Jedermann kennt die Macht von Rom in alten und mittleren Zeiten: auch in den neuern hat es eine große Epoche verjüngter Weltherrſchaft erlebt. Nach dem Abfall, den es in der erſten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts erfuhr, hat es ſich noch einmal zum Mittelpunct des Glaubens und Den - kens der ſüdeuropäiſchen, romaniſchen Nationen zu erheben gewußt, und kühne, nicht ſelten glückliche Verſuche gemacht, ſich die übrigen wieder zu un - terwerfen.
Dieſen Zeitraum einer erneuerten kirchlich - weltlichen Macht, ihre Verjüngung und innere Aus - bildung, ihren Fortſchritt und Verfall habe ich die Abſicht wenigſtens im Umriß darzuſtellen.
* 2VIVorrede.Ein Unternehmen, das, ſo mangelhaft es auch ausfallen mag, doch nicht einmal verſucht werden könnte, hätte ich nicht Gelegenheit gefunden, mich einiger, bisher unbekannten Hülfsmittel zu bedie - nen. Ich habe wohl vor allem die Pflicht, dieſe Hülfsmittel und ihre Provenienz im Allgemeinen zu bezeichnen.
Früher gab ich bereits an, was unſre Berli - ner Handſchriften enthalten.
Aber um wie viel reicher iſt ſchon Wien an Schätzen dieſer Art als Berlin.
Neben ſeinem deutſchen Grundbeſtandtheil hat Wien noch ein europäiſches Element: die mannich - faltigſten Sitten und Sprachen begegnen ſich von den oberſten bis in die unterſten Stände, und na - mentlich tritt Italien in lebendiger Repräſentation auf. Auch die Sammlungen haben einen umfaſ - ſenden Character. Er ſchreibt ſich von der Politik und Weltſtellung des Staates, der alten Verbindung deſſelben mit Spanien, Belgien, der Lombardei, dem genauen nachbarlichen und kirchlichen Verhältniß zu Rom unmittelbar her. Von jeher liebte man dort, herbeizubringen, zu haben, zu beſitzen. Schon die urſprünglichen und einheimiſchen Sammlun - gen der K. K. Hofbibliothek ſind deshalb von gro - ßem Werth. Später ſind einige fremde dazu er - worben worden. Aus Modena hat man eine An -VIIVorrede.zahl Bände, unſern Informationi ähnlich, von dem Hauſe Rangone, aus Venedig die unſchätzbaren Handſchriften des Dogen Marco Foscarini ange - kauft: darunter die Vorarbeiten des Eigenthümers zur Fortſetzung ſeines literariſchen Werkes, italieni - ſche Chroniken, von denen ſich nirgends eine wei - tere Spur findet: aus dem Nachlaß des Prinzen Eugen iſt eine reiche Sammlung hiſtoriſch-politi - ſcher Manuſcripte, die dieſer auch als Staatsmann ausgezeichnete Fürſt mit allgemeinem Ueberblick an - gelegt hatte, herübergekommen. Mit Vergnügen und Hoffnung ſieht man die Cataloge durch: bei der Unzulänglichkeit der meiſten gedruckten Werke über die neuere Geſchichte, ſo viele noch nicht ge - hobene Kenntniß! eine Zukunft von Studien! Und doch bietet Wien, wenige Schritte weiter, noch be - deutendere Subſidien dar. Das kaiſerliche Archiv enthält, wie man von ſelbſt erachtet, die wichtig - ſten und zuverläſſigſten Denkmale für deutſche, all - gemeine und beſonders auch italieniſche Geſchichte. Zwar iſt von dem venezianiſchen Archive bei wei - tem der größte Theil nach mancherlei Wanderungen wieder nach Venedig zurückgekommen: aber eine nicht unbedeutende Maſſe venezianiſcher Papiere fin - det man noch immer in Wien: Depeſchen im Ori - ginal oder in der Abſchrift; Auszüge daraus zum Gebrauche des Staats verfaßt, genannt Rubrica -VIIIVorrede.rien; Relationen, nicht ſelten in dem einzigen Exem - plar, welches exiſtiren mag und von hohem Werth; amtliche Regiſter der Staatsbehörden; Chroniken und Tagebücher. Die Nachrichten, die man in die - ſem Bande über Gregor XIII. und Sixtus V. fin - den wird, ſind größtentheils aus dem Wiener Ar - chiv geſchöpft. Ich kann die unbedingte Liberali - tät, mit der man mir den Zutritt zu demſelben verſtattet hat, nicht genug rühmen.
Ueberhaupt ſollte ich wohl an dieſer Stelle die mannichfaltige Förderung, die mir bei meinem Vor - haben ſowohl zu Hauſe als in der Fremde zu Theil geworden, im Einzelnen aufführen. Ich trage je - doch, ich weiß nicht, ob mit Recht, Bedenken. All - zuviele Namen müßte ich nennen, und darunter ſehr bedeutende: meine Dankbarkeit würde faſt ruhmredig herauskommen, und einer Arbeit, die alle Urſache hat, beſcheiden aufzutreten, einen An - ſtrich von Prunk geben, den ſie nicht vertragen möchte.
Nach Wien war mein Augenmerk noch vorzüg - lich auf Venedig und auf Rom gerichtet.
In Venedig hatten einſt die großen Häu - ſer faſt ſämmtlich die Gewohnheit, ſich neben ei - ner Bibliothek auch ein Kabinet von Handſchriften anzulegen. Die Natur der Sache bringt es mit ſich, daß ſich dieſe vornehmlich auf die Angele -IXVorrede.genheiten der Republik bezogen: ſie repräſentirten den Antheil, welchen die Familie an den öffentli - chen Geſchäften genommen: als Denkmäler des Hauſes, zur Unterweiſung ſeiner jüngeren Mitglie - der wurden ſie aufbewahrt. Von ſolchen Privat - ſammlungen beſtehn noch immer einige: eine und die andre war mir zugänglich. Ungleich mehrere dagegen ſind in dem Ruin des Jahres 1797 und ſeitdem zu Grunde gegangen. Wenn davon doch noch mehr erhalten worden iſt, als man vermu - then ſollte, ſo hat man dieß vorzüglich den Bi - bliothekaren von S. Marco zu danken, die in dem allgemeinen Schiffbruch ſo viel zu retten ſuchten, als nur immer die Kräfte ihres Inſtitutes erlaub - ten. In der That bewahrt dieſe Bibliothek einen anſehnlichen Schatz von Handſchriften, welche für die innere Geſchichte der Stadt und des Staa - tes unentbehrlich, und ſelbſt für die europäiſchen Verhältniſſe von Bedeutung ſind. Nur muß man nicht zu viel erwarten. Es iſt ein ziemlich neuer Beſitz: aus Privatſammlungen zufällig erwachſen: ohne Vollſtändigkeit oder durchgreifenden Plan. Nicht zu vergleichen iſt er mit den Reichthümern des Staatsarchives, zumal wie dies heut zu Tage eingerichtet iſt. Bei Gelegenheit einer Unterſuchung über die Verſchwörung im Jahre 1618 habe ich das venezianiſche Archiv bereits geſchildert und willXVorrede.mich nicht wiederholen. Für meinen römiſchen Zweck mußte mir vor allem an den Relationen der Geſandten, die von Rom zurückgekommen, gelegen ſeyn. Sehr erwünſcht war es mir doch, auch ſo manche andre Sammlung benutzen zu können: Lük - ken ſind nirgends zu vermeiden: und dieß Archiv hat bei ſo vielen Wanderungen beſondre Verluſte erleiden müſſen. An den verſchiedenen Stellen brachte ich acht und vierzig Relationen über Rom zuſammen: die älteſte vom Jahre 1500: neunzehn für das ſechszehnte, ein und zwanzig für das ſiebzehnte Jahrhundert; eine beinahe vollſtändige, nur noch hier und da unterbrochene Reihe; für das acht - zehnte zwar nur acht, aber auch dieſe ſehr beleh - rend und willkommen. Bei weitem von den mei - ſten ſah und benutzte ich das Original. Sie ent - halten eine große Menge wiſſenswürdiger, aus un - mittelbarer Anſchauung hervorgegangener, mit dem Leben der Zeitgenoſſen verſchwundener Notizen, die mir zu einer fortlaufenden Darſtellung zuerſt die Ausſicht und den Muth gaben.
Sie zu bewähren, zu erweitern, ließen ſich, wie ſich verſteht, nur in Rom die Mittel finden.
War es aber zu erwarten, daß man hier ei - nem Fremden, einem Andersgläubigen in den öf - fentlichen Sammlungen freie Hand laſſen würde, um die Geheimniſſe des Papſtthums zu entdecken? XIVorrede.Es wäre vielleicht ſo ungeſchickt nicht, wie es aus - ſieht, denn keine Forſchung kann etwas Schlimme - res an den Tag bringen, als die unbegründete Ver - muthung annimmt, und als die Welt nun einmal für wahr hält. Jedoch ich kann mich nicht rüh - men, daß es geſchehen ſey. Von den Schätzen des Vatican habe ich Kenntniß nehmen und eine An - zahl Bände für meinen Zweck benutzen können, doch ward mir die Freiheit, die ich mir gewünſcht hätte, keinesweges gewährt. Glücklicherweiſe aber eröffneten ſich mir andere Sammlungen, aus denen ſich eine wenn nicht vollſtändige, doch ausreichende und authentiſche Belehrung ſchöpfen ließ. In den Zeiten der blühenden Ariſtokratie — das iſt haupt - ſächlich in dem ſiebzehnten Jahrhundert — behiel - ten in ganz Europa die vornehmen Geſchlechter, welche die Geſchäfte verwalteten, auch einen Theil der öffentlichen Papiere in Händen. Nirgend mag das wohl ſo weit gegangen ſeyn, wie in Rom. Die herrſchenden Nepoten, die allemal die Fülle der Gewalt beſaßen, hinterließen den fürſtlichen Häuſern, die ſie gründeten, in der Regel auch ei - nen guten Theil der Staatsſchriften, die ſich wäh - rend ihrer Verwaltung bei ihnen angeſammelt, als einen immerwährenden Beſitz. Es gehörte das mit zur Ausſtattung einer Familie. In dem Pallaſte, den ſie ſich erbaute, blieben immer ein paar SäleXIIVorrede.gewöhnlich in den oberſten Räumen für Bücher und handſchriften vorbehalten, die dann würdig, wie es bei den Vorgängern geſchehen, ausgefüllt ſeyn wollten. Die Privatſammlungen ſind hier in ge - wiſſer Hinſicht zugleich die öffentlichen, und das Archiv des Staats zerſtreute ſich, ohne daß Jemand Anſtoß daran genommen hätte, in die Häuſer der verſchiedenen Familien, welche die Geſchäfte ver - waltet hatten. Ungefähr eben ſo wie der Ueber - ſchuß des Staatsvermögens den papalen Geſchlech - tern zu Gute kam; wie ſich die vaticaniſche Galle - rie, obwohl ausgezeichnet durch die Wahl der Mei - ſterſtücke, die ſie enthält, doch in Umfang und hiſto - riſcher Bedeutung mit einigen privaten, wie der Gallerie Borgheſe oder Doria, nicht meſſen kann. So kommt es, daß die Manuſcripte, welche in den Palläſten Barberini, Chigi, Altieri, Albani, Cor - ſini aufbewahrt werden, für die Geſchichte der rö - miſchen Päpſte, ihres Staates und ihrer Kirche von unſchätzbarem Werth ſind. Das Staatsarchiv, das man noch nicht ſehr lange eingerichtet hat, iſt be - ſonders durch die Sammlung der Regeſten für das Mittelalter wichtig: ein Theil der Geſchichte dieſes Zeitraums wird hier noch des Entdeckers harren: doch ſo weit meine Kenntniß reicht, muß ich glau - ben, daß es für die neueren Jahrhunderte nicht viel ſagen will. Es verſchwindet, wenn ich nichtXIIIVorrede.mit Abſicht getäuſcht worden bin, vor dem Glanz und Reichthum der Privatſammlungen. Von die - ſen umfaßt eine jede, wie ſich verſteht, vor al - lem die Epoche, in welcher der Papſt des Hauſes ſaß; aber da die Nepoten auch noch nachher eine bedeutende Stelle einnahmen, da Jedermann eine einmal angefangene Sammlung zu erweitern und zu ergänzen befliſſen iſt, und ſich in Rom, wo ſich ein literariſcher Verkehr mit Handſchriften gebildet hatte, hierzu Gelegenheit genug fand, ſo iſt keine, die nicht auch andere, nähere und fernere Zeiten mit erfreulichen Erläuterungen berührte. Von allen die reichſte — in Folge einiger auch in dieſem Stück ein - träglicher Erbſchaften — iſt die Barberiniana: die Corſiniana hat man gleich von Anfang mit der mei - ſten Umſicht und Auswahl angelegt. Ich hatte das Glück, dieſe Sammlungen alle, und noch einige an - dere von minderem Belang, zuweilen mit unbe - ſchränkter Freiheit, benutzen zu können. Eine un - verhoffte Ausbeute von zuverläſſigen und zum Ziele treffenden Materialien boten ſie mir dar. Corre - ſpondenzen der Nuntiaturen, mit den Inſtructionen, die mitgegeben, den Relationen, die zurückgebracht wurden: ausführliche Lebensbeſchreibungen meh - rerer Päpſte, um ſo unbefangener, da ſie nicht für das Publikum beſtimmt waren: Lebensbeſchrei - bungen ausgezeichneter Cardinäle: offizielle undXIVVorrede.private Tagebücher; Erörterungen einzelner Bege - benheiten und Verhältniſſe; Gutachten, Rath - ſchläge; Berichte über die Verwaltung der Provin - zen, ihren Handel und ihr Gewerbe; ſtatiſtiſche Tabellen, Berechnungen von Ausgabe und Ein - nahme: — bei weitem zum größten Theile noch durchaus unbekannt: gewöhnlich von Männern ver - faßt, welche eine lebendige Kenntniß ihres Gegen - ſtandes beſaßen, und von einer Glaubwürdigkeit, die zwar Prüfung und ſichtende Kritik keinesweges aus - ſchließt: aber wie ſie Mittheilungen wohlunterrichte - ter Zeitgenoſſen allemal in Anſpruch nehmen. Von dieſen Schriften betrifft die älteſte, die ich zu benutzen fand, die Verſchwörung des Porcari wider Nico - laus V.; für das funfzehnte Jahrhundert kamen mir nur noch ein paar andre vor: mit dem Ein - tritt in das ſechszehnte werden ſie mit jedem Schritt umfaſſender, zahlreicher: den ganzen Verlauf des ſiebzehnten, in welchem man von Rom ſo wenig Zuverläſſiges weiß, begleiten ſie mit Belehrungen, die ebendeshalb doppelt erwünſcht ſind; ſeit dem Anfang des achtzehnten dagegen nehmen ſie an Zahl und innerem Werth ab. Hatten doch damals auch Staat und Hof von ihrer Wirkſamkeit und Bedeu - tung bereits nicht wenig verloren. Ich werde dieſe römiſchen Schriften wie die venezianiſchen, zum Schluß ausführlich durchgehen und alles nachtra -XVVorrede.gen, was mir darin noch denkwürdig vorkommen möchte, ohne daß ich es im Laufe der Erzählung hätte berühren können.
Denn für dieſe ergiebt ſich, ſchon wegen der ungemeinen Maſſe des Stoffes, die ſich nun in ſo vielen ungedruckten und den gedruckten Schriften vor Augen legt, eine unerläßliche Beſchränkung.
Ein Italiener oder Römer, ein Katholik würde die Sache ganz anders angreifen. Durch den Aus - druck perſönlicher Verehrung, oder vielleicht wie jetzt die Sachen ſtehen, perſönlichen Haſſes würde er ſei - ner Arbeit eine eigenthümliche, ich zweifle nicht, glän - zendere Farbe geben; auch würde er in vielen Stük - ken ausführlicher, kirchlicher, localer ſeyn. Ein Proteſtant, ein Norddeutſcher kann hierin nicht mit ihm wetteifern. Er verhält ſich um vieles indif - ferenter gegen die päpſtliche Gewalt; auf eine Wärme der Darſtellung, wie ſie aus Vorliebe oder Widerwillen hervorgeht, wie ſie vielleicht einen ge - wiſſen Eindruck in Europa machen könnte, muß er von vorn herein verzichten. Für jenes kirchliche oder canoniſche Detail geht uns am Ende auch die wahre Theilnahme ab. Dagegen ergeben ſich uns auf unſrer Stelle andere, und wenn ich nicht irre, reiner hiſtoriſche Geſichtspuncte. Denn was iſt es heut zu Tage noch, das uns die Geſchichte der päpſtlichen Gewalt wichtig machen kann? NichtXVIVorrede.mehr ihr beſonderes Verhältniß zu uns, das ja keinen weſentlichen Einfluß weiter ausübt: noch auch Beſorgniß irgend einer Art; die Zeiten, wo wir etwas fürchten konnten, ſind vorüber; wir fühlen uns allzu gut geſichert. Es kann nichts ſeyn, als ihre weltgeſchichtliche Entwickelung und Wirkſam - keit. Nicht ſo unwandelbar wie man annimmt war doch die päpſtliche Gewalt. Sehen wir von den Grundſätzen ab, welche ihr Daſeyn be - dingen, die ſie nicht aufgeben kann, ohne ſich ſelbſt dem Untergange zu widmen, ſo iſt ſie übri - gens von den Schickſalen, welche die europäiſche Menſchheit betroffen haben, immer nicht weniger bis in ihr inneres Weſen berührt worden, als jede andere. Wie die Weltgeſchicke gewechſelt, eine oder die andere Nation vorgeherrſcht, ſich das allgemeine Leben bewegt hat, ſind auch in der päpſtlichen Ge - walt, ihren Maximen, Beſtrebungen, Anſprüchen, weſentliche Metamorphoſen eingetreten, und hat vor allem ihr Einfluß die größten Veränderungen erfah - ren. Sieht man das Verzeichniß ſo vieler gleich - lautender Namen durch: alle die Jahrhunderte herab, von jenem Pius I. in dem zweiten, bis auf unſre Zeitgenoſſen in dem neunzehnten, Pius VII. und VIII., ſo macht das wohl den Ein - druck einer ununterbrochenen Stetigkeit: doch mußmanXVIIVorrede.man ſich davon nicht blenden laſſen: in Wahr - heit unterſcheiden ſich die Päpſte der verſchiede - nen Zeitalter nicht viel anders als die Dynaſtien eines Reiches. Für uns, die wir außerhalb ſtehen, iſt gerade die Beobachtung dieſer Umwandlungen von dem vornehmſten Intereſſe. Es erſcheint in ihnen ein Theil der allgemeinen Geſchichte, der ge - ſammten Weltentwickelung. Nicht allein in den Pe - rioden einer unbezweifelten Herrſchaft, ſondern viel - leicht noch mehr alsdann, wenn Wirkung und Ge - genwirkung auf einander ſtoßen, wie in den Zei - ten, die das gegenwärtige Buch umfaſſen ſoll, in dem ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhundert, wo wir das Papſtthum gefährdet, erſchüttert, ſich dennoch behaupten und befeſtigen, ja aufs neue ausbreiten, eine Zeitlang vordringen, endlich aber wieder einhalten, und einem abermaligen Verfalle zuneigen ſehen: Zeiten, in denen ſich der Geiſt der abendländiſchen Nationen vorzugsweiſe mit kirchlichen Fragen beſchäftigte und jene Gewalt, die von den einen verlaſſen und angegriffen, von den andern feſtgehalten und mit friſchem Eifer ver - theidigt wurde, nothwendig eine erhöhte allgemeine Bedeutung bekam. Sie von dieſem Geſichtspunct aus zu faſſen, fordert uns unſre natürliche Stellung auf und will ich nun verſuchen.
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XVIIIVorrede.Ich beginne billig damit, den Zuſtand der päpſtlichen Gewalt in dem Anfange des ſechszehn - ten Jahrhunderts und den Gang der Dinge, der zu demſelben geführt hatte, ins Gedächtniß zurück - zurufen.
Druckfehler.
Seite 310 Zeile 14 lies: ſtarrſinnigen, ſtatt: ſcharfſinnigen. — 484 — 13 l. den mythologiſchen, ſt. mythologiſch.
Ueberlicken wir den Umkreis der alten Welt in den fruͤ - heren Jahrhunderten, ſo finden wir ihn mit einer großen Anzahl unabhaͤngiger Voͤlkerſchaften erfuͤllt. Um das Mit - telmeer her, ſo weit von den Kuͤſten die Kunde in das in - nere Land reicht, wohnen ſie: mannichfaltig geſondert, ur - ſpruͤnglich alle enge begrenzt, in lauter freien und eigen - thuͤmlich eingerichteten Staaten. Die Unabhaͤngigkeit, die ſie genießen, iſt nicht allein politiſch: allenthalben hat ſich eine oͤrtliche Religion ausgebildet; die Ideen von Gott und goͤttlichen Dingen haben ſich gleichſam localiſirt; na - tionale Gottheiten von den verſchiedenſten Attributen neh - men die Welt ein; das Geſetz, das ihre Glaͤubigen beob - achten, iſt mit dem Staatsgeſetz unaufloͤslich vereinigt. Wir duͤrfen ſagen: dieſe enge Vereinigung von Staat und Religion, dieſe zwiefache Freiheit, nur durch ſtammver -1*4Kap. I. Epochen des Papſtthums.wandtſchaftliche Verbindungen leicht beſchraͤnkt, hatte den groͤßten Antheil an der Bildung des Alterthums. Man war in enge Grenzen eingeſchloſſen, aber innerhalb derſel - ben konnte ſich die ganze Fuͤlle eines jugendlichen ſich ſel - ber uͤberlaſſenen Daſeyns in freien Trieben entwickeln.
Wie wurde dieß alles ſo ganz anders als die Macht von Rom emporkam. Alle die Autonomien, welche die Welt erfuͤllen, ſehen wir eine nach der andern ſich beugen und verſchwinden: wie ward die Erde ploͤtzlich ſo oͤde an freien Voͤlkern.
Zu andern Zeiten ſind die Staaten erſchuͤttert worden, weil man aufgehoͤrt hatte an die Religion zu glauben; da - mals mußte die Unterjochung der Staaten den Verfall ihrer Religionen nach ſich ziehen. Mit Nothwendigkeit, im Gefolge der politiſchen Gewalt, ſtroͤmten ſie nach Rom zuſammen: welche Bedeutung aber konnte ihnen noch bei - wohnen, ſobald ſie von dem Boden losgeriſſen wurden, auf dem ſie einheimiſch waren? Die Verehrung der Iſis hatte vielleicht einen Sinn in Egypten: ſie vergoͤtterte die Naturkraͤfte, wie ſie in dieſem Lande erſcheinen: in Rom ward ein Goͤtzendienſt ohne allen Sinn daraus. Indem dann die verſchiedenen Mythologien einander beruͤhrten, konnten ſie nicht anders als ſich wechſelſeitig beſtreiten und aufloͤſen. Es war kein Philoſophem zu erdenken, das ihren Widerſpruch zu beſeitigen vermocht haͤtte.
Waͤre dieß aber auch moͤglich geweſen, ſo haͤtte es dem Beduͤrfniß der Welt ſchon nicht mehr genuͤgt.
Bei aller Theilnahme, die wir dem Untergange ſo vie - ler freien Staaten widmen, koͤnnen wir doch nicht leugnen,5Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.daß aus ihrem Ruin unmittelbar ein neues Leben hervor - ging. Indem die Freiheit unterlag, fielen zugleich die Schranken der engen Nationalitaͤten. Die Nationen wa - ren uͤberwaͤltigt, zuſammen erobert worden, aber eben dadurch vereinigt, verſchmolzen. Wie man das Gebiet des Reiches den Erdkreis nannte, ſo fuͤhlten ſich die Einwoh - ner deſſelben als ein einziges, ein zuſammengehoͤrendes Ge - ſchlecht. Das menſchliche Geſchlecht fing an, ſeine Ge - meinſchaftlichkeit inne zu werden.
In dieſem Moment der Weltentwickelung ward Jeſus Chriſtus geboren.
Wie ſo unſcheinbar und verborgen war ſein Leben: ſeine Beſchaͤftigung, Kranke zu heilen, ein paar Fiſchern, die ihn nicht immer verſtanden, andeutend und in Gleich - niſſen von Gott zu reden; er hatte nicht, da er ſein Haupt hinlegte; — aber, auch auf dem Standpunkte dieſer un - ſerer weltlichen Betrachtung duͤrfen wir es ſagen: unſchul - diger und gewaltiger, erhabener, heiliger hat es auf Er - den nichts gegeben, als ſeinen Wandel, ſein Leben und Sterben: in jedem ſeiner Spruͤche wehet der lautere Got - tes-Odem; es ſind Worte, wie Petrus ſich ausdruͤckt, des ewigen Lebens; das Menſchengeſchlecht hat keine Erinne - rung, welche dieſer nur von ferne zu vergleichen waͤre.
Wenn die nationalen Verehrungen jemals ein Ele - ment wirklicher Religion in ſich einſchloſſen, ſo war dieß nunmehr vollends verdunkelt; ſie hatten, wie geſagt, kei - nen Sinn mehr; in dem Menſchenſohn, Gottesſohn er - ſchien ihnen gegenuͤber das ewige und allgemeine Verhaͤlt - niß Gottes zu der Welt, des Menſchen zu Gott.
6Kap. I. Epochen des Papſtthums.In einer Nation ward Chriſtus geboren, die den Mo - notheismus, den ſie bekannte, zwar eben auch nur als ei - nen nationalen Dienſt dachte und mit einem abſtoßenden einſeitigen Ritualgeſetz umgeben hielt, die ſich aber das unermeßliche Verdienſt erworben, ihn feſtzuhalten, ſich ihn nie entreißen zu laſſen. Nun erſt bekam derſelbe ſeine volle Bedeutung. Chriſtus loͤſte das Geſetz auf, indem er es erfuͤllte; der Menſchenſohn erwies ſich nach ſeinem Aus - ſpruch als Herr auch des Sabbaths; er entfeſſelte den ewigen Inhalt der von einem engen Verſtand unbegriffe - nen Formen. Aus dem Volke, das ſich bisher von allen andern abgeſondert, erhob ſich dann mit der Kraft der Wahrheit ein Glaube, der ſie alle einlud und aufnahm. Es ward der allgemeine Gott verkuͤndigt, der, wie Paulus den Athenern predigte, der Menſchen Geſchlechter von Ei - nem Blut uͤber den Erdboden wohnen laſſen. — Fuͤr dieſe erhabene Lehre war, wie wir ſahen, eben der Zeitpunct eingetreten: es gab ein Menſchengeſchlecht, ſie zu faſſen. Wie ein Sonnenblick, ſagt Euſebius1)Hist. eccl. II, 3., leuchtete ſie uͤber die Erde dahin. In der That ſehen wir ſie in kurzer Zeit von dem Euphrat bis an den Ebro, bis an den Rhein und die Donau, uͤber die geſammten Grenzen des Reiches ausgebreitet.
So harmlos und unſchuldig ſie aber auch war, ſo mußte ſie doch der Natur der Sache nach in den beſtehen - den Dienſten, die mit ſo vielen Intereſſen des Lebens ver - bunden waren, den ſtaͤrkſten Widerſtand finden. Ich will nur Ein Moment anfuͤhren, das mir beſonders wichtig ſcheint.
7Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.Noch einmal hatten die antiken Religionen ihre poli - tiſche Richtung geltend gemacht. Die Summe aller jener Autonomien, welche einſt die Welt erfuͤllt, ihr Geſammt - inhalt war einem Einzigen zu Theil geworden; es gab nur noch eine einzige Gewalt, die von ſich ſelber abhaͤngig zu ſeyn ſchien; an dieſe ſchloſſen ſie ſich an: ſie widmeten dem Imperator goͤttliche Verehrung1)Eckhel: Doctrina numorum veterum P. II, vol. VIII. p. 456; er fuͤhrt eine Stelle des Tertullian an (apol. c. 28), aus der ſich zu ergeben ſcheint, daß die Verehrung des Caͤſars zuweilen auch die lebhafteſte war.. Man richtete ihm Tempel auf, opferte ihm auf Altaͤren, ſchwur bei ſeinem Namen, und feierte ihm Feſte; ſeine Bildniſſe gewaͤhrten ein Aſyl. Die Verehrung, die dem Genius des Impera - tors gewidmet wurde, war vielleicht die einzige allgemeine die es in dem Reiche gab. Alle Goͤtzendienſte bequemten ſich ihr: ſie war eine Stuͤtze derſelben.
Gegen das Chriſtenthum aber trat ſie, wie man leicht einſieht, in den ſchaͤrfſten Gegenſatz, der ſich denken laͤßt.
Der Imperator faßte die Religion in dem weltlich - ſten Bezuge, — an die Erde und ihre Guͤter gebunden: ihm ſeyen dieſelben uͤbergeben, ſagt Celſus, was man habe, komme von ihm. Das Chriſtenthum faßte ſie in der Fuͤlle des Geiſtes und der uͤberirdiſchen Wahrheit.
Der Imperator vereinigte Staat und Religion; das Chriſtenthum trennte vor allem das was Gottes, von dem was des Kaiſers iſt.
Indem man dem Imperator opferte, bekannte man ſich zur tiefſten Knechtſchaft. Eben darin, worin bei der8Kap. I. Epochen des Papſtthums.fruͤheren Verfaſſung die volle Unabhaͤngigkeit beſtand, in der Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da - maligen die Beſiegelung der Unterjochung. Daß das Chri - ſtenthum dem Kaiſer zu opfern verbot, ſchloß die großar - tigſte Befreiung ein. Das aͤlteſte urſpruͤngliche religioͤſe Bewußtſeyn, wenn es wahr iſt, daß ein ſolches allem Goͤtzendienſt vorangegangen, erweckte es in den Nationen wieder, und ſetzte es dieſer weltherrſchenden Gewalt entge - gen, die nicht zufrieden mit dem Irdiſchen, auch das Goͤt - liche umfaſſen wollte. Dadurch bekam der Menſch ein gei - ſtiges Element, in dem er wieder ſelbſtſtaͤndig, frei und perſoͤnlich unuͤberwindlich wurde; es kam Friſche und neue Lebensfaͤhigkeit in den Boden der Welt; ſie wurde zu neuen Hervorbringungen befruchtet.
Es war der Gegenſatz des Irdiſchen und des Geiſti - gen, der Knechtſchaft und der Freiheit; allmaͤhligen Ab - ſterbens und lebendiger Verjuͤngung.
Es iſt hier nicht der Ort, den langen Kampf dieſer Prinzipien zu beſchreiben. Alle Elemente des Lebens wurden in die Bewegung gezogen, und allmaͤhlig von dem chriſt - lichen Weſen ergriffen, durchdrungen, in dieſe große Rich - tung des Geiſtes fortgeriſſen. Von ſich ſelber, ſagt Chry - ſoſtomus, iſt der Irrthum des Goͤtzendienſtes verloſchen1)λόγος εἰς τὸν μακάϱιον Βαβύλαν καὶ κατὰ Ἰουλιανοῦ καὶ πϱὸς Ἕλληνας. Chrysostomi Opp. ed. Paris. II, 540. . Schon ihm erſcheint das Heidenthum wie eine eroberte Stadt, deren Mauern zerſtoͤrt, deren Hallen, Theater und oͤffentliche Gebaͤude verbrannt, deren Vertheidiger umge -9Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.kommen ſeyen: nur unter den Truͤmmern ſehe man noch ein paar Alte, ein paar Kinder ſtehen.
Bald waren auch dieſe nicht mehr, und es trat eine Verwandelung ohne Gleichen ein.
Aus den Catacomben ſtieg die Verehrung der Maͤrty - rer hervor; an den Stellen, wo die olympiſchen Goͤtter angebetet worden, aus den naͤmlichen Saͤulen, die deren Tempel getragen, erhoben ſich Heiligthuͤmer, zum Gedaͤcht - niß derjenigen, die dieſen Dienſt verſchmaͤhet und daruͤber den Tod gefunden hatten. Der Cultus, den man in Ein - oͤden und Gefaͤngniſſen begonnen, nahm die Welt ein. Man verwundert ſich zuweilen, daß gerade ein weltliches Ge - baͤude der Heiden, die Baſilika, zu einem chriſtlichen um - gewandelt worden. Es hat dieß doch etwas ſehr Bezeich - nendes. Die Apſis der Baſilika enthielt ein Auguſteum1)Ich nehme dieſe Notiz aus E. Q. Visconti: zum Museo Pio-Clementino. VII, p. 100. (Ausg. v. 1807.) die Bilder eben jener Caͤſaren, denen man goͤttliche Ehre erwies. An die Stelle derſelben trat, wie wir es in ſo vielen Baſiliken noch heute ſehen, das Bild Chriſti und der Apoſtel; an die Stelle der Weltherrſcher, die ſelber als Goͤtter betrachtet wurden, trat der Menſchenſohn, Gottes - ſohn. Die localen Gottheiten wichen, verſchwanden. An allen Landſtraßen, auf der ſteilen Hoͤhe des Gebirgs, in den Paͤſſen durch die Thalſchluchten, auf den Daͤchern der Haͤuſer, in der Moſaik der Fußboͤden ſah man das Kreuz. Es war ein entſcheidender vollſtaͤndiger Sieg. Wie man auf den Muͤnzen Conſtantins das Labarum mit dem Mono - gramm Chriſti uͤber dem beſiegten Drachen erblickt, ſo er -10Kap. I. Epochen des Papſtthums.hob ſich uͤber dem gefallenen Heidenthum Verehrung und Name Chriſti.
Auch von dieſer Seite betrachtet, wie unendlich iſt die Bedeutung des roͤmiſchen Reiches. In den Jahrhunderten ſeiner Erhebung hat es die Unabhaͤngigkeiten gebrochen, die Voͤlker unterworfen; es hat jenes Gefuͤhl der Selbſtſtaͤndig - keit, das in der Sonderung lag, vernichtet; dagegen hat es dann in ſeinen ſpaͤteren Zeiten die wahre Religion in ſeinem Schooße hervorgehen ſehen, — die reinſte Form eines gemeinſamen Bewußtſeyns; das Bewußtſeyn der Ge - meinſchaft in dem Einen wahren Gott; es hat die Herr - ſchaft derſelben entwickelt. Das Menſchengeſchlecht iſt ſich ſelber inne geworden: es hat ſeine Religion gefunden.
Dieſer Religion gab nun auch uͤberdieß das roͤmiſche Reich ihre aͤußere Form auf immer.
Die heidniſchen Prieſterthuͤmer waren wie buͤrgerliche Aemter vergeben worden; in dem Judenthum war ein Stamm mit der geiſtlichen Verwaltung beauftragt: es un - terſcheidet das Chriſtenthum, daß ſich in demſelben ein be - ſonderer Stand, aus freien Mitgliedern die ihn waͤhlten, zuſammengeſetzt, durch Handauflegung geheiligt, von allem irdiſchen Thun und Treiben entfernt, „ den geiſtlichen und goͤttlichen Geſchaͤften “zu widmen hatte. Anfangs bewegte ſich die Kirche in republikaniſcheren Formen, aber ſie ver - ſchwanden, je mehr der neue Glauben zur Herrſchaft ge - langte. Der Clerus ſetzte ſich nach und nach den Laien vollſtaͤndig gegenuͤber.
Es geſchah dieß, duͤnkt mich, nicht ohne eine gewiſſe innere Nothwendigkeit. In dem Emporkommen des Chri -11Das Chriſtenthum in dem roͤm. Reiche.ſtenthums lag eine Befreiung der Religion von den poli - tiſchen Elementen. Es haͤngt damit zuſammen, daß ſich ein abgeſonderter geiſtlicher Stand mit einer eigenthuͤmli - chen Verfaſſung ausbildete. In dieſer Trennung der Kirche von dem Staate beſteht vielleicht die groͤßte, am durch - greifendſten wirkſame Eigenthuͤmlichkeit der chriſtlichen Zei - ten uͤberhaupt. Die geiſtliche und weltliche Gewalt koͤn - nen einander nahe beruͤhren, in der engſten Gemeinſchaft ſtehen, voͤllig zuſammenfallen koͤnnen ſie hoͤchſtens aus - nahmsweiſe und auf kurze Zeit. In ihrem Verhaͤltniß, ihrer gegenſeitigen Stellung zu einander beruht ſeitdem eines der wichtigſten Momente aller Geſchichte.
In dem roͤmiſchen Reiche erhob ſich die Hierar - chie der Biſchoͤfe Metropolitane Patriarchen. Es dauerte nicht lange, ſo nahmen die roͤmiſchen Biſchoͤfe den oberſten Rang ein. Zwar iſt es ein eitles Vorgeben, daß denſel - ben in den erſten Jahrhunderten und uͤberhaupt jemals ein allgemeines von Oſten und Weſten anerkanntes Primat zu - geſtanden habe; aber allerdings erlangten ſie ſehr bald ein Anſehen, durch das ſie uͤber alle andere kirchliche Gewal - ten hervorragten. Es kam Vieles zuſammen, um ihnen ein ſolches zu verſchaffen. Wenn ſich ſchon allenthalben aus der groͤßeren Bedeutung einer Provinzial-Hauptſtadt ein beſonderes Uebergewicht fuͤr den Biſchof derſelben er - gab, wie viel mehr mußte dieß bei der alten Hauptſtadt des geſammten Reiches, die demſelben ſeinen Namen gege - ben, der Fall ſeyn1)Casauboni Exercitationes ad annales ecclesiasticos Ba - ronii p. 260. . Rom war einer der vornehmſten12Kap. I. Epochen des Papſtthums.apoſtoliſchen Sitze; hier hatten die meiſten Maͤrtyrer ge - blutet; waͤhrend der Verfolgungen hatten ſich die Biſchoͤfe von Rom vorzuͤglich wacker gehalten; und oft waren ſie einander nicht ſowohl im Amte, als im Maͤrtyrerthume und im Tode nachgefolgt. Nun fanden aber uͤberdieß die Kaiſer gerathen, das Emporkommen einer großen patriar - chalen Autoritaͤt zu beguͤnſtigen. In einem Geſetz, das fuͤr die Herrſchaft des Chriſtenthums entſcheidend geworden iſt, gebietet Theodoſius der Große, daß alle Nationen, die von ſeiner Gnade regiert werden, dem Glauben anhangen ſol - len, der von dem heiligen Petrus den Roͤmern verkuͤndet worden1)Codex Theodos. XVI, 1, 2. „ Cunctos populos quos clementiae nostrae regit temperamentum in tali volumus reli - gione versari, quam divinum Petrum Apostolum tradidisse Ro - manis religio usque nunc ab ipso insinuata declarat. “ Das Edict Valentinians III. erwaͤhnt auch Planck: Geſchichte der chriſtlich - kirchlichen Geſellſchaftsverfaſſung I, 642.. Valentinian III. unterſagte den Biſchoͤfen ſo - wohl in Gallien als in andern Provinzen, von den bishe - rigen Gewohnheiten abzuweichen, ohne die Billigung des ehrwuͤrdigen Mannes, des Papſtes der heiligen Stadt. Unter dem Schutze der Kaiſer ſelbſt erhob ſich demnach die Macht des roͤmiſchen Biſchofs. Eben hierin lag dann frei - lich auch eine Beſchraͤnkung derſelben. Schon die Thei - lung des Reiches mußte bei der Eiferſucht, mit der ſich jeder Kaiſer gewiſſe kirchliche Rechte vorbehielt, die Aus - dehnung der Gewalt eines einzigen Biſchofs uͤber getrennte und entfernte Gebiete verhindern.
13Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.Kaum war dieſe große Veraͤnderung vollbracht, die chriſtliche Religion gepflanzt, die Kirche gegruͤndet, ſo tra - ten neue Weltgeſchicke ein: das roͤmiſche Reich, das ſo lange geſiegt und erobert hatte, ſah ſich nun auch ſeiner - ſeits von den Nachbarn angegriffen, uͤberzogen, beſiegt.
In dem Umſturz aller Dinge wurde ſelbſt das Chri - ſtenthum noch einmal erſchuͤttert. In den großen Gefah - ren erinnerten ſich die Roͤmer noch einmal der etruriſchen Geheimniſſe, die Athenienſer glaubten von Achill und Mi - nerva gerettet worden zu ſeyn, die Carthager beteten zu dem Genius Coͤleſtis, — doch waren dieß nur voruͤberge - hende Regungen; waͤhrend das Reich in den weſtlichen Provinzen zerſtoͤrt wurde, erhielt ſich der geſammte Bau der roͤmiſchen Kirche.
Nur kam auch ſie, wie unvermeidlich war, in mannichfaltige Bedraͤngniß, und eine durchaus veraͤnderte Lage. Eine heidniſche Nation nahm Britannien ein: aria - niſche Koͤnige eroberten den groͤßten Theil des uͤbrigen We - ſtens; in Italien vor den Thoren von Rom gruͤndeten ſich die Lombarden, — lange Zeit Arianer, und immer ge - faͤhrliche, feindſelige Nachbarn — eine maͤchtige Herrſchaft.
Indem nun die roͤmiſchen Biſchoͤfe, von allen Seiten eingeengt, ſich bemuͤhten, wenigſtens in ihrem alten, pa - triarchalen Sprengel wieder Meiſter zu werden, — mit viel Klugheit verſuchten ſie dieß — traf ſie ein neues, noch14Kap. I. Epochen des Papſtthums.groͤßeres Mißgeſchick. Die Araber, nicht allein Eroberer wie die Germanen, ſondern von einem poſitiven ſtolzen, dem Chriſtenthume von Grund aus entgegengeſetzten Glau - ben bis zum Fanatismus durchdrungen, ergoſſen ſich uͤber den Occident wie uͤber den Orient; in wiederholten Anfaͤl - len nahmen ſie Africa, in einem einzigen Spanien ein: Muza ruͤhmte ſich, durch die Pforten der Pyrenaͤen uͤber die Alpen nach Italien vordringen zu wollen, um Muha - mets Namen am Vatican ausrufen zu laſſen.
Im Anfange des achten Jahrhunderts war die roͤmi - ſche Chriſtenheit in den mißlichſten Verhaͤltniſſen.
Waͤhrend die Araber das Mittelmeer zu beherrſchen anfangen und ihr einen Krieg auf Tod und Leben machen, iſt ſie in ſich ſelber zerfallen. Die beiden Oberhaͤupter, der Kaiſer zu Conſtantinopel und der Papſt zu Rom, ha - ben bei den ikonoklaſtiſchen Bewegungen verſchiedene Par - teien ergriffen: oft trachtet der Kaiſer dem Papſte nach dem Leben. Indeß haben die Lombarden eingeſehen, wie vor - theilhaft ihnen dieſe Entzweiung iſt. Ihr Koͤnig Aiſtulph nimmt Provinzen ein, die den Kaiſer bisher noch immer anerkannten: er ruͤckt wider Rom heran, und fordert unter heftigen Bedrohungen auch dieſe Stadt auf, ihm Tribut zu zahlen, ſich ihm zu ergeben1)Anastasius Bibliothecarius: Vitae Pontificum. Vita Ste - phani III. ed. Paris. p. 83. Fremens ut leo pestiferas minas Romanis dirigere non desinebat, asserens omnes uno gladio ju - gulari, nisi suae sese subderent ditioni. .
Bei dieſem inneren Zerwuͤrfniß auf der einen und der entſchiedenen Ueberlegenheit einer feindſeligen Weltmacht15Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.auf der andern Seite ließ ſich nichts anderes, als der Untergang dieſes ganzen Weſens erwarten, wofern es nicht auf irgend eine Art eine nachhaltige gewaltige Huͤlfe empfing.
Schon war eine ſolche vorbereitet. Es war eine Rich - tung angebahnt, welche die Paͤpſte nur mit Entſchiedenheit einzuſchlagen brauchten, um ſich aus ihren Bedraͤngniſſen errettet zu ſehen. Verſuchen wir, ſie in ihren Grundzuͤgen kuͤrzlich zu vergegenwaͤrtigen.
Von allen germaniſchen Nationen war allein die fraͤnki - ſche, gleich bei ihrer erſten Erhebung in den Provinzen des roͤmiſchen Reiches, katholiſch geworden. Dieß ihr Bekennt - niß hatte ihr zu großer Foͤrderung gereicht. In den ka - tholiſchen Unterthanen ihrer arianiſchen Feinde, der Bur - gunder und Weſtgothen, fanden die Franken natuͤrliche Verbuͤndete. Wir leſen ſo viel von den Wundern, die dem Chlodwig begegnet ſeyn ſollen, wie ihm St. Martin durch eine Hindin die Furt uͤber die Vienne gezeigt, wie ihm St. Hilarius in einer Feuerſaͤule vorangegangen: wir wer - den ſchwerlich irren, wenn wir vermuthen, daß in dieſen Sagen die Huͤlfe verſinnbildet worden, welche die Einge - bornen einem Glaubensgenoſſen leiſteten, dem ſie wie Gre - gor von Tours ſagt, „ mit begieriger Neigung “den Sieg wuͤnſchten.
Allmaͤhlig ward dieſe Nation der Mittelpunkt der ge - ſammten germaniſch-weſtlichen Welt. Es ſchadet ihr nicht, daß ihr Koͤnighaus, das merovingiſche Geſchlecht ſich ſelbſt durch entſetzenvolle Mordthaten zu Grunde richtet; ſofort er - hebt ſich an die Stelle deſſelben ein anderes zur hoͤchſten16Kap. I. Epochen des Papſtthums.Gewalt in ihr: alles Maͤnner voll Energie von gewalti - gem Willen und erhabener Kraft. Indem die uͤbrigen Reiche zuſammenſtuͤrzen und die Welt ein Eigenthum des moslimiſchen Schwertes zu werden droht, iſt es dieß Ge - ſchlecht, das Haus der Pippine von Heriſtall, nachmals das carolingiſche genannt, welches den erſten und den ent - ſcheidenden Widerſtand leiſtet. Es iſt maͤchtig uͤber viele Staͤmme, ſiegreich, katholiſch: es kann nicht anders ſeyn, als daß der Papſt, von Arabern, Lombarden und Griechen bedraͤngt, ſein Augenmerk auf Fuͤrſten richtet, bei denen er allein gegen alle dieſe Angriffe Huͤlfe zu finden vermag.
Indeſſen hat das Gebiet, uͤber welches dieſes Haus gewaltig iſt, noch eine andere, einer Vereinigung entge - genfuͤhrende Entwickelung erfahren.
Papſt Gregor der Große ſah einſt Angelſachſen auf dem Sklavenmarkt zu Rom, die ſeine Aufmerkſamkeit er - regten, und ihn beſtimmten, der Nation, der ſie angehoͤr - ten, das Evangelium verkuͤndigen zu laſſen. Nie mag ſich ein Papſt zu einer folgenreicheren Unternehmung entſchloſſen haben. Nicht allein die Lehre faßte in dem germaniſchen Britannien Wurzel, ſondern zugleich eine Verehrung fuͤr Rom und den heiligen Stuhl, wie ſie bisher noch nie und nirgend Statt gefunden hatte. Die Angelſachſen fingen an nach Rom zu pilgern; ſie ſandten ihre Jugend dahin; zur Erziehung der Geiſtlichen, zur Erleichterung der Pilger fuͤhrte Koͤnig Offa den Peterspfennig ein; die Vornehme - ren wanderten nach Rom, um daſelbſt zu ſterben und dann von den Heiligen im Himmel vertraulicher aufgenommen zu werden. Es war, als truͤge dieſe Nation den altendeut -17Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.deutſchen Aberglauben, daß die Goͤtter einigen Oertern naͤ - her ſeyen als andern, auf Rom und die chriſtlichen Heili - gen uͤber.
Dieſe Richtung der Inſel nun entwickelte eine unbe - rechenbare Wirkung auf das feſte Land und die fraͤnkiſchen Gebiete. Der Apoſtel der Deutſchen war ein Angelſachſe. Bonifacius, erfuͤllt wie er war von der Verehrung ſeiner Nation fuͤr St. Peter und deſſen Nachfolger, leiſtete von allem Anfang das Verſprechen, ſich treulich an die Einrichtungen des roͤmiſchen Stuhles zu halten. Auf das ſtrengſte kam er dieſer Zuſage nach. Der deutſchen Kirche, die er ſtiftete, legte er einen ungewoͤhnlichen Gehorſam auf. Die Biſchoͤfe mußten ausdruͤcklich geloben, gegen die roͤmiſche Kirche, den h. Peter und deſſen Stellvertreter bis ans Ende ihres Lebens in Unterwuͤrfigkeit zu verharren. Und nicht allein die Deut - ſchen wies er hierzu an. Die Biſchoͤfe von Gallien hat - ten bisher eine gewiſſe Unabhaͤngigkeit von Rom behauptet. Bonifacius, welcher die Synoden derſelben einige Mal zu leiten bekam, fand dabei Gelegenheit, auch dieſen weſtli - chen Theil der fraͤnkiſchen Kirche nach denſelben Ideen ein - zurichten —; die galliſchen Erzbiſchoͤfe nahmen ſeitdem ihr Pallium von Rom. Ueber das geſammte fraͤnkiſche Reich breitete ſich dergeſtalt die angelſaͤchſiſche Unterwuͤrfigkeit aus. Das Haus von Heriſtall, das wir ſchon fruͤh mit Rom in gutem Vernehmen finden, beguͤnſtigte dieſe Entwickelung1)Bonifacii Epistolae; ep. 12. ad Danielem episc. Sine patrocinio principis Francorum nec populum regere nec pres - byteros vel diaconos monachos vel ancillas dei defendere pos - sum nec ipsos paganorum ritus et sacrilegia idolorum in Ger - mania sine illius mandato et timore prohibere valeo. ;218Kap. I. Epochen des Papſtthums.Bonifacius arbeitete in dem beſondern Schutze Karl Mar - tels und Pippin des Kleinen.
Man denke ſich nun die Weltſtellung der paͤpſtlichen Gewalt. Auf der einen Seite das oſtroͤmiſche Kaiſerthum, verfallend, ſchwach, unfaͤhig, das Chriſtenthum gegen den Islam zu behaupten, unvermoͤgend, auch nur ſeine eige - nen Landſchaften in Italien gegen die Lombarden zu ver - theidigen, und dabei mit dem Anſpruch einer oberherrlichen Einwirkung ſelbſt in geiſtlichen Sachen; auf der andern die germaniſchen Nationen, lebenskraͤftig, gewaltig, ſieg - reich uͤber den Islam; der Autoritaͤt, deren ſie noch bedurften, mit der ganzen Friſche jugendlicher Begeiſterung ergeben. Es konnte nicht fehlen: dieſe unbedingte freiwillige Devo - tion mußte zuletzt auch eine Ruͤckwirkung auf den aus - uͤben, dem ſie gewidmet wurde.
Schon Gregor II. fuͤhlt, was er gewonnen hat. Alle Abendlaͤnder, ſchreibt er voll Selbſtgefuͤhl an jenen ikono - klaſtiſchen Kaiſer, Leo den Iſaurier, haben ihre Augen auf unſere Demuth gerichtet, ſie ſehen uns fuͤr einen Gott auf Erden an. Immer mehr ſonderten ſich ſeine Nachfolger von einer Gewalt ab, die ihnen nur Pflichten auferlegte und keinen Schutz gewaͤhrte: die Nothwendigkeit ſelbſt trieb ſie dazu; dagegen ſchloſſen ſie mit den großen Ober - haͤuptern des Weſtens, mit den fraͤnkiſchen Fuͤrſten, eine Verbindung, die von Jahr zu Jahr enger wurde, beiden Theilen zu großem Vortheil gereichte, und zuletzt eine um - faſſende weltgeſchichtliche Bedeutung entfaltete.
Als der juͤngere Pippin, nicht zufrieden mit dem We - ſen der koͤniglichen Gewalt, auch den Namen derſelben be -19Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.ſitzen wollte, bedurfte er, er fuͤhlte es wohl, einer hoͤheren Sanction; der Papſt gewaͤhrte ſie ihm. Dafuͤr uͤbernahm dann der neue Koͤnig den Papſt, „ die heilige Kirche und Republik Gottes “gegen die Lombarden zu vertheidigen. Zu vertheidigen, genuͤgte ſeinem Eifer noch nicht. Gar bald zwang er die Lombarden, auch das dem oſtroͤmiſchen Reiche in Italien entriſſene Gebiet, das Exarchat, herauszugeben. Wohl haͤtte die Gerechtigkeit verlangt, daß es dem Kaiſer, dem es gehoͤrte, zuruͤckgeſtellt wuͤrde, und man machte Pip - pin den Antrag. Er erwiederte, „ nicht zu Gunſten eines Menſchen ſey er in den Kampf gegangen, ſondern allein aus Verehrung fuͤr St. Peter, um die Vergebung ſeiner Suͤnden zu erwerben “1)Anastasius: affirmans etiam sub juramento, quod per nullius hominis favorem sese certamini saepius dedisset, nisi pro amore Petri et venia delictorum. . Auf den Altar St. Peters ließ er die Schluͤſſel der gewonnenen Staͤdte niederlegen. Es iſt dieß die Grundlage der ganzen weltlichen Herrſchaft der Paͤpſte.
In ſo lebhafter Gegenſeitigkeit bildete ſich dieſe Ver - bindung weiter aus. Der ſeit ſo langer Zeit beſchwerlichen und druͤckenden Nachbarſchaft lombardiſcher Fuͤrſten entle - digte endlich Carl der Große den Papſt. Er ſelber zeigte die tiefſte Ergebenheit; er kam nach Rom, die Stufen von St. Peter kuͤſſend ſtieg er den Vorhof hinan, wo ihn der Papſt erwartete; er beſtaͤtigte ihm die Schenkungen Pip - pins. Dagegen war auch der Papſt ſein unerſchuͤtterlicher Freund; die Verhaͤltniſſe des geiſtlichen Oberhauptes zu den italieniſchen Biſchoͤfen machten es Carln ſo leicht,2*20Kap. I. Epochen des Papſtthums.der Lombarden Herr zu werden, ihr Reich an ſich zu bringen.
Und ſogleich ſollte dieſer Gang der Dinge zu einem noch groͤßeren Erfolge fuͤhren.
In ſeiner eigenen Stadt, in der ſich die entgegengeſetz - ten Factionen mit heftiger Wuth bekaͤmpften, konnte der Papſt nicht mehr ohne auswaͤrtigen Schutz beſtehen. Noch einmal machte ſich Carl nach Rom auf, ihm denſelben zu gewaͤhren. Der alte Fuͤrſt war nun erfuͤllt mit Ruhm und Siegen. In langen Kaͤmpfen hatte er nach und nach alle ſeine Nachbarn uͤberwunden: und die romaniſch-germa - niſch-chriſtlichen Nationen beinahe ſaͤmmtlich vereinigt; er hatte ſie zum Siege wider ihre gemeinſamen Feinde gefuͤhrt; man bemerkte, daß er alle Sitze der abendlaͤndiſchen Impe - ratoren in Italien, Gallien und Germanien, und ihre Gewalt inne habe1)So verſtehe ich den Annalista Lambecianus: ad annum 801. „ Visum est et ipsi apostolico Leoni, — — ut ipsum Carolum, regem Francorum, Imperatorem nominare debuissent, qui ipsam Romam tenebat, ubi semper Caesares sedere soliti erant et reli - quas sedes, quas ipse per Italiam seu Galliam nec non et Ger - maniam tenebat (er wollte wohl ſagen: ipsi tenebant) quia deus omnipotens has omnes sedes in potestatem ejus concessit, ideo justum eis esse videbatur, ut ipse cum dei adjutorio — — ip - sum nomen haberet. “. Zwar waren dieſe Laͤnder ſeitdem eine voll - kommen andere Welt geworden; aber ſollten ſie dieſe Wuͤrde ausſchließen? So hatte Pippin das koͤnigliche Diadem be - kommen: weil dem, der die Gewalt habe, nicht minder die Ehre gebuͤhre. Auch dießmal entſchloß ſich der Papſt. Von Dankbarkeit durchdrungen, und wie er wohl wußte, eines fortwaͤhrenden Schutzes beduͤrftig, kroͤnte er Carln an21Das Papſtthum u. das fraͤnkiſche Reich.jenem Weihnachtsfeſte des Jahres 800 mit der Krone des abendlaͤndiſchen Reiches.
Es iſt nicht noͤthig, von der Wichtigkeit dieſes Er - eigniſſes zu reden. Zunaͤchſt bewaͤhrte ſie ſich an dem Papſt ſelber, der hiermit in eine ganz neue Stellung gerieth.
Nicht als ob er um vieles unabhaͤngiger geworden waͤre. Wir finden vielmehr Carln den Großen unzwei - felhafte Acte einer hoͤchſten Autoritaͤt in den Landſchaf - ten vollziehen, die Sanct Peter uͤbergeben ſind; auch ſeine minder maͤchtigen Nachfolger uͤben dieſe aus; Lo - thar ſetzt ſeine Richter daſelbſt ein und vernichtet Confis - cationen, die der Papſt vorgenommen. Es iſt kein Zwei - fel: der Papſt gehoͤrte weſentlich zum fraͤnkiſchen Reiche: eben darin liegt ſein neues Verhaͤltniß. Von dem Orient ſondert er ſich ab, und hoͤrt allmaͤhlig auf, weitere Aner - kennung daſelbſt zu finden. Seines patriarchalen Sprengels im Oſten hatten ihn die griechiſchen Kaiſer ſchon laͤngſt beraubt1)Nicolaus I. beklagt ſich uͤber den Verluſt der patriarchalen Macht des roͤmiſchen Stuhles „ per Epirum veterem Epirumque novam atque Illyricum, Macedoniam, Thessaliam, Achaiam, Da - ciam ripensem Daciamque mediterraneam, Moesiam, Dardaniam, Praevalim; und die Verluſte des Patrimoniums in Calabrien und Sicilien. Pagi (Critica in Annales Baronii III, p. 216) ſtellt dieß Schreiben mit einem andern von Adrian I. an Carl d. Gr. zuſammen, aus dem man ſieht, daß dieſe Verluſte bei der ikono - klaſtiſchen Streitigkeit erlitten worden.. Dafuͤr leiſten ihm die abendlaͤndiſchen Kirchen — die lombardiſche, auf welche die Inſtitute der fraͤnki - ſchen uͤbertragen worden, nicht ausgeſchloſſen, — einen Ge - horſam, wie er ihn fruͤher niemals gefunden hatte. Wie22Kap. I. Epochen des Papſtthums.er zu Rom die Schulen der Frieſen, Sachſen, Franken aufgenommen, durch welche dieſe Stadt ſelbſt germaniſirt wurde, ſo iſt er in die Verbindung germaniſcher und ro - maniſcher Elemente eingetreten, welche ſeitdem den Charak - ter des Abendlandes ausgemacht hat. In dem bedraͤngteſten Moment hat ſeine Gewalt in einem friſchen Boden Wur - zel geſchlagen: als ſie zu dem Untergange beſtimmt ſchien, hat ſie ſich auf lange Zeitraͤume feſtgeſtellt. Die Hierar - chie, in dem roͤmiſchen Reich geſchaffen, hat ſich in die germaniſchen Nationen ergoſſen; hier findet ſie ein unend - liches Feld fuͤr eine immer fortſchreitende Thaͤtigkeit.
Wir laſſen neue Jahrhunderte voruͤbergegangen ſeyn, um uns den Punkt der Entwickelung, auf den ſie gefuͤhrt haben, deſto deutlicher zu vergegenwaͤrtigen.
Das fraͤnkiſche Reich iſt zerfallen: auf das gewaltigſte hat ſich das deutſche erhoben.
Niemals hat der deutſche Name in Europa mehr ge - golten, als im 10ten und 11ten Jahrhundert, unter den ſaͤchſiſchen und den erſten ſaliſchen Kaiſern. Von den oͤſt - lichen Grenzen, wo der Koͤnig von Polen ſich perſoͤnliche Unterwerfung und eine Theilung ſeines Landes hat gefallen laſſen, wo der Herzog von Boͤhmen zur Haft verurtheilt worden, ſehen wir Conrad II. nach dem Weſten aufbre - chen, um Burgund, den Anſpruͤchen franzoͤſiſcher Magnaten23Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern.gegenuͤber, zu behaupten. In den Ebenen der Champagne uͤberwindet er ſie; uͤber den Bernhard kommen ihm ſeine italieniſchen Vaſallen zu Huͤlfe; er laͤßt ſich kroͤnen zu Genf und haͤlt ſeine Landtage zu Solothurn. Unmittelbar hier - auf begegnen wir ihm in Unteritalien. „ An der Grenze ſeines Reiches, “ſagt ſein Geſchichtſchreiber Wippo, „ in Capua und Benevent hat er durch ſein Wort die Zwiſtig - keiten geſchlichtet. “ Nicht minder gewaltig herrſchte Hein - rich III. Bald finden wir ihn an der Schelde und Lys, — ſiegreich uͤber die Grafen von Flandern; bald in Un - garn, das er wenigſtens auf eine Zeitlang zur Lehnspflicht noͤthigte, jenſeits der Raab, und nur die Elemente ſetzen ihm Schranken. Der Koͤnig von Daͤnemark ſucht ihn zu Merſeburg auf; einen der maͤchtigſten Fuͤrſten von Frankreich, den Grafen von Tours nimmt er als Vaſallen an; die ſpaniſchen Geſchichten erzaͤhlen, daß er von Ferdinand I. in Caſtilien, ſo ſiegreich und maͤchtig dieſer war, als Ober - lehnsherr aller chriſtlichen Koͤnige anerkannt zu werden ge - fordert habe.
Fragen wir nun, worauf dieſe ſo weit ausgebreitete, ein europaͤiſches Supremat in Anſpruch nehmende Macht in ihrem Innern ſich gruͤndete, ſo finden wir, daß ſie ein ſehr bedeutendes kirchliches Element in ſich ſchloß. Auch die Deutſchen eroberten, indem ſie bekehrten. Mit der Kirche ruͤckten ihre Marken vorwaͤrts, uͤber die Elbe nach der Oder hin, die Donau hinunter; Moͤnche und Prieſter gin - gen dem deutſchen Einfluß in Boͤhmen und Ungarn vor - auf. Allenthalben ward deshalb den geiſtlichen Gewalten eine große Macht verliehen. In Deutſchland erhielten Biſchoͤfe24Kap. I. Epochen des Papſtthums.und Reichsaͤbte nicht allein in ihren Beſitzthuͤmern, ſon - dern auch außerhalb derſelben graͤfliche, ja zuweilen her - zogliche Rechte; und man bezeichnet die geiſtlichen Guͤter nicht mehr als in den Grafſchaften, ſondern die Grafſchaf - ten als in den Bisthuͤmern gelegen. Im obern Italien kamen faſt alle Staͤdte unter die Vicegrafen ihrer Biſchoͤfe. Man wuͤrde irren, wenn man glauben wollte, es ſey die Abſicht geweſen, den geiſtlichen Gewalten hiermit eigent - liche Unabhaͤngigkeit zu gewaͤhren. Da die Beſetzung der geiſtlichen Stellen den Koͤnigen zukam — die Stifter pfleg - ten Ring und Stab ihrer verſtorbenen Vorſteher an das Hoflager zuruͤckzuſchicken, wo ſie dann aufs neue verliehen wurden — ſo war es in der Regel ſogar ein Vortheil fuͤr den Fuͤrſten, den Mann ſeiner Wahl, auf deſſen Ergeben - heit er rechnen durfte, mit weltlichen Befugniſſen auszu - ruͤſten. Dem widerſpenſtigen Adel zum Trotz ſetzte Hein - rich III. einen ihm ergebenen Plebejer auf den ambroſia - niſchen Stuhl zu Mailand; den Gehorſam, den er ſpaͤter in Oberitalien fand, hat er großentheils dieſer Maaßregel zu danken gehabt. Es erlaͤutert ſich wechſelsweiſe, daß Heinrich II. von allen dieſen Kaiſern ſich am freigebigſten gegen die Kirche bewies, und dabei das Recht, die Bi - ſchoͤfe zu ernennen, am ſchaͤrfſten in Anſpruch nahm1)Beiſpiele dieſer Strenge bei Planck: Geſchichte der chriſtl kirchl. Geſellſchaftsverfaſſung III, 407. . Auch war dafuͤr geſorgt, daß die Begabung der Staatsgewalt nichts entzog. Die geiſtlichen Guͤter waren weder von den buͤrgerlichen Laſten, noch ſelbſt von der Lehenspflicht exi - mirt; haͤufig ſehen wir die Biſchoͤfe an der Spitze ihrer25Verhaͤltniß zu den deutſchen Kaiſern.Mannen ins Feld ruͤcken. Welch ein Vortheil war es da - gegen, Biſchoͤfe ernennen zu koͤnnen, die wie der Erzbiſchof von Bremen, eine hoͤchſte geiſtliche Gewalt in den ſcandi - naviſchen Reichen und uͤber viele wendiſche Staͤmme aus - uͤbten!
War nun in den Inſtituten des deutſchen Reiches das geiſtliche Element ſo uͤberaus bedeutend, ſo ſieht man von ſelbſt, wie viel auf das Verhaͤltniß ankam, in welchem die Kaiſer zu dem Oberhaupte aller Geiſtlichkeit, zu dem Papſte in Rom ſtanden.
Wohl hatten die Paͤpſte, ehe das Kaiſerthum entſchie - den an die Deutſchen fiel, als es in ſchwachen und ſchwan - kenden Haͤnden war, Acte einer hoͤheren Autoritaͤt uͤber daſſelbe ausgeuͤbt. So wie aber die kraͤftigen deutſchen Fuͤrſten dieſe Wuͤrde erobert hatten, waren ſie nicht viel weniger, als die Carolingen, Oberherren des Papſtthums. Mit gewaltiger Hand beſchirmte Otto der Große den Papſt, den er eingeſetzt hatte1)Bei Goldaſt: Constitutt. Imperiales I, p. 221 findet ſich ein Inſtrument (mit den Scholien Dietrichs von Niem), durch welches das Recht Carls des Gr. ſich ſelbſt einen Nachfolger und in Zukunft roͤmiſche Paͤpſte zu ernennen, auf Otto und die deutſchen Kaiſer uͤbertragen wird. Es iſt jedoch ohne Zweifel erdichtet.; ſeine Soͤhne folgten ſeinem Bei - ſpiele; daß ſich einmal die roͤmiſchen Factionen wieder er - hoben und dieſe Wuͤrde nach ihren Familienintereſſen an - nahmen, wiederabgaben, kauften und veraͤußerten, machte die Nothwendigkeit einer hoͤheren Intervention nur um ſo einleuchtender. Man weiß, wie gewaltig Heinrich III. die - ſelbe ausuͤbte. Seine Synode zu Sutri ſetzte die einge - drungenen Paͤpſte ab; nachdem er erſt den Patricius-Ring26Kap. I. Epochen des Papſtthums.an ſeinen Finger geſteckt und die kaiſerliche Krone empfan - gen hatte, bezeichnete er nach ſeinem Gutduͤnken denjenigen, der den paͤpſtlichen Stuhl beſteigen ſollte. Es folgten einander vier deutſche Paͤpſte, alle von ihm ernannt; bei der Erledigung der hoͤchſten geiſtlichen Wuͤrde erſchienen die Abgeordneten von Rom nicht anders, als die Geſandten anderer Bisthuͤmer an dem kaiſerlichen Hoflager, um ſich den Nachfolger beſtimmen zu laſſen.
Bei dieſer Lage der Dinge war es dem Kaiſer ſelbſt erwuͤnſcht, wenn das Papſtthum in bedeutendem Anſehn ſtand. Heinrich III. befoͤrderte die Reformationen, welche die von ihm geſetzten Paͤpſte unternahmen; der Zuwachs ihrer Gewalt erregte ihm keine Eiferſucht. Daß Leo IX. dem Willen des Koͤnigs von Frankreich zum Trotz, eine Synode zu Rheims hielt, franzoͤſiſche Biſchoͤfe einſetzte und abſetzte, und die feierliche Erklaͤrung empfing, der Papſt ſey der einzige Primas der allgemeinen Kirche, konnte dem Kaiſer ganz recht ſeyn, ſo lange er nur ſelber uͤber das Papſtthum verfuͤgte. Es gehoͤrte dieß mit zu dem oberſten Anſehen, das er in Europa in Anſpruch nahm. In ein aͤhnliches Verhaͤltniß, wie durch den Erzbiſchof von Bre - men zu dem Norden, kam er durch den Papſt zu den uͤbri - gen Maͤchten der Chriſtenheit.
Es war aber hierbei auch eine große Gefahr.
Ganz ein anderes Inſtitut war der geiſtliche Stand in den germaniſchen und germaniſirten Reichen geworden, als er in dem roͤmiſchen geweſen. Es war ihm ein gro - ßer Theil der politiſchen Gewalt uͤbertragen: er hatte fuͤrſt - liche Macht. Wir ſehen, noch hing er von dem Kaiſer,27Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.von der oberſten weltlichen Autoritaͤt ab: wie aber, wenn dieſe einmal wieder in ſchwache Haͤnde gerieth, — wenn dann das Oberhaupt der Geiſtlichkeit, dreifach maͤchtig, durch ſeine Wuͤrde, der man eine allgemeine Verehrung widmete, den Gehorſam ſeiner Untergebenen, und ſeinen Einfluß auf andere Staaten, den guͤnſtigen Augenblick ergriff, und ſich der koͤniglichen Gewalt entgegenſetzte?
In der Sache ſelbſt lag mehr als Eine Veranlaſſung hierzu. Das geiſtliche Weſen hatte doch in ſich ein eig - nes, einem ſo großen weltlichen Einfluß widerſtrebendes Princip, welches es hervorkehren mußte, ſobald es ſtark genug dazu geworden war. Auch lag, ſcheint mir, ein Widerſpruch darin, daß der Papſt eine hoͤchſte geiſtliche Gewalt nach allen Seiten hin ausuͤben, und dabei dem Kaiſer unterthaͤnig ſeyn ſollte. Ein anderes waͤre es ge - weſen, haͤtte es Heinrich III. wirklich dahin gebracht, ſich zum Haupte der geſammten Chriſtenheit zu erheben. Da ihm dieß nicht gelang, ſo konnte ſich der Papſt bei eini - ger Verwickelung der politiſchen Verhaͤltniſſe durch ſeine untergeordnete Stellung zu dem Kaiſer, allerdings gehin - dert ſehen, voͤllig frei der allgemeine Vater der Glaͤubigen zu ſeyn, wie ſein Amt es mit ſich brachte.
Unter dieſen Umſtaͤnden ſtieg Gregor VII. auf den paͤpſtlichen Stuhl. Es hat ihn fuͤr alle Zeiten beruͤhmt gemacht, daß er die Emancipation der paͤpſtlichen Gewalt von der kaiſerlichen durchzuſetzen unternahm. Gregor hat einen kuͤhnen, einſeitigen, hochfliegenden Geiſt; folgerecht, man koͤnnte ſagen, wie ein ſcholaſtiſches Syſtem das iſt; unerſchuͤtterlich in der logiſchen Conſequenz, und dabei eben28Kap. I. Epochen des Papſtthums.ſo gewandt, die wahren und gegruͤndeten Oppoſitionen zu eludirer. Als er ſein Ziel ins Auge gefaßt, griff er ohne alle Ruͤckſicht, ohne einen Moment zu zoͤgern, zu dem ent - ſcheidenden Mittel. Der Beſchluß, den er von einer ſei - ner Kirchenverſammlungen faſſen ließ, daß in Zukunft nie - mals wieder eine geiſtliche Stelle durch einen Weltlichen verliehen werden duͤrfe, mußte die Verfaſſung des Reiches in ihrem Weſen umſtoßen. Dieſe beruhte, wie beruͤhrt worden, auf der Verbindung geiſtlicher und weltlicher In - ſtitute: das Band zwiſchen beiden war die Inveſtitur; es kam einer Revolution gleich, daß dieſes alte Recht dem Kaiſer entriſſen werden ſollte.
Es iſt offenbar: Gregor haͤtte dieß nicht in Gedanken zu faſſen, geſchweige durchzuſetzen vermocht, waͤre ihm nicht die Zerruͤttung des deutſchen Reiches waͤhrend der Minder - jaͤhrigkeit Heinrichs IV. und die Empoͤrung der deutſchen Staͤmme und Fuͤrſten gegen dieſen Koͤnig zu Statten ge - kommen. An den großen Vaſallen fand er natuͤrliche Ver - buͤndete. Auch ſie fuͤhlten ſich von dem Uebergewicht der kaiſerlichen Gewalt gedruͤckt; auch ſie wollten ſich befreien. In gewiſſer Hinſicht war ja auch der Papſt ein Magnat des Reiches. Es ſtimmt ſehr gut zuſammen, daß der Papſt Deutſchland fuͤr ein Wahlreich erklaͤrte, — die fuͤrſt - liche Macht mußte dadurch unendlich wachſen — und daß die Fuͤrſten ſo wenig dawider hatten, wenn der Papſt ſich von dem Reich emancipirte. Selbſt bei dem Inveſtiturſtreit ging ihr Vortheil Hand in Hand. Der Papſt war noch weit entfernt, die Biſchoͤfe geradezu ſelbſt ernennen zu wol - len; er uͤberließ die Wahl den Capiteln, auf welche der29Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.hoͤhere deutſche Adel den groͤßten Einfluß ausuͤbte. Mit einem Wort: der Papſt hatte die ariſtokratiſchen Intereſſen auf ſeiner Seite.
Aber auch ſelbſt mit dieſen Verbuͤndeten, wie lange und blutige Kaͤmpfe hat es den Paͤpſten doch gekoſtet, ihr Unternehmen durchzuſetzen! Von Daͤnemark bis Apulien, ſagt der Lobgeſang auf den heil. Anno, von Carlingen bis nach Ungarn hat das Reich die Waffen gegen ſeine Ein - geweide gekehrt. Wie oft mußten die Paͤpſte von ihrer Hauptſtadt weichen und Gegenpaͤpſte auf den apoſtoliſchen Stuhl ſteigen ſehen!
Endlich aber war es ihnen doch gelungen. Den roͤ - miſchen, den fraͤnkiſch-carolingiſchen, ſo vielen deutſchen Kaiſern hatten die Paͤpſte gehorchen muͤſſen: jetzt zum er - ſten Mal ſtanden ſie der weltlichen Gewalt mit gleicher oder uͤberwiegender Autoritaͤt gegenuͤber. In der That hat - ten ſie alsdann die großartigſte Stellung. Die Geiſt - lichkeit war voͤllig in ihren Haͤnden. Es iſt der Bemer - kung werth, daß die entſchloſſenſten Paͤpſte dieſes Zeit - raums, wie Gregor VII. ſelbſt, Benedictiner waren. In - dem ſie das Coͤlibat einfuͤhrten, verwandelten ſie die ganze Weltgeiſtlichkeit in eine Art von Moͤnchsorden. Das all - gemeine Bisthum, das ſie in Anſpruch nahmen, hat eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der Gewalt eines Cluniacenſer Abtes, welcher der einzige Abt in ſeinem Orden war; ſo wollten dieſe Paͤpſte die einzigen Biſchoͤfe der geſammten Kirche ſeyn. Sie trugen kein Bedenken, in die Verwaltung aller Dioͤ - ceſen einzugreifen1)Einer der Hauptpuncte, uͤber den ich doch eine Stelle aus; haben ſie doch ihre Legaten ſelbſt mit30Kap. I. Epochen des Papſtthums.altroͤmiſchen Proconſuln verglichen! Waͤhrend ſich nun die - ſer enge zuſammenſchließende und uͤber alle Laͤnder verbrei - tete, durch ſeine Beſitzungen maͤchtige, und jedes Lebens - verhaͤltniß beherrſchende Orden in dem Gehorſam eines ein - zigen Oberhauptes ausbildete, verfielen ihm gegenuͤber die Staatsgewalten. Schon im Anfange des 12ten Jahrhun - derts durfte der Probſt Gerohus ſagen: „ es werde noch da - hin kommen, daß die goldene Bildſaͤule des Koͤnigreichs ganz zermalmt, und jedes große Reich in Vierfuͤrſtenthuͤ - mer aufgeloͤſt werde; erſt dann werde die Kirche frei und ungedruͤckt beſtehen, unter dem Schutze des großen gekroͤn - ten Prieſters “1)Schroͤckh fuͤhrt dieſe Stelle an: Kirchengeſchichte Th. 27. p. 117.. Es fehlte wenig, daß es woͤrtlich dahin gekommen waͤre. Denn in der That, wer war in dem dreizehnten Jahrhundert maͤchtiger in England, Heinrich III. oder jene Vierundzwanzig, welchen eine Zeitlang die Re - gierung aufgetragen war; in Caſtilien, der Koͤnig oder die Altoshomes? Die Macht eines Kaiſers ſchien faſt entbehrlich zu ſeyn, nachdem Friedrich den Fuͤrſten des Reiches die we - ſentlichen Attribute der Landeshoheit gewaͤhrt hatte. Italien wie Deutſchland waren mit unabhaͤngigen Gewalten erfuͤllt. Eine zuſammenfaſſende, vereinigende Macht wohnte faſt ausſchließlich dem Papſte bei. Der geiſtlich-weltliche Cha -1)einem Briefe Heinrichs IV. an Gregor aufuͤhren will; (Mansi Con - cil. n. collectio. XX, 471.) Rectores sanctae ecclesiae videl. ar - chiepiscopos, episcopos, presbyteros sicut servos pedibus tuis calcasti. Wir ſehen, der Papſt hatte hierbei die oͤffentliche Mei - nung auf ſeiner Seite. In quorum conculcatione tibi favorem ab ore vulgi comparasti. 31Selbſtſtaͤndige Ausbildung der Hierarchie.rakter, den das Leben uͤberhaupt angenommen, der Gang der Ereigniſſe mußte ihm eine ſolche an und fuͤr ſich zu Wege bringen. Wenn Laͤnder, ſo lange verloren, wie Spa - nien, endlich dem Mahumedanismus, — Provinzen, die noch nie erworben geweſen, wie Preußen, dem Heidenthume abgewonnen und mit chriſtlichen Voͤlkern beſetzt wurden; wenn ſelbſt die Hauptſtaͤdte des griechiſchen Glaubens ſich dem lateiniſchen Ritus unterwarfen, und noch immer Hun - derttauſende auszogen, um die Fahne des Kreuzes uͤber dem heiligen Grabe zu behaupten; mußte nicht der Oberprieſter, der in allen dieſen Unternehmungen ſeine Hand hatte, und den Gehorſam der Unterworfenen empfing, ein unermeßli - ches Anſehn genießen? Unter ſeiner Leitung, in ſeinem Na - men breiten ſich die abendlaͤndiſchen Nationen, als waͤren ſie Ein Volk, in ungeheuren Colonien aus und ſuchen die Welt einzunehmen. Man kann ſich nicht wundern, wenn er dann auch in dem Innern eine allgewaltige Autoritaͤt ausuͤbt, wenn ein Koͤnig von England ſein Reich von ihm zu Lehen nimmt, ein Koͤnig von Aragon das ſeine dem Apoſtel Petrus auftraͤgt, wenn Neapel wirklich durch den Papſt an ein fremdes Haus gebracht wird. Wunderbare Phyſiognomie jener Zeiten, die noch Niemand in ihrer gan - zen Fuͤlle und Wahrheit vergegenwaͤrtigt hat. Es iſt die außerordentlichſte Combination von innerem Zwiſt und glaͤnzendem Fortgang nach Außen, von Autonomie und Ge - horſam, von geiſtlichem und weltlichem Weſen. Wie hat doch die Froͤmmigkeit ſelbſt einen ſo widerſprechenden Cha - rakter! Zuweilen zieht ſie ſich in das rauhe Gebirg, in das einſame Waldthal zuruͤck: um alle ihre Tage in harmloſer32Kap. I. Epochen des Papſtthums.Andacht der Anſchauung Gottes zu widmen; in Erwartung des Todes verzichtet ſie ſchon auf jeden Genuß, den das Leben darbietet; — wie bemuͤht ſie ſich, wenn ſie unter den Menſchen weilt, jugendlich warm, das Geheimniß, das ſie ahndet, die Idee, in der ſie lebt, in heitern Formen auszuſprechen; — aber gleich daneben finden wir eine an - dre, welche die Inquiſition erdacht hat, und die entſetzliche Gerechtigkeit des Schwertes gegen die Andersglaͤubigen aus - uͤbt; „ keines Geſchlechtes “, ſagt der Anfuͤhrer des Zuges wider die Albigenſer, „ keines Alters, keines Ranges haben wir ver - ſchont, ſondern Jedermann mit der Schaͤrfe des Schwertes geſchlagen “. Zuweilen erſcheinen Beide in dem nemlichen Moment. Bei dem Anblick von Jeruſalem ſtiegen die Kreuzfahrer von den Pferden, und entbloͤßten ihre Fuͤße, um als wahre Pilger an den heiligen Mauern anzulangen; in dem heißeſten Kampfe meinten ſie die Huͤlfe der Heiligen und Engel ſichtbar zu erfahren. Kaum aber hatten ſie die Mauern uͤberſtiegen, ſo ſtuͤrzten ſie fort zu Raub und Blut; auf der Stelle des ſalomoniſchen Tempels erwuͤrg - ten ſie viele Tauſend Saracenen; die Juden verbrannten ſie in ihrer Synagoge; die heiligen Schwellen, an denen ſie anzubeten gekommen waren, befleckten ſie erſt mit Blut. — Ein Widerſpruch, der jenen religioͤſen Staat durchaus erfuͤllt und ſein Weſen bildet.
