In der Geſchichte einer Nation, einer Macht iſt es immer eine der ſchwerſten Aufgaben, den Zuſammenhang ihrer be - ſondern Verhaͤltniſſe mit den allgemeinen wahrzunehmen.
Wohl entwickelt ſich das beſondere Leben nach einge - pflanzten Geſetzen aus ſeinem eigenthuͤmlichen geiſtigen Grunde: ſich ſelber gleich bewegt es ſich durch die Zeital - ter fort. Unaufhoͤrlich aber ſteht es doch auch unter all - gemeinen Einfluͤſſen, die auf den Gang ſeiner Entwicke - lung maͤchtig einwirken.
Wir koͤnnen ſagen: der Charakter des heutigen Europa beruht auf dieſem Gegenſatz. Die Staaten, die Voͤlker ſind auf ewig von einander getrennt, aber zugleich ſind ſie in einer unaufloͤslichen Gemeinſamkeit begriffen. Es giebt keine Landesgeſchichte, in der nicht die Univerſalhiſtorie eine große Rolle ſpielte. So nothwendig in ſich ſelbſt, ſo allumfaſſend iſt die Aufeinanderfolge der Zeitalter, daß auch der maͤchtigſte Staat oft nur als ein Glied der Geſammt - heit erſcheint, von ihren Schickſalen umfangen und be - herrſcht. Wer es einmal verſucht hat, ſich die Geſchichte eines Volkes im Ganzen, ohne Willkuͤhr und Taͤuſchung zu denken, ihren Verlauf anzuſchauen, wird die Schwie -1*4Buch V. Gegenreformationen.rigkeit empfunden haben, die hieraus entſpringt. In den einzelnen Momenten eines ſich fortbildenden Lebens neh - men wir doch die verſchiedenen Stroͤmungen der Weltge - ſchicke wahr.
Dieſe Schwierigkeit verdoppelt ſich aber noch, wenn eine Macht, wie es zuweilen geſchieht, eine Weltbewegung anregt, ein Princip derſelben vorzugsweiſe in ſich darſtellt. An der Geſammthandlung des Jahrhunderts nimmt ſie dann einen ſo thaͤtigen Antheil, ſie ſetzt ſich in eine ſo lebendige Beziehung zu allen Kraͤften der Welt, daß ihre Geſchichte ſich in gewiſſem Sinne zur Univerſalgeſchichte erweitert.
In einen ſolchen Moment trat das Papſtthum nach dem tridentiniſchen Concilium ein.
In ſeinem Innern erſchuͤttert, in dem Grunde ſeines Daſeyns gefaͤhrdet, hatte es ſich zu behaupten und wie - der zu erneuern gewußt. In den beiden ſuͤdlichen Halb - inſeln hatte es bereits alle feindſeligen Beſtrebungen von ſich ausgeſtoßen, und die Elemente des Lebens aufs neue an ſich gezogen, durchdrungen. Jetzt faßte es den Gedan - ken, die Abgefallenen in allen andern Theilen der Welt wieder zu unterwerfen. Rom ward noch einmal eine er - obernde Macht: es machte Entwuͤrfe, es fing Unterneh - mungen an, wie ſie von dieſen ſieben Huͤgeln in der al - ten Zeit, in den mittlern Jahrhunderten ausgegangen waren.
Wir wuͤrden die Geſchichte des reſtaurirten Papſt - thums noch wenig kennen, wenn wir uns bloß in ſeinem Mittelpunkt aufhalten wollten. Erſt in ſeiner Einwirkung auf die Welt zeigt ſich ſeine weſentliche Bedeutung.
5Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.Beginnen wir damit, die Macht und Stellung ſeiner Gegner ins Auge zu faſſen.
Dieſſeit der Alpen und der Pyrenaͤen waren die pro - teſtantiſchen Meinungen bis zu den Zeiten der letzten Sitzun - gen des tridentiniſchen Conciliums unaufhaltſam vorgedrun - gen: weit und breit, uͤber germaniſche, ſlawiſche und roma - niſche Nationen erſtreckte ſich ihre Herrſchaft.
In den ſcandinaviſchen Reichen hatten ſie ſich um ſo unerſchuͤtterlicher feſtgeſetzt, da hier ihre Einfuͤhrung mit der Gruͤndung neuer Dynaſtien, der Umbildung der geſamm - ten Staatseinrichtungen zuſammenfiel. Von erſtem An - fang an wurden ſie mit Freude begruͤßt: gleich als laͤge in ihnen eine urſpruͤngliche Verwandtſchaft mit der natio - nalen Sinnesweiſe: der erſte Begruͤnder des Lutherthums in Daͤnemark, Bugenhagen, kann nicht genug ſagen, mit welchem Eifer man daſelbſt die Predigt hoͤre, „ auch des Werkeltags, “wie er ſich ausdruͤckt, „ auch vor Tag, Feier - tags den ganzen Tag uͤber “1)Relation D. Pomerani 1539. Sabb. p. visit. in Muͤllers Entdecktem Staatscabinet 4te Eroͤffn. p. 365.: bis an die aͤußerſten Grenzen waren ſie nunmehr verbreitet. Im Jahre 1552 erlagen die letzten Repraͤſentanten des Katholicismus in Island: im Jahre 1554 ward ein lutheriſches Bisthum in Wiborg geſtiftet: den ſchwediſchen Voͤgten zur Seite wanderten evan - geliſche Prediger nach dem entfernten Lappland. Mit ern -6Buch V. Gegenreformationen.ſten Worten ſchaͤrfte Guſtav Waſa 1560 ſeinen Erben in ſeinem Teſtamente ein: bei der evangeliſchen Lehre mit ih - rer Nachkommenſchaft auszuharren, und keine falſchen Leh - rer zu dulden. Er machte dieß gleichſam zu einer Bedin - gung ihrer Thronberechtigung1)Testamentum religiosum Gustavi I. bei Baaz: Inventa - rium ecclesiae Sueogoth. p. 282..
Auch an den dieſſeitigen Kuͤſten der Oſtſee hatte das Lutherthum wenigſtens bei den Einwohnern deutſcher Zunge eine vollkommene Herrſchaft erlangt. Preußen hatte das erſte Beiſpiel einer großen Saͤculariſation gegeben: als ihm Liefland im Jahre 1561 endlich nachfolgte, war die erſte Bedingung ſeiner Unterwerfung unter Polen, daß es bei der augsburgiſchen Confeſſion bleiben duͤrfe. Schon durch ihr Verhaͤltniß zu dieſen Laͤndern, deren Unterwerfung auf dem proteſtantiſchen Princip beruhte, wurden dann die ja - gelloniſchen Koͤnige verhindert, ſich demſelben zu widerſetzen. Die großen Staͤdte in Polniſch-Preußen wurden in den Jahren 1557 und 1558 durch ausdruͤckliche Freibriefe in der Religionsuͤbung nach lutheriſchem Ritus beſtaͤtigt: und noch deutlicher lauteten die Privilegien, welche bald darauf die kleinen Staͤdte erhielten: den Angriffen der maͤchtigen Biſchoͤfe waren ſie eher ausgeſetzt2)Lengnich: Nachricht von der Religionsaͤnderung in Preußen: vor dem vierten Theil der Geſchichte der Preußiſchen Lande §. 20.. Da hatten denn auch im eigentlichen Polen die proteſtantiſchen Meinungen einen großen Theil des Adels fuͤr ſich gewonnen: ſie be - friedigten das Gefuͤhl der Unabhaͤngigkeit, das durch die Natur der Staatsverfaſſung in demſelben genaͤhrt wurde. 7Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.„ Ein polniſcher Edelmann ſey dem Koͤnig nicht unterworfen: ſollte er es dem Papſte ſeyn? “ Es kam ſo weit, daß Proteſtanten in die biſchoͤflichen Stellen drangen, daß ſie noch unter Siegmund Auguſt die Majoritaͤt in dem Se - nate bildeten. Dieſer Fuͤrſt war ohne Zweifel katholiſch: er hoͤrte alle Tage die Meſſe, alle Sonntag die katholiſche Pre - digt: er ſtimmte ſelbſt mit den Saͤngern ſeines Chors das Benedictus an: er hielt die Zeiten der Beichte und des Abendmahls, das er unter Einer Geſtalt empfing; allein, was man an ſeinem Hofe, in ſeinem Lande glaube, ſchien ihm wenig zu kuͤmmern: ſich die letzten Jahre ſeines Lebens mit dem Kampfe gegen eine ſo maͤchtig vordringende Ueber - zeugung zu verbittern war er nicht geſonnen1)Relatione di Polonia del Vescovo di Camerino, ungef. 1555. Ms. der Bibliothek Chigi: A molti di questi (die am Hofe leben) comporta che vivano come li piace, perchè si vede, che S. Maestà è tanto benigna che non vorria mai far cosa che dispiacesse ad alcuno, ed io vorrei che nelle cose della religione fosse un poco più severa. .
Wenigſtens foͤrderte es in den benachbarten ungariſchen Gebieten die Regierung nicht, daß ſie einen ſolchen Kampf verſuchte. Niemals vermochte Ferdinand I. den ungariſchen Reichstag zu Beſchluͤſſen zu bringen, die dem Proteſtantismus unguͤnſtig geweſen waͤren. Im Jahre 1554 ward ein Lu - theraner zum Palatin des Reiches gewaͤhlt: ſelbſt dem hel - vetiſchen Bekenntniß im Erlauer Thal mußten bald darauf Verguͤnſtigungen zugeſtanden werden. Siebenbuͤrgen trennte ſich ganz; durch einen foͤrmlichen Landtagsbeſchluß wurden dort im Jahre 1556 die geiſtlichen Guͤter eingezogen; die Fuͤrſtin nahm ſogar den groͤßten Theil der Zehnten an ſich.
8Buch V. Gegenreformationen.Und hier kommen wir auf unſer Vaterland, wo die neue Kirchenform ſich aus dem originalen Geiſte der Na - tion zuerſt entwickelt, ſich in langen und gefaͤhrlichen Krie - gen Geltung und geſetzliches Daſeyn im Reich erkaͤmpft hatte, und nun im Begriff war, die verſchiedenen Landſchaf - ten vollends einzunehmen. Schon war es damit ſehr weit gediehen. Nicht allein beherrſchte der Proteſtantismus das noͤrdliche Deutſchland, wo er entſprungen war, und jene Gebiete des obern, wo er ſich immer gehalten hat: noch viel weiter hatte er um ſich gegriffen.
In Franken ſetzten ſich ihm die Bisthuͤmer vergebens entgegen. In Wuͤrzburg und Bamberg war der bei weitem groͤßte Theil des Adels und der biſchoͤflichen Beamten, die Magiſtrate und Buͤrgerſchaften der Staͤdte wenigſtens in der Mehrzahl, und die Maſſe des Landvolkes uͤbergetreten: im Bambergiſchen kann man faſt fuͤr jede einzelne Land - pfarre lutheriſche Prediger nachweiſen1)Jaͤck hat das in dem 2ten und 3ten Theile ſeiner Geſchichte von Bamberg zu ſeinem beſondern Geſchaͤfte gemacht.. In dieſem Sinne ward die Verwaltung geleitet, die ja hauptſaͤchlich in den Haͤnden der Staͤnde lag, welche ihr eigenes Gemeinweſen hatten, Anlage oder Umgeld ſelbſt ausſchrieben: in dieſem Sinne waren die Gerichte beſetzt, und man wollte bemer - ken, daß der groͤßte Theil der Urtel dem katholiſchen In - tereſſe entgegenlaufe2)Gropp: Dissertatio de statu religionis in Franconia Lu - theranismo infecta. Scriptores Wirceb. I, p. 42.. Die Biſchoͤfe galten nicht viel: wer in ihnen ja noch „ mit alter deutſcher und fraͤnkiſcher Treue “den Fuͤrſten verehrte, konnte doch nicht vertragen,9Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.wenn ſie in ihrem Kirchen-Ornate, mit ihren Infuln ein - hertraten.
Dieſe Bewegung hatte ſich in Baiern nicht viel min - der lebhaft fortgeſetzt. Die große Mehrheit des Adels hatte die proteſtantiſchen Lehren ergriffen: ein guter Theil der Staͤdte neigte ſich entſchieden dahin: der Herzog mußte auf ſeinen Landtagen, z. B. im Jahre 1556, Zugeſtaͤnd - niſſe machen, wie ſie anderwaͤrts zur vollkommenen Ein - fuͤhrung des augsburgiſchen Bekenntniſſes hingereicht hat - ten, und die auch hier dieſelbe Folge haben zu muͤſſen ſchienen. Der Herzog ſelbſt war dieſem Bekenntniß nicht ſo ganz entgegen, daß er nicht auch zuweilen einer prote - ſtantiſchen Predigt beigewohnt haͤtte1)Sitzinger bei Strobel: Beitraͤge zur Literatur I, 313..
Noch viel weiter aber war es in Oeſtreich gekommen. Der Adel ſtudirte in Wittenberg: alle Landescollegien wa - ren mit Proteſtanten erfuͤllt: man wollte rechnen, daß viel - leicht nur noch der dreißigſte Theil der Einwohner katho - liſch geblieben: ſchrittweiſe bildete ſich eine landſtaͤndiſche Verfaſſung aus, welche auf dem Princip des Proteſtantis - mus beruhete.
Von Baiern und Oeſtreich eingeſchloſſen, hatten auch die Erzbiſchoͤfe von Salzburg ihr Land nicht bei der alten Kirchenlehre behaupten koͤnnen. Zwar ließen ſie noch keine proteſtantiſchen Prediger zu: aber die Geſinnung der Ein - wohner ſprach ſich nichts deſto minder entſchieden aus. In der Hauptſtadt ward die Meſſe nicht mehr beſucht, weder Faſten noch Feiertag gehalten: wem die Prediger in den oͤſtreichiſchen Ortſchaften zu entfernt waren, der erbaute ſich10Buch V. Gegenreformationen.zu Hauſe aus Spangenbergs Poſtille. In dem Gebirge war man damit noch nicht zufrieden. In der Rauris und der Gaſtein, in St. Veit, Tamsweg, Radſtadt forderten die Landleute laut den Kelch im Abendmahl: da er nicht gewaͤhrt wurde, ſo vermieden ſie die Sacramente ganz: ſie ſchickten ihre Kinder nicht mehr zur Schule: in der Kirche geſchah es wohl, daß ein Bauer ſich erhob und dem Pre - diger zurief: „ du luͤgſt “: — die Bauern predigten ſelbſt unter einander1)Auszug aus einem Bericht des Domherrn Wilh. v. Traut - mannsdorf vom Jahre 1555 in Zauners Chronik von Salzburg VI, 327.. Man darf ſich nicht verwundern, wenn bei der Verſagung alles Gottesdienſtes, welcher der neuge - gruͤndeten Ueberzeugung entſprochen haͤtte, ſich in der Ein - ſamkeit der Alpen Meinungen von phantaſtiſcher und aben - teuerlicher Natur ausbildeten.
Wie ſehr erſcheint es, hiemit verglichen, als ein Vor - theil, daß in den Gebieten der geiſtlichen Churfuͤrſten am Rhein der Adel Selbſtaͤndigkeit genug beſaß, um ſeinen Hinterſaſſen eine Freiheit zu verſchaffen, die der geiſtliche Herr nicht wohl gewaͤhren konnte. Der rheiniſche Adel hatte den Proteſtantismus fruͤh angenommen; in ſeinen Herrſchaften geſtattete er dem Fuͤrſten keinerlei Eingriffe, ſelbſt nicht von religioͤſer Art. Schon gab es auch in den Staͤdten allenthalben eine proteſtantiſche Partei. Haͤufig, in wiederholten Petitionen, regte ſie ſich in Coͤln: in Trier war ſie bereits ſo maͤchtig, daß ſie ſich einen Prediger aus Genf kommen ließ, und ihn dem Churfuͤrſten zum Trotz behauptete: in Aachen ſtrebte ſie geradezu nach der Ober -11Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.herrſchaft: auch die Mainzer trugen kein Bedenken, ihre Kinder in die proteſtantiſchen Schulen, z. B. nach Nuͤrnberg, zu ſchicken. Commendone, welcher im Jahre 1561 in Deutſchland war, kann nicht Worte genug finden, um die Abhaͤngigkeit der Praͤlaten von den lutheriſchen Fuͤrſten, ihre Nachgiebigkeit gegen den Proteſtantismus zu ſchil - dern1)Gratiani: Vie de Commendon p. 116.. In ihren geheimen Raͤthen meint er Proteſtan - ten von der heftigſten Partei zu bemerken2)De’ più arrabbiati heretici. — Mi è parso che il tempo non habbia apportato alcun giovamento. Commendone: Rela - tione dello stato della religione in Germania. Ms. Vallicell. . Er iſt erſtaunt, daß die Zeit dem Katholicismus ſo gar nichts geholfen.
Auch in Weſtphalen ſtand es wie anderwaͤrts. Am Tage St. Peters war das ganze Landvolk mit der Ernte beſchaͤftigt: die gebotenen Faſttage wurden uͤberhaupt nicht mehr gehalten. In Paderborn hielt der Stadtrath mit ei - ner Art von Eiferſucht uͤber ſeinem proteſtantiſchen Bekennt - niß; in Muͤnſter waren die meiſten Prieſter foͤrmlich ver - heirathet; der Herzog Wilhelm von Cleve hielt ſich zwar im Ganzen katholiſch, aber in ſeiner Hauscapelle nahm doch auch er das Abendmahl unter beiden Geſtalten: der groͤßte Theil ſeiner Raͤthe war unverholen proteſtantiſch: der evangeliſchen Uebung ward kein weſentliches Hinderniß entgegengeſetzt3)Tempesti: Vita di Sisto V. aus dem Anonymo di Cam - pidoglio I, XXIII. Da molt’ anni si comunicava con ambe le specie, quantunque il suo capellano glien’ havesse parlato inducendolo a comunicarsi così nella sua capella segreta per non dar mal esempio a’ sudditi. .
Genug in ganz Deutſchland von Weſten nach Oſten,12Buch V. Gegenreformationen.von Norden nach Suͤden hatte der Proteſtantismus ein unzweifelhaftes Uebergewicht. Der Adel war ihm von al - lem Anfang zugethan; der Beamtenſtand, ſchon damals zahlreich und angeſehen, war in der neuen Lehre erzogen; das gemeine Volk wollte von gewiſſen Artikeln, z. B. von dem Fegefeuer, gewiſſen Ceremonien, z. B. den Wallfahr - ten, nichts mehr hoͤren; kein Kloſter war mehr in Stand zu halten: Niemand wagte ſich mehr mit Heiligen-Reli - quien hervor. Ein venezianiſcher Geſandter rechnet im Jahre 1558, daß in Deutſchland nur noch der zehnte Theil der Einwohner dem alten Glauben treu geblieben.
Kein Wunder, wenn die Verluſte des Katholicismus in Beſitz und Macht noch immer fortgingen. In den mei - ſten Stiftern waren die Domherrn entweder der verbeſſerten Lehre zugethan, oder lau und gleichguͤltig; was haͤtte ſie abhalten koͤnnen, wenn es ſonſt vortheilhaft ſchien, bei vor - kommender Gelegenheit Proteſtanten zu Biſchoͤfen zu poſtu - liren? Zwar verordnete der Religionsfriede, daß ein geiſt - licher Fuͤrſt Amt und Einkommen verlieren ſolle, wenn er den alten Glauben verlaſſe, aber man glaubte, daß dadurch ein evangeliſch gewordenes Capitel keinesweges gehindert werde, ſich auch einen evangeliſchen Biſchof zu waͤhlen: — genug, wenn man die Stifter nur nicht erblich mache. So geſchah es, daß ein brandenburgiſcher Prinz das Erzſtift Magdeburg, ein lauenburgiſcher Bremen, ein braunſchwei - giſcher Halberſtadt empfing. Auch die Bisthuͤmer Luͤbek, Verden, Minden, die Abtei Quedlinburg geriethen in pro - teſtantiſche Haͤnde1)Woruͤber auch meine hiſt. pol. Zeitſchrift I, II, 269 u. f..
13Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.Und nicht minder ſetzten ſich die Einziehungen geiſtli - cher Guͤter fort. Welche Verluſte erlitt z. B. binnen we - nigen Jahren das Bisthum Augsburg. Im Jahre 1557 wurden ihm alle Kloͤſter im Wirtembergiſchen entriſſen: 1558 folgten die Kloͤſter und Pfarren der Grafſchaft Oet - tingen nach: erſt nach dem Religionsfrieden erhoben ſich die Proteſtanten in Duͤnkelsbuͤhl und Donauwerth zur Pa - ritaͤt, in Noͤrdlingen und Memmingen zur Oberherrſchaft: dann gingen die Kloͤſter in dieſen Staͤdten, unter andern die reiche Praͤceptorie zum h. Antonius in Memmingen, die Pfarren unwiederbringlich verloren1)Placidus Braun: Geſchichte der Biſchoͤfe von Augsburg Bd. III, 533, 535 u. f., hier aus guten Quellen..
Dazu kam nun, daß dem Katholicismus ſelbſt fuͤr die Zukunft wenig Ausſicht uͤbrig blieb.
Auch in den Lehranſtalten nemlich, auf den Univer - ſitaͤten hatte die proteſtantiſche Meinung obgeſiegt. Jene alten Verfechter des Katholicismus, die Luthern Widerpart gehalten, oder ſich in den Religionsgeſpraͤchen hervorge - than, waren verſtorben, oder ſtanden in hohem Alter. Junge Maͤnner, faͤhig ſie zu erſetzen, waren nicht emporgekom - men. In Wien war es zwanzig Jahre her, daß kein Zoͤg - ling der Univerſitaͤt die Prieſterweihe genommen hatte. In Ingolſtadt ſelbſt, das ſo vorzugsweiſe katholiſch war, fanden ſich fuͤr wichtige Stellen, die bisher immer mit Geiſtlichen beſetzt worden, keine geeigneten Bewerber mehr in dieſer Facultaͤt2)Agricola: Historia provinciae societatis Jesu Germaniae superioris I, p. 29.. In Coͤln eroͤffnete die Stadt eine14Buch V. Gegenreformationen.Burſa: als die Einrichtungen getroffen worden, zeigte ſich, daß der neue Regens ein Proteſtant war1)Orlandinns: Historia societatis Jesu Tom. I, lib. XVI, nr. 25. „ hujus novae bursae regens, quem primum praefecerant, Jacobus Lichius, Lutheranus tandem apparuit. “. Ausdruͤcklich in der Abſicht den proteſtantiſchen Meinungen Widerſtand zu leiſten, errichtete der Cardinal Otto Truchſeß eine neue Univerſitaͤt in ſeiner Stadt Dillingen: einige Jahr bluͤhte ſie durch ein paar ausgezeichnete ſpaniſche Theologen; ſo - bald ſich dieſe wieder entfernten, fand ſich in Deutſchland kein katholiſcher Gelehrter, um ihre Stellen zu beſetzen: es drangen auch hier Proteſtanten ein. Um dieſe Zeit wa - ren die Lehrer in Deutſchland faſt ohne Ausnahme Prote - ſtanten: die geſammte Jugend ſaß zu ihren Fuͤßen und ſaugte mit dem Beginn der Studien den Haß wider den Papſt ein.
So ſtand es in dem Norden und Oſten von Europa: der Katholicismus war an vielen Orten ganz beſeitigt, allenthalben beſiegt und beraubt. Indem er ſich noch bemuͤhte ſich zu vertheidigen, waren ihm tiefer im We - ſten und Suͤden ſogar noch gefaͤhrlichere Feinde hervorge - treten.
Denn ohne Zweifel in noch entſchiedenerem Gegenſatz gegen die roͤmiſchen Lehren als das Lutherthum ſtand die calviniſtiſche Auffaſſungsweiſe: eben in der Epoche, von der wir handeln, bemaͤchtigte ſie ſich der Geiſter mit unwi - derſtehlicher Gewalt.
An den Grenzen von Italien, Deutſchland und Frank - reich war ſie entſprungen: nach allen Seiten hatte ſie ſich15Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.ergoſſen: in Ungarn, Polen und Deutſchland bildete ſie ein zwar noch untergeordnetes, jedoch ſchon in ſich bedeuten - des Element der proteſtantiſchen Entwickelung: im weſtli - chen Europa erhob ſie ſich bereits zu ſelbſtaͤndiger Gewalt.
Wie die ſcandinaviſchen Reiche lutheriſch, ſo waren die britanniſchen calviniſtiſch geworden: ſogar in entge - gengeſetzten Formen hatte ſich die neue Kirche hier ausge - bildet. In Schottland, wo ſie im Kampfe mit der Re - gierung zur Gewalt gelangt, war ſie arm, populaͤr, demo - kratiſch: mit deſto unwiderſtehlicherem Feuer erfuͤllte ſie die Gemuͤther. In England war ſie im Bunde mit der da - maligen Regierung emporgekommen: hier war ſie reich, mo - narchiſch, praͤchtig; auch gab ſie ſich ſchon zufrieden, wenn man ſich ihrem Ritus nur nicht widerſetzte. Natuͤrlich war die erſte dem Muſter der Genfer Kirche unendlich viel naͤher, unendlich viel mehr in dem Geiſte Calvins.
Mit aller ihrer natuͤrlichen Lebhaftigkeit hatte die fran - zoͤſiſche Nation die Lehren dieſes ihres Landsmanns ergrif - fen. Allen Verfolgungen zum Trotz richteten ſich die fran - zoͤſiſchen Kirchen nach dem Muſter von Genf proteſtantiſch ein: bereits im Jahre 1559 hielten ſie eine Synode. Der venezianiſche Geſandte Micheli findet im Jahre 1561 keine Provinz vom Proteſtantismus frei, drei Viertheil des Reiches von demſelben erfuͤllt: — Bretagne und Normandie, Gascogne und Languedoc, Poitou, Touraine, Provence, Dauphiné. „ An vielen Orten, “ſagt er, „ in dieſen Provinzen werden Ver - ſammlungen, Predigten gehalten, Lebenseinrichtungen ge - troffen, ganz nach dem Vorbilde von Genf, ohne alle Ruͤck - ſicht auf die koͤniglichen Verbote. Jedermann hat dieſe16Buch V. Gegenreformationen.Meinungen angenommen: was am merkwuͤrdigſten iſt, ſelbſt der geiſtliche Stand: nicht allein Prieſter, Moͤnche und Nonnen — es moͤchte wohl wenig Kloͤſter geben, welche ſich unberuͤhrt gehalten — ſondern die Biſchoͤfe ſelbſt und viele von den vornehmſten Praͤlaten. “ „ Ew. Herrlichkeit, “ſagt er ſeinem Doge, „ ſey uͤberzeugt, daß das gemeine Volk ausgenommen, welches die Kirchen noch immer eifrig beſucht, alle Andern abgefallen ſind, beſonders die Adlichen, die juͤngern Maͤnner unter 40 Jahr faſt ohne Ausnahme. Denn wiewohl Viele von ihnen noch zur Meſſe gehn, ſo geſchieht es doch nur zum Schein und aus Furcht: wenn ſie ſich unbeobachtet wiſſen, fliehen ſie Meſſe und Kirche. “ Als Micheli nach Genf kam, vernahm er, daß unmittel - bar nach dem Tode Franz II. 50 Prediger von hier nach verſchiedenen Staͤdten in Frankreich ausgegangen; er er - ſtaunt, in welchem Anſehen Calvin ſteht, wie viel Geld ihm zufließt zu Gunſten der Tauſende, die ſich nach Genf zu - ruͤckgezogen1)Micheli: Relatione delle cose di Francia l’anno 1561. Dapoi che fu conosciuto che col mettere in prigione e col ca - stigare e con l’abbrucciare non solo non si emendavano, ma si disordinavano più, fu deliberato che non si procedesse più contra alcuno, eccetto che contra quelli che andavano predi - cando seducendo e facendo publicamente le congregationi e le assemblee, e gli altri si lassassero vivere: onde ne furono libe - rati e cavati di prigione di Parigi e di tutte le altre terre del regno un grandissimo numero, che rimasero poi nel regno pra - ticando liberamente e parlando con ogn’uno e gloriandosi che aveano guadagnato la lite contra i Papisti, così chiamavano e chiamano li loro adversarii. . Er findet es unerlaͤßlich, daß den franzoͤ - ſiſchen Proteſtanten Religionsfreiheit, wenigſtens ein In -terim17Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563.terim, wie er ſich ausdruͤckt, zugeſtanden werde, wenn man nicht ein allgemeines Blutbad veranlaſſen wolle. Kurz dar - auf erfolgte in der That das Edict vom Januar 1562, welches dem Proteſtantismus eine geſetzlich anerkannte Exiſtenz in Frankreich gewaͤhrte, und die Grundlage der Berechtigungen iſt, deren er ſich von dem an dort uͤber - haupt erfreut hat.
Alle dieſe Veraͤnderungen auf allen Seiten, in Deutſch - land, Frankreich und England, mußten nun nothwendig auch auf die Niederlande wirken. Zuerſt waren die deutſchen Ein - fluͤſſe vorherrſchend geweſen. Unter den Motiven, welche Carl den V. zu dem ſchmalkaldiſchen Kriege bewogen, war es eines der vornehmſten, daß die Sympathie, welche die deutſchen Proteſtanten in den Niederlanden erweckten, ihm die Regierung dieſer Provinz, die ein ſo wichtiges Glied ſeiner Monarchie bildete, taͤglich mehr erſchwerte. Indem er die deutſchen Fuͤrſten bezwang, verhuͤtete er zugleich eine Empoͤrung ſeiner Niederlaͤnder1)Eine, wie mir ſcheint, ſehr wohl begruͤndete Anſicht des da - maligen florentiniſchen Reſidenten am kaiſerlichen Hofe.. Jedoch alle ſeine Ge - ſetze, obwohl ſie mit außerordentlicher Strenge gehandhabt wurden — man hat berechnet, daß bis 1560 an 30000 Proteſtanten hingerichtet worden ſeyen — vermochten nicht den Fortgang der religioͤſen Meinungen aufzuhalten. Nur das erfolgte, daß ſich dieſe allmaͤhlig mehr der franzoͤſiſchen, calviniſtiſchen, als der deutſchen, lutheriſchen Richtung an - ſchloſſen. Im Jahre 1561 trat bereits auch hier eine foͤrm - liche Confeſſion hervor: man richtete Kirchen nach dem Muſter von Genf ein; indem ſich die Proteſtanten mit denPäpſte* 218Buch V. Gegenreformationen.oͤrtlichen Gerechtſamen und deren Verfechtern verbanden, be - kamen ſie eine politiſche Grundlage, die ihnen eine glaͤn - zende Zukunft eroͤffnete.
Unter dieſen Umſtaͤnden erwachte auch in den aͤlteren Oppoſitionen gegen Rom eine neue Kraft. Im Jahre 1562 wurden die maͤhriſchen Bruͤder von Maximilian II. foͤrm - lich anerkannt, und ſie benutzten dieß Gluͤck, um gleich in demſelben Jahre in ihren Synoden eine große Anzahl neuer Geiſtlichen — man zaͤhlt ihrer 188 — zu erwaͤhlen1)Regenvolscii ecclesiae Slavonicae I, p. 63.. Im Jahre 1561 ſah ſich der Herzog von Savoyen genoͤ - thigt, auch den armen Waldenſergemeinden im Gebirge neue Freiheiten zu bewilligen2)Leger: Histoire des églises Vaudoises II, p. 38. theilt den Vertrag mit.. Bis in die entfernteſten vergeſ - ſenſten Winkel von Europa erſtreckte die proteſtantiſche Idee ihre belebende Kraft. Welch ein unermeßliches Gebiet, das ſie ſich binnen 40 Jahren erobert hatte! Von Island bis an die Pyrenaͤen, von Finnland bis an die Hoͤhe der ita - lieniſchen Alpen. Auch uͤber dieſe Gebirge reichten einſt, wie wir wiſſen, ihre Analogien: ſie umfaßte das ganze Gebiet der lateiniſchen Kirche. Bei weitem die Mehrzahl der hoͤheren Claſſen, der an dem oͤffentlichen Leben theilneh - menden Geiſter hatte ſie ergriffen: ganze Nationen hingen ihr enthuſiaſtiſch an: ſie hatte die Staaten umgebildet3)So faßte man den Verluſt auch in Rom ſelbſt. Tiepolo: Relatione di Pio IV e V. Parlando solamente di quelli (po - poli) d’Europa che non solo obedivano lui (al papa) ma an -. 19Lage des Proteſtantismus um das Jahr 1563. Es iſt dieß um ſo bewundernswuͤrdiger, da ſie keines - wegs allein Gegenſatz war, etwa nur eine Negation des Papſtthums, eine Losſagung von demſelben, ſondern in ho - hem Grade poſitiv, eine Erneuerung der chriſtlichen Ge - danken und Grundſaͤtze, welche das Leben bis in das tiefſte Geheimniß der Seele beherrſchen.
Eine lange Zeit daher hatte ſich Papſtthum und Ka - tholicismus gegen dieſe Fortſchritte zwar abwehrend, aber doch leidend verhalten, und ſie ſich im Ganzen gefallen laſſen muͤſſen.
Jetzt aber nahmen die Dinge eine andere Geſtalt an.
Wir haben die innere Entwickelung betrachtet, durch welche der Katholicismus ſich wieder herzuſtellen begann. 3)cora seguivano in tutto i riti e le consuetudini della chiesa ro - mana celebrando ancora li officii nella lingua latina: si sa che l’Inghilterra, la Scotia, la Dania, la Norvegia, la Suetia e fi - nalm tutti i paesi settentrionali si sono alienati da lei: la Germania è quasi tutta perduta, la Bohemia e la Polonia si trovano in gran parte infette, li paesi bassi della Fiandra sono così corrotti che per rimedio che vi si sforzi dar loro il Duca d’Alva difficilm ritorneranno alla prima sanità, e finalmente la Francia per rispetto di questi mal humori è tutta ripiena di confusioni, in modo che non pare che sia restato altro di sano e di sicuro al pontefice che la Spagna e l’Italia con alcune poche isole e con quel paese che è dalla Sertà Vra in Dalma - tia et in Grecia posseduto. 2*20Buch V. Gegenreformationen.Im Ganzen koͤnnen wir ſagen, daß er von Neuem eine lebendige Kraft in ſich erzeugt, das Dogma im Geiſte des Jahrhunderts regenerirt, eine Reform ins Leben gerufen hatte, welche den Forderungen der Zeitgenoſſen im Allge - meinen entſprach. Die religioͤſen Tendenzen, welche in dem ſuͤdlichen Europa vorhanden waren, ließ er nicht auch zu Feindſeligkeiten erwachſen: er nahm ſie in ſich auf, und be - herrſchte ſie: ſo verjuͤngte er ſeine Kraͤfte. Der prote - ſtantiſche Geiſt hatte bisher allein den Schauplatz der Welt mit Erfolgen erfuͤllt, die Gemuͤther an ſich geriſ - ſen: jetzt trat ein anderer, ihm von einem hoͤhern Stand - punkt aus vielleicht gleichartig zu achtender, aber zunaͤchſt doch durchaus entgegengeſetzter Geiſt mit ihm in die Schran - ken, der ſich nun auch ſeinerſeits die Gemuͤther zu eigen zu machen, ſie zur Thaͤtigkeit zu entflammen verſtand.
Zuerſt bemaͤchtigte ſich das reſtaurirte katholiſche Sy - ſtem der beiden ſuͤdlichen Halbinſeln. Es vermochte dieß nicht ohne außerordentliche Strenge: der ſpaniſchen Inqui - ſition trat die erneuerte roͤmiſche zur Seite: alle Regungen des Proteſtantismus wurden gewaltſam erdruͤckt. Zugleich aber waren die Richtungen des innern Lebens, welche der erneuerte Katholicismus vorzugsweiſe anſprach und feſſelte, in jenen Laͤndern beſonders maͤchtig. Auch die Fuͤrſten ſchloſſen ſich dem Intereſſe der Kirche an.
Beſonders war es wichtig, daß ſich der maͤchtigſte von allen, Philipp II., ſo entſchieden an das Papſtthum hielt. Mit dem Stolze eines Spaniers, von welchem tadel - loſer Katholicismus als das Zeichen eines reineren Blutes, eines edleren Herkommens betrachtet ward, verwarf er alle21Streitkraͤfte des Papſtthums.entgegengeſetzte Meinungen. Jedoch war es nicht etwa bloß eine perſoͤnliche Bewegung was ihn zu ſeinem politiſchen Verhalten vermochte. Die koͤnigliche Wuͤrde trug in Spa - nien von jeher und beſonders ſeit den Einrichtungen Iſa - bella’s eine geiſtliche Farbe: in allen Provinzen war die koͤnigliche Gewalt durch einen Zuſatz geiſtlicher Macht ver - ſtaͤrkt: ohne die Inquiſition haͤtten ſie nicht mehr regiert werden koͤnnen: auch in ſeinen amerikaniſchen Beſitzungen erſchien der Koͤnig vor allem in dem Lichte eines Ausbrei - ters des chriſtlichen und katholiſchen Glaubens: es war der Gedanke, der alle ſeine Laͤnder in Gehorſam gegen ihn vereinigte. Er haͤtte ihn nicht aufgeben duͤrfen, ohne we - ſentliche Gefahr. Die Ausbreitung der Hugenotten in dem ſuͤdlichen Frankreich erregte in Spanien die groͤßte Beſorg - niß; die Inquiſition glaubte ſich zu verdoppelter Wach - ſamkeit verpflichtet. „ Ich verſichere Ew. Herrlichkeit “, ſchreibt der venezianiſche Geſandte am 25. Auguſt 1562 an ſeinen Fuͤrſten, „ fuͤr dieſes Land waͤre keine große religioͤſe Bewegung zu wuͤnſchen: es ſind ihrer Viele, die ſich nach einer Veraͤnderung der Religion ſehnen “1)Dispaccio Soranzo Perpignan 28 Maggio. Essendo in questa provincia (Spagna) molti Ugonotti quasi non osano mo - strarsi per la severissima dimostratione che qui fanno contra. Dubitano che non si mettano insieme, essendone molti per tutta la Spagna. . Der paͤpſtliche Nuntius meinte, der Fortgang des Conciliums, das damals verſammelt war, ſey eine Sache, an welcher der koͤnigli - chen Gewalt nicht minder gelegen ſey als der paͤpſtlichen. „ Denn, “ſagt er, „ der Gehorſam, den der Koͤnig fin - det, ſeine ganze Regierung haͤngt von der Inquiſition ab. 22Buch V. Gegenreformationen.Wuͤrde dieſe ihr Anſehen verlieren, ſo wuͤrden ſogleich Em - poͤrungen erfolgen. “
Schon dadurch nun bekam das ſuͤdliche Syſtem einen unmittelbaren Einfluß auf das geſammte Europa, daß die - ſer Fuͤrſt die Niederlande beherrſchte: aber außerdem war doch in den uͤbrigen Reichen noch lange nicht alles verlo - ren. Noch hielten ſich der Kaiſer, die Koͤnige von Frank - reich und von Polen, die Herzoge von Baiern zu der ka - tholiſchen Kirche: noch gab es allenthalben geiſtliche Fuͤr - ſten, deren erkalteter Eifer aufs neue belebt werden konnte: noch war auch der Proteſtantismus an vielen Orten nicht in die Maſſe der Bevoͤlkerung eingedrungen. Die Mehr - zahl des Landvolkes in Frankreich, wohl auch in Ungarn1)Wenn es hier nicht mehr Unwiſſenheit war, wie wenigſtens Lazarus Schwendi angiebt: „ En Ungarie tout est confusion et mi - sère: ils sont de la plus parte Huguenots, mais avec une ex - trème ignorance du peuple. “ Schwendi au prince d’Orange. Ar - chives de la maison d’Orange-Nassau I, p. 288. und Polen hielt ſich noch katholiſch: Paris, welches ſchon damals einen großen Einfluß auf die andern franzoͤſiſchen Staͤdte ausuͤbte, war von der Neuerung nicht fortgeriſſen worden. In England war ein guter Theil des Adels und der Gemeinen, in Irland die geſammte alt-iriſche Nation katholiſch geblieben. In die Tyroler, die Schweizer Alpen hatte der Proteſtantismus keinen Zugang gefunden. Auch in dem baieriſchen Landvolk mochte er noch nicht viel Fort - ſchritte gemacht haben. Wenigſtens verglich Caniſius die Tyroler und Baiern mit den beiden iſraelitiſchen Staͤm - men, „ die dem Herrn allein getreu geblieben. “ Es ver - diente wohl eine genauere Eroͤrterung, auf welchen in -23Streitkraͤfte des Papſtthums.nern Momenten dieſe Beharrlichkeit, dieſes unerſchuͤtterliche Feſthalten des Hergebrachten bei ſo verſchiedenartigen Bevoͤl - kerungen beruhte. In den Niederlanden wiederholte es ſich in den walloniſchen Provinzen.
Und jetzt nahm nun das Papſtthum wieder eine Stel - lung ein, in der es ſich aller dieſer Hinneigungen aufs neue bemaͤchtigen, ſie unaufloͤslich an ſich knuͤpfen konnte. Obwohl es ſich auch umgewandelt, ſo kam ihm doch der unſchaͤtzbare Vortheil zu Gute, die Aeußerlichkeiten der Vergangenheit, die Gewohnheit des Gehorſams fuͤr ſich zu haben. Es war den Paͤpſten gelungen, in dem Concilium, das ſie gluͤcklich beendigt, ihre Autoritaͤt, deren Vermin - derung beabſichtigt war, ſogar zu vermehren, und ſich ei - nen verſtaͤrkten Einfluß auf die Landeskirchen zu verſchaf - fen. Ueberdieß ließen ſie von jener weltlichen Politik ab, durch die ſie bisher Italien und Europa in Verwirrung geſetzt: vertrauensvoll und ohne Ruͤckhalt ſchloſſen ſie ſich an Spanien an, und erwiederten dieſem die Hingebung, die es der roͤmiſchen Kirche widmete. Das italieniſche Fuͤr - ſtenthum, der erweiterte Staat diente vor allem zu einer Befoͤrderung kirchlicher Unternehmungen: der geſammten ka - tholiſchen Kirche kam eine Zeitlang der Ueberſchuß ſeiner Verwaltung zu Gute.
Dergeſtalt ſtark in ſich ſelbſt, gewaltig durch maͤch - tige Anhaͤnger und eine mit ihnen verbuͤndete Idee, gin - gen die Paͤpſte von der Vertheidigung, mit der ſie ſich bis - her begnuͤgen muͤſſen, zum Angriff uͤber: einem Angriff, deſſen Gang und Erfolge zu beobachten der vornehmſte Ge - genſtand dieſer Arbeit iſt.
24Buch V. Gegenreformationen.Es eroͤffnet ſich uns aber damit ein unermeßlicher Schauplatz. An vielen Orten zugleich tritt die Unterneh - mung hervor: nach den verſchiedenſten Seiten der Welt haben wir unſere Aufmerkſamkeit zu richten.
Die geiſtliche Thaͤtigkeit iſt auf das genaueſte mit po - litiſchen Antrieben verbunden: es treten weltumfaſſende Combinationen ein, unter deren Einfluß die Eroberung ge - lingt oder mißlingt: wir werden die großen Wendungen der Weltereigniſſe um ſo viel mehr im Auge behalten, da ſie oft mit den Erfolgen des geiſtlichen Kampfes unmit - telbar zuſammenfallen.
Doch werden wir nicht bei dem Allgemeinen ſtehn bleiben duͤrfen. Noch viel weniger als weltliche koͤnnen geiſtliche Eroberungen vollzogen werden ohne entgegenkom - mende einheimiſche Sympathien. In die Tiefe der Inter - eſſen der verſchiedenen Laͤnder muͤſſen wir hinabſteigen, um die inneren Bewegungen zu faſſen, durch welche die roͤmi - ſchen Abſichten befoͤrdert werden.
Eine Fuͤlle und Verſchiedenheit von Ereigniſſen und Lebensaͤußerungen, von der wir faſt zu fuͤrchten haben, daß ſie ſich kaum unter Einen Blick werde zuſammenfaſſen laſ - ſen. Es iſt eine Entwickelung, die auf verwandten Grund - lagen beruht, und zuweilen zu großen Momenten zuſammen - greift, aber eine unendliche Mannigfaltigkeit der Erſchei - nungen darbietet.
Beginnen wir mit unſerm Vaterlande, wo ja das Papſtthum zuerſt ſeine großen Verluſte erlitten, und wo auch jetzt der Kampf der beiden Principien vorzuͤglich ausge - fochten wurde.
25Streitkraͤfte des Papſtthums.Vor allem leiſtete hier die zugleich weltkluge und re - ligionseifrige, mit dem Sinne des modernen Katholicismus durchdrungene Geſellſchaft der Jeſuiten der roͤmiſchen Kirche gute Dienſte. Vergegenwaͤrtigen wir zunaͤchſt deren Wirk - ſamkeit.
Auf dem Reichstag zu Augsburg im Jahre 1550 hatte Ferdinand I. ſeinen Beichtvater den Biſchof Urban von Laibach bei ſich. Es war dieß Einer von den weni - gen Praͤlaten, die ſich in ihrem Glauben nicht hatten er - ſchuͤttern laſſen. Oft beſtieg er zu Hauſe die Kanzel, um das Volk in der Landesſprache zu ermahnen bei dem Glau - ben ſeiner Vaͤter auszuharren, um von dem Einigen Schaf - ſtall und dem Einigen Hirten zu predigen1)Valvaſſor: Ehre des Herzogthums Krain. Theil II, Buch VII, p. 433.. Damals nun befand ſich auch der Jeſuit Le Jay in Augsburg, und erregte durch einige Bekehrungen Aufſehen. Biſchof Urban lernte ihn kennen, und hoͤrte zuerſt durch ihn von den Collegien, welche die Jeſuiten an mehreren Univerſi - taͤten geſtiftet. Da in Deutſchland die katholiſche Theo - logie in ſo großem Verfall war, ſo gab er ſeinem Herrn den Rath, in Wien ein aͤhnliches Collegium einzurich - ten. Lebhaft ging Ferdinand darauf ein: in dem Schrei - ben, das er hieruͤber an Ignatius Loyola richtete, ſpricht er die Ueberzeugung aus, das einzige Mittel die fallende26Buch V. Gegenreformationen.Kirchenlehre in Deutſchland aufrecht zu erhalten beſtehe darin, daß man dem juͤngern Geſchlechte gelehrte und fromme Katholiken zu Lehrern gebe1)Abgedruckt bei Socher: Historia provinciae Austriae socie - tatis Jesu I, 21.. Leicht waren die Verabre - dungen getroffen. Im Jahre 1551 langten 13 Jeſuiten an, unter ihnen Le Jay ſelbſt, denen Ferdinand zuvoͤrderſt Behauſung, Capelle und Penſion anwies, bis er ſie kurz darauf mit der Univerſitaͤt vereinigte, und ihnen ſogar die Viſitation derſelben uͤbertrug.
Bald darnach kamen ſie in Coͤln empor. Schon be - fanden ſie ſich ſeit ein paar Jahren hier, aber ohne Gluͤck zu machen: man hatte ſie ſogar genoͤthigt, getrennt zu leben. Erſt im Jahre 1556 verſchaffte ihnen jene unter einen pro - teſtantiſchen Regens gerathene Burſa Gelegenheit, eine fe - ſtere Stellung zu erwerben. Denn da es eine Partei in der Stadt gab, welcher alles daran gelegen war, die Uni - verſitaͤt katholiſch zu erhalten, ſo fanden endlich die Goͤn - ner der Jeſuiten mit ihrem Rathe, die Anſtalt dieſem Or - den zu uͤberliefern, Gehoͤr. Es waren der Prior der Kar - thaͤuſer, der Provincial der Karmeliter, und beſonders Doctor Johann Gropper, der wohl zuweilen ein Gaſtmahl veranſtaltete, zu dem er die einflußreichſten Buͤrger einlud, um bei einem Glaſe Wein, auf gute alte deutſche Weiſe, das, was ihm am meiſten am Herzen lag, auf die Bahn zu bringen. Zum Gluͤck fuͤr die Jeſuiten fand ſich unter den Mitgliedern des Ordens ein geborner Coͤlner, Johann Rhe - tius, aus patriciſcher Familie, dem die Burſa namentlich anvertraut werden konnte. Aber nicht ohne ſtrenge Be -27Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.ſchraͤnkungen geſchah dieß; es ward den Jeſuiten ausdruͤck - lich verboten, in der Burſa ein kloͤſterliches Leben einzufuͤh - ren, wie es in ihren Collegien uͤblich war1)Sacchinus Hist. soc. Jesu pars II, lib. I, nr. 103..
Eben damals faßten ſie auch in Ingolſtadt feſten Fuß. Die fruͤheren Verſuche waren an dem Widerſtande vornehm - lich der juͤngeren Mitglieder der Univerſitaͤt geſcheitert, die ſich in dem Privatunterricht, den ſie ertheilten, durch keine privilegirte Schule beſchraͤnken laſſen wollten. In dem Jahre 1556 aber, als ſich der Herzog, wie geſagt, zu ſtarken Conceſſionen zu Gunſten der Proteſtanten hatte verſtehn muͤſſen, ſchien es den katholiſch geſinnten Raͤ - then deſſelben dringend nothwendig, fuͤr die Aufrechthal - tung des alten Glaubens etwas Nachhaltiges zu thun. Es waren beſonders der Kanzler Wiguleus Hund, ein Mann der mit eben ſo viel Eifer in der Erhaltung wie in der Erforſchung der alten kirchlichen Zuſtaͤnde zu Werke ging, und der Geheimſchreiber des Herzogs Heinrich Schwig - ger. Durch ſie wurden die Jeſuiten wieder zuruͤckberufen. Den 7. Juli 1556, am Tage St. Wilibald, zogen ihrer achtzehn in Ingolſtadt ein: ſie hatten dieſen Tag gewaͤhlt, weil St. Wilibald als der erſte Biſchof jener Dioͤces an - geſehen wird. Sie fanden noch immer gar viele Schwie - rigkeiten in Stadt und Univerſitaͤt: dieſelben zu uͤberwin - den gelang ihnen allmaͤhlig durch die nemliche Gunſt, der ſie ihre Berufung verdankten.
Von dieſen drei Metropolen nun breiteten ſich die Je - ſuiten nach allen Seiten hin aus.
28Buch V. Gegenreformationen.Von Wien zunaͤchſt uͤber die oͤſtreichiſchen Laͤnder. Ferdinand I. brachte ſie bereits im Jahre 1556 nach Prag, und gruͤndete ihnen daſelbſt ein Paͤdagogium, vorzuͤglich fuͤr die adliche Jugend. Er ſchickte ſelbſt ſeine Pagen dahin, und wenigſtens bei dem katholiſch geſinnten Theile des boͤhmi - ſchen Adels, den Roſenberg und Lobkowitz, fand der Or - den Wohlwollen und Unterſtuͤtzung. — Einer der bedeu - tendſten Maͤnner in Ungarn war damals Nicolaus Olahus, Erzbiſchof von Gran. Sein Name bezeichnet, daß er ein Wlache von Herkunft iſt. Sein Vater Stoia hatte ihn in dem Schrecken uͤber die Ermordung eines Woiwoden aus ſeinem Hauſe der Kirche gewidmet; und auf das gluͤck - lichſte war er bei dieſer Beſtimmung gediehen. Schon unter den letzten einheimiſchen Koͤnigen bekleidete er die wichtige Stelle eines Geheimſchreibers: ſeitdem war er im Dienſte der oͤſtreichiſchen Partei noch hoͤher geſtiegen. Bei dem all - gemeinen Verfall des Katholicismus in Ungarn ſah er die einzige Hoffnung, ihn zu behaupten, in dem gemeinen Volke, das noch nicht voͤllig abgefallen war. Nur fehlte es auch hier an katholiſch geſinnten Lehrern. Um dieſe zu bilden, ſtiftete er im Jahre 1561 ein Collegium der Je - ſuiten in Tyrnau: er gab ihnen eine Penſion aus ſeinen Einkuͤnften: Kaiſer Ferdinand ſchenkte eine Abtei dazu. Als die Jeſuiten ankamen, war eben eine Verſammlung des Clerus der Dioͤces veranſtaltet; ihre erſte Thaͤtigkeit be - ſtand in dem Verſuch, dieſe ungariſchen Prieſter und Pfar - rer von den heterodoxen Lehren zuruͤckzubringen, zu de - nen ſie ſich hinneigten. — Und ſchon rief man ſie auch nach Maͤhren. Wilhelm Pruſſinowski, Biſchof von Ol -29Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.muͤtz, der den Orden waͤhrend ſeiner Studien in Italien kennen gelernt, lud ſie zu ſich ein: ein Spanier, Hurtado Perez, war der erſte Rector in Olmuͤtz: bald finden wir ſie nicht minder in Bruͤnn.
Von Coͤln verbreitete ſich die Geſellſchaft uͤber das geſammte Rheinland. Auch in Trier hatte, wie beruͤhrt, der Proteſtantismus Anhaͤnger gefunden und Gaͤhrungen verurſacht. Der Erzbiſchof, Johann von Stein, beſchloß gegen die Widerſpenſtigen nur geringe Strafen zu verhaͤn - gen und den Bewegungen hauptſaͤchlich ein doctrinelles Gegengewicht zu geben: er beſchied die beiden Oberhaͤupter der Coͤlner Jeſuitenſchule zu ſich nach Coblenz, und ſtellte ihnen vor, daß er einige Mitglieder ihres Ordens zu ha - ben wuͤnſche, „ um, “wie er ſich ausdruͤckte, „ die Heerde, die ihm anvertraut worden, mehr durch Ermahnung und freundliche Unterweiſung als durch Waffen und Drohun - gen in Pflicht zu halten. “ Er wandte ſich auch nach Rom, und gar bald war man einverſtanden. Von Rom wurden 6 Jeſuiten herausgeſchickt, die uͤbrigen kamen von Coͤln. Am 3. Februar 1561 eroͤffneten ſie ihr Collegium mit gro - ßer Feierlichkeit: fuͤr die naͤchſten Faſten uͤbernahmen ſie die Predigten1)Browerus: Annales Trevirenses T. II, lib. XXI, 106 — 125..
Da glaubten auch die beiden geheimen Raͤthe des Churfuͤrſten Daniel von Mainz, Peter Echter und Simon Bagen, zu erkennen, daß in der Aufnahme der Jeſuiten das einzige Mittel liege, der verfallenden Mainzer Univerſi - taͤt wieder aufzuhelfen. Dem Widerſpruch, den ihnen Dom -30Buch V. Gegenreformationen.herrn und Landſaſſen entgegenſetzten, zum Trotz, ſiifteten ſie dem Orden ein Collegium in Mainz, und eine Vorberei - tungsſchule in Aſchaffenburg.
Immer hoͤher gelangte die Geſellſchaft den Rhein hin - auf. Vorzuͤglich wuͤnſchenswerth ſchien ihr ein Sitz in Speier: einmal weil dort in den Aſſeſſoren des Kammer - gerichtes ſo viel ausgezeichnete Maͤnner vereinigt waren, auf die es außerordentlich wichtig geweſen waͤre Ein - fluß zu bekommen: ſodann auch um ſich der Heidelberger Univerſitaͤt, welche fuͤr die proteſtantiſchen Lehrer damals mit den groͤßten Ruf genoß1)Z. B. ſagt Neuſer in ſeinem berufenen Briefe an den tuͤr - kiſchen Kaiſer: er ſey Lehrer und Prediger zu Heidelberg, „ an wel - chem Orte jetztmahls die Gelehrteſten des ganzen deutſchen Landes ſich unterhalten. “ Arnold: Ketzerhiſt. II, 1133., in der Naͤhe entgegenzu - ſetzen. Allmaͤhlig drangen ſie ein.
Unverzuͤglich verſuchten ſie ihr Gluͤck auch laͤngs des Maines. Obwohl Frankfurt ganz proteſtantiſch war, hoff - ten ſie doch waͤhrend der Meſſen daſelbſt etwas auszurich - ten. Es konnte dieß aber nicht ohne Gefahr geſchehen: um ſich nicht finden zu laſſen, mußten ſie alle Nacht die Herbergen wechſeln. Deſto ſicherer und willkommener wa - ren ſie in Wuͤrzburg2)Gropp: Wirzburgiſche Chronik der letzteren Zeiten Thl. I, p. 237.. Es iſt doch, als haͤtte die Er - mahnung, welche Kaiſer Ferdinand bei dem Reichstage von 1559 an[die] Biſchoͤfe richtete, endlich einmal auch ihre Kraͤfte zur Erhaltung der katholiſchen Kirche anzuſtrengen, auf dieſen glaͤnzenden Fortgang des Ordens in den Stif -31Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.tern viel Einfluß gehabt. Von Wuͤrzburg aus durchzogen ſie Franken.
Mittlerweile war ihnen auf einer andern Seite Tyrol eroͤffnet worden. Auf den Wunſch der Toͤchter des Kaiſers ſiedelten ſie ſich zu Insbruck und dann zu Hall in deren Naͤhe an. In Baiern drangen ſie immer weiter vor. In Muͤnchen, wohin ſie 1559 gelangten, fanden ſie es ſelbſt bequemer als in Ingolſtadt: ſie erklaͤrten es fuͤr das deutſche Rom. Und ſchon erhob ſich unfern von Ingolſtadt eine neue große Colonie. Um ſeine Univerſitaͤt Dillingen auf ihren ur - ſpruͤnglichen Zweck zuruͤckzufuͤhren, entſchloß ſich der Cardinal Truchſeß, alle Lehrer, die noch daſelbſt docirten, zu verabſchie - den, und die Stiftung voͤllig den Jeſuiten anzuvertrauen. Zwiſchen deutſchen und italieniſchen Commiſſarien, des Car - dinals und des Ordens, ward hieruͤber zu Botzen ein foͤrm - liches Abkommen geſchloſſen. Im Jahre 1563 langten die Jeſuiten in Dillingen an, und nahmen die Lehrſtuͤhle in Beſitz. Mit großem Wohlgefallen erzaͤhlen ſie, wie der Cardinal, der bald darauf von einer Reiſe zuruͤckkommend einen feierlichen Einzug in Dillingen hielt, ſich unter allen denen, die ſich zu ſeinem Empfange aufgeſtellt hatten, vor - zugsweiſe an die Jeſuiten wandte, ihnen die Hand zum Kuß reichte, ſie als ſeine Bruͤder begruͤßte, ihre Zellen ſelbſt unterſuchte und mit ihnen ſpeiſte. Er befoͤrderte ſie nach beſten Kraͤften: bald richtete er ihnen eine Miſſion in Augsburg ein1)Sacchinus pars II, lib. VIII, n. 108..
Ein ungemeiner Fortgang der Geſellſchaft in ſo kur - zer Zeit. Im Jahre 1551 hatten ſie noch keine feſte32Buch V. Gegenreformationen.Staͤtte in Deutſchland: im Jahre 1566 umfaßten ſie Baiern und Tyrol: Franken und Schwaben: einen großen Theil der Rheinlande: Oeſtreich: in Ungarn, Boͤhmen und Maͤh - ren waren ſie vorgedrungen. Schon nahm man ihre Wir - kung wahr: im Jahre 1561 verſichert der paͤpſtliche Nun - tius, daß „ ſie viele Seelen gewinnen und dem heiligen Stuhl einen großen Dienſt leiſten. “ Es war der erſte nachhaltige anti-proteſtantiſche Eindruck, welchen Deutſch - land empfing.
Vor allem arbeiteten ſie auf den Univerſitaͤten. Sie hatten den Ehrgeiz mit dem Rufe der proteſtantiſchen zu wetteifern. Die ganze gelehrte Bildung jener Zeit beruhte auf dem Studium der alten Sprachen. Sie trieben die - ſelben mit friſchem Eifer, und in Kurzem glaubte man wenigſtens hie und da die jeſuitiſchen Lehrer den Reſtaura - toren dieſer Studien zur Seite ſetzen zu duͤrfen. Auch andere Wiſſenſchaften cultivirten ſie: Franz Koſter trug zu Coͤln die Aſtronomie eben ſo angenehm wie belehrend vor. Die Hauptſache aber, wie ſich verſteht, blieben die theolo - giſchen Disciplinen. Die Jeſuiten laſen mit dem groͤßten Fleiße, auch waͤhrend der Ferien: ſie fuͤhrten die Dispu - tiruͤbungen wieder ein, ohne welche, wie ſie ſagten, aller Unterricht todt ſey; die Disputationen, welche ſie oͤffent - lich anſtellten, waren anſtaͤndig, geſittet, inhaltsreich, die glaͤnzendſten welche man jemals erlebt hatte. Bald uͤber - redete man ſich in Ingolſtadt dahin zu ſeyn, daß ſich die Univerſitaͤt wenigſtens im Fache der Theologie mit jeder andern deutſchen meſſen koͤnne. Ingolſtadt bekam, wie -wohl33Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.wohl in entgegengeſetztem Sinne, eine Wirkſamkeit wie ſie Wittenberg und Genf gehabt.
Nicht minderen Fleiß widmeten die Jeſuiten der Lei - tung der lateiniſchen Schulen. Es war einer der vornehm - ſten Geſichtspunkte des Lainez, daß man die untern Gramma - ticalclaſſen gut beſetzen muͤſſe. Auf den erſten Eindruck, den der Menſch empfange, komme doch fuͤr ſein geſammtes Le - ben das Meiſte an. Er ſuchte mit richtiger Einſicht Leute, welche, wenn ſie dieß beſchraͤnktere Lehramt einmal ergriffen hatten, ſich demſelben ihr ganzes Leben zu widmen gedach - ten: denn erſt mit der Zeit lerne ſich ein ſo ſchwieriges Ge - ſchaͤft und finde ſich die natuͤrliche Autoritaͤt ein. Es ge - lang den Jeſuiten hiemit zur Verwunderung. Man fand, daß die Jugend bei ihnen in einem Halbjahr mehr lerne, als bei Andern binnen zwei Jahren: ſelbſt Proteſtanten rie - fen ihre Kinder von entfernten Gymnaſien zuruͤck und uͤber - gaben ſie den Jeſuiten.
Es folgte Armenſchule, Kinderlehre, Katechiſation. Caniſius verfaßte ſeinen Katechismus, der durch wohlzu - ſammenhaͤngende Fragen und buͤndige Antworten das Be - duͤrfniß der Lernenden befriedigte.
Ganz in jenem devot-phantaſtiſchen Sinne nun, der das Inſtitut der Jeſuiten von Anfang an ſo eigen charak - teriſirte, ward dieſer Unterricht ertheilt. Der erſte Rector in Wien war ein Spanier Johann Victoria: ein Mann, welcher einſt in Rom ſeinen Eintritt in die Geſellſchaft damit bezeichnete, daß er waͤhrend der Luſtbarkeiten des Carneval in Sack gekleidet durch den Corſo ging, indem er ſich im - mer geißelte, ſo lange, bis ihm das Blut auf allen Sei -Päpſte* 334Buch V. Gegenreformationen.ten herunterſtroͤmte. Bald unterſchieden ſich auch in Wien die Kinder, welche die Schulen der Jeſuiten beſuchten, dadurch, daß ſie an den Faſttagen die verbotenen Speiſen ſtandhaft verſchmaͤhten, von denen ihre Eltern ohne Scrupel genoſ - ſen. In Coͤln ward es wieder eine Ehre, den Roſenkranz zu tragen. In Trier begann man Reliquien zu verehren, mit denen ſich ſeit vielen Jahren kein Menſch mehr her - vorgewagt hatte. Schon im Jahre 1560 pilgerte die in - golſtaͤdtiſche Jugend aus der jeſuitiſchen Schule paarweiſe nach Eichſtaͤdt, um bei der Firmelung „ mit dem Thau “geſtaͤrkt zu werden, „ der aus dem Grabe der heiligen Walpurgis traͤufele. “ Eine Geſinnung, die in den Schu - len gegruͤndet, durch Predigt und Beichte uͤber die ge - ſammte Bevoͤlkerung ausgebreitet wurde.
Es iſt dieß ein Fall, wie er vielleicht in der Weltge - ſchichte niemals wieder auf eine aͤhnliche Weiſe vorgekom - men iſt.
Wenn eine neue geiſtige Bewegung die Menſchen er - griffen hat, iſt es immer durch großartige Perſoͤnlichkei - ten, durch die hinreißende Gewalt neuer Ideen geſchehen. Hier ward die Wirkung vollbracht, ohne große geiſtige Pro - duction. Die Jeſuiten mochten gelehrt und auf ihre Art fromm ſeyn: aber Niemand wird ſagen, daß ihre Wiſſen - ſchaft auf einem freien Schwunge des Geiſtes beruhe, daß ihre Froͤmmigkeit von der Tiefe und Ingenuitaͤt eines ein - fachen Gemuͤthes ausgegangen ſey. Sie ſind gelehrt ge - nug, um Ruf zu haben, Zutrauen zu erwecken, Schuͤler zu bilden und feſtzuhalten: weiter ſtreben ſie nicht. Ihre35Die erſten Jeſuitenſchulen in Deutſchland.Froͤmmigkeit haͤlt ſie nicht allein von ſittlichem Tadel frei: ſie iſt poſitiv auffallend, und um ſo unzweifelhafter: dieß iſt ihnen genug. In freien, unbeſchraͤnkten, unbetretenen Bahnen bewegt ſich weder ihre Pietaͤt noch ihre Lehre. Doch hat ſie etwas, was ſie vorzugsweiſe unterſcheidet: ſtrenge Methode. Es iſt alles berechnet, denn es hat alles ſeinen Zweck. Eine ſolche Vereinigung von hinreichender Wiſſenſchaft und unermuͤdlichem Eifer, von Studien und Ueberredung, Pomp und Caſteiung, von Ausbreitung uͤber die Welt und Einheit der leitenden Geſichtspunkte iſt auch weder fruͤher noch ſpaͤter in der Welt geweſen. Sie waren flei - ßig und phantaſtiſch: weltklug und voll Enthuſiasmus: an - ſtaͤndige Leute, denen man ſich gern naͤherte: ohne perſoͤn - ſoͤnliches Intereſſe: einer vom andern befoͤrdert. Kein Wunder wenn es ihnen gelang.
Wir Deutſchen muͤſſen daran noch eine beſondere Be - trachtung knuͤpfen. Wie geſagt, unter uns war die paͤpſt - liche Theologie ſo gut wie untergegangen. Die Jeſuiten erſchienen um ſie herzuſtellen. Wer waren die Jeſuiten, als ſie bei uns anlangten? Es waren Spanier, Ita - liener, Niederlaͤnder; lange Zeit kannte man den Na - men ihres Ordens nicht: man nannte ſie ſpaniſche Prieſter. Sie nahmen die Katheder ein, und fanden Schuͤler, die ſich ihren Doctrinen anſchloſſen. Von den Deutſchen haben ſie nichts empfangen: ihre Lehre und Verfaſſung war voll - endet, ehe ſie bei uns erſchienen. Wir duͤrfen den Fort - gang ihres Inſtitutes bei uns im Allgemeinen als eine neue Einwirkung des romaniſchen Europa auf das germaniſche3*36Buch V. Gegenreformationen.betrachten. Auf deutſchem Boden, in unſerer Heimath be - ſiegten ſie uns, und entriſſen uns einen Theil unſeres Va - terlandes. Ohne Zweifel kam dieß auch daher, daß die deut - ſchen Theologen ſich weder unter ſich ſelbſt verſtaͤndigt hatten, noch großgeſinnt genug waren, um die minder weſentlichen Widerſpruͤche an einander zu dulden. Die Extreme der Meinungen waren ergriffen worden: man befehdete ſich mit ruͤckſichtsloſer Wildheit; ſo daß man die noch nicht vollkom - men Ueberzeugten irre machte und damit dieſen Fremdlin - gen den Weg bahnte, welche mit einer klug angelegten, bis in das Einzelnſte ausgebildeten, keinen Zweifel uͤbrig laſſen - den Doctrin nun auch ihrerſeits die Gemuͤther bezwangen.
Bei alle dem liegt doch auch am Tage, daß es den Jeſuiten nicht ſo leicht haͤtte gelingen koͤnnen, ohne die Huͤlfe des weltlichen Armes, ohne die Gunſt der Fuͤrſten des Reiches.
Denn wie mit den theologiſchen, ſo war es mit den politiſchen Fragen gegangen: zu einer Maaßregel, durch welche die ihrem Weſen nach hierarchiſche Reichsverfaſſung mit den neuen Verhaͤltniſſen der Religion in Einklang ge - kommen waͤre, hatte man es nicht gebracht. Die Summe des Religionsfriedens, wie man ihn gleich anfangs ver - ſtand und nachher auslegte, war eine neue Erweiterung der Landeshoheit. Die Landſchaften bekamen auch in Hin - ſicht der Religion einen hohen Grad von Autonomie. Auf37Anfang derſelben in Deutſchland. Baiern.die Ueberzeugung des Fuͤrſten, auf das Einverſtaͤndniß deſ - ſelben mit ſeinen Landſtaͤnden kam es ſeitdem allein an, welche kirchliche Stellung ein Land einnehmen ſollte.
Es war dieß eine Beſtimmung, welche zum Vortheil des Proteſtantismus erfunden zu ſeyn ſchien, die aber zu - letzt dem Katholicismus bei weitem foͤrderlicher wurde. Jener war ſchon gegruͤndet, als ſie zu Stande kam: dieſer ſtellte ſich erſt her, indem er ſich darauf ſtuͤtzte.
Zuerſt geſchah dieß in Baiern: und es iſt wegen der unermeßlichen Wirkung, die daher entſprungen iſt, einer be - ſondern Bemerkung werth, wie es geſchah.
Auf den baieriſchen Landtagen finden wir ſeit gerau - mer Zeit Fuͤrſten und Staͤnde in Streitigkeiten. Der Her - zog iſt in ſteter Geldverlegenheit, von Schulden gedruͤckt, zu neuen Ausgaben veranlaßt, und immer genoͤthigt die Beihuͤlfe ſeiner Landſtaͤnde in Anſpruch zu nehmen. Dieſe fordern dagegen Zugeſtaͤndniſſe hauptſaͤchlich religioͤſer Art. Es ſchien ſich in Baiern ein aͤhnliches Verhaͤltniß bilden zu muͤſſen, wie es in Oeſtreich lange Zeit herrſchte: einer geſetzlichen auf Religion und Privilegien zugleich gegruͤn - deten Oppoſition der Staͤnde gegen den Landesherrn, wenn dieſer anders nicht am Ende ſelbſt zum Proteſtantismus uͤbertrat.
Ohne Zweifel war es dieſe Lage der Dinge, durch welche, wie beruͤhrt, die Berufung der Jeſuiten hauptſaͤch - lich veranlaßt wurde. Wohl mag es ſeyn, daß ihre Leh - ren bei Herzog Albrecht V. perſoͤnlich Eindruck machten: er hat ſpaͤter einmal erklaͤrt: was er von dem Geſetz Gottes verſtehe, habe er von Hoffaͤus und Caniſius, beides Jeſui -38Buch V. Gegenreformationen.ten, erlernt. Es kam aber auch noch eine andere Einwirkung hinzu. Pius IV. machte den Herzog nicht allein aufmerkſam, daß ihm jedes religioͤſe Zugeſtaͤndniß den Gehorſam ſeiner Unterthanen ſchmaͤlern werde1)Legationes Paparum ad Duces Bavariae. Ms. der Bi - bliothek zu Muͤnchen. Prima legatio 1563. „ Quodsi Sua Celsi - tudo Illma absque sedis apostolicae autoritate usum calicis con - cedat, ipsi principi etiam plurimum decederet de ejus apud sub - ditos autoritate. Auf dem Landtag klagte man, der Fuͤrſt ſey durch die Decimation verblendet.: was bei der Lage des deut - ſchen Fuͤrſtenthums nicht wohl zu laͤugnen ſtand; er gab ſeiner Ermahnung auch durch Gnadenbezeugungen Nach - druck: er uͤberließ ihm einen Zehnten von den Guͤtern ſei - ner Geiſtlichkeit. Indem er ihn hiedurch von den Bewil - ligungen der Staͤnde unabhaͤngiger machte, zeigte er ihm zu - gleich, welchen Vortheil er von der Verbindung mit der roͤmiſchen Kirche zu erwarten habe.
Es kam dann hauptſaͤchlich darauf an, ob der Her - zog die ſchon begruͤndete religioͤſe Oppoſition ſeiner Land - ſtaͤnde wieder zu beſeitigen vermoͤgen wuͤrde.
Auf einem Landtage zu Ingolſtadt im Jahre 1563 ging er an dieß Werk. Die Praͤlaten waren ſchon an ſich geneigt: zunaͤchſt bearbeitete er die Staͤdte. Sey es nun, daß die Lehren des wiederauflebenden Katholicismus, die Thaͤtigkeit der allenthalben eindringenden Jeſuiten auch auf die Staͤdte beſonders die leitenden Mitglieder ihrer Ver - ſammlung Einfluß gewonnen hatten, oder daß andere Ruͤck - ſichten eintraten: genug die Staͤdte ließen von den Forde - rungen neuer religioͤſer Zugeſtaͤndniſſe, die ſie bisher im - mer eifrig betrieben, dieß Mal ab, und ſchritten zu ihren39Anfang derſelben in Deutſchland. Baiern.Bewilligungen ohne auf neue Freiheiten zu dringen. Hier - auf war nur noch der Adel uͤbrig. Mißmuthig, ja erbit - tert verließ er den Landtag: man zeichnete dem Herzog die drohenden Reden auf, welche ein und der andere Edel - mann hatte fallen laſſen1)Geheime Erfahrung und Bericht der ungebuͤhrlichen auf - ruͤhreriſchen Reden halber, bei Freiberg: Geſchichte der baieriſchen Landſtaͤnde II, 352.; endlich entſchloß ſich der Vor - nehmſte von allen, der Graf von Ortenburg, der fuͤr ſeine Grafſchaft eine ihm ſtreitig gemachte Reichsunmittelbarkeit in Anſpruch nahm, in dieſem Gebiet ohne Weiteres das evangeliſche Bekenntniß einzufuͤhren. Aber eben damit be - kam der Herzog die beſten Waffen in die Haͤnde. Beſon - ders als er auf einem der Schloͤſſer, die er einnahm, eine Correſpondenz zwiſchen den baieriſchen Herren fand, die ſtarke Anzuͤglichkeiten enthielt, in der man ihn als einen verſtock - ten Pharao, ſeinen Rath als einen Blutrath uͤber die ar - men Chriſten bezeichnete, und in der noch andere Aus - druͤcke vorkamen, die man auf eine Verſchwoͤrung deuten zu koͤnnen glaubte, erhielt er einen Anlaß, alle Mitglieder des Adels, die ihm entgegen waren, zur Verantwortung zu ziehen2)Huſchberg: Geſchichte des Hauſes Ortenburg S. 390.. Die Strafe, die er uͤber dieſelben verhing, kann man nicht ſtreng nennen, aber ſie fuͤhrte ihn zum Zwecke. Er ſchloß die Betheiligten von den baieriſchen Landtagen aus. Da ſie hier noch die einzige Oppoſition ausmach - ten, welche uͤbrig geblieben, ſo ward er dadurch voͤllig Meiſter uͤber ſeine Staͤnde, bei denen ſeitdem niemals wie - der von der Religion die Rede geweſen iſt.
Wie wichtig dieß war, zeigte ſich auf der Stelle. 40Buch V. Gegenreformationen.Seit geraumer Zeit hatte Herzog Albrecht bei Papſt und Concilium mit viel Eifer auf die Erlaubniß des Laienkelches gedrungen: das ganze Geſchick ſeines Landes ſchien er daran zu knuͤpfen; endlich im April 1564 erhielt er ſie: wer ſollte es glauben? jetzt machte er ſie nicht einmal bekannt. Die Umſtaͤnde waren veraͤndert: eine von dem ſtrengen Katho - licismus abweichende Verguͤnſtigung ſchien ihm jetzt eher ſchaͤdlich als nuͤtzlich1)Adlzreitter: Annales Boicae gentis II, XI, nr. 22. Al - bertus eam indulgentiam juris publici in Boica esse noluit. ; einige niederbaieriſche Gemeinden, welche das fruͤhere Verlangen ſtuͤrmiſch wiederholten, ver - wies er mit Gewalt zur Ruhe.
In Kurzem gab es keinen entſchiedener katholiſchen Fuͤrſten in Deutſchland, als Herzog Albrecht war. Auf das ernſtlichſte ging er daran, auch ſein Land wieder voͤl - lig katholiſch zu machen.
Die Profeſſoren zu Ingolſtadt mußten das Glaubens - bekenntniß unterſchreiben, welches im Gefolge des triden - tiniſchen Conciliums bekannt gemacht worden. Alle her - zoglichen Beamten uͤberhaupt mußten ſich durch einen Eid zu einer unzweifelhaft katholiſchen Confeſſion verpflichten. Weigerte ſich Einer, ſo ward er entlaſſen. Auch an den gemeinen Leuten duldete Herzog Albrecht den Proteſtan - tismus nicht. Zuerſt in Niederbaiern, wohin er einige Jeſuiten zur Bekehrung der Einwohner geſendet, mußten nicht allein die Prediger, ſondern Alle und Jede, die ſich zu dem evangeliſchen Bekenntniß hielten, ihre Habe verkau - fen und das Land raͤumen2)Agricola: Ps. I, Dec. III, 116 — 120.. So ward darauf allenthal -41Anfang derſelben in Deutſchland. Baiern.ben verfahren. Es waͤre keinem Magiſtrat zu rathen gewe - ſen Proteſtanten zu dulden: er haͤtte ſich ſelbſt dadurch die haͤrteſte Strafe zugezogen.
Es kamen aber mit dieſer Erneuerung des Katholi - cismus alle modernen Formen deſſelben aus Italien nach Deutſchland heruͤber. Man machte einen Index verbotener Buͤcher: aus den Bibliotheken wurden ſie ausgemerzt, haufenweiſe verbrannt; dagegen beguͤnſtigte man die ſtreng katholiſchen: der Herzog ließ es an Aufmunterungen der Autoren in dieſem Sinne nicht fehlen: die Heiligengeſchichte des Surius ließ er auf ſeine Koſten ins Deutſche uͤber - ſetzen und in Druck geben: — die groͤßte Devotion ward den Reliquien gewidmet: der heilige Benno, von dem man in einem andern deutſchen Lande, in Meißen, nichts mehr wiſſen wollte, ward feierlich zum Schutzpatron von Baiern erklaͤrt: — Baukunſt und Muſik kamen zuerſt in Muͤn - chen in dem Geſchmack der reſtaurirten Kirche auf: — vor allem wurden die jeſuitiſchen Inſtitute befoͤrdert, durch welche die Erziehung des heranwachſenden Geſchlechtes in dieſem Sinne vollbracht wurde.
Auch konnten die Jeſuiten nicht Worte genug finden, den Herzog dafuͤr zu ruͤhmen, einen zweiten Joſias, wie ſie ſagten, einen neuen Theodoſius.
Nur Eine Frage bleibt hiebei uͤbrig.
Je wichtiger die Erweiterung der Landeshoheit iſt, die den proteſtantiſchen Fuͤrſten durch die Einwirkung auf die Religion, welche ihnen geſtattet ward, zuwuchs, um ſo mehr ſcheint in der erneuerten Autoritaͤt der kirchlichen Gewalten eine Beſchraͤnkung derſelben zu liegen.
42Buch. V. Gegenreformationen.Allein auch dafuͤr war geſorgt. Die Paͤpſte ſahen wohl, daß es ihnen zunaͤchſt nur durch die Fuͤrſten gelin - gen koͤnne, ihre verfallende Gewalt zu erhalten, oder die ge - fallene zu erneuern: ſie machten ſich hieruͤber keine Illu - ſion: ſie ließen es ihre ganze Politik ſeyn, ſich mit den Fuͤrſten zu verbinden.
In der Inſtruction, welche Gregor gleich dem erſten Nuntius, den er nach Baiern ſandte, ertheilt hat, wird dieß ohne allen Umſchweif geſagt: „ der ſehnlichſte Wunſch S. Heiligkeit ſey es, die verfallene kirchliche Zucht wieder - herzuſtellen, aber zugleich ſehe er ein, daß er ſich zur Er - reichung eines ſo wichtigen Zweckes mit den Fuͤrſten ver - einigen muͤſſe: durch ihre Froͤmmigkeit ſey die Religion erhalten worden: einzig mit ihrer Huͤlfe laſſe ſich Kirchen - zucht und Sitte wiederherſtellen “1)Legatio Gregorii XIII. 1573. „ S. S. in eam curam in - cumbit qua ecclesiastica disciplina jam ferme in Germania col - lapsa aliquo modo instauretur, quod cum antecessores sui aut neglexerint aut leviter attigerint, non tam bene quam par erat de republica christiana meritos esse animadvertit: — adjungen - dos sibi ad tale tantumque opus catholicos principes sapientis - sime statuit. “ Ausdruͤcklich verſpricht der Geſandte, Bartholom. Graf v. Porzia: „ Suam Sanctitatem nihil unquam praetermis - suram esse, quod est e re sua (ducis Bavariae) aut filiorum. “. Und ſo uͤbertraͤgt der Papſt dem Herzog die Befugniß die ſaͤumigen Biſchoͤfe anzutreiben: die Beſchluͤſſe einer Synode — ſie war in Salzburg gehalten worden — in Ausfuͤhrung zu bringen: den Biſchof zu Regensburg und ſein Capitel zur Errich - tung eines Seminars anzuhalten: genug eine Art von geiſtlicher Oberaufſicht uͤbertraͤgt er ihm: er geht mit ihm zu Rathe, ob es nicht gut ſey, Seminarien von Kloſter -43Anfang derſelben in Deutſchland. Baiern.geiſtlichen zu errichten, wie es Seminarien von Weltprie - ſtern gebe. Sehr gern laͤßt ſich der Herzog darauf ein. Nur fordert er, daß nun auch die Biſchoͤfe den fuͤrſtlichen Rechten, weder den hergebrachten noch auch den neuertheil - ten, zu nahe treten, daß der Clerus von ſeinen Obern in Zucht und Ordnung gehalten werden moͤge. Es finden ſich Edicte, in denen der Fuͤrſt die Kloͤſter als Kammer - gut betrachtet und einer weltlichen Verwaltung unterwirft.
Wenn das proteſtantiſche Fuͤrſtenthum im Laufe der Reformation kirchliche Attribute an ſich gebracht hatte, ſo gelang nunmehr das Nemliche auch dem katholiſchen. Was dort in Gegenſatz gegen das Papſtthum, geſchah hier in Vereinigung mit demſelben. Setzten die proteſtantiſchen Fuͤrſten ihre nachgeborenen Soͤhne als poſtulirte Admini - ſtratoren in die benachbarten evangeliſchen Stifter, ſo ge - langten in den katholiſch gebliebenen die Soͤhne der katho - liſchen Fuͤrſten unmittelbar zur biſchoͤflichen Wuͤrde. Von allem Anfang hatte Gregor dem Herzog Albrecht verſpro - chen, nichts zu verſaͤumen, was zu ſeinem oder ſeiner Soͤhne Beſten ſeyn duͤrfte: in Kurzem ſehen wir zwei dieſer Soͤhne im Beſitze der ſtattlichſten Pfruͤnden: der eine von ihnen ſteigt allmaͤhlig zu den hoͤchſten Wuͤrden des Reiches1)Selbſt Pius V. maͤßigte ſeine ſtrengen Grundſaͤtze dem Herzog von Baiern gegenuͤber. Tiepolo: Relatione di Pio IV e V. „ D’altri principi secolari di Germania non si sa chi altro veramente sia cattolico che il Duca di Baviera: però in grati - ficatione sua il pontefice ha concesso che il figliolo, che di gran lunga non ha ancora l’età determinata dal concilio, hab - bia il vescovato Frisingense: cosa che non è da lui stata con - cessa ad altri. “.
44Buch V. Gegenreformationen.Allein auch uͤberdieß bekam Baiern durch die Stel - lung, die es annahm, an und fuͤr ſich eine hohe Bedeu - tung. Es verfocht ein großes Princip, das eben zu neuer Macht emporkam. Die mindermaͤchtigen deutſchen Fuͤrſten dieſer Geſinnung ſahen in Baiern eine Zeitlang ihr Oberhaupt.
Denn ſo weit nur die Macht des Herzogs reichte, beeiferte er ſich die katholiſche Lehre herzuſtellen. Kaum war ihm die Grafſchaft Haag angefallen, ſo ließ er die Proteſtanten, welche der letzte Graf daſelbſt geduldet, verja - gen, und Ritus und Glauben des Katholicismus wieder einfuͤhren. In der Schlacht bei Moncontour war Markgraf Philibert von Baden-Baden geblieben. Der Sohn deſſelben Philipp, erſt zehn Jahr alt, ward in Muͤnchen unter der Vormundſchaft Albrechts, wie ſich verſteht, im katholiſchen Glauben erzogen. Doch wartete der Herzog nicht ab, was der junge Markgraf thun werde, wenn er ſelbſt zur Re - gierung gekommen ſeyn wuͤrde; auf der Stelle ſchickte er ſeinen Landhofmeiſter Grafen Schwarzenberg und den Je - ſuiten Georg Schorich, die ſchon bei den Bekehrungen in Niederbaiern mit einander gearbeitet hatten, in das baden - ſche Gebiet, um es durch dieſelben Mittel katholiſch zu machen. Zwar brachten die proteſtantiſchen Einwohner kai - ſerliche Befehle hiegegen aus: aber man achtete nicht dar - auf: die Bevollmaͤchtigten fuhren fort, wie ſich der Ge - ſchichtſchreiber der Jeſuiten mit Wohlgefallen ausdruͤckt, „ der einfaͤltigen Menge Ohr und Gemuͤth fuͤr die himm - liſche Lehre frei zu machen. “ Das iſt: ſie entfernten die proteſtantiſchen Prediger, noͤthigten die Moͤnche, welche45Anfang derſelben in Deutſchland. Baden.nicht ganz orthodox geblieben, die abweichenden Lehren ab - zuſchwoͤren, beſetzten hohe und niedere Schulen mit katholi - ſchen Lehrmeiſtern, und verwieſen die Laien, welche ſich nicht fuͤgen wollten. Binnen zwei Jahren, 1570, 1571, war das ganze Land wieder katholiſch gemacht1)Sacchinus pars III, lib. VI, n. 88. lib. VII, n. 67. Agri - cola I, IV, 17. 18. Der Papſt pries den Herzog dafuͤr gebuͤh - rend. „ Mira perfunditur laetitia, “heißt es in jener Geſandtſchaft, „ cum audit, ill. Sertis Vrae opera et industria Marchionem Ba - densem in religione catholica educari, ad quod accedit cura in - gens, quam adhibuit in comitatu de Hag, ut catholica fides, a qua turpiter defecerant, restituatur. .
Waͤhrend dieß in den weltlichen Gebieten geſchah, er - hob ſich, mit einer noch unvermeidlicheren Nothwendigkeit, eine aͤhnliche Bewegung auch in den geiſtlichen.
Einmal waren die geiſtlichen deutſchen Fuͤrſten doch eben vor allem Biſchoͤfe, und die Paͤpſte verſaͤumten keinen Augenblick, die verſtaͤrkte Gewalt uͤber das Bisthum, die ihnen aus den tridentiniſchen Anordnungen entſprang, auch in Deutſchland geltend zu machen.
Zuerſt ward Caniſius mit den Exemplaren der Schluͤſſe des Conciliums an die verſchiedenen geiſtlichen Hoͤfe ge - ſandt. Er uͤberbrachte ſie nach Mainz, Trier, Coͤln, Os - nabruͤck und Wuͤrzburg2)Maderus de vita P. Canisii lib. II, c. II. Sacchinus III, II, 22.. Die officielle Ehrerbietung, mit welcher er empfangen wurde, belebte er mit gewandter Thaͤtigkeit. Dann kam die Sache auf dem Augsburger Reichstag von 1566 zur Sprache.
Papſt Pius V. hatte gefuͤrchtet, der Proteſtantismus werde hier neue Forderungen machen, neue Zugeſtaͤndniſſe46Buch V. Gegenreformationen.erhalten: ſchon hatte er ſeinen Nuntius angewieſen, im dringenden Falle mit einer Proteſtation hervorzutreten, wel - che Kaiſer und Fuͤrſten mit einer Beraubung aller ihrer Rechte bedrohen ſollte, ja er glaubte bereits, der Augenblick dazu ſey gekommen1)Catena: Vita di Pio V. p. 40. hat einen Auszug aus der Inſtruction. Gratiani: Vita Commendoni lib. III, c. II. . Der Nuntius, der die Sache in der Naͤhe ſah, hielt dieß nicht fuͤr gerathen. Er ſah, daß man nichts mehr zu fuͤrchten brauchte. Die Proteſtanten waren entzweit: die Katholiken hielten zuſammen. Oft verſammelten ſie ſich bei dem Nuntius, um uͤber gemein - ſchaftliche Maaßregeln zu berathſchlagen: Caniſius, unbeſchol - ten, hoͤchſt rechtglaͤubig und klug, hatte einen großen Ein - fluß auf die Perſonen: es war an keine Conceſſion zu den - ken: vielmehr iſt dieſer Reichstag der erſte, in welchem die katholiſchen Fuͤrſten einen erfolgreichen Widerſtand ent - wickelten. Die Ermahnungen des Papſtes fanden Ge - hoͤr: in einer abgeſonderten Verſammlung der geiſtlichen Fuͤrſten wurden die tridentiniſchen Schluͤſſe vorlaͤufig an - genommen.
Von dieſem Augenblick beginnt ein neues Leben in der katholiſchen Kirche in Deutſchland. Nach und nach wurden dieſe Beſchluͤſſe in Provinzialſynoden publicirt: Se - minarien wurden bei den biſchoͤflichen Sitzen eingerichtet: der erſte, der dieſer Anordnung Folge leiſtete, war, ſo viel ich finde, der Biſchof von Eichſtaͤdt, der das Collegium Wi - libaldinum gruͤndete2)Falkenſtein: Nordgauiſche Alterthuͤmer I, 222.: die Profeſſio fidei wurde von Hohen und Niederen unterzeichnet. Hoͤchſt wichtig iſt, daß47Anfang derſelben in Deutſchland. Trier.dieß auch auf den Univerſitaͤten geſchehen mußte. Es war eine Anordnung, welche von Lainez vorgeſchlagen, von dem Papſt gebilligt worden, und die nun in Deutſchland haupt - ſaͤchlich durch den Eifer des Caniſius ins Werk geſetzt ward. Nicht allein ſollten keine Anſtellungen, es ſollten ſelbſt keine Grade, auch nicht in der mediciniſchen Facultaͤt, ohne die Unterſchrift der Profeſſio ertheilt werden. Die erſte Uni - verſitaͤt wo man dieß einfuͤhrte, war, ſo viel ich finde, Dil - lingen: allmaͤhlig folgten die andern. Es begannen die ſtrengſten Kirchenviſitationen. Die Biſchoͤfe, die bisher ſehr nachſichtig geweſen, zeigten Eifer und Devotion.
Ohne Zweifel einer der eifrigſten unter ihnen war Jacob von Eltz, vom Jahre 1567 bis zum Jahre 1581 Churfuͤrſt von Trier. Er war noch in der alten Loͤwener Disciplin erzogen: von jeher widmete er dem Katholicis - mus auch literariſche Bemuͤhungen: er ſelbſt hat ein Mar - tyrologium zuſammengetragen und Gebete fuͤr die Horen verfaßt: an der Einfuͤhrung der Jeſuiten in Trier nahm er ſchon unter ſeinem Vorgaͤnger den groͤßten Antheil. Eben dieſen uͤbertrug er nun, als er ſelbſt zur Regierung ge - kommen, die Viſitation ſeines Sprengels. Selbſt die Schul - meiſter mußten die Profeſſio fidei unterſchreiben. Unter den Geiſtlichen ward nach dem methodiſchen Geiſt der Je - ſuiten eine ſtrenge Zucht und Unterordnung eingefuͤhrt: je - den Monat mußte der Pfarrer an den Decan, am Schluß des Vierteljahrs der Decan an den Erzbiſchof berichten: die Widerſtrebenden wurden ohne Weiteres entfernt. Ein Theil der Tridentiner Anordnungen ward fuͤr die Dioͤceſen gedruckt und zu Jedermanns Nachachtung bekannt gemacht:48Buch V. Gegenreformationen.um alle Verſchiedenheiten des Ritus zu heben, ward eine neue Agende publicirt. Das geiſtliche Gericht empfing be - ſonders durch Barth. Bodeghem von Delft eine neue ſtrenge Einrichtung. Das vornehmſte Vergnuͤgen des Erz - biſchofs ſchien es auszumachen, wenn ſich Jemand fin - den ließ, der von dem Proteſtantismus wieder abtruͤnnig wurde. Einen ſolchen verfehlte er niemals, ſelber einzu - ſegnen1)Browerus: Annales Trevirenses II, XXII, 25: uͤberhaupt hier unſer vornehmſter Gewaͤhrsmann..
Zu dieſer Pflicht des Amtes aber, dem Verhaͤltniß gegen Rom kamen nun auch Beweggruͤnde anderer Art. Die geiſtlichen Fuͤrſten hatten die Antriebe der weltlichen ihre Landſchaften zu ihrer Religion zuruͤckzubringen eben ſo gut, wie dieſe, ja vielleicht noch in hoͤherm Grade, da eine zum Proteſtantismus neigende Bevoͤlkerung ihnen um ih - res prieſterlichen Charakters willen eine um ſo ſtaͤrkere Op - poſition machen mußte.
Zuerſt begegnet uns dieſer wichtige Moment der deut - ſchen Geſchichte eben in Trier. Auch die Erzbiſchoͤfe von Trier waren, wie andere geiſtliche Herrn, mit ihrer Haupt - ſtadt von jeher in Streitigkeiten. In dem ſechszehnten Jahrhundert geſellte ſich ein proteſtantiſches Element hinzu: beſonders dem geiſtlichen Gericht ſetzte man hartnaͤckigen Widerſtand entgegen. Jacob von Eltz fand ſich endlich ver - anlaßt, die Stadt foͤrmlich zu belagern. Er blieb Meiſter mit den Waffen; dann brachte er ein Urtel des Kaiſers aus, das ihm guͤnſtig war. Hierauf noͤthigte er die Buͤrger zu weltlichem und geiſtlichem Gehorſam.
49Anfang derſelben in Deutſchland. Mainz.Und noch etwas anderes that er, was eine allgemeine Wirkung nach ſich zog. Im J. 1572 ſchloß er die Prote - ſtanten unwiderruflich von ſeinem Hofe aus. Namentlich fuͤr den Landesadel, der fuͤr ſein Fortkommen auf den Hof angewieſen war, hatte dieß große Bedeutung. Alle Aus - ſichten fuͤr die Zukunft wurden ihm abgeſchnitten: und gar Mancher mag hiedurch zum Ruͤcktritt zu der alten Re - ligion veranlaßt worden ſeyn.
Auch der Nachbar von Trier, Daniel Brendel, Chur - fuͤrſt von Mainz, war ſehr gut katholiſch. Wider den allge - meinen Rath ſeiner Umgebung ſtellte er die Frohnleichnams - proceſſion wieder her, und fungirte ſelbſt dabei: nie haͤtte er ſeine Vesper verſaͤumt: — von den Sachen, welche ein - liefen, ließ er ſich immer zuerſt die geiſtlichen vortragen: unter ſeinen geheimen Raͤthen zeigte er ſich denen am ge - wogenſten, die am eifrigſten katholiſch waren: — die Je - ſuiten preiſen die Gunſt, die ſie von ihm erfahren: auch nach dem Collegium Germanicum zu Rom ſchickte er ei - nige Zoͤglinge1)Serarius: Moguntiacarum rerum libri V: in dem Ab - ſchnitt uͤber Daniel beſonders cap. VIII, XI, XXII, XXIII. . Aber ſo weit zu gehn, wie Jacob von Eltz, fuͤhlte er ſich nicht bewogen. Nicht ohne eine ge - wiſſe Ironie iſt ſein Religionseifer. Als er die Jeſuiten einfuͤhrte, machten ihm viele von ſeinen Landſaſſen Vor - ſtellungen dagegen: „ wie, “ſagte er, „ ihr duldet mich, der ich meine Pflicht doch nicht gehoͤrig thue: und wollt Leute nicht dulden, welche ihre Pflicht ſo gut erfuͤllen? “ 2)Valerandus Sartorius bei Serarius p. 921.Man hat uns nicht uͤberliefert, was er den Jeſuiten ge -Päpſte* 450Buch V. Gegenreformationen.antwortet haben mag, wenn ſie nun auf die voͤllige Aus - rottung des Proteſtantismus in dem Lande drangen. We - nigſtens litt er Lutheraner und Calviniſten fortwaͤhrend in der Stadt und am Hofe: in einigen Ortſchaften duldete er ſelbſt den evangeliſchen Ritus1)Klagen Robert Turners: der einen Bonifacius ſuchte und nur einen „ principem politicum “fand. Bei Serarius p. 947.: wahrſcheinlich je - doch nur deshalb, weil er ſich nicht ſtark genug fuͤhlte ihn zu erdruͤcken. In einem entfernteren Theile ſeines Ge - bietes, wo ihn keine ſo maͤchtigen und kriegsluſtigen Nach - barn bedrohten, wie die Pfalzgrafen am Rhein, that auch er entſcheidende Schritte. Die Herſtellung des Katholicis - mus auf dem Eichsfeld iſt ſein Werk. Durch die Gunſt des Adels hatte ſich auch hier der Proteſtantismus feſtge - ſetzt; ſelbſt in Heiligenſtadt unter den Augen des Stiftes, welches das Patronat aller Kirchen beſaß, war er gleich - wohl eingedrungen: es gab einen lutheriſchen Prediger da - ſelbſt: die Communion ward unter beiden Geſtalten aus - getheilt: einſtmals haben nur noch zwoͤlf angeſehene Buͤrger zu Oſtern das Abendmahl nach katholiſchem Gebrauch ge - nommen2)Johann Wolf: Geſchichte und Beſchreibung von Heiligen - ſtadt p. 59.. Eben in dieſer Zeit — im Jahre 1574 — erſchien der Erzbiſchof perſoͤnlich auf dem Eichsfeld von zwei Jeſuiten begleitet, um eine Kirchenviſitation zu hal - ten. Zu aͤußerſten Gewaltthaten ſchritt er nicht: doch wandte er Mittel an, welche wirkſam waren. In Hei - ligenſtadt entfernte er den proſtantiſchen Prediger und ſtif - tete dafuͤr ein Collegium von Jeſuiten. Er verwies Nie - mand aus dem Rath; aber durch einen kleinen Zuſatz zu51Anfang derſelben in Deutſchland. Eichsfeld.dem Rathseide, kraft deſſen ſich jeder Rathsherr ver - pflichtete S. Churfuͤrſtlichen Gnaden in geiſtlichen und weltlichen Sachen zu gehorſamen, verhinderte er den Ein - tritt von Proteſtanten fuͤr die Zukunft. Die Hauptſache war dann, daß er einen entſchieden katholiſchen Oberamt - mann aufſtellte, Leopold von Stralendorf, der ſich nicht ſcheute den milderen Maaßregeln des Herrn aus eigener Macht ſtrenge nachfolgen zu laſſen, und in einer folgerech - ten Verwaltung von 26 Jahren die katholiſche Lehre in Stadt und Land wieder zu der herrſchenden machte. Ohne auf den Widerſpruch des Adels Ruͤckſicht zu nehmen, verjagte er die proteſtantiſchen Prediger auch auf dem Lande, und ſetzte die Zoͤglinge der neuen Jeſuitenſchule an ihre Stelle.
Schon hatte in jenen Gegenden ein anderer geiſtlicher Fuͤrſt das Beiſpiel hiezu gegeben.
In dem Stifte Fulda war die evangeliſche Religions - uͤbung bereits von ſechs Aebten geduldet worden, und auch der junge Abt Balthaſar von Dernbach, genannt Gravel, verſprach bei ſeiner Wahl im Jahre 1570 es dabei zu laſ - ſen. Allein ſey es daß die Gunſt, die ihm der paͤpſtliche Hof zu Theil werden ließ, ſeinen Ehrgeiz entflammte: oder daß er in der Herſtellung des Katholicismus die Mittel ſah, ſeine allerdings unbedeutende Macht zu vermehren: oder daß irgend eine tiefere Sinnesaͤnderung in ihm Statt fand: allmaͤhlig zeigte er ſich dem Proteſtantismus nicht allein abgeneigt, ſondern feindſelig. Zuerſt berief er die Jeſuiten. Er kannte keinen: er hatte nie ein Collegium geſehen: nur der allgemeine Ruf, die Schilderung die ihm ein paar Schuͤler des Collegiums von Trier machten, und4*52Buch V. Gegenreformationen.vielleicht die Empfehlungen Daniel Brendels beſtimmten ihn. Mit Vergnuͤgen kamen die Ordensmaͤnner; Mainz und Trier ſtifteten hier eine gemeinſchaftliche Colonie: der Abt baute ihnen Haus und Schule und wies ihnen eine Penſion an: er ſelbſt, denn noch war er ſehr unwiſſend, nahm bei ihnen Unterricht1)Reiffenberg: Historia societatis Jesu ad Rhenum infe - riorem I, VI, II, der an dieſer Stelle die Notizen des Sacchinus (III, VII, 68.) aus einem fuͤr ihn gefertigten Tractat des Jeſuiten Feurer vermehrt. Von proteſtantiſcher Seite: Beſchwerden der Stadt Fulda und deſſelben Stiftes Ritterſchaft, bei Lehmann: de pace religionis II, IX, 257..
Zunaͤchſt mit ſeinem Capitel, das in Dingen dieſer Art ein Wort mitzuſprechen hatte, und dieſe Berufung keines - weges billigte, gerieth der Abt hiedurch in ein ſchlechtes Verhaͤltniß: bald aber griff er auch die Stadt an. Er be - kam dazu die erwuͤnſchteſte Gelegenheit.
Der Pfarrer von Fulda, der bisher die evangeliſche Lehre gepredigt, trat zu dem Katholicismus zuruͤck, und fing wieder an, die Taufe lateiniſch zu vollziehen: das Abendmahl nur unter Einer Geſtalt zu reichen. Die Buͤr - gerſchaft, des evangeliſchen Ritus laͤngſt gewohnt, wollte ſich dieß nicht ſo gutwillig gefallen laſſen und forderte die Entfernung dieſes Pfarrers. Sie fand, wie man den - ken kann, kein Gehoͤr. Nicht allein ward in der Haupt - kirche der katholiſche Ritus ſtreng ausgeuͤbt: auch aus den Nebenkirchen wurden die evangeliſchen Prediger nach und nach verwieſen, und Jeſuiten eingeſetzt. Schon vertauſchte der Abt ſeine proteſtantiſchen Raͤthe und Beamte mit ka - tholiſchen.
Es war vergebens, daß der Adel hiegegen Vorſtel -53Anfang derſelben in Deutſchland. Fulda.lungen machte: gleichſam verwundert entgegnete Abt Bal - thaſar: er hoffe, man werde ihm nicht Maaß geben wollen, wie er die ihm von Gott befohlene Landſchaft zu regieren habe. Einige maͤchtige Reichsfuͤrſten ordneten eine Geſandt - ſchaft an ihn ab, um ihn zur Einſtellung ſeiner Neuerun - gen, zur Entfernung der Jeſuiten zu bewegen: aber er blieb unerſchuͤtterlich. Vielmehr bedrohte er bereits auch die Ritterſchaft. Sie nahm eine Art von Reichsunmittelbar - keit in Anſpruch, welche ſehr beſchraͤnkt worden waͤre, wenn der geiſtliche Oberherr religioͤſen Gehorſam haͤtte er - zwingen duͤrfen.
Und ſo erhob ſich der Katholicismus, der bereits be - ſiegt ſcheinen konnte, mit verjuͤngter Kraft in Deutſchland. Die mannigfaltigſten Motive trugen dazu bei: der Reli - gion und der Lehre die wieder um ſich griff, der durch die Beſchluͤſſe von Trident erneuerten kirchlichen Unterord - nung, vornehmlich auch Beweggruͤnde der innern Politik: es lag am Tage, wie viel maͤchtiger ein Fuͤrſt wurde, wenn die Unterthanen ſeinem Glauben folgten. Zwar hatte die kirchliche Reſtauration erſt einzelne Punkte eingenommen: aber ſie boten eine unermeßliche Ausſicht dar. Namentlich mußte es von der groͤßten Wichtigkeit werden, daß die geiſtlichen Fuͤrſten keinen allgemeinern Widerſpruch fan - den. Bei dem Religionsfrieden hatte man die proteſtanti - ſchen Gemeinden in den geiſtlichen Gebieten durch eine be - ſondere kaiſerliche Declaration zu ſichern geſucht: die geiſt - lichen Fuͤrſten laͤugneten jetzt, von dieſer Declaration zu wiſſen: auf keinen Fall kuͤmmerten ſie ſich darum. Die kaiſerliche Macht war nicht ſtark, nicht entſchloſſen genug, um eine durchgreifende Entſcheidung hiegegen zu faſſen, ge -54Buch V. Gegenreformationen.ſchweige denn geltend zu machen. In den Reichsverſamm - lungen ſelbſt war nicht Energie noch Einheit genug, um daruͤber zu halten: — die groͤßten Veraͤnderungen geſcha - hen ohne alles Geraͤuſch, ohne daß man ſie recht bemerkte, ohne daß man ſie auch nur in den Geſchichtsbuͤchern auf - zeichnete, gleich als koͤnnte es nicht anders ſeyn.
Waͤhrend nun die katholiſchen Beſtrebungen in Deutſch - land ſo maͤchtig vordrangen, erhoben ſie ſich auch in den Niederlanden und in Frankreich, wiewohl auf eine ſehr abweichende Art.
Der Grundunterſchied iſt, daß es in dieſen Laͤndern ſtarke centrale Gewalten gab, welche an jeder Bewegung ſelbſtthaͤtigen Antheil nahmen, die religioͤſen Unternehmun - gen leiteten, und von dem Widerſtand unmittelbar beruͤhrt wurden.
Die Verhaͤltniſſe haben deshalb eine groͤßere Einheit, die Unternehmungen mehr Zuſammenhang und Nachdruck.
Man weiß, wie mancherlei Maaßregeln Philipp II. im Anfange ſeiner Regierung in den Niederlanden zur Ein - fuͤhrung eines vollkommenen Gehorſams ergriff; von ei - ner nach der andern mußte er abſtehn: nur an denen hielt er mit unerbittlicher Strenge feſt, die zur Behaup - tung des Katholicismus, der geiſtlichen Einheit dienen ſollten.
Durch die Errichtung neuer Erzbisthuͤmer und Bis - thuͤmer veraͤnderte er die geiſtliche Verfaſſung des Landes55Gewaltthaͤtigkeiten in den Niederlanden.vollkommen: keinen Widerſpruch ließ er ſich darin ſtoͤren, keine Berufung auf Rechte, die er allerdings dadurch verletzte.
Dieſe Bisthuͤmer bekamen aber eine doppelte Bedeu - tung, ſeitdem das tridentiniſche Concilium die Kirchendis - ciplin ſo ausnehmend geſchaͤrft hatte. Nach kurzem Beden - ken nahm Philipp II. die Decrete des Conciliums an, und ließ ſie auch in den Niederlanden verkuͤndigen. Das Le - ben, das bisher Mittel gefunden ſich ohne großen Zwang zu bewegen, ſollte unter ſcharfe Aufſicht genommen, und auf das ſtrengſte einer Form unterworfen werden, der es eben ſich zu entziehen im Begriff ſtand.
Dazu kamen nun die Strafbefehle, deren in den Nie - derlanden ſchon unter der vorigen Regierung ſo viele ge - geben worden, der Eifer der Inquiſitoren, den das neue roͤmiſche Tribunal von Tag zu Tag mehr anſpornte.
Die Niederlaͤnder unterließen nichts, um den Koͤnig zu einer Milderung ſeiner Strenge zu bewegen, und zu - weilen ſchien es wohl, als ſey er dazu geneigt: Graf Eg - mont glaubte bei ſeiner Anweſenheit in Spanien Zuſiche - rungen davon empfangen zu haben. Jedoch es war ſchon an ſich ſchwer zu erwarten. Wir beruͤhrten, wie ſehr die Herrſchaft Philipps II. allenthalben auf einem geiſtlichen Moment beruhte: haͤtte er den Niederlaͤndern Conceſſionen gemacht, ſo wuͤrde man deren auch in Spanien gefordert haben, wo er ſie niemals gewaͤhren konnte. Es lag auch uͤber ihm — verkennen wir es nicht — eine zwingende Nothwendigkeit. Aber außerdem waren dieß die Zeiten, in welchen die Erhebung und die erſten Handlungen Pius V. in der ganzen katholiſchen Chriſtenheit einen neuen Eifer56Buch V. Gegenreformationen.hervorbrachten: auch Philipp II. fuͤhlte eine ungewohnte Hingebung fuͤr dieſen Papſt, und lieh ſeinen Ermahnungen ein offenes Ohr: eben ſchlug man den Anfall der Tuͤrken von Malta ab, und die Devoten, die Feinde der Niederlaͤn - der moͤgen, wie der Prinz von Oranien vermuthet, den Ein - druck des Sieges benutzt haben, um den Koͤnig zu einem heftigen Entſchluß zu bringen1)Der Prinz hat Granvella in Verdacht. S. ſein Schreiben in den Archives de la maison d’Orange-Nassau I, 289.. Genug gegen Ende 1565 erfolgte ein Edict das alle vorhergegangenen an Strenge uͤbertraf.
Die Strafbefehle, die Schluͤſſe des Conciliums und der ſeitdem gehaltenen Provinzialſynoden ſollten unverbruͤch - lich gehandhabt, allein von den Inquiſitoren die Erkennt - niß uͤber geiſtliche Vergehen ausgeuͤbt werden. Alle Be - hoͤrden wurden angewieſen, dazu Beiſtand zu leiſten. In jeder Provinz ſollte ein Commiſſar uͤber die Ausfuͤhrung dieſer Anordnung wachen, und daruͤber von drei Monat zu drei Monat Bericht erſtatten2)Strada nach einer Formel vom 18. Dez. 1565. lib. IV, p. 94..
Es liegt am Tage, daß hiedurch eine geiſtliche Regie - rung eingefuͤhrt werden mußte, wenn nicht ganz wie in Spanien, doch gewiß wie in Italien.
Hieruͤber geſchah es, daß ſich das Volk bewaffnete, der Bilderſturm ausbrach, das ganze Land in Feuer und Flamme gerieth; — es kam ein Augenblick, wo die Staats - gewalt ſogar zur Nachgiebigkeit genoͤthigt wurde. Aber wie es zu geſchehen pflegt, die Gewaltſamkeiten zerſtoͤrten ihren eigenen Zweck: die gemaͤßigten und ruhigen Einwoh -57Gewaltthaͤtigkeiten in den Niederlanden.ner wurden dadurch erſchreckt und der Regierung Huͤlfe zu leiſten bewogen: die Oberſtatthalterin behielt den Sieg: nach - dem ſie die rebelliſchen Ortſchaften eingenommen, durfte ſie bereits wagen, den Beamten, ja den Lehnsleuten des Koͤ - nigs uͤberhaupt einen Eid vorzulegen, durch den ſie ſich zur Erhaltung des katholiſchen Glaubens, zur Bekaͤmpfung der Ketzer foͤrmlich verpflichteten1)Brandt: Histoire de la réformation des pays bas I, 156..
Dem Koͤnige aber ſchien dieß noch nicht genug. Es war der ungluͤckliche Moment, in welchen die Kataſtro - phe ſeines Sohnes Don Carlos faͤllt: nie war er ſtren - ger, unbeugſamer. Der Papſt ermahnte ihn noch einmal, kein Zugeſtaͤndniß zum Nachtheil des Katholicismus zu machen: der Koͤnig verſicherte S. Heiligkeit, „ er werde nicht dulden, daß die Wurzel einer boͤsartigen Pflanze in den Niederlanden verbleibe: er wolle die Provinzen entwe - der verlieren oder die katholiſche Religion darin aufrecht erhalten “2)Cavalli Dispaccio di Spagna 7 Ag. 1567: Rispose il re, che quanto alle cose della religione S. Santità stasse di buon animo, che ovvero si han da perder tutti quei stati o che si conserverà in essi la vera cattolica religione, nè comporterà che vi rimanghi, per quanto potrà far lui, alcuna radice di mala pianta. . Um ſeine Abſichten zu vollbringen, ſchickte er noch, nachdem die Unruhen beigelegt waren, ſeinen be - ſten Feldherrn, den Herzog von Alba, und ein treffliches Heer in die Niederlande hinuͤber.
Faſſen wir wenigſtens den Grundgedanken auf, aus welchem das Verfahren Alba’s hrrvorging.
Alba war uͤberzeugt, daß man in gewaltſamen, revo -58Buch V. Gegenreformationen.lutionaͤren Bewegungen eines Landes alles ausrichte, wenn man ſich der Haͤupter entledige. Daß Carl V. nach ſo vielen und großen Siegen aus dem deutſchen Reiche doch ſo gut wie verſtoßen worden war, leitete er von der Nachſicht die - ſes Fuͤrſten her, der die Feinde, welche in ſeine Hand gefal - len, verſchont habe. Es iſt oft von der Verbindung die Rede geweſen, welche im Jahre 1565 bei der Zuſammen - kunft von Bayonne zwiſchen Franzoſen und Spaniern ge - geſchloſſen worden, von den Verabredungen, die man da getroffen habe: von allem, was man daruͤber geſagt hat, iſt nur ſo viel gewiß, daß der Herzog von Alba die Koͤnigin von Frankreich aufforderte, ſich der Oberhaͤupter der Hu - genotten, auf welche Weiſe auch immer, zu entledigen. Was er damals gerathen, trug er kein Bedenken, jetzt ſelbſt aus - zufuͤhren. Philipp II. hatte ihm einige mit der koͤnigli - chen Unterſchrift verſehene Blanquets mitgegeben. Der erſte Gebrauch, den er davon machte, war, daß er Egmont und Horn gefangen ſetzen ließ, von denen er annahm, daß ſie an den vorigen Bewegungen Schuld gehabt. „ Heilige ka - tholiſche Majeſtaͤt, “faͤngt der Brief an, den er an den Koͤnig hieruͤber ſchrieb, und der doch zu beweiſen ſcheint, daß er dazu keinen ausdruͤcklichen Befehl hatte, „ nachdem ich in Bruͤſ - ſel angelangt bin, habe ich gehoͤrigen Orts die noͤthigen Erkundigungen eingezogen, und mich darauf des Grafen von Egmont verſichert, auch den Grafen von Horn und einige Andere verhaften laſſen. “ 1)Dispaccio di Cavalli 16 Sett. Die bisherige Regentin ließ ſich uͤber die Gefangennehmung bei dem Koͤnige beklagen. Der Koͤnig antwortete: er habe ſie nicht befohlen. Um dieß zu bewei -Will man wiſſen,59Gewaltthaͤtigkeiten in den Niederlanden.weshalb er das Jahr darauf die Gefangenen zur Hinrich - tung verurtheilte? Es war nicht etwa eine aus dem Pro - ceß entſprungene Ueberzeugung ihrer Schuld: — es fiel ihnen mehr zur Laſt, daß ſie die Bewegungen nicht ver - hindert, als daß ſie dieſelben veranlaßt hatten: auch war es kein Befehl des Koͤnigs, der es vielmehr dem Herzog uͤberließ, die Execution zu vollziehen oder auch nicht, je nachdem er es fuͤr dienlicher halte: — der Grund war folgender. Eine kleine Schaar Proteſtanten war in dem Lande eingedrun - gen: zwar hatte ſie nichts von Bedeutung ausgerichtet, aber bei Heiligerlee hatte ſie doch einen Vortheil erfoch - ten, und ein koͤniglicher Feldhauptmann von vielem Ruf, der Herzog von Arenberg, war dabei geblieben. In ſei - nem Schreiben an den Koͤnig ſagt nun Alba: er habe be - merkt, daß das Volk durch dieſen Unfall in Gaͤhrung ge - rathen und trotzig geworden ſey: er habe es fuͤr nothwen - dig gehalten, den Leuten zu zeigen, daß er ſie nicht fuͤrchte, in keinerlei Weiſe: auch habe er ihnen die Luſt benehmen wollen, durch neue Unruhen die Befreiung der Gefange - nen zu bewerkſtelligen: ſo ſey er zu dem Entſchluß gekom - men, die Execution ſofort an ihnen vollziehen zu laſſen. So mußten die edlen Maͤnner ſterben, deren ganzes Ver -1)ſen, zeigte er den Brief von Alba vor: von dem uns die beweiſende Stelle hiebei mitgetheilt wird. Sie lautet: Sacra cattolica Maestà, da poi ch’ io gionsi in Brusselles, pigliai le information da chi dovea delle cose di qua, onde poi mi son assicurato del conte di Agmon e fatto ritener il conte d’Orno con alquanti altri. Sarà ben che V. M. per bon rispetto ordini ancor lei che sia fatto l’istesso di Montigni (der in Spanien war) e suo ajutante di camera. — Hierauf erfolgte die Gefangennehmung Montigny’s.60Buch V. Gegenreformationen.brechen in der Vertheidigung der althergebrachten Freihei - ten ihres Vaterlandes beſtand, an denen keine todeswuͤrdige Schuld zu entdecken war: mehr der momentanen Ruͤck - ſicht einer trotzigen Politik als dem Rechtsprincip zum Opfer fielen ſie. Eben damals erinnerte ſich Alba an Carl V., deſſen Fehler er nicht auch begehn wollte1)Cavalli theilt beim 3. Juli 1568 auch dieß Schreiben im Aus - zuge mit. Es iſt wo moͤglich noch merkwuͤrdiger als das obige. Ca - pitò qui l’avviso della giustitia fatta in Fiandra contra di quelli poveri Signori prigioni, intorno alla quale scrive il D. d’Alva, che habendo facoltà di S. M. di far tal esecutione o soprastare secondo che havesse riputato più espediente del suo servitio, che però vedendo li popoli un poco alterati et insuperbiti per la morte d’Arenberg e rotta di quelli Spagnoli, havea giudicato tempo opportuno e necessario per tal effetto per dimostrar di non temer di loro in conto alcuno, e poner con questo terrore a molti levandoli la speranza di tumultuar per la loro libera - tione, e fuggir di cascar nell’ errore nel quale incorse l’impera - tore Carlo, il qual per tener vivo Saxonia e Langravio diede oc - casione di nova congiura, per la quale S. M. fu cacciata con poca dignità della Germania e quasi dell’ impero. .
Wir ſehen, Alba war grauſam aus Grundſatz. Wer haͤtte vor dem furchtbaren Tribunal, das er unter dem Na - men des Rathes der Unruhen einrichtete, Gnade gefunden? Mit Verhaftungen und Executionen regierte er die Provin - zen: die Haͤuſer der Verurtheilten riß er nieder: ihre Guͤter zog er ein. Mit den kirchlichen verfolgte er zugleich die po - litiſchen Zwecke: die alte Gewalt der Staͤnde bedeutete nichts mehr: ſpaniſche Truppen erfuͤllten das Land, und in der wichtigſten Handelsſtadt ward ihnen eine Citadelle errich - tet: mit hartnaͤckigem Eigenſinn beſtand Alba auf die Ein - treibung der verhaßteſten Abgaben: und in Spanien wun -61Gewaltthaͤtigkeiten in Frankreich.derte man ſich nur — denn auch von dort zog er bedeutende Summen — was er mit alle dem Gelde mache; aber wahr iſt es: das Land war gehorſam: kein Mißvergnuͤgter ruͤhrte ſich: jede Spur des Proteſtantismus verſchwand: die Ver - jagten in der Nachbarſchaft hielten ſich ſtille.
„ Monſignore, “ſagte waͤhrend dieſer Ereigniſſe ein geheimer Rath Philipps II. zu dem paͤpſtlichen Nuntius, „ ſeyd ihr nun mit dem Verfahren des Koͤnigs zufrieden? “ Der Nuntius erwiederte laͤchelnd: „ ganz zufrieden. “
Alba ſelbſt glaubte ein Meiſterſtuͤck ausgefuͤhrt zu ha - ben. Nicht ohne Verachtung blickte er auf die franzoͤſiſche Regierung, welche in ihrem Lande niemals Herr zu wer - den vermochte.
In Frankreich war nemlich, nach jenem großen Auf - ſchwunge des Proteſtantismus, im Jahre 1562 vor allem in der Hauptſtadt eine ſtarke Reaction gegen denſelben her - vorgetreten.
Was dem Proteſtantismus in Frankreich den groͤßten Schaden that, war ohne Zweifel, daß er ſich mit den Factionen des Hofes in ſo enges Verhaͤltniß ſetzte. Eine Zeitlang ſchien ſich alles zu dem Bekenntniß hinzuneigen; als aber ſeine Anhaͤnger zu den Waffen griffen und Ge - waltſamkeiten begingen, wie ſie nun einmal vom Kriege unzertrennlich ſind, verloren ſie die Gunſt der oͤffentlichen Meinung. Was iſt das fuͤr eine Religion? fragte man, wo hat Chriſtus befohlen, den Naͤchſten zu berauben, ſein Blut zu vergießen? Beſonders als man ſich in Paris ge -62Buch V. Gegenreformationen.gen die Angriffe Condé’s in Vertheidigungsſtand ſetzte, be - kamen alle Anſtalten eine antiproteſtantiſche Farbe. Die waffenfaͤhige Mannſchaft der Stadt ward militaͤriſch or - ganiſirt: die Capitaͤne denen man ſie unterwarf mußten vor allen Dingen katholiſch ſeyn. Die Mitglieder der Uni - verſitaͤt, des Parlamentes, die ſo zahlreiche Claſſe der Ad - vocaten eingeſchloſſen, mußten eine Glaubensformel von rein katholiſchem Inhalte unterzeichnen.
Unter dem Einfluß dieſer Stimmung ſetzten ſich die Jeſuiten in Frankreich feſt. Sie fingen hier ziemlich klein an: ſie mußten ſich mit Collegien in Billon, Tournon, die ihnen ein paar geiſtliche Herrn, ihre Verehrer, eroͤffneten, begnuͤgen, Orten, vom Mittelpunkte des Landes entfernt, wo ſich niemals etwas Bedeutendes ausrichten ließ. In den großen Staͤdten, vor allem in Paris, fanden ſie an - fangs den hartnaͤckigſten Widerſtand. Sorbonne, Parla - ment, Erzbiſchof, die ſich ſaͤmmtlich durch ihre Privilegien beeintraͤchtigt glaubten, waren wider ſie. Da ſie aber die Gunſt der eifrigen Katholiken und beſonders des Hofes er - warben, der dann nicht muͤde ward ſie zu empfehlen, „ wegen ihres muſterhaften Lebens, ihrer reinen Lehre, ſo daß viele Abgewichene durch ſie zum Glauben zuruͤckge - fuͤhrt worden, und Orient und Occident durch ihre Be - muͤhung das Angeſicht des Herrn erkenne “1)In einer Handſchrift der Berliner Bibliothek Mss. Gall. nr. 75 findet ſich unter andern auch folgendes Stuͤck: Deliberations et consultations au parlement de Paris touchant l’establissement des Jesuites en France, in welchem beſonders die Botſchaften des Hofes an das Parlament zu Gunſten der Jeſuiten enthalten ſind:, da jene63Gewaltthaͤtigkeiten in Frankreich.Veraͤnderung der Meinung hinzutrat, ſo drangen ſie end - lich durch, und gelangten in dem Jahre 1564 zu dem Rechte zu unterrichten. Da hatte ſich ihnen auch ſchon Lyon eroͤffnet. War es mehr Gluͤck oder mehr Verdienſt: ſie vermochten ſogleich mit ein paar glaͤnzenden Talenten aufzutreten. Den hugenottiſchen Predigern ſetzten ſie Ed - mund Augier entgegen, der in Frankreich geboren, aber in Rom unter Ignatius erzogen war, von dem die Pro - teſtanten ſelbſt geſagt haben ſollen, haͤtte er nicht den ka - tholiſchen Ornat an ſeinem Leibe, ſo wuͤrde es nie einen groͤßern Redner gegeben haben: — er brachte durch Rede und Schrift einen ungemeinen Eindruck hervor. Nament - lich in Lyon wurden die Hugenotten vollkommen beſiegt: ihre Prediger verjagt, ihre Kirchen zerſtoͤrt, ihre Buͤcher verbrannt: den Jeſuiten dagegen ward 1567 ein praͤchtiges Collegium errichtet. Auch einen ausgezeichneten Profeſſor hatten ſie, Maldonat, deſſen Bibelerklaͤrung die Jugend in Schaaren herbeizog und feſſelte. Von dieſen Hauptſtaͤdten nun durchzogen ſie das Reich nach allen Richtungen: in Toulouſe, in Bourdeaux ſiedelten ſie ſich an: allenthalben, wo ſie erſchienen, wuchs die Zahl der katholiſchen Com - municanten. Einen ungemeinen Beifall erwarb ſich der Ka - techismus des Augier: binnen 8 Jahren ſind allein in Paris 38000 Exemplare deſſelben verkauft worden1)Man findet dieſe Notizen bei Orlandinus und ſeinen Fort - ſetzern Pars I, lib. VI, nr. 30. II, IV, 84. III, III, 169 u. f. — Juvencius V, 24, 769 theilt eine Lebensbeſchreibung von Au - gier mit..
1)— „ infracta et ferocia pectora, “heißt es darin, „ gladio fldei acuto penetrarunt. “
64Buch V. Gegenreformationen.Wohl moͤglich, daß dieſe Wiederaufnahme der katho - liſchen Ideen, zumal da ſie ſich beſonders in der Haupt - ſtadt vollzog, auch auf den Hof gewirkt hat. Wenigſtens gewaͤhrte ſie ihm eine Stuͤtze mehr, als er ſich im Jahre 1568 nach langem Schwanken wieder einmal entſchloſſen katholiſch erklaͤrte.
Es hing das beſonders davon ab, daß Catharina Me - dici ſeit dem Eintritt der Volljaͤhrigkeit ihres Sohnes ſich um vieles feſter in der Gewalt fuͤhlte, und die hugenotti - ſchen Großen nicht mehr zu ſchonen brauchte, wie fruͤher. Das Beiſpiel Alba’s zeigte, wie viel ſich mit einem ſtand - haften Willen erreichen laſſe: der Papſt, der den Hof un - aufhoͤrlich ermahnte die Frechheit der Rebellen nicht noch mehr wachſen zu laſſen, ihr keinen Augenblick laͤnger zu - zuſehen, fuͤgte ſeinen Ermahnungen endlich auch die Er - laubniß zu einer Veraͤußerung von Kirchenguͤtern hinzu, aus welcher anderthalb Millionen Livres in die Caſſen floſ - ſen1)Catena: Vita di Pio V p. 79. . Und ſo legte Catharina Medici, ungefaͤhr wie ein Jahr fruͤher die Statthalterin in den Niederlanden, dem franzoͤſiſchen Adel einen Eid vor, kraft deſſen er jeder Ver - bindung entſagen ſollte, die ohne Vorwiſſen des Koͤnigs geſchloſſen ſey2)Der Eid bei Serranus: Commentarii de statu religionis in regno Galliae III, 153.: ſie forderte die Entfernung aller Magi - ſtrate in den Staͤdten, die ſich neuer Meinungen verdaͤchtig gemacht: ſie erklaͤrte im September 1563 Philipp II., ſie werde keine Religion dulden, als die katholiſche.
Ein Entſchluß, der ſich in Frankreich nicht ohne Ge -walt65Gewaltthaͤtigkeiten in Frankreich.walt der Waffen durchſetzen ließ. Auf der Stelle brach der Krieg aus.
Er ward von der katholiſchen Seite mit außerordent - lichem Eifer unternommen. Der Koͤnig von Spanien ſchickte den Franzoſen auf Bitten des Papſtes geuͤbte und wohlangefuͤhrte Truppen zu Huͤlfe. Pius V. ließ Col - lecten im Kirchenſtaat, Beiſteuern von den italieniſchen Fuͤrſten einſammeln, ja er ſelbſt der heilige Vater ſchickte auch ſeinerſeits eine kleine Armee uͤber die Alpen, eben die, der er jene grauſame Weiſung gab, jeden Hugenotten zu toͤdten, der in ihre Haͤnde gerathe, keinen Pardon zu er - theilen.
Auch die Hugenotten nahmen ſich zuſammen: auch ſie waren voll religioͤſen Eifers; in den paͤpſtlichen Soldaten ſahen ſie das Heer des Antichriſts, das gegen ſie heran - ruͤcke: auch ſie gaben keinen Pardon: an auswaͤrtiger Huͤlfe fehlte es ihnen eben ſo wenig: — jedoch bei Moncontour wurden ſie voͤllig geſchlagen.
Mit welcher Freude ſtellte Pius V. dann die erober - ten Standarten die man ihm zugeſandt in St. Peter und St. Johann Lateran auf! Er faßte die kuͤhnſten Hoffnun - gen. Eben unter dieſen Umſtaͤnden war es, daß er die Excommunication der Koͤnigin Eliſabeth ausſprach. Er ſchmeichelte ſich zuweilen mit dem Gedanken, eine Unter - nehmung gegen England noch einmal perſoͤnlich anzu - fuͤhren.
So weit kam es nun freilich nicht.
Wie es ſo oft geſchehen, trat auch jetzt am franzoͤſi - ſchen Hofe ein Umſchwung der Stimmung ein, der aufPäpſte* 566Buch V. Gegenreformationen.leichtem perſoͤnlichen Verhaͤltniß beruhend, eine große Ver - aͤnderung in den wichtigſten Angelegenheiten herbeifuͤhrte.
Der Koͤnig mißgoͤnnte ſeinem Bruder, Herzog von Anjou, der bei Moncontour angefuͤhrt hatte, die Ehre die Hugenotten zu beſiegen, das Koͤnigreich zu beruhigen. Seine Umgebung beſtaͤrkte ihn darin: auch ſie war auf die Um - gebung Anjous eiferſuͤchtig. Mit der Ehre, fuͤrchteten ſie, wuͤrde die Gewalt Hand in Hand gehn. Nicht al - lein wurden nun die erfochtenen Vortheile auf das lang - ſamſte verfolgt: in kurzem trat der ſtreng katholiſchen Par - tei, die ſich um Anjou ſammelte, an dem Hofe eine an - dere, gemaͤßigte entgegen, welche eine gerade entgegengeſetzte Politik einſchlug. Sie ſchloß Frieden mit den Hugenot - ten, und zog die Haͤupter derſelben an den Hof. Im Jahre 1569 hatten die Franzoſen im Bunde mit Spanien und dem Papſt die Koͤnigin von England zu ſtuͤrzen geſucht: im Sommer 1572 ſehen wir ſie im Bunde mit derſelben Koͤnigin, um den Spaniern die Niederlande zu entreißen.
Indeß war doch dieß eine zu raſche, zu wenig vorberei - tete Veraͤnderung, als daß ſie ſich haͤtte halten koͤnnen. Die gewaltſamſte Exploſion erfolgte, unter der zuletzt al - les wieder in den fruͤheren Gang einbog.
Es iſt wohl nicht anders, als daß die Koͤnigin Ca - tharina Medici, waͤhrend ſie auf die Politik, die Plaͤne der herrſchenden Partei, die wenigſtens zum Theil, in ſo - fern ſie ihren juͤngſten Sohn Alençon auf den Thron von England befoͤrdern zu muͤſſen ſchienen, auch in ihrem In - tereſſe lagen, nicht ohne Lebhaftigkeit und Waͤrme einging, dennoch alles zur Ausfuͤhrung eines entgegengeſetzten Schla -67Gewaltthaͤtigkeiten in Frankreich.ges vorbereitete. Sie trug, ſo viel ſie konnte, dazu bei, daß die Hugenotten nach Paris kamen: ſo zahlreich ſie auch waren, ſo wurden ſie doch hier von einer bei wei - tem uͤberlegenen, militaͤriſch organiſirten, fanatiſch erregba - ren Population umgeben und feſtgehalten. Schon in Vor - aus ließ ſie dem Papſt ziemlich deutlich anzeigen, was ſie hiemit beabſichtige. Haͤtte ſie aber auch noch gezweifelt, ſo wuͤrden die Umſtaͤnde ſie haben beſtimmen muͤſſen, wel - che in dieſem Momente eintraten. Den Koͤnig ſelbſt ge - wannen die Hugenotten: das Anſehen der Mutter ſchienen ſie zu uͤberwinden, zu verdraͤngen: in dieſer perſoͤnlichen Gefahr zoͤgerte ſie nicht laͤnger. Mit der unwiderſtehlichen und ma - giſchen Gewalt, die ſie uͤber ihre Kinder ausuͤbte, erweckte ſie in dem Koͤnige den ganzen Fanatismus, der in ihm ſchlief: es koſtete ihr ein Wort, um das Volk in die Waf - fen zu bringen: ſie ſprach es aus: von den vornehmſten Hugenotten ward jeder ſeinem perſoͤnlichen Feinde zugewie - ſen. Catharina hat geſagt, ſie habe nur ſechs Menſchen um - zubringen gewuͤnſcht: nur deren Tod nehme ſie auf ihr Gewiſſen: es ſind bei 50000 umgebracht worden1)Ich beziehe mich hiebei der Kuͤrze wegen auf meine Ab - handlung uͤber die Bartholomaͤusnacht in der hiſtor. polit. Zeit - ſchrift II, III. .
Und ſo uͤberboten die Franzoſen noch die niederlaͤn - diſchen Unternehmungen der Spanier. Was Dieſe mit berechnendem Calcul, unter den geſetzlichen Formen, nach und nach vollfuͤhrten, ſetzten Jene in der Hitze der Leiden - ſchaft, ohne alle Form, mit Huͤlfe fanatiſirter Maſſen ins Werk. Der Erfolg ſchien derſelbe zu ſeyn. Es war kein5*68Buch V. Gegenreformationen.Oberhaupt uͤbrig, zu deſſen Namen die zerſtreuten Huge - notten ſich haͤtten ſammeln koͤnnen: Viele flohen: Unzaͤh - lige ergaben ſich: von Ort zu Ort ging man wieder in die Meſſe: die Predigten verſtummten. Mit Vergnuͤgen ſah ſich Philipp II. nachgeahmt und uͤbertroffen: — er bot Carl IX., der nun erſt ein Recht auf den Titel eines al - lerchriſtlichſten Koͤnigs erworben habe, zur Vollendung die - ſer Unternehmung die Kraft ſeines Armes an. Papſt Gre - gor XIII. beging den großen Erfolg durch eine feierliche Proceſſion nach San Luigi. Die Venezianer, die hiebei kein beſonderes Intereſſe zu haben ſchienen, druͤcken in amt - lichen Schreiben an ihre Geſandten ihr Wohlgefallen „ an dieſer Gnade Gottes “aus.
Koͤnnten aber wohl Attentate von ſo blutiger Natur jemals gelingen? Widerſtreiten ſie nicht dem tiefern Ge - heimniß der menſchlichen Dinge, den unbegriffenen, in dem Innern wirkſamen, unverletzlichen Principien der ewi - gen Weltordnung? Die Menſchen koͤnnen ſich verblenden: das Geſetz der geiſtigen Weltordnung koͤnnen ſie nicht er - ſchuͤttern, auf dem ihr Daſeyn beruht. Mit der Nothwen - digkeit beherrſcht es ſie, die den Gang der Geſtirne regelt.
Macchiavell giebt ſeinem Fuͤrſten den Rath, die Grau - ſamkeiten, die er fuͤr noͤthig halte, raſch hintereinander zu vollziehen: hierauf aber allmaͤhlig die Gnade eintreten zu laſſen.
69Widerſtand der Proteſt. in den Niederlanden.Es ſchien faſt, als wollten die Spanier in den Nie - derlanden dieſe Lehre woͤrtlich befolgen.
Es ſchien, als faͤnden ſie am Ende ſelbſt, daß Guͤter genug eingezogen, Koͤpfe genug abgeſchlagen worden: daß die Zeit der Gnade gekommen ſey. Im Jahre 1572 iſt der venezianiſche Geſandte in Madrid uͤberzeugt, daß Ora - nien Verzeihung erhalten wuͤrde, wenn er darum bitten ſollte. Der Koͤnig empfaͤngt die niederlaͤndiſchen Deputir - ten, welche gekommen ſind, ihn um die Zuruͤcknahme der Auflage des zehnten Pfennigs zu erſuchen, mit vieler Guͤte, und dankt ihnen ſogar fuͤr ihre Bemuͤhungen: er hatte be - ſchloſſen Alba zuruͤckzurufen und einen milderen Statthal - ter hinuͤberzuſenden.
Jedoch ſchon war es zu ſpaͤt. Noch in Folge jener franzoͤſiſch-engliſchen Verbindung, welche der Bluthochzeit vorausging, brach die Empoͤrung aus. Alba hatte geglaubt, am Ende zu ſeyn: der Kampf fing jedoch nun erſt eigent - lich an: Alba ſchlug den Feind, ſo oft er ihn im offenen Felde traf: dagegen an den Staͤdten von Holland und Seeland, wo die religioͤſe Bewegung am tiefſten gegriffen und der Proteſtantismus ſich ſogleich zu lebendigen Orga - niſationen geſtaltet hatte, fand er einen Widerſtand, den er nicht zu uͤberwinden vermochte.
Als in Harlem alle Lebensmittel ausgegangen, bis auf das Gras, das zwiſchen den Steinen waͤchſt, beſchloſſen die Einwohner noch ſich mit Weib und Kind durchzuſchla - gen: zwar noͤthigte ſie die Zwietracht ihrer Beſatzung zu - letzt Gnade anzunehmen: aber ſie hatten doch gezeigt, daß man den Spaniern widerſtehn koͤnne. In Alkmar ſchloß70Buch V. Gegenreformationen.man ſich erſt in dem Augenblicke an den Prinzen von Ora - nien, als der Feind ſchon vor den Thoren angekommen; ſo heldenmuͤthig wie der Entſchluß, war die Vertheidigung: es waͤre Keiner vom Platz gewichen, er waͤre denn ſchwer verwundet geweſen: vor dieſen Waͤllen zuerſt ſcheiterten die Angriffe der Spanier. Das Land ſchoͤpfte Athem: ein neuer Muth erfuͤllte die Gemuͤther. Die Leidener erklaͤr - ten, ehe ſie ſich ergaͤben, wuͤrden ſie lieber ihren linken Arm aufeſſen, um ſich indeß mit dem rechten noch zu ver - theidigen. Sie faßten den kuͤhnen Anſchlag, die Wogen der Nordſee wider die Belagerer zu Huͤlfe zu rufen, ihre Daͤmme zu durchſtechen. Schon hatte ihr Elend den hoͤchſten Grad erreicht, als ein im rechten Augenblicke eintreffender Nord - weſt das Meer ein paar Fuß hoch in das Land trieb und den Feind verjagte.
Da hatten auch die franzoͤſiſchen Proteſtanten ſich wie - der ermannt. Sobald ſie wahrnahmen, daß ihre Regie - rung, jenem wilden Anlauf zum Trotz, ſchwanke, zaudere, widerſprechende Maaßregeln ergreife, ſetzten ſie ſich zur Wehre, und aufs neue kam es zum Kriege. Wie Leiden und Alkmar ſo vertheidigten ſich Sancerre und Rochelle. Die friedfertige Predigt rief zu den Waffen. Die Frauen ſtritten mit den Maͤnnern in die Wette. Es war die Hel - denzeit des weſteuropaͤiſchen Proteſtantismus.
Jenen Greuelthaten, wie ſie von den maͤchtigſten Fuͤr - ſten begangen oder gutgeheißen worden, ſetzte ſich an ein - zelnen namenloſen Punkten ein Widerſtand entgegen, den keine Gewalt zu bezwingen vermochte, deſſen geheimnißvol - ler Urſprung die Tiefe religioͤſer Ueberzeugung ſelber war.
71Widerſtand der Proteſtanten in Frankreich.Und nun kann es hier nicht unſere Abſicht ſeyn, Gang und Wechſelfaͤlle des Krieges in Frankreich und den Nie - derlanden zu beobachten: es wuͤrde uns zu weit von dem Mittelpunkte unſers Gegenſtandes entfernen: auch iſt es in vielen andern Buͤchern beſchrieben: — genug die Pro - teſtanten hielten ſich.
In Frankreich mußte ſich die Regierung bereits 1573 und darauf in den folgenden Jahren mehrere Male zu Ver - traͤgen entſchließen, welche den Hugenotten die alten Zuge - ſtaͤndniſſe erneuerten.
In den Niederlanden war im Jahre 1576 die Macht der Regierung voͤllig in ſich zerfallen. Da die ſpaniſchen Truppen, denen man ihren Sold nicht gezahlt, in offener Empoͤrung waren, hatten ſich alle Provinzen wider ſie ver - einigt, die getreu verbliebenen mit den abgefallenen, die noch zum groͤßern Theil katholiſchen mit den voͤllig proteſtanti - ſchen. Die Generalſtaaten nahmen die Verwaltung ſelbſt in ihre Hand: ernannten Generalcapitaͤne, Statthalter, Magi - ſtrate, beſetzten die feſten Plaͤtze mit ihren, nicht mit des Koͤnigs Truppen1)Beſonders wird dieſe Wendung der Dinge bei Taſſis deut - lich III, 15 — 19.. Der Bund zu Gent ward geſchloſ - ſen, in welchem die Provinzen einander verſprachen, die Spanier zu vertreiben und entfernt zu halten. Der Koͤ - nig ſchickte ſeinen Bruder, der fuͤr einen Landsmann, einen Niederlaͤnder gelten konnte, hinuͤber, um ſie zu regieren, wie ſie Carl V. regiert hatte. Aber Don Johann ward nicht einmal anerkannt, ehe er nicht die vornehmſten For - derungen, die man ihm machte, zu erfuͤllen verſprach: die72Buch V. Gegenreformationen.Genter Pacification mußte er annehmen, die ſpaniſchen Truppen entlaſſen; und kaum regte er ſich, von dem ge - ſpannten Zuſtand gedraͤngt, ſo erhob ſich alles wider ihn: er ward fuͤr einen Feind des Landes erklaͤrt, und die Ober - haͤupter der Provinzen beriefen einen andern Prinzen des Hauſes an ſeine Stelle.
Das Princip der localen Gewalt bekam die Oberhand uͤber das fuͤrſtliche: das einheimiſche trug den Sieg davon uͤber das ſpaniſche.
Nothwendigerweiſe waren hiemit noch andere Folgen verknuͤpft. Einmal erlangten die noͤrdlichen Provinzen, welche den Krieg gefuͤhrt und dadurch dieſe Lage der Dinge moͤglich gemacht, ein natuͤrliches Uebergewicht in den Sachen des Kriegs und der Verwaltung: aber eben hiedurch ge - ſchah es dann, daß ſich die reformirte Religion uͤber die geſammten Niederlande ausbreitete. In Mecheln, Bruͤgge, Ypern drang ſie ein: in Antwerpen theilte man bereits die Kirchen nach den Bekenntniſſen, und die Katholiſchen mußten ſich zuweilen mit den Choͤren der Kirchen begnuͤgen, die ſie ſo eben ganz beſeſſen: in Gent verſchmolz die proteſtantiſche Ten - denz mit einer buͤrgerlichen Bewegung, und behielt das Uebergewicht vollkommen. In der Pacification war der alte Zuſtand der katholiſchen Kirche im Ganzen gewaͤhr - leiſtet worden; jetzt erließen die Generalſtaaten ein Reli - gionsedict, welches beiden Bekenntniſſen gleiche Freiheit ge - ſtattete. — Allenthalben, auch in den Provinzen die am meiſten katholiſch waren, traten ſeitdem proteſtantiſche Re - gungen hervor: man konnte erwarten, daß der Proteſtan - tismus den Sieg uͤberall davon tragen wuͤrde.
73Widerſtand der Proteſtanten in Deutſchland.Welch eine Stellung nahm nun der Prinz von Ora - nien ein: vor kurzem noch exilirt und der Begnadigung beduͤrftig: jetzt im Beſitz einer wohlgegruͤndeten Gewalt in den noͤrdlichen Provinzen, Ruwart in Brabant, allmaͤchtig in der Verſammlung der Staͤnde: von einer großen kirch - lich politiſchen Partei, die im Vordringen begriffen war, als ihr Haupt und Fuͤhrer anerkannt: mit allen Proteſtan - ten in Europa in engem Bunde: zunaͤchſt mit ſeinen Nach - barn, den deutſchen.
Denn auch in Deutſchland trat den Angriffen der Katholiken von proteſtantiſcher Seite ein Widerſtand ent - gegen, der noch immer große Ausſichten hatte.
Wir finden ihn in den allgemeinen Verhandlungen, bei den Verſammlungen der Churfuͤrſten, auf den Reichstagen: doch bringt er es hier der Natur der deutſchen Geſchaͤfte gemaͤß zu keinem rechten Erfolge: hauptſaͤchlich wirft er ſich, wie auch der Angriff, in die Territorien, die beſon - dern Landſchaften.
Da kam es nun jetzt, wie wir ſahen, am meiſten auf die geiſtlichen Gebiete an. Es gab beinahe keins, wo nicht der Fuͤrſt einen Verſuch gemacht haͤtte das katholiſche Princip wieder zur Herrſchaft zu erheben. Der Proteſtan - tismus, der ſich auch noch fuͤhlte, antwortete mit dem nicht minder weitausſehenden Beginnen das geiſtliche Fuͤrſten - thum ſelbſt an ſich zu bringen.
