könig - liche Agenten, beſonders Gervaſius Wain, ein geborner Memminger, und Wilhelm von Bellay, das deutſche Reich,448Sechstes Buch. Siebentes Capitel.um die Oppoſition in Gang zu erhalten, dieſe Fäden en - ger zu knüpfen.

Noch wichtiger aber als die Wahl wurde bald die Wirtembergiſche Angelegenheit.

Seit dem Tage, an welchem der Herzog von Wir - temberg aus ſeinem Lande getrieben worden, hatten auch die Verſuche begonnen, ihn wieder herzuſtellen. Unzählige Verhandlungen und Verabredungen hatte man darüber ge - pflogen,1Z. B. die Verhandlungen zwiſchen Landgraf Philipp und Heinrich Herzog von Braunſchweig im Jahre 1530; die ſpaͤter in den Streitſchriften ausfuͤhrlich eroͤrtert worden ſind. doch war noch alles an der entſchiedenen Feind - ſeligkeit des ſchwäbiſchen Bundes geſcheitert. Auf dem Reichstag von Augsburg war Ferdinand von ſeinem Bru - der auf das feierlichſte mit Wirtemberg belehnt worden.

Im Jahre 1532 trat nun ein Ereigniß ein, das allen Anſprüchen des Fürſtenhauſes einen neuen Nachdruck gab.

Nach der Verjagung Herzog Ulrichs war auch deſſen Sohn Chriſtoph, ein fünfjähriger Knabe, aus Wirtem - berg weggeführt worden. Man erzählte ſich, bei ſeinem letzten Nachtlager im Lande, habe er mit einem Lamm ge - ſpielt, und dieß dann beim Abſchiede dem Wirth dringend anempfohlen; wenn er wiederkomme, werde er ihm die Bemühung vergelten. Dieſer kindiſche Traum ſollte jedoch lange unerfüllt bleiben. Der Knabe wuchs in Insbruck und Neuſtadt unter der Obhut Ferdinands auf. Man hat da nicht immer aufs Beſte für ihn Sorge getragen; we - niger vielleicht aus üblem Willen, als weil die Hofhal - tung überhaupt nicht ganz in Ordnung war; er hat zu -449Chriſtoph von Wirtemberg.weilen Mangel gelitten; er ſagt ſelbſt, ſein Zuſtand habe bei Jedermann Mitleiden erregt; er iſt ſogar einmal in Ge - fahr gerathen, von den Türken weggeführt zu werden. Aber frühes Mißgeſchick iſt einem Fürſten oft nützlicher als der Müßiggang und die Schmeichelei des Hofes; ihm wollte das Glück in der Hauptſache doch wohl. Er bekam einen Lehrer, der gute Wiſſenſchaften beſaß und ſich mit voller Hingebung an ihn anſchloß, Michael Tifernus. Das Schick - ſal dieſes Mannes vergegenwärtigt uns recht den Zuſtand jener Zeiten. Als Kind war dieſer Michael von den Tür - ken weggeführt worden, man wußte nicht von wo, doch hatten ſie ihn zuletzt wieder liegen laſſen. Man brachte den armen Findling nach Tybein, Duino, wovon er ſei - nen Namen führt, unfern von Trieſt; da iſt er von guten Menſchen auferzogen, darnach in ein Collegium zu Wien ge - bracht und dort gebildet worden. In jener Stunde der Gefahr hatte er hauptſächlich ſeinen Zögling gerettet. Un - ter ſeiner Leitung gedieh derſelbe nun vortrefflich. Und all - mählig zog man ihn auch an den Hof, denn nicht unfürſt - lich wollte man ihn halten; er war 1530 mit dem Kaiſer in Augsburg. Da mußte ſich ihm aber allmählig auch die Welt aufſchließen; es konnte nicht an Leuten fehlen, die ihm ſeine Anſprüche in Erinnerung brachten. Wie mochten ihn bei jener Belehnung Ferdinands die Fahnen von Wirtemberg und Teck in deſſen Händen anſehn! Das Gefühl ſeines Rechtes erwuchs in ihm mit der Zunahme ſeiner männlichen Jahre und Kräfte: doch mußte er es zurückdrängen, verſchloſſen halten. Und in dieſer geſpann - ten Stimmung nun geſchah ihm der Vorſchlag, den KaiſerRanke d. Geſch. III. 29450Sechstes Buch. Siebentes Capitel.auch nach Italien, nach Spanien zu begleiten! Man braucht nicht anzunehmen, daß das Betragen der Spanier ihm auch ſonſt Verdacht erweckt habe; er war ohnedieß entſchloſſen, wie er ſich ausdrückt, ſeine Gerechtigkeiten in Deutſchland nicht zu verlaſſen. Als ſich der kaiſerliche Hof nach dem Türkenkrieg im Herbſt 1532 durch die Alpen nach Italien begab, fand er mit ſeinem Hofmeiſter Gelegenheit zu entfliehen. Unbemerkt verloren ſie ſich aus dem Gefolge und ſchlugen den Weg nach Salzburg ein. Von wegekundigen Bauern wurden ſie geführt und waren ſchon weit entfernt, als man ſie vermißte und ihnen nachſetzte. Sie hatten, wie man erzählt, das Unglück, daß eins ihrer Pferde erkrankte, und waren reſolut genug, um durch daſſelbe nicht etwa ver - rathen zu werden, es in einem See zu erſäufen. Während der Herzog auf dem andern ſeinen Verfolgern entging, denn ſchon waren ihnen dieſe auf der Spur, verbarg ſich Tifernus im hohen Rohr eines Weihers. Da man ſie nicht fand, meinte man wohl, ſie ſeyen im Gebirge er - ſchlagen. 1Die Grundlage dieſer Erzaͤhlung iſt Gabelkofer, excerpirt bei Sattler und Pfiſter: Herzog Chriſtoph. Nur muß man es nicht glauben, wenn bei Pfiſter p. 80 geſagt wird, Carl ſei in Wien auf Chriſtoph aufmerkſam geworden, habe ihn dann nach Bononien zu einer Zuſammenkunft mit Hadrian VI mitgenommen.Aber indeß gelangten ſie an einen ſichern Zu - fluchtsort, wahrſcheinlich unter dem Schutze der Herzoge von Baiern; und von da erſchollen nun plötzlich die Kla - gen Chriſtophs, der ſein Erbe zurückforderte in alle Welt. 2Das erſte Schreiben von 17. Nov. Sattler II, 229.

Es war an ſich ein weitausſehendes Ereigniß, daß ein Fürſt von Wirtemberg wieder erſchien, mit gerechten unver -351Aufloͤſung des ſchwaͤbiſchen Bundes.jährten Anſprüchen, von dem alten Stamm und Namen, der die Zuneigung der angebornen Unterthanen beſaß. Für den Moment bekam es aber erſt dadurch rechten Nachdruck, daß auch die Herzoge von Baiern, denen der Vater höchſt widerwärtig geweſen, deren[Vereinigung] mit dem ſchwäbi - ſchen Bund hauptſächlich die Vertreibung deſſelben bewirkt hatte, dem Sohne ihre Unterſtützung gewährten.

Ueberhaupt ſtand der ſchwäbiſche Bund bereits auf dem Punkte ſich aufzulöſen. Ein Motiv dazu war das alte, daß ſich die Fürſten nicht gewöhnen konnten, dem Bun - desrath unterworfen zu ſeyn, in welchem Prälaten und Städte ſo viel wie ſie galten. Heſſen, Trier und Pfalz ſchloſſen 1532 eine beſondere Vereinigung, in der ſie einander ver - ſprachen, in die Erneuerung des Bundes nicht zu willigen. 1Freitag nach Bernhardi. Die Einigung im Trieriſchen Ar - chiv zu Coblenz.Aber auch die Städte waren mißvergnügt, namentlich über die ſtreng katholiſche Haltung des Bundesgerichts: Ulm, Augsburg und Nürnberg ſehen wir ſich unter einander ſelbſt zu gemeinſchaftlicher Vertheidigung vereinigen. Die vor - nehmſte Verſtimmung jedoch bewirkten eben die Verhältniſſe von Wirtemberg. Im Jahr 1530 war Wirtenberg mit allen Vorrechten von Oeſtreich begabt, ſogar aus der Kam - mergerichtsmatrikel weggelaſſen worden; aller Laſten des Reiches ſollte es überhoben ſeyn. Und indeſſen waren dem Bunde die Kriegskoſten, die er 1519 bei der Eroberung aufgewendet, noch immer nicht erſtattet. 2Ferdinand an Carl 27. Apr. V. Md. sabe la d[i]cha liga no quire mas servir en esto hasta ser pagados dello que por elloDer Kaiſer und29*452Sechstes Buch. Siebentes Capitel.der König ſahen wohl wie viel ihnen für den Beſitz des Landes daran liege, den wohlgeordneten, kriegsfertigen Bund in die Waffen rufen zu können; ihr Bevollmächtigter, der Biſchof von Augsburg gab ſich im Frühjahr 1533 alle mögliche Mühe ihn zuſammenzuhalten. 1Im Bruͤſſeler Archiv ſind Inſtruction und Relation. Siehe den Anhang.Aber da die Be - ſchwerden wegen Wirtembergs nicht gehoben wurden, wollte Niemand mehr die Vertheidigung deſſelben übernehmen. Baiern erklärte, es halte die Sache des Herzogs Chriſtoph für ſeine eigene.

Im December 1533 ward noch ein Bundestag zu Augsburg gehalten, um die Sache definitiv zu entſcheiden.

Der arme, beraubte, faſt verſchollene junge Fürſt er - ſchien jetzt mit einer glänzenden Schaar von Beiſtänden, Räthen von Churſachſen, Braunſchweig, Lüneburg, Heſſen, Münſter, Jülich, Meklenburg, Preußen. Die Commiſſa - rien Ferdinands ſahen ſich ſogleich in der Nothwendigkeit, mit ihm zu unterhandeln, eine Entſchädigung anzubieten, Cilli oder Görz oder Nellenburg. Der junge Herzog ging jedoch nicht mehr darauf ein. Er führte an, der Ver - trag, auf den ſich dieß Erbieten gründe, ſey niemals er - füllt und dadurch aufgelöſt. 2Vgl. Gegruͤndete Widerlegung der Vertraͤge; letzter Tag Juli 1533. Hortleder I, III, VII. Ueberhaupt betrug er ſich mit Umſicht und Klugheit. Er hütete ſich wohl, die Ur - ſachen, weshalb ſein Vater verjagt worden, zu berühren; er blieb nur dabei ſtehn, daß ſeinem Hauſe, und dann auch ihm beſonders, dem man nichts von allem gehalten, was2les fue prometido y esto al presente por mi parte tengolo por impossible. 453Aufloͤſung des ſchwaͤbiſchen Bundes.für ihn bedungen worden, ein unerhörtes Unrecht geſchehn ſey. Er gab die Verſicherung, daß er bei alle dem doch niemals daran denken werde, an den Bundesſtänden zu - chen, was ſie ſeinem Hauſe angethan. Daſſelbe verſicher - ten die heſſiſchen Geſandten im Namen ſeines Vaters. Un - ter dieſen Eindrücken konnten die Commiſſarien keinen Schritt vorwärts kommen. Als die Verſammlung auseinanderging, ſah Jedermann, daß der große Bund, auf welchem die Macht von Oeſtreich im obern Deutſchland größtentheils beruhte, ſich auflöſen würde. 1Auszuͤge aus Gabelkofer bei Pfiſter, Herzog Chriſtoph I, 102 116.

Auch ein franzöſiſcher Geſandter war in Augsburg zu - gegen. Wir haben die pathetiſche Rede übrig, die er dort zu Gunſten Herzog Chriſtophs gehalten. 2Der Prinz werde auswandern; in der Fremde werde man dann mit Fingern auf ihn weiſen, und ſagen: das iſt der, welcher einſtmals welcher jetzt welcher ohne ſeine Schuld er vollen - dete dieſe Saͤtze nicht, denn er leſe, ſagte er, in den Blicken der Verſammlung, daß ſie ihren Inhalt fuͤhle. Discours de Mr. de Langey. Im Anhang zu den Memoires von Bellay. Coll. univ. Tom. XVIII p. 396. Er hatte uͤbrigens den Auftrag (p. 274) d’es - sayer tous moyens possibles à faire, que cette ligue de Suabe ne se renovast, mais que de tous points elle se dissolut. Wohl noch mehr als ſeine Beredſamkeit wirkte die einfache Thatſache, daß der große benachbarte König ſich für den jungen Fürſten verwandte.

Zu derſelben Zeit geſchah das, als der König und der Papſt in Marſeille beiſammen waren. So wie der Papſt ſich entfernte, eilte der König, des Einverſtändniſ - ſes mit Rom ſicher, die Gunſt der Umſtände zu einer ent - ſcheidenden Bewegung zu benutzen.

454Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Im Januar 1534 ſchloß er in der Sache der Wahl einen noch engern Bund mit den deutſchen Fürſten. Auf den Fall, daß es um derſelben willen zum Krieg komme, ver - pflichtete er ſich, den dritten Theil der Koſten zu überneh - men. Jetzt erſt zahlte er jene 100,000 Sonnenkronen, die bei den Herzogen von Baiern niedergelegt wurden.

Und noch unmittelbarer mußte ihn die Förderung der wirtembergiſchen Sache, auf die er in demſelben Augen - blick einging, zum Ziele führen.

Schon längſt hatte ſich Landgraf Philipp dem Her - zog Ulrich von Würtemberg perſönlich zugethan, und dem Hauſe Oeſtreich aus mancherlei Gründen noch abgeneigt, entſchloſſen, bei der erſten günſtigen Gelegenheit die Re - ſtauration des verjagten Hauſes zu unternehmen. Es war ein Hauptgeſichtspunkt ſeiner geſammten Politik alle dieſe Jahre daher. Jetzt lagen die Umſtände günſtiger als je - mals. Es fehlte ihm an nichts als an Geld, um den Schlag ſo viel wie möglich raſch und ohne hemmende Ver - bindung mit andern deutſchen Fürſten ausführen zu können.

Hauptſächlich durch den Grafen Wilhelm von Für - ſtenberg, einen jener Kriegsanführer, die ſich bald der einen, bald der andern Partei anſchloſſen, der, nachdem er dem Hauſe Oeſtreich nach im Jahr 1528 gedient, ſich jetzt auf die franzöſiſche Seite geworfen hatte, ward die Verbin - dung zwiſchen König Franz und Landgraf Philipp vermittelt.

Von Marſeille begab ſich der König nach den öſtli - chen Gränzen ſeines Reiches; im Geleite des Grafen von Fürſtenberg1Schreiben Philipps an Fuͤrſtenberg bei Muͤnch. Fuͤrſten - berg II, p. 37. erhob ſich dann auch Landgraf Philipp von455Zuſammenkunft in Barleduc.Caſſel; er nahm ſeinen Weg über Zweibrücken; am 18ten Januar finden wir ihn in St. Nicolas an der Meurthe.

Unmittelbar hierauf fand die Zuſammenkunft zwiſchen dem König und dem Landgrafen in Barleduc Statt. Es iſt hier von allen obſchwebenden Fragen die Rede geweſen, dem Concilium und der Wahl, den heſſiſch-naſſauiſchen, den niederländiſch-geldriſchen Intereſſen; der König äu - ßerte ſich über jede als ein Freund der deutſchen Unab - hängigkeit und im Allgemeinen auch der proteſtantiſchen Fürſten;1Schreiben des Landgrafen an den Churfuͤrſten, bei Rommel III, p. 54; welches merkwuͤrdig iſt durch das, was es ſagt, ſo wie wegen deſſen, was es verſchweigt. Der Koͤnig habe ſich nur erbo - ten, zwiſchen Herzog Ulrich und Ferdinand zu unterhandeln. hauptſächlich aber wurde, worauf alles an - kam, über die Unternehmung auf Würtemberg unterhandelt. Der Landgraf, dem es an Truppen und Kriegsmitteln nicht gebrach, forderte vor allen Dingen Geld, um dieſelben in Bewegung zu bringen. Der König, durch den Tractat von Cambray ausdrücklich verpflichtet, ſich der Gegner des Kaiſers, unter andern des Herzogs von Würtemberg nicht anzunehmen, trug doch Bedenken, ſo in offenem Widerſpruch damit durch förmlichen Vertrag, Subſidien zu deſſen Gunſten zu bewilligen. Man traf die Auskunft, die Zah - lung einer Summe von 125,000 Kronenthalern, zu der ſich Franz I verſtand, durch einen Kaufcontract über Müm - pelgard zu verſtecken. In einer Nebenverſchreibung erklärte dann der König, daß er 75000 Kronen dem Herzog ge - radezu ſchenke. Am 27. Januar ward der Tractat abge - ſchloſſen;2Notizen hieruͤber bei Rommel II, S. 298; es waͤre wohl zu wuͤnſchen, daß der Vertrag ſelbſt abgedruckt wuͤrde. unverweilt machte ſich der Landgraf auf den456Sechstes Buch. Siebentes Capitel.Rückweg, ſchon am 8. Februar war er wieder in Caſſel. Und nun ſäumte er keinen Augenblick, alles zu ſeinem Un - ternehmen vorzubereiten. Er trug, wie ſich verſteht, Be - denken, ſein Geheimniß dem Papier anzuvertrauen; aber von ſeinen vertrauten Räthen hatte er zuweilen keinen einzi - gen zu Hauſe, ſo viel verſchickte er ſie; zu den Churfürſten von Trier und von der Pfalz begab er ſich perſönlich. 1Tellement, que luy meme en personne a été contrainct, d’aller devers l’archeveque de Treves et le conte Palatin. Let - tre du chancelier du Landgrave à Langey MS. Bethune 8616 f. 55.Auch er nahm an dem Vertrag über die Wahl Theil, aber indem er dem König die Ratification deſſelben überſendete, bemerkte er ihm doch, er werde auf die Herzoge von Baiern nicht warten. Schon ſey er beſchäftigt, für ſich ans Werk zu gehn. Der König war glücklich über die Ausſichten, die ſich ihm eröffneten. Am Oſtermontag 1534 ſagte er einem Agenten des Woiwoden, der bei ihm war, der ſchwä - biſche Bund ſey aufgelöſt; er zahle Geld nach Deutſchland und habe viele Freunde daſelbſt, Bundesgenoſſen, die auch ſchon in den Waffen ſeyen; bald werde Zapolya einen Frie - den erlangen können, wie er ihn nur wünſche. 2Sommes dejà après de conduire le tout en effet. Cas - sel 9. Mars. MS. Bethune 8493.

Noch Eine Gefahr hatte der Landgraf zu beſeitigen, ehe er losbrach. Jene Churfürſten, welche Ferdinand ge - wählt, konnten fürchten, daß ein glücklicher Kriegszug ge - gen den König auch ihnen ſpäterhin verderblich werden dürfte; es ſchien ſehr möglich, daß ſie ſich deshalb des Königs annehmen möchten, wie denn wirklich bereits ein3Aus dem Verhoͤre Caſali’s und Corſini’s, die man 1535 in Ungarn feſtgenommen und inquirirte. Im Bruͤſſeler Archiv.457Deutſche Politik.Churfürſtentag nach Gelnhauſen anberaumt worden. Bei jener Reiſe war es ohne Zweifel Philipps vornehmſte Sorge, Trier und Pfalz hierüber zu beruhigen. Statt an einen Krieg der Wahl halber zu denken, legte man jetzt vielmehr den Grund zur Beilegung dieſer Sache. Baiern verſprach, wenn nur Wirtemberg wieder in die Hände des angeſtammten Hauſes komme, die Wahl nicht weiter anfechten zu wollen: hierauf verſprachen Brandenburg, Cöln und Pfalz, dem Landgrafen in ſeinem Unternehmen nicht entgegen zu ſeyn. Trier verſtand ſich ſogar zu einer Hülfszahlung. 1Schreiben Philipps bei Stumpf Anh. nr. 14. Vgl. ein anderes ſeiner Schreiben an Dr. Eck, deſſen Stumpf im Text p. 153 gedenkt.

Wie ſah ſich König Ferdinand plötzlich ſo ganz iſolirt!

Der Kaiſer war entfernt, der König von Frankreich feindſelig, der Papſt, wie ſich bald noch näher auswies, höchſt zweifelhaft. Die alte Feindſeligkeit, welche den ſchwä - biſchen Bund zuſammengehalten, war verloſchen; Herzog Ulrich beſtätigte feierlich die Verſicherungen des Landgrafen, daß die Städte nichts von ihm zu fürchten haben wür - den. Weder die Wahlverpflichtungen der Churfürſten noch die religiöſen Differenzen wollten jetzt zu ſeinen Gunſten wirken. Die Geiſtlichen waren ſo gut gegen ihn wie die Weltlichen. 2Wolfgang Brandner hatte ſchon im Juli 1533 die Sache dem Koͤnig ziemlich richtig dargeſtellt. Bucholz IX, 76.

Denn daß ein altes deutſches Fürſtenhaus ſeines Erb - theils ſo ganz und gar verluſtig gehn ſollte, konnte doch von keinem andern Fürſten gebilligt werden.

Die Wittenberger Theologen, die eignen Unterthanen458Sechstes Buch. Siebentes Capitel.warnten den Landgrafen: ſie meinten, er werde Heſſenland in Verderben bringen. Faſt ſcherzend entgegnete er, für dieß Mal will ich Euch nicht verderben; er überſah die Lage der Dinge beſſer als ſie, und fühlte ſich ſeiner Sache ſicher.

Nur mit Ferdinand, und zwar nur mit deſſen wir - tembergiſchen Kräften hatte er zu thun; denen fühlte er ſich wohl gewachſen.

Während er ſelbſt hauptſächlich eine ſtattliche Reiterei um ſich ſammelte, die Waffe, durch welche Niederdeutſchland im ſechszehnten Jahrhundert dem übrigen Europa überlegen war aus Pommern und Meklenburg, Braunſchweig und Eichsfeld, den weſtfäliſchen Bisthümern und den cölni - ſchen Stiftslanden, deren Kern ſeine eignen heſſiſchen Va - ſallen bildeten, ohne Zweifel die Lehnsmannſchaft, die da - mals in Deutſchland am häufigſten aufgeboten ward, und dießmal nicht ſehr gern Folge leiſtete, brachte Graf Wil - helm von Fürſtenberg, am Oberrhein und im Elſaß, wo die beſten Landsknechte den Winter über auf den Kriegsruf gewartet, nicht ohne Hülfe der Stadt Strasburg, 24 Fähn - lein zu Fuß zuſammen. Die Vereinigung beider Haufen ge - ſchah zu Pfungſtadt am Odenwald. Dienſtag am 5. Mai traf Nachricht ein, daß auch der Feind eine ſtattliche Macht in Stuttgart zuſammengebracht habe, und ſich ohne Zwei - fel in offenem Felde entgegenſtellen werde. Alles ward freu - dig und kampfbegierig. Mittwoch den 6ten, gleich nach Mitternacht, brach man auf. Der Landgraf zu Pferd, ſelbſt ſeinen Rennſpieß in der Hand, muſterte die Leute. Voran zogen die Wagen mit Munition und Lebensmitteln, von459Kriegszug Landgraf Philipps 1534.ſechs tauſend Bauern geführt, alles ſelbſt ſtreitbaren Leuten. Dann folgte das Rennfähnlein, hierauf das Geſchütz, dar - nach die große Schwadron der gepanzerten Reiter unter der Hauptfahne, welche der Erbmarſchall von Heſſen trug; hierauf die Fußvölker, ſowohl die, welche der Landgraf mit - gebracht, als die oberländiſchen, zu denen noch der Graf Georg von Würtemberg eine nicht unbedeutende Verſtärkung ſtoßen ließ. Es waren ungefähr 20,000 Mann zu Fuß, 4000 zu Pferd, ein Heer, zwar bei weitem nicht das größte, das man in dieſen Zeiten geſehen, doch für einen einzelnen Reichsfürſten, der dem Range nach nicht ein - mal zur erſten Claſſe gehörte, über Erwarten zahlreich, und dabei trefflich ausgerüſtet, mit allen Kriegsbedürfniſſen auf das beſte verſehen. Man hatte ſich angelegen ſeyn laſſen, be - ſonders evangeliſch-geſinnte Rittmeiſter und Hauptleute zu werben; bei den Gemeinen herrſchte dieſe Geſinnung ohne - hin vor. Es war das erſte Heer religiös-politiſcher, eu - ropäiſch-deutſcher Oppoſition gegen das Haus Oeſtreich, das im Felde erſchien.

Dem gegenüber hatte ſich nun auch die öſtreichiſch - wirtembergiſche Regierung gerüſtet. Die Manns - und Frauenklöſter, Stifte, Ruralcapitel hatten Beihülfe geleiſtet, die Städte eine Kriegsſteuer gezahlt. Die alten Kriegsbe - fehliger aus den italieniſchen Feldzügen, Curt von Bem - melberg, Caspar Frundsberg, Marx von Eberſtein, Tha - mis,2Iſt ohne Zweifel der von Thoͤnis in dem Lied bei Heid: Schlacht von Laufen. S. 88. genannt Hemſtede, hatten Landsknechte zuſammen -1Spaniſcher Bericht im Anhang.460Sechstes Buch. Siebentes Capitel.gebracht; noch einmal hören wir die Gegner Heſſens aus dem ſickingenſchen Kriege nennen: Hilch von Lorch, die Söhne Sickingens, Dietrich Spät. Der König ſelbſt er - ſchien nicht. Seine Stelle vertrat der Statthalter von Wir - temberg, der bei der Vertheidigung von Wien einen Namen erworben, Philipp von der Pfalz. Obwohl ſie an Zahl dem Landgrafen nicht gewachſen waren, ſie mochten 10,000 Mann zählen, mit Einſchluß einer Anzahl von Böh - men ſo hatten ſie doch Muth genug, ihn auf ſeinem Weg, bei Laufen am Neckar im offenen Feld zu erwarten. Nicht einmal den Uebergang über den Fluß trugen ſie Sorge ihm zu erſchweren.

Auch hielten ſie beim erſten Zuſammentreffen, welches der Landgraf einer halben Schlacht gleich ſetzte, am 12ten Mai wacker aus. Aber ſie hatten nicht allein das Un - glück, daß ihr Anführer, der Pfalzgraf verwundet wurde; ſondern es entwickelte ſich auch eine ſo entſchiedene Ueber - legenheit des Landgrafen, daß ſie erkannten, ſie würden ihn, wie ſie waren, hier am Ort nicht beſtehen können. Noch in der Nacht brach Dietrich Spät auf, um mehr Reiterei zu holen. Das Heer ſelbſt ſuchte des andern Ta - ges am 13ten, früh am Morgen, eine feſtere Stellung zu gewinnen.

Sollte ihnen aber der feurige Landgraf dieß geſtat - ten? In dieſem Augenblick war auch er ſchon in Be - wegung. Keine Widerrede ließ er ſich abhalten, er ſah wohl, welch ein Vortheil es für ihn war, mit ſeiner Ueberzahl an Reiterei und ſeinem guten Geſchütz den Feind ſo im Moment des Aufbruchs anzufallen. So wa - ren einſt die ſtreitbaren Haufen der Bauern beſiegt wor -461Schlacht bei Laufen.den. Das öſtreichiſche Heer hatte zwar geübte Landsknechte, tapfere Anführer, aber der Mangel an Pferden brachte es in dieſelbe mißliche Lage, die jene Bauern zu beſtehen gehabt. Durch einen Reiterangriff in der Flanke hielt Land - graf Philipp die Abziehenden an einem Weingarten ſo lange auf, bis ſein Geſchütz herangekommen. Er eilte dann zu - rück, um auch die Fußvölker zum entſcheidenden Anlauf herbeizuführen. Aber ehe dieſes noch angelangt, hatte Rei - terei und Geſchütz ſchon ſo gut zuſammengewirkt, daß der Feind in volle Unordnung gerieth und über die Steige Bidembach zurückwich. Die wenigen Reiter, die er noch hatte, nahmen ihren Weg nach dem Asperg; das Fußvolk ward auseinandergeſprengt; Viele fanden im Neckar ihren Tod. 1Neue Zeitung von des Landgrafen zu Heſſen Kriegshand - lung bei Hortleder I, Bd. III, c. 12, iſt doch weder anſchaulich noch auch zuverlaͤſſig, beſonders in der Zeitrechnung. Die ſicherſte Aus - kunft gewaͤhrt das Schreiben Philipps an ſeine Raͤthe bei Rommel II, 319. Noch unbrauchbarer als die neue Zeitung ſind aber die andern Berichte. Jovius laͤßt den Pfalzgrafen am Tage der Schlacht ſelbſt verwundet werden; wahrſcheinlich blos des Effectes wegen (lib. 32, p. 128). Nicolaus Asclepius Barbatus legt Gewicht darauf, daß der Landgraf von Heſſen angegriffen, ea manu, quae hostium numero vix responderet; natuͤrlich konnte er nicht mit allen ſeinen Truppen zugleich angreifen, doch war ſeine Uebermacht entſchieden. Tehtinger macht eine ganz ungefaͤhre Beſchreibung: von equitus fremitus, armorum crepitus strepitusque, was zu gar nichts fuͤhrt. In der fleißigen Monographie von Heyd: die Schlacht von Laufen, Stuttgart 1834 findet ſich noch das Fragment eines andern Schreibens von Philipp, das mit dem erſten uͤbereinſtimmt, und eine recht gute Stelle Gabelkofers (Beil. III, V), die das Obige beſtaͤtigen; nebſt einigen friſchen Landsknechtsliedern, die ſehr willkommen ſind.Der Landgraf wunderte ſich ſelbſt, daß ſo nahm - hafte Anführer ſo wenig Stand gehalten.

462Sechstes Buch. Siebentes Capitel.

Ein Schlachttag iſt in der Regel auch deshalb merk - würdig, weil da die geſammten Momente der innern Ent - wickelung zuſammengreifen und ſich gegen einander verſu - chen. Landgraf Philipp hatte die glücklichſte Combination der europäiſchen Verhältniſſe, die geheime oder offene Zu - ſtimmung von ganz Deutſchland, die religiöſen Sympathien für ſich. Ferdinand war auf ſich allein angewieſen, ver - focht nur ein zweifelhaftes Recht und unpopuläre Ideen, er blieb in dem Lande das er beſaß der Schwächere.

Dieſer Schlachttag verdient nun aber auch ſeiner Fol - gen wegen alle Aufmerkſamkeit. Er entſchied über das Schickſal eines der wichtigſten deutſchen Fürſtenthümer. Das Land fiel ohne weiteres den Siegern anheim. Her - zog Ulrich erſchien nach ſo langer Abweſenheit wieder; nach - dem er den Tübinger Vertrag beſtätigt hatte, huldigte ihm die Bürgerſchaft ſeiner Hauptſtadt Stuttgart auf einer Wieſe an der Straße nach Canſtadt; ihrem Beiſpiel folgten die übrigen Städte und Aemter. Auch die Schlöſſer hielten ſich nicht für Ferdinand. Entweder waren die Befehlsha - ber in ihrem Herzen dem zurückkehrenden Landesfürſten ge - wogen, oder ſie fürchteten für ihre Güter, die den Siegern bereits in die Hände gefallen waren, oder ſie wurden mit Gewalt genöthigt. Auch der Asperg ergab ſich am 8. Juni.

So ward Wirtemberg wieder wirtembergiſch. Her - zog Ulrich war von ſeinen Gegnern wohl mit dem Spott - namen der Beſenmacher belegt worden. Man ſcherzte jetzt von der andern Seite, nun ſey er gekommen, um die Spin - neweben im Lande auszufegen. Mit Freuden ſah man das Jägerhorn wieder, nach dem man ſich ſo lange geſehnt,463Bezeigen des Papſtes.die Lieder preiſen das Glück des Landes, daß ihm ſein angeborner Fürſt wieder überantwortet ſey. Politiſch war es ein großer Erfolg, daß ein Fürſt, in welchem die Op - poſition gegen Oeſtreich durch alles, was vorgegangen, nun erſt recht geſteigert worden, in der Mitte von Ober - deutſchland auftrat. Es konnte bei ſeiner bekannten Geſin - nung wohl von Anfang an keine Frage ſeyn, welche Hal - tung er auch in religiöſer Hinſicht nehmen würde.

Merkwürdig aber, wie ſich Papſt Clemens VII hie - bei betrug. Der Geſandte König Ferdinands erſuchte ihn im Auftrag ſeines Herrn um Beihülfe in einer ſo großen Gefahr, die auch für die Kirche, ſo wie für Italien überaus drohend werden könne. Wirklich brachte der Papſt die Ange - legenheit in dem nächſten Conſiſtorium zur Sprache; er wie - derholte die Worte des Geſandten, ſteigerte ſelbſt ſeine Aus - drücke; über die Hülfe aber, die dem König zu leiſten ſey, machte er nicht einmal einen Vorſchlag. Hierauf lief ein Schreiben Ferdinands an den Papſt ſelbſt ein; noch ein - mal ward die Sache im Conſiſtorium vorgenommen. Aber der Papſt wählte dieſen Augenblick, um zugleich die For - derungen des Kaiſers in Bezug auf das Concilium, die der Curie ſo höchlich verhaßt waren, in Anregung zu brin - gen; die Folge war, daß man die Hülfsgelder aufzählte, die dem Kaiſer und dem König ſchon gewährt worden, den neuen Antrag aber einer Congregation überwies. Der Papſt ſagte, der König liege an einer Krankheit darnieder, in der ihm keine leichte Arznei, nicht etwa ein Syrup, ſondern nur ein ſtarkes Heilmittel nützen könne. Demgemäß ent - ſchied die Congregation, da man nicht im Stande ſey, dem464Sechstes Buch. Siebentes Capitel.König eine bedeutende Subſidie zu gewähren, ſo ſey es beſſer ihm gar keine zu bewilligen. Zum Verdruß der Ge - ſandten war die Nachricht eingelaufen, daß der Landgraf bei ſeinem Eintritt ins Land nichts gegen die Kirchen thue. Der Papſt erklärte hierauf, die Sache ſey ein Privatkrieg, auf den er ſich nicht einlaſſen wolle; ſollten aber die Feinde die Kirche beleidigen, dann werde er daran denken, Hülfsgel - der zu zahlen. Der Geſandte bemerkte mit aller Lebhaftig - keit, die ſeine Ehrerbietung geſtattete, wie viel an der Sache liege, wie theuer ſie dem römiſchen Stuhle zu ſtehen kom - men könne, ja ſelbſt der Stadt Rom und ganz Italien. Aber auch der Papſt ward lebhaft, und beinahe zornig; er fragte, wo denn der Kaiſer ſey, warum er nicht Für - ſorge getragen; er der Papſt habe ihn ja längſt ſchon auf die Bewegung, die von dem Landgrafen zu erwarten ſey, aufmerkſam gemacht. 1Bericht des koͤn. Geſandten Sanchez an Ferdinand 15. Juni 1534 (Juli iſt wohl ein Schreibfehler) bei Bucholz IX 247. Wo - bei mir nur auffallend iſt, daß Bucholz damit meine Annahme, der Papſt habe um die Waffenerhebung des Landgrafen im Voraus ge - wußt, zu widerlegen meint. Er hat alles, was der Papſt dem Nun - tius zu ſeiner Beruhigung Freundliches ſagte, unterſtrichen, gleich als ob das Mindeſte darauf ankomme, und nicht vielmehr der Hiſtoriker nur nach dem Verfahren zu urtheilen habe. Jener Sanchez war aber in der That nicht ſo devot, wie unſer Bucholz. Er erzaͤhlt ſei - nem Herrn den Verlauf der Dinge, ut melius Ms Vra istorum men - tes et cogitationes intelligat, quibus technis parent isti rem lon - gius differre. Er hat Verdacht: Suborta mihi fuit suspectio, Stem S. non satis efficaci fervore procedere; er geraͤth uͤber die Ausfluͤchte, die man macht in Zorn: dolore et indignatione ac - census replicui, cum tamen reverentia debita und uͤberzeugt ſich am Ende, daß nichts geſchehen werde opinor Papam daturum no - bis bona verba. Wenn ich uͤbrigens hiebei noch eine Vermuthung wagen darf, ſo waͤre es die, daß Koͤnig Franz wirklich dem Papſt das Wort gegeben haͤtte, daß die Unternehmung des Landgrafen keine kirch -Genug der Papſt war zu keiner465Franzoͤſiſche Plaͤne.Theilnahme zu bringen, nicht der geringſten. Er wollte erſt von dem Ruin der Kirche hören, ehe er etwas dage - gen thue; zunächſt ſah er die Sache lediglich vom politi - ſchen Standpunkt an.

Dieſe Lage der Dinge ſchien nun allerdings dem - nig die großartigſte Ausſicht zu eröffnen.

Am 18. Juni ſtanden die Sieger zu Taugendorf an der öſtreichiſchen Grenze. Meine Freunde, ſagte Franz I, haben Würtemberg erobert, nur mehr! weiter! Indeſſen war auch Barbaroſſa in See erſchienen, hatte die neapo - litaniſche Küſte weit und breit geplündert, und ſich dann auf Tunis geſtürzt, das in ſeine Hände fiel. Er nahm, wie wir weiter berichten werden, eine für Spanien überaus drohende Stellung daſelbſt an. Franz I meinte, daß der Kaiſer unter ſo mannichfaltiger Gefahr ſeines Hauſes ihm nachgeben werde. Er forderte Genua, Montferrat, und auf der Stelle wenigſtens einen Theil von Mailand. 1Man ſieht das aus der Inſtruction des Kaiſers fuͤr den Prinzen von Naſſau 12 Aug. 1534, welche v. Raumer (Briefe aus Paris I, 262) excerpirt hat.Die Pläne auf Urbino regten ſich.

In Deutſchland ſchien ein Feuer angezündet zu ſeyn, welches nicht ſo leicht wieder gelöſcht werden könne.

So wie der Kaiſer Nachricht erhielt, ſchickte er auf der Stelle einen Geſandten mit nicht unbedeutenden Geld - mitteln ab, um ein Heer ins Feld zu bringen und den1liche Folgen nach ſich ziehen ſollte; wie das in den Zeiten des dreißig - jaͤhrigen Krieges immer die Bedingung der Koͤnige von Frankreich bei der Unterſtuͤtzung der Proteſtanten war. Daß eine ſolche Verſiche - rung nicht gehalten werden konnte, lag jedoch beſonders bei dem Eifer jener erſten Zeiten auch am Tage.Ranke d. Geſch. III. 30466Sechstes Buch. Siebentes Capitel.Landgrafen zu ſtrafen. 1Wir haben hieruͤber einen ausfuͤhrlichen Bericht des Biſchofs von Lunden, der an den rheiniſchen Hoͤfen hin - und herzog, um dieſe Sache ins Werk zu ſetzen, vom 1. Aug. 1534 im Br. Archiv.Nichts hätte der Abſicht ſeiner Feinde beſſer entſprechen können.

In Deutſchland aber war man doch weder von der einen noch von der andern Seite geneigt die Sache ſo weit kommen zu laſſen.

Die angreifenden Fürſten fühlten ſich nicht im Stande den Krieg lange hinzuziehn. Am wenigſten wollten ſie ſich für ein fremdes Intereſſe ſchlagen.

Hatte Franz I die deutſchen Feindſeligkeiten für ſich zu benutzen gedacht, ſo war es auch ihre Abſicht geweſen, mit franzöſiſcher Hülfe zum Zweck zu kommen: nichts weiter.

Allerdings war in dem Vertrag wegen der Wahlſache ausgemacht, daß kein Theil ohne den andern Frieden ſchlie - ßen dürfe: aber wie Philipp von Heſſen erinnerte, dieſer Krieg war gar nicht zum Ausbruch gekommen. 2 Alldiweil man der wale ſachen halben nicht krieget. In - ſtruction Philipps fuͤr ſeine Geſandten an den Koͤnig bei Rommel III, 65.Noch ehe er zu den Waffen griff, hatte er dem vorgebaut. Die Herzoge von Baiern hatten ſich ſtill verhalten: unbenutzt lag das franzöſiſche Depoſitum in ihren Koffern.