Ge -33Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.An gewiſſen Stellen fuͤhlt man ſich beſonders ver - ſucht, wenn wir es ausſprechen duͤrfen, den Planen der goͤttlichen Weltregierung, den Momenten der Erziehung des Menſchengeſchlechtes nachzuforſchen.
So mangelhaft auch die Entwickelung ſeyn mochte, die wir bezeichneten, ſo war ſie doch nothwendig, um das Chriſtenthum in dem Abendlande voͤllig einheimiſch zu ma - chen. Es gehoͤrte etwas dazu, um die trotzigen, nordi - ſchen Gemuͤther, die geſammten von althergebrachtem Aber - glauben beherrſchten Voͤlkerſchaften, mit den Ideen des Chriſtenthums zu durchdringen. Das geiſtliche Element mußte eine Zeitlang vorherrſchen, um das germaniſche We - ſen ganz zu ergreifen. Hierdurch vollzog ſich zugleich jene enge Vereinigung germaniſcher und romaniſcher Elemente. Es giebt eine Gemeinſchaftlichkeit der modernen Welt, welche immer als eine Hauptgrundlage der geſammten Aus - bildung derſelben in Staat und Kirche, Sitte, Leben und Literatur betrachtet worden iſt. Um ſie hervorzubringen, mußten die weſtlichen Nationen einmal gleichſam einen ein - zigen weltlich-geiſtlichen Staat ausmachen.
Aber in dem großen Fortgange der Dinge war auch dieß nur ein Moment. Nachdem die Umwandelung voll - bracht worden, traten neue Erfolge ein.
Schon darin kuͤndigte ſich eine andre Epoche an, daß die Landesſprachen faſt allenthalben zur nehmlichen Zeit334Kap. I. Epochen des Papſtthums.emporkamen. Langſam, aber unaufgehalten drangen ſie in die mannichfaltigen Zweige geiſtiger Thaͤtigkeit ein; Schritt fuͤr Schritt wich ihnen das Idiom der Kirche. Die All - gemeinheit trat zuruͤck; in einem hoͤhern Sinne ging aus ihr eine neue Sonderung hervor. Das kirchliche Element hatte die Nationalitaͤten bisher uͤberwaͤltigt; — veraͤndert, umgeſtaltet, aber wieder geſchieden traten dieſe in eine neue Bahn ein.
Es iſt nicht anders, als daß alles menſchliche Thun und Treiben dem leiſen und der Bemerkung oft entzogenen, aber gewaltigen und unaufhaltſamen Gange der Dinge un - terworfen iſt. Die paͤpſtliche Macht war von den fruͤhe - ren weltgeſchichtlichen Momenten gefoͤrdert worden: die neuen traten ihr entgegen. Da die Nationen des Impulſes der kirchlichen Macht nicht mehr in dem alten Maaße bedurf - ten, ſo leiſteten ſie demſelben gar bald Widerſtand. Sie fuͤhlten ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit.
Es iſt der Muͤhe werth, ſich die wichtigeren Ereig - niſſe ins Gedaͤchtniß zu rufen, in denen dieſe Richtung ſich ausſpricht.
Es waren, wie man weiß, die Franzoſen, die den An - maßungen des Papſtes den erſten entſchiedenen Widerſtand leiſteten. In nationaler Einmuͤthigkeit ſetzten ſie ſich den Bannbullen Bonifaz VIII. entgegen; in mehreren hundert Adhaͤſionsurkunden ſprachen alle Gewalten des Volkes ihre Beiſtimmung zu den Schritten Koͤnig Philipp des Schoͤnen aus.
Es folgten die Deutſchen. Als die Paͤpſte das Kai - ſerthum mit der alten Leidenſchaft angriffen, obwohl daſ - ſelbe die fruͤhere Bedeutung bei weitem nicht mehr hatte,35Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.als ſie hierbei fremdartigen Einwirkungen Raum gaben, — kamen die Churfuͤrſten am Ufer des Rheins bei ihren ſtei - nernen Sitzen auf jenem Acker von Renſe zuſammen, um eine gemeinſchaftliche Maaßregel zur Behauptung „ der Eh - ren und Wuͤrden des Reiches “zu uͤberlegen. Ihre Abſicht war, die Unabhaͤngigkeit des Reiches gegen die Eingriffe der Paͤpſte durch einen feierlichen Beſchluß feſtzuſetzen. Bald hierauf erfolgte dieſer in aller Form, von allen Ge - walten, Kaiſer, Fuͤrſten und Churfuͤrſten zugleich; gemein - ſchaftlich ſtellte man ſich den Grundſaͤtzen des paͤpſtlichen Staatsrechts entgegen1)Licet juris utriusque. Bei Olenſchlaͤger Staatsgeſchichte des roͤm. Kaiſerthums in der erſten Haͤlfte des 14ten Jahrhunderts. Nr. 63.
Nicht lange blieb England zuruͤck. Nirgends hatten die Paͤpſte groͤßeren Einfluß gehabt, mit den Pfruͤnden will - kuͤhrlicher geſchaltet; als Edward III. endlich den Tribut nicht mehr zahlen wollte, zu dem ſich fruͤhere Koͤnige ver - pflichtet hatten, vereinigte ſich ſein Parlament mit ihm und verſprach ihn hierbei zu unterſtuͤtzen. Der Koͤnig traf Maaßregeln, um den uͤbrigen Eingriffen der paͤpſtlichen Macht zuvorzukommen.
Wir ſehen, eine Nation nach der andern fuͤhlt ſich in ihrer Selbſtſtaͤndigkeit und Einheit; von keiner hoͤheren Autoritaͤt will die oͤffentliche Gewalt mehr wiſſen; in den mittlern Kreiſen finden die Paͤpſte keine Verbuͤndeten mehr; ihre Einwirkungen werden von Fuͤrſten und Staͤnden ent - ſchloſſen zuruͤckgewieſen.
In dem ereignete ſich, daß das Papſtthum ſelbſt in3*36Kap. I. Epochen des Papſtthums.eine Schwaͤche und Verwirrung gerieth, welche den welt - lichen Gewalten, die ſich bis jetzt nur zu ſichern geſucht, ſogar eine Ruͤckwirkung auf daſſelbe moͤglich machte.
Das Schisma trat ein. Man bemerke welche Fol - gen es hatte. Lange Zeit ſtand es bei den Fuͤrſten, nach ihrer politiſchen Convenienz dem einen oder dem andern Papſte anzuhangen; — in ſich ſelbſt fand die geiſtliche Macht kein Mittel, die Spaltung zu heben, nur die welt - liche Gewalt vermochte dieß — als man ſich zu dieſem Zwecke in Coſtnitz verſammelte, ſtimmte man nicht mehr, wie bisher, nach Koͤpfen, ſondern nach den vier Nationen: jeder Nation blieb es uͤberlaſſen, in vorbereitenden Ver - ſammlungen uͤber das Votum zu berathſchlagen, das ſie zu geben hatte — in Gemeinſchaft ſetzten ſie einen Papſt ab; — der neugewaͤhlte mußte ſich zu Concordaten mit den einzelnen verſtehen, die wenigſtens durch das Bei - ſpiel, das ſie gaben, viel bedeuteten — waͤhrend des Baſe - ler Conciliums und der neuen Spaltung hielten ſich einige Reiche ſogar neutral — nur die unmittelbare Bemuͤhung der Fuͤrſten vermochte dieſe zweite Kirchentrennung beizu - legen1)Erklaͤrung des Papſtes Felix bei Georgius Vita Nicolai V. p. 65.. Es konnte nichts geben, was das Uebergewicht der weltlichen Gewalt und die Selbſtſtaͤndigkeit der einzel - nen Reiche kraͤftiger befoͤrdert haͤtte.
Und nun war zwar der Papſt neuerdings in gro - ßem Anſehen, er hatte die allgemeine Obedienz; der Kai - ſer fuͤhrte ihm noch immer den Zelter: es gab Biſchoͤfe nicht allein in Ungarn, ſondern auch in Deutſchland, die37Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.ſich von des apoſtoliſchen Stuhles Gnaden ſchrieben1)Coſtniz, Schwerin, Fuͤnfkirchen. Schroͤckh Kirchengeſchichte Bd. 33, p. 60.; in dem Norden ward der Peterspfennig fortwaͤhrend ein - geſammelt; unzaͤhlige Pilger aus allen Laͤndern ſuchten bei dem Jubilaͤum von 1450 die Schwellen der Apoſtel auf; mit Bienenſchwaͤrmen, Zugvoͤgelſchaaren vergleicht ſie ein Augenzeuge, wie ſie ſo kamen; doch hatten trotz alle dem die alten Verhaͤltniſſe lange nicht mehr Statt.
Wollte man ſich davon uͤberzeugen, ſo brauchte man ſich nur den fruͤheren Eifer, nach dem heiligen Grabe zu ziehen, ins Gedaͤchtniß zu rufen und die Kaͤlte dagegen zu halten, mit der in dem funfzehnten Jahrhundert jede Auf - forderung zu einem gemeinſchaftlichen Widerſtand gegen die Tuͤrken aufgenommen wurde. Wie viel dringender war es, die eigenen Landſchaften gegen eine Gefahr, die ſich unauf - haltſam unzweifelhaft heranwaͤlzte, in Schutz zu nehmen, als das heilige Grab in chriſtlichen Haͤnden zu wiſſen. Ihre beſte Beredſamkeit wandten Aeneas Sylvius auf dem Reichstage, der Minorit Capiſtrano auf den Maͤrkten der Staͤdte bei dem Volke an; und man ruͤhmt, welchen Ein - druck ſie hervorgebracht; aber wir finden nicht, daß Je - mand darum zu den Waffen gegriffen haͤtte. Welche Muͤhe gaben ſich nicht die Paͤpſte! Der eine ruͤſtete eine Flotte aus, der andre, Pius II., eben jener Aeneas Syl - vius, erhob ſich, ſo ſchwach und krank er auch war, ſel - ber zu dem Hafen, wo, wenn kein Anderer, doch die Zunaͤchſt - gefaͤhrdeten ſich vereinigen ſollten; er wollte dabei ſeyn, um wie er ſagte, was er allein vermoͤge, waͤhrend des38Kap. I. Epochen des Papſtthums.Kampfes ſeine Haͤnde zu Gott zu erheben, wie Moſes; aber weder Ermahnung noch Bitte noch Beiſpiel vermochte etwas uͤber dieſe Zeitgenoſſen. Mit jenem jugendlichen Ge - fuͤhl eines ritterlichen Chriſtenthums war es voruͤber; kein Papſt vermochte es wieder aufzuwecken.
Andre Intereſſen bewegten die damalige Welt. Es war die Periode, in welcher die europaͤiſchen Reiche nach langen inneren Kaͤmpfen ſich endlich conſolidirten. Den centralen Gewalten gelang es, die Factionen zu uͤberwinden, welche bisher die Throne gefaͤhrdet. Eine Tendenz, die ſofort auch die Paͤpſte beruͤhren mußte. Unendlich groͤßere Anſpruͤche als bisher machte das Fuͤrſtenthum. Man denkt ſich oft das Papſtthum bis zur Reformation hin faſt unumſchraͤnkt; in der That aber hatten waͤhrend des funfzehnten, im An - fange des ſechszehnten Jahrhunderts die Staaten bereits einen nicht geringen Antheil an den geiſtlichen Rechten und Befugniſſen an ſich gebracht.
Wie ſehr beſchraͤnkte in Frankreich die pragmatiſche Sanction, welche uͤber ein halbes Jahrhundert als ein Palladium des Reiches angeſehen ward, die Ausuͤbung paͤpſtlicher Gerechtſame! Zwar ließ ſich Ludwig XI. durch eine falſche Religioſitaͤt, — der er um ſo mehr ergeben war, je mehr es ihm an der wahren fehlte, — zur Nachgiebigkeit in dieſem Stuͤcke fortreißen; allein ſeine Nachfolger kamen ohne viel Bedenken auf jenes ihr Geſetz zuruͤck. Wenn dann Franz I. ſein Concordat mit Leo X. ſchloß, ſo hat man wohl behauptet, der roͤmiſche Hof ſey hierdurch neuer - dings zu dem alten Uebergewicht gelangt. Auch iſt es wahr, daß der Papſt die Annaten wieder bekam. Allein er39Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.mußte dafuͤr viele andre Gefaͤlle miſſen; und was die Haupt - ſache, er uͤberließ dem Koͤnig das Recht, zu den Bisthuͤ - mern und allen hoͤheren Pfruͤnden zu ernennen. Es iſt unlaͤugbar: die gallicaniſche Kirche verlor ihre Rechte, aber bei weitem weniger an den Papſt als an den Koͤnig. Das Axiom, fuͤr das Gregor VII. die Welt bewegt, gab Leo X. ohne viele Schwierigkeit auf.
So weit konnte es nun in Deutſchland nicht kommen. Die Baſeler Beſchluͤſſe, die in Frankreich zur pragmatiſchen Sanction ausgebildet worden1)Man erkennt das Verhaͤltniß aus folgenden Worten des Aeneas Sylvius. „ Propter decreta Basiliensis concilii inter se - dem apostolicam et nationem vestram dissidium coepit, cum vos illa prorsus tenenda diceretis, apostolica vero sedes omnia reji - ceret. Itaque fuit denique compositio facta — per quam aliqua ex decretis concilii praedicti recepta videntur, aliqua rejecta. Aen. Sylvii Epistola ad Martinum Maierum contra murmur gravaminis Germanicae nationis 1457. “ In Muͤller’s Reichstags - theatrum unter Friedrich III. Vorſt. III. p. 604., wurden in Deutſchland, wo man ſie Anfangs auch angenommen, durch die Wiener Concordate ungemein ermaͤßigt. Aber dieſe Ermaͤßigung ſelbſt war doch nicht ohne Opfer des roͤmiſchen Stuhles erworben worden. In Deutſchland war es nicht genug, ſich mit dem Reichsoberhaupte zu verſtaͤndigen; man mußte die einzelnen Staͤnde gewinnen. Die Erzbiſchoͤſe von Mainz und Trier erhielten das Recht, auch in den paͤpſtlichen Monaten die erledigten Pfruͤnden zu vergeben; der Chur - fuͤrſt von Brandenburg erwarb die Befugniß, die drei Bis - thuͤmer in ſeinem Lande zu beſetzen: auch minder bedeu - tende Staͤnde, Straßburg, Salzburg, Metz erhielten40Kap. I. Epochen des Papſtthums.Verguͤnſtigungen1)Schroͤckh’s Kirchengeſch. Bd. 32, p. 173. Eichhorn Staats - und Rechtsgeſchichte Bd. III. §. 472. n. c. . Doch war damit die allgemeine Op - poſition nicht gedaͤmpft. Im Jahre 1487 widerſetzte ſich das geſammte Reich einem Zehnten, den der Papſt aufle - gen wollte, und hintertrieb ihn2)Muͤller’s Reichstheatrum Vorſt. VI. p. 130.. Im Jahre 1500 ge - ſtand das Reichsregiment dem paͤpſtlichen Legaten nur den dritten Theil des Ertrages der Ablaßpredigten zu; zwei Dritttheile wollte es ſelber an ſich nehmen und zu dem Tuͤr - kenkriege verwenden.
In England kam man, ohne neues Concordat, ohne pragmatiſche Sanction, uͤber jene Zugeſtaͤndniſſe von Coſt - nitz weit hinaus. Das Recht, einen Candidaten zu den biſchoͤflichen Sitzen zu benennen, beſaß Heinrich VII. ohne Widerſpruch. Er war nicht zufrieden, die Befoͤrderung der Geiſtlichen in ſeiner Hand zu haben, er nahm auch die Haͤlfte der Annaten an ſich. Als hierauf Wolſey in den erſten Jahren Heinrichs VIII. zu ſeinen uͤbrigen Aemtern auch die Wuͤrde eines Legaten empfing, war die geiſtliche und weltliche Macht gewiſſermaßen vereinigt; noch ehe dort an Proteſtantismus gedacht wurde, ſchritt man zu einer ſehr gewaltſamen Einziehung von Kloͤſtern.
Indeſſen blieben die ſuͤdlichen Laͤnder und Reiche nicht zuruͤck. Auch der Koͤnig von Spanien hatte die Ernen - nung zu den biſchoͤflichen Sitzen. Die Krone, mit der die Großmeiſterthuͤmer der geiſtlichen Orden verbunden waren, welche die Inquiſition eingerichtet hatte und beherrſchte, genoß eine Menge geiſtlicher Attribute und Gerechtſame. 41Gegenſaͤtze des 14ten u. 15ten Jahrh.Den paͤpſtlichen Beamten widerſetzte ſich Ferdinand der Ka - tholiſche nicht ſelten.
Nicht minder als die ſpaniſchen, waren auch die por - tugieſiſchen geiſtlichen Ritterorden St. Jacob, Avis, der Chriſtorden, dem die Guͤter der Templer zugefallen, Pa - tronate der Krone1)Instruttione piena delle cose di Portogallo al Coadju - tor di Bergamo: nuntio destinato in Portogallo. Ms. der In - formationi politiche in der K. Bibl. zu Berlin Tom. XII. Leo X. gewaͤhrte dieß Patronat der Orden: contentandosi il re di pagare grandissima compositione di detto patronato. . Koͤnig Emanuel erlangte von Leo X. nicht allein den dritten Theil der Cruciata, ſondern auch den Zehnten von den geiſtlichen Guͤtern, ausdruͤcklich mit dem Rechte, ihn nach Gutduͤnken und Verdienſt zu ver - theilen.
Genug allenthalben, durch die ganze Chriſtenheit, im Suͤden wie im Norden, ſuchte man die Rechte des Pap - ſtes einzuſchraͤnken. Es war beſonders ein Mitgenuß der geiſtlichen Einkuͤnfte und die Vergabung der geiſtlichen Stellen und Pfruͤnden, was die Staatsgewalt in Anſpruch nahm. Die Paͤpſte leiſteten keinen ernſtlichen Widerſtand. Sie ſuchten zu behaupten ſo viel ſie konnten: in dem uͤbri - gen gaben ſie nach. Von Ferdinand, Koͤnig in Neapel, ſagt Lorenzo Medici bei Gelegenheit einer Irrung deſſelben mit dem roͤmiſchen Stuhle, er werde keine Schwierigkeiten machen, zu verſprechen: bei der Ausfuͤhrung ſeiner Ver - pflichtungen werde man ihm ſpaͤter doch nachſehen, wie es von allen Paͤpſten gegen alle Koͤnige geſchehe2)Lorenzo an Johann de Lanfredinis. Fabroni Vita Lau - rentii Medici II. p. 362.. Denn auch42Kap. I. Epochen des Papſtthums.nach Italien war dieſer Geiſt der Oppoſition gedrungen. Von Lorenzo Medici ſelbſt werden wir[unterrichtet], daß er hierin dem Beiſpiel der groͤßeren Fuͤrſten folgte und von den paͤpſtlichen Befehlen ſo viel und nicht mehr gelten ließ, als er ſelber Luſt hatte1)Antonius Gallus de rebus Genuensibus: Muratori scriptt. R. It. XXIII. p. 281 ſagt von Lorenzo: regum majorumque principum contumacem licentiam adversus romanam ecclesiam sequebatur de juribus pontificis nisi quod ei videretur nihil per - mittens. .
Es waͤre ein Irrthum, in dieſen Erfolgen nur die Acte gleichzeitiger Willkuͤhr zu ſehen. Die kirchliche Rich - tung hatte aufgehoͤrt, das Leben der europaͤiſchen Natio - nen ſo durchaus zu beherrſchen, wie es fruͤher geſchah. Die Entwickelung der Nationalitaͤt, die Ausbildung der Staaten trat maͤchtig hervor. Das Verhaͤltniß zwiſchen geiſtlicher und weltlicher Gewalt mußte hierdurch die groͤßte Veraͤnderung erfahren.
43Erweiterung des Kirchenſtaates.Was man auch von den Paͤpſten fruͤherer Zeit urthei - len mag, ſo hatten ſie immer große Intereſſen vor Augen: die Pflege einer unterdruͤckten Religion: den Kampf mit dem Heidenthum: die Ausbreitung des Chriſtenthums uͤber die nordiſchen Nationen: die Gruͤndung einer unabhaͤngi - gen hierarchiſchen Gewalt; zu der Wuͤrde des menſchlichen Daſeyns gehoͤrt es, daß man etwas Großes wolle, voll - fuͤhre; dieſe ihre Tendenzen erhielten die Paͤpſte in einem hoͤheren Schwunge. Jetzt aber waren mit den Zeiten die Richtungen voruͤbergegangen; das Schisma war beigelegt; man mußte ſich beſcheiden, daß man es zu einem allge - meinen Unternehmen gegen die Tuͤrken doch nicht bringen werde. Es geſchah, daß das geiſtliche Oberhaupt vor al - lem und entſchiedener als jemals bisher, die Zwecke ſeines weltlichen Fuͤrſtenthums verfolgte, und ihnen ſeine ganze Thaͤtigkeit zuwendete.
Schon geraume Zeit lag dieß in den Beſtrebungen des Jahrhunderts. Ehedem, ſagte bereits ein Redner des Baſeler Conciliums, war ich der Meinung, es wuͤrde wohlgethan ſeyn, die weltliche Gewalt ganz von der geiſt -44Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.lichen zu trennen. Jetzt aber habe ich gelernt, daß die Tugend ohne Macht laͤcherlich iſt, daß der roͤmiſche Papſt ohne das Erbgut der Kirche nur einen Knecht der Koͤnige und Fuͤrſten vorſtellt. Dieſer Redner, welcher doch in der Verſammlung ſo viel Einfluß hatte, um die Wahl des Papſtes Felix zu entſcheiden, findet es ſo uͤbel nicht, daß ein Papſt Soͤhne habe, die ihm gegen die Tyrannen bei - ſtehen koͤnnen1)Ein Auszug aus dieſer Rede bei Schroͤckh Bd. 32. p. 90..
Von einer andern Seite faßte man dieſe Sache etwas ſpaͤter in Italien. Man fand es in der Ordnung, daß ein Papſt ſeine Familie befoͤrdere und emporbringe; man wuͤrde es demjenigen verdacht haben, der es nicht gethan haͤtte. „ Andre, ſchreibt Lorenzo Medici an Innocenz VIII., ha - ben nicht ſo lange gewartet, Paͤpſte ſeyn zu wollen, und ſich wenig um die Ehrbarkeit und Zuruͤckhaltung gekuͤm - mert, die E. Heiligkeit ſo geraume Zeit behauptet hat. Jetzt iſt E. Heiligkeit nicht allein vor Gott und Menſchen entſchuldigt, ſondern man koͤnnte dieß ehrſame Betragen vielleicht gar tadeln und einem andren Grunde zuſchreiben. Eifer und Pflicht noͤthigen mein Gewiſſen, E. Heiligkeit zu erinnern, daß kein Menſch unſterblich iſt, daß ein Papſt ſo viel bedeutet, als er bedeuten will; ſeine Wuͤrde kann er nicht erblich machen; nur die Ehre und die Wohltha - ten, die er den Seinen erweiſt, kann er ſein Eigenthum nennen “2)Schreiben Lorenzo’s — ohne Datum, doch wahrſcheinlich vom Jahre 1489, weil darin vom fuͤnften Jahre Innocenz VIII. die Rede iſt, bei Fabroni Vita Laurentii II, 390.. Solche Rathſchlaͤge gab der, welcher als der45Erweiterung des Kirchenſtaates.weiſeſte Mann von Italien betrachtet ward. Er war da - bei wohl auch ſelbſt betheiligt; er hatte ſeine Tochter mit dem Sohne des Papſtes verheirathet; aber niemals haͤtte er ſich ſo freimuͤthig und ruͤckſichtslos ausdruͤcken koͤnnen, waͤre dieſe Anſicht nicht in der hoͤheren Welt die unzwei - felhaft guͤltige und verbreitete geweſen.
Es hat einen inneren Zuſammenhang, daß zur nehm - lichen Zeit die europaͤiſchen Staaten dem Papſte einen Theil ſeiner Befugniſſe entwanden, und dieſer ſelbſt ſich in lau - ter weltlichen Tendenzen zu bewegen anfing. Er fuͤhlte ſich zunaͤchſt als italieniſcher Fuͤrſt.
Es war noch nicht ſo lange, daß die Florentiner ihre Nachbarn uͤberwunden, und das Haus Medici ſeine Ge - walt uͤber beide gegruͤndet hatte; die Macht der Sforza in Mailand, des Hauſes Aragon in Neapel, der Venezianer in der Lombardei waren alle bei Menſchengedenken erwor - ben und befeſtigt; ſollte nicht auch ein Papſt der Hoffnung Raum geben, in den Gebieten, welche als das Erbgut der Kirche betrachtet wurden, aber unter einer Anzahl unab - haͤngiger Stadtoberhaͤupter ſtanden, eine groͤßere eigene Herrſchaft zu gruͤnden?
Zuerſt mit ſelbſtbewußter Abſicht und nachwirkendem Erfolg ſchlug Papſt Sixtus IV. dieſe Richtung ein; auf das gewaltigſte und mit ungemeinem Gluͤck verfolgte ſie Alexander VI. ; Julius II. gab ihr eine unerwartete, die bleibende Wendung.
Sixtus IV. faßte den Plan, in den ſchoͤnen und rei - chen Ebenen der Romagna fuͤr ſeinen Neffen Girolamo Riario ein Fuͤrſtenthum zu gruͤnden. Schon ſtritten die46Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh.uͤbrigen italieniſchen Maͤchte um das Uebergewicht in dieſen Landſchaften oder ihren Beſitz, und wenn hier von Recht die Rede war, ſo hatte der Papſt offenbar ein beſſeres Recht als die uͤbrigen. Nur war er ihnen an Staatskraͤften und Kriegsmitteln bei weitem nicht gewachſen. Er trug kein Bedenken, ſeine geiſtliche Gewalt, ihrer Natur und Be - ſtimmung nach erhaben uͤber alles Irdiſche, ſeinen weltlichen Abſichten dienſtbar zu machen, und in die Verwickelungen des Augenblicks, in welche ihn dieſe verflochten, herabzu - ziehen. Da ihm vorzuͤglich die Medici im Wege waren, ließ er ſich in die florentiniſchen Irrungen ein, und lud, wie man weiß, den Verdacht auf ſich, als habe er um die Verſchwoͤrung der Pazzi gewußt, um den Mordanfall, den Dieſe vor dem Altare einer Cathedrale ausfuͤhrten, als habe er um ſo etwas mitgewußt, er der Vater der Glaͤu - bigen. — — Als die Venezianer aufhoͤrten, die Unterneh - mungen des Neffen zu beguͤnſtigen, wie ſie eine Zeitlang gethan hatten, war es dem Papſte nicht genug, ſie in ei - nem Kriege zu verlaſſen, zu dem er ſie ſelber angetrieben hatte; er ging ſo weit, ſie zu excommuniciren, als ſie den - ſelben fortſetzten1)Ueber den ferrariſchen Krieg ſind 1829 die Commentarii di Marino Sanuto zu Venedig gedruckt worden; p. 56. beruͤhrt er den Abfall des Papſtes. Er verweiſt auf die Reden des venezianiſchen Geſandten, „ Tutti vedranno, aver noi cominciato questa guerra di volontà del Papa: egli però si mosse a rompere la lega. “. — — Nicht minder gewaltſam ver - fuhr er in Rom. Die Gegner des Riario, die Colonna, verfolgte er mit wildem Ingrimme; er entriß ihnen Ma - rino; den Protonotar Colonna ließ er uͤberdieß in ſeinem ei - genen Hauſe beſtuͤrmen, gefangennehmen und hinrichten. 47Erweiterung des Kirchenſtaates.Deſſen Mutter kam nach S. Celſo in Banchi wo die Leiche lag; bei den Haaren erhob ſie den abgehauenen Kopf und rief: „ das iſt das Haupt meines Sohnes; das iſt die Treue des Papſtes. Er verſprach, wenn wir ihm Marino uͤber - ließen, wuͤrde er meinen Sohn freigeben; nun hat er Ma - rino: in unſern Haͤnden iſt auch mein Sohn, aber todt! Siehe da, ſo haͤlt der Papſt ſein Wort “1)Alegretto Alegretti: diari Sanesi p. 817..
So viel gehoͤrte dazu, damit Sixtus IV. den Sieg uͤber ſeine Feinde innerhalb und außerhalb des Staates davon truͤge. In der That gelang es ihm, ſeinen Neffen zum Herrn von Imola und Forli zu machen; doch iſt wohl keine Frage, daß wenn ſein weltliches Anſehn hierbei gewann, das geiſtliche unendlich viel mehr verlor. Es ward ein Verſuch gemacht, ein Concilium wider ihn zu verſammeln.
Indeſſen ſollte Sixtus gar bald bei weitem uͤberbo - ten werden. Bald nach ihm nahm Alexander VI. den paͤpſt - lichen Stuhl ein.
Alexander hatte all ſein Lebtage nur die Welt zu ge - nießen, vergnuͤgt zu leben, ſeine Geluͤſte, ſeinen Ehrgeiz zu erfuͤllen getrachtet. Es ſchien ihm der Gipfel der Gluͤck - ſeligkeit, daß er endlich die oberſte geiſtliche Wuͤrde beſaß. In dieſem Gefuͤhl ſchien er taͤglich juͤnger zu werden, ſo alt er auch war. Kein unbequemer Gedanke dauerte ihm uͤber Nacht. Nur darauf ſann er, was ihm Nutzen ver - ſchaffen, wie er ſeine Soͤhne zu Wuͤrden und Staaten brin - gen koͤnne: nie hat ihn etwas andres ernſtlich beſchaͤftigt2)Relatione di Polo Capello 1500. Ms. .
Seinen politiſchen Verbindungen, die einen ſo großen48Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.Einfluß auf die Weltbegebenheiten gehabt haben, lag dieſe einzige Ruͤckſicht ausſchließend zu Grunde; wie ein Papſt ſeine Kinder verheirathen, ausſtatten, einrichten wollte, ward ein Moment der Weltbewegung.
Ceſar Borgia, ſein Sohn, trat in die Fußtapfen des Riario. Er begann an dem nemlichen Punkte; eben das war ſeine erſte Unternehmung, daß er die Witwe Riarios aus Imola und Forli verjagte. Mit herzhafter Ruͤck - ſichtsloſigkeit ſchritt er weiter; was jener nur verſucht, nur begonnen hatte, ſetzte er ins Werk. Man betrachte, wel - chen Weg er hierbei einſchlug: mit ein paar Worten laͤßt es ſich ſagen. Der Kirchenſtaat war bisher von den bei - den Parteien der Guelfen und der Gibellinen, der Colonna und der Orſinen in Entzweiung gehalten worden. Wie die andren paͤpſtlichen Gewalten, wie noch Sixtus IV., verbanden ſich auch Alexander und ſein Sohn anfangs mit der einen von beiden, mit der orſiniſch-guelfiſchen. In dieſem Bunde gelang es ihnen bald, aller ihrer Feinde Herr zu werden. Sie verjagten die Sforza von Peſaro, die Malateſta von Rimini, die Manfreddi von Faenza; ſie nah - men dieſe maͤchtigen wohlbefeſtigten Staͤdte ein; ſchon gruͤn - deten ſie hier eine bedeutende Herrſchaft. Kaum aber wa - ren ſie ſo weit; kaum hatten ſie ihre Feinde beſeitigt, ſo wandten ſie ſich wider ihre Freunde. Dadurch unterſchied ſich die borgianiſche Gewalt von den fruͤheren, welche im - mer ſelber wieder von der Partei, der ſie ſich angeſchloſ - ſen, waren gefeſſelt worden. Ceſar griff ohne viel Zau - dern auch ſeine Verbuͤndeten an. Den Herzog von Urbino, der ihm bisher Vorſchub geleiſtet, hatte er, ehe dieſer dasMin -49Erweiterung des Kirchenſtaates.Mindeſte ahndete, wie mit einem Netz umgeben; kaum entrann ihm derſelbe, in ſeinem eignen Lande ein verfolgter Fluͤcht - ling1)In der großen handſchriftlichen Chronik des Sanuto fin - den ſich im ganzen 4ten Bande noch viele merkwuͤrdige Notizen uͤber Ceſar Borgia: auch einige Briefe von ihm; an Venedig vom Dez. 1502; an den Papſt; in dem letzten unterzeichnet er ſich: Vṟa̱e̱. Sṯi̱s̱. humillimus servus et devotissima factura. . Vitelli, Baglioni, die Haͤupter der Orſinen woll - ten ihm hierauf wenigſtens zeigen, daß ſie ihm Widerſtand leiſten koͤnnten. Er ſagte: es iſt gut, die zu betruͤgen, welche die Meiſter aller Verraͤthereien ſind; mit uͤberlegter, von ferne her berechneter Grauſamkeit lockte er ſie in ſeine Falle; ohne Erbarmen entledigte er ſich ihrer. Nachdem er dergeſtalt beide Parteien gedaͤmpft hatte, trat er an ihre Stelle; ihre Anhaͤnger, die Edelleute von niederem Range zog er nun an ſich und nahm ſie in ſeinen Sold; die Landſchaften, die er erobert, hielt er mit Schrecken und Strenge in Ordnung.
Und ſo ſah Alexander ſeinen lebhafteſten Wunſch er - fuͤllt, — die Barone des Landes vernichtet — ſein Haus auf dem Wege eine große erbliche Herrſchaft in Italien zu gruͤnden. Allein ſchon hatte er ſelbſt zu fuͤhlen bekom - men, was die aufgeregten Leidenſchaften vermoͤgen. Mit keinem Verwandten noch Guͤnſtling wollte Ceſar dieſe Ge - walt theilen. Seinen Bruder, der ihm im Wege ſtand, hatte er ermorden und in die Tiber werfen laſſen; auf der Treppe des Pallaſtes ließ er ſeinen Schwager anfallen2)Diario de Sebastiano di Branca de Telini: Ms. bibl. Barb. nr. 1103. zaͤhlt die Graͤuelthaten Ceſars folgender Ge - ſtalt auf: Il primo, il fratello che si chiamava lo duca di Gan - dia, lo fece buttar in fiume: fece ammazzare lo cognato che. 450Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.Den Verwundeten pflegten die Frau und die Schweſter deſſelben; die Schweſter kochte ihm ſeine Speiſen, um ihn vor Gift ſicher zu ſtellen; der Papſt ließ ſein Haus bewachen, um den Schwiegerſohn vor dem Sohne zu ſchuͤtzen. Vor - kehrungen, deren Ceſar ſpottete. Er ſagte, was zu Mit - tag nicht geſchehen, wird ſich auf den Abend thun laſſen: als der Prinz ſchon wieder in der Beſſerung war, drang er in das Zimmer deſſelben ein, trieb die Frau und die Schweſter hinaus, rief ſeinen Henker und ließ den Un - gluͤcklichen erwuͤrgen. Durch ſeinen Vater wollte er maͤch - tig werden: ſonſt nahm er auf denſelben keine Ruͤckſicht. Er toͤdtete den Liebling Alexanders, Peroto, indem ſich die - ſer an den Papſt anſchmiegte, unter dem pontificalen Man - tel; das Blut ſprang dem Papſt ins Geſicht.
Einen Moment lang hatte Ceſar Rom und den Kir - chenſtaat in ſeiner Gewalt. Der ſchoͤnſte Mann; ſo ſtark, daß er im Stiergefecht den Kopf des Stiers auf Einen Schlag herunterhieb; freigebig, nicht ohne Zuͤge von Groß - artigkeit; wolluͤſtig; mit Blut beſudelt. Wie zitterte Rom vor ſeinem Namen. Ceſar brauchte Geld und hatte Feinde; alle Naͤchte fand man Erſchlagene. Jedermann hielt ſich ſtill: es war Niemand, der nicht gefuͤrchtet haͤtte, auch an ihn komme die Reihe. Wen die Gewalt nicht erreichen konnte, der wurde vergiftet1)Der Mannichfaltigkeit der hieruͤber vorhandenen Notizen.
Es gab nur Eine Stelle auf Erden, wo ſo etwas moͤglich war. Nur da war es das, wo man zugleich die Fuͤlle der weltlichen Gewalt hatte und das oberſte geiſtliche Gericht beherrſchte. Dieſe Stelle nahm Ceſar ein. Auch die Ausartung hat ihre Vollendung. So viele paͤpſtliche Nepoten haben aͤhnliche Dinge verſucht: ſo weit aber hat es nie ein andrer getrieben. Ceſar iſt ein Virtuos des Verbrechens.
War es nicht von allem Anfang an eine der weſent - lichſten Tendenzen des Chriſtenthums, eine ſolche Gewalt unmoͤglich zu machen? Jetzt mußte es ſelbſt, die Stel - lung des Oberhauptes der Kirche mußte dazu dienen, ſie hervorzubringen.
Da brauchte in der That nicht erſt Luther zu kom - men, um in dieſem Treiben den graden Gegenſatz alles Chri - ſtenthums darzulegen. Gleich damals klagte man, der Papſt bahne dem Antichriſt den Weg, er ſorge fuͤr die Erfuͤllung des ſataniſchen, nicht des himmliſchen Reiches1)Ein fliegendes Blatt, Ms., aus der Chronik Sanutos. Im Anhang..
Den Verlauf der Geſchichte deſſelben wollen wir hier nicht ins Einzelne begleiten. Alexander beabſichtigte einſt, wie es nur allzugewiß iſt, einen der reichſten Cardinaͤle mit Gift aus dem Wege zu ſchaffen: aber dieſer wußte durch Geſchenke, Verſprechungen und Bitten den paͤpſtli -1)habe ich noch Einiges aus Polo Capello hinzugefuͤgt. — Bei bedeu - tenden Todesfaͤllen dachte man ſogleich an Vergiftungen durch den Papſt. Schreiben bei Sanuto von dem Tode des Cardinals von Verona: Si judica, sia stato atosicato per tuorli le facultâ per - chè avanti el spirasse el papa mandò guardie attorno la caxa. 4*52Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.chen Kuͤchenmeiſter zu erweichen: der Confect, den man fuͤr den Cardinal zubereitet, ward dem Papſte vorgeſetzt; die - ſer ſtarb an dem Gifte, mit dem er einen andren umbrin - gen wollen1)Successo de la morte di Papa Alessandro. Ms. Ebend.. Nach ſeinem Tode entwickelte ſich aus ſei - nen Unternehmungen ein ganz anderer Erfolg, als den er im Auge gehabt.
Die paͤpſtlichen Geſchlechter hofften jedesmal ſich Herr - ſchaften fuͤr immer zu erwerben; aber mit dem Leben des Papſtes ging in der Regel auch die Macht der Nepoten zu Ende, und ſie verſchwanden wie ſie emporgekommen. Wenn die Venezianer den Unternehmungen Ceſar Borgia’s ruhig zuſahen, ſo hatte das zwar andere Gruͤnde, jedoch auch vornehmlich dieſen. Sie urtheilten, „ es ſey doch alles nur ein Strohfeuer: nach Alexanders Tode werde ſich der alte Zuſtand von ſelbſt wiederherſtellen “2)Priuli Cronaca di Venezia Ms. „ Del resto poco sti - mavano, conoscendo, che questo acquisto che all’ hora faceva il duca Valentinois sarebbe foco di paglia, che poco dura. “.
In dieſer letzten Erwartung aber taͤuſchten ſie ſich. Es folgte ein Papſt, der ſich zwar darin gefiel, das Gegen - theil der Borgia zu thun, aber darum doch ihre Unter - nehmungen fortſetzte: er that es nur in einem entgegenge - ſetzten Sinne. Papſt Julius II. hatte den unſchaͤtzbaren Vortheil, Gelegenheit zu finden, den Anſpruͤchen ſeines Ge - ſchlechts auf friedlichem Wege genug zu thun; er verſchaffte demſelben die Erbſchaft von Urbino. Hierauf konnte er ſich ungeſtoͤrt ſeiner eignen Leidenſchaft uͤberlaſſen: der Nei - gung, Krieg zu fuͤhren, zu erobern, — aber zu Gunſten53Erweiterung des Kirchenſtaates.der Kirche, des paͤpſtlichen Stuhles ſelber. Andere Paͤpſte hatten ihren Nepoten, ihren Soͤhnen Fuͤrſtenthuͤmer zu ver - ſchaffen geſucht: er ließ es ſeinen ganzen Ehrgeiz ſeyn, den Staat der Kirche zu erweitern. Er muß als der Gruͤnder deſſelben betrachtet werden.
Er traf das geſammte Gebiet in der aͤußerſten Ver - wirrung an. Es waren Alle zuruͤckgekommen, die vor Ce - ſar noch hatten entfliehen koͤnnen; Orſini und Colonnen, Vitelli und Baglioni, Varani, Malateſta und Montefeltri; in allen Theilen des Landes waren die Parteien erwacht; bis in den Borgo von Rom befehdeten ſie ſich. Man hat Julius mit dem virgiliſchen Neptun verglichen, der mit beruhigendem Antlitz aus den Wogen emporſteigt und ihr Toben beſaͤnftigt1)Tomaso Inghirami bei Fea Notizie intorno Rafaele San - zio da Urbino p. 57.. Er war gewandt genug, um ſich ſelbſt Ceſar Borgia’s zu entledigen, und die Schloͤſſer deſ - ſelben an ſich zu bringen; er nahm ſein Herzogthum ein. Die minder maͤchtigen Barone wußte er im Zaum zu halten, wie ihm dieſer denn den Weg dazu gebahnt; er huͤtete ſich wohl, ihnen etwa in Cardinaͤlen Oberhaͤupter zu geben, deren Ehrgeiz die alte Widerſpenſtigkeit haͤtte entflammen koͤnnen2)Machiavelli (Principe c. XI,) bemerkt dieß nicht allein. Auch bei Jovius Vita Pompeji Columnae p. 140 klagen die roͤmi - ſchen Barone unter Julius II. : principes urbis familias solito pur - purei galeri honore pertinaci pontificum livore privari. ; die maͤchtigeren, die ihm den Ge - horſam verſagten, griff er ohne weiteres an. Auch reichte ſeine Ankunft hin, um den Baglione, der ſich Perugia’s wieder bemaͤchtigt hatte, in die Schranken einer geſetzli -54Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.chen Unterordnung zuruͤckzuweiſen; ohne Widerſtand leiſten zu koͤnnen, mußte Johann Bentivoglio in hohem Alter von dem praͤchtigen Pallaſt, den er ſich zu Bologna gegruͤndet, von jener Inſchrift weichen, auf der er ſich zu fruͤh gluͤck - lich geprieſen hatte; zwei ſo maͤchtige Staͤdte erkannten die unmittelbare Herrſchaft des paͤpſtlichen Stuhles.
Jedoch war Julius damit noch lange nicht am Ziel. Den groͤßten Theil der Kuͤſte des Kirchenſtaates hatten die Venezianer inne; ſie waren nicht gemeint, ihn gutwillig fah - ren zu laſſen, und den Streitkraͤften des Papſtes waren ſie doch bei weitem uͤberlegen. Er konnte ſich nicht verber - gen, daß er eine unabſehliche europaͤiſche Bewegung er - weckte, wenn er ſie angriff. Sollte er es darauf wagen?
So alt Julius auch bereits war, ſo ſehr ihn all der Wechſel von Gluͤck und Ungluͤck, den er in ſeinem langen Leben erfahren, die Anſtrengung von Krieg und Flucht an - gegriffen haben mochte, — Unmaͤßigkeit und Ausſchwei - fungen kamen dazu — ſo wußte er doch nicht, was Furcht und Bedenklichkeit war: in ſo hohen Jahren hatte er die große Eigenſchaft eines Mannes, einen unbezwinglichen Muth. Aus den Fuͤrſten ſeiner Zeit machte er ſich nicht viel, er glaubte ſie alle zu uͤberſehen: grade in dem Tu - mult eines allgemeinen Kampfes hoffte er zu gewinnen: er ſorgte nur dafuͤr, daß er immer bei Gelde war, um den guͤnſtigen Augenblick mit voller Kraft ergreifen zu koͤnnen: er wollte, wie ein Venezianer treffend ſagt, der Herr und Meiſter des Spieles der Welt ſeyn1)Sommario de la relation di Domenigo Trivixan. Ms. „ Il papa vol esser il dominus et maistro del jocho del mundo. “Auch; mit Ungeduld55Erweiterung des Kirchenſtaates.erwartete er die Erfuͤllung ſeiner Wuͤnſche, aber er hielt ſie in ſich verſchloſſen. Betrachte ich, was ihm ſeine Hal - tung gab, ſo finde ich: es war vor allem, daß er ſeine Tendenz nennen, daß er ſich zu ihr bekennen, ſich ihrer ruͤh - men durfte. Den Kirchenſtaat herſtellen zu wollen, hielt die damalige Welt fuͤr ein ruͤhmliches Unternehmen: ſie fand es ſelbſt religioͤs: alle Schritte des Papſtes hatten dieſen einzigen Zweck: von dieſer Idee waren alle ſeine Ge - danken belebt, ſie waren, ich moͤchte ſagen geſtaͤhlt darin. Da er nun zu den kuͤhnſten Combinationen griff, da er alles an alles ſetzte — er ging ſelber zu Felde: und in Mirandula, das er erobert, iſt er uͤber den gefrornen Gra - ben durch die Breſche eingezogen: — da das entſchiedene Ungluͤck ihn nicht bewog, nachzugeben, ſondern nur neue Huͤlfsquellen in ihm zu erwecken ſchien: ſo gelang es ihm auch: er entriß nicht allein ſeine Ortſchaften den Ve - nezianern: in dem heißen Kampfe, der ſich hierauf entzuͤndete, brachte er zuletzt Parma, Piacenza, ſelbſt Reggio an ſich; er gruͤndete eine Macht, wie nie ein Papſt ſie beſeſſen. Von Piacenza bis Terracina gehorchte ihm das ſchoͤnſte Land. Er hatte immer als ein Befreier erſcheinen wollen: ſeine neuen Unterthanen behandelte er gut und weiſe: er erwarb ihre Zuneigung und Ergebenheit. Nicht ohne Furcht ſah die uͤbrige Welt ſo viel kriegeriſch geſinnte Bevoͤlkerungen in dem Gehorſam eines Papſtes. Sonſt, ſagt Machiavell,1)exiſtirt eine zweite Relation von Polo Capello von 1510, aus der hier ein paar Notizen aufgenommen ſind. Francesco Vettori: Som - mario dell’ istoria d’Italia, Ms. ſagt von ihm: Julio piu fortu - nato che prudente e piu animoso, che forte ma ambitioso e de - sideroso di grandezze oltra a modo. 56Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.war kein Baron klein genug, um die paͤpſtliche Macht nicht zu verachten: jetzt hat ein Koͤnig von Frankreich Re - ſpect vor ihr.
Es iſt an ſich nicht anders denkbar, als daß das ganze Inſtitut der Kirche an dieſer Richtung, die das Oberhaupt deſſelben genommen, Theil haben, ſie mithervor - bringen, und von ihr wieder mit fortgeriſſen werden mußte.
Nicht allein die oberſte Stelle: auch alle andren wur - den als weltliches Beſitzthum betrachtet. Cardinaͤle er - nannte der Papſt, aus perſoͤnlicher Gunſt, oder um einem Fuͤrſten gefaͤllig zu ſeyn, oder gradezu, was nicht ſelten war, fuͤr Geld. Konnte man vernuͤnftiger Weiſe erwar - ten, daß ſie ihren geiſtlichen Pflichten genuͤgen wuͤrden? Sixtus IV. gab eines der wichtigſten Aemter, die Peni - tenziaria, das einen großen Theil der dispenſirenden Ge - walt auszuuͤben hat, einem ſeiner Nepoten. Er erwei - terte dabei die Befugniſſe deſſelben; in einer beſondern Bulle ſchaͤrfte er ſie ein; alle, welche an der Rechtmaͤßigkeit ſol - cher Einrichtungen zweifeln wuͤrden, ſchalt er Leute von hartem Nacken und Kinder der Bosheit1)Bulle vom 9ten Mai 1484. Quoniam nonnulli iniquita - tis filii elationis et pertinaciae suae spiritu assumpto potestatem majoris poenitentiarii nostri — in dubium revocare — praesu - munt, — decet nos adversus tales adhibere remedia etc. Bul - larium Romanum ed. Cocquelines III, p. 187.. Es erfolgte,57Verweltlichung der Kirche.daß der Nepot ſein Amt nur als eine Pfruͤnde betrachtete, deren Ertrag er ſo hoch zu ſteigern habe als moͤglich.
In dieſen Zeiten wurden bereits, wie wir ſahen, die Bisthuͤmer an den meiſten Orten nicht ohne einen großen Antheil der weltlichen Gewalt vergeben; nach den Ruͤckſich - ten der Familie, der Gunſt des Hofes, als Sinecuren wur - den ſie vertheilt. Die roͤmiſche Curie ſuchte nur bei den Vacanzen und der Beſetzung den moͤglichſten Vortheil zu ziehen. Alexander nahm doppelte Annaten: er machte ſich zwei drei Zehnten aus; es fehlte nicht viel an einem voͤlli - gen Verkaufe. Die Taxen der paͤpſtlichen Canzlei ſtiegen von Tage zu Tage; der Regens derſelben ſollte den Klagen abhelfen, aber gewoͤhnlich uͤbertrug er eben denen die Reviſion, welche die Taxen feſtgeſetzt hatten1)Reformationes cancellariae apostolicae Sm̱i̱. Dṉi̱. Nṟṯ. Pauli III. 1540. Ms. der Bibl. Barberini zu Rom Nro. 2275 zaͤhlt alle ſeit Sixtus und Alexander eingeſchlichenen Mißbraͤuche auf. Die Gravamina der deutſchen Nation betreffen beſonders dieſe „ neuen Funde “und Aemter der roͤmiſchen Canzlei. §. 14. §. 38.. Fuͤr jede Gunſtbezeugung, welche das Amt der Dataria ausgehen ließ, mußte man ihr eine vorher beſtimmte Summe zah - len. Der Streit zwiſchen Fuͤrſtenthum und Curie bezog ſich in der Regel auf nichts andres als auf dieſe Leiſtun - gen. Die Curie wollte ſie ſo weit als moͤglich ausdeh - nen; in jedem Lande wollte man ſie ſo viel als moͤglich beſchraͤnken.
Mit Nothwendigkeit wirkte dieß Prinzip in den der - geſtalt Angeſtellten, bis in die untern Grade nach. Man verzichtete wohl auf ſein Bisthum: behielt ſich aber die Einkuͤnfte wenigſtens zum groͤßten Theile vor: zuweilen58Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.uͤberdieß die Collation der von demſelben abhaͤngenden Pfar - ren. Selbſt die Geſetze, daß niemals der Sohn eines Geiſt - lichen das Amt ſeines Vaters erhalten, daß Niemand ſeine Stelle durch ein Teſtament vererben ſolle, wurden um - gangen; da ein Jeder es dahin bringen konnte, wofern er ſich nur das Geld nicht dauern ließ, zum Coadjutor zu bekommen wen er wollte, ſo trat eine gewiſſe Art von Erb - lichkeit in der That ein.
Es folgte von ſelbſt, daß hierbei die Erfuͤllung geiſt - licher Pflichten meiſtens unterblieb. Ich halte mich in die - ſer kurzen Darſtellung an die Bemerkungen, die von wohl - geſinnten Praͤlaten des roͤmiſchen Hofes ſelber gemacht wor - den ſind. „ Welch ein Anblick, rufen ſie aus, fuͤr einen Chriſten, der die chriſtliche Welt durchwandert; dieſe Ver - oͤdung der Kirche; alle Hirten ſind von ihren Heerden gewichen, ſie ſind alle Soͤldnern anvertraut “1)Consilium delectorum cardinalium et aliorum praelato - rum de emendanda ecclesia Sm̱o̱. Dm̱o̱. Paulo III. ipso ju - bente conscriptum, anno 1538; gleich damals oͤfters gedruckt; und deshalb wichtig, weil es das Uebel, in ſo fern es in der Verwal - tung lag, gruͤndlich und unzweifelhaft anzeigt. In Rom hat man es, auch nachdem es laͤngſt gedruckt war, noch immer den Samm - lungen curialiſtiſcher Handſchriften einverleibt..
Aller Orten waren Untaugliche, Unberufene, ohne Pruͤ - fung, ohne Wahl zu der Verwaltung der kirchlichen Pflich - ten gelangt. Da die Beſitzer der Pfruͤnden nur bedacht waren, die wohlfeilſten Verweſer zu finden, ſo fanden ſie hauptſaͤchlich die Bettelmoͤnche bequem. Unter dem in dieſer Bedeutung unerhoͤrten Titel von Suffraganen hatten dieſe die Bisthuͤmer, als Vicare hatten ſie die Pfarreien inne.
59Verweltlichung der Kirche.Schon an ſich beſaßen die Bettelorden außerordentliche Privilegien. Sixtus IV., ſelber ein Franziscaner, hatte ſie ihnen noch vermehrt. Das Recht, Beichte zu hoͤren, das Abendmahl auszutheilen, die letzte Oelung zu geben, auf dem Grund und Boden, ja in der Kutte des Ordens zu begraben, — Rechte, die Anſehn und Vortheil brach - ten, hatte er ihnen in aller ihrer Fuͤlle gewaͤhrt, und die Ungehorſamen, die Pfarrer, diejenigen, welche die Orden, namentlich in Hinſicht der Verlaſſenſchaften, beunruhigen wuͤrden mit dem Verluſte ihrer Aemter bedroht1)Amplissimae gratiae et privilegia fratrum minerum con - ventualium ordinis S. Francisci, quae propterea mare magnum nuncupantur 31 Aug. 1474. Bullarium Rom. III, 3, 139. Fuͤr die Dominicaner war eine aͤhnliche Bulle gegeben. Auf dem Late - ranconcilium von 1512 beſchaͤftigte man ſich viel mit dieſem mare magnum: doch ſind Privilegien — wenigſtens waren ſie es damals — leichter gegeben als genommen..
Da ſie nun zugleich auch die Bisthuͤmer, die Pfarren ſelbſt zu verwalten bekamen, ſo ſieht man, welch einen un - ermeßlichen Einfluß ſie ausuͤbten. Alle hoͤhere Stellen und bedeutende Wuͤrden, der Genuß der Einkuͤnfte war in den Haͤnden der großen Geſchlechter und ihrer Anhaͤnger, der Beguͤnſtigten der Hoͤfe und der Curie: die wirkliche Amts - fuͤhrung war in den Haͤnden der Bettelmoͤnche. Die Paͤpſte beſchuͤtzten ſie dabei. Waren ſie es doch, die unter andern den Ablaß vertrieben, dem man in dieſen Zeiten, — erſt Alexan - der VI. erklaͤrte offiziell, daß er aus dem Fegefeuer erloͤſe, — eine ſo ungemeine Ausdehnung gab. Aber auch ſie waren in voͤllige Weltlichkeit verſunken. Welch ein Trei - ben in den Orden um die hoͤheren Stellen! Wie ſuchte60Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.man zur Zeit der Wahlen ſich der Unguͤnſtigen, der Geg - ner zu entledigen. Jene ſuchte man als Prediger, als Pfarrverweſer auszuſenden: gegen dieſe ſcheute man ſelbſt Dolch und Schwert nicht; oft griff man ſie mit Gift an! 1)In einer großen Information Careffas an Clemens, wel - che bei Bromato: Vita di Paolo IV. nur verſtuͤmmelt vorkommt, heißt es in der Handſchrift von den Kloͤſtern: Si viene ad homicidi non solo col veneno ma apertamente col coltello e con la spada, per non dire con schiopetti. Indeſſen wurden die geiſtlichen Gnaden verkauft. Um ſchlechten Lohn gedungen, waren die Bettelmoͤnche auf den zufaͤlligen Gewinn begierig.
„ Wehe, “ruft Einer jener Praͤlaten aus: „ wer giebt meinem Auge den Quell der Thraͤnen. Auch die Verſchloſ - ſenen ſind abgefallen, der Weinberg des Herrn iſt verwuͤſtet. Gingen ſie allein zu Grunde, ſo waͤre es ein Uebel, aber man koͤnnte es erdulden; allein da ſie die ganze Chriſten - heit, wie die Adern den Koͤrper durchziehen, ſo bringt ihr Verfall den Ruin der Welt nothwendig mit ſich. “
Koͤnnten wir die Buͤcher der Geſchichte, wie ſie ſich ereignet hat, aufſchlagen, — ſtuͤnde uns das Voruͤberge - hende Rede wie die Natur — wie oft wuͤrden wir, wie in dieſer, in dem Verfalle, den wir betrauern, den neuen Keim wahrnehmen, aus dem Tode das Leben hervorgehen ſehen.
So ſehr wir dieſe Verweltlichung der geiſtlichen61Geiſtige Richtung.Dinge, dieſen Verfall des religioͤſen Inſtitutes beklagen, ſo haͤtte doch ohne denſelben der menſchliche Geiſt eine ſei - ner eigenthuͤmlichſten, folgenreichſten Richtungen ſchwerlich ergreifen koͤnnen.
Laͤugnen duͤrfen wir wohl nicht, daß ſo ſinnreich, man - nichfaltig und tief die Hervorbringungen des Mittelalters auch ſind, ihnen doch eine phantaſtiſche und der Realitaͤt der Dinge nicht entſprechende Weltanſicht zu Grunde liegt. Haͤtte die Kirche in voller, bewußter Kraft beſtanden, ſo wuͤrde ſie dieſelbe ſtreng feſtgehalten haben. Allein wie ſie nun war, ſo ließ ſie dem Geiſte die Freiheit einer neuen, nach einer ganz andern Seite hingerichteten Entwickelung.
Man darf ſagen, es war ein enge begrenzter Horizont, der waͤhrend jener Jahrhunderte die Geiſter mit Nothwen - digkeit in ſeinem Umkreiſe beſchloſſen hielt; die erneuerte Kenntniß des Alterthums bewirkte, daß er durchbrochen, daß eine hoͤhere, umfaſſendere, groͤßere Ausſicht eroͤffnet ward.
Nicht als haͤtten die mittleren Jahrhunderte die Alten nicht gekannt. Die Begierde, mit der die Araber, von denen ſo viel wiſſenſchaftliches Beſtreben hernach in das Abendland uͤberging, die Werke der Alten zuſammenbrach - ten und ſich aneigneten, wird dem Eifer, mit dem die Italiener des funfzehnten Jahrhunderts das nehmliche tha - ten, nicht viel nachſtehen, und Calif Mamun laͤßt ſich in dieſer Hinſicht wohl mit Coſimo Medici vergleichen. Be - merken wir aber den Unterſchied. So unbedeutend er ſchei - nen moͤchte, ſo iſt er, daͤucht mich, entſcheidend. Die Ara - ber uͤberſetzten: ſie vernichteten oft die Originale gradezu;62Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.da ſie nun die Uebertragungen mit ihren eigenthuͤmlichen Ideen durchdrangen, ſo geſchah es, daß ſie den Ariſtote - les, man moͤchte ſagen, theoſophirten, daß ſie die Aſtro - nomie zur Sterndeuterei, dieſe auf die Medicin anwende - ten, daß eben ſie zur Bildung jener phantaſtiſchen Weltan - ſicht vorzuͤglich beitrugen. Die Italiener dagegen laſen und lernten. Von den Roͤmern gingen ſie zu den Griechen fort; in unzaͤhligen Exemplaren verbreitete die Buchdruckerkunſt die Originale uͤber die Welt. Der aͤchte Ariſtoteles ver - draͤngte den arabiſchen: aus den unveraͤnderten Schriften der Alten lernte man die Wiſſenſchaften, Geographie gra - dezu aus dem Ptolemaͤus, Botanik aus dem Dioskorides, die Wiſſenſchaft der Medicin aus Galen und Hippokrates. Wie ward man da der Einbildungen, die bisher die Welt bevoͤlkert, der Vorurtheile, welche den Geiſt befingen, ſo raſch erledigt!
Wir wuͤrden indeß zu viel ſagen, wenn wir in dieſer Zeit nun ſofort von der Entwickelung eines ſelbſtthaͤtigen wiſſenſchaftlichen Geiſtes, von der Entdeckung neuer Wahr - heiten und der Hervorbringung großer Gedanken reden woll - ten; man ſuchte nur die Alten zu verſtehen: man ging nicht uͤber ſie hinaus; wirkſam waren dieſe weniger, weil ſie eine productive wiſſenſchaftliche Thaͤtigkeit veranlaßt haͤt - ten, als durch die Nachahmung, die ſie hervorriefen.
In dieſer Nachahmung liegt eins der wichtigſten Mo - mente fuͤr die Entwickelung jener Zeit.
Man wetteiferte mit den Alten in ihrer Sprache. Ein beſondrer Goͤnner dieſes Beſtrebens war Papſt Leo X. Den wohlgeſchriebenen Eingang der Geſchichte des Jovius las63Geiſtige Richtung.er ſelber ſeiner Geſellſchaft vor: er meinte, ſeit Livius ſey ſo etwas nicht geſchrieben worden. Wenn er ſogar latei - niſche Improviſatoren beguͤnſtigte, ſo kann man erachten, wie ſehr ihn das Talent des Vida hinriß, welcher Dinge, wie das Schachſpiel, in den vollen Toͤnen gluͤcklich fallen - der lateiniſcher Hexameter zu ſchildern wußte. Einen Ma - thematiker, von dem man ruͤhmte, daß er ſeine Wiſſen - ſchaft in elegantem Latein vortrage, berief er aus Portu - gal zu ſich; ſo wuͤnſchte er Jurisprudenz und Theologie gelehrt, die Kirchengeſchichte geſchrieben zu ſehen.
Indeß konnte man hierbei nicht ſtehen bleiben. So weit man dieſe unmittelbare Nachahmung der Alten in ih - rer Sprache auch trieb, ſo konnte man damit doch nicht das geſammte Gebiet des Geiſtes umfaſſen. Sie hat in ſich ſelber etwas Unzureichendes, und Allzuvielen theilte ſie ſich mit, als daß dieß nicht haͤtte in die Augen ſpringen ſollen. Es entwickelte ſich der neue Gedanke, die Alten in der Mutterſprache nachzuahmen; man fuͤhlte ſich ihnen ge - genuͤber, wie die Roͤmer den Griechen; nicht im Einzelnen mehr: in der geſammten Literatur wollte man mit ihnen wetteifern; mit jugendlicher Kuͤhnheit warf man ſich in dieß neue Feld.
Gluͤcklicherweiſe gelangte eben damals die Sprache zu einer allgemein guͤltigen Ausbildung. Das Verdienſt des Bembo wird weniger in ſeinem wohlſtyliſirten Latein, oder in den Proben italieniſcher Poeſie liegen, die wir von ihm haben, als in dem wohlangelegten und gluͤcklichen Bemuͤ - hen, der Mutterſprache Correctheit und Wuͤrde zu geben, ſie nach feſten Regeln zu conſtruiren. Das iſt was Arioſt64Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16ten Jahrh.an ihm ruͤhmt; er traf gerade den rechten Zeitpunct: ſeine Verſuche dienten nur ſeinen Lehren zum Beiſpiel.
Betrachten wir nun den Kreis der Arbeiten, zu denen man dieß in fluͤſſiger Geſchmeidigkeit und Wohllaut un - vergleichliche, und nunmehr mit ſo vieler Einſicht vorbe - reitete Material nach dem Muſter der Alten anwandte, ſo draͤngt ſich uns folgende Bemerkung auf.
Nicht da war man gluͤcklich, wo man ſich ſehr enge an ſie anſchloß. Tragoͤdien, wie die Rosmunda Rucel - lai’s, die, wie die Herausgeber ſagen, nach dem Modell der Antike gearbeitet waren, Lehrgedichte, wie deſſen Bie - nen, in denen gleich von vorn herein auf Virgil verwie - ſen und dieſer darnach tauſendfaͤltig benutzt wird, machten kein Gluͤck und hatten keine wahre Wirkung. Freier bewe - gen ſich ſchon die Comoͤdien: der Natur der Sache nach muͤſſen ſie die Farbe und den Eindruck der Gegenwart an - nehmen; allein faſt immer legte man eine Fabel des Al - terthums; ein plautiniſches Stuͤck zu Grunde1)Marco Minio berichtet unter ſo vielem andern Merkwuͤr - digen auch uͤber eine der erſten Auffuͤhrungen einer Comoͤdie in Rom an ſeine Signorie. Er ſchreibt 13. Maͤrz 1519. Finita dita festa (es iſt vom Carneval die Rede) se andò ad una comedia che fece el reverendm̱o̱. Cibo dove è stato bellissima cosa lo apparato tanto superbo che non si potria dire. La comedia fu questa che fu fenta una Ferrara e in dita sala fu fata Ferrara preciso come la è. Dicono che Monsignor Revm̱o̱. Cibo aveva per Fer - rara e volendo una comedia li fu data questa comedia. E sta tratta parte de li suppositi di Plauto e dal Eunucho di Terenzio molto bellissima. Er meint ohne Zweifel die Suppoſiti des Arioſt, — doch man ſieht: er bemerkt nicht den Namen des Autors, nicht den Titel des Stuͤcks, ſondern nur woher es gezogen ſey., und ſelbſtſo65Geiſtige Richtung.ſo geiſtreiche Maͤnner, wie Bibbiena und Machiavell, ha - ben ihren komiſchen Arbeiten die volle Anerkennung der ſpaͤteren Zeiten nicht ſichern koͤnnen. In andern Gattun - gen finden wir einen gewiſſen Widerſtreit des antiken und des modernen Elementes. Wie ſonderbar nimmt ſich in der Arcadia des Sannazar die weitſchweifige, lateinartige Periodologie der Proſa neben der Einfalt, Innigkeit und Muſik der Verſe aus.
Wenn es nun hier, ſo weit man es auch brachte, nicht voͤllig gelang, ſo kann man ſich nicht verwundern. Immer ward ein großes Beiſpiel gegeben, ein Verſuch ge - macht, der unendlich fruchtbar geworden iſt, allein in den claſſiſchen Formen bewegte ſich das moderne Element nicht mit voͤlliger Freiheit. Der Geiſt wurde von einer außer ihm vorhandenen, nicht zum Canon ſeiner Natur geworde - nen Regel beherrſcht.
Wie koͤnnte man auch uͤberhaupt mit Nachahmung ausreichen? Es giebt eine Wirkung der Muſter, der gro - ßen Werke, aber ſie iſt eine Wirkung des Geiſtes auf den Geiſt. Heut zu Tage kommen wir alle uͤberein, daß die ſchoͤne Form erziehen, bilden, erwecken ſoll: unterjochen darf ſie nicht.
Die merkwuͤrdigſte Hervorbringung mußte es geben, wenn ein der Beſtrebungen der damaligen Zeit theilhafter Genius ſich in einem Werke verſuchte, wo Stoff und Form vom Alterthum abwich, und nur die innerliche Wirkung deſſelben hervortreten konnte.
Das romantiſche Epos iſt deshalb ſo eigenthuͤmlich, weil dieß mit ihm der Fall war. Man hatte eine chriſt -566Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.liche Fabel geiſtlich heroiſchen Inhaltes zum Stoff: die vornehmſten Geſtalten, mit wenig großen und ſtarken, all - gemeinen Zuͤgen waren gegeben: bedeutende Situationen, wiewohl wenig entwickelt, fand man vor; die Form des Ausdrucks war vorhanden, unmittelbar aus der Unterhal - tung des Volkes war ſie hervorgegangen. Dazu kam nun die Tendenz des Jahrhunderts, ſich an die Antike anzu - ſchließen. Geſtaltend, bildend, vermenſchlichend tritt ſie ein. Welch ein andrer iſt der Rinald Bojardo’s, edel, be - ſcheiden, voll freudiger Thatenluſt, als der entſetzliche Hay - monsſohn der alten Sage. Wie ward das Gewaltige, Fa - belhafte, Gigantiſche, das die alte Darſtellung hatte, zu dem Begreiflichen, Anmuthigen, Reizenden umgebildet. Auch die ungeſchmuͤckten alten Erzaͤhlungen haben in ihrer Einfachheit etwas Anziehendes, Angenehmes; welch ein anderer Genuß aber iſt es, ſich von dem Wohllaut ario - ſtiſcher Stanzen umſpielen zu laſſen, und in der Geſell - ſchaft eines gebildeten heiteren Geiſtes von Anſchauung zu Anſchauung fortzueilen. Das Unſchoͤne und Geſtaltloſe hat ſich zu Umriß und Form und Muſik durchgebildet1)Ich habe dieß in einer beſondern Abhandlung auszufuͤhren geſucht, die ich in der K. Akademie der Wiſſenſchaften vorgetragen habe..
Wenige Zeiten ſind fuͤr die reine Schoͤnheit der Form empfaͤnglich; nur die beguͤnſtigtſten gluͤcklichſten Perioden brin - gen ſie hervor. Das Ende des funfzehnten, der Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts war eine ſolche. Wie koͤnnte ich die Fuͤlle von Kunſtbeſtreben und Kunſtuͤbung, die darin lebte, auch nur im Umriß andeuten? Man kann kuͤhnlich67Geiſtige Richtung.ſagen, daß alles das Schoͤnſte, was in neuern Zeiten Ar - chitectur, Bildhauerkunſt und Malerei hervorgebracht ha - ben, in dieſe kurze Epoche faͤllt. Es war die Tendenz der - ſelben, nicht im Raiſonnement, ſondern in der Praxis und Ausuͤbung. Man lebte und webte darin. Ich moͤchte ſa - gen: die Feſtung, die der Fuͤrſt dem Feinde gegenuͤber errich - tet, die Note, die der Philologe an den Rand ſeines Autors ſchreibt, haben etwas Gemeinſchaftliches. Einen ſtrengen und ſchoͤnen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieſer Zeit.
Dabei aber wird ſich nicht verkennen laſſen, daß, in - dem Kunſt und Poeſie die kirchlichen Elemente ergriffen, ſie den Inhalt derſelben nicht unangetaſtet ließen. Das ro - mantiſche Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwaͤrtigt, ſetzt ſich mit derſelben in der Regel in Oppoſition. Arioſto fand es noͤthig, ſeiner Fabel den Hintergrund zu neh - men, der ihre urſpruͤngliche Bedeutung enthaͤlt.
Fruͤher hatte an allen Werken der Maler und Bild - ner die Religion ſo viel Antheil als die Kunſt. Seit die Kunſt von dem Hauche der Antike beruͤhrt worden, loͤſte ſie ſich ab von den Banden der Religion. Wir koͤn - nen wahrnehmen, wie dieß ſelbſt in Raphael von Jahr zu Jahr entſchiedener der Fall iſt. Man mag dieß tadeln wenn man will; aber es ſcheint faſt, das profane Ele - ment gehoͤrte mit dazu, um die Bluͤthe der Entwicke - lung hervorzubringen.
Und war es nicht ſehr bedeutend, daß ein Papſt ſelbſt unternahm, die alte Baſilike St. Peter, Metropole der Chri - ſtenheit, in der jede Staͤtte geheiligt, in der die Denkmale der Verehrung ſo vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie -5*68Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.derzureißen, und an ihrer Stelle einen Tempel nach den Maaßen des Alterthums zu errichten. Es war ein rein kuͤnſtleriſches Beſtreben. Beide Factionen, welche damals die ſo leicht in Eiferſucht und Hader zu ſetzende Kuͤnſtlerwelt theilten, vereinigten ſich, Julius II. dazu zu beſtimmen. Michel Angelo wuͤnſchte eine wuͤrdige Stelle fuͤr das Grab - mahl des Papſtes zu haben, das er nach einem umfaſſen - den Entwurf in aller der Großartigkeit auszufuͤhren ge - dachte, wie er den Moſes wirklich vollendet hat. Noch dringender ward Bramante. Er wollte den kuͤhnen Ge - danken ins Werk ſetzen, ein Nachbild des Pantheon in ſeiner ganzen Groͤße auf coloſſalen Saͤulen in die Luft zu erheben. Viele Cardinaͤle widerſprachen: es ſcheint, als haͤtte ſich auch eine allgemeinere Mißbilligung gezeigt; es knuͤpft ſich ſo viel perſoͤnliche Neigung an jede alte Kirche, unendlich viel mehr an dieß oberſte Heiligthum der Chriſten - heit1)Aus dem ungedruckten Werke des Panvinius de rebus an - tiquis memorabilibus et de praestantia basilicae S. Petri Apo - stolorum Principis etc. theilt Fea notizie intorno Rafaele p. 41 folgende Stelle mit: Qua in re (in der Abſicht des Neubaues) ad - versos pene habuit cunctorum ordinum homines et praesertim cardinales non quod novam non cuperent basilicam magnificen - tissimam extrui, sed quia antiquam toto terrarum orbe venera - bilem tot sanctorum sepulcris angustissimam, tot celeberrimis in ea gestis insignem funditus deleri ingemiscant. . Allein Julius II. war nicht gewohnt auf Wider - ſpruch zu achten. Ohne weitere Ruͤckſicht ließ er die Haͤlfte der alten Kirche niederreißen; er legte ſelber den Grund - ſtein zu der neuen.
So erhoben ſich in dem Mittelpunkt des chriſtlichen Cultus die Formen wieder, in denen ſich der Geiſt der an -69Geiſtige Richtung.tiken Dienſte ſo eigen ausgeſprochen hatte. Bei St. Pie - tro in Montorio baute Bramante uͤber dem Blute des Maͤrtyrers eine Capelle in der heitern und leichten Form eines Peripteros.
Liegt nun hierin ein Widerſpruch, ſo ſtellte er ſich zu - gleich in dieſem geſammten Leben und Weſen dar.
Man ging nach dem Vatican weniger, um bei den Schwellen der Apoſtel anzubeten, als um in des Papſtes Hauſe die großen Werke der antiken Kunſt, den belvede - riſchen Apollo, den Laocoon zu bewundern.
Wohl ward der Papſt auch damals ſo gut wie ſonſt aufgefordert, einen Krieg gegen die Unglaͤubigen zu veranſtal - ten; ich finde das z. B. in einer Praͤfation des Navagero1)Naugerii Praefatio in Ciceronis orationes T. I. ; allein des chriſtlichen Intereſſes, der Eroberung des heiligen Grabes gedenkt er hiebei nicht; ſeine Hoffnung iſt, der Papſt werde die verloren gegangenen Schriften der Grie - chen und ſelbſt vielleicht der Roͤmer wieder auffinden.
