PRIMS Full-text transcription (HTML)
Ein Lehrgedicht
Die Weisheit des Brahmanen, ein Lehrgedicht in Bruchſtücken.
Fünftes Bändchen.
Leipzig,Weidmann'ſche Buchhandlung.1839.
[1]

XII.

Ruͤckert, Lehrgedicht V. 1[2][3]

1.

Du faſſeſt ſelbſt nur halb, was du im Herzen ſagſt;
Und wenn du in ein Wort es nun zu faſſen wagſt,
Wird es nur wieder halb darin ſich faſſen laſſen;
Wie ſoll der Hoͤrer ganz dies halbe Halbe faſſen?
Er faßt ſoviel er mag, und macht es ganz in ſich,
Faßt dies auch halb, und glaubt nun ganz zu faſſen dich.

2.

Im Meer der Schoͤpfung ſchwamm zuerſt die Lotosblume,
Die woͤlbte ihren Kelch gleich einem Heiligthume.
Im Heiligthume lag der Geiſt wie unter Zelten,
Und laͤchelte im Traum, er traͤumte kuͤnft'ge Welten.
1*4
Als ſich entfaltete darob die Blum 'in Wonne,
Ging aus der Blum' ein Glanz, und ward das Licht der Sonne.
Aufſtieg ein Duft, ein Hauch, und ward zu Aetherrauch,
Ward feuchte Fruͤhlingsluft und Wolkenhimmel auch.
Ein Blaͤttchen riß ſich los als Schmetterling-Cicade,
Und flog der Lebenswelt noch unbekannte Pfade.
Im Kelche bruͤtend ſaß ein vogelgleich Gebild.
Die Fluͤgel hobs und ſchwang ſich in des Seyns Gefild,
Sie kaͤmpften in der Luft, und bunt ſtob manche Feder,
Ein eigenes Geſchlecht Luftgaͤnger ward aus jeder.
Doch außen an dem Kelch die Schuppe waſſerfriſch
Abtrennte ſich und ward halb Krokodil, halb Fiſch.
Der Fiſch entſchwomm zum Strand der Zukunft voll Begier,
Und ſtieg dort halb ans Land, ganz als vierfuͤß'ges Thier.
Die Lotoswiege ſchwankt, es gaͤhrt der Waſſerſchaum,
Der Geiſt erwacht und ſieht die Schoͤpfung, ſeinen Traum.
Er ſprach: Ich traͤumte das, doch nun will ich im Wachen
Der Traumwelt wachen Herrn, den Menſchen ſelber machen.
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3.

Gott iſt, drum denkt er; denkt, drum ſpricht er, und ein Wort,
Wie er es denkt und ſpricht, ſo ſtehts geſchaffen dort.
Du biſt und denkeſt auch, du denkſt und ſprichſt, allein
Kein Weſen iſt das Wort, es iſt ein Bild und Schein.
Das macht: du ſprichſt nur nach, du denkſt nur nach, du biſt
Nur nach dem Erſten, der dir vorſpricht, denkt und iſt.

4.

Der neugeborne Gott ſchlief an der Erde Grund;
Neugierig oͤffnete die Mutter ſeinen Mund.
Die Mutter wußte nicht vor Luſt wie ihr geſchah,
Als ſie im Kindesmund den Glanz der Welten ſah.
Die ſieben Himmel und acht Paradieſe ſah
Sie im gewoͤlbten Mund, fern waren ſie und nah.
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Wie kommt die Herrlichkeit in einen Kindesmund?
Da that es ihr der Geiſt, der uͤberm Kind war, kund:
Im Mund beſchloſſen ſind Himmel und Paradieſe;
Entfalten wird das Kind in ſeiner Lehre dieſe.

5.

Vom Gaͤrtner kauft 'ich mir ein ſchoͤnes Blumenſtoͤckchen,
So reich an Hoffnungen in halberſchloſſnen Gloͤckchen.
Ich wandte meine Muͤh und meine Zeit darauf;
Die Gloͤckchen bluͤhten zu, doch bluͤhten ſie nicht auf.
Sie bluͤhten immer zu, bis ſie unaufgebluͤht
Abwelkten, und betruͤbt darob ward mein Gemuͤt.
Hat dich der Gaͤrtner, hat die Hoffnung dich betrogen?
Sie waͤren aufgebluͤht, vom Gaͤrtner ſelbſt gezogen.
Die Freude bluͤhet auf nur in des Gaͤrtners Hand,
Bei dir zu knoſpen iſt die Hoffnung nur im Stand.
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6.

Mein Sohn! die Wahrheit iſt in Wahrheit ganz nur Eine,
Bei Gott iſt ſie an ſich, beim Menſchen nur im Scheine.
Und wenn der Menſch in ſich will Gottes Wahrheit ſpiegeln,
So muß er einen Schein mit ihrem Bild beſiegeln.
Sieh einen Wahrheitsglanz in jedem Schoͤnheitsſchein,
Nur bild 'als Wahrheit ganz dir nie ein Einzles ein.
Mit dieſem Blick ſieh an die Welt und dieſes Buch;
In dieſem Sinne loͤſt ſich jeder Widerſpruch.

7.

Des Ganzen Theile ſind als Theile nicht vorhanden,
Deswegen, weil ſie ja zum Ganzen ſich verbanden.
Grenzpfaͤhle ſteckeſt du, um ein Gebiet zu meſſen;
Doch daß du ſie nur ſteckſt, das ſollſt du nicht vergeſſen.
Der grade Gegenſatz ſetzt grad die Wahrheit ſchief,
Weil ſtets in Wahrheit eins ins andre ſich verlief.
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8.

Den ew'gen Faden zieht die Spinn 'aus ihrem Leibe;
Die Sammlerbiene fuͤllt mit fremdem Seim die Scheibe.
Spinnweb 'iſt Fliegengrab und keines Lebens Labe,
Die Suͤßigkeit der Welt iſt in der Honigwabe.
Fleug, ſuͤße Poeſie, auf Bienenraub von hinnen,
Und laß Philoſophie im grauen Netz der Spinnen.
Ob die Philoſophie die Spinn 'im Netze ſei,
Ob ſelbſt die Fliege drin, das iſt nur einerlei.
In keinem Falle wird ſie fett bei dieſem Schmaus,
Ob ausgeſogne Flieg ', ob Fliegen ſaugend aus.

9.

Hier ſchwanken ſieheſt du im Bach der Sonne Bild,
Doch unbeweglich dort ſteht feſt ihr goldner Schild.
Am Abend ſiehſt du dann ſie ſcheinbar untergehn,
Indes der Erdball nur ſich abdreht ihrem Stehn.
9
Doch, ſteht ſie wirklich feſt? ſie dreht ſich auch beſtimmt
Um einen Mittelpunkt, den man nur wahr nicht nimmt.
Und ſo, was die Vernunft ſich muͤhet zu vernehmen,
Hat richtig dein Gefuͤhl erkannt im Schein und Schemen.

10.

Wie du verſchieden haſt den Gott in dir empfunden,
Verſchieden findeſt du ihn auch in Schrifturkunden.
Iſt er in dir darum dir wen'ger offenbar,
Die Offenbarung dort deswegen minder wahr?
Er zeigt dir dieſes bald, bald jenes Angeſicht,
Doch immer iſt es klar und ſchoͤn und hold und licht.
Die Urkund 'iſt von ihm in Herz und Buch geſenkt,
Wie goldner Lebenswein in buntes Glas geſchenkt.
Als fluͤſſigen Smaragd, als thauenden Rubin,
Als ſchmelzenden Sapphir, doch immer trinkſt du ihn.
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11.

Du brauchſt dein eignes Volk deswegen nicht zu ſchelten,
Wenn du nach ihrem Werth auch andre laͤſſeſt gelten.
So, wer in Ehren haͤlt die Formen fremder Goͤtter,
Iſt noch deswegen nicht der eignen Laren Spoͤtter.
Dein eigen Gut und Haus und Volk und Land und Leben,
Das iſt dein eigner Gott, und drum nicht aufzugeben.
Doch wie jetzt Reiſende von einem Stamm zum andern,
Zeit iſts, daß endlich auch die Gottideen wandern.
Daß ſich verſtaͤndige die menſchliche Gemeine,
Alles ſei Allen gleich, und Jedem ſein das Seine.
11

12.

Du mußt nur Alles nicht verlangen gleich von allen,
So wird in ſeiner Art dir alles wohlgefallen.
Wenn eine duftig riecht, die andre farbig glaͤnzt,
Iſt von der einen ſchoͤn die andre Blum 'ergaͤnzt.
Und iſt die eine gar geruch - und farbenreich,
Verlange nicht, ſie ſei auch ſuͤße Frucht zugleich.
Die ſchoͤnſte Blum 'iſt, in den Mund genommen, bitter;
Denn heimlich iſt ein Gift in jedem Sinnenflitter.

13.

Der Pflanzenkund'ge, der die Pflanzen will erklaͤren,
Weiß doch nicht, wie ein Dorn kann Roſenglut gebaͤren.
Das weiß ein Dichter nur, der ſtille ſein Gemuͤt
Belauſchet, wenn aus ihm ein neues Lied erbluͤht.
12

14.

Die heil'ge Brahmaſtadt, gleich einer Lotosbluͤte,
In welcher Brahma wohnt, o Menſch, iſt dein Gemuͤte.
Fuͤnf Thore hat die Stadt an ihren Außenwerken,
Das ſind die Sinne, die die Welt von außen merken.
Die Faͤden des Geruchs, die Faſern der Empfindung
Erhalten mit der Welt den Lotos in Verbindung.
Im Richtweg des Geſchmacks, im Schneckengang des Ohres,
Die Brahmamitte bleibt bewußt des offnen Thores.
Am liebſten aber ſteigt auf ſeinem Lotosglanz
Der Gott ins Aug 'empor und ſchaut die Schoͤpfung ganz.
Da wird die Schoͤpfung hell, vom Lotosglanz bethaut,
Und fuͤhlet freudig, daß ihr Schoͤpfer ſie beſchaut.
Solang 'er innen wacht, wacht außen Welt in Wonne;
Was hier die Sinnen macht, das machet dort die Sonne.
Und hat durchs Aug 'er ſich die Welt beſchaut mit Ruh,
Steigt er ins Herz hinab, und macht die Fenſter zu.
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Die Lotosbluͤte ſchließt ſich dann als Schlummermohn,
Und draußen traͤumt der Mond, und iſt benannt davon.
Doch tief im Lotoskelch wird nun vom Schlummer frei,
Die muͤd 'am Tage ſchlief, die Biene Schwaͤrmerei.
Die ſchwaͤrmt, den Nektarkelch des Lotos auszukoſten,
Und traͤnk 'ihn leer, wenn nicht Beſinnung tagt' im Oſten.
Und wieder wacht empor der Sinne Staͤdterchor,
Und Lebensnahrung fuͤhrt er ein durchs offne Thor.
Du ſchauſt dem Treiben zu, und fuͤhlſt in ſtiller Luſt
Den, der dies Alles lenkt, den Gott in deiner Bruſt.
Im Bilde zeigt er dir ſein ew'ges Wohngefild,
Weil du ihn anders nicht kannſt faſſen als im Bild.
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15.

Des Baumes Bluͤt 'erfreut, des Baumes Schatten beut
Ein Dach dir, und ein Mahl die Frucht, die er verſtreut.
Was brauchſt du noch? ein Kleid? nimm es von ſeinem Baſt;
Mach 'auch ein Buch daraus, wenn du es noͤthig haſt.
Und brauchſt du dann ein Grab, er wird dich auch begraben,
Mag Ruh im kuͤhlen Grund, mag Feuertod dich laben.
Den Scheiterhaufen baut er hier, und dort den Sarg,
Bis deinen Reſt im Schirm er ſeiner Wurzeln barg.
Was keucht durch fernen Raum der Hunger fremden Brodes,
Wenn dich begnuͤgt ein Baum des Lebens und des Todes?
Als Vogel ſchwinge ſich dein Geiſt, vom Leib geſchieden,
Dem hoͤchſten Wipfel zu, der nicht mehr iſt hienieden;
Und ſinge von dem Baum des Todes und des Lebens
Herab zum Erdenraum den Frieden nicht vergebens.
15

16.

Wie einem Thiere mag zu Muth ſeyn, kann ich doch
Begreifen, weil ich ſelbſt als Kind auf Vieren kroch.
Wie einem Vogel ſei zu Sinn, begreif 'ich nicht,
Weil ſtets die Schwinge mir gebrach, und noch gebricht.
Was alles da ſo leicht fliegt unterm Himmelsbogen,
Aus einer andern Welt ſcheint es hereingeflogen;
Aus einer andern Zeit. Es ging die große Flut
Nur uͤber Thiertrotz weg, nicht uͤber Vogelmut.
Sie ſchwebten, wie zuerſt der Geiſt auf Waſſern ſchwebte,
Und ſahen zu, wie ſich die Schoͤpfung neu belebte.
Und wie ein Vogel jetzt, wenn ab in einem Kreiſe
Der Welt ein Fruͤhling ſtirbt, zum andern macht die Reiſe;
So fliegt, wann dieſen Stern, ob fremd 'ob eigne, Glut
Verzehrt, ein Vogel fern zu andern wohlgemut.
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Ihr Voͤgel, ſeid gegruͤßt, und gruͤßt mir alle Fernen,
Von denen ich gelernt, und die von mir einſt lernen.
Ihr habt mir manchen Gruß gebracht aus fremden Land,
Und manchen, den ich als vom Himmel her verſtand.

17.

Alswie der Fruͤhling, ſeit er erſt der Welt entflohn,
Nie wiederkehrt, nur oft ein ſchoͤnes Bild davon;
Doch ein ſo ſchoͤnes Bild, das ſtatt der Sache gnuͤgt,
Daß ſich, ſolang ſie's hat, die Erde gern betruͤgt:
So kam der Jugend Traum mit zartem Fruͤhlingstriebe
Im Traume mir, ein Traum kam mir vom Traum der Liebe.
Die hoͤchſte Liebe war's, die ich im Traum empfand,
Und die mich liebte, war ein Weib von hoͤchſtem Stand.
17

18.