Im Jahre 1577 beſtieg Gebhard Truchſeß den erz - biſchoͤflichen Stuhl zu Coͤln. Es geſchah hauptſaͤchlich74Buch V. Gegenreformationen.durch den perſoͤnlichen Einfluß des Grafen Nuenar auf das Capitel, und ſehr wohl wußte dieſer große Proteſtant, wer es war, den er empfahl. In der That bedurfte es nicht erſt, wie man geſagt hat, der Bekanntſchaft Gebhards mit Agnes von Mansfeld, um ihm eine anti-katholiſche Rich - tung zu geben. Gleich bei ſeinem feierlichen Einzug in Coͤln, als ihm die Cleriſey in Proceſſion entgegenkam, ſtieg er nicht vom Pferde, um, wie es das Herkommen wollte, das Kreuz zu kuͤſſen: in der Kirche erſchien er im Solda - tenrock: es gefiel ihm nicht, das Hochamt zu halten. Von allem Anfang hielt er ſich an den Prinzen von Oranien: ſeine vornehmſten Raͤthe waren Calviniſten1)Maffei: Annali di Gregorio XIII. T. I, p. 331. : und da er nun kein Bedenken trug Verpfaͤndungen vorzunehmen, um Truppen zu werben, ſich des Adels zu verſichern ſuchte, auch unter den Coͤlner Zuͤnften eine Partei beguͤnſtigte, die ſich den katholiſchen Gebraͤuchen zu widerſetzen anfing, ſo ließ ſich alles zu der Abſicht an, mit der er ſpaͤter wirk - lich hervortrat, das geiſtliche Churfuͤrſtenthum in ein welt - liches zu verwandeln.
Gebhard Truchſeß war zur Zeit wenigſtens noch aͤu - ßerlich katholiſch. Die benachbarten Stifter in Weſtpha - len und Niederſachſen dagegen geriethen, wie wir ſchon be - merkten, unmittelbar in proteſtantiſche Haͤnde. Von be - ſonderer Bedeutung war das Aufkommen Herzog Hein - richs von Sachſen-Lauenburg. Noch in ſehr jungen Jah - ren war er, obwohl ein guter Lutheraner, zu dem Erz - bisthum Bremen, hierauf zu dem Bisthum Osnabruͤck, 1577 auch zu dem Bisthum Paderborn poſtulirt wor -75Widerſtand der Proteſtanten in Deutſchland.den1)Hamelmann: Oldenburgiſches Chronikon S. 436.. Schon hatte er ſelbſt in Muͤnſter eine große Par - tei, alle juͤngern Mitglieder des Capitels fuͤr ſich, und nur durch einen unmittelbaren Eingriff Gregors XIII., der eine ſchon geſchehene Abdankung fuͤr unguͤltig erklaͤrte, und durch den ernſtlichen Widerſtand der Strengkatholiſchen ward ſeine Erhebung noch verhindert. Aber auch einen andern Bi - ſchof haͤtte man dort nicht durchſetzen koͤnnen.
Man ſieht leicht, welch einen Aufſchwung bei dieſer Ge - ſinnung der geiſtlichen Oberhaͤupter die proteſtantiſchen Mei - nungen in Rheinland-Weſtphalen nehmen mußten, wo ſie ohnehin ſehr verbreitet waren. Es bedurfte nur einer gluͤcklichen Combination, eines zum Ziel treffenden Schla - ges, um ihnen hier das entſchiedene Uebergewicht zu ver - ſchaffen.
Ja auf ganz Deutſchland haͤtte dieß eine große Ruͤck - wirkung ausuͤben muͤſſen. In dem obern gab es fuͤr die Bisthuͤmer noch die nemlichen Moͤglichkeiten wie in dem niedern: noch war auch innerhalb der Territorien, wo die Reſtauration angefangen, der Widerſtand lange nicht er - ſtickt.
Wie ſehr erfuhr ihn jener Abt Balthaſar von Fulda! Als die Fuͤrſprache der benachbarten Fuͤrſten, die Beſchwerden beim Reichstag nichts halfen, als der Abt ohne irgend eine Ruͤckſicht mit ſeiner Reſtauration des Glaubens vorwaͤrts ſchritt, und von Ort zu Ort ging, um ſie allenthalben durchzuſetzen, ward er eines Tages, im Sommer 1576, als er ſich eben in dieſer Abſicht in Hamelburg befand, von ſeinem Adel mit bewaffneter Hand uͤberfallen, in ſei -76Buch V. Gegenreformationen.nem Hauſe eingeſchloſſen, und da alles gegen ihn aufge - bracht war, die Nachbarn es gern ſahen, der Biſchof von Wuͤrzburg ſelbſt dazu die Hand bot, auf die Regierung ſeines Landes Verzicht zu leiſten gezwungen1)Schannat: Historia Fuldensis ps. III, p. 268. Vorzuͤg - lich merkwuͤrdig iſt das Schreiben des Abtes an Papſt Gregor vom 1. Auguſt 1576, das dort aus dem vatican. Archiv mitgetheilt iſt. „ Clamantes, “ſagt er von den Drohungen ſeiner Feinde, „ nisi consentiam, ut administratio ditionis meae episcopo tradatur, non aliter se me ac canem rabidum interfecturos, tum Saxoniae et Hassiae principes in meum gregem immissuros. “.
Auch in Baiern drang doch Herzog Albrecht nicht ſo - gleich uͤberall durch. Er klagt dem Papſt, ſein Adel ver - zichte lieber ganz auf das Sacrament, als daß er es un - ter Einer Geſtalt nehmen ſollte.
Aber noch viel wichtiger war, daß in den oͤſtreichi - ſchen Laͤndern der Proteſtantismus immer mehr zu geſetzli - cher Macht und Anerkennung gedieh. Unter der wohlbe - dachten Leitung Maximilians II. hatte er ſich in Ober - und Unteroͤſtreich conſtituirt. Papſt Pius V. faßte deshalb ei - nen unausſprechlichen Widerwillen gegen den Kaiſer: als einſt von dem Kriege deſſelben gegen die Tuͤrken die Rede war, ſagte er geradezu, er wiſſe nicht, welchem Theile er den Sieg am wenigſten wuͤnſchen ſolle2)Tiepolo: Relatione di Pio IV e V. Er fuͤgt noch hinzu: In proposito della morte del principe di Spagna apertamte disse il Papa haverla sentita con grandissimo dispiacere, perchè non vorria che li stati del re cattolico capitassero in mano de’ Tedeschi. . Unaufhaltſam drang aber nunmehr der Proteſtantismus auch in die in - neroͤſtreichiſchen Landſchaften vor. Im Jahre 1568 zaͤhlte man in Krain bereits 24 evangeliſche Pfarren, 1571 war77Widerſtand der Proteſtanten in Deutſchland.in der Hauptſtadt von Steiermark nur noch Ein Katholik im Rathe. An dem Landesherrn, dem Erzherzog Carl, fand das Bekenntniß zwar hier keine Stuͤtze: dieſer Fuͤrſt fuͤhrte vielmehr die Jeſuiten ein, und beguͤnſtigte ſie nach Kraͤften: aber die Staͤnde waren ihm uͤberlegen1)Socher: Historia societatis Jesu provinciae Austriae I, IV, 166. 184. V, 33. . Auf den Landtagen, wo die Geſchaͤfte der Verwaltung und der Vertheidigung des Landes mit den Religionsſachen zuſam - menfielen, hatten ſie die Oberhand: jede ihrer Bewilli - gungen ließen ſie ſich durch religioͤſe Conceſſionen verguͤ - ten. Im Jahre 1578 mußte der Erzherzog auf dem Landtage zu Bruck an der Muhr die freie Ausuͤbung der augsburgiſchen Confeſſion nicht allein in den Gebieten des Adels und der Landherrn, wo er ſie ohnehin nicht zu verhindern vermochte, ſondern auch in den vier vornehm - ſten Staͤdten, Graͤtz, Judenburg, Klagenfurt, Laibach, zu - geſtehn2)Supplication an die Roͤm. Kaiſ. Maj. umb Interceſſion der dreien Fuͤrſtenthuͤmer und Land, bei Lehmann: de pace religionis p. 461, ein Actenſtuͤck, durch welches die Darſtellung Khevenhillers Ann. Ferdinandei I, 6 rectificirt wird.. Hierauf organiſirte ſich der Proteſtantismus in dieſen Landſchaften eben ſo, wie in den kaiſerlichen. Es ward ein proteſtantiſches Kirchenminiſterium eingerichtet: eine Kirchen - und Schulordnung nach dem Muſter der wuͤrtembergiſchen beliebt: hie und da, z. B. in St. Veit, ſchloß man die Katholiſchen von den Rathswahlen aus3)Hermann in der Kaͤrntneriſchen Zeitſchr. V, p. 189. : in den Aemtern der Landſchaft ließ man ſie nicht mehr zu: Umſtaͤnde, unter deren Beguͤnſtigung die proteſtantiſchen78Buch V. Gegenreformationen.Meinungen in jenen Gegenden, ſo nah bei Italien, erſt recht uͤberhand nahmen. Dem Impuls, den die Jeſuiten ga - ben, hielt man hier ſtandhaft die Widerpart.
In allen oͤſtreichiſchen Provinzen deutſcher, ſlawiſcher und ungariſcher Zunge, mit alleiniger Ausnahme von Ty - rol, konnte man den Proteſtantismus im Jahre 1578 noch immer als vorwaltend betrachten.
Wir ſehen wohl: uͤber ganz Deutſchland hin ſetzte er ſich dem Fortſchritt des Katholicismus mit gluͤcklichem Wi - derſtand und eigenem Fortſchritt entgegen.
Merkwuͤrdige Epoche, in welcher ſich die beiden gro - ßen religioͤſen Tendenzen noch einmal mit gleicher Ausſicht, es zur Herrſchaft zu bringen, gegen einander bewegen.
Schon hat ſich die Lage der Dinge gegen die fruͤhere weſentlich veraͤndert. Fruͤher ſuchte man ſich mit einander zu vertragen: eine Verſoͤhnung war in Deutſchland ver - ſucht, in Frankreich angebahnt, in den Niederlanden ward ſie gefordert: ſie ſchien noch ausfuͤhrbar. Es gab hie und da praktiſche Duldung. Jetzt aber traten die Gegenſaͤtze ſchaͤrfer und feindſeliger einander gegenuͤber. In ganz Eu - ropa riefen ſie einander ſo zu ſagen gegenſeitig hervor: es iſt ſehr der Muͤhe werth, die Lage der Dinge zu uͤber - blicken, wie ſie ſich in den Jahren 1578, 79 gebildet hatte.
Fangen wir im Oſten bei Polen an.
Auch in Polen waren die Jeſuiten eingedrungen: die79Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. Polen.Biſchoͤfe ſuchten ſich durch ſie zu verſtaͤrken. Cardinal Ho - ſius, Biſchof von Ermeland, ſtiftete ihnen 1569 ein Col - legium in Braunsberg: in Pultusk, in Poſen ſiedelten ſie ſich mit Huͤlfe der Biſchoͤfe an: vorzuͤglich angelegen ließ es ſich der Biſchof Valerian von Wilna ſeyn, den lithaui - ſchen Lutheranern, die eine Univerſitaͤt in ihrem Sinne gruͤn - den wollten, mit der Errichtung eines jeſuitiſchen Inſtitu - tes an ſeinem biſchoͤflichen Sitze zuvorzukommen: er war ſchon alt und gebrechlich, und wollte ſeine letzten Tage mit dieſem Verdienſt bezeichnen: im Jahre 1570 kamen die er - ſten Mitglieder der Geſellſchaft bei ihm an1)Sacchinus: Hist. soc. Jes. P. II, lib. VIII, 114. P. III, lib. I, 112. lib. VI, 103 — 108. .
Auch hier folgte aus dieſen Beſtrebungen zunaͤchſt nur, daß die Proteſtanten Maaßregeln nahmen, um ihre Macht zu behaupten. Auf dem Convocationsreichstage von 1573 brachten ſie eine Satzung durch, kraft deren Niemand we - gen ſeiner Religion beleidigt oder verletzt werden ſollte2)Fredro: Henricus I, rex Polonorum p. 114. : — die Biſchoͤfe mußten ſich fuͤgen: mit dem Beiſpiel der niederlaͤndiſchen Unruhen bewies man ihnen, welche Ge - fahr in einer Weigerung liegen wuͤrde: die folgenden Koͤ - nige mußten ſie beſchwoͤren. Im Jahre 1579 ward die Zahlung des Zehnten an die Geiſtlichkeit geradehin ſuspen - dirt, und der Nuntius wollte wiſſen, daß hiedurch allein 1200 Pfarren zu Grunde gegangen ſeyen; eben damals ward aus Laien und Clerus ein hoͤchſter Gerichtshof zuſammen - geſetzt, der auch alle geiſtlichen Streitfragen entſchied: man80Buch V. Gegenreformationen.war in Rom erſtaunt, daß ſich die polniſche Geiſtlichkeit dieß gefallen laſſe.
Nicht minder als in Polen traten die Gegenſaͤtze in Schweden hervor, und zwar hier auf die eigenthuͤmlichſte Weiſe: unmittelbar die Perſon des Fuͤrſten beruͤhrten ſie: um dieſe ſtritten ſie ſich.
In allen Soͤhnen Guſtav Waſas — „ der Brut Koͤ - nig Guſtavs “, wie die Schweden ſagten, — iſt eine ganz ungewoͤhnliche Miſchung von Tiefſinn und Eigenwillen, Religion und Gewaltſamkeit wahrzunehmen.
Der Gelehrteſte von ihnen war der mittlere, Johann. Da er mit einer katholiſchen Prinzeſſin, Catharina von Polen verheirathet war, die ſein Gefaͤngniß mit ihm theilte, in deſſen beſchraͤnkter Einſamkeit er dann oft die Troͤſtun - gen eines katholiſchen Prieſters vernahm, ſo kamen ihm die kirchlichen Streitigkeiten beſonders nahe. Er ſtudirte die Kirchenvaͤter, um ſich eine Vorſtellung von dem urſpruͤng - lichen Zuſtande der Kirche zu bilden: er liebte die Buͤcher, die von der Moͤglichkeit einer Religionsvereinigung handel - ten: mit den dahin einſchlagenden Fragen ging er innerlich um. Als er Koͤnig geworden, trat er der roͤmiſchen Kirche in der That einige Schritte naͤher. Er publicirte eine Li - turgie, die der tridentiniſchen nachgebildet war, — in der die ſchwediſchen Theologen roͤmiſche Doctrinen zu finden glaubten1)In dem Judicium praedicatorum Holmenss. de publicata liturgia bei Baaz: Inventarium ecclesiarum Sueogoth. p. 393 wer - den ſie alle aufgefuͤhrt.. Da er der Fuͤrſprache des Papſtes ſowohl beiden81Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. Schweden.den katholiſchen Maͤchten uͤberhaupt in ſeinem ruſſiſchen Kriege, als beſonders bei Spanien in Sachen der muͤtter - lichen Erbſchaft ſeiner Gemahlin zu beduͤrfen glaubte, ſo trug er kein Bedenken einen Großen ſeines Reiches als Ge - ſandten nach Rom zu ſchicken. Insgeheim geſtattete er ſo - gar ein paar niederlaͤndiſchen Jeſuiten nach Stockholm zu kommen, und vertraute ihnen eine wichtige Unterrichtsan - ſtalt an.
Ein Bezeigen, auf das man in Rom wie natuͤrlich glaͤnzende Hoffnungen gruͤndete: — Antonio Poſſevin, eins der geſchickteſten Mitglieder der Geſellſchaft Jeſu, ward aus - erſehen einen ernſtlichen Bekehrungsverſuch auf Koͤnig Jo - hann zu machen.
Im Jahr 1578 erſchien Poſſevin in Schweden. Nicht in allen Stuͤcken war der Koͤnig nachzugeben geneigt. Er forderte die Erlaubniß der Prieſterehe, des Laienkelchs, der Meſſe in der Landesſprache, Verzichtleiſtung der Kirche auf die eingezogenen Guͤter und aͤhnliche Dinge. Poſſevin hatte keine Vollmacht hierauf einzugehn: er verſprach, es dem paͤpſtlichen Stuhle mitzutheilen, und eilte zu den dogmati - ſchen Streitfragen. Hierin war er nun um vieles gluͤck - licher. Nach ein paar Unterredungen und einiger Bedenk - zeit erklaͤrte ſich der Koͤnig entſchloſſen, die Profeſſio fidei nach der Formel des tridentiniſchen Bekenntniſſes ab - zulegen. In der That legte er ſie ab: er beichtete: noch einmal fragte ihn Poſſevin, ob er ſich in Hinſicht der Com - munion unter Einer Geſtalt dem paͤpſtlichen Urtheil unter - werfe: Johann erklaͤrte, daß er dieß thue: hierauf ertheilte ihm Poſſevin feierlich[die] Abſolution. Es ſcheint faſt, alsPäpſte* 682Buch V. Gegenreformationen.ſey dieſe Abſolution der vornehmſte Gegenſtand des Be - duͤrfniſſes, der Wuͤnſche des Koͤnigs geweſen. Er hatte ſei - nen Bruder umbringen laſſen, zwar auf vorausgegangenes Gutheißen ſeiner Staͤnde, aber doch umbringen laſſen und dieß auf die gewaltſamſte Weiſe! Die empfangene Abſolu - tion ſchien ſeine Seele zu beruhigen. Poſſevin rief Gott an, daß er das Herz dieſes Fuͤrſten nun vollends bekehren moͤge. Der Koͤnig erhob ſich und warf ſich ſeinem Beichtvater in die Arme: „ wie dich, “rief er aus, „ ſo umfaſſe ich den roͤmiſchen Glauben auf ewig. “ Er empfing das Abendmahl nach katholiſchem Ritus.
Nach ſo wohl vollbrachtem Werk eilte Poſſevin zuruͤck; er theilte ſeine Nachricht dem Papſte, unter dem Siegel der Verſchwiegenheit auch den maͤchtigſten katholiſchen Fuͤrſten mit: und es war nur uͤbrig, daß nun auch die Forderun - gen des Koͤnigs, von denen er die Herſtellung des Katholi - cismus in ſeinem Reiche uͤberhaupt abhaͤngig machte, in Erwaͤgung gezogen wuͤrden. Poſſevin war ein ſehr gewand - ter Menſch, beredt, von viel Talent zur Unterhandlung; aber er uͤberredete ſich allzu leicht, er ſey am Ziele. Nach ſeiner Darſtellung hielt es Papſt Gregor nicht fuͤr nothwendig, etwas nachzugeben, er forderte vielmehr den Koͤnig zu ei - nem freien und unbedingten Uebertritt auf. Dahin lau - tende Schreiben und Indulgenz fuͤr Alle welche uͤbertreten wuͤrden, gab er dem Jeſuiten zu ſeiner zweiten Reiſe mit.
Indeſſen war aber auch die Gegenpartei thaͤtig gewe - ſen: warnende Briefe proteſtantiſcher Fuͤrſten waren ein - gegangen — denn auf der Stelle hatte ſich die Nachricht in ganz Europa verbreitet: — Chytraͤus hatte dem Koͤnig83Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. Schweden.ſein Buch uͤber die augsburgiſche Confeſſion gewidmet, und damit auf den gelehrten Herrn doch einen gewiſſen Eindruck gemacht. Die Proteſtanten ließen ihn nicht mehr aus den Augen.
Jetzt langte Poſſevin an: nicht mehr, wie fruͤher, in buͤrgerlicher Tracht, ſondern in dem gewoͤhnlichen Kleide ſeines Ordens: mit einem Haufen katholiſcher Buͤcher. Schon dieſe ſeine Erſcheinung machte keinen guͤnſtigen Ein - druck. Er trug ſelbſt einen Augenblick Bedenken, mit der paͤpſtlichen Antwort hervorzukommen, aber endlich konnte er es nicht laͤnger aufſchieben: in einer zweiſtuͤndigen Au - dienz eroͤffnete er ſie dem Koͤnig. Wer will das Geheim - niß einer in ſich ſelbſt ſchwankenden, unſteten Seele erfor - ſchen? Das Selbſtgefuͤhl des Fuͤrſten mochte ſich durch ſo voͤllig abſchlaͤgliche Antworten verletzt fuͤhlen; auch war er uͤberzeugt, daß ſich in Schweden ohne die vorgeſchla - genen Zugeſtaͤndniſſe nichts erreichen laſſe: um der Reli - gion willen ſeine Krone niederzulegen hatte er keine Nei - gung. Genug jene Audienz war entſcheidend. Von Stund an bezeigte der Koͤnig dem Abgeſandten des Papſtes Un - gunſt und Mißfallen. Er forderte ſeine jeſuitiſchen Schul - maͤnner auf, das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt zu neh - men, die Meſſe in ſchwediſcher Sprache zu halten; als ſie ihm nicht gehorchten, wie ſie freilich auch nicht konnten, verſagte er ihnen die bisherige Verpflegung. Wenn ſie kurz darauf Stockholm verließen, ſo geſchah das ohne Zwei - fel nicht allein, wie ſie vorgeben moͤchten, um der Peſt willen. Die proteſtantiſchen Großen, der juͤngere Bru - der des Koͤnigs, Carl von Suͤdermannland, der ſich zum6*84Buch V. Gegenreformationen.Calvinismus neigte, die Geſandten von Luͤbek verſaͤumten nichts, um dieſe wachſende Abneigung anzufachen. Nur in der Koͤnigin, und nachdem dieſe geſtorben, in dem Thron - folger, behielten die Katholiken einen Anhalt, eine Hoff - nung. Fuͤr die naͤchſte Zeit blieb die Staatsgewalt in Schweden weſentlich proteſtantiſch1)Ich halte mich bei dieſer ganzen Darſtellung an die bisher, ſo viel ich finden kann, nicht benutzten Berichte der Jeſuiten, wie ſie in Sacchinus: Hist. societatis Jesu pars IV, lib. VI, n. 64 — 76 und lib. VII, n. 83 — 111 ausfuͤhrlich zu leſen ſind..
In England ward ſie dieß unter Koͤnigin Eliſabeth von Tage zu Tage mehr. Es gab aber hier Angriffspunkte anderer Art: das Reich war erfuͤllt mit Katholiken. Nicht allein hielt die iriſche Bevoͤlkerung an dem alten Glau - ben und Ritus feſt: in England war vielleicht die Haͤlfte der Nation, wo nicht gar eine noch groͤßere Anzahl, wie man behauptet hat, demſelben zugethan. Sonderbar iſt es immer, daß ſich die engliſchen Katholiken wenigſtens in den erſten funfzehn Jahren Eliſabeth’s den proteſtanti - ſchen Geſetzen dieſer Koͤnigin unterwarfen. Sie leiſteten den Eid, den man von ihnen forderte, obwohl er der paͤpſt - lichen Autoritaͤt ſchnurſtracks entgegenlief: ſie beſuchten die proteſtantiſchen Kirchen, und glaubten ſchon genug zu thun, wenn ſie ſich beim Kommen und Gehn zuſammenhielten und die Geſellſchaft der Proteſtanten vermieden2)Relatione del presente stato d’Inghilterra, cavata da una lettera scritta di Londra etc. Roma 1590 (gedruckte Flugſchrift) ſtimmt hieruͤber mit einer Stelle von Ribadaneira de schismate, wel - che ſchon Hallam (the constitutional history of England I, p. 162) anfuͤhrt, genau uͤberein, und iſt ohne Zweifel die Quelle davon. „ Si permettevano giuramenti impii contra l’autorità della sede apo -.
85Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. England.Eben auf dieſen Zuſtand baute man zu Rom große Hoffnungen. Man war uͤberzeugt, daß es nur eines An - laſſes, eines geringen Vortheils beduͤrfe, um alle Katholiken im Lande zum Widerſtande zu entflammen. Schon Pius V. hatte gewuͤnſcht ſein Blut in einer Unternehmung gegen Eng - land zu verſpruͤtzen. Gregor XIII., der den Gedanken an eine ſolche niemals fahren ließ, dachte ſich des Kriegsmuthes und der großartigen Stellung des Don Johann von Oeſtreich dazu zu bedienen: ausdruͤcklich deshalb ſchickte er ſeinen Nuntius Sega, der in den Niederlanden bei Don Johann geſtanden, nach Spanien, um Koͤnig Philipp dafuͤr zu ge - winnen.
Jedoch bald an der Abneigung des Koͤnigs gegen die ehrgeizigen Entwuͤrfe ſeines Bruders und neue politiſche Verwickelungen, bald an andern Hinderniſſen ſcheiterten dieſe umfaſſenden Entwuͤrfe. Man mußte ſich mit weni - ger glaͤnzenden Verſuchen begnuͤgen.
Zunaͤchſt auf Irland richtete Papſt Gregor ſein Au - genmerk. Man ſtellte ihm vor, daß es keine ſtrenger und unerſchuͤtterlicher katholiſche Nation gebe als die iriſche: aber von der engliſchen Regierung werde ſie auf das ge - waltſamſte mißhandelt, beraubt, in Entzweiung und ge - fliſſentlich in Barbarei gehalten, in ihren religioͤſen Ueber - zeugungen bedraͤngt: und ſo ſey ſie jeden Augenblick zum Kriege fertig: man brauche ihr nur mit einer geringen2)stolica e questo con poco o nissun scrupulo di conseienza. Al - lora tutti andavano communemente alle sinagoghe degli eretici et alle prediche loro menandovi li figli et famiglie — — si te - neva allora per segno distintivo sufficiente venire alle chiese prima degli eretici e non partirsi in compagnia loro. “86Buch V. Gegenreformationen.Mannſchaft zu Huͤlfe zu kommen: mit 5000 Mann koͤnne man Irland erobern: es ſey keine Feſtung daſelbſt, die ſich laͤnger als vier Tage halten koͤnne1)Discorso sopra il regno d’Irlanda e della gente che bi - sogneria per conquistarlo, fatto a Gregorio XIII. Bibliothek zu Wien, Fuggeriſche Handſchriften. Die Regierung der Koͤnigin wird fuͤr eine Tyrannei erklaͤrt: lasciando il governo a ministri Inglesi, i quali per arricchire se stessi usavano tutta l’arte della tiran - nide in quel regno, come trasportando le commodità del paese in Inghiltterra, tassando il popolo contra le leggi e privilegi antichi, e mantenendo guerra e fattioni tra i paesani, — non vo - lendo gli Inglesi che gli habitanti imparassero la differenza fra il viver libero e la servitù. . Ohne viel Schwie - rigkeit war Papſt Gregor uͤberredet. Es hielt ſich damals ein gefluͤchteter Englaͤnder, Thomas Stukley, ein Abenteurer von Natur, der aber die Kunſt Eingang zu finden, ſich Vertrauen zu erwerben in hohem Grade beſaß, zu Rom auf; der Papſt ernannte ihn zu ſeinem Kaͤmmerer, zum Marquis von Leinſter, und ließ es ſich 40000 Scudi ko - ſten, um ihn mit Schiff und Mannſchaft auszuruͤſten: an der franzoͤſiſchen Kuͤſte ſollte er ſich mit einer kleinen Truppe vereinigen, die ein gefluͤchteter Irlaͤnder, Geraldin, eben auch mit paͤpſtlicher Unterſtuͤtzung daſelbſt zuſammenbrachte. Koͤnig Philipp, der keine Neigung hatte einen Krieg an - zufangen, aber es doch nicht ungern ſah, wenn Eliſabeth zu Hauſe zu thun bekam, gab einiges Geld dazu2)Nach dem Nuntius Sega in ſeiner Relatione compen - diosa (Ms. der Berl. Bibliothek) 20000 Sc. „ altre mercedi fece fare al barone d’Acres, al Sr Carlo Buono et altri nobili In - glesi che si trovavano in Madrid, ch’egli spinse andare a[que - sta] impresa insieme col vescovo Lionese d’Irlanda. “. Un - erwarteterweiſe aber ließ ſich Stukley uͤberreden, mit der87Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. England.Mannſchaft die gegen Irland beſtimmt war, an der Expe - dition des Koͤnigs Sebaſtian nach Africa Theil zu neh - men; — wobei er denn ſelbſt umkam. Geraldin mußte ſein Gluͤck allein verſuchen; er landete im Juni 1579, und machte wirklich einige Fortſchritte. Er bemaͤchtigte ſich des Forts, das den Hafen von Smervic beherrſchte, — ſchon erhob der Graf von Desmond die Waffen gegen die Koͤni - gin, — eine allgemeine Bewegung ergriff die Inſel. Bald aber erfolgte ein Ungluͤck nach dem andern; das vornehmſte war, daß Geraldin ſelbſt in einem Scharmuͤtzel getoͤdtet wurde. Hierauf konnte ſich auch der Graf von Desmond nicht halten. Die paͤpſtliche Unterſtuͤtzung war doch nicht ſtark genug: die Gelder, auf die man rechnete, blieben aus. Und ſo behaupteten die Englaͤnder den Sieg: mit furcht - barer Grauſamkeit ſtraften ſie die Empoͤrung: Maͤnner und Weiber wurden in Scheunen zuſammengetrieben und darin verbrannt, Kinder erwuͤrgt, ganz Monmouth wuͤſte gelegt: auf dem veroͤdeten Gebiete drang die engliſche Colonie wei - ter vor.
Wollte man etwas erreichen, ſo mußte der Verſuch doch in England ſelbſt gemacht werden: aber nur unter andern Weltverhaͤltniſſen ſchien dieß moͤglich, und um alsdann die katholiſche Bevoͤlkerung nicht voͤllig umgewandelt, um ſie noch katholiſch zu finden, war es noͤthig, ihr auf geiſtli - chem Wege zu Huͤlfe zu kommen.
Zuerſt faßte Wilhelm Allen den Gedanken die jungen Englaͤnder katholiſcher Confeſſion, die ſich der Studien hal - ber auf dem feſten Lande aufhielten, zu vereinigen: beſon - ders mit der Unterſtuͤtzung Papſt Gregors brachte er ein88Buch V. Gegenreformationen.Collegium fuͤr ſie in Douay zu Stande. Dem Papſt war dieß jedoch noch nicht hinreichend. Unter ſeinen Augen wuͤnſchte er dieſen Fluͤchtlingen eine ſtillere, minder gefaͤhr - dete Station zu verſchaffen, als Douay dort in den unruh - vollen Niederlanden war: er ſtiftete ein engliſches Colle - gium zu Rom, beſchenkte es mit einer reichen Abtei, und uͤbergab es 1579 den Jeſuiten1)Die Relation der Jeſuiten bei Sacchinus pars IV, lib. VI, 6. lib. VII, 10 — 30. koͤnnen wir hier mit den Erzaͤhlungen von Camden: Rerum Britannic. tom. I, p. 315 vergleichen..
In dieſes Collegium nun ward Niemand aufgenom - men, der ſich nicht verpflichtete, nach Vollendung ſeiner Stu - dien nach England zuruͤckzukehren und den Glauben der roͤ - miſchen Kirche daſelbſt zu predigen. Dazu allein wurden die Zoͤglinge vorbereitet. In dem religioͤſen Enthuſiasmus, zu dem die geiſtlichen Uebungen des Ignatius entflammten, ſtellte man ihnen die Bekehrer, welche Papſt Gregor der Große einſt zu den Angelſachſen geſendet, als ihre Muſter vor.
Schon wagten ſich einige Aeltere voran. Im Jahre 1580 gingen zwei engliſche Jeſuiten, Perſon und Campian, nach ihrem Vaterlande hinuͤber. Immer verfolgt, immer unter veraͤnderten Namen und in anderer Verkleidung lang - ten ſie in der Hauptſtadt an, und durchzogen dann, jener die noͤrdlichen, dieſer die ſuͤdlichen Provinzen. Vornehm - lich hielten ſie ſich an die Haͤuſer der katholiſchen Lords. Ihre Ankunft war in voraus angekuͤndigt: doch brauchte man die Vorſicht, ſie an der Pforte als Fremde begruͤßen zu laſſen. Schon war indeß in den innerſten Gemaͤchern eine Hauskapelle eingerichtet: dahin fuͤhrte man ſie: die Mit - glieder der Familie waren hier verſammelt und empfingen89Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. England.ihren Segen. Gewoͤhnlich blieb der Miſſionar nur Eine Nacht. Am Abend fand Vorbereitung und Beichte Statt: am andern Morgen ward Meſſe geleſen, das Mahl des Herrn ausgetheilt: dann folgte die Predigt. Es kamen Alle die ſich noch zu dem katholiſchen Bekenntniß hielten: ihrer oft eine große Anzahl. Mit dem Reize des Geheim - niſſes, der Neuheit ward die Religion wieder verkuͤndigt, welche ſeit 900 Jahren auf der Inſel geherrſcht hatte. Es wurden insgeheim Synoden gehalten: erſt in einem Dorfe bei London, dann in einem einſamen Hauſe in einem na - hen Gehoͤlze ward eine Druckerei eingerichtet: ploͤtzlich ſah man wieder katholiſche Schriften erſcheinen, mit alle der Geſchicklichkeit geſchrieben, welche die ſtete Uebung in der Controvers zu geben vermag, oft nicht ohne Eleganz: die dann um ſo groͤßeren Eindruck machten, je unerforſchlicher ihr Urſprung war. Der naͤchſte Erfolg hievon war nun, daß die Katholiken aufhoͤrten den proteſtantiſchen Gottes - dienſt zu beſuchen und die geiſtlichen Geſetze der Koͤnigin zu beobachten: daß dann auch auf der andern Seite der Widerſpruch der Lehre lebhafter aufgefaßt, die Verfolgung ſtaͤrker, nachdruͤcklicher wurde1)Außer Sacchinus Campiani Vita et martyrium. Ingol - stadii 1584. .
Ueberall, wo das Princip der katholiſchen Reſtaura - tion nicht Kraft genug beſaß, um ſich zur Herrſchaft zu erheben, trieb es wenigſtens die Gegenſaͤtze ſchaͤrfer und unverſoͤhnlicher hervor.
Man konnte dieß auch in der Schweiz bemerken: ob - wohl hier ſchon laͤngſt jeder Canton religioͤſe Autono -90Buch V. Gegenreformationen.mie beſaß, und die Zwiſtigkeiten, die uͤber die Verhaͤlt - niſſe des Bundes ausbrechen konnten, ziemlich beſeitigt waren.
Aber jetzt drangen die Jeſuiten auch hier ein. Auf Veranlaſſung eines Oberſten der Schweizergarde in Rom kamen ſie 1574 nach Lucern und fanden hier beſonders bei der Familie Pfyffer Theilnahme und Unterſtuͤtzung1)Agricola 177.. Ludwig Pfyffer hat allein vielleicht 30000 Gulden zur Gruͤndung des Jeſuitencollegiums beigeſteuert; Philipp II. und die Guiſen ſollen etwas beigetragen haben; Gre - gor XIII. fehlte auch hier nicht: er gab die Mittel zur Anſchaffung einer Bibliothek her. Die Lucerner waren hoͤchlich zufrieden. In einem ausdruͤcklichen Schreiben bit - ten ſie den General des Ordens, ihnen die Vaͤter der Ge - ſellſchaft, die bereits angelangt, nicht wieder zu entreißen: „ es liege ihnen alles daran, ihre Jugend in guten Wiſ - ſenſchaften und beſonders in Froͤmmigkeit und chriſtlichem Leben wohl angefuͤhrt zu ſehen “: ſie verſprechen ihm da - fuͤr, keine Muͤhe und Arbeit, weder Gut noch Blut zu ſpa - ren, um der Geſellſchaft in allem was ſie wuͤnſchen koͤnne zu dienen2)Literae Lucernensium ad Everardum Mercurianum bei Sacchinus: historia societatis Jesu IV, V, 145.
Und ſogleich hatten ſie Gelegenheit ihren erneuten ka - tholiſchen Eifer in einer nicht unwichtigen Sache zu be - weiſen.
Die Stadt Genf war in den beſondern Schutz von Bern getreten, und ſuchte nun auch Solothurn und Frei -91Gegenſaͤtze in dem uͤbrigen Europa. Schweiz.burg, die zwar nicht kirchlich, aber doch politiſch zu Bern zu halten gewohnt waren, in dieſe Verbindung zu ziehen. In der That gelang es bei Solothurn. Eine katholiſche Stadt nahm den Heerd des weſtlichen Proteſtantismus in ſeinen Schirm. Gregor XIII. erſchrak, und wandte alles an, um wenigſtens Freiburg zuruͤckzuhalten. Hierin ka - men ihm nun die Lucerner zu Huͤlfe. Eine Geſandtſchaft derſelben vereinte ihre Bemuͤhungen mit dem paͤpſtlichen Nuntius. Freiburg verzichtete nicht allein auf jenes Buͤnd - niß: es rief ſelbſt die Jeſuiten: mit Huͤlfe des Papſtes ward auch hier ein Collegium zu Stande gebracht.
Indeſſen begannen die Einwirkungen Carl Borromeo’s. Er hatte vornehmlich in den Waldcantonen Verbindungen; Melchior Luſſi, Landammann von Unterwalden, galt als ſein beſonderer Freund; zuerſt ſchickte Borromeo Capuziner her - uͤber, die beſonders in dem Gebirge durch ihre ſtrenge und einfache Lebensart Eindruck machten: dann folgten die Zoͤglinge des helvetiſchen Collegiums, das er ja allein zu dieſem Zweck gegruͤndet hatte.
Bald ſpuͤrte man in allen oͤffentlichen Verhaͤltniſ - ſen dieſen Einfluß. Im Herbſt 1579 ſchloſſen die ka - tholiſchen Cantone einen Bund mit dem Biſchof zu Baſel, in welchem ſie nicht allein verſprachen ihn bei ſeiner Re - ligion zu ſchuͤtzen, ſondern auch von ſeinen Unterthanen die, welche proteſtantiſch geworden, bei Gelegenheit wieder „ zum wahren katholiſchen Glauben “zu bringen. Beſtim - mungen welche den evangeliſchen Theil der Natur der Sache nach in Bewegung ſetzten. Die Spaltung trat ſtaͤrker her - vor, als ſeit langer Zeit. Es langte ein paͤpſtlicher Nun -92Buch V. Gegenreformationen.tius an: in den katholiſchen Cantonen erwies man ihm die moͤglichſte Ehrerbietung: in den proteſtantiſchen ward er verhoͤhnt und beſchimpft.
So ſtand es nun damals. Der reſtaurirte Katholi - cismus, in den Formen, die er in Italien und Spanien angenommen, hatte einen gewaltigen Angriff auf das uͤbrige Europa gemacht. In Deutſchland waren ihm nicht un - bedeutende Eroberungen gelungen: auch in ſo vielen an - dern Laͤndern war er vorgeruͤckt; doch hatte er allenthal - ben einen maͤchtigen Widerſtand gefunden. In Frankreich waren die Proteſtanten durch umfaſſende Zugeſtaͤndniſſe und eine ſtarke politiſch-militaͤriſche Stellung geſichert: in den Niederlanden hatten ſie das Uebergewicht: in England, Schottland, dem Norden herrſchten ſie: in Polen hatten ſie durchgreifende Geſetze zu ihren Gunſten erkaͤmpft und ei - nen großen Einfluß in den allgemeinen Reichsangelegenhei - ten: in den ſaͤmmtlichen oͤſtreichiſchen Gebieten ſtanden ſie der Regierung mit alten provinzialen Standesrechten aus - geruͤſtet gegenuͤber; in Nieder-Deutſchland ſchien ſich fuͤr die Stifter eine entſcheidende Umaͤnderung anzubahnen.
In dieſer Lage der Dinge war es nun von unermeß - licher Bedeutung, welcher Ausſchlag dort erfolgen wuͤrde, wo man die Waffen immer aufs neue in die Haͤnde nahm, in den Niederlanden.
Unmoͤglich aber konnte Koͤnig Philipp II. gemeint ſeyn die ſchon einmal mißlungenen Maaßregeln zu wiederholen:93Entſcheidung in den Niederlanden.— er waͤre es auch gar nicht mehr im Stande geweſen: — ſein Gluͤck war, daß er ganz von ſelbſt Freunde fand, daß der Proteſtantismus in ſeinem neuen Fortgang doch auch auf einen unerwarteten und unbeſiegbaren Widerſtand ſtieß. Es iſt wohl der Muͤhe werth, bei dieſem wichtigen Ereigniß einen Augenblick laͤnger zu verweilen.
Einmal war es in den Provinzen keineswegs Jeder - mann angenehm, den Prinzen von Oranien ſo maͤchtig wer - den zu ſehen, am wenigſten dem walloniſchen Adel.
Unter der Regierung des Koͤnigs war dieſer Adel be - ſonders in den franzoͤſiſchen Kriegen immer zuerſt zu Pferd geſtiegen: die namhaftern Anfuͤhrer denen das Volk zu fol - gen gewohnt war, hatten dadurch eine gewiſſe Selbſtaͤndig - keit und Macht erworben. Unter dem Regiment der Staͤnde ſah er ſich zuruͤckgeſetzt; der Sold erfolgte nicht regelmaͤ - ßig; die Armee der Staͤnde beſtand hauptſaͤchlich aus Hol - laͤndern, Englaͤndern, Deutſchen, die als unzweifelhafte Proteſtanten das meiſte Vertrauen genoſſen.
Als die Wallonen der Pacification von Gent beitra - ten, hatten ſie ſich geſchmeichelt auf die allgemeinen Ange - legenheiten des Landes einen leitenden Einfluß zu erlangen. Aber vielmehr das Gegentheil erfolgte. Die Macht gelangte faſt ausſchließend an den Prinzen von Oranien und deſſen Freunde aus Holland und Seeland.
Mit dem perſoͤnlichen Widerwillen, der ſich hiedurch entwickelte, traten aber beſonders religioͤſe Momente zuſammen.
Worauf es auch immer beruhen mag, ſo iſt gewiß, daß die proteſtantiſche Bewegung in den walloniſchen Pro - vinzen nur wenig Anklang gefunden hatte.
94Buch V. Gegenreformationen.Ruhig waren hier die neuen Biſchoͤfe eingefuͤhrt wor - den: faſt alles Maͤnner von großer Wirkſamkeit. In Arras Franz von Richardot, der ſich auf dem Concilium von Trient mit den reſtaurirenden Principien erfuͤllt hatte, von dem man dabei nicht genug ruͤhmen kann, wie ſehr er in ſeinen Predigten Feſtigkeit und Nachdruck mit Feinheit und Bildung, in ſeinem Leben Eifer und Weltkenntniß ver - einigt habe1)Gazet: histoire ecclesiastique des pays-bas p. 143. fin - det ihn subtile e solide en doctrine, nerveux en raisons, riche en sentences, copieux en discours, poly en son langage et grave en actions, mais surtout l’excellente piété et vertu, qui reluisoit en sa vie, rendoit son oraison persuasive. : in Namur Antoine Havet, ein Domini - caner, vielleicht minder weltklug, aber auch fruͤher ein Mit - glied des Conciliums und eben ſo unermuͤdlich die Satzun - gen deſſelben einzufuͤhren2)Havensius: de erectione novorum episcopatuum in Belgio p. 50.: in St. Omer Gerhard von Hamericourt, einer der reichſten Praͤlaten aller Provin - zen — zugleich Abt in St. Bertin — der ſich nun dem Ehrgeiz hingab junge Leute ſtudiren zu laſſen, Schulen zu ſtiften, und in den Niederlanden zuerſt dem Orden der Jeſuiten ein Collegium auf feſte Einkuͤnfte gegruͤn - det hat. Unter dieſen und andern Kirchenhaͤuptern hiel - ten ſich Artois, Hennegau, Namur, waͤhrend alle andern Provinzen in Feuer und Flammen ſtanden, von der wilden Wuth des Bilderſturmes frei3)Hopper: Recueil et mémorial des troubles des pays - bas 93. 98.: ſo daß alsdann auch die Reactionen des Alba hier nicht ſo gewaltſam eintra -95Entſcheidung in den Niederlanden.ten1)Nach Viglii commentarius rerum actarum super impo - sitione decimi denarii bei Papendrecht: Analecta I, 1, 292 ward ihnen der zehnte Pfennig mit der Verſicherung aufgelegt, daß er nicht ſtreng eingetrieben werden ſolle.. Die Schluͤſſe des tridentiniſchen Conciliums wurden ohne langen Verzug in Provinzial-Concilien und Dioͤce - ſan-Synoden eroͤrtert und eingefuͤhrt: von St. Omer und noch mehr von Douay breitete ſich der Einfluß der Je - ſuiten gewaltig aus. In Douay hatte Philipp II. eine Univerſitaͤt geſtiftet, um ſeinen Unterthanen franzoͤſiſcher Zunge die Gelegenheit zu verſchaffen im Lande zu ſtudiren. Es gehoͤrte dieß mit zu der geſchloſſenen geiſtlichen Ver - faſſung, die er uͤberhaupt einzufuͤhren beabſichtigte. Un - fern von Douay liegt die Benedictinerabtei Anchin. In den Tagen, als in dem groͤßten Theil der uͤbrigen Nieder - lande der Bilderſturm wuͤthete, vollzog der Abt von An - chin, Johann Lentailleur, mit ſeinen Moͤnchen die geiſtli - chen Uebungen des Ignatius. Von dem Eindruck derſel - ben noch ganz erfuͤllt, beſchloß er aus den Einkuͤnften der Abtei ein Collegium der Jeſuiten auf der neuen Univerſitaͤt zu ſtiften, das im Jahre 1568 eroͤffnet wurde, ſogleich eine gewiſſe Unabhaͤngigkeit von den Behoͤrden der Univer - ſitaͤt empfing und ſich bald außerordentlich aufnahm. Acht Jahr nachher wird die Bluͤthe der Univerſitaͤt und zwar ſelbſt in Hinſicht des Studiums der Literatur vor allem den Jeſuiten zugeſchrieben. Nicht allein ſey ihr Collegium erfuͤllt mit einer frommen und fleißigen Jugend: auch die uͤbrigen Collegien ſeyen durch den Wetteifer mit jenem em - porgekommen: ſchon ſey aus demſelben die ganze Univerſitaͤt96Buch V. Gegenreformationen.mit trefflichen Theologen, das geſammte Artois und Henne - gau mit vielen Seelſorgern verſehen worden1)Testimonium Thomae Stapletoni (Rectors der Univerſi - taͤt) vom J. 1576 bei Sacchinus IV, IV, 124. „ Plurimos ex hoc patrum collegio — es heißt collegium Aquicintense — Ar - tesia et Hannonia pastores, multos schola nostra theologos opti - me institutos et comparatos accepit. “ Es folgen noch viel groͤ - ßere Lobſpruͤche, welche wir um ſo mehr weglaſſen koͤnnen, da Sta - pleton doch auch ſelbſt ein Jeſuit war.. Allmaͤhlig ward dieß Collegium ein Mittelpunkt des modernen Katho - licismus fuͤr alle umliegenden Gegenden. Im Jahre 1578 galten wenigſtens die walloniſchen Provinzen bei den Zeit - genoſſen, wie einer von ihnen ſich ausdruͤckt, fuͤr hoͤchſt katholiſch2)Michiel: Relatione di Francia: Il conte (der Gouverneur von Hennegau) è cattolichissimo, come è tutto quel contado in - sieme con quel d’Artoes che li è propinquo. .
Wie aber die politiſchen Anſpruͤche, ſo waren ſo eben auch dieſe religioͤſen Zuſtaͤnde von dem Uebergewicht des Proteſtantismus bedroht.
In Gent hatte der Proteſtantismus eine Geſtalt an - genommen, die wir heut zu Tage als revolutionaͤr bezeich - nen wuͤrden. Man hatte hier die alten Freiheiten noch nicht vergeſſen, welche Carl V. 1539 gebrochen: die Miß - handlungen des Alba hatten hier beſonders boͤſes Blut ge - macht: der Poͤbel war von gewaltſamer Natur, bilder - ſtuͤrmeriſch geſinnt und wider die Prieſter in wilder Aufre - gung. Aller dieſer Regungen bedienten ſich ein paar kuͤhne Oberhaͤupter: Imbize und Ryhove. Imbize dachte eine reine Republik einzufuͤhren, und traͤumte davon, daß Gentein97Entſcheidung in den Niederlanden.ein neues Rom werden koͤnne. Sie begannen damit, ihren Gouverneur, Arſchot, eben als er mit einigen Biſchoͤfen und katholiſchen Oberhaͤuptern der benachbarten Staͤdte eine Zuſammenkunft hielt, gefangen zu nehmen: dann ſtellten ſie die alte Verfaſſung wieder her, wohl verſtanden mit einigen Veraͤnderungen, die ihnen den Beſitz der Gewalt ſicherten: hierauf griffen ſie die geiſtlichen Guͤter an: loͤ - ſten das Bisthum auf, zogen die Abteien ein, aus den Hoſpitaͤlern und Kloſtergebaͤuden machten ſie Kaſernen: dieſe ihre Einrichtungen ſuchten ſie endlich mit Gewalt der Waf - fen bei ihren Nachbarn auszubreiten1)Van der Vynkts Geſchichte der Niederlande Bd. II, Buch V, Abſchn. 2; leicht duͤrfte dieſer Abſchnitt der wichtigſte in dem ganzen Buche ſeyn..
Nun gehoͤrten von jenen gefangen genommenen Ober - haͤuptern einige den walloniſchen Provinzen an: ſchon ſtreif - ten die Genter Truppen in das walloniſche Gebiet: was es in demſelben von proteſtantiſcher Geſinnung geben mochte, fing an ſich zu regen: durch das Beiſpiel von Gent wur - den die populaͤren Leidenſchaften mit den religioͤſen in ein unmittelbares Verhaͤltniß gebracht: in Arras brach eine Be - wegung gegen den Rath aus: in Douay ſelbſt wurden durch eine Volksbewegung wider den Willen des Rathes die Jeſuiten vertrieben: zwar nur auf 14 Tage, aber ſchon dieß war ein großer Erfolg: in St. Omer erhielten ſie ſich nur durch den beſondern Schutz des Rathes.
Die ſtaͤdtiſchen Magiſtrate, der Adel des Landes, die Geiſtlichkeit, alle waren auf einmal gefaͤhrdet und bedraͤngt: ſie fanden ſich mit einer Entwickelung bedroht, wie ſie inPäpſte* 798Buch V. Gegenreformationen.Gent Statt gefunden, von offenbar zerſtoͤrender Natur. Kein Wunder, wenn ſie in dieſer Gefahr ſich auf alle Weiſe zu ſchuͤtzen, ſuchten zuerſt ihre Truppen ins Feld ſchickten, welche dann das gentiſche Gebiet grauſam ver - wuͤſteten und ſich darauf nach einer andern ſicherndern Staatsverbindung umſahen, als ihnen ihr Verhaͤltniß zu den allgemeinen niederlaͤndiſchen Staͤnden gewaͤhrte.
Schon Don Johann von Oeſtreich machte ſich dieſe ihre Stimmung zu Nutze.
Wenn man das Thun und Laſſen Don Johanns in den Niederlanden im Allgemeinen betrachtet, ſo ſcheint es wohl, als habe es keine Wirkung hervorgebracht, als ſey ſein ganzes Daſeyn eben ſo ſpurlos verſchwunden, wie es ihm keine perſoͤnliche Befriedigung gewaͤhrte. Ueber - legt man aber naͤher, wie er ſtand, was er that, und was aus ſeinen Unternehmungen erfolgte, ſo iſt, wenn irgend einem Andern, vor allem ihm die Gruͤndung der ſpaniſchen Niederlande zuzuſchreiben. Er verſuchte eine Zeitlang ſich nach der Genter Pacification zu halten: aber in der unab - haͤngigen Stellung welche die Staͤnde genommen, in dem Verhaͤltniß des Prinzen von Oranien, der bei weitem maͤch - tiger war als er der Generalſtatthalter, in dem wechſel - ſeitigen Argwohn beider Theile gegen einander, lag die Nothwendigkeit eines offenen Bruches. Don Johann ent - ſchloß ſich den Krieg anzufangen. Ohne Zweifel that er dieß wider den Willen ſeines Bruders, allein es war un - vermeidlich. Dadurch allein konnte es ihm gelingen und gelang es ihm auch, ein Gebiet zu erwerben, welches die ſpaniſche Herrſchaft wieder anerkannte. Luxemburg behaup -99Entſcheidung in den Niederlanden.tete er noch: er beſetzte Namur: in Folge der Schlacht von Gemblours ward er Meiſter von Loͤwen und Limburg. Wollte der Koͤnig wieder Herr der Niederlande werden, ſo war das nicht durch eine Abkunft mit den Generalſtaa - ten zu erreichen, die ſich unmoͤglich zeigte, ſondern nur durch eine allmaͤhlige Unterwerfung der einzelnen Landſchaften ent - weder im Wege des Vertrages oder mit Gewalt der Waffen. Dieſen Weg ſchlug Don Johann ein und eroͤffnete ſich auf demſelben bereits die groͤßte Ausſicht. Er erweckte die alten Zuneigungen der walloniſchen Provinzen zu dem burgundiſchen Geſchlecht. Vornehmlich brachte er zwei maͤchtige Maͤnner, Pardieu de la Motte, Gouverneur von Graͤvelingen, und Matthieu Moulart, Biſchof von Arras, auf ſeine Seite1)Daß ſie noch unter Don Johann gewonnen waren, ergiebt ſich aus folgenden beiden Stellen. 1. Strada II, 1, p. 19. Par - diaeus Mottae dominus non rediturum modo se ad regis obe - dientiam sed etiam quamplures secum tracturum jam pridem si - gnificarat Joanni Austriaco. 2. Tassis: Episcopum Atrebatensem, qui vivente adhuc Austriaco se regi conciliarat. .
Eben dieſe waren es, die nun nach dem fruͤhen Tode Don Johanns die Unterhandlungen, auf die es ankam, mit großem Eifer und gluͤcklicher Geſchicklichkeit leiteten.
De la Motte bediente ſich des erwachenden Haſſes ge - gen die Proteſtanten. Er bewirkte, daß man die ſtaͤn - diſchen Beſatzungen, eben deshalb, weil ſie proteſtantiſch ſeyn koͤnnten, aus vielen feſten Plaͤtzen entfernte, daß der Adel von Artois bereits im November die Entfernung aller Reformirten aus dieſem Lande beſchloß und ins Werk ſetzte. Hierauf ſuchte Matthieu Moulart eine voͤllige Ver - ſoͤhnung mit dem Koͤnig herbeizufuͤhren. Er begann da -7*100Buch V. Gegenreformationen.mit, daß er durch eine foͤrmliche Proceſſion in der Stadt die Huͤlfe Gottes anrief. Und in der That hatte er es ſchwer: er mußte zuweilen Maͤnner vereinigen, deren An - ſpruͤche geradezu gegen einander liefen. Er zeigte ſich un - verdroſſen, fein und geſchmeidig: gluͤcklich gelang es ihm.
Alexander Farneſe, der Nachfolger Don Johanns, hatte das große Talent zu uͤberzeugen, zu gewinnen und ein nachhaltiges Vertrauen einzufloͤßen. Zu ſeiner Seite ſtanden Franz Richardot, Neffe jenes Biſchofs, „ ein Mann, ſagt Cabrera, von guter Einſicht in mancherlei Materien: geuͤbt in allen: der jedes Geſchaͤft, von welcher Art auch immer, einzuleiten verſtand “, und Sarrazin, Abt von St. Vaaſt, nach der Schilderung deſſelben Cabrera „ ein gro - ßer Politiker unter dem Anſchein der Ruhe, ſehr ehrgeizig unter dem Schein der Demuth, der ſich bei Jedermann in Anſehen zu behaupten wußte “1)Cabrera: Felipe segundo p. 1021..
Sollen wir nun den Gang der Unterhandlungen ſchildern, bis ſie allmaͤhlig zum Ziel gediehen?
Es iſt genug, zu bemerken, daß von Seiten der Pro - vinzen das Intereſſe der Selbſterhaltung und der Religion zu dem Koͤnig hinwies, von Seiten des Koͤnigs nichts un - verſucht blieb, was prieſterlicher Einfluß und geſchickte Un - terhandlung im Verein mit der wiederkehrenden Gnade des Fuͤrſten zu leiſten vermag. Im April 1579 trat Emanuel von Montigny, den die walloniſche Armee als ihren An - fuͤhrer anerkannte, in den Sold des Koͤnigs. Hierauf er - gab ſich auch der Graf von Lalaing: niemals haͤtte Hen - negau ohne ihn gewonnen werden koͤnnen. Endlich —101Entſcheidung in den Niederlanden.17. Mai 1579 — in dem Lager zu Maſtricht ward der Vertrag abgeſchloſſen. Aber zu welchen Bedingungen mußte ſich der Koͤnig verſtehn! Es war eine Reſtauration ſei - ner Macht, die aber nur unter den ſtrengſten Beſchraͤnkun - gen Statt hatte. Er verſprach nicht allein, alle Fremde aus ſeinem Heere zu entlaſſen und ſich nur niederlaͤndiſcher Truppen zu bedienen: er beſtaͤtigte auch alle Angeſtellte in den Aemtern, die ſie waͤhrend der Unruhen bekommen: die Einwohner verpflichteten ſich ſogar, keine Beſatzung aufzu - nehmen, von der den Staͤnden des Landes nicht vorher Nachricht gegeben worden: zwei Drittheil des Staatsraths ſollten aus Leuten beſtehn, welche in die Unruhen mit ver - flochten geweſen. In dieſem Sinne ſind auch die uͤbrigen Artikel1)In ſeiner ganzen Ausfuͤhrlichkeit theilt Taſſis dieſen Ver - trag mit: lib. V, 394 — 405.. Die Provinzen bekamen eine Selbſtaͤndigkeit, wie ſie nie gehabt.
Es liegt hierin eine Wendung der Dinge von allge - meiner Bedeutung. In dem ganzen weſtlichen Europa hatte man bisher den Katholicismus nur durch die Anwendung offener Gewalt zu erhalten und wiedereinzufuͤhren geſucht: die fuͤrſtliche Macht hatte unter dieſem Vorwand die pro - vinzialen Rechte noch vollends zu unterdruͤcken geſtrebt. Jetzt ſah ſie ſich genoͤthigt, einen andern Weg einzuſchla - gen. Wollte ſie den Katholicismus wiederherſtellen, und ſich ſelbſt behaupten, ſo konnte ſie dieß nur im Verein mit Staͤnden und Privilegien ausrichten.
Wie ſehr aber auch die koͤnigliche Macht beſchraͤnkt ward, ſo hatte ſie doch unendlich viel gewonnen. Sie be -102Buch V. Gegenreformationen.ſaß die Landſchaften wieder, auf welche die Groͤße des burgundiſchen Hauſes gegruͤndet war. Alexander Farneſe fuͤhrte den Krieg mit den walloniſchen Truppen. Obwohl es langſam ging, ſo machte er doch immer Fortſchritte. Er nahm 1580 Courtray, 1581 Tournay, 1582 Oude - narde.
Entſchieden aber war damit die Sache noch nicht. Gerade die Vereinigung der katholiſchen Provinzen mit dem Koͤnig mochte es ſeyn, was die noͤrdlichen, voͤllig prote - ſtantiſchen antrieb, nicht allein ſofort in einen naͤhern Bund zu treten, ſondern ſich endlich von dem Koͤnig gaͤnzlich los - zuſagen.
Wir faſſen hier eine Ausſicht uͤber die geſammte nie - derlaͤndiſche Geſchichte. Es war in allen Provinzen ein alter Widerſtreit der provinzialen Rechte und der fuͤrſtli - chen Macht. Zur Zeit des Alba hatte die fuͤrſtliche Macht ein Uebergewicht erlangt, wie ſie es fruͤher niemals beſeſ - ſen. Auch damals aber konnte ſie es nicht behaupten. Die Genter Pacification bezeichnet, wie ſo ganz die Staͤnde die Oberhand uͤber die Regierung erkaͤmpften. Die noͤrd - lichen Provinzen hatten hier vor den ſuͤdlichen keinen Vor - theil. Waͤren beide in der Religion einig geweſen, ſo wuͤr - den ſie eine allgemeine niederlaͤndiſche Republik eingerichtet haben. Allein wie wir ſahen, ſie entzweiten ſich. Es er - folgte zuerſt, daß die katholiſchen unter den Schutz des Koͤnigs zuruͤckkehrten, mit dem ſie ſich vor allem eben zur Behauptung der katholiſchen Religion verbanden: hierauf erfolgte wieder, daß die proteſtantiſchen, nachdem ſie ſich ſo lange im Kampfe behauptet, ſich endlich auch des Na -103Entſcheidung in den Niederlanden.mens der Unterwuͤrfigkeit entſchlugen und ſich vom Koͤnig voͤllig losſagten. Nennt man nun die einen die unterwor - fenen Provinzen, bezeichnet man die andern mit dem Namen einer Republik, ſo darf man doch nicht glauben, daß der Unterſchied zwiſchen beiden im Innern anfangs ſehr groß geweſen. Auch die unterworfenen Provinzen behaupteten alle ihre ſtaͤndiſchen Vorrechte mit dem groͤßten Eifer. Ih - nen gegenuͤber konnten auch die republikaniſchen doch ein der koͤniglichen Gewalt analoges Inſtitut, das des Statt - halters, nicht entbehren. Der vornehmſte Unterſchied lag in der Religion.
Erſt hiedurch trat der Kampf in ſeine reinen Gegen - ſaͤtze auseinander, und die Ereigniſſe reiften ihrer Voll - endung entgegen.
Eben damals hatte Philipp II. Portugal erobert: in - dem er ſich durch das Gluͤck einer ſo großen Erwerbung zu neuen Unternehmungen angefeuert fuͤhlte, ließen ſich auch die walloniſchen Staͤnde endlich geneigt finden, die Ruͤck - kehr der ſpaniſchen Truppen zu geſtatten.
Lalaing, ſeine Gemahlin, die immer eine große Wi - derſacherin der Spanier geweſen, der man die Ausſchlie - ßung derſelben beſonders zuſchrieb, wurden gewonnen: der ganze walloniſche Adel folgte ihrem Beiſpiel. Man uͤber - zeugte ſich, daß die Ruͤckkehr albaniſcher Richterſpruͤche und Gewaltthaten nicht mehr zu beſorgen ſei. Das ſpaniſch - italieniſche Heer, ſchon einmal entfernt, wieder zuruͤckge - kehrt und noch einmal weggewieſen, langte aufs neue an. Mit den niederlaͤndiſchen Mannſchaften allein haͤtte der Krieg ſich ohne Ende ausdehnen muͤſſen: dieſe krieggewohn -104Buch V. Gegenreformationen.ten, wohldisciplinirten, uͤberlegenen Truppen fuͤhrten die Entſcheidung herbei.
Wie in Deutſchland die Colonien der Jeſuiten, aus Spaniern, Italienern und einigen Niederlaͤndern beſtehend, den Katholicismus durch das Dogma und den Unterricht wiederherſtellten: ſo erſchien ein italieniſch-ſpaniſches Heer in den Niederlanden, um mit den walloniſchen Elementen vereinigt der katholiſchen Meinung das Uebergewicht der Waffen zu verſchaffen.
Es iſt an dieſer Stelle unvermeidlich, des Krieges zu gedenken. Er iſt zugleich der Fortſchritt der Religion.
Im Juli 1583 ward Duͤnkirchen, Hafen und Stadt binnen ſechs Tagen: hierauf Niewport und die ganze Kuͤſte bis gegen Oſtende, Dixmuyden, Furnes erobert.
Gleich hier entwickelte dieſer Krieg ſeinen Charak - ter. In allen politiſchen Dingen zeigten ſich die Spa - nier glimpflich: unerbittlich aber in den kirchlichen. Es war nicht daran zu denken, daß den Proteſtanten eine Kir - che, nur ein privater Gottesdienſt geſtattet worden waͤre: die Prediger, die man ergriff, wurden erhenkt. Man fuͤhrte mit vollem Bewußtſeyn einen Religionskrieg. In gewiſ - ſem Sinne war das fuͤr die Lage, in der man ſich befand, ſogar das Kluͤgſte. Von den Proteſtanten haͤtte ſich doch nie eine vollkommene Unterwerfung erlangen laſſen: dage - gen brachte man durch ein ſo entſchiedenes Verfahren die Elemente des Katholicismus, welche in dem Lande noch vor - handen waren, auf ſeine Seite. Ganz von ſelbſt reg - ten ſie ſich. Der Bailliu Servaes von Steeland uͤberlie - ferte das Land Waes: Hulſt und Axel ergaben ſich: bald105Entſcheidung in den Niederlanden.war Alexander Farneſe maͤchtig genug, daß er an einen Angriff auf die großen Staͤdte denken konnte: — er hatte das Land und die Kuͤſte inne: — eine nach der andern, zuerſt Ypern im April, dann Bruͤgge, endlich auch Gent, wo jener Im - bize ſelbſt jetzt fuͤr die Verſoͤhnung Partei gemacht hatte, mußten ſich uͤberliefern. Es wurden den Gemeinden als ſolchen ganz ertraͤgliche Bedingungen zugeſtanden: großentheils wurden ihnen ihre Privilegien gelaſſen: nur die Proteſtan - ten wurden ohne Erbarmen verwieſen; die vornehmſte Be - dingung war immer, daß die katholiſchen Geiſtlichen zu - ruͤckkehren, die Kirchen wieder an den katholiſchen Ritus heimfallen ſollten.
Mit alle dem ſchien jedoch nichts Bleibendes erreicht, keine Sicherheit gewonnen, ſo lange der Prinz von Ora - nien noch lebte, der dem Widerſtand Haltung und Nach - druck gab und auch in den Ueberwundenen die Hoffnung nicht untergehn ließ.
Die Spanier hatten einen Preis von 25000 Sc. auf ſeinen Kopf geſetzt: in der wilden Aufregung, in der die Gemuͤther waren, konnte es nicht an ſolchen fehlen, die ihn ſich zu verdienen dachten. Gewinnſucht und Fanatis - mus trieben ſie zugleich an. Ich weiß nicht, ob es eine groͤßere Blasphemie giebt, als die welche die Papiere des Biscayers Jaureguy enthalten, den man bei einem Atten - tat auf das Leben des Prinzen ergriff. Als eine Art Amu - let fuͤhrte er Gebete bei ſich, in denen die gnaͤdige Gott - heit, die dem Menſchen in Chriſto erſchienen, zur Beguͤn - ſtigung des Mordes angerufen, in denen ihr nach voll - brachter That gleichſam ein Theil des Gewinnes zugeſagt106Buch V. Gegenreformationen.wird, der Mutter Gottes von Bayonne ein Kleid, eine Lampe, eine Krone, der Mutter Gottes von Aranzoſu eine Krone, dem Herrn Chriſtus ſelbſt ein reicher Vorhang!1)Contemporary Copy of a vow and of certain prayers found in the form of an amulet upon Jaureguy: in den Sammlungen des Lord Egerton. „ A vos, Senor Jesus Christo, redemptor y salvador del mundo, criador del cielo y de la tierra, os offrezco, siendo o[servido] librarme con vida despues de haver effectuado mi deseo, un belo muy rico. “ So geht es weiter. — Gluͤcklicherweiſe ergriff man dieſen Fanatiker: aber in dem war ſchon ein anderer unterwegs. In dem Augenblick, daß die Achtserklaͤrung in Maſtricht ausgerufen ward, hatte ſich ein Burgunder, der ſich dort aufhielt, Baltaſar Gerard, von dem Gedanken ergriffen gefuͤhlt ſie zu voll - ſtrecken2)Relatione del successo della morte di Guilielmo di Nas - sau principe di Orange e delli tormenti patiti del gencrosissi - mo giovane Baldassarre Gerardi Borgognone: Inff. politt. XII, enthaͤlt einige von den gewoͤhnlichen Angaben abweichende Notizen. „ Gerardi, la cui madre è di Bisansone, d’anni 28 incirca, gio - vane non meno dotto che eloquente. — Siebenthalb Jahr habe er ſich mit der Abſicht getragen. Offerendosi dunque l’opportu - nità di portar le lettere del duca d’Alansone al Nassau, essendo già lui gentilhuomo di casa, alli 7 Luglio un hora e mezzo dopo pranso uscendo il principe della tavola scargandoli un ar - chibugetto con tre palle gli colse sotto la zinna manca e gli fece una ferita di due diti colla quale l’ammazzò. “. Die Hoffnungen die er ſich machte, von ir - diſchem Gluͤck und Anſehen, das ihn erwarte wenn es ihm gelinge, von dem Ruhm eines Maͤrtyrers, den er davon tragen werde falls er dabei umkomme, Gedanken in denen ihn ein Jeſuit von Trier beſtaͤrkte, hatten ihm ſeitdem keine Ruhe bei Tag und Nacht gelaſſen, bis er aufbrach, die That zu vollbringen. Er ſtellte ſich dem Prinzen als ein Fluͤchtling dar: ſo fand er Eingang107Entſcheidung in den Niederlanden.und den guͤnſtigen Augenblick: im Juli 1584 toͤdtete er Oranien mit einem Schuß. Er ward ergriffen: aber keine Marter, die man ihm anthat, entwand ihm einen Seufzer: er ſagte immer, haͤtte ers nicht gethan, ſo wuͤrde ers noch thun. Indem er in Delft unter den Verwuͤnſchungen des Volkes ſeinen Geiſt aufgab, hielten die Domherrn in Her - zogenbuſch ein feierliches Tedeum fuͤr ſeine That.
Alle Leidenſchaften ſind in wilder Gaͤhrung: der An - trieb, den ſie den Katholiſchen geben, iſt der ſtaͤrkere: er vollfuͤhrt ſeine Sache und traͤgt den Sieg davon.
Haͤtte der Prinz gelebt, ſo wuͤrde er, glaubt man, Mittel gefunden haben, Antwerpen, das bereits belagert wurde, zu entſetzen, wie er es zugeſagt hatte. Jetzt gab es Niemand der an ſeine Stelle haͤtte treten koͤnnen.
Die Unternehmung gegen Antwerpen war aber ſo um - faſſend, daß auch die andern wichtigen brabantiſchen Staͤdte dadurch unmittelbar angegriffen waren. Der Prinz von Parma ſchnitt allen zugleich die Zufuhr von Lebensmitteln ab. Zuerſt ergab ſich Bruͤſſel. Als dieſe des Ueberfluſſes gewohnte Stadt ſich von Mangel bedroht ſah, brachen Parteiungen aus, welche zur Ueberlieferung fuͤhrten. Dann fiel Mecheln: endlich, als der letzte Verſuch die Daͤmme zu durchſtechen und uͤber das Land her ſich Zufuhr zu verſchaffen mißlungen war, mußte auch Antwerpen ſich er - geben.
Es wurden auch dieſen brabantiſchen Staͤdten, ſo wie den flandriſchen, uͤbrigens die glimpflichſten Bedingungen gewaͤhrt: Bruͤſſel ward von der Contribution frei geſpro - chen: Antwerpen erhielt die Zuſage, daß man keine ſpani -108Buch V. Gegenreformationen.ſche Beſatzung in die Stadt legen, die Citadelle nicht er - neuern wolle. Eine Verpflichtung war ſtatt aller an - dern, daß Kirchen und Kapellen wieder hergeſtellt, die ver - jagten Prieſter und Ordensleute wieder zuruͤckberufen wer - den ſollten. Der Koͤnig war hierin ganz unerſchuͤtterlich. Bei jeder Uebereinkunft, ſagte er, muͤſſe dieß die erſte und die letzte Bedingung ſeyn. Die einzige Gnade, zu der er ſich verſtand, war, daß den Eingeſeſſenen jedes Ortes zwei Jahre geſtattet wurden, um ſich entweder zu bekehren oder ihre Habe zu verkaufen und das ſpaniſche Gebiet zu raͤumen.
Wie ſo ganz hatten ſich nun die Zeiten geaͤndert. Einſt hatte Philipp II. ſelbſt Bedenken getragen den Je - ſuiten in den Niederlanden feſte Sitze zu gewaͤhren, und oft waren ſie ſeitdem gefaͤhrdet, angegriffen, verbannt wor - den. Im Gefolge der Kriegsereigniſſe kehrten ſie nun und zwar unter der entſchiedenen Beguͤnſtigung der Staatsge - walt zuruͤck. Die Farneſen waren ohnehin beſondere Goͤn - ner dieſer Geſellſchaft: Alexander hatte einen Jeſuiten zu ſeinem Beichtvater: er ſah in dem Orden das vorzuͤglichſte Mittel, das halb proteſtantiſche Land, das er erobert, wie - der voͤllig zum Katholicismus zuruͤckzubringen, den Haupt - zweck des Krieges erfuͤllen zu helfen1)Sacchinus: Alexandro et privati ejus consilii viris ea stabat sententia, ut quaeque recipiebatur ex haereticis civitas, con - tinuo fere in eam inmitti societatem debere: valere id tum ad pieta - tem privatam civium tum ad pacem tranquillitatemque intelligebant. (Pars V, lib. IV, n. 58.) Nach der Imago primi seculi war dieß auch der Wille des Koͤnigs, qui recens datis de hoc argumento literis ducem cum cura monuerat, ut societatis praesidio munire satageret praecipuas quasque Belgii civitates, Behauptungen welche durch die Thatſachen hinreichend bewaͤhrt werden.. Der erſte Ort109Entſcheidung in den Niederlanden.in welchem ſie wieder auftraten war eben der erſte welcher erobert worden, Courtray. Der Pfarrer der Stadt, Johann David, hatte die Jeſuiten in ſeinem Exil zu Douay ken - nen gelernt: jetzt kehrte er wieder, aber nur um ſofort in den Orden zu treten, und in ſeiner Abſchiedspredigt die Einwohner zu ermahnen, der geiſtlichen Huͤlfe dieſer Ge - ſellſchaft ſich nicht laͤnger berauben zu wollen: leicht ließen ſie ſich uͤberreden. Jetzt kam der alte Johann Montagna, der die Geſellſchaft zuerſt in Tournay eingefuͤhrt, und mehr als einmal fliehen muͤſſen, dahin zuruͤck, um dieſelbe auf immer zu begruͤnden. So wie Bruͤgge und Ypern uͤberge - gangen, langten die Jeſuiten daſelbſt an: gern bewilligte ihnen der Koͤnig einige Kloͤſter, die waͤhrend der Unruhen veroͤdet. In Gent ward das Haus des großen Demago - gen, des Imbize, von welchem das Verderben des Katho - licismus ausgegangen, fuͤr die Geſellſchaft eingerichtet. Bei ihrer Ueberlieferung wollten ſich die Antwerpner ausbedin - gen, daß ſie nur diejenigen Orden wieder aufzunehmen haͤt - ten, welche zur Zeit Carls V. daſelbſt geweſen: aber es ward ihnen nicht nachgegeben: ſie mußten die Jeſuiten wie - der einziehen laſſen und denſelben die Gebaͤude zuruͤckſtellen die ſie fruͤher inne gehabt: mit Vergnuͤgen erzaͤhlt es der Geſchichtſchreiber des Ordens: er bemerkt es als eine be - ſondere Gunſt des Himmels, daß man das ſchuldenfrei wiederbekommen was man verſchuldet hinterlaſſen habe: es war indeß in zweite und dritte Haͤnde uͤbergegangen, und wurde ohne Weiteres zuruͤckgeſtellt. Da konnte auch Bruͤſ - ſel dem allgemeinen Schickſal nicht entgehn: der Rath der Stadt erklaͤrte ſich bereit: der Prinz von Parma bewilligte110Buch V. Gegenreformationen.eine Unterſtuͤtzung aus koͤniglichen Caſſen: gar bald waren die Jeſuiten auch hier auf das beſte eingerichtet. Schon hatte ihnen der Prinz feierlich das Recht ertheilt liegende Gruͤnde unter geiſtlicher Jurisdiction zu beſitzen und ſich auch in dieſen Provinzen der Privilegien des apoſtoliſchen Stuhles frei zu bedienen.
Und nicht allein die Jeſuiten genoſſen ſeines Schutzes. Im Jahre 1585 langten einige Capuziner bei ihm an: durch ein beſonderes Schreiben an den Papſt wußte er auszuwirken, daß ſie bei ihm bleiben durften; dann kaufte er ihnen ein Haus in Antwerpen. Sie machten ſogar bei ihren Ordensverwandten einen großen Eindruck: durch aus - druͤcklichen paͤpſtlichen Befehl mußten andere Franciscaner abgehalten werden die Reform der Capuziner anzunehmen.
Alle dieſe Veranſtaltungen hatten aber nach und nach die groͤßte Wirkung. Sie machten Belgien, das ſchon halb proteſtantiſch geweſen, zu einem der am meiſten katholi - ſchen Laͤnder der Welt. Auch iſt wohl unlaͤugbar, daß ſie wenigſtens in den erſten Zeiten zur Wiederbefeſtigung der koͤniglichen Gewalt das Ihre beitrugen.
Feſt und feſter ſetzte ſich durch dieſe Erfolge die Mei - nung, daß in einem Staate nur Eine Religion geduldet werden duͤrfe. Es iſt einer der Hauptgrundſaͤtze der Politik des Juſtus Lipſius. In Sachen der Religion, ſagt Lip - ſius, ſey keine Gnade noch Nachſicht zulaͤßig: die wahre Gnade ſey ungnaͤdig zu ſeyn: um Viele zu retten muͤſſe man ſich nicht ſcheuen einen und den andern zu entfernen.
Ein Grundſatz der nirgends groͤßern Eingang fand als in Deutſchland.
Waren doch die Niederlande noch immer ein Kreis des deutſchen Reiches! Der Natur der Dinge nach muß - ten die dortigen Ereigniſſe einen großen Einfluß auf die deutſchen Angelegenheiten ausuͤben. Unmittelbar in ih - rem Gefolge ward die Coͤlner Sache entſchieden.
Noch waren die Spanier nicht wiedergekehrt, geſchweige die großen Vortheile des Katholicismus erfochten, als ſich der Churfuͤrſt Truchſeß von Coͤln im November 1582 ent - ſchloß ſich zu der reformirten Lehre zu bekennen, und eine Frau zu nehmen, ohne doch daruͤber ſein Stift aufgeben zu wollen. Der groͤßere Theil des Adels war fuͤr ihn: die Grafen von Nuenar, Solms, Wittgenſtein, Wied, Naſ - ſau, das ganze Herzogthum Weſtphalen, alle Evangeliſchen: mit dem Buch in der einen und dem Schwert in der an - dern Hand zog der Churfuͤrſt in Bonn ein: um die Stadt Coͤln, das Capitel und das Erzſtift, die ſich ihm wider - ſetzten, zu bezwingen, erſchien Caſimir von der Pfalz mit nicht unbedeutender Mannſchaft im Felde.
In allen Haͤndeln jener Zeit finden wir dieſen Caſi - ſimir von der Pfalz: immer iſt er bereit zu Pferd zu ſitzen, das Schwert zu ziehen: immer hat er kriegsluſtige Schaa - ren, proteſtantiſch geſinnte, bei der Hand. Selten aber bringt er es zu einem rechten Erfolge. Er fuͤhrt den Krieg weder mit der Hingebung, die eine religioͤſe Sache erfor - dert — jedesmal hatte er ſeinen beſondern Vortheil im Auge — noch mit dem Nachdruck oder der Wiſſenſchaft,112Buch V. Gegenreformationen.die man ihm entgegenſetzt. Auch dießmal verwuͤſtete er wohl das platte Land ſeiner Gegner: in der Hauptſache dagegen richtete er ſo viel wie nichts aus1)Isselt: historia belli Coloniensis p. 1092. Tota hac ae - state nihil hoc exercitu dignum egit. : Eroberungen machte er nicht: eine weitere Huͤlfe des proteſtantiſchen Deutſchlands wußte er ſich nicht zu verſchaffen.
Dagegen nahmen die katholiſchen Maͤchte alle ihre Kraft zuſammen. Papſt Gregor uͤberließ die Sache nicht den Verzoͤgerungen eines Proceſſes an der Curie: ein ein - faches Conſiſtorium der Cardinaͤle hielt er bei der Dring - lichkeit der Umſtaͤnde fuͤr hinreichend einen ſo wichtigen Fall zu entſcheiden, einen deutſchen Churfuͤrſten ſeiner erz - biſchoͤflichen Wuͤrde zu berauben2)Maffei: Annali di Gregorio XIII. II, XII, 8. . Schon war ſein Nun - tius Malaſpina nach Coͤln geeilt: hier gelang es demſelben, beſonders im Bunde mit den gelehrten Mitgliedern des Stiftes, nicht allein alle Minder-Entſchiedenen von dem Capitel auszuſchließen, ſondern auch einen Fuͤrſten aus dem noch allein vollkommen katholiſchen Hauſe, den Herzog Ernſt von Baiern, Biſchof von Freiſingen, auf den erzbi - ſchoͤfliſchen Stuhl zu erheben3)Schreiben Malaſpinas an Herzog Wilhelm v. Baiern bei Adlzreitter II, XII, 295. Quod cupiebamus, ſagt er darin, im - petravimus. . Hierauf erſchien, von dem Herzog von Baiern und nicht ohne Subſidien des Papſtes zuſammengebracht, ein deutſch-katholiſches Heer im Felde. Der Kaiſer verſaͤumte nicht, den Pfalzgrafen Ca - ſimir mit Acht und Aberacht zu bedrohen, und Abmah - mahnungsſchreiben an ſeine Truppen zu erlaſſen, die doch113Fortgang derſelben in Deutſchland. Coͤln.in der That zuletzt die Aufloͤſung des pfaͤlziſchen Heeres bewirkten. Als es ſo weit war, erſchienen auch die Spa - nier. Im Sommer 1583 noch hatten ſie Zuͤtphen erobert: jetzt ruͤckten viertehalbtauſend belgiſche Veteranen in das Erzſtift ein. So vielen Feinden erlag Gebhard Truchſeß: ſeine Truppen wollten wider ein kaiſerliches Mandat nicht dienen: ſeine Hauptfeſte ergab ſich dem baieriſch-ſpaniſchen Heere: er ſelbſt mußte fluͤchten und bei dem Prinzen von Oranien, dem er als ein Vorfechter des Proteſtantismus zur Seite zu ſtehn gehofft hatte, einen Gnadenaufenthalt ſuchen.
Wie ſich verſteht, hatte dieß nun auf die vollkommene Befeſtigung des Katholicismus in dem Lande den groͤßten Einfluß. Gleich im erſten Augenblick der Unruhen hatte die Geiſtlichkeit des Stiftes die Zwiſtigkeiten, die in ihr ſelbſt obwalten mochten, fahren laſſen: der Nuntius entfernte alle verdaͤchtigen Mitglieder: mitten im Getuͤmmel der Waf - fen richtete man eine Jeſuitenkirche ein: nach erfochtenem Siege brauchte man dann nur ſo fortzufahren. Auch Truch - ſeß hatte in Weſtphalen die katholiſchen Geiſtlichen verjagt: ſie kehrten nun, wie die uͤbrigen Fluͤchtlinge, alle zuruͤck und wurden in hohen Ehren gehalten1)„ Churfuͤrſt Ernſt “, ſagt Khevenhiller, „ hat ſowol die ka - tholiſche Religion als das weltlich Regiment aufs neu, alt Herkom - men gemaͤß, beſtellt. “. Die evangeliſchen Domherrn blieben von dem Stifte ausgeſchloſſen, und er - hielten ſogar, was unerhoͤrt war, ihr Einkommen nicht wieder. Zwar mußten die paͤpſtlichen Nuntien auch mit den katholiſchen glimpflich verfahren: wohl wußte das PapſtPäpſte* 8114Buch V. Gegenreformationen.Sixtus: er befahl unter andern ſeinem Nuntius die Re - formen, die er fuͤr noͤthig halte, gar nicht zu beginnen, ſo - bald er nicht wiſſe, daß Alle geneigt ſeyen ſie anzunehmen: aber eben auf dieſe vorſichtige Weiſe kam man unvermerkt zum Ziele: die Domherrn begannen, ſo vornehm auch ihre Herkunft war, endlich wieder ihre kirchlichen Pflichten im Dom zu erfuͤllen. An dem Coͤlner Rathe, der eine prote - ſtantiſch geſinnte Gegenpartei in der Stadt hatte, fand die katholiſche Meinung eine maͤchtige Unterſtuͤtzung.
Schon an ſich mußte dieſer große Umſchwung auch auf alle andern geiſtlichen Gebiete wirken: — in der Nach - barſchaft von Coͤln trug dazu noch ein beſonderer Zufall bei. Jener Heinrich Sachſenlauenburg — welcher das Beiſpiel Gebhards nachgeahmt haben wuͤrde, wenn es ge - lungen waͤre, — Biſchof von Paderborn, Osnabruͤck, Erz - biſchof von Bremen, ritt eines Sonntags im April 1585 von dem Hauſe Voͤhrde nach der Kirche: auf dem Ruͤck - weg ſtuͤrzte er mit dem Pferde: obwohl er jung und kraͤf - tig war, auch keine bedeutende Verletzung erlitten hatte, ſtarb er doch noch in demſelben Monat. Die Wahlen, die hierauf erfolgten, ſchlugen nun ſehr zum Vortheil des Katholicismus aus. Der neue Biſchof in Osnabruͤck un - terſchrieb wenigſtens die Profeſſio fidei1)Nach Strunck: Annales Paderbornenses p. 514. war Bernard von Waldeck fruͤher dem Proteſtantismus geneigt geweſen, hatte ſich waͤhrend der Coͤlner Unruhen neutral gezeigt, und legte nun das katholiſche Bekenntniß ab. Chytraͤus (Saxonia 812) wi - derſpricht dem nicht.: ein entſchiedener katholiſcher Eiferer aber war der neue Biſchof von Pader - born, Theodor von Fuͤrſtenberg. Schon fruͤher als Dom -115Fortgang derſelben in Deutſchland. Paderborn.herr hatte er ſeinem Vorfahren Widerſtand geleiſtet, und bereits im Jahre 1580 das Statut bewirkt, daß kuͤnftig nur Katholiken in das Capitel aufgenommen werden ſoll - ten1)Beſſen: Geſchichte von Paderborn II, 123. Bei Reiffen - berg: historia provinciae ad Rhenum inferiorem lib. VIII, c. I, p. 185, findet ſich ein Schreiben Papſt Gregors XIII „ dilectis filiis canonicis et capitulo ecclesiae Paderbornensis “6. Febr. 1584, worin er dieſe Widerſetzlichkeit lobt: „ So ſey es recht: je mehr man angegriffen werde, deſto ſtaͤrkern Widerſtand muͤſſe man leiſten: auch er der Papſt trage die Vaͤter der Geſellſchaft Jeſu in ſeinem Herzen. “: ſchon hatte er auch ein paar Jeſuiten kommen laſ - ſen, und ihnen die Predigt im Dom, ſo wie die obern Claſſen des Gymnaſiums anvertraut, obwohl das letztere nur unter der Bedingung, daß ſie ſich keiner Ordensklei - dung bedienen ſollten. Wie viel leichter aber ward es ihm nun, dieſe Richtung durchzuſetzen, nachdem er ſelber Biſchof geworden war. Jetzt brauchten die Jeſuiten nicht mehr ihre Anweſenheit zu verheimlichen: das Gymna - ſium ward ihnen unverholen uͤbergeben: zu der Predigt kam die Katecheſe. Sie fanden hier vollauf zu thun. Der Stadtrath war durchaus proteſtantiſch: unter den Buͤr - gern fand man kaum noch Katholiken. Auf dem Lande war es nicht anders. Die Jeſuiten verglichen Paderborn mit einem duͤrren Acker, der ungemeine Muͤhe mache und doch keine Fruͤchte tragen wolle. Endlich — wir werden es noch beruͤhren — in dem Anfang des ſiebzehnten Jahr - hunderts ſind ſie dennoch durchgedrungen.
Auch fuͤr Muͤnſter war jener Todesfall ein wichtiges Ereigniß. Da die juͤngern Domherrn fuͤr Heinrich, die aͤl - tern wider ihn waren, ſo hatte bisher keine Wahl zu8*116Buch V. Gegenreformationen.Stande kommen koͤnnen. Jetzt ward Herzog Ernſt von Baiern, Churfuͤrſt von Coͤln, Biſchof von Luͤttich, auch zum Biſchof von Muͤnſter poſtulirt. Der entſchiedenſte Katho - lik des Stiftes, der Domdechant Raesfeld, ſetzte das noch durch: er beſtimmte noch aus ſeinem Vermoͤgen ein Legat von 12000 Rthlr. fuͤr ein Collegium der Jeſuiten, das zu Muͤnſter eingerichtet werden ſollte: dann ſtarb er. Im J. 1587 langten die erſten Jeſuiten an. Sie fanden Wider - ſtand bei den Domherrn, den Predigern, den Buͤrgern: aber der Rath und der Fuͤrſt unterſtuͤtzten ſie: ihre Schu - len entwickelten ihr außerordentliches Verdienſt: im dritten Jahre ſchon ſollen ſie tauſend Schuͤler gezaͤhlt haben: eben damals, im J. 1590, bekamen ſie durch eine freigebige Bewilligung geiſtlicher Guͤter von Seiten des Fuͤrſten eine vollends unabhaͤngige Stellung1)Sacchinus pars V. lib. VIII, n. 83 — 91. Reiffenberg: Historia provinciae ad Rhenum inferiorem I, IX, VI. .
Churfuͤrſt Ernſt beſaß auch das Bisthum Hildesheim. Obwohl hier ſeine Macht um vieles beſchraͤnkter war, ſo trug er doch auch hier zur Aufnahme der Jeſuiten bei. Der erſte Jeſuit, der nach Hildesheim kam, war Johann Hammer, ein geborner Hildesheimer, im lutheriſchen Glau - ben erzogen — noch lebte ſein Vater — aber mit dem Eifer eines Neubekehrten erfuͤllt. Er predigte mit vorzuͤg - licher Deutlichkeit: es gelangen ihm einige glaͤnzende Be - kehrungen: allmaͤhlig faßte er feſten Fuß: im Jahre 1590 bekamen die Jeſuiten auch in Hildesheim Wohnung und Penſion.
Wir bemerken, wie wichtig der Katholicismus des117Fortgang in Deutſchl. Muͤnſter. Hildesheim.Hauſes Baiern nun auch fuͤr Niederdeutſchland wurde. Ein baieriſcher Prinz erſcheint in ſo vielen Sprengeln zugleich, als die eigentliche Stuͤtze deſſelben.
Doch duͤrfte man nicht glauben, daß dieſer Fuͤrſt nun ſelbſt ſehr eifrig, ſehr devot geweſen ſey. Er hatte natuͤr - liche Kinder, und man war einmal der Meinung, er werde es zuletzt auch wie Gebhard Truchſeß machen. Es iſt ganz merkwuͤrdig zu betrachten, mit welcher Behutſamkeit ihn Papſt Sixtus behandelt. Sorgfaͤltig huͤtet er ſich ihn merken zu laſſen, daß er von ſeinen Unordnungen wiſſe, ſo gut er ſie auch kennen mag. Es waͤren dann Ermah - nungen, Demonſtrationen noͤthig geworden, die den eigen - ſinnigen Fuͤrſten gar leicht zu einem unerwuͤnſchten Entſchluß haͤtten treiben koͤnnen1)Tempesti: Vita di Sisto V tom. I, p. 354..
Denn die deutſchen Geſchaͤfte ließen ſich noch lange nicht behandeln wie die niederlaͤndiſchen behandelt wurden. Sie forderten die zarteſte perſoͤnliche Ruͤckſicht.
Obwohl Herzog Wilhelm von Cleve ſich aͤußerlich zum katholiſchen Bekenntniß hielt, ſo war doch ſeine Politik im Ganzen proteſtantiſch: proteſtantiſchen Fluͤchtlingen gewaͤhrte er mit Vergnuͤgen Aufnahme und Schutz: ſeinen Sohn Jo - hann Wilhelm, der ein eifriger Katholik war, hielt er von allem Antheil an den Geſchaͤften entfernt. Leicht haͤtte man in Rom verſucht ſeyn koͤnnen Mißfallen und Entruͤſtung hieruͤber blicken zu laſſen und die Oppoſition dieſes Prin - zen zu beguͤnſtigen. Allein Sixtus V. war viel zu klug dazu. Nur als der Prinz ſo lebhaft darauf drang, daß es ohne Beleidigung nicht mehr haͤtte vermieden werden118Buch V. Gegenreformationen.koͤnnen, wagte der Nuntius eine Zuſammenkunft in Duͤſ - ſeldorf mit ihm zu halten: auch dann ermahnte er denſel - ben vor allem zur Geduld. Der Papſt wollte nicht, daß er das goldene Vließ bekomme: es koͤnnte Verdacht er - wecken; auch wandte er ſich nicht direct an den Vater zu Gunſten des Sohnes: jede Verbindung mit Rom waͤre mißfaͤllig geweſen: nur durch eine Verwendung des Kai - ſers, die er auswirkte, ſuchte er dem Prinzen eine ſeiner Geburt angemeſſenere Stellung zu verſchaffen: den Nuntius wies er an, uͤber gewiſſe Dinge zu thun als bemerke er ſie nicht. Eben dieſe ſchonungsvolle Bedachtſamkeit einer doch immer noch anerkannten Autoritaͤt verfehlte auch hier ihre Wirkung nicht. Der Nuntius bekam nach und nach doch Einfluß: als die Proteſtanten auf dem Landtag auf einige Beguͤnſtigungen antrugen, war er es, der durch ſeine Vorſtellungen hauptſaͤchlich veranlaßte, daß ſie ab - ſchlaͤglich beſchieden wurden1)Tempesti: Vita di Sisto V tom. I, p. 359..
Und ſo ward in einem großen Theile von Niederdeutſch - land der Katholicismus wenn nicht augenblicklich wieder - hergeſtellt, aber doch in großer Gefahr behauptet, feſtge - halten und verſtaͤrkt: er erlangte ein Uebergewicht, das ſich im Laufe der Zeit zur vollkommenen Herrſchaft ausbilden konnte.
In dem obern Deutſchland trat unmittelbar eine ver - wandte Entwickelung ein.
Wir beruͤhrten den Zuſtand der fraͤnkiſchen Bisthuͤmer. Ein entſchloſſener Biſchof haͤtte wohl daran denken koͤnnen, ihn zur Erwerbung einer erblichen Macht zu benutzen.
119Fortgang derſelben in Deutſchland. Wuͤrzburg.Es iſt vielleicht wirklich an dem, daß Julius Echter von Mespelbronn — der im Jahre 1573, noch ſehr jung und unternehmend von Natur, Biſchof von Wuͤrzburg ward — einen Augenblick geſchwankt hat, welche Politik er er - greifen ſollte.
Er nahm an der Vertreibung des Abtes von Fulda thaͤtigen Antheil, und es kann unmoͤglich eine ſehr ausge - ſprochene katholiſche Geſinnung geweſen ſeyn, was Capitel und Staͤnde von Fulda mit ihm in Verhaͤltniß brachte. Eben die Herſtellung des Katholicismus war ja die Haupt - beſchwerde die ſie gegen ihren Abt erhoben. Auch gerieth der Biſchof hiedurch in Mißverhaͤltniſſe mit Rom: Gregor XIII. legte ihm auf, Fulda zuruͤckzugeben. Er that das gerade damals, als Truchſeß ſeinen Abfall ausſprach. In der That machte Biſchof Julius hierauf Anſtalt ſich an Sachſen zu wenden und das Haupt der Lutheraner gegen den Papſt zu Huͤlfe zu rufen: er ſtand mit Truchſeß in naͤherer Verbindung, und wenigſtens dieſer faßte die Hoffnung, der Biſchof von Wuͤrzburg werde ſeinem Beiſpiel nachfolgen: mit Vergnuͤgen meldet dieß der Abgeordnete jenes lauenburgiſchen Erzbiſchofs von Bremen ſeinem Herrn1)Schreiben Hermanns von der Decken (denn Becken wird wohl eine falſche Lesart ſeyn) vom 6. Dec. 1582 in Schmidt-Phi - ſeldeck Hiſtoriſchen Miscellaneen I, 25. „ Auf des Legaten Anbrin - gen und Werbunge hat Wirzburgenſis ein klein Bedenken gebetten: und hat zur Stunde ſeine Pferde und Geſinde laſſen fertig werden, wollen aufſitzen und nach dem Herrn Churf. zu Sachßen reitten und Ihre Churf. G. uͤber ſolliche des Papſts unerhorte Importunitet — klagen — auch um radt, hulff und Troſt anhalten — — — — Der Herr Churfuͤrſt (v. Coͤln) hatt große Hoffnung zu hochgedach -.
120Buch V. Gegenreformationen.Unter dieſen Umſtaͤnden laͤßt ſich ſchwerlich ſagen, was Biſchof Julius gethan haben wuͤrde, wenn ſich Truchſeß in Coͤln behauptet haͤtte. Da dieß aber ſo vollſtaͤndig fehl - ſchlug, konnte er nicht allein nicht daran denken ihm nach - zuahmen: er faßte vielmehr einen ganz entgegengeſetzten Entſchluß.
Waͤre vielleicht die Summe ſeiner Wuͤnſche nur gewe - ſen Herr in ſeinem Lande zu werden? Oder war er in in ſeinem Herzen wirklich von ſtreng katholiſcher Ueberzeu - gung? Er war doch ein Zoͤgling der Jeſuiten, in dem Collegium Romanum erzogen. Genug, im Jahre 1584 nahm er eine Kirchenviſitation in katholiſchem Sinne vor, die in Deutſchland ihres Gleichen noch nicht gehabt hatte: mit der ganzen Staͤrke eines entſchloſſenen Willens, per - ſoͤnlich ſetzte er ſie ins Werk.
Von einigen Jeſuiten begleitet durchzog er ſein Land. Er ging zuerſt nach Gmuͤnden: von da nach Arnſtein, Wer - neck, Haßfurt: ſo fort von Bezirk zu Bezirk. In jeder Stadt berief er Buͤrgermeiſter und Rath vor ſich, und er - oͤffnete ihnen ſeinen Entſchluß die proteſtantiſchen Irrthuͤ - mer auszurotten. Die Prediger wurden entfernt und mit den Zoͤglingen der Jeſuiten erſetzt. Weigerte ſich ein Be - amter den katholiſchen Gottesdienſt zu beſuchen, ſo wurde er ohne Gnade entlaſſen: ſchon warteten Andere, Katholiſch - geſinnte, auf die erledigten Stellen. Aber auch jeder Privat - mann ward zu dem katholiſchen Gottesdienſt angehalten: es blieb ihm nur die Wahl zwiſchen der Meſſe und der1)ten Herrn Biſchoffen, daß J. F. Gn. verhoffentlich dem Papſte wer - den abfallen. “121Fortgang derſelben in Deutſchland. Wuͤrzburg.Auswanderung: wenn die Religion des Fuͤrſten ein Greuel ſey, der ſolle auch an ſeinem Lande keinen Theil haben1)Lebensbeſchreibung des Biſchofs Julius in Gropps Chronik von Wuͤrzburg p. 335: „ es ward ihnen angeſagt ſich von den Aemtern und Befehlen zu droſſen und ihr Hausweſen außer dem Stift zu ſuchen. “ Ich benutze dieſe Lebensbeſchreibung hier auch ſonſt, mit ihr beſonders Christophori Mariani Augustani Encae - nia et Tricennalia Juliana in Gropps Scriptt. Wirceb. tom. I. . Vergebens verwandten ſich die Nachbarn hiegegen. Biſchof Julius pflegte zu ſagen: nicht das was er thue, errege ihm Bedenklichkeiten, ſondern daß er es ſo ſpaͤt thue. Auf das eifrigſte ſtanden ihm die Jeſuiten bei. Beſonders bemerkte man den Pater Gerhard Weller, der allein und ohne Ge - paͤck zu Fuß von Ort zu Ort zog und predigte. In dem Eiren Jahre 1586 wurden 14 Staͤdte und Maͤrkte, uͤber 200 Doͤrfer, bei 62000 Seelen zum Katholicismus zu - ruͤckgebracht. Nur die Hauptſtadt des Stiftes war noch uͤbrig: im Merz 1587 nahm der Biſchof auch dieſe vor. Er ließ den Stadtrath vor ſich kommen: dann ſetzte er fuͤr jedes Viertel und jede Pfarre eine Commiſſion nieder, wel - che die Buͤrger einzeln verhoͤrte. Eben hier fand ſich, daß die Haͤlfte derſelben proteſtantiſche Meinungen hegte. Man - che waren nur ſchwach in ihrem Glauben: bald fuͤgten ſie ſich, und die feierliche Communion, welche der Biſchof zu Oſtern im Dome veranſtaltete, bei der er ſelbſt das Amt hielt, war ſchon ſehr zahlreich; Andere hielten ſich laͤnger; noch Andere zogen es vor, das Ihre zu verkaufen und aus - zuwandern. Unter dieſen waren vier Rathsherrn.
Ein Beiſpiel durch das ſich vor allem der naͤchſte geiſtliche Nachbar von Wuͤrzburg der Biſchof von Bam -122Buch V. Gegenreformationen.berg zur Nachahmung aufgefordert fuͤhlte. Man kennt Goͤs - weinſtein uͤber dem Muggendorfer Thal, wohin noch heute auf einſam ſteilen Pfaden durch praͤchtige Waͤlder und Schluchten aus allen Thaͤlern umher wallfahrtendes Volk zieht. Es iſt ein altes Heiligthum der Dreifaltigkeit da - ſelbſt: damals war es unbeſucht, veroͤdet. Als der Bi - ſchof von Bamberg, Ernſt von Mengersdorf, im Jahr 1587 einmal dahin kam, fiel ihm dieß ſchwer aufs Herz. Von dem Beiſpiel ſeines Nachbarn entflammt, erklaͤrte auch er, er wolle ſeine Unterthanen wieder „ zur wahren katholiſchen Religion weiſen: keine Gefahr werde ihn abhalten, dieſe ſeine Pflicht zu thun. “ Wir werden ſehen, wie ernſtlich ſein Nachfolger daran ging.
Waͤhrend man ſich aber im Bambergiſchen noch vor - bereitete, fuhr Biſchof Julius fort das Wuͤrzburgiſche ganz umzugeſtalten. Alle alten Einrichtungen wurden erneuert. Die Mutter-Gottes-Andachten, die Wallfahrten, die Bruͤ - derſchaften zu Mariaͤ Himmelfahrt, zu Mariaͤ Geburt und wie ſie alle heißen lebten wieder auf, und neue wurden ge - gruͤndet. Proceſſionen durchzogen die Straßen: der Glok - kenſchlag mahnte das geſammte Land zur geſetzten Stunde zum Ave Maria1)Julii Episcopi statuta ruralia: Gropp: Scriptt. tom. I. Sein Sinn iſt, daß die geiſtliche Bewegung, die von dem hoͤchſten Haupte der Kirche Chriſti ausgeht, von oben nach unten ſich allen Gliedern des Koͤrpers mittheile. S. p. 444. de capitulis ruralibus. . Aufs neue ſammelte man Reliquien und legte ſie mit großem Pomp an die Orte der Ver - ehrung nieder. Die Kloͤſter wurden wieder beſetzt: aller Orten Kirchen gebaut: man zaͤhlt 300 die Biſchof Julius123Fortgang derſelben in Deutſchland. Wuͤrzburg.gegruͤndet hat: an ihren hohen ſpitzen Thuͤrmen kann ſie der Reiſende erkennen. Mit Erſtaunen nahm man nach we - nigen Jahren die Verwandlung wahr. „ Was eben erſt, “ruft ein Lobredner des Biſchofs aus, „ fuͤr aberglaͤubiſch, ja fuͤr ſchimpflich gegolten, das haͤlt man nun fuͤr heilig: worin man noch eben ein Evangelium ſah, das erklaͤrt man nun fuͤr Betrug. “
So große Erfolge hatte man ſelbſt in Rom nicht er - wartet. Das Unternehmen des Biſchofs Julius war ſchon eine Zeitlang im Gange, ehe Papſt Sixtus etwas davon erfuhr. Nach den Herbſtferien 1586 erſchien der Jeſuiten - general Aquaviva vor ihm, um ihm die Kunde von den neuen Eroberungen ſeines Ordens mitzutheilen. Sixtus war entzuͤckt. Er eilte dem Biſchof ſeine Anerkennung zu bezeugen. Er theilte ihm das Recht zu, auch die in den vorbehaltenen Monaten erledigten Pfruͤnden zu beſetzten: denn er ſelbſt werde ja am beſten wiſſen, wen er zu belohnen habe.
Um ſo groͤßer war aber die Freude des Papſtes, da die Meldung Aquavivas mit aͤhnlichen Nachrichten aus den oͤſtreichiſchen Provinzen beſonders aus Steiermark zu - ſammentraf.
In demſelben Jahre noch, in welchem die evangeli - ſchen Staͤnde in Steiermark durch die Bruckeriſchen Land - tagsbeſchluͤſſe eine ſo große Unabhaͤngigkeit erlangten, daß ſie ſich darin wohl mit den Staͤnden von Oeſtreich ver -124Buch V. Gegenreformationen.gleichen konnten, welche auch ihren Religionsrath, ihre Superintendenten und Synoden und eine faſt republikani - ſche Verfaſſung beſaßen, trat auch ſchon die Veraͤnde - rung ein.
Gleich als Rudolf II. die Erbhuldigung einnahm, bemerkte man, wie ſo durchaus er von ſeinem Vater ver - ſchieden ſey: die Acte der Devotion uͤbte er in ihrer gan - zen Strenge aus: mit Verwunderung ſah man ihn den Proceſſionen beiwohnen, ſelbſt im harten Winter, ohne Kopfbedeckung, mit ſeiner Fackel in der Hand.
Dieſe Stimmung des Herrn, die Gunſt, die er den Jeſuiten angedeihen ließ, erregten ſchon Beſorgniß und nach dem Charakter der Zeit heftige Gegenbewegungen. In dem Landhaus zu Wien, denn eine eigentliche Kirche war den Proteſtanten in der Hauptſtadt nicht verſtattet, predigte der Flacianer Joſua Opitz mit alle der Heftigkeit, welche ſeiner Secte eigenthuͤmlich war. Indem er regelmaͤßig wider Je - ſuiten, Pfaffen und „ alle Greuel des Papſtthums donnerte “, erregte er nicht ſowohl Ueberzeugung als Ingrimm in ſei - nen Zuhoͤrern: ſo daß ſie wie ein Zeitgenoſſe ſagt1)D. Georg Eder, der freilich ein Gegner war: Auszug ſei - ner Warnungsſchrift bei Raupach: Evangel. Oeſtreich II, 286., wenn ſie aus ſeiner Kirche kamen, „ die Papiſten mit den Haͤnden haͤtten zerreißen moͤgen. “ Der Erfolg war, daß der Kai - ſer die Abſicht faßte die Verſammlungen des Landhauſes abzuſtellen. Indem man dieß bemerkte, das Fuͤr und Wi - der leidenſchaftlich beſprach, und die Ritterſchaft, der das Landhaus zugehoͤrte, ſich ſchon mit Drohungen vernehmen ließ, kam der Tag des Frohnleichnams im Jahre 1578125Fortgang derſelben in Deutſchland. Oeſtreich.heran. Der Kaiſer war entſchloſſen dieß Feſt auf das feierlichſte zu begehn. Nachdem er die Meſſe in St. Ste - phan gehoͤrt, begann die Proceſſion, die erſte die man ſeit langer Zeit wieder ſah: Prieſter, Ordensbruͤder, Zuͤnfte, in ihrer Mitte der Kaiſer und die Prinzen: ſo ward das Hoch - wuͤrdige durch die Straßen begleitet. Ploͤtzlich aber zeigte ſich, welch eine ungemeine Aufregung in der Stadt herrſchte. Als man auf den Bauernmarkt kam, mußten einige Bu - den weggeraͤumt werden, um der Proceſſion Platz zu ma - chen. Nichts weiter bedurfte es, um eine allgemeine Ver - wirrung hervorzubringen. Man hoͤrte den Ruf: wir ſind verrathen: zu den Waffen! Chorknaben und Prieſter ver - ließen das Hochwuͤrdige: Hallbardierer und Hartſchirer zer - ſtreuten ſich: der Kaiſer ſah ſich in der Mitte einer toben - den Menge: er fuͤrchtete einen Angriff auf ſeine Perſon und legte die Hand an den Degen: die Prinzen traten mit gezogenem Schwert um ihn her1)Maffei: Annali di Gregorio XIII tom. I, p. 281, 335. ohne Zweifel aus den Berichten des Nuntius.. — Man kann erach - ten, daß dieſer Vorfall den groͤßten Eindruck auf den ernſthaften Fuͤrſten hervorbringen mußte, der ſpaniſche Wuͤrde und Majeſtaͤt liebte. Der paͤpſtliche Nuntius nahm davon Gelegenheit ihm die Gefahr vorzuſtellen in der er bei dieſem Zuſtand der Dinge ſchwebe: Gott ſelbſt zeige ihm darin, wie nothwendig es fuͤr ihn ſei Verſprechun - gen zu erfuͤllen, die er ohnehin dem Papſt gethan. Der ſpaniſche Geſandte ſtimmte ihm bei. Oftmals hatte der Jeſuitenprovinzial Magius den Kaiſer zu einer entſcheiden - den Maaßregel aufgefordert: jetzt fand er Gehoͤr. Am 21. 126Buch V. Gegenreformationen.Juni 1578 erließ der Kaiſer einen Befehl an Opitz, ſammt ſeinen Gehuͤlfen an Kirche und Schule noch an dem nem - lichen Tag, „ bei ſcheinender Sonne “, die Stadt, und bin - nen 14 Tagen die geſammten Erblande des Kaiſers zu raͤu - men. Der Kaiſer fuͤrchtete faſt einen Aufruhr: fuͤr den Nothfall hielt er eine Anzahl zuverlaͤſſiger Leute in den Waffen. Allein wie haͤtte man ſich wider den Fuͤrſten er - heben ſollen, der den Buchſtaben des Rechtes fuͤr ſich hatte? Man begnuͤgte ſich den Verwieſenen mit ſchmerzlichem Bei - leid das Geleite zu geben1)Sacchinus pars IV, lib. VI, nr. 78. „ pudet referre, quam exeuntes sacrilegos omnique execratione dignissimos pro - secuta sit numerosa multitudo quotque benevolentiae documen - tis, ut vel inde mali gravitas aestimari possit. “.
Von dieſem Tage an nun begann in Oeſtreich eine katholiſche Reaction, welche von Jahr zu Jahr mehr Kraft und Wirkſamkeit bekam.
Es ward der Plan gefaßt, den Proteſtantismus zu - naͤchſt aus den kaiſerlichen Staͤdten zu verdraͤngen. Die Staͤdte unter der Enns, die ſich 20 Jahre fruͤher von dem Herrn - und Ritterſtande hatten abſondern laſſen, konnten in der That keinen Widerſtand entgegenſetzen. Die evan - geliſchen Geiſtlichen wurden an vielen Orten verwieſen: ka - tholiſche traten an ihre Stelle, uͤber die Privatleute ward eine ſtrenge Unterſuchung verhaͤngt. Wir haben eine For - mel nach der man die Verdaͤchtigen pruͤfte. Glaubſt du, lautet ein Artikel, daß alles wahr iſt, was die roͤmiſche Kirche in Lehre und Leben feſtſetzt? Glaubſt du, fuͤgt ein anderer hinzu, daß der Papſt das Haupt der Einigen apoſto -127Fortgang derſelben in Deutſchland. Oeſtreich.liſchen Kirche iſt? Keinen Zweifel wollte man uͤbrig laſſen1)Paͤpſtliche, oͤſterreichiſche und baieriſche Confeſſionsartikel bei Raupach: Evang. Oeſtreich II, 307.. Die Proteſtanten wurden von den Stadtaͤmtern entfernt: es ward kein Buͤrger weiter aufgenommnen, den man nicht katholiſch erfand. Auf der Univerſitaͤt mußte nun auch in Wien jeder Doctorandus zuerſt die Profeſſio fidei unter - ſchreiben. Eine neue Schulordnung ſchrieb katholiſche For - mularien, Faſten, Kirchenbeſuch, den ausſchließlichen Ge - branch des Katechismus des Caniſius vor. In Wien nahm man die proteſtantiſchen Buͤcher aus den Buchlaͤden weg: in großen Haufen fuͤhrte man ſie in den biſchoͤflichen Hof. An den Waſſermauthen unterſuchte man die ankommenden Kiſten und confiscirte Buͤcher oder Gemaͤhlde, welche nicht gut katholiſch waren2)Khevenhiller: Ferd. Jahrb. I, 90. Hansitz: Germania sa - cra I, 632..
Mit alle dem drang man noch nicht durch. In Kur - zem wurden zwar in Unteroͤſtreich 13 Staͤdte und Maͤrkte reformirt: auch die Kammerguͤter, die verpfaͤndeten Beſitzthuͤ - mer hatte man in ſeiner Hand: allein noch hielt der Adel eine gewaltige Oppoſition: die Staͤdte ob der Enns waren enge mit ihm verbunden und ließen ſich nicht anfechten3)Raupach: Kleine Nachleſe Ev. Oeſtr. IV, p. 17..
Nichts deſto minder hatten doch, wie man leicht er - kennt, viele von jenen Maaßregeln eine allgemeine Guͤltig - keit, der ſich Niemand entziehen konnte: auf Steiermark aͤußerten ſie eine unmittelbare Ruͤckwirkung.
In dem Momente hatte ſich hier Erzherzog Carl zu128Buch V. Gegenreformationen.Conceſſionen verſtehn muͤſſen, als ſchon an ſo vielen Or - ten die katholiſche Reaction im Gange war. Seine Stam - mesvettern konnten es ihm nicht verzeihen. Sein Schwager Herzog Albrecht von Baiern ſtellte ihm vor: daß ihn der Religionsfriede berechtige ſeine Unterthanen zu der Re - ligion zu noͤthigen, die er ſelber bekenne. Er rieth dem Erzherzog dreierlei: einmal alle ſeine Aemter vornehmlich Hof und geheimen Rath nur mit Katholiſchen zu be - ſetzen: ſodann auf den Landtagen die verſchiedenen Staͤnde von einander abzuſondern, um mit den Einzelnen deſto beſſer fertig werden zu koͤnnen: endlich mit dem Papſt in gutes Vernehmen zu treten, und ſich einen Nuntius von demſelben auszubitten. Schon von ſelbſt bot Gre - gor XIII. die Hand hiezu. Da er ſehr wohl wußte, daß es hauptſaͤchlich das Geldbeduͤrfniß war, was den Erzher - zog zu ſeinen Zugeſtaͤndniſſen bewogen hatte, ſo ergriff er das beſte Mittel ihn von ſeinen Landſaſſen unabhaͤngiger zu machen: er ſchickte ihm ſelber Geld: noch im Jahre 1580 die fuͤr jene Zeit ganz bedeutende Summe von 40000 Sc.: in Venedig legte er ein noch anſehnlicheres Capital nieder, deſſen ſich der Erzherzog in dem Falle bedienen koͤnne, daß in Folge ſeiner katholiſchen Beſtrebungen Unruhen in dem Lande ausbrechen ſollten.
Durch Beiſpiel, Anmahnung und weſentliche Huͤlfe ermuthigt, nahm Erzherzog Carl ſeit dem Jahre 1580 eine ganz andere Stellung an.
In dieſem Jahre gab er ſeinen fruͤheren Zugeſtaͤndniſ - ſen eine Erklaͤrung, welche als ein Widerruf derſelben betrach - tet werden konnte. Die Staͤnde thaten ihm einen Fußfall,und129Fortgang derſelben in Deutſchl. Steiermark.und einen Augenblick mochte eine ſo flehentliche Bitte eine Wirkung auf ihn ausuͤben1)„ Seinem angeborenen mildreichen landsfuͤrſtlichen deutſchen Gemuͤth nach “, ſagt die Supplication der drei Lande.: aber im Ganzen blieb es doch bei den angekuͤndigten Maaßregeln: ſchon begann auch hier die Vertreibung der evangeliſchen Prediger.
Entſcheidend ward das Jahr 1584. Auf dem Land - tage dieſes Jahres erſchien der paͤpſtliche Nuntius Mala - ſpina. Schon war es ihm gelungen die Praͤlaten, welche ſich ſonſt immer zu den weltlichen Staͤnden gehalten, von denſelben zu trennen: zwiſchen ihnen, den herzoglichen Be - amten und allen Katholiſchen im Lande ſtiftete der Nun - tius eine enge Vereinigung, die in ihm ihren Mittelpunkt fand. Bisher hatte es geſchienen, als ſey das ganze Land proteſtantiſch: der Nuntius verſtand es, auch um den Fuͤr - ſten her eine ſtarke Partei zu bilden. Hiedurch ward der Erzherzog ganz unerſchuͤtterlich. Er blieb feſt dabei, daß er den Proteſtantismus in ſeinen Staͤdten ausrotten wolle: der Religionsfriede gebe ihm, ſagte er, noch weit groͤßere Rechte, auch uͤber den Adel, und durch fernern Widerſtand werde man ihn noch dahin bringen, ſie geltend zu machen: dann wolle er doch ſehen, wer ſich als Rebell beweiſen wolle. So entſchieden nun dieſe Erklaͤrungen lauteten, ſo kam er doch damit ſo weit, wie fruͤherhin mit ſeinen Zugeſtaͤndniſſen. Die Staͤnde bewilligten was er verlangte2)Valvaſſor: Ehre des Herzogthums Krain, hat uͤber alle dieſe Dinge gute und ausfuͤhrliche Nachrichten. Beſonders wichtig iſt aber hier Maffei in den Annali di Gregorio XIII lib. IX, c. XX. lib. XIII, c. I. Er hatte ohne Zweifel die Information des Nuntius vor Augen ...
Päpſte* 9130Buch V. Gegenreformationen.Seitdem begannen nun die Gegenreformationen auch in dem geſammten erzherzoglichen Gebiete. Die Pfarren, die Stadtraͤthe wurden mit Katholiken beſetzt: kein Buͤrger durfte eine andere als die katholiſche Kirche beſuchen, oder ſeine Kinder in eine andere als die katholiſche Schule ſchicken.
Es ging nicht immer ganz ruhig ab. Die katholi - ſchen Pfarrer, die fuͤrſtlichen Commiſſarien wurden zuwei - len verunglimpft und weggejagt. Der Erzherzog ſelbſt ge - rieth einmal auf der Jagd in Gefahr: es hatte ſich in der Gegend das Geruͤcht verbreitet, ein benachbarter Praͤdicant ſey gefangen: das Volk lief mit den Waffen zuſammen, und der arme geplagte Prediger mußte ſelbſt ins Mittel treten, um den ungnaͤdigen Herrn vor den Bauern zu be - ſchuͤtzen1)Khevenhiller: Annales Ferdinandei II, p. 523.. Trotz alle dem aber hatte die Sache ihren Fortgang. Die ſtrengſten Mittel wurden angewendet: der paͤpſtliche Geſchichtſchreiber faßt ſie in wenig Worten zu - ſammen: Confiscation, ſagt er, Exil, ſchwere Zuͤchtigung jedes Widerſpenſtigen. Die geiſtlichen Fuͤrſten, die in jenen Gegenden etwas beſaßen, kamen den weltlichen Behoͤrden zu Huͤlfe. Der Erzbiſchof von Coͤln, Biſchof von Freiſingen, aͤnderte den Rath ſeiner Stadt Lack, und belegte die prote - ſtantiſchen Buͤrger mit Gefaͤngniß oder mit Geldſtrafe; der Biſchof von Brixen wollte in ſeiner Herrſchaft Veldes gera - dezu eine neue Ackervertheilung vornehmen. Dieſe Tenden - zen erſtreckten ſich uͤber alle oͤſtreichiſchen Gebiete. Obwohl Tyrol katholiſch geblieben, ſo verſaͤumte doch der Erzher - zog Ferdinand in Inſpruck nicht, ſeine Geiſtlichkeit in ſtrenge131Fortgang derſelben in Deutſchland. Oeſtreich.Unterordnung zu nehmen, und darauf zu ſehen, daß Je - dermann das Abendmahl empfing: fuͤr die gemeinen Leute wurden Sonntagsſchulen eingerichtet: Cardinal Andreas, der Sohn Ferdinands, ließ Katechismen drucken und vertheilte ſie der Schuljugend und den ununterrichteten Leuten1)Puteo bei Tempesti: Vita di Sisto V tom. I, 375.. In Gegenden aber wo der Proteſtantismus einigermaaßen eingedrungen war, blieben ſie nicht bei ſo milden Maaßre - geln ſtehn. In der Markgrafſchaft Burgau, obwohl ſie erſt vor kurzem erworben, in der Landvogtei Schwaben, obwohl die Jurisdiction daſelbſt ſtreitig war, verfuhren ſie ganz wie Erzherzog Carl in Steiermark.
Ueber alle dieſe Dinge konnte Papſt Sixtus des Lo - bes kein Ende finden. Er ruͤhmte die oͤſtreichiſchen Prin - zen als die feſteſten Saͤulen des Chriſtenthums. Beſonders an Erzherzog Carl erließ er die verbindlichſten Breven2)Auszug aus den Breven: bei Tempesti I, 203.. Die Erwerbung einer Grafſchaft, welche damals heimfiel, betrachtete man am Hofe zu Graͤtz als eine Belohnung fuͤr ſo viel gute dem Chriſtenthum geleiſtete Dienſte.
Wenn die katholiſche Richtung in den Niederlanden ſich vornehmlich dadurch wieder feſtſetzte, daß ſie ſich den Privilegien anbequemte, ſo geſchah das nicht auch in Deutſch - land. Es blieb hier dabei, daß die Landesherrſchaften ihre Hoheit und Macht um ſo viel erweiterten, als es ihnen gelang, die kirchliche Reſtauration zu beguͤnſtigen. Wie9*132Buch V. Gegenreformationen.enge aber dieſe Vereinigung kirchlicher und politiſcher Macht war, wie weit man darin ging, davon bietet wohl der Erz - biſchof von Salzburg Wolf Dietrich von Raittenau das merk - wuͤrdigſte Beiſpiel dar.
Die alten Erzbiſchoͤfe, welche die Bewegungen der Re - formationszeit mit erlebt, begnuͤgten ſich, dann und wann ein Edict wider die Neuerungen zu erlaſſen, eine Strafe zu verhaͤngen, einen Verſuch zur Bekehrung zu machen, aber nur, wie Erzbiſchof Jacob ſagt, „ durch linde, vaͤter - liche und getreue Wege “: im Ganzen ließen ſie es gehn1)Auch ein ſchaͤrferes Mandat ward allerdings unter dem Na - men Jacobs publicirt, aber erſt als er die Verwaltung einem Co - adjutor hatte uͤberlaſſen muͤſſen..
Ganz andere Eindruͤcke, Anſichten und Entwuͤrfe aber brachte der junge Erzbiſchof Wolf Dietrich von Raittenau mit, als er im Jahre 1587 den Stuhl von Salzburg be - ſtieg. Er war in dem Collegium Germanicum zu Rom erzogen worden, und hatte die Ideen der kirchlichen Reſtau - ration noch in voller Friſche inne: er hatte hier noch den glaͤnzenden Anfang der Regierung Sixtus V. geſehen, und ſich mit Bewunderung fuͤr ihn erfuͤllt: es ſpornte ihn noch be - ſonders an, daß ſein Oheim Cardinal war, Cardinal Altemps, in deſſen Hauſe er zu Rom erzogen worden. In dem J. 1588, bei der Zuruͤckkunft von einer Reiſe, die ihn noch einmal nach Rom gefuͤhrt hatte, ſchritt er zum Werke. Er forderte alle Buͤrger ſeiner Hauptſtadt auf, ihr katholiſches Bekenntniß abzulegen. Es blieben viele damit im Ruͤckſtand: er geſtattete ihnen einige Wochen Bedenkzeit: alsdann, am 3. September 1588, befahl er ihnen binnen eines Monats133Fortgang derſelben in Deutſchland. Salzburg.Stadt und Stift zu raͤumen. Nur dieſer Monat und end - lich auf dringende Bitten noch ein zweiter ward ihnen verſtattet, ihre Guͤter zu verkaufen. Sie mußten dem Erz - biſchof von denſelben einen Anſchlag uͤberreichen, und durf - ten ſie auch dann nur an ſolche Perſonen uͤberlaſſen, die ihm angenehm waren1)Reformationsmandat bei Goͤckingk: Vollkommene Emigra - tionsgeſchichte von denen aus dem Erzbisthum Salzburg vertriebe - nen Lutheranern I, p. 88.. Nur Wenige bequemten ſich von ihrem Glauben abzufallen: ſie mußten dann oͤf - fentliche Kirchenbuße thun, mit brennenden Kerzen in der Hand: bei weitem die Meiſten, eben die wohlhabendſten Buͤrger der Stadt, wanderten aus. Ihr Verluſt kuͤm - merte den Fuͤrſten nicht. In andern Maaßregeln glaubte er das Mittel gefunden zu haben den Glanz des Erzſtif - tes zu erhalten. Schon hatte er die Abgaben gewaltig er - hoͤht, Mauthen und Zoͤlle geſteigert, das Halleiner, das Schel - lenberger Salz mit neuem Aufſchlag belegt, die Tuͤrken - huͤlfe zu einer ordentlichen Landesſteuer ausgedehnt, Wein - umgeld, Vermoͤgens - und Erbſteuer eingefuͤhrt. Auf keine hergebrachte Freiheit nahm er Ruͤckſicht. Der Domdechant entleibte ſich ſelbſt: man glaubte, in einem Anfalle von Truͤb - ſinn uͤber die Verluſte der Rechte des Capitels. Die An - ordnungen des Erzbiſchofs uͤber die Salzausfertigung und das geſammte Bergweſen hatten den Zweck die Selbſtaͤn - digkeit der Gewerke herabzubringen und alles ſeiner Kam - mer einzuverleiben. In Deutſchland giebt es kein aͤhnliches Beiſpiel einer ausgebildeten Fiscalitaͤt in dieſem Jahrhun - dert. Der junge Erzbiſchof hatte die Ideen eines italieni -134Buch V. Gegenreformationen.ſchen Fuͤrſtenthums mit uͤber die Alpen gebracht. Geld zu haben, ſchien ihm die erſte Aufgabe aller Staatswirth - ſchaft. Er hatte ſich Sixtus V. zum Muſter genommen: einen gehorſamen, ganz katholiſchen, tributaͤren Staat wollte auch er in ſeinen Haͤnden haben. Die Entfernung der Buͤr - ger von Salzburg, die er als Rebellen anſah, machte ihm ſogar Vergnuͤgen. Er ließ die leer gewordenen Haͤuſer nie - derreißen und Pallaͤſte nach roͤmiſchem Styl an ihrer Stelle aufrichten1)Zauners: Salzburger Chronik Siebenter Theil, iſt hiefuͤr unſre wichtigſte Quelle. Dieſer Theil iſt ſelbſt nach einer gleichzei - tigen Lebensbeſchreibung des Erzbiſchofs gearbeitet..
Denn vor allem liebte er den Glanz. Keinem Fremden haͤtte er die Ritterzehrung verſagt: mit einem Gefolge von 400 Mann ſah man ihn einſt den Reichstag beſuchen. Im Jahre 1588 war er erſt 29 Jahr alt: er war voll Lebensmuth und Ehrgeiz: ſchon faßte er die hoͤchſten kirch - lichen Wuͤrden ins Auge.
Wie nun in geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſtenthuͤmern, ſo gieng es, wenn es irgend moͤglich war, auch in den Staͤdten. Wie bitter beklagen ſich die lutheriſchen Buͤrger von Gmuͤnden, daß man ſie aus der Matrikel der Buͤrger - ſtube geſtrichen habe. In Biberach behauptete ſich noch der Rath, den der Commiſſar Kaiſer Carls V. bei Gelegenheit des Interims eingeſetzt hatte: die ganze Stadt war prote - ſtantiſch, der Rath allein katholiſch, und jeden Proteſtanten135Fortgang derſelben in Deutſchland. Staͤdte.hielt er ſorgſam ausgeſchloſſen1)Lehmann de pace religionis II, p. 268. 480.. Welche Bedruͤckungen erfuhren die Evangeliſchen in Coͤln und Aachen! Der Rath von Coͤln erklaͤrte, er habe Kaiſer und Churfuͤrſten verſpro - chen keine andere Religion zu dulden als die katholiſche: das Anhoͤren einer proteſtantiſchen Predigt beſtrafte er zu - weilen mit Thurm und Geldbuße2)Lehmann 436. 270.. Auch in Augsburg bekamen die Katholiken die Oberhand: bei der Einfuͤhrung des neuen Kalenders entſtanden Streitigkeiten: im J. 1586 wurde erſt der evangeliſche Superintendent, dann elf Geiſt - liche auf einmal, endlich eine Anzahl der hartnaͤckigſten Buͤrger aus der Stadt getrieben. Um verwandter Gruͤnde willen erfolgte etwas Aehnliches 1587 in Regensburg. Schon machten auch die Staͤdte auf das Reformationsrecht An - ſpruͤche; ja ſelbſt einzelne Grafen und Herrn, einzelne Reichsritter, die etwa ſo eben von einem Jeſuiten bekehrt worden, glaubten ſich deſſelben bedienen zu duͤrfen und un - ternahmen in ihrem kleinen Gebiete die Wiederherſtellung des Katholicismus.
Es war eine unermeßliche Reaction. Wie der Pro - teſtantismus vorgedrungen, ſo ward er jetzt zuruͤckgewor - fen. Predigt und Lehre wirkten auch hiebei, aber noch bei weitem mehr Anordnung, Befehl und die offne Gewalt.
Wie einſt die italieniſchen Proteſtanten ſich uͤber die Alpen nach der Schweiz und nach Deutſchland gefluͤchtet, ſo wandten ſich auch deutſche Fluͤchtlinge, und in noch viel groͤßern Schaaren, vom weſtlichen und ſuͤdlichen Deutſch - land verdraͤngt nach dem noͤrdlichen und oͤſtlichen. So wi -136Buch V. Gegenreformationen.chen auch die belgiſchen nach Holland. Es war ein gro - ßer katholiſcher Sieg, der ſich von Land zu Land waͤlzte.
Den Fortgang deſſelben zu beguͤnſtigen und auszu - dehnen, bemuͤhten ſich nun vor allem die Nuntien, welche damals in Deutſchland regelmaͤßig zu reſidiren anfingen.
Wir haben eine Denkſchrift des Nuntius Minuccio Minucci vom Jahre 1588 uͤbrig, aus welcher ſich die Ge - ſichtspunkte ergeben, die man faßte, nach denen man ver - fuhr1)Discorso del molto illustre e revmo Monsor Minuccio Minucci sopra il modo di restituire la cattolica religione in Ale - magna 1588. Ms. Barb. .
Eine vorzuͤgliche Ruͤckſicht widmete man dem Unter - richt. Man haͤtte nur gewuͤnſcht, daß die katholiſchen Uni - verſitaͤten beſſer ausgeſtattet worden waͤren, um ausgezeich - nete Lehrer anzuziehen: das einzige Ingolſtadt war mit ge - nuͤgenden Mitteln verſehen. Wie die Sachen ſtanden, kam noch alles auf die jeſuitiſchen Seminarien an. Minuccio Minucci wuͤnſchte, daß hier nicht ſowohl darauf geſehen wuͤrde, große Gelehrte, tiefe Theologen zu bilden, als gute und tuͤchtige Prediger. Ein Mann von mittelmaͤßi - gen Kenntniſſen, der ſich beſcheide nicht zu dem Gipfel der Gelehrſamkeit zu gelangen, und nicht darauf denke ſich beruͤhmt zu machen, ſey vielleicht der allerbrauch - barſte und nuͤtzlichſte. Er empfahl dieſe Ruͤckſicht auch fuͤr die den deutſchen Katholiken beſtimmten Anſtalten in Ita - lien. In dem Collegium Germanicum ward urſpruͤng - lich zwiſchen der buͤrgerlichen und der adlichen Jugend ein Unterſchied in der Behandlung gemacht. Minuccio Mi -137Fortgang in Deutſchland. Weitere Entwuͤrfe.nucci findet es tadelnswuͤrdig, daß man hievon abgewi - chen. Nicht allein ſtraͤube ſich nun der Adel, dahin zu gehn, auch in den Buͤrgerlichen erwache ein Ehrgeiz, dem hernach nicht genuͤgt werden koͤnne, ein Streben nach ho - hen Stellen, das der guten Verwaltung der untern nach - theilig werde. Uebrigens ſuchte man damals noch eine dritte mittlere Claſſe heranzuziehen: die Soͤhne der hoͤheren Beamten, die doch nach dem Laufe der Welt einmal wie - der den groͤßten Antheil an der Verwaltung ihrer vater - laͤndiſchen Landſchaften bekommen mußten. In Perugia und Bologna hatte bereits Gregor XIII. Einrichtungen fuͤr ſie getroffen. Man ſieht wohl: die Standesunterſcheidun - gen, die noch jetzt die deutſche Welt beherrſchen, waren ſchon damals ausgeſprochen.
Das Meiſte kam immer auf den Adel an. Ihm vor allem ſchrieb der Nuntius die Erhaltung des Katholicismus in Deutſchland zu. Denn da der deutſche Adel ein aus - ſchließendes Recht auf die Stifter habe, ſo vertheidige er die Kirche wie ſein Erbgut. Jetzt ſetze er ſich ebendeshalb der Freiſtellung der Religion in den Stiftern entgegen1)Vornehmlich in Oberdeutſchland: „ L’esempio della sup - pressione dell’ altre (der niederdeutſchen) ha avvertiti i nobili a metter cura maggiore nella difesa di queste, concorrendo in ciò tanto gli eretici quanto li cattolici, accorti già, che nell’occu - patione delli principi si leva a loro et a’posteri la speranza dell’utile che cavano dai canonicati e dagli altri beneficii e che possono pretendere del vescovato mentre a’canonici resti libera l’elettione. “: er fuͤrchte die große Zahl der proteſtantiſchen Prinzen, wel - che alsdann alle Pfruͤnden an ſich ziehen wuͤrden. Eben - darum muͤſſe man auch dieſen Adel ſchuͤtzen und ſchonen. 138Buch V. Gegenreformationen.Man duͤrfe ihn nicht mit dem Geſetz der Singularitaͤt der Beneficien plagen: ohnehin habe die Abwechſelung der Re - ſidenzen ihren Nutzen, da vereinige ſich der Adel aus ver - ſchiedenen Provinzen zum Schutz der Kirche. Auch muͤſſe man nicht etwa die Stellen an Buͤrgerliche zu bringen ſu - chen: einige Gelehrte ſeyen in einem Capitel ſehr nuͤtzlich, wie man in Coͤln bemerkt: aber wollte man hierin weiter gehn, ſo wuͤrde es den Ruin der deutſchen Kirche verurſachen.
Da entſtand nun die Frage, in wie fern es moͤglich ſey, die voͤllig zum Proteſtantismus uͤbergetretenen Gebiete wieder herbeizubringen.
Der Nuntius iſt weit entfernt, zur offenen Gewalt zu rathen. Bei weitem zu maͤchtig ſcheinen ihm die pro - teſtantiſchen Fuͤrſten. Aber er giebt einige Mittel an die Hand, die allmaͤhlig doch auch zum Ziele fuͤhren moͤchten.
Vor allem findet er es nothwendig, das gute Ver - nehmen zwiſchen den katholiſchen Fuͤrſten beſonders zwi - ſchen Baiern und Oeſtreich aufrecht zu erhalten. Noch be - ſtehe der Bund von Landsberg: man muͤſſe ihn erneuern, erweitern: auch Koͤnig Philipp von Spanien koͤnne man aufnehmen.
Und ſey es nicht moͤglich, einige proteſtantiſche Fuͤr - ſten ſelbſt wieder zu gewinnen? — Lange hatte man in Churfuͤrſt Auguſt von Sachſen eine Hinneigung zum Katho - licismus wahrzunehmen geglaubt: beſonders durch baieriſche Vermittelung war wohl dann und wann ein Verſuch auf ihn gemacht worden: allein nur mit großer Vorſicht hatte es geſchehen koͤnnen: und da die Gemahlin des Churfuͤrſten, Anna von Daͤnemark, ſich ſtreng an die Ueberzeugungen139Fortgang in Deutſchland. Weitere Entwuͤrfe.des Lutherthums hielt, ſo war es immer vergeblich gewe - ſen. Im Jahre 1585 ſtarb Anna. Es war nicht allein ein Tag der Erloͤſung fuͤr die bedraͤngten Calviniſten: auch die Katholiken ſuchten ſich dem Fuͤrſten wieder zu naͤhern. Es ſcheint doch als habe man in Baiern, wo man ſich fruͤher immer ſtraͤubte, ſich jetzt bewogen gefuͤhlt ei - nen Schritt zu thun; ſchon hielt ſich Papſt Sixtus bereit dem Churfuͤrſten die Abſolution nach Deutſchland zuzuſen - den1)Schon 1574 ermunterte Gregor XIII. den Herzog Albert V. „ ut dum elector Saxoniae Calvinistarum sectam ex imperii sui finibus exturbare conabatur, vellet sermones cum principe illo aliquando habitos de religione catholica in Saxonia introducenda renovare. “ Er meinte, vielleicht werde es gut ſeyn, einen Agenten dahin zu ſchicken. Hiewider iſt der Herzog geradezu: dann wuͤrde die Sache an den geheimen Rath des Churfuͤrſten gelangen, „ ad consiliarios et familiares, a quibus quid exspectandum aliud quam quod totam rem pervertat? “ Er faͤhrt fort: „ Arte hic opus esse judicatur, quo tanquam aliud agens errantem pie cir - cumveniat. — Uxor, quo ex sexu impotentiori concitatior est, eo importuniora suffundet consilia, si resciscat hanc apud maritum rem agi. “ Legationes Paparum ad Duces Bavariae Ms. der Muͤnchener Bibliothek. — Minucci erzaͤhlt, daß die erſten Eroͤffnun - gen noch zu Pius V. Zeiten gemacht worden. Die ganze Stelle iſt merkwuͤrdig. „ Con duca Augusto di Sassonia già morto trattò sin a tempi della s. m. di Papa Pio V il duca Alberto di Ba - viera, che vive in cielo, e ridusse la pratica tanto inanzi che si prometteva sicura riuscita: ma piacque a Dio benedetto di chia - marlo, nè d’opera di tanta importanza fu chi parlasse o pen - sasse, se non ch’a tempi di Gregorio di gl. mem. il padre Pos - sevino s’ingegnò di fabricare sopra quei fundamenti: et in fine nel presente felicissimo pontificato di Sisto, sendo morta la moglie d’esso duca Augusto, fu chi ricordò l’occasione esser opportuna per trattare di nuovo la conversione di quel principe: ma la providentia divina non li diede tempo di poter aspettare la benedittione che S. Beatne pur per mezzo del Sr duca Gui -. Indeſſen ſtarb Churfuͤrſt Auguſt, ehe etwas aus -140Buch V. Gegenreformationen.gerichtet worden. Aber ſchon faßte man andere Fuͤrſten ins Auge: Ludwig, Pfalzgrafen von Neuburg, an dem man Entfernung von allen dem Katholicismus feindſeligen Intereſſen, auch eine beſondere Schonung katholiſcher Prie - ſter, die zufaͤllig ſein Gebiet beruͤhrten, bemerken wollte: — Wilhelm IV. von Heſſen, welcher gelehrt, friedfertig ſey, und zuweilen die Widmung katholiſcher Schriften an - genommen. — Auch Maͤnner des hoͤhern norddeutſchen Adels ließ man nicht aus der Acht, auf Heinrich Ranzau faßte man Hoffnung.
War nun aber der Erfolg dieſer Verſuche entfernt, nicht zu berechnen, ſo gab es doch auch andere Entwuͤrfe, bei deren Ausfuͤhrung es mehr auf den eigenen Entſchluß und Willen ankam.
Noch immer war die Mehrzahl der Aſſeſſoren des Kammergerichts, wie wenigſtens der Nuntius verſichert, proteſtantiſch geſinnt. Es waren noch Maͤnner der fruͤhern Epoche, wo in den meiſten, auch den katholiſchen Laͤndern geheime oder offene Proteſtanten in den fuͤrſtlichen Raͤ - then ſaßen. Der Nuntius findet dieſen Zuſtand geeignet die Katholiken zur Verzweiflung zu bringen: und dringt auf eine Abhuͤlfe. Es ſcheint ihm leicht, die Aſſeſſoren der katholiſchen Laͤnder zur Ablegung des Glaubensbekennt - niſſes, und alle neu anzuſetzende zu dem Eide zu noͤthi - gen, daß ſie ihre Religion nicht veraͤndern oder ihre Stelle aufgeben wollen. Von Rechts wegen gehoͤre den Katholi - ſchen das Uebergewicht in dieſem Gerichte.
1)lielmo di Baviera s’apparecchiava di mandarli sin a casa sua. “ Man ſieht, wie fruͤh dieſe Linie bearbeitet wurde.
141Fortgang in Deutſchland. Weitere Entwuͤrfe.Noch giebt er ſogar die Hoffnung nicht auf, ohne Ge - walt, wenn man nur ſeine Befugniſſe mit Nachdruck aus - uͤbe, wieder in den Beſitz der verloren gegangenen Bisthuͤ - mer zu gelangen. Noch war nicht alle Verbindung derſelben mit Rom aufgegeben: noch wies man das alte Recht der Curie die in den reſervirten Monaten erledigten Pfruͤnden zu beſetzen nicht geradehin zuruͤck: ſelbſt die proteſtantiſchen Biſchoͤfe glaubten doch im Grunde noch der paͤpſtlichen Beſtaͤtigung zu beduͤrfen, und jener Heinrich von Sachſen - Lauenburg hielt immer einen Agenten zu Rom, um ſie ſich zu verſchaffen. Wenn der paͤpſtliche Stuhl ſich dieß bis jetzt noch nicht hatte zu Nutze machen koͤnnen, ſo kam das daher, weil die Kaiſer dem Mangel der paͤpſtlichen Beſtaͤ - tigung durch Indulte abhalfen, und die Beſetzungen, die man fuͤr jene Pfruͤnden von Rom aus vornahm, entweder zu ſpaͤt eintrafen, oder ſonſt einen Fehler in der Form hatten, ſo daß das Capitel doch geſetzlich immer freie Hand behielt. Minucci dringt nun darauf, daß der Kaiſer nie - mals mehr einen Indult gewaͤhre; was bei der damaligen Stimmung des Hofes ſich wohl erreichen ließ. Die Be - ſetzung der Pfruͤnden hatte ſchon der Herzog Wilhelm von Baiern vorgeſchlagen dem Nuntius oder einem zuverlaͤßi - gen deutſchen Biſchof anzuvertrauen. Minucci meint, man muͤſſe zu Rom eine eigene Dataria fuͤr Deutſchland gruͤn - den: da muͤſſe man ein Verzeichniß von qualificirten adli - chen Katholiken haben, das ſich ja durch den Nuntius oder die Vaͤter Jeſuiten leicht in Stand halten laſſe, und nach deſſen Maaßgabe unverzuͤglich die Ernennungen vollziehen. Kein Capitel werde es wagen, die geſetzmaͤßig ernannten142Buch V. Gegenreformationen.roͤmiſchen Candidaten zuruͤckzuweiſen. Und welches Anſehen, welchen Einfluß muͤſſe dieß der Curie verſchaffen.
Wir ſehen wohl, wie lebhaft man noch auf eine voͤl - lige Wiederherſtellung der alten Gewalt dachte. Den Adel zu gewinnen: den hoͤhern Buͤrgerſtand im roͤmiſchen Intereſſe zu erziehen: die Jugend in dieſem Sinne zu un - terweiſen: den alten Einfluß auf die Stifter wiederherzu - ſtellen, obwohl ſie proteſtantiſch geworden: bei dem Kam - mergerichte das Uebergewicht wieder zu erlangen: maͤchtige Reichsfuͤrſten zu bekehren: die vorherrſchende katholiſche Macht in die deutſchen Bundesverhaͤltniſſe zu verflechten: — ſo viel Entwuͤrfe faßte man auf einmal.
Auch duͤrfen wir nicht glauben, daß dieſe Rathſchlaͤge vernachlaͤſſigt worden. Als man ſie in Rom vorlegte, war man in Deutſchland ſchon beſchaͤftigt ſie auszufuͤhren.
Die Thaͤtigkeit und gute Ordnung des Kammergerichts beruhte vorzuͤglich auf den jaͤhrlichen Viſitationen, die immer von ſieben Staͤnden des Reichs nach ihrer Reihenfolge am Reichstage vorgenommen wurden. Oefter war bei dieſen Viſitationen die Mehrzahl katholiſch geweſen: im Jahre 1588 war ſie einmal proteſtantiſch: der proteſtantiſche Erz - biſchof von Magdeburg ſollte unter andern daran Theil nehmen. Katholiſcher Seits entſchloß man ſich dieß nicht zu geſtatten. Als Churmainz im Begriff war die Staͤnde zu berufen, befahl ihm der Kaiſer aus eigener Macht, die Viſitationen fuͤr dieſes Jahr aufzuſchieben. Es war aber mit Einem Jahre nicht gethan. Die Reihenfolge blieb im - mer die nemliche: noch lange hatte man einen proteſtanti - ſchen Erzbiſchof von Magdeburg zu fuͤrchten: man zog es143Ligue.vor, die Viſitation immer weiter hinauszuſchieben. In der That erfolgte, daß niemals wieder eine regelmaͤßige Viſita - tion gehalten worden iſt: was dann dem großartigen In - ſtitut dieſes hoͤchſten Reichsgerichtes einen unerſetzlichen Schaden zugefuͤgt hat1)Minucci hatte uͤber das Kammergericht noch beſonders ge - ſchrieben. Es laͤßt ſich wohl mit Grunde vermuthen, daß ſeine Vor - ſtellungen jene Inhibition hervorbrachten. Die Majoritaͤt der Pro - teſtanten war ihm wie geſagt ein Greuel: „ non vole dir altro l’aver gli eretici l’autorità maggiore e li più voti in quel senato che un ridurre i catolici d’Alemagna a disperatione. “. Bald vernehmen wir die Klage, daß man dort die ungelehrten Katholiken den ge - lehrten Proteſtanten vorziehe. Auch hoͤrte der Kaiſer auf Indulte zu geben. Im J. 1588 rieth Minucci, auf die Bekehrung proteſtantiſcher Fuͤrſten zu denken: im Jahre 1590 finden wir bereits den erſten uͤbertreten. Es war Jacob von Baden: er eroͤffnet eine lange Reihe.