Mitten in dieſer Fuͤlle von Beſtrebung und Hervor - bringung, von Geiſt und Kunſt, in dem Genuß der weltli - chen Entwickelung der hoͤchſten geiſtlichen Wuͤrde lebte nun Leo X. Man hat ihm die Ehre ſtreitig machen wollen, daß er dieſem Zeitalter den Namen giebt; und ſein Verdienſt mag es ſo ſehr nicht ſeyn. Allein er war nun der Gluͤck - liche. In den Elementen, die dieſe Welt bildeten, war er aufgewachſen; er beſaß Freiheit und Empfaͤnglichkeit des Geiſtes genug, ihre ſchoͤne Bluͤthe zu befoͤrdern, zu genie - ßen. Hatte er ſchon ſeine Freude an den lateiniſchen Ar -70Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.beiten der unmittelbaren Nachahmer, ſo konnte er ſelbſtſtaͤn - digen Werken ſeiner Zeitgenoſſen ſeine Theilnahme nicht ent - ziehen. In ſeiner Gegenwart hat man die erſte Tragoͤdie, und ſo vielen Anſtoß bei dem plautiniſch-bedenklichen In - halt das gab, auch die erſten Comoͤdien in italieniſcher Sprache aufgefuͤhrt. Es iſt faſt keine, die er nicht zuerſt geſehn haͤtte. Arioſt gehoͤrte zu den Bekannten ſeiner Jugend; Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge - ſchrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca - pelle mit den Idealen menſchlicher Schoͤnheit und rein ausgeſprochener Exiſtenz. Leidenſchaftlich liebte er die Muſik, die ſich in kunſtreicherer Uebung eben damals in Italien ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallaſt von Muſik er - ſchallen; murmelnd ſang der Papſt ihre Melodien nach. Es mag ſeyn, daß dieß eine Art geiſtiger Schwelgerei iſt; es iſt dann wenigſtens die einzige, die einem Menſchen an - ſteht. Uebrigens war Leo X. voller Guͤte und perſoͤnli - cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichſten Aus - druͤcken ſchlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich war, alles zu gewaͤhren. „ Er iſt ein guter Menſch, “ſagt einer dieſer aufmerkſamen Geſandten, „ ſehr freigebig, von gutartiger Natur; wenn ſeine Verwandten ihn nicht dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden “1)Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma questi soi lo intriga. . „ Er iſt gelehrt, “ſagt ein andrer, „ ein Freund der Ge - lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben “2)Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti, ben religioso ma vol viver. Er nennt ihn bona persona. . Wohl nicht71Geiſtige Richtung.immer behauptete er das paͤpſtliche Decorum. Zuweilen verließ er Rom zum Schmerze des Ceremonienmeiſters, nicht allein ohne Chorhemd, ſondern wie dieſer in ſeinem Tage - buche bemerkt hat, „ was das Aergſte iſt, mit Stiefeln an ſeinen Fuͤßen. “ Er brachte den Herbſt mit laͤndlichen Vergnuͤgungen zu; der Baize bei Viterbo, der Hirſchjagd bei Corneto; der See von Bolſena gewaͤhrte das Ver - gnuͤgen des Fiſchfangs; dann blieb er einige Zeit auf Mal - liana, ſeinem Lieblingsaufenthalte. Leichte raſche Talente, die jede Stunde zu erheitern vermoͤgen, Improviſatoren, begleiteten ihn auch hier. Gegen den Winter kam man zur Stadt zuruͤck. Sie war in großer Aufnahme. Die Zahl der Einwohner wuchs binnen wenigen Jahren um ein Dritttheil. Das Handwerk fand hier ſeinen Vortheil, die Kunſt ihre Ehre, Jedermann Sicherheit. Nie war der Hof belebter, anmuthiger, geiſtreicher geweſen; kein Auf - wand fuͤr geiſtliche und weltliche Feſte, Spiel und Thea - ter, Geſchenke und Gunſtbezeugungen war zu groß; nichts ward geſpart. Mit Freuden vernahm man, daß Juliano Medici mit ſeiner jungen Gemahlin ſeinen Wohnſitz in Rom zu nehmen gedenke. „ Gelobt ſey Gott, “ſchreibt ihm Car - dinal Bibbiena, „ denn hier fehlt uns nichts als ein Hof von Damen. “
Die Luͤſte Alexanders VI. muß man ewig verab - ſcheuen; den Hofhalt Leo’s koͤnnte man an ſich nicht ta - deln. Doch wird man freilich nicht in Abrede ſtellen, daß er der Beſtimmung eines Oberhauptes der Kirche nicht entſprach.
Leicht verdeckt das Leben die Gegenſaͤtze, aber ſo wie72Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.man ſich zuſammennahm und ſie uͤberlegte, mußten ſie her - vortreten.
Von eigentlich chriſtlicher Geſinnung und Ueberzeu - gung konnte unter dieſen Umſtaͤnden nicht weiter die Rede ſeyn. Es erhob ſich vielmehr ein grader Widerſpruch gegen dieſelbe.
Die Schulen der Philoſophen waren in Streit, ob die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unſterblich, aber eine einzige in allen Menſchen, oder ob ſie gradezu ſterblich ſey. Das letzte zu behaupten, entſchied ſich der namhaf - teſte der damaligen Philoſophen, Pietro Pomponazzo. Er verglich ſich mit dem Prometheus, deſſen Herz der Geyer freſſe, weil er dem Jupiter ſein Feuer ſtehlen wolle. Aber mit aller dieſer ſchmerzvollen Anſtrengung, mit allem die - ſen Scharfſinn gelangte er zu keinem andern Reſultat, „ als daß, wenn der Geſetzgeber feſtgeſtellt, daß die Seele un - ſterblich, er dieß gethan habe, ohne ſich um die Wahrheit zu bekuͤmmern “1)Pomponazzo hatte hieruͤber ſehr ernſtliche Anfechtungen, wie unter andern aus einem Auszug paͤpſtlicher Briefe von Contelori hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late - ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra ipsum procedatur. 13 Junii 1518..
Man darf nicht glauben, dieſe Geſinnung ſey nur We - nigen eigen geweſen oder verheimlicht worden. Erasmus iſt erſtaunt, welche Gotteslaͤſterungen er anzuhoͤren bekam; man ſuchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei -73Geiſtige Richtung.ſen, zwiſchen den Seelen der Menſchen und der Thiere gebe es keinen Unterſchied1)Burigny: Leben des Erasmus I, 139. Ich will hier noch folgende Stelle des Paul Canenſius in der vita Pauli II. anfuͤh - ren. Pari quoque diligentia e medio Romanae curiae nefandam nonnullorum juvenum sectam scelestamque opinionem substulit, qui depravatis moribus asserebant, nostram fidem orthodoxam potius quibusdam sanctorum astutiis quam veris rerum testimo - niis subsistere. — Einen ſehr ausgebildeten Materialismus athmet der Triumph Carls des Großen, ein Gedicht von Ludovici, wie man aus den Citaten Daruͤs in dem 40ten Buche der histoire de Ve - nise ſieht..
Waͤhrend das gemeine Volk in einen faſt heidniſchen Aberglauben verfiel, der in einem ſchlecht begruͤndeten Werk - dienſte ſein Heil ſah, wandten ſich die hoͤheren Staͤnde zu einer antireligioͤſen Richtung ab.
Wie erſtaunte der junge Luther, als er nach Italien kam! In dem Moment, daß das Meßop[f]er vollzogen wurde, ſtießen die Prieſter blasphemiſche Worte aus, mit denen ſie es laͤugneten.
In Rom gehoͤrte es zum guten Ton der Geſellſchaft, den Grundſaͤtzen des Chriſtenthums zu widerſprechen. Man galt, ſagt P. Ant. Bandino2)Im Caracciolo’s Vita Ms. von Paul IV. In quel tempo non pareva fosse galantuomo e buon cortegiano colui che de’ dogmi della chiesa non aveva qualche opinion erronea ed he - retica. , nicht mehr fuͤr einen ge - bildeten Mann, wenn man nicht irrige Meinungen vom Chriſtenthum hegte. Am Hofe ſprach man von den Saz - zungen der katholiſchen Kirche, von den Stellen der heili - gen Schrift nur noch ſcherzhaft, die Geheimniſſe des Glau - bens wurden verachtet.
74Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.Man ſieht, wie ſich alles bedingt, eins das andre hervorruft: die kirchlichen Anſpruͤche der Fuͤrſten, die welt - lichen des Papſtes; der Verfall der kirchlichen Inſtitute die Entwickelung einer neuen geiſtigen Richtung; bis zuletzt in der oͤffentlichen Meinung der Grund des Glaubens ſel - ber angetaſtet iſt.
Ueberaus merkwuͤrdig finde ich nun das Verhaͤltniß, in welches Deutſchland, namentlich zu dieſer geiſtigen Ent - wickelung, trat. Es nahm an ihr Theil, aber auf eine durchaus abweichende Weiſe.
Wenn es in Italien Poeten, wie Boccaz und Pe - trarca waren, die zu ihrer Zeit dieſes Studium befoͤrder - ten und den nationalen Antrieb dazu gaben, ſo ging es in Deutſchland von einer geiſtlichen Bruͤderſchaft, den Hieronymi - ten des gemeinſamen Lebens, aus, einer Bruͤderſchaft, welche Arbeitſamkeit und Zuruͤckgezogenheit verband. Es war ei - nes ihrer Mitglieder, der tiefſinnige, unſchuldige Myſtiker Thomas von Kempen, in deſſen Schule alle die wuͤrdigen Maͤnner gebildet wurden, die von dem in Italien aufge - gangenen Licht der alten Literatur zuerſt dahin gezogen, dann zuruͤckkehrten, um es auch in Deutſchland auszu - breiten1)Meiners hat das Verdienſt, dieſe Genealogie aus des Re -.
75Oppoſition in Deutſchland.Wie nun der Anfang, ſo unterſchied ſich auch der Fortgang.
In Italien ſtudirte man die Werke der Alten, um die Wiſſenſchaften aus ihnen zu erlernen: in Deutſchland hielt man Schule. Dort verſuchte man die Loͤſung der hoͤchſten Probleme des menſchlichen Geiſtes, wenn nicht auf ſelbſtſtaͤndige Weiſe, doch an der Hand der Alten: hier ſind die beſten Buͤcher der Unterweiſung der Jugend ge - widmet.
In Italien war man von der Schoͤnheit der Form ergriffen und fing an die Alten nachzuahmen: man brachte es, wie wir beruͤhrten, zu einer nationalen Literatur. In Deutſchland nahmen dieſe Studien eine geiſtliche Rich - tung. Man kennt den Ruhm des Reuchlin und des Eras - mus. Fragt man nach, worin das vornehmſte Verdienſt des erſten beſteht, ſo iſt es, daß er die erſte hebraͤiſche Grammatik ſchrieb, ein Denkmal, von dem er hofft, ſo gut wie die italieniſchen Poeten, „ daß es dauernder ſeyn werde als Erz. “ Hat er hiermit das Studium des alten Teſtaments zuerſt moͤglich gemacht, ſo wendete Erasmus ſeinen Fleiß dem neuen zu; er ließ es zuerſt griechiſch drucken; ſeine Paraphraſe, ſeine Anmerkungen dazu ha - ben eine Wirkung gehabt, welche ſelbſt ſeine Abſicht bei weitem uͤbertraf.
Indem nun in Italien die Richtung, die man ergriff, ſich von der Kirche trennte, ſich ihr entgegenſetzte, ſo ge -1)vius Daveritria illustrata zuerſt eruirt zu haben. Lebensbeſchrei - bungen beruͤhmter Maͤnner aus den Zeiten der Wiederherſtellung der Wiſſenſchaften II, 308.76Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.ſchah etwas aͤhnliches auch in Deutſchland. Dort trat die Freigeiſterei, welche niemals ganz unterdruͤckt werden kann, in die literariſchen Elemente ein, und bildete ſich hier und da zu einem entſchiedenen Unglauben aus. Auch eine tiefere Theologie, aus unbekannten Quellen entſprungen, hatte von der Kirche zwar beſeitigt, aber niemals unter - druͤckt werden koͤnnen. Dieſe trat zu den literariſchen Be - muͤhungen in Deutſchland. In dieſer Hinſicht finde ich merkwuͤrdig, daß ſich ſchon im Jahre 1513 die boͤhmiſchen Bruͤder dem Erasmus naͤherten, der doch ſonſt eine ganz andere Richtung hatte1)Fuͤßlin: Kirchen - und Ketzergeſchichte II, 82..
Und ſo fuͤhrte die Entwickelung des Jahrhunderts jenſeit und dieſſeit der Alpen zu einer Oppoſition wider die Kirche. Jenſeit hing ſie mit Wiſſenſchaft und Litera - tur zuſammen, dieſſeit entſprang ſie aus geiſtlichen Stu - dien und tieferer Theologie. Dort war ſie negativ und unglaͤubig: hier war ſie poſitiv und glaͤubig. Dort hob ſie den Grund der Kirche vollends auf: hier ſtellte ſie den - ſelben wieder her. Dort war ſie ſpoͤttiſch, ſatiriſch, und unterwarf ſich der Gewalt: hier war ſie voll Ernſt und Ingrimm und erhob ſich zu dem kuͤhnſten Angriff, der je auf die roͤmiſche Kirche geſchehen.
Man hat es zufaͤllig gefunden, daß dieſer zuerſt dem Mißbrauche galt, den man mit dem Ablaß trieb. Al - lein wie die Veraͤußerung des Innerlichſten, die der Ab - laß in ſich ſchloß, den ſchadhaften Punkt des ganzen Weſens, der in der Verweltlichung der geiſtlichen Elemente77Oppoſition in Deutſchland.uͤberhaupt beſtand, grade auf das ſchneidendſte darſtellte, ſo lief ſie dem Begriffe, der ſich in den tieferen deutſchen Theo - logen gebildet, am ſchaͤrfſten entgegen. Ein Menſch, wie Luther, von innerlich erlebter Religion, erfuͤllt mit den Begriffen von Suͤnde und Rechtfertigung, wie ſie in dem Buche deutſcher Theologie bereits vor ihm ausgeſprochen waren, darin beſtaͤrkt durch die Schrift, die er mit dur - ſtendem Herzen in ſich aufgenommen, konnte an nichts in der Welt einen ſo großen Anſtoß nehmen, wie an dem Ab - laß. Von einer fuͤr Geld zu habenden Suͤndenvergebung mußte Der auf das tiefſte beleidigt werden, der eben von dieſem Punkt aus das ewige Verhaͤltniß zwiſchen Gott und Menſch inne geworden war, und die Schrift ſelbſt verſte - hen gelernt hatte.
Er ſetzte ſich allerdings dem einzelnen Mißbrauche entgegen; aber ſchon der ſchlechtbegruͤndete und einſeitige Widerſpruch, den er fand, fuͤhrte ihn Schritt fuͤr Schritt weiter; nicht lange verbarg ſich ihm der Zuſammenhang, in welchem jenes Unweſen mit dem geſammten Verfalle der Kirche ſtand; er war keine Natur, die vor dem Aeu - ßerſten zuruͤckbebt. Das Oberhaupt ſelbſt griff er mit un - erſchrockener Kuͤhnheit an. Aus der Mitte der ergeben - ſten Anhaͤnger und Verfechter des Papſtthums, den Bet - telmoͤnchen, erhob ſich ihm der kuͤhnſte gewaltigſte Gegner, den es jemals gefunden. Da Luther einer ſo weit von ih - rem Prinzip abgekommenen Macht eben dieß mit großer Schaͤrfe und Klarheit entgegenhielt, da er ausſprach, wo - von ſchon Alle uͤberzeugt waren, da ſeine Oppoſition, die noch nicht ihre geſammten poſitiven Momente entwickelt78Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.hatte, auch den Unglaͤubigen recht war, und doch weil ſie dieſelben in ſich enthielt, dem Ernſte der Glaͤubigen ge - nug that, ſo hatten ſeine Schriften eine unermeßliche Wir - kung; in einem Augenblicke erfuͤllten ſie Deutſchland und die Welt.
Mit den weltlichen Beſtrebungen des Papſtthums hatte ſich dergeſtalt eine doppelte Bewegung gebildet. Die eine: religioͤs; ſchon begann ein Abfall, dem man es anſah, daß er eine unermeßliche Zukunft in ſich ſchloß. Die an - dere: politiſch; die in Kampf geſetzten Elemente waren noch in der lebhafteſten Gaͤhrung begriffen und mußten zu neuen Entwickelungen gedeihen. Dieſe beiden Bewegungen, ihre Einwirkung auf einander, die Gegenſaͤtze, die ſie hervor - riefen, haben dann die Geſchichte des Papſtthums Jahrhun - derte lang beherrſcht.
Wollte ſich doch nie ein Fuͤrſt, ein Staat einbilden, daß ihm etwas zu Gute kommen koͤnne, was er ſich nicht ſelbſt verdankt, was er nicht mit eigenen Kraͤften erwor - ben hat!
Indem die italieniſchen Maͤchte mit Huͤlfe fremder Nationen eine die andre zu uͤberwinden ſuchten, hatten ſie die Unabhaͤngigkeit, die ſie waͤhrend des funfzehnten Jahr - hunderts beſeſſen, ſelber zerſtoͤrt, und ihr Land den Uebrigen als einen allgemeinen Kampfpreis dargeſtellt. Den Paͤpſten muß ein großer Antheil hieran zugeſchrieben werden. Sie80Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.hatten nunmehr allerdings eine Macht erworben, wie der roͤmiſche Stuhl ſie nie beſeſſen; allein nicht durch ſich ſel - ber war es ihnen gelungen. Sie verdankten es Franzoſen, Spaniern, Deutſchen, Schweizern. Ohne ſeinen Bund mit Ludwig XII. wuͤrde Ceſar Borgia ſchwerlich viel ausge - richtet haben. So großartig die Abſichten Julius II., ſo heldenmuͤthig ſeine Anſtrengungen auch waren, ſo haͤtte er ohne die Huͤlfe der Spanier und der Schweizer unterliegen muͤſſen. Wie konnte es anders ſeyn, als daß die, welche den Sieg erfochten, auch des Uebergewichtes zu genießen ſuchten, das ihnen dadurch zufiel. Wohl ſah es Julius II. Seine Abſicht war, die uͤbrigen in einem gewiſſen Gleich - gewicht zu erhalten und ſich nur der Mindeſtmaͤchtigen, der Schweizer, zu bedienen, die er zu leiten hoffen durfte.
Allein es kam anders. Es bildeten ſich zwei große Maͤchte, welche, wenn nicht um die Weltherrſchaft, doch um das Supremat in Europa kaͤmpften, — ſo gewaltig, daß ihnen ein Papſt bei weitem nicht gewachſen war; — auf italieniſcher Erde fochten ſie ihren Wettſtreit aus.
Zuerſt erhoben ſich die Franzoſen. Nicht lange nach der Thronbeſteigung Leo’s X. erſchienen ſie maͤchtiger als ſie bisher noch jemals die Alpen uͤberſtiegen, um Mailand wieder zu erobern. An ihrer Spitze in ritterlichem Ju - gendmuthe Franz I. Es kam alles darauf an, ob ihnen die Schweizer widerſtehen wuͤrden. Die Schlacht von Ma - rignano iſt darum ſo wichtig, weil die Schweizer voͤllig geſchlagen wurden: weil ſie ſeit dieſer Niederlage nie wie - der einen ſelbſtſtaͤndigen Einfluß in Italien ausgeuͤbt haben.
Den erſten Tag war die Schlacht unentſchieden ge -we -81Unter Leo X. weſen, und ſchon hatte man auf die Nachricht von einem Siege der Schweizer in Rom Freudenfeuer abgebrannt. Die fruͤheſte Meldung von dem Erfolg des zweiten Tages und dem wahren Ausgang bekam der Botſchafter der Ve - nezianer, die mit dem Koͤnig verbuͤndet waren und ſelber zur Entſcheidung nicht wenig beigetragen. In aller Fruͤhe begab er ſich nach dem Vatican, ſie dem Papſte mitzuthei - len. Noch nicht voͤllig angekleidet kam dieſer zur Audienz heraus. Ew. Heiligkeit, ſagte der Botſchafter, gab mir geſtern eine ſchlimme und zugleich falſche Nachricht: heute bringe ich Derſelben dafuͤr eine gute und wahre: die Schwei - zer ſind geſchlagen. Er las ihm die Briefe vor, die hier - uͤber an ihn gelangt waren: von Maͤnnern, die der Papſt kannte, die keinen Zweifel uͤbrig ließen1)Summario de la relatione di Zorzi. E cussi dismisiato venne fuori non compito di vestir. L’orator disse: Pater santo eri vra santà mi dette una cattiva nuova e falsa, io le daro ozi una bona e vera, zoe Sguizari è rotti. Die Briefe waren von Pasqualigo, Dandolo und Anderen.. Der Papſt ver - barg ſeinen tiefen Schrecken nicht. „ Was wird dann aus uns, was wird ſelbſt aus euch werden? “ „ Wir hoffen fuͤr beide alles Gute. “ „ Herr Botſchafter, “erwiederte der Papſt, „ wir muͤſſen uns in die Arme des Koͤnigs wer - fen und Miſericordia rufen “2)Domine orator, vederemo quel fara il re christmo. se metteremo in le so man dimandando misericordia. Lui, ora - tor, disse: pater sante, vostra santità non avrà mal alcuno. .
In der That bekamen die Franzoſen durch dieſen Sieg das entſchiedene Uebergewicht in Italien. Haͤtten ſie ihn ernſtlich verfolgt, ſo wuͤrden ihnen weder Toscana noch682Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.der Kirchenſtaat, die ſo leicht in Rebellion zu ſetzen wa - ren, viel Widerſtand geleiſtet haben, und es ſollte den Spaniern ſchwer geworden ſeyn, ſich in Neapel zu behaup - ten. „ Der Koͤnig, “ſagte Franz Vettori geradehin, „ konnte Herr von Italien werden. “ Wie viel kam in dieſem Au - genblick auf Leo an!
Lorenzo Medici ſagte von ſeinen drei Soͤhnen, Ju - lian, Peter und Johann: der erſte ſey gut, der andre ein Thor, der dritte, Johann, der ſey klug. Dieſer dritte iſt Papſt Leo X.; er zeigte ſich auch jetzt der ſchwierigen Lage gewachſen, in die er gerieth.
Wider den Rath ſeiner Cardinaͤle begab er ſich nach Bologna, um ſich mit dem Koͤnig zu beſprechen. Hier ſchloſſen ſie das Concordat, in welchem ſie die Rechte der gallicaniſchen Kirche unter ſich theilten. Auch mußte Leo Parma und Piacenza aufgeben: aber uͤbrigens gelang es ihm, den Sturm zu beſchwoͤren, den Koͤnig zum Ruͤck - zuge zu bewegen und unangetaſtet in dem Beſitze ſeiner Laͤn - der zu bleiben1)Zorzi. Questo papa è savio e praticho di stato e si pensò con li suoi consultori di venir abocharsi a Bologna con vergogna di la sede (ap.); molti cardinali tra i qual il cardinal Hadriano lo disconsejava pur vi volse andar. .
Welch ein Gluͤck dieß fuͤr ihn war, ſieht man aus den Folgen, welche die bloße Annaͤherung der Franzoſen un - mittelbar nach ſich zog. Es iſt aller Anerkennung werth, daß Leo, nachdem ſeine Verbuͤndeten geſchlagen waren und ein Landestheil hatte abgetreten werden muͤſſen, zwei kaum erworbene, der Unabhaͤngigkeit gewohnte, mit tauſend Ele -83Unter Leo X. menten der Empoͤrung erfuͤllte Provinzen zu behaupten ver - mochte.
Man hat ihm immer ſeinen Angriff auf Urbino zum Vorwurf gemacht, auf ein Fuͤrſtenhaus, bei dem ſein eig - nes Geſchlecht in der Verbannung Zuflucht und Aufnahme gefunden hatte. Die Urſache war: der Herzog hatte Sold von dem Papſte genommen, und war ihm darauf im Au - genblick der Entſcheidung abtruͤnnig geworden. Leo ſagte, „ wenn er ihn nicht dafuͤr beſtrafe, ſo werde kein Baron im Kirchenſtaate ſo ohnmaͤchtig ſeyn, um ſich ihm nicht zu wi - derſetzen. Er habe das Pontificat in Anſehn gefunden und wolle es dabei behaupten “1)Franc. Vettori (Sommario della storia d’Italia) mit dem Medici ſehr vertraut giebt dieſe Erklaͤrung. Der Vertheidiger Franz Marias, Giov. Batt. Leoni (Vita di Francesco Maria) erzaͤhlt Dinge — p. 166 f. — die ſehr nahe daran hinſtreifen.. Da aber der Herzog we - nigſtens insgeheim Ruͤckhalt an den Franzoſen hatte, da er in dem ganzen Staate und ſelbſt in dem Cardinalcolle - gium Verbuͤndete fand, ſo war der Kampf noch immer gefaͤhr - lich. Nicht ſo leicht war der kriegskundige Fuͤrſt zu ver - jagen; zuweilen ſah man den Papſt bei den ſchlechten Nach - richten erzittern, und außer ſich gerathen; es ſoll ein Com - plott beſtanden haben, ihn bei der Behandlung eines Leib - ſchadens an dem er litt, zu vergiften2)Fea hat in der Notizie intorno Rafaele p. 35. die Sen - tenz gegen die drei Cardinaͤle aus den Conſiſtorialacten mitgetheilt, die ausdruͤcklich auf ihr Einverſtaͤndniß mit dem Franz Maria hinweiſt.. Es gelang dem Papſt, ſich dieſer Feinde zu erwehren: allein man ſieht, wie ſchwer es ihm ward. Daß ſeine Partei von den6*84Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Franzoſen geſchlagen war, wirkte ihm bis in ſeine Haupt - ſtadt, bis in ſeinen Pallaſt nach.
Indeß aber hatte ſich die zweite große Macht conſo - lidirt. Wie ſonderbar es ſchien, daß Ein und derſelbe Fuͤrſt in Wien, Bruͤſſel, Valladolid, Saragoſſa und Nea - pel, und uͤberdieß noch in einem andern Continent herr - ſchen ſollte, ſo war es doch durch eine leichte, kaum bemerkte Verflechtung von Familienintereſſen dahin gekommen. Dieſe Erhebung des Hauſes Oeſtreich, die ſo verſchiedene Natio - nen verknuͤpfte, war eine der groͤßten und folgenreichſten Veraͤnderungen, welche Europa uͤberhaupt betroffen haben. In dem Moment, daß die Nationen ſich von ihrem bis - herigen Mittelpunkt abſonderten, wurden ſie durch ihre po - litiſchen Angelegenheiten in eine neue Verbindung, ein neues Syſtem verflochten. Die Macht von Oeſtreich ſetzte ſich dem Uebergewicht von Frankreich auf der Stelle entgegen. Durch die kaiſerliche Wuͤrde bekam Carl V. geſetzliche An - ſpruͤche auf ein oberherrliches Anſehn wenigſtens in der Lombardei. Ueber dieſe italieniſchen Angelegenheiten eroͤff - nete ſich ohne viel Zoͤgern der Krieg.
Wie geſagt, die Paͤpſte hatten durch die Erweiterung ihres Staates zu voller Unabhaͤngigkeit zu gelangen gehofft. Jetzt ſahen ſie ſich von zwei bei weitem uͤberlegenen Ge - walten in die Mitte genommen. Ein Papſt war nicht ſo unbedeutend, bei dem Kampfe derſelben neutral bleiben zu duͤrfen; auch war er nicht maͤchtig genug, ein entſcheiden - des Gewicht in die Wagſchaale zu werfen; er mußte ſein Heil in geſchickter Benutzung der Lage der Dinge ſuchen. Leo ſoll geaͤußert haben, wenn man mit der einen Partei85Unter Leo X. abgeſchloſſen, ſo muͤſſe man darum nicht ablaſſen, mit der andern zu unterhandeln1)Suriano Relatione di 1533: dicesi del Pp. Leone, che quando ’l aveva fatto lega con alcuno, prima soleva dir che pero non si dovea restar de tratar cum lo altro principe opposto. . Eine ſo zweizuͤngige Politik entſprang ihm aus der Stellung in der er ſich befand.
Im Ernſte konnte jedoch ſelbſt Leo ſchwerlich zweifel - haft ſeyn, zu welcher Partei er ſich zu ſchlagen habe. Haͤtte ihm auch nicht unendlich viel daran liegen muͤſſen, Parma und Piacenza wiederzuerlangen: haͤtte ihn auch nicht das Verſprechen Carls V., einen Italiener in Mai - land einzuſetzen, das ſo ganz zu ſeinen Gunſten war, zu beſtimmen vermocht, ſo gab es noch einen andern, wie mich duͤnkt, voͤllig entſcheidenden Grund. Er lag in dem Verhaͤltniß der Religion.
In der ganzen Periode, die wir betrachten, war den Fuͤrſten in ihren Verwickelungen mit dem roͤmiſchen Stuhle nichts ſo erwuͤnſcht geweſen, als demſelben eine geiſtliche Oppoſition hervorzurufen. Wider Alexander VI. hatte Carl VIII. von Frankreich keinen zuverlaͤßigeren Beiſtand, als den Dominikaner Hieronymus Savonarola in Florenz. Als Ludwig XII. jede Hoffnung zur Verſoͤhnung mit Ju - lius II. aufgegeben, berief er ein Concilium zu Piſa: ſo wenig Succeß daſſelbe hatte, ſo ſchien es doch zu Rom eine hoͤchſt gefaͤhrliche Sache. Wann aber ſtand dem Papſt ein kuͤhnerer gluͤcklicherer Feind auf, als Luther? Seine Erſchei - nung allein, ſeine Exiſtenz gab ihm eine wichtige politiſche Bedeutung. Von dieſer Seite faßte Maximilian die Sache; er haͤtte nicht gelitten, daß dem Moͤnch Gewalt geſchaͤhe;86Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.er ließ ihn dem Churfuͤrſten von Sachſen noch beſonders empfehlen: „ man moͤchte ſeiner einmal beduͤrfen. “ Und ſeit - dem war die Wirkung Luthers von Tage zu Tage gewach - ſen. Der Papſt hatte ihn weder zu uͤberzeugen noch zu ſchrek - ken, noch in ſeine Haͤnde zu bekommen vermocht. Man glaube nicht, daß Leo die Gefahr mißkannte. Wie oft hat er die Talente, von denen er zu Rom umgeben war, auf dieſen Kampfplatz zu ziehen verſucht. Noch gab es aber auch ein anderes Mittel. So wie er, wenn er ſich wider den Kaiſer erklaͤrte, zu fuͤrchten hatte, eine ſo gefaͤhrliche Op - poſition beſchuͤtzt und gefoͤrdert zu ſehn, ſo konnte er hof - fen, wenn er ſich mit ihm verbinde, mit ſeiner Huͤlfe auch die religioͤſe Neuerung zu unterdruͤcken.
Auf dem Reichstag von Worms im J. 1521 ward uͤber die politiſchen und religioͤſen Verhaͤltniſſe unterhan - delt. Leo ſchloß mit Carl V. einen Bund zur Wiederer - oberung Mailands. Von dem nehmlichen Datum, von welchem dieß Buͤndniß, iſt auch die Achtserklaͤrung, welche uͤber Luther erging. Es moͤgen zu dieſer immerhin auch noch andere Beweggruͤnde mitgewirkt haben: doch wird ſich Niemand uͤberreden wollen, daß ſie nicht mit dem politi - ſchen Tractat im naͤchſten Zuſammenhang geſtanden habe.
Und nicht lange ließ ſich der doppelſeitige Erfolg die - ſes Bundes erwarten.
Luther ward auf der Wartburg gefangen und verbor - gen gehalten1)Man hielt Luther fuͤr todt; man erzaͤhlte, wie er von den Paͤpſtlichen ermordet worden ſey. Pallavicini (Istoria del concilio di Trento I, c. 28) entnimmt aus den Briefen des Aleander, daß die Nuncien daruͤber in Lebensgefahr gerathen ſeyen.. Die Italiener wollten ſogleich nicht glau -87Unter Leo X. ben, daß Carl ihn aus Gewiſſenhaftigkeit, um das ſichere Geleit nicht zu brechen, habe ziehen laſſen; „ da er be - merkte, “ſagen ſie, „ daß ſich der Papſt vor der Lehre Luthers fuͤrchtete, ſo wollte er ihn mit derſelben in Zaum halten “1)Vettori: Carlo si excusò di non poter procedere piu ol - tre rispetto al salvocondotto, ma la verità fu che conoscendo che il Papa temeva molto di questa doctrina di Luthero, lo volle tenere con questo freno. . Wie dem auch ſey, ſo verſchwand Luther al - lerdings auf einen Augenblick von der Buͤhne der Welt; er war gewiſſermaßen außer dem Geſetz, und der Papſt hatte auf jeden Fall eine entſcheidende Maaßregel wider ihn zu Wege gebracht.
Indeſſen waren auch die kaiſerlich paͤpſtlichen Waffen in Italien gluͤcklich. Einer der naͤchſten Verwandten des Papſtes, Sohn des Bruders ſeines Vaters, Cardinal Ju - lius Medici, war ſelbſt im Felde, und zog mit in dem eroberten Mailand ein. Man behauptete in Rom, der Papſt denke ihm dieß Herzogthum zu. Ich finde dafuͤr doch keinen rechten Beweis und ſchwerlich moͤchte ſich der Kai - ſer ſo leicht dazu verſtanden haben. Allein auch ohne dieß war der Vortheil nicht zu berechnen. Parma und Pia - cenza waren wieder erobert, die Franzoſen entfernt; auf den neuen Fuͤrſten in Mailand mußte der Papſt unaus - bleiblich einen großen Einfluß erlangen.
Es war einer der wichtigſten Momente. Eine neue politiſche Entwickelung war begonnen; eine große kirchliche Bewegung eingetreten. Es war ein Augenblick, in wel - chem der Papſt ſich ſchmeicheln konnte, jene zu leiten, die -88Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.ſer Einhalt gethan zu haben. Er war noch jung genug, um zu hoffen, ihn ganz zu benutzen.
Sonderbares, truͤgeriſches Geſchick des Menſchen! Leo war auf ſeiner Villa Malliana, als ihm die Nachricht von dem Einzug der Seinen in Mailand gebracht ward. Er gab ſich dem Gefuͤhl hin, in das ein gluͤcklich zu Ende gefuͤhrtes Unternehmen zu verſetzen pflegt. Mit Vergnuͤ - gen ſah er den Feſtlichkeiten zu, welche ſeine Leute des - halb anſtellten; bis tief in die Nacht ging er zwiſchen dem Fenſter und dem brennenden Kamin — es war im No - vember — hin und her1)Copia di una lettera di Roma alli Sgri. Bolognesi a di 3 Dcbr. 1521 scritta per Bartholomeo Argilelli. Bei Sanuto im 32ſten Bande. Die Nachricht traf den Papſt 24. Nov. beim Be - nedicite. Er nahm dieß noch beſonders fuͤr eine gute Vorbedeu - tung. Er ſagte: Questa è una buona nuova, che havete portato. Die Schweizer fingen ſogleich an, Freude zu ſchießen. Der Papſt ließ ſie bitten, ſtill zu ſeyn, aber vergeblich.. Etwas erſchoͤpft, aber uͤber - aus vergnuͤgt kam er nach Rom. Da hatte man noch nicht das Siegesfeſt vollendet, als ihn der Anfall einer toͤdt - lichen Krankheit ereilte. „ Betet fuͤr mich, “ſagte er zu ſeinen Dienern, „ ich mache euch noch alle gluͤcklich. “ Er liebte das Leben, ſehen wir, doch war ſeine Stunde ge - kommen. Er hatte nicht Zeit, das Sacrament und die letzte Oelung zu empfangen. So ploͤtzlich, in ſo fruͤhen Jahren, mitten in großen Hoffnungen, ſtarb er „ wie der Mohn hinwelkt “2)Man redete ſogleich von Gift. Lettera di Hieronymo Bon a suo barba a di 5 Dec. bei Sanuto „ non si sa certo se ’l pon - tefice sia morto di veneno. Fo aperto. Maistro Ferando ju - dica sia stato venenato; alcuno de li altri no; è di questa opi -.
89Unter Leo X.Das roͤmiſche Volk konnte ihm nicht vergeben, daß er ohne die Sacramente verſchieden war, daß er ſo viel Geld ausgegeben hatte und doch Schulden genug zuruͤck - ließ. Es begleitete ſeine Leiche mit Schmaͤhungen. „ Wie ein Fuchs, “ſagten ſie, „ haſt du dich eingeſchlichen, wie ein Loͤwe haſt du regiert, wie ein Hund biſt du dahinge - fahren. “ Die Nachwelt dagegen hat ein Jahrhundert und eine große Entwickelung der Menſchheit mit ſeinem Na - men bezeichnet1)Capitoli di una lettera scritta a Roma 21 Dcbr. 1521 „ concludo, che non è morto mai papa cum peggior fama dapoi è la chiesa di Dio. “.
Gluͤcklich haben wir ihn genannt. Nachdem er den erſten Unfall, der nicht ſowohl ihn, als andre Mitglieder ſeines Hauſes traf, uͤberſtanden, trug ihn ſein Geſchick von Genuß zu Genuß, von Erfolg zu Erfolg. Grade die Wi - derwaͤrtigkeiten mußten dienen, ihn emporzubringen. In einer Art von geiſtiger Trunkenheit und immerwaͤhrender Erfuͤllung ſeiner Wuͤnſche verfloß ihm ſein Leben. Es ge - hoͤrte dazu, daß er ſo gutmuͤthig und freigebig, ſo bildungs - faͤhig und voll Anerkennung war. Eben dieſe Eigenſchaf - ten ſind die ſchoͤnſten Gaben der Natur, Gluͤcksguͤter, die man ſich ſelten erwirbt, und die doch allen Genuß des Le - bens bedingen. Die Geſchaͤfte ſtoͤrten ihn darin wenig. Da er ſich nicht um das Detail bekuͤmmerte, da er ſie nur im Großen anſah, ſo wurden ſie ihm nicht druͤckend und beſchaͤftigten ihm nur die edelſten Faͤhigkeiten des Gei -2)nione Mastro Severino che lo vide aprire, dice che non è ve - nenato. 90Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.ſtes. Grade darin, daß er ihnen nicht jeden Tag und alle Stunden widmete, mochte es fuͤr ihn liegen, daß er ſie mit großer freier Ueberſicht behandelte, daß er in allen Ver - wirrungen des Augenblicks die leitenden, den Weg vor - zeichnenden Gedanken im Auge behielt. Die vornehmſte Richtung gab er doch immer ſelber an. In ſeinem letz - ten Moment trafen alle Beſtrebungen ſeiner Politik in freu - digem Gelingen zuſammen. Wir koͤnnen es ſogar fuͤr ein Gluͤck halten, daß er dann ſtarb. Es folgten andre Zei - ten, und es iſt ſchwer zu glauben, daß er der Ungunſt derſelben einen gluͤcklichen Widerſtand entgegengeſetzt haben wuͤrde. Seine Nachfolger haben ihre ganze Schwere em - pfunden.
Das Conclave zog ſich ſehr in die Laͤnge. „ Herren, “ſagte einſt der Cardinal Medici, den die Ruͤckkehr der Feinde ſeines Hauſes nach Urbino und Perugia in Schrek - ken ſetzte, ſo daß er ſelbſt fuͤr Florenz fuͤrchtete, „ Herren, “ſagte er, „ ich ſehe daß von uns, die wir hier verſammelt ſind, Keiner Papſt werden kann. Ich habe Euch drei oder vier vorgeſchlagen, doch habt Ihr ſie zuruͤckgewieſen: dieje - nigen, die Ihr in Vorſchlag bringt, kann ich dagegen auch nicht annehmen. Wir muͤſſen uns nach Einem umſehen, der nicht zugegen iſt. “ Beiſtimmend fragte man ihn, wen er im Sinne habe. Nehmt, rief er aus, den Cardinal von Tortoſa, einen ehrenwerthen bejahrten Mann, den man allgemein fuͤr heilig achtet1)Lettera di Roma a di 19 Zener. bei Sanuto. Medici. Es war Adrian von Ut -91Unter Adrian VI. recht1)So nennt er ſich in einem Briefe von 1514, den man in Caspar Burmannus: Adrianus VI. sive analecta historica de Adri - ano VI. p. 443 findet. In einheimiſchen Urkunden heißt er Mey - ſter Aryaͤn Floriße van Utrecht. Neuere haben ihn zuweilen Boyens genannt, weil der Vater ſich Floris Boyens ſchrieb, doch heißt das aber auch nur Bodewins Sohn, und iſt kein Familienname. S. Burmann in den Anmerkungen zu Moringi Vita Adriani p. 2., fruͤher Profeſſor in Loͤwen, der Lehrer Carls V., durch deſſen perſoͤnliche Zuneigung er zu dem Amt eines Governators von Spanien, zu der Wuͤrde eines Cardinals befoͤrdert worden war. Cardinal Cajetan, der ſonſt nicht zu der mediceiſchen Partei gehoͤrte, erhob ſich, den Vorge - ſchlagenen zu loben. Wer haͤtte glauben ſollen, daß die Cardinaͤle, von jeher gewohnt, ihren perſoͤnlichen Vortheil bei einer Papſtwahl in Anſchlag zu bringen, auf einen Ent - fernten, einen Niederlaͤnder fallen wuͤrden, den die Wenig - ſten kannten, von dem ſich Keiner einen Vortheil ausbe - dingen konnte? Sie ließen ſich von dem unerwarteten An - ſtoß, den ſie empfingen, dazu fortreißen. Als es geſche - hen war, wußten ſie ſelbſt nicht recht, wie ſie dazu gekom - men. Sie waren todt vor Schrecken, ſagt einer unſerer Berichterſtatter. Man behauptet, ſie haͤtten ſich noch ei - nen Augenblick uͤberredet, er wuͤrde es nicht annehmen. Pasquin ſpottete ihrer: er ſtellte den Gewaͤhlten als Praͤ - ceptor dar: die Cardinaͤle als die Schulknaben, die er zuͤchtige.
Einen wuͤrdigeren Mann hatte aber die Wahl lange nicht getroffen. Adrian war von durchaus unbeſcholtenem1)dubitando de li casi suoi, se la cosa fosse troppo ita in longo, deliberò mettere conclusione et havendo in animo que - sto cḻe̱. Dertusense, per esser imperialissimo — disse: etc. 92Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Ruf; rechtſchaffen, fromm, thaͤtig; ſehr ernſthaft, man ſah ihn nie anders als leiſe mit den Lippen laͤcheln: aber voll wohlwollender, reiner Abſichten: ein wahrer Geiſtlicher1)Literae ex Victorial directivae ad Cardinalem de Flisco — in dem 33ſten Bande des Sanuto ſchildern ihn folgendermaßen. Vir est sui tenax, in concedendo parcissimus: in recipiendo nullus aut rarissimus. In sacrificio cotidianus et matutinus est. Quem amet aut si quem amet nulli exploratum. Ira non agitur, jocis non ducitur. Neque ob pontificatum visus est exultasse, quin constat graviter illum ad ejus famam nuntii ingemuisse. In der Sammlung von Burmann ſteht ein Itinerarium Adriani von Ortiz, der den Papſt begleitete und genau kannte. Er verſi - ſichert p. 223 nie etwas Tadelnswerthes an ihm bemerkt zu haben. Ein Spiegel aller Tugenden ſey er geweſen.. Welch ein Gegenſatz, als er nun dort einzog, wo Leo ſo praͤchtig und verſchwenderiſch Hof gehalten. Es exiſtirt ein Brief von ihm, in welchem er ſagt: er moͤchte lieber in ſeiner Probſtei zu Loͤwen Gott dienen, als Papſt ſeyn2)An Florenz Oem Wyngaerden: Vittoria 15. Febr. 1522 bei Burmann p. 398.. In dem Vatican ſetzte er in der That ſein Profeſſorenleben fort. Es bezeichnet ihn und man erlaube es uns anzu - fuͤhren, daß er ſich ſogar ſeine alte Aufwaͤrterin mitge - bracht hatte, die ihm, nach wie vor, ſeine haͤuslichen Be - duͤrfniſſe beſorgte. Auch in ſeiner ſonſtigen Lebensweiſe aͤnderte er nichts. Mit dem fruͤheſten Morgen ſtand er auf: las ſeine Meſſe: und ging dann in der gewohnten Ordnung an ſeine Geſchaͤfte, ſeine Studien, die er nur mit dem einfachſten Mittagsmahl unterbrach. Man kann nicht ſagen, daß ihm die Bildung ſeines Jahrhunderts fremd geweſen ſey; er liebte die niederlaͤndiſche Kunſt, und ſchaͤtzte an der Gelehrſamkeit einen Anflug von Eleganz. Erasmus93Unter Adrian VI. bekennt, allein von ihm gegen die Angriffe der zelotiſchen Scholaſtiker vertheidigt worden zu ſeyn1)Erasmus ſagt in einem ſeiner Briefe von ihm: licet scho - lasticis disciplinis faveret satis tamen aequus in bonas literas. Burm. p. 15. Jovius erzaͤhlt mit Behagen, wie viel ihm der Ruf eines scriptor annalium valde elegans bei Adrian geholfen, beſon - ders da er kein Poet geweſen.. Nur die bei - nahe heidniſche Richtung, der man ſich damals zu Rom hingegeben, mißbilligte er: und von der Secte der Poeten wollte er nichts wiſſen.
Niemand konnte ernſtlicher wuͤnſchen, als Adrian VI., — er behielt ſeinen Namen bei — die Uebelſtaͤnde zu hei - len, die er in der Chriſtenheit antraf.
Der Fortgang der tuͤrkiſchen Waffen, der Fall von Belgrad und Rhodus gab ihm noch einen beſondern An - trieb, um auf die Herſtellung des Friedens zwiſchen den chriſtlichen Maͤchten zu denken. Wiewohl er der Lehrer des Kaiſers geweſen, nahm er doch ſofort eine neutrale Stellung an. Der kaiſerliche Geſandte, der ihn bei dem neu ausbrechenden Kriege zu einer entſcheidenden Erklaͤrung zu Gunſten ſeines Zoͤglings zu bewegen gehofft, mußte Rom unverrichteter Dinge verlaſſen2)Gradenigo: relatione nennt den Vicekoͤnig von Neapel. Girolamo Negro, von dem ſich in den Lettere di principi T. I. einige ganz intereſſante Briefe uͤber dieſe Zeit finden, ſagt p. 109 von Johann Manuel. „ Se parti mezo disperato. “. Als man dem Papſt die Nachricht von der Eroberung von Rhodus vor - las, ſah er zur Erde: er ſagte kein Wort: er ſeufzte tief3)Negro aus der Erzaͤhlung des venezianiſchen Secretaͤrs. p. 110.. Die Gefahr von Ungarn war einleuchtend. Er fuͤrchtete94Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.ſelbſt fuͤr Italien und fuͤr Rom. Sein ganzes Bemuͤhen war, wenn nicht ſogleich einen Frieden, doch zunaͤchſt ei - nen Stillſtand auf drei Jahr zu Stande zu bringen, um indeſſen einen allgemeinen Feldzug wider die Tuͤrken vor - zubereiten.
Nicht minder war er entſchloſſen, den Forderungen der Deutſchen entgegenzukommen. Ueber die Mißbraͤuche, die in der Kirche eingeriſſen waren, kann man ſich nicht entſchiedener ausdruͤcken, als er ſelbſt es that. „ Wir wiſ - ſen, “ſagt er in der Inſtruction fuͤr den Nuntius Chiere - gato, den er an den Reichstag ſendete, „ daß eine geraume Zeit daher viel Verabſcheuungswuͤrdiges bei dem heiligen Stuhle Statt gefunden hat; Mißbraͤuche in geiſtlichen Din - gen: Ueberſchreitung der Befugniſſe; alles iſt zum Boͤſen verkehrt worden. Von dem Haupte iſt das Verderben in die Glieder, von dem Papſte uͤber die Praͤlaten ausgebrei - tet worden; wir ſind alle abgewichen: es iſt Keiner, der Gutes gethan, auch nicht einer. “ Er dagegen verſprach nun alles, was einem guten Papſt zukomme: die Tugendhaften und Gelehrten zu befoͤrdern, die Mißbraͤuche, wenn nicht auf einmal, doch nach und nach abzuſtellen; eine Refor - mation an Haupt und Gliedern, wie man ſie ſo oft ver - langt hatte, ließ er hoffen1)Instructio pro te Francisco Cheregato etc. etc., unter andern bei Rainaldus Tom. XI, p. 363..
Allein nicht ſo leicht iſt die Welt ins Gleiche zu ſetzen. Der gute Wille eines Einzigen, wie hoch er auch ſtehe, reicht dazu lange nicht hin. Zu tiefe Wurzeln pflegt95Unter Adrian VI. der Mißbrauch zu ſchlagen: mit dem Leben ſelbſt iſt er verwachſen.
Es fehlte viel, daß der Fall von Rhodus die Fran - zoſen bewogen haͤtte, Frieden einzugehn: ſie ſahen vielmehr, daß dieſer Verluſt dem Kaiſer eine neue Beſchaͤftigung ge - ben werde, und faßten ihrerſeits deſto groͤßere Abſichten wider ihn. Nicht ohne Mitwiſſen desjenigen Cardinals, dem Adrian noch am meiſten vertrauete, knuͤpften ſie Ver - bindungen in Sicilien an, und machten einen Anſchlag auf dieſe Inſel. Der Papſt fand ſich bewogen, zuletzt noch ſelbſt einen Bund mit dem Kaiſer einzugehen, der weſent - lich wider Frankreich gerichtet war.
Auch den Deutſchen war mit dem, was man ſonſt eine Reformation an Haupt und Gliedern genannt, nicht mehr zu helfen. Und ſelbſt eine ſolche, wie ſchwer, faſt unausfuͤhrbar war ſie!
Wollte der Papſt bisherige Gefaͤlle der Curie aufhe - ben, in denen er einen Schein von Simonie bemerkte, ſo vermochte er das nicht, ohne die wohlerworbenen Rechte derjenigen zu kraͤnken, deren Aemter auf jene Ge - faͤlle gegruͤndet waren, Aemter, die ſie in der Regel gekauft hatten.
Beabſichtigte er eine Veraͤnderung in den Ehedispenſen zu treffen, und etwa einige bisherige Verbote aufzuheben, ſo ſtellte man ihm vor, daß die Kirchendisciplin damit nur verletzt und geſchwaͤcht werde.
Um dem Unweſen des Ablaſſes zu ſteuern, haͤtte er gern die alten Buͤßungen wieder hergeſtellt; allein die Peniten - ziaria machte ihn aufmerkſam, daß er alsdann Gefahr96Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.laufe, indem er Deutſchland zu behaupten ſuche, Italien zu verlieren1)In dem erſten Buche der historia del concilio Triden - tino von P. Sarpi Ausg. v. 1629 p. 23 findet man eine gute Auseinanderſetzung dieſer Lage der Dinge, entnommen aus einem Diario des Chieregato..
Genug bei jedem Schritte ſah er ſich von tauſend Schwierigkeiten umgeben.
Dazu kam, daß er ſich zu Rom in einem fremden Element befand, das er ſchon darum nicht beherrſchen konnte, weil er es nicht kannte, ſeine innern Lebenstriebe nicht verſtand. Man hatte ihn mit Freuden empfangen: man erzaͤhlte ſich, er habe bei 5000 erledigte Beneficien zu vergeben, und Jedermann machte ſich Hoffnung. Nie - mals aber zeigte ſich ein Papſt hierin zuruͤckhaltender. Adrian wollte wiſſen, wen er verſorge, wem er die Stel - len anvertraue: mit ſcrupuloͤſer Gewiſſenhaftigkeit ging er hierin zu Werke2)Ortiz Itinerarium c. 28. c. 39, vorzuͤglich glaubwuͤrdig wie er ſagt, cum provisiones et alia hujusmodi testis oculatus inspexerim. ; er taͤuſchte unzaͤhlige Erwartungen. Der erſte Beſchluß ſeines Pontificates war geweſen, die Anwartſchaften abzuſtellen, die man bisher auf geiſtliche Wuͤrden ertheilt hatte: ſelbſt die, welche ſchon verliehen worden, hatte er zuruͤckgenommen. Es konnte nicht fehlen: als er dieſen Beſchluß in Rom publicirte, mußte er ſich damit bittere Feindſchaften in Menge zuziehen. Man hatte bisher an dem Hofe eine gewiſſe Freiheit des Re - dens, des Schreibens genoſſen: er wollte ſie nicht fer -ner97Unter Adrian VI. ner geſtatten. Daß er bei der Erſchoͤpfung der paͤpſtlichen Kaſſen und dem wachſenden Beduͤrfniß einige neue Aufla - gen machte, fand man unertraͤglich von ihm, der ſo wenig aufwende. Alles ward mißvergnuͤgt1)Lettere di Negro. Capitolo del Berni:E quando un segue il libero costume Di sfogarsi scrivendo e di cantare Lo minaccia di far buttare in fiume. . Er empfand es wohl: es wirkte auf ihn zuruͤck. Den Italienern traute er noch weniger als bisher: die beiden Niederlaͤnder, de - nen er Einfluß geſtattete, Enkefort und Hezius, jener ſein Datar, dieſer ſein Secretaͤr, waren der Geſchaͤfte und des Hofes nicht kundig; er ſelbſt konnte ſie unmoͤglich uͤberſe - hen: auch wollte er noch immer ſtudiren, nicht allein le - ſen, ſondern ſogar ſchreiben; zugaͤnglich war er nicht ſehr; die Sachen wurden aufgeſchoben, in die Laͤnge gezogen, ungeſchickt behandelt.
So kam es denn, daß in den wichtigſten allgemeinen Angelegenheiten nichts ausgerichtet wurde. Der Krieg ging in Oberitalien wieder an. In Deutſchland trat Luther aufs neue hervor. In Rom, das uͤberdieß von der Peſt heimgeſucht worden war, bemaͤchtigte ſich ein allgemeines Mißvergnuͤgen der Gemuͤther.
Adrian hat einmal geſagt: wie viel traͤgt es aus, in welche Zeiten auch der beſte Mann faͤllt. Das ganze Ge - fuͤhl ſeiner Stellung iſt in dieſem ſchmerzlichen Ausruf ent - halten. Mit Recht hat man ihn auf ſeinem Denkmal in der deutſchen Kirche zu Rom eingegraben.
798Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Wenigſtens iſt es nicht allein der Perſoͤnlichkeit Adrians zuzuſchreiben, wenn ſeine Zeiten unfruchtbar an Erfolgen blieben. Das Papſtthum war von großen weltbeherrſchen - den Nothwendigkeiten umgeben, die auch einem, in den Geſchaͤften deſſelben gewandteren, der Perſonen und der Mit - tel kundigeren Manne unendlich viel zu ſchaffen machen konnten.
Unter allen Cardinaͤlen gab es Keinen, der fuͤr die Verwaltung des Papſtthums geeigneter, dieſer Laſt mehr gewachſen zu ſeyn geſchienen haͤtte, als Julius Medici. Unter Leo hatte er ſchon den groͤßten Theil der Geſchaͤfte, das ganze Detail in Haͤnden gehabt. Selbſt unter Adrian hatte er einen gewiſſen Einfluß behauptet1)Relatione di Marco Foscari 1526 ſagt von ihm in Bezug auf jene Zeiten: Stava con grandissima reputation e governava il papato et havia piu zente a la sua audientia cha il papa. . Dießmal ließ er ſich die hoͤchſte Wuͤrde nicht wieder entgehen. Er nannte ſich Clemens VII.
Mit vieler Sorgfalt vermied der neue Papſt die Ue - belſtaͤnde, die unter ſeinen beiden Vorgaͤngern hervorgetre - ten waren: die Unzuverlaͤſſigkeiten, Vergeudungen und an - ſtoͤßigen Gewohnheiten Leo’s, ſo wie den Widerſtreit in den ſich Adrian mit den Richtungen ſeines Hofes einge - laſſen hatte; es ging alles vernuͤnftig her; wenigſtens an ihm ſelber nahm man nichts als Unbeſcholtenheit und Maͤ - ßigung wahr2)Vettori ſagt, ſeit 100 Jahren ſey kein ſo guter Menſch Papſt; die pontificalen Ceremonien wurden ſorg - faͤltig vollzogen, die Audienzen unermuͤdlich von fruͤh bis99Unter Clemens VII. Abend abgewartet; Wiſſenſchaften und Kuͤnſte in der Rich - tung, die ſie nun einmal eingeſchlagen hatten, befoͤrdert. Clemens VII. war ſelbſt ſehr wohl unterrichtet. Mit eben ſo viel Sachkunde, wie uͤber philoſophiſche und theologi - ſche Fragen, wußte er ſich uͤber Gegenſtaͤnde der Mechanik und Waſſerbaukunſt zu unterhalten. In allen Dingen zeigte er ungewoͤhnlichen Scharfſinn; er penetrirte die ſchwie - rigſten Angelegenheiten und ſah ihnen bis auf den Grund; man konnte Niemand mit groͤßerer Gewandtheit discuriren hoͤren. Unter Leo hatte er ſich in klugem Rath und um - ſichtiger Ausfuͤhrung unuͤbertrefflich erwieſen.
Allein erſt im Sturme bewaͤhrt ſich der Steuermann. Er uͤbernahm das Papſtthum, wenn wir es auch nur als italieniſches Fuͤrſtenthum betrachten, in einer uͤberaus be - denklichen Lage.
Die Spanier hatten zur Erweiterung und Behauptung des Kirchenſtaates das Meiſte beigetragen; ſie hatten die Medici in Florenz hergeſtellt. In dieſem Bunde mit den Paͤpſten, mit dem Hauſe Medici waren ſie dann ſelber in Italien emporgekommen. Alexander VI. hatte ihnen das untere Italien eroͤffnet; Julius hatte ſie nach dem mittlern gefuͤhrt; durch den mit Leo gemeinſchaftlich unternomme - nen Angriff auf Mailand waren ſie Herren in dem oberen geworden. Clemens ſelbſt hatte hierzu nicht wenig beige - tragen. Es exiſtirt eine Inſtruction von ihm fuͤr einen ſeiner Geſandten an dem ſpaniſchen Hofe, in der er die2)geweſen: non superbo non simoniaco non avaro non libidinoso, sobrio nel victo, parco nel vestire, religioso, devoto. 7*100Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Dienſte aufzaͤhlt, die er Carl V. und ſeinem Hauſe gelei - ſtet habe. Er vor allem habe bewirkt, daß Franz I. bei ſeiner erſten Ankunft nicht nach Neapel vorgedrungen; durch ihn ſey es geſchehn, daß Leo der Wahl Carls V. zum Kaiſer nichts in den Weg gelegt, und die alte Conſtitu - tion, vermoͤge deren kein Koͤnig von Neapel zugleich Kai - ſer ſeyn duͤrfe, aufgehoben habe; trotz aller Verſprechun - gen der Franzoſen habe er doch die Verbindung Leo’s mit Carl zur Wiedereroberung von Mailand befoͤrdert, und zu dieſem Erfolg weder das Vermoͤgen ſeines Vaterlandes und ſeiner Freunde, noch ſeine eigene Perſon geſpart; er habe Adrian VI. das Papſtthum verſchafft, und damals habe es faſt kein Unterſchied zu ſeyn geſchienen, ob man Adrian oder den Kaiſer ſelbſt zum Papſt mache1)Instruttione al Card. reverendm̱o̱. di Farnese, che fu poi Paulo III., quandò andò legato all Imperatore Carlo V. doppo il sacco di Roma. Eigene Sammlung.. Ich will nicht unterſuchen, wie viel von der Politik Leo’s X. dem Rathgeber und wie viel dem Fuͤrſten angehoͤrt; ge - wiß iſt es, daß Cardinal Medici immer auf Seiten des Kaiſers war. Auch nachdem er Papſt geworden, unter - ſtuͤtzte er die kaiſerlichen Truppen mit Geld, Lebensmitteln und der Gewaͤhrung geiſtlicher Gefaͤlle; noch einmal ver - dankten ſie ihren Sieg zum Theil ſeiner Unterſtuͤtzung.
So enge war Clemens mit den Spaniern verbuͤn - det; wie es aber nicht ſelten geſchieht, in den Erfolgen ih - res Bundes traten ungemeine Uebelſtaͤnde hervor.
Die Paͤpſte hatten den Fortgang der ſpaniſchen Macht veranlaßt, doch niemals eigentlich beabſichtigt. Sie hat -101Unter Clemens VII. ten Mailand den Franzoſen entreißen, an die Spanier hat - ten ſie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des - halb mehr als ein Krieg gefuͤhrt worden, um Mailand und Neapel nicht an den nehmlichen Beſitzer fallen zu laſſen1)Es heißt in jener Inſtruction ausdruͤcklich: der Papſt habe ſich auch zu dem, was ihm mißfaͤllig, bereit gezeigt: purchè lo stato di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte le guerre d’Italia. ; daß nun die Spanier, ſchon ſo lange Meiſter von Unter - italien, ſich in der Lombardei taͤglich feſter ſetzten, daß ſie die Belehnung des Sforza verzoͤgerten, empfand man zu Rom mit Ungeduld und Widerwillen.
Clemens war auch perſoͤnlich mißvergnuͤgt: aus jener Inſtruction ſehen wir, daß er ſchon als Cardinal oft nicht nach ſeinem Verdienſte beruͤckſichtigt worden zu ſeyn glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus - druͤcklich wider ſeinen Rath unternahm man den Angriff auf Marſeille im Jahre 1524. Seine Miniſter — ſie ſa - gen es ſelbſt — erwarteten immer groͤßere Mißachtung des apoſtoliſchen Stuhles; ſie nahmen in den Spaniern nichts als Herrſchſucht und Inſolenz wahr2)M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere di principi I, 197 b. .
Wie ſehr ſchien Clemens durch den bisherigen Gang der Dinge, und ſeine perſoͤnliche Stellung, mit den Banden der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge - bunden zu ſeyn! Nunmehr ſtellten ſich ihm tauſend Gruͤnde dar, die Macht zu verwuͤnſchen, die er gruͤnden helfen, ſich eben denen zu widerſetzen, die er bisher beguͤnſtigt und befoͤrdert hatte.
102Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Von allen politiſchen Unternehmungen iſt es vielleicht die ſchwerſte, eine Linie zu verlaſſen, auf der man ſich bis - her bewegt, Erfolge ruͤckgaͤngig zu machen, die man ſelber hervorgerufen.
Und wie viel kam dießmal darauf an! Die Italie - ner fuͤhlten ganz, daß es eine Entſcheidung auf Jahrhun - derte galt. Es hatte ſich in der Nation ein großes Ge - meingefuͤhl hervorgethan. Ich glaube wohl, daß die li - terariſch-kuͤnſtleriſche Ausbildung, ſo weit hervorragend uͤber alles, was andere Nationen leiſteten, dazu das Meiſte beitrug. Auch zeigte ſich die Hoffart und Habgier der Spanier, der Anfuͤhrer ſo gut wie der Gemeinen, wahr - haft unertraͤglich. Es war eine Miſchung von Verachtung und Ingrimm, mit der man dieſe fremdgeborenen halbbarba - riſchen Herrſcher im Lande ſah. Noch lagen die Dinge ſo, daß man ſich ihrer vielleicht entledigen konnte. Aber man mußte ſich nicht verbergen: wenn man es nicht mit allen nationalen Kraͤften unternahm, wenn man unterlag, ſo war man auf immer verloren.
Ich wuͤnſchte wohl, die Entwickelung dieſer Periode, in ihrer Fuͤlle, den ganzen Kampf der aufgeregten Kraͤfte ausfuͤhrlich darſtellen zu koͤnnen. Hier duͤrfen wir nur einige Hauptmomente deſſelben begleiten.
Man begann damit, und es ſchien uͤberaus wohl aus - geſonnen, daß man im Jahre 1525 den beſten General des Kaiſers, der allerdings ſehr mißvergnuͤgt war, an ſich zu ziehen ſuchte. Was brauchte man weiter, wenn man, wie man hoffte, dem Kaiſer mit dem General die Armee entzog, durch die er Italien beherrſchte. Man ließ es an103Unter Clemens VII. Verſprechungen nicht fehlen, ſelbſt eine Krone ſagte man zu. Allein wie falſch war doch die Rechnung! wie ſchei - terte die ihrer Feinheit ſich bewußte Klugheit an dem ſproͤ - den Stoffe, auf den ſie ſtieß, ſo gaͤnzlich! Dieſer Ge - neral, Pescara, war zwar in Italien geboren, aber aus ſpaniſchem Gebluͤt; er ſprach nur ſpaniſch; er wollte nichts ſeyn als ein Spanier; an der italieniſchen Cultur hatte er keinen Theil; ſeine Bildung verdankte er den ſpaniſchen Romanen, die nichts als Loyalitaͤt und Treue athmen. Einer national italieniſchen Unternehmung war er von Na - tur entgegen1)Vettori haͤlt ihm die ſchlechteſte Lobrede von der Welt. Era superbo oltre modo invidioso ingrato avaro venenoso e crudele senza religione, senza humanità, nato proprio per distruggere l’Ita - lia. Auch Morone ſagte einmal Guiccardini’n, es gebe keinen treu - loſeren boshafteren Menſchen als Pescara ſey (Hist. d’Italia XVI, 476) und machte ihm doch den Antrag. Ich fuͤhre dieſe Urtheile nicht an, als ob ſie wahr ſeyen: ſie zeigen nur, daß Pescara ge - gen die Italiener nur Feindſeligkeit und Haß hatte blicken laſſen.. Kaum hatte man ihm den Antrag ge - macht, ſo zeigte er ihn ſeinen Cameraden, er zeigte ihn dem Kaiſer an; er benutzte ihn nur, um die Italiener aus - zuforſchen und alle ihre Plaͤne zu hintertreiben.
Eben hierdurch aber — denn wie haͤtte nicht alles gegenſeitige Vertrauen nunmehr vollends verſchwinden ſol - len — ward ein entſcheidender Kampf mit dem Kaiſer ganz unvermeidlich.
Im Sommer 1526 ſehen wir endlich die Italiener mit eigenen Kraͤften ans Werk gehen. Die Mailaͤnder ſind bereits im Aufſtand wider die Kaiſerlichen. Ein ve - nezianiſches und ein paͤpſtliches Heer ruͤcken heran, um ih -104Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.nen beizuſtehen. Man hat das Verſprechen ſchweizeriſcher Huͤlfe: man iſt im Bunde mit Frankreich und England. „ Dießmal, “ſagt der vertrauteſte Miniſter Clemens VII., Giberto, „ gilt es nicht eine kleinliche Rache, einen Ehren - punkt, eine einzelne Stadt; — dieſer Krieg entſcheidet die Befreiung oder die ewige Sklaverei von Italien. “ Er zwei - felt nicht an dem gluͤcklichen Ausgange. „ Die Nachkom - men werden neidiſch ſeyn, daß ſie nicht in unſere Zeiten gefallen, um ein ſo großes Gluͤck erlebt, daran Theil ge - nommen zu haben. “ Er hofft, man werde der Fremden nicht beduͤrfen. „ Unſer allein wird der Ruhm, die Frucht um ſo ſuͤßer ſeyn “1)G. M. Giberto al Vescovo di Veruli. Lettere di prin - cipi I, p. 192 a. .
In dieſen Gedanken und Hoffnungen unternahm Cle - mens ſeinen Krieg wider die Spanier2)Auch Foscari ſagt: Quello fa a presente di voler far lega con Francia, fa per ben suo e d’Italia non perchè ama Francesi. . Es war ſein kuͤhnſter und großartigſter, ungluͤcklichſter, verderblichſter Gedanke.
Auf das engſte ſind die Sachen des Staats und der Kirche verflochten. Der Papſt ſchien die deutſchen Bewe - gungen ganz außer Acht gelaſſen zu haben. In dieſen zeigte ſich die erſte Ruͤckwirkung.
In dem Moment, daß die Truppen Clemens VII. in Oberitalien vorruͤckten, hatte ſich der Reichstag zu Speier verſammelt, um uͤber die kirchlichen Irrungen einen de - finitiven Beſchluß zu faſſen. Daß die kaiſerliche Partei,105Unter Clemens VII. daß Ferdinand von Oeſtreich, der des Kaiſers Stelle ver - trat, in einem Augenblick, in welchem ſie jenſeits der Al - pen von dem Papſt auf das ernſtlichſte angegriffen waren, — Ferdinand ſelbſt hegte eine Abſicht auf Mailand — dieſſeit derſelben die paͤpſtliche Gewalt aufrecht zu erhalten ſich ſehr angelegen laſſen ſeyn ſollten, laͤuft voͤllig wider die Natur der Dinge. Was man auch fruͤher beabſichtigt, angekuͤndigt haben mochte1)Die Inſtructionen des Kaiſers, die den Proteſtanten einige Furcht einfloͤßten, ſind vom Maͤrz 1526, einer Zeit, in welcher ſich der Papſt noch nicht mit Frankreich verbuͤndet hatte., durch den offenen Krieg, in den man mit dem Papſt gerathen war, fielen alle Ruͤck - ſichten weg, die man fuͤr ihn haben konnte. Niemals aͤußerten ſich die Staͤdte freier; niemals drangen die Fuͤrſten ernſtlicher auf eine Erledigung ihrer Beſchwer - den: man hat den Antrag gemacht, die Buͤcher, in denen die neueren Satzungen enthalten, lieber geradezu zu verbren - nen, und nur die heilige Schrift zur Regel zu nehmen; obwohl ſich ein gewiſſer Widerſtand regte, ſo wurde doch niemals ein ſelbſtſtaͤndigerer Beſchluß gefaßt. Ferdinand unterzeichnete einen Reichsabſchied, kraft deſſen es den Staͤnden freigeſtellt ward, ſich in Sachen der Religion ſo zu verhalten, wie es ein Jeder gegen Gott und den Kai - ſer zu verantworten gedenke, d. i. nach ſeinem Ermeſſen zu verfahren. Ein Beſchluß, in welchem des Papſtes auch nicht einmal gedacht wird, der als der Anfang der eigent - lichen Reformation, der Einrichtung einer neuen Kirche in Deutſchland betrachtet werden kann. In Sachſen, Heſſen und den benachbarten Laͤndern nahm ſie ſofort ihren An -106Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.fang. Die proteſtantiſche Partei bekam dadurch eine un - gemeine Foͤrderung: ihre legale Exiſtenz gruͤndete ſich darauf.
Wir duͤrfen ſagen, daß dieſe Stimmung von Deutſch - land auch fuͤr Italien entſcheidend wurde. Es fehlte viel, daß die Italiener ſaͤmmtlich fuͤr ihre große Unternehmung begeiſtert, daß nur diejenigen, die an derſelben Theil nah - men, unter einander einig geweſen waͤren. Der Papſt, ſo geiſtreich, ſo italieniſch geſinnt er auch ſeyn mochte, war doch kein Mann, wie ihn das Schickſal fordert, um von ihm gefeſſelt zu werden. Sein Scharfſinn ſchien ihm zu - weilen zu ſchaden. Mehr als gut iſt, ſchien er zu wiſſen daß er der ſchwaͤchere war; alle Moͤglichkeiten, die Gefah - ren von allen Seiten ſtellten ſich ihm dar und verwirrten ihn. Es giebt eine praktiſche Erfindungsgabe, die in den Geſchaͤften das Einfache wahrnimmt, das Thunliche oder Rathſame mit Sicherheit ergreift. Er beſaß ſie nicht1)Suriano Rel. di 1533 findet in ihm „ core frigidissimo: el quale fa, la Beatṉe̱. S. esser dotata di non vulgar timidita, non diro pusillanimità. II che pero parmi avere trovato comu - nemente in la natura fiorentina. Questa timidità causa che S. Sà. è molto irresoluta. “— —. In den wichtigſten Momenten ſah man ihn zaudern, ſchwanken, auf Gelderſparniß denken. Da ihm nun auch ſeine Verbuͤndeten nicht Wort hielten, ſo war es zu den Erfol - gen, die man gehofft, bei weitem nicht gekommen, und noch immer hielten ſich die Kaiſerlichen in der Lombardei, — als im Nov. 1526 Georg Frundsberg mit einem ſtattlichen Heer von Landsknechten die Alpen uͤberſtieg, um dieſen107Unter Clemens VII. Kampf zu Ende zu bringen. Sie waren ſaͤmmtlich lutheriſch geſinnt, er und ſeine Leute. Sie kamen den Kaiſer am Papſt zu raͤchen. Deſſen Bundesbruͤchigkeit hatte man ihnen als die Urſache alles Unheils, des fortdauernden Krieges der Chriſtenheit, und des Gluͤckes der Osmanen, die ebenda - mals Ungarn uͤberwanden, dargeſtellt. „ Komm’ ich nach Rom, “ſagte Frundsberg, „ ſo will ich den Papſt henken. “
Mit Beſorgniß ſieht man das Ungewitter aufſteigen, den Horizont einnehmen und heranziehen. Dieſes Rom, ſo voll es mag ſeyn von Laſtern, aber nicht minder von edlem Beſtreben, Geiſt und Bildung, productiv, geſchmuͤckt mit unuͤbertrefflichen Kunſtwerken, wie ſie die Welt nicht wieder hervorgebracht, einem Reichthum, durch das Ge - praͤge des Geiſtes geadelt, und von lebendiger Fortwir - kung, iſt von dem Verderben bedroht. Wie ſich die Maſ - ſen der Kaiſerlichen geſammelt, zerſtieben vor ihnen die ita - lieniſchen Schaaren: die einzige Armee, die es noch giebt, folgt ihnen von ferne. Der Kaiſer, der ſein Heer ſchon lange nicht bezahlen koͤnnen, vermag ihm, wenn er auch will, keine andere Richtung zu geben. Es zieht einher unter den kaiſerlichen Fahnen, doch folgt es ſeinem eige - nen ſtuͤrmiſchen Antriebe. Der Papſt hofft noch, unter - handelt, fuͤgt ſich, ſchließt ab: aber das einzige Mittel, das ihn retten kann — das Heer mit dem Gelde zu befriedi - gen, das es fordern zu duͤrfen glaubt — will er oder kann er nicht ergreifen. Wird man ſich dann wenigſtens mit den Waffen, die man hat, dem Feinde ernſtlich entgegen - ſetzen? Viertauſend Mann haͤtten hingereicht, die Paͤſſe von Toscana zu ſchließen; jedoch macht man nicht ein -108Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.mal den Verſuch dazu. Rom zaͤhlte vielleicht 30000 waf - fenfaͤhige Maͤnner; viele von ihnen hatten den Krieg ge - ſehn: ſie gingen mit Schwertern an den Seiten, ſchlugen ſich unter einander, und vermaßen ſich hoher Dinge. Aber um dem Feinde, der die gewiſſe Zerſtoͤrung brachte, zu wi - derſtehen, brachte man aus der Stadt nie uͤber 500 Mann zuſammen. Der erſte Angriff uͤberwand den Papſt und ſeine Macht. Am 6. Mai 1527, zwei Stunden vor Sonnen - untergang, drangen die Kaiſerlichen in Rom ein. Der alte Frundsberg war nicht mehr bei ihnen; als er einſt bei einem Auflauf den gewohnten Gehorſam nicht fand, war er vom Schlag geruͤhrt worden und krank zuruͤckge - blieben. Bourbon, der das Heer ſo weit gefuͤhrt, war beim erſten Anlegen der Sturmleiter umgekommen; von keinem Anfuͤhrer in Zaum und Maͤßigung gehalten, ergoß ſich der blutduͤrſtige, durch lange Entbehrungen verhaͤrtete, von ſeinem Handwerk verwilderte Soldat uͤber die Stadt. Nie fiel eine reichere Beute einer gewaltſameren Truppe in die Haͤnde; nie gab es eine laͤngere, anhaltendere, verderb - lichere Pluͤnderung1)Vettori: La uccisione non fu molta, perchè rari si uc - eidono quelli che non si vogliono difendere, ma la preda fu inestimabile in danari contanti, di gioie, d’oro e d’argento lavo - rato, di vestiti, d’arazzi, paramenti di casa, mercantie d’ogni sorte e di taglie. Nicht der Papſt ſey an dem Ungluͤck Schuld: es habe an den Einwohnern gelegen: superbi, avari, homicidi, in - vidiosi, libidinosi e simulatori nennt er ſie, ſolch’ eine Bevoͤlke - rung koͤnne ſich nicht halten.. Der Glanz von Rom erfuͤllt den Anfang des 16ten Jahrhunderts; er bezeichnet eine bewun - derungswuͤrdige Periode menſchlicher Geiſtesentwickelung; mit dieſem Tage ging ſie zu Ende.
109Unter Clemens VII.Und ſo ſah ſich der Papſt, der Italien befreien wol - len, in der Engelsburg belagert und gleichſam gefangen. Wir koͤnnen ſagen: durch dieſen großen Schlag war das Uebergewicht der Spanier in Italien unwiderruflich be - gruͤndet.
Ein neuer Angriff der Franzoſen, vielverſprechend im Anfang, mißlang doch zuletzt vollſtaͤndig: ſie bequemten ſich, auf alle ihre italieniſchen Anſpruͤche Verzicht zu leiſten.
Nicht minder wichtig ward ein anderes Ereigniß. Noch ehe Rom erobert worden, als man nur ſah, daß Bourbon den Weg dahin genommen, hatten zu Florenz die Feinde der Medici die Verwirrungen des Augenblicks benutzt und das Haus des Papſtes aufs neue verjagt. Faſt noch ſchmerzlicher empfand Clemens den Abfall ſeiner Vaterſtadt, als die Einnahme von Rom. Mit Verwun - derung bemerkte man, daß er nach ſo ſchweren Beleidigun - gen doch wieder mit den Kaiſerlichen anknuͤpfte. Es kam daher, weil er in der Huͤlfe der Spanier das einzige Mit - tel ſah, ſeine Verwandten, ſeine Partei nach Florenz zu - ruͤckzufuͤhren. Es ſchien ihm beſſer, die Uebermacht des Kaiſers, als die Widerſetzlichkeit ſeiner Rebellen zu dulden. Je ſchlechter es den Franzoſen ging, deſto mehr naͤherte er ſich den Spaniern. Als jene endlich voͤllig geſchlagen waren, ſchloß er mit dieſen ſeine Abkunft zu Barcelona; ſo ganz aͤnderte er ſeine Politik, daß er ſich der nemlichen Armee, die Rom vor ſeinen Augen erobert und ihn ſo lange belagert gehalten, daß er ſich dieſer, die nur ver - juͤngt und erneuert worden, nunmehr ſelber bediente, um ſich ſeine Vaterſtadt wieder zu unterwerfen.
110Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Seitdem war Carl maͤchtiger in Italien, als ſeit vie - len Jahrhunderten ein anderer Kaiſer. Die Krone, die er zu Bologna empfing, hatte einmal wieder ihre volle Be - deutung. Mailand gehorchte ihm allmaͤhlig nicht weni - ger als Neapel; auf Toscana hatte er eben deshalb, weil er die Medici in Florenz hergeſtellt, ſein Lebenlang unmit - telbaren Einfluß; die uͤbrigen ſchloſſen ſich an oder fuͤg - ten ſich; zugleich mit den Kraͤften von Spanien und von Deutſchland, von dem ſuͤdlichen Meer und den Alpen her, mit ſiegreichen Waffen und den Rechten des Kaiſerthums hielt er Italien in Unterwerfung.