Zwoͤlf Jahre war ich alt, da hatt 'ich ohne Fleiß
Faſt alles und noch mehr gelernt, als ich nun weiß.
Ich hatte ſchon die Frucht, wovon den Ruhm nun haben
Manch andre, die zuerſt ans Licht der Welt ſie gaben.
Und ruͤhm 'ich deſſen mich? Ich ruͤhme nur die Zeit,
Durch deren neuen Trieb das Neu' allein gedeiht.
Gedanken kommen wie des Fruͤhlings goldner Duft,
Sie ſind nicht mein noch dein, ſie ſchwimmen in der Luft.
Sei dankbar, daß die Welt ſo reich dir dargeboten
Des beſten Wiſſens Schatz von Lebenden und Todten.
Du haſt ihn nicht geſucht, du haſt ihn nur gefunden;
Nun ſpend 'ihn liebend aus und ſei der Welt verbunden.
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19.

Das Feuer war in Furcht, daß es das Waſſer haſche,
Und heimlich glimmend barg es ſich im Haufen Aſche.
Das Waſſer kam und goß den Aſchenhaufen aus,
Und ſuchen mußte ſich das Feur ein andres Haus.
Das Feuer barg im Wald ſich in das gruͤne Holz,
Das Waſſer merkt 'es nicht, da ward das Feuer ſtolz.
Und als der Sommerwind die Ranken ſchlug zuſammen,
Das Feuer kam hervor, da ſtand der Wald in Flammen.
Da kam der Wolkenbruch und goß den Waldbrand aus,
Und wieder ſuchen muß das Feur ein andres Haus.
Das Feuer fluͤchtete ſich in den Kieſelſtein,
Und warf ſich in den Bach, ins Waſſer ſelbſt hinein.
Das Waſſer ſucht 'es rings und merkte nicht die Liſt,
Wie ſicher oft der Feind im Haus des Feindes iſt.
Und ruht am Mittag einſt das Waſſer ſchlummertrunken,
Dann aus dem Kieſel ſpringt das Feuer als ein Funken.
19

20.

Der Knabe ſteht am Berg und lauſcht in ſtiller Wonne,
Weil gegenuͤber ihm aufgehen will die Sonne.
Die hoͤchſten Spitzen ſieht von Hoffnung er geroͤthet,
Und hoͤrt von Lerchenlied den Sieg des Lichts gefloͤtet.
Doch immer will ſie ſelbſt noch kommen nicht empor,
Und ſeiner Sehnſucht ſchiebt ſich eine Wolke vor.
Da faßt ihn Ungeduld: wie lange will ſie ſaͤumen?
Der Sonn 'entgegen geht er vorwerts in den Raͤumen.
Er geht den Berg hinab, er ſtand am Bergabhange,
Entgegen berghinab geht er dem Sonnaufgange.
Und immer ſchwaͤcher wird um ihn der Morgenſchein,
Wie tiefer in die Nacht des Thals er geht hinein.
Und aus der Schlucht, wo ihm der letzte Schein verglimmt,
Sieht er zuruͤck, wie rings in Glanz die Schoͤpfung ſchwimmt;
Und ſieht denſelben Platz, von dem er ausgegangen,
Vom hellſten Sonnenſtral, den er erſehnt, umfangen.
20

21.

Ihr naͤrr'ſchen Dichter, die ihr ſcheltet die Natur,
Und ſie zu ſchelten nehmt aus ihr die Bilder nur!
Wenn Muſen ſonſt aus Laͤrm die Einſamkeit geſucht,
Nehmt ihr vom Land zur Stadt die umgekehrte Flucht;
Haͤngt um die Poeſie des Staates Flitterſtaat,
Statt jener Unſchuld, die im Paradies auftrat.
Seht dort nur hin, wo laͤngſt ſchon ſteht das Ideal,
Das ihr hier bauen wollt; ſprecht: wo iſt Luſt? wo Qual?
Iſt hier die Wieſe kahl? iſt hier der Bach nur ſchmal?
Sie glaͤnzen doch, ſei's nun von Fruͤh - von Abendſtral.
Wenns hier iſt kahl und ſchmal, ſo iſts dort ſchal und fahl,
Dort wo ihr jetzt noch ſeht nur hoͤchſtes Ideal.
Geht hin zur Stadt im Sumpf, zur Stadt im Kohlendampf,
Und kaͤmpft fuͤr Erdenheil, fuͤr Erdlicht euern Kampf!
Hier laßt die heitre Luſt fuͤr Weltheil, Gottlicht kaͤmpfen;
Die Heiterkeit ſollt ihr mit Koth und Dampf nicht daͤmpfen.
21

22.

Die ihr die Erd 'entehrt, zu geben Gott die Ehre!
Ein ſchlechtes Zeugnis gebt ihr ſelber eurer Lehre.
Gott ſelbſt in Ehren will die Welt gehalten wiſſen,
Sonſt haͤtte ſie ſein Wort um Nichts dem Nichts entriſſen.
Er hat ſie hell gemacht, ihr wollt ſie finſter machen;
Er hat an Menſchen Luſt, an Wuͤrmern ihr und Drachen.
Halb Drachen feuerſpeind, halb angſtgewundne Wuͤrmer,
Des ird'ſchen Heiligthums der Dichtkunſt Bilderſtuͤrmer!
O Zeit! daß ſcheulos ſich ans Tagslicht wagen Eulen,
Und ſiegreich Nachtigall-Geſaͤnge niederheulen!
Die ſehn in Rafaels Verklaͤrung Teufelsfratzen,
Und, Bilder vom Scheol im Herzen, Liebe ſchwatzen!
Macht euch zur Luſt nur Qual, und ſchwelgt im Jammerthal,
Und nie licht 'eure Nacht ein Gottes Freudenſtral!
Die Lehre, die nicht rein das Herz wie Sonnenſchein
Erfuͤllt, erfreut, erhebt, kann nicht vom Himmel ſeyn.
22

23.

Ein Drittel biſt du ſelbſt, ein Drittel iſt die Welt,
Das dritte Drittel iſt die Liebe, die euch haͤlt.
Du bleibſt der Welt, ſie bleibt dir ohne Lieb 'ein Bruch,
Den ohne Lieb' ausgleicht kein rechnender Verſuch.

24.

Ich hang 'an einem Haar noch mit der Welt zuſammen,
Und unzerreißbar war den Stuͤrmen es, den Flammen.
An einem Haare zieht die Welt mich, die ich ziehe;
Ihr folg 'ich, die mich flieht, ſie folgt mir, die ich fliehe.
Mir folgt ihr Bildertanz, ihr folgt mein Liederchor,
Wir ziehn uns ab und an; und ziehn uns beid 'empor.
Wo ſie empor nicht zog, waͤr 'ich in mir verſunken;
Wo ich nicht ihr entflog, waͤr' ich nicht liebetrunken.
So hat der Liebe Hand das leiſe Band gewebt,
Die Lieb ', an deren Band ewig das Ew'ge ſchwebt.
23

25.

Wer in den Spiegel ſieht, und ſieht ſich ſchoͤn darin,
Der ſpreche: Mache Gott mich gut, wie ſchoͤn ich bin.
Und wer den Spiegel ſieht und ſieht darin ſich haͤßlich,
Der denke, Guͤte ſei ihm doppelt unerlaͤßlich.
Die hoͤchſte Schoͤnheit iſt, die aus der Guͤt 'entſtand,
In der der Gegenſatz von Gut' und Schoͤnem ſchwand.
Der Baum iſts, der zugleich die Frucht traͤgt und die Bluͤte,
Wo Schoͤnheit auch die Frucht, und ſchon die Bluͤt 'iſt Guͤte.
Das Gute hoffe nicht des Schoͤnen zu entbehren;
Nur ſchoͤn geſchliffen kann der Spiegel Licht gewaͤhren.
Des Guten hoffe nicht das Schoͤne zu entbehren;
Aus reinem Grund nur kann ſich rein der Spiegel klaͤren.
Das Schoͤne gebe dir zum Guten Gott vereint,
Der gut im Guten iſt, und ſchoͤn im Schoͤnen ſcheint.
24

26.

Nimm, Brahma's Juͤnger, was ich vom Araber nahm;
Sieh auf den Kern, und uͤberſieh den Wortſpielkram!
Dein Bruder, o mein Sohn, iſt auch der Muſelman;
Von ihm auch lerne gern, was er dich lehren kan.
Araberſprichwort ſagt: dir hilft in der Gefahr
Ein Bruder oft, den nicht die Mutter dir gebar.
Verwandtſchaft kann, mein Sohn, der Liebe nicht mit Ehren,
Doch der Verwandtſchaft kann die Liebe wohl entbehren.
Wer fuͤr mein Beſtes ſich mit Rath und That verwandt,
Nur der Verwandte iſt mir in der That verwandt.
Wer fuͤr mein Beſtes ſelbſt hat Gut und Blut verwandt,
Wie fremd er ſei, der iſt mir wahrhaft blutverwandt.
Nicht der ſo lieber ſelbſt ſein letztes Blut verwendet,
Daß Blutverwandten er ihr letztes Gut entwendet.
Der iſt alswie ein Wolf, der nicht kann Blut entdecken
Am wunden Bruder, ohn 'es gierig ſelbſt zu lecken.
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Wer beſſer ſei zum Feind zu haben als zum Freunde?
Der, ſcheulos vor dem Freund, ſich nur vorm Feinde ſcheu'nde.
Der dem Gewognen in den Weg tritt als Verwegner,
Und aus dem Weg, wo ihm entgegen tritt ein Gegner.
Der kuͤhn den Loͤwen ſpielt in ſeinem Jagdreviere,
Und ſchmeichleriſch den Fuchs im Kreis vornehmer Thiere.
Der ſtaͤrkſt 'in gutem Rath, zu guter That der ſchwaͤchſte,
Der, wenn ſein Nachbar ruft, ſagt: ich bin mir der naͤchſte.
Ruft er den Nachbar einſt, vergelt 'ihm der die Liſt,
Und ſage: hilf dir ſelbſt, weil du dein Naͤchſter biſt.

27.

Du ſchaͤme dich vor Gott und dir in deinen Zellen,
Wie in Geſellſchaft du dich ſchaͤmeſt vor Geſellen.
Der unverſchaͤmte ſagt: da Gott es ſieht in mir;
Scheut 'ich dich mehr als ihn, um es zu bergen dir?
Doch der beſchaͤmte ſagt: da Gott in mir es ſchaut,
Und es verzeiht, ſei dir's auch zum Verzeihn vertraut.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 2
26

28.

Du ſageſt: Falſch war dein Orakel, wie es pflegt.
Sag das nicht, ſondern ſag: Falſch hab 'ichs ausgelegt.
Stets deutlich iſt, doch ſtets vieldeutig Profezeiung,
Und immer ſchuͤtzt ſich ſelbſt die Weihe vor Entweihung.

29.

Der iſt ein ſchlechter Herr, wie glaͤnzend auch er thront,
Der beſſer muͤſſigem als fleiß'gem Diener lohnt;
Der, wie die Sonne, ſticht den der im Feld arbeitet,
Und freundlich ſcheinet dem, der ſich im Schatten breitet.

30.

Wenn du mich fragſt: auf wen darf ich in Treuen baun?
Ich ſage dir: auf die, die ſelber andern traun.
Und fragſt du aber, wem zu traun dir nicht gebuͤhrt?
Nur dem nicht, der im Mund ſtets Treu und Glauben fuͤhrt.
27

31.

Der Farbenbogen der Empfindungen erſcheint,
Wenn hier die Sonne lacht, und dort die Wolke weint.
Wie Goͤtter wandeln auf beſonnter Wolkenbruͤcke,
So wandeln drunterhin wir zwiſchen Leid und Gluͤcke.
Du ſagſt: die Sonne lacht; du ſagſt: die Wolke weint;
Weil die zu lachen dir und die zu weinen ſcheint.
Du taucheſt die Natur in deines Innern Farben,
Die leben, wenn es lebt, und wenn es ſtarb, erſtarben.
Dir gebe Gott in dir das ewige Lebendige,
Im Unbeſtand der Welt das einzige Beſtaͤndige.
Dir gebe Gott in dir das heitere Verſtaͤndige,
Daß mit dem Geiſt der Welt ſich klar dein Geiſt verſtaͤndige.
Dein Weinen moͤge dir zum Laͤcheln, nie zum Lachen,
Nie dir dein Lachen Gott zum Quell der Thraͤnen machen.
Des Menſchen Aug 'allein kann lachen und kann weinen,
Und nur die Schoͤnheit kann die beiden ſchoͤn vereinen.
2*28
Mit einem Auge lacht die Lieb ', ihr andres weint;
Was meineſt du, daß ſie mit Lachen-Weinen meint?
Sie laͤchelt, wenn die Welt ſie um die Welt ſieht weinen,
Und weint, wenn ſie ſich ſieht verlachen und verneinen.

32.

Der Koͤnig zaͤhlt ſein Heer, ihm geht ein Mann vorbei,
So haͤßlich, daß ihm ſcheint, daß er zu haͤßlich ſei.
Erſt blickt der Koͤnig ab, dann redet er ihn an,
Und ungefuͤges ſpricht der ungefuͤge Mann.
Der Koͤnig denkt: Mir dient im Heere mancherlei,
Doch keiner diene, dem nicht wohnt ein Gutes bei.
Waͤr 'ihm es aͤußerlich, ſo waͤr's in ſeinen Mienen,
Wenn innerlich, ſo waͤr's in ſeiner Red' erſchienen,
Drum ſoll man dieſen Mann aus meinen Reihen ſtoßen;
Denn weder gut noch ſchoͤn dient weder klein noch großen.
29

33.