Die ganze Frage war, ob König Ferdinand ſich ent - ſchließen könne, Wirtemberg aufzugeben.

Aber auch für dieſen war die Lage der Dinge höchſt bedenklich. Sollte er, um das einmal Verlorene wieder zu erobern, alles in Gefahr ſetzen, was er mit beſſerm und unzweifelhaftem Rechte beſaß? Man erinnerte ihn, wenn er nicht in ein paar Tagen ſchlagfertig ſey, werde467Friede von Kadan.er alles gefährden. Seine Räthe Rogendorf, Hofmann und der Biſchof von Trient vereinigten ſich zu dem Gutachten, daß er ſich entſchließen möge, auf Würtemberg Verzicht zu leiſten.

Schon war um dieſer und anderer Dinge willen eine Verſammlung deutſcher Fürſten in Annaberg eröffnet.

Um perſönlich an den Unterhandlungen Theil nehmen zu können, begab ſich König Ferdinand ſelbſt in die Nähe, nach Kadan, einem kleinen Ort zwiſchen Saatz und Annaberg.

Dazu zwar verſtand er ſich nicht, Wirtemberg ganz und gar aufzugeben: denn auf das feierlichſte bei verſam - meltem Reichstag ſey er damit belehnt worden, ſein Bru - der habe ſelbſt die Fahne angefaßt: er könne und wolle ſich dieſe Gerechtigkeit nicht entreißen laſſen. Allein er wil - ligte ein, daß Herzog Ulrich Wirtemberg als ein Afterlehn von Oeſtreich, jedoch mit Sitz und Stimme im Reich beſitzen ſolle. 1Schreiben Joͤrgen von Carlowitz bei Sattler III, Urk. p. 104.Damit war Landgraf Philipp, am Ende auch Herzog Ulrich zufrieden.

Dagegen erklärte ſich nun auch der Churfürſt von Sachſen bereit, Ferdinand als römiſchen König anzuerken - nen. Er geſtand darum nicht zu, daß er Unrecht gethan habe, er forderte vielmehr einen Zuſatzartikel zur goldnen Bulle mit ſolchen Beſtimmungen für künftige Fälle, daß ſein Verfahren im gegenwärtigen im Grunde gut gehei - ßen ward. 2 Das kuͤnftiglich wann bei leben ains Roͤm. Kaiſers oder Koͤnigs ain Roͤm. Koͤnig ſoll erwelt, alle Churfuͤrſten zuvor ſamen beſchaiden werden davon zu reden, ob urſachen genugſam vorhanden und dem Reich furderlich ſey, ainen Roͤm. Koͤnig zu erwehlen nnd wann ſie ſich da verainigt, das alsdann und nicht eher der Chur -Allein dieſer Vorbehalt hinderte ihn nicht,30*468Sechstes Buch. Siebentes Capitel.ſich doch ſchon am 27. Juni nach Kadan zu begeben, und ſeinem bisherigen Gegner alle einem römiſchen König zukommende Ehre zu erweiſen. Auch ſeine Anhänger, de - nen ſein Widerſpruch allein einen legalen Grund zur Ver - weigerung der Obedienz gegeben, hätten dieſelbe nun nicht länger verſagen können. Nach und nach fügte ſich alles.

So eben hatte der Geſandte Kaiſer Carls ſeine Un - terhandlungen wider den Landgrafen am Rhein begonnen, als dieſe Nachricht einlief und er ſie einſtellen mußte.

Indem König Franz täglich von weitern Feindſe - ligkeiten in Deutſchland zu hören hoffte, war ſchon der Friede geſchloſſen. Von dieſer Seite wenigſtens durfte er weiter nichts für die italieniſchen Verhältniſſe erwarten.

Vielmehr zeigte ſich, daß das Unternehmen des Land - grafen, zu welchem es nur vermöge einer europäiſchen Combination gekommen, doch zunächſt keine Rückwirkung auf die allgemeinen Verhältniſſe haben werde; ſeine Fol - gen waren auf die deutſchen Gränzen beſchränkt; hier aber keineswegs, wie man erwartet, lediglich politiſch, ſondern zugleich von hoher Bedeutung für die Religion. Noch einige andere Stipulationen wurden in Kadan getroffen, die für das Beſtehen des Proteſtantismus für immer von der größten Wichtigkeit geworden ſind, aber zu einem andern Kreiſe von Ereigniſſen gehören, den wir nunmehr betrachten.

2fuͤrſt zur koͤniglichen wahl erfordert werde. Mainziſch-ſaͤchſiſches Bedenken ibid. p. 101.

[469]

Achtes Capitel. Fortſchritt der Kirchenreformation in den Jahren 1532 34.

Es leuchtet ein, wie ſehr das reformatoriſche Prin - zip in den Gebieten, wo es in Folge des Reichsſchluſ - ſes von 1526 die Herrſchaft erlangt hatte, ſchon durch ein Ereigniß, wie der Nürnberger Friede war, befeſtigt und entwickelt werden mußte.

Die Proteſtanten hatten ſich daſelbſt die biſchöfliche Jurisdiction nicht wieder aufdringen laſſen; durch die Zu - ſage des Kaiſers glaubten ſie gegen die Proceſſe des Kam - mergerichts und mithin gegen die nächſten Feindſeligkeiten der in demſelben ausgeſprochenen Mehrheit der Reichsſtände geſichert zu ſeyn.

Hierauf trug der ſächſiſche Landtag, der gegen Ende 1532 zu Weimar verſammelt worden, kein Bedenken weiter, die Wiederaufnahme der in den Zeiten wo alles ſchwankte natürlicher Weiſe unterbrochenen Viſitation der Kirchen zu genehmigen.

Nun erſt ward die Meſſe, die ſich noch an einigen Stellen gehalten, vollends überall aufgehoben; die paar470Sechstes Buch. Achtes Capitel.Klöſter, die noch beſtanden, auf die evangeliſche Lehre angewieſen; man verbot ihnen, Novizen aufzunehmen. Obwohl dadurch einige neue Einkünfte vacant wurden, ſo war es doch ſehr ſchwer, die ganz vernachläſſigten Land - pfarren ordentlich einzurichten. Hie und da befanden ſich die Kirchengüter ſchon in fremden Händen: die Bauern waren froh, durch den Fall des alten Klerus gewiſſer Lei - ſtungen, waren ſie auch nur freiwillige geweſen, entledigt zu werden. 1Auszuͤge aus den Viſitationsacten bei Seckendorf III, §. 25 Add. III. Die Inſtruction iſt vom 19. Dez. 1532.Indeſſen gelangte man doch zum Ziel. Mit großer Sorge, Mühe und Arbeit, verſichert My - conius, ſelbſt einer der Viſitatoren, ſey doch erreicht wor - den, daß jede Pfarre ihren Lehrer und ihr gewidmet Ein - kommen habe; jede Stadt ihre Schulen und was zur Kirche gehöre. 2Bei Lommatzſch Narratio de Myconio. S. 55.Die Viſitation erſtreckte ſich jetzt auch über die Reuſſiſchen und Schwarzburgiſchen Beſitzungen. Bei den Geiſtlichen, die man daſelbſt fand, zeigte ſich we - niger Widerſetzlichkeit als Unwiſſenheit und Sittenloſigkeit; man konnte ſie nicht behalten, ſo gern ſie geblieben - ren; faſt überall traten Zöglinge der Wittenberger Schule an ihre Stelle. Dieſe ſelbſt, die Metropole des Proteſtan - tismus, ward jetzt ein wenig beſſer ausgeſtattet. 3Die geſammten Einkuͤnfte betrugen 2811 Gulden 11 Gro - ſchen; ſie wurden mit 1900 G. vermehrt. Luther hatte bis dahin 200 G. Beſoldung gehabt; er bekam nunmehr 300 G.Die alte Ordnung der Dinge in ihrem eignen Lande hatte ſie nunmehr vollkommen geſprengt. Sie ſelbſt ſtand an der Spitze der neuen Kirche. Sie hatte die Doctrin gefun -471Einrichtungen in d. evangeliſchen Laͤndern.den und aufgeſtellt, auf die man bereits anfing die Pre - diger zu verpflichten;1Knapp, narratio de Iusto Jona p. 17. von den geiſtlichen Mitgliedern der Univerſität gingen die Ordinationen aus.

Und dieſes Syſtem ward nun auch faſt unverändert auf Heſſen übertragen, wo jener erſte Entwurf einer auf die Idee der Gemeine gegründeten Kirchenverfaſſung längſt beſeitigt worden. Viſitationen wurden gehalten; die Pfar - ren, wie der Landgraf rühmt, beſſer in Stand geſetzt, als ſie jemals geweſen; Superintendenten eingeführt; die got - tesdienſtlichen Einrichtungen nach der Wittenberger Art und Weiſe getroffen. Den vornehmſten Unterſchied machte, daß die Kirche in Heſſen bei weitem reicher ausgeſtattet war, als in dem churfürſtlichen Thüringen und Sachſen. Daher konnte es dort zu einigen großen Stiftungen kom - men. Im Jahre 1532 wurden die Klöſter Wetter und Kaufungen, mit Einkünften, die man einer kleinen Graf - ſchaft gleich geſchätzt hat, zur Ausſtattung adlicher Fräu - lein, im Jahre 1533 die Häuſer Haina und Merxhauſen, bald darauf auch Hofheim und Gronau zu Landeshospi - tälern beſtimmt. Der Univerſität Marburg wurden nach und nach zehn Klöſter aus dem obern und niedern Für - ſtenthume geradehin einverleibt, und von fünf andern ein Antheil an den Einkünften gewährt. Ein theologiſches Seminar ward auf Beiträge des Fürſten und ſämmtlicher Bürgerſchaften des Landes gegründet. 2Excerpte aus den Acten bei Rommel I, p. 191 und der Note.

In Lüneburg hatten ſich ſonſt die Jurisdictionen von Bremen, Verden, Magdeburg und Hildesheim getheilt. 472Sechstes Buch. Achtes Capitel.Die oberſte Superintendentur über alle dieſe Länder war jetzt, nach Beſeitigung dieſer Jurisdictionen, dem Urba - nus Rhegius aufgetragen. Er hielt es für ſeine Pflicht in dieſer mühevollen, und ſelbſt nicht ganz gefahrloſen Stellung zu verharren, auch als man ihn wieder nach dem Oberland berief, von wo er ſtammte. Mit großem Eifer ſtand ihm ſein Fürſt, Herzog Ernſt, zur Seite. Nicht ſelten ſehen wir ihn in Perſon mit ſeinem Kanzler und einem oder dem andern Prediger in den Klöſtern er - ſcheinen und die Sache der Reform empfehlen; größten - theils traten die Stiftsherren oder auch die Priorinnen mit ihren Nonnen zur evangeliſchen Lehre über. Zuweilen hat - ten die Stiftsherren ein gleiches Intereſſe mit dem Her - zog, z. B. in Bardewik, was der Erzbiſchof von Bremen mit Verden vereinigen wollte. Allmählig wurden die Sächſiſchen Formen hier wie in Heſſen vorherrſchend. Alle Jahr ward eine Kirchenviſitation gehalten. 1Schreiben des Urbanus Rhegius an die Augspurger 14. Juli 1535 bei Walch XVII, 2507; vgl. Schlegel II, 51. 95. 211.

Auch in dem fränkiſchen Brandenburg fuhr man fort die Klöſter fürſtlicher Verwaltung zu unterwerfen. Noch gab es jedoch an vielen Orten Mönche; zuweilen hatten ſie Frauen genommen: hie und da hatte dieß der Abt ſelbſt gethan. 2Bericht des Cornelius Ettenius p. 498.Neue Aebte und Aebtiſſinnen durften je - doch nicht mehr gewählt werden: höchſtens Verwalterin - nen finden wir noch eintreten, wie Dorothea von Hirſch - hard in dem Fräuleinſtift Birkenfeld. Es ward eine Kam - merordnung entworfen, nach welcher der Ueberſchuß der473Schwierigkeiten in Hinſicht d. Verfaſſung.Kloſterverwaltung zu einer Geſammtcaſſe, einem Vorrath aufgeſpart werden ſollte, für irgend einen Fall der Noth, in welche das ganze Fürſtenthum gerathen dürfte. Alles aber, was von andern Stiftungen und erledigt werdenden Pfründen aufkomme, ſollte zum Unterhalt der Pfarren und Schulen dienen. Im Jahre 1533 ward eine Kirchenord - nung entworfen, gemeinſchaftlich mit Nürnberg, nach wel - cher Kirchen und Klöſter ſich richten ſollten. 1Lang II, 42.

Man ſieht, alles war noch im Werden, noch ziem - lich formlos; an eine ſtabile Kirchenverfaſſung war noch nicht zu denken. Nur ſo viel ſehen wir, daß das Prin - zip des weltlichen Standes überhaupt einen großen Vor - theil über die geiſtliche Seite davon trug.

Ein Theil der geiſtlichen Einkünfte kam entweder dem Fürſten, oder dem Adel, oder auch den Städten, oder der Geſammtheit des Landes zu Gute. Ueberall trat eine Geiſtlichkeit, die ihre Stellung und Bedeutung den An - ſtrengungen und dem Eifer der fürſtlichen Gewalt verdankte, an die Stelle einer andern, deren Recht ſich von der bi - ſchöflichen Autoriſation herſchrieb.

Wie wenig ſich aber der weltliche Stand auch dieſer neuen Geiſtlichkeit zu unterwerfen geneigt war, davon zeugt unter andern jene nürnbergiſch-brandenburgiſche Kirchenordnung.

Die Geiſtlichen wünſchten hier die Wiedereinführung des Kirchenbannes; die nürnbergiſchen trugen förmlich darauf an; die brandenburgiſchen waren wenigſtens nicht dagegen, in ihrem Gutachten führen ſie vielmehr Gründe für den Nutzen dieſes Inſtitutes auf. Allein ſie konnten474Sechstes Buch. Achtes Capitel.nicht durchdringen. Die Weltlichen wollten ſich dieſem Zwang nicht wieder unterwerfen. Bei der Publication der Kirchenordnung ward der Paragraph weggelaſſen, der davon handelt. 1Bedenken der markgraͤfiſchen Theologen uͤber die Kirchenord - nung bei Strobcl Miscellaneen II, p. 148. Noch 1741 wagte es der gute Hausmann nicht, uͤber dieſe Sache zu ſagen was er doch wußte. Hausmann bei Spengler p. 55, 297.

War man doch in Wittenberg ſelbſt nicht dafür! Lu - ther fand,2Bedenken bei D. W. IV, p. 389. zu dem öffentlichen Bann werde eine vorherge - hende Unterſuchung, und hernach allgemeine Meidung des Gebannten gehören; jenes laſſe ſich nicht wohl ein - richten, dieſes werde namentlich in großen Städten Ver - wirrungen veranlaſſen. Er ſah wohl ein, daß die Reli - gion nicht dazu da iſt durch irgend eine eigene Zwangs - anſtalt äußere Ordnung zu handhaben, was ja eben in das Gebiet des Staates gehört. Die Kirche in Witten - berg begnügte ſich, öffentlichen Frevlern das Sacrament zu verſagen, doch ohne daß dadurch die bürgerliche Ge - meinſchaft gehindert wurde. In der Predigt verdammte man die Laſter und ermahnte die Obrigkeit ſie nicht zu dulden.

Weiter kam man auch anderwärts nicht. In Stras - burg ward im Jahre 1533 eine Provincialſynode einge - richtet, welche aber neben den geiſtlichen auch mehrere weltliche Elemente in ſich einſchloß, eine Commiſſion des Rathes die ſogar den Vorſitz führte, die Pfleger der Stadt - kirchen, die Doctoren der freien Künſte und Lehrer. In den Artikeln, welche ſie annahm, ward vor allen der Ob -475Emancipation von d. geiſtlichen Element.rigkeit das Amt zugeſprochen, den Läſterungen und dem äußern Aergerniß zu wehren. Zur Einführung eigentlicher Kirchenzucht wollte ſich jedoch der Rath nie verſtehn. In Sachen des Glaubens laſſe ſich mit Geboten nichts aus - richten; da man ſie doch nicht zu handhaben im Stande ſey, ſo ziehe man ſich nur Verluſt des Anſehens zu, wenn man ſie aufſtelle. Für das einzige ausführbare Mittel hielt man eine tadelloſe Aufführung der Geiſtlichen, die man ſehr ernſtlich, einen jeden perſönlich ermahnte, gutes Beiſpiel der Vornehmen, Anmahnungen der Uebrigen durch die Ammeiſter in den Zünften. 2Erklaͤrung des Rathes v. 1534. Ebendaſ. II, p. 41.

Man betrachtete die Kirche als ein Inſtitut zur Ein - führung der Religion, jedoch nicht ſowohl einer äußern, als der innerlichen. Man vermied noch alles, was zu nahe an das Papſtthum ſtreifte. Sich von der Zwangsgewalt des geiſtlichen Standes loszureißen, die, wenn ſie ausgeübt wurde, unendlich drückend, und wenn man ſich davon ent - band für die Moralität verderblich war, darin lag eine der vornehmſten Tendenzen der geſammten Bewegung. Man wollte den Einfluß und die geiſtliche Macht der hohen Prälaten nicht mehr; aber dem von dem hierarchiſchen Syſtem ausgetretenen niedern Clerus verwandte Rechte zu übertragen fühlte man auch Bedenken. Der Forderung einer ſtrengen Kirchenzucht ſetzte ſich ſogleich die Idee ent - gegen, daß das chriſtliche Prinzip durch angeregte Freiwil - ligkeit die Herzen durchdringen, nicht durch Gewalt und Zwang ſie entweder unterjochen oder entfremden ſolle.

1Die Sechszehn Artikel der Synode von 1533 bei Roͤhrich II, 263, beſonders Art. 15.
1476Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Indem man nun aber mit dieſen Einrichtungen und Ueberlegungen beſchäftigt war, denn vollkommen geſichert glaubte man ſich durch die Zugeſtändniſſe von Nürnberg, ſo zeigte ſich doch, daß das nicht ſo ganz der Fall ſey; die hohe Geiſtlichkeit der katholiſchen Kirche hatte in der Reichsverfaſſung eine allzuſtarke Repräſentation, in dem Reichsrechte einen zu ſtark ausgeſprochenen Rückhalt, um ihre Sache ſofort aufzugeben.

Allerdings wies der Kaiſer, von Mantua aus, am 6. November 1532 das Kammergericht an, alle Späne und Irrungen, Sachen der Religion belangend, bis auf ſeinen weitern Befehl einzuſtellen. 1Harprecht V, 295. Eine ſaͤchſiſche Geſandtſchaft war dort angelangt, um die Sache zu treiben. Schreiben von Planitz, Man - tua 7. Dez. Dieſe bekam durch Held die Antwort, und ſo weit die Forderungen am Kammergericht und zu Rothweil belangen thut, wuͤßte ſich J. Mt. wohl zu erinnern des Vertrags ꝛc.

Schon war bei demſelben eine ganze Anzahl von Proceſſen anhängig. Strasburg, Coſtnitz, Reutlingen, Magdeburg, Bremen, Nürnberg waren ſämmtlich von der hohen Geiſtlichkeit verklagt; nicht minder einige Fürſten, wie Ernſt von Lüneburg, Georg von Brandenburg. Mei - ſtens wurden eingezogene Güter zurückgefordert; zuweilen wurden aber auch wohl einem Capitel einem ſtädtiſchen Stifte die ihm gehörenden Zinſen vorenthalten; oder die verehlichten Prediger ſollten abgeſchafft, in einer proteſtan - tiſchen Stadt katholiſch-eifrige Prieſter eingeſetzt werden, was ſich dieſe nicht gefallen laſſen wollte.

Die Proteſtanten glaubten wohl, durch dieſe Weiſung auf immer geſichert zu ſeyn. Das Kammergericht war jedoch nicht dieſer Meinung.

477Irrungen mit dem Kammergericht.

Es war auf die Beobachtung des Augsburger Ab - ſchiedes verpflichtet; es wußte ſehr wohl, daß die Majori - tät ihm die Kriegführung wider die Proteſtanten aufge - tragen; Niemand auf Erden läßt ſich gern Befugniſſe ent - reißen, die ihm Macht verleihen. Durfte es aber wohl auf der andern Seite einer Weiſung des Kaiſers wider - ſprechen, von dem ſich ſein Gerichtszwang herſchrieb, in deſſen Namen ſeine Urthel ergingen?

Das Kammergericht ergriff den Ausweg, zu erklären, die ſchwebenden Proceſſe ſeyen keine Sachen der Religion; es ſeyen Landfriedenbruchs -, Spolien-Sachen, es ſey von Uebertretungen des Reichsabſchieds dabei die Rede.

Zunächſt in den Händeln der Stadt Strasburg über die Renten und Kleinodien des Stiftes Arbogaſt kam dieſe Unterſcheidung zur Sprache. Der Anwalt der Stadt, Dr. Herter, hatte die Klage gegen Strasburg für eine Sache aller Proteſtanten erklärt, die aber außerdem die Religion anbelange, und daher nach dem neuen kaiſerlichen Erlaß jetzt nicht erörtert werden könne. Der Anwalt des Biſchofs entgegnete, ſein gnädiger Herr habe mit der Geſammtheit der Proteſtirenden nichts zu ſchaffen; die Sache betreffe auch ganz andere Dinge als die Religion. Die Prote - ſtanten wandten ein, an einem Frieden wie ihn das Geriche verſtehen wolle könne ihnen nichts liegen; darum würden ſie S. Maj. nicht bemüht haben; der Stillſtand ſchließe zugleich Perſonen, Güter, Condepentien ein. Mit alle dem erreichten ſie nichts weiter, als daß man beſchloß, den Kaiſer um eine Erklärung ſeiner Worte zu erſuchen.

Der Kaiſer war noch in Bologna, gleichſam im Hauſe478Sechstes Buch. Achtes Capitel.des Papſtes, in täglichen Unterhandlungen mit demſelben begriffen, als ihm dieſe Frage vorgelegt ward. Er durfte den Papſt, der ohnehin ſchwankte, nicht aufs neue beleidigen; er durfte auch die Majorität der Stände nicht verletzen. Und doch konnte er auch ſeinen Stillſtand nicht zurück - nehmen. Er gab eine Entſcheidung, dunkel wie ein Orakel - ſpruch. Die Worte unſerer Abrede, ſagt er, erſtrecken ſich nur auf Religionsſachen; was aber Religionsſachen ſind, darüber kann keine beſſere Erläuterung gegeben wer - den, als wie es die Sachen ſelbſt mitbringen. 126. Jan. 1533. Harpprecht V, 300.Wahr - ſcheinlich hat Held, alter Kammergerichtsbeiſitzer, der den Kaiſer in Bologna begleitete, dieſe Erklärung ausgeſonnen. So dunkel ſie iſt, ſo läßt ſich doch an ihrer Tendenz nicht zweifeln. Man wünſchte das Gericht in ſeinem Ver - fahren zu beſtärken.

Dahin wirkte dann auch, daß eine Commiſſion, die im Mai 1533 das Gericht viſitirte, die Mitglieder deſ - ſelben aufs neue anwies, den Abſchied von Augsburg be - ſonders in Hinſicht auf die Religion zu beobachten. 2 Dem Abſchied von Augsburg, ſonderlich der chriſtlichen Re - ligion und Glaubens halber nachzukommen und ſtracks zu geleben. Es folgen noch andere Verfuͤgungen uͤber die Praͤſentation der Bei - ſitzer, wenn die Kreiſe ſaͤumig ſind; uͤber die Abkuͤrzung der langen muͤndlichen Vortraͤge. Harpprecht kannte dieſen Abſchied nicht. Ich ſah ihn im Weim. A.

Auf dieſen doppelten Anhalt geſtützt, kannte nun das Kammergericht keine Rückſicht weiter. Die Klagen wur - den angenommen und reproducirt; die Einwendung der Beklagten, daß das Kammergericht in Religionsſachen kein ordentlicher Richter ſey, machte keinen Eindruck; die Klä -479Irrungen mit dem Kammergericht.ger brachten die Attentatklage ein; es konnte nicht anders gehen, die Acht mußte erfolgen.

Hätten ſich die Proteſtanten dieß gefallen laſſen, ſo wäre ihre ganze Verbindung unnütz geweſen.

Zuerſt wandten ſie ſich nach Beſchluß ihrer Ver - ſammlung zu Schmalkalden im Juli 1533 an die Churfürſten von Pfalz und Mainz, die den Frieden ver - mittelt, und doch jetzt durch ihre Räthe an dem Abſchied der Viſitation Theil genommen. Die Churfürſten verſi - cherten, daß ihnen derſelbe nicht zur Laſt gelegt werden könne. Hierauf gingen die Proteſtanten das Gericht ſelbſt an. Um zu beweiſen, daß die ſchwebenden Proceſſe Reli - gionsſachen ſeyen, erinnerten ſie an das Herkommen der römiſchen Kirche, kraft deſſen alles für geiſtlich gelte, was eine Pfründe betreffe. Ihre Abſicht bei dem Frieden ſey allein dahin gegangen, ſich der Klagen der Geiſtlichen zu erwehren, daß ſie bei Aenderung der Lehre einer oder der andern Nutzung beraubt worden. Ueberdieß aber habe man ihnen damals die Abſtellung des Strasburger Proceſſes ausdrücklich verheißen. Sie drangen auf eine lautere Er - klärung, ob das Kammergericht kaiſerlichem Befehle gemäß in dem Proceſſe ſtill ſtehen wolle oder nicht. Die direc - ten Antworten des Gerichts waren dunkel, ausweichend: deſto deutlicher waren die indirecten, thatſächlichen. Im November 1533 wurden Meiſter und Rath von Stras - burg für ſchuldig erklärt, den gerichtlichen Krieg zu befeſti - gen. Der Anwalt der Stadt wandte aufs neue ein, es ſey nicht mehr eine Sache von Strasburg, ſondern aller Pro - teſtanten. Der Anwalt des Biſchofs fragte den Kammer -480Sechstes Buch. Achtes Capitel.richter Grafen von Beichlingen, ob S. Gnaden ſeinen ohne Zweifel mit gutem Bedacht gegebenen Beſcheid jetzt ſo un - billigerweiſe wolle anfechten laſſen. Richter und Gericht erklärten nach kurzem Verzug, wenn ſich binnen 14 Tage Niemand von Seiten der Stadt Strasburg einlaſſen wolle, ſo werde auf das Begehren des biſchöflichen Anwalts er - gehen, was recht ſey.

In denſelben Tagen wurden dem proteſtantiſchen Pro - curator Helfmann widerwärtige Schwierigkeiten gemacht, weil er den Eid für Gefährde nur zu Gott, nicht auch zu den Heiligen ſchwören wollte.

Die Proteſtanten ſahen, daß das im Vertrag zu Nürn - berg erworbene Zugeſtändniß ihnen unter dieſen Umſtän - den nichts mehr helfen werde. Indeſſen waren ſie weit entfernt, ihren Anſpruch fallen zu laſſen. Am 30. Januar 1534 ſchritten ſie zu einer förmlichen Recuſation des Kam - mergerichts.

Das Regiment war aufgehoben; der Kaiſer entfernt; König Ferdinand damals noch nicht zu voller Obedienz ge - langt; und man weigerte ſich, die Adminiſtration, die ihm der Kaiſer übertragen, anzuerkennen. Da kam es nun auch dahin, daß das Gericht, das noch allein die Einheit des Reichs repräſentirte, von einem großen Theil der Stände verworfen ward.

Es liegt am Tage, wie ſehr dieſe Irrungen zu der Verſtimmung beitrugen, welche den raſchen Erfolg des Landgrafen Philipp in dem Wirtemberger Kriegszug ſo we - ſentlich beförderte.

So gehörten ſie denn auch zu den wichtigſten Gegen - ſtänden, über die man in Annaberg und Kadan verhandelte.

481Friede von Kadan in religioͤſer Beziehung.

Ein Hauptgrund für den Churfürſten von Sachſen, in der Wahlangelegenheit nachzugeben, lag darin, daß - nig Ferdinand, von dem ja ſonſt nichts als widerwärtige Einwirkungen auf das Gericht zu erwarten geweſen wären, ſich anheiſchig machte, nachdem ein Mißverſtand wegen des nürnbergiſchen Friedens vorgefallen, eine wirkliche Einſtel - lung der bisher wider die in demſelben Begriffenen ein - geleiteten Proceſſe zu bewirken. Man muß dieſe Worte wohl erwägen. Das Geſtändniß, daß ein Mißverſtand vorgefallen, das Verſprechen einer wirklichen Abſtellung, ſind offenbar beſtimmt, die von dem Kammergericht vor - gebrachte Einwendung, ſo viel an dem Könige liegt, zu be - ſeitigen. So verſtand man es auch von Seiten der Pro - teſtanten. 1Saͤchſiſches Bedenken zur Zuſammenkunft in Wien 1535. Die Fuͤrwendung des Kammergerichts, als nehme es keine Religions - ſachen vor, ſey durch den Vertrag abgeſchnitten, indem das ſich K. Mt. verpflichtet hat obwol uf beruͤrten nuͤrnbergiſchen Frieden etwas Mißverſtand, welcher Mißverſtand eben des Kammergerichts Ge - genfuͤrwendung geweſt, fuͤrgefallen, ſoll er doch aufgehoben ſeyn. Wir kennen die Weiſung nicht, die der König hierauf an das Kammergericht erlaſſen haben wird; aber in der That finden wir auch keine Klagen über ein weite - res Vorſchreiten dieſes Gerichtshofes.

Dabei blieb es allerdings, daß die Wohlthat des Still - ſtands nur denen zu Gute kommen ſollte, welche in dem nürnbergiſchen Frieden namentlich aufgeführt worden: al - lein zugleich ward doch auch in Kadan eine andere Be - ſtimmung getroffen, welche eine der weſentlichſten Erweite - rungen des Proteſtantismus möglich machte.

König Ferdinand hatte den Herzog von WirtembregRanke d. Geſch. III. 31482Sechstes Buch. Achtes Capitel.in dem Frieden anfangs nicht allein verpflichten wollen, das Land von ihm zu Lehen zu empfangen, ſondern auch keine Veränderung in Hinſicht der Religion vorzunehmen: ein Artikel war in Vorſchlag gebracht, daß der Herzog in Hin - ſicht der Religion einen Jeden in dem Weſen laſſen ſolle, wie er ihn gefunden. 1Das iſt ohne Zweifel der Sinn der etwas dunkeln Worte: das Hzg. Ulrich einen jedern in dem Fuͤrſtenthumb Wirtemberg der Religionsſachen halber, in dem Weſen wie ſie bis uf ſein Einneh - men (geweſen) verfolgen, und zugeſtellt werden. Beſtand aber Ferdinand, wie wir wiſſen, unerſchütterlich auf der erſten Forderung, ſo beharrte der Churfürſt eben ſo feſt auf der Zurückweiſung der zweiten. Denn unmöglich könne er zugeben, daß das Wort Gottes nach ſeines ſeligen Vaters und ſeinem Bekenntniß nicht ge - predigt werden ſolle; er könne den Lauf des Evangeliums nicht hindern; er werde es nicht thun, ſelbſt wenn es der Herzog bewilligen ſollte; eher werde er auch in der Wahl - ſache zurücktreten. Jener Artikel mußte wirklich geſtrichen werden. 2Wir kennen dieſe Unterhandlungen aus einem Schreiben des Chnrfuͤrſten von Sachſen an den Koͤnig bei Sattler III, p. 129. An den Rand jenes Artikels ward geſchrieben: Sol auſſen pleiben. Alsdann ward der Herzog mit Freuden benachrich - tigt, er ſolle des Glaubens halber unverſtrickt bleiben und Ge - walt haben, chriſtliche Ordnung mit ſeinen Unterthanen vor - zunehmen. 3Durch Hans v. Doͤlzk Schreiben Ulrichs ibid. 124.Nur in Hinſicht derjenigen, welche mit Rega - lien ausgeſtattet, nicht eigentlich als ſeine Unterthanen zu be - trachten ſeyen, ward ihm eine gewiſſe Beſchränkung auferlegt.

Eben dieß ſind nun aber die Beſtimmungen, welche den Frieden von Kadan für die Religion ſo wichtig ma - chen. Wir ſahen, daß es bei der wirtembergiſche Unterneh -483Reformation in Wirtemberg.mung nicht darauf abgeſehen war, die proteſtantiſchen Theo - logen davon nichts hofften, der Papſt nichts fürchtete. Allein, vollzogen von einem der Oberhäupter der evangeliſchen Par - tei, zu Gunſten eines Fürſten, der ſich während ſeiner Ver - bannung mit gleichen Geſinnungen durchdrungen hatte, und unter Bedingungen zum Ziel gebracht, wie die angeführten, konnte ſie gar nichts anders als eine vollkommene Verände - rung des religiöſen Zuſtandes in Wirtemberg nach ſich ziehn.

Auch war durch den Gang des Ereigniſſes gewiſſer - maaßen ſchon die Form vorgeſchrieben, welche die Refor - mation hier nehmen mußte.

Wäre die Wiederherſtellung des Herzogs früher, viel - leicht durch eine jener politiſchen Combinationen, welche Zwingli beabſichtigte, bewirkt worden, ſo würde wahrſchein - lich deſſen Auffaſſung auch in dem Fürſtenthum das Ueber - gewicht gewonnen haben.

Jetzt aber, da der Krieg durch Heſſen geführt, der Friede durch Sachſen bewirkt worden, nach der Niederlage der Schweizer und der Annäherung der Oberländer an das ſächſiſche Bekenntniß war das nicht mehr zu erwarten. Vielmehr eignete ſich der Herzog jetzt die Ausdrucksweiſe an, welche ſeit jener Annäherung vorwaltete; er machte bekannt, er werde Niemand dulden, der etwas anders, als die wahre Gegenwärtigkeit des wahren Leibes und Blutes Chriſti in dem Nachtmahl predige. Lautete doch ein Ar - tikel des Kadanſchen Friedens ausdrücklich wider die Sa - cramentirer! 1Schreiben an Blaurer 22. Dezbr. 1534. Der Zuſatz wie Euch denn ſelber alles wohl wiſſen iſt beweiſt, daß Ulrich ſich von An - fang nicht anders ausgedruͤckt hatte.

31*484Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Zu gleicher Zeit berief er einen der angeſehenſten ober - ländiſchen Theologen, Ambroſius Blaurer, vertrauten Freund Butzers, und den marburger Profeſſor, Erhard Schnepf, ei - nen entſchiedenen Anhänger Luthers, um die würtembergiſche Kirche einzurichten. Sie begannen damit, ſich zu einer For - mel zu vereinigen, die ihnen beiden genugthat. Ihre Ver - einigung bezeichnet die ſich bildende Einheit der deutſchen evangeliſchen Kirche. 1Sie bekannten beide: Corpus et sanguinem Christi vere, i. e. substantialiter et essentialiter non autem quantitative aut qualitative vel localiter praesentia esse et exhiberi in coena. Eine Formel, deren ſcholaſtiſche Faſſung vielen Evangeliſchen noch an - ſtoͤßig war.

Hierauf übernahm Blaurer die Reformation des Lan - des oberhalb, Schnepf unterhalb der Staig. 2In Schnurrers Erlaͤuteruugen der W. K. und Rf. Geſch. lieſt man p. 127 als ein Factum, mancher, den Schnepf als zwei - felhaft zuruͤckgewieſen, ſey ein paar Meilen weiter gewandert und von Blaurer angenommen worden. Schnurrer beruft ſich dabei auf Fuͤß - li’s Epistolae Reformatorum p. 99. Da findet ſich nun ein Schrei - ben Hallers an Bullinger, worin jener nach Berichten Thomas Blau - rers, ſchon im Auguſt 1534, alſo beim erſten Anfang von der Zwie - tracht beider Parteien erzaͤhlt: quam male conveniat Wirtenbergen - sibus ministris, da die Schnepfianer ſehr auf die Schwaͤrmer ſchel - ten, et dum de quibusdam de Schnepfio periculum sit, cum ad ministerium apti sint, quum prima prope sit interrogatio de eu - charistiae causa, si Lutheranus fuerit, quantumvis alioquin do - ctus admittatur, sin minus rejiciatur et ab Ambrosio recipiatur. Man ſieht, Thomas Blaurer ſprach davon nur als von einer Ge - fahr, einer Moͤglichkeit. Eben ſo meinte wohl auch Jac. Sturm: Schnepf ſchuͤhe die unſern, werde die in Anſtellung der Kirche mei - den. Daß aber Faͤlle, wie ſie Schnurrer vorausſetzt, wirklich vorge - kommen, waͤre noch erſt zu beweiſen.Die Prie - ſter wurden nicht mehr nach den bisherigen Ruralcapiteln, ſondern nach der weltlichen Abtheilung der Amteien zuſam -485Reformation in Wirtemberg.menberufen, und nachdem ihnen die Hauptpunkte der evan - geliſchen Lehre vorgehalten worden, aufgefordert, ſich zu erklären, was man von ihnen zu erwarten habe. Nachdem die öſtreichiſche Regierung ſo viel Mühe angewendet, die Religionsedicte aufrecht zu erhalten, fanden ſich doch ſelbſt unter den Pfarrern noch immer eine ganze Anzahl, die auf den erſten Ruf den Evangeliſchen beitraten. Im Tübinger Amt waren es ſieben; die übrigen zwölf baten ſich Bedenk - zeit aus. Unter dieſen Umſtänden wurden die Cerimonien ohne alle Schwierigkeit geändert. Die Meſſe ward an vie - len Orten von ſelbſt unterlaſſen, an den andern auf Befehl abgeſchafft. Schnepf ſtellte eine Form des Abendmahls auf, mit welcher auch die Oberländer zufrieden waren.

Dann griff man zu den Klöſtern. Herzog Ulrich hatte gar kein Hehl, daß er die Güter zur Bezahlung der Landes - ſchulden und Hinlegung obliegender, unträglicher Beſchwer - den zu verwenden gedenke. Da er ſo lange außer Lan - des geweſen, die Schulden Ferdinands an den ſchwäbiſchen Bund übernommen, kann man ſich nicht wundern, wenn er ſich in der größten Geldverlegenheit befand, der er nur auf dieſe Weiſe abhelfen konnte. 2Schnurrer Erlaͤuterungen S. 149 nr. 1.

Durch die in den Kadanſchen Frieden aufgenommene Beſchränkung ließ er ſich dabei nicht hindern. Die öſtreichi - ſche Regierung hatte ihm darin ſelbſt vorgearbeitet; ſie hatte auch über Stifte zweifelhafter Unterthänigkeit landesherr - liche Rechte geltend gemacht, und konnte nicht viel einwen - den, wenn nun ihr Nachfolger daſſelbe that.

1Bericht Ambroſii Blaurers was er mit den Pfaffen Tuͤbin - ger Amts ausgerichtet; bei Sattler III, Beil. nr. 16.
1486Sechstes Buch. Achtes Capitel.

So ward das ganze Land in Kurzem umgebildet. Her - zog Ulrich erwarb ſich das Verdienſt, der Univerſität be - ſondere Sorgfalt zu widmen. Unter den Lehrern finden wir gar bald berühmte Namen; nach dem Muſter von Heſſen ward das Stipendienweſen eingerichtet, das hier wohl noch größere Wirkſamkeit entwickelt hat als dort: Tübin - gen wurde allmählig eine der vornehmſten Pflanzſtätten pro - teſtantiſcher Gelehrſamkeit.

