Ihrer Koͤniglichen Hoheit, der Frau Prinzeſſin Caroline Amalie von Daͤnemark, gebornen Herzogin von Holſtein-Sonderburg-Auguſtenburg.
Auf den Antheil vertrauend, welchen Ew. Koͤ - nigliche Hoheit, wie jedem edleren Beſtre - ben, ſo beſonders den bildenden Kuͤnſten zuge - wendet haben, wage ich den vorliegenden, ich geſtehe, hoͤchſt unvollendeten Verſuch unter den Schutz Ihres erlauchten Namens zu ſtellen. Moͤge die Erinnerung an ſo viel Herrliches, ſo Ew. Koͤnigliche Hoheit waͤhrend Ihres Aufenthalts in Italiengeſehen und gewuͤrdigt haben, an ſo viel hiſtoriſch Bedeutendes, fuͤr welches Sie mit ſeltener Sicherheit des Blik - kes den rechten Standpunct aufzufinden wiſſen, die Maͤngel meiner Arbeit verdecken und ihre[VI] Luͤcken ergaͤnzen! Im Uebrigen vertraue ich auf jene goͤttliche Huld und Nachſicht, welche den Werth des Dargebrachten nach den Ge - ſinnungen und Abſichten des Gebers ermißt. In dieſer Zuverſicht erſterbe ich in tiefſter Ehrfurcht Ew. Koͤniglichen Hoheit
unterthaͤnigſter Karl Friedrich von Rumohr.
Es galt, das Ergebniß mehrjaͤhriger Muße, urkund - licher Forſchungen und oͤrtlicher Beobachtungen waͤh - rend eines laͤngeren Aufenthaltes in Italien, nach Moͤglichkeit zu einem Buche zu vereinigen, weil es billig ſchien, dieſe Arbeit, da ſie einmal gemacht, de - nen zu uͤberliefern, welche ſie fortzuſetzen und weiter zu fuͤhren Luſt und Gelegenheit finden. In der Form locker verbundener Reiſebemerkungen duͤrfte ich leicht meinen Zweck, die Aufklaͤrung nemlich einzelner Dun - kelheiten der Kunſthiſtorie, wenn nicht verfehlt, doch minder bequem und faßlich dargelegt haben. Das Ergebniß meiner Unterſuchungen mit anderen, theilsVIII ſchon bekannten, theils minder ſicheren Angaben der Druckſchriften zu verweben, eine zur Haͤlfte begruͤn - dete, zur anderen in der Luft ſchwebende Kunſthiſtorie zu entwerfen, fuͤhlte ich aber weder Luſt, noch Be - ruf, noch Kraft und Ausdauer, noch beſaß ich in den letzten Zeiten, von groͤßeren Bibliotheken entfernt, und durch Unfall eines nicht unwichtigen Theiles mei - ner Vorarbeiten beraubt, dazu die noͤthigen Huͤlfsmit - tel. Der Leſer moͤge deshalb von dieſer Arbeit nichts literaͤriſch Vollſtaͤndiges erwarten; viel mehr mache ich Anſpruch auf das Verdienſt, das Ausgemachte, mir ſicher Bewußte oder anſchaulich Bekannte minder oft, als in Mittheilungen dieſer Art zu geſchehen pflegt, mit Unausgemachtem, auf Glauben Angenommenem vermiſcht und aufgereiht zu haben. Uebrigens ſchien es mir noͤthig, in der Begruͤndung einzelner Thatſachen, wenn ſie in dunkelen Zeiten einen Stuͤtzpunct der For - ſchung gewaͤhren, in der Darlegung umſtaͤndlich, in den Anziehungen weitlaͤuftig zu ſeyn, da aller Vor - theil, den ich durch dieſe Arbeit Anderen gewaͤhren kann, eben nur auf Zuverlaͤſſigkeit im Einzelnen be - ruht, welches, wie ich verſicheren darf, durchaus reif -IX lich erwogen und auf alle Weiſe gepruͤft und geſich - tet worden.
So viel von dem Inhalte der zweyten Abthei - lung dieſer Schrift, welche der erſten unmittelbar nachfolgen ſoll. Doch auch von dieſer werde ich er - waͤhnen muͤſſen, weshalb und wie ſie entſtanden.