Wie einſt des Geiz'gen Aug 'erſchloſſen Zauberſalben,
Daß ihm verborgne Schaͤtz' erſchienen allenthalben;
Die ganze Welt gewebt aus Gold und Edelſtein;
Und nur zu ſchaͤrfen dient es ihm der Habſucht Pein.
So ward erſchloſſen auch mein Blick von Wunderſalben,
Und ungeahnte Schaͤtz 'erblick' ich allenthalben;
Die ganze Welt gewebt aus Sonn - und Blumenſchein;
Und zur Befriedigung gereicht es mir allein.
Zufrieden ſeh 'ich, daß ich niemals kann ausbeuten
Der Schoͤpfung Schacht, und nie ihr Raͤthſelſpiel ausdeuten.
Der Schacht, in dem das Erz nachwaͤchſt aus innrer Kraft;
Das Raͤthſel, das, geloͤſ't, wird doppelt raͤthſelhaft.
Und loͤſen wir mit Gluͤck, was wir zur Zeit aufhaben,
Schon aufgegeben ſind der Folgezeit Aufgaben.
Und was zu loͤſen wir die Hoffnung jetzt aufgaben,
Das loͤſen leicht einſt, die zu loͤſen das aufhaben.
30
Ich aber freue mich, nach Luſt hervorzuholen,
Und fuͤrchte nicht, zuletzt zu finden taube Kohlen.
Und was ich ſelber Luſt nicht hab 'hervorzuholen,
Sei einem luſtigern Geſchlecht von mir empfohlen.
Noch lange wird die Axt den Urwald nicht ausreuten,
Noch lange Bienenfleiß den Fruͤhling nicht ausbeuten:
Solang in Gott und Welt ſich Herzen ſtill ausfreuten,
Und Maienglocken ſacht des Lenzes Sieg ausbeuten:
Solang wird frohe Kunſt die Wunder nur ausdeuten,
Die eines Kuͤnſtlers Haͤnd 'auf die Natur ausſtreuten.
Er gebe Leben mir, Geſundheit, innre Luſt!
Denn noch zur Haͤlft 'iſt nicht der Schatz in meiner Bruſt.
Nicht laͤngſtes Leben reicht ihn vollends auszubeuten,
Ob Tochtertoͤchter ich ausſtattete zu Braͤuten.
Weh, Reim, du haſt im Klang ein Bild mir aufgedrungen,
Durch deſſen Weh ſind hier die Saiten abgeſprungen.
31

34.

Ich ſprach: Der Liebe Rauſch verſtehn nur trunkne Sinne;
Und daß ich recht es ſprach, werd 'ich mit Freuden inne.
Ich freu 'mich, daß mich nicht die Nuͤchternen verſtehn,
Und nur die Trunknen ſich mit mir im Reigen drehn.

35.

Du unterſcheideſt hier Vernunft und dort Verſtand,
Und zwiſchen beiden denkſt du eine Scheidewand.
Doch ohne Anſtoß an den nur gedachten Schranken,
Her und hinuͤber gehn die ſpielenden Gedanken.
So unterſcheideſt du den Geiſt auch vom Gemuͤte,
Wie am Baſilikum vom duft'gen Blatt die Bluͤte.
So unterſcheideſt du die Seele von dem Leib,
Als ſeyen beide ſo getrennt wie Mann und Weib.
Doch wie nicht Mann und Weib getrennt ſind im Erkennen,
So kann auch Seel 'und Leib nicht die Erkenntnis trennen.
32
Und das nur macht dein Ich, daß ungetrennt ſie ſind,
Wie ungetrennt ſich Mann und Weib erkennt im Kind.
So unterſcheideſt du den Gott von der Natur,
Und von den beiden Dich, und Eins die drei ſind nur.
Den Vater magſt du ihn, und ſie die Mutter nennen,
O Kind, doch ungetrennt von beiden dich erkennen.
In deiner Liebe wirſt du ſie als Eins erkennen,
Mit Liebesnamen unterſcheiden und nicht trennen.
Nie laß dir dies Gefuͤhl, es ſei dein heil'ger Glauben,
Von Unterſchiedenem und Ungeſchiednem rauben.

36.

Du biſt ein Mutterſohn, und von der Mutterbruſt
Noch nicht entwoͤhnt, ſie iſt noch immer deine Luſt.
Du biſt ein Mutterſohn, doch an der Mutterbruſt
Haſt du den Vater ſelbſt geahnt in ſtiller Luſt.
Du biſt ein Mutterſohn, doch auch des Vaters Kind,
Der auch die Kinder liebt, die lieb der Mutter ſind.
33

37.

Wer etwas lernen will, der muß dazu drei Gaben,
Von obenher, aus ſich, und auch von außen haben.
Die Faͤhigkeit, die Luſt und die Gelegenheit;
Die drei wo fehlen, kommt ein Lernender nicht weit.
Zum Lernen Faͤhigkeit muß Gott dir ſelbſt verleihen,
Weil in fruchtbarem Grund Fruchtbaͤume nur gedeihen.
Die Faͤhigkeit iſt todt, wo ſie nicht wird zum Triebe;
Zum Lernen treiben muß dich eigne Luſt und Liebe.
Dann muß Gelegenheit von außen zum Beſuch
Dir kommen in Geſtalt von Lehrer oder Buch.
Fehlt in der Naͤhe dir Gelegenheit zu lernen,
Der Trieb zu lernen wird dich treiben in die Fernen.
Und jede Faͤhigkeit iſt ſelbſt ihr eigner Trieb;
Und alſo ſind ſie Eins, die ich als drei beſchrieb.
34

38.

Der iſt der ſchlechteſte des menſchlichen Geſchlechtes,
Wer ſelbſt nichts rechtes weiß, noch lernen will was rechtes.
Wer iſt der beſte? der hervor das Gute bringt
Aus eigner Kraft, und nicht von außen es erringt.
Doch iſt zu loben, wer, was er nicht ſelbſt vermag
Zu tragen, das erwirbt von fremdem Fruchtertrag.
Es ſteht ein Baum im Wald und traͤgt die eigne Frucht,
Die ſo ihm gnuͤgt, daß er nach keiner fremden ſucht.
Daneben ſteht ein Baum, der iſt nicht eigenfruͤchtig;
Der reiche Nachbar macht den armen eiferſuͤchtig.
Soll er die Frucht von ihm zu ſich heruͤber nehmen?
Wenn ers auch koͤnnte, muͤßt 'er ſich des Diebſtals ſchaͤmen.
Die Glut der Eiferſucht brennt ihm ſein Innres hol,
Und deſto minder traͤgt er aus ſich Frucht nun wol.
Seht, wie zu nutzen er den Schaden ſelber weiß,
Er laͤdt in ſeine Kluft des Bienenſchwarmes Fleiß.
35
Sein Innres raͤumet er zur Wohnung willig ihnen,
Und freudig lohnen's ihm die arbeitſamen Bienen.
Sie tragen Honig her, und nicht vom Nachbar nur,
Sie tragen rings ihn bei aus Berg und Wald und Flur.
Des goldnen Seimes voll wird jeder leere Raum,
Und immer fruchtbar iſt der unfruchtbare Baum.

39.

Zu geben Groͤſtes gern mag Großmuth ſich bequemen,
Doch ungern laͤßt ſie ſich das Allerkleinſte nehmen.
Dem Geber gibt man nur, vorm Nehmer nimmt mans fort;
Willſt du ein Gut, ſo gib dafuͤr ein gutes Wort.
Man gibt ein gutes Wort, um etwas zu erlangen,
Und dann ein zweites noch als Dank, wenn mans empfangen.
Der Dank fuͤr eine Gab 'iſt ſelber eine Gabe,
Willkommen dem, der reich ſchon iſt an andrer Habe.
36

40.

Der alte Hauswirth, in der Wirthſchaft wohl erfahren,
Hat dich gelehrt, wo du, wo nicht du ſolleſt ſparen.
Voll ſchoͤpf 'aus vollem Faß, das leere leere ſchnell,
Doch zwiſchen voll und leer, da halte Haus, Geſell!
Voll ſchoͤpf aus vollem Faß, und in der Mitte ſpar;
Die Neige ſparen iſt unnuͤtz und undankbar.
Warum? kein Sparen frommt, daß neu Erſchoͤpftes ſteige,
Und ſchal am Ende wird dir nur die ſchmale Neige.
Des Faſſes Anbruch ſei ein Feſt, ein Feſt ſein Ende;
Haustrunk iſt Mittleres, das Aeußre Goͤtterſpende.
Der Anfang und das End 'iſt unklar, oben Schaum,
Hef' unten, klarer Wein iſt in dem Mittelraum.
37

41.

Der Koͤnig Adler hat das weitſte Koͤnigreich,
Von allen Koͤnigen iſt ihm kein andrer gleich.
Den weiten Himmelsraum mißt er mit ſeinen Schwingen,
Und laͤßt aus ſeiner Hoͤh den Blick zur Erde dringen.
Er hat die Sonn 'im Aug' und ſieht die Erde doch,
Das tiefſte ſieht er klar, er ſchwebe noch ſo hoch.
Und was am Erdengrund zur Beut 'ihm mag gefallen,
Er kommt, er faßts und traͤgts empor in ſeinen Krallen.
Auf ſeinem Baume ſitzt der Weih und lauert ſtill,
Was ihm zum Raube da voruͤber kommen will.
Der Adler aber fliegt, es ſteht die Wahl ihm frei,
Nicht was vorbei ihm kommt, er holt es ſelbſt herbei.
Der Eule iſt die Nacht zur Jagdzeit angewieſen,
Der Mondſchein iſt ihr Freund, ſie jagt nicht ohne dieſen.
Die Bloͤde ſieht bei Nacht, doch gar nicht hell genung,
Und recht im Zwielicht nur zweideut'ger Daͤmmerung.
38
Drum wenn der Mond nicht ſcheint, kann ſie bei Nacht nicht jagen,
Und jagt zwei Stuͤndchen nur im Spaͤtlicht und vorm Tagen.
Der Adler aber ſchwingt ſich mit der Sonnen auf,
Und ſtellt auch ſeinen Flug nur ein mit ihrem Lauf.
Fruͤh ſchaut er droben ſie, noch eh die Welt ſie ſah,
Und ſchwand ſie dieſer laͤngſt, iſt noch ihr Glanz ihm nah.
Und ſieht er ihren Glanz dann hinterm fernſten Forſt
Sich ſenken, ſenkt er ſich und ſuchet ſeinen Horſt.
Er hat zum Horſt gewaͤhlt den allerfreiſten Raum,
Auf allerhoͤchſtem Berg den allerhoͤchſten Baum.
Dort ſitzt ſein Adlerweib und bruͤtet nur zwei Eier,
Und ſie verſtoͤren darf kein Flatterer und Schreier.
Denn keine Nachbarſchaft von Vogel, Menſch und Thier
Vertraͤgt der Adler, wo er hat ſein Nachtquartier.
Er weiß aus ſeiner Naͤh die Gaͤſt 'hinwegzutreiben,
Und dieſe haben ſelbſt ſchon keine Luſt zu bleiben.
So wohnt er ungeſtoͤrt in ſeiner Einſamkeit,
Sieht von der Erde nichts und nur den Himmel weit.
39
Die Kraͤhe mit Gedoͤrn deckt oben ihr Gemach,
Doch nur der Himmel iſt des Adlerneſtes Dach.
Er laͤßt den Sturm der Nacht an ſich voruͤber brauſen,
Stark wird ſein ſtraͤubendes Gefieder von dem Grauſen.
Und wenn der Sturm davon ihm eine Feder weht,
Ein Jaͤger findet ſie, der fruͤh zur Jagd ausgeht.
Er darf die Feder nicht zu andern Federn legen,
Weil Adlerfedern ſelbſt den Trieb des Adlers hegen;
Und, wie der Aar hinweg die Voͤgel wehrt und treibt,
Auch ihre Federn ſein Gefieder zehrt und reibt.
Der Jaͤger macht daraus des Pfeiles Federſpiel;
Dem aarbeſchwingten Schaft waͤhlt er den Aar zum Ziel.
Der Adler in der Luft vom Pfeil getroffen ſpricht:
Nahmſt du nicht von mir ſelbſt die Kraft, du trafſt mich nicht.
Der Adler ſchuͤttelt aus der Bruſt den Pfeil, und ſchaut
Hinunter, wo fuͤr ihn gepflanzt iſt Adlerkraut.
Vom Adlerkraute heilt alsbald die Adlerwunde,
Und in die Luͤfte ſchwingt ſich wieder der Geſunde.
40
Und wenn er einen Kreis hat um die Welt geſchwungen,
So laͤßt er ſich aufs Neſt herab zu ſeinen Jungen.
Den beiden ſchaut er ſcharf ins Auge bis ins Mark,
Pruͤft ihre Krall 'und Schwing', und findet beide ſtark.
Sie halten ſich am Neſt mit ſcharfen Krallen feſt,
Doch ohne Schonung ſtoͤßt der Alte ſie vom Neſt.
Denn fliegen lernt nur, wer zum Fliegen iſt gezwungen,
Wenn er zum Fliegen Kraft auch hat gleich Adlerjungen.
Ein Junges ſinkt hinab, alsob's kein Adler ſei,
Das wird ein Jagdgenoß fuͤr Eule dort und Weih.
Das andre ſchwebet nach dem Vater voll Vertraun,
Der reißts mit ſich empor und lehrts die Sonne ſchaun.
41

42.

Du macheſt manches mit, weil man dir's vorgemacht,
Und bringſt es weiter ſo, wie es iſt hergebracht.
Mit Meſſern ſchneideſt du des Brotes weiche Rinde,
Und beißeſt mit dem Zahn die Nuß, die ungelinde.
So iſts einmal dein Brauch, doch brauchteſt du viel beſſer,
Mich duͤnkt, den Zahn fuͤrs Brot und fuͤr die Nuß das Meſſer.
42

43.

Am Rand des Stromes ſitzt ein Angler um zu angeln,
Und laͤßts an keiner Kunſt, den Fiſch zu locken, mangeln.
Die Lockung laͤſſet er am feinſten Faden ſchweben,
Die Ruth 'iſt ſtark genug den ſchwerſten Fang zu heben.
Doch munter ſpielt der Fiſch in ſeinem Element,
Und achtets ſeinen Tod, wenn man davon ihn trennt.
So uͤberm Sinnenmeer, in das verſenkt wir ſind,
Sitzt dort ein Angler auch und lockt das Menſchenkind.
Der Angel Nektar ſchwebt an goldnem Sonnenfaden,
Uns aus der bittern Flut zur ſuͤßen Koſt zu laden.
Doch wollen ſie nicht recht der Himmelsladung achten,
Sie fuͤrchten wie der Fiſch im Aether zu verſchmachten.
Doch jeder iſt zuletzt gefangen unwillkuͤhrlich;
Komm, ſtirb der Welt im Geiſt, eh du ihr ſtirbſt natuͤrlich!
Der Menſch, ſolang er lebt, iſt meiſt ein Doppelleber,
Nur wen'ge ſind ganz Fiſch, noch wen'ger Himmelſchweber.
43

44.

