PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Deutſche Geſchichte im Zeitalter der Reformation.
Dritter Band.
Berlin,1840.Bei Duncker und Humblot.
[II][III]

Vorrede.

Im Fortgange der Arbeit wurde ich inne, daß ich aus den mir zu Gebote ſtehenden Sammlungen noch immer nicht zu einer ſichern Anſchauung der allge - meinen europäiſchen Verhältniſſe in meiner Epoche gelangen könne.

Und doch zeigte mir jeder Tag aufs neue, welch einen weitgreifenden Einfluß dieſe Verhältniſſe ſo damals wie faſt immer auf den Gang unſerer innern Angelegenheiten ausgeübt haben.

Wie hätte es auch anders ſeyn können, in einer Zeit, wo ein Kaiſer regierte, dem ſo viele andere Länder gehorchten, und deſſen Politik bei weitem mehr von den Geſichtspunkten beſtimmt ward, die ihm ſeine perſönliche, allgemeine Lage an die Hand gab, als von deutſchen Intereſſen? Bei der ins Einzelne gehenden Darſtellung, die ich unternommen, mußte ich wünſchen, ſeine Beziehungen zu den mäch -* 2IVVorrede.tigeren Fürſten von Europa in jedem Moment ſo ge - nau wie möglich zu kennen.

Um nun dem Mangel, den ich empfand, abzu - helfen, beſuchte ich im Herbſt 1839 Brüſſel. Hier in einem Hauptſitz der burgundiſchen Macht durfte ich hoffen, Denkmale nicht allein ſeiner provinciellen, ſondern auch ſeiner allgemeinen Staatsverwaltung zu finden.

Glücklicherweiſe hatte mir ein durch germaniſchen Eifer ausgezeichneter Beamter des dortigen Archivs auf das trefflichſte vorgearbeitet. Eine Reihe ver - geſſener Papiere aus dem ſechszehnten Jahrhundert war vor kurzem aufgefunden, in Ordnung gebracht, und unter dem Titel: Documens relatifs à l’hi - stoire de la réforme religieuse in 25 prächtigen Bänden aufgeſtellt worden. Da fanden ſich nun Correſpondenzen zwiſchen Carl V und ſeinem Bru - der, zwiſchen den beiden Brüdern und ihrer Schwe - ſter Maria, Regentin der Niederlande, die auf alle europäiſchen Angelegenheiten Bezug nahmen; An - weiſungen an ihre Bevollmächtigten in Deutſchland, Dänemark, der Schweiz, der Türkei und deren Be - richte; Aufſätze, zuweilen von Granvella in der Mitte der Geſchäfte entworfen; eine Fülle von mehr oder minder wichtigen Literalien über die Beziehun - gen der niederländiſchen Regierung, wie zu ihren übrigen Nachbarn, ſo denn auch zu deutſchen Für -VVorrede.ſten und Feldhauptleuten. An vielen Stellen, wo mir noch Zweifel übrig geblieben, ſah ich die Noti - zen, die wir Bucholz verdanken, oder meine eignen ältern Sammlungen auf das erwünſchteſte ergänzt. Wie hätte ich aber vollends hoffen dürfen, die in Weimar unterbrochene Arbeit in Brüſſel fortſetzen zu können? Als Carl V den Churfürſten Johann Friedrich bei Mühlberg gefangen nahm, fielen auch deſſen Papiere in ſeine Hände, und er nahm ſie nach den Niederlanden mit. Sie bilden jetzt den 7ten, 8ten und 9ten Band der bezeichneten Samm - lung. Ich durchlief die mir wohlbekannten Schrift - züge der Canzlei Johann Friedrichs mit um ſo grö - ßerer Genugthuung, da ich unerwartet zwar ſehr einfachen, aber doch unentbehrlichen Aufſchlüſſen über die Kataſtrophe des ſchmalkaldiſchen Bundes begegnete.

Neben dem Kaiſer wirkte aber auch deſſen Ne - benbuhler, der König von Frankreich, der ihm einſt die Krone ſtreitig gemacht, unaufhörlich auf Deutſch - land ein. So nahe bei Paris konnte ich unmöglich verſäumen, mein Glück auch in den dortigen Samm - lungen zu verſuchen.

Was man in Deutſchland von jeher in die Archive verſchloſſen, hat man früherhin in Frank - reich, wie in Italien, nicht ſelten den Bibliotheken anvertraut.

Die königliche Bibliothek in Paris iſt für dieVIVorrede.neuere Geſchichte, ſo gut wie für ſo viele andere Zweige der Literatur und Gelehrſamkeit eine noch lange nicht erſchöpfte Fundgrube. Nur ſind die Ac - tenſtücke, die ſich in dem Archiv vielleicht in chrono - logiſcher Ordnung beieinander finden würden, in der Bibliothek in verſchiedene Handſchriftenſammlun - gen, zerſtreut. Die Sammlungen: Dupuis, Be - thune, Brienne, Melanges de Colbert, Colbert Cinq Cent mußten für den kleinen Zeitraum, den ich im Auge hatte, ſämmtlich durchgegangen werden. Die Ausbeute war in der Regel nur fragmentariſch, aber immer ſehr willkommen. Dann und wann boten ſich auch zuſammenhängende Correſpondenzen dar; z. B. Caſtillon’s von dem engliſchen Hofe, Ma - rillac’s von dem kaiſerlichen die man mit eben ſo viel Vergnügen wie Belehrung ſtudirt. Von Ma - rillac fand ich auch zuletzt noch eine Art Finalrela - tion, die ich im Anhange mitzutheilen denke.

Bei dieſem Reichthum der Bibliothek können nun aber die Archive für jene Zeiten nicht ſo er - giebig ſeyn, wie man ſonſt erwarten dürfte. Der Vorſteher des Archivs der auswärtigen Angelegen - heiten verſicherte mich, daß ſich für meinen Zweck nichts von Belang darin finde. In den dem allge - meinen Gebrauch zugänglichen Archives du ro - yaume war auch wirklich für die deutſch-franzö - ſiſchen Angelegenheiten nur eine Nachleſe zu hal -VIIVorwort.ten. Dagegen giebt es dort andere Documente von unſchätzbarem Werth. Es iſt bekannt, daß ein Theil des Archives von Simancas einſt nach Frankreich wandern mußte. Nach dem Frieden iſt das Meiſte davon zurückgegeben worden; anderes jedoch, na - mentlich alles was ſich unmittelbar auf Frankreich bezieht, daſelbſt zurückgeblieben. Das hat nun we - nigſtens den Vortheil, daß man es leichter benutzen kann. Ich fand hier zu dem, was aus Wien be - kannt geworden, und was Brüſſel mir ſelbſt dar - geboten, gleichſam den dritten Theil: Eingaben von Gelehrten und Staatsmännern: Aufzeichnungen der an dem ſpaniſchen Hof über die Geſchäfte gepflo - genen Deliberationen: Vorſchläge des geheimen Ra - thes und kurze Entſcheidungen, mit der großen und etwas unleſerlichen Handſchrift Carls V an den Rand gezeichnet. Die Hauptſache iſt aber auch hier der ge - ſandtſchaftliche Verkehr; und es machte mir nicht ge - ringes Vergnügen, mit den Briefen der franzöſiſchen Geſandten vom kaiſerlichen Hofe, die des kaiſerlichen vom franzöſiſchen Hofe zu vergleichen: St. Mauris ge - wann mir nicht geringere Theilnahme ab als Marillac.

Wer auch ſonſt nicht eine natürliche Neigung zur Unparteilichkeit hätte, müßte ſich doch durch dieſe nahe Zuſammenſtellung des Entgegengeſetzten aufge - fordert fühlen, einem Jeden ſein Recht angedeihen zu laſſen.

VIIIVorwort.

Indem ich nun den Reichthum dieſer Samm - lungen preiſe, ſo wie die Bereitwilligkeit, mit der ſie mir eröffnet wurden, brauche ich wohl kaum hin - zuzufügen, daß mir doch damit noch lange nicht alle Schwierigkeiten gehoben, alle Zweifel gelöſt worden ſind; immer aber fühlte ich mich weſentlich gefördert, und konnte nun mit um ſo größerer Zuverſicht zu den deutſchen Studien zurückkehren.

Auch für dieſe fand ich in dem reichen und wohlgeordneten Archive zu Düſſeldorf, namentlich für die cleviſch-cölniſchen Sachen, neue und gern mitgetheilte Ausbeute.

Denn bei aller Einwirkung von außen her, kommt doch noch bei weitem mehr auf die ſelbſtän - dige innere Entwickelung der deutſchen Angelegenhei - ten an: wo ſich eigenthümliche Kräfte in ihren ur - ſprünglichen Trieben erheben und geltend machen. Der Zeitraum iſt überhaupt einer von denen, in welchen der große Impuls, der Europa beherrſchte, nicht, wie ſonſt öfter, von außen her auch in Deutſch - land vordrang, ſondern wo er vielmehr von Deutſch - land ausging, und zwar von der ächten reinen Tiefe und eingebornen Macht des deutſchen Geiſtes; von unſerm Vaterland aus ergriff die religiöſe Bewe - gung Europa.

[IX]

Inhalt.

  • Seite
  • Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholiſchen Majoritaͤt. 1527 15301
  • Erſtes Capitel. Schwankungen der allgemeinen politiſchen Verhaͤltniſſe Europa’s10
  • Zweites Capitel. Zeiten der Packiſchen Haͤndel in Deutſchland34
  • Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz54
  • Anfaͤnge Zwingli’s 55. Emancipation der Stadt Zuͤrich vom Bisthum Conſtanz 65.
  • Abendmahlsſtreitigkeit 77. Siege der Reform in der Schweiz 96.
  • Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529102
  • Spaniſcher Katholicismus 109. Verbindung des Kaiſers mit dem Papſt 119.
  • Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im Jahr 1529142
  • Proteſtation 153.
  • Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Pro - teſtanten161
  • Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien187
  • Achtes Capitel. Reichstag von Augsburg im Jahr 1530226
  • Augsburgiſche Confeſſion 241. Confutation 249. Bedrohungen 257. Widerſtand 258. [Vermittelungsverſuch] 275. Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt 291.
  • X
  • Seite
  • Sechstes Buch. Emporkommen des ſchmalkal - diſchen Bundes. 1530 1535297
  • Erſtes Capitel. Grundlegung des ſchmalkaldi - ſchen Bundes302
  • Zweites Capitel. Fortſchritte der Reformation in der Schweiz321
  • Drittes Capitel. Verſuch einer Vermittelung zwiſchen den proteſtantiſchen Parteien339
  • Viertes Capitel. Kataſtrophe der Reformation in der Schweiz352
  • Fuͤnftes Capitel. Reform in den niederdeut - ſchen Staͤdten, Vollziehung des ſchmal - kaldiſchen Buͤndniſſes375
  • Magdeburg 377. Braunſchweig 379. Ham - burg 381. Bremen 382. Luͤbeck 384. Ver - faſſung des Bundes 393.
  • Sechstes Capitel. Angriff der Osmanen. Er - ſter Religionsfriede399
  • Verhandlungen zu Nuͤrnberg 412. Zugeſtaͤnd - niſſe beider Theile 417.
  • Siebentes Capitel. Einwirkung von Frankreich. Reſtauration von Wirtemberg434
  • Achtes Capitel. Fortſchritte der Kirchenrefor - mation in den Jahren 1532 1534469
  • Einrichtungen in den evangeliſchen Laͤndern 471. Irrungen mit dem Kammergericht 477. Re - formation in Wirtemberg 485. Augsburg 487. Anhalt 488. Pommern 490. Weſtfaͤliſche Staͤdte 492.
  • Neuntes Capitel. Wiedertaͤufer in Muͤnſter505
  • Zehntes Capitel. Der Buͤrgermeiſter Wullen - weber in Luͤbeck565
[1]

Fuͤnftes Buch. Bildung einer katholiſchen Majorität. 1527 1530.

Ranke d. Geſch. III. 1[2][3]

In der Einleitung zu dieſer Geſchichte überblickten wir die früheren Schickſale der deutſchen Nation, beſonders in Bezug auf den Kampf der geiſtlichen und der weltlichen Macht. Wir bemerkten wie das Papſtthum nicht allein den Sieg davon trug, ſondern ſich zu einer wahrhaften Gewalt im Reiche und zwar zur mächtigſten von allen erhob; wie aber dann, ſelbſt als es ſich mit dem über - wundenen Kaiſerthum verſtändigt und verbündet hatte, das Reich nicht mehr regiert werden konnte[,]im Innern in Verwirrung und Anarchie gerieth[,]ſein Anſehn nach Außen von Jahr zu Jahr mehr verlor; bis endlich das National - Gefühl, das weiter keinen Raum zu wahrer Thätigkeit fand, ſich nur noch in der allgemeinen Ueberzeugung kund - gab, daß dieſer Zuſtand unhaltbar und verderblich ſey.

In den letzten Decennien des funfzehnten und den erſten des ſechszehnten Jahrhunderts machte man die ernſt - lichſten Verſuche denſelben zu verbeſſern. Wir beobachte - ten in unſerm erſten Buche, wie man die Sache zunächſt von der weltlichen Seite angriff. Die Abſicht wurde ge - faßt, eine zugleich auf kaiſerlichen und ſtändiſchen Berech - tigungen beruhende, vornehmlich aber auf die Mitwirkung1*4Fuͤnftes Buch.der Stände gegründete Reichsgewalt zu erſchaffen: nicht etwa um eine Centraliſation im Sinne ſpäterer Zeiten her - vorzubringen, ſondern nur um die dringendſten Bedürfniſſe zu erledigen, Friede und Recht einzuführen, ſich gegen die Nachbarn zu vertheidigen. Aber man kam damit nicht zum Ziele. Einige Formen der Verfaſſung, welche für die folgenden Zeiten noch von größerer Bedeutung geweſen ſind als für die damaligen, wurden aufgeſtellt: wir ſahen jedoch, wie wenig ſie zu Wirkſamkeit gelangten. Der Er - folg war nur, indem ſo tiefgreifende Umwandlungen ver - ſucht wurden und mißlangen, daß die Nation in allge - meine Aufregung gerieth. Da ein Jeder nur die Be - ſchränkungen fühlte, die man ihm anmuthete, aber von den Wohlthaten der öffentlichen Ordnung nichts gewahr wurde, ſo erhob ſich der alte Geiſt der Gewaltſamkeit und Selbſthülfe noch einmal in aller ſeiner Kraft, nur mit dem merkwürdigen Unterſchiede, daß er jetzt zugleich mit einem lebendigen Sinne für das Gemeinweſen, und einem Wi - derwillen gegen die darin obwaltenden Mißbräuche, der an Ingrimm ſtreifte, verbunden war.

Und in dieſer Stimmung nun warf ſich der natio - nale Geiſt, wie wir in unſerm zweiten Buche ſahen, da es ihm mit einer Umbildung der weltlichen Verhältniſſe nicht gelungen, auf die kirchlichen Angelegenheiten, die At - tribute des Papſtthums, das einen ſo großen Theil der öffentlichen Gewalt im Reiche beſaß. Hier aber traf er mit noch umfaſſendern Regungen des allgemeinen Lebens zuſammen. War das Papſtthum noch immer in ſtrengerer Ausbildung des Particularismus ſeiner Dogmen und Dienſte5Ruͤckblick.und der gewaltſamſten Handhabung derſelben begriffen, ſo regten ſich doch auch innerhalb ſeines Kreiſes Tendenzen der Wiſſenſchaft, die ſich dem herrſchenden Syſtem der Schulen entgegenſetzten, und Bedürfniſſe des religiöſen Gei - ſtes, welche in der Werkthätigkeit der gebotenen Dienſte keine Befriedigung fanden. Das wunderbare Geſchick war, daß eben als der Mißbrauch am ärgſten geworden, dage - gen auch die reine Idee des Chriſtenthums, in Folge eines neuen Studiums der heiligen Bücher in ihrer Urſprache auf das hellſte hervorleuchtete. Alle dieſe Momente wirkten zuſammen. Ein Mann trat auf, der zwar nur die Rein - heit der religiöſen Idee, die ihm zu Theil geworden, auf die er lebte und ſtarb, zu verfechten unternahm, der aber, da man ſie ihm zu entreißen ſuchte, auch die andern Elemente der Oppoſition an ſich zog, wiſſenſchaftliche und nationale, und ihnen einen Ausdruck gab, der von ſeiner Stelle aus die ganze Nation ergriff; niemals hat ein anderer Menſch eine ähnliche Theilnahme bei ihr gefunden. War doch das Papſt - thum ohnehin nicht durch Verfaſſungsformen zu beſchränken. Wollte man der Uebergriffe deſſelben ſich entledigen, ſo mußte man den geiſtigen Grund beſtreiten, aus dem ſie hervorgingen.

Die vornehmſte Frage war dann, welche Stellung die Reichsgewalten in dieſem Kampfe ergreifen würden. Der junge Kaiſer blieb dem alten Syſtem treu; da er aber Deutſchland nach kurzer Anweſenheit verließ, und jene ſtän - diſche Regierung nun zur Ausführung kam, welche man früher beabſichtigt, ſo hing zunächſt alles von der Hal - tung ab, welche dieſe nehmen würde. Wir ſahen in un - ſerm dritten Buche, wie das Reichsregiment nach kur -6Fuͤnftes Buch.zem Schwanken ſich doch unzweifelhaft für Luther entſchied. Als in der Verſammlung der Stände die Rede davon war, die Prediger wenigſtens auf die Schriften der vier älteſten canoniſchen Lehrer der lateiniſchen Kirche zu verpflichten, wußte das Regiment ſelbſt dieß zu verhüten; ſo weit war man davon entfernt, an eine Feſthaltung der im Laufe der ſpäteren Jahrhunderte hinzugekommenen Lehrſätze zu den - ken. Dieſe Regierung faßte überhaupt die großartigſten Abſichten. Durch den Ertrag einer nicht immer wieder von den einzelnen Ständen beizutreibenden Reichsauflage hoffte ſie eigenthümliche Lebenskräfte zu gewinnen. Dann würde ſie die Verwaltung der allgemeinen Angelegenhei - ten, der geiſtlichen ſowohl wie der weltlichen, kraftvoll in die Hand genommen haben. Welch ein Erfolg müßte aus einem Nationalconcilium, wie ein ſolches bereits angeſetzt war, unter ihrer Leitung hervorgegangen ſeyn! Allein zu lange ſchon war man in Deutſchland der Ordnung ent - wöhnt. Weder die Ritterſchaft, noch die Fürſten, noch auch die Stände wollten eine regelmäßige Gewalt empor - kommen laſſen, der ſie hätten gehorchen müſſen. Den Be - ſchlüſſen der Reichstage zum Trotz vereinigten ſich einige Fürſten auf das engſte mit dem Papſt; von Spanien her verbot der Kaiſer jenes Nationalconcilium; die ganze Re - gierung ward geſprengt. Der Bauernkrieg war das Sym - ptom der allgemeinen Auflöſung, die hieraus erfolgte. Auch iſt er nicht durch die Reichsgewalt beſiegt worden, ſondern durch die angegriffenen Fürſten und Stände in ihren beſondern Vereinigungen. An kirchlich-nationale Maaßregeln, wie das Reichsregiment ſie beabſichtigt, war nicht mehr zu denken.

7Ruͤckblick.

Ebendarum aber ließ ſich auch eine Einrichtung der - jenigen Landſchaften, wo die Neuerung durchgedrungen, im Sinne derſelben nicht länger verhindern. Konnte doch der Kai - ſer ſelbſt des Beiſtandes dieſer Ideen nicht entbehren. Bei dem Verſuch die Rechte des Reichs in Italien herzuſtellen, die er Anfangs im Einverſtändniß mit der päpſtlichen Gewalt un - ternommen, gerieth er, wie wir in unſerm vierten Buche er - örterten, allmählig in die bitterſten Irrungen mit derſelben, in denen er bei der Geringfügigkeit der Mittel, die er an - wenden konnte, nie etwas ausgerichtet haben würde, wäre ihm nicht jene populare Entrüſtung wider das Papſtthum, die von Jahr zu Jahr noch gewachſen, zu Hülfe gekommen. Um ſie aber zu benutzen, mußte er ihr Zugeſtändniſſe machen. Es war ein feierlicher Reichstagsſchluß, wodurch den Fürſten und Ständen in ihren Gebieten eine faſt unbedingte religiöſe Autonomie gewährt wurde. Hierauf ging alles Hand in Hand. Während ein deutſches Heer in Italien vordrang, Rom er - oberte, den Papſt daſelbſt zum Gefangenen machte, richtete ſich dieſſeit der Alpen eine große Anzahl fürſtlicher und ſtädti - ſcher Gebiete nach den Grundſätzen Luthers ein; ſie ſagten ſich auf immer von den römiſchen Satzungen los und grün - deten ihre eigenen kirchlichen Organiſationen.

Auf dieſe Weiſe geſchah, daß der Kreis jener Hierar - chien, welche die Welt umfaßten, durchbrochen, in der kraft - vollſten und entwickeltſten derſelben eine neue Bildung ver - ſucht ward, deren Sinn es war, die religiöſe Ueberzeugung aus den reinſten und erſten Quellen zu ſchöpfen und das bürgerliche Leben von dem Uebergewicht einengender, eine bevorzugte Frömmigkeit vorgebender geiſtlichen Inſtitute zu8Fuͤnftes Buch.befreien. Ein Unternehmen, für die Fortentwickelung der Welt von der größten Bedeutung und Ausſicht.

Aber es leuchtet ein, auf wie mannichfaltige Hinder - niſſe man dabei nun auch ſtoßen mußte.

Einmal, wie ſollte es möglich ſeyn, auch unter De - nen, die ſich demſelben anſchloſſen, Verſchiedenheiten der Auffaſſung, Entzweiungen zu vermeiden?

Durfte man ferner wohl verſtändiger Weiſe voraus - ſetzen, daß die thatkräftigen Fürſten, welche die Neuerung vollzogen, ſich in dem neuen Verhältniß ganz ohne Tadel, ohne Gewaltſamkeiten, die dem Zeitalter ſo natürlich gewor - den, bewegen würden?

Vor allem aber, wie ließ ſich erwarten, daß der Geiſt der Alleinherrſchaft, der in der römiſchen Kirche von jeher vorgewaltet, kraft deſſen ſie noch immer eine höchſte Auto - rität über die Welt in Anſpruch nahm, ſich in Verluſte ſo drohender Art finden, nicht alle ſeine Kräfte anſtrengen ſollte, die Abgewichenen wieder herbei zu bringen?

Der Sinn der Nation wäre geweſen, daß der Kaiſer ſeine in Italien erworbene Macht behauptet, ihr dagegen geſtattet hätte, ihre kirchlichen Ideen, womit ſie den Wil - len und das Geheiß Gottes zu vollziehen überzeugt war, durchzuführen. Dazu hätte aber gehört, daß der Kaiſer perſönlich einen lebendigen, und über die Berechnungen der Politik erhabenen Antheil an ihren Ideen genommen hätte. War dies nicht der Fall, wie ſich denn davon keine Spur zeigt, ſo ſtand ſeine eigene Gewalt in viel zu engen und mannichfaltigen Beziehungen zu dem Papſtthum, als daß er lange im Kriege mit demſelben hätte verharren können.

9Lage der Dinge.

Endlich das Reich war ſehr hierarchiſcher Natur; alle die Jahrhunderte daher hatte es ſich unter dem vorherrſchen - den Einfluß des römiſchen Stuhles entwickelt. Da es mit dem Verſuch, eine Regierung zu gründen, welche die Oppo - ſition gegen Rom ſelber durchgeführt hätte, nicht gelungen war, ſo mußten die hierarchiſchen Sympathien ſich noch ein - mal regen. Schon waren, wie berührt, neue Verbindungen mit dem Papſt geſchloſſen, die Biſchöfe waren entrüſtet, daß ſie ihre geiſtliche Gerichtsbarkeit verlieren ſollten.

Es war wohl nicht zu vermeiden, daß Kaiſer und Reich noch einmal die Sache der Hierarchie ergriffen; dann mußte die bitterſten und gefährlichſten Kämpfe eintreten.

In der That ſind Zeiten gekommen, wo es der unter - nommenen evangeliſchen Organiſation nicht anders ergehn zu können ſchien, als alle den früheren Bildungen, welche den Verſuch gemacht, ſich von Rom getrennt zu behaup - ten, aber entweder vernichtet, oder doch auf ſehr enge Gren - zen beſchränkt worden waren.

Dieſe Zeiten haben wir nunmehr zu betrachten: die Schwankungen in denen die Dinge ſich bewegten, den An - griff welcher geſchah, den Widerſtand welcher geleiſtet wor - den iſt.

Die Gründung haben wir wahrgenommen: ſehen wir nun, ob ſie fähig ſeyn wird ſich zu behaupten, nachhalti - gen Einfluß in der Welt zu gewinnen.

Wir gehen aus von den auswärtigen Verhältniſſen, von denen die allgemeine Stellung des Kaiſers beſtimmt ward, und die deshalb, ſo wie er ſich den deutſchen Dingen wid - mete, die größte Rückwirkung auf dieſe ausüben mußten.

[10]

Erſtes Capitel. Schwankungen der allgemeinen politiſchen Verhält - niſſe Europa’s. 1527, 28.

Das Heer Carls V hatte Rom erobert, und welches auch das Bezeigen des Kaiſers geweſen ſeyn mag, als er die Nachricht von dieſem Siege empfing, ſo iſt doch gar nicht zu läugnen, daß er eine Zeitlang ſehr weit ausſehende politiſche Entwürfe daran knüpfte.

Vor Kurzem iſt die Inſtruction bekannt geworden, mit welcher er einen ſeiner Hofleute Pierre de Verey an den Vicekönig von Neapel ſendete. Der Kaiſer bemerkt darin, daß er wohl wünſchte, entweder ſelbſt unverzüglich nach Italien zu gehen oder den Papſt nach Spanien kom - men zu laſſen, um alle Streitigkeiten perſönlich und münd - lich auszugleichen. Und noch immer würde ihm das Liebſte ſeyn, wenn der Vicekönig den Papſt ſicher nach Spanien zu bringen wüßte, nur ſchreckt ihn die Gefahr, daß er etwa unterwegs einem feindlichen Geſchwader in die Hände falle. Unter dieſen Umſtänden erklärt er für das Beſte, den Papſt in ſeine Freiheit auf ſeinen Stuhl wiederherzuſtellen. Aber hören wir unter welchen Bedingungen. Dieſe Freiheit, ſagt11Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.der Kaiſer ausdrücklich, ſey nur zu verſtehen von der geiſt - lichen Amtsführung, und auch in dieſer Hinſicht müſſe man, ehe man ſie ihm gebe, hinreichende Sicherheit haben, daß man nicht von ihm betrogen werde. 1Inſtruction an Pierre de Verey, Baron von Mont St. Vincent excerpirt bei Bucholz Ferdinand III, 97 104. Beſonders p. 101. Haben wir bedacht falls kein Mittel iſt, daß S. H. mit Sicherheit hieher kommen koͤnne, gegen S. Heiligkeit ungeachtet des Vorgefallenen ſo großer Freigebigkeit zu gebrauchen, ihm die Freiheit zuruͤckzugeben und daß er durch die Hand meines Vicekoͤnigs als Repraͤſentanten unſerer Perſon auf ſeinen Stuhl zu Rom wie - derhergeſtellt werde. Aber bevor er in dieſe Freiheit herzuſtellen waͤre, welche zu verſtehen iſt von der geiſtlichen Amtsfuͤhrung, muͤßte unſer Vicekoͤnig ſo gut von ihm verſichert ſeyn in allen Dingen, welche menſchlicher Weiſe und mit weltlicher Macht geſchehen koͤn - nen, daß wir dabei nicht betrogen wuͤrden, und daß wenn derſelbe den Willen haben ſollte, er nicht das Vermoͤgen haͤtte uns Uebles zu thun, damit wir nicht fuͤr ihm Erwieſenes Gute allezeit Nach - theil und Schaden empfiengen, wie die Erfahrung der Vergangen - heit es gezeigt hat. Bucholz ſetzt die Inſtruction 3 Wochen nach dem 30ſten Juni, alſo 21. Juli 1527.Er giebt an, wodurch er ſich geſichert glauben würde: es iſt die Ueber - lieferung der Städte Oſtia und Civitavecchia, Parma und Piacenza, Bologna und Ravenna, endlich auch von Civita - caſtellana. Er fordert, wie man ſieht, alle wichtigern Plätze des damaligen Kirchenſtaats. Denn der Grundſatz des Kai - ſers iſt, daß falls auch der Papſt jemals wieder des Willens ſeyn ſollte zu ſchaden, er doch das Vermögen dazu nicht haben dürfe. Die genannten Plätze will er in ſeinen Hän - den behalten, bis der Papſt ein Concilium beruft, um eine Reformation der Kirche zu bewirken. Abſichten welche den Ideen der deutſchen Nation in der That nicht übel ent - ſprachen[.]Die Kirchenreform die der Kaiſer forderte, war allerdings nicht die lutheriſche, namentlich nicht doctrineller12Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.Natur; er wollte nur die Mißbräuche der Verwaltung ab - geſtellt wiſſen: wie das frühere Könige und Kaiſer ſo oft verlangt, Glapio noch zuletzt in Worms gerathen: aber au - genſcheinlich iſt doch, daß die beiden Gedanken ſich gegen - ſeitig unterſtützen. Ueberdieß aber, welch eine neue Ausſicht für die weltliche Macht des Kaiſers, wenn er den Kirchen - ſtaat bis auf ein ſo fernes unbeſtimmtes Ziel in Händen be - hielt! So hatte Ferdinand vor Kurzem das Bisthum Brixen bis auf eine künftige Vereinbarung beſetzt und die Meinung erweckt, er wolle es auf immer behalten. So überließ in eben dieſem Jahr der Biſchof von Utrecht, durch ſeinen kriegeriſchen Nachbar von Geldern verjagt, alle Rechte der weltlichen Herrſchaft über ſein Bisthum gegen eine jähr - liche Geldzahlung an die niederländiſche Regierung des Kaiſers. 1Die Unterhandlungen von Schoonhoven (October 1527) erhellen aus dem Vortrag in der Verſammlung der hollaͤndiſchen Staͤnde bei Wagenaar II, 349.Nicht anders ſchien es jetzt der größten geiſt - lichen Pfründe dem Kirchenſtaat ſelbſt gehn zu müſſen. Man glaubte, der Kaiſer werde ſeinen Sitz in Rom nehmen, die Weltlichkeit des Kirchenſtaats für ſich behalten und den Papſt abſetzen oder wegführen. Was ſollte man auch denken, wenn der Kaiſer den Herzog von Ferrara einmal ohne Rückhalt aufforderte die Herſtellung der verjagten Dy - naſten im Kirchenſtaat zu unternehmen, der Saſſatelli in Imola, der Bentivogli in Bologna. Der Vicekönig von Neapel hat wirklich dem ſpaniſchen Oberſten Alarcon, dem die Hut des Papſtes in der Engelsburg übertragen war, den Vorſchlag gemacht, denſelben nach Gaëta zu bringen. Alarcon ſchlug es jedoch ab, nicht aus böſem Willen ,13Abſicht Carls V auf den Kirchenſtaat.bemerkt der Berichterſtatter ſondern weil er Gewiſſens - angſt empfand . Gott wolle nicht, ſagte der tapfere Oberſt daß ich den Leib Gottes gefangen führe . 1Schreiben Vereys bei Bucholz p. 110, p. 118.

Es iſt nicht eben allemal nöthig, daß die Pläne einer Macht genau bekannt ſeyen um Widerſtand zu erwecken; dieſelbe Möglichkeit, welche auf der einen Seite den Gedan - ken einer Unternehmung hervorbringt, erzeugt auf der andern auch die Furcht davor, den Entſchluß ſich ihr zu widerſetzen.

Carl V hatte, wie wir uns erinnern, noch mit den mächtigſten Feinden zu kämpfen. Die Liga lag noch in voller ungebrochner Macht gegen ihn zu Felde. So eben hatte der zweifelhafte Freund, welcher ſchon in der letzten Zeit immer zu ihr geneigt, der König von England, ſich ihr auf eine entſchiedene Weiſe genähert. Daß Carl ſich weigerte, denſelben an den Vortheilen des Sieges von Pavia Antheil nehmen zu laſſen, oder die Vermählung zu vollziehn, welche zwiſchen ihm und der engliſchen Prinzeſſin Maria verabredet worden eine Weigerung die ſogar, wofür Heinrich ſehr empfindlich war, einen pecuniären Nachtheil einſchloß, denn eine alte Schuld des Kaiſers hatte als Mitgift angerech - net werden ſollen ſchien dem König Grund genug ſich gänzlich von dem alten Verbündeten zu trennen. Schon am 30ſten April war ein Bund zwiſchen Heinrich VIII und Franz I zu Stande gekommen, als deſſen Motiv ſie die gegenſeitige Zuneigung nennen, welche ihnen die Na - tur, die ſie an Geiſt und Körper ähnlich geſchaffen, einge - pflanzt habe und die durch die letzte Unterbrechung guter Verhältniſſe nur um ſo mehr gewachſen ſey. Sie vereini -14Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.gen ſich darin den Kaiſer durch gemeinſchaftliche Geſandte zur Herausgabe der franzöſiſchen Prinzen unter annehm - baren Bedingungen und zur Befriedigung der engliſchen Geldanſprüche aufzufordern, und wenn er ihrem Vorſchlage kein Gehör gebe ihm ohne Verzug den Krieg anzukündi - gen. 1Traité de Westminster 30 April 1527 Du Mont IV, 1, 476. Wie viel mehr aber mußte nun ihr Kriegseifer durch die Eroberung von Rom entflammt werden. Hein - rich VIII ſagt in der Vollmacht zu neuen Tractaten, die er dem Cardinal Wolſey ertheilt: die Sache des heiligen Stuhles ſey eine gemeinſchaftliche aller Fürſten; nie ſey aber demſelben eine größere Schmach zugefügt worden als jetzt; und da dieſe nun von keiner Art von Beleidigung veranlaßt ſey, ſondern lediglich in ungezähmter Herrſchſucht ihren Grund habe, ſo müſſe man ſolchem ſeiner ſelbſt nicht mächtigen Ehrgeiz bei Zeiten mit gemeinſchaftlichen Kräf - ten begegnen. 2Ad tractandum super quocumque foedere pro resarcienda romanae sedis dignitate commissio regis bei Rymer VI, II, p. 80. Seine erſte Idee war, daß die noch freien Cardinäle ſich in Avignon verſammeln möchten, wo auch Wolſey erſcheinen werde; er rieth gleichſam einen neuen Mittelpunct für die Kirche zu erſchaffen. Da aber die Cardinäle nicht darauf eingingen, ſo verſprachen einander wenigſtens die beiden Könige, in keine Ankündigung eines Conciliums zu willigen, ſo lange der Papſt nicht frei ſey; ſich überhaupt jeder im Intereſſe des Kaiſers verſuchten Anwendung der kirchlichen Gewalt gemeinſchaftlich zu wi - derſetzen. 3Praesertim cum juris naturalis aequitate pensata non proprie a summo pontifice factum dici possit, quod ad aliorumJetzt endlich beſeitigten ſie definitiv die alten15Bund zwiſchen England und Frankreich.Streitigkeiten zwiſchen den beiden Reichen. Wolſey, der zu Amiens erſchienen war, gab in ſeines Königs Na - men alle Anſprüche deſſelben auf die franzöſiſche Krone auf. Als Entſchädigung wurde eine Geldzahlung feſtge - ſetzt, welche dem König Heinrich und allen Nachfolgern deſſelben zu leiſten ſey, ohne Unterlaß, bis zu dem Ab - lauf der Jahre, welche die göttliche Vorſicht dem menſch - lichen Geſchlecht geſetzt hat. Früher hatten ſie ihren An - griff vornehmlich gegen die Niederlande zu richten gedacht; jetzt kamen ſie überein, alle ihre Kräfte nach Italien zu wenden. Heinrich ließ ſich geneigt finden, Hülfsgelder zu zahlen; er hoffte durch eine immerwährende Penſion, die dem Herzogthum Mailand aufzulegen ſey, reichlich dafür entſchädigt zu werden. Vorſchläge die der Kaiſer in die - ſem Augenblick machte, ſo billig ſie lauteten, wurden zu - rückgewieſen. Im Auguſt 1527 erſchien ein neues fran - zöſiſches Heer unter Lautrec in Italien, nahm Bosco, Aleſ - ſandria und das feſte Pavia, an dem jetzt der Widerſtand grauſam gerächt wurde, den es vor dritthalb Jahren ge - leiſtet: im October 1527 überſchritt Lautrec den Po; er wollte nur noch einige Verſtärkungen abwarten, um als - dann in den Kirchenſtaat vorzudringen. 1Schreiben von Angerer 5. Nov. in Hormayrs Archiv 1812, 456. Wir laſſen uns mit Worten aufhalten und die Liga proſe - quirt ihren Sieg. Hab warlich keine Hofnung oder Herz mehr. Ein Schreiben Leiva’s vom 23. October zeigt jedoch, daß der das Herz nicht verloren hatte.

Es wäre ſchon an und für ſich dem Kaiſer ſehr un - angenehm geweſen, wenn der Papſt, mit ihm noch unver -3arbitrium facit captivus, etiamsi verbis diversissimum profiteatur. Traité d’Amiens 18 Août bei Dumont IV, 1, 494. 16Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.ſöhnt, durch dieſes Heer aus dem Caſtell befreit worden wäre; was ſo unmöglich nicht ſchien, da die deutſchen Truppen in Folge ihrer Unordnungen und durch die Krank - heiten des italieniſchen Sommers große Verluſte erlitten hatten und niemals ganz zufrieden waren; aber noch beſonders verdrießlich und unbequem wäre ihm dieß durch einen Gedanken geworden, den König Heinrich gefaßt hatte und mit Eifer ja mit Heftigkeit verfolgte.

König Heinrich VIII war mit Katharina von Ara - gonien, die früher die Gemahlin ſeines Bruders Arthur geweſen, einer Tante des Kaiſers verheirathet. Nicht ohne Dispenſation des Papſtes hatte dieß geſchehen kön - nen. Julius II hatte dieſelbe gegeben, kraft apoſtoliſcher Autorität, jener höchſten ihm verliehenen Macht, welche er verwalte, wie Zeit und Umſtände es erfordern. 1Breve bei Burnet: Collection p. 9. es heißt da: cum matrimonium contraxissetis illudque carnali copula forsan con - summavissetis. Es iſt klar, daß die Dispenſation auch auf dieſen Fall berechnet war.Allein in der Nation ja in der nächſten Umgebung des Königs waren wohl nie alle Scrupel verſchwunden. Ein Spruch im dritten Buch Moſe bedroht Den mit Kinderloſigkeit, der das Weib ſeines Bruders nehme. 2Leviticus XX, 21. Von Johannes dem Taͤufer dem He - rodes in Erinnerung gebracht Marci VI, 18.Eben an dem - nig, dem die Söhne welche ihm Katharina brachte alle bald wieder ſtarben, ſchien ſich dieß zu bewähren. Ob der Papſt von einem Geſetz der Schrift entbinden könne, war ſelbſt bei Thomas von Aquino zweifelhaft; wie viel mehr aber mußten die Reformationsideen, welche auch in Eng - land eindrangen, und von verwandten Fragen ausgegan -17Eheſcheidung Heinrichs VIII. gen waren, dieſen Zweifel verſtärken! Der Beichtvater des Königs ſagte ſchon lange ſeinen Freunden, jene Ehe des Herrn werde nicht bis aus Ende beſtehen. 1Polydorus Virgilius Historia Anglica, Henricus VIII p. 82. Jam pridem conjugium regium velut infirmum labefactatum iri censebat idque clam suis saepe intimis amicis insusurrabat.

Da geſchah nun daß Cardinal Wolſey, der Vertraute des Königs ſich mit dem Kaiſer entzweite. Der Kaiſer hatte ihm einſt in Windſor angetragen ihn zum Papſtthum zu befördern und dann, als der Fall eintrat, wenig oder nichts für ihn gethan. In Spanien hat man immer be - hauptet, Wolſey habe dem Kaiſer dafür ewige Rache ge - ſchworen, er habe ſich gerühmt, einen ſolchen Umſchwung in den Geſchäften hervorzubringen, wie ſeit 100 Jahren nicht Statt gefunden, und ſollte das Königreich Eng - land darüber zu Grunde gehn. 2Respuesta del emperador al cartel presentado por Cla - rençao bei Sandoval lib. XVI, Tom. I, p. 358. So viel iſt gewiß, er faßte die Idee, ſeinen Herrn, auf den, wie wir ſahen, auch ſonſt mannichfaltige Beweggründe wirkten, auf immer von dem Kaiſer zu trennen. Dazu aber war eine Auflöſung der Ehe, durch welche einſt Ferdinand der Katholiſche und Heinrich VIII die Verbindung beider Familien zu verewigen gedacht, vor allem nothwendig. Wir können es Wolſey glauben, wenn er ſpäter vor Gericht behauptete, er ſey es nicht, der zuerſt von der Eheſcheidung geredet: aber eben ſo gewiß iſt, daß er dieſelbe zuerſt ernſtlich in Vorſchlag gebracht hat, und zwar in der bezeichneten Ab - ſicht; er ſelbſt hat das dem franzöſiſchen Geſandten, Jean du Bellai, mit der größten Beſtimmtheit verſichert. 3Depeche de l’evêque de Bayonne, J. du Bellay, 28. Oc -

Ranke d. Geſch. III. 218Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Leidenſchaft, welche der König indeß für ein Hoffräu - lein ſeiner Gemahlin, Anna Boleyn faßte, kam Wolſey zu Stat - ten, doch lag ſie nicht in ſeinem Plan. Er hätte lieber eine fran - zöſiſche Verwandtſchaft an die Stelle der ſpaniſchen geſetzt. Als er in Amiens war, ſagte er der Mutter des Königs, wenn ſie noch Ein Jahr lebe, werde ſie eine ewige Verbindung Englands mit der einen, der franzöſiſchen und eine eben ſo vollkommene Trennung von der andern Seite erleben. Er drückte ſich noch geheimnißvoll aus: er bat ſie, ſeine Worte im Gedächtniß zu behalten, er werde ſie zu ſeiner Zeit daran erinnern.

In dieſer Stimmung kamen ihm die Entzweiungen des Papſtes mit dem Kaiſer eben erwünſcht; in dieſer Ab - ſicht beförderte er die neue Allianz und die italieniſche Un - ternehmung.

Man kann aber denken, wie ein Plan ein Verfahren dieſer Art nun auf den Kaiſer zurückwirken mußte und eine Bemerkung dringt ſich uns auf, die wohl ſehr paradox lautet, aber wenn wir nicht irren eine einleuchtende Wahrheit hat.

Jedermann weiß und wir werden öfter davon zu hören3tobre 1528. Wolſey klagt uͤber einige Maaßregeln der Franzoſen, aus denen erfolgt ſey: totale alienation de Nre dit St. Père avec rompture dudit mariage (der Unterhandlung uͤber die Eheſache). La quelle rompture encore, que la perte de Nre dit St. père ne soit pour rien comptée, est de telle importance, ce dit mon dit Seigneur Legat (Wolſey), que tout homme en pourra juger, qui saura, que les premiers termes du divorce ont eté mis par luy en avant, afin de mettre perpetuelle separation entre les maisons d’Angleterre et de Bourgogne. Schon abgedruckt in Le Grand: Histoire du divorce III, p. 185. Ich habe die Hand - ſchrift (Depesches de Messire J. du Bellay Koͤnigl. Bibl. zu Pa - ris Colbert Vc 468) welche Le Grand benutzt neuerdings durchgeſehn und noch manchen neuen Moment darin gefunden.19Eheſcheidung Heinrichs VIII. haben, wie ſo höchſt verderblich für die Fortdauer des Papſtthums in England der Gedanke jener Eheſcheidung ge - worden iſt. Stellen wir uns aber auf einen höheren Stand - punkt, faſſen wir die allgemeinen Verhältniſſe ins Auge, ſo können wir uns dagegen auch wieder nicht verhehlen, daß die die Abſicht Heinrichs VIII in Beziehung auf das übrige Eu - ropa der päpſtlichen Herrſchaft in dieſem entſcheidenden Au - genblick ſogar Vortheil gebracht hat. Der Kaiſer, der eine ſo gebieteriſche, ja gewaltſame Haltung gegen den Papſt an - genommen, ward nun doch inne, daß derſelbe, auch noch in ſeinem Gefängniß, etwas zu bedeuten habe und ihm eine em - pfindliche Beleidigung zufügen könne.

Der Kaiſer hörte gegen Ende Juli 1527 von der Sache. In der Inſtruction für Verey vom 21ſten dieſes Monats findet ſich, wenn wir uns auf unſere Auszüge verlaſſen können, noch keine Spur davon: ſchon vom 31ſten aber haben wir einen Brief des Kaiſers, der ſich ausdrücklich damit beſchäf - tigt. Er trägt darin dem Vicekönig auf, mit dem Papſt von der Sache zu reden, aber vorſichtig, damit ſie dieſer nicht als Mittel zu unheilvollem Verſtändniß mit dem König ergreife. Carl hätte gewünſcht, daß der Papſt den Plan durch ein paar verbietende Breven an den König und den Cardinal ſofort niedergeſchlagen hätte. 1Excerpt dieſes Schreibens bei Bucholz III, 94 Note.

Es ſpringt in die Augen, welch ein bedeutendes Ge - wicht zu Gunſten des Papſtes dadurch in die Wagſchale ge - worfen wurde, daß der Kaiſer deſſelben in einer ſo wichti - gen häuslichen Angelegenheit bedurfte.

Dazu kam nun aber auch, daß das Gefangenhalten2*20Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.des oberſten Prieſters in Spanien keinen günſtigen Eindruck machte. Die Großen des Reiches, die ſich am Hofe be - fanden, ſowohl weltlichen wie geiſtlichen Standes, nahmen Gelegenheit, mit dem Kaiſer darüber zu ſprechen, ihn an die Ergebenheit der ſpaniſchen Nation gegen den römiſchen Stuhl zu erinnern. Der Nuntius durfte den Gedanken hegen, die kirchlichen Functionen in Spanien einſtellen zu laſſen; die Prälaten ſollten in Trauer gekleidet vor dem Kaiſer erſcheinen, um den Vicarius Chriſti von ihm zu fordern. Es gehörte ein unmittelbares Einſchreiten des Hofes dazu, um eine Manifeſtation ſo auffallender Art zu verhindern. 1Castiglione 10. Dez. 1527, bei Pallavicini lib. II, c. 14.

Unter dieſen Umſtänden konnte der kaiſerliche Staats - rath nicht mehr ſo ſchlechtweg bei jenen erſten Inſtructio - nen ſtehen bleiben. Gattinara meinte, man dürfe den Papſt nicht gefangen halten, wenn man anders in ihm den wahren Papſt ſehe. De Praet machte darauf aufmerk - ſam, daß man die in Rom liegenden Truppen zur Verthei - digung des Königreichs Neapel brauche, und ſie nur dann wegführen könne, wenn man den Papſt befreit habe. Er rieth die Ausführung der Inſtruction durch den vielbedeu - tenden Zuſatz: ſo viel als thunlich, zu ermäßigen. Der Staatsrath beſchloß, daß der Papſt auf jeden Fall befreit werden müſſe. 2Notiz bei Bucholz III, p. 119.

In dieſem Sinne ward nun auch bereits durch den Franciscaner-General degli Angeli mit dem Papſt verhan - delt. Unglücklicherweiſe beſitzen wir keine nähere Nachricht21Befreiung des Papſtes.über den Gang der Unterhandlung. Wir haben nur den Vertrag, der am 26. November zu Stande kam, kraft deſ - ſen der Papſt nun nicht allein in ſeine geiſtliche Amtsfüh - rung, ſondern auch in ſeine weltliche Gewalt wiederherge - ſtellt werden ſollte. Der Kaiſer begnügte ſich mit der Ueber - lieferung einiger wenigen feſten Plätze, Oſtia, Civitavecchia, Civitacaſtellana. Der Papſt verſprach ein Concilium zur Einigung und Reformirung der Kirche zu berufen und zur Befriedigung des Kriegsvolkes ſo viel als möglich beizu - tragen. 1Vereinigungsbrief zwiſchen Papſt Clemens und Carl V bei Reisner p. 155. Die Worte des Eingangs ſind jedoch mehr eine Formel des Ausdrucks, als eine hiſtoriſche Wahrheit.Die definitive Bezahlung deſſelben ſollte durch eine große Säculariſation geiſtlicher Güter im Neapolitani - ſchen bewirkt werden.

Auch noch über einen andern Punct, deſſen die Tractate nicht gedenken, ſoll hier verhandelt worden ſeyn. Der Papſt ſoll gleich damals dem Kaiſer verſprochen haben, nicht in die Eheſcheidung des Königs von England zu willigen.

Hierauf ward Clemens VII wieder frei. Er beſetzte die Engelsburg mit ſeinem eigenen Volke, ließ alle Glocken läuten, und ernannte aufs neue die Beamten der Kammer und der Stadt. Mit jenen weitausſehenden Plänen einer Beſchränkung des Papſtes auf ſeine geiſtliche Gewalt, einer Abführung deſſelben nach einer Feſtung war es vorbei; viel - mehr kam jetzt die Zukunft der eigenen Macht des Kai - ſers in Italien aufs neue in Frage.

Zunächſt fehlte noch viel, daß der Papſt dem Kaiſer oder den Beamten deſſelben getraut, daß er ſich im Frie -22Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.den mit ihnen zu befinden geglaubt hätte. Man war übereingekommen, daß er ſich nach Orvieto begeben ſolle. Aber er beſorgte noch immer, Hugo Moncada, der nach Lannoys Tode Vicekönig von Neapel geworden war, werde ſich ſeiner Perſon auf dem Wege bemächtigen und ihn nach irgend einer kaiſerlichen Feſtung abführen. 1Jovius Vita Pompeji Columnae 197 f. Guicciardini lib. 18, p. 469. Er entſchloß ſich, in der Nacht vor dem beſtimmten Tag durch die Pforte des vaticaniſchen Gartens verkleidet zu entfliehen. So kam er nach Orvieto 10 Dezember 1527.

Hier gelangte er nun wohl wieder zu dem Gefühl ei - ner Möglichkeit von Selbſtbeſtimmung, allein ſo wie er ſeine Augen erhob, fand er ſich doch allenthalben von Ge - fahr umgeben.

Auf der einen Seite ſah er ſein Land größtentheils in den Händen des Siegers, der ihn mißhandelt hatte. Wäh - rend des Winters ward ſeine Hauptſtadt von den kaiſerli - chen Truppen, die noch immer nicht vollſtändig beſoldet worden, erſt recht zu Grunde gerichtet.

Auf der andern Seite waren aber auch ſeine Freunde, welche die Miene angenommen ihn zu beſchützen, ihm wider - wärtig und verderblich. Florenz, welches das Haus Medici aufs neue verjagt hatte und eine Republik im Sinne Sa - vonarolas zu gründen verſuchte, fand Schutz bei Frankreich. Die Venezianer hatten ſich der Städte Ravenna und Cer - via bemächtigt, welche Julius II wieder erworben zu ha - ben, ſich zu ſo hoher Ehre gerechnet.

Clemens fürchtete jetzt die eine wie die andere Partei. 23Italieniſcher Krieg im J. 1528.Es ſchien ihm höchſt gefährlich, daß der Kaiſer zugleich Mailand und Neapel beſitzen ſolle;1Literae Gregorii de Cassellis bei Fiddes Life of Wolsey p. 467. Et cum ei persuasissem, ut nihil dubitaret, et quod to - tum se rejiceret in manus regiae majestatis et rev. D. Legati, dixit se ita velle facere et quod in eorum brachia se et omnia sua remittat. Et caput jam ponit sub supplicio, nisi a regia Ma - jestate adjuvetur. Si Caesar permittatur aliquid possidere in Ita - lia praeterquam in regno Neapolitano, omnium rerum semper erit dominus, nisi mature confundatur: man ſieht er war noch der Mei - nung, daß dem Kaiſer Mailand zum Heile des roͤm. Stuhls entriſ - ſen werden muͤſſe. dann werde er doch Herr aller Dinge ſeyn. Jede Begünſtigung der Feinde des Kaiſers werde ſein Haupt unter das Beil bringen. Aber faſt noch mehr verſtimmten ihn die Schritte der Liga. Als ihn die Franzoſen aufforde[r]ten, die Liga wie ſie nunmehr war zu beſtätigen, ſich zu ihr zu bekennen, entgegnete er, es ſey ein ſonderbarer Vorſchlag, daß er das billigen, dem beitreten ſolle, was gegen ihn gethan ſey. In Florenz habe man ſeine Familie zu Grunde gerichtet, Ferrara befehde ihn jeden Augenblick, dennoch ſolle er ſich mit ihnen verbünden.

Die Franzoſen ſagten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen, dem Kaiſer nicht allein Mailand ſondern auch Neapel zu ent - reißen, und die Verfügung über Neapel ganz in des Pap - ſtes Willen zu ſtellen. Sie fragten ihn, ob er ſich wenig - ſtens dann erklären wolle, wenn Lautrec in Neapel einge - drungen ſey und die Feinde von da verjagt habe. Der Papſt vermied ſich beſtimmt zu äußern, doch ſah man an ſeinen Gebehrden, daß er es auch dann nur unter gewiſ - ſen Bedingungen thun werde. 2Nicolas Raince au Grandmaitre 28 Janv. 1528 MS. Bethune 8534.

Alles kam nun zunächſt auf den Ausgang der fran - zöſiſchen Unternehmung, auf das Glück der Waffen an.

24Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Noch im Januar 1528 drang Lautrec ins Königreich Neapel ein. Das deutſche Heer, das der Prinz von Ora - nien nicht ohne große Mühe endlich aus Rom weggeführt hatte, ſtellte ſich ihm bei Troja in den Weg, und wünſchte es zu einer Feldſchlacht zu bringen. Aber Lautrec erwartete venezianiſche Verſtärkungen und begnügte ſich indeß, die Kaiſerlichen das Uebergewicht ſeines Geſchützes fühlen zu laſſen. Nachdem die Verſtärkungen angekommen, bei der ſtarken Hinneigung, die ſich im ganzen Reiche zu Gunſten Frankreichs offenbarte, ſelbſt von Geſchütz entblöst, hielten es endlich die Kaiſerlichen für nothwendig ſich nach Nea - pel zurückzuziehen, vor allem dieß zu vertheidigen; denn das Haupt folge nicht den Gliedern nach, ſondern die Glieder dem Haupte. Gegen Ende April langte Lautrec vor Nea - pel an, ſchlug ſein Lager zu beiden Seiten der Heerſtraße von Capua auf und eröffnete die Belagerung. Es ſchien faſt unmöglich, daß die volkreiche, für den Mangel an Nahrungsmitteln mehr als jede andere empfindliche Stadt ſich einem ſiegreichen Heere gegenüber lange würde halten kön - nen. Schon war der größte Theil des Reiches in den Hän - den der Verbündeten. Die Venezianer nahmen die apu - liſchen Häfen in Beſitz. Filippino Doria brachte den Kai - ſerlichen in den Gewäſſern von Amalfi eine Niederlage bei. In England berechnete man bereits die Zeit, wo Neapel ge - fallen, wo alles beendigt ſeyn würde. Ueberhaupt hegte man dort die kühnſten Hoffnungen. Wolſey meinte einmal, man müſſe den Papſt vermögen, den Kaiſer wegen der ſchweren Beleidigungen, die er von ihm erfahren habe, geradezu ab - zuſetzen. Er möge nur erklären, daß den Churfürſten wie -25Italieniſcher Krieg im J. 1528.der das Recht zuſtehe, zu einer Wahl zu ſchreiten, und ſie ermahnen, Einen aus ihrer Mitte zu wählen. Damit werde man ſie gewinnen. Zugleich werde dadurch ein ſolcher Zwie - ſpalt zwiſchen dem Kaiſer und dem Papſt entſtehen, daß dann niemals mehr an eine Ausſöhnung zwiſchen ihnen zu denken ſey. 1Bellay au Grandmaitre. 2 Janv. 1528 (MS. Colbert Ve). Es iſt in der That dem Papſt hierüber eine Eröffnung gemacht worden. Er hielt es nur für nothwen - dig, daß beide Könige ſich über den zu Wählenden verei - nigen möchten, damit nicht wieder ein ähnlicher Irrthum geſchehe, wie bei der erſten Wahl (Carls V); er meinte auf vier Churfürſten zählen zu können. 2Gardiner et Cassalis to C. Wolsey, o. D., jedoch vom April 28, bei Strype Eccles. Memorials 5, 427. It were, ſagt der Papſt, to be foreseen before sentence of privation, who were most meet to be chosen.

Allein auch dieß Mal blieben dem Kaiſer ſeine glück - lichen Geſtirne getreu.

Vor allem gelang es ihm, eins der mächtigſten Häup - ter von Italien, den Genueſen Andrea Doria für ſich zu gewinnen. Schon längſt war darüber unterhandelt wor - den; ſchon ehe Doria zuletzt in die Dienſte der Liga trat; aufs neue während einer Anweſenheit des kaiſerlichen Kanz - lers Gattinara in Oberitalien im Mai 1527; ein Augu - ſtiner-Eremit, mit einem Diener Doria’s, des Namens Erasmo einverſtanden, war das eine wie das andere Mal der geheime Vermittler. 3Die Nachrichten, die wir hieruͤber in Hormayrs Archiv 1810 p. 61, und bei Bucholz finden, fließen ohne Zweifel aus denſelben Documenten des Wiener Archivs. Die Verpflichtungen Dorias zu Franz ſollen aufhoͤren 1ſten Julius 1528 und dann die zum KaiſerMan kann ſich nicht wundern,26Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.wenn unter dieſen Umſtänden der König von Frankreich die Wärme und den Eifer in Doria vermißte, die man wohl ſonſt von ihm hätte erwarten dürfen. Auch Doria ſeinerſeits führte mancherlei Beſchwerden, über perſönliche Kränkungen, ſo wie über die Behandlung ſeiner Vaterſtadt, der man ihre alten Rechte auf Savona ſtreitig machte. In England, wo damals viele Genueſen lebten und man alle dieſe Dinge auf das genaueſte kannte, war man außer ſich darüber. Wolſey meinte, man ſolle dem Doria ſo viel Geld geben, ſo viel Ehre erweiſen, als er nur irgend verlange, Sa - vona lieber ſechs Mal fahren laſſen, nur dieſen Mann nicht aufgeben in einer Zeit, wo man ſeiner am meiſten bedürfe. Allein die franzöſiſche Politik ward nicht ſo ſtreng aus Ei - nem herrſchenden Geſichtspunkt geleitet, daß man dieſen Verluſt in aller ſeiner Bedeutung erwogen hätte. Dage - gen unterſchrieb der Kaiſer alle Bedingungen, die Doria vorſchlug; er ſtellte das Schickſal Genua’s, ſo wie das perſönliche Dorias vollkommen ſicher; von freien Stücken fügte er noch einige Gnadenerweiſungen z. B. ein nicht unbedeutendes Landgeſchenk im Neapolitaniſchen hinzu. 1Schreiben an Salviati L. d. principi II, 129. In einer handſchriftlichen Lebensbeſchreibung Guaſto’s in der Bibliothek Chigi zu Rom findet ſich auch ein Abſchnitt uͤber das Cambiamento di A. Doria, der freilich etwas abenteuerlich lautet. Die Gefangenen Do -Er wußte ſehr wohl was er that. Gar bald pflanzte An - drea Doria die Fahnen, welche Filippino in jener See - ſchlacht den Kaiſerlichen abgenommen, im Dienſte des Kai - ſers auf ſeiner Flotte auf. 1Sein Uebertritt allein reichte hin um das Uebergewicht in den ſpaniſch-italieniſchen Ge -3anfangen. Vgl. uͤbrigens Folieta historia Gennensis p. 309. Si - gonius de rebus gestis Andreae Auriae Opp. Sigonii I, 241. 27Italieniſcher Krieg im J. 1528.wäſſern an den Kaiſer zu bringen. Aber überdieß war es ein großer Vortheil, daß ſich eine Stadt wieder an den Kaiſer anſchloß, welche eine unmittelbare Verbindung zwi - ſchen Spanien und Mailand möglich machte.

In dieſem Moment war nun auch ſchon über Neapel entſchieden.

Anſteckende Krankheiten, wie ſie immer im Gefolge ver - wüſtender Kriege entſtehen, brachen in dem franzöſiſchen Heere vor Neapel aus und griffen auf das verderblichſte um ſich. Gott ſchickte unter ſie , ſagt ein deutſcher Be - richt, eine ſolche Peſtilenz, daß von 25000 nicht über 1000 übrig blieben. Lautrec ſelbſt erlag: Vaudemont, dem man die Krone zugedacht, kam vor den Thoren um, in die er als König einzuziehen gehofft hatte. Dazu kamen dann die glücklichen Ausfälle der Belagerten. Die kaiſerlichen Deutſchen ſuchten wie bei Pavia vor allem ihre Landsleute auf, welche unter dem Grafen von Lupfen den Franzoſen dienten, und brachten deren Fähnlein als Siegeszeichen in die Stadt zurück; endlich ſah der Reſt der franzöſiſchen Armee ſich genöthigt, auf ſeinen Rückzug Bedacht zu neh - men; in dieſem Augenblick aber wurde er angegriffen und vollends zu Grunde gerichtet; 29. Aug. 1528. 1Sepulveda der damals in Gaeta war, VIII, 34 f. Reisner, p. 173.

1rias hoͤren ihn im Schlafe ſich uͤber Koͤnig Franz beklagen: non ba - sta al Francesco, avermi tolti i ricatti guadagnati col rischio del mio sangue, ma vuol Genova sottoporre a Savona ma io cambiarò la bandiera, sarò signore del mare, farò libero non che soggetta la patria mia; man ſieht aber auch hier die Motive. Nach jener Erzaͤhlung bediente ſich ihrer Guaſto im Geſpraͤch mit Doria, fuͤhrte ihm die Beiſpiele von La Palice und Joh. Jacob Trivulzio an, die auch von Koͤnig Franz hoͤchſt undankbar behandelt worden und brachte ihn auf ſeine Seite.

28Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.

Die Kaiſerlichen, die ſo eben verloren geſchienen, blieben vollkommen Sieger und nahmen das Königreich wieder ein.

Wie glücklich war der Papſt, daß er ſich dieß Mal neutral gehalten! Ohne dieß, ſchrieb ſein Staatsſecre - tär Sanga, jetzt ſein vornehmſter Miniſter,1Al Cl Campeggio Lettere di principi II, 127. Se sua San - tità non faceva cosi, hora si sarebbe nel profondo della total ruina. in welchem Abgrund von Verderben würden wir ſeyn! Es war in einer Conferenz zwiſchen Clemens VII und Sanga, am 6. September, daß der Entſchluß gefaßt wurde, ſich nun ernſtlicher an den Kaiſer anzuſchließen. Schon öfter hatte man den Papſt erſucht nach Rom zurückzukommen, wo man ihn nach dem Befehl des Kaiſers gegen Jedermann vertheidigen werde. 2Lra di Roma a B. Castiglione L. d. p. II, 140. Jetzt entſchloß er ſich dazu. Am 6. October finden wir ihn wieder in Rom.

Aber wir dürften nicht glauben, daß er nun ſchon ein Verbündeter des Kaiſers geweſen ſey. Noch im Novem - ber 1528 ermunterte er Franz I, die Bewegungen in Deutſchland, durch welche Carl in ſeiner kaiſerlichen Würde gefährdet werde, zu unterhalten, den Woiwoden von Sie - benbürgen zu unterſtützen. 3Gio Joachim a Montmorency Roma 7 Nov. 1528 bei Mo - lini II, 122. Mi disse S. Santità, che l’imperatore fosse quasi costretto, in persona trovarsi ben tosto in Alamagna, per dar ordine a molte cose, le quali non ordinate producevano gran pregiudizio e non minor movimento, minacciavano a l’impe - ratore suo stato, titulo e dignità (er zielt ohne Zweifel auf die Abſichten des Hauſes Baiern, zum Roͤmiſchen Koͤnigsthron zu gelan - gen) Se mo le cose in Germania fussero nel stato che si dice, a S. Sà parrebbe chel chrmo re per ben degli suoi affari le mantenesse, augumentasse e fomentasse. Im December 1528 verſichert der franzöſiſche Geſandte, wie ganz anders die Sache auch29Italieniſcher Krieg im J. 1528.ſcheinen möge, der Papſt ſey den Franzoſen ſo geneigt, wie jemals; es mißfalle ihm in ſeinem Herzen, daß die Sachen ſo ſchlecht gegangen: hätte man ſeinen Rath be - folgt, ſo wäre es nicht dahin gekommen. Ich wage zu behaupten, fügt der Geſandte hinzu, daß dabei keine Täu - ſchung obwaltet. 1Raince 14 Dec. 1528. qu’il n’y a fiction aucune. Cardinal Campeggi der nach England gegangen, um den Proceß über des Königs Eheſcheidung zu führen, wiederholte dort unaufhörlich, der Kaiſer ſey voll böſen Willens, entſchloſſen, ſo viel Uebel zu thun als er könne; man müſſe ihm ernſtlich zu Leibe gehn; das ſey der wahre Weg, ihn zur Vernunft zu bringen; könnte man ihm nur in Spanien wehe thun! aber ſehr zu loben ſey auch eine Unternehmung in Deutſchland wider ihn, möge ſie nun geführt werden wie ſie wolle. 2Bellay 1 Janv. 1529. louant fort l’entreprise d’Allemagne par quel moyen qu’elle se puisse conduire.

Noch hätte Niemand einen baldigen Frieden weiſſa - gen können. Zwiſchen dem Kaiſer und dem König kam es zu einer förmlichen Herausforderung, und es lag in der That nicht an dem Kaiſer, daß nicht ein wirklicher Zweikampf erfolgte. 3Relacion da Borgoña bei Sandoval 888. Er wird von dem Koͤnig feierlich empfangen: der ihm ſagt: bringſt du mir den Kampfplatz? Der Herold antwortet: Sire die heil. Maj. des Kai - ſers. Der Koͤnig faͤllt ein: ich ſage dir, daß du mir von keiner Sache redeſt, ehe du mir die Sicherheit des Kampfplatzes gebracht. Der Herold konnte ſeinen Auftrag nicht völlig ausfuͤhren und es geſchah zuletzt was Wolſey gemeint: 21 July St. P. p. 320. I trust to God these youg couragious passions shal be finally converted into fume. In Italien war der König jenem neapolitaniſchen Verluſte zum Trotz, in den letzten Mona - ten von 1528 und den erſten von 1529 noch immer ſehr30Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.ſtark. Die nemlichen Krankheiten, welche bei Neapel das franzöſiſche Heer zerſtörten, ergriffen auch die deutſchen Truppen, welche im Sommer 1528 unter Heinrich von Braunſchweig und Marx Sittich von Ems dem Kaiſer zu Hülfe über die Alpen ſtiegen und in der Lombardei erſchie - nen. Herzog Heinrich war ohnehin nicht der Mann, eine Unternehmung zu Ende zu führen, wobei er mit der Ei - ferſucht ſeiner Verbündeten, der Abneigung des Landvolks, dem Klima und den Feinden zugleich zu kämpfen hatte. Gar bald ſah man ihn mißmuthig über die Alpen zurück - kehren; ſeine Haufen löſten ſich auf, und traten zum Theil in venezianiſche Dienſte.

Hierauf erſchien ein neues franzöſiſches Heer unter St. Pol in Ivrea, dem die Venezianer Geld und Truppen ent - gegen ſandten: ſo daß man Pavia, das wieder verloren gegan - gen, aufs neue eroberte und gar bald die größten Hoffnungen faßte. St. Pols Meinung wäre geweſen, ſogleich nach dem Neapolitaniſchen vorzudringen, wo noch eine Anzahl feſter Plätze ſich in den Händen der Franzoſen befanden: er zwei - felte nicht, das ganze Königreich werde ihm dann zufallen. Die franzöſiſche Regierung dagegen hielt es für nöthiger, zuerſt einen Verſuch gegen Genua und Andrea Doria zu machen. Obwohl es damit nicht gelang, ſo beherrſchte doch das Heer den größten Theil der Lombardei in der That, und in England hoffte man noch, daß es in Kurzem Mailand einnehmen, ja durch die Beſetzung von Parma und Piacenza ſich wieder Einfluß auf den Papſt verſchaffen werde.

Und in nicht minderer Verwirrung war das öſtliche Europa.

31Unruhen in Ungarn 1528.

So lange Ferdinand ſelbſt in Ungarn anweſend war, wurde die Ordnung einigermaaßen erhalten. So wie er ſich aber entfernt hatte, brach die allgemeine Gährung wie - der hervor. Schon ſeine eigenen Anhänger konnten ſich nicht unter einander verſtehen. Der Biſchof von Erlau klagte über Andreas Bathory, der ihn ſchmähe und ihn zerreiße; kein Sokrates habe mehr Geduld üben müſſen als er. Franz Batthyan konnte die Schlöſſer nicht erlangen, die Ludwig Pekry für ihn in Beſitz genommen. Ein allgemeines Ge - ſchrei erhob ſich gegen die Gewaltthätigkeit des deutſchen Heeres unter Katzianer, welches ſeinen Sold unmittelbar von dem Lande eintrieb und dann doch gegen die Johan - niſten nur ſehr langſamen Schrittes vorrückte; Katzianer replicirte energiſch und rauh. 1Briefwechſel bei Bucholz III, 269 279. Bei Urſinus Ve - lius de bello Pannonico p. 91 ſieht man, daß die Ungariſchen Gro - ßen ſtritten de bonis hostis Joannis jam olim inter se partitis. Schon die Behauptung, wenn ſie auch nicht wahr ſeyn ſollte, daß man den Deutſchen mit Kalk gemengtes Brot gebe, um ſie zu vergiften, zeugt von der ſtarken nationalen Antipathie, welche ſich ausge - bildet hatte. Wie viel weniger konnten da die Anhänger Zapolya’s in Zaum gehalten werden! Auf dem Reichstag von Ofen im Januar 1528 unterſchied man drei Claſſen derſelben, geheime, welche dem Eid zu Trotz, den ſie dem König Ferdinand geleiſtet, die Getreuen deſſelben zu ver - führen trachten; zweifelhafte, welche um ſicheres Geleit nachgeſucht, um dem Könige zu huldigen und dann nicht erſchienen ſind; endlich ganz offene, welche Plünderungen vollziehen und das Land unſicher machen. Es findet ſich nicht, daß gegen die einen oder die andern etwas Nach -32Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.drückliches geſchehen ſey. Dagegen verſäumte Johann Za - polya nichts, um auch von ſeinem Exil zu Tarnow aus Ungarn in Bewegung zu erhalten. Ein Paulinermönch, Georg Martinuzzi, der früher im Dienſte der Mutter Za - polyas geweſen, beſaß Hingebung genug, ſich drei Mal zu Fuß nach Ungarn zu wagen. Er rühmt die gute Auf - nahme, die er bei Jacob von Thornaly, Stephan Bathory von Somlyo, Paul Arthandy gefunden. Er wanderte von Schloß zu Schloß, belebte die alten Verbindungen, berei - tete alles zur Aufnahme ſeines Herrn vor. 1Sein Schreiben an Verantius bei Pray und daraus bei Katona XX, I, 409. Vgl. Isthuanfi p. 126.Die Haupt - ſache war, daß er die Verſicherung osmaniſcher Hülfe brachte. Schon im Anfang des Jahres 1528 war nemlich eine Uebereinkunft zwiſchen Zapolya und Suleiman geſchloſ - ſen worden. Sie war nicht der Erfolg von Geſchenken, deren der Geſandte Hieronymus Lasko überhaupt keine mit - gebracht, noch auch des Verſprechens zinsbar zu werden, wozu er ſich nicht verſtand, ſondern lediglich der Politik. Zapolya hatte erklärt mit allen Kräften ſeines Reiches, ſei - nen Erbgütern, ja ſeiner Perſon dem mächtigen Sultan unaufhörlich dienen zu wollen. Ich dagegen, ſagte Sulei - man in der feierlichen Abſchiedsaudienz, will deinem Herrn ein wahrer Freund und Verbündeter ſeyn, ihm mit allen meinen Kräften gegen ſeine Feinde beiſtehn: bei dem Pro - pheten, bei dem großen von Gott geliebten Propheten Mu - hamed, bei meinem Schwerd. 2Relation Laskys bei Katona XX, I. In Zapolyas Namen erklaͤrte Lasky: non solum Ungariae regnum non solum dominia patrimonii sui, sed et personam suam propriam non suam csse vult sed vestram p. 319.Sehr wohl ſah Suleiman,33Italieniſcher Krieg im J. 1528.was ihm die entſchiedene Verbindung mit einem ſo ange - ſehenen Häuptling nützen könne. Er betrachtete ſich als den Mittelpunct der Oppoſition gegen Oeſtreich, als deren Mit - glieder er Frankreich, Venedig, Polen und den Papſt ſelbſt nannte, dieſen armen Prieſter, von welchem der Glaube der Chriſten ausgeht, und den ſie doch ſo ſchonungslos mißhandele. Er war überzeugt, er müſſe ſich bei Zeiten der Macht des Kaiſers entgegenſetzen. Denn ſie ſey, ſagt er, wie ein aus kleinen Bächen und ſchmelzendem Schnee zuſammenſtrömendes Gewäſſer, das zuletzt das feſte Haus in der Bergkluft untergrabe. 1Bericht des Habordancz bei Bucholz III, 596.Die öſtreichiſchen Geſand - ten behaupten, der König von Polen habe den Sultan noch im October 1528 durch eine eigne Botſchaft auffordern laſ - ſen, den Krieg gegen den Kaiſer im nächſten Jahr zu un - ternehmen, da werde auch er ihm zu Hülfe kommen. Su - leiman war wohl ſchon ohnehin entſchloſſen dazu. Dem Geſandten Ferdinands, Habordancz, der nach Conſtantino - pel gekommen war, um die Zurückgabe von 24 altungriſchen Plätze zu fordern, und dafür nichts als eine Geldentſchä - digung anzubieten, antwortete er: er werde in eigner Per - ſon mit aller ſeiner Macht ſich erheben um die Feſtungen zurückzuſtellen. Man kann denken, welch eine Gährung bei dieſer Kriegsausſicht in Ungarn entſtand. Schon im Sep - tember 1528 ſchrieb Andreas Bathory dem König Ferdi - nand, er ſtehe in Mitte der Rebellen, und habe den Tod vor Augen. Es war noch in demſelben Jahr, daß der Hospodar der Moldau, Peter Rareſch, lange Zeit ein Fi - ſcher, aber jetzt als wahrer Dragoſchide vom Hauſe desRanke d. Geſch. III. 334Fuͤnftes Buch. Erſtes Capitel.großen Stephan anerkannt, in den Szekler Stühlen verwü - ſtend einbrach. 1Engel Geſchichte der Wallachei p. 170.Alles ließ ſich zu einer großen Entſchei - dung an.

Und war nun dergeſtalt Oſt und Weſt in allgemeiner Gährung, wie wäre es möglich geweſen, daß nicht auch das ſtürmiſche Deutſchland davon wäre ergriffen worden?

Betrachten wir näher wie das geſchah.

[35]

Zweites Capitel. Zeiten der Packiſchen Händel in Deutſchland.

Zuerſt geſchah es politiſch.

Die Herzoge von Baiern finden wir nach wie vor in der engſten Beziehung zu der Oppoſition gegen Oeſtreich, zu dem Papſt, dem König von Frankreich,1Lettre de Breton au Grmtre 17. May 1528 (MS. Bethune.) Le secretaire du duc de Bavière, que vous savez, est depuis deux (jours?) ici et a eu fort bonne audience du roi. dem Woiwoden.

Noch immer hatten ſie das Kaiſerthum nicht aufge - geben. Sie unterhandelten unaufhörlich mit den leitenden Churfürſten und machten ihnen die weitausſehendſten Ver - ſprechungen; auch den König von Frankreich ſuchten ſie noch einmal dazu in Bewegung zu ſetzen.