Indem dieſe große Bewegung Deutſchland und die Niederlande erfuͤllte, ergriff ſie auch Frankreich mit unwi - derſtehlicher Gewalt. Die niederlaͤndiſchen Angelegenheiten hingen von jeher mit den franzoͤſiſchen auf das engſte zu - ſammen: wie oft waren die franzoͤſiſchen Proteſtanten den niederlaͤndiſchen, die niederlaͤndiſchen Katholiken den fran - zoͤſiſchen zu Huͤlfe gekommen; der Ruin des Proteſtantis - mus in den belgiſchen Provinzen war ein unmittelbarer Verluſt fuͤr die Hugenotten in Frankreich.
144Buch V. Gegenreformationen.Nun hatte aber auch außerdem die reſtauratoriſche Tendenz des Katholicismus wie in andern Laͤndern, ſo in Frankreich immer mehr Fuß gefaßt.
Wir bemerkten bereits den Anfang der Jeſuiten: im - mer weiter hatten ſie ſich ausgebreitet. Vor allem nahm ſich ihrer, wie man denken kann, das Haus Lothringen an. Der Cardinal Guiſe ſtiftete ihnen 1574 eine Akade - mie zu Pont a Mouſſon, die von den Prinzen des Hau - ſes beſucht ward. Der Herzog errichtete ein Collegium zu Eu in der Normandie, welches man zugleich fuͤr die ver - bannten Englaͤnder beſtimmte.
Aber auch viele andere Goͤnner fanden ſie. Bald war es ein Cardinal, ein Biſchof, ein Abt, bald ein Fuͤrſt, ein hochgeſtellter Beamter, der die Koſten einer neuen Stiftung uͤbernahm. In kurzem ſiedelten ſie ſich in Rouen, Ver - dun, Dijon, Bourges, Nevers an. In den mannigfaltig - ſten Richtungen durchziehen ihre Miſſionen das Reich.
Sie fanden aber in Frankreich Gehuͤlfen, deren ſie we - nigſtens in Deutſchland noch hatten entbehren muͤſſen.
Schon vom Tridentiner Concilium brachte der Cardi - nal von Lothringen einige Capuziner mit: er gab ihnen in ſeinem Pallaſt zu Meudon Wohnung; aber nach ſeinem Tode entfernten ſie ſich wieder. Noch war der Orden durch ſeine Statuten auf Italien beſchraͤnkt. Im Jahre 1573 ſendete das Generalcapitel ein paar Mitglieder uͤber die Berge, um zuerſt nur den Boden zu unterſuchen. Als dieſe gut aufgenommen wurden, ſo daß ſie bei ihrer Ruͤck - kehr „ die reichlichſte Ernte “verſprachen, trug der Papſt kein Bedenken jene Beſchraͤnkung aufzuheben. Im J. 1574be -145Die Ligue.begab ſich die erſte Colonie der Capuziner unter Fra Pa - cifico di S. Gervaſo, der ſich ſeine Gefaͤhrten aber ſelbſt gewaͤhlt, uͤber die Berge.
Es waren alles Italiener. Der Natur der Sache nach mußten ſie ſich zunaͤchſt an ihre Landsleute halten.
Mit Freuden empfing ſie die Koͤnigin Catharina, und gruͤndete ihnen ſogleich ein Kloſter in Paris. Schon im Jahre 1575 finden wir ſie auch in Lyon. Auf die Em - pfehlung der Koͤnigin bekamen ſie hier die Unterſtuͤtzung ei - niger italieniſchen Wechsler.
Von hier breiteten ſie ſich nun weiter aus: von Pa - ris nach Caen, Rouen: von Lyon nach Marſeille, wo ih - nen Koͤnigin Catharina eine Bauſtelle ankaufte: neue Co - lonien ſiedelten ſich 1582 in Toulouſe, 1585 in Verdun an. Gar bald gelangen ihnen die glaͤnzendſten Bekehrun - gen, wie 1587 von Henry Joyeuſe, einem der erſten Maͤn - ner des damaligen Frankreichs1)Boverio: Annali dei frati Capuccini I, 546. II, 45 f..
In Einem Sinne wenigſtens hatte aber dieſe religioͤſe Bewegung in Frankreich ſelbſt eine noch groͤßere Wirkung als in Deutſchland. Sie brachte ſchon freie Nachahmun - gen in eigenthuͤmlichen Formen hervor. Jean de la Bar - riere, der die Ciſtercienſer Abtei Feuillans unfern Toulouſe, nach den beſondern Mißbraͤuchen die in Frankreich einge - riſſen, ſchon im 19ten Lebensjahre als Commende bekom - men, ließ ſich im Jahre 1577 als regelmaͤßigen Abt ein - ſegnen, und nahm Novizen auf, mit denen er die Strenge des urſpruͤnglichen Inſtitutes von Citeaux nicht allein zuPäpſte* 10146Buch V. Gegenreformationen.erneuern, ſondern zu uͤbertreffen ſuchte. Einſamkeit, Still - ſchweigen, Enthaltſamkeit wurden ſo weit als moͤglich getrie - ben. Dieſe Moͤnche verließen ihr Kloſter niemals anders, als um in einem benachbarten Orte zu predigen: innerhalb deſſelben trugen ſie weder Schuhe noch eine Kopfbedeckung: ſie verſagten ſich nicht nur Fleiſch und Wein, ſondern auch Fiſche und Eier: ſie lebten von Brod und Waſſer, hoͤch - ſtens ein wenig Gemuͤſe1)Felibien: Histoire de Paris tom. II, p. 1158.. Dieſe Strenge verfehlte nicht Aufſehen zu erregen und Nachfolge zu erwecken: gar bald ward Dom Jean de la Barriere an den Hof von Vin - cennes berufen. Er zog mit 62 Gefaͤhrten, ohne von den Uebungen des Kloſters etwas nachzulaſſen, durch einen großen Theil von Frankreich: bald darauf ward ſein Inſtitut von dem Papſt beſtaͤtigt, und breitete ſich uͤber das Land aus.
Es war aber auch, als ſey uͤber die geſammte Welt - geiſtlichkeit, obwohl die Stellen unverantwortlich vergeben wurden, ein neuer Eifer gekommen. Die Weltprieſter nah - men ſich der Seelſorge wieder eifrig an. Die Biſchoͤfe forderten im Jahre 1570 nicht allein die Annahme des tridentiniſchen Concils, ſondern ſogar die Abſchaffung des Concordats, dem ſie doch ſelbſt ihr Daſeyn verdankten; von Zeit zu Zeit erneuten und ſchaͤrften ſie dieſe Antraͤge2)Remontrance de l’assemblée générale du clergé de France convoquée en la ville de Melun, faite au roi Henry III le 3 juillet 1579. Recueil des actes du clergé tom. XIV. Auch hat Thuanus einen Auszug..
Wer will die Momente genau angeben, durch welche das geiſtige Leben in dieſe Richtung getrieben wurde: ſo viel iſt gewiß, daß man bereits um das Jahr 1580 die147Die Ligue.groͤßte Veraͤnderung wahrnahm. Ein Venezianer verſichert, die Zahl der Proteſtanten habe um 70 Procent abgenom - men: das gemeine Volk war wieder ganz katholiſch. Fri - ſche Anregung, Neuheit und Kraft des Impulſes waren wieder auf Seiten des Katholicismus1)Lorenzo Priuli: Relatione di Franza 5 Giugno 1582. Dovemo maravigliarci, umanamente parlando, che le cose non siano in peggiore stato di quello che si trovano: poichè per gratia di Dio, con tutto il poco pensiero che li è stato messo e che se li mette, è sminuito il numero degli Ugonotti 70 0 / 0 et è grande il zelo et il fervor che mostrano cattolici nelle cose della religione. .
In dieſer Entwickelung bekam er aber eine neue Stel - lung gegen die koͤnigliche Gewalt.
Schon an ſich lebte der Hof in lauter Widerſpruͤ - chen. Es ließ ſich nicht zweifeln, daß Heinrich III. gut katholiſch war: man kam bei ihm nicht fort, wenn man nicht die Meſſe beſuchte, er wollte keine proteſtantiſchen Magiſtrate mehr in den Staͤdten: aber trotz alle dem blieb er doch nach wie vor dabei die geiſtlichen Stellen nach der Convenienz der Hofgunſt zu beſetzen, ohne alle Ruͤck - ſicht auf Wuͤrdigkeit und Talent, die geiſtlichen Guͤter an ſich zu ziehen und zu vergeuden. Er liebte religioͤſe Uebun - gen, Proceſſionen, erſparte ſich keine Caſteiung: aber dieß hinderte ihn nicht das anſtoͤßigſte Leben ſelbſt zu fuͤhren und Andern zu geſtatten. Eine recht verworfene Liederlich - keit war am Hofe an der Tagesordnung. Die Ausſchwei - fungen des Carnevals erregten die Entruͤſtungen der Predi - ger: zuweilen wollte man die Hofleute wegen der Art ih - res Todes und ihrer letzten Aeußerungen nicht beerdigen: es waren eben die Lieblinge des Koͤnigs.
10*148Buch V. Gegenreformationen.Daher geſchah, daß die ſtreng katholiſche Richtung, obwohl auf mancherlei Weiſe vom Hofe beguͤnſtigt, doch mit ihm in innere Oppoſition gerieth.
Aber uͤberdieß ließ auch der Koͤnig von der alten Po - litik, welche ſich hauptſaͤchlich in Feindſeligkeiten gegen Spanien bewegte, nicht ab. Zu einer andern Zeit haͤtte dieß nichts zu bedeuten gehabt. Damals aber war das religioͤſe Element auch in Frankreich ſtaͤrker als das Ge - fuͤhl der nationalen Intereſſen. Wie die Hugenotten mit den niederlaͤndiſchen Proteſtanten, ſo fuͤhlten ſich die Ka - tholiſchen in einem natuͤrlichen Bunde mit Philipp II. und Farneſe. Die Jeſuiten, welche dieſen in den Niederlanden ſo große Dienſte leiſteten, konnten nicht ohne Unruhe ſehen, daß eben die Feinde die ſie dort bekaͤmpften, Gunſt und Huͤlfe in Frankreich fanden.
Dazu kam nun aber, daß der Herzog von Alençon im Jahre 1584 ſtarb, und hiedurch, da der Koͤnig weder Erben hatte noch auch Hoffnung deren zu bekommen, die naͤchſte Anwartſchaft auf die Krone an Heinrich Koͤnig von Navarra gelangte.
Vielleicht vermag die Beſorgniß vor der Zukunft uͤber die Menſchen noch mehr als ein Ungluͤck des Augenblicks. Dieſe Ausſicht ſetzte alle katholiſchen Franzoſen in die groͤßte Bewegung1)In Rom ward gleich damals eine Schrift uͤber die Wuͤn - ſchenswuͤrdigkeit der Thronfolge eines Guiſen verfaßt: della incli - natione de’ cattolici verso la casa di Ghisa e del servitio che riceverà la christianità et il re cattolico della successione di uno di quei principi. Sie ward nach Spanien geſchickt: man ſchrieb ſie dem Cardinal Eſte zu. Dispaccio Veneto 1584 1mo Dcbr. .
149Die Ligue.Vor allem aber die alten Gegner und Bekaͤmpfer Na - varras, die Guiſen, welche ſchon den Einfluß, den er als Thronfolger bekommen mußte, wie viel mehr ſeine ſpaͤtere Macht fuͤrchteten.
Kein Wunder, wenn ſie einen Ruͤckhalt an Koͤnig Philipp ſuchten; dieſem Fuͤrſten konnte nichts willkomme - ner ſeyn: er trug kein Bedenken mit den Unterthanen ei - nes fremden Reiches ein foͤrmliches Buͤndniß einzugehn.
Es fragte ſich nur, ob man in Rom, wo man ſo oft von einer Verbindung der Fuͤrſten mit der Kirche ge - redet, jetzt die Erhebung maͤchtiger Vaſallen gegen ihren Koͤnig billigen wuͤrde.
Es laͤßt ſich doch nicht leugnen, daß dieß geſchehen iſt. Unter den Guiſen gab es noch einige uͤber den Schritt, den man zu thun vor hatte, beunruhigte Gewiſſen. Der Jeſuit Matthieu begab ſich nach Rom, um eine Erklaͤrung des Papſtes auszubringen, durch welche ihre Scrupel be - ſchwichtigt werden koͤnnten. Gregor XIII. erklaͤrte auf die Vorſtellungen Matthieus: er billige vollkommen die Ab - ſicht der franzoͤſiſchen Prinzen die Waffen gegen die Ketzer zu ergreifen: er nehme jeden Scrupel hinweg, den ſie dar - uͤber hegen koͤnnten: gewiß werde der Koͤnig ſelbſt ihr Vor - haben billigen: ſollte das aber auch nicht der Fall ſeyn, ſo wuͤrden ſie doch ihren Plan zu verfolgen haben, um zu dem vornehmſten Zwecke der Vertilgung der Ketzer zu ge - langen1)Claude Matthieu au duc de Nevers 11 févr. 1585: vielleicht die wichtigſte Mittheilung in dem ganzen vierten Bande von Capefigue: Réforme etc. S. 173.. Schon war der Proceß gegen Heinrich von150Buch V. Gegenreformationen.Navarra eingeleitet. Als er vollendet war, hatte Sixtus V. den paͤpſtlichen Stuhl beſtiegen: Sixtus ſprach die Excom - munication uͤber Navarra und Condé aus. Die Inten - tionen der Ligue unterſtuͤtzte er hiedurch mehr, als er es durch irgend eine andere Bewilligung vermocht haͤtte1)Maffei: Historiarum ab excessu Gregorii XIII lib. I, p. 10. Infimis foederatorum precibus et regis Philippi supplica - tione hortatuque haud aegre se adduci est passus ut Hugonotas eorumque duces coelestibus armis insectaretur. .
Schon hatten damals die Guiſen zu den Waffen ge - griffen. Sie verſuchten ſich ſo vieler Provinzen und Plaͤtze als nur immer moͤglich unmittelbar zu verſichern.
Bei der erſten Bewegung nahmen ſie ſo wichtige Staͤdte, wie Verdun und Toul, Lyon, Bourges, Orleans, Mezieres, ohne Schwertſtreich ein. Der Koͤnig, um ihnen nicht ſofort zu unterliegen, ergriff das ſchon einmal er - probte Mittel, ihre Sache fuͤr die ſeine zu erklaͤren. Aber um von ihnen angenommen zu werden, mußte er ihnen in einem foͤrmlichen Vertrage ihre Erwerbungen beſtaͤtigen und erweitern: Bourgogne, Champagne, einen großen Theil der Picardie und eine Menge Plaͤtze in andern Theilen des Reiches uͤberließ er ihnen2)Betrachtung des Cardinals Oſſat uͤber die Wirkungen der Ligue in Frankreich: in dem Leben des Cardinals Oſſat I, 44..
Hierauf unternahmen ſie gemeinſchaftlich den Krieg ge - gen die Proteſtanten. Aber welch ein Unterſchied! Alle Maaßregeln des Koͤnigs waren halb und erfolglos: die Ka - tholiken glaubten ſelbſt, er wuͤnſche den Succeß der prote - ſtantiſchen Waffen, um alsdann, von ihrer gefahrdrohenden Macht ſcheinbar gezwungen, einen fuͤr die Katholiſchen un -151Die Ligue.vortheilhaften Frieden ſchließen zu koͤnnen. Guiſe dage - gen ſchwur, wenn ihm Gott Sieg verleihe, ſo wolle er nicht wieder vom Pferde ſteigen, bis er die katholiſche Religion in Frankreich auf immer befeſtigt habe. Mit ſei - nen eigenen, nicht mit den koͤniglichen Truppen uͤberraſchte er die Deutſchen, welche den Hugenotten zu Huͤlfe kamen, auf welche dieſe alle ihre Hoffnungen bauten, bei Auneau, und vernichtete ſie gaͤnzlich.
Der Papſt verglich ihn mit Judas Maccabaͤus. Er war eine großartige Natur, die das Volk in freiwilliger Verehrung mit ſich fortriß. Er wurde der Abgott aller Katholiken.
Der Koͤnig dagegen befand ſich in einer durchaus fal - ſchen Stellung: er wußte ſelbſt nicht was er thun, nicht einmal was er wuͤnſchen ſollte. Der paͤpſtliche Geſandte Moroſini findet, er beſtehe gleichſam aus zwei Perſonen: er wuͤnſche die Niederlagen der Hugenotten, und fuͤrchte ſie eben ſo ſehr: er fuͤrchte die Niederlagen der Katholiken, und wuͤnſche ſie doch auch: durch dieſen innern Zwieſpalt ſey es dahin gekommen, daß er ſeinen Neigungen nicht mehr folge, ſeinen eigenen Gedanken nicht mehr glaube1)Dispaccio Morosini bei Tempesti: Vita di Sisto V p. 346. „ Il re, tutto che sia monarca si grande, è altrettanto po - vero: e quanto è povero, è altrettanto prodigo: dimostra insigne pietà, e nel stesso tempo aborrisce la sagra lega: è in campo contra gli heretici, e pure è geloso de’progressi catolici. “.
Eine Stimmung, welche nothwendig alles Vertrauen raubt und gerades Wegs ins Verderben fuͤhrt.
Die Katholiken hielten dafuͤr, daß eben der, der an ihrer Spitze ſtehe, insgeheim wider ſie ſey: jede fluͤchtige152Buch V. Gegenreformationen.Veruͤhrung mit den Leuten des Navarra, jede geringfuͤ - gige Beguͤnſtigung irgend eines Proteſtanten rechneten ſie ihm an: ſie hielten dafuͤr, daß der allerchriſtlichſte Koͤnig ſelbſt die voͤllige Wiederherſtellung des Katholicismus hin - dere: ſeinen Guͤnſtlingen, vor allem Epernon widmeten ſie einen um ſo groͤßern Haß, da der Koͤnig ihn den Guiſen entgegenſetzte und ihm die wichtigſten Gouvernements an - vertraute.
Unter dieſen Umſtaͤnden bildete ſich dem Bunde der Fuͤrſten zur Seite auch eine Union der Buͤrger im katholi - ſchen Sinne. In allen Staͤdten ward das Volk durch Prediger bearbeitet, welche eine wilde Oppoſition gegen die Regierung mit einem heftigen religioͤſen Eifer vereinigten. In Paris ging man weiter. Es waren drei Prediger und ein angeſehener Buͤrger welche zuerſt den Gedanken faßten eine populaͤre Vereinigung zur Vertheidigung des Katho - licismus zu ſtiften1)Der Anonymo Capitolino uͤber das Leben Sixtus V. hat hieruͤber eigenthuͤmliche Notizen. Den Stifter nennt er Carlo Ot - tomani, „ cittadino onorato “: der ſich zuerſt den Predigern mit - theilt. Gleich in ihrer erſten Zuſammenkunft traͤgt Ottomani auf eine Vereinigung mit den Prinzen an; in der zweiten, 25. Januar 1587, beſchließt man 16 Maͤnner zu ernennen, einen fuͤr jedes Quar - tier, a cui si riferisse da persone fidate quanto vi si facesse e dicesse appartenente a fatti publici; in einer dritten, am Lichtmeß - tag, wird ein Rath aus 10 Perſonen beſtehend ernannt, mit dem Rechte Abgaben aufzulegen, und es wird ſogleich eine Geſandtſchaft an Guiſe abgeordnet. Zu alle dem was wir bei Cayet aus Ma - naut und Maheutre, bei Poulain, Thou und Davila finden, giebt dieß doch noch einige Momente.. Sie ſchwuren einander zuvoͤrderſt ſelbſt ihren letzten Blutstropfen dafuͤr aufzuopfern: jeder nannte ein paar ſichere Freunde. Ihre erſte Zuſammen -153Die Ligue.kunft mit dieſen hielten ſie in einer geiſtlichen Zelle in der Sorbonne. Bald ſahen ſie die Moͤglichkeit die ganze Stadt zu umfaſſen. Es ward ein engerer Ausſchuß auf - geſtellt, welcher die Bewegung zu leiten und im Nothfall ſelbſt Geld einzufordern hatte. In jedem der ſechszehn Quartiere der Stadt ward Eine Perſon mit der Aufſicht beauftragt. Auf das raſcheſte und geheimſte ſchritt die An - werbung fort. Ueber die Neuaufzunehmenden ward in dem Ausſchuß erſt berathſchlagt: denen die man nicht bil - ligte, ward nichts weiter mitgetheilt. In den verſchie - denen Collegien hatte man ſeine Leute: einen fuͤr die Re - chenkammer, einen fuͤr die Procuratoren des Hofes, einen fuͤr die Clercs, einen fuͤr die Greffiers: ſo weiter. Bald war die Stadt, die ohnehin eine katholiſch-militaͤriſche Or - ganiſation empfangen, von dieſem geheimeren und wirkſa - meren Bunde umfaßt. Man war mit Paris nicht zufrie - den: in Orleans, Lyon, Toulouſe, Bourdeaux, Rouen ſetzte ſich die Verbindung fort: und es erſchienen Abgeord - nete der Einverſtandenen in Paris. Sie verbanden ſich alle, keinen Hugenotten in Frankreich zu dulden und die Mißbraͤuche der Regierung abzuſchaffen.
Es iſt der Bund genannt der Sechszehn. So wie er ſich einigermaaßen erſtarkt ſah, gab er den Guiſen Nach - richt. Im tiefſten Geheimniß kam Mayenne, der Bruder des Herzogs nach Paris. Die Fuͤrſten und die Buͤrger ſchloſſen ihre Union1)Nel palazzo di Rens dietro alla chiesa di S. Agostino — — giurarono tutti una scambievol lega non sola defensiva ma assoluta. (Anon. Capit.) .
154Buch V. Gegenreformationen.Schon fuͤhlte der Koͤnig den Boden unter ſeinen Fuͤ - ßen beben. Man hinterbrachte ihm von Tag zu Tag die Bewegungen ſeiner Gegner. Schon war man in der Sor - bonne ſo kuͤhn die Frage vorzulegen, ob es recht ſey, ei - nem Fuͤrſten der ſeine Pflicht nicht thue, den Gehorſam zu entziehen. In einem Rathe von dreißig bis vierzig Doctoren bejahte man ſie. Der Koͤnig war hoͤchſt entruͤ - ſtet: er drohte, es wie Papſt Sixtus zu machen und die widerſpenſtigen Prediger an die Galeere ſchmieden zu laſſen. Allein er hatte nicht die Thatkraft des Papſtes: er that nichts weiter, als daß er die Schweizer, die in ſeinem Dienſt waren, in die Naͤhe der Hauptſtadt vor - ruͤcken ließ.
Erſchrocken uͤber die Drohung, die hierin lag, ſchick - ten die Buͤrger an Guiſe, und baten ihn zu kommen und ſie zu beſchuͤtzen. Der Koͤnig ließ ihn wiſſen, daß er es nicht gern ſehen werde. Guiſe kam dennoch.
Es war alles reif zu einer großen Exploſion.
Als der Koͤnig die Schweizer einruͤcken ließ, brach ſie aus. In Einem Moment war die Stadt barricadirt. Die Schweizer wurden zuruͤckgedraͤngt, der Louvre bedroht: der Koͤnig mußte ſich zur Flucht entſchließen1)Maffei wirft Guiſen vor, daß er dieß geduldet: „ Inanis popularis aurae et infaustae potentiae ostentatione contentus Henricum incolumem abire permittit. “(l. l. 38.) .
Schon hatte Guiſe einen ſo großen Theil von Frank - reich inne: jetzt ward er auch Herr von Paris. Baſtille, Arſenal, Hotel de Ville, alle umliegenden Orte fielen in ſeine Hand. Der Koͤnig war ganz uͤberwaͤltigt In kur -155Die Ligue.zem mußte er ſich bequemen, zu einem Verbot der prote - ſtantiſchen Religion zu ſchreiten, und den Guiſen noch mehr Plaͤtze einzuraͤumen, als ſie ſchon hatten. Der Herzog von Guiſe konnte als Herr der Haͤlfte von Frankreich angeſe - hen werden. Ueber die andere gab ihm die Wuͤrde eines General-Lieutenants des Koͤnigreichs, die ihm Heinrich III. verlieh, eine geſetzliche Autoritaͤt. Die Staͤnde wurden zu - ſammenberufen. Es war kein Zweifel, daß die katholiſche Meinung das Uebergewicht in dieſer Verſammlung haben wuͤrde. Es waren von ihr die entſcheidendſten Schritte zum Verderben der Hugenotten, zu Gunſten ber katholiſch - guiſiſchen Partei zu erwarten.
Es verſteht ſich, daß das Uebergewicht des Katholi - cismus in dieſem maͤchtigen Reiche auch auf die benach - barten Gebiete eine verwandte Wirkung ausuͤben mußte.
Namentlich ſchloſſen ſich die katholiſchen Cantone der Schweiz immer enger an das geiſtliche Princip, das ſpa - niſche Buͤndniß an.
Es iſt auffallend, welch ungemeine Wirkungen die Er - richtung einer ſtehenden Nuntiatur, wie in Deutſchland, ſo auch in der Schweiz nach ſich zog.
Unmittelbar nachdem ſie Statt gefunden, im Jahre 1586, vereinigten ſich die katholiſchen Cantone zu dem ſo - genannten goldenen oder borromaͤiſchen Bunde, in welchem ſie ſich und auf ewig ihre Nachkommen verbinden, „ bei156Buch V. Gegenreformationen.dem wahren ungezweifelten alten apoſtoliſchen roͤmiſchen ka - tholiſchen Glauben zu leben und zu ſterben “1)„ Ihre ewigen Nachkommen “, wie es in der Bundesurkunde heißt: bei Lauffer: Beſchreibung helvetiſcher Geſchichte Bd. X. S. 331.. Darauf empfingen ſie die Hoſtie aus der Hand des Nuntius.
Waͤre die Partei, welche ſich 1587 zu Muͤhlhauſen der Gewalt bemaͤchtigte, wirklich, wie ſie dazu Miene machte, und zur rechten Zeit zum katholiſchen Glauben uͤbergetre - treten, ſo wuͤrde ſie von den Katholiken ohne Zweifel un - terſtuͤtzt worden ſeyn: in dem Hauſe des Nuntius zu Lu - zern wurden bereits Conferenzen daruͤber gehalten. Aber die Muͤhlhaͤuſer bedachten ſich zu lange: auf das ra - ſcheſte fuͤhrten dagegen die Proteſtanten ihren Zug aus, durch welchen ſie die alte hauptſaͤchlich ihnen zugewandte Regierung wiederherſtellten2)Das religioͤſe Moment der Muͤhlhaͤuſer Sache tritt beſon - ders in der auf die Relationen des Nuntius gegruͤndeten Erzaͤhlung des Anonymo Capitol. hervor, auf den wir bei der Kritik des Tem - peſti zuruͤckkommen wollen..
In dieſem Augenblicke aber thaten die drei Waldſtaͤtte mit Zug, Luzern und Freiburg einen neuen bedeutenden Schritt. Nach langer Unterhandlung ſchloſſen ſie am 12. Mai 1587 einen Bund mit Spanien, in welchem ſie dem Koͤnig immerwaͤhrende Freundſchaft zuſagten, ihm Werbungen in ihrem Gebiete, den Durchzug durch ihre Gebirge ver - ſtatteten, und Philipp II. ihnen entſprechende Zugeſtaͤndniſſe machte. Hauptſaͤchlich gelobten ſie einander, im Falle ſie um der heiligen apoſtoliſchen Religion willen in einen Krieg verwickelt wuͤrden, wechſelſeitigen Beiſtand aus allen ih -157Savoyen und die Schweiz.ren Kraͤften1)Traité d’alliance fait entre Philipp II. etc. Dumont: Corps diplomatique V. I, p. 459.. Die fuͤnf Orte nahmen bei dieſem Ab - kommen Niemand aus, ſelbſt nicht ihre Eidgenoſſen. Viel - mehr war der Bund ohne Zweifel eben dieſen entgegenge - ſetzt: es gab ſonſt Niemand, mit dem ſie um der Reli - gion willen haͤtten beſorgen muͤſſen in Krieg zu gerathen.
Wie viel ſtaͤrker war doch auch hier das religioͤſe Moment als das nationale! Die Gemeinſchaft im Glau - ben vereinigte jetzt die alten Schwytzer und das Haus Oeſtreich! Die Eidgenoſſenſchaft ward fuͤr den Augenblick hintangeſetzt.
Ein Gluͤck war es noch, daß es keinen Anlaß zu au - genblicklicher Fehde gab. Der Einfluß jener Verbindungen ward zunaͤchſt nur von Genf empfunden.
Der Herzog von Savoyen, Carl Emanuel, ein Fuͤrſt ſein Lebelang von unruhigem Ehrgeiz, hatte ſchon oft die Neigung gezeigt ſich bei guͤnſtiger Gelegenheit der Stadt Genf wieder zu bemaͤchtigen, als deren rechtmaͤßigen Herrn er ſich betrachtete: aber immer waren ſeine Abſichten von vorn herein an dem Widerſtande der Schweizer und der Franzo - ſen, an dem Schutze, den dieſe Maͤchte den Genfern ange - deihen ließen, geſcheitert.
Jetzt aber hatten ſich die Verhaͤltniſſe geaͤndert. Im Sommer 1588, unter dem Einfluß Guiſe’s, verſprach Hein - rich III. eine Unternehmung gegen Genf nicht mehr ſtoͤ - ren zu wollen. Wenigſtens die katholiſchen Cantone der Schweiz hatten jetzt nichts mehr dagegen. So viel ich158Buch V. Gegenreformationen.finde, forderten ſie nur, daß Genf, wenn es erobert ſey, nicht als Feſtung beſtehn ſolle.
Hierauf ruͤſtete ſich der Herzog zum Angriff. Die Genfer verloren den Muth nicht: mit ihren Verbuͤndeten von Bern vereint drangen ſie ſogar in das herzogliche Gebiet vor: allein gar bald war der Herzog im Vortheil. Die Eingedrungenen wurden wieder verjagt. Der Herzog, der die zunaͤchſt an die Schweiz grenzenden Grafſchaften nur unter ſehr beſchraͤnkenden Bedingungen beſaß, die ihm durch fruͤhere Friedensſchluͤſſe mit Bern aufgelegt worden, ergriff die Gelegenheit ſich zunaͤchſt hier vollkommener zum Herrn zu machen. Er verjagte die Proteſtanten, die er bisher dulden muͤſſen: das ganze Land machte er ausſchlie - ßend katholiſch. Bisher war ihm verboten geweſen auf dieſem Theil ſeines Gebietes Feſtungen anzulegen. Jetzt gruͤndete er deren an Stellen, wo ſie ihm nicht allein zur Vertheidigung, ſondern auch zur Bedraͤngung von Genf dienen mußten.
Ehe aber dieſe Verhaͤltniſſe ſich weiter entwickelten, waren andere Unternehmungen in Gang gekommen, welche noch ungleich wichtigere Erfolge, eine vollſtaͤndige Umwan - delung der europaͤiſchen Verhaͤltniſſe erwarten ließen.
Die Niederlande waren zum groͤßern Theile bezwun - gen: und es ward bereits uͤber eine freiwillige Unterwer - fung der uͤbrigen verhandelt: in Deutſchland hatte ſich die159Angriff auf England.katholiſche Bewegung ſo vieler Territorien bemeiſtert, und es war ein Anſchlag gefaßt ſich der noch fehlenden zu be - maͤchtigen. Durch Siege, Beſetzungen der feſten Plaͤtze, Anhaͤnglichkeit des Volkes und geſetzliche Autoritaͤt ging der Vorfechter des franzoͤſiſchen Katholicismus auf einem Wege daher, der ihn zur Alleinherrſchaft fuͤhren zu muͤſſen ſchien. Auch die alte Metropole der proteſtantiſchen Doctrin, die Stadt Genf, ward durch ihre bisherigen Buͤndniſſe nicht mehr geſchuͤtzt. In dieſem Augenblick ward nun der Plan gefaßt dem Baume die Axt an die Wurzel zu legen und England anzugreifen.
Der Mittelpunkt der geſammten proteſtantiſchen Macht und Politik war ohne Zweifel in England. An Koͤnigin Eliſabeth hatten die noch unbezwungenen niederlaͤndiſchen Provinzen, ſo wie die Hugenotten in Frankreich ihren vor - nehmſten Ruͤckhalt.
Aber auch ſchon in England war, wie wir ſahen, der innerliche Kampf eroͤffnet. Von einer abſichtlich zu die - ſem Zwecke genaͤhrten religioͤſen Begeiſterung und der Liebe zur Heimath zugleich angetrieben, kamen immer neue Zoͤg - linge der Seminarien, immer mehr Jeſuiten heruͤber. Koͤ - nigin Eliſabeth begegnete ihnen mit ſcharfen Geſetzen. Im Jahre 1582 ließ ſie es geradezu fuͤr Hochverrath erklaͤren einen ihrer Unterthanen von der in dem Reiche eingefuͤhr - ten Religion zu der roͤmiſchen verleiten zu wollen1)Camden: Rerum Anglicarum annales regnante Elizabe - tha I, p. 349.. Im Jahre 1585 gebot ſie allen Jeſuiten und Prieſtern der Se - minarien England binnen 40 Tagen zu verlaſſen, bei Strafe160Buch V. Gegenreformationen.als Landesverraͤther behandelt zu werden: ungefaͤhr eben ſo wie die proteſtantiſchen Prediger aus ſo vielen Gebieten katholiſcher Fuͤrſten weichen mußten1)Ibid. p. 396.. In dieſem Sinne ließ ſie damals die hohe Commiſſion in Wirkſamkeit tre - ten: einen Gerichtshof, ausdruͤcklich dazu beſtimmt den Uebertretungen der Acten des Supremats und der Unifor - mitaͤt nachzuforſchen, nicht allein in den gewoͤhnlichen ge - ſetzlichen Formen, ſondern durch welche Mittel und Wege es immer rathſam ſcheinen moͤge, auch durch die Ab - noͤthigung eines koͤrperlichen Eides: eine Art von prote - ſtantiſcher Inquiſition2)„ as well by the oaths of 12 good and lawful men as also by witnesses and all other means and ways you can de - vise “. — Es haͤtte wenigſtens heißen muͤſſen: „ lawful means and ways “. Neal: History of the puritans T. I. p. 414.. Bei alle dem wollte Eliſabeth noch immer das Anſehen vermeiden, als ob ſie die Frei - heit des Gewiſſens verletze. Sie erklaͤrte, nicht die Her - ſtellung der Religion liege jenen Jeſuiten am Herzen: ihre Abſicht ſey nur das Land zum Abfall von der Regierung zu verleiten und auswaͤrtigen Feinden den Weg zu bahnen. Die Miſſionarien proteſtirten „ vor Gott und den Heiligen “, wie ſie ſagen, „ vor Himmel und Erde “, ihr Zweck ſey lediglich religioͤſer Art und beruͤhre die koͤnigliche Majeſtaͤt nicht3)Campiani vita et martyrium p. 159. „ Coram Deo pro - fiteor et angelis ejus, coram coelo terraque, coram mundo et hoc cui adsto tribunali, — me nec criminis laesae majesta - tis nec perduellionis nec ullius in patriam conjurationis esse reum. “etc. . Allein welcher Verſtand waͤre faͤhig geweſen dieſeMo -161Angriff auf England.Momente zu unterſcheiden. Nicht mit einer einfachen Be - theuerung ließen ſich die Inquiſitoren der Koͤnigin abwei - ſen. Sie forderten eine Erklaͤrung, ob der Fluch, welchen Pius V. uͤber die Koͤnigin ausgeſprochen, rechtmaͤßig ſey und einen Englaͤnder verpflichte: die Gefangenen ſollten ſa - gen, wenn der Papſt ſie von dem Eide der Treue entbinde und England angreife, was ſie dann thun, auf welche Seite ſie ſich halten wuͤrden. Die armen geaͤngſtigten Leute wußten nicht, wie ſie ſich herauswinden ſollten. Sie ant - worteten wohl, ſie wuͤrden dem Kaiſer geben was des Kai - ſers und Gott was Gottes ſey, aber dieſe Ausflucht ſelbſt nahmen ihre Richter fuͤr ein Geſtaͤndniß. Und ſo erfuͤll - ten ſich die Gefaͤngniſſe: Hinrichtung erfolgte auf Hinrich - tung: auch der Katholicismus bekam ſeine Maͤrtyrer: — man hat ihre Anzahl unter der Regierung der Eliſabeth auf ungefaͤhr 200 ſchaͤtzen wollen. Natuͤrlich ward damit der Eifer der Miſſionarien doch nicht unterdruͤckt: mit der Strenge der Geſetze wuchs die Anzahl der Widerſpenſtigen, der Recuſanten, wie man ſie nannte, wuchs auch ihre Er - bitterung: an den Hof ſelbſt gelangten Flugſchriften, in de - nen die That der Judith an Holofernes als ein nachah - mungswuͤrdiges Beiſpiel von Gottesfurcht und Heldenmuth aufgeſtellt wurde: noch immer wandten ſich die Blicke der Meiſten nach der gefangenen Koͤnigin von Schottland, die ja den paͤpſtlichen Ausſpruͤchen zufolge die rechtmaͤßige Fuͤr - ſtin von England war: ſie hofften noch immer einen allge - meinen Umſchwung der Dinge von einem Angriff der ka - tholiſchen Maͤchte. In Italien und Spanien wurden die herbſten Darſtellungen der Grauſamkeiten verbreitet, denenPäpſte* 11162Buch V. Gegenreformationen.die Rechtglaͤubigen in England ausgeſetzt ſeyen: Darſtel - lungen die jedes katholiſche Herz empoͤren mußten1)Theatrum crudelitatum haereticorum nostri temporis. Es faͤngt an mit einer peculiaris descriptio crudelitatum et immani - tatum schismaticorum Angliae regnante Henrico VIII, und ſchließt mit: Inquisitionis Anglicanae et facinorum crudelium Machiavellanorum in Anglia et Hibernia a Calvinistis protestan - tibus sub Elizabetha etiamnum regnante peractorum descriptiones. Man ſieht alle die unerhoͤrten Martern abgebildet: ein entſetzlicher Anblick..
Vor allem nahm Papſt Sixtus daran Antheil. Es iſt ganz wahr, daß er fuͤr eine ſo großartige und tapfere Per - ſoͤnlichkeit, wie ſie Eliſabeth zeigte, eine gewiſſe Hochach - tung empfand, und er hat wirklich einmal den Antrag an ſie gebracht, ſie moͤge in den Schooß der katholiſchen Kirche zuruͤckkehren. Sonderbarer Antrag! Als ob ſie haͤtte waͤhlen koͤnnen, als ob nicht ihr bisheriges Leben, die Be - edeutung ihres Daſeyns, ihre Weltſtellung, wenn ja ihre Ueberzeugung nicht vollkommen geweſen waͤre, ſie an die proteſtantiſchen Intereſſen gefeſſelt haͤtte! Eliſabeth erwie - derte kein Wort, aber ſie lachte. Als der Papſt dieß hoͤrte, ſagte er, er muͤſſe darauf denken, ihr das Koͤnigreich mit Gewalt zu entreißen.
Vorher hatte er es nur angedeutet. Im Fruͤhjahr 1586 ging er ſchon unverholen heraus. Er ruͤhmte ſich, den Koͤnig von Spanien zu einer Unternehmung gegen Eng - land ganz anders unterſtuͤtzen zu wollen, als Carl V. von fruͤhern Paͤpſten unterſtuͤtzt worden ſey. 2)Dispaccio Gritti 31 Maggio 1586: „ accresciuto quatro volte tanto. Il papa vorria che si fingesse d’andar contra Draco e si piegasse poi in Inghilterra. “
Im Januar 1587 klagte er laut uͤber die Saumſe -163Angriff auf England.ligkeit der Spanier. Er zaͤhlte die Vortheile auf, die ih - nen ein engliſcher Sieg fuͤr die Wiedereroberung des Re - ſtes der Niederlande darbiete! 1)Dispaccio Gritti 10 Genn. 1587.
Schon wurde er bitter daruͤber. Als Philipp II. eine Pragmatica erließ, durch welche die Titulaturen uͤberhaupt, und mithin auch die beſchraͤnkt wurden, welche die roͤmi - ſche Curie in Anſpruch nahm, gerieth der Papſt in Feuer und Flamme. „ Wie? “rief er aus, „ gegen uns will Don Philipp ungeſtuͤm thun, und laͤßt ſich von einem Weibe mißhandeln? “2)Dolendosi che’l re si lascia strapazzar da una donna e vuol poi bravar con lei (S. Sà).
In der That: geſchont wurde der Koͤnig nicht. Eli - ſabeth nahm ſich der Niederlaͤnder oͤffentlich an: alle ame - rikaniſchen und europaͤiſchen Kuͤſten machte Drake unſicher. Was Papſt Sixtus ausſprach, war im Grunde die Mei - nung aller Katholiken. Sie wurden irre an dem maͤchti - gen Koͤnig, der ſich ſo viel gefallen laſſe. Die Cortes von Caſtilien lagen ihn an, ſich zu raͤchen.
Sogar perſoͤnlich war Philipp beleidigt. In Comoͤ - dien und Maskenzuͤgen ward er verſpottet, und einmal hin - brachte man ihm das doch. Der bejahrte Herr, nur der Verehrung gewohnt, ſprang von ſeinem Stuhl auf: nie - mals hatte man ihn ſo entruͤſtet geſehen.
In dieſer Stimmung waren Papſt und Koͤnig, als die Nachricht einlief, Eliſabeth habe die gefangene Koͤnigin von Schottland hinrichten laſſen. Es iſt hier nicht der Ort zu unterſuchen, welche rechtliche Befugniß ſie dazu gehabt ha -11*164Buch V. Gegenreformationen.ben moͤge: hauptſaͤchlich war es doch ein Act politiſcher Juſtiz. Der erſte Gedanke entſprang, ſo viel ich finde, be - reits zur Zeit der Bartholomaͤusnacht. In einem ſeiner Briefe an Lord Burghley druͤckt der damalige Biſchof von London die Beſorgniß aus, daß ein ſo verraͤtheriſches Be - ginnen ſich auch uͤber England ausdehnen moͤge; er findet, der Grund dieſer Gefahr liege hauptſaͤchlich in der ſchot - tiſchen Koͤnigin: „ die Sicherheit des Reiches “, ruft er aus, „ erfordert ihr das Haupt abzuſchlagen “1)Edwin Sandys to Lord Burghley, Fulham Vth of Sept. 1572: The saftie of our Quene and Realme yf God wil: furtwith to cutte of the Scotish Quenes heade: ipsa est nostri fundi calamitas. — — Ellis Letters: second series t. III, p. 25.. Um wie viel maͤchtiger war aber jetzt die katholiſche Partei in Europa geworden: wie viel mehr war ſie ſelbſt in England in Gaͤhrung und Bewegung! Mit den Guiſen ihren Vet - tern, den Mißvergnuͤgten im Lande, mit dem Koͤnig von Spanien und dem Papſt ſtand Maria Stuart unaufhoͤrlich in geheimer Verbindung. Das katholiſche Princip, in wie fern es ſeiner Natur nach der beſtehenden Regierung ent - gegengeſetzt war, repraͤſentirte ſich in ihr: bei dem erſten Succeß der katholiſchen Partei wuͤrde ſie unfehlbar zur Koͤ - nigin ausgerufen worden ſeyn. Dieſe ihre Stellung, aus der Lage der Dinge entſpringend, der ſie ſich denn aller - dings nicht entzog, buͤßte ſie mit dem Leben.
Aber dieſe Hinrichtung brachte nun auch die ſpani - ſchen und paͤpſtlichen Entwuͤrfe endlich zur Reife. So viel wollte man ſich doch nicht gefallen laſſen. Sixtus erfuͤllte das Conſiſtorium mit ſeinen Ausrufungen uͤber die engli -165Angriff auf England.ſche Jezabel, welche ſich an dem geweiheten Haupt einer Fuͤrſtin vergreife, die Niemand unterthan ſey, als Jeſu Chriſto und, wie ſie ſelbſt bekannt habe, dem Stellver - treter deſſelben. Um zu zeigen wie ſo ganz er die Thaͤtig - keit der katholiſchen Oppoſition in England billige, ernannte er den erſten Begruͤnder der Seminarien, Wilhelm Allen, zum Cardinal der Kirche: eine Ernennung, in der man wenigſtens in Rom ſogleich eine Kriegserklaͤrung gegen England erblickte. Auch ward nunmehr ein foͤrmlicher Bund zwiſchen Philipp II. und dem Papſt abgeſchloſſen1)Die urſpruͤnglichen Abſichten des Papſtes Dispaccio Gritti 27 Giugno 1587. Il papa fa gran offerta al re per l’impresa d’Inghilterra, ma vuole la denomination del re e ch e’l regno sia feudo della chiesa. . Der Papſt verſprach dem Koͤnig eine Beihuͤlfe von einer Million Scudi zu ſeiner Unternehmung: aber wie er im - mer auf ſeiner Hut war, beſonders wenn es Geldſachen anbetraf, ſo verpflichtete er ſich erſt alsdann zu zahlen, wenn der Koͤnig einen engliſchen Hafen in Beſitz genom - men habe. „ E. Maj. zoͤgere nicht laͤnger “, ſchrieb er an denſelben, „ jede Zoͤgerung wuͤrde die gute Abſicht in eine ſchlimme Wirkung verwandeln. “ Der Koͤnig ſtrengte alle Kraͤfte ſeines Reiches an, und ſetzte die Armada in Stand die man die unuͤberwindliche genannt hat.
Und ſo erhoben ſich die italieniſch ſpaniſchen Kraͤfte, von denen ſchon ſo gewaltige Wirkungen in aller Welt ausgegangen, zu einem Angriff auch auf England. Schon ließ der Koͤnig aus dem Archiv von Simancas die An - ſpruͤche zuſammenſtellen, die er nach dem Abgang der Stuarts166Buch V. Gegenreformationen.ſelbſt auf jene Krone habe: glaͤnzende Ausſichten beſon - ders einer allgemeinen Seeherrſchaft knuͤpfte er an dieſe Unternehmung.
Es ſchien alles zuſammenzugreifen: die Uebermacht des Katholicismus in Deutſchland, der erneute Angriff auf die Hugenotten in Frankreich, der Verſuch gegen Genf, die Un - ternehmung gegen England. In demſelben Augenblicke beſtieg, was wir ſpaͤter naͤher betrachten wollen, ein ent - ſchieden katholiſcher Fuͤrſt, Sigismund III., den polniſchen Thron, mit dem Rechte dereinſtiger Thronfolge auch in Schweden.
In Momenten, wo irgend ein Princip, welches es auch ſey, nach der unbedingten Herrſchaft in Europa trach - tet, wird ſich ihm aber alle Mal ein ſtarker Widerſtand entgegenſetzen, der aus den tiefſten Quellen des Lebens her - vorgeht.
Philipp II. fand jugendlich ſtarke, im Gefuͤhl ihrer zukuͤnftigen Beſtimmung aufſtrebende Kraͤfte ſich gegen - uͤber. Die kuͤhnen Corſaren, die alle Meere unſicher ge - macht, ſammelten ſich um die Kuͤſten ihres Vaterlandes. Die Proteſtanten ſaͤmmtlich, ſelbſt die Puritaner — obwohl ſie ſo ſchwere Bedruͤckungen hatten ausſtehn muͤſſen wie die Katholiken — vereinigten ſich um die Koͤnigin, die jetzt ih - ren maͤnnlichen Muth, ihr fuͤrſtliches Talent zu gewinnen, zu leiten, feſtzuhalten bewundernswuͤrdig bewaͤhrte: die inſulare Lage des Landes, die Elemente ſtanden mit der Vertheidigung im Bunde: die unuͤberwindliche Armada war vernichtet, ehe ſie nur noch angegriffen hatte: die Unternehmung ſcheiterte vollkommen.
167Angriff auf England.Es verſteht ſich jedoch, daß der Plan, die große In - tention ſelbſt damit nicht ſofort aufgegeben wurde.
Die Katholiken wurden von den Schriftſtellern ihrer Partei erinnert, auch Julius Caͤſar, auch Heinrich VII., der Großvater der Eliſabeth, ſeyen bei ihren erſten An - griffen auf England ungluͤcklich geweſen, aber zuletzt doch Herrn im Lande geworden. Oft verzoͤgere Gott den Sieg ſeiner Getreuen. Die Kinder Iſrael ſeyen im Kriege gegen den Stamm Benjamin, den ſie auf Gottes ausdruͤckliches Geheiß unternommen, zweimal mit großem Verluſt geſchla - gen worden: erſt der dritte Angriff habe ihnen den Sieg gebracht: „ da habe die reißende Flamme die Staͤdte und Doͤrfer Benjamin verheert, die Schaͤrfe des Schwertes Menſchen und Vieh getroffen. “ „ Daran “, riefen ſie aus, „ moͤgen die Englaͤnder gedenken und uͤber den Verzug der Strafe nicht uͤbermuͤthig werden. “1)Andreae Philopatri (Parsoni) ad Elizabethae reginae An - gliae edictum responsio § 146. 147. „ Nulla “fuͤgt er hinzu „ ipsorum fortitudine repulsa vis est, sed iis potius casibus qui saepissime in res bellicas solent incidere, aëris nimirum incle - mentia, maris incogniti inexperientia[nonnullorumque] fortassis hominum vel negligentia vel inscitia, dei denique voluntate, quia forte misericors dominus arborem infructuosam dimittere adhuc voluit ad tertium annum evangelicum. “
Auch Philipp II. hatte den Muth keinesweges verloren. Seine Abſicht war, kleinere und leichter bewegliche Fahrzeuge auszuruͤſten: und mit dieſen dann nicht erſt im Kanal eine Vereinigung mit der niederlaͤndiſchen Macht, ſondern ſo - gleich die Landung an der engliſchen Kuͤſte zu verſuchen. Im Arſenal zu Liſſabon ward auf das lebhafteſte gearbei -168Buch V. Gegenreformationen.tet. Der Koͤnig war entſchloſſen alles daran zu ſetzen, und muͤßte er, ſagte er einſt bei Tiſche, die ſilbernen Leuch - ter, die vor ihm ſtanden, verkaufen1)Dispacci Gradenigo. 29 Sett. 1588. Sì come il re ha sentito molto questo accidente di mala fortuna, così mostra di esser più che mai risoluto di seguitar la impresa con tutte le sue forze. — 11 Ott. S. Mà sta ardentissima nel pensar e trat - tar le provisioni per l’anno futuro. — 1 Nov. „ Si venderanno “habe der Koͤnig ausgerufen „ esti candellieri, quando non vi sia altro modo di far danari. “.
Indem er aber darauf dachte, eroͤffneten ſich ihm noch andere Ausſichten, ein neuer Schauplatz fuͤr die Thaͤtig - keit der italieniſch-ſpaniſchen roͤmiſch-katholiſchen Streit - kraͤfte.
Bald nach dem Ungluͤck der Flotte trat in Frankreich eine Reaction ein, unerwartet, wie ſo oft, gewaltſam, blutig.
In dem Augenblicke, daß Guiſe, der die Staͤnde von Blois nach ſeinem Willen lenkte, mit dem Amte eines Connetable die Leitung der geſammten Reichsgeſchaͤfte in die Haͤnde bekommen zu muͤſſen ſchien, ließ ihn Heinrich III. umbringen. Dieſer Koͤnig, der ſich von der katholiſch-ſpani - ſchen Geſinnung ergriffen und umfangen ſah, riß ſich auf einmal von ihr los und warf ſich in den Widerſtand.
169Ermordung Heinrichs III.Aber mit Guiſe war nicht ſeine Partei, war nicht die Ligue vernichtet. Nun erſt nahm ſie eine unumwunden feindſelige Stellung an, und ſchloß ſich enger noch als zu - vor an Spanien.
Papſt Sixtus war ganz auf ihrer Seite.
Schon die Ermordung des Herzogs, den er liebte und bewunderte, in dem er eine Stuͤtze der Kirche ſah, erfuͤllte ihn mit Schmerz und Unwillen:1)Der Papſt beklagte ſich noch beſonders, daß der Koͤnig ein Breve von ihm ausgebracht, „ che li concesse poter esser assolto da qualsivoglia peccato anco riservato alla sede apostolica, col quale si voglia hora coprire il grave peccato che ha fatto. “ (Dispaccio Veneto.) unertraͤglich aber kam es ihm vor, daß dabei auch der Cardinal Guiſe er - mordet worden, „ ein Prieſtercardinal “, rief er in dem Conſiſtorium aus, „ ein edles Glied des heiligen Stuhles, ohne Proceß noch Urtel, durch die weltliche Gewalt, gleich als waͤre der Papſt gar nicht auf der Welt, gleich als gaͤbe es keinen Gott mehr! “ Er macht ſeinem Legaten Moro - ſini Vorwuͤrfe, daß er den Koͤnig nicht ſogleich excommu - nicirt habe: er haͤtte es thun muͤſſen, und wenn es ihm hundert Mal das Leben gekoſtet haͤtte2)Tempeſti hat II, 137 ſowohl die Rede des Papſtes in ihrer ganzen Ausdehnung, als das Schreiben an Moroſini. „ Es - sendo ammazzato il Cardinale “heißt es darin „ in faccia di V. Sria Illma, legato a latere, come non ha publicato l’interdetto, ancorchè gliene fossero andate cento vite? “.
Der Koͤnig ließ ſich den Zorn des Papſtes wenig an - fechten. Er war nicht zu bewegen den Cardinal von Bour -170Buch V. Gegenreformationen.bon oder den Erzbiſchof von Lyon, die er auch gefangen hielt, herauszugeben. Von Rom aus forderte man immer, er ſolle Heinrich von Navarra fuͤr unfaͤhig erklaͤren den Thron zu beſteigen: ſtatt deſſen verband er ſich mit dem - ſelben.
Hierauf entſchloß ſich auch der Papſt zu dem aͤußer - ſten Schritte. Den Koͤnig ſelbſt citirte er nach Rom, um ſich wegen der Ermordung des Cardinals zu rechtfertigen. Wenn er die Gefangenen nicht in einer beſtimmten Zeit ausliefere, ſolle er mit dem Banne belegt ſeyn.
So muͤſſe er verfahren, erklaͤrte er: thaͤte er an - ders, ſo wuͤrde er von Gott zur Rechenſchaft gefordert wer - den als der unnuͤtzeſte aller Paͤpſte: da er nun damit ſeine Pflicht erfuͤlle, ſo habe er die ganze Welt nicht zu fuͤrch - ten, er zweifle nicht, Heinrich III. werde umkommen wie Koͤnig Saul1)Dispaccio Veneto 20 Maggio 1589. „ Il papa accusa la sua negligentia di non haver fatto dipoi mesi 5 che gli è stato ammazzato un cardinale e tenutone un’ altro prigione con un arcivescovo, alcuna rimostratione o provisione. Dubita dell’ ira di dio “etc. .
Von den Eifrig-Katholiſchen, den Anhaͤngern der Li - gue ward der Koͤnig ohnehin als ein Verruchter, ein Ver - worfener verabſcheut: das Bezeigen des Papſtes beſtaͤrkte ſie in ihrer wilden Oppoſition. Eher als man haͤtte glau - ben ſollen, traf die Vorherſagung deſſelben ein. Am 23. Juni war das Monitorium in Frankreich publicirt worden: am 1. Auguſt ward der Koͤnig von Clement er - mordet.
171Ermordung Heinrichs III.Der Papſt war ſelbſt erſtaunt. „ In der Mitte ſei - nes Heeres “, ruft er aus, „ im Begriff Paris zu erobern, in ſeinem eigenen Cabinet iſt er von einem armen Moͤnch mit einem einzigen Stoße umgebracht worden. “ 1)Disp. Ven. 1 Sett. Il papa nel consistorio discorre, che’l successo della morte del re di Francia si ha da conoscer dal voler espresso del Sr Dio, e che perciò si doveva confidar che continuarebbe al haver quel regno nella sua protettione. Er ſchreibt dieß einer unmittelbaren Einwirkung Gottes zu, der dadurch bezeuge, daß er Frankreich nicht verlaſſen wolle.
Wie kann doch ein Wahn die Gemuͤther ſo allgemein feſſeln! Es war dieß eine bei unzaͤhligen Katholiken ver - breitete Ueberzeugung. „ Nur der Hand des Allmaͤchtigen ſelbſt “, ſchreibt Mendoza an Philipp, „ hat man dieß gluͤckliche Ereigniß zu verdanken. “ 2)Bei Capefigue V, 290.Fern in Ingolſtadt lebte der junge Maximilian von Baiern mit ſeinen Stu - dien beſchaͤftigt: in einem der erſten Briefe die von ihm uͤbrig ſind, druͤckt er ſeiner Mutter die Freude aus, mit der ihn die Nachricht erfuͤllt habe, „ daß der Koͤnig von Frankreich umgebracht worden “3)Bei Wolf: Maximilian I. Th. I, S. 107..
Jedoch hatte dieß Ereigniß auch eine andere Seite. Heinrich von Navarra, den der Papſt excommunicirt, die Guiſen ſo heftig verfolgt hatten, trat nun in ſeine legitimen Rechte ein. Ein Proteſtant nahm den Titel eines Koͤnigs von Frankreich an.
Die Ligue, Philipp II., der Papſt waren entſchloſſen172Buch V. Gegenreformationen.ihn unter keiner Bedingung zum Genuß ſeiner Rechte ge - langen zu laſſen. An die Stelle Moroſinis, der bei wei - tem zu lau zu ſeyn ſchien, ſchickte Sixtus V. einen neuen Legaten, Gaetano, der fuͤr ſpaniſch geſinnt galt, nach Frankreich, und gab ihm, was er noch nie gethan, eine Summe Geldes mit, die er zum Beſten der Ligue verwen - den koͤnne. Vor allem ſollte er dafuͤr ſorgen, daß kein Anderer als ein Katholik Koͤnig von Frankreich werde. Allerdings wuͤrde die Krone einem Prinzen von Gebluͤt ge - hoͤren, aber das ſey nicht das Einzige worauf es an - komme: auch andere Mal ſey man von der ſtrengen Ord - nung der Erbfolge abgewichen: niemals aber habe man ei - nen Ketzer genommen: die Hauptſache bleibe, daß der Koͤ - nig ein guter Katholik ſey1)Dispaccio Veneto 30 Sett. Der Papſt erklaͤrt: che non importava che’l fosse eletto più del sangue che di altra fami - glia, essendo ciò altre volte occorso, ma mai eretico dopo la nostra religione: che Savoia, Lorena e forse anche Umena pretendeva la corona: che S. Sà non vuol favorir l’uno più che l’altro. Ein Auszug aus der Inſtruction bei Tempeſti II, 233..
Bei dieſer Geſinnung fand es der Papſt ſogar lobens - wuͤrdig, daß der Herzog von Savoyen ſich die Verwir - rung von Frankreich zu Nutze machte, um Saluzzo, das damals den Franzoſen gehoͤrte, in Beſitz zu nehmen. Es ſey beſſer, ſagte Sixtus, daß der Herzog es nehme, als daß es den Hugenotten in die Haͤnde falle2)Man machte ihm Vorwuͤrfe daruͤber: il papa si giusti - fica con molte ragioni della impresa che’l sopradetto duca ha fatto del marchesato di Saluzzo con sua participatione. (Dis - paccio Veneto.) .
173Ermordung Heinrichs III.Und nun kam alles darauf an, der Ligue im Kampfe gegen Heinrich IV. den Sieg erringen zu helfen.
Hiezu ward ein neuer Vertrag zwiſchen Spanien und dem Papſt entworfen. Der eifrigſte Inquiſitor, Cardinal Sanſeverina, ward unter dem Siegel des Beichtgeheim - niſſes damit beauftragt den Entwurf aufzuſetzen. Der Papſt verſprach wirklich eine Armee von 15000 Mann zu Fuß und 800 Pferden nach Frankreich zu ſchicken: er er - klaͤrte ſich uͤberdieß bereit Subſidien zu zahlen, ſobald als der Koͤnig mit einem maͤchtigen Heere in Frankreich eingedrungen ſeyn werde. Die paͤpſtliche Heeresmacht ſollte von dem Herzog von Urbino, einem Unterthan S. Heilig - keit und Anhaͤnger S. Majeſtaͤt, befehligt werden1)Authentiſche Nachricht in der Autobiographie des Cardinals, welche ſchon Tempeſti II, 236 aufgenommen hat..
Dergeſtalt ruͤſteten ſich jene italieniſch-ſpaniſchen Kraͤfte, im Bunde mit ihren Anhaͤngern in Frankreich, ſich dieſer Krone auf immer zu verſichern.
Eine groͤßere Ausſicht konnte es weder fuͤr Spanien noch fuͤr den Papſt geben. Spanien waͤre der alten Ne - benbuhlerſchaft, von der es ſich ſo lange beſchraͤnkt geſe - hen, auf immer entledigt worden. Die Folge hat gezeigt, wie ſehr dieß Philipp II. am Herzen lag. Auch fuͤr die paͤpſtliche Macht aber waͤre es ein unermeßlicher Fortſchritt geweſen, auf die Einſetzung eines Koͤnigs in Frankreich einen thaͤtigen Einfluß auszuuͤben. Gleich Gaetano hatte den Auftrag die Einfuͤhrung der Inquiſition, die Abſchaf - fung der gallicaniſchen Freiheiten zu fordern. Aber noch174Buch V. Gegenreformationen.mehr haͤtte es bedeutet, daß ein legitimer Fuͤrſt aus Ruͤck - ſichten der Religion vom Throne ausgeſchloſſen worden waͤre. Die kirchlichen Antriebe, die ohnehin die Welt in allen Richtungen durchdrangen, wuͤrden dadurch eine voll - kommene Oberherrſchaft erlangt haben.
Wie hatte die geiſtige Entwickelung der Welt doch ſo durchaus einen andern Gang genommen, als den man zu Anfang des Jahrhunderts haͤtte erwarten ſollen.
Damals loͤſten ſich die kirchlichen Bande auf: die Na - tionen ſuchten ſich von dem gemeinſchaftlichen geiſtlichen Oberhaupte abzuſondern: das Papſtthum ſelbſt vergaß bei - nahe ſeine hierarchiſche Bedeutung: in Literatur und Kunſt walteten profane Beſtrebungen vor: man trug die Grund - ſaͤtze einer heidniſchen Moral unverholen zur Schau.
Jetzt wie ganz anders! Im Namen der Religion wurden Kriege angefangen, Eroberungen gemacht, Staaten umgewaͤlzt! Es hat nie eine Zeit gegeben, in welcher die Theologen maͤchtiger geweſen waͤren, als das Ende des ſechs - zehnten Jahrhunderts. Sie ſaßen in den fuͤrſtlichen Raͤ - then, und verhandelten die politiſchen Materien vor allem Volk auf den Kanzeln: ſie beherrſchten Schule, Gelehrſam - keit und im Ganzen die Literatur: der Beichtſtuhl gab ih - nen Gelegenheit die geheime Zwieſprache der Seele mit ſich ſelbſt zu belauſchen und in allen Zweifeln des Privatlebens den Ausſchlag zu geben. Man darf vielleicht behaupten,Päpſte* 12178Buch VI. Innere Streitigkeiten.daß ihr Einfluß gerade dadurch ſo umfaſſend und durchgrei - fend wurde, weil ſie mit einander in einem ſo heftigen Widerſpruch lagen, weil ſie ihren Gegenſatz in ſich ſelber trugen.
War dieß nun auf beiden Seiten der Fall, ſo lag es doch auf der katholiſchen am meiſten zu Tage. Hier wa - ren die Ideen und Inſtitute, welche das Gemuͤth unmit - telbar in Zucht und Leitung nehmen, am zweckmaͤßigſten ausgebildet: man konnte gar nicht mehr ohne Beichtvater leben. Hier machten ferner die Geiſtlichen entweder als Genoſſen eines Ordens, oder doch als Mitglieder der Hie - rarchie uͤberhaupt eine in ſtrenger Unterordnung zuſammen - gehaltene Corporation aus, die in Einem Sinne zu Werke ging. Das Haupt dieſes hierarchiſchen Koͤrpers, der Papſt zu Rom, bekam wieder einen nicht viel geringeren Ein - fluß, als er im elften und zwoͤlften Jahrhundert beſeſſen hatte: durch die Unternehmungen, die er aus dem religioͤ - ſen Geſichtspunkt unaufhoͤrlich in Anregung brachte, hielt er die Welt in Athem.
Unter dieſen Umſtaͤnden erwachten die kuͤhnſten An - ſpruͤche hildebrandiſcher Zeiten, Grundſaͤtze, die bisher in den Ruͤſthaͤuſern des canoniſchen Rechtes mehr als Anti - quitaͤten aufbewahrt worden, aufs neue zu voller Wirkſam - keit und Geltung.
Unſer europaͤiſches Gemeinweſen hat ſich noch niemals dem Gebote der reinen Gewalt unterworfen: noch iſt es in jedem Momente mit Ideen erfuͤllt geweſen: es kann kein wichtiges Unternehmen gelingen, keine Macht zu allgemei - ner Bedeutung emporſteigen, ohne daß zugleich in den Gei -179Kirchlich politiſche Theorie.ſtern das Ideal einer hervorzubringenden Weltordnung er - ſchiene. Auf dieſem Punkte entſpringen die Theorien. Den geiſtigen Sinn und Inhalt der Thatſache reproduciren ſie und ſtellen ihn als eine Forderung der Vernunft, oder der Religion, als ein Ergebniß des Gedankens in dem Lichte einer allgemein guͤltigen Wahrheit dar. So nehmen ſie die Vollendung des Ereigniſſes gleichſam in voraus in Beſitz: zugleich kommen ſie demſelben maͤchtig zu Huͤlfe.
Betrachten wir wie das hier geſchah.
Nicht ſelten hat man dem katholiſchen Principe eine beſondere Bedeutung fuͤr die monarchiſche oder ariſtokrati - ſche Staatsform, eine innere Hinneigung zu denſelben zu - ſchreiben wollen. Ein Jahrhundert, wie das ſechszehnte, worin dieß Princip in voller Thatkraft und Selbſtbeſtim - mung auftrat, kann uns hieruͤber am meiſten belehren. In der That finden wir, daß es ſich da in Italien und Spa - nien an die beſtehende Ordnung der Dinge anſchloß, in Deutſchland dazu diente der fuͤrſtlichen Macht ein neues Uebergewicht uͤber die Landſtaͤnde zu verſchaffen, in den Niederlanden die Eroberung befoͤrderte, daß es auch in Ober - deutſchland, in den walloniſchen Provinzen mit beſonderer Vorliebe von dem Adel feſt gehalten ward. Fragen wir aber weiter nach, ſo ſind dieß doch nicht die einzigen Sympathien die es erweckte. Ward es in Coͤln von den Patriciern, ſo ward es unfern davon in Trier von der Gemeine ergriffen:12*180Buch VI. Innere Streitigkeiten.in den großen franzoͤſiſchen Staͤdten verbuͤndet es ſich al - lenthalben mit den Anſpruͤchen, den Beſtrebungen des ge - meinen Volkes. Es kommt ihm nur darauf an, wo es ſeine Stuͤtze, ſeinen vornehmſten Ruͤckhalt findet. Sind ihm die beſtehenden Gewalten entgegengeſetzt, ſo iſt es weit ent - fernt ſie zu ſchonen, ja nur anzuerkennen. Die iriſche Na - tion befeſtigt es in ihrer angeborenen Widerſpenſtigkeit ge - gen die engliſche Regierung: in England ſelbſt untergraͤbt es, ſo viel es vermag, den Gehorſam, den die Koͤnigin for - dert, und bricht oft in thaͤtigem Widerſtand hervor: in Frankreich beſtaͤtigt es endlich ſeine Anhaͤnger in der Em - poͤrung wider ihren legitimen Fuͤrſten. An und fuͤr ſich hat das religioͤſe Princip uͤberhaupt keine Vorliebe fuͤr die eine oder die andere Regierungsform. Waͤhrend der kur - zen Zeit ſeiner Erneuerung hat der Katholicismus ſchon die verſchiedenſten Hinneigungen offenbart, zuerſt zu der mo - narchiſchen Gewalt in Italien und Spanien, zur Befe - ſtigung der Territorialherrſchaft in Deutſchland: ſodann in den Niederlanden zur Erhaltung der Gerechtſame ariſto - kratiſcher Staͤnde: am Ende des Jahrhunderts geſellt er ſich entſchieden den demokratiſchen Tendenzen zu. Es iſt dieß um ſo wichtiger, da er jetzt in der hoͤchſten Fuͤlle ſei - ner Thaͤtigkeit ſteht, und die Bewegungen, an denen er Theil nimmt, die wichtigſten Weltangelegenheiten ausma - chen. Gelingt es den Paͤpſten in dieſem Augenblicke, ſo werden ſie auf immer einen uͤberwiegenden Einfluß uͤber den Staat erobert haben. Sie treten mit Anſpruͤchen, ihre Anhaͤnger und Vorfechter mit Meinungen und Grund - ſaͤtzen hervor, welche Reiche und Staaten zugleich mit181Kirchlich politiſche Theorie.innern Umwaͤlzungen und mit dem Verluſte ihrer Unab - haͤngigkeit bedrohen.
Es waren hauptſaͤchlich die Jeſuiten, die auf dem Kampfplatz erſchienen, um Lehren dieſer Art vorzutragen und zu verfechten.
Zunaͤchſt nahmen ſie eine unbeſchraͤnkte Oberhoheit der Kirche uͤber den Staat in Anſpruch.
Mit einer gewiſſen Nothwendigkeit kamen ſie darauf in England, wo die Koͤnigin durch die Landesgeſetze fuͤr das Haupt der Kirche erklaͤrt worden war. Eben dieſem Grund - ſatz begegneten die Haͤupter der katholiſchen Oppoſition mit den ſchroffſten Anmaßungen von der andern Seite. Wilhelm Allen erklaͤrt es nicht allein fuͤr das Recht, ſondern fuͤr die Pflicht einer Nation, beſonders wenn der Befehl des Pap - ſtes hinzukomme, einem Fuͤrſten, der von der katholiſchen Kirche abgefallen, den Gehorſam zu verſagen1)In der Schrift: Ad persecutores Anglos pro Christianis responsio (1582) bemerke ich folgende Stelle: Si reges deo et dei populo fidem datam fregerint, vicissim populo non solum permittitur, sed etiam ab eo requiritur ut jubente Christi vica - rio, supremo nimirum populorum omnium pastore, ipse quoque fidem datam tali principi non servet. . Perſon findet, es ſey die Grundbedingung aller Macht eines Fuͤr - ſten, daß er den roͤmiſch-katholiſchen Glauben pflegen und beſchuͤtzen ſolle: dahin laute ſein Taufgeluͤbde, ſein Kroͤ - nungseid: es wuͤrde Blindheit ſeyn, ihn auch alsdann noch fuͤr thronfaͤhig zu halten, wenn er dieſe Bedingung nicht erfuͤlle; vielmehr ſeyen die Unterthanen verbunden ihn in einem ſolchen Falle zu verjagen2)Andreae Philopatri (Personi) ad Elizabethae reginae. Natuͤrlich! dieſe Au -182Buch VI. Innere Streitigkeiten.toren ſetzen Zweck und Pflicht des Lebens uͤberhaupt in die Uebung der Religion: die roͤmiſch-katholiſche halten ſie fuͤr die allein wahre: ſie ſchließen, daß es keine rechtmaͤßige Gewalt geben koͤnne, welche dieſer Religion widerſtrebe: das Daſeyn einer Regierung, den Gehorſam, den ſie fin - det, machen ſie von der Anwendung ihrer Macht zu Gun - ſten der katholiſchen Kirche abhaͤngig.
Es war dieß aber der Sinn der aufkommenden Doctrin uͤberhaupt. Was in England in der Hitze des Streites vorgetragen worden, wiederholte Bellarmin von der Einſamkeit ſeiner Studierſtube her in ausfuͤhrlichen Wer - ken, in einem zuſammenhaͤngenden wohl uͤberdachten Sy - ſteme. Er legte die Behauptung zu Grunde, daß der Papſt der geſammten Kirche als ihr Huͤter und Oberhaupt unmittelbar von Gott ſelbſt vorgeſetzt ſey1)Bellarminus de conciliorum autoritate c. 17: Summus pontifex simpliciter et absolute est supra ecclesiam universam et supra concilium generale, ita ut nullum in terris supra se ju - dicium agnoscat. . Deshalb komme demſelben einmal die Fuͤlle der geiſtlichen Macht zu: ihm ſey verliehen, daß er nicht irren koͤnne: er richte Alle und duͤrfe von Niemand gerichtet werden; ſodann ent - ſpringe ihm daher auch ein großer Antheil an der weltli -2)edictum responsio n° 162: Non tantum licet, sed summa etiam juris divini necessitate ac praecepto, imo conscientiae vinculo arctissimo et extremo animarum suarum periculo ac discrimine Christianis omnibus hoc ipsum incumbit, si praestare rem pos - sunt. n° 160. Incumbit vero tum maxime — — cum res jam ab ecclesia ac supremo ejus moderatore, pontifice nimirum Ro - mano, judicata est: ad illum enim ex officio pertinet religionis ac divini cultus incolumitati prospicere et leprosos a mundis ne inficiantur secernere. 183Kirchlich politiſche Theorie.chen Autoritaͤt. So weit geht Bellarmin nicht, dem Papſte eine weltliche Gewalt direct, durch goͤttliches Recht zuzuſchreiben1)Bellarminus de Romano pontifice V, VI: Asserimus pontificem ut pontificem, etsi non habeat ullam meram tempo - ralem potestatem, tamen habere in ordine ad bonum spirituale summam potestatem disponendi de temporalibus rebus omnium Christianorum.: obwohl Sixtus V. dieſe Meinung hegte, und es ſogar uͤbel nahm, wenn man ſie fahren ließ: aber deſto unzweifelhafter mißt er ihm eine ſolche indirect bei. Die weltliche Gewalt vergleicht er mit dem Leibe, die geiſt - liche mit der Seele des Menſchen: er ſchreibt der Kirche die nemliche Herrſchaft uͤber den Staat zu, welche die Seele uͤber den Leib ausuͤbe. Die geiſtliche Gewalt habe das Recht und die Pflicht, der weltlichen Zuͤgel anzulegen, ſo - bald ſie den Zwecken der Religion ſchaͤdlich werde. Man koͤnne nicht ſagen, daß dem Papſte ein regelmaͤßiger Ein - fluß auf die Geſetzgebung des Staates zukomme2)Bellarminus de Romano pontifice V, VI: Quantum ad personas, non potest papa ut papa ordinarie temporales princi - pes deponere, etiam justa de causa, eo modo quo deponit epi - scopos, id est tanquam ordinarius judex: tamen potest mutare regna et uni auferre atque alteri conferre tanquam summus princeps spiritualis, si id necessarium sit ad animarum salu - tem: etc. etc.; waͤre aber ein Geſetz zum Heile der Seelen nothwendig, und wei - gerte ſich der Fuͤrſt es zu erlaſſen, und waͤre ein Geſetz dem Heile der Seelen nachtheilig und wollte der Fuͤrſt hart - naͤckig dabei verharren, ſo ſey der Papſt allerdings berech - tiget das eine anzuordnen, das andere abzuſchaffen. Und auch ſchon mit dieſem Princip kommt er doch ſehr weit. 184Buch VI. Innere Streitigkeiten.Gebiete nicht die Seele dem Leibe ſelbſt den Tod wenn es noͤthig ſey? In der Regel koͤnne der Papſt einen Fuͤr - ſten freilich nicht abſetzen: ſollte es aber zum Heile der Seelen nothwendig werden, ſo beſitze er das Recht die Regierung zu veraͤndern, ſie von Einem auf den Andern zu uͤbertragen1)Dieſe Lehren faſſen doch im Grunde nur die im 13ten Jahr - hundert vorgetragenen Saͤtze aufs neue zuſammen. Schon Thomas von Aquino hat den Vergleich der hier eine ſo große Rolle ſpielt: „ Potestas secularis subditur spirituali sicut corpus animae. “ Bellarmin fuͤhrt in dem Tractatus de potestate summi pontificis in rebus temporalibus adversus G. Barclajum uͤber 70 Schrift - ſteller aus den verſchiedenen Nationen auf, von welchen die Macht des Papſtes ungefaͤhr eben ſo verſtanden werde wie von ihm..
Bei dieſen Behauptungen lag nur die Einwendung ſehr nahe, daß doch auch die koͤnigliche Gewalt auf goͤtt - lichem Rechte beruhe.
Oder welcher Urſprung, welche Bedeutung wohnten ihr ſonſt bei?
Die Jeſuiten trugen kein Bedenken die fuͤrſtliche Macht vom Volke herzuleiten. Mit ihren Lehren von der paͤpſt - lichen Allgewalt verſchmolzen ſie die Theorie von der Volks - ſouveraͤnetaͤt zu Einem Syſteme. Schon bei Allen und Perſon lag ſie mehr oder minder ausgeſprochen zu Grunde: Bellarmin ſucht ſie ausfuͤhrlich zu begruͤnden. Er findet, Gott habe die weltliche Gewalt an Niemand beſonders ver - liehen: daraus folge, daß er ſie der Menge verliehen habe: die Gewalt ruhe demnach in dem Volke, das Volk uͤber - trage ſie bald einem Einzigen, bald Mehreren: es be - halte ſogar immer das Recht dieſe Formen zu aͤndern, die185Kirchlich politiſche Theorie.Macht zuruͤckzunehmen, und aufs neue zu uͤbertragen. Man glaube nicht, daß dieß nur ſeine individuelle Anſicht gewe - ſen ſey: es iſt in der That die herrſchende Lehre der Je - ſuitenſchulen dieſer Zeit. In einem Handbuche fuͤr die Beicht - vaͤter, das ſich durch die ganze katholiſche Welt verbrei - tete, und von dem Magiſter ſacri palatii revidirt war, wird die fuͤrſtliche Gewalt nicht allein als dem Papſt un - terworfen betrachtet in ſo weit es das Heil der Seelen erfordere:1)Aphorismi confessariorum ex doctorum sententiis col - lecti, autore Emanuele Sa, nuper accurate expurgati a revmo P. M. sacri palatii, ed. Antv. p. 480. Doch fuͤgt der Autor, gleich als habe er damit zu wenig geſagt, noch hinzu: Quidem ta - men juris periti putarunt summum pontificem suprema civili po - testate pollere. es heißt darin mit duͤrren Worten: ein Koͤ - nig koͤnne wegen Tyrannei oder Vernachlaͤßigang ſeiner Pflichten von dem Volke abgeſetzt, und dann von der Mehr - zahl der Nation ein Anderer an ſeine Stelle gewaͤhlt wer - den2)Ibid. p. 508 (ed. Colon. p. 313) Rex potest per rem - publicam privari ob tyrannidem et si non faciat officium suum et cum est aliqua causa justa, et eligi potest alius a majore parte populi: quidam tamen solum tyrannidem causam putant.. Franciscus Suarez, Profeſſor primarius der Theo - logie zu Coimbra macht es ſich in ſeiner Vertheidigung der katholiſchen Kirche gegen die anglicaniſche zum beſon - dern Geſchaͤft die Lehre des Bellarmin zu erlaͤutern und zu beſtaͤtigen3)R. P. Franc. Suarez Granatensis etc. defensio fidei ca - tholicae et apostolicae adversus Anglicanae sectae errores lib. III: de summi pontificis supra temporales reges excellentia et potestate. Man ſieht, daß der Lehrſatz Bellarmins von dem Rechte des Volkes die uͤbertragene Gewalt wieder zuruͤckzunehmen beſondern Widerſpruch erregt hatte.. Mit augenſcheinlicher Vorliebe aber bildet186Buch VI. Innere Streitigkeiten.Mariana die Idee der Volksſouveraͤnetaͤt aus. Alle Fra - gen die hiebei vorkommen koͤnnen wirft er auf, und ent - ſcheidet ſie unbedenklich zu Gunſten des Volks, zum Nach - theil der koͤniglichen Gewalt. Er bezweifelt nicht, daß ein Fuͤrſt abgeſetzt, ja getoͤdtet werden duͤrfe, namentlich dann, wenn er die Religion verletze. Dem Jacob Clement, wel - cher erſt die Theologen zu Rathe zog und dann ging und ſeinen Koͤnig umbrachte, widmet er einen Lobſpruch voll pathetiſcher Emphaſe1)Mariana de rege et regis institutione. Unter andern: Jac. Clemens — — cognito a theologis, quos erat sciscitatus, tyrannum jure interimi posse — caeso rege ingens sibi nomen fecit.. Er geht biebei wenigſtens ganz folgerichtig zu Werke. Eben dieſe Lehren hatten ohne Zweifel den Fanatismus des Moͤrders entflammt.
Denn nirgends wurden ſie wohl mit ſo wilder Hef - tigkeit verkuͤndigt als in Frankreich. Man kann nichts Antiroyaliſtiſcheres leſen als die Diatriben, die Jean Bou - cher von der Kanzel erſchallen ließ. In den Staͤnden fin - det dieſer Prediger die oͤffentliche Macht und Majeſtaͤt, die Gewalt zu binden und zu loͤſen, die unveraͤußerliche Sou - veraͤnetaͤt, das Richteramt uͤber Scepter und Reiche: denn in ihnen ſey ja auch der Urſprung derſelben: von dem Volke komme der Fuͤrſt, nicht durch Nothwendigkeit und Zwang, ſondern durch freie Wahl. Das Verhaͤltniß des Staates und der Kirche faßt er wie Bellarmin auf: er wiederholt das Gleichniß von Leib und Seele. Nur Eine Bedingung, ſagt er, ſchraͤnke den freien Willen des Vol - kes ein: nur das Eine ſey ihm verboten, einen ketzeri -187Kirchlich politiſche Theorie.ſchen Koͤnig anzunehmen: es wuͤrde damit den Fluch Got - tes uͤber ſich herbeiziehen1)Jean Boucher: Sermons, Paris 1594, an vielen Stellen. S. 194. heißt es: L’église seigneurie les royaumes et estats de la chretienté, non pour y usurper puissance directe comme sur son propre temporel, mais bien indirectement pour empescher que rien ne se passe au temporel qui soit au prejudice du ro - yaume de Jesus Christ, comme par cydevant il a été declaré par la similitude de la puissance de l’esprit sur le corps. Fer - ner: La difference du prestre et du roi nous eclaircit cette ma - tiere, le prestre estant de dieu seul, ce qui ne se peut dire du roi. Car si tous les rois etoient morts, les peuples s’en pour - roient bien faire d’autres: mais s’il n’y avoit plus aucun prestre, il faudroit que Jesus Christ vint en personne pour en faire de nouveaux (p. 162)..
Seltſame Vereinigung geiſtlicher Anſpruͤche und de - mokratiſcher Ideen, abſoluter Freiheit und vollſtaͤndiger Un - terwuͤrfigkeit — widerſprechend in ſich ſelbſt und antina - tional — die aber die Gemuͤther wie durch unerklaͤrli - chen Zauber feſſelte.
Die Sorbonne hatte bisher noch immer die koͤnigli - chen und nationalen Vorrechte gegen die prieſterlichen, ul - tramontanen Anſpruͤche in Schutz genommen. Als jetzt, nach der Ermordung der Guiſen, jene Lehren auf allen Kanzeln gepredigt wurden, als man auf den Straßen aus - rief, auf Altaͤren, in Proceſſionen ſymboliſch darſtellte, daß ſich Koͤnig Heinrich III. ſeiner Krone verluſtig gemacht habe, wandten ſich „ die guten Buͤrger und Einwohner der Stadt “, wie ſie ſich nennen, „ in den Scrupeln ihres Ge - wiſſens “an die theologiſche Facultaͤt der Univerſitaͤt zu Paris, um uͤber die Rechtmaͤßigkeit ihres Widerſtandes gegen ihren Herrn eine ſichere Entſcheidung zu empfangen. 188Buch VI. Innere Streitigkeiten.Hierauf verſammelte ſich die Sorbonne, am 7. Januar 1589. „ Nachdem, “lautet ihr Urtheil, „ die reifliche und freie Berathung aller Magiſtri gehoͤrt, nachdem viele[und] mancherlei Gruͤnde vernommen worden — aus der heili - gen Schrift, dem canoniſchen Recht und den paͤpſtlichen Verordnungen groͤßtentheils woͤrtlich gezogen —, iſt von dem Decan der Facultaͤt, ohne allen Widerſpruch, da - hin geſchloſſen worden, zuerſt, daß das Volk dieſes Reiches von dem Eide der Treue und des Gehorſams, den es dem Koͤnig Heinrich geleiſtet hat, entbunden ſey: ferner, daß dieſes Volk ohne Beſchwerde in ſeinem Gewiſſen ſich ver - einigen, bewaffnen, Geld zuſammenbringen koͤnne zur Be - hauptung der roͤmiſch-katholiſchen apoſtoliſchen Religion gegen die verabſcheuungswuͤrdigen Unternehmungen des ge - nannten Koͤnigs. “ 1)Responsum facultatis theologicae Parisiensis: abgedruckt in den Additions au journal de Henry III tom. I, p.317.Siebzig Mitglieder der Facultaͤt waren hiebei zugegen: vornehmlich die juͤngern ſetzten den Beſchluß mit wilder Begeiſterung durch2)Thuanus lib. 94, p. 258 gibt die Zahl der Anweſenden nur auf ſechszig an, und will ihre Einſtimmigkeit nicht Wort ha - ben, obwohl jenes Document woͤrtlich ſagt: audita omnium et sin - gulorum magistrorum, qui ad septuaginta convenerant, delibera - tione — — conclusum est nemine refragrante — —..
Die allgemeine Zuſtimmung, welche dieſe Theorien fan - den, kam ohne Zweifel hauptſaͤchlich daher, weil ſie wirk - lich in dieſem Augenblick der Ausdruck der Thatſache, der hiſtoriſchen Erſcheinung waren. In den franzoͤſiſchen Un - ruhen waren ja eben volksthuͤmlicher und geiſtlicher Wi - derſtand von verſchiedenen Seiten her in Bund getreten: die Pariſer Buͤrgerſchaft ward von einem Legaten des Pap -189Kirchlich politiſche Theorie.ſtes in der Empoͤrung wider ihren rechtmaͤßigen Fuͤrſten beſtaͤtigt und feſtgehalten: Bellarmin war ſelbſt eine Zeit - lang in der Begleitung des Legaten: die Doctrinen, die er in gelehrter Einſamkeit ausgebildet und mit ſo viel Folgerich - keit, mit ſo großem Beifall vorgetragen, druͤckten ſich in dem Ereigniß aus, das er erlebte und mit hervorrief.
Auch haͤngt es wohl hiemit zuſammen, daß die Spa - nier dieſe Lehren gut hießen, daß ein auf den Beſitz der Macht ſo eiferſuͤchtiger Fuͤrſt wie Philipp II. ſie duldete. Das ſpaniſche Koͤnigthum beruhte ja ohnehin auf einem Zuſatz geiſtlicher Attribute. In ſo vielen Stuͤcken des Lope de Vega ſieht man, daß es die Nation ſo verſtand: daß ſie in ihrem Fuͤrſten die religioͤſe Majeſtaͤt liebte und dar - geſtellt zu ſehen wuͤnſchte. Aber uͤberdieß war der Koͤnig mit den Beſtrebungen der katholiſchen Reſtauration, nicht allein mit den Prieſtern, ſondern mit dem empoͤrten Volke ſelbſt verbuͤndet. Das Volk von Paris widmete ihm ein bei weitem groͤßeres Vertrauen als den franzoͤſiſchen Fuͤr - ſten, den Oberhaͤuptern der Ligue. Gleichſam ein neuer Bundesgenoſſe trat dem Koͤnig in der Lehre der Jeſuiten auf. Es war nicht abzuſehen, daß er etwas von ihnen zu fuͤrchten haben ſollte, vielmehr gaben ſie ſeiner Politik eine rechtlich-religioͤſe Rechtfertigung, die ihm ſelbſt fuͤr ſein Anſehen in Spanien von vielem Vortheil war, ſeinen auswaͤrtigen Unternehmungen aber unmittelbar den Weg bahnte. Mehr an dieſen augenblicklichen Nutzen, als an die allgemeine Bedeutung der jeſuitiſchen Doctrin hielt ſich der Koͤnig1)Pedro Ribadeneira wiederholte ſie in ſeinem Buche gegen Machiavell, das ſchon 1595 fertig war und dem Prinzen von Spa -.
190Buch VI. Innere Streitigkeiten.Und hat es nicht in der Regel mit den politiſchen Lehrmeinungen eine aͤhnliche Bewandtniß? Erwachſen ſie mehr aus den Thatſachen, oder bringen ſie dieſelben mehr hervor? Liebt man ſie mehr um ihrer ſelbſt willen, oder mehr wegen des Nutzens, den man ſich von ihnen ver - ſpricht?
Jedoch nimmt ihnen dieß nichts an ihrer Kraft. In - dem die jeſuitiſchen Doctrinen die Beſtrebungen des reſtau - rirenden Papſtthums, oder vielmehr des weltgeſchichtlichen Momentes in welchem es ſich befand, ausdruͤckten, gaben ſie denſelben durch ſyſtematiſche Begruͤndung in dem Sinne der vorwaltenden theologiſchen Ueberzeugung eine neue Kraft, ſie befoͤrderten eine Richtung in den Gemuͤthern von wel - cher der Sieg eben abhing.
Niemals jedoch iſt in unſerm Europa weder eine Macht noch auch eine Lehre, am wenigſten eine politiſche, zu voll - kommener Alleinherrſchaft gediehen.
Auch laͤßt ſich keine denken, die nicht, mit dem Ideale1)nien uͤberreicht ward, zwar gemaͤßigt, aber er wiederholte ſie. Tra - tado de la religion y virtudes que deve tener el principe Chris - tiano para governar y conservar sus estados, contra lo que Ni - colo Machiavello y los polìticos d’este tiempo enseñan. Anve - res 1597. Die Fuͤrſten, meint er, ſeyen Diener der Kirche, aber nicht Richter derſelben: bewaffnet um die Ketzer, Feinde und Rebel - len der Kirche zu zuͤchtigen, aber nicht um ihr Geſetze zu geben oder[den] Willen Gottes zu erklaͤren. Er bleibt bei dem Gleichniß von Seele und Leib. Das Reich der Erde, wie S. Gregorio ſage, muͤſſe dem Reiche des Himmels dienen.191Oppoſition der Lehre.und den hoͤchſten Forderungen verglichen, einſeitig und be - ſchraͤnkend werden muͤßte.
Noch allezeit hat ſich auch den zur ausſchließenden Herrſchaft anſtrebenden Meinungen ein Widerſpruch entgegen - geſetzt, der aus dem unerſchoͤflichen Grunde des allgemei - nen Lebens entſprungen, friſche Kraͤfte hervorgetrieben hat.
Nahmen wir wahr, daß keine Macht emporkommen wird, die nicht zugleich auf der Grundlage der Idee be - ruhe, ſo koͤnnen wir hinzufuͤgen, daß ſie auch in der Idee ihre Beſchraͤnkung findet: die großen Leben erzeugenden Kaͤmpfe vollziehen ſich immer zugleich in den Regionen der Ueberzeugung, des Gedankens.
So trat nun auch der Idee der weltbeherrſchenden prieſterlichen Religion die Unabhaͤngigkeit der Nationalitaͤt, die eigene Bedeutung des weltlichen Elementes maͤchtig entgegen.
Das germaniſche Fuͤrſtenthum, ausgebreitet uͤber die romaniſchen Nationen und tief in ihnen gewurzelt, hat nie - mals zerſtoͤrt werden koͤnnen, weder durch prieſterliche An - ſpruͤche noch durch die Fiction der Volksſouveraͤnetaͤt, die ſich zuletzt immer unhaltbar erwieſen hat.
Der abenteuerlichen Verbindung in welche beide da - mals mit einander getreten, ſetzte man die Lehre von dem goͤttlichen Rechte des Fuͤrſtenthums entgegen.
Zunaͤchſt ward ſie von den Proteſtanten, die fruͤher wohl auch geſchwankt haben mochten, mit dem vollen Ei - fer eines Feindes ergriffen, der ſeinen Gegner ein ſehr ge - faͤhrliches Spiel wagen, ſich auf Pfaden bewegen ſieht welche ihn ins Verderben fuͤhren muͤſſen.
192Buch VI. Innere Streitigkeiten.Gott allein, behaupteten die Proteſtanten, ſetze dem Menſchengeſchlecht ſeine Fuͤrſten: er habe ſich vorbehalten zu erhoͤhen und zu erniedrigen, die Gewalt auszutheilen und zu ermaͤßigen. Wohl ſteige er nicht mehr vom Him - mel herab, um diejenigen mit dem Finger zu bezeichnen welchen die Herrſchaft gebuͤhre, aber durch ſeine ewige Vor - ſehung ſeyen in jedem Reiche Geſetze, beſtimmte Ordnun - gen eingefuͤhrt, nach denen ein Herrſcher angenommen werde. Komme ein Fuͤrſt kraft dieſer Ordnungen zur Gewalt, ſo ſey das eben ſo gut, als ſage Gottes Stimme: das ſoll euer Koͤnig ſeyn. Wohl habe Gott einſtmals ſeinem Volke Moſen, die Richter, die erſten Koͤnige perſoͤnlich gewieſen, aber nachdem einmal eine feſte Ordnung eingefuͤhrt worden, ſeyen die andern, die nach Jenen zum Throne gelangt, eben ſo gut die Geſalbten Gottes geweſen1)Explicatio controversiarum quae a nonnullis moventur ex Henrici Borbonii regis in regnum Franciae constitutione, — — opus — — a Tossano Bercheto Lingonensi e Gallico in La - tinum sermonem conversum. Sedani 1590 Cap. II..
Von dieſen Grundſaͤtzen aus drangen nun die Pro - teſtanten auf die Nothwendigkeit ſich auch ungerechten und tadelnswuͤrdigen Fuͤrſten zu unterwerfen. Vollkommen ſey ohnehin Niemand. Werde das Geſetz nicht unverbruͤchlich ge - handhabt, ſo wuͤrde man auch von geringern Fehlern An - laß nehmen ſich eines Fuͤrſten zu entledigen. Selbſt die Ketzerei befreie nicht von dem Gehorſam uͤberhaupt. Ei - nem gottloſen Vater duͤrfe der Sohn zwar nicht in dem gehorchen, was wider Gottes Gebot ſey, aber uͤbrigensbleibe193Oppoſition der Lehre.bleibe er ihm doch zur Ehrfurcht und Unterordnung ver - pflichtet. “
Es wuͤrde ſchon etwas bedeutet haben wenn die Pro - teſtanten auch nur allein dieſe Meinungen ausgebildet und feſtgehalten haͤtten. Aber noch viel wichtiger war es, daß ſie damit bei einem Theile der franzoͤſiſchen Katholiken Ein - gang fanden; oder vielmehr, daß dieſe ihnen durch eine frei entwickelte Ueberzeugung beiſtimmten.
Der paͤpſtlichen Excommunication zum Trotz blieb noch immer ein nicht unbedeutender Kern guter Katholiken Heinrich dem III. getreu und ging alsdann zu Heinrich dem IV. uͤber. Die jeſuitiſchen Lehren ſchlugen bei dieſer Partei nicht an. Es fehlte ihr nicht an Gruͤnden um ihre Stel - lung zu vertheidigen, auch ohne darum vom Katholicis - mus abzufallen.
Sie bemuͤhte ſich zunaͤchſt die Gewalt des Clerus, ſein Verhaͤltniß zur weltlichen Macht nun einmal auch von der andern Seite her zu beſtimmen. Sie fand, das geiſt - liche Reich ſey nicht von dieſer Welt, die Gewalt des Cle - rus beziehe ſich nur auf geiſtliche Dinge: die Excommuni - cation koͤnne ihrer Natur nach nur die kirchliche Gemein - ſchaft anbetreffen, von weltlichen Rechten vermoͤge ſie nichts zu rauben. Aber ein Koͤnig von Frankreich duͤrfe ja nicht einmal von der Kirchengemeinſchaft ausgeſchloſſen werden: es gehoͤre dieß mit zu den Vorrechten des Wappens der Lilie: wie viel weniger ſey der Verſuch erlaubt ihm ſein Erbrecht zu entreißen. Und wo ſtehe es nun vollends geſchrieben, daß man gegen ſeinen Koͤnig rebelliren, die Wege der Gewalt gegen ihn brauchen duͤrfe? Gott habe ihnPäpſte* 13194Buch VI. Innere Streitigkeiten.eingeſetzt: wie er ſich denn von Gottes Gnaden nenne: in dem einzigen Falle duͤrfe man ihm den Gehorſam verſa - gen, wenn er etwas fordere, was gegen Gottes Gebot laufe1)Ich folge hier dem Auszug aus einer anonymen Schrift, die 1588 zu Paris erſchienen, bei Cayet. Collection universelle des mémoires tom. 56, p. 44.. — Aus dieſem goͤttlichen Rechte leiteten ſie dann ab, daß es ihnen nicht allein erlaubt, ſondern daß es Pflicht fuͤr ſie ſey, auch einen proteſtantiſchen Koͤnig an - zuerkennen. Wie Gott den Koͤnig gebe, ſo muͤſſe der Unterthan ihn annehmen: ihm zu gehorchen ſey Gottes Ge - bot: einen Grund, um einem Fuͤrſten ſeiner Rechte zu be - rauben, koͤnne es uͤberhaupt gar nicht geben2)Etienne Pasquier: Recherches de France 341. 344.. Sie be - haupteten ſogar, daß ihr Verfahren fuͤr die katholiſchen Intereſſen das zutraͤglichſte ſey. Heinrich IV. ſey ver - ſtaͤndig, gnaͤdig, aufrichtig: nichts als Gutes laſſe ſich von ihm erwarten: wollte man ſich von ihm losſagen, ſo wuͤr - den ſich allenthalben kleine Machthaber erheben, in der allgemeinen Spaltung wuͤrde die proteſtantiſche Partei erſt vollends das Uebergewicht bekommen3)Erklaͤrung bei Thuanus lib. 97, p. 316: „ sectarios dis - soluto imperio et singulis regni partibus a reliquo corpore divi - sis potentiores fore. “.
Dergeſtalt trat innerhalb der Grenzen des Katholicis - mus ſelbſt eine Oppoſition gegen die durch die Reſtaura - tion entwickelten Beſtrebungen des Papſtthums hervor: und es war gleich anfangs zweifelhaft, ob dieß vermoͤgen werde ſie zu unterdruͤcken. Nicht allein war ihre Lehre, wenn gleich noch minder ausgebildet, aber doch beſſer in den195Oppoſition der Lehre.Ueberzeugungen der europaͤiſchen Welt gegruͤndet: ihre ganze Stellung war in ſich ſelbſt gerecht und untadelhaft: ſon - dern es kam ihr auch vor allem zu Statten, daß die paͤpſtlichen Doctrinen mit der ſpaniſchen Macht in Bund ſtanden.
Die Monarchie Philipps II. ſchien der allgemeinen Freiheit von Tage zu Tage gefaͤhrlicher zu werden: uͤber ganz Europa hin erweckte ſie jenen eiferſuͤchtigen Haß, der weniger aus vollbrachten Gewaltthaten entſpringt, als aus der Furcht davor, der Gefahr der Freiheit, und die Gemuͤ - ther unbewußt ergreift.
Zwiſchen Rom und Spanien beſtand jetzt eine ſo enge Verbindung, daß die Widerſacher der geiſtlichen Anſpruͤche ſich zugleich dem Fortgange der ſpaniſchen Macht entge - genſtellten. Sie erfuͤllten damit eine europaͤiſche Nothwen - digkeit, und ſchon deshalb konnte es ihnen nicht an Bei - ſtimmung und Unterſtuͤtzung fehlen. Eine geheime Sym - pathie vereinigt die Voͤlker. Jener nationalen Partei fran - zoͤſiſcher Katholiken traten unaufgefordert, an unerwarteter Stelle, entſchloſſene Verbuͤndete hervor: und zwar in Ita - lien ſelbſt, vor den Augen des Papſtes, zuerſt in Venedig.
In Venedig hatte wenige Jahre fruͤher — im Jahre 1582 — eine geraͤuſchloſe, in der Geſchichte der Republik faſt ganz uͤberſehene, aber nichts deſto weniger ſehr einflußreiche Veraͤnderung Statt gefunden. Bisher waren die wichtigen Geſchaͤfte in den Haͤnden weniger alten Patricier aus einem kleinen Kreiſe von Geſchlechtern geweſen. Damals erkaͤmpfte ſich eine mißvergnuͤgte Mehrheit in dem Senate, be - ſonders aus den juͤngern Mitgliedern beſtehend, den Antheil13*196Buch VI. Innere Streitigkeiten.an der Verwaltung, der ihnen den Worten der Verfaſſung nach allerdings zukam.
Nun hatte zwar auch die bisherige Regierung niemals verſaͤumt ihre Selbſtaͤndigkeit ſorgfaͤltig zu behaupten; aber ſie hatte ſich doch ſo viel es immer thunlich geweſen, den Maaßregeln der Spanier und der Kirche angeſchloſſen: die neue nahm dieſe Ruͤckſichten nicht mehr: ſchon um des Ge - genſatzes willen hegte ſie die Neigung dieſen Maͤchten Wi - derpart zu halten.
Den Venezianern lag dieß allerdings ſehr nahe.
Auf der einen Seite bemerkten ſie mit Mißvergnuͤ - gen, daß die Lehre von der paͤpſtlichen Allmacht, von dem blinden Gehorſam auch bei ihnen gepredigt wurde: auf der andern befuͤrchteten ſie den voͤlligen Untergang des europaͤi - ſchen Gleichgewichtes, wenn es den Spaniern gelingen ſollte ſich einen vorherrſchenden Einfluß in Frankreich zu ver - ſchaffen. Auf der Feindſeligkeit der beiden Laͤnder hatte die Freiheit von Europa bisher zu beruhen geſchienen.
Und ſo folgte man der Entwickelung der franzoͤſiſchen Angelegenheiten mit doppelt lebendigem Antheil. Mit Be - gierde griff man nach den Schriften welche die koͤniglichen Rechte vertheidigten. Beſonders war eine Geſellſchaft von Staatsmaͤnnern und Gelehrten einflußreich, die ſich bei Andrea Moroſini verſammelte, an der Leonardo Donato, Niccolo Contarini, nachher beide Dogen, Domenico Mo - lino, ſpaͤter ein leitendes Oberhaupt der Republik, Fra Paolo Sarpi, und einige andere ausgezeichnete Maͤnner Theil nahmen: alle noch in den Jahren, in denen man geeignet iſt neue Gedanken nicht allein zu ergreifen, ſon -197Oppoſition der Lehre.dern auch feſtzuhalten und durchzuſetzen, ſaͤmmtlich erklaͤrte Widerſacher der kirchlichen Anmaßungen und der Ueber - macht der Spanier1)In des Anonymo (Fra Fulgentio) Vita di Fra Paolo Sarpi p. 104, Griſelinis Denkwuͤrdigkeiten Fra Paolos p.40. 78, und in einigen Stellen bei Foscarini finden wir Nachrichten von dieſem ridotto Mauroceno. Außer den Genannten gehoͤrten noch Peter und Jacob Contarini, Jacob Moroſini, Leonardo Mocenigo, der jedoch nicht ſo regelmaͤßig kam wie die Andern, Antonio Quirini, Jacob Marcello, Marino Zane, Aleſſandro Malipiero, der ſo alt er auch war doch den Fra Paolo regelmaͤßig nach Hauſe begleitete, zu je - ner Geſellſchaft.. Um eine politiſche Richtung, auch wenn ſie in den Dingen gegruͤndet iſt, auszubilden und ihr Nachdruck zu geben, wird es immer ſehr wichtig ſeyn, wenn ſich talentvolle Maͤnner finden, die ſie in ihrer Per - ſon darſtellen, und nach verſchiedenen Seiten hin ausbrei - ten: doppelt wichtig iſt es in einer Republik.
Unter dieſen Umſtaͤnden blieb man nicht allein bei Ge - ſinnungen und Hinneigungen ſtehn. Von allem Anfang hatten die Venezianer das Vertrauen auf Heinrich IV, daß er faͤhig ſeyn werde Frankreich wieder zu erheben, das verlorene Gleichgewicht herzuſtellen. Obwohl dem Papſt, der Heinrich IV. excommunicirt hatte, mannigfal - tig verpflichtet, obwohl von den Spaniern, die ihn zu ver - derben wuͤnſchten, zu Land und See umfaßt, und an ſich von keiner weltbedeutenden Macht, hatten ſie doch unter al - len Katholiken zuerſt das Herz ihn anzuerkennen. Auf die Notification ihres Botſchafters Mocenigo ermaͤchtigten ſie denſelben, Heinrich IV. zu begluͤckwuͤnſchen2)Andreae Mauroceni Historiarum Venetarum lib. XIII, p. 548.. Ihr Bei - ſpiel verfehlte nicht Andere anzuregen. Wiewohl Großher -198Buch VI. Innere Streitigkeiten.zog Ferdinand von Toscana zu einer oͤffentlichen Anerken - nung nicht den Muth hatte, ſo ſetzte er ſich doch perſoͤn - lich in ein freundſchaftliches Verhaͤltniß zu dem neuen Koͤ - nige1)Galluzzi: Istoria del granducato di Toscana lib. V (tom. V, p. 78).. Der proteſtantiſche Fuͤrſt ſah ſich ploͤtzlich von ka - tholiſchen Verbuͤndeten umgeben, ja von ihnen gegen das oberſte Haupt ihrer Kirche in Schutz genommen.
In den Zeiten einer wichtigen Entſcheidung wird die oͤffentliche Meinung von Europa alle Mal eine unzweifelhafte Hinneigung offenbaren. Gluͤcklich der, auf deſſen Seite ſie ſich ſchlaͤgt: ſeine Unternehmungen gehn ihm noch einmal ſo leicht von Statten. Jetzt beguͤnſtigte ſie die Sache Hein - richs IV. Die Ideen, die ſich an ſeinen Namen anſchloſ - ſen, waren kaum ausgeſprochen, aber ſchon ſo maͤchtig, daß ſie einen Verſuch machen konnten das Papſtthum ſelbſt an ſich zu ziehen.
Wir kommen hier noch einmal auf Sixtus V. Nach - dem wir ſeine innere Verwaltung, ſeinen Antheil an der kirchlichen Reſtauration beobachtet, muͤſſen wir noch ein Wort von ſeiner Politik uͤberhaupt ſagen.
Da iſt es nun beſonders auffallend, wie der uner - bittlichen Juſtiz die er ausuͤbte, dem harten Finanzſyſtem das er einfuͤhrte, ſeinem genauen Haushalt eine außeror - dentliche Neigung zu phantaſtiſchen politiſchen Planen zur Seite ſtand.
199Letzte Zeiten Sixtus V.Was ſind ihm nicht alles fuͤr Ideen durch den Kopf gegangen!
Lange Zeit hat er ſich geſchmeichelt dem tuͤrkiſchen Reiche ein Ende machen zu koͤnnen. Er knuͤpfte Verſtaͤnd - niſſe im Orient an: mit Perſien, einigen arabiſchen Haͤupt - lingen, den Druſen; er ruͤſtete Galeren aus: andere ſollten ihm Spanien und Toscana liefern: ſo dachte er von der See her dem Koͤnig Stephan Bathory von Polen zu Huͤlfe zu kommen, der den Hauptangriff von der Landſeite aus - zufuͤhren beſtimmt war. Der Papſt hoffte alle Kraͤfte des Nordoſtens und des Suͤdweſtens zu dieſer Unternehmung zu vereinigen: er uͤberredete ſich, Rußland werde ſich dem Koͤnig von Polen nicht allein anſchließen, ſondern unter - werfen.
Ein ander Mal erging er ſich in dem Gedanken, ent - weder allein, oder doch nur mit Toscana vereinigt Egyp - ten zu erobern. Die weitausſehendſten Abſichten faßte er hiebei in Sinn: die Verbindung des rothen Meeres mit dem mittellaͤndiſchen1)Dispaccio Gritti 23 Agosto 15S7. (Il papa) entrò a parlar della fossa che li re dell’ Egitto non havevano fatta per passar del mare rosso nel mar mediterraneo. Zuweilen hat er die Abſicht Egypten allein anzugreifen. Scoprì la causa del desi - derar danari per impiegarli in una armata che vorria far solo per l’impresa dell’ Egitto e pagar quelle galee che ajutassero a far quella impresa., die Herſtellung des alten Welthan - dels, die Eroberung des heiligen Grabes. Geſetzt aber, das zeige ſich nicht ſogleich ausfuͤhrbar, — koͤnnte man dann nicht wenigſtens einen Streifzug nach Syrien un - ternehmen, um das Grab des Heilandes von geſchickten200Buch VI. Innere Streitigkeiten.Meiſtern aus[dem] Felſen herausheben und wohl umkleidet nach Italien ſchaffen zu laſſen? Schon gab er der Hoffnung Raum dieß groͤßte Heiligthum der Welt einmal in Mont - alto aufſtellen zu koͤnnen: dann werde ſein Vaterland, die Mark, wo ja auch das h. Haus zu Loreto ſtehe, die Ge - burtſtaͤtte und die Grabſtaͤtte des Heilandes in ſich ſchließen.
Und noch eine andere Idee, die alle dieſe an Seltſam - keit uͤberbietet, finde ich ihm zugeſchrieben. Nach der Er - mordung der Guiſen ſoll Heinrich dem III. der Vorſchlag gethan worden ſeyn einen Nepoten des Papſtes zum Er - ben der Krone zu ernennen. Der Legat des Papſtes, ſagt man, habe mit deſſen Vorwiſſen dieſen Antrag gemacht. Geſchehe es nur mit den erforderlichen Feierlichkeiten, ſo ſey S. Heiligkeit uͤberzeugt, der Koͤnig von Spanien werde dem Ernannten die Infantin zur Frau geben: ein ſolcher Thronfolger werde von Jedermann anerkannt werden, und alle Unruhe am Ende ſeyn. Man will wiſſen, Heinrich III. ſey wirklich einen Augenblick von dieſen Vorſtellungen be - ſtochen worden, bis man ihm vorgeſtellt habe, welchen ſchlechten Nachruf von Feigheit und Mangel an Geſin - nung er ſich dadurch zuziehen wuͤrde1)Dieſe Notiz[findet] ſich in einem Memoire du Sr de Schom - berg Ml de France sous Henry III, in den hohenbaumſchen Hand - ſchriften der k. Hofbibliothek zu Wien Nr. 114: Quelque tems après la mort de Mr de Guise avenue en Blois il fut proposé par le Cl de Moresino de la part de Sa Sainteté, que si S. M. vou - loit declarer le marquis de Pom (? wahrſcheinlich verſchrieben) son neveu heritier de la couronne et le faire recevoir pour tel avec solemnitez requises, que S. S. s’assuroit que le roy d’Espagne bailleroit en mariage audit marquis l’infante et qu’en ce faisant tous les troubles de France prendroient fin. A quoi le roy etant.
201Letzte Zeiten Sixtus V.Entwuͤrfe, oder vielmehr — denn dieß Wort lautet faſt zu beſtimmt — Einbildungen, Luftſchloͤſſer der außerordent - lichſten Art. Wie ſehr ſcheinen ſie jener angeſtrengten rea - len, auf das Ziel dringenden Thaͤtigkeit des Papſtes zu wi - derſprechen!
Und doch — duͤrfte man nicht behaupten, daß auch dieſe oft auf uͤberſchwenglichen unausfuͤhrbaren Gedanken beruhte? Die Erhebung von Rom zu einer regelmaͤßig, nach Verlauf beſtimmter Jahre, aus allen Laͤndern, ſelbſt aus Amerika zu beſuchenden Metropole der Chriſtenheit, — die Verwandlung antiker Monumente in Denkmale der Ueberwaͤltigung des Heidenthums durch die chriſtliche Re - ligion, — die Anhaͤufung geliehener verzinsbarer Gelder zu einem Schatze, auf dem die weltliche Macht des Kirchen - ſtaates beruhen ſoll: alles Plane die das Maaß des Er - reichbaren uͤberſteigen, deren Urſprung in dem Feuer re - ligioͤſer Phantaſie liegt, — und die doch die Lebensthaͤtig - keit des Papſtes groͤßtentheils beſtimmten.
Von Jugend auf iſt das menſchliche Thun und Laſ - ſen von Hoffnungen und Wuͤnſchen, die Gegenwart, moͤch -1)prest a se laisser aller et ce par la persuasion de quelqu’uns qui pour lors etoient pres de S. M., Mr de Schomberg rompist ce coup par telles raisons, que ce seroit l’invertir l’ordre de France, abolir les loix fondamentales, laisser à la posterité un argument certain de la lâcheté et pusillanimité de S. M. Es iſt wohl wahr, daß Schomberg ſich ein Verdienſt daraus macht dieſe Abſicht ruͤckgaͤngig gemacht zu haben; aber darum moͤchte ich doch nicht ſogleich ſagen, daß ſie ganz aus der Luft gegriffen waͤre. Das Memoire, welches die Rechtmaͤßigkeit der Anſpruͤche Heinrichs IV. ausfuͤhrt, hat noch darin eine gewiſſe Gewaͤhr der Echtheit fuͤr ſich, daß es dort un - ſcheinbar unter andern Papieren liegt. Nur iſt es merkwuͤrdig, daß davon weiter nichts verlautet ſein ſoll.202Buch VI. Innere Streitigkeiten.ten wir ſagen, von Zukunft umgeben: und die Seele er - muͤdet nicht ſich der Erwartung eines perſoͤnlichen Gluͤckes zu uͤberlaſſen. Je weiter man aber kommt, um ſo mehr knuͤpft ſich Verlangen wie Ausſicht an die allgemeinen In - tereſſen, an ein großes Ziel der Wiſſenſchaft, des Staates, des Lebens uͤberhaupt. In unſerm Franciscaner war die - ſer Reiz und Antrieb perſoͤnlicher Hoffnungen immer um ſo ſtaͤrker geweſen, da er ſich auf einer Laufbahn befand, die ihm die erhabenſte Ausſicht eroͤffnete: von Stufe zu Stufe hatten ſie ihn begleitet, und ſeine Seele in Tagen der Bedraͤngniß genaͤhrt: jedes vorbedeutende Wort hatte er lebhaft aufgefaßt, in ſeinem Herzen feſtgehalten, und fuͤr den Fall des Gelingens hohe Plane einer moͤnchi - ſchen Begeiſterung daran geknuͤpft; endlich hatte ſich ihm alles erfuͤllt: von geringem, hoffnungsloſem Anfang war er zur oberſten Wuͤrde der Chriſtenheit geſtiegen, einer Wuͤrde von deren Bedeutung er einen uͤberſchwenglichen Be - griff hegte: er glaubte durch eine unmittelbare Vorſehung erwaͤhlt zu ſeyn, um die Ideen zu verwirklichen die ihm vorgeſchwebt.
Auch in dem Beſitze der hoͤchſten Gewalt verließ ihn dann die Gewohnheit nicht, in den Verwickelungen der Welthaͤndel die Moͤglichkeit glaͤnzender Unternehmungen wahr - zunehmen, ſich mit Entwuͤrfen dazu zu tragen. Es iſt in ihnen immer ein ſehr perſoͤnliches Element: Gewalt und Nachruhm ſind ihm reizend, uͤber das was ihm nahe ſteht, ſeine Familie, ſeinen Geburtsort, ſeine Provinz will er ſeinen Glanz ausbreiten: aber dieſe Antriebe werden doch allezeit von einem allgemeinen Intereſſe der katholiſchen203Letzte Zeiten Sixtus V. Chriſtenheit getragen: fuͤr großartige Ideen zeigt er ſich im - mer offen. Nur iſt der Unterſchied, daß er Einiges ſelbſt auszufuͤhren vermag, Anderes zum groͤßten Theile Andern zu uͤberlaſſen hat. Jenes greift er mit der unermuͤdlichen Thaͤtigkeit an, welche Ueberzeugung, Begeiſterung und Ehr - geiz hervorbringen: in dieſem dagegen, ſey es weil er von Natur mißtrauiſch iſt, oder weil der vornehmſte Theil der Ausfuͤhrung und damit auch des Ruhmes, des Vortheils Andern zu uͤberlaſſen waͤre, finden wir ihn lange nicht ſo eifrig. Fragen wir, was er zur Ausfuͤhrung z. B. jener orientaliſchen Ideen wirklich gethan, ſo iſt es doch nur, daß er Verbindungen angeknuͤpft, Briefe gewechſelt, Ermah - nungen erlaſſen, Anſtalten vorbereitet hat: daß er ernſt - liche Maaßregeln ergriffen haͤtte, die zum Ziele fuͤhren konn - ten, bemerken wir nicht. Er faßt den Plan mit lebendiger ſchwaͤrmeriſcher Phantaſie: aber da er nicht gleich ſelbſt Hand anlegen kann, da die Vollfuͤhrung in der Ferne liegt, iſt ſein Wille nicht recht wirkſam: den Entwurf der ihn eben ſehr beſchaͤftigte, laͤßt er doch wieder fallen: ein an - derer tritt an die Stelle deſſelben.
In dem Augenblicke in dem wir uns befinden, er - fuͤllten den Papſt die großartigen Ausſichten, die ſich an die Unternehmung gegen Heinrich IV. knuͤpften, Ausſich - ten eines vollkommenen Sieges des ſtrengen Katholicismus, einer erneuerten Weltmacht des Papſtthums: er lebte und webte darin. Auch zweifelte er nicht, daß alle katholiſchen Staaten einverſtanden ſeyen, daß ſie mit gemeinſchaftlichen Kraͤften den Proteſtanten bekaͤmpfen wuͤrden, welcher den Anſpruch machte Koͤnig von Frankreich zu werden.
204Buch VI. Innere Streitigkeiten.In dieſer Richtung, dieſem Eifer war er, als er ver - nehmen mußte, eine katholiſche Macht, mit der er beſonders gut zu ſtehn meinte, Venedig habe eben dieſen Proteſtan - ten begluͤckwuͤnſcht. Er war davon tief betroffen. Einen Augenblick ſuchte er noch die Republik von weitern Schrit - ten zuruͤckzuhalten: er bat ſie zu warten: die Zeit bringe wunderſame Fruͤchte: er habe ſelbſt von den guten alten Senatoren gelernt ſie zur Reife kommen zu laſſen1)9 Sett. 1589: „ che per amor di dio non si vada tanto avanti con questo Navarra che si stia a veder “etc. . Nichts deſto minder erkannte man in Venedig den bisherigen franzoͤſiſchen Geſandten, de Maiſſe, nachdem er ſeine neue Beglaubigung empfangen, als Bevollmaͤchtigten Heinrichs IV. an. Der Papſt ſchritt hierauf von Ermahnungen zu Drohungen fort. Er rief aus, er werde wiſſen was er zu thun habe: er ließ die alten Monitorien, die zu Ju - lius II. Zeit gegen die Venezianer ergangen, hervorſuchen und die Formel eines neuen gegen ſie entwerfen.
Jedoch nicht ohne Schmerz und innerliches Widerſtre - ben that er dieß. Hoͤren wir einen Augenblick an, wie er ſich gegen den Geſandten vernehmen ließ, den ihm die Ve - nezianer hieruͤber zuſchickten.
„ Mit denen zu zerfallen, die man nicht liebt, “ſagte der Papſt, „ iſt kein ſo großes Ungluͤck: aber mit denen, die man liebt, das thut wehe. Ja es wird uns leid thun — er legte die Hand auf die Bruſt — mit Venedig zu brechen. “
„ Aber Venedig hat uns beleidigt. Navarra iſt ein Ketzer, von dem h. Stuhle excommunicirt: dennoch hat ihn Ve - nedig, allen unſern Erinnerungen zum Trotz, anerkannt. “
205Letzte Zeiten Sixtus V.„ Iſt die Signoria etwa der groͤßte Fuͤrſt der Erde, dem es zuſteht Andern ein Beiſpiel zu geben? Es gibt noch einen Koͤnig von Spanien, es gibt noch einen Kaiſer. “
„ Fuͤrchtet ſich die Republik etwa vor dem Navarra? Wir wollen ſie vertheidigen, wenn es noͤthig iſt, aus allen unſern Kraͤften: wir haben den Nerv dazu. “
„ Oder denkt die Republik uns etwas anzuhaben? Gott ſelbſt wuͤrde uns beiſtehn. “
„ Die Republik ſollte unſre Freundſchaft hoͤher achten, als die Freundſchaft Navarras. Wir koͤnnen ſie beſſer un - terſtuͤtzen. “
„ Ich bitte Euch, thut einen Schritt zuruͤck! Vieles hat der katholiſche Koͤnig zuruͤckgenommen, weil wir es wuͤnſchten: nicht aus Furcht vor uns, denn unſre Macht iſt gegen die ſeine wie eine Fliege gegen den Elephanten, ſondern aus Liebe, weil es der Papſt ſagte, der Stellver - treter Chriſti, der ihm und allen Andern den Glauben gibt. So thue auch die Signoria: ſie treffe einen Ausweg: es wird ihr nicht ſchwer werden: ſie hat bejahrte weiſe Maͤn - ner genug, von denen Jeder eine Welt zu regieren ver - moͤchte. “1)Dispaccio Donato 25 Novbre 1589. Der Papſt ſprach ſo lange, daß die Geſandten ſagen: wenn ſie alles ſchreiben wollten, ſo wuͤrde man anderthalb Stunden im Senate brauchen um es vor - zuleſen. Unter andern trotzt er noch fortwaͤhrend auf die Wirkung der Excommunication. Tre sono stati scommunicati, il re passato, il principe di Conde, il re di Navarra. Due sono malamente morti, il terzo ci travaglia e Dio per nostro esercitio lo man - tiene: ma finirà anche esso e terminarà male: dubitiamo punto di lui. — 2 Dec. Il papa publica un solennissimo giubileo per invitar ogn’uno a dover pregar S. Divina Mà per la quiete et
206Buch VI. Innere Streitigkeiten.Man ſpricht aber nicht ohne eine Antwort zu verneh - men. Der außerordentliche Geſandte der Venezianer war Leonardo Donato, ein Mitglied jener Geſellſchaft des An - drea Moroſini: ganz in der Geſinnung der kirchlich politi - ſchen Oppoſition: ein Mann von der groͤßten, wir wuͤr - den ſagen, diplomatiſchen Geſchicklichkeit, der ſchon manche ſchwierige Unterhandlung zu Ende gefuͤhrt.
Nicht alle Motive der Venezianer konnte Donato in Rom auseinanderſetzen: er kehrte diejenigen hervor, die bei dem Papſt Eingang finden konnten, die er eigentlich mit Venedig gemein hatte.
Denn war es nicht offenbar, daß das ſpaniſche Ueber - gewicht in dem ſuͤdlichen Europa ſich von Jahr zu Jahr immer gewaltiger erhob? Der Papſt fuͤhlte es ſo gut wie jeder andere italieniſche Fuͤrſt: ohne die Genehmhaltung der Spanier konnte er ſchon in Italien keinen Schritt thun. Was ſollte geſchehen wenn ſie erſt Herrn in Frankreich ge - worden? Dieſe Betrachtung hauptſaͤchlich, die Anſicht von dem europaͤiſchen Gleichgewichte und die Nothwendig - keit ſeiner Wiederherſtellung hob Donato hervor. Er ſuchte zu zeigen, daß die Republik den Papſt nicht zu beleidigen, daß ſie vielmehr ein großes Intereſſe des roͤmiſchen Stuh - les ſelbſt zu beguͤnſtigen, zu beſchuͤtzen gedacht habe.
Der Papſt hoͤrte ihn an, doch ſchien er unerſchuͤtter - lich, nicht zu uͤberzeugen. Donato verzweifelte etwas aus - zurichten, und bat um ſeine Abſchiedsaudienz. Am 16ten Dezember 1589 erhielt er ſie, und der Papſt machte Miene1)augumento della fede cattolica. An dieſem Jubilaͤum will er Nie - mand ſehen „ per viver a se stesso et a sue divotioni. “207Letzte Zeiten Sixtus V. ihm ſeinen Segen zu verſagen1)Disp. Donato 16 Dec. „ dopo si lungo negotio restando quasi privi d’ogni speranza. “. Aber nicht ſo ganz be - fangen war doch Sixtus V., daß nicht Gegengruͤnde von weſentlichem Inhalt auf ihn Eindruck gemacht haͤtten. Er war eigenſinnig, hochfahrend, rechthaberiſch, hartnaͤckig: aber dabei doch auch innerlich umzuſtimmen, fuͤr eine fremde Anſicht zu gewinnen, im Grunde gutmuͤthig. In - dem er noch ſtritt, ſeinen Satz hartnaͤckig verfocht, fuͤhlte er ſich im Herzen erſchuͤttert, uͤberzeugt. Mitten in je - ner Audienz ward er auf einmal mild und nachgiebig2)Ibid. Finalmente inspirata dal Sr Dio — — disse di contentarsene (ihnen ſeinen Segen zu geben) e di essersi lasciato vincer da noi. . „ Wer einen Gefaͤhrten hat “, rief er aus, „ hat einen Herrn, ich will mit der Congregation reden, ich will ihr ſagen, daß ich mit Euch gezuͤrnt habe, aber von Euch beſiegt worden bin. “ Noch ein paar Tage warteten ſie: dann er - klaͤrte der Papſt: er koͤnne nicht billigen, was die Repu - blik gethan, doch wolle er auch die Maaßregeln, die er ge - gen ſie beabſichtigt, nicht vornehmen. Er gab Donato ſei - nen Segen und kuͤßte ihn.
Eine kaum bemerkbare Umwandlung perſoͤnlicher Ge - ſinnung: die aber die groͤßte Bedeutung entwickelte. Der Papſt ſelbſt ließ von der Strenge nach, mit der er den proteſtantiſchen Koͤnig verfolgte: die katholiſche Partei, die ſich in Widerſpruch mit ſeiner bisherigen Politik zu demſel - ben hielt, wollte er nicht geradezu verdammen. Ein erſter Schritt iſt darum ſo viel, weil er eine ganze Richtung in208Buch VI. Innere Streitigkeiten.ſich ſchließt. Auf der andern Seite fuͤhlte man dieß augen - blicklich. Urſpruͤnglich hatte ſie ſich nur entſchuldigen wol - len: auf der Stelle machte ſie den Verſuch den Papſt ſelbſt zu gewinnen, zu erobern.
Im Auftrage der Prinzen von Gebluͤt, der katholi - ſchen Pairs die ſich an Heinrich IV. angeſchloſſen, erſchien Mr. de Luxemburg in Italien. Den warnenden Vorſtellun - gen der Spanier zum Trotz ließ ihn Sixtus V. im Ja - nuar 1590 nach Rom kommen, und gab ihm Audienz. Der Abgeordnete ſtellte beſonders die perſoͤnlichen Eigenſchaften Heinrichs IV., ſeine Tapferkeit, Großmuth, Herzensguͤte in ein glaͤnzendes Licht. Der Papſt war davon ganz hin - geriſſen. „ Wahrhaftig! “rief er aus, „ es reut mich, daß ich ihn excommunicirt habe. “ Luxemburg ſagte, dieſer ſein Koͤ - nig und Herr werde ſich nun auch der Abſolution wuͤrdig machen und zu den Fuͤßen S. Heiligkeit in den Schooß der katholiſchen Kirche zuruͤckkehren. „ Alsdann “, erwiederte der Papſt, „ will ich ihn umarmen und troͤſten. “
Denn ſchon war ſeine Phantaſie lebendig ergriffen: auf der Stelle knuͤpften ſich ihm die kuͤhnſten Hoffnun - gen an dieſe Annaͤherungen. Er gab dem Gedanken Raum, daß mehr politiſche Abneigung gegen Spanien, als eine religioͤſe dem roͤmiſchen Stuhle entgegengeſetzte Ueberzeu - gung die Proteſtanten abhalte zur katholiſchen Kirche zu - ruͤckzukehren: er glaubte ſie nicht von ſich weiſen zu duͤr - fen1)Dispaccio Donato 13 Genn. 1590. Il papa biasima l’o - pinione de’ cardinali e d’altri prelati che lo stimulano a dover. Schon war ein engliſcher Abgeordneter in Rom:man209Letzte Zeiten Sixtus V. man kuͤndigte einen ſaͤchſiſchen an. Er war ſehr bereit ſie zu hoͤren: wollte Gott, ſagte er, ſie kaͤmen alle zu un - ſern Fuͤßen.
Welch eine Veraͤnderung in ihm vorgegangen war, be - wies unter andern die Behandlung die er ſeinem franzoͤſi - ſchen Legaten dem Cardinal Moroſini wiederfahren ließ. Fruͤher hatte man deſſen Nachgiebigkeit gegen Heinrich III. als ein Verbrechen betrachtet, und mit der paͤpſtlichen Ungnade beladen kam er nach Italien zuruͤck: jetzt ward er von Montalto in dem Conſiſtorium eingefuͤhrt, und der Papſt empfing ihn mit der Erklaͤrung, es freue ihn, daß ein Cardinal ſeiner Wahl wie er den allgemeinen Bei - fall erwerbe1)Dispaccio 3 Marzo. Dice di consolarsi assai ch’ egli soa creatura fusse di tutti tanto celebrato. Il clmo Morosini acquista molto honore e riputatione per la soa relatione delle cose di Francia. . Donna Camilla zog ihn zur Tafel.
Wie ſehr mußte die ſtreng katholiſche Welt uͤber dieſe Umwandlung erſtaunen. Der Papſt neigte ſich zu einem Proteſtanten, den er ſelbſt excommunicirt hatte, der nach den alten Satzungen der Kirche als ein zum zweiten Mal Abgefallener gar nicht einmal der Abſolution faͤhig war.
Es liegt in der Natur der Dinge, daß dieß eine Ruͤck -1)licentiar esso sr de Lucenburg, e li accusa che vogliano farsi suo pedante (ſein Informator, wuͤrden wir ſagen) in quello che ha studiato tutto il tempo della vita sua. Soggiunse che have - ria caro che la regina d’Inghilterra, il duca di Sassonia e tutti gli altri andassero a suoi piedi con bona dispositione. Che dis - piacerà a S. Sà che andassero ad altri principi (zu verſtehn ka - tholiſchen) et havessero communicatione con loro, ma si conso - lava[quando] vadino a suoi piedi a dimandar perdono. In man - cherlei Formen wiederholt er dieſe Meinungen in jeder Audienz.Päpſte* 14210Buch VI. Innere Streitigkeiten.wirkung hervorrief. Die ſtreng katholiſche Geſinnung hing nicht ſo durchaus von dem Papſt ab, daß ſie ſich ihm nicht auch haͤtte widerſetzen koͤnnen: die ſpaniſche Macht gab ihr einen Ruͤckhalt, an den ſie ſich gewaltig anſchloß.
In Frankreich klagten die Liguiſten den Papſt des Gei - zes an: er wolle nur den Beutel nicht ziehen, das im Ca - ſtell aufgehaͤufte Geld wolle er fuͤr ſeine Nepoten und Ver - wandten aufſparen. In Spanien predigte ein Jeſuit uͤber den beklagenswuͤrdigen Zuſtand, in dem die Kirche ſey. Nicht allein die Republik Venedig beguͤnſtige die Ketzer: ſondern — „ ſtille ſtille “, ſagte er, indem er den Finger an den Mund legte, ſondern ſogar der Papſt ſelbſt. In Italien toͤnte das wieder. Sixtus V. war bereits ſo em - pfindlich, daß er eine Ermahnung zu allgemeinem Gebet, die der Capuzinergeneral hatte ergehn laſſen, „ um in Sa - chen der Kirche die Gnade Gottes anzurufen “, fuͤr eine perſoͤnliche Beleidigung nahm und den General ſuspen - dirte.
Jedoch bei bloßen Andeutungen, Privatklagen blieb es nicht. Am 22. Merz 1590 erſchien der ſpaniſche Bot - ſchafter in den paͤpſtlichen Gemaͤchern, um im Namen ſei - nes Herrn gegen das Betragen des Papſtes foͤrmlich zu proteſtiren1)Schon am 10ten Merz hatte der Botſchafter dem Papſt folgende Fragen vorgelegt: li ha ricercato la risposta sopra le tre cose, cioè di licentiar Lucenburg, iscommunicar li cli et altri prelati che seguono il Navarra, e prometter di non habilitar mai esso Navarra alla successione della corona: — und eine Pro - teſtation angekuͤndigt. Der Papſt hatte darauf mit der Excommu - cation gedroht: Minaccia di iscommunicar quei e castigarli nella. Es gab eine Meinung, ſehen wir, die noch211Letzte Zeiten Sixtus V. rechtglaͤubiger, katholiſcher war als der Papſt ſelbſt: der ſpa - niſche Botſchafter erſchien um ihr im Angeſicht des Pap - ſtes Ausdruck und Worte zu verleihen. Seltſamer Auf - tritt! Der Botſchafter ließ ſich auf ein Knie nieder, und bat S. Heiligkeit ihm zu erlauben, daß er die Befehle ſeines Herrn ausfuͤhre. Der Papſt erſuchte ihn ſich zu erheben: es ſey eine Ketzerei, ſich gegen den Stellvertreter Chriſti auf die Weiſe zu betragen wie er es beabſichtige. Der Botſchafter ließ ſich nicht irre machen. „ Seine Hei - ligkeit “, begann er, „ moͤge die Anhaͤnger Navarras ohne Un - terſchied fuͤr excommunicirt erklaͤren: S. Heiligkeit moͤge aus - ſprechen, daß Navarra auf jeden Fall, auf alle Zeit unfaͤhig ſey zur franzoͤſiſchen Krone zu gelangen. Wo nicht, ſo werde ſich der katholiſche Koͤnig von der Obedienz S. Heiligkeit los - ſagen: der Koͤnig koͤnne nicht dulden, daß die Sache Chriſti zu Grunde gerichtet werde “1)Che S. Sà dichiari iscommunicati tutti quei che segui - tano in Francia il Navarra e tutti gli altri che quovis modo li dessero ajuto, e che dichiari esso Navarra incapace perpetua - mente alla corona di Francia: altramente che il re suo si leverà dalla obedienza della chiesa, e procurerà che non sia fatta in - giuria alla causa di Christo e che la pietà e la religione soa sia conosciuta. . Kaum ließ ihn der Papſt ſo weit reden: er rief aus, das ſey nicht das Amt des Koͤnigs. Der Geſandte ſtand auf, warf ſich aufs neue nieder, wollte fortfahren. Der Papſt nannte ihn einen Stein des Anſtoßes und ging hinweg. Aber Olivarez gab ſich damit nicht zufrieden: er erklaͤrte, er wolle und muͤſſe ſeine Proteſtation zu Ende bringen und ſollte ihm1)vita che ardiranno di tentar quanto egli li havea detto, caccian - dolo inanzi e serrandogli in faccia la porta. 14*212Buch VI. Innere Streitigkeiten.der Papſt den Kopf abſchlagen laſſen: er wiſſe wohl, der Koͤnig werde ihn raͤchen und ſeine Treue an ſeinen Kin - dern belohnen. Sixtus V. dagegen war in Feuer und Flamme. „ Keinem Fuͤrſten der Welt ſtehe es zu, einen Papſt belehren zu wollen, der doch von Gott zum Meiſter der Andern geſetzt ſey: ganz ruchlos aber betrage ſich der Botſchafter: ſeine Inſtruction ermaͤchtige ihn nur dann zu einer Proteſtation, wenn ſich der Papſt in Sachen der Li - gue lau bezeigen ſollte. Wie? wolle der Botſchafter die Schritte S. Heiligkeit richten? “
Der echte Katholicismus ſchien nur Ein Ziel, Eine ungetheilte Geſinnung zu haben: im Laufe des Sieges ſchien er begriffen zu ſeyn, nahe dem Ausſchlag des Gelin - gens: unerwartet haben ſich innerhalb deſſelben zwei Seiten, zwei Meinungen ausgebildet, politiſch und kirchlich einan - der entgegengeſetzt, die eine Angriff, die andere Widerſtand. Sie beginnen ihren Kampf damit, daß ſich jede aus al - len Kraͤften anſtrengt das Oberhaupt der Kirche fuͤr ſich zu gewinnen. Die eine hat den Papſt beſeſſen: mit Bit - terkeit, mit Drohungen, faſt mit Gewalt ſucht ſie ihn feſtzu - halten. Der andern hat er ſich durch eine innere Bewe - gung im entſcheidenden Augenblicke zugeneigt: ſie ſucht ihn ganz an ſich zu reißen: durch Verſprechungen ſucht ſie ihn zu verfuͤhren: die glaͤnzendſten Ausſichten ſtellt ſie ihm vor. Fuͤr die Entſcheidung ihres Kampfes iſt es von der hoͤch - ſten Bedeutung welche Seite er ergreifen wird.
Die Haltung dieſes Papſtes, der wegen ſeiner That - kraft und Entſchloſſenheit ſo beruͤhmt iſt, erfuͤllt uns mit Erſtaunen.
213Letzte Zeiten Sixtus V.Wenn Briefe Philipps II. ankommen, worin dieſer Koͤ - nig erklaͤrt, daß er die gerechte Sache vertheidigen, die Li - gue mit der Kraft ſeiner Staaten, mit ſeinem Blute un - terſtuͤtzen wolle, ſo iſt auch der Papſt voll Eifers: er werde, ſagt er, den Schimpf nicht auf ſich laden, daß er ſich ei - nem Ketzer wie Navarra nicht entgegengeſetzt habe1)Er erklaͤrt im Conſiſtorium ſelbſt: di haver scritto al re con sua propria mano, che procurerà sempre con tutte le sue forze spirituali e temporali che mai riesca re di Francia alcuno che non sia di compita sodisfattione alla S. Catca Mà. Schon im Januar 1590 ſagen die Geſandten: Il papa nelle trattationi parla con uno ad un modo con suoi disegni et ad un altro con altri (disegni). .
Nichts deſto minder neigt er ſich auch wieder auf die andere Seite. Wenn man ihm die Schwierigkeiten vorſtellt, in die ihn die franzoͤſiſche Sache verwickele, ſo ruft er aus: waͤre Navarra gegenwaͤrtig, ſo wuͤrde er ihn auf den Knien bitten katholiſch zu werden.
Sonderbarer ſtand wohl nie ein Fuͤrſt zu ſeinen Be - vollmaͤchtigten, als Papſt Sixtus zu dem Legaten Gaetano, den er noch in der Zeit ſeiner engen Verbindung mit den Spaniern nach Frankreich geſchickt hatte. Jetzt war der Papſt zwar noch nicht auf die Seite der Franzoſen getre - ten, aber doch zu einer unentſchloſſenen, neutralen Geſin - nung gebracht. Ohne die mindeſte Ruͤckſicht hierauf folgte der Legat ſeinen alten Inſtructionen. Als Heinrich IV. nach ſeinem Siege von Ivry Paris belagerte, war es der Legat des Papſtes, der ihm hier den meiſten Widerſtand entge - genſetzte. In ſeine Haͤnde ſchwuren Oberſten und Magi - ſtrate, mit Navarra niemals zu capituliren: durch ſein214Buch VI. Innere Streitigkeiten.geiſtliches Anſehen und ein eben ſo gewandtes wie ſtand - haftes Betragen wußte er ſie bei ihren Verſprechungen feſt zu halten1)Discours veritable et notable du siége de la ville de Pa - ris en l’an 1590 bei Villeroy: Mémoires d’estat tom. II, p. 417. .
In der That entwickelte doch am Ende die gewohnte ſtrenge Geſinnung die meiſte Kraft.
Olivarez noͤthigte den Papſt, Luxemburg zu entlaſ - ſen, wenn auch nur unter dem Schein einer Wallfahrt nach Loreto. Der Papſt hatte Monſignor Serafino, der im Rufe franzoͤſiſcher Geſinnungen ſtand, zu einer Sendung nach Frankreich beſtimmt: Olivarez beklagte ſich laut, er drohte nicht wieder zur Audienz kommen zu wollen: der Papſt ent - gegnete, er moͤge in Gottes Namen abreiſen: zuletzt behielt Olivarez dennoch den Sieg, die Sendung Serafinos wurde aufgeſchoben. In einer orthodoxen ohne Wanken feſtgehaltenen Meinung liegt eine unglaubliche Gewalt, zumal wenn ſie von einem tuͤchtigen Manne verfochten wird. Olivarez hatte die Congregation, welche die franzoͤſiſchen Sachen bearbei - tete, und die auch noch in fruͤhern Zeiten zuſammengeſetzt worden, auf ſeiner Seite. Im Juli 1590 ward uͤber ei - nen neuen Bund zwiſchen Spanien und dem Papſt unter - handelt2)Der Koͤnig ſollte 20000 Mann zu Fuß und 3000 zu Pferd, der Papſt 15000 zu Fuß und 2000 zu[Pferd] ausruͤſten. Li am - basciatori sollicitano con li cardinali la conclusione e sottoscrit - tione del capitolato (Disp. 14 Luglio). In der Congregation legte der Papſt die Frage vor: an electio regis Franciae vacante prin - cipe ex corpore sanguinis spectet ad pontificem. — Esortato a; und der Papſt erklaͤrte, er muͤſſe etwas zu Gunſten Spaniens thun.
215Letzte Zeiten Sixtus V.Aber man glaube nicht, daß er indeſſen die andere Partei aufgegeben haͤtte. Zu derſelben Zeit hatte er den Agenten eines Oberhauptes der Hugenotten, des Lesdi - guieres bei ſich: ein Geſchaͤftstraͤger des Landgrafen, ein engliſcher Abgeordneter waren zugegen, und ſchon ſuchte ſich der kaiſerliche Botſchafter gegen die Einfluͤſterungen die er von dem ſaͤchſiſchen Geſandten fuͤrchtete, der aufs neue erwartet wurde, ſicher zu ſtellen: die Umtriebe des Kanz - lers Crell drangen bis nach Rom1)Anders iſt es nicht zu verſtehn, daß der kaiſerliche Bot - ſchafter den Papſt vor ſaͤchſiſchen Einfluͤſterungen warnt. L’amba - sciatore dell’ imperatore prega il pontefice di non voler ascoltare quel huomo che vien detto esser mandato dal duca di Sassonia, in quello che fusse di pregiuditio del suo patron e della casa d’Austria: e così li vien promesso. .
So blieb der gewaltige Kirchenfuͤrſt, welcher der Mei - nung lebte, daß ihm eine directe Gewalt uͤber alle Erde verliehen ſey, welcher einen Schatz geſammelt, der ihm wohl die Kraft verliehen haͤtte einen großen Ausſchlag zu geben, in dem Moment der Entſcheidung unentſchloſſen, ſchwankend.
Duͤrfte man ihm wohl ein Verbrechen daraus ma - chen? Ich fuͤrchte, wir wuͤrden ihm Unrecht thun. Er durchſchaute die Lage der Dinge: er ſah die Gefahren auf beiden Seiten: entgegengeſetzten Ueberzeugungen gab er Raum: ein Moment, der ihm eine endliche Entſcheidung abgenoͤthigt haͤtte, war nicht vorhanden. Bis in ſeine2)star neutrale, laudando il consiglio risponde non poter restar a far qualche cosa (Disp. 28 Luglio). Indeſſen heißt es im Disp. 21 Luglio: Laodigeres haveva mandato un suo huomo a trattar con S. Sà, il quale ha trattato lungamente seco. 216Buch VI. Innere Streitigkeiten.Seele bekaͤmpften ſich die Elemente, welche die Welt theil - ten: hier ward keines des andern Meiſter.
Allerdings aber ſetzte er ſich damit auch ſeinerſeits in die Unmoͤglichkeit die Welt zu bezwingen, einen großarti - gen Einfluß auf ſie auszuuͤben. Vielmehr wirkten die Le - benskraͤfte die in Bewegung waren auf ihn zuruͤck: es ge - ſchah dieß in der eigenthuͤmlichſten Geſtalt.
Sixtus hatte die Banditen hauptſaͤchlich dadurch be - zwungen, daß er mit ſeinen Nachbarn in gutes Verneh - men trat. Jetzt da dieß ſich aufloͤſte, da man in Tos - cana und Venedig andere Meinungen hegte als in Neapel und Mailand, und der Papſt ſich weder fuͤr die einen noch fuͤr die andern entſchied, bald dem einen bald dem andern ſeiner Nachbarn verdaͤchtig wurde, jetzt regten ſich auch die Banditen aufs neue.
Im April 1590 erſchienen ſie wieder. In der Ma - remma Sacripante: in der Romagna Piccolomini: in der Campagna von Rom Battiſtella. Sie waren reichlich mit Geld verſehen: man wollte bemerken, daß ſie viel ſpaniſche Dublonen ausgaben: vorzuͤglich in der guelfiſchen Partei fan - den ſie Anhang: ſchon zogen ſie wieder in geordneten Schaa - ren mit fliegenden Fahnen und Trommeln einher: die paͤpſt - lichen Truppen hatten keine Luſt mit ihnen zu ſchlagen1)Disp. 21 Luglio. I fuorusciti corrono fino su le porte di Roma. Die Depeſchen vom 17. Merz, 7. April, 28. April, 12. Mai, 2. Juni enthalten Details hieruͤber.. Unmittelbar wirkte dieß auf alle Verhaͤltniſſe zuruͤck. Die Bologneſen widerſetzten ſich dem Vorhaben des Papſtes217Letzte Zeiten Sixtus V. die Senatoren der Stadt zu vermehren, mit einer lange nicht mehr gehoͤrten Kuͤhnheit und Freimuͤthigkeit.
In dieſer Lage, in ſo viel nahem und druͤckendem Mißbehagen, ohne in der wichtigſten Sache eine Entſchei - dung, einen Entſchluß auch nur verſucht zu haben, ſtarb Papſt Sixtus V. (27. Aug. 1590).
Es entlud ſich gerade ein Ungewitter uͤber den Qui - rinal, als er verſchied. Die alberne Menge uͤberredete ſich, Fra Felice haben einen Pact mit dem Boͤſen gehabt, durch deſſen Huͤlfe er von Stufe zu Stufe geſtiegen: nach abge - laufener Zeit ſey nun ſeine Seele in dem Unwetter hin - weggefuͤhrt worden. So verſinnbildeten ſie ihr Mißver - gnuͤgen uͤber ſo viele neu eingefuͤhrte Auflagen und den Zweifel an ſeiner vollkommenen Rechtglaͤubigkeit, der in den letzten Zeiten ſo oft rege geworden. In wildem Un - geſtuͤm riſſen ſie die Bildſaͤule nieder, die ſie ihm einſt er - richtet hatten: ja auf dem Capitol ward ein Beſchluß ge - faßt, daß man niemals wieder einem Papſt bei ſeinem Leben eine Bildſaͤule ſetzen wolle.