Man ſagt, geboren hat die Viper nicht die Jungen,
Die Mutter toͤdtend ſind ſie ihrem Leib entſprungen.
Man ſagt, ſie thuen dies auf ein Naturgebot,
An ihrer Mutter ſo raͤchend des Vaters Tod.
Denn wenn der Schlangenmann ſein Weib will zuͤngelnd kuͤſſen,
Nimmt in den Mund ſie ihn und ſchwelgt in den Genuͤſſen.
Und, obs die Saͤttigung, obs ihr die Luſt eingab,
Wie ſie empfangen hat, beißt ſie das Haupt ihm ab.
Die Kinder fuͤhlen wol aus welcherlei Verderben
Sie ſtammen, und gehn hin den gleichen Tod zu ſterben.
Die Schlangenmaͤnnchen gehn ſich mit den Weibchen gatten,
Um fuͤr der Mutter Tod die Suͤhnung zu erſtatten;
Zu ſaͤttigen die Luſt, die niemals kann erſatten;
44
Kann ſolche Unnatur in der Natur auch ſeyn?
Traͤgſt du, o Menſch, ſie nur in die Natur hinein?
Der lautern Fantaſie iſt ſie die Mutter mild,
Und der verſtoͤrten das verzerrte Schlangenbild.

45.

Es kam ein Wanderer durch einen oͤden Raum
An einen gruͤnen Fleck, da ſtand ein ſchoͤner Baum.
Und an des Baumes Fuß ergoß ſich eine Quelle,
Und eine Blume ſah ſich in der klaren Welle.
Auch auf dem Baume ſaß ein Vogel hoch und ſang:
Der Wandrer ruhte froh ſich aus von ſeinem Gang.
Und ſprach: wie Schad 'um euch, daß ihr hier beide ſingt
Und bluͤht, wo keinem Aug' und Ohre Luſt es bringt.
Da ſprach die Gottheit, die im Baume wohnte, leiſe:
O Wandrer, den zu mir gefuͤhret hat die Reiſe!
Sie bluͤhen nicht umſonſt, ſie bluͤhn und ſingen mir,
Und weil du bei mir ruhſt, bluͤhn ſie und ſingen dir.
45

46.

Ein altes Sprichwort ſagt: Im Truͤben iſt gut fiſchen.
Ein andres: gut iſts auch im Truͤben zu entwiſchen.
Dort iſts der Fiſcher ſelbſt der ſeinen Tuͤmpfel truͤbt,
Und am bethoͤrten Fiſch mit Gluͤck ſein Handwerk uͤbt.
Und alſo truͤbt die Flut um ſich der Kraken auch,
Daß blinde Heringsbrut ſich draͤng 'in ſeinen Bauch.
Doch hier ein Fiſchlein iſts, das keine andre Kraft
Zu ſeiner Nothwehr hat als ſeinen braunen Saft.
Der braune Saft, um den die Menſchen ſelbſt es fangen,
Derſelbe iſts, durch den es ihnen iſt entgangen.
Spritz, arme Sepie, wehrloſer Tintenfiſch,
Die Tinte nach dem Feind, und in der Truͤb 'entwiſch!
46

47.

Vernimm die Fabeln, die ich nicht gefabelt habe;
Als Mann erzaͤhl 'ich dir, was ich gehoͤrt als Knabe.
Die zahme Ente ſchwamm auf ihrem Pfuhl zufrieden,
Wo von dem Hausherrn ihr das Futter war beſchieden.
Die wilde Ente flog vorbei mit Luſtgeſchrei;
Die zahme blickt hinauf, verwundert, was es ſei?
Mein wilder Vetter, ei, wohin? Zur Quellenflut
Auf Bergen, weil das Land verſengt hat Sommerglut.
Zu Quellen? ei! kennſt du die Quellen, warſt du dort?
Ich nicht, die Mutter wars, und nach ihr zieht michs fort.
Und weißt du denn den Weg? Ich weiß ihn nicht, ich fuͤhle
Den Trieb nur und den Zug entgegen jener Kuͤhle.
Die zahme ſpricht: Bin ich nicht auch von deinem Stamm,
Und fuͤhle keinen Trieb und Zug aus meinem Schlamm.
47
Die wilde ſpricht: du haſt, von der Natur entfernt,
Den angeſtammten Trieb der Freiheit nur verlernt.
Ich aber fuͤhle michs durchzittern und durchwittern;
Leb wol! dort reicht man dir dein Futter aus den Gittern.

48.

Die Blumen ſtanden friſch erquickt auf duͤrrer Au,
Denn jede hatt 'im Mund ihr Troͤpflein Morgenthau.
Das hatten ſie bei Nacht zur Tageskoſt empfangen.
Sie ſprachen: Schweſtern, laßt uns nun mit Wen'gem langen!
Lang iſt der heiße Tag, der uns verſengt die Glieder,
Und erſt der Abend bringt uns eine Labung wieder.
Sie wachten hin den Tag ſo ſtill alsob ſie ſchliefen,
Durchſchliefen kuͤhl die Nacht, erwachten fruͤh und riefen:
Wir armen Schweſtern, ach, heut muͤſſen wir verſchmachten,
Da die gewohnte Lab 'uns nicht die Stunden brachten.
48
Wir armen Schweſtern, ach! die goldne Morgenſtunde
Kam ſelber ohn 'ihr Gold, ohn' ihren Thau im Munde.
Doch eine rief im Kreis: Still! junge Jahrespflanzen,
Ihr kennt die Stunde nur, und nicht die Zeit im Ganzen.
Ihr bluͤht am Boden hin, geweckt vom Fruͤhlingshauch,
Den Sommer durch zum Herbſt; ich aber bluͤh 'am Strauch.
Jung wie ihr ſelbſt, hab 'ich vor euch des Strauchs Bejahrung
Voraus, und ſo vernehmt die Stimme der Erfahrung:
Weil heut, auf den ihr hofft, der Thau nicht eingetroffen,
Deswegen grade duͤrft ihr nun auf Regen hoffen.
Die Mutter, deren Bruſt ihr bluͤhet eingeſenkt,
Die bald von unten euch und bald von oben traͤnkt;
Sie weiß am beſten wol, wodurch ihr Kind gedeiht,
Doch das verſchiedne gibt ſie nicht zu gleicher Zeit.
Wenn, eh zur Luft ſie ſteigt, Erdfeuchtigkeit zur Erden
Herabfaͤllt, wird ſie Thau, und kann nicht Wolke werden.
Wenn hoͤher ſteigt der Dunſt, euch nicht als Thau erquickt,
Dann wird fuͤr euch im Blau der Mantel grau geſtrickt.
49
Denn wenn die Mutter eins entzieht, gibt ſie dagegen
Das andre; da ihr Thau nicht kam, ſo kommt ihr Regen.
Die Blumen lauſchten noch, da hoͤrten ſie es rauſchen,
Und hoffnungsvoller noch begannen ſie zu lauſchen.
Und als hernieder nun der Regenguß gerauſcht,
Da ſenkten ſie beſchaͤmt die Haͤupter ſuͤßberauſcht.

49.

Warum der Vogel ſteht im Schlaf auf Einem Bein?
Daß ihm die Schlange koͤnn 'umſchlingen eins allein.
Sie ſchlingt ums Eine ſich; doch mit dem andern Fange,
Und mit dem Schnabel dann, entringt er ſich der Schlange.
Warum der Vogel ſchlaͤft, den Kopf in Fluͤgeln ſchmiegend?
Daß den die Eule nicht abreiße, naͤchtlich fliegend.
Hinfahrend uͤber ihn, erwiſcht ſie einen Schopf;
Den laͤßt er ihr und fliegt davon mit ſeinem Kopf.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 3
50

50.

Sie haben ihr Vertraun auf dich geſetzt, und baun
Auf dich; ſo ſetze du auf Gott auch dein Vertraun.
Wie ſie vertrauenvoll auf dich ſchaun als Berather,
So ſchau mit doppeltem Vertraun auf deinen Vater.
Und darum ſchon allein wird er dich nicht verlaſſen,
Daß nicht verlaſſen ſeyn, die ſich auf dich verlaſſen.

51.

In einem Hauſe wohnt 'ein armes Hausgeſind,
Das Huͤndlein und der Knecht, der Vater und das Kind.
Der Herr des Lebens kam zu ſchaun der Menſchen Noth,
Als Bettler pruͤft 'er ſie und forderte ein Brot.
Der Herr ſprach: Gib ihm eins! der Knecht ſprach: dir iſt kund,
Vier Brote ſind im Haus, je eins fuͤr einen Mund.
51
Der Herr ſprach: Gib ihm, das geſpart war meinem Mund,
Und aufbewahrt ſei das fuͤr dich, fuͤr Kind und Hund.
Der Knecht mit Zoͤgern gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein zweites fordert 'er. Gib ihm ein zweites Stuͤck.
Recht muß dem Diener ſeyn, was ſeinem Herrn iſt recht;
Laß das fuͤr Kind und Hund, und gib ihm deins, mein Knecht.
Der Knecht mit Freuden gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein drittes fordert 'er. Gib ihm das dritte Stuͤck.
Daß es Enthaltſamkeit von ſeinem Vater lerne,
Gib hin des Kindes Stuͤck! Der Diener gabs nicht gerne.
Das Kindlein lacht 'und gabs; er nahm's und kam zuruͤck,
Ein viertes fordert' er. So gib das letzte Stuͤck!
Hab 'ichs dem Knecht, dem Kind und meinem eignen Munde
Entzogen, darf ichs wol entziehn auch meinem Hunde.
Geduldig gabs der Knecht; er nahm's und kam nicht wieder,
Doch draußen in der Luft rauſcht 'es wie Lenzgefieder.
Ein goldner Regen floß herab vom Himmelsraum,
Wo er die Flur begoß, da wuchs empor ein Baum.
3*52
Der Herr des Lebens ſaß im Wipfelzelt und ſprach
Mit ſanftem Rauſchen: Gern gabt ihr, was euch gebrach.
Drum ſoll des Lebens Brot hinfort euch nie gebrechen,
Und gern gebt allen es, die meinen Namen ſprechen.
Ihr ſollt den Acker drum nicht pfluͤgen oder hacken,
Saͤ'n, ſchneiden oder maͤhn, dann dreſchen, mahlen, backen.
Von ſelbſt ein mehl'ger Kern, gebacken und gewuͤrzt,
Waͤchſt euch das Brot am Baum, in Fruchtgeſtalt geſchuͤrzt.
Vier Brote traͤgt der Baum, und jedes fuͤllt im Raum
Des Jahres ſeinen Mund; das iſt der Brotfruchtbaum.
53

52.

Der Knabe ſitzt am See, und taucht die Ruthe drein;
Die außen grade war, ſcheint innen krumm zu ſeyn.
Er zieht die Ruth 'hervor, da iſt ſie wieder grade,
Taucht neu ſie drein, und krumm iſt ſie im Wellenbade.
So oft er ein ſie taucht, iſt ſie auch wieder krumm,
Und grade, wenn er ſie hervorholt wiederum.
Der Knabe ſpricht: du ſcheinſt ſo lauter, es iſt Schade,
Daß du ſo falſch doch biſt, dein Sinn iſt nicht gerade.
Das Grade machſt du krumm; geh weg, du biſt ein Wicht.
Da hoͤrt der Knabe, wie der See mit Rauſchen ſpricht:
Daß ohne Falſch ich bin und lauter bis zum Grund,
Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.
Denk, eh du ſchlimmes denkſt, dein Aug 'iſt nur nicht fein
Genug, das Grade recht zu ſehn im ſchiefen Schein.
54

53.

Von menſchlichem Geſchlecht verlaſſen ſtand ein Haus,
Vertrieben waren ſie daraus von Ratt 'und Maus.
Da richteten ſich ein die Maͤuſe und die Ratten,
Und machten Alles fein, wie ſie's am liebſten hatten.
Sie ſaßen lange Zeit und fuͤhlten ſtark ihr Recht,
Da draͤngte ſich herein ein anderes Geſchlecht.
Im Sparrwerk niſtete ſich ein Volk von Eulen;
Mit Pfeifen klagts die Maus dem Schickſal, wie ſie heulen.
Das Heulen war ein Vorſpiel nur zum Trauerſpiel,
Bald fraß der Eulenchor die Maus mit Stumpf und Stiel.
Behaglich hauſten nun im alten Schloß die Eulen,
Da kamen Menſchen her und ſetzten neu die Saͤulen.
Die Eulen ſahen ſich aus dem Beſitz geſetzt,
Und klagen jaͤmmerlich, es ſei ihr Recht verletzt.
Der Menſch macht ſich nichts draus, und wohnt in ſeinem Haus,
Bis wieder ihn daraus wird treiben Ratt 'und Maus.
55

54.

Das groͤſte Hinderniß iſt oft dem Muthe keines,
Den doch erliegen macht zuletzt ein winzig kleines.
Die Felſenberge haͤtt 'ein Wandrer uͤberſtiegen,
Haͤtt' er ein Steinchen nicht in ſeinem Schuhe liegen.
Wer wandern will mit Gluͤck durchs Leben, ſehe zu,
Daß innen ihn nicht druͤck 'ein Steinchen in dem Schuh.
56

55.