Es iſt ein Plan in unſern Händen, den ſie zur Er - reichung ihres Zweckes dem franzöſiſchen Hofe eingaben. 2Forme et manière de conduire et mener l’affaire d’élection au nom du roi de France MS. Bethune 6593 f. 93. Vgl. die Ver - handlung mit Mainz bei Stumpf p. 50.Franzöſiſche Geſandte, von lothringiſchen und engliſchen un - terſtützt, ſollten an dem nächſten Reichstag erſcheinen, den Ständen in Erinnerung bringen, wie viele Verluſte erlitten worden, ſeit das Haus Oeſtreich das Kaiſerthum beſitze; da ſey Conſtantinopel, Rhodus, und nunmehr Ungarn der3*36Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Chriſtenheit, Baſel und Coſtnitz dem Reiche verloren ge - gangen; die einzige Abſicht der öſtreichiſchen Brüder ſey, das Reich erblich zu machen, und ſich auf alle Weiſe zu vergrößern, wie denn Don Ferdinand vor kurzem Salzburg an ſich zu ziehn geſucht; hierauf ſollen ſie dieſelben auf - fordern, zur Wahl eines neuen Kaiſers zu ſchreiten, einen Mann dazu zu erheben, der Gerechtigkeit handhabe und das deutſche gemeine Weſen wieder in ſeinen alten Zuſtand brin - gen könne, der zugleich gut katholiſch geſinnt und fähig ſey, die Ketzereien zu vertilgen. Mit einem ſolchen Kaiſer ſoll der König von Frankreich verſprechen, ſich auf das engſte zu verbinden. 1Der Schluß lautet. Au surplus nos princes sont delibe - rés de n’obmettre rien de leur labeur et vigilance, et d’essayer tous les moyens, qu’ils verront être necessaires pour la fin de cette affaire et qu’ils ont esperance, dieu aidant et la bonté du roi tres chrétien achever l’affaire ainsi qu’ils le desirent.

Merkwürdig aber, indeſſen hatte ſich auch die entgegen - geſetzte evangeliſche Partei den Oppoſitionsmächten genähert.

Auch einen Geſandten des Landgrafen von Heſſen Dr. Walter finden wir in Frankreich. Einen andern ſehen wir den Weg zu Johann Zapolya einſchlagen. Wir begleiten ihn es iſt Doctor Pack auf ſeiner ganzen Reiſe. In der Charwoche 1528 finden wir ihn in Senftenberg, wo er ſich für einen meißniſchen Domherrn ausgiebt; Oſtern zu Breslau wo er ſich mit einem Diener verſieht, der pol - niſch ſpricht; 18. April in Cracau. Hier, in der Kirche St. Barbara hat er ſeine erſte Zuſammenkunft mit einem Angehörigen des Woiwoden; ſie finden nöthig, daß er die - ſen ſelbſt beſuche. Wie nun Pack in der Nähe von Tar -37Deutſche Oppoſition gegen Oeſtreich.now kommt, wo der Woiwode ſich aufhält, ſteigt er von ſeinem Wagen ab, und geht zu Fuß in die Stadt um nicht bemerkt zu werden. Dem 26. und 27. April finden wir ihn dann mit dem Woiwoden in Unterhandlung; es ward ein förmlicher Vertrag entworfen, dem nur noch die Rati - fication des Landgrafen fehlte. 1Das ganze Detail entnehmen wir aus dem Bekenntniß des Hans Schuoch aus Breslau, deſſelben, welchen Pack zu ſeinem Die - ner annahm.Der Landgraf hatte Geld gefordert, um Ferdinand in Deutſchland angreifen zu kön - nen. Der Woiwode verſprach, 100000 G. von ſeinem Schwager dem König von Polen aufzubringen. Wenn wir hören, Polen habe dem Sultan verſprochen, König Ferdinand mit deutſchen Truppen anzugreifen, ſo mag ſich das auf dieſe Unterhandlungen beziehen.

Was hätte es für Folgen haben müſſen, wenn dieſe Dinge weiter geführt worden wären, die eine Partei ſich wirklich gegen die kaiſerliche Würde Karls V aufgelehnt, die andere Ferdinand in ſeinen Erblanden angegriffen hätte. 2Man war der Meinung, die Unruhen in der Mark, die minkwitziſchen Befehdungen von Lebus ſeyen damit in Zuſammenhang. Herzog Georg ſchreibt an Hoyer von Mansfeld Maͤrz 1529. Uns langt glaublichen an, wye noch gar eyn groß gewerb vorhanden und wyewol es im Namen etzlicher von Adel angeſtellt, ſo khuͤnen wir es doch davor nicht achten, dyeweil den Beſtellten viel Geld heraus - gegeben wird. Man ſagt es ſolle ſolch gewerb dem Wayda zu gut und wyder das Land zu Laußnitz und den Churfuͤrſten von Branden - burg vorgenommen ſeyn. Der Herzog war eben im Begriff, mit dem Churfuͤrſten eine Zuſammenkunft zu halten. Er iſt es, der Mink - witz gefangen genommen.Und zwar in jenen Momenten, wo auch alle anderen Ver - hältniſſe erſchüttert waren.

Indeſſen geſchah das nicht. Die Herzoge von Baiern38Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.und der Landgraf von Heſſen wußten nichts davon, daß ſie Verbündete waren. Die religiöſen Antipathien der verſchie - denen Fürſten waren vielmehr ſo ſtark, daß eine der ſelt - ſamſten Verwickelungen, die wohl jemals vorgekommen iſt, unter ihnen ſelbſt entſtand.

Das iſt ganz richtig, daß jene Emancipationen von der geiſtlichen Jurisdiction, zu der die evangeliſchen Für - ſten geſchritten waren, Klagen am kaiſerlichen Hofe veran - laßt hatten, daß daſelbſt von Beſtrafungen, ſelbſt von der Acht die Rede war. Schon ſuchte ſich Naſſau, das in al - ten Territorialſtreitigkeiten mit dem Landgrafen von Heſſen lag, für dieſen Fall durch Mandate ſicher zu ſtellen. 1Heinrich v. Naſſau an Joh. v. Naſſau, Arnoldi Denkwuͤr - digkeiten p. 200. Das Schreiben iſt vom 13. April, vor den Pa - ckiſchen Unruhen, von denen man damals uͤberhaupt noch nichts wußte, am wenigſten in Spanien.

Davon drang nun ein dunkles Gerücht auch nach Deutſch - land. Der Landgraf ward gewarnt, von einem Manne gro - ßen Anſehens, wie er ſagt, den er nicht nennen könne, der aber gut Wiſſens darum trage, es ſey etwas im Werke eine merkliche Practica gegen die Lutheriſchen.

Der Landgraf ſuchte jedoch den Urſprung der Gefahr nicht ſo in der Ferne; er faßte nur die Feindſeligkeiten ins Auge, welche in Baiern und ganz Oberdeutſchland gegen die Be - kenner der Lehre ausgeübt wurden die heftigen Drohungen, welche Herzog Georg von Sachſen gegen ſeinen Vetter den Churfürſten ausſtieß, als mit dem er ſeine Zwiſtigkeiten nicht austragen wolle, wenn er nicht von Luthers Sekte ablaſſe, gegen den er nur einen Befehl des Kaiſers erwarte; es war39Packiſche Haͤndel.ihm verdächtig, daß einige eifrige katholiſche Fürſten im Mai 1527 den König Ferdinand in Breslau beſucht und ihm dann Hülfe in Ungarn geleiſtet hatten; er glaubte nicht anders als daß ein Bund ſeiner Nachbarn wider ihn im Werke ſey.

Da geſchah es nun, daß der Canzleiverweſer des Her - zogs Georg, Otto von Pack, derſelbe der jene Reiſe nach Tarnow unternahm wohl noch im Laufe des Jahres 1527 zu dem Landgrafen nach Caſſel kam, um ihm in der naſſauiſchen Sache rechtlichen Rath zu ertheilen. Der Land - graf eröffnete demſelben ſeine Befürchtungen und drang in ihn, ihm zu ſagen ob er nichts davon wiſſe. Pack ſeufzte und ſchwieg. Um ſo eifriger redete der Landgraf ihm zu. Pack erklärte endlich, ja es ſey ein Bündniß wider die Lutheri - ſchen nicht allein im Werke, ſondern bereits geſchloſſen. Er verſprach, dem Landgrafen das Original der Urkunde zu ſchaffen; der ſagte ihm dafür ſeinen Schutz und eine Beloh - nung von 10000 Gulden zu. Landgraf Philipp war nun Feuer und Flamme geworden. Im Februar 1528 finden wir ihn in Dresden; und in der That brachte hier Pack zwar nicht das Original des Bündniſſes, das der Canzler wegge - legt habe, aber eine Copie deſſelben zum Vorſchein, die auch alle äußeren Zeichen der Authentie hatte. Der ſchwarzſei - denen Schnur, welche die Schrift durchzog, war an beiden Seiten das ſächſiſche Canzleiſiegel aufgedrückt; unter dem hing das Siegel des Handringes, den Herzog Georg trug, und den der Landgraf ſehr wohl kannte, mit ſeinen drei Schilden, in dem obern den Rautenkranz, in den untern zwei Löwen. Pack geſtattete, daß der landgräfliche Secre - tär eine Copie davon nahm und empfing 4000 G. 1Erzaͤhlung des Landgrafen in einem Schreiben an Herzog

40Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.

In dieſer Urkunde war nun aber das Allergefähr - lichſte und Feindſeligſte zu leſen. Danach hatten ſich die Churfürſten von Mainz und Brandenburg, die Herzoge von Sachſen und Baiern, die Biſchöfe von Salzburg, Würzburg, und Bamberg mit dem König Ferdinand verbündet, um zuerſt den Churfürſten von Sachſen, wenn er ſich nach erneuerter Aufforderung weigere, Luther und deſſen Anhän - ger auszuliefern, mit vereinigten Kräften zu überziehen und ſein Land zu theilen: demnächſt auch den Landgrafen anzu - gehn, und wenn er nicht widerrufe, ihn aus ſeinem Lande zu verjagen, das dann an Herzog Georg fallen ſolle. Auch die Stadt Magdeburg ſolle ihrem Erzbiſchof unterwürfig gemacht werden. Die Art und Weiſe, ſo wie die Stärke des Angriffs war genau beſtimmt.

Der Landgraf, ſchon längſt erfüllt mit Vermuthungen dieſer Art, zweifelte keinen Augenbllck an der Authentie des ihm vorgelegten Actenſtückes; ſtürmiſch eilte er, um auch dem Churfürſten davon Nachricht zu geben, nach Weimar; auch hier wirkte das Ueberraſchende, Beſtimmte, Dringende der Gefahr betäubend und fortreißend; ſchon am 9. März kam ein Bund zwiſchen den beiden Fürſten zu Stande, worin ſie einander verſprachen, zu gegenſeitigem Schutz 6000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferd zuſammenzubringen. Man faßte die Ab - ſicht, den Angriff nicht allein zu erwarten, ſondern ihm zuvor - zukommen. Der Landgraf ſelbſt reiſte nach Nürnberg, nach Ansbach. Unter dieſen Umſtänden war es, daß er den Otto1Georg vom 28. Juni, welches Rommel (III, 21) als verloren be - trachtet, das ſich aber im Archiv zu Dresden findet; ich werde es im Anhang mittheilen.41Packiſche Haͤndel 1528.Pack, den er nun näher an ſich gezogen, an den Woiwoden ſchickte. Unverweilt begannen die Rüſtungen. Die heſſiſchen Truppen verſammelten ſich bei Herrenbreitungen, die ſäch - ſiſchen am Thüringer Wald. Ganz Deutſchland gerieth in Bewegung.

Die Lage der Dinge in dem evangeliſchen Deutſchland war aber nicht ſo beſchaffen, daß es allein auf den raſchen Muth eines oder des andern Fürſten angekommen wäre. Auch die Theologen, vor allen Luther hatten eine Stimme zu füh - ren; und es fragte ſich erſt, was dieſe dazu ſagen würden.

Luther zweifelte ſo wenig, wie die Fürſten an der Aecht - heit des Vertrages, den man ihm vorlegte, allein er fand, man werde dadurch noch nicht berechtigt, ſofort zu den Waf - fen zu greifen. Dieß ſtürmiſche Zuſchlagen widerſtritt ſeinen Begriffen von Recht und Sitte. Er meint, man müſſe den Fürſten ihr Vorhaben vorhalten und ſie bitten, davon ab - zuſtehn; man müſſe ſie verklagen und ihre Antwort verneh - men. Sonſt könnte ein Fürſten-Aufruhr entſtehn, der zur Freude des Satans Deutſchland verwüſte. Luther iſt von Allen, die ſich jemals an die Spitze einer Weltbewegung geſtellt haben, vielleicht Derjenige, der am wenigſten von Gewalt und Krieg hat wiſſen wollen. Er hielt dafür, man könne ſich vertheidigen, namentlich gegen Fürſten, wie die genannten, welche als die Gleichen ſeines Herrn nicht deſſen Obrigkeit ſeyen, aber daß man die Waffen zuerſt in die Hand nehme, zu einem Angriff ſchreiten ſolle, das war über ſeine Vorſtellung. 1Bedenken bei de Wette III, 316, nr. 986, 987; ohne Zwei - fel aber noch in den Maͤrz zu ſetzen, nicht in den Mai. Sie wer -Er wandte den Spruch: ſelig ſind die42Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Sanftmüthigen, die Friedfertigen, auch auf die politiſchen Verhältniſſe an. Wer das Schwerd nimmt, ſoll durch das Schwerd umkommen. Der Krieg, ſagt er, wagt alles, gewinnt wenig, und verliert gewiß, aber Sanftmuth ver - liert nichts, wagt wenig und gewinnt alles.

Damit war nun Churfürſt Johann leicht zu überzeu - gen, der das Evangelium eben ſo verſtand, wie Luther, und von ganzem Herzen liebte; er war nur durch den heftigen Verbündeten mit fortgeriſſen worden. Jetzt ſtellte er dem - ſelben vor, ein Angriff könne dem Evangelium Unehre brin - den und man müſſe davon abſtehn. Der Landgraf erwie - derte, das Bündniß der Feinde, von ihnen verſiegelt und beſchworen, ſey ſo gut wie der Angriff ſelbſt; er machte auf die Vortheile aufmerkſam, die ein raſches Vorſchreiten mit ſich bringe; das würde Manchen aufwecken, der jetzt ſchlafe; auf dieſe Weiſe werde man zu ſicherem Vertrage gelangen. Der Churfürſt war aber nun nicht mehr zu be - wegen. Er ſendete ſeinen Sohn, von einem zuverläſſigen Rath, des Namens Wildenfels, begleitet, nach Caſſel, mit ſo beſtimmter Anweiſung, daß der Landgraf ſich endlich ent - ſchließen mußte, Luthers Rath zu befolgen und vor allem das Bündniß bekannt zu machen, die darin genannten Für - ſten zur Verantwortung aufzufordern. Zunächſt ſandte er es ſeinem Schwiegervater zu. 1Schreiben im Weim. Arch. undatirt, aber von der erſten

1den nemlich ſchon in einer Inſtruction in Neudeckers Actenſtuͤcken p. 33 erwaͤhnt; einer Urkunde, die zwar auch undatirt iſt, aber ohne Zweifel noch in den Maͤrz faͤllt, da der Churfuͤrſt darin ſagt, er habe einige ſeiner Freunde auf Freitag nach Judica ſchirſtkuͤnftig (3. April) zu ſich beſchieden.

43Packiſche Haͤndel 1528.

Man kann das Erſtaunen nicht ſchildern, das die deut - ſchen Höfe bei dem Erſcheinen dieſer Anklage dieſes Acten - ſtückes ergriff.

Auf der Stelle antwortete Herzog Georg, und bezeich - nete den, der das Original eines ſolchen Bündniſſes geſe - hen zu haben behaupte, als einen ehrloſen und meineidigen Böſewicht. Churfürſt Joachim drang wie Herzog Georg auf die Nennung des verlogenen Mannes, der dieß Bünd - niß erdichtet, damit man nicht glaube, der Landgraf ſelbſt habe es erſonnen. So antworteten alle die Andern. Der Landgraf ſah ſich genöthigt, ſeinen Gewährsmann feſtneh - men und gerichtlich verhören zu laſſen. 1Die Antworten, wie der angebliche Vertrag ſelbſt, ſtehen bei Hortleder und Walch. Im Dresdner Archiv findet ſich noch eine Inſtruction Ferdinands, in welcher er Herzog Georg auffordert, der Sache auf den Grund zu kommen, wo ſie ihren Anfang und Ur - ſprung habe.

Auch wir müſſen hier wohl die Frage erörtern, die bis auf den heutigen Tag nicht erledigt ſcheint, was an dieſer Sache, dieſem Bündniß iſt.

Vor allem enthält es in ſich die größten Unwahrſchein - lichkeiten. Churfürſt Joachim z. B. ſoll Heſſen, auf das er kraft der Erbeinigung dieſer Häuſer ebenſo viel Anſprüche hatte, dem Herzog von Sachſen überlaſſen und ſich dagegen Beeskow und Storkow ausbedungen haben, die doch ſchon ſeit1Haͤlfte Aprils: Antwort auf jene Inſtruction. Ich verſehe mich ge - wißlich, daſſelbe (das Original) zu bekommen in der Kurz. Hett aber F. L. mir u. andern zu Weimar gefolgt und ſich ein klein Koſten nicht dauern laſſen, ſo wulte ich es uf dieſe Tage haben. Man ſieht daß Pack gleich anfangs Geld gefordert haben muß. Philipp ver - ſichert in einem ſpaͤtern Briefe an Herzog Georg bei Rommel III, 17, erſt uͤber 3 oder 4 Wochen habe er dem Pack Geld anbieten laſſen.44Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.einigen Jahren ein Eigenthum des Bisthums Lebus gewor - den waren. 1Wohlbruͤck Geſchichte von Lebus. II, 414.Die Herzoge von Baiern ſollen mit Ferdi - nand im Bunde ſeyn, um ihm Ungarn zu verſchaffen, was ſie ihm eben zu entreißen dachten. Auch der Kriegsplan iſt höchſt wunderlich, und es liegt eine gewiſſe Wahrheit der Ironie darin, wenn Pack ſpäter, um ſich zu entſchuldigen, den ganzen Entwurf als närriſch geſtellt bezeichnete. 2Abgedruckt in den Acten von Doctor Ottens v. Pack Abhoͤrung in Caſſel in Hoffmanns Sammlung ungedruckter Nachrichten p. 98.

Ferner aber, was für ein Menſch war doch dieſer Pack! Im Dresdner Archiv finden ſich Acten über ihn, in denen er höchſt unzuverläſſig, betrügeriſch, ja eigentlich als ein ſchlechtes Subject erſcheint. Er benutzte ſeine Stellung am Hofe, um Geld zu erpreſſen. Dem Rath von Tennſtädt z. B. borgte er unter ſehr glänzenden Vorwänden, haupt - ſächlich dem, daß er ſeinen Fürſten bei der Auslöſung von Weißenſee unterſtützen müſſe, ein paar hundert Gulden ab, deren Wiedererſtattung er dann von Termin zu Termin ver - ſchob. In dem Verzeichniß ſeiner Gläubiger ſtehen noch vier andre Landſtädte, Pirna, Meißen, Oſchatz und Chem - nitz. 3Miſſive ſo in Dr. Packs Hauſe, als er gefangen angenom - men, gefunden worden im Dresdner Archiv nr. 7398.Aber noch viel mehr fällt ihm folgende Geſchichte zur Laſt. Als er einſt in Geſchäften ſeines Herrn nach Nürnberg reiſte mehr als einmal finden wir ihn als Reichstagsgeſandten gab ihm der Biſchof von Merſe - burg ſeinen Anſchlag für Regiment und Kammergericht mit, einen Betrag von 103½ Gulden. Der Reichstag war zu Ende, Pack ſchon lange zurückgekehrt, als der Biſchof wegen eben45Packiſche Haͤndel 1528.jenes Anſchlages von Reichswegen gemahnt ward. Pack hierüber angegangen, erklärte ohne Verlegenheit, er habe das Geld einem Nürnberger Bürger, des Namens Friede - mann, eingehändigt, der es auch in der That dem Regi - ment abgeliefert, aber von dieſem keine Quittung bekommen habe, weil noch alte unbezahlte Reſte da ſeyen. Er legte hierüber Brief und Siegel Friedemanns bei. Natürlich ging man nun dieſen ſelber an. Wie ſehr mußte man er - ſtaunen, als der ehrſame Bürger erklärte, er kenne Doctor Pack ſo gut wie gar nicht, habe nie mit ihm Geſchäfte ge - habt, nie von ihm Geld empfangen; auch würde ihm ja das Regiment eine Quittung für die Summe, die er wirk - lich erlegt hätte, wenn gleich nicht für die ganze Schuld gezahlt haben; Handſchrift und Siegel, welche der Doctor eingeſandt, könne unmöglich den ſeinen gleich ſeyn. Dort im Archiv finden ſich beide Actenſtücke, und in der That iſt die Handſchrift, welche Pack beigebracht, von der ächten des Friedemann gänzlich verſchieden. Genug, Pack war ſchon in Verfälſchungen geübt, als ſich ihm dieſe neue Ge - legenheit, grandioſer als jemals, darbot, Geld zu machen. Er benutzte ſie, wie wir ſahen, auf eine Weiſe, daß Deutſch - land darüber beinahe in innerlichen Krieg gerathen wäre. Er ſelbſt hat ſpäter nicht mehr auf der Aechtheit ſeines Mach - werks beſtanden. Er ließ die Behauptung, daß er ein mit den Siegeln aller Fürſten bekräftigtes Original in Händen gehabt, am Ende fahren, und gab nur an, ein böhmiſcher1Verhoͤr Wuriſyns in einem Convolut des Dresdner Archivs betitelt Haͤndel betreffend des Dr. Otto Pack mit Caspar Wuriſyn. Ich bemerke ausdruͤcklich, daß ich mich in der ganzen Darſtellung auf nichts ſtuͤtze, was Pack auf der Folter bekannt hat.46Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.Schreiber Wuriſyn habe ihm eine Copie aus Schleſien ge - bracht. Allein auch dieß zeigte ſich unwahr. Der Schrei - ber bewies, daß er in der Zeit, welche Pack bezeichnet, gar nicht nach Dresden gekommen war. Er war damals aus Furcht vor den Gläubigern, die ihn verfolgten, auf flüch - tigem Fuß geweſen.

Ein in ſich ſo mit Widerſprüchen angefülltes, von ei - nem ſo unzuverläſſigen betrügeriſchen Menſchen dargebotenes Actenſtück muß ohne Zweifel völlig verworfen werden. Ich finde auch, daß die Meinung Pack habe einen Betrug aus - geübt, ſich damals ſehr bald auch dieſſeit geltend machte. Melanchthon war davon ſogleich überzeugt, als er die erſten Verhöre geleſen hatte. 1An Camerarius Corp. Ref. I, 988. Alter sane odiose ex - torsit pecuniam nobis valde dissuadentibus: αἰδὼς δ̕ οὐκ ἀγαϑὴ κεχϱημένῳ ἀνδϱὶ. Camerarius hatte dieſe Ausdruͤcke ſehr ermaͤßigt; Hr. Dr. Bretſchneider hat ſie wieder hergeſtellt.Der Landgraf Philipp hat es mehr als einmal unumwunden bekannt. Man warf ihm wohl ſpäter einmal vor, er habe da viel vorgenommen und wenig ausgerichtet. Das geſchah, darum, ſagt er, daß wir fühleten, daß wir betrogen waren. 2Dritte Verantwortung bei Hortleder IV, 19 nr. 26 p. 567. Wir befanden, daß wir zu milde (d. i. falſch) berichtet waren.

Und hätte er dieſer Ueberzeugung nur noch früher Raum gegeben, als er wirklich that!

Allein ehe noch die Nichtigkeit jenes Entwurfes voll - kommen klar geworden, war er ſchon ins Würzburgiſche eingefallen, und bedrohte die Gebiete von Bamberg auf der einen, von Mainz auf der andern Seite. Von denen, welche durch ihre Drohungen ſeine Rüſtungen veranlaßt, forderte47Packiſche Haͤndel 1528.er jetzt die Koſten derſelben. Da Niemand gerüſtet war, um ihm zu Widerſtand zu leiſten, ſo mußten unter Vermittelung von Pfalz und Trier die Biſchöfe ſich in der That zu Geld - zahlungen und ungünſtigen Verträgen verſtehn.

So glücklich man in Wittenberg war, daß ein unge - rechter Krieg vermieden wurde, ſo tief empfand man doch das Unzuläſſige eines ſo gewaltſamen Verfahrens: die Ueber - eilung, die in der ganzen Sache geherrſcht hatte. Es ver - zehrt mich faſt, ſagt Melanchthon, wenn ich bedenke, mit welchen Flecken unſre gute Sache dadurch behaftet wird. 113. Spt. a. a. O. p. 998.Nur durch Gebet weiß ich mich aufrecht zu erhalten.

Auch der Landgraf war wohl ſpäterhin ſelbſt davon beſchämt. Wäre es nicht geſchehen, ſagt er einmal, jetzt würde es nicht geſchehen. Wir wiſſen keinen Handel, den wir unſer Lebelang begangen, der uns mehr mißfiele. 2Acta Handlungen Legation und Schriften, ſo durch den durchlauchtigen Herrn Philipſen in der Muͤnſterſchen Sache geſche - hen: Caſſel im Mai 1535. Die Biſchoffe betreffend, iſt uns ein Handel fuͤrkommen, den haben wir nebſt vielen vor warhaftig gehal - ten und demnach unſere unterthanen retten wollen, da wir aber be - funden, das wir zu milde berichtet geweſen, ſeind wir mit unſerm Fuͤrhaben ſtill geſtanden; daß uns aber Geld geworden iſt, haben uns die Churfuͤrſten mit gutem Willen getaͤdingt und duͤrfet euch dieſe unſre Handlung zu keinem exempel fuͤrbilden, denn wir wiſſen keinen Handel, der uns mehr mißfaͤllt, den wir unſer Lebe - lang begangen, denn eben dieſer, were er nicht geſchehen, er wuͤrde nunmals nicht geſchehen.

Allein damit war die Sache doch nicht wieder gut ge - macht. Sie zog vielmehr die ernſtlichſten und gefährlichſten Folgen nach ſich.

Man hatte kühne Pläne einer Theilnahme an den gro - ßen europäiſchen Verwickelungen gehegt; oder man hatte ge -48Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.ſucht, einen Ausſchlag in den innern religiös-politiſchen Ir - rungen herbeizuführen. Es war nichts als ein grober Land - friedensbruch erfolgt, der auf alles Beſtreben der religiöſen Partei ein nachtheiliges Licht warf.

Denn dagegen regte ſich nun natürlich das Gefühl des Rechtes und des Reiches.

Vor allem war man im ſchwäbiſchen Bunde mißver - gnügt, zu welchem ſowohl der Landgraf als die Biſchöfe gehörten. Der Landgraf ſchickte entſchuldigende Schrei - ben: er erbot ſich, vor Churfürſt Ludwig zu Recht zu ſtehn. Der Bund antwortete (Nov. 1528): es bedürfe keines Rechtens: er werde auf dem Buchſtaben der Einigung verharren. Ich wollte, daß der jüngſte Tag hereinbräche, ruft ein Abgeordneter in ſeinem Eifer aus, damit man nur dieſer und anderer Gefahren überhoben würde.

War in den Oberhäuptern beider Parteien eine gewiſſe Tendenz, ſich dem Haus Oeſtreich entgegenzuſetzen, der eu - ropäiſchen Oppoſition wider daſſelbe anzuſchließen, ſo ſehen wir nun, wie die Bewegungen eine ganz andre Richtung nahmen, und eigentlich durch einen Irrthum, einen Be - trug, eine Uebereilung, alle gegenſeitigen Leidenſchaften auf - geregt wurden.

Freilich hätte das nicht geſchehen können, wenn nicht die inneren Gegenſätze ſich jeden Augenblick mehr befeſtigt hätten.

Eben wie auf der evangeliſchen Seite Organiſationen im Sinne der Neuerung unternommen wurden, ſo war man auf der andern bedacht, die wankenden katholiſchen Ueber - zeugungen neu zu begründen.

49Verfolgungen der Evangeliſchen.

Hie und da brauchte man dieſelben Mittel. In Oeſtreich finden wir 1527 und 1528 Kirchenviſitationen, wie in Sach - ſen, aus geiſtlichen und weltlichen Mitgliedern zuſammenge - ſetzt; nur ganz im entgegengeſetzten Sinne. Man ſuchte da - durch die Beobachtung des Regensburger Edicts und der dar - auf gegründeten erzherzoglichen Mandate zunächſt gütlich in Gang zu bringen;1Bucholz VIII, 139. gar bald aber ſah man, daß die neuen Mei - nungen ſchon ſehr weit vorgedrungen waren und ſchritt zu Strafen. Am 20. Juli 1528 ward verordnet, daß die Ketzer nicht nur gemein, ſondern hochmalefiziſch zu ſtrafen ſeyen;2Raupach Ev. Oeſtr. II, 49. am 24. Juli wurden alle Drucker, ja alle Feilhaber ſectireri - ſcher Bücher bedroht, als Vergifter der Länder mit dem Tod im Waſſer beſtraft zu werden. Es ergingen Edicte, um die ſchon ſehr herabgekommene geiſtliche Autorität herzuſtellen. 3Z. B. bei Raupach II, Beil. nr. VIII.

In Tyrol legte man den Reichsſchluß von 1526 zu Gunſten des Katholicismus aus, und wollte an die das Jahr zuvor gemachten Zugeſtändniſſe nicht mehr gebunden ſeyn.

In Baiern war die Hauptſache ſchon gethan und man trug nur Sorge, die verhaßten Richtungen nicht aufs Neue eindringen zu laſſen. Die Straßen wurden bewacht, um Diejenigen, welche zu den evangeliſchen Predigten in der Nachbarſchaft gingen, zu fangen und zu ſtrafen. Anfangs um Geld; da man aber wohl ſagte, der Herzog thue das aus Geiz, ſo nahm er kein Geld weiter. Jetzt ließ er in Landsberg 9 Männer zum Tode im Feuer, in München 29 Männer zum Tode im Waſſer verdammen. Wer kennt nicht4Schelhorn bei Winter I, 258.Ranke d. Geſch. III. 450Fuͤnftes Buch. Zweites Capitel.den Namen des unglücklichen Bernhard Käſer? Er war nur darum von Wittenberg in ſeine Heimath nach Schärding ge - reiſt, um ſeinen todtkranken Vater zu beſuchen; hier aber ward er gar bald verrathen und ergriffen, auf dem Schrammenplatz zu Paſſau verurtheilt und bald darauf verbrannt.

So fuhr denn auch der ſchwäbiſche Bund in ſeinen Executionen fort. Die Bundeshauptleute bekamen im Fe - bruar 1528 Befehl, Alle, welche der Wiedertaufe verdäch - tig, aus ihrer ordentlichen Gerichtsbarkeit abzuführen, und ohne Proceß vom Leben zum Tode zu bringen. Der Rath in Nürnberg proteſtirte hiegegen; wahrhaftig nicht aus Hin - neigung zu den Wiedertäufern, ſondern, weil er meinte, man gebe vor die Wölfe zu jagen und fange die Schaafe, man werde auf dieſe Weiſe auch die Bekenner und Prediger des Wortes verfolgen.

Der Biſchof von Coſtnitz brachte ein kaiſerliches Man - dat aus, durch welches Alle, die in dem Kreiſe dieſes Stif - tes geſeſſen, angewieſen wurden, demſelben ſeine geiſtlichen Jurisdictionen, Bannalen, Präſentationen, erſte Frucht, an - dere Altherkommen und gute Gewohnheit folgen zu laſſen. Und ſehr ernſtlich verfuhr dieſer Biſchof gegen die Abtrünnigen. Johann Hüglin von Lindau ward in Mörsburg als ein Gegner der heiligen Mutter Kirche, den weltlichen Gerichten und dem Feuer übergeben.

So gieng es den Rhein hinab. Ein Prediger von Halle, der nach Aſchaffenburg citirt worden, wurde auf dem Rückweg ermordet; man trug kein Bedenken dieſe Unthat dem Capitel von Mainz Schuld zu geben.

In Cöln ward Adolf Clarenbach verurtheilt, weil er51Verfolgungen der Evangeliſchen.nicht glauben wollte, daß der Papſt das Haupt der heili - gen Kirche ſey, zu zweifeln ſchien, ob nicht in den Con - cilien zuweilen etwas feſtgeſetzt worden ſey, oder doch feſtgeſetzt werden könne, was dem göttlichen Worte entgegenlaufe;1Die erſte Frage, die ihm gegeben ward. Montag nach Palm - ſonntag 1528. und was dem mehr iſt. Die Ueberlegenheit, die Einſicht und der beſonnene Muth, welche der Angeklagte in ſeinem Verhöre bewies, ſind wahrhaft bewunderungswürdig. Auch zögerte der Rath zu Cöln lange Zeit, in die Execution zu willigen. Man behauptet, er ſey nur dadurch zuletzt dazu vermocht worden, daß die Prieſter die Verwüſtungen, welche der engliſche Schweiß in Cöln anrichtete, als eine Rache Gottes über die Stadt, weil ſie die Ketzerei nicht ſtrafe, bezeichneten. O Cöln, Cöln, rief Clarenbach aus, als er zum Hochgericht hingeführt ward, was verfolgſt du Gottes Wort? Es iſt noch ein Nebel in der Luft, aber er wird einmal reißen. 2Rabi Martyrerbuch Thl. II, fol. 243, 249. Es iſt auch hier wie ſonſt eine alte, gleichzeitige, alle Spuren der Glaubwuͤrdig - keit tragende, ſehr ausfuͤhrliche Erzaͤhlung, was wir bei Rabus finden.

Zu ſo grauſamen Exceſſen prieſterlicher Verfolgung kam es nun in dem nördlichen Deutſchland wohl nicht mehr, allein noch immer ließ Herzog Georg die armen Leute, welche das Abendmahl nicht nahmen, weil ſie es nicht unter bei - derlei Geſtalt empfangen durften, im ſchimpflichſten Auf - zug mit Staupenſchlag von Scharfrichter und Büttel aus dem Lande bringen. In Brandenburg vereinigten ſich auf dem Landtag Viſitationis Mariä von 1527 noch einmal Churfürſt und Stände, mit allen ihren Kräften über die4*52Fuͤnftes Buch Zweites Capitel.Beobachtung der alten Cerimonien zu halten; keinen Pfarrer ohne Zulaſſung des Ordinarius anzunehmen, die Geiſtlichen in ihrem Beſitz zu ſchützen, gegen die Uebertreter nach den Mandaten päpſtlicher Heiligkeit und kaiſerlicher Majeſtät zu verfahren. 1Mandat. Donnerſtag nach V. M. 4. Juli neuerdings bei Muͤller Geſch. der Reform. in der Mark p. 138.Jedoch war nicht das ganze Land wie Fürſt und Stände geſinnt. Die erſte nahmhafte Widerſetzlichkeit erfuhr Joachim II von ſeiner eigenen Gemahlin Eliſabeth. Sie ſchloß ſich lieber an das erneſtiniſche Haus Sachſen, von dem ſie ſtammte, an ihren Oheim Churfürſt Johann an als an ihren Gemahl, gegen den ſie manche andre Klage hatte; ihr Leibarzt Ratzenberger, Phyſicus zu Brandenburg, einer der eifrigſten Bekenner der neuen Lehre vermittelte ihre Verbindung mit Dr. Luther, deſſen Bücher ſie längſt bewun - derte und verehrte; endlich wagte ſie es, insgeheim, in ihren Gemächern, auf dem Schloſſe zu Berlin das Abendmahl un - ter beiderlei Geſtalt zu nehmen; aber die Sache blieb nicht verborgen: die ganze Heftigkeit ihres Gemahls erwachte; es ſchien als wollte er die ergangenen Mandate auch an ſeiner Gemahlin ausführen; er ließ ſie in ihrem Zimmer einſchlie - ßen und ſoll ſie bedroht haben, ſie einmauern zu laſſen. Es gelang ihr jedoch zu entkommen. Mit einem Kammer - diener und einer Jungfer, als Bäuerin, auf einem Bauerwa - gen langte ſie am 26. März 1528, zu Nacht in Torgau bei dem Churfürſten von Sachſen an. 2Nachricht Spalatins bei Menken II, 1116. Die Auszuͤge Seckendorfs II, 42, add. III, ſind nicht ganz genau. Auch glaube ich an der Erzaͤhlung zweifeln zu duͤrfen, die ſich dort findet und in ſo viele Geſchichten der Mark und ihrer Reformation verbreitet hat, daß die Tochter der Churfuͤrſtin, des Namens Eliſabeth, es geweſen ſey, die ſie verrathen habe. Ein Maͤdchen von 14 Jahren war ſie wenigſtensSie erklärte ihm, wenn53Verfolgungen der Evangeliſchen.ſie ihm läſtig falle, oder gar Gefahr zuziehe, wolle ſie weiter gehen, ſo weit ihre Augen ſie weiſen würden. Churfürſt Johann behielt ſie jedoch bei ſich und gab ihr Lichtenburg ein, wo ſie ganz ihrer frommen Ueberzeugung leben konnte.

So ſtand es aber in Deutſchland: was man in einem Theile beſſelben für die Summe der Frömmigkeit hielt, be - ſtrafte man in dem andern als das abſcheulichſte Verbre - chen. Was man dort zu gründen trachtete, ſuchte man hier unter jeder Bedingung durch jedes Mittel auszurotten.

Die Irrungen, welche Pack veranlaßte, ſind recht be - zeichnend für die politiſchen Rückwirkungen, die aus dem geiſtlichen Streite entſprangen.

Allein dieß waren nicht die einzigen Feindſeligkeiten, welche es in Deutſchland gab. Nicht minder lebhaft waren die Zerwürfniſſe, der in Folge der Entwickelung der ſchwei - zeriſchen Kirche bereits unter den Evangeliſchen ſelbſt aus - gebrochen waren, und nach und nach auch ſchon zu politi - ſchen Bedeutung heranwuchſen.

Wir können keinen Schritt weiter gehen, ohne ſie - her ins Auge zu faſſen. Es liegt darin einer der wichtig - ſten Momente für den Fortgang des ganzen Ereigniſſes.

2nicht, wie man geſagt hat. Sie war 1510 geboren und bereits im Jahre 1527 (7. Juli) an Herzog Erich von Kalenberg verheirathet worden. (Buͤnting Braunſchw. Chronik II, 68b). Sollte ſie im Maͤrz 1528 in Berlin geweſen ſeyn? Wenigſtens im Auguſt die - ſes Jahres brachte ſie ihren erſtgeborenen Sohn zu Muͤnden zur Welt. Ihr Gemahl, 40 Jahr aͤlter als ſie, entzuͤckt daruͤber, daß er einen Erben hatte, geſtattete ihr eine Bitte. Sie bat um die Be - freiung eines Pfarrers, den man feſtgenommen, weil er das Abend - mahl unter beiderlei Geſtalt ausgetheilt hatte. (Vgl. Havemann Her - zogin Eliſabeth p. 13.) Und dieſe Fuͤrſtin ſoll ein paar Monate vor - her die eigene Mutter angeklagt haben? Es iſt alles gleich unwahr - ſcheinlich.

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Drittes Capitel. Reformation in der Schweiz.

Obgleich die Schweiz ein eigenthümliches Gemeinweſen bildete, und eine von dem Reiche unabhängige Politik ver - folgte, ſo war ſie doch von denſelben geiſtigen Trieben durch - drungen, welche unter den Deutſchen namentlich den Ober - deutſchen vorwalteten.

Die anticlericaliſchen Beſtrebungen des Jahrhunderts hatten auch hier ſchon früh um ſich gegriffen. Man beſtritt die Exemtionen der Geiſtlichkeit von dem weltlichen Gericht, wie ſie der Biſchof von Chur, oder von außerordentlichen Auflagen, wie ſie die im Thurgau poſſeſſionirten Prälaten und Capitel in Anſpruch nahmen.

Eben ſo hatte das literariſche Treiben der deutſchen Poe - tenſchulen hier gar bald Eingang gefunden. In Luzern, St. Gallen, Freiburg, Bern, Chur und Zürich finden wir ähnliche Anſtalten. Es entſtand auch hier ein ziemlich verbreitetes li - terariſches Publicum, für welches Erasmus, ſeitdem er ſich in Baſel niedergelaſſen, den lebendigen Mittelpunct bildete.

Daher kam es nun auch, daß die erſten Schriften Lu - thers in der Schweiz eine ſo große Theilnahme fanden. In Baſel hat man ſie zum erſten Mal zuſammengedruckt. Schon55Zwingli.1520 finden wir ein kurz Gedicht Luthern zu Lob, und ſeinen Widerwärtigen zu Spott von einem thurgauiſchen Bauer. Dieſen Geiſt nährten dann die von Wittenberg zu - rückkehrenden Studirenden. Man hat die Namen Derjeni - gen aufgezeichnet, die dabei waren als Luther die Bulle ver - brannte. Von der Ebene und den Städten drang die Pre - digt ins Gebirg, nach Graubündten, Appenzell, Schwytz. Der Adminiſtrator von Einſiedeln, ein Geroldseck, wird von Zwingli als der Vater aller, welche Gott lieben, bezeichnet. 1Brief an Myconius 26. Aug. 1522. Zwinglii Opera, cu - rantibus Melch. Schulero et Jo. Schulthessio Tom. VII. Epp. vol. I, p. 218.

Wenn nun dennoch die Bewegung, die in der Schweiz eintrat, einen andern Character, auch in Bezug auf die re - ligiöſen Fragen, entwickelte als die deutſche, ſo hing das vor allem von der Sinnesweiſe und dem Bildungsgange desjenigen Mannes ab, der daſelbſt den Kampf über ſich nahm und durchführte, Ulrich Zwingli’s.

Anfänge Zwingli’s.

Zwingli iſt in der Gemeinde Wildenhaus in Toggen - burg geboren, in deren Markung die Thur entſpringt; in einer Höhe, wo keine Feldfrüchte noch Obſtbäume mehr fort - kommen, zwiſchen grünen Alpenwieſen, über welche die kahlen, kühnen Firſten emporſtreben.

Seine Kindheit (er iſt einige Wochen jünger als Lu - ther, geboren am Neujahrstag 1484) fiel in Zeiten, in welchen ſich die Gemeinde von den drückendſten feudalen La - ſten, zu denen ſie dem Abt von St. Gallen verpflichtet war,56Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nach und nach freimachte. Hauptſächlich unter der Leitung ſeines Vaters geſchah dieß, welcher der vornehmſte Mann im Orte war, Ammann daſelbſt, viele Wieſen und Alpen ei - genthümlich beſaß, und von einer großen Familie umgeben er hatte acht Söhne patriarchaliſch würdig Haus hielt.

Von ſo vielen Brüdern pflegte ſich aber in jenen Zei - ten immer Einer oder der Andere dem geiſtlichen Stande zu widmen: dazu ward unſer Huldreich Zwingli beſtimmt: ſein Oheim, welcher der erſte Pfarrer geweſen, den die Wilden - hauſer ſich ſelbſt gewählt, und der jetzt in Weſen ſtand, übernahm ſeine Vorbereitung.

Unter den Zügen, die uns aus Zwingli’s Jugend über - liefert worden, iſt wohl der der merkwürdigſte, daß er von Natur einen beſonders reinen Sinn für die Wahrheit be - ſaß. Er erzählt einmal, daß ihm bei dem erſten Er - wachen des Denkens über öffentliche Dinge der Gedanke aufgeſtiegen, ob nicht die Lüge eigentlich härter zu beſtrafen wäre als der Diebſtahl. Denn Wahrhaftigkeit, fügt er hinzu, ſey doch die Mutter und Quelle aller Tugenden.

Mit dieſem unverdorbenen Sinn, den er aus der reinen Luft ſeiner Berge mitbrachte, trat er nun in Literatur, öf - fentliches Leben und Kirche ein.

Er ſtudirte auf den Schulen zu Baſel und zu Bern, und den Univerſitäten zu Wien und wieder zu Baſel. 1Sein vornehmſter Lehrer in Baſel war Thomas Wittenbach, ſelbſt ein Schuͤler des Paul Scriptoris in Tuͤbingen. Gualtherus Prae - fatio ad priorem partem homiliarum in Ev, Matthaei ad Josuam Wittenbachium (Misc. Tigur. III, p. 103.) Eben trat die Epoche ein, in welchen die claſſiſchen Studien, im Gegenſatz mit der Scholaſtik des Mittelalters allenthalben57Zwingli.in Aufnahme kamen. Zwingli ſchloß ſich wie ſeine Lehrer, alle ſeine Freunde, dieſer Richtung an; und hielt ſie feſt, auch als er noch ſehr jung im Jahr 1506 Pfarrer in Gla - rus wurde. Alle Muße, die ſein Amt ihm ließ, widmete er den Studien. Zuweilen hat er ſich in ſchriftſtelleriſchen Productionen im Sinne der Latiniſten jener Zeit verſucht; doch iſt es ihm nicht gelungen, ſich der Antike mit voller Freiheit anzuſchließen. 1De gestis inter Helvetios et Gallos ad Ravennam Pa - piam aliisque locis relatio bei Freher-Struve III, 171.Hauptſächlich las und ſtudirte er die Alten. Mehr noch ihr Inhalt, ihr großer Sinn für das Einfache und Wahre feſſelte ihn, als ihn ihre Form zur Nachahmung reizte. Er meinte wohl, der göttliche Geiſt ſey nicht auf Paläſtina beſchränkt geweſen, auch Plato habe aus dem göttlichen Born getrunken, Seneca nennt er einen heiligen Mann: vor allem verehrt er Pindar, der ſo erha - ben von ſeinen Göttern rede, daß ihm eine Ahnung von der einen heiligen Gotteskraft beigewohnt haben müſſe,2Nihil est in omni opere, quod non sit doctum, amoenum, sanctum. Quum aliquando dei munere oculos recipimus eos - que ad vetustissimos scriptores attollimus, jam videntur lux et virtus in conspectum venisse. Siehe die Vorrede und Nachrede, welche Zwingli unter dem Namen Huldrychus Geminius ber Ausgabe des Pindar von Ceporin 1526 hinzufuͤgte Tig - III, 207. er iſt ihnen allen dankbar, weil er von ihnen allen gelernt, weil ſie ihn zur Wahrheit geführt. In dieſen Studien be - griffen nahm er nun auch das griechiſche neue Teſtament, in der Ausgabe von Erasmus, zur Hand und widmete ihm den größten Fleiß. Um ſich mit den Epiſteln Pauli vertraut zu machen, ließ er ſich die Mühe nicht verdrießen, ſie mit eigner Hand ſauber abzuſchreiben;3Schuler: Huldreich Zwingli: Geſchichte ſeiner Bildung zum Reformator. Anmerkungen p. 7. am Rande merkte er58Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.ſich die Auslegungen der Kirchenväter an. Zuweilen ſtör - ten ihn noch die theologiſchen Begriffe, die er von den Uni - verſitäten mitgebracht, aber bald faßte er den Entſchluß, von allem andern abzuſehn, und die Meinung Gottes aus deſſen lauterem einfältigem Wort zu lernen. Es ward ihm heller, wenn er ſich ſo unbedingt dem Texte hingab. Aber zugleich bildete ſich eine von dem bisherigen Kirchenweſen abgewandte Geſinnung ganz von ſelbſt in ihm aus. In Einſiedeln, wohin er im Jahr 1516 gekommen, ſagte er einſt dem Cardinal Schiner unverholen, das Papſtthum habe keinen Grund in der Schrift.

Zwingli müßte jedoch kein Schweizer, nicht ein in un - aufhörlicher Theilnahme an dem bürgerlichen Gemeinweſen aufgewachſener Republikaner geweſen ſeyn, wenn er ſich da - mit allein hätte beſchäftigen, dabei hätte ſtehen bleiben ſol - len. In jenen Jahren brachten die italieniſchen Kriege alle Lebenskräfte der Eidgenoſſenſchaft in Bewegung, erhoben ſie zum Range einer großen Macht in Europa. Mehr als ein - mal hat Zwingli ſeine kriegeriſche Gemeinde ins Feld beglei - tet; er zog mit nach Marignano. Allein mit dem Kriege war nun zugleich das Unweſen des Reislaufens und der Jahrgelder eingeriſſen So ſehr es von dem Geiſte des Vol - kes mißbilligt wurde, wie die Bewegungen bewieſen, die von Moment zu Moment in Luzern, Solothurn, Bern, Zürich ausbrachen; die gemeinen Leute wollten von Bündniſſen nichts wiſſen, durch welche ihre Brüder und Söhne in fremde Länder, in den Tod geführt würden; ſie forderten die Be - ſtrafung der Deutſchfranzoſen, der Kronenfreſſer; zuwei - len mußten die großen Räthe wirklich Miethe und Gaben 59Zwingli.verſchwören: nicht ſelten die Tagſatzungen ſich dagegen erklä - ren ſo knüpften ſich doch zu ſtarke Vortheile der Macht - haber in den Cantonen daran. Eine kriegsluſtige Jugend fand ſich immer, um ihren Werbungen Gehör zu geben, und das Uebel wuchs von Tage zu Tage. Zwingli, der ſich wie der latiniſtiſchen gelehrten, ſo auch der deutſchen populären Li - teratur anſchloß, die ſich, wie wir uns entſinnen, überhaupt in der Oppoſition gegen die obwaltenden Mißbräuche be - wegte, ſchrieb ſchon im J. 1510 eine ziemlich ausgeſpon - nene Fabel, worin er der Eidgenoſſenſchaft die Umtriebe vor - ſtellt, deren Opfer ſie ſey, wie ſie von liſtigen Katzen ver - führt, von getreuen Hunden vergeblich gewarnt werde, wie ſie darüber ihre Freiheit verlieren müſſe, die Freiheit, eine ſo hohe Gnade, daß man ſie mit Spieß und Streitaxt nach dem Beiſpiel der Alten vertheidigen ſollte, und welche nicht beſtehen könne, wo man Miethe und Gaben nehme; da gehe alle Bundesbrüderſchaft zu Grunde. 1Huldrychen Zwingli, prieſters, fabeliſch gedicht von einem ochſen und etlichen thieren jez laufender Dinge begriffenlich.Es war jedoch in dem wüſten Treiben jener Zeit wohl ſehr ſchwer, ſich nur ſelber von dieſem Unweſen frei zu halten, und auch Zwingli band ſich eine Zeitlang durch die Annahme einer päpſtlichen Pen - ſion. Ueberhaupt dürfte man der Verehrung der Nach - kommenſchaft, die auch in dem früheren Leben ihres Vor - kämpfers nichts als Licht ſieht, ſo unbedingt nicht beitreten. In den Briefen Zwingli’s finden ſich Geſtändniſſe von ſinn - lichen Vergehungen, die ſogar etwas Widerwärtiges haben. 2An Heinrich Utinger 4. Dez. 1518 Opp. VII, Epp. I, p. 55.Es iſt ſehr ſein Ernſt und ſehr die Wahrheit, wenn er ſich ſelbſt öffentlich der Unlauterkeit anklagt. Aber ſchon aus60Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.dieſem Geſtändniß ergiebt ſich, daß er mit keiner Heuchelei umging, weder in ſich noch gegen andere. Aus ſeinem Brief - wechſel ſehen wir, daß er an ſich arbeitet, ſich doch ſo viel wie möglich hütet, die ausdrücklichen Gebote der Schrift zu verletzen, Vorſätze faßt, und eine Zeitlang hält; am Ende finden wir ihn ohne Tadel leben. So konnte denn auch jene Penſion, die er damit entſchuldigte, daß der Papſt die geiſtliche Obrigkeit der Eidgenoſſenſchaft ſey, ſeine Geſinnung nicht feſſeln. Etwas ganz anders war es ohnehin, von ei - nem völlig fremden Fürſten, wie der König von Frankreich Geld zu nehmen. Im Jahr 1516 widerſetzte ſich Zwingli der franzöſiſchen Faction, die wie im größten Theile der Schweiz ſo auch in Glarus das Uebergewicht bekam, aus allen Kräften. Er unterlag zwar, da der König die mächtigſten Eingebornen gewonnen; er kann nicht genug klagen, wie viel er darüber habe aushalten müſſen; er ſah ſich am Ende ſogar genöthigt, ſeine Pfarre vorläufig zu verlaſſen und eine untergeordnete Vicarſtelle zu Einſiedeln anzunehmen. Allein eben das führte ihn um ſo früher und vollſtändiger zu ſeiner urſprünglichen Geſinnung zurück. Da die franzö - ſiſche Partei allmählig die herrſchende wurde, ſo entwickelte ſich der Widerſtand gegen dieſelbe in ihm zu einer Bekäm - pfung des Penſionsweſens überhaupt. Die Bildung einer über die ganze Eidgenoſſenſchaft verbreiteten Verbindung von Familien und Oberhäuptern, in einem doch vorzüglich per - ſönlichen Intereſſe ſah er mit Recht als eine Neuerung an, welche die allgemeine Freiheit gefährde. Die öffentliche Mo -1Epistola ad Joachimum Vadianum: ex Eremo 13 Jun. 1517. Epp. I, p. 24. Locum mutavimus Gallorum technis. Fuimus pars rerum gestarum: calamitates multas vel tulimus vel ferre didicimus. 61Zwingli.ral, die durch dieß Unweſen beleidigt war, die Meinung des Volkes fand in ihm ihren beredteſten Sprecher. Das Studium der Alten und der Schrift, im Gegenſatz gegen die um ſich greifende ſittliche und religiöſe Verwilderung, das Bewußtſeyn einer redlichen Vaterlandsliebe im Kampfe mit erkaufter Dienſtbefliſſenheit gegen fremde Höfe, bildete in ihm eine Geſinnung aus, in der ſich ſchon der zukünftige Verſuch, die kirchlichen wie die weltlichen Zuſtände umzuge - ſtalten, ankündigte: es kam nur darauf an, daß er freien Raum bekam, an die rechte Stelle gelangte.

Die ward ihm im J. 1519 in Zürich zu Theil.

Zürich war wenn damals noch nicht der einzige, doch der vornehmſte Ort in der Eidgenoſſenſchaft, der ſich nicht wieder zur Annahme franzöſiſcher Jahrgelder überreden ließ. Ein Chorherr am Münſter, Conrad Hofmann, der ein au - ßerordentliches Anſehen genoß, hielt hier die vaterländiſchen Grundſätze gegen den Fremdendienſt und die Penſionen auf - recht; er war ein Redner, welcher der Menge auch bittere Wahrheiten nicht erſparte. Durch dieſen hauptſächlich ge - ſchah es, daß Zwingli manchen Einwendungen zum Trotz, aber eben wegen ſeiner politiſchen Geſinnung zum Leutprie - ſter am großen Münſter gewählt wurde. 1Bullinger: Reformationsgeſchichte p. 11 furnamlich darum das er vernommen, wie er heftig wider penſionen penſioͤner, der fuͤr - ſten puͤndtniſſen und kriegen prediget.

Und hier nahm nun Ulrich Zwingli ſogleich nach beiden Seiten hin die Stellung ein, die er darnach behauptet hat.

Zunächſt bekämpfte er alle jene Partei-Verbindungen mit den auswärtigen Mächten, ſelbſt mit dem Papſt. Er ſoll geſagt haben: der Cardinal von Sitten, der für den62Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Papſt warb, trage nicht mit Unrecht rothen Hut und Man - tel; man dürfte ſie nur winden, ſo würde man das Blut der nächſten Verwandten daraus rinnen ſehen. Er ſpottete dar - über, daß man wider einen Wolf ſtürme, der doch nur Thiere anfalle, gegen die Wölfe aber ſtill ſitze, durch welche Men - ſchen zu Grunde gehn.

Dann drangen die Wirkungen der lutheriſchen Bewe - gung auch in die Schweiz. Niemand war vorbereiteter und eifriger, daran Theil zu nehmen, als eben Zwingli. Auch er hatte an ſeiner Stelle mit einem Ablaßverkäufer zu käm - pfen und wußte ihn entfernt zu halten. Er ſchrieb gegen das Verfahren, das der römiſche Hof gegen Luther beobach - tete,[und] gab eine Apologie deſſelben gegen die Bulle heraus.

Eine ungemeine Wirkung hatten ſeine Predigten, zu denen er eine große natürliche Gabe beſaß. Er griff die obwaltenden Mißbräuche mit einem Ernſt an, der keine Rück - ſicht kannte. Er ſchilderte die Verantwortlichkeit der Geiſt - lichen eines Tages ſo lebhaft, daß junge Leute unter ſeinen Zuhörern wohl auf der Stelle die Abſicht fahren ließen, geiſtlich zu werden; ich fühlte mich, ſagt Thomas Plater, wie an den Haaren emporgezogen. 1Autobiographie Platers Misc. Tig. III, 253.Zuweilen glaubte wohl Einer und der Andre, der Prediger ziele perſönlich auf ihn und Zwingli hielt es für nothwendig, ein Wort darüber zu ſagen: Frommer Mann, rief er aus, nimm dir’s nicht an; dann fuhr er in ſeinem Eifer weiter fort, ohne der Gefahren zu achten, die zuweilen ſein Leben bedrohten.

Hauptſächlich aber war doch ſein Bemühen, den Sinn der Schrift ſeinen Zuhörern näher zu bringen. Mit Er -63Zwingli.laubniß des Stiftes1In der zweiten Zuͤricher Disputation erinnert er daran; er begann mit Matthaͤus. erklärte er nicht mehr die Perikopen allein, ſondern die ganzen Bücher der Schrift, wie er ſie ſtudirt hatte; denn den Zuſammenhang des göttlichen Ge - dankens ſuchte er zu ergreifen und mitzutheilen. Seine Lehre war, daß die Religion in Gottvertrauen, Gottesliebe und Unſchuld beſtehe. 2De vera et falsa religione: Veram pietatem, quae nihil aliud est quam ex amore timoreque dei servata innocentia ed. Gualth. p. 202.Er vermied alles was fremdartig oder allzugelehrt lautete; es gelang ihm die allgemeine Verſtänd - lichkeit zu erreichen, nach der er ſtrebte, und in einem wei - ten Kreiſe von Zuhörern eine Ueberzeugung zu begründen, die dann in den Tagen des Sturmes aushielt, und ihm zu allen ſeinen Unternehmungen eine feſte Grundlage gab.

In ſeinem täglichen Leben zeigte er ſich bequem und heiter. In den republikaniſchen Gemeinden, dem Feldla - ger, jenem Zuſammenfluß mannichfaltiger Fremden bei Ein - ſiedeln hatte er mit Menſchen umgehn, ſie behandeln gelernt. Aufwallungen des Zorns, wie andre Wallungen der Lei - denſchaft war er bemüht zu beherrſchen; aufſteigende Gril - len verſcheuchte er durch Muſik; denn auch er war ein gro - ßer Muſikfreund, und auf gar manchem Inſtrumente Mei - ſter: in Toggenburg iſt das ſo gewöhnlich wie in Thürin - gen. 3Bullinger Reformationsgeſchichte p. 31.Am liebſten lebte er häuslich eingezogen, auf die Weiſe ſeines Vaterlandes, etwa von Milchſpeiſen, wie dort herkömmlich; doch ſchlug er darum nie eine Einladung aus: er ging auf die Zünfte mit den Bürgern, man ſah ihn auf den Gaſtereien der Bauern, die er mit munterem Geiſt und64Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.vergnügtem Geſpräch erheiterte. 1Myconius in Staͤudlins und Tzſchirners Archiv I, II: inge - nio amoenus, ore jocundus. So arbeitſam er war, ſo viel er auch unternahm und zu Stande brachte, ſo wies er doch Niemand von ſich, er wußte einem Jedem etwas Zufriedenſtellendes zu ſagen. Ein wohlgeſtalteter, kerngeſun - der Mann; wohlthätig und gutmüthig; heiter umgänglich lebensfroh und dabei von den großartigſten Gedanken er - füllt; ein ächter Republikaner.

Wollen wir ihn mit Luther vergleichen, ſo hatte er nicht ſo gewaltige Stürme zu beſtehen, wie ſie in Luther die geheimſten Tiefen des inneren Seelenlebens erſchütterten. Da er ſich nie ſo unbedingt dem beſtehenden Kirchenweſen hingegeben, ſo hatte er ſich auch jetzt nicht mit ſo gewalt - ſamer und ſchmerzlicher Anſtrengung davon loszureißen. Was ihn zum Reformator machte, war nicht jenes tie - fere Verſtändniß der Idee des Glaubens und ihres Ver - hältniſſes zur Erlöſung, von welchem Luther ausgegangen, ſondern vor allem, daß er bei ſeinem wahrheitſuchenden Stu - dium der Schrift, Kirche und Leben mit dem allgemeinen Inhalt derſelben in Widerſpruch begriffen ſah. Auch war Zwingli kein Univerſitätsgelehrter; die herrſchenden Lehrmei - nungen hatte er niemals ernſtlich getheilt: eine hohe Schule umzubilden, feſthaltend an allem was ſich erhalten ließ, und abweichend nur in den weſentlichſten Puncten, war nicht ſein Beruf. Die Aufgabe ſeines Lebens ſah er vielmehr darin, die Republik, die ihn aufgenommen, religiös und ſittlich um - zubilden, die Eidgenoſſenſchaft zu ihren urſprünglichen Grund - ſätzen zurückzurufen. Wenn Luther vor allem eine Verbeſ - ſerung der Lehre beabſichtigte, welcher Leben und Sitte dann65Zwingli.von ſelbſt nachfolgen müſſe, ſo nahm Zwingli einen unmittel - baren Anlauf auf die Verbeſſerung des Lebens; er faßte vor - nehmlich die praktiſche Bedeutung des allgemeinen Inhalts der Schrift ins Auge; ſeine urſprünglichen Geſichtspunkte waren moraliſch-politiſcher Natur: wodurch denn auch ſein religiöſes Beſtreben eine eigenthümliche Färbung empfing.

Und berühren wir hier auch mit einem Worte die Frage über die Priorität ſeiner Reformbeſtrebungen, ſo läßt ſich nicht läugnen, daß er ſchon vor dem Jahre 1517 da - hin zielende Geſinnungen entwickelt Lehren ausgeſprochen hatte. Indeß theilten auch viele Andre Ueberzeugungen die - ſer Art. Worauf alles ankommt, das iſt der Kampf mit der geiſtlichen Gewalt, die Befreiung von derſelben. Die - ſen Kampf hat Luther allein und zuerſt ausgehalten; er hat der Lehre zuerſt in einem nahmhaften deutſchen Fürſtenthum freien Raum gemacht und die Emancipation begonnen. Als Luther von Rom verdammt wurde, bezog Zwingli noch eine Penſion von Rom. Luther hatte ſchon vor Kaiſer und Reich geſtanden, ehe Zwingli eine Anfechtung erfuhr. Der ganze Kreis, in dem ſich dieſer bewegte, war ein anderer. Wäh - rend wir dort immer die oberſten Gewalten der Welt in Thätigkeit erblicken, iſt hier zunächſt von der Losſagung ei - ner Stadt von ihrem Bisthum die Rede. Dieſe haben wir nunmehr zu betrachten.

Emancipation der Stadt Zürich von dem Bisthum Conſtanz.

Wie die übrigen ſchweizeriſchen Städte, behauptete auch Zürich ſchon längſt dem Bisthum Conſtanz zu dem es ge -Ranke d. Geſch. III. 566Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.hörte gegenüber, eine gewiſſe hauptſächlich auf dem Colle - giatſtift am Münſter ruhende Selbſtändigkeit, deren Gefühl und Ausübung aber in den letzten Jahren durch beſondere Umſtände außerordentlich gewachſen war.

Der Ablaßhandel war dem Biſchof in ſeiner Diöceſe ſo verhaßt, wie er der Stadt nur immer ſeyn konnte. Er war ganz damit einverſtanden, daß der Rath von Zürich den Ablaßverkäufer Samſon, der ſchon bis an die Sil, an ein zürcheriſches Wirthhaus herangekommen, zurückwies. Zwingli bewahrte ſorgfältig die Briefe auf, in denen er von Seiten der geiſtlichen Behörde ſelbſt aufgefordert worden, je - nem Emiſſar der Curie Widerſtand zu leiſten. Es liegt am Tage wie ſehr hiedurch der Biſchof die Autonomie der Stadt in kirchlicher Hinſicht beförderte. 1Antwurt Zwingli’s an Val. Compar Werke, II, i, p. 7; ferner die Antwort an Faber 30. April 1526.

Indeſſen bewirkten die politiſchen Verhältniſſe, daß - rich auch von der Curie mit großer Schonung behandelt ward.

Im Jahr 1520 ging Zwingli bereits ſehr weit und erfreute ſich einer nicht geringen Anzahl entſchiedener An - hänger. Wirklich hat der Rath ſchon damals den Leutprie - ſtern und Prädicanten in der Stadt und auf dem Lande die Erlaubniß gegeben,2 Daß ſie alle insgemein frey, wie dieſes auch die paͤpſtlichen Rechte zugeben, die heiligen Evangelia und Epiſtel der Apoſtel gleich - foͤrmig nach dem Geiſte Gottes und der rechten goͤttlichen Schrift al - ten und neuen Teſtamentes predigen und was ſie mit gemeldeter Schrift erhalten und bewaͤhren moͤgen, verkuͤndigen und von anderen zufaͤlli - gen Neuerungen und Satzungen ſchweigen ſollen. Antworten, die ein Buͤrgermeiſter, Rath und der große Rath der Stadt Zuͤrich ih - ren Eidgenoſſen gegeben hat. Fuͤßli Beitraͤge II, p. 237. Vergl. Bullinger I, p. 20. nach der göttlichen Schrift des67Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520.alten und neuen Teſtamentes zu predigen, zufällige Neue - rungen und Satzungen fahren zu laſſen: eine Anordnung, welche ſchon den Abfall von der römiſchen Kirche in ſich ſchließt. Man könnte nicht ſagen, daß die Sache dem - miſchen Hofe unbekannt geblieben ſey; es waren ein Paar päpſtliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anweſend, doch wagten ſie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt ſich recht an dem Beiſpiele Zwingli’s. Sie verſprachen ihm ſeine Penſion von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch ſollte er nicht mehr gegen den Papſt predigen. Zwingli hätte die - ſes Zuſchuſſes wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor - ſchlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne dieſe Bedingung an; allein auch ſo wollte es Zwingli nicht mehr annehmen. 1Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359.Den Nunzien lag jedoch mehr an der Werbung der Mannſchaft, mit der ſie Mailand zu erobern ge - dachten, als an allen theologiſchen Fragen. Obwohl die Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, ſo traten ſie doch mit derſelben in eben dieſem Momente in Bund. Wir wurden, ſagt Zwingli, nicht abgefallen abtrünnig geſchol - ten, ſondern mit hohen Titeln geprieſen. 2Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papſtes Schrei - ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393.

Da nun hier das Decret von Worms ſchon an ſich keine Wirkung hatte, und die Repräſentanten des römiſchen Stuhles ſtill ſchwiegen, ſo konnte die Lehre ungehindert ge - predigt werden und in den Gemüthern feſte Wurzel ſchlagen.

Die Sache machte erſt Aufſehen, als endlich auch die äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März5*68Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.1522 in Zürich die Faſten brach und ſich erlaubte Eier und Fleiſch zu genießen. Da erſt regte ſich der Biſchof. Durch eine beſondere Geſandtſchaft forderte er den Rath auf, die bisherigen Cerimonien der Kirche aufrecht zu erhalten.

Sollte das aber überhaupt noch möglich ſeyn? Soll - ten ſich in dieſer Epoche voll feurigen Religionseifers die von Grund aus umgewandelten Ueberzeugungen einfach dem Worte eines Biſchofs unterwerfen?

In der Discuſſion vor dem großen Rathe behauptete Zwingli, viele kirchliche Cerimonien ſeyen eben ſolche, welche Petrus einſt für unerträglich erklärt habe. Nicht einmal bei den Geſandten fand er nachhaltigen Widerſpruch hiegegen; einer von ihnen, der Prädicant des Stiftes zu Coſtnitz, Wan - ner, war im Herzen der nemlichen Meinung. 1Zwinglii ad Fabricium de actis legationis Opp. I, p. 12. Der große Rath, der den Biſchof nur nicht geradezu beleidigen wollte, faßte den ausweichenden Beſchluß, es ſolle Niemand die Fa - ſten brechen ohne merkliche Urſach und erſuchte den Bi - ſchof, bei den kirchlichen Gewalten oder bei den Gelehrten eine Erläuterung auszubringen, wie man ſich in Hinſicht der Cerimonien zu verhalten habe, um nicht zugleich gegen die Satzungen Chriſti zu verſtoßen. 2Bei Fuͤßli: Beitraͤge II, 15.Natürlich gab darum der Biſchof nicht nach. Im Mai ſchärfte er dem Rath aufs neue die Nothwendigkeit ein, die Ordnungen und guten Ge - wohnheiten der h. Kirche zu beobachten; das erachte er dem h. Evangelio gleichförmig. In einem noch feurigern Schrei - ben an das Chorherrnſtift geſtand er wohl zu, daß ſich ei - niges eingeſchlichen haben könne, was der heiligen Schrift69Emancipation von Zuͤrich 1522.nicht ſehr gemäß ſey; aber der gemeinſchaftliche Irrthum bilde ein Recht; auf keine Weiſe dürfe man Lehren anneh - men, die von Kaiſer und Papſt verdammt ſeyen; wer ſich nicht zu den Biſchöfen halten wolle, möge denn auch ganz von ihnen geſchieden werden. 1Sein Grundſatz war: Communis error facit jus. Haec dogmata non praedicentur, nihil innovetur contra ecclesiae ritum.

Noch waren einige Klöſter in der Stadt, die von je - nem erſten Beſchluß des großen Rathes unberührt geblie - ben; noch hielten ſich gar Manche, Vornehmere oder Ge - ringere, zu dem bisher Gebräuchlichen; und ſo geſchah, daß dieſe Anmahnung doch nicht ganz ohne Wirkung blieb. Die heftigſten Widerſacher der Mönche bekamen die Weiſung, ſich auf der Kanzel oder bei Disputationen zu mäßigen.

Allein es bedurfte nur eines im Grunde ſehr zufälli - gen Ereigniſſes, um doch eine ganz entgegengeſetzte Entſchei - dung herbeizuführen.

In dieſen Tagen erſchien ein Franziscanermönch von Avignon, derſelbe Franz Lambert, deſſen wir bei der Sy - node von Homberg gedacht, in der Schweiz. In einem Kloſter ſtrengerer Obſervanz, in das er in frühen Jahren getreten war, hatte er ſtatt der Ruhe und Frömmigkeit, die er ſuchte, nichts als geheime Laſter und Neid gefunden;2Francisci Lamberti rationes propter quas minoritarum con - versationem traditumque rejecit. Bei Schelhorn: commentatio de vita Lamberti Amoenitatt. literariae III, p. 312. da waren ihm einige Schriften Luthers zugekommen, und er hatte ſich entſchloſſen, ſein Kloſter zu verlaſſen, und Lu - thern ſelbſt in Wittenberg aufzuſuchen. Dieſer Mönch, noch immer in ſeiner Kutte auf einem Eſel reitend, er - ſchien jetzt in Zürich. Seine katholiſche Rechtgläubigkeit70Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.war erſchüttert, aber noch nicht völlig gebrochen. Bis jetzt wollte er weder die Cerimonien fallen laſſen noch die Für - bitte der Heiligen aufgeben: in dem Chor des Fraumün - ſters, am Frohnaltar ſitzend, hielt er einige lateiniſche Pre - digten in dieſem Sinn. Einmal fiel ihm Zwingli ins Wort mit dem Ausruf, Bruder du irrſt. Die Altgläubigen mein - ten noch eine Stütze an Lambert zu finden, und da er ſich gelehrt und ſprachfertig zeigte, ſo veranſtalteten ſie eine Dis - putation zwiſchen ihm und Zwingli. Am 17. Juli, eines Donnerſtags, in der Trinkſtube der Chorherrn ging dieſelbe vor ſich. Sie fiel aber anders aus, als man hoffen mochte. Dieſer Franciscaner war ein Menſch, der die Wahrheit wirk - lich liebte und ſuchte. Er ſah ſehr bald ein, daß Zwingli’s Gründe die ſeinen überwogen: durch die Stellen der Schrift, die Zwingli ihm vorlegte, ward er vollkommen überzeugt. Er erhob die Hände, dankte Gott und gelobte, ihn allein anzurufen, allen Roſenkränzen zu entſagen. 1Bernhard Weiß in Fuͤßli’s Beitraͤgen IV, 42.Hierauf ver - ließ er Zürich auf ſeinem Thiere; wir finden ihn nach eini - ger Zeit in Eiſenach, in Wittenberg, ſpäter wie geſagt in Homberg und endlich in Marburg wieder. Sein Verſuch, der Kirchenverfaſſung in Deutſchland eine andre Form zu ge - ben, als die lutheriſche, wird ihn für alle Zeiten unvergeß - lich machen.

Dieſe Disputation hatte nun den größten Erfolg in Zürich. Des Donnerſtags war ſie gehalten worden: Mon - tags darauf, am 21. Juli, rief der Rath die Leſemeiſter der Orden, die Chorherrn und die Weltprieſter noch ein - mal in der Propſtei zuſammen. Zwingli fühlte ſich jetzt ſtark genug, mit Vorwürfen über die ungegründeten Pre -71Emancipation von Zuͤrich 1522.digten in den Klöſtern zu beginnen. Der Bürgermeiſter ſchlug den beiden Theilen aufs neue vor, ihre Streitig - keiten der Entſcheidung von Propſt und Capitel anheimzu - ſtellen. Aber Zwingli erklärte, er ſey der Prediger, der Bi - ſchof der Stadt; er habe die Seelſorge derſelben mit ſeinem Eid übernommen; er werde nicht dulden, daß in den Klö - ſtern, wo man ohnedieß keinen rechten Beruf habe, wider Gottes Wort gepredigt werde, und ſollte er an der Kan - zel erſcheinen und öffentlich widerſprechen. Schon war Je - dermann auf ſeiner Seite; der Bürgermeiſter erklärte end - lich im Namen des Rathes, deſſen Wille ſey, daß das reine Gottes Wort und nichts anderes in der Stadt gepre - digt werde.

Früher war die Predigt nach der Schrift nur erlaubt, den Leutprieſtern anempfohlen worden; jetzt ward ſie gebo - ten, und zwar auch den Mönchen.

Und fragen wir, worauf Zwingli bei dieſem Verfah - ren ſich gründete, welches Recht er den Anordnungen des Bi - ſchofs entgegenſetzte, ſo entſpringt dieß vor allem aus dem Begriff von der Gemeinde. Er iſt der Meinung, daß alles, was die Schrift von der Kirche ſage, eben hauptſächlich auch von den einzelnen Gemeinden gelte. Er ſcheint angenom - men zu haben,1Zweite Disputation Zw. W. I, p. 470. Hieraus folgt auch, daß dieſe unſere Zuſammenrufung, die nit zu nachteil einiger Chri - ſten, ſondern das Wort Gottes zu verhoͤren verſammelt iſt, nit irren mag: denn ſy nit ſetzen noch entſetzen undernimmt, ſunder allein hoͤren will, was in gemeldten ſpaͤnen im Worte Gottes erfunden wird. daß eine ſolche, ſobald ſie nur nichts Neues aufzubringen ſuche, ſondern ſich damit begnüge, das Wort Gottes zu hören und danach in ſtreitigen Fällen zu urthei -72Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.len, nicht irren könne. Schrieb er ihr nun ſchon eine ſo hohe Autorität in Glaubensſtreitigkeiten zu, wie viel mehr mußte er das in Hinſicht der Verfaſſung thun! Das Recht der Geſammtheit ſah er aber nicht minder kirchlich als po - litiſch in dem großen Rathe repräſentirt. Sein Verfahren war, wie er einmal ausdrücklich erläutert, jede Frage zu - erſt durch die Predigt ſo lange zu verhandeln, bis Jeder - mann von der Sache überzeugt worden: alsdann ſie erſt vor den großen Rath zu bringen; der treffe darnach im Ver - ſtändniß mit den Dienern der Kirche die Einrichtung, welche nothwendig ſey. Der Rath, ſagt er, hat die höchſte Ge - walt anſtatt der Gemeinde. 1Ante omnia multitudinem de quaestione probe docere ita factum est, ut quicquid diacosii (der gr. Rath) cum verbi ministris ordinarent, jam dudum in animis fidelium ordinatum esset. Denique senatum diacosion adivimus; ut ecclesiae totius nomine, quod usus postularet, fieri juberent. Diacosion senatus summa est potestas ecclesiae vice. Subsidium de eucharistia Opp. III, 339.