Dahin fuͤhrte der Gang der italieniſchen Kriege. Seit - dem haben die auswaͤrtigen Nationen nicht aufgehoͤrt, in Italien zu regieren. Betrachten wir noch, wie die religioͤ - ſen Irrungen ſich entwickelten, die mit den politiſchen ſo genau zuſammenhaͤngen.
Wenn der Papſt ſich darin ergab, rings um ſich her die Spanier maͤchtig zu ſehen, ſo hoffte er wenigſtens durch dieſen gewaltigen Kaiſer, den man ihm katholiſch und devot ſchilderte, ſeine Autoritaͤt in Deutſchland herge - ſtellt zu ſehn. Gleich ein Artikel des Friedens von Bar - celona enthielt dieß. Der Kaiſer verſprach, aus allen ſei - nen Kraͤften die Reduction der Proteſtanten zu befoͤrdern. Auch ſchien er dazu entſchloſſen. Den proteſtantiſchen Ge - ſandten, die ihn in Italien aufſuchten, gab er eine ſehr ungnaͤdige Antwort. An ſeine Reiſe nach Deutſchland, im111Unter Clemens VII. Jahre 1530, knuͤpften einige Mitglieder der Curie, beſon - ders der Legat, den man ihm mitgegeben, Cardinal Cam - peggi, kuͤhne und fuͤr unſer Vaterland hoͤchſt gefaͤhrliche Entwuͤrfe.
Es exiſtirt eine Eingabe von ihm an den Kaiſer, zur Zeit des Reichstages von Augsburg, in der er ſie aus - ſpricht. Mit Widerwillen und ungern, aber der Wahrheit zur Steuer, muß ich von derſelben ein Wort ſagen.
Cardinal Campeggi begnuͤgte ſich nicht, die religioͤſen Verwirrungen zu beklagen; er bemerkte beſonders die po - litiſchen Folgen: wie in den Reichsſtaͤdten der Adel durch die Reformation herabgekommen, wie weder ein geiſtlicher noch ſelbſt ein weltlicher Fuͤrſt rechten Gehorſam mehr finde, ſogar auf die Majeſtaͤt des Kaiſers nehme man keine Ruͤckſicht mehr. Er giebt dann an, wie man dem Uebel begegnen koͤnne.
Nicht ſehr tief liegt das Geheimniß ſeiner Mittel. Es bedarf nichts, meint er, als daß ein Bund zwiſchen dem Kaiſer und den wohlgeſinnten Fuͤrſten geſchloſſen werde; hierauf verſucht man die Abgeneigten umzuſtimmen, mit Verſprechungen oder mit Drohungen: was thut man aber wenn ſie hartnaͤckig bleiben? Man hat das Recht, „ dieſe giftigen Pflanzen mit Feuer und Schwert zu vertilgen1)Se alcuni ve ne fossero che dio nol voglia, li quali ob - stinatamente perseverassero in questa diabolica via quella (S. M.) potrà mettere la mano al ferro et al foco, et radicitus ex - tirpare questa mala venenosa pianta. . “ Die Hauptſache iſt, daß man ihre Guͤter einzieht, welt - liche und geiſtliche, in Deutſchland ſo gut, wie in Ungarn112Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.und Boͤhmen. Denn gegen Ketzer iſt dieß Rechtens. Iſt man ihrer nur erſt Herr geworden, ſo ſetzt man heilige Inquiſitoren ein, die ihren Ueberreſten nachſpuͤren, die wi - der ſie verfahren, wie man in Spanien wider die Mar - ranen verfaͤhrt. Ueberdieß wird man die Univerſitaͤt Wit - tenberg in Bann thun, und die, welche daſelbſt ſtudirt, kaiſerlicher und paͤpſtlicher Gnaden fuͤr unwuͤrdig erklaͤren, die Buͤcher der Ketzer wird man verbrennen; die ausgetre - tenen Moͤnche in ihre Kloͤſter zuruͤckſchicken, an keinem Hofe einen Irrglaͤubigen dulden. Zuerſt aber iſt eine mu - thige Execution nothwendig. „ Auch wenn Ew. Majeſtaͤt, “ſagt der Legat, „ ſich nur an die Oberhaͤupter haͤlt, kann ſie denſelben eine große Summe Geldes entreißen, die oh - nehin wider die Tuͤrken unentbehrlich iſt. “
So lautet dieſer Entwurf1)Einen ſolchen Entwurf wagte man eine Inſtruction zu nen - ner. Instructio data Caesari a reverendm̱o̱. Campeggio in dieta Augustana 1530. Ich fand ihn in einer roͤmiſchen Bibliothek in gleichzeitigen Schriftzuͤgen, uͤber alle Zweifel erhaben.: das ſind ſeine Grund - ſaͤtze. Wie athmet jedes Wort Unterdruͤckung, Blut und Beraubung! Man kann ſich nicht wundern, wenn man in Deutſchland von einem Kaiſer, der unter ſolchem Ge - leite eintraf, das Aeußerſte erwartete, und die Proteſtan - ten uͤber den Grad der Nothwehr, der ihnen rechtlich ver - ſtattet ſey, zu Rathe gingen.
Gluͤcklicherweiſe ſtanden die Sachen anders, als daß der Verſuch einer ſolchen Unternehmung zu fuͤrchten gewe - ſen waͤre.
So maͤchtig war der Kaiſer bei weitem nicht, umdieß113Unter Clemens VII. dieß ausfuͤhren zu koͤnnen. Erasmus hat es gleich damals uͤberzeugend auseinandergeſetzt.
Allein waͤre er es auch geweſen, ſo haͤtte er ſchwer - lich den Willen dazu gehabt.
Er war von Natur eher gutmuͤthig, bedaͤchtig, voll Nachdenken und langſam, als das Gegentheil. Je naͤher er dieſe Irrungen in das Auge faßte, deſto mehr beruͤhr - ten ſie eine Ader ſeines eigenen Geiſtes. Gleich ſeine An - kuͤndigung des Reichstages lautete dahin, daß er die verſchiedenen Meinungen hoͤren, erwaͤgen und zu einer eini - gen, chriſtlichen Wahrheit zu bringen ſuchen wolle: von jenen gewaltſamen Abſichten war er weit entfernt.
Auch wer ſonſt an der Reinheit menſchlicher Geſin - nung zu zweifeln gewohnt iſt, kann dieß nicht in Abrede ſtellen: es waͤre Carls Vortheil nicht geweſen, ſich der Ge - walt zu bedienen.
Sollte er, der Kaiſer, ſich zum Executor paͤpſtlicher Decrete machen? ſollte er dem Papſt, und nicht allein dem damaligen, ſondern jedem kuͤnftigen, die Feinde unterwer - fen, die demſelben am meiſten zu ſchaffen machen mußten? Hierzu war er der Freundſchaft der paͤpſtlichen Gewalt doch bei weitem nicht ſicher genug.
Vielmehr lag in den Verhaͤltniſſen ein Vortheil fuͤr ihn, ungeſucht, natuͤrlich, den er nur zu ergreifen brauchte, um zu einer noch unbedingteren Superioritaͤt zu gelangen, als er ſie bereits beſaß.
Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht unterſu - chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine Kirchenverſammlung im Stande ſeyn werde, ſo große Ir -8114Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.rungen beizulegen. Auch deshalb hatten ſich die Conci - lien in Credit erhalten, weil die Paͤpſte einen natuͤrlichen Widerwillen dagegen zeigten; alle Oppoſitionen erhoben von jeher dieſen Ruf. Im Jahre 1530 ging Carl ernſtlich auf dieſen Gedanken ein. Er verſprach ein Concilium in einer beſtimmten kurzen Friſt.
Hatten die Fuͤrſten ſchon lange in ihren Verwickelun - gen mit dem paͤpſtlichen Stuhle nichts ſo ſehr gewuͤnſcht, als einen geiſtlichen Ruͤckhalt, ſo bekam Carl in einem Concilium, unter dieſen Umſtaͤnden verſammelt, den ge - waltigſten Verbuͤndeten. Auf ſeine Veranlaſſung waͤre es zuſammengetreten, unter ſeinem Einfluß gehalten worden, er haͤtte die Beſchluͤſſe deſſelben zu exequiren bekommen. Nach zwei Seiten hin wuͤrden dieſe gegangen ſeyn: eben ſo gut den Papſt, wie deſſen Gegner wuͤrden ſie betroffen haben: der alte Gedanke einer Reformation an Haupt und Glie - dern waͤre zur Ausfuͤhrung gekommen: welch ein Ueberge - wicht mußte dieß der weltlichen Macht, vor allem dem Kaiſer ſelber verſchaffen!
Es war vernuͤnftig; es war, wenn man will, unver - meidlich, aber es war zugleich ſein großes Intereſſe.
Dem Papſt dagegen und ſeinem Hof konnte nichts Bedenklicheres begegnen. Ich finde, daß bei der erſten ernſtlichen Erwaͤhnung eines Conciliums der Preis der ſaͤmmtlichen kaͤuflichen Aemter des Hofes um ein bedeu - tendes fiel1)Lettera anonima all’ Arcivescovo Pimpinello (Lettere di principi III, 5.): „ Gli ufficii solo con la fama del concilio sono. Man ſieht, welche Gefahr darin fuͤr den ganzen Zuſtand zu liegen ſchien, in dem man ſich befand.
115Unter Clemens VII.Aber uͤberdieß hatte Clemens VII. auch perſoͤnliche Ruͤckſichten: daß er nicht von geſetzmaͤßiger Geburt, daß er nicht auf ganz reinem Wege zu der hoͤchſten Wuͤrde em - porgeſtiegen war, und ſich von perſoͤnlichen Zwecken hatte beſtimmen laſſen, gegen ſein Vaterland mit den Kraͤften der Kirche einen koſtſpieligen Krieg zu fuͤhren, alles Dinge, die einem Papſt hoch angerechnet werden mußten, floͤßte ihm eine gerechte Furcht ein; ſchon der Erwaͤhnung eines Conciliums, ſagt Soriano, wich Clemens ſo weit als moͤg - lich aus.
Obwohl er den Vorſchlag nicht gradezu verwarf, — ſchon um der Ehre des paͤpſtlichen Stuhles willen durfte er es nicht — ſo kann man doch nicht zweifeln, mit wel - chem Herzen er darauf einging.
Ja er giebt nach: er fuͤgt ſich: aber auf das ſtaͤrkſte fuͤhrt er zugleich die Gegengruͤnde aus; alle Schwierigkei - ten und Gefahren, die mit einem Concilium verknuͤpft ſeyen, ſtellt er auf das lebhafteſte dar: den Erfolg findet er mehr als zweifelhaft1)Z. B. all’ imperatore: di man propria di Papa Clemente. Lettere di principi II, 197. Al contrario nessun (remedio) è piu pericoloso e per partorir maggiori mali (del concilio) quando non concorrono le debite circonstanze. . Dann macht er Bedingungen einer Mitwirkung aller andern Fuͤrſten, einer vorlaͤufigen Unterwerfung der Proteſtanten, die ſich zwar im Syſteme der paͤpſtlichen Doctrin hoͤren laſſen, aber bei der Lage der allgemeinen Verhaͤltniſſe nimmermehr zu erfuͤllen ſind. Wie1)inviliti tanto, che non se ne trovano danari. “ Ich ſehe, auch Pallavicini citirt dieſen Brief III, 7, 1; ich weiß nicht, wie er dazu kommt, ihn dem Sanga zuzuſchreiben.8*116Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.waͤre es von ihm zu erwarten geweſen, daß er in der vom Kaiſer geſetzten Friſt nicht allein ſcheinbar und mit De - monſtrationen, ſondern ernſtlich und entſchloſſen ans Werk gegangen waͤre? Oft hat ihm Carl vorgeworfen, dieſe ſeine Zoͤgerung ſey an allem weitern Unheil Schuld. Ohne Zwei - fel hoffte er, der Nothwendigkeit, die uͤber ihm ſchwebte, noch zu entgehen.
Aber gewaltig hielt ſie ihn feſt. Als Carl im Jahre 1533 wieder nach Italien kam, noch erfuͤllt von dem, was er in Deutſchland geſehen und entworfen, drang er muͤnd - lich — er hielt mit dem Papſt einen Congreß zu Bologna — und mit erneuerter Lebhaftigkeit auf das Concilium, das er ſo oft ſchriftlich gefordert hatte. Die verſchiedenen Meinungen begegneten ſich unmittelbar: der Papſt blieb bei ſeinen Bedingungen ſtehen; der Kaiſer ſtellte ihm die Unmoͤglichkeit ihrer Erfuͤllung vor. Sie konnten ſich nicht vereinigen. In den Breves, die uͤber dieſe Sache erlaſ - ſen wurden, nimmt man ſogar eine gewiſſe Verſchieden - heit wahr. In den einen ſchloß ſich der Papſt mehr als in den andern der Meinung des Kaiſers an. Aber wie dem auch ſey, er mußte zu einer erneuerten Ankuͤndi - gung ſchreiten1)Ueber die Verhandlungen zu Bologna findet man in einem der beſten Capitel des Pallavicini, lib. III, c. XII gute Nachricht, — gezogen aus dem vaticaniſchen Archiv. Er beruͤhrt jene Verſchie - denheit, und erzaͤhlt, daß ſie auf ausdruͤcklicher Verhandlung be - ruhe. In der That finden wir in dem Schreiben an die katholi - ſchen Staͤnde bei Rainaldus XX, 659, Hortleder I, XV, die Be - dingung einer allgemeinen Theilnahme wiederholt; der Papſt ver - ſpricht, uͤber den Erfolg ſeiner Bemuͤhungen zu berichten; in den Punkten, die den Proteſtanten vorgelegt wurden, heißt es dagegen. Wollte er ſich nicht ganz verblenden,117Unter Clemens VII. ſo durfte er nicht zweifeln, daß es bei der Ruͤckkunft des Kaiſers, der nach Spanien gegangen, nicht mehr bei blo - ßen Worten ſein Bewenden haben: daß jene Gefahr, die er fuͤrchtete und die ein Concilium unter dieſen Umſtaͤnden fuͤr den roͤmiſchen Stuhl in der That mit ſich fuͤhrte, uͤber ihn hereinbrechen werde.
Es war eine Lage, in der der Inhaber einer Gewalt, welche ſie auch ſeyn mag, wohl entſchuldigt werden kann, wenn er einen entſcheidenden Entſchluß ergreift, ſich ſicher zu ſtellen. Schon war der Kaiſer politiſch ſo uͤbermaͤchtig. Wenn gleich ſich der Papſt hierfuͤr reſignirt hatte, ſo mußte er doch oft fuͤhlen, wohin er gekommen war. Daß Carl V. die alten Streitigkeiten der Kirche mit Ferrara zu Gunſten des letztern entſchied, beleidigte ihn tief; er nahm es ſo hin, aber unter ſeinen Freunden beklagte er ſich. Wie viel druͤckender war es aber, wenn nun dieſer Fuͤrſt, von dem man die unverweilte Unterwerfung der Pro - teſtanten gehofft hatte, ſtatt deſſen, ſich vielmehr auf den Grund der ausgebrochenen Irrungen auch zu einem kirch - lichen Uebergewicht erhob, wie man es ſeit Jahrhunderten nicht mehr kannte, wenn er auch das geiſtliche Anſehn des roͤmiſchen Stuhles in Gefahr ſetzte! Sollte Clemens er - leben, ganz und gar in die Haͤnde deſſelben zu gerathen, und ſeinem Gutbefinden uͤberlaſſen zu ſeyn?
Noch dort in Bologna faßte er ſeinen Entſchluß. 1)Artikel 7 ausdruͤcklich: quod si forsan aliqui principes velint tam pio negotio deesse, nihilominus summus Ds nr procedet cum saniori parte consentiente. Es ſcheint doch als ob dieſe Verſchie - denheit es ſey, welche Pallavicini im Sinne hat, obwohl er noch eine andere Abweichung meldet.118Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Schon oͤfter hatte Franz I. dem Papſt Buͤndniß und Bluts - verwandtſchaft angetragen. Clemens hatte es immer abge - lehnt. In der Bedraͤngniß, in der er ſich jetzt ſah, ging er darauf ein. Man verſichert uns ausdruͤcklich, der ei - gentliche Grund, daß Clemens dem Koͤnige von Frankreich wieder Gehoͤr ſchenkte, ſey die Forderung des Conciliums geweſen1)Soriano Relatione 1535. II Papa andò a Bologna con - tra sua voglia e quasi sforzato, come di buon logo ho inteso e fu assai di ciò evidente segno, che S. Sà. ̱ consumò di giorni cento in tale viaggio, il quale potea far in sei di. Considerando dunque Clemente questi tali casi suoi e per dire cosi la ser - vitu nella quale egli si trovava per la materia del concilio la quale Cesare non lasciava di stimolare cominciò a rendersi piu facile al christianissimo. E quivi si trattò l’andata di Marsilia et in - sieme la pratica del matrimonio, essendo gia la nipote nobile et habile. Fruͤher haͤtte der Papſt ihre Herkunft und ihr Alter zum Vorwand ſeiner Ausfluͤchte genommen..
Was dieſer Papſt rein-politiſcher Zwecke halber viel - leicht nie wieder verſucht haͤtte, das Gleichgewicht der bei - den großen Maͤchte herzuſtellen, und ihnen eine gleiche Gunſt zu widmen, dazu entſchloß er ſich in Betracht der kirchlichen Gefahren, denen er ausgeſetzt war.
Kurz hierauf hielt Clemens auch eine Zuſammenkunft mit Franz I. Sie fand in Marſeille Statt, und die engſte Verbindung ward geſchloſſen. Ganz, wie der Papſt fruͤher in den florentiniſchen Gefahren ſeine Freundſchaft mit dem Kaiſer dadurch befeſtigt hatte, daß er deſſen natuͤrliche Tochter mit einem von ſeinen Neffen verheurathete, ſo be - ſiegelte er jetzt, in den kirchlichen Bedraͤngniſſen, den Bund den er mit Franz I. einging, durch eine Vermaͤhlung ſei -119Unter Clemens VII. ner jungen Nichte Catharina Medici mit dem zweiten Sohne des Koͤnigs. Damals hatte er die Franzoſen und ihren indirecten Einfluß auf Florenz, jetzt hatte er den Kaiſer und ſeine Intentionen bei einer Kirchenverſammlung zu fuͤrchten.
Auch erreichte der Papſt damit ſofort ſeinen Zweck. Es exiſtirt ein Brief von ihm an Ferdinand I., in dem er erklaͤrt, mit ſeiner Bemuͤhung eine Theilnahme aller chriſt - lichen Fuͤrſten an dem Concilium zu Wege zu bringen, ſey es ihm nicht gelungen; Koͤnig Franz I., den er ge - ſprochen, halte die gegenwaͤrtige Zeit nicht fuͤr geeignet zu einer ſolchen Verſammlung, und ſey nicht darauf einge - gangen; er, der Papſt, hoffe aber noch immer, ein ander Mal eine guͤnſtige Stimmung der chriſtlichen Fuͤrſten her - vorgehn zu ſehen1)20. Maͤrz 1534. Pallavicini III, XVI, 3.. Ich weiß nicht, wie man uͤber die Abſichten Clemens VII. in Zweifel ſeyn kann. Noch in ſeinem letzten Schreiben an die katholiſchen Fuͤrſten von Deutſchland hatte er die Bedingung einer allgemeinen Theil - nahme wiederholt; daß er nun erklaͤrt, eine ſolche nicht be - werkſtelligen zu koͤnnen, enthaͤlt eine unzweideutige Weige - rung, jener ſeiner Ankuͤndigung Folge zu geben2)Soriano. La Serṯà. ̱ Vṟa. ̱ dunque in materia del concilio può esser certissima, che dal canto di Clemente fu fuggita con tutti li mezzi e con tutte le vie. . In ſeiner Verbindung mit Frankreich fand er wie den Muth, ſo auch den Vorwand dazu. Ich kann mich nicht uͤberre - den, daß das Concilium jemals unter ihm zu Stande ge - kommen waͤre.
120Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Jedoch war dieß nicht die einzige Folge jener Ver - bindung. Auf der Stelle entwickelte ſich noch eine andere, unerwartete, die beſonders fuͤr uns Deutſche von der groͤß - ten Wichtigkeit iſt.
Sehr ſonderbar war ſogleich die Combination, die bei der Verflechtung kirchlicher und weltlicher Intereſſen dar - aus hervorging. Franz I. war damals in dem beſten Ver - ſtaͤndniß mit den Proteſtanten: indem er ſich nun zugleich ſo enge mit dem Papſt verbuͤndete, vereinigte er gewiſſer - maßen Proteſtanten und Papſt in das nemliche Syſtem.
Und hier erkennen wir, was die politiſche Staͤrke der Stellung ausmachte, welche die Proteſtanten eingenommen hatten. Der Kaiſer konnte nicht beabſichtigen, ſie dem Papſt ſo geradehin aufs neue zu unterwerfen; er bediente ſich vielmehr ihrer Bewegung, um dieſen damit in Schach zu halten. Allmaͤhlig zeigte ſich, daß auch der Papſt nicht wuͤnſchte, ſie auf Gnade oder Ungnade dem Kaiſer unter - worfen zu ſehen: nicht ſo ganz unbewußt war ſogar die Verbindung Clemens VII. mit ihnen, er hoffte, ihre Op - poſition wider den Kaiſer zu benutzen, um dieſem hinwie - derum zu ſchaffen zu geben.
Es iſt gleich damals bemerkt worden, der Koͤnig von Frankreich habe den Papſt glauben gemacht, die vornehm - ſten proteſtantiſchen Fuͤrſten ſeyen von ihm abhaͤngig: er habe ihn hoffen laſſen, ſie dahin zu bringen, auf das Concilium Verzicht zu leiſten1)Sarpi: Historia del concilio Tridentino: lib. I, p. 68. Nicht alles was Sarpi hat, aber einen wichtigen Theil deſſelben beſtaͤtigt Soriano. Dieſer Geſandte ſagt: avendo fatto credere a. Allein wenn wir nicht121Unter Clemens VII. ſehr irren, gingen dieſe Verbindungen noch weiter. Kurz nach der Zuſammenkunft mit dem Papſte hielt Franz I. eine andere mit Landgraf Philipp von Heſſen. Sie verei - nigten ſich zur Herſtellung des Herzogs von Wuͤrtemberg, der damals von dem Hauſe Oeſtreich verdraͤngt worden war. Franz I. bequemte ſich, Huͤlfsgelder zu zahlen. In kurzem Kriegszug, mit uͤberraſchender Schnelligkeit ſetzte hierauf Landgraf Philipp das Unternehmen ins Werk. Es iſt gewiß, daß er in die oͤſtreichiſchen Erblande haͤtte vor - dringen ſollen1)In der Inſtruction an ſeine Geſandten nach Frankreich Au - guſt 1532 (Rommel Urkundenbuch 61) entſchuldigt er ſich, „ daß wir nit furtzugen, den Koͤnig in ſeinen Erblanden anzugreifen. “; allgemein vermuthete man, der Koͤnig wolle Mailand einmal auch von deutſcher Seite her an - greifen laſſen2)Jovius Historiae sui temporis, lib. XXXII, p. 129, Pa - ruta Storia Venez. p. 389. . Eine noch weitere Ausſicht eroͤffnet uns Marino Giuſtinian, in jenen Zeiten Botſchafter der Vene - zianer in Frankreich. Er verſichert gradehin, dieſe deutſche Bewegung ſey von Clemens und Franz zu Marſeille be - ſchloſſen worden: er fuͤgt hinzu, es habe allerdings nicht außer dem Plane gelegen, dieſe Truppen nach Italien kom - men zu laſſen: insgeheim wuͤrde der Papſt dazu mitgewirkt haben3)Relatione del clarissimo M. Marino Giustinian el Kr. ̱ venuto d’Ambasciator al Christianissimo re di Francia del 1535 (Archivio Venez.) Francesco fece l’aboccamento di Marsilia con. Es wuͤrde etwas raſch ſeyn, dieſe Behauptung,1)Clemente, che da S. M. Chm̱a. ̱ dipendessero quelli Sṟi. ̱ princi - palissimi e capi della fattione luterana — si che almeno si fug - gisse il concilio. — Nur dieß habe ich mich getraut zu behaupten.122Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.ſo ſicher ſie auch ausgeſprochen wird, als beglaubigte That - ſache zu betrachten: noch andere Beweiſe waͤren erforder - lich: — allein wenn wir ſie auch nicht annehmen, ſtellt ſich doch eine ſehr merkwuͤrdige Erſcheinung unbezweifelt dar. Wer haͤtte es vermuthen ſollen? In dem Augen - blicke, daß Papſt und Proteſtanten einander mit einem un - verſoͤhnlichen Haſſe verfolgen, daß ſie ſich einen geiſtlichen Krieg machen, der die Welt mit Zwietracht erfuͤllt, ſind ſie auf der andern Seite durch gleiche politiſche Intereſſen verbunden.
War aber fruͤher, in der Verwickelung der italieni - ſchen Angelegenheiten, dem Papſt nichts ſo verderblich ge - weſen, wie die zweideutige allzufeine Politik, die er be -3)Clemente nel qual vedendo loro che Cesare stava fermo — conchiusero il movimento delle armi in Germania, sotto pretesto di voler metter il duca di Virtenberg in casa: nel quale se Iddio non avesse posto la mano con il mezzo di Cesare, il quale all’ improviso e con gran prestezza senza sa - puta del Xm̱o̱. con la restitution del ducato di Virtenberg fece la pace, tutte quelle genti venivano in Italia sotto il favor se - creto di Clemente. Man wird, denke ich, wohl noch einmal ge - nauere Nachrichten hieruͤber finden. Soriano enthaͤlt noch folgen - des. Di tutti li desiderii (del re) s’accommodò Clemente con parole tali, che lo facevano credere, S. S. esser disposta in tutto alle sue voglie, senza però far provisione alcuna in scrit - tura. Daß von einer italieniſchen Unternehmung die Rede war, laͤßt ſich nicht leugnen. Der Papſt behauptete, ſie abgelehnt zu ha - ben, — non avere bisogno di moto in Italia. Der Koͤnig hatte ihm geſagt, er ſolle ruhig bleiben: con le mani accorte nelle ma - niche. Wahrſcheinlich behaupteten die Franzoſen, was die Italiener leugneten: ſo daß der Geſandte in Frankreich poſitiver iſt, als der Geſandte in Rom. Sagte aber der Papſt, eine Bewegung in Ita - lien koͤnne er nicht brauchen, ſo ſieht man, wie wenig das eine Be - wegung in Deutſchland ausſchließt.123Unter Clemens VII. folgte, ſo trugen ihm dieſe Maaßregeln auf dem geiſtlichen Gebiete noch bitterere Fruͤchte.
Koͤnig Ferdinand, bedroht in ſeinen erblichen Pro - vinzen, eilte den Frieden von Kadan zu ſchließen, in wel - chem er Wuͤrtemberg fahren ließ, und ſogar in ein enge - res Verſtaͤndniß mit dem Landgrafen ſelber trat. Es wa - ren die gluͤcklichſten Tage Philipps von Heſſen. Daß er einem verjagten deutſchen Fuͤrſten mit gewaltiger Hand zu ſeinem Recht verholfen, machte ihn zu einem der an - geſehenſten Oberhaͤupter des Reiches. Er hatte aber da - mit auch noch einen anderen wichtigen Erfolg erkaͤmpft. Dieſer Friede enthielt zugleich eine tiefgreifende Beſtim - mung uͤber die religioͤſen Streitigkeiten. Das Kammerge - richt ward angewieſen, uͤber die eingezogenen geiſtlichen Guͤ - ter keine Klagen weiter anzunehmen.
Ich weiß nicht, ob irgend ein anderes einzelnes Er - eigniß fuͤr das Uebergewicht des proteſtantiſchen Namens in Deutſchland ſo entſcheidend eingewirkt hat, wie dieſe heſſiſche Unternehmung. In jener Weiſung des Kammer - gerichts liegt eine juridiſche Sicherung der neuen Partei, die von ungemeiner Bedeutung iſt. Auch ließ ſich die Wirkung nicht lange erwarten. Den Frieden von Kadan, duͤnkt mich, koͤnnen wir als die zweite große Epoche der Erhebung einer proteſtantiſchen Macht in Deutſchland be - trachten. Nachdem ſie eine Zeitlang mindere Fortſchritte gemacht, fing ſie aufs neue an ſich auf das glaͤnzendſte auszubreiten. Wuͤrtemberg, welches man eingenommen, ward ohne Weiteres reformirt. Die deutſchen Provinzen von Daͤnemark, Pommern, die Mark Brandenburg, die zweite124Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.Linie von Sachſen, eine Linie von Braunſchweig, die Pfalz folgten in Kurzem nach. Binnen wenigen Jahren breitete ſich die Reformation der Kirche uͤber das geſammte nie - dere Deutſchland aus, und ſetzte ſich in dem oberen auf immer feſt.
Und um eine Unternehmung, die dahin fuͤhrte, die den begonnenen Abfall ſo unermeßlich befoͤrderte, hatte Papſt Clemens gewußt, er hatte ſie vielleicht gebilligt.
Das Papſtthum war durchaus in einer falſchen un - haltbaren Poſition. Seine weltlichen Tendenzen hatten ihm einen Verfall hervorgerufen, aus dem ihm unzaͤhlige Wi - derſacher und Abtruͤnnige entſprangen: aber die Fort - ſetzung derſelben, die fernere Verflechtung geiſtlicher und weltlicher Intereſſen richtete es vollends zu Grunde.
Auch das Schisma von England unter Heinrich VIII. haͤngt doch weſentlich hiervon ab.
Es iſt ſehr bemerkenswerth, daß Clemens VII. dem Koͤnig von England mehr als irgend einem andern Fuͤr - ſten perſoͤnlich zugethan war1)Contarini: Relatione di 1530 verſichert das ausdruͤcklich. Auch Soriano 1533 ſagt: Anglia S. Santità ama et era conjun - c[l]issimo prima. Die Abſicht des Koͤnigs, ſich ſcheiden zu laſſen, erklaͤrt er ohne weiteres fuͤr eine „ pazzia. “. Er hatte guten Grund dazu: als er ſich von Jedermann verlaſſen, in dem Caſtell eingeſchloſſen ſah, hatte Heinrich VIII. Mittel gefunden, ihm eine Unterſtuͤtzung zukommen zu laſſen. Auch iſt nicht zu leugnen, daß der Papſt dem Koͤnig noch im Jahre 1528 eine guͤnſtige Erledigung ſeiner Eheſcheidungsſache, wenn nicht zuſagte, doch moͤglich erſcheinen ließ, „ ſobald nur125Unter Clemens VII. erſt die Deutſchen und die Spanier aus Italien verjagt ſeyn wuͤrden “1)Aus den Depeſchen des Doctor Knight von Orvieto, 1ſten und 9ten Januar 1528; Herbert Life of Henry VIII, p. 218. . Es erfolgte hiervon, wie wir wiſſen, das Gegentheil. Die Kaiſerlichen ſetzten ſich nun erſt recht feſt: wir ſahen, in welch’ engen Bund Clemens mit ihnen trat: unter ſo veraͤnderten Umſtaͤnden konnte er eine Hoff - nung nicht erfuͤllen, die er uͤberdieß nur fluͤchtig angedeu - tet hatte2)Die ganze Lage erkennt man aus folgender Stelle eines Schreibens des paͤpſtlichen Secretaͤrs Sanga an Campeggi: Viterbo 2. Sept. 1528, in dem Augenblick, daß die neapolitaniſche Unter - nehmung mißlungen war (ein Erfolg, deſſen in dem Briefe gedacht wird) und Campeggi nach England gehen wollte. Come vostra Sign. Revm̱a̱. sa, tenendosi N. Signore obligatissimo come fa a quel Serenm̱o̱. re, nessuna cosa è si grande della quale non desideri compiacerli, ma bisogna ancora che sua Beatitudine, vedendo l’imperatore vittorioso e sperando in questa vittoria non trovarlo alieno della pace — non si precipiti a dare all’ imperatore causa di nuova rottura, la quale leveria in perpetuo ogni spe - ranza di pace: oltre che al certo metteria S. Sà. ̱ a fuoco et a totale eccidio tutto il suo stato. (Lettere di diversi autori Ve - netia 1556 p. 39.) . Kaum war der Friede von Barcelona geſchloſ - ſen, ſo avocirte er den Proceß nach Rom. Die Frau, von der ſich Heinrich ſcheiden wollte, war die Tante des Kai - ſers; von einem fruͤheren Papſt war die Ehe ausdruͤcklich gut geheißen worden: wie haͤtte, ſobald die Sache einmal in den proceſſualiſchen Gang vor den Gerichtshoͤfen der Curie geleitet worden, zumal unter dem immerwaͤhrenden Einfluß der Kaiſerlichen, die Entſcheidung zweifelhaft ſeyn koͤnnen? Aber Heinrich wußte ſich zu raͤchen. Auch er war im Grunde ſeines Herzens papiſtiſch geſinnt: dieſe Sache jedoch rief die entgegengeſetzten Leidenſchaften in ihm126Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.auf. Jeden Schritt, der in Rom zu ſeinem Nachtheile geſchah, erwiederte er mit einer Maaßregel gegen die Curie; immer foͤrmlicher ſagte er ſich von derſelben los. Als jene endlich im Jahre 1534 ihre definitive Sentenz erge - hen ließ, bedachte auch er ſich nicht weiter, und ſprach die vollſtaͤndige Trennung ſeines Reiches von dem Papſte aus. So ſchwach waren bereits die Bande, welche den roͤmi - ſchen Stuhl und die verſchiedenen Landeskirchen verknuͤpf - ten, daß es nichts als den Entſchluß eines Fuͤrſten be - durfte, um ſein Reich von demſelben loszureißen.
Dieſe Ereigniſſe erfuͤllten das letzte Lebensjahr Cle - mens VII. Sie waren ihm um ſo bitterer, da er nicht ohne alle Schuld daran war, und ſeine Unfaͤlle in einem qualvollen Zuſammenhange mit ſeinen perſoͤnlichen Eigen - ſchaften ſtanden. Und immer gefaͤhrlicher entwickelte ſich der Gang der Dinge. Schon drohte Franz I. Italien aufs neue anzufallen; er behauptete hierzu zwar nicht die ſchrift - liche, aber doch eine muͤndliche Genehmigung des Papſtes erhalten zu haben. Der Kaiſer wollte ſich nicht laͤnger mit Ausfluͤchten abweiſen laſſen, und drang immer nach - druͤcklicher auf die Einberufung des Conciliums. Haͤus - liche Mißhelligkeiten kamen hinzu: nachdem es ſo viele Muͤhe gekoſtet, Florenz zu unterwerfen, mußte der Papſt erleben, daß die beiden Neffen, die er hatte, ſich uͤber die Herrſchaft in dieſer Stadt entzweiten und in wilde Feind - ſchaft geriethen: die Gedanken, die er ſich hieruͤber machte, die Furcht vor den kommenden Dingen: — Schmerz und geheime Qual, ſagt Soriano, fuͤhrten ihn zum Tode1)Soriano. L’imperatore non cessava di sollecitar il con -.
127Unter Clemens VII.Gluͤcklich haben wir Leo genannt: vielleicht beſſer, auf jeden Fall fehlerfreier, thaͤtiger, und im Einzelnen ſelbſt ſcharfſinniger, aber in alle ſeinem Thun und Laſſen ungluͤckſelig war Clemens. Wohl der unheilvollſte aller Paͤpſte, die je auf dem roͤmiſchen Stuhle geſeſſen. Der Ueberlegenheit feindlicher Kraͤfte, die ihn von allen Seiten bedraͤngte, trat er mit einer unſichern, von den Wahrſchein - lichkeiten des Augenblicks abhaͤngigen Politik entgegen, die ihn vollends zu Grunde richtete. Die Verſuche, eine ſelbſt - ſtaͤndige weltliche Macht zu bilden, denen ſich ſeine nam - hafteſten Vorgaͤnger hingegeben, mußte er zu einem ganz entgegengeſetzten Erfolge umſchlagen ſehen; er mußte ſich darin finden, daß die, denen er Italien entreißen wollen, ihre Herrſchaft daſelbſt auf immer befeſtigten. Der große Abfall der Proteſtanten entwickelte ſich unaufhaltſam vor ſeinen Augen: welches Mittel er auch wider denſelben er - greifen mochte, ſie trugen alle zu ſeiner Ausbreitung bei. In Reputation unendlich herabgekommen, ohne geiſtliche, ohne weltliche Autoritaͤt hinterließ er den paͤpſtlichen Stuhl. Jenes Norddeutſchland, das fuͤr das Papſtthum von jeher ſo bedeutend war, durch deſſen erſte Bekehrung vor Zeiten die Macht der Paͤpſte im Abendlande vorzuͤglich mit be - gruͤndet worden, — deſſen Empoͤrung gegen Kaiſer Hein -1)cilio — S. M. Christm̱a̱. dimandò che da S. Sà. ̱ li fussino os - servate le promesse essendo le conditioni poste fra loro. Per - cio S. Sà. ̱ si pose a grandissimo pensiero e fu questo dolore et affanno che lo condusse alla morte. Il dolor fu accresciuto dalle pazzie del cardinal de Medici, il quale allora piu che mai intendeva a rinuntiare il capello per la concurrenza alle cose di Fiorenza. 128Kap. III. Politiſch-kirchliche Verwickelungen.rich IV. ihnen zur Vollendung der Hierarchie ſo große Dienſte geleiſtet hatte — war wider ſie ſelber aufgeſtanden. Unſer Vaterland hat das unſterbliche Verdienſt, das Chriſtenthum in reinerer Geſtalt, als es ſeit den erſten Jahrhunderten beſtanden, wiederhergeſtellt, die wahre Religion wieder ent - deckt zu haben. Mit dieſer Waffe war es unuͤberwindlich geruͤſtet. Seine Ueberzeugungen brachen ſich bei allen Nach - barn Bahn. Scandinavien hatten ſie bereits eingenom - men: wider die Abſicht des Koͤnigs, aber unter dem Schutze der Maaßregeln, die er ergriffen, breiteten ſie ſich in Eng - land aus; in der Schweiz erkaͤmpften ſie ſich, unter we - nigen Modificationen, eine unantaſtbare Exiſtenz: in Frank - reich drangen ſie vor: in Italien, ſelbſt in Spanien finden wir noch unter Clemens ihre Spuren. Immer naͤher waͤlzen ſich dieſe Fluthen heran. In dieſen Meinungen lebt eine Kraft, die Jedermann uͤberzeugt und fortreißt. Der Widerſtreit geiſtlicher und weltlicher Intereſſen, in den ſich das Papſtthum geſetzt hat, ſcheint recht dazu ge - macht, ihnen die vollſtaͤndige Herrſchaft zu verſchaffen.
Nicht erſt heutzutage hat die oͤffentliche Meinung Ein - fluß in der Welt bekommen: in allen Jahrhunderten des neueren Europa hat ſie ein wichtiges Lebenselement ausge - macht. Wer moͤchte ſagen, woher ſie entſpringt, wie ſie ſich bildet. Geheime Quellen naͤhren ſie: ohne vie - ler Gruͤnde zu beduͤrfen, bemaͤchtigt ſie ſich der Geiſter: durch eine unwillkuͤhrliche Ueberzeugung feſſelt ſie die Mehr - zahl. Sie iſt ein Product unſerer Gemeinſchaftlichkeit. Aber nur in den aͤußerſten Umriſſen iſt ſie mit ſich ſelber in Uebereinſtimmung. In unzaͤhligen groͤßern und kleinern Kreiſen wird ſie auf eigenthuͤmliche Weiſe wieder hervor - gebracht: immer neue Wahrnehmungen und Erfahrungen ſtroͤmen ihr zu: und ſo iſt ſie in unaufhoͤrlicher Metamor - phoſe begriffen: fluͤchtig, vielgeſtaltig: zuweilen receptiv, zuweilen fordernd und noͤthigend: oft mit einem richtigen Gefuͤhl der Maͤngel, der Beduͤrfniſſe: deſſen dagegen was auszurichten und ins Werk zu ſetzen, ſich faſt niemals be - wußt: mit der Wahrheit und dem Recht zuweilen mehr, zuweilen minder im Einklange: mehr eine Tendenz des Le - bens und des Augenblicks, als eine fixirte Lehre. Selt - ſam, wie ſie ſogar oft in ihr Gegentheil umſchlaͤgt. Sie hat das Papſtthum gruͤnden, ſie hat es auch aufloͤſen hel -9*132Buch II. Regeneration des Katholicismus.fen. In den Zeiten, die wir betrachten, war ſie einmal voͤllig profan: ſie wurde durchaus geiſtlich. Bemerkten wir, wie ſie ſich in ganz Europa dem Proteſtantismus zu - neigte, ſo werden wir auch ſehen, wie ſie in einem gro - ßen Theile deſſelben eine andere Farbe empfing.
Gehen wir davon aus, wie ſich zunaͤchſt die Lehren der Proteſtanten auch in Italien Bahn machten.
Literariſche Vereinigungen haben auch in Italien auf wiſſenſchaftliche und kuͤnſtleriſche Entwickelung einen unbe - rechenbaren Einfluß ausgeuͤbt. Bald um einen Fuͤrſten, bald um einen ausgezeichneten Gelehrten, bald um irgend einen literariſch-geſinnten, bequem-eingerichteten Privat - mann her, zuweilen auch in freier gleicher Geſelligkeit bil - den ſie ſich; am meiſten pflegen ſie werth zu ſeyn, wenn ſie friſch und formlos aus dem unmittelbaren Beduͤrfniß hervorgehen: mit Vergnuͤgen verfolgen wir ihre Spuren.
Zu der nemlichen Zeit, als die proteſtantiſche Bewe - gung in Deutſchland hervortrat, erſchienen in Italien li - terariſche Reunionen, die eine religioͤſe Farbe annahmen.
Eben als es unter Leo X. der Ton der Geſellſchaft ge - worden war, das Chriſtenthum zu bezweifeln, zu leugnen, erhob ſich in geiſtreicheren Maͤnnern, in Solchen, welche die Bildung ihrer Zeit beſaßen, ohne ſich an dieſelbe ver - loren zu haben, eine Ruͤckwirkung dagegen. Es iſt ſo na - tuͤrlich, daß ſie ſich zuſammenfanden. Der menſchliche133Analogien des Proteſtantismus in Italien.Geiſt bedarf der Beiſtimmung, wenigſtens liebt er ſie im - mer; unentbehrlich aber iſt ſie ihm in religioͤſen Ueberzeu - gungen, deren Grund das tiefſte Gemeingefuͤhl iſt.
Noch zu Leo’s Zeiten wird ein Oratorium der goͤttli - chen Liebe erwaͤhnt, das einige ausgezeichnete Maͤnner in Rom zu gemeinſchaftlicher Erbauung geſtiftet hatten. In Trastevere, in der Kirche S. Silveſtro und Dorotea, un - fern von dem Orte, wo man glaubte, daß der Apoſtel Petrus gewohnt und die erſten Zuſammenkuͤnfte der Chri - ſten geleitet habe, verſammelten ſie ſich zu Gottesdienſt, Predigt und geiſtlichen Uebungen. Es waren ihrer funf - zig bis ſechzig. Contarini, Sadolet, Giberto, Caraffa, die nachmals ſaͤmmtlich Cardinaͤle geworden, Gaetano da Thiene, den man canoniſirt hat, Lippomano, ein geiſtlicher Schriftſteller von viel Ruf und Wirkſamkeit, und einige andere namhafte Maͤnner waren darunter. Julian Bathi, Pfarrer jener Kirche, diente ihnen zum Mittelpunkt ihrer Vereinigung1)Ich ſchoͤpfe dieſe Notiz aus Caracciolo: Vita di Paolo IV. Ms. Quei pochi huomini da bene ed eruditi prelati che erano in Roma in quel tempo di Leone X. vedendo la città di Roma e tutto il resto d’Italia dove per la vicinanza alla sede apostolica doveva piu fiorire l’osservanza de’ riti essere cosi maltrattato il culto divino — si unirono in un’ oratorio chia - mato del divino amore circa sessanta di loro, per fare quivi quasi in una torre ogni sforzo per guardare le divine leggi. In der Vita Cajetani Thienaei (AA. SS. Aug. II. ) c. I, 7 — 10 hat dieß Caracciolo wiederholt und noch weiter ausgefuͤhrt, jedoch zaͤhlt er hier nur funfzig Mitglieder. Die Historia clericorum regularium vulgo Theatinorum von Joſeph Silos beſtaͤtigt es in vielen Stellen, die in dem Commentarius praevius zu der vita Ca - jetani abgedruckt ſind..
134Buch II. Regeneration des Katholicismus.Es fehlte viel, daß die Richtung derſelben, wie man leicht aus dem Orte der Verſammlung ſchließen koͤnnte, dem Proteſtantismus entgegengelaufen waͤre: ſie war ihm vielmehr gleichartig. Aus dem nemlichen Beduͤrfniß, ſich dem all - gemeinen Verfalle entgegenzuſetzen, ging ſie hervor. Sie beſtand aus Maͤnnern, welche ſpaͤter ſehr verſchiedene An - ſichten entwickelt haben; damals begegneten ſie ſich in der nemlichen allgemeinen Geſinnung.
Gar bald aber traten die beſtimmteren Tendenzen hervor.
Einem Theile der roͤmiſchen Geſellſchaft begegnen wir nach Verlauf einiger Jahre in Venedig wieder.
Rom war gepluͤndert, Florenz erobert worden; Mai - land war fortwaͤhrend der Tummelplatz der Kriegsheere ge - weſen; in dieſem allgemeinen Ruin hatte ſich Venedig un - beruͤhrt von den Fremden, von den Kriegsheeren behaup - tet; es wurde als eine allgemeine Zufluchtsſtaͤtte betrach - tet. Da fanden ſich die zerſprengten roͤmiſchen Literatoren, die florentiniſchen Patrioten, denen ihr Vaterland auf im - mer geſchloſſen war, zuſammen. Namentlich in den letz - ten trat, wie wir an dem Geſchichtſchreiber Nardi, dem Ueberſetzer der Bibel Bruccioli ſehen, nicht ohne Nachwir - kung der Lehren des Savonarola, eine ſehr ſtarke geiſtliche Richtung hervor. Auch andere Fluͤchtlinge, wie Reginald Poole, welcher England verlaſſen hatte, um ſich den Neue - rungen Heinrichs VIII. zu entziehen, theilten dieſelbe. In ihren venezianiſchen Gaſtfreunden fanden ſie ein bereitwil - liges Entgegenkommen. Bei Peter Bembo in Padua, der ein offenes Haus hielt, fragte man allerdings am meiſten135Analogien des Proteſtantismus in Italien.nach gelehrten Sachen, nach ciceronianiſchem Latein. Tie - fer verlor man ſich bei dem gelehrten und verſtaͤndigen Gre - gorio Corteſe, Abt von San Giorgio Maggiore bei Venedig. In die Gebuͤſche und Lauben von S. Giorgio verlegt Bruccioli einige ſeiner Geſpraͤche. Unfern Treviſo hatte Luigi Priuli ſeine Villa genannt Treville1)Epistolae Reginaldi Poli ed. Quirini Tom. II. Diatriba ad epistolas Schelhornii CLXXXIII. . Er iſt einer der rein ausgebildeten venezianiſchen Charactere, wie wir ihnen noch heute dann und wann begegnen, voll ru - higer Empfaͤnglichkeit fuͤr wahre und große Gefuͤhle und uneigennuͤtziger Freundſchaft. Hier beſchaͤftigte man ſich hauptſaͤchlich mit geiſtlichen Studien und Geſpraͤchen. Da war der Benedictiner Marco von Padua, ein Mann von tieferer Froͤmmigkeit, der es wahrſcheinlich iſt, an deſſen Bruͤſten Poole Nahrung geſogen zu haben behauptet. Als das Haupt von allen mochte Gaspar Contarini anzuſehen ſeyn, von welchem Poole ſagt: es ſey ihm nichts unbe - kannt, was der menſchliche Geiſt durch eigene Forſchung entdeckt, oder was die goͤttliche Gnade ihm mitgetheilt habe, und dazu fuͤge er den Schmuck der Tugend.
Fragen wir nun, in welchen Ueberzeugungen dieſe Maͤnner ſich beruͤhrten, ſo iſt das hauptſaͤchlich dieſelbe Lehre von der Rechtfertigung, welche in Luther der ganzen proteſtantiſchen Bewegung ihren Urſprung gegeben hatte. Contarini ſchrieb einen eigenen Tractat daruͤber, den Poole nicht genug zu ruͤhmen weiß. „ Du haſt, “ſagt er ihm, „ dieſen Edelſtein hervorgezogen, den die Kirche in halber Verborgenheit bewahrte. “ Poole ſelber findet, daß die136Buch II. Regeneration des Katholicismus.Schrift in ihrem tieferen Zuſammenhange nichts als dieſe Lehre predige; er preiſt ſeinen Freund gluͤcklich, daß er dieſe „ heilige, fruchtbringende, unentbehrliche Wahrheit “ans Licht zu bringen angefangen1)Epistolae Poli. Tom. III, p. 57.. Zu dem Kreiſe von Freunden, der ſich an ſie anſchloß, gehoͤrte M. A. Flami - nio. Er wohnte eine Zeitlang bei Poole; Contarini wollte ihn mit nach Deutſchland nehmen. Man hoͤre, wie ent - ſchieden er jene Lehre verkuͤndigt. „ Das Evangelium, “ſagt er in einem ſeiner Briefe2)An Theodorina Sauli 12. Febr. 1542. Lettere volgari (Rac - colta del Manuzio) Vinegia 1553. II, 43., „ iſt nichts anders als die gluͤckliche Neuigkeit, daß der eingeborne Sohn Gottes, mit unſerm Fleiſch bekleidet, der Gerechtigkeit des ewigen Vaters fuͤr uns genug gethan hat. Wer dieß glaubt, geht in das Reich Gottes ein; er genießt die allgemeine Vergebung; er wird von einer fleiſchlichen Creatur eine geiſtliche; von einem Kind des Zorns ein Kind der Gnade; er lebt in einem ſuͤßen Frieden des Gewiſſens. “ Man kann ſich hieruͤber kaum lutheriſch-rechtglaͤubiger ausdruͤcken.
Ganz wie eine literariſche Meinung oder Tendenz breitete ſich dieſe Ueberzeugung uͤber einen großen Theil von Italien aus3)Unter andern iſt das Schreiben Sadolets an Contarini (Epistolae Sadoleti lib. IX, p. 365) uͤber ſeinen Commentar an die Roͤmer ſehr merkwuͤrdig „ in quibus commentariis, ſagt Sa - dolet, mortis et crucis Christi mysterium totum aperire atque illustrare sum conatus. “ Doch hatte er Contarini nicht ganz be - friedigt. Auch war er nicht ganz einer Meinung mit demſelben. Er verſpricht indeß in die neue Ausgabe eine deutliche Erklaͤrung uͤber Erbſuͤnde und Gnade aufzunehmen: „ de hoc ipso morbo na -.
137Analogien des Proteſtantismus in Italien.Bemerkenswuͤrdig iſt es doch, wie ſo ploͤtzlich der Streit uͤber eine Meinung, von der fruͤher nur wenig die Rede war, ein Jahrhundert einnehmen und erfuͤllen, die Thaͤ - tigkeit aller Geiſter deſſelben herausfordern kann. In dem ſechzehnten Jahrhundert brachte die Lehre von der Recht - fertigung die groͤßten Bewegungen, Entzweiungen, ja Um - waͤlzungen hervor. Man moͤchte ſagen, es ſey im Gegen - ſatz gegen die Verweltlichung des kirchlichen Inſtitutes, welches die unmittelbare Beziehung des Menſchen zu Gott faſt ganz verloren hatte, geſchehen, daß eine ſo tranſcen - dentale, das tiefſte Geheimniß dieſes Verhaͤltniſſes anbe - treffende Frage die allgemeine Beſchaͤftigung der Geiſter wurde.
Selbſt in dem lebensluſtigen Neapel ward ſie, und zwar von einem Spanier, einem Secretaͤr des Vicekoͤnigs, Johann Valdez, verbreitet. Die Schriften des Valdez ſind leider ganz verſchollen; daruͤber aber, was die Gegner an ihm tadelten, haben wir ein ſehr beſtimmtes Zeugniß. Um das Jahr 1540 kam ein kleines Buch „ von der Wohl - that Chriſti “in Umlauf, welches, wie ſich ein Bericht der Inquiſition ausdruͤckt, „ auf einſchmeichelnde Weiſe von der Rechtfertigung handelte, Werke und Verdienſte herab - ſetzte, dem Glauben allein alles zuſchrieb, und weil eben dieß der Punkt war, an dem damals viele Praͤlaten und Kloſterbruͤder anſtießen, eine ungemeine Verbreitung fand. “ Man hat dem Autor dieſes Buches oͤfter nachgefragt. Je - ner Bericht bezeichnet ihn mit Beſtimmtheit. „ Es war, “3)turae nostrae et de reparatione arbitrii nostri a spiritu sancto facta. “138Buch II. Regeneration des Katholicismus.ſagt derſelbe, „ ein Moͤnch von San Severino, ein Schuͤler des Valdez: Flaminio hat es revidirt “1)Schelhorn, Gerdeſius und Andere haben dieß Buch dem Aonius Palearius zugeſchrieben, der in einer Rede ſagt: hoc anno tusce scripsi Christi morte quanta commoda allata sint humano generi. Das Compendium der Inquiſitoren, das ich in Caracciolo Vita di Paulo IV. Ms. fand, druͤckt ſich dagegen folgendergeſtalt aus. Quel libro del beneficio di Christo, fu il suo autore un monaco di Sanseverino in Napoli, discepolo del Valdes, fu revisore di detto libro il Flaminio fu stampato molte volte ma particolamente a Modena de mandato Moroni, ingannò molti, perche trattava della giustificatione con dolce modo ma hereti - camente. — — Da nun jene Stelle des Palearius dieß Buch doch nicht dergeſtalt bezeichnet, daß nicht auch ein andres gemeint ſeyn koͤnnte, da Palearius ſagt, er ſey noch das nemliche Jahr dar - uͤber in Anſpruch genommen worden, das Compendium der In - quiſitoren dagegen ſich unzweifelhaft ausdruͤckt und hinzufuͤgt: quel libro fu da molti approbato solo in Verona fu conosciato e re - probato, dopo molti anni fu posto nell indice — ſo halte ich die Meinung jener Gelehrten doch fuͤr irrig.. Auf einen Schuͤler und einen Freund des Valdez fuͤhrt ſich demnach dieſes Buch zuruͤck, das in der That einen unglaublichen Succeß hatte, und die Lehre von der Rechtfertigung auf eine Zeitlang in Italien populaͤr machte. Dabei war je - doch die Tendenz des Valdez nicht ausſchließend theolo - giſch, wie er denn ein bedeutendes weltliches Amt beklei - dete; er hat keine Secte geſtiftet, aus einer liberalen Be - ſchaͤftigung mit dem Chriſtenthume war dieſes Buch her - vorgegangen. Mit Wonne dachten ſeine Freunde an die ſchoͤnen Tage, die ſie mit ihm an der Chiaia und dem Poſilippo genoſſen hatten, dort bei Neapel, „ wo die Na - tur in ihrer Pracht ſich gefaͤllt und laͤchelt. “ Valdez war ſanft, angenehm, nicht ohne Schwung des Geiſtes. „ Ein139Analogien des Proteſtantismus in Italien.Theil ſeiner Seele, “ſagen ſeine Freunde von ihm, „ reichte hin, ſeinen ſchwachen, magern Koͤrper zu beleben; mit dem groͤßern Theil, dem ungetruͤbten hellen Verſtand, war er immer zur Betrachtung der Wahrheit erhoben. “
Bei dem Adel und den Gelehrten von Neapel hatte Valdez außerordentlichen Einfluß: lebhaften Antheil an dieſer religioͤs-geiſtigen Bewegung nahmen auch die Frauen.
Unter andern Vittoria Colonna. Nach dem Tode ih - res Gemahls Pescara hatte ſie ſich ganz den Studien hin - gegeben. In ihren Gedichten, wie in ihren Briefen, iſt eine ſelbſtgefuͤhlte Moral, eine ungeheuchelte Religion. Wie ſchoͤn troͤſtet ſie eine Freundin uͤber den Tod ihres Bru - ders, „ deſſen friedfertiger Geiſt in den ewigen wahren Frie - den eingegangen: ſie muͤſſe nicht klagen, da ſie nun mit ihm reden koͤnne, ohne daß ſeine Abweſenheit, wie ſonſt ſo haͤufig, ſie hindere von ihm verſtanden zu werden “1)Lettere volgari I, 92. Lettere di diversi autori p. 604. Beſonders die erſte eine ſehr nuͤtzliche Sammlung.. Poole und Contarini gehoͤrten zu ihren vertrauteſten Freun - den. Ich ſollte nicht glauben, daß ſie ſich geiſtlichen Ue - bungen auf kloͤſterliche Weiſe ergeben habe. Mit vieler Naivetaͤt ſchreibt ihr wenigſtens Aretin: ihre Meinung ſey gewiß nicht, daß es auf das Verſtummen der Zunge, das Niederſchlagen der Augen, die rauhe Kleidung ankomme, ſondern auf die reine Seele.
Ueberhaupt war das Haus Colonna, namentlich Ves - paſiano, Herzog zu Palliano und deſſen Gemahlin, Julia Gonzaga, dieſelbe, die fuͤr die ſchoͤnſte Frau in Italien ge -140Buch II. Regeneration des Katholicismus.golten hat, dieſer Bewegung gewogen. Ein Buch des Val - dez war der Julia gewidmet.
Aber uͤberdieß hatte dieſe Lehre in den mittlern Staͤn - den einen ungemeinen Fortgang. Der Bericht der Inqui - ſition ſcheint faſt zu uͤbertreiben, wenn er 3000 Schulleh - rer zaͤhlen will, die derſelben angehangen. Doch auch eine mindere Anzahl, wie tief mußte ſie auf Jugend und Volk wirken!
Um nicht viel geringer mochte die Theilnahme ſeyn, die dieſe Lehre in Modena fand. Der Biſchof ſelbſt, Mo - rone, ein genauer Freund von Poole und Contarini, be - guͤnſtigte ſie: auf ſein ausdruͤckliches Geheiß ward das Buch von der Wohlthat Chriſti gedruckt und in vielen Exemplaren verbreitet; ſein Capellan, Don Girolamo da Modena, war der Vorſteher einer Akademie, in welcher die nemlichen Grundſaͤtze herrſchten1)In Schelhorn’s Amoenitatt. Literar. Tom. XII, p. 564 findet man die articuli contra Moronum, welche Vergerio im J. 1558 herausgab, wieder abgedruckt, in denen auch dieſe Beſchuldigungen nicht fehlen. Die genauern Notizen nahm ich aus dem Compendium der Inquiſitoren..
Es iſt von Zeit zu Zeit von den Proteſtanten in Ita - lien die Rede geweſen, und wir haben ſchon mehrere Na - men genannt, die in den Verzeichniſſen derſelben vorkom - men. Und gewiß hatten in dieſen Maͤnnern einige Ueber - zeugungen Wurzel gefaßt, welche in Deutſchland herrſchend wurden; ſie ſuchten die Lehre auf das Zeugniß der Schrift zu gruͤnden, in dem Artikel von der Rechtfertigung ſtreiften ſie nahe an die lutheriſchen Meinungen hin. Allein daß ſie dieſelben auch in allen andren Stuͤcken getheilt haͤtten,141Analogien des Proteſtantismus in Italien.kann man nicht ſagen: allzutief war das Gefuͤhl der Ein - heit der Kirche, die Verehrung fuͤr den Papſt ihren Ge - muͤthern eingepraͤgt; und gar manche katholiſche Gebraͤuche hingen zu genau mit der nationalen Sinnesweiſe zuſam - men, als daß man ſich ſo leicht von ihnen entfernt haͤtte.
Flaminio verfaßte eine Pſalmenerklaͤrung, deren dog - matiſcher Inhalt von proteſtantiſchen Schriftſtellern gebil - ligt worden iſt: aber eben dieſelbe verſah er mit einer Zu - eignung, in welcher er den Papſt „ den Waͤchter und Fuͤr - ſten aller Heiligkeit, den Statthalter Gottes auf Erden “nannte.
Giovan Battiſta Folengo ſchreibt die Rechtfertigung allein der Gnade zu: er redet ſogar von dem Nutzen der Suͤnde, was nicht weit von der Schaͤdlichkeit der guten Werke entfernt iſt; lebhaft eifert er wider das Vertrauen auf Faſten, haͤufiges Gebet, Meſſe und Beichte, ja auf den Prieſterſtand ſelber, Tonſur und Mitra1)Ad Psalm. 67, f. 246. Man findet einen Auszug aus die - ſen Erklaͤrungen in des Gerdesius Italia reformata p. 257 — 261.; dennoch iſt er in dem nemlichen Benedictinerkloſter, in welchem er in ſeinem 16ten Jahre eingekleidet worden, ungefaͤhr in dem ſechzigſten ruhig geſtorben2)Thuani Historiae ad a. 1559. I, 473..
Nicht viel anders ſtand es lange Zeit mit Bernardino Ochino. Glauben wir ſeinen eigenen Worten, ſo war es von Anfang ein tiefes Verlangen, wie er ſich ausdruͤckt, „ nach dem himmliſchen Paradieſe, das durch die goͤttliche Gnade erworben wird, “was ihn dahin brachte, Francis - caner zu werden. Sein Eifer war ſo gruͤndlich, daß er142Buch II. Regeneration des Katholicismus.gar bald zu den ſtrengeren Bußuͤbungen der Capuziner uͤbertrat. In dem dritten und noch einmal in dem vierten Capitel dieſes Ordens ward er zum General deſſelben er - nannt; ein Amt, das er mit außerordentlichem Beifall ver - waltete. So ſtreng aber auch ſein Leben war: — er ging immer zu Fuß: er ſchlief auf ſeinem Mantel: nie trank er Wein: auch andren ſchaͤrfte er vor allem das Gebot der Armuth ein, als das vornehmſte Mittel, die evange - liſche Vollkommenheit zu erwerben, — ſo ward er doch nach und nach von dem Lehrſatz der Rechtfertigung durch die Gnade uͤberzeugt und durchdrungen. Auf das eindring - lichſte trug er ſie in dem Beichtſtuhl und auf der Kanzel vor. „ Ich eroͤffnete ihm mein Herz “, ſagt Bembo, „ wie ich es vor Chriſto ſelber thun wuͤrde; mir kam es vor, als haͤtte ich nie einen heiligeren Mann geſehen. “ Zu ſei - nen Predigten ſtroͤmten die Staͤdte zuſammen: die Kirchen waren zu klein: die Gelehrten und das Volk, beide Ge - ſchlechter, alt und jung, alle wurden befriedigt. Seine rauhe Kleidung, ſein bis auf die Bruſt herabhaͤngender Bart, ſeine grauen Haare, ſein bleiches mageres Geſicht und die Schwaͤche, die von ſeinem hartnaͤckigen Faſten her - kam, gaben ihm den Ausdruck eines Heiligen1)Boverio: Annali di frati minori Capuccini I, 375. Gra - tiani Vie de Commendone p. 143..
Und ſo gab es noch eine Linie innerhalb des Katho - licismus, welche von den Analogien der neuen Meinungen nicht uͤberſchritten wurde. Mit Prieſterthum und Moͤnchs - weſen ſetzte man ſich in Italien nicht geradezu in Streit; das Primat des Papſtes anzugreifen, war man weit ent -143Analogien des Proteſtantismus in Italien.fernt. Wie haͤtte auch z. B. ein Poole nicht daran feſt - halten ſollen, nachdem er aus England gefluͤchtet war, um nicht in ſeinem Koͤnige das Haupt der engliſchen Kirche verehren zu muͤſſen? Sie meinten, wie Ottonel Vida, ein Schuͤler Vergerios, dieſem ſelber erklaͤrt, „ in der chriſtlichen Kirche habe jeder ſein Amt, der Biſchof die Seelſorge der Einwohner ſeiner Dioͤces, die er vor der Welt und dem Boͤſen zu beſchuͤtzen habe: der Metropolitan muͤſſe darauf achten, daß von den Biſchoͤfen Reſidenz gehalten werde; die Metropolitane ſeyen dann wieder dem Papſt unterwor - fen, dem die allgemeine Verwaltung der Kirche aufgetragen ſey, die er mit heiligem Geiſte leiten ſolle. Seines Amtes muͤſſe ein Jeder warten “1)Ottonello Vida Dot. al Vescovo Vergerio; lettere vol - gari I, 80.. Die Abſonderung von der Kirche hielten dieſe Maͤnner fuͤr das aͤußerſte Uebel. Iſi - doro Clario, ein Mann, der mit Huͤlfe proteſtantiſcher Ar - beiten die Vulgata verbeſſert, und dazu eine Einleitung geſchrieben hat, welche einer Expurgation unterworfen wor - den iſt, mahnte die Proteſtanten in einer eigenen Schrift von einem ſolchen Vorhaben ab. „ Kein Verderben, “ſagt er, „ koͤnne ſo groß ſeyn, um zu einem Abfall von dem ge - heiligten Verein zu berechtigen. Sey es nicht beſſer, das - jenige, was man habe, zu reſtauriren, als ſich unſicheren Verſuchen, etwas Anderes hervorzubringen, anzuvertrauen? Nur darauf ſolle man ſinnen, wie das alte Inſtitut zu verbeſſern und von ſeinen Fehlern zu befreien ſey. “
Unter dieſen Modificationen gab es eine große Anzahl von Anhaͤngern der neuen Lehre in Italien. Antonio dei144Buch II. Regeneration des Katholicismus.Pagliarici zu Siena, der ſelbſt fuͤr den Urheber des Buchs von der Wohlthat Chriſti gehalten worden, Carneſecchi aus Florenz, welcher als ein Anhaͤnger und Verbreiter deſ - ſelben in Anſpruch genommen ward, Giovan Battiſta Rotto zu Bologna, welcher an Morone, Poole und Vittoria Co - lonna Beſchuͤtzer hatte und Mittel fand, die Aermſten un - ter ſeinen Anhaͤngern mit Geld zu unterſtuͤtzen; Fra An - tonio von Volterra und faſt in jeder Stadt von Italien irgend ein bedeutender Menſch ſchloſſen ſich ihr an1)Der Auszug aus dem Compendium der Inquiſitoren iſt hieruͤber unſere Quelle. Bologna, ſagt es z. B., fu in molti peri - coli perchè vi furono heretici principali fra quali fu un Gio Ba. Rotto, il quale haveva amicizia et appoggio di persone po - tentissime, come di Morone, Polo, Marchesa di Pescara e rac - coglieva danari a tutto suo potere e gli compartiva tra gli he - retici occulti e poveri, che stavano in Bologna, abjurò poi nelle mani del padre Salmerone (des Jeſuiten) per ordine del legato di Bologna (Compend. fol. 9. c. 94.). So werden alle Staͤdte durchgegangen.. Es war eine Meinung, entſchieden religioͤs, kirchlich ge - maͤßigt, welche das ganze Land von einem Ende bis zu dem andern in allen Kreiſen in Bewegung ſetzte.
Man legt Poole die Aeußerung in den Mund, der Menſch habe ſich mit der inneren Einſicht zu begnuͤgen, ohne ſich viel darum zu kuͤmmern, ob es in der KircheIrr -145Verſuche innerer Reformen.Irrthuͤmer und Mißbraͤuche gebe1)Stelle aus Atanagi bei M’Crie: Reformation in Ita - lien. D. Ueb. S. 172.. Aber grade von einer Seite, der er ſelber angehoͤrte, kam der erſte Verſuch einer Verbeſſerung.
Es iſt vielleicht die ruͤhmlichſte That Pauls III., mit der er gleich ſeine Thronbeſteigung bezeichnete, daß er einige ausgezeichnete Maͤnner, ohne andere Ruͤckſicht als auf ihr Verdienſt, in das Collegium der Cardinaͤle berief. Mit jenem Venezianer Contarini begann er und dieſer ſoll die Uebrigen in Vorſchlag gebracht haben. Es waren Maͤn - ner von unbeſcholtenen Sitten, die im Rufe der Gelehr - ſamkeit und Froͤmmigkeit ſtanden, denen die Beduͤrfniſſe der verſchiedenen Laͤnder bekannt ſeyn mußten: Caraffa, der ſich lange in Spanien und den Niederlanden aufgehalten; Sa - dolet, Biſchof zu Carpentras in Frankreich; Poole, fluͤch - tig aus England; Giberto, der, nachdem er lange an der Leitung der allgemeinen Angelegenheiten Theil gehabt, ſein Bisthum Verona muſterhaft verwaltete; Federigo Fregoſo, Erzbiſchof von Salerno; faſt alle, wie wir ſehen, Mitglie - der jenes Oratoriums der goͤttlichen Liebe: Mehrere in der nach dem Proteſtantismus neigenden religioͤſen Richtung2)Vita Reginaldi Poli in der Ausgabe der Briefe deſſelben von Quirini Tom. I, p. 12. Florebelli de vita Jacobi Sadoleti Commentarius vor den Epp. Sadoleti Col. 1590 vol. 3..
Eben dieſe Cardinaͤle waren es nun, welche auf Be - fehl des Papſtes einen Entwurf kirchlicher Reformen aus - arbeiteten. Er wurde den Proteſtanten bekannt und ſie haben ihn nicht ohne Wegwerfung verſpottet. Sie waren frei -10146Buch II. Regeneration des Katholicismus.lich indeſſen um vieles weiter geſchritten. Aber fuͤr die katholiſche Kirche lag, es iſt ſchwerlich zu leugnen, eine außerordentliche Bedeutung darin, daß man das Uebel in Rom ſelbſt angriff, daß man einem Papſt gegenuͤber, den Paͤpſten vorwarf, wie es in dem Eingange zu dieſer Schrift heißt, „ ſich haͤufig Diener gewaͤhlt zu haben, nicht um von ihnen zu lernen, was ihre Pflicht erheiſche, ſondern um ſich das fuͤr erlaubt erklaͤren zu laſſen, wonach ihre Begierden getrachtet, “daß man einen ſolchen Mißbrauch der hoͤchſten Gewalt fuͤr die vornehmſte Quelle des Ver - derbens erklaͤrte1)Es iſt das ſchon angefuͤhrte Consilium delectorum Cardi - nalium et aliorum praelatorum de emendanda ecclesia. Von Contarini, Caraffa, Sadolet, Poole, Fregoſo, Giberto, Corteſe und Aleander unterzeichnet..
Und hierbei blieb man nicht ſtehen. Es ſind einige kleine Schriften von Gaspar Contarini uͤbrig, in denen er vor allem denjenigen Mißbraͤuchen, welche der Curie Gewinn brachten, den lebhafteſten Krieg macht. Den Gebrauch der Compoſitionen — daß man nemlich fuͤr die Verleihung ſelbſt geiſtlicher Gnaden ſich Geld zahlen ließ — erklaͤrt er fuͤr Simonie, die man fuͤr eine Art von Ketzerei halten koͤnne. Man fand es uͤbel gethan, daß er fruͤhere Paͤpſte tadle. „ Wie, “ruft er aus, „ ſollen wir uns ſo ſehr um den Namen von drei, vier Paͤpſten kuͤmmern, und nicht lieber verbeſſern was verunſtaltet iſt, und uns ſelber einen guten Namen erwerben? In der That, es waͤre viel ge - fordert, alle Thaten aller Paͤpſte zu vertheidigen! “ Den Mißbrauch der Dispenſationen greift er auf das ernſt -147Verſuche innerer Reformen.lichſte, nachdruͤcklichſte an. Er findet es goͤtzendieneriſch, zu ſagen, was wirklich behauptet wurde, der Papſt habe fuͤr Feſtſetzung und Aufhebung des poſitiven Rechts keine an - dere Norm als ſeinen Willen. Es iſt der Muͤhe werth, ihn hieruͤber zu hoͤren. „ Chriſti Geſetz, “ſagt er, „ iſt ein Geſetz der Freiheit und verbietet eine ſo grobe Knecht - ſchaft, welche die Lutheraner ganz Recht haͤtten mit der babyloniſchen Gefangenſchaft zu vergleichen. Aber auch uͤberdieß kann wohl das eine Regierung heißen, deren Re - gel der Wille eines Menſchen iſt der von Natur zum Boͤſen neigt und von unzaͤhligen Affecten bewegt wird? Nein! alle Herrſchaft iſt eine Herrſchaft der Vernunft. Sie hat den Zweck, diejenigen, die ihr unterworfen ſind, durch die rechten Mittel zu ihrem Ziele, dem Gluͤck zu fuͤhren. Auch die Autoritaͤt des Papſtes iſt eine Herrſchaft der Ver - nunft: Gott hat ſie dem heiligen Peter und deſſen Nach - folgern verliehen, um die ihnen anvertraute Heerde zur ewi - gen Seligkeit zu leiten. Ein Papſt muß wiſſen, daß es freie Menſchen ſind, uͤber die er ſie ausuͤbt. Nicht nach Be - lieben ſoll er befehlen oder verbieten oder dispenſiren, ſon - dern nach der Regel der Vernunft, der goͤttlichen Gebote, und der Liebe: einer Regel, die alles auf Gott und das gemeine Beſte bezieht. Denn nicht die Willkuͤhr giebt die poſitiven Geſetze. Sie werden gegeben, indem man das natuͤrliche Recht und die goͤttlichen Gebote mit den Um - ſtaͤnden zuſammenhaͤlt; nur nach denſelben Geſetzen und der unabweislichen Forderung der Dinge koͤnnen ſie geaͤn - dert werden. “— „ Deine Heiligkeit, “ruft er Paul III. zu, „ trage Sorge, von dieſer Regel nicht abzuweichen. 10*148Buch II. Regeneration des Katholicismus.Wende dich nicht zu der Ohnmacht des Willens, welche das Boͤſe waͤhlt, zu der Knechtſchaft, die der Suͤnde dient. Dann wirſt du maͤchtig, dann frei werden; dann wird in dir das Leben der chriſtlichen Republik enthalten ſeyn “1)G. Contarini Cardinalis ad Paulum III. P. M. de po - testate pontificis in compositionibus. Gedruckt bei Roccaberti Bibliotheca Pontificia Maxima Tom. XIII. In meinen Haͤnden iſt noch ein Tractatus de compositionibus datarii Revmi D. Gas - paris Contareni, 1536, von dem ich nicht finden kann, daß er ir - gendwo gedruckt ſey..
Ein Verſuch, wie wir ſehen, ein rationelles Papſtthum zu gruͤnden. Um ſo merkwuͤrdiger, weil es von derſelben Lehre uͤber die Juſtification und den freien Willen ausgeht, die dem proteſtantiſchen Abfall zur Grundlage gedient hat. Wir vermuthen dieß nicht allein, weil Contarini dieſe Mei - nungen hegte, er ſagt es ausdruͤcklich. Er fuͤhrt aus, daß der Menſch zum Boͤſen neige: dieß komme von der Ohn - macht des Willens her, welcher, ſobald er ſich zu dem Boͤſen wende, mehr im Leiden als im Thun begriffen ſey; nur durch Chriſti Gnade werde er frei. Er erkennt demnach wohl die paͤpſtliche Gewalt an, doch fordert er von ihr die Richtung auf Gott und das allgemeine Beſte.
Contarini legte ſeine Schriften dem Papſte vor. Im November 1538 fuhr er mit ihm an einem heitern Tage nach Oſtia. „ Da auf dem Wege, “ſchreibt er an Poole, „ hat mich dieſer unſer gute Alte bei Seite genommen und mit mir allein uͤber die Reform der Compoſitionen gere - det. Er ſagte, den kleinen Aufſatz, den ich daruͤber ge - ſchrieben, habe er bei ſich und in den Morgenſtunden habe er ihn geleſen. Ich hatte bereits alle Hoffnung aufgege -149Verſuche innerer Reformen.ben. Jetzt hat er aber ſo chriſtlich mit mir geredet, daß ich neue Hoffnung gefaßt habe, Gott werde etwas Gro - ßes ausrichten und die Pforten der Hoͤlle ſeinen Geiſt nicht uͤberwaͤltigen laſſen. “1)Gaspar C. Contarenus Reginaldo C. Polo. Ex ostiis Tiberinis XI. Nov. 1538. (Epp. Poli II. 142). .
Es iſt leicht zu erachten, daß eine durchgreifende Ver - beſſerung der Mißbraͤuche, an die ſich ſo viel perſoͤnliche Rechte und Anſpruͤche, ſo viele Gewohnheiten des Lebens knuͤpften, das Schwerſte von allem war, was man unter - nehmen konnte. Indeß ſchien Papſt Paul nach und nach ernſtlich daran gehen zu wollen.
So ernannte er Commiſſionen zur Ausfuͤhrung der Reformen2)Acta consistorialia (6. Aug. 1540) bei Rainaldus Anna - les ecclesiastici Tom. XXI, p. 146., — fuͤr Kammer, Ruota, Kanzlei und Peni - tenziaria —; auch Giberti berief er wieder zu ſich. Es er - ſchienen reformatoriſche Bullen: zu dem allgemeinen Conci - lium, das Papſt Clemens ſo ſehr gefuͤrchtet und geflohen hatte, das auch Paul III. in ſeinen Privatverhaͤltniſſen manchen Anlaß finden konnte zu vermeiden, machte man Anſtalt.
Wie nun, wenn in der That die Verbeſſerungen Statt fanden, der roͤmiſche Hof ſich reformirte, die Miß - braͤuche der Verfaſſung abgeſtellt wurden? Wenn dann das nemliche Dogma, von welchem Luther ausgegangen, das Prinzip einer Erneuerung im Leben und Lehre ward? Waͤre da nicht eine Ausſoͤhnung moͤglich geweſen? Denn auch die Proteſtanten riſſen ſich nur langſam und wider - ſtrebend von der Einheit der Kirche los.
150Buch II. Regeneration des Katholicismus.Vielen ſchien es moͤglich; auf die Religionsgeſpraͤche ſetzten nicht Wenige eine ernſtliche Hoffnung.