Wo naht der ſuͤße Strom dem bittern Flutenſchooße,
Begegnen ſich zwei Fiſch ', ein kleiner und der große.
Entgegen ſchwimmen ſie ſich ſo auf ihrer Bahn,
Alswie von hier und dort ein Meerſchiff und ein Kahn.
Und waͤhrend um ihr Haupt die Waſſerorgeln ſummen,
Begruͤßen in der Flut ſich laut die beiden Stummen.
Mein Vetter, ei, wohin? Mein Bruder, ei, woher?
Ich aus dem Meer ins Land. Ich aus dem Land ins Meer.
Was fuͤhret dich ſo fern? Was treibet dich ſo weit?
Der Hoffnung beſſrer Stern. Die Unzufriedenheit.
Ich will ins ſtille Land aus Wogenaufruhr ſteuern,
Um zu entgehn des Meers gefraͤß'gen Ungeheuern.
Ich will mich aus der Eng 'hinaus ins Weite friſten,
Entgehn des Menſchenvolks Nachſtellungen und Liſten.
Das trieb dich, Vetter? Das hat, Bruder, dich gezogen?
Die Hoffnung taͤuſchte dich. Du haſt dich ſelbſt betrogen.
57
Du ſteuerſt in dein Grab. Du ſegelſt in den Tod.
Hinaus, hinein, hinab, hinauf iſt gleich die Noth.
Und ſtehn wir in der Mitt 'unſchluͤſſig ſtill deswegen,
Da die Natur uns gab die Floſſen, uns zu regen?
Und da gerade hier ſich im Zuſammenfluß
Des Landes und des Meers Gefahr begegnen muß?
So folge deinem Zug! Gehorche deinem Triebe!
Was weiter hat ein Fiſch als ſeine Luſt und Liebe?
Du gruͤße mir das Land! Du gruͤß mir ſchoͤn das Meer!
Leb wohl, auf Wiederſehn! Wir ſehn uns nimmermehr.
Ein Fiſcher horcht 'erſtaunt, der beide wollte fangen;
Und uͤber'm Staunen ſind ſie diesmal ihm entgangen.
58

56.

Wer viele Buͤcher hat, und keines recht geleſen,
Iſt wie ein Geiziger mit ſeinem Schatz geweſen.
Er nutzet nicht ſein Gut und vorenthaͤlts der Welt;
Denn nur im Umlauf nuͤtzt die Weisheit und das Geld.
Wie mancher koͤnnte ſich vom Abfall deſſen maͤſten,
Was ſolch ein Magrer hat in Geld - und Buͤcherkaͤſten.
Doch Weisheit ſtatt vom Buch kann man vom Leben kaufen,
Und Lebensweisheit gar vermißt nicht Goldes Haufen.

57.

Die heil'ge Lampe brennt in deines Buſens Raͤumen,
Sie iſt dir angeſteckt zum Wachen, nicht zum Traͤumen.
Zum Wachen uͤber'm Buch, zum Wachen im Geſang,
Zum Wachen ſelbſt im Traum, in ſel'gen Gluͤcks Umfang.
59

58.

Das Rohr im Winde ſeufzt aus Sehnſucht nach dem Schoͤnen,
Daß es als Floͤte moͤg 'am Mund des Menſchen toͤnen.
So ſeufzet die Natur in jeder Fruͤhlingsbluͤte,
Daß ſie vom Menſchen moͤg 'empfangen ihr Gemuͤte.
Die ſchoͤnſte Landſchaft ſeufzt, alsob ihr etwas fehle,
Daß der beſeelte Blick der Liebe ſie beſeele.

59.

Der Kuͤnſtler, wenn ein Werk er hat gemacht fuͤr alle,
Befragt Verſchiedene, wie jedem es gefalle.
Es kann nicht jedem gleich gefallen, doch zufrieden
Iſt es, wenn es gefaͤllt Verſchiedenen verſchieden.
60

60.

Wer etwas Gutes ſchafft, der halt 'es nur fuͤrs Beſte,
Daß er ſich ganz darin beſtaͤrke und befeſte.
Er mag, was Gutes ſonſt, was Beſſres ſei, vergeſſen,
Und das aufs beſte thun, was ihm iſt angemeſſen.
Doch gut iſts auch, daß ers erkenn 'als mangelhaft,
Einſeitig, und beſchraͤnkt nach ſeiner Eigenſchaft.
Nicht ſchelten wird er dann den andern, der ihn ſchilt,
Weil das nicht gelten kann der Welt, was dir nur gilt.

61.

Du laͤſſeſt billig dir dein eignes Gut gefallen,
Doch nicht ruhmredig mußt du es anpreiſen allen.
So lob 'im Stillen dir dein Weib auch, das iſt gut,
Nicht andern! es iſt auch ein Stuͤck von deinem Gut.
Ein Hauptſtuͤck deines Guts, dein hoͤchſtes Gut mit Recht;
Des freue dich als Mann, und bet's nicht an als Knecht!
61

62.

Wenn du das Ziel nur kennſt, und biſt auf rechten Wegen,
Gleichviel iſts wie du rennſt den Weg dem Ziel entgegen.
Du magſt zu Fuße gehn, du magſt auch reiten, fahren,
Dein Ziel nur mußt du ſehn, und deines Weges wahren.
Nur vorwerts, nie zuruͤck! kein muͤßiges Bedenken!
Das Einzle muß das Gluͤck, Gott muß das Ganze lenken.
Schmal iſt der rechte Weg, doch iſt er nicht ſo ſchmal,
Daß rechts und links zu gehn dir bliebe nicht die Wahl.
Auch eben iſt der Weg, doch iſt er nicht ſo eben,
Daß fortzukommen du den Fuß nicht muͤßeſt heben.
Drum geh rechts oder links, wie's in den Sinn dir kommt,
Und hebe ſo den Fuß im Takte wie es frommt.
Im Wege magſt du dich nach einer Blume buͤcken,
Nicht biegen aus dem Weg, um Blumen nur zu pfluͤcken.
Stets eilen mußt du dich, doch nie dich uͤbereilen,
Nie weilen ohne Noth, doch gern wo's Noth thut, weilen.
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Nie ruͤckwerts, wie geſagt, nur vorwerts mußt du gehn,
Und denken; doch erlaubt iſt dir ein Ruͤckwertsſehn.
Zum Vorwertskommen ſelbſt mag das die Kraft dir ſtaͤrken,
Wie weit du vorwerts ſchon gekommen biſt, zu merken.
So ſchreiteſt du von Schritt zu Schritt mit feſter Ferſe,
Alswie ein Dichter ruͤckt vom Verſe fort zum Verſe.
Der auch nicht ſaͤumen darf im ſteten Vorwertsdrang;
Und im Bewußtſeyn geht, ein Gott lenk 'ihm den Gang.

63.

Wer mit Beſonnenheit vereint Begeiſterung,
Kommt ſicher ſchnell und weit, und haͤlt das Maß im Schwung,
Wenn ſo der Geiſt dich treibt, daß er dir niemals raube
Beſinnung, aber nie Beſinnen dir erlaube.
63

64.

Was uranfaͤnglich iſt, das iſt auch unanfaͤnglich,
Und unanfaͤngliches nothwendig unvergaͤnglich.
Was irgend wo und wann hat ſelber angefangen,
Kann nicht der Anfang ſeyn, und muß ein End 'erlangen.
Der Anfang nur allein kann nie zu Ende gehn,
Weil er aus Nichts entſtand, Nichts ohn 'ihn kann entſtehn.
Worin die Welt entſteht, beſteht, und untergeht,
Und neu entſteht, iſt das, was in ſich ſelber ſteht;
Was in ſich ſelber kreiſt, und Alles kreiſen macht,
Sich ſelbſt bewegend, Allbewegung hat gebracht.
Und ein Bewegtes, das als Hebel der Bewegung
In ſich den Anfang fuͤhlt, iſt ſelbſt Uranfangsregung.
Drum wenn du fuͤhlſt in dir ein Uranfaͤngliches,
In dem Gefuͤhl haſt du dein Unvergaͤngliches.
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65.

Ein hohes Raͤthſel iſts, wie alle ſind berufen
Zum Hoͤchſten, keiner doch erſteiget alle Stufen;
Wie mancher auch vorlieb mit einer untern nimmt,
Und unbeſcheiden den wol nennt, der hoͤher klimmt.
Doch weislich hats gefuͤgt, der hoͤher ſitzt als alle,
Daß jeder, wo er ſteht und ſtehn kann, ſich gefalle;
Daß jeder gleich entfernt von ſich das Hoͤchſte ſieht,
Und es in ſeiner Weiſ 'heran, herunter, zieht.
Und wen hinan es zieht, der zieht ihm nach, und ſieht,
Je hoͤher hin er folgt, je hoͤher hin es flieht.
Hoch hebe deinen Geiſt zum Ew'gen ein Verlangen,
Doch fuͤhle dich mit Luſt von Endlichkeit umfangen.
Alles iſt gar zu viel, und gar zu wenig Nichts;
Die Malerei bedarf der Schatten und des Lichts.
65

66.

Das irdiſche an dir, Geſchoͤpf, ſind deine Glieder,
Vom Himmel haſt du, ſollſt du haben dein Gefieder.
Dein Vorbild ſei, o Menſch, ſo lang du Raupe biſt,
Der Schmetterling, der ganz Fluͤgel geworden iſt.
Die edle Pflanze hat ein Baum ſich ausgegliedert,
Und oben ſchwebt das Blatt im Sonnenſchein gefiedert.
Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begoſſen,
Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Fluͤgel ſproſſen!
Ums Haupt der Schoͤnheit wallt dem Laube gleich die Locke,
Das Himmelsluͤfte ſie zum Spiel herniederlocke.
Und wenn dich ſelbſt es lockt zu ſpielen mit dem Duft
Der Locken, ſpiele fein mit ihm wie Himmelsluft.
Der Lock 'ermangelt ein behaarter Thieretroß;
Bemaͤhnt iſt edel nur der Leu und ſtolz das Roß.
Den Voͤgeln aber ſind die Fluͤgel angeboren,
Die Voͤgel haben ſie behalten, wir verloren.
66
Daß du ſie hatteſt, mahnt gefluͤgelt dich der Traum,
Beſchwingten Goͤttern gleich dich fluͤgelnd uͤbern Raum.
Nicht ehr behalten dort dich Goͤtter zum Genoſſen,
Aus innrer Goͤttlichkeit bis dir die Fluͤgel ſproſſen;
Bis alſo kreiſt in ſich mein Lied ins Morgenroth
Entſchwebt der Schmetterling, dem Eins iſt Lieb 'und Tod.

67.

An jedem Morgen haͤlt der ſel'gen Goͤtter Chor
Die Umfahrt um die Welt aus offnem Himmelsthor.
Und die verhuͤllte nur, die Gottheit bleibt zuruͤck,
Am Herde ruhend, wie der Hausfrau ſtilles Gluͤck.
Die Geiſter aber, die vom Stamm der Goͤtter wohnen
Auf Erden, fahren auch empor aus allen Zonen.
Den Goͤttern folgen ſie nacheifernd Roß und Mann,
Doch haben Goͤtter nicht und Menſchen gleich Geſpann.
Ganz goͤttlich ſind die Roſſ 'auch die die Goͤtter tragen,
Gemiſchter Art ſind die am Menſchenſeelenwagen.
67
Das eine zieht hinauf, das andre zieht hinab,
Daß ſchwer der Lenker ſie erhaͤlt in gleichem Trab.
Mit Muͤhe geht es ſchon die ebnern Himmelsbahnen,
Doch an der Steile ſtockt das Roß von ſchlechten Ahnen.
Und wen der Zuruf nicht reißt eines Gotts empor,
Bleibt auf der Haͤlft 'und folgt nicht ganz dem ſel'gen Chor.
Die Goͤtter fahren hin am Rand von Raum und Zeit,
Und blicken froh hinaus in die Unendlichkeit.
Dort wo das Ew'ge ſteht, das Wahre, Gute, Schoͤne,
An deſſen Anblick ſich erquicken Goͤtterſoͤhne.
Und wem's der Geiſter gluͤckt zu folgen Goͤtterſpur,
Der ſieht daſſelb 'entzuͤckt, doch ſieht er halb es nur.
Dem einen, wenn ers ſieht, ſo ſchwindeln ihm die Sinnen,
Den andern traͤgt zu ſchnell der Roſſe Braus von hinnen.
Dem dritten baͤumen ſich die Roſſe ſo und ſtraͤuben,
Daß er das Wahre nicht gewahret vor Betaͤuben.
Was aber jeder dort der Geiſter hat geſehn,
Das tragen ſie mit fort, wann ſie zur Erde gehn.
68
Dem wahren Seyn, das ſie geſchaut in jenen Raͤumen,
Sinnen ſie unten nach, und ſcheinen euch zu traͤumen;
Euch andern, die zum Licht empor nicht mochtet dringen,
Weil euern Roſſen nicht gewachſen ſo die Schwingen.
Ihr habt indeſſen euch, vom Steigen angeregt
Der Goͤtter auch, doch nur im niedern Kreis bewegt;
Wo ein Getuͤmmel ward, ein laͤrmendes Gedraͤnge,
Ein ſinnverwirrendes verwirrtes Schaugepraͤnge;
Wo jeder andres ſucht, und alle gleiches Ziel
Im unaufhoͤrlichen Weltwettlaufrenneſpiel.
Wo jeder jedem vor ſich draͤngt auf engen Pfaden,
Nimmt mancher bald am Roß und bald am Wagen Schaden.
Und ſtellen ſie dann ein, und haben nicht das Seyn
Gefunden, ſcheinen ſie zufrieden mit dem Schein.
69

68.

Ich ſprach am Abend, als ich meinen Stock begoß:
Sag 'an, warum ſich heut nicht dieſe Bluͤt' erſchloß?
Geroͤthet hat ihr Mund der Sonne Kuß empfangen,
Ihr Buſen ſchwoll; warum iſt ſie nicht aufgegangen?
Da wiegte ſanft der Stock ſein Haupt im Abendwinde,
Und ſprach: Ich hab 'es ſelbſt gerathen meinem Kinde.
Sie waͤre heut nur unvollkommen aufgebluͤht,
Denn viele ſchloß ich auf, und meine Kraft iſt muͤd.
Wir wollen ſammeln ihr im Schlummer friſchen Duft,
Und morgen wuͤrzen ſoll ihr Hauch die Morgenluft.
So ſprach der Strauch; ich gieng und hielt in mir zum Gluͤck
Ein halberſchloſſnes Lied auf morgen auch zuruͤck.
70

69.