Wirtemberg war eine Eroberung des Proteſtantismus auf den Grund des alten Erbrechtes deutſcher Fürſten: eine Eroberung von doppeltem Werth, da ſie grade in den - ſelben Gegenden vollbracht ward, wo bisher der ſchwäbi - ſche Bund die evangeliſchen Regungen niedergehalten hatte. 1Gaſſarus bei Menken I, p. 1798, ſie ſey geſchehen: non sine totius Sueviae pfafforum monachorumque consternatione. In allen Oberlanden erhoben ſich dieſelben nun aufs neue; im Elſaß, wo der Einfluß von Strasburg nicht hingereicht; in den benachbarten dynaſtiſchen Gebieten Markgraf Bernhard von Baden, Graf Philipp IV von Hanau, Lud - wig von Falkenſtein, und der Mitanführer im Würtember - giſchen Kriege, Wilhelm von Fürſtenberg, reformirten nach und nach in ihren Territorien in kleinen und großen Reichs - ſtädten. Kaum konnte die Nachricht von der Schlacht bei Laufen erſchollen ſeyn, ſo ſtellte Michael Kreß, Pfarrer in Weißenburg im Wasgau, die Meſſe ein (Juni 1534); der Rath war mit ihm einverſtanden, und zögerte nicht, die mißvergnügte Dienerſchaft des Stiftes aus der Stadt zu verweiſen. Den größten Eindruck aber machte es, daß end - lich auch Augsburg förmlich übertrat. Die reformirte Lehre487Reformation in Augsburg.war hier längſt in Aufnahme. doch hatten auch die alten Meinungen noch mächtige Beſchützer, z. B. die Fugger. Hätte man etwas gegen Biſchof und Capitel unternommen, ſo würden dieſe bei dem ſchwäbiſchen Bund rechtliche oder factiſche Hülfe gefunden haben. Es liegt aber am Tage daß der Zuſtand, der unter dieſen Umſtänden eintrat, wo die Gemüther täglich durch entgegengeſetzte oder feindſelige Predigten entzweit wurden, ſich in einer Commune, die auch etwas im Reiche bedeuten wollte, nicht halten ließ; eben die Differenzpunkte bildeten jetzt den wichtigſten Theil der öffentlichen Angelegenheiten. Unter den politiſchen Ein - flüſſen der damaligen Zeit bekam nun die evangeliſche Geſinnung, die ſchon lange die Majorität hatte, auch den Muth, ihre Rechte geltend zu machen. 1Gaſſarus a. a. O. Stetten, 335. Zapf: Leben Stadions S. 82.Der Geiſtlichkeit ward eine Disputation angeboten .. Da ſie ſich darauf ent - weder gar nicht einlaſſen wollte, oder doch nur unter Be - dingungen, welche die Stadt hinwieder nicht annehmen konnte, ſo faßte auch ohne dieß der große und kleine Rath unter der Leitung des Bürgermeiſters Wolf Rehlinger den Beſchluß, daß keine papiſtiſche Predigt weiter zugelaſſen, keine Meſſe, außer in den unmittelbar dem Biſchof zuge - hörigen Kirchen geduldet werden ſolle. Dieß geſchah am 22. Juli. Hierauf wurden die meiſten Capellen geſchloſ - ſen; ein Theil der Geiſtlichkeit verließ die Stadt; ein an - derer ſchloß ſich um ſo enger an Biſchof und Capitel an.

Nahe verwandte Motive des innern ſtädtiſchen Lebens bewirkten in denſelben Zeiten den förmlichen Uebertritt von488Sechstes Buch. Achtes Capitel.Frankfurt, obgleich ohne ſo entſchiedenen Einfluß der po - litiſchen Ereigniſſe. 1Kirchner Geſchichte von Frankfurt II, 84; auf beide Staͤdte komme ich zuruͤck.

Ueberhaupt bedarf es weiter keiner Erörterung, daß, wenn die religiöſe Meinung durch den Gang der Politik begünſtigt wurde, ihr doch auch an und für ſich eine große Selbſtändigkeit zukam: ſie hatte die Ereigniſſe vorbereitet, durch welche ſie hinwiederum entbunden ward.

Noch war ſie kräftig genug, ſich zuweilen in geradem Widerſpruch mit dem, was die politiſche Lage zu fordern ſchien, geltend zu machen, wie das eben damals in An - halt geſchah.

Denn was konnte wohl für die Mehrzahl der anhal - tiſchen Fürſten, für welche der Eine von ihnen, Fürſt Jo - hann, den Reichsabſchied von Augsburg unterſchrieben, ge - fährlicher ſeyn, als hievon zurückzutreten, in Widerſpruch mit den mächtigen Nachbarn, deren Gunſt ſie nicht ent - behren konnten, dem Herzog Georg von Sachſen, dem Chur - fürſten Joachim von Brandenburg und dem Erzbiſchof Al - brecht. Der eine von den Brüdern, Fürſt Georg, war geiſtlich, bereits Dompropſt in Magdeburg und in Merſe - burg; ſeine Zukunft ſchien an das Beſtehen der römiſchen Kirche geknüpft zu ſeyn. Eben Dieſer aber trug zur Ver - änderung gerade das Meiſte bei. Er verſichert, auch ihm, ſo nahe er geweſen, habe man doch die lutheriſche Sache ſo ungünſtig als möglich vorgeſtellt, gleich als ſeyen darin gute Werke verboten, gute Ordnungen umgeſtoßen, alles un - chriſtliche Weſen zugelaſſen. Allein gar bald habe er ſich anders überzeugt. Er habe gefunden, daß bei den Prote -489Reformation in Anhalt.ſtanten der heiligen Schrift, der alten und ſogar der römi - ſchen Kirche gemäß gelehrt werde. 1Schreiben Georgs an den Kaiſer in Fuͤrſt Georgs Schrif - ten und Predigten p. 368.Nach und nach ward er mit ſeinen Brüdern ſo eifrig, daß ſie es nicht mehr dul - den wollten, als am grünen Donnerſtag des Jahres 1532 ein Dominikaner ſich auf ihrer Kanzel in Deſſau in har - ten Ausdrücken wider den Gebrauch beider Geſtalt verneh - men ließ. Sie erſetzten ihn durch einen Freund Luthers, Niclas Hausmann. Herzog Georg verſäumte nicht, ſie an die Ungnade des Kaiſers zu erinnern, ihnen Ungedeihen zu weiſſagen; er meinte, Fürſt Georg werde nun nicht mehr dazu gelangen, wozu er wohl ſonſt Hoffnung gehabt, aber er machte weder mit Betrachtungen dieſer Art, noch mit doctrinellen Einwendungen Eindruck bei ihnen. 2Schreiben des Fuͤrſten Joachim an Georg ibid. 384. Lu - ther freut ſich dieſes Anfangs etiamsi id factum non sit sine gravi periculo, magnis principibus contrarium suadentibus insuper etiam minantibus. Schreiben an die drei Bruͤder Johann, Joachim und Georg, in Lindners Mittheilungen aus der Anhaltiſchen Geſchichte, Heft II, wo ſich einige Briefe finden, die bei D. W. fehlen.Getroſt fuhren ſie fort. Und da hatte es nun eine beſondere Bedeutung, daß hier ein Mitglied des fürſtlichen Hauſes zugleich eine hohe geiſtliche Stelle in der Diöceſe bekleidete. Als Archidiaconus und Dompropſt der magdeburgiſchen Kirche glaubte Fürſt Georg eine regelmäßige geiſtliche Autorität in ſeinem Gebiet ausüben zu können. Auf den Grund einer dieß Mal vereinig - ten geiſtlichen und weltlichen Gewalt, wurden die Geiſtli - chen der anhaltiſchen Länder am 16. März 1534 zuſam - menberufen, und angewieſen, in Zukunft das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt auszutheilen. 3Inſtruction fuͤr die Geſandten Johanns und Joachims von Anhalt an den Erzbiſchof; (Archiv zu Deſſau).Der Erzbiſchof Car -490Sechstes Buch. Achtes Capitel.dinal war damit, wie ſich denken läßt, nicht zufrieden, aber Fürſt Georg beſtand darauf, daß die geiſtliche Jurisdiction zunächſt ihm, dem Archidiaconus zuſtehe, wobei dem Cardi - nal die erzbiſchofliche Aufſicht vorbehalten bleibe. Er ließ ſich nicht abhalten, nach und nach die Pfarren dieſſeit der Elbe mit Schülern Luthers zu beſetzen. Als nun aber die Re - form auch in dem jenſeitigen Gebiete beginnen ſollte, wo die Jurisdiction dem Biſchof von Brandenburg zuſtand, änderte ſich das Verhältniß. Anfangs erſuchte Fürſt Georg den Biſchof, die Prieſter zu ordiniren, die er ihm zuſenden wolle. Natürlich weigerte ſich dieſer, verheiratheten Prie - ſtern die Weihen der katholiſchen Kirche zu geben. Aber auch Fürſt Georg trug dann kein Bedenken weiter, ſeine Can - didaten nach Wittenberg zu Luther zu ſchicken, der ſie prüfte, und wenn er fand, daß ſie der reinen Lehre zugethan, ih - nen darüber ein Zeugniß ausſtellte und ſie ordinirte.

Ein Glück war es auf jeden Fall, wenn die Sachen irgendwo ſo in Ruhe ſich entwickelten.

In andern Ländern, wie in Pommern, kam es dage - gen zu den heftigſten innern Kämpfen. Hier waren die Gegenſätze ſchon immer überaus heftig geweſen. In den Bürgerſchaften war es hie und da zu bilderſtürmeriſchen Un - ruhen gekommen: mit welchem Haſſe ihnen die Anhänger des Papſtthums dafür begegneten, davon zeugen ihre Schimpf - lieder, die uns übrig ſind. Adel und Clerus des ganzen Landes hielten den Städten gegenüber zuſammen. Die bei - den Fürſten, Georg und Barnim entzweiten ſich. Von Georg fürchteten die Proteſtanten noch 1531 thätige Theil - nahme an dem Kriege, der ſie bedrohte. Aber Barnim,491Reformation in Pommern.derſelbe, der an der Leipziger Disputation Theil nahm, ließ den Bund wiſſen, wo ſein Bruder aufgebiete, wolle er niedergebieten. 1Verhandlung zu Schmalkalden. Judica 1531. Er lehnte den Beitritt zum ſchmalkaldiſchen Bund ab, weil er noch mit ſeinen Bruͤdern in ungetheilten Guͤtern ſitze. Er hätte auch darum Theilung der Land - ſchaften und getrennte Regierung gewünſcht, um die reli - giöſe Neuerung zu unterſtützen. In dieſem Moment aber ſtarb Herzog Georg; und deſſen Sohn Philipp, jung, lernbegierig, und gegen ſeine katholiſche Stiefmutter eher in Oppoſition, war nun leichter zu gewinnen. Wahr - ſcheinlich haben ſich Barnim und Philipp auf einer Zu - ſammenkunft zu Cammin im Auguſt 1534 vereinigt, was ſo viele Andere gethan, nun auch in ihren Ländern zu un - ternehmen. Auf einem Landtag zu Treptow im folgenden December legten ſie einen Reformations-Entwurf vor, der eigentlich auf einen Vorſchlag der Städte gegründet iſt, und bei dieſen, einige Kleinigkeiten abgerechnet, die freudigſte Aufnahme fand Der treffliche Pomeranus, Doc - tor Bugenhagen, ward herbeigerufen, um eine Kirchenvi - ſitation im Sinne von Wittenberg zu unternehmen. Aber um ſo heftigern Widerſpruch erhoben nun Clerus und Adel. Der Biſchof von Cammin, den man gebeten, die Verände - rung zu leiten, wies das weit von ſich; der Abt von Al - tencamp brachte ein Mandat des Kammergerichts aus, das den Herzogen jede Neuerung unterſagte. Die Ritterſchaft ward überredet, es ſey auf einen Bund zwiſchen den Für - ſten und den Städten abgeſehn, der nur zu ihrem Verder - ben ausſchlagen könne, und ließ ſich nicht die mindeſte Theilnahme abgewinnen. 2Schreiben des Abt Johann Huls, (8. Juni) und der pom -

492Sechstes Buch. Achtes Capitel.

Das war überhaupt der Zuſtand eines großen Theils von Niederdeutſchland. Dem Herzog Heinrich von Mek - lenburg, der 1534 das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt genommen, ſtand ſein Bruder Albrecht mit dem größten Theile der Landſchaft entgegen. Welche Oppoſition die Umwandlung in Holſtein noch immer fand, beweiſt ein Schreiben Landgraf Philipps an Herzog Chriſtian über die Mittel, den Adel für dieſelbe zu gewinnen. Faſt überall finden wir Capitel und Ritterſchaften mit den reformatori - ſchen Tendenzen der Städte in Widerſtreit. Namentlich in Weſtfalen war ſo eben der heftigſte Kampf ausgebrochen.

In den weſtfäliſchen Städten ſetzte ſich die Bewegung fort, wie ſie in den niederſächſiſchen begonnen. Lutheri - ſche Lieder wurden von den Knaben vor den Thüren, von Männern und Frauen innerhalb der Häuſer, erſt bei Abend dann bei Tage geſungen, lutheriſche Prädicanten erſchienen. Hie und da löſten ſich die Klöſter von ſelbſt auf, wie in Hervord; Frater und Süſterhaus, welche beſtehen blieben, nahmen die Reformation an. 1Wolte, ſagt Luther, daß die Kloͤſter alle ſo ernſtlich Gottes Wort wolten beten und halten.In Lemgo fand ſich der Pfarrer Pideritz, lange Zeit ein Anhänger von Johann Eck, endlich durch die Gegenſchriften überzeugt, reiſte noch einmal nach Braunſchweig, um die Art und Weiſe der Veränderung ſich anzuſehn; als er wiederkam, trat er als evangeliſcher Pfarrer auf und reformirte die Stadt. Der alte Bürgermeiſter Flörken, der die hierarchiſchen Ordnun - gen bewunderte und ſie für die einzig zuläſſige Darſtellung2merſchen Ritterſchaft (25. October 1535) bei Medem Geſch. d. Einf. der ev. Lehre in Pommern 197, 231.493Reform. in Weſtfalen. Soeſt.des Chriſtenthums hielt, mußte endlich den Neuerern wei - chen, welche die ſcholaſtiſchen Doctrinen aus der Epiſtel an die Römer widerlegten. 1Der andre damals ausgetretene Buͤrgermeiſter war Andreas Kleinſorg, Großvater des Gerhard von Kleinſorgen, der eine weſt - faͤliſche Kirchengeſchichte im katholiſchen Sinne verfaßt hat.

Es waren jedoch nur zwei, drei Orte, wo die Bewe - gung im Ganzen ſo friedlich abging; in andern kam es darüber zu gewaltſamen Ereigniſſen, z. B. in Soeſt und in Paderborn.

In Soeſt waren die Bürgermeiſter und Rathsherrn wider ihren Willen genöthigt worden, die lutheriſche Predigt zu geſtatten, die augsburgiſche Confeſſion, eine evangeliſche Kirchenordnung anzunehmen. 2Den katholiſchen Geiſtlichen ward vorgeſchrieben ut ho - neste viverent abolita superstitione tantum; ſie wichen groͤßtentheils aus der Stadt.Da ſie jedoch im Amte blieben, konnte es an Reibungen zwiſchen ihnen und den Wortführern der evangeliſchen Partei in der Gemeinde nicht fehlen. Beſonders war ihnen ein Gerber verhaßt, des Na - mens Schlachtorp, und um ihr wankendes Anſehen we - nigſtens in bürgerlichen Dingen wiederherzuſtellen, ergriffen ſie die Gelegenheit, beim erſten Exceß, den derſelbe mit ein paar Andern beim Weine beging, ſie hatten da eigent - lich nur tapfer geſchimpft ihn feſtzunehmen, vor Ge - richt zu ſtellen, und was Niemand erwartete, er ſelbſt am wenigſten, denn ſonſt hätte er leicht entfliehen können, mit den Uebrigen zum Tode zu verurtheilen. Da half nun keine Einrede über die Geringfügigkeit des Vergehens, keine Für - bitte; der Tag der Hinrichtung ward feſtgeſetzt; um dieſen Act zu ſchützen, vertraute der Rath den ergebenſten unter den Bür -494Sechstes Buch. Achtes Capitel.gern, die noch zum Theil katholiſch waren, die Waffen an. Wir ſind genöthigt, das Schlachtopfer auf das Schaffot zu begleiten Als er dahin kam, wendete er ſich noch ein - mal an die Menge der evangeliſch geſinnten Bürger, die ſich überaus zahlreich aber unbewaffnet verſammelt hatten, und indem er betheuerte, daß er nur um der Religion wil - len ſterben müſſe, ſtimmte er das Lied an, mit Fried und Freud fahr ich dahin ; die ganze Menge fiel ein. Man wußte wohl, daß dem armen Manne Gewalt geſchehe, aber der Rath hatte nun einmal das Recht des Schwerts; man hielt ſich nicht für befugt, in daſſelbe einzugreifen. Der Henker fragte, wer von den Verurtheilten zuerſt ſterben wolle. Schlachtorp forderte dieſe Ehre für ſich, ſaß auf dem Armenſünderſtuhl nieder, ließ ſein Hemd abſtreifen und und bot ſeinen Nacken dem Streiche dar. Da wollte nun das Glück, daß der Henker denſelben nicht richtig führte, nicht den Hals traf, ſondern den Rücken, ſo daß Schlacht - orp mit dem Stuhl umſchlug, eine furchtbare Wunde em - pfangen hatte, aber noch lebte. Der andere Henker kam herbei, hob ihn auf, und richtete ihm ſchon den Hals zu dem wiederholten Schlag auf. Indem aber hatte Schlacht - orp ſein Bewußtſeyn wiederbekommen; er meinte, dem Rechte ſein Recht gethan zu haben und zu nichts weiter verpflichtet zu ſeyn; mit raſcher Wendung, obwohl ihm die Hände gebunden waren, entriß er dem Henker das ſchon wieder gezückte Richtſchwert, und hielt es mit einer durch die Todesnoth verdoppelten Kraft feſt, ſo lange bis er den Strick um ſeine Hände mit den Zähnen zerriſſen hatte, worauf er die mit eignem Blut gefärbte Waffe ſo gewaltig um ſich495Reform. in Weſtfalen. Paderborn.ſchwang, daß die beiden Henker ihm nicht ankommen konnten. Alles das Werk eines Momentes, in welchem zugleich die mit Mühe zurückgedrängte Sympathie des Volkes zum Aus - bruch kam. Der Magiſtrat gebot den Henkern abzuſtehn; die Menge führte den Schlachtorp, der das eroberte Schwert in den Händen hielt, triumphirend nach Hauſe. Hier ſtarb er zwar, in Folge des Blutverluſtes, der Wunde und der Anſtrengung, am andern Tage; aber nie hatte man ein Leichenbegängniß erlebt, wie das ſeine. Männer und Wei - ber, Alt und Jung, Evangeliſch - und Päpſtlichgeſinnte wa - ren in der Begleitung; Jedermann wollte das Richtſchwert ſehn, das auf dem Sarge lag. Man kann ſich denken, wie ſehr hiedurch die Gährung der Gemüther, der Wider - wille gegen den Rath anwachſen mußte; bei jeder Gelegen - heit ſah derſelbe den Aufruhr drohen, und hielt zuletzt für das Beſte die Stadt zu verlaſſen (Juli 1533). Dann trat ein neuer Rath ein, und die evangeliſche Organiſation ward vollſtändig vollzogen.

Auch die Ereigniſſe von Paderborn führen uns an ein Hochgericht, obwohl ſie ſich nicht ſo grauenvoll entwickelten. Auch hier nemlich hatte ſich die Gemeine, nicht ohne Auflauf, die Freiheit der Predigt ertrotzt, und ſchon ein paar Kirchen an proteſtantiſche Prädicanten über - liefert; keine Unterhandlung des Landdroſten, keine Verord - nung des Landtags hatten ſie davon zurückzubringen ver - mocht; als endlich der neugewählte Adminiſtrator des Stif - tes, Hermann von Cöln, mit den Vornehmſten des Lan - des und bewaffnetem Gefolge daſelbſt einritt, um die Hul - digung anzunehmen. Hermann war von Natur kein Ei -496Sechstes Buch. Achtes Capitel.ferer, wir werden ihm noch auf ganz andern Wegen begeg - nen, aber die Vorſtellungen der Domherren und des Ra - thes, ſo wie einige Nichtachtung ſeiner Oberherrlichkeit, die er erfahren, bewogen ihn jetzt zu einem gewaltſamen Schritte. Noch einmal, und zwar, wie er ſagte, um einen gnädigen Abſchied zu nehmen, berief er die Bürgerſchaft nach dem Garten des Abdinkhoviſchen Kloſters: als ſie aber hier zuſammengekommen, ſah ſie ſich von bewaffneten Mann - ſchaften umgeben; die Anführer der evangeliſchen Partei wurden ergriffen und ins Gefängniß geworfen. Man be - züchtigte ſie des Vorhabens, die Stadt an den Landgrafen von Heſſen zu überliefern, unterwarf ſie der Tortur, und ſprach ihnen endlich vor verſammeltem Volk, im Angeſicht des Schaffotes, das ſchon mit dem Sand beſtreut war, der ihr Blut trinken ſollte, das Todesurtheil. Allein hier ging es nicht wie in Soeſt. Der erſte Scharfrichter er - klärte, die Leute ſeyen unſchuldig, er wolle lieber ſelber ſter - ben, als ſie hinrichten; aus der Menge hörte man ei - nen alten Mann, der deshalb an ſeinem Stabe herbeige - ſchlichen, ausrufen, er ſey ſo ſchuldig wie die Verurtheilten, er fordere mit ihnen hingerichtet zu werden, und in dem traten aus einem nahen Hauſe die Frauen und Jungfrauen der Stadt hervor, jene mit offener Bruſt, dieſe mit zer - ſtreuten Haaren, und flehten um Gnade für die Gefange - nen. 1Hamelmann hist. renov. evangelii 1328, hier m. Hauptquelle.Dem Churfürſten Hermann, einem geborenen Wied, der, wie erwähnt, Gewaltſamkeiten dieſer Art nicht liebte, traten die Thränen in die Augen; da er auch ſeine weltlichen Großen erſchüttert ſah, ſchenkte er den Verurtheilten das497Reformation in Weſtfalen.Leben. Nur kam damit die Lehre nicht wieder empor. Die Evangeliſchgeſinnten wurden unter ſtrenger Aufſicht ge - halten, nach Befinden mit Geldſtrafe belegt. Ein Receß ward aufgerichtet, durch welchen die neue Lehre auf das ſchärfſte verpönt ward. 1 Wollen, daß nun und hinfuͤro kein fremder Mann, Frau, Knecht oder Magd, welche aus ſolchen Staͤdten und Flecken herkom - men, die der neuen Lehre anhaͤngig oder deshalb beruͤchtigt ſind, zu Dienſtboten in unſrer Stadt Paderborn angenommen werden, 1532 18. October. Bei Kleinſorgen Bd. II, p. 364.

Man ſieht, welche Kräfte hier in Weſtfalen mit einan - der kämpfen: auf der einen Seite geiſtliche Fürſten, Domca - pitel, Ritterſchaften, Stadtobrigkeiten eng verbündet: dagegen lebhaft angeregte, durch eifrige Prädicanten befeuerte Bürger - ſchaften: die einen ſo gewaltſamer Natur wie die andren. Jene tragen kein Bedenken ihre jurisdictionellen und ober - herrlichen Rechte mit äußerſter Härte zur Dämpfung der Lehre anzuwenden: dieſe dagegen, gehorſam ſo lange es das ſtrenge Recht gilt, ſind doch augenblicklich zum Aufruhr fertig, ſo wie daſſelbe im mindeſten verletzt zu ſeyn ſcheint. Der geiſtliche Staat, der hier die höhern Claſſen durch ge - meinſchaftliche Intereſſen zuſammenhält, ſieht ſich von den untern, die ſeine Berechtigung läugnen, mit aller Heftig - keit eines beginnenden Abfalls angegriffen.

Nirgends aber ſtießen dieſe Gegenſätze gewaltiger auf einander, als in dem Mittelpunkt der geiſtlichen Or - ganiſation; dort wo die Bezeichnung des einſt zur Zeit der Einführung des Chriſtenthums an der Aa geſtifteten Kloſters die alten Namen des Ortes und des Gaues ver -Ranke d. Geſch. III. 32498Sechstes Buch. Achtes Capitel.drängt hatte, und ſelber zum Namen der Stadt und des Landes geworden war, in Münſter.

Da hatte ſich ein lutheriſcher Prädicant, der ſchon einmal entfernt worden war, Bernhard Rottmann, doch wieder zu St. Moritz vor der Stadt feſtgeſetzt, und ſich einen ſolchen Beifall erworben, daß ihm endlich der Biſchof auf Antrieb der ſtädtiſchen Geiſtlichkeit das ſichere Geleit aufkündigte. Die Folge hievon war jedoch nur, daß ihn ſeine Anhänger in die Stadt ſelbſt aufnahmen, wo ſie ihm an - fangs eine hölzerne Kanzel auf einem Kirchhof errichteten, gar bald aber, und zwar wohl mehr durch Androhung von Gewalt, als durch Anwendung derſelben, die Kirche zu St. Lamberti eröffneten. 1So erzaͤhlt der aͤlteſte einfachſte Bericht: Dorpius wahrhaf - tige Hiſtorie, wie das Evangelium zu Muͤnſter angegangen: ſo ward die Kirche, daß nicht zu Lerman gerieth, geoͤffnet. Hierauf ward ein Ausſchuß der Bürgerſchaft ernannt, der die neue Lehre gegen Cleriſey und Rath vertheidigen ſollte. Es erſchienen noch andere lutheri - ſche Prädicanten, und man veranſtaltete eine Disputation, um die Mißbräuche des bisherigen Dienſtes zu widerlegen. Da ſich Niemand recht zu deſſen Vertheidigung erhob, ſo bekam die Geſinnung der Gemeinde auch auf den Rath Einfluß, der hier überhaupt der alten Verfaſſung gemäß einer populären Einwirkung Raum gab, und gewann zuletzt die Majorität. Dann ſchritt man ohne zu zögern zu einer de - finitiven Einrichtung. In feierlicher Verſammlung auf dem Schauhaus wurden die ſämmtlichen Pfarrkirchen von Rath, Oldemännern und Gildemeiſtern den neu angekommenen Predigern überliefert. Die Cleriſey ſammt der Minorität des Rathes verließ die Stadt. Die religiöſe Umwandlung war,499Reform in Weſtfalen. Muͤnſter.wie wir ſehen, mit einer bürgerlichen Bewegung verbun - den, wie ſie in jenen Zeiten ſo häufig vorkamen.

Noch weniger aber in Münſter als anderwärts hätten die Vertriebenen ihre Sache aufgegeben; ſie fanden an Rit - terſchaft und Capitel natürliche Verbündete. Auch hier ward der Eintritt eines neuen Biſchofs, Franz von Waldeck be - nutzt, um allgemeine Maaßregeln des Landes gegen die Stadt hervorzurufen. Die Zufuhr ward ihr abgeſchnitten, ihre Zinſen und Renten wurden zurückgehalten, die Bür - ger ſelbſt, wo man ſie betraf, gefangen. Die Aufhebung dieſer Zwangsmaaßregeln knüpfte man an die Bedingung, daß die alte Religion wiederhergeſtellt würde.

Die Evangeliſchen aber, die in ihrem Rechte zu ſeyn glaubten, waren nicht der Meinung, zu weichen. Kam es auf Gewalt an, ſo fühlten auch ſie ſich ſtark genug dazu. Gar bald zeigte ſich ihnen die beſte Gelegenheit einen küh - nen Schlag auszuführen, der Alles entſcheiden mußte.

So eben war der Biſchof mit den Landſtänden zu ſei - ner Huldigung zu Telgte, eine Meile von Münſter, einge - ritten. Von hier aus kam, den erſten Weihnachtsfeiertag 1532, den Bürgern jene Anmuthung zu, der alten Reli - gion wieder beizutreten. Sie waren ſogleich entſchloſſen, was ſie thun ſollten. In der nächſten Nacht machten ſie ſich, 900 Mann ſtark, zum Theil ſtreitbare Bürger, zum Theil geworbene Soldaten, mit Handgeſchütz und ein paar kleinen Kanonen auf vierrädrigen Karren, gegen Telgte hin auf. Das Glück wollte ihnen ſo wohl, daß die Reiter - poſten des Biſchofs doch nicht auf ſie ſtießen. In der Morgendämmerung langten ſie bei Telgte an, ſtießen die32*500Sechstes Buch. Achtes Capitel.Thore mit Hebebäumen ein, beſetzten die Straßen, und dran - gen in die Häuſer, wo ihre Feinde ruhig ſchliefen. Sie nahmen ſie beinahe alle gefangen; die Räthe des Fürſten, die vornehmſten Mitglieder des Domcapitels, des Ritter - ſtandes, ihre eignen ausgetretenen Rathsherrn: der Fürſt ſelbſt war zu ſeinem Glück ſchon abgereiſt. Die Abgeord - neten der kleinen Städte ließen ſie gehen; die übrigen aber, eben alle ihre alten Widerſacher, führten ſie auf ein paar Wagen nach Münſter zurück. 1Inſtruction und Berichtung des muͤnſterſchen Marſchalls Thanne von Hardt in den Kleviſchen Acten des Duͤſſeldorfer Archivs erzaͤhlt. Unterhandlungen und Angriff wie bekannt: alsdann etlich unſer gewaltigen Herren von Muͤnſter, desgleichen rede verordnete eins Domcapitels u. der Ritterſchap, ok ſomige ander des Adels, ok ſomige von den Stedten gefenglich genummen, Wie freudig rührte der Spielmann die Trommel, als der Zug nach wohlausge - führtem Unternehmen, Mittag um 11 Uhr, die Stadt wie im Triumph wieder erreichte.

Und hiedurch nun gelangten ſie zunächſt wirklich zu ih - rem Zweck. Zu einem eigentlichen Angriff konnte der Biſchof nicht ſchreiten: hätte er auch die Kräfte dazu gehabt, ſo hätte er doch die Rache der Bürger an ihren Gefangenen fürchten müſſen. Vielmehr erſuchten ihn die beſorgten Ver - wandten dieſer Gefangenen, die Feindſeligkeiten einzuſtellen, die ſie einſt ſelbſt veranlaßt hatten. 2Schreiben des Confirmirten Franz 17. Jan. 33. ſind wir durch etzliche Grafen auch ein trefflichen Adel u. Verwandte, ſunder - lich den von Buern und Mengersheim umb Erloͤſung derſelben die alſo in unſerm Dienſt niedergelacht, ſehr heftig angeſoicht. Unter heſſiſcher Ver - mittelung kam im Februar 1533 ein Friede zu Stande, in welchem der Stadt für ihre ſechs Pfarrkirchen, in Hin - ſicht der Cerimonien ſo gut wie der Predigt die Freiheit501Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter.gewährt wurde, der augsburgiſchen Confeſſion zu folgen, nur ſollte ſie dagegen auch die Ausgewanderten wieder zu - rückkommen, und den alten Ritus für Biſchof, Capitel und Stift beſtehen laſſen. Der Landgraf als Vermittler, Bi - ſchof und Capitel, die Abgeordneten der Ritterſchaft, unter ihnen ein Raesfeld, zwei Droſten, ein Büren, die Raths - herrn der Städte unterzeichneten den Frieden. Damit ſchien denn alles beigelegt. Der Biſchof erſchien in der Stadt und nahm die Huldigung ab; eine evangeliſche Kirchenord - nung ward publicirt, in der man auch für die Armen Sorge trug; man eröffnete Unterhandlungen über den Eintritt in den ſchmalkaldiſchen Bund.

Hätten dieſe Dinge Beſtand gehabt, ſagt Kerſenbroik, ſo würde die münſterſche Cleriſey unter ein nie wieder zu hebendes Joch gerathen ſeyn. Wir dürfen hinzufügen, in Stadt und Land würde der Proteſtantismus noch heute herrſchen. Schon ahmten die benachbarten Gemeinden, Wa - rendorf, Beckum, Aalen, Coesfeld das Beiſpiel von Mün - ſter nach. Der Biſchof ſelbſt, der ſo wenig feſt war, wie Hermann von Cöln, würde zuletzt mit fortgeriſſen worden ſeyn; Münſter würde über ganz Weſtfalen entſchieden haben.

Allein eben an dieſer Stelle ſollte ſich wieder zeigen, welche Gefahren mit der Veränderung altgewohnter Zu - ſtände nun einmal immer verknüpft ſind.

Ueber ganz Deutſchland hin war das Prinzip der Re - formation aufs neue in lebendigem Fortſchritt, in Aus - breitung und Eroberung begriffen; aber ebendeshalb ſetzte502Sechstes Buch. Achtes Capitel.es ſich auch überall in freie und unberechenbare Beziehung zu den Beſtrebungen, Bedürfniſſen, Leidenſchaften der Men - ſchen. Zwar hatte ſich jetzt in den Proteſtanten eine Macht gebildet, die demſelben einen regelmäßigen Ausdruck gab, einen ſolchen, deſſen Legalität und Vereinbarkeit mit den Zuſtänden des Reichs ſich Anerkennung verſchafft hatte, wenn auch fürs Erſte eine noch unvollkommene und einſeitige; allein auch an dieſe konnten ſich die Neuerungen nicht ſo geradehin anſchließen. Die Mitglieder des ſchmalkaldiſchen Bundes, denen der Friede zu Gute kam, waren nament - lich genannt, und noch wagten ſie nicht, ſich mit Andern zu vereinigen. Allerwärts mußte ſich die Neuerung le - diglich mit eignen Kräften durchſetzen; natürlich, daß ſie dabei auf ungewohnte, von der ſchon gebildeten evangeli - ſchen Kirche abweichende Wege gerieth.

Auch ſchon früher, in den niederſächſiſchen Städten, hatte ſich die Bewegung nicht leicht bei den Reſultaten ihrer erſten Siege, bei der bloßen Freiheit des Gottes - dienſtes nach neuem Ritus beruhigen wollen. In Mag - deburg war noch unter dem Einfluß der Bauernunruhen von der Gemeinſchaft der Güter gepredigt worden; nur ein ſo entſchloſſener Wille, wie Amsdorfs, der zum Su - perintendenten der magdeburgiſchen Kirche berufen ward, konnte die friedfertigen Intentionen Luthers da durchkäm - pfen und feſthalten. In Braunſchweig that ſich bald nach Aufſtellung der lutheriſchen Kirchenordnung, unter den Predigern ſelbſt, welche dieſelbe abfaſſen helfen, eine Neigung zum Zwinglianismus kund; ſie verwarfen Or -503Reform. in Weſtfalen. Muͤnſter.gel und Figuralgeſang, vor allem aber gewiſſe Lieder während der Communion, in welchen der lutheriſche Be - griff ausgeſprochen war; aber der Rath der Stadt, beſon - ders der Syndicus Levin von Emden erklärten ſich gegen jede Neuerung; ſie wollten nicht dulden, daß man im Wi - derſpruch mit der ſo eben angenommenen Kirchenordnung wieder etwas Beſonderes anrichte: ſie fürchteten ohne Zwei - fel, einer neuen Bewegung nicht ſobald wieder Ziel ſetzen zu können. In Goßlar finden wir dieſelben Erſcheinungen. Zum Theil waren es die von Braunſchweig verjagten Zwing - lianer von denen ſie herrührten; aber auch hier wachte Ams - dorf über die wittenbergiſche Ordnung; die Gegner wurden auch hier entfernt.

In Münſter nun traten verwandte aber bei weitem ſtär - kere Regungen ein. In den Predigern, die in dem Kampfe em - porgekommen, von denen der Eifrigſte Rottmann jetzt die Aufſicht eines Superintendenten über die andern führen ſollte, zeigte ſich nicht allein Hinneigung zu der zwingliſchen Auffaſ - ſung der Abendmahlslehre, ſondern was bei der Verflechtung der Meinungen in jener Zeit noch viel bedeutender war, eine ſtarke Abweichung ſelbſt von Zwingli in Beziehung auf das andere Sacrament; Rottmann verwarf die Kindertaufe. Alles was in Münſter die Ruhe liebte, und ſich mit dem bereits Erworbenen zufrieden fühlte, erſchrak hierüber; der Rath, ſo demokratiſch er auch conſtituirt war, ſetzte ſich dagegen; es ward eine Disputation veranſtaltet, deren Aus - fall eine förmliche Erklärung wider Rottmann zur Folge hatte. Auch die Marburger Univerſität gab ein Gutachten gegen ihn, und ein paar heſſiſche Theologen erſchienen, den504Sechstes Buch. Achtes Capitel.Rath wider die Neuerer zu unterſtützen. Mit alle dem war aber der neue Rath, der noch immer die Tendenzen der ka - tholiſchen Partei zu bekämpfen hatte, nicht ſtark genug, energiſche Maaßregeln zu ergreifen. Rottmann und ſeine Anhänger blieben in der Stadt, und hatten eine um ſo grö - ßere geheime Wirkſamkeit, je mehr man ihre öffentliche be - ſchränken wollte. Einer weltlichen Behörde, die doch ihr Daſeyn der von ihnen geleiteten religiöſen Bewegung ver - dankte, waren ſie nicht geneigt, ſich zu unterwerfen.

In dieſer Oppoſition geriethen ſie auf den Gedanken, einem Element der geiſtigen Bewegung, dem ſie ſich bereits genähert, wir ſind ihm ſchon öfter begegnet und wiſſen, wie es von aller geſetzmäßigen Gewalt ausgeſtoßen und ver - folgt, doch immer fortſchritt und eine unwiderſtehliche Macht auf die Gemüther ausübte, dem wiedertäuferiſchen, öf - fentlich Eingang in Münſter zu geſtatten.

Ein Ereigniß, das zugleich eine allgemeine Bedeu - tung hat.

Das reformatoriſche Prinzip, wie es ſich bisher geſtal - tet, ſah aufs neue, wie in den Zeiten des Bauernkrieges Tendenzen neben ſich aufkommen, von denen es ſelber wie - der zerſtört worden wäre.

Hatte es ſich auf der einen Seite gegen die Mächte der alten Kirche unerſchütterlich aufgeſtellt, ſo mußte es nach dieſer andern hin abermals Gefahren beſtehn, die doch auch Momente hatten, wo ſie ſich ſehr drohend erhoben.

Die Bahn freier geiſtiger Kämpfe war nun einmal eröffnet; man ſollte inne werden, daß die Siege in dieſen Regionen nicht leicht erfochten werden.

[505]

Neuntes Capitel. Wiedertäufer zu Münſter.

Blick auf die Wiedertäufer im Allgemeinen.

Wie hätte ſich in einem Augenblicke, wo das große kirchliche Inſtitut, welches die Ueberzeugungen ſo viele Jahrhunderte daher mit mehr oder minder willkührlichen Satzungen gefeſſelt hatte, erſchüttert, zum Theil geſtürzt, ſeines Einfluſſes beraubt wurde, überhaupt denken laſſen, daß die Geiſter ſich doch wieder ſämmtlich zu gleichen po - ſitiven Meinungen vereinigen würden?

Ich wundere mich weniger, daß es nicht vollſtändig Statt fand, als darüber, daß es noch in ſo hohem Grade geſchah, wie es geſchehen iſt.

Jetzt aber ſollten doch noch einmal die Gegenſätze ſich gewaltig erheben.

Wir ſahen, welchen Widerſpruch ſowohl Zwingli als Luther in einer dritten Partei fand, welche die Kindertaufe verwarf. Dort bemerkten wir jedoch zugleich, daß dieſe Verwerfung keineswegs die ausſchließende Unterſcheidungs - lehre, ſondern nur das Wahrzeichen einer Partei ausmachte,506Sechstes Buch. Neuntes Capitel.die noch in unzähligen andern Dingen abwich und in ſich ſelbſt die mannichfaltigſten Verſchiedenheiten entwickelte.

Es wäre wohl der Mühe werth, dieſen excentriſchen Bildungen weiter nachzuforſchen, die ſeltenen Schriften, in denen ſie ſich ausgeſprochen haben, zuſammenzuſuchen, ih - rem innern Zuſammenhang nachzuſpüren.

So weit ich die Sache überſehen kann, finde ich in Hinſicht der Lehre zwei, obwohl von demſelben Punkte aus - gehende, doch ganz verſchiedene Directionen der Meinung.

Das Dogma von der Rechtfertigung beſchäftigte die Wiedertäufer ſo gut, wie die andern Zeitgenoſſen; ſie ſchrit - ten davon weiter fort zu den Fragen über die Naturen in Chriſtus und die Kräfte der Seele. Sie blieben wohl ſämmt - lich von der Freiheit des Willens überzeugt, und wider - ſetzten ſich in dieſer Hinſicht den Lehren Luthers; allein ſie zogen daraus verſchiedene Schlüſſe.