Man ſieht leicht, welch eine ganz andere Grundlage einer neu zu errichtenden kirchlichen Genoſſenſchaft dieß gab, als die war, auf die man in Deutſchland baute. Factiſch iſt der Unterſchied am Ende ſo groß nicht. Dort vereini - gen ſich die Prediger mit der fürſtlichen Gewalt im Lande, hier mit der ſtädtiſchen Behörde in einer Stadt; aber daß man dort auf die Reichsabſchiede angewieſen iſt, hier da - gegen die Souveränetät ſchon durch die That beſitzt und ſie auch kirchlich geltend macht, bildet für die Theorie und die fernere Entwickelung einen ungemeinen Unterſchied.

Es konnte nun nichts mehr helfen, daß der Biſchof die Meinung, ein Chriſt ſey nicht gehalten nach menſchli -73Emancipation von Zuͤrich 1523.chen Kirchenſatzungen zu leben, durch ein neues Decret ver - dammte; an eben dieſer Meinung hielt die freie Gemeinde feſt, welche ſich von ihm losſagte.

Die einzige wahre Schwierigkeit, welche ſich dieſer auf ihrem Wege entgegenſtellte, lag in der Hartnäckigkeit ein - zelner abweichenden Meinungen in ihrem Innern. Noch immer fanden ſich Leute, welche Zwingli für einen Ketzer erklärten.

Um dem ein Ende zu machen und auf den Grund ge - ſtützt, daß die von ihm begehrte Erläuterung niemals ausge - bracht worden, veranſtaltete der Rath im Februar 1523 eine Disputation ſeiner Leutprieſter, Seelſorger, Pfarrer und Prä - dicanten. Ohnehin entſprach das dem Begriffe Zwingli’s. Er meinte, Gott werde einmal nicht fragen, was der Papſt mit ſeinen Biſchöfen, was Concilien und Univerſitäten ſta - tuirt, ſondern was in ſeinem Worte enthalten ſey. Der Biſchof, der noch nicht alle Hoffnung aufgegeben zu haben ſcheint, ſendete auch einige Abgeordnete, unter ihnen ſeinen Generalvicar Faber, zwar nicht um an der Disputation eigentlich Theil zu nehmen, aber um ihr beizuwohnen und den Zwiſt der Parteien zu ſchlichten. 1 nit zu disputiren, ſondern allein uffhoͤren, rath geben und ſchidluͤt zu ſeyn. Faber Warlich Unterrichtung bei Hottinger I, 437.Die Disputation fiel jedoch vollkommen zu Gunſten Zwingli’s aus. Was wollte man auch ſagen, ſo wie man ihm ſeinen Grundſatz zugab, daß die Schrift die nicht lüge noch trüge die einige Richtſchnur des Glaubens ſey. Ich wundre mich, daß ſich der kluge Faber auf dieſen ſchlüpfrigen Boden wagte. Er rühmte ſich, die Anrufung der Heiligen einem74Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.gefangenen Pfarrer aus der Schrift nachgewieſen zu haben; es war einer der größten Triumphe Zwingli’s, daß Faber, von ihm aufgefordert, dieſen Beweis doch noch einmal zu führen und zwar hier zur Stelle, damit natürlich nicht zum Ziel kommen konnte. Ueberhaupt geſtanden ſelbſt eifrige Gegner damals ein, und noch heute kann es Niemand, der die Verhandlungen lieſt, in Abrede ſtellen, daß Zwingli vollkommen den Platz behielt. Daraus folgte dann, daß der Rath ihn ausdrücklich ermächtigte, fortzufahren, wie bisher, und die Geiſtlichkeit aufs neue anwies, nichts vor - zunehmen oder zu lehren, was ſie nicht aus dem Worte Gottes beweiſen könne.

Bemerken wir wohl die Worte vornehmen oder lehren, ſie ſchließen ſo gut eine Aenderung der Cerimonien wie der Predigt ein.

Schon war die Umwandlung der Aeußerlichkeiten des Kirchenweſens in vollem Gange. Die Geiſtlichen verhei - ratheten ſich: den Kloſterfrauen ward freigeſtellt, auszutre - ten oder zu bleiben: Wiſſet lieber Meiſter Ulrich, ſchrieb der Schaffner des Kloſter Cappel an Zwingli, wir ſind alle mit dem Abt einhellig geworden, anzunehmen das heilig Evangelium und göttlich Wort, und dabei zu ſter - ben. 2Chunrad Hofmanns ſchriftlicher Fuͤrtrag wider Zwingli’s Reformation: Fuͤßli Beitraͤge III, 93.Obwohl im Stift am Münſter noch ſehr eifrige Anhänger des Alten lebten, ſo ward doch am Ende von den Chorherrn ſelbſt der Beſchluß, daſſelbe zu reformiren,1Handlung der Verſammlung in der loͤblichen Stadt Zuͤrich von Hegenwaldt, mit Auszuͤgen aus Fabers warlicher unterrichtung in Zwingli’s Werken I, p. 105.3Jakob Leu der Schaffner an Zwingli Epp. I, 367.75Emancipation von Zuͤrich 1523.gefaßt, und in Verbindung mit einigen Abgeordneten des Rathes ausgeführt. Die Stolgebühren wurden bei weitem zum größten Theil erlaſſen; über die Zehnten und übrigen Renten ward eine ſolche Verfügung getroffen, daß ſich eine recht bedeutende und einflußreiche Lehranſtalt da entwickeln konnte. Noch mehr Aufſehn aber als alles Andre machten die Zweifel über die Verehrung der Bilder und über die Meſſe, zwei Fragen, die nun von Tage zu Tage ſtärker her - vortraten. Schon erſchienen Schriften gegen den Meßcanon; an den Heiligenbildern wurde Gewalt geübt. Der Rath hielt für nothwendig, dieſe Fragen einer beſondern geiſtlichen Ver - ſammlung vorzulegen, die im October 1523 Statt fand.

Und ſchärfer konnte nun wohl die Autonomie einer ſich von dem großen hierarchiſchen Zuſammenhang trennenden und ſelber conſtituirenden Genoſſenſchaft nicht hervortreten, als bei dieſer Verſammlung. Der Biſchof von Coſtnitz - tete ſich wohl, abermals Geſandte zu ſchicken. Der alte Conrad Hofmann, früher Zwingli’s Beförderer, wiederholte vergeblich, daß die Gemeinde nicht befugt ſey, über Dinge dieſer Art zu disputiren. 1 Ich bin 10 oder 13 Jahre zu Heidelberg geweſen, ſo bin ich bei einem gelehrten Mann geweſen, derſelbige hieß Doc - tor Joß: ein guter frommer Mann, mit demſelbigen habe ich geeſſen und getrunken dick, da habe ich alle mein Tag gehoͤret, es zieme ſich nicht von dieſen Dingen zu disputiren. Eben das war Zwingli’s Prin - zip, daß die Kirche nicht in Papſt, Cardinälen, Biſchöfen und deren Verſammlungen beſtehe, ſondern die Gemeinde, die Kilchhöri, das ſey die Kirche wie die erſte Kirche zu Jeruſalem: Actorum XV. 2 Ja Hoͤng und Kuͤßnacht iſt eine gewiſſere Kirche, denn alle zuſammengerottete Biſchoͤfe und Paͤpſte. Die Verſammlung ſelbſtJetzt waren es in der That76Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nur Zürcheriſche Geiſtliche aus der Stadt und vom Lande, mit wenigen Fremden wie dort Boten von Antiochien zuge - gen geweſen die ſich unter Leitung des Bürgermeiſters Marx Röuſt auf dem Rathhauſe verſammelten, um über zwei der wichtigſten Fragen, welche die Chriſtenheit beſchäftigen konn - ten, zu Rathe zu gehn. Meiſter Leu (Leo Judä) Leutprie - ſter zu St. Peter und Zwingli ſtellten die Sätze auf, welche ſie vertheidigen wollten, der eine, daß man keine Bilder zum Gottesdienſt machen dürfe, der andre, daß die Meſſe kein Opfer ſey; und luden einen Jeden der eine andre Mei - nung hege ein, ſie aus der Schrift zu widerlegen. Wohl erhob ſich Einer und der Andre; doch waren ihre Gründe leicht beſeitigt. Dann wurden die, welche ſich den Neue - rungen beſonders eifrig entgegengeſetzt und ſie etwa ketzeriſch geſcholten, einzeln und bei ihrem Namen aufgerufen, ihre Rede zu beweiſen. Einige waren nicht erſchienen: Andre ſchwiegen: noch Andere erklärten ſich zuletzt überzeugt und entſchuldigten ſich nur, daß ſie den allgemeinen Irrthum getheilt. Es war ein Abt, jener Abt von Cappel, der zum Schluß die Herren von Zürich ermahnte, ſich nun auch unerſchrocken der Sache des Evangeliums anzunehmen. 1Acta der zweiten Disputation (26, 27, 28 Wynmonats) Zwingli’s Werke I, 539. Es exiſtirt auch ein Bericht daruͤber von Johann Salat, Gerichtſchreiber zu Lucern. In Fuͤßli’s Beitraͤgen III, 1 iſt demſelben ſein Recht geſchehn.Hierauf ward den Seelſorgern befohlen, nicht wider die Artikel zu predigen, welche in der Disputation den Sieg behalten hatten. Zwingli verfaßte eine Anleitung für ſie, die ihnen unter öffentlicher Autorität bekannt gemacht wurde,2iſt freilich auch keine Kirche, aber ſie vindicirt der Gemeinde das Recht der Autonomie. Sie iſt der erſte Anſatz zur Presbyterialverfaſſung.77Verhaͤltniß zu Luther.und als das erſte aller ſymboliſchen Bücher der evangeli - ſchen Kirche betrachtet werden kann.

So riß ſich Zürich von dem Bisthum und damit von dem ganzen Complex der lateiniſchen Hierarchie los, und unternahm eine neue Kirchenverfaſſung auf die Idee der Gemeinde zu gründen.

Wir müſſen zwar anerkennen, daß dieſe Idee nicht vollkommen nach ihrem theoretiſchen Inhalt realiſirt ward. Im Grunde trat ſie nur in ſo weit hervor, als ſie politi - ſche Bedeutung gewonnen. Aber unläugbar iſt doch, daß Stadt und Land den größten ſelbſtthätigen Antheil an der Um - wandlung nahmen. Keine Neuerung ward ins Werk geſetzt, die nicht durch den ausgeſprochenen Beifall der ſtädtiſchen Gemeinde ihres Erfolges ſicher geweſen wäre: der große Rath rief die Meinung nicht hervor, er folgte ihr nur nach. Schon früher hatte die Geiſtlichkeit des Zürcher Capitels die Beſchlüſſe der Stadt wiederholt. 1Hottinger Helvetiſche Kirchengeſchichte III, 109.Später ſprachen die ein - zelnen Gemeinden in eigenen Adhäſionsurkunden ihre Ueber - einſtimmung mit dem Vorgange der Bürgerſchaft aus. Die ganze Bevölkerung erfüllte ſich mit dem poſitiven evange - liſchen Geiſte, der ihr ſeitdem eigen geblieben, und der ſeine uralte Spontaneität von Zeit zu Zeit auf das merkwürdigſte kund gegeben hat.

Verhältniß zu Luther. Abendmahlsſtreitigkeit.

Es leuchtet ein, daß hier keine Wiederholung der Wit - tenberger Doctrinen zum Vorſchein gekommen war. Wie die perſönliche Entwickelung der beiden Reformatoren, ſo78Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.waren auch die Verhältniſſe der öffentlichen Gewalt, an die ſie ſich anſchloſſen, und die Gegenſätze, welche ſie zu bekäm - pfen hatten, ſehr verſchieden. Auch in der Richtung der Ideen und der Auffaſſung der Lehre zeigten ſich bei aller Analogie doch ſehr bald weſentliche Abweichungen.

Der vornehmſte Unterſchied iſt, daß Luther an dem beſtehenden geiſtlichen Inſtitut alles feſthalten wollte, was nicht durch einen ausdrücklichen Spruch der Schrift wider - legt werde; Zwingli dagegen alles abzuſchaffen entſchloſſen war, was ſich nicht durch die Schrift beweiſen laſſe. Lu - ther blieb auf dem gewonnenen Grund und Boden der la - teiniſchen Kirche ſtehen; er wollte nur reinigen, die Lehre außer Widerſpruch mit dem Evangelium ſetzen; Zwingli hielt dagegen für nothwendig, die erſten einfachſten Zuſtände der chriſtlichen Kirche ſo viel wie immer möglich herzuſtellen; er ſchritt zu einer totalen Umwandlung fort.

Wir wiſſen, wie weit Luther entfernt war, auf die Abſchaffung der Bilder zu dringen; er begnügte ſich den Aberglauben zu bekämpfen, der ſich daran geknüpft hatte. Zwingli dagegen betrachtete dieſen Dienſt ſchlechthin als Ab - götterei und verdammte die Bilder ſelbſt und an ſich. Im Einverſtändniß mit ihm erklärte der Rath zu Pfingſten 1524, er wolle die Bilder abſchaffen, er halte dieß für ein gött - liches Werk. Glücklich vermied man die Unordnungen, welche ein ähnliches Vorhaben an ſo manchen andern Orten hervorgebracht hat. Die drei Leutprieſter mit zwölf Raths - gliedern, einem aus jeder Zunft, begaben ſich nach den Kirchen, um die Sache unter ihrer Aufſicht ausführen zu laſſen. Die Kreuze bei den Frohnaltären verſchwanden. 79Veraͤnderung der Gebraͤuche 1524, 25.Die Bilder wurden von den Altären genommen, die Fres - co’s an den Mauern abgepickt, die Mauern weiß vertüncht. In den Landgemeinden hat man die köſtlichſten Tafeln hie und da wohl geradezu verbrannt; Gott zu Lob und Ehre. 1Bernhard Weiß a. a. O. p. 49. Bullinger Reform. Geſch. I, p. 102. Leben Leonis Judaͤ Misc. Tigur, III, 33. Anno 24 ſtalt man ab die Proceſſionen der Moͤnchen und Pfaffen, ordnet Leut, die uͤber die Saͤrch (Reliquienkaͤſten) gingend und vergrubind die Ge - bein oder Heilthum. Man taͤht die Orglen auß den kilchen, das tod - tenlaͤuten ward abgeſtellt, das wychen des Saltzes Waſſers Palmen; das verrichten der Krankeen; hernach that man in der Stadt die Bilder us den Kilchen und uf dem Land wo es das Mehr werden moͤcht.Auch das Spiel der Orgeln fand keine Gnade, wegen der Superſtition, die ſich damit verbunden habe. Man wollte nur den erſten einfachen Dienſt am Worte. In allen Kir - chengebräuchen ſetzte man ſich nun das nemliche Ziel. Es ward eine neue Formel der Taufe aufgeſtellt, ohne alle die Zuſätze welche in Gottes Wort nicht Grund haben. 2Zwingli’s Werke II, ii, p. 230.Dann ſchritt man zu einer Veränderung der Meſſe. Lu - ther hatte ſich mit Weglaſſung der auf die Lehre vom Opfer bezüglichen Worte, mit der Herſtellung des Kelchs begnügt. Zwingli richtete Oſtern 1525 ein förmliches Liebes - mahl ein. Die Communicanten ſaßen, in einer beſondern Abtheilung der Stühle, zwiſchen Chor und Durchgang, rechts die Männer, links die Frauen; das Brot wurde in breiten hölzernen Schüſſeln herumgetragen; ein jeder brach ſich einen Biſſen ab; dann trug man den Wein in hölzer - nen Bechern umher. 3Vorrede p. 234 ebenda.So glaubte man ſich der urſprüng - lichen Einſetzung am meiſten anzunähern.

Und hier kommen wir noch auf eine tiefer liegende80Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Differenz, die nicht allein die Anwendung, ſondern auch die Auffaſſung der Schrift eben in Bezug auf dieſe wich - tigſte aller geiſtlichen Handlungen betraf.

Es iſt bekannt, wie mannichfaltig dies Myſterium auch in frühern Zeiten aufgefaßt worden iſt, namentlich vom neunten bis zum eilften Jahrhundert, ehe die Lehre von der Transſubſtantiation die Alleinherrſchaft errang. Kein Wun - der, wenn nun, nachdem dieſe erſchüttert worden, auch neue Verſchiedenheiten der Auffaſſung erſchienen.

Damals waren ſie mehr ſpeculativer, jetzt, der veränder - ten Richtung der Gelehrſamkeit gemäß, mehr exegetiſcher Art.

Bald nachdem Luther das Wunder der Transſubſtan - tiation verworfen, regte ſich in mehrern Köpfen zugleich die Idee, ob nicht überhaupt auch abgeſehen davon ſich den Einſetzungsworten eine andre Deutung geben laſſe.

Luther ſelbſt bekennt, eine Anwandlung nach dieſer Seite hin gehabt zu haben; aber, da von jeher in äußern und innern Kämpfen ſeine allezeit ſiegreiche Waffe der Grund - text geweſen war, deſſen wörtlicher Verſtand, ſo gab er ſeine Zweifel auch jetzt unter den Wortlaut gefangen, und blieb dabei die reale Gegenwart zu behaupten, ohne das Wie weiter beſtimmen zu wollen.

Nicht Alle aber waren ſo zurückhaltend, dem Wort - verſtande ſo unterwürfig wie Luther.

Zuerſt wagte ſich Carlſtadt, als er im Jahr 1524 aus Sachſen flüchten mußte, mit einer neuen Erklärung hervor, die nun freilich exegetiſch unhaltbar, ja abenteuerlich aus - fiel, die er auch zuletzt ſelber wieder aufgegeben hat, bei deren näherer Begründung er aber auch einige Argumente81Abendmahlsſtreitigkeit.von beſſerm Gehalt vorbrachte,1Dialog von dem abgoͤttiſchen Mißbrauch des Sacraments bei Walch XX, 2878. Von dem widerchriſtlichen Mißbrauch des Herrn Brot und Kelch Ibid. 138. und mit der er überhaupt der dieſem Punkte ſchon zugewandten Richtung der Geiſter einen großen Anſtoß gab.

Der beſcheidene Oekolampadius zu Baſel, in deſſen Kreiſe ſich verwandte Anſichten geregt, fing an ſich zu ſchä - men, daß er ſeine Zweifel ſo lange unterdrückt, Lehren gepre - digt, von denen er nicht vollkommen überzeugt geweſen, und faßte ſich das Herz, den Sinn der geheimnißreichen Einſetzungs - worte, wie er ihn verſtand, nicht länger zu verläugnen. 2Zuſammenſtellung der verſchiedenen Aeußerungen des Oeko - lampadius in deſſen Leben von Heß p. 102.

Von einer andern Seite kam der junge Bullinger an dieſe Frage. Er ſtudirte die Acten des berengariſchen Strei - tes, und urtheilte, daß Berengar’n in jenem wichtigen Mo - mente wo die ſpätere Lehre ſich feſtſetzte Unrecht geſche - hen ſey. Er glaubte Berengar’s Meinung ſchon bei Au - guſtinus nachweiſen zu können. 3Lavater vom Laͤben und Tod Heinrychen Bullingers 1578 p. 8.

Die Hauptſache aber war, daß Zwingli das Wort er - griff. In dem Studium der Schrift, wie er es trieb, mehr im Ganzen, als ſtellenweiſe, und nicht ohne unaufhörlich auf das claſſiſche Alterthum zurückzukommen, hatte er die Ueberzeugung gefaßt, daß das Iſt der Einſetzungsworte nichts anders heiße, als bedeutet. Schon in einem Briefe vom Juni 1523 äußert er, der wahre Verſtand der Eu - chariſtie könne erſt dann begriffen werden, wenn man Brod und Wein im Nachtmal nicht anders betrachte als dasRanke d. Geſch. III. 682Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Waſſer bei der Taufe. 1An Hans Wyttenbach 15. Juni 1523. Panem et vinum vere esse puto ac edi etiam, sed frustra, nisi edens firmiter cre - dat, hunc solum esse animae cibum. Omnia sunt planiora si τὰ σῦκα σῦκα i. e. ficus ficus appellaverimus, panem dixerimus panem, vinum vinum (Epp. I, 258). Indem er die Meſſe angriff, hatte er ſchon die Abſicht gefaßt, darnach auch die Eucha - riſtie, wie er ſagt, ſich ſelber zurückzugeben. 2Deliberavimus usui esse futurum si missa everteretur, qua eversa speravimus etiam eucharistiam sibi restitui posse. De vera et falsa religione p. 269.Da nun jetzt Carlſtadt mit einer ſehr nahe verwandten Meinung hervor - trat, die er jedoch nicht zu erhärten vermochte, ſo glaubte Zwingli nicht länger ſchweigen zu können. Zuerſt in einem gedruckten Schreiben an einen Pfarrer in Reutlingen (No - vember 1524), dann ausführlich in ſeiner Schrift von der wahren und falſchen Religion trug er ſeine Erklärungsweiſe vor. So wenig er die Auslegung Carlſtadts billigte, ſo be - diente er ſich doch einiger Argumente, die derſelbe gebraucht, z. B. Chriſti Körper ſey im Himmel und könne unmöglich auf Erden den Gläubigen ſo ſchlechthin, realiter, ausge - theilt werden. Hauptſächlich ſtützte er ſich auf das ſechste Capitel im Evangelium St. Johannis, das ihm erſt hie - durch volles Licht zu erlangen ſchien.

Welch ein Moment war der im Spätjahr 1524, in dem ſich auf der einen Seite die Entzweiung zwiſchen einem katholiſchen und einem evangeliſchen Theile feſtſetzte, und nun dieſe Meinung hervortrat, welche die Evangeliſchen wie - der ſo gewaltſam trennen ſollte.

Luther trug kein Bedenken, auch Zwingli für einen jener Schwärmer zu erklären, mit denen er ſo oft zu käm -83Abendmahlsſtreitigkeit.pfen gehabt; er nahm keine Rückſicht darauf, daß man dort die Bilder unter öffentlicher Autorität abgeſchafft und allerdings einen Punct gefunden hatte, wo die weltliche Ordnung beſtehn konnte, nur ein paar Schritte weiter als er; er hatte überhaupt von den ſchweizeriſchen Zuſtänden nur dunkle Begriffe. Mit großer Heftigkeit begann er den Krieg.

Es würde nun nicht hieher gehören, die Streitſchrif - ten aufzuführen, welche gewechſelt, die Argumente, welche von beiden Seiten gebraucht worden; es ſey dem Betrach - tenden nur erlaubt eine Bemerkung zu machen.

Unläugbar ſcheint mir, daß die Sache durch das le - diglich exegetiſche Verfahren nicht auszumachen war.

Daß das Iſt einen tropiſchen Sinn haben könne, iſt an ſich nicht in Abrede zu ſtellen, und ſtellt auch Luther im Grunde nicht in Abrede. Er giebt es bei Ausdrücken zu, wie: Chriſtus iſt ein Fels iſt ein Weinſtock: darum weil Chriſtus nicht ſeyn kann ein natürlicher Fels. Er läugnet nur, daß das Wort dieſen Sinn im vorliegenden Falle habe, ihn haben müſſe. 1Große Confeſſion in Walchs Sammlung der Werke Luthers Thl. XX, p. 1138.

Dadurch ſpringt nun weiter ins Auge, daß der Grund der Streitigkeit in einer allgemeinen Auffaſſung lag.

Zwingli hat gegen die Gültigkeit der wörtlichen Er - klärung vor allem eingeworfen, daß Chriſtus ja ſelbſt ge - ſagt habe, ich werde nicht bei Euch ſeyn alle Tage, mithin auch im Abendmahl gar nicht gegenwärtig ſeyn wolle; daß er ferner dann allenthalben ſeyn müßte, eine locale Allenthalbenheit ſich aber nicht denken laſſe. Lu -6*84Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.ther, der eine angeborene Scheu hat, über den einfachen klaren Wortſinn einer Stelle hinauszugehn, antwortet in der Regel, daß er ſich an das untrügliche Wort halte, daß bei Gott kein Ding unmöglich ſey. Es iſt aber wohl nicht denkbar, daß er dabei ſtehen geblieben wäre, hätte er ſich nicht durch eine höhere Auffaſſung über jene Einwürfe er - hoben gefühlt. Indem er weiter gedrängt wird tritt er doch am Ende auch mit dieſer hervor; es iſt die Lehre von der Vereinigung der göttlichen und der menſchlichen Natur in Chriſto. Er findet, dieſe Vereinigung ſey noch viel enger, als die zwiſchen Leib und Seele; auch durch den Tod habe ſie nicht aufgelöſt werden können; die Menſchheit Chriſti ſey durch ihre Vereinigung mit der Gottheit über das Reich des Natürlichen, außer und über alle Creatur erhoben wor - den. Wir haben hier einen Fall, der auch ſonſt wohl ein - tritt, wo Luther, ſelbſt ohne es zu wiſſen, auf die vor der Entwickelung der hierarchiſchen Alleinherrſchaft und der Ausbildung ihres Syſtemes in Gang geweſenen Meinun - gen zurückkommt. Schon Johann Scotus Erigena, im 9ten Jahrhundert, hat die Lehren vom Abendmahl und den zwei Naturen auf eine wenn nicht völlig gleiche, doch ſehr ähnliche Weiſe mit einander in Verbindung gebracht. 1De divisione naturae bei Neander Kirchengeſchichte IV, 472. Der Unterſchied liegt wohl hauptſaͤchlich darin, daß Scotus noch ent - ſchiedener eine Verherrlichung der menſchlichen Natur durch die goͤttliche annimmt. Caro in virtutem transformata nullo loco continetur. Lu - thers Lehre iſt nun, daß ſich die Identität der göttlichen und der menſchlichen Natur in dem Myſterium des Sa - craments darſtelle. Der Leib Chriſti iſt der ganze Chri - ſtus, göttlicher Natur, über die Bedingungen der Crea -85Abendmahlsſtreitigkeit.tur erhaben, und daher auch in dem Brode füglich mit - theilbar. Die Einwendung, daß Chriſtus geſagt, er werde nicht immer gegenwärtig ſeyn, hebt er ohne Zweifel mit Recht durch die Bemerkung, daß Chriſtus dort nur von ſei - nem irdiſchen Daſeyn rede.

Es iſt deutlich, in wie fern Zwingli’s Beweisführung nun weiter für Luther nichts Schlagendes hatte. Er konnte wie er es liebte, bei dem Wortſinn bleiben, der ihm keinen Widerſpruch darbot. Durch eine Auffaſſung, welche die höchſten Myſterien der Religion berührt, wiewohl er ſie mit einer ehrwürdigen Scheu, das Geheimnißvolle in den Streit des Tages zu ziehen, nur dann und wann hervorhob, war er ſeiner Sache ſicher.

Ueberhaupt erſcheint uns Luther hier in ſeinem eigen - ſten Weſen.

Wir haben oft bemerkt, er weicht nur ſo viel von dem Herkömmlichen ab, als die Worte der Schrift ihn un - bedingt nöthigen. 1Z. B. fragt Carlſtadt: wo hat Chriſtus geboten, daß man ſein Abendmahl in die Hoͤhe aufheben und dem Volke zeigen ſolle? (Walch 2876), Luther antwortet: wo verbietet es Chriſtus? (p. 252).Etwas Neues aufzubringen oder das Beſtehende umzuſtürzen, was der Schrift nicht geradezu un - gemäß, wären Gedanken, die ſeine Seele nicht kennt. Er würde die ganze Entwickelung der lateiniſchen Kirche be - haupten, wenn ſie nur nicht durch fremdartige, dem ächten Sinn des Evangeliums widerſprechende ſpätere Bildungen verunſtaltet wäre, er würde die Hierarchie ſelbſt anerkennen, wofern ſie ihm nur das Wort frei ließe. Da das aber nicht ſeyn kann, ſo hat er das Amt der Reinigung noth - gedrungen ſelber übernommen. Er hat ſich, denn ſeine Seele86Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.lebt und webt in den kirchlichen Ueberlieferungen, nicht ohne die heftigſten inneren Stürme von dem Zufälligen, dem unbegründeten Zuſatz frei gemacht. Aber um ſo uner - ſchütterlicher hält er nun auch an dem Myſterium feſt, in ſo fern es mit dem Wortſinn der Schrift übereinſtimmt und dadurch bewährt wird. Er weiß es mit alle dem Tief - ſinn aufzufaſſen, der ihm urſprünglich zu Grunde gelegen; er iſt empfänglich für die großartigſte Myſtik, ja durch - drungen davon.

Es iſt wahr, Luther fiel von der römiſchen Kirche ab, oder vielmehr er ward von ihr ausgeſtoßen, und hat ihr mehr geſchadet als ein andrer Menſch. Allein er verläug - nete nie ſeinen Urſprung. Wenn wir die welthiſtoriſche Be - wegung der Meinung und Lehre ins Auge faſſen, ſo iſt eben Luther das Organ, durch welches ſich das lateiniſche Kirchenweſen zu einer freieren minder hierarchiſchen, mit den urſprünglichen Tendenzen des Chriſtenthums wieder au - ßer Widerſpruch geſetzten Entwickelung umbildete.

Geſtehen wir aber, daß ſeine Auffaſſung beſonders in dieſem Stück doch immer etwas Individuelles behielt, nicht einem Jeden einleuchten konnte, wie denn auch ſeine Stel - lung keineswegs von Allen getheilt wurde. Auch die tie - fern und bedeutendern Geiſter, die an der Thätigkeit des Jahrhunderts lebendigen Antheil nahmen, waren mit nich - ten alle ſo kirchlich geſinnt wie Luther. So wie Zwingli’s Beweisführung Luther’n nicht überzeugen konnte, ſo ging die Auffaſſung Luthers an Zwingli vorüber, ohne auf ihn Eindruck zu machen.

Zwingli lebte, wie berührt, überhaupt nicht ſo tief in87Abendmahlsſtreitigkeit.dem Gefühl der allgemeinen Kirche, des Zuſammenhanges mit den Doctrinen der verfloſſenen Jahrhunderte. Wir ſa - hen ſchon, daß ihn, einen geborenen Republikaner, der Be - griff der Gemeinde um vieles mehr beſchäftigte: wie er denn auch jetzt beſchäftigt war, ſeine Zürcheriſche Gemeinde durch ſtrengere Kirchenzucht zuſammenzuhalten. Er ſuchte die öf - fentlichen Verbrecher zu entfernen, hob die Aſyle auf, ließ unzüchtige Dirnen und Ehebrecherinnen aus der Stadt ſchaf - fen. Mit den Geſichtspuncten, die ihm daher entſprangen, verband er nun ein freies, von aller hergebrachten Dog - matik abſehendes Studium der Schrift. Irre ich nicht, ſo bewieß er in der That für den Zuſammenhang des ur - ſprünglichen Gedankens derſelben einen feinen und treffenden Sinn. Wie der Ritus bezeugt, den er einführte, ſah er das Abendmahl als ein Mahl des Gedächtniſſes und der Liebe an. Er hielt ſich an das Wort Pauli, daß wir Ein Leib ſind, weil wir von Einem Brode eſſen. Denn ein Je - der, ſagt er, bekenne ſich dadurch zu der Gemeinſchaft, die in Chriſtus ihren Heiland erkenne, in der alle Chriſten Ein Leib ſeyen; das ſey die Gemeinſchaft des Blutes Chriſti. Wenigſtens er ſelbſt wollte nicht Wort haben, daß er die Euchariſtie für bloßes Brod halte. Wenn Brod und Wein, die durch Gottes Gnade geheiligt ſind, ausgetheilt wer - den, wird da, ſagt er, nicht der ganze Chriſtus gleich - ſam fühlbar den Seinen dargeboten? Es gereichte ihm zu beſonderer Genugthuung, daß er durch dieſe Auffaſſung unmittelbar zu einer praktiſchen Wirkung gelangte. Denn wie ſollte es nicht zu chriſtlichem Leben und chriſtlicher Liebe anleiten, wenn man wiſſe, daß man zu ſeinem Leibe gehöre? 88Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Der Unwürdige werde ſchuldig an Chriſti Leib und Blut. Er erlebte die Freude zu ſehen, daß ſein Ritus und dieſe ſeine Anſicht zur Beilegung alter und verhärteter Feindſchaf - ten beitrugen. 1Expositio fidei Werke II, II, 241.

Obgleich Zwingli gern das Uebernatürliche hervorhebt, das ſeine Auffaſſung noch darbot, ſo iſt doch klar, daß dieß nicht das Myſterium war, welches bisher den Mittelpunkt des Cultus in der lateiniſchen Kirche gebildet hatte. Man kann begreifen, welchen Eindruck es auf den gemeinen Mann machte, daß man ihm die ſinnliche Gegenwart Chriſti entreißen wollte; es gehörte ein gewiſſer Muth dazu, ſich dazu zu entſchließen; als das aber einmal geſchehen, ſo zeigte ſich, wie wenigſtens Oekolampadius ſagt, eine weit größere Empfänglichkeit dafür, als man hätte vermuthen ſollen. Auch dieß iſt auf der andern Seite wohl zu erklä - ren. Da man ſich einmal im Abfall von der römiſchen Kirche begriffen ſah, ſo gewährte es eine gewiſſe Befriedi - gung des Selbſtgefühles, welches ſich dabei entwickelte, daß dieß ſo vollſtändig wie möglich geſchah, daß man in einen vollkommenen Gegenſatz trat.

Luther war von dem römiſchen Hofe vom erſten Au - genblicke an mit großer Härte, Zwingli dagegen mit äußer - ſter Schonung behandelt worden; noch im Jahr 1523 em - pfing er ein überaus gnädiges Breve Adrians VI, in wel - chem alle ſeine Neuerungen ignorirt wurden. Deſſenun - geachtet liegt am Tage, daß Zwingli dem bisherigen Kir - chenweſen bei weitem ſchärfer und unverſöhnlicher entgegen - trat als Luther. Auf ihn machten Dienſt und Dogma, wie89Abendmahlsſtreitigkeit.ſie im Laufe des Jahrhunderts ſich gebildet, ganz und gar keinen Eindruck mehr; Abwandlungen, die an ſich unſchäd - lich waren, an die ſich aber der Mißbrauch geknüpft hatte, verwarf er mit ſo durchgreifender Raſchheit, wie den Miß - brauch ſelbſt; die älteſten Formen, in denen ſich das chriſtliche Princip zuerſt ausgeſprochen, ſuchte er herzuſtellen: gewiß auch Formen, und nicht das Weſen, aber die doch wie die nächſten, ſo auch die reinſten und angemeſſenſten waren.

Luther war bei alle ſeinem Eifer gegen den Papſt, bei aller ſeiner Abneigung gegen die weltliche Herrſchaft der Hierarchie, doch übrigens ſelbſt in Lehre und Ritus ſo viel als möglich conſervativ, hiſtoriſch geſinnt; er war tiefſin - nig und von dem Myſterium durchdrungen; Zwingli war bei weitem durchgreifender im Verwerfen und Umbilden, den Bedürfniſſen des täglichen Lebens zugewandt, nüchtern, verſtändig.

Wäre Luther mit ſeinen Schülern allein geblieben, ſo würde das reformirende Prinzip wohl ſehr bald zur Sta - bilität gelangt ſeyn, ſeine lebendig fortſchreitende Kraft viel - leicht bald eingebüßt haben. Daß Zwingli allein geweſen wäre, kann man ſich ſo eigentlich nicht denken. Wäre aber eine Anſicht, wie die ſeine, ohne Luther emporgekommen, ſo würde die Continuation der kirchenhiſtoriſchen Entwickelung dadurch gewaltſam unterbrochen worden ſeyn.

So war es, wenn wir uns ſo weit erheben dürfen, von der göttlichen Vorſehung beſtimmt, daß beide Auffaſſun - gen mit einander ihren Gang zu machen hatten. Sie wa - ren neben einander jede an ihrer Stelle, jede mit einer ge - wiſſen innern Nothwendigkeit entſprungen, ſie gehörten zu - ſammen, ergänzten ſich wechſelsweiſe.

90Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.

Aber ſeit den Zeiten der Inquiſitionsgerichte, der feſt - geſetzten, intoleranten Herrſchaft eines dogmatiſchen Sy - ſtems, war ein ſo ſtarrer Begriff von Rechtgläubigkeit in die Welt gekommen, daß ſich beide doch zunächſt, ohne Rück - ſicht auf ihre gemeinſchaftlichen Gegner, unter einander mit heftigem Eifer befehdeten.

Wir werden ſpäter der Wechſelfälle gedenken, in de - nen dieſer Streit ſich bewegt hat; jetzt faſſen wir ins Auge, wie Zwingli ſich an ſeiner Stelle weiter Raum machte.

Vertheidigung. Ausbreitung.

Obgleich Zwingli um vieles weiter gegangen, als Luther, ſo erhob ſich doch auch gegen ihn eine ihn überbietende Mei - nung; auch er hatte mit der Wiedertaufe zu kämpfen.

Man forderte ihn auf, eine Gemeinde von Wahrhaft - gläubigen abzuſondern, denn nur denen allein gelte die Ver - heißung. Er entgegnete, man könne ja doch den Himmel nicht auf Erden einführen, Chriſtus habe gelehrt, das Un - kraut mit dem Waizen aufwachſen zu laſſen. 1Elenchus contra Catabaptistas Opp. III, 362.

Man verlangte dann wenigſtens, daß er die ganze Zür - cheriſche Gemeinde zu den Berathungen herbeiziehn, ſich nicht mit dem großen Rathe, der nur aus zweihundert Mitglie - dern beſtand, begnügen ſolle. Aber Zwingli fürchtete den Einfluß der geiſtvorgebenden leidenſchaftlichen Demagogen auf eine größere Verſammlung. Er hielt dafür, daß die Gemeinde in dem großen Rathe kirchlich ſo wie politiſch hinreichend repräſentirt ſey. Das ſtillſchweigende Einver - ſtändniß der Gemeinde hielt er für eine ganz genügende91Wiedertaͤufer.Sanction der Beſchlüſſe des großen Rathes. Dieſer übe die kirchliche Gewalt aus, aber unter der Bedingung, daß er die Regel der heiligen Schrift nicht verletze, auch nicht im Minde - ſten, denn das ſey der Gemeinde von ihren Predigern verhei - ßen worden. Zwingli ging, wie geſagt, von dem Begriff der Gemeinde aus, realiſirte ihn aber nicht vollſtändig; wie man wohl in neuern Zeiten, auf das Prinzip der Natio - nalſouveränetät ſich ſtützend, es gleichwohl vermeiden hat, die Nation ſelbſt thätig auftreten zu laſſen.

Um der beſtehenden äußeren Ordnung doch wenigſtens Einen Vortheil abzugewinnen, forderten die Nichteinver - ſtandenen hierauf, daß der Zehnte abgeſchafft würde, der ja keineswegs von göttlichem Rechte ſey. Zwingli bemerkte, der Zehnte ſey entweder durch bürgerlichen Vertrag ſchon in die dritte Hand übergegangen, oder die Unterhaltung von Kirchen und Schulen ſey darauf gegründet. 1Fuͤßli’s Beitraͤge I, 235.Er wollte die öffentliche Ordnung ſo wenig erſchüttern laſſen wie Luther. Er ſtützte ſich nicht ſo gewaltig wie dieſer auf den Begriff der Obrigkeit; aber auch er war entſchloſſen, die einmal gebildete politiſche Welt nicht gefährden zu laſſen. Irgendwo mußte die Bewegung einhalten, wenn nicht alles in Frage geſtellt werden ſollte. Er war an dieſem Punkt angekom - men, ließ ſich keinen Schritt weiter bringen und hatte da - bei den allgemeinen Willen, von der in der Republik alles abhing, auf ſeiner Seite.

Da nun aber hiedurch alle weiter vordrängenden Be - ſtrebungen zurückgehalten wurden, ſo machten die Mißver - gnügten Verſuche, ſich für ſich ſelber zu conſtituiren. Die92Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Wiedertaufe trat auch in Zürich ſehr ſtark auf. Der Ritus der Wiedertaufe iſt nur das Wahrzeichen jener Lehre, die zur Bildung der Gemeinde volle Gleichheit der Geſinnung, wahrhafte Chriſtlichkeit fordert. Allein da die Gemeinſchaft der Wiedertäufer zugleich ihr Staat war, ſo geriethen ſie mit den beſtehenden Gewalten in unmittelbaren Gegenſatz. Wur - den ſie vor Gericht geſtellt, ſo erklärten ſie wohl, ſie ſeyen der irdiſchen Macht nicht unterthan: Gott allein ſey ihr Oberer. Sie behaupteten vielleicht nicht geradezu, daß man keine Obrigkeit dulden ſolle, aber ſie lehrten, ein Chriſt könne ſolch ein Amt nicht verwalten, das Schwerd nicht führen; ſo daß ſie die Chriſtlichkeit der weltlichen Gewalt nicht mehr anerkannten. Als das Ideal alles irdiſchen Zuſtandes, nach welchem man trachten müſſe, ſtellten ſie die Gemeinſchaft der Güter dar. 1Bekenntniſſe und Actenſtuͤcke in Fuͤßli’s Beitraͤgen I. 229, 246, 258. II, 263.Da nun Ideen dieſer Art eben in dem Bauernaufruhr ſo furchtbare Wirkungen geäußert, und auch hier die Wiedertäufer, wie wenigſtens Zwingli genau zu wiſſen behauptet, mit der Lehre hervortraten, daß man tödten dürfe, die Pfaffen tödten müſſe, ſo erhob ſich endlich, mit den Predigern einverſtanden, die ganze Gewalt der beſtehenden Ordnung der Dinge, um ſich ihrer zu entledigen. Einige wurden verbannt, andere entflohen; einer und der andere der Hauptanführer wurde ohne Erbarmen ertränkt.2In Rodolphi Gualtheri Epistola ad lectorem, vor dem zweiten Theile der Werke 1544 wird proteſtirt, daß Zwingli dieß nicht gewuͤnſcht. Quod homines vaesani, non jam infideles modo, verum etiam seditiosi, reipublicae turbatores, magistratuum ho - stes justa senatus sententia damnati sunt, num id Zwinglio fraudi esse poterit? Die93Politiſcher Widerſtand.neue Kirchenform ſetzte ſich feſt, ohne daß das Beſtehen, die Einrichtungen der Stadt und des Staates dadurch er - ſchüttert, gefährdet worden wären.

Mittlerweile hatte ſich aber von einer andern Seite her, aus politiſchen Motiven noch ein gefährlicherer Wi - derſpruch geregt.

Zwingli hatte nicht allein religiöſe, ſondern auch pa - triotiſche Ideen; er bekämpfte, wie wir uns erinnern, mit großem Erfolge die Unordnungen des Reislaufens und der Jahrgelder. Schon war er in Zürich damit völlig durch - gedrungen; die Prieſter mußten einſt alle Penſionen feier - lich verſchwören; im Jahre 1521 nahm Zürich allein von allen Cantonen den neuen franzöſiſchen Bund nicht an. Die Unglücksfälle, welche dieſer Bund nach ſich zog, ſuchte Zwingli dazu zu benutzen, um auch Andere für ſein Sy - ſtem zu gewinnen. Man muß die göttliche Vermahnung leſen, die er nach der Schlacht von Bicocca an die älteſten ehrenfeſten Eidgenoſſen zu Schwytz ergehen ließ, um den Zuſammenhang zu bemerken, der ſeine religiöſen und poli - tiſchen Beſtrebungen verband. Seine Ueberzeugung war, daß durch die heimlichen Gaben aus der Fremde Vernunft und Frömmigkeit verblendet, nichts als Zwietracht geſtiftet werde. Er dringt darauf, daß man den Eigennutz verban - nen müſſe. Und frage Jemand, wie dieß möglich ſey, da der Eigennutz in eines Jeden Herzen wurzle, ſo ſey die Antwort, man müſſe dafür ſorgen, daß das göttliche Wort gelehrt werde, klar und verſtändlich, ohne den Zwang menſch - licher Weisheit. Denn dadurch nehme Gott die Herzen ein. Wo aber Gott in des Menſchen Herzen nicht iſt, da iſt94Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.nichts als der Menſch ſelbſt, und er gedenkt an nichts, als was ihm zu Nutzen und Wolluſt dient. Es iſt ganz die höhere Moral, die zugleich Myſtik und Religion iſt, und ſeine Ideen überhaupt belebt, was ihn auch zu ſeiner po - litiſchen Tendenz führt. In Schwytz, wo er eine Anzahl perſönlicher Freunde hatte, machte ſein Schreiben ſo viel Eindruck, daß die Landsgemeinde am 18. Mai 1522 den franzöſiſchen Bund abkündigte und auch Andere davon ab - zuſtehn mahnte, alle die, welche es zu mahnen habe. Es war ſehr zu erwarten, daß Schwytz, wo Geroldseck und Zwingli und Leo Judä ſo lange gewirkt, nun auch in den eigentlich religiöſen Angelegenheiten dem Beiſpiele von Zürich folgen werde.

Es liegt jedoch am Tage und kein Menſch konnte ſich verbergen, daß dieſe politiſche Richtung, ſo vernünftig ſie auch an ſich war, doch zunächſt dem Fortgange der reli - giöſen Bewegung wieder hinderlich werden mußte. Allent - halben hatten ſich aus den Vorſtehern der Gemeinden, welche die Penſionen empfingen, und den Hauptleuten, welche die kriegsluſtige Jugend ins Feld führten, Factionen gebildet, die ihren Vortheil nicht ſo leicht fahren zu laſſen gemeint waren: Oligarchien die dann vereinigt die Tagſatzungen be - herrſchten. Zwingli fand, es ſey ein neuer Adel ſo gefährlich wie der alte. Und allerdings waren dieſe Machthaber ſtark ge - nug, um zunächſt die Schwytzer dahin zu bringen, daß ſie ih - ren wider die fremden Dienſte gefaßten Beſchluß zurücknahmen. Beſonders der Einfluß des Schultheißen Hans Hug in Lucern, hielt die bisherige Politik in den Waldcantonen aufrecht.1Klagen Zwingli’s 19. Febr. 1523 an Steiner. Epp. I, p. 275. Auf95Politiſcher Widerſtand.der Tagſatzung von 1523 ward förmlich Klage gegen Zwingli erhoben; ſo gegen ſeine religiöſen wie ſeine politiſchen Un - ternehmungen. Im Jahre 1524 forderte die Tagſatzung die Zürcher auf, von ihren Neuerungen abzuſtehn. Da ſie eine ausweichende Antwort gaben, drohte man ihnen, in Zukunft auf Tagen nicht mehr neben ihnen zu ſitzen, ihnen die Bundesbriefe zurückzugeben. Nicht als ob nun die Tag - ſatzung entſchioſſen geweſen wäre, alles beim Alten zu laſ - ſen; vielmehr kam noch 1525 ein ſehr merkwürdiger Be - ſchluß zu Stande, durch welchen man die geiſtliche Gerichts - barkeit zu beſchränken gedachte,1Z. B. ſoll der Geiſtlichkeit zwar vorbehalten bleiben, was Eheſachen oder Gotteshaͤuſer und Sacramente, oder Irrungen im Glauben betrifft, aber auch dieß ſoll erſt der weltlichen Obrigkeit vorgelegt werden, die nur, wenn es ihr nothwendig ſcheint, an den geiſtlichen Richter verweiſen mag. Artikel bei Bullinger I, 203. nach Art und Weiſe der deutſchen Reichstage. Das zeigt aber nur, daß auch in der Tagſatzung verſchiedene Meinungen obwalteten. Wer ſo recht ſtreng an Rom feſt hielt, wollte auch von keiner Beſchränkung der geiſtlichen Gerichtsbarkeit wiſſen. Vor - übergehend konnte man einmal nachgeben, allein im Gan - zen ſetzte ſich die engſte Verbindung jener Oligarchen mit den Prälaten durch, die eine Zeit daher nicht wenig ge - fährdet, plötzlich wieder Grund unter ihren Füßen fühlten. Wir ſtoßen hier auf die merkwürdige Thätigkeit des General - vicars zu Coſtnitz, Johann Faber, eines Mannes, der frü - her die literariſche Richtung ſeiner oberdeutſchen Zeitgenoſ - ſen getheilt, Zwingli ſelbſt zum Widerſtand gegen den Ab - laß ermuntert hatte, aber im Jahre 1521 ganz umgewan - delt von Rom zurückgekommen war, und es ſich nun zum96Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.Beruf ſeines Lebens machte, die alte Religion aufrecht zu erhalten; deſſen Bemühen war es, jene Verbindung zu Stande zu bringen und wirkſam zu machen. Das Geſpräch zu Baden, im Mai 1526, bei welchem auch Eck erſchien, war der Ausdruck des neuen Einverſtändniſſes der Oligar - chen und der geiſtlichen Gewalt. 1Zwingli an Vadian I, 485. Istud unum caveo, ne optima plebs Helvetica horum nebulonum Fabri videlicet et Ecciorum stro - phis committatur, id autem Oligarcharum perfidia 3 Kal. Apr. 1526.Trotziger und mit grö - ßerem Schein als jemals behaupteten die Altgläubigen, daß der Sieg auf ihrer Seite geblieben ſey.

Aber eben dieſes Geſpräch ſollte ihnen höchſt verderb - lich werden.

Zwingli war daſelbſt nicht erſchienen: wahrſcheinlich ſchreckten ihn die Executionen, welche man ſo eben im Coſt - nitzer Sprengel z. B. an Hans Hüglin vornahm; dage - gen hatten Bern und Baſel ein paar Vertreter der neuen Lehre, Berthold Haller und Oekolampadius geſchickt, die nun aber nicht allein weit davon entfernt waren, ihren Geg - nern den Sieg zuzugeſtehn, ſondern wie ſie nach Hauſe ka - men, auch in ihren Mitbürgern ein patriotiſches Mitgefühl für ihre Sache erregten. 2Wie das Lied des Nicolaus Manuel beweiſt: ain Lid in ſchilers Hofthon; bei Gruͤneiſen p. 409. Egg zablet mit fuͤßen und henden, fing an ſchelken und ſchenden: er ſprach ich blib by dem verſtand, den Baͤpſt Cardinaͤl Biſchof hand. Es erſcheint in Baden juſt wie in Leipzig.Bern und Baſel forderten auch ih - rerſeits Theilnahme an der Herausgabe der Acten des Ge - ſprächs, und wollten ſie der katholiſchen Majorität nicht ſo ohne Weiteres überlaſſen. Schon in der jurisdictionellen Frage waren jene Städte mit derſelben in Mißverſtändniß gerathen; jetzt bahnte ſich eine völlige Entzweiung an.

97Siege der Reformation.

Sie zum Ausbruch zu bringen trat jetzt ein weiterer politiſcher Moment hinzu. War der Lehre ihre Verbin - dung mit der Politik in der Schweiz bisher hinderlich ge - weſen, ſo kam ſie ihr endlich auch zu Gute.

Jenen Oligarchien ſtand überall in den Städten ein mächtiges demokratiſches Element in den großen Räthen und Bürgerſchaften entgegen. Wie ſich die Erſten an die geiſt - liche Macht anſchloſſen, ſo neigten ſich die Andern zur Re - form. Die allgemeine Stimmung des Volkes, der Beiſtand der Prediger waren auf ihrer Seite. Da wurde es nun entſchei - dend, daß ſich nach langem Schwanken dieſe Tendenz, hauptſächlich durch die Irrungen über das Badener Ge - ſpräch begünſtigt, in dem mächtigen Bern durchſetzte. Bei den neuen Wahlen des Jahres 1527 drang eine nicht ge - ringe Anzahl von Anhängern der Reform, Gegner der Oli - garchen, in den großen Rath ein. Die erſte Folge hievon war, daß der große Rath alle ſeine alten Rechte zurückfor - derte. Zwanzig Jahre lang hatte er es ſich gefallen laſſen, daß der kleine Rath von Vennern und Sechzehnern geſetzt wurde, jetzt nahm er das Recht, das ihm zuſtand, denſel - den zu wählen, wieder an ſich. 1Ad viginti annos 4 Pandareti cum 16 e civibus senatum minorem elegerunt, ea conditione ut per eos delectos civium turma non haberet abjicere; nunc ablata est illis potestas et concio universa civium senatum deligit. Schreiben B. Hallers an Vadian, in Kirchhofers Berthold Haller p. 89.Nachdem er dergeſtalt die Summe der bürgerlichen Gewalt, der Verfaſſung ge - mäß, in ſich vereinigt, griff er zu den religiöſen Angele - genheiten. Die Mandate, den alten Glauben feſtzuhalten, wurden zurückgenommen; eine Disputation veranſtaltet, beiRanke d. Geſch. III. 798Fuͤnftes Buch. Drittes Capitel.der auch Zwingli erſchien, und die nun ganz zu Gunſten ſeiner Meinung ausfiel; alle Einrichtungen die er in Zürich geſtattete, eignete man in Bern ſich an. Im Jahre 1528 ward noch vollends aus den beiden Räthen entfernt, was an dem alten Glauben feſthielt. Die Gemeinde ward in der Kirche verſammelt; Kopf bei Kopf, Herren, Meiſter und Knechte ge - lobten Alle den beiden Räthen Gehorſam. 1Stettler II, 6.Dann griff man, nach dem zwiefachen Charakter dieſer Reform über - haupt, die Jahrgelder an, welche in Bern auch unter den Evangeliſchgeſinnten mächtige Anhänger zählten. Nicht ohne lebhaften Kampf, und erſt nachdem man aufs neue die Mei - nung des Volkes in Stadt und Land befragt, wurden die Jahrgelder aberkannt (24. Aug.) und dem König von Frank - reich aufgekündigt. 2Bullinger II, 13. Haller nennt es pecunia sanguinaria; Hofmeiſter redet von execrabile foedus Gallicum. Auch Manuel gehoͤrte zu den Verfechtern der Penſionen. Gruͤneiſen 109. Kirch - hofer 133.

Einen Augenblick länger hielt ſich die bisherige Regie - rung in Baſel; ſie ſchmeichelte ſich noch ein Gleichgewicht zwiſchen beiden Bekenntniſſen zu behaupten. Allein allmäh - lig ward die evangeliſche Gemeinde ihre Ueberlegenheit inne: bei einer Volksverſammlung im Januar 1529 zeigten ſich nur 800 Katholiſche, dagegen bei 3000 Evangeliſche. Hier - auf, im folgenden Februar, brach eine aufrühreriſche Bewe - gung aus. Zuerſt ward die Verfaſſung geändert. Die Zünfte nahmen ihre frühere Selbſtändigkeit wieder an ſich und beka - men das Recht, künftig immer 60 der Jhren dem großen Ra - the beizuordnen; Niemand ſollte in dem kleinen Rathe ſeyn,99Siege der Reformation.der nicht durch den großen dazu vorgeſchlagen würde; alle Katholiſch-geſinnten verließen den kleinen Rath. 1Vgl. Ochs Geſchichte von Baſel V, p. 626 f. Das dioece - sium suffragio, cum dioecesiis disponenda in Oekolampads Be - richt, womit ſich Ochs V, 653 ſo viel plagt, heißt es ohne Zweifel dia - cosion suffragio, cum diacosiis, mit welchem Wort Zwingli und auch Oekolampad (z. B. in dem Briefe bei Heß p. 506) gewoͤhnlich den großen Rath bezeichnen.Auf der Stelle hörte man in den Kirchen deutſche Pſalmen ſingen und ſchon am 1. April ward eine Anordnung des Gottes - dienſtes nach dem Muſter von Zürich publicirt, die ganz den religiöſen Ernſt und die ſittliche Zucht athmet, welche eins der vornehmſten inneren Motive dieſes Unternehmens war, und in der man zugleich auf die Abſtellung der muth - willigen Kriege Bedacht nahm.

Zwiſchen den drei Städten ward nun ein Burgrecht abgeſchloſſen, eigentlich ein Bündniß zur Vertheidigung der vorgenommenen Neuerung, in welches man auch alle an - deren Eidgenoſſen aufzunehmen gedenke, wenn ſie, wie es hier heißt, des göttlichen Wortes ſo viel berichtet ſeyen.

Dazu war in der That viele Ausſicht vorhanden. In Glarus, Appenzell, Graubündten regten ſich die Anhänger der Neuerung gewaltig; in Schafhauſen ſchwankte der Rath unaufhörlich zwiſchen den entgegengeſetzten Richtungen;2Dieſe unentſchiedene Geſinnung ſtellt ſich individuell in dem 1839 herausgegebenen Tagebuche des Hans Stockar dar. in St. Gallen war der Sieg ſchon entſchieden. Noch im Jahre 1528 wurden hier in der Stadt, nach einer Aende - rung des Rathes, die katholiſchen Cerimonien abgeſtellt, Ar - tikel einer durchgreifendern Reform verkündigt.3Arx Geſchichte von St. Gallen II, 529, in der Hauptſache fluͤchtig, in den uͤberdieß gehaͤſſigen Nebendingen ausfuͤhrlich. Daſſelbe7*100Fuͤnftes Buch Drittes Capitel.geſchah in Mühlhauſen, wo einer jener Staatsmänner, welche an den eidgenöſſiſchen Angelegenheiten ſowohl in dem In - nern als in den Verhältniſſen zu Kaiſer und Papſt thätigen Antheil genommen, der Stadtſchreiber Gamshorſt der Be - wegung mit ſeiner wohlgegründeten Autorität zu Hülfe kam. In den Jahren 1528 und 1529 wurden St. Gallen, Bern und Mühlhauſen, das letztere nicht ohne eine gewiſſe Schwie - rigkeit, und nur auf beſondere Verwendung von Bern in das chriſtliche Bürgerrecht aufgenommen. 1Bullinger Reformationsgeſchichte II, p. 46.

In denſelben Zeiten, in welchen ſich in dem öſtlichen Deutſchland an ſo vielen Stellen evangeliſche Organiſatio - nen in Luthers Sinne erhoben, traten dieſe nahe verwandten Bildungen in der Schweiz im Geiſte Zwingli’s ins Leben.

Und ſchon griffen die Ideen der Zürcher Reform in ganz Oberdeutſchland mächtig um ſich. War doch die Eid - genoſſenſchaft ſelbſt noch immer ein Glied des Reiches. Die Reformatoren von Straßburg, Buzer und Capito hat - ten an dem Geſpräch zu Bern Antheil genommen, und wa - ren lange Zeit eifrige Anhänger der zwingliſchen Auffaſ - ſung des Abendmahls. Gar bald ſchloſſen ſich Lindau und Memmingen an Strasburg an. In demſelben Sinne predig - ten Somius in Ulm, Cellarius in Augsburg, Blaurer in Coſtnitz, Hermann in Reutlingen, und wie viele andere in den meiſten Städten jener Gegenden! Hie und da regte ſich der Gedanke, ſich an die evangeliſchen Orte der Eidgenoſ - ſenſchaft auf das engſte und für immer anzuſchließen.

Gewiß es war ein Unglück, daß die beiden Bildungen in dem öſtlichen und in dem weſtlichen Deutſchland einander wie -101Siege der Reformation.der entgegengeſetzt waren. Die Streitſchriften der beiden Theile erfüllten alle Gemüther mit gegenſeitigem Widerwillen.

Jedoch iſt das nicht die einzige Betrachtung, die wir an das Ereigniß knüpfen. Die Differenz beruhte nicht al - lein auf der verſchiedenen Auffaſſung eines Dogma, ſondern ſie war in dem Urſprung der beiderſeitigen Bewegung, in dem politiſchen und kirchlichen Zuſtand, von dem man ſich hier und dort losriß, gegeben. Ob man nicht in dem Dogma eine befriedigende Verſtändigung finden würde, ſtand noch dahin. Daß aber die Reform in der Schweiz aus urſprünglichen Trieben hervorgegangen war, ihre eigenthüm - lichen Wurzeln ſchlug, und dem gemäß ſich in eignen Bil - dungen verſuchte, war ohne Zweifel ein Glück; es gab dem Prinzip derſelben eine neue Nachhaltigkeit und innere Kraft.

[102]

Viertes Capitel. Politik des Jahres 1529.

Das war nun die Lage der damaligen Welt.

Das große Weltverhältniß, von welchem im Laufe der mittleren Jahrhunderte alles abgehangen, zwiſchen Orient und Occident war noch einmal zweifelhaft geworden. Der mächtige Fürſt, in welchem ſich die kriegeriſchen Kräfte des Orients concentrirten, ſtand wieder im Begriff, einen An - fall auf die Chriſtenheit zu verſuchen, von dem er ſich ei - nen ſo großen Erfolg verſprechen durfte, wie ihn ſeine letzte Unternehmung nur immer gehabt; es ließ ſich ſchon gar nicht erwarten, daß ihn die nur ſehr ſchwachen Vorkehrungen, die ſeitdem von der deutſchen Seite her in Ungarn getroffen wa - ren, aufhalten würden. Ein unmittelbares Zuſammentreffen der germaniſchen Kräfte zu Lande und der romaniſchen zur See mit den osmaniſchen ſtand nunmehr bevor.

In der Chriſtenheit ſelber aber war alles in Entzweiung.

Noch war der Friede zwiſchen den beiden oberſten Häup - tern nicht hergeſtellt. Der Kaiſer hatte wohl einmal den Gedanken gehegt, den Papſt aller weltlichen Herrſchaft zu berauben; in den Gegnern des Kaiſers war dagegen der103Lage der Welt.Plan aufgeſtiegen, mit Hülfe des Papſtes ihn den Kaiſer ſel - ber abzuſetzen. Noch waren dieſe Pläne nicht ganz beſeitigt.

Eben ſo wenig war das militäriſche Uebergewicht der einen oder der andern von den beiden großen Mächten, die ſchon ſo lange gegen einander unter den Waffen ſtanden, entſchieden. Von Jahr zu Jahr immer glücklicher hatte ſich das Haus Oeſtreich erhoben, noch wollte ſich aber Frank - reich mit nichten in den Verluſt des vorwaltenden Anſehens finden, das es bisher beſeſſen, oder ſeinen Beſitz in Ita - lien aufgeben.

Zu dieſen Kämpfen der Staatsintereſſen kam nun aber, wenn auch für den Augenblick nicht ſo geräuſchvoll, aber in ſich ſelber doch noch bedeutender die religiöſe Bewegung. Die Autorität der römiſchen Kirche, welche ſo viele Jahr - hunderte daher das Abendland beherrſchte, fand jetzt einen Widerſtand wie noch niemals. Schon öfter hatten ſich ihr Feinde erhoben, aber niemals hatten dieſelben eine zugleich ſo energiſche und ſo gut begründete Religioſität entwickelt; nie - mals waren ihre Beſtrebungen mit dem allgemeinen Leben des Geiſtes, dem Gange der europäiſchen Cultur ſo ver - bündet geweſen; auch hatten ſie noch nie ſo raſch und le - bendig in allen Nationen um ſich gegriffen.

Da war nun aber auch überdieß noch geſchehen, daß dieſe Reformationsideen in zwei verſchiedenen einander zu - widerlaufenden Richtungen emporkamen. Die eine ſchloß ſich ſo viel wie möglich an die entwickelte Lehre, den be - ſtehenden Staat an, die andere war von Anfang mit dem Gedanken einer Umbildung der Staatsverhältniſſe verſchmol - zen und ſetzte ſich zum Ziel, die urſprünglichen Zuſtände104Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.der Chriſtenheit wiederherzuſtellen. In der abweichenden Auf - faſſung des vornehmſten Dogmas traten ſie einander entgegen.

Es waren nicht Irrungen über eine und die andere Modification, ein oder das andere Beſitzthum, ſondern Strei - tigkeiten über die wichtigſten Angelegenheiten, über die Summe der Dinge die Verhältniſſe des Orients und Occidents, des Kaiſerthums und des Papſtthums, der beiden vorwal - tenden Mächte unter einander, die Fortdauer der hierarchi - ſchen Gewalten oder das Emporkommen neuer kirchlicher Formen; und auch in dieſer letzten Hinſicht über die Beibe - haltung des Irgend-haltbaren oder eine totale Veränderung.

Wie nun aber am Tage liegt, daß alle dieſe Gegen - ſätze, ſo weltumfaſſend ſie auch ſind, doch hauptſächlich die deutſche Nation berührten, in ihr zuſammentrafen denn wir zunächſt hatten den Kampf mit den Osmanen auf dem Continent auszufechten, das Uebergewicht in Italien zu be - haupten, den religiöſen Streit zur Entſcheidung oder zum Austrag zu bringen, ſo kam nun für den Fortgang der Dinge alles darauf an, welche Haltung unſer Kaiſer in dem Getümmel ſo mannichfaltiger Bewegungen annehmen würde.

Bisher war ſeine Politik, nach den Nothwendigkeiten der verſchiedenen Momente, auf eine nicht immer zuſam - menſtimmende Weiſe geleitet worden; jetzt aber, da die Ent - ſcheidung um ſo viel näher gekommen, mußte ein Syſtem ergriffen und durchgeſetzt werden.

Wie oben bemerkt, der Wunſch der Deutſchen wäre geweſen, daß der Kaiſer ſich mit dem Widerſtande wider die Hierarchie verbündet, und von den friſchen Kräften der Na - tion unterſtützt, die Rechte des Kaiſerthums nach allen Sei -105Stellung des Kaiſers.ten hin wahrgenommen, den Barbarenſtaat die Donau hinunter zurückgewieſen hätte. Und mußte nicht der Kai - ſer in der That hiezu eine gewiſſe Hinneigung empfinden? Hatte nicht von Anfang an auch er von einer Reformation der Kirche geredet, und dieß Wort noch zuletzt öfter wie - derholt? War nicht in denjenigen deutſchen Fürſten, die auf die Seite der Hierarchie getreten, die gefährlichſte Ei - ferſucht gegen ſein Haus zu bemerken? Mußte es ihm nicht einleuchten, welch ein gewaltiges Mittel der Macht für ihn darin gelegen hätte, ſich mit den populären Tendenzen zu verbünden, von deren unaufhaltſamen Um-ſich-greifen alle Briefe redeten, die ihm aus Deutſchland kamen, und die ſich nichts Beſſeres wünſchten als unter ſeinen Fahnen zu dienen?

Selten jedoch iſt ein Menſch fähig, in dem Kampfe entgegengeſetzter Weltkräfte ſich mit voller Freiheit für die eine oder die andre Seite zu entſcheiden; ich glaube nicht, daß ſich Carl V die Frage, welche Partei er zu ergreifen habe, nur jemals vorgelegt hat. Der deutſchen Nation war es nicht beſtimmt, ſich unter der Führung eines gemein - ſchaftlichen Oberhauptes weiter zu entwickeln. Durch ſeine perſönliche Lage, und den bisherigen Gang der Politik ſah ſich Carl V vielmehr zu einem ihren Wünſchen entgegen - geſetzten Syſteme hingedrängt.

Die Erfahrung hatte ſo eben gezeigt, in welche gar nicht abzuſehende Verwickelungen es ihn geführt haben würde, den Papſt ferner zu bekämpfen. Im Angeſicht einer unüber - windlichen Nothwendigkeit hatte er ſich zu einem nachgie - bigern Verhalten gegen denſelben, zu einer Verbindung mit ihm entſchloſſen.

106Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Es iſt merkwürdig, wie alle auswärtigen Verhältniſſe zuſammenwirkten, um ihn dabei feſtzuhalten.

Wir berührten ſchon, daß er der Ehre ſeines Hauſes wegen den Zweifel gar nicht aufkommen laſſen durfte, ob der Papſt befugt geweſen ſey, Heinrich VIII jenen Ehedis - pens zu geben, den dieſer jetzt ſelbſt für unſtatthaft erklärte.

In den nordiſchen Reichen offenbarten die Gegner, welche ſeinen Schwager Chriſtiern von da vertrieben hatten, eine ſtarke Hinneigung zu den Reformideen der Deutſchen, die ſogar in Schweden ſchon beinahe zur Herrſchaft gelangt waren. Wollte der Kaiſer ſeinen Schwager und den Einfluß des Hauſes Oeſtreich im Norden wiederherſtellen, ſo war das nur durch eine Verbindung mit den dem Katholicis - mus zugethan verbliebenen Elementen möglich.

Ferner aber: die Verbindung, in welche die reformir - ten Städte der Schweiz mit ihren Glaubensgenoſſen in dem benachbarten Oberdeutſchland traten, veranlaßte die katho - liſchen Cantone, ſich einen Rückhalt an dem Hauſe Oeſtreich zu ſuchen; ſie vergaßen die gleichſam ererbte Feindſeligkeit gegen daſſelbe und ſchloſſen in den erſten Monaten des Jah - res 1529 mit König Ferdinand einen förmlichen Bund ab.

Auch in dem Streite mit dem Woiwoden und deſſen Anhängern in Ungarn konnte es dieſem Hauſe nicht anders als ſehr vortheilhaft ſeyn, wenn die Kirche ſeine Rechte anerkannte.

Und warf der Kaiſer die Augen auf das deutſche Reich ſelbſt, ſo konnte er nicht verkennen, daß ſeine Au - torität das Meiſte von einer Verbindung mit den geiſt -107Stellung des Kaiſers.lichen Fürſten zu erwarten hatte. Wir erinnern uns, wie angelegen es ſich ſchon Maximilian ſeyn ließ, die biſchöf - lichen Stühle mit ergebenen Leuten zu beſetzen, den geiſtli - chen Stand zu gewinnen. Um wie viel beſſer aber mußte dieß jetzt gelingen, ſobald die Biſchöfe, von den Ideen des Jahrhunderts in ihren geiſtlichen Gerechtſamen bedroht, an der kaiſerlichen Macht einen ſichern Rückhalt fanden. Bei der Bedeutung, welche dieſer hierarchiſche Beſtandtheil in der deutſchen Reichsverfaſſung noch behauptete, war es in der That kein geringer Gewinn denſelben für ſich zu haben. Ich könnte nicht urkundlich nachweiſen, daß Carl V dieſe Be - trachtung gemacht habe, allein ſie liegt zu nahe, als daß ſie ihm entgangen ſeyn ſollte. Wer weiß nicht, daß in ei - ner ſpätern Epoche mit der Auflöſung der geiſtlichen Für - ſtenthümer auch das Kaiſerthum zu Grunde gegangen iſt, Etwas Aehnliches hätte ſich ſchon damals erwarten laſſen. Das Kaiſerthum hatte nicht Wurzel genug, um ſich unter lau - ter weltlichen Gewalten, ſelbſt wenn ſie nicht alle erblich ge - weſen wären, zu behaupten, wenigſtens hätte dazu die größte Anſtrengung gehört; unendlich viel leichter war es, die her - kömmlichen Verhältniſſe zu benutzen. Nicht mit Unrecht ſagte Zwingli einmal, Kaiſerthum und Papſtthum ſeyen ſo enge in einander verflochten, daß man letzteres nicht be - kämpfen könne, ohne auch das erſte anzugreifen.

So geſchah es, daß die Politik des Kaiſers eine durchaus andere ward, als die deutſche Nation gewünſcht hatte. Er dachte auf Ausſöhnung mit dem Papſt Erhebung des Kai - ſerthums, aber lediglich auf den bisherigen hierarchiſchen Grundlagen Widerſtand gegen die Osmanen, aber ganz in108Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.dem gewohnten Sinne der lateiniſchen Chriſtenheit; zu den deutſchen Reformationsideen hatte er keine Sympathie; ſie waren ihm vielmehr widerwärtig und wir werden ſehen, wie er ſich entſchloß ſie zu beſeitigen.

Dazu wirkte in ihm vor allem, daß er ja nicht allein deutſcher Kaiſer war, ſondern König von Spanien. Er hatte die entſcheidenden Jahre männlicher Jugend, in denen der Menſch ſeine Lebensrichtung definitiv einſchlägt, in Spa - nien zugebracht und weſentliche Elemente der nationalen Ge - ſinnung in ſich aufgenommen.

Wäre der Katholicismus allenthalben in ſeiner tiefern Bedeutung erſtorben geweſen, ſo hätte er dem Sturme die - ſes Jahrhunderts erliegen müſſen.

Wie aber in einigen andern Theilen des romaniſchen Europa, ſo hatte er vor allem in Spanien lebendige Wurzel.

In Spanien war der Staat des Mittelalters, in wel - chem ſich Königthum und Prieſterthum durchdrangen, noch in vollen kräftigen Trieben.

Jener Kampf mit dem Islam, der ſo weſentlich zur Entwickelung dieſer Staats - und Kirchenform beigetragen, dauerte hier noch immer fort; man war noch fortwährend beſchäftigt, das Land zu chriſtianiſiren: man nahm ſich keine Gewaltſamkeit dabei übel. Im Jahre 1524 ließ ſich Carl von dem Eide entbinden, der ihn verpflichtete, die Mau - risken der Krone Aragon zu ſchonen. 1Breve des Papſtes vom 12. Maͤrz 1524 bei Llorente I, 427.Noch beſonders feuerte ihn der Sieg von Pavia an; er braucht in dieſer Beziehung einmal den Ausdruck, weil Gott ihm ſeine Feinde in die Hand gegeben, müſſe er die Feinde Gottes bekeh -109Spaniſcher Katholicismus.ren;1Bei Sandoval I, 673, uͤberhaupt hier unſerm Gewaͤhrsmann. zunächſt ſchritt er in Valencia zum Werke. Hier lebten noch 26000 mauriſche Familien, während man nur 22000 chriſtliche zählte; es kam zu einer Art von Krieg; nur dadurch konnten die Mauren auf der Sierra Espadan endlich beſiegt werden, daß man die Deutſchen an - rücken ließ, die dem Kaiſer nach Spanien gefolgt waren. Hierauf wurden die Moſcheen zu Kirchen gemacht; der Zehn - ten ward zu Gunſten der doppelſeitigen Hierarchie eingeführt. Von ſo viel Tauſenden, meint Sandoval, waren nicht Sechs, die ſich mit gutem Willen taufen ließen; aber wehe dem, der ſich nicht bei dem Anblick des Hochwürdigſten auf der Stelle niedergeworfen hätte! Die ſtrengſte Inquiſition wachte über ihr äußeres Bezeigen.

Wohl mochte das auch ſonſt nothwendig ſeyn. Noch 1528 entdeckte man unter den Mauren von Valencia einen Menſchen, der als der geheime König der Mauren betrach - tet wurde. 2Uno que se dize rey encubierto, que es nombre de baxa suerte, publican, que eran muchos con el que estaban deter - minados depassando el emperador de matar a la reyna Germana y el duque de Calavria su marido e levantarse por rey esto di - cho rey encubierto. Han fecho morir ata 50 hombres que se dezia ser de su lignage y tienen presos mas de ata ciento. Ad - vertimiento de la corte del empr. K. Biblioth. zu Paris, Samm - lung Bethune 8531 f. 110.Seine Abſicht ſoll geweſen ſeyn, ſich bei der erſten Entfernung des Kaiſers zu empören. Er ward mit ſeinem ganzen Stamme umgebracht.

Und in demſelben Sinne ward nun auch Amerika co - loniſirt. Hatte man nicht den Entdecker ſelbſt, wenn er nach Sevilla zurückgekommen, im Franciscanerhabit an den110Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.Proceſſionen Theil nehmen ſehn? Columbus hielt ſich für beſtimmt in den Ländern des Großchan, die er gefunden zu haben glaubte, den chriſtlichen Glauben auszubreiten. Wie oft ſpricht er die Abſicht aus, der Krone die Mittel zu verſchaffen, um das heilige Grab zu erobern. 1Humboldt, III, 260.So iſt denn auch in allen ſeinen Fortſetzern mit der Begier, reich, mächtig und berühmt zu werden, ein ſehr beſonderer Eifer, das römiſche Chriſtenthum auszubreiten, vereinigt. 2Prescott History of Ferdinand and Isabella III, 418 citirt eine hiefuͤr ſehr bemerkenswerthe Stelle von Gonzalo von Oviedo: who can doubt, that powder against the infidels, is incense to the Lord? Für die Krone war das eine Art von Nothwendigkeit: ihr ge - ſammtes Recht leitete ſie von dem römiſchen Stuhle her; das war die offizielle Doctrin, die ſie den Indianern verkündigen ließ. Sie übertrug das ganze lateiniſche Kirchenweſen, nur wo möglich noch prächtiger und reicher, auf die neue Welt.