Doppelt wichtig wurde nun die neue Wahl. Es kam doch hauptſaͤchlich auf die perſoͤnliche Geſinnung eines Pap - ſtes an, fuͤr welche von jenen beiden Richtungen, de - ren Widerſtreit begonnen hatte, er ſich erklaͤren wuͤrde, und ohne Zweifel konnte ſeine Entſchließung zu weltge -218Buch VI. Innere Streitigkeiten.ſchichtlichen Wirkungen fuͤhren. Das Gewuͤhl und der Wahlkampf des Conclaves erhalten deshalb eine beſondere Bedeutung, und wir muͤſſen hier ein Wort von denſelben einflechten.
In der erſten Haͤlfte des ſechszehnten Jahrhunderts beherrſchte das Uebergewicht der kaiſerlichen oder der fran - zoͤſiſchen Faction in der Regel die Waͤhlenden: die Cardinaͤle hatten, wie ein Papſt ſagt, keine Freiheit der Stimmen mehr. Seit der Mitte deſſelben ward dieſe Einwirkung fremder Maͤchte um vieles unbedeutender: die Curie blieb bei weitem mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen. Da hatte ſich denn, in der Bewegung der innern Umtriebe, ſagen wir, ein Principo der eine Gewohnheit ſehr beſonderer Art aus - gebildet.
Jeder Papſt pflegte eine Anzahl Cardinaͤle zu ernen - nen, die dann in dem naͤchſten Conclave ſich um den Ne - poten des Verſtorbenen ſammelten, eine neue Macht bilde - ten, und in der Regel Einen aus ihrer Mitte auf den Thron zu heben verſuchten. Merkwuͤrdig war es, daß es ihnen hiemit nie gelang, daß die Oppoſition alle Mal ſiegte und in der Regel einen Gegner des letzten Papſtes befoͤr - derte.
Ich will nicht verſuchen dieß ausfuͤhrlich zu eroͤr - tern. Wir haben nicht ganz unglaubwuͤrdige Mittheilun - gen uͤber dieſe Wahlen: allein es wuͤrde doch unmoͤglich ſeyn die hiebei wirkſamen perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe zu rechter Anſchauung zu erheben: es wuͤrden immer Schatten bleiben.
Genug wenn wir das Princip bemerken. Ohne Aus -219Conclaven. Urban VII. nahme trugen in jenem Zeitraume nicht die Anhaͤnger ſon - dern die Gegner des letzten Papſtes, namentlich die Crea - turen des vorletzten, den Sieg davon. Paul IV. ward von den Creaturen Pauls III, Pius IV. durch die Feinde der Caraffas und Pauls IV. erhoben. Der Neffe Pius des IV. Borromeo hatte die perſoͤnliche Aufopferung, freiwillig einen Mann der Gegenpartei, den er aber fuͤr den froͤmm - ſten hielt, Pius dem V. ſeine Stimme zugeben: aber er that das nur unter lebhaftem Widerſpruch der Geſchoͤpfe ſeines Oheims, welche, wie es in dem Berichte heißt, kaum glaubten zu ſehen was ſie ſahen, zu thun was ſie thaten. Auch verſaͤumten ſie nicht ſich ihre Nachgiebigkeit im naͤchſten Falle zu Nutze zu machen Jenes Herkommen ſuchten ſie zur Anerkennung zu bringen, als Regel aufzuſtellen, und in der That ſetzten ſie den Nachfolger Pius des V. aus den Creaturen Pius des IV. So ging es auch bei der Wahl Sixtus V, aus den Gegnern ſeines Vorgaͤngers Gregor erhob er ſich.
Kein Wunder iſt es hienach, wenn wir immer entgegen - geſetzte Charaktere auf dem paͤpſtlichen Stuhle finden. Die verſchiedenen Factionen treiben einander aus der Stelle.
Vermoͤge dieſes Herkommens hatten nun auch dieß Mal die Gegner Sixtus V. beſonders der letzten Wen - dung ſeiner Politik eine große Ausſicht fuͤr ſich. Ueberaus maͤchtig hatte Sixtus V. ſeinen Neffen gemacht: mit einer Schaar ergebener Cardinaͤle, ſo zahlreich wie nur je eine andere geweſen, trat derſelbe in dem Conclave auf. Trotz alle dem mußte er weichen. Die Creaturen Gregors erho - ben einen Gegner des vorigen Papſtes, der von dieſem ſo -220Buch VI. Innere Streitigkeiten.gar beſonders beleidigt worden, von unzweifelhaft ſpaniſcher Geſinnung, Johann Baptiſt Caſtagna, Urban VII. 1)Conclave di papa Urbano VII. MS. La pratica (di que - sta elettione) fu guidata dal cardl Sforza (capo delle creature di papa Gregorio XIII) e da cardinali Genovesi. In einer De - peſche des franzoͤſiſchen Geſandten Maiſſe in Venedig in F. v. Rau - mers hiſtor. Briefen I, 360 findet ſich, der Sforza habe den Co - lonna, der bereits auf dem paͤpſtlichen Stuhle Platz genommen, von demſelben wieder heruntergezogen; doch iſt das wohl nicht woͤrtlich zu verſtehn.
Mit dieſer Wahl aber waren ſie ungluͤcklich. Ur - ban VII. ſtarb, ehe er noch gekroͤnt worden, ehe er noch einen einzigen Praͤlaten ernannt hatte, am 12ten Tage ſei - nes Pontificates, und ſogleich eroͤffnete ſich der Wahlkampf aufs neue.
Er unterſchied ſich dadurch, daß die Spanier wieder auf das ernſtlichſte Theil nahmen. Sie ſahen wohl, wie viel fuͤr die franzoͤſiſchen Angelegenheiten darauf ankam. Der Koͤnig entſchloß ſich zu einem Schritte, der ihm in Rom als eine gefaͤhrliche Neuerung angerechnet wurde, und den ſelbſt ſeine Anhaͤnger nur mit den dringenden Umſtaͤn - den, in denen er ſich befinde, zu entſchuldigen wußten2)Il grande interesse del re cattolico e la spesa nella quale si trova senza ajuto nissuno per servitio della christianità fa che gli si debbia condonare. : er nannte ſieben Cardinaͤle, die ihm tauglich zu ſeyn ſchie - nen: keinen Andern wollte er annehmen. An der Spitze der Ernannten ſtand der Name Madruzzi, und unverzuͤg - lich machten die ſpaniſchen Cardinaͤle einen Verſuch, mit dieſem ihrem Oberhaupt durchzudringen.
Allein ſie fanden hartnaͤckigen Widerſtand. Madruzzi221Conclave Gregors XIV. wollte man nicht, weil er ein Deutſcher ſey, weil man das Papſtthum nicht wieder in die Haͤnde der Barbaren kom - men laſſen duͤrfe1)Cl. Moroſini ſagte: Italia anderebbe in preda a’ barbari, che farebbe una vergogna. Concl. della sede vacante di Ur - bano VII. : auch von den uͤbrigen wollte Mont - alto Keinen annehmen. Montalto haͤtte zwar vergeblich verſucht einen ſeiner Anhaͤnger zu erheben: aber wenigſtens auszuſchließen vermochte er. Das Conclave verzog ſich un - gebuͤhrlich lange: die Banditen waren Herrn im Lande: taͤg - lich hoͤrte man von gepluͤnderten Guͤtern, verbrannten Doͤr - fern: in Rom ſelbſt war eine Bewegung zu fuͤrchten.
Es gab nur Ein Mittel zum Ziele zu kommen: wenn man von den Vorgeſchlagenen denjenigen hervorhob, der dem Nepoten Sixtus des V. am wenigſten unangenehm war. In den florentiniſchen Nachrichten2)Galluzzi: Storia del granducato di Toscana V, 99. findet ſich, daß der Großherzog von Toscana, in den roͤmiſchen, daß Car - dinal Sforza, das Haupt der gregorianiſchen Cardinaͤle, hiezu beſonders beigetragen habe. In ſeine Zelle zuruͤckge - zogen, vielleicht auch darum weil man ihm geſagt hatte, durch Sillſchweigen werde er am beſten befoͤrdert, und vom Fieber geplagt lebte Cardinal Sfondrato, einer von den Sieben. Ueber dieſen vereinigten ſich die Parteien, und gleich in voraus ward eine Familienverbindung zwiſchen den Haͤuſern Sfondrato und Montalto verabredet. Hierauf beſuchte Montalto den Cardinal in ſeiner Zelle, er fand ihn betend vor dem Crucifix, nicht ganz ohne Fieber: er ſagte ihm, daß er den andern Morgen gewaͤhlt werden ſolle. 222Buch VI. Innere Streitigkeiten.An dieſem Morgen — 5. Dezember 1590 — fuͤhrte er ihn mit Sforza in die Capelle, wo die Stimmen gege - ben wurden. Sfondrato ward gewaͤhlt: er nannte ſich Gregor. XIV1)T. Taſſo hat dieſe Thronbeſteigung in einer praͤchtigen Can - zone gefeiert: Da gran lode immortal.
Ein Mann, der alle Wochen zweimal faſtete, alle Tage ſeine Meſſe las, das Penſum ſeiner Horen immer auf den Knien betete, und dann eine Stunde ſeinem Lieb - lingsautor, dem heil. Bernhard, widmete, aus dem er ſich die Sentenzen die ihm beſonders einleuchteten ſorgfaͤltig auf - zeichnete: eine jungfraͤuliche unſchuldige Seele. Man be - merkte aber in halbem Scherz, wie er zu fruͤh — im ſie - benten Monat — auf die Welt gekommen und nur mit Muͤhe aufgebracht worden war, ſo habe er uͤberhaupt zu wenig irdiſche Elemente in ſich. Von der Praxis und den Umtrieben der Curie hatte er nie etwas begriffen. Die Sache, welche die Spanier verfochten, hielt er ohne Wei - teres fuͤr die Sache der Kirche. Er war ein geborner Un - terthan Philipps II, und ein Mann nach ſeinem Herzen. Ohne alles Schwanken noch Verziehen erklaͤrte er ſich zu Gunſten der Ligue2)Cicarella de vita Gregorii XIV: bei allen ſpaͤtern Ausga - ben des Platina befindlich..
„ Ihr “, ſchrieb er an die Pariſer, „ die ihr einen ſo loͤblichen Anfang gemacht habt, harret nun auch aus und haltet nicht inne bis Ihr an das Ziel Eures Laufes ge - kommen ſeyd. Von Gott inſpirirt haben wir beſchloſſen Euch zu Huͤlfe zu kommen. Zuerſt weiſen wir Euch eine223Gregor XIV. Unterſtuͤtzung in Geld an und zwar uͤber unſere Kraͤfte. So - dann ordnen wir unſern Nuntius — Landriano — nach Frankreich ab, um alle Abgewichenen in Eure Vereinigung zuruͤckzubringen. Endlich ſchicken wir, obwohl nicht ohne große Belaͤſtigung der Kirche, unſern lieben Sohn und Nef - fen, Hercules Sfondrato, Herzog von Montemarciano, mit Reiterei und Fußvoͤlkern Euch zu, um die Waffen zu Eurer Vertheidigung anzuwenden. Solltet Ihr aber noch Meh - reres beduͤrfen, ſo werden wir Euch auch damit verſehen1)Gregoire Pape XIV a mes fils bien aymés les gens du conseil des seize quartiers de la ville de Paris: bei Cayet: Chro - nologie novenaire. Mémoires coll. univ. tom. LVII, p. 62. .
In dieſem Briefe liegt die ganze Politik Gregors XIV. Sie war doch von großer Wirkung. Die Erklaͤrung ſelbſt, die Wiederholung der Excommunication Heinrichs IV, die damit verbunden war, und dann die Aufforderung an alle Cleriker, an den Adel, die Beamten der Juſtiz und den dritten Stand ſich bei ſchwerer Strafe von Heinrich von Bourbon zu trennen, womit Landriano in Frankreich auftrat, brachten einen tiefen Eindruck hervor2)Eben Cayet bemerkt dieß. Le party du roy estoit sans aucune division. Ce qui fut entretenu jusques au temps de la publication des bulles monitoriales du pape Gregoire XIV, que d’aucuns volurent engendrer un tiers party et le former des ca - tholiques, qui étoit dans le party royal. . Es gab ſo viele Streng-katholiſch-geſinnte auf der Seite Heinrichs IV. die zuletzt doch durch dieſe entſchiedenen Schritte des Ober - hauptes ihrer Kirche irre gemacht wurden. Sie erklaͤrten, nicht allein das Koͤnigthum habe eine Succeſſion, ſondern auch die Kirche: man muͤſſe die Religion eben ſo wenig224Buch VI. Innere Streitigkeiten.aͤndern als die Dynaſtie. Es bildete ſich von dieſer Zeit an unter den Anhaͤngern des Koͤnigs die ſogenannte dritte Partei, welche denſelben unaufhoͤrlich zur Wiederannahme des Katholicismus aufforderte, nur unter dieſer Bedingung und Ausſicht ihm treu blieb, und um ſo mehr zu bedeu - ten hatte, da die maͤchtigſten Maͤnner in ſeiner unmittelba - ren Umgebung ſich zu ihr hielten.
Noch groͤßere Erfolge aber ließen die andern Maaß - regeln erwarten, die der Papſt in jenem Briefe ankuͤndigte, und die er nicht zoͤgerte in Erfuͤllung zu bringen. Die Pariſer unterſtuͤtzte er monatlich mit 15000 Scudi: den Oberſt Luſi ſchickte er in die Schweiz, um Truppen an - zuwerben: nachdem er ſeinem Neffen Ercole in S. Maria Maggiore die Standarte der Kirche als ihrem General feier - lich uͤberliefert hatte, entließ er ihn nach Mailand, wo ſeine Mannſchaften ſich ſammeln ſollten. Der Commiſſar der ihn begleitete, Erzbiſchof Matteucci war reichlich mit Geld verſehen.
Unter dieſen Auſpicien trug Philipp II. nicht laͤn - ger Bedenken ſich der franzoͤſiſchen Sache mit Ernſt an - zunehmen. Seine Truppen ruͤckten in der Bretagne vor, ſie nahmen Platz in Toulouſe und Montpellier. Auf ei - nige Provinzen glaubte er beſondere Anſpruͤche zu haben: in andern war er in der engſten Verbindung mit den lei - tenden Oberhaͤuptern, Capuziner hatten ſie zuweilen geſtif - tet oder erhalten: nach andern ward er auf das dringendſte eingeladen „ als der einzige Beſchuͤtzer der Rechtglaͤubigen gegen die Hugenotten “. Auch die Pariſer luden ihn ein. Indeſſen griffen die Piemonteſen in der Provence an: daspaͤpſt -225Gregor XIV. Innocenz IX. paͤpſtliche Heer vereinte ſich in Verdun mit den Ligui - ſten. Es war eine allgemeine Bewegung ſpaniſch-ita - lieniſcher Kraͤfte, um Frankreich mit Gewalt in die ſtreng katholiſche Richtung fortzuziehen, die in jenen Laͤndern das Uebergewicht hatte. Die Schaͤtze, die Papſt Sixtus mit ſo viel Anſtrengung geſammelt und ſo ſorgfaͤltig geſpart, ka - men nun doch den Spaniern zu Gute. Nachdem Gre - gor XIV. die Summen aus dem Caſtell genommen deren Verwendung an keine Bedingungen gebunden war, griff er auch die andern auf das ſtrengſte vinculirten an. Er ur - theilte, nie koͤnne ein dringenderes Beduͤrfniß der Kirche eintreten.
Bei der Entſchiedenheit mit der man zu Werke ging, der Klugheit des Koͤnigs, dem Reichthum des Papſtes, und dem Einfluß den ihr vereinigtes Anſehen auf Frankreich hatte, laͤßt ſich in der That nicht berechnen, wie weit es dieſer doppelſeitige, weltlich-geiſtliche Ehrgeiz gebracht haben wuͤrde: — waͤre nicht Gregor XIV. mitten in der Unter - nehmung geſtorben. Nur zehn Monat und zehn Tage hatte er den roͤmiſchen Stuhl beſeſſen und ſo große Veraͤnderun - gen hervorgebracht: was wuͤrde geſchehen ſein, wenn er dieſe Gewalt einige Jahre inne gehabt haͤtte. Es war der groͤßte Verluſt den die liguiſtiſch-ſpaniſche Partei erleiden konnte.
Noch einmal zwar drangen die Spanier in dem Con - clave durch. Sie hatten wieder ſieben Candidaten benannt1)In der Histoire des conclaves I, 251 heißt es: Les Es - pagnols vouloient retablir leur reputation. Doch iſt das nur falſch uͤberſetzt: in dem MS, welches die Grundlage dieſes Buches iſt: Con -,Päpſte* 15226Buch VI. Innere Streitigkeiten.und einer von dieſen, Johann Anton Fachinetto — In - nocenz IX — wurde gewaͤhlt. Auch er war, ſo viel man urtheilen kann, ſpaniſch geſinnt: wenigſtens ſchickte er der Ligue Geld, und wir haben das Schreiben uͤbrig, in dem er Alexander Farneſe antreibt ſeine Ruͤſtungen zu beſchleuni - gen, in Frankreich einzudringen und Rouen zu entſetzen, was dieſer Feldherr dann ſo gluͤcklich und geſchickt aus - fuͤhrte1)Nach Davila: Historia delle guerre civili di Francia XII, p. 763, ſollte es ſcheinen als ſey Innocenz nicht ſo ganz fuͤr die Li -. Aber das Ungluͤck war: auch Innocenz IX. war ſchon ſehr alt und ſchwach: faſt niemals verließ er das Bett: da gab er ſelbſt Audienzen: von dem Ster - bebett eines Greiſes, der ſich nicht mehr ruͤhren konnte, ergingen Kriegsermunterungen, welche Frankreich, ja Eu - ropa in Bewegung ſetzten. Kaum hatte Innocenz den paͤpſtlichen Stuhl 2 Monat inne gehabt, ſo ſtarb auch er.
Und ſo erneuerten ſich die Wahlkaͤmpfe des Conclave zum vierten Mal. Sie wurden um ſo wichtiger, da ſich in dem unaufhoͤrlichen Wechſel die Meinung feſtgeſetzt hatte, daß es vor allem eines kraͤftigen lebensfaͤhigen Mannes be - duͤrfe. Jetzt mußte es zu einer definitiven Entſcheidung auf laͤngere Zeit kommen. Das Conclave wurde ein bedeu - tender Moment fuͤr die allgemeine Geſchichte.
Den Spaniern war es in dem gluͤcklichen Fortgange ihrer Intereſſen zu Rom waͤhrend des letzten Jahres zu -1)clave di Innocenzio IX (Inff. politt. ) heißt es: per non perder la racquistata autorità, was der Lage der Sachen wirklich entſpricht.227Wahl Clemens VIII. letzt auch gelungen Montalto zu gewinnen. Das Haus dieſes Nepoten hatte ſich in dem Neapolitaniſchen ange - kauft. Indem Montalto zuſagte ſich dem Willen des Koͤnigs nicht mehr zu widerſetzen, verſprach ihm dagegen der Koͤ - nig, nicht alle Creaturen Sixtus V. geradehin auszuſchließen. So waren ſie verbuͤndet, und die Spanier zoͤgerten nicht laͤnger, den Mann auf die Wahl zu bringen, von dem ſie ſich die thaͤtigſte Mitwirkung zu dem franzoͤſiſchen Kriege verſprechen konnten.
Von allen Cardinaͤlen konnte Santorio, mit dem Ti - tel Sanſeverina, als der eifrigſte angeſehen werden. Schon in ſeiner Jugend hatte er zu Neapel manchen Kampf mit den dortigen Proteſtanten durchgemacht: in ſeiner Autobio - graphie, welche handſchriftlich uͤbrig iſt, bezeichnet er die Bluthochzeit als „ den beruͤhmten Tag des h. Bartholomaͤus, hoch erfreulich den Katholiſchen “1)Er ſpricht von einem „ giusto sdegno del re Carlo IX di gloriosa memoria in quel celebre giorno di S. Bartolommeo lietissimo a’ cattolici. “: immer hatte er ſich zu den heftigſten Meinungen bekannt; er war das leitende Mitglied in der Congregation fuͤr die franzoͤſiſchen Ange - legenheiten, ſeit lange die Seele der Inquiſition: noch ge - ſund und in ziemlich friſchem Alter.
Dieſen Mann wuͤnſchten die Spanier mit der hoͤch - ſten geiſtlichen Wuͤrde zu bekleiden: einen ergebenern haͤt - ten ſie nicht finden koͤnnen. Noch Olivarez hatte alles vor - bereitet2)Conclave di Clemente VIII MS. Il conte di Olivarez,: es ſchien kein Zweifel uͤbrig zu bleiben: von 521)gue geweſen; allein das angefuͤhrte Schreiben (bei Cayet p. 356) hebt alle Zweifel.15*228Buch VI. Innere Streitigkeiten.Stimmen hatte man 36 bejahende, eben genug um die Wahl zu entſcheiden, wozu immer zwei Drittheile der Stim - men erforderlich ſind. Und ſo ſchritt man gleich den er - ſten Morgen, nachdem das Conclave geſchloſſen worden, zu dem Wahlactus. Montalto und Madrucci, die Haͤupter der vereinten Factionen holten Sanſeverina aus ſeiner Zelle ab, die, wie es bei der Zelle der Erwaͤhlten Gebrauch iſt, von den Dienern ſogleich ſpoliirt wurde: 36 Cardinaͤle begaben ſich mit ihm nach der Capella Paolina: ſchon bat man ihn um Gnade fuͤr ſeine Gegner: er erklaͤrte, er wolle Allen vergeben und ſich zum erſten Zeichen ſeiner Geſinnung Cle - mens nennen: Voͤlker und Reiche wurden ihm empfohlen.
Indeſſen hatte man bei dieſem Vorſchlag Einen Um - ſtand aus der Acht gelaſſen. Sanſeverina galt fuͤr ſo ſtreng, daß Jedermann ihn fuͤrchtete.
Dadurch war es ſchon geſchehen, daß Viele nicht hat - ten gewonnen werden koͤnnen: juͤngere Cardinaͤle, alte per - ſoͤnliche Gegner: ſie verſammelten ſich in der Capella Si - ſtina; es waren ihrer zwar, als ſie ſich beiſammen ſahen, nur ſechszehn, — es fehlte ihnen an einer Stimme um die Excluſion zu geben, und ſchon machten Mehrere Miene ſich dem Geſchick zu unterwerfen, und Sanſeverina anzu - erkennen: jedoch hatte der erfahrene Altemps ſo vielen Ein - fluß auf ſie, daß ſie noch Stand hielten. Sie trau - ten ihm zu, daß er die Sachen beſſer uͤberſehe, als ſie ſelbſt.
Und in der That wirkte die nemliche Abneigung auch2)fedele et inseparabile amico di S. Severina, aveva prima di partire di Roma per il governo di Sicilia tutto preordinato. 229Wahl Clemens VIII. auf diejenigen, die Sanſeverina’n ihr Wort gegeben; gar Manche unter ihnen verwarfen ihn im Herzen. Dem Wun - ſche des Koͤnigs und Montaltos hatten ſie ſich bequemt, doch erwarteten ſie nur eine Gelegenheit um abtruͤnnig zu werden. Bei dem Eintritt in die Wahlkapelle zeigte ſich eine Unruhe, eine Bewegung, die bei einem entſchiedenen Falle ganz ungewoͤhnlich war. Man machte einen Anfang die Stimmen zu zaͤhlen: man ſchien damit nicht zu Stande kommen zu wollen: die eigenen Landsleute Sanſeverinas legten ihm Hinderniſſe in Weg1)Wir haben hieruͤber außer den Berichten in gedruckten und handſchriftlichen Conclaven auch die Erzaͤhlung S. Severinas ſelbſt, die ich in den Anhang aufnehmen will.. Es fehlte nur an Je - mand, der dem Gedanken, den ſo Viele hegten, Bahn braͤ - che. Endlich faßte ſich Ascanio Colonna das Herz dieß zu thun. Er gehoͤrte zu den roͤmiſchen Baronen, welche vor allem die inquiſitoriſche Haͤrte Sanſeverinas fuͤrchteten. Er rief aus: „ ich ſehe, Gott will Sanſeverina nicht, auch Ascanio Colonna will ihn nicht. “ Er verließ die Paolina und begab ſich zu den Gegnern in der Siſtina.
Hiemit hatten dieſe gewonnen. Es ward ein gehei - mes Scrutinium beliebt. Es gab Einige, die es nie ge - wagt haͤtten oͤffentlich und laut ihre bereits zugeſagte Stimme zuruͤckzuziehen, die das aber wohl insgeheim tha - ten, ſobald ſie nur wußten, daß ihre Namen verſchwiegen bleiben wuͤrden. Als die Zettel eroͤffnet wurden, fanden ſich nur 30 Stimmen fuͤr den Vorgeſchlagenen.
Seiner Sache gewiß war Sanſeverina gekommen: die Fuͤlle der geiſtlichen Gewalt, die er ſo hoch anſchlug, die230Buch VI. Innere Streitigkeiten.er ſo oft verfochten, glaubte er ſchon in Beſitz zu haben: zwiſchen der Erfuͤllung ſeiner hoͤchſten Wuͤnſche und der Zukunft eines immerwaͤhrenden Gefuͤhls von Zuruͤckſetzung, zwiſchen Herr ſeyn und gehorchen muͤſſen hatte er 7 Stun - den zugebracht, wie zwiſchen Leben und Tod: endlich war es entſchieden: ſeiner Hoffnung beraubt ging er in die ſpoliirte Zelle zuruͤck. „ Die naͤchſte Nacht “, ſagt er in jener Lebensbeſchreibung, „ war mir ſchmerzvoller, als je ein ungluͤcklicher Augenblick, den ich erlebt habe. Die ſchwere Betruͤbniß meiner Seele und die innerliche Angſt preßten mir, unglaublich zu ſagen, blutigen Schweiß aus. “
Er kannte die Natur eines Conclaves genugſam, um ſich weiter keine Hoffnung zu machen. Seine Freunde ha - ben ihn ſpaͤter noch einmal auf die Wahl gebracht: aber es war nur ein hoffnungsloſer Verſuch.
Auch die Spanier ſelbſt hatten hiemit verloren. Der Koͤnig hatte fuͤnf Namen genannt, keiner von allen konnte durchgeſetzt werden. Man mußte endlich zu dem ſechſten ſchreiten, der von den Spaniern als uͤberzaͤhlig bezeichnet worden war.
Mehr ſeinem Verbuͤndeten Montalto zu Gefallen als aus eigener Bewegung hatte nemlich der Koͤnig auch noch Cardinal Aldobrandini genannt, eine Creatur Sixtus V, den er vor dem Jahre ſelbſt ausgeſchloſſen hatte. Auf dieſen kam man jetzt als den einzig moͤglichen zu - ruͤck. Er war, wie man denken kann, Montalto’n er - wuͤnſcht: die Spanier konnten, weil er doch mit genannt worden, nichts gegen ihn ſagen: auch den Uebrigen war er nicht unwillkommen, im Allgemeinen beliebt: ſo ward231Wahl Clemens VIII. er denn ohne vielen Widerſtand gewaͤhlt: 20. Jan. 1592. Er nannte ſich Clemens VIII.
Es iſt immer ſonderbar, wie es hiebei den Spaniern ging. Sie hatten Montalto auf ihre Seite gebracht, um einen von den Jahren durchzuſetzen: eben dieſe Verbindung machte jedoch, daß ſie ſelbſt dazu helfen mußten, einen Freund Montaltos, eine Creatur Sixtus V. auf den Thron zu bringen.
Wir bemerken, daß hiemit in dem Gange der Papſt - wahlen eine Veraͤnderung eintrat, die wir nicht als unbe - deutend betrachten duͤrfen. Seit langer Zeit waren einan - der immer Maͤnner von entgegengeſetzten Factionen nachge - folgt. Auch jetzt war wohl daſſelbe geſchehen, drei Mal hatten die Geſchoͤpfe Sixtus V. zuruͤckſtehn muͤſſen: aber die Gewaͤhlten hatten doch nur eine ſehr voruͤbergehende Macht genoſſen, und keine neue ſtarke Faction bilden koͤnnen: Todesfaͤlle, Leichenzuͤge, neue Conclaven waren auf einander gefolgt. Der Erſte, der den Stuhl wieder mit voller Lebenskraft beſtieg, war Clemens VIII. Es folgte eine Regierung der nemlichen Partei, welche zuletzt laͤnger geherrſcht hatte.
Die allgemeine Aufmerkſamkeit war nun darauf ge - richtet, wer der neue Gewalthaber ſey, was ſich von ihm erwarten laſſe.
Clemens VIII. war im Exil geboren. Sein Vater Salveſtro Aldobrandino, von angeſehenem florentiniſchen Geſchlecht, aber ein lebhafter und thaͤtiger Gegner der Me - dici, war bei dem endlichen Siege dieſes Hauſes im Jahre 1531 vertrieben worden und hatte ſein Fortkommen im232Buch VI. Innere Streitigkeiten.Auslande ſuchen muͤſſen1)Varchi: Storia Fiorentina III, 42, 61. Mazzuchelli: Scrittori d’Italia I, I, p. 392 hat wie gewoͤhnlich einen ſehr flei - ßigen und belehrenden Artikel bei dieſem Namen: vollſtaͤndig aber iſt er nicht. Unter andern fehlt ſogleich ſeine venezianiſche Thaͤtig - keit, mit deren Erwaͤhnung Joh. Delfino ſeine Relation beginnt, ſo daß ſich an der Sache nicht zweifeln laͤßt: Silvestro Aldobrandini ne’ tempi della ribellione di Firenze cacciato da quella città se ne venne qui, riformò li nostri statuti e rivedde le leggi et or - dini della republica. . Er war Doctor der Rechte, und hatte fruͤher einmal zu Piſa Vorleſungen gehalten: jetzt finden wir ihn bald in Venedig, wo er an der Ver - beſſerung des venezianiſchen Statuts Antheil hat, oder eine Ausgabe der Inſtitutionen beſorgt, bald in Ferrara oder Urbino im Rathe und Gericht der Herzoͤge, am laͤngſten in Dienſten bald des einen bald des andern Cardinals, und an deren Stelle mit der Rechtspflege und der Verwaltung in irgend einer kirchlichen Stadt beauftragt. Am meiſten viel - leicht zeichnet es ihn aus, daß er bei dieſem unſtaͤten Leben fuͤnf vortreffliche Soͤhne zu erziehen wußte. Der geiſtreichſte von ihnen mag der aͤlteſte, Johann, geweſen ſeyn, den man den Wagenlenker des Hauſes nannte: er brach die Bahn, und auf dem Wege juridiſcher Wuͤrden ſtieg er im Jahre 1570 zum Cardinalat: waͤre er laͤnger am Leben geblieben, ſo wuͤrde er, glaubt man, Hoffnung zur Tiare gehabt ha - ben. Bernardo erwarb ſich im Waffenhandwerk Anſehen; Tommaſo war ein guter Philolog, die Ueberſetzung die er von Diogenes Laertius verfaßt hat, iſt oͤfter abgedruckt worden; Pietro galt fuͤr einen ausgezeichneten praktiſchen Juriſten. Der juͤngſte, Ippolyto, im Jahre 1536 zu Fano geboren2)In dem libro di battesmo della parochia cattedrale di, machte dem Vater anfangs einige Sorgen: er233Clemens VIII. fuͤrchtete ihm die Erziehung, deren ſein Talent wuͤrdig war, nicht geben zu koͤnnen. Aber einmal nahm ſich Cardinal Aleſſandro Farneſe des Knaben an, und bewilligte ihm eine jaͤhrliche Unterſtuͤtzung aus den Einkuͤnften ſeines Bis - thums Spoleto: dann befoͤrderte ihn das aufkommende Gluͤck ſeiner Bruͤder von ſelbſt. Er gelangte bald in die Praͤlatur, hierauf in die Stelle ſeines aͤlteſten Bruders in dem Gerichtshof der Rota; Sixtus V. ernannte ihn zum Cardinal, und uͤbertrug ihm eine Sendung nach Po - len. Durch dieſe kam er zuerſt mit dem Hauſe Oeſt - reich in eine gewiſſe Verbindung. Das geſammte Haus ſah es als einen Dienſt an, daß der Cardinal, der ſich dabei ſeiner Autoritaͤt mit Ruͤckſicht und zum Ziele fuͤh - render Klugheit bediente, den Erzherzog Maximilian aus der Gefangenſchaft befreiete in der ihn die Polen hielten. Als ſich Philipp II. entſchloß eine Creatur Sixtus V. als uͤberzaͤhligen Candidaten zu nennen, ſo war dieß der Grund, um deſſen willen er den Aldobrandino Andern vor - zog. So gelangte der Sohn eines heimathloſen Fluͤcht - lings, von dem man einen Augenblick gefuͤrchtet hatte, er werde ſein Lebelang Schreiberdienſte verrichten muͤſſen, zur hoͤchſten Wuͤrde der katholiſchen Chriſtenheit.
Nicht ohne Genugthuung wird man in der Kirche della Minerva zu Rom das Denkmal betrachten, das Salveſtro Aldobrandino dort der Mutter einer ſo herrlichen Schaar von Soͤhnen errichtet hat, — „ ſeiner theuren Frau Leſa aus dem Hauſe Deti, mit der er ſieben und dreißig Jahre eintraͤchtig gelebt. “
2)Fano heißt es: a dì 4 Marzo 1536 fu battezato un putto di Mr Salvestro, che fu luogotenente qui: hebbe nome Ippolyto.
234Buch VI. Innere Streitigkeiten.Die ganze Thaͤtigkeit nun, die einem aus mancherlei Noth emporſtrebenden Geſchlechte eigen iſt, brachte der neue Papſt in ſein Amt. Fruͤh waren die Sitzungen: Nachmittags die Audienzen1)Bentivoglio: Memorie I, p. 54 hat die ganze Ordnung einer Woche.: alle Informationen wurden angenommen und durchgeſehen: alle Ausfertigungen erſt ge - leſen und beſprochen: Rechtsgruͤnde aufgeſucht, fruͤhere Faͤlle verglichen: nicht ſelten zeigte ſich der Papſt unterrichteter als die vortragenden Referendare; er arbeitete eben ſo ange - ſtrengt wie fruͤher, als er noch Auditor di Rota war: den Einzelheiten der innern Staatsverwaltung, perſoͤnlichen Ver - haͤltniſſen widmete er nicht mindern Antheil, als der euro - paͤiſchen Politik, oder den großen Intereſſen der geiſtlichen Macht. Man fragte, woran er wohl Gefallen finde: die Antwort war, an allem oder an nichts2)Relatione al cardl d’Este 1599. MS Fosc. Er fuͤhre Kriege wie Julius II, er baue wie Sixtus V, er reformire wie Pius V, er wuͤrze dabei ſeine Geſpraͤche mit Witz. Dann kommt folgende Schilderung. Di complession flemmatico e sanguigno, ma con qualche mistura di colera, di corporatura carnoso e grasso, di costumi gravi e modesti, di maniera dolce et affabile, nel moto tardo, nelle attioni circonspetto, nell’ esecutioni cuntatore: quando non risolve, premedita. — E tenace del secreto, cupo nei pensieri, industrioso nel tirarli al fine. .
Dabei haͤtte er ſich in ſeinen geiſtlichen Pflichten nicht die mindeſte Nachlaͤſſigkeit zu Schulden kommen laſſen. Alle Abend empfing Baronius ſeine Beichte: alle Morgen cele - brirte er die Meſſe ſelber: Mittags ſpeiſten wenigſtens in den erſten Jahren immer zwoͤlf Arme in Einem Zimmer mit ihm und an Freuden der Tafel war nicht zu denken:235Clemens VIII. Freitag und Sonnabend ward uͤberdieß gefaſtet. Hatte er dann die ganze Woche gearbeitet, ſo war des Sonntags ſeine Erholung ſich einige fromme Moͤnche oder die Vaͤ - ter der Vallicella kommen zu laſſen, um mit ihnen uͤber tiefere geiſtliche Fragen zu ſprechen. Der Ruf von Tu - gend, Froͤmmigkeit, exemplariſchem Leben, den er ſchon im - mer genoſſen, vermehrte ſich ihm bei dieſer Art zu ſeyn außerordentlich. Er wußte es, und wollte es. Eben dieſer Ruf erhoͤhte ſein oberhirtliches Anſehn.
Denn in allen Stuͤcken verfuhr dieſer Papſt mit ſelbſt - bewußter Bedachtſamkeit. Er arbeitete gern, er war eine von jenen Naturen, denen aus der Arbeit neue Kraft ent - ſpringt: aber er that es doch nicht ſo leidenſchaftlich, daß er nicht ſeinen Fleiß mit regelmaͤßiger Bewegung unterbro - chen haͤtte1)Venier: Relatione di Roma 1601. La gotta molto meno che per l’inanzi li da molestia al presente per la sua bona re - gola di viver, nel quale da certo tempo in qua procede con grandissima riserva, e con notabile astinenza nel bere: che le giova anco moltissimo a non dar fomento alla grassezza, alla quale è molto inclinata la sua complessione, usando anco per questo di frequentare l’esercitio di caminar longamente sempre che senza sconcio de’ negozi conosce di poterlo fare, ai quali nondimeno per la sua gran capicità supplisce. . So konnte er wohl auch auffahren, heftig, bitter werden, jedoch wenn er ſah, daß der Andere zwar vor der Majeſtaͤt des Papſtthums ſchwieg, aber vielleicht in ſeinen Mienen Entgegnung und Mißbehagen ausdruͤckte, ging er in ſich und ſuchte es wieder gut zu machen. Man ſollte an ihm nichts wahrnehmen, als was ſich ziemte, was mit der Idee eines guten, frommen und weiſen Man - nes uͤbereinkam2)Delfino: Si va conoscendo certo che in tutte le cose si.
236Buch VI. Innere Streitigkeiten.Fruͤhere Paͤpſte hatten wohl aller Geſetze uͤberhoben zu ſeyn geglaubt, die Verwaltung der hoͤchſten Wuͤrde in Genuß zu verwandeln geſucht: der Geiſt der damaligen Zeit ließ das nicht mehr zu. Die Perſoͤnlichkeit mußte ſich fuͤgen, zuruͤcktreten: das Amt war alles. Ohne ein der Idee deſſelben entſprechendes Betragen haͤtte man es weder erlangt noch verwalten koͤnnen.
Es liegt am Tage, daß hiemit die Kraft des Inſti - tutes ſelber unendlich wuchs. So lange allein ſind menſch - liche Inſtitutionen uͤberhaupt ſtark, als ihr Geiſt in den Lebenden wohnt, in den Inhabern der Gewalt, die ſie ſchaf - fen, ſich zugleich darſtellt.
Und nun fragte es ſich vor allem, wie dieſer Papſt, ſo voll von Talent, Thaͤtigkeit und Kraft, und uͤbrigens ohne Tadel, die wichtigſte Frage die es in Europa gab, die franzoͤſiſche, verſtehn, behandeln wuͤrde.
Sollte er ſich, wie ſeine unmittelbaren Vorgaͤnger un - bedingt an Spanien anſchließen? Er hatte dazu weder Ver - pflichtung in ſeinen bisherigen Verhaͤltniſſen noch auch Nei - gung. Es entging ihm nicht, daß die ſpaniſche Uebermacht auch das Papſtthum druͤcken, und es beſonders ſeiner poli - tiſchen Unabhaͤngigkeit berauben werde.
Oder ſollte er die Partei Heinrichs IV. ergreifen? 2)move S. Stà con gran zelo dell’ onor di dio e con gran desi - derio del ben publico. 237Abſolution Heinrichs IV. Es iſt wahr, dieſer Koͤnig machte Miene katholiſch zu wer - den. Aber ein ſolches Verſprechen war leichter gegeben als ausgefuͤhrt: noch immer war er Proteſtant: Clemens VIII. haͤtte gefuͤrchtet betrogen zu werden.
Wir ſahen, wie Sixtus V. unentſchieden zwiſchen die - ſen Moͤglichkeiten ſchwankte, und wie große Mißverhaͤlt - niſſe ſich daran knuͤpften. Noch war die zelotiſche Partei ſo ſtark wie jemals in Rom. Der neue Papſt durfte ſich ih - rer Abneigung, ihrem Widerſtand nicht ausſetzen.
So umgaben ihn Schwierigkeiten auf allen Seiten. In ihrer Mitte huͤtete er ſich wohl ſich in Worten bloß zu geben, die ſchlummernden Feindſeligkeiten zu erwecken. Nur an ſeinen Thaten, ſeinem Verfahren koͤnnen wir nach und nach ſeine Geſinnung abnehmrn.
Als er zur Gewalt kam, hatte der paͤpſtliche Stuhl einen Legaten in Frankreich der fuͤr ſpaniſch geſinnt galt, ein Heer welches angewieſen war Heinrich IV. zu bekaͤm - pfen: der Ligue wurden Subſidien gezahlt. Der neue Papſt konnte daran nichts aͤndern. Haͤtte er ſeine Subſidien ein - ſtellen, ſein Heer zuruͤckziehen, ſeinen Legaten abberufen wol - len, ſo wuͤrde er den Ruf ſeiner Rechtglaͤubigkeit gefaͤhr - det, er wuͤrde ſich herbern Bitterkeiten ausgeſetzt haben, als Papſt Sixtus erfahren hatte. Allein er war auch weit entfernt dieſe Anſtrengungen zu vermehren, ihnen einen neuen Schwung zu geben. Eher hat er nach und nach, bei guͤnſtiger Gelegenheit, einiges daran ermaͤßigt, einge - ſchraͤnkt.
Gar bald aber ſah er ſich zu einem Schritte von un - zweideutigerem Sinne aufgefordert.
238Buch VI. Innere Streitigkeiten.Noch im Jahre 1592 ſchickte Heinrich IV. den Car - dinal Gondi nach Italien mit dem Auftrage ſich auch nach Rom zu verfuͤgen. Taͤglich mehr neigte ſich der Koͤ - nig zu dem Katholicismus: aber ſein Sinn war, wie es ſcheint, ſich mehr durch eine Art von Vertrag unter der Vermittelung von Toscana und Venedig mit der katholi - ſchen Kirche wiederzuvereinigen, als durch Unterwerfung. — Und war nicht auch dieß fuͤr den Papſt ſehr annehm - lich? War nicht der Ruͤcktritt des Koͤnigs alle Mal ein großer Gewinn, auf welche Art er auch geſchehen mochte? Clemens hielt es deſſenungeachtet fuͤr nothwendig nicht darauf einzugehn, Gondi nicht anzunehmen. Zu große Un - annehmlichkeiten uͤberdieß ohne allen Nutzen hatte die An - weſenheit Luxemburgs fuͤr Sixtus V. zur Folge gehabt. Er ſchickte einen Moͤnch, Fra Franceschi, nach Florenz, wo der Cardinal bereits eingetroffen, um demſelben an - zukuͤndigen, daß er in Rom nicht angenommen werden koͤnne. Es war dem Papſt ganz recht, daß der Cardinal, daß ſelbſt der Großherzog ſich beklagte: er wuͤnſchte mit ſeiner Weigerung Aufſehen, Geraͤuſch zu erregen. Es iſt dieß jedoch nur die eine Seite der Sache. Den Koͤ - nig verdrießlich zu machen, eine Annaͤherung zur Verſoͤh - nung ganz von ſich zu weiſen konnte auch nicht die Mei - nung des Papſtes ſeyn. In den venezianiſchen Nachrich - ten findet ſich, Fra Franceschi habe ſeiner officiellen An - kuͤndigung doch zugleich hinzugefuͤgt: er glaube wohl, pri - vatim und insgeheim werde der Cardinal angenommen wer - den1)Dispaceio Donato 23 Ott. 1592 aus einer Relation die. Es ſcheint faſt, als ſey Gondi wirklich in Rom239Abſolution Heinrichs IV. geweſen: der Papſt ſoll ihm geſagt haben, er muͤſſe mehr als einmal an ſeine Thuͤre klopfen laſſen. Wenigſtens iſt gewiß, daß ein Agent Gondis ſich nach Rom begab und nachdem er mehrere Conferenzen gehabt, dem venezia - niſchen Geſandten erklaͤrte, er habe Gott ſey Dank alle Urſache Hoffnung zu ſchoͤpfen, zufrieden zu ſeyn1)Ibid. „ dopo aver lassato sfogar il primo moto della alteration di S. Beat. “, mehr aber duͤrfe er nicht ſagen. Mit einem Worte: der oͤf - fentlichen Ablehnung ſtand eine geheime Annaͤherung zur Seite. Clemens VIII. wollte weder die Spanier beleidigen, noch auch Heinrich IV. abſtoßen. Auf beide Zwecke war ſein Betragen berechnet.
In dem hatte ſich ſchon eine neue noch bei weitem wich - tigere Frage herausgeſtellt.
Im Januar 1593 verſammelten ſich die Staͤnde von Frankreich, in ſo fern ſie zur liguiſtiſchen Partei gehoͤrten, um zur Wahl eines neuen Koͤnigs zu ſchreiten. Da der Grund zur Ausſchließung Heinrichs IV. allein in der Re - ligion lag, ſo hatte der paͤpſtliche Legat eine ungewoͤhnliche Autoritaͤt. Es war noch Sega, Biſchof von Piacenza, wel - chen Gregor XIV. erwaͤhlt hatte, ein Mann von der ſpaniſch-kirchlichen Tendenz jener Regierung. Clemens hielt es fuͤr noͤthig, ihm eine beſondere Inſtruction zugehn zu laſſen. In derſelben ermahnt er ihn darauf zu ſehen, daß weder Gewalt noch Beſtechung Einfluß auf die Stim -1)dem florentiniſchen Geſandten Niccolini gemacht worden. Fra Fran - ceschis Erklaͤrung war: „ che crede che il papa l’admetteria, ma che vuole levare li cattolici fuori di dubio et ogni ombra che admettendolo riceve ambasceria di Navarra. “240Buch VI. Innere Streitigkeiten.men bekomme: er beſchwoͤrt ihn, in einer ſo wichtigen Sache ſich vor aller Uebereilung zu huͤten1)Einen Auszug aus dieſer Inſtruction hat Davila XIII, p. 810. .
Eine Anmahnung, die fuͤr einen Geſandten, welcher ſich verpflichtet geglaubt haͤtte die Winke ſeines Fuͤrſten zu befolgen bedeutend geweſen ſeyn wuͤrde, die ſich aber doch viel zu ſehr im Allgemeinen hielt, als daß ſie einen geiſtli - chen Herrn, der ſeine Befoͤrderung mehr von Spanien als von dem Papſt erwartete, von einer Partei haͤtte abzie - hen ſollen, der er von jeher zugehoͤrt, die er fuͤr die recht - glaͤubige hielt. Der Cardinal Sega aͤnderte darum ſein Verfahren nicht im mindeſten. Noch am 13. Juni 1593 erließ er eine Erklaͤrung, in der er die Staͤnde aufforderte einen Koͤnig zu waͤhlen, der nicht allein ein wahrhafter Ka - tholik, ſondern auch entſchloſſen und geeignet ſey die Anſtren - gungen der Ketzer zu vernichten. Das ſey die Sache, die S. Heiligkeit in der Welt am meiſten wuͤnſche2)„ qu’il ait le courage et les autres vertus requises pour pouvoir heureusement reprimer et anéantir du tout les efforts et mauvais desseins des heretiques. C’est la chose du monde que plus S. S. presse et desire. (Bei Cayet 58, 351)..
Mit jener Inſtruction des Papſtes iſt es nicht an - ders als mit ſeinen uͤbrigen Schritten. Er haͤlt ſich im Allgemeinen zu der kirchlich-ſpaniſchen ſtreng orthodoxen Partei. Er thut das zwar nicht mit jener Leidenſchaft und Hingebung, welche andern Paͤpſten eigen geweſen: ſind dieſe Eigenſchaften uͤberhaupt in ihm, ſo ſind ſie doch nur im Verborgenen wirkſam: es iſt ihm genug ruhig und ohne Ta -del,241Abſolution Heinrichs IV. del, wie es die Ordnung des Geſchaͤftes erfordert, auf der Seite auszuharren, welche einmal ergriffen iſt, und mit der Idee ſeines Amtes die meiſte Analogie hat. Nur das laͤßt ſich bemerken, daß er auch die andere Partei nicht ganz von ſich ſtoͤßt, ſie nicht zu entſchiedener Feindſeligkeit bringen moͤchte. Mit geheimer Naͤherung, indirecten Aeußerungen haͤlt er ſie in der Ausſicht einſtiger Verſoͤhnung: er thut den Spaniern genug, doch duͤrfen die Gegner ſich uͤberre - den, daß ſeine Handlungen nicht ganz frei, daß ſie eben hauptſaͤchlich aus Ruͤckſicht auf die Spanier ſo und nicht anders ſeyen. In Sixtus waren es entgegengeſetzte Ge - muͤthsbewegungen, was ihn zuletzt an entſchloſſenem Ein - greifen verhinderte: in Clemens iſt es Ruͤckſicht nach bei - den Seiten, Klugheit, welterfahrene, Feindſeligkeiten ver - meidende Circumſpection. Aber allerdings erfolgt, daß auch er keinen entſcheidenden Einfluß ausuͤbt.
Um ſo mehr ſich ſelbſt uͤberlaſſen, entwickelten ſich die franzoͤſiſchen Angelegenheiten nach ihren eigenen innern Trieben.
Das Wichtigſte war, daß ſich die Haͤupter der Ligue entzweiten. Die Sechszehn ſchloſſen ſich enge an Spanien: Mayenne verfolgte Zwecke eines perſoͤnlichen Ehrgeizes. Die Sechszehn wurden um ſo eifriger: ſie ſchritten zu den grauſamſten Attentaten gegen ihre vermeinten oder wahr - haften Abtruͤnnigen, z. B. der Ermordung des Praͤſidenten Briſſon: Mayenne hielt fuͤr gut ſie dafuͤr zu zuͤchtigen und ihre wildeſten Anfuͤhrer hinrichten zu laſſen. Von dieſem Zwieſpalt beguͤnſtigt erhob ſich, ſchon ſeit dem An - fange des Jahres 1592, eine zwar katholiſche, aber denPäpſte* 16242Buch VI. Innere Streitigkeiten.bisherigen Beſtrebungen der Ligue, vor allem den Sechzehn und den Spaniern entgegengeſetzte, politiſch und kirchlich gemaͤßigte Geſinnung auch in Paris. Es ward eine Ver - bindung geſchloſſen, nicht viel anders als die Ligue ſelbſt, welche ſich zum Ziel ſetzte, vor allem die Aemter der Stadt in die Haͤnde gemaͤßigter, einverſtandener Maͤnner zu brin - gen, und dieß im Laufe jenes Jahres ziemlich durchfuͤhrte1)Cayet lib. IV (tom. 58, p. 5) theilt die Propoſitionen mit, die in der erſten Verſammlung gemacht wurden.. Aehnliche Tendenzen zeigten ſich in dem ganzen Reiche. Sie hatten an dem Ausfalle der Wahlen fuͤr den Reichstag ſchon einen großen Antheil. Daher kam es, daß die Spa - nier mit allen ihren Vorſchlaͤgen hier einen ſo nachhaltigen Widerſtand fanden. Waͤhrend die wilden Prediger noch Jedermann fuͤr excommunicirt erklaͤrten, der nur von Friede mit dem Ketzer, auch wenn er zur Meſſe gehe, reden wuͤrde, erneuerte das Parlement die Erinnerung an die Grundge - ſetze des Landes, durch welche fremde Prinzen von dem Throne ausgeſchloſſen ſeyen: es ließ ſich nicht verkennen, daß dieſe ganze Partei, die man die politiſche nannte, nur die Bekehrung Heinrichs IV. erwartete, um ſich ihm zu unterwerfen.
Welcher Unterſchied war dann noch zwiſchen ihnen und den katholiſchen Royaliſten in dem Lager Heinrichs IV? Der einzige, daß Jene vor ihrer Unterwerfung einen Schritt gethan ſehen wollten, den Dieſe abwarten zu koͤnnen ge - glaubt hatten. Denn darin waren auch die katholiſchen Royaliſten einmuͤthig, daß der Koͤnig zu ihrer Kirche zu - ruͤckkehren muͤſſe, obwohl ſie ſein Recht, ſeine Legitimitaͤt243Abſolution Heinrichs IV. nicht davon abhaͤngig machten. Vielleicht auch aus Wider - willen gegen die Proteſtanten in der Umgebung des Koͤnigs drangen ſie immer ernſtlicher darauf: die Prinzen von Ge - bluͤt, die angeſehenſten Staatsmaͤnner, der groͤßte Theil des Hofes vereinigten ſich zu jenem Tiers-parti, deſſen unterſcheidender Charakter in dieſer Forderung lag1)So wird er bei Sully geſchildert V, 249. .
Sobald die Sachen dieſe Geſtalt angenommen hatten, ſah Jedermann, und die Proteſtanten ſelbſt laͤugneten es nicht, daß Heinrich, wenn er Koͤnig ſeyn wolle, katholiſch werden muͤſſe. Es iſt nicht noͤthig die Anſpruͤche Derje - nigen zu unterſuchen, die den letzten Anſtoß dazu gegeben zu haben behaupten. Das Meiſte that die große Combi - nation: die Nothwendigkeit der Dinge2)Daß Heinrich im April 1593 dazu entſchloſſen war, beweiſt ſein Schreiben an den Großherzog von Toscana vom 26ſten d. M. Galluzzi: Storia del granducato s. V p. 160. . Indem Hein - rich jetzt den Act vollzog, durch welchen er zum Katholi - cismus uͤbertrat, geſellte er ſich jener nationalfranzoͤſiſchen katholiſchen Geſinnung zu, welche ſich im Tiers-parti und der politiſchen Partei darſtellte, und welche jetzt die Ausſicht hatte die Herrſchaft in Frankreich zu behaupten.
Es war dieß aber im Grunde doch nur eben jene katholiſche Oppoſition, die ſich den kirchlich-ſpaniſchen Unternehmungen gegenuͤber um die Fahne der Legitimitaͤt und der nationalen Unabhaͤngigkeit geſammelt hatte. Wie gewaltig war ſie nun in Macht und Anſehen gewachſen! In der Meinung bes Landes hatte ſie ohne Zweifel das Uebergewicht: uͤber ganz Frankreich hin bekannte man ſich,16*244Buch VI. Innere Streitigkeiten.wenn nicht offen, doch insgeheim zu ihr: durch den Ue - bertritt des Fuͤrſten bekam ſie jetzt eine feſte innere Hal - tung, eines Fuͤrſten der uͤberdieß ſo kriegeriſch, muthig und ſiegreich war. So gewachſen erſchien ſie aufs neue vor dem Papſt und bat ihn um ſeine Anerkennung, ſeinen Segen. Welch ein Ruhm, welch eine Wirkſamkeit, wenn er ſich nun wenigſtens unumwunden fuͤr ſie erklaͤrte. Noch kam ſo viel darauf an. Die Praͤlaten ſelbſt, welche den Koͤnig in den Schooß der Kirche aufgenommen, hatten dieß doch nur mit Vorbehalt einer paͤpſtlichen Abſolution ge - than1)Messieurs du clergé luy avoient donné l’absolution à la charge qu’il envoyeroit vers sa Sté la requerir d’approuver ce qu’ils avoient fait. Cayet: 58, 390. . Auf dieſe provocirten die maͤchtigſten Mitglieder der Ligue, mit denen der Koͤnig Unterhandlungen eroͤffnete2)Villeroy Mémoires. Coll. univ. 62, 186. . Obwohl Verſprechungen nicht immer gehalten werden, ſo laͤßt ſich doch nicht zweifeln, daß die Abſolution des Pap - ſtes, in dieſem Momente ertheilt, in den Gang der Ange - legenheiten maͤchtig eingegriffen haben wuͤrde. Heinrich IV. ſandte einen Großen des Reiches, den Herzog von Nevers, ihn darum zu erſuchen. Es ward ein Stillſtand geſchloſ - ſen, um die Antwort abzuwarten.
Der Papſt war mißtrauiſch unb bedenklich. Wie die Hoffnungen religioͤſen Ehrgeizes Sixtus V. entflammt, ſo hielt die Beſorgniß betrogen zu werden, Unannehmlichkei - ten zu erleben Clemens VIII. zuruͤck. Er meinte noch im - mer, Heinrich IV. werde zuletzt vielleicht wieder zum Pro - teſtantismus zuruͤckkehren, wie er es ſchon einmal gethan:245Abſolution Heinrichs IV. er erklaͤrte, er wuͤrde nicht glauben, daß der Koͤnig gut be - kehrt ſey, wenn nicht ein Engel vom Himmel komme und es ihm ins Ohr ſage: — er ſah um ſich her, und fand den groͤßten Theil der Curie noch immer den Franzoſen ab - geneigt: von Zeit zu Zeit erſchien noch eine Flugſchrift, in der man die Behauptung wiederholte, Heinrich IV. koͤnne als ein Haͤreticus relapſus ſelbſt nicht einmal von dem Papſte losgeſprochen werden: den Spaniern, die an der Spitze dieſer Meinung ſtanden, fuͤhlte Clemens noch immer kei - nen Muth entgegenzutreten1)Les intimidations qui furent faites au pape Clement VIII par le duc de Sessa: doch nicht ſehr authentiſch und vorlaͤngſt in den Mémoires de mr le duc de Nevers II, p. 716 gedruckt, in Capefigue Histoire de la réforme tom. VII jedoch als etwas neues mitgetheilt.. Und war nicht die Partei, die ihn um ſeine Gnade erſuchte, doch in der That im Gegenſatz gegen die Anſpruͤche der roͤmiſchen Kirche begrif - fen? — „ die Ungetreuen der Krone und der Kirche “, wie er ſich ausdruͤckte, „ Baſtarde, Kinder der Magd und nicht der Hausfrau: waͤhrend die Liguiſten ſich als echte Soͤhne ausgewieſen “2)Disp. 20 Ag. 1593. Nachricht von der Bekehrung Hein - richs. II papa non s’era per tali avisi molto alterato e tuttavia restava con l’animo molto involto nelli suoi soliti dubbj e per - plessità. Dem venezianiſchen Geſandten ſagt er, Heinrich ſey und bleibe ein haereticus relapsus, man koͤnne auf ſeine Aenderung ſich nicht verlaſſen.. Gewiß, es haͤtte auch dieſſeit noch immer ein Entſchluß dazu gehoͤrt ihre Bitte zu gewaͤhren: Cle - mens konnte ſich noch nicht dazu ermannen3)Relatio dictorum a Clemente VIII papa die 28 dec. 1593 in consistorio. Mém. de Nevers II, 638. . Nevers trat in Rom mit dem doppelten Selbſtgefuͤhl eines hohen246Buch VI. Innere Streitigkeiten.Ranges und der Bedeutung ſeiner Miſſion auf: er zwei - felte nicht, daß er mit Freuden werde angenommen werden: in dieſem Sinne druͤckte er ſich aus: in demſelben Tone war auch das Schreiben des Koͤnigs abgefaßt, das er mitbrachte. Der Papſt fand, es laute als ſey der Koͤnig nicht allein lange katholiſch, ſondern als komme er wie ein zweiter Carl der Gr. von einem Siege uͤber die Feinde der Kirche zuruͤck. Nevers erſtaunte ganz, wie kalt er empfangen ward, wie wenig er mit ſeinen Antraͤgen Gehoͤr fand. Da alles ver - geblich war, fragte er endlich den Papſt, was der Koͤ - nig thun ſolle um die Gnade Seiner Heiligkeit zu verdie - nen. Der Papſt entgegnete: es gebe in Frankreich Theo - logen genug, um es ihm anzugeben. „ Wird aber Eure Heiligkeit damit zufrieden ſeyn, was die Theologen ſagen? “ Der Papſt weigerte ſich darauf zu antworten. Nicht ein - mal als Botſchafter Heinrichs wollte er ihn betrachten, ſondern nur als Louis Gonzaga, Herzog von Nevers: alles was zwiſchen ihnen geſprochen worden, wollte er nicht als eine amtliche Unterhandlung, ſondern nur als ein privates Zwiegeſpraͤch angeſehn wiſſen: er war nicht dazu zu brin - gen eine ſchriftliche Reſolution von ſich zu geben. „ Es bleibt mir nichts uͤbrig “, ſagte Nevers dem Cardinal To - ledo, der ihm dieſe Willensmeinung des Papſtes hinter - brachte, „ als das Ungluͤck zu beklagen, das die Wuth der Soldaten bei wieder ausbrechendem Kriege uͤber Frankreich bringen wird. “ Der Cardinal ſagte kein Wort: er laͤ - chelte. Nevers verließ Rom und machte ſeinem Unmuth in bittern Relationen Luft1)Zwei Schriften, aber faſt durchaus des nemlichen Inhal -.
247Abſolution Heinrichs IV.Der Menſch hat in der Regel nur Gefuͤhl fuͤr ſeine perſoͤnliche Stellung. Die roͤmiſche Curie weiß nur was ihr ſelber frommt: eine wahre Theilnahme an dem Schick - ſale von Frankreich finden wir nicht bei ihr.
Zwar kennen wir dieſen Papſt genug um zu glauben, daß er die Anhaͤnger Heinrichs nicht ganz von ſich geſto - ßen haben wird, jetzt noch viel weniger als fruͤher, da ſie um ſo vieles maͤchtiger waren. Einem geheimen Agen - ten gab er vielmehr die Verſicherung, der Koͤnig moͤge ſich nur erſt vollkommen katholiſch zeigen, dann werde es an einer Abſolution nicht fehlen. Es bezeichnet ihn, daß er, der oͤffentlich ſo entſchieden ablehnte an der Ruͤckkehr des Koͤnigs zum katholiſchen Glauben Antheil zu nehmen, den Großherzog von Toscana insgeheim wiſſen ließ, bei alle dem koͤnne er nichts dagegen haben, was der Clerus in Frankreich thun wolle. Auch jetzt mußte der Großherzog den Oberhaͤuptern der katholiſchen Royaliſten beguͤtigende Erklaͤrungen des Papſtes mittheilen1)Davila lib. XIV, p. 939. . Aber mit alle dem ſorgte er eigentlich nur fuͤr ſeine eigene Zukunft: in Frank - reich gingen deshalb doch die Dinge wie ſie konnten.
Der Stillſtand war abgelaufen: das Schwert ward wieder gezogen: es kam nochmals auf das Kriegsgluͤck an.
Jetzt aber entſchied ſich die Ueberlegenheit Heinrichs IV. 1)tes: Discours de ce que fit mr de Nevers a son voyage de Rome en l’année 1593 und Discours de la legation de mr le duc de Nevers: beide im zweiten Bande der angefuͤhrten Memoiren von Nevers, die erſte ziemlich woͤrtlich bei Cayet. Auszuͤge bei Thuan, Davila und neuerdings, gleich als aus unbekannten Acten gezogen, bei Capefigue.248Buch VI. Innere Streitigkeiten.auf der Stelle. Den Befehlshabern fehlte die Sicherheit der Ueberzeugung, die ihnen fruͤher eine ſo ſtarke Haltung gegeben hatte: die Lehren der Politiker, der Uebertritt des Koͤnigs, der gute Fortgang ſeines Gluͤckes hatte ſie alle in ihrem Herzen erſchuͤttert. Einer nach dem Andern ging uͤber, ohne auf den Mangel der paͤpſtlichen Abſolution zu achten. Der Befehlshaber in Meaux, dem die Spanier die Beſoldung ſeiner Truppen nicht mehr zahlten, Vitri, machte den Anfang: in Orleans, Bourges, Rouen folgte man nach. Noch kam das Meiſte darauf an, was in Pa - ris geſchehen wuͤrde. Hier hatte die politiſche, national - franzoͤſiſche Geſinnung, nach manchen Schwankungen, voͤl - lig das Uebergewicht bekommen, die beſten Familien an ſich gezogen, und die wichtigſten Stellen aus ihrer Mitte beſetzt. Die bewaffnete Buͤrgerſchaft ward bereits in ih - rem Sinne befehligt: ſo ward Hotel de Ville regiert: Pre - voſt des Marchands und Eſchevins gehoͤrten bis auf ei - nen Einzigen dieſer Meinung an. Unter dieſen Umſtaͤnden konnte die Ruͤckkehr des Koͤnigs keine Schwierigkeit mehr haben. Am 22. Merz 1594 fand ſie Statt. Heinrich IV. erſtaunte, ſich von dem Volke, das ihm ſo lange Wider - ſtand entgegengeſetzt, mit ſo vollem freudigem Lebehoch be - gruͤßt zu ſehen: er glaubte abnehmen zu duͤrfen, daß es bisher unter tyranniſcher Herrſchaft geſtanden; aber ſo ganz iſt dieß doch nicht wahr: die Geſinnung der Ligue hatte wirklich die Gemuͤther beherrſcht: jetzt aber war eine an - dere an ihre Stelle getreten. Die Ruͤckkehr des Koͤnigs war hauptſaͤchlich ein Sieg der politiſchen Meinung. Die Liguiſten erfuhren nun eine Verfolgung, wie ſie ſelber ſo249Abſolution Heinrichs IV. oft verhaͤngt hatten. Mit den ſpaniſchen Truppen verlie - ßen ſo einflußreiche Stifter und Oberhaͤupter wie der ge - walkige Boucher die Stadt: mehr als hundert Andere, die man fuͤr die Gefaͤhrlichſten hielt, wurden foͤrmlich verwie - ſen. Alle Gewalten, das geſammte Volk leiſtete den Eid der Treue: auch die Sorbonne, deren halsſtarrigſte Mit - glieder, der Rector der Univerſitaͤt ſelbſt, unter den Ver - wieſenen waren, unterwarf ſich der zur Herrſchaft gelang - ten Lehre. Wie ſo ganz anders lauteten nun ihre Beſchluͤſſe, als im Jahre 1589. Jetzt erkannte auch die Sorbonne an, daß alle Gewalt von Gott ſtamme, nach Roͤmer am 13ten, daß Jeder, der ſich dem Koͤnig widerſetze, Gott widerſtehe und in Verdammung falle. Sie verwarf die Meinung, daß man einem Koͤnig den Gehorſam verſagen koͤnne, weil er von dem Papſt noch nicht anerkannt ſey, als eine Ausſtreuung boͤsgeſinnter und uͤbelberathener Leute. Jetzt ſchwuren die Mitglieder der Univerſitaͤt ſaͤmmtlich, Rector, Decane, Theo - logen, Decretiſten, Mediciner, Artiſten, Moͤnche und Con - ventuale, Schuͤler und Beamte, Heinrich IV. Treue und Ge - horſam und verpflichteten ſich ihr Blut fuͤr ihn zu verſpruͤtzen. Ja, was mehr iſt, auf den Grund dieſer ihrer neuen Rechtglaͤubigkeit begann die Univerſitaͤt ſofort einen Feld - zug gegen die Jeſuiten. Sie machte denſelben ihre auf - ruͤhreriſchen Grundſaͤtze, die ſie freilich fruͤher ſelbſt getheilt hatte, und ihre ſpaniſche Geſinnung zum Vorwurfe. Eine Zeitlang vertheidigten ſich die Jeſuiten nicht ohne Erfolg. Da aber noch in demſelben Jahre ein Menſch, der ihre Schulen beſucht, Jean Chaſtel1)Juvencius: partis V lib. XII n. 13 gibt folgende Schil -, einen Mordverſuch250Buch VI. Innere Streitigkeiten.auf den Koͤnig unternahm, und in ſeinem Verhoͤre be - kannte, von den Jeſuiten oftmals gehoͤrt zu haben, daß man einen Koͤnig toͤdten duͤrfe der mit der Kirche nicht verſoͤhnt ſey, ſo konnten ſie dem allgemeinen Succeß der Partei, die ſie immer bekaͤmpft hatten, nicht laͤnger wider - ſtehn: kaum ward das Volk abgehalten ihr Collegium zu ſtuͤrmen: endlich wurden alle Mitglieder des Ordens als Verfuͤhrer der Jugend, Stoͤrer der oͤffentlichen Ruhe, Feinde des Koͤnigs und des Staates verurtheilt das Reich bin - nen 14 Tagen zu raͤumen1)Annuae literae societatis Jesu 1596 p. 350. Tanta su - perat adhuc praeteriti naufragii fluctuatio ut nondum tabulas omnes atque armamenta disjecta collegerimus. . So nahm die Meinung, welche ſich als Oppoſition in geringen Anfaͤngen feſtgeſetzt hatte, Paris und allmaͤhlig das Reich ein und trieb ihre Gegner von dem Kampfplatz. Allenthalben vollzogen ſich aͤhnliche Bewegungen. Taͤglich erfolgten neue Unterwerfun - gen: der Koͤnig war zu Chartres gekroͤnt und geſalbt wor - den: auf allen Kanzeln ward fuͤr ihn gebetet: die Moͤnchs - orden erkannten ihn an: er uͤbte die kirchlichen Berechtigun - gen der Krone, die ſo bedeutend ſind, ohne Widerſpruch aus. Er zeigte ſich hiebei gut katholiſch: wo der Ritus dieſer Kirche in den letzten Unruhen abgekommen war, ſuchte1)derung des Verbrechers: Indoles juveni tristis ac tetrica, mores improbi, mens anxia recordatione criminum atque unius potis - simum quod matrem aliquando verberasset. — — Conscientia criminum ultrix mentem efferatam diro vexare pergebat metu: quem ut leniret, immane parricidium impos mentis an potius erebi furiis incitatus designat, quo tanquam de religione ac regno bene meritus peccatorum veniam facilius, ut demens re - putabat, consequeretur. 251Abſolution Heinrichs IV. er ihn herzuſtellen: wo ſich derſelbe in ausſchließender Ue - bung behauptet, beſtaͤtigte er ihm dieſes Recht in feierli - chen Privilegien. Alles das that er, ohne noch mit dem Papſt verſoͤhnt zu ſeyn.
Fuͤr dieſen ward es aber nun ſelbſt zu einer dringenden Nothwendigkeit, auf die Ausſoͤhnung zu denken1)Erſt 5. Nov. 1594 findet der venezianiſche Geſandte den Papſt in franzoͤſiſchen Angelegenheiten „ meglio inclinato che nel passato “. . Haͤtte er ſich laͤnger geweigert, ſo wuͤrde ein Schisma, eine factiſch getrennte franzoͤſiſche Kirche haben entſtehn koͤn - nen.
Zwar ſetzten ſich die Spanier noch immer dagegen. Sie behaupteten, Heinrich ſey ſchlechterdings nicht wahr - haft bekehrt: ein Schisma ſey erſt recht zu fuͤrchten, wenn er die Abſolution empfangen habe2)Ossat a mr de Villeroy Rome 6 dec. 1594. Lettres d’Ossat I, 53. : ſchon gaben ſie die Gelegenheiten an, bei denen es ausbrechen muͤſſe. Fuͤr den Papſt gehoͤrte noch immer Entſchluß dazu, ſich im Wider - ſpruch mit Denen, deren Macht ihn umgab, die eine große Partei in der Curie hatten, von einer Meinung zu trennen, die fuͤr orthodox gegolten, fuͤr welche ſeine Vorfahren ihre geiſtlichen und weltlichen Waffen ſo oft in Bewegung ge - ſetzt, die er doch auch ſelbſt mehrere Jahre gebilligt hatte; allein er ſah ein, daß jeder Aufſchub verderblich werden muͤſſe, daß er von der andern Seite nichts mehr erwar - ten duͤrfe: er fuͤhlte, daß die in Frankreich emporgekommene Gewalt, wenn ſie auch in geiſtlichen Dingen einen gewiſ -252Buch VI. Innere Streitigkeiten.ſen Gegenſatz gegen die ſtrengen Doctrinen bilde, doch in den weltlichen eine offenbare Sympathie mit den roͤmiſchen Intereſſen habe: vielleicht ließ ſich jener noch beſeitigen und dieſe um ſo beſſer benutzen: genug, jetzt zeigte ſich Clemens bereitwillig, ſo wie das erſte Wort an ihn gerichtet wurde. Wir haben die Berichte des franzoͤſiſchen Bevollmaͤchtigten d’Oſſat uͤber ſeine Unterhandlungen: ſie ſind angenehm, unterrichtend, leſenswuͤrdig: aber ich finde nicht, daß er große Schwierigkeiten zu uͤberwinden gehabt haͤtte: es waͤre unnuͤtz ſeine Schritte im Einzelnen zu begleiten: die allgemeine Lage der Dinge hatte den Papſt ſchon be - ſtimmt. Es kam nur darauf an, daß der Koͤnig dagegen auch dem Papſt einige Forderungen bewilligte. Die Un - guͤnſtigen haͤtten dieſe gern ſo hoch als moͤglich geſteigert: denn der groͤßten Sicherheiten beduͤrfe die Kirche in dieſem Falle: der Papſt blieb bei ertraͤglichern ſtehn. Er forderte beſonders die Herſtellung des Katholicismus in Bearn: die Einfuͤhrung des Concils von Trient, ſo weit es mit den Geſetzen des Landes vereinbar ſey: genaue Beobachtung des Concordates: die Erziehung des praͤſumtiven Thronerben, des Prinzen Condé, im katholiſchen Glauben. Auch fuͤr den Koͤnig blieb es noch allemal ſehr wuͤnſchenswerth ſich mit dem roͤmiſchen Stuhle zu verſoͤhnen. Seine Macht beruhte auf ſeinem Uebertritt zum Katholicismus: erſt durch die Abſolution des Papſtes erhielt dieſer Act vollſtaͤndige Be - glaubigung: wiewohl bei weitem die Meiſten ſich gefuͤgt, ſo gab es doch immer noch Einige, die den Mangel der - ſelben als den Grund ihres fortgeſetzten Widerſtandes gel -253Abſolution Heinrichs IV. tend machten1)Du Perron au roi 6 nov. 1595: De toucher icy, com - bien l’authorité et la faveur de ce siége estant entre vos mains vous peut servir d’un utile instrument non seulement pour re - mettre et conserver vos sujets en paix et en obeissance, mais aussi pour vous preparer toutes sortes de grandeur hors de vo - stre royaume, et a tout le moins pour tenir vos ennemis en quelque crainte et devoir par l’apprehension de la meme auto - rité dont ils se sont aydez pour troubler vos estats et vos peu - ples, ce seroit un discours superflu. Les ambassades du cardi - nal du Perron I, 27. . Heinrich IV. ging ohne viel Schwierig - keit auf jene Bedingungen ein: — ſchon hatte er ihre Er - fuͤllung zum Theil von ſelbſt eingeleitet: es lag ihm am Herzen ſich gut katholiſch zu zeigen: wie viel maͤchtiger er jetzt auch war als bei der Miſſion des Herzogs von Nevers, ſo lautete doch das Schreiben, in welchem er nun - mehr den Papſt um ſeine Abſolution erſuchte, um vieles demuͤthiger und unterwuͤrfiger als damals. „ Der Koͤnig “, heißt es darin2)Requête du roi in den Anmerkungen des Amelot bei Oſſat I, 160. , „ kehrt zu den Fuͤßen Eurer Heiligkeit zu - ruͤck, und fleht ſie in aller Demuth bei den Eingeweiden unſers Herrn Jeſu Chriſti an, ihm ihren heiligen Segen und ihre hoͤchſte Abſolution verleihen zu wollen. “ Der Papſt fuͤhlte ſich vollkommen befriedigt3)Der roͤmiſche Hof fand den Entſchluß noch immer raſch und gewagt. Dolfino Relatione: I più gravi negotii il papa ha sa - puto espedire e molto bene e molto ancora con gran celerità: perchè con tanti contrarj quanti ogn’uno sa benedisse il re di Francia, lo accettò nel grembo della chiesa, mandòli un le - gato nel tempo che tutti lo ributtavano sotto pretesto che non fosse sua dignità mandarlo avanti che’l re mandasse il suo ambasciatore a Roma, et in quello l’autorità della Sria Vra giovò.
254Buch VI. Innere Streitigkeiten.Es war nur noch uͤbrig, daß auch das Collegium der Cardinaͤle ſich einverſtanden erklaͤrte. Der Papſt wollte es doch nicht auf ein regelmaͤßiges Conſiſtorium ankommen laſſen: leicht haͤtte die Conſequenz bisheriger Beſchluͤſſe ein unbequemes Reſultat herbeifuͤhren koͤnnen: er lud die Car - dinaͤle ein, ihm in beſondern Audienzen ihre Meinung einzeln zu eroͤffnen: eine Auskunft die in aͤhnlichen Faͤllen ſchon oͤfter beliebt worden war. Als er alle vernommen, erklaͤrte er, zwei Drittheil der Stimmen ſeyen fuͤr die Ab - ſolution.
Und ſo ſchritt man am 17. Dez. 1595 zur Vollzie - hung der Ceremonie. Vor der Peterskirche war der Thron des Papſtes errichtet: Cardinaͤle und Curie umgaben ehr - erbietig ihr Oberhaupt. Das Geſuch des Koͤnigs, die Be - dingungen, zu denen er ſich verſtanden hatte, wurden ver - leſen. Hierauf warfen ſich die Stellvertreter des allerchriſt - lichſten Koͤnigs zu den Fuͤßen des Papſtes nieder: mit einem leichten Ruthenſchlag ertheilte er ihnen ſeine Abſolution. Wie ſo vollkommen in dem Glanze ſeiner altherkoͤmmlichen Au - toritaͤt erſchien hier noch einmal der paͤpſtliche Stuhl1)Oſſat, ſonſt uͤber alles hoͤchſt ausfuͤhrlich, geht I, 168 uͤber die Ceremonie leichten Fußes hinweg. Tout s’y est passé, ſagt er, convenablement à la dignité de la couronne très chrétienne. Nicht Alle theilten dieſe Meinung..
Auch ward in der That ein großer Erfolg hiemit be - zeichnet. Die herrſchende Gewalt in Frankreich, nunmehr in ſich ſtark und wohlgegruͤndet, war wieder katholiſch; ſie hatte ein Intereſſe dabei mit dem Papſt gut zu ſtehn. Es3)assai, che così mi disse S. Sà, per diversi offici che a quel tempo io aveva fatto a nome di lei. 255Abſolution Heinrichs IV. bildete ſich hier ein neuer Mittelpunkt fuͤr die katholiſche Welt, von dem eine große Wirkung ausgehn mußte.
Naͤher betrachtet ſprangen dann zwei verſchiedene Sei - ten dieſes Erfolges hervor.
Nicht durch unmittelbare Einwirkung des Papſtes, nicht durch einen Sieg der ſtrengen Partei war Frankreich wieder gewonnen: es war vielmehr durch eine Vereinigung der gemaͤßigten, mittleren Meinungen, durch die Ueberlegen - heit einer Geſinnung, die ſich als Oppoſition conſtituirt hatte, geſchehen. Daher kam es, daß die franzoͤſiſche Kirche eine ganz andere Stellung einnahm, als die italieniſche, als die niederlaͤndiſche, die neu eingerichtete deutſche. Sie un - terwarf ſich dem Papſt, aber ſie that es mit einer Frei - heit und innern Selbſtaͤndigkeit, die ſich auf ihren Ur - ſprung gruͤndete, deren Gefuͤhl ſich niemals wieder verlor. In ſo fern konnte der paͤpſtliche Stuhl Frankreich bei weitem nicht als eine reine Eroberung betrachten.
Um ſo vortheilhafter aber war ihm die andere, die po - litiſche Seite. Das verlorene Gleichgewicht war hergeſtellt: — zwei große, auf einander eiferſuͤchtige, in unaufhoͤrli - chem Wettſtreit begriffene Maͤchte hielten einander wechſel - ſeitig in Schranken: beide waren katholiſch und konnten doch zuletzt in Einem Sinne geleitet werden: zwiſchen bei - den aber nahm der Papſt eine weit unabhaͤngigere Stel - lung ein, als es ihm und ſeinen Vorgaͤngern lange Zeit moͤglich geweſen. Von den Banden, mit denen ihn bis - her das ſpaniſche Uebergewicht umfaßt hatte, ward er um vieles freier.
Zuerſt tritt in dem Fortgange der Begebenheiten dieſe256Buch VI. Innere Streitigkeiten.politiſche Richtung hervor. Bei dem Heimfalle von Fer - rara an den paͤpſtlichen Stuhl zeigte ſich der franzoͤſiſche Einfluß zum erſten Mal wieder in italieniſchen Geſchaͤften. Ein Ereigniß das auch ſonſt fuͤr die Machtentwickelung des Kirchenſtaates von großem Belange iſt: das hier, wie ja auch in der Aufmerkſamkeit der Mitlebenden, die Angele - genheiten der Religion unterbrechen mag. Beginnen wir mit einem Ruͤckblick auf das Land unter ſeinem letzten Fuͤrſten.
Man nimmt haͤufig an, Ferrara ſey unter dem letz - ten Eſte in beſonders bluͤhendem Zuſtande geweſen: doch iſt dieß wohl eine Taͤuſchung, wie ſo viele andere, die auf der Abneigung gegen die weltliche Herrſchaft von Rom beruht.
Montaigne beſuchte Ferrara unter Alfonſo II. Er bewundert die breiten Straßen der Stadt, die ſchoͤnen Pal - laͤſte: aber ſchon er findet ſie oͤde und menſchenleer, wie die heutigen Reiſenden1)Montaigne: Voyage I, 226 — 231.. Der Wohlſtand der Landſchaft beruhte auf der Erhaltung der Daͤmme, der Regulirung der Gewaͤſſer: aber weder die Daͤmme noch die Fluͤſſe und Canaͤle wurden recht in Ordnung gehalten: nicht ſelten traten Ueberſchwemmungen ein: Volana und Primaro ver - ſandeten, ſo daß die Schiffahrt daſelbſt ganz aufhoͤrte2)Eine Relation uͤber den Kirchenſtaat aus dem Anfange des ſiebzehnten Jahrhunderts behauptet, der Herzog habe die Bauern, welche die Pflicht hatten am Po zu arbeiten, bei ſeinem Landgut Me - ſola verwendet, ſo daß dort alles in Verfall gerathen ſey und nicht habe wieder hergeſtellt werden koͤnnen. (Inff. politt. tom. IX.).
Noch257Ferrara unter Alfonſo II.Noch ein groͤßerer Irrthum aber waͤre es, die Un - terthanen dieſes Hauſes fuͤr frei und gluͤcklich zu hal - ten. Alfonſo II. machte die Rechte ſeiner Kammer auf das ſtrengſte geltend. Bei jedem Contract, ſelbſt wenn er nur ein Darlehn betraf, fiel der Zehnte an den Herzog; er nahm den Zehnten von allem, was in die Stadt einging. Er hatte das Salzmonopol: er belaſtete das Oel mit einer neuen Auflage: auf den Rath ſeines Zollverwalters Chri - ſtofano da Fiume nahm er endlich auch den Handel mit Mehl und Brot an ſich: nur von den herzoglichen Beam - ten durfte man dieß erſte aller Lebensbeduͤrfniſſe an ſich bringen: kein Nachbar haͤtte gewagt dem andern eine Schuͤſ - ſel Mehl zu borgen1)Frizzi: Memorie per la storia di Ferrara tom. IV, p. 364. Hauptſaͤchlich Manolesso: Relatione di Ferrara. Il duca non è così amato come li suoi precessori e questo per l’austerità et esat - tioni che fa Christofano da Fiume cognominato il Frisato (Sfre - giato) suo gabelliere. — Il Frisato s’offerse di vendere miglior mercato le robbe a beneficio del popolo di quello che facevano gli altri e di darne molto utile a S. Eccza: piacque il partito al duca: — ma se bene il Frisato paga al duca quello che gli ha data intentione, non sodisfa però al popolo, vendendo la robba cattiva quanto alla qualità e molto cara quanto al prezzo. . Selbſt den Edelleuten war die Jagd nur auf wenige Tage und nie mit mehr als etwa drei Hunden geſtattet. Eines Tages ſah man auf dem Marktplatz ſechs Gehaͤngte: todte Faſanen waren an ihre Fuͤße gebunden: zum Zeichen, ſagte man, daß ſie bei ei - nem Diebſtahl in der herzoglichen Faſanerie erſchoſſen worden.
Wenn man demnach von der Bluͤthe und Regſamkeit von Ferrara redet, ſo kann man nicht Land und Stadt, man kann nur den Hof meinen.
Päpſte* 17258Buch VI. Innere Streitigkeiten.In jenen Stuͤrmen der erſten Jahrzehende des ſechs - zehnten Jahrhunderts, in denen ſo viel bluͤhende Haͤuſer, ſo viel maͤchtige Herrſchaften untergegangen, und ganz Ita - lien von Grund aus umgewandelt worden, hatte ſich das Haus Eſte durch geſchickte Politik und herzhafte Verthei - digung unter allen Gefahren zu behaupten gewußt. Es vereinigte aber hiemit noch andere Eigenſchaften. Wer hat nicht von jenem Stamme geleſen, der, wie Bojardo ſich aus - druͤckt, dazu beſtimmt war, Tapferkeit, Tugend, Courtoiſie, heiteres Leben in der Welt zu erhalten1)Bojardo: Orlando innamorato II, 22. Da questa (stirpe) fia servato ogni valore, ogni bontade et ogni cortesia, amore, leggiadria, stato giocundo tra quella gente fiorita nel mundo. : von ſeinem Wohnſitz, den er, wie Arioſto ſagt, nicht allein mit koͤniglichen Gebaͤu - den, ſondern auch mit ſchoͤnen Studien und trefflichen Sit - ten ausgeſtattet2)Ariosto: Orlando furioso XXXV, 6. Non pur di mura e d’ampli tetti regj, ma di bei studi e di costumi egregi. . Haben ſich die Eſte ein Verdienſt er - worben, indem ſie Wiſſenſchaften und Poeſie beguͤnſtigten, ſo ſind ſie reichlich dafuͤr belohnt worden. Das Andenken des Glanzes und der Macht, welche raſch voruͤbergehn, hat ſich mit dem Andenken der Autoren fortgepflanzt, welche immer leben.
Wie es nun unter den fruͤhern Herzogen geweſen, ſo ſuchte es Alfonſo II. zu erhalten. Die nemlichen Geſichts - punkte verfolgte auch er.
Zwar hatte er nicht ſo ſchwere Stuͤrme zu beſtehn259Ferrara unter Alfonſo II. wie ſeine Vorfahren: indeß, da er mit Florenz in unauf - hoͤrlichem Mißvernehmen ſtand, und auch des Papſtes, ſei - nes Lehensherrn, nicht immer ganz ſicher war, ſo hielt auch er ſich fortwaͤhrend geruͤſtet. Ferrara galt nach Pa - dua fuͤr die vornehmſte Feſtung von Italien: 27000 Mann waren in die Milizen eingeſchrieben1)Relatione sopra la Romagna di Ferrara: Erano descritti nelli rolli della militia dal commissario della battaglia a ciò de - putato tutti i sudditi atti a portar armi. Erano costretti a starne provisti per haver da servire nell’ occasioni a piedi o a cavallo secondo le forze delle loro facoltà e godevano essi al - cune esentioni. : Alfonſo ſuchte den militaͤriſchen Geiſt zu erhalten. Um alsdann der Beguͤnſti - gung welche Toscana an dem paͤpſtlichen Hofe fand, eine Freundſchaft von nicht minderm Belang entgegenſetzen zu koͤnnen, hielt er ſich an die deutſchen Kaiſer. Nicht ſelten ging er mit glaͤnzendem Gefolge uͤber die Alpen: er ver - maͤhlte ſich mit einer oͤſtreichiſchen Prinzeſſin: er ſprach, wie man verſichert, deutſch: im Jahre 1566 zog er mit einer Schaar, die ſich auf viertauſend Mann belaufen konnte, dem Kaiſer wider die Tuͤrken nach Ungarn zu Huͤlfe.
Ebenſo bildete ſich auch unter ihm das literariſche Element in Hof und Staat weiter aus. Selten mag ir - gendwo anders die Verbindung ſo enge geweſen ſeyn. Zwei Profeſſoren der Univerſitaͤt, Pigna und Montecatino wur - den nach einander die erſten Miniſter des Landes: ſie ga - ben darum ihre literariſchen Beſtrebungen nicht auf: we - nigſtens Pigna hielt, als er die Geſchaͤfte leitete, noch immer ſeine Vorleſungen, und ließ von Zeit zu Zeit ein Buch erſcheinen2)Manolesso: Segretario intimo è il Sr Giovamb. Pigna,. Battiſta Guarini, der Dich -17*260Buch VI. Innere Streitigkeiten.ter des Paſtor fido, ward als Geſandter nach Venedig, nach Polen abgeordnet. Selbſt Franz Patrizi, obwohl er ſich mit abſtruſen Gegenſtaͤnden beſchaͤftigte, ruͤhmt doch die Theilnahme, die er bei Hofe gefunden. Es war hier alles eins. Mit den Wettkaͤmpfen der Wiſſenſchaft wechſel - ten Disputationen ab, welche Streitfragen der Liebe betra - fen, wie z. B. Taſſo, der eine Zeitlang auch an der Uni - verſitaͤt angeſtellt war, einmal eine hielt. Bald gab die Univerſitaͤt, bald der Hof ein Schauſpiel: das Theater hatte noch einen literariſchen Reiz, da es noch immer neue Formen ſuchte, und eben damals die Paſtorale ausbildete, die Oper begruͤndete. Zuweilen treffen dann fremde Ge - ſandte, Cardinaͤle, Fuͤrſten ein, wenigſtens die benachbar - ten, von Mantua, Guaſtalla, Urbino, wohl auch ein Erz - herzog. Dann erſcheint der Hof in ſeinem vollen Glanze: man gibt Turniere, bei denen der Adel des Landes die Koſten nicht ſpart: zuweilen turnieren hundert Ritter auf dem Schloßhof. Es ſind dieß zugleich Darſtellungen aus der Fabel, nach irgend einem poetiſchen Werke: wie ſchon ihre Namen anzeigen: der Tempel der Liebe1)Auszuͤge aus damals erſchienenen Beſchreibungen, z. B. dem tempio d’amore, bei Muratori, Seraſſi und Frizzi., die ſelige Inſel: verzauberte Caſtelle werden vertheidigt und erobert.
Die eigenſte Verbindung von Poeſie, Gelehrſamkeit,2)per mano del quale passano tutti negotii. Legge publicamente la filosofia morale, e scrive l’istoria della casa d’Este: è ora - tore filosofo e poeta molto eccelente: possiede benissimo la lin - gua Greca, e servendo il suo principe ne’ negotii e trattando e iscrivendo quanto occorre, non tralascia però i studi, et in tutte le professioni è tale che pare che ad una sola attenda. 261Ferrara unter Alfonſo II. Politik und Ritterſchaft. Die Pracht wird durch ihren Sinn geadelt, die Geringfuͤgigkeit der Mittel durch den Geiſt ergaͤnzt.
In den Reimen und dem epiſchen Gedichte des Taſſo tritt uns dieſer Hof lebendig entgegen. Der Fuͤrſt, „ dem man Hochherzigkeit und Kraft anſieht, von dem man nicht weiß ob er ein beſſerer Ritter oder Anfuͤhrer iſt “, ſeine Gemahlinn, vor allem ſeine Schweſtern. Die aͤltere, Lucrezia, die nur eine kurze Zeit bei ihrem Gemahl in Ur - bino, uͤbrigens aber immer in Ferrara lebte, und hier auch Einfluß[auf] die Geſchaͤfte hatte, hauptſaͤchlich aber litera - riſchen und muſikaliſchen Beſtrebungen Schwung und An - trieb gab: ſie iſt es die Taſſo an dem Hofe befoͤrdert hat: die juͤngere, Leonora, in beſchraͤnktern Verhaͤltniſſen, ſtill, kraͤnklich, zuruͤckgezogen: aber wie ihre Schweſter von ſtar - ken Zuͤgen des Gemuͤths1)Im Jahre 1566 hat ſie in Abweſenheit des Herzogs die Regentſchaft gefuͤhrt, nach Manoleſſo „ con infinita sodisfattione de’ sudditi “: — non ha preso, faͤhrt er fort, nè vuol prendere marito, per esser di debolissima complessione: è però di gran spirito. . Waͤhrend eines Erdbebens weigerten ſie ſich beide das Schloß zu verlaſſen: beſonders Leonora gefiel ſich in einer ſtoiſchen Gleichmuͤthigkeit: als ſie endlich nachgaben, war es die hoͤchſte Zeit: unmittel - bar hinter ihnen ſtuͤrzte die Decke ein. Man hielt Leo - nora faſt fuͤr eine Heilige: ihren Gebeten ſchrieb man die Rettung von einer Ueberſchwemmung zu2)Serassi: Vita di Torquato Tasso p. 150.. Taſſo widmet ihnen eine ihrer Gemuͤthsart entſprechende Verehrung: der juͤngern gemaͤßigt, ſelten, immer als ginge er mit Abſicht262Buch VI. Innere Streitigkeiten.nicht weiter heraus: der aͤltern ohne alle Zuruͤckhaltung: er vergleicht ſie mit der vollen duftenden Roſe, der das minder friſche Alter ihren Reiz nicht entriſſen, u. ſ. w. Neben ihnen erſcheinen auch andere Damen: Barbara San - ſeverina und ihre Tochter Leonora Sanvitale: Taſſo hat die ruhige Zuverſicht der Mutter, den heitern Reiz jugendlicher Schoͤnheit in der Tochter unuͤbertrefflich geſchildert: kein Bildniß koͤnnte ſie beſſer vergegenwaͤrtigen. Es folgen die Luſtſchloͤſſer die man beſucht, die Jagden und die Spiele die man anſtellt, das ganze Thun und Treiben in dem man ſich ergeht; wer kann ſich des Eindrucks erwehren, den dieſe in vollem reichem Wohllaut daherſtroͤmende Beſchrei - bung hervorbringt.
Jedoch dieſem Eindruck darf man ſich nicht ganz uͤber - laſſen. Dieſelbe Gewalt, die das Land in ſo vollkommenem Gehorſam hielt, machte ſich auch an dem Hofe fuͤhlbar.
Jene Scenen der Poeſie und des Spieles wurden zu - weilen durch ganz andere unterbrochen. Die Vornehmen wurden ſo wenig geſchont wie die Gemeinen.
Es war ein Gonzaga ermordet worden. Jedermann gab dem jungen Ercole Contrario den Mord Schuld und wenigſtens hatten die Moͤrder auf einem Gute deſſelben Auf - nahme gefunden. Der Herzog forderte ihre Auslieferung: der junge Contrario, um nicht durch ſie angeklagt zu werden, ließ ſie gleich ſelber umbringen, und nur die Leich - name uͤberlieferte er dem Herzog. Hierauf ward er ei - nes Tages ſelbſt an Hof beſchieden: am 2. Auguſt 1575 hatte er ſeine Audienz. Die Contrarj waren das reichſte und aͤlteſte Geſchlecht von Ferrara: Ercole war der letzte263Ferrara unter Alfonſo II. Sproͤßling: nicht lange nachdem er in den Pallaſt getreten, ward er todt aus demſelben herausgetragen. Der Herzog ſagte, der junge Menſch ſey im Geſpraͤch mit ihm ploͤtz - lich vom Schlage geruͤhrt worden. Allein Niemand glaubte ihm das, an der Leiche nahm man Spuren von Gewaltthaͤ - tigkeiten wahr: auch bekannten die Freunde des Herzogs, der Herr habe ihn toͤdten laſſen, ſie entſchuldigten ihn nur damit, daß er den beruͤhmten Namen nicht mit einer ſchimpf - lichern Todesart habe ſchaͤnden wollen1)Frizzi: Memorie IV, 382..
Eine Juſtiz die Jedermann in Schrecken hielt. Das Schlimmſte iſt, daß die Guͤter des Hauſes nunmehr an den Herzog fallen mußten.
Aber uͤberhaupt waͤre es Keinem zu rathen geweſen ſich dem Herrn im Mindeſten entgegenzuſetzen2)Wenn Taſſo nicht in gutem Humor iſt, druͤckt er ſich an - ders aus als oben: Perchè io conosceva, ſagt er in einem Schrei - ben an den Herzog von Urbino, il duca per natural inclinatione dispostissimo alla malignità e pieno d’una certa ambitiosa alte - rezza, la quale egli trae della nobiltà del sangue e della co - noscenza ch’egli ha del suo valore, del quale in molte cose non si da punto ad intendere il falso — — (Lettere n. 284. Opere tom. IX, 188.) . Dieſer Hof war ein ſehr ſchluͤpfriger Boden. So fein Monteca - tino auch war, ſo konnte er ſich doch nicht bis zuletzt hal - ten. Panigarola, damals der beruͤhmteſte Prediger in Ita - lien, war nicht ohne Muͤhe nach Ferrara gezogen worden: ploͤtzlich ward er mit Ungeſtuͤm verwieſen: man fragte ſich, was ſein Verbrechen ſey: man fand nichts, als daß er we - gen einer Befoͤrderung nach einer andern Seite hin unterhan - delt habe. Da konnte auch der unbeſtaͤndige, reizbare, me -264Buch VI. Innere Streitigkeiten.lancholiſche Taſſo ſich auf die Laͤnge nicht behaupten. Der Herzog ſchien ihn zu lieben, hoͤrte ihn gern, nahm ihn oft mit ſich aufs Land, und verſchmaͤhte es ſogar nicht die Schilderun - gen des Kriegsweſens, die in der Geruſalemme vorkommen, zu berichtigen. Aber ſeit Taſſo einmal Miene gemacht in die Dienſte der Medici uͤberzutreten, wurden ſie nie wieder rechte Freunde: der arme Dichter entfernte ſich: durch einen unwiderſtehlichen Hang gezogen kehrte er wieder zuruͤck: dann waren einige Schmaͤhworte, die er in einem Anfall ſeiner Melancholie ausſtieß, hinreichend um den Herzog zu beſtimmen, daß er den Ungluͤcklichen ſieben lange Jahre hindurch gefangen hielt1)Serassi: Vita del Tasso p. 282..
Es iſt das noch einmal ganz das italieniſche Fuͤrſten - thum, wie es im funfzehnten Jahrhundert ausgebildet wor - den: auf wohlberechneten politiſchen Verhaͤltniſſen beruhend, in dem Innern unbeſchraͤnkt und gewaltſam, mit Glanz umgeben, mit der Literatur verbuͤndet, eiferſuͤchtig auch auf den Schein der Gewalt. Sonderbare Geſtalt menſchlicher Dinge! Die Kraͤfte des Landes bringen den Hof hervor, der Mittelpunkt des Hofes iſt der Fuͤrſt, das letzte Pro - duct des geſammten Lebens iſt zuletzt das Selbſtgefuͤhl des Fuͤrſten. Aus ſeiner Stellung zur Welt, dem Gehorſam den er findet, der Verehrung die man ihm widmet, ent - ſpringt ihm das Gefuͤhl ſeines Werthes, ſeiner Bedeutung.
Alfonſo II. nun mußte begegnen, daß er von drei Ge - mahlinnen keine Nachkommen bekam. Es ſpricht ſeine ganze Politik aus, wie er ſich unter dieſen Umſtaͤnden be - trug.
265Ferrara unter Alfonſo II.Sein Abſehen war doppelt: einmal die Unterthanen nicht glauben zu laſſen, daß ſie von ſeinem Hauſe abkom - men koͤnnten, ſodann die Ernennung eines Nachfolgers in ſeiner Hand zu behalten und ſich nicht etwa ſelbſt einen Nebenbuhler aufzuſtellen.
Im September 1589 gieng er nach Loreto, wo ſich damals die Schweſter Sixtus V, Donna Camilla, befand; er ſparte weder Geſchenke noch Verſprechungen um ſie zu ge - winnen. Sie ſollte ihm, hoffte er, auswirken, daß er denje - nigen von ſeinen naͤchſten Verwandten zum Nachfolger er - nennen duͤrfe, den er fuͤr den geeignetſten halte. Kaum aber waren die Unterhandlungen eigentlich eroͤffnet, ſo ſtarb Sixtus V.
Durch aͤhnliche Mittel, Geſchenke an die Schwaͤgerin des Papſtes, Dienſtbefliſſenheit gegen den Neffen wußte ſich Alfonſo im Jahre 1591 Eingang bei Gregor XIV. zu verſchaffen. Als er ſah, daß er Hoffnung ſchoͤpfen duͤrfe, ging er ſelbſt nach Rom um die Unterhandlung zu fuͤhren. Die erſte Frage war, ob die Bulle Pius V, welche die Wiederverleihung heimgefallener paͤpſtlicher Lehen verbot, ſich auch auf Ferrara beziehe. Alfonſo leugnete dieß, weil es noch niemals heimgefallen geweſen. Jedoch allzu deutlich waren die Worte: die Congregation entſchied, die Bulle begreife allerdings auch Ferrara. Dann fragte ſich nur, ob nicht ein Papſt die Macht habe in einem beſondern Falle eine beſondere Beſtimmung zu geben. Dieß wagte die Con - gregation nicht zu verneinen: jedoch ſetzte ſie die Bedin - gung, daß die Nothwendigkeit dringend, der Nutzen au -266Buch VI. Innere Streitigkeiten.genſcheinlich ſey1)Dispaccio Donato: „ quando ci fusse evidentissima uti - lità et urgente necessità — — il che fu fatto per aprire la strada all’ intentione del Sr duca. Der Cardinal S Severina behaup - tet, daß er es vorzuͤglich geweſen der die Abſicht ruͤckgaͤngig gemacht habe, obwohl mit großer Schwierigkeit und unter vielem Wider - ſpruch: auch habe der Papſt jenen Zuſatz endlich bereut.. Hiedurch war ein großer Schritt ge - ſchehen. Es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß wenn man ge - eilt und ſogleich eine neue Inveſtitur auf einen beſtimm - ten Namen ausgefertigt haͤtte, die Sache zu dem erwuͤnſch - ten Ziele gebracht worden waͤre. Jedoch Alfonſo wollte ſeinen Erben nicht nennen. Auch war er hieruͤber mit den Sfondrati nicht ganz einerlei Meinung: ſie haͤtten Mar - cheſe Filippo von Eſte vorgezogen: ihm war ſein naͤherer Vetter Ceſare lieber. Hieruͤber verging die Zeit, und auch Gregor ſtarb, ehe etwas feſtgeſetzt worden2)Cronica di Ferrara Ms. der Bibl. Albani berichtet auch, es ſey kein Zweifel, daß Gregor XIV. etwas fuͤr Ferrara gethan haben wuͤrde. Aus der Congregation ſey er entruͤſtet weggegangen, und daruͤber ſey er krank geworden. Alfonſo geht nach einer Villa des Cardinal Farneſe „ aspettando o vita o morte di questo papa. Venne la morte. Il duca ritornò. “.
Indeſſen hatte man auch die Unterhandlungen mit dem kaiſerlichen Hofe eroͤffnet. Ferrara zwar war ein paͤpſtliches, Modena und Reggio aber waren kaiſerliche Lehen. Hier nun kam dem Herzog ſeine bisherige Politik zu Statten: mit dem leitenden Miniſter des Kaiſers, Wolf Rumpf, ſtand er im beſten Vernehmen. In der That gewaͤhrte ihm Ru - dolf II. die Erneuerung der Belehnung, und geſtand ihm ſelbſt eine Friſt zu, innerhalb deren es ihm frei ſtehn ſolle, wen er ſelbſt wuͤnſche als ſeinen Nachfolger zu ernennen.
Deſto hartnaͤckiger aber zeigte ſich der nunmehrige Papſt267Ferrara unter Alfonſo II. Clemens VIII. Es ſchien katholiſcher, kirchlicher ein Lehn einzuziehen, als es wieder zu vergeben: ſo hatte der h. Papſt Pius V. verordnet. Noch im Jahre 1592 ſchlug Clemens im geheimen Conſiſtorium die Beſtaͤtigung jener Bulle, wie ſie urſpruͤnglich lautete, ohne den Zuſatz Gre - gors XIV, vor: ſo ließ er ſie durchgehn1)Dispaccio Donato 27 Dec. 1592..
Und nun war auch die vom Kaiſer geſetzte Friſt ver - ſtrichen. Der Herzog mußte ſich entſchließen ſeinen Nach - folger zu bezeichnen. Alfonſo I. hatte ſich noch in ſpaͤtern Jahren mit Laura Euſtochia vermaͤhlt, nachdem er bereits einen Sohn von ihr hatte: von dieſem Sohne ſtammte Don Ceſare d’Eſte: nach langem Zoͤgern ernannte ihn endlich der Herzog. Aber auch jetzt brauchte er noch die geheim - nißvollſte Vorſicht. Ohne Jemandes Mitwiſſen, in einem eigenhaͤndigen Schreiben an den Kaiſer, vollzog er die Er - nennung: zugleich aber bat er denſelben auf das drin - gendſte ſie Niemand wiſſen zu laſſen, ſelbſt den ferrari - ſchen Geſandten nicht, der an dem kaiſerlichen Hofe war, und ſeine Genehmigung nur dadurch auszuſprechen, daß er das Schreiben ſelbſt mit dem kaiſerlichen Namenszug ver - ſehen zuruͤckſende2)Relatione di quello che è successo in Ferrara dopo la morte del duca Alfonso (Ms. Barber.) Il duea fra l’anno con - cessogli di tempo alla dichiaratione scrisse di suo pugno una lettera all’imperatore e nominò Don Cesare, pregando calda - mente S. M. Cesa che in confirmatione del nominato sottoscri - vesse la sua, quale sigillata senza publicare il fatto la riman - dasse indietro per il conte Ercole Rondinelli, non conferen - dogli altramente il negotio. Il tutto faceva S. A. acciò Don Cesare non s’insuperbisse nè della nobiltà fusse riverito e cor - teggiato come lor principe. .
268Buch VI. Innere Streitigkeiten.Das hoͤchſte Anſehen in dem kleinen Lande wollte er bis an ſeinen letzten Athemzug ungetheilt beſitzen: er wollte nicht erleben, daß ſein Hof ſich der aufgehnden Sonne zu wende. Ceſar ſelbſt erfuhr nichts von der ihm zu Theil gewordenen Gnade: er ward ſogar noch etwas ſtrenger gehalten, der Glanz ſeiner Erſcheinung ward noch etwas eingeſchraͤnkt (nie ſollte er mehr als drei Edelleute in ſeinem Gefolge haben), und erſt als es mit dem Leben ganz voruͤber war, als die Aerzte die letzte Hoffnung auf - gegeben, ließ der Herzog ihn rufen, um ihm ſein Gluͤck zu verkuͤndigen. In Gegenwart der vornehmſten Einwoh - ner ward das Teſtament eroͤffnet: dieſe wurden von dem Miniſter ermahnt, dem Haus Eſte getreu zu ſeyn: Ceſarn ſagte der Herzog, er hinterlaſſe ihm den ſchoͤnſten Staat der Welt, befeſtigt durch Waffen, Voͤlker, Verbuͤndete inner - halb und außerhalb Italiens, von denen er ſich alle Huͤlfe verſprechen koͤnne. Hierauf, an dem nemlichen Tage noch, ſtarb Alfonſo II: 27. October 1597.
Ohne Widerſpruch nahm Ceſar die kaiſerlichen Lehen in Beſitz: auch die paͤpſtlichen huldigten ihm: in Ferrara ward er von dem Magiſtrat mit dem herzoglichen Mantel beklei - det, von dem Volke mit jauchzendem Zuruf als der neue Fuͤrſt begruͤßt.
Hatte ihm aber ſein Vorfahr von eigener Macht und fremder Unterſtuͤtzung geſprochen, ſo kam er ſogleich in den Fall auch dieſe zu erproben.
269Eroberung von Ferrara.Unerſchuͤtterlich blieb Clemens bei ſeinem Entſchluſſe Ferrara einzuziehen. So viele Paͤpſte hatten es fruͤher ver - ſucht: er glaubte einen ewigen Nachruhm zu erwerben wenn er es vollbringe. Auf die Nachricht vom Tode Al - fonſos erklaͤrte er, es thue ihm leid, daß der Herzog kei - nen Sohn hinterlaſſe: aber die Kirche muͤſſe das Ihre wie - derhaben. Die Geſandten Ceſars wollte er nicht hoͤren, ſeine Beſitzergreifung nannte er Uſurpation: er bedrohte ihn mit der Strafe des Bannes, wofern er ſie innerhalb 14 Ta - gen nicht aufgegeben habe: und um ſeinen Worten Nach - druck zu geben, begann er augenblicklich ſich zu ruͤſten. Es ward eine neue Anleihe gemacht und ein neuer Monte gegruͤndet, um das Geld im Caſtell nicht angreifen zu muͤſ - ſen1)Obwohl Viele behaupten, es ſey doch geſchehen. Delfino ſagt dagegen: Con gran strettezza de’ danari, senza metter mano a quelli del castello per conservar la riputatione della chiesa, in poco più di un mese ha posto insieme un esercito di 22 m. fanti e 3 m. cavalli. : in kurzem begab ſich der Neffe des Papſtes, Car - dinal Pietro Aldobrandino, von erfahrenen Kriegshaupt - leuten umgeben, nach Ancona, um ein Heer zuſammenzu - bringen: nach allen Seiten ſandte er Werber aus: die Pro - vinzen wurden zu ſtarken Lieferungen genoͤthigt.
Auch Ceſar zeigte ſich Anfangs muthvoll2)Niccolò Contarini delle historie Venetiane Ms. tom. I, lib. I. Cesare nel principio si mostrò molto coraggioso in vo - ler difender le sue ragioni, o perchè non prevedeva il contrasto o pur perchè gl’ inesperti come nei vicini pericoli s’atterri scono così nelli lontani si manifestano intrepidi. Uebrigens enthaͤlt die Erzaͤhlung Contarinis ſehr viel gute exacte und eindringende Noti - zen uͤber dieß Ereigniß.. Er er - klaͤrte, er wolle ſein gutes Recht bis auf den letzten Bluts -270Buch VI. Innere Streitigkeiten. tropfen vertheidigen: es werde ihm an ſeiner Religion und Seligkeit nichts ſchaden: und ſo befeſtigte er ſeine Plaͤtze aufs neue: die Landmilizen traten in die Waffen: eine Trup - penſchaar ruͤckte an die Grenzen des Kirchenſtaates vor, und wir finden eine Aufforderung an ihn, in der Romagna zu erſcheinen, wo man mit der paͤpſtlichen Herrſchaft unzu - frieden ſey nnd ſich nur einen Anlaß wuͤnſche ſie zu ſtuͤr - zen. Ueberdieß hatte er das Gluͤck, daß auch die benach - barten italieniſchen Staaten fuͤr ihn Partei nahmen. Sein Schwager, der Großherzog von Toscana, erklaͤrte er werde ihn nicht verlaſſen. Die Republik Venedig hinderte den Papſt in Dalmatien zu werben, und verſagte ihm den Kriegsbedarf und die Waffen, die er aus Brescia ziehen wollte. Die Vergroͤßerung des Kirchenſtaates war Allen von Herzen verhaßt.
Waͤre Italien in einem Zuſtande geweſen wie hun - dert Jahre fruͤher, ziemlich unabhaͤngig von fremden Ein - wirkungen und auf ſich ſelber angewieſen, ſo wuͤrde Cle - mens VIII. wahrſcheinlich nicht mehr ausgerichtet haben als damals Sixtus IV: aber dieſe Zeiten waren voruͤber: jetzt kam alles auf die allgemeinen europaͤiſchen Verhaͤltniſſe und die damaligen großen Maͤchte Frankreich und Spa - nien an.
Die Neigungen der Spanier waren nun nicht ſehr zweifelhaft. Ceſar d’Eſte hatte ein ſo großes Vertrauen auf Philipp II, daß er ihn dem Papſte zum Schiedsrichter vor - ſchlug: ganz unumwunden erklaͤrte ſich der koͤnigliche Go - vernator in Mailand fuͤr Ceſar: er bot demſelben ſpaniſche Garniſonen fuͤr ſeine Plaͤtze an. Nur war doch auch nicht271Eroberung von Ferrara. zu verkennen, daß der Koͤnig, der ſein Lebenlang alle Be - wegungen in Italien verhindert hatte, Bedenken trug, in dem hohen Alter, in dem er war, nicht noch einen Krieg zu veranlaſſen, und ſich mit außerordentlicher Vorſicht ver - nehmen ließ. Eine aͤhnliche beobachtete ſein Geſandter in Rom1)Delfino meldet, wie viel man von ihm in Rom fuͤrchtete: Vi è un pensiero radicato a buon fundamento che la benedizione data al re di Franza sia stata offesa tale al cattolico et a Spa - gnuoli che non siano per scordarsela mai, e pare a S. Sà es - serne molto ben chiarita in questa occasione di Ferrara. .
Um ſo mehr kam unter dieſen Umſtaͤnden auf die Ent - ſcheidung Heinrichs IV. an: die Herſtellung eines katho - liſchen und maͤchtigen Frankreichs entwickelte ſogleich eine hohe Bedeutung fuͤr Italien. Mit den italieniſchen Fuͤr - ſten in Einverſtaͤndniß hatte ſich Heinrich IV. wieder erhoben: ſie zweifelten nicht, daß er nun auch dank - bar ſeyn und in ihrer Differenz mit dem heiligen Stuhle ſich auf ihre Seite ſchlagen werde. War doch die Krone Frankreich ohnehin dem Hauſe Eſte ſehr verpflichtet. Waͤh - rend der buͤrgerlichen Kriege hatten die Eſte dem koͤnigli - chen Hauſe uͤber eine Million Scudi vorgeſtreckt, die noch nicht zuruͤckbezahlt worden, und die jetzt hingereicht haben wuͤrde, um ein Heer zu werben, dem kein Papſt haͤtte Widerſtand leiſten koͤnnen.
Dieß waren jedoch nicht die Betrachtungen, welche Heinrich IV. anſtellte. Trotz ſeines Uebertrittes zum Ka - tholicismus mußte er noch immer gar Manches thun, was dem roͤmiſchen Hofe nicht anders als mißfallen konnte: in der Sache von Ferrara erblickte er nur eine Gelegenheit272Buch VI. Innere Streitigkeiten. dieſe Dinge vergeſſen zu machen, die Lilien, wie ſeine Staats - maͤnner ſich ausdruͤckten, am roͤmiſchen Hofe wieder em - porzubringen. Ohne alles Zoͤgern noch Schwanken ließ er dem heiligen Vater die Huͤlfe von Frankreich anbieten. Nicht allein ſey er bereit, ſobald es der Papſt wuͤnſche, ein Kriegsheer uͤber die Berge zu ſenden, ſondern auch im Nothfall mit ſeiner ganzen Macht und perſoͤnlich ihm zu Huͤlfe zu kommen.
Dieſe Erklaͤrung war es, was die Sache entſchied. Der roͤmiſche Hof, der ſchon alle die Verlegenheiten fuͤhlte, in die ihn die Abneigung ſeiner Nachbarn und der offene Widerſtand von Ferrara ſetzen konnte, ſchoͤpfte Athem. „ Ich kann nicht ausdruͤcken “, ſchreibt Oſſat an den Koͤ - nig, „ wie viel Wohlwollen, Lob, Segen Ew. Majeſtaͤt fuͤr Ihr Erbieten zu Theil geworden iſt. “ Er verſpricht ſeinem Herrn, wenn er es ausfuͤhre, die Stellung eines Pip - pin und Carolus Magnus zu der Kirche. Seinerſeits machte nun der Papſt unverzuͤglich Anſtalt zu der foͤrmli - chen Excommunication ſeines Gegners.
Um ſo tiefer betroffen, erſchrocken waren die Fuͤrſten: ſie redeten von ſchwarzer Undankbarkeit: jetzt verloren ſie den Muth Ferrara zu unterſtuͤtzen: was ſie ſonſt, offen oder geheim, ohne Zweifel aus allen Kraͤften gethan haben wuͤrden.
Unmittelbar wirkte das dann auf Ferrara zuruͤck. Die ſtrenge Regierung Alfonſos hatte nothwendiger Weiſe viel Unzufriedene gemacht. Ceſar war neu in der Herrſchaft, ohne rechte Talente und ganz ohne Uebung: mit den Mit - gliedern des geheimen Rathes machte er erſt in den Sitzun -gen273Eroberung von Ferrara.gen, die er als Fuͤrſt hielt, naͤhere Bekanntſchaft1)Niccolò Contarini. Cesare si ridusse in camera co’ suoi soli consiglieri, de’ quali molti, per la ritiratezza nella quale era vissuto così volendo chi comandava, non conosceva se non di faccia, et egli non sufficiente di prender risolutione da se, va - cillava nei concetti perchè quelli che consigliavano erano pieni di passioni particolari e per le speranze di Roma in cui mira - vano infetti di grandi contaminationi. Auch Oſſat Lettres I, 495 fuͤhrt als die Urſache ſeines Ungluͤckes an: le peu de fidelité de ses conseillers mêmes, qui partie pour son peu de resolution par - tie pour avoir des rentes et autres biens en l’etat de l’eglise et esperer et craindre plus du st. siége que de lui, regardoient au - tant ou plus vers le pape que vers lui. : da er nun ſeine aͤltern Freunde, die ihn kannten, auf die auch er ſich perſoͤnlich verließ, nach den verſchiedenen Hoͤfen ver - ſendete, ſo behielt er Niemand um ſich, zu dem er wahres Vertrauen gehabt, mit dem er ſich gehoͤrig verſtanden haͤtte. An falſchen Schritten konnte es nicht fehlen. Von oben her griff eine Unſicherheit um ſich, wie ſie dem Verder - ben vorher zu gehn pflegt. Schon bedachten die Vorneh - mern, die einen Antheil an der Macht beſaßen, was ſich bei einer Veraͤnderung fuͤr ſie gewinnen laſſe: ſie ſuchten insgeheim ihren Vertrag mit dem Papſte abzuſchließen: Antonio Montecatino begab ſich nach Rom. Ohne Zwei - fel aber das Auffallendſte, Ungluͤcklichſte war, daß ſich in dem Hauſe Eſte ſelbſt ein Zwieſpalt offenbarte. Lucrezia hatte den Vater Ceſars gehaßt, ſie haßte nicht minder auch ihn, und wollte nicht ſeine Unterthanin ſeyn: ſie ſelbſt, die Schweſter des vorigen Herzogs, trug kein Bedenken mit dem Papſt und dem Cardinal Aldobrandini in Verbindung zu treten.
Indeſſen hatte der Papſt den Act der Excommunica -Päpſte* 18274Buch VI. Innere Streitigkeiten.tion vollzogen. Am 22. Dezember 1597 begab er ſich in dem Pomp der Proceſſion nach St. Peter und beſtieg mit ſeinem naͤhern Gefolge die Loggia dieſer Kirche. Ein Car - dinal verlas die Bulle. Don Ceſare d’Eſte ward darin fuͤr einen Feind der roͤmiſchen Kirche erklaͤrt, ſchuldig der be - leidigten Majeſtaͤt, verfallen in die groͤßern Cenſuren, in die Sentenz der Verfluchung: ſeine Unterthanen wurden des Eides der Treue entbunden: ſeine Beamten wurden ermahnt ſeine Dienſte zu verlaſſen. Nachdem die Bulle verleſen wor - den, warf der Papſt mit zornvollem Angeſicht eine große brennende Kerze auf den Platz herab. Trompeten und Trommeln wirbelten: Kanonen wurden abgefeuert: das Volk uͤberſchrie ihren Laͤrm.
Die Umſtaͤnde waren ſo beſchaffen, daß dieſe Excom - munication ihre volle Wirkung hervorbringen mußte. Ein Ferrareſe ſelbſt brachte ein Exemplar der Bulle, in ſeine Kleider genaͤht, in die Stadt, und uͤberlieferte es dem Biſchof1)Ein gewiſſer Coralta. Ributtato al primo ingresso da’ soldati se escusò che lui ivi dimorava nè era ancora partito per Bologna (woher er doch eben kam: er war eine Strecke vor dem Thore vom Pferde geſtiegen), e ragionando si pose fra loro a sedere, finalmente assicurato si licentiò della guardia, entrò nella città, presentò al vescovo la scommunica con la lettera del arcivescovo di Bologna. (Relatione di quello che etc.) . Den naͤchſten Morgen, am 31. Dezember 1597, ſollte ein Domherr begraben werden: die Kirche war ſchwarz ausgeſchlagen: das Volk verſammelte ſich, um die Leichen - predigt zu hoͤren. Der Biſchof beſtieg die Kanzel und fing an vom Tode zu reden. „ Noch viel ſchlimmer aber “, lenkte er ploͤtzlich ein, „ als der Tod des Leibes, iſt das Verderben275Eroberung von Ferrara.der Seele, das uns jetzt alle bedroht. “ Er hielt inne, und ließ die Bulle verleſen, in der alle, die ſich von Don Ce - ſare nicht abſondern wuͤrden, bedroht wurden „ als ver - dorrte Zweige von dem Baume des geiſtlichen Lebens abgehauen zu werden. “ Hierauf ward die Bulle an der Thuͤre ange - ſchlagen: die Kirche erfuͤllte ſich mit Geſchrei und Seufzen: die Erſchuͤtterung ſetzte ſich in die Stadt fort.
Don Ceſar war nicht der Mann, einer ſolchen Be - wegung Einhalt zu thun. Man hatte ihm gerathen Schwei - zer, Deutſche zu werben: allein er hatte ſich nicht entſchlie - ßen koͤnnen. Katholiſche wollte er nicht, weil ſie Anhaͤn - ger des Papſtes, aber noch weniger proteſtantiſche, weil ſie Ketzer ſeyen: „ gleich als komme es ihm zu “, ſagt Niccolo Contarini, „ das Amt eines Inquiſitors zu verwal - ten. “ Jetzt fragte er ſeinen Beichtvater, was er zu thun habe: es war ein Jeſuit, Benedetto Palma: der rieth ihm ſich zu unterwerfen.
So weit war Don Ceſar gebracht, daß er um dieſe Unterwerfung unter guͤnſtigen Bedingungen zu bewerkſtelli - gen ſich eben an die wenden mußte, die er als ſeine hef - tigſte Feindin kannte: der geheimen und in gewiſſem Sinne verraͤtheriſchen Verbindungen, in welche Lucrezia mit Rom getreten, war er genoͤthigt ſich zu einem ertraͤglichen Ab - kommen zu bedienen1)Contarini: Come chi abandona ogni speranza, più fa - cilmente si rimette nell’ arbitrio dell’ inimico che nella confi - denza dell’ amico, andò (Cesare) a ritrovare la duchessa d’Ur - bino, et a lei, la qual ben sapeva haver pur troppo intelligenza col C1 Aldobrandino, rimise ogni sua fortuna. Accettò ella al -. In ſeinem Auftrag begab ſie ſich, nicht ohne die gewohnte Pracht, in das feindliche Lager.
18*276Buch VI. Innere Streitigkeiten.Die Anhaͤnger Ceſars haben immer behauptet, ſie haͤtte wohl beſſere Bedingungen erlangen koͤnnen, aber durch das Verſprechen lebenslaͤnglichen Beſitzes von Berti - noro mit dem Titel eines Herzogthums gewonnen, und von dem jungen geiſtreichen Cardinal perſoͤnlich eingenommen, habe ſie alles zugegeben, was man verlangte. Am 12. Januar 1598 ward der Vertrag entworfen, kraft deſſen Ceſare auf Ferrara, Comachio, ſeinen Theil der Romagna Verzicht leiſten und dafuͤr Abſolution von dem Kirchenbanne erhalten ſollte. Wenigſtens Einiges zu retten hatte er ſich geſchmeichelt, ſehr hart kam ihm ein ſo vollſtaͤndiger Ver - luſt vor: noch einmal berief er die vornehmſten Magiſtrats - perſonen der Stadt, den Giudice de’ Savj, einige Doctoren und Edelleute um ihren Rath zu vernehmen. Sie gaben ihm keinen Troſt: ſchon dachte ein Jeder ſich nur ſelbſt mit der neuen Gewalt, die man erwartete, auf guten Fuß zu ſetzen: ſchon wetteiferte man allenthalben die Wappen der Eſte abzureißen, ihre Beamten zu verjagen: dem Fuͤr - ſten blieb nichts uͤbrig als zu unterſchreiben und das Erbe ſeiner Vaͤter zu verlaſſen.
So verloren die Eſte Ferrara. Archiv, Muſeum, Bi - bliothek, ein Theil des Geſchuͤtzes, das Alfonſo I. mit ei - gener Hand gegoſſen, ward nach Modena gebracht: alles andere ging verloren. Auf 50 Wagen hatte die Witwe Al -1)legramente l’impresa ridotta dove al principio haveva deside - rato. — — Con molta comitiva quasi trionfante, accompagnata dal marchese Bentivoglio, capo delle militie del duca, faceva il suo viaggio. Er findet Lucrezia „ di pensieri torbidi: benchè si - mulasse altrimente, era non di meno di lungo tempo acerrima nemica di Don Cesare. “277Eroberung von Ferrara.fonſos II. ihre Habe weggefuͤhrt: die Schweſter deſſelben, in Frankreich verheirathet, nahm die Forderungen des Hau - ſes an dieſe Krone fuͤr ſich in Anſpruch: das Unerwartetſte aber that Lucrezia. Sie ſelbſt hatte nicht Zeit von ihrem Herzogthum Beſitz zu ergreifen: gerade einen Monat nach - dem ſie jenen Vertrag abgeſchloſſen, am 12. Februar, ſtarb ſie. Als man ihr Teſtament eroͤffnete, fand ſich daß ſie eben Den, der ihr Haus aus ſeinem alten Beſitze vertrieben, den Cardinal Aldobrandini, zum Univerſalerben eingeſetzt hatte. Auch ihre Anſpruͤche hatte ſie ihm vermacht, die nun gegen Ceſar ſelbſt ausgefochten werden mußten. War es doch als haͤtte ſie ihrem alten Feind einen Gegner hinterlaſſen wol - len, der ihm das Leben verbittern koͤnnte. Es iſt etwas Daͤmoniſches in dieſer Frau, die ihr eigenes Haus mit Ver - gnuͤgen und Genugthuung ſeinem Verderben zufuͤhrt.
Und ſo trat nun die kirchliche Herrſchaft an die Stelle der herzoglichen. Am 8. Mai traf der Papſt ſelbſt in Fer - rara ein. Er wollte zugleich den Anblick der neuen Er - werbung genießen und ſie mit angemeſſenen Einrichtungen an die Kirche knuͤpfen.
Er begann mit Milde und Gnade. Eine Anzahl fer - rareſiſcher Oberhaͤupter wurden mit kirchlichen Wuͤrden aus - geſtattet1)Contarini: Al Bevilacqua, che era di molto potere, fu dato il patriarcato latino di Constantinopoli. Il Saciato fu creato auditor di rota. Ad altri si dispensarono abbatie. : Cardinalshuͤte, Bisthuͤmer, Auditorate fielen278Buch VI. Innere Streitigkeiten.ihnen zu: unter den uͤbrigen ward der junge Bentivoglio, der Geſchichtſchreiber, geheimer Kaͤmmerer des Papſtes. Die Gewalt der Herzoge hatte auf dem Beſitz der municipalen Berechtigungen beruht: der Papſt entſchloß ſich den Buͤr - gern ihre alten Rechte zuruͤckzugeben. Er bildete ein Con - ſeglio aus den drei Claſſen, des hoͤhern Adels mit 27, der geringern Nobilitaͤt und der angeſehenen Buͤrger mit 55, der Zuͤnfte mit 18 Stellen. Ihre Rechte waren ſorgfaͤltig geſchieden: die erſte Claſſe hatte die bedeutend - ſten, doch hing dafuͤr die Beſetzung der Stellen am meiſten von dem Papſte ab. Dieſem Conſeglio uͤberließ nun der Papſt die Sorge fuͤr die Lebensmittel, die Regulation der Fluͤſſe, die Ernennung der Richter und Podeſta’s, ſelbſt die Beſetzung der Stellen an der Univerſitaͤt: alles Rechte die der Herzog ſich fruͤher eiferſuͤchtig vorbehalten: und wie man denken kann, begann hiedurch ein ganz neues Leben. Auch fuͤr die geringere Claſſe ward geſorgt: von den ſtrengen fis - caliſchen Ordnungen ward vieles nachgelaſſen1)Frizzi: Memorie V, p. 25..
Jedoch nicht alles konnte in dieſem Sinne ſeyn. Auch die kirchliche Herrſchaft war nicht lauter Milde. Gar bald fiel die Rechtspflege kirchlicher Beamten dem Adel beſchwer - lich: der erſte Giudice de’ Savj, jener Montecatino, fand es ungebuͤhrlich, wie man die Rechte ſeiner Wuͤrde ein - ſchraͤnke, und dankte ab. Allgemeines Mißvergnuͤgen er - regte es, daß Papſt Clemens fuͤr noͤthig hielt ſich ſeiner Eroberung durch ein Caſtell zu verſichern. Die Vorſtel - lungen, welche die Einwohner gegen dieß Vorhaben ein - reichten, ſo flehentlich ſie auch abgefaßt ſeyn mochten, wa -279Eroberung von Ferrara.ren vergebens: gerade einer der bewohnteſten Theile der Stadt ward zum Caſtelle auserſehen1)Dispaccio Delfino 7 Giugno 1598. Si pensa dal papa di far una citadella della parte verso Bologna, per la poca so - disfattione che ha la nobilità per non esser rispettata dalli mini - stri della giustitia e che non li siano per esser restituiti le en - trate vecchie della communità — dolendosi di esser ingannati. . Ganze Straßen wurden niedergeriſſen: Kirchen, Oratorien, Hospitien, die Luſthaͤuſer des Herzogs und des Hofes, das ſchoͤne Belve - dere, von ſo vielen Dichtern geprieſen.
Vielleicht hatte man geglaubt mit dieſen Zerſtoͤrungen noch vollends die Erinnerung an das herzogliche Haus zu vernichten: jedoch hieruͤber erwachte ſie wieder: die ſchon uͤbertaͤubte Neigung zu dem angeſtammten Fuͤrſtengeſchlechte kehrte zuruͤck. Alles was zu dem Hofe gehoͤrt hatte, wandte ſich nach Modena. Ferrara, ſchon fruͤher nicht ſehr leb - haft, veroͤdete noch mehr.
Doch konnten nicht alle die es wuͤnſchten dem Hofe folgen. Von einem alten Diener des herzoglichen Hauſes iſt eine handſchriftliche Chronik uͤbrig, in der er von dem Hofe Alfonſos, ſeinen Vergnuͤgungen, ſeinen Concerten und Predigten mit Behagen Bericht erſtattet. „ Jetzt aber “, ſagt er zum Schluß, „ iſt es mit alle dem vorbei. Jetzt gibt es keinen Herzog mehr in Ferrara und keine Prinzeſſinnen: kein Concert und keine Concertgeberinnen: ſo vergeht die Pracht der Welt. Fuͤr Andere wird die Welt durch die Veraͤnderungen angenehm, nicht fuͤr mich, der ich allein zuruͤckgeblieben bin, alt, gebrechlich und arm. Jedoch ge - lobt ſey Gott. “2)Cronica di Ferrara: „ Sic transit gloria mundi. E per
280Buch VI. Innere Streitigkeiten.Es liegt am Tage, daß Clemens VIII. ſich durch ei - nen ſo großen Erfolg, den er im Einverſtaͤndniß mit der franzoͤſiſchen Politik erreicht hatte, enge und enger an dieſe geknuͤpft fuͤhlen mußte. Jetzt kam es ihm zu Gute, daß er ſich in Sachen der Ligue ſo gemaͤßigt gehalten, der Ent - wickelung der Ereigniſſe in Frankreich doch kein Hinderniß in den Weg gelegt, und ſich wenigſtens noch in dem letz - ten Moment zur Ertheilung der Abſolution entſchloſſen hatte. An dem Kriege, der an den niederlaͤndiſch-franzoͤſiſchen Gren - zen fortging, nahm man zu Rom einen Antheil, als waͤre es ein eigener: man war entſchieden fuͤr Frankreich. Die Eroberung von Calais und von Amiens, die den Spa - niern gelang, brachte an dem roͤmiſchen Hofe ein Miß - vergnuͤgen hervor „ das man nicht ſchildern koͤnnte, “ſagt Oſſat, „ eine aͤußerſte Melancholie, Beſchaͤmung und Zorn “1)Ossat a Villeroy 14 mai 1596: 20 avril 1597. I, 251. 458. Delfino: Li pericoli di Marsiglia fecero stare il papa in gran timore e li nepoti: la perdita di Cales e poi quella di Amiens apportò loro gran mestitia e massime che si dubitò al - lora per le voci che andavano attorno di peggio, temendo quelli che ogni poco che cadeva più la riputatione de’ Francesi, i Spa - gnoli non avessero mostrato apertamente lo sdegno che hanno avuto della resolutione (absolutione?) loro e la sua mala vo - lontà: per questa causa principalmente hanno avuto carissimo il bene della Franza. . Der Papſt und ſeine Nepoten fuͤrchteten, be -2)tale variare natura è bella, ma non per me, che io son restato senza patrone, vecchio, privo di tutti i denti e povero. Lau - detur deus. “281Jeſuitiſche Bewegungen.merkt Delfino, die Spanier moͤchten den Unwillen, den ſie uͤber die Abſolution empfunden, an ihnen auslaſſen. Gluͤcklicherweiſe ſtellte Heinrich IV. ſeine erſchuͤtterte Re - putation durch die Wiedereroberung von Amiens bald wie - der her.
Nicht als ob man zu Rom diejenigen zu lieben an - gefangen haͤtte, die man fruͤher bekaͤmpfte: den Oberhaͤup - tern der Geiſtlichkeit, die ſich zuerſt an Heinrich IV. an - geſchloſſen und jene Oppoſition begruͤndet, vergaß man es doch nie: viel lieber befoͤrderte man die Anhaͤnger der Li - gue, wenn ſie nur zuletzt freiwillig zuruͤckgetreten, d. i. wenn ſie ungefaͤhr im Falle der Curie ſelber waren. Aber in Kur - zem that ſich — wie denn die Meinungen der Menſchen, wenn auch einander naheſtehend, doch ſogleich verſchiedene Hinneigungen offenbaren — unter den Anhaͤngern des Koͤ - nigs ſelbſt eine mit Abſicht ſtrenger katholiſche Partei her - vor, die vor allen Dingen das gute Vernehmen mit dem Hofe zu Rom zu erhalten trachtete: an dieſe vor - nehmlich hielt ſich der Papſt: er hoffte alle Differenzen, die es zwiſchen den franzoͤſiſchen und roͤmiſchen Intereſſen noch geben mochte, auszugleichen: hauptſaͤchlich war ſein Wunſch und ſein Bemuͤhen die Jeſuiten, die aus Frank - reich, wie wir ſahen, verjagt worden, dahin zuruͤckzufuͤh - ren, und damit der Entwickelung der Dinge, die in Frank - reich Statt gehabt, zum Trotz den roͤmiſchen Doctrinen daſelbſt freiere Bahn zu verſchaffen.
Es kam ihm hiebei eine Bewegung in dem Orden der Jeſuiten zu Statten, die, obwohl ſie aus dem Innern deſ - ſelben hervorging, doch mit der Veraͤnderung der allge -282Buch VI. Innere Streitigkeiten.meinen Tendenz des roͤmiſchen Hofes eine große Analogie hatte.
So ſonderbar verwickeln ſich oft die Dinge der Welt, daß in dem Augenblick, in welchem die Pariſer Univerſi - taͤt den Jeſuiten nichts ſo ſehr zum Verbrechen machte als ihre Verbindung mit Spanien, in welchem man in Frank - reich ſagte und glaubte, ein Jeſuit bete taͤglich fuͤr Koͤnig Philipp1)„ pro nostro rege Philippo “. , er ſey durch ein fuͤnftes Geluͤbde zur Erge - benheit gegen Spanien verpflichtet, daß eben damals das Inſtitut der Geſellſchaft in Spanien von mißvergnuͤgten Mitgliedern, der Inquiſition, einem andern Orden, end - lich ſogar von der koͤniglichen Gewalt ſelbſt die heftigſten Anfechtungen erfuhr.
Eine Wendung der Dinge welche mehr als einen Grund hatte, zunaͤchſt aber folgendergeſtalt entſprungen war.
Im Anfange waren die aͤltern und bereits ausgebil - deten Maͤnner, welche in die Geſellſchaft traten, groͤßten - theils Spanier: aus andern Nationen fanden ſich meiſtens nur juͤngere Leute hinzu, die ihre Bildung noch zu machen hatten. Natuͤrlich folgte hieraus, daß die Regierung der Geſellſchaft in den erſten Jahrzehenten vorzugsweiſe in ſpa - niſche Haͤnde fiel. Die erſte Generalcongregation beſtand aus 25 Mitgliedern: 18 von dieſen waren Spanier2)Sacchinus V, 7, 99. In der zweiten Generalcongregation war das Verhaͤltniß ſchon ermaͤßigt, obwohl noch wenig. Auf 39 Mitglieder kamen 24 Spanier.. Die erſten drei Generale gehoͤrten derſelben Nation an: nach283Jeſuitiſche Bewegungen.dem Tode des dritten, Borgia, — im Jahre 1573 — hatte abermals ein Spanier, Polanco, die groͤßte Ausſicht.
Es zeigte ſich aber, daß man in Spanien ſelbſt die Erhebung deſſelben nicht gern geſehen haben wuͤrde. Es gab in dieſer Geſellſchaft viele Neubekehrte, Judenchriſten: auch Polanco gehoͤrte zu dieſer Claſſe: man wuͤnſchte dort nicht, daß die hoͤchſte Gewalt in einer ſo maͤchtigen und ſo monarchiſch eingerichteten Geſellſchaft in ſolche Haͤnde geriethe1)Sacchinus: Historia societatis Jesu pars IV sive Ever - ardus lib. I: Horum origo motuum duplex fuit, studia natio num et neophytorum in Hispania odium. . Papſt Gregor XIII, der hievon einen Wink bekommen, hielt auch aus andern Gruͤnden eine Abwechſe - lung fuͤr nuͤtzlich. Als ſich ihm eine Deputation der zur Wahl verſammelten Congregation vorſtellen ließ, fragte er ſie, wie viel Stimmen jede Nation habe: es fand ſich, daß die ſpaniſche deren mehr hatte als alle andern zuſam - men. Er fragte ferner, aus welcher Nation die Generale des Ordens bisher genommen worden. Man ſagte ihm, man habe ihrer drei gehabt, alle drei Spanier. „ Es iſt billig “, entgegnete Gregor, „ daß Ihr auch einmal einen aus einer andern Nation waͤhlt “. Er ſchlug ihnen ſogar ſel - ber einen Candidaten vor.
Nun ſtraͤubten ſich wohl die Jeſuiten einen Augen - blick hiewider, weil es ihre Privilegien verletze: aber zu - letzt ernannten ſie doch eben den, welchen der Papſt vor - geſchlagen. Es war Eberhard Mercurianus.
Schon hiemit trat eine bedeutende Veraͤnderung ein Mercurian, ein ſchwacher und unſelbſtaͤndiger Mann, uͤber -284Buch VI. Innere Streitigkeiten.ließ die Geſchaͤfte anfangs zwar wieder einem Spanier, aber darauf einem Franzoſen, ſeinem beſtallten Admonitor: — es bildeten ſich Factionen: eine verdraͤngte die andere aus den wichtigen Aemtern: die herrſchende fand ſchon zu - weilen einen gewiſſen Widerſtand in den untern Kreiſen.
Noch viel wichtiger aber wurde es, daß bei der naͤch - ſten Vacanz im Jahre 1581 Claudius Aquaviva, ein Nea - politaner aus einem Hauſe das ſich fruͤher zu der fran - zoͤſiſchen Partei gehalten, ein kraͤftiger Mann, der erſt 38 Jahre zaͤhlte, dieſe Wuͤrde erhielt.
Einmal nemlich glaubten die Spanier einzuſehen, daß ihre Nation, von der die Geſellſchaft begruͤndet und auf ihre Bahn geleitet worden, von dem Generalat auf ewig ausgeſchloſſen ſey: ſie wurden daruͤber mißvergnuͤgt, wider - ſpenſtig1)Mariana: Discurso de las enfermedades de la compañia c. XII. La nacion española està persuadida queda para sem - pre excluida del generalato. Esta persuasion, sea verdadera sea falsa, no puede dexar de causar disgustos y disunion tanto mas que esta nacion fundò la compañia, la honrò, la enseñò y aun sustentò largo tiempo con su substancia. , und faßten den Gedanken ſich auf irgend eine Weiſe, etwa durch die Aufſtellung eines eigenen General - commiſſars fuͤr die ſpaniſchen Provinzen, von Rom unab - haͤngiger zu machen. Aquaviva dagegen war nicht gemeint von der Autoritaͤt, welche ihm der Buchſtabe der Verfaſ - ſung zuerkannte, das Mindeſte fallen zu laſſen. Um die Mißvergnuͤgten in Zaum zu halten, ſetzte er ihnen Obere auf deren perſoͤnliche Ergebenheit er rechnen durfte: juͤn - gere Maͤnner, die ihm an Alter und Geſinnung naͤher ſtan -285Jeſuitiſche Bewegungen.den1)Mariana c. XII. Ponen en los gobiernos homes mozos — — porque son mas entremetidos saben lamer a sus tiempos. : wohl auch Mitglieder von minderm Verdienſt, Coadjutoren, die nicht alle Berechtigungen genoſſen: die dann, die einen wie die andern, ihre Stuͤtze in dem Gene - ral ſahen: endlich Landsleute, Neapolitaner2)Außer Mariana ſind hieruͤber auch noch die Eingaben an Cle - mens VIII. wichtig: abgedruckt in der tuba magnum clangens so - num ad Clementem XI p. 583. Videmus cum magno detri - mento religionis nostrae et scandalo mundi quod generalis nulla habita ratione nec antiquitatis nec laborum nec meritorum facit quos vult superiores et ut plurimum juvenes et novicios, qui sine ullis meritis et sine ulla experientia cum maxima arrogan - tia praesunt senioribns: — — et denique generalis, quia homo est, habet etiam suos affectus particulares, — — et quia est Neapolitanus, melioris conditionis sunt Neapolitani. .
Die alten, gelehrten, erfahrnen Patres ſahen ſich nicht allein von der hoͤchſten allgemeinen Wuͤrde, ſondern auch von den Aemtern in den Provinzen entfernt. Aquaviva gab vor, ihre Fehler ſeyen daran Schuld: der eine ſey cho - leriſch, der andere melancholiſch: natuͤrlich, ſagt Mariana, ausgezeichnete Leute pflegen wohl auch mit einem Mangel behaftet zu ſeyn: doch war der eigentliche Grund, daß er ſie fuͤrchtete, und zur Ausfuͤhrung ſeiner Befehle gefuͤgi - gere Werkzeuge haben wollte. In der Regel bedarf der Menſch der Genugthuung ſelbſtthaͤtigen Antheil an den oͤf - fentlichen Dingen zu nehmen, und am wenigſten wird man ſich ruhig aus ſeinem Beſitze treiben laſſen. Es entſtanden Reibungen in allen Collegien. Mit ſtummer Animoſitaͤt wurden die neuen Obern aufgenommen: ſie konnten nichts weſentliches durchſetzen: ſie waren nur froh wenn ſie ohne286Buch VI. Innere Streitigkeiten.ohne Bewegung, ohne Unruhen wegkamen. Doch hatten ſie Macht genug ſich auch wieder zu raͤchen. Auch ſie beſetz - ten nun die untergeordneten Aemter bloß mit ihren perſoͤn - lichen Anhaͤngern: denn an Anhaͤngern konnte es ihnen bei der monarchiſchen Verfaſſung des Ordens und dem Ehr - geiz der Mitglieder auf die Laͤnge nicht fehlen: ſie ſchickten ihre hartnaͤckigſten Gegner fort, und zwar gerade dann am liebſten, wenn eine wichtige Berathung im Werke war: ſie verſetzten ſie in andere Provinzen. So loͤſte ſich alles in Druck und Gegendruck von Perſoͤnlichkeiten auf. Je - des Mitglied hatte nicht allein das Recht, ſondern ſogar die Pflicht die Fehler anzuzeigen, die es an Andern be - merke: eine Einrichtung, die bei der Unſchuld einer kleinen Genoſſenſchaft nicht ohne moraliſchen Zweck ſeyn mochte: jetzt aber entwickelte ſie ſich zur widerwaͤrtigſten Angebe - rei: ſie ward ein Mittel des geheimen Ehrgeizes, des un - ter der Maske der Freundſchaft verborgenen Haſſes: „ wollte man das Archiv zu Rom nachſehen, “ruft Mariana aus, „ ſo wuͤrde ſich vielleicht kein einziger rechtſchaffener Mann wenigſtens unter uns Entferntern finden “: es riß ein allge - meines Mißtrauen ein: Keiner haͤtte ſich ſeinem Bruder vollkommen eroͤffnet.
Dazu kam nun, daß Aquaviva nicht bewogen wer - den konnte Rom zu verlaſſen und die Provinzen zu be - ſuchen, wie doch noch Lainez und Borgia gethan. Man entſchuldigte dieß damit, daß es auch ſeinen Vortheil habe die Dinge ſchriftlich in Erfahrung zu bringen, in ununter - brochenem Fortgang, ohne die Stoͤrung der Zufaͤlligkei - ten einer Reiſe. Allein zunaͤchſt folgte doch auf jeden287Jeſuitiſche Bewegungen.Fall hieraus, daß die Provinzialen, in deren Haͤnden die ganze Correſpondenz lag, eine noch groͤßere Selbſtaͤndig - keit erhielten. Es war vergebens uͤber ſie zu klagen: ſie konnten dieß leicht vorherſehen und die Wirkung um ſo eher in voraus vernichten, da Aquaviva ſie ohnehin beguͤnſtigte: ſie behielten ihre Stellen ſo gut wie auf Lebenszeit.