Die Einen meinten, die Sache ſey überaus einfach. Der Menſch könne durch gutes Verhalten und eignes Wir - ken allerdings die Seligkeit verdienen; Chriſtus ſey nicht ſo - wohl unſer Genugthuer, als unſer Lehrer und Vater. Be ſonders hat Hans Denk, ein übrigens ausgezeichneter jun - ger Mann, gelehrt, bieder, auch beſcheiden er bekannte wenigſtens, was beinahe kein Anderer aus dieſem Kreiſe zugeſtehen wollte, daß er auch irren könne, dieſe Mei - nung ausgebildet. Er ging davon aus, daß Gott die Liebe ſey, welche Fleiſch und Blut nicht begreifen würden, wenn er ſie nicht in einigen Menſchen darſtellte, die man göttliche Menſchen, Gottes Kinder, nenne. In Einem aber habe ſich die Liebe am höchſten bewieſen, Jeſu von Naza -507Wiedertaͤufer. Denk, Haͤtzer, Kauz.reth: der habe in Gottes Weg nie geſtrauchelt; er ſey nie uneins mit Gott geworden. Er ſey ein Seligmacher ſeines Volkes; denn er ſey ein Vorgänger aller derer, die ſelig werden ſollen. Das wolle es ſagen, wenn es heißt, alle ſollen durch Chriſtum ſelig werden. 1Stellen aus ſeinem Buch von der Liebe bei Arnold I, 1305. In ſeinen Meinungen blieb er ſich wohl nicht gleich. Oekolampa - dius (Epp. Zw. et Oec. p. 169) behauptet, er habe kurz vor ſeinem Tode widerrufen, etiamsi nec illa purgatissima erant. Vgl. Vadian an Zwick bei Fuͤßli Beitraͤge V, 397.

In enger Verbindung mit Hans Denk ſtand Ludwig Hätzer: ſie haben mit einander einen Theil der Prophe - ten ins Deutſche überſetzt. Nur ſchritt Hätzer, wie er in ſeinem Lebenswandel ausſchweifender war, ſo auch in ſei - nen Doctrinen bis zu den äußerſten Conſequenzen fort. Er war der Erſte in dieſer Epoche, der die Gottheit Chriſti leugnete. Doch können wir nicht ſagen, wie er zu dieſer Meinung kam, mit welchen Gründen er ſie vertheidigte: das Buch, das er darüber geſchrieben, iſt nie gedruckt wor - den; das letzte handſchriftliche Exemplar hat Ambroſius Blaurer verbrannt.

In einem verwandten Sinne erklärte ſich auch Hans Kautz von Bockenheim zu Worms. Er meinte, Jeſus Chri - ſtus von Nazareth erlöſe uns dann, wenn wir ſeinen Fuß - tapfen nachfolgen; wer anders lehre, mache einen Abgott aus ihm. 2Roͤhrich Geſch. der Ref. im Elſaß I, 338. Auf ihn bezieht ſich wohl Zwingli in den Elenchus contra Catabaptistas, wenn er ſagt: apud Vangiones Denckii et Hetzeri cum Cutiis nescio qui - bus nihil obscure plenam perlitationem per Christum negant, quod nihil aliud est, quam novum testamentum conculcare.

Und man ſollte nicht glauben, wie weit dieſe Anſich -508Sechstes Buch. Neuntes Capitel.ten ſich verbreitet haben. Wir finden ſie unter andern in Salzburg, ohne daß wir ſagen könnten, wie ſie dahin ge - kommen. Eine Gemeinde von armen Leuten hegte ſie, die ſich von allem Gottesdienſt losſagten, in Einöden zuſammenkamen, durch gemeine Beiſteuern Brüderſchaften errichteten: ſie nannten ſich Gärtnerbrüder. Sie meinten, der Geiſt, Gutes zu thun, ſey allen Menſchen angeboren; es ſey ſchon genug, wenn man nur das Geſetz erfülle; denn eben dadurch ziehe uns Gott an ſich, daß man äu - ßerlich Recht thun müſſe; Chriſtus ſey keineswegs der Er - füller des Geſetzes, ſondern ein Lehrer chriſtlichen Lebens. 1Newe Zeyttung von den widderteufern und yhrer Sect 1528. Angehaͤngt ſind 13 Artikel welche ſie fuͤr warhaftig halten. Z. B. Es ſey ein inniges ziehen des Vaters damit er uns zu yhm ziehe, das ſey wenn man lere recht thun von auſſen. Sie moͤgen Guts thun von yhnen ſelbſt wie ſie erſchaffen. Behauptungen von nicht ſehr tiefſinniger, aber wahrhaft un - ſchädlicher Natur. An dieſen armen Leuten wurden ſie aber furchtbar geſtraft. Einige von ihnen waren auf einer ihrer Verſammlungen in dem Hauſe eines Pfarrers entdeckt wor - den, und hatten kein Bedenken getragen, auch die abweſenden Mitglieder ihres Bundes zu nennen. Hierauf wurden ſie ſämmtlich dem Gericht überliefert. Die Glaubensſchwächeren, die ſich zum Widerruf bewegen ließen, wurden erſt mit dem Schwerte gerichtet, dann verbrannte man ihre Leiber. Die, welche nicht widerriefen, wurden auf dem Frohnhof bei le - bendigem Leibe dem Feuer übergeben. Die haben lange gelebt, ſagt eine gleichzeitige Nachricht, und Gott hart an - gerufen, iſt gar erbärmlich zu hören geweſen. Oder man brachte ſie in das Haus, wo ſie häufig ihre Zuſammen -509Wiedertaͤufer. Salzburger Gaͤrtnerbruͤder.künfte gehalten und unter einander gepredigt hatten; ſperrte ſie hier ein und zündete das Haus an. Die haben, fährt jene Nachricht fort, jämmerlich unter einander ge - ſchrieen, zuletzt ihr Leben aufgegeben, Gott helfe ihnen und uns allen. Unter Andern hatte ein junges ſchönes Fräu - lein von 16 Jahren auf keine Weiſe zum Widerruf gebracht werden können: wie denn in dieſem Alter die Seele der ſtärkſten und ſchwungvollſten moraliſchen Hingebung fähig iſt; gewiß war ſie der Dinge, deren man ſie anklagte, ſchuldig, aber übrigens mit dem Bewußtſeyn und dem Ausdruck der reinen Unſchuld. Jedermann bat um ihr Le - ben. Der Nachrichter nahm ſie auf den Arm, trug ſie an die Roßtränke, tauchte ſie unter das Waſſer, ſo lange bis ſie ertrunken war, dann zog er den entſeelten Leib wie - der hervor und übergab ihn dem Feuer. 1Newe Zeyttung. In Zauners Salzburger Chronik, V, 119, finden ſich, obwohl ihm jene Nachricht unbekannt geblieben iſt, doch ſonſt einige ergaͤnzende Notizen uͤber jenen Pfarrer u. ſ. w.

Auf ganz verſchiedene Folgerungen wurden nun aber Andere von denſelben Fragen über Erlöſung und Rechtfer - tigung geführt. Sie nahmen eine durchgreifende Trennung zwiſchen Geiſt und Fleiſch an. Statt zu ſagen, der Menſch könne durch eigne Kraft das Gute thun, er werde durch Rechtthun ſelig, das ſey die Lehre Chriſti, behaupteten ſie vielmehr, nur das Fleiſch ſündige; der Geiſt werde davon nicht berührt, er ſey bei dem Sündenfall nicht mitgefallen. Durch die Wiederbringung werde der ganze Menſch ſo frei wie vor dem Falle, ja noch freier. Indem ſie nun Chriſto dieſe Wiederbringung zuſchrieben, lehrten ſie doch, daß deſ - ſen Menſchheit von beſonderer Art geweſen ſey. Er habe510Sechstes Buch. Neuntes Capitel.bei der Geburt von ſeiner Mutter nichts angenommen; in ihm ſey das reine Wort Fleiſch geworden; denn Adams Fleiſch ſey verflucht. Sehr verbreitet waren auch dieſe An - ſichten: wir finden wiedertäuferiſche Kirchenlieder, in denen ſie unumwunden ausgeſprochen ſind. 1Das Lied z. B., das in den muͤnſterſchen Geſchichten und Sagen p. 291 mitgetheilt iſt. Der Gefangene wird da gefragt, ob Chriſtus von Mariaͤ Fleiſch und Blut ſey. Das hab ich nie geleſen, hab ich vor ihnen bekannt, Wie ſoll der von Erde weſen, den Gott uns hat geſandt. Nicht unwahrſchein - lich, daß Caspar Schwenkfeld, der ebenfalls die conſti - tuirte Kirche und die Kindertaufe verwarf, und die Crea - türlichkeit des Leibes Chriſti leugnete, auf ihre Entwickelung vielen Einfluß hatte. 2Bullinger an Vadian: ſagt von Schwenkfeld: Hoffmanni dogma de carne Christi coelitus delata primus invenit etsi jam dissimulat. Butzer giebt ihm die ganze Wiedertaͤuferei Schuld Epp. Ref. p. 112.Wohl nicht ohne Anſtoß von ihm hat ſich Melchior Hoffmann ſo viel damit zu ſchaffen gemacht. Hoffmann erklärte ſich anfangs für die unbedingte Gnaden - wahl; ſpäter behauptete er dagegen, ein Jeder könne der Gnade theilhaftig werden; verloren ſey nur ohne Erbarmen Der, wer einmal erleuchtet, alsdann wieder abweiche. Alle die, an welchen ſich eine Spur der Gnade zeige, dachte er durch die Wiedertaufe zu Einer Gemeinde zu vereinigen. 3Auszug aus ſeiner Auslegung des 12. Capitels Danielis bei Krohn: Geſchichte der Wiedertaͤufer (nur Melch. Hoffmanns) p. 90.

Noch viel mannichfaltigere Verſchiedenheiten zeigten ſich nun aber unter den Wiedertäufern in Hinſicht des Le - bens und der Gebräuche.

Die Einen hielten die Kindertaufe nur für unnütz, die Andern für einen Gräuel. Die Einen forderten die ſtrengſte Gütergemeinſchaft, die Andern blieben bei der Pflicht ge -511Verſchiedene Secten der Wiedertaͤufer.genſeitiger Unterſtützung ſtehen. Die Einen ſonderten ſich ſo vollkommen wie möglich ab, und hielten es ſelbſt für unchriſtlich, den Sonntag zu feiern; die Andern erklärten es für unerlaubt, ſo vielen Beſonderheiten nachzugehn. Bei Sebaſtian Frank, der ſie ſehr wohl kannte, und ſelbſt zu ihnen gerechnet ward, findet ſich ein langes Verzeichniß von Abweichungen, die er unter ihnen wahrgenommen. 1Die dritt Chronika Von den Paͤpſten und geiſtlichen Haͤn - deln p. 165.

Da konnte nicht fehlen, daß ſie nicht auf mancher - lei Weiſe mit dem Staat in Widerſpruch gerathen wären.

Zuerſt fallen uns Diejenigen auf, welche Kriegs - dienſt und Eid verweigerten. Zu tödten hielten ſie in je - dem Fall für ein Verbrechen, zu ſchwören für unerlaubt und ſündlich. Unmöglich konnte man ſich das in den Städ - ten gefallen laſſen, wo man noch immer auf Vertheidigung durch die eignen Arme der Bürger angewieſen war, oder wo ſich wie in Strasburg der ganze Gehorſam an den Bürgereid knüpfte, welcher an dem jährlichen Schwörtag geleiſtet werden mußte.

Weiter nehmen wir Andere wahr, die ſich etwa für berufen hielten, die Ehe zu reformiren, denn nur eine ſolche ſey gültig, die im Geiſt geſchloſſen worden. Der Kürſch - ner Claus Frei hatte ſein Eheweib verlaſſen und zog mit einer andern durch die Welt, welche er ſeine einzige rechte geiſtliche Eheſchweſter nannte. 2Roͤhrich II, 93, 101.

Alle fanden das Kirchenregiment, welches durch Ma - giſtrate und Prediger vereinigt aufgerichtet worden, uner -512Sechstes Buch. Neuntes Capitel.träglich: einen Jeden ſollte man predigen laſſen, dann würde keine Spaltung ſeyn. Sie erklärten, die Einrichtun - gen der Evangeliſchen ſeyn eben nichts anders als ein neues Papſtthum.

Auch waren ſie überzeugt, daß es damit nicht lange dauern könne. Eins der weſentlichſten Stücke ihres Glau - bens iſt die apokalyptiſche Erwartung einer baldigen Um - kehr der Dinge, eines vollkommenen Sieges, welche ſchon Münzer und Storch genährt. Nach deren Beiſpiel hat - ten auch die ſpäteren Oberhäupter die großartigſten Ein - bildungen ein jeder vor ſich ſelbſt, mit der ſie ſich wenig - ſtens bei ihrer nächſten Umgebung Eingang verſchafften.

Hubmayr verglich Nikolspurg, wo er bei einem Lich - tenſtein Aufnahme gefunden, mit Emaus, wohin ſich Chri - ſtus zurückgezogen, denn es fange an Nacht zu werden und die letzte Zeit ſey vor der Thür.

Jener Melchior Hoffmann, ein wandernder Kürſchner, den wir nach und nach im Elſaß, in Stockholm, in Liefland, in Kiel, in Oſtfriesland finden, bald mit mächtigen Für - ſten in enger Verbindung, bald im Gefängniß ſchmach - tend, begab ſich endlich wieder nach dem Elſaß, nach Stras - burg, wo er meinte, daß der Sitz des neuen Jeruſalems ſeyn ſolle, von wo nach Apocalypſe 14 hunderttauſend und vier und vierzigtauſend jungfräuliche Apoſtel mit ihm ausziehen würden, um alle Auserwählten Gottes in den Schaafſtall zu ſammeln.

Allmählig regte ſich nun aber auch die Idee wieder, einen Zuſtand dieſer Art mit Gewalt herbeizuführen.

Hans Hut meinte aus Moſes und den Propheten513Secten der Wiedertaͤufer.beweiſen zu können, daß die Wiedertäufer als Kinder Got - tes, wie einſt die Iſraeliten, beſtimmt ſeyen, die Gottloſen auszurotten: Gott ſelbſt werde ſie dazu auffordern. 1Sebaſt. Frank. p. 169.

Im Wirtembergiſchen bekannte im Jahre 1528 ein Gefangener, der Zuberhans aus dem Schorndorfer Amt, daß er mit andern Gläubigen beſchloſſen, künftige Oſtern zur That zu ſchreiten; 700 Mann ſtark wollten ſie ſich dann in Reutlingen vereinigen, zunächſt in Wirtemberg die Obrigkeit abſchaffen, die Pfaffen tödten, eine allgemeine Aenderung bewirken. 2Sattler Herzoͤge II, p. 174.

Melchior Hoffmann drohte nicht ſelbſt das Schwert in die Hand zu nehmen: aber er war überzeugt, daß es ergriffen werden müſſe. Er hatte eine Zeitlang mit - nig Friedrich I von Dänemark in perſönlichen Verhältniſ - ſen geſtanden. Er meinte jetzt, der werde der eine der bei - den Fürſten ſeyn, durch welche, wenn die Zeit gekommen, denn noch ſey ſie nicht da, alle Erſtgeburt Aegyptens erſchlagen werden müſſe, bis daß das wahre Evangelium die Erde einnehme und die Hochzeit des Lammes erſcheine. Doch waren nicht alle ſeiner Schüler ſo zurückhaltend wie er. Einige meinten, die Zeit ſey in der That ſchon ein - getreten, und ſich ſelber hielten ſie für beſtimmt, das Schwert zu ergreifen.

So erheben ſich dieſe Meinungen von einem mehr ſon - derbaren, als gefährlichen Particularismus der Stillen im Lande gar bald bis zur entſchiedenen Feindſeligkeit enthu - ſiaſtiſcher Weltverbeſſerer.

Alle deutſche Landſchaften waren aber von dieſen flüch -Ranke d. Geſch. III. 33514Sechstes Buch. Neuntes Capitel.tigen Apoſteln, bald der einen bald der andern Secte, durchzogen; man wußte nicht von wo ſie kamen, wohin ſie gingen. Ihr erſter Gruß war der Friede des Herrn, an welchen ſie die Lehre von der Nothwendigkeit brüderli - cher Gemeinſchaft in allen Dingen knüpften. Dann ka - men ſie auf das Verderben der Welt zu reden, die Gott jedoch nun im Begriff ſey zu züchtigen, wie denn in der Gewalt, die er den Türken verſtatte, ſchon der Anfang ſolcher Züchtigung eingetreten. Sie wandten ſich an die damals ſehr weit verbreitete Erwartung von einer bevorſte - henden myſtiſchen Umwandlung aller Dinge. Von Oſten her verkündigte man die unter Zeichen und Wundern von allerlei Art zu Babylon bereits geſchehene Geburt des An - tichriſts, der jetzt ſogar ſchon erwachſen ſey und als ein Gott verehrt werde. 1Ein von den Rhodiſern im Jahr 1532 verbreiteter Brief in Corrodi Geſchichte des Chiliasmus III, p. 20. Seine Mutter hieß Rachuma (die Erbarmerin). Als er geboren ward (5. Maͤrz) erſchien die Sonne bei Nacht verſchwand darauf am folgenden Tage. Es regnete Perlen, was das Volk bedeutet, das ſich eidlich verpflichtet ihm zu folgen.In dem Weſten hatte hie und da das Glück Kaiſer Carls V die ausſchweifendſten Hoffnun - gen erregt. Er werde Jeruſalem erobern und das Ge - bot ausgehn laſſen, einen Jeden auf Erden zu tödten, der das Kreuz nicht anbete; dann werde er von einem Engel Gottes gekrönt werden, und in den Armen Chriſti ſter - ben. 2Antonius Pontus, Hariadenus Barbarossa bei Matthaei Ana - lecta veteris aevi I, p. 1. nennt es ut vulgatissimum ita anti - quissimum verbum divinum. Hie und da erwartete man allen Ernſtes das Ende der Welt, wofür man Tag und Stunde feſtſetzte. An Träume dieſer Art knüpften nun auch die Wieder -515Apokalyptiſche Erwartungen.täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, ſchon ſeyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl - ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu verſiegeln. Sey die Zeit gekommen, ſo werde die Schaar der Verſiegelten ſich von den vier Enden der Welt verſammeln, dann werde Chriſtus ihr König unter ſie treten und ihnen das Schwert in die Hand geben. Alle Gottloſen werde man vertilgen; den Auserwählten aber ſey ein neues ſeliges Leben beſchie - den, ohne Geſetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle des Ueberfluſſes. 1Der Widertaͤuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi - derlegt, durch Juſtum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus - gabe II, 262.

Wir ſehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund - lehren aus, die bald mehr von myſtiſcher, bald mehr von rationaliſtiſcher Tendenz waren; immer aber trafen ſie in dem Bedürfniß engſter Vereinigung und dem ſtolzen Ge - fühl des Auserwähltſeyns zuſammen; was dann ſofort zu überſchwenglichen ſinnlich meſſianiſchen Hoffnungen führte. Neu war es nicht, was ſie vorbrachten. Es waren im Grunde nur dieſelben Verſprechungen, die der Talmud den gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und dieſe Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und Leviathan ſchmauſen ſollen. Aber die allgemeine Gährung der Gemüther bewirkte, daß ſie damit doch eine gewiſſe Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten ſich dieß mal nicht an die Bauern ſondern an die Handwerker. Die mühe - vollen, aber dem Geiſte doch zu einer gewiſſen Beſchaulich - keit Raum laſſenden, dunkeln Werkſtätten wurden plötzlich33*516Sechstes Buch. Neuntes Capitel.von dieſen Meteoren einer nahen ſeligen Zukunft erleuchtet. Unwiderſtehlich griff dieſer Wahn um ſich.

Die deutſchen Regierungen von beiderlei Bekenntniß, durch Reichsconſtitutionen dazu verpflichtet, unterließen nicht, ſie mit aller Strenge zu verfolgen.

Bei den Proteſtanten fühlte man ſich zuweilen in Verlegenheit; auf den ſchmalkaldiſchen Verſammlungen ſind wohl die Reichsconſtitutionen für zu ſtreng erklärt worden,1 Zu geſchwinde. Abſchied der Verſammlung zu Frank - furt Trinitatis 1531. und man hat den Beſchluß gefaßt, an den Leuten nicht den Glauben zu ſtrafen, ſondern nur das Verbrechen, die aufrühreriſche Lehre. Es exiſtirt ein kleiner Wittenberger Druck, worin dieſe Unterſcheidung näher ausgeführt wird; dem Berliner Exemplar deſſelben hat ein Wiedertäufer An - merkungen an den Rand geſchrieben, in denen er dabei bleibt, daß die Wiedertäufer mit dem Aufruhr nichts zu ſchaffen haben. 2Das weltliche Oberkeit der Wiedertaͤuffern mit leiblicher Strafe zu wehren ſchuldig ſey, Etlicher Bedenken zu Witenberg 1536. In den Anmerkungen wird beſonders den Maulchriſten der Krieg ge - macht, die evangeliſche Lehre wird nicht getadelt.Aber die Schwierigkeit lag wohl eigent - lich nur darin, dieſe in einander verfließenden Tendenzen gehörig zu ſondern. In Sachſen hielt man daran feſt, die Lehrſätze eines Jeden zu unterſuchen und ihn dem ge - mäß zu behandeln. 3Melanchthon in den Briefen Luthers von Lindner p. 24.Landgraf Philipp dagegen zog immer die mildern Maaßregeln vor: Wiedertäufer von offenbar aufrühreriſchen Grundſätzen begnügte er ſich doch gefangen zu halten. Darauf geſtützt erklärten auch die oberländiſchen Regierungen, ihre Hände nicht mit dem Blut der armen517Hinrichtungen der Wiedertaͤufer.Leute beflecken zu wollen. In Strasburg hat man wohl die Kinder ſieben Jahre alt werden laſſen, ohne ihre Eltern anzuhalten, ſie taufen zu laſſen. 1Sattler III, Bd. 44. Roͤhrich.

In den katholiſchen Ländern dagegen, wo man nicht allein den Aufruhr, ſondern vor allem die Ketzerei ſtrafte, wurden Executionen in Maſſe verhängt. Die Gärtnerbrü - der wurden in München ſo ſtrenge behandelt wie in Salz - burg; einige an den Gliedern geſtümmelt, andern der Kopf abgeſchlagen, andere in die Iſar geſtürzt, noch an - dere auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt. In Paſſau wurden ähnliche Strafen verhängt. Ihrer dreißig mußten im Gefängniſſe verſchmachten. 2Winter Geſchichte der baierſchen Wiedertaͤufer p. 35.In ausführli - chen Erzählungen iſt zu leſen, wie Georg Wagner zu Mün - chen, Hätzer zu Conſtanz, Hubmayr zu Wien den Tod im Feuer erlitten. Was iſt das für ein klägliches Hülfsge - ſchrei, das Jacob Hutter erhob, als die Wiedertäufer, welche ſich unter den Schutz mähriſcher Herren geflüch - tet, nun auch von da wieder verjagt werden ſollten: Wir ſind in der Wüſte, auf einer wilden Haide, unter dem lich - ten Himmel; aber auch da wollte man ſie nicht dulden. 3Sendbrief Jacob Hutters an den Landeshauptmann zu Maͤh - ren: Annales Anabaptistici p. 75.

Mit allen dieſen Verfolgungen jedoch kam man nicht zum Ziele, und zwar am wenigſten dort, wo ſie am härte - ſten waren, wie in den Niederlanden. Von Anfang an hatten hier die lutheriſchen Meinungen in weiten Kreiſen Beifall gefunden; ſo gewaltſam ſie auch zurückgedrängt wurden, ſo hören wir doch im Jahre 1531 das Bekennt - niß, daß alles Volk ihnen beifallen würde, wenn der518Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Zwang aufhören ſollte. Eben dieſes Zurückdrängen der re - formatoriſchen Tendenzen bereitete nun aber den Boden für die Lehren der Wiedertäufer am beſten vor. Ein Schü - ler Hoffmanns, Jan Matthys, Bäcker zu Leiden, verband mit den ſchwärmeriſchen Religionsanſichten des Lehrers zugleich die Meinung, daß die Wiederbringung aller Dinge in Kurzem bevorſtehe, und mit dem Schwert herbeigeführt werden müſſe. Er ſelbſt erklärte ſich für den Henoch, der dieſe Zukunft ankündigen ſolle, richtete ſich ſeine propheti - ſche Haushaltung ein und ſchickte zwölf Apoſtel nach den ſechs benachbarten Provinzen aus, die nun überall Proſe - lyten machten und mit dem Bundeszeichen der Wiedertäu - fer verſiegelten. Unter andern begleiten wir Jan Bockelſohn von Leiden nach Briel, Rotterdam, Amſterdam, Enkhuy - ſen, Alkmar: überall tauft er und ſtiftet kleine Gemeinden von 10, 12, 15 Gläubigen, die nun dieſe Lehren ausbrei - teten. In Holland finden wir überhaupt ein ſehr ſtarkes wiedertäuferiſches Element, was ſich plötzlich allenthalben regt, und nur für die weitere Entfaltung ſeiner Triebe einen freien Raum zu gewinnen ſucht.

Da geſchah nun, daß die Dinge in Münſter ſich auf eine Weiſe entwickelten, daß man ihnen Aufnahme zu gewähren geneigt wurde. Die Apoſtel des Jan Mat - thys, die dort erſchienen, fanden nicht allein bei den Hand - werkern Eingang, ſondern auch bei den Predigern, die ſich mit dem Mark der evangeliſchen Lehre genährt.

Emporkommen der Wiedertäufer in Münſter.

Es war nicht das erſte Mal, daß eine ähnliche Hin - neigung ſich zeigte. Unter andern bemerken wir ſie eine519Rottmann in Muͤnſter.Zeitlang bei Capito in Strasburg, obwohl dieſer ſie durch reiflicheres Nachdenken überwand.

Daß ſich ihr aber der bisherige Führer der Refor - mation in Münſter, Bernhard Rottmann, vollkommen er - gab, hatte, wenn wir einer Nachricht, die von Melanch - thon ſtammt, glauben, noch folgenden ſehr perſönlichen Grund.

In Münſter lebte ein Syndicus Wiggers aus Leipzig, ein braver ehrenwerther Mann, aber mit einer Frau von zweideutiger Aufführung verheirathet. Von den Schran - ken, in welche Sitte und Religion die geſchlechtlichen Ver - hältniſſe einſchließen, ließ ſie ſich nicht feſſeln; und dabei beſaß ſie jenen unwiderſtehlichen und unerklärlichen Zauber, der zuweilen auch geiſtig entwickelte Männer ergreift und feſthält. Sie ſah ſich täglich in ihres Mannes Hauſe und Garten von leidenſchaftlichen Verehrern umgeben. Unter denen erſchien nun auch Bernhard Rottmann, und ſehr bald entſpann ſich zwiſchen beiden ein Verhältniß, das ſie wie ihn völlig in Beſitz nahm; als ihr Mann in Kurzem ſtarb, ſagte man geradezu, ſie habe ihn vergiftet. 1Locorum communium collectanea a Johanne Manlio Ex - cerpta p. 483. habebat conjugem mirabilem quae coepit insanire amore Rotmanni, quapropter et virum veneno interemit. Bei Keſſenbroik iſt das nicht ſo unbedingt gewiß. Dagegen findet ſich in der Postilla Melanchthoniana eine ſogar noch haͤrtere Verſion der nemlichen Geſchichte. Excerpirt bei Strobel von den Verdienſten Melanchthons um die heil. Schrift 1773. p. 89.Rott - mann verheirathete ſich mit ihr. Die Gerüchte, die dar - über umliefen, brauchen nicht alle gegründet zu ſeyn, um ſich erklären zu können, daß Männer, welche an Ernſt und Ehrbarkeit feſthielten, ſich von Rottmann entfernten. 520Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Das hatte aber nur wieder die Folge, daß Rottmann durch eine auffallend ſtrenge Haltung, ſeinen Ruf wieder - herzuſtellen ſuchte. Er fing an von dem Verderben der Welt, der Nothwendigkeit der Werke der Barmherzigkeit zu reden, und zeigte ſich nicht zufrieden mit dem durch die lutheriſche Reform hervorgebrachten Zuſtand. Auch in Hinſicht des Dogmas wich er immer weiter ab; war es nun Einfluß der heimlich umherziehenden Wiedertäufer, oder kam er von ſelbſt darauf: nachdem er den Ritus des Abendmahls verändert,1Dorpius wahrhafftige Hiſtorie wie das Evangelium zu Muͤn - ſter angefangen, Bog. C. Brach ſemel in ein große breite ſchuͤſſel, gos wein darauff und nachdem er die Wort des Herrn vom nachtmal dazu geſprochen hatt, hies er die ſo des Sacraments begerten zu - greiffen und eſſen: davon iſt er Stuten Bernhard genannt worden, denn ſemel heißt auf ire ſprach ſtuten. begann er, wie berührt, die Recht - mäßigkeit der Kindertaufe zu beſtreiten. So wie die Wie - dertäufer zahlreicher wurden, ſchloß er ſich ihnen offen an. Rottmann und ſeine Amtsgenoſſen waren ſo eben mit dem Rath in bittere Streitigkeiten gerathen. Sie hatten für’s erſte nachgeben, ſich zurückziehen müſſen. Welch beſſere Verbündete aber konnten ſie finden, als die neuen Pro - pheten, deren Verheißungen und Doctrinen ſich überall einen ſo mächtigen Einfluß verſchafften? Das lutheriſche Syſtem ſprach der weltlichen Gewalt, auch den ſtädtiſchen Magiſtraten eine große Macht zu. Denn in der Anerken - nung der Selbſtſtändigkeit des weltlichen Elements lag eben ſein Weſen. Die wiedertäuferiſche Doctrin dagegen war demſelben entſchieden feindſelig; ſie ſtrebte ſelbſt nach einer521Wiedertaͤufer in Muͤnſter.jede anderweite Macht ausſchließenden Alleinherrſchaft. In dem Kampfe, in welchem die münſteriſchen Prediger wa - ren, konnte ihnen nichts willkommener ſeyn. Einer von ihnen giebt in ſeinem Verhör als den Zweck, zu welchem man den Propheten angenommen habe, an, damit er ver - kündige, wie es hier heißt vorwittige, daß Gott der Herr in Münſter die Stätte reinigen und die Gottloſen daraus verjagen wolle. 1Bekenntniß des gefangenen Wiedertaͤuferpraͤdicanten Diony - ſius von Dieſt genannt Vynne in Nieſerts Muͤnſteriſcher Urkunden - ſammlung I, p. 48.

Darin liegt nun eben das Ereigniß, daß der in Hol - land emporgekommene Anabaptismus bei ſeiner Berührung mit Münſter in einen Zeitpunkt traf, wo die politiſch-re - ligiöſe Bewegung noch kein Ziel gefunden, und eine kaum zurückgedrängte Partei ſich zu neuen Kämpfen gegen das Nochbeſtehende rüſtete. Die Führer derſelben ergriffen ihn, zum Theil aus Ueberzeugung, zum Theil als ein Mittel; er konnte alle ſeine Kraft in einer zahlreichen Gemeinde entwickeln.

Am Ende des Jahres 1533 füllte ſich Münſter mit wiedertäuferiſch Geſinnten. Um den heil. Dreikönigstag 1534 erſchien der Prophet Jan Matthys mit ſeinem feu - rigſten Apoſtel Jan Bockelſohn von Leiden. Ein angeſeh - ner Bürger der Stadt, Bernard Knipperdolling, der einſt aus Münſter verwieſen, in der Fremde, namentlich in Stockholm mit den Wiedertäufern Verbindung geſchloſſen, nahm ſie in ſein Haus auf. Die beiden Holländer nun, in ihrer auffallenden Tracht, ihrer begeiſterten Hal -522Sechstes Buch. Neuntes Capitel.tung, ihrem verwegenen und doch die Landesart anmu - thenden Weſen machten in Münſter einen großen Eindruck. Noch war die religiöſe Meinung in lebhaften Schwingun - gen begriffen, ſie ſah noch nach neuen Dingen aus. Es iſt ſehr begreiflich, daß Frauen, zuerſt Kloſterfrauen, von Lehren fortgeriſſen wurden, die ein heilig-ſinnliches Leben in naher Zukunft erwarten ließen. Sieben Nonnen aus dem Aegidienkloſter ließen ſich auf einmal taufen; die Non - nen von Overrat folgten ihnen nach; dann ſchlichen ſich auch bürgerliche Frauen in die Verſammlungen der Täu - fer, und brachten wohl als das erſte Pfand ihrer Erge - benheit dem Propheten ihr Geſchmeide mit. Anfangs wa - ren die Männer entrüſtet, ſpäter wurden ſie ſelber nachge - zogen. Nachdem die Prediger der Stadt die Taufe zuerſt empfangen, vollzogen ſie ſie ſelbſt. Beſonders warf ſich Rottmann mit alle dem Talent, und alle dem Eifer, die er früher der Reformation gewidmet, in dieſe neuen Doc - trinen. War es nicht dieſelbe Stimme, die einſt zuerſt von der römiſchen Kirche abgeführt hatte? Niemand konnte ihr widerſtehen. Man erzählte ſich, er führe einen Zau - bertrank bei ſich, mit welchem er einen Jeden, den er taufe, auf immer dafür feſtbanne.

Und hiedurch ward er nun bald ſo ſtark, dem Ra - the, der ihn zu beherrſchen, in Schranken zu halten ge - dacht, Trotz bieten zu können. Frauen ſtellten den Bür - germeiſter zur Rede, daß er einen heſſiſchen Prediger be - günſtige, der nicht einmal münſteriſch ſprechen könne; Non - nen ſchalten auf öffentlichem Markt auf den heſſiſchen Gott, den man eſſe. Sechszehnjährige Mädchen riefen523Kampf beider Parteien in Muͤnſter.Wehe über die Laſterhaften. Die Schmiedegeſellen zwan - gen den Rath, einen der Ihren, den man feſtgenommen, weil er gepredigt hatte, herauszugeben.

Indeſſen waren ſie noch nicht die Herren.

Am 8. Februar kam es zu einem Auflauf, in wel - chem die Wiedertäufer den Marktplatz einnahmen, ſey es nun daß eine wirkliche oder eine eingebildete Gefahr ſie dazu veranlaßte, der Rath und die Nichtwiedergetauften dagegen Mauern und Thore beſetzten. Da zeigte ſich doch, daß die letzteren bei weitem das Uebergewicht der Anzahl und der Macht hatten. Sie hatten Hülfe von den be - nachbarten Bauern und dem Biſchof. Sie fuhren Kano - nen an den Zugängen zum Marktplatz auf; und Viele meinten, daß man heute ein Ende machen, den Markt - platz einnehmen, und die Wiedertäufer, von denen ſo Viele ohnehin Fremde waren, vertreiben müſſe. Schon waren die Häuſer der Nichtwiedergetauften mit Strohkrän - zen bezeichnet, um ſie bei der bevorſtehenden Plünderung ſchonen zu können. In den Wiedergetauften auf dem Marktplatz dagegen brachten Enthuſiasmus und Befürch - tung, Muth und Gefahr eine exaltirte Stimmung hervor, in der ſie die wunderbarſten Geſichte erblickten: einen Mann mit goldner Krone, ein Schwert in der einen, eine Ruthe in der andern Hand; eine andere Mannesgeſtalt, die Fauſt voll herauströpfelnden Blutes. Oder ſie meinten die Stadt von ſchwarzbraunem Feuer angefüllt zu ſehen: darüber den Reiter mit dem Schwert auf weißem Roß aus der Apokalypſe. 1Reſtitutie des rechten und warrachtigen verſtandes foͤrniger ar -Sollte man nun aber ſo aben -524Sechstes Buch. Neuntes Capitel.teuerliche Schwärmer mit Kanonen angreifen? Jener heſ - ſiſche ſo eben verunglimpfte Prediger, des Namens Fa - bricius, wandte alle ſeinen Einfluß an, dieß zu verhüten; er ermahnte die zum Kampfe Bereiten des verwandten Blutes zu ſchonen. Auch in einigen Mitgliedern des Ra - thes regte ſich Mitleiden, wenn nicht geheime Uebereinſtim - mung. Man bedachte doch, daß man auch Widerſtand finden, daß vielleicht in dem allgemeinen Getümmel der Biſchof ſich zum Herrn der Stadt machen könne. Ge - nug, ſtatt zum Angriff zu ſchreiten, knüpfte man Unter - handlungen an. Bevollmächtigte wurden ernannt, Geißeln gegenſeitig gegeben: endlich ſetzte man feſt, daß ein Jeder Gläubensfreiheit genießen, jedoch Frieden halten und in weltlichen Dingen der Obrigkeit Gehorſam leiſten ſolle. 1Dorpius D. III. das ein jeder ſolt frei ſein bei ſeinem Glau - ben zu bleiben, ſolten alle widder heim ein jeder in ſein haus zie - hen, frieden haben und halten.Die Wiedergetauften hielten ihre Errettung nicht mit Un - recht für einen Sieg. In einer ihrer Schriften, der Re - ſtitution, heißt es: die Angeſichter der Chriſten, denn dieſen Namen legten ſie ſich ausſchließlich bei, wur - den ſchön von Farbe. Auf dem Markt weiſſagten ſelbſt die Kinder von ſieben Jahren: Wir glauben nicht, daß jemals eine größere Freude auf Erden geweſen iſt.

Und in Wahrheit war dieß die Stunde, von welcher an ſie nun Tag für Tag bis zur entſchiedenen Uebermacht fortſchritten.

1ticule, eine in Muͤnſter gedruckte Schrift, aus der Arnold (Kirchen - und Ketzerhiſtorie) die Beſluytreden hat abdrucken laſſen. Vergl. das Bekenntniß von Jacob Hufſchmidt bei Nieſert p. 155.

525Siege der Wiedertaͤufer.

Sie waren jetzt in Münſter zum erſten Mal in der Welt zu einem geſetzlich anerkannten Daſeyn gelangt. Von allen Seiten ſtrömten die Gleichgeſinnten daſelbſt zuſam - men; Männer ohne ihre Frauen, Frauen ohne ihre Män - ner; auch ganze Familien; Rottmann hatte jeden, der ſich einfinden würde, zehnfältigen Erſatz alles deſſen, was er verlaſſen, verſprochen.

So raſch war der Umſchwung, daß, als es am 21. Februar zu einer neuen Rathswahl kam, die Wiedertäufer die Oberhand gewannen. Schon die Wahlherren wur - den nicht mehr nach dem Fleiſch, ſondern nach dem Geiſt gewählt; es waren lauter erleuchtete Handwerker. Dieſe beſetzten nun, wie ſich verſteht, alle öffentlichen Stellen mit ihren Glaubensgenoſſen. Knipperdolling ward zum Bürgermeiſter gewählt. Die ganze ſtädtiſche Gewalt ging über in die Hände der Wiedertäufer.