Urkundliche Forſchungen fuͤhren, wie es Sach - kundigen bekannt iſt, gar ſehr ins Einzelne; und ſo zerfiel auch das Ergebniß der meinigen in eine Reihe abgeriſſener Abhandlungen, denen ich keine aͤußere Ver - bindung zu geben wußte. Deſto mehr ſchien es mir noͤthig, um Wiederholungen auszuweichen, von vorn herein den Standpunct zu bezeichnen, aus welchem ich das Einzelne aufgefaßt. Hiedurch ward ich uͤber mei - nen Wunſch und erſten Zweck hinaus veranlaßt, in das Gebiet der Theorie hinuͤber zu greifen, was der reinſte Wille, das Gedeihen der Kunſt und den unge - truͤbten Genuß ihrer Werke zu foͤrdern, auch bey de - nen entſchuldigen mag, welche auf die Sache minder, mehr auf die Form ſehen.
Allein auch in hiſtoriſcher Beziehung bedurfte das Vereinzelte und Abgeriſſene eines gemeinſchaftlichen**XBodens, woher die allgemeinen, mehr Ueberſicht, als Erſchoͤpfung ihres Gegenſtandes bezweckenden Abhand - lungen entſtanden ſind, welche, gegen die erſte Anlage, dieſen Band vollends ausgefuͤllt haben. Hiedurch ward nun allerdings die Mittheilung des Beſten, was ich irgend zu geben habe, um eine kurze Friſt hinausge - ruͤckt, doch hoffe ich auf Nachſicht, da es auch hier nicht an Gelegenheit gefehlt, minder beachtete Thatſa - chen zu beruͤhren und neue Geſichtspuncte aufzuſtellen.
Auch die bildenden Kuͤnſte gehorchen, wie wir annehmen duͤrfen, irgend einem durchwaltenden Geſetze, enthalten irgend ein Allgemeines und Unveraͤnderliches; ihre Anwendung und Beziehung iſt indeß ſo mannichfach, daß Jeglicher, der unter - nimmt, den Zweck und Gebrauch der Kunſt aus deren ver - einzelten Leiſtungen abzuleiten, gar leicht auf Anſichten ver - faͤllt, welche anderen vorhandenen oder moͤglichen widerſpre - chen, und oftmals ſogar viele treffliche Dinge der Kunſt ganz unnoͤthiger Weiſe ausſchließen.
Woher wohl, wenn nicht aus einer ſolchen Einſeitigkeit und Gebundenheit, erklaͤrte ſich der lang genaͤhrte, ſo ganz muͤßige Streit uͤber den Werth oder Unwerth der Andeutung von Begriffen und Gedanken des Verſtandes durch vereinbar - lich zu Begriffes-Zeichen geſtempelte Bilder? War nicht, wer ſolchen Bezeichnungen in der Kunſt die hoͤchſte Stelle ein - raͤumte, eben nur der Befriedigung eingedenk, welche gluͤck - liche Allegorieen ihm gewaͤhrt Hatten? War nicht im umge - kehrten Falle, wer ſie durchaus verdraͤngen wollte, eben nur uͤber ſie hingegangen, weil andere Leiſtungen der Kunſt ihm aus irgend einem Grunde naͤher geſtanden? Wir indeß duͤr - fen ihn ganz an die Seite ſtellen, weil er die reine Kunſtbe -I. 12trachtung nun einmal durchaus nicht angeht. Denn ohne, etwa mit Leſſing, die Moͤglichkeit, oder den Nutzen der bild - lichen Andeutung edler Begriffe und ſinnreicher Gedanken durch - aus zu laͤugnen, ſehe ich mich dennoch genoͤthigt, das Ver - dienſt alles Guten, welches ſolche Andeutungen in ſich ein - ſchließen, nicht dem Kuͤnſtler, als Kuͤnſtler betrachtet, nicht den bildenden Kuͤnſten beyzumeſſen, welche dazu die ſtehenden Ziffern nur etwa herleihen, vielmehr dem menſchlichen Geiſte uͤberhaupt und beſonders den Kuͤnſten der Rede, in deren Begriffen und Fuͤgungen ihr Gegenſtand, wie es einleuchten muß, zuerſt aufgefaßt und durchgebildet worden. Naͤher jedoch duͤrften uns ſolche Erklaͤrungen angehen, welche, wie einſeitig ſie ſeyn moͤgen, doch immer von irgend einer Faͤhigkeit oder Leiſtung wirklicher Kunſt ausgehen.