Unter dieſen Umſtaͤnden ſahen die alten Jeſuiten in Spanien, daß ſich eine Lage der Dinge, die ſie als Ty - rannei fuͤhlten, innerhalb der Grenzen der Geſellſchaft allein niemals wuͤrde abaͤndern laſſen, ſie beſchloſſen ſich nach fremder Huͤlfe umzuſehen.
Zuerſt wandten ſie ſich an die nationale geiſtliche Ge - walt ihres Landes, an die Inquiſition. Die Inquiſition hatte, wie man weiß, gar manches Vergehn ihrem Rich - terſpruch vorbehalten. Ein mißvergnuͤgter Jeſuit klagte — wie er erklaͤrte, durch Gewiſſensſcrupel bewogen — ſeinen Orden an, daß er Verbrechen dieſer Art, wenn ſie von ſeinen Mitgliedern begangen worden, verberge und ſelbſt abmache. Ploͤtzlich ließ die Inquiſition den Provinzial, der bei einem Falle dieſer Art betheiligt war, und einige ſeiner thaͤtigſten Genoſſen einziehen1)Sacchinus pars V, lib. VI, n. 85. Quidam e confessa - riis seu vere seu falso delatus ad provincialem tum Castellae, Antonium Marcenium, erat de tentata puellae per sacras confes - siones pudicitia, quod crimen in Hispania sacrorum quaesitorum judicio reservabatur. . Da nach dieſem erſten Anfang auch andere Anklagen hervortraten, ließ ſich die Inquiſition die Statuten des Ordens aushaͤndigen, und ſchritt zu neuen Verhaftungen. Es entſtand eine um ſo lebhaftere Aufregung in den glaͤubigen Spaniern, da man288Buch VI. Innere Streitigkeiten.nicht wußte weshalb: da ſich die Meinung ausbreitete, die Jeſuiten ſeyen um einer Ketzerei willen eingezogen worden.
Die Inquiſition haͤtte jedoch nur eine Strafe verhaͤn - gen, keine Aenderung vorſchreiben koͤnnen. Wie es ſo weit war, wandten ſich die Mißvergnuͤgten auch an den Koͤ - nig. Mit weitlaͤuftigen Klageſchriften uͤber die Maͤngel in ihrer Verfaſſung beſtuͤrmten ſie ihn. Philipp dem II. hatte dieſe Verfaſſung niemals gefallen: er pflegte zu ſagen, alle andern Orden durchſchaue er, nur den jeſuitiſchen koͤnne er nicht verſtehn: beſonders ſchien ihm einzuleuchten, was man ihm von dem Mißbrauch der abſoluten Gewalt und dem Unweſen der geheimen Anklagen ſagte: in der Mitte des gro - ßen europaͤiſchen Kampfes, in dem er ſich befand, widmete er doch auch dieſer Sache ſeine Aufmerkſamkeit: zunaͤchſt beauftragte er den Biſchof Manrique von Carthagena be - ſonders mit Hinſicht auf jene Punkte den Orden einer Viſitation zu unterwerfen.
Ein Angriff der, wie man ſieht, dem Charakter des Inſtitutes, dem Oberhaupte ſelbſt galt: um ſo bedeuten - der, da er aus eben dem Lande kam, wo die Geſellſchaft entſprungen war und zuerſt Fuß gefaßt hatte.
Aquaviva erſchrak nicht davor. Er war ein Mann der hinter einer großen aͤußern Milde und ſanften Sitten eine innerliche Unerſchuͤtterlichkeit verbarg, eine Natur, wie auch Clemens VIII, und wie ſie uͤberhaupt in dieſer Zeit emporkamen, vor allen Dingen beſonnen, gemaͤßigt, klug, verſchwiegen. Er haͤtte ſich nie ein abſprechendes Urtheil erlaubt: er litt nicht daß ein ſolches auch nur in ſeiner Gegen - wart verlautete, am wenigſten uͤber eine ganze Nation: ſeineSe -289Jeſuitiſche Bewegungen.Secretaͤre waren ausdruͤcklich angewieſen jedes verletzende, jedes bittere Wort zu vermeiden. Er liebte die Froͤmmig - keit, auch ihren aͤußern Anſchein; in ſeiner Haltung am Altar druͤckte er einen hingegebenen Genuß an den Wor - ten des Hochamtes aus: jedoch hielt er alles fern, was an Schwaͤrmerei erinnerte. Er ließ eine Erklaͤrung des Hohenliedes nicht zum Druck gelangen, weil er es anſtoͤ - ßig fand, daß der Ausdruck auf den Grenzen ſinnlicher und geiſtiger Liebe ſchwankte. Auch wenn er tadelte, wußte er zu gewinnen: er zeigte die Ueberlegenheit der Ruhe, mit ſinnreichen Gruͤnden wies er die Irrenden zurecht: mit Be - geiſterung hing die Jugend an ihm. „ Man muß ihn lie - ben “, ſchreibt Maximilian von Vaiern ſeinem Vater von Rom, „ wenn man ihn nur anſieht. “ Dieſe Eigenſchaften nun, ſeine unermuͤdliche Thaͤtigkeit, ſeine vornehme Her - kunft ſelbſt, die ſtets wachſende Bedeutung ſeines Ordens machten ihm eine große Stellung in Rom. Gelang es ſeinen Gegnern die nationalen Gewalten in Spanien zu gewinnen, ſo hatte er den roͤmiſchen Hof fuͤr ſich, den er von Jugend auf kannte — er war ſchon Kammerherr als er in den Or - den trat, — den er mit der Meiſterſchaft eines angebornen und geuͤbten Talentes zu behandeln wußte1)Sacchinus, und beſonders Juvencius: Hist. soc. Jesu par - tis quintae tomus posterior XI, 21 und XXV, 33 — 41..
Beſonders ward es ihm bei der Natur Sixtus V. leicht die Antipathien dieſes Papſtes gegen die Beſtrebungen der Spanier zu erwecken. Papſt Sixtus hatte, wie wir wiſſen, die Idee Rom noch mehr zur Metropole der Chriſtenheit zu erheben, als es das ſchon war: Aquaviva ſtellte ihm vor,Päpſte* 19290Buch VI. Innere Streitigkeiten.man ſuche in Spanien nichts anders als ſich von Rom unabhaͤngiger zu machen. Papſt Sixtus haßte nichts ſo ſehr als unechte Geburt: Aquaviva hinterbrachte ihm, je - ner zum Viſitator auserſehene Biſchof Manrique ſey ein Baſtard. Grund genug fuͤr den Papſt die ſchon ertheilte Bewilligung der Viſitation wieder zuruͤckzunehmen. Auch den Proceß des Provincial zog er nach Rom. Unter Gre - gor XIV. gelang es dem General eine foͤrmliche Beſtaͤti - gung der Inſtitute des Ordens auszubringen.
Aber auch die Gegner waren hartnaͤckig und verſchla - gen. Sie ſahen wohl, daß man den General an dem roͤ - miſchen Hofe ſelbſt angreifen muͤſſe. Einen Augenblick der Abweſenheit deſſelben — er hatte den Auftrag eine Zwi - ſtigkeit zwiſchen Mantua und Parma beizulegen — benutz - ten ſie um Clemens VIII. zu gewinnen. Auf den Antrag der ſpaniſchen Jeſuiten und Philipps II. ordnete Clemens, im Sommer 1592, ohne Wiſſen Aquavivas eine General - congregation an.
Erſtaunt und betroffen eilte Aquaviva zuruͤck. Den Generalen der Jeſuiten waren allgemeine Congregationen ſo unbequem, wie eine Kirchenverſammlung dem Papſt. Suchte ſie ſchon jeder Andere zu vermeiden, wie viel mehr Aquaviva, gegen den ein ſo lebhafter Haß ſich regte. Doch ſah er bald, daß die Anordnung unwiderruflich war1)In einer Consulta del padre C1 Aquaviva coi suoi pa - dri assistenti, MS der Bibl. Corſini n. 1055, welche die Momente der innern Entzweiung im Ganzen recht gut und uͤbereinſtimmend mit Mariana darſtellt, laͤßt man Aquaviva uͤber ein Geſpraͤch, das er mit dem Papſt hatte, folgendes berichten: S. Stà disse che io non aveva sufficiente notizia de’ soggetti della religione, che io:291Jeſuitiſche Bewegungen.er faßte ſich und ſagte: „ Wir ſind gehorſame Soͤhne: der Wille des heiligen Vaters geſchehe. “ Dann eilte er ſeine Maaßregeln zu nehmen.
Schon auf die Wahlen verſchaffte er ſich einen gro - ßen Einfluß. Es gluͤckte ihm, ſelbſt in Spanien mehrere von ſeinen gefaͤhrlichſten Widerſachern, z. B. Mariana, zu - ruͤckgewieſen zu ſehen.
Als nun die Verſammlung beiſammen war, wartete er nicht ſo lange, bis man ihn angriff. Gleich in der erſten Sitzung erklaͤrte er: da er das Ungluͤck habe einigen ſeiner Mitbruͤder zu mißfallen, ſo bitte er vor allen andern Ge - ſchaͤften um eine Unterſuchung ſeines Betragens. Es ward eine Commiſſion ernannt: es wurden Beſchwerden namhaft gemacht; allein wie haͤtte ihm die Ueberſchreitung eines po - ſitiven Geſetzes nachgewieſen werden ſollen: er war viel zu klug um ſich eine ſolche zu Schulden kommen zu laſſen: er ward glaͤnzend gerechtfertigt.
Dergeſtalt perſoͤnlich geſichert, ging er mit der Ver - ſammlung an die Eroͤrterung der das Inſtitut betreffenden Vorſchlaͤge.
Koͤnig Philipp hatte einiges gefordert, anderes der Er - waͤgung empfohlen. Gefordert hatte er zweierlei: Verzicht - leiſtung auf gewiſſe paͤpſtliche Privilegien, z. B. verbotene1)veniva ingannato da falsi delatori, che io mi dimostrava troppo credulo. — Zu den Urſachen weshalb eine Congregation nothwendig ſey, rechnet man auch dieſe: Perchè molti soggetti di valore, che per non esser conosciuti più che tanto da’ generali non hanno mai parte alcuna nel governo, venendo a Roma in occasione delle congregationi sarebbero meglio conosciuti e per conse - guenza verrebbero più facilmente in parte del medesimo governo, senza che questo fosse quasi sempre ristretto a pochi. 19*292Buch VI. Innere Streitigkeiten.Buͤcher zu leſen, vom Verbrechen der Ketzerei zu abſolvi - ren, und ein Geſetz, kraft deſſen ſich jeder Noviz der in den Orden trete aller Majorate die er beſitze, ſelbſt aller ſeiner Pfruͤnden begeben ſolle. Es waren Dinge, in de - nen die Geſellſchaft mit Inquiſition und Staatsverwaltung zuſammenſtieß. Nach einigem Bedenken wurden dieſe For - derungen hauptſaͤchlich durch Aquavivas eigenen Einfluß bewilligt.
Noch um vieles wichtiger aber waren die Punkte, die der Koͤnig der Erwaͤgung empfohlen. Vor allem: ob nicht die Gewalt der Oberen auf eine beſtimmte Zeit einzuſchraͤn - ken, ob nicht eine Wiederholung der Generalcongregationen in feſtgeſetzten Terminen anzuordnen ſey. Das Weſen des Inſtituts, die Rechte der abſoluten Herrſchaft kamen hiedurch in Frage. Da war Aquaviva nicht ſo geneigt. Nach leb - haften Debatten wies die Congregation dieſe Antraͤge des Koͤnigs zuruͤck. Allein auch der Papſt war von der Nothwen - digkeit derſelben uͤberzeugt. Was dem Koͤnig abgeſchlagen worden, befahl nunmehr der Papſt: aus apoſtoliſcher Macht - vollkommenheit ſetzte er feſt, daß die Oberen, die Rectoren alle drei Jahr wechſeln, die Generalcongregationen alle ſechs Jahr einmal zuſammentreten ſollten1)Juvencius hat in ſeinem erſten Buch, das er das elfte nennt, „ societas domesticis motibus agitata “hieruͤber ausfuͤhr - liche Nachrichten, welche hier zu Grunde liegen..
Nun iſt es zwar an dem, daß die Ausfuͤhrung dieſer Anordnungen doch nicht ſo viel wirkte, als man gehofft hatte. Die Congregationen konnten gewonnen werden; die Rectoren wurden freilich gewechſelt, aber in einem engen293Jeſuitiſche Bewegungen.Kreiſe, und bald kehrten die nemlichen wieder. Aber alle Mal war es ein bedeutender Schlag fuͤr die Geſellſchaft, daß es durch innere Empoͤrung und auswaͤrtige Einwir - kung zu einer Abaͤnderung ihrer Geſetze gekommen war.
Und ſchon erhob ſich in den nemlichen Gegenden noch ein anderer Sturm.
Die Jeſuiten hatten ſich anfangs an den Lehrbegriff der Thomiſten gehalten, wie er in den Schulen jener Zeit uͤberhaupt herrſchte. Ignazio hatte ſeine Schuͤler aus - druͤcklich auf die Lehre des Doctor Angelicus angewieſen.
Gar bald aber glaubten ſie zu finden, daß ſie mit dieſen Lehren den Proteſtanten gegenuͤber nicht ganz zum Ziele gelangen koͤnnten. Sie wollten in den Doctrinen ſelbſtaͤndig ſeyn wie im Leben. Es war ihnen unbequem den Dominicanern nachzutreten, zu denen S. Thomas ge - hoͤrt hatte, und die als die natuͤrlichen Erklaͤrer ſeiner Mei - nungen angeſehen wurden. Nachdem ſie ſchon fruͤher man - ches Zeichen dieſer Geſinnung gegeben, ſo daß ſchon zu - weilen bei der Inquiſition von der freiern Denkart der Vaͤter Jeſuiten die Rede war1)Lainez ſelbſt war der ſpaniſchen Inquiſition verdaͤchtig. Llo - rente III, 83, ſo trat Aquaviva 1584 in ſeiner Studienordnung offen mit derſelben hervor. Er meint, S. Thomas ſey zwar der beifallswuͤrdigſte Autor, doch wuͤrde es ein unertraͤgliches Joch ſeyn, in allen Din - gen ſeinen Fußtapfen folgen, gar keine freien Meinungen hegen zu ſollen. Von neuern Theologen ſey manche alte Lehre beſſer begruͤndet, manche neue vorgetragen worden,294Buch VI. Innere Streitigkeiten.die zur Bekaͤmpfung der Ketzer trefflich diene, in alle dem moͤge man dieſen Doctoren folgen.
Schon dieß veranlaßte in Spanien, wo die theologi - ſchen Katheder noch groͤßtentheils von Dominicanern ein - genommen waren, eine gewaltige Aufregung. Man erklaͤrte die Studienordnung fuͤr das verwegenſte, anmaßendſte, ge - faͤhrlichſte Buch in ſeiner Art: man ging Koͤnig und Papſt daruͤber an1)Pegna in Serry: Historia congregationum de auxiliis di - vinae gratiae p. 8. y dado a censurar, fue dicho por aquellos censores (Mariana und Serry reden ſogar von der Inquiſition) que aquel libro era el mas peligroso, temerario y arrogante que jamas havia salido in semejante materia, y que si se metia en pratica lo que contenia, causaria infinitos daños y alborotos en la republica christiana. .
Wie viel groͤßer aber mußte die Bewegung werden, als nun wirklich das thomiſtiſche Syſtem in einem der wichtigſten Lehrſtuͤcke von den Jeſuiten verlaſſen ward.
In der geſammten Theologie, der katholiſchen wie der proteſtantiſchen, waren die Streitfragen uͤber Gnade und Verdienſt, freien Willen und Praͤdeſtination noch immer die wichtigſten, wirkſamſten: ſie beſchaͤftigten noch immer Gemuͤth, Gelehrſamkeit und Speculation der Geiſtlichen wie der Laien. Auf der proteſtantiſchen Seite fanden nun damals die ſtrengen Lehren Calvins von dem particularen Rathſchluß Gottes, nach welchem „ Einigen die ewige Seligkeit, Andern die Verdammniß vorherbeſtimmt wor - den “, den meiſten Beifall: die Lutheraner mit ihren mildern Begriffen hieruͤber waren im Nachtheil, und erlit - ten bald hier bald dort Verluſte. Eine entgegengeſetzte295Jeſuitiſche Bewegungen.Entwickelung fand auf der katholiſchen Seite Statt. Wo irgend eine Hinneigung zu den Begriffen auch der milde - ſten Proteſtanten, auch nur eine ſchaͤrfere Auffaſſung der auguſtiniſchen Vorſtellungsweiſe zum Vorſchein kam, z. B. bei Bajus in Loͤwen, ward ſie bekaͤmpft und unterdruͤckt. Beſonders die Jeſuiten zeigten ſich hierin eifrig. Das in dem tridentiniſchen Concilium aufgeſtellte Lehrſyſtem, das ja ſelbſt nicht ohne den Einfluß ihrer Mitbruͤder Lai - nez und Salmeron zu Stande gekommen, vertheidigten ſie gegen jede Abweichung nach der verworfenen und verlaſſe - nen Seite hin. Und ſelbſt dieß Syſtem that ihrem pole - miſchen Eifer nicht immer Genuͤge. Im Jahre 1588 trat Luis Molina zu Evora mit einem Buche hervor, in wel - chem er jene Streitfragen neuerdings vornahm und die noch immer uͤbrig gebliebenen Schwierigkeiten auf eine neue Weiſe zu beſeitigen verſuchte1)Liberi arbitrii cum gratiae donis concordia. In den Streitigkeiten hat man immer fuͤr noͤthig gehalten die Ausgaben von Liſſabon 1588, von Antwerpen 1595 und von Venedig ſorgfaͤltig zu unterſcheiden, weil ſie alle von einander abweichen.. Seine vornehmſte Abſicht bei dieſem Unternehmen war, dem freien Willen des Menſchen noch einen groͤßern Spielraum zu vindiciren, als der thomiſtiſche oder der tridentiniſche Lehrbegriff annahm. In Trident hatte man das Werk der Heiligung vorzuͤglich auf die inhaͤrirende Gerechtigkeit Chriſti begruͤndet, welche uns eingegoſſen die Liebe hervorrufe, zu allen Tugenden und guten Werken leite, und endlich die Rechtfertigung her - vorbringe. Einen bedeutenden Schritt weiter geht Molina. Er behauptet, der freie Wille koͤnne ohne Huͤlfe der Gnade296Buch VI. Innere Streitigkeiten.moraliſch gute Werke hervorbringen: er koͤnne Verſuchun - gen widerſtehn: er koͤnne ſich ſelbſt zu einem und dem an - dern Act der Hoffnung, des Glaubens, der Liebe und der Reue erheben1)Es wird hiebei immer der concursus generalis dei vor - ausgeſetzt: allein es wird damit eigentlich nur der natuͤrliche Zu - ſtand des freien Willens bezeichnet, der allerdings nicht ohne Gott ſo iſt wie er iſt: Deus semper praesto est per concursum gene - ralem libero arbitrio, ut naturaliter velit aut nolit prout pla - cuerit. Das iſt ungefaͤhr ſo, wie bei Bellarmin natuͤrliches und goͤttliches Recht identificirt werden, weil Gott der Urheber der Na - tur iſt.. Wenn der Menſch ſo weit ſey, ſo ge - waͤhre ihm alsdann Gott um des Verdienſtes Chriſti wil - len die Gnade2)Auch dieſe Gnade faßt er ſehr natuͤrlich auf: Disput. 54. Dum homo expendit res credendas — — per notitias conciona - toris aut aliunde comparatas, influit deus in easdem notitias in - fluxu quodam particulari quo cognitionem illam adjuvat. , durch die er die uͤbernatuͤrlichen Wir - kungen der Heiligung erfahre: allein ganz wie vorher ſey auch bei dem Empfangen dieſer Gnade, bei ihrem Wachſen der freie Wille unaufhoͤrlich thaͤtig. Auf dieſen komme doch alles an; es ſtehe bei uns die Huͤlfe Got - tes wirkſam oder unwirkſam zu machen. Auf der Verei - nigung des Willens und der Gnade beruhe die Rechtferti - gung, ſie ſeyen verbunden wie ein paar Maͤnner die an Einem Schiffe ziehen; es verſteht ſich nun, daß Molina hiebei den Begriff von Praͤdeſtination, wie er bei Auguſti - nus oder Thomas von Aquino vorkommt, nicht annehmen kann. Er findet ihn zu hart, zu grauſam. Er will von keiner andern Vorherbeſtimmung wiſſen, als einer ſolchen, welche eigentlich Vorausſicht ſey. Nun wiſſe aber Gott aus hoͤchſter Einſicht in die Natur eines jeden Willens vor -297Jeſuitiſche Bewegungen.aus, was derſelbe in dem gegebenen Falle thun werde, ob - wohl er auch das Gegentheil haͤtte thun koͤnnen. Allein nicht darum erfolge etwas, weil es Gott vorherwiſſe: ſondern Gott ſehe es darum vorher, weil es erfolgen werde.
Eine Lehre die nun allerdings der calviniſtiſchen ganz an dem entgegengeſetzten Ende gegenuͤbertritt: zugleich die erſte die es unternimmt das Geheimniß, ſo zu ſagen, zu rationaliſiren. Sie iſt verſtaͤndlich, ſcharfſinnig und flach: eben darum kann ſie einer gewiſſen Wirkung nicht verfeh - len: man darf ſie wohl mit der Doctrin von der Volks - ſouveraͤnetaͤt vergleichen, welche die Jeſuiten zu der nemli - chen Zeit auch ausbildeten1)Dieſe rationaliſtiſche Richtung tritt auch ſonſt hervor, z. B. in den Behauptungen der Jeſuiten Leß und Hamel 1585 zu Loͤwen: Propositiones in Lessio et Hamelio a theologis Lovaniensibus notatae: ut quid sit scriptura sacra, non est necessarium singula ejus verba inspirata esse a spiritu sancto. Von den Worten gehn ſie ſogleich zu den Wahrheiten fort: non est necessarium ut sin - gulae veritates et sententiae sint immediate a spiritu sancto ipsi scriptori inspiratae. Die weſentlichen Behauptungen Molinas fin - den ſich bereits, wenigſtens zum Theil, in dieſen Saͤtzen; auch wird darin auf ihre voͤllige Abweichung von den proteſtantiſchen aufmerk - ſam gemacht: haec sententia — — quam longissime a sententia Lutheri et Calvini et reliquorum haereticorum hujus temporis recedit, a quorum sententia et argumentis difficile est alteram sententiam (die auguſtiniſche und thomiſtiſche) vindicare. .
Nothwendig aber mußten ſie damit in ihrer eigenen Kirche Widerſtand erwecken: ſchon darum, weil ſie ſich von dem Doctor Angelicus entfernten, deſſen Summa noch im - mer das vornehmſte Handbuch der katholiſchen Theologen bildete. Einige Mitglieder des Ordens ſelbſt, Henriquez,298Buch VI. Innere Streitigkeiten.Mariana, ſprachen oͤffentlich ihren Tadel aus. Bei wei - tem lebhafter aber nahmen die Dominicaner ihren Patriar - chen in Schutz. Sie ſchrieben und predigten gegen Molina, in ihren Vorleſungen griffen ſie ihn an. Endlich veranſtal - tete man am 4. Merz 1594 in Valladolid eine Disputa - tion zwiſchen beiden Theilen. Die Dominicaner, die ſich im Beſitze der Rechtglaͤubigkeit glaubten, wurden heftig. „ Sind denn “, rief ein Jeſuit aus, „ die Schluͤſſel der Weisheit etwa bei Euch? “ Die Dominicaner ſchrien auf: ſie nahmen dieß fuͤr einen Angriff auf S. Thomas ſelbſt.
Seitdem trennten ſich die beiden Orden voͤllig. Die Dominicaner wollten nichts mehr mit den Jeſuiten zu thun haben. Die Jeſuiten nahmen, wo nicht alle, doch bei wei - tem zum groͤßten Theil fuͤr Molina Partei. Aquaviva ſelbſt, ſeine Aſſiſtenten waren fuͤr denſelben.
Aber ſchon griff auch hier die Inquiſition ein. Der Großinquiſitor — es war eben jener Hieronymus Manri - que, der zum Viſitator des Ordens beſtimmt geweſen — machte Miene Molina zu verdammen: er ließ ihm bemer - ken, ſein Buch duͤrfte wohl nicht mit einer einfachen Ver - werfung wegkommen, ſondern zum Feuer verurtheilt wer - den. Gegenklagen Molinas wider die Dominicaner wei - gerte er ſich anzunehmen.
Eine Streitigkeit welche die ganze katholiſche Welt ſowohl der Lehren als ihrer Verfechter halber in Bewegung ſetzte, und die jenen Angriff auf das jeſuitiſche Inſtitut, der ſich in Spanien erhoben, um vieles verſtaͤrkte.
Eben hiedurch trat nun aber die ſonderbare Erſchei -299Jeſuitiſche Bewegungen.nung ein, daß waͤhrend man die Jeſuiten wegen ihrer Hinneigungen zu Spanien aus Frankreich verjagte, von Spa - nien her ſelbſt der gefaͤhrlichſte Angriff gegen ſie unternommen ward. In beiden Laͤndern waren Momente der Politik und der Doctrin hiebei thaͤtig. Der politiſche war am Ende in beiden der nemliche, ein nationaler Gegenſatz gegen die Vorrechte und Freiheiten dieſes Ordens: in Frankreich war er gewaltſamer, heftiger: in Spanien aber eigenthuͤmlicher, beſſer gegruͤndet; in Hinſicht der Doctrin waren es die neuen Lehren, welche den Jeſuiten Haß und Verfolgung zuzogen. Ihre Lehre von der Volksſouveraͤnetaͤt und dem Koͤnigs - mord ward ihnen in Frankreich, ihre Meinungen von dem freien Willen wurden ihnen in Spanien verderblich.
Ein Augenblick in der Geſchichte dieſer Geſellſchaft der fuͤr die Wendung die ſie nahm von großer Bedeu - tung iſt.
Gegen die Angriffe der nationalen Gewalten, des Par - laments und der Inquiſition, ſuchte Aquaviva Huͤlfe in dem Mittelpunkte der Kirche, bei dem Papſt.
Er benutzte den guͤnſtigen Augenblick, als jener Groß - inquiſitor geſtorben und ſeine Stelle noch nicht wieder be - ſetzt war, um den Papſt zu beſtimmen die Entſcheidung der Glaubens-Streitigkeit nach Rom zu evociren. Es war ſchon viel gewonnen, wenn die Entſcheidung nur zunaͤchſt verſchoben ward. Wie leicht fanden ſich dann in Rom an - derweite Einfluͤſſe, welche ſich in einem bedenklichen Augen - blicke geltend machen ließen. Am 9. October 1596 wur - den die Acten des Proceſſes nach Rom geſendet. Von bei -300Buch VI. Innere Streitigkeiten.den Seiten fanden ſich die gelehrteſten Theologen ein um ihren Streit unter den Augen des Papſtes durchzufechten1)Pegna: Rotae Romanae decanus istarum rerum testis locupletissimus, wie ihn Serry nennt. Cerniendo (Molina) lo que verisimilmente podia suceder de que su libro fuese prohibido y quemado, porque assi se lo avia asomado el inquisitor general, luego lo avisò a Roma, donde por obra y negociacion de su general su santidad avocò a se esta causa, ordinando a la in - quisicion general que no la concluyesse ni diesse sententia. .
In der franzoͤſiſchen Angelegenheit nahm ſich Clemens der Jeſuiten ohnehin an. Er fand es unverantwortlich, um eines Einzigen willen, welcher Strafe verdient haben moͤge, einen ganzen Orden zu verbannen, und zwar den, der das Meiſte zur Herſtellung des Katholicismus vollbringe, der eine ſo ſtarke Stuͤtze der Kirche ſey. Litt nicht auch der Orden in der That fuͤr ſeine Hingebung an den paͤpſt - lichen Stuhl, fuͤr die Lebhaftigkeit mit der er die An - ſpruͤche deſſelben an eine hoͤchſte Gewalt auf Erden verfocht? Dem Papſt mußte alles daran liegen den Gegenſatz vol - lends zu verloͤſchen, in welchem ſich Frankreich noch gegen ihn hielt. Je genauer die Verbindung ward, in die er mit Heinrich IV. trat, je einhelliger die beiderſeitige Po - litik, deſto wirkſamer wurden ſeine Vorſtellungen: von Mo - ment zu Moment gab Heinrich nachgiebigere Erklaͤrungen2)Die Jeſuiten moͤchten leugnen, daß ihre Sache mit der Po - litik in Verbindung gekommen; jedoch ergibt ſich aus Bentivoglio Memorie II, 6 p. 395, wie ſehr Cardinal Aldobrandini bei den Unterhandlungen von Lyon auf ihr Intereſſe Ruͤckſicht nahm: und gleich damals gab der Koͤnig eine guͤnſtige Erklaͤrung (Le roi au cardl Ossat 20 janv. 1601). .
Hierin unterſtuͤtzte nun das wohlerwogene Betragen des Ordens den Papſt ungemein.
301Jeſuitiſche Bewegungen.Die Jeſuiten huͤteten ſich wohl dem Koͤnig von Frankreich Entruͤſtung oder Widerwillen zu zeigen: auch waren ſie nicht geneigt ſich ferner fuͤr die verlorne Sache der Ligue in Gefahr zu ſtuͤrzen: ſo wie ſie die Wendung wahrnahmen, welche die paͤpſtliche Politik genommen, ſchlu - gen auch ſie eine aͤhnliche ein. Pater Commolet, der noch nach der Bekehrung Heinrichs IV. auf den Kanzeln aus - gerufen, man beduͤrfe eines Ehud wider ihn, und bei dem Siege des Koͤnigs hatte fliehen muͤſſen, war umgeſtimmt als er nach Rom kam, und erklaͤrte ſich fuͤr die Losſpre - chung des Koͤnigs. Unter allen Cardinaͤlen trug wohl kein Anderer durch Nachgiebigkeit, verſoͤhnende Schritte und per - ſoͤnlichen Einfluß auf den Papſt ſo viel zu dieſer Abſolu - tion bei wie der Jeſuit Toledo1)Du Perron a Villeroy: Ambassades I, 23. Seulement vous diray-je que Mr le Cl Tolet a fait des miracles et s’est monstré bon Français. . Sie thaten dieß, waͤh - rend das Parlament noch immer neue Beſchluͤſſe gegen ſie faßte, Beſchluͤſſe, uͤber die ſich Aquaviva beklagte, ohne ſich doch dadurch zu Eifer und Heftigkeit fortreißen zu laſſen. Nicht alle hatten vertrieben werden koͤnnen: die Zuruͤckge - bliebenen erklaͤrten ſich jetzt fuͤr den Koͤnig, und ermahnten das Volk ihm ergeben zu ſeyn, ihn zu lieben. Schon drangen Einige nach den verlaſſenen Orten vor: Aquaviva billigte dieß nicht, und wies ſie an, die Erlaubniß des Koͤ - nigs abzuwarten. Man trug Sorge daß Heinrich ſowohl das Eine als das Andre erfuhr: er war hoͤchlich erfreut daruͤber: er dankte dem General in beſondern Schreiben. Auch verſaͤumten die Jeſuiten nicht ihn nach Kraͤften in302Buch VI. Innere Streitigkeiten.dieſer Neigung zu befeſtigen. Pater Rocheome, den man den franzoͤſiſchen Cicero nannte, verfaßte eine populaͤre Apologie des Ordens, die dem Koͤnig beſonders einleuch - tete1)Gretſer hat ſie fuͤr die Nichtfranzoſen lateiniſch uͤberſetzt. Gretseri opera tom. XI, p. 280. .
Zu dieſem doppelten Antriebe, von der Seite des Pap - ſtes und des Ordens, kamen nun politiſche Betrachtungen Heinrichs IV. ſelbſt. Er ſah, wie er in einer Depe - ſche ſagt, daß er durch die Verfolgung eines Ordens, der ſo viel Mitglieder von Geiſt und Gelehrſamkeit zaͤhle, ſo viel Macht und Anhang habe, ſich in der eifrig katholi - ſchen Claſſe, die noch immer ſo zahreich ſey, unverſoͤhnliche Feinde erhalten, Verſchwoͤrungen veranlaſſen werde. Er ſah, daß er ſie ſelbſt dort nicht verjagen koͤnne, wo ſie ſich noch hielten: er haͤtte den Ausbruch einer oͤffentlichen Bewegung zu fuͤrchten gehabt2)Dispaccio del re de’ 15 Agosto 1603 al re Jacopo d’In - ghilterra, excerpirt in Siri: Memorie recondite I, p. 247. . Ueberdieß hatte Heinrich durch das Edict von Nantes den Hugenotten ſo ſtarke Zugeſtaͤndniſſe gemacht, daß er auch dem Katholicismus eine neue Ga - rantie ſchuldig war. Schon murrte man in Rom: zu - weilen gab der Papſt doch noch zu erkennen, daß er fuͤrchte betrogen zu ſeyn3)Ossat à Villeroy I, 503. . Endlich aber ſtand der Koͤnig hoch genug, um die allgemeine Lage der Dinge beſſer zu uͤber - ſehen als ſein Parlement, und die Verbindung der Je - ſuiten mit Spanien nicht zu fuͤrchten. Pater Lorenz Maggio eilte im Namen des Generals nach Frankreich,303Jeſuitiſche Bewegungen.um dem Koͤnig mit theuern Eidſchwuͤren die Treue der Geſellſchaft zuzuſichern. „ Ergebe es ſich anders, ſo ſolle man ihn und ſeine Mitbruͤder fuͤr die ſchwaͤrzeſten Verraͤ - ther halten “1)Sully lib. XVII, p. 307. . Dem Koͤnig ſchien es rathſamer ihre Freundſchaft als ihre Feindſeligkeiten zu erproben. Er ſah ein, daß er ſich ihrer zu ſeinem eigenen Vortheil gegen Spa - nien werde bedienen koͤnnen2)Riconobbe chiaramente d’esserne per ritrarre servigio e contentamento in varie occorrenze a prò proprio e de’ suoi amici contra gli Spagnoli stessi. (Dispaccio bei Siri.) .
Durch ſo viel Motive aͤußerer Politik und innerer Nothwendigkeit bewogen erklaͤrte ſich der Koͤnig ſchon im Jahre 1600 bei den Unterhandlungen von Lyon bereit den Orden wieder aufzunehmen. Er ſelbſt waͤhlte ſich den Je - ſuiten Cotton zu ſeinem Beichtvater. Nachdem manche an - dere Gunſtbezeugung vorhergegangen, erfolgte im Septem - ber 1603 das Edict, durch welches die Jeſuiten in Frank - reich wiederhergeſtellt wurden. Es wurden ihnen einige Bedingungen gemacht: von denen die wichtigſte iſt, daß ſo die Vorſteher wie die Mitglieder der Geſellſchaft in Frank - reich in Zukunft nur Franzoſen ſeyn duͤrften3)Edictum regium bei Juvencius p. V, lib. XII, n. 59. Bei Juvencius findet man alles zu Gunſten der Jeſuiten, in des Ludovicus Lucius Historia Jesuitica Basileae 1627 lib. II, c. II was damals gegen die Jeſuiten geſagt wurde. Die entſcheidenden Momente findet man weder hier noch dort: bei dem Vertheidiger ſind ſie aber doch noch mehr angedeutet als bei dem Anklaͤger.. Heinrich zweifelte nicht, daß er alles auf eine Weiſe angeordnet habe, die ihn zu vollkommenem Zutrauen berechtige.
Unbedenklich wandte er ihnen ſeine Gunſt zu. In ih -304Buch VI. Innere Streitigkeiten.ren eigenen Sachen, zunaͤchſt in ihrer dominicaniſchen Strei - tigkeit kam er ihnen zu Huͤlfe.
Clemens VIII. zeigte in dieſer Sache ein lebhaftes theologiſches Intereſſe. In ſeiner Gegenwart ſind 65 Ver - ſammlungen, 37 Disputationen uͤber alle Punkte, welche hiebei in Frage kommen konnten, gehalten worden: er ſelbſt hat mehreres daruͤber geſchrieben, und ſo weit wir urthei - len koͤnnen, neigte er ſich zu dem herkoͤmmlichen Lehr - begriff, zu einer fuͤr die Dominicaner guͤnſtigen Entſchei - dung. Selbſt Bellarmin ſagte: er leugne nicht, daß der Papſt ſich gegen die Jeſuiten zu erklaͤren geneigt ſey, aber er wiſſe, daß dieß doch nicht geſchehen werde. Zu ge - faͤhrlich waͤre es geweſen, in einer Zeit, wo die Jeſui - ten die vornehmſten Apoſtel des Glaubens in aller Welt waren, mit ihnen uͤber einen Artikel des Glaubens zu brechen, und wirklich machten ſie ſchon einmal Miene ein Concilium zu fordern: der Papſt ſoll ausgerufen haben: „ ſie wagen alles, alles. “ 1)Serry 271. Auch Contarini behauptet, ſie haͤtten gedroht: Portata la disputatione a Roma ventilata tra theologi, il papa e la maggior parte de’ consultori inclinavano nell’ opinione di Domenicani. Ma li Gesuiti, vedendosi in pericolo di cader da quel credito per il quale pretendono d’haver il primo luoco di dottrina nella chiesa catolica, erano resoluti di mover ogni ma - china per non ricever il colpo. Die Lehre mit der ſie bei Conta - rini drohen, iſt daß allerdings der Papſt infallibel ſey, aber es ſey kein Glaubensartikel Einen oder den Andern fuͤr den wahren Papſt zu halten. La potenza di questi e l’autorità di chi li proteggeva era tanta che ogni cosa era dissimulata e si mostrava di non sentirlo e sopra diffinire della controversia si andava temporeg - giando per non tirarsi adosso carica maggiore. Zu entſchieden nahmen auchdie305Jeſuitiſche Bewegungen.die Franzoſen Partei. Heinrich IV. war fuͤr ſie: ſey es, daß ihm ihre Vorſtellungsweiſe einleuchtete, was aller - dings moͤglich waͤre, oder daß er vorzugsweiſe dem Or - den, der dem Proteſtantismus den Krieg machte, auch darum beifiel, um ſeine Orthodoxie außer Zweifel zu ſetzen. Cardinal du Perron nahm an den Congregationen Theil, und hielt die jeſuitiſche Partei mit geſchicktem Eifer aufrecht. Er ſagte dem Papſt, die Lehren der Dominica - ner koͤnne auch ein Proteſtant unterſchreiben, und es mag wohl ſeyn, daß er damit Eindruck auf denſelben ge - macht hat.
Der Wettſtreit zwiſchen Spanien und Frankreich, wel - cher die Welt bewegte, miſchte ſich auch in dieſe Streitig - keiten ein. Die Dominicaner fanden eben ſo viel Schutz bei den Spaniern, wie die Jeſuiten bei den Franzoſen1)Hauptſtelle bei du Perron: Ambassades et negotiations liv. III, tom. II, p. 839 Lettre du 23 janv. 1606: Les Es - pagnols font profession ouvertement de proteger les Jacobins (Dominicaner), en haine, comme je croy, de l’affection que le pere general des Jesuites et presque tous ceux de son ordre, excepté ceux qui dependent des peres Mendozze et Personius comme particulierement les Jesuites Anglois, ont monstré de porter à vostre Majesté: et semble que d’une dispute de reli - gion ils en veuillent faire une querelle d’estat. Man ſieht dar - aus, daß die Jeſuiten bis auf eine kleine Fraction jetzt fuͤr franzoͤ - ſiſch geſinnt galten. Bei Serry p. 440 findet ſich, daß die Domi - caner damals von dem franzoͤſiſchen Hof ausgeſchloſſen worden: Praedicatores tum temporis in Gallia minus accepti et a publi - cis curiae muneribus nuper amoti. .
Daher kam es auch, daß Clemens VIII. in der That zu keiner Entſcheidung ſchritt. Es haͤtte ihn in neue Ver - legenheiten verwickelt, von ſo maͤchtigen Orden, ſo gewal - tigen Fuͤrſten den einen oder den andern zu verletzen.
Päpſte* 20306Buch VI. Innere Streitigkeiten.Ueberhaupt war dieß nun eine der vornehmſten Ruͤck - ſichten des paͤpſtlichen Stuhles, von den beiden Maͤch - ten, auf denen das Gleichgewicht der katholiſchen Welt be - ruhte, weder die eine noch die andere von ſich zu ent - fremden, ihre Streitigkeiten unter einander beizulegen und wenigſtens nie zu einem Kriege ausbrechen zu laſſen, ſei - nen Einfluß auf beide zu behaupten.
Das Papſtthum erſcheint uns hier in ſeinem loͤblich - ſten Berufe, vermittelnd, friedeſtiftend.
Den Frieden von Vervins — 2. Mai 1598 — verdankte die Welt hauptſaͤchlich Clemens dem VIII. Er ergriff den guͤnſtigen Augenblick, als der Koͤnig von Frankreich wegen ſeiner zerruͤtteten Finanzen, der Koͤnig von Spanien wegen ſeiner zunehmenden Altersſchwaͤche auf ein Abkommen zu den - ken genoͤthigt war. Er traf die Einleitungen: von ihm gingen die erſten Eroͤffnungen aus: der Franciscanergene - ral, Fra Bonaventura Calatagirona, den er zu dieſem Ge - ſchaͤfte gluͤcklich auserſehen und nach Frankreich geſendet, legte die erſten und groͤßten Schwierigkeiten bei. Die Spa - nier hatten eine Menge Plaͤtze in Frankreich inne: ſie wa - ren bereit dieſelben zuruͤckzugeben, jedoch Calais nahmen ſie aus: die Franzoſen beſtanden auf die Ruͤckgabe auch von Calais: Fra Calatagirona war es, der die Spanier beſtimmte dieß zuzuſagen. Dann erſt wurden die Unter - handlungen zu Vervins foͤrmlich eroͤffnet. Ein Legat und ein Nuntius praͤſidirten denſelben: der Franciscanergene -307Politiſche Stellung Clemens VIII. ral fuhr fort auf das geſchickteſte zu vermitteln: auch ſein Secretaͤr Soto erwarb ſich ein nicht geringes Verdienſt dabei. Die Hauptſache war, daß der Koͤnig von Frank - reich ſich entſchloß, ſich von ſeinen Verbuͤndeten, England und Holland, zu trennen. Es ward dieß zugleich als ein Vortheil fuͤr den Katholicismus betrachtet, indem erſt hie - durch der Abfall Heinrichs IV. von dem proteſtantiſchen Syſteme vollendet zu werden ſchien. Nach langen Zoͤge - rungen verſtand ſich Heinrich dazu. Und hierauf gaben nun die Spanier alle ihre Eroberungen wirklich zuruͤck: der Beſitzſtand ward hergeſtellt wie er im Jahre 1559 geweſen war. Der Legat erklaͤrte, Seine Heiligkeit werde daruͤber ein groͤßeres Vergnuͤgen empfinden als ſelbſt uͤber die Einnahme von Ferrara: weit mehr als dieſe weltliche Erwerbung habe ein Friede zu bedeuten, der die geſammte Chriſtenheit umfaſſe und in Ruhe ſetze1)Hinter der Ausgabe der Mémoires von Angouleme bei Di - dot 1756 findet ſich I, 131 — 363 unter dem Titel Autres Mé - moires ein ausfuͤhrlicher Bericht uͤber die Unterhandlung von Ver - vins, der ſich durch Genauigkeit und Unparteilichkeit auszeichnet: aus dem denn auch die mitgetheilten Notizen ſtammen: die letzte p. 337..
Bei dieſem Frieden war nur Ein Punkt, die Strei - tigkeit zwiſchen Savoyen und Frankreich, unerledigt geblie - ben. Der Herzog von Savoyen hatte, wie wir beruͤhrten, Saluzzo an ſich geriſſen, und wollte ſich nicht bequemen es wieder herauszugeben: nach viel vergeblicher Unterhand - lung griff ihn endlich Heinrich IV. mit offenen Waffen an. Dem Papſt, dem ohnehin in Vervins die Vermittelung in dieſer Sache ausdruͤcklich uͤbertragen worden war, lag alles20*308Buch VI. Innere Streitigkeiten.daran, den Frieden wiederherzuſtellen: bei jeder Gelegenheit in jeder Audienz drang er darauf: ſo oft ihn der Koͤnig ſei - ner Ergebenheit verſichern ließ, forderte er dieſen Frieden als einen Beweis derſelben, als einen Gefallen den man ihm thun muͤſſe. Die eigentliche Schwierigkeit lag darin, daß die Herausgabe von Saluzzo die allgemeinen italieniſchen Intereſſen zu verletzen ſchien. Man ſah es nicht gern, daß die Franzoſen eine Landſchaft in Italien beſitzen ſollten. Zuerſt, ſo viel ich finde, hat jener Minorit Calatagirona die Auskunft vorgeſchlagen, dem Herzog Saluzzo zu laſſen und Frankreich durch Breſſe und einige benachbarte ſavoyi - ſche Landſchaften zu entſchaͤdigen1)Oſſat an Villeroy 25. Merz 1599.. Dieſen Vorſchlag zu einem wirklichen Abkommen zu erheben war das Verdienſt das ſich Cardinal Aldobrandino im Jahre 1600 in Lyon erwarb. Auch die Franzoſen dankten es ihm: Lyon bekam dadurch eine breitere Umgrenzung, wie es ſich dieſelbe ſchon lange gewuͤnſcht hatte2)Bentivoglio theilt in dem vornehmſten Abſchnitt bes zwei - ten Buches ſeiner Memorie (c. 2 — c. 6) dieſe Unterhandlungen ausfuͤhrlich mit..
Unter ſo gluͤcklichen Umſtaͤnden dachte Papſt Clemens zuweilen daran, der unter ihm vereinigten katholiſchen Welt eine gemeinſchaftliche Richtung wider den alten Erb - feind zu geben. In Ungarn war der Tuͤrkenkrieg wieder ausgebrochen: ſchon damals glaubte man wahrzunehmen, daß das osmaniſche Reich von Tage zu Tage ſchwaͤcher werde: bei der perſoͤnlichen Untauglichkeit der Sultane, dem Einfluß des Serails, den unaufhoͤrlichen Empoͤrungen309Politiſche Stellung Clemens VIII. beſonders in Aſien ſchien es moͤglich etwas Rechtes gegen ſie auszurichten. Der Papſt ließ es wenigſtens an ſich nicht fehlen. Schon im Jahre 1599 belief ſich die Summe, die er fuͤr dieſen Krieg aufgewendet hatte, auf anderthalb Millionen Scudi. Bald darauf finden wir ein paͤpſtliches Heer von 12000 Mann an der Donau. Aber um wie viel wichtigere Erfolge ließen ſich erwarten, wenn man einmal die Kraͤfte des Abendlandes in einiger Ausdehnung zu einem orientaliſchen Unternehmen vereinigte, wenn ſich be - ſonders Heinrich IV. entſchloß ſeine Macht der oͤſtreichi - ſchen zuzugeſellen. Der Papſt unterließ nicht ihn dazu zu ermuntern. Und in der That ſchrieb Heinrich gleich nach dem Frieden von Vervins den Venezianern, er hoffe in kurzem in Venedig zu Schiff zu ſteigen, wie die fruͤhern Franzo - ſen, zu einem Unternehmen auf Conſtantinopel. Er wieder - holte ſein Verſprechen bei dem Abſchluß des Friedens mit Sa - voyen1)Lettre du roy im Anhang zu dem zweiten Bande der Briefe von Oſſat p. 11.. Aber allerdings haͤtte der Ausfuͤhrung ein in - nigeres Verſtaͤndniß vorausgehn muͤſſen, als ſich nach ſo ſtarken Erſchuͤtterungen ſobald erreichen ließ.
Vielmehr kam der Gegenſatz und Wetteifer, der zwi - ſchen den beiden vornehmſten Maͤchten beſtehn blieb, dem paͤpſtlichen Stuhle in ſeinen eigenen Angelegenheiten noch mehr als einmal zu Statten. Papſt Clemens hatte ſelbſt noch einmal Anlaß ſich deſſelben ſogar in Sachen des Kir - chenſtaates zu bedienen.
Bei ſo viel glaͤnzenden Unternehmungen, ſo viel Fort -310Buch VI. Innere Streitigkeiten. gang nach außen uͤbte Clemens auch an ſeinem Hofe, in ſeinem Staate eine ſtrenge und ſehr monarchiſche Ge - walt aus.
Die neue Einrichtung, die Sixtus V. dem Cardinal - collegium gegeben, ſchien demſelben erſt einen recht regel - maͤßigen Einfluß in die Geſchaͤfte verſchaffen zu muͤſſen. Jedoch die Formen enthalten nicht das Weſen, und es er - folgte das gerade Gegentheil. Der proceſſualiſche Geſchaͤfts - gang, die Unbeweglichkeit, zu der eine deliberirende Ver - ſammlung hauptſaͤchlich wegen der widerſtreitenden Meinun - gen die in ihr hervorzutreten pflegen verdammt iſt, machte es Clemens dem VIII. unmoͤglich, den Congregationen die wich - tigen Sachen anzuvertrauen. Anfangs befragte er ſie noch: doch wich er ſchon damals oft von ihren Entſcheidungen ab; dann theilte er ihnen die Sachen erſt kurz vor ihrem Abſchluß mit: die Conſiſtorien dienten mehr zur Publi - cation als zur Berathung; endlich beſchaͤftigte er ſie bloß mit untergeordneten Angelegenheiten oder den Formalitaͤ - ten1)Delfino: Ora li consistorj non servono per altro che per comunicare in essi la collation delle chiese e per publicar le resolutioni d’ogni qualità fatte dal papa e le congregationi, da quella dell’ inquisitione in poi che si è pur conservata in qualche decoro e si riduce ogni settimana, tutte le altre, anche quelle che sono de’ regolari e de’ vescovi, sono in sola appa - renza: perchè se bene risolvono ad un modo, il papa eseguisce ad un altro e nelle cose più importanti, come nel dar ajuto a principi, di spedir legati, dichiarar capi. .
Ohne Zweifel lag in der neuen Wendung, welche Cle - mens der Politik des roͤmiſchen Hofes gab, hiezu eine gewiſſe311Politiſche Stellung Clemens VIII. Noͤthigung. Allein es war auch eine perſoͤnliche Neigung zur Alleinherrſchaft dabei. Das Land ward in demſelben Sinne verwaltet: neue Auflagen wurden ausgeſchrieben, ohne daß man Jemand gefragt haͤtte, die Einkuͤnfte der Communen unter beſondere Aufſicht genommen, die Barone der ſtrengſten Rechtspflege unterworfen: man achtete nicht mehr auf Herkommen und Bevorrechtung.
So lange nun der Papſt perſoͤnlich alle Geſchaͤfte lei - tete, ging das wohl. Die Cardinaͤle wenigſtens, obwohl nicht alle ihre Gedanken ihnen auf der Oberflaͤche lagen, gefielen ſich in Bewunderung und Unterwuͤrfigkeit.
Allmaͤhlig aber, mit den hoͤhern Jahren, kam der Beſitz, die Ausuͤbung dieſer monarchiſchen Gewalt an den paͤpſt - lichen Nepoten, Pietro Aldobrandino. Er war ein Sohn jenes Pietro Aldobrandino, der ſich unter den Bruͤdern durch juriſtiſche Praxis ausgezeichnet hatte. Beim erſten Anblick verſprach er wenig. Er war unanſehnlich, pockennarbig, litt an Aſthma, huſtete immer, und in der Jugend hatte er es ſelbſt in den Studien nicht weit gebracht. So wie ihn aber ſein Oheim in die Geſchaͤfte nahm, zeigte er eine Gewandtheit und Gefuͤgigkeit wie ſie kein Menſch erwartete. Nicht allein wußte er ſich ſehr gut in die Natur des Pap - ſtes zu finden, ſie ſo zu ſagen zu ergaͤnzen, ſeine Strenge zu mildern, die Schwachheiten, die ſich auch in ihm allmaͤh - lig zeigten, weniger auffallend und unſchaͤdlich zu machen1)Relatione al Cl Este. Dove il papa inasprisce, Aldo - brandino mitiga: dove rompe, consolida: dove comanda giustitia, intercede per gratia. : er erwarb auch das Zutrauen und die Genugthuung der312Buch VI. Innere Streitigkeiten. fremden Geſandten, ſo daß ſie ſaͤmmtlich die Geſchaͤfte in ſeinen Haͤnden zu ſehen wuͤnſchten. Urſpruͤnglich hatte er dieſelben mit ſeinem Vetter Cinthio theilen ſollen, der auch nicht ohne Geiſt war, beſonders fuͤr die Literatur, allein gar bald hatte er dieſen Genoſſen verdraͤngt. Im J. 1603 finden wir Cardinal Pietro allmaͤchtig an dem Hofe. „ Die geſammten Unterhandlungen, ſagt eine Relation von die - ſem Jahre, alle Gunſt und Gnade haͤngt von ihm ab, Praͤlatur, Adel, Hofleute, Geſandte erfuͤllen ſein Haus. Man kann ſagen, durch ſein Ohr wird alles vernommen, von ſeinem Gutachten haͤngt alles ab, aus ſeinem Munde kommt die Eroͤffnung, in ſeinen Haͤnden liegt die Ausfuͤh - rung “1)„ Orbis in urbe “. Doch finden ſich auch hier geheime Maͤchte. Ha diversi servitori, ſagt dieſelbe Relation, ma quel che assorbe i favori di tutti, è il cavr Clemente Sennesio, mastro di came - ra, salito a quel grado di privatissima fortuna, e che per am - pliar maggiormente la sua autorità ha fatto salire il fratello al segretariato della consulta: così possedendo tra lor due la som - ma, l’uno della gratia del cardinale, l’altro della provisione d’of - ficj e delle maggiori espeditioni. .
Eine ſolche Gewalt, ſo unumſchraͤnkt, durchgreifend, und dabei doch keinesweges geſetzmaͤßig, erweckte, trotz der Freunde die ſie finden mochte, in den Uebrigen einen gehei - men, tiefen und allgemeinen Widerſpruch. Bei einem ge - ringfuͤgigen Anlaß trat das unerwartet hervor.
Ein Menſch, den man um ſeiner Schulden willen feſt - genommen, wußte im rechten Augenblick ſeine Feſſeln zu zerreißen und in den Pallaſt Farneſe zu entſpringen, vor dem man ihn eben vorbeifuͤhrte.
Schon lange hatten die Paͤpſte von dem Rechte der313Politiſche Stellung Clemens VIII. vornehmen Geſchlechter Verbrechern in ihrem Hauſe eine Freiſtaͤtte zu gewaͤhren nichts mehr wiſſen wollen. Der Cardinal Farneſe, obwohl durch die Vermaͤhlung einer Al - dobrandina in das Haus Farneſe mit dem Papſte verwandt, machte es wieder geltend. Er ließ die Sbirren, die ihren Gefangenen in dem Pallaſte ſuchen wollten, mit Gewalt heraustreiben: dem Governatore, der ſich darauf einſtellte, entgegnete er, ſein Haus habe nicht die Sitte Angeklagte auszuliefern: dem Cardinal Aldobrandino, welcher Aufſehen zu vermeiden wuͤnſchte und in eigener Perſon erſchien um die Sache in Guͤte beizulegen, gab er wegwerfende Ant - worten: er ließ ihn merken, nach dem Tode des Papſtes, der bald zu erwarten ſey, werde ein Farneſe mehr zu be - deuten haben, als ein Aldobrandino.
Was ihm zu einem ſo trotzigen Betragen den Muth gab, war vor allem ſeine Verbindung mit den Spaniern. Aus der Verzichtleiſtung Heinrichs IV. auf Saluzzo, die man in Rom ein wenig armſelig fand, hatte man geſchloſſen, daß ſich dieſer Fuͤrſt mit den italieniſchen Geſchaͤften nicht befaſſen wolle: das Anſehen der Spanier war hierauf wie - der geſtiegen: da die Aldobrandini eine ſo ſtarke Hinnei - gung zu Frankreich an den Tag legten, ſo ſchloſſen die Geg - ner derſelben ſich an Spanien an. Der ſpaniſche Botſchaf - ter, Viglienna, gab dem Verfahren Farneſes ſeine volle Billigung1)Contarini: Historia Veneta tom. III, lib. XIII MS, unter allen Autoren jener Zeit hieruͤber am ausfuͤhrlichſten und glaub - wuͤrdigſten: Viglienna mandò ordine a tutti i baroni e cava - lieri Romani obligati alla corona che per servitio del re fos - sero immediate nella casa del cardinal Farnese. .
314Buch VI. Innere Streitigkeiten.Der Ruͤckhalt einer auswaͤrtigen Macht, der Schutz eines großen Geſchlechtes, bedurfte es mehr um die Unzufrie - denheit des roͤmiſchen Adels zum Ausbruch zu bringen? Cavalieri und Nobili ſtroͤmten in den Pallaſt Farneſe. Ei - nige Cardinaͤle ſchlugen ſich offen zu ihnen1)Contarini: Diede grand’ assenso al fatto la venuta de’ cardinali Sfondrato e Santiquatro, che niente mirarono trattan - dosi di Spagna al debito de’ cardinali verso il papa: ed a que - sti che apertamente si dichiaravano diversi altri in occulto ad - herivano, tra’ quali il Cl Conti. — Ma il popolo, la plebe senza nome, sempre avida di cangiar stato, favoriva al cardìnale, e per le piazze, per le strade a gran caterve applaudevano al par - tito di lui. : andere beguͤn - ſtigten ſie insgeheim. Alles rief, man muͤſſe Papſt und Kirche von der Gefangenſchaft des Cardinal Aldobrandino befreien. Da der Papſt Truppen nach Rom berief, ſo rieth der ſpaniſche Botſchafter den Vereinigten, denen er ſogar Belohnungen verſprach, einige bewaffnete Banden, die ſich eben an der neapolitaniſchen Grenze zeigten, ebenfalls herbeizurufen. Es haͤtte wenig gefehlt, daß nicht eine offene Fehde, im Sinne vergangener Jahrhunderte, in Rom ſelbſt ausgebrochen waͤre.
So weit aber wollte es der Cardinal doch nicht kom - men laſſen. Es war ihm genug, ſeine Unabhaͤngigkeit, ſeine Macht, die Moͤglichkeit eines Widerſtandes gezeigt zu ha - ben. Er beſchloß ſich nach Caſtro zuruͤckzuziehen, das ihm eigenthuͤmlich zugehoͤrte. In großem Style fuͤhrte er es aus. Er verſicherte ſich eines Thores und ließ es beſetzen: alsdann im Geleite von 10 Wagen und 300 Pferden verließ er die Stadt. Und hiedurch hatte er in der That alles gewonnen:315Politiſche Stellung Clemens VIII. alle dieſe Widerſetzlichkeit ging ihm durch: es ward eine foͤrmliche Unterhandlung eingeleitet: man nahm die Miene an, als liege die Sache am Governator, und veranſtaltete eine Verſoͤhnung deſſelben mit dem Hauſe Farneſe. Dann kehrte der Cardinal zuruͤck: nicht minder glaͤnzend, als wie er gegangen war. Alle Straßen, Fenſter, Daͤcher waren mit Menſchen erfuͤllt. Nie waren die Farneſen zur Zeit ihrer Herrſchaft ſo glaͤnzend empfangen, oder gar mit ſo lautem Jubel begruͤßt worden1)Contarini: S’inviò in Roma entrando in guisa trion - fante con clamori popolari che andavano al cielo, incontrato in forma di re dall’ ambasciator di Cesare, di Spagna, dalli cardi - nali Sfondrato, Santiquatro, San Cesareo e Conti, dal general Georgio suo cognato, tutta la cavalleria e tutte le guardie del papa, confluendo li cavalieri e baroni. .
Wenn aber Cardinal Pietro Aldobrandino dieß geſchehen ließ, ſo war es nicht allein Schwaͤche, erzwungene Nach - giebigkeit: die Farneſen waren am Ende nahe Verwandte des paͤpſtlichen Hauſes: auch haͤtte es nichts geholfen, ſich unverſoͤhnlich anzuſtellen; vor allem mußte der Urſprung des Uebels gehoben werden, der in den politiſchen Verhaͤlt - niſſen lag. Von den Spaniern war keine Aenderung ih - res Syſtemes, nicht einmal die Abberufung eines ſo un - bequemen Geſandten zu erlangen: Aldobrandino konnte ſich nur dadurch helfen, daß er Heinrich IV. zu lebhafter Theil - nahme an den italieniſchen Angelegenheiten bewog.
Es war ihm erquickend, ſagen ſeine Feinde, „ wie an einem heißen Tage ein kuͤhler ruhiger Wind “, als im De - zember 1604 drei franzoͤſiſche Cardinaͤle, alles ausgezeichnete Maͤnner, auf einmal ankamen. Es ward wieder moͤglich316Buch VI. Innere Streitigkeiten. zu Rom eine franzoͤſiſche Partei zu bilden. Mit Freuden wurden ſie empfangen. Die Schweſter des Cardinals, Si - gnora Olympia, erklaͤrte den Angekommenen tauſend Mal, ihr Haus werde ſich unbedingt in franzoͤſiſchen Schutz be - geben. Baronius behauptete, durch ſeine Geſchichte gelernt zu haben, daß der roͤmiſche Stuhl keiner andern Nation ſo viel verdanke wie der franzoͤſiſchen: als er ein Bild des Koͤnigs ſah, brach er in ein Lebehoch aus. Er ſuchte ſich zu unterrichten, ob nach dem Verluſte von Saluzzo gar kein Alpen-Paß mehr in den Haͤnden der Franzoſen geblieben ſey. Dieſer Baronius war aber nicht bloß ein Geſchicht - ſchreiber, er war der Beichtvater des Papſtes, und ſah ihn alle Tage. Der Papſt und Aldobrandino nahmen ſich in Acht und ließen ſich nicht ſo weit heraus. Allein eben ſo viel ſchien es zu bedeuten, wenn ihre naͤchſten Angehoͤrigen ſich ſo unverholen ausdruͤckten: nur die Geſinnung der Herrn ſchienen ſie zu wiederholen. Da ſich nun Hein - rich IV. entſchloß auch Penſionen zu zahlen, ſo hatte er bald eine Partei, die der ſpaniſchen ein Gegengewicht gab.
Allein noch viel weiter gingen die Abſichten Aldobran - dinos. Oft ſtellte er den venezianiſchen Geſandten und Cardinaͤlen die Nothwendigkeit vor, dem Uebermuthe der Spa - nier Schranken zu ſetzen. Koͤnne man ertragen, daß ſie in dem Hauſe eines Andern zum Trotz dieſem gebieten wollten? 1)Du Perron au roi 25 janv. 1605 (Ambass. I, 509).Zwar ſey es fuͤr Jemand, der in kurzem in den Privat - ſtand zuruͤckzutreten habe, gefaͤhrlich, ſich den Unwillen die - ſer Macht zuzuziehen, doch koͤnne er auch um ſeiner Ehre willen nicht zugeben, daß das Papſtthum unter ſeinem317Politiſche Stellung Clemens VIII. Oheim an Reputation verliere. Genug er ſchlug den Ve - nezianern eine Verbindung der italieniſchen Staaten unter franzoͤſiſchem Schutze gegen Spanien vor.
Schon war er auch mit den uͤbrigen in Unterhand - lung getreten. Er liebte Toscana nicht, mit Modena hatte er fortwaͤhrende Streitigkeiten, Parma war in die Haͤndel des Cardinals Farneſe verwickelt: aber er ſchien alles zu vergeſſen, um ſich an Spanien zu raͤchen. Mit Leidenſchaft widmete er ſich dieſer Abſicht: er ſprach von nichts anderm, er ſchien an nichts anderes zu denken. Um den Staaten, mit denen er ſich vereinigen wollte, naͤher zu ſeyn, begab er ſich im Anfange des Jahres 1605 nach Ancona.
Er hatte noch nichts erreicht, als ſein Oheim ſtarb, 5. Merz 1605, und damit auch ſeine Gewalt ein Ende nahm.
Indeſſen war auch ſchon die Anregung des Gedan - kens, dieſe gefliſſentliche Erneuerung des franzoͤſiſchen Ein - fluſſes in Rom und Italien von vieler Bedeutung. Sie bezeichnet eine Tendenz der geſammten Politik der Aldo - brandini.
Wir gehn, denke ich, nicht zu weit, wenn wir uns dadurch an die urſpruͤngliche Stellung dieſes Geſchlechtes in Florenz erinnern laſſen. Es hatte immer zur franzoͤſi - ſchen Partei gehoͤrt: Meſſer Salveſtro hatte den Aufruhr im Jahr 1527, in dem die Medici verjagt, die Franzo - ſen berufen wurden, vorzuͤglich mit veranlaßt. Dafuͤr hatte er denn auch, als ſeine Gegner, Spanier und Medici, den Platz behielten, buͤßen, ſein Vaterland verlaſſen muͤſſen. Sollte Papſt Clemens dieß vergeſſen, ſollte er Spanier und318Buch VI. Innere Streitigkeiten. Medici geliebt haben? Er war von Natur verſchloſſen, zuruͤckhaltend: nur zuweilen eroͤffnete er ſich gegen ſeine Vertrauten: dann ließ er wohl den Spruch hoͤren: „ Frage deine Vorfahren, und ſie werden dir deine Straße zei - gen “1)Delfino: La poca inclinatione che per natura e per he - redità ha il papa a Spagnoli. . Es iſt gewiß, daß er einmal beabſichtigte den Staat von Florenz, wie er ſich ausdruͤckte, zu reformiren. Seine Hinneigung zu Frankreich liegt am Tage: er fand das Papſtthum im engſten Bunde mit Spanien, er fuͤhrte es bis nahe an eine Vereinigung mit Frankreich wider Spa - nien. Wenn die Herſtellung einer nationalen Macht in Frankreich im Intereſſe der Kirche lag, ſo war ſie doch zugleich eine Sache der Neigung, eine perſoͤnliche Genug - thuung. Jedoch war dieſer Papſt beſonnen, vorſichtig, be - hutſam: er griff nichts an, als was ſich durchfuͤhren ließ. Statt Florenz zu reformiren, reformirte er, wie ein Vene - zianer ſagt, ſeine eigenen Gedanken, als er ſah, daß es nicht ohne allgemeine Gefahr angehn werde2)Venier: Vedendo le preparazioni e risolutioni di Vra Sà et anco del granduca e che la nostra republica s’era dichia - rata col mandar un ambasciatore espresso per questo negotio a S. Sà, conoscendo ella che si sarebbe acceso un gran fuoco in Italia e con pericolo di gravissimo incendio della chiesa, in luogo di tentar la riforma dello stato di Firenze riformò i suoi pensieri. . Die franzoͤ - ſiſchen Waffen nach Italien zu rufen war nie ſeine Mei - nung. Es war ihm genug, das Gleichgewicht herzuſtellen, ſich von der Uebermacht der Spanier loszumachen, der kirchlichen Politik eine breitere Grundlage zu geben: auf319Paul V. friedlichem Wege, nach und nach, ohne Erſchuͤtterung noch Geraͤuſch: aber deſto ſicherer.
Gleich in dem naͤchſten Conclave trat nun auch der Einfluß der Franzoſen hervor. Aldobrandino verband ſich mit ihnen. Vereinigt waren ſie unwiderſtehlich: einen Car - dinal, den der Koͤnig von Spanien namentlich ausgeſchloſ - ſen, einen Medici, nahen Verwandten der Koͤnigin von Frankreich, erhoben ſie zur paͤpſtlichen Wuͤrde. Voll Ju - bel ſind die Briefe, in denen Du Perron dieſen unerwar - teten Erfolg Heinrich dem IV. meldet: in Frankreich be - ging man ihn mit oͤffentlichen Feſtlichkeiten1)Histoire de la vie de Messire Philippe de Mornay sei - gneur du Plessis p. 305. Ce pape de la maison des Medicis, dit Leon XI, qui avoit cousté au roi 300000 escus à faire, en la faveur duquel il faisoit grand fondement, et pour l’élection duquel par un exemple nouveau furent faits feux de joye et tiré le canon en France, qui vescut peu de jours et ne laissa au roy que le reproche par les Espagnols d’une largesse si mal employée et le doute de rencontrer une succession, comme il advint, plus favorable à l’Espagnol. . Nur war es ein kurzes Gluͤck. Leo XI, wie dieſer Papſt ſich nannte, uͤberlebte ſeine Wahl nur 26 Tage. Man behauptet, der Gedanke ſeiner Wuͤrde, das Gefuͤhl der Schwierigkeit ſei - nes Amtes habe ſeine alterſchwachen Lebenskraͤfte vollends erdruͤckt.
Das Gewuͤhl der Wahlkaͤmpfe erneuerte ſich hierauf um ſo lebhafter, da Aldobrandino nicht mehr ſo enge mit320Buch VI. Innere Streitigkeiten. den Franzoſen verbuͤndet war. Montalto trat ihm maͤch - tig gegenuͤber. Es begann ein Wettſtreit, wie bei den fruͤ - hern Wahlen, zwiſchen den Creaturen des letzten und ei - nes fruͤhern Papſtes. Zuweilen fuͤhrte jeder, umgeben von ſeinen Getreuen, den Mann ſeiner Wahl in die eine oder in die andere Capelle: ſie ſtellten ſich einander gegenuͤber auf: bald mit dem einen, bald mit dem andern ward ein Verſuch gemacht: auch Baronius, obwohl er ſich mit Haͤn - den und Fuͤßen ſtraͤubte, ward einmal nach der Capella Paolina gefuͤhrt; allein allemal zeigte ſich die Oppoſition ſtaͤrker, es konnte Keiner von Allen durchgeſetzt werden. Bei den Papſtwahlen kam es wie bei andern Befoͤrderun - gen allmaͤhlig mehr darauf an, wer die wenigſten Feinde, als wer die meiſten Verdienſte habe.
Endlich warf Aldobrandino ſeine Augen unter den Crea - turen ſeines Oheims auf einen Mann, der ſich allgemei - nen Beifall erworben und gefaͤhrliche Feindſchaften zu ver - meiden gewußt hatte, den Cardinal Borgheſe. Fuͤr dieſen gelang es ihm die Franzoſen zu gewinnen, die bereits eine Annaͤherung zwiſchen Montalto und Aldobrandino bewirkt hatten: auch Montalto ſtimmte ein: Borgheſe ward gewaͤhlt, ehe nur die Spanier erfahren hatten, daß er vorgeſchlagen war1)Doch mag es auch ſeyn, daß Montalto und Aldobrandino ſich zuerſt uͤber Borgheſe verſtanden. Conclave di Paolo V p. 370 ſagt von beiden: Dopo d’haver proposti molti, elessero Bor - ghese, amico di Montalto e creatura confidente di Aldobran - dino. , 16. Mai 1605.
So blieb es denn auch dieß Mal dabei, daß der Ne -pot321Paul V. pot des letzten Papſtes den Ausſchlag fuͤr die Wahl des neuen gab. Die Borgheſen waren auch uͤbrigens von Hauſe aus in einer aͤhnlichen Stellung wie die Aldobrandini. Wie dieſe aus Florenz, waren ſie aus Siena weggegangen, um nicht der mediceiſchen Herrſchaft unterworfen zu ſeyn. Um ſo mehr ſchien die neue Regierung eine folgerichtige Fort - ſetzung der vorigen werden zu muͤſſen.
Indeß entwickelte Paul V. auf der Stelle eine eigen - thuͤmlich ſchroffe Natur.
Von dem Stande eines Advocaten war er durch alle Grade kirchlicher Wuͤrden emporgeſtiegen1)Relatione di IV ambasciatori mandati a Roma 15 Genn. 1605 m. V. d. i. 1606. Il padre Camillo non volendo più ha - bitare Siena caduta della libertà, se ne andò a Roma. Di buono spirito, d’ingegno acuto, riuscì nella professione d’avvocato. — — Il papa non vuol esser Sanese ma Romano. : Vicelegat in Bologna, Auditor di Camera, Vicar des Papſtes, Inqui - ſitor war er geweſen: er hatte ſtillehin in ſeinen Buͤchern, ſeinen Acten vergraben gelebt, und ſich in keinerlei politiſche Geſchaͤfte gemiſcht: eben daher war er ohne beſondere Feind - ſchaften durchgekommen: keine Partei ſah in ihm einen Geg - ner, weder Aldobrandino noch Montalto, weder die Fran - zoſen noch die Spanier: und dieß war denn die Eigenſchaft, die ihm zur Tiare verhalf.
Er jedoch verſtand dieß Ereigniß anders. Daß er ohne ſein Zuthun, ohne alle kuͤnſtliche Mittel zum Papſt - thum gelangt war, ſchien ihm eine unmittelbare Wirkung des heiligen Geiſtes. Er fuͤhlte ſich dadurch uͤber ſich ſelbſt erhoben: die Veraͤnderung ſeiner Haltung und Bewegung, ſeiner Mienen und des Tons ſeiner Rede ſetzte ſelbſt dieſenPäpſte* 21322Buch VI. Innere Streitigkeiten. Hof in Erſtaunen, der doch an Umwandlungen aller Art gewoͤhnt war: er fuͤhlte ſich aber auch zugleich gebunden, verpflichtet. Mit derſelben Unbeugſamkeit, mit der er in ſeinen bisherigen Aemtern den Buchſtaben des Geſetzes ge - handhabt, nahm er ſich vor auch die hoͤchſte Wuͤrde zu verwalten.
Andere Paͤpſte pflegten ihre Thronbeſteigung mit Gna - den zu bezeichnen. Paul V. begann mit einem Richter - ſpruch, der noch heute Grauen erregt.
Ein armer Autor, Cremoneſe von Geburt, Piccinardi, hatte ſich ich weiß nicht aus welchem Verdruß in ſeiner Einſamkeit damit beſchaͤftigt, eine Lebensbeſchreibung Cle - mens des VIII. aufzuſetzen, in der er dieſen Papſt mit dem Kaiſer Tiberius verglich, ſo wenig Aehnlichkeit auch dieſe Regenten mit einander haben moͤgen. Er hatte dieß ſelt - ſame Werk nicht allein nicht drucken laſſen, ſondern ganz fuͤr ſich behalten und ſo gut wie Niemand mitgetheilt: eine Frau, die er fruͤher im Hauſe gehabt, gab ihn an. Paul V. aͤußerte ſich hieruͤber anfangs mit viel Ruhe, und es ſchien um ſo weniger zu beſorgen, da ſich maͤchtige Per - ſonen ſelbſt Botſchafter fuͤr ihn verwandten. Wie ſehr erſtaunte man, als Piccinardi eines Tages auf der En - gelsbruͤcke enthauptet wurde. Was auch zu ſeiner Entſchul - digung geſagt werden mochte, ſo hatte er doch das Ver - brechen der beleidigten Majeſtaͤt begangen, fuͤr das die Ge - ſetze dieſe Strafe beſtimmen. Bei einem Papſt wie Paul, war keine Gnade: auch die Habſeligkeiten des armen Men - ſchen wurden eingezogen1)Jene Geſandten erzaͤhlen dieſen Fall. „ Si congettura “,.
323Erſte Handlungen Pauls V.An dem Hofe erneuerte dieſer Papſt unverzuͤglich die Anordnungen des Tridentinums uͤber die Reſidenz. Er erklaͤrte es fuͤr eine Todſuͤnde, von ſeinem Bisthum ent - fernt zu ſeyn und die Einkuͤnfte deſſelben zu genießen. Er nahm die Cardinaͤle hievon nicht aus: er ließ Stellen in der Verwaltung nicht als Entſchuldigung gelten. In der That zogen ſich Viele zuruͤck: Andere baten nur um Auf - ſchub1)Du Perron à Villeroy 17 may 1606. Le pape ayant fait entendre ces jours passez que sa volonté estoit que tous les cardinaux qui avoient des eveschez y allassent ou bien les resignassent ou y missent des coadjuteurs, — — j’ay pensé — —: noch Andere, um Rom nicht verlaſſen zu muͤſſen und doch auch nicht fuͤr pflichtvergeſſen zu gelten, gaben ihre Entlaſſung ein.
Allein das Bedenklichſte war, daß er ſich bei ſeinen canoniſtiſchen Studien mit einem uͤberſchwenglichen Begriffe vom Papſtthum durchdrungen hatte. Die Lehre, daß der Papſt der einzige Stellvertreter Jeſu Chriſti, daß die Ge - walt der Schluͤſſel ſeinem Gutduͤnken anvertraut, daß er von allen Voͤlkern und Fuͤrſten in Demuth zu verehren ſey, wollte er in ihrer vollen Bedeutung behaupten2)Relatione di IV ambasciatori: Conoscendo il pontefice presente sua grandezza spirituale, e quanto se le debba da tutti li popoli christiani attribuir di ossequio e di obedienza, non eccettuando qualsivoglia grandissimo principe. . Er ſagte, nicht von Menſchen, ſondern vom goͤttlichen Geiſte ſey er auf dieſen Stuhl erhoben worden, mit der Pflicht die Im - munitaͤten der Kirche, die Gerechtſame Gottes wahrzunehmen:1)fuͤgen ſie hinzu, „ fondatamente che abbi ad esser il pontefice severo e rigorosissimo et inexorabile in fatto di giustitia. “21*324Buch VI. Innere Streitigkeiten. in ſeinem Gewiſſen ſey er gehalten alle ſeine Kraͤfte anzu - ſtrengen, um die Kirche von Uſurpation und Vergewalti - gung zu befreien. Er wolle lieber ſein Leben dafuͤr wagen, als einſt wegen einer Vernachlaͤſſigung ſeiner Pflicht zur Rechenſchaft gezogen werden, wenn er vor Gottes Thron erſcheinen muͤſſe.
Mit juridiſcher Schaͤrfe faßte er die Anſpruͤche der Kirche als ihre Rechte: als ſeine Gewiſſenspflicht ſah er es an, ſie in aller ihrer Strenge zu erneuern und durch - zuſetzen.
Seit die paͤpſtliche Gewalt ſich im Gegenſatze gegen den Proteſtantismus wiederhergeſtellt, die Ideen, auf de - nen die Hierarchie uͤberhaupt beruht, erneuert hatte, machte ſie auch alle ihre canoniſchen Berechtigungen in Be - zug auf das Innere der katholiſchen Staaten aufs neue geltend.
Indem ſie ihre Gegner beſiegte, wuchs auch ihre Au - toritaͤt uͤber ihre Anhaͤnger.
Nachdem die Biſchoͤfe zu ſtrengerm Gehorſam verpflich - tet, die Moͤnchsorden enge an die Curie geknuͤpft, alle Re - formationen in dem Sinne vollzogen waren zugleich die hoͤchſte Macht des Papſtes zu befoͤrdern, ſchlugen al - lenthalben in den Hauptſtaͤdten von Europa regelmaͤßige Nuntiaturen ihren Sitz auf, die mit dem Anſehen der Ge - ſandtſchaft einer einflußreichen Macht jurisdictionnelle Rechte verbanden, welche ihnen auf die wichtigſten Verhaͤltniſſe des325Venezianiſche Irrungen. Lebens und des Staates eine weſentliche Einwirkung ver - ſchafften.
Selbſt da wo die Kirche ſich im Einverſtaͤndniß mit dem Staate hergeſtellt, wo ſich beide vereinigt dem Empor - kommen proteſtantiſcher Meinungen entgegengeſetzt hat - ten, brachte doch dieß Verhaͤltniß gar bald Mißhelligkei - ten hervor.
Gleich damals, wie noch heute, ließ es ſich der roͤmi - ſche Hof beſonders angelegen ſeyn ſeine Anſpruͤche in Ita - lien aufrecht zu erhalten. Unaufhoͤrlich finden wir deshalb die italieniſchen Staaten in Mißverſtaͤndniſſen mit der kirchlichen Gewalt. Die alten Streitigkeiten zwiſchen Papſt und Kir - che waren weder im Allgemeinen durch ein entſcheidendes Prinzip, noch auch im Beſondern durch Vertrag und Ue - bereinkunft beſeitigt worden. Die Paͤpſte ſelbſt waren ſich nicht immer gleich. Auf das hartnaͤckigſte beſtanden Pius V, Gregor XIII. wenigſtens in der erſten Haͤlfte ſeiner Re - gierung auf ihren Anſpruͤchen: Sixtus V. war in den ein - zelnen Faͤllen um vieles nachſichtiger. Die Staaten und ihre Abgeordneten ſuchen uͤber die ſchwierigen Augenblicke ohne Nachtheil wegzukommen, die guͤnſtigen zu ihrem Nutzen zu ergreifen: auch kann das ihnen nicht ganz mißlingen: die Neigungen der Paͤpſte gehn voruͤber und wechſeln: die Intereſſen der Staaten bleiben immer. Auf jeden Fall werden hiedurch die Fragen, die man zu entſcheiden hat, bei weitem weniger Gegenſtand des Jus canonicum und der Rechtsfindung, als der Politik, gegenſeitiger Forde - rung und Nachgiebigkeit.
Papſt Paul V. jedoch verſtand ſeine Anſpruͤche ein -326Buch VI. Innere Streitigkeiten. mal wieder voͤllig juridiſch: er hielt die canoniſchen An - ordnungen der Decretalen fuͤr Geſetze Gottes: er ſchrieb es nicht einer innern Nothwendigkeit der Sache, ſondern per - ſoͤnlicher Nachlaͤſſigkeit zu, wenn ſeine Vorfahren etwas nachgegeben, uͤberſehen hatten, und hielt ſich fuͤr berufen dieſen Fehler wieder gut zu machen. Bald nach ſeiner Thronbeſteigung finden wir ihn deshalb mit allen ſeinen italieniſchen Nachbarn in bittern Streitigkeiten.
In Neapel hatte der Reggente Ponte, Praͤſident des koͤniglichen Rathes, einen kirchlichen Notar, von dem die Information uͤber eine Eheſache dem buͤrgerlichen Gericht verweigert, und einen Buchhaͤndler, von dem einer koͤnig - lichen Verordnung zuwider das Buch des Baronius gegen die ſicilianiſche Monarchie verbreitet worden war, zu den Galeeren verurtheilt: ein Monitorium Clemens VIII. hie - gegen war ohne Folgen geblieben. Papſt Paul V. zoͤgerte keinen Augenblick die Excommunication auszuſprechen1)Les ambassades du cardinal du Perron II, 683. 736..
Der Herzog von Savoyen hatte einige Pfruͤnden ver - gabt, deren Verleihung der roͤmiſche Hof in Anſpruch nahm, Genua Geſellſchaften verboten, die bei den Jeſui - ten gehalten wurden, weil man da die Wahlen zu den Aemtern zu beherrſchen verſuche; Lucca hatte ganz im All - gemeinen die Execution der Decrete paͤpſtlicher Beamten ohne vorlaͤufige Genehmigung der einheimiſchen Magiſtrate unterſagt; in Venedig endlich waren ein paar Geiſtliche, die ſich ſchwerer Verbrechen ſchuldig gemacht, vor die welt - liche Gerichtsbarkeit gezogen worden. Gerade die Allge - meinheit dieſes Widerſtandes gegen die kirchliche Gewalt327Venezianiſche Irrungen.ſetzte den Papſt in Amtseifer und Zorn. Allenthalben fuhr er mit ſtrengen Befehlen und Drohungen dazwiſchen. Ja in dieſem Augenblick erweiterte er ſogar noch die bishe - rigen Anſpruͤche kirchlicher Autoritaͤt. Er ſagte unter andern, was nie erhoͤrt worden: dem Staate komme es nicht zu, ſeinen Unterthanen den Verkehr mit den Proteſtanten zu verbieten, das ſey eine Sache der Kirche und gehoͤre aus - ſchließend vor die kirchliche Jurisdiction.
Die meiſten italieniſchen Staaten ſahen dieſe Schritte als Uebertreibungen an, die ſich bei mehr Erfahrung von ſelbſt verlieren wuͤrden. Keiner wuͤnſchte der Erſte zu ſeyn der mit dem Papſte braͤche. Der Großherzog von Tos - cana aͤußerte, er habe Sachen vor der Hand, die den Papſt außer ſich bringen muͤßten, aber er ſuche ſie hinzu - halten: Paul V. ſey ein Mann, der die Welt nach einer Stadt des Kirchenſtaates beurtheile, wo es nach dem Buch - ſtaben der Geſetze hergehe: bald muͤſſe ſich das aͤndern: die Spanier wuͤrden ſich fangen, ſie wuͤrden entweder von freien Stuͤcken losgelaſſen werden, oder das Netz zerrei - ßen: ein ſolches Beiſpiel muͤſſe man erwarten1)Relatione di IV ambasciatori. Il granduca ricordava che il pontefice non era uso a governar come principe grande, per - chè aver avuto qualche governo di città delle chiesa, dove si procede col rigor ecclesiastico e da prete, non basta per saper governare come capo supremo. . So dachten ungefaͤhr auch die Uebrigen, und gaben fuͤrs Erſte nach. Genua widerrief ſeine Verordnung; der Herzog von Savoyen ließ die ſtreitigen Pfruͤnden auf einen Nepoten des Papſtes uͤbergehn; die Spanier ſelbſt geſtatteten, daß328Buch VI. Innere Streitigkeiten.jener Reggente vor zahlreichen Zeugen die Abſolution nach - ſuchte und empfing.
Nur die Venezianer, ſonſt ſo klug und gefuͤgig, ver - ſchmaͤhten es, dieſe Politik zu beobachten.
In der That war aber auch Venedig mehr als die Andern gereizt. Es bietet ein rechtes Beiſpiel dar, wie ver - letzend die Eingriffe des roͤmiſchen Hofes beſonders fuͤr ei - nen benachbarten Staat werden konnten.
Schon dieſe Nachbarſchaft an ſich erwies ſich hoͤchſt unbequem, zumal nachdem die Kirche Ferrara erworben hatte. Die Grenzſtreitigkeiten, welche die Republik mit den Herzoͤgen gehabt, wurden vom roͤmiſchen Hofe bei wei - tem lebhafter fortgeſetzt: ſie wurde in der Regulation des Po, die ſie eben mit großen Koſten ausfuͤhrte, in dem alt - hergebrachten Beſitze ihrer Fiſchereien geſtoͤrt: ſie konnte nicht anders fertig werden, als indem ſie jene Arbeiten durch bewaffnete Fahrzeuge beſchuͤtzen, und fuͤr einige ihrer Fiſcherbarken, die der Legat von Ferrara aufgebracht, auch ihrerſeits paͤpſtliche Unterthanen aufgreifen ließ.
Indeſſen nahm Papſt Paul V. auch ihre Hoheits - rechte uͤber Ceneda, die ſie ſeit Jahrhunderten ruhig aus - uͤbte, in Anſpruch: er machte einen Verſuch die Appellatio - nen von dem biſchoͤflichen Gerichte, dem dort die Juris - diction zuſtand, nach Rom zu ziehen. Man gerieth dar - uͤber ſehr hart an einander: der paͤpſtliche Nuntius ſchritt zu Excommunicationen: der venezianiſche Senat ſorgte da - fuͤr, daß dieſelben keine buͤrgerliche Wirkung nach ſich zogen1)Niccolò Contarini: Mentre si disputava, pareva che da.
329Venezianiſche Irrungen.Und nicht minder bitter waren die Streitigkeiten uͤber den Zehnten der Geiſtlichkeit. Die Venezianer behaupteten, daß ſie ihn fruͤherhin eingezogen ohne den Papſt daruͤber zu befragen, ſie wollten es nicht anerkennen, daß die Be - willigung des Papſtes erfordert werde um dieſe Auflage zu erheben. Aber noch empfindlicher war es ihnen, daß der roͤmiſche Hof von Tage zu Tage die Exemtionen von derſelben erweiterte. Die Cardinaͤle, denen ſehr reiche Pfruͤn - den zugehoͤrten, die Malteſer, die Moͤnchskloͤſter zur Haͤlfte, die Bettelorden, außerdem alle welche im Dienſte der Kirche auswaͤrts beſchaͤftigt waren oder unter irgend ei - nem Titel zur paͤpſtlichen Hofhaltung gezaͤhlt wurden, end - lich auch die, denen der Hof Penſionen auf venezianiſche Pfruͤnden angewieſen, waren fuͤr eximirt erklaͤrt. Es er - folgte, daß die Reichen nichts zu bezahlen brauchten, und die ganze Laſt auf die Armen fiel, welche nicht zahlen konn - ten. Das Einkommen des venezianiſchen Clerus ward auf 11 Millionen Ducaten berechnet: der Zehnte warf effectiv nicht mehr als 12000 Duc. ab1)Aus einer Erklaͤrung die in Rom eingegeben ward. Men - tre s’esagera sopra la severità del magistrato, non si ritrovava fin hora essersi conseguiti più di 12 m. ducati, per li quali non si doveva far tanti richiami, e le fortune della republica per gratia di dio non erano tali che ne dovesse far conto più che tanto. Es wurden hierauf einige Einrichtungen getroffen, die dem.
1)alcuno fusse fuggita la conversatione de’ censurati — Beamten der Republik welche ſich den Appellationen nach Rom widerſetzt hat - ten — la qual cosa giudicando il senato apportarli offesa, pri - mieramente fece publicare un bando contra chi li havesse a schivo, e dopo a questi tutti in vita li fu data annua provisione quale era corrispondente alla loro fortuna.
330Buch VI. Innere Streitigkeiten.Dazu kamen nun noch unzaͤhlige, mehr die Privatleute als gerade den Staat ſelbſt angehende Streitpunkte. Ich will nur Einen anfuͤhren.
Man weiß, wie ſehr im Anfange des ſechszehnten Jahrhunderts die venezianiſchen Druckereien bluͤhten: die Republik war ſtolz auf dieſen ehrenvollen Gewerbzweig: aber durch die Anordnungen der Curie ging er nach und nach zu Grunde. Man fand in Rom kein Ende Buͤcher zu verbieten: erſt die proteſtantiſchen, dann die Schriften wider die Sitten der Geiſtlichkeit, wider die kirchliche Im - munitaͤt, alle die vom Dogma im geringſten abwichen, die geſammten Werke eines Autors, der einmal Tadel er - fahren. Der Verkehr konnte nur noch in untadelhaft ka - tholiſchen Sachen Statt finden: kaufmaͤnniſch betrachtet, erholte er ſich wirklich ein wenig an den kunſtreichen und praͤchtigen Meſſalen und Breviarien, die bei der Erneuerung der kirchlichen Geſinnungen guten Abſatz fanden. Jetzt aber ward auch dieſer Erwerb geſchmaͤlert. Man legte zu Rom Hand an eine Verbeſſerung dieſer Buͤcher, die in ih - rer neuen Geſtalt von Rom ſelbſt ausgehn ſollten1)Contarini: Al presente s’era devenuto in Roma in que - sto pensiero di ristampar messali et altro, levando di poterlo far ad altri. . Die Venezianer bemerkten mit jenem Ingrimme, den ein zum Privatvortheil benutzter Gebrauch der oͤffentlichen Gewalt immer hervorbringt, daß einige bei der Congregation des Index, welche die Druckſachen beaufſichtigte, angeſtellte1)Uebel ſteuern ſollten. Aber Contarini ſagt: In effetto montò poco perciocchè il foro era già fatto e l’abuso troppo confermato che distornarlo era più che malagevole. 331Venezianiſche Irrungen.Beamte Antheil an dem Geldgewinn der roͤmiſchen Drucke - reien haͤtten.
Unter dieſen Umſtaͤnden ward das Verhaͤltniß zwiſchen Rom und Venedig durch und durch gehaͤſſig und geſpannt.
Wie ſehr aber mußte damit jene Geſinnung kirchlich - weltlicher Oppoſition, die ſchon 1589 Heinrich dem IV. zu Huͤlfe kam, befoͤrdert werden. Der Sieg Heinrichs, die ganze Entwickelung der europaͤiſchen Angelegenheiten beſtaͤ - tigte ſie, brachte ſie empor. Die Irrungen mit dem Papſt ſelbſt trugen dazu bei, daß die Vertreter dieſer Geſinnung allmaͤhlig zur Leitung der Geſchaͤfte gelangten. Niemand ſchien geeigneter die Intereſſen der Republik gegen die geiſt - liche Gewalt wahrzunehmen. Im Januar 1606 ward Leo - nardo Donato, das Oberhaupt der Antiroͤmiſchgeſinnten, zum Doge erhoben. Alle ſeine Freunde, durch deren Theil - nahme es ihm in dem Kampfe innerer Parteiung gegluͤckt, zog er zur Theilnahme an den Geſchaͤften heran.
Indem ein Papſt auftrat, welcher die ſtreitigen An - ſpruͤche ſeiner Gewalt mit ruͤckſichtsloſem Eifer uͤberſpannte, gerieth die venezianiſche Regierung in die Haͤnde von Maͤn - nern welche die Oppoſition gegen die roͤmiſche Herrſchaft zu ihrer perſoͤnlichen Geſinnung ausgebildet, durch ſie em - porgekommen, und ihr Prinzip nun um ſo nachdruͤcklicher behaupteten, weil es ihnen zugleich diente ihre Gegner in - nerhalb der Republik abzuwehren, zu unterdruͤcken.
Es lag in der Natur beider Gewalten, daß die Rei - bungen zwiſchen ihnen von Tage zu Tage feindſeliger, weit - ausſehender wurden.
Der Papſt drang nicht allein auf die Auslieferung332Buch VI. Innere Streitigkeiten.jener geiſtlichen Verbrecher: er forderte auch[die] Abſchaf - fung zweier vor kurzem von den Venezianern erneuerten Ge - ſetze, durch welche die Veraͤußerung liegender Gruͤnde an die Geiſtlichkeit verboten, und die Errichtung neuer Kir - chen von der Genehmigung der weltlichen Behoͤrde abhaͤn - gig gemacht ward. Er erklaͤrte, Verordnungen nicht dul - den zu wollen, welche in ſo entſchiedenem Widerſpruch mit den Schluͤſſen der Concilien, den Conſtitutionen ſeiner Vor - gaͤnger, allen canoniſchen Rechtsſatzungen ſeyen. Die Ve - nezianer wichen um kein Haarbreit. Sie ſagten, es ſeyen Grundgeſetze ihres Staates, von ihren Altvordern gegeben, die ſich um die Chriſtenheit ſo wohl verdient gemacht, fuͤr die Republik unverletzlich.
Nicht lange aber blieb man bei den unmittelbaren Gegenſtaͤnden des Streites ſtehn: ſogleich gingen beide Theile zu weitern Beſchwerden fort. Kirchlicher Seits fand man ſich durch die Verfaſſung von Venedig uͤberhaupt beein - traͤchtigt. Dieſe Republik verbiete den Recurs nach Rom, ſchließe diejenigen welche durch geiſtliche Aemter in Ver - bindung mit der Curie gekommen, unter dem Titel von Papaliſten von der Berathung uͤber geiſtliche Angelegenhei - ten aus, und belaſte ſogar den Clerus mit Auflagen. Die Venezianer dagegen erklaͤrten dieſe Beſchraͤnkungen fuͤr noch lange nicht hinreichend. Sie forderten, die kirchlichen Pfruͤn - den ſollten nur an Eingeborne verliehen, nur dieſen Antheil an der Inquiſition verſtattet werden, jede Bulle muͤſſe der Genehmhaltung des Staates unterworfen, jede geiſtliche Verſammlung durch einen Weltlichen beaufſichtigt, alle Geld - ſendung nach Rom verboten werden.
333Venezianiſche Irrungen.Allein auch hiebei hielt man nicht inne: von den un - mittelbaren Fragen des Streites ſtieg man zu den allgemei - nen Grundſaͤtzen auf.
Die Jeſuiten hatten ſchon laͤngſt aus ihrer Lehre von der Gewalt des Papſtes die wichtigſten Folgerungen fuͤr das geiſtliche Recht abgeleitet, und ſaͤumten nicht ſie zu wie - derholen.
Der Geiſt, ſagt Bellarmin, leite und zuͤgele das Fleiſch: nicht umgekehrt. Eben ſo wenig duͤrfe die weltliche Ge - walt ſich uͤber die geiſtliche erheben, ſie leiten, ihr befehlen, ſie ſtrafen wollen: es wuͤrde dieß eine Rebellion, eine heid - niſche Tyrannei ſeyn1)Risposta del Cl Bellarmino ad una lettera senza nome dell’ autore (Flugſchrift von 1606). La raggione indrizza e regge e comanda alla carne e talvolta la castiga con digiuni e vigilie, ma la carne non indrizza nè regge nè comanda nè punisce la ragione: così la potestà spirituale è superiore alla secolare e però la può e deve drizzare e reggere e comandarli e pu - nirla quando si porta male; ma la potestà secolare non è su - periore alla spirituale nè la può drizzare nè reggere nè gli può comandare nè punirla se non di fatto per ribellione e tiran - nide, come hanno fatto talvolta li principi gentili o heretici. . Die Prieſterſchaft habe ihren Fuͤrſten, der ihr nicht allein in geiſtlichen ſondern auch in weltlichen Angelegenheiten befehle; unmoͤglich koͤnne ſie noch einen beſondern weltlichen Obern anerkennen, Nie - mand koͤnne zweien Herren dienen. Der Prieſter habe uͤber den Kaiſer zu richten, der Kaiſer nicht uͤber den Prieſter: es wuͤrde abſurd ſeyn, wenn das Schaf den Hirten richten wollte2)Bellarminus de clericis I, c. 30. Respondeo, principem quidem ovem ac spiritualem filium pontificis esse, sed sacerdo - tum nullo modo filium vel ovem principis dici posse, quoniam. Auch duͤrfe der Fuͤrſt keine Auflagen von geiſt -334Buch VI. Innere Streitigkeiten.lichen Guͤtern ziehen. Von den Laien moͤge er ſeine Ab - gaben nehmen: von den Prieſtern werde ihm die bei wei - tem groͤßere Beihuͤlfe des Gebetes und des Opfers gelei - ſtet. Von allen ſachlichen und perſoͤnlichen Laſten ſey der Geiſtliche eximirt: er gehoͤre zur Familie Chriſti. Beruhe dieſe Exemtion auch nicht auf einem ausdruͤcklichen Gebot in der heiligen Schrift, ſo gruͤnde ſie ſich doch auf Fol - gerung aus derſelben und Analogie. Den Geiſtlichen des neuen Teſtaments komme eben das Recht zu, was den Le - viten des alten zugeſtanden1)Dieſe Saͤtze finden ſich woͤrtlich entweder in obgedachter Risposta, oder in dem Buche Bellarmins de clericis beſonders lib. I, c. 30..
Eine Lehre, welche jener geiſtlichen Republik, der ein ſo großer Einfluß auf den Staat zufallen ſollte, eine nicht minder vollkommene Unabhaͤngigkeit von den Ruͤckwirkun - gen deſſelben zuſprach: die man in Rom mit unzaͤhligen Beweiſen aus Schrift, Concilien, kaiſerlichen und paͤpſtli - chen Conſtitutionen zu befeſtigen ſuchte, und im Ganzen fuͤr unwiderlegbar hielt. Wer ſollte es in Venedig wagen ſich einem Bellarmin, einem Baronius zu widerſetzen?
Die Venezianer beſaßen in ihrem Staatsconſultor, Paul Sarpi, einen Mann den Natur und Umſtaͤnde zu einer Geſinnung ausgebildet, in eine Stellung gefuͤhrt hat - ten, daß er es wagen konnte die Waffen gegen die geiſt - liche Macht zu ergreifen.
Paul Sarpi war der Sohn eines Kaufmannes, der2)sacerdotes et omnes clerici suum habent principem spiritualem a quo non in spiritualibus solum sed etiam in temporalibus re - guntur. 335Venezianiſche Irrungen.von St. Veit nach Venedig gewandert, und einer Mutter aus einem venezianiſchen Geſchlechte das die Privilegien der Cittadinanza genoß, aus dem Hauſe Morelli. Der Va - ter war ein kleiner, ſchwarzer, ungeſtuͤmer, haͤndelſuͤchtiger Mann, der durch falſche Speculationen ungluͤcklich wurde. Die Mutter war eine von den ſchoͤnen venezianiſchen Blon - dinen, wie man ihnen dort nicht ſelten begegnet, groß von Geſtalt, beſcheiden und vernuͤnftig. Der Sohn glich ihr in den Zuͤgen des Geſichtes1)Sarpi geb. 14. Aug. 1552. Sein Vater Franz, ſeine Mut - ter Eliſabeth. Fra Fulgentio: Vita di Paolo Sarpi. Griselini: Memorie di Fra Paolo Sarpi, deutſch von Lebret p. 13..
Ein Bruder der Mutter nun, Ambroſio Morelli, ſtand damals an der Spitze einer Schule, die ſich eines beſon - dern Rufes erfreute, und vornehmlich zur Erziehung des jungen Adels diente. Es ergab ſich von ſelbſt, daß auch der Neffe des Lehrers an dem Unterrichte Theil nahm. Nic - colo Contarini, Andrea Moroſini waren ſeine Mitſchuͤler, und wurden ſehr vertraut mit ihm. Gleich an der Schwelle ſeines Lebens trat er in die wichtigſten Verbindungen.
Jedoch ließ er ſich weder durch die Mutter, noch durch den Oheim, noch durch dieſe Verbindungen abhalten ſei - nem Hange zur Einſamkeit zu folgen und bereits in ſeinem 14ten oder 15ten Jahre in ein Servitenkloſter zu treten.
Er ſprach wenig: er war immer ernſthaft. Niemals aß er Fleiſch: bis zu ſeinem dreißigſten Jahre trank er kei - nen Wein: er haßte anſtoͤßige Geſpraͤche: „ da kommt die Jungfer, “ſagten ſeine Cameraden, wenn er erſchien, „ re - den wir von etwas Anderm. “ Alles, was Verlangen, Nei -336Buch VI. Innere Streitigkeiten.gung, oder Begierde in ihm ſeyn mochte, galt den Stu - dien, fuͤr die er eine große Gabe mitbrachte.
Er hatte das unſchaͤtzbare Talent einer raſchen und ſichern Auffaſſung: wie er denn Jedermann wiederkannte, den er einmal geſehen: wie er, ſobald er etwa in einen Gar - ten trat, ihn ſogleich uͤberblickt und Alles bemerkt hatte: er war geiſtig und leiblich mit einem guten, ſcharfen Auge ausgeruͤſtet1)Nach Fra Fulgentio (p. 38) ſprach er ſelbſt von ſeiner gran passibiltà, perchè non sola l’oggelto in lui facesse moto, ma ogni minima reliquia. Come un perito suonatore, faͤhrt Fulgen - tio fort, ad un sol tocco fa giudicio del instrumento, così con far parlar le persone con prestezza ammirabile conosceva i fini, gli interessi etc. . Mit beſonderm Gluͤcke widmete er ſich des - halb den Naturwiſſenſchaften. Seine Bewunderer ſchreiben ihm die Entdeckung der Valveln iu den Blutgefaͤßen, die Wahrnehmung der Expanſion und Contraction der Pupille2)S. auch Fiſcher: Geſchichte der Phyſik I, 167., die erſte Beobachtung der Neigung der Magnetnadel und gar mancher andern magnetiſchen Erſcheinungen zu, und es laͤßt ſich nicht leugnen, daß er an den Arbeiten Aquapen - dente’s und beſonders Porta’s anregenden, mithervorbringen - den Antheil nahm3)A quo, ſagt Porta von ihm, aliqua didicisse non solum fateri non erubescimus, sed gloriamur, quum eo doctiorem, sub - tiliorem, quotquot adhuc videre contigerit, neminem cognoveri - mus ad encyclopaediam. Magiae natur. lib. VII praef. Grise - lini I, § 20. 24.. Den phyſikaliſchen Studien fuͤgte er mathematiſchen Calcuͤl und Beobachtung der Phaͤnomene des Geiſtes zu. In der Servitenbibliothek zu Venedig be - wahrte man ein Exemplar der Werke des Vieta auf, inwel -337Venezianiſche Irrungen.welchem die mancherlei Fehler dieſes Autors von der Hand des Fra Paolo verbeſſert waren: man hatte daſelbſt einen kleinen Aufſatz von ihm uͤber den Urſprung und Untergang der Meinungen in den Menſchen, der, nach den Auszuͤgen die Foscarini daraus mittheilt zu urtheilen, eine Theorie des Erkenntnißvermoͤgens enthielt, welche Senſation und Reflexion zu ihrer Grundlage nahm, und mit der Lockiſchen viel Aehnlichkeit hatte1)Beſonders auffallend waͤre die Erklaͤrung der Subſtanz. Paolo Sarpi bei Foscarini und Griſelini leitet die Subſtanz aus der Vielheit der Ideen her, ohne daß man den Grund auf wel - chem ſie ruhen, erkennen kann, und in dieſem Grunde, ſagt er, be - ſtehe eigentlich das wir Subſtanz nennen. Griselini I, p. 46 d. Ueb. Locke: Humane understanding B. II, ch. 23. Not imagining how the simple ideas can subsist by themselves, we accustom ourselves to suppose some substratum wherein they do subsist and from which they do result, which therefore we call sub - stance. , wenn ſie ihr auch nicht ſo ganz entſprochen haben ſollte, wie man behauptet hat. — Fra Paolo ſchrieb nur ſo viel als nothwendig war; Neigung zur Production hatte er nicht von Natur: er las immer, eignete ſich an, beobachtete: ſein Geiſt war nuͤchtern und umfaſſend, methodiſch und kuͤhn: auf den Bahnen freier For - ſchung ging er einher.
Mit dieſen Kraͤften nun kam er an die theologiſchen und kirchenrechtlichen Fragen.
Man hat geſagt, er ſey insgeheim Proteſtant gewe - ſen; doch ſchwerlich ging ſein Proteſtantismus uͤber die erſten einfachen Saͤtze der augsburgiſchen Confeſſion hinaus: wenn er ja noch dieſe feſthielt. Wenigſtens hat Fra Paolo ſein Lebenlang alle Tage Meſſe geleſen. Das BekenntnißPäpſte* 22338Buch VI Innere Streitigkeiten.wird man nicht nennen koͤnnen, zu welchem er ſich inner - lich gehalten; es war eine Geſinnung, wie ſie ſich beſon - ders in Maͤnnern, die ſich den Naturwiſſenſchaften gewid - met, in jenen Zeiten oͤfter zeigt, von keinem der beſtehen - den Lehrſyſteme feſtgehalten; abweichend, forſchend; jedoch in ſich ſelbſt weder abgeſchloſſen noch vollkommen ausge - bildet.
So viel aber iſt gewiß, daß Fra Paolo dem weltli - chen Einfluß des Papſtthums einen entſchiedenen unverſoͤhn - lichen Haß widmete. Es iſt vielleicht die einzige Leiden - ſchaft die er hegte. Man hat ſie daher leiten wollen, weil ihm ein Bisthum verſagt worden, zu dem er vorgeſchla - gen war. Und wer moͤchte wohl den Einfluß einer em - pfindlichen Zuruͤckſetzung, die einem natuͤrlichen Ehrgeize ſeine Bahn verſchließt, auch auf ein maͤnnliches Gemuͤth von vorn herein ableugnen wollen? Jedoch lagen die Dinge hier um vieles tiefer. Es war eine politiſch-religioͤſe Ge - ſinnung, die mit allen andern Ueberzeugungen zuſammen - hing, ſich durch Studien und Erfahrung befeſtigt hatte, von den Freunden, den Altersgenoſſen, jenen Maͤnnern die ſich einſt bei Moroſini verſammelt hatten und jetzt an das Ruder des Staates gelangt waren, getheilt wurde. Vor der Schaͤrfe einer eindringenden Beobachtung verſchwanden jene chimaͤriſchen Beweiſe, mit denen die Jeſuiten ihre Be - hauptungen zu erhaͤrten verſuchten: Lehrſaͤtze, deren eigent - licher Grund doch auch nur in einer aus voruͤbergegange - nen Lebensmomenten entſprungenen Ergebenheit gegen den roͤmiſchen Stuhl zu ſuchen war.
Nicht ohne Muͤhe uͤberzeugte Sarpi zuerſt die einhei -339Venezianiſche Irrungen.miſchen Juriſten. Die einen hielten die Exemtion der Geiſt - lichen, wie Bellarmin, fuͤr eine Anordnung des goͤttlichen Rechtes: die andern behaupteten wenigſtens, der Papſt habe ſie befehlen duͤrfen: ſie beriefen ſich auf die Concilienſchluͤſſe in denen jene Exemtion ausgeſprochen ſey: was aber ein Concilium gedurft, wie viel mehr ſtehe dieß dem Papſte zu. Leicht waren die erſten widerlegt: den andern bewies Fra Paolo hauptſaͤchlich, daß die Concilien auf die es ankomme, von den Fuͤrſten berufen, als Reichsverſammlungen anzu - ſehen ſeyen, von denen auch eine Menge politiſcher Geſetze ausgegangen1)Schreiben Sarpis an Leſchaſſer 3. Februar 1619, in Le - brets Magazin I, 479. Eine fuͤr jene Zeiten um ſo wichtigere Be - merkung, da z. B. Mariana aus den ſpaniſchen Concilienſchluͤſſen die ausgedehnteſten weltlichen Befugniſſe der Geiſtlichkeit herleitete. Immer aber wird man zu bemerken haben, daß ſchon in jenen Zei - ten die geiſtlichen und weltlichen Anſpruͤche entweder vermiſcht wur - den oder im Streite lagen. Die alte gothiſche Monarchie in Spa - nien hatte wirklich ein ſehr ſtarkes geiſtliches Element. Denn die alten Geſetze beruhen doch uͤberhaupt auf alten Zuſtaͤnden.. Es iſt dieß ein Punkt, auf dem ſich die Lehre, wie ſie Fra Paolo und ſeine Freunde vortrugen, hauptſaͤchlich mit begruͤndet.
Sie gingen von dem Grundſatze aus, der in Frank - reich durchgefochten worden, daß die fuͤrſtliche Gewalt un - mittelbar von Gott ſtamme und Niemand unterworfen ſey. Der Papſt habe auch nicht einmal zu unterſuchen, ob die Handlungen eines Staates ſuͤndlich ſeyen oder nicht. Denn wohin ſollte dieß fuͤhren? Gebe es denn irgend eine die nicht wenigſtens ihres Endzweckes halber ſuͤndlich ſeyn koͤnne? Der Papſt wuͤrde alles zu pruͤfen, in alles ein -22*340Buch VI. Innere Streitigkeiten.zugreifen haben: das weltliche Fuͤrſtenthum wuͤrde dadurch aufgeloͤſt werden.
Dieſer Gewalt ſeyen nun Geiſtliche ſo gut wie Welt - liche unterthan. Alle Gewalt, ſage der Apoſtel, komme von Gott. Von dem Gehorſam gegen die Obrigkeit ſey Niemand ausgenommen, ſo wenig wie von dem Gehor - ſam gegen Gott. Der Fuͤrſt gebe die Geſetze: er richte Je - dermann: er fordere die Abgaben ein: in alle dem ſey ihm der Clerus den nemlichen Gehorſam ſchuldig wie die Laien1)Risposta d’un dottore in theologia ad una lettera scrit - tagli sopra il breve delle censure. Sono dunque tutti gli eccle - siastici et i secolari de jure divino soggetti al principe seco - lare. Omnis anima potestatibus sublimioribus subdita sit. E la ragione si è perchè siccome niuno è eccettuato dall’ ubbi - dienza che deve a dio, così niuno è eccettnato dall’ ubbidienza che deve al principe: perchè, comme soggionge l’apostolo, omnis potestas a deo. .
Allerdings ſtehe auch dem Papſt Jurisdiction zu: aber lediglich eine geiſtliche. Habe denn Chriſtus eine weltli - che Gerichsbarkeit ausgeuͤbt? Weder dem h. Peter noch deſſen Nachfolger koͤnne er uͤbertragen haben, was von ihm ſelbſt nicht in Anſpruch genommen worden ſey.
Nimmermehr ſchreibe ſich demnach die Exemtion der Geiſtlichkeit von einem urſpruͤnglichen goͤttlichen Rechte her2)Difesa di Giovanni Marsilio a favore della risposta delle otto propositioni, contro la quale ha scritto l’illmo e revmo Sr Cl Bellarmino, Venezia 1606, erklaͤrt ſeinen Autor, der ſich etwas dunkel ausgedruͤckt hatte, und wenigſtens iſt die Erklaͤrung authen - tiſch, da ſie von derſelben Seite herkommt, folgendergeſtalt: Dice l’autore due cose: la prima si è che le persone ecclesiastiche non siano esente dalla potestà secolare nè meno i beni di esse, intendendo in quelle cose alle quali la detta potestà si estende (d. i. nicht in den rein geiſtlichen): la seconda che l’esentione:341Venezianiſche Irrungen.ſie beruhe allein auf den Bewilligungen des Fuͤrſten. Der Fuͤrſt habe der Kirche Beſitz und Gerichtsbarkeit verliehen, er ſey ihr Protector, ihr allgemeiner Patron: von ihm hange billig die Ernennung der Geiſtlichen, die Publication der Bullen ab.
Der Fuͤrſt koͤnne dieſe Gewalt ſelbſt wenn er wolle nicht aufgeben, ſie ſey ein ihm anvertrautes Fideicom - miß: er ſey in ſeinem Gewiſſen verbunden ſie ſeinem Nach - folger unverſehrt zu uͤberliefern.
So tritt der Anſpruch und die Theorie des Staates dem Anſpruche und der Theorie der Kirche kuͤhnlich gegenuͤber. Die Tendenzen kaͤmpfender Gewalten ſprechen ſich in ent - gegengeſetzten Syſtemen aus. Bei der innigen Verſchmel - zung geiſtlicher und weltlicher Intereſſen in den europaͤiſchen Staaten gibt es ein weites Gebiet menſchlicher Handlun - gen wo ſich beide beruͤhren, vermiſchen. Die Kirche hat ſchon lange dieſes ganze Gebiet fuͤr ſich in Anſpruch ge - nommen und thut es jetzt aufs neue. Der Staat hat ſei - nerſeits auch zuweilen einen aͤhnlichen Anſpruch erhoben: vielleicht aber bisher noch niemals ſo kuͤhn, ſo ſyſtematiſch, wie es hier geſchah. Rechtlich ließen ſich dieſe Anſpruͤche niemals ausgleichen: politiſch war es nur durch wechſel - ſeitige Nachgiebigkeit moͤglich: ſobald man dieſe nicht mehr fuͤr einander hatte, kam es zum Kampfe. Jeder Theil mußte verſuchen, wie weit ſeine Kraft reichen wuͤrde. Strit - ten ſie uͤber das Recht auf den Gehorſam, ſo mußte es nun an Tag kommen, wer ſich dieſen zu verſchaffen vermoͤge.
2)ch’hanno li detti ecclesiastici non è de jure divino, ma de jure humano (p. 62).
342Buch VI. Innere Streitigkeiten.Am 17ten April 1606 ſprach der Papſt in der ſtren - gen Form fruͤherer Jahrhunderte, mit ausdruͤcklicher Be - ziehung auf ſo allgewaltige Vorgaͤnger wie Innocenz III. einer geweſen war, uͤber Doge, Senat und ſaͤmmtliche Staatsgewalten von Venedig, ausdruͤcklich auch uͤber die Conſultoren, die Excommunication aus. Zu etwanigem Wi - derruf geſtattete er den Verurtheilten nur die kuͤrzeſten Fri - ſten: drei von acht, eine von drei Tagen. Nach deren Verlauf ſollten alle Kirchen des venezianiſchen Gebietes, Kloſterkirchen und Privatcapellen nicht ausgenommen, dem Verbote des Gottesdienſtes, dem Interdict unterliegen. Den Geiſtlichen des Landes ward zur Pflicht gemacht dieß Breve der Verdammung vor den verſammelten Gemeinden abzukuͤndigen, und es an den Kirchthuͤren anſchlagen zu laſſen1)Mentre in esse si troverà adunata maggior moltitudine di popolo per sentir li divini officj. Wie es in Ferrara mit ſo großem Erfolge geſchehen war. Breve di censure et interdetto della Stà di NSre P. Paolo V contra li Sri Venetiani 1606.. Alleſammt, vom Patriarchen bis zum Pfarrer, wurden ſie bei ſchweren Strafen, goͤttlichen und menſchli - chen Gerichtes, dazu angewieſen.
So geſchah der Angriff. Nicht ſo gewaltig nahm ſich die Vertheidigung aus.
Es war in dem Collegium von Venedig vorgeſchla - gen worden, eine feierliche Proteſtation einzulegen, wie in fruͤhern Zeiten geſchehen: doch ward dieß nicht beliebt, aus dem Grunde, weil das Urtheil des Papſtes an ſich null und nichtig ſey, und gar nicht einmal einen Schein von Ge - rechtigkeit habe. In einem kleinen Erlaß, auf einem Quart -343Venezianiſche Irrungen.blatt, machte Leonardo Donato den Geiſtlichen den Beſchluß der Republik bekannt, die fuͤrſtliche Autoritaͤt, „ die in welt - lichen Dingen keinen Obern außer Gott erkenne “, aufrecht zu erhalten: ihre getreue Geiſtlichkeit werde ſchon von ſelbſt die Nullitaͤt der gegen ſie ergangenen Cenſuren erkennen, und in ihren Amtsverrichtungen, Seelſorge und Gottes - dienſt, ununterbrochen fortfahren. Keine Befuͤrchtung, keine Drohung ward ausgeſprochen: es war nur eine Erklaͤrung des Vertrauens. Obwohl man denn muͤndlich wohl etwas Mehreres gethan haben mag1)Dieſer Erlaß vom 6ten Mai 1606 iſt bei Rampazetto, stampator ducale, gedruckt. Auf dem Titelblatt ſieht man den Evangeliſten S. Marcus mit dem Evangelienbuch und dem erhobe - nen Schwert. In dem Senat eroͤrterte man, wie Priuli ſagt, le nullità molte e notorie des paͤpſtlichen Breve..
Und hiedurch ward nun aus der Frage des Anſpru - ches, des Rechtes unmittelbar eine Frage der Macht und des Beſitzes. Von ihren beiden Oberherrn, dem Papſt und der Republik, zu entgegengeſetzten Beweiſen des Gehorſams aufgefordert, mußte die venezianiſche Geiſtlichkeit ſich ent - ſcheiden, wem ſie dieſelben leiſten wolle.
Sie ſchwankte nicht: ſie gehorchte der Republik. Von dem paͤpſtlichen Breve ward nicht ein einziges Exemplar angeſchlagen2)P. Sarpi: Historia particolare lib. II, p. 55 verſichert, es ſeyen Leute die die Bullen haͤtten anſchlagen wollen, von den Ein - wohnern ſelbſt feſtgenommen worden.. Die Friſten die der Papſt geſetzt, verſtrichen. Allenthalben ging der Gottesdienſt auf die gewohnte Weiſe fort. Wie die Weltgeiſtlichen, thaten auch die Kloͤſter.
Nur die neugegruͤndeten Orden, welche das Prinzip344Buch VI. Innere Streitigkeiten.der kirchlichen Reſtauration vorzugsweiſe in ſich darſtellten, Jeſuiten, Theatiner und Capuziner machten hievon eine Ausnahme. Die Jeſuiten waren an und fuͤr ſich nicht ſo ganz entſchloſſen: ſie fragten erſt bei ihrem Provincial in Ferrara, bei dem General in Rom an, und dieſer wandte ſich ſelbſt an den Papſt: die Antwort Pauls V. war, ſie muͤßten entweder das Interdict beobachten, oder den Staub von ihren Fuͤßen ſchuͤtteln und Venedig verlaſſen. Gewiß, ein ſchwerer Entſchluß, da man ihnen hier geradehin er - klaͤrte, ſie wuͤrden niemals wieder zuruͤckkommen duͤrfen: aber ihr Prinzip ließ ihnen keine Wahl: auf einigen Bar - ken begaben ſie ſich in das paͤpſtliche Gebiet1)Juvencius: Hist. soc. Jesu V, II, p. 93.. Ihr Bei - ſpiel riß die beiden andern Orden mit ſich fort2)Wenn V. Sandi (VI, 1110) noch „ i reformati di S. Francesco “erwaͤhnt, ſo beruht dieß, ſo viel andere Autoren auch dieſen Irrthum theilen, nur darauf, daß die Capuziner eben refor - mirte Franciscaner ſind und von A. Moroſini bei dieſer Gelegenheit ſo bezeichnet werden.. Einen Mittelweg, den die Theatiner vorgeſchlagen, fanden die Ve - nezianer nicht rathſam: ſie wollten keine Spaltung inner - halb ihres Landes: ſie forderten entweder Gehorſam oder Entfernung. Leicht waren die verlaſſenen Kirchen mit an - dern Prieſtern beſetzt: es ward dafuͤr geſorgt, daß Niemand einen Mangel ſpuͤrte. Mit beſonderm Pomp und unge - woͤhnlich zahlreicher Proceſſion wurde das naͤchſte Frohn - leichnamsfeſt begangen3)A. Maurocenus: Historia Ven. tom. III, p. 350..
Auf jeden Fall aber trat hiemit eine vollſtaͤndige Spal - tung ein.
345Venezianiſche Irrungen.Der Papſt war erſtaunt: — ſeinen uͤberſpannten Vor - ſtellungen ſetzte ſich die Realitaͤt der Dinge ſchroff gegen - uͤber: — gab es ein Mittel ſie zu uͤberwaͤltigen?
Paul V. dachte wohl zuweilen an die Anwendung von Kriegsgewalt; auch in den Congregationen behielt einmal die kriegeriſche Stimmung das Uebergewicht: Cardinal Sauli rief aus, man werde die Venezianer zuͤchtigen: man ord - nete Legaten ab, und ruͤſtete ein Heer. Im Grunde aber durfte man es nicht wagen. Man haͤtte fuͤrchten muͤſſen, daß Venedig ſich proteſtantiſche Huͤlfe geſucht und Italien ja die katholiſche Welt uͤberhaupt in die gefaͤhrlichſte Be - wegung geſetzt haͤtte.
Man mußte zuletzt doch wieder wie ſonſt eine Aus - gleichung der kirchenrechtlichen Fragen durch Politik verſu - chen: nur daß dieſelbe jetzt nicht zwiſchen den Betheiligten ſelbſt Statt finden konnte, die ſich zu lebhaft entzweit hatten, ſondern der Vermittelung der beiden vorwaltenden Maͤchte, Spanien und Frankreich, anheimfiel. Deren eigene Inte - reſſen mußten dann aber auch dabei hervortreten.
Es gab wohl in dem einen wie in dem andern Reiche eine Partei, welche den Ausbruch von Feindſeligkeiten ge - wuͤnſcht haͤtte. Unter den Spaniern waren es die eifrigen Katholiken, welche den roͤmiſchen Stuhl aufs neue an die Monarchie zu ketten hofften: die Governatoren der italie - niſchen Landſchaften, deren Macht im Kriege wachſen mußte: auch der Botſchafter Viglienna in Rom hegte dieſen Wunſch, er dachte dabei ſein Haus zu kirchlichen Wuͤrden zu befoͤr - dern. In Frankreich dagegen waren es gerade die eifrigen Proteſtanten. Sully und ſeine Anhaͤnger haͤtten einen ita -346Buch VI. Innere Streitigkeiten.lieniſchen Krieg ſchon deshalb gern geſehen, weil dadurch den Niederlaͤndern, die eben von Spinola bedraͤngt wur - den, eine Erleichterung zu Theil geworden waͤre. Auch brachten es dieſe Parteien auf beiden Seiten zu Demonſtra - tionen. Der Koͤnig von Spanien erließ ein Schreiben an den Papſt, worin er demſelben wenigſtens in allgemeinen Ausdruͤcken ſeine Huͤlfe zuſagte. In Frankreich erhielt der venezianiſche Botſchafter Anerbietungen auch von bedeuten - den Maͤnnern: er haͤtte, meint er, in einem Monat ein Heer von 15000 Franzoſen zuſammenbringen koͤnnen. Dieſe Richtungen behielten jedoch nicht die Oberhand. Die lei - tenden Miniſter, Lerma in Spanien, Villeroi in Frankreich, wuͤnſchten in ihrem Herzen, die Ruhe zu erhalten. Der Erſte ſetzte ſeinen Ruhm uͤberhaupt in die Herſtellung des Friedens: der Zweite gehoͤrte der ſtrenger katholiſchen Seite an: nie haͤtte er zugegeben, daß der Papſt von Frankreich angegriffen worden waͤre1)Relatione di Pietro Priuli ritornato di Francia 4 Sett. 1608 enthaͤlt eine ausfuͤhrliche Darſtellung der Theilnahme der Fran - zoſen an dieſen Haͤndeln. Villeroi erkaͤrt: esser questa opportu - nissima e propria occasione di guadagnare l’animo del papa. — — Il re, assicurato dal suo ambasciatore presso la republica che V. Sà non metteria in mano d’altri questo negotio che della Mà S., ebbe mira di guadagnare et obligarsi con questa occa - sione l’animo del pontefice. . Auch die Fuͤrſten ſtimmten hiemit uͤberein. Heinrich IV. bemerkte mit Recht, wenn er das Schwert fuͤr die Republik zoͤge, ſo wuͤrde er ſeine Reputation als guter Katholik aufs Spiel ſetzen. Phi - lipp III. erließ eine neue Erklaͤrung an den Papſt: er wolle ihn unterſtuͤtzen, aber einmal nicht ohne Sicherheit des347Venezianiſche Irrungen.Koſtenerſatzes, und ſodann zum Guten, aber nicht zum Boͤſen1)Francesco Priuli: Relatione di Spagna 20 Ag. 1608. Venne il contestabile a trovarmi a casa, e mi disse constante - mente che gli ordini dell’ ammassar genti non erano per altro se non per non star in otio mentre tutte potenze del mondo si armavano, ma che però non s’erano proveduti di danaro: rac - comandò la pace d’Italia non potendo perder la republica nell’ esser liberale di parole ossequenti, per haver in effetto quello che desiderava. — — In quel tempo che il duca di Lerma delle forze da amassarsi parlò iperbolicamente all’ ambasciator d’In - ghilterra, — — scrissono al papa che S. Mà gli aveva ben pro - messo d’ajutarlo ma che ciò s’intendeva al bene e non al male, — — che il cominciar le guerre stava in mano degli uomini et il finire in quelle di dio. .
So zerſchlugen ſich die Moͤglichkeiten des Krieges. Die beiden Maͤchte wetteiferten nur, welche am meiſten zu dem Frieden beizutragen, und dabei ihren Einfluß am ſi - cherſten zu befeſtigen vermoͤchte: dazu kamen aus Spanien Franz von Caſtro, Neffe Lermas, aus Frankreich der Car - dinal Joyeuſe nach Venedig.
Ich haͤtte weder die Neigung noch waͤre ich im Stande den geſammten Gang ihrer Unterhandlungen auseinanderzu - ſetzen: auch iſt es ſchon hinreichend, nur die wichtigſten Mo - mente zu faſſen.
Die erſte Schwierigkeit lag darin, daß der Papſt vor allem die Suspenſion der venezianiſchen Geſetze die ihm ſo großen Anſtoß erregt hatten forderte, und die Suspenſion ſeiner kirchlichen Cenſuren davon abhaͤngig machte.
Auch die Venezianer aber pflegten nicht ohne eine ge - wiſſe republikaniſche Selbſtgefaͤlligkeit ihre Geſetze fuͤr hei - lig und unverletzlich zu erklaͤren. Als die Sache im Ja -348Buch VI. Innere Streitigkeiten.nuar 1607 zuerſt zur Berathung kam, ward ſie zwar im Collegium nicht geradezu, aber im Senate verworfen1)Ger. Priuli: Cronica Veneta 20 Zener 1606 (1607): Dopo lunga disputa di otto giorni e varie pendentie di giudicio deli - berò il senato rispondere agli ambasciatori di Francia e di Spa - gna che il devenir a qualsivoglia forma di sospensione non si può accomodar la republica, essendo cosa di perpetuo pregiudi - cio: il che fu proposto da S. Bembo et Al. Zorzi savj del con - silio et A. Mula et S. Venier savj della terra ferma. Andere ſind fuͤr eine gemaͤßigtere Auskunft. Auch iſt es nicht unwahrſchein - lich daß ſie durchdringen. Jedoch es laͤuft die Nachricht ein, daß man von ſpaniſchen Waffen auch wegen der Irrungen in Neapel nichts zu befuͤrchten habe. E fu perciò preso la total negativa di sospensione. Mit 99 gegen 78, alſo einer Majoritaͤt von 21 Stim - men. — Am 9. Merz jedoch iſt Bembo von jenem Antrag ſelbſt zu - ruͤckgetreten. Es wird am 14 Merz dem Widerſpruche des Zorzi, Mula und Venier zum Trotz die mildere Auskunft beliebt.. Den Franzoſen, die dem Papſt ihr Wort gegeben, gelang es, ſie im Merz noch einmal in Vorſchlag zu bringen. Von den vier Opponenten im Collegium trat dann wenig - ſtens einer zuruͤck: nachdem die Gruͤnde fuͤr und wider in dem Senate zum zweiten Mal durchgeſprochen worden, kam es zwar auch dießmal nicht zu foͤrmlicher und ausdruͤck - licher Suspenſion: aber man faßte einen Beſchluß, in wel - chem man ſagte, „ die Republik werde ſich mit gewohnter Froͤmmigkeit betragen. “ So dunkel dieſe Worte auch lau - teten, ſo meinten doch der Geſandte und der Papſt die Er - fuͤllung ihres Wunſches darin zu erblicken. Auch der Papſt ſuspendirte dann ſeine Cenſuren.
Sogleich aber erhob ſich eine andere, ſehr unerwar - tete Schwierigkeit. Die Venezianer weigerten ſich die Je - ſuiten, die nach ihrer Entfernung durch ein feierliches De - cret ausgeſchloſſen worden, wieder aufzunehmen.
349Venezianiſche Irrungen.Sollte aber der Papſt ſeine Getreuen, die kein an - deres Verbrechen begangen, als daß ſie ihm unverbruͤch - lich anhingen, in ſo großen Nachtheil ſetzen laſſen?
Er wandte alles an um die Venezianer umzuſtimmen. Auch hatten die Jeſuiten die Franzoſen fuͤr ſich: durch eine beſondere Geſandtſchaft hatten ſie ſich der Gunſt des Koͤ - nigs auch fuͤr dieſen Fall verſichert: Joyeuſe ließ ſich ihre Sache ſehr angelegen ſeyn. Die Venezianer blieben uner - ſchuͤtterlich1)Pietro Priuli: Relatione di Francia ſetzt hinzu: Solamente l’ufficio dell’ ambasciatore ritenne la dispositione che aveva S. Mà, eccitata dall’ efficaci instanze che furono fatte da un padre Barisoni Padoano mandato in Francia espressamente dalla sua congregatione con pensiero d’ottener di interessarsi acciocchè fussero di nuovo ricevuti. .
Da war nur auffallend, daß die Spanier ſich eher wider den Orden erklaͤrten, als fuͤr ihn. In Spanien herrſchte das dominicaniſche Intereſſe vor: Lerma liebte die Jeſuiten nicht, und hielt es uͤberhaupt nicht fuͤr gut, daß ein Staat genoͤthigt werden ſollte ungehorſame Unterthanen wieder aufzunehmen: genug Franz von Caſtro vermied es anfangs von den Jeſuiten zu reden: endlich ſetzte er ſich den Verwendungen der Franzoſen geradehin entgegen2)Francesco Priuli: Relatione di Spagna: Sentendo (i Spa - gnuoli) che Franciosi insistevano nell’ introduzione de’ Gesuiti, scrissero a Roma et a Venezia che non trattassero di ciò, dando ragione alla republica di non voler capitolare con gente suddita che l’aveva si gravemente offesa. .
Eine Erſcheinung, zwar in der Lage der Dinge wohl begruͤndet, aber doch ſo auffallend, daß der Papſt ſelbſt daruͤber ſtutzte, und indem er irgend ein tiefer liegendes350Buch VI. Innere Streitigkeiten.Geheimniß vermuthete, es aufgab, auf die Herſtellung der Jeſuiten zu dringen1)Francesco Priuli: Venuto l’avviso dell’ intiero acco - modamento, desisterono dal procurare che si trattasse di loro con la Stà V., non solo per non aver voluto parlar di loro, ma per essersi attraversati alli gagliardi ufficj di Francesi: che fece dubitare il papa di qualche recondito mistero, e non vi volse insistere con che essi non sapevano che dire. .
Wie viel aber mußte ihm dieſer Entſchluß koſten. Um ein paar unbedeutender Geſetze willen hatte er entſchloſſen geſchienen die Welt in Feuer und Flamme gerathen zu laſſen: jetzt gab er das immerwaͤhrende Exil ſeiner getreue - ſten Anhaͤnger aus einer katholiſchen, einer italieniſchen Landſchaft zu2)Ger. Priuli: Pesò molto a S. Stà questa cosa de’ Ge - suiti, non per loro ma per la sua propria riputatione. .
Dagegen bequemte ſich nun auch die Republik die beiden Geiſtlichen auszuliefern die ſie feſtgenommen hatte.
Nur machte ſie auch hier den Anſpruch eine Rechts - verwahrung einzulegen, von der der Papſt ſchlechterdings nichts wiſſen wollte. Sehr ſonderbar iſt doch die Aus - kunft zu der man ſich endlich entſchloß3)Joyeuſe druͤckt das als Bedingung ſo aus: „ che levan - dosi le censure siano consignati li due prigioni a chi li riceve in nome di S. Santità, li quali, se bene S. Serenità (Venedig) dice di darli in gratificatione di S. M. Chrma, si dovessero con - signare senza dir altro “:. Der Secretaͤr des venezianiſchen Senates fuͤhrte die Gefangenen in den Pallaſt des franzoͤſiſchen Geſandten, und uͤbergab ſie ihm, „ aus Ruͤckſicht, “ſagte er, „ fuͤr den allerchriſilichſten Koͤ - nig und mit dem Vorbehalt, daß das Recht der Republik uͤber ihre Geiſtlichen zu richten damit nicht geſchmaͤlert351Venezianiſche Irrungen.ſeyn ſolle. “ „ So empfange ich ſie “, antwortete der Ge - ſandte, und fuͤhrte ſie vor den Cardinal, der in einer Log - gia auf und abging. „ Dieß ſind die Gefangenen “, ſagte er, „ die dem Papſt auszuantworten ſind “: des Vorbehal - tes gedachte er dabei nicht. Der Cardinal ließ ſie dann, auch ohne ein Wort hinzuzufuͤgen, dem paͤpſtlichen Com - miſſarius ausliefern, der ſie mit dem Zeichen des Kreuzes annahm.
Wie weit war man doch entfernt ſich einigermaßen einzuverſtehn. Man wollte nur eben ein aͤußerliches Ver - nehmen herſtellen.
Dazu war nun noch die Aufhebung der Cenſur, die Ertheilung der Abſolution erforderlich.
Aber ſelbſt hiegegen hatten die Venezianer Einwendun - gen zu machen: ſie blieben dabei, daß die Cenſur in ſich ſelbſt null und nichtig geweſen und ſie gar nichts angegan - gen, daß ſie demnach auch keiner Losſprechung beduͤrftig ſeyen. Joyeuſe erklaͤrte ihnen, er koͤnne die Formen der Kirche nicht aͤndern. Endlich kam man uͤberein, daß die Ab - ſolution nicht mit der gewoͤhnlichen Oeffentlichkeit vollzogen werden ſolle: Joyeuſe erſchien in dem Collegium: gleichſam privatim ſprach er ſie hier aus. Die Venezianer haben ſich immer angeſtellt, als ſeyen ſie ganz ohne alle Abſolution weggekommen1)Daru theilt am Schluſſe ſeines 29ſten Buches das Schrei - ben von Joyeuſe mit, ohne Zweifel das einzige Wichtige was er in dieſer Sache vorbringt; nur macht er auch dagegen einige, wie mir ſcheint, ſehr unhaltbare Einwendungen.. Auch war ſie nicht in aller Form ge - geben: gegeben aber allerdings.
352Buch VI. Innere Streitigkeiten.Ueberhaupt ſieht man wohl, nicht ſo durchaus zum Vortheil der Venezianer, wie gewoͤhnlich behauptet wird, waren die ſtreitigen Punkte erledigt worden.
Die Geſetze uͤber die der Papſt ſich beklagte, waren ſuspendirt: die Geiſtlichen, deren Auslieferung er forderte, ihm uͤberantwortet: die Abſolution ſelbſt empfangen. Je - doch war alles nur unter außerordentlichen Einſchraͤn - kungen geſchehen. Die Venezianer verfuhren wie bei einer Ehrenſache, mit aͤngſtlicher Beſorgniß fuͤr ihre Reputation: jede Nachgiebigkeit hatten ſie verclauſulirt, ſo viel als moͤg - lich verſteckt. Der Papſt dagegen war in dem Nachtheil, daß er ſich zu einer auffallenden und wenig ehrenvollen Conceſſion entſchließen muͤſſen, die in der ganzen Welt Auf - ſehen erregte.
Seitdem kehrten nun die Verhaͤltniſſe zwiſchen Rom und Venedig wenigſtens aͤußerlich wieder in das alte Ge - leis zuruͤck. Dem erſten Geſandten der Venezianer rief Paul entgegen: das Alte ſey beſeitigt, alles werde neu: er beklagte ſich zuweilen, daß Venedig nicht vergeſſen wolle, was er doch vergeſſen habe; er zeigte ſich ſo mild und nachgiebig, wie irgend einer ſeiner Vorfahren1)Relatione di Mocenigo 1612. Der Papſt erklaͤrte „ che conveniva per servitio d’Italia che fosse sempre buona intelli - genza fra quella sede e questa republica “. .
Allein damit wurden doch im Grunde nur neue Feind - ſeligkeiten vermieden: die innern Gegenſaͤtze blieben: ein ei - gentliches Vertrauen ſtellte ſich ſobald nicht wieder her.
Auf eine aͤhnliche Weiſe, d. i. nicht vollkommener, wurde indeſſen auch die Streitigkeit zwiſchen Jeſuiten und Dominicanern beſeitigt.
Clemens ſtarb, wie wir ſahen, ehe er ein Urtheil ge - ſprochen. Paul V, der die Sache mit alle dem Eifer an - griff, durch den ſich der Anfang ſeiner Verwaltung uͤber - haupt auszeichnete — vom September 1605 bis Februar 1606 wurden allein ſiebzehn Verſammlungen in ſeiner Ge - genwart gehalten, — neigte ſich nicht minder zu dem alten Syſtem, auf die Seite der Dominicaner, als ſein Vor - gaͤnger. Im October und November 1606 wurden bereits Verſammlungen gehalten um die Form feſtzuſetzen, in der die jeſuitiſchen Lehren zu verdammen ſeyen: die Dominica - ner glaubten den Sieg in Haͤnden zu haben1)Serry: Historia congregationum de auxiliis hat p. 562 f. die hierauf bezuͤglichen Actenſtuͤcke. Gratiae victrici, ſagt er ſelbſt, jam canebatur „ Io triumphe “. .
Ebendamals hatten ſich nun aber auch die veneziani - ſchen Angelegenheiten auf die Weiſe, die wir betrachte - ten, entwickelt: die Jeſuiten hatten dem roͤmiſchen Stuhle einen Beweis von Anhaͤnglichkeit gegeben, durch welchen ſie alle andern Orden bei weitem uͤbertrafen; und Vene - dig ließ ſie dafuͤr buͤßen.
Unter dieſen Umſtaͤnden haͤtte es eine Grauſamkeit ge - ſchienen, wenn der roͤmiſche Stuhl dieſe ſeine getreueſten Diener mit einem Verdammungsdecret haͤtte heimſuchenPäpſte* 23354Buch VI. Innere Streitigkeiten.wollen. Als alles zu demſelben vorbereitet worden, hielt der Papſt inne. Eine Weile ließ er die Sache ruhen: end - lich, am 29ſten Auguſt 1607, trat er mit einer Erklaͤrung hervor, durch welche Disputatoren und Conſultoren nach ihrer Heimath entlaſſen wurden: die Entſcheidung werde zu ſeiner Zeit bekannt gemacht werden, indeß ſey es Sr Hei - ligkeit ernſtliche Willensmeinung, daß kein Theil den an - dern verunglimpfe1)Coronelli, Secr. der Congregationen, bei Serry p. 589. Tra tanto ha ordinato (S. Sà) molto seriamente che nel trattare di queste materie nessuno ardisca di qualificare e censurare l’al - tra parte. .
Dergeſtalt hatten die Jeſuiten von dem Verluſte den ſie in Venedig erlitten, doch auch wieder einen Vortheil. Es war ein großer Gewinn fuͤr ſie, daß ihre angefochte - nen Lehren, wiewohl nicht beſtaͤtigt, doch auch nicht ver - worfen wurden. Sie ruͤhmten ſich ſogar des Sieges. Mit dem Vorurtheil der Rechtglaͤubigkeit, das ſie einmal fuͤr ſich hatten, verfolgten ſie nun die doctrinelle Rich - tung, die ſie eingeſchlagen, unaufhaltſam weiter.
Es fragte ſich nur noch, ob es ihnen nun auch ge - lingen wuͤrde ihre eigenen innern Streitigkeiten vollſtaͤndig beizulegen.
Noch immer gab es lebhafte Gaͤhrungen. Die Ver - aͤnderungen in der Conſtitution erwieſen ſich unzureichend, und die ſpaniſche Oppoſition gab es nicht auf, zu ihrem Ziele zu gelangen Aquaviva zu entfernen. Endlich erklaͤr - ten ſogar, was noch nie geſchehen, die Procuratoren ſaͤmmt - licher Provinzen eine allgemeine Congregation fuͤr noth -355Austrag der jeſuitiſchen Sache.wendig: im J. 1607 kam ſie zuſammen, und es war aufs neue von durchgreifenden Umwandlungen die Rede.
Wir bemerkten ſchon oͤfter die enge Verbindung in welche die Jeſuiten mit Frankreich getreten, die Gunſt die ihnen Heinrich IV. angedeihen ließ. Auch an den innern Streitigkeiten des Ordens nahm er Antheil: er war ganz fuͤr Aquaviva. In einem ausdruͤcklichen Schreiben ſicherte er demſelben nicht allein ſeine Gewogenheit zu: er gab auch der Congregation den Wunſch zu erkennen, daß in der Verfaſſung der Geſellſchaft keine Aenderung vorgenommen werde1)Literae christianissimi regis ad congregatos patres IV Kal. Dec. 1607 bei Juvencius V, II, lib. IX, n. 108 „ Vosque hortamur ad retinendam instituti vestri integritatem et splen - dorem “. .
Eines ſo maͤchtigen Schutzes wußte ſich nun Aqua - viva vortrefflich zu bedienen.
Vornehmlich in den Provinzialcongregationen hatte der Widerſtand, den er erfuhr, ſeinen Sitz. Er brachte jetzt ein Geſetz durch, kraft deſſen erſtens kein Vorſchlag in einer Provinzialverſammlung als angenommen betrachtet werden ſolle, wenn er nicht durch zwei Drittheile aller Stimmen gebilligt werde, und ferner auch ein auf dieſe Weiſe beliebter Vorſchlag doch nur alsdann zur Berathung in der allgemeinen Verſammlung gelangen koͤnne, wenn in dieſer die Majoritaͤt dazu ihre vorlaͤufige Zuſtimmung gebe. Anordnungen, durch welche, wie man ſieht, der Einfluß der Provinzialcongregationen außerordentlich geſchmaͤlert wurde.
23*356Buch VI. Innere Streitigkeiten.Aber uͤberdieß ward nun auch ein foͤrmliches Verdam - mungsurtheil uͤber die Gegner des Generals ausgeſprochen, und den Obern in den Provinzen die ausdruͤckliche Wei - ſung ertheilt, gegen die ſogenannten Ruheſtoͤrer zu verfah - ren. Hierauf kehrte der Friede allmaͤhlig zuruͤck. Die ſpa - niſchen Mitglieder bequemten ſich, und hoͤrten auf, der neuen Richtung ihres Ordens zu widerſtreben. Unter dem herrſchenden Einfluß wuchs allmaͤhlig eine gefuͤgigere Ge - neration empor. Dagegen ſuchte der General Heinrich dem IV. die Beguͤnſtigungen die er von ihm erfahren, durch doppelte Ergebenheit zu erwiedern.
Noch einmal neigten ſich dergeſtalt alle dieſe Streitig - keiten zur Beruhigung.
Ueberlegen wir aber ihre Entwickelung und ihr Er - gebniß im Ganzen, ſo war doch damit die groͤßte Veraͤn - derung im Innern der katholiſchen Kirche eingetreten.
Wir gingen von dem Moment aus, in welchem die paͤpſtliche Gewalt, in ſiegreichem Kampfe begriffen, zu im - mer groͤßerer Machtfuͤlle fortſchritt. In engem Bunde mit der ſpaniſchen Politik faßte ſie die Abſicht alle katho - liſchen Maͤchte in Einer Richtung fortzureißen, die Abtruͤn - nigen in Einer großen Action zu uͤberwaͤltigen. Waͤre es ihr gelungen, ſo wuͤrde ſie die geiſtlichen Motive zu un - bedingter Herrſchaft erhoben, alle katholiſchen Staaten zu einer in Idee, Glauben, Leben und Politik zuſammenſchlie -357Schluß.ßenden Einheit verbunden, und damit auch auf ihr Inne - res einen vorwaltenden Einfluß erworben haben.
In eben dieſem Momente aber traten die ſtaͤrkſten in - nern Gegenſaͤtze hervor.
In der franzoͤſiſchen Angelegenheit erhob ſich das Ge - fuͤhl der Nationalitaͤt gegen die Anſpruͤche der Hierarchie. Von den geiſtlichen Beweggruͤnden, von der Leitung des kirchlichen Oberhauptes wollten doch auch die Katholiſch - glaͤubigen nicht in allen Stuͤcken abhangen: es blieben Prinzipien uͤbrig, der weltlichen Politik, der nationalen Selbſtaͤndigkeit, die ſich mit unbeſiegbarer Energie den Abſich - ten des Papſtthums entgegenſtellten. Wir duͤrfen im Allge - meinen ſagen: dieſe Prinzipien behielten den Sieg: der Papſt mußte ſie anerkennen: die franzoͤſiſche Kirche ſelbſt ſtellte ſich her, indem ſie ſich auf dieſelben gruͤndete.