Man dürfte das nicht ſo verſtehn, als ob Jedermann von dieſen Tendenzen durchdrungen geweſen wäre. Unter andern iſt es von Cortez merkwürdig, daß er die voll - ſtändige Uebertragung der Hierarchie nicht billigte; er wollte keine Biſchöfe, ſondern nur eine thätige niedere Geiſtlich - keit, eifrige Mönche; wobei er wohl ſelbſt an die Mittel dachte, die biſchöfliche Ordination entbehrlich zu machen. 3Bericht des Cortez 15. October 1524. Bei Koppe p. 487.Aber ſo mächtig war die Vorliebe für die Geſammtheit des Herkömmlichen, daß ſelbſt er, der Eroberer und Geſetzgeber, nichts dagegen ausrichtete.

Wohl war Spanien nicht ſo abgeſchloſſen von dem übrigen Europa, daß ſich die Beſtrebungen der neuernden Literatur gar nicht daſelbſt geregt hätten. Antonio von Le -111Spaniſcher Katholicismus.brixa verdient es z. B., neben Erasmus und Reuchlin ge - nannt zu werden. Auch er widmete ſeinen Fleiß den hei - ligen Urkunden, und gab ein Werk unter dem Titel heraus: Dreimal funfzig beſſer erklärte Stellen der heiligen Schrift. 1Quinquagenae tres locorum sacrae scripturae non vulga - riter enarratorum. Allein jene Inquiſition der Dominikaner, die in Deutſch - land nicht durchdringen konnte, herrſchte in Spanien un - bedingt. Der Großinquiſitor, Biſchof von Palencia, Diego Deza, nahm dem gelehrten Autor den größten Theil ſeines Buches weg, und verhehlte nicht, daß er denſelben damit von allem weiterem Schreiben über dieſen Gegenſtand ab - zuhalten gedenke. Dieſer Biſchof, behauptet man, hätte lie - ber die Urſprache der heiligen Schrift ſelber ausgerottet. Deza’s Nachfolger, Ximenes, war wie man weiß mit nich - ten ſo beſchränkt; er hatte Sinn für das Originale, deſſen durch keine Uebertragung zu erſetzende innere Kraft, und ging ſelbſt an die Herausgabe des Grundtextes in ſeiner Polyglotte. Allein der Vulgata, der angenommenen Ueber - ſetzung der lateiniſchen Kirche, maß doch auch er einen höchſt übertriebenen Werth bei. Er vergleicht den griechiſchen und den hebräiſchen Text, in deren Mitte er den lateiniſchen ab - drucken ließ, mit den beiden Schächern zur Rechten und Linken des Heilands;3Prologus ad lectorem. Medium autem inter has (den hebraͤi - ſchen und den griechiſchen Text) latinam beati Hieronymi translationem es iſt nicht in Abrede zu ſtellen,2Bonus ille praesul in tota quaestione sua nihil magis la - borabat, quam ut duarum linguarum, ex quibus religio nostra pen - det, neque ullum vestigium relinqueretur, per quod ad dignoscen - dam in rebus dubiis certitudinem pervenire possemus. (Apolo - gia pro se ipso. N. Antonii Bibl. Hisp. Nova I, p. 138.) 112Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.daß er die Worte der Septuaginta, ja ſogar den griechi - ſchen Text des neuen Teſtamentes nach der Vulgata abge - ändert hat; eine dogmatiſche Hauptbeweisſtelle, die ſich in keiner Handſchrift finden will, hat er wohl geradezu nur der Vulgata zu Ehren aufgenommen. 1Semlers genauere Unterſuchung der ſchlechten Beſchaffenheit des zu Alcala gedruckten griech. n. Teſtamentes 1766. Bei der Doxo - logie Matth. 6 ließen ſie weg, was, wie ſie meinten, obwohl es ſchon Chryſoſtomus geleſen, doch wohl ſchon damals ex corruptis origina - libus hinzugekommen p. 117. Jene Stelle iſt bekanntlich 1 Joh. 5, 7. Sie folgten darin der Kritik des St. Thomas. Noch Salmeron ſagt: videtur plus fidei tribuendum latinis codicibus quam graecis. Denn an dem re - cipirten Syſteme der lateiniſchen Kirche hätte man hier auch nicht die mindeſte Aenderung verſtattet. Es iſt ſehr merk - würdig, daß die Scholaſtik eben in unſerer Epoche, als ſie in dem übrigen Europa verfiel, in Spanien erſt emporkam. Neben einander, zu Salamanca, trugen Alfonſo von Cor - dova die nominaliſtiſchen, Francisco von Vittoria die rea - liſtiſchen Doctrinen, als etwas Neues, hier zu Lande erſt durchzuſetzendes vor; ſie wollten die hohe Schule von Pa - ris den Spaniern entbehrlich machen. Namentlich hatte Franz Vittoria den größten Erfolg; den philoſophiſch-prak - tiſchen, moraliſchen Disciplinen gab er eine neue Ausbildung; Bellarmin nennt ihn den glücklichen Vater trefflicher Mei - ſter; die vornehmſten ſpaniſchen Theologen ſind aus ſeiner Schule hervorgegangen. Es iſt ungefähr, wie ein großer Theil des allgemeinen Romanzenbuches ſeinen Urſprung erſt dem ſechszehnten Jahrhundert verdankt In Staat und Li -2velut inter Synagogam et orientalem ecclesiam posuimus: duos hinc et inde latrones medium autem Jesum h. e. Romanam sive latinam ecclesiam collocantes. 2Nic. Antonii Bibliotheca Hisp. N. I. s. v. Franciscus. 113Spaniſcher Katholicismus.teratur dauerte die Herrſchaft der excluſiven Doctrinen der lateiniſchen Kirche ununterbrochen fort.

Und nothwendig brachte nun dieſer Zuſtand der herr - ſchenden Ueberzeugungen auch eine um ſo feindlichere Hal - tung gegen die Abweichungen der übrigen Welt hervor. Nicht allein, daß man hier die Verordnungen gegen Luther in aller Strenge ausführte; ſondern auch Erasmus, der Gunſt zum Trotz, welche ihm der Hof erwies, fand bei der mönchiſchen Gelehrſamkeit keine Gnade. Ein in beiden Sprachen ſehr wohl bewanderter Mann, Diego Lopez Zu - niga machte es gleichſam zum Zweck ſeines Lebens, die Neuerungen dieſes Autors zu bekämpfen. 1Auch er hielt an dem Vorzug der Vulgata feſt. Sciendum est, ſagt er von 1 Joh. 5, 7, Graecorum codices apertissime esse corruptos, nostros vero veritatem ipsam continere. Eben hier je - doch iſt die Vulgata ſelbſt interpolirt. Vgl. Griesbach App. 12.In der Faſten 1527 klagten ein paar Dominicaner den Erasmus, oder vielmehr, denn er ſelber war glücklicherweiſe außer dem Be - reiche ihrer Angriffe, ſeine Schriften förmlich bei der In - quiſition der Irrlehre an. Es ward ein Gericht niederge - ſetzt, und obgleich ſich dieſes nicht ſofort zu einem einmü - thigen Urtheil vereinigen konnte, ſo hielt ſich doch die In - quiſition für berechtigt, von jenen Schriften wenigſtens ei - nige, die Colloquien, das Lob der Narrheit und die Pa - raphraſe des N. Teſtaments zu verbieten. 2Llorente I, 459. Erasmi Epistolae 989. 1032. Er bezeich - net beſonders Peter von Victoria als ſeinen Gegner.

Es giebt überall eine geiſtige Atmoſphäre, deren Ein - fluſſe man ſich nicht entziehen kann.

Woher hätte namentlich dem jungen Kaiſer die ener - giſche Selbſtändigkeit des Geiſtes dazu kommen ſollen?

Ranke d. Geſch. III. 8114Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

In dem Brüſſeler Archiv findet ſich eine ſpaniſche Dia - tribe gegen Luther und Oekolampadius, die man dem Kaiſer eingab, um ihn gegen alle Einwirkung der neuen Meinungen zu befeſtigen. 1Siguense los errores de Luther y Colampadio su disci - pulo con la determinacion de l’iglesia. Die verſchiedenen Ar - tikel werden nach einander abgehandelt, z. B. Art. 3 wie oben; Art. 6 Santo es y justo commendarnos a los santos y adorar sus ima - gines. 7. La iglesia puede licitamente tener patrimonio y poseer bienes temporales. 8. Justa pena es por los hereges, que seen quemados. Darin wird vor allem das gute Recht der Kirche, bei Strafe einer Todſünde zu verpflichten, erhärtet; denn ohne dieß würde ein Jeder bloß ſeinem Belieben fol - gen wollen. Hierauf werden die angegriffenen Glaubens - artikel in aller ihrer Strenge verfochten, z. B. daß Ehe, Firmelung, Weihe, letzte Oelung Sacramente ſeyen, von Chriſtus eingeſetzt. Zum Schluß wird gezeigt, die gerechte Strafe der Ketzer ſey verbrannt zu werden.

Dieſe Geſinnung mußte ſich natürlich mit mehr oder minder Schärfe des Kaiſers bemächtigen.

Gleich bei der erſten Inſtruction ſeiner Geſandten an den gefangenen Papſt iſt von der Nothwendigkeit die Rede, die irrige Secte Luthers auszurotten. 2Bei Bucholz III, 99.In dem Vertrag vom 26. Nov. 1527 verſpricht demzufolge der Papſt ein Concilium damit die Kirche wiederum zu recht gebracht und die lu - theriſche Ketzerei ausgerottet werde. Schon im Frühjahr 1528 erſchien der kaiſerliche Vicekanzler, Propſt von Wald - kirchen, in Deutſchland, um die katholiſchen Tendenzen wie - derzubeleben. Er erklärte unter anderm in Augsburg, daß der Kaiſer eine Ungnade auf die Stadt geworfen, weil ſie die Religion verändert habe. Indem er von Hof zu Hof115Erſte Wirkung auf Deutſchland.reiſte, glaubte man nicht anders, als er wolle nun erſt ein Bündniß wider die Evangeliſchen zu Stande bringen. 1Stetten p. 308. Von der Lith p. 217.Al - lein auch mit dieſen Bezeigungen war der Papſt noch nicht zufrieden. Wir haben ein Schreiben Sanga’s vom Octo - ber 1528, worin er den Nuntius am kaiſerlichen Hofe an - weiſt, den Kaiſer auf das dringendſte aufzufordern, ſich der Religion mehr als bisher anzunehmen. Schon gehe man weiter als Luther gegangen, läugne bereits Abendmahl und Kindertaufe. Was werde die Nachwelt ſagen, wenn ſie einmal leſe, daß Deutſchland gerade unter dem größten Kai - ſer, den es ſeit vielen Jahrhunderten gehabt, ſich mit Ketze - reien erfüllt habe! 2Lettere di diversi, 56.

An dem guten Willen des Kaiſers ließ ſich nicht zwei - feln. Man brauchte nur die Executionen ins Auge zu faſſen, die in den Niederlanden, wo er Herr war, verhängt wurden. Erasmus der ihn kannte, war überzeugt, er werde nicht glau - ben Kaiſer zu ſeyn, wenn er das Lutherthum nicht dämpfe. 3Erasmi Epp. p. 963. In Hollandia mire fervet carnificina. Das klingt doch anders, als was Le Glay Correspondance de Maximi - lian et Marguerite II, p. 449 zur Entſchuldigung Margaretha’s bemerkt.

Je mehr ſich nun aber dieſe Idee in dem Kaiſer feſt - ſetzte, wohlverſtanden jedoch, nicht ohne daß er zugleich ein Concilium, eine Reinigung der Kirche von ſo viel ein - geriſſenen Mißbräuchen gefordert hätte, um ſo dringen - der ward es für den Frieden zu ſorgen.

Wir ſahen, wie kriegeriſch die Ausſichten noch im An - fange des Jahres 1529 waren.

8*116Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Allein das fortdauernde Glück des Kaiſers machte die neuen wie die alten Unternehmungen ſeiner Feinde zu Schan - den und brach ihren Muth.

Noch immer hatten Venezianer und Franzoſen den Ge - danken, Mailand zu erobern: von beiden Seiten rückten ſie im Frühjahr 1529 noch einmal gegen die Hauptſtadt heran: ſie rechneten auf die Erſchöpfung und den Unmuth der Bür - ger, und die geringe Anzahl der Truppen: ſie waren zu baldigem Angriff entſchloſſen.

Allein ſo eben zeigte ſich, was es auch für Mailand be - deute, Genua verloren zu haben. Der Kaiſer gewann dadurch den Vortheil, nicht ſo ausſchließend auf deutſche Hülfstrup - pen angewieſen zu ſeyn, wie früher. Er konnte jetzt ein paar tauſend Mann aus Spanien nach Genua ſchicken, die doch hernach, denn dazu beherrſchten die Feinde das Feld nicht entſchieden genug, nicht abgehalten wer - den konnten, nach Mailand vorzudringen. Es waren Leute von dem ſchlechteſten Ausſehn, ohne Schuhe und auch übri - gens halbnackt, ſchwarz und verhungert. Für den Kaiſer aber zeigten ſie ſich unſchätzbar. Seinem Befehlshaber, An - tonio Leiva, kamen ſie, wie ſie waren, höchſt erwünſcht. Leiva hatte ſich bisher hauptſächlich mit Deutſchen vertheidigt; er zählte ihrer im September 1528 bei 5000, Spanier nur noch 800;1Schreiben Leiva’s an den Kaiſer bei Sandoval II, 19. man kann denken, wie willkommen ihm eine Verſtärkung von Landsleuten war, die ſich um ſo tapferer ſchlagen mußten, je mehr ſie noch ihr Glück zu machen hatten.

Zuerſt ſahen nun die Verbündeten ein, daß ſie unter dieſen Umſtänden nicht ſtark genug wären, Mailand ernſt -117Italieniſcher Krieg 1529.lich anzugreifen. Sie entſchloſſen ſich es von ferne einzu - ſchließen, und ihm vor allem die Zufuhr abzuſchneiden. St. Pol hegte zugleich die Hoffnung, indem er ſich von Mailand entfernte, etwas gegen Genua auszurichten.

Eben dieſen Augenblick aber hielt Leiva für gün - ſtig, um einen Schlag auszuführen, wie er ihm öfter ge - lungen. Bei Nacht, ohne Trompeten und Trommeln ſetz - ten ſich ſeine Leute, weiße Hemden über dem Harniſch, in Bewegung; er ſelbſt, ſo ſehr ihn das Podagra plagte, wollte nicht fehlen; in voller Rüſtung, an der man einen wallen - den Helmbuſch nicht vermißte, ließ er ſich auf einer Sänfte daher tragen; es gelang ihm glücklich, die Franzoſen bei Landriano zu überraſchen, als ſie noch im Aufbruch begrif - fen waren, in einem Augenblick, wo St. Pol eben ein Haus abzubrechen befahl, um mit den Balken des Daches ein Stück Geſchütz hervorzuarbeiten, das im Schlamm ſtecken geblieben war. 1Fruͤh am 27. Juni; in sul passar dell Ambra. Varchi p. 214. Nach Leoni ruͤhrte der Verluſt daher, weil S. Pol den Rath des Herzogs von Urbino, das Geſchuͤtz vorausgehen zu laſſen und ſeine uͤbrigen Truppen in ein paar Colonnen zu vertheilen, von denen eine die andere unterſtuͤtzen könne, nicht befolgt habe. Vita di Fran - cesco Maria 414.Leiva erfocht einen vollkommenen Sieg; St. Pol und die vornehmſten Befehlshaber führte er gefangen mit ſich nach Mailand zurück.

In der Lombardei ward der Kaiſer hierdurch ſo gut Herr wie in Neapel. Wollte man ihn noch einmal bekäm - pfen, ſo hätten dazu neue gewaltige Anſtrengungen gehört, zu denen ſich Niemand mehr fähig oder geneigt fühlte.

Denn ſchon waren auf allen Seiten Friedensunter - handlungen angeknüpft. Eben in den Tagen der Entſchei - dung in Mailand kam man mit dem Papſt zum Abſchluß.

118Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Dem Papſt waren, wie wir wiſſen, die vortheilhaf - teſten Vorſchläge gemacht worden, wie über die deutſchen, ſo über die italieniſchen Verhältniſſe: er ſolle darüber zu ver - fügen haben; der Kaiſer werde in jeder Beziehung ſeinem Rathe folgen, ihm beſonders die kirchlichen Güter zurück - geben, unter ſeiner Vermittelung den allgemeinen Frieden ſchließen, und was dem mehr iſt: allein man dürfte nicht glauben, daß dieß allein auf denſelben gewirkt habe. Was ihn beſtimmte war zugleich die Furcht. Noch im April 1529 beſchwerte er ſich gegen den Cardinal Triulzio über den Ei - fer, mit welchem er von den kaiſerlichen Agenten zum Ver - trag gedrängt werde; er verſicherte, er würde nimmermehr darauf eingehn, wenn er nur Kräfte hätte, ihnen zu wi - derſtehen; aber er ſey von den Anhängern des Kaiſers auf allen Seiten umgeben, jeden Augenblick könne er einen neuen Anfall erfahren; er ſey im Grunde noch immer ihr Ge - fangener: er ſehe da keinen Unterſchied, außer etwa, daß er früher nicht habe davon gehen können, und dieß jetzt al - lenfalls auszuführen im Stande wäre; in der That müſſe er entweder fliehen, und den Kirchenſtaat dem Feinde über - laſſen, oder ſich mit demſelben auf die am wenigſten nach - theilige Art verſtändigen. Er drückte ſich ſo lebhaft aus, daß er den Cardinal vollkommen überzeugte. Ich weiß nicht, ſagt Triulzio, was S. Heiligkeit thun wird. Aber wenn er ja zum Abſchluß ſchreitet, ſo ſehe ich wohl, daß er es nur thun wird in Folge der Gewalt und bei den Haaren dazu gezogen. 1Lettera del Cardinale Triulzio a M. Hieronymo, Roma 9 Avr. 1529. Bibliothèque du roi, MS Bethune.

119Unterhandlungen mit dem Papſt.

Ich möchte zwar nicht behaupten, daß dieß das Ge - fühl geweſen ſey, was den Papſt während jener Unterhand - lungen durchaus beherrſcht habe, er wußte wohl, daß der Cardinal Triulzio, gegen den er ſo ſprach, ein Anhän - ger von Frankreich war; aber ſo ganz ohne Wahrhaftig - keit war er doch auch nicht, daß er es erheuchelt hätte; in der Regel unterdrückt mochte es ihn zuweilen übernehmen.

Dazu geſellten ſich aber auch Betrachtungen des eig - nen perſönlichen Vortheils. Die Verbindung mit dem Kai - ſer gewährte ihm die einzige Ausſicht, über ſeine Feinde in ſeiner Vaterſtadt Florenz Herr zu werden.

Eine Zeitlang zwar hatte er die Hoffnung gehegt, zu dieſem vornehmſten Begehren ſeines Herzens auf friedlichem Wege durch eine innere Umwandlung der Republik zu ge - langen: er ſtand wenn nicht unmittelbar doch durch einige Freunde mit dem Gonfaloniere Capponi in einer gewiſſen Verbindung. Durch Mäßigung der gegenſeitigen Anſprüche ließ ſich noch ein friedliches Abkommen zwiſchen der medi - ceiſchen und der republikaniſchen Partei erwarten.

Aber eben in dieſem Zeitpunkte erfolgte in Florenz eine entgegengeſetzte Bewegung. Eine exaltirte republikaniſche Partei, welche ſich unter ſo ganz veränderten Umſtänden doch die Meinung nicht entreißen ließ, daß ſie ſich jetzt ſo gut behaupten werde, wie früher, machte dem Gonfalo - niere eben jene Verbindungen und Abſichten zum Verbre - chen und bewirkte ſeine Abſetzung (April 1529), obwohl man ihn zuletzt von aller eigentlichen Schuld freiſprechen mußte. Seitdem kamen nur noch die entſchiedenſten Geg - ner der Medici in die Aemter: von dem Papſt redete man120Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.nur noch mit Haß und Verachtung; an eine Ausſöhnung mit demſelben war nicht weiter zu denken. Papſt Clemens VII gerieth in Ingrimm, wenn er daran dachte. Hatte man doch unter andern die Geſchichte von ſeiner unächten Geburt wieder hervorgezogen; man ſagte, er habe gar nicht das Recht gehabt, den päpſtlichen Stuhl zu beſteigen; man nannte ihn dort nicht mehr Papſt. 1Varchi Storia Fiorentina 208. Jovius Historiae 27, 45.In ſehr aufgeregter Stimmung traf ihn einſt der engliſche Geſandte. Clemens ſagte, er wolle lieber der Caplan, ja der Stallknecht des Kaiſers ſeyn, als ſich von ſeinen ungehorſamen Untertha - nen beſchimpfen laſſen. 2Casalis bei Herbert 233.Mit der Unmöglichkeit das Joch ab - zuwerfen, das man ihm auflegte, verband ſich in ihm Rach - ſucht und Ehrgeiz, die er auf eine andere Weiſe nicht be - friedigen konnte.

Am 29. Juni kam der Friede zwiſchen dem Kaiſer und dem Papſt zu Barcellona zu Stande. Der Papſt fand ſich in die Herrſchaft des Kaiſers in Italien. Er erneuerte die Belehnung mit Neapel und hob den dafür herkömmlichen Zins auf; die Darbringung des Zelters war das einzige was er ſich vorbehielt. Auch beſtand er nicht mehr gera - dezu auf die Aufrechthaltung Sforza’s in Mailand. Er gab zu, daß ein förmliches Gericht über Schuld oder Unſchuld deſſelben entſcheiden ſolle. Schon genug, daß dann der Kaiſer bei der neuen Beſetzung des Herzogthums nicht ohne ſeine Zuſtimmung verfahren zu wollen erklärte. Den kaiſerli - chen Truppen bewilligte er freien Durchzug von Neapel nach Toskana oder der Lombardei. Dagegen verſprach der Kai -121Friede von Barcellona.ſer nun auch den römiſchen Stuhl in den Beſitz der ihm von Ferrara und Venedig entriſſenen Landſchaften jedoch mit ausdrücklichem Vorbehalt der Rechte des Reichs, und die mediceiſche Familie in den Beſitz von Florenz wieder - herzuſtellen. 1Tractatus confoederationis inter Carolum V Imperatorem Romanorum et Clementem VII Romanum pontificem con - clusus bei Du Mont IV, II, 1.In die engſte Verbindung trat der Kaiſer mit dieſem Hauſe. Er ſagte ſeine natürliche Tochter dem jungen Aleſſandro Medici zu, an den die Herrſchaft in Flo - renz kommen ſollte. Denn ſo ſehr hatten ſich die Dinge geändert, daß der Kaiſer jetzt ſelbſt den Papſt gegen die unmittelbaren Wirkungen der Ligue in Schutz nehmen mußte. Aufs neue vereinte er ſich mit einem Papſt vom Hauſe Medici, wie im Jahre 1521. Allein welch ein Unterſchied gegen damals! Leo X hatte hoffen dürfen, in Mailand und Genua Herr zu werden, Ferrara zu erobern: Clemens VII mußte ſich begnügen, daß ihm durch fremde Hülfe der Kirchenſtaat wieder zurückgegeben, ſeine Vaterſtadt wieder - erobert werden ſollte.

Dieſer Anordnung der italieniſchen Angelegenheiten gin - gen nun noch andere Verabredungen zur Seite, obwohl ſie nicht eben alle in den Vertrag aufgenommen worden ſind.

Johann Zapolya, der bis jetzt die Gnade des apoſto - liſchen Stuhles genoſſen, ward nunmehr verlaſſen, und bald darauf mit den ſtrengſten kirchlichen Cenſuren heimgeſucht2Bei Katona XX, I, 551 die Klage Zapolya’s uͤber die Bulle, aus der er ſah, S. Sem me et incolas regni per censuras ecclesiasticas devovisse et a capite nostro Jesu Christo quod in ea erat resectos declarasse. In der engliſchen Sache vereinigte der Geſandte Ferdinands122Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.ſeine Bitten mit denen des kaiſerlichen. Schon hatte dort kraft der früheren Commiſſion der Proceß begonnen; aber der Papſt gab den beiden Brüdern das Wort, daß es zu keinem Urtheil kommen ſollte. Dagegen ſagten ſie ihm in der Religionsſache ihre Hülfe auf das unzweifelhafteſte zu. Der Kaiſer erklärt in dem Vertrage von Barcellona, auch ihm liege es am Herzen, daß der verpeſtenden Krankheit der neuen Meinungen ein Ziel geſetzt werde. 1Cum Caesareae Mti cordi sit, ut huic pestifero morbo congruum antidotum praeparari possit. Sollte es aber nicht möglich ſeyn, die Gemüther der Irrenden in Güte herbeizuziehen, ſollten ſie die Stimme des Hirten nicht - ren und hartnäckig bleiben, ſo werden, heißt es daſelbſt weiter, ſowohl der Kaiſer als der König von Ungarn und Böhmen, ihre ganze Macht gegen ſie in Bewegung ſetzen, und das Unrecht, das Chriſto zugefügt worden, nach Kräften rächen.

Einen ſo unerwarteten Umſchwung nahmen dieſe Er - eigniſſe. Der Kaiſer hatte ſeine Siege vornehmlich dem Antheil zu verdanken, den die lutheriſche Geſinnung ſeiner Sache in der deutſchen Nation verſchaffte. Nur durch dieß Uebergewicht zwang er den Papſt zum Frieden. In dem Vertrage jedoch, den der Kaiſer nun mit dem Papſte ſchloß, verſprach er demſelben die Ausrottung eben dieſer lutheri - ſchen Meinungen.

Indeſſen würde es auch jetzt noch nicht ſo weit ge - kommen ſeyn, hätte der Papſt nicht die Ausſicht und gleich darauf die Gewißheit gehabt, daß König Franz ſeinem Bei - ſpiele folgen und ebenfalls Frieden ſchließen würde.

123Unterhandlungen mit Frankreich.

Auch König Franz ging nur mit ſchwerem Herzen daran.

Bei den Unterhandlungen im Jahre 1527 hatte der Kaiſer ſchon nicht mehr ſo unbedingt wie früher die Zu - rückgabe ſeines Stammlandes gefordert, ſondern die Nei - gung gezeigt, ſich ſtatt deſſen mit einer Zahlung von zwei Millionen Scudi zu begnügen. Alles hatte ſich daran ge - ſtoßen, daß der König nicht auch Mailand und Genua auf - geben, ſeine Truppen überhaupt nicht aus Italien zurück - ziehen wollte. 1Ce qui a été dit en la communication tenue à Palencia bei Du Mont IV, I, 502.Es ſchien, als betrachte man in Frankreich die Wiedereroberung von Mailand als eine Pflicht und als eine Ehrenſache. Der Kanzler Du Prat hat erklärt, er werde ſich nie an den Schimpf gewöhnen, daß dieſes Land zur Zeit ſeiner Verwaltung der franzöſiſchen Krone verloren ge - gangen; habe er es ihr aber wieder verſchafft, ſo ſey er zu - frieden, in der nächſten Stunde darauf zu ſterben. 2Bellay 13 Juill. 1529. MS. Maitre de Barre ſagt ihm, daß dieſe Aeußerung, welche Margaretha und alſo auch der Kaiſer wiſſe, den Frieden verhindere. Sie lautet: puisque le roi avoit perdu Mi - lan, estant luy en administration des affaires, il aimeroit mieux la mort que de faillir à le luy faire recouvrer: cela fait il étoit con - tent de mourir une heure après.

Trotz alle dem war jetzt die Nothwendigkeit gekom - men, ſich dieſen Verluſt gefallen zu laſſen.

Einmal bot die Fortſetzung des Kriegs keine Ausſicht mehr dar. Selbſt die Anhänger des Königs in Italien brachten in Erinnerung, daß es unmöglich ſeyn werde, ein Heer ins Feld zu ſtellen, ehe der Kaiſer in Italien erſcheine; durch ſeine Verbindung mit dem Papſt werde derſelbe Herr in dem mittlern wie in dem obern und dem untern; Flo -124Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.renz werde ihm nicht zu widerſtehn vermögen; Venedig ſey durch den Uebertritt von Mantua ſelbſt gefährdet und könne auf nichts denken als auf die eigne Vertheidigung: ganz allein würde man es mit dem Kaiſer zu thun haben, und der habe nun einmal die tapferſten Truppen und die Gunſt des Glückes. 1Ottaviano Sforza al vescovo di Lodi. Molini II, 210. Vgl. Instruzione di Teodoro Triulzio Guido Rangoni et Joachim a Mess. Mauro da Nova; Venezia 15 Luglio bei Molini II, 219. In effecto quest impresa de tanta extrema importantia si deve extimare, quanta possa essere da l’onore al disonore o per me - glio dirlo dal vivere al morire de la prima corona, re et regno di Christianità.

Sodann aber war es auch dem Reiche und dem Hofe unerträglich, die Prinzen von Frankreich länger in Spanien zu laſſen. Zuweilen liefen von ihrer Geſundheit beunruhi - gende Nachrichten ein.

Indem man ſich noch rüſtete, die Italiener die per - ſönliche Ankunft des Königs hoffen ließ, einen Einfall in Deutſchland vorbereitete, mußte man doch zugleich auf Frie - den denken. 2Hieronymus Niger an Sadolet V. Cal. April. 1529 quo - tidie in ore habet (pontifex) divinum consilium suum, de pro - fectione ad Caesarem, et de pace publica, quo quidem consilio si integris rebus usus fuisset, non laboraremus. (Sadoleti Epp. lib. VIII, p. 323.)

In Rom war lange davon die Rede, daß der Papſt die Vermittelung übernehmen müſſe. Er ſollte an irgend einem Platze an der ſpaniſch-franzöſiſchen Gränze, etwa in Perpignan, die Sache perſönlich führen. Auch ſchien er dazu ſehr geneigt zu ſeyn; noch im März 1529 bezeichnete man die Galeeren, die ihn hinüberbringen ſollten. Zuletzt aber unterblieb das doch; die Sache kam in ganz andre Hände.

125Unterhandlungen mit Frankreich.

Schon früher nemlich finden wir einen geheimen Agen - ten Franz I in Spanien, durch den er ſich unmittelbar an ſeine Verlobte, Königin Leonora wendet, ihr ſeinen Wunſch erklären läßt, ſobald wie möglich die Hinderniſſe hinweg - geräumt zu ſehen, die ſich ihrer Vermählung entgegenſtellen, und ſeine ganze Sache mit dem Kaiſer in ihre Hände legt. Die Königin iſt wie man denken kann ſehr erfreut über dieſe Botſchaft; ſie verſichert, ſie habe immer auf den gu - ten Willen des Königs vertraut und damit ſey ſie über al - les bisher Geſchehene hinweggekommen. Man fragt den Agenten, ob er keine Aufträge an den Großkanzler habe. Er weigert ſich mit demſelben zu unterhandeln, weil der ein Mann ſey, welcher den Krieg liebe; wie ihm denn auch die Entfernung angeſehener Leute vom Hof, die daher ent - ſpringen, ſehr zu Statten komme die Königin Leonora verſichert ihn, es ſey jetzt ihre Sache, Niemand ſolle ſich einmiſchen: ſie werde allein den Abſchluß herbeiführen. 1Dechiffrement d’une depesche écrite d’Espagne Bibl. d. R. MS Bethune 8543 f. 182, ohne Datum, Ort, noch Unterſchrift. Vielleicht ſogar ſchon von 1527, auf jeden Fall von einer Zeit, in welcher die franzoͤſiſchen Prinzen in Gefangenſchaft waren. Elle me demanda, si vous vouliez mettre en sa main l’affaire d’entre vous et l’empereur; je luy ai dit que pour cet effet m’aviez de - pesché vers elle. Elle m’a dit, que la fiance quelle avoit toujours eu en votre bonne voulonté envers elle l’avoit tenue en bonne esperance et lui avoit fait porter patiemment tout ce qui avoit passé. Qu’elle vouloit mener cette affaire et que autre ne se meslat qu’elle, et c’estoit son propre fait.

Ich kann nicht genau angeben, in welche Epoche dieſe Miſſion fiel; bemerken wir nur, daß ſie den Verſuch ent - hält, die Unterhandlung den gewohnten Wegen, einem re - gelmäßigen Verfahren zu entziehen.

126Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

So wendete ſich nun auch jetzt Herzogin Luiſe, ohne Zweifel vornehmlich aus perſönlichen Motiven, denn bei der Gefangenſchaft ihrer Enkel wäre ihr ein neuer Kriegs - zug ihres Sohnes, der ſich faſt nicht vermeiden ließ, un - erträglich geworden, an die Gouvernante der Niederlande, Margaretha, die Tante des Kaiſers, und ſtellte ihr vor, daß es ihnen, den beiden nächſten ältern Verwandtinnen der ſtreitenden Fürſten, vor allen zukomme, deren Ausſöhnung zu verſuchen. 1Teneur du pouvoir, donné a l’archiduchesse: DM. IV, 2, 15.Auch Margaretha fand, die Erbitterung zwiſchen den beiden Fürſten ſey durch die langen Feindſe - ligkeiten, die Schriften die man gewechſelt, die ergangenen Herausforderungen, in einem Grade geſtiegen, daß es wohl nur ihnen, den Frauen, gelingen werde, eine Uebereinkunft zu Stande zu bringen. 2Ihre Aeußerungen bei Hormayr Archiv 1810 p. 108.Es ward ihr nicht ganz leicht, den Kaiſer zu gewinnen: wenigſtens hat ſie ſich ſpäter ein Verdienſt daraus gemacht. Endlich aber, am 8. April empfing ſie den vollſtändigſten Auftrag, der ſich denken läßt. Karl V verſprach bei ſeinem kaiſerlichen Wort, auf ſeine Ehre, unter Verpfändung ſeiner Güter, alles zu ge - nehmigen, worüber ſie abſchließen würde. Leichter ward es wohl Franz I, ſeine Vollmacht zu geben. Unter den Grün - den, weshalb nicht der König, ſondern ſeine Mutter die Unterhandlung führen müſſe, war es einer der vornehmſten, daß ſie nicht gleichſam perſönlich, wie er, Verpflichtungen3Als Procuratrix généralle et especialle avec plein pou - voir auctorité et mandement especiall pour et en nom de nous pour parler et finallement traiter et conclure bonne ferme sceure paix amitié ligue et conféderation. 127Friede von Cambrai.gegen die italieniſchen Mächte, Mailand, Florenz oder Ve - nedig übernommen habe.

Am 5. Juli zogen die beiden Damen von entgegen - geſetzten Seiten kommend, in Cambrai ein, und nahmen ihre Wohnungen in zwei durch einen bedeckten Gang verbunde - nen Häuſern, ſo daß ſie einander ſehen und ſprechen konn - ten, ohne bemerkt zu werden.

Die Unterhandlung konnte nicht ſehr ſchwer ſeyn, da man über die Präliminarien einverſtanden ſeyn mußte, ehe man ſie anfing. Frankreich verſtand ſich nun wirklich dazu, jene zwei Millionen zu zahlen, auf alle Rechte und Ver - bindungen in Italien Verzicht zu leiſten, endlich ſeiner Lehns - herrſchaft über Flandern und Artois zu entſagen. Dage - gen ließ auch Carl V einige freilich weit weniger bedeutende Anſprüche, z. B. auf Peronne und Boulogne fallen, und gab fürs Erſte die Eroberung von Burgund auf. 1In ſeinem Gegenbericht von 1536 bemerkt der Kaiſer jedoch, daß er wohl damals urſach und gewalt gehabt haͤtte, noch groͤßers und mehrers von ihm (dem Koͤnig) zu begeren und abzunehmen, die - weil ich damals zu waſſer und zu land ſighaft von Gott und mit treffenlicher ruͤſtung gefaßt und vil ſterker denn er geweſen bin.Das Prinzip, welches in Europa überhaupt herrſchte, die ver - ſchiedenen Staaten zu ſondern, einen von dem andern un - abhängig zu machen, war auch bei dieſem Friedensſchluſſe zu bemerken. Indem Frankreich ſeine auswärtigen Unter - nehmungen aufgab, blieb es doch in ſeinem Innern unan - getaſtet. Burgund und Valois ſetzten ſich nach ſo langen blutigen Kriegen endlich auseinander. Burgund hatte zwar nicht alle ſeine Prätenſionen erreicht, aber es war doch in unermeßlichem Vortheil. Es war ihm gelungen, das Haus128Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.ſeiner Nebenbuhler, es ringsum einſchließend, auf Frank - reich allein zu beſchränken.

Wohl dürfte man nicht glauben, es ſey nun damit alles beendigt geweſen. Franz I hat gegen den Vertrag von Cambrai, ſo gut wie gegen den Madrider proteſtirt. Er iſt dabei geblieben, Aſti und Mailand ſeyen ſein und ſeiner Kinder unveräußerliches Erbtheil, Genua gehöre ihm an, unmöglich könne ein erſt durch die eigne, dann durch die Gefangenſchaft ſeiner Kinder ihm abgezwungener Ver - trag ihn verpflichten. 1Protestation du roy François contre les traités de Ma - drid et de Cambray. So lautet der Titel der bei Du Mont ab - gedruckten Urkunde in der Sammlung von Dupuy 179.Als die Verification deſſelben im Parlamente vor ſich gehen ſollte, proteſtirte der General - procurator Maitre Franz Rogier feierlich dagegen; denn die Gewaltthätigkeit eines Lehnsmannes gegen ſeinen Lehns - herrn habe denſelben bewirkt, er ſtreite gegen die Grund - geſetze des Reiches. 2Protestation du procureur général DuM. IV: II, 52, nr. 39.Allein in dieſen Proteſtationen liegt nur der Ausdruck des Gefühls, daß man der Gewalt, und zwar ſehr ungern weiche; ſie ſind ein Vorbehalt für die Zukunft, der für den Augenblick nichts bedeutet und ganz unbemerkt bleibt.

Zunächſt war Jedermann glücklich, daß der Friede wirklich zu Stande gekommen. In allen Punkten, wo man nicht eine ausdrückliche Veränderung beliebt hatte, deren es doch im Ganzen nur vier gab, war der Madrider Ver - trag beſtätigt worden; ſie wurden jetzt beide mit einander ausgerufen und in die Staatsregiſter eingetragen. Sehr bezeichnend iſt der Brief, mit welchem Herzogin Luiſe ihrem129Friede von Cambray.Sohne den Abſchluß ankündigte: die Sicherheit ſeiner Per - ſon, ſchreibt ſie ihm, welche aus dem Frieden entſprungen, den Gott ihnen gegeben, ſey ihr lieber, als ihr eignes Le - ben;1Lettre de Madame au roi après le traité de Cambray. Bethune 8471. Copie. La seureté, Monseigneur, en la quelle je cognois votre personne par la paix que j’estime plus que ma propre vie. in der perſönlichen Gefahr, in die ſich der König zu ſtürzen im Begriff geweſen, lag eins der vornehmſten Motive ihrer Bemühungen. Die Niederländer wußten ſich viel damit, daß ein ſolcher Act von ihrer Regentin ausge - gangen; bei einem Mittagsmahl ward der franzöſiſche Ab - geordnete gefragt, ob man das dieſer Dame wohl zuge - traut habe, ob man in Frankreich damit zufrieden ſey. Der Franzoſe hob hervor, daß auch ſeinem Könige einiges Verdienſt zukomme: auf das bloße Wort der Erzherzogin habe er 15000 Landsknechte, mit denen er einen entſchei - denden Schlag hätte führen können, aus ſeinen Dienſten entlaſſen. 2De la Pommeraye au connetable 17 Sept. 1529. Beth. 8610.Vor allem war der Papſt erfreut; er fand nicht Worte genug, um die Dienſte zu preiſen, welche Luiſe der öffentlichen Sache geleiſtet. Zu beſonderer Genugthuung gereichte ihm, daß die Mitglieder der Ligue, über die er ſich zu beklagen hatte, bei dem Vertrag nicht berückſichtigt worden. Allen Beſtimmungen deſſelben zum Trotz, glaubte er doch an keine lange Dauer der Herrſchaft des Kaiſers. Zu den franzöſiſchen Proteſtationen paßt es ſehr gut, daß Cle - mens VII zu verſtehn gab, wenn der König nur erſt ſeine Söhne wieder habe, ſo werde ſich gegen alle andern Uebel ein Heilmittel finden laſſen. 3Lettre de Raince 12 Aôut 1529. Surtout ne pourroit

Ranke d. Geſch. III. 9130Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Und noch einen andern Grund der Zufriedenheit hatte der Papſt. In den Verhandlungen wie in dem Tractat erſchien der König ſo gut wie der Kaiſer als ein Gegner der religiöſen Neuerungen. In ſeiner Vollmacht führt Franz I unter den Gründen ſeiner Friedensliebe an, daß er die Ketze - reien unterdrücken wolle, die in der Chriſtenheit aufkom - men, damit die Kirche verehrt werde, wie es ſich zum Heile der Seelen gebühre. 1Pour extirper les heresies qui pullulent en la Chrestienté et que l’eglise soit reverée et honorée ainsi qu’il appertient pour le salut de nos ames. DuM. II, IV, p. 16.In dem 43ſten Artikel des Friedens heißt es, daß Kaiſer und König entſchloſſen ſeyen, den heiligen Stuhl in ſeinem Anſehn und ſeiner Würde zu erhalten, wie es ihrem kaiſerlichen und königlichen Stande zukomme. Unter den beſtätigten Artikeln des Madrider Ver - trags war auch der, in welchem der König dem Kaiſer ſeine Hülfe wider die Ketzer nicht minder, als gegen die Türken zuſagte.

So glücklich entging der Papſt bei ſeiner Pacification mit dem Kaiſer der Gefahr, welche ihm gedroht hatte, mit Frankreich brechen zu müſſen. Der Kaiſer legte Bei - den die nemliche Nothwendigkeit auf, unter deren Einfluß ſie ſich dann wieder begegneten.

3etre plus content, qu’il est de ce, qu’il entend qu’on a eu me - moire de luy et semble qu’il ayt quelque advis que aucuns des confederes soient aucunement (einigermaaßen) demeurés en der - riere; que luy confirme la satisfaction en quoi il est autant ou plus que nulle autre chose et fait bien compte, s’ils vouloient aller le chemin qui sera requis, que delivrés et retournés en France Messrs que à tout se aura bon remède.

131Friede von Cambray.

Auch mit England ward in Cambray unterhandelt. Heinrich VIII hatte jedoch zuletzt an dem Kriege ſo wenig ernſtlichen Antheil genommen, daß ſein Friede nur als ein Anhang zu dem franzöſiſchen erſchien; in der engliſchen Ge - ſchichte wird er kaum erwähnt. Es war ſchon genug, daß Frankreich die Schulden, welche der Kaiſer bei dem König contrahirt hatte, von jenen zwei ſtipulirten Millionen zu zahlen übernahm. 1Vgl. Commissio ad tractandum de jocalibus recipiendis bei Rymer VI, II, 19. cum oratoribus ſagt Franz I Angliae regis, pro omnibus obligationibus absque pignore contractis con - venimus.

Nichts deſto minder hatte die Wendung der Dinge den größten Einfluß auf England, ſie rief eine Cataſtro - phe hervor, die für den Augenblick und für immer von unberechenbarer Wirkung geweſen iſt.

Wir wiſſen, unter welcher Conjunctur politiſcher Um - ſtände der engliſche Hof die Idee der Eheſcheidung des - nigs gefaßt hatte.

Im Anfang des Jahres 1528 hoffte Wolſey alles von dem Einfluß des franzöſiſchen Hofes auf den römiſchen Stuhl und von deſſen Dankbarkeit und Rückſicht für Eng - land. Der Papſt war im Grunde der Meinung, der - nig würde am beſten thun, wenn er ohne ſo viel zu fra - gen eine zweite Frau nähme, und alsdann den apoſtolichen Stuhl zu richterlicher Entſcheidung auffordere;2Casalis 13 Jan. 1513 bei Fiddes p. 461. Quia nullus do - ctor in mundo est, qui de hac re melius decernere possit, quam ipse rex; itaque si in hoc se resolverint, ut pontifex credit, statim committat causam (in England), aliam uxorem ducat, litem se - quatur, mittat pro legato. der Geiſt9*132Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.buchſtäblicher Geſetzlichkeit, den England ſchon damals be - herrſchte, ließ das jedoch nicht zu; der König wünſchte die Legitimität der aus einer neuen Ehe zu erwartenden Nach - kommen im Voraus geſichert zu ſehn; von dem, der ge - bunden hatte, wollte er auch gelöſt ſeyn. Wolſey hoffte, daß die Fortſchritte der Ligue den Papſt hiezu vermögen würden. Mehr als einmal forderte er den König von Frankreich auf, eben ſo viel für die Auflöſung der Ehe zu thun, wie England für die Herausgabe der Kinder von Frankreich: er möge nur dem Papſt erklären, daß er die Sache Heinrichs VIII für gerecht halte, und daß, wenn man ſie zu Rom abſchlage, er ſo gut wie dieſer ſich für beleidigt halten und es niemals vergeſſen werde. Wohl wußte Franz I, wie viel Wolſey ihm in England werth war. Wolſey erinnerte denſelben, er werde verloren ſeyn, wenn dieſe Sache nicht durchgehe, allzuſtarke Verſicherungen habe er dem König darüber gegeben. 1Bellay à Montmorency 22 Mai 1528, en la quelle (l’af - faire du divorce) s’il ne s’employoit tant et si avant, qu’il von - droit faire pour le recouvremt de Mss les enfans il pourroit étre sur, d’avoir causé a mon d. Sr le legat une totale ruine, pour les grandes asseurances qu’il en a toujours baillé à son dit maistre. Und in der That hätte der Papſt ſelbſt, z. B. bei Lautrecs Annäherung nur[recht] ernſt - lich angegangen zu werden gewünſcht: er würde ſich dann mit einer Art von moraliſchem Zwang bei dem Kaiſer haben entſchuldigen können. Allein es ſcheint nicht, als hätten die Franzoſen für nützlich gehalten, ſo weit zu gehn. Sie2D. Knigt bei Herbert 218: The Pope thinketh he might by good colour say to the emperor, that he was required by the english ambassadeurs et Mr de Lautrech to proceed in the business133Verhandlungen zwiſchen Rom und England.hatten den Gedanken noch nicht aufgegeben, die engliſche Prinzeſſin Maria, die präſumtive Erbin des Reiches, mit einem ihrer Prinzen zu vermählen. 1Bellay erwaͤhnt dieß Motiv in einer Depeſche vom 8. Nov. Er traͤgt fuͤr ſeine Perſon Bedenken, die Nullitaͤt der Ehe mit Ca - tharinen zuzugeben, weil man ſich dieſes Bekenntniſſes bedienen koͤnne, ou le mariage de Mr. d’Orleans tireroit. Aucuns de deça disent, que, quoique on fasse, qui espousera la princesse sera aprês roi d’Angleterre.

Da man nun weder ohne den Papſt vorſchreiten wollte, noch auch Anſtalt machte, ihm Zwang anzuthun, ſo kam es zu diplomatiſchen Verhandlungen, die ihrer Na - tur nach zweifelhaft ſeyn mußten, ſo lange es die Ereig - niſſe waren.

Die engliſchen Abgeordneten, die ſich im März und April 1528 in der Nähe des Papſtes aufhielten, täuſchten ſich nicht darüber. Alle Schwierigkeiten, aller Verzug, ſa - gen ſie, auf die wir in dieſer Sache ſtoßen, kommt ledig - lich von Furcht her: wir finden bei Jedermann ſo viel Neigung als möglich die Sache zu fördern, aber man be - ſorgt, wenn man dem König eine ungewöhnliche Vergün - ſtigung gewährt, ſo könne dieß zu einer neuen Gefangen - ſchaft führen, wofern der Kaiſer den Platz behält. 2Gardiner a. Fox Orviet the last day of March bei Strype Ecclesiastical Memorials. Tom. V p. 402. that if there were any thing doon novum et gratiosum agaynst the emperors purpose, it should be materia novae captivitatis. Die Geſandten machten noch einmal einen Verſuch, Furcht mit Furcht zu bekämpfen. Eines Tages ſtellten ſie dem Papſt vor, er werde den einzigen Fürſten verlieren, der ihm noch wahrhaft zugethan ſey, wie Wolſey einſt ſich ausgedrückt, nicht allein den König von England, ſon -134Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.dern den Vertheidiger des Glaubens; dann werde das ſchon gebeugte Papſtthum vollends zuſammenbrechen, zu allgemeiner Freude. Der Papſt war nicht unempfänglich für dieſe Gefahr; unter lebhaften Geſticulationen ging er in dem Zimmer auf und ab, und es dauerte eine Weile, bis ſeine Bewegung ſich legte. 1Dieſelben; Monday in Esterwoke ibid. 423. Auch dem franzoͤſiſchen Geſandten ließ der Papſt 8. April hoffen, qu’entre cy et demain prendra quelque bonne forme de conclusion, qui pourra satisfaire au roy l’Angleterre. Raince bei Le Grand III p. 190.Er trat wirklich den Eng - ländern einen Schritt näher. Er ernannte den Cardinal Campeggi, der ohnehin im beſten Vernehmen mit Hein - rich VIII ſtand und von deſſen Abgeordneten dazu vorge - ſchlagen war, zum Legaten von England, und gab ihm die Erlaubniß, zugleich mit Cardinal Wolſey die päpſtliche Dis - penſation, auf welche ſich die Ehe Heinrichs VIII gründete, nach Befinden für wirkſam oder für unwirkſam, die Ehe ſelbſt für gültig oder für ungültig zu erklären. Er that dieß im Anfang des Juni 1528, als die Sachen der Franzoſen vor Neapel noch vortrefflich ſtanden. 2Commiſſion Viterbii VI Junio (8. Juni) abgedruckt bei Her - bert p. 233.Man hatte ihm ver - ſprochen, wenn er den Legaten ſende, werde man die Ve - nezianer bewegen, ihm ſeine Städte herauszugeben. 3Man ſieht das aus dem Briefe von Caſalis bei Burnet: History of the Reformation Records II, nr. 17. Der Papſt ſagt den Geſandten: vos scire volo, promissum mihi fuisse, si legatns hic in Angliam mitteretur, futurum ut mihi civitates a Venetis re - stituerentur.

Bald hierauf aber erfolgte die Niederlage Lautrecs vor Neapel; wir ſahen, welchen Umſchwung die päpſtliche Po - litik hierauf augenblicklich zu Gunſten des Kaiſers nahm.

135Verhandlungen zwiſchen Rom und England.

Schon am 2. September ward Campeggi erinnert, daß, ſo verpflichtet ſich auch Seine Heiligkeit dem König von England fühle, ſie doch auch auf den ſiegreichen Kai - ſer Rückſicht zu nehmen habe, und ihm nicht neuen Anlaß zum Bruch geben dürfe, was nicht allein den Frieden ver - hindern, ſondern auch zum äußerſten Ruin des Kirchen - ſtaats gereichen würde. 1Sanga an Campeggi, Viterbo 2. Sptr. 1528. Paͤpſte I, 126.

Im October 1528 kam Campeggi in England an. So ſtark auch zuweilen die Ausdrücke waren, deren er ſich gegen den Kaiſer bediente, ſo zeigte ſich doch gar bald, daß er nichts Ernſtliches wider ihn vornehmen würde. Er er - mahnte noch zuweilen den König, zuweilen Wolſey, von ihrem Vorhaben abzuſtehen. Eine Bulle, mit welcher Wol - ſey dem geheimen Rathe des Königs den guten Willen des Papſtes zu beweiſen hoffte, weigerte er ſich ſchlechterdings vorzuzeigen;2Pallavicini laͤugnet lib. II, c. XV die Exiſtenz dieſer Bulle, welche Guicciardini behauptet hatte. Allein man braucht nur den ſchon erwaͤhnten Bericht von Caſalis uͤber ſeine Verhandlungen mit dem Papſt im December 1528 zu leſen, um alle Zweifel fahren zu laſſen. S. D. N. injecta in meum brachium manu, dixit bullam decretalem dedisse, ut tantum regi ostenderetur concremaretur - que. Burnet. Records II, 17, p 42. Was nun aber dieſe Bulle ent - hielt, iſt natuͤrlich nicht auszumachen, da ſie Niemand geſehen hat, als der Koͤnig und Campeggi. Da moͤchte ich denn freilich den Ver - ſicherungen Guicciardinis auch nicht glauben. er hat ſie wahrſcheinlich ſelber verbrannt; bei jedem Schritte machte er Miene, nach Rom zu recur - riren. Die Meinung, die ſich allmählig Bahn brach, da eine Vermählung mit des Bruders Wittwe im alten Teſta - mente verboten worden, ſo ſey das ein Fall, wo der Papſt gar nicht dispenſiren könne, verwarf er mit großer Lebhaf -136Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.tigkeit. Er wollte nicht ſagen hören, daß die Macht des Papſtes auf irgend eine Weiſe beſchränkt ſey. Es blieb nur übrig zu beweiſen, daß jene Dispenſation nicht gehö - rig begründet geweſen. Aber auch dabei fanden ſich un - überſteigliche Schwierigkeiten, da die Königin worauf alles ankam fortwährend behauptete, ihre Ehe mit dem Bruder Heinrichs ſey nie vollſtändig vollzogen worden. Sie hatte ſo viel Würde und Haltung, daß man ihr das allgemein glaubte. Auch verſäumte ſie nicht das Rechts - mittel der Proteſtation gegen die beiden Richter, die ſie für parteiiſch erklärte, zu gebrauchen.

Während dieſer Zögerungen aber ſchloß ſich der Papſt beſonders ſeit jenen florentiner Ereigniſſen immer enger an den Kaiſer an, der die Sache ſeiner Tante für ſeine eigne erklärte. Im Mai 1529 fürchtete der engliſche Abgeord - nete, die Commiſſion der beiden Cardinäle werde förmlich widerrufen werden. 1Bellay: 17. Nov. 1528.

Wahrſcheinlich war dieß der Grund, weshalb der - nig, ohne länger zu zögern, die Verhandlungen in aller Form eröffnen ließ.

Am 31. Mai 1529 fingen ſie an, aber ſchon unter dem 29ſten ward Campeggio von Rom aus angewieſen, ſo langſam wie möglich vorzuſchreiten, und auf keine Weiſe das Urthel ergehen zu laſſen. 2Gardiner 4 Mai. Which was confirmed by divers other letters from our agents. Herbert p. 232.Er führte dieß wörtlich aus. Es war zu nichts als zu Vorbereitungen und For -3Sanga al Cl Campeggio 29 Maggio 1529. Sua Beatitu - dine ricorda, che il procedere sia lento et in modo alcuno non si venghi al giudicio. Lettere di principi II. 137Bruch zwiſchen Rom und England.malitäten gekommen, als Campeggi am 28ſten Juli die Sitzungen bis auf den 1ſten October verlegte. Er nahm die Ferien der Römiſchen Rota auch für ſich in Anſpruch.

Als nun der Papſt ſeinen Frieden mit dem Kaiſer ge - ſchloſſen, blieb ihm noch immer Zeit, den Proceß aus Eng - land an die Tribunale der Curie zu avociren.

Am 9ten Juli eröffnete der Papſt den engliſchen Ab - geordneten, es ſey die allgemeine Meinung der Römiſchen Rechtsgelehrten, daß die Avocation bei der Lage der Dinge nicht mehr abgeſchlagen werden könne. Die Geſandten ver - ſäumten nichts, um ihn davon zurückzubringen. Er erwie - derte ihnen, er ſey rings von der Macht des Kaiſers um - geben, der ihn nicht allein nöthigen könne, zu thun was Rechtens ſey, ſondern in deſſen Händen er ſich befinde. Ich ſehe, ſagt er, die Folge ſo gut voraus wie ihr; aber ich bin zwiſchen Hammer und Amboß. Wenn ich dem - nig gefällig bin, ziehe ich den verderblichſten Sturm über mich und die Kirche herbei. 1Burnet aus den Depechen des Geſandten p. 76.

Am 18. Juli ward der Friede zwiſchen Kaiſer und Papſt in Rom ausgerufen. Am 19ten meldete der Papſt dem Car - dinal Wolſey, daß er zu ſeinem großen Schmerze ſich genö - thigt ſehe, die Sache von England an die Curie zu avociren.

Wolſey hatte Heinrich VIII immer verſichert, ſeine große, ſeine geheime Angelegenheit ihm in Rom durchſetzen zu kön - nen: jetzt ſah ſich der König ſelber nach Rom citirt, und zwar, was ihn noch beſonders verdroß, bei einer nahm - haften Geldſtrafe;2The K. Highness supposeth that it should not er wollte das ſeine Unterthanen nicht wiſſen laſſen; er fand ſeine Würde dadurch beleidigt.

138Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.

Ueberdieß aber hatte ihm Wolſey auch verſichert, daß ſich Frankreich niemals von ihm trennen werde. Noch im Mai 1529 wollte er nicht glauben, daß dieß geſchehe; leb - haft ergriff er jedes Gerücht einer neuen Entzweiung und gründete Pläne darauf; allein zuletzt geſchah es denn doch.

Die Politik Wolſeys, die auf eine Vereinigung zwi - ſchen England, Frankreich und dem Papſt berechnet war, ſcheiterte vollkommen.

Gewiß wäre es für jeden Miniſter ſchwer geweſen, nach einem ſo vollſtändigen Mißlingen ſich länger zu hal - ten; für Wolſey entſprangen aber aus den übrigen Ver - hältniſſen ſeiner Stellung noch beſondere Gefahren.

Man muß wiſſen, daß alle ſeine anti-öſtreichiſchen Maaßregeln ſo in dem geheimen Rathe des Königs wie in der Nation Widerſtand fanden. Jede Feindſeligkeit gegen die Niederlande war in England unbeliebt; einſt konnten die über den Friedensbruch mißvergnügten Kaufleute des eignen Landes nur durch eine Art von Zwang dahin ge - bracht werden, die Märkte nach wie vor zu beſuchen. Der König ſelbſt war hauptſächlich dadurch überredet worden, daß ihm Wolſey einen unmittelbaren pecuniären Vortheil aus der Allianz nachwies. Der Cardinal ſtellte oft dem franzöſiſchen Geſandten vor, welch eine große Gewandtheit, wie er ſich ausdrückte, ſchreckliche Alchemie dazu gehöre, ſeinen Gegnern Widerſtand zu leiſten. Aber jetzt waren2be nedeful any such letters citatorial, conteyning matier pre - judicial to his persone and royal estate to be showed to his sub - jects. Gardiner to Wolsey 4 Aug. Statepapers I, p. 336.1Bellay 16. Februar 1528, bei Le Grand, Hist. du divorce, III, p. 84.139Fall Wolſey’s.alle ſeine Kräfte erſchöpft. Selbſt die allmählig zur herr - ſchenden Leidenſchaft gewordene Neigung des Königs, von Anna Boleyn einen Erben zu haben, hatte der Cardinal zuletzt beleidigt; es iſt wohl nicht zu läugnen, daß er am Ende, als er ſah die Sache werde nicht durchzuſetzen ſeyn, dem Könige ſelbſt gerathen hat, davon abzuſtehn. Aber damit hatte er die ganze Partei, welche Anna ſchon für ſich gewonnen, ihren Vater, der zum Marquis von Ro - chefort ernannt worden, erbittert; eben kam Suffolk aus Frankreich zurück, der ſchon dort ſich ihm wenig günſtig gezeigt, und nun in offenbaren Zwiſt mit ihm gerathen;1Nach einem Schreiben Bellays vom 29. Mai war der Koͤ - nig vom Cardinal uͤberredet, qu’il n’a tant avancé le mariage, qu’il eust fait, s’il eust voulu. Bei Le Grand p. 313. Norfolk war nie ſein beſonderer Freund geweſen.

So geſchah es, daß Wolſey fiel. Im November 1529 ward ihm das Siegel genommen: im December ward er ſchuldig befunden, die Privilegien des Reichs durch unge - bührliche Legatengewalt verletzt zu haben: weder die wie - derbeginnende Unterſtützung der Franzoſen, noch wie Nor - folk ſich ausdrückt, der Rath ſeiner Sternſeher konnten ihn ſchützen.

Die Bewegung, welche Wolſey veranlaßt, hatte ſchon eine innere Kraft gewonnen, der er ſelber unterlag.

Wir werden darauf zurückzukommen haben, welch mäch - tigen Fortgang ſie nahm; denn unaufhörlich ward unſer Deutſchland davon berührt. Zunächſt war es für den Kai - ſer ſchon von hoher Bedeutung, daß er des verhaßten Fein - des entledigt war. Mußte doch dieſer Feind ihn ſelber un - terſtützen. Wolſey ſoll den Papſt noch aufgefordert haben,140Fuͤnftes Buch. Viertes Capitel.den König von England zu excommuniciren, weil das Volk ſich alsdann gegen denſelben empören würde. 1Vgl. die Auszuͤge aus dem Schreiben von Chapuis an Carl in Hormayrs Archiv 1810 p. 131. Der Joncquim, deſſen dort ge - dacht wird, iſt wohl kein anderer als der Genueſe Johann Joachim, der auch ſonſt oft vorkommt.Aber auch ohnedieß ward England durch dieſe Sache ſo lebhaft in ſich ſelbſt beſchäftigt, daß es an den allgemeinen Verwickelun - gen zunächſt wenig Theil nehmen konnte.

Hatte der Kaiſer Frankreich und den Papſt zum Frie - den genöthigt, ſo behielt er auch in Bezug auf England freie Hand. Eben darauf kam es ihm jetzt vor allem an. Er trug Sorge auch noch eine andre Streitigkeit zu beſei - tigen, die im entfernten Orient zwiſchen Caſtilien und Por - tugal ausgebrochen war. Beide Kronen glaubten Anſpruch auf den Beſitz der Molukken machen zu dürfen, und hat - ten militäriſche Beſatzungen dahin geſendet. Zwiſchen dieſen war es dort zu lebhaften und mörderiſchen Feindſeligkeiten gekommen, die ſchon in den Eingebornen den Gedanken erweckten, die Einen ſo gut wie die Andern zu verjagen. Noch kannte man nicht die volle Bedeutung dieſer Inſeln. Carl V entſchloß ſich ſeine Anſprüche fallen zu laſſen. Die Portugieſen kauften ihm dieſelben um 350000 Duc. ab, und machten ſich anheiſchig, ihm dieſe Summe in kurzen Friſten zu bezahlen. 2Herrera Historia de las Indias Diec. IIII, lib. V, p. 117.

Carl war nunmehr entſchloſſen, wenn wir nicht ſagen wollen zur Vollführung weiterer Plane, doch gewiß zu vollſtändigerer Ergreifung ſeiner großen Stellung, ſich nach141Der Kaiſer in Italien.Italien und Deutſchland zu begeben. In Italien wollte er die Krone empfangen: nach Deutſchland rief ihn, wie er ſich in ſeinem Ausſchreiben ausdrückte, die Betrach - tung, daß ein großer Theil des Reiches in Gefahr ſey, nicht allein ſich von der Einheit der römiſchen Kirche zu trennen, ſondern auch von den Türken überzogen und er - obert zu werden. 1Sandoval II, p. 25.

Am 27. Juli 1529 ſtieg der Kaiſer zu Schiff; am 9. Aug. langte er zu Savona, am 12. zu Genua an.

Ueberaus mächtig, jedoch nicht, wie die alten Kaiſer, allein durch deutſche Kräfte, ſondern durch eine wunder - bare Combination des Südens und des Nordens, erſchien er an den Grenzen des alten Reiches. In ſeinem Gefolge finden wir alle die berühmten Namen der caſtilianiſchen Geſchichte: Mendoza, Guzman, Pacheco, Manrique, Zuniga, Toledo, Cueva, Rojas, Ponce de Leon; jedes große Haus hatte gleichſam ſeinen Repräſentanten geſchickt; der Glän - zendſte von allen war Alvarez Oſſorio, Marques von Aſtorga; Navareſen, Catalanen, Aragoneſen ſchloſſen ſich an. Schon hatte Antonio de Leiva dafür geſorgt, daß auch Mailand nicht mehr in deutſchen, ſondern in ſpaniſchen Händen war. Die Reichsgewalt, die ſich in dem Kaiſer darſtellte, bekam durch dieſen Einfluß fremder Elemente einen ganz neuen, romaniſchen, nunmehr ſehr katholiſchen Charakter Sah man dieſen Hof nur an, ſo konnten ſeine Intentionen nicht zweifelhaft ſeyn.

Und ſchon hatte ſich in Deutſchland eine Entwickelung vollzogen, die denſelben begünſtigend entgegenkam.

[142]

Fuͤnftes Capitel. Reichstag zu Speier im J. 1529.

Seitdem der Reichstag im Jahre 1526 ſelbſt daran verzweifelt hatte, allgemein verbindliche Maaßregeln in re - ligiöſer Hinſicht durchzuſetzen, hatte es zu keiner nachhal - tigen und wirkſamen Reichshandlung weiter gebracht wer - den können.

Die Geſandtſchaft an den Kaiſer, die man damals beſchloſſen, war unter nichtigen Vorwänden zurückgehalten worden. Wenigſtens ſächſiſcher Seits behauptete man zu - verſichtlich, daß dieß lediglich in Folge geheimer Betrei - bungen der geiſtlichen Stände geſchehen ſey. Bei den da - mals noch wachſenden Irrungen zwiſchen Kaiſer und Papſt ſchienen ſie zu fürchten, die kaiſerliche Entſcheidung möchte zu ihrem Nachtheil ausfallen.

Eine Fürſtenzuſammenkunft zu Eßlingen im Dec. 1526 bezog ſich nur auf die Vertheidigung gegen die Osmanen; die Beſchlüſſe, welche ſie faßte, waren weder an ſich be - deutend, noch ward ihnen die mindeſte Folge gegeben.

Im Mai 1527 kam ein Reichstag zu Regensburg zu143Reichshandlungen 1528.Stande, aber er war ſo ſchlecht beſucht, daß die Verſam - melten ſich nicht einmal für befugt hielten, Gegenſtände, welche ausdrücklich an ſie verwieſen worden waren, vorzu - nehmen, z. B. jene Geſandtſchaft, ſondern den Beſchluß faßten, ſich überhaupt keiner Handlung zu unterziehen. 1Ich bemerke daß der Auszug aus dieſem Abſchied bei Haͤ - berlin XI, 46 dem Inhalt deſſelben (Reichsabſchiede II, 185) nicht eben ſehr adaͤquat iſt.

Auf den März 1528 war ein neuer Reichstag nach Regensburg ausgeſchrieben: allein noch immer waren die Anhänger des Papſtes nicht ohne Beſorgniß vor den Be - ſchlüſſen der verſammelten Stände; zuerſt verſchob König Ferdinand die Eröffnung der Verſammlung vom März in den Mai;2Neudecker Actenſtuͤcke I, 26. dann erſchien ein Edict des Kaiſers, welches ſie, ohne viel Gründe anzugeben, nur, wie die Worte lauten, aus merklichen Obligen und Ehaften geradezu verbot. 3Abkuͤndigung in den frankfurter Acten vom 10. April, die jedoch in Deutſchland noch immer zur rechten Zeit eintraf.Vom päpſtlichen Hofe aus hören wir, das man da eine nicht gute Beſchlußnahme gefürchtet habe. 4Sanga a Castiglione: Lettere di diversi autori p. 56. Pru - dentemente pensò, poter facilmente essere, che ne succedesse qualche non buona determinatione.

Jene packiſchen Unruhen waren eben ein Symptom dieſer Nichtigkeit der Reichsgewalt.

Jetzt aber hatte ſich die Lage der Dinge geändert. Die Siege des Kaiſers, ſeine allmählig ſich erneuernde Ver - bindung mit dem Papſt äußerten, ſo entfernt er auch war, eine unmittelbare Rückwirkung auf Deutſchland. War nicht eben die Entzweiung der beiden höchſten Gewalten, das144Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Schwanken der allgemeinen Verhältniſſe für Aufkommen und Feſtſetzung der religiöſen Reformen von entſcheiden - dem Einfluß geweſen? Eben ſo gefährlich mußte nun der Umſchwung der Dinge denſelben werden. Ich berührte ſchon die Thätigkeit Waldkirchs. In Strasburg hat er die Adlichen, die im Rathe ſaßen, mit Verluſt ihrer Lehen bedroht, wenn ſie ſich der Abſchaffung der Meſſe nicht wi - derſetzen würden. 1Roͤhrich Geſch. d. Reform. im Elſaß I, 360.Im October 1528 forderte nun der Papſt den Kaiſer förmlich auf, ſich der Sachen der Reli - gion auf einem demnächſt zu haltenden Reichstage kräftiger anzunehmen, als bisher. Schon verwerfe man, woran auch nur zu zweifeln ein Verbrechen ſey, Abendmahl und Kin - dertaufe. Fürs Erſte laſſe ſich wenigſtens dafür ſorgen, daß das Uebel nicht weiter um ſich greife. Und ſo erging denn auch noch am letzten Tage des November das Ausſchreiben zu einem neuen Reichstage auf den 21. Febr. 1529 nach Speier. Die Stände wurden bedeutet, daß man keine Rückſicht auf die Ausbleibenden nehmen, mit den Anweſenden nichts deſto minder zu Berathung und Beſchluß ſchreiten werde. 2Der Druck des Ausſchreibens ſetzt den 1ſten, die Nachſchrift den 21ſten feſt. Und wo yhr in zehen Tagen, den nechſten nach dem benannten angeſetzten Tag nicht erſcheinet, ſo wird nichts deſt - minder durch gedacht unſer Potſchafft und Comiſſari mit den anwe - ſenden Stenden gehandlet und beſchloſſen in allermaſſen als ob ihr und andre ſo aus geringen Urſachen auspleyben moͤchten, entgegen (zugegen) geweſt waͤren. Welchs alles wir feſt ſtet und crefftig in - maſſen als ob alle Stend die an - und abweſenden darin bewilligt haͤt - ten achten und vollziehen wollen.Als Gegenſtände der Verabredungen machte man die Rüſtung gegen die Türken, die gewaltigen Handlungen, die wider145Reichstag zu Speier 1529.den Landfrieden vorgenommen worden und vor allem die Religionsneuerungen namhaft.

Und dießmal war es nun Ernſt auf allen Seiten. Die kaiſerlichen Commiſſarien erſchienen zur beſtimmten Zeit: die Stände trafen ſehr zahlreich ein.

Kaum waren ſie aber beiſammen, ſo ſah man auch, wie ſehr ſich ihre Meinung und Tendenz verändert hatte.

Die geiſtlichen Fürſten waren in größerer Anzahl zu - gegen als ſonſt; Die welche nicht perſönlich kamen, hatten an ihrer Stelle die Eifrigſten von ihren Beamten geſchickt, z. B. der Biſchof von Coſtnitz denſelben Faber, deſſen au - ßerordentlich wirkſame politiſch-religiöſe Thätigkeit in den ſchweizeriſchen Irrungen wir oben wahrnahmen. Es war wohl nicht ohne Bedeutung, daß der kaiſerliche Commiſſar Waldkirch zum Coadjutor von Coſtnitz ernannt worden war. Unterweges hatte Faber bei Erasmus eingeſprochen, und ſich auf eine Weiſe ausgedrückt, daß dieſer nichts als Krieg und Gewaltthaten erwartete. 1Erasmi Epistolae II, 1220.Wir wiſſen wie ſo man - cher weltliche Fürſt den Haß der Geiſtlichen gegen die Neue - rungen theilte. Der ſchwäbiſche Bund war durch die letz - ten Gewaltſamkeiten des Landgrafen in ſeinem anti-evange - liſchen Syſtem noch mehr beſtärkt worden. Er ſchloß ſo eben den Abgeordneten von Memmingen aus dem Bundes - rath aus, weil Memmingen die Meſſe abgeſchafft hatte und ſich zu den Meinungen Zwingli’s bekannte. Auch einige neue Anhänger hatte das katholiſche Prinzip gewonnen. Herzog Heinrich von Meklenburg, der bisher für evangeliſch ge - golten, ſtimmte jetzt mit ſeinem Sohne Magnus, BiſchofRanke d. Geſch. III. 10146Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.von Schwerin, der ſich den Veränderungen heftig wider - ſetzte. Der Churfürſt von der Pfalz, ehedem ſo gut wie einverſtanden, verbot jetzt ſeinen Leuten, die Predigt zu be - ſuchen. Man glaubte, er werde von ſeinem Bruder, Pfalz - graf Friedrich, der ſich aufs neue Hoffnung auf eine öſtrei - chiſche Prinzeſſin machte, dazu beſtimmt. Pfalz, heißt es in einem Schreiben aus Speier, kennt kein Sachſen mehr.

Unter dieſen Umſtänden, von einer ihren Wünſchen ent - ſprechenden Stimmung umgeben, konnten nun die kaiſerli - chen Commiſſarien in ihrer Propoſition 15. März mit einem Antrag von entſcheidendem Inhalt hervortreten. 2 Damit aber etc. heißt es in der Propoſition, ſo hebt J. Kaiſ. Maj. angezaigten Artikel, wie der in gedachten Ab - ſchied begriffen iſt, hiemit auf, caſſirt und vernichtet denſelben, jetzt als dann, dann als jetzt alles aus Kaiſerlicher Machtvollkommenheit. Muͤller Hiſtorie von der evangeliſchen Staͤnde Proteſtation und Appellation p. 22.

Indem ſie ein Concilium mit größerer Beſtimmtheit als früher, da nun auch der Papſt damit einverſtanden ſey, ankündigten, und dabei die alte Frage berührten, wie es bis zu demſelben gehalten werden ſolle, ſchlugen ſie vor, jenen Artikel des Abſchieds von 1526, kraft deſſen alle bis - herigen Neuerungen unternommen worden, weil er zu gro - ßem Unrath und Mißverſtand Anlaß gegeben, förmlich zu widerrufen und ihn gegen eine andre, geradezu entgegenge - ſetzte, die geiſtliche Obrigkeit begünſtigende Anordnung zu vertauſchen.

Es war das wohl ein Gedanke, den die meiſten Alt -1Beſorg, ſchreibt Jacob Sturm an Peter Buͤtz, Mitte Maͤrz, wie ich die Perſonen, ſo hie ſind anſehe, es werd nitt vil zu erlan - gen ſinn. In Summa, Christus est denuo in manibus Caiphae et Pilati, bei Jung: Geſch. des Reichstags zu Speier, Beil. nr. 4.147Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.gläubigen hegten. Wenigſtens finden wir in der Inſtruc - tion, die Herzog Georg von Sachſen ſeinem Geſandten an den Reichstag mitgab, daß auch er in jenem Artikel die Urſache aller Irrungen ſah. 1Denn dieweil es ein Jeder ſol machen wie er wil und ge - gen Gott und kaiſ. Maj. vornimmt zu verantworten, ſo kann kein Einigkeit ſeyn. Inſtr. im Dresdner Archiv.Er fordert, daß denſelben Maaß geſetzt werde, namentlich, daß ſich Statthalter und Regiment Kaiſ. Maj. ihrer Gewalt nicht ſo ganz begeben.

Zunächſt ward nun ein Ausſchuß zur Begutachtung der Propoſition niedergeſetzt.

Darin hatten die Altgläubigen, wie es nicht anders zu vermuthen war, auf der Stelle die Oberhand. Von den churfürſtlichen Stimmen war nur die ſächſiſche evangeliſch; unter den neun fürſtlichen waren fünf geiſtliche, drei welt - liche entſchieden katholiſch: wie Faber, ſo ſaß auch Leon - hard von Eck darin, der die Reaction in Baiern geleitet. Da konnte es denn wenig Zweifel geben. Schon am 24. März erklärte ſich der Ausſchuß mit dem Vorſchlag ein - verſtanden, und fügte nur einige nähere Beſtimmungen hinzu. Wer bis jetzt das Wormſer Edict gehalten, ſolle dieß auch ferner thun. In den Landſchaften, wo man davon abgewichen, ſolle man doch keine weitere Neuerung machen, und Niemandem verwehren, Meſſe zu halten. Kein geiſt - licher Stand ſolle ſeiner Obrigkeit, Rente und Gült entſetzt werden dürfen, bei Acht und Aberacht. Die Secten end - lich, welche dem Sacramente des wahren Leibes und Blu - tes widerſprechen, ſolle man ganz und gar nicht dulden, ſo wenig wie die Wiedertäufer. Mit dieſen Erläuterungen ward das Gutachten an die Stände gebracht.

10*148Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

Alles was einſt zu Gunſten der evangeliſchen Lehre geſchehen war, hatte auf der Hinneigung der Mehrheit in den Ständen zu derſelben beruht. Wie ganz aber war jetzt dieſe Mehrheit umgewandelt! Was die frühere be - ſchloſſen, ſuchte die jetzige aufzuheben. In den Sitzungen vom 6. und 7. April nahm ſie das Gutachten an, wie es ihr aus dem Ausſchuß zukam.