Das Ewige, das ganz genoßen Goͤtterſoͤhne,
Ward Menſchen dreigetheilt das Wahre, Gute, Schoͤne.
Denn kaͤm 'es ungetheilt, des Menſchen ſchwache Sinnen
Riſſ' uͤberwaͤltigend das Ew'ge ganz von hinnen.
Drum hat es ſich getheilt, nur in verſchiedner Weiſe
Den Sinn zum Ewigen vorzubereiten leiſe.
Das Wahre wird gewahrt vom geiſt'gen Sinn, dem Sinnen;
Das Gute wohnt verhuͤllt dem Sinn des Guten innen.
Nur zu erſcheinen hat das Schoͤne ſich getraut
Dem aͤußern Sinne ſelbſt, das Schoͤne wird geſchaut.
Die beiden wollten auch durchs dritte ſichtbar werden,
Zum Schoͤnen ſprachen ſie mit flehenden Geberden:
Verſprich uns, nie zu gehn ins Menſchenaug 'allein,
Ohn' uns in Geiſt und Herz zu fuͤhren mit hinein.
Sonſt wird der bloͤde Geiſt das Wahre kaum gewahr,
Und nicht dem Herzen wird das Gute goͤttlich klar.
71
Du ſollſt das Wahre ihm bewaͤhren, ja gewaͤhren,
Das Gute ſollſt du ihm verklaͤren, ja verklaͤren.
Und dir, o Schoͤnes, iſt der Vorzug mit geſchenkt,
Daß er als Gutes ſelbſt dich fuͤhlt, als Wahres denkt.
Nur wenn wir ſo in ihm ergaͤnzend uns vereinen,
Wird ganz das Ewige im Endlichen erſcheinen.

70.

Dem Weisheitdurſtenden hat nie ſo recht von Grund
Den Durſt geſtillt ein Buch, wie eines Lehrers Mund.
Lebendig iſt der Trieb nur des geſprochnen Wortes,
Und das beſchriebne Blatt vom Baum iſt ein verdorrtes.
Selbſt jenes Wort, das Erd 'erſchuf und Himmel dort,
War ein geſprochenes, nicht ein geſchriebnes Wort.
Und dem geſprochnen Wort verblieb der Lehrberuf,
Zu ſchaffen immerfort, wie es zuerſt erſchuf.
Und ſelber Gottes Schrift in Schrift und in Natur,
Wird immer neu belebt durch Schriftauslegung nur.
72
Geſchriebnes Wort, dem Buch vertraut, iſt halb verlaſſen
Vom Geiſt, und halb nur kann der Menſchengeiſt es faſſen.
Es geht von Hand zu Hand, es kommt von Land zu Land,
Und findet, wie ſichs trifft, Verſtand und Misverſtand.
Geſprochnes gehet durch erwaͤhlter Hoͤrer Runde,
Und immer neu belebt geht es von Mund zu Munde.
Doch bildet es ſich um, je weiter um es geht,
Verwandelt ſich und ſchwankt, nur das geſchriebne ſteht.
Ja, haͤtte nicht die Schrift den Zauberkreis gezogen,
Viel Gold der Vorzeit waͤr 'im Wind wie Spreu verflogen.
Nicht minder drum dem Mund lerndurſt'ger Menſchenkinder
Als Spracherfinder ſei geehrt der Schrifterfinder.
Wer iſts? Gott, deſſen Stift an Erd - und Himmelstrift
Geſchrieben ſeinen Ruhm in Blum - und Sternenſchrift.
Auf Tafeln von Lazur und auf ſmaragdner Flur,
Wie im Rubin der Bruſt, lies ſeine Namen nur.
73

71.

Der Vorzeit Sprache ſei dir heil'ge Hieroglyphe,
Die du bewahren mußt ſtumm in des Buſens Tiefe.
Sie lebet nicht im Ohr, ſie ſchwebet nicht vom Munde;
Sie dringt vom Grab hervor, und klingt im Herzensgrunde.
Die Juͤnger muͤhen ſich mit nicht'ger Eitelkeit
Zu haſchen einen Klang, den laͤngſt verweht die Zeit.
Sie ſuchen ihren Mund recht naͤrriſch zu verrenken,
Um mit erzwungnem Laut Buchſtaben zu beſchenken.
Sie denken, ſo den Geiſt des Lebens einzuſenken
Dem Buchſtab, den ſie ſich als einen todten denken.
Was werden ſie mit der Beſchwoͤrungskunſt erreichen,
Wenn zu Scheinleben ſie erwecken Woͤrterleichen?
Das geiſt'ge Bild entſetzt ſich vor der Koͤrperfratze,
Und ſelbſt erkennt ſich nicht die Sprach 'in dem Geſchwatze.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 474
Du danks dem Geiſte, der, weil eben mußt 'entweichen
Der Stimme Klang, ſich ſelbſt befeſtigt hat im Zeichen.
Den Vaͤtern dank 'es, die vernehmlich ihren Soͤhnen
Sich uͤber Zeit und Raum kund thun, doch nicht in Toͤnen.
Wie einſt die Toͤne ſelbſt in ihrem Sinn erklungen,
Das bild 'in deinem Sinn, nicht mit dem Spiel der Zungen.
Den Kindern laß das Spiel, du hoͤre mit dem Geiſt,
Und wiſſe, daß du nur durch Geiſt den Geiſt befreiſt.
Der Urwelt Sprache thut dir kund mit Geiſterhauch
Nicht nur den innern Sinn, den innern Wohllaut auch.
75

72.

Gleichguͤltig findet mich der Lenz zum erſtenmal,
Alsob ich aͤlter ſei als Wald und Berg und Thal.
Da Wald und Berg und Thal, die alten, ſich erneun,
Wie ſollte ſich nicht neu das alte Herz auch freun?
Ein halb Jahrhundert lang freut 'ich mich Jahr um Jahr,
Und wardſt du nun ſo alt in dieſem einz'gen gar?
Nein! ſondern weil ein Bild des Fruͤhlings in mir ſteht,
Vor welchem das zu Nichts, das draußen ſteht, vergeht.

73.

Wenn eingetroffen iſt ein unverhofftes Hoffen;
Eh er begluͤckt ſich fuͤhlt, fuͤhlt ſich der Geiſt betroffen;
Wie, wer vom Schlaf erwacht, ſich fuͤhlet erſt betaͤubt,
Dann der Aurikel gleich von friſchem Duft beſtaͤubt;
Und wie die Blume ſelbſt, wann Regen kommt, erſchrickt
Vor der Erquickung, eh ſie ſtill ſich fuͤhlt erquickt.
4*76

74.

Gewohnheit iſt ſo ſtark, daß ſelber die Natur
Zu thun ſcheint, was ſie thut, oft aus Gewohnheit nur;
Daß die gewohnte Zeit dich hungrig ſcheint zu machen,
Und durſtig, ſchlaͤfrig auch, und ſelbſt vom Schlaf erwachen.
Wenn zu gewohnter Zeit ſich Hunger eingefunden
Und Durſt, und Schlaͤfrigkeit, zaͤhlſt du villeicht die Stunden.
Wer aber zaͤhlte ſie, wann ich im Schlummer lag,
Erwach 'und hoͤre den gewohnten Glockenſchlag?
Drum iſt Gewohnheit nicht ein Aeußerliches nur,
Wie unſer Sprichwort ſpricht: die andere Natur.
Mach von der einen Joch dich durch die andre frei,
Nicht mache, daß ſie ſelbſt ein zweites Joch dir ſei.
77

75.

Im Weg begegnen ſich die Bien 'und die Ameiſe,
Die ſingend in der Luft, und die am Boden leiſe.
Sie haben keine Zeit einander zu begruͤßen,
Sie treibt der rege Fleiß auf Fluͤgeln fort und Fuͤßen.
Fort treibt ſie reger Fleiß auf Fluͤgeln und auf Fuͤßen,
Zu buͤßen ihre Luſt am bittern Werk und ſuͤßen.
Die Bien 'am ſuͤßen Werk, die Ameiſ' an dem bittern,
Zu riechen Honigduft und Weihrauchkorn zu wittern.
Die Aemſ 'am bittern Werk, die Bien' an ihrem ſuͤßen,
Arbeiten ſtets mit Luſt, die Arbeitsluſt zu buͤßen.
Und fuͤrchteten die Zeit zur Arbeit einzubuͤßen,
Naͤhmen ſie ſich die Zeit einander zu begruͤßen.
Sie tummeln ſich vorbei, und werden nicht gewahr,
Wie gleich und ungleich ſie zuſammen ſind ein Paar.
78
Die Imm 'iſt im Geſchaͤft beſtaͤndig immer kraͤftig,
Die Aemſ' in Aemſigkeit nach Kraͤften ſtets geſchaͤftig.
Den Vorrath ſchaffen ſie nicht aus ſelbeignem Rath,
Sie wirken fuͤr ein Volk, und leben einem Staat.
Das Volk der Bienen waͤhlt ſich eine Koͤniginn,
Ameiſen haͤlt zuſamm nur der gemeine Sinn.
Darum im Bienenſchloß auch wohnen faule Dronen,
Da im Ameiſenhaus allein Arbeiter wohnen.
Darum die Bien 'ihr Neſt im Wipfel ſucht gefluͤgelt,
Und ſich Ameiſenbau vom Boden aufwerts huͤgelt.
Im weiten Weg der Luft geht Bienenſchwarm nicht irr,
Noch, Ameiſ ', in der Kluft dein wimmelndes Gewirr.
Doch Bienen ſind gewohnt zu ruhn auf hoͤchſten Spitzen
Der Pflanzen, weil am Stamm hinauf Ameiſen ſitzen.
Die Biene weidet ſich an lichter Bluͤte Blitzen,
Die Ameiſ 'an dem Harz, das zaͤhe Rinden ſchwitzen.
Zart weiß den Nektarkelch ein Bienenmund zu ſchlitzen,
Scharf ein Ameiſenzahn die ſproͤde Haut zu ritzen.
79
Die Biene wehret ſich mit ſcharfen Stachels Witzen,
Und die Ameiſe mit des gift'gen Saftes Spritzen.
Und aus der Biene Fleiß wird ſolch ein ſuͤßer Moſt,
Aus der Ameiſe Schweiß ſolch eine bittre Koſt.
Verſchiedentlich geſchoͤpft iſt aus demſelben Born
Honig kriſtalliſirt, geronnen Weihrauchkorn.
Und endlich kommen die verſchiednen auch zuſammen,
Wie Alles Lebende, in Goͤtteropferflammen;
Wo Bienennektar traͤuft aus goldnem Spendgeſchirre,
Und um die Glut gehaͤuft verdampft Ameiſen-Mirre.
Die Mirre ſchwimmt empor, der Nektar rinnt herab,
Alswie die Biene ſelbſt am Ende geht ins Grab,
Und wie die Ameiſ 'auch vom Erdwall, den ſie huͤgelt,
Wann ſie zum Tod iſt reif, ſteigt in die Luft gefluͤgelt.
80

76.

Der kluge Jaͤger ſprach zu ſeinem treuen Hunde:
Du fange mir, was du erlaufen kannſt am Grunde.
Nur eines fang mir nicht, wenn du's auch koͤnnteſt fangen,
Den Falken, der an mir will auch mit Treue hangen.
Denn aus der Luft, in die du dich nicht auf kannſt ſchwingen,
Da dient der Falke mir den Fang herabzubringen.
Der kluge Jaͤger ſprach zum treuen Falken dann:
Hol aus den Luͤften mir, was du vermagſt, mein Mann.
Nur eines ſollſt du dort nicht holen, kuͤhner Steiger,
Den Reiger, deinen Feind; mein Freund iſt auch der Reiger.
Denn aus der Flut, in die du nicht hinab kannſt dringen,
Da dient der Reiger mir den Fang heraufzubringen.
Der kluge Jaͤger ſprach ſodann zum treuen Reiher:
Du hole was du kannſt mir aus dem vollen Weiher.
81
Nur eines huͤte dich zu holen, einen Fiſch,
Den goldnen, der nicht iſt beſtimmt fuͤr unſern Tiſch.
Er iſt beſtimmt, zum Grund des Meers hinab zu dringen,
Und eine Perle draus mir jeden Tag zu bringen.
Die Perlen reih 'ich all' an eine feine Schnur,
Bis voll ein Halsband wird, und wenig fehlet nur.
Das Halsband dann bekommt, wer mein getreuſter Schalk
Wird von euch dreien ſeyn, Hund, Reiher oder Falk.
82

77.

Der Erde dankt man nicht den Schatz, den man gegraben,
Dem Reichen nicht, was wir ihm abgewonnen haben.
Man dankt auch nicht dem Meer die Perlenſaat am Strand,
Noch der Freigebigkeit die Gab 'aus ihrer Hand.
Dort wird ſich mit der Muͤh und Schwierigkeit entſchuldigen
Der Undank, leichter hier ſelbſt mit der Huld des Huldigen.
Dort rechnet zum Verdienſt er ſichs, daß dirs nicht roſte;
Hier gilt ihm wenig, was er ſieht daß nichts dir koſte.
Drum rechne nie auf Dank, du magſt nun deine Gaben
Dem Meere gleich verſtreun, der Erde gleich vergraben.
Doch freue dich, zu ſehn, daß ſich der Finder freut,
Du habeſt aufgeſpart nun oder ausgeſtreut.
83

78.

Vernimm, der ewigen Natur vier Elemente,
Wie in dir ſelbſt ſie ſind als vier Temperamente.
Das erſte Element, die Luft, lind-ungelind,
Bald ſanfter Hauch in dir, bald ungeſtuͤmer Wind.
Das zweite Element, das Waſſer, iſt geboren
Bald fluͤſſiger Kriſtall in dir, bald Eis gefroren.
Das dritte Element, das Licht und Feuer heißt,
Iſt ebenſo in dir Licht - oder Feuergeiſt.
Das vierte Element, der andern Grund, die Erde,
Will daß ſie Schwerkraft bald in dir, bald Traͤgheit werde.
Wie die vier Element 'in ſich zwiefaltig ſind,
So ſind ſie auch in dir zwieſpaltig, Menſchenkind.
Und wie der viere keins in der Natur vorhanden
Allein iſt, ohne daß die drei ſich ihm verbanden;
So deine innren Luͤft 'und Fluten, Erd' und Flammen,
Sind Lebensmiſchung nur, wo alle ſind beiſammen.
84
Die Weſen aber, die Ein Element in freiſter
Bewegung haben, ſind elementariſche Geiſter.
Luftgeiſter wie die Luft ein Wallen nur und Weben,
Flutgeiſter wie die Flut ein Schwanken und ein Schweben.
Glutgeiſter wie die Glut ein Leuchten oder Spruͤhn,
Erdgeiſter wie die Erd 'ein Starren oder Bluͤhn.
Doch du, o Menſch, biſt kein elementariſch Weſen,
Biſt, oder kannſt doch ſeyn, vom Sturm zur Ruh geneſen.
Du biſts, ſind erſt in dir die vier in rechter Miſchung,
Dann wechſelwirkend ſtets einander zur Erfriſchung.
Daß keines ohn 'und durch das andre nehme Schaden,
Liegt halb, o Menſch, an dir, und halb an Gottes Gnaden.
Die große Haͤlfte iſt des Himmels, dein die kleine;
Er thut das Ganze, doch du thuſt dazu das deine.
Sei heiter wie die Luft, wie Feuer ohne Scheu,
Wie Waſſer ſtill und tief, wie Erde feſt und treu.
Wo Elemente ſo geeint ſind und geviert,
Solch ein Temperament iſt wirklich temperiert.
85

79.