Hieraus folgte nun aber, daß Frankreich ſich auch ſofort wieder in Feindſeligkeiten gegen die ſpaniſche Mo - narchie warf, daß zwei große, von Natur einander wider - ſtrebende und eigentlich immer zum Kampfe gewiegte Maͤchte einander in der Mitte der katholiſchen Welt gegenuͤber traten. So wenig war es moͤglich die Einheit zu be - haupten. Die Verhaͤltniſſe von Italien bewirkten ſogar, daß dieſer Gegenſatz, das Gleichgewicht das dadurch hervor - gebracht ward, dem roͤmiſchen Stuhle Vortheil gewaͤhrte.
In dem brachen auch neue theologiſche Entzweiungen aus. So ſcharfſinnig und genau die Beſtimmungen des tridentiniſchen Conciliums ſeyn moͤgen, ſo konnten ſie das doch nicht verhindern: innerhalb der von ihnen gezogenen Grenzen gab es noch Raum zu neuen Glaubensſtreitigkei -358Buch VI. Innere Streitigkeiten.ten. Die beiden maͤchtigſten Orden traten gegen einander in die Schranken: jene beiden Maͤchte ſelbſt nahmen ge - wiſſermaßen Partei: in Rom hatte man nicht den Muth eine Entſcheidung auszuſprechen.
Und hiezu kamen nun die Irrungen uͤber die Gren - zen der geiſtlichen und der weltlichen Gerichtsbarkeit: Ir - rungen die einen localen Urſprung hatten, mit einem nicht eben ſehr maͤchtigen Nachbar, die aber mit einem Geiſt und Nachdruck gefuͤhrt wurden, durch welche ſie eine all - gemeine Bedeutung erlangten1)V. Stà, ruft P. Priuli bei ſeiner Ruͤckkehr von Frankreich aus, a dichiarito, si può dire, sin a quai termini sia permesso al pontefice estendere la sua temporale e spirituale autorità (Relatione di Francia 1608). . Billig haͤlt man in allen katholiſchen Staaten das Andenken Paolo Sarpi’s in ho - hen Ehren. Er hat die Grundlagen zu den kirchlichen Be - rechtigungen, deren ſie ſich ſaͤmmtlich erfreuen, durchge - kaͤmpft. Der Papſt vermochte nicht ihn zu beſeitigen.
Gegenſaͤtze der Ideen und der Lehre, der Verfaſſung und der Macht, die nun jener kirchlich weltlichen Einheit, welche das Papſtthum darzuſtellen ſuchte, gewaltig wider - ſtrebten und ſie zu zerſetzen drohten.
Der Gang der Dinge zeigt jedoch, daß die zuſammen - haltenden Ideen noch einmal die ſtaͤrkern waren. Den in - nern Widerſtreit konnte man nicht verſoͤhnen, aber es ge - lang einen eigentlichen Kampf zu vermeiden. Der Friede zwiſchen den großen Maͤchten ward hergeſtellt und erhal - ten: die italieniſchen Intereſſen erhoben ſich noch nicht zu vollem Bewußtſeyn und einwirkender Thaͤtigkeit; den ſtrei -359Schluß.tenden Orden ward Stillſchweigen auferlegt. Die Strei - tigkeiten zwiſchen Kirche und Staat trieb man nicht auf das Aeußerſte: Venedig nahm die angebotene Vermitte - lung an.
Die Politik des Papſtthums war, ſo viel wie moͤg - lich eine Stellung uͤber den Parteien zu nehmen, die Ent - zweiungen zu vermitteln. Noch beſaß es Autoritaͤt genug um dieß zu vermoͤgen.
Ohne Zweifel wirkte darauf zuruͤck, wie es hinwie - derum davon abhing, daß indeſſen die große Action nach außen, der Fortſchritt in dem man begriffen war, der Kampf gegen den Proteſtantismus unaufhoͤrlich fortging.
Auf dieſen und ſeine Entwickelung muͤſſen wir nun zuruͤckkommen.
Ich denke nicht mich zu taͤuſchen oder die Schranken der Hiſtorie zu uͤberſchreiten, wenn ich an dieſer Stelle ein all - gemeines Geſetz des Lebens wahrzunehmen glaube.
Unzweifelhaft iſt: es ſind immer Kraͤfte des lebendi - gen Geiſtes welche die Welt ſo von Grund aus bewegen. Vorbereitet durch die vorangegangenen Jahrhunderte, erhe - ben ſie ſich zu ihrer Zeit, hervorgerufen durch ſtarke und in - nerlich maͤchtige Naturen, aus den unerforſchten Tiefen des menſchlichen Geiſtes. Es iſt ihr Weſen daß ſie die Welt an ſich zu reißen, zu uͤberwaͤltigen ſuchen. Je mehr es ih - nen aber damit gelingt, je groͤßer der Kreis wird den ſie um - faſſen, deſto mehr treffen ſie mit eigenthuͤmlichem unabhaͤn - gigem Leben zuſammen, das ſie nicht ſo ganz und gar zu beſiegen, in ſich aufzuloͤſen vermoͤgen. Daher geſchieht es, denn in unaufhoͤrlichem Werden ſind ſie begriffen, daß ſie in ſich ſelbſt eine Umwandlung erfahren. Indem ſie das Fremdartige umfaſſen, nehmen ſie ſchon einen Theil ſeines Weſens in ſich auf: es entwickeln ſich Richtungen in ihnen, Momente des Daſeyns, die mit ihrer Idee nicht ſelten in Widerſpruch ſtehn. Es kann aber nicht anders ſeyn als364 daß in dem allgemeinen Fortſchritt auch dieſe wachſen und gedeihen. Es kommt nur darauf an, daß ſie nicht das Uebergewicht bekommen: ſie wuͤrden ſonſt die Einheit und ihr Prinzip geradezu zerſtoͤren.
Nun ſahen wir, wie gewaltig ſich in dem reſtauri - renden Papſtthum innere Widerſpruͤche, tiefere Gegenſaͤtze regten: jedoch die Idee behielt den Sieg: die hoͤhere Ein - heit, wenn gleich nicht mit ihrer ganzen alten zuſammen - faſſenden Gewalt, behauptete das Uebergewicht, und ſchritt unablaͤſſig, noch in den Momenten des innern Kampfes, fuͤr den ſie vielmehr daraus friſche Kraft ſog, zu neuen Eroberungen fort.
Dieſe Unternehmungen ziehen jetzt unſere Aufmerkſam - keit auf ſich. Es iſt von hoher Wichtigkeit fuͤr die Welt, wie weit ſie gelingen, welche Umwandlungen ſie zur Folge haben, welchen Widerſtand in ſich oder von außen her ſie finden.
365Es iſt die Meinung ausgeſprochen worden, die Pro - teſtanten, die ja, wie wir ſahen, in Polen eine Zeitlang ent - ſchieden die Oberhand beſaßen, waͤren auch wohl im Stande geweſen einen Koͤnig ihres Glaubens auf den Thron zu erheben: aber ihnen ſelbſt ſey am Ende ein Katholik vor - theilhafter vorgekommen, weil er in dem Papſte doch noch eine hoͤhere Gewalt, einen Richter uͤber ſich habe.
Waͤre dem ſo, ſo wuͤrden ſie ſich fuͤr eine ſo unpro - teſtantiſche Geſinnung ſelber eine harte Zuͤchtigung zugezo - gen haben.
Denn eben durch einen katholiſchen Koͤnig vermochte der Papſt ihnen den Krieg zu machen.
Hatten doch ſogar die paͤpſtlichen Nuntien von allen fremden Geſandten in Polen allein das Recht ſich mit dem Koͤnig ohne Anweſenheit eines Senators zu unterreden. Man kennt ſie wohl: ſie waren klug und gewandt genug um366Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittedas vertraulichere Verhaͤltniß, das ihnen hiedurch moͤglich wurde, zu pflegen und zu benutzen.
Im Anfang der achtziger Jahre des 16ten Jahrhunderts war Cardinal Bolognetto Nuntius in Polen. Er klagt uͤber die Beſchwerden des Climas, die fuͤr einen Italiener dop - pelt empfindliche Kaͤlte, den Dampf der engen geheizten Stuben, die ganze ungewohnte Lebensweiſe; deſſenungeach - tet begleitet er Koͤnig Stephan von Warſchau nach Kra - kau, von Wilna nach Lublin — durch das Reich: zu - weilen in etwas melancholiſcher Stimmung, aber nichts deſto minder unermuͤdlich: waͤhrend der Feldzuͤge bleibt er mit demſelben wenigſtens in Briefwechſel: in ununterbrochener Verbindung erhaͤlt er die roͤmiſchen Intereſſen mit der koͤ - niglichen Perſon.
Wir haben eine ausfuͤhrliche Relation uͤber ſeine Amts - fuͤhrung, aus der wir erſehen, was er unternahm, wie weit er es brachte1)Spannocchi: Relatione all’ Illmo Revmo Cardinal Rusticucci, segretario di N. S. Papa Sisto V, delle cose di Polonia in - torno alla religione e delle azioni del cardinal Bolognetto in quattro anni ch’egli è stato nunzio in quella provincia. .
Vor allem forderte er den Koͤnig auf, die Aem - ter nur mit Katholiſchen zu beſetzen, in den koͤniglichen Staͤdten nur katholiſchen Gottesdienſt zu geſtatten, die Zehn - ten herzuſtellen: — Maaßregeln, wie ſie um dieſelbe Zeit in andern Laͤndern ergriffen wurden und die Erneuerung des Katholicismus herbeifuͤhrten oder bezeichneten.
Damit drang er nun nicht durch. Koͤnig Stephan glaubte nicht ſo weit gehn zu koͤnnen: er erklaͤrte, er ſey nicht maͤchtig genug dazu.
367der katholiſchen Reſtauration. Polen.Allein dabei hatte doch dieſer Fuͤrſt nicht allein katho - liſche Ueberzeugungen, ſondern einen angebornen Eifer fuͤr das Kirchenweſen: in vielem Andern gab er den Vorſtel - lungen des Nuntius nach.
Durch unmittelbare koͤnigliche Unterſtuͤtzung kamen die Jeſuiten-Collegien in Krakau, Grodno, Pultusk zu Stande: der neue Calender ward ohne Schwierigkeit eingefuͤhrt, der groͤßte Theil der Anordnungen des tridentiniſchen Conciliums zur Vollziehung gebracht. Das Wichtigſte aber war der Beſchluß des Koͤnigs die Bisthuͤmer in Zukunft nur noch an Katholiken zu geben1)Sendosi (il re) determinato che nessuno possa tenere chiese che non sia della vera fede romana. (Spannocchi.) . Auch in dieſe hoͤchſten geiſtli - chen Wuͤrden waren Proteſtanten eingedrungen: dem Nun - tius ward jetzt verſtattet ſie vor ſeinen Richterſtuhl zu ziehen, ſie abzuſetzen: was um ſo mehr ſagen wollte, da mit dem biſchoͤflichen Amt zugleich Sitz und Stimme in dem Se - nat verbunden war. Eben dieſe politiſche Bedeutung des geiſtlichen Inſtitutes ſuchte der Nuntius uͤberhaupt zu benutzen. Vor allem forderte er die Biſchoͤfe zu einhel - ligen Maaßregeln an den Reichstagen auf: er gab ihnen dieſelben an: mit den maͤchtigſten, dem Erzbiſchof von Gne - ſen, dem Biſchofe von Kraken hatte er perſoͤnlich ein en - geres Verhaͤltniß angeknuͤpft, das ihm ausnehmend foͤrder - lich wurde. Und ſo gelang es ihm, nicht allein die Geiſt - lichkeit ſelbſt mit verjuͤngtem Eifer zu durchdringen: er be - kam bereits auf weltliche Angelegenheiten einen großen Ein - fluß. Die Englaͤnder brachten einen Handelsvertrag mit Polen in Anregung, der namentlich fuͤr Danzig ſehr nuͤtz -368Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittelich zu werden verſprach; der Nuntius war es allein der ihn ruͤckgaͤngig machte, hauptſaͤchlich weil die Englaͤnder das ausdruͤckliche Verſprechen verlangten, Handel und Wan - del in Ruhe treiben zu duͤrfen, ohne um ihrer Religion willen belaͤſtigt zu werden1)Spannocchi: Il che non prima venne agli orecchj del Bo - lognetto, che andò a trovare S. Mtà, e con efficacissime ra - gioni mostrò quanto esorbitante cosa sarebbe stata che avesse concesso per publico decreto una tanto obbrobriosa setta, e co - me non senza nascosto inganno e speranza d’importantissime conseguenze quella scellerata donna voleva che si dichiarasse così per decreto potersi esercitar la setta Anglicana in quel regno, dove tutto il mondo pur troppo sa che si permetta il credere in materia di religione quel che piace a chi si sia: con queste ed altre efficacissime ragioni il re Stefano rimase tal - mente persuaso che promesse non voler mai far menzione al - cuna di religione, in qualunque accordo avesse fatto con quella regina o suoi mercanti. .
Genug ſo gemaͤßigt auch Koͤnig Stephan ſeyn mochte, ſo nahm ſich doch zuerſt unter ihm der Katholicismus wie - der weſentlich auf.
Es hatte dieß aber deſto mehr zu bedeuten, da die maͤchtigſte Partei im Lande, die Faction Zamoisky, der durch die Gunſt des Koͤnigs uͤberhaupt die wichtigſten Stel - len zufielen, auch eine katholiſche Farbe annahm2)Spannocchi: Alle dignità senatorie et all’ entrate del re - gno dicono hoggi non ammettersi se non i dependenti da esso cancelliero, acciò che da nissuno venga impedito di far quello che ad esso ed al re più tornerà di piacere di fare. , und da dieſe es war, die nach dem Tode Stephans in den Wahlſtreitigkeiten den Ausſchlag gab. Jenen ſchwediſchen Prinzen, welchen Catharina Jagellonica im Gefaͤngniß ge - boren, und der von erſter Jugend an, ſey es durch ur -ſpruͤng -369der katholiſchen Reſtauration. Polen.ſpruͤngliche Neigung, oder durch den Einfluß der Mutter, oder gleich durch die Hoffnung auf die polniſche Krone, oder durch alles zuſammen, in der Mitte eines proteſtantiſchen Landes unerſchuͤtterlich bei dem katholiſchen Glauben feſt - gehalten worden war, brachten die Zamoiskys auf den Thron. Es iſt Siegmund III, ein Fuͤrſt, deſſen Geſinnung ſich durchaus nach den katholiſchen Antrieben bildete, die da - mals Europa in Bewegung ſetzten.
Papſt Clemens VIII. ſagt in einer ſeiner Inſtructio - nen, er habe — noch als Cardinal und Legat in Polen — dieſem Fuͤrſten den Rath gegeben, alle Stellen des oͤf - fentlichen Dienſtes in Zukunft nur an Katholiken zu ver - theilen. Schon oͤfter war dieſer Rath gegeben worden: von Paul IV. bereits, vom Cardinal Hoſius1)In einem Schreiben vom 14. Merz 1568 bittet er den Koͤ - nig zu erklaͤren nullis se deinceps vel honores vel praefecturas vel quaecunque tandem alia munera publice mandaturum nisi qui Christum aperte confessus fuerit et omni perfidiae sive Lu - theristicae sive Calvinisticae sive anabaptistarum nuntium re - miserit. , auch von Bolognetto. Jetzt aber erſt fand ſich ein geeigneter Boden, um ihn aufzunehmen. Was weder von Siegmund Auguſt noch von Stephan zu erhalten geweſen war, dazu zeigte ſich Sieg - mund III. ſehr bald entſchloſſen. Er machte es in der That zu ſeinem Grundſatze, nur noch die Katholiſchen zu befoͤr - dern, und Papſt Clemens hat ganz Recht, wenn er den Fortgang des Katholicismus in Polen vor allem dieſer Maaßregel zuſchreibt.
Das vornehmſte Attribut der koͤniglichen Gewalt in Polen beſtand in der Verleihung der Wuͤrden. Alle geiſt -Päpſte* 24370Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittelichen und weltlichen Stellen, groͤßere und geringere — man wollte ihrer bei 20000 rechnen — vergab der Koͤnig. Welch einen Einfluß mußte es nun haben, daß Siegmund III. begann, nicht allein die geiſtlichen, ſondern alle Aemter uͤberhaupt bloß mit Katholiken zu beſetzen: die Wohlthat des Staates wie einſt die Italiener ſagten, das volle Buͤrgerrecht in hoͤherm Sinne, bloß ſeinen Glaubensgenoſſen angedei - hen zu laſſen. Man kam um ſo beſſer fort, je mehr man ſich die Gunſt der Biſchoͤfe, der Jeſuiten erwarb. Der Staroſt Ludwig von Mortangen erlangte die pomerelliſche Woiwodſchaft hauptſaͤchlich dadurch, daß er ſein Haus in Thorn der Geſellſchaft Jeſu ſchenkte. Wenigſtens in den polniſch-preußiſchen Landſchaften bildete ſich hierauf eine Oppoſition zwiſchen den Staͤdten und dem Adel, welche eine religioͤſe Farbe annahm. Urſpruͤnglich hatten beide den Proteſtantismus ergriffen: jetzt trat der Adel zuruͤck. Das Beiſpiel der Koſtka, Dzialinsky, Konopat, welche maͤchtig wurden weil ſie uͤbertraten, uͤbte einen großen Einfluß auf die uͤbrigen aus. Die Schulen der Jeſuiten wurden hauptſaͤchlich von dem jungen Adel beſucht: bald finden wir, daß ſich die Jeſuitenſchuͤler in den proteſtantiſch verbliebenen Staͤdten an der buͤrgerlichen Jugend reiben. Aber uͤberhaupt ergriff die neue Einwirkung beſonders die Edelleute. Das Collegium zu Pultusk zaͤhlte 400 Zoͤglinge, alle von Adel1)Maffei II, 140.. Der Impuls der im Allgemeinen im Geiſte der Zeit lag, der Unterricht der Jeſuiten, der neu erwachte Eifer in der ge - ſammten Geiſtlichkeit, und die Beguͤnſtigung des Hofes,371der katholiſchen Reſtauration. Polen.alles kam zuſammen um den polniſchen Adel zum Ruͤcktritt zum Katholicismus zu ſtimmen.
Es verſteht ſich aber, daß man auch ſogleich weiter ging, und diejenigen die nun nicht uͤbertraten, die Ungunſt der Staatsgewalt empfinden ließ.
In Polen kehrte die katholiſche Geiſtlichkeit beſonders den Anſpruch hervor, daß die kirchlichen Gebaͤude, die ja von Katholiſch-glaͤubigen, unter der Mitwirkung der Bi - ſchoͤfe, haͤufig der Paͤpſte, gegruͤndet worden, ein unver - aͤußerliches Eigenthum ihrer Kirche ſeyen. Allenthalben, wo der katholiſche Dienſt von den Pfarrkirchen ausgeſchloſ - ſen worden, erhoben die Biſchoͤfe, geſtuͤtzt auf jenen Grund - ſatz, gerichtliche Klagen. Die Gerichte waren jetzt mit ei - frigen Katholiken beſetzt: gegen eine Stadt nach der andern begannen die nemlichen Proceſſe, erfolgten die nemlichen Urtel: es half nichts daß man an den Koͤnig appellirte und ihn an jene Confoͤderation erinnerte, durch welche bei - den Bekenntniſſen gleicher Schutz verheißen worden: die Antwort war: der gleiche Schutz beſtehe eben darin, daß man jedem Theile zu ſeinem Rechte verhelfe: die Confoͤ - deration ſchließe keine Verſicherung der kirchlichen Gebaͤude ein1)Das ausfuͤhrliche Schreiben des Woiwoden von Culm, uͤber - ſetzt bei Lengnich: Polniſch-preußiſche Geſchichte Theil IV, S. 291 ſetzt beſonders dieſe Motive auseinander.. In wenigen Jahren ſetzten ſich die Katholiſchen in den Beſitz aller Pfarrkirchen in den Staͤdten: „ in den Pfarrkirchen “, rief der Pole aus, „ wird der alte Gott ver - ehrt “: in den kleineren preußiſchen Staͤdten durfte der evangeliſche Gottesdienſt nur noch in einem Zimmer auf24*372Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittedem Rathhauſe ausgeuͤbt werden: von den groͤßern behaup - tete allein Danzig ſeine Pfarrkirche1)Lengnich: Nachricht von der Religionsaͤnderung in Preu - ßen § 27..
In dieſem Augenblick eines gluͤcklichen Fortganges aber blieb man nicht allein bei der Bekaͤmpfung der Pro - teſtanten ſtehn, man faßte auch ſchon die Griechen ins Auge.
Koͤnig und Papſt vereinigten auch hier ihren Einfluß: beſonders wirkſam war, ſo viel ich finde, die Drohung die griechiſchen Biſchoͤfe von Sitz und Stimme in dem Senat auszuſchließen: genug, der Wladika von Wladimir und einige andere griechiſche Biſchoͤfe entſchloſſen ſich im Jahre 1595, ſich nach Maaßgabe des florentiniſchen Con - ciliums mit der roͤmiſchen Kirche zu vereinigen. Ihre Ge - ſandten gingen nach Rom: roͤmiſche und koͤnigliche Abge - ordnete erſchienen in der Provinz: die Ceremonie der Ver - ſoͤhnung ward vollzogen: ein Jeſuit, Beichtvater des Koͤ - nigs belebte ſie durch eine begeiſterte Predigt; den Katho - liſchen wurden auch hier einige Kirchen eingeraͤumt.
Ein ungemeiner Aufſchwung binnen wenigen Jah - ren. Vor kurzem, ſagt ein paͤpſtlicher Nuntius ſchon im Jahre 1598, konnte es ſcheinen, als wuͤrde die Ketzerei den Katholicismus in Polen vollends beſeitigen: jetzt traͤgt der Katholicismus die Ketzerei zu Grabe.
Fragte man wodurch dieß hauptſaͤchlich geſchehen war, ſo war es doch vor allem die perſoͤnliche Geſinnung des Koͤnigs.
Eine Geſinnung die bei der eigenthuͤmlichen Stellung273der katholiſchen Reſtauration. Schweden.dieſes Fuͤrſten ſogleich noch weitere große Ausſichten er - oͤffnete.
Durch den Tod ſeines Vaters Johann im Jahre 1592 wurde Siegmund Koͤnig von Schweden.
Zwar war er hier weder an und fuͤr ſich unbeſchraͤnkt, noch auch ohne perſoͤnliche Verpflichtung. Schon 1587 hatte er eine Verſicherung unterzeichnet, daß er in den Ce - remonien der Kirche nichts aͤndern, daß er ſelbſt Niemand befoͤrdern wolle der nicht Proteſtant ſey: und auch jetzt verpflichtete er ſich aufs neue, die Privilegien der Geiſtli - chen wie der Laien erhalten, um der Religion willen Nie - mand haſſen noch lieben, die Landeskirche auf keine Weiſe beeintraͤchtigen zu wollen. Nichts deſto minder erwachten auf der Stelle alle Hoffnungen der Katholiſchen, alle Be - ſorgniſſe der Proteſtanten.
Was die Katholiſchen zu erreichen immer ſo eifrig ge - wuͤnſcht, einen Koͤnig ihres Glaubens in Schweden zu haben, war ihnen jetzt gewaͤhrt. Von katholiſcher Beglei - tung umgeben, bei der ſelbſt ein paͤpſtlicher Nuntius, Ma - laſpina, nicht fehlte, brach Siegmund im Juli 1593 nach ſeinem Erbreich auf. Schon ſeine Reiſe durch die preußiſchen Provinzen war mit Befoͤrderungen des Katho - licismus bezeichnet. In Danzig ereilte ihn ein paͤpſtli - cher Abgeordneter, Bartholomaͤus Powſinsky, mit einem Geſchenke von 20000 Scudi, „ einem kleinen Beitrag “, wie374Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittees in der Inſtruction heißt, „ zu den Koſten welche die Herſtellung des Katholicismus veranlaſſen koͤnnte. “
Sehr merkwuͤrdig iſt dieſe Inſtruction. Sie zeigt uns, wie unbedingt man in Rom dieſe Herſtellung hoffte und empfahl1)Instruttione al Sr Bartolommeo Powsinsky alla Mà del re di Polonia e Suetia. (MS Rom.) .
„ Powſinsky “, heißt es in derſelben, „ ein vertrauter Diener Sr Heiligkeit und Vaſall Sr Majeſtaͤt, werde ge - ſendet, um dem Koͤnige die Theilnahme des Papſtes an den erwuͤnſchten Ereigniſſen, die ihm ſeit kurzem begegnet, zu bezeigen: an der Niederkunft ſeiner Gemahlin, dem guten Ausgange des letzten Reichstages, vor allem aber an dem groͤßten Gluͤck das ihm haͤtte wiederfahren koͤnnen, nem - lich daß er jetzt Gelegenheit habe den Katholicismus in ſeinem Vaterlande wiederherzuſtellen. “ Der Papſt ver - ſaͤumt nicht einige Geſichtspunkte fuͤr dieſes Werk anzu - geben.
„ Ohne Zweifel durch Gottes beſondere Vorſehung “, ſagt er, „ ſeyen gerade mehrere Bisthuͤmer, unter andern ſelbſt der erzbiſchoͤfliche Stuhl in Upſala erledigt2)Intendendosi restar vacante l’arcivescovato di Upsalia, che la divina providenza per più facilitare le cose del suo ser - vitio non ha permesso che in due anni sia stato proveduto dal re morto, haverà S. Mtà particulare pensiere a pigliare un ar - civescovo cattolico. . Sollte der Koͤnig ja einen Augenblick anſtehn die proteſtantiſchen Biſchoͤfe, die es noch im Lande gebe, zu entfernen, ſo werde er doch unfehlbar die erledigten Sitze mit Katholiſch-glaͤu - bigen beſetzen. “ Der Abgeordnete hat ein Verzeichniß von375der katholiſchen Reſtauration. Schweden.ſchwediſchen Katholiken bei ſich, die dazu geeignet ſcheinen. Der Papſt iſt uͤberzeugt, daß dieſe Biſchoͤfe dann ſchon darauf denken werden, katholiſche Pfarrer und Schul - meiſter zu bekommen. Nur muß man ihnen dazu die Moͤglichkeit verſchaffen.
„ Vielleicht “, meint er, „ laſſe ſich ſogleich ein Jeſui - tencollegium in Stockholm einrichten. Waͤre dieß aber nicht der Fall, ſo werde der Koͤnig doch gewiß ſo viel faͤhige junge Schweden als er nur finden koͤnne, nach Po - len mitnehmen, und ſie an ſeinem Hofe, bei einigen der eifrigſten Biſchoͤfe oder in den polniſchen Jeſuitencollegien im katholiſchen Glauben aufziehen laſſen. “
Die erſte Abſicht war hier, wie allenthalben, ſich des Clerus wieder zu bemeiſtern. Noch eine andere hatte indeß der Nuntius gefaßt. Er dachte die Katholiken die in Schweden noch uͤbrig waren zu veranlaſſen, gegen die Pro - teſtanten Beſchwerde zu fuͤhren. Dann werde der Koͤnig eine Stellung uͤber beiden Parteien nehmen, jede Neuerung werde das Anſehen einer rechtlichen Entſcheidung bekommen koͤnnen1)Ragguaglio dell’ andata del re di Polonia in Suetia. (MS Rom.) Erano tuttavia nel regno alcune reliquie de’ cattolici: et il nuntio seguendo la forma già tenuta da Cl Madruzzo, per for - tificar l’autorità dell’ imperatore, cercava di costituire il re giu - dice tra li cattolici e gli heretici di Suetia, inducendo quelli a querelarsi appresso il re dell’ insolenza e delle ingiurie di questi. . Es war ihm nur leid, daß Siegmund nicht eine ſtaͤrkere bewaffnete Macht mit ſich fuͤhrte, um ſeinen Entſchluͤſſen Nachdruck zu verſchaffen.
Nun laͤßt ſich wohl nicht beweiſen, daß der Koͤnig376Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittedie Abſichten des roͤmiſchen Hofes auch ſogleich zu den ſeini - gen gemacht habe. So viel ſich aus ſeinen eigenen Erklaͤ - rungen abnehmen laͤßt, mochte zunaͤchſt ſein Sinn dahin gehn, den Katholiſchen nur erſt einige Freiheiten zu verſchaf - fen ohne die proteſtantiſche Verfaſſung umzuſtuͤrzen. Aber ſollte er faͤhig ſeyn dem ſtarken religioͤſen Antriebe Ein - halt zu thun, der ſeine Umgebung beherrſchte, deſſen Re - praͤſentanten er mit ſich fuͤhrte? Durfte man glauben, daß er an jenem Punkte, wenn er ihn erreicht haͤtte, ſtehn bleiben wuͤrde?
Die Proteſtanten wollten es nicht erwarten. Die Abſichten die man dieſſeit hegte, riefen jenſeit unmittelbar, faſt unbewußt, ihr Gegentheil hervor.
Gleich nach dem Tode Johanns vereinigten ſich die ſchwediſchen Reichsraͤthe — fruͤher und ſpaͤter beruͤhmte Namen: Gyllenſtern, Bielke, Baner, Sparre, Oxenſtern — mit dem Bruder des verſtorbenen, dem Oheim des jun - gen Koͤnigs, noch Einem von den Soͤhnen Guſtav Wa - ſas, dem eifrig proteſtantiſchen Herzog Carl, „ ihn in Abwe - ſenheit ſeines Neffen als Reichsgubernator anzuerkennen und ihm in alle dem Gehorſam zu verſprechen, was er zur Erhaltung der augsburgiſchen Confeſſion in Schweden thun werde. “ In dieſem Sinne ward im Merz 1593 ein Con - cilium zu Upſala gehalten. Das augsburgiſche Bekennt - niß ward hier aufs neue proclamirt, die Liturgie des Koͤ - nigs Johann verdammt, ſelbſt in dem fruͤhern Ritus alles das ermaͤßigt, was noch an katholiſche Gebraͤuche zu erin - nern ſchien, — den Exorcismus behielt man nur in mil - dern Ausdruͤcken und um ſeiner moraliſchen Bedeutung wil -377der katholiſchen Reſtauration. Schweden.len bei1)Denn man muß es Meſſenius nicht glauben daß er abge - ſchafft worden. Es wurden nur die Worte Faar haͤr uth in die Worte Wick haͤr ifra veraͤndert, und dem Herzog Carl, der die voͤl - lige Abſchaffung forderte, entgegnete man: retinendum esse exor - cismum tanquam liberam cerimoniam propter utilem commone - factionem ad auditorium et baptismi spectatores permanantem; eine Anſicht der ſich Herzog Carl fuͤgte. Baaz: Inventarium IV, X, 525. Bei Baaz finden ſich die Acten uͤberhaupt in ziemlicher Vollſtaͤndigkeit.; es ward eine Erklaͤrung abgefaßt, daß man kei - nerlei Ketzerei, weder papiſtiſche noch calviniſtiſche, im Lande dulden werde2)Concilium definit, heißt es weiter, ne haereticis advenien - tibus detur locus publice conveniendi. . In demſelben Sinne wurden nun auch die Stellen beſetzt. Viele alte Vertheidiger der Liturgie ſagten ihr jetzt ab, doch nicht allen half das; einige wur - den doch entfernt. Die Bisthuͤmer, auf deren Erledigung man zu Rom ſo große Entwuͤrfe gegruͤndet, wurden Luthe - ranern gegeben: das Erzbisthum Upſala dem heftigſten Geg - ner der Liturgie, M. Abraham Angermannus: durch eine unverhaͤltnißmaͤßige Majoritaͤt — er hatte 243 und ſein naͤchſter Mitbewerber nur 38 Stimmen — ſtellte die Geiſt - lichkeit den eifrigſten Lutheraner den ſie finden konnte an ihre Spitze.
Unter Koͤnig Johann hatte ſich bis zuletzt ein mitt - lerer, dem Papſtthum nicht ſo ſcharf wie anderwaͤrts ent - gegengeſetzter Zuſtand erhalten: leicht haͤtte Siegmund eine Veraͤnderung, wie die Katholiken ſie wuͤnſchten, daran knuͤpfen koͤnnen: aber jetzt war man ihm von der andern Seite zuvorgekommen: der Proteſtantismus hatte ſich feſter in Beſitz geſetzt, als er es jemals geweſen war.
378Buch VII. Kap. 1. FortſchritteAuch die koͤniglichen Gerechtſame Siegmunds waren hiebei nicht geſchont worden. Er ward ſchon nicht eigent - lich mehr ganz als der Koͤnig, vielmehr als ein Fremder mit dem Anſpruch an die Krone, als ein Abtruͤnniger, vor dem man ſich in Acht nehmen muͤſſe, der die Religion be - drohe, ward er betrachtet. Die große Mehrheit der Na - tion, einmuͤthig in ihren proteſtantiſchen Ueberzeugungen, hielt ſich an Herzog Carl.
Wohl fuͤhlte der Koͤnig ſeine vereinſamte Stellung, als er angekommen. Er konnte nichts thun; er ſuchte nur die Forderungen die man an ihn machte, von ſich abzu - lehnen.
Aber indeſſen er ſchwieg und wartete, geriethen die Gegenſaͤtze in Kampf, die einander hier noch nie ſo unmit - telbar gegenuͤber geſtanden. Die evangeliſchen Prediger ſchal - ten wider die Papiſten: die jeſuitiſchen die in der Hofca - pelle predigten, blieben die Antwort nicht ſchuldig. Die Katholiken des koͤniglichen Gefolges bemaͤchtigten ſich bei einer Beerdigung einer evangeliſchen Kirche: die Proteſtanten hielten hierauf fuͤr noͤthig ſich der Benutzung ihres ent - weihten Heiligthums eine Zeitlang zu enthalten. Schon kam es zu Thaͤtlichkeiten. Die Heiducken brauchten Ge - walt um ſich einer verſchloſſenen Kanzel zu bemaͤchtigen: dem Nuntius warf man vor, daß er aus ſeinem Hauſe mit Steinen nach ſingenden Chorknaben habe werfen laſ - ſen: die Erbitterung ſtieg von Moment zu Moment.
Endlich ging man nach Upſala um die Kroͤnung zu vollziehen. Die Schweden forderten vor allen Dingen die Beſtaͤtigung der Schluͤſſe ihres Conciliums. Der Koͤnig379der katholiſchen Reſtauration. Schweden.ſtraͤubte ſich. Er wuͤnſchte nur Duldung fuͤr den Katho - licismus: er waͤre zufrieden geweſen, haͤtte man ihm nur die Ausſicht gelaſſen ſie in Zukunft einmal zu geſtatten. Aber dieſe ſchwediſchen Proteſtanten waren unerſchuͤtterlich. Man behauptet, die eigene Schweſter des Koͤnigs1)Das Ragguaglio nennt ſie ostinatissima eretica. habe ihnen geſagt, die Natur deſſelben ſey, nach langem und und ſtandhaftem Widerſtande, endlich doch nachzugeben, und in ſie gedrungen, ihn nur immer aufs neue zu beſtuͤr - men. Sie forderten ſchlechthin, daß allenthalben in Kir - chen und Schulen einzig und allein die Lehre der Augsbur - ger Confeſſion verkuͤndigt werden ſolle2)Messenius VII, 19. „ absolute urgebant ut confessio Au - gustana qualis sub ultimo Gustavi regimine et primi Johannis in patria viguisset, talis in posterum unica sola et ubique tam in ecclesiis quam in scholis perpetuo floreret. . An ihrer Spitze ſtand Herzog Carl. Die Stellung die er einnahm, gab ihm eine Unabhaͤngigkeit und Macht, wie er ſie ſonſt nie - mals haͤtte hoffen duͤrfen. Sein perſonliches Verhaͤltniß zu dem Koͤnige ward immer unangenehmer, bitterer. Der Koͤ - nig, wie geſagt, war faſt ganz ohne Waffen: der Herzog ſammelte ein paar tauſend Mann auf ſeinen Guͤtern um die Stadt her. Endlich erklaͤrten die Staͤnde dem Koͤnig geradezu, man werde ihm die Huldigung nicht leiſten, wenn er ſich nicht fuͤge3)Supplicatio ordinum: Quodsi cl. rex denegaverit subditis regiam approbationem horum postulatorum, inhibent nostri fra - tres domi remanentes publicum homagium esse S. R. M. prae - standum. .
Der arme Fuͤrſt ſah ſich in ſchmerzlicher Verlegenheit. 380Buch VII. Kap. 1. FortſchritteZuzugeſtehn was man von ihm verlangte beſchwerte ihn in ſeinem Gewiſſen, es zu verweigern brachte ihn um eine Krone.
In dieſer Noth fragte er zuerſt bei dem Nuntius an, ob er nicht nachgeben duͤrfe. Malaſpina war nicht dahin zu bringen, das gutzuheißen.
Hierauf wandte ſich der Koͤnig an die Jeſuiten in ſeinem Gefolge. Was der Nuntius nicht gewagt, nahmen ſie auf ſich. Sie erklaͤrten, in Betracht der Nothwendigkeit und der unverkennbaren Gefahr, in der ſich der Koͤnig befinde, koͤnne er den Ketzern ihre Forderung zugeſtehn, ohne Gott zu beleidigen. Nicht eher gab ſich der Koͤnig zufrieden, als bis er dieſen Beſcheid ſchriftlich in Haͤnden hatte.
Alsdann erſt fuͤgte er ſich den Forderungen ſeiner Unterthanen. Er beſtaͤtigte die Schluͤſſe von Upſala, die ausſchließende Uebung der unveraͤnderten Augsburger Con - feſſion: ohne daß in Kirche oder Schule eine fremde Lehre beigemiſcht, ohne daß irgend jemand angeſtellt wer - den duͤrfe, der nicht zu ihrer Vertheidigung bereit ſey1)Dieſe Worte lauten doch ſo, daß ſie die Moͤglichkeit einer Ausflucht uͤbrig laſſen. „ Ad officia publica nulli promovebuntur in patria qui religionem evangelicam nolunt salvam, quin potius qui eam serio defendere volunt publicis officiis praeficiantur. “ Generalis confirmatio postulatorum regis Sigismundi bei Baaz p. 537.. Er erkannte die Praͤlaten an, die wider ſeinen Willen in jene Aemter gekommen.
Sollte ſich aber hiebei ſein katholiſches Herz beruhi - gen? Sollte ſeine roͤmiſch-geſinnte Umgebung ſich mit ei - nem Reſultat begnuͤgen, das ſie ſo ganz verdammen mußte? Es waͤre an ſich nicht zu erwarten.
381der katholiſchen Reſtauration. Schweden.In der That ſchritt man endlich zu einer Proteſta - tion, wie ſie wohl in aͤhnlichen Faͤllen auch ſonſt vor - gekommen iſt.
„ Der Nuntius “, heißt es in dem Berichte, der uͤber dieſe Sache nach Rom erſtattet wurde, mit deſſen Worten ich wohl am beſten dieſe Thatſache erlaͤutere, „ der Nun - tius war eifrig bemuͤht der geſchehenen Unregelmaͤßigkeit abzuhelfen. Er bewirkte, daß der Koͤnig zur Sicherheit ſeines Gewiſſens ſchriftlich eine Proteſtation abfaßte, in welcher er erklaͤrte, daß er nicht mit ſeinem Willen, ſon - dern ganz allein durch Gewalt genoͤthigt, zugeſtanden, was er zugeſtanden. Ferner bewog der Nuntius S. Maje - ſtaͤt, auch den Katholiken entſprechende Zugeſtaͤndniſſe zu machen: um wie in Polen, ſo auch in Schweden beiden Theilen verpflichtet zu ſeyn: wie dieß auch bei dem deut - ſchen Kaiſer Statt findet. Der Koͤnig war zufrieden dieß zu thun “1)Relatione dello stato spirituale e politico del regno di Suezia 1598. Mandò alcuni senatori Polacchi a darle parte dello stato delle cose in le sue circostanze e conseguenze, e detti pa - tri dichiararono che presupposto la necessità e pericolo nel quale era costituita la Mtà S. la potesse senza offender dio conce - dere alli heretici ciò che ricercavano, e la Mtà S. per sua giu - stificazione ne volle uno scritto da detti patri. — — Hora fatta la coronatione e concessione pose ogni studio il nunzio per ap - plicare qualche remedio al disordine seguito, onde operò per si - curezza della coscienza di S. Mà ch’ella facesse una protesta in scritto, come ella non con la volontà sua ma per pura forza si era indotto a concedere ciò che haveva concesso; e persuase al smo re che concedesse da parte agli cattolici altrettanto quanto haveva conceduto alii heretici, di modo che a guisa dell’impera - tore e del re di Polonia restasse la Mà S. giurata utrique parti. S. Mà si contentò di farlo, et immediatamente mise in esecu -.
382Buch VII. Kap. 1. FortſchritteSeltſame Auskunft. An einer Proteſtation iſt es noch nicht genug. Um einer Verpflichtung, die man durch einen Eid uͤbernommen, einigermaßen entledigt zu ſeyn, leiſtet man der andern Partei einen entgegengeſetzten Eid: ſo iſt man beiden verpflichtet, und in der Nothwendigkeit beiden die gleiche Gerechtigkeit angedeihen zu laſſen.
Die Schweden waren erſtaunt, daß der Koͤnig nach ſo feierlichen Verſprechungen doch ſogleich hierauf den Ka - tholiſchen einen wenig verhehlten Schutz angedeihen ließ. Es ruͤhrte ohne Zweifel von dieſer geheimen Verpflichtung her. „ Noch vor ſeiner Abreiſe “, faͤhrt unſer Berichterſtatter mit Zufriedenheit fort, „ gab der Koͤnig Aemter und Wuͤrden an Katholiſchglaͤubige. Vier Statthalter, obwohl ſie Ketzer waren, ließ er ſchwoͤren die Katholiken und ihre Religion zu beſchuͤtzen. An vier Orten richtete er die Uebung des katholiſchen Gottesdienſtes wieder ein. “
Maaßregeln welche vielleicht das unruhige Gewiſſen eines devoten Fuͤrſten beſchwichtigen, allein auf den Gang der Dinge keinen andern als einen nachtheiligen Einfluß ausuͤben konnten.
Denn eben dadurch geſchah es, daß die ſchwediſchen Staͤnde, in unaufhoͤrlicher Aufregung gehalten, ſich um ſo entſchiedener in den Widerſtand warfen.
Die Geiſtlichkeit reformirte ihre Schulen in ſtreng lu - theriſchem Sinne, ſie ordnete ein beſonderes Dankfeſt fuͤr1)zione le dette concessioni: perchè avanti la sua partenza diede uf - ficj e dignità a cattolici, e lasciò in quattro luoghi l’esercitio della religione e fece giurare a quattro governatori, se ben erano heretici, quali lasciò nel regno, che haverebbero protetto la religione e li cattolici. 383der katholiſchen Reſtauration. Schweden.die Behauptung der wahren Religion „ gegen die Abſich - ten und Raͤnke der Jeſuiten “an; 1595 ward auf dem Reichstag von Suͤdercoͤping ein Beſchluß gefaßt, daß alle Uebung des katholiſchen Ritus, wo ihn der Koͤnig etwa eingerichtet hatte, wieder abgeſchafft werden ſollte. „ Ein - muͤthig heißen wir gut “, ſagen die Staͤnde, „ daß alle Sec - tirer, die der evangeliſchen Religion zuwider ſind und ih - ren Sitz im Lande aufgeſchlagen haben, binnen 6 Wochen aus dem ganzen Reiche entfernt werden “1)Acta ecclesiae in conventu Sudercop. bei Baaz 567.: und auf das ſtrengſte wurden dieſe Beſchluͤſſe ausgefuͤhrt. Das Kloſter Wadſtena, das ſeit 211 Jahren beſtanden und ſich in der Mitte ſo vieler Bewegungen noch immer erhalten, ward nunmehr aufgeloͤſt und zerſtoͤrt. Angermannus hielt eine Kirchenviſitation die ihres Gleichen nicht gehabt. Wer die evangeliſche Kirche verſaͤumte, ward mit Ruthen gepeiſcht: der Erzbiſchof fuͤhrte einige ſtarke Schuͤler mit ſich, welche die Zuͤchtigung unter ſeiner Aufſicht vollzogen: die Altaͤre der Heiligen wurden zerſtoͤrt, ihre Reliquien zerſtreut, die Ceremonien, welche man noch 1593 fuͤr gleichguͤltig er - klaͤrte, im Jahre 1597 an vielen Orten abgeſchafft.
Das Verhaͤltniß zwiſchen Siegmund und Carl gab nun dieſer Bewegung eine perſoͤnliche Geſtalt.
Alles, was man that, lief dem wohlbekannten Willen den Anordnungen des Koͤnigs entgegen: in allem hatte Her - zog Carl einen uͤberwiegenden Einfluß. Wider den aus - druͤcklichen Befehl Siegmunds hielt der Herzog die Reichs - tage: jeden Eingriff deſſelben in die Landesangelegenheiten ſuchte er zu entfernen, er ließ einen Beſchluß faſſen, kraft384Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittedeſſen die Reſcripte des Koͤnigs erſt dann guͤltig ſeyn ſoll - ten, wenn ſie von der ſchwediſchen Regierung beſtaͤtigt wor - den1)Ausa illustrissimi principis domini Caroli Sudermanniae ducis adversus serenissimum et potentissimum dominum Sigis - mundum III regem Sueciae et Poloniae suscepta, scripta et publicata ex mandato S. R. Majestatis proprio Dant. 1598..
Carl war bereits durch die That Fuͤrſt und Herr. Schon regte ſich in ihm der Gedanke, es auch dem Namen nach zu werden. Unter andern deutet es ein Traum an, den er 1595 hatte. Es kam ihm vor, als werde ihm auf einem Gaſtmahle in Finnland eine verdeckte doppelte Schuͤſſel auf - getragen: er hebt den Deckel auf: in der einen erblickt er die Inſignien der Krone, in der andern einen Todtenkopf. Aehnliche Gedanken regen ſich in der Nation. Es geht eine Sage durchs Land, man habe in Linkoͤping einen ge - kroͤnten Adler mit einem ungekroͤnten ſtreiten ſehen: der un - gekroͤnte habe den Platz behalten.
Als es aber ſo weit war, als die proteſtantiſchen Grundſaͤtze mit ſo vieler Haͤrte geltend gemacht wurden, ihr Vorfechter einen Anſpruch auf die koͤnigliche Gewalt zu erheben ſchien, regte ſich doch auch eine Partei fuͤr den Koͤnig. Einige Große, die an ſeiner Autoritaͤt einen Ruͤckhalt gegen den Herzog geſucht, wurden verjagt: ihre Anhaͤnger blieben im Lande: das gemeine Volk war miß - vergnuͤgt uͤber die Abſchaffung aller Ceremonien, und lei - tete laͤndliche Unfaͤlle von dieſer Vernachlaͤßigung her: in Finnland hielt der Statthalter Flemming das Banner des Koͤnigs aufrecht.
Eine385der katholiſchen Reſtauration. Schweden.Eine Lage der Dinge, die es fuͤr Koͤnig Siegmund auf der einen Seite nothwendig, auf der andern rathſam machte, ſein Gluͤck noch einmal zu verſuchen. Es war vielleicht der letzte Moment, in welchem es ihm moͤg - lich war ſeine Gewalt herzuſtellen. Im Sommer 1598 brach er zum zweiten Male auf um ſein Erbreich einzu - nehmen.
Er war dieß Mal wo moͤglich noch ſtrenger katholiſch als fruͤher. Der gute Herr glaubte, das mancherlei Un - gluͤck das ihn ſeit der erſten Reiſe betroffen, unter andern der Tod ſeiner Gemahlin, ſey deshalb uͤber ihn geſchickt worden, weil er damals den Ketzern Zugeſtaͤndniſſe gemacht habe: mit tiefem Herzeleid eroͤffnete er dem Nuntius dieſen ſeinen peinlichen Gedanken. Er erklaͤrte, er wolle eher ſter - ben, als aufs neue etwas geſtatten, was die Reinheit ſei - nes Gewiſſens beflecken koͤnne.
Es verknuͤpfte ſich aber hiemit zugleich ein europaͤiſches Intereſſe. In ſo großem Fortgange war der Katholicis - mus, daß er auch ein Unternehmen in einem ſo entfern - ten Theile von Europa hauptſaͤchlich im Lichte einer allge - meinen Combination betrachtete.
Schon fruͤher hatten die Spanier in ihrem Kampfe mit England ihre Augen geworfen, zuweilen auf die ſchwe - diſchen Kuͤſten; ſie hatten gefunden, der Beſitz eines ſchwc - diſchen Hafens werde ihnen von dem groͤßten Nutzen ſeyn, und Unterhandlungen daruͤber eroͤffnet. Jetzt zweifelte man nicht, daß Siegmund, wenn er nur erſt Herr in ſeinem Lande ſey, ihnen Elfsborg in Weſtgothland einraͤumen werde. Päpſte* 25386Buch VII. Kap. 1. FortſchritteLeicht laſſe ſich hier eine Flotte erbauen, in Stand halten, mit Polen und Schweden bemannen: wie viel anders koͤnne man von hier, als von Spanien aus, England den Krieg machen; gar bald werde es vergeſſen Indien anzugreifen. Auch fuͤr die Autoritaͤt des Koͤnigs in Schweden koͤnne ein Bund mit dem katholiſchen Koͤnig nicht anders als vortheilhaft ſeyn1)Relatione dello stato spirituale e politico. Der Vor - ſchlag iſt: che a spese del cattolico si mantenga un presidio nella fortezza che guardi il porto, sopra lo quale niuna superiorità habbia il cattolico, ma consegni lo stipendio per esso presidio al re di Polonia. .
Aber noch mehr. Die Katholiſchen zogen in Betracht, daß ſie ſich zur Herrſchaft in Finnland und auf der Oſtſee erheben wuͤrden. Von Finnland aus hofften ſie einen gluͤck - lichen Angriff auf das ruſſiſche Reich machen, durch den Beſitz des baltiſchen Meeres das Herzogthum Preußen in ihre Gewalt bringen zu koͤnnen. Noch hatte das Churhaus Brandenburg die Belehnung durch keine Unterhandlung zu erwerben vermocht; der Nuntius verſichert, der Koͤnig ſey entſchloſſen ſie demſelben nicht zu gewaͤhren, ſondern das Herzogthum an die Krone zu bringen: er ſucht ihn darin nach Kraͤften zu beſtaͤrken, hauptſaͤchlich, wie ſich verſteht, aus religioͤſen Erwaͤgungen: denn niemals werde Branden - burg die Wiederherſtellung des Katholicismus in Preußen zugeſtehn2)Relatione di Polonia 1598. Atteso che se rimarrà il ducato nelli Brandeburgesi non si può aspettare d’introdurre la religione cattolica, si mostra S. Mtà risoluto di voler ricu - perare il detto ducato. Schon Koͤnig Stephan haͤtte dieß thun.
387der katholiſchen Reſtauration. Schweden.Betrachtet man den Umfang der Ausſichten, welche ſich an einen Erfolg des Koͤnigs knuͤpften, der doch ſo unwahrſcheinlich nicht war auf der einen, und auf der an - dern Seite die allgemeine Bedeutung, welche dem ſchwedi - ſchen Reiche bevorſtand, wenn der Proteſtantismus den Sieg davon trug, ſo erkennt man hier den Moment einer weltgeſchichtlichen Entſcheidung.
Zamoisky hatte dem Koͤnig gerathen, an der Spitze eines ſtarken Heeres aufzubrechen, um Schweden mit den Waffen zu erobern. Koͤnig Siegmund hielt dafuͤr, daß das nicht noͤthig ſey; er wollte nicht glauben, daß man ihm in ſeinem Erbreiche Gewalt entgegenſetzen werde. Er hatte in - deß ungefaͤhr 5000 Mann bei ſich: ohne Widerſpruch lan - dete er mit ihnen in Calmar, und ſetzte ſich von da ge - gen Stockholm in Bewegung; hier war eine andere Ab - theilung ſeiner Truppen bereits angelangt und aufgenom - men worden; eine finniſche Schaar ruͤckte gegen Upland vor.
Indeſſen hatte ſich auch Herzog Carl geruͤſtet. Es war offenbar mit ſeiner Macht ſo wie mit der Alleinherr - ſchaft des Proteſtantismus aus, wenn der Koͤnig den Sieg behielt. Waͤhrend ſeine Uplandsbauern die Finnen ab - wehrten, ſtellte er ſich ſelbſt mit einer regelmaͤßigen Kriegs - mannſchaft dem Koͤnige auf ſeinem Zuge bei Stegeborg in den Weg. Er forderte die Entfernung der koͤniglichen Heere, die Uebertragung der Entſcheidung an einen Reichs - tag: alsdann wolle er auch ſeine Leute entlaſſen. Der Koͤ -2)ſollen. Ma ritrovandosi con penuria di danari mentre era occu - pato nelle guerre, ne fu sovvenuto delli Brandeburgesi. 25*388Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittenig ging nicht darauf ein. Die feindlichen Schaaren ruͤck - ten gegen einander.
Gering an Zahl: unbedeutende Maſſen: jede von ein paar tauſend Mann. Aber die Entſcheidung erfolgte nicht minder nachhaltig, als waͤre ſie durch große Heere herbei - gefuͤhrt worden.
An der Perſon der Fuͤrſten lag doch alles. Carl, ſein eigener Rathgeber, trotzig, entſchloſſen, ein Mann: und was die Hauptſache war, weſentlich im Beſitz. Siegmund, von andern abhaͤngig, weich, gutmuͤthig: kein Kriegsmann: und jetzt in der ungluͤcklichen Nothwendigkeit das Reich das ihm gehoͤrte erobern zu muͤſſen: zwar legitim, aber im Kampfe gegen das Beſtehende.
Zwei Mal ſtießen die Truppen bei Stangebro auf ein - ander. Zuerſt mehr durch Zufall als mit Abſicht: der Koͤnig war im Vortheil, und er ſelbſt ſoll der Ermordung der Schweden Einhalt gethan haben. Das zweite Mal aber, als die Dalkarlier ſich fuͤr den Herzog erhoben, ſeine Flotte angekommen war, hatte dieſer die Oberhand: den Mord der Polen hielt Niemand ein: Siegmund erlitt eine vollſtaͤndige Niederlage: er mußte alles eingehn was man von ihm forderte1)Piacesii Chronicon gestorum in Europa singularium p. 159. Auszuͤge aus den Briefen der Fuͤrſten bei Geijer: Schwedi - ſche Geſchichte II, S. 305..
Ließ er ſich doch ſogar dahin bringen, die einzigen Getreuen auszuliefern die er gefunden, damit ſie vor ein ſchwediſches Gericht geſtellt wuͤrden. Er ſelbſt verſprach, ſich der Entſcheidung des Reichstages zu unterwerfen.
389der katholiſchen Reſtauration. Schweden.Doch war dieß nur eine Auskunft fuͤr die Verlegen - heiten des Augenblicks. Statt den Reichstag zu beſuchen, wo ihm nur die traurige Rolle des Beſiegten haͤtte zu Theil werden koͤnnen, ſchiffte er mit dem erſten guͤnſtigen Winde nach Danzig zuruͤck.
Er ſchmeichelte ſich wohl mit der Hoffnung, ein an - der Mal, in einem gluͤcklichern Augenblick, doch noch Herr in ſeinem Erbreiche zu werden: in der That aber uͤberließ er es durch dieſe Entfernung ſich ſelber und dem uͤberwie - genden Einfluſſe ſeines Oheims, der kein Bedenken trug nach einiger Zeit auch den Koͤnigstitel anzunehmen, und alsdann den Krieg nicht erſt lange in Schweden erwartete, ſondern ihn nach dem polniſchen Gebiete ſpielte, wo er un - ter abwechſelnden Schickſalen gefuͤhrt ward.
In kurzem aber ſchien es, als wolle ſich dieſes fehl - geſchlagene Unternehmen durch einen andern gluͤcklichen Er - folg verguͤten.
Man weiß, wie ſo manch Mal ſchon ſich die Paͤpſte Hoffnung gemacht hatten Rußland zu gewinnen — ſchon Adrian VI, Clemens VII: dann hatte der Jeſuit Poſ - ſevin bei Iwan Waſiljowitſch ſein Gluͤck verſucht: noch 1594 ſandte Clemens VIII. einen gewiſſen Comuleo nach Moskau, mit mehr als gewoͤhnlichem Vertrauen, da er die Sprache kannte: allein es waren alles vergebliche Beſtrebungen; erklaͤrte doch Boris Godunow geradezu,390Buch VII. Kap. 1. Fortſchritte„ Moskwa ſey jetzt das wahre rechtglaͤubige Rom “: er ließ fuͤr ſich beten „ als fuͤr den einzigen chriſtlichen Herr - ſcher auf Erden. “
Um ſo willkommener war unter dieſen Umſtaͤnden die Ausſicht, welche das Auftreten des falſchen Demetrius auf das unerwartetſte darbot.
Faſt noch mehr an die geiſtlichen, als an die politi - ſchen Intereſſen von Polen ſchloß ſich Demetrius an.
Es war ein katholiſcher Beichtvater, dem er ſich zu - erſt entdeckte: Vaͤter Jeſuiten wurden geſchickt ihn zu pruͤ - fen: dann nahm ſich der paͤpſtliche Nuntius Rangone ſei - ner an. Gleich bei der erſten Zuſammenkunft erklaͤrte ihm dieſer, er werde nichts zu hoffen haben, wenn er nicht die ſchismatiſche Religion abſchwoͤre und die katholiſche an - nehme. Ohne viel Umſtaͤnde zeigte ſich Demetrius hiezu bereit: er hatte es ſchon vorher verſprochen: den naͤchſten Sonntag geſchah der Uebertritt1)Alessandro Cilli: Historia di Moscovia p. 11. Cilli war bei dem Act zugegen. Bei Karamſin X, 109 der Ueb. findet ſich eine Stelle die doch nicht ſo genau aus Cilli iſt, als es der Fall zu ſeyn ſcheint. Karamſin ſah den Cilli ſelbſt nicht ein. Von den Worten die bei Karamſin dem Demetrius in den Mund gelegt werden, findet ſich bei Cilli nichts.. Er war entzuͤckt, daß ihn hierauf Koͤnig Siegmund anerkannte: er ſchrieb es mit Recht der Verwendung des Nuntius zu, und verſprach die - ſem zur Ausbreitung und Vertheidigung des roͤmiſchen Glaubens alles zu thun was in ſeinen Kraͤften ſtehe2)Cilli: con rinnovare insieme la promessa dell’ augumento e difesa per quanto havessero potuto le sue forze e nel suo im - perio e fuori di quello della santa fede cattolica. .
Ein Verſprechen das ſofort eine hohe Bedeutung be -391der katholiſchen Reſtauration. Rußland.kam. In Polen mochte man doch nicht recht an ihn glau - ben. Wie ſehr erſtaunte man, als der armſelige Fluͤcht - ling in der That bald darauf in den Pallaſt der Zaaren ein - zog. Der ploͤtzliche Tod ſeines Vorgaͤngers, in welchem das Volk ein Gottesurtheil ſah, mag wohl am meiſten dazu beigetragen haben.
Und hier erneuerte nun Demetrius ſeine Zuſage: den Neffen jenes Nuntius nahm er mit großer Ehrerbietung bei ſich auf: da ſeine polniſche Gemahlin in kurzem bei ihm anlangte, mit einem zahlreichen Hofe, nicht allein von Rittern und Damen, ſondern vorzuͤglich von Moͤnchen — Dominicanern, Franciscanern und Jeſuiten1)Cilli p. 66. — ſo ſchien er ſein Wort unverzuͤglich halten zu wollen.
Aber eben dieß gereichte ihm am meiſten zum Verder - ben. Was ihm die Unterſtuͤtzung der Polen verſchafft, entzog ihm die Neigung der Ruſſen. Sie ſagten, er eſſe und bade nicht wie ſie: er ehre die Heiligen nicht, er ſey ein Heide und habe eine ungetaufte heidniſche Gemahlin auf den Thron von Moskwa gefuͤhrt: unmoͤglich, das ſey kein Zaarenſohn. 2)Muͤller: Sammlung Ruſſiſcher Geſch. V, 373 bemerkt, daß man Schreiben des Papſtes an ihn gefunden.
Durch eine unerklaͤrliche Ueberzeugung hatten ſie ihn anerkannt: durch eine andere, die ſich ihrer mit noch groͤ - ßerer Staͤrke bemeiſterte, fuͤhlten ſie ſich bewogen ihn wie - der zu ſtuͤrzen.
Der weſentliche Moment war doch auch hier die Re - ligion. In Rußland erhob ſich wie in Schweden eine Ge -392Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittewalt, die ihrem Urſprunge nach den Tendenzen des Katho - licismus entgegengeſetzt war.
Mißlungene Unternehmungen gegen einen aͤußern Feind werden in der Regel die Wirkung haben, daß ſie innere Streitigkeiten erwecken. Jetzt trat in Polen eine Bewe - gung ein, die es zweifelhaft machte, ob der Koͤnig auf die angefangene Weiſe werde weiter regieren koͤnnen. Sie hatte folgende Urſachen.
Nicht immer hielt ſich Koͤnig Siegmund mit denen in Einverſtaͤndniß, durch deren Bemuͤhung er zur Krone gelangt war. Im Widerſpruch gegen Oeſtreich hatten ihn dieſe berufen: er dagegen ſchloß ſich enge an Oeſtreich an. Zweimal nahm er ſeine Gemahlin aus der Linie von Graͤtz: er kam einſt in Verdacht, daß er die Krone an dieß Haus bringen wolle.
Schon daruͤber war der Großkanzler Zamoisky miß - vergnuͤgt. Noch mehr aber erbitterte ihn, daß der Koͤnig, um von ſeinem Befoͤrderer ſelbſt unabhaͤngig zu werden, nicht ſelten Gegner deſſelben zu den wichtigern Stellen er - hob und in den Senat nahm1)Cilli: Historia delle sollevationi di Polonia 1606 — 1608, Pistoia 1627, — ein Autor der um ſo glaubwuͤrdiger iſt, da er lange Zeit im Dienſte des Koͤnigs geſtanden, — fuͤhrt gleich im Anfange aus, wie maͤchtig Zamoisky geweſen: Zamoschi si voleva alquanto della regia autorità usurpare: — wie ihm aber der Koͤ - nig widerſtanden, „ essendo patrone S. Mtà non solo di conferire le dignità del regno, ma anco le stesse entrate. .
393der katholiſchen Reſtauration. Polen.Denn hauptſaͤchlich mit dem Senat ſuchte Siegmund III. zu regieren. Er erfuͤllte ihn mit perſoͤnlich ergebenen Maͤn - nern: zugleich machte er ihn ganz katholiſch: die Biſchoͤfe, unter dem Einfluß des Nuntius von dem Koͤnig ernannt, bildeten darin eine ſtarke und wohl allmaͤhlig die vorherr - ſchende Partei.
Eben hieraus aber ergab ſich eine fuͤr die polniſche Verfaſſung und die religioͤſen Intereſſen uͤberaus wichtige doppelte Oppoſition.
Dem Senat als politiſchem Koͤrper ſetzten ſich die Landboten entgegen. Wie jener an den Koͤnig, ſchloſſen ſie ſich an Zamoisky1)Piasecius: Zamoyscius cujus autoritate potissimum nite - batur ordo nunciorum. Von dieſer Zeit an werden die Landboten maͤchtig. Ein Theil unterſtuͤtzt den andern., dem ſie eine unbedingte Vereh - rung widmeten, und der ihrer Ergebenheit ein dem koͤnig - lichen beinahe gleiches Anſehen verdankte. Eine Stellung die fuͤr einen unternehmenden Magnaten einen maͤchtigen Reiz haben mußte. Nach dem Tode des Großkanzlers bemaͤch - tigte ſich ihrer der Palatin von Krakau, Zebrzydowski.
An dieſe Partei ſchloſſen ſich nun die Proteſtanten an. Es waren doch am Ende die Biſchoͤfe, gegen welche beide klagten, die Einen wegen ihres weltlichen, die An - dern wegen ihres geiſtlichen Einfluſſes. Die Proteſtanten beſchwerten ſich, daß man in einem Gemeinweſen wie das polniſche, das auf freier Uebereinſtimmung beruhe, wohl - erworbene Rechte unaufhoͤrlich kraͤnke, daß man gemeine Leute zu hohen Wuͤrden erhebe, und Maͤnner von gutem394Buch VII. Kap. 1. FortſchritteAdel noͤthigen wolle dieſen zu gehorchen. Viele Katho - liſche ſtimmten ihnen hierin bei1)Cilli: Gli eretici, spalleggiati da cattivi cattolici, face - vano gran forza per ottenere la confederatione. .
Es iſt wohl keine Frage, daß dieſes religioͤſe Element der politiſchen Bewegung noch einen beſondern Antrieb verlieh.
Nachdem die Beſchwerden oͤfter vorgetragen, die Sub - ſidien verweigert, die Reichstage geſprengt worden — al - les ohne Frucht, — ſo griffen die Mißvergnuͤgten endlich zu dem aͤußerſten Mittel, und riefen den geſammten Adel zum Rokoß. Rokoß war eine geſetzliche Form der Inſurrec - tion: der verſammelte Adel machte alsdann den Anſpruch Koͤnig und Senat vor ſein Gericht zu ziehen. In dieſer Verſammlung waren die Evangeliſchen von um ſo groͤße - rer Bedeutung, da ſie ſich mit den Griechiſch-glaͤubigen vereinigten.
Indeſſen auch der Koͤnig hatte ſeine Anhaͤnger. Der Nuntius hielt die Biſchoͤfe zuſammen2)Cilli: Il nuntio Rangone con sua destrezza e diligenza tenne e conservò in fede molti di principali. : die Biſchoͤfe gaben dem Senat ſeine Richtung: es ward ein Bund zur Ver - theidigung des Koͤnigs und der Religion geſchloſſen: kluͤglich ergriff man den guͤnſtigen Zeitpunkt, die alten Irrungen zwiſchen Weltlichen und Geiſtlichen zu heben. Der Koͤnig zeigte ſich auch in dem Augenblick der Gefahr unerſchuͤt - terlich: er habe eine gerechte Sache, er traue auf Gott.
In der That behielt er die Oberhand. Im October 1606 ſprengte er den Rokoß auseinander, als ſich eben395der katholiſchen Reſtauration. Polen.eine große Anzahl ſeiner Mitglieder entfernt hatte: im July 1607 kam es zu einem foͤrmlichen Treffen. Unter dem Geſchrei Jeſu Maria griffen die koͤniglichen Truppen den Feind an, und brachten ihm eine Niederlage bei. Noch eine Zeitlang hielt ſich Zebrzydowski im Felde: aber im Jahre 1608 mußte er ſich doch zur Unterwerfung beque - men: es ward eine allgemeine Amneſtie verkuͤndigt.
Und hiedurch geſchah es nun, daß die Staatsverwal - tung die katholiſche Richtung, welche ſie einmal eingeſchla - gen, weiter verfolgen konnte.
Die Unkatholiſchen blieben von den Aemtern ausge - ſchloſſen, und in Rom faͤhrt man fort die Wirkung zu prei - ſen die dieß hervorgebracht habe1)Instruttione a V. Sria Mre di Torres: Il re, benchè nato di patre e fra popoli eretici, è tanto pio e tanto divoto e di santi costumi guernito, che dentro a Roma non avrebbe potuto nascere o allevarsene un migliore, imperocchè havendo esso con la longhezza del regnare mutati i senatori eretici, che se tre ne togli erano tutti, gli ha fatto divenire, levatine due o tre, tutti quanti cattolici. Ihr Grundſatz war: le cose spirituali seguono il corso delle temporali. . „ Ein proteſtantiſcher Fuͤrſt, — ein Fuͤrſt, der die Wuͤrden nur beiden Par - teien zu gleichen Theilen verleihe, wuͤrde das ganze Land mit Ketzereien anfuͤllen: das Privatintereſſe beherrſche nun einmal die Menſchen. Da der Koͤnig ſo ſtandhaft ſey, ſo folge der Adel dem Willen deſſelben. “
Auch in den koniglichen Staͤdten beſchraͤnkte man den proteſtantiſchen Gottesdienſt: „ ohne offenbare Gewalt “, ſagt eine paͤpſtliche Inſtruction, „ noͤthigt man doch die Ein - wohner ſich zu bekehren “2)Instruttione a Mr Lancelotti: La conforti (den Koͤnig).
396Buch VII. Kap. 1. FortſchritteDer Nuntius ſah darauf, daß die hoͤchſten Gerichte im Sinne der katholiſchen Kirche beſetzt wuͤrden, und „ nach den Worten der heiligen canoniſchen Satzungen “verfuͤhren. Beſonders wichtig waren dann die gemiſchten Ehen. Das hoͤchſte Tribunal wollte keine fuͤr guͤltig erkennen, die nicht vor dem Pfarrer und einigen Zeugen geſchloſſen worden: die Pfarrer aber weigerten ſich gemiſchte Ehen einzuſegnen: kein Wunder, wenn gar Mancher ſchon deshalb ſich dem katholiſchen Ritus unterwarf, um ſeine Kinder nicht in Nachtheil zu ſetzen. Andere wurden dadurch bewogen, daß man den Proteſtanten das Kirchenpatronat ſtreitig machte. Tauſend Mittel beſitzt ein Staat um eine Meinung zu be - foͤrdern, die er beguͤnſtigt: ſie wurden hier ſo weit es au - ßer directem Zwange moͤglich war, alle angewendet; wenig bemerkt, aber unaufhoͤrlich ging der Uebertritt fort.
Ohne Zweifel hatte hieran auch der Ernſt und Nachdruck Antheil, mit welchem die Nuntien die geiſtlichen Geſchaͤfte verwalteten. Sie hielten darauf, daß die Bis - thuͤmer nur mit wohlgeeigneten Maͤnnern beſetzt wuͤrden: viſitirten die Kloͤſter, und litten nicht, daß wie man wohl zu thun angefangen, ungehorſame und ſtoͤrrige Mitglieder, die man anderwaͤrts los ſeyn wollte, nach Polen geſchickt wuͤrden: auch den Pfarren wendeten ſie ihre Aufmerkſam - keit zu: geiſtliche Geſaͤnge, die Kinderlehre ſuchten ſie ein -2)grandemente a vietare che nelle città regie che da lei dipen - dono altro esercitio di religione che il cattolico si comporti, nè permetta che v’abbiano tempj nè sinagoge loro: poichè si ven - gono per tal dolce modo senza violenza espressa a far conver - tire o a mutar paese. 397der katholiſchen Reſtauration. Polen.zufuͤhren. Sie drangen auf die Einrichtung der biſchoͤfli - chen Seminarien.
Unter ihnen arbeiteten nun beſonders die Jeſuiten. In allen Provinzen finden wir ſie thaͤtig: unter dem ge - lehrigen Volke der Liefen: in Littauen, wo ſie noch Spu - ren des alten Schlangendienſtes zu bekaͤmpfen haben: un - ter den Griechen, wo oft Jeſuiten die einzigen katholiſchen Prieſter ſind; zuweilen muß die Taufe achtzehnjaͤhrigen Juͤnglingen ertheilt werden, ſie ſtoßen auf hochbetagte Maͤn - ner, welche niemals das Abendmahl empfangen: vorzuͤglich aber in dem eigentlichen Polen, „ wo “, wie ein Mitglied ruͤhmt, „ Hunderte von gelehrten, rechtglaͤubigen, gottge - weihten Maͤnnern aus dem Orden beſchaͤftigt ſind, durch Schulen und Sodalitaͤten, Wort und Schrift, Irrthuͤmer auszurotten, die katholiſche Froͤmmigkeit zu pflanzen “1)Argentus de rebus societatis Jesu in regno Poloniae 1615: es koͤnnte jedoch noch viel belehrender ſeyn..
Auch hier erweckten ſie in ihren Anhaͤngern den ge - wohnten Enthuſiasmus: auf das ungluͤcklichſte aber verei - nigte er ſich mit der Inſolenz eines uͤbermuͤthigen jungen Adels. Der Koͤnig vermied eigentliche Gewaltthaten: die Jeſuitenſchuͤler hielten ſich fuͤr befugt dazu.
Nicht ſelten feierten ſie den Himmelfahrtstag damit, daß ſie einen Sturm auf die Evangeliſchen machten, in ihre Haͤuſer eindrangen, ſie pluͤnderten, verwuͤſteten; wehe dem der ſich ergreifen, der ſich nur auf der Straße be - treffen ließ.
Schon 1606 ward die Kirche, 1607 der Kirchhof der Evangeliſchen in Krakau geſtuͤrmt: die Leichen wurden aus398Buch VII. Kap. 1. Fortſchritteden Graͤbern herausgeworfen: 1611 zerſtoͤrte man die Kirche der Proteſtanten in Wilna, mißhandelte oder toͤdtete ihre Prieſter: 1615 erſchien in Poſen ein Buch, daß die Evan - geliſchen kein Recht haͤtten in dieſer Stadt zu wohnen, im naͤchſten Jahre zerſtoͤrten die Jeſuitenſchuͤler die boͤhmiſche Kirche, ſo daß kein Stein auf dem andern blieb: die luthe - riſche Kirche ward verbrannt. So ging es an vielen andern Orten: hie und da wurden die Proteſtanten durch die ſteten Angriffe genoͤthigt ihre Kirchen zu veraͤußern. Bald begnuͤgte man ſich nicht mehr mit den Staͤdten: die Krakauer Stu - denten verbrannten die benachbarten Kirchen auf dem Lande. In Podlachien ging ein alter evangeliſcher Pfarrer, des Na - mens Barkow, auf ſeinen Stab geſtuͤtzt vor ſeinem Wa - gen daher: ein polniſcher Edelmann, der von der andern Seite denſelben Weg kam, befahl ſeinem Kutſcher die Pferde geradezu auf ihn loszutreiben: ehe der alte Mann noch ausweichen konnte, war er ſchon uͤberfahren: er ſtarb an ſeinen Wunden1)Wengerscii Slavonia reformata p. 224. 232. 236. 244 247..
Mit alle dem konnte aber doch der Proteſtantismus nicht unterdruͤckt werden. Der Koͤnig war durch ein Ver - ſprechen gebunden, das er nicht die Macht hatte zuruͤckzu - nehmen. Fuͤr ſich ſelbſt blieben die Herrn doch ungezwun - gen, und nicht alle traten ſofort uͤber. Zuweilen wurde nach vielen unguͤnſtigen auch ein guͤnſtiges Urtheil ausge - bracht, und eine oder die andere Kirche wiederhergeſtellt. In den polniſch-preußiſchen Staͤdten bildeten die Proteſtan - ten immer die Majoritaͤt. Noch viel weniger waren die399der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.Griechen bei Seite zu bringen: jene Union von 1595 er - weckte vielmehr Abſcheu als Nachfolge. Die Partei der Diſſidenten, aus Proteſtanten und Griechen zuſammengeſetzt, war immer von großer Bedeutung: die gewerbreichſten Staͤdte, die ſtreitbarſten Voͤlkerſchaften, wie die Koſaken, gaben ihren Forderungen einen beſondern Nachdruck. Dieſer Widerſtand war um ſo maͤchtiger, da er an den Nachbarn, die nicht hatten uͤberwaͤltigt werden koͤnnen, Rußland und Schwe - den, von Tage zu Tage einen ſtaͤrkern Ruͤckhalt fand.
Ganz andere Grundſaͤtze hegte man in Deutſchland: jeder Fuͤrſt hielt es fuͤr ſein gutes Recht, in ſeinen Land - ſchaften die Religion nach ſeinen perſoͤnlichen Grundſaͤtzen einzurichten.
Ohne viel Zuthun der Reichsgewalt, ohne beſonderes Aufſehen wogte dann die angefangene Bewegung weiter.
Beſonders hielten es die geiſtlichen Fuͤrſten fuͤr ihre Pflicht ihre Territorien zum Katholicismus zuruͤckzufuͤhren.
Schon erſchienen die Schuͤler der Jeſuiten unter ih - nen. Johann Adam von Bicken, Churfuͤrſt von Mainz von 1601 — 1604, war ein Zoͤgling des Collegium Ger - manicum in Rom. In dem Schloß von Koͤnigſtein hoͤrte er einſt die Geſaͤnge, mit denen die dortige lutheriſche Ge - meinde ihren verſtorbenen Pfarrer beſtattete. „ Mag ſie denn, “rief er aus, „ ihre Synagoge ehrlich zu Grabe brin -400Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittegen. “ Den naͤchſten Sonntag beſtieg ein Jeſuit die Kan zel: einen lutheriſchen Prediger hat es daſelbſt niemals wie - der gegeben. So ging es auch anderwaͤrts1)Serarius: Res Moguntinae p. 973.. Was Bicken unvollendet gelaſſen, ſetzte ſein Nachfolger, Johann Schweikard, eifrig fort. Es war ein Mann der die Freu - den der Tafel liebte, der aber dabei ſelbſt regierte und ein ungemeines Talent zeigte. Es gelang ihm die Gegenre - formation in ſeinem ganzen Stifte, ſelbſt auf dem Eichs - felde, zu vollenden. Er ſendete eine Commiſſion nach Hei - ligenſtadt, welche binnen 2 Jahren 200 Buͤrger, unter ihnen Viele die im proteſtantiſchen Glauben ergraut waren, zum Katholicismus zuruͤckbrachte. Es waren noch einige wenige uͤbrig: er ermahnte ſie perſoͤnlich „ als ihr Vater und Hirt, “wie er ſagte, „ aus tiefem getreuem Herzen “, und brachte ſie zum Uebertritt. Mit außerordentlichem Vergnuͤ - gen ſah er eine Stadt wieder katholiſch, die vor vierzig Jahren voͤllig proteſtantiſch geweſen war2)Wolf: Geſchichte von Heiligenſtadt S. 63. Zwiſchen 1581 und 1601 zaͤhlte man 497 Convertiten, die meiſten im Jahre 1598, wo es 73 waren..
So verfuhren nun auch Ernſt und Ferdinand von Coͤln, beides baieriſche Prinzen: der Churfuͤſt Lothar aus dem Hauſe Metternich von Trier, ein ausgezeichneter Fuͤrſt, von ſcharfem Verſtand, mit dem Talente die Schwierig - keiten die ſich ihm darboten zu uͤberwinden, prompt in ſeiner Juſtiz, wachſam, um den Vortheil ſowohl ſeines Landes als ſeiner Familie zu befoͤrdern, auch uͤbrigens leut - ſelig und nicht allzu ſtrenge, nur mußte es nicht die Reli -gion401der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.gion anbetreffen: Proteſtanten duldete er nicht an ſeinem Hofe1)Masenius: Continuatio Broweri p. 474.. So großen Namen geſellte ſich Neithard von Thuͤn - gen, Biſchof von Bamberg, zu. Als er von ſeiner Hauptſtadt Beſitz nahm, fand er den ganzen Rath bis auf zwei Mitglie - der proteſtantiſch. Er hatte ſchon in Wuͤrzburg dem Biſchof Julius beigeſtanden: er entſchloß ſich die Maaßregeln deſſelben nunmehr auf Bamberg anzuwenden. Bereits fuͤr Weihnachten 1595 erließ er ſein Reformationsedict: es lautet auf Abend - mahl nach katholiſchem Ritus oder Auswanderung; und ob - wohl Domcapitel, Adel und Landſchaft ihm widerſprachen, von den Nachbarn die dringendſten Vorſtellungen ergingen, ſo finden wir doch alle die folgenden Jahre hindurch die Re - formationsbefehle erneuert und im Ganzen ausgefuͤhrt2)Jaͤck: Geſchichte von Bamberg, z. B. III, 212. 199; al - lein im Grunde allenthalben, denn dieſe Geſchichte beſchaͤftigt ſich beſonders mit der Antireformation.. Mit dem Bamberger wetteiferte in Niederdeutſchland Theo - dor von Fuͤrſtenberg zu Paderborn. Im Jahre 1596 ſetzte er alle Prieſter ſeiner Dioͤces gefangen, die das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt austheilten. Natuͤrlich gerieth er hieruͤber mit ſeinem Adel in Entzweiung, und wir finden Biſchof und Adel ſich wechſelſeitig ihre Heerden, ihre Stu - tereien wegtreiben. Auch mit der Stadt gerieth er end - lich in offene Fehde. Ungluͤcklicherweiſe erhob ſich hier ein ungeſtuͤmer Volksfuͤhrer, der doch der großen Stellung nicht gewachſen war, deren er ſich bemaͤchtigt hatte. Im Jahre 1604 ward Paderborn zu neuer Huldigung gezwungen. Hierauf ward das Jeſuitencollegium auf das praͤchtigſte ausgeſtattet: in kurzem erging auch hier ein Edict, dasPäpſte* 26402Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittenur zwiſchen Meſſe und Auswanderung die Wahl ließ. Wie ſo ganz katholiſch wurden allmaͤhlig Bamberg und Paderborn1)Strunk: Annales Paderborn. lib. XXII, p. 720..
Hoͤchſt merkwuͤrdig bleibt alle Mal die raſche und da - bei doch ſo nachhaltige Verwandlung, welche in allen die - ſen Laͤndern hervorgebracht ward. Soll man annehmen, daß der Proteſtantismus in der Menge noch nicht recht Wurzel gefaßt hatte, oder ſoll man es der Methode der Je - ſuiten zuſchreiben? Wenigſtens ließen ſie es an Eifer und Klugheit nicht fehlen. Von allen Punkten wo ſie ſich feſtge - ſetzt, ziehen ſie in weiten Kreiſen umher. Sie wiſſen die Menge zu feſſeln: ihre Kirchen ſind die beſuchteſten: ſie gehn immer auf die vornehmſte Schwierigkeit los: iſt ir - gendwo ein bibelfeſter Lutheraner, auf deſſen Urtheil die Nachbarn etwas geben, ſo wenden ſie alles an, um ihn zu gewinnen: was ihnen auch bei ihrer Uebung in der Contro - vers ſelten fehlſchlaͤgt. Sie zeigen ſich huͤlfreich: ſie hei - len Kranke: ſie ſuchen Feindſchaften zu verſoͤhnen. Durch heilige Eide verpflichten ſie alsdann die Ueberwundenen, die Bekehrten. Nach allen Wallfahrtsorten ſieht man die Glaͤu - bigen unter ihren Fahnen heranziehen: Menſchen die eben noch eifrige Proteſtanten geweſen, ſchließen ſich jetzt den Pro - ceſſionen an.
Und nicht allein geiſtliche, ſondern auch weltliche Fuͤr - ſten hatten die Jeſuiten erzogen. Noch am Ende des 16ten Jahrhunderts traten ihre beiden großen Zoͤglinge auf, Fer - dinand II. und Maximilian I.
Man ſagt, als der junge Erzherzog Ferdinand im403der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.Jahre 1596 Oſtern in ſeiner Hauptſtadt Graͤtz feierte, ſey er der Einzige geweſen der das Abendmahl nach katholi - ſchem Ritus nahm; in der ganzen Stadt habe es nur noch drei Katholiken gegeben1)Hansitz: Germania sacra II, p. 712. Numerus Lu - theri sectatorum tantus ut ex inquilinis Graecensibus paene cunctis invenirentur avitae fidei cultores tres non amplius. Das paene cunctis macht freilich die Sache wieder zweifelhaft..
In der That waren nach dem Tode des Erzherzogs Carl unter einer nicht ſehr kraͤftigen vormundſchaftlichen Regierung die Unternehmungen zu Gunſten des Katholi - cismus ruͤckgaͤngig geworden. Die Proteſtanten hatten die ihnen entriſſenen Kirchen wieder eingenommen, ihre Schule zu Graͤtz durch neue gluͤckliche Berufungen verſtaͤrkt: der Adel hatte einen Ausſchuß aufgeſtellt, um ſich allem zu wi - derſetzen, was zum Nachtheil des Proteſtantismus verſucht werden moͤchte.
Demohnerachtet entſchloß ſich Ferdinand augenblicklich, zur Ausfuͤhrung und Vollendung der Gegenreformation zu ſchreiten. Geiſtliche und politiſche Antriebe kamen zuſam - men. Er ſagte, auch er wolle Herr in ſeinem Lande ſeyn, ſo gut wie der Churfuͤrſt von Sachſen, der Churfuͤrſt von der Pfalz. Gab man ihm die Gefahr zu bedenken, die ein Anfall der Tuͤrken waͤhrend innerer Zwiſtigkeiten herbeifuͤh - ren koͤnne, ſo entgegnete er, erſt nach vollzogener Bekehrung duͤrfe man auf die goͤttliche Huͤlfe zaͤhlen. Im J. 1597 begab ſich Ferdinand uͤber Loreto nach Rom zu den Fuͤßen Papſt Clemens VIII. Er that das Geluͤbde die katholiſche Re - ligion in ſeinen Erblanden auch mit Gefahr ſeines Lebens26*404Buch VII. Kap. 1. Fortſchritteherſtellen zu wollen: der Papſt beſtaͤrkte ihn darin. So kam er zuruͤck und ſchritt ans Werk. Im September 1598 erging ſein Decret, durch welches er die Entfernung aller lutheriſchen Praͤdicanten in Graͤtz binnen vierzehn Ta - gen gebot1)Khevenhiller: Annales Ferdinandei IV, 1718..
Graͤtz war der Mittelpunkt der proteſtantiſchen Lehre und Gewalt. Man ließ nichts unverſucht, um den Erz - herzog wankend zu machen: weder Bitte noch Warnung, noch auch Drohung: aber der junge Fuͤrſt war nach dem Ausdruck des kraineriſchen Geſchichtſchreibers feſt „ wie ein Marmor “2)Valvaſſor: Ehre des Herzogthums Krain Th. 2, Buch 7, p. 464; ohne Zweifel die wichtigſte Darſtellung dieſer Begebenheit: „ Solche mit Warnung gemiſchte Bittſchrift traf einen feſten Mar - mel an, welchen ihre Feder nicht kunte durchdringen, noch er - weichen. “. Im October erging ein aͤhnlicher Erlaß in Krain, im Dezember in Kaͤrnthen.
Und nun zeigten ſich zwar die Staͤnde aͤußerſt ſchwie - rig: ſelbſt auf ihren beſondern Landesverſammlungen, denn eine allgemeine geſtattete Ferdinand nicht mehr: ſie weiger - ten ſich ihre Subſidien zu zahlen: ſchon wurden die Sol - daten an den Grenzen unruhig. Aber der Erzherzog er - klaͤrte, er werde eher alles verlieren, was er von Gottes Gnaden beſitze, als daß er einen Schritt breit weiche. Die Gefahr vor den Tuͤrken, die unter dieſen Umſtaͤnden bereits Caniſcha erobert hatten und taͤglich drohender vorruͤckten, noͤthigte die Staͤnde doch zuletzt ihre Steuern zu bewilligen, ohne irgend eine Conceſſion erhalten zu haben.
Hierauf hielt nun den Erzherzog nichts weiter zuruͤck. 405der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.Im October 1599 ward die proteſtantiſche Kirche in Graͤtz verſchloſſen und der evangeliſche Gottesdienſt bei Leib - und Lebensſtrafe verboten. Es ward eine Commiſſion gebildet, die ſich mit bewaffnetem Gefolge in das Land begab. Zu - erſt wurde Steiermark, dann Kaͤrnthen, endlich auch Krain reformirt. Von Ort zu Ort erſcholl der Ruf: „ es kommt die Reformation. “ Die Kirchen wurden niedergeriſſen, die Prediger verjagt oder gefangen geſetzt, die Einwohner genoͤ - thigt entweder des katholiſchen Glaubens zu leben oder das Land zu raͤumen. Es fanden ſich doch Viele, z. B. in dem kleinen St. Veit funfzig Buͤrger, welche die Aus - wanderung dem Abfall vorzogen1)Herrmann: St. Veit: in der Kaͤrnthneriſchen Zeitſchrift V, 3, p. 163.. Die Auswanderer muß - ten den Zehnten Pfennig bezahlen, was fuͤr ſie immer kein kleiner Verluſt war.
Mit ſo großer Haͤrte verfuhr man. Dafuͤr erlebte man die Genugthuung, daß man im J. 1603 uͤber 40000 Communicanten mehr zaͤhlte als fruͤher.
Und ſogleich entwickelte das nun eine weitere Wir - kung auf alle oͤſtreichiſchen Gebiete.
Anfangs hatte Kaiſer Rudolf ſeinem jungen Vetter ſein Vorhaben widerrathen: da es gelang, ahmte er es ſel - ber nach. Von 1599 bis 1601 finden wir eine Refor - mationscommiſſion in Oberoͤſtreich, 1602 und 1603 in Unteroͤſtreich thaͤtig2)Raupach: Evangel. Oeſtreich I, 215.. Von Linz und Steier mußten die im Dienſt des Evangeliums ergrauten Prediger und Schul - lehrer weichen; ſchmerzlich empfanden ſie es: „ nunmehr,406Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittevom Alter gebeugt “, ruft der Rector zu Steier aus, „ werde ich ins Elend verſtoßen! “ 1)„ Jam senio squalens trudor in exilium “. Valentin Pruen - huebers Annales Styrenses p. 326.„ Taͤglich “, ſchreibt Einer von denen, die noch zuruͤckgeblieben, „ bedroht uns das Verderben: unſere Gegner beobachten uns, ſpotten un - ſer, duͤrſten nach unſerm Blute “2)Hofmarius ad Lyserum: Raupach IV, 151..
In Boͤhmen glaubte man ſich durch die uralten utra - quiſtiſchen Privilegien, in Ungarn durch die Selbſtaͤndig - keit und Macht der Staͤnde beſſer geſchuͤtzt. Jetzt aber ſchien ſich Rudolf weder um die einen noch um die andern kuͤm - mern zu wollen. Er war uͤberredet worden, daß die alten Utraquiſten untergegangen, und die Evangeliſchen zum Ge - nuſſe jener Privilegien nicht berechtigt ſeyen. Im J. 1602 erließ er ein Edict, das zunaͤchſt die Kirchen der maͤhriſchen Bruͤder zu ſchließen befahl, und ihre Zuſammenkuͤnfte ver - bot3)Schmidt: Neuere Geſchichte der Deutſchen III, 260, ein Auszug aus den Beilagen zu der Apologie der Boͤhmen vom Jahre 1618, die bei den ſpaͤtern Drucken haͤufig fehlen.. Auch alle anderen fuͤhlten, daß ſie in demſelben Falle waren: und man ließ ſie nicht in Zweifel uͤber das, was ſie zu erwarten hatten. Schon begann in Ungarn die offenbare Gewalt. Baſta und Belgioioſo, welche die kai - ſerlichen Truppen in dieſem Lande befehligten, nahmen die Kirchen von Caſchau und Clauſenburg weg: mit ihrer Huͤlfe ſuchte der Erzbiſchof von Colocſa die 13 Staͤdte in Zips zum Katholicismus zuruͤckzufuͤhren. Auf die Beſchwerden der Ungarn gab der Kaiſer die Reſolution: Seine Maje -407der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.ſtaͤt, welche den heiligen roͤmiſchen Glauben von Herzen bekenne, wuͤnſche ihn auch in allen ihren Reichen und beſonders den ungariſchen auszubreiten: ſie beſtaͤtige hie - mit und ratificire alle Beſchluͤſſe die ſeit den Zeiten des heil. Stephan, Apoſtels der Ungarn, zu Gunſten dieſes Glau - bens erlaſſen worden1)Art. XXII anno 1604. Bei Ribiny: Memorabilia Augu - stanae confessionis I, p. 321..
Trotz ſeiner hohen Jahre hatte denn auch der behut - ſame Kaiſer ſeine Maͤßigung abgelegt: die katholiſchen Fuͤr - ſten insgeſammt befolgten dieſelbe Politik: ſo weit nur ir - gend ihre Macht reichte, breitete ſich der Strom der katho - liſchen Meinungen weiter aus: Doctrin und Gewalt trie - ben ihn vorwaͤrts: in der Reichsverfaſſung gab es kein Mittel hiegegen. Vielmehr fuͤhlten ſich die katholiſchen Be - ſtrebungen ſo ſtark, daß ſie in dieſem Momente auch die Reichsangelegenheiten zu ergreifen, die bisher behaupteten Rechte des proteſtantiſchen Theiles zu gefaͤhrden anfingen2)Relatione del nuntio Ferrero 1606 faßt die Erfolge zu - ſammen: Da alcuni anni in qua si è convertito alla nostra santa religione una grandissima quantità d’anime, restorate le chiese, rivocate molte religioni di regolari alli loro antichi monasteri, restituite in bona parte le cerimonie ecclesiastiche, moderata alquanto la licenza degli ecclesiastici, e domesticato il nome del pontefice Romano riconosciuto per capo della chiesa uni - versale. .
Schon waren, nicht ohne Einfluß der paͤpſtlichen Nun - tien, beſonders Card. Madruzzi’s, der zuerſt die Aufmerkſamkeit dahin lenkte, im Zuſtande der Reichsgerichte Veraͤnderungen eingetreten, die Anlaß und Mittel dazu an die Hand gaben.
Auch das Kammergericht hatte endlich gegen den An -408Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittefang des ſiebzehnten Jahrhunderts eine mehr katholiſche Faͤrbung bekommen: es waren Urtel ergangen, die der ka - tholiſchen Auslegung des Religionsfriedens entſprachen. Die Benachtheiligten hatten dagegen das Rechtsmittel der Re - viſion ergriffen: allein mit den Viſitationen waren auch die Reviſionen ins Stocken gekommen: die Sachen haͤuf - ten ſich an, und blieben alle liegen1)Miſſiv und Erinnerung des Reichskammergerichts am Reichs - tag von 1608 — in den Reichstagsacten zu Frankfurt am Main, von denen eine vorlaͤufige Einſicht zu nehmen, freundlich geſtat - tet worden. Das Kammergericht erklaͤrt es fuͤr „ land und reichs - kuͤndig in waß großer und merklicher Anzall ſeit Ao. 86 die Revi - ſionen deren von gedachtem Kammergericht ergangenen und außge - ſprochenen Urthell ſich gehaͤuft, dergeſtalt daß derſelben nunmehr in die Einhundert allbereit beim kaiſerlichen Collegio denunciirt und de - ren vielleicht taͤglich mehr zu gewarten. “.
Unter dieſen Umſtaͤnden geſchah es, daß der Reichs - hofrath in Aufnahme kam. Wenigſtens ließ ſich hier ein Ende abſehen: die unterliegende Partei konnte nicht zu einem niemals auszufuͤhrenden Rechtsmittel ihre Zuflucht nehmen. Aber der Reichshofrath war nicht allein noch entſchiedener katholiſch als das Kammergericht: er hing auch durchaus vom Hofe ab. „ Der Reichshofrath “, ſagt der florentiniſche Geſchaͤftstraͤger Alidoſi, „ erlaͤßt keinen definitiven Urtheils - ſpruch, ohne ihn vorher dem Kaiſer und dem geheimen Rathe mitzutheilen, die ihn ſelten ohne Abaͤnderungen zu - ruͤckſchicken2)Relatione del Sr Rod. Alidosi 1607 — 1609. È vero che il consiglio aulico a questo di meno che tutte le definitioni che anno virtù di definitiva non le pronuntia se prima non dia parte a S. Mtà o in suo luogo al consiglio di stato, il quale alle volte o augumenta o toglie o modera l’opinione di questo.
409der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.Welche allgemein wirkſame Inſtitute gab es aber im Reiche, als die richterlichen? Die Einheit der Nation knuͤpfte ſich an dieſelben. Aber auch ſie waren jetzt unter den Einfluß der katholiſchen Meinung, der Convenienz des Hofes gerathen. Schon fing man auf vielen Seiten an, uͤber die parteiiſchen Urtel, die gewaltſamen Executionen zu klagen, als bei der Sache von Donauwerth die allge - meine Gefahr hervortrat, die von dieſem Punkte aus drohte.
Daß ein katholiſcher Abt in einer proteſtantiſchen Stadt, der ſeine Proceſſionen oͤffentlicher und feierlicher halten wollte als herkoͤmmlich1)Der Bericht „ wegen der Donawerdiſchen Execution “in den Reichstagsacten vom 4ten Februar 1608 bemerkt (womit auch die uͤbrigen Relationen und Informationen uͤbereinſtimmen) der Abt habe „ allein ſo viel herbracht daß er mit niedergelegten und zuſam - mengewickelten Fahnen ohne Geſang und Klang und zwar allein durch ein ſonderes Gaͤßlein beim Kloſter hinab bis auſſer der Stadt und ihrem Bezirk gangen, und die Fahnen nit eher aufrichten und fliegen oder ſingen und klingen laſſen, er ſey denn außer deren von Donawerth Grund. “ Dieſe Beſchraͤnkungen uͤbertrat er nun eben., hiebei von dem Poͤbel geſtoͤrt und be - ſchimpft worden, genuͤgte dem Reichshofrath, um die Stadt ſelbſt mit einem weitausſehenden Proceß, Mandaten, Cita - tionen, Commiſſariaten, heimzuſuchen und endlich die Acht uͤber ſie auszuſprechen. Ein benachbarter ſtrengkatholiſcher Fuͤrſt, Maximilian von Baiern, bekam den Auftrag ſie zu vollſtrecken. Er begnuͤgte ſich nicht Donauwerth zu beſetzen: auf der Stelle berief er Jeſuiten herbei, erlaubte nur noch den katholiſchen Gottesdienſt, und ſchritt in gewohnter Weiſe zur Gegenreformation.
2)consiglio, e così fatto si rimanda a detto consiglio tal delibe - ratione e così si publica.
410Buch VII. Kap. 1. FortſchritteMaximilian ſelbſt ſah dieſe Sache in dem Lichte ih - rer allgemeinen Bedeutung. Er ſchrieb dem Papſt, wie an einem Pruͤfſtein koͤnne man daran die Abnahme des An - ſehens der Proteſtanten erkennen.
Allein er taͤuſchte ſich, wenn er glaubte, ſie wuͤrden es ſich gefallen laſſen. Sie ſahen ſehr wohl, was ſie zu erwarten hatten, wenn es ſo fortging.
Schon erkuͤhnten ſich die Jeſuiten die Verbindlichkeit des Religionsfriedens zu leugnen. Er habe im Grunde gar nicht geſchloſſen werden koͤnnen ohne die Beiſtimmung des Papſtes: auf keinen Fall ſey er laͤnger als bis zum tridentiniſchen Concilium guͤltig geweſen: als eine Art In - terim ſey er anzuſehen.
Und auch die, welche die Guͤltigkeit dieſes Vertrages anerkannten, meinten doch, daß wenigſtens alle ſeit dem Abſchluß deſſelben von den Proteſtanten eingezogenen Guͤter wieder herausgegeben werden muͤßten. Auf die proteſtan - tiſchen Erklaͤrungen ſeiner Worte nahmen ſie keine Ruͤckſicht.
Wie nun, wenn dieſe Anſichten, wie es ja ſchon zu geſchehen anfing, von den hoͤchſten Reichsgerichten aner - kannt, Urtel danach ausgeſprochen und zur Vollſtreckung gebracht wurden?
Als der Reichstag im Jahre 1608 zu Regensburg zuſammenkam, wollten die Proteſtanten zu keiner Berathung ſchreiten, ehe ihnen nicht der Religionsfriede ſchlechthin be - ſtaͤtigt worden ſey1)Protocollum im Correſpondenzrath 5. April 1608 in den RTA: „ die Hauptconſultation jetziger Reichsverſammlung ſey bisher darumben eingeſtelt verbliben daß die Stend evangeliſcher Religion. Selbſt Sachſen, das ſich ſonſt im -411der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.mer auf die kaiſerliche Seite neigte, forderte jetzt die Ab - ſchaffung der Hofproceſſe, inſofern ſie dem alten Her - kommen zuwider ſeyen, die Verbeſſerung des Juſtizweſens, und nicht allein die Erneuerung des Religionsfriedens, wie er 1555 geſchloſſen worden, ſondern auch eine pragmatiſche Sanction, durch welche den Jeſuiten verboten wuͤrde wi - der denſelben zu ſchreiben.
Auf der andern Seite hielten aber auch die Katholi - ken eifrig zuſammen: der Biſchof von Regensburg hatte ſchon vorher ein Rundſchreiben erlaſſen, in dem er ſeine Glaubensgenoſſen ermahnte, die Geſandten vor allem zu einhelliger Vertheidigung der katholiſchen Religion anzu - weiſen, „ ſteif und feſt wie eine Mauer zuſammenzuſtehn “: nur nicht zu temporiſiren: jetzt habe man nichts zu fuͤrch - ten: an ſtattlichen, hochloͤblichen Fuͤrſtenhaͤuſern beſitze man grundfeſte eifrige Defenſoren. Zeigten ſich dann die Ka - tholiken ja noch geneigt den Religionsfrieden zu beſtaͤti - gen, ſo trugen ſie doch auf die Clauſel an, „ daß das, ſo demſelben zuwidergehandelt, abgeſchafft und reſtituirt werde “: eine Clauſel, die eben alles enthielt, was die Pro - teſtanten fuͤrchteten, und vermieden wiſſen wollten.
Bei dieſem Zwieſpalt in der Hauptſache war nicht daran zu denken, daß in irgend einem Punkte ein einmuͤthiger Beſchluß gefaßt oder dem Kaiſer die Tuͤrkenhuͤlfe, die er wuͤnſchte und bedurfte, bewilligt worden waͤre.
1)den Religionsfriden zu confirmiren begert und der papiſtiſche Theil die Clauſulam dem Abſchied zu inſeriren haben wollen: daß alle Guͤ - ter die ſinthero a. 55 von den Evangeliſchen Stenden eingezogen worden reſtituirt werden ſollen.
412Buch VII. Kap. 1. FortſchritteEs ſcheint doch, als habe dieß auf den Kaiſer Ein - druck gemacht, als ſey man am Hofe einmal entſchloſſen geweſen dem Begehren der Proteſtanten unumwunden zu willfahren.
Wenigſtens ergibt ſich das aus einem ſehr merkwuͤr - digen Berichte, welchen der paͤpſtliche Geſchaͤftstraͤger uͤber dieſen Reichstag abgeſtattet hat.
Der Kaiſer war nicht ſelbſt dahin gegangen: Erzherzog Ferdinand verſah ſeine Stelle. So war auch nicht der Nuntius ſelbſt in Regensburg: er hatte aber einen Au - guſtiner, Fra Felice Milenſio, Generalvicar ſeines Ordens, in ſeinem Namen dahin geſchickt, der dann auch mit un - gemeinem Eifer die Intereſſen des Katholicismus aufrecht zu erhalten ſuchte.
Dieſer Fra Milenſio nun, von dem unſer Bericht ſtammt, verſichert, der Kaiſer habe ſich wirklich zu einem Er - laß entſchloſſen, den Wuͤnſchen der Proteſtanten gemaͤß. Er leitet ihn von den unmittelbaren Einwirkungen des Satans her: ohne Zweifel ſey er von den geheimen Kaͤmmerieren des Kaiſers, von denen der eine ein Jude, der andere ein Ketzer, ausgegangen1)Ragguaglio della dieta imperiale fatta in Ratisbona 1608, nella quale in luogo dell’ eccmo e revmo Monsr Antonio Gae - tano arcivescovo di Capua nuntio apostolico, rimasto in Praga appresso la Mtà Cesarea, fu residente il padre Felice Mi - lensio maestro Agostiniano vicario generale sopra le provincie aquilonari. E certo fu machinato dal demonio e promosso da suoi ministri, di quali erano i due camerieri intimi di Ridolfo, heretico l’uno, Hebreo l’altro, e quei del consiglio ch’eran Hussiti o peggiori. .
Hoͤren wir von ihm ſelbſt, was er nun weiter be -413der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.richtet. „ Auf die Nachricht von dem eingelaufenen Er - laß, “ſagt er, „ die mir und einigen Andern mitgetheilt worden, begab ich mich zu dem Erzherzog, und fragte, ob ein ſolches Decret gekommen ſey. Der Erzherzog bejahte dieß. — „ „ Und denkt nun auch Ew. Erzherzogl. Durchlaucht es bekannt zu machen? ““— Der Erzherzog antwortete: So befiehlt der kaiſerliche Geheime Rath: der ehrwuͤrdige Va - ter ſieht ſelbſt, in welcher Lage wir ſind. Hierauf entgeg - nete ich1)„ Sovenga le, Serma Altezza, di quella cattolica pietà con la quale ella da che nacque fu allevata e per la quale pochi anni a dietro non temendo pericolo alcuno, anzi a rischio di per - dere i suoi stati, ne bandì tutti gli heretici con ordine che fra pochi mesi o si dichiarassero cattolici o venduti gli stabili sgom - brassero via dal paese: sovengale che nella tavola dipinta della chiesa dei padri Capuccini in Gratz ella sta effigiata con la lancia impugnata come un altro Michele e con Luthero sotto i piedi in atto di passarli la gola: et hora essendo ella qui in per - sona di Cesare, non devo credere che sia per soffrire se perdano i beni dotali della chiesa il patrimonio di Christo, e molto meno che la diabolica setta di Luthero sia con questa moderna conces - sione confirmata e per peggio quella ancor di Calvino già incor - porata la quale non ricevè mai tolleranza alcuna imperiale. Que - sto e più dissi io et ascoltò il piissimo principe. — — Prie - gola, dissi, a sospender questa materia fino alla risposta del sommo pontefice: e così fece differendo i decreti degli huomini per non offendere i decreti di dio. : Ew. Erzherzogliche Durchlaucht wird ihre Froͤmmigkeit nicht verleugnen wollen, die Froͤmmigkeit, in der ſie aufgezogen iſt, mit der ſie vor kurzem gewagt hat ſo vielen drohenden Gefahren zum Trotz die Ketzer ohne Ausnahme aus ihren Landſchaften zu verbannen. Ich kann nicht glau - ben, daß Ew. Durchlaucht den Verluſt der Kirchenguͤter, die Beſtaͤtigung der teufliſchen Secte Luthers und der noch414Buch VII. Kap. 1. Fortſchritteſchlimmern Calvins, die doch nie im Reiche oͤffentliche Dul - dung genoſſen, durch dieß neue Zugeſtaͤndniß genehmigen werde. Der fromme Fuͤrſt hoͤrte mich an. Was iſt aber zu machen? ſprach er. Ich bitte Ew. Durchlaucht, ſagte ich, dieſe Sache Seiner Heiligkeit dem Papſte vorzulegen, und keinen Schritt zu thun ehe wir deſſen Antwort haben. So that der Erzherzog: er achtete mehr auf die Gebote Got - tes als auf die Beſchluͤſſe der Menſchen. “
Iſt alle dem wirklich ſo, ſo ſieht man wohl, welch eine wichtige Stelle dieſer namenloſe Auguſtinerbruder in unſerer Reichsgeſchichte einnimmt. In dem entſcheidenden Momente hintertrieb er die Bekanntmachung einer Conceſ - ſion, welche die Proteſtanten wahrſcheinlich befriedigt haben wuͤrde. An deren Stelle trat Ferdinand mit einer Inter - poſitionsſchrift hervor, die die Moͤglichkeit jener Clauſel nach wie vor einſchloß. In einer Verſammlung vom 5ten April 1608 vereinigten ſich die Proteſtanten, ſich nicht zu fuͤgen, ſie nicht anzunehmen1)Votum der Pfalz im Correſpondenzrath: „ daß die Con - firmation des Religionsfriedens keineswegs einzugehn wie die Inter - poſitionsſchrift mit ſich bringe: dann ſelbige den evangeliſchen Sten - den undienlich, weilen der Abſchied anno 66 eben die Clauſulam habe ſo jetzt disputirt werde. “ In den Abſchieden von 1557 und 1559 war ſie nicht. Die Interpoſitionsſchrift bezog ſich bloß auf 1566. Auch verwarf man ſie deshalb, weil ſie den Kaiſer als Richter in Religionsſachen betrachte.. Da jedoch auch der an - dere Theil nicht nachgab, von dem Kaiſer oder ſeinem Stellvertreter nichts zu erlangen war was ihre Furcht haͤtte beſchwichtigen koͤnnen, ſo griffen ſie zu dem aͤußer - ſten Mittel: ſie verließen den Reichstag. Zum erſten Male kam es zu keinem Abſchied, geſchweige denn zu Bewilligun -415der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.gen: es war der Augenblick, in welchem die Einheit des Reiches ſich factiſch aufloͤſte.
Und unmoͤglich konnten ſie hiebei ſtehn bleiben. Die eingenommene Stellung zu behaupten waͤre Jeder allein zu ſchwach geweſen: eine Vereinigung, wie ſie ſchon lange beabſichtigt, berathen und entworfen hatten, fuͤhrten ſie jetzt im Drange des Momentes aus. Unmittelbar nach dem Reichstage kamen zwei pfaͤlziſche Fuͤrſten, Churfuͤrſt Frie - derich und der Pfalzgraf von Neuburg, zwei brandenbur - giſche, die Markgrafen Joachim und Chriſtian Ernſt, der Herzog von Wuͤrtemberg und der Markgraf von Baden zu Ahauſen zuſammen, und ſchloſſen ein Buͤndniß, das unter dem Namen der Union bekannt iſt. Sie verpflichteten ſich, einander auf jede andere Weiſe und auch mit den Waf - fen beizuſtehn, beſonders in Hinſicht der auf dem letzten Reichstage vorgetragenen Beſchwerden. Sie ſetzten ſich ſo - gleich in eine Kriegsverfaſſung: jedes Mitglied nahm es uͤber ſich, einen oder den andern ſeiner Nachbarn in den Bund zu ziehen. Ihr Sinn war, da die Lage der Dinge, wie ſie im Reiche beſtand, ihnen keine Sicherheit gewaͤhrte, ſich dieſe ſelbſt zu verſchaffen, ſich ſelbſt zu helfen.
Eine Neuerung von der umfaſſendſten Bedeutung, um ſo mehr, da in den kaiſerlichen Erblanden ein Ereigniß ein - trat, das ihr ſehr wohl entſprach.
Aus mancherlei Gruͤnden nemlich war der Kaiſer mit ſeinem Bruder Matthias zerfallen: die in ihrer Freiheit und ihrer Religion bedraͤngten oͤſtreichiſchen Staͤnde ſahen in dieſem Zwieſpalt eine Gelegenheit beides zu behaupten, und traten auf die Seite des Erzherzogs.
416Buch VII. Kap. 1. FortſchritteSchon im Jahre 1606 ſchloß der Erzherzog im Ein - verſtaͤndniſſe mit ihnen einen Frieden mit den Ungarn, ohne den Kaiſer darum gefragt zu haben. Sie entſchuldigten ſich damit, daß der Kaiſer die Geſchaͤfte vernachlaͤſſige, daß die Lage der Dinge ſie gezwungen habe. Da nun aber Rudolph ſich weigerte dieſen Frieden anzuerkennen, ſo er - hoben ſie ſich und zwar ſogleich in Kraft ihres Vertrages zur Empoͤrung1)Der Vertrag hatte die Clauſel: quodsi propter vel con - tra tractationem Viennensem et Turcicam — — hostis aut tur - bator aliquis ingrueret, tum serenissimum archiducem et omnes status et ordines regni Hungariae et archiducatus superioris et inferioris Austriae mutuis auxiliis sibi et suppetiis non defutu - ros. Reva ap. Schwandtner: Scriptt. rerum Ung. II. Kurz: Beitraͤge zur Geſchichte des Landes Oeſtreich ob der Ens B. IV, p. XXI. . Zuerſt ſchloſſen die ungariſchen und die oͤſtreichiſchen Staͤnde einen Bund zu Schutz und Trutz mit einander. Dann zogen ſie auch die Maͤhren, beſonders durch den Einfluß eines Lichtenſtein an ſich: ſie vereinten ſich alle, Gut und Blut fuͤr den Erzherzog zu wagen. So ruͤckten ſie, in denſelben Tagen in welchen der Re - gensburger Reichstag ſich aufloͤſte, im Mai 1608, mit ihrem ſelbſtgewaͤhlten Oberhaupt ins Feld wider den Kai - ſer. Rudolf mußte ſich bequemen, ſeinem Bruder Ungarn, Oeſtreich und Maͤhren abzutreten.
Natuͤrlich mußte nun aber Matthias den Staͤnden die Dienſte, die ſie ihm geleiſtet, mit Conceſſionen erwiedern. Seit 48 Jahren hatten die Kaiſer vermieden einen Pala - tinus in Ungarn zu ernennen: jetzt ward ein Proteſtant zu dieſer Wuͤrde befoͤrdert. Die Freiheit der Religion wardnicht417der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.nicht allein den Magnaten, ſondern auch den Staͤdten, al - len Staͤnden, ja ſelbſt den Soldaten an den Grenzen auf das feierlichſte zugeſichert1)Der Artikel ſteht bei Ribiny I, 358.. Nicht eher leiſteten die Oeſt - reicher die Huldigung als bis auch ihnen das Exercitium Religionis in Schloͤſſern und Doͤrfern, ſo wie in den Pri - vathaͤuſern der Staͤdte freigegeben worden.
Was den Oeſtreichern und Ungarn der Angriff, ver - ſchaffte den Boͤhmen die Vertheidigung. Gleich anfangs hatte ſich Rudolf zu großen Zugeſtaͤndniſſen bequemen muͤſ - ſen, nur um ſeinem Bruder noch einigermaßen zu wider - ſtehn: nachdem Ungarn und Oeſtreicher durch dieſen zu ſo großen Freiheiten gelangt, konnte auch er, was auch im - mer der paͤpſtliche Nuntius, der ſpaniſche Geſandte dazu ſagen mochten, den Boͤhmen ihre Forderungen nicht verwei - gern. Er gewaͤhrte ihnen den Majeſtaͤtsbrief, der nicht allein die alten Conceſſionen wiederholte, die Maximilian II. gegeben, ſondern ihnen auch eine eigene Behoͤrde zu deren Vertheidigung zu gruͤnden geſtattete.
Wie ſo ganz anders ſtanden nun ploͤtzlich die deut - ſchen, die erblaͤndiſchen Angelegenheiten. Die Union breitete ſich in Deutſchland aus, und wachte uͤber jeden Angriff des Katholicismus, den ſie gewaltig zuruͤcktrieb. Ihre al - ten Anſpruͤche hatten die Staͤnde der oͤſtreichiſchen Pro - vinzen zu einer wohlgegruͤndeten verfaſſungsmaͤßigen Ge - walt ausgebildet. Es war dabei ein nicht unbedeutender Unterſchied. Im Reiche hatte der Katholicismus die Ter - ritorien der katholiſchen Fuͤrſten wieder erfuͤllt: erſt als er weiter ging, in die Reichsſachen gewaltiger eingriff, diePäpſte* 27418Buch VII. Kap. 1. FortſchritteExiſtenz freier Staͤnde gefaͤhrdete, da fand er Widerſpruch. In den Erblanden ſtellte ſich ihm dagegen noch innerhalb der Territorialbefugniſſe die Macht proteſtantiſcher Landſaſ - ſen unuͤberwindlich entgegen. Im Ganzen war es aber der nemliche Sinn. In Oeſtreich ſagte man ſehr be - zeichnend: man muͤſſe ein Schwert mit dem andern in der Scheide halten.
Denn auch die andere Partei ſetzte ſich ſogleich in kriegeriſche Verfaſſung. Am 11. Juli 1609 ward ein Bund zwiſchen Maximilian von Baiern und ſieben geiſtlichen Herrn, den Biſchoͤfen von Wuͤrzburg, Conſtanz, Augsburg, Paſſau, Regensburg, dem Probſt von Ellwangen, dem Abt von Kempten, geſchloſſen, zu gemeinſchaftlicher Vertheidigung, in dem nach dem Muſter jenes alten Bundes zu Lands - perg1)An dieſen Landsperger Bund erinnert Maximilian in einer Inſtruction an ſeinen Geſandten nach Mainz, bei Wolf II, p. 470. der Herzog von Baiern eine außerordentliche Ge - walt bekam. Bald geſellten ſich, doch mit einer gewiſ - ſen Unabhaͤngigkeit, die drei rheiniſchen Churfuͤrſten hinzu. Erzherzog Ferdinand wuͤnſchte aufgenommen zu werden: Spanien erklaͤrte ſeinen Beifall: der Papſt verſprach, nichts zu unterlaſſen, was er fuͤr den Bund leiſten koͤnne. Man darf nicht zweifeln, daß ſich der Papſt beſonders durch ſpa - niſchen Einfluß nach und nach immer ſtaͤrker in die Inter - eſſen dieſer Liga verwickeln ließ2)Die Documente hieruͤber ſind nicht bekannt geworden; bis auf weiteres mag die Verſicherung des venezianiſchen Botſchafters Mocenigo genuͤgen..
Und ſo ſtellten ſich zwei feindſelige Parteien einander419der katholiſchen Reſtauration. Deutſchland.gegenuͤber, beide geruͤſtet, jede immer voll Furcht uͤber - raſcht, angegriffen zu werden, keine vermoͤgend die Sache zu einer großen Entſcheidung zu bringen.
Es folgt, daß man in Deutſchland keine Schwierig - keit mehr beſeitigen, keine gemeinſchaftliche Sache abthun kann.
Im Jahre 1611 ſoll zur Wahl eines roͤmiſchen Koͤ - nigs geſchritten werden: vergebens verſammeln ſich die Chur - fuͤrſten: ſie koͤnnen ſie nicht zu Stande bringen.
Im Jahr 1612 kann es doch ſelbſt nach dem Tode Rudolfs lange zu keiner Wahl kommen. Die drei weltli - chen Churfuͤrſten fordern die Einfuͤhrung eines paritaͤtiſchen Reichshofrathes durch die Wahlcapitulation: die drei geiſt - lichen ſetzen ſich dieſer Forderung entgegen. Nur dadurch daß Sachſen, das in allen dieſen Dingen eine große Er - gebenheit gegen das Haus Oeſtreich zeigt, auf die katholi - ſche Seite tritt, kann die Wahl vollzogen werden.
Was aber im Churfuͤrſtenrathe nicht durchgegangen, fordert die Union der Fuͤrſten an dem Reichstag von 1613 deſto ungeſtuͤmer: eben ſo entſchieden ſtellen ſich ihr die Katholiken entgegen: es kommt zu keiner Berathſchlagung mehr: die Proteſtanten wollen ſich dem Joche der Stim - menmehrheit nicht mehr unterwerfen.
In Juͤlich und Cleve, wo trotz der wechſelnden Stim - mungen der ſchwachen Regierung des letzten eingebornen Fuͤrſten zuletzt doch durch den Einfluß der lothringiſchen Gemahlin deſſelben ſtarke Maaßregeln fuͤr die Reſtaura - tion des Katholicismus ergriffen worden, ſchien es jetzt eine Zeitlang als muͤſſe der Proteſtantismus die Oberhand be -27*420Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittekommen: die naͤchſten Erben waren beide proteſtantiſch. Allein auch hier war das Prinzip der religioͤſen Spaltung das ſtaͤrkere. Von den proteſtantiſchen Praͤtendenten tritt der eine zum Katholicismus uͤber: auch hier ſetzen ſich die Parteien auseinander. Da ſie keinen hoͤchſten Richter an - erkennen, ſo ſchreiten ſie 1614 zu Thaͤtlichkeiten. Der eine greift mit ſpaniſcher, der andere mit niederlaͤndiſcher Huͤlfe ſo weit um ſich als er vermag, und reformirt ohne Weiteres den ihm zugefallenen Antheil auf ſeine Weiſe.
Wohl macht man Verſuche der Ausſoͤhnung. Es wird auf einen Churfuͤrſtentag angetragen: aber Churpfalz will davon nichts hoͤren, da es ſeinem Collegen von Sachſen nicht traut: — oder auf einen allgemeinen Compoſitionstag: die katholiſchen Staͤnde haben unzaͤhlige Gruͤnde ihm zu wider - ſprechen. Andere blicken auf den Kaiſer: ſie rathen ihm durch die Aufſtellung einer anſehnlichen Truppenmaſſe ſein Anſehen herzuſtellen. Aber was waͤre von Matthias zu er - warten geweſen, der ſchon durch den Urſprung ſeiner Gewalt beiden Parteien angehoͤrte, aber von den Feſſeln erdruͤckt, die er ſich angelegt, ſich zu keiner freien Thaͤtigkeit erheben konnte. Laut beſchwerte ſich der Papſt uͤber ihn: er er - klaͤrte ihn fuͤr untauglich eine ſo große Wuͤrde in dieſen Zeiten zu bekleiden, er ließ ihm in den ſtaͤrkſten Ausdruͤcken Vorſtellungen machen, und wunderte ſich nur daß der Kaiſer das ſo hinnahm. Spaͤter waren die Katholiken nicht ſo unzufrieden mit ihm. Selbſt die Eiferer erklaͤrten, er ſey ihrer Kirche nuͤtzlicher geworden, als man haͤtte glauben koͤnnen. Aber in Sachen des Reichs vermochte er nichts. Im Jahre 1617 machte er einen Verſuch die beiden Buͤndniſſe421der katholiſchen Reſtauration. Schweiz.aufzuloͤſen. Allein unmittelbar hierauf verjuͤngte ſich die Union, und die Liga ward ſo gut wie neu gegruͤndet.
Ein Zuſtand des Gleichgewichtes, wie er ſich ſchon ſeit geraumer Zeit, nur friedlicher, in der Schweiz entwickelt hatte.
Die Autonomie der Territorien war in der Schweiz ſchon laͤngſt ausgeſprochen: auf den Tagſatzungen durfte nicht einmal von Religionsſachen gehandelt werden. Im Anfange des ſiebzehnten Jahrhunderts hegte man auf der katholiſchen Seite gar nicht einmal mehr die Hoffnung die Proteſtanten zu uͤberwaͤltigen: ſie waren nicht allein maͤch - tiger und reicher, ſie hatten auch geſchicktere, in den Ge - ſchaͤften geuͤbtere Maͤnner1)Informatione mandata dal Sr Cardl d’Aquino a Monsr Feliciano Vescovo di Foligno per il paese de’ Suizzeri e Gri - soni (Informationi Politt. IX. ) fuͤgt noch hinzu: Li cantoni cat - tolici sino a questi tempi sono tenuti più bellicosi che i can - toni heretici, ancora che quelli siano più potenti di genti al doppio e di denari: ma hoggi li cattolici si mostrano tanto affettionati e mutati da quelli antichi Suizzeri che se non fosse particolare gratia del Signore, humanamente parlando, poco o veruno avvantaggio haverebbero questi sopra gli avversarii here - tici, e non sarebbe sicuro senza ajuto straniero il venir a rot - tura con essi, oltre che li medesimi protestanti hanno persone più dotte, prattiche, giudiciosi e potenti in ogni affare. .
Die Nuntien, die in Luzern ihren Sitz aufgeſchlagen, taͤuſchten ſich hieruͤber nicht: ſie ſelbſt ſind es, die dieſen Zuſtand der Dinge bezeichnen. Jedoch auch bei dieſer Be - ſchraͤnkung ihres Wirkungskreiſes in der Mitte der Katho -422Buch VII. Kap. 1. Fortſchritteliken, nahmen ſie noch immer eine recht bedeutende Stel - lung ein.
Ihre vornehmſte Abſicht war, die Biſchoͤfe zu ihrer Pflicht anzuhalten1)Relatione della nuntiatura de’ Suizzeri: L’esperienza mi ha mostrato che per far frutto nella nuntiatura non è bene che i nuntii si ingerischino nelle cose che possono fare i vescovi e che spettano a gli ordinarii, se non in sussidio e con vera necessità: perchè mettendosi mano ad ogni cosa indifferente - mente, non solo essi vescovi si sdegnano, ma si oppongono spesse volte e rendono vana ogni fatica del ministro apostolico, oltre che è contro la mente di monsignore e delli canoni che si metta mano nella messe aliena mandandolì i nuntii per ajutare e non per distruggere l’autorità degli ordinarii. . Die Biſchoͤfe deutſcher Nation be - trachteten ſich gern als Fuͤrſten: unaufhoͤrlich ſtellten ihnen die Nuntien vor, daß ſie das doch bloß um ihres geiſtli - lichen Berufes willen ſeyen, und ſchaͤrften ihnen dieſen ein. In der That finden wir viel Leben in der ſchweizeriſchen Kirche. Viſitationen werden ausgefuͤhrt, Synoden veran - ſtaltet, Kloͤſter reformirt, Seminarien geſtiftet. Die Nun - tien ſuchen das gute Vernehmen zwiſchen der geiſtlichen und der weltlichen Gewalt zu erhalten: durch Milde und Ueberredung kommen ſie darin ziemlich zum Ziele. Es ge - lingt ihnen, das Eindringen proteſtantiſcher Schriften zu verhindern, wenn ſie ſich auch beſcheiden muͤſſen, den Leu - ten ihre Bibeln und ihre deutſchen Gebetbuͤcher zu laſſen. Mit großem Erfolge arbeiten Jeſuiten und Capuziner. Ma - rianiſche Sodalitaͤten werden geſtiftet: ſie umfaſſen Alt und Jung: Predigt und Beichte werden eifrig beſucht: die Wall - fahrten zu den wunderthaͤtigen Bildern nehmen wieder uͤber - hand: und man muß zuweilen die Strenge mildern, die423der katholiſchen Reſtauration. Schweiz.ſich der Eine oder der Andere auflegt1)Ein Beiſpiel geben: Literae annuae societatis Jesu 1596 p. 187. Modus tamen rigido illi jejunio est a confessario ad - hibitus. . Die Nuntien wiſſen die Dienſte die ihnen beſonders die italieniſchen Ca - puziner leiſten nicht genug zu ruͤhmen.
Und ſo kommen denn auch Bekehrungen vor. Die Nuntien nehmen die Convertiten bei ſich auf, unterſtuͤtzen, empfehlen ſie: ſie ſuchen aus den Beitraͤgen der Glaͤubi - gen unter der Aufſicht von Praͤlaten Caſſen zu Gunſten der Neubekehrten zu gruͤnden. Zuweilen gelingt es, verlo - ren gegebene Jurisdictionen wieder zu gewinnen: dann eilt man die Meſſe daſelbſt wiederherzuſtellen. Der Biſchof von Baſel, der Abt zu St. Gallen zeigen ſich hierin beſon - ders eifrig.
In alle dem kommt es nun den Nuntien ſehr zu Statten, daß der Koͤnig von Spanien ſich eine Partei in der katholiſchen Schweiz gemacht hat. Die Anhaͤnger von Spanien, z. B. die Luſt in Unterwalden, die Amli in Luzern, die Buͤhler in Schwyz, und wie ſie alle heißen, ſind in der Regel auch dem roͤmiſchen Stuhl am ergeben - ſten. Die Nuntien verfehlen nicht, dieſe Neigungen nach Kraͤften zu pflegen. Sie beobachten jede denkbare Ruͤck - ſicht. Die laͤngſten und langweiligſten Reden hoͤren ſie ge - duldig an: ſie ſparen nicht mit Titeln: ſie zeigen ſich als große Bewunderer der alten Thaten der Nation und der Weisheit ihrer republikaniſchen Einrichtungen. Beſonders finden ſie es nothwendig ihre Freunde durch regelmaͤßig wiederkehrende Geſtgebote zuſammenzuhalten: ſie ſelbſt er -424Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittewiedern jede Einladung, jede Ehre, die man ihnen er - weiſt, mit einem Geſchenk: Geſchenke vor allem ſind hier wirkſam: wer zum Ritter vom goldenen Sporn ernannt worden, und dazu eine goldene Kette, eine Medaille er - halten, fuͤhlt ſich ihnen auf ewig verpflichtet. Nur muͤſ - ſen ſie ſich huͤten etwas zu verſprechen was ſie nicht ge - wiß waͤren zu halten: koͤnnen ſie mehr leiſten, als ſie zu - geſagt, ſo wird ihnen das deſto hoͤher angerechnet. Ihr Haushalt muß immer wohlgeordnet ſeyn und keinem Ta - del Raum geben.
So geſchah es nun, daß die katholiſchen Intereſſen auch in der Schweiz im Allgemeinen in gute Aufnahme und ruhigen Fortſchritt gelangten.
Es gab nur Einen Punkt, wo der Gegenſatz zwi - ſchen Proteſtanten und Katholiken innerhalb Eines Gebie - tes, zuſammentreffend mit ſchwankenden politiſchen Verhaͤlt - ſen, Gefahr und Kampf veranlaſſen konnte.
In Graubuͤndten war die Regierung weſentlich prote - ſtantiſch: unter ihren Landſchaften waren dagegen die ita - lieniſchen, vor allem Valtellina, unerſchuͤtterlich katholiſch.
Daher kam es hier zu unaufhoͤrlichen Reibungen. Die Regierung litt keine fremden Prieſter im Thal: ſie hatte verboten, ſelbſt eine auswaͤrtige Jeſuitenſchule zu beſuchen: ſie geſtattete nicht einmal dem Biſchof von Como, zu deſ - ſen Dioͤceſe Valtellina gehoͤrte, ſein biſchoͤfliches Amt da - ſelbſt auszuuͤben. Dagegen ſahen auch die Eingeborenen mit großem Mißvergnuͤgen Proteſtanten in ihrem Lande, und zwar als die Herrn und Meiſter deſſelben: ſie hielten ſich innerlich doch zu den Italienern, zu dem rechtglaͤubigen Mai -425der katholiſchen Reſtauration. Schweiz.land: aus dem Collegium Helveticum daſelbſt, wo allein ſechs Stellen fuͤr das Thal beſtimmt waren, gingen im - mer aufs neue junge Theologen hervor, welche ihren Eifer entzuͤndeten1)Relne della nuntiatura: Il collegio Elvetico di Milano è di gran giovamento, et è la salute in particolare della Val Te - lina, che quanti preti ha, sono soggetti di detto collegio, e quasi tutti dottorati in theologia. .
Es war das aber darum ſo gefaͤhrlich, weil Frank - reich, Spanien und Venedig nach Kraͤften wetteiferten ſich in Graubuͤndten eine Partei zu machen: Parteien, die ſich nicht ſelten mit offener Gewalt bekaͤmpften, und eine die andere aus der Stelle trieben. Im Jahre 1607 nahm zuerſt die ſpaniſche, gleich darauf die veneziani - ſche Faction Chur ein. Jene zerriß die Buͤndniſſe, dieſe ſtellte dieſelben wieder her. Die ſpaniſche hatte katholiſche, die venezianiſche proteſtantiſche Sympathien; wonach ſich dann die ganze Politik des Landes beſtimmte. Hauptſaͤch - lich kam es darauf an, fuͤr welche Seite Frankreich war. Die Franzoſen hatten in der ganzen Schweiz, nicht allein in der katholiſchen, ſondern auch in der proteſtantiſchen, ihre Penſionaͤre: in Graubuͤndten genoſſen ſie alten Einfluß. Um das Jahr 1612 waren ſie fuͤr das katholiſche Intereſſe: dem Nuntius gelang es, ihre Freunde fuͤr Rom zu gewin - nen: das venezianiſche Buͤndniß ward ſogar foͤrmlich aufge - kuͤndigt.
Parteienkaͤmpfe die an ſich wenig Aufmerkſamkeit ver - dienen wuͤrden, die aber dadurch eine hoͤhere Bedeutung bekamen, daß die Oeffnung oder Schließung der buͤndtne -426Buch VII. Kap. 1. Fortſchritteriſchen Paͤſſe fuͤr die eine oder die andere Macht davon ab - hing. Wir werden ſehen, daß ſie ein Gewicht in die Waag - ſchale der allgemeinen Verhaͤltniſſe der Politik und der Re - ligion warfen.
Da iſt nun die vornehmſte Frage, welche Stellung Frankreich uͤberhaupt in religioͤſer Hinſicht annahm.
Der erſte Blick zeigt, daß ſich die Proteſtanten noch immer uͤberaus maͤchtig daſelbſt hielten.
Heinrich IV. hatte ihnen das Edict von Nantes ge - waͤhrt, durch das ihnen nicht allein der Beſitz der Kirchen die ſie inne hatten, beſtaͤtigt, ſondern Antheil an den oͤf - fentlichen Lehranſtalten, paritaͤtiſche Kammern in den Par - lamenten, Sicherheitsplaͤtze in großer Anzahl uͤberlaſſen, und uͤberhaupt eine Unabhaͤngigkeit eingeraͤumt wurde, von der man fragen konnte, ob ſie ſich mit der Idee des Staates vertrage. Um das Jahr 1600 zaͤhlte man 760 Kirchen - ſprengel der franzoͤſiſchen Proteſtanten: alle wohl geordnet: 4000 Edelleute hielten ſich zu dieſem Bekenntniß: man rech - nete, daß es ohne Muͤhe 25000 Streiter ins Feld ſtellen koͤnne: es beſaß bei 200 befeſtigte Plaͤtze. Eine ehrfurchtge - bietende Macht, die man nicht ungeſtraft beleidigen durfte1)Badoer: Relatione di Francia 1605..
Neben ihnen aber, und im Gegenſatz mit ihnen erhob ſich zugleich eine zweite Macht, die Corporation des ka - tholiſchen Clerus in Frankreich.
Die großen Beſitzthuͤmer der franzoͤſiſchen Geiſtlichkeit427der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.gaben ihr an und fuͤr ſich eine gewiſſe Unabhaͤngigkeit; da - durch aber daß ſie zur Theilnahme an den Staatsſchulden herbeigezogen worden, kam dieß auch zur Darſtellung und zum Bewußtſeyn1)In den Mémoires du clergé de France tom. IX — Re - cueil des contrats passés par le clergé avec les rois — fin - det man die Actenſtuͤcke hieruͤber vom Jahre 1561 an. Auf der Ver - ſammlung von Poiſy in dieſem Jahre nemlich uͤbernahm der Clerus, einen bedeutenden Theil der Staatsſchulden nicht allein zu verzinſen, ſondern auch abzuloͤſen. Die Abloͤſung kam nicht zu Stande: dage - gen blieb es bei der Verpflichtung die Zinſen zu zahlen. Es waren hauptſaͤchlich die Schulden die beim Hotel de Ville von Paris ge - macht worden, und dieſer Stadt kamen die Zinſen zu gute: eine beſtimmte Rente ward ihr jaͤhrlich von der Geiſtlichkeit. Man ſieht weshalb Paris, auch wenn es nicht ſo gut katholiſch geweſen waͤre wie es war, doch den Ruin der Geiſtlichkeit niemals haͤtte geſtat - ten, das Verderben der geiſtlichen Guͤter, ſeiner Hypothek, niemals haͤtte zugeben duͤrfen..
Denn nicht ſo ganz erzwungen war dieſe Theilnahme, daß die Verpflichtung zu derſelben nicht von Zeit zu Zeit mit den Formen einer freiwilligen Entſchließung haͤtte wie - derholt werden muͤſſen.
Unter Heinrich IV. bekamen die Zuſammenkuͤnfte die zu dem Ende gehalten wurden, eine regelmaͤßigere Geſtalt. Sie ſollten von zehn Jahr zu zehn Jahr wiederholt wer - den: alle Mal im Mai, wo die Tage lang ſind und ſich viel thun laͤßt: niemals zu Paris, um keine Zerſtreuung zu veranlaſſen: alle zwei Jahre ſollten kleinere Verſamm - lungen Statt finden um die Rechnungen abzunehmen.
Es laͤßt ſich an ſich nicht erwarten, daß dieſe Ver - ſammlungen, namentlich die groͤßern, bei ihren finanziellen Verbindlichkeiten haͤtten ſtehn bleiben ſollen. Schon die428Buch VII. Kap. 1. FortſchritteErfuͤllung derſelben gab ihnen Muth zu umfaſſendern Be - ſchluͤſſen. In den Jahren 1595 und 1596 beſchloſſen ſie, die Provinzialconcilien zu erneuern, ſich den Eingriffen der weltlichen Gerichtsbarkeit in die geiſtliche Amtsfuͤhrung zu widerſetzen, keine Simonie zu dulden, und was dem mehr iſt: der Koͤnig gab nach einigem Schwanken ſeine Zuſtim - mung hiezu1)Relation des principales choses qui ont esté resolues dans l’assemblée generale du clergé tenue à Paris ès années 1595 et 1596, envoyée à toutes les dioceses. Mémoires du clergé tom. VIII, p. 6.. Es war die Regel, daß der Clerus allge - meine Vorſtellungen in Bezug auf Kirchen und Kirchen - zucht machte. Der Koͤnig konnte ſich denſelben unmoͤglich entziehen: es ging nie ohne neue Bewilligungen ab. Bei der naͤchſten Zuſammenkunft begann dann der Clerus mit der Unterſuchung, ob ſie auch ausgefuͤhrt worden ſeyen.
Sehr eigenthuͤmlich ward hiedurch die Stellung Hein - richs IV. zwiſchen zwei Corporationen, die beide eine ge - wiſſe Selbſtaͤndigkeit hatten, beide ihre Verſammlungen in den beſtimmten Zeiten hielten, und ihn dann mit entgegen - geſetzten Vorſtellungen beſtuͤrmten, denen er ſich in der That weder auf der einen noch auf der andern Seite ſo leicht entgegenſetzen konnte.
Sein Sinn war im Allgemeinen ohne Zweifel, das Gleichgewicht zwiſchen ihnen zu erhalten, ſie nicht in neuen Kampf gerathen zu laſſen: fragen wir aber, welchem von beiden Theilen er am geneigteſten war und durch die That den groͤßten Vorſchub leiſtete, ſo iſt das doch offen - bar der katholiſche, obwohl ſein eignes Emporkommen ſich von dem proteſtantiſchen herſchrieb.
429der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.Dankbar war Heinrich nun einmal eben ſo wenig wie rachſuͤchtig: es lag ihm mehr daran neue Freunde zu ge - winnen, als die alten zu belohnen, zu beguͤnſtigen.
Hatten ihn nicht in der That die Proteſtanten ſelbſt zu jenem Edict bereits zwingen muͤſſen? Er gewaͤhrte es ihnen nur in einem Augenblick, wo er von den ſpaniſchen Waffen bedraͤngt war, und ſie zugleich eine ſehr drohende kriegeriſche Stellung einnahmen1)Geht unwiderſprechlich aus der Darſtellung von Benoist, Histoire de l’édit de Nantes I, 185, hervor.. In dem Sinne in welchem ſie ihre Freiheiten erworben, bedienten ſie ſich derſelben nun auch. Sie bildeten eine Republik, auf die der Koͤnig nur wenig Einfluß hatte; von Zeit zu Zeit ſprachen ſie ſogar davon, ſich einen andern auswaͤrtigen Protector zu waͤhlen.
Der Clerus dagegen ſchloß ſich dem Koͤnig an: er for - derte keine Geldhuͤlfe, er leiſtete deren: ſeine Unabhaͤngig - keit konnte nicht gefaͤhrlich werden, da ja der Koͤnig die Beſetzung der Stellen in ſeiner Hand hatte. In ſo fern die Stellung der Hugenotten, wie am Tage lag, eine Be - ſchraͤnkung der koͤniglichen Gewalt enthielt, hing deren Ausdehnung ſogar offenbar mit dem Fortſchritte des Ka - tholicismus zuſammen2)Niccolò Contarini: Il re se ben andava temporeggiando con le parti e li suoi ministri e consiglieri fussero dell’ una e l’altra religione, pur sempre più si mostrava alienarsi dagli Ugo - noti e desiderarli minori: la ragione principal era perchè te - nendo essi per li editti di pace molte piazze nelle loro mani, delle quali ben trenta erano di molto momento, senza di queste li pareva non essere assolutamente re del suo regno. .
Schon im Jahre 1598 erklaͤrte der Koͤnig dem Cle - rus, ſeine Abſicht ſey die katholiſche Kirche wieder ſo bluͤ -430Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittehend zu machen, wie ſie vor hundert Jahren geweſen: er bat ihn nur um Geduld und Vertrauen: Paris ſey nicht an Einem Tage gebaut worden1)Mémoires du clergé tom. XIV p. 259..
Ganz auf eine andere Weiſe wurden nun die Rechte des Concordats ausgeuͤbt als fruͤher: die Pfruͤnden gelang - ten nicht mehr an Kinder und Frauen: der Koͤnig ſah bei der Beſetzung geiſtlicher Stellen ſehr ernſtlich auf Ge - lehrſamkeit, Geſinnung und erbauliches Leben.
„ In allen aͤußerlichen Dingen “, ſagt ein Venezianer, „ zeigt er ſich perſoͤnlich der roͤmiſch-katholiſchen Religion zugethan und der entgegengeſetzten abgeneigt. “
In dieſem Sinne war es, daß er die Jeſuiten zuruͤck - berief. Er glaubte, daß ihr Eifer zur Herſtellung des Ka - tholicismus und dadurch auch zur Erweiterung der koͤnig - lichen Gewalt, wie er ſie jetzt verſtand, beitragen muͤßte2)Contarini: per abbassamento del quale (del partito de - gli Ugonotti) s’imaginò di poter dar gran colpo col richiamar li Gesuiti, pensando anco in questa maniera di toglier la radice a molte congiure. Den Parlamenten habe er geantwortet, man moͤge ihn ſeines Lebens verſichern, und das Exil der Jeſuiten ſolle nie aufhoͤren..
Doch wuͤrde dieß alles wenig geholfen haben, waͤre nicht die bereits begonnene innere Regeneration der katho - liſchen Kirche in Frankreich in dieſer Zeit maͤchtig fortge - ſchritten. In den beiden erſten Decennien dieſes Jahrhun - derts nahm ſie in der That eine neue Geſtalt an. Werfen wir noch einen Blick auf dieſe Umwandlung, beſonders auf die Verjuͤngung der Kloſterzucht, in der ſie ſich darſtellt.
Mit großem Eifer wurden die alten Orden reformirt, Dominicaner, Franciscaner, Benedictiner.
431der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.Die Frauencongregationen wetteiferten mit ihnen. Die Feuillantines nahmen ſo uͤbertriebene Buͤßungen vor, daß einſt in Einer Woche vierzehn dadurch umgekommen ſeyn ſollen: der Papſt ſelbſt mußte ſie zur Milderung ihrer Strenge ermahnen1)Helyot: Histoire des ordres monastiques V p. 412.. Im Portroyal ward Gemeinſchaft der Guͤter, Stillſchweigen, Nachtwachen wieder eingefuͤhrt: Tag und Nacht ohne Aufhoͤren ward hier das Myſte - rium der Euchariſtie angebetet2)Felibien histoire de Paris II, 1339: ein Werk das fuͤr die Geſchichte dieſer Reſtauration uͤberhaupt von Werth iſt, und oft auf eigenthuͤmlichen Relationen beruht.. Ungemildert beobachte - ten die Nonnen von der Schaͤdelſtaͤtte die Regel des heil. Benedict: durch unausgeſetztes Gebet am Fuße des Kreuzes ſuchten ſie eine Art Buße fuͤr die Beleidigungen zu uͤben, die dem Baume des Lebens von den Proteſtanten zugefuͤgt wuͤrden3)La vie du véritable père Josef 1705 p. 53. 73..
In einem etwas andern Sinne hatte damals die h. Tereſa den Orden der Carmeliterinnen in Spanien refor - mirt. Auch ſie verordnete die ſtrengſte Clauſur: ſelbſt die Beſuche der Verwandten an dem Sprachgitter ſuchte ſie zu beſchraͤnken, nicht ohne Aufſicht blieb der Beichtvater. Jedoch ſah ſie in der Strenge nicht ſchon den Zweck. Sie ſuchte eine Stimmung der Seele hervorzurufen, welche ſie dem Goͤttlichen naͤhere. Da fand ſie nun, daß keine Ent - fernung von der Welt, kein Entſagen, keine Caſteiung das Gemuͤth in den Schranken halte deren es beduͤrfe, wenn nicht etwas anders hinzukomme: Arbeit, geradezu432Buch VII. Kap. 1. Fortſchrittehaͤusliche Beſchaͤftigung, weibliche Handarbeit, das Salz das die weibliche Seele vor Verderbung bewahre, durch welche den unnuͤtzen umherſchweifenden Gedanken die Thuͤr geſchloſſen werde. Doch ſollte dieſe Arbeit, wie ſie ferner anordnete, nicht koſtbar, kunſtreich, oder auf eine gewiſſe Zeit beſtellt ſeyn: ſie ſollte doch das Gemuͤth nicht ſelbſt beſchaͤftigen. Ihre Abſicht war, die Ruhe einer in Gott ſich ſelbſtbewußten Seele zu befoͤrdern, einer Seele, wie ſie ſagt, „ die immer lebt als ſtuͤnde ſie vor Gottes Angeſicht: die keinen Schmerz hat als ſeiner Gegenwart nicht zu ge - nießen “: ſie wollte hervorbringen, was ſie das Gebet der Liebe nennt, „ wo die Seele ſich ſelbſt vergißt, und die Stimme des himmliſchen Meiſters vernimmt “1)Diego de Yepes: Vita della gloriosa vergine S. Te - resa di Giesu, fondatrice de’ Carmelitani scalzi, Roma 1623, p. 303. Constituzioni principali § 3 p. 208. Die Exclamaciones o meditaciones de S. Teresa con algunos otros tratadillos, Brus - selas 1682, zeigen ihre Begeiſterung fuͤr unſer Gefuͤhl faſt in zu ho - hem Schwung.. Ein En - thuſiasmus der wenigſtens von ihr auf eine reine, großar - tige und naive Weiſe gefaßt ward, und in der ganzen ka - tholiſchen Welt den groͤßten Eindruck machte. Gar bald ward man auch in Frankreich inne, daß man noch etwas anders beduͤrfe als die bloße Bußuͤbung. Es ward ein eigener Abgeordneter nach Spanien geſchickt, Pierre Be - rulle, der auch endlich, obwohl nicht ohne Schwierigkeiten den Orden nach Frankreich uͤberpflanzte, wo er dann ſehr bald Wurzel faßte und die ſchoͤnſten Fruͤchte trug.