Und dieſe waren nun nicht gemeint, ihre Gegner zu ſchonen, oder auch nur einen Augenblick neben ſich zu dul - den. Am 27. Februar ward eine große Verſammlung bewaffneter Wiedertäufer auf dem Rathhaus gehalten. Eine Zeitlang brachten ſie im Gebete zu; der Prophet ſchien wie in Schlaf verfallen; plötzlich aber fuhr er auf, und erklärte, man müſſe die Ungläubigen, wofern ſie ſich nicht bekehren, ſofort verjagen, das ſey der Wille Gottes. Er verbarg nicht, worauf es zunächſt abgeſehn war. Hin - weg mit den Kindern Eſaus rief er, die Erbſchaft ge - hört den Kindern Jacobs. Mit dem Enthuſiasmus ver - einigte ſich die Habſucht. Hierauf erſcholl das Geſchrei heraus ihr Gottloſen, furchtbar durch die Straßen. 526Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Es war ein ſtürmiſcher Tag des ſpäten Winters. Der Schnee, der noch ſehr hoch lag, fing eben an zu ſchmel - zen: ein heftiger Wind jagte Regen und Schnee durch die untere Atmoſphäre. Die Häuſer wurden mit Gewalt eröffnet, und Alle von ihrem Heerde verjagt, die ihre Taufe nicht verleugnen wollten. Ein Augenzeuge hat den klägli - chen Anblick geſchildert, wie die Mütter, ihre halbnackten Kinder auf den Armen nichts weiter mit ſich nehmen durften als eben dieſe; wie die kleinen Knaben neben ihren Eltern in bloßen Füßen durch den Schnee wateten, wie man den alten Männern, die an ihrem Stabe die Stadt ver - ließen, unter dem Thor noch den letzten Zehrpfennig ab - nahm, den elenden Reſt von dem Erwerbe eines langen arbeitſamen Lebens. 1Kersenbroik Historia anabaptistica MS. denn es bleibt immer nothwendig mit der deutſchen Ueberſetzung dieſes Werkes 1771 das Original zu vergleichen. Der Abdruck bei Mencken umfaßt kaum ein Drittheil des Originals, und zwar fehlen eben die Hauptſachen.

So wurden die Wiedertäufer nicht allein die Herren in der Stadt, ſondern auch ihre alleinigen Inhaber. Was ihre Gegner an ihnen zu thun ſich geſcheut, vollzogen ſie nun an dieſen mit fanatiſcher Begier. Sie theilten die Stadt unter ſich aus. Die verſchiedenen Landsmannſchaf - ten nahmen die geiſtlichen Gebäude ein. Die fahrende Habe der Vertriebenen ward auf die Canzlei zuſammenge - bracht; Matthys bezeichnete ſieben Diaconen, welche die - ſelben den Gläubigen, einem jeden nach ſeinem Bedürfniß, nach und nach vertheilen ſollten.

Und nun würden wohl die Wiedertäufer ſofort dazu geſchritten ſeyn, ihre Herrſchaft auch nach außen auszu -527Ruͤſtungen des Biſchofs u. der Nachbarn.breiten, hätte ſich nicht der Biſchof, dieß Mal von den be - nachbarten Fürſten unterſtützt, mit einer ganz ſtattlichen Macht um ſie her gelagert.

In Cleve und Cöln hatte man anfangs gezweifelt, ob man blos das eigne Land rein halten, oder den Bi - ſchof unterſtützen ſolle. Die Betrachtung, daß auch der Landgraf von Heſſen ihm zu Hülfe kommen, und daß unter deſſen Einfluß, nach dem Siege, irgend eine Veränderung mit dem Stift überhaupt verſucht werden könne, bewog doch die beiden weſtlichen Nachbarn, eben - falls Antheil zu nehmen. 1Protocoll einer cleveſchen Rathsſitzung zu Berg (Duͤſſeld. A.). Nachdem zu beſorgen, das Heſſen mit underlouffen und viel - leicht eine verennderung der ſtifte geſcheen mochte.Sie fanden, der Biſchof ſey gar zu ſchlecht gerüſtet, ſchlecht berathen; ſie ſahen wie ge - fährlich es werden könne, wenn es den Wiedertäufern etwa gelingen ſollte, auch die kleinern Städte, die andern Unter - thanen des Stiftes an ſich zu ziehn; und ſo beſchloſſen ſie, zuerſt mit Geſchütz und Fußvolk, dann auch mit Reite - rei Hülfe zu leiſten: immer jedoch unter der Bedingung, daß das Stift ihnen dereinſt ihren Aufwand vergüte. Hier ſtrengte der Biſchof alle ſeine Kräfte an. Es wur - den neue Steuern ausgeſchrieben; ſämmtliche Kleinodien aus den Kirchen ſollten zum Krieg verwandt werden; die Vaſallen des Biſchofs erſchienen auf eigne Koſten im Felde. Im April und May 1534 ward die Stadt auf allen Seiten eingeſchloſſen. Wenn man, da ſie mit Kriegsbedürfniſſen ſehr gut verſehn war, ſich nicht ſchmei - cheln durfte, ſie ſogleich zu erobern, ſo erreichte man doch,528Sechstes Buch. Neuntes Capitel.was ſchon kein geringer Vortheil war, daß die Bewegung in Münſter eingeſchloſſen, fürs erſte auf ſich ſelber be - ſchränkt ward.

Da iſt nun das nächſte Intereſſe dieſe innere Ent - wickelung zu betrachten. Es iſt ein religiöſes Element, wie es in den kirchlichen Bewegungen mehr als Eines Jahr - hunderts auf eine oder die andere Weiſe hervorgetreten iſt, das ſich nun hier in engem Kreiſe, aber innerhalb deſſel - ben in voller Freiheit in den merkwürdigſten Phänome - nen entlud.

Entwickelungen des münſteriſchen Anabaptismus.

Wir müſſen davon ausgehen, daß die Secte, ſo wie ſie zur Herrſchaft gekommen, durch den Sieg in ihrer na - türlichen Beſchränktheit verhärtet, nicht allein nichts um ſich dulden wollte, was ihr widerſprochen hätte, ſon - dern auch nichts, was ihr nur nicht ſelber eigen ange - hörte. Alle Bildwerke am Dom und auf dem Markt wur - den zertrümmert. Wenn die Denkmale der weſtfäliſchen Ma - lerſchule, welche ſonſt einen Platz neben der cölniſchen be - haupten würde, für die Nachwelt beinahe ganz verſchwun - den ſind, ſo rührt dieß ohne Zweifel von dem ſchnöden Uebermuth her, mit dem ſie in unſerer Epoche vernichtet wurden. Rudolf von Langen hatte in Italien eine herr - liche Sammlung alter Drucke und Handſchriften zuſam - mengebracht, an die ſich das Andenken der großen litera - riſchen Umwandlung knüpfte; ſie wurden jetzt feierlich auf dem Markte verbrannt. Selbſt muſikaliſche Inſtrumente zu vertilgen hielt man für nöthig. Es ſollte nichts übrig529Republik der Wiedertaͤufer.bleiben, als höchſtens die Bibel, unterworfen der Ausle - gung des Propheten. 1Kerſenbroik. In campum dominicum cum incredibilis li - brorum multitudo perlata esset, qui etiam ultra viginti millibus florenorum valebant, incomparabilem urbis thesaurum flamma subita absumit.

Unter den Wiedergetauften ſelbſt aber ſollte nun alles gemein ſeyn. Die Maaßregel, die man in Hinſicht der Güter der Vertriebenen getroffen, ward gar bald auch auf die Habe der Gläubigen erſtreckt. Bei Strafe des Todes wurden ſie angehalten ihr Gold und Silber, Schmuck und Baarſchaften, die ſie beſaßen, zum allgemeinen Gebrauch auf die Canzlei zu liefern. Wir können ſagen: es war eine Art von St. Simonismus, was man einrichtete. Der Begriff des Eigenthums hörte auf; aber gleichwohl ſolle ein Jeder ſein Geſchäft treiben. Wir haben die Sat - zungen übrig, in welchen die Schuhknechte, die Schnei - der namentlich bezeichnet werden: die letztern ſollen zu - gleich dafür ſorgen, daß keine neue Tracht ſich einſchleiche; eben ſo die Schmiede, die Schloſſer; jedes Handwerk ward zugleich als ein Auftrag, als ein Amt betrach - tet. Von allen Geſchäften das vornehmſte war, wie ſich verſteht, die Vertheidigung. Auch die Knaben wurden da - bei angewandt, und im Pfeilſchießen, denn noch immer war dieß neben dem Feuerrohr in Gebrauch, erwarben ſie eine außerordentliche Fertigkeit. Diejenigen, welchen ein beſonderes Amt übertragen war, wurden dafür von dem Dienſt der Wachten freigeſprochen. Es war alles eine einzige religiös-kriegeriſche Familie. Für Speiſe und Trank ward auf gemeinſchaftliche Koſten geſorgt. Bei denRanke d. Geſch. III. 34530Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Gaſtmahlen ſaßen die beiden Geſchlechter Brüder und Schweſtern von einander abgeſondert; ſchweigend aßen ſie, während ein Capitel der Bibel verleſen wurde. 1Kersenbroik fol. 218: Ordinatio politici regiminis a 12 senioribus recens introducta. § 9. ut in cibis administrandis le - gitimus servetur ordo, praefecti ejus rei officii sui memores ejus - dem generis fercula uti hactenus fieri consuevit singulis diebus fratribus sororibusque in disjunctis et disparatis mensis modeste et cum verecundia sedentibus apponent. Es ſcheint wohl, als ob ſich dieß vorzugsweiſe auf die bei der Vertheidigung Beſchaͤftigten bezogen habe.

Es liegt am Tage, daß ein ſo höchſt eigenthümliches Gemeinweſen nicht mit den Formen einer Stadtverwal - tung, ſelbſt nicht einer ſolchen, bei der Bürgermeiſter und Rathsherren Erleuchtete waren, beſtehen konnte. Der Pro - phet Jan Matthys, der die Einrichtungen traf, gelangte auch ſehr bald in Beſitz einer höchſten Autorität. Die Zeitgenoſſen ſchildern dieſe als wahrhaft königlich, unbe - dingt. 2Hortensius p. 301. Joannes Matthias hanc autoritatem sibi pararat, ut unus jam inde supra leges esset, unus scisceret, juberetque quae viderentur, antiquaret, abrogaret leges, aliasque pro libidine conderet. Aber ſchon gegen Oſtern 1534 kam Matthys um Bei einem Ausfall, wo er voran war, denn ſein Fanatis - mus war wenigſtens nicht feige, wurde er getödtet.

Mit ihm war, wie berührt, Jan Bockelſohn, genannt von Leiden, nach Münſter gekommen, Sohn eines Schul - zen im Haag3Bekenntniſſe Jan Bockelſon’s: ſyn Vater genannt Bockel und iſt ein Schulte geweſen bynnen Sevenhagen. Soll wohl hei - ßen: Grevenhagen, wie ihn denn auch Kerſenbroik Praͤtor in Gre - venhagen nennt; die Mutter war eine Leibeigne der Schedelich, aus Zolke im Amte Dodorf im Muͤnſterſchen. und einer leibeigenen Weſtfälin, die dann von ihrem Mann losgekauft worden. Als Schneidergeſelle531Jan Bockelſohn von Leiden.war er in Liſſabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan - derſchaft geweſen und hatte ſich endlich zu Leiden nieder - gelaſſen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an ſei - nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit ſei - ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und Wein zu ſchenken. Außerdem war ſein Ehrgeiz, in dem poetiſchen Verein, den Leiden ſo gut wie die meiſten an - dern niederländiſchen Städte beſaß, der Kammer van Rhe - toryke, zu glänzen. Seine Refereyne floſſen am leichteſten; ſeine Schüler lernten am geſchwindeſten; in den Schau - ſpielen, die er entwarf, ſpielte er wohl ſelbſt eine Rolle; ſchon da mag er ſich mit dem Geiſt der Oppoſition ge - gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetoriſchen Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe - gung der Wiedertäufer und riß ihn an ſich. Er erwarb ſich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift, wobei er aber, wie dieſe autodidaktiſchen Handwerksleute pflegten, nationale und religiöſe Elemente völlig vermiſchte, und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt anwandte. Er beſaß eine glückliche äußere Bildung, na - türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend;1 Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von Angeſicht, Perſon, Geſtalt, Vernunft ein redſprech, rahtweiß anſchle - gig, an Behendigkeit unerſchrockenem ſtolzen Gemuͤt von kuͤnen Ta - ten und Anſchlegen ein edel wohlgeſchickt und wunderbarlich Mann ſey geweſen. Sebaſtian Frank die andere Chronik 266. ſchon un - ter Matthys ſpielte er eine Rolle; als dieſer gefallen (er behauptete es vorhergeſagt zu haben), trat er an ſeine Stelle. 34*532Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Und wenigſtens an Kühnheit ſtand er ſeinem Vorgänger nicht nach. Schon erhob ſich die Meinung, daß man auch in bürgerlichen Dingen nach keiner Menſchenſatzung, ſondern blos nach Gottes Wort ſich halten dürfe. Das zog nun der neue Prophet in Betracht. Nachdem er einige Tage geſchwiegen, weil Gott ihm den Mund verſchloſſen habe, erklärte er endlich, daß man in dem neuen Israel zwölf Aelteſte haben müſſe, wie in dem alten, die er ſo - gleich bezeichnete. Rottmann verſicherte auch ſeinerſeits der Gemeinde, daß dieß der Wille Gottes ſey und ſtellte ihr die Gewählten vor. Der Prediger und der Prophet bezeichneten jetzt ohne alle Wahl der Stadt ihre Vorſteher. Jedermann fügte ſich und nahm ſie an. Sechs von ihnen ſollten immer früh und Nachmittag zu Gericht ſitzen; was ſie ſprechen würden, das ſollte der Prophet Jan Bockelſon der ganzen israelitiſchen Gemeinde ankündigen; Knipper - dolling ſollte ihre Sprüche mit dem Schwert vollziehn.

Man ſieht leicht, daß dieß ein neuer Fortſchritt des geiſtlichen oder vielmehr des fanatiſch-prophetiſchen Ele - ments war. Es ward eine Geſetztafel verkündigt, die auf lauter Stellen der Schrift, beſonders der Bücher Moſe beruhte.

Und ſogleich ſollte ſich noch weiter zeigen, zu welch abenteuerlichem Mißbrauch dieſe Anwendung der Schrift führen könne.

Jan Matthys hatte ſeine ſchon ältere Frau verlaſſen, ſich mit einem jungen ſchönen Mädchen, genannt Divara, die er überredete, das ſey der Wille des Himmels, verhei - rathet und dieſe mit nach Münſter gebracht. Jan Bockel -533Anfang der Vielweiberei.ſohn trug Verlangen wie nach dem Amte, ſo auch nach der Frau ſeines Vorgängers; da er aber bereits verheira - thet war, ſtellte er die Behauptung auf, daß es einem Manne jetzt ſo gut wie in den Zeiten des alten Bundes erlaubt ſeyn müſſe mehrere Frauen zu nehmen. Anfangs war Jedermann aus natürlichem Gefühl dagegen. Wir erinnern uns, daß auch Luthern einſt ähnliche Wünſche vorgetragen worden; der hatte aber ſie mit ſeinem Grundſatz, daß die Ehegeſetze eine Sache der weltlichen Ordnung ſeyen, der man Gehorſam leiſten müſſe, zurückgewieſen. In Münſter verachtete man Argumente dieſer Art: man gedachte durchaus nach den Anweiſungen der Schrift zu leben. Auch Rottmann predigte die neue Lehre ein paar Tage lang auf dem Domhof. 1In einer gleichzeitigen Notiz in Spalatin Annales Refor - mationis p. 302. findet ſich, daß auch Rottmann 4 Eheweiber nahm.So weit aber war es noch nicht gekommen, daß eine ſo ſchreiende Verhöhnung der Sitte und des ehrbaren Herkommens nicht auch unter den obwaltenden Umſtänden Widerſpruch gefunden hätte. Um einen Schmied, des Namens Mollenhök, ſammelte ſich al - les, was noch von der alten Bürgerſchaft übrig war und ſich den Neuerungen nicht ganz und gar ergeben hatte. Noch einmal erſcholl der Ruf des Evangeliums; man ſprach davon, die Vertriebenen zurückzurufen, die alte Ver - faſſung wiederherzuſtellen, und fing an, die Propheten und Prediger gefangen zu nehmen. Jetzt aber waren ſie bereits jeder Oppoſition zu ſtark geworden. Es befanden ſich zu viel enthuſiaſtiſche Fremdlinge in der Stadt, die gemeinen Leute waren durch das Prinzip der Gleichheit gewonnen;534Sechstes Buch. Neuntes Capitel.gar bald ſahen ſich die Mollenhökſchen genöthigt, in das Rathhaus zu flüchten; als man Kanonen davor auffuhr (zum Theil von Weibern herangezogen), reichten ſie ihre Hüte zu den Fenſtern hinaus und ergaben ſich. Sie hät - ten wohl wiſſen können, daß das ihnen das Leben nicht friſten werde. Unbarmherziger wurden nie Gefangene be - handelt, als dieſe von denen, die noch ſo eben ihre Brü - der im Geiſt geweſen. Viele wurden an Bäume gebun - den und erſchoſſen. Wer den erſten Schuß thut, rief Jan Bockelſohn aus, erweiſt Gott einen Dienſt damit ; die andern enthauptete man. 1Ne ex crebris bombardarum tonitruis hostes oppidanos inter se dissidere suspicentur neque tantam pulveris jacturam faciant decretum est reliquos sexaginta lex gladio ferire, quae poenae executio Knipperdollingo committitur, qui singulis diebus aliquot pro arbitrio suo productos et tandem ad unum omnes capite plectit, nisi quod propheta interim animi et exercitii causa in nonnullos animadverterit (Kerſenbroik).

Mit der fanatiſchen Beſchränktheit, mit der man nichts anerkannte, als die eigene Lehre, hängt es zuſammen, daß man jede Abweichung mit Tod und Verderben beſtrafte. Aus der alles andere negirenden Idee erhebt ſich noth - wendig und allemal der Schrecken. Bei der Bekanntma - chung jener Geſetztafel war einem Jeden, der dawider ver - ſtoße, die Ausrottung aus dem Volke Gottes angedroht. Und wehe dem nun vollends, der die göttliche Berechti - gung der Machthaber antaſtete. Schon Matthys ließ einen ehrlichen Schmied, Meiſter Truteling, der ihm ein geringſchätziges Wort geſagt, dafür mit dem Tode beſtra - fen. Wir erwähnten des Amtes der Rechtsvollſtreckung, das Knipperdolling empfing. Er hatte die Gewalt, einen535Ernennung eines Koͤnigs.Jeden, den er bei einer Uebertretung der neuen Geſetze be - troffen, auf der Stelle, ohne alles Gericht, umzubringen: denn das Böſe müſſe ausgerottet werden auf der Erde. Von vier Trabanten begleitet, das bloße Schwert in der Hand, Schrecken erregend zog er durch die Straßen.

Wie nun aber alles von der Regel Abweichende doch immer wieder dem eignen Naturgeſetze folgt, die Triebe ſeines Entſtehens vollſtändig ans Licht zu bringen ſtrebt, ſo trat allmählig, nachdem alle innere Oppoſition beſeitigt worden, auch dieſe Erſcheinung in die letzten Stadien ihrer Entwickelung ein.

Die geiſtliche Macht, im Kampfe mit der weltlichen, hatte ſich mit den Propheten verſtärkt, ſich zuerſt zur ge - waltigen Oppoſition erhoben, dann den Herrſchenden, zu den Waffen bereit, die Spitze geboten, darnach dieſe durch ihre Majorität geſtürzt, alle ihre Gegner vertrieben, ver - tilgt, und ein Regiment aufgerichtet, auf das ſie den größ - ten Einfluß hatte. Allein noch war ſie damit nicht an ihrem Ziele. Die Theokratie wird meiſtens monarchiſch ſeyn; denn ſie ſetzt immer eine perſönliche Bevorzugung, Begnadigung voraus. Der vornehmſte Prophet konnte ſich nicht begnügen, blos den Willen der Aelteſten, obwohl er auf ihre Ernennung den größten Einfluß gehabt, dem israelitiſchen Volke zu verkündigen; er faßte die Idee - nig dieſes Volks zu ſeyn.

Ein anderer Prophet, der neben ihm aufgeſtanden, Duſentſchuer von Warendorf, früher ein Goldſchmied, er - ſparte ihm die Mühe, dieß ſelbſt erklären zu müſſen. Du - ſentſchuer verkündigte eines Tages, Gott habe ihm offen -536Sechstes Buch. Neuntes Capitel.bart, Johann von Leiden ſolle König ſeyn. Die Prädi - canten, welche hier immer die extremſten Ideen verfochten, ſprechen ſich ſofort dafür aus; Johann ſelbſt verſichert, ohne ihre Hülfe würde er weder die Vielweiberei eingeführt, noch die Errichtung des Königthums durchgeſetzt haben. Auch ließ er ſie an ſeiner Gewalt theilnehmen. Nachdem das Volk ſeine neue Würde gebilligt (Jedermann ließ ſich auf - ſchreiben), erklärte er, nicht allein könne er in dem Aller - heiligſten verharren; die Gemeinde möge Gott mit ihm bit - ten um ein gutes Hausgeſinde. Nachdem alles Volk ge - betet, erſchien Rottmann und las von einem Zettel die Namen derer, die durch göttliche Eingebung zu den höhe - ren Würden beſtimmt worden. Einer der Vornehmſten war er ſelber. Er war Worthalter, wie jene worthalten - den Bürgermeiſter in den freien Städten; Knipperdolling, der ſelbſt oft prophetiſche Entzückungen hatte, wurde Statt - halter; ſo war auch der geheime Rath des Königs aus Prädicanten und den namhafteſten Fanatikern zuſammen - geſetzt; das geiſtlich-fanatiſche Prinzip kam nun erſt in dieſer monarchiſch-theokratiſchen Regierung zur vollen Herrſchaft.

Da trat nun auch die myſtiſche Weltanſicht, welche allen dieſem wiedertäuferiſchen Treiben zum Grunde lag, ausgebildeter hervor. Die Hoffnungen, die ſonſt nebelhaft in weiter Ferne erſchienen, zeigten ſich jetzt ihrer Verwirk - lichung näher, ergreifbarer.

Die Wiedertäufer fanden den Sinn der Schrift darin, daß Gott durch das Wort im Anfang alle Dinge gut geſchaffen; aber ſie ſeyen nicht gut geblieben; die Ordnung Gottes fordere ihre Wiederherſtellung durch das Wort. Alles aber537Wiedertaͤuferiſche Ideen.habe in dreyen, in drei Perioden ſeinen Verlauf. Ne - ben das Eine trete ein Andres, ſo daß das Vorige von dem Gegenwärtigen verdunkelt werde, bis zuletzt ein Drit - tes, nämlich das erſcheine, was nicht weiter möge verän - dert werden.

Die erſte Lebenszeit der Welt habe mit der Sünd - fluth geendet. Jetzt ſtehe ſie in ihrer zweiten Epoche. Da habe Gott mannichfaltige Mittel ergriffen, die Menſchen zu ſich zu bekehren, Abraham und die Propheten erſchei - nen laſſen, Wunderthaten bewieſen, ſein Wort ſchriftlich gegeben, endlich ſeinen einigen Sohn geſendet, aber alles vergebens; der Menſch wolle die Gerechtigkeit nicht bei ſich dulden, viel weniger ſie über ſich herrſchen laſſen; da müſſe dann der Grimm Gottes, eben wie bei den Zeiten Noä, ausgehen und ſich auf den Kopf der Schuldigen entladen, um die dritte Zeit und der ganzen Welt Vollendung hervorzubringen. Dieſer Moment ſey jetzt gekommen. 1Von der Verborgenheit des Rykes Chriſti ende von den Dagen des Herrn Cap. V. bei Arnold Kirchen - und Ketzergeſchichte I, 994. Schade daß die letzten ſieben Capitel, um ein paar Blaͤt - ter zu ſparen, weggelaſſen worden.

Von einer andern Seite griff Rothmann in ſeiner Schrift über zeitliche und irdiſche Gewalt die Sache an; doch läuft es auf daſſelbe hinaus.

Er ſagt, Gottes Wille ſey geweſen, daß alles nur unter ihm ſtehe, ſich brüderlich vertrage, beſtändig und luſtig unter ihm lebe. Aber durch den Sündenfall ſey die gött - liche Ordnung erloſchen und eine irdiſche Gewalt nothwen - dig geworden. Doch auch dieſe ſey böſe ihrer Natur nach und werde immer böſer. Vier Monarchien habe Gott538Sechstes Buch. Neuntes Capitel.von Anfang an beſtimmt. Die erſte habe Daniel wenig - ſtens mit einem Thiere verglichen, doch nicht die letzte: dieſes letzte vierte Ungeheuer habe wegen ſeiner blutdür - ſtigen Tyrannei ſeines Gleichen nicht auf Erden. Aber ſchon ſey auch deſſen Zeit gekommen; an ſeinem Erkrachen höre man bereits wie nahe ſein Fall ſey; alle ſein Reich - thum ſolle den treuen Hausgenoſſen zur Beute werden. 1Rothmann von tydliker und irdiſcher Gewalt: handſchrift - lich in Muͤnſter; excerpirt in Jochmus Geſchichte der Wiedertaͤufer, p. 188. Es iſt uͤbrigens merkwuͤrdig, welch eine auffallende Aehn - lichkeit dieſe Gedanken mit den Ideen habe, welche Robespierre pro - clamirte, nachdem er den Atheismus niedergekaͤmpft zu haben glaubte. Man vergl. ſeine Rede am Feſt des hoͤchſten Weſens 8. Juni 1794. L’auteur de la nature avait lié les mortels par une chaine im - mense d’amour et de felicité; perissent les tyrans, qui ont osé la briser. Français republicains c’est à vous de purifier la terre qu’ils ont souillée et d’y appeller la justice, qu’ils en ont banni. Buchez et Roux histoire parlementaire XXXIII, p. 179. Der Unterſchied liegt nur in den uͤberkommenen Religionsbegriffen; die Intention, einen urſpruͤnglichen Gluͤckszuſtand herzuſtellen, iſt ganz dieſelbe.

Sie hielten dafür, daß man dieſen Moment ergreifen müſſe, damit es nicht auch den Chriſten gehe, wie einſt den Juden, welche die Zeit ihrer Heimſuchung nicht wahr - genommen.

Die Einwendung, daß Chriſti Reich nicht von dieſer Welt ſey, wußten ſie auf ihre Weiſe zu beſeitigen. 2Eine Probe ihrer Exegeſe gewaͤhrt das Bekenntniß des ehe - maligen Pfarrers Dieſt: Chriſtus ſpreckt, myn rike iſt nicht van die - ſer werlt, heft duſen Verſtand: Chriſtus rick iſt ein rick der Gerech - ticheit und der Wairheit, dat rike avers duſer werlt iſt ein rieke der bosheit und ungerechtigkeit.Sie unterſchieden ein geiſtliches Reich, das in die Zeit des Lei - dens gehöre, und ein leibliches Reich der Glorie und Herr -539Wiedertaͤuferiſche Ideen.lichkeit, welches Chriſtus mit den Seinen in dieſer Welt haben ſolle, tauſend Jahre lang. 1Vergl. das Geſpraͤch des Johann v. Leiden mit Corvinus.Sie waren überzeugt, daß ihr Reich in Münſter bis zum Anbruch dieſes tau - ſendjährigen Reiches dauern, und es indeß im Bilde dar - ſtellen ſolle. Die Belagerung, die ſie duldeten, fanden ſie nothwendig. Denn das Opfer in der Wüſte müſſe voll - bracht werden, das Weib ihren Streit leiden, der Vor - hof ſich mit Todten erfüllen. Gott aber werde nicht al - lein die Gewalt abwehren, ſondern ohne Verzug auch ſei - nem Volk das Schwert in die Hand geben, zu vertilgen alles, was Bosheit treibe auf der ganzen Erde. Schenket ihr doppelt ein; (Apok. 14), denn die Zeit iſt vorhanden.

Das war auch der myſtiſche Grund, weshalb ſie ſich einen König ſetzten. Die Prophezeihungen gedachten vorzüglich eines Königs, der dann Herr auf Erden wer - den ſolle. Duſentſchuer rief Jan Bockelſohn zum König der ganzen Welt aus.

Dieſer junge phantaſtiſche Handwerker glaubte nicht anders, als daß die Zukunft der Welt auf ihm beruhe. Er nannte ſich Johann den gerechten Konink, in dem neuen Tempel; in ſeinen Verordnungen ſagt er, in ihm ſey das von Chriſtus verkündigte Reich unwiderſprechlich vorhanden; er ſitze auf dem Stuhle Davids. 2Eines ſeiner Geſetze, von Kerſenbroik und etwas abweichend von Herrsbach lateiniſch mitgetheilt, findet ſich in dem Archiv zu Duͤſſeldorf deutſch. Es faͤngt ſehr charakteriſtiſch an: Kundlich und openbar ſy allen Liefhebberen und Toſtendern der Wahrheit, und gotlicher Gerechtigkeit, ſowol der Unvorſtendigen, als in der Verbor - genheit Gottes Verſtaͤndigen. So und in wetmaten de Chriſten und ere Toſtendere ſick unter dem Panier der Gerechtigkeit als wareAn einer540Sechstes Buch. Neuntes Capitel.goldenen Kette trug er das Zeichen der Herrſchaft am Hals, eine goldene Weltkugel, durch die ein goldenes und ein ſilbernes Schwert ging: über deren Handgriffen erſchien ein Kreuz. Daſſelbe Abzeichen trugen ſeine Diener auf grünem Aermel; denn grün war ſeine Farbe. Er liebte als ein Emporkömmling die Pracht. Dreimal in der Woche erſchien er mit Krone und Kette auf dem Markt, ſaß nieder auf ſeinem Thron und hielt Gericht; eine Stufe tiefer ſtand Knipperdolling mit dem Schwert. Wenn er durch die Stadt ritt, gingen zwei Knaben neben ihm, der eine mit dem alten Teſtament, der andere mit dem bloßen Schwert; wer ihm begegnete, fiel auf die Knie. 1Ant. Corvinus de miserabili Monasteriensium anabaptista - rum obsidione ad G. Spalatinum ap. Schardium II, 315. aulam praefecturis ac officiis ita instituerat, ut si natus rex fuisset, pru - dentius non potuerit; erat enim in excogitandis iis, quae rega - lem pompam decebant, mirus artifex. Es gab wohl Einige, die an ſeinem Pomp, an der Zahl ſeiner Weiber, deren er immer eine über die an - dere nahm, Mißfallen äußerten. Pfui über Euch! rief er aus; aber ich will über Euch herrſchen und über die ganze Welt Euch zum Trotz! Selbſt Knipperdolling ſah die Sache nicht ohne Ironie an. Auf dem Marktplatz ſchwang er ſich einmal über die dichtgeſchaarte Menge em - por, um einen jeden mit dem Geiſt anzublaſen. Er führte vor dem König unanſtändige Tänze auf, und ſetzte ſich2Iſraeliten in dem nyen Tempel in jegenwerdicheit des Richs vorlanges verſeen durch den munth der Propheten belovet, vermitz (vermittelſt) Chriſtum und ſeiner Apoſteln in Kraft des Geiſtes angefangen, und geopenbaret, und nu an Johann den Gerechten in dem Stule Da - vids gelofflichen und in wederſprechlichen vorhanden, ſchicker wandern und haben ſollen 541Abendmahl in Muͤnſter.auf deſſen Stuhl. Es war ihnen, wie man von den Wahn - ſinnigen ſagt; ein tieferes Bewußtſeyn von der Unwahr - heit ihrer Einbildungen konnten ſie nicht übermeiſtern. Knipperdolling entzweite ſich wohl einmal ernſtlich mit dem König: dann aber verſöhnten ſie ſich wieder; Knipperdol - ling that Buße, und alles kehrte in das Geleiſe des gläu - bigen Gchorſams zurück. Im October 1534 feierte die ganze Stadt das Abendmahl folgender Geſtalt. Es waren Tiſche aufgerichtet für alle erwachſene Frauen, deren bei weitem mehr als der Männer waren, und für die Männer, welche nicht auf der Mauer Wacht hielten, 4200 Gedecke; Johann von Leiden und ſeine Gemalin Divara erſchienen mit ihrem Hofgeſinde und dienten bei Tiſch; ein förmli - ches Mahl ward gehalten. Hierauf nahmen ſie Weizen - kuchen, genoſſen zuerſt davon und gaben ihn den andern, der König das Brod, die Königin den Wein Bruder, Schweſter nimm hin: wie die Weizenkörnlein zuſammen - gebacken, und die Trauben zuſammengedrückt, ſo ſind auch wir eins. Darauf ſangen ſie das Lied allein Gott in der Höh ſey Ehr. 1Neuſte Zeitung von den Wiedertaͤuffern zu Muͤnſter 1535.In der That, man könnte dieß re - ligiös, unſchuldig finden. Aber man höre. Bei dieſem Abendmahl nahm der König unter den Seinen einen Frem - den wahr, der kein hochzeitliches Kleid anhatte. Er bildete ſich ein, das ſey der Judas, ließ ihn hinaus füh - ren, ging ſelbſt und enthauptete ihn; er glaubte einen Be - fehl Gottes dazu in ſich empfunden zu haben; um ſo fröh - licher kam er zu dem Gelage zurück. 2Dorpius und gefiel im ſelbs ſo wol uͤber dieſen mord, das er ſein noch lachet.

542Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Von allen Erſcheinungen einer ſo ungeheuern Verir - rung iſt dieſe Vermiſchung von Frömmigkeit, Genußſucht und Blutdurſt die widerwärtigſte; und wir müſſen, wie ungern auch immer, ſchon daran gehn, ihrer weiter zu gedenken. Es war zu Münſter ein Weib, das ſich ge - rühmt, kein Mann werde ſie bändigen können; eben dieß hatte den Jan von Leiden gereizt, ſie unter der Zahl ſei - ner Weiber aufzunehmen; aber nach einiger Zeit war ſie ſeines Umgangs überdrüſſig und gab ihm ſeine Geſchenke zurück. Der wiedertäuferiſche König hielt dieß für das äußerſte aller Verbrechen; führte ſie ſelbſt auf den Markt, enthauptete ſie da, und ſtieß den Leichnam mit den Füßen von ſich. Hierauf ſtimmten ſeine übrigen Weiber das Lied an Allein Gott in der Höh ſey Ehr.

Nachdem alles geſtürzt, umgearbeitet, die allgemeine Gleichheit eingeführt iſt, bleibt nichts übrig, als das Selbſt - gefühl des Schwärmers, dem Alle eine freiwillige Vereh - rung widmen. In dem aber bilden geiſtlicher Hochmuth und fleiſchliche Selbſtſucht, Schwung und Rohheit eine ſelt - ſame, man möchte ſagen groteske Seelenmiſchung, die ſo zu ſagen als pſychologiſches Naturproduct merkwürdig iſt. Denn wo wäre noch an Freiheit zu denken, wo man ſich Trieben ſo verabſcheuungswürdiger Art überlaſſen hat.

Wie contraſtirt dieſes Weſen ſo entſetzlich mit der Unſchuld, in der ſich jene Gartenbrüder, die kleine Secte in Salzburg, darſtellen.

Und dennoch feſſelte es die Menſchen: man kämpfte dafür mit äußerſter Erbitterung.

Eine Friesländerin von Sneek, Hille Feike, die nach543Vertheidigung.Münſter gegangen, um, wie ſie ſagte, ihrer Seele Selig - keit bei dem Worte Gottes zu ſuchen, fühlte ſich durch die Geſchichte der Judith, die ſie einſt bei Tiſch verleſen hörte angetrieben, dieſem Beiſpiel nachzufolgen. Sie ging in der That heraus, ſo gut wie möglich herausgeputzt, mit Schmuck, den man ihr aus der Canzlei mitgegeben, und mit einigem Geld verſehn. Aber eben ſchon ihr unge - wohnter Aufzug erregte Verdacht. Sie ward nicht bis zu dem Biſchof gelaſſen, den ſie zu tödten im Sinne gehabt. In dem Verhör bekannte ſie ihr Vorhaben und ſtarb dafür. 1Bekanntniſſe Hyllen Feyken aen pyn am Freydag nach Na - tivitatis Joh. Baptiſtaͤ pynlig Bekanntniſſe H. F. am Saterdag na J. B. Bei Nieſert I, 40, 44.

Am 30. Auguſt 1534 verſuchte der Biſchof die Stadt zu ſtürmen. Allein er fand ſie auf das beſte vorbereitet, ihn zu empfangen. Ein Kern von tapfern Mannſchaften ſtand auf dem Markte, um unter der Führung des Königs immer derjenigen Stelle die am meiſten bedroht ſeyn würde zur Hülfe zu kommen. Andere waren hinter den Mauern rings her in den Baumgärten aufgeſtellt. Die Hauptmacht erwar - tete unmittelbar auf den Wällen den Feind: zwiſchen den Männern ſtanden Knaben und Frauen, jene mit Bogen und Pfeil, dieſe mit großen Keſſeln, um darin, wie ſie ſagten, das Morgeneſſen für die Feinde zu kochen. Früh um fünf gab in dem Lager die große heſſiſche Karthaune, genannt der Teufel, das Zeichen; gegen ſechs verſchiedene Stellen auf einmal ſetzten ſich die Landsknechte in Bewe - gung; es gelang ihnen wirklich, über die Gräben und Zäune zu kommen; dann legten ſie die Leitern an; ſchon544Sechstes Buch. Neuntes Capitel.pflanzte ein und der andere Fahnenträger ſein Zeichen auf den Wällen auf. Man hatte ſie aber eben darum ruhig kommen laſſen, um ſie in der Nähe deſto ſicherer zu ver - derben. Jetzt erſt ging das Geſchütz in die dichtgeſchaar - ten herandringenden Haufen ab. Die Weiber warfen den Heraufklimmenden brennende Pechkränze um den Hals,1Noch ein Beiſpiel von Kerſenbroiks Schilderung. Piceas coronas adhibita face incendunt, atque ita fragrantes furculis qui - busdam ferreis in ascendentium colla injiciunt, qui horrendis flam - mis ipsa arma penetrantibus miseris modis excruciati sorsum deur - sumque cursitant majorique motu flammas exsuscitant et frustra chirotecis e crassioribus femorum pellibus ad hoc comparatis ar - dentia serta eximere tentant, ita enim fragranti pice et resina contrahuntur, ut manus inde retrahere nequeant: tandem quidam eorum proni concidunt, seseque in terra algenti prae intolerabili cruciatu ita volvunt ut herbae circumquaque flammas emarces - cerent: hinc magno clamore animam evomunt; alii vero conceptas flammas restincturi in fossas proruunt et pondere armorum de - pressi subsidunt. oder ſie goſſen den Kalk, den ſie in den Keſſeln gekocht, glühend über ſie her; der Sturm ward vollſtändig abge - ſchlagen, ohne daß es der Theilnahme der Weiterzurückauf - geſtellten bedurft hätte; die Einwohner hatten eine Schlag - fertigkeit bewieſen, welche den Landsknechten den Muth zu einer Wiederholung ihres Anfalles benahm.

Der Fürſt mußte ſich begnügen, die Stadt mit eini - gen Blockhäuſern zu umgeben; nur durch eine neue Steuer konnte er das Geld aufbringen, deſſen er hierzu bedurfte.

Nothwendig wuchs nun aber durch einen ſo glänzen - den Sieg der Muth der Wiedertäufer.

Im October nach jenem Abendmahl, wurde einigen Gläubigen aufgegeben, ſich in die nächſten Städte zu ver - fügen und die Wunder auszubreiten, die bei ihnen geſche -545Verbreitung der Wiedertaͤufer.hen ſeyn. In derſelben Stunde, in der ihnen dieſer Be - fehl angekündigt worden, machten ſie ſich auf, ihn auszu - führen. Sie fielen, wie ſich denken läßt, ſämmtlich den biſchöflichen Leuten in die Hände, und büßten ihr Vorha - ben mit dem Tode.

Aber darum gab Johann von Leiden ſeine weltum - faſſenden Pläne mit nichten auf.