Und nun dürfte man ſich nicht von dem Wortlaut täuſchen laſſen, nach welchem es wohl ſcheinen konnte, als ſolle nur der Fortſchritt der Bewegung gehemmt wer - den. Allerdings war dieß die nächſte Abſicht; faßt man aber die Beſtimmungen, die man feſtſetzte, näher ins Auge, ſo konnten ſich die Veränderungen, die auf den Grund der frühern Reichsabſchiede in den einzelnen Landſchaften bereits getroffen waren, in der That dabei nicht behaupten.

Ein Hauptmotiv des vorigen Abſchiedes hatte in der Nothwendigkeit gelegen, die inneren Irrungen in den[Land - ſchaften] beizulegen; deshalb war es Fürſten und Untertha - nen überlaſſen worden, ſich mit einander in religiöſer Hin - ſicht zu vereinigen; jetzt ſollten alle die, welche die lateini - niſche Meſſe abgeſchafft hatten, ſie doch wieder zulaſſen. Was ließ ſich davon anders erwarten, als eine völlige Auf - öſung des eben Gegründeten?

Ferner beruhte das Weſen der getroffenen Verände - rung in einer ſtillſchweigenden Ausſchließung der biſchöfli - chen Jurisdiction; die Obrigkeit der Biſchöfe, d. i. auch die geiſtliche, ward jetzt aufs neue beſtätigt. Man konnte ſich nicht verbergen, daß damit unter anderem das Recht,149Beſchluͤſſe der Majoritaͤt.Prediger zu ſetzen oder abzuſetzen, an ſie zurückkam. 1Fuͤrſtenberg Mitwoch nach Quaſimodogeniti 7. April: Es werden in dem allerlei Woͤrtlin ingeſchlichen, die den Staͤdten als den man ufſetzig und gefer iſt nit treglich noch leidlich ſeyn; mit Na - men daß man niemand an ſeiner Oberkeyt und Herkommen vergwel - tigen ſoll, damit wird den Geiſtlichen, ſo ſolcher Artikel angenom - men und verwilligt wird, erfolgen, die Praͤdicanten zu ſetzen und zu entſetzen, alle Mißbrauch wieder zu erheben und andere wieder an - zurichten. Frankf. Acten.Wie hätte man dabei einen Augenblick länger beſtehen können?

Noch waren die Veränderungen in vielen Städten in beſtem Gange. Einige hatten mit dem letzten Schritte ge - zögert, weil ſie von dem Reichstage noch irgend ein neues ausdrückliches Zugeſtändniß, z. B. die Erlaubniß beider Geſtalt erwartet hatten. Sie waren jetzt verurtheilt, bei dem Hergebrachten unbedingt und auf immer feſtzuhalten.

Endlich wurden die Anhänger Zwingli’s von dem Frie - den des Reiches geradezu ausgeſchloſſen.

Genug, wenn die Abgewichenen in dem Reichsab - ſchiede auch nicht ausdrücklich angewieſen wurden, in den Schooß der verlaſſenen Kirche zurückzukehren, ſo iſt doch un - läugbar, daß, wenn ſie ihn annahmen, die noch in den An - fängen ihrer Bildung begriffene evangeliſche Welt dadurch in Kurzem wieder zu Grunde gehen mußte.

Da war nun die Frage, ob man ſich dieß gefallen laſſen müſſe, ob ein Beſchluß der Mehrheit der Reichs - ſtände auch im gegenwärtigen Falle verbindlich ſey.

Die Frage hat einen ganz allgemeinen Inhalt. Wenn auf geſetzlichem Wege eine Gründung vollzogen, ein lebendi - ges Daſeyn gepflanzt worden iſt, darf alsdann die geſetzliche Gewalt, in einem oder dem andern Momente anders conſti -150Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.tuirt, die Befugniß in Anſpruch nehmen, das Gegründete wieder umzuſtürzen und zu vernichten? Hat nicht vielmehr das zum Daſeyn Gelangte nun auch das Recht, zu ſeyn, ſich zu vertheidigen?

Die Reichsgewalt hatte ſich in einem frühern Zeitpunkt unfähig gefunden, die allgemeine Entzweiung beizulegen; mit ihrem guten Willen war ihre Befugniß an die einzel - nen Territorialgewalten übergegangen; war ſie nun wohl berechtigt, das was in Folge dieſer ihrer Delegation ge - ſchehen, nachdem ſie zu größerer Energie gelangt, wieder zu zerſtören? Niemand könnte dieß zugeben; ſonſt würde bei dem natürlichen Schwanken jeder durch Majorität beſchließenden Gewalt nach den Einwirkungen des Momentes ſelbſt das Lang - hergebrachte in Frage geſtellt werden können. Nichts würde ſeines Daſeyns einen Augenblick ſicher ſeyn. Denn wo - durch unterſchiede ſich dem Prinzipe nach das neu zu Stande Gekommene, in den Kreis der Geſetzlichkeit Aufgenommene, von dem Althergebrachten, Länger-beſtehenden?

Hier war nun noch beſonders bedenklich, daß von ei - ner der wichtigſten jener Anordnungen der Erlaubniß der Meſſe weder in Propoſition, noch Commiſſion, noch Ausſchreiben etwas verlautet war. 1Auszug aus der Beſchwerungsſchrift bei Muͤller p. 33.Landgraf Philipp wollte der Mehrheit der Stände nicht zugeſtehn, über die Ge - biete der Minderheit ſo tief in ihr Inneres eingreifende Be - ſchlüſſe faſſen zu dürfen, ohne deren Beiſtimmung.

Wie Heſſen, ſo erklärten ſich Chur-Sachſen, Lüneburg, Anhalt, der Markgraf Georg von Brandenburg.

Von einer andern Seite faßten die Städte die Sache151Widerſpruch der Evangeliſchen.auf. Ihre Abgeordneten in dem Ausſchuß bemerkten, wie Faber beſonders dadurch auf die Fürſten gewirkt, daß er die gefährlichen Folgen jenes früheren Zugeſtändniſſes her - vorhob und übertrieb. 1Matthias Pfarrer bei Jung nr. VII. Der Doctor Faber bildt mit ſolcher Unworheit und Luͤgen in die Fuͤrſten was der Ler gefolgt hab und noch folgen werd, das do frilich in keines menſchen gedanken ich geſwige thun file und verbittert die Fuͤrſten mit ſolchen Reden.Dieſem Argumente ſetzten ſie nun die Bemerkung entgegen, daß es eben dem letzten Abſchiede zu verdanken ſey, wenn ſeitdem in Deutſchland Ruhe ge - blieben. Wolle man aber ſo ernſtliche Satzung in die - ſen geſchwinden Zeiten vornehmen, ſo müſſe Zertrennung und unbeſchreibliche Beſchwerde daraus erfolgen. 2Der erbern Frei und Reichsſtaͤte Geſandten Bedenken (8. April) bei Jung nr. 26.Noch waren ſie alle einmüthig, die, welche katholiſch geblieben, mit denen, die evangeliſch geworden. Die erwähnte Entgegnung iſt ihr gemeinſchaftliches Werk. Vergebens hielt Pfalzgraf Friedrich den Evangeliſchen vor, daß ſie ja dem kaiſerlichen Edict ungehorſam, ihre Neuerungen mehr zu Unfrieden, als zu Gottes Ehre dienlich ſeyen; ſie entgegneten: was ſie gethan, ſey nicht dem Kaiſer zuwider geſchehn, ſondern nur um den Frieden unter den Ihren zu erhalten und um des Gewiſſens willen; Empörung könne Niemand we - niger leiden, als eben ſie. König Ferdinand ſelbſt bat ſie zwei oder drei Mal, das vorgetragene Gutachten zu billi - gen, der Kaiſer werde ihnen das zu allen Gnaden geden - ken; ſie antworteten ihm, ſie würden dem Kaiſer in alle dem gehorſam ſeyn, was zur Erhaltung des Friedens und zur Ehre Gottes diene. 3Fuͤrſtenberg Montag nach Quaſimodogeniti (7. Apr.) Key -

152Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.

So überwiegend auch die Majorität ſeyn mochte, ſo ſchien es ihr doch nicht gut, ſich um einen ſo ſtarken Wi - derſpruch ganz und gar nicht zu kümmern. Beſonders hat - ten ſich die Städte bei dem Artikel von der geiſtlichen Ge - walt wider das Wort Obrigkeit geſetzt, das im Abſchied von 1526 ſorgfältig vermieden worden. Auch der Ma - jorität ſchien es am Ende beſſer, dieſes Wort wegzulaſ - ſen, und wie früher nichts als die Entziehung der Renten Zinſen und Güter zu verbieten. Doch fügte ſie hinzu, daß Niemand eines andern Standes Verwandte und Untertha - nen wider denſelben in Schutz nehmen ſolle. 1So iſt es in den Abſchied gekommen § 10. Unterthanen und Verwandte.Allein auch dieſe Faſſung ſchien der evangeliſchen Minorität unzuläſſig. Sie fürchtete, wenn man die Worte genau nehme, werde ein Biſchof die Prediger als ſeine Untergebenen und Ver - wandten betrachten dürfen; man werde ſie dem Reichsab - ſchied zufolge ihm ausliefern müſſen, eine Pflicht, die man lange vor dieſen Neuerungen verweigert habe; ſchon vor 40 Jahren habe das Frankfurt dem Erzbiſchof Berthold abgeſchlagen. Ueberdieß war dieß nur ein einziger Punkt, und ſie hatten ſich über ſo viele andre zu beſchweren.

Da aber die Majorität unerſchütterlich blieb, ſollte nun wohl die evangeliſche Partei einen Beſchluß zu geſetzlicher Kraft gelangen laſſen, der ſie mit dem Verderben bedrohte?

Schon am 12. April erklärte der ſächſiſche Geſandte Minkwitz in voller Reichsverſammlung, daß ſie das nicht3ſerlich Maj. begeren halber wiren ſie urbittig, weß ſie zu der ere Gottes, auch frieden und ruhe dienlich gehelfen mochten, ſollt man ſie allerunterthaͤnig gehorſam ſpuͤren.153Widerſpruch der Evangeliſchen.thun würde. Er führte hauptſächlich die religiöſen Gründe auf. In Sachen des Gewiſſens dürfe man überhaupt der Majorität nicht Statt geben; wie komme aber vollends der Reichstag dazu, eine Lehre, die von einem Theile der Stände für chriſtlich gehalten werde, noch vor allem Con - cilium, auf das ſo oft provocirt worden, für unchriſtlich zu erklären? man werde ſich das auf der andern Seite nicht gefallen laſſen, man werde z. B. nicht darin willigen, daß Denen, welche das Edikt von Worms bisher gehalten, ge - boten werde, dabei zu bleiben: denn damit würde man in gewiſſem Sinne die eigene Lehre verdammen Die Gleich - geſinnten waren hocherfreut, daß ſie ihre Sache ſo eifrig führen ſahen. 1Fuͤrſtenberg: Er habe ihre Sache mit hoͤchſtem Ernſt weid - lich und zum Beſten herausgeſtrichen. Minkwitz forderte die Reichsſtände noch auf, an dem früheren Beſchluſſe feſt zu halten; ſey er gemiß - braucht worden, was auf der evangeliſchen Seite wahrhaf - tig nicht geſchehen, ſo könne man dem durch eine Declara - tion abhelfen. Er verſprach, daß man alsdann auch auf dieſer Seite den übrigen Beſchlüſſen anhangen werde.

Allein es war alles vergebens.

Am 19. April erſchienen König Ferdinand, Waldkirch und die übrigen Commiſſarien in der Verſammlung der Stände, dankten ihr für ihre chriſtlichen getreuen und em - ſigen Dienſte und erklärten ihre Beſchlüſſe für angenommen, ſo daß man ſie nur in die Form eines Abſchiedes zu bringen habe. Den Churfürſten von Sachſen und deſſen Anhän - ger mit ihren Eingaben und Widerreden verwieſen ſie le - diglich darauf, daß doch jene Beſchlüſſe altem löblichen154Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Gebrauch nach durch den mehrern Theil der Churfürſten und Fürſten gefaßt worden, ſo daß auch die übrigen ſich den - ſelben zu unterwerfen haben würden. 1Vermeinter Beſcheid, ſo koͤnigl. Durchlauchtigkeit etc. haben vorleſen laſſen in dem Inſtrumentum Appellationis bei Muͤller p. 72.Die evangeliſchen Fürſten, durch eine ſo völlig abſchlägliche Antwort, die wie eine Zurechtweiſung ausſah,2Sie nennen es faſt eine angemaßte Weiſung. und nun, wie ſie vor allen Ständen verleſen worden, zu den Acten des Reiches ge - legt werden ſollte, traten einen Augenblick in ein Nebenzim - mer, um ſich unverzüglich zu einer Antwort zu vereinigen. Allein der König und die kaiſerlichen Commiſſarien waren nicht gemeint, dieſelbe zu erwarten. Auf die Bitte der Für - ſten, ſich einen kurzen Verzug nicht beſchweren zu laſſen, antwortete König Ferdinand: er habe einen Befehl von kai - ſerlicher Majeſtät: den habe er ausgerichtet und dabei müſſe es ſein Verbleiben haben: die Artikel ſeyen beſchloſſen;3Erzaͤhlung in dem Appellationsinſtrument p. 75 und in dem Schreiben der Strasburger Geſandten 21. April bei Jung nr. 44. hierauf verließ er ſammt den Commiſſarien das Haus. Durch die Mißachtung ihrer Würde und ihrer Rechte, die in dieſem Verfahren lag, noch mehr gereizt, beſchloſſen nun die evangeliſchen Stände, einen Gedanken auszuführen, den ſie ſchon einige Wochen früher, ſo wie ſie ſahen, welche Wendung die Geſchäfte am Reichstag nehmen würden, ge - faßt hatten. Rückgängig machen ließen ſich, wie vor Au - gen lag, die Beſchlüſſe der Verſammlung nicht; ſich ihnen unterwerfen, hieß das eigene Daſeyn aufgeben. Sie beſchloſſen das Rechtsmittel der Appellation zu ergrei - fen. Noch in derſelben Sitzung erſchienen ſie, zwar nicht155Proteſtation.mehr vor König und kaiſerlichen Commiſſarien, aber noch immer vor verſammelten Ständen, und ließen die Prote - ſtation verleſen, die ihnen den Namen der Proteſtanten ge - geben hat.

Darin hoben ſie nun beſonders den reichsrechtlichen Geſichtspunkt hervor. 1Ein allgemeiner juridiſcher Grund, den ſie anfuͤhren iſt: daß auch in menſchen Handlungen und Sachen das mirer wider das minder nicht fuͤrdruͤcken moͤcht, da die Sachen nit ir vil in ein gemein, ſundern ieden ſunderlich belangt. Muͤller p. 114.Sie erklärten, daß ſie nicht ver - pflichtet ſeyen, ohne ihre Mitbewilligung aus dem zunächſt zu Speier gemachten Abſchied zu ſchreiten, den man mit ſo ſtarken Clauſeln gegenſeitiger Verſprechungen bekräftigt und gemeinſchaftlich verſiegelt habe; das Vorhaben der übrigen Stände, denſelben einſeitig aufzuheben, ſey machtlos, nich - tig und in Rückſicht auf ſie unverbindlich: ſie würden fort - fahren, nach dem Inhalt des vorigen Abſchiedes, mit ihren Unterthanen in Hinſicht der Religion ſich ſo zu verhalten, wie ſie es gegen Gott und den Kaiſer zu verantworten ge - dächten. Laſſe man ſich nicht abhalten, den Abſchied nach den genommenen Beſchlüſſen zu verfaſſen, ſo möge man auch dieſe ihre Proteſtation demſelben einverleiben.

Eine Erklärung, auch in ihrer Form von einem ſehr merkwürdigen Charakter, mit aller möglichen äußern Rück - ſicht abgefaßt. Die Stände werden lieben Herren Vet - tern, Oheime, Freunde, genannt; ſorgfältig ſondernd titu - lirt man ſie: Eure Liebden und Ihr Andern; man unter - ſcheidet freundliche Bitte an die Einen und gnädiges Ge - ſinnen an die Andern; indem man keinen Augenblick ſeine fürſtliche Würde aus den Augen ſetzt, bittet man die Geg -156Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.ner doch, das Verfahren zu dem man ſich genöthigt ſieht, nicht falſch zu verſtehen; das wird man um die Einen freundlich verdienen, und gegen die Andern mit günſtigem Willen erkennen. Die Actenſtücke dieſes Jahrhunderts ſind gewiß weit entfernt, ſchön oder claſſiſch genannt werden zu können, aber ſie ſind den Umſtänden angemeſſen und haben Charakter; wie die Menſchen ſelbſt, ſo alles was ſie thun.

Der König, dem dieſe Proteſtation mit einigen Zu - ſätzen des andern Tages übergeben ward, hielt es nicht für gut ſie anzunehmen; aber ſie hatte doch den größten Eindruck gemacht; daß ein Reichstag in ſo offenbarer Ent - zweiung endige, ſchien wohl gar zu unmittelbarem Unfrie - den führen zu können; noch am 20ſten erſchienen, im Auf - trag der Mehrheit Heinrich von Braunſchweig und Philipp von Baden, um eine Vermittelung zu verſuchen.

Und ſehr merkwürdig ſind die Punkte, über welche ſie ſich hiebei mit den Evangeliſchen vereinigten.

Sie gaben zu, daß der Artikel über die Gerechtſame der Geiſtlichkeit auf deren weltliche Verwandte und Unter - thanen beſchränkt werde.

Die Evangeliſchen dagegen willigten ein, daß bis auf das Concilium keine weitere Neuerung vorgenommen, be - ſonders keine Secte zugelaſſen werde, die dem Sacramente des wahren Fronleichnams und Blutes entgegen ſey.

Die Verſchiedenheiten der Meſſe ſollten beide Theile an einander dulden; Niemand ſollte in dieſer Hinſicht au - ßerhalb ſeines weltlichen Gebietes etwas zu ſagen haben. 1 Alſo daß kein Churfuͤrſt noch andre Staͤnde ußerthalb ih -

157Vermittlungsverſuch.

Dieſe Vorſchläge haben die evangeliſchen Fürſten wirk - lich genehmigt: auch die zu den Anſichten Zwinglis nei - genden Städte glaubten dabei beſtehen zu können.

Man ſieht wohl: wäre es blos darauf angekommen, ſich einen Einhalt in dem Lauf der Neuerung, in ſo fern er geſetzlich bewirkt werden konnte, gefallen zu laſſen, ſo würden ſie nachgegeben haben; ihr Standpunkt war ledig - lich der der Vertheidigung: es war nur der Einfluß der von dem Reichstag wieder anerkannten geiſtlichen Juris - diction, gegen den ſie ſich zur Wehre ſtellten.

Allein bei der Zuſammenſetzung der Majorität war wohl wenig Hoffnung, mit dieſen Vorſchlägen bei ihr durch - zudringen. Ein paar weltliche Fürſten konnten ſie billigen: die geiſtlichen, die in der Umwandlung der allgemeinen An - gelegenheiten ſo eben eine glänzende Ausſicht zur Herſtellung ihrer Gewalt wahrnahmen, verſchmähten darauf einzugehn. Waren doch auch die weltlichen Fürſten noch nicht einmal alle mit den erſten Beſtimmungen des Ausſchuſſes zufrieden. Herzog Georg von Sachſen forderte eine nähere Feſtſetzung über die verlaſſenen Klöſter, die beweibten Prieſter, er wollte alle von dem Herkömmlichen abweichende Deutungen der hei - ligen Schrift verboten wiſſen. 1Schreiben an ſeinen Geſandten 17. April. Er fordert den Zuſatz, daß ſich niemands unterſtehe, die h. Schrift weiter zu deu - ten oder Disputation einzufuͤhren, denn wie dieſelbigen angenomme - nen Lerer oder der merer Tail unter inen thut anzeigen und beſchließen. Am wenigſten wäre König1rer weltlichen Oberkeiten (Gebiete) den andern zu oder von ſinem alten oder neuen Fuͤrnemen oder Haltung der Meſſen in eynichem Wege vergweltigen, darzu oder davon dringen ſol. Compoſitionsar - tikel bei Muͤller p. 42, bei Walch XVI, 422, wo jedoch ſehr falſche arten vorkommen (z. B. beſſern ſtatt beſten). Jung 45.158Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Ferdinand zu gewinnen geweſen. Es verdroß ihn, daß man zur Proteſtation geſchritten war, ohne erſt mit ihm zu un - terhandeln, ihm dieſelbe ſo ohne weiteres zugeſendet, Un - terhandlungen die er ſelber durch Planitz eröffnet, zurück - gewieſen hatte. Auch auf die evangeliſchen Städte war er ſehr unwillig, namentlich auf Strasburg, das noch kurz vor dem Reichstag die Meſſe abgeſchafft hatte, er ließ ſich nicht bewegen, dem Abgeordneten dieſer Stadt, Daniel Mieg, ſeinen Sitz in dem Reichsregiment zuzugeſtehn. So lehnte er denn auch jetzt jede weitere Annäherung ab, und verwarf die Vorſchläge der beiden Vermittler. Er verwei - gerte, die Proteſtation dem Abſchiede einzuverleiben, oder auch nur derſelben darin Meldung thun zu laſſen.

Da nahmen nun auch die Evangeliſchen auf das Er - ſuchen Ferdinands, die Proteſtation nicht weiter zu exten - diren, noch ſie bekannt zu machen, keine weitere Rückſicht.

Es ward ein ausführliches, mit allen Actenſtücken ver - ſehenes Inſtrument aufgenommen, in welchem die vereinig - ten Fürſten, Churfürſt Johann von Sachſen, Markgraf Georg von Brandenburg, die Herzoge Ernſt und Franz von Braunſchweig-Lüneburg, Landgraf Philipp zu Heſſen und Fürſt Wolfgang zu Anhalt, von den Beſchwerden, die ihnen am gegenwärtigen Reichstag begegnet, und allen Be - ſchlüſſen deſſelben an den Kaiſer, die nächſte gemeine freie Verſammlung der heiligen Chriſtenheit, oder auch ein Zu - ſammenkommen der deutſchen Nation appellirten.

Den nächſten Sonntag, 25. April, ward dieſer Ap - pellation in der Behauſung des Caplan Peter Mutterſtadt an der Johanniskirche zu Speier, in der Johannisgaſſe159Trennung der Staͤdte.daſelbſt, in der untern kleinen Stube des Hauſes, die nöthige gerichtliche Form gegeben. Bald darauf ward ſie öffentlich bekannt gemacht, denn Jedermann ſolle wiſſen, daß die Für - ſten in den neuen Abſchied mit nichten gewilligt, ſondern entſchloſſen ſeyen, an dem früheren feſtzuhalten.

Und dieſe Erklärung bekam nun noch dadurch ein be - ſonderes Gewicht, daß ihr eine große Anzahl von Reichsſtäd - ten beitrat.

Anfangs hatte es nicht anders geſchienen, als wür - den ſie alle noch einmal für Einen Mann ſtehen. Denn das war ihre alte Regel, wenn Eine von ihnen eine Be - ſchwerde hatte, ſich alle für dieſelbe zu verwenden, ſich auf keine Weiſe von einander abzuſondern. Wir bemerkten, daß in der That die erſte Eingabe der Städte, ſo anti - clericaliſch auch ihr Inhalt lautete, doch von allen unter - zeichnet war. Allein die Religionsintereſſen gingen zu tief in Fleiſch und Blut, als daß die alten Regeln dagegen aus - gehalten hätten. Die kaiſerlichen Commiſſarien ließen die Abgeordneten der katholiſch-gebliebenen Städte zu ſich kom - men, lobten ſie wegen ihrer Treue, ermunterten ſie darin zu beharren. Auf einige kleinere, wie Rottweil, Ravens - burg, hatte Joh. Faber viel perſönlichen Einfluß. Von andern behauptete man, die Hoffnung bei dem Reichsan - ſchlag erleichtert zu werden, habe ſie nachgiebiger geſtimmt. Genug in der entſcheidenden Stunde, als der Mainziſche Canzler fragte, welches nun die Städte ſeyen, die ſich be - ſchwert fühlten, zögerte man zwar einen Moment, in Er - innerung an die alten Grundſätze, aber nur einen Moment. Zuerſt erklärte der Geſandte von Rottweil, es gebe unter den Städten auch viele mit dem Beſchluſſe Einverſtandene. 160Fuͤnftes Buch. Fuͤnftes Capitel.Andre ſtimmten ihm bei. Es ward ein Verzeichniß ange - legt, in das die, welche ſich beſchwert glaubten, ihre Na - men eintrugen. Anfangs ſchrieb ſich ſelbſt Cöln ein, nicht ſowohl, weil es die neuen Meinungen getheilt hätte, als weil es in Streitigkeiten mit ſeiner Geiſtlichkeit begriffen war; doch zog es ſich ſpäter zurück. Auch Frankfurt ſchrieb ſich anfänglich ein und hier waren denn wirklich die neuen Meinungen ſchon feſt gewurzelt; ſpäter trat es zurück, weil es ſich nicht von dem Kaiſer zu ſcheiden gedenke. Aber die übrigen blieben ſtandhaft. In dem Inſtrument werden ihrer vierzehn als Theilnehmer der Proteſtation genannt: Strasburg, Nürnberg, Ulm, Coſtnitz, Lindau, Memmin - gen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Reutlingen, Isny, St. Gallen, das hier noch einmal als Reichsſtadt auftritt, Weißenburg und Windsheim. Es ſind, wie man ſieht, auch alle die dabei, welche ſich zu der Zwingliſchen Auf - faſſung hielten. In dem dringenden Momente hatten die Fürſten kein Bedenken getragen, ſich mit ihnen zu verbinden. So bedeutende Fürſten hauptſächlich in dem nördlichen, ſo anſehnliche und reiche Städte vornehmlich in dem ſüdlichen und weſtlichen Deutſchland, alle in Einem Sinn vereinigt, bildeten noch immer eine ſehr reſpectable Macht. Sie wa - ren entſchloſſen ſich gegen jede Gewaltthat von Seiten der Majorität mit gemeinſchaftlichen Kräften zu vertheidigen.

1Berichte Fuͤrſtenbergs in den frankfurter und des Matthis Pfarrer in den ſtrasburger Acten. Auf den Tag iſt die Sonderung un - ter den Staͤdten vor ſich gegangen, ruft M. aus, das haben die Geiſt - lichen bisher geſucht.
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Sechstes Capitel. Spaltungen unter den Proteſtanten.

Fragt man nach dem reinen Reſultate des Reichs - tags von 1529, ſo iſt es folgendes.

An ein Einverſtändniß des Reiches in religiöſer Hinſicht war ſchon lange nicht mehr zu denken; zwei Parteien ſetzten ſich einander immer ſchärfer gegenüber. Die Reichsgewalt ſelbſt hatte dieß geſtattet; wie ſie ſich 1526 ausgeſprochen, konnte ſie als neutral angeſehen werden. Jetzt aber, nachdem der erſte Sturm vorüber gegangen war, der geiſtliche Stand nach eigenen lebhaften Irrungen ſich zur Handhabung ſei - ner gemeinſchaftlichen Intereſſen wieder vereinigt, der Kai - ſer mit dem Papſt wieder freundſchaftliche Verhältniſſe an - geknüpft hatte, gelang es der katholiſchen Geſinnung ſich der höchſten Gewalt zu bemächtigen; die Reichsgewalt, in den Händen der Majorität, nahm eine durchaus katholiſche Farbe und Haltung an.

Die Evangeliſchen, die noch eben auf das Bewußt - ſeyn einer anerkannten Legalität getrotzt, und ſich die Hof - nung gemacht hatten, auf dieſem Wege immer weiter zu ſchreiten, ſahen ſich plötzlich nicht allein von jedem AntheilRanke d. Geſch. III. 11162Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.an der Reichsverwaltung, die ſie vor einigen Jahren ſogar geleitet hatten, ausgeſchloſſen, ſondern von derſelben in ih - rem Daſeyn bedroht.

Es blieb ihnen nur übrig, ſich als Minorität zu con - ſtituiren, und zwar als eine ſolche, die ſich keine Zurück - ſetzung gefallen laſſen will und alle ihre Kräfte dagegen zu - ſammenzunehmen entſchloſſen iſt.

Man darf nie vergeſſen, daß der muthige Gedanke, dieſe Stellung zu ergreifen, ſich auf dem Boden der Reichs - geſetze zur Wehre zu ſtellen, von welchem die folgende Ent - wickelung des Proteſtantismus abhängt, in der Idee einer Vereinigung des ſächſiſchen und des ſchweizeriſchen Bekennt - niſſes gefaßt und ausgeführt ward.

Am 21. April wies König Ferdinand die braunſchwei - giſch-badenſche Vermittelung zurück; am 22ſten ſchloſſen Sachſen und Heſſen eine, wie es in der Urkunde heißt, ſonderlich geheime Verſtändniß mit den Städten Nürn - berg, Ulm und Strasburg. Man war darüber einig, daß man ſich vertheidigen wolle, wenn man des göttlichen Wor - tes halber angegriffen werde, möchte das nun durch den ſchwäbiſchen Bund, oder von Seiten des Kammergerichts, oder ſelbſt durch die Reichsregierung geſchehen. Geſandte, die im Juni zu Rotach an dem fränkiſchen Gebirge zu - ſammenkommen würden, ſollten näher beſtimmen, wie man einander Hülfe zu leiſten habe. 1Artikel des Bedenkens auf die vertraute Unterrede im W. A.

Zwiſchen Nürnberg, welches dem lutheriſchen, und Strasburg, welches dem ſchweizeriſchen Begriff anhing, ward hier, wie man ſieht, noch kein Unterſchied gemacht.

163Entwurf eines proteſt. Buͤndniſſes.

Auch ſäumte man nach dem Reichstag nicht, den beſchloſſenen Bund näher in Ueberlegung zu ziehen. Es ſind zwei Entwürfe dazu in unſern Händen, der eine von ſtädtiſcher, der andere von fürſtlicher Seite. Jener geht davon aus, daß ein Bundesrath aus den Geſandten der verſchiedenen Stände gebildet werden müſſe, der, ſeiner beſondern Pflichten entledigt nur in Rückſicht auf das all - gemeine Beſte Beſchluß zu faſſen habe; der angegriffene Theil ſolle immer den Feldhauptmann ſetzen. In dieſem dagegen wird eine der Reichsverfaſſung entſprechende An - ordnung vorgeſchlagen. Ein Fürſt ſoll zum Hauptmann ernannt werden und einen Kriegsrath von 6 Mitgliedern zur Seite haben, drei von den Fürſten, einen von den Gra - fen, zwei von den Städten. Der ſtädtiſche Entwurf ſucht beſonders zu verhüten, daß man nicht um anderer als re - ligiöſer Gründe willen zu den Waffen greife; nur dann dürfe dieß geſchehn, wenn man des Glaubens wegen ange - griffen, oder unter dem Scheine geiſtlicher Jurisdiction ver - hindert werden ſolle, die Kirchen zu viſitiren. In dem fürſtlichen, der von der Hand des Churprinzen iſt, wird beſonders das Recht hervorgehoben, das man zur Gegen - wehr habe; des Kaiſers wird darin noch nicht gedacht; die letzten Beſchlüſſe werden nur als Unternehmungen der Stände betrachtet, denen man auch dieſſeit in aller Hin - ſicht ebenbürtig und gleich, denen ſich entgegenzuſtellen man nicht allein berechtigt, ſondern ſogar verpflichtet ſey. 1Bedenken der Eynung des Evangeliums halber; im W. A., und erſtgeſtellte Notel des Verſtendnuß, von den von Nuͤrnberg uͤber - geben, bei Muͤller.

Welcher von beiden nun aber auch beliebt worden11*164Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.wäre, ſo würde man alle Mal eine bedeutende Macht ha - ben aufſtellen können. Der Churprinz berechnete, daß man 10000 M. zu Fuß, 2000 zu Pferde aufbringen müſſe; er rieth nahe und ferne Freunde dazu einzuladen. Zunächſt würde man die Schweiz zur Seite gehabt haben. St. Gallen, eine ſchweizeriſche Stadt, hatte auch die Proteſta - tion mitunterzeichnet. Die Reichsſtädte Coſtnitz und Straß - burg traten in Bürgerrecht mit Zürich und Bern. Land - graf Philipp ſtand in engem Verhältniß zu Zürich und na - mentlich zu Zwingli. So ganz harmlos und ohne Bezug auf den Kaiſer würde wohl der Bund nicht lange geblie - ben ſeyn. Landgraf Philipp und der Rath von Zürich hat - ten ganz offenbar die Herſtellung Herzog Ulrichs von Wir - temberg ins Auge gefaßt. Von Zürich aus wendete man ſich an Venedig, an Frankreich. Bei den Unterhandlungen mit Frankreich trug Zwingli darauf an, daß auch der Land - graf von Heſſen in den Bund aufgenommen würde, den er als großherzig, ſtandhaft und klug ſchilderte. 1Hottinger, II, 282, 313.Indem der Kaiſer in dem ſüdlichen Europa entſchieden die Ober - hand behielt, ſchien es als würde ſich ihm ſofort in der Schweiz und in Deutſchland eine religiös-politiſche Partei entgegenſtellen und den Mittelpunkt für eine neue euro - päiſche Oppoſition bilden. Auf jeden Fall durfte man die Zuverſicht hegen, in dieſer Vereinigung dem Kaiſer und der Majorität der Reichsſtände einen unüberwindlichen Wi - derſtand entgegenſetzen zu können.

Allein wie bald ſollte doch die neue Partei, und zwar in Folge ihrer eignen Zuſammenſetzung, dieſe Ausſichten fahren laſſen!

165Theologiſche Bedenklichkeiten.

Indem man ſie faßte, hatte man die Entzweiung aus den Augen geſetzt, welche zwiſchen den beiden Bekenntniſſen obwaltete, deren Anhänger man hier zu vereinigen gedachte. Das war wohl in Speier möglich, beim Anblick einer plötz - lich aufſteigenden unerwarteten Gefahr: den Feinden gegen - über fühlte man ſeine Gemeinſchaft und die Nothwendig - keit ſich politiſch zuſammenzuhalten. Aber ſo wie man wieder allein war, jener Eindruck wieder verloſch, mußte auch die alte Stimmung wieder aufſteigen.

Der Charakter des Jahrhunderts iſt eben, daß indem man ſich von der Herrſchaft der Geiſtlichkeit zu emancipi - ren ſucht, doch das theologiſche Element, durch deſſen Ener - gie dieß geſchieht, hinwieder ſich von keiner politiſchen Be - trachtung beſeitigen läßt.

Man hatte in Speier den Theologen anfangs das neue Bündniß verborgen gehalten, und als man es ihnen dann mittheilte, ſie vermocht, es ſich gefallen zu laſſen

Aber ſie waren auch die erſten, in denen nun Scru - pel aufſtiegen. Melanchthon, ein Menſch, der jede Schwie - rigkeit, auf die er ſtieß, innerlich durcharbeitete, und ſich da - bei keine Pein erſparte, kam ſchon ohne die gewohnte Hei - terkeit nach Hauſe. Er bildete ſich ein, wenn man nur die Anhänger Zwingli’s hätte fallen laſſen, ſo würde ſich die Ma - jorität wohl nachgiebiger gezeigt haben; er gab es ſich ſelber Schuld, daß dieß nicht geſchehen ſey, denn ſeine Pflicht wäre geweſen darauf zu dringen. Er erſchrak bei dem Gedan - ken, daß eine Veränderung des Reiches und der Religion daraus hervorgehn könne. In Wittenberg ſprach er mit Luther und man kann denken, wie der die Sache aufnahm. 166Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Melanchthon gerieth in die ſchmerzlichſten innern Beküm - merniſſe. Mein Gewiſſen, ſchreibt er am 17. Mai, iſt durch dieſe Dinge beunruhigt; ich bin halb todt, indem ich ſie mir überlege. Am 11. Juni: meine Seele iſt von ſo bitteren Schmerzen ergriffen, daß ich darüber alle Pflichten der Freundſchaft, meine Studien verſäume. Am 14ten: ich fühle mich in ſolcher Unruhe, daß ich lieber ſterben, als ſie länger ertragen wollte. Gleich, als wollte er das begangene Unrecht wieder gut machen, erſuchte er endlich auf ſeine eigne Hand ſeine Freunde in Nürnberg, den Abſchluß der entworfenen Verbindung lieber zu verhü - ten. Denn die gottloſe Meinung Zwingli’s dürfe man nimmermehr vertheidigen.

Seinen Herrn, den Churfürſten, konnte er getroſt der Einwirkung Luthers überlaſſen.

Luther, wie geſagt, hatte keinen Augenblick gezögert, die Verbindung mit den Anhängern Zwingli’s zu verdam - men. Auf der Stelle, und unaufgefordert, nur auf die Erzählung Melanchthons wandte er ſich an Chf. Johann, um die zu Speier geſchloſſene Abkunft auch jetzt noch rück - gängig zu machen. Er ſtellte ihm vor, daß alle Bündniſſe überhaupt gefährlich ſeyen; erinnerte ihn, wie ſchon das vorige von dem unruhigen jungen Landgrafen mißbraucht worden. Wie ſollte man ſich aber vollends mit Leuten verbinden dürfen, welche wider Gott und das Sacrament ſtreben? Da gehe man mit Leib und Seele der Verdamm - niß entgegen.

1Schreiben Melanchthons an Camerar: 17 Maji redii neu - tiquam afferens domum illam, quam solebam, hilaritatem. An Baumgaͤrtner C. Ref. p. 1070. An Spengler und Juſtus Jonas 1069. 1075, 76.
1167Theologiſche Bedenklichkeiten.

Und dürfte man wohl dieſe theologiſchen Bedenklich - keiten ſo ſchlechthin verwerfen? Es namentlich Luthern zum Vorwurf machen, daß er ſie hegte?

Wir müſſen bedenken, daß der Grund der ganzen Re - formbewegung in der religiöſen Ueberzeugung lag, die nicht mit ſich unterhandeln, ſich keine Bedingung noch Ermäßi - gung abgewinnen ließ. Der Geiſt einer excluſiven, in For - meln feſtgeſetzten, den Gegner verdammenden Rechtgläubig - keit, herrſchte nun einmal in der Welt vor. Ebendarum war der Streit zwiſchen den beiden Bekenntniſſen, die ſich doch ſonſt nahe ſtanden, ſo heftig geworden.

Eine Verbindung der Anhänger derſelben war nur ent - weder dadurch ausführbar, daß man über die Differenz hin - wegſah oder dadurch daß man ſie beilegte.

In Speier in dem Tumulte des Reichstags, im An - geſicht der gemeinſchaftlichen Gefahr hatte man das Erſtere für möglich gehalten. Allein wie ſollte es ſich durchführen laſſen, da noch immer die heftigſten Streitſchriften zwiſchen den Oberhäuptern gewechſelt wurden? Bei der Ueberzeu - gung, die nun einmal beide Parteien hegten und nicht fahren ließen, hätte darin faſt ein Beweis gelegen, daß das urſprüngliche religiöſe Motiv nicht ſo ganz rein geweſen ſey.

Luther war weit davon entfernt und es bedurfte nur ſeiner Anmahnung, um auch den Churfürſten davon zurück zu bringen.

Churfürſt Johann ſchickte wohl zur beſtimmten Zeit ſeine Abgeordneten nach Rotach, aber mit dem Auftrage, nur zu hören und ihm zu berichten; er werde dann mit den Gelehrten berathſchlagen, ob die Sache ohne Beſchwe - rung des Gewiſſens auszuführen ſey. Er meinte, vielleicht168Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.würden auch in den Nürnbergern ähnliche Scrupel erwacht ſeyn. 1Inſtruction auf Herr Hanſen Minkwitz Ritter gen Rotach. Er ſoll aufmerken, ob nicht vielleicht die Nuͤrnbergiſchen Geſandten von ſelbſt ihm ſagen werden daß ſie befunden, beſchwerlich ſeyn, ſich mit den Ihenen, ſo der Zwingliſchen Meinung des Sacraments halber (anhangen) in Buͤndniß zu begeben, dergeſtalt wo ſie des goͤttlichen Worts des Glaubens halben beſchwert wollten werden, als were dieſer Artikel im goͤttlichen Wort und im Glauben auch gegruͤn - det, das dann wider die Gewiſſen ſtillſchweigend bekannt muſt wer - den; und ihnen dann ſagen, daß uns dergleichen Beſchwerung und Bedenken ſeyther dem naͤchſten Reichstag zu Speier auch zuge - fallen. Der Abſchied iſt Dienſtag nach Bonifacii (8. Juni).

Wirklich war die Meinung der Nürnberger Theolo - gen ganz wie die der ſächſiſchen. Auch ſie überzeugten ih - ren Rath, daß man mit den Sacramentirern nichts zu ſchaffen haben müſſe. 2Canzler Bruͤck ſagte zu Schmalkalden, es komme alles aus dem Rathſchlag v. Nuͤrnberg. Strobel Miscellaneen IV, 130.

Daher kam es in Rotach zu nichts als zu allgemeinen Zuſicherungen gegenſeitiger Hülfe, vorläufigen Beſprechun - gen; nähere Berathung verwies man auf eine andre Zu - ſammenkunft im Auguſt nach Schwabach, die aber gleich gar nicht zu Stande kam. Sie war ſchon abgekündigt, als die oberländiſchen Geſandten anlangten: ſie hatten den weiten Weg vergeblich gemacht. 3Schreiben an Nuͤrnberg 23. Aug. Sie wollen die Sache ihren Freunden daheim melden, obwohl ſie uns den Geſandten nit allein unſer Leibs Schwacheit, ſondern auch Ferne des Wegs und der ſchwebenden ſorglichen Laͤufe halber ganz beſchwerlich iſt (W. A.).

So mächtig ſetzte ſich das theologiſche Element, wie jenem Kriegsunternehmen in den Packiſchen Händeln vor drei Jahren, ſo jetzt einem Bündniß entgegen, das zur Ret - tung vor der überlegenen Gewalt das einzige Mittel ſchien. 169Geſpraͤch zu Marburg.Wie damals den Angriff, ſo verhinderte es jetzt alle Maaß - regeln der Vertheidigung.

Kein Wunder, wenn ſich Landgraf Philipp, der jene Ausſichten ſchon mit ſeinem ganzen Ehrgeiz ergriffen hatte, darüber betroffen, unglücklich fühlte. Er that alles, um ſeinen ſächſiſchen Verbündeten bei dem einmal gefaßten Ent - ſchluß feſtzuhalten. Jedoch es war alles vergebens. 1Gruͤnde und Gegengruͤnde in den Schreiben des Churfuͤr - ſten und des Landgrafen bei Muͤller. Geſch. d. Proteſt. p. 256, 261.

Und glauben wir darum nicht, daß Landgraf Philipp dem Geiſt ſeines Jahrhunderts untreu geworden ſey. Der Grund ſeiner Nachgiebigkeit lag darin, daß er von der Lu - therſchen Auffaſſung nicht ſo vollkommen durchdrungen war, wie die Uebrigen.

War nun aber das Ignoriren der Zwiſtigkeit nicht möglich, ſo wurde es doppelt dringend noch einen Verſuch zu machen, ob ſich nicht eine Vereinigung zwiſchen den ſtreitenden Theologen ſtiften laſſe.

Schon in Speier hatte Landgraf Philipp dieſen Ge - danken gehabt, und darüber an Zwingli geſchrieben. Jetzt ſchritt er zu einer definitiven Einladung beider Parteien, zum Michaelisfeſt 1529 auf ſein Schloß zu Marburg.

Merkwürdig wie verſchieden beide ſeine Einladung auf - nahmen. Zwingli hätte gefürchtet, von dem großen Rathe3Auch eine Verſammlung zu Zerbſt unterblieb: ſie war anberaumt weil der Churfuͤrſt fuͤr gut angeſehn, dasjenige was er ſich mit etzlichen Fuͤrſten und Staͤnden einer freundlichen Verſtaͤndniß halber unterredet, hinter denen ſo in die Magdeburgiſche Vereinigung gehen nicht zu ſchließen. Ich finde, daß dahin auch Erich, Biſchof von Paderborn und Osnabruͤck eingeladen war, der ſich ſchon zu Speier den erſten Proteſtationsſchritten angeſchloſſen hatte.170Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.ſeiner Stadt, wenn er ſeine Abſicht kund gethan hätte, zu - rückgehalten zu werden; man hätte ihn ſchwerlich auf eine ſo weite Reiſe durch ſo manches zweifelhafte oder feindſe - lige Gebiet ziehen laſſen; nur im Einverſtändniß mit eini - gen Mitgliedern des geheimen Raths, ohne daß er auch nur ſeiner Frau ſeine Abſicht mitgetheilt hätte, ehe er auch nur einmal ein heſſiſches ſicheres Geleit erhalten, machte er ſich auf den Weg. Dagegen hätte Melanchthon lieber geſehen, ſein Fürſt hätte ihnen die Reiſe verboten. Luther erklärte unaufhörlich, die Zuſammenkunft werde zu nichts helfen. Als Luther an der Werra angekommen, wäre er nicht zu bewegen geweſen, weiter zu gehn, ehe er nicht das ſichere Geleit des Landgrafen in aller Form in Em - pfang genommen hatte. 1Nach Bullinger, der fuͤr dieſes Geſpraͤch uͤberhaupt ſehr merk - wuͤrdig iſt, p. 214 bemerkte der Landgraf ſelbſt dieſen Unterſchied.

Die Schweizer waren erfüllt von großen Hoffnungen; wußten ſie doch, daß der Fürſt, bei dem ſie mit ihren Geg - nern zuſammentreffen ſollten, politiſch ohne Frage, und bei - nahe auch religiös auf ihrer Seite war. Die Wittenberger fühlten wohl, daß ſie ſich im Widerſpruch mit den Wünſchen Philipps befanden; ſie waren entſchloſſen, nicht zu weichen, ſondern ihre Stelle um jeden Preis zu behaupten.

So kam man in ſehr entgegengeſetzter Stimmung zu - ſammen. Denn das iſt nun einmal die Natur des Men - ſchen, daß er in alle ſeinem Thun unter den Einflüſſen des Momentes zu Werke geht.

Erhob man ſich aber einmal darüber, ſo hatte die Verſammlung etwas Erhabenes, Weltbedeutendes.

171Geſpraͤch zu Marburg.

Die trefflichen Geiſter, die auf beiden Seiten mit ſo großer Kraft die Bewegung geleitet, zwiſchen denen aber Mißverſtändniſſe ausgebrochen, kamen zuſammen, um in perſönlichem Zwiegeſpräch eine Ausgleichung zu verſuchen, dem Hader, der dem Fortgang der gemeinſchaftlichen Sache nicht anders als überaus hinderlich ſeyn konnte, ein Ende zu machen.

So faßte Euricius Cordus dieſe Sache, wenn er ſie alle anredet, die Fürſten des Wortes, den ſcharfſinnigen Luther, den ſanften Oecolampad, den großherzigen Zwingli, den braven Melanchthon, und die Uebrigen, welche ange - kommen Schnepf, Brenz, Hedio, Oſiander, Jonas, Crato, Menius, Miconius, deren jeden er mit einem entſprechenden Worte des Lobes ſchmückt und ſie dann ermahnt, das neue Schisma zu heben. Die Kirche fällt Euch weinend zu Füßen, fleht Euch an und beſchwört Euch bei den Einge - weiden Chriſti, die Sache mit reinem Ernſt, zum Heile der Gläubigen zu unternehmen, einen Beſchluß zu Stande zu bringen, von dem die Welt ſagen könne, er ſey vom heiligen Geiſte ausgegangen. 1Das Gedicht iſt von Melanchthon in das Paralipomenon zum Chronikon Urſpergenſe aufgenommen (p. 495).Es war eine Kirchenver - ſammlung Derer, die vom Katholicismus abgewichen. Wäre es einmal damit gelungen, ſo würde das Mittel gefunden geweſen ſeyn, auch fortan in der neuen Partei die kirchliche Einheit zu erhalten.

Zuerſt wurden einige vorläufige Zweifel beſeitigt. Man hatte Zwingli’n Irrthümer über die Gottheit Chriſti beige - meſſen; er ſprach ſich ganz in dem Sinne des Niceniſchen172Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Glaubensbekenntniſſes aus. Auch über den Begriff der Erb - ſünde, auf welchen die geſammte Heilsordnung baſirt iſt, die Wirkſamkeit des äußerlichen Wortes, die Taufe, welche nicht ein bloßes Zeichen ſey, erklärte er ſich mit den Wit - tenbergern einverſtanden. Es iſt wohl unläugbar, daß Zwingli in allen dieſen Punkten, indem er zu einem unver - mittelten Verſtändniß der Schrift zu gelangen ſuchte, ſich von den angenommenen kirchlichen Begriffen ziemlich weit entfernt hatte. Er kehrte hierin, wie Luther, auf die Baſis der lateiniſchen Kirche zurück. 1Loͤſcher Hiſtoria Motuum ſetzt p. 103 auseinander, in wie fern fruͤhere Aeußerungen der Oberlaͤnder mit den damaligen Feſt - ſetzungen in Widerſpruch ſtanden. Selbſt Planck, ſonſt ein großer Verfechter der Oberlaͤnder, iſt uͤberzeugt, daß Loͤſcher hier Recht hat.Nur in dem Einen Punkte, auf den es vor allem ankam, welcher die allgemeine Auf - merkſamkeit beſchäftigte, in der Frage über die Euchariſtie, wich er keinen Schritt breit; da hoffte er vielmehr den Sieg davon zu tragen. Mit großer Lebhaftigkeit brachte er ſeine Argumente vor, die figürliche Bedeutung des Iſt in andern Stellen, die Erläuterung, die Chriſtus im 6ten Capitel Jo - hannis ſelbſt gebe, von welcher er ſich wohl vernehmen ließ, ſie breche Luthern den Hals ab, was dieſer faſt miß - verſtanden hätte; die Uebereinſtimmung mehrerer Kirchen - väter; endlich die Unmöglichkeit, daß ein Leib anders als an Einem Ort ſey. Allein Luther hatte vor ſich auf die Tafel die Worte geſchrieben das iſt mein Leib; er blieb dabei, daß das Gottes Worte ſeyen, an denen man nicht deuteln müſſe, vor denen der Satan nicht vorüber könne; er ließ ſich auf die tiefergreifenden Erklärungen, mit denen er das Argument von der Localität, ohne die ein Körper nicht173Geſpraͤch zu Marburg.zu denken ſey, wohl ſonſt beſtritten hatte, dieß Mal nicht ein; das Bedeutet wollte er ſchlechthin nicht dulden, denn das nehme den Leib hinweg. Der Unterſchied iſt: auch Zwingli’n iſt die Gegenwart Chriſti an das Brod geknüpft; Luther’n da - gegen iſt das Brod ſelbſt die Gegenwart, und zwar der gegen - wärtige Leib; das Sichtbare enthält das Unſichtbare, wie die Scheide das Schwert. Wohl verſtand auch er das Ge - nießen ſpirituell, er wollte ſich aber das Myſterium, das in dem Zeichen liegt, nicht entreißen laſſen. Er meinte, die Gegner möchten wohl noch nicht in den Fall gekom - men ſeyn, ihre Erklärung in geiſtigen Anfechtungen zu er - proben. 2Erklaͤrung Luthers an Landgraf Philipp bei de W. III, p. 510.Er dagegen war ſich bewußt, damit gegen Sa - tan und Hölle gekämpft, und den Troſt daraus geſchöpft zu haben, deſſen die Seele in ihren verzweiflungsvollſten Stürmen bedarf.

Für die Fortentwickelung der religiöſen Ideen wäre es, dünkt mich, nicht einmal zu wünſchen geweſen, wenn Zwingli ſeine Auffaſſung, die durch die Zurückführung des1Als eine Hauptſtelle fuͤr die Differenz moͤchte ich folgende in dem Auszug aus den Acten bei Scultetus anſehen, p. 143. Lu - therus affirmat (die Rede iſt vom 6ten Capitel Johannis) non ip - sam manducationem oralem, sed manducationis modum, crassum illum, qualis est carnis suillae aut bovinae rejici. Oecolampadius arrepta inde occasione de duplici verborum Christi intelligentia disserit, humili sive carnali, et sublimi sive spirituali: humilem sive carnalem verborum Christi intellectum eum esse, quem Lu - therus asserat a Christo repudiatum: spiritualem sive sublimem esse illum, quem Christus jusserit amplecti. Contra Lutherus fieri non posse nec debere, ut ad spiritualem tantum intellectum verba coenae referantur, siquidem remissio peccatorum, vita ae - terna ac regnum coelorum carnalibus istis ac humilibus ut ap - pareant rebus per verbum dei annexa sint. 174Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Myſteriums auf die urſprünglichen, hiſtoriſch überlieferten Momente der Einſetzung eine ſo unermeßliche Bedeutung für die ganze Auffaſſung des Chriſtenthums außerhalb der conſtituirten Kirchlichkeit in ſich ſchloß, aufgegeben hätte. In den übrigen Punkten, wo er nachgab, war er noch nicht ſo ſicher, ſo feſt geworden; dieſen aber hatte er nach allen Seiten durchdacht; hier war er ſei - nes Gegenſtandes Meiſter, er enthielt ſein Prinzip; den ließ er ſich nicht entreißen.

Eben ſo wenig wäre es aber auch von Luther zu er - warten, oder gar zu fordern geweſen, daß er der andern Erklärung beigetreten wäre. Sein Standpunkt iſt überhaupt, daß er ein Inwohnen des göttlichen Elementes in der chriſt - lichen Kirche feſthält, wie die Katholiſchen. Er ſieht es nur nicht in den mancherlei Zufälligkeiten, welche phantaſtiſche und ſophiſtiſirende Jahrhunderte überliefert hatten. Da dieſe ihm die Gewißheit nicht gewähren, deren er bedarf, ſo geht er auf die urſprünglichen Quellen zurück, auf welche auch ſie ſich beziehen; und nur das nimmt er an, was er da findet. Von den ſieben Sacramenten hält er nur die zwei feſt, von denen das neue Teſtament unläugbare Meldung thut. Aber dieſe will er ſich nun auch um keinen Preis entwinden, oder in ihrer geheimnißvollen Bedeutung ſchmä - lern laſſen.

Es ſind, wie geſagt, zwei von verſchiedenen Geſichts - punkten, aber mit gleicher Nothwendigkeit entſtandene Auf - faſſungen.

Gewinn genug, wenn man nun aufhörte, ſich ge - genſeitig zu verketzern. Luther hatte gefunden, daß die Gegner es nicht ſo böſe meinten, wie er geglaubt. Auch175Geſpraͤch zu Marburg.die Schweizer gaben jene grobe Vorſtellung auf, die ſie von der lutheriſchen Auffaſſung bisher gehegt hatten. Lu - ther meint, die Heftigkeit der Streitſchriften werde ſich nun legen. 1Melanchthon ſagt in dem Anhang zum Chron. Urſpergenſe: Triduo duravit colloquium et durasset diutius spe uberioris tum concordiae futurae, nisi horrendus ille morbus sudatorius vocatos dispersisset. Das iſt dann in Bullinger uͤbergegangen. Es zeigt wenigſtens, welcher Eindruck bei Melanchthon geblieben war.

Zunächſt wurden alle die wichtigſten Glaubensartikel, in denen man übereinſtimmte, verzeichnet und von den Theo - logen beider Parteien unterſchrieben; die Abweichungen von dem römiſchen Bekenntniß ſowohl, wie von den wiedertäu - feriſchen Secten ſind darin ſorgfältig bemerkt; es war doch auch dieß eine erwünſchte Grundlage gemeinſchaftlicher Fort - entwickelung, und das Marburger Geſpräch iſt durch die Feſtſtellung derſelben auf immer wichtig. Der funfzehnte und letzte dieſer Artikel betrifft das Abendmahl. Man iſt über die Art und Weiſe der Feier, und den Zweck der - ſelben, ſelbſt darin einſtimmig, daß hier der wahre Leib und das wahre Blut Chriſti geiſtlich genoſſen werde; nur über die Eine Frage kann man ſich nicht vereinigen, ob dieſer wahre Leib nun auch leiblich im Brode ſey. Da trennt ſich eine freiere Auffaſſung der Schrift von dem in der Kirchengemein - ſchaft geltend gewordenen Begriff des Myſteriums. Doch will ein Theil gegen den andern chriſtliche Liebe ausüben.

Nur ſo weit gab Luther nicht nach, daß er auch brü - derliche Liebe gewährt, d. i., daß er anerkannt hätte, man bilde nun eine einzige Gemeinſchaft. 2Luther an Gerbellius 4. Oct.: Denuntiatum est eis, nisi et hoc articulo resipiscant, charitate quidem nostra posse eos utiDazu war ihm die176Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Differenz bei weitem zu tiefgreifend, das Myſterium, der Mittelpunkt des Glaubens und Dienſtes, viel zu weſentlich.

Für die Zukunft demnach, für das Bewußtſeyn, daß man der Abweichung zum Trotz im Grunde doch dem nemlichen Bekenntniſſe angehöre, war durch das Geſpräch nicht wenig gewonnen; der politiſche Zweck dagegen, den Landgraf Philipp im Auge gehabt, wie er von dem Mo - ment geboten wurde, war und blieb verfehlt.

So eben hielten Churfürſt Johann von Sachſen und Markgraf George von Brandenburg eine Zuſammenkunft zu Schleiz, um über die Zuläſſigkeit des oberländiſchen Bündniſſes zu rathſchlagen. Dahin begab ſich auch Luther. Man ward eins, daß eine vollkommene Einheit des Glau - bens dazu gehöre, wenn man ſich gegenſeitig vertheidigen wolle; beſchloß, die Artikel, worauf jene Einheit be - ruhe, gegen einander zu bekennen, und Niemand in die Verbindung aufzunehmen, wer auch nur in dem einem oder dem andern derſelben abweiche. 1Der Abſchied in Schleiz war wohl nur muͤndlich. Man erſieht ſeinen Inhalt aus der Inſtruction fuͤr die churf. und mggf. brandenburgiſchen Raͤthe zu dem ſchwabacher Convent bei Muͤller p. 281 und bei Walch Bd. 17 p. 669. Erſter Artikel.

Und auf der Stelle ging man an dieſes Werk. Als die oberländiſchen Geſandten zu einem neuen Convent in Schwabach, im October, eintrafen, ward ihnen vor allen Dingen ein Bekenntniß zur Unterſchrift vorgelegt. Es ſind die ſogenannten ſchwabacher Artikel. So wie man dieſel - ben durchſicht, bemerkt man, daß ſie die größte Aehnlich - keit mit der marburger Uebereinkunft haben. Die Folge2sed in fratrum et Christi membrorum numero a nobis censeri non posse. 177Schwabacher Artikel.iſt von vorn herein, z. B. in den erſten neun Artikeln die nemliche;1Was die ſchwabacher Art. VIII mehr zu haben ſcheinen, findet ſich in den marburgiſchen unter dem Titel: de usu sacramenti. Vgl. den Abdruck der 17 Artikel bei Walch Tom. 16, 778 und di - plomatiſch genau in Webers Kritiſcher Geſchichte der Augsb. Confeſ - ſion, Bd. I, Anh. 1. auch die Ausdrücke ſtimmen meiſtentheils wörtlich zuſammen; nur einige wenige Veränderungen fin - den ſich, unter denſelben aber die entſcheidende im 10ten Artikel, die Lehre, daß der wahre Leib und Blut Chriſti wahrhaftiglich im Brod und Wein gegenwärtig ſey, ſo - gar mit der polemiſchen Bemerkung, daß der Widertheil vorgebe, es ſey eben nur Brot und Wein. Die ſchwaba - cher Artikel ſind eine etwas umgearbeitete Redaction der marburgiſchen Uebereinkunft, in der jedoch der Begriff Lu - thers als allein gültig angenommen worden. 2Riederer fand bei dem Autograph einer in das Jahr 1530 fallenden Vorrede Luthers zu den 17 Artikeln folgende Worte von Veit Diedrichs Hand: Praefatio ad 17 articulos Marburgi scriptos, und gruͤndete darauf die Behauptung, daß die 17 Artikel ſelbſt zu Marburg verfaßt worden. Dann wuͤrde ſie Luther ſchon fertig nach Schleiz mitgebracht haben. In der That, ſehr beſchaͤftigt wuͤrde Lu - ther geweſen ſeyn. Am 30. Spt. kam man, am 1, 2, 3. October dibputirte man, am 4ten wurde die Marburgiſche Uebereinkunft un - terſchrieben, am 5ten reiſte er ab. Mit dem Charakter der 17 Ar - tikel ſtimmt aber die dortige Abfaſſung nicht uͤbel zuſammen. Nur muͤſſen ſie ſpaͤter revidirt, hie und da naͤher beſtimmt worden ſeyn, wenn es wahr iſt, was man in Schmalkalden den Staͤdten ſagte, die Artikel ſeyen ſere wolbedaͤchtig und mit tapferm Rath gelerter und ungelerter Raͤthe geſtellt. Natürlich konnten die Geſandten von Ulm und Strasburg dieß Be - kenntniß nicht unterſchreiben. Sie bemerkten, es ſtimme mit der bei ihnen herrſchenden Predigtweiſe nicht überein, ſie ſeyen auf die Veränderung nicht inſtruirt; ſie könntenRanke d. Geſch. III. 12178Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.erſt auf der nächſten Zuſammenkunft eine Erklärung darüber beibringen.

Es ließ ſich vorausſehen, daß unter dirſen Bedingun - gen der entworfene Bund wieder aufgegeben werden mußte.

Und gerade in einem Momente geſchah dieß, in wel - chem die kaiſerliche Gewalt ſich immer feindſeliger zeigte.

Der Kaiſer hatte noch von Spanien aus ſeine Miß - billigung der Proteſtation ausgeſprochen; die vereinigten Stände hatten ſich hierauf entſchloſſen, eine Geſandtſchaft nach Italien an ihn zu ſchicken, um ihre Schritte zu recht - fertigen; allein wie war das ſpaniſch-katholiſche Weltele - ment, auf das die Geſandten in der Umgebung des Kai - ſers ſtießen, ihren Abſichten ſo ganz entgegengeſetzt. Der Kaiſer wiederholte nur ſeine früheren Erklärungen. Er wollte die Proteſtation nicht annehmen, und war ſehr un - willig, als die Geſandten dieſelbe dem Secretär, der mit ihnen unterhandelte, auf den Tiſch legten. Den ganzen Hof entrüſtete es, daß der eine der Geſandten, Michael Ka - den, eine ihm von dem Landgrafen mitgegebene Schrift pro - teſtantiſchen Inhalts dem rechtgläubigen Kaiſer, der als das weltliche Oberhaupt der katholiſchen Chriſtenheit daher zog, in die Hände brachte. Die Geſandten mußten dem Hofe eine Zeitlang als Gefangene folgen; nur durch eine Art von Flucht konnten ſie ſich retten.

Es wäre jedoch ein Irrthum geweſen, wenn man ge - hofft hätte, daß ſo feindſelige und drohende Begegniſſe die Proteſtanten wieder vereinigen würden.

Auf eben der Verſammlung, auf welcher über dieſel -159Spaltung.ben Bericht erſtattet wurde, zu Schmalkalden im Dezbr. 1529, brach unter ihnen erſt der volle Zwieſpalt aus.

Den Oberländern die ſich hier bei weitem zahlrei - cher eingefunden hatten, als zu Schwabach wurden die ſiebzehn Artikel neuerdings vorgelegt; Ulm und Strasburg, deren Beiſpiel die übrigen zu folgen pflegten, erklärten de - finitiv, daß ſie dieſelben nicht unterſchreiben würden. Hier - auf ward ihnen eben ſo beſtimmt erwiedert, daß man dann auch nicht mit ihnen in Bund treten könne. So leb - haft ſie dennoch darum baten, ſo dringend ſich der Land - graf für ſie verwandte, denn von dem Kaiſer habe man nichts anderes zu erwarten, als Ungnade und Gewalt, ſo war doch alles vergeblich. Nicht einmal die Relation der Geſandten wollte man ihnen mittheilen, wenn ſie ſich nicht zuvor im Glauben einhellig bekennen würden. 1Protocoll der Verſammlung Sonntag nach Katharinaͤ 1529 bei Strobel IV, 113.

Und im Laufe dieſer Verhandlungen war nun auch noch eine andre Frage von mehr politiſcher Natur zur Sprache gekommen.

Als Luther ſeinen Herrn von dem Bunde mit den Oberländern abmahnte, hegte er noch die Hoffnung, daß ein Verſtändniß mit dem Kaiſer möglich ſey.

Er faßte dabei die reformatoriſche Thätigkeit nur in ihrer allgemeinſten Bedeutung auf, in wie fern ſie ſich auf eine Be - freiung des weltlichen Standes von der Hoheit und dem An - ſpruch eines religiöſen Vorzuges bezog, welchen die Geiſtlich - keit bisher gemacht hatte. Er ſtellte vor, wie unzählige von Jedermann gerügte Mißbräuche er gehoben, und doch dabei12*180Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.nach der andern Seite hin Wiedertaufe und Bilderſturm rit - terlich bekämpft; hauptſächlich aber und ganz mit Recht rech - nete er ſich als ein Verdienſt an, daß er den Begriff von Obrig - keit und weltlicher Majeſtät wieder erweckt und zu allgemei - ner Anerkennung gebracht habe. Von dem Kaiſer hatte er eine ſo hohe Meinung, daß er glaubte, es müſſe ihm ein - leuchten, wenn man ihm vorſtelle, daß in den evangeliſchen Ländern die Lehre des Chriſtenthums reiner gepredigt werde, als ſeit tauſend Jahren. Luther war von dem Begriffe des Reiches nicht viel minder durchdrungen, als von dem der Kirche ich ſage nicht von der momentanen Erſcheinung deſſelben, ſondern von ſeinem Inhalt und Weſen und er fühlte eine ähnliche Pein, ſich von demſelben losreißen zu ſollen.

In der That ſind hierauf Unterhandlungen zwiſchen dem Churfürſten und König Ferdinand angeknüpft worden. Bei Ferdinand gingen ſie, wie er ſeinem Bruder mehr als einmal ſchreibt, hauptſächlich von der Beſorgniß aus, daß etwa vor deſſen Ankunft eine Bewegung der Proteſtanten erfolge, was ihm ſehr verderblich hätte werden können; bei dem Churfürſten von der natürlichen Scheu, ſich von dem Oberhaupte des Reiches zu trennen, die Luther noch beſonders in ihm erweckt hatte. Dem Landgrafen kam die Sache zuweilen bedenklich vor. Er fragte einſt ſehr trotzig bei dem Churfürſten an, weſſen er ſich zu ihm zu verſehen habe, wenn er angegriffen werden ſollte. 1Rommel Urkundenbuch nr. 9.

Aber allmählig mußte ſich doch zeigen, wie wenig ſich von dieſen Unterhandlungen erwarten ließ. Es war klar,181Reichsrechtliche Streitfrage.daß man nicht, wie der Churprinz bei jenem Entwurf des Bundes vorausgeſetzt hatte, blos mit den Ständen zu thun haben werde. Schon in der Inſtruction des Churfürſten für ſeine Geſandtſchaft nach Schwabach heißt es: die große Gefahr werde jetzt an der höchſten Stelle ſeyn.

Da trat nun erſt jene weitere Frage ein, ohne de - ren Beantwortung auch die im Glauben Gleichförmigen ſich nur vergeblich verbanden, in wie fern es nemlich überhaupt erlaubt ſey, dem Kaiſer zu widerſtehn.

Mit Recht bemerkte Sachſen, daß wenn man ſich nicht vor allen Dingen hierüber verſtehe, jedes Bündniß nur zum Schein dienen, keine Zuverſicht geben, keine Rettung mög - lich machen werde.

War aber nicht der Kaiſer die höchſte Obrigkeit? Mußte man ihm nicht nach den Worten der Schrift, die man ſelbſt ſo oft aufgerufen, in jedem Falle Gehorſam leiſten?

Keinesweges war dieß etwa vergeſſen. So eben ward die Frage auf das ſcrupulöſeſte unterſucht.

In Sachſen war man noch zur Zeit der ſchwabacher Zuſammenkunft für das Recht des Widerſtandes. Die Ju - riſten ſtützten ſich auf den Grundſatz des Rechtes, daß dem Bedrängten die Gegenwehr geſtattet ſey. Dann ward die Frage auch den Theologen vorgelegt, jedoch in Luthers und Melanchthons Abweſenheit, die ſich eben in Marburg be - fanden. Bugenhagen, dem nun die Entſcheidung oblag, kam den Juriſten mit einem theologiſchen Grunde zu Hülfe. Er urtheilte, wenn eine Gewalt, die allerdings von Gott ſtamme, ſich wider Gott auflehne, ſo könne ſie nicht mehr als eine rechte Obrigkeit betrachtet werden.

1Inſtruction nach Schwabach bei Muͤller 282.
1182Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.

Ganz eine andre Meinung aber ſtellte Luther auf, als er zurückgekehrt. Er fand, daß den Rechtsſprüchen, welche den Widerſtand gut heißen, andere entgegenſtehen, welche ihn verbieten; mit dieſen aber ſtimme die Schrift überein. Wolle man ſich gegen einen Fürſten auflehnen, der wider Gottes Wort handle, ſo werde man ſich am Ende heraus - nehmen, nach eignem Ermeſſen alle Obrigkeit zu verwerfen.

In demſelben Sinne erklärten ſich auch die Theologen von Nürnberg. Johann Brenz gab dem Markgrafen ein ebendahin zielendes Gutachten.

Es waren im Grunde die beiden Lehren vom leiden - den Gehorſam und vom Rechte des Widerſtandes, welche hier einander entgegentraten.

Man weiß, wie viel dieſe Lehren und zwar eben in ihrer Verbindung mit geiſtlichen Geſichtspunkten zur Ent - wickelung der politiſchen Theorien in Europa beigetragen ha - ben; ſehr merkwürdig, daß ſie ſo früh und zunächſt in Deutſchland zur Sprache kamen.

Doch konnten ſie hier nicht zu ihrer völligen Ausbil - dung gelangen. Die Frage, von der anderwärts alles aus - gegangen iſt, betrifft ganz im Allgemeinen das Verhält - niß von Fürſt und Unterthan. Dieſe konnte hier gar nicht erhoben werden. Hier bewegte ſich die Differenz in an - dern Kreiſen; es war ein Streit zwiſchen einer tiefer ge - ſtellten Regierung und einer höheren, zwiſchen den Reichs - fürſten und dem Kaiſer.

In Deutſchland hatte die Frage mehr einen reichs - rechtlichen als einen allgemeinen ſtaatsrechtlichen Inhalt. Sie lag eigentlich darin, ob die höchſte Gewalt im Reiche monarchiſcher oder ariſtokratiſcher Natur ſey.

183Reichsrechtliche Streitfrage.

Luther, der im Kaiſerthum eine Fortſetzung des alt - römiſchen ſah, wie es in der Schrift vorkommt, hielt an dem Begriffe der Monarchie feſt, welcher dort vorwaltet.

Er verglich wohl das Verhältniß ſeines Churfürſten zum Kaiſer mit dem Verhältniß eines Bürgermeiſters in Torgau zum Churfürſten ſelbſt. Brenz meinte, die Fürſten ſeyen ſo wenig berechtigt, gegen den Kaiſer die Waffen zu ergreifen, wie einſt die Bauern gegen Adel und Prälaten.

Eben bei dieſen Vergleichungen aber ſprang ins Auge, wie wenig damit das Weſen der Sache bezeichnet wurde. Von der andern Seite machte man geltend, daß die Für - ſten auch nicht einmal mit den römiſchen Landpflegern in der Schrift, geſchweige denn mit Bürgermeiſtern oder gar Bauern zu vergleichen ſeyen; ſie ſeyen dem Kaiſer mit Be - dingung ihrer Freiheit und Rechte, mit Maaß und Be - ſchränkung, nach den ihnen verliehenen Gerechtſamen un - terworfen. Ueberdieß ſeyen auch ſie Obrigkeit und ihre Pflicht das Evangelium zu beſchützen. 1Einrede auf das geſtellte Bedenken, als ob Kaiſerlicher Ma - jeſtaͤt nicht moͤg Widerſtand geſchehen. Bei Hortleder II, II, 12. H. ſetzt es etwan 1531, da es ſich aber auf die Begegnung be - zieht, welche die juͤngſte der proteſtirenden Rathbotſchaft erfahren, ſo ſollte ich glauben, es muͤßte Ende 1529 oder Anfang 1530 geſetzt werden.

Auf dem Convente zu Nürnberg äußerte der ſächſiſche Kanzler, aber unter der ausdrücklichen Verwahrung, daß er damit nur eine perſönliche Meinung ausſpreche, er ſey allerdings von der Rechtmäßigkeit eines Widerſtandes ge - gen den Kaiſer überzeugt. Er führte die beiden erwähn - ten Gründe an: einmal, auch die Gewalt der andern Für - ſten ſtamme von Gott; und ſodann, wolle der Kaiſer zur184Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.Wiederannahme des Papſtthums zwingen, ſo ſey er mehr ein Feind und man dürfe es nicht dulden.

Er fand jedoch damit wenig Beifall. Als er ſich eines Tages in ſeine Kanzlei verfügte, trat ihn der nürn - bergiſche Stadtſchreiber Spengler an, den wir doch als einen in Rechtsgeſchäften ſehr geübten Mann kennen, und beſchuldigte ihn des Irrthums. Sie geriethen mit einan - der in lebhaften Wortwechſel, den ſie der Umſtehenden hal - ber die Beſonnenheit hatten lateiniſch zu führen.

Wie Nürnberg ſo war auch Brandenburg geſinnt. Kanzler Vogler verſicherte, ſein Herr ſey entſchloſſen, wenn der Kaiſer ihn überziehe, ſich nicht zu wehren, ſondern al - les zu dulden was Gott ihm auflege.

Dieſe Meinung behielt damals ſelbſt in Sachſen den Platz. Luther erklärte, auch wenn der Kaiſer ſeinen Eid übertrete, ſo bleibe er dennoch Kaiſer, die von Gott ge - ſetzte Obrigkeit: wolle man ihm nicht mehr gehorchen, ſo müſſe man ihn abſetzen. Aber wohin könne es führen, wenn man ihn angreife. Man müßte ihn verjagen und ſel - ber Kaiſer werden, was denn Niemand dulden werde.

Luther wußte keinen andern Rath, als wenn der Kai - ſer erſcheine, um Gewaltſamkeiten zu verüben, ſo dürfe ihn freilich kein Fürſt dabei unterſtützen, denn damit würde er ſelber gegen den Glauben ſündigen; aber man dürfe ſich auch nicht weigern, ihm das Land zu öffnen und ihn darin nach ſeinem Willen verfahren zu laſſen. Er wiederholte, wenn der Kaiſer ihn und die Andern fordere, ſo würden ſie erſcheinen; der Churfürſt ſolle ihrethalben keine Sorge haben. Denn ein Jeder müſſe auf ſeine Gefahr glauben.

185Haltung der Proteſtanten.

Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ - ſen glaubten.

Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.

Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück - ſichtsloſer, großartiger hervor.

Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver - nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab - ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver - ſuchen werde.

Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre - ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verſchmäht es.

Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See - len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.

Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann, fortreißen laſſen.

Ferner aber, man will nur den Glauben, den man ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch - ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn186Fuͤnftes Buch. Sechstes Capitel.auch nur in Einem, aber in einem weſentlichen Punkte abweichen.

Endlich, man zweifelt an dem Rechte, dem Oberherrn zu widerſtehn, die altherkömmlichen Ordnungen des Reiches zu verletzen.

So nimmt man mitten in den wider einanderlaufen - den, getümmelvollen Intereſſen der Welt eine Haltung ein, die nur mit Gott und dem Gewiſſen berathen wird. So erwartet man die Gefahr. Denn Gott iſt treu, ſagt Lu - ther, und wird uns nicht laſſen. Er führt den Spruch des Jeſaias an, wenn ihr ſtill bliebet, ſo würde euch ge - holfen.

Gewiß, klug iſt das nicht, aber es iſt groß.

[187]

Siebentes Capitel. Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien.

Wie die Beſchlüſſe, ſo waren denn auch die Erfolge der beiden Reichstage von 1526 und 1529 einander durch - aus entgegengeſetzt.