Auch die Stiftungen des Franz von Sales waren indie -433der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.dieſem mildern Sinne. Franz von Sales pflegte in allen ſeinen Beſchaͤftigungen mit heiterer Gemuͤthsruhe, ohne An - ſtrengung noch Eile zu Werke zu gehn. Mit ſeiner Ge - huͤlfin, Mère Chantal, ſtiftete er den Orden von der Heim - ſuchung ausdruͤcklich fuͤr ſolche, deren zartere Leibesbe - ſchaffenheit ſie abhalte in die ſtrengern Vereinigungen einzu - treten. Er vermied in ſeiner Regel nicht allein die eigentliche Buͤßung, und dispenſirte von den ſchwereren Pflichten: er warnte auch vor allen innerlichen Anmuthungen: ohne viel Nachgruͤbeln muͤſſe man ſich vor Gottes Angeſicht ſtellen, und nicht verlangen ihn mehr zu genießen als er ſich ſelbſt gewaͤhre: unter der Geſtalt von Entzuͤckungen verfuͤhre uns der Hochmuth: nur den gewoͤhnlichen Weg der Tugenden muͤſſe man wandeln. Deshalb machte er vor allem ſeinen Nonnen die Krankenpflege zur Pflicht. Immer zwei und zwei, eine die Oberin, die andere die Beigeſellte, ſollten die Schweſtern ausgehn, und die beduͤrftigen Kranken in ihren Haͤuſern aufſuchen. Mit den Werken, durch die Arbeit muͤſſe man beten, meinte Franz von Sales1)Z. B. bei Gallitia: Leben des h. Franz von Sales II, 285. Seine Geſinnung tritt aber in ſeinen eigenen Werken, beſonders der Anleitung zum andaͤchtigen Leben, am deutlichſten und anziehendſten hervor.. Ueber ganz Frankreich breitete ſein Orden eine wohlthaͤtige Wirkſam - keit aus.
Es iſt in dieſem Gange der Dinge, wie man leicht ſieht, ein Fortſchritt, von der Strenge zur Maͤßigung, von der Entzuͤckung zur Ruhe, von abgeſchiedener Bußuͤbung zur Erfuͤllung einer ſocialen Pflicht.
Päpſte* 28434Buch VII. Kap. 1. FortſchritteSchon waren auch die Urſulerinnen in Frankreich auf - genommen, deren viertes Geluͤbde es iſt, ſich dem Unter - richte junger Maͤdchen zu widmen: und die dieß mit be - wunderswuͤrdigem Eifer erfuͤllten.
Wie es ſich von ſelbſt verſteht, waren nun aͤhnliche Tendenzen auch in den Congregationen fuͤr Maͤnner lebendig.
Jean Baptiſte Romillon, der bis zu ſeinem 26ſten Jahre die Waffen wider den Katholicismus getragen, aber ſich dann zu demſelben bekehrt hatte, ſtiftete mit einem gleichge - ſinnten Freunde die Vaͤter der chriſtlichen Lehre, welche den Elementarunterricht in Frankreich neu begruͤndet haben.
Wir gedachten ſchon Berulles, eines der ausgezeichne - ten Geiſtlichen des damaligen Frankreichs. Von erſter Ju - gend an hatte er einen recht ernſten Eifer bewieſen ſich zum Dienſte der Kirche auszubilden: er hatte ſich dazu taͤglich, wie er ſagt, „ den wahrſten und innerlichſten Sinn ſeines Herzens “vorgehalten, welcher ſey „ nach der groͤßten Voll - kommenheit zu trachten “. Vielleicht haͤngt es mit den Schwie - rigkeiten die er hiebei fand zuſammen, daß ihm nichts ſo nothwendig ſchien, wie ein Inſtitut zur Bildung von Geiſt - lichen unmittelbar zum Kirchendienſt zu errichten. Er nahm ſich hiebei Philipp Neri zum Muſter: auch er ſtiftete Prie - ſter des Oratoriums. Er duldete keine Geluͤbde: er ließ nur einfache Verpflichtungen zu: er war großgeſinnt genug um zu wuͤnſchen daß ſich ein Jeder wieder entferne, der den Geiſt dazu nicht in ſich ſpuͤre. In der That hatte nun auch ſein Inſtitut ungemeinen Fortgang: durch ſeine Milde zog es auch vornehmere Zoͤglinge an: bald ſah ſich Berulle an der Spitze einer glaͤnzenden, kraͤftigen, gelehri -435der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.gen Jugend: biſchoͤfliche Seminarien, gelehrte Schulen wur - den ihm uͤbertragen: in der Geiſtlichkeit, die aus dem In - ſtitut hervorging, regte ſich ein neuer, friſcher Geiſt. Eine ganze Anzahl bedeutender Prediger hat es gebildet: von dieſer Zeit an ſetzte ſich der Charakter der franzoͤſiſchen Pre - digt feſt1)Tabaraud: Histoire de Pierre de Berulle Paris 1817..
Und koͤnnten wir an dieſer Stelle der Congregation von S. Maur vergeſſen? Indem die franzoͤſiſchen Bene - dictiner ſich der in Lothringen vollzogenen Reformation die - ſes Ordens anſchloſſen, fuͤgten ſie den uͤbrigen Obliegenhei - ten die Verpflichtung hinzu ſich der Erziehung des jun - gen Adels und der Gelehrſamkeit zu widmen. Bald im Anfang erſchien dann der ruhmwuͤrdige Mann unter ihnen, Nicolaus Hugo Ménard, der ihren Studien die Richtung auf die kirchlichen Alterthuͤmer gab, der wir ſo viele groß - artige Werke verdanken2)Filipe le Cerf: Bibliotheque historique et critique des auteurs de la congregation de S. Maur p 355..
Schon waren auch die barmherzigen Bruͤder, Stif - tung jenes unermuͤdlichen Krankenpflegers Johannes a Deo3)Approbatio congregationis fratrum Johannis Dei 1572 Kal. Jan. (Bullar. Cocquel. IV, III, 190.) , eines Portugieſen, dem ein ſpaniſcher Biſchof in einem Augenblick der Bewunderung dieſen Beinamen gege - ben, durch Maria Medici in Frankreich eingefuͤhrt worden: ſie nahmen hier eine noch ſtrengere Regel an, aber nur um ſo mehr Nachfolge fanden ſie: in kurzem ſehen wir 30 Spi - taͤler von ihnen gegruͤndet.
28*436Buch VII. Kap. 1. FortſchritteWelch ein Vorhaben iſt es aber, ein ganzes Reich religioͤs umzugeſtalten, in Eine Richtung des Glaubens und der Lehre hinzureißen. In den tiefern Regionen, in dem Landvolke, bei den Landpfarrern ſelbſt, gingen an vie - len Orten noch immer die alten Mißbraͤuche in Schwange. Mitten in der allgemeinen Regung erſchien endlich auch der große Miſſionar der gemeinen Leute, Vincenz von Paul, der die Congregation der Miſſion ſtiftete, deren Mitglieder von Ort zu Ort ziehend, die religioͤſen Anregungen bis in die ent - fernteſten Winkel des Landes ausbreiten ſollten. Vincentius war ſelbſt ein Bauernſohn, demuͤthig, voll von Eifer und praktiſchem Sinne1)Stolberg: Leben des heiligen Vincentius von Paulus. Muͤn - ſter 1818. Nur haͤtte der gute Stolberg ſeinen Helden nicht als den „ Einen Mann durch den Frankreich erneuert ward “(p. 6. p. 399) betrachten ſollen.. Auch der Orden der barmherzigen Schweſtern, in welchem ſich das zartere Geſchlecht noch in dem Alter worin es alle Anſpruͤche auf haͤusliches Gluͤck oder weltlichen Glanz zu machen haͤtte, dem Dienſte der Kranken, oft der verworfenen weihet, ohne auch nur die religioͤſe Geſinnung, von der dieſe ganze Thaͤtigkeit aus - geht, anders als fluͤchtig aͤußern zu duͤrfen, verdankt ihm ſeine Entſtehung.
Beſtrebungen, wie ſie in chriſtlichen Laͤndern gluͤckli - cherweiſe immer aufs neue hervorgetreten ſind: der Erzie - hung, des Unterrichts, der Predigt, gelehrter Studien, der Wohlthaͤtigkeit. Nirgends werden ſie ohne Vereinigung mannigfaltiger Kraͤfte und religioͤſer Begeiſterung gedeihen. Anderwaͤrts uͤberlaͤßt man ſie dem ſich immer verjuͤngenden437der katholiſchen Reſtauration. Frankreich.Geſchlechte, dem jedesmaligen Beduͤrfniß. Hier ſucht man den Vereinigungen eine unerſchuͤtterliche Grundlage, dem re - ligioͤſen Antriebe eine feſte Form zu geben: um alles dem unmittelbaren Dienſte der Kirche zu weihen, und die kuͤnf - tigen Geſchlechter unvermerkt zu demſelben Sinne heran - zuziehen.
In Frankreich zeigten ſich nun in kurzem die groͤß - ten Erfolge. Schon unter Heinrich IV. ſahen ſich die Proteſtanten durch eine ſo tiefgreifende als ausgebreitete Thaͤtigkeit einer entgegengeſetzten Geſinnung beſchraͤnkt und gefaͤhrdet, eine Zeit lang hatten ſie keinen Fortgang mehr: aber gar bald erlitten ſie Verluſte, bereits unter Heinrich IV. klagen ſie, daß der Abfall in ihren Reihen beginne.
Und doch war Heinrich ſchon durch ſeine Politik ge - noͤthigt ihnen Beguͤnſtigungen widerfahren zu laſſen und ſich den Zumuthungen des Papſtes, der ſie z. B. von al - len oͤffentlichen Stellen ausgeſchloſſen wiſſen wollte, zu widerſetzen.
Unter Maria Medici aber verließ man die bisherige Politik: man ſchloß ſich um Vieles enger an Spanien an: eine entſchieden katholiſche Geſinnung bekam in allen in - nern und aͤußern Geſchaͤften die Oberhand. Wie am Hofe, ſo hatte ſie ſelbſt in der Staͤndeverſammlung das Uebergewicht. Von den beiden erſten Staͤnden ward im Jahre 1614 nicht allein die Publication des Tridentinums, ſondern ſogar die Herſtellung der Kirchenguͤter in Bearn ausdruͤcklich gefordert.
Da war es nun fuͤr die Proteſtanten, in denen doch auch ein lebendiges kirchliches Leben waltete, um dieß nicht438Buch VII. Kap. 1. Frankreich.unterdruͤckt zu ſehen ein großes Gluͤck, daß ſie politiſch noch immer ſo ſtark, daß ſie ſo gut geruͤſtet waren. Wie ſich die Regierung mit ihren Gegnern vereinigt hatte, ſo fanden ſie an maͤchtigen Mißvergnuͤgten, an denen es dort nie - mals gefehlt hat noch fehlen wird, Ruͤckhalt und Huͤlfe. Es dauerte noch eine Weile ehe man ſie geradezu angrei - fen konnte.
So verſchieden auch die Zuſtaͤnde ſeyn moͤgen, welche ſich hiedurch entwickelt haben, ſo treffen ſie doch in einem großen Reſultat zuſammen. Allenthalben iſt der Katholi - cismus gewaltig vorgedrungen: allenthalben iſt er auch auf einen maͤchtigen Widerſtand geſtoßen. In Polen vermag er ſeine Widerſacher ſchon darum nicht zu erdruͤcken, weil ſie an den benachbarten Reichen einen unuͤberwindlichen Ruͤckhalt finden. In Deutſchland hat ſich eine eng ge - ſchloſſene Oppoſition dem vordringenden Dogma, der zu - ruͤckkehrenden Prieſterſchaft entgegengeworfen. Der Koͤnig von Spanien hat ſich entſchließen muͤſſen den vereinigten Niederlanden einen Stillſtand zu gewaͤhren, der nicht viel weniger als eine foͤrmliche Anerkennung in ſich enthaͤlt. Die franzoͤſiſchen Hugenotten ſind durch feſte Plaͤtze, kriegs - bereite Mannſchaften und zweckdienliche finanzielle Einrich - tungen gegen jeden Angriff geruͤſtet. In der Schweiz iſt das Gleichgewicht der Parteien ſchon lange ausgebildet, und440Buch VII. Kap. 2. Ausbruchauch der regenerirte Katholicismus vermag es nicht zu er - erſchuͤttern.
Europa iſt in zwei Welten geſchieden, die ſich auf je - den Punkt umfaſſen, beſchraͤnken, ausſtoßen, bekaͤmpfen.
Vergleichen wir ſie im Allgemeinen, ſo ſtellt die ka - tholiſche Seite zunaͤchſt eine bei weitem groͤßere Einheit dar. Zwar wiſſen wir wohl, daß es ihr nicht an innern Feind - ſeligkeiten fehlt, aber dieſe ſind doch fuͤrs Erſte beſchwich - tigt. Vor allem, zwiſchen Frankreich und Spanien beſteht ein gutes und ſogar vertrauliches Vernehmen: dann will es nicht viel ſagen, daß ſich der alte Widerwille von Venedig oder Savoyen zuweilen regt: ſelbſt ſo gefaͤhrliche Attentate wie jene Verſchwoͤrung gegen Venedig gehn ohne Erſchuͤt - terung voruͤber. Papſt Paul V. zeigte ſich, nachdem ihm ſeine erſten Erfahrungen eine ſo nachdruͤckliche Lehre er - theilt, ruhig und gemaͤßigt, er verſtand es den Frieden zwiſchen den katholiſchen Maͤchten aufrecht zu erhalten, und dann und wann gab er einen Moment der gemeinſchaftli - chen Politik an. Die Proteſtanten dagegen hatten nicht allein uͤberhaupt keinen Mittelpunkt: ſeit dem Tode der engliſchen Eliſabeth und der Thronbeſteigung Jakobs I, der von Anfang an eine etwas zweideutige Politik beobachtete, nicht einmal eine vorwaltende Macht. Lutheraner und Re - formirte ſtanden einander mit einem Widerwillen gegenuͤber, der nothwendig zu entgegengeſetzten politiſchen Maaßregeln fuͤhrte. Aber auch die Reformirten ſelbſt waren unter ein - ander entzweit: Episcopalen und Puritaner, Arminianer und Gomariſten bekaͤmpften ſich mit wildem Haß: in der Aſſemblee der Hugenotten zu Saumur von 1611 brach441eines allgemeinen Krieges.ein Zwieſpalt aus, der niemals wieder gruͤndlich beigelegt werden konnte.
Gewiß, man duͤrfte dieſen Unterſchied nicht von einer geringeren Lebendigkeit der religioͤſen Bewegung innerhalb des Katholicismus herleiten: wir nahmen eben das Gegen - theil wahr. Eher ließe ſich folgender Grund angeben. In dem Katholicismus war nicht jene Energie der ausſchlie - ßenden Dogmatik, die den Proteſtantismus beherrſchte: es gab wichtige Streitfragen, welche man unausgemacht ließ; Enthuſtasmus, Myſtik und die tiefere, nicht bis zur Klar - heit des Gedankens durchzubildende Sinnesweiſe, die ſich aus religioͤſen Tendenzen von Zeit zu Zeit immer wieder erheben muß, ward von dem Katholicismus in ſich aufge - nommen, geregelt, in den Formen kloͤſterlicher Ascetik dienſt - bar gemacht, von dem Proteſtantismus dagegen zuruͤckge - wieſen, verdammt und ausgeſtoßen. Eben darum brach dann unter den Proteſtanten eine ſolche Geſinnung, ſich ſelbſt uͤberlaſſen, in mancherlei Secten hervor, und ſuchte ſich einſeitig aber frei ihre eigenen Bahnen.
Dem entſpricht es, daß die Literatur uͤberhaupt auf der katholiſchen Seite um vieles mehr Geſtalt und Re - gel gewonnen hatte. Wir koͤnnen ſagen, unter den Auſpi - cien der Kirche ſetzten ſich in Italien zuerſt die modern - claſſiſchen Formen durch: in Spanien naͤherte man ſich ih - nen, ſo weit es der Geiſt der Nation immer zuließ: ſchon begann eine aͤhnliche Entwickelung in Frankreich, wo ſie ſich ſpaͤter ſo vollkommen ins Werk geſetzt, ſo glaͤnzende Re - ſultate hervorgebracht hat. Malherbe trat auf, der ſich zuerſt der Regel willig unterwarf und alle Licenz ſelbſtbe -442Buch VII. Kap. 2. Ausbruchwußt fahren ließ1)Ueber die Sinnesweiſe Malherbes und ſeine Art zu arbei - ten finden ſich neue bemerkenswerthe Zuſaͤtze zu der Lebensbeſchrei - bung des Dichters von Racan in den Mémoires oder vielmehr Hi - storiettes de Tallemant des Reaux, herausgegeben von Monmerqué 1834 I, p. 195., und der nun der monarchiſch-katholi - ſchen Geſinnung die er hegte durch die epigrammatiſche Praͤ - ciſion, die etwas proſaiſche aber dem Sinne der Franzoſen entſprechende Popularitaͤt und Eleganz, mit welcher er ſie ausſprach, einen neuen Nachdruck verlieh. In den germa - niſchen Nationen konnte dieſe Richtung damals ſelbſt auf der katholiſchen Seite noch nicht zur Herrſchaft gelangen: ſie ergriff nur erſt die lateiniſche Poeſie, wo ſie aber doch wirk - lich zuweilen, ſelbſt bei unſerm Balde, der ſonſt ein ausge - zeichnetes Talent hat, wie eine Parodie herauskommt; in der Mutterſprache blieb noch alles der Ausdruck der Na - tur. Noch viel weniger aber konnte ſich die Nachahmung der Antike in dieſen Voͤlkern auf der proteſtantiſchen Seite durchſetzen. Shakeſpeare ſtellte den Inhalt und Geiſt der Ro - mantik in unvergaͤnglichen frei hervorgebrachten Formen vor Augen: Alterthum und Hiſtorie mußten ſeinem Sinne dienen. Aus einer deutſchen Schuhmacherwerkſtatt gingen, dunkel, formlos und unergruͤndlich, aber mit unwiderſteh - licher Kraft der Anziehung, Werke deutſchen Tiefſinns und religioͤſer Weltanſchauung hervor die ihres Gleichen nicht haben, freie Geburten der Natur.
Jedoch ich will nicht verſuchen den Gegenſatz dieſer beiden einander gegenuͤberſtehenden geiſtigen Welten darzu - ſtellen: um ihn ganz zu faſſen, muͤßten wir der proteſtan - tiſchen Seite eine groͤßere Aufmerkſamkeit gewidmet haben. 443eines allgemeinen Krieges.Nur noch einen fuͤr die Begebenheit ſelbſt unmittelbar wirk - ſamen Moment ſey mir verſtattet hervorzuheben.
In dem Katholicismus herrſchten jetzt die monarchi - ſchen Tendenzen vor. Ideen von popularen Berechtigungen, von geſetzlichem Widerſtande gegen die Fuͤrſten, von Volks - ſouveraͤnetaͤt und Koͤnigsmord, wie ſie dreißig Jahre fruͤ - her ſelbſt von den eifrigſten Katholiken verfochten worden, waren nicht mehr an der Zeit. Es gab jetzt keinen bedeu - tenden Gegenſatz einer katholiſchen Bevoͤlkerung gegen ei - nen proteſtantiſchen Fuͤrſten: ſelbſt mit Jacob I. von Eng - land vertrug man ſich: jene Theorien fanden keine Anwen - dung mehr. Schon daraus folgte, daß das religioͤſe Prin - zip ſich dem dynaſtiſchen immer enger anſchloß: es kam, wenn ich mich nicht irre, hinzu, daß die fuͤrſtlichen Perſoͤn - lichkeiten auf der katholiſchen Seite ein gewiſſes Uebergewicht entwickelten. Wenigſtens darf man das von Deutſchland ſagen. Da lebte noch der alte Biſchof Julius von Wuͤrz - burg, der bei uns den erſten durchgreifenden Verſuch ei - ner Gegenreformation gemacht hatte: Churfuͤrſt Schwei - kard von Mainz verwaltete ſein Erzkanzleramt mit einem durch warmen innerlichen Antheil erhoͤhten Talente, und verſchaffte demſelben wieder einmal großen Einfluß1)Montorio: Relatione di Germania 1624: di costumi gravi, molto intento alle cose del governo così spirituale come tempo - rale, molto bene affetto verso il servigio di cotesta santa sede, desideroso del progresso della religione, uno de’ primi prelati della Germania. : die beiden andern rheiniſchen Churfuͤrſten waren entſchloſſene, thaͤtige Maͤnner: an ihrer Seite erhoben ſich der maͤnnliche, ſcharfſinnige, unermuͤdliche Maximilian von Baiern, ein444Buch VII. Kap. 2. Ausbruchgeſchickter Adminiſtrator, von großartigen politiſchen Ent - wuͤrfen erfuͤllt, und Erzherzog Ferdinand, unerſchuͤtterlich durch ſeinen Glauben, den er mit der Inbrunſt einer ſtarken Seele umfaßte: — faſt alles Schuͤler der Jeſuiten, welche es noch verſtanden in den Gemuͤthern ihrer Zoͤglinge große Antriebe hervorzurufen: auch ihrerſeits Reformatoren, die den Zuſtand der Dinge, in welchem man ſich befand, mit Anſtrengung und geiſtigem Schwunge zu Stande gebracht hatten.
Die proteſtantiſchen Fuͤrſten dagegen waren mehr Er - ben, als Stifter: ſie waren bereits die zweite oder die dritte Generation. Nur in Einem und dem Andern zeig - ten ſich ich weiß nicht ob Kraft und innerliche Staͤrke, aber doch Ehrgeiz und Liebe zur Bewegung.
Dagegen traten jetzt unter den Proteſtanten offenbar Hinneigungen zur Republik, wenigſtens zu einer ariſtokra - tiſchen Freiheit hervor. An vielen Orten, in Frankreich, in Polen, in allen oͤſtreichiſchen Gebieten war ein maͤchti - ger Adel von proteſtantiſcher Ueberzeugung mit der katho - liſchen Regierungsgewalt in offenem Kampfe. Was ſich durch einen ſolchen erreichen laſſe, davon gab die Republik der Niederlande, die ſich taͤglich zu hoͤherer Bluͤthe erhob, ein glaͤnzendes Beiſpiel. Es iſt allerdings in dieſer Zeit in Oeſtreich die Rede davon geweſen, daß man ſich von dem herrſchenden Geſchlechte losſagen und eine Verfaſſung wie die Schweiz oder wie die Niederlande annehmen muͤſſe. In dem Gelingen dieſer Beſtrebungen lag fuͤr die deutſchen Reichsſtaͤdte die einzige Moͤglichkeit wieder zu groͤßerer Bedeutung zu gelangen, und lebhaft nahmen ſie daran445eines allgemeinen Krieges.Theil. Die innere Verfaſſung der Hugenotten war ſchon republikaniſch, und zwar ſelbſt nicht ohne demokratiſche Elemente. In den engliſchen Puritanern traten dieſe be - reits einem proteſtantiſchen Koͤnig entgegen. Es exiſtirt eine kleine Schrift von einem kaiſerlichen Botſchafter in Paris aus dieſer Zeit, in welcher die europaͤiſchen Fuͤr - ſten mit vieler Lebhaftigkeit auf die gemeinſchaftliche Ge - fahr aufmerkſam gemacht werden, die ihnen aus dem Em - porkommen eines ſolchen Geiſtes entſpringe1)Advis sur les causes des mouvements de l’Europe, en - voyé aux roys et princes pour la conservation de leurs royau - mes et principautés, fait par Messir Al. Cunr. baron de Fri - demburg e presenté au roy très chrestien par le comte de Fur - stemberg, ambassadeur de l’empereur. Aufgenommen im Mer - cure françois tom. IX, p. 342..
Die katholiſche Welt war in dieſem Augenblick ein - muͤthig, claſſiſch, monarchiſch: die proteſtantiſche entzweit, romantiſch, republikaniſch.
In dem Jahre 1617 ließ ſich bereits alles zu einem entſcheidenden Kampfe zwiſchen ihnen an; auf der katholi - ſchen Seite fuͤhlte man ſich, wie es ſcheint, uͤberlegen: es iſt nicht zu leugnen, daß ſie ſich zuerſt erhob.
In Frankreich erging am 15ten Juni 1617 ein Edict, das der katholiſche Clerus ſchon laͤngſt gefordert, aber der Hof aus Ruͤckſicht auf die Macht und die Oberhaͤupter der Hugenotten noch immer verweigert hatte, kraft deſſen die Kirchenguͤter in Bearn wieder herausgegeben werden ſollten. Dahin ließ ſich Luines bringen, der ſich, obwohl die Proteſtanten anfangs auf ihn rechneten2)Man erſieht das unter andern aus einem Schreiben von, doch all -446Buch VII. Kap. 2. Ausbruchmaͤhlig der jeſuitiſch-paͤpſtlichen Partei angeſchloſſen: ſchon erhoben ſich, im Vertrauen auf dieſe Geſinnung der hoͤch - ſten Gewalt, hie und da, zuweilen unter dem Laͤuten der Sturmglocke Angriffe des Poͤbels auf die Proteſtanten: die Parlamente nahmen gegen ſie Partei.
Noch einmal machte der polniſche Prinz Wladislaw ſich auf, der ſichern Erwartung, daß er jetzt den Thron von Moskau einnehmen werde. Man hielt dafuͤr, daß hie - mit Abſichten gegen Schweden verbunden ſeyen, und unver - zuͤglich ging der Krieg zwiſchen Polen und Schweden wie - der an1)Hiaͤrn: Eſth - Lyf - und Lettlaͤndiſche Geſchichte p. 418. „ Die Schweden wußten, daß der Koͤnig in Polen — — ſeinen Sohn mit einer gewaltigen Kriegsmacht zu dem Ende nach Reußland geſandt daß er die Befeſtigungen ſo die Moscowiter den Schweden abgetre - ten hatten uͤberraſchen ſolte, damit wenn ihm dieſer Anſchlag gelingen wuͤrde, er ſelber das Reich Schweden deſto beſſer angreiffen koͤnndte: denn es war ihm ſowol auf dem in Pohlen gehaltenen Reichstage von den Staͤnden als auch von dem Hauſe Oeſterreich zur Wieder - eroberung des Reiches Schweden Huͤlfe zugeſagt: dahero er auch alle ſeine Gedanken mehr darauf als anderswohin geſtellet hatte. “.
Allein bei weitem das Wichtigſte bereitete ſich in den Erblanden des Hauſes Oeſtreich vor. Die Erzherzoͤge hat - ten ſich verſoͤhnt und verſtanden: mit dem großen Sinne den dieß Haus in gefaͤhrlichen Augenblicken oͤfter bewieſen, gaben die Uebrigen die Anſpruͤche, die ihnen nach dem Tode des Kaiſers Matthias, dem es an Nachkommenſchaft ge - brach, zuwachſen mußten, an Erzherzog Ferdinand auf; und in kurzem ward derſelbe in der That als Thronfol -2)Dupleſſis Mornay Saumur 26 Avril 1617: „ sur ce coup de ma - jorité “, wie er die Ermordung des Marſchalls von Ancre nennt. La vie de du Plessis p. 465.447eines allgemeinen Krieges.ger in Ungarn und Boͤhmen anerkannt. Es war dieß am Ende nur eine Ausgleichung perſoͤnlicher Anſpruͤche, aber die eine allgemeine Bedeutung in ſich ſchloß.
Von einem ſo entſchloſſenen Eiferer wie Ferdinand ließ ſich nichts anderes erwarten, als daß er unverzuͤglich auch hier ſeinem Glauben die Alleinherrſchaft zu verſchaffen, und darnach die geſammte Kraft dieſer Laͤnder zur Fortpflan - zung des Katholicismus zu verwenden ſuchen werde.
Eine gemeinſchaftliche Gefahr fuͤr alle Proteſtanten in den Erblanden, in Deutſchland und in Europa.
Eben deshalb erhob ſich zunaͤchſt an dieſem Punkte der Gegenſatz. Die Proteſtanten, die ſich dem Vordringen des Katholicismus entgegengeworfen, waren nicht allein zur Ge - genwehr geruͤſtet, ſie hatten Muth genug die Vertheidi - gung ſogleich in einen Angriff zu verwandeln.
In Churfuͤrſt Friedrich von der Pfalz concentrirten ſich die Elemente des europaͤiſchen Proteſtantismus. Seine Ge - mahlin war die Tochter des Koͤnigs von England, die Nichte des Koͤnigs von Daͤnemark: ſein Oheim Prinz Mo - ritz von Oranien: nahe mit ihm verwandt das Oberhaupt der franzoͤſiſchen Hugenotten von der minder friedlichen Par - tei, der Herzog von Bouillon. Er ſelbſt ſtand an der Spitze der deutſchen Union. Ein ernſter Fuͤrſt, der Selbſt - beherrſchung genug beſaß um ſich von den ſchlechten Ge - wohnheiten frei zu halten, die damals an den deutſchen Hoͤfen herrſchten, und ſich vielmehr angelegen ſeyn ließ ſeine landesherrlichen Pflichten zu erfuͤllen, den Sitzungen ſeines geheimen Rathes fleißig beizuwohnen: — etwas me -448Buch VII. Kap. 2. Ausbruchlancholiſch, ſtolz, voll hoher Gedanken1)Relatione di Germania 1617: Federico V d’età di anni 20, di mezzana statura, d’aspetto grave, di natura malinconico, di carnaggione buona, uomo di alti pensieri, e rare volte si ral - legra, e coll’ appoggio dell’accasamento fatto con la figliuola del re d’Inghilterra e di altri parenti e confederati aspirarebbe a cose maggiori se segli appresentasse occasione a proposito: onde essendo ben conosciuto suo naturale per il colonnello di Scomburg già suo ajo, seppe così ben valersene, accomodan - dosi al suo umore, che mentre visse fu più d’ogni altro suo con - fidente. . Zu ſeines Vaters Zeit ſtanden im Speiſeſaale auch Tiſche fuͤr Raͤthe und Edel - leute: er ließ ſie alle wegſchaffen: er ſpeiſte nur mit Fuͤr - ſten und hoͤchſten Perſonen. Man naͤhrte an dieſem Hofe ein lebhaftes Gefuͤhl einer großen politiſchen Beſtimmung: gefliſſentlich warf man ſich in tauſend weitausſchende Verbindungen: da ſo lange nicht ernſtlich geſchlagen wor - den, hatte man keinen deutlichen Begriff, was ſich errei - chen laſſe, was die Zukunft bringen koͤnne: den verwegen - ſten Entwuͤrfen gab man Raum.
In dieſer Stimmung war der Hof zu Heidelberg, als die Boͤhmen, die beſonders im Gefuͤhle jener religioͤſen Ge - fahr mit dem Hauſe Oeſtreich in eine immer heftiger auf - brauſende Entzweiung gerathen waren, ſich entſchloſſen Fer - dinand zu verwerfen, obwohl er ihr Wort bereits beſaß, und dem Churfuͤrſten von der Pfalz ihre Krone anzutragen.
Einen Augenblick bedachte ſich Churfuͤrſt Friedrich. Es war doch unerhoͤrt, daß ein deutſcher Fuͤrſt einem an - dern eine demſelben rechtmaͤßig zufallende Krone entreißen wollte! Aber alle ſeine Freunde, Moritz, der den Still - ſtand mit den Spaniern nie gemocht, der Herzog vonBouil -449eines allgemeinen Krieges.Bouillon, Chriſtian von Anhalt, welcher das ganze Ge - triebe der europaͤiſchen Politik uͤberſah, und ſich uͤberzeugt hielt, es werde Niemand den Muth und die Macht ha - ben ſich dem vollzogenen Ereigniß zu widerſetzen, ſeine vertrauteſten Raͤthe feuerten ihn an: die unermeßliche Aus - ſicht, Ehrgeiz und Religionseifer zugleich riſſen ihn hin: er nahm die Krone an (Auguſt 1619). Welch einen Er - folg mußte es haben, wenn er ſich behauptete! Die Macht des Hauſes Oeſtreich im oͤſtlichen Europa waͤre gebrochen, der Fortgang des Katholicismus auf immer gehemmt ge - weſen.
Und ſchon regten ſich ihm allenthalben maͤchtige Sym - pathien. In Frankreich erhob ſich eine allgemeine Bewe - gung unter den Hugenotten: die Bearner widerſetzten ſich jenem koͤniglichen Befehle: die Aſſemblee zu Loudun nahm ſich ihrer an: nichts waͤre der Koͤnigin Mutter erwuͤnſch - ter geweſen als dieſe kriegsbereite Oppoſition fuͤr ſich zu gewinnen: ſchon war Rohan auf ihrer Seite, und hatte ihr den Beitritt der Uebrigen verſprochen.
Da war auch in dem unaufhoͤrlich wogenden Grau - buͤndten die katholiſch-ſpaniſche Partei wieder einmal unter - druͤckt, die proteſtantiſche zur Herrſchaft emporgeſtiegen: mit Vergnuͤgen empfing das Gericht zu Davos die Botſchafter des neuen Koͤnigs von Boͤhmen, und verſprach ihm, die Paͤſſe des Landes den Spaniern auf ewig verſchloſſen zu halten1)Den Zuſammenhang dieſer Ereigniſſe, auf den man ſpaͤter nicht mehr achtete, fuͤhlten die Zeitgenoſſen. Fuͤrſtl. Anhaltiſche Geh. Canzlei Fortſetzung p. 67..
Bemerken wir wohl, daß ſich hiemit auch zugleich diePäpſte* 29450Buch VII. Kap. 2. Allgemeiner Krieg.republikaniſchen Tendenzen erhoben. Nicht allein behaupteten die boͤhmiſchen Staͤnde ihrem gewaͤhlten Koͤnig gegenuͤber eine natuͤrliche Unabhaͤngigkeit: in allen oͤſtreichiſchen Erb - landen ſuchte man ſie nachzuahmen: die deutſchen Reichs - ſtaͤdte faßten neue Hoffnungen, und in der That iſt die beſte Geldhuͤlfe, die Friedrich bei ſeinem Unternehmen empfing, von dieſer Seite gekommen.
Allein eben darum, aus dem doppelten Geſichtspunkte der Religion und der Politik, nahmen ſich nun auch die katholiſchen Fuͤrſten mehr als je zuſammen.
Maximilian von Baiern und Ferdinand, der das Gluͤck gehabt hatte in dieſem Augenblicke zum Kaiſer ernannt zu werden, ſchloſſen den engſten Bund: der Koͤnig von Spa - nien ruͤſtete ſich zu nachdruͤcklicher Huͤlfleiſtung: Papſt Paul V. ließ ſich zu ſehr anſehnlichen und willkommenen Subſidienzahlungen bewegen.
Wie die Winde in der ſtuͤrmiſchen Jahreszeit zuwei - len ploͤtzlich umſchlagen: ſo trat der Strom des Gluͤckes, des Vollbringens mit einem Mal auf die andere Seite.
Den Katholiſchen gelang es, einen der maͤchtigſten pro - teſtantiſchen Fuͤrſten, aber einen Lutheraner, dem jene von dem Calvinismus ausgegangene Bewegung von Herzen ver - haßt war, den Churfuͤrſten von Sachſen, fuͤr ſich zu ge - winnen.
Schon hierauf erhoben ſie ſich mit der gewiſſen Hoff - nung des Sieges. Eine einzige Schlacht, am weißen Berge 8. November 1620, machte der Gewalt des pfaͤlziſchen Friedrich und allen ſeinen Entwuͤrfen ein Ende.
451Siege des Katholicismus.Denn auch die Union vertheidigte ihr Oberhaupt nicht mit dem noͤthigen Nachdruck. Es mag wohl ſeyn, daß jenes republikaniſche Element den vereinten Fuͤrſten ſelbſt gefaͤhr - lich vorkam: ſie wollten den Hollaͤndern den Rhein nicht einraͤumen: ſie fuͤrchteten die Analogien welche ihre Ver - faſſung in Deutſchland erwecken moͤchte. Auf der Stelle erfochten die Katholiken auch in Oberdeutſchland das Ueber - gewicht. Die Oberpfalz ward von den Baiern, die Unter - pfalz von den Spaniern beſetzt: ſchon im April 1621 loͤſte die Union ſich auf. Alles was ſich zu Gunſten Friedrichs regte und erhob, ward verjagt oder zerſchmettert. In Ei - nem Moment, unmittelbar nach der groͤßten Gefahr, war das katholiſche Prinzip in dem obern Deutſchland und in den oͤſtreichiſchen Provinzen allmaͤchtig.
In dem erkaͤmpfte es ſich auch in Frankreich eine große Entſcheidung. Nach einem gluͤcklichen Schlage den die koͤ - nigliche Gewalt gegen die ihr entgegengeſetzten Factionen des Hofes, die Partei der Koͤnigin Mutter gefuͤhrt, mit denen allerdings die Hugenotten in naher Beruͤhrung ge - ſtanden1)Selbſt Benoiſt ſagt II, 291: Les reformés n’auroient at - tendu que les premiers succès pour se ranger au même parti (de la reine). , drang der paͤpſtliche Nuntius darauf, daß man den guͤnſtigen Augenblick zu einer Unternehmung gegen den Proteſtantismus uͤberhaupt benutzen muͤſſe: er wollte von keinem Aufſchub hoͤren: er meinte, was in Frankreich erſt einmal verſchoben werde, geſchehe dann niemals2)Siri: Memorie recondite tom. V, p. 148.: er riß Luines und den Koͤnig mit ſich fort. In Bearn beſtan -29*452Buch VII. Kap. 2. Allgemeiner Kriegden noch die alten Factionen, Beaumont und Grammont, die ſich ſeit Jahrhunderten bekaͤmpft: ihr Zwiſt verurſachte, daß der Koͤnig unaufgehalten in dem Lande einzog, die be - waffnete Macht, die Verfaſſung deſſelben aufloͤſte, und die Herrſchaft der katholiſchen Kirche wiederherſtellte. Zwar trafen die Proteſtanten im eigentlichen Frankreich nunmehr Anſtalt ſich ihrer Glaubensbruͤder anzunehmen: aber ſie wurden im Jahre 1621 allenthalben geſchlagen.
Da hatte ſich auch ein veltliniſches Oberhaupt, Jacob Robuſtelli, mit katholiſchen Verbannten aus dem Lande, einigen Banditen aus dem Mailaͤndiſchen und Venezianiſchen umgeben, und den Entſchluß gefaßt die Herrſchaft der Graubuͤndtner, de - ren proteſtantiſche Tendenz auf dieſen Landestheil ſo beſonders druͤckte, ein Ende zu machen. Ein Capuzinerpater entflammte die an ſich blutduͤrſtige Schaar zu religioͤs-fanatiſchem Eifer: in der Nacht zum 19. Juli 1620 drang ſie in Tirano ein: in der Morgendaͤmmerung laͤutete ſie die Glocken: indem die Proteſtanten hieruͤber aus ihren Haͤuſern ſtuͤrzten, wur - den ſie angefallen, uͤberwaͤltigt und ſaͤmmtlich ermordet. Wie in Tirano, ſo gleich darauf im ganzen Thal. Verge - bens kamen die Graubuͤndtner aus dem hohen Gebirg mehr als einmal herab, um die verlorne Herrſchaft wiederzuer - obern: ſo oft ſie kamen, wurden ſie auch geſchlagen. Im Jahre 1621 drangen die Oeſtreicher aus Tyrol, die Spa - nier aus Mailand ſogar in das eigentliche Graubuͤndten ein. „ Das rauhe Gebirg erfuͤllte ſich mit Mordgeheul: von den Feuersbruͤnſten der einſamen Haͤuſer ward es furcht - bar beleuchtet. “ Die Paͤſſe und das ganze Land wurden in Beſitz genommen.
453Siege des Katholicismus.In dieſem gewaltigen Fortgange wachten alle Hoff - nungen der Katholiſchen auf.
Der paͤpſtliche Hof ſtellte dem ſpaniſchen vor, die Nie - derlaͤnder ſeyen entzweit, und jetzt ohne Verbuͤndete, eine gelegenere Zeit koͤnne es nicht geben um den Krieg gegen die alten Rebellen zu erneuern: es gelang ihm die Spanier zu uͤberreden1)Instruttione a Mre Sangro. Là onde S. Mtà non può voltare le sue forze in miglior tempo ovvero opportunità. . Der Kanzler von Brabant, Peter Peckius erſchien am 25. Merz 1621 im Haag, und ſtatt auf die Erneuerung des Stillſtandes, welcher eben ablief, trug er auf die Anerkennung der rechtmaͤßigen Fuͤrſten an2)Woͤrtlich auf eine Vereinigung sub agnitione dominorum principumque legitimorum. Antrag und Antwort in Leonis ab Aitzema historia tractatuum pacis Belgicae p. 2. u. 4.. Die Generalſtaaten erklaͤrten dieſe Anmuthung fuͤr ungerecht, un - erwartet, ja unmenſchlich: — die Feindſeligkeiten brachen wieder aus. Auch hier waren die Spanier anfangs im Vortheil. Sie entriſſen den Niederlaͤndern Juͤlich: was ihren Unternehmungen am Rhein einen großen Abſchluß gab. Von Emmerich bis Straßburg hatten ſie das linke Rheinufer inne.
So viele zuſammentreffende Siege auf einmal, auf ſo verſchiedenen Seiten, von ſo mannigfaltiger Vorbereitung, die aber im Lichte der Weltentwickelung uͤberſchaut, doch in der That einen einzigen bilden. Betrachten wir nun, was fuͤr uns das Wichtigſte iſt, wie man ſie benutzte.
454Buch VII. Kap. 2. SiegeBei der Proceſſion, die man zur Feier der Schlacht am weißen Berge veranſtaltete, erlitt Paul V. den An - fall eines Schlages: kurz darauf folgte ein zweiter, an deſſen Folgen er ſtarb — 28ſten Januar 1621.
Die neue Wahl vollzog ſich im Allgemeinen wie die fruͤheren. Paul V. hatte ſo lange regiert, daß unter ihm beinahe das geſammte Collegium erneuert worden war: bei weitem der groͤßte Theil der Cardinaͤle hing deshalb von ſeinem Nepoten dem Cardinal Borgheſe ab. Nach eini - gem Schwanken fand derſelbe den Mann, uͤber den ſich alle ſeine Anhaͤnger vereinigten, Alexander Ludoviſio von Bo - logna, der dann auch ſofort gewaͤhlt ward, 9. Februar 1621, und den Namen Gregor XV. annahm.
Ein kleiner, phlegmatiſcher Mann, der ſich in fruͤhern Zeiten den Ruf erworben geſchickt zu unterhandeln, es zu verſtehn ohne Aufſehen, im Stillen, zu ſeinem Ziele zu ge - langen1)Relatione di IV ambasciatori 1521: di pelo che avvici - nasi al biondo. La natura sua è sempre conosciuta placida e flemmatica, lontana dall’imbarraciarsi in rotture, amicissimo d’andare in negotio destreggiando et avanzando li proprj fini. : jetzt aber ſchon vom Alter gebeugt, ſchwach und krank.
Was ſollte man fuͤr den Moment des welthiſtoriſchen Kampfes in welchem man ſich befand, von einem Papſte erwarten, dem man ſich oft nicht getraute ſchwierige Ge - ſchaͤfte mitzutheilen, aus Furcht ſeiner Gebrechlichkeit den letzten Stoß zu geben2)Rainier Zeno: Relatione di Roma 1623: aggiungendosi.
455des Katholicismus. Gregor XV.Allein zur Seite dieſes hinſterbenden Greiſes trat ein junger Mann von 25 Jahren auf, ſein Nepote Ludovico Ludoviſio, der ſich ſogleich in Beſitz der paͤpſtlichen Allge - walt ſetzte, und ſo viel Geiſt und Kuͤhnheit zeigte, als die Lage der Dinge nur immer erforderte.
Ludovico Ludoviſio war praͤchtig, glaͤnzend, verſaͤumte nicht Reichthuͤmer an ſich zu bringen, vortheilhafte Fami - lienverbindungen zu ſchließen, ſeine Freunde zu beguͤnſtigen, zu befoͤrdern: er lebte und ließ leben: aber dabei hatte er doch auch die großen Intereſſen der Kirche im Auge: ſelbſt ſeine Feinde geſtehn ihm wahrhaftes Talent fuͤr die Lei - tung der Geſchaͤfte zu, einen richtig fuͤhlenden Geiſt der in den ſchwierigſten Verwickelungen eine befriedigende Aus - kunft entdeckte, und alle den unbeſorgten Muth der dazu gehoͤrt ein moͤgliches Ergebniß in dem Dunkel der Zukunft wahrzunehmen und darauf hinzuſteuern1)Rainier Zeno: È d’ingegno vivacissimo: l’ha dimostrato nel suo governo per l’abondanza dei partiti che in ogni grave trattatione gli suggerivano suoi spiriti nati per comandare, i quali se bene in molte parti aberravano dell’uopo della bona politica, nondimeno l’intrepidezza, con la quale si mostrava pronto ad abbracciare ogni ripiego appreso da lui per buono, poco curan - dosi di consigli di chi gli haveria potuto esser maestro, davano a credere che la sua natura sdegnava una privata conditione. . Haͤtte ihn nicht die Schwaͤchlichkeit des Oheims, die ihm keine lange Dauer ſeiner Gewalt verhieß, in Schranken gehalten, ſo wuͤrde keine Ruͤckſicht auf der Welt Einfluß auf ihn gehabt haben.
Da iſt nun ſehr wichtig, daß der Nepote wie der Papſt von der Idee, in der Ausbreitung des Katholicismus2)all’età cadente una fiacchissima complessione in un corpiccivolo stenuato e mal affetto. 456Buch VII. Kap. 2. Siegedas Heil der Welt zu erblicken, erfuͤllt war. Cardinal Lu - doviſio war von den Jeſuiten erzogen und ihr großer Goͤn - ner: die Kirche S. Ignatius zu Rom iſt großentheils auf ſeine Koſten gebaut worden: er gab etwas darauf, daß er Protector der Capuziner wurde, und meinte, das ſey die wich - tigſte Protection die er habe: mit Vorliebe und Hingebung widmete er ſich der devoteſten Abſtufung roͤmiſcher Mei - nungen1)Giunti: Vita e fatti di Ludovico Ludovisio MS. .
Will man ſich den Geiſt der neuen Verwaltung im Allgemeinen vergegenwaͤrtigen, ſo braucht man ſich nur zu erinnern, daß Gregor XV. es iſt, unter dem die Propa - ganda geſtiftet, und die Begruͤnder der Jeſuiten, Ignatius und Xaver, heilig geſprochen worden ſind.
Der Urſprung der Propaganda liegt eigentlich ſchon in einer Anordnung Gregors XIII, durch welche eine Anzahl Cardinaͤle mit der Leitung der Miſſionen im Orient beauf - tragt und der Druck von Katechismen in den minder be - kannten Sprachen angeordnet wurde2)Cocquelines: Praefatio ad Maffei Annales Gregorii XIII p. V. . Jedoch war das Inſtitut weder feſt begruͤndet, noch mit den noͤthigen Mit - teln verſehen, noch auch umfaſſend. Nun bluͤhte damals ein großer Prediger zu Rom, Girolamo da Narni, der ſich durch ein Leben, das ihm den Ruf eines Heiligen verſchaffte, die allgemeine Verehrung erwarb, und auf der Kanzel eine Gedankenfuͤlle, Gediegenheit des Ausdrucks, Majeſtaͤt des Vortrags entwickelte, welche Jedermann hinriß. Als Bel - larmin einſt aus einer Predigt deſſelben kam, ſagte er, er457des Katholicismus. Gregor XV. glaube daß ihm ſo eben von den drei Wuͤnſchen des h. Au - guſtin einer gewaͤhrt worden ſey, nemlich der Wunſch S. Paulum zu hoͤren. Auch Cardinal Ludoviſio ſtand ihm nahe: er hat die Koſten zum Druck ſeiner Predigten hergegeben. Dieſer Capuziner nun zunaͤchſt faßte den Gedanken einer Erweiterung jenes Inſtitutes1)Fr. Hierothei: Epitome historica rerum Franciscanarum etc. p. 362: „ publicis suasionibus et consiliis privatis “habe Fra Girolamo den Papſt veranlaßt. Vgl. Cerri: Etat présent de l’é - glise Romaine p. 289. Man findet da auch eine ausfuͤhrlichere Schilderung des Inſtitutes und der Zunahme ſeines Vermoͤgens.. Auf ſeinen Rath ward eine Congregation in aller Form gegruͤndet, um in regel - maͤßigen Sitzungen die Leitung der Miſſionen in allen Thei - len der Welt zu beſorgen: wenigſtens jeden Monat einmal ſollte ſie ſich vor dem Papſte verſammeln. Gregor XV. wies die erſten Gelder an: der Nepot ſteuerte aus ſeinem Privatvermoͤgen bei: und da dieß Inſtitut einem in der That vorhandenen Beduͤrfniſſe entgegenkam, das ſich eben fuͤhlbar machte, ſo nahm es ſich von Tage zu Tage glaͤn - zender auf. Wer weiß nicht, was die Propaganda ſchon fuͤr allgemeine Sprachkunde gethan hat? Sie hat aber uͤberhaupt, und vielleicht in den erſten Zeiten am erfolg - reichſten, ihren Beruf auf eine großartige Weiſe zu erfuͤllen geſucht.
An dieſe Geſichtspunkte ſchloß ſich die Canoniſa - tion jener beiden Jeſuiten an. „ Zu der Zeit “, ſagt die Bulle, „ als man neue Welten gefunden, und als in der alten ſich Luther zur Bekaͤmpfung der katholiſchen Kirche erhoben habe, ſey der Geiſt Ignatio Loiolas zur Stiftung einer Geſell - ſchaft erweckt worden, die ſich vorzugsweiſe der Bekehrung458Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungder Heiden und der Herbeibringung der Ketzer widme. Vor allen andern Mitgliedern derſelben habe ſich aber Franz Xaver wuͤrdig gemacht, der Apoſtel der neugefundenen Na - tionen zu heißen. Deshalb ſeyen ſie jetzt beide in das Verzeichniß der Heiligen aufgenommen: Kirchen und Al - taͤre, wo man Gott ſein Opfer darbringe, ſollen ihnen ge - weihet werden “1)Bullarium Cocquelines V, 131. 137..
Und in dem Geiſte nun, der ſich in dieſen Acten dar - ſtellt, traf die neue Regierung auch unverweilt Anſtalt, den Siegen welche die Katholiken erfochten, Bekehrungen fol - gen zu laſſen, die Eroberungen die ſie gemacht, durch Wiederherſtellung der Religion zu rechtfertigen und zu be - feſtigen. „ Alle unſere Gedanken “, ſagt eine der erſten In - ſtructionen Gregors XV, „ muͤſſen wir dahin richten, von dem gluͤcklichen Umſchwung, von der ſieghaften Lage der Dinge ſo viel Vortheil zu ziehen als moͤglich “. Ein Vor - haben, das auf das glaͤnzendſte gelang.
Zuerſt fiel das Augenmerk der paͤpſtlichen Gewalt auf das aufgehende Gluͤck der katholiſchen Meinung in den oͤſt - reichiſchen Provinzen.
Indem Gregor XV. dem Kaiſer die Subſidien ver -459des Katholicismus. Boͤhmen.doppelte1)Von 20000 Gulden auf 20000 Scudi. Das Geſchenk 200000 Sc. Er haͤtte gewuͤnſcht davon ſelbſt Regimenter unter paͤpſtlicher Autoritaͤt zu erhalten., die ihm bisher gezahlt worden, und ihm zu - gleich ein nicht unbetraͤchtliches außerordentliches Geſchenk verſprach — obwohl er, wie er ſagt, kaum ſelbſt zu leben uͤbrig behalte, — ſchaͤrft er ihm ein, daß er keinen Augen - blick zoͤgern, ſeinen Sieg auf das raſcheſte verfolgen, und zugleich die Herſtellung der katholiſchen Religion ins Werk ſetzen moͤge2)Instruttione al vescovo d’Aversa 12 Apr. 1621: non è tempo di indugi nè di coperti andamenti. — Beſonders hielt man zu Rom Bucquoi fuͤr allzu langſam. La prestezza apportarebbe il rimedio di tanti mali, se dal conte di Bucquoi per altro valo - roso capitano ella si potesse sperare. . Nur durch dieſe Herſtellung koͤnne er dem Gott des Sieges danken. Er geht von dem Grundſatze aus, durch die Rebellion ſeyen die Lande der Nothwendig - keit eines ſtrengeren Zwanges verfallen: man muͤſſe ſie mit Gewalt noͤthigen ihre Gottloſigkeiten fahren zu laſſen.
Der Nuntius, welchen Gregor XV. an den Kaiſer ſchickte, war der in deutſchen Geſchichten wohlbekannte Carl Caraffa. Aus den beiden Relationen die von ihm uͤbrig ſind, die eine gedruckt, die andere handſchriftlich, koͤnnen wir mit Sicherheit entnehmen, welche Maaßregeln er zur Erreichung jener Abſichten ergriffen hat.
In Boͤhmen, wo ſeine Thaͤtigkeit begann, war ſeine erſte Sorge, die proteſtantiſchen Prediger und Schullehrer zu entfernen, „ welche der Beleidigung goͤttlicher und menſch - licher Majeſtaͤt ſchuldig ſeyen. “
Nicht ſo ganz leicht ward ihm dieß: die Mitglieder460Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungder kaiſerlichen Regierung zu Prag fanden es noch zu ge - faͤhrlich. Erſt als Mansfeld aus der Oberpfalz vertrieben, alle auswaͤrtige Gefahr entfernt, und ein paar auf das Verlangen des Nuntius angeworbene Regimenter in Prag eingeruͤckt waren, am 13ten Dezember 1621, wagte man dazu zu ſchreiten. Aber auch dann ſchonte man noch die beiden lutheriſchen Prediger aus Ruͤckſicht auf den Chur - fuͤrſten von Sachſen. Der Nuntius, Repraͤſentant eines Prinzipes das keine Ruͤckſicht kennt, wollte davon nichts hoͤren: er klagte, das ganze Volk haͤnge ſich an die Leute, ein katholiſcher Prieſter bekomme nichts zu thun, er finde ſein Auskommen nicht1)Caraffa ragguaglio MS: conducevano in disperatione i parochi catolici per vedersi da essi (Luterani) levarsi ogni emo - lumento. Die gedruckten Commentarii haben jedoch einen oſten - ſiblern Grund: „ quamdiu illi haerebant, tamdiu adhuc sperabant sectarii S. Majestatem concessurum aliquando liberam faculta - tem “(p. 130). . Im October 1622 drang er endlich durch, und auch die lutheriſchen Prediger wurden verwieſen. Einen Augenblick ſchien es, als wuͤrden ſich die Befuͤrchtungen der Regierungsraͤthe bewaͤhren: der Chur - fuͤrſt von Sachſen erließ ein drohendes Schreiben, und nahm in den wichtigſten Fragen eine feindſelige Stellung an: ſelbſt der Kaiſer ſagte dem Nuntius einmal, man habe wohl allzuviel Eile gehabt, und es waͤre beſſer geweſen eine gelegenere Zeit zu erwarten2)Caraffa ragguaglio: Sua Mtà mi si dimostrò con que - sto di qualche pensiere, ed uscì a dirmi che si haveva havuta troppa prescia e che saria stato meglio cacciare quei predicanti in altro tempo dopo che si fosse tenuto il convento in Ratis - bona. Al che io replicai che Sua Maestà poteva havere più. Jedoch man kannte461des Katholicismus. Boͤhmen.die Mittel Ferdinand feſtzuhalten: der alte Biſchof von Wuͤrzburg ſtellte ihm vor: „ vor Gefahren werde ein glorreicher Kaiſer nicht erſchrecken; es ſtehe ihm auch alle - mal beſſer an, in die Gewalt der Menſchen zu fallen als in die Haͤnde des lebendigen Gottes. “ Der Kaiſer gab nach. Der Nuntius erlebte den Triumph, daß Sachſen ſich die Entfernung der Prediger zuletzt doch gefallen ließ, und von ſeiner Oppoſition zuruͤcktrat.
Hiedurch war der Weg geebnet. An die Stelle der proteſtantiſchen Prediger traten — denn an Weltgeiſtlichen hatte man noch einen empfindlichen Mangel — Dominicaner, Auguſtiner, Carmeliter: aus Gneſen langte eine ganze Co - lonie Franciscaner an: die Jeſuiten ließen es nicht an ſich fehlen: als ein Schreiben der Propaganda einlief, worin ſie erſucht wurden die Stellen von Pfarrern zu uͤberneh - men, hatten ſie das ſchon gethan1)Cordara: Historia societatis Jesu tom. VI, lib. VII, p. 38..
Und nun haͤtte nur noch die Frage ſeyn koͤnnen, ob man nicht wenigſtens zum Theil den nationalen utraqui - ſtiſchen Ritus nach den Beſtimmungen des Basler Conci - liums beſtehn laſſen duͤrfe. Die Regierungsraͤthe, der Gouverneur ſelbſt, Fuͤrſt Lichtenſtein, waren dafuͤr2)Nach den bisherigen Annahmen, z. B. bei Senkenberg, Fortſetzung der haͤberlinſchen Reichshiſtorie Bd. 25, p. 156, Note k,: ſie2)tosto errato nella tardanza che nella fretta circa questo fatto, poichè se il Sassone fosse venuto al convento, di che non am - mettono che egli havesse avuta mai la volontà, si sapeva per ognuno che haverebbe domandato a S. Mà che a sua con - templazione permettesse in Praga l’esercizio Luterano che già vi era. 462Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitunggeſtatteten, daß der gruͤne Donnerſtag 1622 noch einmal mit dem Genuß beider Geſtalten gefeiert wurde; und ſchon erhob ſich eine Stimme in dem Volke, daß man ſich die - ſen altherkoͤmmlichen vaterlaͤndiſchen Gebrauch nicht entrei - ßen laſſen duͤrfe. Aber durch keine Vorſtellung war der Nuntius dafuͤr zu ſtimmen, unerſchuͤtterlich hielt er die Geſichtspunkte der Curie feſt: er wußte wohl, daß der Kai - ſer ſie zuletzt billigen werde; und in der That gelang es ihm, eine Erklaͤrung deſſelben auszubringen, daß ſich ſeine weltliche Regierung in die religioͤſen Geſchaͤfte nicht zu mi - ſchen habe. Hierauf ward die Meſſe allenthalben nur noch nach roͤmiſchem Ritus gehalten: lateiniſch, mit Ausſpren - gung von Weihwaſſer und Anrufung der Heiligen: an den Genuß beider Geſtalten war nicht mehr zu denken, der keckſte Vertheidiger dieſes Gebrauchs wurde gefangen ge - ſetzt: endlich ward auch das Symbol des Utraquismus der große Kelch mit dem Schwert an der Theinkirche, deſ - ſen Anblick die alten Erinnerungen wach erhalten haͤtte, her - untergenommen. Den ſechsten Juli, wo man ſonſt das Andenken an Johann Huß gefeiert, wurden die Kirchen ſorgfaͤltig verſchloſſen gehalten.
Dieſer ſtrengſten Einwirkung roͤmiſcher Dogmen und Gebraͤuche kam nun die Regierung mit politiſchen Mitteln zu Huͤlfe. Die Confiscationen brachten einen betraͤchtlichen Theil des Landeigenthums in katholiſche Haͤnde; die Er - werbung liegender Gruͤnde ward den Proteſtanten ſo gut2)ſollte man von Lichtenſtein das Gegentheil glauben. Doch waͤre das ganz falſch, wie ſich aus Caraffa ergibt. Der Nuntius fand dage - gen bei Plateis Unterſtuͤtzung.463des Katholicismus. Boͤhmen.wie unmoͤglich gemacht1)Caraffa: con ordine che non si potessero inserire nelle tavole del regno, il che apportò indicibile giovamento alla ri - forma per tutto quel tempo. ; in allen koͤniglichen Staͤdten ward der Rath geaͤndert; man haͤtte kein Mitglied darin geduldet, deſſen Katholicismus verdaͤchtig geweſen waͤre; die Rebellen wurden begnadigt, ſo bald ſie ſich bekehrten: den Widerſpenſtigen dagegen, den Unuͤberzeugbaren, die ſich den geiſtlichen Ermahnungen nicht fuͤgen wollten, wurde Einquartierung in die Haͤuſer gelegt, „ damit “, wie der Nuntius woͤrtlich ſagt, „ ihre Drangſale ihnen Einſicht verſchaffen moͤchten “2)„ acciò il travaglio desse loro senso ed intelletto “; was denn auch im gedruckten Werke wiederholt iſt: cognitumque fuit solam vexationem posse Bohemis intellectum praebere. .
Die Wirkung, die aus dieſer vereinigten Anwen - dung von Gewalt und Lehre entſprang, war ſelbſt dem Nuntius unerwartet. Er war erſtaunt, wie zahlreich die Kirchen in Prag beſucht wurden, manchen Sonntag Mor - gen von zwei bis dreitauſend Menſchen, und wie beſchei - den, andaͤchtig und aͤußerlich katholiſch ſich dieſe betrugen. Er leitet das daher, daß die katholiſchen Erinnerungen hier doch niemals ganz verloſchen geweſen: — wie man z. B. das große Crucifix auf der Bruͤcke ſelbſt von der Gemah - lin Koͤnig Friedrichs nicht habe wegnehmen laſſen; der Grund wird ſeyn, daß die proteſtantiſchen Ueberzeugungen die Maſſen hier in der That noch nicht durchdrungen hat - ten. Unaufhaltſam ſchritt die Bekehrung vorwaͤrts: im Jahre 1624 wollen die Jeſuiten allein 16000 Seelen zur464Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungkatholiſchen Kirche zuruͤckgebracht haben1)Caraffa: messovi un sacerdote catolico di molta dottrina e poi facendosi missioni di alcuni padri Gesuiti. . In Tabor, wo der Proteſtantismus ausſchließend zu herrſchen geſchienen, traten bereits Oſtern 1622 funfzig, Oſtern 1623 alle an - dern Familien uͤber. Wie ſo vollkommen iſt Boͤhmen mit der Zeit katholiſch geworden.
Wie nun in Boͤhmen, ging es auch in Maͤhren, und hier kam man ſogar noch raſcher zum Ziel, da der Cardinal Dietrichſtein, zugleich Gouverneur des Landes und Biſchof von Olmuͤtz, geiſtliche und weltliche Gewalt in dieſem Sinne vereinigte. Nur fand ſich hier eine beſondere Schwierig - keit. Der Adel wollte ſich die maͤhriſchen Bruͤder nicht entreißen laſſen, deren Dienſte in Haus und Feld unſchaͤtz - bar, deren Ortſchaften die bluͤhendſten im Lande waren2)Ragguaglio di Caraffa: Essendo essi tenuti huomini d’in - dustria e d’integrità venivano impiegati nella custodia de’ ter - reni, delle case, delle cantine e de’ molini, oltre che lavorando eccellentemente in alcuni mestieri erano divenuti ricchi e con - tribuivano gran parte del loro guadagno a’signori de’ luoghi ne’ quali habitavano, sebbene da qualche tempo indietro havevano cominciato a corrompersi essendo entrata tra di loro l’ambizione e l’avarizia con qualche parte di lusso per comodità della vita. Costoro si erano sempre andati augumentando in Moravia, per - ciocchè oltre a quelli che seducevano nella provincia e ne’ luo - ghi convicini, havevano corrispondenza per tutti li luoghi della Germania, di dove ricorrevano alla loro fratellanza tutti quelli che per debito o povertà disperavano potersi sostentare, e specialmente veniva ad essi gran numero di poveri Grisoni e di; in dem geheimen Rathe des Kaiſers ſelbſt fanden ſie Fuͤr - ſprache. Jedoch der Nuntius und das Prinzip ſiegten auch hier. Bei 15000 wurden entfernt.
Un -465des Kathol. Maͤhren. Oeſtreich. Ungarn.Unter dieſen Umſtaͤnden wurden die ſo oft wiederhol - ten, ſo oft mißlungenen Verſuche den Katholicismus in dem eigentlichen Oeſtreich herzuſtellen endlich mit entſchei - dendem Erfolge erneuert1)Es war der erſte Gedanke des Kaiſers geweſen, noch vor der Prager Schlacht, ſo wie Maximilian das oberoͤſtreichiſche Gebiet betrat: er drang in denſelben, unverzuͤglich die Praͤdicanten abzuſtel - len, „ damit die Pfeifer abgeſchafft und der Tanz eingeſtellt werde “. Sein Schreiben in Breiers Fortſ. von Wolfs Maximilian. IV, 414.. Erſt wurden die der Rebellion angeklagten, dann alle andern Prediger verjagt; mit einem Zehrpfennig verſehen, fuhren die armen Leute langſam die Donau hinauf: man rief ihnen nach: wo iſt nun eure feſte Burg? Der Kaiſer erklaͤrte den Landſtaͤnden gerade heraus: „ er habe ſich und ſeinen Nachkommen die Dispo - ſition uͤber die Religion gaͤnzlich und allerdings vorbehal - ten. “ Im October 1624 erſchien eine Commiſſion, die den Einwohnern eine Friſt ſetzte, binnen welcher ſie ſich zum katholiſchen Ritus bekennen oder das Land geraͤumt haben muͤßten. Nur dem Adel ward noch fuͤr den Augenblick und perſoͤnlich einige Nachſicht gewaͤhrt.
Nun konnte man in Ungarn, obſchon es auch beſiegt war, wohl nicht ſo gewaltſam verfahren: doch brachten der Zug der Dinge, die Gunſt der Regierung und vor allem die Bemuͤhungen des Erzbiſchofs Pazmany auch hier eine Veraͤn - derung hervor. Pazmany beſaß ein großes Talent ſeine Mut - terſprache gut zu ſchreiben. Sein Buch: Kalauz2)Hodoegus Igazságra vezérlö Kalauz. Presb. 1613, 1623., geiſt -2)Svevia lasciandosi rapire da quel nome di fratellanza e sicurtà di havere sempre del pane, che in casa loro diffidavano potersi col proprio sudore guadagnare, onde si sono avvanzati alle volte sino al numero di centomila. Päpſte* 30466Buch VII. Kap. 1. Ausbreitung des Kathol.reich und gelehrt, war fuͤr ſeine Landsleute unwiderſtehlich. Auch die Gabe der Rede war ihm verliehen: er ſoll bei 50 Familien perſoͤnlich zum Uebertritt bewogen haben. Na - men wie Zrinyi, Forgacz, Erdoͤdy, Balaſſa, Jakuſith, Ho - monay, Adam Thurzo finden wir darunter. Der Graf Adam Zrinyi hat allein zwanzig proteſtantiſche Pfarrer verjagt und katholiſche an ihre Stelle geſetzt. Unter die - ſen Einfluͤſſen nahmen auch die ungariſchen Reichsangele - genheiten eine andere Wendung. Auf dem Reichstage von 1625 hatte die katholiſch-oͤſtreichiſche Partei die Majori - taͤt. Ein Convertit, den der Hof wuͤnſchte, ein Eſterhazy, ward zum Palatin ernannt.
Bemerken wir aber hier gleich den Unterſchied. In Ungarn war der Uebertritt bei weitem freiwilliger als in den uͤbrigen Provinzen: die Magnaten gaben mit demſel - ben kein einziges ihrer Rechte auf: es koͤnnte eher ſeyn, daß ſie neue erworben haͤtten. In den oͤſtreichiſch-boͤhmi - ſchen Landſchaften dagegen hatte ſich die ganze Selbſtaͤn - digkeit der Staͤnde, ihre Kraft und Macht in die For - men des Proteſtantismns geworfen: ihr Uebertritt war, wenn nicht in jedem einzelnen Falle, doch im Ganzen erzwungen: mit der Wiederherſtellung des Katholicismus trat hier zu - gleich die vollkommene Gewalt der Regierung ein.
Wir wiſſen, wie ſo viel weiter man in dem deutſchen Reiche ſchon war als in den Erblanden; demohnerachtet467Das Reich. Pfalz.hatten die neuen Ereigniſſe auch hier eine unbeſchreib - liche Wirkung.
Einmal bekam die Gegenreformation wieder friſchen Antrieb und ein neues Feld.
Nachdem Maximilian die Oberpfalz in Beſitz genom - men, zoͤgerte er nicht lange die Religion daſelbſt zu aͤn - dern: — er theilte die Landſchaft in 20 Stationen, in de - nen 50 Jeſuiten arbeiteten: die Kirchen wurden ihnen mit Gewalt uͤbergeben, die Uebung des proteſtantiſchen Gottes - dienſtes uͤberhaupt verboten: je mehr die Wahrſcheinlichkeit zunahm, daß das Land baieriſch bleiben wuͤrde, um ſo mehr fuͤgten ſich die Einwohner1)Kropff: Historia societatis Jesu in Germania superiori tom. IV, p. 271..
Auch die Unterpfalz betrachteten die Eroberer gleich als ihr Eigenthum. Schenkte doch Maximilian ſogar die Heidelberger Bibliothek dem Papſte!
Schon vor der Eroberung nemlich — um hievon ein Wort hinzuzufuͤgen — hatte der Papſt durch den Nuntius Montorio in Coͤln den Herzog um dieſe Gunſt erſuchen laſ - ſen: der Herzog hatte ſie mit gewohnter Bereitwilligkeit verſprochen: bei der erſten Nachricht von der Einnahme von Heidelberg machte dann Montorio ſein Recht gel - tend. Man hatte ihm geſagt, daß vornehmlich die Hand - ſchriften von unſchaͤtzbarem Werthe ſeyen, und er ließ Tilly nur bitten ſie zunaͤchſt vor der Pluͤnderung zu ſchuͤtzen2)Relatione di Mr Montorio ritornato nunzio di Colonia 1624. Die Stelle im Anhang.. Dann ſchickte der Papſt den Doctor Leone Allacci, Scrip -30*468Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungtor der Vaticana, nach Deutſchland, die Buͤcher in Empfang zu nehmen. Gregor XV. nahm die Sache ſehr hoch auf. Er erklaͤrte es fuͤr eines der gluͤcklichſten Ereigniſſe ſeines Pontificates, welches dem h. Stuhle, der Kirche, den Wiſ - ſenſchaften zu Ehre und Nutzen gereichen werde: auch dem baieriſchen Namen ſey es ruͤhmlich, daß eine ſo koſtbare Beute zu ewigem Gedaͤchtniß in der Weltſchaubuͤhne Rom aufbewahrt werde1)Che così pretioso spoglio e così nobil trofeo si con - servi a perpetua memoria in questo teatro del mondo. Instrut - tione al dottore Leon Allatio per andare in Germania per la li - breria del Palatino. Im Anhang wollen wir ihre Echtheit pruͤfen..
Uebrigens zeigte der Herzog auch hier einen unermuͤd - lichen reformatoriſchen Eifer: er uͤbertraf darin die Spa - nier, die doch auch gut katholiſch waren2)Montorio: Benchè nelle terre che occupano i Spagnuoli non si camini con quel fervore con quale si camina in quelle che occupa il Sr Da di Baviera alla conversione de’ popoli. . Mit Ent - zuͤcken ſah der Nuntius in Heidelberg, „ von wo die Norm der Calviniſten, der berufene Katechismus ausgegangen ſey “, die Meſſe celebriren und Bekehrungen geſchehen.
Indeſſen reformirte Churfuͤrſt Schweikard die Berg - ſtraße, die er in Beſitz genommen, — Markgraf Wilhelm Oberbaden, das ihm nach langem Proceß zuerkannt wor - den, obwohl ſein Herkommen kaum ehelich, geſchweige denn ebenbuͤrtig war: er hatte es dem Nuntius Caraffa ſchon vorher ausdruͤcklich verſprochen3)Caraffa: Germania restaurata p. 129.. Auch in Landſchaf - ten welche von den politiſchen Ereigniſſen nicht unmittelbar beruͤhrt worden, ſetzte man die alten Beſtrebungen mit ver -469des Katholicismus. Das Reich.juͤngtem Eifer fort: in Bamberg1)Beſonders durch Joh. Georg Fuchs von Dornheim, der auch 23 ritterſchaftliche Pfarreien wieder zum Katholicismus brachte. Jaͤck: Geſchichte vom Bamberg II, 120., Fulda, auf dem Eichs - felde: in Paderborn, wo zweimal nach einander katholiſche Biſchoͤfe in Beſitz gelangten: vorzuͤglich im Muͤnſteriſchen, wo Meppen, Vechta, Halteren, viele andere Bezirke im Jahre 1624 katholiſch gemacht wurden: bis nach Halber - ſtadt und Magdeburg finden wir jeſuitiſche Miſſionarien: in Altona ſiedeln ſie ſich an, um die Sprache zu lernen und alsdann nach Daͤnemark und Norwegen vorzudringen.
Mit Gewalt, ſehen wir, ergießen ſich die katholiſchen Beſtrebungen von dem obern Deutſchland nach dem niede - ren, von dem Suͤden nach dem Norden. Indeß wird auch der Verſuch gemacht in den allgemeinen Reichsangelegen - heiten einen neuen Standpunkt zu erobern.
Unmittelbar bei dem Bundesabſchluß hatte Ferdi - nand II. dem Herzog Maximilian das Verſprechen gege - ben, im Falle eines gluͤcklichen Erfolges die pfaͤlziſche Churwuͤrde auf ihn zu uͤbertragen2)Schreiben des Kaiſers an Baltaſar de Zuniga 15. Oct. 1621, abgedruckt bei Sattler: Wuͤrtemberg. Geſchichte VI, p. 162..
Es kann keine Frage ſeyn, welchen Geſichtspunkt man katholiſcher Seits hiebei vorzuͤglich faßte. Der Stimmen - mehrheit welche dieſe Partei im Fuͤrſtenrathe beſaß, hatte ſich bisher die gleiche Stimmenanzahl entgegengeſetzt welche die proteſtantiſche im churfuͤrſtlichen Collegium behauptete; geſchah die Uebertragung, ſo war man einer ſolchen Feſſel auf immer entledigt3)Instruttione a Mr Sacchetti nuntio in Spagna bezeich -.
470Buch VII. Kap. 1. Ausbreitung des Kathol.Von jeher ſtand der paͤpſtliche Hof mit Baiern in en - gem Vernehmen: auch Gregor XV. machte dieſe Sache recht eigentlich zu der ſeinigen.
Gleich durch den erſten Nuntius, den er nach Spanien ſchickte, ließ er den Koͤnig ermahnen, zur Vernichtung des Pfalzgrafen, zur Uebertragung der Chur beizutragen, — was die kaiſerliche Krone auf ewig den Katholiken ſichern werde1)Instruttione a Monsr Sangro. Er wird ermahnt, di in - fervorare S. Mtà, acciò non si lasci risorgere il Palatino, e si metta l’elettorato in persona cattolica, e si assicuri l’impero eter - namente fra cattolici. . Nicht ſo ganz leicht waren die Spanier dazu zu ſtimmen. Sie ſtanden mit dem Koͤnige von England in den wichtigſten Unterhandlungen, und trugen Bedenken ihn in ſeinem Schwiegerſohne, jenem Pfalzgrafen Friedrich, dem ja die Chur gehoͤrte, zu beleidigen. Um ſo eifriger ward Papſt Gregor. An dem Nuntius war es ihm nicht genug: im Jahre 1622 finden wir auch den geſchickten Capuziner Bruder Hyacinth, der das beſondere Vertrauen Maximi - lians genoß, im paͤpſtlichen Auftrage an dem ſpaniſchen Hofe2)Khevenhiller IX, p. 1766.. Hoͤchſt ungern ging man dort naͤher heraus. Nur ſo viel erklaͤrte endlich der Koͤnig, er wolle die Chur lieber in dem baieriſchen Hauſe ſehen als in ſeinem eigenen. Dem Bruder Hyacinth genuͤgte dieß. Mit dieſer Erklaͤ -3)net die Ruͤckgabe der Pfalz als eine irreparabile perdita della re - putazione di questo fatto e della chiesa cattolica, se il papa ci avesse condisceso, con indicibil danno della religione cattolica e dell’ imperio, che tanti e tanti anni hanno bramato, senza po - terlo sapere non che ottenere, il quarto elettor cattolico in ser - vitio ancora del sangue Austriaco. 471Uebertragung der Chur.rung eilte er nach Wien, um dem Kaiſer die Zweifel zu benehmen die er aus Ruͤckſicht auf Spanien hegen moͤchte. Hier kam ihm dann der gewohnte Einfluß des Nuntius Caraffa, der Papſt ſelbſt kam ihm mit einem neuen Schreiben zu Huͤlfe. „ Siehe da “, ruft der Papſt darin dem Kaiſer zu, „ die Pforten des Himmels ſind geoͤffnet: die himmli - ſchen Heerſcharen treiben dich an, eine ſo große Ehre zu erwerben: ſie werden in deinem Lager fuͤr dich ſtreiten. “ Eine beſondere Betrachtung wirkte hiebei auf den Kai - ſer, die ihn recht eigen bezeichnet. Schon lange dachte er auf die Uebertragung, und hatte dieſe Abſicht in einem Briefe ausgeſprochen, der den Proteſtanten in die Haͤnde fiel und von denſelben bekannt gemacht ward. Der Kaiſer fand ſich hiedurch gleichſam gebunden. Er glaubte, es gehoͤre zur Behauptung ſeines kaiſerlichen Anſehens, einen einmal ge - hegten Willen um ſo ſtrenger feſtzuhalten, jemehr man da - von erfahren habe. Genug er faßte die Reſolution, bei dem naͤchſten Churfuͤrſtentage zur Uebertragung zu ſchreiten1)Caraffa: Germ. restaur. p. 120..
Es fragte ſich nur, ob das auch die Reichsfuͤrſten bil - ligen wuͤrden. Das Meiſte kam hiebei auf Schweikard von Mainz an, und der Nuntius Montorio wenigſtens verſi - chert, anfangs ſey dieſer bedaͤchtige Fuͤrſt dagegen geweſen: er habe erklaͤrt, der Krieg werde ſich nur noch furchtba - rer erneuern, als er ſchon gewuͤthet: uͤbrigens ſtehe, wenn man ja zu einer Veraͤnderung ſchreiten wolle, dem Pfalz - grafen von Neuburg das naͤhere Recht zu, man koͤnne ihn unmoͤglich vorbeigehn. Der Nuntius ſagt nicht, wodurch er den Fuͤrſten endlich uͤberredete. „ In den vier oder fuͤnf472Buch VII. Kap. 2. Allgemeine AusbreitungTagen, ſind ſeine Worte die ich mit ihm in Aſchaffenburg zubrachte, erlangte ich den erwuͤnſchten Beſchluß. “ Nur ſo viel ſehen wir: auf den Fall, daß es aufs neue zum Krieg komme, ward die ernſtliche Huͤlfe des Papſtes zugeſagt.
Der Entſchluß des Churfuͤrſten von Mainz war aber fuͤr die Sache entſcheidend. Seine beiden rheiniſchen Colle - gen folgten ſeiner Meinung. Obwohl Brandenburg und Sachſen noch immer widerſprachen — erſt ſpaͤter ward der ſaͤchſiſche Widerſpruch ebenfalls durch den Erzbiſchof von Mainz beſeitigt1)Montorio nennt Schweikard unico instigatore a far vol - tare Sassonia a favore dell’ impre nella translatione dell’ elet - torato. — obwohl auch der ſpaniſche Geſandte ſich jetzt geradezu dagegen erklaͤrte2)Oñates Erklaͤrung und das heftige Schreiben Ludoviſio’s wider die Zuruͤckgabe einer Chur an einen gotteslaͤſterlichen Calvi - niſten bei Khevenhiller X, 67. 68.: ſo ſchritt doch der Kaiſer ſtandhaft vorwaͤrts. Am 25. Febr. 1623 uͤbertrug er die Chur auf ſeinen ſiegreichen Verbuͤndeten; doch ſollte ſie an - fangs bloß ein perſoͤnlicher Beſitz ſeyn: den pfaͤlziſchen Er - ben und Agnaten ſollten ihre Rechte fuͤr die Zukunft vor - behalten bleiben.
Indeſſen war auch unter dieſer Bedingung unendlich viel gewonnen, vor allem das Uebergewicht in dem hoͤchſten Rathe des Reiches, deſſen Veifall nunmehr jedem neuen Beſchluß zum Vortheil des Katholicismus eine rechtliche Sanction gab.
Maximilian ſah wohl, wie viel er hiebei Papſt Gre - gor dem XV. zu verdanken hatte. „ Ew. Heiligkeit, “ſchreibt er ihm, „ hat dieſe Sache nicht allein befoͤrdert, ſondern durch473des Katholicismus. Frankreich.Ihre Erinnerungen, Ihr Anſehen, Ihre eifrigen Bemuͤhun - gen geradezu bewirkt. Ganz und gar muß ſie der Gunſt und Wachſamkeit Ew. Heiligkeit zugeſchrieben werden. “
„ Dein Schreiben, o Sohn, “antwortete Gregor XV, „ hat unſere Bruſt mit einem Strome von Wonne wie mit himmliſchem Manna erfuͤllt: endlich darf die Tochter Sion die Aſche der Trauer von ihrem Haupte ſchuͤtteln und ſich in feſtliche Gewande kleiden. “1)Giunti, Vita di Ludovisio Ludovisi, ſchreibt das Verdienſt hauptſaͤchlich dem Nepoten zu. Da S. Stà e dal Cle furono scritte molte lettere anche di proprio pugno piene d’ardore et efficacia per disporre Cesare, et in oltre fu mandato Mor Verospi andi - tore di rota e doppo il P. F. Giacinto di Casale cappuccino. Durch dieſe ſey dem Kaiſer geſagt worden, che il vicario di Chri - sto per parte del Sre fin con le lacrime lo pregava e scongiu - rava e le ne prometteva felicità e sicurezza della sua salute.
In dem nemlichen Momente trat nun auch die große Wendung der Dinge in Frankreich ein.
Fragen wir, woher im Jahr 1621 die Verluſte des Proteſtantismus hauptſaͤchlich kamen, ſo war es die Ent - zweiung derſelben, der Abfall des Adels. Es moͤchte wohl ſeyn, daß dieß mit jenen republikaniſchen Beſtrebungen zu - ſammenhing, die eine municipale, eine theologiſche Grund - lage hatten, und dem Einfluß des Adels unguͤnſtig waren. Die Edelleute mochten es nuͤtzlicher finden ſich an Koͤnig und Hof anzuſchließen als ſich von Predigern und Buͤrgermei -474Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungſtern regieren zu laſſen. Genug ſchon im Jahre 1621 wur - den die Sicherheitsplaͤtze von ihren Gouverneurs wetteifernd uͤberliefert: ein Jeder ſuchte nur ſich ſelbſt eine guͤnſtige Stellung auszubedingen: im Jahre 1622 wiederholte ſich dieß: La Force und Chatillon erhielten Marſchallſtaͤbe, als ſie von ihren Glaubensgenoſſen abfielen: der alte Lesdiguie - res ward katholiſch1)Mémoires de Deageant p. 190 und an vielen andern Stel - len, recht merkwuͤrdig uͤber dieſen Uebertritt. und fuͤhrte ſelbſt eine Heeresabtheilung gegen die Proteſtanten an: ihr Beiſpiel riß viele andere zum Uebertritt fort2)Liste des gentilhommes de la religion reduits au roi bei Malingre: Histoire des derniers troubles arrivés en France p. 789. Auch Rohan ſchloß ſeinen Vertrag, ungluͤcklicherweiſe ſind aber die Artikel deſſelben, wie ſie im Mercure de France VII, p. 845 ſtehn, nicht authentiſch.. Unter dieſen Umſtaͤnden konnte 1622 nur ein hoͤchſt unguͤnſtiger Friede geſchloſſen werden. Ja man durfte ſich nicht einmal ſchmeicheln, daß er gehalten werden wuͤrde. Fruͤher, als die Proteſtanten maͤchtig wa - ren, hatte der Koͤnig die Vertraͤge ſo oft uͤbertreten und gebrochen: ſollte er ſie beobachten, nachdem dieſe ihre Macht verloren hatten? Es geſchah alles was der Friede un - terſagte: das proteſtantiſche Exercitium ward an vielen Or - ten geradezu verhindert: man verbot den Reformirten auf der Straße, in den Laͤden ihre Pſalmen zu ſingen: ihre Rechte auf den Univerſitaͤten wurden beſchraͤnkt3)Benoist II, 419.: Fort Louys, das man zu ſchleifen verſprochen, ward beibehal - ten: es folgte ein Verſuch, die Wahl der Magiſtrate in den proteſtantiſchen Staͤdten in koͤnigliche Haͤnde zu brin -475des Katholicismus. Frankreich.gen1)Rohan: Mém. l. III. : gleich durch ein Edict vom 17. April 1622 ward ein Commiſſaͤr fuͤr die Verſammlungen der Reformirten auf - geſtellt; nachdem ſich dieſe einmal einen ſo großen Eingriff in ihre althergebrachten Freiheiten gefallen laſſen, miſchte ſich die Regierung in die eigentlich kirchlichen Angelegen - heiten: die Hugenotten wurden durch die Commiſſaͤre ver - hindert die Beſchluͤſſe der Dordrechter Synode anzunehmen.
Es war keine Selbſtaͤndigkeit mehr in ihnen: ſie konn - ten keinen nachhaltigen Widerſtand mehr leiſten. In ih - rem ganzem Gebiete griffen die Bekehrungen um ſich.
Die Capuziner erfuͤllten Poitou und Languedoc mit Miſſionen2)Instruttione all’ arcivescovo di Damiata MS. : die Jeſuiten, welche in Aix, Lyon, Pau und vielen andern Orten neue Inſtitute erhielten, mach - ten in den Staͤdten und auf dem Lande die groͤßten Fort - ſchritte: ihre marianiſchen Sodalitaͤten wußten durch die Bemuͤhung, die ſie den im letzten Kriege Verwundeten widmeten, die allgemeine Aufmerkſamkeit und Billigung zu erwerben3)Cordara: Historia soc. Jesu VII, 95. 118..
Auch Franciscaner zeichneten ſich aus, wie jener Pa - ter Villele von Bourdeaux, von dem man faſt mythiſch erzaͤhlt, nachdem er die ganze Stadt Foix auf ſeine Seite gebracht, habe ſich auch ein mehr als hundertjaͤhriger Al - ter wieder bequemt: eben derſelbe, der einſt aus der Hand Calvins den erſten proteſtantiſchen Prediger empfangen und nach Foix gefuͤhrt hatte. Die proteſtantiſche Kirche ward niedergeriſſen: den verjagten Prediger ließen die triumphi -476Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungrenden Patres durch einen Trompeter von Stadt zu Stadt begleiten1)Relation catholique, eingeſchaltet in den Mercure fran - çois VIII, 489. .
Genug die Bekehrung ſchritt maͤchtig fort: Vornehme, Geringe, ſelbſt Gelehrte traten uͤber: auf dieſe letzten wirkte beſonders der Beweis, daß ſchon die alte Kirche vor dem Concilium von Nicaͤa die Heiligen angerufen, fuͤr die Ver - ſtorbenen gebetet, eine Hierarchie und viele katholiſche Ge - braͤuche gehabt habe.
Wir haben Relationen einiger Biſchoͤfe uͤbrig, aus denen ſich das numeriſche Verhaͤltniß der Bekenntniſſe er - gibt, wie es ſich unter dieſen Umſtaͤnden feſtſetzte. In dem Sprengel von Poitiers war in einigen Staͤdten die Haͤlfte der Einwohner proteſtantiſch, z. B. in Luſignan, S. Mai - xant: in andern, wie Chauvigny, Niort, ein Drittel: ein Viertel in Loudun: in Poitiers ſelbſt nur der zwanzigſte Theil: bei weitem eine geringere noch auf dem Lande2)Relatione del vescovo di Poitiers 1623. MS. . Auch zu Behuf der Bekehrung ſtanden die Biſchoͤfe in un - mittelbarem Verkehr mit dem roͤmiſchen Stuhle: ſie mach - ten ihm ihre Berichte, und trugen ihm ihre Wuͤnſche vor; der Nuntius war angewieſen, was ſie ihm ange - ben wuͤrden, an den Koͤnig zu bringen und zu bevor - worten. Sie gehn hiebei oft ſehr ins Einzelne. Der Bi - ſchof von Vienne z. B. findet die Miſſionarien beſonders von einem Prediger in S. Marcellin gehemmt, der ſich unuͤberwindlich zeigt: der Nuntius wird beauftragt die Entfernung deſſelben bei Hofe zu betreiben. Er ſoll den477des Katholicismus. Frankreich.Biſchof von S. Malo unterſtuͤtzen, der ſich beklagt hat, daß man in einem Schloſſe ſeiner Dioͤces keinen katholi - ſchen Gottesdienſt dulde. Dem Biſchof von Xaintes ſoll er einen geſchickten Bekehrer, der ihm namhaft gemacht wird, zufertigen. Zuweilen werden die Biſchoͤfe aufgefor - dert, wenn ſie auf Hinderniſſe ſtoßen, naͤher anzugeben, was ſich thun laſſe, damit es der Nuntius dem Koͤnig vor - tragen koͤnne1)Instruttione all’ arcivescovo di Damiata: — es ſey ein Beiſpiel genug. Dalla relatione del vescovo di Candon si cava, che ha il detto vescovo la terra di Neaco, ove sono molti ere - tici, con una missione di Gesuiti, li quali in danno s’affaticano se con l’autorità temporale il re non da qualche buon ordine: ed ella potrà scrivere al detto vescovo che avvisi ciò che può fare Sua Mtà, perchè nella relazione non lo specifica. Da quella del vescovo di S. Malo s’intende che in un castello e villa del marchese di Moussaye è solo lecito di predicare a Cal - vinisti: però sarebbe bene di ricordare alla Mtà del re che le - vasse i predicatori acciocchè i missionarj del vescovo potessero far frutto: il castello e villa non è nominato nella relazione, e però si potrà scrivere al vescovo per saperlo. Il vescovo di Monpellier avvisa di haver carestia d’operarj, e che dagli ere - tici sono sentiti volontieri i padri Cappuccini, onde se gli po - trebbe procurare una missione di questi padri. .
Es iſt eine enge Vereinigung aller geiſtlichen Gewal - ten mit der Propaganda, die ſich, wie geſagt, in den erſten Jahren vielleicht am wirkſamſten zeigte, und dem Papſte: Eifer, lebendige Thaͤtigkeit im Gefolge einer gluͤcklichen Entſcheidung der Waffen: Theilnahme des Hofes, der hierin ein großes politiſches Intereſſe ſieht: — ein Zeitraum des - halb, in welchem ſich die Verluſte des Proteſtantismus in Frankreich auf immer[entſcheiden].
478Buch VII. Kap. 2. Allgemeine AusbreitungEs beſchraͤnkten ſich aber dieſe Fortſchritte nicht auf Laͤnder wo die Regierung katholiſch war: in dem nemli - chen Moment zeigten ſie ſich auch unter proteſtantiſchen Herrſchaften.
Man erſtaunt ſchon, wenn man bei Bentivoglio lieſt, daß in jenen niederlaͤndiſchen Staͤdten, die dem Koͤnig von Spanien doch hauptſaͤchlich um der Religion willen ſo hel - denmuͤthig und ſo lange Widerſtand geleiſtet hatten, viel - leicht der groͤßere Theil der angeſehenen Haͤuſer ſich zum Katholicismus bekannt habe1)Relatione delle provincie ubbidienti parte II, c. II, wo von der Religion in Holland die Rede iſt.: allein noch bei weitem auffallender iſt es, wenn eine ſehr ins Einzelne gehende Re - lation vom Jahre 1622 ſogar von Zunahme und Fortſchrit - ten des Katholicismus unter ſo unguͤnſtigen Umſtaͤnden be - richtet. Die Prieſter wurden verfolgt, verjagt: deſſenun - geachtet nahm ihre Anzahl zu. Im Jahre 1592 war der erſte Jeſuit nach den Niederlanden gekommen: im Jahre 1622 zaͤhlte man 22 Mitglieder dieſes Ordens daſelbſt. Aus den Collegien von Coͤln und Loͤwen gingen immer neue Arbeiter hervor: im J. 1622 waren 220 Weltprieſter in den Provinzen beſchaͤftigt, — aber ſie reichten fuͤr das Beduͤrfniß bei weitem nicht hin. Jener Relation zufolge ſtieg die Anzahl der Katholiken in der Erzdioͤces Utrecht auf 150000, in479des Katholicismus. Vereinigte Niederlande.der Dioͤees Harlem, zu welcher Amſterdam gehoͤrte, auf 100000 Seelen: Leuwarden hatte 15000, Groͤningen 20000, Deventer 60000 Katholiken: — der apoſtoliſche Vicar, welcher damals vom roͤmiſchen Stuhl nach Deventer ge - ſchickt ward, hat dort in 3 Staͤdten und einigen Doͤrfern 12000 Perſonen die Firmelung ertheilt. Die Zahlen die - ſer Relation werden ſehr uͤbertrieben ſeyn: aber man ſieht doch, daß auch dieß ſo vorzugsweiſe proteſtantiſche Land noch ungemein ſtarke katholiſche Elemente hatte. Wurden doch ſelbſt jene Bisthuͤmer, die Philipp II. hier einzu - fuͤhren geſucht, von den Katholiſchen fortwaͤhrend aner - kannt1)Compendium status in quo nunc est religio catholica in Holandia et confoederatis Belgii provinciis 1622 2 dec. : „ his non obstantibus — laus deo — quotidie crescit catholicorum nu - merus, praesertim accedente dissensione haereticorum inter se. “. Eine Lage der Dinge, die es eben ſeyn mochte, was in den Spaniern den Muth erweckte ihren Krieg wie - der zu erneuern.
Friedlichere Ausſichten hatten ſich indeß in England eroͤffnet. Der Sohn der Maria Stuart vereinigte die groß - britanniſchen Kronen: und entſchloſſener als je naͤherte er ſich jetzt den katholiſchen Maͤchten.
Schon ehe Jacob I. den engliſchen Thron beſtieg, ließ ihn Clemens VIII. wiſſen, „ er bete fuͤr ihn, als den Sohn einer ſo tugendreichen Mutter: er wuͤnſche ihm alles welt -480Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungliche und geiſtliche Heil: er hoffe noch ihn ſelbſt katholiſch zu ſehen. “ In Rom beging man dieſe Thronbeſteigung mit feierlichen Gebeten und Proceſſionen.
Eine Annaͤherung die Jacob auf eine entſprechende Weiſe zu erwiedern nicht haͤtte wagen duͤrfen, wenn er auch dazu geneigt geweſen waͤre. Aber er geſtattete doch, daß ſein Geſandter Parry in Paris mit dem dortigen Nuntius Bubalis in vertrauliches Vernehmen trat. Der Nuntius kam mit einem Schreiben des Cardinal-Nepoten Aldobran - dino hervor, worin dieſer die engliſchen Katholiken er - mahnte dem Koͤnig Jacob als ihrem Koͤnig und natuͤrli - chen Herrn zu gehorchen, ja fuͤr ihn zu beten: Parry ant - wortete mit einer Inſtruction Jacobs I, worin dieſer ver - ſprach die friedfertigen Katholiken ohne alle Beſchwerde le - ben zu laſſen1)Breve relatione di quanto si è trattato tra S. Stà ed il re d’Inghilterra (MS Rom.) .
In der That fing man in dem noͤrdlichen England wieder an die Meſſe oͤffentlich zu halten: die Puritaner be - klagten ſich, es ſeyen ſeit kurzem 50000 Englaͤnder zum Katholicismus uͤbergetreten: Jacob ſoll ihnen die Antwort gegeben haben: „ ſie moͤchten ihrerſeits eben ſo viel Spa - nier und Italiener bekehren. “
Dieſe Erfolge moͤgen die Katholiken veranlaßt haben ihre Hoffnungen zu hoch zu ſpannen. Als ſich der Koͤnig dabei doch immer auf der andern Seite hielt, die alten Par - lamentsacten doch wieder ausgefuͤhrt wurden, neue Verfol - gungen eintraten, geriethen ſie in eine deſto erbittertereAuf -481des Katholicismus. Verhaͤltniß zu England.Aufregung: — in der Pulververſchwoͤrung brach ſie auf eine furchtbare Weiſe hervor.
Hierauf konnte nun auch der Koͤnig keinerlei Toleranz weiter Statt finden laſſen. Die ſtrengſten Geſetze wurden gegeben und gehandhabt: Hausſuchungen, Gefaͤngniß, Geld - ſtrafen verhaͤngt: die Prieſter, vor allem die Jeſuiten ver - bannt und verfolgt: mit aͤußerſter Strenge glaubte man ſo unternehmende Feinde in Zaum halten zu muͤſſen.
Fragte man aber den Koͤnig privatim, ſo waren ſeine Aeußerungen ſehr gemaͤßigt. Einem lothringiſchen Prin - zen, der ihn einſt nicht ohne Wiſſen Pauls V. beſuchte, ſagte er geradezu, zwiſchen den verſchiedenen Bekenntniſſen ſey doch am Ende nur ein kleiner Unterſchied. Zwar halte er das ſeine fuͤr das beſte: er nehme es an aus Ueberzeu - gung, nicht aus Staatsgruͤnden: aber gern hoͤre er auch Andere: da es allzuſchwer halte ein Concilium zu berufen, ſo wuͤrde er es gern ſehen, wenn man eine Zuſammenkunft gelehrter Maͤnner veranſtalten wollte, um eine Ausſoͤhnung zu verſuchen. Komme ihm der Papſt nur einen Schritt ent - gegen, ſo werde er von ſeiner Seite deren vier thun. Auch er erkenne die Autoritaͤt der Vaͤter an: Auguſtin gelte ihm mehr als Luther, S. Bernhard mehr als Calvin: ja er ſehe in der roͤmiſchen Kirche, ſelbſt der gegenwaͤrtigen, die wahre Kirche, die Mutter aller andern: nur habe ſie eine Reinigung noͤthig: — er geſtehe ein, was er freilich einem Nuntius nicht ſagen wuͤrde, aber wohl einem Freund und Vetter anvertrauen koͤnne, der Papſt ſey das Haupt der Kirche, der oberſte Biſchof1)che riconosce la chiesa Romana etiandio quella d’adesso. Ihm thue man deshalbPäpſte* 31482Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitunggroßes Unrecht, wenn man ihn als Ketzer oder Schisma - tiker bezeichne: ein Ketzer ſey er nicht, denn er glaube eben das was der Papſt glaube, nur daß dieſer einiges mehr annehme: auch kein Schismatiker, denn er halte den Papſt fuͤr das Oberhaupt der Kirche.
Bei ſolchen Geſinnungen und einer damit zuſammen - hangenden Abneigung gegen die puritaniſche Seite des Pro - teſtantismus, waͤre es dem Koͤnig allerdings lieber gewe - ſen, ſich mit den Katholiken friedlich zu verſtaͤndigen, als ſie mit Gewalt und unaufhoͤrlicher Gefahr in Zaum zu halten.
Noch immer waren ſie in England maͤchtig und zahl - reich. Trotz großer Niederlagen und Verluſte, oder viel - mehr gerade in Folge derſelben war Irland in unaufhoͤr - licher Gaͤhrung: es hatte ein großes Intereſſe fuͤr den Koͤ - nig, ſich dieſes Widerſtandes zu entledigen1)Relatione di D. Lazzari 1621 gruͤndet ſeine Vorſchlaͤge auf die Furchtſamkeit des Koͤnigs: „ havendo io esperimentato per ma - nifesti segni che prevale in lui più il timore che l’ira. “ Uebrigens „ per la pratica che ho di lui (del re) lo stimo indifferente in qualsivoglia religione. “.
Nun muß man wiſſen, daß ſich engliſche und iriſche Katholiken an Spanien anſchloſſen. Die ſpaniſchen Bot - ſchafter in London, gewandt, klug, praͤchtig, hatten ſich einen ungemeinen Anhang verſchafft: ihre Capelle war im -1)per la vera chiesa e madre di tutte, ma ch’ella aveva bisogno d’esser purgata, e di più ch’egli sapeva che V. Stà è capo di essa chiesa e primo vescovo. Aeußerungen die ſich doch auf keine Weiſe mit dem Prinzip der engliſchen Kirche vereinigen laſſen, wie ſie aber dieſem Fuͤrſten auch anderwaͤrts zugeſchrieben werden. (Re - latione del Sr di Breval al papa.)483des Katholicismus. Verhaͤltniß zu England.mer voll, die heilige Woche ward daſelbſt mit großer Ce - lebritaͤt gefeiert: auch nahmen ſich die Geſandten ihrer Glaubensgenoſſen haͤufig an, ſie wurden, wie ein Vene - zianer ſagt, gleichſam als die Legaten des apoſtoliſchen Stuhles betrachtet.
Ich fuͤrchte nicht zu irren, wenn ich annehme, daß es vor allem dieß Verhaͤltniß war, was Koͤnig Jacob auf den Gedanken brachte ſeinen Erben mit einer ſpaniſchen Prinzeſſin zu vermaͤhlen. Er hoffte, daß er ſich hiedurch der Katholiken verſichern, daß er die Gunſt, welche dieſe dem ſpaniſchen Hauſe widmeten, fuͤr das ſeine gewin - nen werde. Die auswaͤrtigen Verhaͤltniſſe fuͤgten einen neuen Beweggrund hinzu. Es ließ ſich erwarten, daß das Haus Oeſtreich, ſo nahe mit ihm verwandt, ſich ſeinem Schwiegerſohne von der Pfalz guͤnſtiger zeigen wuͤrde.
Es fragte ſich nur, ob die Sache ausgefuͤhrt werden koͤnne. In der Verſchiedenheit der Religion lag ein Hin - derniß, das fuͤr jene Zeit wahrhaft ſchwer zu beſeitigen war.
Immer wird die Welt, die Ordnung der Dinge von einem phantaſtiſchen Element umgeben ſeyn, das ſich in Poeſie und romantiſchen Erzaͤhlungen ausſpricht, und dann in der Jugend leicht auf das Leben zuruͤckwirkt. Indem die Unterhandlungen, die man angeknuͤpft, ſich von Tage zu Tage, von Monat zu Monat verzogen, faßte der Prinz von Wales mit ſeinem vertrauten Freund und Altersgenoſ - ſen Buckingham den romanhaften Gedanken, ſich ſelbſt aufzumachen und ſich ſeine Braut zu holen1)Papers relative to the spanish match, in Hardwicke Pa - pers I, p. 399. Sie enthalten eine Correſpondenz zwiſchen Jacob I. . Nicht ganz31*484Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungohne Antheil an dieſem Unternehmen ſcheint der ſpaniſche Botſchafter Gondomar geweſen zu ſeyn. Er hatte dem Prin - zen geſagt, ſeine Gegenwart werde allen Schwierigkeiten ein Ende machen.
Wie erſtaunte der engliſche Geſandte in Madrid, Lord Digby, der bis jetzt dieſe Unterhandlungen gefuͤhrt hatte, als er eines Tages aus ſeinem Zimmer gerufen ward, weil ein paar Cavaliere ihn zu ſprechen verlangten, und als er dann in dieſen Cavalieren den Sohn und den Guͤnſtling ſei - nes Koͤnigs erkannte!
Und allerdings ſchritt man nun auf das ernſtlichſte an die Beſeitigung jener religioͤſen Schwierigkeit.
Man bedurfte dazu der paͤpſtlichen Beiſtimmung, und Koͤnig Jacob hatte ſich nicht geſcheut mit Paul V. unmit - telbare Unterhandlungen daruͤber anzuknuͤpfen. Doch hatte dieſer Papſt nur unter der Bedingung einwilligen wollen, daß der Koͤnig den Katholiken ſeines Landes vollkommene Religionsfreiheit gewaͤhre. Auf Gregor XV. machte dage - gen die Demonſtration die in der Reiſe des Prinzen lag, einen ſolchen Eindruck, daß er auch ſchon geringere Zuge - ſtaͤndniſſe fuͤr annehmlich hielt. In einem Schreiben an den Prinzen druͤckte er demſelben ſeine Hoffnung aus, „ daß ſich der alte Same chriſtlicher Froͤmmigkeit, wie er ehedem in engliſchen Koͤnigen Bluͤthen getragen, jetzt in ihm wie -1)und den beiden Reiſenden, welche das groͤßte Intereſſe an den Perſonen erweckt. Die Fehler Jacobs erſcheinen wenigſtens ſehr menſchlich. Sein erſter Brief faͤngt an: My sweat boys and dear ventrous knights worthy to be put in a new romanso. — My sweat boys iſt die gewoͤhnliche Anrede: dear dad and gossip ſchrei - ben ſie.485des Katholicismus. Verhaͤltniß zu England.der beleben werde: auf keinen Fall koͤnne er, da er ſich mit einem katholiſchen Fraͤulein zu vermaͤhlen denke, die katholiſche Kirche unterdruͤcken wollen. “ Der Prinz ant - wortete, niemals werde er eine Feindſeligkeit gegen die roͤ - miſche Kirche ausuͤben: er werde es dahin zu bringen ſu - chen, „ ſo wie wir alle “, ſagte er, „ Einen dreieinigen Gott und Einen gekreuzigten Chriſtus bekennen, daß wir uns auch alle zu Einem Glauben und Einer Kirche vereinigen “1)Oefter gedruckt: ich folge dem Abdruck in Clarendon und Hardwicke Papers, der nach dem Original gemacht ſeyn will.. Man ſieht, wie ſehr man ſich von beiden Seiten einander naͤherte. Olivarez behauptete, den Papſt auf das drin - gendſte um die Dispenſation erſucht, ihm erklaͤrt zu haben, der Koͤnig koͤnne dem Prinzen nichts verſagen was in ſei - nem Koͤnigreiche ſey2)In der erſten Freude ſagte er ſogar, nach Buckinghams Erzaͤhlung (20. Merz): that if the pope would not give a dis - pensation for a wife, they would give the infanta to thy sons Baby as his wench. . Auch die engliſchen Katholiken drangen in den Papſt: ſie ſtellten vor, daß die Verweige - rung der Dispenſation eine neue Verfolgung uͤber ſie her - beiziehen werde.
Hierauf kam man dann uͤber die Punkte uͤberein, welche der Koͤnig zu verſprechen habe.
Nicht allein ſollte die Infantin mit ihrem Gefolge ihre Religion in einer Capelle am Hoflager ausuͤben duͤrfen: auch die erſte Erziehung der Prinzen aus dieſer Ehe ſollte von ihr abhangen: kein Poͤnalgeſetz ſollte auf dieſelben An - wendung finden, oder ihr Thronfolgerecht zweifelhaft ma -486Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungchen koͤnnen, wenn ſie auch katholiſch blieben:1)Das Wichtigſte und die Quelle vielen Unheils. Der Artikel lautet: quod leges contra catholicos Romanos latae vel ferendae in Anglia et aliis regnis regi magnae Britanniae subjectis non attingent liberos ex hoc matrimonio oriundos, et libere jure suc - cessionis in regnis et dominiis magnae Britanniae fruantur. (Merc. franc. IX, Appendice II, 18.) — uͤber - haupt gelobte der Koͤnig, „ die Privatuͤbung der katholiſchen Religion nicht zu ſtoͤren, die Katholiſchen zu keinem Eide zu noͤthigen der ihrem Glauben widerſpreche, und dafuͤr zu ſorgen, daß die Geſetze gegen die Katholiken von dem Par - lamente abgeſchafft wuͤrden. “
Im Auguſt 1623 beſchwur Koͤnig Jacob dieſe Arti - kel, und es ſchien kein Zweifel an der Vollziehung der Vermaͤhlung uͤbrig zu bleiben.
In Spanien ſtellte man Feſtlichkeiten an: der Hof empfing die Gluͤckwuͤnſche: die Geſandten wurden foͤrmlich benachrichtigt: die Hofdamen der Infantin und ihr Beicht - vater wurden angewieſen, ſich kein Wort entfallen zu laſ - ſen, das dieſer Heirath zuwider laufe.
Koͤnig Jacob erinnerte ſeinen Sohn, in der Freude dieſer gluͤcklichen Verhaͤltniſſe auch ſeiner Neffen nicht zu vergeſſen, die ihres Erbtheils beraubt ſeyen, ſeiner Schwe - ſter, die in Thraͤnen ſchwimme. Eifrig nahm man die pfaͤlziſche Sache auf. Es ward der Entwurf gemacht auch die kaiſerliche Linie und das pfaͤlziſche Haus in die neue Verwandtſchaft zu ziehen: — der Sohn des geaͤchte - ten Churfuͤrſten ſollte mit einer Tochter des Kaiſers ver - maͤhlt werden: um Baiern nicht zu beleidigen ward die Er - richtung einer achten Chur in Vorſchlag gebracht. Der487des Katholicismus. Verhaͤltniß zu England.Kaiſer eroͤffnete hieruͤber ſogleich die Unterhandlung mit Maximilian von Baiern, der denn auch nicht dawider war, und nur die Forderung machte, daß die uͤbertragene pfaͤlziſche Chur ihm verbleibe und die neu zu errichtende achte an die Pfalz komme. Fuͤr die katholiſchen Intereſ - ſen trug dieß nicht viel aus. In der wiederhergeſtellten Pfalz ſollten die Katholiken Religionsfreiheit genießen: in dem Churfuͤrſtencollegium wuͤrden ſie doch immer die Stim - menmehrheit behauptet haben1)Bei Khevenhiller X, 114. .
So trat die Macht, die unter der vorigen Regierung das Hauptbollwerk des Proteſtantismus gebildet, in die freundſchaftlichſte Beziehung zu jenen alten Feinden, denen ſie einen unverſoͤhnlichen Haß geſchworen zu haben ſchien, dem Papſt und Spanien. Schon fing man in England an, die Katholiken ganz anders zu behandeln. Die Haus - ſuchungen und Verfolgungen hoͤrten auf: gewiſſe Eideslei - ſtungen wurden nicht mehr gefordert: die katholiſche Capelle erhob ſich, den Proteſtanten zum Verdruß: die puritaniſchen Eiferer welche die Vermaͤhlung verdammten, wurden be - ſtraft. Koͤnig Jacob zweifelte nicht, daß er noch vor Win - ter ſeinen Sohn und deſſen junge Gemahlin, ſo wie ſeinen Guͤnſtling umarmen werde: alle ſeine Briefe druͤcken ein herzliches Verlangen danach aus.
Es leuchtet ein, welche Vortheile ſich ſchon aus der Ausfuͤhrung jener Artikel ergeben mußten: die Verbindung ſelbſt aber ließ noch ganz andere, unabſehliche Folgen er - warten. — Was der Gewalt nicht gelungen, einen Ein - fluß auf die Staatsverwaltung in England zu erwerben,488Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungſchien jetzt auf dem friedlichſten, natuͤrlichſten Wege erreicht zu ſeyn.
An dieſer Stelle, in der Betrachtung dieſes glaͤnzen - den Fortganges in Europa moͤgen wir wohl auch unſere Augen nach den entferntern Weltgegenden richten, in wel - chen der Katholicismus vermoͤge verwandter Antriebe ge - waltig vorgedrungen war.
Gleich in der erſten Idee, welche die Entdeckungen und Eroberungen der Spanier und Portugieſen hervorrief, lag ein religioͤſes Moment; es hatte ſie immer beglei - tet, belebt; und in den entwickelten Reichen ſowohl im Oſten als im Weſten trat es maͤchtig hervor.
Im Anfange des 17. Jahrhunderts finden wir das ſtolze Gebaͤude der katholiſchen Kirche in Suͤdamerika voͤl - lig aufgerichtet. Es ſind 5 Erzbisthuͤmer, 27 Bisthuͤmer, 400 Kloͤſter, unzaͤhlige Pfarren und Doctrinas daſelbſt1)Herrera descripcion de las Indias p. 80. . Praͤchtige Kathedralen erheben ſich: die glaͤnzendſte vielleicht in Los Angeles. Die Jeſuiten lehren Grammatik und freie Kuͤnſte: mit ihrem Collegium San Ildefonſo zu Mexico iſt ein theologiſches Seminar verbunden. Auf den Univerſitaͤ - ten zu Mexico und Lima werden alle theologiſchen Disci - plinen gelehrt. Man findet, daß die Amerikaner von euro - paͤiſcher Abſtammung ſich durch beſondern Scharfſinn aus - zeichnen; ſie ſelbſt bedauern nur von dem Anblick der koͤnig -489des Katholicismus. Suͤdamerika.lichen Gnade zu weit entfernt zu ſeyn um auch nach Ver - dienſt belohnt werden zu koͤnnen. In regelmaͤßigem Fortſchritt haben indeß vorzuͤglich die Bettelorden das Chriſtenthum uͤber den ſuͤdamerikaniſchen Continent auszubrciten ange - fangen. Die Eroberung hat ſich in Miſſion verwandelt, die Miſſion iſt Civiliſation geworden: die Ordensbruͤder lehren zugleich ſaͤen und ernten, Baͤume pflanzen nnd Haͤu - ſer bauen, leſen und ſingen. Dafuͤr werden ſie dann auch mit tiefer Ergebenheit verehrt. Wenn der Pfarrer in ſeine Gemeine kommt, wird er mit Glockengelaͤute und Muſik empfangen: Blumen ſind auf den Weg geſtreut: die Frauen halten ihm ihre Kinder entgegen und bitten um ſeinen Se - gen. Die Indianer zeigen ein großes Wohlgefallen an den Aeußerlichkeiten des Gottesdienſtes. Sie werden nicht muͤde bei der Meſſe zu dienen, die Vesper zu ſingen, das Officium im Chor abzuwarten. Sie haben muſikaliſches Talent: eine Kirche auszuſchmuͤcken macht ihnen eine harmloſe Freude. Denn das Einfache, Unſchuldig-phantaſtiſche ſcheint auf ſie den groͤßten Eindruck gemacht zu haben1)Compendio y descripcion de las Indias ocidentales. MS. Tienen mucha caridad con los necessitados y en particular con los sacerdotes: que los respetan y reverencian como ministros de Christo, abraçan los mas de tal suerte las cosas de nuestra santa fe, que solo el mal exemplo que los demos es causa de que no aya entre ellos grandes santos, como lo experimente el tiempo que estuve en aquellos reynos. — Beſonders merkwuͤrdig ſind die literae annuae provinciae Paraquariae missae a Nico - lao Duran, Antv. 1636, weil hier die Jeſuiten die Spanier ent - ſernt hielten.. In ihren Traͤu - men ſehen ſie die Freuden des Paradieſes. Den Kranken erſcheint die Koͤnigin des Himmels in aller ihrer Pracht, — junge Gefaͤhrtinnen umgeben ſie und bringen den Dar -490Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungbenden Erquickung. Oder ſie zeigt ſich auch allein: und lehrt ihren Verehrer ein Lied von ihrem gekreuzigten Sohne, „ deſſen Haupt geſenkt iſt, wie der gelbe Halm ſich neigt. “
Dieſe Momente des Katholicismus ſind es, welche hier wirken. Die Moͤnche beklagen nur, daß das ſchlechte Beiſpiel der Spanier und ihre Gewaltſamkeit die Einge - bornen verderbe, dem Fortgange der Bekehrung in Weg trete.
In Oſtindien ging es nun, ſo weit die Herrſchaft der Portugieſen reichte, ungefaͤhr eben ſo. Der Katholicismus bekam in Goa einen großartigen Mittelpunkt: Jahr bei Jahr wurden Tauſende bekehrt; ſchon 1565 zaͤhlte man bei 300000 neue Chriſten um Goa, in den Bergen von Cochin und am Cap Comorin1)Maffei: Commentarius de rebus Indicis p. 21. . Aber das allgemeine Verhaͤlt - niß war doch durchaus anders. Den Waffen wie der Lehre ſtellte ſich hier eine große, eigenthuͤmliche, unbezwungene Welt entgegen: uralte Religionen, deren Dienſt Sinn und Gemuͤth feſſelte, mit der Sitte und Denkweiſe der Voͤlker innig vereinigt.
Es war die natuͤrliche Tendenz des Katholicismus auch dieſe Welt zu uͤberwinden.
Dem ganzen Thun und Treiben Franz Xavers, der be - reits 1542 in Oſtindien anlangte, liegt dieſe Idee zu Grunde. Weit und breit durchzog er Indien. Er betete am Grabe des Apoſtels Thomas zu Meliapur: er predigte von einem Baume herab dem Volke von Travancor: auf den Moluk - ken lehrte er geiſtliche Geſaͤnge, die dann von den Knaben auf dem Markte, von den Fiſchern auf der See wieder -491des Katholicismus. Oſtindien.holt wurden: doch war er nicht geboren um zu vollenden: ſein Wahlſpruch war: Amplius! amplius! ſein Bekehrungs - eifer war zugleich eine Art Reiſeluſt: ſchon er gelangte nach Japan: er war im Begriff den Heerd und Urſprung der Sinnesweiſe die ihm dort entgegengetreten war, in Sina aufzuſuchen, als er ſtarb1)Maffei: Historiarum Indicarum lib. XIII et XIV. .
Es liegt in der Natur der Menſchen, daß ſein Bei - ſpiel, die Schwierigkeit der Unternehmung zur Nachahmung mehr aufforderte, als davon abſchreckte. Auf die mannig - faltigſte Weiſe war man in den erſten Decennien des 17ten Jahrhunderts im Orient beſchaͤftigt.
In Madaura finden wir ſeit 1606 den Pater Nobili. Er iſt erſtaunt, wie wenig Fortſchritte das Chriſtenthum in der langen Zeit gemacht, und glaubt ſich dieß nur da - durch erklaͤren zu koͤnnen, daß die Portugieſen ſich an die Parias gewandt hatten. Chriſtus ward als ein Gott der Parias betrachtet. Ganz anders griff er es an: er hielt dafuͤr, eine wirkſame Bekehrung muͤſſe von den Vorneh - men anfangen. Er erklaͤrte bei ſeiner Ankunft, daß er vom beſten Adel ſey — er hatte Zeugniſſe dafuͤr bei ſich — und ſchloß ſich an die Braminen. Er kleidete ſich und wohnte wie ſie, unterzog ſich ihren Buͤßungen, lernte San - ſcrit, und ging auf ihre Ideen ein2)Juvencius: Historiae societ. Jesu pars V, tom. II, lib. XVIII, § IX, nr. 49. „ Brachmanum instituta omnia caerimo - niasque cognoscit: linguam vernaculam, dictam vulgo Tamuli - cam, quae latissime pertinet, addiscit: addit Baddagicam, qui principum et aulae sermo, denique Grandonicam sive Samutcra - dam, quae lingua eruditorum est, ceterum tot obsita difficulta -. Sie hegten die Mei -492Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungnung, es habe fruͤher in Indien vier Wege der Wahr - heit gegeben, von denen einer verloren gegangen. Er be - hauptete, er ſey gekommen ihnen dieſen verlornen, aber ge - radeſten, geiſtigen Weg zur Unſterblichkeit zu weiſen. Im Jahre 1609 hatte er ſchon 70 Braminen gewonnen. Er huͤtete ſich wohl, ihre Vorurtheile zu verletzen: ſelbſt ihre Unterſcheidungszeichen duldete er und gab denſel - ben nur eine andere Bedeutung: in den Kirchen ſonderte er die Staͤnde von einander ab: die Ausdruͤcke mit denen man fruͤher die chriſtlichen Lehren bezeichnet hatte, ver - tauſchte er mit eleganteren, literariſch vornehmeren. Er ver - fuhr in allen Dingen ſo geſchickt, daß er bald Schaaren von Bekehrten um ſich her ſah. Obwohl ſeine Methode viel Anſtoß erregte, ſo ſchien ſie doch auch allein geeignet vor - waͤrts zu bringen. Gregor XV. ſprach im Jahre 1621 ſeine Billigung derſelben aus.
Nicht minder merkwuͤrdig ſind die Verſuche die man um dieſelbe Zeit am Hofe des Kaiſers Akbar machte.
Man erinnert ſich, daß die alten mongoliſchen Chane, die Eroberer von Aſien, lange eine eigenthuͤmlich unentſchie - dene Stellung zwiſchen den verſchiedenen Religionen, welche die Welt theilten, einnahmen. Es ſcheint faſt, als habe Kaiſer Akbar eine aͤhnliche Geſinnung gehegt. Indem er die Jeſuiten zu ſich rief, erklaͤrte er ihnen, „ er habe alle Religionen der Erde kennen zu lernen geſucht: jetzt wuͤnſche er auch die chriſtliche kennen zu lernen: mit Huͤlfe der Vaͤter, die er ehre und ſchaͤtze. “ Den erſten feſten Sitz2)tibus, nulli ut Europaeo bene cognita fuisset ad eam diem atque inter ipsosmet Indos plurimum scire videantur qui hanc ut - cunque norint etsi aliud nihil norint. 493des Katholicismus. Oſtindien.nahm Hieronymus Xaver, Neffe des Franz, im Jahre 1595 an ſeinem Hofe: die Empoͤrungen der Mahumedaner tru - gen dazu bei, den Kaiſer guͤnſtig fuͤr die Chriſten zu ſtim - men. Im Jahre 1599 ward zu Lahore Weihnachten auf das feierlichſte begangen: die Krippe war 20 Tage lang ausgeſtellt: mit Palmen in der Hand zogen zahlreiche Ka - techumenen in die Kirche: und empfingen die Taufe. Der Kaiſer las ein Leben Chriſti, das man perſiſch verfaßt, mit vielem Vergnuͤgen: ein Muttergottesbild, nach dem Muſter der Madonna del Popolo in Rom entworfen, ließ er ſich in den Pallaſt bringen, um es auch ſeinen Frauen zu zei - gen. Die Chriſten ſchloſſen nun wohl hieraus mehr als zu ſchließen war; aber ſie brachten es doch immer ſehr weit: nach dem Tode Akbars im Jahre 1610 empfingen 3 Prinzen aus koͤniglichem Gebluͤte feierlich die Taufe. Auf weißen Elephanten ritten ſie nach der Kirche: mit Trom - peten - und Paukenſchall empfing ſie Pater Hieronymus1)Juvencius l. l. nr. 1 — 23. . Allmaͤhlig — obwohl auch hier wechſelnde Stimmungen eintraten, je nachdem man politiſch mit den Portugieſen mehr oder minder gut ſtand — ſchien es mit dem Chri - ſtenthume zu einer gewiſſen Feſtigkeit kommen zu wollen. 1621 ward ein Collegium in Agra gegruͤndet, eine Station in Patna. Noch im Jahre 1624 machte der Kaiſer Dſche - hangir Hoffnung ſelbſt uͤberzutreten.
Zu derſelben Zeit waren die Jeſuiten auch ſchon in Sina vorgedrungen. Der kunſtfertigen, wiſſenſchaftlichen, leſenden[Bevoͤlkerung] dieſes Reiches ſuchten ſie durch die Erfindungen des Occidents, durch Wiſſenſchaften beizukom - men. Den erſten Eingang fand Ricci dadurch, daß er Ma -494Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungthematik lehrte, daß er ſich geiſtig-bedeutendere Stellen aus den Schriften des Confucius aneignete und ſie recitirte: Zutritt in Peking verſchaffte ihm das Geſchenk einer Schlag - uhr, das er dem Kaiſer machte: in deſſen Gunſt und Gnade hob ihn dann nichts ſo ſehr, als daß er ihm eine Landkarte entwarf, durch welche alle Verſuche der Sineſen in dieſem Fache bei weitem uͤbertroffen wurden. Es bezeichnet Ricci, daß er, als der Kaiſer zehn ſolcher Tafeln auf Seide zu mahlen und in ſeinen Zimmern aufzuhaͤngen befahl, die Gelegenheit ergriff dabei auch etwas fuͤr das Chriſtenthum zu thun und in den Zwiſchenraͤumen der Karte chriſtliche Symbole und Spruͤche anbrachte. So war ſein Unterricht uͤberhaupt: er fing gewoͤhnlich mit Mathematik an und hoͤrte mit Religion auf: ſeine wiſſenſchaftlichen Talente verſchaff - ten ſeinen Religionslehren Anſehen. Nicht allein wurden ſeine unmittelbaren Schuͤler gewonnen, auch viele Manda - rinen, deren Tracht er angenommen, gingen zu ihm uͤber: ſchon im Jahre 1605 ward eine marianiſche Societaͤt in Peking gegruͤndet. Ricci ſtarb ſchon 1610, nicht allein von uͤberhaͤufter Arbeit, ſondern hauptſaͤchlich von den vie - len Beſuchen, den langen Mittagseſſen und alle den uͤbri - gen geſellſchaftlichen Pflichten Sina’s aufgerieben; aber auch nach ſeinem Tode folgte man dem Rathe den er gegeben „ ohne Aufſehen und Laͤrm zu Werke zu gehn, ſich bei dieſem ſtuͤrmiſchen Meere nahe an die Kuͤſten zu halten “und ſeinem wiſſenſchaftlichen Beiſpiele. Im Jahre 1610 trat eine Mondfinſterniß ein: die Vorangaben der einheimiſchen Aſtronomen und der Jeſuiten waren um eine volle Stunde verſchieden; daß die Jeſuiten aufs neue Recht495des Katholicismus. Sina.hatten, brachte ihnen großes Anſehen zu Wege1)Jouvency hat ſein ganzes 19tes Buch dem Unternehmen in Sina gewidmet, nnd demſelben p. 561 eine Abhandlung hinzuge - fuͤgt: Imperii Sinici recens et uberior notitia, die noch immer le - ſenswuͤrdig bleibt.. Sie wurden nicht allein nebſt einigen Mandarinen, ihren Schuͤ - lern, mit der Verbeſſerung der aſtronomiſchen Tafeln beauf - tragt, auch das Chriſtenthum kam vorwaͤrts. 1611 ward die erſte Kirche in Nanking eingeweiht: 1616 gibt es in 5 Provinzen des Reiches chriſtliche Kirchen: bei dem Wi - derſtande, den ſie nicht ſelten erfahren, iſt es ihnen dann vor allem nuͤtzlich, daß ihre Schuͤler Werke geſchrieben welche die Billigung der Gelehrten genießen: den drohen - den Stuͤrmen wiſſen ſie auszuweichen: auch ſie ſchließen ſich ſo enge wie moͤglich an die Gebraͤuche des Landes an: in dem Jahre 1619 werden ſie in einem oder dem an - dern Stuͤcke dazu von dem Papſt ermaͤchtigt. Und ſo ver - geht denn kein Jahr, wo ſie nicht Tauſende bekehren: all - maͤhlig ſterben ihre Gegner ab: 1624 erſcheint bereits Adam Schall: die genaue Beſchreibung von zwei Mondfinſter - niſſen, die in dieſem Jahre eintraten, eine Schrift Lom - bardo’s uͤber das Erdbeben verjuͤngen ihr Anſehen2)Relatione della Cina dell’ anno 1621. Lo stato presente di questa chiesa mi pare in universale molto simile ad una nave a cui e li venti e le nuvole minaccino di corto grave borasca, e per ciò li marinari ammainando le vele e calando le antenne fermino il corso, e stiano aspettando che si chiarisca il cielo e cessino li contrasti de’ venti: ma bene spesso avviene che tutto il male si risolve in paura e che sgombrate le furie de’ venti svanisce la tempestà contenta delle sole minaccie. Così ap - punto pare che sia accaduto alla nave di questa chiesa. Quat - tro anni fa se le levò contro una gagliarda borasca, la quale pa -.
496Buch VII. Kap. 2. Allgemeine AusbreitungEinen andern Weg hatten die Jeſuiten in dem krie - geriſchen, durch unaufhoͤrliche Parteiung entzweiten Japan eingeſchlagen. Von allem Anfang ergriffen auch ſie Partei. Im Jahre 1554 hatten ſie das Gluͤck ſich fuͤr Den er - klaͤrt zu haben, der den Sieg behielt: ſeine Gunſt war ihnen gewiß, und ſie machten durch dieſelbe ungemeine Fortſchritte. Schon im Jahre 1579 hat man dort 300000 Chriſten gezaͤhlt: der Pater Valignano, welcher 1606 ſtarb, ein Mann deſſen Rath Philipp II. in oſtindiſchen Angelegen - heiten gern einholte, hat 300 Kirchen, 30 Haͤuſer der Je - ſuiten in Japan gegruͤndet.
Jedoch eben dieſe Verbindung der Jeſuiten mit Me - xico und Spanien erregte zuletzt die Eiferſucht der einhei - miſchen Gewalten: in neuen Buͤrgerkriegen hatten ſie nicht mehr das fruͤhere Gluͤck: die Partei der ſie ſich angeſchloſ - ſen, unterlag: ſeit dem Jahre 1612 waren furchtbare Ver - folgungen uͤber ſie verhaͤngt.
Aber ſie hielten ſehr gut Stand. Ihre Bekehrten for - derten den Maͤrtyrertod heraus: ſie hatten eine Maͤrtyrer - ſodalitaͤt geſtiftet, in welcher man ſich gegenſeitig zur Er - duldung aller Leiden ermuthigte: ſie bezeichnen dieſe Jahre als die Aera Martyrum: — wie ſehr auch die Verfolgung zunahm, ſagen ihre Geſchichtſchreiber, ſo gab es doch inje -2)reva che la dovesse sommergere ad un tratto: li piloti accom - modandosi al tempo raccolsero le vele delle opere loro e si ri - tirarono alquanto, ma in modo che potevano essere trovati da chiunque voleva l’ajuto loro per aspettare donec aspiret dies et inclinentur umbrae. Sin’ hora il male non è stato di altro che di timore. 497des Katholicismus. Japan.jedem Jahre Neubekehrte1)Lettere annue del Giappone dell’ anno 1622 geben ein Beiſpiel: I gloriosi campioni che morirono quest’ anno furon 121: gli adulti, che per opera de’ padri della compagnia a vi - sta di così crudele persecutione hanno ricevuto il santo batte - simo arrivano il numero di 2236 senza numerar quelli che per mezzo d’altri religiosi e sacerdoti Giapponesi si battezzano. . Sie wollen von 1603 bis 1622 genau 239339 Japaneſen zaͤhlen, welche zum Chri - ſtenthume uͤbergegangen.
In allen dieſen Laͤndern bewaͤhren denn die Jeſuiten ein eben ſo gefuͤgiges als beharrliches und hartnaͤckiges Naturell: ſie machen Fortſchritte in einer Ausdehnung wie man ſie nie haͤtte erwarten ſollen: es iſt ihnen gelungen den Widerſtand jener gebildeten nationalen Religionen, die den Orient beherrſchen, wenigſtens zum Theil zu beſiegen.
Dabei haben ſie auch nicht verſaͤumt auf die Vereini - gung der orientaliſchen Chriſten mit der roͤmiſchen Kirche zu denken.
In Indien ſelbſt hatte man jene uralte neſtorianiſche Gemeinde gefunden, die unter dem Namen der Thomaschri - ſten bekannt iſt; und da ſie nicht den Papſt zu Rom, von dem ſie nichts wußte, ſondern den Patriarchen von Ba - bylon (zu Moſul) fuͤr ihr Oberhaupt und den Hirten der allgemeinen Kirche hielt, hatte man gar bald Anſtalt gemacht ſie in die Gemeinſchaft der roͤmiſchen Kirche zu ziehen. Es ward weder Gewalt noch Ueberredung geſpart. Im Jahre 1601 ſchienen die Vornehmſten gewonnen zu ſeyn: ein Jeſuit wurde zum Biſchof eingeſetzt. Man druckte das roͤmiſche Ritual chaldaͤiſch: auf einem Dioͤce -Päpſte* 32498Buch VII. Kap. 2. Allgemeine Ausbreitungſanconcilium wurden die Irrthuͤmer des Neſtorius verflucht: in Cranganor erhob ſich ein Jeſuitencollegium: die neue Beſetzung des biſchoͤflichen Stuhles im Jahre 1624 geſchah mit Einwilligung der Hartnaͤckigſten unter den bisherigen Gegnern1)Cordara: Historia soc. Jesu VI, IX, p. 535..
Es verſteht ſich, daß hiebei das politiſche Uebergewicht der ſpaniſch-portugieſiſchen Macht das Beſte that. Auch in Habeſch war es zur nemlichen Zeit von groͤßtem Einfluß.
Die fruͤhern Verſuche waren alle vergeblich geweſen. Erſt als im Jahre 1603 die Portugieſen von Fremona den Abyſſiniern in einer Schlacht mit den Kaffern weſent - liche Dienſte geleiſtet, gelangten ſie und ihre Religion in groͤßeres Anſehen. Eben traf der Pater Paez ein: ein ge - ſchickter Jeſuit, der in der Landesſprache predigte, und ſich an dem Hofe Eingang verſchaffte. Der ſiegreiche Fuͤrſt wuͤnſchte mit dem Koͤnig von Spanien in ein naͤheres Ver - haͤltniß zu treten, hauptſaͤchlich um einen Anhalt gegen ſeine Feinde im Innern zu haben: Paez ſtellte ihm als das einzige Mittel hiezu vor, daß er von ſeiner ſchismatiſchen Doctrin ablaſſe und zur roͤmiſchen Kirche uͤbertrete. Er machte um ſo mehr Eindruck, da die Portugieſen in der That in den innern Bewegungen des Landes Treue und Tapferkeit bewieſen. Disputationen wurden angeſtellt: leicht waren die unwiſſenden Moͤnche zu beſiegen: der tapferſte Mann des Reiches, Sela-Chriſtos, ein Bruder des Kaiſers Seltan-Segued (Socinius), ward bekehrt, unzaͤhlige Andere folgten ſeinem Beiſpiel: und man trat bereits mit Paul V. und Philipp III. in Verbindung. Natuͤrlich regten ſich499des Katholicismus. Habeſch.hiewider die Repraͤſentanten der eingefuͤhrten Religion: auch in Habeſch nahmen, wie in Europa, die buͤrgerlichen Kriege eine religioͤſe Farbe an: der Abuna und ſeine Moͤnche ſtan - den immer auf Seite der Rebellen, Sela-Chriſtos, die Portugieſen und die Bekehrten auf der Seite des Kaiſers. Jahr fuͤr Jahr wird geſchlagen: Gluͤck und Gefahr wechſeln: zuletzt behaͤlt der Kaiſer und ſeine Partei den Sieg. Es iſt ein Sieg zugleich des Katholicismus und der Jeſui - ten. Im Jahre 1621 entſcheidet Seltan-Segued jene alten Streitigkeiten uͤber die beiden Naturen in Chriſto nach dem Sinne der roͤmiſchen Kirche; er verbietet, fuͤr den alexan - driniſchen Patriarchen zu beten; in ſeinen Staͤdten, ſei - nen Gaͤrten werden katholiſche Kirchen und Capellen er - baut1)Juvencius p. 705. Cordara VI, 6, p. 320. Ludolf nennt den Kaiſer Susneus.. Im Jahre 1622 empfaͤngt er, nachdem er bei Paez gebeichtet, das Abendmahl nach katholiſchem Ri - tus. Lange ſchon war der roͤmiſche Hof erſucht worden einen lateiniſchen Patriarchen heruͤberzuſenden: doch trug man dort Bedenken, ſo lange die Geſinnung oder die Macht des Kaiſers zweifelhaft waren: jetzt hatte dieſer alle ſeine Gegner beſiegt, ergebener konnte er ſich nie bezei - gen: am 19ten Dezember 1622 ernannte Gregor XV. einen Portugieſen, den Koͤnig Philipp vorgeſchlagen, Doctor Alfonſo Mendez, von der Geſellſchaft Jeſu, zum Patriar - chen von Aethiopien2)Sagripanti: Discorso della religione dell’ Etiopia MS, aus den atti consistoriali. . Nachdem Mendez endlich ange - langt, leiſtete der Kaiſer dem roͤmiſchen Papſte ſeine feier - liche Obedienz.
32*500Buch VII. Kap. 2. Miſſionen.Indeſſen faßte man auch alle griechiſchen Chriſten im tuͤrkiſchen Reiche ins Auge: die Paͤpſte ſchickten Miſſion auf Miſſion aus. Unter den Maroniten war durch einige Jeſuiten die roͤmiſche Profeſſio fidei eingefuͤhrt worden: ei - nen neſtorianiſchen Archimandriten finden wir 1614 zu Rom, der den Lehren des Neſtorius im Namen einer großen Menge von Anhaͤngern entſagt: in Conſtantinopel iſt eine jeſuiti - ſche Miſſion eingerichtet, die daſelbſt durch den Einfluß des franzoͤſiſchen Geſandten eine gewiſſe Feſtigkeit und Hal - tung bekommt, der es unter andern gelingt den Patriar - chen Cyrillus Lucaris, der ſich zu proteſtantiſchen Meinun - gen neigte, im Jahre 1621 wenigſtens auf einige Zeit zu entfernen.
Eine unermeßliche weltumfaſſende Thaͤtigkeit! — wel - che zugleich in den Andes und in den Alpen vordringt, nach Tibet und nach Scandinavien ihre Spaͤher, ihre Vor - kaͤmpfer ausſendet, in England und in Sina ſich der Staatsgewalt naͤhert: — auf dieſem unbegrenzten Schau - platz jedoch allenthalben friſch und ganz und unermuͤdlich: der Antrieb, der in dem Mittelpunkte thaͤtig iſt, begeiſtert und zwar vielleicht noch lebhafter und inniger jeden Arbei - ter an den aͤußerſten Grenzen.
Was einer vordringenden Macht Grenzen ſetzt, iſt nicht immer und wohl niemals allein Widerſtand von au - ßen: in der Regel wird dieſer durch innere Entzweiungen wo nicht geradezu hervorgerufen, doch ſehr beguͤnſtigt.
Waͤre der Katholicismus einmuͤthig geblieben, mit ver - einigten Kraͤften auf ſein Ziel losgegangen, ſo ſieht man nicht recht, wie das germaniſche noͤrdliche Europa, das ſchon großentheils in ſeine Intereſſen verflochten, von ſei - ner Politik umſponnen war, ihm auf die Laͤnge haͤtte wi - derſtehn wollen.
Sollten aber nicht auch auf dieſer Stufe der Gewalt in dem Katholicismus die fruͤhern Gegenſaͤtze, die doch nur auf der Oberflaͤche beſeitigt und im Innern unaufhoͤrlich wirkſam geblieben, wieder zum Vorſchein kommen?
Das Eigenthuͤmliche in dem Forſchritte der Religion war in dieſem Zeitraume, daß er allenthalben auf politiſch - militaͤriſchem Uebergewicht beruhte. In Folge der Kriege502Buch VII. Kap. 3. Gegenſatzdrang die Miſſion vorwaͤrts. Daraus folgte, daß mit dem - ſelben die groͤßten politiſchen Veraͤnderungen verbunden wa - ren, die doch auch als ſolche etwas bedeuten und Ruͤck - wirkungen, die man nicht berechnen konnte, hervorrufen mußten.
Von allen dieſen Veraͤnderungen nun war ohne Zwei - fel die wichtigſte, daß die deutſche Linie des Hauſes Oeſt - reich, die bisher, durch die erblaͤndiſchen Unruhen gefeſſelt, in die allgemeinen Angelegenheiten weniger eingegriffen, auf einmal zu der Selbſtaͤndigkeit, Bedeutung und Kraft einer großen europaͤiſchen Macht gedieh. Durch die Erhebung des deutſchen Oeſtreich geſchah, daß auch Spanien, wel - ches ſich ſeit Philipp II. friedlich gehalten, mit neuer Kriegs - luſt zu ſeinen fruͤhern Hoffnungen und Anſpruͤchen wieder - erwachte. Schon waren beide in Folge der Graubuͤndtner Haͤndel unmittelbar in Verbindung getreten: die Alpenpaͤſſe waren auf der italieniſchen Seite von Spanien, auf der deutſchen von Oeſtreich in Beſitz genommen: hier in dem hohen Gebirg ſchienen ſie ſich zu gemeinſchaftlichen Unter - nehmungen nach allen Seiten der Welt hin die Hand zu bieten.
Gewiß lag in dieſer Stellung auf der einen Seite eine große Ausſicht fuͤr den Katholicismus ſelbſt, dem ſich beide Linien mit unverbruͤchlicher Ergebenheit gewidmet hat - ten, aber auf der andern doch auch eine große Gefahr innerer Entzweiung. Wie viel Eiferſucht hatte die ſpa - niſche Monarchie unter Philipp II. erweckt! Aber bei wei - tem gewaltiger und kernhafter erhob ſich jetzt die Geſammt - macht des Hauſes durch den Anwachs ihrer deutſchen503politiſcher Verhaͤltniſſe.Kraͤfte. Nothwendig mußte ſie die alten Antipathien in noch hoͤherem Grade erregen.
Zuerſt zeigte ſich das in Italien.
Die kleinen italieniſchen Staaten, an und fuͤr ſich nicht ſelbſtaͤndig, hatten das Beduͤrfniß und auch das Gefuͤhl des Gleichgewichtes in jener Zeit am lebhafteſten. Daß ſie jetzt von zwei Seiten in die Mitte genommen, durch die Beſetzung der Alpenpaͤſſe von aller fremden Huͤlfe abge - ſchnitten werden ſollten, empfanden ſie als eine unmittel - bare Bedrohung. Ohne viel Ruͤckſicht, welcher Vortheil ihrem Glaubensbekenntniß aus jener Combination erwachſen koͤnne, wandten ſie ſich an Frankreich, das ihnen ja allein helfen konnte, um dieſelbe zu zerſtoͤren. Auch Louis XIII. fuͤrchtete ſeinen Einfluß auf Italien zu verlieren. Unmittelbar nach dem Frieden von 1622, noch ehe er in ſeine Haupt - ſtadt zuruͤckgekommen, ſchloß er mit Savoyen und Vene - dig einen Vertrag ab, kraft deſſen das Haus Oeſtreich mit gemeinſchaftlichen Kraͤften genoͤthigt werden ſollte jene buͤndt - neriſchen Paͤſſe und Plaͤtze herauszugeben1)Nani: Storia Veneta p. 255..
Eine Abſicht die freilich nur einen einzelnen Punkt ins Auge faßte, aber leicht die allgemeine Entwickelung ge - faͤhrden konnte.
Sehr wohl erkannte das Gregor XV, die Gefahr die dem Frieden der katholiſchen Welt, dem Fortgange der re - ligioͤſen Intereſſen und hiedurch auch der Erneuerung des paͤpſtlichen Anſehens von dieſem Punkte aus drohe: mit demſelben Eifer, mit welchem er Miſſion und Bekehrung befoͤrderte, ſuchte er nun auch — denn ihm vor allem ſtellte504Buch VII. Kap. 3. Gegenſatzſich der Zuſammenhang dar — den Ausbruch der Feindſe - ligkeiten zu verhindern.
Noch war das Anſehen des paͤpſtlichen Stuhles, oder vielmehr das Gefuͤhl der Einheit der katholiſchen Welt ſo lebendig, daß ſowohl Spanien als Frankreich erklaͤrten, die Entſcheidung dieſer Sache dem Papſte uͤberlaſſen zu wollen. Ja ihn ſelbſt ging man an, bis zu voͤlliger Ausgleichung die feſten Plaͤtze, die ſo viel eiferſuͤchtige Beſorgniß rege machten, als ein Depoſitum in ſeine Hand zu nehmen und mit ſeinen Truppen zu beſetzen1)Dispaccio Sillery 28 Nov. 1622. Corsini 13. 21 Genn. 1623, bei Siri: Memorie recondite tom. V, p. 435. 442. Scrit - tura del deposito della Valtellina, ib. 459..
Einen Augenblick bedachte ſich Papſt Gregor, ob er auf dieſe thaͤtige und ohne Zweifel auch koſtſpielige Theil - nahme an entfernten Haͤndeln eingehn ſolle: da es aber am Tage lag, wie viel davon fuͤr den Frieden der katho - liſchen Welt abhing, ſo ließ er endlich ein paar Compa - gnien werben, und ſchickte ſie unter ſeinem Bruder Herzog von Fiano nach Graubuͤndten. Die Spanier hatten wenig - ſtens Riva und Chiavenna zu behalten gewuͤnſcht: auch dieſe uͤberlieferten ſie jetzt den paͤpſtlichen Truppen2)Siri: Memorie recondite V, 519.. Erzher - zog Leopold von Tyrol ließ ſich endlich auch bereit finden, ihnen die Landſchaften und Plaͤtze zu uͤbergeben, auf welche er nicht etwa Anſpruͤche eigenen Beſitzes erhob.
Und hiedurch ſchien nun in der That die Gefahr beſei - tigt, welche die italieniſchen Staaten zunaͤchſt in Bewegung geſetzt hatte. Hauptſaͤchlich kam es noch darauf an, bei den505politiſcher Verhaͤltniſſe.weitern Anordnungen die katholiſchen Intereſſen wahrzu - nehmen. Man faßte den Plan, Valtellin, wie es den Spa - niern nicht in die Haͤnde fallen duͤrfe, ſo auch nicht wie - der unter Graubuͤndten gerathen zu laſſen: wie leicht haͤtte dann die katholiſche Reſtauration daſelbſt unterbrochen werden koͤnnen: ſelbſtaͤndig ſollte es den drei alten rhaͤtiſchen Buͤn - den als ein vierter gleichberechtigter hinzugefuͤgt werden. Aus derſelben Ruͤckſicht wollte man ſelbſt die Verbindung der beiden oͤſtreichiſchen Linien, die zum Fortgange des Ka - tholicismus in[Deutſchland] nothwendig ſchien, nicht voͤllig unterbrechen. Die Paͤſſe durch Worms und Valtellin ſoll - ten den Spaniern offen bleiben: wohlverſtanden um Trup - pen nach Deutſchland gehn, nicht um deren nach Italien kommen zu laſſen1)Art. IX. des Entwurfes der Convention..
So weit war es: zwar noch nichts abgeſchloſſen, aber alles zum Abſchluß reif, als Gregor XV. ſtarb: — 8. Juli 1623. Er hatte noch die Genugthuung dieſe Zwiſtigkei - ten beſeitigt, den Fortſchritt ſeiner Kirche unaufgehalten zu ſehen. War doch bei den Unterhandlungen ſogar von ei - ner neuen Verbindung der Spanier und Franzoſen zu ei - nem Angriff auf Rochelle und Holland die Rede geweſen.
Es fehlte jedoch viel, daß es nach dem Tode Gre - gors nun auch dahin gekommen waͤre.
Einmal genoß der neue Papſt Urban VIII. noch nicht jenes Vertrauen das auf der erprobten Vorausſetzung ei - ner vollkommenen Unparteilichkeit beruht: ſodann waren506Buch VII. Kap. 3. Gegenſatzdie Italiener durch den Vertrag lange nicht zufrieden ge - ſtellt: aber was das Wichtigſte iſt, in Frankreich kamen Maͤnner an das Ruder, welche die Oppoſition gegen Spa - nien nicht mehr auf fremde Bitten als Huͤlfsmacht, ſon - dern aus eigenem freien Antrieb als den hauptgeſichts - punkt der franzoͤſiſchen Politik wieder aufnahmen, Vieu - ville und Richelieu.