Wir erinnern uns welche allgemeine Gährung die un - tern Volksklaſſen, namentlich die Handwerker in den deut - ſchen Städten ergriffen hatte und wie das wiedertäuferiſche Treiben gerade in dieſem Stande gewaltig Wurzel ſchlug. In dieſem Augenblick begegnen wir demſelben faſt in allen deutſchen Ländern. In Preußen genoſſen die Wiedertäufer den Schutz eines der mächtigſten Männer im Lande, Frie - drichs von Heideck, der in hohen Gnaden bei Herzog Al - brecht ſtand, ein paar Gläubige aus Schleſien mitbrachte, ihre Bücher verbreitete, ſogar einen Theil des Adels für ſie gewann. 1Baczko IV, 219.So viel ihrer auch aus Mähren flüchteten, ſo begegnen ſie uns doch noch immer zu Tauſenden da - ſelbſt. Die ſächſiſchen Viſitatoren fanden im Jahr 1534 das obere Werrathal von ihnen angefüllt; in Erfurt ward bekannt, 300 Propheten ſeyen ausgeſendet, um die Welt zu bekehren. 2Seckendorf Hist. Luth. III, § 25, p. 71.Wir treffen 1534 einzelne Emiſſarien in Anhalt, im fränkiſchen Brandenburg: hier legte man die Taufregiſter auch deshalb an, um ſich der Wiedertaufe zu erwehren. Im Wirtembergiſchen gewährte ihnen der Erb - marſchall des Herzogs, ein Thumb von Neuburg, Ver - wandter Schwenkfelds, in ſeinen Beſitzungen im Remsthal,Ranke d. Geſch. III. 35546Sechstes Buch. Neuntes Capitel.eine Zeitlang Zuflucht. 1Lang II, 33. Sattler III, p. 104.In Ulm glaubte man Mei - nungsabwandlungen, die ſich den wiedertäuferiſchen nur annäherten, wie Sebaſtian Franks oder Schwenkfelds fürchten zu müſſen; in der Gegend bei Augsburg tauchte ein Wiedertäuferkönig auf. In der Schweiz bemerkte man ſie denn noch immer auch in den proteſtantiſchen Gebieten: in Bern benutzte der eifrige Haller ihre Erſcheinung, denn beſonders das böſe Leben der angeblichen Chriſten war es was ſie tadelten, um eine beſſere Kirchenordnung durchzu - ſetzen. 2Haller und Frecht bei Ottius p. 69, 81.In Strasburg ließen ſich Viele den Glauben nicht nehmen, Hoffmann werde von Herrlichkeit umſtrahlt aus ſei - nem Gefängniß hervorgehn; ſie fügten dieſem ihrem Elias auch einen vermeinten Henoch hinzu. Den ganzen Rhein hinab regten ſich dieſe Tendenzen. In Cöln und Cleve ließ man das Land von einigen Trupps leichter Reiter durchſtreifen, um wiedertäuferiſche Zuſammenrottungen zu verhüten. 3Rathsprotocoll vom Maͤrz 1534.Aber bei weitem am ſtärkſten waren ſie doch in den Nie - derlanden. In Amſterdam, wo vor kurzem ein Emiſſar von Münſter eine große Anzahl Proſelyten gemacht hatte, wagten ſie ſich mehr als einmal öffentlich hervor. Als der geheime Rath der Regentin, Graf Hoogſtraten, im Octo - ber dahin kam, und einige ſtrengere Maaßregeln zugleich gegen Lutheraner und Wiedertäufer durchführen wollte, ent - ſtand ein nächtlicher Auflauf, der leicht die ſchlimmſten Folgen hätte haben können. 4Lambertus Hortenſius tumultus Anabaptistarum ap Schard. II, p. 306. Dieſe niederlaͤndiſche Nachrichten ſind bei Hort. das Wichtigſte.Und unaufhörlich war ſeit - dem von der Abſicht der Wiedertäufer, ſich der Stadt zu547Verbreitung der Wiedertaͤufer.bemächtigen die Rede. In Leiden glaubte man Brandſtif - tung und Empörung von ihnen fürchten zu müſſen. 1Brandt Histoire de la reformation I, p. 50.Im Gröningerland fand im Anfang des Jahres 1535 eine Ver - ſammlung von nahe an tauſend Wiedertäufern Statt, die der Statthalter mit bewaffneter Macht zerſtreuen mußte. 2Schreiben des Statthalters von Friesland an den Biſchof von Muͤnſter. Lewarden 25. Januar (Duͤſſ. A.).In Oſtfriesland ſprach ein Prophet die Hoffnung aus, ganz Oberdeutſchland und Niederdeutſchland werde ſich er - heben, wenn nur erſt der König mit ſeinem gewaltigen Banner ausziehe. Auch Nichteinverſtandene meinten wohl, wenn Johann von Leiden nur ein paar glückliche Schläge vollführe, werde er Anhänger genug finden, und vielleicht die Welt in Bewegung ſetzen, wie einſt die Longobarden oder die Franken. 3Sebaſtian Frank: andre Chronik p. 267.Wir wiſſen, Johann von Leiden nahm die ganze Welt als Beſitzthum in Anſpruch. Er hat allen Ernſtes einmal 12 Herzöge ernannt, und die Welt, zunächſt Deutſchland, förmlich unter ſie ausgetheilt. Die benach - barten Reichsfürſten behandelte er als ſeines Gleichen. In einem Briefe an Landgraf Philipp von Heſſen redet er ihn lieber Lips an, wie wohl deſſen vertraute fürſtliche Waf - fenbrüder zu thun pflegten. 414. Jan. 1535, gedruckt in der kleinen Schrift: Acta Hand - lungen Legation und Schriften, ſo durch Landgraf Philippſen in der Muͤnſterſchen Sache geſchehen 1536 Bog. II. Er erſuchte ihn, die Bibel zur Hand zu nehmen, und beſonders die kleinen Propheten zu ſtudiren, da werde er finden, ob wir uns, ſagt er, ſelbſt zum König aufgeworfen, oder ob dieß von Gott zu etwas anderm angeordnet iſt.

35*548Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Ehe es nun aber zu dem Verſuch eines allgemeinen Unternehmens kommen konnte, hatte doch auch das Reich endlich Anſtalten getroffen, dem um ſich greifenden Uebel ernſtlich zu ſteuern.

Rüſtungen gegen Münſter. Eroberung.

Wie dieß geſchah, iſt ein rechtes Beiſpiel von der Behandlung der Geſchäfte im Reiche überhaupt.

Hätte man nicht glauben ſollen, nachdem eine durch alle Reichsabſchiede ſo ſtreng verpönte Meinung in einer bedeutenden Stadt zur Herrſchaft gelangt, und dadurch auch an ſo viel andern Stellen zu neuem Leben erwacht war, das geſammte Reich werde ſich in ſeiner Kraft erheben, um ſich dieſer jeden Stand bedrohenden Gefahr zu erledigen?

Man überließ die Sache nichtsdeſtominder lediglich dem Biſchof von Münſter und deſſen politiſchen Freunden.

Wir ſahen ſchon, wie vor allem die Eiferſucht auf Heſſen und dann die eigne Gefahr Cöln und Cleve bewo - gen, dem Biſchof zu Hülfe zu kommen.

Zuerſt ſendeten ſie jeder einiges Geſchütz, jedoch auf Verſicherung des Capitels, und ſogar unter der Bedingung, daß der Schade der daran geſchehe wieder erſtattet werde.

Dann kamen die cölniſchen und cleviſchen Räthe zu - ſammen, weitere Maaßregeln zu verabreden.

Zu Orſoy am 26. März 1534 beſchloſſen ſie dem Bi - ſchof mit Leuten zu helfen nicht mit Geld; jeder Fürſt habe auf ſeine Koſten demſelben 2 Fähnlein Knechte zu ſchicken. Am 7. Mai zu Neuß fügten ſie hinzu, daß ein549Huͤlfe von Cleve und Coͤln.jeder überdieß auch 200 gerüſtete Pferde vor Münſter ha - ben ſolle, um auf den Sturm zu warten. Schon hatte der Herzog von Cleve ſeinen Landſaſſen befohlen, keine fremden Dienſte zu nehmen und Niemand deren nehmen zu laſſen, bis dieſe Sache abgethan ſey.

Indeſſen war dem Biſchof mit Leuten allein nicht ge - holfen. Da die Kräfte ſeines Landes nicht zureichten, ſo drang er unaufhörlich auf Darlehn einer tapferen Summe Geldes. Zuerſt dachte man, ihm 10000 G. durch Bürg - ſchaft zu verſchaffen. Da ſich dieß aber entweder unthun - lich oder doch ungenügend erwies, ſo ward auf einer neuen Zuſammenkunft der münſterſchen Räthe mit den cölniſchen und cleviſchen zu Neuß am 20. Juni der Beſchluß gefaßt, daß von jedem Theil 20000, zuſammen 60000 Goldgulden aufgebracht werden ſollten, wobei ſich aber der Biſchof verpflichtete, den beiden andern nach der Eroberung ihr Dar - lehn wiederzuerſtatten, um alles vorzubereiten, was zu dem Sturme nothwendig ſey. 1Das ein jeder Fuͤrſt, Coͤlln Cleve und Muͤnſter 4000 Solde zu Underhaltung der Knecht ſo itzo vor Muͤnſter liegen und 1000 Graͤber ein Monat lang darſtrecken und beſolden (was eine Summe von 12000 Kn. und 3000 Schanzgraͤbern giebt) und daneben ſemmt - lich 10000 Embder Gulden zu Beſtellung Pulvers zum allerfuͤrder - lichſten erlegen ſullen, welchs zu jedes Knechts und Graͤbers Sold auf 4 Embder G. gerechnet ſamt den itzigen 10000 E. G. ſich zu - ſammen in der Summa 70000 E. G. die dann 60000 Goldg. machen ertregt; alſo ein jeder Chf und Fuͤrſt 20000 G. darzuſtrecken ange - nommen.Wir wiſſen jedoch, wie ſchlecht es mit dieſem Sturme ablief. Als die Räthe im Anfang Septembers in dem Lager eintrafen, hofften ſie die Stadt erobert zu ſehen, fanden aber nichts als die Folgen der Niederlage und allgemeine Entmuthigung. Es geſchah auf550Sechstes Buch. Neuntes Capitel.gemeinſchaftlichen Beſchluß der drei Fürſten, daß die Block - häuſer errichtet wurden. Sie vereinigten ſich aufs neue zur Aufbringung einer Summe von 50000 G. zu dieſem Behufe.

Allein ſo viel ſah man doch auch, daß auf dieſe Weiſe Münſter niemals werde erobert werden. Man beſchloß, was ſchon immer in Vorſchlag geweſen, ſich an die nächſt - geſeſſenen Kreiſe zu wenden, und dieſe herbeizuziehen.

Cöln gehörte zu dem churrheiniſchen, der Herzog von Cleve war Oberſter des weſtfäliſch-niederrheiniſchen Krei - ſes Zum erſten Mal im letzten Türkenkriege hatten die Kreiſe angefangen eine weſentliche Wirkſamkeit auszuüben. Die Fürſten waren durch die Reichsabſchiede berechtigt, auch hiefür die Mitwirkung derſelben zu fordern.

Zuerſt in Mainz auf einer Verſammlung des churrheini - ſchen Kreiſes kam die Sache zur Sprache. Cöln und Cleve berechneten ihre Koſten und forderten wie eine Entſchädi - gung dafür, ſo beſonders eine unmittelbare Theilnahme der übrigen Kreisſtände. Allein der Erfolg war nur, daß man ſie, ſo ſehr ſie auch widerſprechen mochten, zu fernerer Er - haltung der Blockhäuſer verpflichtete, übrigens aber die Sache auf einer allgemeineren Verſammlung näher in Be - rathung zu ziehen beſchloß. 1Auszug aus dem Abſchied zu Mainz im Duͤſſ. Arch. ach - ten die churfuͤrſtl. Rethe fuͤr den nuͤtzeſten und fuͤrtreglichſten weg, das ander Fuͤrſten und Stende des Reichs als nemlich neben ihrem der Churfuͤrſten Kreis des rheiniſch (Oberrh. ) niederlendiſchen und weſtfeliſchen Kreis zu dieſem Handel gezogen werden.

Am 27. October traten dann auch die Stände des niederrheiniſch - weſtfäliſchen Kreiſes im Predigerkloſter zu Cöln zuſammen. Da eine allgemeine Zuſammenkunft be - reits in Ausſicht geſtellt war, ſo erſparten ſie ſich, eine551Huͤlfe der Kreiſe von Sachſen und Heſſen.beharrliche Hülfe zu beſchließen. Aber um für eine eilende in jedem Augenblick gerüſtet zu ſeyn, kamen ſie überein, ſich mit ſo viel Geld zu verſehn, als ein monatlicher Anſchlag für den letzten Türkenkrieg betragen habe.

Mittlerweile waren auch entferntere Stände wie Sach - ſen und Heſſen herbeigezogen worden. Sächſiſche Räthe ka - men Anfangs November mit den cölniſchen und cleviſchen zu Eſſen, die heſſiſchen bald darauf mit den Räthen von Pfalz, Mainz, Trier und Würzburg zu Oberweſel zuſammen. Was ihren Berathungen Nachdruck gab, war die Furcht, daß der Biſchof etwa das Haus Burgund zur Hülfe rufen, und dieß bei dieſer Gelegenheit ſich Münſters bemächtigen möchte; wie denn Maria in den Niederlanden von ihren Landſtänden ſchon Hülfe für Münſter forderte. Da verpflich - tete ſich Sachſen doch lieber ſelbſt an den Koſten jener Blo - kade gleichmäßig Antheil zu nehmen. Ehrgeizige Pläne wa - ren auch hier im Spiel; doch trieb die gegenſeitige Eifer - ſucht einen jeden immer wieder in die geſetzlichen Schranken.

Im December kam jene in Mainz beſchloſſene Zu - ſammenkunft der drei Kreiſe der beiden ſchon genann - ten und des oberrheiniſchen in Coblenz zu Stande. Sie ließen ſich bereit finden, die Koſten der ferneren Blo - kade gemeinſchaftlich zu tragen. Es ſollten 3000 Mann vor Münſter gehalten, und zu dem Ende 15000 G. mo - natlich aufgebracht werden. Ein Feldhauptmann, Graf Whirich von Dhaun ward ernannt, vier Kriegsräthe, von Cöln, Trier, Cleve und Heſſen ſollten ihm zur Seite ſtehn; das Kriegsvolk ſollte den Kreisſtänden ſchwören. 1Der Coblenzer Abſchied findet ſich nur bei Kerſenbroik. In Coblenz und in Duͤſſeldorf ſuchte ich ihn vergebens.

552Sechstes Buch. Neuntes Capitel.

Man ſieht jedoch, daß auch dieß mehr eine Verthei - digungsmaaßregel gegen etwanige Ausfälle der Belagerten war, als daß ſich die Eroberung der Stadt davon hätte erwarten laſſen. Dieſe zu bewerkſtelligen, hielten auch die Kreiſe ſich für nicht mächtig genug; ſie beſchloſſen das ganze Reich zu Hülfe zu rufen.

Wie angedeutet, der Gang dieſer Sache giebt recht eigentlich den Charakter des deutſchen Gemeinweſens zu er - kennen. Nicht das Kaiſerthum ſetzte ſich in Bewegung um eine in offenbarer Rebellion begriffene Stadt zu bezwingen, ſondern der Fürſt, dem ſie gehörte, und deſſen nächſte Nachbarn mußten es lange Zeit allein verſuchen, bis die wachſende Gefahr immer weitere Bezirke und endlich die Geſammtheit, wiewohl nicht ohne Widerſpruch, herbeizog.

Es war eins der erſten Reichsgeſchäfte König Ferdi - nands nach ſeiner Anerkennung, daß er auf die Bitte der drei Kreiſe einging und auf den 4. April eine allgemeine Verſammlung nach Worms ausſchrieb.

Zwar erklärte ſich nicht Jedermann damit einverſtan - den; der Churfürſt von Brandenburg z. B. behauptete, die drei Kreiſe ſeyen allein im Stande den Wiedertäufern ein Ende zu machen, und weigerte ſich an allgemeinen Vor - kehrungen zu dieſem Zweck Theil zu nehmen. Allein bei weitem die meiſten Stände ſchickten doch ihre Ab - geordneten. Der Beſchluß ward gefaßt, Monat der letzten Reichshülfe auf alle Stände des Reichs auszuſchrei - ben. Der Ertrag, der ſich hiervon erwarten ließ, war wohl nicht ſo anſehnlich, um eine bedeutende Vermehrung der Streitmacht ins Feld zu ſtellen. Der Vortheil beſtand553Huͤlfe des Reiches.nur darin, daß man nunmehr ſicher wurde, die Blokade bis zu einem entſcheidenden Erfolg fortſetzen zu können. Der zu Coblenz aufgeſtellte Feldoberſt ward von Reichs - wegen beſtätigt; nur ſollten ihm ſtatt jener vier von jetzt an ſechs Räthe zur Seite ſtehn; nach der Eroberung der Stadt ſollte von Kaiſer und Ständen über ihre Einrich - tung verfügt werden.

Es wäre nun ſehr überflüſſig, die Thaten dieſes klei - nen Heeres ausführlich zu erörtern. Schon genug, wenn wir bemerken, daß es demſelben gelang, der Stadt alle Zufuhr abzuſchneiden und ſie auszuhungern.

Die vornehmſte Hoffnung der Eingeſchloſſenen war noch, daß ihnen von da Hülfe und Entſatz kommen würde, wo ihre Lehre am weiteſten um ſich gegriffen, und von wo ſie großentheils ſelbſt herſtammten. Eifrige Wiedertäu - fer aus den Niederlanden hatten ſich die Sache in Mün - ſter angeſehn, waren dann zurückgegangen, und verkündigten nun dort den nahen Auszug des Königs, den auch ſie aner - kannten, und den ſie durch die Welt zu begleiten hätten. Das Geſchrei erneuerte ſich, man müſſe Pfaffen und Herren todtſchlagen; man fügte hinzu, die einzige rechte Obrigkeit in der Welt ſey der König von Münſter. 1 Slan doot alle Monniken und Papen u. alle Overicheit, de in der werlt ſint, went allenne unſe Konink is de rechte Overicheit. Beninga Hiſtorie van Ooſtfriesland bei Matthaͤus: Analecta vet. aevi IV, p. 680; wo ſich auch uͤberhaupt einige charakteriſtiſche Nach - richten finden.Gegen Oſtern 1535 waren ſie alle in Bewegung. Die Weſtfrieſiſchen nahmen Oldenkloſter unfern Sneek ein; die Gröninger machten ſich auf den Weg nach dem Kloſter zu Warfum; die Holländer,554Sechstes Buch. Neuntes Capitel.mehrere tauſend ſtark, ſetzten nach Overyſſel über; in dem Bergkloſter in der Gegend von Haſſelt dachten ſie mit an - dern Gläubigen zuſammenzutreffen. Es iſt als hätten ſie geglaubt, von den Klöſtern her, von wo einſt das Chri - ſtenthum ausgebreitet worden, das Land mit der Wieder - taufe zu erfüllen und alsdann ihren vermeinten König auf - zuſuchen. Allein die organiſirte bewaffnete Macht war in dieſen Provinzen ſtärker als dieſe ungeordneten Haufen. Die Gröninger und Holländer wurden ohne Mühe noch auf dem Wege zerſtreut. 1Extraict de ce, que Maistre Everard Nicolai conseiller au grand conseil ordonné à Malines escript à son frère Mr. Ni - colas Nicolai. Les Anabaptistes par instigation et messaiges se sont esmeus et rassemblés en nombre de plusieurs mille sur la côte de la mer d’Hollande pour dela neviger au pays d’Overys - sel ils devaient à certain jour préfix tenir communication de leurs affaires dedans un monastère qui s’appelle Bergklooster au - près de la ville de Hasselt; etc. Nicolai war ausdruͤcklich dahin gegangen, um ſie zu bekehren. Nach ihm waren es 20 Fahrzeuge und 3000 Menſchen geweſen. Er fand jedoch nur noch 5 Maͤnner und 13 Weiber, die er denn bald von ihrem Irrthum uͤberzeugte.Oldenkloſter, das die Wieder - täufer bereits eingenommen, leiſtete einigen Widerſtand; es konnte nicht ohne Verluſt wieder erobert werden. Noch ſpäter machten ſie einen Verſuch, Amſterdam für den König Zions einzunehmen und ſetzten ſich wirklich einſt bei Nacht in Beſitz des Rathhauſes, wiewohl nur für eben dieſe Nacht. 2Hortensius tumultuum Anabaptistarum liber unus bei Schardius Scriptt. R. Germ. II, 310.Sie wollten die Bedingungen nicht bemerken, unter denen es ihren Glaubensgenoſſen in Münſter gelungen war, zur Gewalt zu gelangen: und ſchrie - ben ihr dortiges Glück einer wunderbaren Veranſtaltung555Mißverſtaͤndniſſe in Muͤnſter.Gottes zu, die ſie nun auch anderwärts erwarteten, aber nothwendigerweiſe vergebens. Unaufhörlich hatte der Pro - phet das Volk auf die Hülfe ſeiner Landsleute vertröſtet, welche kein Schwert noch Tod, weder Waſſer noch Feuer abhalten werde, durchzudringen, um ihren König zu ſehen; da ſich aber ſeine Prophezeiungen jetzt nicht bewährten, ſo entſtand doch einiges Gemurre in dem Volke. 1Nie Tydongen an den Erzbiſchof tho Coͤllen. Nieſert p. 198. Nach einem Schreiben des Feldhauptmanns vom 7. Mai erzaͤhlt ein ausgefallener Knecht, es ſey große Armuth, die Gemeine murmurire, der Koͤnig mit ſeinem Anhang ſuche nur den Aufruhr zu vermeiden.Allmäh - lig nahm der Mangel auf unerträgliche Weiſe überhand. Die Glaubensſchwächern begannen, an dieſer Sache zu ver - zweifeln, und verließen die Stadt. Das Lager wies ſie anfangs zurück; wir finden Frauen mit ihren Kindern, die nicht aufgenommen werden, ſich an dem Graben an das Stacket ſetzen, wo ihnen dann mitleidige Landsknechte etwas zu eſſen hinausreichen; unmöglich aber konnte man ganze Haufen wieder in die Stadt treiben. Sie boten einen An - blick dar, der die gelehrten Zeitgenoſſen an Sagunt und Numantia erinnerte. Ueber dem nackten Gebein gerunzelte Haut; ein Hals der den Kopf kaum tragen konnte, ſpitze Lippen, dünne, durchſichtige Wangen; alle voll Grauen über den ausgeſtandenen Hunger; mit Mühe hielten ſie ſich auf - recht. Allein Viele waren doch auch entſchloſſen, wie der - nig ſich ausdrückte, nicht wieder nach Aegyptenland zurück - zufliehen. Die Aufforderungen des Feldhauptmanns wieſen ſie noch im Anfang des Juni mit einer Art rechtgläubiger Entrüſtung von ſich. Zwar verhehlten ſie ſich nicht, daß ſie vielleicht auch noch von den Füßen des letzten danieliſchen556Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Ungeheuers zerſtampft werden würden; allein ſie hielten an der Hoffnung feſt, bald werde daſſelbe nichts deſtominder von dem Eckſtein zertrümmert, und das Reich den Heiligen des Allerhöchſten übergeben werden. Sie ſollen die Ab - ſicht gehegt haben, wenn alles verloren ſey, die Stadt an - zuzünden, und ſich den feindlichen Geſchützen entgegenzu - ſtürzen.

Und vielleicht wäre es in der That ſo weit gekom - men, hätte ſich nicht ein Verräther gefunden, der den Be - lagerern, die noch immer den vorjährigen unglücklichen Sturm nicht vergeſſen hatten, über die Gräben und Mauern zu helfen verſprach. Hatte man nur nicht mit Wall und Geſchütz zu kämpfen, ſo konnte der Erfolg nicht zweifelhaft ſeyn. 1Corvinus ad Spalatinum: vidi ipse multos ibi libros, quorum detracta coria victum miseris suppeditarunt immo scio pueros quoque comesos ibi esse, id quod ab iis auditum mihi est, qui in reliquias quasdam capta urbe ejus rei testes incide - runt. Mit Denen in der Stadt konnte es nicht viel beſſer ſtehen als mit den Ausgetretenen; nur der König und was zu ſeinem Hof gehörte, Räthe, Freunde, die neuen Herzöge und Befehlshaber, die Doppelſöldner hatten noch auf kurze Zeit zu leben. Als der Biſchof den Landsknechten ſeinen Plan eröffnete, und ihnen verſprach, der Oberſt ſammt Adel und Hauptleuten werde vorn daran ſeyn, zeigten ſie ſich willig; denn die Zeit währte ihnen auf ihrem Stroh in den Boll - werken auch zu lange. Es iſt kein[erfreulicher] Anblick: dieſe abentheuerlichen gewaltſamen, zu Verbrechen fortgeriſſenen, jetzt ausgehungerten, zur Verzweiflung gebrachten, noch im -557Eroberung.mer enthuſiasmirten Phantaſten, und dagegen die mühſam zuſammengehaltenen, langſam und ohne Energie vorſchrei - tenden, erſt, als an den Erfolg kein Zweifel ſeyn[kann], zu der entſcheidenden Unternehmung entſchloſſenen Lands - knechtshaufen. Zu beſonders ruhmwürdigen Thaten konnte es da nicht kommen. In der beſtimmten Stunde in der Jo - hannisnacht 1535 gingen ein paar Hundert Landsknechte über den Graben, wo er am ſchmalſten, und erſtiegen mit ihren Leitern die Mauern, wo ſie am niedrigſten waren. Sie kannten die Loſung der Wiedertäufer, täuſchten damit die Schildwächter und ſtießen ſie dann nieder; ſo nahmen ſie ein Bollwerk am Zwinger ein und drangen bis auf den Domhof: dann ohne erſt lange ihrer Kameraden zu warten, ſchrien ſie Lerman und rührten die Trommel. Die Wiedertäufer ſpran - gen aus ihren Betten und ſammelten ſich zur Gegenwehr. Der Erfolg war einen Augenblick zweifelhaft; jedoch nur ſo lange bis die Maſſe der Belagerer durch ein von in - nen geöffnetes Thor eindrang. Die Wiedertäufer ſchlugen ſich auch dann noch mit Erbitterung, und namentlich mit ihrem Geſchütz thaten ſie den Angreifenden noch vie - len Schaden; anderthalb hundert Edelleute und Doppel - ſöldner, die in den erſten Reihen ſtanden, ſind noch ge - blieben; allein es war der hoffnungsloſe Kampf der Ver - zweiflung. Indem der König ſich nach dem feſteſten Boll - werk zurückzuziehen gedachte, ward er gefangen. Rottmann ſoll ſich, um dem Hohn der Gefangenſchaft nicht aus - geſetzt zu werden, in das dichteſte Gewühl geſtürzt und ſo den Tod gefunden haben. Noch wehrten ſich einige Hun -558Sechstes Buch. Neuntes Capitel.dert hinter einer Wagenburg an der St. Michaelskapelle ſo tapfer, daß man ſich entſchloß, mit ihnen Vertrag zu ſchließen. So viel ich finde, iſt ihnen der nicht gehalten worden. Man ſagte ihnen, ſie ſollten nach Hauſe gehn; wenn dann der Biſchof komme, ſo wolle man weiter in der Sache handeln. Wohl wahr, daß dieſer ihnen das Le - ben ſchwerlich geſchenkt haben würde. Aber die durch ihre Verluſte erbitterten Landsknechte waren nicht dahin zu brin - gen, dieß zu erwarten; ſie ſtürzten den Abziehenden in die Häuſer nach; man konnte ihrer Metzelei nur mit Mühe Einhalt thun, und auch dann ward den Hinrichtungen le - diglich etwas mehr Form gegeben. 1Ich folge hier wie bei der Erzaͤhlung der Eroberung uͤber - haupt einer Flugſchrift: Warhafftiger bericht der wunderbarlichen Handlung der Dueffer zu Muͤnſter in Weſtvalen, wie ſich alle ſachen nach eroberung der ſtat und in der eroberung zugetragen, die noch vor der Execution des Jan von Leiden geſchrieben worden; ſie hat ſein Bildniß in Holz. Anders erzaͤhlt jedoch Kerſenbroik. Donan - tur vita et positis armis urbe protinus praeeuntibus quibusdam militiae ducibus exire jubentur. Cum vero liberum exeundi com - meatum impetrassent multi eorum ad aedes suorum necessariorum forte aliquid inde allaturi sese subducunt atque iter ab aliis ad exeundum paratis sponte sua divelluntur, ubi cum longiorem mo - ram fecissent, jam tuto egressos eodem certe commeatu confisi fine ducibus subsequi contendunt, qui a militibus intercepti mac - tantur. Ich laſſe Jedem ſein Urtheil, doch ſieht das faſt wie eine Beſchoͤnigung und Entſchuldigung aus. Jener aͤlteſte Bericht ſagt: ward auf beiden partheien ſo vil gehandlet das ein yetlicher ſolt wi - der heim in ſein haus ziehen, bis auf die Zukunft des biſchofs des gnaͤdigen herrn, dann ſolt weiter in den ſachen gehandlet werden. Darauff ward jenen glauben zugeſagt und zoch ein yetlicher wieder heim in ſein haus. Als aber die landsknecht großen merklichen ſcha - den empfangen fielen ſie mit grimmigem zorn in die heuſer und wo ſie der einen funden, riſſen ſies mit den koͤpfen aus den heuſern auf die ſtraßen howens zu ſtucken ſtechns all zu todt. Kurz demnach ward umbgeſchlagen daz man kein mer todtſchlagen ſolt etc.

559Reaction in Muͤnſter.

Denn wie die Sachen nun einmal ſtanden, ſo darf man ſich nicht wundern, wenn auf eine vollkommene Aus - rottung des wiedertäuferiſchen Elements gedacht ward. Auch die Frauen wurden aus der Stadt verjagt: jedermann, der ſie aufnehme, ward bedroht, als Wiedertäufer behan - delt zu werden: man weiß nicht, wohin ſie gerathen ſind. Allmählig kehrten die aus der Stadt Verjagten wieder in dieſelbe zurück: es war ungefähr ein Drittheil der vorigen Bevölkerung. Da jedoch auch dieſe nicht ohne Schuld, ſo mußten ſie dem Biſchof für die Zurückgabe ihrer Beſitzthü - mer eine kleine Recognition zahlen. Für jeden, der der Wiedertaufe verdächtig war, mußten, wenn er in die Stadt wiederaufgenommen werden wollte, 400 Gulden Bürgſchaft geſtellt werden. Cleve und Cöln ſuchten einen die Reaction mildernden Einfluß auszuüben; namentlich mißbilligten ſie den Plan, eine Feſtung in der Stadt anzulegen;1Handlung auf dem Tag zu Nuyß, 1535 15. Juli. Sie wandten ein, dazu gehoͤre die Einwilligung von Kaiſer und Reich; es laufe wider die Privilegien der Stadt, man ſolle lieber den Wall ſchleifen und die Graͤben fuͤllen. wir wer - den ſpäter ſehen, welche Entwürfe dieſe beiden Fürſten in Hinſicht der Religion hegten; der Biſchof ſollte ſich im Voraus ihnen anzuſchließen verſprechen. Auch eine Reichs - deputation forderte wenigſtens eine Wiederherſtellung der Stadt in ihre alten Rechte. Allein daran ließ ſich nun nicht mehr denken. Biſchof, Capitel und Ritterſchaft waren zwar nur durch die Hülfe ihrer Nachbarn von dem äußer - ſten Verderben gerettet, und in Kraft eines Reichsſchluſſes war das Heer zuſammengebracht worden, das ihnen den560Sechstes Buch. Neuntes Capitel.Sieg verſchaffte, aber die Verwaltung des Reiches hatte bei weitem nicht Energie genug, nun auch die Sache ſelbſt in ihre Hand zu nehmen. Vielmehr benutzten Capitel und Ritterſchaft die Gelegenheit, die bürgerliche Selbſtändigkeit der Stadt, die ihnen längſt verhaßt geweſen, nunmehr voll - ſtändig zu unterdrücken. Trotz jener Einrede ward doch beſchloſſen, eine Feſtung in Münſter zu errichten und zwar auf Koſten der Stadt ſelbſt: die Hälfte ihrer Einkünfte ſollte dazu dienen; der Befehlshaber der Feſte ſollte aus der einheimiſchen Ritterſchaft genommen, nur mit Einwilligung von Capitel und Ritterſchaft ernannt werden, auch die - ſen ſeinen Eid leiſten1Bei Kerſenbroik finden ſich articuli de propugnaculo die in der deutſchen Ruͤckuͤberſetzung nicht ganz richtig lauten. Z. B. §. 4 neque hic sine capituli et nobilitatis consensu inauctora - bitur neque exauctorabitur; die Ueberſetzung: er ſolle ohne Einwil - ligung des Capitels weder ein noch abgeſetzt werden. und den Befehl führen, ſelbſt wenn der Fürſt zugegen ſey. Auch der Rath der Stadt ſollte von dem Fürſten in Zukunft mit Beirath des Capitels und der Ritterſchaft ernannt werden. Hatte ſich die Stadt einſt der Einwirkung von Adel und Geiſtlichkeit ſchon bei - nahe entzogen gehabt, ſo geſchah nun in Folge des Auf - ruhrs, daß ſie derſelben aufs neue unterlag. Capitel und Ritterſchaft ſetzten ſich bei weitem mehr als der Fürſt in Beſitz der Gewalt; noch Biſchof Franz ſollte ſpäter ihre mächtige Oppoſition erfahren. Es verſteht ſich gleich - ſam von ſelbſt, daß bei dieſem Gange der Dinge auch der Katholicismus in aller ſeiner Strenge wiederhergeſtellt ward.

Indeſſen war auch über den gefangenen König und ſeine Räthe, Knipperdolling und Krechting bereits Gericht561Johann v. Leiden im Gefaͤngniß.gehalten worden. Der König zeigte ſich anfangs ſehr trotzig, dutzte wohl den Biſchof, ſcherzte mit denen, die ihm ſeine Vielweiberei vorwarfen, vermaß ſich, daß er die Stadt nie - mals aufgegeben haben würde und wären alle ſeine Leute an Hunger geſtorben. Auch in dem erſten Geſpräch, das ein paar heſſiſche Theologen mit ihm hielten, zeigte er ſich eher ſtarrſinnig. Aber gar bald ließ er ſelbſt ein zweites fordern, wo er denn bemerkte, daß ſie alle in Münſter vom tauſendjährigen Reiche nichts gewiſſes gewußt, erſt im Gefängniß ſey ihm die Einſicht davon gekommen; er erklärte nun ſelbſt den Widerſtand, den er der Obrigkeit geleiſtet, für unrechtmäßig, die Vielweiberei für übereilt, ja ſelbſt die Kindertaufe für eine Pflicht. 1Geſprech oder Disputation Antonii Corvini und Johannis Kymei mit Johann v. Leiden. Gleichzeitiger Wittenberger Druck. Im Bogen G findet ſich ein Bekenntniß von Johann v. Leiden mit miner eighene hand ondertekent. Er verſprach, wenn man ihn zu Gnaden annehme, mit Melchior Hof - mann und ſeinen Frauen alle Täufer zum Stillſchweigen und zum Gehorſam zu bewegen. Er blieb in dieſer Stim - mung, auch als er ſchon wiſſen konnte, daß ſie ihm nichts helfen werde. Dem Caplan des Biſchofs geſtand er ein, wenn er den Tod zehnmal leiden könne, ſo habe er ihn zehnmal verdient. Knipperdolling und Krechting dagegen zeigten ſich überaus hartnäckig; ſie erſcheinen der theologi - ſchen Streitfragen lange nicht ſo kundig, wie Johann von Leiden, von minder durchgebildeter, aber um ſo unbeug - ſamerer Ueberzeugung; ſie blieben dabei, nur den Weiſun - gen Gottes gefolgt zu ſeyn. Sie wurden ſämmtlich verur -Ranke d. Geſch. III. 36562Sechstes Buch. Neuntes Capitel.theilt, auf dem Markt von Münſter mit glühenden Zangen gezwickt und ſo vom Leben zum Tode gebracht zu werden. 1Des muͤnſteriſchen Koͤnigreichs an und abgang, Bluthandel und End; Samſtag nach Sebaſtiani Anno 1536. Vorn ſieht man den Lambertithum, mit eiſernen Koͤrben, in denen die entſeelten Lei - ber aufgeſtellt wurden, der Koͤnig etwas hoͤher als die beiden an - dern. Das Schriftchen iſt nichts als eine Geſchichte der Execution.

Proteſtanten und Katholiken ſahen der Execution zu, welche ihre vereinten Anſtrengungen hervorgebracht. Aber in welcher Stimmung waren ſie ſchon wieder. Einer je - ner heſſiſchen Theologen beſchreibt dem ſächſiſchen Hofpre - diger das Vergnügen, das die Hinrichtung den Meßprie - ſtern gemacht. Einigen aber, fügt er hinzu, ſchien zur vol - len Genugthuung nur das zu fehlen, daß die Lutheraner nicht auch auf ähnliche Weiſe abgethan wurden. 2Corvinus ad Spalatinum l. 1. 318. Tanto Anabaptistis iniquior sum, quanto certius comperi illorum malitia factum esse, ut vix mutire nunc audeant, qui antea veritati erant addictissimi. Die Lutheraner verbargen ſich nicht, daß für ihre Lehre nun hier zunächſt keine Ausſicht weiter ſey.

Auf die Wiedertäufer hatte dieſer Ausgang die Wir - kung, daß die Prinzipien des Aufruhrs, wiewohl ſie noch immer Verfechter fanden, doch nach und nach verlaſſen wur - den und die mildere Auffaſſung den Platz behielt. Es leuch - tet wohl ein, daß ihnen das nicht ſogleich viel helfen konnte: ſie wurden nichtsdeſtominder ſehr ſtrenge und blutig verfolgt.

Dieſen ſpätern Zeiten gehören die Lieder an, die aus ih - ren Geſangbüchern von Zeit zu Zeit bekannt geworden ſind. Darin leſen wir wohl, wie ſie ſich auf beiden Seiten im Kam - pfe mit falſchen Schlangen fühlen; der Drache hat ſich aufge - macht und durchreitet in ſeinem Neide Deutſchland; aber ſie563Spaͤtere Wiedertaͤufer.ſind entſchloſſen, ſich weder vom Feuer noch Waſſer noch Schwert ſchrecken zu laſſen; ſie wiſſen, daß Gott ſeine rei - nen Kinder retten kann, daß er auf jeden Fall die Seele behütet, ſollte das Fleiſch auch bluten. Ihnen gegenüber erſcheinen Tyrannen vom burgundiſchen Hofe, nehmen Männer und Frauen gefangen und legen ihnen Glaubens - fragen vor. Sie zeigen ein einfach-ſtandhaftes Gemüth, ſie wollen den nicht verläugnen, der das ewige Gut iſt und den Glauben an ihn mit ihrem Blute beſiegeln. 1Vgl. das Lied des gefangenen Wiedertaͤufers, die zwei Jung - frauen von Beckum: O lieber Vater und Herzog mild, in den Muͤn - ſterſchen Geſchichten und Sagen p. 277 f.Und ſo müſſen ſie dann nach dem Gefängniß wandern. Sie ſind glücklich, denn ſie ſehen ſich von den himmliſchen Heerſchaa - ren, den Märtyrern, umgeben, ſie erblicken Gott in der Gnadenſonne, und wiſſen wohl, daß Niemand ſie von ihrem Vaterlande bannen wird, welches bei Gott iſt. Sie ziehen verwandte Ereigniſſe herbei, Wunder der älteſten Märtyrer - geſchichte, die ſie in ihrem Sinne betrachten. 2Vgl. Pura, im Wunderhorn I, 146, und Algerius ebenda p. 353.Endlich aber bereiten ſie ſich, ſich als Schlachtopfer auf den Altar zu legen, nach der Richtſtätte gebracht zu werden; die klare Fontaine des göttlichen Wortes tröſtet ſie mit der Hoffnung, den Engeln gleich zu werden. 3Abſchied vom Leben M. Geſch. u. S. 284.

In Deutſchland konnten ſie es höchſtens in ihren mil - deſten Formen zu einer Art von Duldung bringen.