Der erſte führte die Evangeliſchen unter Gewährlei - ſtung des Reichs zu ihren großen Gründungen; der zweite, der ihnen dieſe Gewähr entzog, zerſetzte ſie zugleich unter - einander.

Der Zwieſpalt, der ſeit jenen Regensburger Satzun - gen begonnen, war nun zu vollem Ausbruch gediehen.

Ich denke nicht, daß wir zu weit gehen, wenn wir auch in Hinſicht der auswärtigen Angelegenheiten einen ähnlichen Gegenſatz zwiſchen den Folgen der beiden Reichs - tage zu bemerken glauben.

Denn faſt alle Zeit iſt mit einer entſprechenden, den Genius einer Nation befriedigenden innern Entwickelung auch eine glückliche Tendenz nach Außen verbunden.

Das Haus Oeſtreich, das damals den Fortgang der Evangeliſchen guthieß, war dafür auch mit Hülfe der deut - ſchen Nation zur Herrſchaft in Italien und in Ungarn er -188Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.hoben worden. Es ließ ſich nicht erwarten, daß nachdem dieſes Haus eine ſo ganz andre Richtung eingeſchlagen, die Neigung der Nation ihm wieder zu Gute kommen würde.

Ich habe gehört, ſchrieb Daniel Mieg, der von dem Reichsregiment ausgeſchloſſen worden, an den Altam - meiſter zu Strasburg, die Königl. Majeſtät habe um Pulver angeſucht; mein Rath wäre, es ihr nicht zu be - willigen, da uns ſolch eine Schmach geſchehen iſt. Es wird gut ſeyn, daß wir unſer Geld und unſer Pulver ſelbſt behalten, wir werden es ſelber brauchen. 1Samſtag vor Jubilate 1529. Bei Jung Beil. nr. 37.

Schon machte das Verfahren, das Umſichgreifen des Hauſes Oeſtreich eine allgemeine Beſorgniß rege; und man hatte keine Luſt, es ernſtlich zu unterſtützen. Ein Beiſitzer des Reichsregiments, Abgeordneter der ſonſt ſo gut kaiſer - lich geſinnten Frankfurt, Hammann von Holzhuſen, bemerkt doch, daß viele Stände, mögen ſie nun lutheriſch ſeyn oder nicht, nicht wiſſen was ſie von Oeſtreich zu erwarten ha - ben; ſie beſorgen, die Hülfe welche ſie leiſten, möge am Ende dem Reiche und der Nation zum Schaden gereichen. 2Speier 9. Oct. E. W. werden auch fleiſſik bedenken und ermeſſen die ſchwinnen (geſchwinden) laͤuf und brattig (Practiken) ſo in etlich Jaren vorhanden geweſt und noch ſint, alſo, das alle Chff. und Fuͤrſten geiſtlich und weltlich, auch ander Praͤlaten Herrn und Staͤdt ſie ſeyen lotters (lutheriſch) wie man denn die nennen will oder nit, nit wol wiſſen moͤgen, wes ſie ſich verſehen ſollen und alſo das dieſelbig Hilf, ſo gemelt mein gnſt. und gn. Herrn, Chur und Fuͤrſten, auch andre Stende und Stet thun werden, dem hilligen Reich und Teutzer Nation und inen ſelber zu großen unuͤberwind - lichen Schaden und nachtail reichen und kommen moge. Er traͤgt auf eine Verſammlung der Staͤdte an: von der und andern Sachen rede zu haben und zu beratſchlagen, ſich vorgleichen einer Meinung und was hierin zu thun ſie und Antwort zu geben were.

189Osmaniſche Rechtglaͤubigkeit.

Bald darauf finden wir in Ungarn Briefe umlaufen, in denen aus den Glaubensſtreitigkeiten, in welche Ferdi - nand mit den Großen in Deutſchland gerathen, die Un - möglichkeit hergeleitet wird, daß er Ungarn vertheidige. 1Bei Katona XX, I, p. 634. Rex Ferdinandus propter dissensionem suam cum imperio et aliis magnatibus Alemanniae propter fidem, nullum habere potest populum.

Und indem nun dieſe Stimmung herrſchend wurde, erſchien der mächtigſte Feind, den das Reich ſeit vielen Jahrhunderten gehabt, Repräſentant einer andern, der chriſt - lichen entgegengeſetzten Welt an den Pforten deſſelben.

Eben in dieſen Jahren trat in Conſtantinopel ein Ge - ſetzgelehrter, des Namens Katib, mit der Behauptung auf, dem Propheten Jeſus komme der Vorrang zu vor dem Propheten Mohammed. Der Divan, vor dem dieſer Neue - rer angeklagt wurde, verſuchte vergebens ihn zu widerle - gen. Auch der Mufti, an welchen die Sache alsdann kam, widerlegte ihn nicht, hörte ihn aber in aller Form ab, und verurtheilte ihn zum Tode. Das Urtheil ſtimmte ganz mit der Meinung des Sultans überein.

Ohne zu widerrufen erlitt Katib in Mitte der Mos - lems den Tod für den Namen Jeſu.

Denn Suleiman, der erſte von den osmaniſchen Sul - tanen, der ſich um Mecca bekümmert hat; er ließ dort das heilige Haus der Kaaba, die Moſchee der Chadidſcha erneuern, Waſſerleitungen bauen, Collegien einrichten ſah ſich vor allen gern als den Stellvertreter des Prophe - ten an. Ich, deſſen Macht aufrecht erhalten wird durch die Gnade des Allmächtigen, durch die Segnungen des Größten ſeiner Propheten, durch den Schutz der vier erſten190Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Begünſtigten deſſelben, ich, Schatten Gottes über beide Welten. So bezeichnete er ſich in einem Schreiben an den König von Frankreich. Darauf gründete er ſeine An - ſprüche. Weißt du nicht, ſagte ſein Schwiegerſohn Mu - ſtapha 1528 zu Lasky, daß unſer Herr der nächſte iſt nach Allah, daß wie nur Eine Sonne am Himmel, ſo auch er der einzige Herr auf Erden iſt?

Noch zu einer Zeit, wo in Europa kein Friede ge - ſchloſſen war, wo er erwarten konnte, die ganze Oppo - ſition gegen Carl V in voller Thätigkeit zu finden, 4. Mai 1529, erhob ſich Suleiman mit einem Heere, das man auf dritthalbhunderttauſend Mann berechnet hat, zum heiligen Kriege. Vor ihm her brach der Hospodar der Moldau in Siebenbürgen ein und trieb die Anhänger Ferdinands auseinander; dann ſtieg Johann Zapolya mit der kleinen Truppe, die ſich um ihn geſammelt, von den Karpathen herunter; er hatte das Glück, auf die Ferdinandeiſchen Un - garn zu treffen, ehe ſie ſich mit den Deutſchen vereinigt, und ſie zu ſchlagen; auf dem Schlachtfelde von Mohacz kam er mit dem Sultan zuſammen. Suleiman fragte ihn, wodurch er ſich bewogen fühle zu ihm zu kommen, der Ver - ſchiedenheit ihres Glaubens ungeachtet. Der Padiſchah, antwortete Johann, iſt die Zuflucht der Welt und ſeine Diener ſind unzählig, ſowohl Moslems als Ungläubige. Von dem Papſt und der Chriſtenheit ausgeſtoßen, floh Za - polya unter den Schutz des Sultans. Eben dieſes Be - dürfniß momentanen Schutzes war es von jeher geweſen, was das osmaniſche Reich groß gemacht hatte.

In Ungarn fand Suleiman dieß Mal ſo gut wie gar191Suleiman in Ungarn.keinen Widerſtand. Die öſtreichiſche Regierung wagte nicht die leichte Reiterei aufzubieten; bei der ungünſtigen Stim - mung des Landes fürchtete ſie einen Aufruhr zu veranlaſ - ſen. Aber eben ſo wenig hatte ſie auch eigene Kräfte um das Land zu vertheidigen. Dem Befehlshaber der Flotte, welcher ſeinen Leuten 40,000 G. zahlen ſollte, konnten nach langer Mühe nicht mehr als 800 G. überſendet werden. Man hatte die Mittel nicht, um die Feſtungen ordentlich zu beſetzen.

Der Weſir Suleimans lachte über die abendländiſchen Fürſten, welche, wenn ſie einen Krieg zu führen hätten, das nöthige Geld erſt von armen Bauern erpreſſen müß - ten; er zeigte auf die ſieben Thürme, wo ſeinem Herrn Gold und Silber in Fülle liege, während ſein Wort hin - reiche, ein unermeßliches Heer ins Feld zu ſtellen.

Man darf ſich wohl ſo ſehr nicht verwundern, wenn unter dieſen Umſtänden die ſtarke Partei, die ſich zu Za - polya hielt, das volle Uebergewicht bekam. Wetteifernd eilten die Magnaten, die ungriſchen Begs, wie Solimans Tagebuch ſie nennt, in deſſen Lager, um ihm die Hand zu küſſen. Peter Pereny wollte wenigſtens die heilige Krone für Oeſtreich retten, aber unterwegs überfiel ihn ein Ver - wandter Zapolya’s, der Biſchof von Fünfkirchen, nahm ihn mit allen ſeinen Kleinodien gefangen und brachte ſie ins osmaniſche Lager. 1Zermegh Historia rerum inter Johannem et Ferdinandum gestarum bei Schwandner II, lib. I, § 12.Wer kennt nicht die ungemeine Ver - ehrung, welche die Ungarn ihrer Krone widmen, die ſie ei - ner unmittelbar göttlichen Sendung zuſchreiben, bei deren192Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Anblick einmal wohl die zur Schlacht erhobenen Schwerter in die Scheide zurückgekehrt waren. Nicht ſtärker, ſagt Rewa, zieht den Magnet das Eiſen an, als die Krone die Verehrung der Ungarn; ſie halten für ihre Pflicht, ohne Rückſicht auf Koſten und Gefahr, ſie allenthalben ſchützend zu begleiten. 1Rewa de sacra corona regni Hungariae bei Schwandner II, 456. Vgl. Tuberonis Commentarii ibid. 113, 114.Die Türken verſtanden, ſie werde hergelei - tet von Nuſchirwan dem Gerechten. Und dieß Palladium nun, in welchem die Ungarn ein göttliches Symbol ihrer Nationalität und ihres Reiches ſahen, befand ſich jetzt in dem Lager Solimans, ward auf deſſen Zuge mitgeführt.

Bei dieſem allgemeinen Abfall konnte man in der That nicht darauf rechnen, daß die deutſchen Beſatzungen, die es in einigen feſten Plätzen gab, dieſelben zu behaupten ver - mögen würden. In Ofen ſtanden ungefähr 700 vor kur - zem angeworbene Landsknechte unter dem Oberſt Beſſerer. Sie hielten einige Stürme aus; als aber die Stadt ge - nommen und die Burg vom St. Gerhardsberg her, den ſie beherrſchte, faſt in Grund geſchoſſen war, verzweifelten ſie, mit ihren langen Lanzen das Feuer des Feindes be - ſtehen zu können, und hielten ſich für berechtigt, auf ihre Rettung zu denken; ſie nöthigten ihren Anführer, zu capi - tuliren. Sie wußten jedoch nicht, mit wem ſie zu thun hatten. Ibrahim Paſcha verſprach ihnen auf das feierlichſte freien Abzug: noch in den Thoren von Ofen wurden ſie ſämmtlich niedergehauen. 2Die etwas dramatiſch ausgeſchmuͤckten Klagen des Urſinus Velius, (lib. VI), daß die Landsknechte die alte deutſche Tapferkeit hier vergeſſen, welche in neuere Geſchichtsbuͤcher uͤbergegangen, ver -

193Suleiman in Deutſchland.

Und von da wälzte ſich nun ohne weitern Widerſtand das barbariſche Heer nach den deutſchen Grenzen, nach ei - nem Lande, ſagen die osmaniſchen Geſchichtſchreiber, das noch nie von den Hufen moslimiſcher Roſſe geſchlagen worden.

Da traf die orientaliſche Weltmacht, die über zertrüm - merten, in den unentwickelten Anfängen oder dem ſchon wieder halbbarbariſirten Abſterben der Cultur begriffenen Rei - chen errichtet worden, zuerſt mit den Kernlanden des occiden - taliſchen Lebens, in denen die ununterbrochene Continua - tion des Fortſchrittes des allgemeinen Geiſtes ihren Sitz genommen und in vollen Trieben war, zuſammen.

Die Osmanen empfanden doch einen Unterſchied als ſie unſer Vaterland berührten.

Sie bezeichnen es auch als ein Land der Kafern, denn ihnen gilt alles, was ihren Propheten nicht bekennt, als derſelbe Unglaube, als ein waldiges Reich, ſchwer zu durch - ziehen; aber ſie bemerken doch, daß es von den Fackeln des Unglaubens ganz beſonders erleuchtet, von einem ſtreit - baren Volke unter grauſamen Fahnen bewohnt, allenthal -2ſchwinden, wenn wir einfachere Berichte jener Zeit zur Hand nehmen, z. B. den des Pagenhofmeiſters bei Schardius III, 238. Arx ad voluptatem magis, quam vim instructa erat etc. oder bei Sebaſt. Frank; (wohl identiſch mit einem der damals herausgekommenen flie - genden Blaͤtter) p. CCLVI: das Schloß ſey mit vier Faͤhnlein beſetzt geweſen, die nitt ſo vil man oder einzelich perſonen vermoch - ten, als der Tuͤrk tauſend; noch hat er eilf gewaltiger ſtuͤrm davon verloren, daß er meynet es weren eitel Teufel im Schloß. Wo die nit geweſt, fuͤgt Peſſel hinzu, wer vielleicht die Stat Wien uͤbereilet worden. Achthundert frummer deutſcher Knecht, die hiel - ten ſich redlich und recht; ſagt das Lied bei Soltau p. 337.Ranke d. Geſch. III. 13194Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.ben von Burgen, Städten, ummauerten Kirchen beſchützt ſey; es macht auf ſie Eindruck, daß ſie, ſo wie ſie die Grenze überſchritten haben, alles in Ueberfluß finden, deſ - ſen das tägliche Leben bedarf. 1Sſolokſade bei Hammer: Wiens erſte tuͤrkiſche Belagerung p. 101. Vgl. das Tagebuch Suleimans 22. Septemb, Osm. Geſch. III, 650.Sie nehmen wahr, daß ſie ein von den Elementen der Cultur durchdrungenes, in ſei - nen Wohnſitzen gut eingerichtetes, tapferes, religiöſes Volk vor ſich haben.

Ibrahim erzählte ein Jahr ſpäter öſtreichiſchen Ge - ſandten, dem Sultan ſey von ihrer Seite angeſagt worden, er möge nicht vorrücken: ſchon halte ihr Herr, Ferdinand, das Schwert in der Rechten, um ihn zu empfangen. Dieſe Drohung aber habe den Sultan erſt recht angefeuert, den - ſelben zu ſuchen. Er habe ihn in Ofen zu finden gedacht, wo ein König von Ungarn ſeinen Sitz haben ſollte, jedoch vergebens. Er ſey weiter gerückt an die öſtreichiſche Grenze, da, habe er gemeint, werde Ferdinand ſeiner warten; man habe dem anrückenden Sultan aber vielmehr die Schlüſſel von Bruck entgegengetragen. So ſey er bis nach Wien gelangt, aber auch auch da habe er weder Ferdinand noch ſein Heer getroffen; er habe vernehmen müſſen, derſelbe ſey nach Linz oder nach Prag geflüchtet. Als er nun Wien ge - ſehen, ſo ſchön gelegen zwiſchen Weingärten und Bergen, und doch in der Mitte einer fruchtbaren Ebene, habe er geſagt, hier wolle er ausruhn, das ſey ein Ort, würdig eines Kaiſers; er habe ſeinen Schoos ausgebreitet, d. i. ſeine leichten Truppen nach allen Seiten hin ausgehn laſ -195Suleiman in Deutſchland.ſen, um anzuzeigen, der wahre Kaiſer ſey gekommen in ſei - ner Macht. 1Lamberg und Juriſchitſch bei Gevay 1830 p. 36. Lateiniſch, zwar uͤbereinſtimmend aber doch eigenthuͤmlich p. 80.

So ſtellt auch Suleiman ſelbſt in einem Schreiben an Venedig das Ereigniß vor. Er erzählt, wie er Ofen ge - wonnen, Ungarn an ſich gebracht, dieſes Reich dem - nig Johann gegeben habe, wie die alte Krone in ſeine Hand gefallen ſey. Aber mein Vorſatz war nicht, dieſe Dinge zu ſuchen, ſondern mit König Ferdinand zuſammenzutref - fen. 2Copia della lettera del Sultan Solimano. Belgr. 9 Nov. bei Hammer Belagerung p. 77.Den erſten deutſchen Gefangenen, die vor ihn ge - bracht wurden, ſagte er, er werde Ferdinand aufſuchen und wenn derſelbe mitten in Deutſchland wäre.

Am 26. September langte er vor Wien an und ſchlug daſelbſt ſein Lager auf. Vom Stephansthurme aus ſah man ein paar Meilen über Berg und Thal nichts als Zelte, und auf dem Fluſſe die Segel der türkiſchen Donauflotte. Man zeigt noch den Platz, bei Sömmering, wo das Haupt - gezelt Suleimans ſtand, deſſen innere Pracht die goldenen Knäufe verriethen, mit denen es auswendig geſchmückt war. Er lagerte wie er gezogen war. Ihn zunächſt umgaben die Truppen der Pforte; hinter ihm bis nach Schwechat dehnte ſich das anatoliſche Heer unter ſeinem Beglerbeg aus; vor ihm hielt der Seraskier Ibrahim mit den europäiſchen Si - pahi, den Rumelioten und Bosniaken, den Sandſchaks von Moſtar und Belgrad. Denn wie der Staat nur das Kriegs - heer iſt, ſo repräſentirt das Lager ſelbſt in ſeiner Anord - nung das Reich. Schon hatten die Ungarn, welche noch13*196Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.immer wetteiferten ſich mit dem Halsbande der Unterthä - nigkeit zu ſchmücken, in dieſem großen Verein ihre Stelle gefunden. Es war das weſtliche Aſien und das öſtliche Europa, wie ſie unter dem Einfluß des erobernden Islam ſich geſtaltet hatten und geſtalteten; jetzt machten ſie einen er - ſten Verſuch auf das Herz des chriſtlichen Europa’s. Die leichten Truppen ſuchten höher an der Donau hinauf die fa - belhafte Brücke des zweigehörnten Alexander auf, die Gränze der phantaſtiſchen Welt der orientaliſchen Mythe. Das Laſtthier der arabiſchen Wüſte ward mit Mundvorrath und Munition an die Mauern einer deutſchen Stadt herange - trieben: man zählte in dem Lager bei 22,000 Cameele. Mit orientaliſchem Pomp feiert man das Andenken der vor Wien Gefallenen; vom Iskendertſchauſch Farfara heißt es in der Geſchichte Potſchewi’s, er habe hier bei der An - kunft den Becher des islamitiſchen Martyrthums getrun - ken, und der Welt vergeſſen. Denn einen heiligen Krieg gegen die ſtaubgleichen Ungläubigen glaubte man zu füh - ren. Im Angeſicht der vornehmſten Burg der letzten deut - ſchen Kaiſer erſcholl jetzt die Doctrin der hohen Pforte, daß es nur Einen Herrn auf Erden geben müſſe, wie nur Ein Gott im Himmel ſey, und Soliman ließ ſich verneh - men, der Herr wolle er ſeyn; er werde ſein Haupt nicht zur Ruhe legen, bis er die Chriſtenheit mit ſeinem Säbel bezwungen. Man erzählte ſich, er rechne auf eine an drei Jahre lange Abweſenheit von Conſtantinopel, um dieſen Plan auszuführen.

So ſtumpf war nun wohl Europa nicht, um nicht die Größe dieſer Gefahr zu fühlen.

197Entwuͤrfe des Widerſtandes.

Es erlebte einen ähnlichen Moment, wie damals, als die Araber das Mittelmeer eingenommen, Spanien erobert hatten, nach Frankreich vordrangen, oder damals, als die mongoliſche Weltmacht, nachdem ſie den Nordoſten und Südoſten von Europa überfluthet, zugleich an der Donau und an der Oder das chriſtliche Germanien angriff.

In die Augen ſprang, daß Europa jetzt bei weitem ſtär - ker war; es wußte ſehr gut, daß es die Kraft beſaß, dieſe Teufel, wie man ſich ausdrückte, aus Griechenland zu ver - jagen; aber es konnte ſich nicht dazu vereinigen.

Wir haben ein Schreiben des Königs Franz aus die - ſen Tagen, worin er erklärt, die Abſicht, die er immer ge - hegt, ſeine Kräfte und ſeine Perſon gegen die Türken zu verwenden, wolle er jetzt ins Werk ſetzen; er hoffe auch ſeinen Bruder, den König von England dazu zu bewegen; er denke dann 60,000 Mann ins Feld zu ſtellen, eine Macht, die wahrhaftig nicht zu verachten ſey. Er drückt ſich ſo lebhaft aus, als wäre es ihm wahrer Ernſt damit, doch fügt er eine Bedingung hinzu, die alles wieder ver - nichtet. Er meint, der Kaiſer müſſe ihm dafür von den beiden Millionen, die er ihm kraft des Tractats zu bezah - len habe, die eine erlaſſen. 1Lettres de Gilles de Pommeraye, MS Bethune 8619. En cas, que led. empereur pour m’ayder à souldoyer les gens que je menerois en ma compaignie, me voulut sur lesd. 2 Millions d’escus en rabattre ung million, je me faisois fort etc. etc. Wie wäre das jemals zu er - warten geweſen.

Auch auf der kaiſerlichen Seite, wo man noch drin - gendern Anlaß dazu hatte, und es unerträglich fand, daß alles Land dem Sultan zufalle, das er nur durchziehen198Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.wolle, dachte man auf Mittel, um die geſammte Chriſten - heit in die Waffen zu bringen. Und ſehr merkwürdig iſt wor - auf man hier verfiel. Der leitende Miniſter in den Nie - derlanden, Hoogſtraten, eröffnete ſich einſt darüber dem fran - zöſiſchen Geſandten. Er meinte, der wahre Weg, den Türken zu widerſtehn, ſey, daß man den Papſt zu einer allgemeinen Säculariſation bewege. Ein Drittel der geiſt - lichen Güter, an den Meiſtbietenden verkauft, werde hinrei - chen um ein Heer ins Feld zu bringen, das die Türken zu verjagen und Griechenland wieder zu erobern vermöge. 1Que ces deux princes conduississent le pape jusques à ce point que il se contente de ce, qu’il a qu’il permette qu’à l’eglise des six mille duc. de rente on preigne les deux uni. versellement par toute la Chretienté; les quelles seront vendus au plus offront et avec l’argent que les princes fourniront (denn etwas ſollen ſie doch thun) sera suffisant pour deloger ce diable de la Grèce qui seroit grandement accroistre l’eglise d’y adjoin - dre un tel pays que celui . Lettre de Pommeraye 17. Spt.

Man braucht nur dieſe Vorſchläge ins Auge zu faſſen, um einzuſehn, wie unmöglich es war ſie auszuführen, eine Unternehmung zu bewerkſtelligen, die an Bedingungen ſo weitausſehender Art geknüpft wurde.

Wollte Deutſchland ſich vertheidigen, ſv war es ohne Zweifel lediglich auf ſeine eigenen Kräfte angewieſen.

Aber ſtanden die Dinge nicht auch hier ſehr zweifelhaft? Gab es nicht in der That Leute, welche das Mißvergnügen mit der beſtehenden Ordnung der Dinge dazu trieb, ſich eine türkiſche Herrſchaft zu wünſchen? Hatte nicht Luther einſt ſelbſt geſagt, es ſtehe dem Chriſten nicht zu, ſich den Türken zu widerſetzen, die er vielmehr als eine Ruthe Gottes anſehn müſſe? Es iſt das einer jener Sätze, welche die päpſtliche199Meinung Luthers.Bulle verurtheilt. Der Reichstag von Speier hatte ſo eben eine Wendung genommen, durch die ſich alle An - hänger der kirchlichen Umwandlung bedroht und gefährdet fühlten. Es war ihnen wie berührt ſehr bedenklich, daß ſie dem Oberhaupt jener Majorität, welche ſie von ſich ſtieß, dem König Ferdinand, Hülfe leiſten ſollten.

Was nun Luther anbetrifft, ſo iſt ganz wahr, daß er jene Meinung geäußert hat, allein er redet da nur von den Chriſten als ſolchen, von dem religiöſen Prinzip an und für ſich, wie es in einigen Stellen des Evangeliums erſcheint. Jenes frommthuende Geſchrei, welches um der chriſtlichen Religion willen zu einem Kriege gegen die Tür - ken anreizte und dann die Beiträge der Gläubigen zu fremd - artigen Zwecken verwandte, hatte ſeinen Widerwillen er - weckt. Er ſagte ſich überhaupt los von dem kriegeriſchen Chriſtenthum; er wollte die religiöſe Geſinnung nicht ſo un - mittelbar mit dem Schwerte in Verbindung bringen. War aber nun von einer wirklichen Gefahr und von den An - ſtrengungen der weltlichen Gewalt dagegen die Rede, ſo erklärte er deſto entſchiedener, daß man ſich mit allem Ernſt den Türken entgegenſtellen müſſe. 1 Darum ſol man auch das reizen und hetzen laſſen anſtehen, da man den Kaiſer und Fuͤrſten bisher gereizt hat, zum Streit wi - der die Tuͤrken, als das Haupt der Chriſtenheit, als den Beſchirmer der Kirchen, und Beſchuͤtzer des Glaubens, daß er ſol des Tuͤrken Glauben ausrotten. Vom Kriege wider die Tuͤrken. Erſchienen gegen Oſtern 1529. Altenb. IV, 525Dazu ſey das Reich dem Kaiſer anvertraut, er und die Fürſten würden ſonſt ſchuldig ſeyn an dem Blute ihrer Unterthanen, das Gott von ihnen fordern werde. Es kommt ihm ſonderbar vor, daß man ſich in Speier wieder ſo viel darum bekümmert hat, ob200Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Jemand in den Faſten Fleiſch eſſe, ob eine Nonne ſich verheirathe, und indeß den Türken vorrücken, Länder und Städte, ſo viel er wolle erobern läßt. Er fordert die Für - ſten auf, das Panier des Kaiſers nicht mehr für ein blo - ßes ſeidenes Tuch anzuſehn, ſondern demſelben pflichtgemäß in das Feld zu folgen. Er nimmt ſich die Mühe, zur Be - kehrung Derjenigen, welche die Regierung der Türken wün - ſchen möchten, die Gräuel aufzuzählen, die der Koran enthalte. Die Uebrigen ermahnt er, in des Kaiſers Na - men getroſt auszuziehen; wer in dieſem Gehorſam ſterbt, deſſen Tod werde Gott wohlgefällig ſeyn.

Denn es iſt wohl erlaubt, in dieſer großen Gefahr der deutſchen Nation auch den Mann reden zu laſſen, wel - cher damals in derſelben am meiſten gehört ward. Die Schrift vom Türkenkrieg zeigt wieder einmal den Geiſt, der die kirchlichen und die weltlichen Elemente zu ſcheiden un - ternahm, in aller ſeiner durchgreifenden Schärfe.

Und ſo viel wenigſtens bewirkte er, daß die Proteſti - renden, obwohl ſie die Furcht hegten, von der Majorität mit Krieg überzogen zu werden und in den Reichsſchluß nicht gewilligt hatten, doch ſo gut wie die andern ihre Hülfe ausrüſteten. Auch Churfürſt Johann ſtellte ein paar tauſend Mann unter der Anführung ſeines Sohnes ins Feld. 1Spalatin Vita Johannis Electoris bei Menken II, 1117.

Von allen Seiten zog die eilende Hülfe dem Feldhaupt - mann des Reiches, Pfalzgraf Friedrich, zu, der indeß zu Linz bei König Ferdinand angelangt war. 2Hubert Thomas Leodius de vita Friderici p. 119, woͤrt - lich abgeſchrieben in Melchior Soiter de Vinda Bellum Pannonicum lib. I, bei Schardius III, p. 250.

201Belagerung von Wien.

Zunächſt kam es jedoch noch darauf an, wie die Be - ſatzung in Wien ſich halten würde, die ſich ſo plötzlich von Suleiman eingeſchloſſen geſehn.

Denn daran fehlte viel, daß die deutſchen Mannſchaf - ten ſo ſtark geweſen wären, namentlich in dem erſten Schrecken und Getümmel, um einen Entſatz zu verſuchen.

Bleiben wir einen Augenblick bei dieſer Belagerung ſtehen, welche damals die Aufmerkſamkeit der Welt feſſelte und der in der That eine hohe Bedeutung beiwohnt. Wenn Suleiman Wien erobert hätte, würde er es auf eine Weiſe zu befeſtigen gewußt haben, daß man es ihm nicht ſo leicht wieder hätte entreißen können. Welch eine Station wäre das für ihn geworden, um die geſammten Gebiete der mitt - leren Donau in Athem zu halten.

Man dürfte aber nicht glauben, daß Wien ſehr feſt geweſen wäre. Es war mit einer runden baufälligen Ring - mauer umgeben, noch ohne alle alle Vorkehrungen der neue - ren Befeſtigungskunſt; ſelbſt ohne Baſteien, auf denen man Geſchütz hätte aufpflanzen können, um ein feindliches Lager zu beſchießen. Die Gräben waren ohne Waſſer. Die Feld - hauptmannſchaft von Niederöſtreich hatte anfangs gezwei - felt, ob ſie den weitſchichtigen unverbauten Flecken werde behaupten können; ſie hatte einen Augenblick den Gedan - ken gehegt, den Feind lieber im offenen Felde zu erwarten, um ſich im Nothfall auf die friſchen Truppen zurückziehen zu können, welche der Pfalzgraf und der König zuſammen - zubringen beſchäftigt waren: am Ende aber hatte ſie doch gefunden, daß ſie ihre alte Hauptſtadt nicht aufgeben dürfe, und ſich entſchloſſen, die Vorſtädte zu verbrennen, die in - nere Stadt zu halten.

202Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Waren aber die Befeſtigungen untüchtig, ſo kam da - gegen die Liebhaberei Maximilians für das Geſchützweſen jetzt nach ſeinem Tode ſeiner Hauptſtadt zu Gute. Auf allen Thürmen an den Thoren, auf den Häuſern an den Mauern, von denen man die Schindeln abgeriſſen, unter den Dächern, ja in den Schlafhäuſern der Klöſter, wie ſich verſteht in der Burg und hinter den Schießlöchern, die man in die Mauern gebrochen, erwarteten Falkonete, Halb - ſchlangen, Carthaunen, Mörſer, Singerinnen, den Anlauf des Feindes.

Die Beſatzung beſtand aus 5 Regimentern: vier deut - ſchen, von denen zwei auf Koſten des Reiches, zwei von Ferdinand ſelbſt angeworben waren, und einem böhmiſchen. Die Reichstruppen, unter dem Pfalzgrafen Philipp, dem Stellvertreter Friedrichs, beſetzten die Mauer vom rothen Thurm bis gegen das Kärnthnerthor, von da dehnten ſich die königlichen Haufen unter Eck von Reiſchach und Leonhard von Fels gegen das Schottenthor hin aus. Es waren Leute von allen deutſchen Landesarten, viele nahm - hafte Oeſtreicher, aber auch Brabanter, Rheinländer, Meiß - ner, Hamburger, beſonders Franken und Schwaben; wir finden Hauptleute von Memmingen, Nürnberg, Anſpach, Bamberg, einen Wachtmeiſter von Gelnhauſen; der Schult - heiß über den ganzen Haufen war aus dem frundsbergi - ſchen Mindelheim, der oberſte Profoß von Ingolſtadt. Vom Schottenthor bis zum rothen Thurm ſtanden die Böhmen. Auf den Plätzen im Innern war einige Reiterei vertheilt, unter den trefflichen Hauptleuten, Niclaus von Salm, Wil - helm von Rogendorf, Hans Katzianer. Es mochten 16 bis 17000 Mann ſeyn.

203Belagerung von Wien.

Ob nun aber dieſe Mannſchaft den an Zahl ſo un - endlich überlegenen Feind zu beſtehen vermögen würde, war doch ſehr zweifelhaft.

Suleiman ließ der Beſatzung ankündigen, wolle ſie ihm die Stadt übergeben, ſo verſpreche er weder ſelbſt hinein - zukommen, noch ſein Volk hineinzulaſſen, ſondern er werde dann weiter vorrücken und den König ſuchen. Wo aber nicht, ſo wiſſe er doch, daß er am dritten Tage (am Mi - chaelisfeſt) ſein Mittagsmahl in Wien halten werde; dann wolle er das Kind im Mutterleibe nicht verſchonen.

In Liedern und Erzählungen finden wir, die Antwort der Beſatzung ſey geweſen, er möge nur zum Mahle kom - men, man werde ihm mit Karthaunen und Hallbarden an - richten. Doch iſt das nicht ſo ganz wahr. Man hatte nicht Unbenommenheit des Geiſtes genug, um eine ſo kecke Antwort zu geben. Die Antwort, ſagt ein authentiſcher Be - richt der Befehlshaber, iſt uns in der Feder ſtecken geblie - ben. Man rüſtete ſich alles Ernſtes zur Gegenwehr, aber keineswegs etwa in der Ueberzeugung, daß man ſiegen werde; man ſah die ganze Gefahr ein, in der man ſich be - fand, aber man war entſchloſſen ſie zu beſtehen. 1Tagebuch der Belagerung, bei Hammer p. 66, offenbar ein officieller Bericht, wie die Nachſchrift und die ganze Faſſung zeigt, ſchon am 19. October verfaßt.

Und ſo mußte ſich denn Suleiman anſchicken, die Stadt mit Gewalt zu erobern.

Zuerſt ſtellten ſich die Janitſcharen mit ihren Halb - hacken und Handrohren hinter dem Gemäuer der eben zer - ſtörten Vorſtädte auf: ſie ſchoſſen noch vortrefflich; eine Anzahl geübter Bogenſchützen geſellte ſich ihnen zu; es hätte204Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.ſich Niemand an den Zinnen, auf den Mauern dürfen blicken laſſen. Sie beherrſchten den ganzen Umkreis derſelben; die Gie - bel der benachbarten Häuſer waren mit Pfeilen wie bepflanzt.

Unter dem Dunſt und Hall dieſes Schießens bereite - ten nun aber die Osmanen noch einen ganz andern An - griff vor. Welches auch die Meiſter geweſen ſeyn - gen, von denen ſie urſprünglich darin unterwieſen wor - den ſind, Armenier oder andere, eine Hauptſtärke ihrer damaligen Belagerungskunſt beſtand in dem Untergraben der Mauern, dem Anlegen von Minen. 1Spaͤter hat ſich Marſigli viel Muͤhe gegeben, das Verfah - ren der Tuͤrken hiebei zu erforſchen. Vgl. Stato militare degli Ot - tomanni II, c. XI, p 37. Das Corps der Lagumdſchi, Minengraͤber, war belehnt nicht beſoldet und um ſo mehr in Ehren. Hammer Staatsverfaſſung der Osm. II, 233.Die Abend - länder erſtaunten, wenn ſie dieſelben ſpäter einmal anſich - tig wurden, mit Eingängen eng wie eine Thür, dann weiter, nicht eigentlich mit einem Bergwerk zu vergleichen, glatte, wohlabgemeſſene, weite Höhlungen; zugleich darauf berechnet, daß das ſtürzende Gemäuer nach innen, nicht nach außen fallen mußte. Dieſe Kunſt denn eigent - liches Belagerungsgeſchütz führten ſie nur wenig bei ſich wendeten ſie nun auch bei Wien an. Hier aber trafen ſie auf ein Volk, das ſich ebenfalls auf unterirdiſche Arbeiten verſtand. Gar bald bemerkte man in der Stadt das Vor - haben des Feindes; Waſſerbecken und Trommeln wurden aufgeſtellt, um die geringſte Erſchütterung des Erdbodens daran wahrzunehmen; man lauſchte in allen Kellern und unterirdiſchen Gemächern es ſind noch abenteuerliche Sagen davon im Gange und grub ihnen dann entge - gen. Es begann gleichſam ein Krieg unter der Erde. 205Belagerung von Wien.Schon am 2. October ward eine halbvollendete Mine des Feindes gefunden und zerſtört. Bald darauf ward eine an - dere gerade noch im rechten Moment entdeckt, als man ſchon anfing ſie mit Pulver zu füllen. Die Minirer ka - men einander zuweilen ſo nahe, daß eine Partei die andre arbeiten hörte; dann wichen die Türken in einer andern Richtung bei Seite. Um den Kärnthner Thurm auf alle Fälle zu ſichern, hielten die Deutſchen für nothwendig, ihn mit einem Graben von hinreichender Tiefe zu umgeben.

Natürlich aber war das nicht allenthalben möglich.

Am 9. October gelang es den Türken wirklich, einen nicht unbedeutenden Theil der Mauer zwiſchen dem Kärnth - ner Thor und der Burg zu ſprengen; in demſelben Mo - ment traten ſie unter wildem Schlachtruf den Sturm an.

Allein ſchon war man auch hierauf vorbereitet. Eck von Reiſchach, der bei der Vertheidigung von Pavia ge - lernt, wie man ſtürmenden Feinden begegnen müſſe, hatte die Leute unterwieſen, mit welchem Geſchrei und Anlauf der Sturm geſchehe, und wie man ihm zu begegnen habe. Dieſe jungen Landsknechte, von denen uns ein Be - richt verſichert, daß Reiſchachs Anweiſung ihnen ein tapfer männlich Herz gemacht, ſtanden in der That vortreff - lich. Mit einem furchtbaren Her erwiederten ſie das os - maniſche Schlachtgeſchrei. Hallbarden, Handröhre und Kanonen unterſtützten einander mit dem glücklichſten Er - folg. Die Kugeln der Karthaunen und Flinten, ſagt Dſchelalſade, flogen wie die Schwärme kleiner Vögel durch die Luft; es war ein Feſtgelage, bei dem die Genien des Todes die Gläſer credenzten. Die deutſchen Berichte206Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.rühmen beſonders die Tapferkeit, die der alte Salm, Ver - walter der niederöſtreichiſchen Feldhauptmannſchaft, in die - ſer heißen Stunde bewies. 1Beſonders in dem Tagebuche bei Anton p. 34, uͤber Rei - ſchach p. 32 beim 4. October.Die Osmanen erlitten ſo mör - deriſche Verluſte, daß ſie ſich zurückziehen mußten. Die niedergeworfene Mauer ward auf der Stelle ſo gut wie möglich hergeſtellt.

Was aber hier nicht gelungen, verſuchte der Feind gleich darauf an der andern Seite des Kärnthnerthurms. Nach manchem falſchen Lärm ſprengte er am 11. Octo - ber einen guten Theil der Mauer gegen das Stubenthor hin, und erneuerte unverzüglich ſeinen Sturm. Dießmal waren die Colonnen dichter formirt; zu den Aſafen und Janitſcharen hatten ſich Sipahi von Janina und Awlona, albaneſiſcher Herkunft geſellt; mit ihren krummen Schwer - tern und kleinen Schilden drangen ſie, dem Haufen voran, über die gefallenen Mauern daher. Allein hier ſtellte ſich ihnen Eck von Reiſchach mit vier Fähnlein muthiger Lands - knechte ſelber in den Weg. Zur Seite hatte er, wie einſt in Pavia, geübte ſpaniſche Schützen;2S. beſonders den erſten venezianiſchen Bericht bei Hammer p. 158; er nennt Rogendorf, Erich de Rays et alcuni nobili con 4 bandiere de fanti insieme cum li Spagnoli. auch der Feldmarſchall Wilhelm von Rogendorf war zugegen. Dieß Mal kam es zum ernſtlichen Handgemenge. Man ſah die langen Schlacht - ſchwerter der Deutſchen, die ſie mit beiden Händen führ - ten, ſich meſſen mit dem Türkenſäbel. Ein türkiſcher Ge - ſchichtſchreiber redet von ihrer feuerregnenden Wirkung. Dreimal erneuerten die Osmanen ihren Anlauf. Jovius,207Belagerung von Wien.der ſo viele Schlachten beſchrieben hat, bemerkt doch, daß man in dieſem Jahrhundert kaum jemals ernſtlicher an ein - ander gerathen ſey. 1Jovius 28, 69 folgt uͤberhaupt eigenthuͤmliche Relationen. Die Erwaͤhnung des Grafen von Oettingen beweiſt, daß er vom 11. October redet.Aber alle Anſtrengungen der Osmanen waren vergebens, ſie erlitten noch bei weitem ſtärkere Ver - luſte als das erſte Mal.

Und damit war nun eigentlich ihr guter Muth er - ſchöpft.

Am 12. October ward abermal ein Theil der Mauer gefällt, aber als ſie dahinter die Deutſchen und Spanier mit aufgereckten Fähnlein erblickten, wagten ſie ſich nicht ernſtlich heran.

Schon regte ſich bei den Osmanen die Meinung, in Gottes des Allmächtigen Rathſchluß ſey für dieß Mal die Er - oberung von Wien dem Islam nicht beſtimmt. Die Nächte wurden bereits ungewöhnlich kalt; am Morgen ſah man die Berge mit Reif bedeckt;2 Pomis uvisque immaturis vescebantur: equi strictis ar - borum frondibus et vitium pampinis tolerabantur. Vrsinus Velius. mit Beſorgniß dachte Je - dermann an die Länge und Gefahr des Rückwegs, denn zu jener dreijährigen Abweſenheit war doch in der That nichts vorbereitet. Dazu kam, daß ſich Nachrichten von einem nahen Entſatz vernehmen ließen. Ein erbländiſches Heer ſammelte ſich in Mähren; in den Bezirken des ſchwäbiſchen Bundes ward eifrig gerüſtet, wie denn Schärtlin von Bur - tenbach berichtet, was für treffliche Leute er in Würtem - berg zuſammengebracht; Pfalzgraf Friedrich, der ganz in der Nähe geblieben, nahm eine drohendere Haltung an. 208Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.Schon lernten die Bauern den ſtreifenden Reitern Wider - ſtand leiſten. Suleiman entging es nicht, in welche ge - fährliche Lage er kommen könne, wenn er hier, mitten im feindlichen Lande, ohne feſte Plätze, in der ſchlechten Jah - reszeit von einem Feinde angegriffen würde, deſſen Tapfer - keit er ſo eben kennen gelernt. Er beſchloß noch einen letz - ten Verſuch auf Wien zu machen, und wenn derſelbe miß - linge, ſofort aufzubrechen. Er wählte dazu einen Tag, den er für glücklich hielt, den Moment, wo die Sonne in das Zeichen des Scorpions tritt, 14. October. Eben in der Mit - tagsſtunde verſammelte ſich ein guter Theil des Heeres im An - geſicht der Mauern; Tſchauſche riefen Belohnungen aus, Mi - nen ſprangen, Breſchen öffneten ſich, und das Zeichen zum Sturm ward gegeben. Allein die Leute hatten kein Vertrauen mehr, ſie mußten faſt mit Gewalt herbeigetrieben werden, wo ſie dann unter das Feuer des Geſchützes geriethen, und ganze Haufen erlagen, ehe ſie nur den Feind erblickt hat - ten. Gegen Abend ſah man eine Schaar aus den Wein - gärten hervorkommen, aber ſich auf der Stelle wieder zu - rückziehn. 1Sie haben kurz den Fuxen nicht woͤllen beißen, ſagt der of - ficielle Bericht bei Hammer p. 68, der uͤberhaupt mit der guten Laune eines ſiegenden Kriegsmannes abgefaßt iſt.

Und hierauf begann nun der volle Abzug. Die Ana - tolier hatten jetzt die Vorhut; noch in der Nacht brach der Sultan ſelbſt auf; auch die Janitſcharen zündeten ihr La - ger in den Vorſtädten an und eilten ihren Herrn zu beglei - ten. Nach einigen Tagen folgte ihm Ibrahim mit dem Reſt der europäiſchen Truppen nach.

Es war das erſte Mal, daß dem ſiegreichen Sultan209Ruͤckzug der Osmanen.ein Unternehmen ſo ganz geſcheitert war. Er konnte inne werden, daß er nicht ſo geradezu, wie ſeine Dichter rühm - ten, das Gold im Schachte der Welt, die Seele im Wel - tenleibe ſey,1Baki’s Kaſſide uͤberſ. v. Hammer p. 7. daß es außer ihm gewaltige und unbezwing - liche Kräfte gab, die ihm noch zu ſchaffen machen ſollten.

Zunächſt aber konnte er ſich wohl tröſten. Er hatte Ungarn den Deutſchen entwunden. Aus den Händen os - maniſcher Beamten empfing Johann Zapolya die heilige Krone. Obwohl er König hieß, ſo war er doch in der That nichts anders, als ein Verweſer des Sultans.

Es hätte wohl ſcheinen ſollen, als würde Ferdinand die Unordnung dieſes Abzugs, und das zum Entſatz von Wien geſammelte Heer zur Wiedereroberung des Reiches benutzen können; auch fielen die Grenzplätze, Altenburg, Trentſchin in ſeine Hände; aber gleich das Schloß Gran behauptete ſich; Ofen zu erobern, waren die dagegen her - anrückenden Truppen viel zu ſchwach. 2Vrsinus Velius lib. VIII. Der Grund des Mißlingens liegt am Tage: es fehlte dem König auch jetzt an allem Gelde. Er hätte wenigſtens 20,000 Gulden ge - braucht, um die Truppen in Bewegung zu ſetzen; er konnte endlich nicht mehr als 1400 Gulden aufbringen, und ſelbſt ſo viel nur in ſchlechten Münzſorten, wozu er noch für ein paar Tauſend Gulden Tuch hinzufügte. Alles war mißvergnügt. Der Tyroliſche Haufe, den man auf das dringendſte er - ſuchte, an jener Unternehmung Theil zu nehmen, hatte es in voller Gemeinde abgeſchlagen; die Leute erklärten geradezu, ſie hätten keine Luſt ferner zu dienen. 3Inſtruction der Kriegscommiſſarien zu Presburg fuͤr GrafAls SuleimanRanke d. Geſch. III. 14210Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.von Wien abzog, hatte er die Janitſcharen für ihre An - ſtrengungen, ſo erfolglos ſie auch geweſen waren, mit ei - nem reichen Geſchenk belohnt; den Landsknechten dagegen, welche die Stadt ſo wacker und glücklich vertheidigt, konnte man den Sturmſold nicht zahlen, auf den ſie wohl ein ge - wiſſes Recht beſaßen, und es entſtand ein wilder Aufruhr unter ihnen. Das war überhaupt das Verhältniß. Sehr bald behielten die Gegner in Ungarn das Uebergewicht. In den oberen Landſtrichen finden wir ſchon namhafte deutſche Hauptleute, namentlich jenen Nickel Minkwitz, der dem Churfürſten von Brandenburg ſo viel zu ſchaffen machte, in den Dienſten Zapolya’s; von Kesmark aus durchzog er das Land; es gelang ihm Leutſchau in Brand zu ſtecken. 1Sperfogel und das Tagebuch des Pfarrers Moller zu Leut - ſchau, deſſen eigene volle Scheunen angezuͤndet wurden bei Katona XX, I, p. 540, 546. Minkwitz heißt hier Nicolaus Mynkowitz: er ging bald darauf von Kesmark nach Ofen.Indeſſen brachen die Türken von Bosnien her in den Gren - zen ein: auch Croatien war in Gefahr, in ihre Hand zu fallen. Ja ſelbſt auf die entlegenen Landſchaften dehnte dieß Mißgeſchick ſeine Rückwirkung aus. In Böhmen gab es unter den Vornehmſten des Reiches warme Anhänger Zapolya’s. Als Ferdinand Ende Januar 1530 nach Prag ging, war er überzeugt, daß er Alle, die an der Regierung von Böhmen Antheil nahmen, entfernen müſſe, wenn er Herr im Lande bleiben wolle. 2Schreiben Ferdinands an Carl 21. Januar 1530 bei Ge - vay p. 68. Entre tant, que ils ont le gouvernement, je ne sa - roie avoir obeisance ne poroie meintenir la justice In der That, es war für ihn dringend nothwendig, daß ſein Bruder in Deutſchland er -3Niclas zu Salm d. juͤngern, kaiſ. Rath und Caͤmmerer an Koͤnig Ferdinand bei Hormayr Taſchenbuch auf 1840 p. 506.211Carl V in Italien.ſchien, um ſeiner ſchwankenden erſchütterten Macht einen neuen Rückhalt zu geben.

Während dieſer ganzen Zeit war Carl V in Italien. Er hatte ſo viel wir ſehen anfangs gehofft, die dortigen Geſchäfte raſch beendigen und ſeinen Bruder noch gegen den Anfall Suleimans vertheidigen zu können; er ſtieß aber auf Schwierigkeiten, die eine bei weitem längere Zeit ſeine ganze Thätigkeit beſchäftigen ſollten.

So viele Siege er auch erfochten, ſo wäre man in Italien, ſelbſt nachdem man von Franz I ſo plötzlich und wider alle Zuſage verlaſſen war, wohl noch fähig geweſen, ihm Widerſtand zu leiſten.

Venedig war im Beſitz ſeiner geſammten Terra ferma, einiger Städte im Kirchenſtaat, mehrerer feſten Plätze im Neapolitaniſchen, die es ſo eben mit vielem Glück verthei - digte; es hielt ein ſtattliches Heer im Felde, das wenn es keine namhaften Siege erfochten, ſich doch auch nicht hatte ſchlagen laſſen, und an deſſen Spitze einen General, der es vollkommen verſtand, zugleich dem bedächtigen eiferſüch - tigen Senate zu genügen und ſeinen Ruhm zu behaup - ten. Auch ihre Seemacht befand ſich in blühendem Zu - ſtande; in Corfu war man mit einer Expedition nach den neapolitaniſchen Küſten, zunächſt gegen Brindiſi beſchäftigt.

Der Herzog von Mailand beſaß nach ſo langem ver - derblichen Kriege doch noch immer den größten Theil ſei - nes Landes, und außer einigen andern minder bedeutenden die ſtärkſten Plätze des damaligen Italiens, Cremona, Lodi und Aleſſandria.

14*212Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Sollte der Herzog von Ferrara, der ein durch Natur und Kunſt ſehr wohl befeſtigtes Gebiet gegen ſo unzählige Anfälle beſchützt hatte, ſich nicht auch dieß Mal zu ver - theidigen wiſſen?

In Florenz herrſchte eine zur Behauptung ihrer Frei - heit, und ſollte es einen Kampf auf Leben und Tod koſten, entſchloſſene Partei; Michelangelo Buonarotti, der ſelber zu ihr gehörte, befeſtigte die Stadt mit einer Erfindungsgabe und Tüchtigkeit in der Ausführung, die nach anderthalb Jahrhunderten wohl noch einem Vauban bemerkenswerth ſchienen; in dem Gebiete war eine Art von Landſturm ein - gerichtet. Mit Perugia waren die Florentiner bereits ver - bündet, und ſie hofften wohl, es ganz zu gewinnen. Auch mit Siena, das ſich ebenfalls von dem Papſt bedrängt ſah, ſtanden ſie in ziemlich gutem Vernehmen. 2Relatio n. v. Antonii Suriani de legatione Florentina 1529. Et pero cum questo fondamento de inimicitia con il papa, queste republiche hanno trattato insieme qualche intelligentia.

Der Kirchenſtaat und Neapel waren noch erfüllt von Unruhe und Gährungen.

Wie oft hatte Italien den kriegeriſchen Kaiſern, die mit einem bei weitem überlegenen Heere über die Alpen ka - men, ſelbſt dann, wenn ſich eine Partei im Lande für ſie erklärte, Widerſtand geleiſtet! Eben wenn ein Kaiſer einmal feſten Fuß gefaßt hatte, ſo war das für die Einheimiſchen der Anlaß geweſen, alle ihre Kräfte aufzubieten, um ihn wieder zu entfernen. Keine Tapferkeit und kein Talent, we - der Friedrich I noch Friedrich II hatten die Herrſchaft zu befeſtigen, fortzupflanzen vermocht.

1Vasari Vita di Buonarotti. (Vite d. P. X, 110.)
1213Unterhandlungen in Italien.

Jetzt kam dieſer junge Kaiſer an, der noch keinen recht ernſtlichen Krieg geſehen, der ſich auch mit ſeinem bleichen Antlitz, ſeinem wohlgehaltenen und noch geſunden, aber kei - neswegs kräftigen Körper, mit ſeiner ſchwachen Stimme, mehr wie ein Hofmann als wie ein Krieger ausnahm; der von nichts als von Frieden ſprach: der ſetzte es durch.

Er hatte für ſich, daß er durch die florentiniſche Sache mit dem Papſt auf das engſte vereinigt war. Die Flo - rentiner ſchickten, ſo wie er nach Genua gekommen, eine Geſandtſchaft an ihn, aber natürlich mit einer beſchränkten Vollmacht; ihre jetzige Verfaſſung wollten ſie auf keine Weiſe gefährden: der Kaiſer antwortete ihnen, ſie möchten vor allen Dingen die Medici zurückrufen und in den Rang einſetzen, den dieſelben vor ihrer letzten Verjagung einge - nommen[.]1Nach Jacopo Pitti: Apologia de capucci, einem MS voll trefflicher Nachrichten hatten die Geſandten die segreta commis - sione, di non pregiudicare ne alla libertà ne al dominio; il che notificato con piu segretezza a Cesare hebbono per ultima rispo - sta che se volevano levarsi da dosso la guerra, rimettessero i Medici nello stato che erano avanti si partissero dalla città; onde li oratori se ne partirono subito. Vgl. Varchi IX, 234.Schon befand ſich der junge Aleſſandro, den er zu ſeinem Schwiegerſohn und zum Herrn in Florenz be - ſtimmt hatte, in ſeiner Umgebung. 2Carlo V a Clemente VII 29 d’Agosto. Similmente dico, ch’io sto molto contento della persona del Duca Alessandro. Lettere di principi II, p. 185.Auch ohnehin konnte er eine Regierung nicht dulden, die ſich von jeher guelfiſch, franzöſiſch gezeigt. So lange nun bis dieſe Sache ge - ſchlichtet wurde, war der Kaiſer des Papſtes, der die Geg - ner ſeines Hauſes in Florenz leidenſchaftlich haßte, voll - kommen ſicher.

214Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

Eine Zeitlang ſtieß ſich alles daran, daß das Vor - rücken des Großſultans bei den italieniſchen Mächten die Hoffnung erweckte, in den Türken den Rückhalt gegen das Haus Oeſtreich zu finden, den ihnen Frankreich nicht mehr gewährte. Da ſchloſſen ſich Mailand und Venedig noch einmal enger an einander. Sie ſetzten gegenſeitige Hülfs - leiſtungen feſt und verſprachen, ein Theil nicht ohne den andern Frieden zu machen. Der Krieg erneuerte ſich in der Lombardei; Leiva nahm Pavia weg; ein paar tauſend Landsknechte unter Graf Felix von Werdenberg drangen den Gardaſee entlang in das Venezianiſche ein, und plün - derten das Gebiet von Brescia. 1Leoni Vita di Francesco Maria 419.

Allein nach dem Abzug Suleimans verlor man in Oberitalien die Luſt, ſich länger und zwar im Grunde doch um eines geringen Vortheils willen zu ſchlagen. 2Jacopo Pitti: tutti calarono le bracche per la fuga Tur - chescha, altrimente l’imperatore haberebbe havuto che fare molto piu che non si pensasse.

Denn ſchon zeigte ſich der Kaiſer zu den billigſten Bedingungen bereit.

Von allem Anfang hatte ihm dieß der Papſt wenig - ſtens in Hinſicht auf Venedig und Mailand gerathen. Er hatte ihm vorgeſtellt, daß er die feſten Plätze der Venezia - ner nicht ohne große Anſtrengung und unverhältnißmäßige Koſten angreifen könne, und ihn erſucht, den Schadener - ſatz, den er von ihnen fordere, fallen zu laſſen. Er war auf die Frage eingegangen, ob es gut ſey, Mailand zu theilen, oder es in ſeiner Integrität an Sforza zurückzugeben, und hatte ihm bewieſen, daß das letzte das ſicherſte ſey, indem215Unterhandlungen in Italien.jede andre Combination neue Feindſeligkeiten erwecken dürfte. 1Schreiben von Rom, doch ohne Zweifel von Sanga, an den ppl. Nuntius, Biſchof von Vaſona, bei dem Kaiſer. Lettere di principi II, 181 185.Es waren hierauf Unterhandlungen hauptſächlich unter päpſt - licher Vermittelung angeknüpft worden.

Der Herzog von Ferrara, der auf ein ähnliches Für - wort des Papſtes nicht rechnen durfte, bahnte ſich ſelbſt ſeinen Weg. Andrea Doria ſoll ihm geſchrieben haben, er könne den Kaiſer nur dadurch gewinnen, daß er ihm Vertrauen zeige. Der Herzog ſah den Kaiſer in Modena; er trug ihm ſelbſt die Schlüſſel der Stadt entgegen; und in der That fand man von Stund an, daß ſich ihm der Kaiſer geneigt erweiſe.

So war alles vorbereitet, als der Kaiſer am 5. Novem - ber 1529 in Bologna einzog, wo der Papſt ſeiner wartete.

Aehnlich, wie die beiden Damen in Cambray, wohnten jetzt Kaiſer und Papſt in zwei an einanderſtoßenden Häu - ſern, die durch eine innere Thür verbunden waren, zu der beide den Schlüſſel hatten. 2Romiſcher keyſerlicher Majeſtat eynreyten gen Bolonia, auch wie ſich bebſtliche Heyligkeit gegen ſeyne Keyſerliche Majeſtat gehal - ten habe 1529. Am Schluß: Und liegen der Keyſer und der Bebſt alſo nah bei einander, das nit mer dan ein kleyn wand zwyſchen inen iſt und haben ein Thuͤr zuſamengehn und jeder ein ſchluͤſſel darzu.

Der Kaiſer bereitete ſich gleichſam vor, ſo oft er mit dem alten Politiker, dem Papſt, perſönlich verhandeln wollte. Er erſchien dann mit einem Zettel in der Hand, worauf er ſich alle Punkte verzeichnet hatte, welche dieß Mal in Betracht kamen.

Das Erſte, worin er den Rathſchlägen des Papſtes Gehör gab, war, daß ſein Rebell, Franz Sforza, den er216Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.einſt ſchon des Herzogthums verluſtig erklärt, vor ihm er - ſcheinen durfte.

Es ſchadete dem Sforza wohl nicht, daß er ſehr krank war. Er mußte ſich auf einen Stab ſtützen, wenn er mit dem Kaiſer redete; der Papſt vermied, ſich den Fuß von ihm küſſen zu laſſen. Aber übrigens zeigte er ſich geſcheidt und wohlgeſinnt; er ſprach ſehr gut und verſtand ſein In - tereſſe hinreichend, um eine völlige Hingebung gegen den Herrn zu zeigen. 1Confidarsi in lei (S. M.) ponersi in man sua. Conta - rini Relatione di Bologna 1530.Den Großen des Hofes kam er mit andern Mitteln bei. Allmählig ließ man da den alten Wi - derwillen gegen ihn fallen.

Indeſſen bemühte ſich auch der venezianiſche Geſandte die Verſtimmung zu beſeitigen, die der Kaiſer gegen ſeine Republik fühlen mochte. Er hatte wohl einmal eine zwei Stunden lange Audienz; er fand doch, daß der Kaiſer die Lage der Republik einſah, ihre Rechtfertigung begriff.

So ward man denn ſehr bald über die Grundlage eines Abkommens einig; die Venezianer ſollten herausge - ben, was ſie vom Kirchenſtaat oder von Neapel beſaßen, aber übrigens ohne Anfechtung bleiben. Auch Franz Sforza ſollte mit dem Staat von Mailand belehnt werden.

Die einzige Schwierigkeit machten die Geldforderun - gen, ſowohl an Venedig als an Mailand. Um der mai - ländiſchen Zahlungen ſicher zu ſeyn, wünſchte der Kaiſer für’s Erſte die Caſtelle von Mailand und Como mit ſeinen Truppen beſetzt zu halten. Am 12. Dez. traf der Courier ein, welcher die Einwilligung des venezianiſchen Senates217Friedensſchluͤſſe zu Bologna.ſowohl in die ihm auferlegten Zahlungen, als in die mai - ländiſchen Verpflichtungen brachte. 1Gregorio Casale 13 Dc. Bei Molini II, p. 263.

Hierauf ward am 23. Dez. ein Vertrag abgeſchloſſen, der zugleich ein Bündniß war. Die Venezianer verſtanden ſich dazu, die Rückſtände an Hülfsgeldern, welche ſie kraft der Verträge von 1523 ſchuldig geworden, im Laufe der nächſten 8 Jahre allmählig abzutragen; überdieß in dem nächſten Jahre noch andre 100,000 Sc.2Tractatus pacis ligae et perpetuae confoederationis bei Du Mont IV, II, p. 53. Bei weitem ſtärker ward Franz Sforza heimgeſucht. Er ſollte in be - ſtimmten Terminen nach und nach 900,000 Sc., und da - von gleich im nächſten Jahre 400,000 Sc. zahlen. Man ſicht, das war jetzt das Syſtem des Kaiſers; er behandelte Mailand und Venedig, wie Portugal und Frankreich; die Anſprüche, die er hätte machen können, ließ er ſich durch Geld vergüten. Wie der Kaiſer Mailand und Venedig, ſo verſprachen die Venezianer Neapel und Mailand im Fall eines Angriffs zu vertheidigen.

Bei weitem minder verſöhnlich als der Kaiſer, zeigte ſich der Papſt. Nur mit großer Mühe ward er bewogen, ſeine Streitigkeiten mit Ferrara einer neuen Erörterung durch den Kaiſer ſelbſt zu überlaſſen. Der Herzog hatte ſich be - quemt, Modena ſogleich als ein Depoſitum in deſſen Hand zu ſtellen.

In der florentiſchen Sache wich Clemens aber vollends keinen Schritt breit. Noch einmal erſchienen Geſandte der Republik in Bologna; aber ſie hatten nur die Aufwallun -3Galeacius Capella lib. VIII, p. 218.218Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.gen des Papſtes zu vernehmen, der ihnen alle die perſön - lichen Beleidigungen vorrückte, welche man ſich dort gegen ihn und ſeine Freunde, die ihn hier umgaben, erlaubt habe. Der Kaiſer ſagte, er ſey nicht nach Italien gekommen, um Jemand etwas zu Leide zu thun, ſondern nur, um Frie - den zu machen, aber er habe dem Papſt nun einmal ſein Wort verpfändet. 1Jacopo Pitti: rispose loro Cesare gratamente dolerli del male pativa la Citta, perche egli non era venuto in Italia, per nuocere ad alcuno, ma per metterci pace, non poter gia in que - sto caso mancare al papa ne credere che voglia il papa cose inconvenienti; replicaronli li oratori, che la citta desiderava so - lamente mantenere il suo governo Cesare disse, che forse il governo parerebbe loro ragionevole, nondimeno haberebbe bi - sogno di qualche corretione. Die Sache war in ſeinem geheimen Rathe öfters erwogen worden. Man hatte geurtheilt, ein - mal ſey Florenz durch die Rebellion ſeiner Privilegien ver - fallen, und der Kaiſer völlig in ſeinem Recht, wenn er es ſtrafen laſſe, ſodann werde die Forderung des Papſtes auch ohnehin die Gerechtigkeit für ſich haben, da ja der Vica - rius Chriſti nichts ungerechtes beginnen werde. 2Erklaͤrung des kaiſ. Beichtvaters bei Varchi p. 338.Schon längſt waren Perugia, Arezzo, Cortona in den Händen der Kaiſerlichen; der Prinz von Oranien, obwohl er von der Rechtmäßigkeit der Anſprüche des Papſtes nicht ſo über - zeugt war, wie ſein Herr, war demſelben doch gehorſam und lagerte mit dem Heer im Februar in der Nähe von Florenz. Während des Carnevals gab es alle Tage Schar - mützel an den Thoren.

Und nun konnte der Kaiſer keinen Augenblick länger in Italien verweilen. Er hatte wohl daran gedacht, ſich219Kroͤnung Carls V. in Rom ſelbſt krönen zu laſſen, und dann nach Neapel zu gehn, aber immer dringender wurden die Aufforderungen ſeines Bruders, die Vorſtellungen deſſelben, daß ſeine An - weſenheit in Deutſchland für alle religiöſen und politiſchen Angelegenheiten unbedingt nothwendig ſey. Es ward be - ſchloſſen, daß die Krönung in Bologna vor ſich gehen ſollte; ſeinen Geburtstag, den Jahrestag der Schlacht von Pavia, wollte der Kaiſer mit dieſem Acte bezeichnen.

Feierliche Handlungen dieſer Art haben das Eigene, daß ſie mit der Bedeutung, die ſie für den Moment ha - ben, unmittelbare Beziehungen mit den fernſten Jahrhun - derten verknüpfen.

Dieß Mal hatte die Krönung viel Beſonderes. Sie geſchah nicht in Rom, wie ſonſt immer, ſondern in Bo - logna. Die Kirche S. Petronio ſollte die Stelle der Pe - terskirche vertreten; die Capellen, welche zu den verſchie - denen Functionen gebraucht wurden, empfingen die Namen der Capellen von S. Peter. Es ward ein Ort in der Kirche beſtimmt, der die Confeſſion Petri vorſtellte. 1Consurgens electus venit ad confessionem B. Petri et in loco humili et depresso ad instar loci ante ingressunr ca - pellae S. Petri de urbe procubuit. Rainaldus XX, 568.

Auch der Kaiſer war nicht wie ſeine Vorgänger er - ſchienen. Er hatte verſäumt die Churfürſten einzuberufen; ein einziger deutſcher Fürſt war zugegen, der noch zu gu - tem Glück den Tag vor der Krönung eintraf, Philipp von der Pfalz, derſelbe, der ſich bei der Vertheidigung von Wien ſo eben einen gewiſſen Namen erworben, auch dem aber kam keine amtliche Bedeutung zu. An eine deut - ſche Ritterſchaft, wie ſie ſonſt ihren Kaiſer an die Tiber -220Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.brücke zu begleiten pflegte, war nicht zu denken; unten auf dem Platz hielten 3000 deutſche Landsknechte, wackere Kriegs - leute, von guter Haltung, aber von einem Spanier befeh - ligt: es war Antonio de Leiva, der auf ſeinem Tragſeſſel von ſchwarzbraunem Sammet ſeinen Einzug vor ihnen her ge - halten hatte. Alles Glänzende, was den Kaiſer umgab, war von Spanien mitgekommen, oder hatte ſich in Italien zu ihm geſellt. Den Zug, mit welchem er ſich am 24. Februar 1530 zwei Tage vorher war ihm unter etwas modificir - ten Feierlichkeiten die eiſerne Krone aufgeſetzt worden zur Kaiſerkrönung nach der Kirche begab, eröffneten ſpaniſche Edelknaben; dann folgten jene ſpaniſchen Herren, deren wir gedacht, wetteifernd in Pomp und Glanz; hierauf die He - rolde, nicht etwa der deutſchen, ſondern vornehmlich der verſchiedenen ſpaniſchen Provinzen; das Scepter trug der Markgraf von Montferrat, das Schwert der Herzog von Urbino, den Reichsapfel jener Pfalzgraf Philipp, endlich die Krone der Herzog von Savoyen. Die Churfürſten ver - wunderten ſich, daß man ihre Aemter Andern zu verwal - ten gegeben, ohne ſie nur zu fragen. Hinter ihnen trat dann der Kaiſer in der Mitte zweier Cardinäle daher: die Mitglieder ſeines geheimen Raths folgten ihm nach. Als wenig Schritte hinter dem Kaiſer der hölzerne Gang, durch den man den Pallaſt mit S. Petronio verbunden, zuſammen - brach, deuteten das Viele dahin, daß er wohl der letzte Kaiſer ſeyn werde, der zu einer römiſchen Krönung gehe, wie das denn in der That wahr geworden iſt; er ſelbſt ſah ſich lächelnd um: er meinte ſein Glück zu erkennen, das ihn auch in dieſem Augenblick vor einem Unfall geſchützt hatte. 1Jovius 27ſtes Buch. De duplici coronatione Caroli V

221Kroͤnung Carls V.

Und nun ward er mit den Sandalen und dem von Edelſteinen ſtarrenden Kaiſermantel bekleidet, der von dem byzantiniſchen Hofe herübergenommen worden; er ward mit dem exorciſirten Oel geſalbt, mit einer Formel, faſt noch ganz der nemlichen, welche einſt Hinkmar von Rheims ge - braucht;1Die Worte der Salbung in dem Ritual: ipse super caput tuum infundat benedictionem, eandem usque ad interiora cordis tui penetrare faciat (bei Rainaldus p. 569 nr. 23, erinnert ſehr an Hinkmars Formel von 877) cujus sacratissima unctio su - per caput ejus defluat atque ad interiora ejus descendat et in - tima cordis illius penetret. Doch iſt die alte Formel durchaus ſchoͤner. er empfing die Krone Carls des Großen, die Inſignien jener alten geheiligten Würde, in der er als das Oberhaupt der Chriſtenheit erſchien; aber zugleich leiſtete er auch den Schwur, den einſt in den Zeiten der Siege der Hierarchie die Päpſte den Kaiſern aufgelegt, daß er den Papſt und die Römiſche Kirche, alle ihre Beſitzthümer, Ehren und Rechte vertheidigen wolle; er war ein gewiſſen - hafter Menſch und wir können nicht zweifeln, daß er den Eid mit allem Ernſt ſeines Gemüthes ablegte. Jene Ver - einigung der geiſtlichen und weltlichen Hierarchie, welche die Idee der lateiniſchen Chriſtenheit fordert, ward noch einmal vollzogen.

Während der Cerimonie ſtand der franzöſiſche Geſandte, Biſchof von Tarbes, zwiſchen dem Stuhl des Kaiſers und dem des Papſtes neben dem Grafen von Naſſau; ſie ſpra - chen viel von der Freundſchaft, die nun zwiſchen ihren Fürſten beſtehe, von der nichts zu wünſchen ſey, als daß ſie lange dauere. Man braucht aber nur den Bericht1Caesaris ap. Bononiam, historiola, autore H. C. Agrippa bei Schardius III, 266.222Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.zu leſen, den der Biſchof darüber an ſeinen Hof erſtattet, um ſich zu überzeugen, daß er wenigſtens davon eben das Gegentheil meinte. Er wollte wahrnehmen, daß der Papſt ſeufze, wenn er ſich unbemerkt glaube. Er verſichert in demſelben Briefe, das lange Beiſammenſeyn der beiden Fürſten habe eher Widerwillen als Freundſchaft zwiſchen ihnen erzeugt: der Papſt habe ihm geſagt, er ſehe daß man ihn betrüge, aber er müſſe thun, als bemerke ers nicht. Genug, er erklärt es für gewiß, daß die Zeit bei dem Papſt Wirkungen hervorbringen werde, mit denen der König von Frankreich zufrieden ſeyn könne. 1Lettre de Mr. de Gramont Ev. de Tarbes à M. l’Admiral Boulogne 25 Fevrier in Le Grand Histoire du divorce tom. III, p. 386.

Auch aus der Correſpondenz des Kaiſers mit ſeinem Bruder ſehen wir, daß er ſich des Papſtes mit nichten für verſichert hielt.

Ueberhaupt dürfte man nicht glauben, daß er als Herr in Italien hätte handeln können: aber den geeigneten Mo - ment, wo die Gegner erſchöpft und muthlos waren, er da - gegen vollkommen ſiegreich, wußte er auf das geſchickteſte zu benutzen, um ſein Uebergewicht zu befeſtigen, eine künf - tige Herrſchaft vorzubereiten.

Der Widerſtand, welchen Florenz leiſtete, feſſelte den Papſt, er mochte ſich in Momenten des Unmuths anſtellen wie er wollte, doch an den Kaiſer. Als es endlich unter - worfen war, gab der Kaiſer dem Hauſe Medici eine ſtaats - rechtlich feſter begründete Macht daſelbſt, als es jemals gehabt, eine Familienverbindung ward vollzogen, die es zu Entzweiungen, wie ehedem, ſchwerlich mehr kommen ließ.

223Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.

Auch Mailands konnte der Kaiſer ſicher ſeyn. Sforza wußte ſehr wohl, daß Franz I ſeine lombardiſchen Anſprüche nicht völlig aufgegeben hatte; wie denn auch vornehme Mi - laneſen ihre Verbindung mit Frankreich ſo bald wie möglich zu erneuern ſuchten. So mußte ſich Sforza wohl unbe - dingt an den Kaiſer, der ihn allein ſchützen konnte, an - ſchließen. In Kurzem trat auch er in öſtreichiſche Ver - wandtſchaft; ein kaiſerlicher General commandirte fortwäh - rend die Truppen in der Lombardei.

Bei weitem unabhängiger hielt ſich Venedig. Aber auch hier hatte im Gegenſatz mit dem Dogen eine Partei den Frieden bewirkt, die der freundſchaftlichen Verhältniſſe mit Oeſtreich und Spanien bedurfte, um ſich zu behaupten. Ueberdieß ward die Republik durch die Osmanen in die Nothwendigkeit geſetzt, einen Rückhalt in Europa zu ſuchen, den ihr keine andre Macht gewähren konnte als die ſpa - niſche. Sie hatte ſich allmählig überzeugt, daß die Zeit der Eroberung und Ausbreitung für ſie auf immer vorüber ſey; für Venedig begann eine neue Aera, deren Charakter durch die Verhältniſſe zu Spanien beſtimmt wurde.

Und nicht minder hatte der Kaiſer Sorge getragen, die kleineren Fürſten und Republiken an ſich zu feſſeln.

Der Markgraf von Mantua empfing die herzogliche Würde; dem Herzoge von Ferrara überließ der Kaiſer Carpi; dem Herzog von Savoyen, ſeinem Schwager, übergab er Aſti, das Franz I abgetreten hatte, zu deſſen nicht geringem Ver - druß; dem Herzoge von Urbino, damals dem namhafteſten italieniſchen Kriegsmanne, hatte er ſeine Dienſte angeboten und in Bologna perſönlich viele Gnade erwieſen.

224Fuͤnftes Buch. Siebentes Capitel.

In Siena und Lucca lebte der alte gibelliniſche Geiſt wieder auf; er ward von dem Kaiſer ſo viel als thunlich be - günſtigt. Was man auch von der wiederhergeſtellten Frei - heit von Genua ſagen mochte, ſo war doch der Erfolg der Veränderungen, daß Andrea Doria alles leitete. 1Baſadonna: Relatione di Milano 1533. Esso Doria fa il privato e guberna absolutamente Genoa. Del che si doleno Genoesi. Der Zuname, den man ihm noch gab, Il Figone, der Gärtner, denn er war von der Riviera, machte gar bald einem andern Platz: man nannte ihn den Monarchen. Und dieſer Monarch von Genua war der Admiral des Kai - ſers. Die großen Geldbeſitzer traten auf eine andere, nicht minder bindende Weiſe durch die Anleihen, die der Kai - ſer bei ihnen machte mit demſelben in Verhältniß.

Ohne Zweifel: unabhängig konnten ſich dieſe Gewal - ten noch alle dünken: ſie hätten auch eine andere Politik ergreifen können; und zuweilen dachten ſie daran. Aber in ihrer innern oder äußern Lage gab es Beweggründe, die ſie zu einer Vereinigung mit dem Kaiſer trieben; und dieſe wurden jetzt theils mit Abſicht gepflegt, theils auch durch die bloße Natur der Dinge entwickelt, indem Carl ſo mäch - tig war, daß es eine Sache des Ehrgeizes wie des Nutzens wurde, mit ihm in Verbindung zu ſtehen.

So ward die Gewalt eines Kaiſers erneuert, doch war es nicht das alte Kaiſerthum.

Am wenigſten hätte das Reich ſich rühmen dürfen, daß ihm ſeine Gewalt wiedergegeben worden.

Die Churfürſten beklagten ſich, daß ſie weder zu der Krönung berufen, noch zu den Verträgen herbeigezogen wor -225Feſtſetzung italieniſcher Verhaͤltniſſe.den, die der Kaiſer mit den italieniſchen Mächten geſchloſ - ſen habe. Sie proteſtirten in aller Form, wenn etwas in jenen Verträgen angenommen ſey, das jetzt oder künftig dem h. römiſchen Reiche zum Abbruch oder Nachtheil ge - reichen könne, ſo wollen ſie nicht darin gewilligt haben. 1Proteſtation vom 30. Juli 1530 im Coblenzer Archiv.