Vielleicht liegt hierin weniger Willkuͤhr, als man an - zunehmen geneigt iſt. Auch Frankreich war wie Oeſtreich - Spanien in einer Zunahme aller ſeiner Kraͤfte begriffen: durch die Siege uͤber die Hugenotten war die koͤnigliche Macht, die Einheit und das Selbſtgefuͤhl der Nation un - endlich geſtiegen: und wie nun mit der Kraft auch die An - ſpruͤche wachſen, ſo trieb alles dahin, eine kuͤhnere Poli - tik zu ergreifen als die bisher befolgte: dieſe natuͤrliche Tendenz rief ſich ihre Organe hervor, Maͤnner, welche ſie durchzuſetzen geneigt und faͤhig waren. Von Anfang an war Richelieu entſchloſſen der Autoritaͤt welche das Haus Oeſtreich noch immer behauptet und damals verjuͤngt und erhoͤht hatte, entgegenzutreten, und den Kampf um das oberſte Anſehen in Europa mit demſelben einzugehn.
Ein Entſchluß der nun eine noch viel gefaͤhrlichere Spaltung in die katholiſche Welt brachte, als die fruͤhere geweſen war. Die beiden Hauptmaͤchte mußten in offenen Krieg gerathen. An die Ausfuͤhrung jenes roͤmiſchen Trac - tates war nicht mehr zu denken, und vergeblich bemuͤhte ſich Urban VIII. die Franzoſen bei ihren Zugeſtaͤndniſſen feſtzuhalten. Aber eine Verbindung mit der katholiſchen Oppoſition genuͤgte den Franzoſen noch nicht. Obwohl507politiſcher Verhaͤltniſſe.Cardinal der roͤmiſchen Kirche, trug Richelieu kein Beden - ken mit den Proteſtanten ſelbſt unverholen in Bund zu treten.
Zuerſt naͤherte er ſich den Englaͤndern, um jene ſpa - niſche Vermaͤhlung zu hintertreiben, die dem Hauſe Oeſt - reich ſo viel neuen Einfluß haͤtte verſchaffen muͤſſen. Es kamen ihm hiebei perſoͤnliche Verhaͤltniſſe zu Huͤlfe: die Un - geduld Jacobs I, der mit der Zaͤrtlichkeit eines alten Man - nes der ſich dem Tode nahe glaubt, nach der Ruͤckkehr ſeines Sohnes und ſeines Lieblings verlangte: ein Mißverſtaͤnd - niß zwiſchen den beiden leitenden Miniſtern Olivarez und Buckingham: aber das Meiſte that doch auch hier die Sa - che ſelbſt. Die pfaͤlziſche Angelegenheit entwickelte in der Unterhandlung mit Oeſtreich, Spanien, Baiern und Pfalz unuͤberwindliche Schwierigkeiten1)Aus einem Schreiben des Pfalzgrafen vom 30ſten October ergibt ſich, daß er nur mit Gewalt haͤtte zur Annahme der Vor - ſchlaͤge die man ihm machte haͤtte bewogen werden koͤnnen.: — eine Verbindung mit Frankreich dagegen ließ bei der neuen Richtung welche dieſe Macht nahm, eine baldige Entſcheidung derſelben durch die Waffen erwarten. Da nun dieſe Verbindung dem Koͤ - nig von England nicht allein eine eben ſo bedeutende Mit - gift verſchaffte, ſondern auch die Ausſicht die engliſchen Katholiken mit dem Throne zu verſoͤhnen, ſo zog er es vor, ſeinen Sohn mit einer franzoͤſiſchen Prinzeſſin zu vermaͤh - len: er gewaͤhrte ihr dieſelben religioͤſen Zugeſtaͤndniſſe die er den Spaniern gemacht.
Und ſogleich ruͤſtete man ſich nun hierauf zu dem An - griff. Richelieu entwarf einen weltumfaſſenden Plan, wie508Buch VII. Kap. 3. Gegenſatzſie vor ihm noch nicht in der europaͤiſchen Politik erſchie - nen, ihm aber ſo beſonders eigen ſind. Durch einen allge - meinen Anfall auf allen Seiten dachte er die ſpaniſch-oͤſtrei - chiſche Macht mit Einem Male zu verderben.
Er ſelbſt wollte im Bunde mit Savoyen und Venedig in Italien angreifen: ohne alle Ruͤckſicht auf den Papſt ließ er unerwartet franzoͤſiſche Truppen in Graubuͤndten ein - ruͤcken und die paͤpſtlichen Garniſonen aus den feſten Plaͤtzen verjagen1)Relatione di IV ambasciatori 1625. Il papa si doleva che mai Bettune gli aveva parlato chiaro, e che delle sue pa - role non aveva compreso mai che si dovessero portare le armi della lega contra li suoi presidii. — Die gewohnte Politik in Frankreich.. — Mit der engliſchen hatte er zugleich die hollaͤndiſche Allianz erneuert. Die Hollaͤnder ſollten Suͤd - amerika, die Englaͤnder die Kuͤſten von Spanien angreifen. Durch Koͤnig Jacobs Vermittelung bewegten ſich die Tuͤr - ken und drohten einen Einfall in Ungarn. — Der Haupt - ſchlag aber ſollte in Deutſchland geſchehen. Der Koͤnig von Daͤnemark, der ſchon lange geruͤſtet, war endlich ent - ſchloſſen, die Kraͤfte von Daͤnemark und Niederdeutſchland fuͤr ſeine pfaͤlziſchen Verwandten in Kampf zu fuͤhren. Nicht allein England verſprach ihm Huͤlfe, Richelieu ſagte einen Beitrag von einer Million Livres zu den Kriegskoſten zu2)Auszug aus der Inſtruction Blainvilles bei Siri VI, 62. Nel fondo di Alemagna ſollte Mansfeld mit ihm operiren (Siri 641.) Relatione di Caraffa: (I Francesi) hanno tuttavia continuato sino al giorno d’hoggi a tener corrispondenza con li nemici di S. Mà Cesa e dar loro ajuto in gente e danari se ben con coperta, quale però non è stata tale che per molte lettere intercette e per molti altri rincontri non si siano scoperti tutti l’andamenti e corrispondenze: onde prima e doppo la rotta data dal Tilly. 509politiſcher Verhaͤltniſſe.Von beiden unterſtuͤtzt ſollte Mansfeld neben dem Koͤnig auftreten und den Weg in die oͤſtreichiſchen Erblande ſuchen.
Zu einem ſo univerſalen Angriff ruͤſtet ſich demnach von den beiden vorwaltenden katholiſchen Maͤchten die eine wider die andere.
Es iſt keine Frage, unmittelbar muß dieß den Fort - ſchritt der katholiſchen Intereſſen einhalten. Obwohl das franzoͤſiſche Buͤndniß politiſcher Natur iſt, ſo muß doch, eben wegen jener engen Verbindung der kirchlichen und po - litiſchen Verhaͤltniſſe, der Proteſtantismus darin eine große Foͤrderung ſehen. Aufs neue ſchoͤpft er Athem. Ein neuer Vorkaͤmpfer, der Koͤnig von Daͤnemark, erſcheint fuͤr ihn in Deutſchland, mit unverbrauchten friſchen Kraͤften, von der großen Combination der europaͤiſchen Politik unterſtuͤtzt. Ein Sieg deſſelben wuͤrde alle Erfolge des Erzhauſes und der katholiſchen Reſtauration ruͤckgaͤngig gemacht haben.
Jedoch erſt der Verſuch pflegt die Schwierigkeiten zu entwickeln, die ein Unternehmen in ſich enthaͤlt. So glaͤn - zend die Talente Richelieus ſeyn mochten, ſo war er doch zu raſch an das Werk gegangen, dem ſeine Neigungen gal - ten, das er als ein Ziel des Lebens, ſey es in vollem Be - wußtſeyn oder in dunklerem Vorgefuͤhl, vor ſich ſah: aus ſeinem Unternehmen erhoben ſich ihm Gefahren fuͤr ihn ſelbſt.
Nicht allein die deutſchen Proteſtanten, die Gegner2)al re di Danimarca sempre l’imperatore nel palatinato infe - riore e nelli contorni d’Alsatia v’ha tenuto nervo di gente, du - bitando che da quelle parti potesse venire qualche ruina. 510Buch VII. Kap. 3. Gegenſatzdes Hauſes Oeſtreich, ermannten ſich, ſondern auch die franzoͤſiſchen, die Gegner Richelieus ſelbſt, faßten unter der neuen politiſchen Combination wieder Muth. Sie ſelbſt ſagen, ſie haͤtten gehofft, im ſchlimmſten Falle durch die jetzigen Verbuͤndeten des Koͤnigs wieder mit ihm ausgeſoͤhnt zu werden1)Mémoires de Rohan P. I, p. 146: „ esperant que s’il venoit à bout, les alliés et ligués avec le roi le porteroient plus facilement à un accommodement. “. Rohan erhob ſich zu Lande, Soubiſe zur See. Im Mai 1625 waren die Hugenotten weit und breit in den Waffen.
Und in demſelben Momente traten dem Cardinal auf der andern Seite vielleicht noch gefaͤhrlichere Feinde hervor. Bei aller ſeiner Neigung zu Frankreich beſaß Urban VIII. doch zu viel Selbſtgefuͤhl, als daß er die Verjagung ſeiner Garniſonen aus Graubuͤndten ſo leicht haͤtte verſchmerzen ſol - len2)Relatione di P. Contarini: S. Stà (er ſpricht von der er - ſten Zeit nachdem die Nachricht eingelaufen war) sommamente dis - gustata, stimando poco rispetto s’havesse portato alle sue in - segne, del continuo e grandemente se ne querelava. . Er ließ Truppen werben und nach dem Mailaͤn - diſchen vorruͤcken, in der ausgeſprochenen Abſicht mit den Spaniern im Bunde die verlornen Plaͤtze wieder einzuneh - men. Wohl mag es ſeyn, daß auf dieſe Kriegsbedrohun - gen wenig zu geben war. Allein um ſo mehr hatte die kirchliche Einwirkung zu bedeuten, die ſich damit ver - knuͤpfte. Die Klagen des paͤpſtlichen Nuntius, daß der allerchriſtlichſte Koͤnig der Gehuͤlfe ketzeriſcher Fuͤrſten ſeyn wolle, fanden Anklang in Frankreich: die Jeſuiten traten mit ihren ultramontanen Doctrinen hervor: von den Stren -511politiſcher Verhaͤltniſſe.ger-kirchlich-geſinnten erfuhr Richelieu lebhafte Angriffe1)Mémoires du cardinal Richelieu: Petitot 23, p. 20.. Zwar fand er dagegen eine Stuͤtze in den gallicaniſchen Grundſaͤtzen, Vertheidigung bei den Parlamenten: — je - doch er durfte es nicht wagen den Papſt lange zum Feinde zu haben. Das katholiſche Prinzip war zu genau mit dem wiederhergeſtellten Koͤnigthum verbunden: wer konnte dem Cardinal fuͤr den Eindruck ſtehn, welchen die geiſtlichen Ermahnungen auf ſeinen Fuͤrſten hervorbringen mochten?
In Frankreich ſelbſt demnach ſah ſich Richelieu ange - griffen, und zwar durch die beiden entgegengeſetzten Par - teien zugleich. Was er auch immer gegen Spanien aus - richten mochte, ſo war dieß doch eine Stellung, die ſich nicht halten ließ: er mußte eilen aus ihr herauszukommen.
Und wie nun bei dem Angriff das Genie der Welt - umfaſſung, des kuͤhnen vordringenden Entwurfes, ſo zeigte er in dieſem Augenblick die treuloſe Gewandtheit Verbuͤn - dete nur zu ſeinem Werkzeug zu machen und dann zu ver - laſſen, die ihm ſein Lebelang eigen war.
Er brachte zuerſt ſeine neuen Bundesgenoſſen dahin, ihm wider Soubiſe beizuſtehn. Er ſelbſt hatte keine Seemacht: mit proteſtantiſchen Streitkraͤften aus fremden Laͤndern, mit hollaͤndiſchen und engliſchen Schiffen uͤberwaͤltigte er im September 1625 ſeine proteſtantiſchen Gegner in der Hei - math. Er benutzte ihre Vermittelung dazu, die Hugenot - ten zu einer unvortheilhaften Abkunft zu noͤthigen. Sie zweifelten nicht, daß er, ſobald er ſich dieſer Feinde entle - digt habe, den allgemeinen Angriff erneuern werde.
Allein wie erſtaunten ſie, als ſtatt deſſen ploͤtzlich die512Buch VII. Kap. 3. GegenſatzKunde von dem Frieden von Monzon erſcholl, der im Maͤrz 1626 zwiſchen Spanien und Frankreich abgeſchloſ - ſen worden. Ein paͤpſtlicher Legat war deshalb an beide Hoͤfe gereiſt. Zwar ſcheint er keinen weſentlichen Einfluß auf die Abkunft gehabt zu haben, doch machte er auf je - den Fall das katholiſche Prinzip rege. Waͤhrend Richelieu die Proteſtanten unter dem Anſchein des engſten Vertrauens zu ſeinen Zwecken benutzte, hatte er mit noch groͤßerem Ei - fer Unterhandlungen zu ihrem Verderben mit Spanien ge - pflogen. Ueber Valtellin einigte er ſich mit Olivarez da - hin, daß es zwar unter die Herrſchaft von Graubuͤndten zu - ruͤckkehren ſolle, aber mit ſelbſtthaͤtigem Antheil an der Be - ſetzung der Aemter und der ungeſchmaͤlerten Freiheit katho - liſcher Gottesverehrung1)Du Mont V, 2, p. 487, § 2. qu’ils ne puissent avoir par ci-après autre religion que la catholique — — § 3. qu’ils puis - sent élire par élection entre eux leurs juges, gouverneurs et au - tres magistrats tous catholiques; folgen dann einige Beſchraͤn - kungen.. Die katholiſchen Maͤchte, wel - che ſo eben einen Kampf auf Leben und Tod beginnen zu wollen geſchienen, ſtanden in Einem Moment wieder ver - einigt da.
Es kam hinzu, daß ſich uͤber die Ausfuͤhrung der in dem Vermaͤhlungsvertrag eingegangenen Verpflichtungen Mißhelligkeiten zwiſchen Franzoſen und Englaͤndern erhoben.
Mit Nothwendigkeit erfolgte dann ein Stillſtand al - ler jener antiſpaniſchen Unternehmungen.
Die italieniſchen Fuͤrſten mußten ſich, ſo ungern ſie es auch thaten, in das Unabaͤnderliche fuͤgen: — Savoyen ſchloß einen Stillſtand mit Genua: Venedig pries ſich513politiſcher Verhaͤltniſſe. gluͤcklich, daß es nicht bereits in Mailand eingefallen war, und entließ ſeine Milizen. Wenigſtens hat man behaup - tet, das ſchwankende Betragen der Franzoſen habe noch im Jahre 1625 den Entſatz von Breda gehindert, ſo daß ih - nen der Verluſt dieſer wichtigen Feſtung an die Spanier zuzuſchreiben ſey. Jedoch das große und entſcheidende Miß - geſchick trat in Deutſchland ein.
Die Kraͤfte von Niederdeutſchland hatten ſich um den Koͤnig von Daͤnemark geſammelt, unter dem Schirm, wie man glaubte, jener allgemeinen Verbindung wider Spa - nien: Mansfeld ruͤckte gegen die Elbe. Ihnen gegenuͤber hatte ſich auch der Kaiſer mit doppelter Anſtrengung geruͤ - ſtet: er wußte wohl, wie viel davon abhing.
Als es zum Schlagen kam, beſtand die Verbindung ſchon nicht mehr: die franzoͤſiſchen Subſidien wurden nicht gezahlt, allzu langſam lief die engliſche Unterſtuͤtzung ein: die kaiſerlichen Truppen waren krieggeuͤbter: es erfolgte, daß der Koͤnig von Daͤnemark die Schlacht bei Lutter ver - lor, und auf ſein Land zuruͤckgeworfen, daß auch Mans - feld als ein Fluͤchtling in die oͤſtreichiſchen Provinzen ge - trieben ward, die er als Sieger und Wiederherſteller zu beſchreiten gehofft hatte.
Ein Erfolg der nothwendig eben ſo univerſale Wir - kungen haben mußte wie ſeine Urſachen waren.
Zunaͤchſt fuͤr die kaiſerlichen Laͤnder. Wir koͤnnen ſie mit Einem Worte bezeichnen. Die letzte Bewegung welche hier fuͤr den Proteſtantismus unternommen worden — in Hoffnung auf jene allgemeine Combination — ward ge -Päpſte* 33514Buch VII. Kap. 3. Neue Siegedaͤmpft: nunmehr ward auch der Adel, der bisher per - ſoͤnlich noch unbelaͤſtigt geblieben, zum Uebertritt genoͤ - thigt. Der Kaiſer erklaͤrte am Ignatiustage 1627, daß er nach Ablauf von ſechs Monaten Niemand mehr, auch nicht vom Herrn und Ritterſtande, in ſeinem Erbreich Boͤh - men dulden werde, der nicht ihm und der apoſtoliſchen Kirche in dem allein ſeligmachenden katholiſchen Glauben beiſtimme1)Caraffa: Relatione MS. Havendo il Sr cardinale ed io messo in consideratione a S. Mà, che come non si riformassero i baroni e nobili eretici, si poteva poco o nulla sperare della conversione delli loro sudditi e per conseguenza havriano po - tuto ancora infettare pian piano gli altri, piacque a S. Mà di aggiungere al Sr Cle ed agli altri commissarj autorità di rifor - mare anche li nobili. ; aͤhnliche Edicte ergingen in Oberoͤſtreich, im Jahre 1628 in Kaͤrnthen, Krain und Steiermark, nach einiger Zeit auch in Niederoͤſtreich. Vergebens war es, auch nur um Aufſchub zu bitten; der Nuntius Caraffa ſtellte vor, nur von der Hoffnung auf einen allgemeinen Gluͤcks - wechſel ſchreibe ſich dieſe Bitte her. Seitdem erſt wurden jene Landſchaften wieder vollkommen katholiſch. Welche Oppo - ſition hatte 80 Jahre daher der Adel von Oeſtreich dem Erzhauſe gemacht! Jetzt erhob ſich die landesfuͤrſtliche Macht, rechtglaͤubig ſiegreich und unumſchraͤnkt, uͤber je - den Widerſtand.
Und noch weitausſehender waren die Wirkungen des neuen Sieges in dem uͤbrigen Deutſchland. Niederſachſen war eingenommen: bis an den Kattegat ſtanden die kaiſerli - chen Voͤlker: Brandenburg und Pommern hielten ſie beſetzt: Meklenburg war in den Haͤnden des kaiſerlichen Feldherrn:515des Katholicismus. Deutſchland. ſo viele Hauptſitze des Proteſtantismus waren von einem katholiſchen Kriegsheere uͤberwaͤltigt.
Es zeigte ſich ſogleich, wie man dieſe Lage der Dinge zu benutzen denke. Ein kaiſerlicher Prinz ward zum Bi - ſchof von Halberſtadt poſtulirt: aus apoſtoliſcher Macht ernannte dann der Papſt ebendenſelben zum Erzbiſchof von Magdeburg. Es iſt keine Frage, daß wenn eine katholiſche erzherzogliche Regierung ſich hier feſtſetzte, ſie mit der Strenge der uͤbrigen geiſtlichen Fuͤrſten auf die Herſtellung des Ka - tholicismus in dem geſammten Sprengel dringen mußte.
Indeſſen ſetzten ſich die Antireformationen in Ober - deutſchland mit neuem Eifer fort. Man muß einmal das Verzeichniß der Erlaſſe der Reichskanzlei aus dieſen Jahren bei Caraffa anſehen: wie viele Anmahnungen, Beſchluͤſſe, Entſcheidungen, Empfehlungen, alle zu Gunſten des Ka - tholicismus1)Brevis enumeratio aliquorum negotiorum quae — — in puncto reformationis in cancellaria imperii tractata sunt ab anno 1620 ad annum 1629, im Anhang zur Germania sacra restaurata p. 34.. Der junge Graf von Naſſau-Siegen, die juͤngern Pfalzgrafen von Neuburg, der Deutſchmeiſter un - ternahmen neue Reformationen: in der Oberpfalz ward nun auch der Adel zum Katholicismus genoͤthigt.
Jetzt nahmen jene alten Proceſſe geiſtlicher Herrn ge - gen weltliche Staͤnde uͤber eingezogene Kirchenguͤter einen andern Gang als fruͤher. Wie ward allein Wuͤrtemberg geaͤngſtigt! Es drangen alle die alten Klaͤger, die Biſchoͤfe von Conſtanz und Augsburg, die Aebte von Moͤnchsreit und Kaiſersheim mit ihren Anſpruͤchen gegen das herzog -33*516Buch VII. Kap. 3. Neue Siegeliche Haus durch, die Exiſtenz deſſelben ward gefaͤhrdet1)Sattler: Geſchichte von Wuͤrtenberg unter den Herzogen, Th VI, p. 226.. Allenthalben bekamen die Biſchoͤfe Recht wider die Staͤdte: der Biſchof von Eichſtaͤdt wider Nuͤrnberg, das Capitel von Straßburg wider die Stadt Straßburg: Schwaͤbiſch - Hall, Memmingen, Ulm, Lindau, viele andere Staͤdte wur - den genoͤthigt den Katholiſchen die ihnen entriſſenen Kir - chen zuruͤckzugeben.
Begann man nun hier allenthalben auf den Buchſta - ben des Religionsfriedens zu dringen, wie nahe lag dann eine allgemeinere Anwendung der Grundſaͤtze deſſelben wie man ſie jetzt verſtand2)Senkenberg: Fortſetzung der Haͤberlinſchen Reichsgeſchichte B. 25, p. 633..
„ Nach der Schlacht bei Lutter “, ſagt Caraffa, „ ſchien der Kaiſer wie von einem langen Schlafe zu erwachen: von einer großen Furcht befreit, die ſeine Vorfahren und ihn ſelbſt bisher gefeſſelt, faßte er den Gedanken ganz Deutſch - land zu der Norm des Religionsfriedens zuruͤckzufuͤhren. “
Außer Magdeburg und Halberſtadt waͤren dann auch Bremen, Verden, Minden, Camin, Havelberg, Schwerin, faſt alle norddeutſchen Stifter dem Katholicismus zuruͤckge - geben worden. Es war immer das entfernte Ziel geweſen, das der Papſt und die Jeſuiten in den glaͤnzendſten Au - genblicken ihres Gluͤckes ins Auge gefaßt hatten. Eben darum war doch ſelbſt der Kaiſer bedenklich. Er zweifelte, ſagt Caraffa, nicht an dem Rechte, ſondern an der Moͤg - lichkeit der Ausfuͤhrung. Allein der Eifer der Jeſuiten,517des Katholicismus. Deutſchland. vor allem des Beichtvaters Lamormain, das guͤnſtige Gut - achten der vier katholiſchen Churfuͤrſten, das unermuͤdliche Anhalten jenes paͤpſtlichen Nuntius, der ja ſelbſt berichtet, es habe ihm monatlange Arbeit gekoſtet um durchzudrin - gen, beſeitigte am Ende alle Bedenklichkeiten. Bereits im Auguſt 1628 ward das Reſtitutionsedict eben ſo abgefaßt wie es nachher erſchienen iſt1)Dieſer Zeitpunkt der Abfaſſung ergibt ſich aus Caraffa: Commentar. de Germ. sacra restaurata p. 350. Er bemerkt, daß das Edict 1628 abgefaßt, 1629 publicirt worden; dann faͤhrt er fort: Annuit ipse deus, dum post paucos ab ipsa deliberatione dies Caesarem insigni victoria remuneratus est. Er meint den Sieg von Wolgaſt, der am 22ſten Auguſt erfochten ward.. Ehe es erlaſſen wuͤrde, ſollte es nur noch einmal den katholiſchen Churfuͤrſten in Erwaͤgung gegeben werden.
Es war aber hiemit noch ein weiterer Plan verknuͤpft: man gab der Hoffnung Raum die lutheriſchen Fuͤrſten in Gutem zu gewinnen. Nicht die Theologen, ſondern der Kaiſer oder einige katholiſche Reichsfuͤrſten ſelbſt ſollten es verſuchen. Man beabſichtigte davon auszugehn, daß die Vorſtellung, die man im noͤrdlichen Deutſchland vom Katholicismus hege, irrig, daß die Abweichung des un - geaͤnderten augsburgiſchen Bekenntniſſes von der echt-ka - tholiſchen Lehre nur ſehr gering ſey: den Churfuͤrſten von Sachſen hoffte man dadurch zu gewinnen, daß man ihm das Patronat der drei Hochſtifter ſeines Gebietes uͤberlaſſe2)Schon 1624 hegte man zu Rom Hoffnung auf die Bekeh - rung dieſes Fuͤrſten. Instruttione a monsr Caraffa. Venne an - cora qualche novella della sperata riunione con la chiesa cat - tolica del sigr duca di Sassonia, ma ella svanì ben presto: con tutto cìò il vederlo non infenso a’ cattolici e nemicissimo de’ . 518Buch VII. Kap. 3. Neue SiegeMan verzweifelte nicht den Haß der Lutheraner gegen den Calvinismus erwecken und dann zu einer vollkommenen Herſtellung des Katholicismus benutzen zu koͤnnen.
Ein Gedanke den man in Rom mit Lebhaftigkeit er - griff und zu einem ausfuͤhrlichen Project ausarbeitete. Kei - nesweges meinte Urban VIII. ſich mit den Beſtimmungen des Religionsfriedens zu begnuͤgen, den ja niemals ein Papſt gutgeheißen hatte1)A cui, ſagt der Papſt vom Paſſauer Vertrag in einem Breve an den Kaiſer, non haveva giammai assentito la sede apo - stolica. . Nur eine voͤllige Reſtitution aller Kirchenguͤter, eine vollkommene Zuruͤckfuͤhrung aller Proteſtanten konnte ihn befriedigen.
Hatte ſich doch dieſer Papſt in dem gluͤcklichen Au - genblicke zu einem wo moͤglich noch kuͤhneren Gedanken erhoben, dem Entwurfe England anzugreifen. Gleichſam mit einer Art von Naturnothwendigkeit tritt dieſer Plan von Zeit zu Zeit in den großen katholiſchen Combinationen wieder hervor. Jetzt hoffte ſich der Papſt des wiederher - geſtellten Einverſtaͤndniſſes der beiden Kronen dazu zu be - dienen2)In Siris Memorie VI, 257 findet ſich hievon Notiz, obwohl nur eine ſehr unvollſtaͤndige. Auch die Nachricht in Richeliens Me - moiren XXIII, 283 iſt nur einſeitig. Um vieles ausfuͤhrlicher und authentiſcher iſt die Darſtellung bei Nicoletti, die wir hier benutzen..
Zuerſt dem franzoͤſiſchen Geſandten ſtellte er vor, welche2)Calvinisti ed amicissimo del Magontino e convenuto nell’ elet - torato di Baviera ci fa sperare bene: laonde non sarà inutile che S. Sà tenga proposito col detto Magontino di questo desi - derato acquisto. 519des Kathol. Abſicht auf England. Beleidigung fuͤr Frankreich darin liege, daß man ſich in England an die bei der Vermaͤhlung gemachten Zuſagen ſo ganz und gar nicht binde. Entweder muͤſſe Ludwig XIII. die Englaͤnder noͤthigen ihre Verpflichtungen zu erfuͤllen, oder einem Fuͤrſten die Krone entreißen, der als ein Ketzer vor Gott und als ein Wortbruͤchiger vor den Menſchen ſie unwuͤrdig trage1)Der Papſt ſagt bei Nicoletti: Essere il re di Francia of - feso nello stato pel fomento che l’Inghilterra dava agli Ugo - notti ribelli: nella vita, rispetto agli incitamenti e fellonia di Sciales, il quale haveva indotto il duca di Orleans a macchinare contro S. Mtà, per lo cui delitto fu poscia fatto morire: nella riputazione, rispetto a tanti mancamenti di promesse: e final - mente nel proprio sangue, rispetto agli strapazzi fatti alla re - gina sua sorella: ma quello che voleva dir tutto, nell’ anima, insidiando l’Inglese alla salute di quella della regina ed insieme a quella del christianissimo stesso e di tutti coloro che pur troppo hebbero voglia di fare quello infelice matrimonio. .
Hierauf wandte er ſich auch an den ſpaniſchen Bot - ſchafter Oñate. Der Papſt meinte, ſchon als ein guter Ritter ſey Philipp IV. verpflichtet, der Koͤniginn von Eng - land, einer ſo nahen Verwandten — ſie war ſeine Schwaͤ - gerin, — die jetzt um ihres Glaubens willen bedraͤngt werde, zu Huͤlfe zu kommen.
Als der Papſt ſah, daß er Hoffnung hegen duͤrfe, uͤber - trug er dem Nuntius Spada zu Paris die Unterhandlung.
Unter den einflußreichen Maͤnnern in Frankreich er - griff Cardinal Berulle, der die Unterhandlung uͤber die Ver - maͤhlung geleitet, dieſen Gedanken am lebhafteſten. Er be - rechnete, wie man ſich der engliſchen Fahrzeuge an den fran - zoͤſiſchen Kuͤſten bemaͤchtigen, wie man ſogar die Flotte der Englaͤnder in ihren Haͤfen verbrennen koͤnne. In Spanien520Buch VII. Kap. 3. Neue Siegeging Olivarez ohne viel Zoͤgern auf dieſen Plan ein. Zwar haͤtten ihn fruͤhere Treuloſigkeiten bedenklich machen koͤnnen, und ein anderer hoher Staatsbeamter, Cardinal Bedmar, ſtimmte deshalb dagegen: aber der Gedanke war zu groß - artig, zu umfaſſend, als daß Olivarez, der in allen Din - gen das Glaͤnzende liebte, ihn haͤtte zuruͤckweiſen moͤgen.
Auf das geheimſte ward die Unterhandlung betrieben: ſelbſt jener franzoͤſiſche Geſandte in Rom, dem die erſten Er - oͤffnungen geſchehen waren, erfuhr nichts von ihrem Fort - gange.
Richelieu entwarf die Artikel des Vertrages: — Oli - varez verbeſſerte ſie: — auch ſo ließ ſie ſich Richelieu ge - fallen. Am 20. April 1627 wurden ſie ratificirt. Die Franzoſen verpflichteten ſich ſogleich die Ruͤſtungen zu be - ginnen und ihre Haͤfen in Stand zu ſetzen. Die Spanier waren bereit noch im Jahre 1627 zum Angriff zu ſchrei - ten: im naͤchſten Fruͤhling ſollten ihnen dann die Franzo - ſen mit ganzer Macht zu Huͤlfe kommen1)Lettere del nunzio 9 Aprile 1627. Tornò a Parigi il prefato corriere di Spagna con avvisi che il re cattolico con - tentavasi di muoversi il primo, come veniva desiderato da Fran - cesi, purchè da questi si concedessero unitamente le due offerte altre volte alternativamente proposte, cioè che il christianissimo si obligasse di muoversi nel mese di maggio o di giugno dell’ anno seguente e che presentemente accomodasse l’armata cat - tolica di alcune galere ed altri legni. Portò anche nuova il me - desimo corriere che il conte duca haveva in Ispagna staccata la pratica e dato ordine che se ne staccasse una simile in Fiandra col re d’Inghilterra, il quale offriva al cattolico sospensione d’ar - mi per tre anni o altro più lungo tempo tanto a nome del re di Danimarca quanto degli Olandesi. .
Es tritt aus unſern Nachrichten nicht deutlich her -521des Kathol. Abſicht auf England. vor, wie Spanien und Frankreich die Beute zu theilen gedachten: ſo viel ergibt ſich, daß man dabei auch auf den Papſt Ruͤckſicht nahm. In tiefſtem Vertrauen eroͤff - nete Berulle dem Nuntius, wenn es gelinge, ſo ſolle Irland an den paͤpſtlichen Stuhl fallen: der Papſt moͤge es dann durch einen Vicekoͤnig regieren laſſen. Mit außerordentli - cher Genugthuung empfing der Nuntins dieſen Antrag: nur empfahl er Seiner Heiligkeit nichts davon verlauten zu laſſen: damit es nicht ſcheine, als habe ſie bei ihren Anſchlaͤgen weltliche Abſichten.
Auch an Deutſchland und Italien dachte man aber bei dieſem Plane.
Noch ſchien es moͤglich, das Uebergewicht der engli - ſchen und der hollaͤndiſchen Seemacht durch eine allgemeine Vereinigung zu bezwingen. Man faßte den Gedanken eine bewaffnete Compagnie zu errichten, unter deren Schutze ein unmittelbarer Verkehr zwiſchen der Oſtſee, Flandern, den fran - zoͤſiſchen Kuͤſten, Spanien und Italien ohne allen Antheil der beiden Seemaͤchte eingerichtet werden koͤnne. Schon machte der Kaiſer den Hanſcſtaͤdten Antraͤge in dieſem Sinne: — die Infantin zu Bruͤſſel wuͤnſchte, daß den Spaniern ein Hafen an der Oſtſee eingeraͤumt werden moͤchte1)Papſt Urban ſagt dieß in einer Inſtruction an Ginetti, bei Siri: Mercurio II, 984.: — es ward mit dem Großherzog von Toscana daruͤber unterhan - delt, der den ſpaniſch-portugieſiſchen Handel hiedurch nach Livorno ziehen koͤnne2)Scrittura sopra la compagnia militante, MS im Archi - vio Mediceo, enthaͤlt eine Deliberation uͤber die Ausfuͤhrbarkeit die -.
522Buch VII. Kap. 3. Neue Siege.So weit brachte man es nun freilich nicht. Einen ſehr abweichenden Gang nahm durch die Verflechtung der Verhaͤltniſſe das Ereigniß, aber doch einen ſolchen, der zu - letzt zu einem den katholiſchen Tendenzen uͤberaus guͤnſti - gen Reſultate fuͤhrte.
Indem man ſo umfaſſende Plaͤne zu einem Angriffe auf England entwarf, begegnete daß man ſelbſt einen An - griff von England erfuhr.
Im Juli 1627 erſchien Buckingham mit einer ſtatt - lichen Flotte an der Kuͤſte von Frankreich: er landete auf der Inſel Rhé, und nahm ſie ein, bis auf die Citadelle von S. Martin, die er ſofort belagerte: er rief die Huge - notten zur erneuten Vertheidigung ihrer Freiheiten und ih - rer religioͤſen Unabhaͤngigkeit auf, die allerdings von Tage zu Tage mehr gefaͤhrdet war.
Die engliſchen Geſchichtſchreiber pflegen dieß Unter - nehmen von einer ſeltſamen Leidenſchaft Buckinghams fuͤr die Koͤnigin Anna von Frankreich herzuleiten. Stehe es mit dieſer Neigung wie es wolle, ſo liegt doch in dem großen Gange der Angelegenheiten ein ganz anderer und gewiß der weſentlichſte Grund deſſelben. Sollte Bucking - ham den Angriff den man beabſichtigte, in England er - warten? Es war doch ohne Zweifel beſſer, ihm zuvorzu - kommen und den Krieg nach Frankreich zu tragen1)Man duͤrfte fragen, ob Buckingham von jenem geheimniß - vollen Anſchlag etwas erfahren habe. Es iſt doch hoͤchſt wahrſchein -. Ei -2)ſes Planes: Si propone che i popoli delle città anseatiche en - treranno nella compagnia militante per farne piacere all’ impe - ratore e che i Toscani non abbino a ricusare come chiamati da sì gran monarchi. 523des Katholicismus. Rochelle. nen guͤnſtigeren Zeitpunkt konnte es nicht geben: Louis XIII. war gefaͤhrlich krank, und Richelieu im Kampfe mit ſtarken Factionen. Nach einigem Zoͤgern erhoben die Huge - notten in der That die Waffen aufs neue: ihre kuͤhnen und kriegskundigen Anfuͤhrer erſchienen noch einmal im Felde.
Nur haͤtte Buckingham nun auch den Krieg nachdruͤck - licher fuͤhren, und beſſer unterſtuͤtzt werden muͤſſen. Koͤ - nig Carl I. bekennt in allen ſeinen Briefen, daß dieß nicht hinreichend geſchehe. Wie man es trieb, war man dem Cardinal Richelieu, deſſen Genius in ſchwierigen Augenblicken ſeine Mittel mit doppelter Kraft entwickelte, und der ſich nie entſchloſſener, ſtandhafter, unermuͤdlicher bewieſen, in kurzem nicht mehr gewachſen. Buckingham rettete ſich durch einen Ruͤckzug. Sein Unternehmen, das die fran - zoͤſiſche Regierung in außerordentliche Gefahr haͤtte bringen koͤnnen, hatte dann keinen andern Erfolg, als daß ſich die geſammte Kraft des Landes mit erneuter Gewalt unter der Leitung des Cardinals uͤber die Hugenotten ergoß.
Der Mittelpunkt der hugenottiſchen Macht war ohne Zweifel in Rochelle; ſchon in fruͤhern Jahren hatte Riche - lieu, wenn er ſich in ſeinem Bisthume Luçon dort in der1)lich. Denn wie ſelten iſt ein Geheimniß ſo ganz geheim, daß nicht etwas davon verlauten ſollte. Wenigſtens der venezianiſche Geſandte Zorzo Zorzi, der um die Zeit daß jene Verabredungen im Gange waren, nach Frankreich kam, hoͤrte ſogleich davon. Si aggiungeva che le due corone tenevano insieme machinationi e trattati di assalire con pari forze e dispositioni l’isola d’Inghilterra. Da iſt nun ſehr unwahrſcheinlich, daß man es in England nicht erfah - ren habe; die Venezianer ſtanden im engſten Vernehmen mit Eng - land: ſie kamen ſelbſt in Verdacht die Expedition gegen Rhé gera - then zu haben. (Rel. di Francia 1628.)524Buch VII. Kap. 3. Neue SiegeNaͤhe aufhielt, uͤber die Moͤglichkeit dieſen Platz zu erobern nachgedacht: jetzt ſah er ſich ſelbſt berufen ein ſolches Un - ternehmen zu leiten: er beſchloß es auszufuͤhren, es koſte auch was es wolle.
Sonderbarer Weiſe kam ihm hiebei nichts ſo ſehr zu Statten wie der Fanatismus eines engliſchen Puritaners.
Endlich hatte Buckingham ſich noch einmal geruͤſtet, um Rochelle zu entſetzen: ſeine Ehre war dafuͤr verpflich - tet, ſeine Stellung in England und der Welt hing davon ab; und ohne Zweifel haͤtte er alle ſeine Kraͤfte dazu an - geſtrengt: dieſen Augenblick waͤhlte jener Fanatiker, von Rachſucht und mißverſtandenem Religionseifer angetrieben, um Buckingham zu ermorden.
In großen Entſcheidungen iſt es nothwendig, daß maͤchtige Maͤnner eine Unternehmung zu ihrer perſoͤnlichen Angelegenheit machen. Die Belagerung von Rochelle war wie ein Zweikampf zwiſchen den beiden Miniſtern. Jetzt blieb Richelieu allein uͤbrig. In England fand ſich Niemand der Buckinghams Stelle vertreten, ſeine Ehre ſich zu Her - zen genommen haͤtte: die engliſche Flotte erſchien an der Rhede, aber ohne etwas Rechtes zu unternehmen. Man ſagt, Richelieu habe gewußt, daß ſie dieß nicht thun wuͤrde. Unerſchuͤtterlich hielt er aus. Im October 1628 ergab ſich ihm Rochelle.
Nachdem die Hauptfeſte gefallen, verzweifelten auch die benachbarten Plaͤtze ſich zu halten: ihre Sorge war nur, eine ertraͤgliche Abkunft zu treffen1)Zorzo Zorzi: Relatione di Francia 1629. L’acquisto di Rocella ultimato sugli occhi dell’ armata Inglese, che professava.
525des Katholicismus. Rochelle.Und ſo entſprangen aus alle dieſen politiſchen Verwik - kelungen, die den Proteſtanten anfangs guͤnſtig geſchienen, am Ende doch wieder dem Katholicismus entſcheidende Siege, gewaltige Fortſchritte. Das nordoͤſtliche Deutſch - land, das ſuͤdweſtliche Frankreich, die ſo lange widerſtan - den, waren beide beſiegt. Es ſchien nur noch darauf anzukommen, die uͤberwundenen Feinde durch Geſetze und fortwirkende Einrichtungen auf immer zu unterwerfen.
Die Huͤlfe welche Daͤnemark den Deutſchen, England den Franzoſen angedeihen ließ, war denſelben eher verderb - lich geworden: ſie hatte den uͤberlegenen Feind erſt herbeige - zogen: dieſe Maͤchte waren bereits ſelbſt gefaͤhrdet oder an - gegriffen. Die kaiſerlichen Truppen drangen nach Juͤtland vor. Zwiſchen Spanien und Frankreich ward im Jahre 1628 noch auf das lebhafteſte uͤber jenen gemeinſchaftlichen Angriff auf England unterhandelt.
1)di sciogliere l’assedio et introdurvi il soccorso, l’impresa con - tro Roano, capo et anima di questa fattione, i progressi contra gli Ugonotti nella Linguadocca colla ricuperatione di ben 50 piazze hanno sgomentato i cuori e spozzato la fortuna di quel partito, che perdute le forze interne e mancategli le intelligenze straniere si è intieramente rimesso alla volontà e clemenza del re. Er bemerkt, daß die Spanier freilich ſpaͤt und nur mit 14 Schiffen, aber daß ſie doch wirklich gekommen ſeyen, um an der Be - lagerung von Rochelle Theil zu nehmen. Den Uebertritt ſchreibt er der „ certezza del fine “und dem „ participar agli onori “zu.
Auf den erſten Blick bietet der Gang der Weltereig - niſſe, der Fortſchritt einer angefangenen Entwickelung den Anſchein des Unabaͤnderlichen dar.
Tritt man aber naͤher heran, ſo zeigt ſich nicht ſel - ten, daß das Grundverhaͤltniß, auf welchem alles beruht, leicht und zart iſt, faſt perſoͤnlich, Hinneigung oder Ab - neigung, nicht ſo ſchwer zu erſchuͤttern.
Fragen wir, was dieſe neuen großen Vortheile der katholiſchen Reſtauration hauptſaͤchlich hervorbrachte, ſo war es nicht ſo ſehr die Kriegsmacht des Tilly und des Wal - lenſtein oder das militaͤriſche Uebergewicht Richelieus uͤber die Hugenotten, als das erneute Einverſtaͤndniß zwiſchen Frankreich und Spanien, ohne welches weder Jene noch auch Dieſer viel ausgerichtet haben wuͤrden.
Der Proteſtantismus leiſtete ſchon 1626 keinen ſelb - ſtaͤndigen Widerſtand mehr: nur durch eine Entzweiung der katholiſchen Maͤchte ermannte er ſich dazu: die Verſoͤhnung derſelben fuͤhrte ſein Verderben herbei.
527Mantuaniſch-ſchwediſcher Krieg.Wer haͤtte ſich aber verbergen koͤnnen, wie leicht ſich jenes Einverſtaͤndniß erſchuͤttern ließ.
Innerhalb der Grenzen des Katholicismus waren zwei entgegengeſetzte Antriebe mit gleicher Nothwendigkeit aus - gebildet, der eine der Religion, der andere der Politik.
Jener forderte Zuſammenhalten, Ausbreitung des Glau - bens, Hintanſetzung aller andern Ruͤckſichten: dieſer rief den Wettſtreit der großen Maͤchte um ein vorwaltendes An - ſehen unablaͤßig hervor.
Man duͤrfte wohl nicht ſagen, durch den Gang der Ereigniſſe ſey das Gleichgewicht von Europa bereits um - geſtuͤrzt geweſen. Das Gleichgewicht beruhte in jenen Zei - ten auf dem Gegenſatze zwiſchen Frankreich und Oeſtreich - Spanien, und auch Frankreich war im Laufe dieſer Bege - benheiten unendlich viel ſtaͤrker geworden.
Aber nicht minder von der Vorausſicht der Zukunft als von einer gegenwaͤrtigen Bedraͤngniß haͤngt die Thaͤ - tigkeit der Politik ab. Der natuͤrliche Lauf der Dinge ſchien eine allgemeine Gefahr herbeifuͤhren zu muͤſſen.
Daß die altproteſtantiſchen norddeutſchen Laͤnder von den wallenſteiniſchen Kriegsvoͤlkern uͤberſchwemmt worden, eroͤffnete die Moͤglichkeit einer Herſtellung der kaiſerlichen Hoheit im Reiche, die ſeit Jahrhunderten, einen Moment im Leben Carls V. etwa ausgenommen, nur noch ein Schat - ten geweſen, zu wahrhafter Macht und weſentlicher Be - deutung. Ging es mit der katholiſchen Reſtauration auf dem eingeſchlagenen Wege fort, ſo war das unvermeidlich.
Einmal hatte nun Frankreich dagegen kein Aequiva - lent zu erwarten: ſobald es der Hugenotten Herr gewor -528Buch VII. Kap. 4.den war, ſo blieb ihm nichts weiter zu gewinnen uͤbrig. Aber hauptſaͤchlich erhoben ſich die Beſorgniſſe der Italiener. Sie fanden die Erneuerung eines maͤchtigen Kaiſerthums, das ſo viele Anſpruͤche in Italien hatte, und mit der ver - haßten Gewalt der Spanier ſo unmittelbar zuſammenſtand, gefahrvoll, ja unertraͤglich.
Aufs neue war die Frage, ob die katholiſchen Be - ſtrebungen ohne Ruͤckſicht hierauf fortgeſetzt werden, noch einmal die Oberhand erkaͤmpfen, oder ob die politiſchen Ge - ſichtspunkte uͤberwiegen und einen Einhalt derſelben ver - anlaſſen wuͤrden.
Indem der Strom der katholiſchen Reſtauration ſich noch mit voller Gewalt uͤber Frankreich und Deutſchland ergoß, trat in Italien eine Bewegung ein, bei der ſich das entſcheiden mußte.
In den letzten Tagen des Jahres 1627 ſtarb Vin - cenz II Gonzaga, Herzog von Mantua, ohne Leibeserben. Sein naͤchſter Agnat war Carl Gonzaga, Herzog von Nevers.
An und fuͤr ſich bot nun dieſe Erbfolge keine Schwie - rigkeiten dar, an den Rechten des Agnaten konnte kein Zweifel obwalten. Allein ſie ſchloß eine politiſche Veraͤn - derung von großer Bedeutung ein.
Carl Nevers war in Frankreich geboren, und mußte als ein Franzoſe angeſehen werden: man glaubte, die Spanier wuͤrden es nicht dulden, daß ein Franzoſe in Oberitalien,wel -529Mantuaniſche Erbfolge. welches ſie von jeher mit beſonderer Eiferſucht vor allem franzoͤſiſchen Einfluß ſicher zu ſtellen geſucht, maͤchtig wuͤrde.
Gehn wir nach ſo langer Zeit der Sache auf den Grund, ſo findet ſich doch, daß man anfangs weder an dem ſpaniſchen noch an dem oͤſtreichiſchen Hofe ihn auszuſchlie - ßen gedachte. Er war doch auch mit dem Erzhauſe verwandt: die Kaiſerin war eine mantuaniſche Prinzeſſin und immer ſehr fuͤr ihn: „ man muthete ihm “, ſagt Khevenhiller, der in den mantuaniſchen Geſchaͤften gebraucht wurde, „ an - fangs nichts Widriges zu: man berathſchlagte vielmehr, ihn zu des Erzhauſes Devotion zu bringen “1)Annales Ferdinandei XI, p. 30.. Auch Oli - varez hat dieß ausdruͤcklich verſichert: er hat erzaͤhlt, als man von der ſchweren Krankheit Don Vincenzos gehoͤrt, ſey beſchloſſen worden, einen Courier an den Herzog von Nevers abzuſenden, um ihm den Schutz von Spanien zu einer friedlichen Beſitznahme von Mantua und Montferrat anzutragen2)Francesco degli Albizi, negotiato di monsr Cesare Monte: S. Mà, ſagt Olivarez, in sentire la grave indispositione del duca Vincenzo ordinò che si dispacciasse corriero in Fran - cia al medesimo Nivers promettendogli la protettione sua ac - ciò egli potesse pacificamente ottenere il possesso di Mantova e del Monferrato: ma appena consegnati gli ordini, si era con altro corriere venuto d’Italia intesa la morte di Vincenzo, il matrimonio di Retel senza participatione del re etc. . Es iſt wohl moͤglich, daß man ihm Bedin - gungen geſetzt, Sicherheiten von ihm verlangt haben wuͤrde: ſein Recht dachte man ihm nicht zu entreißen.
Merkwuͤrdig wie dieſe natuͤrliche Entwickelung verhin - dert ward.
In Italien traute man den Spaniern ein ſo recht -Päpſte* 34530Buch VII. Kap. 4.liches Verfahren nicht zu. Man hatte ihnen nie glauben wollen, ſo oft ſie auch fruͤher verſicherten daß ſie es beob - achten, daß ſie ſich der Erbfolge des Nevers nicht wider - ſetzen wuͤrden1)Nè si deve dar credenza, ſagt unter andern der veneziani - ſche Geſandte in Mantua, Mulla, 1615, a quello che si è lasciato intender più volte il marchese di Inoiosa, già governator di Mi - lano, che Spagnoli non porterebbono, quando venisse il caso, mai altri allo stato di Mantoa che il duca di Nivers: — aber warum nicht? Es ergibt ſich nur das Factum: der Governator ſagt es, die Italiener glauben es nicht; dennoch iſt es ohne Zwei - fel ſo.. Die ſpaniſchen Machthaber in Italien hatten nun einmal den Verdacht auf ſich geladen, auch auf eine ungeſetzliche Weiſe nach dem Beſitz einer unumſchraͤnk - ten Macht zu ſtreben. Man ließ ſich jetzt nicht ausreden, daß ſie ein ihnen ergebeneres Mitglied des Hauſes Gonzaga zu dem Herzogthume zu befoͤrdern ſuchen wuͤrden.
Geſtehn wir aber, daß der Wunſch der Italiener einen mit Frankreich natuͤrlich verbuͤndeten und von Spa - nien unabhaͤngigen Fuͤrſten in Mantua zu ſehen, an dieſer Meinung viel Antheil hatte. Sie wollten nicht glauben, daß Spanien etwas zugeben wuͤrde, was ihnen im anti - ſpaniſchen Intereſſe ſo erwuͤnſcht kam. Sie uͤberredeten die berechtigte Linie ſelbſt hievon, und dieſe hielt fuͤr das Beſte, ſich nur zuerſt auf welche Weiſe auch immer in Beſitz zu ſetzen.
Man moͤchte ſagen, es war wie in einem animaliſchen Organismus. Die innere Krankheit ſuchte nur einen An - laß, einen angegriffenen Punkt, um zum Ausbruch zu kommen.
In tiefſtem Geheimniß, noch vor dem Ableben Vincen -531Mantuaniſche Erbfolge.zos, langte der junge Gonzaga Nevers, Herzog von Rethel, in Mantua an. Ein mantuaniſcher Miniſter, der ſich zur antiſpaniſchen Partei hielt, des Namens Striggio, hatte hier alles vorbereitet. Der alte Herzog machte keine Schwierig - keit die Rechte ſeines Vetters anzuerkennen. Es war noch ein Fraͤulein aus der einheimiſchen Linie vorhanden — Urenkelin Philipps II. von Spanien, von ſeiner juͤngern Tochter, die ſich nach Savoyen verheirathet — und es ſchien viel darauf anzukommen, daß der junge Herzog ſich mit ihr vermaͤhle. Zufaͤllige Umſtaͤnde verzoͤgerten die Sache, und Vincenzo war ſchon todt1)Nani Storia Veneta l. 7, p. 350, Siri memorie recondite VI, 309 geben dieß Factum an; der letzte nach einem Schreiben Sabrans an den franzoͤſiſchen Hof., als man das Fraͤulein einſt in der Nacht aus dem Kloſter holte wo ſie erzogen ward, in den Pallaſt brachte, und hier ohne viel Zoͤgern die Vermaͤhlung ſchloß und vollzog. Dann erſt ward der Tod des Herzogs bekannt gemacht, Rethel ward als Prinz von Mantua begruͤßt und empfing die Huldigung. Ein mailaͤndiſcher Abgeordneter wurde ſo lange entfernt gehal - ten bis alles vollbracht war, und dann nicht ohne eine Art von Hohn in Kenntniß geſetzt.
Zugleich mit der Anzeige von dem Tode des Herzogs trafen dieſe Nachrichten in Wien und Madrid ein.
Man wird bekennen, daß ſie recht geeignet waren um ſo maͤchtige Fuͤrſten, die ſich in der Haltung einer religioͤ - ſen Majeſtaͤt gefielen, zu entruͤſten, zu erbittern. Eine ſo nahe Verwandte ohne ihre Zuſtimmung, ja ohne ihr Wiſ - ſen mit einer Art von Gewaltſamkeit verheirathet; ein34*532Buch VII. Kap. 4.bedeutendes Lehen in Beſitz genommen ohne die mindeſte Ruͤckſicht auf den Lehensherrn! Jedoch ergriffen nun die beiden Hoͤfe abweichende Maaßregeln.
Olivarez, ſtolz als ein Spanier, doppelt als Miniſter eines ſo maͤchtigen Koͤnigs, immer erfuͤllt von hochfliegen - dem Selbſtgefuͤhl, war jetzt weit entfernt ſich dem Her - zog zu naͤhern: er beſchloß, wenn nichts weiter, doch we - nigſtens, wie er ſich ausdruͤckt, ihn zu mortificiren1)Nicoletti: Vita di papa Urbano, aus einer Depeſche des Nuntius Pamfilio: Dichiaravasi il conte duca che per lo meno voleva mortificare il duca di Nivers per lo poco rispetto por - tato al re nella conclusione del matrimonio senza parteciparlo: ma a qual segno potesse giungere la mortificatione, non poteva il nuntio farne congettura, e tanto più che le ragioni che ave - vano mosso il papa a concedere la dispensa, erano acerba - mente impugnate dal medesimo conte duca. . Und war nicht ſein Bezeigen offenbar feindſelig? Durfte man ihm nach dieſer Probe ſeiner Geſinnung die wichtigen Staͤdte von Montferrat anvertrauen, die als eine Vormauer von Mailand betrachtet wurden? Der Herzog von Gua - ſtalla machte Anſpruͤche auf Mantua, der Herzog von Sa - voyen auf Montferrat: jetzt traten die Spanier mit beiden in Verbindung: man griff zu den Waffen, der Herzog von Savoyen ruͤckte von der einen, Don Gonzalez de Cordova, Governator in Mailand, von der andern Seite in Mont - ferrat ein. Schon hatten Franzoſen in Caſale Zutritt ge - funden. Don Gonzalez eilte es zu belagern. Er zwei - felte um ſo weniger daß er es in kurzem erobern werde, da er auf innere Einverſtaͤndniſſe rechnete.
Nicht ſo raſch ging der Kaiſer zu Werke. Er war533Mantuaniſche Erbfolge.uͤberzeugt, daß Gott ihn beſchuͤtze, weil er den Weg der Ge - rechtigkeit wandle. Er mißbilligte das Verfahren der Spa - nier, und ließ Don Gonzal foͤrmlich abmahnen. Dagegen wollte er ſeine oberrichterliche Function mit voller Frei - heit ausuͤben. Er ſprach das Sequeſter uͤber Mantua aus, bis er entſchieden haben werde, welchem von den ver - ſchiedenen Praͤtendenten die Erbſchaft zugehoͤre. Da der neue Herzog von Mantua — er war nun ſelbſt angekom - men — ſich nicht unterwerfen wollte, ſo ergingen die ſchaͤrf - ſten Mandate wider ihn1)Die Abſichten des kaiſerlichen Hofes ergeben ſich aus den Berichten Pallottas 10. Juni 1628: nach dem Auszug bei Nico - letti: Il nunzio ogni dì più accorgevasi, che era malissima l’impressione contro il duca di Nivers, che havesse disprezzato il re di Spagna e molto più l’imperatore conchiudendo matri - monio senza sua participazione col possesso dello stato senza investitura, anzi senza indulto imperiale, che fosse nemico della casa d’Austria, che avesse intelligenza e disegno co’ Francesi di dare loro mano nell’ invasione dello stato di Milano; e che non di meno S. Mtà Cesa havesse grandissima inclinatione alla pace, e con questo fine havesse fatto il decreto del sequestro per le - vare l’armi dalle mani di Spagnuoli e di Savojardi stanti le ra - gioni che pretendevano Guastalla, Savoja, Lorena e Spagna negli stati di Mantova e Monferrato: che dapoi il duca havesse di nuovo offeso l’imperatore col disprezzo de’ commissarj non dando loro la mano dritta e non gli ammettendo in Mantova e sopra tutto col appellazione e protesta che l’imperatore fosse caduto dalla ragione e superiorità di detti feudi. .
Waren nun aber auch Urſprung und Sinn dieſer Maaßregeln verſchieden, ſo trafen ſie doch in ihrer Wir - kung zuſammen. Nevers ſah ſich durch die Rechtsanſpruͤche der deutſchen Linie des Hauſes Oeſtreich nicht minder be - droht als durch die Gewaltſamkeit der ſpaniſchen. Indem354[534]Buch VII. Kap. 4.er der Gefahr zu entgehn dachte, zog er ſie ſich eben uͤber das Haupt.
Und anfangs hatte er in der That nur ſchlechte Aus - ſichten. Es iſt wahr, einige italieniſche Staaten ſahen ſeine Sache fuͤr ſo gut als die ihrige an: ſie unterließen nichts, ihn bei dem Entſchluſſe des Widerſtandes feſtzuhalten: aber um an ſich ſelbſt fuͤr ihn etwas auszurichten, fehlte es ih - nen doch an hinreichenden Kraͤften.
Wohl hatte ihm auch Richelieu zugeſagt ihn nicht fal - len zu laſſen, wenn er ſich nur halte bis ihm Frankreich zu Huͤlfe kommen koͤnne. Aber die Frage war, wann dieß ſeyn duͤrfte.
Die Verhaͤltniſſe von Mantua entwickelten ſich noch waͤhrend der Belagerung von Rochelle auf einen ſehr ge - faͤhrlichen Punkt. Ehe es gefallen, konnte Richelieu keinen Schritt thun. Er durfte es nicht wagen, ſich aufs neue in Feindſeligkeiten gegen Spanien einzulaſſen, ſo lange da - durch noch eine gefaͤhrliche Erhebung der Hugenotten ver - anlaßt werden konnte.
Aber auch noch eine andere Ruͤckſicht zu nehmen noͤ - thigten ihn ſeine fruͤheren Erfahrungen. Um keinen Preis durfte er ſich mit der devoten, ernſtlich-katholiſchen Par - tei in ſeinem Vaterlande entzweien. Er durfte es nicht wa - gen mit dem Papſte zu brechen, oder nur eine Politik ein - zuſchlagen, die demſelben mißfaͤllig geweſen waͤre.
Unendlich viel kam noch einmal auf den Papſt an. Seine Stellung, die Natur ſeines Amtes forderten ihn auf, alles fuͤr die Erhaltung des Friedens in der katholiſchen Welt zu thun. Als ein italieniſcher Fuͤrſt hatte er auf ſeine535Urban VIII. Nachbarn einen unzweifelhaften Einfluß. Auch fuͤr Frank - reich mußte ſein Verfahren, wie wir ſahen, maaßgebend wer - den. Es lag alles daran, ob er den Ausbruch der Ent - zweiung verhuͤten, oder ob er ſelbſt Partei ergreifen wuͤrde.
In den fruͤhern Verwickelungen hatte Urban VIII. ſeine Politik eingeleitet ihre Bahn vorgezeichnet gefunden. Hier tritt ſeine Sinnesweiſe zum erſten Mal vollſtaͤndiger und zugleich fuͤr die Weltangelegenheiten beſtimmend hervor.
Unter andern Fremden die durch den Handel von An - cona, der ſich im 16ten Jahrhundert in ziemlicher Aufnahme befand, zu anſehnlichen Reichthuͤmern gelangten, zeichnete ſich das florentiniſche Haus Barberini durch geſchickte Be - rechnung der Geſchaͤfte und gluͤcklichen Erfolg aus. Ein Sproͤßling dieſes Hauſes, Maffeo, im Jahre 1568 zu Flo - renz geboren, ward nach dem fruͤhen Tode ſeines Vaters nach Rom gebracht, wo ihm ein Oheim lebte, der ſich an der Curie eine gewiſſe Stellung gemacht hatte. Auch Maf - feo ſchlug die Laufbahn an der Curie ein: er ward durch die Wohlhabenheit ſeines Hauſes befoͤrdert, doch entwickelte er auch ein ausnehmendes Talent dazu. Auf jeder Stufe die er betrat, erkannten ſeine Amtsgenoſſen eine gewiſſe Ue - berlegenheit in ihm an: hauptſaͤchlich durch eine Nuntiatur in Frankreich, bei welcher er die volle Gewogenheit des franzoͤſiſchen Hofes erwarb, eroͤffnete er ſich dann ferner hohe Ausſichten. Nach dem Tode Gregors XV. dachte ihm die franzoͤſiſche Partei von allem Anfang das Pontificat536Buch VII. Kap. 4.zu. Die Geſtalt des Conclave war damals von den fruͤ - heren dadurch unterſchieden, daß der letzte Papſt nur eine kurze Zeit geſeſſen. Obwohl er eine bedeutende Anzahl Car - dinaͤle ernannt hatte, ſo waren doch die Creaturen ſeines Vorgaͤngers noch immer eben ſo zahlreich: in dem Con - clave ſtanden einander der vorletzte und der letzte Nepot mit ziemlich gleichen Kraͤften gegenuͤber. Maffeo Barberino ſoll jedem von ihnen zn verſtehn gegeben haben, er ſey ein Gegner des andern: man behauptet, daß er hierauf von beiden und zwar von jedem aus Haß wider den andern unterſtuͤtzt worden ſey. Noch wirkſamer jedoch war es ohne Zweifel, daß er ſich immer als einen Verfechter der juris - dictionellen Anſpruͤche der roͤmiſchen Curie gezeigt und ſich da - durch der Mehrzahl der Cardinaͤle werth gemacht hatte. Ge - nug von eigenem Verdienſt und fremder Unterſtuͤtzung gleich ge - foͤrdert drang Maffeo Barberino durch, und ſtieg in dem fri - ſchen Alter von 55 Jahren zur Wuͤrde des Papſtthums auf.
Gar bald nahm der Hof einen ſtarken Unterſchied zwi - ſchen ihm und ſeinen naͤchſten Vorfahren wahr. Clemens den VIII. fand man in der Regel mit den Werken des h. Bernard, Paul V. mit den Schriften des ſel. Juſtinian von Venedig beſchaͤftigt: bei dem neuen Papſt Urban VIII. la - gen dagegen die neueſten Gedichte oder auch Fortifications - zeichnungen auf dem Arbeitstiſche.
Es wird ſich in der Regel finden, daß die Zeit, in der ein Menſch ſeine entſchiedene Richtung ergreift, in die erſte Bluͤthe der maͤnnlichen Jahre faͤllt: in denen er an Staat oder Literatur einen ſelbſtthaͤtigen Antheil zu nehmen anfaͤngt. Die Jugend Pauls V, geboren 1552, Gre -537Urban VIII. gors XV, geboren 1554, gehoͤrte in eine Epoche, in wel - cher die Prinzipien der katholiſchen Reſtauration in vollem ungebrochenem Schwunge vorwaͤrts ſchritten: auch ſie wur - den von denſelben erfuͤllt. Die erſten Thaͤtigkeiten Urbans VIII. — geboren 1568 — fielen dagegen in die Zeiten der Oppoſition des paͤpſtlichen Fuͤrſtenthums gegen Spanien, der Herſtellung eines katholiſchen Frankreichs. Wir finden, daß nun auch ſeine Neigung ſich vorzugsweiſe dieſen Rich - tungen hingab.
Urban VIII. betrachtete ſich vornehmlich als einen welt - lichen Fuͤrſten.
Er hegte den Gedanken, der Kirchenſtaat muͤſſe durch Befeſtigungen geſichert, durch eigene Waffen furchtbar ſeyn. Man zeigte ihm die marmornen Denkmale ſeiner Vorfah - ren: er ſagte, er wolle ſich eiſerne ſetzen. An den Grenzen des Bologneſiſchen baute er Caſtelfranco, das man das Fort Urbano genannt hat, obgleich der militaͤriſche Zweck deſſelben ſo wenig in die Augen ſprang, daß die Bologneſen arg - woͤhnten, es ſey mehr gegen als fuͤr ſie angelegt. In Rom fing er ſchon 1625 an, Caſtel S. Angelo mit neuen Bruſt - wehren zu befeſtigen: unverzuͤglich verſah er es, gleich als ſey ein Krieg vor der Thuͤr, mit Munition und Mundvor - rath: auf Monte Cavallo zog er die hohe Mauer die den paͤpſtlichen Garten einſchließt, ohne es zu achten, daß da - bei einige großartige Reſte des Alterthums in den Gaͤrten der Colonneſen zu Grunde gingen. In Tivoli richtete er eine Gewehrfabrik ein1)A. Contarini: Relne di 1635. Quanto alle armi, i papi n’erano per l’addietro totalmente sproveduti, perchè confida -: die Raͤume der vaticaniſchen Bi -538Buch VII. Kap. 4.bliothek wurden zum Zeughauſe beſtimmt: Soldaten gab es uͤberfluͤſſig, und die Staͤtte der oberſten geiſtlichen Macht der Chriſtenheit, der friedliche Bezirk der ewigen Stadt, erfuͤllte ſich mit militaͤriſchem Laͤrmen. Auch einen Frei - hafen mußte ein wohleingerichteter Staat haben: Civitavec - chia ward mit vielen Koſten dazu eingerichtet. Nur ent - ſprach der Erfolg mehr der Lage der Sachen als der Ab - ſicht des Papſtes. Die Barbaresken verkauften daſelbſt die den chriſtlichen Seefahrern abgenommene Beute. Dazu muß - ten die Anſtrengungen des Oberhirten der Chriſtenheit dienen.
In alle dieſen Dingen verfuhr aber Papſt Urban mit unbedingter Selbſtherrſchaft. Wenigſtens in ſeinen er - ſten Jahren erweiterte er noch die unumſchraͤnkte Regie - rungsweiſe ſeiner Vorfahren.
Schlug man ihm vor, das Collegium zu Rathe zu ziehen, ſo entgegnete er wohl, er allein verſtehe mehr als alle Cardinaͤle zuſammengenommen. Nur ſelten ward Con -1)vano più nell’ obligarsi i principi con le gratie che nelle difese temporali. Hora si è mutato registro, et il papa presente in particolare vi sta applicatissimo. A Tivoli egli ha condotto un tal Ripa Bresciano, suddito di V. Sertà, il quale poi di tempo in tempo è andato sviando molti operai della terra di Gardon. Quivi costui fa lavorare gran quantità d’arme, prima facendo condurre il ferro grezzo dal Bresciano et hora lavorandone qual - che portione ancora di certe miniere ritrovate nell’ Umbria: di che tutto diedi avviso con mie lettere a suo tempo, che m’ ima - gino passassero senza riflessione. Di queste armi ha il papa sotto la libreria del Vaticano accomodato un’ arsenale, dove con buon ordine stanno riposti moschetti, picche, carabine e pistole per armare trentamila fanti e cinquemila cavalli oltre buon nu - mero che dalla medesima fucina di Tivoli si è mandato a Fer - rara e Castelfranco in queste ultime occorrenze. 539Urban VIII. ſiſtorium gehalten, und auch dann hatten nur Wenige den Muth ſich freimuͤthig zu aͤußern. Die Congregationen ver - ſammelten ſich in der gewohnten Weiſe, jedoch wurden ihnen keine wichtigen Fragen vorgelegt, die Beſchluͤſſe, welche ſie ja etwa faßten, wenig beruͤckſichtigt1)Le congregationi servono, ſagt Aluiſe Contarini, per co - prire talvolta qualche errore. . Auch fuͤr die Verwaltung des Staates bildete Urban keine eigent - liche Conſulta, wie ſeine Vorfahren. Sein Nepot Franz Barberino hatte in den erſten zehn Jahren des Pontificats ganz Recht, wenn er fuͤr keine Maaßregel, die man ergrif - fen hatte, welcher Art ſie auch ſeyn mochte, die Verant - wortlichkeit uͤbernehmen wollte.
Die fremden Geſandten waren ungluͤcklich, daß ſie ſo wenig mit dem Papſte anfangen konnten. In den Audien - zen ſprach er ſelbſt das Meiſte2)Pietro Contarini: Relne di 1627. Abbonda con grande facondia nelli discorsi, è copioso nelli suoi ragionamenti, di cose varie argomenta, e tratta nelli negotj con tutte le ragioni che intende e sa, a segno che le audienze si rendono altrettanto e più lunghe di quelle de’ precessori suoi: e nelle congregationi dove interviene segue pur il medesimo con grande disavan - taggio di chi tratta seco, mentre togliendo egli la maggior parte del tempo poco ne lascia agli altri; et ho udito io dire ad un cardle che andava non per ricever l’audienza ma per darla al papa, poichè era certo che la Stà S. più avrebbe voluto discor - rere che ascoltarlo; e molte volte è accaduto che alcuni entrati per esporre le proprie loro istanze, postosi egli nei discorsi, se ne sono usciti senza poter de’ loro interessi dirle cosa al - cuna. , docirte, ſetzte mit dem Nachfolgenden das Geſpraͤch fort, das er mit dem Vor - hergehenden begonnen. Man mußte ihn hoͤren, ihn bewun - dern, ihm mit der groͤßten Ehrerbietung begegnen, ſelbſt wenn540Buch VII. Kap. 4.er abſchlug. Auch bei andern Paͤpſten erfolgten viele ab - ſchlaͤgliche Beſcheide, aber aus einem Prinzip, ſey es der Religion oder der Politik: bei Urban bemerkte man Laune. Man konnte nie ſagen, ob man ein Ja oder ein Nein zu erwarten haben wuͤrde. Die gewandten Venezianer lauſch - ten ihm ab, daß er den Widerſpruch liebe, daß er durch eine faſt unwillkuͤhrliche Hinneigung immer auf das Gegen - theil von dem Vorgetragenen verfalle: um zu ihrem Zwecke zu gelangen, brauchten ſie das Mittel ſich ſelbſt Einwuͤrfe zu machen. Indem der Papſt das Entgegengeſetzte aufſuchte, gerieth er dann von ſelbſt auf Vorſchlaͤge, zu denen ihn ſonſt keine Ueberredung der Welt zu bringen vermocht haͤtte.
Eine Geſinnung, die ſich auch in untergeordneten Krei - ſen auf ihre Weiſe zeigen kann, und damals in Italienern und Spaniern nicht ſelten vorkam. Sie betrachtet eine oͤffentliche Stellung gleichſam als einen Tribut, welcher dem Verdienſte, der Perſoͤnlichkeit gebuͤhre. In der Verwaltung eines Amtes folgt ſie dann auch bei weitem mehr dieſen perſoͤnlichen Antrieben als den Forderungen der Sache. Nicht viel anders, als ein Autor der von dem Gefuͤhle ſeines Ta - lentes erfuͤllt, nicht ſowohl den Gegenſtand ins Auge faßt der ihm vorliegt, als dem Spiele ſeiner Willkuͤr freien Lauf laͤßt.
Gehoͤrte doch Urban ſelbſt zu dieſer Art von Autoren! Die Gedichte, die von ihm uͤbrig ſind, zeigen Witz und Ge - wandtheit. Aber wie ſeltſam ſind darin doch die heiligen Gegenſtaͤnde behandelt! Die Geſaͤnge und Spruͤche des alten wie des neuen Teſtamentes muͤſſen ſich in horaziſche Metra fuͤgen, der Lobgeſang des alten Simeon in zwei541Urban VIII. ſapphiſche Strophen! Von der Eigenthuͤmlichkeit des Tex - tes kann hiebei wie natuͤrlich nichts uͤbrig bleiben: der In - halt muß ſich einer Form fuͤgen, die ihm an ſich wider - ſpricht, nur weil der Verfaſſer ſie eben beliebt.
Aber dieſe Talente, der Glanz mit dem ſie die Perſon des Papſtes umgaben, die athletiſche Geſundheit ſelbſt de - ren er genoß, vermehrten nur in ihm das Selbſtgefuͤhl, das ihm ſeine hohe Stellung ohnehin einfloͤßte1)Von Anfang an bemerkte man dieß. Relatione de’ quat - tro ambasciatori 1624: Ama le proprie opinioni e si lascia lu - singare dal suo genio, a che conseguita una salda tenacità dei proprj pensieri: — — è sempre intento a quelle cose che pos - sono ringrandire il concetto della sua persona. .
Ich wuͤßte keinen Papſt der es in dem Grade gehabt haͤtte. Man machte ihm einſt einen Einwurf aus den al - ten paͤpſtlichen Conſtitutionen: er antwortete, der Ausſpruch eines lebenden Papſtes ſey mehr werth als die Satzun - gen von hundert verſtorbenen.
Jenen Beſchluß des roͤmiſchen Volkes niemals wie - der einem Papſte bei ſeinen Lebzeiten eine Bildſaͤule zu er - richten hob er mit den Worten auf, „ ein ſolcher Beſchluß koͤnne einem Papſte nicht gelten wie er einer ſey. “
Man lobte ihm das Betragen eines ſeiner Nuntien in einer ſchwierigen Angelegenheit: er verſetzte, „ der Nun - tius habe nach ſeiner Inſtruction gehandelt. “
Ein ſolcher Mann war es — ſo erfuͤllt von der Idee ein großer Fuͤrſt zu ſeyn: ſo franzoͤſiſch geſtimmt durch ſeine fruͤhere Thaͤtigkeit wie durch die Foͤrderung die er von Frankreich erfahren: endlich ſo eigenwillig, kraͤftig und voll Selbſtgefuͤhls — an den in dieſem Augenblicke die Lei -542Buch VII. Kap. 4.tung der hoͤchſten geiſtlichen Macht der katholiſchen Chri - ſtenheit gekommen war.
An ſeinem Entſchluſſe, an der Haltung, die er in der Mitte der katholiſchen Maͤchte annahm, hing unendlich viel fuͤr den Fortſchritt oder Einhalt der univerſalen Reſtaura - tion, mit der man beſchaͤftigt war.
Schon oͤfter aber hatte man in dieſem Papſte eine Abneigung gegen Spanien-Oeſtreich bemerken wollen1)Marquemont (Lettres, bei Aubery: Mémoires de Riche - lieu I, p. 65) bemerkt das von allem Anfang. Den Papſt zu behan - deln, ſagt er, wird nicht ſchwer ſeyn: ſeine Neigung iſt fuͤr den Koͤ - nig und fuͤr Frankreich: aus Klugheit will er aber auch die andern Fuͤrſten zufrieden ſtellen. Der Papſt ward ſofort auch die Abnei - gung der Spanier inne..
Schon im Jahre 1625 beklagte ſich Cardinal Borgia uͤber die Haͤrte deſſelben, „ der Koͤnig von Spanien koͤnne nicht die mindeſte Bewilligung erlangen: alles werde ihm abgeſchlagen. “
Cardinal Borgia behauptete, die Sache von Valtellin habe Urban VIII. mit Willen nicht beigelegt: der Koͤnig habe ſich erboten die ſtreitigen Paͤſſe fahren zu laſſen, der Papſt habe niemals darauf geachtet.
So laͤßt ſich auch nicht leugnen, daß Urban mit daran Schuld hatte, wenn jene Verbindung zwiſchen den Haͤuſern Oeſtreich und Stuart nicht zu Stande kam. Als er die Dispenſation ausfertigte welche ſein Vorgaͤnger ent - worfen, ſetzte er zu den alten Bedingungen noch hinzu, daß in jeder Provinz oͤffentliche Kirchen fuͤr die Katholiken er - richtet werden ſollten: eine Forderung die bei der Ueber - zahl einer gereizten proteſtantiſchen Bevoͤlkerung niemals zu -543Urban VIII. geſtanden werden konnte, die der Papſt hernach bei der fran - zoͤſiſchen Vermaͤhlung ſelbſt fallen ließ. Er ſchien in der That den Zuwachs an Macht ungern zu ſehen, den Spa - nien durch die Verbindung mit England erlangt haben wuͤrde. Ganz insgeheim unterhandelte in jenen Tagen der Nuntius, der in Bruͤſſel reſidirte, uͤber eine Vermaͤhlung des Churprinzen von der Pfalz nicht mit einer oͤſtreichiſchen, ſondern mit einer baieriſchen Prinzeſſin1)Der Emiſſaͤr des Nuntius war ein Capuziner, Francesco della Rota. Rußdorf Négociations I, 205 iſt uͤber ſeine Unterhand - lungen beſonders ausfuͤhrlich..
Und an der mantuaniſchen Verwickelung nun, die ſich jetzt erhob, hatte der Papſt nicht minder einen weſentlichen Antheil. Die geheime Vermaͤhlung der jungen Prinzeſſin mit Rethel, von der alles abhing, haͤtte ohne paͤpſtliche Dispenſation nicht vollzogen werden koͤnnen. Papſt Urban gab ſie, ohne die naͤchſten Verwandten, den Kaiſer oder den Koͤnig, auch nur gefragt zu haben, und noch im rechten Au - genblicke traf ſie ein.
Dergeſtalt lag die Geſinnung des Papſtes bereits offen am Tage. Wie die uͤbrigen italieniſchen Maͤchte, wuͤnſchte er vor allem einen von Spanien unabhaͤngigen Fuͤrſten in Mantua zu ſehen.
Auch wartete er nicht bis er etwa von Richelieu ange - gangen wuͤrde. Da ſeine Verwendungen am kaiſerlichen Hofe unwirkſam blieben, deſſen Schritte vielmehr immer feindſeliger wurden, die Belagerung von Caſale fortdauerte, wandte ſich der Papſt ſelbſt an Frankreich.
Er ließ die dringendſten Bitten vernehmen. „ Der544Buch VII. Kap. 4.Koͤnig moͤge ein Heer ins Feld ruͤcken laſſen, ſelbſt ehe Ro - chelle noch genommen ſey: eine Unternehmung in der man - tuaniſchen Sache ſey eben ſo gottgefaͤllig, wie die Belage - rung jenes Hauptbollwerkes der Hugenotten: erſcheine der Koͤnig nur erſt in Lyon und erklaͤre ſich fuͤr die Freiheit von Italien, ſo werde auch er der Papſt nicht ſaͤumen, ein Heer ins Feld ſtellen und ſich mit dem Koͤnige vereinigen “1)Auszuͤge aus den Depeſchen Bethunes vom 23. Sept. und 8. Oct. 1628 bei Siri: Memorie VI, p. 478..
Von dieſer Seite hatte demnach Richelieu dießmal nichts zu fuͤrchten, wenn er die vor drei Jahren fehlge - ſchlagene Oppoſition gegen Spanien wieder aufnahm. Aber er wollte ganz ſicher gehn: er hatte nicht die Eile des Pap - ſtes: in jener Belagerung, die ſeinen Ehrgeiz feſſelte, ließ er ſich nicht ſtoͤren.
Deſto entſchloſſener zeigte er ſich, ſo wie nun Rochelle gefallen war. „ Monſignore, “redete er den paͤpſtlichen Nun - tius an, den er ſogleich rufen ließ, „ nun wollen wir auch keinen Augenblick weiter verlieren, aus allen Kraͤften wird ſich der Koͤnig der italieniſchen Sache annehmen “2)Dispaccio Bagni 2 Nov. 1628..
Dergeſtalt erhob ſich jene Feindſeligkeit gegen Spanien und Oeſtreich, die ſich ſchon ſo oft geregt, kraͤftiger als jemals. Die Eiferſucht von Italien rief noch einmal den Ehrgeiz der Franzoſen hervor. Die Lage der Dinge ſchien ſo dringend, daß Ludwig XIII. das Fruͤhjahr nicht abwar - ten wollte. Noch in der Mitte des Januar 1629 brach er von Paris auf und nahm den Weg gegen die Alpen. Ver -545Urban VIII. Vergebens widerſetzte ſich der Herzog von Savoyen, der ſich, wie geſagt, zu Spanien hielt; ſeine Paͤſſe, die er bar - ricadiren laſſen, wurden im erſten Anlauf geſtuͤrmt, Suſa genommen: ſchon im Merz mußte er einen Vertrag eingehn: die Spanier ſahen ſich in der That genoͤthigt die Belage - rung von Caſale aufzuheben1)Recueil de diverses relations des guerres d’Italie 1629 — 31. Bourg en Bresse 1632..
Und ſo ſtanden die beiden vorwaltenden Maͤchte der katholiſchen Chriſtenheit aufs neue in den Waffen gegen einander. Richelieu nahm ſeine kuͤhnſten Plaͤne gegen die ſpaniſch-oͤſtreichiſche Macht wieder auf.
Vergleichen wir aber die Zeiten, ſo fußte er jetzt hiebei auf eine bei weitem gediegenere, haltbarere Grundlage, als fruͤher bei ſeiner graubuͤndtneriſch-pfaͤlziſchen Unternehmung. Damals hatten die Hugenotten den Augenblick ergreifen koͤn - nen um ihm den innern Krieg zu erneuern. Auch jetzt waren ſie zwar nicht vollkommen unterdruͤckt, aber ſeit ſie Ro - chelle verloren, floͤßten ſie keine Beſorgniß mehr ein: ihre Nie - derlagen und Verluſte gingen ununterbrochen fort: auch nur eine Diverſion zn machen waren ſie nicht mehr faͤhig. Und vielleicht noch wichtiger iſt es, daß Richelieu jetzt den Papſt fuͤr ſich hatte. Bei der fruͤheren Unternehmung entſprang ihm aus dem Gegenſatze, in den er dabei mit der roͤmi - ſchen Politik gerieth, eine Gefahr ſelbſt fuͤr ſeine Stellung im Innern von Frankreich; die jetzige war dagegen von Rom ſelbſt hervorgerufen, in dem Intereſſe des paͤpſtlichen Fuͤrſtenthums. Richelieu fand es uͤberhaupt gerathen, ſich ſo enge wie moͤglich an das Papſtthum anzuſchlie -Päpſte* 35546Buch VII. Kap. 4. Die Machtßen: in dem Streite zwiſchen roͤmiſchen und gallicaniſchen Doctrinen hielt er ſich nunmehr zu den roͤmiſchen und verleugnete die gallicaniſchen.
Welche Bedeutung entwickelte hiemit der Gegenſatz des Urbans VIII. gegen das Haus Oeſtreich!
Mit der religioͤſen Entwickelung, mit dem Fortſchritte der katholiſchen Reſtauration waren politiſche Veraͤnderun - gen verknuͤpft, die immer unaufhaltſamer ihr eigenes Prin - cip geltend machten, und ſich jetzt dem kirchlichen ſelbſt ent - gegenſetzten.
Der Papſt trat gegen diejenige Macht in die Schran - ken, welche ſich die Wiederherſtellung des Katholicismus am eifrigſten angelegen ſeyn ließ.
Es fragt ſich nun, welche Haltung dieſe Macht, be - ſonders Kaiſer Ferdinand, in deſſen Haͤnden die Unterneh - mung der Wiederherſtellung hauptſaͤchlich ruhte, einer ſo maͤch - tigen und drohenden Oppoſition gegenuͤber einnehmen wuͤrde.
Es war dem Kaiſer eben als waͤre nichts geſchehen.
Zwar konnte er ſich unter den obwaltenden Umſtaͤn - den keinerlei Gunſt von dem Papſte verſprechen: in den kleinſten Dingen, z. B. einer Sache der Abtei S. Maxi - mian, ja in den devoteſten Antraͤgen — wenn er unter andern wuͤnſcht, S. Stephan und S. Wenceslaus, weil man dem einen in Ungarn, dem andern in Boͤhmen eine ſo große Ver - ehrung widmet, in den roͤmiſchen Kalender aufgenommen zu ſehen — fand er Widerſtand, und er bekam nichts als ab -547Kaiſer Ferdinands II. im Jahre 1629.ſchlaͤgliche Antworten. Nichts deſto minder ließ er am 6. Merz 1629 das Reſtitutionsedict ins Reich ergehn. Es iſt als das Endurtel in einem nunmehr uͤber ein Jahrhun - dert gefuͤhrten großen Proceß zu betrachten. Die Evange - liſchen werden durchaus condemnirt: den Katholiſchen wird vollkommen Recht gegeben: „ es bleibt uns nichts uͤbrig “, ſagt der Kaiſer, „ als dem beleidigten Theil beizuſtehn und unſere Commiſſarien abzuordnen, um alle ſeit dem Paſſauer Vertrag eingezogenen Erzbisthuͤmer, Bisthuͤmer, Praͤlatu - ren, Kloͤſter und andere geiſtliche Guͤter von ihren unbe - fugten Inhabern zuruͤckzufordern. “ Auf der Stelle erſchie - nen die Commiſſionen: fuͤr jeden Kreis des Reiches trat eine beſondere in Wirkſamkeit: die ruͤckſichtsloſeſten Execu - tionen begannen. Und ſollte nicht damit wenigſtens der Papſt beguͤtigt, zu einiger Gunſt und Hinneigung bewogen werden? Papſt Urban nahm es auf als eine Pflichter - fuͤllung. Der Kaiſer bat um das Recht die durch das Reſtitutionsedict gewonnenen geiſtlichen Stellen wenigſtens das erſte Mal ſelbſt zu beſetzen: der Papſt ſchlug es ihm ab: denn, ſagte er, er duͤrfe die Concordate nicht ver - letzen: auch in Frankreich halte man ſie1)Lettera di segreteria di stato al nuntio Pallotta li 28 Aprile 1629. Der Papſt beſtimmte ſeinen Nuntius in Coͤln, Pier Luigi Caraffa, nach Niederſachſen „ con titolo per la restitutione de’ beni ecclesiastici, e deliberò di dargli anche le facoltà a parte se fosse stato bisogno di usarle nelle controversie fra ecclesiastici ed ecclesiastici. “. Es liegt faſt ein Hohn in dieſer Verweiſung, denn das franzoͤſiſche Con - cordat gewaͤhrte ja eben dem Koͤnige das Recht, das der Kaiſer verlangte. Der Kaiſer wuͤnſchte die zuruͤckerwor -35*548Buch VII. Kap. 4. Die Machtbenen Kloͤſter in Collegien beſonders fuͤr die Jeſuiten ver - wandeln zu koͤnnen: der Papſt antwortete, die Kloͤſter muͤßten zunaͤchſt den Biſchoͤfen uͤberantwortet werden.
Indeſſen fuhr der Kaiſer auf ſeinem Wege fort, ohne auf die Ungunſt des Papſtes Ruͤckſicht zu nehmen: er be - trachtete ſich als den großen Vorfechter der katholiſchen Kirche.
Drei Heere ließ er auf einmal ins Feld ruͤcken.
Das erſte kam den Polen wider die Schweden zu Huͤlfe, und ſtellte in der That das Kriegsgluͤck der Polen einigermaßen wieder her. Doch war das nicht die ein - zige Abſicht: bei dieſem Feldzuge dachte man zugleich daran, Preußen an das Reich und den Orden, dem es entriſſen worden, wieder zuruͤckzubringen1)Mémoires et négotiations de Rusdorf II, 724. Comiti Negromontano (Schwarzenberg) Viennae nuper claris verbis a consiliariis et ministris Caesaris dictum fuit, imperatorem sci - licet sibi et imperio subjecturum quidquid milite suo in Borus - sia occuparit et ceperit. .
Ein anderes Heer ruͤckte gegen die Niederlande, um hier den Spaniern zu Huͤlfe zu kommen. Es ergoß ſich uͤber die Haide von Utrecht gegen Amſterdam hin, und nur ein Zufall, die Ueberrumpelung von Weſel, hinderte es an den groͤßten Erfolgen.
Indeſſen ſammelte ſich ein drittes Heer bei Memmin - gen und Lindau um nach Italien zu gehn und die man - tuaniſche Sache mit dem Schwerte auszumachen. Die Schweizer waren nicht zu bewegen den Durchzug in Gu - tem zuzugeſtehn: ſie wurden mit Gewalt gezwungen: in ei - nem Augenblicke waren Lucienſteig, Chur, mit allen grau -549Kaiſer Ferdinands II. im Jahre 1629.buͤndtneriſchen Paͤſſen bis an den Comerſee, eingenommen: 35000 Mann ſtark ſtieg alsdann dieſes Heer laͤngs der Adda und dem Oglio hinab. Noch einmal ward der Herzog von Mantua aufgefordert ſich zu unterwerfen. Er erklaͤrte, er ſtehe im Schutze des Koͤnigs von Frankreich, mit dieſem muͤſſe man unterhandeln. Indem nun die Deutſchen ſich gegen Mantua, die Spanier ſich gegen Montferrat bewegten, erſchienen auch die Franzoſen zum zweiten Male. Sie mach - ten auch dieß Mal Fortſchritte; ſie nahmen Saluzzo, Pi - nerolo: aber in der Hauptſache richteten ſie nichts aus; nicht einmal den Herzog von Savoyen vermochten ſie aufs neue zu ihrem Willen zu noͤthigen. Die Spanier be - gannen Caſale, die Deutſchen nach kurzem Stillſtand Man - tua zu belagern:1)Das elfte Buch dell’ istoria di Pietro Giov. Capriata er - oͤrtert die einzelnen Momente dieſer Ereigniſſe. ſie hatten bei weitem das Ueber - gewicht.
Kein Wunder, wenn in dieſer Lage der Dinge jetzt in Wien ſelbſt Erinnerungen an die alte kaiſerliche Hoheit laut wurden.
„ Man werde den Italienern zeigen, daß es noch ei - nen Kaiſer gebe, man werde Rechnung mit ihnen halten. “
Beſonders hatte ſich Venedig den Haß des Hauſes Oeſtreich zugezogen. Man urtheilte zu Wien, daß wenn Mantua einmal gefallen, auch die Terra ferma von Vene - dig nicht mehr widerſtehn koͤnne. In ein paar Monaten muͤſſe man ſie haben, dann koͤnne man die kaiſerlichen Lehen zuruͤckfordern. Der ſpaniſche Geſandte ging noch weiter. Er verglich die ſpaniſch-oͤſtreichiſche Macht mit der roͤmi -550Buch VII. Kap. 4. Die Machtſchen, die venezianiſche mit der carthaginienſiſchen. „ Aut Roma “, rief er aus, „ aut Carthago delenda est. “
Und hier gedachte man auch der weltlichen Rechte des Kaiſerthums gegen das Papſtthum.
Ferdinand II. beabſichtigte ſich kroͤnen zu laſſen: er forderte, daß ihm der Papſt nach Bologna oder Ferrara entgegenkomme: der Papſt wagte es weder zu verſprechen noch abzuſchlagen, und ſuchte ſich mit einer Reſervatio mentalis zu helfen1)Se bene Urbano una volta uscì coll’ ambasciatore Sa - velli che bisognando si saria trasferito a Bologna o Ferrara, non intese però dire in correspettività di quello che espresse il principe di Eckenberg. . Es kam die Rede auf die Lehens - rechte des Reiches uͤber Urbino und Montefeltro; man ſagte dem paͤpſtlichen Nuntius ohne Weiteres, Wallenſtein werde ſich daruͤber naͤher informiren, wenn er nach Italien komme. In der That war das Wallenſteins Abſicht. Er war fruͤher gegen den italieniſchen Krieg geweſen: jetzt aber erklaͤrte er, da er ſehe, daß der Papſt mit ſeinen Verbuͤn - deten das Haus Oeſtreich unterdruͤcken wolle, ſey er da - fuͤr2)Welche Meinung man von dem Papſte zu Wien uͤberhaupt hatte, zeigt das Schreiben Pallottas 10. Aug. 1628. È stato qui rappresentato da’ maligni, che son quelli che vogliono la guerra, che lo stato di Milano sta in grandissimo pericolo, essendo cosa sicura che papa Urbano havendo vastissimi pensieri sia di cattivo animo verso la casa d’Austria, che perciò si habbia da temere di S. Stà non meno che di Veneziani e di Francesi havendo gli stati così vicini al ducato di Milano e potendo in un tratto mettere potente esercito in campagna: e di più gli stessi maligni hanno rappresentato per cosa già stabilita che S. Sà vuole in ogni modo far fare re de’ Romani il re di Francia, ed in confermazione di ciò hanno allegato che essendo la Sà S. . Er ließ ſich vernehmen: es ſey bereits hundert551Kaiſer Ferdinands II. im Jahre 1629.Jahr her, daß Rom nicht gepluͤndert worden: jetzt muͤſſe es noch um vieles reicher ſeyn als damals.
Indeſſen ſollte auch Frankreich nicht verſchont werden. Der Kaiſer dachte die drei abgekommenen Bisthuͤmer mit Gewalt der Waffen zuruͤckzuerwerben: ſein Plan war Co - ſaken von Polen zu uͤbernehmen und nach Frankreich zu ſchicken. Die Zwiſtigkeiten Ludwigs XIII. mit ſeinem Bru - der und ſeiner Mutter ſchienen dazu eine erwuͤnſchte Ge - legenheit darzubieten.
Und ſo nahm das Haus Oeſtreich eine Stellung ein, in welcher es ſeine Beſtrebungen gegen die Proteſtanten auf das kuͤhnſte verfolgte, aber zugleich die katholiſche Oppo - ſition, ja den Papſt ſelbſt maͤchtig beugte und in Zaum hielt.
So oft in fruͤheren Zeiten ein Fall dieſer Art nur von ferne geſehen, nur gefuͤrchtet wurde, hatte ſich alles vereinigt was in Europa noch unabhaͤngig geblieben: jetzt war er wirklich eingetreten. Die katholiſche Oppoſition ſah ſich, nicht mehr aus Eiferſucht ſondern zu ihrer Ret - tung zur Nothwehr, nach Huͤlfe außerhalb der Grenzen des Katholicismus um. An wen aber konnte ſie ſich wenden? England war durch die Entzweiung zwiſchen Koͤ -2)nunzio in Francia dicesse alla regina che s’egli arrivava ad esser papa, voleva procurare di fare re de’ Romani il suo figliuolo, il quale ancora era fanciullo. 552Buch VII. Kap. 4.nig und Parlament in ſich ſelbſt beſchaͤftigt, und unterhan - delte uͤberdieß bereits aufs neue mit Spanien: die Nieder - lande waren ſelbſt von dem Feinde uͤberzogen: die deut - ſchen Proteſtanten entweder geſchlagen oder von den kaiſer - lichen Heeren in Furcht gehalten: der Koͤnig von Daͤne - mark zu einem nachtheiligen Frieden gezwungen. Es blieb Niemand uͤbrig als der Koͤnig von Schweden.
Waͤhrend die Proteſtanten allenthalben geſchlagen wur - den, hatte allein Guſtav Adolf Siege erfochten. Er hatte Riga, ganz Liefland bis auf Duͤnamuͤnde, von Litthauen, wie die Polen ſich ausdruͤcken, ſo viel als er ſelbſt gewollt erobert: dann war er 1626 in Preußen erſchienen, hauptſaͤch - lich, wie er ſagte, um die Geiſtlichkeit im Bisthum Ermeland heimzuſuchen: die Hauptſitze des wiederhergeſtellten Katholi - cismus in jenen Gegenden, Frauenburg und Braunsberg, hatte er eingenommen, und den bedraͤngten Proteſtanten daſelbſt einen neuen ſtarken Ruͤckhalt gegeben. Aller Augen richte - ten ſich auf ihn. „ Ueber alle andern Menſchen “, ſchreibt Rus - dorf ſchon im Jahre 1624, „ ſchaͤtze ich dieſen ſiegreichen Helden: ich verehre ihn als den einzigen Schutz unſerer Sache, als den Schrecken unſerer gemeinſchaftlichen Feinde: ſeinen Ruhm, der uͤber den Neid erhaben iſt, begleite ich mit meinem Gebet “1)Rusdorf Mémoires II, 3. „ Ejus gloriam invidiae me - tas eluctatam, excelsam infracti animi magnitudinem, et virtutis magis ac magis per merita enitescentis et assurgentis invictum robur cum stupore adoro et supplici voto prosequor. “. Zwar hatte Guſtav Adolf jetzt in dem Gefecht auf der Stummſchen Halde einen Verluſt ge - habt, und waͤre beinahe ſelbſt gefangen genommen worden,553Unterhandlungen mit Schweden.aber die ritterliche Tapferkeit, mit der er ſich durchſchlug, warf ſogar einen neuen Glanz auf ihn, und alle Mal be - hauptete er ſich im Felde.
An dieſen Fuͤrſten nun wandten ſich jetzt die Franzo - ſen. Zuerſt vermittelten ſie einen Stillſtand zwiſchen ihm und den Polen, und es iſt wohl ſehr moͤglich, daß jene preußiſche Abſicht des Kaiſers dazu beitrug, wenn nicht den Koͤnig, doch die Magnaten von Polen friedlich zu ſtim - men1)Rusdorf l. l. 724. Poloniae proceres, si unquam, vel nunc maxime pacem desiderabunt. . Hierauf traten ſie ihrem vornehmſten Zweck, den Koͤnig von Schweden nach Deutſchland zu ziehen, naͤher. Dabei hatten ſie nur die Ruͤckſicht einige Beſtimmungen zu Gunſten des Katholicismus in den Vertrag zu bringen. Unter dieſem Vorbehalt erklaͤrten ſie ſich bereit den Koͤnig, der eine anſehnliche Armee ins Feld zu ſtellen habe, mit einer entſprechenden Geldſumme zu unterſtuͤtzen. Nach ei - nigem Zoͤgern ging Koͤnig Guſtav hierauf ein. In ſeinen Inſtructionen vermeidet er der Religion zu gedenken: als den Zweck des Buͤndniſſes ſtellt er nur die Herſtellung der deutſchen Staͤnde zu ihren alten Gerechtſamen, die Entfer - nung der kaiſerlichen Truppen, die Sicherheit der Meere und des Handels dar2)Tenor mandatorum quae S. R. Maj. Sueciae clementer vult ut consiliarius ejus — — Dn. Camerarius observare de - beat, Upsaliae 18 dec. 1629. Moſers patriotiſches Archiv B. VI, p. 133.. Man entwarf einen Vertrag, in welchem der Koͤnig den katholiſchen Gottesdienſt, wo er ihn finde, zu dulden, und ſich in Sachen der Religion, ſo druͤckte man es aus, nach den Reichsgeſetzen zu halten zu -554Buch VII. Kap. 4.ſagte. Es war dieß noͤthig auch um des Papſtes willen, dem auf der Stelle davon Kunde gegeben ward. Die Voll - ziehung des Vertrages ſtieß ſich zwar noch an einige For - malitaͤten: doch ward er ſchon im Sommer 1630 als de - finitiv betrachtet1)Bagni 18 Giugno 1630. Er fuͤhrt den Artikel, der ſich auch in dem Bunde vom 6ten Jan. 1631 findet, mit geringer Ab - weichung folgendergeſtalt an: „ Si rex aliquos progressus faciet, in captis aut deditis locis, quantum ad ea quae religionem spe - ctant, observabit leges imperii. “ Er zeigt auch, wie man das ver - ſtanden. „ Le quali leggi “, fuͤgt er hinzu, „ dicevano dovere in - tendersi della religione cattolica e della confessione Augustana. “ So daß der Calvinismus ausgeſchloſſen geblieben ſeyn wuͤrde.. Der paͤpſtliche Nuntius in Frank - reich behauptet, Venedig habe ſich verpflichtet den dritten Theil der Subſidien zu zahlen2)Bagni 16 Luglio 1630. Sopragiunsero, heißt es im Aus - zug, nuove lettere del Bagni coll’ aviso che alla prefata confe - deratione fra il re di Francia e lo Sueco erasi aggiunta la re - publica di Venetia, la quale obligavasi a contribuire per la terza parte. . Ich habe nicht ermit - teln koͤnnen, wie viel Grund dieſe Angabe hat: wenigſtens der Lage der Verhaͤltniſſe waͤre ſie entſprechend.
Durfte man aber wohl hoffen, daß Guſtav Adolf al - lein im Stande ſeyn werde die Uebermacht der kaiſerlich - ligiſtiſchen Armee zu brechen, ſie im Felde zu beſiegen? Niemand traute es ihm zu. Vor allem erſchien es wuͤn - ſchenswerth, in Deutſchland ſelbſt eine ſeinem Unternehmen entgegenkommende Bewegung hervorzubringen.
Und hier durfte man nun ohne Zweifel auf die Prote - ſtanten rechnen. Welches auch die Politik ſeyn mochte die den einzelnen Fuͤrſten aus perſoͤnlicher Ruͤckſicht oder Befuͤrchtung entſprang, ſo hatte ſich doch der Gemuͤther jene Gaͤhrung be -555Unterhandlungen mit Schweden.maͤchtigt die bis in die Tiefe des allgemeinen Lebens dringt, die den großen Stuͤrmen vorausgeht. Ich will nur Einen Gedanken anfuͤhren der damals um ſich griff. Als es hie und da zur Ausfuͤhrung des Reſtitutionsedictes kam, und die Jeſuiten ſchon die Abſicht andeuteten auch nicht ein - mal den Religionsfrieden anzuerkennen, ließen die Prote - ſtanten vernehmen, ehe es ſo weit komme, werde die voͤllige Zerruͤttung des Reiches deutſcher Nation erfolgen: „ ſie wuͤr - den eher Geſetz und Sitte von ſich werfen und Germanien wieder in ſeine alte Waldeswildniß verwandeln. “
Aber auch auf der katholiſchen Seite zeigte ſich Un - zufriedenheit und Entzweiung.
Es iſt nicht zu ſagen, welche Bewegung in der Geiſt - lichkeit die Abſicht der Jeſuiten, ſich der zuruͤckgegebenen Kloſterguͤter zu bemaͤchtigen, veranlaßte. Die Jeſuiten ſol - len erklaͤrt haben, es gebe keine Benedictiner mehr: ſie ſeyen alle abgefallen, und gar nicht einmal faͤhig in den verlore - nen Beſitz wieder einzutreten. Dagegen machte man ihnen auf der andern Seite ihre Verdienſte ſtreitig: man wollte nicht Wort haben, daß Bekehrungen durch ſie vollbracht worden: was ſo ſcheine, ſey nichts weiter als das Werk der Gewalt1)Aus den heftigen Streitſchriften, Anklagen und Vertheidi - gungen, die hieruͤber erſchienen, erſieht man zwar nicht die Wahrheit der Thatſachen, aber doch die Punkte des Streites. È verissimo, ſagt der paͤpſtliche Nuntius in einem chiffrirten Schreiben, che i padri Gesuiti hanno procurato e procurano col favore dell’ im - peratore, che non può esser maggiore, di non solo soprastare agli altri religiosi, ma di escluderli dove essi v’hanno alcun in - teresse o politico o spirituale. Ich finde doch, daß der Kaiſer, ſo ergeben er damals auch den Jeſuiten war, im Jahre 1629 ſich zu. Ehe die Kirchenguͤter nur noch zuruͤckge -556Buch VII. Kap. 4.geben waren, brachten ſie ſchon Entzweiung und Hader hervor, uͤber den Anſpruch ſie zu beſitzen, zwiſchen den Or - den, uͤber das Recht der Collation, zwiſchen Kaiſer und Papſt.
Zu dieſen geiſtlichen Mißverſtaͤndniſſen geſellten ſich aber weltliche von noch weiterausſehender Natur. Die kaiſerli - chen Kriegsvoͤlker waren eine unertraͤgliche Laſt, ihre Durch - zuͤge erſchoͤpften Land und Leute: wie der Soldat den Buͤr - ger und Bauer, mißhandelte der General die Fuͤrſten: Wal - lenſtein ließ die verwogenſten Reden verlauten. Auch die alten Verbuͤndeten des Kaiſers, die Haͤupter der Liga, vor allem Maximilian von Baiern, waren mißvergnuͤgt uͤber die Gegenwart und beſorgt wegen der Zukunft.
In dieſer Lage der Dinge geſchah es, daß Ferdinand, um ſeinen Sohn zum roͤmiſchen Koͤnige erwaͤhlen zu laſſen, die katholiſchen Churfuͤrſten im Sommer 1630 zu Regens - burg verſammelte. Es konnte nicht anders ſeyn als daß hiebei nun auch alle andern oͤffentlichen Angelegenheiten zur Sprache kamen.
Wohl ſah der Kaiſer, daß er etwas nachgeben muͤſſe. Sein Sinn war, dieß in den deutſchen Sachen zu thun; er zeigte ſich geneigt das Reſtitutionsedict in Hinſicht auf die brandenburgiſchen und churſaͤchſiſchen Lande noch zu ſus -1)einer reinen Reſtitution an die alten Orden neigte. Pier Luigi Ca - raffa, Nuntius in Coͤln, erzaͤhlt dieß. Aber ſchon waren in dieſem Augenblick die Jeſuiten in Rom durchgedrungen. Juli 1629 er - folgte ein Beſchluß daſelbſt, che alcuna parte (dei beni ricuperati) potesse convertirsi in erezioni di seminarj, di alunnati, di scuole e di collegj tanto de’ padri Gesuiti, quali in gran parte furono motori dell’ editto di Cesare, come di altri religiosi. Die Jeſui - tenſchulen wuͤrden ſich auch uͤber ganz Norddeutſchland ergoſſen haben.557Churfuͤrſtentag zu Regensburg.pendiren, uͤber Pfalz und Meklenburg eine Abkunft zu tref - fen, auch Schweden wieder zu verſoͤhnen — ſchon waren Unterhandlungen dazu eroͤffnet, — und indeß ſeine Kraft nach Italien zu wenden, den mantuaniſchen Krieg zu Ende zu bringen, und den Papſt zur Anerkennung ſeiner kirchli - chen Anſpruͤche zu noͤthigen1)Dispaccio Pallotta 2 Ag. 1630 gibt unter den Punkten die zur Berathung kommen ſollten, an: 1° se si doveva sospendere o tirare avanti l’editto della ricuperatione de’ beni ecclci; 2° se ha - vendosi da procedere avanti, si avesse da sospendere quanto a quelli che erano negli stati dell’ elettori di Sassonia e di Bran - denburgo: ed inclinavasi a sospenderlo; 3° quanto ai beneficii e beni ecclci che si erano ricuperati, pretendevasi che alli imperatori spettasse la nominazione — — 6° trattavasi di restituire il ducato di Mechelburgh agli antichi padroni, siccome il palatinato almeno inferiore al palatino con perpetuo pregiu - ditio della religione cattolica come era seguito con Danimarca. .
Er mochte glauben, weil er es mit deutſchen Fuͤrſten zu thun habe, durch Nachgiebigkeit in deutſchen Angelegen - heiten das Meiſte auszurichten. Jedoch nicht ſo einfach lagen die Dinge.
Die italieniſch franzoͤſiſche Oppoſition hatte bei den katholiſchen Churfuͤrſten bereits Eingang gefunden, und ſuchte das Mißvergnuͤgen derſelben zu ihren Zwecken zu benutzen.
Zuerſt erſchien der paͤpſtliche Nuntius Rocci in Re - gensburg. Wie haͤtte er nicht alles anwenden ſollen um die Ausfuͤhrung der italieniſchen und antipaͤpſtlichen Ab - ſichten des Kaiſers zu hintertreiben?
Der Papſt hatte ihm aufgetragen ſich vor allem mit dem Churfuͤrſten von Baiern in gutes Einverſtaͤndniß zu ſetzen: in kurzem meldet er, daß dieß Verſtaͤndniß in tief -558Buch VII. Kap. 4.ſtem Geheimniß erhalten werde1)Dispaccio Rocci 9 Sett. 1630. E questa corrispondenza riuscì molto fruttuosa, perchè Baviera di buon cuore operò che in quel convento non si trattò delle operationi sopra mento - vate. : er brachte eine Erklaͤ - rung der katholiſchen Churfuͤrſten aus, daß ſie in allen kirchlichen Angelegenheiten mit ihm vereinigt bleiben und beſonders die Jurisdiction und Verehrung des paͤpſtlichen Stuhles aufrecht erhalten wuͤrden.
Um aber der Sache die entſcheidende Wendung zu ge - ben, kam ihm der Vertraute Richelieus, Pater Joſeph, zu Huͤlfe. Niemals iſt wohl die durchtriebene Schlauheit die - ſes Capuziners thaͤtiger, wirkſamer und den Mitwiſſenden offenbarer geweſen als hier: ſein Begleiter in Regensburg, Herr von Leon, welcher zu dieſer Geſandtſchaft ſeinen Na - men hergab, hat geſagt, der Pater habe gar keine Seele, ſondern an ihrer Stelle Untiefen und Lachen, in die ein Je - der gerathen muͤſſe der mit ihm unterhandle.
Durch dieſe Vermittler nun machte ſich jene italieniſch - franzoͤſiſche Oppoſition des Kaiſers die deutſchen Verbuͤn - deten deſſelben in kurzem voͤllig zu eigen. Zur Verſoͤhnung des Reiches mit Schweden, zur Beruhigung der Proteſtan - ten ward nichts gethan: niemals haͤtte der Papſt in die Suspenſion des Reſtitutionsedictes gewilligt. Dagegen dran - gen die Churfuͤrſten auf Herſtellung des Friedens in Ita - lien: ſie forderten die Abſetzung des kaiſerlichen Feldhaupt - manns, der ſich als unumſchraͤnkter Dictator gebehrde.
Und ſo maͤchtig war dieſer Einfluß, ſo geſchickt ward er geltend gemacht, daß der gewaltige Kaiſer, in dem Ze -559Churfuͤrſtentag zu Regensburg.nith ſeiner Macht, ohne Widerſtand, ohne Bedingung nachgab.
Waͤhrend man in Regensburg unterhandelte, hatten ſeine Truppen Mantua erobert: er konnte ſich als Herrn von Ita - lien betrachten: in dieſem Augenblicke verſtand er ſich dazu, Mantua dem Nevers gegen die nichtige Formalitaͤt einer Ab - bitte einzuraͤumen. Aber vielleicht noch mehr wollte die andere Forderung ſagen. Zugleich die deutſchen Fuͤrſten, Frankreich und der Papſt waren von dem Feldherrn be - droht, an deſſen Perſoͤnlichkeit das Gluͤck der kaiſerlichen Waffen geknuͤpft war! Man darf ſich nicht wundern, wenn ſie ihn haßten und ſich ſeiner zu entledigen wuͤnſchten. Der Kaiſer, um des Friedens willen, gab ihn auf.
In dem Moment daß er Italien beherrſchen koͤnnte, laͤßt er es fahren! In dem Moment daß ihn der gefaͤhr - lichſte, kriegskundigſte Feind in Deutſchland angreift, dankt er den Feldherrn ab, der allein im Stande waͤre ihn zu vertheidigen. Nie haben Politik und Unterhandlung groͤßere Erfolge hervorgebracht.
Und nun erſt begann der Krieg. Unter den guͤnſtigſten Auſpicien, man kann es nicht leugnen, eroͤffnete ihn Gu - ſtav Adolf. Denn war nicht das kaiſerliche Heer auf Wal - lenſteins Namen zuſammengebracht, ihm perſoͤnlich ergeben und verpflichtet? Der Kaiſer entließ ſogar einen Theil da - von: die Contributionsforderungen der Generale, die bis -560Buch VII. Kap. 4.her in deren Belieben geſtanden, unterwarf er einer Ermaͤ - ßigung der Reichskreiſe1)Adlzreitter III, XV, 48. Caesar statuit ne in posterum stipendia pro tribunorum arbitrio, sed ex circulornm praescripta moderatione penderentur. : man muß ſagen, daß der Kai - ſer indem er den General entließ, zugleich ſein Heer zer - ſtoͤrte, die moraliſche Kraft ihm nahm. Ein Italiener, der fruͤher in paͤpſtlichen Dienſten geſtanden, Torquato Conti, ſollte dem beherzten und eifrigen Feinde damit Widerſtand lei - ſten. Es liegt in der Sache, daß dieſer ſchlecht ausfiel: das kaiſerliche Heer zeigte ſich nicht mehr als das alte: man ſah nichts als Unentſchloſſenheit, Schwanken, Schrecken, Ver - luſt: Guſtav Adolf ſchlug es vollkommen aus dem Felde, und ſetzte ſich an der untern Oder feſt.
Anfangs glaubte man in Oberdeutſchland, daß dieß fuͤr das uͤbrige Reich wenig zu bedeuten habe: — mit großer Ruhe fuhr indeß Tilly in ſeinen Unternehmungen an der Elbe fort. Daß er endlich Magdeburg eroberte, erſchien dem Papſt als ein großer Sieg: man knuͤpfte die glaͤnzendſten Hoffnungen daran. Schon wurde auf Tillys Antrieb ein Commiſſarius ernannt, „ um die Angelegenheiten des Erz - bisthums nach den Geſetzen der katholichen Kirche einzu - richten. “
Allein eben dieß bewirkte nun, daß alle noch unent - ſchiedenen proteſtantiſchen Fuͤrſten ſich an Guſtav Adolf an - ſchloſſen, und indem Tilly ſie daran zu hindern ſuchte, mit der Liga in eine Feindſchaft geriethen, welche es nicht laͤn - ger geſtattete einen Unterſchied zwiſchen ligiſtiſchen und kaiſerlichen Voͤlkern zu machen. Die Schlacht von Leipziger -561Schwediſcher Krieg.erfolgte: Tilly ward aufs Haupt geſchlagen, und uͤber die ligiſtiſchen ſo gut wie uͤber die kaiſerlichen Laͤnder ergoſſen ſich die proteſtantiſchen Heerſchaaren: Wuͤrzburg und Bam - berg fielen dem Koͤnig in die Haͤnde: an dem Rhein tra - fen die Proteſtanten des entfernten Nordens mit den alten Vorfechtern des romaniſchen Katholicismus, den ſpaniſchen Truppen, zuſammen: dort bei Oppenheim ſieht man ihre vermiſchten Schaͤdel; — Mainz ward erobert: alle unter - druͤckten Fuͤrſten ſchloſſen ſich an den Koͤnig an: der ver - jagte Pfalzgraf erſchien in dem Feldlager deſſelben.
Nothwendiger Weiſe mußte nun eine Unternehmung welche von der katholiſchen Oppoſition in politiſchen Ab - ſichten hervorgerufen, gebilligt worden, zum Vortheil des Proteſtantismus ausſchlagen. Die uͤberwaͤltigte, unterdruͤckte Partei ſah ſich mit Einem Male wieder im Siege. Zwar ließ der Koͤnig auch den Katholiken ſeinen Schutz im All - gemeinen angedeihen, wie ihn denn ſein Buͤndniß dazu ver - pflichtete: aber dabei erklaͤrte er doch, er ſey gekommen um ſeine Glaubensgenoſſen von ihren Gewiſſensdrangſalen zu erretten1)Schreiben des Koͤnigs an die Stadt Schweinfurt bei Chem - nitz: Schwediſcher Krieg Th. I, p. 231.: er nahm die evangeliſchen Kirchendiener die unter katholiſchen Regierungen geſtanden, z. B. in Erfurt, in ſeinen beſondern Schutz: auch das Bekenntniß der augs - burgiſchen Confeſſion ließ er allenthalben wieder zu: die verjagten Pfarrer kehrten in die Pfalz zuruͤck: mit dem ſieg - reichen Heere durchzog die lutheriſche Predigt das Reich aufs neue.
So ſonderbar verwickelte ſich die Politik Urbans VIII. Päpſte* 36562Buch VII. Kap. 4.In ſofern der Koͤnig die oͤſtreichiſche Macht angriff und uͤberwand, war er der natuͤrliche Verbuͤndete des Papſtes: gleich in den italieniſchen Angelegenheiten zeigte es ſich; unter dem Einfluß der deutſchen Verluſte ließ ſich der Kai - ſer im Jahre 1631 in der mantuaniſchen Sache noch un - guͤnſtigere Bedingungen gefallen, als das Jahr zuvor in Regensburg. Ja es beſtanden ſelbſt, wenn nicht unmittel - bare, doch mittelbare Verbindungen zwiſchen dem paͤpſtli - chen Stuhle und den im ſiegreichen Kampfe wieder vordrin - genden proteſtantiſchen Maͤchten. „ Ich rede davon mit gutem Grunde, “ſagt Aluiſe Contarini, der erſt an dem franzoͤſiſchen, dann am roͤmiſchen Hofe geſtanden, „ ich bin bei allen Verhandlungen zugegen geweſen, die Nuntien des Papſtes haben immer die Unternehmungen Richelieus be - guͤnſtigt; ſowohl wo es auf deſſen eigene Erhaltung an - kam, als in ſo fern er Baiern und die Ligue mit Frank - reich zu vereinigen ſuchte; zu ſeiner Verbindung mit Hol - land und den proteſtantiſchen Maͤchten uͤberhaupt haben ſie ſtillgeſchwiegen, um nicht zu ſagen, daß ſie dieſelbe gebilligt. Andere Paͤpſte haͤtten ſich vielleicht ein Gewiſſen daraus gemacht: die Nuntien Urbans VIII. gelangten dadurch zu groͤßerem Anſehen und perſoͤnlichen Vortheilen “1)Al. Contarini: Relatione di Roma 1635..
Laut und bitter beklagte ſich der Kaiſer: „ erſt habe ihn der roͤmiſche Hof zum Reſtitutionsedict vermocht, und verlaſſe ihn nun in dem Kriege der daher entſpringe; die Wahl ſeines Sohnes zum roͤmiſchen Koͤnig habe der Papſt hintertrieben; er ermuntere den Churfuͤrſten von Baiern mit Rath und That, eine abgeſonderte Politik zu befolgen,563Stellung des Papſtes.ſich mit Frankreich zu verbinden; es ſey vergebens Urban um Huͤlfe zu erſuchen, wie ſie fruͤhere Paͤpſte mit Geld oder Mannſchaften ſo oft geleiſtet; er weigere ſich ſelbſt die Ver - bindung der Franzoſen mit den Ketzern zu verdammen oder dieſen Krieg fuͤr einen Religionskrieg zu erklaͤren. “ 1)Aluise Contarini: Gli Alemanni si pretendono delusi dal papa, perchè dopo aver egli reiteratamente persuaso l’impera - tore di ripetere dagli eretici i beni ecclesiastici d’Alemagna ch’erano in loro mani, origine di tante guerre, resistesse S. Stà poi alle reiterate spedizioni di cardli e d’ambri nelle assi - stenze di danaro, nel mandar gente e bandiere con l’esempio de’ precessori, nel publicar la guerra di religione, nell’ impe - dire colle scomuniche gli appoggi ai medesimi heretici della Francia: anzi nel medesimo tempo ritardata l’elettione del re de’ Romani, confortato il duca di Bavìera con la lega cattolica all’ unione di Francia, assistendo lo medesimo di danari e di consiglio per sostenersi in corpo separato. Il papa si lagna d’esser tenuto eretico et amatore di buoni progressi de’ prote - stanti, come tal volta in effetto non li ebbe discari. Im Jahre 1632 finden wir die kaiſerlichen Geſandten in Rom vor allem das letzte Geſuch wiederholen: noch immer, ſag - ten ſie, koͤnne die Erklaͤrung S. Heiligkeit die groͤßte Wir - kung nach ſich ziehen: noch immer ſey es ſo gar unmoͤglich nicht, den Koͤnig von Schweden zu verjagen: er habe nicht mehr als 30000 Mann.
Der Papſt entgegnete mit kuͤhler Gelehrſamkeit: „ mit dreißig tauſend hat Alexander die Welt erobert. “
Er blieb dabei, es ſey kein Religionskrieg: er betreffe nur Staatsangelegenheiten: uͤbrigens ſey auch die paͤpſtliche Kammer erſchoͤpft, er koͤnne nichts thun.
Die Mitglieder der Curie, die Einwohner von Rom waren erſtaunt. „ Mitten in der Feuersbrunſt katholiſcher36*564Buch VII. Kap. 4. Stellung des Papſtes.Kirchen und Kloͤſter “— ſo druͤckten ſie ſich aus — „ ſtehe der Papſt kalt und ſtarr wie Eis. Der Koͤnig von Schwe - den habe mehr Eifer fuͤr ſein Lutherthum, als der heilige Vater fuͤr den allein ſelig machenden katholiſchen Glauben. “
Noch einmal ſchritten die Spanier zu einer Proteſtation. Wie einſt Olivarez vor Sixtus V, ſo erſchien jetzt Cardinal Borgia vor Urban VIII, um feierlich wider das Betragen Seiner Heiligkeit zu proteſtiren. Es erfolgte eine vielleicht noch heftigere Scene als damals. Indem der Papſt in zornige Aufwallung gerieth und den Botſchafter unterbrach, nahmen die anweſenden Cardinaͤle fuͤr oder wider Partei. Der Botſchafter mußte ſich bequemen ſeine Proteſtation ſchriftlich einzugeben1)nella quale, ſagt Card. Cecchini in ſeiner Autobiographie, concludeva che tutti li danni che per le presenti turbolenze erano per venire alla christianità, sariano stati attribuiti alla ne - gligenza del papa. . Aber die eifrig-religioͤſe Geſinnung war damit nicht zufrieden: ſchon erhob ſich, beſonders auf Anregung des vorigen Cardinalnepoten Ludoviſio, der Ge - danke ein Concilium in Oppoſition gegen den Papſt zu berufen2)Al. Contarini ſpricht von „ orecchio che si prestava in Spagna alle pratiche di Ludovisio per un concilio. “.
Welches Feuer waͤre aber damit angezuͤndet worden! Schon nahmen die Ereigniſſe eine Wendung, welche uͤber ihre Natur keinen Zweifel uͤbrig ließ, und die paͤpſtliche Politik anders beſtimmen mußte.
Urban VIII. ſchmeichelte ſich eine Zeitlang, der Koͤ - nig werde eine Neutralitaͤt mit Baiern abſchließen und die gefluͤchteten geiſtlichen Fuͤrſten in ihre Laͤnder wiederher -565Schwediſcher Krieg.ſtellen. Nur allzubald aber ſcheiterte jeder Verſuch der Aus - ſoͤhnung von Intereſſen, die einander ſo geradezu entgegen - ſtanden. Die ſchwediſchen Waffen ergoſſen ſich auch nach Baiern: Tilly fiel: Muͤnchen wurde erobert: Herzog Bern - hard drang nach Tyrol vor.
Hierauf ließ ſich nicht mehr zweifeln, was Papſt und Katholicismus von den Schweden zu erwarten hatten. Wie ſo durchaus war die Lage der Dinge in Einem Moment veraͤndert. Hatte man ſo eben die Hoffnung gehegt die proteſtantiſchen Stifter in Norddeutſchland wieder katholiſch zu machen, ſo erwachte jetzt in dem Koͤnige der Plan die ſuͤddeutſchen Stifter die in ſeiner Hand waren, in welt - liche Fuͤrſtenthuͤmer zu verwandeln. Er redete bereits von ſeinem Herzogthume Franken: — in Augsburg ſchien er ſeinen koͤniglichen Hof aufſchlagen zu wollen.
Vor zwei Jahren hatte der Papſt die Ankunft der Oeſt - reicher in Italien zu fuͤrchten gehabt: mit einem Angriff auf Rom war er bedroht worden. Jetzt erſchienen die Schwe - den an den Grenzen von Italien: mit dem Namen eines Koͤnigs der Schweden und Gothen, wie ihn Guſtav Adolf fuͤhrte, verknuͤpften ſich Erinnerungen, die in beiden Thei - len erwachten1)Dennoch verſichert Al. Contarini: L’opinione vive tutta - via che a S. Stà sia dispiaciuta la morte del re di Suezia e che più goda o per dir meglio manco tema i progressi de’ prote - stanti che degli Austriaci. .
566Buch VII. Kap. 4. Herſtellung einesUnd nun will ich den Kampf nicht ausfuͤhren, der Deutſchland noch 16 Jahre lang erfuͤllte. Genug, wenn wir wahrgenommen haben, wie jener maͤchtige Fortſchritt des Katholicismus, der im Begriffe war unſer Vaterland auf immer in Beſitz zu nehmen, eben als er Anſtalt machte die proteſtantiſche Meinung an ihren Quellen zu vertilgen, in ſeinem Laufe aufgehalten waͤrd, und einen ſiegreichen Wi - derſtand erfuhr. Im Allgemeinen iſt zu ſagen, daß der Katholicismus, als eine Einheit betrachtet, ſeine eigenen Siege nicht ertragen konnte. Das Oberhaupt der Kirche ſelbſt glaubte ſich genoͤthigt, ſich um politiſcher Gruͤnde wil - len den Maͤchten entgegenzuſetzen die ſeine geiſtliche Au - toritaͤt am meiſten verfochten und ausbreiteten. Katholi - ken, in Uebereinſtimmung mit dem Papſte, riefen die noch unbezwungenen proteſtantiſchen Kraͤfte auf, und machten ih - nen Bahn.
So große Plaͤne, wie Guſtav Adolf im Hochpunkte ſeiner Macht ſie hegte, konnten nun nach dem fruͤhen Tode dieſes Fuͤrſten freilich nicht ausgefuͤhrt werden, ſchon darum nicht, weil ja auch die Erfolge des Proteſtantismus ſich keinesweges allein von eigener Macht herſchrieben. Aber auch der Katholicismus vermochte, ſelbſt als er ſich beſſer zuſammennahm, als Baiern ſich wieder an den Kaiſer ſchloß, und auch Urban VIII. aufs neue Subſidien zahlte, den Proteſtantismus nicht mehr zu uͤberwaͤltigen.
567Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.Gar bald gelangte man wenigſtens in Deutſchland zu dieſer Ueberzeugung. Schon der Friede von Prag beruhte darauf. Der Kaiſer ließ ſein Reſtitutionsedict fallen: der Churfuͤrſt von Sachſen und die Staaten, welche ihm bei - traten, gaben die Herſtellung des Proteſtantismus in den Erblanden auf.
Zwar widerſetzte ſich Papſt Urban allem was dem Re - ſtitutionsedicte zuwider beſchloſſen werden koͤnnte, und in dem geiſtlichen Rathe des Kaiſers hatte er die Jeſuiten beſonders den Pater Lamormain auf ſeiner Seite — der denn auch oft genug daruͤber belobt ward „ als ein wuͤrdiger Beichtvater, als ein Mann der keine weltliche Ruͤckſicht nehme “1)Lettera del cardl Barberino al nuntio Baglione 17 Marzo 1635: essendo azione da generoso Christiano e degno confessore di un pio imperatore ciò che egli ha fatto rimi - rando più il cielo che il mondo. ; — allein die Mehrheit war gegen ihn: die Capuziner Quiroga und Valerian, die Cardinaͤle Dietrich - ſtein und Pazmany; ſie behaupteten, wenn man die katho - liſche Religion in den Erblanden rein erhalte, ſo koͤnne man wohl Gewiſſensfreiheit im Reiche geben. Der Pra - ger Friede ward in Wien von allen Kanzeln verkuͤndigt: die Capuziner ruͤhmten ſich ihres Antheils an dieſem „ eh - renvollen und heiligen “Werke und ſtellten beſondere Feier - lichkeiten dafuͤr an; kaum konnte der Nuntius verhindern, daß man nicht ein Tedeum ſang2)Aus der Correſpondenz Baglionis, die im 6ten Bande des Nicoletti excerpirt iſt, z. B. 14. April 1635. Disse un giorno il conte di Ognate che assolutamente il re di Spagna non havrebbe dato ajuto alcuno all’ imperatore se non in caso che seguisse la pace con Sassonia: di che maravigliandosi il nunzio disse.
568Buch VII. Kap. 4. Herſtellung einesIndem Urban VIII, obwohl er thatſaͤchlich ſo viel dazu beigetragen, daß die Plaͤne des Katholicismus ſchei - terten, dennoch in der Theorie keinen Anſpruch fallen laſſen wollte, bewirkte er nur, daß das Papſtthum eine Stel - lung außerhalb der lebendigen und wirſamen Intereſſen der Welt annahm. Nichts iſt dafuͤr bezeichnender als die Inſtruction welche er ſeinem Legaten Ginetti bei dem er - ſten Verſuche eines allgemeinen Friedens im Jahre 1636 nach Coͤln mitgab. Gerade in allen wichtigen Punkten, auf die es ſchlechthin und durchaus ankam, werden da dem Geſandten die Haͤnde gebunden. Eine der dringendſten Noth - wendigkeiten z. B. war die Herſtellung der Pfalz. Nichts deſto minder wird der Legat angewieſen ſich der Ruͤckgabe der Pfalz an einen unkatholiſchen Fuͤrſten zu widerſetzen1)Siri: Mercurio II, p. 987.. 2)che la pietà del re cattolico richiedeva che si cumulassero gli ajuti non seguendo detta pace, la quale doveva piuttosto distur - barsi trattandosi con eretici, ed applicare l’animo alla pace uni - versale coi principi cattolici. Fulli risposto che ciò seguirebbe quando la guerra si fosse fatta per la salute delle anime e non per la ricuperazione de’ beni ecclesiastici, ed il padre Quiroga sogginnse al nunzio che l’imperatore era stato gabbato da quelli che l’havevano persuaso a fare l’editto della ricuperazione de’ beni ecclesiastici, volendo intendere de’ Gesuiti, e che tutto erasi fatto per interesse proprio: ma avendo il nunzio risposto che la persuasione era stata interposta con buona intenzione, il pa - dre Quiroga si accese in maniera che proruppe in termini esor - bitanti, sicchè al nunzio fu difficile il ripigliarlo perchè mag - giormente non eccedesse. Ma Ognate passò più oltre, dicendo che l’imperatore non poteva in conto alcuno ritirarsi dalla pace con Sassonia per la necessità in cui trovavasi, non potendo resistere a tanti nemici, e che non era obbligato a rimettervi l’havere de’ suoi stati hereditarj ma solamente quelli dell’ imperio, che erano tenuissimi, e che non compliva di tirare avanti con pericolo di perdere gli uni e gli altri. 569Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.Was ſchon in Prag ſich unvermeidlich gezeigt, den Pro - teſtanten in Hinſicht der geiſtlichen Guͤter einige Zugeſtaͤnd - niſſe zu machen, war es ſpaͤter noch mehr; deſſenungeachtet wird der Legat „ zu beſonderm Eifer “ermahnt „ um nichts zuzugeben was in Hinſicht der geiſtlichen Guͤter den Pro - teſtanten zum Vortheil gereichen koͤnnte. “ Sogar die Frie - densſchluͤſſe mit proteſtantiſchen Maͤchten will der Papſt nicht billigen. Der Abgeſandte ſoll es nicht unterſtuͤtzen, wenn man die Hollaͤnder in den Frieden einſchließen wolle, jeder Abtretung an die Schweden — es war damals nur von einem Hafen die Rede — ſoll er ſich entgegenſetzen; „ die goͤttliche Barmherzigkeit werde ſchon Mittel finden dieſe Nation aus Deutſchland zu entfernen. “
Der roͤmiſche Stuhl durfte vernuͤnftiger Weiſe keine Hoffnung mehr hegen die Proteſtanten zu uͤberwaͤltigen; es iſt doch von großer Bedeutung, daß er, wiewohl ohne ſeinen Willen, aber durch die hartnaͤckige Behauptung un - ausfuͤhrbarer Anſpruͤche es ſich ſelbſt unmoͤglich machte, auf das Verhaͤltniß ſeiner Glaͤubigen zu denſelben einen weſentlichen Einfluß auszuuͤben.
Wohl ſchickte der roͤmiſche Stuhl auch ferner ſeine Geſandten zu dem Friedenscongreſſe. Auf Ginetti folgten Machiavelli, Roſetti, Chigi. Ginetti, ſagt man, war ſehr ſparſam, und ſchadete damit ſeiner Wirkſamkeit, — Ma - chiavelli ſollte eigentlich hier nur Rang erwerben, Befaͤhi - gung zu einer hoͤhern Stelle, — Roſetti war den Franzo - ſen unbequem: — ſo erklaͤrt man die Geringfuͤgigkeit ih - res Einfluſſes:1)Pallavicini: Vita di papa Alessandro VII. MS. die Wahrheit iſt, daß die Sache ſelbſt,570Buch VII. Kap. 4. Herſtellung einesdie Stellung welche der Papſt eingenommen, eine bedeu - tende Einwirkung der Nuntien unmoͤglich machte. Chigi war geſchickt und beliebt; er richtete doch nichts aus. Un - ter ſeinen Augen ward ein Friede geſchloſſen wie ihn der roͤmiſche Stuhl ausdruͤcklich verdammt hatte. Der Chur - fuͤrſt von der Pfalz, alle verjagten Fuͤrſten wurden her - geſtellt. Weit gefehlt, daß man an die Beſtimmungen des Reſtitutionsedictes denken konnte: viele Stifter wur - den geradezu ſaͤculariſirt und den Proteſtanten uͤberlaſſen. Spanien entſchloß ſich, die Unabhaͤngigkeit jener Rebellen gegen Papſt und Koͤnig, der Hollaͤnder, endlich anzuerken - nen. Die Schweden behielten einen bedeutenden Theil des Reiches. Selbſt den Frieden des Kaiſers gegen Frankreich konnte die Curie nicht billigen, weil er Stipulationen uͤber Metz, Toul und Verdun enthielt durch die ſie ihre Rechte gekraͤnkt fand. Das Papſtthum fand ſich in der traurigen Nothwendigkeit zu proteſtiren: die Grundſaͤtze, die es nicht hatte geltend machen koͤnnen, wollte es wenigſtens ausſpre - chen. Aber ſchon hatte man dieß vorausgeſehen. Die geiſt - lichen Beſtimmungen des weſtphaͤliſchen Friedens wurden gleich mit der Erklaͤrung eroͤffnet, daß man ſich dabei an Niemands Widerſpruch kehren wolle, er ſey auch wer er wolle, von weltlichem oder geiſtlichem Stande1)Osnabruͤckiſcher Friedensſchluß V Articul, § 1..
Durch den Frieden ward jener große Proceß zwiſchen Proteſtanten und Katholiken, aber nun ganz anders als man in dem Reſtitutionsedicte verſucht hatte, endlich zu ei - ner Entſcheidung gebracht. Der Katholicismus behauptete immer große Erwerbungen, indem das Jahr 1624 als571Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.das Normaljahr, auf welches die Dinge zuruͤckzufuͤhren ſeyen, angenommen wurde; dagegen bekam der proteſtanti - ſche Theil die ihm ſo unentbehrliche, ſo lange vorenthal - tene Paritaͤt. Nach dieſem Princip wurden alle Reichs - verhaͤltniſſe geregelt.
Wie durfte man da ſo gar nicht mehr an Unternehmungen denken wie ſie fruͤher gewagt worden und gelungen waren.
Vielmehr wirkten die Reſultate der deutſchen Kaͤmpfe unmittelbar auf die benachbarten Laͤnder zuruͤck.
Obwohl der Kaiſer in ſeinen Erblanden den Katholi - cismus aufrecht zu erhalten vermocht hatte, mußte er doch in Ungarn den Proteſtanten Zugeſtaͤndniſſe machen: im Jahre 1645 ſah er ſich genoͤthigt ihnen eine nicht geringe An - zahl Kirchen zuruͤckzugeben.
Und haͤtte nun wohl nach jenem Aufſchwunge der Schweden zu einer univerſalen Bedeutung Polen jemals daran denken koͤnnen, die alten Anſpruͤche an dieſes Land zu erneuern? Wladislav IV. ließ ſogar von dem Bekeh - rungseifer ſeines Vaters ab, und war den Diſſidenten ein gnaͤdiger Koͤnig.
Selbſt in Frankreich beguͤnſtigte Richelieu die Huge - notten, nachdem ſie ihrer politiſchen Selbſtaͤndigkeit beraubt waren. Noch bei weitem mehr aber unterſtuͤtzte er das pro - teſtantiſche Princip dadurch, daß er jener vorwaltenden ka - tholiſchen Macht, der ſpaniſchen Monarchie, einen Krieg auf Leben und Tod zu machen fortfuhr, welcher ſie in ihren Grundfeſten erſchuͤtterte. Dieſe Entzweiung war die einzige die der Papſt ſo ganz ohne Scrupel haͤtte beilegen koͤnnen. Waͤhrend aber alle andern wirklich beſeitigt wurden, blieb572Buch VII. Kap. 4. Herſtellung einesdieſe unausgetragen, und zerruͤttete unaufhoͤrlich das Innere der katholiſchen Welt.
An dem Kriege gegen Spanien nahmen bis zum weſt - phaͤliſchen Frieden die Hollaͤnder den gluͤcklichſten Antheil. Es war das goldene Zeitalter ihrer Macht, ihres Reich - thums. Indem ſie aber das Uebergewicht in dem Orient erlangten, traten ſie zugleich dem Fortgange der katholi - ſchen Miſſionen daſelbſt gewaltig entgegen.
Nur in England ſchien zuweilen der Katholicismus oder wenigſtens eine Analogie ſeiner aͤußern Formen Ein - gang finden zu wollen. Wir finden Abgeordnete des eng - liſchen Hofes in Rom, paͤpſtliche Agenten in England: die Koͤnigin, der man zu Rom eine Art von amtlicher Aner - kennung widmete1)Nani: Relatione di Roma 1640: Con la regina d’Inghil - terra passa communicatione de’ ministri con officii e donativi di cortesia, e si concede a quella Mtà nominatione di cardinale a pare degli altri re. Spada: Relatione della nunziatura di Fran - cia 1641: Il Sr conte Rossetti, residente in quel regno, bene corrisponde nell’ ossequio gli ordini del Sr cardl Barberini pro - tettore tutti pieni dell’ ardore e zelo di S. Emza. , uͤbte einen Einfluß auf ihren Gemahl aus, welcher ſich auch auf die Religion erſtrecken zu muͤſſen ſchien: ſchon naͤherte man ſich in mancherlei Ceremonien katholiſchen Gebraͤuchen. Jedoch aus alle dem erfolgte auch hier das Gegentheil. Schwerlich iſt Carl I. in ſeinem Her - zen jemals von dem proteſtantiſchen Dogma abgewichen, aber ſchon die geringen Annaͤherungen zu dem katholiſchen Ritus, die er ſich erlaubte, ſchlugen ihm zum Verderben aus. Es war als ob die heftige Aufregung, welche ſo langjaͤhrige, allgemeine, unablaͤſſige Angriffe in der prote -ſtan -573Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.ſtantiſchen Welt uͤberhaupt hervorgebracht, ſich in den eng - liſchen Puritanern concentrire. Vergebens ſuchte ſich Ir - land ihrer Herrſchaft zu entziehen, und im katholiſchen Sinne zu organiſiren: es wurde um ſo ſchwerer unterworfen. In der Ariſtokratie und den Gemeinen von England bildete ſich eine Weltmacht aus, deren Erhebung die Wiederaufnahme des Proteſtantismus in Europa uͤberhaupt bezeichnet.
Hiedurch ſind nun aber dem Katholicismus auf ewig Schranken geſetzt. Er iſt in beſtimmte Grenzen gewieſen: an eine Welteroberung, wie er ſie vorhatte, kann er nie - mals wieder im Ernſte denken.
Ja die geiſtige Entwickelung ſelbſt hat eine Wendung genommen die dieß unmoͤglich macht.
Jene die hoͤhere Einheit gefaͤhrdenden Triebe haben das Uebergewicht bekommen: das religioͤſe Element iſt zu - ruͤck getreten: die politiſchen Ruͤckſichten beherrſchen die Welt.
Denn nicht durch ſich ſelbſt retteten ſich die Prote - ſtanten. Vor allem war es eine Spaltung im Schooße des Katholicismus, durch die es ihnen gelang ſich wiederher - zuſtellen. Im Jahre 1631 finden wir die beiden großen katholiſchen Maͤchte im Bunde mit den Proteſtanten: Frankreich unverholen, Spanien wenigſtens insgeheim. Es iſt gewiß, daß die Spanier in dieſer Zeit ein Verſtaͤndniß mit den franzoͤſiſchen Hugenotten angeknuͤpft hatten.
Aber eben ſo wenig hielten die Proteſtanten zuſam - men. Nicht daß ſich nur Lutheraner und Reformirte be -Päpſte* 37574Buch VII. Kap. 4. Herſtellung eineskaͤmpft haͤtten: dieß war vielmehr von jeher geſchehen: ſon - dern die entſchiedenen Reformirten, obwohl ſie ohne allen Zweifel eine gemeinſchaftliche Sache verfochten, ſind in die - ſem Kriege wider einander gezogen. Die Seemacht der franzoͤſiſchen Hugenotten ward nur durch die Unterſtuͤtzung gebrochen, die ihre Religionsverwandten und alten Ver - buͤndeten der Krone Frankreich zu leiſten ſich beſtimmen ließen.
Das Oberhaupt des Katholicismus ſelbſt, das den An - griff gegen die Proteſtanten bisher geleitet, der Papſt zu Rom, ſetzte am Ende dieſe hoͤchſten Intereſſen der geiſtli - chen Gewalt bei Seite: er nahm gegen Die Partei, welche die Wiederherſtellung des Katholicismus am eifrigſten betrieben: er verfuhr nur noch nach den Geſichtspunk - ten des weltlichen Fuͤrſtenthums. Er kehrte zu der Po - litik zuruͤck, welche ſeit Paul III. aufgegeben worden war. Wir erinnern uns, daß der Proteſtantismus in der erſten Haͤlfte des 16ten Jahrhunderts durch nichts ſo ſehr befoͤrdert worden iſt wie durch die politiſchen Beſtrebun - gen der Paͤpſte. Eben dieſen hatte, nach menſchlicher An - ſicht, der Proteſtantismus jetzt ſeine Rettung, ſeine Erhal - tung zu danken.
Es mußte aber dieß Beiſpiel nothwendig auch auf die uͤbrigen Maͤchte wirken. Endlich ergriff das deutſche Oeſt - reich, das ſich ſo lange ohne Wanken rechtglaͤubig gehal - ten, dieſelbe Politik: die Stellung welche es ſeit dem weſt - phaͤliſchen Frieden einnahm, beruhte auf ſeiner innigen Ver - bindung mit Norddeutſchland, England und Holland.
Fragen wir nach der tieferen Urſache dieſer Erſchei - nung, ſo wuͤrden wir Unrecht haben, ſie allein in einer575Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.Verflachung und Verkuͤmmerung der geiſtlichen Antriebe zu ſuchen: ich denke, wir werden den Inhalt und die Be - deutung des Ereigniſſes anders faſſen muͤſſen.
Einmal hatte der große geiſtliche Kampf ſeine Wir - kung in den Gemuͤthern vollbracht.
In den fruͤhern Zeiten war das Chriſtenthum mehr eine Sache der Ueberlieferung, der naiven Annahme, des von Zweifeln unberuͤhrten Glaubens geweſen: jetzt war es eine Sache der Ueberzeugung, der bewußten Hingebung ge - worden. Von hoher Bedeutung iſt es, daß man zwiſchen den verſchiedenen Bekenntniſſen zu waͤhlen hatte: daß man verwerfen, abfallen, uͤbertreten konnte. Die Perſon ward in Anſpruch genommen, ihre freie Selbſtbeſtimmung her - ausgefordert. Hiedurch geſchah, daß die chriſtlichen Ideen alles Leben und Denken noch tiefer und vollſtaͤndiger durch - drangen.
Dazu kommt dann ein anderer Moment.
Wohl iſt es wahr, daß das Ueberhandnehmen der in - nern Gegenſaͤtze die Einheit der Geſammtheit zerſtoͤrt: aber es iſt, wenn wir uns nicht taͤuſchen, ein anderes Geſetz des Lebens, daß ſich damit doch auch zugleich eine hoͤhere und groͤßere Entwickelung vorbereitet.
In dem Gedraͤnge des allgemeinen Kampfes war die Religion nach den verſchiedenen Abwandlungen ihrer dogma - tiſchen Ausbildung von den Nationen ergriffen worden: mit dem Gefuͤhl der Nationalitaͤt hatte ſich das Dogma ver - ſchmolzen, wie ein Beſitz der Gemeinſamkeit, des Staates oder des Volkes. Mit den Waffen war es erkaͤmpft, unter tauſend Gefahren behauptet, in Fleiſch und Blut war es uͤbergegangen.
576Buch VII. Kap. 4.Hiedurch iſt es geſchehen, daß ſich die Staaten auf bei - den Seiten zu großen kirchlich politiſchen Individualitaͤten ausgebildet haben; ſchon auf der katholiſchen nach dem Maaße der Ergebenheit gegen den roͤmiſchen Stuhl, der Duldung oder Ausſchließung der Nichtkatholiken; noch mehr aber bei den Proteſtanten, wo die Abweichung der ſymbo - liſchen Buͤcher die man beſchwoͤrt, die Miſchung des lu - theriſchen und des reformirten Bekenntniſſes, die groͤßere oder geringere Annaͤherung an die biſchoͤfliche Verfaſſung eben ſo viele in die Augen fallende Verſchiedenheiten be - gruͤnden. Es wird die erſte Frage bei jedem Lande, wel - ches die herrſchende Religion daſelbſt iſt. In mannigfalti - gen Geſtalten erſcheint das Chriſtenthum. So groß auch die Gegenſaͤtze derſelben ſind, ſo kann kein Theil dem an - dern abſtreiten, daß auch er den Grund des Glaubens be - ſitze. Vielmehr ſind die verſchiedenen Formen durch Ver - traͤge und Friedensſchluͤſſe, an denen Alle Theil haben, Grundgeſetze gleichſam einer allgemeinen Republik, gewaͤhr - leiſtet. Es kann nicht mehr daran gedacht werden das eine oder das andere Bekenntniß zu einer univerſalen Herrſchaft zu erheben. Nur darauf kommt es an, wie jeder Staat, jedes Volk von ſeiner politiſch religioͤſen Grundlage aus ſeine Kraͤfte zu entwickeln vermoͤgen wird. Darauf beruht nun - mehr die Zukunft der Welt.
Gedruckt bei A. W. Schade.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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