In demſelben Augenblick aber, wo ſie in Münſter eine ſo große Niederlage erlitten, hatten ſich Viele an Deutſch -36*564Sechstes Buch. Neuntes Capitel.land verzweifelnd nach England gewendet. Hier nahm un - ter den Stürmen des ſiebzehnten Jahrhunderts das bapti - ſtiſche Weſen nicht allein eine höchſt merkwürdige Form an, wie denn z. B. in der Lebensweiſe der Quäker ſich gar vieles von dem wiederholt, was Juſtus Menius an den deutſchen Wiedertäufern verwarf, ſondern es eröffneten ſich ihnen auch die nordamerikaniſchen Colonien. Wofür in ei - ner conſtituirten Geſellſchaft, auf welche ihr Verſuch nur zerſtörend wirken konnte, kein Platz war, das ließ ſich dort, in einer ganz von neuem einzurichtenden Welt eher ausführen. In Providence und Penſylvanien haben die Ideen der Wiedertäufer, in wie fern ſie von religiös-ſittli - chem Inhalt waren, erſt ihre Entwickelung gefunden.

[565]

Zehntes Capitel. Der Bürgermeiſter Wullenweber in Lübeck.

Die wiedertäuferiſchen Unruhen waren nicht die ein - zigen, welche den regelmäßigen Gang der deutſchen Reform bedrohten. Aus denſelben Quellen entſprangen noch an - dre Bewegungen, die ſich zwar in ſehr abweichenden Rich - tungen ergoſſen, aber nicht minder gefährlich werden zu wollen ſchienen.

Bei der empöreriſchen Stimmung, die ſich in den Städten ſchon ſeit dem Anfang des Jahrhunderts kund ge - geben, bei dem großen Antheil ferner, den die Gemeinden an dem Durchſetzen der Reform nahmen, konnte es, wie wir ſahen, gar nicht anders ſeyn, als daß ſich demokra - tiſche Regungen mit den religiöſen vereinigten und durch - drangen.

Es war jedoch das Prinzip der deutſchen Reform, das Politiſchbeſtehende zu ſchonen. Bei weitem in den mei - ſten Städten behielten die geſetzmäßigen Obrigkeiten den Platz. Von den größern waren es im Grunde nur zwei, in denen die alten Räthe vollkommen unterlagen, Münſter und Lübeck.

566Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dahin aber warfen ſich nun auch die vorwärtsdrän - genden Tendenzen, das Neue ſuchend, mit aller Kraft.

In Münſter, wo die Geiſtlichkeit von jeher vorge - herrſcht, kam es zu dem theokratiſch-ſocialiſtiſchen Verſuche den wir eben beobachteten.

Eine geiſtige Bewegung aber, der man ihren Lauf läßt, wird allemal die eigenthümlichſten Triebe des Orga - nismus, den ſie ergreift, in Thätigkeit ſetzen. In Lübeck, im Mittelpunkte der Hanſe, gab es andre Intereſſen, kauf - männiſch-kriegeriſcher Art; und eben dieſe waren es nun, welche hier von dem demokratiſch-religiöſen Geiſt auf das lebendigſte angeregt wurden; es kam in Lübeck zu nicht viel weniger merkwürdigen Ereigniſſen, als in Münſter, obwohl ſie von ganz anderer Natur waren.

Um ſie aber zu verſtehn, haben wir uns erſt auf dem Boden umzuſehen, wo ſie ſich bewegen.

Dann erinnern wir uns zuvörderſt, daß die Macht der alten Hauſe auf zwei Momenten beruhte, erſtlich der Vereini - gung der ſämmtlichen deutſchen Küſtenſtädte von Narwa nach Brügge unter ſich, ſodann dem Verhältniß der Superiorität, in das ſich die mittlern von ihnen, die ſogenannten wendi - ſchen Städte, zu den ſkandinaviſchen Reichen geſetzt hatten.

Noch in dieſem Jahrhundert war Skandinavien für den geſammten Handel von der größten Wichtigkeit. In gleichzeitigen Verzeichniſſen wird aufgezählt, was die Ge - birge der großen Halbinſel, die Ebene der Vorlande, und das Meer, das ſie umgiebt, dem Verkehr liefern, das Eiſen und Kupfer von Schweden, die Pelterie des Norder - und die Maſten des Süder-Landes von Norwe -567Verhaͤltniſſe zwiſchen Daͤnemark u. der Hanſe.gen, die Produkte der Viehzucht und des Landbaues von Dänemark, der Gewinn, welchen dann vor allem der Fang des Herings abwirft, mit welchem das ganze nördliche Deutſchland bis nach Schwaben und Franken verſorgt wird, endlich der Vortheil, den die Herrſchaft über den Sund gewährt. 1Summarium von allem was die drei Reiche Denemark, Schweden und Norwegen an whare und anderm vermuͤgen, im Ar - chiv zu Bruͤſſel.

Wie nun aber überall Regierungen aufkamen, welche die natürlichen Hülfsquellen ihrer Länder ſelber zu benutzen dachten, ſo finden wir ſchon lange die nordiſchen Könige und Gewalthaber in Widerſtand gegen das Uebergewicht der Städte.

Das würde jedoch ſo viel noch nicht zu ſagen gehabt haben, hätte der Bund ſich nicht ſelber entzweit. In der Fehde, in welche die wendiſchen Städte 1427 mit dem Unionskönig Erich geriethen, ſonderten ſich die Niederlän - der von denſelben ab, ließen ſich beſondere Privilegien ge - ben und verfolgten ein eigenthümliches Intereſſe. Zwar war Lübeck in dem funfzehnten Jahrhundert noch ſtark ge - nug, ſie nicht die Oberhand gewinnen zu laſſen, aber es vermochte doch auch nicht, ihren Einfluß auf den Oſten völlig zu unterdrücken.

Indem ſich der letzte Unionskönig Chriſtiern II mit der Schweſter Carls V vermählte, hatte er nicht allein die Abſicht, ſich politiſch mächtige Verbündete zu verſchaffen, ſondern auch für ſeine Handelsentwürfe in den Niederlän - dern einen nachhaltigen Beiſtand zu erwerben.

Es hängt ſehr gut zuſammen, daß Chriſtiern bei ſei -568Sechstes Buch. Zehntes Capitel.nem Unternehmen auf Schweden von den Niederlanden her namentlich durch die Ausſteuer der burgundiſchen Prinzeſſin unterſtützt wurde, und gleich darauf, allen Verträgen zum Trotz, die Privilegien der Hanſe zu ver - letzen begann. Hanſiſche Kaufleute wurden in Schonen angehalten, Schiffe die von Riga kamen, aufgebracht, un - gewöhnliche Zölle aufgelegt. Der Sinn der Königs wäre geweſen, ſich ganz von Lübeck zu cmancipiren, Kopenha - gen zum großen Stapelplatz des nordiſchen Handels zu er - heben. Die Seeſtädte glaubten nicht anders, als daß der König gegen Brief und Siegel und alle ſeine Gelübde al - lein nach dem Verderben der Seeſtädte trachte.

Es iſt bekannt, wie kühn ſich Lübeck dagegen zur Wehre ſetzte. Nach Schweden ſendete es dem Unionskö - nig einen Gegner, vor welchem ſein Geſtirn verbleichen ſollte, Guſtav Waſa, und unterſtützte ihn mit ſeinen beſten Kräften. Als Stockholm ſich demſelben unterwarf, wurden die Schlüſſel der Stadt den beiden Rathsherrn eingehändigt, welche die lübiſche Flotte führten; dieſe überlieferten ſie dann dem neuen König, der ihnen dagegen in eben dieſen Tagen einen herrlichen Freiheitsbrief zugeſtanden hatte. 1Regkmann luͤbiſche Chronik, ſonſt nur eine Wiederholung des Bonnus, hat hier einen eigenthuͤmlichen beſtaͤtigenden Zuſatz.

Einen nicht viel geringern Antheil nahm die Stadt an dem Umſchwunge der Dinge in Dänemark. Als Frie - drich von Holſtein die ihm von den Großen dieſes Reiches angebotene Krone angenommen, und ſich nach Kopenha - gen begab, begleitete ihn ein lübeckiſches Heer zu Lande, und zur See war ihm eine lübeckiſche Flotte zur Seite.

569Verbindung Daͤnemarks mit Luͤbeck.

Severin Norby, der die Flagge Chriſtierns II noch eine Zeitlang in der Oſtſee wehen ließ, erlag am Ende vor - nehmlich den Anſtrengungen der Lübecker Marine, welche ſeine Schiffe an der Küſte von Schonen verbrannte.

Unaufhörlich bedrohte ſeitdem Chriſtiern ſeine verlaſſe - nen Reiche mit einem Angriff. Er trat mit England in Bund; brachte mit Hülfe ſeiner Verwandten und Freunde Mannſchaften in Deutſchland auf; ſchickte von Seeland und Brabant aus Schiffe wider die Hanſen in See, und da er im Innern der Länder Verſtändniſſe hatte, in den Städten ſich auch fortwährend eine kaiſerliche Partei hielt, ſo ward er immer gefürchtet. Lübeck genoß die erworbenen Privilegien hauptſächlich auch deshalb ſo ungeſtört, weil die beiden Könige die Hülfe der Stadt gegen den drohen - den Feind nicht entbehren konnten.

Und noch enger ward ihre Verbindung, als Chriſtiern dem evangeliſchen Eifer, den er früher bewieſen, zum Trotz wieder zum Katholicismus zurückgetreten war, und nun mit wirkſamer Unterſtützung des Kaiſers auf ſeine Rück - kehr Bedacht nahm. Es liegt zwar am Tage, daß zwiſchen beiden Schwägern nicht immer das beſte Vernehmen obwal - tete. Während Chriſtiern in Friesland rüſtete, ſuchte ein kai - ſerlicher Geſandter eine Vermittelung zwiſchen ihm, König Friedrich von Dänemark und den Hanſen zu ſtiften. - nig Friedrich erklärte, daß er ſich einem ſchiedsrichterlichen Spruch unterwerfen wolle, wenn auch Chriſtiern ſich dazu entſchließe, und vor allem wenn er ſeine Feindſeligkeiten einſtelle: der Geſandte eilte nach Friesland und machte dem verjagten Könige in der That dieſen Vorſchlag. Chri -570Sechstes Buch. Zehntes Capitel.ſtiern aber antwortete ihm nur mit heftigen Klagen, wie viel Jahre er nun ſchon von ſeinem Lande entfernt ſey, und daß er noch nicht dahin zurückkehren, noch immer nicht zu ſeinem Rechte gelangen ſolle. 1Literae Banneri ad Caesarem de gestis apud Vandalicas civitates s. a. Archiv zu Bruͤſſel.Statt ſein Volk auf - zulöſen, rückte er ohne Weiteres in Holland ein. Was man ihm nicht in Güte gewährte, das erzwang er ſich mit Gewalt, Schiffe und Geld. Er wußte, daß der kaiſerliche Hof, wenn auch nicht im gegenwärtigen Augenblicke, doch im Ganzen ſein Unternehmen billigte und demſelben Erfolg wünſchte. Hatte doch der Kaiſer ſich oft genug ſo er - klärt, als halte er die Sache Chriſtierns für ſeine eigne. Niederländiſche Kaufleute unterſtützten den König freiwillig: die Häuſer Frei zu Campen, Schultis zu Enkhuyſen, Bur zu Amſterdam, Rath zu Alkmar werden als die vornehm - ſten Beförderer genannt. Chriſtiern gab ihnen dafür glän - zende und vortheilhafte Freibriefe. So gingen ſie am 15. October 1531 zu Medenblik in See.

Die Lübecker verſicherten beim ſchmalkaldiſchen Bunde: es ſey dabei auch zugleich auf eine Zerſtörung des Prote - ſtantismus abgeſehn, mit allen Biſchöfen ein Einverſtänd - niß geſchloſſen. König Friedrich verſprach, mit ſeinen Erb - landen in den ſchmalkaldiſchen Bund zu treten, wenn we - nigſtens die vornehmſten Mitglieder deſſelben, Sachſen, Heſ - ſen und Lüneburg eine weltliche Einung auch in Bezug auf ſein Wahlreich2Denn ſo iſt die bisherige Annahme zu modificiren. Fuͤ - gen E. L. ganz freundlich zu wiſſen, ſagt Koͤnig Friedrich in einem Schreiben am Tage J. Joannis 1531 an Landgraf Philipp, das mit ihm ſchließen wollten. Denn571Chriſtiern II in Norwegen.ſo gut evangeliſch er ſey, ſo werde er doch durch die Macht ſeiner Biſchöfe, deren jeder einen großen Anhang in der Ritterſchaft habe, noch verhindert dieß auszuſprechen.

Wie auf der einen Seite der Katholicismus wirkſam geweſen, ſo ſuchte man auf der andern den kaum entſtan - denen antikatholiſchen Bund in dieſe Angelegenheiten zu verflechten. So weit kam es jedoch noch nicht. Churfürſt Johann wollte von einer zwiefachen Eigenſchaft eines Mit - gliedes nichts hören. Auch war es in der That nicht - thig. So wie nur König Friedrich den Lübeckern in Hin - ſicht des holländiſchen Handels noch einmal genügende Verſicherungen gegeben, erſchienen vier lübiſche Orlogſchiffe in See, ehe die Dänen ſelbſt ſich gerüſtet. Allerdings war Chriſtiern indeß in Norwegen augelangt, und hatte dieß ganze Reich, bis auf wenig feſte Plätze, ohne Mühe in ſeine Hand gebracht; aber die Lübecker ſuchten jetzt ſeine Schiffe an der Küſte auf und verbrannten ſie; verprovian - tirten Aggerhus, und bildeten den Kern für die größere Macht, die ſich im Mai 1532 ſammelte, Aggerhus ent - ſetzte, und Chriſtiern nöthigte, zu unterhandeln, zu capitu -2wir ernſtlichen wol geneigt, uns mit Ir und unſern lieben Oheimen, dem Churf. v. Sachſen ſamt dem Herzog v. Luͤneburg von unſerer Reich und auch Erblande wegen ſunderlich und allein in eine Einung und Verbuͤndniß weltlicher Sachen Hendel und Thuns halber zu be - geben. Wenn dieß Buͤndniß vollzogen, ſein wir folgend darnach auch nit ungemeint, ſondern wol Gemuͤts und alsdann mit allen an - dern Chf. FF. Graven und Stenden, dem Evangelium anhengig un - ſer Erblande halben allein Einung Verſtand und Verbuͤndniß anzu - nehmen. Der Landgraf hoffte, daß dann auch Hamburg, Roſtock, Wismar Stade eintreten wuͤrden.1Bonnus und Regkmann: mit der Vertroͤſtung, ſie wollen widerumb der Stadt Luͤbeck Beiſtand thun gegen die Hollaͤnder und ihnen hernach nicht vergunnen, mit ſo viel Schiffen durch den Sund zu laufen.572Sechstes Buch. Zehntes Capitel.liren, ſich endlich in die Gewalt ſeines Feindes zu ergeben. So viel ich finde, war es der Abgeordnete von Lübeck, welcher den Rath gab, Chriſtiern auf immer feſtzuhalten.

Und wie das nun eine Niederlage zugleich der Hol - länder war, ſo bekamen dieſe auf der Stelle die Folgen davon zu empfinden. Im Sommer des Jahres 1532 la - gen über 400 Kauffahrer in Holland ſtill; 10000 Boots - leute waren unbeſchäftigt; die Laſt des Getraides ſtieg auf das Doppelte ihres gewöhnlichen Preiſes. 1Wagenaar niederlaͤndiſche Geſchichte II, 423.König Frie - drich hatte ſich, als Chriſtiern noch in Norwegen ſtand, zu einem glimpflichen Vertrage bewegen laſſen; aber eben kraft deſſelben machte er nun auf einen Schadenerſatz An - ſpruch, den er ſehr hoch anſchlug, und den man in den Niederlanden ſich zu zahlen weigerte. Der König entließ die Geſandten der Statthalterin mit einem ſchlechten Be - ſcheide; die Lübecker nahmen die Kirchenſchätze die ſie ein - gezogen aus ihrer Treſekammer und rüſteten damit ein Ge - ſchwader aus, welches ſich im Jahr 1533 in den Sund legte.

Hierauf rüſteten auch die großen Städte in Holland eine Flotte zur Beſtrafung derer von Lübeck, Seiner Ma - jeſtät Aufrührer und Feinde.

Sie erinnerten an die hohe Würde, die ihr Fürſt be - kleidete, gleich als erwachſe ihnen daraus eine größere Be - rechtigung.

Zwiſchen den beiden Theilen der alten Hanſe ſchien es zu einer Entſcheidung mit den Waffen und auf immer kommen zu müſſen: zumal da jene demokratiſche Faction573Wullenweber, Buͤrgermeiſter in Luͤbeck.in Lübeck, deren Emporſtreben während der religiöſen Ir - rungen wir wahrgenommen, jetzt daſelbſt ans Ruder kam und ſich mit friſchem Eifer auf dieſe Angelegenheiten warf.

Bei der Gründung von Lübeck, in den erſten einfa - chen Zeiten, wo man es dort wie in Venedig als eine Laſt anſah, an der Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten Theil nehmen, in Rath kommen zu müſſen, war das Sta - tut gemacht worden, daß es einem Jeden, wenn er zwei Jahr darin geſeſſen, frei ſtehen ſolle, im dritten herauszu - bleiben. 1Des driden Jaers ſol he freye ſin des Rads, men he moͤghe id dann mit Bedde von eme hebben, dat he ſoeke den Rad. Becker II, p. 54. Ich kenne die Gruͤnde nicht, worauf ſich Barthold ſtuͤtzt, wenn er in ſeinem Aufſatz uͤber Wullenweber in Raumers Taſchen - buch 1835 p. 37 das Statut folgendergeſtalt auslegt: es ſolle Nie - mand laͤnger als 2 Jahre im Rathe ſitzen, falls nicht die Buͤrger aus beſondern Gruͤnden auf eine Erſtreckung der Wuͤrde antragen.Seitdem aber hatte man ſich längſt gewöhnt, dieſe Laſt als eine Ehre zu betrachten, und war eiferſüchtig, ſie mit Jemand theilen zu müſſen. Nichtsdeſtominder legte die auf - ſtrebende Faction das Statut dahin aus, daß Niemand länger als zwei Jahr im Rath ſitzen dürfe, das Collegium demnach alle Jahre zum dritten Theil erneuert werden müſſe. Beſonders ward dieſe Auslegung von Georg Wullenweber durchge - ſetzt, einem der Directoren der Hundert Vier und ſechzig; er mochte es für das beſte Mittel halten, ſich unter dem An - ſchein der Geſetzlichkeit der höchſten Gewalt zu bemächtigen; die aufgeregte Bürgerſchaft gab ihm Beifall. Im Februar 1533 ward der Rath erneuert und Wullenweber befand ſich unter den Erſten, die in denſelben eintraten; kaum hatte er 14 Tage darin geſeſſen, ſo ward er (8. März) zum Bürgermeiſter ernannt. Hiedurch erſt ward die Umwand -574Sechstes Buch. Zehntes Capitel.lung der Verfaſſung in Lübeck vollendet. Wullenweber ver - einigte nun die Macht eines Volksoberhauptes und einer geſetzmäßigen Obrigkeit. Es ſchien nicht anders, als werde er den holländiſchen Krieg ſofort mit aller Anſtrengung füh - ren. Zu dieſem Behuf ließ er die großen Kronleuchter aus der Marienkirche wegnehmen und Geſchütz daraus gießen.

Ehe er aber dazu ſchritt, traten Veränderungen ein, welche ſeiner Thätigkeit eine ganz andre Richtung gaben.

Es liegt an und für ſich in der Natur der Dinge, daß die nordiſchen Regierungen des Feindes entledigt, den ſie ſo lange gefürchtet, ſich nicht mehr ſo enge an die ſtäd - tiſche Macht anſchloſſen, welche ſie vor demſelben beſchützt hatte. Sie fühlten jetzt auf neue den Druck, den dieſe ſelbſt ausübte: die Hemmung der eigenen Handelsregſam - keit: in dem Siege Lübecks über Holland konnten ſie un - möglich mehr ſo ſchlechtweg den eigenen Vortheil ſehen. Und war nicht dort jetzt eine demokratiſche Faction zur Herrſchaft gelangt, gegen welche ſie eine natürliche Antipa - thie hatten? Konnte dieſe nicht verwandte Regungen in ihrer eignen Umgebung erwecken?

Dazu kam nun aber, daß König Friedrich im April 1533 zu Gottorp ſtarb und eine ganze Anzahl Prätenden - ten der däniſchen Krone ſich erhoben. Die Söhne Fried - richs, von denen der eine, Chriſtian, proteſtantiſch geſinnt, der andere, Johann, im katholiſchen Glauben erwachſen war, hatten jeder zahlreiche Anhänger, der letztere beſonders in der hohen Geiſtlichkeit. Man verſichert, daß auch ein ent - fernter Verwandter, Churfürſt Joachim von Brandenburg Anſprüche gemacht und Hoffnungen habe hegen dürfen. An -575Richtung Wullenwebers gegen Daͤnemark.dere dachten gar an den Churfürſten von Sachſen. Noch waren die Erinnerungen an Chriſtiern nicht ganz erloſchen; aber ſchon eilte das Haus Oeſtreich an deſſen Statt einen neuen Prätendenten aufzuſtellen, den Pfalzgrafen Friedrich, den der Kaiſer mit der Tochter Chriſtierns vermählte.

In dieſem allgemeinen Schwanken glaubte nun auch Lübeck ein Wort mitreden zu dürfen, und zugleich ſeine Intereſſen wahrnehmen zu können. Wullenweber begab ſich nach Kopenhagen, und wandte ſich zuerſt in den Angele - genheiten des holländiſchen Krieges an die Reichsräthe, doch fand er keinen Anklang. Er wandte ſich an den näch - ſten proteſtantiſchen Prätendenten, Herzog Chriſtian, und trug ihm ſeine Hülfe zur Erlangung der Krone an. Her - zog Chriſtian aber hatte ſo viel Umſicht und Zurückhaltung dieß abzulehnen. Wullenweber ſah wohl, daß es ihm nichts helfen könne mit Holland zu ſchlagen, wenn er indeſſen Dänemark verliere. Er faßte den Gedanken, die Verwir - rung des Moments zu benutzen, und hier zunächſt die Herrſchaft ſeiner Commune, ſeine eigne Herrſchaft zu grün - den, und zwar durchgreifender als jemals. Er glaubte hie - bei auf die Theilnahme einer Partei im Innern und zu - gleich auf die Unterſtützung einer europäiſchen Macht rech - nen zu können.

Ein Theil jener lübeckiſchen Flotte nemlich, die gegen die Holländer in See gegangen, war an die engliſche Küſte gerathen; ihr Capitän, Marcus Meier, hatte ſich an die Küſte gewagt, ohne mit einem Geleitsbrief verſehen zu ſeyn, war aber darüber aufgegriffen und in den Tower gebracht worden.

576Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Es war das zu eben der Zeit, in welcher Heinrich VIII wie wir noch ausführlicher zu erörtern haben, mit dem römiſchen Stuhl vollends gebrochen und ſich ent - ſchloſſen hatte, die Gewalt des Papſtes in ſeinem Reiche auf - zuheben, und ſich auf allen Seiten nach Verbündeten um - ſah, um ſich gegen denſelben zu vertheidigen. Wir haben einen Beſchluß ſeines geheimen Rathes, nach welchem zu dieſem Zweck unter anderm auch eine Geſandtſchaft an die Hanſeſtädte geſchickt, Verbindung mit ihnen angeknüpft wer - den ſollte. 1Propositions for the Kings council bei Strype: Memo - rials ecclesiastical I, 238. Statepapers I, 411.Bei dem wachſenden Mißverſtändniß mit dem Kaiſer konnte es den Engländern ohnehin nicht gleichgültig ſeyn, ob der däniſche Thron im burgundiſchen Intereſſe beſetzt werde oder in einem entgegengeſetzten. Kein Wunder, wenn der König den Capitän einer Flotte, welche gegen die Nie - derländer in See gegangen, ſtatt ihn zu beſtrafen, an ſich heranzog und mit ihm unterhandelte. So viel wir finden, verſprach ihm Marcus Meier, im Namen ſeiner Partei und ſeiner Stadt, daß kein Fürſt den däniſchen Thron be - ſteigen ſolle, den Heinrich VIII nicht billige; Heinrich zeigte ſich dagegen bereit, Lübeck in ſeinem Unternehmen zu un - terſtützen; er dachte auch den König von Frankreich dafür zu gewinnen.

Ganz erfüllt von dieſem höchſt unerwarteten Erfolg ſeines Zuges kam der Capitän nach Lübeck zurück.

Marcus Meier hatte früher zu Hamburg das Hand - werk eines Hufſchmidts getrieben; ſpäter hatte er ſelbſt Kriegsdienſte genommen. Er diente zuerſt in jenem aben -577Marx Meier.teuernden Heer, das Chriſtian II in Friesland zuſammen - brachte, nach Holland und dann nach Norwegen führte. Hier gerieth er in Gefangenſchaft, allein er benutzte die - ſelbe ſogleich, um ſich Dienſte bei Lübeck zu verſchaffen. Der Zuſtand dieſer gährenden Commune war gerade ein Boden für ihn; er ſchloß ſich an die emporkommenden Häupter der Bürgerſchaft an; ſchon im Jahr 1532 ward ihm die Anführung der zu dem Türkenkriege beſtimmten Mannſchaften anvertraut, und er durchzog auf dem Hin - und Rückweg das deutſche Reich an der Spitze derſelben; dann war er, gleich fertig zu beiderlei Krieg, auf die Flotte gegangen; jetzt kam er, mit einer engliſchen Gnadenkette ge - ſchmückt, zum Ritter geſchlagen, nach Lübeck zurück. Hier fing er nun an eine große Rolle zu ſpielen. Er hielt Pferde und Knechte in Ueberfluß; auf die noch etwas barbariſche Weiſe dieſes Jahrhunderts trat er immer ſo koſtbar wie möglich herausgeputzt einher;1Saſtrow I, 115. er war noch jung, ein ſchöner Mann und tapfer; er gefiel den Augen der vornehmen jungen Bürgerweiber. Indem er ſich bald nach ſeiner Rückkunft mit der reichen Wittwe des vor Kurzem verſtorbenen Bürgermeiſters Lunte vermählte, faßte er Fuß unter den einheimiſchen Geſchlechtern. An ſeinem Vermählungstage holte ihn der Hauptmann der Stadt, von reitenden Dienern umgeben, bei dem Holſteiner Thore ein.

Von jeher war Marx Meier mit Wullenweber in vertrauter Verbindung geweſen; noch enger ſchloſſen ſie ſich jetzt an einander. Auf den Hanſetagen erſchienen ſie an der Spitze eines zahlreichen Gefolges in glän -Ranke d. Geſch. III. 37578Sechstes Buch. Zehntes Capitel.zendem Harniſch, blaſende Trompeter vorauf. Daß das Glück ihnen bisher ſo günſtig geweſen, gab ihnen Ver - trauen auf die Zukunft.

Und vor allem ſuchten ſie nun in Lübeck ſelbſt Her - ren zu werden.

Noch immer ſaßen in dem Rath einige ältere Mit - glieder, und dieſe ſtimmten denn, wie ſich denken läßt, nicht in alle Vorſchläge der Neuerer ein. Oſtern 1834 wur - den ſie geradezu abgeſetzt, wie ſehr dies Verfahren auch ge - gen die Grundſätze laufen mochte, welche Luther predigte. Der Superintendent Bonnus wollte es nicht länger mit anſehn, daß man die Obrigkeit antaſte, abſetze, verweiſe;1Hermanni Bonni Schrift an den unordentlichen Rath, 4. Mai 1536. Bei Starke luͤbeckiſche Kirchenhiſtorie I, Beilage Nr. V. auch er erhielt ſeinen Abſchied.

Ihr nächſtes Ziel mußte hierauf ſeyn in Politik und Krieg freie Hand zu haben; und ſo entſchloſſen ſie ſich, ob - wohl nach einigem Zögern, zu einem Stillſtand mit den Hol - ländern auf vier Jahre, ſelbſt unter der Bedingung der freien Durchfahrt durch den Sund, die Holland forderte.

Und nun konnten ſich alle ihre Gedanken und Pläne nach dem Norden richten, wo die Dinge die günſtigſte Geſtalt für ſie annahmen.

In den däniſchen Städten, ja ſelbſt in der ſchwediſchen Hauptſtadt, gab es eben ſo gut, wie dieſſeit der Oſtſee, Bürgerſchaften, die nach Befreiung von einer ſie beſchrän - kenden Ariſtokratie trachteten.

In Dänemark hatten die Bürger im Laufe der Zeit erkannt, daß Chriſtiern II nicht ihnen zum Heil vertrieben worden war. Alle Erleichterungen, die ihnen dieſer -579Gaͤhrung in Daͤnemark.nig gewährt, wurden nach und nach zurückgenommen. Be - ſonders waren ſie entrüſtet, daß der Adel, der ſo große Vorzüge genieße, ſich auch den Vortheil der Kaufmann - ſchaft anmaaße. 1Schreiben der Gemeinde von Kopenhagen an Koͤnigin Maira 5. Mai 1535 (A. zu Bruͤſſel) fuͤhrt die Gruͤnde aus, weshalb man ſich empoͤrt darum das dieſes Richs Raidt und der Adel uͤber das ſie un - ſern rechten Koͤnig entſetzt, bisher mit manichfaltiger unredlicher, unleidlicher Beſwerung nicht weniger uns denn alle andere Stette und gemeinen Mann im ganzen reich fon unſern chriſtlichen Freihei - ten und Gerechtigkeiten gezwungen, die Kaufmannſchap hinwegge - nommen u. ſ. w. Das letzte Moment fuͤhrt auch Rerum danica - rum chronologia, bei Ludewig Reliquiae MSS. H. p. 70 auf. No - bilitatis osores gravissimi ob negotiationes quas exercebant di - tiores. Die Bürgermeiſter Jorg Mynter zu Malmöe und Ambroſius Bogbinder zu Kopenhagen, beide Deutſche, theilten die demokratiſchen Abſichten Wullenwe - bers vollkommen. Jorg Mynter hatte unter dem Schirme Friedrichs die Reformation in Malmöe eingeführt und wollte ſie nicht wieder unterdrücken laſſen, wie der Reichs - rath vorzuhaben ſchien. Sie verſprachen den Lübeckern, ſobald ihre Orlogſchiffe in der Nähe erſcheinen würden, von dem Reichsrath abzufallen, und ſich offen auf ihre Seite zu ſchlagen. Es ſcheint als ob die Rede davon geweſen ſey, daß beide Städte dem Hanſebunde beitreten ſollten, doch iſt man darüber nicht vollſtändig eins geworden.

Und ſehr ähnliche Abſichten hegte in Stockholm der Münzmeiſter Andres Handſon. Die ganze deutſche Bür - gerſchaft und ein Theil der ſchwediſchen ſcheinen mit ihm einverſtanden geweſen zu ſeyn. König Guſtav hat behaup - tet, unmittelbar ihm ſelber habe man an das Leben gehen37*580Sechstes Buch. Zehntes Capitel.wollen, unter ſeinem Stuhl in der Kirche habe Pulver ge - legen, im Angeſicht der verſammelten Gemeinde habe er in die Luft geſprengt werden ſollen.

Erinnern wir uns nun, daß in allen hanſiſchen Städ - ten, ja in ganz Niederdeutſchland, ähnliche Beſtrebungen ſich regten, und wo ſie auch fürs erſte zurückgedrängt worden, doch keineswegs völlig unterdrückt waren, faſſen wir da - mit zuſammen, welchen Beifall nun nach Weſten hin die Wiedertaufe fand, die das demokratiſche Prinzip nur reli - giös umkleidete, ſo ſehen wir wohl, welche gewaltige Re - gung noch einmal die nordiſch-germaniſche Welt ergriffen hatte. Es iſt eine Gährung beinah wie die des Bauern - aufruhrs, der in Niederdeutſchland nicht hatte eindringen können, ſondern an deſſen Grenzen geſcheitert war. Jetzt aber, 10 Jahre ſpäter, war Niederdeutſchland in einer nicht viel geringern Agitation. Damals, an dem Bauernkriege, hatten ſchon einige Städte Antheil genommen, jetzt waren ſie die Vorkämpfer. Lübeck, wie Bonnus ſagt, eine Hauptſtadt der ganzen Sachſenzunge, gab nur den Ton an. Was ließ ſich erwarten, wenn da die kühnen Demagogen den Platz behielten, ihre Pläne durchführten!

Wie aber einſt die Bauern, ſo konnten auch jetzt die Städte eines ritterlichen Anführers nicht entbehren. Sie gewannen den Grafen Chriſtoph von Oldenburg, der zwar Domherr in Cöln, aber nichts deſto minder ſehr kriegeriſch, nichts deſto minder ein ſehr eifriger Proteſtant war. Sein Lehrer Schiffhower hatte einſt viel Hiſtorien mit ihm geleſen; dann hatte er ſich an den Hof Philipps von Heſſen begeben, mit der kriegeriſch-religiöſen Sinnes -581Chriſtoph v. Oldenb. im Dienſt v. Luͤbeck.weiſe durchdrungen, die dort herrſchte; er hatte die Bauern bekämpfen, Wien befreien helfen; er war nicht ohne in - nern Schwung und ein tapfrer Degen.

Unmöglich aber konnte ein Mitglied des Oldenburgi - ſchen Hauſes die Fehde einiger Bürgermeiſter ohne guten Grund, oder wenigſtens ohne einen Vorwand, der ſich nennen ließ, zu ſeiner eignen machen.

Die Lübecker entſchloſſen ſich zu dem Vorgeben, der gefangene König Chriſtiern, den früher Niemand heftiger gehaßt und wirkſamer befehdet als eben ſie, ſolle durch ſie befreit und auf den Thron geſetzt werden. Eine ge - wiſſe Wahrheit hatte das wohl auch. Es war zunächſt nicht von den mercantilen Intereſſen die Rede, in denen ſich Chriſtiern ihnen entgegengeſetzt, ſondern von den de - mokratiſchen, oder vielmehr anti-ariſtokratiſchen, die er im - mer getheilt hatte. 1Vergl. Hvitfeld G, II Pontanus ap. Westphalen 1144.Aber für jeden Fall ſah man ſich doch ſehr gut vor. Graf Chriſtoph verſprach, wenn er ſiege, den Lübeckern Gothland, Helſingborg und Helſingör zu überlaſſen. Dadurch würden ſie ihr Uebergewicht in der Oſtſee und im Sund auf immer befeſtigt haben. Ja er gab ihnen zugleich die Verſicherung, ihnen König Chri - ſtiern überantworten zu wollen, ſobald er ihn erledigt habe. 2Ausſage Wullenwebers in ſeinem Interrogatorium, beſtaͤ - tigt von Gebhardi II, 135.Welche Gewalt über die drei ſkandinaviſchen Reiche mußte es ihnen verſchaffen, wenn ſie den legitimen König derſelben in ihre Hände bekamen!

Denn auch Guſtav Waſa wollten ſie nicht in Schwe -582Sechstes Buch. Zehntes Capitel.den dulden. Sie dachten darauf, ihm zunächſt den jun - gen Svante Sture entgegenzuſetzen.

Im Mai 1534 erſchien Graf Chriſtoph in Lübeck. Die Abſicht der Lübecker war zunächſt, ſich der Güter des Hochſtiftes zu bemächtigen, die ſie nach dem Tode des Bi - ſchofs völlig einzuziehen gedachten. Chriſtoph nahm ohne viel Mühe Eutin ein. Daß er dann auch holſteinſche Schlöſſer angriff, Trittow, welches er eroberte, und Se - geberg, geſchah wohl nur, um dem Herzog Chriſtian zu ſchaffen zu machen, und indeß, ungeirrt vor ihm, in - nemark zum Ziele zu gelangen. 1Wullenweber verſichert, die Abſicht ſey nur auf Daͤnemark gerichtet.

Unbekümmert über die Kriegsmacht, welche Herzog Chriſtian ſofort aufbrachte, und die Vortheile, die er er - focht, ging Graf Chriſtoph, begierig das größere Werk zu vollenden, am 19. Juni 1534 mit 21 Orlogſchiffen in Tra - vemünde in See.

Und nie fand wohl ein einfallendes Heer ein Land beſſer zu ſeinem Empfange vorbereitet. Der Bürgermei - ſter Mynter kam der Flotte mit der Nachricht entgegen, daß er Malmöe in Aufruhr geſetzt, die Citadelle der Stadt, die er hernach zerſtörte, in ſeine Hand gebracht habe. Hier - auf ging Chriſtoph einige Meilen von Kopenhagen vor Anker. So wie er ſich zeigte, brach der Aufſtand in See - land aus, zu dem alles fertig, und der, wie jener deutſche, zugleich gegen Geiſtlichkeit und Adel gerichtet war. In Ro - ſchild plünderte die Menge den biſchöflichen Hof, und über - lieferte die Stadt. Allerwärts überfiel man die Schlöſſer583Fortſchritte Chriſtophs.des Adels und ſchleifte ſie. Nur um ihr Leben zu retten, entſchloſſen ſich die Edelleute zum größten Theil, ihren al - ten Schwur an Chriſtiern II, und zwar in ungewohnten Formen, zu erneuern. Am 15. Juli ging dann Kopen - hagen über; Laaland, Langeland, Falſter zögerten nicht, dem Beiſpiel von Seeland zu folgen. Es bedurfte nichts als die Ankunft des Grafen in Malmöe, um ganz Scho - nen fortzuziehen. In Fünen konnte es einen Augenblick ſcheinen, als würde der Aufruhr der Bauern, der ſich ſo - fort erhoben hatte, von Reichsrath und Adel gedämpft werden; eine mäßige Hülfe des Grafen reichte jedoch hin, um den Bauern den Sieg zu verſchaffen und den verjag - ten König anerkennen zu machen. Es war nichts übrig als Jütland. Ein Seeräuber des Namens Clemint, der ſich einſt in Malmöe an Graf Chriſtoph angeſchloſſen, überfiel Aalborg und ſammelte die jütiſchen Bauern um ſich, mit denen er den Adel und deſſen ſchwere Reiterei gar bald aus dem Felde ſchlug.

Indem dieſe Nachrichten eintrafen, durchzog der Syn - dicus von Lübeck, Doctor Oldendorp, eines der wirkſam - ſten Mitglieder der Partei der Neuerung, ein Mann von unſtillem Gemüthe, wie der alte Kantzow ſagt, die wen - diſchen Städte, um ſie zur Theilnahme an dieſem Unterneh - men einzuladen. Er war an ſich ein Repräſentant der demo - kratiſchen Intereſſen; und jetzt ſchloß die glänzendſten Aus - ſichten auf, die man jemals faſſen konnte: man kann denken, wie er von dem Volk empfangen ward. Hie und da wi - derſetzten ſich die alten Rathsherren, aber vergeblich. Die Stralſunder ſetzten ihren Bürgermeiſter Claus Smiterlow584Sechstes Buch. Zehntes Capitel.gefangen, führten das Waſſergeſchütz in die Orlogſchiffe und wählten einen neuen Rath. Die Koſten des Krieges ſollten durch gezwungene Beiträge der Reichſten, ohne Zu - thun des Volkes, aufgebracht werden. In Roſtock wur - den die alten Bürgermeiſter mit Gewalt genöthigt, die Kriegsrüſtung gut zu heißen. Alle Städte der umliegen - den Länder faßten Muth zu großen Dingen. Auch Re - val und Riga leiſteten Hülfe. Man hörte von nichts als von Lübeck. Wäre es den Städten gelungen, wie ſie hofften, ſagt Kantzow, es hätte nirgends ein Fürſt oder Edelmann bleiben können. 1Kantzows Chronik von Pommern in der ſorgfaͤltigen Aus - gabe von Boͤhmer p. 211.