Schon früher hatte man bei dem Kaiſer in Erinne - rung gebracht, daß was in Italien erobert worden nicht ihm, ſondern dem Reiche gehöre, man hatte ihn aufgefordert, dem Reiche ſeine Kammern, namentlich Mailand und Ge - nua zurückzuſtellen; dieß werde dann den Gubernator ſetzen, und den Ueberſchuß der Verwaltung zur Handhabung von Frieden und Recht verwenden. Das waren aber nicht die Gedanken des Kaiſers oder ſeiner ſpaniſchen Haupt - leute. Der Herzog von Braunſchweig behauptete, mit Abſicht ſeyen ihm bei ſeinem italieniſchen Zuge im Jahre 1528 von Antonio Leiva Hinderniſſe in den Weg gelegt worden; der Spanier habe keinen deutſchen Fürſten im Mailändiſchen dulden wollen. Und dieſer Leiva nun ward jetzt mit Pavia belehnt, er behielt den Oberbefehl und fürs Erſte die Waffen in den Händen. An deutſchen Einfluß war weder damals noch auch ſpäter zu denken.

Man ſieht: auch politiſch erſchien der Kaiſer nicht als der Repräſentant der nationalen Macht, als er Anfang Mai 1530 über die Tridentiner Alpen nach Deutſchland zurück - kehrte.

2Bucholz III, 92 Anmerkung.
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Ranke d. Geſch. III. 15[226]

Achtes Capitel. Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530.

Ankunft, Abſichten des Kaiſers.

In welchem Gegenſatz ſtanden nun der Kaiſer und die Proteſtanten.

Die Proteſtanten hatten ſich unter einander entzweit, von einander iſolirt, ſie glaubten nicht einmal das Recht des Widerſtandes zu haben. Granvella ſagte noch in Ita - lien, bei dem erſten Sturme würden ſie auseinander flie - gen, wie Tauben, wenn der Geier unter ſie fährt. 1Leodius lib. VII p. 139. Vgl. wie ſich Erasmus gegen Sa - dolet aͤußert: Duae res nonnullam praebent spem, una est genius Caesaris mire felix, altera, quod isti in dogmatibus mire inter se dissentiunt. Ende 1529 oder Anfang 1530. Epp. II, 1258.

Dagegen concentrirte ſich, wenn wir ſo ſagen dürfen, die Energie der lateiniſchen Chriſtenheit in dem Kaiſer; ſie ſah in ihm noch einmal ein mächtiges Oberhaupt an ih - rer Spitze. Unter den großen Mächten war fürs Erſte Friede, und da man auch von den Osmanen für das nächſte Jahr keinen neuen Angriff zu beſorgen brauchte, ſo konnte227Reichstag zu Augsburg 1530.Carl V alle ſeine Aufmerkſamkeit auf die innern Angele - genheiten von Deutſchland wenden.

Fragen wir nun, welche Abſichten er hegte, indem er über die Alpen nach Deutſchland zurückkam, ſo kann hier nicht von weit in die Zukunft reichenden Plänen die Rede ſeyn, die überhaupt nicht ſo ſehr in ſeiner Natur lagen, wie man wohl glaubt; er hielt im Grunde nur an eini - gen Maximen feſt, die durch die Verträge ſchon feſtgeſtellt, oder ſonſt durch ſeine Lage ihm geboten waren.

Seinem Bruder, der ſich ihm in allen italieniſchen Ver - wickelungen unerſchütterlich treu, bei ſchwachen Kräften doch immer zur Hülfe bereit, und überaus nützlich erwieſen, hatte er dafür verſprochen, ihn zum römiſchen Könige zu erhe - ben. Den Abſichten, dieſe Würde an ein anderes Haus zu bringen, die ſich nicht ohne Gefahr immer wieder er - neuerten, mußte ein Ende gemacht werden. Eben jetzt war dazu die Zeit, in dieſer Fülle von Macht und Sieg.

Ferner mußte man endlich einmal daran gehn, eine aus - reichende Maaßregel gegen die Türken ins Werk zu richten. Die letzten Ereigniſſe hatten den Deutſchen gezeigt, daß es jetzt nicht mehr Ungarn allein gelte, ſondern ihr eignes Vaterland; die in die Augen fallende Noth mußte ſie will - fähriger machen. Für das Beſtehen des Hauſes Oeſtreich war das eine unerläßliche Bedingung.

Noch dringender aber zeigte ſich die Nothwendigkeit in den kirchlichen Angelegenheiten irgend eine Ordnung zu treffen.

Und da hatte ſich nun der Kaiſer in Barcellona ver - pflichtet, zuerſt noch einmal die Herbeiziehung der Abge - wichenen zu verſuchen, ſollte ihm das aber nicht gelingen,15*228Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.alsdann alle ſeine Macht anzuwenden,1Vim potestatis distringent (Carl und Ferdinand). um die Schmach, die man Chriſto angethan, zu rächen.

Ich zweifle nicht, daß dieß wie ſeine Verpflichtung, ſo in der That ſeine Abſicht war.

Wie anſtößig und gewaltſam auch das Gutachten lau - tet, das ihm ſein Begleiter der päpſtliche Legat, Campeggi, überreichte, ſo iſt das doch der Grundgedanke, auf dem es beruht. Zuerſt giebt Campeggi darin die Mittel an, durch welche man die Proteſtanten wieder gewinnen könne: Verſprechungen, Bedrohungen, Verbindung mit den katho - liſch gebliebenen Ständen: für den Fall aber, daß dieß nichts fruchte, hebt er auf das ſtärkſte die Nothwendigkeit hervor, ſie mit Gewalt, wie er ſich ausdrückt, mit Feuer und Schwert zu züchtigen; er fordert, daß man ihre - ter einziehe, und die Wachſamkeit einer Inquiſition wie die ſpaniſche über Deutſchland verhänge. 2Instructio data Caesari dal revmo Campeggio con offerte prima, poi con minaccie ridurli nella via sua cioè del Dio omni - potente. Das Gutachten iſt wohl der Rathſchlag zu Bononien be - ſchloſſen, welchen Eck kannte. Vgl. Luther: Warnung an ſeine lie - ben Deutſchen. Altenb. V, 534.

Eben dahin zielt alles, was uns aus der Correſpon - denz des Kaiſers mit ſeinem Bruder bekannt geworden iſt.

Ferdinand hatte, wie wir wiſſen, ſich in Unterhand - lungen mit Churfürſt Johann von Sachſen eingelaſſen, aber er verſichert den Kaiſer, er thue es nur, um die Sache hinzuhalten. Ihr könntet meinen, fügt er hinzu, es ſey zu viel was ich gewähre, und Ihr möchtet dadurch gehindert werden zur Strafe zu ſchreiten. Monſeigneur, ich werde ſo lange wie möglich unterhandeln und nicht abſchließen;229Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.ſollte ich aber auch abgeſchloſſen haben, ſo giebt es viele andre Anläſſe, ſie zu züchtigen, ſo oft es Euch gefällt, Rechtsgründe, ohne daß Ihr der Religion zu gedenken braucht; ſo manchen ſchlimmen Streich haben ſie auch au - ßerdem ausgeübt, und Ihr werdet Leute finden, die Euch dazu gern behülflich ſind. 1Schreiben Ferdinands an den Kaiſer, Budweis 18. Januar bei Gevay Urkunden von 1531 p. 67. Vgl. das Excerpt aus dem Schreiben des Kanzlers bei Bucholz III, 427.

Das war alſo die Abſicht, zuerſt in aller Güte einen Verſuch zu machen, ob man nicht die Proteſtanten zur Ein - heit der lateiniſchen Chriſtenheit, die nun wieder in Frie - den geſetzt war, und als ein großes Syſtem erſchien, zu - rückführen könne; für den Fall aber, daß das nicht gelinge, ſtellte man ſich ſelbſt die Anwendung von Gewalt in Aus - ſicht, und behielt ſich das Recht dazu ſorgfältig vor.

Doch wäre es nicht gerathen geweſen, die Antipathien eines beleidigten Selbſtgefühls durch Bedrohungen zu rei - zen. Milde iſt nur dann Milde, wenn ſie allein erſcheint. Zunächſt beſchloß man, nur dieſe Seite hervorzukehren.

In Wahrheit, es kann nichts Friedeathmenderes ge - ben als das Ausſchreiben des Kaiſers zum Reichstag, worin er ſeinen Wunſch ankündigt, die Zwietracht hin - zulegen, vergangene Irrſal unſerm Heiland zu ergeben, und ferner eines jeden Gutdünken, Opinion und Meinung in Liebe zu hören, zu erwägen, zu einer chriſtlichen Wahrheit zu bringen, alles abzuthun, was zu beiden Seiten nicht recht ausgelegt worden. In dem Pallaſt, wo der Kaiſer neben dem Papſt wohnte, ward dieſer Erlaß unterzeichnet. Der Papſt ließ dem Kaiſer freie Hand. Auch er wäre230Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.höchlich zufrieden geweſen, wenn die Maaßregeln der Milde Erfolg gehabt hätten.

Auch brachte dieſes Ausſchreiben eine ſehr gute Wir - kung hervor. Die altgläubigen Fürſten hatten von der Stimmung des kaiſerlichen Hofes, ſeiner Verbindung mit dem päpſtlichen hinreichende Kenntniß, um bei der Erſchei - nung Carls die lebhafteſten Hoffnungen zu faſſen, wie er ſich auch immer ausdrücken mochte. Sie eilten, ihre Be - ſchwerden zuſammenzuſtellen, die alten Gutachten und Rath - ſchläge zur Abſtellung der lutheriſchen Bewegung noch ein - mal zu revidiren. Es gefällt uns wohl, heißt es in der Inſtruction des Adminiſtrators von Regensburg an ſei - nen Reichstagsgeſandten, daß die Neuerung wider die wohl und lang hergebrachten Gebräuche der Kirche ausgerot - tet und zum beſten gewandt werde. 1Foͤrſtemann Urkundenbuch zur Geſchichte des Reichstags von Augsburg Bd. I, p. 209.Zunächſt hielt der Kaiſer in Insbruck Hof, um ſich nach dem Rathe ſeines Bruders den Erfolg der Reichstagsgeſchäfte durch vorbe - reitende Verhandlungen zu ſichern. Welcher Art dieſelben wenigſtens zum Theil geweſen ſind, läßt ſich unter andern daraus abnehmen, daß der venezianiſche Geſandte eine Rech - nung ſah, nach welcher der kaiſerliche Hof von ſeiner Ab - reiſe aus Bologna bis zum 12. Juli 1530 270,000 Schild - thaler an Geſchenken verausgabt hatte. Zu der Erſcheinung des Glückes und der Macht, welche durch eine natürliche Kraft anziehen, kam nun, wie es ſeit Jahrhunderten in Deutſchland der Gebrauch war, Gnade und Begabung. Al - les was von dem Hofe Gunſt zu erwarten hatte, ſtrömte da -231Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.hin, und man vergaß faſt, daß der Reichstag ſchon längſt hätte angehn ſollen; ein jeder ſuchte hier ohne Verzug ſeine Geſchäfte abzumachen.

Schon glaubte man an einem Beiſpiel abnehmen zu können, welche Wirkung die Erſcheinung des Kaiſers auch auf die religiöſen Angelegenheiten ausüben werde. Der Schwager deſſelben, der verjagte König Chriſtiern von - nemark, der ſich bisher an Luther gehalten, mit dieſem in Briefwechſel geſtanden, und ſich unumwunden zu deſſen Lehre bekannt hatte, fühlte ſich in Insbruck bewogen, zu dem alten Glauben zurückzukehren. Der Papſt war entzückt, als er es vernahm. Ich kann nicht ausdrücken, ſchreibt er dem Kaiſer, mit welcher Rührung mich dieſe Nachricht erfüllt hat. Der Glanz der Tugenden Ew. Majeſtät be - ginnt die Nacht zu verſcheuchen, dieß Beiſpiel wird auf Unzählige wirken. 1Relatio viri nobiiis Nic. Theupulo doctoris, 1533: ne in esso vi erano spese se non di doni fatti a diversi signori (wohl auch italieniſche).Er genehmigte die Abſolution Chri - ſtierns und legte demſelben eine Buße auf, die er nach der Herſtellung in ſeinem Reiche zu vollziehen habe. Der Kai - ſer ſelbſt hoffte, wie es ihm wider ſein eignes Erwarten gelungen, Italien zu beruhigen, ſo werde es ihm auch in Deutſchland nicht fehlen. In Rom erwartete man alles von dem glücklichen Geſtirn, unter dem er zu ſtehen ſchien.

Und ließen ſich nicht die Dinge in der That auch hiezu ſehr günſtig an?

Auch bei den Proteſtanten hatte das Ausſchreiben des Kaiſers die beſte Aufnahme gefunden. Von allen Fürſten2Roma 3 Giugno 1530. Lettere di principi II, p. 194.232Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.war der, auf welchen das Meiſte ankam, der Churfürſt von Sachſen, auch der Erſte der in Augsburg eintraf. Er verſäumte nicht, dem Kaiſer, der in denſelben Tagen die Alpen überſtiegen, zu ſeiner Ankunft im Reiche Glück zu wünſchen, die er mit unterthäniger Freude vernommen; er werde Sr. Majeſtät, ſeines einigen Obern und Herrn, zu Augsburg in Unterthänigkeit warten. 1An Naſſau und Waldkirch, 14. Mai bei Foͤrſtemann I, 162. 164.Er hatte auch ſeine Bundesgenoſſen aufgefordert, ihm zu folgen; denn der Reichstag zu Augsburg ſcheine das Nationalconcilium zu ſeyn, das man ſo lange erwartet, das man ſchon ſo oft vergebens gefordert habe; wo man nun die Beilegung des religiöſen Zwieſpaltes hoffen könne. 213. Maͤrz ibid. p. 24. Vgl. das Gutachten von Bruͤck, p. 11. In einer Ermanung reymenweiß von Hans Marſchalk 1530, wird Gott gebeten offenbar zu machen ſein Wort, damit es komme an ein Ort in dieſem Reichstag und Concilio. Da erſcheinen noch einmal die Hoffnungen der fruͤhern Jahre. Der Kaiſer wird ermahnt ſich des göttlichen Wortes anzunehmen, damit nicht weyter werd ge - plent das arm volk der Chriſtenheit, welches lang auf ſchmaler weyd des Glaubens halb irr gangen iſt.

Die Unterhandlungen des Churfürſten mit König Fer - dinand hatten, wie man ſchon nach obigen Aeußerungen vermuthen kann, zu keinem Abſchluß geführt, doch waren ſie eben ſo wenig abgebrochen worden. Auch Churf. Johann hatte gar manche anderweite Geſchäfte mit dem kaiſerli - chen Hofe: auch von ihm erſchien ein Geſandter in Ins - bruck. Sollte es da nicht möglich ſeyn, ihn zu gewin - nen? Man machte einen Verſuch, ihn ſelber nach Ins - bruck zu ziehn. Der Kaiſer ließ ihm ſagen, er möge ſich aller Freundſchaft zu ihm verſehen, ihn auffordern,233Reichstag zu Augsburg. Vorbereitungen.ſo gut wie viele andre zu ihm an den Hof zu kommen. In den Sachen, die durch ſie beide ausgerichtet werden können, denke er wohl ſich mit ihm zu vereinigen.

Hier aber zeigte ſich nun auch der erſte Widerſtand. Es hatte den Churfürſten unangenehm berührt, daß der Kaiſer durch eine andre Geſandtſchaft in ihn gedrungen, den Predigern, die er mit ſich gebracht, Stillſchweigen auf - zuerlegen. Er hielt dieſe Forderung für den Verſuch einer unbefugten Entſcheidung vor aller Unterſuchung, und glaubte nicht anders, als daß man dieſen Act der Nachgiebigkeit, den er in Augsburg zurückgewieſen, in Insbruck von ihm erzwingen werde, falls er daſelbſt erſcheine. Ferner ſah er den Hof mit ſeinen perſönlichen Gegnern bereits er - füllt. Auch ſchien es ihm nicht gut, Reichstagsgeſchäfte an einem andern Orte vorzunehmen, als der dazu beſtimmt war. Genug er blieb dabei, er wolle des Kaiſers in Augs - burg warten.

Ueberhaupt war die Haltung, welche die in Augsburg angekommenen Proteſtanten annahmen, der Beifall, welche die Predigten in der Stadt fanden, die allgemeine Gunſt, welche ſie in Deutſchland genoſſen, dem kaiſerlichen Hofe unerwartet. Gattinara ſah bald, daß der Kaiſer mehr Schwierigkeiten finden werde, als er wohl ſelber geglaubt. Gattinara, ein alter Gegner der päpſtlichen Politik, und ohne Zweifel der gewandteſte Politiker, den der Kaiſer beſaß, wäre vielleicht der Mann geweſen, den Abſichten des Hofes eine Modification zu geben, in der ſie ſich er - reichen ließen; ſelbſt die Proteſtanten rechneten auf ihn. Gerade in dieſem Augenblick aber ſtarb er; eben hier, zu234Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Insbruck. Den Uebrigen machte die Lage der Dinge ſo viele Bedenklichkeiten nicht. Was zu Insbruck nicht ge - lungen, hofften ſie auf die eine oder die andre Weiſe in Augsburg durchzuſetzen.

Am 6. Juni brach der Kaiſer dahin auf. Er nahm ſeinen Weg über München, wo er prächtig empfangen ward. Mit den weltlichen und geiſtlichen Fürſten von Oeſtreich und Baiern, denſelben, die einſt das Regensburger Bünd - niß geſchloſſen hatten, langte er am 15ten gegen Abend an der Lechbrücke vor Augsburg an.

Schon ein paar Stunden wartete ſeiner die glänzendſte Verſammlung von Reichsfürſten, die man ſeit langer Zeit geſehn; geiſtliche und weltliche, von Ober - und von Nie - derdeutſchland, beſonders zahlreich auch die jungen Fürſten, die noch nicht zur Regierung gelangt waren. So wie der Kaiſer ſich näherte, ſtiegen ſie ſämmtlich vom Pferde und gingen ihm entgegen; auch der Kaiſer ſtieg ab und reichte einem jeden freundlich die Hand. Der Churfürſt von Mainz begrüßte ihn im Namen aller dieſer verſammelten Glieder des heiligen römiſchen Reichs. Hierauf ſetzte ſich alles zu dem feierlichen Einzuge in die Reichsſtadt in Bewegung. Haben wir der dem deutſchen Weſen ſchon faſt entfrem - deten Kaiſerkrönung unſre Aufmerkſamkeit gewidmet, ſo -1Raince, Rome 1. Juin. Le s. père est adverti, que le chancelier se trouvoit aucunement (einigermaaßen, wie Raince das Wort oft braucht) deçu de l’oppinion facille, en quoy il en avoit été et qu’il commençoit à confesser qu’il s’appercevoit les choses en tout cas y être plus laides, qu’ils ne pensoient. MS Be - thune 8534.235Reichstag zu Augsburg. Einzug.gen wir auch bei dieſer noch weſentlich vaterländiſchen Ce - rimonie des Einzuges einen Augenblick verweilen. 1Wir haben daruͤber vier verſchiedene Berichte, 1) in der Altenb. Sammlung lutheriſcher Werke, 2) in Cyprians Geſchichte der augsburgiſchen Confeſſion, und zwei fliegende Blaͤtter, 3) Kaiſerl. Maj. Einreitung zu Muͤnchen etc., 4) Kaiſ. Maj. Einreiten zum Reichstag gen Augsburg. Die erſten beiden ſind auch bei Walch, die beiden andern bei Foͤrſtemann abgedruckt. Einige Momente ent - nahm ich noch aus den Briefen Fuͤrſtenbergs.

Voran zogen zwei Fähnlein Landsknechte, denen der Kaiſer, der nun als der gekommene Herr dieſer kaiſerlichen Stadt betrachtet ſeyn wollte, die Wache derſelben anzuver - trauen gedachte. Sie waren jetzt erſt geworben, und nicht alle hatten bereits die militäriſche Haltung, die man in Deutſchland fordert, jedoch fanden ſich viele unter ihnen, welche die italieniſchen Kriege mitgemacht, einige, die darin reich geworden waren. Vor allem bemerkte man einen Augs - burger Bürger, Simon Seitz, der dem Kaiſer als Feld - ſchreiber gedient, und der jetzt, prächtig in Gold gekleidet auf brauner Jenete mit koſtbar geſtickter Decke, nicht ohne glänzenden Troß zurückkehrte.

Hierauf folgten die reiſigen Mannen der ſechs Chur - fürſten. Die ſächſiſchen führten nach altem Herkommen den Zug an; ungefähr 160 Pferde, alle mit ihrem Schieß - zeug, in Leberfarbe gekleidet. Es waren zum Theil das Hofgeſinde, Fürſten und Grafen, Vierroſſer, Zweiroſſer und Einroſſer; zum Theil die Grafen, Räthe und Edelleute, die vom Lande einberufen waren. Man bemerkte bereits den Churprinzen, der das erſte Bündniß mit Heſſen vermittelt. Dem ſächſiſchen folgten die pfälziſchen, brandenburgiſchen, cölniſchen, mainziſchen und trieriſchen Haufen, alle in ihrer236Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.beſondern Farbe und Rüſtung. Nach der Hierarchie des Reiches hätten die Baiern nicht hieher gehört. Aber ſie hatten, ehe man ſie verhindern konnte, ihren Platz ſich ſel - ber genommen; und wenigſtens ſtellten ſie ſich vortrefflich dar. Sie waren alle in lichtem Harniſch, rothen Leibröcken gekleidet; je fünfe ritten in einem Gliede; große Federbüſche kündigten ſie von fern an: es mochten 450 Pferde ſeyn.

Man bemerkte den Unterſchied, als nun nach dieſer ſo durchaus kriegeriſchen Pracht die Höfe des Kaiſers und des Königs anlangten; voran die Pagen, in gelbem oder rothem Sammet gekleidet, dann die ſpaniſchen, böhmiſchen und deutſchen Herrn, in ſammetnen und ſeidnen Kleidern, mit großen goldnen Ketten, aber faſt alle ohne Harniſch. Dagegen ritten ſie die ſchönſten Pferde; türkiſche, ſpaniſche und polniſche. Die Böhmen verſäumten nicht, ihre Hengſte wacker zu tummeln.

Dem Geleite folgten nun die Herren ſelbſt.

Ein paar Reihen Trompeter, zum Theil in des - nigs, zum Theil in des Kaiſers Farben, Heerpauker mit ihren Trommelſchlägern, Perſevanten und Herolde kündig - ten ſie an.

Es waren alle die mächtigen Herren, die in ihren wei - ten Gebieten faſt ohne Widerſpruch herrſchten, deren nach - barliche Entzweiungen Deutſchland mit Getümmel und Krieg zu erfüllen pflegten; Ernſt von Lüneburg und Heinrich von Braunſchweig, die noch wegen der Hildesheimiſchen Fehde in unausgetragenem Zwiſte lagen; Georg von Sachſen und ſein Schwiegerſohn Philipp von Heſſen, die aber vor Kur - zem in den Packiſchen Unruhen ſo hart an einander gera -237Reichstag zu Augsburg. Einzug.then waren; die Herzoge von Baiern und ihre Vettern, die Pfalzgrafen, die nach flüchtiger Annäherung ſich wieder von einander zu entfernen begannen; neben den Brandenburgern die Herzoge von Pommern, die jenen zum Trotz auf dem Reichstag zu einer unmittelbaren Belehnung zu gelangen gedachten. Jetzt erkannten ſie einmal ſämmtlich einen - heren über ſich an, und erwieſen ihm gemeinſchaftliche Ver - ehrung. Den Fürſten folgten die Churfürſten, ſowohl welt - liche wie geiſtliche. Neben einander ritten Johann von Sachſen und Joachim von Brandenburg, die einander nicht wenig grollten, und wäre es nur wegen der Irrungen gewe - ſen, welche die Flucht der Gemahlin des Markgrafen ver - anlaßt hatte; ſchon war dieſe Sache bei dem Kaiſer zur Sprache gekommen; noch einmal trug da Churfürſt Hans ſeinem Kaiſer das bloße Schwert vor. Denn den Chur - fürſten folgte ihr erkorner und nun gekrönter Kaiſer, un - ter einem prächtigen dreifarbigen Baldachin, welchen ſechs Herren vom Augsburger Rathe trugen, auf einem polniſchen weißen Hengſte. Man bemerkte, daß er allein in dieſer Umgebung fremd erſchien; vom Kopf bis auf den Fuß war er ſpaniſch gekleidet. Er hätte ſeinen Bruder auf der einen und den Legaten auf der andern Seite neben ſich zu haben gewünſcht; denn dieſem wollte er überhaupt die höchſte Ehre erweiſen: die geiſtlichen Churfürſten ſollten demſelben den Vor - rang laſſen. Allein ſie waren dahin nicht zu bringen geweſen. Es ſchien ihnen ſchon Ehre genug, daß, als der Legat er - ſchien, der Gelehrteſte aus ihrem Collegium, Churfürſt Joa - chim, der ſich im Lateiniſchen mit hinreichender Geläufig - keit ausdrückte, und wenigſtens bei weitem beſſer als die238Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Geiſtlichen, ihn begrüßte. Außerhalb des Baldachins ritten nun König Ferdinand und der Legat neben einander. Ihnen folgten die deutſchen Cardinäle und Biſchöfe, die fremden Geſandten und Prälaten. Man nahm darunter den ſtolzen Beichtvater des Kaiſers, den Biſchof von Osma wahr. 1Contarini: di spirito molto alto.

An den Zug der Fürſten und Herrn ſchloſſen ſich aufs neue die Reiſigen an, die des Kaiſers alle in Gelb, die des Königs alle in Roth gekleidet, mit denen hier die Reiter der geiſtlichen und weltlichen Fürſten wetteiferten; jede Schaar in ihrer beſondern Farbe, alle entweder mit Harniſchen und Spießen, oder als Schützen mit Schießzeug gerüſtet.

Die Augsburger Mannſchaften, die am Morgen aus - gezogen, den Kaiſer zu empfangen, zu Fuß und zu Pferd, Söldner und Bürger, machten bei dem Einzug den Beſchluß.

Denn das war überhaupt der Sinn der Cerimonie, daß das Reich ſeinen Kaiſer einholte. Bei St. Leonhard empfing ihn die Cleriſey mit dem Geſang: Advenisti de - siderabilis; die Fürſten begleiteten ihn noch in den Dom, wo ein Tedeum geſungen und der Segen über ihn ausge - ſprochen ward, und verließen ihn erſt, als er in ſeiner Woh - nung in der Pfalz angekommen war.

Aber gleich hier, nachdem man kaum noch einmal, und zwar auch in der Kirche, vereinigt geweſen, trat die große alles zerſetzende Frage, welche die Verſammlung beſchäfti - gen ſollte, in aller ihrer Schärfe hervor.

Die Proteſtanten hatten den geiſtlichen ſo wie den welt - lichen Cerimonien beigewohnt, und es mochte dem Kaiſer239Reichstag zu Augsburg. Erſte Irrung.rathſam ſcheinen, den erſten Moment ſeiner Anweſenheit, den Eindruck ſeiner Ankunft zu benutzen, um ſie zu einer weſentlichen Nachgiebigkeit zu vermögen.

Indem die übrigen Fürſten ſich entfernten, ließ der Kaiſer den Churfürſten von Sachſen, den Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzog Franz von Lüneburg und Landgraf Philipp in ein beſonderes Zimmer rufen, und ſie durch ſeinen Bruder auffordern, die Predigten nunmehr abzuſtellen. Die älteren Fürſten erſchraken und ſchwiegen. Der Landgraf ergriff das Wort und ſuchte die Weigerung darauf zu begründen, daß ja in den Predigten nichts an - deres vorkomme, als das reine Gotteswort, wie es auch S. Auguſtinus gefaßt habe. Argumente, die dem Kaiſer höchſt widerwärtig waren. Das Blut ſtieg ihm darüber ins Geſicht, und er wiederholte ſeine Forderung um ſo ſtär - ker. Allein er ſtieß hier auf einen Widerſtand ganz an - derer Art, als ihm jene italieniſchen Mächte leiſteten, die nur Intereſſen eines ſchon ſehr zweifelhaft gewordenen Be - ſitzes verfochten. Herr, ſagte jetzt der alte Markgraf Ge - org, ehe ich von Gottes Worte abſtünde, wollte ich lieber auf dieſer Stelle niederknien, und mir den Kopf abhauen laſ - ſen. Der Kaiſer, der nichts als Worte der Milde von ſich hören laſſen wollte, und von Natur wohlwollend war, erſchrak ſelbſt über die Möglichkeit, die ihm hier aus frem - dem Munde entgegentrat. Lieber Fürſt, erwiederte er dem Markgrafen in ſeinem gebrochenen Niederdeutſch, nicht Köpfe ab. 1Eine ſehr glaubwuͤrdige Nachricht hieruͤber in dem Schrei - ben des nuͤrnbergiſchen Geſandten, die der Landgraf in derſelben Nacht

240Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Auch an der Frohnleichnamsproceſſion, die des an - dern Tages gehalten ward, weigerten ſich die Proteſtanten Theil zu nehmen. Hätte der Kaiſer ihre Begleitung ver - langt als einen Hofdienſt, ſo würden ſie ihm dieſelbe wahr - ſcheinlich geleiſtet haben, ſie ſagten ſelbſt, wie Naman in der Schrift ſeinem König, allein er forderte ſie auf, dem allmächtigen Gott zu Ehren. Auf einen ſolchen Grund hin ſich einzuſtellen, würde ihnen als eine Verletzung des Gewiſſens erſchienen ſeyn. Sie erwiederten, nicht dazu habe Gott das Sacrament eingeſetzt, daß man es anbete. Die Proceſſion, der es überhaupt an dem alten Glanze fehlte, fand ohne ſie Statt.

In Hinſicht der Predigt gaben ſie zwar zuletzt nach, aber erſt dann, als der Kaiſer verſprochen, auch der ent - gegengeſetzten Partei Stillſchweigen zu gebieten. Er ſelbſt ernannte einige Prediger, die aber nur den Text ohne alle Auslegung verleſen ſollten. Und auch ſo weit würden ſie nicht zu bringen geweſen ſeyn, wenn man ihnen nicht bemerk - lich gemacht hätte, daß der Reichsſchluß von 1526, auf den ſie ſich immer bezogen, den ſie nicht hatten widerrufen laſſen wollen, dieß rechtfertige. Der Kaiſer ward wenig - ſtens, ſo lange er anweſend war, als die rechtmäßige Obrig - keit einer Reichsſtadt betrachtet. 1Schrift aus Augsburg. Altenb. V, 26. Walch 16, 873. (Bei W. unter Spalatins Namen aber nicht vollſtaͤndig.) Brenz an Iſenmann 19. Juni Corp. Ref. II, 117.

Wir ſehen wohl: keinen Schritt breit ließen ſich die Proteſtanten von ihrer Ueberzeugung, von ihrem guten Recht1noch hatte wecken und ihnen den Vorgang melden laſſen, 16. Juni bei Bretſchneider C. Ref. III, 106. Ein wenig abweichend, Heller bei Foͤrſtemann.241Augsburgiſche Confeſſion.verdrängen. Die Forderungen des anweſenden Kaiſers mach - ten bei ihnen nicht im mindeſten mehr Eindruck, als die Anmuthungen des noch entfernten gethan. Hatte der Kai - ſer auf Nachgiebigkeit gerechnet, ſo waren dieß keine Vor - zeichen, die ihm Hoffnung geben konnten.

Endlich am 20. Juni wurden die Verhandlungen er - öffnet. In der Propoſition, die an dieſem Tage verleſen ward, drang der Kaiſer, wie billig, vor allem auf eine dem Zwecke entſprechende Rüſtung wider die Türken; zugleich er - klärte er aber ſeine Abſicht, die religiöſen Irrungen in Milde und Güte beizulegen, und wiederholte die Aufforderung des Ausſchreibens, daß zu dem Ende ein jeder ſeine Mei - nung, Gutbedünken, Opinion ihm in Schriften überant - worten möge.

Da der Reichsrath den Beſchluß faßte, zuvörderſt die Religionsſache vorzunehmen, ſo mußte nun ſofort der große Kampf ſich eröffnen.

Augsburgiſche Confeſſion.

Die Proteſtanten eilten zunächſt eine Schrift vollends fertig zu machen, in der ſie ihre religiöſe Ueberzeugung den Reichsſtänden zuſammengefaßt darzulegen gedachten.

1J. Mt. hat aus angeporner Guͤte und Miltigkeit dieſen Weg (der Guͤte) nach vermoͤge des Ausſchreibens furgenommen, der ent - lichen Hofnung, der ſoll bei allen verſtendigen ein billiges anſehn ha - ben und menniglich dahin bewegen und leitten, daß alle Sachen wie - der zum Beſten gekehrt und gewendet werden, damit J. Mt. inn irem gnedigen Fuͤrhaben verharren und pleiben. Bei Foͤrſtemann I, 308 ſieht man, wie manche Abweichungen die Copien darbieten. Die Frankfurter hat deren noch viel mehr z. B. aus eingeborner Gun - ſtigkeit, der moͤglichen Hofnung u. ſ. w. Doch iſt der Sinn der nemliche.
1Ranke d. Geſch. III. 16242Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Es iſt dieß die Augsburgiſche Confeſſion und ihr Ur - ſprung folgender.

Unmittelbar nach Empfang des kaiſerlichen Ausſchrei - bens hatte man in Sachſen für gut gehalten, die Meinung, auf welcher man bisher geſtanden und auf welcher man verharre, in der regelmäßigen Form einer Schrift zuſam - menzuſtellen. 1So faßte zuerſt Kanzler Bruͤck den Gedanken, wie ſein Zeddel ausweiſt; bei Foͤrſtemann I, 39.

So hatte man ſich einſt zu jener Nationalverſammlung im J. 1524 von allen Seiten vorbereitet; etwas Aehnliches geſchah auch in dieſem Augenblick wieder auf der entgegen - geſetzten Seite, z. B. in Ingolſtadt. 219. Februar 1530. Auszug bei Winter I, 270.

In Wittenberg legte man nun in Hinſicht der Lehre jene ſchwabacher Artikel zu Grunde, in denen ſich die Tren - nung der lutheriſchen von den oberländiſchen Theologen aus - geſprochen. Es iſt ſehr merkwürdig, daß bei Abfaſſung der Confeſſion das Gefühl einer Abſonderung von den Na - heverwandten wenigſtens nicht minder lebhaft war, als das Bewußtſeyn des urſprünglichen Gegenſatzes, welcher die große Bewegung hervorgebracht hatte. Die Abſonderung erſchien um ſo ſtärker, da indeß Zwingli und die Seinen von einigen Zugeſtändniſſen, die ſie in Marburg gemacht, und die von der marburger Uebereinkunft in die ſchwaba - cher Artikel übergegangen, wieder zurückgetreten waren.

Dieſe ſchwabacher Artikel überarbeitete nun Melanch - thon mit dem Geiſte der Gründlichkeit und Ordnung, der ihm eigen war, und in der unläugbaren Abſicht möglichſter Näherung an den katholiſchen Lehrbegriff. Die Erläuterun - gen über die Lehre vom freien Willen und vom Glauben,243Augsburgiſche Confeſſion.die er neu hinzufügte, waren höchſt gemäßigt; er bezeich - nete ausführlicher, welche Irrthümer der Ketzer, die dann auch immer von der römiſchen Kirche verworfen waren, man bei den verſchiedenen Artikeln verdamme; er ſuchte dieſe Artikel nicht allein mit der Schrift, ſondern auch mit den Lehren der Kirchenväter, namentlich des Auguſti - nus zu bewähren; das Gedächtniß der Heiligen verwarf er nicht durchaus, er ſuchte es nur näher zu beſtimmen; die Würde der weltlichen Obrigkeit hob er auf das nachdrück - lichſte hervor, und ſchloß endlich mit der Behauptung, daß dieſe Lehre nicht allein in der Schrift klar gegründet ſey, ſondern auch der römiſchen Kirche, ſo weit ſich das aus den Vätern abnehmen laſſe, nicht widerſtreite; unmöglich könne man darüber mit ihnen uneins ſeyn, oder gar ſie Ketzer nennen.

Und meines Dafürhaltens kann man gar nicht läug - nen, daß die Lehre, wie ſie hier erſcheint, noch ein Pro - dukt des lebendigen Geiſtes der lateiniſchen Kirche iſt, das ſich ſogar noch innerhalb der Grenzen derſelben hält, von allen ſeinen Hervorbringungen vielleicht die merkwürdigſte, innerlich bedeutendſte. Es liegt in der Natur der Sache, daß ſie die Farbe ihres Urſprunges trägt, daß ihr nament - lich der Grundbegriff, von dem Luther in dem Artikel von der Rechtfertigung ausgegangen, etwas Individuelles ver - leiht; aber ohne dieß entſtehen menſchliche Dinge nun ein - mal nicht. Derſelbe Grundbegriff war in der lateiniſchen Kirche mehr als einmal überaus wirkſam hervorgetreten; Luther hatte ihn nur wieder mit aller Gewalt des religiö - ſen Bedürfniſſes ergriffen, und in dem Kampfe mit ent -16*244Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gegengeſetzten Meinungen ſo wie in der Ueberlieferung an das Volk bis zur Allgemeingültigkeit ausgebildet; kein Menſch könnte ſagen, daß ihm, wie er hier erſcheint, etwas Sectireri - ſches beiwohne. Dabei blieb es, daß man ſich den Ausbildun - gen des Dogma’s, welche in den letzten Jahrhunderten herr - ſchend geworden, widerſetzte; man war weit entfernt, auch nur den Ausſprüchen eines Kirchenvaters maaßgebende, be - weiſende Autorität zuzuſchreiben; aber man war ſich bewußt, daß man ſich von ihrer Auffaſſung nicht weſentlich entfernt habe. Es giebt eine geheime Tradition, die ſich nicht ſo - wohl in Formeln ausſpricht, als in der urſprünglichen Faſ - ſung des Begriffes, welcher nicht immer alle die Nothwen - digkeit hat, die ihm beizuwohnen ſcheint, und doch die in - nere Thätigkeit des denkenden ſchaffenden Geiſtes beherrſcht. Man fühlte ſehr wohl, daß man noch auf dem alten Grund und Boden ſtand, wie er durch Auguſtinus befeſtigt wor - den. Man hatte den Verſuch gemacht, den Particularis - mus zu durchbrechen, deſſen Feſſeln die lateiniſche Kirche in den letzten Jahrhunderten ſich hatte auflegen laſſen, ſein Joch von ſich zu werfen; man war ganz allein auf die Schrift zurückgegangen, an deren Buchſtaben man ſich hielt. Aber war nicht die Schrift lange Zeiträume hindurch auch in der lateiniſchen Kirche eifrig ſtudirt, als die Norm des Glaubens betrachtet worden? War nicht vieles, was dieſe Kirche annahm, wirklich in der Schrift gegründet? Daran hielt man ſich; das übrige ließ man fallen.

Ich wage nicht zu ſagen, daß die augsburgiſche Con - feſſion den reinen Inhalt der Schrift dogmatiſch feſtſtelle; ſie iſt nur eine Zurückführung des in der lateiniſchen Kirche245Augsburgiſche Confeſſion.entwickelten Syſtems bis zur Uebereinſtimmung mit der Schrift, oder eine Auffaſſung der Schrift in dem urſprüng - lichen Geiſt der lateiniſchen Kirche: der jedoch mehr un - bewußt wirkte, als daß man ſich an irgend eine ſchon da - geweſene Manifeſtation deſſelben gebunden hätte; unſer Be - kenntniß iſt ſelber ſeine reinſte, der Quelle am nächſten kom - mende, am ächteſten chriſtliche Manifeſtation.

Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß man damit nicht gemeint war, eine Norm auf immer anzuge - ben. Es iſt nur eine Feſtſtellung des Factums; Unſre Kirchen lehren; es wird gelehrt; es wird einmüthig ge - lehrt; man beſchuldigt die Unſren fälſchlich: das ſind die Ausdrücke, deren ſich Melanchthon bedient; er will nur die bereits entwickelte Ueberzeugung ausſprechen.

Und in demſelben Sinne hat er nun auch den zweiten Abſchnitt geſchrieben, in welchem er die Mißbräuche erör - tert, die man abgeſchafft hat.

Welch ein weites Feld bot ſich hier einer gehäſſigen Polemik dar! Was ließ ſich alles über die Eingriffe der päpſtlichen Gewalt ſagen, zumal an dem Reichstag, deſſen Antipathien dagegen man vielleicht hätte erwecken können, über die Ausartungen eines falſchen Gottesdienſtes, wie wir denn in der That unter den Entwürfen der Schrift ein langes Regiſter derſelben vorfinden doch hielt man für beſſer, dieß zu vermeiden. Melanchthon blieb dabei ſtehen, den kirchlichen Zuſtand zu rechtfertigen, in den man dieſſeit allmählig gekommen war. Er erörterte, weshalb man beiderlei Geſtalt und die Prieſterehe zulaſſe, Gelübde und Privatmeſſen verwerfe, weder Faſten noch Ohrenbeichte246Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gebiete; er ſuchte überall zu zeigen, wie neu und gefährlich die entgegenſtehenden Einrichtungen, wie ſie ſelbſt mit den alten canoniſchen Satzungen in Widerſpruch ſeyen. Mit gutem Vorbedacht ſchwieg er von dem göttlichen Recht des Papſtes, oder dem Charakter indelebilis, ſelbſt von der Zahl der Sacramente; er wollte nicht bekehren, ſondern nur ver - theidigen. Schon genug, daß er den Unterſchied des geiſt - lichen Berufes der Biſchöfe von deren weltlicher Gewalt hervorhob; indem er jene nach dem Inhalt des Evange - liums beſtimmte, hütete er ſich doch wohl dieſe anzutaſten. Er behauptete, daß die Evangeliſchen auch hierin von den ächten Grundſätzen der katholiſchen Kirche nicht abgewichen ſeyen, daß der Kaiſer die neue Einrichtung der Kirche ſehr wohl dulden könne. 1Es iſt bekannt, daß die beiden von den Fuͤrſten unterzeich - neten Originale der Augsburgiſchen Confeſſion ſich nirgend mehr vor - finden. Man glaubte lange das Eine, deutſche in Mainz entdeckt zu haben, doch hat Weber in der Kritiſchen Geſchichte der Augsburger Confeſſion mit ſcrupuloͤſem Fleiße gezeigt, daß das ſo gut eine Ab - ſchrift ohne authentiſchen Werth iſt, wie viele andere. Dieſe Ab - ſchriften bieten eine Menge Abweichungen dar, ſowohl unter einan - der, als von der erſten Ausgabe, die Melanchthon noch im Jahre 1530 beſorgte. Gluͤcklicherweiſe ſind die Abweichungen wohl zahlreich aber nicht wichtig. Die Schreiber jener Zeit erlaubten ſich kleine Ei - genmaͤchtigkeiten, namentlich in der Rechtſchreibung, die noch ſo we - nig fixirt war. Fuͤr Sinn und Inhalt traͤgt das beinah nie etwas aus. Eine ſehr fleißige Collation einiger Handſchriften findet ſich in Foͤrſtemanns zweitem Bande.

Es ließe ſich fragen, ob die Proteſtanten nicht viel - leicht beſſer gethan haben würden, wenn ſie ſtatt ſich ſo entſchieden in der Vertheidigung zu halten, wieder einmal muthig die Offenſive ergriffen, und alle die ſtarken refor - matoriſchen Sympathien aufgerufen hätten.

247Augsburgiſche Confeſſion.

Bekennen wir aber: ſeit dem Tage, daß ſie ſich entſchloſſen hatten, den Anhängern Zwingli’s ihr Bündniß zu verſagen, war dieß unmöglich. Von der Gunſt, welche die Zwingliſchen Lehren fanden, ſahen ſie ſich faſt überflü - gelt, in Schatten geſtellt; in Augsburg hing der größte Theil der Einwohner denſelben an; man ſprach von einem Bunde der Oberdeutſchen und der Schweizer zum Umſturz der ganzen Hierarchie des Reichs. War doch eins ihrer vornehmſten Oberhäupter, Landgraf Philipp ſelbſt, wenn man ihn reden hörte, mehr auf der Seite Zwingli’s! 1Schreiben des Urban Rhegius an Luther 21. Mai 1530. Landgraf Philipp fuͤhrt innumera Sacramentariorum argumenta an. Sentit cum Zwinglio ut ipsi mihi est fassus. Doch hat weder dieß noch auch ein Schreiben Melanchthons Luthern vermocht, ſich ſelbſt an den Landgrafen zu wenden. Er that dieß ſchon am 20. Mai. (D W. IV p. 23.)Es gehörte noch eine beſondere Anmahnung Luthers dazu, um ihn nur zu bewegen, die Confeſſion zu unterſchreiben.

Auch konnten ſie nicht daran denken, die Majorität der Reichsſtände, die allzu entſchieden Partei genommen, zu gewinnen, auf ihre Seite zu ziehen.

Sie wünſchten nichts als Friede und Duldung; ſie meinten gezeigt zu haben, daß man ihre Lehre mit Unrecht verdamme, ketzeriſch ſchelte. Luther gewann es über ſich, dieß ſeinem alten Gegner, dem Erzbiſchof von Mainz, der jetzt milder geſtimmt zu ſeyn ſchien, aus Herz zu legen. Im Namen der Fürſten wendete ſich Melanchthon an den Legaten Campeggi, und beſchwur ihn, bei der Mäßigung, zu verharren, die er noch an demſelben wahrzunehmen glaubte: jede neue Bewegung könne eine unermeßliche Ver - wirrung der Kirche hervorbringen. 2Philipps Fuͤrſtenberg an Frankfurt, 27 Juni berichtet, daß

248Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

In dieſem Sinne der Annäherung, dem Gefühle des Nochnichtvollkommengetrenntſeyns, dem Wunſche, eine wie im tiefern Grunde der Dinge waltende, ſo in einigen Ein - zelnheiten des Bekenntniſſes ſichtbare Verwandtſchaft geltend zu machen, war die Confeſſion gedacht und abgefaßt.

Am 25. Juni 1530 Nachmittags ward ſie in der Ver - ſammlung des Reiches verleſen. Die Fürſten baten den Kaiſer, dieß in dem größern Locale geſchehen zu laſſen, wo auch Fremde zugelaſſen wurden, ſo zu ſagen in einer öffentli - chen Sitzung; der Kaiſer beliebte das kleinere, die Capi - telſtube des biſchöflichen Hofes, wo er wohnte, und wo nur die Mitglieder der Reichsverſammlung Zutritt fanden. Aus einem ähnlichen Grunde hätte er es gern geſehen, daß die lateiniſche Abfaſſung verleſen worden wäre, aber da erinnerten ihn die Fürſten, auf deutſcher Erde möge Seine Majeſtät die deutſche Sprache erlauben. Hierauf verlas der jüngere ſächſiſche Kanzler, Dr. Chriſtian Baier, das deutſche Bekenntniß mit einer Vernehmlichkeit der Stimme, die der Klarheit und Feſtigkeit der darin ausge - drückten Ueberzeugung entſprach. 1Fuͤrſtenberg hell und klar, daß menniglich, ſo dabei was, der anders deutſch verſtunde, alle Wort eigentlich, was doch in ſol - cher Verſammlung ſelten geſchieht, verſtehen mocht. Auch den Ka - tholiken erſchien die Verleſung als eine große und zwar ſehr unver - diente Ehre. Noch zwei Jahr ſpaͤter ſchmaͤhlt Eck daruͤber. Luthe - ranismus in arcem dignitatum evectus ita invaluit, ut assertoresDie geiſtlichen Fürſten waren nicht ſehr zahlreich zugegen: ſie hatten gefürchtet,2daruͤber foͤrmlich unterhandelt worden. Der Churfuͤrſt und ſeine Mit - verwandten baten: J. Mt. wolt morgen wieder an dem Ort, (im Pallaſt) erſcheinen und den Umbſtand (die Umſtehenden) ire Verant - wortung vernehmen zu laſſen geſtatten, denn ſie weren von iren Wid - derwertigen nit alleyn bei J. M., ſondern auch bei menniglich verun - glimpft; aber endlich iſt es bei dem Beſcheyd blieben.249Augsburgiſche Confeſſion.manchen unbequemen Vorwurf anhören zu müſſen. Die Einverſtandenen fühlten ſich glücklich, daß es ſo weit ge - kommen, und hatten ihre Freude ſo am Inhalt wie am Vortrag des Bekenntniſſes. Andere benutzten wohl die Ge - legenheit, ſich die Hauptpunkte aufzuzeichnen. Nachdem man zu Ende gekommen, wurden die beiden Exemplare dem Kaiſer überreicht: das deutſche gab er dem Reichserzkanz - ler, das lateiniſche behielt er zu eignen Händen. Beide waren von dem Churfürſten und dem Churprinzen von Sachſen, dem Markgrafen Georg von Brandenburg, den Herzogen Franz und Ernſt von Lüneburg, dem Landgrafen Philipp, dem Fürſten Wolfgang von Anhalt und den Ab - geordneten der Städte Nürnberg und Reutlingen unterzeichnet.

Confutation, Bedrohungen.

Die evangeliſchen Fürſten erwarteten, daß auch die Partei ihrer Gegner mit einer ähnlichen Erklärung hervor - treten und der Kaiſer ſich alsdann bemühen würde, den Zwieſpalt zwiſchen beiden Theilen zu vermitteln. So lau - tete die Propoſition und noch deutlicher als dieſe das Aus - ſchreiben, in deſſen Folge ſie ſich eingefunden hatten.

Höchſtwahrſcheinlich war das auch die Meinung des Kaiſers. Er hätte ſogar gewünſcht, daß der katholiſche Theil mit einer Anklage wider den evangeliſchen hervorgetreten wäre, er würde dann die Rolle eines Schiedsrichters zwi - ſchen beiden übernommen haben. In der Verſammlung der Stände hat Ferdinand einmal einen darauf zielenden Antrag gemacht.

1erroris non vererentur in publicis comitiis Augustae offerre Cae - sari novi dogmatis confessionem. Praefatio in homilias V con - tra Turcam. A. III.

250Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

So vollkommen aber waren die beiden Brüder mit nichten Meiſter der Verſammlung, um dieß durchſetzen zu können.

Die Majorität, die ſich in Speier gebildet, und ſich hier noch enger zuſammenſchloß, ſah ſich als rechtmäßige In - haberin der Reichsgewalt an. Gegen die beiden Brüder, deren katholiſcher Eifer ihr höchlich erwünſcht war, fand ſie doch ſonſt gar manches Andre zu erinnern. Namentlich hatte Ferdinand päpſtliche Bewilligungen geiſtlicher Einkünfte ausgebracht, wie ſie wohl in Spanien durchgingen, aber in Deutſchland unerhört waren, und die nun in der ge - ſammten Geiſtlichkeit Mißvergnügen und Widerſtand her - vorriefen. Die Majorität lehnte ab, ſich als Partei zu conſtituiren, und den Kaiſer als Richter zwiſchen ihr und den Proteſtanten anzuerkennen. Sie meinte, ſie habe nichts Neues vorzutragen; ſie habe ſich nur an das kaiſerliche Edict gehalten: brauche der Kaiſer eine Anklage, ſo möge er ſie von der Uebertretung ſeines Edictes hernehmen. Viel - mehr, wie es immer das Herkommen geweſen, daß der Kaiſer den Meinungen der Reichsverſammlung beitrat, ſo war ſie der Anſicht, daß der Kaiſer auch jetzt ihr Intereſſe zu dem ſeinigen zu machen habe. Das wollte es ſagen, wenn ſie ihn erſuchte, in dieſer Sache mit der Churfürſten Fürſten und Stände Rath aus kaiſerlicher Machtvollkom - menheit zu procediren. Es kümmerte ſie wenig, daß dieß den Worten des Ausſchreibens widerſprach. Waren dieſe doch nicht von ihr ausgegangen. Der Kaiſer konnte in der That nicht anders als jene Idee einer gleichſam rich - terlichen Vermittelung fahren[laſſen].

251Berathungen der Majoritaͤt.

Man glaubt wohl in der Regel an dem Reichstage ſelbſtändige Verhandlungen des Kaiſers mit den Proteſtan - ten wahrzunehmen. In der That aber handelt von dieſem Augenblick an nur noch die Majorität der Stände. Ueber die geringſten Dinge, z. B. die Mittheilung eines Acten - ſtückes, muß der Kaiſer mit der Majorität Rückſprache nehmen; er verfügt zuletzt nur, wie dieſe für gut gehalten.

Schade, daß wir von den Sitzungen der katholiſchen Majorität keine Protocolle haben: weiß man doch nicht einmal, ob deren überhaupt aufgenommen worden ſind. Auch ausführliche Berichte findet man nicht und hat ſie ſchwerlich zu erwarten, da die bedeutendſten Fürſten per - ſönlich zugegen waren, die Geſandten der Städte aber an den Sitzungen nicht Theil nahmen.

Nur ſo viel wiſſen wir, daß ſich zwei verſchiedene Meinungen einander entgegenſetzten. Der Sinn der Einen wäre geweſen, daß der Kaiſer auf der Stelle zu den Waf - fen gegriffen und ſein altes Edict auf dem Wege der Ge - walt zur Ausführung gebracht hätte. Der Erzbiſchof von Salzburg ſagte: Entweder müſſen wir ſie heben oder ſie heben uns: welches von beiden kommt uns zu? Ein nicht minder heftiges Mitglied der Verſammlung hörte man über dieſe Confeſſion ſpotten, die mit ſchwarzer Tinte geſchrie - ben ſey: wären wir Kaiſer, wir wollten die rothen Rubri - ken dazu machen. Herr, fiel ihm ein Anderer ins Wort, daß Euch nur nicht da das Roth ſelber unter die Augen ſprützt. Denn keineswegs Alle waren von ſo entſchiedner Feindſelig - keit. Namentlich der Erzbiſchof von Mainz ſtellte die Gefahr vor, in die ein Anfall de[r]Türken ſtürzen werde, wenn252Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.zugleich dieſe offene Entzweiung ausbreche. Es ward endlich beſchloſſen, dem Kaiſer zu rathen, die Confeſſion vor allen Dingen widerlegen zu laſſen: indeſſen wolle man einen Ver - ſuch machen, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und welt - lichen Ständen unter einander zu ſchlichten. Der Kaiſer nahm dieſen Rath an. Er gab ſich der Hoffnung hin, daß beides vereinigt, zuſammentreffend, die Beilegung der Irrungen und die Widerlegung auf die Proteſtanten ei - nen Eindruck machen werde, der ſie nachzugeben beſtimme. 1Dieſe Verhandlungen lernen wir beſonders aus den Auszuͤ - gen bei Bucholz III kennen. Ein merkwuͤrdiges Actenſtuͤck daraus findet ſich in ſeiner Integritaͤt bei Foͤrſtemann Bd. II p. 9. Es iſt ohne Datum, doch muß es vom 9ten oder 10ten Juli ſeyn; da der Kaiſer einer Anfrage an die Proteſtanten gedenkt, ob ſie nemlich noch mehr Artikel einzubringen geſonnen, die er am 9ten erlaſſen hat, auf die er doch noch keine Antwort habe. Die Antwort erfolgte un - ter dem 10ten, mag aber vielleicht erſt den Tag darauf eingelaufen ſeyn. Vgl. die Nachrichten bei Schmidt VIII, 244. Melanchthon an Luther 8. Juli C. R. II, 175.

Wie war hiemit die Lage der Proteſtanten plötzlich ſo ungünſtig verändert!

Bisher hatten ſie von der höhern Stellung des Kai - ſers Anerkennung und Vermittlung erwartet: aber gar bald bemerkten ſie, daß er nicht treibe, ſondern getrieben werde; die alten erbitterten Gegner, mit denen ſie ſchon ſo lange geſtritten, als Mehrheit conſtituirt, leiteten jetzt auch alle Schritte der kaiſerlichen Autorität.

Und auf das eifrigſte ging man nun an die Wider - legung. An Arbeitern konnte es nicht fehlen. Von allen Seiten waren auch die Gegner der reformirenden Theolo - gen mit ihren Fürſten eingetroffen: Faber von Wien, er war jetzt Probſt zu Ofen geworden Eck von Ingol - ſtadt, Cochläus von Dresden, Wimpina von Frankfurt253Katholiſche Theologen.a. d. O.; mit den Biſchöfen waren ihre Vicarien oder ge - lehrten Weihbiſchöfe angelangt: man ſah einige nahmhafte Mönche, Barfüßer, Carmeliter, beſonders Dominikaner, den Provincial Paul Haug, den Vicarius Johann Burk - hard, den Prior Conrad Colli, der einſt wider Luthers Ehe geſchrieben. 1Unter andern brachte Eck eine ſchon in Ingolſtadt gedruckte Schrift mit, unter folgendem Titel: Sub domini Jhesu et Mariae pa - trocinio. Articulos 404 partim ad disputationes Lipsicam, Ba - den. et Bernen. attinentes partim vero ex scriptis pacem ecclesiae perturbantium extractos coram divo Caesare Carolo V Ro. Imp. semper Augu. ac proceribus imperii Joan. Eckius minimus eccle - siae minister offert se disputaturum ut in scheda latius explicatur; Augustae Vindelicorum die et hora consensu Caesaris posterius publicandis. Er fuͤhrt dann erſt zuerſt die vom Papſt verurtheilten 41 Artikel auf: assero, qui bullae contradixerint, schismaticos esse ac fidei hostes, quos catholicus habet pro ethnicis et publicanis. Dann bringt er die Artikel vor, die er in Leipzig und Baden ver - theidigt, ſo wie die, welche er den Berner Schluͤſſen entgegenge - ſetzt; endlich errores novi et veteres jam ventilati unter gewiſſen Ru - briken. Er bringt ihrer 404 zuſammen: ex infinitis eorum erro - ribus hos paucos subitarie excerpsi. In der Eile hat er da auch erasmiſche Saͤtze mit aufgerafft. Man ſetzte ihm Propositiones de vino venere et balneo entgegen, die wir auch in den Geſellſchaften der Katholiken circuliren ſehen, und die ihn dem oͤffentlichen Gelaͤch - ter Preis gaben.Es begreift ſich, wenn ein Mann wie Eras - mus, den man auch eingeladen, keine Neigung fühlte, ſich dieſen Namen beizugeſellen. Es waren eben die Repräſen - tanten des ariſtoteliſch-dominikaniſchen Syſtems, das die Schulen von Europa ſo lange beherrſcht, das er ſelber be - kämpft hatte, die hier das Wort führen ſollten. Mit der literariſchen Fehde, in der ſie ſich bisher bewegt, hatten ſie wenig ausgerichtet. Ihre ganze Stärke lag in ihrer Ver - bindung mit der Gewalt. Jetzt waren ſie nicht eigentlich mehr Privatleute; im Namen des Reiches ſollten ſie ſpre - chen und ſchreiben.

254Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Allerdings ließ man ihnen nicht völlig freie Hand. Sie waren viel zu heftig, zu weitläuftig. Ein jeder brachte ſeine alten Feindſeligkeiten, Widerlegungen lutheriſcher Mei - nungen, von denen hier gar nicht die Rede war, herbei. 1Cochlaͤus hat in ſeinem Buche: Philippicae quatuor in apo - logiam Melanchthonis Lipsiae 1534 einige Artikel dieſer Confutation drucken laſſen. Beim dritten Artikel Bog. D wird darin gefordert: damnent diras blasphemias Lutheri errorem suum Pugen - hagium Melanchthonem suum Antonium Zimerman, hominem insigniter Lutheranum studiosum Lutheri discipulum Burgue - rum. Von Allen werden die zu verdammenden Stellen angefuͤhrt. Daher kam eben, wie Cochlaͤus ſagt, quorundam consilium qui ju - dicabant ejusmodi responsionem fore nimis acrem et prolixam. Den erſten Entwurf gab ihnen die Reichsverſammlung ge - radehin zurück, und wies ſie an, ſich nur an die Artikel der Confeſſion zu halten. Auch einen zweiten kürzern, der darnach einlief, unterwarf die Verſammlung, Artikel für Artikel, ausführlicher Berathſchlagung. Es dauerte bis den dritten Auguſt, ehe man mit der Confutation zu Stande kam, und ſie nun auch in jenem Saal des biſchöflichen Hofes verleſen laſſen konnte.

Sie beſteht, wie die Confeſſion aus zwei Theilen, von denen ſich der eine auf den Glauben, der andere auf die Gebräuche bezieht.

In dem erſten näherte ſich die Streitfrage bereits den Standpunkten, auf welchen ſie ſeitdem feſtgehalten worden iſt. Man behauptete nicht mehr, daß das Sacrament, das bloße Vollziehen der Handlung, das Opus operatum Gnade verdiene. Man lehrte nicht mehr, daß ein gutes Werk ohne Gnade gethan, von derſelben Gattung ſey, wie eins mit Gnade gethan, daß zwiſchen beiden nur ein gra - dueller Unterſchied ſey. Das waren die Lehren, gegen die255Confutation.ſich Luther erhoben. Man ging vielmehr auf die tiefern Begriffe der Rechtfertigung durch Chriſtum, wie ſie ſeitdem in aller Welt gäng und gebe geworden, näher ein. Wenn man zugleich die Nothwendigkeit der guten Werke feſtzuhalten ſuchte, ſo geſchah das doch in einem andern Sinne als früher. 1Vgl. außer der Confutation De principum protestantium confessione Joannis Eccii censura archiepiscopo Moguntino et Georgio D. S. Augustae exhibita bei Coeleſtin III, 36. Da dieſe Schrift, an ein paar katholiſche Fuͤrſten gerichtet, ſchon das Weſent - liche der ſpaͤtern Zugeſtaͤndniſſe enthaͤlt, ſo hebt ſich damit die Ver - muthung der Heuchelei, die man wohl vorgebracht hat.

Dieß iſt aber auch die einzige Modification, zu der man ſich verſtand.

Denn in allen übrigen Punkten blieb man dem einmal feſtgeſtellten Syſteme treu. Man forderte die Anerkennung der Transſubſtantiation, der ſieben Sacramente, die An - rufung der Heiligen; man blieb bei der Verſagung des Kelchs und der Nothwendigkeit des Cölibats ſtehn, und machte ſogar einen Verſuch, der freilich nicht anders als mißlingen konnte, ſie aus Ausſprüchen der Schrift, oder dem Gebrauch der älteſten Jahrhunderte, wobei man ſich denn wieder auf die falſchen Decretalen ſtützte, herzu - leiten; das Meßopfer ließ man ſich nicht entreißen; vor al - lem hielt man an dem Begriffe der lateiniſchen Kirche als der allgemeinen feſt. Den lateiniſchen Ritus in der Meſſe vertheidigte man damit, daß der fungirende Prieſter bei wei - tem mehr der ganzen Kirche angehöre, als der Gemeinde die ihn umgebe.

Genug, wenn man auf der proteſtantiſchen Seite, durch den Mißverſtand der Lehre, und die eingeriſſenen Mißbräuche veranlaßt worden war, unmittelbar auf die Schrift zurück -256Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.zugehen, die man zwar in einem Sinne faßte, der den Grundanſchauungen der alten lateiniſchen Kirche entſprach, aber bei dem die Ideen und Bildungen der letzten hier - archiſchen Jahrhunderte nicht beſtehen konnten, ſo bequem - ten ſich jetzt auch die Gegner, einige der ſchroffſten Aus - wüchſe der Lehre fallen zu laſſen, auf die Abſchaffung der Mißbräuche zu denken, welche ohnehin zu ſo vielen Irrun - gen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Fürſten geführt hat - ten, aber übrigens blieben ſie dabei, daß das ganze hierar - chiſche Syſtem von unmittelbar göttlichem Urſprung ſey. Wir ſehen ſie nach einer Methode ſuchen, denn in der That hatten ſie eine ſolche noch nicht gefunden, um die Ueberein - ſtimmung ihres Syſtemes mit der Schrift nachzuweiſen.

Und dieß hätte nun ſo viel nicht zu ſagen gehabt, wenn es dabei blos auf Vertheidigung abgeſehen geweſen wäre. Allein mit Nichten. Die Majorität erklärte nicht allein, ſie finde dieſe Meinung recht und katholiſch, mit dem Evangelium übereinſtimmend, ſondern ſie forderte nun auch, daß die proteſtantiſche Minorität die widerlegten Ar - tikel ihrer Confeſſion fahren laſſen, und mit der allgemei - nen rechtgläubigen Kirche einförmig glauben ſolle. Auf den Nachweis der Uebereinſtimmung mit dem Weſentlichen, Al - ten, Urſprünglichen ward keine Rückſicht genommen, ſo lange noch die geringſte Differenz, wenn auch nur in dem Zufälligen, Unweſentlichen zu bemerken war. Alles was im Laufe der Zeit, entweder in dem unabweislichen Drange der Ereigniſſe oder auf den Grund legaler Beſtimmungen einer andern Reichsverſammlung abgeändert worden, ſollte wieder hergeſtellt werden. Der Kaiſer, dem die Idee als257Bedrohungen.als Richter zwiſchen den beiden Parteien aufzutreten, ver - leidet worden, erklärte ſich ganz im Sinne der Majorität. Am Schluß der Confutation, die in ſeinem Namen publi - cirt ward, ermahnte er die Evangeliſchen, ſich nun der - miſchen und katholiſchen Kirche wieder gehorſam zu be - zeigen. Wo nicht, ſo werde er gegen ſie verfahren müſſen, wie einem römiſchen Kaiſer, Schutzherrn und Vogt der Kirche zukomme.

Die Zeit der Milde war vorüber, die Zeit der Strenge ſchien gekommen.

Schon hatte der Papſt geſprochen.

Es war ein Brief Campeggi’s in Rom eingegangen, in welchem die vornehmſten Forderungen der Proteſtanten nahmhaft gemacht worden waren. Gleich im Anfang der Verſammlung nemlich hatte der Kaiſer ſich eine kurze An - gabe derſelben von Melanchthons Hand verſchafft und dieſe dem Legaten mitgetheilt. Am 6. Juli kam die Sache im Conſiſtorium des Papſtes und der Cardinäle zum Vor - trag. So viel wir wiſſen, forderten die Proteſtanten bei - derlei Geſtalt, Prieſterehe, Weglaſſung des Canons in der Meſſe, Ueberlaſſung der eingezogenen geiſtlichen Güter und Erörterung der übrigen Streitpunkte auf einem Concilium. In Rom aber hielt man nicht für gut, darauf einzugehn. Man fand dieſe Artikel im Widerſtreit mit dem Glauben und der Disciplin, ſo wie mit dem Intereſſe der Kirche. Man beſchloß ſie zurückzuweiſen und dem Kaiſer einfach für den bewieſenen Eifer zu danken. 1Pallavicini aus einem gleichzeitigen Diario III, IV, 280. Articoli opposti alla ragion della chiesa. Eine Art kirchlicher Staatsraiſon.

Ranke d. Geſch. III. 17258Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die Reichsverſammlung ſelbſt hatte den Kaiſer auf - gefordert, als Vogt der Kirche aufzutreten.

Von beiden Seiten angeregt, durch ſeine Verträge ge - bunden, und nur von Leuten umgeben, die entweder keinen Begriff von dem Thun und Laſſen der Proteſtanten hat - ten, oder vorlängſt ihre Feinde waren, nahm er die ernſt - lichſte Haltung an. Den allgemeinen Erklärungen fügte er ungnädiges Bezeigen gegen die Einzelnen hinzu; nament - lich dem Churfürſten Johann gab er durch eine beſondere Abordnung ſein Mißfallen zu erkennen, daß er ſich von dem Kaiſer, der doch Schützer des Glaubens ſey, getrennt, Neuerungen vorgenommen, Bündniſſe geſucht habe. Auch S. Majeſtät habe eine Seele und ein Gewiſſen, und wolle nichts gegen Gottes Wort thun. Werde daher der Chur - fürſt nicht zu dem Glauben zurückkehren, den man ſeit zwei, drei Jahrhunderten gehalten,1Im Abdruck bei Muͤller p. 672 heißt es ſeit 20, 30 Jahren, was ohne Zweifel ein Schreibfehler iſt. ſo ſey es auch Sr. Maje - ſtät nicht gelegen, ihn zu belehnen, oder ihm irgend eine von den andern Gnaden zu gewähren, die er begehre.

Widerſtand.

Es konnte wohl zweifelhaft ſcheinen, ob deutſche Für - ſten und Herren, in dem ritterlichen Leben der Höfe er - wachſen, und in ſpätern Jahren durch fremde Unterwei - ſung zur Lehre gelangt, des guten Verſtändniſſes mit ihren Nachbarn und in ihren wichtigſten Angelegenheiten der Gnade des Kaiſers bedürftig, ob dieſe wirklich ſtandhaft genug ſeyn würden, dem ausgeſprochenen Unwillen des letztern, und einer immer engeren Vereinigung der ſtändiſchen Ma -259Widerſtand.jorität gegenüber, ohne durch einen haltbaren Bund auch nur unter einander geſichert zu ſeyn, ihre Ueberzeugung mit der nöthigen Feſtigkeit zu behaupten.

Zunächſt kam es hiebei auf den vornehmſten von ihnen an, auf welchen die Andern blickten, und den auch der Kaiſer am härteſten anging, den Churfürſten Johann von Sachſen.

Churfürſt Johann von Sachſen, der letzte von den vier trefflichen Söhnen des Churfürſten Ernſt, die einſt zu Grimma mit großer Sorgfalt zu geiſtlichen oder weltlichen Reichswürden erzogen worden, der Stammvater des noch heute in mannichfaltigen Zweigen blühenden erneſtiniſchen Hauſes, beſaß nicht die politiſche Genialität ſeines Bruders Friedrich, deſſen feinen durchdringenden Geiſt; dagegen zeigte er ſich von Jugend auf gutmüthig und treuherzig, ohne alles Falſch wie Luther ſagt, ohne Galle, aber dabei erfüllt von dem ſittlichen Ernſt, der einer ſo einfachen Seele erſt ihren Werth verleiht. Man weiß nicht an - ders, als daß er bis zu ſeiner Vermählung in ſeinem 32ſten Lebensjahre vollkommen keuſch gelebt hat. 1Spalatin von Herzog Hanſen zu Sachſen Churfuͤrſten in Struve’s neu eroͤffnetem Archiv III, 16, leider weit unergiebiger, als deſſelben Verfaſſers Nachricht uͤber Friedrich d. W.Die rauſchenden ritterlichen Feſtlichkeiten, an denen er zuwei - len am Hofe Maximilians Theil nahm, obwohl auch er ſich dabei hervorthat, befriedigten ihn doch nicht; er meinte ſpäter, von dieſen Tagen ſey doch auch keiner ohne irgend ein Herzeleid vergangen. 2Eine Aeußerung von ihm in Beckmanns Anhaltiſcher Ge - ſchichte II, V, p. 140.Man ſieht, für Vergnügun -17*260Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gen und Weltluſt war er nicht geboren; das Unangenehme, das dabei nicht zu vermeiden iſt, ging ihm allzutief, und quälte ihn mehr, als ihn der leichte Genuß erfreute. Mit ſeinem Bruder, deſſen Mitregent er war, hat er ſich nie entzweit; nie hat Einer einen Diener angenommen, ohne daß der Andere damit einverſtanden geweſen wäre. Vom erſten Aufgang Luthers an, widmete er der Lehre deſſelben die freudigſte Theilnahme; ſein von Natur ernſtes und in der Tiefe religiöſes Gemüth ward von derſelben allmählig ganz durchdrungen. Es war ihm Vergnügen und Genug - thuung, ſich die h. Schrift, die ihm nun erſt bekannt ward, in den Abendſtunden vorleſen zu laſſen. Er ſchlief darüber zuweilen ein, denn ſchon war er bejahrt; wenn er auf - wachte, wiederholte er den letzten Spruch, der ihm im Ge - dächtniß geblieben. Die Predigten Luthers ſchrieb er zu - weilen nach: man hat ein von ſeiner Hand geſchriebenes Exemplar des kleinen Catechismus Lutheri. 1Cyprian Geſchichte der Augsburgiſchen Confeſſion p. 184.Früher und ſpäter hat es Fürſten gegeben, die durch eine Hingebung dieſer Art in ihrer Thatkraft gelähmt worden; bei ihm war das nicht der Fall. Bei aller Einfachheit entwickelte ſeine Seele doch auch Schwung und Willen. Als in dem Bauern - kriege die Sache der Fürſten ſo ſchwankend ſtand, verbarg er ſich nicht, daß es zu einem völligen Umſchlag kommen könne; er war ſogar darauf gefaßt und man hörte ihn ſa - gen, auch er könne ſich am Ende mit ein paar Pferden be - gnügen und ein Mann ſeyn wie ein anderer Mann, aber das hielt ihn nicht ab, ſein gutes Recht doch ſo tapfer zu vertheidigen wie irgend ein Andrer; nur in dem Siege261Churfuͤrſt Johann von Sachſen.zeigte er ſich milder. Und wann wäre in den folgenden Jahren ein Moment eingetreten, wo eine blos beſchauliche Frömmig - keit auch nur möglich geweſen wäre. Wir kennen keinen Für - ſten, der ſich um die Feſtſtellung der proteſtantiſchen Kirche ein größeres Verdienſt erworben hätte. Sein Bruder und Vorgänger hatte die Lehre nur nicht unterdrücken laſſen, ſie in ſeinem Lande und ſo viel er vermochte im Reiche in Schutz genommen. Doch gab es auf jeder Seite noch Klip - pen, an denen alles ſcheitern konnte, als Johann zur Re - gierung kam. Nur durch eine Politik, die von einer in je - dem Augenblicke bewußten höhern Ueberzeugung getragen war, konnten ſie vermieden werden. Nach dem Bauernkriege erhoben ſich die Ideen der Reaction auf das gewaltigſte; ſo ſehr ſie ihm von ſeinem weltklugen und in den Geſchäf - ten geübten Vetter empfohlen wurden, ſo ließ Johann ſich nicht von ihnen übermeiſtern. Auf dem nächſten Reichstage nahm er vielmehr eine Haltung an, durch welche er jenen Ab - ſchied, auf dem alle weitere geſetzliche Entwickelung beruht hat, herbeiführen half. Bald darauf ſchien es wohl, als werde der Ungeſtüm ſeines heſſiſchen Verbündeten auch ihn ergreifen, und ihn nach der andern Seite hin auf eine nicht mehr abzuſehende Bahn politiſcher Verwickelungen fort - reißen, aber noch zur rechten Zeit nahm er beſſern Bedacht, und kehrte in die defenſive Stellung zurück, die ihm na - türlich war und die er behaupten konnte. Sein Bemü - hen ging allein dahin, der Lehre in ſeinem Lande Ausdruck und ein entſprechendes öffentliches Daſeyn zu geben. Er führte die erſte evangeliſche Kirchenform in Deutſchland ein, die allen andern mehr oder minder zum Muſter gedient hat. 262Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Er verſäumte nicht, die Uebergriffe ſeines Adels zu verhin - dern: ſo mild und gutmüthig er war, ſo ließ er ſich doch keine ungerechte Begünſtigung abgewinnen; er tadelte an ſei - nem Sohn, daß derſelbe ſeiner Umgebung wohl mehr als billig Gehör gebe. In alle dem hatte nun Luther den größ - ten Einfluß auf ihn: Luther wußte die inneren Motive, welche dieſe Seele beherrſchten, zur rechten Zeit in Anre - gung zu bringen, und in friſchem Bewußtſeyn zu erhalten. So geſchah denn auch unter Johanns Vortritt die Pro - teſtation, die der ganzen Partei Namen und Weltſtellung gegeben hat. Denn wo Recht und Religion auf ſeiner Seite war, da hatte er kein Bedenken. Da führte auch er wohl das Sprichwort: gradaus giebt einen guten Ren - ner. Eine zur Zurückgezogenheit geneigte, friedfertige, anſpruchloſe Natur, in der aber durch ein großes Vorha - ben eine Entſchloſſenheit und Thatkraft geweckt waren, die ſich demſelben vollkommen gewachſen zeigten.

Hier zu Augsburg hatte nun Churfürſt Johann die Prüfung zu beſtehen, ob dieſe Geſinnung wahres gediegenes Gold ſey, oder auch mit Schlacken vermiſcht.