Der Theorie nach haͤtte ſie der Papſt nicht billigen ſollen, da ſie nicht ohne Einwirkung der weltlichen Gewalt Religionsſtreitigkeiten zu entſcheiden ſuchten, uͤber die er ſelber das oberſte Erkenntniß in Anſpruch nahm. Auch verwahrte er ſich wohl; jedoch ließ er ſie vor ſich gehen und ſendete ſeine Abgeordneten dazu.
Er ging dabei mit vieler Behutſamkeit zu Werke: er waͤhlte immer gemaͤßigte Maͤnner: Leute, die ſpaͤter in vie - len Faͤllen ſelbſt in den Verdacht des Proteſtantismus ge - rathen ſind. Fuͤr ihr Leben und politiſches Verhalten gab er ihnen uͤberdieß verſtaͤndige Anweiſungen.
Als er z. B. Morone’n, der noch jung war, im Jahre 1536 nach Deutſchland ſchickte, verſaͤumte er nicht, ihm anzuempfehlen, „ er ſolle keine Schulden machen, in den angewieſenen Herbergen bezahlen, ſich ohne Luxus, ſo wie ohne Armſeligkeit kleiden: zwar die Kirche beſuchen, aber ja ohne den Schein der Heuchelei. “ Er ſollte die roͤmiſche Reform, von der ſo viel die Rede geweſen, in ſeiner Perſon darſtellen: eine durch Heiterkeit gemaͤßigte Wuͤrde empfahl man ihm an1)Instructio pro causa fidei et concilii data episcopo Mu - tinae. 24 Oct. 1536. Ms. . Im Jahre 1540 hatte der Biſchof von Wien zu einem aͤußerſten Schritte gerathen. Man ſollte, meinte derſelbe, den Neuglaͤubigen die fuͤr ketzeriſch erklaͤrten Artikel Luthers und Melanchthons vor - legen, und ſie kurzweg fragen, ob ſie von denſelben abzu - ſtehen geneigt ſeyen. Zu einer ſolchen Maaßregel jedoch151Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.wies der Papſt ſeinen Nunzius mit nichten an. „ Sie wuͤrden eher ſterben, fuͤrchten wir, “ſagt er, „ als einen ſolchen Widerruf leiſten. “ Er wuͤnſcht nur, eine Hoffnung der Ausſoͤhnung zu ſehen. Bei dem erſten Strahl derſel - ben will er eine nicht beleidigende Formel ſenden, die von weiſen und wuͤrdigen Maͤnnern bereits hierzu entworfen worden. „ Waͤre es doch ſchon dahin! Kaum duͤrfen wir es erwarten “1)Instructiones pro Revmo. D. ep. Mutinensi Apostolico Nuncio interfuturo conventui Germanorum Spirae 12 Maji 1540 celebrando. „ Timendum est atque adeo certo sciendum, ista, quae in his articulis pie et prudenter continentur, non solum fretos salvo conductu esse eos recusaturos verum etiam ubi mors praesens immineret, illam potius praeelecturos. “!
Niemals aber war man naͤher bei einander, als bei dem Regensburger Geſpraͤch im Jahre 1541. Die politi - ſchen Verhaͤltniſſe lagen ausnehmend vortheilhaft. Der Kaiſer, welcher ſich der Kraft des Reiches zu einem Tuͤr - kenkrieg oder wider Frankreich zu bedienen hatte, wuͤnſchte nichts dringender, als eine Ausſoͤhnung. Er waͤhlte die verſtaͤndigſten, gemaͤßigtſten Maͤnner unter den katholiſchen Theologen, Gropper und Julius Pflug, zu dem Geſpraͤch aus. Auf der andern Seite ſtand Landgraf Philipp wie - der gut mit Oeſtreich; er hoffte die oberſte Anfuͤhrung in dem Kriege, zu dem man ſich ruͤſtete, zu erhalten; mit Bewunderung und Vergnuͤgen ſah ihn der Kaiſer auf ſei - nem praͤchtigen Hengſt, kraͤftig wie der, in Regensburg einreiten. Der friedfertige Bucer, der beugſame Melanch - thon erſchienen von der proteſtantiſchen Seite.
Wie ſehr auch der Papſt einen gluͤcklichen Erfolg152Buch II. Regeneration des Katholicismus.wuͤnſche, zeigte ſchon die Wahl des Legaten, den er ſen - dete, eben jenes Gaspar Contarini, den wir in die neue Richtung, welche Italien genommen, ſo tief verflochten, den wir bei dem Entwurfe allgemeiner Reformen ſo thaͤtig geſehen. Jetzt trat er in eine noch bedeutendere Stelle, in die Mitte zwiſchen zwei Meinungen und Parteien, welche die Welt ſpalteten: in einem vortheilhaften Moment: mit dem Auftrag und der Ausſicht, ſie zu verſoͤhnen; — eine Stelle, die uns, wenn nicht die Pflicht auflegt, doch die Erlaubniß giebt, ſeine Perſoͤnlichkeit naͤher zu betrachten.
Meſſer Gaspar Contarini, der aͤlteſte Sohn aus ei - nem adlichen Hauſe in Venedig, das nach der Levante han - delte, hatte ſich beſonders philoſophiſchen Studien gewid - met. Es iſt nicht unmerkwuͤrdig, wie er dieß that. Er be - ſtimmte den Tag drei Stunden fuͤr die eigentlichen Stu - dien; nie wandte er weniger, nie auch mehr darauf; er begann alle Mal mit genauer Wiederholung; er brachte es in jeder Disciplin bis zu ihrem Ende: nie uͤberſprang er eine1)Joannis Casae Vita Gasparis Contarini: in Jo. Casae Monimentis latinis ed. Hal. 1708. p. 88..
Von den Subtilitaͤten der Ausleger des Ariſtoteles ließ er ſich nicht zu aͤhnlichen Spitzfindigkeiten fortreißen: er fand, nichts ſey ſcharfſinniger als die Unwahrheit.
Er zeigte das entſchiedenſte Talent, doch noch groͤßere Feſtigkeit. Nach dem Schmuck der Rede trachtete er nicht: er druͤckte ſich einfach aus, wie die Sache es forderte.
Wie die Natur in regelrechter Folge hervorbringt, Jahresring an Jahresring reihend, ſo entwickelte er ſich.
Als er, in ziemlich jungen Jahren, in den Rath der153Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.Pregadi, den Senat ſeiner Vaterſtadt, aufgenommen ward, wagte er eine Zeitlang nicht zu ſprechen: er haͤtte es ge - wuͤnſcht, er haͤtte etwas zu ſagen gehabt; doch konnte er ſich das Herz nicht faſſen; als er es endlich uͤber ſich ge - wann, ſprach er, zwar weder ſehr anmuthig, noch witzig, noch heftig und lebhaft, aber ſo einfach und gruͤndlich, daß er ſich das groͤßte Anſehn verſchaffte.
In die bewegteſten Zeiten war er gefallen. Er er - lebte, wie ſeine Vaterſtadt ihr Gebiet verlor, und trug ſelbſt dazu bei, daß ſie es wiedererwarb. Bei der erſten Ankunft Carls V. in Deutſchland ward er als Geſandter an ihn geſchickt; hier nahm er den Anfang der Kirchen - trennung wahr. Sie trafen in Spanien ein, als das Schiff Vittoria von der erſten Weltumſeglung zuruͤckkam1)Beccatello Vita del C. Contarini (Epp. Poli III. ) p. CIII. Es giebt auch eine beſondere Ausgabe, die aber nur aus dem Bande der Briefe herausgenommen iſt und dieſelben Seiten - zahlen hat.: das Raͤthſel, daß es einen Tag ſpaͤter eintraf, als es nach ſeinem Tagebuche haͤtte geſchehen ſollen, wußte er, ſo viel ich finde, zuerſt zu loͤſen. Den Papſt, zu dem er nach der Eroberung von Rom abgeordnet wurde, half er mit dem Kaiſer verſoͤhnen. Von ſeiner treffenden, eindringen - den Anſicht der Welt und ſeiner wohlverſtandenen Vater - landsliebe, iſt das Buͤchelchen uͤber die venezianiſche Ver - faſſung — ein ſehr unterrichtendes und wohlgefaßtes Werk - chen — und ſind die Relazionen uͤber ſeine Geſandtſchaf - ten, welche ſich hier und da handſchriftlich finden, helle Zeugniſſe2)Die erſte iſt von 1525, die andre von 1530. Vornehmlich.
154Buch II. Regeneration des Katholicismus.Eines Sonntags im Jahre 1535, als grade der große Rath verſammelt war und Contarini, der indeß in die wichtigſten Aemter gekommen, bei den Wahlurnen ſaß, traf die Nachricht ein, Papſt Paul, den er nicht kannte, zu dem er keinerlei Verhaͤltniß hatte, habe ihn zum Cardinal er - nannt. Alles eilte herbei, um ihn, den Ueberraſchten, der es nicht glauben wollte, zu begluͤckwuͤnſchen. Aluiſe Mo - cenigo, der ihm bisher in den Staatsgeſchaͤften die Wi - derpart gehalten, rief aus, die Republik verliere ihren be - ſten Buͤrger1)Daniel Barbaro an Domenico Veniero; Lettere volgari I, 73..
Fuͤr ihn jedoch hatte dieß ehrenvolle Gluͤck auch eine minder erfreuliche Seite. Sollte er die freie Vaterſtadt verlaſſen, die ihm ihre hoͤchſten Wuͤrden und auf jeden Fall einen Wirkungskreis in voͤlliger Gleichheit mit den Haͤuptern des Staates darbot, um in den Dienſt eines oft leidenſchaftlichen, durch keine bindenden Geſetze einge - ſchraͤnkten Papſtes zu treten? Sollte er ſich aus ſeiner altvaͤteriſchen Republik entfernen, deren Sitten den ſeinen entſprachen, um ſich in dem Luxus und Glanz des roͤmiſchen Hofes mit den Uebrigen zu meſſen? Hauptſaͤchlich hat ihn, wie man verſichert, die Betrachtung, daß in ſo ſchwieri - gen Zeiten das Beiſpiel der Verachtung einer ſo hohen Wuͤrde, eine ſchaͤdliche Wirkung haben werde, dazu be - ſtimmt, ſie anzunehmen2)Casa p. 102..
Den ganzen Eifer nun, den er bisher ſeiner Vater - ſtadt gewidmet, wandte er ſeitdem auf die allgemeinen An - gelegenheiten der Kirche. Oft hatte er die Cardinaͤle gegen ſich, die es ſeltſam fanden, daß ein kaum Angekommener, ein Venezianer den roͤmiſchen Hof reformiren wolle: zuwei - len auch den Papſt. Er widerſetzte ſich einſt der Ernen - nung eines Cardinals. „ Wir wiſſen, “ſagte der Papſt, „ wie man in dieſen Gewaͤſſern ſchifft: die Cardinaͤle lieben es nicht, daß ihnen ein andrer an Ehre gleich werde. “ Betroffen ſagte Contarini: „ ich glaube nicht, daß der Car - dinalhut meine groͤßte Ehre iſt. “
Auch hier behauptete er ſich in ſeiner Strenge, Einfach - heit, Thaͤtigkeit: in der Wuͤrde und Milde ſeiner Geſinnung.
Die Natur laͤßt das einfach gegliederte Gewaͤchs nicht ohne den Schmuck der Bluͤthe, in dem ſein Daſeyn ath - met und ſich mittheilt. In dem Menſchen iſt es die Ge - ſinnung, welche von allen hoͤhern Kraͤften ſeines Lebens zuſammen hervorgebracht wird, und ihm dann ſeine mo - raliſche Haltung, ſeiner Erſcheinung ihren Ausdruck ver - leiht. In Contarini war es Milde: innere Wahrheit: keuſche Sittlichkeit; beſonders die tiefere religioͤſe Ueber - zeugung, die den Menſchen begluͤckt, indem ſie ihn er - leuchtet.
Voll von dieſer Geſinnnung, gemaͤßigt, mit den Pro - teſtanten in dem wichtigſten Lehrſtuͤck faſt von der gleichen Anſicht, erſchien Contarini in Deutſchland; mit einer Re - generation der Lehre von eben dieſem Punkte aus, der Abſtellung der Mißbraͤuche hoffte er die Spaltung beilegen zu koͤnnen.
156Buch II. Regeneration des Katholicismus.Ob ſie aber nicht bereits zu weit gediehen war, ob die abweichenden Meinungen nicht bereits zu maͤchtig Wur - zel gefaßt hatten? Ich moͤchte daruͤber doch nicht ſofort entſcheiden.
Ein andrer Venezianer, Marin Giuſtiniano, der unſer Vaterland kurz vor dieſem Reichstag verließ, und die Lage der Dinge ſorgfaͤltig beobachtet zu haben ſcheint, ſchildert es wenigſtens als ſehr moͤglich1)Relazione del clarmo. M. Marino Giustinian Kavr. (ri - tornato) dalla legazione di Germania sotto Ferdinando, re di Romani. Bibl. Corsini zu Rom nr. 481.. Nur ſeyen, findet er, einige bedeutende Zugeſtaͤndniſſe unerlaͤßlich. Er macht folgende namhaft. „ Der Papſt duͤrfe nicht mehr als Chriſti Stellvertreter im Weltlichen wie im Geiſtlichen an - geſehen werden wollen — den ungelehrten und laſterhaften Biſchoͤfen und Prieſtern muͤſſe man Subſtituten ſetzen, un - tadelhaft in ihrem Leben und faͤhig das Volk zu unterrich - ten — weder Verkauf der Meſſe noch Anhaͤufung der Pfruͤn - den, noch den Mißbrauch der Compoſitionen duͤrfe man laͤnger dulden — die Uebertretung der Faſtengeſetze hoͤchſtens mit leichten Strafen belegen; — werde dann die Communion unter beiden Geſtalten und die Prieſterehe geſtattet, ſo werde man in Deutſchland ſofort aller Zwietracht abſagen, dem Papſt in geiſtlichen Dingen Obedienz leiſten, die Meſſe ge - ſchehen laſſen, die Ohrenbeichte zugeben, und ſogar die Nothwendigkeit der guten Werke, als einer Frucht des Glau - bens, inſofern ſie nemlich aus dem Glauben folgen, aner - kennen. Wie die Zwietracht aus den Mißbraͤuchen entſprun - gen, ſo werde ſie durch eine Abſtellung derſelben zu heben ſeyn. “
157Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.Hierbei erinnern wir uns, daß Landgraf Philipp von Heſſen ſchon das Jahr vorher erklaͤrt hatte, die weltliche Macht der Biſchoͤfe koͤnne geduldet werden, wofern man ein Mittel finde, auch die geiſtliche gebuͤhrend zu handha - ben; in Hinſicht der Meſſe koͤnne man ſich wohl verglei - chen, wenn nur beiderlei Geſtalt nachgelaſſen bleibe1)Schreiben des Landgrafen in Rommels Urkundenbuche p. 85. Vrgl. das Schreiben des Biſchofs von Lunden bei Seckendorf p. 299. Contarini al Cl. Farnese 1541. 28 April. (Epp. Poli III, p. CCLV.). Der Landgraf und der Churfuͤrſt forderten beide Prieſterehe und beiderlei Geſtalt; in Hinſicht des Primats zeigte ſich jener, in Hinſicht der Lehre, de missa quod sit sacrificium, zeigte ſich dieſer ſchwieriger.. Den paͤpſtlichen Primat, ohne Zweifel unter gewiſſen Be - dingungen, anzuerkennen erklaͤrte ſich Joachim von Bran - denburg bereitwillig. Indeſſen naͤherte man ſich auch von der andern Seite. Der kaiſerliche Botſchafter wiederholte, man muͤſſe von beiden Seiten nachlaſſen, ſo weit es nur immer mit Gottes Ehre moͤglich. Auch die Nicht-Prote - ſtirenden haͤtten es gern geſehen, wenn die geiſtliche Ge - walt den Biſchoͤfen, die zu eigentlichen Fuͤrſten geworden waren, in ganz Deutſchland abgenommen und an Super - intendenten uͤbertragen, wenn in Hinſicht der Verwendung der Kirchenguͤter eine allgemein guͤltige Veraͤnderung be - liebt worden waͤre. Man fing bereits an von neutralen Dingen zu reden, die man thun oder laſſen koͤnne, ſelbſt in geiſtlichen Churfuͤrſtenthuͤmern wurden Gebete fuͤr den guͤnſtigen Gang des Ausſoͤhnungswerkes veranſtaltet.
Wir wollen uͤber den Grad der Moͤglichkeit und Wahr - ſcheinlichkeit dieſes Gelingens nicht ſtreiten: ſehr ſchwer158Buch II. Regeneration des Katholicismus.blieb es allemal; aber wenn ſich auch nur eine geringe Ausſicht zeigte, ſo war es doch einen Verſuch werth; ſo viel ſehen wir, daß ſich noch einmal eine große Nei - gung zu einem ſolchen entwickelt hatte, daß ſich ungemeine Hoffnungen daran knuͤpften.
Nur fragte ſich, ob auch der Papſt, ohne den nichts geſchehen konnte, von der Strenge ſeiner Forderungen nach - zulaſſen geneigt ſey. Sehr merkwuͤrdig iſt in dieſer Hin - ſicht beſonders Eine Stelle der Inſtruction, mit der er Con - tarini entließ1)Instructio data Revmo. Cli. Contareno in Germaniam le - gato d. 28 Mensis Januarii 1541. In vielen Bibliotheken hand - ſchriftlich: gedruckt in Quirini: Epp. Poli III, CCLXXXVI. .
Die unumſchraͤnkte Vollmacht, auf welche von kaiſer - licher Seite gedrungen worden, hatte er demſelben nicht gewaͤhrt. Er vermuthet, es koͤnnten in Deutſchland For - derungen vorkommen, die kein Legat, die nicht einmal er, der Papſt ſelbſt, ohne Beirath der anderen Nationen zugeſte - hen duͤrfe. Doch weiſt er darum nicht alle Unterhandlung von ſich. Wir muͤſſen erſt ſehen, ſagt er, ob die Proteſtan - ten in den Principien mit uns uͤbereinkommen, z. B. uͤber den Primat des heiligen Stuhles, die Sacramente und einiges andere. Fragt man nun, was dieß Andere ſey, ſo druͤckt ſich der Papſt daruͤber nicht ganz deutlich aus. Er bezeichnet es als das, was ſowohl durch die heilige Schrift, als durch den immerwaͤhrenden Gebrauch der Kirche gebilligt worden: dem Legaten ſey es bekannt. Auf dieſe Grundlage, fuͤgt er hinzu, koͤnne man ſich dann uͤber alle Streitpunkte zu verſtaͤndigen ſuchen2)Videndum inprimis est, an Protestantes et ii qui ab eccle -.
159Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.Es iſt wohl keine Frage, daß dieſe unbeſtimmte Art des Ausdrucks mit Abſicht gewaͤhlt worden war; Paul III. mochte verſuchen wollen, wie weit Contarini es bringe, und ſich fuͤr die Ratification nicht im Voraus die Haͤnde zu binden Luſt haben. Zunaͤchſt ließ er dem Legaten einen gewiſſen Spielraum. Ohne Zweifel wuͤrde es dieſem neue Anſtrengungen gekoſtet haben, dasjenige der hartnaͤckigen Curie annehmlich zu machen, was man in Regensburg, unmoͤglich zu ihrer vollen Zufriedenheit, erreicht haͤtte; aber hierauf, auf eine Verſoͤhnung und Vereinigung der verſam - melten Theologen kam doch fuͤr’s Erſte alles an. Allzu ſchwankend war noch die vermittelnde Tendenz, ſie konnte noch nicht bei Namen genannt werden: erſt wenn ſie einen feſten Punkt gewann, ſo konnte ſie hoffen, ſich weiter gel - tend zu machen.
An dem 5. April 1541 begann man die Verhandlun - gen; einen von dem Kaiſer mitgetheilten, von Contarini nach einigen leichten Abaͤnderungen gebilligten Entwurf legte man dabei zu Grunde. Gleich hier hielt es der Legat fuͤr rathſam, von ſeiner Inſtruction einen Schritt abzuwei - chen. Der Papſt hatte vor allem andern die Anerkennung2)siae gremio defecerunt, in principiis nobiscum conveniant, cujus - modi est hujus sanctae sedis primatus, tanquam a deo et salva - tore nostro institutus, sacrosanctae ecclesiae sacramenta et alia quaedam, quae tum sacrarum litterarum autoritate, tum univer - salis ecclesiae perpetua observatione hactenus observata et com - probata fuere et tibi nota esse bene scimus, quibus statim initio admissis omnis super aliis controversiis concordia tenta - retur. Man muß hierbei nur immer die hoͤchſt orthodoxe, ihrer Natur nach inflexible Stellung eines Papſtes im Auge haben, um zu bemerken, wie viel in einer ſolchen Wendung liegt.160Buch II. Regeneration des Katholicismus.ſeines Primates gefordert. Contarini ſah wohl, daß an die - ſer Schwierigkeit, welche die Leidenſchaften ſo leicht in Be - wegung ſetzen konnte, der Verſuch in ſeinem Beginn ſchei - tern koͤnne. Er ließ geſchehen, daß von den zur Beſpre - chung vorgelegten Artikeln der das paͤpſtliche Primat be - treffende vielmehr der letzte wurde. Er hielt fuͤr beſſer, mit ſolchen anzufangen, in denen er und ſeine Freunde ſich den Proteſtanten naͤherten, ohnehin Punkten von der hoͤchſten Wichtigkeit, welche die Grundlage des Glaubens betrafen. An den Verhandlungen hieruͤber hatte er den groͤßten An - theil. Sein Secretaͤr verſichert, daß von den katholiſchen Theologen nichts beſchloſſen, ſelbſt keine einzelne Aenderung vorgenommen worden ſey, ohne daß man ihn vorher be - fragt haͤtte1)Beccatelli Vita del Cardinal Contarini p. CXVII. . Morone, Biſchof von Modena, Tomaſo da Modena, Maeſtro di ſacro palazzo, beides Maͤnner, die in dem Artikel der Juſtification der nemlichen Meinung waren, ſtanden ihm zur Seite2)Pallavicini IV, XIV, p. 433 aus den Briefen Contarini’s.. Die Hauptſchwierigkeit ſetzte ein deutſcher Theologe, jener alte Widerſacher Luthers, Doctor Eck, entgegen. Allein indem man denſelben noͤ - thigte, Punkt fuͤr Punkt zu beſprechen, brachte man auch ihn zuletzt zu genuͤgenden Erklaͤrungen. In der That ver - einigte man ſich — wer haͤtte es zu hoffen gewagt — in Kurzem uͤber die vier wichtigen Artikel von der menſchli - chen Natur, der Erbſuͤnde, der Erloͤſung und ſelbſt der Juſtification. Contarini geſtand den Hauptpunkt der lu - theriſchen Lehre zu, daß die Rechtfertigung des Menſchenohne161Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.ohne Verdienſt durch den Glauben allein erfolge; er fuͤgte nur hinzu, daß dieſer Glaube lebendig und thaͤtig ſeyn muͤſſe. Melanchthon bekannte, daß eben dieß die prote - ſtantiſche Lehre ſelber ſey1)Melanchthon an Camerar 10. Mai: (Epp. p. 360) „ ad sen - tiuntur justificari homines fide et quidem in eam sententiam ut nos docemus. “ Vgl. Planck: Geſch. d. proteſt. Lehrbegriffs III, II, 93.. Kuͤhnlich behauptet Bucer, in den verglichenen Artikeln ſey alles einbegriffen, „ was dazu gehoͤre, um vor Gott und in der Gemeinde gottſelig, gerecht und heilig zu leben “2)Alle Handlungen und Schriften, zu Vergleichung der Re - ligion durch die Kaiſerl. Majeſtaͤt ꝛc. verhandelt ao. 1541 durch Martinum Bucerum, bei Hortleder Buch I, Cap. 37. S. 280.. Eben ſo zufrieden war man auf der andern Seite. Der Biſchof von Aquila nennt dieß Colloquium heilig: er zweifelt nicht, daß es die Ver - ſoͤhnung der Chriſtenheit herbeifuͤhren werde. Mit Freu - den hoͤrten die gleichgeſinnten Freunde Contarini’s, wie weit er gekommen ſey. „ Wie ich dieſe Uebereinſtimmung der Meinung bemerkt, “ſchreibt ihm Poole, „ habe ich ein Wohlgefuͤhl empfunden, wie es mir keine Harmonie der Toͤne haͤtte verſchaffen koͤnnen. Nicht allein weil ich Friede und Eintracht kommen ſehe, ſondern auch weil dieſe Artikel die Grundlage des geſammten chriſtlichen Glaubens ſind. Zwar ſcheinen ſie von mancherlei zu handeln, von Glau - ben, Werken und Rechtfertigung: auf dieſe jedoch, die Recht - fertigung, gruͤndet ſich alles uͤbrige, und ich wuͤnſche dir Gluͤck, ich danke Gott, daß die Theologen beider Par - teien ſich daruͤber vereinigt haben. Wir hoffen, er, der ſo barmherzig angefangen hat, wird es auch vollenden “3)Polus Contareno. Capranicae 17 Maji 1541. Epp. .
11162Buch II. Regeneration des Katholicismus.Ein Moment, wenn ich nicht irre, fuͤr Deutſchland, ja fuͤr die Welt von weſentlicher Bedeutung. Fuͤr jenes: die Punkte, die wir beruͤhrt haben, ſchließen die Abſicht ein, die geſammte geiſtliche Verfaſſung der Nation zu aͤndern, und ihr dem Papſt gegenuͤber eine freiere, ſeiner weltlichen Eingriffe uͤberhobene, ſelbſtſtaͤndige Stellung zu geben. Die Einheit der Kirche, und mithin der Nation waͤre behauptet worden. Unendlich viel weiter aber wuͤrde der Erfolg nachgewirkt haben. Wenn die gemaͤßigte Par - tei, von welcher dieſe Verſuche ausgingen und geleitet wur - den, in Rom und Italien die Oberhand zu behaupten ver - ſtand, welch eine ganz andere Geſtalt haͤtte auch die ka - tholiſche Welt annehmen muͤſſen!
Allein ein ſo ungemeines Reſultat ließ ſich nicht ohne lebhaften Kampf erreichen.
Was zu Regensburg beſchloſſen worden, mußte auf der einen Seite durch die Billigung des Papſtes, auf der andern durch die Beiſtimmung Luthers, an den man ſogar eine eigene Geſandtſchaft abordnete, beſtaͤtigt werden.
Aber ſchon hier zeigten ſich viele Schwierigkeiten. Luther konnte ſich nicht uͤberzeugen, daß auch auf der an - dern Seite die Lehre von der Juſtification Wurzel ge -3)Poli T. III, p. 25. Merkwuͤrdig ſind auch die Briefe jenes Bi - ſchofs von Aquila bei Rainaldus 1541 Nr. 11. 12. Man meinte, wenn man nur noch uͤber den Punkt vom Abendmahl wegkomme, ſo werde ſich alles andre beſeitigen laſſen. Id unum est, quod omnibus spem maximam facit, assertio caesaris se nullo pacto, nisi rebus bene compositis discessurum atque etiam, quod omnia scitu consiliisque revm̱i̱ legati in colloquio a nostris theologis tractantur et disputantur. 163Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.faßt habe. Seinen alten Gegner hielt er mit Recht fuͤr unverbeſſerlich, und doch war dieſer auch hierbei thaͤtig ge - weſen. In den verglichenen Artikeln ſieht Luther nichts als ein Stuͤckwerk, zuſammengeſetzt aus beiden Meinun - gen: er, der ſich immer im Kampfe zwiſchen Himmel und Hoͤlle erblickte, glaubte auch hier das Treiben des Satans zu erkennen. Seinem Herrn, dem Churfuͤrſten, rieth er auf das dringendſte ab, den Reichstag perſoͤnlich zu beſuchen. „ Grade er ſey der, den der Teufel ſuche “1)Luther an Joh. Friedrich in de Wette’s Sammlung V, 353.. Auf das Er - ſcheinen und die Beiſtimmung des Churfuͤrſten waͤre in der That unendlich viel angekommen.
Indeſſen waren dieſe Artikel auch nach Rom gelangt. Sie erregten ein ungemeines Aufſehn. An der Erklaͤrung uͤber die Rechtfertigung nahmen beſonders die Cardinaͤle Caraffa und San Marcello großen Anſtoß, und nur mit Muͤhe konnte ihnen Priuli den Sinn derſelben deutlich machen2)Ich kann es Quirini nicht vergeben, daß er den Brief Priu - li’s uͤber dieſe Verhaͤltniſſe, den er in Haͤnden hatte, nicht vollſtaͤn - dig mitgetheilt hat.. So entſchieden jedoch druͤckte ſich der Papſt nicht ſogleich aus, wie Luther. Cardinal Farneſe ließ an den Legaten ſchreiben: Seine Heiligkeit billige weder noch mißbillige ſie dieſen Schluß. Aber alle Anderen, die ihn geſehen, ſeyen der Meinung, vorausgeſetzt, daß der Sinn deſſelben mit dem katholiſchen Glauben uͤbereinſtimme, ſo koͤnnten die Worte doch deutlicher ſeyn.
Aber ſo ſtark auch dieſe theologiſche Oppoſition ſeyn mochte, ſo war ſie doch weder die einzige noch vielleicht11*164Buch II. Regeneration des Katholicismus.die wirkſamſte. Noch eine andre kam von der politiſchen Seite her.
Eine Verſoͤhnung, wie man ſie vorhatte, wuͤrde Deutſch - land eine ungewohnte Einheit, und dem Kaiſer, der ſich deren haͤtte bedienen koͤnnen, eine außerordentliche Macht verliehen haben1)Es gab immer eine kaiſerliche Partei, welche dieſe Tendenz verfocht. Darin liegt unter andern das ganze Geheimniß der Un - terhandlungen des Erzb. von Lunden. Er hatte dem Kaiſer vorge - ſtellt: che se S. M. volesse tolerare che i Lutherani stessero nelli loro errori disponeva a modo e voler suo di tutta la Ger - mania. Instruzione di Paolo III. a Montepulciano 1539. Auch jetzt wuͤnſchte der Kaiſer eine Toleranz.. Als das Oberhaupt der gemaͤßigten Partei haͤtte er beſonders alsdann, wenn es zu einem Con - cilium gekommen waͤre, ein oberſtes Anſehn in ganz Eu - ropa erlangen muͤſſen. Hierwider erhoben ſich wie natuͤr - lich alle gewohnten Feindſeligkeiten.
Franz I. glaubte ſich unmittelbar bedroht und ver - ſaͤumte nichts, um die Vereinigung zu hintertreiben. Leb - haft beklagte er ſich uͤber die Zugeſtaͤndniſſe, die der Legat zu Regensburg mache2)Er ſprach daruͤber mit dem paͤpſtlichen Geſandten an ſeinem Hofe: Il Cl. ̱ di Mantova al Cl. ̱ Contarini bei Quirini III, CCLXXVIII. : Loces 17 Maggio 1541. S. Má̱. Chm̱a. ̱ diveniva ogni di piu ardente nelle cose della chiesa le quali era risoluto di voler difendere e sostenere con tutte le forze sue e con la vita sua e de’ figlivoli, giurandomi, che da questo si moveva princi - palmente a far questo officio. Dagegen hatte Granvella andere Notizen: m’affermò, ſagt Contarini in einem Briefe an Farneſe, ibid. CCLV, con giuramento havere in mano lettere del re Christm̱o̱., il quale scrive a questi principi protestanti, che non si accordino in alcun modo e che lui aveva voluto veder l’opi - nioni loro le quali non li spiacevano. Zu beiden Seiten haͤtte hiernach Franz I. die Verſoͤhnung gehindert.. „ Sein Betragen nehme den Gu -165Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.ten den Muth und erhoͤhe ihn den Boͤſen: er werde es aus Nachgiebigkeit gegen den Kaiſer noch ſo weit kommen laſſen, daß der Sache nicht weiter zu helfen ſey. Man haͤtte doch auch andere Fuͤrſten zu Rathe ziehen ſollen. “ Er nahm die Miene an, als ſehe er Papſt und Kirche in Gefahr. Er verſprach ſie mit ſeinem Leben, mit allen Kraͤften ſei - nes Reichs zu vertheidigen.
Und ſchon hatten zu Rom nicht allein die angedeute - ten geiſtlichen Bedenklichkeiten Wurzel gefaßt. Ueberdieß be - merkte man, daß der Kaiſer bei der Eroͤffnung des Reichs - tags, wo er eines allgemeinen Conciliums Meldung ge - than, dabei nicht geſagt hatte, der Papſt allein habe es zu berufen. Man glaubte Andeutungen zu finden, daß er ſelbſt dieß Recht in Anſpruch nehme. In den alten Arti - keln, mit Clemens VII. zu Barcelona abgeſchloſſen, wollte man eine dahin zielende Stelle bemerken. Und ſagten nicht die Proteſtanten fortwaͤhrend, ein Concilium zu berufen ſtehe dem Kaiſer zu? Wie leicht konnte er ihnen da nach - geben, wo ſein Vortheil mit ihrer Lehre ſo augenſcheinlich zuſammenfiel1)Ardinghello al nome del Cl. Farnese al Cl. Contarini 29 Maggio 1541.. Es haͤtte dieß die groͤßte Gefahr einer Spaltung eingeſchloſſen.
Indeſſen regte man ſich auch in Deutſchland. Schon Giuſtinian verſichert, die Macht, welche der Landgraf da - durch erworben, daß er ſich an die Spitze der proteſtanti - ſchen Partei geſtellt, erwecke in Anderen den Gedanken, ſich eine aͤhnliche an der Spitze der Katholiſchen zu ver - ſchaffen. Ein Theilnehmer dieſes Reichstags zeigt uns an,166Buch II. Regeneration des Katholicismus.daß die Herzoͤge von Baiern jeder Uebereinkunft abhold ſeyen. Auch der Churfuͤrſt von Mainz war entſchieden dagegen. Er warnt den Papſt in einem eigenen Schrei - ben vor einem Nationalconcilium, ja vor einem Conci - lium, das uͤberhaupt in Deutſchland gehalten werde; „ all - zuviel wuͤrde man darin zugeſtehen muͤſſen “1)Literae Cardinalis Moguntini bei Rainaldus 1541 nr. 27.. Es fin - den ſich noch andere Schreiben, in denen ſich andere deutſche Katholiken unmittelbar bei dem Papſt uͤber den Fortgang, den der Proteſtantismus auf dem Reichstag nehme, die Nachgiebigkeit Groppers und Pflugs, die Ent - fernung der katholiſchen Fuͤrſten von dem Geſpraͤche be - klagen2)Anonym, ebenfalls bei Rainaldus Nr. 25. Von welcher Seite ſie kamen, laͤßt ſich daraus entnehmen, weil es darin von Eck heißt: unus duntaxat peritus theologus adhibitus est. Sie ſind voll Inſinuationen gegen den Kaiſer: „ nihil, heißt es darin, ordinabi - tur pro robore ecclesiae, quia timetur, illi (Caesari) displicere. “.
Genug, in Rom, Frankreich und Deutſchland erhob ſich unter den Feinden Carls V., unter den, ſey es in Wahrheit oder zum Schein, eifrigſten Katholiken eine ſcharfe Oppoſition wider das vermittelnde Vorhaben deſſel - ben. In Rom bemerkte man eine ungewohnte Vertraulich - keit des Papſtes mit dem franzoͤſiſchen Botſchafter: es hieß, er wolle ſeine Enkelin Vittoria Farneſe mit einem Guiſe vermaͤhlen.
Es konnte nicht anders kommen: dieſe Bewegungen mußten eine lebhafte Ruͤckwirkung auf die Theologen aͤu - ßern. Eck hielt ſich ohnehin zu Baiern. „ Die Feinde des Kaiſers, “ſagt der Secretaͤr Contarini’s, „ innerhalb167Verſuche einer Ausſoͤhnung m. d. Proteſtanten.Deutſchland und außerhalb, die ſeine Groͤße fuͤrchteten, wo - fern er ganz Deutſchland vereinige, fingen an Unkraut un - ter jene Theologen zu ſaͤen. Der Neid des Fleiſches unter - brach dieß Colloquium “1)Beccatelli Vita p. CXIX. Hora il diavolo che sempre alle buone opere s’attraversa fece si, che sparsa questa fama della concordia che tra catholici e protestanti si preparava, gli invidi dell’ imperatore in Germania e fuori che la sua gran - dezza temevano, quando tutti gli Alemani fussero stati uniti, cominciarono a seminare zizania tra quelli theologi collocutori. . Bei den Schwierigkeiten des Gegenſtandes an ſich iſt es kein Wunder, wenn man ſich ſeitdem uͤber keinen Artikel weiter vergleichen konnte.
Man uͤbertreibt die Gerechtigkeit, wenn man die Schuld hiervon den Proteſtanten allein oder auch nur hauptſaͤchlich zuſchreibt. In Kurzem ließ der Papſt dem Legaten als ſeine feſte Willensmeinung ankuͤndigen, er ſolle weder oͤf - fentlich noch als Privatmann einen Beſchluß billigen, in welchem die katholiſche Meinung anders als in ſolchen Worten die keiner Zweideutigkeit Raum geben, enthalten ſey. Die Formeln, in denen Contarini die verſchiedenen Meinungen uͤber das Primat des Papſtes und die Gewalt der Concilien zu vereinigen gedacht hatte, verwarf man zu Rom unbedingt2)Ardinghello a Contarini. Ebend. p. CCXXIV. . Der Legat mußte ſich zu Erklaͤrungen bequemen, die mit ſeinen fruͤheren Aeußerungen ſelbſt in Widerſpruch zu ſtehen ſchienen.
Damit doch etwas geſchehen waͤre, wuͤnſchte der Kai - ſer wenigſtens, daß man ſich bis auf Weiteres in den ver - glichenen Artikeln an die gefundenen Formeln halten, in den uͤbrigen die Abweichungen zu beiden Seiten toleriren168Buch II. Regeneration des Katholicismus.moͤge. Allein dazu war weder Luther zu bewegen noch der Papſt. Man meldet dem Cardinal, das ganze Collegium habe einſtimmig beſchloſſen, auf eine Toleranz in ſo we - ſentlichen Artikeln unter keiner Bedingung einzugehn.
Nach ſo großen Hoffnungen, ſo gluͤcklichem Anfang kehrte Contarini unverrichteter Dinge zuruͤck. Er haͤtte gewuͤnſcht, den Kaiſer nach den Niederlanden zu begleiten, doch ward es ihm verſagt. In Italien mußte er die Af - terreden vernehmen, die uͤber ſein Betragen, uͤber die an - geblichen Conceſſionen, welche er den Proteſtanten gemacht habe, von Rom aus in dem ganzen Lande waren verbrei - tet worden. Er war hochgeſinnt genug, das Mißlingen ſo umfaſſender Abſichten noch ſchmerzlicher zu empfinden.
Welch eine großartige Stellung war es, welche die gemaͤßigte katholiſche Meinung in ihm eingenommen hatte. Da es ihr aber nicht gelang, ihre Welt-Intention durch - zuſetzen, ſo war es die Frage, ob ſie ſich auch nur be - haupten wuͤrde. Jede große Tendenz traͤgt in ſich ſelber die unabweisliche Aufgabe ſich geltend zu machen und durch - zuſetzen. Kann ſie die Herrſchaft nicht erlangen, ſo ſchließt dieß ihren nahen Ruin ein.
Schon hatte ſich indeß eine andere Richtung entwik - kelt, der geſchilderten urſpruͤnglich nahe verwandt, aber immer abweichender, und ob wohl auch auf eine Reform169Neue Orden.angelegt, mit dem Proteſtantismus durchaus in Ge - genſatz.
Wenn Luther das bisherige Prieſterthum in ſeinem Prinzip und Begriff verwarf, ſo erhob ſich dagegen in Ita - lien eine Bewegung, um eben dieſes Prinzip herzuſtellen und durch ſtrengere Feſthaltung aufs neue in der Kirche geltend zu machen. Auf beiden Seiten nahm man das Verderben der geiſtlichen Inſtitute wahr. Aber waͤhrend man in Deutſchland nur mit der Aufloͤſung des Moͤnch - thums befriedigt wurde, ſuchte man es in Italien zu ver - juͤngen; waͤhrend dort der Clerus ſich von ſo vielen Feſſeln befreite, die er bisher getragen, dachte man hier darauf, ihm eine ſtrengere Verfaſſung zu geben. Einen durchaus neuen Weg ſchlugen wir dieſſeit der Alpen ein; jenſeit da - gegen wiederholte man Verſuche, wie ſie ſeit Jahrhunder - ten von Zeit zu Zeit Statt gefunden.
Denn von jeher hatten ſich die kirchlichen Inſtitute zur Verweltlichung geneigt und dann nicht ſelten wieder von neuem an ihren Urſprung erinnert und zuſammengenom - men werden muͤſſen. Wie fanden es ſchon die Carolingen ſo nothwendig, den Clerus, nach der Regel des Chro - degang zu gemeinſchaftlichem Leben, zu freier Unterord - nung anzuhalten! Den Kloͤſtern ſelbſt genuͤgte nicht lange die einfache Regel Benedicts von Nurſia: waͤhrend des 10ten und 11ten Jahrhunderts ſehen wir allenthalben enge geſchloſſene Congregationen, mit beſondern Regeln, nach dem Vorgang von Clugny, nothwendig werden. Auf der Stelle hatte dieß ſeine Ruͤckwirkung auf die Weltgeiſt - lichkeit; durch die Einfuͤhrung des Coͤlibats ward ſie, wie170Buch II. Regeneration des Katholicismus.beruͤhrt, beinahe ſelber einer Ordensregel unterworfen. Nichts deſto minder und trotz des großen geiſtlichen Impulſes, welchen die Kreuzzuͤge den Nationen gaben, ſo daß ſogar die Ritter und Herren ihr Kriegshandwerk den Formen moͤnchiſcher Geſetze unterwarfen, waren alle dieſe Inſtitute in tiefen Verfall gerathen, als ſich die Bettelmoͤnche er - hoben. In ihrem Anfang haben ſie ohne Zweifel zur Her - ſtellung urſpruͤnglicher Einfachheit und Strenge beigetra - gen, allein wir ſahen, wie auch ſie allmaͤhlig verwildert und verweltlicht waren, wie gerade in ihnen ein Hauptmo - ment des Verderbens der Kirche wahrgenommen wurde.
Schon ſeit dem Jahre 1520 und ſeitdem immer leb - hafter, je weitere Fortſchritte der Proteſtantismus in Deutſch - land machte, regte ſich in den Laͤndern, die von demſelben noch nicht ergriffen worden, das Gefuͤhl der Nothwendig - keit einer neuen Verbeſſerung der hierarchiſchen Inſtitute. In den Orden ſelbſt, bald in dem einen, bald in dem andern, trat es hervor.
Trotz der großen Abgeſchiedenheit des Ordens von Camaldoli fand ihn Paolo Giuſtiniani in das allgemeine Verderben verflochten. Im Jahre 1522 ſtiftete er eine neue Congregation deſſelben, die von dem Berge, auf wel - chem ſie hernach ihren vornehmſten Sitz hatte, den Namen Monte Corona empfing1)Die Stiftung iſt billig von der Abfaſſung der Regeln an zu datiren, nachdem Maſacio 1522 der neuen Congregation uͤber - laſſen worden. Monte Corona ſtiftete erſt Basciano, der Nachfol - ger Giuſtiniani’s. Helyot Histoire des ordres monastiques V, p. 271.. Zur Erreichung geiſtlicher Voll - lommenheit hielt Giuſtiniani drei Dinge fuͤr weſentlich:171Neue Orden.Einſamkeit, Geluͤbde und die Trennung der Moͤnche in ver - ſchiedene Zellen. Dieſer kleinen Zellen und Bethaͤuſer, wie man ſie noch hie und da findet, auf den hoͤchſten Bergen, in reizender Wildniß, welche die Seele zugleich zu erhabe - nem Schwung und tiefer Ruhe einzuladen ſcheinen, ge - denkt er in einem ſeiner Briefe mit beſonderer Genug - thuung1)Lettera del b. Giustiano al Vescovo Teatino bei Bromato Storia di Paolo IV. lib. III, §. 19.. In alle Welt hat ſich die Reform dieſer Ere - miten verbreitet.
Unter den Franziscanern, in denen das Verderben vielleicht am tiefſten eingeriſſen war, verſuchte man nach ſo vielen Reformen noch eine neue. Die Capuziner beabſichtig - ten die Einrichtungen des erſten Stifters herzuſtellen, den Gottesdienſt bei Mitternacht, das Gebet in den beſtimmten Stunden, Disciplin und Stillſchweigen, die ganze ſtrenge Lebensordnung der urſpruͤnglichen Inſtitution. Man muß uͤber die Wichtigkeit laͤcheln, die ſie geringfuͤgigen Dingen beilegten; daruͤber iſt aber nicht zu verkennen, daß ſie ſich auch wieder z. B. waͤhrend der Peſt von 1528 ſehr wak - ker benahmen.
Indeſſen war mit einer Reform der Orden allein nicht viel gethan, da die Weltgeiſtlichkeit ſo ganz ihrem Berufe entfremdet war. Sollte eine Verbeſſerung wirklich etwas bedeuten, ſo mußte ſie dieſe betreffen.
Wir ſtoßen hier nochmals auf Mitglieder jenes roͤ - miſchen Oratoriums. Zwei von ihnen, Maͤnner, wie es ſchien, uͤbrigens von ganz entgegengeſetztem Character, un - ternahmen, eine ſolche vorzubereiten. Der eine: Gaetano172Buch II. Regeneration des Katholicismus.da Thiene, friedfertig, ſtillehin, ſanftmuͤthig, von wenig Worten, den Entzuͤckungen eines geiſtlichen Enthuſiasmus hingegeben: von dem man geſagt, er wuͤnſche die Welt zu reformiren, aber ohne daß man wiſſe er ſey auf der Welt1)Caracciolus: Vita S. Cajetani Thienaei c. IX, 101. „ In conversatione humilis, mansuetus, modestus pauci sermonis — — Meminique me illum saepe vidisse inter precandum lacryman - tem. Sehr wohl bezeichnet ihn das Zeugniß einer frommen Ge - ſellſchaft in Vicenza, das man eben dort findet c. I, nr. 12.. Der andere: Johann Peter Caraffa, von dem noch ausfuͤhrlich zu reden ſeyn wird: heftig, aufbrauſend, ſtuͤrmiſch, ein Zelot. Auch Caraffa aber erkannte, wie er ſagte, daß ſein Herz nur um ſo bedraͤngter geworden, je mehr es ſeinem Begehren nachgegangen ſey; daß es nur Ruhe finden koͤnne, wenn es ſich ſelbſt fuͤr Gott verlaſſe; nur in dem Umgang mit himmliſchen Dingen. So trafen ſie in dem Beduͤrfniß der Zuruͤckgezogenheit, die dem Einen Natur, dem Andern Wunſch und Begehren, und in der Neigung zu geiſtlicher Thaͤtigkeit zuſammen. Ueberzeugt von der Nothwendigkeit einer Reform vereinigten ſie ſich zu einem Inſtitut, — man hat es den Orden der Theatiner genannt — das zugleich Contemplation und Verbeſſerung des Clerus zu ſeinem Endzweck hatte2)Caracciolus c. 2, §. 19., bezeichnet ihre Abſicht „ clericis, quos ingenti populorum exitio improbitas inscitiaque corrupis - sent, clericos alios debere suffici, quorum opera damnum, quod illi per pravum exemplum intulissent sanaretur. “.
Gaetano gehoͤrte zu den Protonari partecipanti: er gab dieſe Pfruͤnde: Caraffa beſaß das Bisthum Chieti, das Erzbisthum Brindiſi: er gab ſie beide auf. Mit zwei173Neue Orden.enge verbuͤndeten Freunden, die ebenfalls Mitglieder jenes Oratoriums geweſen waren, legten ſie am 14. September 1524 feierlich die drei Geluͤbde ab1)Die Acte hieruͤber findet man in dem commentarius prae - vius AA. SS. Aug. II, 249.. Das Geluͤbde der Armuth mit dem beſondern Zuſatz, daß ſie nicht allein nichts beſitzen, ſondern auch das Betteln vermeiden wuͤr - den: in ihrem Hauſe wollten ſie die Almoſen erwarten. Nach kurzem Aufenthalt in der Stadt bezogen ſie ein klei - nes Haus auf dem Monte Pincio, bei der Vigna Capi - ſucchi, aus der ſpaͤter die Villa Medici geworden, wo da - mals, obwohl innerhalb der Mauern von Rom eine tiefe Einſamkeit war: hier lebten ſie in der Armuth, die ſie ſich vorgeſchrieben, in geiſtlichen Uebungen, in dem genau vorge - zeichneten und alle Monat wiederholten Studium der Evan - gelien: dann gingen ſie nach der Stadt herab, um zu pre - digen.
Sie nannten ſich nicht Moͤnche, ſondern regulare Cle - riker: ſie waren Prieſter mit Moͤnchsgeluͤbden. Ihre Ab - ſicht war, eine Art von Prieſterſeminar einzurichten. Das Breve ihrer Stiftung erlaubte ihnen ausdruͤcklich, Welt - geiſtliche aufzunehmen. Eine beſtimmte Form und Farbe der Tracht legten ſie ſich urſpruͤnglich nicht auf: der Ge - brauch der Landesgeiſtlichkeit ſollte dieſelbe beſtimmen. Auch den Gottesdienſt wollten ſie allenthalben nach landuͤblichen Gebraͤuchen halten. Und ſo machten ſie ſich von vielem frei, was die Moͤnche feſſelte; ſie erklaͤrten ausdruͤcklich: weder in Leben noch Gottesdienſt ſolle irgend ein Gebrauch das Gewiſſen verpflichten2)Regel der Theatiner bei Bromato Vita di Paolo IV, lib. ; dagegen wollten ſie ſich den174Buch II. Regeneration des Katholicismus.clericaliſchen Pflichten widmen, der Predigt, der Verwal - tung der Sacramente, der Beſorgung der Kranken.
Da ſah man wieder, was in Italien ganz außer Ge - brauch gekommen, Prieſter auf den Kanzeln erſcheinen: mit dem Barett, dem Kreuz und der clericaliſchen Cotta. Zu - naͤchſt in jenem Oratorium: oft auch in Form der Miſſion in den Straßen. Caraffa ſelbſt predigte: er entwickelte jene uͤberſtroͤmende Beredſamkeit, die ihm bis zu ſeinem Tode eigen geblieben. Er und ſeine Gefaͤhrten, meiſtens Maͤnner, die zu dem Adel gehoͤrten, und ſich der Genuͤſſe der Welt haͤtten erfreuen koͤnnen, fingen an die Kranken in Privathaͤuſern und Spitaͤlern aufzuſuchen, den Sterben - den beizuſtehen.
Eine Wiederaufnahme der clericaliſchen Pflichten, die von großer Wichtigkeit iſt. Zwar wurde dieſer Orden nicht eigentlich ein Seminar von Prieſtern: dazu war er niemals zahlreich genug: allein er bildete ſich zu einem Seminar von Biſchoͤfen aus. Er ward mit der Zeit der eigentlich adliche Prieſterorden: und wie von allem Anfang ſorgfaͤltig bemerkt wird, daß die neuen Mitglieder von edler Herkunft geweſen, ſo haben ſpaͤter hier und da Adelsproben dazu gehoͤrt, um in denſelben aufgenommen zu werden. Man begreift leicht, daß der urſpruͤngliche Plan, von Almoſen leben zu wollen, ohne darum zu bitten, nur unter ſolchen Bedingungen aus - zufuͤhren ſtand.
Die Hauptſache indeſſen war, daß der gute Gedanke, die clericaliſchen Pflichten und Weihen mit Moͤnchsgeluͤb - den zu vereinigen, ſich auch an anderen Stellen Beifall und Nachahmung erwarb.
Seit 1521 war Oberitalien mit fortwaͤhrendem Krieg und in deſſen Gefolge mit Verwuͤſtung, Hungersnoth und Krankheiten angefuͤllt. Wie viele Kinder waren auch da zu Waiſen geworden und drohten an Leib und Seele zu Grunde zu gehen. Gluͤcklicherweiſe wohnt unter den Menſchen neben dem Ungluͤck das Erbarmen. Ein vene - zianiſcher Senator Girolamo Miani ſammelte die Kinder, welche die Flucht nach Venedig gefuͤhrt und nahm ſie in ſein Haus auf; er fuhr nach den Inſeln um die Stadt her, um ſie zu ſuchen: ohne viel auf die keifende Schwaͤ - gerin zu hoͤren, verkaufte er das Silberzeug und die ſchoͤn - ſten Teppiche des Hauſes, um den Kindern Wohnung und Kleidung, Lebensmittel und Lehrmeiſter zu verſchaffen. All - maͤhlig widmete er dieſem Berufe ausſchließend ſeine Thaͤ - tigkeit. Vorzuͤglich in Bergamo hatte er großen Erfolg. Das Hoſpital, das er daſelbſt gruͤndete, fand ſo gute Un - terſtuͤtzung, daß er Muth bekam, auch in andern Staͤdten etwas Aehnliches zu verſuchen. Nach und nach wurden in Verona, Brescia, Ferrara, Como, Mailand, Pavia, Genua, aͤhnliche Spitaͤler gegruͤndet. Endlich trat er mit einigen gleichgeſinnten Freunden in eine Congregation, nach dem Muſter der Theatiner, von regularen Clerikern zuſammen, die den Namen di Somasca fuͤhrt. Hauptſaͤchlich die Er - ziehung war ihre Beſtimmung. Ihre Spitaͤler bekamen eine gemeinſchaftliche Verfaſſung1)Approbatio societatis tam ecclesiasticarum, quam secu -.
176Buch II. Regeneration des Katholicismus.Wenn irgend eine andere Stadt, ſo hatte Mailand in ſo haͤufiger Belagerung und Eroberung bald von der einen, bald von der andren Seite jene Uebel des Krieges erfah - ren. Sie durch Mildthaͤtigkeit zu lindern — die damit verbundene Verwilderung durch Unterricht, Predigt und Beiſpiel zu heben, war der Zweck der drei Stifter des Barnabitenordens, Zaccaria, Ferrari und Morigia. Man ſieht, wie nahe er jenem verwandt iſt. Er waͤhlte auch die Form von regularen Clerikern.
Was aber auch alle dieſe Congregationen in ihrem Kreiſe ausrichten mochten, ſo war doch entweder die Be - ſchraͤnkung des Zweckes, wie bei den zuletzt genannten, oder die in der Natur der Sache liegende Beſchraͤnkung der Mit - tel, wie bei den Theatinern, einer allgemeinen, durchgreifen - den Wirkſamkeit hinderlich. Merkwuͤrdig ſind ſie, weil ſie in freier Entſtehung eine große Tendenz bezeichnen, die zur Wiederherſtellung des Katholicismus unendlich viel beitrug: aber um dem kuͤhnen Fortgang des Proteſtantismus Wider - ſtand zu leiſten, waren andere Kraͤfte erforderlich.
Auf einem aͤhnlichen Wege, aber auf eine ſehr uner - wartete hoͤchſt eigenthuͤmliche Weiſe entwickelten ſich dieſe.
Von allen Ritterſchaften der Welt hatte allein die ſpa - niſche noch etwas von ihrem geiſtlichen Element behauptet. Die Kriege mit den Mauren, die auf der Halbinſel kaum geendigt, in Africa noch immer fortgeſetzt wurden, die Nachbarſchaft der zuruͤckgebliebenen und unterjochten Moris - ken ſelbſt, mit denen man ſtets in glaubensfeindlicher Be - ruͤhrung blieb, die abenteuerlichen Zuͤge gegen andere Un - glaͤubige jenſeit des Weltmeers erhielten dieſen Geiſt. In Buͤchern, wie der Amadis, voll einer naiv-ſchwaͤrmeriſchen loyalen Tapferkeit ward er idealiſirt.
Don Iñigo Lopez de Recalde1)So heißt er in gerichtlichen Acten; daß man nicht weiß, wie er zu dem Namen Recalde gekommen, kann nichts gegen die Aechtheit deſſelben beweiſen. Acta Sanctorum 31 Julii. Commen - tarius praevius p. 410., der juͤngſte Sohn aus dem Hauſe Loyola, auf dem Schloſſe dieſes Namens zwiſchen Azpeitia und Azcoitia in Guipuscoa geboren, aus einem Geſchlechte, welches zu den beſten des Landes gehoͤrte — de parientes mayores — deſſen Haupt alle - mal durch ein beſonderes Schreiben zur Huldigung einge - laden werden mußte, aufgewachſen an dem Hofe Ferdi - nands des Katholiſchen und in dem Gefolge des Herzogs von Najara, war erfuͤllt von dieſem Geiſte. Er ſtrebte nach dem Lobe der Ritterſchaft; ſchoͤne Waffen und Pferde, der Ruhm der Tapferkeit, die Abenteuer des Zweikampfs und der Liebe hatten fuͤr ihn ſo viel Reiz wie fuͤr einen12178Buch II. Regeneration des Katholicismus.Andern; aber auch die geiſtliche Richtung trat in ihm leb - haft hervor: den Erſten der Apoſtel hat er in dieſen Jah - ren in einer Ritterromanze beſungen1)Maffei: Vita Ignatii. .
Wahrſcheinlich jedoch wuͤrden wir ſeinen Namen un - ter den uͤbrigen tapferer ſpaniſcher Hauptleute leſen, de - nen Carl V. ſo viele Gelegenheit gab, ſich hervorzuthun, haͤtte er nicht das Ungluͤck gehabt, bei der Vertheidigung von Pamplona gegen die Franzoſen im Jahre 1521 von einer doppelten Wunde an beiden Beinen verletzt, und obwohl er ſo ſtandhaft war, daß er ſich zu Hauſe, wo - hin man ihn gebracht, den Schaden zwei Mal aufbre - chen ließ, — in dem heftigſten Schmerz kniff er nur die Fauſt zuſammen — auf das ſchlechteſte geheilt zu werden.
Er kannte und liebte die Ritterromane, vor allem den Amadis. Indem er jetzt ſeine Heilung abwartete, bekam er auch das Leben Chriſti und einiger Heiligen zu leſen.
Phantaſtiſch von Natur, aus einer Bahn weggeſchleu - dert, die ihm das glaͤnzendſte Gluͤck zu verheißen ſchien, jetzo zugleich zur Unthaͤtigkeit gezwungen und durch die Krankheit gereizt, gerieth er in den ſeltſamſten Zuſtand von der Welt. Auch die Thaten des S. Franciscus und S. Dominicus, die hier in allem Glanze geiſtlichen Ruhmes vor ihm erſchienen, daͤuchten ihm nachahmungswuͤrdig, und wie er ſie ſo las, fuͤhlte er Muth und Tuͤchtigkeit, ſie nach - zuahmen, mit ihnen in Entſagung und Strenge zu wettei - fern2)Die acta antiquissima, a Lodovico Consalvo ex ore. Nicht ſelten wichen dieſe Ideen freilich noch vor ſehr179Ignatius Loyola.weltlichen Gedanken. Er malte ſich nicht minder aus, wie er die Dame, deren Dienſte er ſich in ſeinem Herzen gewidmet — ſie ſey keine Graͤfin geweſen, ſagt er ſelbſt, keine Herzogin, ſondern noch mehr als dieß — in der Stadt, wo ſie wohne, aufſuchen, mit welchen Worten zierlich und ſcherzhaft er ſie anreden, wie er ihr ſeine Hingebung bezeigen, welche ritterliche Uebungen er ihr zu Ehren ausfuͤhren wolle. Bald von jenen bald von dieſen Phantaſien ließ er ſich hinreißen: ſie wechſelten in ihm ab.
Je laͤnger es aber dauerte, je ſchlechteren Erfolg ſeine Heilung hatte, um ſo mehr bekamen die geiſtlichen die Oberhand. Sollten wir ihm wohl Unrecht thun, wenn wir dieß auch mit daher ableiten, daß er allmaͤhlig ein - ſah, er koͤnne doch nicht vollkommen hergeſtellt und nie - mals wieder recht zu Kriegsdienſt und Ritterehre tauglich werden?
Auch war es nicht ein ſo ſchroffer Uebergang zu et - was durchaus Verſchiedenem, wie man vielleicht glauben koͤnnte. In ſeinen geiſtlichen Uebungen, deren Urſprung immer mit auf die erſten Anſchauungen ſeiner Erweckung zuruͤckgefuͤhrt worden, ſtellt er ſich zwei Heerlager vor, eins bei Jeruſalem, das andere bei Babylon; Chriſti und des Satans: dort alle Guten, hier alle Boͤſen; geruͤſtet,2)Sancti excepta, AA. SS. 1. l. p. 634. unterrichten hieruͤber ſehr authentiſch. Er dachte einmal: „ Quid, si ego hoc agerem, quod fecit b. Franciscus, quid si hoc, quod b. Dominicus? — Dann: de muchas cosas vanas que se le ofrecian una tenia: eben jene Ehre, die er ſeiner Dame zu erweiſen dachte. Non era condesa ni duquesa mas era su estado mas alto, que ninguno destas. Ein ſonderbar naives Bekenntniß.12*180Buch II. Regeneration des Katholicismus.mit einander den Kampf zu beſtehen. Chriſtus ſey ein Koͤnig, der ſeinen Entſchluß verkuͤndige, alle Laͤnder der Unglaͤubigen zu unterwerfen. Wer ihm die Heeresfolge leiſten wolle, muͤſſe ſich jedoch eben ſo naͤhren und kleiden, wie er: dieſelben Muͤhſeligkeiten und Nachtwachen ertra - gen, wie er: nach dieſem Maaße werde er des Sieges und der Belohnungen theilhaftig werden. Vor ihm, der Jung - frau und dem ganzen himmliſchen Hofe werde dann ein Jeder erklaͤren, daß er dem Herrn ſo treu wie moͤglich nachfolgen, alles Ungemach mit ihm theilen, und ihm in wahrer, geiſtiger und leiblicher Armuth dienen wolle1)Exercitia spiritualia: secunda hebdomada. Contempla - tio regni Jesu Christi ex similitudine regis terreni subditos suos evocantis ad bellum u. a. St..
So phantaſtiſche Vorſtellungen mochten es ſeyn, die in ihm den Uebergang von weltlicher zu geiſtlicher Ritter - ſchaft vermittelten. Denn eine ſolche, aber deren Ideal durch - aus die Thaten und Entbehrungen der Heiligen ausmach - ten, war es, was er beabſichtigte. Er riß ſich los von ſeinem vaͤterlichen Hauſe und ſeinen Verwandten und ſtieg den Berg von Monſerrat hinan: nicht in Zerknirſchung uͤber ſeine Suͤnden, noch von eigentlich religioͤſem Beduͤrfniß angetrieben, ſondern wie er ſelber geſagt hat, nur in dem Verlangen, ſo große Thaten zu vollbringen, wie diejeni - gen, durch welche die Heiligen ſo beruͤhmt geworden: eben ſo ſchwere Bußuͤbungen zu uͤbernehmen, oder noch ſchwe - rere: und in Jeruſalem Gott zu dienen. Vor einem Ma - rienbilde hing er Waffen und Wehr auf: eine andere Nacht - wache, als die ritterliche, aber mit ausdruͤcklicher Erinne -181Ignatius Loyola.rung an den Amadis1)Acta antiquissima: cum mentem rebus iis refertam ha - beret quae ab Amadeo de Gaula conscriptae et ab ejus gene - ris scriptoribus — was ein ſeltſamer Mißverſtand der Concipien - ten iſt, denn Amadis iſt wahrhaftig kein Schriftſteller — nonnul - lae illi similes occurrebant. , wo die Uebungen derſelben ſo genau geſchildert werden, knieend oder ſtehend im Ge - bete, immer ſeinen Pilgerſtab in der Hand, hielt er vor demſelben; die ritterliche Kleidung, in der er gekommen, gab er weg: er verſah ſich mit dem rauhen Gewand der Eremiten, deren einſame Wohnung zwiſchen dieſen nackten Felſen eingehauen iſt: nachdem er eine Generalbeichte ab - gelegt, begab er ſich nicht gleich, wie ſeine jeruſalemitani - ſche Abſicht forderte, nach Barcelona — er haͤtte auf der großen Straße erkannt zu werden gefuͤrchtet — ſondern zuerſt nach Manreſa, um nach neuen Bußuͤbungen von da an den Hafen zu gelangen.
Hier aber erwarteten ihn andere Pruͤfungen; die Rich - tung, die er mehr wie ein Spiel eingeſchlagen, war gleich - ſam Herr uͤber ihn geworden, und machte ihren ganzen Ernſt in ihm geltend. In der Zelle eines Dominicanerkloſters ergab er ſich den haͤrteſten Bußuͤbungen; zu Mitternacht erhob er ſich zum Gebet, ſieben Stunden taͤglich brachte er auf den Knieen zu, regelmaͤßig geißelte er ſich drei Mal den Tag. Nicht allein aber fiel ihm das doch ſchwer genug, und er zweifelte oft, ob er es ſein Lebenlang aushalten werde; was noch viel mehr zu bedeuten hatte, er bemerkte auch, daß es ihn nicht beruhige. Er hatte ſich auf Mon - ſerrat drei Tage damit beſchaͤftigt, eine Beichte uͤber ſein ganzes vergangenes Leben abzulegen; aber er glaubte damit182Buch II. Regeneration des Katholicismus.nicht genug gethan zu haben. Er wiederholte ſie in Man - reſa; er trug vergeſſene Suͤnden nach; auch die geringſten Kleinigkeiten ſuchte er auf; allein je mehr er gruͤbelte, um ſo peinlicher waren die Zweifel, die ihn befielen. Er meinte, von Gott nicht angenommen, noch vor ihm gerechtfertigt zu ſeyn. In dem Leben der Vaͤter las er, Gott ſey wohl einmal durch Enthaltung von aller Speiſe erweicht und gnaͤdig zu ſeyn bewogen worden. Auch er enthielt ſich einſt von einem Sonntag zum andern aller Lebensmittel. Sein Beichtvater verbot es ihm, und er, der von nichts in der Welt einen ſo hohen Begriff hatte wie von dem Gehorſam, ließ darauf davon ab. Wohl war ihm dann und wann, als werde ſeine Melancholie von ihm genom - men, wie ein ſchweres Kleid von den Schultern faͤllt, aber bald kehrten die alten Qualen zuruͤck. Es ſchien ihm, als habe ſich ſein ganzes Leben Suͤnde aus Suͤnde fortgehend erzeugt. Zuweilen war er in Verſuchung, ſich aus der Fenſter-Oeffnung zu ſtuͤrzen1)Maffei, Ribadeneira, Orlandino und alle Anderen erzaͤhlen dieſe Anfechtungen. Am meiſten authentiſch bleiben immer die Acten die von Ignaz ſelbſt herruͤhren: den Zuſtand, in dem er war, bezeich - net z. B. folgende Stelle. Cum his cogitationibus agitaretur, ten - tabatur saepe graviter magno cum impetu, ut magno ex foramine quod in cellula erat sese dejiceret. Nec aberat foramen ab eo loco ubi preces fundebat. Sed cum videret esse peccatum se ipsum occidere rursus clamabat: domine non faciam quod te offendat. .
Unwillkuͤhrlich erinnert man ſich hierbei des peinli - chen Zuſtandes, in welchen Luther einige Jahre fruͤher durch ſehr aͤhnliche Zweifel gerathen war. Die Forderung der Religion, eine voͤllige Verſoͤhnung mit Gott bis zum183Ignatius Loyola.Bewußtſeyn derſelben, war bei der unergruͤndlichen Tiefe einer mit ſich ſelber hadernden Seele auf dem gewoͤhnli - chen Wege, den die Kirche einſchlug, niemals zu erfuͤllen. Auf ſehr verſchiedene Weiſe gingen ſie aber aus dieſem La - byrinth hervor. Luther gelangte zu der Lehre von der Ver - ſoͤhnung durch Chriſtum ohne alle Werke; von dieſem Punkte aus verſtand er erſt die Schrift, auf die er ſich gewaltig ſtuͤtzte. Von Loyola finden wir nicht, daß er in der Schrift geforſcht, daß das Dogma auf ihn Eindruck gemacht habe. Da er nur in inneren Regungen lebte, in Gedanken, die in ihm ſelbſt entſprangen, ſo glaubte er die Eingebungen bald des guten bald des boͤſen Geiſtes zu er - fahren. Endlich ward er ſich ihres Unterſchiedes bewußt. Er fand ihn darin, daß ſich die Seele von jenen erfreut und getroͤſtet, von dieſen ermuͤdet und geaͤngſtigt fuͤhle1)Eine von ſeinen eigenſten und urſpruͤnglichſten Wahrneh - mungen, deren Anfang er ſelbſt auf ſeine Phantaſien waͤhrend der Krankheit zuruͤckgefuͤhrt hat. In Manreſa ward ſie ihm zur Gewiß - heit. In den geiſtlichen Uebungen iſt ſie ſehr ausgebildet. Man findet da ausfuͤhrliche Regeln: ad motus animae quos diversi ex - citant spiritus discernendos ut boni solum admittantur et pellan - tur mali. . Eines Tages war es ihm als erwache er aus dem Traume. Er glaubte mit Haͤnden zu greifen, daß alle ſeine Peinen Anfechtungen des Satans ſeyen. Er entſchloß ſich von Stunde an, uͤber ſein ganzes vergangenes Leben abzuſchlie - ßen, dieſe Wunden nicht weiter aufzureißen, ſie niemals wieder zu beruͤhren. Es iſt dieß nicht ſowohl eine Beruhi - gung als ein Entſchluß. Mehr eine Annahme, die man ergreift, weil man will, als eine Ueberzeugung, der man184Buch II. Regeneration des Katholicismus.ſich unterwerfen muß. Sie bedarf der Schrift nicht, ſie beruht auf dem Gefuͤhle eines unmittelbaren Zuſammen - hanges mit dem Reiche der Geiſter. Luthern haͤtte ſie nie - mals genug gethan: Luther wollte keine Eingebung, keine Geſichter, er hielt ſie alle ohne Unterſchied fuͤr verwerflich: er wollte nur das einfache, geſchriebene, unzweifelhafte Got - tes Wort. Loyola dagegen lebte ganz in Phantaſien und innern Anſchauungen. Am meiſten vom Chriſtenthum ſchien ihm eine Alte zu verſtehen, welche ihm in ſeinen Qualen geſagt, Chriſtus muͤſſe ihm noch erſcheinen. Es hatte ihm anfangs nicht einleuchten wollen, jetzt aber meinte er bald Chriſtum, bald die Jungfrau mit Augen zu erblicken. Auf der Treppe von S. Domenico zu Manreſa blieb er ſtehen und weinte laut, weil er das Geheimniß der Dreieinigkeit in dieſem Moment anzuſchauen glaubte1)En figura de tres teclas. ; er redete den ganzen Tag von nichts andrem: er war unerſchoͤpflich in Gleichniſſen. Ploͤtzlich uͤberleuchtete ihn in myſtiſchen Sym - bolen das Geheimniß der Schoͤpfung. In der Hoſtie ſah er den, welcher Gott und Menſch. Er ging einſt an dem Ufer des Llobregat nach einer entfernten Kirche. In - dem er ſich niederſetzte und ſeine Augen auf den tiefen Strom heftete, den er vor ſich hatte, fuͤhlte er ſich ploͤtz - lich von anſchauendem Verſtaͤndniß der Geheimniſſe des Glaubens entzuͤckt: er meinte als ein andrer Menſch auf - zuſtehen. Fuͤr ihn bedurfte es dann keines Zeugniſſes, kei - ner Schrift weiter. Auch wenn es ſolche nicht gegeben haͤtte, wuͤrde er doch unbedenklich fuͤr den Glauben, den er bisher geglaubt, den er ſah, in den Tod gegangen ſeyn2)Acta antiquissima: „ his visis haud mediocriter tum con -.
185Ignatius Loyola.Haben wir die Grundlagen dieſer ſo eigenthuͤmlichen Entwickelung gefaßt, dieſes Ritterthum der Abſtinenz, dieſe Entſchloſſenheit der Schwaͤrmerei und phantaſtiſche Ascetik, ſo iſt es nicht noͤthig, Iñigo Loyola auf jedem Schritte ſeines Lebens weiter zu begleiten. Er ging wirklich nach Jeruſalem, in der Hoffnung, wie zur Staͤrkung der Glaͤu - bigen, ſo zur Bekehrung der Unglaͤubigen beizutragen. Al - lein wie wollte er zumal das Letzte ausfuͤhren, unwiſſend wie er war, ohne Gefaͤhrten, ohne Vollmacht? An der entſchiedenen Zuruͤckweiſung jeruſalemiſcher Obern, die dazu eine ausdruͤckliche paͤpſtliche Berechtigung beſaßen, ſcheiterte ſein Vorſatz, an den heiligen Orten zu bleiben. Auch als er nach Spanien zuruͤckgekommen, hatte er Anfechtungen genug zu beſtehen. Indem er zu lehren und die geiſtlichen Uebungen, die ihm indeß entſtanden, mitzutheilen anfing, kam er ſogar in den Verdacht der Ketzerei. Es waͤre das ſeltſamſte Spiel des Zufalls, wenn Loyola, deſſen Geſellſchaft Jahrhunderte ſpaͤter in Illuminaten ausging, ſelbſt mit einer Secte dieſes Namens in Zuſammenhang geſtanden haͤtte1)Auch Lainez und Borgia haben dieſen Vorwurf erfahren. Llorente Hist. de l’inquisition III, 83. Melchior Cano nannte ſie gradezu Illuminaten, die Gnoſtiker des Jahrhunderts.. Und leugnen kann man nicht, daß die damaligen Illuminaten in Spanien, Alumbrados, zu denen er zu gehoͤren in Ver - dacht war, Meinungen hegten, die einige Aehnlichkeit mit ſeinen Phantaſien haben. Abgeſtoßen von der Werkheiligkeit des bisherigen Chriſtenthums, ergaben auch ſie ſich inneren2)firmatus est, (— das Original: y le dieron tanta confirmacione siempre de la fe) ut saepe etiam id cogitarit, quod etsi nulla scriptura mysteria illa fidei doceret, tamen ipse ob ea ipsa quae viderat, statueret sibi pro his esse moriendum. “186Buch II. Regeneration des Katholicismus.Entzuͤckungen, und glaubten wie er, das Geheimniß — ſie erwaͤhnten noch beſonders das der Dreieinigkeit — in unmit - telbarer Erleuchtung anzuſchauen. Wie Loyola und ſpaͤter ſeine Anhaͤnger machten ſie die Generalbeichte zur Bedin - gung der Abſolution, und drangen vor allem auf das innere Gebet. In der That moͤchte ich nicht behaupten, daß Loyola ganz ohne Beruͤhrung mit dieſen Meinungen geblie - ben waͤre. Allein daß er der Secte angehoͤrt haͤtte, iſt auch nicht zu ſagen. Er unterſchied ſich von ihr haupt - ſaͤchlich dadurch, daß, waͤhrend ſie durch die Forderungen des Geiſtes uͤber alle gemeinen Pflichten erhaben zu ſeyn glaubte, er dagegen — ein alter Soldat wie er war — den Gehorſam fuͤr die oberſte aller Tugenden erklaͤrte. Seine ganze Begeiſterung und innere Ueberzeugung unterwarf er alle Mal der Kirche und ihren Gewalten.
Indeſſen hatten dieſe Anfechtungen und Hinderniſſe einen fuͤr ſein Leben entſcheidenden Erfolg. In dem Zu - ſtande, in dem er damals war, ohne Gelehrſamkeit und gruͤndlichere Theologie, ohne politiſchen Ruͤckhalt, haͤtte ſein Daſeyn ſpurlos voruͤbergehen muͤſſen. Gluͤck genug, wenn ihm innerhalb Spaniens ein paar Bekehrungen gelungen waͤren. Allein indem man ihm in Alcala und in Sala - manca auferlegte, erſt vier Jahre Theologie zu ſtudiren, ehe er namentlich uͤber gewiſſe ſchwerere Dogmen wie - der zu lehren verſuche, noͤthigte man ihn, einen Weg ein - zuſchlagen, auf dem ſich allmaͤhlig fuͤr ſeinen Trieb religioͤ - ſer Thaͤtigkeit ein ungeahnetes Feld eroͤffnete.
Er begab ſich nach der damals beruͤhmteſten hohen Schule der Welt, nach Paris.
187Ignatius Loyola.Die Studien hatten fuͤr ihn eine eigenthuͤmliche Schwie - rigkeit. Er mußte die Claſſe der Grammatik, die er ſchon in Spanien angefangen, die der Philoſophie machen, ehe er zur Theologie zugelaſſen wurde1)Nach der aͤlteſten Chronik der Jeſuiten Chronicon breve AA. SS. l. l. p. 525 war Ignatius von 1528 bis 1535 in Pa - ris: „ Ibi vero non sine magnis molestiis et persecutionibus pri - mo grammaticae de integro tum philosophiae ac demum theo - logico studio sedulam operam navavit. “. Aber bei den Worten, die er flectiren, bei den logiſchen Begriffen, die er analyſiren ſollte, ergriffen ihn die Entzuͤckungen des tieferen religioͤ - ſen Sinnes, den er damit zu verbinden gewohnt war. Es hat etwas Großartiges, daß er dieß fuͤr Eingebungen des boͤſen Geiſtes erklaͤrte, der ihn von dem rechten Weg ab - fuͤhren wolle, und ſich der rigoroſeſten Zucht unterwarf.
Waͤhrend ihm nun aus den Studien eine neue, die reale Welt aufging, ſo ließ er doch darum von ſeiner geiſt - lichen Richtung und ſelbſt ihrer Mittheilung keinen Au - genblick ab. Eben hier war’s, wo er die erſten nachhal - tigen, wirkſamen, ja fuͤr die Welt bedeutenden Bekehrun - gen machte.