Das weiße Licht iſt leicht, das dunkle Schwarz iſt ſchwer;
In Schwer 'und Leichte wiegt ſich alles Weſenheer;
Wie zwiſchen Weiß und Schwarz ſchwankt alle Schaar der Farben,
Die ſo Geburt als Tod von beiden ſtets erwarben.
Das Licht iſt Leben nicht allein, auch Todeshauch,
Die Nacht nicht Tod allein, iſt Lebensmutter auch.
Der Vater iſt das Licht, der ſtets erzeugt die Farben,
Der Todesengel dann, von deſſen Kuß ſie ſtarben.
Die Mutter iſt die Nacht, die ſtets gebirt die Farben,
Und dann iſt ſie das Grab, in der ſie Ruh erwarben.
Was von der Mutter kam, kehrt in der Mutter Schoß,
Weil, was den Urſprung nahm vom Vater, zu ihm floß.
86

80.

Zweideutig iſt, o Menſch, vernimm auch dieſe Lehre,
Dein Weſen, wie der Sinn von Leichtigkeit und Schwere.
Denn wo das Schwere ſich macht gelten als das Wichtige,
Erſcheint das Leichte nur dagegen als das Nichtige.
Doch iſt das Leichte dann das Himmelſtrebende,
So iſt das Schwere das am Boden klebende.
Wo Schwerkraft fehlt, da iſts ein Leichtes aufwertsfliegen,
Doch ſchwer iſts ohne ſie im Gleichgewicht ſich wiegen.
Doch wo die Schnellkraft fehlt, der Schwung der Leidenſchaft,
Da iſt zum Guten nicht, noch auch zum Boͤſen Kraft.
Das Gute ſelber iſt ſchwer anfangs, leicht zuletzt,
Seit Goͤtter Schwierigkeit der Tugend vorgeſetzt.
Wer ſich das Leichte waͤhlt, erreicht es leicht villeicht,
Doch ſchwerlich neidet ihn, wer Schweres ſchwer erreicht.
Wol leichter fertig iſt nichts als Leichtfertigkeit,
Doch ſchwer iſt leichter Muth in Widerwaͤrtigkeit.
87
Dir gebe Gott, daß nie dein Leichtes werde fluͤchtig,
Und daß ein Schweres ſtets gehaltig ſei und tuͤchtig.
Wer weder ſcheinen will ſchwerfaͤllig noch leichtſinnig,
Der zeige ſich zugleich gefaͤllig und herzinnig.

81.

Wer alles Gute liebt, wo er's nur aufgetrieben,
Darf auch das Gute, das er an ſich ſelbſt fand, lieben;
Wie einem Kinderfreund, dem lieb die fremden ſind,
Erlaubt iſt, daß ihm lieb auch ſei ſein eignes Kind.
Doch wie ein Vater ſtreng das Kind zieht, das er liebt,
Und wie ſein gutes Korn ein Hauswirth fleißig ſiebt;
Nicht minder lieb iſt ihm das Kindlein, das er zuͤchtigt,
Nicht minder werth das Korn, wenn er die Spreu verfluͤchtigt:
So liebe Gutes nur an dir, um es zu beſſern,
Und laß den ſchlechten Wein den ſchlechten Schenkwirth waͤſſern.
88

82.

Stets loͤblich iſt es, ſich mit andern zu vergleichen,
Mag es zum Vortheil, mags zum Nachtheil dir gereichen.
Wo du den Vorzug haſt, nie tracht 'ihn zu verlieren;
Und ſieh was dir noch fehlt, um dich damit zu zieren.
Doch wie du deinen haſt, hat ſeinen Vorzug jeder;
Mit eigner ſchmuͤcke dich, und nicht mit fremder Feder.
89

83.

Der Liebe Blick iſt gut, boͤs iſt der Blick des Neides,
Der Liebe Blick thut wohl, der Blick des Neids thut Leides.
Der Blick des Neides reißt das Haus des Nachbarn ein,
Der Blick der Liebe faͤllt hinein wie Sonnenſchein.
Der Blick des Neides zehrt wie Sommerglut die Bronnen,
Der Blick der Liebe ſchwellt das Herz wie Fruͤhlingswonnen.
Dem Blick der Liebe blickt entgegen Lieb 'aus allen,
Des Neides Wohlthun iſt aufs eigne Herz gefallen.
Der Blick des Neides ſieht zu ſeiner eignen Pein
Nur alles fremde groß und alles eigne klein.
Der Blick der Liebe ſieht gern alle gut und reich;
Denn nur die Liebe macht dem Eignen Fremdes gleich.
90

84.

Verſammelt ſah ich juͤngſt in ſommerlicher Stille
Graspferdchen und Cicad ', ein Heimchen und die Grille.
Mir ſchienen alle vier ſehr aͤhnlich, doch nicht gleich,
Und jedes ruͤhmte ſich der Luſt in ſeinem Reich.
Graspferdchen, daß es frei koͤnn 'uͤber Graͤſer ſpringen,
Cicade, daß ſie hoch vom Baume koͤnne ſingen.
Das Heimchen, daß daheim es ſei am trauten Herde,
Und Grille, daß geheim ſie wohn 'im Spalt der Erde.
Ich ſprach: O daß, wie die in Gras und Laubeskronen,
Im Haus und Feld, vergnuͤgt ſo Menſchen koͤnnten wohnen!
Dann dacht 'ich, daß ſie ſind ſo friedlicher Geberde,
Macht, daß ſie einzeln ſind, nicht eine ganze Herde.
Graspferd, Cicade, Grill 'und Heimchen, ohne Harm
Jedwedes, dichtgedraͤngt ſind ſie ein Heuſchreckſchwarm.
91

85.

Gott, der den Frieden gibt Friedfert'gen zum Geleit,
In jedem Sinne geb 'er dir Harmloſigkeit.
Harmloſigkeit im Ohr hoͤrt uͤberall Muſik,
Und Schoͤnes uͤberall ſieht ein harmloſer Blick.
Harmloſigkeit im Mund macht niemals Herzen wund,
Und ein harmloſes Herz iſt ſelbſt im Weh geſund.
Der Mann iſt harmlos, der macht andern keinen Harm,
Und ſelber ſich nicht haͤrmt, er ſei reich oder arm.

86.

Dem Storch ward lang das Bein, um durch den Sumpf zu waten;
Die es zum Schwimmen braucht, der Gans iſts kurz gerathen.
Sie braucht das Ruder, um die Flaͤche zu durchgleiten,
Die Stelze nicht, um wo ſie ſchwimmen kann, zu ſchreiten.
Verſchiednes Werkzeug wohnt Verſchiednen dazu bei,
Daß manichfaches Spiel im einen Spielraum ſei.
92

87.

Weißt, wie der alte Pfau lehrt fliegen ſeine Jungen?
Wie er dem Vater auch ſich ſelbſt einſt nachgeſchwungen.
Am Tage ſchreitet er mit Luſt im gruͤnen Raum,
Am Abend waͤhlt er ſich zur Raſt den hoͤchſten Baum.
Und weil den Jungen kann ſo hoher Flug nicht gluͤcken,
So traͤgt er einzeln ſie hinauf auf ſeinem Ruͤcken.
Da ruhn ſie nun die Nacht, bis ſie der Morgen weckt,
Da fliegt der Alte weg, die Jungen ſehns erſchreckt.
Er wandelt unten froh im Gruͤnen hin und wieder;
Er trug ſie nur hinauf, und holt ſie nicht hernieder.
Er blicket nur hinauf, um ſie herab zu locken,
Da wagen ſie den Flug, und ſind vor Luſt erſchrocken,
Zu fuͤhlen, daß im Wind von ſelbſt die Federn wallen,
Und daß ſie halb ſchon ſind geflogen, halb gefallen.
93

88.

Die dumme Fabel ſagt, des Pfauen ſtolz Gefieder,
Sieht er auf ſeinen Fuß, ſink 'ihm vor Scham danieder.
Wer aber hat das Rad des Pfauen je geſehn,
Und auf den Fuß gemerkt, worauf es mochte ſtehn?
Wenn die Bewundrung nun er ſieht ſein Rad betrachten
Und uͤberſehn den Fuß, ſollt 'er ihn ſelbſt beachten?
Die Sonne, die mit Luſt vom Farbenbild betrogen,
Sich ſieht im Pfauenrad alswie im Regenbogen,
Merkt nicht, daß hier im Koth der ſchoͤne Vogel geht,
Wie dort auf Erdengrund der Himmelsbogen ſteht.

89.

Viel ſind der Tugenden, doch jede iſt die ganze,
Wenn aͤcht, ſo wie ein Bild vom Fruͤhling jede Pflanze.
Wo eine Blume bluͤht, da muß der Fruͤhling ſeyn,
Und wo der Fruͤhling iſt, da bluͤht bald groß und klein.
94
So gleich einander all und jede ſo verſchieden,
So wohnen Blumen-gleich die Tugenden in Frieden.
Sie wohnen in der Bruſt, wie Blumen auf der Flur,
Und eine Himmelsluſt iſt ſolch ein Anblick nur.

90.

Nicht unter Gleichen iſt die Freundſchaft, noch Ungleichen,
Nur zwiſchen Aehnlichen, die ſich Verſchiednes reichen.
Wer etwas geben ſoll, muß eine Fuͤll 'an Gaben,
Und wer empfangen will, muß einen Mangel haben.
Und eines Mangel muß des andern Fuͤlle ſeyn,
Sonſt iſt es nicht ein Tauſch, nur einer Taͤuſchung Schein,
Wenn du nicht geben kannſt, was ich empfangen kann;
Das Waſſer nimmt kein Oel, und auch kein Feuer an.
Doch haſt du geiſt'ges Oel, und du haſt geiſt'ge Flammen,
So traget ins Gefaͤß der Freundſchaft ſie zuſammen.
Der Glutdocht wird im Oel, das Oel am Glutdocht brennen,
Und hell im Lampenſchein zwei Geiſter ſich erkennen.
95

91.

Ein Geiſt, der ſchoͤpferiſch den meinen angehaucht,
In deſſen Glanz ich mich mit Sehnſucht eingetaucht;
Ich habe doch von ihm nichts als die Form genommen,
Und aller Stoff iſt mir von andern hergekommen.
Die Welt iſt lauter Stoff; du nimmſt von denen eben
Den Stoff, nimmſt ſie als Stoff, die ſonſt nichts koͤnnen geben.
Und nur dem Geiſte ſelbſt, der dir das Hoͤchſte gab,
Das geiſtige Gepraͤg, nimmſt du nichts Ird'ſches ab.
So hat die Sonnenblum 'ihr Himmelsbild in Augen,
Und laͤßt die Wurzel rings im Boden Nahrung ſaugen.
96

92.

Was ragen himmelan die kalten dort und ſtolzen
Bergrieſen, denen nie iſt Schnee und Eis geſchmolzen?
Die Sonn 'im Aufgang ſcheint ſich uͤber ſie zu waͤlzen,
Doch kann ihr Lebenſtral den Todesfroſt nicht ſchmelzen.
Und nur wo tiefer dringt herab ins niedre Thal,
Weckt Erdenlebensluſt der Himmelslebenſtral.
Was iſts? waͤr 'etwa kalt die Sonn' in ihrer Naͤhe,
Und ſchiene waͤrmer dem, der ſie vom weiten ſaͤhe?
Nein, ſondern ob der Welt ſo hoch iſt Sonnenmacht,
Daß keinen Unterſchied die Spanne hoͤher macht.
Die ſtolzen haben ſich der Erden uͤberhoben,
Und kamen naͤher nicht darum dem Himmel droben.
Die Himmelsſonne nun, zu der Beſcheidnen Troſt,
Gibt dieſen Lebenswaͤrm 'und jenen Todesfroſt.
97

93.

Es geht ein ſchmaler Weg hin zwiſchen Strom und Klippe,
Ein Wandrer mittendurch geht mit verlechzter Lippe.
Den Durſt zu loͤſchen, koͤnnt 'er hier am Strome nippen,
Und an den Beeren dort, die wachſen auf den Klippen.
Doch doppelte Gefahr droht her von Strom und Klippe,
Und lieber weiter geht er mit verlechzter Lippe.
Denn unten lauſcht im Schilf des Stroms ein Krokodill,
Und oben im Gebuͤſch der Klipp 'ein Tieger ſtill.
Und wenn der Wandrer ſtill und ſchnell nicht geht die Bahn,
So faͤllt hier Krokodill und dort ihn Tieger an.
Er denkt: waͤr 'ich der Hund, der gleiche Sorge fuͤhlt
Mit gleichem Durſt, und ihn am Strom im Laufen kuͤhlt.
Waͤr 'ich das Voͤgelein, das auf der Klippe naſcht,
Ohn' Aengſte, daß nach ihm der große Wuͤrger haſcht.
Ruͤckert, Lehrgedicht V. 598
Waͤr ich der Gott des Orts! den Wanderern zum Segen
Fuͤhrt 'ich das Krokodill dem Tieger ſelbſt entgegen;
Daß aneinander ſelbſt ſie ſtumpften ihren Zahn,
Und ſicher kuͤnftig gieng 'ein Wandrer dieſe Bahn.

94.