Und indeß verſäumten die Lübecker nicht, ihre Ver - bindung mit England zu pflegen. Am 30. Mai ſchickten ſie drei ihrer Rathsherren nach England, um dem König ihre Meinung in ſeiner Streitſache mit dem Papſt zu er - öffnen, ihm ihren Bund wider den Römiſchen Stuhl an - zutragen und ihn zugleich um Beiſtand und Hülfe in ihren eigenen Angelegenheiten zu erſuchen. 2Oratores missi de villa de Lubicke bei Rymer Foedera VI, II, 214. Von einer Fortſetzung der State-papers laͤßt ſich wei - terer Aufſchluß uͤber dieſe Angelegenheit erwarten. Zunaͤchſt iſt merkwuͤrdig, daß der Koͤnig ſich auch mit Hamburg verbinden wollte for the redressing a. amending of the injuries doon to his majestie by the bishop of Rome; es werden ihnen Artikel vergelegt, die ſie annehmen ſollen: z. B. against Goddes prohibi - tions the dispensation of the bishop of Rome or of ans other man is utterlie nought a. of no value; dieſelben die auch den Luͤ - beckern vorgelegt wurden, und außerdem noch einige andere auf das biſchoͤfliche Regiment bezuͤgliche; ſie ſollen dem Koͤnig mit 12 Schif - fen zu Huͤlfe kommen, und ihm fuͤr ſeine Koſten 10000 Mann ver - ſchaffen 3000 M. z. Pf. und 7000 z. F. Abgedruckt in der Report of the Rec. commission app. C.

585Allgemeine Befuͤrchtung.

Wir haben die Abſchrift eines Vertrages in Händen, vom 2. Auguſt 1534, nach welchem ſie dem König noch außerdem freie Dispoſition über die Krone von Däne - mark zugeſtanden, ſollte er ihn nun ſelbſt annehmen wol - len, oder auch nur einen Andern dazu empfehlen,1Wuͤrde er keines von beiden wollen, denn noch hatte er ſich nicht entſchloſſen, ſo verpflichteten ſie ſich, ihm ſeine Anleihe zuruͤck zu zahlen. Alle und itlik Geld, ſo S. K. M. der Stadt thom beſten vorſtrecket. Worte des Vertrages, den mir Herr Dr. Smidt aus dem Bremer Archiv freundlichſt mitgetheilt hat. dieſer dagegen ihnen alle ihre alten Privilegien beſtätigte, ſogleich eine Summe Geldes vorſtreckte, und noch weitere Unter - ſtützung verſprach.

Welchen Eindruck dieſe Ereigniſſe in Europa hervor - brachten, ſehen wir unter anderm aus einem Schreiben des Erzbiſchofs von Lund, in welchem er den Kaiſer auf - merkſam macht, was eine Verbindung der Hanſe mit Eng - land auf ſich habe, wie leicht dann Holland angefallen, ein Aufſtand daſelbſt veranlaßt werden könne, und denſelben zuletzt beſchwört etwas dagegen zu thun. Wenn der Kaiſer ſelbſt ſich durch ſeine Verträge mit dem Hauſe Oldenburg gebunden glaube, ſo möge er den Krieg im Namen Fried - richs von der Pfalz und der jungen Dorothea anfangen. In Lübeck hielt ſich ein gewiſſer Hopfenſteiner auf, früher in Dienſten des Erzbiſchofs von Bremen, der die kaiſerli - chen Miniſter unaufhörlich von der großen Berückſichti - gung unterhielt, welche das kaiſerliche Intereſſe in den Hanſeſtädten noch finde, und eine Unternehmung dieſer Art als ſehr leicht darſtellte. Der Erzbiſchof von Lund erbot ſich im Nothfall den Krieg in ſeinem eignen Namen zu führen. 2Literae Archiepiscopi ad Caesarem, et Dm de Granvella

586Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Ehe ſich aber der kaiſerliche Hof oder die niederlän - diſche Regierung zu einer Maaßregel ſo entſchiedener Art entſchloß, hatten die Lübecker im Norden ſelbſt einen Wi - derſtand gefunden, der ſich ihnen immer gefährlicher ent - wickelte.

Herzog Chriſtian von Holſtein gehörte zu jenen ru - higen norddeutſchen Naturen, welche ſich nicht leicht re - gen, aber wenn ſie einmal dazu genöthigt ſind, ihre Sache mit aller Ausdauer und Umſicht ins Werk ſetzen. Was er vermöge, hatte er ſchon durch die glückliche Einführung der Reformation in den Herzogthümern gezeigt. Er war überhaupt durchdrungen von dem religiöſen und morali - ſchen Elemente der deutſchen Reform. Die lutheriſchen Lieder ſang er ſo eifrig wie irgend ein ehrſamer Hand - werksmeiſter in einer Reichsſtadt. Den Eidbruch belegte er mit neuen geſchärften Strafen. Die Bibel zu leſen, Hiſtorien zu hören, bei Tiſch einen Gottesgelehrten und Staatsmann zu ſprechen, den aſtronomiſchen Entdeckun - gen zu folgen, war ſein Vergnügen. Seine politiſche und kriegsmänniſche Thätigkeit war, wie wir ſehen, nicht ohne guten innerlichen Grund, eine höhere Tendenz. 1Cragius Historia Christiani III, p. 395. Hemming ora - tio funebris ad calcem historiae Cragianae.

Dieſem Fürſten nun hatten die Lübecker Volksführer, wie wir berührten, angeboten, ihn zum König zu ma - chen; er hatte es abgelehnt, weil er ſeine Krone der Ge - walt nicht verdanken wollte; eben ihn hatten ſie dafür2in dem dritten Bande der Reichsdoc. zu Bruͤſſel. Beſonders merk - wuͤrdig das Schreiben vom 1. Aug. 1534, das ich im Anhang mit - zutheilen denke.587Chriſtian von Holſtein vor Luͤbeck.zuerſt angegriffen; er aber, nun erſt aufgeregt und wie von ſeinen Unterthanen, auch den Nordſtrandern, ſo von ſeinen Nachbarn, z. B. dem Landgrafen von Heſſen ernſt - lich unterſtützt, erhob ſich endlich mit Macht ins Feld, um den Lübeckern ihre Feindſeligkeiten zu vergelten. 1Chytraeus Hist. Sax. p. 408.Im September 1534 erſchien er vor der Stadt, und ſchritt, um ſie vom Meere abzuſchneiden, ohne langes Zögern zu dem entſcheidenden Verſuche, die Trave zu ſperren. Marx Meier vermaß ſich, daß ihm das nun und nimmermehr gelingen ſolle. Allein die Anordnungen Meiers bewieſen nur ſeine Untüchtigkeit in einem ernſtlichen Kampfe. Die Holſteiner nahmen zuerſt die Ufer der Trave bei Trems - mühle in Beſitz; dann ſetzten ſie ſich auch an dem gegen - überliegenden auf dem Burgfelde feſt, und nun verbanden ſie beide durch eine Brücke, welche den Fluß wirklich ſchloß. Die Lübecker vermochten mit keiner Anſtrengung weder auf dem Fluß noch zu Lande die Brücke wieder zu erobern; vor den Augen ihrer Weiber und Kinder wur - den ſie zu wiederholten Malen geſchlagen, auch noch einige andere wichtige Punkte mußten ſie aufgeben. Die Stadt, die den Norden an ſich zu bringen beſchäftigt war, ſah ſich unmittelbar vor ihren Thoren von der See abgeſchnitten.

Vor allen Dingen nun mußte ſich Lübeck von dieſer nächſten Feindſeligkeit befreien. Schon zeigten ſich Miß - verſtändniſſe in der Stadt; die Bürgerſchaft war unzufrie - den, die Hundertvierundſechszig dankten ab, ſelbſt in dem Rath fanden die Gewalthaber neuerdings Widerſtand. Sie mußten zu Unterhandlungen mit Holſtein ſchreiten, wobei588Sechstes Buch. Zehntes Capitel.ſie ſchon nicht mehr ganz nach ihrem Gutdünken verfah - ren durften. Wir ſind weder über jene Bewegungen noch über dieſe Unterhandlungen hinreichend unterrichtet; nur ergiebt ſich, daß man ſowohl über die däniſchen, wie über die holſteiniſchen Verhältniſſe verhandelte und ſich ziemlich nahe kam. Chriſtian ſchien zu einigen Conceſſionen ge - neigt, und Wullenweber behauptet, er würde auf dieſelben Frieden geſchloſſen haben, hätte ihn nicht Doctor Oldendorp daran verhindert. So geſchah, daß man ſich nur über die holſteiniſchen Angelegenheiten verſtand; die Lübecker gaben heraus, was ſie noch von Holſtein in Beſitz hatten. Aber ein ſonderbarerer Friede iſt wohl nie geſchloſſen worden: indem man ſich über Holſtein vertrug, behielt jeder Theil ſich vor, den andern in den däniſchen Angelegenheiten mit aller Kraft zu bekämpfen. 1Mit dem Interrogatorium Wullenwebers ſtimmt die Chro - nik Regkmanns, wenn man ſie nur genau anſieht, p. 176, ſehr gut uͤberein. Nur finden ſich bei Regkmann noch einige Vermuthungen, z. B. von den Feinden Wullenwebers ſey ihm nicht gegoͤnnt wor - den, daß Luͤbeck durch ihn groͤßer werden ſollte.

Auch für dieſe ward nun die Perſönlichkeit des Her - zogs Chriſtian entſcheidend.

In den Bedrängniſſen, in welche ſich die däniſchen Stände durch Angriff von außen und Empörung im Innern geſetzt ſahen, hatten ſie ſich endlich, obwohl nicht ohne ſtarken Widerſpruch von der geiſtlichen Seite, entſchloſſen, den Herzog zu ihrem König zu wählen.

Dadurch geſchah nun einmal, daß alle Befürchtun - gen der Proteſtanten, die in dem Reiche ſchon ſehr ſtark waren, gehoben wurden. In ihrem Manifeſte hatten die Lübecker die Einführung der reinen Religion als den vor -589Koͤnig Chriſtian III in Daͤnemark.nehmſten Zweck ihres Unternehmens bezeichnet. Man ſieht leicht, daß das keinen Sinn mehr hatte, und alle Sym - pathie, die ſie aus dieſem Grunde finden konnten, wegfiel.

Aber überdieß trat nun auch ein ſo wackrer Mann als Vertheidiger der däniſchen Intereſſen auf. Wie er im Lager vor Lübeck vielleicht einiges nachgegeben hätte, ſo ließ er ſich auch noch ſpäter zu glimpflichen Bedingungen her - bei, er hätte den Lübeckern wohl ihre Privilegien aufs neue erweitert;1Nach einem Schreiben von Hopfenſteiner 20. Jan. 1535 verſprach der Koͤnig 1) gute Unterhaltung des gefangenen Chriſtiern 2) Zufriedenſtellung des Grafen Chriſtoph; 3) Erſtattung von dem was Luͤbeck bei ſeines Herrn Vaters Zeiten auf das Koͤnigreich Daͤnemark verwandt hat. 4) In den Koͤnigreichen Daͤnemark und Norwegen ſo wie dem Fuͤrſtenthum viel mehr Freiheit und Gerech - tigkeit, als ſie bisher gehabt, und ſogar einige Staͤdte zum Unter - pfand, jedoch ſie daran nicht gewullt. allein ſie wollten über das Reich, über die Krone ſelbſt verfügen; nur mit dem Schwert konnte Wider - ſtand geleiſtet werden. Ohne Zeit zu verlieren, wandte ſich Chriſtian mit ſeinen ſiegreichen Truppen von Lübeck nach Jütland. Noch im December 1534 gelang es ihm Aal - borg wieder zu nehmen, die ganze Provinz in Frieden zu ſetzen. Seine beiden Schwäger, der König von Schwe - den und der Herzog von Preußen, rüſteten für ihn, jener zur See und zu Lande, dieſer wenigſtens zur See. Auch ſein Schwager, der Herzog von Pommern, ſendete ihm Hülfsgelder, die eben im rechten Moment anlangten. Ein paar heſſiſche Fähnlein waren ſchon vor Lübeck bei ihm geweſen und zogen mit ihm nach Norden. In einem großen Theil von Norwegen war er bereits anerkannt.

590Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Dagegen nahmen auch die Lübecker nochmals alle ihre Kräfte zuſammen.

Es gelang ihnen, einen benachbarten Fürſten, Herzog Albrecht von Mecklenburg, für ihre Sache zu gewinnen.

Herzog Albrecht, der die Partei des abgeſetzten und gefangenen Chriſtiern mit großer Anhänglichkeit gehalten, hat ſpäter erklärt, er habe keine Beſtallung von Lübeck dazu angenommen, ſein Beweggrund ſey nur geweſen, daß er es löblich und gut gefunden, einen chriſtgeſalbten - nig zu erledigen, der wider Brief und Siegel im Ge - fängniß gehalten werde. 1Erklaͤrung Albrechts Montag nach Reminiscere 1537 (A. z. Br.).Man hat geſagt, es ſey ihm dafür die Krone von Dänemark, oder ſogar von Schwe - den verſprochen worden. So ganz unbedingt war dieß wohl nicht der Fall. Nach den Ausſagen Wullenwebers verſprach man ihm nur, ihn dabei zu ſchützen, was er von König Chriſtiern ſich verſchaffe. 2Interrogat.Doch mögen wohl auch beſtimmtere Ausſichten aufgeſtellt worden ſeyn; nach Hopfenſteiner wäre3Hopfenſteiner 26. Nov. 1534, wo die Unterhandlungen ſchon im Gange waren. Die Ausſicht, Mecklenburg zu gewinnen, trug wohl das meiſte dazu bei, daß man die Erbietungen Chriſtians von ſich wies. Wullenweber verſichert, daß er weder jenen Frieden ge - hindert, noch auch Herzog Albrecht geworben, ſondern daß dieß durch Andere geſchehen ſey, ſo haͤngt es ſehr gut zuſammen. die Meinung der Lübecker geweſen, wenn König Chriſtiern befreit werde, ſolle Herzog Al - brecht gleichwohl Regent in Dänemark bleiben, der König vielleicht in Lübeck nach ſeinem Range unterhalten werden, und ſie alle die Vortheile genießen laſſen, die ſie ſchon591Ueberkunft Albrechts von Mecklenburg.immer in Anſpruch genommen, Helſingör und Helſing - borg, mit dem Zoll, Gothland, vielleicht ſelbſt Calmar und ſchwediſche Bergwerke. Herzog Albrecht ging am 9. April von Warnemünde in See. Es war als wollte er immer in Dänemark bleiben. Seine Gemahlin, die guter Hoff - nung war, ſeinen Hof, ja ſelbſt Jäger und Hunde, um der Jagdluſt in den dichten Wäldern von Dänemark auf deutſche Weiſe zu genießen, führte er mit ſich. Für die Lübecker war es ein Gewinn, daß ein nahmhafter Reichs - fürſt, von nicht unbedeutendem Gebiete ſich ihrer Sache auch jetzt noch annahm. Dadurch bekamen die däniſchen Städte wieder Muth und Zutrauen. Auch einige eigne Kräfte warf er mit in die Wagſchale und ſie mußten nicht alles allein thun. Wullenweber, der mit dem Herzog gegangen, bewirkte, daß Graf Chriſtoph, trotz anfänglichen Mißbeha - gens, ſich doch am Ende mit ihm verſtändigte. Bald darauf führte ein neues Geſchwader lübiſcher Schiffer fer - nere Verſtärkung unter den Grafen von Hoya und von Teklenburg herbei.

Und indeß hatte auch Marx Meier, der nach Scho - nen geſendet worden, ſich dort wacker geregt. Er führte da einen ſeiner verwegenſten Streiche aus. Das Unglück, in Gefangenſchaft zu gerathen, benutzte er, um eben das Schloß, wo man ihn feſthielt, Warburg in Halland, in ſeine Hände zu bringen.

Wir ſehen: die beiden Parteien mochten einander wohl gewachſen ſeyn, vielleicht hatte die ſtädtiſche lübiſche noch immer die größere Anzahl von Leuten.

Die Frage war nicht mehr, wie vielleicht früher,592Sechstes Buch. Zehntes Capitel.ob die kirchliche Reform Dänemark ergreifen würde; de - ren Schickſal war durch die Thronbeſteigung eines prote - ſtantiſchen Königs hinreichend geſichert. Die Frage war vielmehr, ob die Durchführung der kirchlichen Reform mit einer politiſchen Umwälzung verbunden ſey, ob jene Erhebung des demokratiſchen Prinzips, die von Lübeck aus ſich über den Norden verbreitet, den Sieg davon tra - gen würde oder nicht; dieſelbe Frage, die, ſeit ſie in den karlſtadtiſchen Zeiten zuerſt in Wittenberg ſich geregt, erſt das obere, und nunmehr auch das niedere Deutſchland in Gährung geſetzt hatte, die ſo eben auch in Münſter entſchie - den wurde.

An dieſer entfernten Stelle des Nordens war jetzt die ganze Kraft des demokratiſchen Prinzips vereinigt. Hätte es geſiegt, ſo würde es auf Deutſchland noch ein - mal eine große Rückwirkung ausgeübt haben.

Am 11. Juni 1535, auf Fünen unfern Aſſens bei dem Oxnebirg, wo einſt Odin mit Opfern verehrt worden, Sagen von der Größe des Hauſes Oldenburg, das nur durch ſeine Zwietracht gelähmt worden, ihren Sitz haben, kam es zu dieſer Entſcheidung. Auf beiden Seiten waren Deut - ſche und Dänen. Die königlichen wurden von Hans Rantzau angeführt, der ſich noch den Ritterſchlag von Jeruſalem geholt, ganz Europa durchzogen und wohl noch in höherem Grade als ſein Herr proteſtantiſchen Eifer, Sinn für Cultur und Wiſſenſchaft1Chytraeus: oculus nobilitatis eruditae in his terris ful - gentissimus. Vergl. Chriſtiani N. Geſch. von Schleswig und Hol - ſtein I, 479 II, 54. mit Geſchicklichkeit im Rath und Tapferkeit im Felde vereinigte; die ſtädtiſchen vom Grafen von Hoya. 593Siege Chriſtians III. Rantzau ſiegte, wie Landgraf Philipp bei Laufen, wie die Fürſten im Bauernkrieg, durch die Ueberlegenheit der Reite - rei und des Geſchützes. Er hatte den Vortheil, daß der Feind ihn nicht erwartete, ſondern ſelbſt einen Anlauf machte und dabei in Unordnung gerieth. Die beſten Leute des ſtädtiſchen Heeres fielen; es erlitt eine vollſtändige Nie - derlage. 1Cragius Historia Friderici III, p. 95.

In denſelben Tagen waren auch die Flotten bei Born - holm zuſammengetroffen. Die königliche beſtand zugleich aus ſchwediſchen und preußiſchen, die lübeckiſche zugleich aus roſtockiſchen und ſtralſundiſchen Schiffen. Die Frage war, ob die Fürſten oder die Städte fortan das Meer be - herrſchen ſollten. Die Schlacht hatte ſchon begonnen, als ein Sturm ſie auseinander trieb. Offenbar war darauf die Flotte der Fürſten im Uebergewicht. Der däniſche Ad - miral Skram, der ſie commandirte, nahm allenthalben an den Küſten die lübeckiſchen Fahrzeuge weg.

Hierdurch bekam nun Chriſtian III zu Land und zur See das Uebergewicht. Fünen hatte ſich ihm ſofort un - terwerfen müſſen; er empfing die Huldigung zu Odenſee. Mit Hülfe der Flotte, die gerade in dieſem Augenblick an - langte, ging er dann nach Seeland über; der Adel nahm ihn mit Freuden auf. Die Schoninger huldigten ihm, ſo wie er erſchien. Schon war auch Warburg wieder genommen und zu einem Pfand des Bundes zwiſchen - nemark und Schweden gemacht worden. Im Anfang des Auguſt 1535 war die ſtädtiſche Eroberung wieder auf Mal - möe und Kopenhagen beſchränkt.

Ranke d. Geſch. III. 38594Sechstes Buch. Zehntes Capitel.

Bei alle dem hätte der Beſitz dieſer beiden Punkte wohl noch immer eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme der al - ten Pläne dargeboten, wäre nicht indeſſen in Lübeck ſelbſt die bei der erſten Ungunſt des Geſchickes begonnene Ver - ſtimmung zu einer vollen Umwandlung gereift.

Endlich nämlich griff auch die Reichsgewalt, wie dieß die kaiſerlichen Geſandten ſchon vor zwei Jahren gefordert hatten, ernſtlicher in die innern lübeckſchen Angelegenheiten ein. Ein Mandat des Kammergerichts wies die Stadt an, die ausgetriebenen Bürgermeiſter und alle Rathsglie - der, die ſich ſeitdem entfernt hatten, wiedereinzuſetzen. An und für ſich hätte dieß Mandat wohl noch nichts entſchie - den. Aber es ſprach eine Forderung aus, die ſich jetzt auch in faſt allen andern niederdeutſchen Städten geltend gemacht hatte, und von denſelben unterſtützt wurde. Und vor allem: die Lübecker fühlten ſich geſchlagen; mit ihren weltumfaſſenden Plänen waren ſie auf unüberwindlichen ja ſiegreichen Widerſtand geſtoßen; die Energie der demo - kratiſchen Tendenzen ward durch ihre eigenen Unfälle ge - brochen.

Am 14. Auguſt 1535 rief der Rath die Gemeinde zu - ſammen, und legte ihr das kammergerichtliche Mandat vor. Wohl nicht ohne Abſicht ward hiezu der Augenblick gewählt, in welchem Wullenweber auf einer Geſchäftsreiſe nach Meklenburg begriffen war. Die Gemeinde überzeugte ſich zuerſt, daß in dem Mandat nicht von der Herſtellung der alten Kirchenformen die Rede ſey; hierauf erklärte ſie ſich bereit, demſelben Folge zu leiſten und alle Neuerun -595Umſchwung der Dinge in Luͤbeck.gen in weltlichen Dingen abzuſtellen. Bei der nächſten Rathsſitzung, erhob ſich Georg von Hövelen, den man wider ſeinen Willen zum Bürgermeiſter gemacht hatte, und ſetzte ſich an ſeine alte Stelle unter den Raths - herren. Die von der Gemeinde eingeſetzten Rathsher - ren ſahen ein, daß auch ſie unter dieſen Umſtänden ſich nicht behaupten würden; ſie verließen den Rathsſtuhl und verzichteten auf ihre Würde. Wie ſehr erſtaunte Wullenweber, als er zurückkam und dieſe durchgreifende Veränderung geſchehn fand! Schon länger beſaß er die Gunſt der Gemeinde, die ihn früher gehoben, nicht mehr; kein Verſuch, ſie wieder zu erwerben, hätte ihm Nutzen ſchaffen können; auch er mußte abdanken. Von den Bür - gern zurückgerufen, von 150 alten Freunden, und den Ge - ſandten von Cöln und Bremen, denn eben war die die Hanſe beiſammen eingeholt kehrte Nicolaus Brömſe zurück. 1Becker Geſchichte von Luͤbeck, aus Reimar Kock und Lam - bert von Dalen. II, 91 95.Es ward ein Receß gemacht, kraft deſſen die Lehre des Evangeliums beibehalten, aber auch der Rath in ſeine alten Gerechtſame wieder hergeſtellt werden ſollte. Das lutheriſche Prinzip, das ſich mit einer Umge - ſtaltung der geiſtlichen Verhältniſſe begnügte, die weltlichen aber, ſo weit es irgend möglich war, beſtehen ließ, behielt auf die letzt auch hier den Platz.

Es liegt wohl am Tage, daß ſich nun keine eifrige Fortſetzung des däniſchen Krieges weiter erwarten ließ. Der Bergefahrer Gert Korbmacher, der noch einer Unter -38*596Sechstes Buch. Zehntes Capitel.nehmung nach dem Sund beiwohnte, berichtet mit Un - muth, wie wenig Ernſt dabei bewieſen worden.

Wie ſchlecht aber auch immer, ſo ging der Krieg doch fort; zuweilen knüpften ſich ſogar neue, weitausſehende Plane daran.

Wenn man das Verhör Wullenwebers lieſt, ſo ſollte man für unläugbar halten, daß er ſelber noch einmal daran gedacht habe, ſeine Sache wiederaufzunehmen. Es ſtanden damals einige Haufen Landsknechte unter dem Oberſten Uebelacker, im Namen des Grafen von Oldenburg zu - ſammengebracht, im Lande Hadeln. Zu denen machte ſich Wullenweber auf den Weg. In ſeinem Verhör hat er ausgeſagt, ſeine Abſicht ſey geweſen, dieſe Truppen bei Boitzenburg über die Elbe und unverweilt vor die Mauern von Lübeck zu führen; ſeine Anhänger würden ihm das Mohlenthor eröffnet, er würde den Rath geſtürzt, und das entſchiedenſte demokratiſche Regiment, ja die Wiedertaufe eingerichtet haben. Schon in dem Verhör erſcheinen je - doch dieſe Pläne als noch nicht völlig gereifte Gedanken;1Artikel 31 ſagt er: ſie haben die Handlung des Widdertaufs nit genzlich beſchloſſen, ſonder eins wuͤrde das andre wol gebracht haben. vor ſeinem Tode hat ſie Wullenweber vollends abgeleug - net; namentlich hat er alle perſönliche Anſchuldigungen vor Mitwiſſenſchaft, welche man ihm abgepreßt hatte, zu - rückgenommen. Es iſt ſchwer, ein Bekenntniß zu verwer - fen, das doch in ſeinem weſentlichen Theil ohne die Qual der Tortur abgelegt worden, aber ganz unmöglich iſt es ſich auf eine Ausſage zu gründen, die der Angeklagte im Mo - mente ſeines Todes widerrufen hat. Und ſo mögen dieſe597Ausgang Wullenwebers.Pläne auf immer dahingeſtellt bleiben. Sie konnten keinen andern Erfolg haben, als den, welchen ſie wirklich hat - ten. Wullenweber gerieth, wovor er gewarnt worden, auf der Reiſe in die Gewalt eines ſeiner bitterſten Feinde des Erzbiſchofs von Bremen, der ihn, weil er als ein geiſtlicher Herr ſeine Hände nicht mit Blut beſudeln wollte, ſeinem Bruder, dem Herzog Heinrich von Braunſchweig überließ. Da eben ward Wullenweber jenem Verhör un - terworfen,1In Regkmanns Chronik iſt eine Nachricht uͤber ſeine letzte Anklage und Hinrichtung, mit ein paar Briefen aus ſeinem Gefaͤng - niß abgedruckt. Sonderbarer Weiſe iſt dergeſtalt die Entſchuldigung aber nicht die Anklage bekannt geworden. Dieſe, die in dem Ver - hoͤr enthalten iſt, gedenke ich im Anhang mitzutheilen. Dieſes Verhoͤr das ich im Weimar. Arch. unter den Wolfenbuͤttelſchen Papieren fand, iſt mir im Ganzen doch ſehr erwuͤnſcht und nuͤtzlich geweſen. Nur einige wenige Puncte und eben die zweifelhafteſten hat Wullenweber unter der Pein der Tortur bekannt. Dagegen iſt vieles andere ohne unmittelbaren Bezug[auf] die peinliche Anklage, mehr hiſtoriſcher Na - tur, und es wird hie und da durch weniger gewuͤrdigte Stellen der Chroniſten oder vergeſſene Documente auffallend beſtaͤtigt. Es ver - ſteht ſich von ſelbſt, daß ich nichts angenommen, was Wullenweber vor ſeinem Tode wieder gelaͤugnet hat. von Dänemark und Lübeck zugleich angeklagt, und weil er nicht alles ableugnete, was man ihm vor - warf, in den Formen des alten deutſchen Rechtes zum Tode veurtheilt. Das ehrliche Land fand das Recht, daß er nicht ungeſtraft dürfe gethan haben, was er gethan. Er ward enthauptet und dann geviertheilt.

Wullenweber ſtellt recht eigentlich den verwegenen Geiſt in ſich dar, der ſich in den deutſchen Bürgerſchaften je - nes Jahrzehends regte. Er hatte angefangen, wie ſo viele andre Volksführer in andern Städten; das Talent, eine leicht angeregte Bürgerſchaft nach ſeinem Sinne zu lenken,598Sechstes Buch. Zehntes Capitel.und die natürliche Kraft des politiſch-religiöſen Intereſſes trug ihn bis auf eine Stelle empor, wo er ſich vermeſſen durfte, ſelbſtändig unter die Mächte der Welt einzugreifen. Er kannte keine Mäßigung; Unfälle hatten ihn nie vorſich - tig gemacht; noch einmal rief er den Geiſt der alten Hanſe auf, überredete deutſche Fürſten zu ſeinen Kriegen, trat mit fremden Königen in Bündniß. Demokratiſche, religiöſe, mer - cantile und rein-politiſche Motive durchdrangen ſich in ihm; er faßte die Abſicht, das reformirte Lübeck zum Oberhaupt des demokratiſirten Nordens zu machen; er ſelbſt wäre an das Ruder dieſer umgeſtalteten Welt getreten. Damit über - ſchritt er aber zugleich den Kreis der Ideen, durch welche die deutſche Reformation gediehen war; die Kräfte die er an - griff, waren ihm doch zuletzt zu ſtark; die Niederlagen, welche die Demokratie überall erlitten, wirkten auch auf ſeine Vaterſtadt ein; ſo verlor er den Boden unter ſeinen - ßen; er gerieth ſeinen Feinden in die Hände. Da er den Norden nicht erobern konnte, ſo geſchah ihm, daß er auf dem Schaffot umkam.

Es iſt überhaupt eine merkwürdige Generation, die wir hier in Kampf verwickelt finden. Kühne Demagogen, die ſich ſelber eingeſetzt, und zähe Patricier, die ihre Sache keinen Augenblick aufgeben: Fürſten und Herren, die den Krieg im Kriege ſuchen; andere dagegen, welche ein ſehr beſtimmtes Ziel feſt ins Auge faſſen und mit beharrlichem Entſchluß verfolgen; alles kräftige gewaltſame, ein allge - meines Intereſſe mit dem beſondern Vortheil verknüpfende, hoch ſtrebende Naturen. Zwiſchen ihnen, keinem andern an Fähigkeiten nachſtehend, der alte König, dem von599Allgemeines VerhaͤltnißRechtswegen das Meiſte von dem gehörte, worüber ſie ſich ſtreiten; deſſen Name noch zuweilen wie ein Schlacht - ruf im Getümmel erſchallt, der aber die Sünden ſeiner Jugend in einem ewigen Gefängniß büßt. Der Sieg warf ſich dahin, wo die meiſte Kraft war. Weder diejeni - gen konnten ihn davontragen, welche ihre Sache doch nicht durchaus ſelber verfochten, noch auch die, welche ſich an Beſtrebungen angeſchloſſen, die ihnen fremd waren; der Sieg ward dem zum König ernannten Herzog zu Theil, der mit aller Anſtrengung für ſich ſelber focht, und der durch ſeine Politik mit dem Beſtehenden und der Vergangenheit, durch ſeine Religion mit dem Fortſchritt und der Zukunft verbündet war. Alle Umtriebe auswärtiger Mächte ſchei - terten. Im Jahre 1536 nahm Chriſtian III wir wer - den noch ſehn, unter welchen Combinationen ſeine Haupt - ſtadt ein und behielt den Platz.

Abſehend aber von den Perſönlichkeiten darf man auch wohl ſagen, daß das Unternehmen von Lübeck nicht mehr an der Zeit war. Jene großen Gemeinſchaften, welche im Mittel - alter alle Staaten durchdrangen und verbanden, deren Ein - richtung gerade zu den bezeichnendſten Eigenthümlichkeiten je - ner Periode gehört, waren jetzt in voller Auflöſung begriffen. Einem allumfaſſenden Prieſterorden, einem Ritterthum, das den geſammten abendländiſchen Adel in eine Art von Zunft verband, zur Seite, konnten auch ſtädtiſche Bünde den An - ſpruch machen, ihre Handelsmonopolien über nahe und ferne Reiche auszudehnen. Allein mit jenen mußten auch dieſe fallen. Das Prinzip der neuern Geſchichte zielt auf eine gegenſeitige Unabhängigkeit der verſchiedenen Völker600Sechstes Buch. Zehntes Capitel.und Reiche in allen politiſchen Beziehungen. Es lag ein welthiſtoriſcher Widerſpruch darin, daß Lübeck, indem es ſich von der Hierarchie losriß, doch die Oberherrſchaft ſei - nes Handels behaupten wollte, und zwar nicht durch das natürliche Uebergewicht der Betriebſamkeit, des Capitals oder der Waare, ſondern durch erzwungene Staatsverträge.

Man dürfte aber nicht glauben, daß dadurch nun auch der Einfluß Deutſchlands auf den Norden zerſtört wor - den ſey. Im Gegentheil ward er, aber nur auf eine freiere Weiſe, auf dem geiſtigen Gebiete jetzt erſt wahrhaft ſtark. Wer weiß nicht, welche Verſuche man in frühern Jahrhun - derten gemacht hat, das Chriſtenthum von Deutſchland aus im Norden einzuführen? Eine nähere Betrachtung lehrt je - doch, daß dieß damals bei weitem mehr von England aus geſchehen iſt. Was nun Anſcharius und deſſen Nachfolger nicht vermocht, eine eigenthümliche religiöſe Verbindung zwi - ſchen Germanien und den nordiſchen Reichen zu ſtiften, das geſchah, wiewohl in einem andern Sinne, jetzt durch die Re - formation. Die Beſeitigung des Einfluſſes von Lübeck ſcha - dete dem Proteſtantismus nicht; kaum hatte Chriſtian III Kopenhagen eingenommen, ſo ſchritt er zur Einführung der Lehre, wie ſie in Deutſchland gepredigt ward, unter der Leitung deſſelben wittenberger Theologen, der ſo viele niederdeutſche Gebiete reformirt hatte, des Doctor Bugenhagen. Dadurch aber, daß dieſe Lehre hier eben ſo raſch und tief wie in Deutſchland Wurzel ſchlug, ward der engſte Zuſammen - hang des geſammten geiſtigen Lebens im Norden mit dem deutſchen begründet. Seitdem haben hier und dort, wie das die nahe Verwandtſchaft der Nationen an ſich begün -601Einfuͤhrung der ſymboliſchen Buͤcher.ſtigt, in der Regel dieſelben Strömungen und Entwickelun - gen der Ideen Statt gefunden. Auch in dem Norden löſte ſich das religiöſe und kirchliche Element von den eigentlich politiſchen Beſtrebungen ab; ſeine Wirkung war nur in den geiſtigen Regionen.

Wir haben daſſelbe Moment in allen Ereigniſſen die - ſer letzten Jahre wahrgenommen.

Zwingli, der mit der Reinigung der Lehre zugleich eine Umbildung des Schweizer-Bundes beabſichtigte, überhaupt die demokratiſchen Ideen beförderte, war gefallen; ſein po - litiſches Unternehmen war mißlungen; in ſeinen letzten Ta - gen, vielleicht Augenblicken konnte er ſich nur noch der Zu - kunft der Kirche tröſten. Das wiedertäuferiſche Treiben, das eine ſo vollkommene Umgeſtaltung der Welt in Ausſicht nahm, war erdrückt, in Deutſchland vernichtet worden. Auch jene allgemeine Bewegung der mittleren Claſſen in den handeltreibenden Städten, die ſich an die Unterneh - mung von Lübeck knüpfte, erreichte ihr Ziel nicht und mußte ſich nunmehr beruhigen. Es war als könne das religiöſe Prinzip, das ſich in ſeiner eigenthümlichen Kraft erhoben, überhaupt keine ſo nahe Verbindung mit der Politik dulden.

Vielmehr war man beſchäftigt, die Lehre vor allen Auslegungen, die auf dieſe abweichenden Bahnen führen könnten, ſorgfältig zu bewahren.

Eben hierin liegt der Grund der Einführung der ſym - boliſchen Bücher bei den Proteſtanten. Um ſich vor der Fortpflanzung anabaptiſtiſcher Meinungen ſicher zu ſtellen, erkannten die Wittenberger Lehrer die Beſchlüſſe der alten Kirchenverſammlungen, in welchen die Dogmen von derRanke d. Geſch. III. 39602Sechstes Buch. Zehntes Capitel.Dreieinigkeit und den beiden Naturen in Chriſto urſprüng - lich feſtgeſtellt worden, aufs neue feierlich an, wie ſie das ſchon in der augsburger Confeſſion ausgeſprochen. Sie hielten für nothwendig, ſowohl bei den theologiſchen Pro - motionen an der Univerſität, als bei den Anſtellungen in der Kirche auf dieſe Lehren zu verpflichten. 1Statuta collegii facultatis theologicae bei Foͤrſtemann lib. decanorum p. 152. Volumus purum evangelii doctrinam, consen - taneam confessioni quam Augustae exhibuimus pie pro - poni; severissime etiam prohibemus spargi haereses, damna - tas in synodis nicaena, Constantinopolitana, Ephesina et Chal - cedonensi, nam harum synodorum decretis de explicatione doc - trinae, de deo patre filio et spiritu sancto et de duabus natu - ris in Christo, nato ex virgine Maria assentimur eaque judicamus in scriptis apostolicis certo tradita esse.

Nicht als hätten ſie namentlich die Confeſſion für eine auf alle Zeit aufgeſtellte Norm erklären wollen. In den Unterhandlungen, welche im Jahr 1535 mit England gepflogen worden, hat man ausdrücklich den Fall für mög - lich erklärt, daß man in Apologie und Confeſſion nach Gottes Wort etwas zu verbeſſern finden könnte. 2Petitio illustrissimorum principum, data legatis sermae re - giae dignitatis 25. Dec. 1535. Der Koͤnig ſoll verſprechen, ſich nach Confeſſion und Apologia zu richten; nisi forte quaedam ex verbo dei merito corrigenda aut mutanda videbuntur Auch läßt ſich, wenn man das Verhältniß zu den Schweizern ins Auge faßt, nicht in Abrede ſtellen, daß die Lehre ſelbſt noch in lebendiger Fortbildung begriffen war. In der Ver - bindung, in welche die Sachſen mit den Oberländern ge - treten, ohne daß dieſe, bei aller Annäherung, ſich doch ganz angeſchloſſen hätten, lag ſchon eine Einwirkung ihres dogmatiſchen Begriffes auf den ſächſiſchen; bald werden wir ſehen, wie ernſtlich man nach dem Ziele einer vollſtändigen Vereinbarung ſtrebte.

603Schluß.

Dem Beiſpiele von Sachſen aber folgten gar bald die niederdeutſchen Städte. Im April 1535 hielten die Pre - diger von Bremen, Hamburg, Lübeck, Roſtock, Stralſund und Lüneburg einen Convent, worin ſie beſchloſſen, daß in Zukunft Niemand zur Predigt zugelaſſen werden ſollte, der ſich nicht auf die geſunde Lehre verpflichte, welche in der Confeſſion und der Apologie enthalten ſey. Nur ſo meinten ſie ſich der Wiedertäufer und anderer Ketzer erweh - ren zu können, welche ſonſt in Staat und Kirche alles in Verwirrung ſetzen würden. 1Bericht von etlicher großen Gemeinen Prediger Unterredung in Schroͤders Evangeliſchem Meklenburg I, 301. qui velut obliti humani nominis omnia sursum ac deorsum miscent tam in repu - blica quam in causa christianae religionis ne dissimula - tione malum irrepat atque magistratus auctoritas labefactetur.

Und entſprach dieß nicht in der That dem Prinzipe, von dem die ganze Bewegung ausgegangen?

Man dachte nicht daran, der Welt neue Geſetze vor - ſchreiben zu wollen; man wollte die Grundlagen des einmal gebildeten politiſchen und bürgerlichen Lebens nicht erſchüt - tern; man wollte ſich nur von einer einſeitigen, verwelt - lichten, und doch eine unbedingte und göttliche Autorität in Anſpruch nehmenden Hierarchie emancipiren.

In dieſem Unternehmen waren nun die großartigſten Fortſchritte gemacht worden; jedoch war es noch lange nicht durchgeführt. Es gab gegenüber noch mächtige Kräfte, welche ſich jeder Trennung entgegenſetzen mußten; wir wer - den noch von ernſten Kämpfen und mannichfaltigem Schwan - ken der Entſcheidung zu berichten haben.

Gedruckt bei A. W. Schade.

About this transcription

TextDeutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation
Author Leopold von Ranke
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

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Bibliographic informationDeutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation Dritter Band Leopold von Ranke. . X, 603 S. Duncker und HumblotBerlin1840.

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ShelfmarkSBB-PK, Ry 108-3
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