Von den beiden Stubenburſchen Loyola’s in dem Col - legium St. Barbara, war der eine, Peter Faber aus Sa - voyen, — ein Menſch, bei den Heerden ſeines Vaters auf - gewachſen, der ſich einſt des Nachts unter freiem Himmel Gott und den Studien gewidmet hatte — nicht ſchwer zu gewinnen. Er repetirte mit Ignatius, denn dieſen Namen fuͤhrte Iñigo in der Fremde, den philoſophiſchen Curſus: dieſer theilte ihm dabei ſeine ascetiſchen Grundſaͤtze mit. Ignatius lehrte den juͤngeren Freund ſeine Fehler bekaͤm -188Buch II. Regeneration des Katholicismus.pfen, kluͤglich nicht alle auf einmal, ſondern einen nach dem andern, wie er denn auch immer einer Tugend vor - zugsweiſe nachzutrachten habe; er hielt ihn zu Beichte und haͤufigem Genuß des Abendmahls an. Sie traten in die engſte Gemeinſchaft: Ignaz theilte die Almoſen, die ihm aus Spanien und Flandern ziemlich reichlich zu - floſſen, mit Faber. Schwerer machte es ihm der Andere, Franz Xaver aus Pamplona in Navarra, der nur begierig war, der Reihe ſeiner durch Kriegsthaten beruͤhmten Vor - fahren, die von 500 Jahren her auf ſeinem Stammbaum verzeichnet waren, den Namen eines Gelehrten hinzuzufuͤ - gen; er war ſchoͤn, reich, voll Geiſt, und hatte ſchon am koͤniglichen Hofe Fuß gefaßt. Ignaz verſaͤumte nicht, ihm die Ehre zu erweiſen, die er in Anſpruch nahm, und zu ſorgen, daß ſie ihm von andern erwieſen wurde. Fuͤr ſeine erſte Vorleſung verſchaffte er ihm eine gewiſſe Fre - quenz. Wie er ihn ſich erſt perſoͤnlich befreundet, ſo ver - fehlte ſein Beiſpiel, ſeine Strenge ihre natuͤrliche Wirkung nicht. Er brachte dieſen wie jenen dahin, die geiſtlichen Uebungen unter ſeiner Leitung zu machen. Er ſchonte ih - rer nicht: drei Tage und drei Naͤchte ließ er ſie faſten: in dem haͤrteſten Winter — die Wagen fuhren uͤber die gefro - rene Seine — hielt er Faber dazu an. Er machte ſich beide ganz zu eigen und theilte ihnen ſeine Geſinnung mit1)Orlandinus, der auch ein Leben Fabers geſchrieben hat, wel - ches ich nicht ſah, iſt auch in ſeinem großen Werke Historiae so - cietatis Jesu pars I, p. 17. hieruͤber ausfuͤhrlicher, als Riba - deneira..
Wie bedeutend wurde die Zelle von St. Barbara, die189Ignatius Loyola.dieſe drei Menſchen vereinigte, in der ſie voll phantaſtiſcher Religioſitaͤt Plaͤne entwarfen, Unternehmungen vorbereite - ten, von denen ſie ſelber nicht wußten, wohin ſie fuͤhren ſollten.
Betrachten wir die Momente, auf denen die fernere Ent - wickelung dieſer Verbindung beruhte. Nachdem ſich noch einige Spanier, Salmeron, Lainez, Bobadilla, denen ſich allen Ig - natius durch guten Rath oder Unterſtuͤtzung unentbehrlich ge - macht, ihnen zugeſellt, begaben ſie ſich eines Tages nach der Kirche von Montmartre. Faber, bereits Prieſter, las die Meſſe. Sie gelobten Keuſchheit; ſie ſchwuren nach vollendeten Stu - dien in voͤlliger Armuth ihr Leben in Jeruſalem der Pflege der Chriſten oder der Bekehrung der Saracenen zu widmen; ſey es aber unmoͤglich, dahin zu gelangen oder dort zu bleiben, in dieſem Falle dem Papſt ihre Bemuͤhungen an - zubieten, fuͤr jeden Ort, wohin er ihnen zu gehen befehle, ohne Lohn noch Bedingung. So ſchwur ein Jeder und empfing die Hoſtie. Darauf ſchwur auch Faber und nahm ſie ſelbſt. An dem Brunnen St. Denys genoſſen ſie hier - auf eine Mahlzeit.
Ein Bund zwiſchen jungen Maͤnnern: ſchwaͤrmeriſch, nicht eben verfaͤnglich: noch in den Ideen, die Ignatius urſpruͤnglich gefaßt hatte, nur in ſo fern davon abwei - chend, als ſie ausdruͤcklich die Moͤglichkeit berechneten, die - ſelben nicht ausfuͤhren zu koͤnnen.
Anfang 1537 finden wir ſie in der That mit noch drei andern Genoſſen ſaͤmmtlich in Venedig, um ihre Wall - fahrt anzutreten. Schon manche Veraͤnderung haben wir in Loyola wahrgenommen: von einem weltlichen Ritter -190Buch II. Regeneration des Katholicismus.thum ſahen wir ihn zu einem geiſtlichen uͤbergehen: in die ernſthafteſten Anfechtungen fallen, und mit phantaſtiſcher Ascetik ſich daraus hervorarbeiten: Theolog und Gruͤnder einer ſchwaͤrmeriſchen Geſellſchaft war er geworden. Jetzt endlich nahmen ſeine Abſichten die bleibende Wendung. Einmal hinderte ihn der Krieg, der eben damals zwiſchen Venedig und den Tuͤrken ausbrach, an der Abreiſe, und ließ den Gedanken der Wallfahrt noch mehr zuruͤcktreten: ſodann aber fand er in Venedig ein Inſtitut, das ihm, man moͤchte ſagen, die Augen erſt recht oͤffnete. Eine Zeitlang ſchloß ſich Loyola auf das engſte an Caraffa an; in dem Con - vent der Theatiner, der ſich in Venedig gebildet, nahm er Wohnung. Er diente in den Spitaͤlern, uͤber welche Caraffa die Aufſicht fuͤhrte, in denen dieſer ſeine Novizen ſich uͤben ließ. Zwar fand ſich Ignatius durch das thea - tiniſche Inſtitut nicht voͤllig befriedigt; er ſprach mit Ca - raffa uͤber einige in demſelben vorzunehmende Veraͤnderun - gen, und ſie ſollen daruͤber mit einander zerfallen ſeyn1)Sachinus: cujus sit autoritatis quod in b. Cajetani Thie - naei vita de beato Ignatio traditur vor dem Orlandinus, eroͤrtert dieß Verhaͤltniß ausfuͤhrlich.. Aber ſchon dieß zeigt, wie tiefen Eindruck es auf ihn machte. Einen Orden von Prieſtern ſah er hier ſich den eigentlich clericaliſchen Pflichten mit Eifer und Strenge widmen. Mußte er, wie immer deutlicher wurde, dieſſeit des Meeres bleiben, und ſeine Thaͤtigkeit in den Bezirken der abendlaͤndiſchen Chriſtenheit verſuchen, ſo erkannte er wohl, daß auch er nicht fuͤglich einen andern Weg ein - ſchlagen konnte.
In der That nahm er in Venedig mit allen ſeinen191Ignatius Loyola.Gefaͤhrten die prieſterlichen Weihen. In Vicenza begann er nach vierzigtaͤgigem Gebet mit dreien von ihnen zu pre - digen. An dem nemlichen Tage zur nemlichen Stunde er - ſchienen ſie in verſchiedenen Straßen, ſtiegen auf Steine, ſchwangen die Huͤte, riefen laut und fingen an zur Buße zu ermahnen. Seltſame Prediger, zerlumpt, abgehaͤrmt; ſie ſprachen ein unverſtaͤndliches Gemiſch von Spaniſch und Ita - lieniſch. In dieſen Gegenden blieben ſie, bis das Jahr, das ſie zu warten beſchloſſen hatten, verſtrichen war. Dann brachen ſie auf nach Rom.
Als ſie ſich trennten, denn auf verſchiedenen Wegen wollten ſie die Reiſe machen, entwarfen ſie die erſten Re - geln, um auch in der Entfernung eine gewiſſe Gleichfoͤr - migkeit des Lebens zu beobachten. Was aber ſollten ſie antworten, wenn man ſie nach ihrer Beſchaͤftigung fragen wuͤrde? Sie gefielen ſich in dem Gedanken, als Soldaten dem Satan den Krieg zu machen, den alten militaͤriſchen Phantaſien des Ignatius zu Folge beſchloſſen ſie, ſich die Compagnie Jeſu zu nennen, ganz wie eine Compagnie Sol - daten, die von ihrem Hauptmann den Namen traͤgt1)Ribadeneira Vita brevior c. 12 bemerkt, daß Ignaz dieß gewaͤhlt „ ne de suo nomine diceretur. “ Nigroni: erklaͤrt Socie - tas: quasi dicas cohortem aut centuriam quae ad pugnam cum hostibus spiritualibus conserendam conscripta sit. Postquam nos vitamque nostram Christo Dmn. nostro et ejus vero ac legi - timo vicario internis obtuleramus, — heißt es in der delibera - tio primorum patrum. AA. SS. l. l. p. 463..
In Rom hatten ſie anfangs keinen ganz leichten Stand: Ignatius meinte, er ſehe alle Fenſter geſchloſſen, und von dem alten Verdacht der Ketzerei mußten ſie hier noch ein - mal frei geſprochen werden. Allein indeß hatte ihre Lebens -192Buch II. Regeneration des Katholicismus.weiſe, ihr Eifer in Predigt und Unterricht, ihre Kranken - pflege auch zahlreiche Anhaͤnger herbeigezogen, und ſo Viele zeigten ſich bereit zu ihnen zu treten, daß ſie auf eine foͤrm - liche Einrichtung ihrer Geſellſchaft denken konnten.
Zwei Geluͤbde hatten ſie bereits gethan: jetzt legten ſie das dritte, das des Gehorſams, ab. Wie aber Ignatius immer den Gehorſam fuͤr eine der vornehmſten Tugenden erklaͤrt, ſo ſuchten ſie grade in dieſem alle anderen Orden zu uͤbertreffen. Es war ſchon viel, daß ſie ſich ihren Ge - neral allemal auf Lebenszeit zu waͤhlen beſchloſſen: allein dieß genuͤgte ihnen noch nicht. Sie fuͤgten die beſondere Verpflichtung hinzu, „ alles zu thun, was ihnen der jedes - malige Papſt befehlen, in jedes Land zu gehen, zu Tuͤrken, Heiden und Ketzern, in das er ſie ſenden werde, ohne Wi - derrede, ohne Bedingung und Lohn, unverzuͤglich. “
Welch ein Gegenſatz gegen die bisherigen Tendenzen dieſer Zeit! Indem der Papſt auf allen Seiten Widerſtand und Abfall erfuhr und nichts zu erwarten hatte, als fort - gehenden Abfall, vereinigte ſich hier eine Geſellſchaft, frei - willig, voll Eifer, enthuſiaſtiſch, um ſich ausſchließlich ſei - nem Dienſte zu widmen. Er konnte kein Bedenken tragen, ſie anfangs — im Jahre 1540 — unter einigen Beſchraͤn - kungen, und alsdann — 1543 — unbedingt zu beſtaͤtigen.
Indeß that auch die Geſellſchaft den letzten Schritt. Sechſe von den aͤlteſten Bundesgenoſſen traten zuſammen, um den Vorſteher zu waͤhlen, der, wie der erſte Entwurf, den ſie dem Papſt einreichten, beſagte, „ Grade und Aem - ter nach ſeinem Gutduͤnken vertheilen, die Conſtitution mit Beirath der Mitglieder entwerfen, in allen andren Dingenaber193Ignatius Loyola.aber allein zu befehlen haben ſolle; in ihm ſolle Chriſtus als gegenwaͤrtig verehrt werden. “ Einſtimmig waͤhlten ſie Ignaz, der wie Salmeron auf ſeinem Wahlzettel ſagte, „ ſie alle in Chriſto erzeugt und mit ſeiner Milch genaͤhrt habe “1)Suffragium Salmeronis. .
Und nun erſt hatte die Geſellſchaft ihre Form. Es war auch eine Geſellſchaft von Chierici regolari: ſie beruhte auch auf einer Vereinigung von clericaliſchen und kloͤſter - lichen Pflichten: allein ſie unterſchied ſich vielfach von den uͤbrigen dieſer Art.
Hatten ſchon die Theatiner mehrere minder bedeutende Verpflichtungen fallen laſſen, ſo gingen die Jeſuiten darin noch weiter2)Sie finden hierin ihren Unterſchied von den Theatinern ſelbſt. Didacus Payva Andradius Orthodoxarum Explicatt. lib. I, fol. 14.: Illi (Theatini) sacrarum aeternarumque rerum me - ditationi psalmodiaeque potissimum vacant: isti vero (Jesui - tae) cum divinorum mysteriorum assidua contemplatione do - cendae plebis evangelii amplificandi sacramenta administrandi atque reliqua omnia apostolica munera conjungunt. . Es war ihnen nicht genug, alle kloͤſter - liche Tracht zu vermeiden; ſie ſagten ſich auch von den ge - meinſchaftlichen Andachtsuͤbungen, welche in den Kloͤſtern den groͤßten Theil der Zeit wegnehmen, von der Obliegen - heit im Chor zu ſingen los.
Dieſer wenig nothwendigen Beſchaͤftigungen uͤberhoben, widmeten ſie ihre ganze Zeit und alle ihre Kraͤfte den we - ſentlichen Pflichten. Nicht einer beſondern, wie die Bar - nabiten, obwohl ſie die Krankenpflege, weil ſie einen gu - ten Namen machte, ſich angelegen ſeyn ließen: nicht un -13194Buch II. Regeneration des Katholicismus.ter beſchraͤnkenden Bedingungen wie die Theatiner, ſondern mit aller Anſtrengung den wichtigſten. Der Predigt. Schon als ſie ſich in Vicenza trennten, hatten ſie ſich das Wort gegeben, hauptſaͤchlich fuͤr das gemeine Volk zu predigen: und ſich mehr eindruͤcklicher Bewegung als ausgewaͤhlter Rede zu befleißigen; ſo fuhren ſie nunmehr fort. Der Beichte. Denn damit haͤngt die Leitung und Beherrſchung der Gewiſſen unmittelbar zuſammen: in den geiſtlichen Ue - bungen, durch welche ſie ſelber mit Ignaz vereinigt wor - den, beſaßen ſie ein großes Huͤlfsmittel. Endlich dem Un - terrichte der Jugend. Hierzu hatten ſie ſich gleich in ihren Geluͤbden durch eine beſondere Clauſel verpflichten wollen, und ob dieß wohl da nicht durchgegangen war, ſo ſchaͤrf - ten ſie es doch in ihrer Regel auf das lebhafteſte ein. Vor allem wuͤnſchten ſie, die aufwachſende Generation zu ge - winnen. Genug, alles Beiwerk ließen ſie fallen und wid - meten ſich den weſentlichen, wirkſamen, Einfluß verſpre - chenden Tendenzen.
Aus den phantaſtiſchen Beſtrebungen Ignatio’s hatte ſich demnach eine vorzugsweiſe praktiſche Richtung entwik - kelt; aus ſeinen ascetiſchen Bekehrungen ein Inſtitut, mit weltkluger Zweckmaͤßigkeit berechnet.
Alle ſeine Erwartungen ſah er weit uͤbertroffen. Er hatte nun die unbeſchraͤnkte Leitung einer Geſellſchaft in Haͤnden, auf welche ein großer Theil ſeiner Intuitionen uͤberging; welche ihre geiſtlichen Ueberzeugungen mit Stu - dium auf dem Wege bildete, auf dem er ſie durch Zufall und Genius erworben hatte; welche zwar ſeinen jeruſale - miſchen Plan nicht ausfuͤhrte, bei dem ſich nichts erreichen195Erſte Sitzungen d. tridentiſchen Conciliums.ließ, aber uͤbrigens zu den entfernteſten erfolgreichſten Miſ - ſionen ſchritt, und hauptſaͤchlich jene Seelſorge, die er im - mer empfohlen, in einer Ausdehnung uͤbernahm, wie er ſie niemals ahnen koͤnnen; die ihm endlich einen zugleich ſol - datiſchen und geiſtlichen Gehorſam leiſtete.
Ehe wir die Wirkſamkeit, zu der die Geſellſchaft gar bald gelangte, naͤher betrachten, muͤſſen wir noch eine der wichtigſten Bedingungen derſelben eroͤrtern.
Wir ſahen, welche Intereſſen ſich an die Forderung des Conciliums von der kaiſerlichen, an die Verweigerung deſſelben von der paͤpſtlichen Seite knuͤpften. Nur in Ei - ner Beziehung hatte eine neue Kirchenverſammlung doch auch fuͤr den Papſt etwas Wuͤnſchenswerthes. Um die Lehren der katholiſchen Kirche mit ungebrochenem vollen Eifer einpraͤgen und ausbreiten zu koͤnnen, war es noth - wendig, daß die Zweifel, welche ſich uͤber die eine oder die andere in dem Schooße der Kirche ſelbſt erhoben hat - ten, beſeitigt wuͤrden. Mit unbedingter Autoritaͤt ver - mochte dieß allein ein Concilium zu thun. Es kam nur darauf an, daß es zur guͤnſtigen Zeit zuſammenberufen und unter dem Einfluß des Papſtes gehalten wuͤrde.
Jener große Moment, in dem ſich die beiden kirchli - chen Parteien einander in einer mittlern gemaͤßigten Mei - nung mehr als je genaͤhert hatten, ward auch hierfuͤr ent -13*196Buch II. Regeneration des Katholicismus.ſcheidend. Der Papſt, wie geſagt, glaubte wahrzunehmen, daß der Kaiſer ſelbſt den Anſpruch hege, das Concilium zu berufen. In dieſem Augenblick von allen Seiten der Anhaͤnglichkeit katholiſcher Fuͤrſten verſichert, verlor er keine Zeit, ihm darin zuvorzukommen. Es war noch mitten in jenen Bewegungen, daß er ſich definitiv entſchloß zu der oͤcumeniſchen Kirchenverſammlung zu ſchreiten, und allen Zoͤgerungen ein Ende zu machen; ohne Verzug ließ er es Contarini’n, und durch dieſen dem Kaiſer anzeigen1)Ardinghello al Cl. Contarini. 15 Giugno 1541 bei Qui - rini III, CCXLVI: Considerato che nè la concordia a Chri - stiani è successa e la tolerantia (die in Regensburg in Antrag gebracht, aber von dem Conſiſtorium der Cardinaͤle verworfen wor - den war) è illecitissima e damnosa e la guerra difficile e peri - colosa — pare a S. S. che si ricorra al rimedio del concilio. — — Adunque — S. Beatitudine ha determinato di levar via la prorogatione della suspensione del concilio e di dichiararlo e congregarlo quanto piu presto si potrà. ; die Verhandlungen wurden ernſtlich aufgenommen; endlich er - gingen die Berufungsſchreiben: im naͤchſten Jahre finden wir ſeine Legaten bereits in Trient2)Am 22ſten Nov. 1542 trafen ſie ein..
Indeſſen traten auch dießmal neue Hinderniſſe ein: allzugering war die Zahl der erſcheinenden Biſchoͤfe, all - zukriegeriſch die Zeit, und die Umſtaͤnde nicht vollkom - men guͤnſtig: es waͤhrte bis in den December 1545, ehe es zu der wirklichen Eroͤffnung des Conciliums kam. End - lich hatte der alte Zauderer den erwuͤnſchten Moment ge - funden.
Denn welcher haͤtte es mehr ſeyn koͤnnen, als der, in welchem der Kaiſer mit beiden Haͤuptern der Proteſtan -197Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.ten voͤllig zerfallen war, und ſich zum Kriege gegen ſie vorbereitete. Da er die Huͤlfe des Papſtes brauchte, konnte er die Anſpruͤche nicht geltend machen, die er ſonſt auf ein Concilium gruͤnden zu wollen ſchien. Der Krieg mußte ihn vollauf beſchaͤftigen: bei der Macht der Proteſtanten ließ ſich nicht abſehen, in welche Verwickelungen er dabei gerathen wuͤrde: um ſo weniger konnte er dann auf die Reform dringen, mit welcher er bisher dem paͤpſtlichen Stuhle gedroht. Auch uͤbrigens wußte ihm der Papſt zu - naͤchſt den Weg dazu abzuſchneiden. Der Kaiſer forderte, das Concilium ſolle mit der Reform beginnen: die paͤpſt - lichen Legaten ſetzten den Beſchluß durch, es ſolle zugleich uͤber Reform und Dogmen gehandelt werden1)Eine Auskunft, welche Thom. Campeggi vorſchlug. Pallavi - cini VI, VII, 5. Uebrigens war eine Reformationsbulle von allem Anfang entworfen, doch iſt ſie nicht publicirt worden. Bulla refor - mationis Pauli Papae III. concepta non vulgata, primum edidit H. N. Clausen. Havn. 1829.: in der That aber nahm man zuerſt nur die Dogmen vor.
Indem der Papſt zu entfernen wußte, was ihm haͤtte ſchaͤdlich werden koͤnnen, ergriff er dasjenige, woran ihm ſelber gelegen war. Die Feſtſtellung der bezweifelten Lehr - ſaͤtze hatte fuͤr ihn, wie angedeutet, die groͤßte Wichtigkeit. Es kam darauf an, ob von jenen zu dem proteſtantiſchen Syſtem hinneigenden Anſichten ſich eine oder die andere innerhalb des katholiſchen Lehrbegriffs zu halten vermoͤgen wuͤrde.
Contarini zwar war bereits geſtorben, doch war Poole zugegen, und es gab in dieſer Verſammlung noch andere198Buch II. Regeneration des Katholicismus.warme Verfechter derſelben. Die Frage war, ob ſie ihre Meinung geltend machen wuͤrden.
Zuerſt, denn ſehr ſyſtematiſch ging man zu Werke, ſprach man von der Offenbarung ſelbſt, den Quellen, aus denen die Kenntniß derſelben zu ſchoͤpfen ſey. Gleich hier erhoben ſich einige Stimmen in der Richtung des Prote - ſtantismus. Der Biſchof Nachianti von Chiozza wollte von nichts, als von der Schrift hoͤren: in dem Evange - lium ſtehe alles geſchrieben, was zu unſerer Seligkeit noth - wendig. Allein er hatte eine ungeheure Majoritaͤt wider ſich. Man faßte den Beſchluß, die ungeſchriebenen Tradi - tionen, die aus dem Munde Chriſti empfangen, unter dem Schutze des heiligen Geiſtes bis auf die neueſte Zeit fort - gepflanzt worden, ſeyen mit gleicher Verehrung anzunehmen wie die heilige Schrift. In Hinſicht dieſer wies man nicht einmal auf die Grundtexte zuruͤck. Man erkannte in der Vulgata die authentiſche Ueberſetzung derſelben an, und ver - ſprach nur, daß ſie ins Kuͤnftige auf das ſorgfaͤltigſte ge - druckt werden ſolle1)Conc. Tridentini Sessio IV. : „ in publicis lectionibus dis - putationibus praedicationibus et expositionibus pro authentica[h]abeatur. “ Verbeſſert ſoll ſie gedruckt werden posthac, nicht ganz wie Pallavicini hat: quanto si potesse piu tosto. VI, 15, 2. .
Nachdem dergeſtalt der Grund gelegt worden, nicht mit Unrecht ward geſagt, es ſey die Haͤlfte des Weges, kam man an jenes entſcheidende Lehrſtuͤck von der Rechtferti - gung und die damit zuſammenhaͤngenden Doctrinen. An dieſe Streitfrage knuͤpfte ſich das vornehmſte Intereſſe.
Denn nicht Wenige gab es in der That noch auf dem199Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.Concilium, deren Anſichten hieruͤber mit den proteſtanti - ſchen Meinungen zuſammenfielen. Der Erzbiſchof von Siena, der Biſchof della Cava, Giulio Contarini, Biſchof zu Belluno, und mit ihnen fuͤnf Theologen ſchrieben die Rechtfertigung einzig und allein dem Verdienſte Chriſti und dem Glauben zu. Liebe und Hoffnung erklaͤrten ſie fuͤr die Begleiterinnen, Werke fuͤr die Beweiſe des Glaubens; nichts weiter ſeyen ſie: der Grund der Rechtfertigung aber allein der Glaube.
Wie war es zu denken, daß in einem Moment, in welchem Papſt und Kaiſer die Proteſtanten mit Gewalt der Waffen angriffen, ſich die Grundanſicht, von der ſich deren ganzes Weſen herleitete, auf einem Concilium unter den Auſpicien des Papſtes und des Kaiſers geltend machen ſollte? Vergebens ermahnte Poole, nicht etwa eine Mei - nung nur deshalb zu verwerfen, weil ſie von Luther be - hauptet worden. Allzuviel perſoͤnliche Erbitterungen knuͤpf - ten ſich daran. Der Biſchof della Cava und ein griechi - ſcher Moͤnch geriethen thaͤtlich an einander. Ueber einen ſo unzweifelhaften Ausdruck einer proteſtantiſchen Meinung konnte es auf dem Concilium gar nicht einmal zu bedeutenden Discuſſionen kommen; dieſe galten, und ſchon dieß iſt wichtig genug, nur der vermittelnden Meinung, wie ſie Gaspar Contarini und ſeine Freunde aufgeſtellt.
Der Auguſtinergeneral, Seripando trug ſie, doch nicht ohne die ausdruͤckliche Verwahrung vor, daß es nicht die Meinungen Luthers ſeyen, die er verfechte, vielmehr die Lehren der beruͤhmteſten Gegner deſſelben, z. B. eines Pflug und Gropper. Er nahm eine doppelte Gerechtig -200Buch II. Regeneration des Katholicismus.keit an1)Parere dato a 13 di Luglio 1544. Excerpirt von Palla - vicini VIII, XI. 4.: die eine uns inwohnend, inhaͤrirend, durch welche wir aus Suͤndern Kinder Gottes werden, auch ſie Gnade und unverdient; thaͤtig in Werken, ſichtbar in Tu - genden, aber allein nicht faͤhig, uns zur Glorie Gottes einzufuͤhren: die andere die Gerechtigkeit und das Ver - dienſt Chriſti, uns beigemeſſen, imputirt, welche alle Maͤn - gel erſetze, vollſtaͤndig, ſeligmachend. Eben ſo hatte Con - tarini gelehrt. Wenn die Frage ſey, ſagt dieſer, auf welche von jenen Gerechtigkeiten wir bauen ſollen, die inwoh - nende, oder die in Chriſto beigemeſſene, ſo ſey die Ant - wort eines Frommen, daß wir uns nur auf die letzte zu verlaſſen haben. Unſere Gerechtigkeit ſey eben erſt ange - fangen, unvollkommen, voller Maͤngel; Chriſti Gerechtig - keit dagegen wahrhaft, vollkommen, in den Augen Got - tes durchaus und allein wohlgefaͤllig; um ihretwillen al - lein koͤnne man glauben, vor Gott gerechtfertigt zu wer - den2)Contareni tractatus de justificatione. Nur muß man nicht an die Venez. Ausg. von 1589, wie es auch mir zuerſt ging, gera - then: da ſucht man dieſe Stelle vergebens. Noch 1571 hatte die Sorbonne den Tractat, wie er war, gebilligt; in der Pariſer Ausgabe von dieſem Jahre findet er ſich unverſtuͤmmelt; 1589 da - gegen ließ ihn der Generalinquiſitor von Venedig, Fra Marco Me - dici nicht mehr paſſiren: er begnuͤgte ſich nicht, die Stellen wegzu - laſſen: ſie wurden dem recipirten Dogma gemaͤß umgeſchmolzen. Man erſtaunt, wenn man im Quirini Epp. Poli III, CCXIII, auf die Collation ſtoͤßt. Man muß ſich dieſer unverantwortlichen Ge - waltſamkeiten erinnern, um ſich einen ſo bittern Haß, wie ihn Paul Sarpi hegte, zu erklaͤren..
Jedoch auch in ſolch einer Modification — ſie ließ,201Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.wie wir ſehen, das Weſen der proteſtantiſchen Lehre beſte - hen, und konnte von Anhaͤngern derſelben gebilligt werden — fand dieſe Meinung lebhaften Widerſpruch.
Caraffa, der ſich ihr ſchon damals opponirt hatte, als ſie in Regensburg verhandelt ward, ſaß auch jetzt un - ter den Cardinaͤlen, welchen die Beaufſichtigung des triden - tiniſchen Conciliums anvertraut war. Er kam mit einer eignen Abhandlung uͤber die Rechtfertigung hervor, in der er allen Meinungen dieſer Art lebhaft widerſprach1)Bromato Vita di Paolo IV. Tom. II, p. 131.. Ihm zur Seite erhoben ſich bereits die Jeſuiten. Salmeron und Lainez hatten ſich das wohl ausgeſonnene Vorrecht ver - ſchafft, daß jener zuerſt, dieſer zuletzt ſeine Meinung vor - zutragen hatte. Sie waren gelehrt, kraͤftig, in der Bluͤthe ihrer Jahre, voller Eifer. Von Ignatius angewieſen, nie einer Meinung beizupflichten, die ſich im mindeſten einer Neuerung naͤhere2)Orlandinus VI, p. 127., widerſetzten ſie ſich aus allen Kraͤften der Lehre Seripando’s. Lainez erſchien mehr mit einem Werke als mit einer Widerrede auf dem Kampfplatz. Er hatte den groͤßten Theil der Theologen auf ſeiner Seite.
Jene Unterſcheidung der Gerechtigkeiten ließen dieſe Gegner allenfalls gelten. Allein ſie behaupteten, die im - putative Gerechtigkeit gehe in der inhaͤrirenden auf; oder das Verdienſt Chriſti werde den Menſchen durch den Glau - ben unmittelbar zugewendet und mitgetheilt; man habe al - lerdings auf die Gerechtigkeit Chriſti zu bauen, aber nicht weil ſie die unſere ergaͤnze, ſondern weil ſie dieſelbe her - vorbringe. Eben hierauf kam alles an. Bei den Anſich -202Buch II. Regeneration des Katholicismus.ten Contarini’s und Seripando’s konnte das Verdienſt der Werke nicht beſtehen. Dieſe Anſicht rettete daſſelbe. Es war die alte Lehre der Scholaſtiker, daß die Seele mit der Gnade bekleidet ſich das ewige Leben verdiene1)Chemnitius examen concilii Tridentini I, 355.. Der Erzbiſchof von Bitonto, einer der gelehrteſten und bered - teſten dieſer Vaͤter, unterſchied eine vorlaͤufige Rechtferti - gung, abhaͤngig von dem Verdienſt Chriſti, durch welche der Gottloſe von dem Stande der Verwerfung befreit werde; und eine nachfolgende, die Erwerbung der eigentlichen Ge - rechtigkeit, abhaͤngig von der uns eingegoſſenen und inwoh - nenden Gnade. In dieſem Sinne ſagte der Biſchof von Fano, der Glaube ſey nur das Thor zur Rechtfertigung; aber man duͤrfe nicht ſtehen bleiben: man muͤſſe den gan - zen Weg vollbringen.
So nahe dieſe Meinungen einander zu beruͤhren ſchei - nen, ſo ſind ſie einander doch voͤllig entgegengeſetzt. Auch die lutheriſche fordert die innere Wiedergeburt, bezeichnet den Weg des Heiles und behauptet, daß gute Werke fol - gen muͤſſen; die goͤttliche Begnadigung aber leitet ſie allein von dem Verdienſte Chriſti her. Das tridentiniſche Con - cilium dagegen nimmt zwar auch das Verdienſt Chriſti an, aber die Rechtfertigung ſchreibt es demſelben nur in ſofern zu, als es die innere Wiedergeburt, und mithin gute Werke, auf die zuletzt alles ankommt, hervorbringt. Der Gottloſe, ſagt es2)Sessio VI, c. VII, X. , wird gerechtfertigt, indem durch das Verdienſt des heiligſten Leidens, vermoͤge des h. Geiſtes, die Liebe Gottes ſeinem Herzen eingepflanzt wird und dem -203Erſte Sitzungen d. tridentiniſchen Conciliums.ſelben inwohnt; dergeſtalt ein Freund Gottes geworden, geht der Menſch fort von Tugend zu Tugend und wird er - neuert von Tag zu Tag. Indem er die Gebote Gottes und der Kirche beobachtet, waͤchſt er mit Huͤlfe des Glau - bens durch gute Werke in der durch Chriſti Gnade er - langten Gerechtigkeit, und wird mehr und mehr gerecht - fertigt.
Und ſo ward die Meinung der Proteſtanten von dem Katholicismus voͤllig ausgeſchloſſen: jede Vermittelung ward von der Hand gewieſen. Ebendamals geſchah dieß, als der Kaiſer in Deutſchland den Sieg bereits erfochten hatte, die Lutheraner ſich ſchon von allen Seiten ergaben, und Jener ſich aufmachte, die Widerſpenſtigen die es noch gab, nicht minder zu unterwerfen. Schon hatten die Ver - fechter der mittlern Meinung, Cardinal Poole, der Erzbiſchof von Siena das Concilium wie natuͤrlich unter andern Vor - waͤnden verlaſſen1)Wenigſtens waͤre es ſeltſam, wenn ſie beide durch den Zu - fall einer außerordentlichen Krankheit wie es hieß, abgehalten worden waͤren, nach Trient zuruͤckzukommen. Polo ai Cli. Monte e Cervini 15 Set. 1546. Epp. T. IV, 189. Es that dieß dem Poole vie - len Schaden. Mendoza al Emperador Carlos 13 Jul. 1547. Lo Cardinal de Inglaterra le haze danno lo que se a dicho de la Justificacion. : ſtatt Andern in ihrem Glauben Maaß und Ziel zu geben, mußten ſie beſorgt ſeyn, den eigenen angegriffen und verdammt zu ſehen.
Es war aber hiermit die wichtigſte Schwierigkeit uͤber - wunden. Da die Rechtfertigung innerhalb des Menſchen vor ſich geht, und zwar in fortdauernder Entwickelung, ſo kann ſie der Sacramente nicht entbehren, durch welche ſie204Buch II. Regeneration des Katholicismus.entweder anfaͤngt, oder wenn ſie angefangen hat, fortge - ſetzt, oder wenn ſie verloren iſt, wieder erworben wird1)Sessio VII. Prooemium. Es hat keine Schwierigkeit, ſie alle ſieben, wie ſie bisher an - genommen worden, beizubehalten und auf den Urheber des Glaubens zuruͤckzufuͤhren, da die Inſtitute der Kirche Chriſti nicht allein durch die Schrift, ſondern auch durch die Tra - dition mitgetheilt ſind2)Die Discuſſionen hieruͤber theilt Sarpi mit: Historia del concilio Tridentino; p. 241 (Ausg. v. 1629.). Pallavicini iſt dar - uͤber ſehr unzureichend.. Nun umfaſſen aber dieſe Sa - cramente, wie man weiß, das ganze Leben und alle Stu - fen, in denen es ſich entwickelt; ſie gruͤnden die Hierar - chie, in ſo fern ſie Tag und Stunde beherrſcht; indem ſie die Gnade nicht allein bedeuten, ſondern mittheilen, voll - enden ſie den myſtiſchen Bezug, in welchem der Menſch zu Gott gedacht wird.
Eben darum nahm man die Tradition an, weil der heilige Geiſt der Kirche immerfort inwohne; die Vulgata, weil die roͤmiſche Kirche durch beſondere goͤttliche Gnade von aller Verirrung frei erhalten worden; dieſem Inwoh - nen des goͤttlichen Elementes entſpricht es dann, daß auch das rechtfertigende Prinzip in dem Menſchen ſelbſt Platz nimmt, daß die in dem ſichtbaren Sacrament gleichſam gebundene Gnade ihm Schritt fuͤr Schritt mitgetheilt wird und ſein Leben und Sterben umfaßt. Die erſchei - nende Kirche iſt zugleich die wahre, die man die unſicht - bare genannt hat. Religioͤſe Exiſtenz kann ſie außer ihrem Kreiſe nicht anerkennen.
205Inquiſition.Dieſe Lehren auszubreiten, die ihnen entgegenſtehenden zu unterdruͤcken, hatte man mittlerweile auch ſchon Maaß - regeln ergriffen.
Wir muͤſſen hier noch einmal auf die Zeiten des Regensburger Geſpraͤchs zuruͤckkommen. Als man ſah, daß man mit den deutſchen Proteſtanten zu keinem Schluß kam, daß indeß auch in Italien Streitigkeiten uͤber das Sacrament, Zweifel an dem Fegfeuer, und an - dere fuͤr den roͤmiſchen Ritus bedenkliche Lehrmeinungen uͤberhandnahmen, ſo fragte der Papſt eines Tages den Car - dinal Caraffa, welches Mittel er hiergegen anzurathen wiſſe. Der Cardinal erklaͤrte, daß eine durchgreifende Inquiſition das einzige ſey. Johann Alvarez de Toledo, Cardinal von Burgos, ſtimmte ihm hierin bei.
Die alte dominicaniſche Inquiſition war vorlaͤngſt verfal - len. Da es den Moͤnchsorden uͤberlaſſen blieb, die Inquiſitoren zu waͤhlen, ſo geſchah, daß dieſe nicht ſelten die Meinungen theilten, welche man bekaͤmpfen wollte. In Spanien war man bereits dadurch von der fruͤhern Form abgewichen, daß man ein oberſtes Tribunal der Inquiſition fuͤr dieſes Land eingerichtet hatte. Caraffa und Burgos, beide alte Domi - nicaner, von finſterer Gerechtigkeit, Zeloten fuͤr den rei - nen Katholicismus, ſtreng in ihrem Leben, unbeugſam in ihren Meinungen, riethen dem Papſt, nach dem Muſter von Spanien, ein allgemeines hoͤchſtes Tribunal der In -206Buch II. Regeneration des Katholicismus.quiſition, von dem alle anderen abhaͤngen muͤßten, zu Rom zu errichten. Wie S. Peter, ſagte Caraffa, den erſten Haͤre - ſiarchen an keinem andern Orte als in Rom beſiegt, ſo muͤſſe der Nachfolger Petri alle Ketzereien der Welt in Rom uͤberwaͤltigen1)Bromato Vita di Paolo IV. Lib. VII. §. 3.. Die Jeſuiten rechnen es ſich zum Ruhme, daß ihr Stifter Loyola dieſen Vorſchlag durch eine beſondere Vorſtellung unterſtuͤtzt habe. Am 21. Juli 1542 erging die Bulle.
Sie ernennt ſechs Cardinaͤle, unter denen Caraffa und Toledo zuerſt genannt werden, zu Commiſſarien des apo - ſtoliſchen Stuhles, allgemeinen und allgemeinſten Inquiſi - toren in Glaubensſachen dieſſeit und jenſeit der Berge. Sie ertheilt ihnen das Recht, an allen Orten, wo es ihnen gut ſcheine, Geiſtliche mit einer aͤhnlichen Gewalt zu dele - giren, die Appellationen wider deren Verfahren allein zu ent - ſcheiden, ſelbſt ohne die Theilnahme des ordentlichen geiſt - lichen Gerichtshofes zu procediren. Jedermann, Niemand ausgenommen, ohne Ruͤckſicht auf irgend einen Stand, ir - gend eine Wuͤrde ſoll ihrem Richterſtuhle unterworfen ſeyn; die Verdaͤchtigen ſollen ſie ins Gefaͤngniß werfen, die Schul - digen ſelbſt am Leben ſtrafen und ihre Guͤter verkaufen. Nur Eine Beſchraͤnkung wird ihnen auferlegt. Zu ſtrafen ſoll ihnen zuſtehen: die Schuldigen, welche ſich bekehren, zu be - gnadigen, behaͤlt der Papſt ſich vor. So ſollen ſie alles thun, anordnen, ausfuͤhren, um die Irrthuͤmer, die in der chriſtlichen Gemeine ausgebrochen ſind, zu unterdruͤcken und mit der Wurzel auszurotten2)Licet ab initio. Deputatio nonnullorum S. R. E. Car -.
207Inquiſition.Caraffa verlor keinen Augenblick, dieſe Bulle in Aus - fuͤhrung zu bringen. Er war nicht etwa reich, doch haͤtte es ihm dieß Mal ein Verluſt geſchienen, eine Zahlung aus der apoſtoliſchen Kammer abzuwarten; er nahm ſofort ein Haus in Miethe; aus eignen Mitteln richtete er die Zim - mer der Beamten und die Gefaͤngniſſe ein; er verſah ſie mit Riegeln und ſtarken Schloͤſſern, mit Bloͤcken, Ketten und Banden und jener ganzen furchtbaren Geraͤthſchaft. Dann ernannte er Generalcommiſſaͤre fuͤr die verſchiedenen Laͤnder. Der erſte, ſo viel ich ſehe fuͤr Rom war ſein ei - gener Theolog, Teofilo di Tropea, uͤber deſſen Strenge ſich Cardinaͤle, wie Poole, bald zu beklagen hatten.
„ Folgende Regeln, “ſagt die handſchriftliche Lebens - beſchreibung Caraffa’s, „ hatte ſich der Cardinal hierbei als die richtigſten vorgezeichnet “1)Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. c. 8. „ Haveva egli queste infrascritte regole tenute da lui come assiomi verissimi: la prima, che in materia di fede non bisogna aspettar punto, ma subito che vi è qualche sospetto o indicio di peste heretica far ogni sforzo e violenza per estirparla “etc. :
Es iſt alles, wie wir ſehen, Strenge, unnachſichtige, ruͤckſichtsloſe Strenge, bis das Bekenntniß erfolgt iſt. Furcht - bar, beſonders in einem Momente, wo die Meinungen noch nicht ganz entwickelt waren, wo Viele die tieferen Lehren des Chriſtenthums mit den Einrichtungen der beſtehenden Kirche zu vereinigen ſuchten. Die Schwaͤcheren gaben nach und unterwarfen ſich: die Staͤrker-Gearteten dagegen ergriffen nun erſt eigentlich die entgegengeſetzten Meinungen und ſuch - ten ſich der Gewalt zu entziehen.
Einer der erſten von ihnen war Bernardin Ochin. Schon eine Zeitlang wollte man bemerkt haben, daß er ſeine kloͤſterlichen Pflichten minder ſorgſam erfuͤlle: im Jahr 1542 ward man auch an ſeinen Predigten irre. Auf das ſchneidendſte behauptete er die Lehre, daß der Glaube allein rechtfertige; nach einer Stelle Auguſtins rief er aus, „ der dich ohne dich geſchaffen, wird er dich nicht ohne dich ſelig machen? “ Seine Erklaͤrungen uͤber das Fegefeuer ſchienen nicht ſehr orthodox. Schon der Nunzius zu Venedig verbot ihm auf ein paar Tage die Kanzel: hierauf ward er nach Rom citirt; er war bereits bis Bologna, bis Florenz gekommen, als er, wahrſcheinlich aus Furcht vor der eben errichteten Inquiſition, zu fliehen beſchloß. Nicht uͤbel laͤßtihn209Inquiſition.ihn der Geſchichtſchreiber ſeines Ordens1)Boverio: Annali I, 438., wie er auf den S. Bernard gekommen, noch einmal ſtillſtehen, und ſich aller der Ehre, die ihm in ſeinem ſchoͤnen Vaterlande erwieſen worden, der Unzaͤhligen erinnern, die ihn voll Erwartung empfingen, mit Spannung hoͤrten und mit bewundernder Genugthuung nach Hauſe begleiteten; gewiß verliert ein Redner noch mehr als ein Andrer an ſeinem Vaterlande. Aber er verließ es, obwohl in ſo hohem Alter. Er gab das Siegel ſeines Ordens, das er bis hieher mit ſich ge - tragen, ſeinem Begleiter und ging nach Genf. Noch im - mer waren indeß ſeine Ueberzeugungen nicht feſt; er iſt in ſehr außerordentliche Verirrungen gefallen.
Um die nemliche Zeit verließ Peter Martyr Vermigli Italien. Ich riß mich, ſagt er, aus ſo vielen Verſtellun - gen heraus, und rettete mein Leben vor der bevorſtehenden Gefahr. Viele von den Schuͤlern, die er bis dahin in Lucca gezogen, folgten ihm ſpaͤter nach2)Ein Schreiben Peter Martyrs an ſeine zuruͤckgelaſſene Ge - meine, worin er noch ſeine Reue ausdruͤckt, daß er die Wahrheit zuweilen in Dunkel gehuͤllt, in Schloſſer: Leben Beza’s und Peter Martyrs S. 400. Viele einzelne Notizen haben Gerdeſius und M’Crie in den oben angefuͤhrten Buͤchern geſammelt..
Naͤher ließ ſich Caͤlio Secundo Curione die Gefahr kommen. Er wartete bis der Bargello erſchien ihn zu ſu - chen. Curione war groß und ſtark. Mit dem Meſſer, das er eben fuͤhrte, ging er mitten durch die Sbirren hindurch, ſchwang ſich auf ſein Pferd und ritt davon. Er ging nach der Schweiz.
Schon einmal hatte es Bewegungen in Modena ge -14210Buch II. Regeneration des Katholicismus.gegeben: jetzt erwachten ſie wieder. Einer klagte den andern an. Filippo Valentin entwich nach Trient. Auch Caſtel - vetri fand es gerathen, ſich wenigſtens eine Zeitlang in Deutſchland ſicher zu ſtellen.
Denn in Italien brach allenthalben die Verfolgung und der Schrecken aus. Der Haß der Factionen kam den Inquiſitoren zu Huͤlfe. Wie oft griff man, nachdem man lange vergebens eine andere Gelegenheit geſucht, ſich an ſeinen Gegnern zu raͤchen, zu der Beſchuldigung der Ketze - rei. Nun hatten die altglaͤubigen Moͤnche wider jene ganze Schaar geiſtreicher Leute, die durch ihr literari - ſches Bemuͤhen auf eine religioͤſe Tendenz gefuͤhrt worden — zwei Parteien, die einander gleich bitteren Haß wid - meten, — die Waffen in den Haͤnden, und verdammten ihre Gegner zu ewigem Stillſchweigen. Kaum iſt es moͤglich, ruft Antonio dei Pagliarici aus, ein Chriſt zu ſeyn und auf ſeinem Bette zu ſterben1)Aonii Palearici Opera ed. Wetsten. 1696. p. 91. Il Cl. di Ravenna al Cl. Contarini — Epp. Poli III, 208 fuͤhrt dieſen Grund ſchon an: Sendo quella città (Ravenna) partialis - sima nè vi rimanendo huomo alcuno non contaminato di questa macchia delle fattioni si van volontieri dove l’occasion s’offe - risce, caricando l’un l’altro da inimici. . Die Akade - mie von Modena war nicht die einzige, welche ſich auf - loͤſte. Auch die neapolitaniſchen, von den Seggi errich - tet, urſpruͤnglich nur fuͤr die Studien beſtimmt, von de - nen ſie allerdings, dem Geiſte der Zeit gemaͤß, zu theo - logiſchen Disputationen fortgingen, wurden vom Vicekoͤnig geſchloſſen2)Giannone Storia di Napoli XXXII, c. V. . Die geſammte Literatur ward der ſtrengſten211Inquiſition.Aufſicht unterworfen. Im Jahre 1543 verordnete Caraffa, daß in Zukunft kein Buch, von welchem Inhalt auch im - mer, gleichviel ob alt oder neu gedruckt werden duͤrfe, ohne die Erlaubniß der Inquiſitoren; die Buchhaͤndler muß - ten eben Dieſen Verzeichniſſe aller ihrer Artikel einreichen; ohne deren Erlaubniß ſollten ſie nichts mehr verkaufen; die Zollbeamten der Dogana erhielten den Befehl, keine Sen - dung handſchriftlicher oder gedruckter Buͤcher an ihre Be - ſtimmung abzuliefern, ohne ſie vorher der Inquiſition vorgelegt zu haben1)Bromato VII, 9.. Allmaͤhlig kam man auf den In - dex der verbotenen Buͤcher. In Loͤwen und Paris hatte man die erſten Beiſpiele gegeben. In Italien ließ Gio - vanni della Caſa, in dem engſten Vertrauen des Hauſes Caraffa, den erſten Catalog, ungefaͤhr von 70 Nummern, zu Venedig drucken. Ausfuͤhrlichere erſchienen 1552 zu Florenz, 1554 zu Mailand; der erſte in der ſpaͤterhin ge - braͤuchlichen Form zu Rom 1559. Er enthielt Schriften der Cardinaͤle, die Gedichte jenes Caſa ſelbſt. Nicht allein Druckern und Buchhaͤndlern wurden dieſe Geſetze gegeben, ſelbſt den Privatleuten ward es zur Gewiſſenspflicht ge - macht, die Exiſtenz der verbotenen Buͤcher anzuzeigen, zu ihrer Vernichtung beizutragen. Mit unglaublicher Strenge ſetzte man dieſe Maaßregel durch. In ſo vielen Tauſend Exemplaren das Buch uͤber die Wohlthat Chriſti verbreitet ſeyn mochte, es iſt voͤllig verſchwunden und nicht mehr aufzufinden. In Rom hat man Scheiterhaufen von weg - genommenen Exemplaren verbrannt.
Bei allen dieſen Einrichtungen, Unternehmungen bediente14*212Buch II. Regeneration des Katholicismus.ſich die Geiſtlichkeit der Huͤlfe des weltlichen Arms1)Auch andere Laien ſchloſſen ſich ihren Beſtrebungen an. „ Fu rimediato, “ſagt das Compendium der Inquiſitoren, „ oppor - tunamente dal S. officio in Roma con porre in ogni città va - lenti e zelanti inquisitori servendosi anche talhora de secolari zelanti e dotti per ajuto della fede come verbi gratia del Go - descalco in Como, del conte Albano in Bergamo, del Mutio in Milano. Questa risolutione di servirsi de’ secolari fu presa perche non soli moltissimi vescovi vicarii frati e preti, ma anco molti dell’ istessa inquisitione erano heretici. . Es kam den Paͤpſten zu Statten, daß ſie ein eigenes Land von ſo bedeutendem Umfang beſaßen: hier konnten ſie das Beiſpiel geben und das Muſter aufſtellen. In Mailand und Neapel durfte ſich die Regierung um ſo weniger wi - derſetzen da ſie beabſichtigt hatte, die ſpaniſche Inquiſition daſelbſt einzufuͤhren: in Neapel blieb nur die Confiscation der Guͤter verboten. In Toskana war die Inquiſition durch den Legaten, den ſich Herzog Coſimo zu verſchaffen wußte, weltlichem Einfluß zugaͤnglich; die Bruͤderſchaften, die ſie ſtiftete, gaben jedoch großen Anſtoß; in Siena und Piſa nahm ſie ſich wider die Univerſitaͤten mehr heraus als ihr gebuͤhrte. Im Venetianiſchen blieb der Inquiſitor zwar nicht ohne weltliche Aufſicht — in der Hauptſtadt ſaßen ſeit dem April 1547 drei venezianiſche Nobili in ſei - nem Tribunal; in den Provinzen hatte der Rettore jeder Stadt, der dann zuweilen Doctoren zu Rathe zog, und in ſchwierigen Faͤllen, beſonders ſobald die Anklage bedeu - tendere Perſonen betraf, erſt bei dem Rathe der Zehn an - fragte Antheil an der Unterſuchung; allein dieß hin - derte nicht, daß man nicht im Weſentlichen die Verord - nungen von Rom in Ausfuͤhrung gebracht haͤtte.
213Inquiſition.Und ſo wurden die Regungen abweichender Religions - meinungen in Italien mit Gewalt erſtickt und vernichtet. Faſt der ganze Orden der Franciscaner wurde zu Retracta - tionen genoͤthigt. Der groͤßte Theil der Anhaͤnger des Valdez bequemte ſich zu widerrufen. In Venedig ließ man den Fremden, den Deutſchen, die ſich des Handels oder der Studien halber eingefunden hatten, eine gewiſſe Freiheit; die Einheimiſchen dagegen wurden genoͤthigt, ihre Mei - nungen abzuſchwoͤren: ihre Zuſammenkuͤnfte wurden zer - ſtoͤrt. Viele fluͤchteten; in allen Staͤdten in Deutſchland und der Schweiz begegnen wir dieſen Fluͤchtlingen. Diejeni - gen, die weder nachgeben wollten noch zu entfliehen wuß - ten, verfielen der Strafe. In Venedig wurden ſie mit zwei Barken aus den Lagunen hinaus in das Meer geſchickt. Man legte ein Brett zwiſchen die Barken, und ſetzte die Verurtheilten darauf; in gleichem Augenblick fuh - ren die Ruderer auseinander; das Brett ſtuͤrzte in die Fluth: noch einmal riefen die Ungluͤcklichen den Namen Chriſti aus und ſanken unter. In Rom hielt man vor San Maria alla Minerva die Autodafe’s in aller Form. Mancher floh von Ort zu Ort mit Weib und Kind. Wir begleiten ſie eine Weile: dann verſchwinden ſie: wahrſcheinlich ſind ſie den unbarmherzigen Jaͤgern in die Netze gerathen. Andere hielten ſich ſtill. Die Herzo - gin von Ferrara, welche, wenn es kein ſaliſches Geſetz gegeben haͤtte, Erbin von Frankreich geweſen waͤre, ward durch Geburt und hohen Rang nicht beſchuͤtzt. Ihr Ge - mahl war ſelbſt ihr Gegner. „ Sie ſieht Niemand “, ſagt Marot, „ gegen den ſie ſich beklagen koͤnnte: die Berge ſind214Buch II. Regeneration des Katholicismus.zwiſchen ihr und ihren Freunden; ſie miſcht ihren Wein mit Thraͤnen. “
In dieſer Entwickelung der Dinge, als die Gegner mit Gewalt bei Seite gebracht, die Dogmen aufs neue in dem Geiſte des Jahrhunderts feſtgeſetzt waren, die kirch - liche Macht mit unabwendbaren Waffen die Beobachtung derſelben beaufſichtigte, erhob ſich nun, im engſten Verein mit dieſer, der Orden der Jeſuiten.
Nicht allein in Rom, in ganz Italien gewann er ei - nen ungemeinen Erfolg. Er hatte ſich urſpruͤnglich fuͤr das gemeine Volk beſtimmt: zunaͤchſt bei den vornehmen Claſ - ſen fand er Eingang.
In Parma beguͤnſtigten ihn die Farneſen1)Orlandinus druͤckt ſich ſeltſam aus. Et civitas, ſagte er II, p. 78, et privati quibus fuisse dicitur aliqua cum Romano pontifice necessitudo supplices ad eum literas pro Fabro retinendo dederunt. Gleich als wuͤßte man nicht, daß Paul III. einen Sohn gehabt. Uebrigens ward hernach bei Gelegenheit einer Oppoſition gegen die jeſuitiſch-geſinnte Prieſterſchaft die Inquiſition in Parma eingefuͤhrt.: Fuͤrſtin - nen unterwarfen ſich den geiſtlichen Uebungen. In Vene - dig erklaͤrte Lainez das Evangelium St. Johannis ausdruͤck - lich fuͤr die Nobili, und mit Huͤlfe eines Lippomano gelang es ihm bereits 1542, den Grund zu dem Jeſuitercollegium zu legen. In Montepuciano brachte Franz Strada einige215Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.von den vornehmſten Maͤnnern der Stadt ſo weit, daß ſie mit ihm durch die Straßen gingen und bettelten: Strada klopfte an die Thuͤre: ſie nahmen die Gaben in Empfang. In Faenza gelang es ihnen, obwohl Ochino viel daſelbſt gewirkt hatte, großen Einfluß zu erwerben, hundertjaͤhrige Feindſchaften zu verſoͤhnen und Geſellſchaften zur Unterſtuͤz - zung der Armen zu gruͤnden. Ich fuͤhre nur einige Bei - ſpiele an: allenthalben erſchienen ſie, verſchafften ſich An - haͤnger, bildeten Schulen, ſetzten ſich feſt.
Wie aber Ignatius ganz ein Spanier, und von na - tionalen Ideen ausgegangen war, wie auch leicht ſeine geiſt - reichſten Schuͤler ihm daher gekommen, ſo hatte ſeine Geſell - ſchaft, in die dieſer Geiſt uͤbergegangen, auf der pyrenaͤiſchen Halbinſel faſt noch groͤßeren Fortgang als in Italien ſelbſt. In Barcelona machte ſie eine ſehr bedeutende Erwerbung an dem Vicekoͤnig, Franz Borgia, Herzog von Gandia; in Valencia konnte eine Kirche die Zuhoͤrer des Araoz nicht faſſen, und man errichtete ihm eine Kanzel unter freiem Himmel; in Alcala ſammelten ſich um Franz Vil - lanova, obwohl er krank, von geringer Herkunft und ohne alle Kenntniſſe war, gar bald bedeutende Anhaͤnger; von hier und Salamanca, wo man 1548 mit einem ſehr en - gen ſchlechten Hauſe begann, haben ſich die Jeſuiten her - nach vornemlich uͤber Spanien ausgebreitet1)Ribadeneira Vita Ignatii c. XV, n. 244. c. XXXVIII, nr. 285.. Indeß wa - ren ſie in Portugal nicht minder willkommen. Der Koͤnig ließ von den beiden Erſten, die ihm auf ſein Erſuchen ge - ſchickt wurden, nur den einen nach Oſtindien ziehen; —216Buch II. Regeneration des Katholicismus.es iſt Xaver, der dort den Namen eines Apoſtels und ei - nes Heiligen erwarb — den andern, Simon Roderich, be - hielt er bei ſich. An beiden Hoͤfen verſchafften ſich die Je - ſuiten außerordentlichen Beifall. Den portugieſiſchen refor - mirten ſie durchaus; an dem ſpaniſchen wurden ſie gleich damals die Beichtvaͤter der vornehmſten Großen, des Praͤſi - denten des Rathes von Caſtilien, des Cardinals von Toledo.
Schon im Jahre 1540 hatte Ignatius einige junge Leute nach Paris geſchickt, um daſelbſt zu ſtudiren. Von da breitete ſich ſeine Geſellſchaft nach den Niederlanden aus. In Loͤwen hatte Faber den entſchiedenſten Erfolg: achtzehn junge Maͤnner, bereits Baccalaureen oder Magiſter, erboten ſich, Haus, Univerſitaͤt und Vaterland zu verlaſ - ſen, um ſich mit ihm nach Portugal zu begeben. Schon ſah man ſie in Deutſchland, und unter den erſten trat Peter Caniſius, der ihnen ſo große Dienſte geleiſtet hat, an ſeinem drei und zwanzigſten Geburtstag in ihren Orden.
Dieſer raſche Succeß mußte der Natur der Sache nach auf die Entwickelung der Verfaſſung den wirkſamſten Einfluß haben. Sie bildete ſich folgendergeſtalt aus.
In den Kreis ſeiner erſten Gefaͤhrten, der Profeſ - ſen, nahm Ignatius nur Wenige auf. Er fand, Maͤnner die zugleich vollkommen ausgebildet und gut und fromm ſeyen, gebe es wenige. Gleich in dem erſten Entwurfe, den er dem Papſte einreichte, ſpricht er die Abſicht aus, an ei - ner oder der andern Univerſitaͤt Collegien zu gruͤnden, um juͤngere Leute heranzubilden. In unerwarteter Anzahl, wie217Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.geſagt, ſchloſſen ſich ihm ſolche an. Sie bildeten den Pro - feſſen gegenuͤber die Claſſe der Scholaſtiker1)Pauli III. faeultas Coadjutores admittendi d. V Junii 1546: ita ut ad vota servanda pro eo tempore quo tu fili praeposite et qui pro tempore fuerint ejusdem societatis praepositi, eis in ministerio spirituali vel temporali utendum judicaveritis et non ultra astringantur. Corpus institutorum I, p. 15..
Allein gar bald zeigte ſich eine Inconvenienz. Da die Profeſſen ſich durch ihr unterſcheidendes viertes Geluͤbde zu fortwaͤhrenden Reiſen im Dienſte des Papſtes verpflich - tet hatten, ſo war es ein Widerſpruch, ſo viel Collegien wie noͤthig wurden, Anſtalten, die nur bei einer ununter - brochenen Anweſenheit gedeihen konnten, auf ſie anzuwei - ſen. Bald fand es Ignatius noͤthig, zwiſchen jenen bei - den eine dritte Claſſe einzurichten: geiſtliche Coadjutoren, ebenfalls Prieſter, mit wiſſenſchaftlicher Vorbildung, die ſich ausdruͤcklich zum Unterricht der Jugend verpflichteten. Eines der wichtigſten Inſtitute und ſo viel ich ſehe, den Jeſuiten eigen, auf welchem der Flor ihrer Geſellſchaft be - ruhte. Dieſe erſt konnten an jedem Orte ſich anſiedeln, einheimiſch werden, Einfluß gewinnen und den Unterricht beherrſchen. Wie die Scholaſtiker legten auch ſie nur drei Geluͤbde ab: und bemerken wir wohl: auch dieſe einfach, nicht feierlich. Das will ſagen: ſie ſelbſt waͤren in Ex - communication gefallen, haͤtten ſie ſich von der Geſellſchaft wieder trennen wollen. Aber der Geſellſchaft ſtand das Recht zu, obwohl nur in genau beſtimmten Faͤllen, ſie zu entlaſſen.
Und nun war nur noch eins erforderlich. Die Stu -218Buch II. Regeneration des Katholicismus.dien und Beſchaͤftigungen, zu denen dieſe Claſſen beſtimmt waren, wuͤrde es geſtoͤrt haben, wenn ſie ſich zugleich der Sorge fuͤr ihre aͤußere Exiſtenz haͤtten widmen muͤſ - ſen. Die Profeſſen in ihren Haͤuſern lebten von Almoſen: den Coadjutoren und Scholaſtikern ward dieß erſpart, die Collegien durften gemeinſchaftliche Einkuͤnfte haben. Zu deren Verwaltung, in ſo fern ſie nicht den Profeſſen, die ihrer indeß ſelber nicht genießen konnten, zukam, und der Beſorgung aller Aeußerlichkeiten nahm Ignaz auch noch weltliche Coadjutoren an; welche zwar nicht minder die ein - fachen drei Geluͤbde ablegen, aber ſich mit der Ueberzeu - gung, daß ſie Gott dienen, indem ſie eine Geſellſchaft un - terſtuͤtzen, welche fuͤr das Heil der Seelen wacht, zu begnuͤ - gen und nach nichts Hoͤherem zu trachten haben.
Dieſe Einrichtungen, an ſich wohlberechnet, gruͤndeten auch zugleich eine Hierarchie, die in ihren verſchiedenen Abſtufungen die Geiſter noch beſonders feſſelte1)Die Grundlage bildeten die Novizen, Gaͤſte, Indifferente, aus denen die verſchiedenen Claſſen emporſtiegen..
Faſſen wir die Geſetze, welche dieſer Geſellſchaft nach und nach gegeben wurden, ins Auge, ſo war eine der oberſten Ruͤckſichten, die ihnen zu Grunde lag, die voll - kommenſte Abſonderung von den gewohnten Verhaͤltniſſen. Die Liebe zu den Blutsverwandten wird als eine fleiſch - liche Neigung verdammt2)Summarium Constitutionum §. 8. in dem Corpus insti - tutorum societatis Jesu. Antverpiae 1709. T. I. Bei Orlandi - nus III, 66 wird Faber deshalb geprieſen, weil er einſt, nach eini - gen Jahren der Abweſenheit, bei ſeiner Vaterſtadt in Savoyen an - langte und uͤber ſich gewann, voruͤberzureiſen.. Wer ſeine Guͤter aufgiebt,219Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.um in die Geſellſchaft zu treten, hat ſie nicht ſeinen Ver - wandten zu uͤberlaſſen, ſondern den Armen auszutheilen1)Examen generale c. IV, §. 2.. Wer einmal eingetreten, empfaͤngt weder noch ſchreibt er Briefe, ohne daß ſie von einem Obern geleſen wuͤrden. Die Geſellſchaft will den ganzen Menſchen: alle ſeine Nei - gungen will ſie feſſeln.
Selbſt ſeine Geheimniſſe will ſie mit ihm theilen. Mit einer Generalbeichte tritt er ein. Er hat ſeine Feh - ler, ja ſeine Tugenden anzuzeigen. Ein Beichtvater wird ihm von den Oberen beſtellt: der Obere behaͤlt ſich die Abſolution fuͤr diejenigen Faͤlle vor, von denen es nuͤtzlich iſt, daß er ſie erfahre2)Vorſchriften, einzeln enthalten in dem Summarium Consti - tutionum §. 32, §. 41, dem Examen generale §. 35, §. 36 und Constitutionum P. III, c. 1. nr. 11. Illi casus reservabuntur, heißt es in der letzten Stelle, quos ab eo (superiore) cognosci necessarium videbitur aut valde conveniens. . Schon darum dringt er hier - auf, um den Unteren voͤllig zu kennen und ihn nach Be - lieben zu brauchen.
Denn an die Stelle jedes andern Verhaͤltniſſes, jedes Antriebes, den die Welt zur Thaͤtigkeit anbieten koͤnnte, tritt in dieſer Geſellſchaft der Gehorſam: Gehorſam an ſich, ohne alle Ruͤckſicht worauf er ſich erſtreckt3)Das Schreiben von Ignatius „ fratribus societatis Jesu, qui sunt in Lusitania “7 Kal. Ap. 1553. §. 3.. Es ſoll Niemand nach einem andern Grade verlangen, als dem, welchen er hat: der weltliche Coadjutor ſoll nicht le - ſen und ſchreiben lernen, ohne Erlaubniß, wenn er es nicht bereits kann. Mit voͤlliger Verleugnung allen eige -220Buch II. Regeneration des Katholicismus.nen Urtheils in blinder Unterwuͤrfigkeit ſoll man ſich von ſeinen Oberen regieren laſſen, wie ein lebloſes Ding, wie der Stab, der Demjenigen, der ihn in ſeinen Haͤn - den hat, auf jede beliebige Weiſe dient. In ihnen erſcheint die goͤttliche Vorſicht1)Constitutiones VI, 1. Et sibi quisque persuadeat, quod qui sub obedientia vivunt se ferri ac regi a divina providentia per superiores suos sinere debent, perinde ac cadaver essent. — Hier giebt es nun noch die andere Conſtitution VI, 5, nach welcher auch eine Suͤnde geboten werden kann. „ Visum est nobis in do - mino — — nullas constitutiones declarationes vel ordinem ul - lum vivendi posse obligationem ad peccatum mortale vel veniale inducere, nisi superior ea in nomine domini Jesu Christi vel in virtute obedientiae juberat. “ Man traut ſeinen Augen kaum, wenn man dieß lieſt..
Welch eine Gewalt, die nun der General empfing, der auf Lebenslang, ohne irgend Rechenſchaft geben zu muͤſ - ſen, dieſen Gehorſam zu leiten bekam. Nach dem Ent - wurf von 1543 ſollten alle Mitglieder des Ordens, die ſich mit dem General an Einem und demſelben Orte be - finden wuͤrden, ſelbſt in geringen Dingen zu Rathe ge - zogen werden. Der Entwurf von 1550, welchen Ju - lius III. beſtaͤtigte, entbindet ihn hiervon, in ſo fern er es nicht ſelbſt fuͤr gut haͤlt2)Adjutus, quatenus ipse opportunum judicabit fratrum suorum consilio, per se ipsum ordinandi et jubendi, quae ad dei gloriam pertinere videbuntur, jus totum habeat, ſagt Julii III confirmatio instituti. . Nur zur Veraͤnderung der Conſtitution und zur Aufloͤſung einmal eingerichteter Haͤuſer und Collegien bleibt eine Berathung nothwendig. Sonſt iſt ihm alle Gewalt uͤbertragen, die zur Regierung der Geſellſchaft nuͤtzlich ſeyn moͤchte. Er hat Aſſiſtenten221Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.nach den verſchiedenen Provinzen, die aber keine anderen Ge - ſchaͤfte verhandeln als die, welche er ihnen auftragen wird. Nach Gutduͤnken ernennt er die Vorſteher der Provinzen, Collegien und Haͤuſer: nimmt auf und entlaͤßt, dispenſirt und ſtraft: er hat eine Art von paͤpſtlicher Gewalt im Kleinen1)Constitutiones IX, III. .
Es trat hierbei nur die Gefahr ein, daß der General im Beſitz einer ſo großen Macht, ſelber von den Prinzipien der Geſellſchaft abtruͤnnig wuͤrde. In ſo fern unterwarf man ihn einer gewiſſen Beſchraͤnkung. Es will zwar vielleicht nicht ſo viel ſagen, wie es dem Ignatius geſchienen haben mag, daß die Geſellſchaft oder ihre Deputirten uͤber gewiſſe Aeu - ßerlichkeiten, Mahlzeit, Kleidung, Schlafengehen und das ge - ſammte taͤgliche Leben — zu beſtimmen hatten2)Schedula Ignatii AA. SS. Commentatio praevia nr. 872.: indeß iſt es immer etwas, daß der Inhaber der oberſten Gewalt einer Freiheit beraubt iſt, die der geringſte Menſch genießt. Die Aſſiſtenten, die nicht von ihm ernannt waren, beauf - ſichtigten ihn uͤberdieß fortwaͤhrend. Es gab einen beſtellten Ermahner, Admonitor; bei großen Fehltritten konnten die Aſſiſtenten die Generalcongregation berufen, die dann be - fugt war, ſelbſt die Abſetzung des Generals auszuſprechen.
Es fuͤhrt uns dieß einen Schritt weiter.
Laſſen wir uns nicht von den hyperboliſchen Aus - druͤcken blenden, in denen die Jeſuiten dieſe Gewalt dar - geſtellt haben, und betrachten wir vielmehr, was bei der Ausdehnung, zu der die Geſellſchaft gar bald gedieh, ausfuͤhrbar ſeyn konnte, ſo ſtellt ſich folgendes Verhaͤltniß222Buch II. Regeneration des Katholicismus.dar. Dem General blieb die hoͤchſte Leitung des Ganzen, und vornehmlich die Beaufſichtigung der Oberen, deren Ge - wiſſen er kennen ſoll, denen er die Aemter ertheilt. Dieſe hatten dagegen in ihrem Kreiſe eine aͤhnliche Gewalt und machten ſie haͤufig ſchaͤrfer geltend als der General1)Mariana discurso de las enfermedadas de la compania de Jesus. c. XI. . Obere und General hielten einander gewiſſermaßen das Gleichgewicht. Auch uͤber die Perſoͤnlichkeit aller Unterge - benen, aller Mitglieder der Geſellſchaft mußte der General unterrichtet werden; — wenn er gleich hier, wie es ſich von ſelbſt verſteht, nur in dringenden Faͤllen eingreifen konnte, ſo behielt er doch die oberſte Aufſicht. Ein Aus - ſchuß der Profeſſen dagegen beaufſichtigte hinwiederum ihn.
Es hat andere Inſtitute gegeben, welche auch in der Welt eine eigene Welt bildend, ihre Mitglieder von allen uͤbrigen Beziehungen losriſſen, ſich zu eigen machten, ein neues Lebensprinzip in ihnen erzeugten. Eben hierauf war auch das jeſuitiſche Inſtitut berechnet. Eigenthuͤmlich iſt ihm aber, daß es dabei auf der einen Seite eine indivi - duelle Entwickelung nicht allein beguͤnſtigt, ſondern for - dert, und auf der andern dieſelbe voͤllig gefangennimmt. und ſich zu eigen macht. Daher werden alle Verhaͤltniſſe Perſoͤnlichkeit, Unterordnung, wechſelſeitige Beaufſichtigung. Dennoch bilden ſie eine ſtreng geſchloſſene, vollkommene Einheit: es iſt in ihnen Nerv und Thatkraft; eben darum haben ſie die monarchiſche Gewalt ſo ſtark gemacht; ſie unterwerfen ſich ihr ganz, es waͤre denn, deren Inhaber fiele ſelbſt von dem Prinzip ab.
223Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.Mit der Idee dieſer Geſellſchaft haͤngt es ſehr wohl zuſammen, daß keines ihrer Mitglieder eine geiſtliche Wuͤrde bekleiden ſollte. Es wuͤrde Pflichten zu erfuͤllen gehabt haben, in Verhaͤltniſſe gerathen ſeyn, die nicht mehr zu beaufſichtigen waren. Wenigſtens im Anfange hielt man auf das ſtrengſte daruͤber. Jay wollte und durfte das Bisthum Trieſt nicht annehmen; — als Ferdinand I., der es ihm angetragen, auf ein Schreiben des Ignatius, von ſeinem Wunſche abſtand, ließ dieſer feierliche Meſſen hal - ten und ein Tedeum anſtimmen1)Excerpt aus dem liber memorialis des Ludovicus Conſal - vus: quod desistente rege S. Ignatius indixerit missas, et Te - deum laudamus, in gratiarum actionem. Commentarius praevius in AA. SS. Julii VII. nr. 412..
Ein anderes Moment iſt, daß ſo wie die Geſellſchaft ſich im Ganzen beſchwerlicher Gottesverehrungen uͤberhob, auch die Einzelnen angewieſen wurden, die religioͤſen Ue - bungen nicht zu uͤbertreiben. Mit Faſten, Nachtwachen und Caſteiungen ſoll man weder ſeinen Koͤrper ſchwaͤchen, noch dem Dienſte des Naͤchſten zu viel Zeit entziehen. Auch in der Arbeit wird empfohlen, Maaß zu halten. Man ſoll das muthige Roß nicht allein ſpornen, ſondern auch zaͤh - men: man ſoll ſich nicht mit ſo viel Waffen beſchweren, daß man dieſelben nicht anwenden koͤnne: man ſoll ſich nicht dergeſtalt mit Arbeit uͤberhaͤufen, daß die Freiheit des Geiſtes darunter leide2)Constitutiones V, 3, 1. Epistola Ignatii ad fratres qui sunt in Hispania. Corpus institutorum. II, 540..
Es leuchtet ein, wie ſehr die Geſellſchaft alle ihre Mitglieder gleichſam als ihr Eigenthum beſitzen, aber da -224Buch II. Regeneration des Katholicismus.bei zu der kraͤftigſten Entwickelung gedeihen laſſen will, die innerhalb des Prinzipes moͤglich iſt.
In der That war dieß auch zu den ſchwierigen Ge - ſchaͤften, denen ſie ſich unterzog, unerlaͤßlich. Es waren, wie wir ſahen, Predigt, Unterricht und Beichte. Vornehm - lich den beiden letzteren widmeten ſich die Jeſuiten auf ei - genthuͤmliche Art.
Der Unterricht war bisher in den Haͤnden jener Lite - ratoren geweſen, die, nachdem ſie lange die Studien auf eine durchaus profane Weiſe getrieben, darnach auf eine dem roͤmiſchen Hofe von Anfang nicht ganz genehme, endlich von ihm verworfene geiſtliche Richtung eingegangen waren. Die Jeſuiten machten es ſich zu ihrem Geſchaͤft, ſie zu ver - draͤngen und an ihre Stelle zu treten. Sie waren erſtens ſyſtematiſcher: ſie theilten die Schulen in Claſſen, von den erſten Anfangsgruͤnden an bis zu der letzten Ausbildung hinauf gaben ſie ihren Unterricht in demſelben Geiſte; ſie beaufſichtigten ferner die Sitten und bildeten wohlgezogene Leute; ſie waren von der Staatsgewalt beguͤnſtigt; end - lich, ſie gaben ihren Unterricht umſonſt. Hatte die Stadt oder der Fuͤrſt ein Collegium gegruͤndet, ſo brauchte kein Privatmann weiter etwas zu zahlen. Es war ihnen aus - druͤcklich verboten, Lohn oder Almoſen zu fordern oder an - zunehmen; wie Predigt und Meſſe, ſo war auch der Un - terricht umſonſt; in der Kirche ſelbſt war kein Gotteska - ſten. Wie die Menſchen nun einmal ſind, ſo mußte ihnen dieß, zumal da ſie nun wirklich mit eben ſo viel Erfolg wie Eifer unterrichteten, unendlich foͤrderlich ſeyn. Nicht allein den Armen werde damit geholfen, ſondern auch denRei -225Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.Reichen eine Erleichterung gewaͤhrt, ſagt Orlandini1)Orlandinus lib. VI, 70. Es waͤre eine Vergleichung an - zuſtellen mit den Kloſterſchulen der Proteſtanten, in denen auch die geiſtliche Richtung voͤllig vorherrſchend wurde. S. Sturm bei Ruh - kopf Geſch. des Schulweſens S. 378. Es kaͤme auf den Unter - ſchied an.. Er bemerkt, welch ungeheuren Succeß man gehabt. „ Wir ſehen, “ſagt er, „ Viele im Purpur der Cardinaͤle glaͤnzen, die wir noch vor Kurzem auf unſern Schulbaͤnken vor uns hatten: Andere ſind in Staͤdten und Staaten zur Regie - rung gelangt; Biſchoͤfe und ihre Raͤthe haben wir erzo - gen; ſelbſt andere geiſtliche Genoſſenſchaften ſind aus un - ſern Schulen erfuͤllt worden. “ Die hervorragenden Talente wußten ſie, wie leicht zu erachten, ſich ſelber zuzueignen. Sie bildeten ſich zu einem Lehrerſtand aus, der — indem er ſich uͤber alle katholiſchen Laͤnder verbreitete, dem Unterricht die geiſtliche Farbe, die er ſeitdem behalten, erſt verlieh, in Disciplin, Methode und Lehre eine ſtrenge Einheit behaup - tete — ſich einen unberechenbaren Einfluß verſchafft hat.
Wie ſehr verſtaͤrkten ſie denſelben aber, indem ſie ſich zugleich der Beichte und der Leitung der Gewiſſen zu bemaͤch - tigen verſtanden! Kein Jahrhundert war dafuͤr empfaͤng - licher, deſſen gleichſam beduͤrftiger. Den Jeſuiten ſchaͤrft ihr Geſetzbuch ein, „ in der Art und Weiſe die Abſolu - tion zu ertheilen, die nemliche Methode zu befolgen, ſich in den Gewiſſensfaͤllen zu uͤben, ſich eine kurze Art, zu fragen, anzugewoͤhnen und gegen jedwede Art von Suͤnde die Beiſpiele der Heiligen, ihre Worte und andere Huͤlfe bereit zu halten “2)Regula sacerdotum §. 8, 10, 11.. Regeln, wie am Tage liegt, auf15226Buch II. Regeneration des Katholicismus.das Beduͤrfniß des Menſchen ganz wohl berechnet. Indeſ - ſen beruhte der ungemeine Erfolg, zu dem ſie es brachten, der eine wahre Ausbreitung ihrer Sinnesweiſe einſchloß, noch auf einem anderen Momente.