Dem ſtaͤrkern Feind entgeht der ſchwache mit der Hilfe
Des ſchwachen, wie der Froſch dem Krokodill im Schilfe.
Wenn der Verſchlinger droht im Strom dem armen Froſche,
Nimmt der ein breites Schilf geſchwind in ſeine Goſche.
Das quere Schilfrohr geht nicht in den weiten Rachen,
Und ungefaͤrdet laͤßt das Ungethuͤm den ſchwachen.
Nun ſitzt der Quaker dort und klagt ſein Leid im Schilfe,
Daß man in ſolchem Strom hat noͤthig ſolche Hilfe.
Gelungen iſts, ich bin dem Schlinger nun entſprungen,
Doch ſo dem Schlingen nah iſt ſchlimmer als verſchlungen.
99

95.

So nebneinander gehn durchs Leben Menſchen hin
Daß keiner weiß noch fragt, wie ich geſinnt ihm bin.
Wol mancher iſt dein Feind, und will es nur nicht zeigen,
Wol mancher auch dein Freund, und will es nur verſchweigen.
Verſchweigen moͤchten ſie die Feindſchaft, die ſie hegen;
Doch auch die Freundlichkeit verſchweigt ihr mir weswegen?

96.

Ihr habt euch nun einmal verliebt ins Haͤßliche,
Und zur Bewunderung braucht ihr das Graͤßliche.
Ich aber will mit Gott das Schoͤne lieb behalten,
Und ſiegreich ſeinen Glanz auch noch der Welt entfalten.
5*100

97.

Wie gegen Morgen, wann die Nacht die Macht verlor,
Allmaͤhlich duͤnner um die Sinne wird der Flor
Des Schlummers, der dir hat die Außenwelt verhaͤngt,
Daß ſie nun ein zu dir ſich durch die Ritzen draͤngt;
Und heller hinterm Flor ſchon das Bewußtſeyn daͤmmert
Von dem was gegen Ohr und Auge dumpf dir haͤmmert;
Des Wachens Bildertanz dem Traumgeſtaltenchor
Sich miſcht, bis dieſer ganz in jenem ſich verlor:
So gegen's Ende, wann die Macht verliert das Leben,
Und ſich der Schleier will von einem Jenſeits heben,
Tritt in dies Traumgewirr, das ſchon verworrner kreiſt,
Von hoͤhrem Wachen auch ein halbverhuͤllter Geiſt;
Daß mit dem Seelenaug 'und mit dem Herzensohr
Du ſieheſt, hoͤrſt, was du nicht hoͤrteſt, ſahſt zuvor.
101
Dann uͤberhoͤre nicht die leiſen Ahnungen,
Von reinerm Ton und Licht die fernen Mahnungen;
Von einem Licht, das ſich mit dieſem nicht vertraͤgt,
Von einem Hauch, wodurch ſich dieſer Rauch zerſchlaͤgt;
Von Morgenluft, die macht den Duft der Nacht zerrinnen,
Vom Gruß, daß nun Verdruß muß und Genuß vonhinnen.
Dann traͤum noch aus geſchwind den Traum, der dich ergetzt,
Froh, daß er ſo gelind ſich um ins Wachen ſetzt.

98.

Blick her, o Welt, was ſoll von dir die Nachwelt denken,
Wenn deine Maler ihr von dir dies Zerrbild ſchenken?
In jedem Zuge Streit und Unzufriedenheit,
Krampf, Spannung, Unnatur und Uebertriebenheit!
Und willſt du Beifall wol dafuͤr den Pfuſchern ſchenken,
Die die Geberden dir verzerren und verrenken?
102
Dir ſelbſt gefallen gar in den entſtellten Mienen,
Und werden gleich dem Bild, in dem du dir erſchienen?
Blick her, o Welt, ich will ein ſchoͤnres Bild dir zeigen,
Und biſt du ſelbſt es nicht, ſo mach 'es dir zu eigen.
Sieh, daß du heiter ſeyn, daß du auch laͤcheln kannſt!
Und habe lieb das Bild, bis du dich lieb gewannſt.
Wir wollen dieſes Bild von dir der Nachwelt ſchenken,
Und in Vergeſſenheit die Schreckzerrbilder ſenken.
Wir wollen dieſes Bild von dir der Nachwelt ſchenken,
Daß ohne Schaudern ſie moͤg 'ihrer Ahnfrau denken.

99.

Was wirklich ſatt dich macht, das wirſt du niemals ſatt,
Wie Brot, das immer Reiz fuͤr neuen Hunger hat.
Dagegen die Gewuͤrz 'und alle leckern Sachen,
Die wirſt du ſatt ſo bald, weil ſie nie ſatt dich machen.
103

100.

Jemehr du aus ihm nimmſt, je groͤßer wird der Graben;
Freigebigkeit, das iſt ein Bild von deinen Gaben.
Dem edlen Sinn iſt kein geringes Bild zu klein,
Er macht es ſich zurecht, und legt ſich ſelbſt hinein.
Sei du der Schoͤpfbrunn, der gern allen Nachbarn borgt,
Und vor Erſchoͤpfung iſt am wenigſten beſorgt.
Er hat ſtets friſche Fuͤll ', erhaͤlt man ihn im Zug;
Wo nicht, ſo uͤberzieht ihn Schimmel bald genug.
Sei du das Licht im Haus, vom Scheffel unverdeckt,
Das glaͤnzt, wenn an ihm wird ein andres angeſteckt.
Es geht davon nicht aus, und ſeinen Widerſchein
Sieht es im Nachbarhaus, kein Stern glaͤnzt gern allein.
Wir alle ſind nur Stern 'in einer Erdennacht,
Gehn aus wie Lampen gern, wann unſer Tag erwacht.
104

101.

Der Angler ſitzt am Strom und angelt ohne Zahl
Was er erangeln kann von Fiſchen breit und ſchmal.
Er angelt ſie heraus und zittert nicht einmal,
Wenn er ſie zappeln ſieht am Land im Sonnenſtral.
Da zittert in der Hand die Ruth 'ihm doch einmal,
Weil angebiſſen hat am Fang ein Zitteraal.
Er ruft: du willſt umſonſt das Handwerk mir verbittern,
O Zitterer, du mußt heraus trotz allem Zittern.
Das Sprichwort ſagt: Es hilft kein Zittern vor dem Froſt,
Und dir, o Zittrer, hilft kein Zittern vor dem Roſt.
105

102.

In Luͤften ſchwebt die Lerch 'und uͤber ihr der Aar,
Nicht ahnt die Saͤngerinn die ſchweigende Gefahr.
Nicht ihr droht die Gefahr, der fruͤhwach aufgeſchwungnen,
Sie droht den unten tief vom Schlummer noch umſchlungnen,
Den jetzt vom Lerchenſchall erſt aufgeſungenen,
Dann von der Adlerkrall 'im Nu bezwungenen.

103.

Entraffe dich dem Schlaf, er wirket nichts als Traͤume,
Du biſt berufen wach zu wirken durch die Raͤume.
Der große Koͤnig, der den Orient bezwungen,
Hielt ſchlummernd mit der Hand die Kugel ſtets umſchlungen.
Die Erde ſelbſt, um die das Kriegſpiel er geſpielt,
Stellt jene Kugel vor, die in der Hand er hielt.
106
Und drunten unter Hand und Kugel ſtand ein Becken,
Das, wenn die Kugel fiel, mit Klang ihn mußte wecken.
Sie faͤllt, der Erzklang weckt, der Koͤnig wacht und ſieht
Erſchrocken, wie im Traum die Welt der Hand entflieht.

104.

Zween Bruͤder waren einſt, der groß und jener klein,
Der eine war zu grob, der andre war zu fein.
Und zwiſchen beiden ſtand ein dritter in der Mitte,
Der wie ein Fremdling war zu ſehn an Wuchs und Sitte.
Ein Wagenmacher hieß all dieſer dreie Vater,
Sie alle ſeine Kunſt zu lehren alles that er.
Und mit des Himmels Gunſt, da keine Muͤh er ſpart,
Lernen ſie all die Kunſt, jeder nach ſeiner Art.
Der große grobe macht den Wagen groß und grob;
Wenn er nur tuͤchtig iſt, verdient er auch ſein Lob.
107
Der Wagen iſt nicht ſchoͤn, doch derb und feſt, ihn ſoll
Zugochſenvorſpann ziehn der ſchwerſten Garben voll.
Der kleine feine macht den Wagen klein und fein,
Zur Arbeit taugt er nicht, zum Spielwerk nur allein.
Die Arbeit iſt ſo fein, daß ſie nicht ganz erſchien
Dem bloßen Aug ', ihn ſoll ein Joch von Muͤcken ziehn.
Schon fertig ſind die zwei, noch iſt zuruͤck der dritte,
Er ſteht in ihrer Mitt 'und hielte gern die Mitte.
Das Beſte von den zwein nimmt er zuſammen bloß,
Er macht den Wagen fein und macht den Wagen groß.
Vollendet iſt die Kunſt, und auf dem Wagen ſann
Er ſtehend, was davor ſich zieme zum Geſpann.
Da kamen aus der Luft herunter Fluͤgelpferde,
Und ziehn den Wagen an zum Himmel von der Erde.
108

105.

Der Bauer hat ein Hun und eine Kuh dazu;
Die Schuldigkeit will thun doch weder Hun noch Kuh.
Er hofft, ihm ſoll ein Ei vom Hun ein Mahl bereiten,
Und von der Kuh dabei die Milch den Trunk beſtreiten.
Er hofft, es ſoll ein Ei ein Kuͤchlein auch gebaͤren,
Und daß die Kuh ihm ſei bereit ein Kalb zu naͤhren.
Es freſſen ihm die zwei umſonſt nur Korn und Kraͤuter;
Das Hun frißt ſelbſt ſein Ei, die Kuh trinkt ſelbſt ihr Euter.
O ſchlimme Eigenſchaft, ſich ſelbſt nur zu beachten,
Weder Nachkommenſchaft noch Haushalt zu betrachten!
Was kann im Haus der Bund von Hun und Kuh dir taugen,
Die ihre Eier und ihr Euter ſelbſt ausſaugen?
Drum ſollſt du in das Haus ſo Kuh als Henne ſchlachten,
Und neue kaufen aus dem Geld, das ſie dir brachten.
109

106.

Oft geh 'ich durch die Flur, mein Auge ſtill zu weiden,
Alswie ein Hirt ſein Lamm auf uͤberbluͤmten Heiden.
Dann frag 'ich mich, was ich die Blumen ſonſt gefragt,
Und ſage mir, was ſonſt die Blumen mir geſagt.
Von der ich einen Gruß empfangen hab 'im Winde,
Ihr Blumen ſaget mir, wo ich die Liebe finde.
Geh ſuche nur! ſie iſt wie Kindes Feſtbeſcherung
Von Mutter auf der Flur verſteckt in Blumumwehrung.
Neugierig ſchaut 'ich da in alle Blumenwiegen,
Und glaubte ſie wie Thau in jedem Kelche liegen.
Und da wo ich ſie fand, da ſtellten ſich im Kreiſe
Die Blumenchoͤre auf, mit mir zu beten leiſe.
Die Blumen frag 'ich nun: wo iſt ſie hingekommen?
Und leiſe ſagen ſie: den Strom hinabgeſchwommen.
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So ſchwimme nur den Strom auch du, o Thraͤn ', hinab,
Und wo du treibſt ans Land, dort iſt der Liebe Grab.
Dort melde mich der Lieb 'und ſage: Bald wird kommen
Die muͤde Sehnſucht auch, und ſei hier aufgenommen.
Und wo die Sehnſucht ruht, da ſtellet euch im Kreiſe,
Ihr Blumenchoͤre, auf, und betet ob ihr leiſe.

107.

Du ſagſt, dir ſei zu weit die dreißigſtuͤnd'ge Reiſe,
Und dreheſt jeden Tag dich ſtundenlang im Kreiſe.
Die Stunde dehneſt du, alswie ein muͤß'ger Reiter,
Vom Haus zuruͤck zum Haus, und ruͤckſt dabei nicht weiter.
Setz 'einen Monat lang zuſammen nur die Stunden
In grader Linie zum Ziel, ſo iſts gefunden.
Mit ſolchem Kunſtſtuͤck kommt die Schnecke ſelbſt zum Zwecke,
Und ohne ſolches auch das Rennthier nicht vom Flecke.
111

108.

Die Leier immer haͤngt geſtimmt in meiner Klauſe,
Und wartet, welch ein Sturm durch ihre Saiten brauſe.
Bald iſts des Himmels Sturm, der die Akkorde greift,
Und bald des Dichters Geiſt, der ſie im Fluge ſtreift.
Wenn du, o Sturm der Nacht, aufſpieleſt, hoͤr 'ich zu;
Und biſt du muͤd', und ich will ſpielen, hoͤre du!
Geheimniſſe der Nacht haſt du mir vorgeſungen,
Nun hoͤr 'ein Lied aus Menſchenbuſensdaͤmmerungen.
112

109.

Wer mit geſchickter Hand die heilge Schrift abſchreibt,
Kein Zweifel iſt daß er ein fromm Geſchaͤft betreibt.
Denn an der Abſchrift kann ein Frommer ſich erbaun,
Sich freuen Gottes Wort ſo klar vor ſich zu ſchaun.
Doch wenn der Schreiber ſelbſt nichts weiter thut wan ſchreiben,
So wird, was andern frommt, ihm ſelbſt unfruchtbar bleiben.
Und alſo, wenn du machſt dein eignes Seyn und Leben
Zu einem ſchoͤnen Buch, um es der Welt zu geben;
Wenn es auch alle Welt mit Luſt und Andacht ſchaut,
Was nuͤtzt es dir, wenn es dich ſelber nicht erbaut?
[113]

XIII.

[114][115]

1.

Der heilige Kebir ſah eine Muͤhle drehn,
Und weinte, daß kein Korn da ganz hindurch kann gehn.
Er weint 'ums Koͤrnlein nicht, er weint' ums Weltgeſchick,
Das tauſend Leben ſo malmt jeden Augenblick.

2.

Die Leiter unterm Baum liegt umgeſtuͤrzt im Graben,
An der heut auf und ab geklettert unſre Knaben,
Der Jakobsleiter gleich, auf welcher Engel ſtiegen,
Von der, ich weiß nicht wo, bewahrt die Sproſſen liegen.
Die Engel ſtiegen dort herab