Er fühlte eine natürliche reichsfürſtliche Verehrung für den Kaiſer, nnd anfangs zweifelte er nicht, dieſe mit ſeiner religiöſen Ueberzeugung ohne Schwierigkeit vereinigen zu können. Sehr bald aber ſah man ein, daß das unmöglich ſeyn werde, und um die Gefahr wenigſtens zunächſt von dem Haupte des Fürſten abzuwenden, kamen einige ſeiner Gelehrten auf den alten Gedanken zurück, daß er ſich ihrer nicht annehmen, ſie für ſich ſelbſt ſtehen laſſen263Churfuͤrſt Johann von Sachſen.ſolle. Sie waren bereit, die Confeſſion blos in ihrem eig - nen Namen einzugeben. Der Churfürſt erwiederte ihnen: ich will meinen Chriſtus auch mit bekennen.

Seitdem zeigte ſich aber der Kaiſer von Tag zu Tag abgeneigter. Wir haben, ſagt der Churfürſt in einem ſeiner Briefe,1An Nicol. v. Ende, Amtmann in Georgenthal. 28. Juli. S. Kaiſerl. Majeſtät gebeten, uns mit der Churwürde zu belehnen: das iſt uns abgeſchlagen wor - den. Wir liegen mit großen Koſten hier, haben eben 12000 Gulden aufnehmen müſſen: Kaiſerl. Majeſtät hat uns noch mit keinem Worte zugeſprochen. Wir können nicht anders denken, als daß wir bei Kaiſerlicher Majeſtät ſchwer ver - unglimpft ſind, und daß uns dieß durch unſere eignen Ver - wandten geſchehen iſt.

Wir ſehen, in welche Stimmung man ihn bereits ge - ſetzt hatte, und darauf folgte nun die Confutation und die derſelben beigefügte drohende Erklärung.

Daß er dem Kaiſer, der ſo eben den König von Frank - reich beſiegt, Italien zur Ruhe gebracht hatte, der jetzt mit der Majorität des Reichs auf das engſte verbündet war und in ihrem Namen handelte, Widerſtand leiſten könne, er mit dem ſchmalen Strich Landes an der Elbe und ſei - nem kleinen Thüringen, ohne zuverläſſige Verbündete, daran ließ ſich gar nicht denken. Und lähmte ihn nicht über - dieß der Zweifel, ob er auch nur das Recht habe, ſich zu widerſetzen? Er neigte ſich zu der Meinung, daß es ihm nicht zukomme.

Man trug Sorge, ihn ganz deutlich wiſſen zu laſſen,264Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.was ihm bevorſtehe. Ein mit dem Hofe ſehr vertrauter Fürſt erklärte ihm eines Tages, werde er ſich nicht - gen, ſo werde ihn der Kaiſer mit gewaffneter Hand an - greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an ſeiner Per - ſon das äußerſte Recht vollſtrecken. 1Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 715. Wie verbreitet Beſorgniſſe dieſer Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach - richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die Abſichten des Kaiſers geſchildert wurden: der Kaiſer wolle Herzog Joͤrgen von Sachſen an Herzog Hanſen (bringen), dem er ſeinen Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrſt ſey, zu nehmen und Herzog Joͤrgen zu geben, unterſtehen wird. Archiv fuͤr ſchweiz. Geſchichte I, p. 278.

Der Churfürſt zweifelte nicht, daß es dahin kommen könne. In großer Bewegung kam er nach Hauſe; er zeigte ſich entſetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver - läugnen müſſe, oder ſich mit den Seinen in ein unvermeid - liches Verderben ſtürzen werde.

Luther verſichert, hätte er gewankt, ſo würde keiner ſeiner Räthe feſtgehalten haben.

Allein eben das entſchied ihn, daß er ſich die Frage, die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen ſchneidenden Schärfe vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, ſagte er: wer kann zweifeln, was das Beſte ſey? Gott hat mich zu einem Churfürſten des Reichs gemacht, was ich niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir, was ihm gefällt.

Was in ſeiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein Traum, den er in dieſer Zeit hatte. Es ergriff ihn jene Beklemmung, in welcher der Menſch unter einer ſeine Bruſt niederdrückenden Laſt zu vergehen meint. Er glaubte, er265Luther in Coburg.liege unter einem hohen Berg, auf deſſen Spitze ſein Vet - ter Georg ſtehe; gegen Morgen ſank der Berg zuſammen, und der feindliche Blutverwandte fiel neben ihm nieder.

Genug, der alte Fürſt wich und wankte nicht. Große Ereigniſſe geſchehen überhaupt nicht ohne eine große mo - raliſche Anſtrengung. Neue Bildungen bedürfen dieſes ge - heimnißvollen innern Kerns. Churfürſt Johann erklärte nach wie vor, der Kaiſer ſolle in ihm in allen Stücken einen getreuen friedlichen Fürſten finden, aber dazu werde er ihn nie vermögen, die ewige Wahrheit nicht als die Wahrheit, das unvergängliche Gotteswort nicht als Got - teswort zu betrachten.

Der Mann, der ihn hiebei am meiſten feſthielt, iſt ohne Zweifel Luther, obwohl er nicht zugegen war.

Luther war von der Acht, mit der er belegt worden, noch nicht freigeſprochen; ſo ſicher er demungeachtet auch ſeitdem geblieben, ſo konnte ihn der Churfürſt doch nicht an den Reichstag mitbringen; er ließ ihn an den Grenzen ſei - nes Landes, in Coburg.

Es kam Luthern zu Statten, daß er nicht in das Ge - dränge der Geſchäfte und Tagesbegebenheiten fortgeriſſen, die Ereigniſſe von einem höhern Standpunkte aus über - blicken konnte.

Da nahm ihn vor allem Wunder, daß der Kaiſer ſo enge verbündet mit dem Papſt, der Franzoſen ſo ſicher ſchien, daß auch die Reichsſtände die Partei des Papſtes wieder ergriffen. Er betrachtet dieſe Dinge mit einer ge - wiſſen Ironie. Der Herr: par ma foi, wie er den - nig von Frankreich bezeichnet, werde doch des Schimpfs266Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.von Pavia niemals vergeſſen; der Herr: in nomine do - mini, der Papſt werde an dem zerſtörten Rom keine Freude haben; ihre Eintracht mit dem Kaiſer gehöre in das Capitel: non credimus. 1An Teutleben 19. Juni.Er fand die Fürſten unbegreiflich, die es ſo hinnahmen, daß der Papſt den Kaiſer ſo eben ohne ihr Beiſeyn gekrönt hatte. 2An den Churfuͤrſten von Mainz 6. Juli.Er verglich die Verſammlung mit dem Lärm der Dohlen vor ſeinem Fenſter: da ſehe er daſ - ſelbe Zu - und Abreiten, das Schreien und Scherwänzen der Scharrhanſe, das eintönige Predigen der Sophiſten;3An ſeine Tiſchgeſellen 28. April und Spalatin 9. Mai. ein nützliches Volk, alles zu verzehren was auf Erden iſt, und dafür ihre Beſchlüſſe in die Luft zu rufen für die lange Weile. Es deuchte ihm ſehr beſonders, daß man ſo ganz vergeſſen haben wollte wie die Sachen ſtanden, als er auf - trat, und er rief wohl wieder ins Gedächtniß, wie damals der Ablaß in Schwang gegangen und die Lehre, daß man durch fromme Werke Gott genug thue; wie damals täglich neue Dienſte, Wallfahrten, Reliquien, zuletzt noch die Fa - bel vom Rocke Chriſti aufgekommen; wie man die Meſ - ſen doch in der That für ein paar Pfennige mehr oder minder verkauft, und das für ein Gott wohlgefälliges Opfer gehalten, ohne der tieferen Begriffe auch nur zu gedenken, die man jetzt wieder hervorſuche. Er brachte in Erinne - rung, daß von den Proteſtanten, wenigſtens literariſch, das Beſte gegen den Bauernaufruhr geſchehen ſey, dafür aber wolle man ſie nun vertilgen. Denn keinen Augenblick war ihm zweifelhaft, wohin dieſe Sache führen werde. So wie der Kaiſer die Predigten verboten, hoffte er auf keine Ver -267Stimmung Luthers.ſöhnung mehr. Er ſah voraus, daß er in ſeine Fürſten dringen werde, eben ſo gut die ganze Lehre fahren zu laſ - ſen. Nicht daß er den Kaiſer ſelbſt für gewaltſam gehal - ten hätte, er ſpricht von dem edlen Blut Kaiſer Carolus nie ohne Ehrerbietung, aber er weiß, in welchen Händen der Herr iſt; er erblickt in ihm nur die Larve, hinter der ſich die alten Feinde verbergen. Er bezweifelt nicht, daß dieſe nur auf Gewalt denken, auf ihre Mehrzahl trotzen. Er meint, jener Florentiner auf dem päpſtlichen Stuhl werde wohl noch Gelegenheit finden, den Deutſchen ein Blutbad anzurichten.

Aber dieſe Abſichten ſchrecken ihn nicht. Laß ſie nur machen, ſie ſind noch nicht am Ende.

Daran könnte er nicht denken, einen Schritt breit wei - ter nachzugeben: Tag und Nacht lebe ich in dieſen Din - gen. Ich durchſuche die Schrift, überlege, disputire: täg - lich wächſt mir die Gewißheit: ich werde mir nichts mehr nehmen laſſen, es gehe mir darüber wie Gott will. Es macht ihn lachen, daß ſie auf Reſtitution dringen. Sie mögen erſt das Blut des Leonhard Kaiſer herausgeben und ſo vieler Andern, die ſie unſchuldig ermordet.

Daß er aber ſo wenig fürchtet, iſt allein die Folge der Ueberzeugung, daß ſeine Sache Gottes Sache iſt. Ei - nige ſind wehmüthig, als habe Gott unſer vergeſſen; da er doch uns nicht vergeſſen kann, er müßte denn zuvor ſein ſelbſt vergeſſen: unſre Sache müßte nicht ſeine Sache, unſre Lehre nicht ſein Werk ſeyn. Wäre aber Chriſtus nicht mit uns, wo wäre er denn in der Welt? Hätten wir nicht Gottes Wort, wer hätte es denn. Er tröſtet ſich des268Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Spruchs, verlaßt Euch auf mich, ich habe die Welt über - wunden.

Der Herr wohnt im Nebel; im Dunkel hat er ſeine Zuflucht. Man ſieht nicht wer er iſt, aber er wirds ſeyn, ſo werden wirs ſehen.

Und ſollten wir ja nicht würdig ſeyn, ſo wird es durch Andre geſchehen. Haben etwa unſre Vorfahren gemacht, daß wir ſind, was wir ſind. Gott allein macht es, wel - cher der Schöpfer ſeyn wird nach uns wie vor uns, wie er es mit uns iſt. Denn nicht mit uns wird er ſterben, der Gott, der die Gedanken regiert. Werden die Feinde mich umbringen, ſo werde ich ſchon beſſer gerächt werden als ich wünſchte; es wird Einer ſeyn, der da ſpricht: wo iſt Abel dein Bruder.

In dieſer Stimmung ſind alle ſeine Briefe in dieſen Tagen geſchrieben. Nie war ein Menſch von dem Gefühl der Unmittelbarkeit des göttlichen Weſens lebendiger durch - drungen. Er kannte die ewigen, ſiegreichen Mächte, in deren Dienſt er ſtand, er kannte ſie, wie ſie ſich geoffen - bart und rief ſie bei ihren Namen. Er trotzte auf das Wort, das ſie in den Pſalmen oder in dem Evangelium dem menſchlichen Geſchlechte gegeben.

Er ſprach mit Gott, wie mit einem gegenwärtigen Herrn und Vater. Sein Amanuenſis in Coburg hörte ihn einſt unbemerkt, als er einſam betete. Ich weiß daß du unſer Gott biſt, daß du die Verfolger der Deinen zer - ſtören wirſt; thäteſt du es nicht, ſo gäbſt du deine eigene Sache auf; ſie iſt nicht unſer, wir ſind nur gezwungen dazu getreten; du mußt ſie auch vertheidigen. Er betete269Stimmung Luthers.mit dem männlichen Muthe, der ein gutes Recht zu haben glaubt auf den Schutz der ewigen Gotteskraft, der er ſich gewidmet: ſein Gebet iſt ein Verſenken in den Abgrund der Tiefe der dennoch perſönlichen Gottheit; er läßt nicht ab, bis er das Gefühl der Erhörung hat, das größte, deſ - ſen das menſchliche Herz, über alle Täuſchung erhaben, in ſeinen heiligſten Augenblicken fähig iſt. Ich habe für dich gebetet, ſchreibt er an Melanchthon, ich habe das Amen gefühlt in meinem Herzen.

Ein ächter Ausdruck dieſer Stimmung iſt das Lied eine feſte Burg iſt unſer Gott, deſſen Entſtehung man von jeher ſehr mit Recht in dieſe Zeiten geſetzt hat. 1Schon Coͤleſtin giebt es an. Olearius hat dagegen erinnert, daß das Lied ſich bereits in einer Sammlung von 1529 befinde. Er meinte damit wohl nichts, als die mit der Jahrzahl 1529 bezeichnete Sammlung lutheriſcher Lieder in der Jen. und Altb. Ausg. luth. Werke, die aber hier, wie ſo manches andere auf einem Irrthum beruht. Niemals iſt eine Sammlung von 1529 wieder bekannt geworden, und es laͤßt ſich an ihrer Exiſtenz zweifeln. Diejenige, welche man dafuͤr ausgiebt, enthaͤlt auch ſpaͤtere Lieder.Es kün - digt ſich als eine Bearbeitung des 16ten Pſalmes an, an den es jedoch nur erinnert: es iſt ganz das Produkt des Momentes, wo man im Kampfe mit einer Welt voller Feinde ſich auf das Bewußtſeyn zurückzieht, daß man eine göttliche Sache vertheidigt, die nicht untergehen kann. Es ſcheint, als lege man die Waffen nieder, aber es iſt die männlichſte Verzichtleiſtung, die es geben kann, nur auf den momentanen Erfolg; des ewigen iſt man gewiß. Wie erhebt ſich die Melodie ſo freudig und muthvoll, treuher - zig in ihrer Sicherheit, gottinnig und weltverachtend! Sie iſt identiſch mit dem Geſange; in den Stürmen jener Tage entſtanden ſie mit einander.

270Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und in dieſer Stimmung ſprach er nun wie ſeinen nächſten Freunden, ſo auch dem Fürſten und deſſen Räthen Muth ein.

Er tröſtet den Fürſten damit, daß man ihm ja keine andere Schuld beimeſſe, als die Vertheidigung des reinen lebendigen Wortes Gottes. Darin liege aber vielmehr alle ſeine Ehre. In ſeinem Lande habe er die beſten Prediger; die zarte Jugend wachſe daher mit Catechismus und Gottes - wort, daß es eine Freude ſey; das ſey das Paradies, über welches ihn Gott zum Wächter geſetzt; er ſchütze das Wort nicht allein, er erhalte und ernähre es auch; dafür komme es ihm auch wieder zu Hülfe. O das junge Volk wird es thun, das mit ſeinem unſchuldigen Zünglein ſo herzlich gen Himmel ruft.

Ich habe neulich zwei Wunder geſehen, ſchrieb er an den Kanzler Brück. Das erſte, da ich zum Fenſter hin - ausſah, die Sterne am Himmel und das ganze ſchöne Ge - wölbe Gottes, und ſah doch nirgend einen Pfeiler, darauf der Meiſter ſolch Gewölb geſetzt hatte, und doch ſteht es feſt. Das andre, ich ſah große dicke Wolken über uns ſchweben, und doch keinen Boden, darauf ſie ruhten, keine Kufen, darin ſie gefaßt waren: noch fielen ſie nicht herab, ſondern grüßten uns mit einem ſauren Angeſichte und flo - hen davon. Denn Gottes Gedanken ſind weit über un - ſern Gedanken ſind wir nur deß gewiß, daß unſre Sache ſeine Sache iſt, ſo iſt auch unſer Gebet ſchon erhört und die Hülfe ſchon beſchloſſen gäbe uns der Kaiſer Frie - den, wie wir wünſchen, ſo würde der Kaiſer die Ehre ha -271Haltung der proteſtantiſchen Fuͤrſten.ben; aber Gott ſelbſt will uns Frieden ſchaffen, daß er allein die Ehre habe. 14. Aug. de W. IV.

In einem entſchloſſenen Willen liegt jedesmal eine die Gemüther mit ſich fortreißende Gewalt. Wie viel mehr in einem ſolchen, der ſich ſo gotterfüllt zeigt! Luther übte von Coburg her vielleicht einen größern Einfluß auf die Seinen aus, als ihm tägliche perſönliche Gegenwart nur immer hätte verſchaffen können.

Alle die andern Fürſten wetteiferten mit Churfurſt Jo - hann in Standhaftigkeit.

Herzog Ernſt von Lüneburg erwarb ſich hier den Na - men des Bekenners. Statt einen Schritt zurückzuweichen, ſetzte er ſich mit dem Manne in Verbindung, der dann die Reformation ſeines Landes vorzüglich geleitet hat, mit Ur - banus Rhegius. Er nahm ihn mit ſich als das beſte Kleinod, das er von Augsburg den Seinen habe mit - bringen können.

Dem Markgrafen Georg von Brandenburg hatten Kai - ſer und König Begünſtigung in ſeinen Angelegenheiten ver - ſprochen, wenn er von der Lehre abſtehe; das Haus Brandenburg hatte ſchon damals Anſprüche auf ſchleſiſche Beſitzungen; der Markgraf wies jeden Antrag dieſer Art von ſich. 2Schreiben an die Stammesvettern 19. Juli bei Foͤrſtemann II, 93.Aber nicht minder lebhaft drang nun ſein an - geſehener und noch eifrig katholiſcher Vetter, Churfürſt Joa - chim in ihn: es kam zwiſchen beiden zuweilen zu bitterer Zwieſprache. Der Markgraf erklärte ſich überzeugt, daß die Lehre kein Irrthum genannt werden könne, wenn272Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.anders Chriſtus noch Chriſtus ſey: ſie weiſe nur auf Chri - ſtum: er habe ſie ſelber an ſich erprobt. Ohne hierauf ernſt - lich einzugehn, hielt ihm der Churfürſt hauptſächlich entge - gen, daß der Kaiſer alles in den vorigen Stand zu ſetzen ent - ſchloſſen ſey. Der Markgraf erwiederte, der Kaiſer möge ab - ſchaffen was er wolle, er müſſe es geſchehen laſſen, doch werde er nicht dazu helfen. Der Churfürſt fragte, ob der Markgraf auch bedenke, was ihm auf dem Spiele ſtehe; die - ſer verſetzte: man ſagt, ich ſoll aus dem Lande verjagt werden: ich muß es Gott befehlen. 1Gleichzeitige Aufzeichnung uͤber dieſe Verhandlungen a. a. O. 630.

Nur von geringer Macht war Fürſt Wolfgang von Anhalt. Ganz angemeſſen ließ er ſich vernehmen: er habe für gute Freunde und Herrn gar manchen Ritt gethan; ſein Herr Chriſtus verdiene wohl auch, daß er etwas für ihn wage. Herr Doctor, ſagte er zu Eck, denkt ihr auf Krieg, ſo werdet ihr dieſſeit auch Leute finden. 2Beckmann Anh. Chronik II, V, 142.

Und wie hätte ſich, zumal bei dieſer Stimmung der Ue - brigen, der muthvolle Landgraf etwas abgewinnen laſſen ſol - len? Der heſſiſche Chroniſt Lauze erzählt, nach der Uebergabe der Confeſſion habe man den Landgrafen auf den hohen Berg geführt, und ihm die Güter der Welt gezeigt, d. i. ihn Begünſtigungen in der Naſſauiſchen und der Würtember - giſchen Sache hoffen laſſen, aber er habe alles abgelehnt. 3Schreiben der nuͤrnbergiſchen Geſandten C. R. II, 167.Eines Tages hörte er, der Kaiſer wolle ihn zur Rede ſtel - len; allezeit fertig wie er war, ſäumte er nicht ſelbſt nach Hofe zu gehn, und den Kaiſer zu erſuchen, ihm die Punkte nahmhaft zu machen, wegen deren er ungehalten ſey. Der273Der Landgraf, die Staͤdte.Kaiſer nannte einige; der Landgraf gab eine Auskunft, mit der ſich jener zufrieden zeigte: die Hauptſache war, daß der Kaiſer ihn aufforderte, in dem Artikel des Glaubens ſich unterthänigen Gehorſams zu erzeigen: wo nicht, ſo werde er verfahren, wie ihm als römiſchen Kaiſer gebühre. Noch weniger aber wirkten Drohungen auf ihn als Verſprechun - gen. Ueberdieß ward es ihm von Tag zu Tag unbequemer, bei einer Verſammlung auszuhalten, wo er vermöge der hier - archiſchen Ordnungen des Reiches keineswegs eine Stellung einnahm, die ſeiner Macht entſprach. Er erſuchte den Kaiſer ihn zu entlaſſen, der ſchlug es ihm ab; er ritt nichts deſto minder eines Abends von dannen. 16. Aug. Am 30. Juli war er in Buͤrgerrecht mit Zuͤrich getreten, was hierauf wohl den meiſten Einfluß hatte. Vgl. Eſcher und Hottinger Archiv fuͤr ſchweiz. Geſch. und Landeskunde I, 426.Aus der Ferne verſicherte er dem Churfürſten von Sachſen, er wolle Leib und Gut, Land und Leute bei ihm und bei Gottes Wort laſſen. Sa - get den Städten, ſchrieb er an ſeine Räthe, daß ſie nicht Weiber ſeyen, ſondern Männer: es hat keine Noth, Gott iſt auf unſrer Seite.

Und in der That, die Städte machten den Fürſten keine Schande. Unſres Erachtens, ſchreiben die Nürnber - ger Abgeordneten, iſt nicht zu weichen, man wollte denn des Kaiſers Gnade höher anſchlagen, als die Huld Gottes: Gott wolle nunmehr Beſtändigkeit verleihen. Bürgermeiſter und Rath waren geſinnt, wie ihre Bevollmächtigten.

In weiter Ferne nahmen andere in gleichem Sinne an dieſen Ereigniſſen Antheil. Ew. Gnaden, ſchreiben die Rathmannen von Magdeburg dem Churfürſten von Sach -Ranke d. Geſch. III. 18274Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.ſen, ſtehen in Angelegenheiten der ganzen Chriſtenheit un - ter dem Heerbanner unſres Heilands in ſchwerem Kampfe: wir bitten täglich von Gott dem Herrn Geduld und Stärke.

Und hiedurch waren nun die Dinge in Deutſchland bereits zu einer entſchiedenen Geſtalt entwickelt. Einer alle Rechte des Reichs in Anſpruch nehmenden, mit dem Kai - ſer vereinten, mit den Kräften des alten Europa verbün - deten Majorität gegenüber, ſuchte eine Minorität ſich zu halten, noch vereinzelt und formlos, aber voll von religiö - ſer Entſchloſſenheit. Die Majorität, den Kaiſer an der Spitze, ſchien geſonnen, Gewalt zu brauchen;1Butzer fuͤrchtet eine laniena sanctorum qualis vix Diocle - tiani tempore fuit. 14. Aug. 1530 bei Roͤhrich II, p. 136. ſchon ward über eine Werbung leichter Reiterei in Italien unterhan - delt. 2Nicc. Tiepolo Relatione. Essendo in Augusta intesi che si offersero (die beiden Herzoge von Baiern) all imperatore vo - lendo lui muover guerra a Lutheranis e seppi che tentorno col duca di Mantova d’haver il modo di condur 1000 cavalli leggieri d’Italia in caso si facesse guerra in Germania. Die Minorität hatte noch keine Abſicht; ſie wußte nur, daß ſie nicht weichen werde.

War aber nicht jeder Schritt der Gewalt auch für die Majorität der Stände höchſt gefährlich? Sie war ihrer eignen Unterthanen nicht ſicher: die Erinnerung des Chur - fürſten von Mainz an die Gefahr, mit der ein im rechten Moment eintreffender Angriff der Türken beide Theile be - drohe, machte einen allgemeinen Eindruck. Wie die fried - liche Partei gleich anfangs beabſichtigt und den Beſchlüſſen einverleibt hatte, ſo zog man es doch vor, noch einen Ver - ſuch der Vermittelung zu machen.

275

Vermittelungsverſuch von Seiten der Stände.

Am 16. Auguſt begann eine Conferenz, an der von jeder Seite zwei Fürſten und fünf Gelehrte, nemlich zwei Doctoren des canoniſchen Rechtes und drei Theologen Theil nahmen, und die ſehr bald einen vielverſprechenden Gang nahm.

Die eigentlich dogmatiſchen Streitpunkte machten dieß Mal keine unüberwindliche Schwierigkeit. In dem Artikel von der Erbſünde ſtimmte Eck bei, als ihm Melanchthon zeigte, daß ein angefochtener Ausdruck ſeiner Definition nur die populäre Erklärung einer ältern ſcholaſtiſchen enthalte. Bei dem Artikel von der Rechtfertigung allein durch den Glauben erklärte Wimpina ausdrücklich, kein Werk ſey verdienſtlich, wenn es ohne Gnade geſchehe;1Auch Eck ſagt in ſeinem Gutachten: de principum pro - testantium confessione Johannis Eccii censura (bei Coͤleſtin III, 36): quod opera de sui natura et in se non essent meritoria, sed solum ex deo ex gratia dei assistente. er forderte nur die Verbindung der Liebe mit dem Glauben; nur in ſo fern beſtritt er das Wort allein. In dieſem Sinne dachten aber auch die Proteſtanten nicht es feſtzuhalten: ſie ließen ſich gefallen daß es geſtrichen wurde; war doch ihr Sinn von jeher nur geweſen, daß die Verſöhnung mit Gott durch eine innerliche Hingebung, nicht durch äußer - liches Bezeigen geſchehen könne. Dagegen erläuterte dann auch Eck, daß die Genugthuung, welche man katholiſcher Seits bei der Buße fordere, nichts anders als die Beſſe - rung ſey; eine Erklärung, bei der ſich freilich nichts mehr18*276Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.gegen die Nothwendigkeit der Genugthuung einwenden ließ. 1Spalatin, der in den erſten Sitzungen das Amt eines No - tars verſah, bei Foͤrſtemann II, p. 228. So iſt denn auch Ecks ei - gene Aeußerung zu verſtehen: Coͤleſtin p. 36 nos ponimus satisfa - ctionem tertiam partem poenitentiae, ipsi vero fatentur, sequi debere fructus bonorum operum, ubi iterum lis est verbalis non realis. Selbſt über den ſchwierigen Punkt des Meßopfers kam man einander um vieles näher. Eck erklärte das Opfer nur für ein ſacramentliches Zeichen zur Erinnerung an das, wel - ches am Kreuzesſtamm vollzogen worden. 2Relation bei Coͤleſtin III, 45. Est ergo missa non revera victima sed mysterialis et repraesentativa. Ueber die Ge - genwart Chriſti im Abendmahl ſtritt man ohnehin nicht. Gern ließen ſich die Proteſtanten beſtimmen, nicht allein eine wahrhaftige, ſondern auch eine reale Gegenwart zu be - kennen. Dieſer Zuſatz findet ſich in dem Anſpacher Exem - plar der Confeſſion bereits eingetragen.

Wahrhaftig die Grundbegriffe des Dogma waren es nicht, welche den Streit verewigten. Luther hatte nichts als die Principien wieder erweckt und zum Bewußtſeyn ge - bracht, die dem alten Lehrbegriff der lateiniſchen Kirche oh - nehin zu Grunde lagen, und nur durch die hierarchiſchen Syſteme der ſpätern Zeit und den überhandnehmenden Miß - brauch verdeckt worden waren. Abweichungen wie dieſe konnte man an einander dulden, wie ja immer verſchiedene Meinungen neben einander beſtanden hatten. Der ganze Zwieſpalt lag vielmehr in der Verfaſſung und den Gebräuchen.

Und da gaben nun die Proteſtanten ihrerſeits ſo viel nach, als nur irgend möglich war. Sie waren überzeugt, daß die gute Zucht in Kirchen und Schulen durch die Spal -277Vermittelungsverſuch.tung erſchwert, daß auch das Kirchenregiment von den Für - ſten nicht hinreichend gehandhabt werden könne, ihnen ſo - gar zu viel koſte. Die proteſtantiſchen Theologen und Für - ſten erklärten ſich bereit, den Biſchöfen ihre Jurisdiction, geiſtlichen Bann, Auſſicht über die Pfarren zurückzugeben, vorausgeſetzt, daß man das Evangelium frei verkündigen dürfe. 1Unvorgreifliche Antwort bei Foͤrſtemann II, 256. Vgl. mit dem Bedenken, ebendaſ. p. 245, p. 75. Aus dem letzten ergiebt ſich, daß ſie doch alle hierarchiſchen Einrichtungen ausdruͤcklich vom menſch - lichen Rechte herleiten wollten, gleichwie das Papſtthum ſelbſt, das man aber dann dulden koͤnne. In wie fern Luther hiemit uͤberein - ſtimmte, zeigt ein von ihm unterzeichnetes Bedenken bei Walch XX, 2178Sie waren ſelbſt geneigt, nicht weil es ein Got - tesdienſt ſey, aber der guten Ordnung halber, die Faſten beobachten und in Hinſicht der Beichte die Leute anweiſen zu laſſen, alle Fälle zu bekennen, in denen ſie beſondern Troſtes bedürftig ſeyen.

Vorſchläge, die doch in der That eine Herſtellung der Aeußerlichkeiten der Kirche einſchloſſen, welche man gar nicht mehr hätte erwarten ſollen.

Und auch den Vorwurf ſollte man nicht wiederholen, daß die Herſtellung der eingezogenen Kloſtergüter die Ver - ſöhnung verhindert habe. Obwohl die Proteſtanten den Gegnern einwarfen, daß von ihrer Seite noch ſchlimmere Beraubungen vorgekommen, z. B. die Beſetzung des Bis - thums Utrecht durch den Kaiſer, was bei weitem mehr ſagen wolle, als Einziehung von ein paar Klöſtern, da die Kirche auf die Biſchöfe, nicht auf die Mönche gegrün - det ſey, ſo erbot ſich am Ende doch der Churfürſt von Sachſen, alle eingezogenen Klöſter einer Sequeſtration zu278Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.unterwerfen; die Sequeſtrirenden, ehrbare Leute aus dem Landesadel, ſollten dem Kaiſer verpflichtet ſeyn, nichts von den Gütern abkommen zu laſſen, bis zu einer Beſtimmung des Conciliums. 1Saͤchſiſche Apologia bei Muͤller p. 861 und in dem Archiv von Foͤrſtemann p. 150.

So weit näherten ſich die Proteſtanten noch einmal dem römiſchen Kirchenweſen, der Majorität des Reiches. Es iſt kaum zu verſtehen, daß man ſie dabei nicht feſthielt.

Trat doch der Ausſchuß der Majorität von einer an - dern Seite hinwiederum den Proteſtanten ſehr nahe. Er ſprach die Hoffnung aus, bei dem künftigen Concilium die Zulaſſung verheiratheter Prieſter ganz im Allgemeinen aus - zuwirken, wie das in der alten Kirche Statt gefunden. 2Das die conjugati mochten zu prieſterlichem ſtand genomen und ordiniret werden, inmaaſſen wie vor allters In der erſten kirchen etlich hundert jar Im Gebrauch geweſen. Unſchluͤſſige unnd unver - griffliche chriſtliche Mittel (Vorſchlaͤge des katholiſchen Ausſchuſſes) bei Foͤrſtemann II, p. 250.Er ſah kein Bedenken dabei, beide Geſtalten zuzulaſſen.

War man einander ſo nahe gekommen, was lag im Grunde an ein paar abweichenden Gebräuchen? Mußte man darum die Einheit des Reichs und der Nation, und den gegenſeitigen Frieden aufgeben?

Daß man dieß doch am Ende that, kam wohl haupt - ſächlich daher, weil die Führer der Katholiſchen nicht han - deln konnten, wie ſie vielleicht gewollt hätten. Wir wiſſen, daß die Sache am päpſtlichen Hofe bereits in Berathung gezogen und entſcheiden war. Der päpſtliche Legat, Campeggi, ſäumte nicht, in dem dringenden Augenblick den Kaiſer zu be - ſuchen, ſeinen ausſchließend katholiſchen Eifer zu entflammen,279Vermittelungsverſuch.ihn zu den Geſichtspunkten der Curie zurückzurufen. 1Thom. Leodius Vita Friderici Palatini VII, 151. Ut in - tellexit, ita rejecit. Vgl. Melanchthon an Camerar (Corp. Ref. II, 590.) Dahin ging auch das erſte Gutachten Campeggi’s. I Santi padri, ſagt er, con la santità della vita osservantia delli precetti divini con summa vigilantia e studio si sono sforzati a partecipare del spirito santo, dal quale senza dubio spinti hanno cosi santamente ordinate tutte le cose della chiesa. Nach ſeiner Lehre waren alle Ordnungen der Kirche vom heili - gen Geiſt eingegeben. In dieſem Sinne bearbeitete er auch die Stände. Zuletzt forderten dieſe nun doch, daß auf der proteſtantiſchen Seite bis zum Ausſpruch des Conci - liums keine verheiratheten Prieſter mehr angeſtellt werden ſollten; ſie beſtanden auf dem Beichtzwang; ſie wollten ſich weder die Auslaſſung des Canons in der Meſſe, noch die Abſtellung der Privatmeſſen in den proteſtantiſchen Ländern gefallen laſſen; ſie verlangten endlich, in den Pre - digten der Proteſtanten ſolle der Genuß des Abendmahls unter Einer Geſtalt für eben ſo richtig erklärt werden, wie der unter beiden.

Dieß waren aber alles Dinge, welche die bereits be - gonnene Bildung proteſtantiſcher Organiſationen ſo gut zer - ſetzt haben würden, wie die Forderungen vom Jahre 1529. Die kaum gewonnene Ueberzeugung wäre dadurch wieder in ihrer Grundlage erſchüttert worden. Die Proteſtanten waren bereit, den Genuß des Abendmahls unter Einer Geſtalt nicht zu verdammen; aber ſie konnten ſich unmöglich entſchließen, ihn für gleich richtig mit dem ihren zu erklären, da ja Chriſtus beiderlei Geſtalt eingeſetzt habe. Und wie ſollten ſie vollends die Privatmeſſe wieder einführen, die ſie als dem Begriffe des Sacraments widerſprechend, mit ſo gro -280Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.ßer Heftigkeit bekämpft hatten? Sie würden ihr eignes Werk, von dem ſie doch überzeugt waren, daß ſie es mit gutem Fug begonnen, wieder zerſtört haben.

Auch zeigte ſich bei jedem Schritt der Verhandlungen eine größere Verſchiedenheit der Grundanſicht, als man ſich eingeſtand. Die Katholiſchen betrachteten die Anordnungen der kirchlichen Autorität als die Regel, von der höchſtens einſtweilige Ausnahmen zu geſtatten ſeyen. Die Proteſtan - ten ſahen dagegen die Regel des Glaubens und Lebens al - lein in der Schrift; die Beſonderheiten der römiſchen Kirche wollten ſie nur bedingungsweiſe, nur in ſo fern es ganz unvermeidlich ſey, zulaſſen. 1Brenz ſprach von einem praeceptum dispensabile in casu necessitatis. Die Nothwendigkeit iſt ihm der Beſchluß der römiſchen Kirche, den er aber damit keineswegs als gerechtfertigt betrachtet.Jene leiteten alle äußeren Kirchenordnungen vom göttlichen Rechte her; dieſe ſahen darin nur menſchliche wiederzurücknehmbare Einrichtungen. Es war noch nicht viel damit gewonnen, daß die Prote - ſtanten das Papſtthum als eine irdiſche menſchliche, daher zu beſchränkende Inſtitution anzuerkennen allenfalls geneigt waren; dem religiöſen Begriffe der katholiſchen Kirche lag alles an dem göttlichen Rechte, der Stellvertretung Chriſti.

Und ſelbſt, wenn man ſich einigermaaßen verſtanden, Bedingungen eines Vergleiches feſtgeſtellt hätte, wie ſchwer wäre es geworden dieſelben auszuführen. Welche Uneben - heiten würde allein die Wiedereinführung des Episcopats veranlaßt haben! Der Charakter der neuen Kirche beruhte ja eben auf der Selbſtändigkeit des niedern Clerus und deſ - ſen unmittelbaren Vereinigung mit der territorialen Gewalt. Schon erhob ſich die Antipathie der Städte dagegen. Die281Vermittelungsverſuch.Nürnberger äußerten, ſie würden ſich der Herrſchaft eines Biſchofs niemals wieder unterwerfen. 1Gutachten Spenglers in Hausdorfs Leben Spenglers p. 65.

Wohl hat man nun, nachdem die erſten Verhandlun - gen abgebrochen worden, gegen Ende Auguſt eine noch engere Verſammlung gebildet, nur von drei Mitgliedern von jeder Seite; aber es iſt nicht nöthig, ihre Beſprechungen zu be - gleiten; ſie führten nicht einmal bis zu dem Punkt, der ſchon früher erreicht war.

Es ſind dann noch einige einzelne Verſuche der An - näherung gemacht worden. Im Garten eines Augsburger Bürgers hielt Herzog Heinrich von Braunſchweig eine Zu - ſammenkunft mit dem Sohne des Churfürſten, Johann Frie - drich; in der Kirche zu St. Moritz machte der Kanzler von Baden dem ſächſiſchen, welchen Melanchthon begleitete, Er - öffnungen, die ſich dann eine Weile fortſpannen, aber zu keinem Ziele führen konnten.

Der proteſtantiſche Theil hatte ſo weit nachgegeben, als es die religiöſe Ueberzeugung nur irgend zuließ; er hatte aber die äußerſte Grenze bereits erreicht, ja ſchon regte ſich in ſeinem eignen Innern Widerſpruch gegen die gemach - ten Zugeſtändniſſe; er war nun um kein Haarbreit weiter zu bringen. Auch bei dieſen Verhandlungen erinnerte Chur - fürſt Johann die Theologen, nur die Sache im Auge zu behalten, auf ihn und ſein Land keine Rückſicht zu nehmen.

Eben ſo wenig aber wäre auf der andern durch den Papſt gefeſſelten Seite irgend eine weitere Conceſſion zu er - reichen geweſen.

282Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Verhandlungen des Kaiſers.

Unmöglich konnte der Kaiſer geneigt ſeyn, es hiebei bewen - den, den Reichstag auf dieſe Weiſe auseinandergehn zu laſſen.

Gleich im Anfange der Berathungen hatte die katho - liſche Majorität die alte Forderung eines Conciliums wie - derholt und der Kaiſer darüber an den Papſt geſchrieben. Clemens VII legte die Forderung einer Congregation vor, die er für die Glaubensſachen niedergeſetzt. Hier ſprachen ſich jedoch noch Viele dagegen aus und zwar hauptſächlich aus zwei Gründen: einmal weil Leute, welche die frühern Con - cilien verworfen, ſich auch einem neuen nicht fügen wür - den, ſodann weil ein etwaniger Anfall der Türken, wäh - rend man ſeine ganze Aufmerkſamkeit auf dieſe inneren Sa - chen wende, um ſo gefährlicher werden müſſe. Allein der Papſt war durch vorläufigen Zuſagen, die noch von ſei - ner Gefangenſchaft im Caſtell herrührten, ſo wie durch mündliche Erörterungen, die zu Bologna vorgekommen, ge - bunden; er bat zwar den Kaiſer die Sache ja noch einmal auf allen Seiten zu erwägen: ſollte aber S. Majeſtät, die am Orte und ſo gut katholiſch ſey, es für unumgänglich nothwendig erachten, ſo willige auch er ein; jedoch nur unter der Bedingung, die von Kaiſer und Ständen ſelbſt angegeben worden, daß die Proteſtanten bis dahin zu dem Ritus und den Lehren der heil. Mutter Kirche gehorſam zurückkehren müßten. Als den geeignetſten Ort für die Ver - ſammlung brachte er Rom in Vorſchlag. 1All imperatore di man propria di Clemente (L. di pr. II, 197) Pregatala prima che esamini maturamente dico a V.

283Vorſchlag des Conciliums.

Es war in Folge dieſes Briefwechſels, daß der Kai - ſer am 7. September den Proteſtanten eine Eröffnung zu - gehn ließ, in der er ihnen das Concilium ankündigte, aber mit dem Zuſatz, daß ſie ſich mittler Zeit dem Kaiſer, den Ständen und der gemeinen chriſtlichen Kirche gleichförmig würden zu halten haben.

Glaubte Carl wirklich, nach allem was vorgegangen, mit einem ſolchen Befehle Gehör zu finden? Es würde verrathen, daß ihm Stimmung und Geſinnung der Prote - ſtanten noch immer verſchloſſen und ganz unverſtändlich ge - blieben waren. Dieſe aber hatten ſchon von dem Vorha - ben eines ſolchen Antrags gehört und waren vorbereitet. Sie antworteten: ſich in dieſe Forderung zu fügen, würde wider Gott und Gewiſſen laufen, überdieß aber ſeyen ſie auch rechtlich dazu nicht verpflichtet. In Folge früherer Reichsſchlüſſe werde jetzt ein Concilium bewilligt; nie ſey da von einer ähnlichen Bedingung die Rede geweſen. Was nun auch immer die Majorität zuletzt in Speier in dieſer Hinſicht beſchloſſen haben möge, ſo könne das ſie, die ſie dagegen feierlich proteſtirt, nicht binden. In dem münd - lichen Vortrag hatte ſie der Kaiſer als Secte bezeichnen laſ - ſen, ſie ſäumten nicht, ſich darüber ernſtlich zu beſchweren. 1Anmerkung zu den Anſpachiſchen Acten in Foͤrſtemanns Ur - kundenbuch II, 393. Saͤchſiſche Apologia in Foͤrſtemanns Arch. 136.

Wir haben das Schreiben, das nun der Kaiſer hin - wieder an den Papſt erließ. Wir ſehen, daß er über die1M. che son contento, che quella in caso giudichi esser cosi ne - cessario, offerisca e prometta la convocatione del concilio, con conditione però, che appartandosi da loro errori tornino incon - tinente al viver catholicamente. 284Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.Antwort ſo verwundert wie entrüſtet war. Sie haben mir, ſchreibt er, in ihrem hartnäckigen Irrthum geant - wortet, worüber ich in Gedanken bin.

Indem ſich ihm ſchon die Ausſicht erhob, daß es zur Anwendung der Gewalt kommen werde, hielt er doch noch für möglich, da ja nur die Vermittelung der Stände frucht - los abgelaufen, etwas auszurichten, wenn er ſelbſt perſön - lich hervortrete. Damit alles deſto mehr gerechtfertigt ſey, ſchreibt er dort weiter, ſcheint es mir gut, daß ich ſelbſt mit ihnen rede, ſowohl Allen zuſammen, als einem Je - den allein: was ich auf der Stelle ins Werk zu ſetzen denke. Nicht ohne dem römiſchen Hof davon Nachricht gegeben zu haben, bot er demnach den Proteſtanten ſeine perſön - liche Bemühung an, um Mittel der Einigkeit bis auf das Concilium zu finden.

Wie ſehr aber täuſchte er ſich auch jetzt, wenn er mit ei - ner Schrift, wie er ſie nunmehr an die Proteſtanten erließ, et - was bei ihnen auszurichten hoffte. Er behauptete darin die Nichtigkeit der Proteſtation, ohne auf die Gründe für dieſelbe einzugehn, nur deshalb, weil ein ſo gar geringer Theil dem größern billig nachfolgen müſſe. Zugleich gab er ſeine Ver - wunderung zu erkennen, daß die katholiſchen Deputirten noch ſo weit nachgegeben. Da die Proteſtanten bereits ihr letztes Wort ausgeſprochen, ſo mußten ſie wohl eine Verhandlung zurückweiſen, die auf dieſen Vorausſetzungen beruhte. Die religiöſen Fragen erörterten ſie in ihrer Antwort nicht mehr; ſie ſuchten dem Kaiſer nur ihren rechtlichen Standpunkt klar zu machen. Sie entgegneten ihm, ſie ſeyen entſchloſſen auf den Abſchieden der Reichstage von 1524 und 1526 zu ver -285Kriegsgefahr.harren, deren ſie keine Majorität entſetzen könne, und ba - ten übrigens lediglich um den äußern Frieden. 1Antwort der Proteſtanten, datirt vom 8. Septemb. Foͤrſte - manns Urkunden II, 411.

So unvermeidlich eine Antwort dieſer Art war, ſo fühlte ſich doch der Kaiſer dadurch nicht wenig gekränkt. Er ließ die Proteſtanten wiſſen, er habe dieſelbe mit merk - lichem Mißfallen vernommen. Er ſagt in einem ſeiner Briefe, er könne nicht beſchreiben, wie viel Verdruß ihm dieſe Angelegenheit mache. Er hätte an den Ideen der la - teiniſchen Chriſtenheit feſthaltend, über alle ſeine Gegner zu triumphiren gewünſcht; ſein Ehrgeiz war ritterlicher Natur; ſtatt deſſen ſah er ſich in dieſe ihm weſentlich unverſtänd - lichen, auf jeden Fall höchſt unerfreulichen Händel verwickelt. 2Bericht Hellers ibid. 422.

In der That glaubte er nunmehr alle Mittel erſchöpft zu haben und zu den Waffen greifen zu müſſen. Bereits in dem obenangeführten Schreiben an den Papſt ſagt er: Gewalt wäre jetzt, was die meiſte Frucht bringen würde ; es hielt ihn nur noch zurück, daß man nicht hinreichend dazu vorbereitet war. Nachdem die neue Antwort der Proteſtanten eingegangen, eröffnete er der Majorität der Stände, da er nichts nachgeben könne, was das Weſen des Glaubens verletze, und da alle gnädige Handlung nichts geholfen, ſo ſey er bereit, Leib und Gut daran zu ſtrecken und mit Hülfe und Rath der Stände alles zu thun, was nothwendig ſey. Auch beim Papſt und bei andern Fürſten werde er um Hülfe zu dieſem Zwecke anſuchen.

Er ſchien die Proteſtanten behandeln zu wollen, wie ſeine Mauren in Valencia. Hätte er ſofort Kriegsmittel286Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.bereit gehabt, wäre er nicht an die Beſchlüſſe der Majo - rität gebunden geweſen, ſo würde er ſich aller ſeiner Milde zum Trotz durch die Conſequenz ſeiner Verpflichtungen wahr - ſcheinlich haben bewegen laſſen, an dieß Werk zu ſchreiten.

Es iſt aber wohl ſehr erklärlich, wenn die Majorität des Reichstags doch einiges Bedenken trug, hierauf einzu - gehen. Es hatten ſich doch, wie berührt, Intereſſen erge - ben, in denen die Stände mit dem Kaiſer nicht völlig über - einſtimmten;1Koͤnigklich wirde zu Hungern etc. Revocation der babſtlichen bulle ſo auf den vierten Tail d geiſtlichen gutter erlangt bei Foͤrſte - mann Urk. II, 843. ſich ihm zu einem Kriegszug ſo unbedingt anzuſchließen waren ſie nicht gemeint. So durchaus hat - ten die alten reichsſtändiſchen Geſinnungen dem religiöſen Haſſe noch nicht Platz gemacht. Vielmehr erregte ſo eben der Plan der römiſchen Königswahl, wir werden darauf zurückkommen, neue Verſtimmung.

Die Stände brachten einen Abſchied in Vorſchlag, der den Krieg zwar in Ausſicht ſtellte, aber noch ver - ſchob: den Proteſtanten ſollte bis den nächſten 5. Mai Be - denkzeit geſtattet werden, um ſich über die unverglichen ge - bliebenen Artikel zu erklären.

Unglücklicherweiſe war aber auch dieſer Entwurf wie - der in Ausdrücken abgefaßt, welche das Selbſtgefühl der Proteſtanten verletzten. Es hieß darin, ſie ſollten Nie - mand zu ihrer Secte nöthigen; Wort und Sache war ihnen gleich verhaßt; er enthielt Anordnungen, denen ſie ſich ſchlech - terdings nicht unterwerfen zu dürfen glaubten, z. B. in Sa - chen des Glaubens binnen dieſer Zeit nichts Neues drucken zu laſſen, den Mönchen Beichte und Meſſe zu geſtatten;287Vorſchlag des Abſchieds.endlich ward darin ausgeſprochen, die Confeſſion ſey mit gutem Grunde der heiligen Schrift widerlegt worden. Hät - ten ſie dieſen Abſchied angenommen und unterſchrieben, ſo hätten ſie ihre eigne Sache verurtheilt. Ohne Beden - ken wieſen ſie ihn weit von ſich. Indem ſie die übrigen Gründe ihrer Weigerung ausführlich deducirten, nahmen ſie von der Behauptung, daß ſie widerlegt worden, zugleich Gelegenheit, dem Kaiſer eine Apologie ihrer Confeſſion zu überreichen. Der Hauptſache nach iſt dieſe Schrift der Con - feſſion gleichartig; irre ich aber nicht, ſo iſt doch die Art und Weiſe der Abfaſſung in einem ſich von dem Katholi - cismus wieder mehr entfernenden Sinne ausgefallen.

Darüber hatten ſie denn noch einmal einen Sturm zu beſtehen. Churfürſt Joachim von Brandenburg kündigte ihnen an, würden ſie den Abſchied nicht annehmen, ſo ſeyen Kaiſer und Stände entſchloſſen, Leib und Gut, Land und Leute daran zu ſetzen, daß dieſer Sache geholfen werde. Der Kaiſer erklärte, weitere Aenderungen könne er ſich nicht gefallen laſſen: wolle die proteſtantiſche Partei den Abſchied annehmen, da ſey er: wo nicht, ſo müſſe er der Kaiſer ſammt den übrigen Ständen unverzüglich auf die Ausrot - tung ihrer Secte Bedacht nehmen.

Waren aber die frühern Drohungen fruchtlos gewe - ſen, ſo konnten auch dieſe keinen Eindruck weiter machen. Das religiöſe Element, das in Strenge ſeiner Gewiſſenhaf - tigkeit jedes Bündniß verſchmäht hatte, welches ihm nicht ganz gleichartig war, erwies ſich nun auch dem Sy - ſtem, von dem es ausgeſchieden, gegenüber eben ſo uner - ſchütterlich.

288Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Und ſo war jeder Verſuch der Annäherung mißlun - gen; die Minorität war entſchloſſen ihren Standpunkt voll - ſtändig zu behaupten, und es darauf ankommen zu laſſen was man wider ſie unternehmen würde. So mußte man auseinandergehn.

Es wäre ſehr falſch zu glauben, dem Churfürſten von Sachſen habe politiſch daran gelegen, dem Kaiſer Oppo - ſition machen zu können. Es that ihm von Herzen leid, ſich von ſeinem Kaiſer und Herrn ſo trennen zu müſſen: aber es konnte nun nicht anders ſeyn. Endlich war der Moment gekommen, wo er im Begriffe abzureiſen, an ihn herantrat, um ſich von ihm zu beurlauben. Oheim, Oheim, ſagte der Kaiſer, das hätte ich mich zu Ew. Liebden nicht verſehen. Der Churfürſt erwiederte nichts darauf: die Augen füllten ſich ihm mit hellen Thränen; Worte vermochte er nicht zu finden. So verließ er den Pallaſt und gleich darauf die Stadt. 1Erzaͤhlung der ſaͤchſiſchen Apologia in Foͤrſtemanns Archiv p. 206. Granvella erinnerte 1542 an dieſen Zug, als an ein Zeichen der Gutherzigkeit und Liebe des Churfuͤrſten gegen kaiſ. Majeſtaͤt.

Es war eine vollkommene Trennung zwiſchen den Für - ſten des Reiches eingetreten. In Speier waren es nur die Fürſten allein, jetzt war auch der Kaiſer zugegen und darin verflochten.

Der Zwieſpalt, den bisher die Ausſicht einer Verſöh - nung noch verhüllt, lag nun ganz offen zu Tage.

Schon hatte die Entzweiung auch die Städte ergriffen.

Wie zuerſt Reutlingen, ſo hatten ſich allmählig auch Kempten, Heilbronn, Windsheim, Weißenburg im Nord - gau an Nürnberg angeſchloſſen.

289Spaltung der Staͤdte.

Vier andere Städte, Strasburg, Memmingen, Con - ſtanz und Lindau, die ſich bisher zu der ſchweizeriſchen Auf - faſſung des Abendmahls gehalten, hatten ihre eigene Con - feſſion eingegeben, die ſogenannte Tetrapolitana, auf de - ren für die innere Geſchichte des Proteſtantismus höchſt merkwürdigen Inhalt wir ſpäter zurückkommen werden; auch ihnen ließ der Kaiſer eine katholiſche Widerlegung vorleſen; natürlich ohne alle Frucht. Strasburg zeigte ſo viel Muth, wie Nürnberg und andere Städte. Wäre zwiſchen Lutheranern und Katholiken die beabſichtigte Ver - ſöhnung zu Stande gekommen, ſo würden die vier Städte wohl in nicht geringe Bedrängniß gerathen ſeyn. Wie aber die Sachen in Augsburg gegangen waren, hatten ſie weniger zu fürchten, als im Anfang, und um ſo weniger gaben ſie einer Einſchüchterung Gehör.

Es waren nur die übrigen Städte, denen der Kaiſer am 24. September vorſtellen ließ, wie ſo ganz mit Unrecht Sachſen und ſeine Mitverwandten einen im Grunde zu ih - ren Gunſten verfaßten Abſchied ausgeſchlagen, ohne Zweifel hauptſächlich deshalb, weil ſie darin zur Reſtitution der Klo - ſtergüter angehalten worden: allein er ſey entſchloſſen, dieſe Sache zu Ende zu bringen. Wie die andern Stände Leib1Fuͤrſtenberg 5. Juli meldet noch folgendes: Es haben die von Strasburg vergangener Tag uns und etlich mehr von Staͤdten bei ſich erfordert, und die Bekanntniß irer Lere und Predig ſo ſie der Keyſ. Mt. zu uͤbergeben willens zuvor anhoren laſſen, ob ſich jemand villeicht mit inen unterſchreiben wolt. Wie wol nun dieſelbig faſt wol geſtellt und etwas ſubtiler und zugtiger dan der Furſten ge - weſt, ſo haben wir doch diweyl bis anher bei uns des Sacraments halber ire Opinion nit gepredigt, das underſchreyben abgeſchlagen; dergleichen haben auch andere gethan, urſachen von jeglichen in - ſonderheit furgewandt. Ranke d. Geſch. III. 19290Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.und Gut dabei zuzuſetzen verſprochen, ſo hoffe er, werde das auch von ihnen geſchehen. Die Städte baten ſich aus, erſt bei ihren Oberen anfragen zu dürfen; der Kaiſer drang auf unverzügliche Antwort.

Hierauf trugen nun diejenigen, die noch katholiſch ge - blieben, kleinere ſo gut wie größere, Rottweil, Ueberlin - gen, Cöln, Hagenau, ſelbſt Regensburg kein Bedenken, ſich dem Kaiſer anzuſchließen.

In nicht geringe Verlegenheit dagegen geriethen die an - dern, die dem Bekenntniß bisher Raum gegeben, ohne doch, ſo viel es irgend möglich, mit dem Kaiſer und der Majorität in Oppoſition zu treten. Jetzt aber zogen ſie in Betracht, daß ſie durch die Annahme des Abſchieds die Confeſſion für widerlegt erklären, daß ſie dann gezwungen werden wür - den, wider ihre eigenen Glaubensgenoſſen zu fechten; nach und nach erklärten ſich Frankfurt, Ulm, Schwäbiſch-Hall, endlich auch Augsburg verweigernd. In Augsburg hatte das, wie ſich denken läßt, bei der Anweſenheit des Kaiſers die meiſte Schwierigkeit; man hielt für nothwendig, was hier nur ſelten geſchah, den größern Rath zu berufen, an welchem Mitglieder aller Zünfte Theil nahmen. Aber ſchon war der proteſtanti - ſche Geiſt allzutief in die Bürgerſchaft gedrungen, als daß ſie ihn hätte verläugnen können. Im Angeſichte des Kai - ſers verweigerte Augsburg ſeinen Abſchied anzunehmen. 1Kreß und Volkamer an Nuͤrnberg im Corp. Ref. II, 422. Beſonders merkwuͤrdig iſt der Briefwechſel zwiſchen der Stadt Frank - furt und ihren Abgeordneten. Sollte es aber mit ſich bringen, wie es on Zweyfel thut, ſchrieb Fuͤrſtenberg am 3. October, daß wir ſtillſchweygend gehellen, daß die Bekenntniß des Churfuͤrſten und ſey - nes Anhangs mit den heyligen Evangelien und Geſchriften gruͤndlich abgeleynet worden, welche Ableynung wir doch nie geſehn noch an

291Verhandlungen im Schooße der Majoritaͤt.

Es waren nunmehr vierzehn Städte, und gerade die reichſten und blühendſten unter ihnen, Strasburg, Ulm, Augsburg, Frankfurt, Nürnberg, welche ſich dem Abſchied widerſetzten. Eine Minorität, doch nicht mehr ſo unbedeu - tend, wie ſie anfangs ausgeſehen.

Mittlerweile hatte der Kaiſer einige beſondere Geſchäfte mit der Majorität verhandelt, die ſich wie geſagt nicht ſo ganz unbedingt an ihn und ſein Haus anſchloß, wie die Unterſtützung es mit ſich zu bringen ſchien, welche ſie jetzt von ihm erfuhr.

Jene Bewilligung, die der Papſt dem König Ferdi - nand von den geiſtlichen Gütern in Deutſchland und Oeſtreich zugeſtanden, wurde hartnäckig zurückgewieſen. Zuerſt er - klärten die Geiſtlichen ſich entſchloſſen, ſie nicht zu ge -1Tag kommen iſt, daß iſt unſers Erachtens wider unſer Gewiſſen und Verſtand und deshalb zu bewilligen ganz beſchwerlich und nit thun - lich und wan es gleich deßfalls nit zu widerfechten were, khan E. W. on Zweyffel wol ermeſſen, wo es zur Handlung kommen ſolt, was E. W. derwegen mit Pulver Buxen Geld und andern zu leihen und darzuſtrecken zugemut woed werden: wir wollen geſchweygen was das uf im hab zuzuſagen und zu halten was weiter beſchloſſen wird. Der hoͤchſt bedaͤchtige Rath zu Frankfurt entſchließt ſich hierauf den 14. Oct. zu folgender Antwort an den Kaiſer. Dieweil Kaiſ. Mt. ein Concilium zu verſchaffen, ſich allergnediglichſt erpotten und ein erparer Rath kainswegs ſich ye verſehen, daß Kayſ. Mt. dem ewigen Gottes Wort etwas zuwider werde aufrichten oder handhaben helffen, ſo wolle ein erbarer Rath in Bedacht hochgedachter Kayſ. Mt. als eines allergnedigſten guͤtigen milten Kaiſers ſelbß erpieten ſich deſſel - bigen getroiſten, auch fuͤran, als einem chriſtlichen Magiſtrat wol ge - ziemt, und ſo viel ſie gegen Gott der Seelen und Gewiſſen halb und dem Kayſ. Mt. von des Reichs wegen Gehorſam zu leiſten ſchuldig wie pillig allerunterthaͤnigſt gehorſamen. In ſo faltenreiches Dun - kel huͤllen ſie ihre abſchlaͤgliche Antwort. Im Ganzen ſind ſie mit ihren Geſandten einverſtanden.19*292Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.nehmigen; dann machte die ganze Verſammlung dieſe Sache zu der ihren. In einer Aufzeichnung mit Rand - bemerkungen Granvella’s findet ſich, daß ſie keine Türken - hülfe leiſten zu wollen drohte, wenn man dabei verharre. Weder im Reiche noch auch in den öſtreichiſchen Erblan - den könne eine ſolche Neuerung, eine ſolche Anmaßung des Papſtes geduldet werden. 1Les deputés ont dit clerement, que la dite hastive ayde ne sera en manière nulle consentie si premierement le roi (Fer - dinand) n’abolit entierement la bulle du pape et ce non seule - ment en l’empire mais aussi a l’encontre des subjects de tous les états qui sont demourans et habitans en pays d’Autriche, car ils donnent à entendre que de la sorte ils ne veulent nullement être en subjection du pape. (Archiv zu Bruͤſſel.) Granv. macht die Anmerkung: au roi, que S. M. regarde etc. Granvella ſetzte den König da - von in Kenntniß. Ferdinand mußte ſich wirklich entſchlie - ßen, die Bulle fallen zu laſſen.

Erſt hierauf ward die Türkenhülfe zugeſtanden. Zwar auch jetzt noch nicht, wie der Kaiſer gewünſcht hatte, eine beharrliche; eine ſolche, ſagten die Stände, werde erſt durch den Beitritt der geſammten Chriſtenheit möglich wer - den. Dagegen ward ihm eine eilende Hülfe in ganz be - deutender Anzahl bewilligt; noch einmal ſo ſtark, als zum Römerzug von 1521, 40,000 M. zu Fuß, 8000 M. zu Pferde; zwar zunächſt nur auf ſechs Monat, die man aber nöthigen Falls auch erſtrecken wolle; die Hülfe ſollte nicht in Geld, ſondern in Mannſchaften, und zwar nach der Abtheilung der Kreiſe geleiſtet werden.

Auch mit einigen andern innern Geſchäften kam man zu Stande.

Eine von dem Ausſchreiben angekündigte Hauptabſicht293Verhandlungen der Majoritaͤt.des Reichstags war, die Irrungen zwiſchen geiſtlichen und weltlichen Ständen, die in den letzten Jahren ſo viel Lär - men gemacht, beizulegen. Die geiſtlichen Stände waren früher ſehr lebhaft angeklagt worden, jetzt gaben auch ſie ihre Beſchwerden ein. Früher würde das die heftigſten Streitigkeiten veranlaßt haben: jetzt, da die gegenſeitigen Animoſitäten einer andern gemeinſchaftlichen Antipathie ge - wichen waren, ward ein Ausſchuß aus beiden Theilen nie - dergeſetzt und wirklich ein Vergleich zu Stande gebracht, den der Kaiſer als Conſtitution in das Reich zu verkün - digen Willens war. 1Concordata der geiſtlichen und weltlichen Beſchwerung, con - ſtitutionsweis zuſammengezogen bei Bucholz III, 636.

Auch die hundert Gravamina wurden hiebei wieder in Erinnerung gebracht. Die weltlichen Fürſten, gewohnt auf ihre Beſchlüſſe zu beſtehn, überreichten ſie aufs neue. Da der päpſtliche Legat zu keiner Unterhandlung darüber ermächtigt war, ſo übernahm der Kaiſer ſie durch ſeinen Geſandten in Rom in Anregung zu bringen. 2In Adrians Catalogus codicum bibl. Giessensis wird nr. 296 (p. 93) angefuͤhrt: consultatio et deliberatio consiliariorum deputatorum super gravaminibus quae nationi Germanicae per se - dem ap. inferuntur, die hieher gehoͤren wird.

Es ſcheint faſt, als habe man die Abſchaffung der Be - ſchwerden ſpäter als bewilligt angeſehen, als habe ſelbſt jene Conſtitution eine gewiſſe Autorität gehabt. 3Spittler Geſchichte der Fundamentalgeſetze der deutſch-ka - tholiſchen Kirche (Werke VIII, p. 501) verſichert, daß die beiden Ac - tenſtuͤcke, die Gravamina, die man als wirklich abgeſchloſſen betrach - tete, und die Concordata auf der Tafel des kaiſerl. Hofraths zum taͤg - chen Gebrauch gelegen.Allein wie ſehr verſchwanden jetzt dieſe Intereſſen vor den bei weitem mächtigern der Reform.

294Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.

Die vornehmſte Frage blieb, welche Haltung Kaiſer und Majorität in ihrem Verhältniß zu den Ständen, die ihren Abſchied verworfen hatten, nunmehr ergreifen würden.

So viel ich ſehe, war der Kaiſer mehr für einen un - mittelbaren Angriff, die Majorität mehr für weiteres Ver - ſchieben der Waffengewalt.

Auf wiederholtes Anfragen gab ſie ihr Gutachten da - hin ab, daß der Kaiſer ein neues Religionsmandat auf den Grund des Edictes von Worms ausgehen laſſen möge. Verweigere Sachſen mit ſeinen Anhängern demſelben ſeinen Gehorſam, ſo möge der Kaiſer ſie vorladen, die gebühr - liche Pön gegen ſie erkennen und zur Ausführung derſel - ben ſchreiten.

In dieſem Sinne iſt nun auch der Reichsabſchied ver - faßt worden.

Der Kaiſer verkündigt darin den ernſtlichen Entſchluß, ſein Edict von Worms zu vollziehn; eine Menge Abwei - chungen von demſelben führt er an, die er alle verwirft, gleichviel ob ſie lutheriſch, zwingliſch oder wiedertäuferiſch lauten; er ſchärft die Handhabung der angegriffenen Ge - bräuche und Lehren einzeln ein, und beſtätigt aufs neue die Gerechtigkeiten der geiſtlichen Fürſten. Gegen die Un - gehorſamen ſoll der kaiſerliche Fiscal gerichtlich und zwar bis zur Strafe der Acht, die nach den Anordnungen des Landfriedens auszuführen iſt, procediren.

Man verſäumte nicht, und das iſt einer der Haupt - punkte, auf den wir ſogleich zurückkommen werden, das Kammergericht neu zu conſtituiren und auf dieſen Abſchied zu verpflichten.

295Briefe Carls an den roͤm. Hof.

Dabei blieb nun aber, wie ſchon hieraus hervorgeht, ein Angriff mit den Waffen noch immer vorbehalten; mit dieſem Gedanken ging der Kaiſer unaufhörlich um.

In einem Schreiben an den Papſt vom 4. October drückte er ſich aufs neue ſehr lebhaft aus. Er meldete ihm, die Unterhandlungen ſeyen abgebrochen, die Gegner hart - näckiger als jemals, er aber entſchloſſen, alle ſeine Kraft zu ihrer Unterdrückung anzuwenden. Der Papſt möge die übrigen Fürſten der Chriſtenheit ermuntern an dieſer Sache Theil zu nehmen. 1Raince 18. October. Lui (au Pape) escrivoit le dit em - perereur estre deliberé employer tous ses biens et forces et sa pro - pre personne à leur faire la guerre, priant S. Stà vouloir admone - ster et requerir tous les princes chretiens vouloir aider et entrer à l’expedition de la dite emprise, et sur cela s. d. Sté fait dimanche congregation de cardinaux. MS. Bethune zu Paris.

Wir haben ein anderes Schreiben Carls vom 25ſten October an die Cardinäle, in welchem er ſie vor allem um die Beförderung des Conciliums bittet. Zugleich aber er - ſucht er ſie zu berathſchlagen, wie man bis dahin mit den Lu - theriſchen verfahren müſſe, um weitere Gefahren zu verhüten, und beſonders wie er das ihm obliegende Amt eines Kaiſers verwalten ſolle. Wir kündigen Euch an, fügt er hinzu, daß wir zur Vollendung dieſer Sache weder Königreiche noch Herrſchaften ſparen, ja daß wir Leib und Seele da - bei anwenden wollen, die wir dem Dienſt Gottes, des All - mächtigen vollkommen gewidmet haben. 2Il vous plaira, selon votre prudence et bonté, adviser comment on se peut gouverner avec Eux (les Lutheriens) tant pour empescher, qu’il n’advienne plus detriment à la chose publique, que partiellement pour la satisfaction de charges et of - fices, esquels par la divine clemence fumes constitués, vous ad - visans que n’epargnerons ni royaumes ni seigneuries pour la con - sommation de chose tant necessaire etc. Bethune 8539.Am 30. Oc -296Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.tober ſendete er ſeinen Mayordomo Pedro de la Cueva nach Rom, um dem Papſt anzuzeigen, die Meinung der katholiſchen Fürſten ſey zwar, daß das Jahr zu weit vor - gerückt ſey, um auf der Stelle etwas gegen die Lutheri - ſchen zu unternehmen, aber er möge deswegen nicht die Vorbereitungen zu einem ſolchen Unternehmen unterlaſſen. Seinerſeits werde er, ſo wünſchenswerth es auch für ihn wäre, nach Spanien zurückzukehren, doch alles andre hint - anſetzen, um zunächſt nach dem Rathe des Papſtes das - jenige auszuführen, was zum Dienſte Gottes und Seiner Heiligkeit gereiche.

Damit war man in Rom längſt einverſtanden. Cam - peggi hatte dem Kaiſer vor allem Anfang geſagt, ohne ir - gend ein muthiges Unternehmen werde er ſchwerlich zu Ende kommen. Er hatte ihn an Kaiſer Maximilian erinnert, der erſt Gehorſam gefunden, nachdem er die Waffen gegen das Haus Pfalz ergriffen und glücklich geführt. 1Molto più a V. conviensi in questa impresa santa e christiana a farsi obedire con tutte le vie e modi che si ponno trovare, che fece la felice memoria di Maximiliano suo avo, nelle imprese che contra i Palatini si gloriosam. fini, dipoi la quale sem - pre fu poi tenuto e riverito e obedito, Ricordando sempre che è impossibile senza qualche gagliarda exeactione et ordine estirpare le heresie.

Genug: die abendländiſche Chriſtenheit und das deut - ſche Reich, in Kaiſer und Papſt und Reichsverſammlung repräſentirt, zeigten ſich entſchloſſen, die Proteſtanten, die ſich ihnen nicht in Güte fügen wollten, durch rechtliches Verfahren und Anwendung der Gewalt zu unterdrücken.

Es mußte ſich nun zeigen, ob dieſe Kräfte haben und es verſtehen würden ſich zu behaupten.

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Sechstes Buch. Emporkommen des ſchmalkaldiſchen Bundes. 1530 1535.

[298][299]

Wie es bei den Deutſchen ſchon in den Zeiten, welche Tacitus ſchildert, von allen Strafen beinahe die vornehmſte geweſen, den öffentlichen Verſammlungen und Opfern nicht beiwohnen zu dürfen, ſo ward es während des Mittelalters für ein unerträgliches Mißgeſchick gehalten, die Mitgenoſ - ſenſchaft der Kirche, den Frieden des Reiches zu verlieren. Dieſe beiden Gemeinſchaften ſchienen alles jenſeitige und dieſſeitige Heil zu umfaſſen.

Die evangeliſchen Stände ſahen ſich jetzt auf dem Punkt, ſowohl von der einen als von der andern ausgeſchloſſen zu werden.

Von der Kirche, die mit Mißbräuchen überladen war, die ſie zu reformiren gedacht, hatten ſie ſich, da es ihnen damit nicht gelang, durch eigenen Entſchluß losgeſagt. Sie hielten in ihrem Herzen nur noch an der Idee der verbeſ - ſerten Kirche feſt. Die beſtehende Kirche dagegen wollte bleiben wie ſie war, und wies jede Annäherung ohne voll - kommene Unterwerfung von ſich.

Deshalb geſchah nun aber jetzt den Evangeliſchen, daß die Reichsgewalt, auf welche ſie ſich bei ihrem Vorhaben300Sechstes Buch.anfangs zu ſtützen gedacht, die ſich aber wieder an Rom angeſchloſſen, ſie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte.

Betrachten wir die Evangeliſchen allein, mit ihren ge - ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der Stände, dem mächtigen Kaiſer und der vereinigten lateini - ſchen Chriſtenheit gegenüber, ſo mußten ſie, ſo bald es zu ernſtlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren ſcheinen.

Eben darin liegt das vornehmſte Ereigniß des Reichs - tags zu Augsburg, daß ſie im Angeſicht dieſer Gefahr ſich doch entſchloſſen, den einmal gewonnenen religiöſen Stand - punkt, deſſen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder zu verlaſſen.

Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben hat, als von der moraliſchen Energie, die ihrer ſelbſt ge - wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen trachtet, oder den feindſeligen Kräften wenigſtens einen un - überwindlichen Widerſtand entgegenſtellt?

So wie nun aber einmal dieſer Entſchluß gefaßt wor - den, ſo war auch, wenn man um ſich her ſah, bei aller Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte, doch mit nichten verloren.

Vor allem lag die reformatoriſche Tendenz nun einmal in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die Kraft des Prinzipes, das die Proteſtirenden vertheidigten, mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen.

Sodann war das geſammte germaniſch-romaniſche301Vorwort.Abendland eben von dem gewaltigſten Feinde angegriffen, den es jemals gehabt. Mochte man nun auch ſagen was man wollte, ſo gehörten auch ſie, obwohl man ſie ver - warf, zu der gefährdeten, angegriffenen Geſammtheit; eben in ihnen repräſentirte ſich ein neuer Moment der Cultur, welche der barbariſche Feind zu vertilgen geſonnen war; Europa konnte und wollte ihrer Hülfe nicht entbehren.

Endlich aber: die Einheit, in der die katholiſche Chri - ſtenheit noch einmal erſchien, war nur das Produkt eines Momentes, glücklicher Siege, und raſcher, treffender Po - litik. Ließ ſich wohl erwarten, daß dieſer Friede zu ernſt - lichem Zuſammenwirken führen, oder auch daß er nur lange dauern würde?

Ich glaube nicht, daß irgend Jemandem von den da - mals Lebenden dieſe Lage der Dinge zu vollem Bewußt - ſeyn gekommen iſt. Ein Gefühl davon hatte wohl am er - ſten noch Landgraf Philipp. Die Uebrigen gingen, ohne weiter viel um ſich zu ſehen, mit ihrem Gewiſſen zu Rathe.

Sowohl für dieſe aber, als für die allgemeine Ent - wickelung kam nun zunächſt alles darauf an, daß ſich ein Kern des Widerſtandes feſtſetzte, um nicht von dem erſten Sturme überwältigt zu werden, um die Gunſt der Um - ſtände, die jetzt den Gegnern zu Statten gekommen, für ein ander Mal auch dieſſeit benutzen zu können.

[302]

Erſtes Capitel. Grundlegung des ſchmalkaldiſchen Bundes.

Die Kirche hatte an und für ſich keine politiſche Macht; ſie bekam deren nur dann, wenn das Reich ihr ſeinen Arm lieh. Der Bann, ſagt der Sachſenſpiegel, ſchadet nur der Seele; Kränkung an Landrecht und Lehnrecht erfolgt erſt aus des Königs Acht.

So feindſelig auch die Stimmung der Majorität auf dem Reichstage den Proteſtanten war, ſo kam es daſelbſt, trotz der Abweichung derſelben von der Kirche, doch nicht zu dieſer Acht. Die Majorität, die den Kaiſer ſchon nicht hatte wollen Richter ſeyn laſſen, trug Bedenken, ihm die Waffen in die Hände zu geben.

Sie faßte die Abſicht, während ein kriegeriſches Un - ternehmen doch immer als nahe bevorſtehend erſchien, den Streit zunächſt auf ein andres Feld zu verſetzen: ſie wollte wie man ſich ausdrückte, nicht fechten ſondern rechten. Von jenen großen Reichsinſtituten, welche zur Erhaltung der nationalen Einheit mit ſo vieler Mühe gegründet wor - den, das einzige, das ſich in Anſehn erhalten, das Reichs -303Umgeſtaltung des Kammergerichtes.kammergericht, welches den kaiſerlichen Gerichtszwang aus - übte, und doch vorzugsweiſe ſtändiſcher Natur war, dachte ſie zu dieſem Zwecke zu benutzen.

Noch in Augsburg ward das Kammergericht vor allen Dingen erweitert, zu ſeinen Geſchäften beſſer ausgerüſtet. Man vermehrte die Anzahl der Beiſitzer von 18 auf 24; wie ſich verſteht, mit Beibehaltung des Wahlrechts der Kreiſe; noch außerdem aber hielt man für nothwendig, um die alten Händel zu erledigen, acht erfahrene Doctores an - zuſtellen. Ferner beſchloß man das Gericht einer neuen Vi - ſitation zu unterwerfen. Wir erinnern uns, in welchem Sinne es ſchon damals, als das alte Regiment fiel, ge - reinigt worden war. 1Bd. II, p. 138.Die nemliche Tendenz herrſchte auch jetzt vor. Unter den Procuratoren und Advocaten waren ſieben, die wegen ihrer religiöſen Haltung ernſtlich gewarnt wurden; ein achter mußte ſich eine Zeitlang entfernen. 2Harpprecht, Staatsarchiv des Kammergerichts V, 82.