Sehr merkwuͤrdig iſt das kleine Buch der geiſtlichen Uebungen, welches Ignaz, ich will zwar nicht ſagen zuerſt entworfen, aber auf das eigenthuͤmlichſte ausgearbeitet1)Denn nach allem, was fuͤr und wider geſchrieben worden, leuchtet wohl ein, daß Ignatius ein aͤhnliches Buch von Garcia de Cisneros vor Augen hatte. Das Eigenthuͤmlichſte aber ſcheint von ihm zu ſtammen. Comm. praev. nr. 64., mit dem er ſeine erſten, und dann auch ſeine ſpaͤteren Schuͤler, ſeine Anhaͤnger uͤberhaupt geſammelt und ſich zu eigen gemacht hat. Fort und fort war es wirkſam. Um ſo mehr vielleicht grade darum, weil es nur gelegentlich, in dem Augenblicke innerer Unruhen, eines inneren Beduͤrf - niſſes anempfohlen wurde.
Es iſt nicht ein Lehrbuch: es iſt eine Anweiſung zu eigenen Betrachtungen. Die Sehnſucht der Seele, ſagt Ignatius, wird nicht durch eine Menge von Kenntniſſen, nur durch die eigene innere Anſchauung wird ſie erfuͤllt2)Non enim abundantia scientiae, sed sensus et gustus rerum interior desiderium animae replere solet. .
Dieſe zu leiten nimmt er ſich vor. Der Seelſorger deutet die Geſichtspuncte an: der Uebende hat ſie zu ver - folgen. Vor dem Schlafengehen und ſogleich bei dem er - ſten Erwachen hat er ſeine Gedanken dahin zu richten; alle anderen weiſt er mit Anſtrengung von ſich: Fenſter und Thuͤren werden geſchloſſen: auf den Knieen und zur Erde geſtreckt vollzieht er die Betrachtung.
227Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.Er beginnt damit, ſeiner Suͤnden inne zu werden. Er betrachtet, wie um einer einzigen willen die Engel in die Hoͤlle geſtuͤrzt worden, fuͤr ihn aber, obwohl er viel groͤ - ßere begangen, die Heiligen vorgebeten, Himmel und Ge - ſtirne, Thiere und Gewaͤchſe der Erde ihm gedient haben; um nun von der Schuld befreit zu werden und nicht in die ewige Verdammniß zu fallen, ruft er den gekreuzigten Chriſtus an; er empfindet ſeine Antworten: es iſt zwiſchen ihnen ein Geſpraͤch wie eines Freundes mit dem Freund, eines Knechtes mit dem Herrn.
Hauptſaͤchlich ſucht er ſich dann an der Betrachtung der heiligen Geſchichte aufzuerbauen. „ Ich ſehe “, heißt es, „ wie die drei Perſonen der Gottheit die ganze Erde uͤber - ſchauen, erfuͤllt von Menſchen, welche in die Hoͤlle fahren muͤſſen: ſie beſchließen, daß die zweite Perſon zu ihrer Er - loͤſung die menſchliche Natur annehmen ſoll; ich uͤberblicke den ganzen Umkreis der Erde, und gewahre in einem Win - kel die Huͤtte der Jungfrau Maria, von der das Heil aus - geht. “ Von Moment zu Moment ſchreitet er in der heili - gen Geſchichte weiter fort: er vergegenwaͤrtigt ſich die Hand - lungen in allen ihren Einzelnheiten nach den Kategorien der Sinne: der religioͤſen Phantaſie, frei von den Banden des Wortes, wird der groͤßte Spielraum gelaſſen; man vermeint die Kleidungsſtuͤcke, die Fußtapfen der heiligen Perſonen zu beruͤhren, zu kuͤſſen. In dieſer Exaltation der Einbildungskraft, in dem Gefuͤhl, wie groß die Gluͤckſe - ligkeit einer Seele ſey, die mit goͤttlichen Gnaden und Tu - genden erfuͤllt worden, kehrt man zur Betrachtung der eige - nen Zuſtaͤnde zuruͤck. Hat man ſeinen Stand noch zu waͤh -15*228Buch II. Regeneration des Katholicismus.len, ſo waͤhlt man ihn jetzt, nach den Beduͤrfniſſen ſeines Herzens; indem man das Eine Ziel vor Augen hat, zu Gottes Lobe ſelig zu werden; indem man glaubt vor Gott und allen Heiligen zu ſtehen. Hat man nicht mehr zu waͤhlen, ſo uͤberlegt man ſeine Lebensweiſe: die Art ſeines Umgangs, ſeinen Haushalt, den nothwendigen Aufwand, was man den Armen zu geben habe — alles in demſel - ben Sinne, wie man im Augenblick des Todes ſich bera - then zu haben wuͤnſchen wird: ohne etwas andres vor Augen zu haben, außer was zu Gottes Ehre und der ei - genen Seligkeit gereicht.
Dreißig Tage werden dieſen Uebungen gewidmet. Be - trachtung der heiligen Geſchichte, der eigenen Zuſtaͤnde, Gebete, Entſchluͤſſe wechſeln mit einander ab. Immer iſt die Seele geſpannt und ſelber thaͤtig. Zuletzt, indem man ſich die Fuͤrſorge Gottes vorſtellt, „ der in ſeinen Geſchoͤ - pfen wirkſam gleichſam fuͤr die Menſchen arbeitet, “glaubt man nochmals im Angeſicht des Herrn und ſeiner Heili - gen zu ſtehen: man fleht ihn an, ſich ſeiner Liebe und Ver - ehrung widmen zu duͤrfen: die Freiheit bringt man ihm dar; Gedaͤchtniß, Einſicht, Willen widmet man ihm: ſo ſchließt man mit ihm den Bund der Liebe. „ Die Liebe beſteht in der Gemeinſchaft aller Faͤhigkeiten und Guͤter. “ Ihrer Hingebung zum Lohne theilt Gott der Seele ſeine Gnaden mit.
Es genuͤgt hier, eine fluͤchtige Idee von dieſem Buche gegeben zu haben. In dem Gange, den es nimmt, den einzelnen Saͤtzen und ihrem Zuſammenhange liegt etwas Dringendes, was den Gedanken zwar eine innere Thaͤtig -229Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.keit geſtattet, aber ſie in einem engen Kreiſe beſchließt und feſſelt. Fuͤr ſeinen Zweck, eine durch die Phantaſie be - herrſchte Meditation, iſt es auf das beſte eingerichtet. Es verfehlt ihn um ſo weniger, da es auf eigenen Erfahrun - gen beruht. Die lebendigen Momente ſeiner Erweckung und ſeiner geiſtlichen Fortſchritte vom erſten Anfang bis zum Jahre 1548, wo es von dem Papſt gebilligt wurde, hatte ihm Ignaz nach und nach einverleibt. Man ſagt wohl, der Jeſuitismus habe ſich die Erfahrungen der Proteſtan - ten zu Nutze gemacht, und in einem und dem andern Stuͤcke mag das wahr ſeyn. Im Ganzen aber ſtehen ſie in dem ſtaͤrkſten Gegenſatz. Wenigſtens ſetzte Ignatius hier der discurſiven, beweiſenden, gruͤndlichen, ihrer Na - tur nach polemiſchen Methode der Proteſtanten eine ganz andere entgegen: kurz, intuitiv und zur Anſchauung anleitend: auf die Phantaſie berechnet; zu augenblicklicher Entſchließung begeiſternd.
Und ſo war jedes phantaſtiſche Element, das ihn von Anfang belebte, doch auch zu einer außerordentlichen Wirk - ſamkeit und Bedeutung gediehen. Wie er aber zugleich ein Soldat war, ſo hatte er, eben mit Huͤlfe der religioͤſen Phantaſie, ein ſtehendes geiſtliches Heer zuſammengebracht, Mann bei Mann erleſen und zu ſeinem Zweck indivi - duell ausgebildet, das er im Dienſte des Papſtes befehligte. Ueber alle Laͤnder der Erde ſah er es ſich ausbreiten.
Als Ignatius ſtarb, zaͤhlte ſeine Geſellſchaft, die roͤ - miſche ungerechnet, dreizehn Provinzen1)Im Jahre 1556. Sacchinus Historia societatis Jesu p. II. sive Lainius; von Anfang.. Schon der230Buch II. Regeneration des Katholicismus.bloße Anblick zeigt, wo der Nerv derſelben war. Die groͤßere Haͤlfte dieſer Provinzen, ſieben, gehoͤrten allein der pyrenaͤiſchen Halbinſel und ihren Colonien an. In Caſti - lien waren zehn, in Aragon fuͤnf, in Andaluſien nicht min - der fuͤnf Collegien: in Portugal war man am weiteſten: man hatte zugleich Haͤuſer fuͤr Profeſſen und Novizen. Der portugieſiſchen Colonien hatte man ſich beinahe be - maͤchtigt. In Braſilien waren 28, in Oſtindien von Goa bis Japan gegen 100 Mitglieder des Ordens beſchaͤftigt. Von hier aus hatte man einen Verſuch in Aethiopien ge - macht und einen Provinzial dahin geſendet: man glaubte eines gluͤcklichen Fortgangs ſicher zu ſeyn. Alle dieſe Pro - vinzen ſpaniſcher und portugieſiſcher Zunge und Richtung wurden von einem Generalcommiſſaͤr, Franz Borgia, zu - ſammengefaßt. Wie geſagt, hier, wo der erſte Gedanke der Geſellſchaft entſprungen, war auch ihr Einfluß am um - faſſendſten geweſen. Nicht viel geringer aber war er in Italien. Es gab drei Provinzen italieniſcher Zunge: die roͤmiſche, die unmittelbar unter dem General ſtand, mit Haͤuſern fuͤr Profeſſen und Novizen, dem Collegium Ro - manum und dem Germanicum, das auf den Rath des Cardinals Morone ausdruͤcklich fuͤr die Deutſchen eingerichtet wurde, jedoch noch keinen rechten Fortgang gewann: auch Neapel gehoͤrte zu dieſer Provinz — die ſicilianiſche mit vier bereits vollendeten und zwei angefangenen Collegien: der Vi - cekoͤnig della Vega hatte die erſten Jeſuiten dahin ge - bracht1)Ribadeneira Vita Ignatii nr. 293. , Meſſina und Palermo hatten gewetteifert, Col - legien zu gruͤnden: von dieſen gingen dann die uͤbrigen231Ausbildung des jeſuitiſchen Inſtitutes.aus; — und die eigentlich italieniſche, die das obere Italien begriff, mit 10 Collegien. Nicht ſo gluͤcklich war es in andern Laͤndern gegangen; allenthalben ſetzte ſich der Pro - teſtantismus oder eine ſchon ausgebildete Hinneigung zu demſelben entgegen. In Frankreich hatte man doch nur ein einziges Collegium eigentlich im Stande: man unterſchied zwei deutſche Provinzen, allein ſie waren nur in ihren erſten Anfaͤngen vorhanden. Die obere gruͤndete ſich auf Wien, Prag, Ingolſtadt, doch ſtand es allenthalben noch ſehr be - denklich, die untere ſollte die Niederlande begreifen: doch hatte ihr Philipp II. noch keine geſetzliche Exiſtenz daſelbſt geſtattet.
Aber ſchon dieſer erſte raſche Fortgang leiſtete der Ge - ſellſchaft Buͤrgſchaft fuͤr die Macht, zu der ſie beſtimmt war. Daß ſie ſich in den eigentlich katholiſchen Laͤndern, den beiden Halbinſeln, zu ſo gewaltigem Einfluß erhoben, war von der groͤßten Bedeutung.
Wir ſehen, jenen proteſtantiſchen Bewegungen gegen - uͤber, welche jeden Moment weiter um ſich griffen, hatte ſich dergeſtalt auch in der Mitte des Katholicismus, in Rom, um den Papſt her eine neue Richtung ausgebildet.
Nicht anders, als jene, ging ſie von der Verweltli - chung der bisherigen Kirche, oder vielmehr von dem Be - duͤrfniß aus, das dadurch in den Gemuͤthern entſtan - den war.
232Buch II. Regeneration des Katholicismus.Anfangs naͤherten ſich beide einander. Es gab einen Moment, wo man ſich in Deutſchland noch nicht entſchloſ - ſen hatte, die Hierarchie ſo voͤllig fallen zu laſſen: wo man auch in Italien geneigt geweſen waͤre, rationelle Modifi - cationen in derſelben anzunehmen. Dieſer Moment ging voruͤber.
Waͤhrend die Proteſtanten, geſtuͤtzt auf die Schrift, immer kuͤhner zu den primitiven Formen des chriſtlichen Glaubens und Lebens zuruͤckgingen, entſchied man ſich auf der andern Seite, das im Laufe des Jahrhunderts zu Stande gekommene kirchliche Inſtitut feſt zu halten und nur zu erneuern, mit Geiſt und Ernſt und Strenge zu durchdringen. Dort entwickelte ſich der Calvinismus bei weitem antikatholiſcher als das Lutherthum: hier ſtieß man in bewußter Feindſeligkeit alles von ſich, was an den Pro - teſtantismus uͤberhaupt erinnerte, und trat ihm in ſcharfem Gegenſatz gegenuͤber.
So entſpringen ein paar Quellen in vertraulicher Nachbarſchaft auf der Hoͤhe des Gebirgs: ſo wie ſie ſich nach verſchiedenen Senkungen deſſelben ergoſſen haben, ge - hen ſie in entgegengeſetzten Stroͤmen auf ewig aus ein - ander.
Vor allem iſt das ſechszehnte Jahrhundert durch den Geiſt religioͤſer Hervorbringung ausgezeichnet. Bis auf den heutigen Tag fuͤhlen wir uns, leben wir in den Ge - genſaͤtzen der Ueberzeugung, welche ſich damals zuerſt Bahn machten.
Wollten wir den welthiſtoriſchen Augenblick, in wel - chem ſich die Sonderung vollzog, noch genauer bezeich - nen, ſo wuͤrde er nicht mit dem erſten Auftreten der Re - formatoren zuſammenfallen — denn nicht ſogleich ſtellten ſich die Meinungen feſt, und noch lange ließ ſich eine Ver - gleichung der ſtreitigen Lehren hoffen; — erſt um das Jahr 1552 waren alle Verſuche hierzu vollſtaͤndig geſcheitert, und die drei großen Formen des abendlaͤndiſchen Chriſten - thums ſetzten ſich auf immer aus einander. Das Luther - thum ward ſtrenger, herber, abgeſchloſſener: der Calvinis - mus ſonderte ſich in den wichtigſten Artikeln von ihm ab, waͤhrend Calvin fruͤher ſelbſt fuͤr einen Lutheraner gegol - ten: beiden entgegengeſetzt nahm der Katholicismus ſeine moderne Geſtalt an. Einander gegenuͤber ſuchten ſich die drei theologiſchen Syſteme auf dem Punkte feſtzuſtellen,236Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.den eine jede eingenommen, und von ihm aus die anderen zu verdraͤngen, ſich die Welt zu unterwerfen.
Es koͤnnte ſcheinen, als werde es die katholiſche Rich - tung, die doch vornehmlich nur die Erneuerung des bis - herigen Inſtitutes beabſichtigte, leichter gehabt haben, auf ihrer Seite durchzudringen, vorwaͤrts zu kommen, als die uͤbrigen. Doch war ihr Vortheil nicht groß. Von vielen anderen Lebenstrieben weltlicher Geſinnung, profaner Wiſ - ſenſchaftlichkeit, abweichender theologiſcher Ueberzeugung, war auch ſie umgeben und beſchraͤnkt; ſie war mehr ein Gaͤh - rungsſtoff, von dem es ſich noch fragte, ob er die Ele - mente, in deren Mitte er ſich erzeugt, wahrhaft ergreifen, uͤberwaͤltigen, oder von ihnen erdruͤckt werden wuͤrde.
In den Paͤpſten ſelbſt, ihrer Perſoͤnlichkeit und Poli - tik ſtieß ſie auf den naͤchſten Widerſtand.
Wir bemerkten, wie eine ſo durchaus ungeiſtliche Sin - nesweiſe in den Oberhaͤuptern der Kirche Wurzel gefaßt, die Oppoſition hervorgerufen, dem Proteſtantismus ſo un - endlichen Vorſchub gethan hatte.
Es kam darauf an, in wiefern die ſtrengen kirchlichen Tendenzen dieſe Geſinnung uͤbermeiſtern, umwandeln wuͤr - den oder nicht.
Ich finde, daß der Gegenſatz dieſer beiden Principien, des eingewohnten Thun und Laſſens, der bisherigen Poli - tik mit der Nothwendigkeit eine durchgreifende innere Re - form herbeizufuͤhren, das vornehmſte Intereſſe in der Ge - ſchichte der naͤchſten Paͤpſte bildet.
237Paul III.Heut zu Tage giebt man oft nur allzu viel auf die Beabſichtigung und den Einfluß hochgeſtellter Perſonen, der Fuͤrſten, der Regierungen; ihr Andenken muß nicht ſel - ten buͤßen, was die Geſammtheit verſchuldete: zuweilen ſchreibt man ihnen auch das zu, was weſentlich von freien Stuͤcken aus der Geſammtheit hervorging.
Die katholiſche Bewegung, die wir in dem vorigen Buche betrachteten, trat unter Paul III. ein, aber in die - ſem Papſte ihren Urſprung erblicken, ſie ihm zuſchreiben zu wollen, waͤre ein Irrthum. Er ſah ſehr wohl, was ſie dem roͤmiſchen Stuhle bedeutete: er ließ ſie nicht allein geſchehen, er befoͤrderte ſie in vieler Hinſicht; aber getroſt duͤrfen wir ſagen, daß er ihr nicht einmal ſelbſt in ſeiner perſoͤnlichen Geſinnung ergeben war.
Alexander Farneſe — ſo hieß Paul III. fruͤher — war ein Weltkind, ſo gut wie irgend ein Papſt vor ihm. Noch im funfzehnten Jahrhundert — er war im Jahre 1468 geboren — gelangte er zu ſeiner vollen Ausbildung. Unter Pomponius Laͤtus zu Rom, in den Gaͤrten Lorenzo Medici’s zu Florenz ſtudirte er: die elegante Gelehrſamkeit und den Kunſtſinn jener Epoche nahm er voͤllig in ſich auf; auch die Sitten derſelben blieben ihm dann nicht fremd. Seine Mutter fand es einmal noͤthig, ihn in dem Caſtell S. Angelo gefangen halten zu laſſen; er wußte in einem unbewachten Augenblicke, den ihm die Proceſſion des Frohnleichnamtages gewaͤhrte, an einem Seile aus der Burg herabzugelangen und zu entkommen. Einen natuͤr -238Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.lichen Sohn und eine natuͤrliche Tochter erkannte er an. Trotz alle dem ward er bei ziemlich jungen Jahren, — denn in jenen Zeiten nahm man an ſolchen Dingen nicht viel Anſtoß — zum Cardinal befoͤrdert. Noch als Cardi - nal legte er den Grund zu dem ſchoͤnſten aller roͤmiſchen Pallaͤſte, dem farneſianiſchen; bei Bolſena, wo ſeine Stamm - guͤter lagen, richtete er ſich eine Villa ein, die Papſt Leo einladend genug fand, um ſie ein paar Mal zu beſuchen. Mit dieſem praͤchtigen und glaͤnzenden Leben verband er aber auch noch andere Beſtrebungen. Er faßte von allem Anfang die hoͤchſte Wuͤrde ins Auge. Es bezeichnet ihn, daß er ſie durch eine vollkommene Neutralitaͤt zu erreichen ſuchte. Die franzoͤſiſche und die kaiſerliche Faction theil - ten Italien, Rom und das Cardinal-Collegium. Er betrug ſich mit einer ſo uͤberlegten Behutſamkeit, einer ſo gluͤckli - chen Klugheit, daß Niemand haͤtte ſagen koͤnnen, zu welcher von beiden er ſich mehr hinneige. Schon nach Leo’s, noch einmal nach Adrian’s Tode war er nahe daran gewaͤhlt zu werden: er war ungehalten auf das Andenken Clemens VII., der ihm zwoͤlf Jahre des Papſtthums, die ihm gehoͤrt haͤtten, entriſſen habe; endlich, im October 1534, im vierzigſten Jahre ſeines Cardinalates, dem 67ſten ſeines Lebens, er - reichte er ſein Ziel und wurde gewaͤhlt1)Onuphrius Panvinius Vita Pauli III. .
Noch auf eine ganz andere Weiſe beruͤhrten ihn nun die großen Gegenſaͤtze der Welt — der Widerſtreit jener beiden Parteien, zwiſchen denen er jetzt ſelbſt eine ſo be - deutende Stelle einnahm: die Nothwendigkeit, die Prote - ſtanten zu bekaͤmpfen und die geheime Verbindung, in die er um ihrer politiſchen Haltung willen mit ihnen gerieth:239Paul III. die natuͤrliche Neigung, die ihm aus der Lage ſeines ita - lieniſchen Fuͤrſtenthums hervorging, das Uebergewicht der Spanier zu ſchwaͤchen und die Gefahr, die mit jedem Ver - ſuch hierzu verbunden war: das dringende Beduͤrfniß einer Reform und die unerwuͤnſchte Beſchraͤnkung, mit der ſie die paͤpſtliche Macht zu bedrohen ſchien.
Es iſt ſehr merkwuͤrdig, wie ſich in der Mitte zwi - ſchen ſo vielen einander zuwiderlaufenden Forderungen ſein Weſen entwickelte.
Paul III. hatte eine bequeme, praͤchtige, geraͤumige Art zu ſeyn. Selten iſt ein Papſt in Rom ſo beliebt ge - weſen wie er es war. Es hat etwas Großartiges, daß er jene ausgezeichneten Cardinaͤle ohne ihr Wiſſen ernannte; wie vortheilhaft unterſcheidet ſich dieß Verfahren von den kleinlichen, perſoͤnlichen Ruͤckſichten, die faſt in der Regel genommen wurden! Aber er berief ſie nicht allein: er ließ ihnen auch eine ungewohnte Freiheit: er ertrug in dem Conſiſtorium den Widerſpruch und ermunterte zu ruͤckſichts - loſer Discuſſion1)Im Jahre 1538 hat Mc. Anton Contarini uͤber den Hof des Papſtes im venezianiſchen Senat referirt. Leider habe ich dieſe Arbeit weder im venezianiſchen Archiv noch ſonſt wo gefunden. In einem Ms. uͤber den damaligen Tuͤrkenkrieg unter dem Titel: tre libri delli commentari della guerra 1537, 8, 9, in meinem Beſitz finde ich einen kurzen Auszug daraus, aus dem ich obige Notizen entnommen. Disse del stato della corte, che molti anni inanzi li prelati non erano stati in quelle riforma di vita, ch’ eran al - lora e che li cardinali havevano libertà maggiore di dire l’opi - nion loro in concistoro ch’avesser avuto gia mai da gran tempo e che di ciò il pontefici non solamente non si doleva, ma se n’era studiatissimo onde per questà ragione si poteva sperare di giorno in giorno maggior riforma. Considerò che tra cardinali vi erano tali nomini celeberrimi, che per opinione commune il mondo non n’avria altretanti. .
240Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Ließ er aber Anderen ihre Freiheit, goͤnnte er einem Jeden den Vortheil, der ihm durch ſeine Stellung zufiel, ſo wollte auch er von ſeinen Praͤrogativen nicht ein einzi - ges fallen laſſen. Der Kaiſer machte ihm einmal Vorſtel - lungen, daß er zwei ſeiner Enkel in allzufruͤhen Jahren zum Cardinalat befoͤrdert habe; er entgegnete: er werde verfahren wie ſeine Vorgaͤnger; gebe es doch Beiſpiele, daß Knaben in der Wiege Cardinaͤle geworden. Fuͤr dieß ſein Geſchlecht zeigte er eine ſelbſt an dieſer Stelle un - gewohnte Vorliebe1)Soriano 1535. È Romano di sangue et è d’animo molto gagliardo: si promette assai e molto pondera e stima assai l’in - giurie che gli si fanno et è inclinatissimo a far grandi i suoi. Varchi (Istorie fiorentine p. 636) erzaͤhlt von Paul’s erſtem Se - cretaͤr, Meſſer Ambrogio, „ der alles vermochte was er wollte und alles wollte was er vermochte. “ Unter vielen andern Geſchenken be - kam er einſt 60 ſilberne Waſchbecken mit ihren Gießkannen. Wie koͤmmt es, ſagte man, daß er bei ſo vielen Waſchbecken doch nicht reine Hand haͤlt?. Er war entſchloſſen, es eben ſo gut wie andere Paͤpſte, zu fuͤrſtlichen Wuͤrden zu be - foͤrdern.
Nicht als ob er nun, wie ein Alexander VI., alles Uebrige dieſer Ruͤckſicht untergeordnet haͤtte: das koͤnnte man nicht ſagen; er beabſichtigte auf das ernſtlichſte, den Frieden zwiſchen Frankreich und Spanien herzuſtellen, die Proteſtanten zu unterdruͤcken, die Tuͤrken zu bekaͤmpfen, die Kirche zu reformiren: aber dabei lag es ihm ſehr am Herzen, zugleich ſein Haus zu erhoͤhen.
Indem er nun alle dieſe Abſichten, die einander wi - derſtreben, in ſich aufnimmt, indem er zugleich oͤffentlicheund241Paul III. und private Zwecke verfolgt: iſt er zu einer hoͤchſt bedaͤch - tigen, aufmerkſamen, zoͤgernden, abwartenden Politik ge - noͤthigt; an dem guͤnſtigen Augenblick, der gluͤcklichen Com - bination der Umſtaͤnde iſt ihm alles gelegen: er muß ſie langſam herbeizufuͤhren, und dann auf das raſcheſte zu er - greifen, zu behaupten ſuchen.
Die Geſandten fanden es ſchwer mit ihm zu unter - handeln. Sie erſtaunten, daß er keinen Mangel an Muth ſpuͤren ließ, und doch ſelten zum Schluß zur Entſcheidung zu bringen war. Den Andern ſuchte er zu feſſeln: ein bin - dendes Wort, eine unwiderrufliche Sicherheit zu erlangen: er ſelbſt wollte ſich niemals verpflichten. Man bemerkte es auch in kleineren Sachen: er war ungeneigt, im Voraus etwas abzuſchlagen oder zu verſprechen: bis auf den letzten Augenblick wollte er freie Hand haben. Wie viel mehr in ſchwierigeren Angelegenheiten! Zuweilen hatte er ſelbſt eine Auskunft, eine Vermittlung angezeigt: wollte man ſie ergreifen, ſo zog er ſich nichts deſto minder zuruͤck: er wuͤnſchte immer Meiſter ſeiner Unterhandlungen zu blei - ben1)In den Lettres et Mémoires d’Estat par Guill. Ribier Paris 1666 — findet man eine Menge Proben ſeiner Unterhand - lungen und ihres Characters von 1537 bis 1540, von 1547 bis 1549, in den Depeſchen franzoͤſiſcher Geſandten. Direct ſchildert ſie Matteo Dandolo, Relatione di Roma, 1551 d. 20 Junii in se - natu, Ms. in meinem Beſitz. „ Il negotiare con P. Paolo fu giudicato ad ogn’un difficile, perchè era tardissimo nel parlare, perchè non voleva mai proferire parola che non fusse elegante et exquisita, cosi nella volgare, come nella latina e greca, che di tutte tre ne faceva professione (Griechiſch, denke ich, wird er wohl nicht oft unterhandelt haben) e mi aveva scoperto di quel poco che io ne intendeva. E perchè era vecchissimo parlava.
16242Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Er war, wie geſagt, noch von claſſiſcher Schule: er wollte ſich lateiniſch ſo wie italieniſch nicht anders als ausgeſucht und elegant ausdruͤcken: immer mit der doppel - ten Ruͤckſicht, auf den Inhalt und auf die Form, waͤhlte und erwog er ſeine Worte; leiſe, mit dem langſamſten Bedacht ließ er ſich vernehmen.
Oft wußte man nicht recht, wie man mit ihm ſtand. Man glaubte zuweilen von dem, was er ſagte, eher auf das Gegentheil ſchließen zu duͤrfen. Doch waͤre das nicht immer richtig geweſen. Die ihn naͤher kannten, hatten be - merkt, daß er dann am meiſten etwas auszufuͤhren hoffte, wenn er gar nicht davon redete, weder die Sache beruͤhrte, noch die Perſonen, welche ſie anging1)Bemerkungen des Cl. Carpi und Margarethens, che son los, ſagt Mendoza, que mas platica tienen de su condicion. . Denn ſo viel ſah man wohl, daß er eine einmal gefaßte Abſicht nie wieder fallen ließ. Er hoffte alles durchzuſetzen, was er ſich einmal vorgenommen: wenn nicht ſogleich, doch ein andermal, unter veraͤnderten Umſtaͤnden, auf einem anderen Wege.
Einer ſolchen Sinnesweiſe, von ſo weit ausſehender Berechnung, allſeitiger Ruͤckſicht und geheimnißvoller Er - waͤgung widerſpricht es nicht, wenn neben den irdiſchen auch die himmliſchen Gewalten in Betracht gezogen wur -1)bassissimo et era longhissimo nè volea negar cosa che se gli addimandasse; mar nè anche (volea) che l’uomo che negotiava seco potesse esser securo di havere havuto da S. Sà. il si più che il no; perchè lei voleva starsi sempre in l’avantaggio di po - ter negare e concedere, per il che sempre si risolveva tardis - simamente, quando volea negare. 243Paul III. den. Der Einfluß der Geſtirne auf die Erfolge der menſch - lichen Thaͤtigkeit ward in dieſer Epoche wenig bezweifelt. Paul III. unternahm keine wichtige Sitzung des Conſiſto - riums, keine Reiſe, ohne die Tage zu waͤhlen, ohne die Conſtellation beobachtet zu haben1)Mendoza: E venido la cosa a que ay muy pocos carde - nales, que concierten negocios aunque sea para comprar una carga de leña, sino es o por medio de algun astrologo o he - chizero. Ueber den Papſt ſelbſt finden wir die unzweifelhafteſten Particularitaͤten.. Ein Bund mit Frank - reich fand darum Anſtand, weil zwiſchen den Nativitaͤten des Koͤnigs und des Papſtes keine Conformitaͤt ſey. Die - ſer Papſt fuͤhlte ſich, wie es ſcheint, zwiſchen tauſend wi - derwaͤrtigen Einwirkungen: nicht allein den irdiſchen der Welt, ſondern auch den uͤberirdiſchen einer Configura - tion der Geſtirne: ſein Sinn iſt, die Macht der einen wie der andern nach Gebuͤhr zu beruͤckſichtigen, ihrer Un - gunſt auszuweichen, ihre Gunſt zu benutzen, zwiſchen alle den Klippen, die ihm von allen Seiten drohen, geſchickt nach ſeinem Ziele zu ſteuern.
Betrachten wir, wie er dieß verſuchte, ob es ihm damit gluͤckte, ob er ſich zuletzt uͤber die entgegenſtreben - den Kraͤfte der Weltbewegung wirklich erhob, oder ob auch er von ihnen ergriffen worden iſt.
In der That gelang es ihm gleich in ſeinen erſten Jahren einen Bund mit Carl V. und den Venezianern ge - gen die Tuͤrken zu Stande zu bringen. Lebhaft draͤngte er die Venezianer dazu: man erhob ſich auch dießmal zu der Hoffnung, die chriſtlichen Graͤnzen bis nach Conſtantinopel erweitert zu ſehen.
16*244Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Nur war der indeß zwiſchen Carl V. und Franz I. erneuerte Krieg ein gefaͤhrliches Hinderniß jedes Unterneh - mens. Der Papſt ließ ſich keine Muͤhe dauern, um dieſe Feindſeligkeit beizulegen. Die Zuſammenkunft der beiden Fuͤrſten zu Nizza, der auch er beiwohnte, war voͤllig ſein Werk. Der venezianiſche Geſandte, der zugegen war, fin - det nicht Worte genug, um den Eifer und die Geduld zu ruͤhmen, die der Papſt dort bewieſen habe. Nur mit außerordentlicher Muͤhwaltung und nur erſt in dem letz - ten Augenblick, als er ſchon wegzureiſen drohte, vermit - telte er endlich den Stillſtand1)Relatione del Clmo. M. Niccolo Tiepolo del convento di Nizza. Informatt. Politiche VI (Bibl. zu Berlin). Es findet ſich davon auch ein alter Druck.. Er brachte es zu einer Annaͤherung zwiſchen den beiden Fuͤrſten, die ſich dann gar bald zu einer Art von Vertraulichkeit zu entwickeln ſchien.
Indem der Papſt dergeſtalt die allgemeinen Geſchaͤfte foͤrderte, verſaͤumte er jedoch auch ſeine eigenen Angelegen - heiten nicht. Man bemerkte, daß er die einen immer mit den andern verflocht, und dann beide zugleich weiter brachte. Der tuͤrkiſche Krieg gab ihm Gelegenheit, Camerino einzu - ziehn. Es ſollte eben mit Urbino verbunden werden; die letzte Varana, Erbin von Camerino, war mit Guidobaldo II. vermaͤhlt, der im Jahre 1538 die Regierung von Urbino antrat2)Adriani Istorie 58. H. . Aber der Papſt erklaͤrte, Camerino koͤnne durch Frauen nicht vererbt werden. Die Venezianer haͤtten bil - lig den Herzog unterſtuͤtzen ſollen, deſſen Vorfahren immer245Paul III. in ihrem Schutze geweſen und in ihren Heeren gedient: auch jetzt verwandten ſie ſich dringend und lebhaft fuͤr ihn: aber mehr zu thun trugen ſie um des Krieges willen Be - denken. Sie fuͤrchteten, der Papſt rufe den Kaiſer oder Frankreich zu Huͤlfe: umſichtig bedachten ſie, gewinne er den Kaiſer, ſo koͤnne dieſer dann um ſo weniger gegen die Tuͤrken leiſten: gewinne er Frankreich, ſo werde die Ruhe von Italien gefaͤhrdet, und ihre Lage noch mißlicher und einſamer1)Die Deliberationen ſind im oben angefuͤhrten Commentar uͤber den tuͤrkiſchen Krieg, der dadurch ein beſonderes Intereſſe be - kommt, mitgetheilt.: und ſo uͤberließen ſie den Herzog ſeinem Schick - ſale: er war gezwungen, Camerino abzutreten: der Papſt belehnte ſeinen Enkel Ottavio damit. Denn ſchon er - hob ſich ſein Haus zu Glanz und Macht. Wie nuͤtz - lich wurde ihm die Zuſammenkunft von Nizza! Eben da - mals als ſie im Werke war, erlangte ſein Sohn Pier Luigi Novara und deſſen Gebiet von dem Kaiſer, und die - ſer entſchloß ſich unwiderruflich, ſeine natuͤrliche Tochter Margarethe — nach dem Tode des Aleſſandro Medici — mit Ottavio Farneſe zu vermaͤhlen. Wir koͤnnen es dem Papſt glauben, wenn er verſichert, daß er darum nicht un - bedingt zu der kaiſerlichen Partei uͤbergetreten ſey. Er wuͤnſchte vielmehr mit Franz I. in ein nicht minder nahes Verhaͤltniß zu treten. Auch ging der Koͤnig darauf ein, und verſprach ihm zu Nizza einen Prinzen von Gebluͤt, den Herzog von Vendome fuͤr ſeine Enkelin Vittoria2)Grignan, Ambassadeur du roi de France à Rome, au Con - nétable. Rib. I, p. 251. Monseigneur, sa dite Sainteté a un mer - veilleux désir du mariage de Vendosme: car il s’en est entièrement. 246Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.In dieſer Verbindung mit den beiden groͤßten Haͤuſern der Welt fuͤhlte ſich Paul III. gluͤcklich: er war ſehr empfaͤng - lich fuͤr die Ehre, die darin lag: er ſprach davon in dem Conſiſtorium. Auch die friedenſtiftende, vermittelnde Stel - lung, die er zwiſchen den beiden Maͤchten einnahm, ſchmei - chelte ſeinem geiſtlichen Ehrgeiz.
Nicht ganz ſo guͤnſtig aber entwickelten ſich dieſe An - gelegenheiten weiter. Es fehlte viel, daß man den Osma - nen etwas abgewonnen haͤtte: Venedig mußte ſich zu ei - nem unguͤnſtigen Frieden verſtehen. Jenes perſoͤnliche Ver - ſprechen nahm Franz I. ſpaͤter zuruͤck: und obwohl der Papſt niemals die Hoffnung fallen ließ, eine Familien-Ver - bindung mit den Valois wirklich durchzuſetzen, ſo zog ſich doch die Unterhandlung in die Laͤnge. Das Verſtaͤnd - niß, das der Papſt zwiſchen Kaiſer und Koͤnig eingeleitet, ſchien zwar eine Zeitlang immer enger werden zu wollen: der Papſt war ſelbſt einmal beinahe eiferſuͤchtig darauf: er beklagte ſich ſchon, er habe es geſtiftet, und jetzt ver - nachlaͤßige man ihn dafuͤr1)Grignan 7 Mars 1539. Ribier I, 406. Le cardinal de Boulogne au roi. 20 Avril 1539. Ibid. p. 445. Der Papſt ſagte ihm, qu’il étoit fort étonné, veu la peine et travail qu’il avoit pris pour vous appointer, Vous et l’Empereur que vous le lais - siez ainsi arrière. ; jedoch nur allzubald loͤſte es ſich wieder auf, und der Krieg begann aufs neue. Zu neuen Abſichten erhob ſich alsdann der Papſt.
Fruͤher hatte er immer unter ſeinen Freunden laut ausgeſprochen und ſelbſt dem Kaiſer zu verſtehen gegeben: Mailand gehoͤre den Franzoſen, und ſey ihnen von Rechts - wegen zuruͤckzuſtellen1)Auch M. A. Contarini beſtaͤtigte dieß in ſeiner Relation.. Allmaͤhlig ließ er dieſe Meinung fallen. Von Cardinal Carpi, der unter allen Cardinaͤlen mit ihm am vertrauteſten war, finden wir vielmehr einen Vorſchlag an Carl V., der ganz wo anders hinzielt2)Discurso del Rmo. Cle. di Carpi del 1543 (vielleicht jedoch ſchon ein Jahr fruͤher) a Carlo V. Cesare del modo del domi - nare Bibl. Corsini nr. 443. .
„ Der Kaiſer, “heißt es darin, „ muͤſſe nicht Graf, Herzog, Fuͤrſt, er muͤſſe nur Kaiſer ſeyn wollen: nicht viele Provinzen, ſondern große Lehensleute muͤſſe er haben. Sein Gluͤck habe aufgehoͤrt, ſeit er Mailand in Beſitz ge - nommen. Man koͤnne ihm nicht rathen, es an Franz I. zuruͤckzugeben, deſſen Laͤnderdurſt er damit nur reizen wuͤrde, aber auch behalten duͤrfe er es nicht3)Se la M. V. dello stato di Milano le usasse cortesia non tanto si spegnerebbe quanto si accenderebbe la sete sua: si che è meglio di armarsi di quel ducato contra di lui — — V. M. a da esser certa, che non per affettione che altri ab - bia a questo re, ma per interesse particolare e la Germania e l’Italia sinche da tal sospetto non saranno liberate, sono per sostentare ad ogni lor potere la potentia di Francia. . Deshalb allein habe er Feinde, weil man von ihm argwoͤhne, er ſuche ſich fremder Laͤnder zu bemaͤchtigen. Vernichte er dieſen Argwohn, gebe er Mailand an einen beſondern Herzog, ſo werde Franz I. keine Anhaͤnger mehr finden: er dagegen, der Kaiſer, werde Deutſchland und Italien fuͤr ſich haben, ſeine Fahnen zu den entfernteſten Nationen tragen, und ſei -248Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.nen Namen — dieß iſt der Ausdruck — der Unſterblich - keit zugeſellen. “
Hatte nun aber der Kaiſer Mailand weder den Fran - zoſen zu uͤberlaſſen noch auch ſelbſt zu behalten, wer war es, dem er dieß Herzogthum uͤbergeben ſollte? Es ſchien dem Papſt kein unebener Ausweg, wenn es ſeinem En - kel, dem Schwiegerſohn des Kaiſers, uͤbertragen wuͤrde. Schon bei fruͤheren Miſſionen hatte er darauf hingedeutet. Bei einer neuen Zuſammenkunft, die er mit dem Kaiſer 1543 zu Buſſeto hielt, brachte er es foͤrmlich in Antrag. Es ward daruͤber ſehr ernſtlich unterhandelt, und der Papſt hegte die lebhafteſten Hoffnungen. Der Governator von Mailand, Marcheſe von Vaſto, den er dafuͤr gewonnen, etwas leichtglaͤubig und praͤchtig wie er war, erſchien ſchon eines Tages mit wohlvorbereiteten Worten, um Marga - rethen als ſeine kuͤnftige Herrin nach Mailand zu fuͤhren. Ich finde: die Unterhandlung ſey an einigen allzuſtarken Forderungen des Kaiſers geſcheitert1)Pallavicini hat dieſe Unterhandlungen gradezu gelaͤugnet. Auch nach dem, was Muratori (Annali d’Italia X, II, 51) dar - uͤber anfuͤhrt, ließe ſich vielleicht noch zweifeln. Er ſtuͤtzt ſich auf Hiſtoriker, die doch allenfalls nach Hoͤrenſagen geſchrieben haben koͤnnten. Entſcheidend aber iſt ein Schreiben von Girolamo Guic - ciardini an Coſimo Medici Cremona 26 Giugno 1543 im Archi - vio Mediceo zu Florenz. Granvella ſelbſt hatte davon geſprochen. S. Mà. mostrava non esser aliena, quando per la parte del Papa fussino adempiute le larghe offerte eran state proferte dal Duca di Castro sin a Genova. Ich weiß nicht, welche Anerbietungen. Doch iſt es ſchwer zu glauben, daß der Kaiſer, ein ſo bedeutendes wohlgele - genes Fuͤrſtenthum jemals, um welchen Preis auch immer, fremdem Einfluß zu uͤberlaſſen geneigt ſeyn konnte.
249Paul III.Denn ohnehin war die Stellung, welche ſich die Far - neſen gegeben, fuͤr ihn voll Gefahr. Von den italieniſchen Provinzen, die Carl beherrſchte, oder auf die er Einfluß hatte, war keine, wo die beſtehende Regierung nicht durch Gewalt haͤtte gegruͤndet oder wenigſtens befeſtigt werden muͤſſen. Allenthalben, in Mailand, wie in Neapel, in Flo - renz, Genua, Siena gab es Mißvergnuͤgte, deren Partei unterlegen: Rom und Venedig waren voll von Ausgewan - derten. Die Farneſen ließen ſich durch ihr nahes Verhaͤlt - niß zu dem Kaiſer nicht abhalten, ſich mit dieſen zwar unterdruͤckten aber durch Bedeutung ihrer Oberhaͤupter, Reichthum und Anhang noch immer maͤchtigen Parteien zu verbinden. An der Spitze der Sieger ſtand der Kai - ſer: die Geſchlagenen ſuchten bei dem Papſt eine Zuflucht. Unzaͤhlige geheime Faͤden verknuͤpften ſie unter einander: mit Frankreich blieben ſie immer in ſichtbarem oder unſichtbarem Zuſammenhang; immer neue Plaͤne und Unternehmungen gaben ſie an die Hand. Bald betrafen dieſelben Siena, bald Genua, bald Lucca. Wie oft ſuchte der Papſt auch in Florenz Fuß zu faſſen, Eingang zu gewinnen! An dem jungen Herzog Coſimo fand er aber ganz den Mann, der ihm Widerſtand leiſten konnte. Mit herbem Selbſtgefuͤhl druͤckt ſich Coſimo daruͤber aus. „ Der Papſt, “ſagt er,1)das geweſen ſeyn moͤgen, doch waren ſie zu ſtark fuͤr den Papſt. Nach Goſſelini, dem Secretaͤr Ferrante Gonzaga’s, fuͤrchtete der Kai - ſer bei ſeiner Abreiſe, „ che in volgendo egli le spalle (i Farnesi) non pensassero ad occuparlo (Vita di Don Ferrando p. IV. ) — Sehr ausfuͤhrlich und ergoͤtzlich iſt hieruͤber auch eine neapolitaniſche noch ungedruckte Lebensbeſchreibung von Vaſto, die ſich in der Bi - bliothek Chigi zu Rom findet.250Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.„ dem ſo viele Unternehmungen gluͤcklich gelungen ſind, hat keinen lebhafteren Wunſch uͤbrig, als auch in Florenz etwas zu vermoͤgen, als dieſe Stadt dem Kaiſer zu entfremden: aber mit dieſem Wunſche ſoll er in die Grube fahren1)Schreiben Coſimo’s, gefunden in dem mediceiſchen Archiv. Noch vom Jahre 1537. Al Papa non è restato altra voglia in questo mondo se non disporre di questo stato e levarlo dalla di - votione dell’ imperatore etc. . “
In gewiſſer Hinſicht ſtehen Kaiſer und Papſt einan - der noch immer als die Haͤupter zweier Factionen gegen - uͤber. Hat der Kaiſer ſeine Tochter in das Haus des Pap - ſtes vermaͤhlt, ſo hat er es nur gethan, um ihn damit im Zaum zu halten, um, wie er ſelbſt ſagt, den beſtehen - den Zuſtand in Italien zu behaupten. Der Papſt dagegen wuͤnſcht ſeine Verbindung mit dem Kaiſer zu benutzen, um der kaiſerlichen Macht etwas abzugewinnen. Sein Haus moͤchte er zugleich im Schutze des Kaiſers und durch die Beihuͤlfe der Gegner deſſelben erhoͤhen. In der That giebt es noch eine gibelliniſche und eine guelfiſche Partei. Jene haͤlt ſich noch immer zu dem Kaiſer, dieſe noch immer zu dem Papſt.
Im Jahre 1545 finden wir trotz alle dem die beiden Haͤupter wieder in freundſchaftlichem Vernehmen. Daß Margarethe guter Hoffnung war, die Ausſicht, bald einen Abkoͤmmling des Kaiſers in ihrem Geſchlechte zu haben, machte den Farneſen neues Herz zu Carl V. Cardinal Aleſſandro Farneſe begab ſich zu ihm nach Worms. Es iſt eine der wichtigſten Sendungen Pauls III. Dem Car - dinal gelang es, den Unmuth des Kaiſers noch einmal zu beguͤtigen. Ueber einige Beſchuldigungen ſuchte er ſich und251Paul III. ſeine Bruͤder zu rechtfertigen: wegen des Uebrigen bat er um Verzeihung: er verſprach, daß ſie in Zukunft alle ge - horſame Diener und Soͤhne S. Maj. ſeyn wuͤrden. Der Kaiſer entgegnete, dann wolle auch er ſie wie ſeine eigenen Kinder behandeln. Hierauf gingen ſie zu wichtigeren Ver - abredungen uͤber. Sie beſprachen ſich uͤber den Krieg ge - gen die Proteſtanten und das Concilium. Sie vereinigten ſich, daß das Concilium unverzuͤglich angehen ſolle. Ent - ſchließe ſich der Kaiſer, wider die Proteſtanten die Waffen zu brauchen, ſo machte ſich der Papſt anheiſchig, ihn aus allen ſeinen Kraͤften, mit allen ſeinen Schaͤtzen dazu zu unterſtuͤtzen, ja, „ waͤre es noͤthig, ſeine Krone dazu zu verkaufen “1)Wir ſind uͤber die Sendung authentiſch durch Granvella ſelbſt unterrichtet. Dispaccio di Monsignor di Cortona al Duca di Fiorenza. Vormatia 29 Maggio 1545. (Granvella) mi con - cluse in somma ch’ el cardinale era venuto per giustificarsi d’alcune calumnie e supplica S. M. che quando non potesse in - teramente discolpare l’attioni passate di Nro. Signore sue e di sua casa ella si degnasse rimetterle e non ne tener conto — — Expose di piu, in caso che S. M. si risolvesse, di sbattere per via d’arme perche per giustitia non si vedeva quasi modo al - cuno li Luterani, S. Beatitudine concorrerà con ogni somma di denari. —.
In der That ward noch in dem nehmlichen Jahre das Concilium eroͤffnet: erſt hier uͤberſehen wir vollſtaͤndig, wie es noch endlich dazu kam: im Jahre 1546 ging auch der Krieg an. Papſt und Kaiſer vereinigten ſich, den ſchmal - kaldiſchen Bund zu vernichten, der dem Kaiſer nicht viel minder den weltlichen Gehorſam verſagte, als dem Papſte den geiſtlichen. Der Papſt zahlte Geld und ſchickte Truppen.
252Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Die Abſicht des Kaiſers war, die Gewalt der Waffen und die friedliche Unterhandlung zu verbinden. Waͤhrend er den Ungehorſam der Proteſtanten durch den Krieg zaͤhme, ſollte das Concilium die geiſtlichen Streitigkeiten ſchlichten und vor allem zu Reformen ſchreiten, durch welche es je - nen einigermaßen moͤglich wuͤrde, ſich zu unterwerfen.
Ueber alles Erwarten gluͤcklich ging der Krieg. An - fangs haͤtte man Carln fuͤr verloren halten ſollen, aber in der gefaͤhrlichſten Lage hielt er ſtandhaft aus: im Spaͤt - jahr 1546 ſah er ganz Oberdeutſchland in ſeinen Haͤnden: wetteifernd ergaben ſich Staͤdte und Fuͤrſten: der Augen - blick ſchien gekommen, wo die proteſtantiſche Partei in Deutſchland unterworfen, der ganze Norden wieder katho - liſch gemacht werden koͤnne.
In dieſem Momente, was that der Papſt?
Er rief ſeine Truppen von dem kaiſerlichen Heere ab: das Concilium, das eben nun ſeinen Zweck erfuͤllen, und ſeine pacificatoriſche Thaͤtigkeit beginnen ſollte, ver - ſetzte er von Trient — wohin es auf den Antrag der Deut - ſchen berufen worden — angeblich, weil daſelbſt eine an - ſteckende Krankheit ausgebrochen ſey, nach ſeiner zweiten Hauptſtadt Bologna.
Es iſt nicht zweifelhaft, was ihn dazu bewog. Noch einmal traten die politiſchen Tendenzen des Papſtthums mit den kirchlichen in Gegenſatz und Widerſtreit. Daß ganz[Deutſchland] beſiegt und dem Kaiſer in Wahrheit unter - wuͤrfig wuͤrde, hatte er nie gewuͤnſcht. Ganz etwas ande - res hatten ſeine feinen Berechnungen ihn erwarten laſſen. Wohl mag er geglaubt haben, dem Kaiſer werde Einiges253Paul III. zum Vortheil der katholiſchen Kirche gelingen: dabei aber, er geſteht es ſelbſt1)Charles Cl. de Guise au roi 31 Oct. 1547 (Ribier II, p. 75), nach einer Audienz bei dem Papſt. Paul fuͤhrt die Gruͤnde an, die ihn zur Theilnahme an dem deutſchen Krieg vermocht. Aussi à dire franchement qu’il étoit bien mieux de l’empescher (l’em - pereur) en un lieu, dont il pensoit, qu’aisement il ne viendroit à bout. , zweifelte er nicht, ihn auf unzaͤh - lige Schwierigkeiten ſtoßen, in Verwickelungen gerathen zu ſehen, die ihm, dem Papſt, ſeinerſeits eine vollere Freiheit, ſeine Zwecke zu verfolgen, gewaͤhren wuͤrden. Das Gluͤck ſpottete ſeiner Anſchlaͤge. Jetzt mußte er fuͤrchten, und Frank - reich machte ihn aufmerkſam darauf, daß dieſe Uebermacht auf Italien zuruͤckwirken, und ihm ſowohl in geiſtlichen als in weltlichen Geſchaͤften nur allzubald fuͤhlbar werden wuͤrde. Aber uͤberdieß wuchſen ſeine Beſorgniſſe wegen des Conciliums. Es hatte ihn ſchon lange gedruͤckt2)Du Mortier au roi 26 Avril 1547. Je vous assure, Sire, que pendant il étoit à Trente, c’étoit une charge qui le pres - soit fort. : er hatte bereits daran gedacht es aufzuloͤſen: jetzt aber tha - ten die kaiſerlich geſinnten Praͤlaten, durch die Siege mu - thig und muthiger geworden, einige beſonders kuͤhne Schritte. Die ſpaniſchen Biſchoͤfe brachten unter dem Na - men: Cenſuren, einige Artikel in Vorſchlag, die ſaͤmmtlich eine Verringerung des paͤpſtlichen Anſehens bezweckten: die Reformation, von der Rom immer ſo viel gefuͤrchtet, ſchien ſich nicht mehr verzoͤgern zu laſſen.
Es lautet ſeltſam: aber nichts iſt wahrer: in dem Augenblicke, daß ganz Norddeutſchland vor der Wiederein - fuͤhrung der paͤpſtlichen Gewalt zitterte, fuͤhlte ſich der254Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. Papſt als ein Verbuͤndeter der Proteſtanten. Er bezeigte ſeine Freude uͤber die Fortſchritte des Churfuͤrſten Johann Friedrich wider Herzog Moriz: er wuͤnſchte nichts ſehn - licher, als daß ſich derſelbe auch gegen den Kaiſer hal - ten moͤge: Franz I., der ſchon alle Welt zu einem Buͤndniß wider Carl zu vereinigen ſuchte, ließ er ausdruͤck - lich ermahnen, „ die zu unterſtuͤtzen, die noch nicht ge - ſchlagen ſeyen “1)Le même au même. (Ribier I, 637). S. S. — a entendu, que le duc de Saxe se trouve fort, dont elle a tel contente - ment, comme celuy qui estime le commun ennemy estre par ces moyens retenu, d’exécuter ses entreprises et connoist on bien qu’il seroit utile sous main d’entretenir ceux qui lui resistent, disant, que vous ne scauriez faire dépense plus utile. . Er fand es aufs neue wahrſcheinlich, daß der Kaiſer auf die groͤßten Hinderniſſe ſtoßen, noch lange zu thun haben werde: „ er glaubt das, “ſagt der franzoͤſiſche Abgeordnete, „ weil er es wuͤnſcht. “
Allein er taͤuſchte ſich wie zuvor. Das Gluͤck des Kaiſers machte alle ſeine Berechnungen zu Schanden. Carl ſiegte bei Muͤhlberg: die beiden Oberhaͤupter der proteſtan - tiſchen Partei fuͤhrte er gefangen mit ſich fort. Schaͤrfer als jemals konnte er nun ſein Augenmerk auf Italien richten.
Denn auf das tiefſte, wie ſich denken laͤßt, hatte ihn das Betragen des Papſtes entruͤſtet. Er durchſchaute ihn ſehr wohl. „ Die Abſicht ſeiner Heiligkeit iſt von Anfang geweſen, “ſchreibt er an ſeinen Geſandten, „ uns in dieſe Unternehmung zu verwickeln, und dann darin zu verlaſ - ſen “2)Copia de la carta que S. M. scrivio a Don Diego de. Daß die paͤpſtlichen Truppen zuruͤckgezogen wor -255Paul III. den, hatte nicht ſo viel zu bedeuten. Schlechtbeſoldet und eben deshalb nicht recht in Gehorſam noch Mannszucht, hatten ſie niemals viel getaugt. Daß aber das Concilium verlegt worden, war von dem groͤßten Einfluß. Wunder - bar wie auch dieß Mal die Entzweiung des Papſtthums und des Kaiſerthums, hervorgerufen von der politiſchen Stellung des erſten, den Proteſtanten zu Huͤlfe kam. Man haͤtte jetzt wohl die Mittel gehabt, ſie zur Unterwerfung unter das Concilium zu noͤthigen. Da ſich dieß aber ſel - der geſpalten hatte — denn die kaiſerlichen Biſchoͤfe blie - ben in Trient — da ſich keine allgemein guͤltigen Beſchluͤſſe mehr faſſen ließen, konnte man auch Niemand zur Adhaͤ - ſion zwingen. Der Kaiſer mußte erleben, daß der weſent - lichſte Theil ſeiner Plaͤne an dem Abfall ſeines Verbuͤnde - ten ſcheiterte. Er drang nicht allein fortwaͤhrend auf die Zuruͤckverlegung der Kirchenverſammlung nach Trient, er ließ ſich vernehmen: „ er werde nach Rom kommen, um das Concilium dort ſelber zu halten. “
Paul III. nahm ſich zuſammen: der Kaiſer iſt maͤch - tig, ſagte er, doch auch wir vermoͤgen etwas und haben einige Freunde. Die lange beſprochene Verbindung mit Frankreich kam jetzt zu Stande: Oratio Farneſe verlobte2)Mendoça a XI de Hebrero 1547 aōs. Quanto mas yva el dicho (prospero suceso) adelante, mas nos confirmavamos en creher que fuese verdad lo que antes se havia savido de la intention y inclinacion de S. S. y lo que se dezia (es) que su fin havia sido por embaraçar nos en lo que estavamos y dexarnos en ello con sus fines desiños y platicas, pero que, annque pesasse a S. S. y a otros esperavamos con la ayuda de N. S., aunque sin la de S. S. guiar esta impresa a buen camino. 256Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. ſich mit der natuͤrlichen Tochter Heinrichs II. : man ließ kein Mittel unverſucht, um zunaͤchſt die Venezianer zu ei - nem allgemeinen Buͤndniß zu gewinnen. Alle Ausge - wanderten regten ſich. Grade zur rechten Zeit brachen Unruhen in Neapel aus: ein neapolitaniſcher Abgeordneter erſchien, den Papſt um Schutz fuͤr ſeine dortigen Lehns - leute zu erſuchen, und es gab Cardinaͤle, die ihm riethen, hierauf einzugehen.
Noch einmal faßten die italieniſchen Factionen einan - der ins Angeſicht. Sie ſtanden einander um ſo ſchroffer gegenuͤber, da die beiden Oberhaͤupter nunmehr offen ent - zweit waren. Auf der Einen Seite: die Governatoren in Mailand und Neapel, die Medici in Florenz, die Doria in Genua: als ihr Mittelpunct kann Don Diego Men - doza, kaiſerlicher Botſchafter zu Rom, angeſehen werden: noch hatten ſie allenthalben einen großen gibelliniſchen An - hang: — auf der andern der Papſt und die Farneſen, die Ausgewanderten und Mißvergnuͤgten, eine neugebildete or - ſiniſche Partei, die Anhaͤnger der Franzoſen. Fuͤr jene war der in Trient zuruͤckgebliebene, fuͤr dieſe der nach Bo - logna gegangene Theil des Conciliums.
Der Haß, den dieſe Parteien gegeneinander hegten, trat ploͤtzlich in einer gewaltſamen That hervor.
Jene ſeine engere Vertraulichkeit mit dem Kaiſer hatte der Papſt benutzt, um Parma und Piacenza, als ein bei dem paͤpſtlichen Stuhl zu Lehen gehendes Herzogthum ſeinem Sohne Pier Luigi zu uͤbergeben. Nicht mehr mit jener Ruͤckſichtsloſigkeit, wie ein Alexander, ein Leo, konnte er zu dieſer Maaßregel ſchreiten. Er ſtellte dafuͤr Camerinound257Paul III. und Nepi an die Kirche zuruͤck: durch eine Berechnung der Koſten, welche die Bewachung jener Grenzplaͤtze verurſache, des Zinſes, den ſein Sohn davon zahlen werde, des Er - trages der zuruͤckgegebenen Ortſchaften ſuchte er zu bewei - ſen, daß die Kammer keinen Schaden leide. Aber nur in - dem er mit den einzelnen Cardinaͤlen ſprach, vermochte er ſie, und auch dann nicht einmal alle, zu uͤberreden. Einige widerſprachen laut: andere verſaͤumten gefliſſentlich das Conſiſtorium, in welchem die Sache vorkam: den Caraffa ſah man an dieſem Tage zu einem feierlichen Beſuche der ſieben Kirchen ſchreiten1)Bromato. Vita di Paolo IV. II, 222.. Auch der Kaiſer war nicht dafuͤr; wenigſtens haͤtte er gewuͤnſcht, daß das Herzogthum ſeinem Eidam Ottavio, dem doch auch Camerino gehoͤrte, uͤberge - ben wuͤrde2)Die Unterhandlungen daruͤber gehen aus dem Schreiben Mendoza’s vom 29. November 1547 hervor. Der Papſt ſagt, er habe Pier Luigi belehnt, weil dieß die Cardinaͤle vorgezogen: und „ haviendo de vivir tempoco come mostrava su indisposi - cion. “. Er ließ es geſchehen, weil er der Freundſchaft des Papſtes eben bedurfte, doch hat er es niemals gebil - ligt: allzugut kannte er Pier Luigi. Die Faͤden der gehei - men Verbindungen der italieniſchen Oppoſition hielt eben der Sohn des Papſtes alle in ſeiner Hand. Man zweifelte nicht, daß er um das Unternehmen des Fiesco in Genua gewußt, daß er dem gewaltigen Oberhaupt der florentini - ſchen Ausgewanderten, Pietro Strozzi, nach einem mißlun - genen Anſchlag auf Mailand in dem bedraͤngteſten Augen - blick uͤber den Po geholfen, und allein ſeine Rettung be -17258Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. wirkt habe; man vermuthete, daß er ſelbſt fortwaͤhrend Ab - ſichten auf Mailand hege1)Gosselini Vita di Ferr. Gonzaga p. 20. Segni storie Fiorentine p. 292..
Eines Tages war der Papſt, der noch immer unter gluͤcklichen Geſtirnen zu ſtehen und alle die Stuͤrme, die ihn bedrohten, beſchwoͤren zu koͤnnen meinte, in der Au - dienz vorzuͤglich heiter: er zaͤhlte die Gluͤckſeligkeiten ſei - nes Lebens auf und verglich ſich in dieſer Hinſicht mit Kai - ſer Tiberius: an dieſem Tage ward ihm der Sohn, der Inhaber ſeiner Erwerbungen, der Traͤger ſeines Gluͤckes, zu Piacenza von Verſchworenen uͤberfallen und ermordet2)Mendoça al Emperador 18 Sept. 1547. — Gastò la mayor parte del tempo (an jenem Tag) en contar sus felicidades y compararse a Tiberio Impdor. .
Die Gibellinen von Piacenza, von den Gewaltſamkei - ten des Herzogs, der zu den ſtrenge verwaltenden Fuͤr - ſten dieſer Zeit gehoͤrte, und beſonders den Adel in Gehor - ſam zu halten ſuchte, beleidigt und gereizt, hatten die That vollbracht; wie aber damals Jedermann uͤberzeugt war, der Governator zu Mailand, Ferrante Gonzaga, habe ſeine Hand im Spiel gehabt3)Compertum habemus, Ferdinandum esse autorem, ſagte der Papſt im Conſiſtorium. Extrait du consistoire tenu par N. S. Père in einer Depeſche von Morvillier Venise 7 Sept. 1547. Rib. II, 61., ſo koͤnnen auch wir daran nicht zweifeln. Der Biograph Gonzaga’s, in jenen Zeiten ſein vertrauter Geheimſchreiber, der ihn zu entſchuldigen ſucht, verſichert, die Abſicht ſey nur auf die Gefangennehmung, nicht auf die Ermordung des Farneſe gegangen4)Gosselini p. 45. Nè l’imperatore nè D. Fernando, come. Ich259Paul III. finde in einigen Handſchriften ſelbſt noch naͤhere Andeu - tung, — doch moͤchte ich ihnen nicht ohne Weiteres Glauben beimeſſen — daß der Kaiſer von dieſem Unternehmen im Vor - aus in Kenntniß geſetzt geweſen ſey. Auf jeden Fall eilten die kaiſerlichen Truppen herbei, um Piacenza in Beſitz zu nehmen; ſie machten die Rechte des Reichs auf dieſe Stadt geltend. Es war auf gewiſſe Weiſe die Vergeltung fuͤr die Abtruͤnnigkeiten des Papſtes in dem ſchmalkaldiſchen Kriege.
Ohne Gleichen iſt das Verhaͤltniß, das ſich nun bildete.
Man wollte wiſſen, Cardinal Aleſſandro Farneſe habe geſagt, er koͤnne ſich nicht helfen, als mit dem Tode eini - ger kaiſerlichen Miniſter: mit Gewalt koͤnne er ſich derſel - ben nicht entledigen: er muͤſſe ſeine Zuflucht zur Kunſt nehmen. Indem ſich dieſe hierauf vor Gift ſicher zu ſtel - len ſuchten, ergriff man zu Mailand ein paar Bravi, Cor - ſen, die man zu dem, ich will nicht entſcheiden, ob wah - ren oder falſchen Geſtaͤndniß brachte, ſie ſeyen von den paͤpſtlichen Angehoͤrigen gedungen, um Ferrante Gonzaga zu ermorden. Wenigſtens war Gonzaga aufs neue voll von Ingrimm. Er muͤſſe, ſagte er, ſein Leben ſichern, ſo gut wie er koͤnne: es bleibe ihm nichts uͤbrig, als von dieſen ſeinen Feinden zwei oder drei, durch eigne oder fremde Hand, auf die Seite zu ſchaffen1)Mendoça al Emp. Don Hernando procurara de asegurar. Mendoza meint, dann4)di natura magnanimi consentirono mai alla morte del duca Pier Luigi Farnese, anzi fecero ogni opera di salvarlo comandando in specialità a congiurati che vivo il tenessero. 17*260Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. werde man in Rom alle Spanier toͤdten: man werde das Volk insgeheim dazu aufreizen, und die geſchehene That nachher mit der unaufhaltſamen Wuth deſſelben entſchul - digen.
An eine Verſoͤhnung war nicht zu denken. Man haͤtte ſich dazu der Tochter des Kaiſers zu bedienen gewuͤnſcht. Allein ſie hatte ſich in dem Hauſe der Farneſen nie gefal - len: ſie verachtete den um vieles juͤngeren Gemahl; dem Geſandten enthuͤllte ſie ohne Schonung deſſen ſchlechte Ei - genſchaften: ſie ſagte, ſie wolle eher ihrem Kinde den Kopf abſchneiden, als ihren Vater um etwas bitten, das ihm mißfallen koͤnne.
Die Correſpondenz Mendoza’s mit ſeinem Hofe liegt vor mir. Nicht leicht mag es etwas geben, was dem In - halt dieſer Briefe an tiefgegruͤndetem von beiden Seiten zu - ruͤckgehaltenem, beiden Theilen offenbarem Haſſe gleich kaͤme. Es iſt ein Gefuͤhl von Ueberlegenheit darin, das ſich mit Bitterkeiten erfuͤllt hat; von Verachtung, die doch auf ih - rer Hut iſt, von Mißtrauen, wie man es gegen einen ein - gewohnten Uebelthaͤter hegt.
Suchte der Papſt in dieſer Lage der Dinge einen Ruͤck - halt, eine Huͤlfe, ſo konnte ſie ihm allein Frankreich ge - waͤhren.
In der That finden wir ihn zuweilen in Gegenwart des franzoͤſiſchen Botſchafters, der Cardinaͤle Guiſe und Farneſe ſtundenlang das Verhaͤltniß des roͤmiſchen Stuh - les zu Frankreich eroͤrtern. „ In alten Buͤchern, “ſagt er,1)su vida come mejor pudiere, hechando a parte dos o tres di estos o por su mano o por mano de otros. 261Paul III. „ habe er geleſen, es waͤhrend ſeines Cardinalates von An - dern gehoͤrt, und in Erfahrung gebracht ſeit er ſelbſt Papſt ſey, daß der heilige Stuhl ſich in Macht und Aufnahme befunden, ſo oft er mit Frankreich Bund gehabt, dagegen wo nicht, immer Verluſte gelitten habe; er koͤnne es Leo dem Zehnten, ſeinem Vorgaͤnger Clemens, er koͤnne es ſich ſelbſt nicht vergeben, daß ſie jemals den Kaiſer beguͤnſtigt: jetzt aber ſey er entſchloſſen, ſich auf immer mit Frank - reich zu vereinigen. Er hoffe noch lange genug zu leben, um den paͤpſtlichen Stuhl in Devotion gegen den fran - zoͤſiſchen Koͤnig zu hinterlaſſen: zum groͤßten Fuͤrſten der Welt wolle er denſelben machen: ſein eignes Haus ſolle ſich mit ihm unaufloͤslich verbinden “1)Guise au roi 31 Oct. 1547. Ribier II, 75..
Seine Abſicht war, einen Bund mit Frankreich, der Schweiz und Venedig zu ſchließen, zunaͤchſt ein Vertheidi - gungsbuͤndniß, von dem er aber ſelber ſagt, es ſey die Thuͤre zu einem offenſiven2)Guise au roi 11 Nov. 1547. Rib. II, 84. Sire il semble au pape à ce qu’il m’a dit qu’il doit commencer à vous faire dé - claration de son amitié par vous présenter lui et sa maison: et pour ce qu’ils n’auroient puissance de vous faire service ni vous aider à offenser, si vous premièrement ne les aidez à de - fendre, il lui a semblé devoir commencer par la ligue défensive laquelle il dit estre la vraie porte de l’offensive. Die ganze fol - gende Correſpondenz gehoͤrt hierher.. Die Franzoſen berechneten: ihre Freunde vereinigt wuͤrden ihnen ein eben ſo großes Gebiet in Italien verſchaffen, als das ſey, welches der Kaiſer beſitze; die ganze orſiniſche Partei wolle dem Koͤ - nig aufs neue Gut und Blut weihen. Die Farne -262Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. ſen meinten, im Gebiete von Mailand wenigſtens auf Cre - mona und Pavia zaͤhlen zu koͤnnen; die Neapolitaniſchen Ausgewanderten verſprachen 15000 Mann ins Feld zu ſtellen, Averſa und Neapel ſofort zu uͤberliefern. Auf alle dieſe Dinge ging der Papſt ſehr lebhaft ein. Einen Anſchlag auf Genua laͤßt er zuerſt dem franzoͤſiſchen Ge - ſandten wiſſen. Er haͤtte nichts dawider, wenn man, um ſich Neapels zu bemaͤchtigen, einen Bund mit dem Groß - herrn oder mit Algier ſchloͤſſe. Eben war Eduard VI. auf den Thron von England geſtiegen und eine unzweifelhaft proteſtantiſche Regierung daſelbſt an dem Ruder: der Papſt raͤth nichts deſto minder Heinrich II. mit England Friede zu machen: „ um andere Abſichten, “ſagt er, „ zum Be - ſten der Chriſtenheit in Ausfuͤhrung bringen zu koͤnnen “1)François de Rohan au roi 24 Février 1548. Ribier II, 117. S. S. m’a commandé de vous faire entendre et conseiller de sa part, de regarder les moyens que vous pouvez tenir, pour vous mettre en paix pour quelque tems avec les Anglais, afin que n’estant en tant d’endroits empesché vous puissiez plus fa - cilement exécuter vos desseins et entreprises pour le bien public de la Chrestienté. .
So heftig war der Papſt mit dem Kaiſer verfeindet: ſo enge ſtand er mit den Franzoſen: ſo großen Ausſichten gab er ſich hin; und dennoch, niemals vollzog er ſeinen Bund, niemals that er den letzten Schritt.
Die Venezianer ſind ganz erſtaunt. „ Der Papſt, “ſagen ſie, „ iſt in ſeiner Wuͤrde angegriffen, in ſeinem Blute beleidigt, der vornehmſten Beſitzung ſeines Hauſes beraubt; zu jedem Buͤndniß ſollte er greifen, auf jede Bedingung; dennoch nach ſo vielen Beleidigungen ſieht man ihn zau - dern und ſchwanken. “
263Paul III.In der Regel treiben Beleidigungen zu einem aͤußer - ſten Entſchluß. Doch giebt es auch Naturen, in denen das nicht der Fall iſt, die auch dann noch uͤberlegen, wenn ſie ſich am tiefſten verletzt fuͤhlen, nicht weil das Gefuͤhl der Rache minder ſtark in ihnen waͤre, ſondern weil das Be - wußtſeyn der fremden Ueberlegenheit ſie gewaltiger uͤber - meiſtert; die Klugheit, welche eine Vorausſicht der Zu - kunft iſt, uͤberwiegt in ihnen; die großen Widerwaͤrtigkei - ten empoͤren ſie nicht, ſondern machen ſie muthlos, ſchwan - kend und ſchwach.
Der Kaiſer war zu maͤchtig, um noch etwas Ernſt - liches von den Farneſen fuͤrchten zu muͤſſen. Er ſchritt auf ſeinem Wege, ohne auf ſie Ruͤckſicht zu nehmen, wei - ter. Feierlich proteſtirte er gegen die Sitzungen des Con - ciliums in Bologna: alle Acte, die man daſelbſt vorneh - men werde, erklaͤrte er im Voraus fuͤr null und nichtig. Im Jahre 1548 publicirte er das Interim in Deutſchland. So unertraͤglich es der Papſt fand, daß der Kaiſer eine Norm des Glaubens vorſchreiben wolle, ſo lebhaft er ſich beklagte, daß man die Kirchenguͤter ihren gegenwaͤrtigen Beſitzern laſſe: — Cardinal Farneſe ſagte uͤberdieß, er wolle ſieben bis acht Ketzereien darin aufzeigen1)„ Hazer intender a V. M. como en el interim ay 7 o 8 heregias. “ Mendoça 10 Juni 1548. In den Lettere del com - mendatore Annibal Caro scritte al nome del Cl. Farnese, die ſonſt mit großer Zuruͤckhaltung verfaßt ſind, findet ſich I, 65. doch ein Schreiben an den Cl. Sfondrato in Bezug auf das Inte - rim, worin es heißt, „ der Kaiſer habe einen Scandal in der Chriſtenheit gegeben: er haͤtte wohl etwas Beſſeres vornehmen koͤnnen. “— ſo ließ264Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. ſich der Kaiſer nicht irre machen. Auch in der Sache von Piacenza wich er kein Haarbreit. Der Papſt forderte zunaͤchſt Wiederherſtellung des Beſitzes: der Kaiſer behaup - tete, ein Recht von Seiten des Reiches zu haben. Der Papſt bezog ſich auf den Bund von 1521, in welchem jene Staͤdte dem roͤmiſchen Stuhl garantirt worden: der Kaiſer machte auf das Wort: Inveſtitur aufmerkſam, wo - durch ſich das Reich oberherrliche Rechte vorbehalten habe. Der Papſt erwiederte, das Wort ſey hier in einem an - dern, als dem feudalen Sinne genommen: den Kaiſer focht das nicht an: er erklaͤrte, ſein Gewiſſen verbiete ihm, Pia - cenza zuruͤckzugeben1)Lettere del Cardinal Farnese scritte al Vescovo di Fano, nuntio all’ imperatore Carlo: Informationi politiche XIX, und einige Inſtructionen des Papſtes und Farneſe’s ib. XII. enthuͤllen dieſe Unterhandlungen, von denen ich nur die wichtigſten Momente beruͤhren konnte..
Gern haͤtte nun der Papſt zu den Waffen gegriffen, ſich an Frankreich geſchloſſen, ſeine Freunde, ſeine Partei in Bewegung geſetzt — in Neapel, Genua, Siena, Piacenza, ſelbſt in Orbitello bemerkte man die Umtriebe ſeiner An - haͤnger, — gern haͤtte auch er ſich durch irgend einen un - erwarteten Schlag geraͤcht; aber auf der andern Seite war ihm die Uebermacht des Kaiſers uͤberaus furchtbar, vor allem deſſen Einfluß auf die geiſtlichen Angelegenhei - ten; er beſorgte, ein Concilium werde berufen, das ſich ganz gegen ihn erklaͤre, das ſelbſt zu ſeiner Abſetzung ſchreite. Mendoza behauptet, die That der Corſen gegen Ferrante Gonzaga habe ihm noch beſonders Furcht ein - gefloͤßt.
265Paul III.Wie dem auch ſey, ſo viel iſt gewiß, daß er an ſich hielt und ſeinen Ingrimm verbarg. Die Farneſen ſahen ſelbſt nicht ungern, daß der Kaiſer Siena einnahm: ſie hofften, er werde es ihnen fuͤr ihre Verluſte einraͤumen. Die ſeltſamſten Vorſchlaͤge wurden hieran geknuͤpft. „ Ver - ſtehe ſich der Kaiſer hierzu, “ſagte man Mendoza’n, „ ſo muͤſſe der Papſt das Concil nach Trient zuruͤckbringen, und hier nicht allein ſonſt nach den Wuͤnſchen des Kai - ſers verfahren, — z. B. deſſen Recht an Burgund feierlich anerkennen laſſen — ſondern Carl V. zu ſeinem Nachfolger auf dem paͤpſtlichen Stuhle erklaͤren. Denn, ſagten ſie, Deutſchland hat ein kaltes Clima, Italien ein warmes: fuͤr die Gicht, an der der Kaiſer leidet, ſind die warmen Laͤnder geſuͤnder “1)Der Cardinal Gambara machte Mendoza’n, bei einer ge - heimen Zuſammenkunft in einer Kirche, dieſen Antrag. Er ſagte wenigſtens, que havia scripto al Papa algo desto y no lo havia tomado mal. . Ich will nicht behaupten, daß es ihnen damit Ernſt geweſen: der alte Papſt lebte des Glaubens, der Kaiſer werde noch vor ihm ſterben: aber man ſieht, auf wie bedenkliche, von der gewoͤhnlichen Ordnung der Dinge weit abweichende Pfade ihre Politik ſich gewagt hatte.
Den Franzoſen entgingen ihre Bewegungen, ihre Un - terhandlungen mit dem Kaiſer nicht. Von dem Connetable Montmorency haben wir einen Brief voller Entruͤſtung, in dem er unverholen von „ Heucheleien, Luͤgen, ja von wahr - haft ſchlechten Streichen “redet, die man zu Rom gegen den Koͤnig von Frankreich ausuͤbe2)Le connestable au roi 1 Sept. 1548 (Ribier II, 155). .
266Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Endlich, um doch etwas zu thun, und wenigſtens Einen feſten Punct in dieſen Streitigkeiten zu gewinnen, beſchloß der Papſt, da das Recht an Piacenza nicht allein ſeinem Hauſe, ſondern der Kirche ſelbſt beſtritten wurde, dieß Herzogthum unmittelbar an die Kirche zuruͤckzugeben. Es war das erſte Mal, daß er etwas gegen das Intereſſe ſeiner Enkel that; er zweifelte nicht, daß ſie ſich gern fuͤgen wuͤrden: er glaubte eine unbedingte Autoritaͤt uͤber ſie zu haben: immer hatte er ihren unverbruͤchlichen Gehorſam ge - prieſen und ſich darin gluͤcklich gefuͤhlt. Aber der Unter - ſchied war, daß er bisher jedesmal ihren augenſcheinlichen Vortheil verfochten, jetzt dagegen etwas ausfuͤhren wollte, was demſelben zuwiderlief1)Auch Dandolo verſichert ſeinen beſtimmten Entſchluß. S. S. era al tutto volta a restituir Parma alla chiesa. . Sie verſuchten anfangs, ihm auf indirecte Weiſe beizukommen. Sie ließen ihm vorſtel - len: der Tag, auf den er das Conſiſtorium angeſetzt, ſey ein ungluͤcklicher: es war Rochustag; der Tauſch mit Ca - merino, das er ihnen dafuͤr wiedergeben wollte, werde fuͤr die Kirche eher ein Verluſt ſeyn: die Gruͤnde, deren er ſich ehedem ſelbſt bedient, ſetzten ſie ihm jetzt entgegen: aber ſie konnten die Sache damit nur aufhalten, nicht verhindern: den Befehlshaber von Parma, Camillo Orſino, wies Paul III. endlich an, dieſe Stadt im Namen der Kirche beſetzt zu hal - ten, und ſie an Niemand auszuliefern, wer es auch ſey. Nach dieſer Erklaͤrung, die keinen Zweifel uͤbrig ließ, hielten2)Le pape avec ses ministres vous ont jusque ici usé de toutes dissimulations lesquels ils ont voulu couvrir de pur mensonge, pour en former une vraie mechanceté puisqu’il faut que je l’ap - pelle ainsi. 267Paul III. auch die Farneſen nicht mehr an ſich. Um keinen Preis wollten ſie ſich eines Herzogthums berauben laſſen, das ſie den unabhaͤngigen Fuͤrſten von Italien gleich ſtellte. Ottavio machte einen Verſuch, Parma dem Papſt zum Trotz mit Liſt oder mit Gewalt in ſeine Haͤnde zu bekom - men. Camillo betrug ſich geſchickt und entſchloſſen genug, um dieß noch zu hintertreiben. Was mußte aber Paul III. empfinden, als er es erfuhr! Dem alten Mann war es aufbehalten, daß ſeine Enkel, denen er eine ſo große Vor - liebe gewidmet, zu deren Gunſten er den Tadel der Welt auf ſich geladen hatte, jetzt am Ende ſeiner Tage ſich ge - gen ihn empoͤrten! Selbſt der geſcheiterte Verſuch brachte Ottavio nicht von ſeinem Vorhaben ab. Er ſchrieb dem Papſte gradezu, wenn er Parma nicht in Guͤte wiederbe - komme, ſo werde er mit Ferrante Gonzaga Friede machen, und es mit kaiſerlichen Waffen einzunehmen ſuchen. Und in der That waren ſeine Unterhandlungen mit dieſem Tod - feinde ſeines Hauſes ſchon ſehr weit gediehen: ein Courier war mit den beſtimmten Vorſchlaͤgen an den Kaiſer abge - gangen1)Gosellini: Vita di Ferr. Gonzaga p. 65.. Der Papſt klagte laut, er werde von den Seini - gen verrathen: ihre Handlungen ſeyen ſo beſchaffen, daß ſein Tod daraus erfolgen muͤſſe. Am tiefſten verwundete ihn, daß ſich das Geruͤcht erhob, er habe insgeheim ſelbſt Kenntniß von den Unternehmungen Ottavio’s und einen ſeinen Aeußerungen widerſprechenden Antheil daran. Er ſagte dem Cardinal Eſte, niemals, in ſeinem ganzen Le - ben, habe ihn etwas dergeſtalt gekraͤnkt, ſelbſt nicht der268Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. Tod Pier Luigi’s, nicht die Beſetzung von Piacenza. Aber er werde der Welt keinen Zweifel uͤbrig laſſen, welche Geſin - nung er hege1)Hippolyt Cardinal de Ferrare au roi 22 Oct. 1549. Ri - bier. II, 248. „ S. S. m’a asseuré, n’avoir en sa vie eu chose, dont elle tant receu ennuy pour l’opinion qu’elle craint, qu’on veuille prendre que cecy ait été de son consentement. . Sein einziger Troſt war, daß wenigſtens Aleſſandro Farneſe der Cardinal unſchuldig und ihm erge - ben ſey. Allmaͤhlig ward er inne, daß auch dieſer, dem er ganz vertraute, der die Summe der Geſchaͤfte in Haͤn - den hatte, darum nur allzuwohl wußte, und damit einver - ſtanden war. Dieſe Entdeckung brach ſein Herz. Am Tage aller Seelen (2ten Nov. 1549) theilte er ſie dem venezianiſchen Botſchafter in bitterem Herzeleid mit. Den Tag darauf ging er, um ſich wo moͤglich ein wenig zu zerſtreuen, nach ſeiner Vigna auf dem Monte Cavallo. Allein er fand keine Ruhe. Er ließ Cardinal Aleſſandro rufen: ein Wort gab das andre: der Papſt gerieth in die heftigſte Aufwallung: er hat dem Nepoten das Barett aus den Haͤnden geriſſen und es auf die Erde geſchleudert2)Dandolo: Il Revmo. Farnese si risolse di non voler che casa sua restasse priva di Roma e se ne messe alla forte — — S. S. accortasi di questa contra operatione del Rmo. Farnese me la comunicò il di de’ morti in gran parte con grandissima amaritudine et il di dietro la mattina per tempo se ne andò alla sua vigna di monte Cavallo, per cercar transtullo dove si incolerò per tal causa con esso Revmo. Farnese — — Gli fu trovato tutto l’interiore nettissimo d’ havera viver ancor quel - che anno se non che nel core tre ghioccie di sangue aggia - ciato, (was nun wohl ein Irrthum iſt) giudicati dal moto della colera. . Schon vermuthete der Hof eine Veraͤnderung: man glaubte269Paul III. allgemein, der Papſt werde den Cardinal von der Staats - verwaltung entfernen. Dahin kam es jedoch nicht. Dieſe heftige Gemuͤthsbewegung in dem hohen Alter von 83 Jahren warf den Papſt ſelbſt zu Boden. Er ward gleich darauf krank: nach wenigen Tagen, am 10. Nov. 1549, ſtarb er. Alles kam ihm den Fuß zu kuͤſſen. Er war eben ſo geliebt, wie ſeine Enkel gehaßt: man bemitleidete ihn, daß er durch Die den Tod erlitten, denen er das meiſte Gute erwieſen hatte.
Ein Mann, voll von Talent und Geiſt, durchdringen - der Klugheit, an hoͤchſter Stelle! Aber wie unbedeutend erſcheint auch ein maͤchtiger Sterblicher der Weltgeſchichte gegenuͤber. In all ſeinem Dichten und Trachten iſt er von der Spanne der Zeit, die er uͤberſieht, von ihren mo - mentanen Beſtrebungen, die ſich ihm als die ewigen auf - draͤngen, umfangen und beherrſcht; dann feſſeln ihn noch beſonders die perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe an ſeine Stelle, ge - ben ihm vollauf zu thun, erfuͤllen ſeine Tage zuweilen es mag ſeyn mit Genugthuung, oͤfter mit Mißbehagen und Schmerz, reiben ihn auf. Indeſſen er umkommt, vollzie - hen ſich die ewigen Weltgeſchicke.
Waͤhrend des Conclaves ſtanden einmal fuͤnf oder ſechs Cardinaͤle um den Altar der Capelle: ſie ſprachen uͤber die Schwierigkeit, die es habe, einen Papſt zu finden. 270Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh. Nehmt mich, ſagte einer von ihnen, der Cardinal Monte: den andern Tag mache ich Euch meinen Lieblingshausge - noſſen zum Collegen-Cardinal. Ich frage, ob wir ihn neh - men ſollen, ſagte ein andrer, Sfondrato, als ſie ausein - andergegangen waren1)Dandolo Relatione 1551: Questo revmo. di Monte se ben subito in consideratione di ogn’ uno, ma all’ incontro ogn’ uno parlava tanto della sua colera e subitezza che ne passò mai che di pochissima scommessa. . Da Monte fuͤr aufbrauſend und jaͤhzornig galt, hatte er auch ſonſt wenig Hoffnung: auf ſeinen Namen wurden die geringſten Wetten gewagt. Deſ - ſenungeachtet kam es ſo, daß er gewaͤhlt wurde (7. Febr. 1550). Zum Andenken an Julius II., deſſen Kaͤmmerer er geweſen, nannte er ſich Julius III.
An dem kaiſerlichen Hofe erheiterten ſich alle Geſich - ter, als man dieſe Wahl erfuhr. Herzog Coſimo hatte das Meiſte zu derſelben beigetragen. Zu der hohen Stufe von Gluͤck und Macht, auf welcher ſich der Kaiſer damals be - fand, gehoͤrte es mit, daß endlich auch ein ergebener Papſt, auf den man zaͤhlen konnte, den roͤmiſchen Stuhl beſtieg. Es ſchien ſogleich, als wuͤrden die oͤffentlichen Geſchaͤfte nun einen andern Gang nehmen.
Dem Kaiſer lag noch immer ſehr viel daran, daß das Concilium wieder in Trient zu Stande kaͤme: noch immer hoffte er die Proteſtanten zu noͤthigen, es zu beſuchen, ſich ihm zu unterwerfen. Gern ging der neue Papſt auf die - ſen Antrag ein. Wenn er ja auf die Schwierigkeiten auf - merkſam machte, die in der Sache lagen, ſo beſorgte er nur, man moͤchte das fuͤr Ausfluͤchte nehmen: er ward271Julius III.nicht muͤde zu verſichern, dem ſey nicht ſo; er habe ſein Lebtage ohne Verſtellung gehandelt und wolle dabei blei - ben; in der That ſetzte er die Reaſſumtion des Conciliums auf das Fruͤhjahr 1551 an; er erklaͤrte, er mache dabei weder Pacta noch Bedingungen1)Lettere del Nunzio Pighino 12, e. 15 Aug. 1550. Inff. Polit. XIX..
Nur war mit der Geneigtheit des Papſtes lange nicht mehr alles gewonnen.
Ottavio Farneſe hatte auf einen Beſchluß der Cardi - naͤle im Conclave, den Julius ausfuͤhrte, Parma wieder - bekommen. Es war dieß nicht gegen den Willen des Kai - ſers geſchehen: eine Zeitlang ward noch zwiſchen beiden unterhandelt; und man hegte einige Hoffnung auf die Her - ſtellung eines guten Verhaͤltniſſes. Einmal aber wollte ſich der Kaiſer nicht entſchließen, ihm Piacenza wieder einzu - raͤumen: auch die Ortſchaften, die Gonzaga auf dem Gebiet von Parma eingenommen, behielt er in ſeiner Hand: ſodann behauptete ſich Ottavio fortwaͤhrend in einer kriegeriſchen Stellung2)Gosellini Vita di Ferr. Gonzaga, und die im 3ten Buche enthaltene Rechtfertigung Gonzaga’s gegen die Beſchuldigung, daß er den Krieg veranlaßt habe, ſetzen dieſe Wendung der Dinge authen - tiſch auseinander.. Nach ſo vielen wechſelſeitigen Beleidigungen gab es keine Moͤglichkeit eines wahren Vertrauens zwiſchen beiden. Es iſt wahr, der Tod Pauls III. hatte ſeinen En - keln eine große Stuͤtze entriſſen: aber er hatte ſie auch be - freit. Jetzt brauchten ſie keine Ruͤckſicht weiter auf die allgemeinen, auf die kirchlichen Verhaͤltniſſe zu nehmen: ausſchließend nach ihrem eigenen Intereſſe konnten ſie ihre272Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Maaßregeln ergreifen. Noch immer finden wir Ottavio voll bitteren Haſſes. Man ſuche, klagt er, ihm Parma zu entwinden, und ihn ſelbſt auf die Seite zu ſchaffen. Aber es ſolle ſeinen Feinden weder mit dem einen noch mit dem andern gelingen1)Lettere delli Signori Farnesiani per lo negotio di Par - ma, — Informatt. Pol. XIX. Obiges aus einem Schreiben Ot - tavio’s an Card. Aleſſandro Farneſe, Parma 24. Maͤrz 1551..
In dieſer Stimmung wandte er ſich an Heinrich II. Mit Freuden ging der Koͤnig auf ſeine Antraͤge ein.
Italien und Deutſchland waren mit Mißvergnuͤgten erfuͤllt. Was der Kaiſer bereits ausgefuͤhrt, was man noch von ihm erwartete, ſeine religioͤſe und ſeine politiſche Haltung, alles hatte ihm unzaͤhlige Feinde erweckt. Hein - rich II. beſchloß die antioͤſtreichiſchen Plaͤne ſeines Vaters nochmals aufzunehmen. Er ließ ſeinen Krieg gegen Eng - land fallen: ſchloß einen Bund mit Ottavio, und nahm die Beſatzung von Parma in ſeinen Sold. Bald erſchie - nen auch in Mirandula franzoͤſiſche Truppen. In dem Herzen von Italien ſah man die Fahnen von Frankreich fliegen.
In dieſer neuen Verwickelung hielt ſich Julius III. ſtandhaft zu dem Kaiſer. Er fand es unertraͤglich, „ daß ſich ein elender Wurm, Ottavio Farneſe, gegen einen Kai - ſer und einen Papſt zugleich empoͤre. “ „ Unſer Wille iſt, “erklaͤrt er ſeinem Nunzius, „ das nemliche Schiff mit S. Maj. zu beſteigen und uns dem nemlichen Gluͤck anzuver - trauen. Ihm, welcher die Einſicht und die Macht hat,uͤber -273Julius III.uͤberlaſſen wir den Beſchluß zu faſſen “1)Julius Papa III. Manu propria. Instruttione per voi Monsignor d’Imola, con l’imperatore. L’ultimo di Marzo. In - formatt. Polit. XII. Auch giebt er den Grund dieſer engen Ver - einigung an: non per affetto alcuno humano, ma perchè vedemo la causa nostra esse con S. Mà. Cesarea in tutti li affari e massimamente in quello della religione.. Der Kaiſer erklaͤrte ſich fuͤr die ungeſaͤumte Entfernung der Franzoſen und ihrer Anhaͤnger auf dem Wege der Gewalt. Gar bald ſehen wir denn die vereinigten paͤpſtlichen und kaiſerlichen Truppen ins Feld ruͤcken. Ein bedeutendes Schloß im Parmeſaniſchen fiel in ihre Hand, und ſie verwuͤſte - ten das ganze Gefilde; Mirandula ſchloſſen ſie vollkom - men ein.
Jedoch nicht durch dieſe kleinen Feindſeligkeiten war die allgemeine Bewegung zu entſcheiden, die ſeit dem far - neſiſchen Antrag Europa ergriffen hatte. An allen Gren - zen, wo ſich die Gebiete des Kaiſers und des Koͤnigs be - ruͤhrten, zu Lande und zur See war der Krieg ausgebro - chen. Noch ganz ein anderes Gewicht, als die Italiener, legten die deutſchen Proteſtanten in die Wagſchale, wie ſie ſich endlich auch mit den Franzoſen verbanden. Es er - folgte der entſchloſſenſte Angriff, den Carl jemals erfahren. Die Franzoſen erſchienen am Rhein, Churfuͤrſt Moritz in Tyrol. Der alte Sieger, indem er auf dem Gebirgland zwiſchen Italien und Deutſchland Platz genommen, um beide in Pflicht zu halten, ſah ſich ploͤtzlich gefaͤhrdet, be - ſiegt, beinahe gefangen.
Unmittelbar wirkte dieß auf die italieniſchen Angele - genheiten zuruͤck. „ Nie haͤtten wir geglaubt, “ſagte der18274Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Papſt, „ daß uns Gott ſo heimſuchen wolle “1)Al C1. Crescentio 13 April 1552.. Er mußte ſich im April 1552 zu einem Stillſtand mit ſeinen Feinden bequemen.
Es giebt zuweilen Ungluͤcksfaͤlle, die dem Menſchen nicht ſo durchaus unangenehm ſind. Sie machen einer Thaͤtigkeit ein Ende, die ſchon ſeinen Neigungen zu wider - ſprechen anfing. Sie geben dem Entſchluß, von derſelben abzulaſſen, einen legalen Grund, eine einleuchtende Ent - ſchuldigung.
Faſt ſcheint es, als ſey der Unfall, der den Papſt be - traf, ein ſolcher geweſen. Mit Mißbehagen hatte er ſei - nen Staat ſich mit Truppen anfuͤllen, ſeine Caſſen ſich lee - ren ſehen, und er glaubte zuweilen Urſach zu haben, ſich uͤber die kaiſerlichen Miniſter zu beklagen2)Lettera del Papa a Mendoza. 26 Dec. 1551. (Inff. Pol. XIX.) „ Ohne Stolz ſey es geſagt: Rath beduͤrfen wir nicht; wir koͤnnen ſelbſt damit dienen: Huͤlfe beduͤrften wir wohl. “. Wahrhaft bedenklich war ihm auch das Concilium geworden. Seit - dem die deutſchen Abgeordneten, denen man eine Reforma - tion zugeſagt hatte, erſchienen waren, nahm es einen kuͤh - neren Gang; ſchon im Januar 1552 beklagte ſich der Papſt, man wolle ihn ſeiner Autoritaͤt berauben: die Abſicht der ſpaniſchen Biſchoͤfe ſey, auf der einen Seite die Capitel knechtiſch zu unterwerfen, auf der andern dem Papſte die Collation aller Beneficien zu entziehen; jedoch er werde nicht ertragen, daß man unter dem Titel von Mißbraͤuchen ihm auch das entreiße, was nicht Mißbrauch, ſondern ein At - tribut ſeiner weſentlichen Gewalt ſey3)Al C1. Crescentio 16 Gen. 1552. Er ruft aus: „ non. Es konnte ihm275Julius III. nicht ſo ganz unangenehm ſeyn, daß der Angriff der Pro - teſtanten das Concilium auseinanderſprengte; er eilte die Suspenſion deſſelben zu decretiren; von unzaͤhligen Praͤten - ſionen und Mißhelligkeiten ward er dadurch befreit.
Seitdem hat ſich Julius III. nicht weiter ernſtlich in politiſche Thaͤtigkeiten eingelaſſen. Die Einwohner von Siena beſchwerten ſich wohl, er habe, obwohl durch ſeine Mutter ihr halber Landsmann, den Herzog Coſimo unter - ſtuͤtzt, ſie ſich zu unterwerfen; eine ſpaͤtere gerichtliche Un - terſuchung hat die Falſchheit dieſer Behauptung dargethan. Eher hatte Coſimo Grund ſich zu beklagen. Die florenti - niſchen Ausgewanderten, die erbittertſten Feinde dieſes ſei - nes Verbuͤndeten hinderte der Papſt nicht, ſich in dem Ge - biete der Kirche zu ſammeln und zu ruͤſten.
Vor der Porta del Popolo beſucht der Fremde noch immer die Villa di Papa Giulio. In Vergegenwaͤrtigung jener Zeit ſteigt man die geraͤumigen Treppen zu der Gallerie hinauf, von der man Rom in ſeiner ganzen Breite von dem Monte Mario her und die Kruͤmmung der Tiber uͤber - ſieht. In dem Bau dieſes Pallaſtes, in der Anlegung die - ſes Gartens lebte und webte Julius III. Er hat ſelbſt den erſten Entwurf gemacht: aber niemals wurde man fer - tig; alle Tage hatte er neue Einfaͤlle und Wuͤnſche, die dann die Baumeiſter zur Ausfuͤhrung zu bringen eilten1)Vasari. Boiſſard beſchreibt ihren damaligen Umfang: oc - cupat fere omnes colles qui ab urbe ad pontem milvium pro - tenduntur — ihre Pracht, und theilt einige Inſchriften mit: z. B. honeste voluptarier cunctis fas honestis esto: und beſonders:. 3)sarà vero, non comportaremo mai, prima lassaremo ruinare il mondo. “18*276Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Hier lebte der Papſt ſeinen Tag und vergaß die uͤbrige Welt. Seine Verwandten hat er ziemlich befoͤrdert; Her - zog Coſimo gab ihnen Monte Sanſovino, von wo ſie ſtammten, der Kaiſer Novara: er ſelbſt theilte ihnen die Wuͤrden des Kirchenſtaates und Camerino zu. Jenem ſei - nen Liebling hatte er Wort gehalten, und ihn zum Cardinal gemacht. Es war ein junger Menſch, den er in Parma lieb gewonnen. Er hatte ihn einſt von einem Affen um - faßt und in dieſer Gefahr muthig und guter Dinge ge - ſehen: ſeitdem hatte er ihn erzogen, und ihm eine Zu - neigung gewidmet, die leider auch ſein ganzes Ver - dienſt blieb. Julius wuͤnſchte ihn und ſeine Verwandten wohl verſorgt und angeſehen zu erblicken, aber ſich um ihretwillen in gefaͤhrliche Verwickelungen einzulaſſen, hatte er nicht die Neigung. Wie geſagt, das harmloſe vergnuͤg - liche Leben auf ſeiner Villa genuͤgte ihm. Er gab Gaſt - maͤler, die er mit ſeinen ſprichwoͤrtlichen Redensarten wuͤrzte, welche freilich wohl zuweilen erroͤthen machten. An den großen Geſchaͤften der Kirche und des Staates nahm er nur ſo viel Antheil, als nun ſchlechterdings unvermeid - lich war.
Allerdings aber konnten dieſe dabei nicht ſehr gedei - hen. Immer gefaͤhrlicher entwickelten ſich die Entzweiun -1)„ De hinc proximo in templo Deo ac divo Andreae gratias agunto (ich verſtehe die Beſuchenden) vitamque et salutem Julio III. Pontei. Maximo Balduino ejus fratri et eorum familiae universae plurimam et aeternam precantor. — Julius ſtarb 23. Maͤrz 1555.277Marcellus II. gen zwiſchen den beiden großen katholiſchen Maͤchten: die deutſchen Proteſtanten hatten ſich aus ihrer Unterwerfung von dem Jahre 1547 gewaltig erhoben, und ſtanden feſter als jemals; an die oft beabſichtigte katholiſche Reforma - tion war nicht zu denken; die Zukunft der roͤmiſchen Kirche, man konnte es ſich nicht verbergen, war uͤberaus dunkel und zweifelhaft.
Hatte ſich aber, wie wir ſahen, eine ſtrengere Rich - tung im Schooße derſelben entwickelt, die das Weſen, wie es ſo viele Paͤpſte trieben, von Herzen verdammte, mußte nicht dieſe endlich auch bei der Wahl eines neuen Papſtes ſich regen? Auf die Perſoͤnlichkeit deſſelben kam ſo viel an; eben darum war dieſe hoͤchſte Wuͤrde von der Wahl abhaͤngig, damit ein Mann in dem Sinne der uͤberwie - genden kirchlichen Richtung, an die Spitze der Geſchaͤfte traͤte.
Nach dem Tode Julius III. war es das erſte Mal, daß die ſtrengere religioͤſe Partei auf die Papſtwahl Ein - fluß bekam. Julius hatte ſich in ſeinem wenig wuͤrdevol - len Betragen oft durch die Anweſenheit des Cardinals Marcello Cervini beſchraͤnkt gefuͤhlt. Eben dieſen traf die Wahl. — 11. April 1555. Es iſt Marcellus II.
Sein ganzes Leben hindurch hatte er ſich wacker und tadellos betragen: die Reformation der Kirche, von der die Andern ſchwatzten, hatte er in ſeiner Perſon dargeſtellt. Man faßte die groͤßten Hoffnungen. „ Ich hatte gebetet, “ſagt ein Zeitgenoſſe, „ es moͤchte ein Papſt kommen, der die ſchoͤnen Worte Kirche, Concilium, Reform von der Ver - achtung zu befreien wuͤßte, in die ſie gefallen; jetzt hielt278Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.ich meine Hoffnung fuͤr erfuͤllt, mein Wunſch ſchien mir Thatſache, Beſitzthum geworden zu ſeyn “1)Seripando al Vescovo di Fiesole. Lettere di principi III, 162.. Die Mei - nung, ſagt ein andrer, die man von der Guͤte und unver - gleichlichen Weisheit dieſes Papſtes hatte, erhob die Welt zu der Hoffnung: wenn jemals, ſo werde es der Kirche jetzt moͤglich werden, die ketzeriſchen Meinungen auszuloͤ - ſchen, die Mißbraͤuche und das verdorbene Leben abzuſtel - len, geſund zu werden und ſich wieder zu vereinigen2)Lettere di principi III, 141. Der Herausgeber ſelbſt hat hier das Wort genommen.. Ganz in dieſem Sinne begann Marcellus. Er duldete nicht, daß ſeine Verwandten nach Rom kaͤmen; in dem Hofhalt fuͤhrte er eine Menge Erſparniſſe ein; er ſoll ein Memorial uͤber die in dem Inſtitute der Kirche vorzu - nehmenden Verbeſſerungen verfaßt haben; zunaͤchſt den Got - tesdienſt ſuchte er zu ſeiner aͤchten Feierlichkeit wieder zu - ruͤckzufuͤhren; alle ſeine Gedanken gingen auf Concilium und Reform3)Petri Polidori de vita Marcelli II. commentarius 1744. p. 119.. In politiſcher Hinſicht nahm er eine neutrale Stellung an, mit welcher der Kaiſer ſich begnuͤgte. „ Jedoch, “ſagen jene Zeitgenoſſen, „ die Welt war ſeiner nicht werth: “ſie wenden die Worte Virgils von einem andern Marcellus „ Ihn wollte das Schickſal der Erde nur zeigen “auf dieſen an. Schon am 22ſten Tage ſei - nes Pontificates ſtarb er.
Wir koͤnnen nicht von einer Wirkung reden, die eine279Paul IV. ſo kurze Verwaltung hervorgebracht, aber ſchon dieſer An - fang, dieſe Wahl zeigen die Richtung, welche uͤberhand - zunehmen begann. Auch in dem naͤchſten Conclave blieb ſie die herrſchende. Der ſtrengſte aller Cardinaͤle, Jo - hann Peter Caraffa, ging aus demſelben als Papſt hervor. 23. Mai 1555.
Wir haben ihn ſchon oft erwaͤhnt: es iſt der nemliche, der die Theatiner ſtiftete, die Inquiſition wiederherſtellte, die Befeſtigung des alten Dogma’s zu Trient ſo weſentlich be - foͤrderte. Wenn es eine Partei gab, welche die Reſtaura - tion des Katholicismus in ſeiner ganzen Strenge beabſich - tigte, ſo beſtieg in ihm nicht ein Mitglied, ſondern ein Gruͤnder, ein Oberhaupt derſelben den paͤpſtlichen Stuhl. Paul IV. zaͤhlte ſchon neun und ſiebzig Jahre, aber ſeine tiefliegenden Augen hatten noch alle das Feuer der Ju - gend; er war ſehr groß und mager: raſch ging er einher; er ſchien lauter Nerv zu ſeyn. Wie er ſich ſchon in ſei - nem taͤglichen Leben an keine Regel band, oft bei Tage ſchlief, bei Nacht ſtudirte: wehe dem Diener, der in ſein Zimmer getreten waͤre, ehe er die Glocke gezogen hatte: — ſo folgte er auch uͤbrigens immer den Impulſen des Au - genblicks1)Relatione di M. Bernardo Navagero (che fu poi Cardi - nale), alla Serma. Repca. di Venetia tornando di Roma Am - basciatore appresso del Pontefice Paolo IV. 1558. In vielen. Sie wurden ihm aber von einer in einem280Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.langen Leben ausgebildeten, zur Natur gewordenen Geſin - nung beherrſcht. Keine andere Pflicht, keine andere Be - ſchaͤftigung als die Wiederherſtellung des alten Glaubens in ſeine fruͤhere Herrſchaft ſchien er zu kennen. Von Zeit zu Zeit bilden ſich ſolche Naturen wieder aus, und wir begegnen ihnen auch heut zu Tage zuweilen. Leben und Welt haben ſie von einem einzigen Punct aus begrif - fen: ihre individuelle, perſoͤnliche Richtung war ſo gewal - tig, daß ihre Anſicht voͤllig davon beherrſcht wird; ſie ſind die unermuͤdlichen Redner und haben immer eine ge - wiſſe Friſche; unaufhoͤrlich ſtroͤmen ſie die Geſinnung aus, welche ſich in ihnen mit einer Art von Nothwendigkeit entwickelte. Wie hoͤchſt bedeutend werden ſie dann, wenn ſie an eine Stelle gelangen, wo ihre Thaͤtigkeit lediglich von ihrer Meinung abhaͤngig iſt, und die Macht ſich zu dem Willen geſellt. Was ließ ſich alles von Paul IV. er - warten, der nie eine Ruͤckſicht gekannt, der ſeine Meinung immer mit der aͤußerſten Heftigkeit durchgeſetzt hatte, als er nun auf die hoͤchſte Stufe erhoben war1)Man kann erachten, daß ſein Weſen nicht Jedermanns Bei - fall hatte. Aretins Capitolo al re di Francia bezeichnet ihn:‘Caraffa ippocrita infingardo Che tien per coscienza spirituale Quando si mette del pepe in sul cardo. ’. Er wun - derte ſich ſelbſt, daß er dahin gelangt war, da er doch nie einem Cardinal das Mindeſte eingeraͤumt und nie etwas1)italieniſchen Bibliotheken, auch in den Informationi politiche zu Berlin. La complessione di questo pontefice è colerica ad - usta; ha una incredibil gravità e grandezza in tutte le sue azioni et veramente pare nato al signoreggiare. 281Paul IV. anders als die aͤußerſte Strenge an ſich hatte ſpuͤren laſ - ſen. Nicht von den Cardinaͤlen, ſondern von Gott ſelbſt glaubte er erwaͤhlt und zur Durchſetzung ſeiner Abſichten berufen zu ſeyn1)Relatione del Clmo. M. Aluise Mocenigo K. ritornato dalla corte di Roma 1560. (Arch. Venez.) Fu eletto Pontefice contra il parer e credere di ogn’ uno e forse anco di se stesso come S. S. propria mi disse poco inanzi morisse, che non avea mai compiaciuto ad alcuno e che se un cardinale gli avea do - mandato qualche gratia gli avea sempre risposta alla riversa nè mai compiaciutolo, onde disse: io non so, come mi habbiano eletto Papa e concludo che Iddio faccia li pontefici. .
„ Wir verſprechen und ſchwoͤren, “ſagt er denn in der Bulle, mit der er ſein Amt antrat, „ in Wahrheit dafuͤr zu ſorgen, daß die Reform der allgemeinen Kirche und des roͤmiſchen Hofes ins Werk geſetzt werde. “ Den Tag ſei - ner Kroͤnung bezeichnete er mit Befehlen in Bezug auf Kloͤ - ſter und Orden. Er ſchickte unverweilt zwei Moͤnche von Monte Caſſino nach Spanien, um die verfallene Kloſter - disciplin daſelbſt herzuſtellen. Er richtete eine Congrega - tion zu der allgemeinen Reform ein: in drei Claſſen: eine jede ſollte aus 8 Cardinaͤlen, 15 Praͤlaten und 50 Gelehr - ten beſtehen. Die Artikel, welche zur Berathung kommen ſollten — ſie betrafen die Beſetzung der Stellen — wur - den den Univerſitaͤten mitgetheilt. Mit großem Ernſte, wie man ſieht, ging er ans Werk2)Bromato Vita di Paolo IV. lib. IX. §. 2. §. 17. (H, 224, 289.). Es ſchien, als haͤtte die kirchliche Tendenz, die ſich ſchon geraume Zeit in den untern Regionen geltend gemacht hatte, nun auch von dem Papſtthum Beſitz genommen, als wuͤrde ſie gleich die Amtsfuͤhrung Pauls IV. allein leiten.
282Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Da fragte ſich nur, welche Stellung er in den allge - meinen Weltbewegungen einnehmen wuͤrde.
Nicht ſo leicht ſind die großen Richtungen, die eine Gewalt genommen hat, zu aͤndern; ſie haben ſich mit ih - rem Weſen allmaͤhlig verſchmolzen.
Mußte es der Natur der Sache nach immer ein Wunſch der Paͤpſte bleiben, ſich der ſpaniſchen Uebermacht zu entledigen, ſo war jetzt ein Moment, in dem dieß noch einmal moͤglich zu werden ſchien. Jener Krieg, den wir aus den farneſiſchen Bewegungen hervorgehen ſehen, war der ungluͤcklichſte, den Carl V. gefuͤhrt; in den Nieder - landen war er bedraͤngt, Deutſchland war von ihm abge - fallen; Italien nicht mehr getreu; auch auf die Eſtes und Gonzagas konnte er nicht mehr trauen: er ſelbſt war le - bensmuͤde und krank. Ich weiß nicht, ob ein anderer Papſt, in ſo fern er nicht gradezu der kaiſerlichen Partei angehoͤrte, den Lockungen widerſtanden haben wuͤrde, die hierin lagen.
Fuͤr Paul IV. waren ſie beſonders ſtark. Er hatte Italien noch in der Freiheit des funfzehnten Jahrhunderts geſehen (er war 1476 geboren): ſeine Seele hing an die - ſer Erinnerung. Einem wohlgeſtimmten Inſtrumente von vier Saiten verglich er das damalige Italien. Neapel, Mailand, Kirche und Venedig nannte er die vier Saiten; er verwuͤnſchte das Andenken Alfonſo’s und Ludwigs des Mohren „ unſelige und verlorene Seelen, “wie er ſagte, deren Entzweiung dieſe Harmonie zerſtoͤrte1)Infelici quelle anime di Alfonso d’Aragona e Ludovico. Daß nun ſeitdem die Spanier Herren geworden, hatte er noch immer283Paul IV. nicht ertragen lernen. Das Haus Caraffa, aus dem er ſtammte, gehoͤrte zu der franzoͤſiſchen Partei; unzaͤhlige Mahle hatte es wider Caſtilianer und Catalanen die Waffen gefuͤhrt; noch 1528 hatte es ſich zu den Franzoſen geſchla - gen; waͤhrend der Unruhen von 1547 war es Johann Pe - ter Caraffa, der Paul III. den Rath gab, ſich Neapels zu bemaͤchtigen. Zu dieſem Parteihaß aber kam noch ein an - derer. Caraffa hatte immer behauptet, Carl V. beguͤnſtige aus Eiferſucht gegen den Papſt die Proteſtanten: den Fort - gang dieſer Partei ſchrieb er dem Kaiſer ſelber zu1)Memoriale dato a Annibale Rucellai Sept. 1555. (Infor - matt. Pol. T. XXIV. ) chiamava liberamenti la Mà. S. Cesarea fautore di heretici e di scismatici. . Wohl kannte ihn dieſer. Er ſtieß ihn einſt aus dem fuͤr die Verwaltung von Neapel gebildeten Rathe; er ließ ihn nie zu ruhigem Beſitz ſeiner neapolitaniſchen Kirchenaͤm - ter gelangen; uͤberdieß hat er ihn zuweilen wegen ſeiner Declamationen in dem Conſiſtorium ernſtlich bedeutet. Um ſo heftiger, wie man denken kann, ſteigerte ſich der Widerwille des Caraffa. Er haßte den Kaiſer als Neapo - litaner und Italiener, als Katholik und als Papſt. Neben ſeinem reformatoriſchen Eifer hegte er keine andere Leiden - ſchaft als dieſen Haß.
Kaum hatte er Beſitz von dem Pontificat ergriffen, — nicht ohne ein gewiſſes Selbſtgefuͤhl, wenn er den Roͤ - mern Taxen erließ, Getreide zufuͤhrte, und ſich dafuͤr eine Bildſaͤule errichten ſah, wenn er im Gepraͤnge eines praͤch -1)Duca di Milano, che furno li primi che guastarono cosi nobil instrumento d’Italia Bei Navagero.284Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.tigen, von neapolitaniſchen Edelleuten verwalteten Hofdien - ſtes die Obedienz der von allen Seiten herbeieilenden Ge - ſandtſchaften empfing — ſo war er in tauſend Streitigkei - ten mit dem Kaiſer. Da ſollte Dieſer ſich bei den Car - dinaͤlen ſeiner Partei uͤber eine ſolche Wahl beklagt haben; ſeine Anhaͤnger hielten verdaͤchtige Zuſammenkuͤnfte; Einige derſelben nahmen in dem Hafen von Civitavecchia ein paar Schiffe weg, die ihnen fruͤher von den Franzoſen entriſſen worden1)Instruttioni e lettere di Monsignor della Casa a nome del C1. Caraffa, dove si contiene il principio della rottura della guerra fra Papa Paolo IV. e l’imperatore Carlo V. 1555. Auch in den Inf. Pol. 24.. Bald war der Papſt in Feuer und Flammen. Die kaiſerlich geſinnten Lehensleute und Cardinaͤle nahm er gefangen, oder ſie entflohen und er zog ihre Beſitzungen ein. Aber es war ihm nicht genug. Auf jene Verbin - dung mit Frankreich, die Paul III. zu vollziehen ſich nie - mals hatte entſchließen koͤnnen, ging er ohne viel Beden - ken ein. Der Kaiſer wolle ihn nur, ſagte er, durch eine Art von geiſtigem Fieber zu Grunde richten: er werde ſich zu offenem Spiel entſchließen, mit der Huͤlfe des Koͤnigs von Frankreich wolle er dieß arme Italien von der Ty - rannei der Spanier befreien: er hoffe noch zwei franzoͤſi - ſche Prinzen in Mailand und Neapel regieren zu ſehen. Stunden lang ſaß er nach Tiſche bei dem ſchwarzen, dicken vulkaniſchen Wein von Neapel, den er trank, — man nannte die Sorte Mangiaguerra — und ergoß ſich in ſtuͤrmiſcher Beredſamkeit gegen dieſe Schismatiker und Ketzer, Vermaledeiete Gottes, Saame von Juden und Mar -285Paul IV. ranen, Hefe der Welt, und wie er ſonſt noch die Spanier nannte1)Navagero. Mai parlava di S. Mà. e della natione Spag - nola, che non gli chiamasse eretici scismatici e maladetti da dio, seme di Giudei e di Mori, feccia del mondo, deplorando la miseria d’Italia che fosse astretta a servire gente cosi abjetta e cosi vile. Die Depeſchen der franzoͤſiſchen Geſandten ſind voll von dieſen Ausfaͤllen. Z. B. von Lanſac und von Avançon bei Ri - bier II, 610 — 618.. Aber er getroͤſte ſich des Spruches, du wirſt uͤber Schlangen wandeln, Loͤwen und Drachen wirſt du zertreten. Jetzt ſey die Zeit gekommen, wo Kaiſer Carl und deſſen Sohn fuͤr ihre Suͤnden die Zuͤchtigung empfan - gen ſollten. Er der Papſt werde es thun: er werde Ita - lien von ihm befreien. Wolle man ihn nicht hoͤren, ihm nicht beiſtehen, ſo werde man doch in Zukunft einmal ſa - gen muͤſſen, daß ein alter Italiener, ſo nahe dem Tode, der eher haͤtte ruhen und ſich zum Sterben bereiten ſollen, noch ſo erhabene Plaͤne gefaßt habe. Es iſt nicht noͤthig in das Einzelne der Unterhandlungen einzugehen, die er voll von dieſen Gedanken pflog. Als die Franzoſen, trotz eines ſchon mit ihm getroffenen Verſtaͤndniſſes, doch einen Stillſtand mit Spanien geſchloſſen2)Sehr bezeichnend iſt die Darſtellung des anfaͤnglichen Unglau - bens der Caraffas bei Navagero. Domandando io al pontefice et al C1. Caraffa, se havevano avviso alcuno delle tregue (von Vaucelles) si guardorno l’un l’altro ridendo: quasi volessero dire, si come mi disse anche apertamente il Pontefice che questa speranza di tregue era assai debole in lui e nondimeno venne l’avviso il giorno seguente, il quale si come consolò tutta Roma cosi diede tanto travaglio e tanta molestia al papa et al cardinale che non lo poterono dissimulare. Diceva il papa, che queste tregue sarebbero la ruina del mondo. , ſendete er ſeinen Neffen, Carl Caraffa, nach Frankreich, dem es denn auch286Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.gelang, die verſchiedenen Parteien, die dort um die Gewalt kaͤmpften, die Montmorency und die Guiſen, die Gemah - lin des Koͤnigs und deſſen Buhle, in ſein Intereſſe zu zie - hen und einen neuen Ausbruch der Feindſeligkeiten zu ver - anlaſſen1)Rabutin Mémoires Collect. univers. Tom. 38, 358. Vor - nehmlich Villars Mémoires Ib. Tom. 35, 277.. In Italien gewann er an dem Herzog von Ferrara einen ruͤſtigen Verbuͤndeten. Sie ſahen es auf eine voͤllige Umwaͤlzung von Italien ab. Florentiniſche und neapolitaniſche Ausgewanderte erfuͤllten die Curie. Die Zeit ihrer Wiederherſtellung ſchien gekommen. Der paͤpſt - liche Fiscal machte eine foͤrmliche Rechtsklage wider Kai - ſer Carl und Koͤnig Philipp anhaͤngig, in der er auf eine Excommunication dieſer Fuͤrſten und eine Entbindung ihrer Unterthanen vom Eide der Treue antrug. In Florenz hat man immer behauptet, die Beweiſe in Haͤnden zu haben, daß auch das mediceiſche Haus dem Untergang beſtimmt geweſen2)Gussoni Relne. di Toscana. . Es bereitete ſich alles zum Kriege: die ganze bisherige Entwickelung dieſes Jahrhunderts ward noch ein - mal in Frage geſtellt.
Welch eine ganz andere Wendung nahm aber hiermit dieß Papſtthum, als man erwartet hatte! Die reformatori - ſchen Beſtrebungen mußten vor den kriegeriſchen zuruͤckwei - chen, und ganz entgegengeſetzte Erfolge fuͤhrten dieſe mit ſich.
Man ſah Den, der als Cardinal das Nepotenweſen auf das eifrigſte, ſelbſt mit Gefahr, verdammt hatte, ſich nunmehr eben dieſem Mißbrauch ergeben. Seinen Neffen Carl Caraffa, der ſich immer in einem wilden und anſtoͤ -287Paul IV. ßigen Soldatenleben gefallen1)Babon b. Ribier II, 745. Villars p. 255., — Paul IV. ſagt ſelbſt, ſein Arm ſey bis an den Elbogen in Blut getaucht — er - hob er zum Cardinal. Carl hatte Mittel gefunden, den ſchwachen Alten zu beguͤtigen: er hatte ſich zuweilen be - tend und in anſcheinender Zerknirſchung vor dem Crucifix finden laſſen2)Bromato. . Die Hauptſache aber war, daß ſie ſich Beide in dem nemlichen Haſſe begegneten. Carl Caraffa, der dem Kaiſer in Deutſchland Kriegsdienſte gethan, be - klagte ſich, daß ihm dieſer dafuͤr lauter Ungnade erweiſe. Daß man ihm einen Gefangenen entriſſen, von dem er ein ſtarkes Loͤſegeld erwartete, und ein Priorat der Maltheſer, das ihm ertheilt worden, nicht hatte antreten laſſen, er - fuͤllte ihn mit Haß und Rachbegier. Dieſe Leidenſchaft war dem Papſte ſtatt aller Tugenden. Er fand kein Ende ihn zu loben; er verſicherte, nie habe der roͤmiſche Stuhl einen faͤhigeren Diener gehabt; er uͤbertrug ihm die Summe nicht allein der weltlichen, ſondern ſogar der geiſtlichen Geſchaͤfte, und ſah es gern, wenn man ihn als den Ur - heber der Gunſtbezeugungen, die man empfing, betrachtete.
Seine beiden andern Nepoten wuͤrdigte der Papſt lange keines gnaͤdigen Blickes. Erſt als auch ſie ſich zu der antiſpaniſchen Geſinnung des Oheims bekannten, ſchenkte er ihnen ſein Wohlwollen3)Extractus Processus Cardinalis Caraffae. Similiter dux Palliani deponit, quod donec se declaravit contra imperiales, Papa eum nunquam vidit grato vultu et bono oculo. . Niemals haͤtte man erwar - tet was er that. Er erklaͤrte, den Colonneſen, ſteten Re -288Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.bellen gegen Gott und Kirche, habe man ihre Schloͤſſer oͤf - ter entriſſen, aber ohne ſie je zu behaupten: jetzt wolle er ſie Lehensleuten auftragen, welche ſie zu vertheidigen wiſſen wuͤrden. Er theilte ſie ſeinen Neffen zu. Den aͤltern er - nannte er zum Herzog von Palliano, den juͤngern zum Marcheſe von Montebello. Die Cardinaͤle ſchwiegen ſtill, als er ihnen dieſen ſeinen Willen eroͤffnete und ſahen zur Erde. Die Caraffas erhoben ſich zu den weitausſehendſten Entwuͤrfen. Die Toͤchter ſollten in die Familie, wenn nicht des Koͤnigs von Frankreich, doch des Herzogs von Fer - rara verheirathet werden. Die Soͤhne hofften wenigſtens Siena an ſich zu bringen. Es ſcherzte Einer uͤber das mit Edelſteinen beſetzte Barett eines Kindes aus dieſem Hauſe. Man duͤrfe jetzt wohl von Kronen reden, verſetzte die Mut - ter der Nepoten1)Bromato IX, 16. II, 286. Woͤrtlich: non esser quel tempo da parlar di berette, ma di corone. .
In der That kam alles auf den Erfolg des Krieges an, der nunmehr ausbrach; und freilich anfangs nicht die guͤnſtigſte Wendung nahm.
Nach jenem Acte des Fiscal war der Herzog von Alba aus dem neapolitaniſchen in das roͤmiſche Gebiet vorge - ruͤckt. Die paͤpſtlichen Vaſallen begleiteten ihn: ihre Ver - ſtaͤndniſſe erwachten. Nettuno verjagte die kirchliche Be - ſatzung und rief die Colonneſen zuruͤck; Alba beſetzte Fro - ſinone, Anagni, Tivoli in dem Gebirg, Oſtia an der See: er ſchloß Rom von beiden Seiten ein.
Der Papſt verließ ſich anfangs auf ſeine Roͤmer. Erhatte289Paul IV. hatte in Perſon Muſterung uͤber ſie gehalten. Von Cam - pofiore kamen ſie, die Engelsburg, die ſie mit ihrem Ge - ſchuͤtz begruͤßte, voruͤber, nach dem Petersplatz, wo er mit ſeinem Neffen an einem Fenſter ſtand. Es waren 340 Reihen mit Hakenbuͤchſen, 250 mit Piken bewaffnet, jede 9 Mann hoch, ſtattlich anzuſehen, unter lauter adligen Anfuͤhrern; wenn Caporionen und Fahnentraͤger bis vor ihn gekommen, gab er ihnen ſeinen Segen1)Diario di Cola Calleine Romano del rione di Traste - vere dall’ anno 1521 sino all’ anno 1562. Ms. . Das nahm ſich alles wohl gut aus, aber zur Vertheidigung der Stadt waren dieſe Leute nicht geeignet. Nachdem die Spanier ſo nahe herbeigeruͤckt, war ein falſches Geruͤcht, ein kleiner Reitertrupp hinreichend, alles in ſolche Verwirrung zu ſetzen, daß ſich Niemand mehr bei den Fahnen einfand. Der Papſt mußte ſich nach anderer Huͤlfe umſehen. Pietro Strozzi fuͤhrte ihm endlich die Truppen zu, die vor Siena gedient: er eroberte Tivoli und Oſtia in der That wieder und entfernte die naͤchſte Gefahr.
Welch ein Krieg aber war dieß!
Es iſt zuweilen als traͤten die Ideen, welche die Dinge bewegen, die geheimen Grundlagen des Lebens einander ſichtbar gegenuͤber.
Alba haͤtte im Anfang Rom ohne viel Schwierigkeit erobern koͤnnen; allein ſein Oheim, Cardinal Giacomo, er - innerte ihn an das ſchlechte Ende, das Alle genommen, die an der bourboniſchen Eroberung Theil gehabt. Als ein guter Katholik fuͤhrte Alba den Krieg mit aͤußerſter Zuruͤck - haltung: er bekaͤmpfte den Papſt, aber ohne aufzuhoͤren,19290Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.ihn zu verehren: nur das Schwert will er ihm aus den Haͤnden winden; nach dem Ruhme zu den Eroberern von Rom gezaͤhlt zu werden, geluͤſtet ihn nicht. Seine Trup - pen klagen, es ſey ein Rauch, ein Nebel, gegen den man ſie ins Feld fuͤhre; er belaͤſtige ſie und ſey nicht zu faſ - ſen, noch in ſeinem Urſprung zu daͤmpfen.
Und wer waren dagegen Die, welche den Papſt gegen ſo gute Katholiken vertheidigten? Es waren meiſtens Deut - ſche, alles Proteſtanten. Sie verſpotteten die Heiligenbil - der an den Landſtraßen, in den Kirchen, verlachten die Meſſe, uͤbertraten die Faſten und begingen hundert Dinge, von denen der Papſt ſonſt ein jedes mit dem Tode be - ſtraft haben wuͤrde1)Navagero: Fu riputata la piu esercitata gente la Todessa (3500 fanti) e piu atta alla guerra, ma era in tutto Luterana. . Ich finde ſelbſt, daß Carl Caraffa mit dem großen proteſtantiſchen Parteigaͤnger, Markgraf Albrecht von Brandenburg, einmal ein Verſtaͤndniß an - geknuͤpft hatte.
Staͤrker konnten die Gegenſaͤtze nicht hervortreten. In den Einen, die ſtrenge katholiſche Richtung, von der we - nigſtens der Heerfuͤhrer durchaus ergriffen iſt, — wie weit lagen ihm die bourboniſchen Zeiten ruͤckwaͤrts! In den Anderen die Erfolge der weltlichen Tendenzen des Papſt - thums, die auch Paul IV., ſo ſehr er ſie an ſich ver - dammen mag, dennoch ergriffen haben: ſie bewirken, daß ſeine Glaͤubigen ihn angreifen, die von ihm Abgefallenen ihn vertheidigen; aber jene bewaͤhren auch bei dem Angriff ihre Unterwuͤrfigkeit, dieſe, indem ſie ihn beſchuͤtzen, beweiſen ſeinem Weſen Feindſchaft und Wegwerfung.
291Paul IV.Zu eigentlichem Kampfe kam es aber erſt dann, als endlich die franzoͤſiſche Huͤlfsmacht — 10000 Mann zu Fuß, eine minder zahlreiche, aber ſehr ſtattliche Reiterei — uͤber den Alpen erſchien. Die Franzoſen haͤtten ihre Kraͤfte lie - ber gleich gegen Mailand verſucht, das ſie minder verthei - digt glaubten: aber ſie mußten dem Impuls folgen, den ihnen die Caraffas gegen Neapel gaben. Dieſe zweifelten nicht, in ihrem Vaterlande unzaͤhlige Anhaͤnger zu finden; ſie zaͤhlten auf die Macht der Ausgewanderten, auf die Er - hebung ihrer Partei, wo nicht in dem ganzen Koͤnigreich, doch zunaͤchſt in den Abruzzen, dort um Aquila und Mon - torio, wo ihre vaͤterlichen und muͤtterlichen Ahnherren im - mer einen großen Einfluß behauptet hatten.
Auf irgend eine Weiſe muͤſſen ſich die Triebe der Dinge Luft machen.
Zu haͤufig hatte ſich die Oppoſition der paͤpſtlichen Gewalt gegen das Uebergewicht der Spanier geregt, als daß ſie nicht noch einmal haͤtte offen hervorbrechen ſollen.
Der Papſt und ſeine Nepoten waren zu dem Aeußer - ſten entſchloſſen. Caraffa hat nicht allein die Proteſtanten um Huͤlfe erſucht, er hat Suleiman I. den Antrag gemacht, er moͤge von ſeinen ungariſchen Feldzuͤgen abſtehen, um ſich mit aller Macht auf beide Sicilien zu werfen1)Seine Geſtaͤndniſſe bei Bromato Vita di Paolo IV, T. II, p. 369. Uebrigens hat Bromato auch uͤber den Krieg gute Nach - richten. Er nahm ſie, was er auch nicht verſchweigt, oft Wort fuͤr Wort aus einem weitlaͤufigen Ms. von Nores, das dieſen Krieg zum Gegenſtande hat, und in italieniſchen Bibliotheken haͤufig vor - kommt.. Die Huͤlfe der Unglaͤubigen rief er auf gegen den katholiſchen Koͤnig.
19*292Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Im April 1557 uͤberſchritten die paͤpſtlichen Truppen die neapolitaniſche Grenze. Den gruͤnen Donnerſtag bezeich - neten ſie mit der Eroberung und graͤuelvollen Pluͤnde - rung von Compli, das voll von eigenen und dahin gefluͤch - teten Reichthuͤmern war. Hierauf ging auch Guiſe uͤber den Tronto und belagerte Civitella.
Er fand jedoch das Koͤnigreich in guter Bereitſchaft. Alba wußte wohl, daß keine Bewegung wider ihn entſte - hen werde, ſo lange er der Maͤchtigſte im Lande ſey. In einem Parlament der Baronen hatte er ein bedeutendes Donativ erlangt: die Koͤnigin Bona von Polen, von dem alten aragoniſchen Geſchlecht, die vor kurzem mit vielen Reichthuͤmern in ihrem Herzogthume Bari angekommen, von ganzem Herzen eine Feindin der Franzoſen, unterſtuͤtzte ihn mit einer halben Million Scudi; die geiſtlichen Ein - kuͤnfte, die nach Rom haͤtten gehen ſollen, zog er ein: ſelbſt das Gold und Silber der Kirchen, die Glocken von Bene - vent nahm er in Anſpruch1)Giannone Istoria di Napoli lib. XXXIII, c. 1. Nicht allein Goſſelini, auch Mambrino Roſeo delle historie del mondo lib. VII., der dieſen Krieg ausfuͤhrlich und nach guten Nachrichten erzaͤhlt, und Andere ſchreiben dem Ferrante Gonzaga einen großen Antheil an den geſchickten Maaßregeln zu, die Alba ergriff.. Alle neapolitaniſchen und ſo viel roͤmiſche Grenzplaͤtze als er noch behauptete, hatte er denn auf das beſte zu befeſtigen, ein ſtattliches Heer auf die alte Weiſe aus Deutſchen, Spaniern und Italienern zuſam - men zu bringen vermocht: auch neapolitaniſche Centurien unter der Anfuͤhrung des Adels hatte er gebildet. Civi - tella ward von dem Grafen Santafiore tapfer vertheidigt:293Paul IV. er hatte die Einwohner zu thaͤtiger Theilnahme begeiſtert: ſelbſt einen Sturm ſchlugen ſie ab.
Waͤhrend dergeſtalt das Koͤnigreich zuſammenhielt und nichts als Ergebenheit gegen Philipp II. blicken ließ, bra - chen dagegen unter den Angreifenden, zwiſchen Franzoſen und Italienern, Guiſe und Montebello lebhafte Zwiſtig - keiten aus. Guiſe beklagte ſich, daß der Papſt den mit ihnen geſchloſſenen Vertrag nicht halte, und es an der ver - ſprochenen Huͤlfe ermangeln laſſe. Als der Herzog von Alba mit ſeinem Heere in den Abruzzen erſchien, — in der Mitte des Mai — hielt es Guiſe fuͤr das Beſte, die Belagerung aufzuheben, und uͤber den Tronto zuruͤckzuge - hen. Der Krieg zog ſich wieder auf das Roͤmiſche Gebiet.
Ein Krieg, in dem man vorruͤckte, zuruͤckwich, Staͤdte beſetzte und wieder verließ, in dem es aber nur einmal zu einem ernſtlichen Gefecht kam.
Marc Antonio Colonna bedrohte Palliano, das ihm der Papſt entriſſen hatte: Giulio Orſino machte ſich auf, es mit Lebensmitteln und Truppen zu erfriſchen. Es wa - ren eben 3000 Schweizer unter einem Oberſten von Unter - walden in Rom angelangt. Mit Freuden hatte ſie der Papſt empfangen, ihre Hauptleute mit goldenen Ketten und dem Rittertitel geſchmuͤckt: er hatte ſie fuͤr die Legion von Engeln erklaͤrt, die ihm Gott zuſende. Eben dieſe und ei - nige italieniſche Schaaren zu Fuß und zu Pferde fuͤhrte Giulio Orſino an. M. A. Colonna ſtellte ſich ihm in den Weg. Es kam noch einmal zu einer Schlacht, im Geiſte der ita - lieniſchen Kriege von 1494 — 1531. Paͤpſtliche und kai - ſerliche Truppen, ein Colonna und ein Orſino: den Schwei -294Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.zern ſtellten ſich, wie ſonſt ſo oft, unter ihren letzten nam - haften Oberſten, Caspar von Feltz und Hans Walter, die deutſchen Landsknechte entgegen. Noch einmal ſchlugen die alten Gegner fuͤr eine Sache, die beide wenig anging; nichts deſto minder waren ſie außerordentlich tapfer1)Die einzelnen Umſtaͤnde dieſes kleinen Treffens ſchoͤpfe ich aus Cabrera Don Folipe Segundo lib. III, p. 139.. Endlich warf ſich Hans Walter, groß und ſtark wie ein Rieſe, ſagen die Spanier, in die Mitte eines ſchweizeriſchen Faͤhnleins; mit dem Piſtol in der einen und dem bloßen Schlacht - ſchwert in der andern Hand drang er grade auf den Fah - nentraͤger ein: zugleich durch einen Schuß in die Seite und einen gewaltigen Hieb uͤber den Kopf, erlegte er den - ſelben: die ganze Schaar ſtuͤrzte nun auf ihn her; aber ſchon waren auch ſeine Landsknechte hinter ihm, um ihn zu beſchuͤtzen. Die Schweizer wurden voͤllig gebrochen und geſchlagen. Ihre Fahnen, auf denen in großen Buchſta - ben zu leſen war: Vertheidiger des Glaubens und des heiligen Stuhls, ſanken in Staub: ihr Oberſt brachte von ſeinen eilf Hauptleuten nur zwei nach Rom zuruͤck.
Indeſſen man hier dieſen kleinen Krieg fuͤhrte, lagen an den niederlaͤndiſchen Grenzen die großen Heere einander gegenuͤber. Es erfolgte die Schlacht von S. Quintin. Die Spanier trugen den vollkommenſten Sieg davon. In Frank - reich wunderte man ſich nur, daß ſie nicht gradezu auf Pa - ris losgingen, welches ſie haͤtten erobern koͤnnen2)Monluc. Mémoires p. 116..
„ Ich hoffe, “ſchrieb hierauf Heinrich II. an Guiſe, „ der Papſt wird in meiner Noth eben ſo viel fuͤr mich295Paul IV. thun wie ich in der ſeinen fuͤr ihn gethan “1)Le roy à Mons. de Guise bei Ribier II, p. 750.. So wenig durfte Paul IV. nun laͤnger auf franzoͤſiſche Huͤlfe zaͤhlen, daß die Franzoſen vielmehr Beiſtand von ihm erwarteten. Guiſe erklaͤrte, „ keine Ketten ſeyen laͤnger vermoͤgend, ihn in Italien zuruͤckzuhalten: “2)Lettera del Da. di Palliano al Cl. Caraffa. Inff. Politt. XXII. er eilte mit ſeiner Mann - ſchaft zu ſeinem bedraͤngten Fuͤrſten zuruͤck.
Hierauf ruͤckten, wie es nicht mehr zu hindern ſtand, Spanier und Colonneſen aufs neue gegen Rom vor. Noch einmal ſahen ſich die Roͤmer mit Eroberung und Pluͤnde - rung bedroht. Ihre Lage war um ſo verzweifelter, da ſie ſich vor ihren Vertheidigern nicht viel weniger fuͤrchteten als vor ihren Feinden. Viele Naͤchte lang hielten ſie alle Fenſter hell, alle Straßen erleuchtet, und man ſagt, daß ein Trupp ſpaniſcher Voͤlker, der einen Streifzug bis nahe an die Thore machte, hierdurch zuruͤckgeſchreckt worden ſey: hauptſaͤchlich aber ſuchten ſie hiermit gegen die Gewalt - ſamkeiten der paͤpſtlichen Soldaten vorbereitet zu ſeyn. Alles murrte: man wuͤnſchte dem Papſt tauſend Mal den Tod: man forderte, daß das ſpaniſche Heer durch eine foͤrmliche Uebereinkunft eingelaſſen werden ſolle.
So weit ließ es Paul IV. kommen. Erſt als ſeine Unternehmung durchaus geſcheitert, ſeine Verbuͤndeten ge - ſchlagen, ſein Staat zum großen Theile von den Feinden beſetzt und ſeine Hauptſtadt zum zweiten Male bedroht war, bequemte er ſich zum Frieden.
Die Spanier ſchloſſen ihn in dem Sinne wie ſie den296Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Krieg gefuͤhrt. Alle Schloͤſſer und Staͤdte der Kirche ga - ben ſie zuruͤck: ſelbſt fuͤr Palliano, das die Caraffas ver - loren, ward denſelben eine Entſchaͤdigung verſprochen1)Ueber Palliano ward eine geheime Convention zwiſchen Alba und Cardinal Caraffa geſchloſſen: geheim nicht allein fuͤr das Publi - kum, ſondern fuͤr den Papſt ſelbſt. (Bromato II, 385.). Alba kam nach Rom: in tiefer Ehrfurcht kuͤßte er ſeinem Ueber - wundenen, dem geſchworenen Feinde ſeiner Nation und ſei - nes Koͤnigs, den Fuß. Er hat geſagt, nie habe er eines Menſchen Angeſicht, wie das des Papſtes, gefuͤrchtet.
So vortheilhaft aber auch fuͤr die paͤpſtliche Gewalt dieſer Friede erſcheint, ſo war er doch wider ihre bisheri - gen Beſtrebungen entſcheidend. Mit ihren Verſuchen, ſich des ſpaniſchen Uebergewichtes zu entledigen, hatte es ein Ende: in dem alten Sinne iſt es nie wieder zu einem ſol - chen gekommen. In Mailand und Neapel hatte ſich die Herrſchaft der Spanier unerſchuͤtterlich gezeigt. Ihre Ver - buͤndeten waren ſtaͤrker als je. Herzog Coſimo, den man aus Florenz verjagen wollen, hatte Siena dazu erworben, und beſaß nunmehr eine bedeutende ſelbſtſtaͤndige Macht; durch die Ruͤckgabe von Piacenza waren die Farneſen fuͤr Philipp II. gewonnen; Marc Antonio Colonna hatte ſich einen großen Namen gemacht und die alte Stellung ſeines Geſchlechts erneuert. Es blieb dem Papſte nichts uͤbrig, als ſich in dieſe Lage der Dinge zu finden. Auch Paul IV. mußte daran: man kann denken, wie ſchwer es ihm wurde. Phi - lipp II. ward einmal ſein Freund genannt: „ ja mein Freund, “fuhr er auf, „ der mich belagert hielt, der meine Seele ſuchte! “ Anderen gegenuͤber verglich er ihn wohl297Paul IV. einmal mit dem verlorenen Sohn des Evangeliums, aber im Kreiſe ſeiner Vertrauten ruͤhmte er nur ſolche Paͤpſte, welche franzoͤſiſche Koͤnige zu Kaiſern zu machen beabſich - tigt hatten1)L’évesque d’Angoulême au roy 11 Juin 1558. Ribier II, 745. Der Papſt habe geſagt, que vous Sire n’estiez pas pour dégénérer de vos prédécesseurs qui avoient toujours été conser - vateurs et défenseurs de ce saint siège, comme au contraire, que le roy Philippe tenoit de race de le vouloir ruiner et confondre entièrement.. Sein Sinn war der alte: aber die Um - ſtaͤnde engten ihn ein: er konnte nichts mehr hoffen noch unternehmen: ſelbſt beklagen durfte er ſich nur insgeheim.
Sich der Wirkung der vollzogenen Begebenheit wider - ſetzen zu wollen, iſt jedoch allemal vergeblich. Auch auf Paul IV. uͤbte ſie nach einiger Zeit eine Ruͤckwirkung aus, welche wie fuͤr ſeine Verwaltung, ſo fuͤr die Umwandlung dieſes paͤpſtlichen Weſens uͤberhaupt von der groͤßten Wich - tigkeit iſt.
Sein Nepotismus beruhte nicht auf der Selbſtſucht und Familien-Neigung fruͤherer Paͤpſte: er beguͤnſtigte ſeine Nepoten, weil ſie ſeine Richtung gegen Spanien unterſtuͤtz - ten: er betrachtete ſie als ſeine natuͤrlichen Gehuͤlfen in dieſem Kampfe. Daß es nun mit demſelben zu Ende ge - gangen, machte ihm auch die Nepoten unnuͤtz. Gluͤckliche Erfolge gehoͤren zu jeder ausgezeichneten, am meiſten zu einer nicht ganz geſetzmaͤßigen Stellung. Cardinal Caraffa unternahm noch vornehmlich im Intereſſe ſeines Hauſes, um jene Entſchaͤdigung fuͤr Palliano feſtzuſetzen, eine Geſandt - ſchaft an Koͤnig Philipp. Seit er auch von dieſer zuruͤck - gekommen war, ohne eben viel ausgerichtet zu haben, ſah298Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.man den Papſt kaͤlter und kaͤlter gegen ihn werden. Bald war es dem Cardinal nicht mehr moͤglich, die Umgebungen ſeines Oheims zu beherrſchen, und wie er bisher gethan, nur den ergebenſten Freunden den Zutritt zu geſtatten. Auch un - guͤnſtige Stimmen kamen dem Papſt zu Ohren und moch - ten die widrigen Eindruͤcke fruͤherer Zeiten wieder erwecken. Der Cardinal erkrankte einmal: der Papſt beſuchte ihn un - erwartet: er fand ein paar Leute von dem ſchlechteſten Rufe bei ihm. „ Die Alten ſind mißtrauiſch, “ſagte er: „ ich bin da Dinge gewahr worden, die mir ein weites Feld eroͤffneten. “ Wir ſehen, es bedurfte nur einen Anlaß, um einen Sturm in ihm zu erregen. Ein uͤbrigens unbedeu - tendes Ereigniß bot einen ſolchen dar. In der Neujahrs - nacht 1559 war ein Tumult auf der Straße vorgefallen, bei dem auch ein junger Cardinal, jener Liebling Julius III. Cl. Monte, den Degen gezogen hatte. Der Papſt erfuhr es gleich am Morgen: er empfand es tief, als ſein Neffe ihm kein Wort davon ſagte; er wartete ein paar Tage: endlich ſprach er ſeinen Verdruß aus. Der Hof, ohnehin auf jede Veraͤnderung begierig, ergriff dieſes Zeichen der Ungunſt mit Begierde. Der florentiniſche Geſandte, der tauſend Kraͤnkungen von den Caraffas erfahren hatte, drang jetzt zu dem Papſt hindurch und brachte die bitterſten Be - ſchwerden vor. Die Marcheſa della Valle, eine Verwandte, der man auch nie freien Zutritt geſtatten wollen, fand Mit - tel, einen Zettel in das Brevier des Papſtes legen zu laſſen, auf dem einige Miſſethaten der Nepoten verzeichnet waren: „ wuͤnſche S. Heiligkeit noch naͤhere Aufklaͤrung, ſo moͤge ſie ihren Namen unterſchreiben; “Paul unterſchrieb und die299Paul IV. Aufklaͤrungen werden nicht gemangelt haben. Dergeſtalt, bereits mit Unwillen und Mißvergnuͤgen erfuͤllt, ging der Papſt am 9. Januar in die Verſammlung der Inquiſition. Er kam auf jenen naͤchtlichen Tumult zu ſprechen, ſchalt heftig auf den Cardinal Monte, drohte ihn zu beſtrafen, und donnerte immer: Reform, Reform. Die ſonſt ſo ſchweigſamen Cardinaͤle hatten jetzt Muth bekommen. „ Hei - liger Vater, “unterbrach ihn Cardinal Pacheco, „ die Re - form muͤſſen wir bei uns ſelber anfangen. “ Der Papſt verſtummte. Das Wort traf ſein Herz: die in ihm gaͤh - renden, ſich bildenden Ueberzeugungen brachte es ihm zum Bewußtſeyn. Er ließ die Sache des Monte unbeendigt: in verzehrendem Ingrimm ging er auf ſein Wohnzimmer. Er ſtellte unverweilt genaue Nachforſchungen an. Nach - dem er ſogleich befohlen, daß auf des Cardinal Caraffa Anordnung nichts mehr auszufertigen ſey, ließ er ihm ſeine Papiere abfordern; Cardinal Vitellozzo Vitelli, der in dem Rufe ſtand, die Geheimniſſe der Caraffas zu kennen, mußte ſchwoͤren, alles entdecken zu wollen, was er davon wiſſe: Camillo Orſino ward zu dem nemlichen Zweck von ſeinem Landgut hereinbeſchieden: die ſtrenge Partei, die lange dem Treiben der Nepoten mit Unmuth zugeſehen, erhob ſich jetzt: der alte Theatiner, Don Hieremia, den man fuͤr heilig hielt, war Stundenlang in den paͤpſtlichen Gemaͤchern: der Papſt erfuhr Dinge, die er nie geahndet hatte, die ihm Entſetzen und Grauen erregten. Er gerieth in die groͤßte Bewegung: er mochte weder eſſen noch ſchla - fen: zehn Tage lang war er in Fieber und Krankheit: merkwuͤrdig auf immer ein Papſt, der ſich mit innerer Ge -300Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.waltſamkeit von der Neigung zu ſeinen Anverwandten los - riß: endlich war er entſchloſſen. Am 27. Januar berief er ein Conſiſtorium: mit leidenſchaftlicher Bewegung ſtellte er das ſchlechte Leben ſeiner Neffen vor: er rief Gott und Welt und Menſchen zu Zeugen an, daß er nie darum ge - wußt, daß er immer betrogen worden. Er ſprach ihnen ihre Aemter ab, und verwies ſie ſammt ihren Familien nach verſchiedenen entfernten Ortſchaften. Die Mutter der Ne - poten, 70 Jahr alt, von Krankheiten gebeugt, perſoͤnlich ohne Schuld, warf ſich ihm zu Fuͤßen, als er in den Pal - laſt ging: mit ſcharfen Worten ſchritt er voruͤber. Eben kam die junge Marcheſa Montebello aus Neapel: ſie fand ihren Pallaſt verſchloſſen: in keinem Wirthshauſe wollte man ſie aufnehmen: in der regneriſchen Nacht fuhr ſie von einem zu dem andern, bis ihr endlich ein entfernt wohnen - der Gaſtwirth, dem man keine Befehle zukommen laſſen, noch einmal Herberge gab. Vergebens erbot ſich Cardinal Caraffa ſich ins Gefaͤngniß zu ſtellen und Rechenſchaft ab - zulegen. Die Schweizergarde bekam Befehl, nicht allein ihn, ſondern alle, die irgend in ſeinem Dienſte geweſen, zuruͤckzuweiſen. Nur eine einzige Ausnahme machte der Papſt. Den Sohn Montorio’s, den er liebte, den er ſchon in ſeinem 18ten Jahre zum Cardinal ernannt, be - hielt er bei ſich und betete mit ihm ſeine Horen. Aber niemals durfte der junge Menſch der Verwieſenen erwaͤh - nen: wie viel weniger eine Fuͤrbitte fuͤr ſie wagen: er durfte ſelbſt mit ſeinem Vater keine Gemeinſchaft haben: das Ungluͤck, das ſein Haus erlitten, ergriff ihn darum nur um ſo tiefer: was ihm nicht in Worten auszudruͤcken301Paul IV. erlaubt wurde, ſtellte ſich in ſeinem Geſicht, in ſeiner Ge - ſtalt dar1)Bei Pallavicini, vornehmlich aber bei Bromato findet man hieruͤber genuͤgende Mittheilungen. In unſeren Berliner Informationi befindet ſich noch Bd. VIII. ein Diario d’alcune attioni piu nota - bili nel pontificato di Paolo IV. l’anno 1558 sino alla sua morte, — (vom 10. Sept. 1558 an) das keinem von beiden bekannt war, aus eigener Anſchauung gefloſſen iſt, und mir noch neue No - tizen gewaͤhrt hat..
Und ſollte man nicht glauben, daß dieſe Ereigniſſe auch auf die Stimmung des Papſtes zuruͤckwirken wuͤrden?
Es war, als waͤre ihm nichts geſchehen. Gleich da - mals als er in dem Conſiſtorium mit gewaltiger Bered - ſamkeit die Sentenz geſprochen, als die meiſten Cardinaͤle von Erſtaunen und Schrecken gefeſſelt worden, ſchien er ſeinerſeits nichts zu empfinden: er ging ohne weiteres zu anderen Geſchaͤften uͤber. Die fremden Geſandten waren verwundert, wenn ſie ſeine Haltung beobachteten. „ In ſo ploͤtzlichen durchgreifenden Veraͤnderungen, “ſagt man von ihm, „ in der Mitte von lauter neuen Miniſtern und Dienern haͤlt er ſich ſtandhaft, hartnaͤckig, unangefochten: Mitleid fuͤhlt er nicht, er ſcheint keine Erinnerung an die Seinigen uͤbrig behalten zu haben. “ Einer ganz andern Leidenſchaft uͤberließ er ſich nunmehr.
Gewiß, auf immer bedeutend iſt dieſe Umwand - lung. Der Haß gegen die Spanier, die Idee, der Be - freier Italiens werden zu koͤnnen, hatte auch Paul IV. zu weltlichen Beſtrebungen fortgeriſſen, Begabung der Nepo - ten mit kirchlichen Landſchaften, Erhebung eines Solda - ten zur Verwaltung ſelbſt der geiſtlichen Geſchaͤfte, Feind - ſeligkeiten, Blutvergießen. Die Ereigniſſe zwangen ihn, dieſe302Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.Idee aufzugeben, jenen Haß zu unterdruͤcken; damit oͤff - neten ſich ihm allmaͤhlig auch die Augen fuͤr das tadelns - werthe Verhalten ſeiner Angehoͤrigen: mit heftiger Gerech - tigkeit, in innerm Kampf entledigte er ſich ihrer: von Stund an kehrte er dann zu ſeinen alten reformatoriſchen Abſichten zuruͤck; er fing an zu regieren, wie man gleich anfangs vermuthet hatte, daß er thun werde: mit gleicher Leidenſchaft, wie bisher Feindſeligkeiten und Krieg, trieb er nun die Reform des Staates und hauptſaͤchlich der Kirche.
Die weltlichen Geſchaͤfte wurden von oben bis unten andern Haͤnden anvertraut. Die bisherigen Podeſtas und Governatoren verloren ihre Stellen: wie dieß geſchah, war doch zuweilen auch ſehr beſonders. In Perugia erſchien der neuernannte Governatore bei Nacht: ohne den Tag abzuwar - ten, ließ er die Anzianen zuſammenrufen: in ihrer Mitte zog er ſeine Beglaubigung hervor und befahl ihnen, den bisherigen Governator, der mit zugegen war, unverzuͤglich gefangen zu nehmen. Seit undenklichen Zeiten war nun Paul IV. der erſte Papſt, der ohne Nepoten regierte. An ihre Stelle traten Cardinal Carpi und Camillo Orſino, die ſchon un - ter Paul III. ſo viel vermocht. Auch der Sinn der Re - gierung ward veraͤndert. Nicht unbedeutende Summen wurden erſpart und an den Steuern erlaſſen; es wurde ein Kaſten aufgeſtellt, in den Jedermann ſeine Beſchwerden werfen konnte, zu dem der Papſt allein den Schluͤſſel hatte: taͤglichen Bericht erſtattete der Governator; mit groͤ - ßerer Sorgfalt und Ruͤckſicht, und ohne die alten Miß - braͤuche ging man zu Werke.
303Paul IV.Hatte der Papſt auch unter den bisherigen Bewegun - gen die Reform der Kirche niemals aus den Augen verlo - ren, ſo widmete er ſich ihr doch nun mit vollerem Eifer und freierem Herzen. In den Kirchen fuͤhrte er eine ſtrengere Disciplin ein: er verbot alles Betteln, ſelbſt das Almoſen - ſammeln der Geiſtlichen fuͤr die Meſſe: er entfernte die an - ſtoͤßigen Bilder: man hat eine Medaille auf ihn geſchla - gen, mit dem geißelnden Chriſtus, der den Tempel ſaͤu - bert. Die ausgetretenen Moͤnche verjagte er aus Stadt und Staat. Den Hof noͤthigte er, die Faſten ordentlich zu halten, und Oſtern mit dem Abendmahl zu feiern. Mußten doch die Cardinaͤle zuweilen predigen! Er ſelbſt predigte. Viele Mißbraͤuche, welche Gewinn brachten, ſuchte er abzuſtellen. Von Ehedispenſen und ihrem Ertrag wollte er nichts mehr wiſſen. Eine Menge Stellen, welche bisher immer verkauft worden, auch die Chiericati di Ca - mera1)Caracciolo Vita di Paolo IV. Ms. erwaͤhnt ſie beſonders. Der Papſt ſagte: che simili offici d’amministratione e di giu - stitia conveniva che si dassero a persone che li facessero, e non venderli a chi avesse occasion di volerne cavare il suo danaro. , wollte er ins Kuͤnftige nur nach dem Verdienſte der Perſon vertheilen. Wie viel mehr ſah er auf Wuͤr - digkeit und kirchliche Geſinnung bei der Verleihung geiſt - licher Aemter. Jene Receſſe, wie ſie noch immer gebraͤuch - lich waren, ſo daß Einer die Pflichten verwaltete, und Ein Andrer den beſten Ertrag der Guͤter genoß, duldete er nicht laͤnger. Auch hegte er die Abſicht, den Biſchoͤ - fen viele von den ihnen entzogenen Rechten zuruͤckzugeben:304Buch III. Die Paͤpſte um d. Mitte d. 16. Jahrh.die Gierigkeit, mit der man alles nach Rom gezogen, fand er hoͤchſt tadelnswuͤrdig1)Bromato II, 483..
Nicht allein abſchaffend, negativ verhielt er ſich: er ſuchte auch den Gottesdienſt mit groͤßerem Pomp zu um - geben: das Bekleiden der ſixtiniſchen Capelle, die feierliche Darſtellung des Grabmahls ſchreiben ſich von ihm her2)Mocenigo Relatione di 1560. Nelli officii divini poi e nelle cerimonie procedeva questo pontefice con tanta gravità e devotione che veramente pareva degnissimo vicario di Gesu Christo. Nelle cose poi della religione si prendeva tanto pensiero et usava tanta diligentia che maggior non si poteva desiderare. . Es giebt ein Ideal des modern-katholiſchen Gottesdien - ſtes, voll Wuͤrde, Devotion und Pracht, das auch ihm vorſchwebte.