Dieſer Art iſt die Erklaͤrung derer, welche den Zweck der Kunſt entweder in Deutlichkeit des Dargeſtellten — Charak - ter*)S. Hirt, uͤber das Kunſtſchoͤne, Horen. 1797. St. 7. — Herr Hofrath Hirtgehoͤrt, wie es nicht immer zur Genuͤge aner - kannt worden, zu den wenigen Kunſtgelehrten, welche den Werken der Kunſt mit Sinn, Gefuͤhl und Liebe ſich angenaͤhert haben. Eben daher hat der Ausdruck Charakter in ſeinem Munde eine vollere Bedeutung; der wirklich Kunſtverſtaͤndige wollte und konnte durch ein Paar allgemeine aͤſthetiſche Begriffe ſich nicht befriedigen laſſen. In wie fern er in der Behauptung einer weſentlichen Seite der Kunſt damals zu weit gegangen, bedarf keiner Beleuchtung, nachdem dieſer treffliche Veteran der Geſchichte der Kunſt eben dieſe ſeither auf das vielſeitigſte beleuchtet hat. — oder auch in bloß ſinnliche Wahrſcheinlichkeit — Illuſion**)S. die franzoͤſiſchen und a. Kunſtgelehrten, welche vornehm - lich durch den Eindruck hollaͤndiſcher Kunſtwerke beſtimmt worden. — ſetzen; je nachdem ſie in beſtimmten Kunſt - werken von dem einen, oder von dem andern Vorzuge leb -3 haft beruͤhrt worden ſind. In unſern Tagen bedarf es kei - ner Darlegung, daß eben dieſe Vorzuͤge nur in einzelnen Faͤl - len, und nur bey beſtimmten Kunſtwerken ſchon an ſich ſelbſt der Zweck ſind, in allen uͤbrigen aber bloße Bedingungen der Darſtellung, oder untergeordnete Mittel zur Erlangung eines viel weiter hinausliegenden Abſehns. Andere wiederum haften mit beſonderer Anhaͤnglichkeit an jenem behaglichen Schwanken an ſich ſelbſt gleichguͤltiger Formen, an jener Heimlichkeit und Beſchloſſenheit des Lichtes, welche wir das Maleriſche nennen und vornehmlich durch die Hollaͤnder empfinden lernten. Wie - der Andere, welche in beſtimmten Kunſtwerken durch uͤberra - ſchende Verknuͤpfungen des Entlegenen und Widerſtrebenden ergoͤtzt worden, ſind geneigt, ſolche Spiele der Laune, des Witzes, der Phantaſie, fuͤr den allgemeinen, durchgehenden Zweck der Kunſt zu halten. Noch andere, welche durch dauern - den Umgang mit den Alten feiner gewoͤhnt ſind, und daher hoͤher hinaus wollen, moͤchten in der Kunſt uͤberall nur ſol - ches ſehen und dulden, deſſen Vorſtellung, gleich dem Lebens - friſchen und ſittlich Edlen, ganz unabhaͤngig von den Reizen und Schoͤnheiten der Kunſt, alſo ſchon an ſich ſelbſt ergoͤtz - lich iſt*)Wie die zahlreichen Beguͤnſtiger der Schoͤnheitstheorie..
Allerdings fehlt es auch nicht an Solchen, welche den Zweck der Kunſt in die Vereinigung aller Leiſtungen verſetzen, die ihnen jemals einzeln in Kunſtwerken vorgekommen**)Dahin ſtrebte ſchon die ſog. bologneſiſche Schule, oder die Genoſſenſchaft der Caracci; ſpaͤterhin Mengsund andere theoretiſche, oder praktiſche Eclektiker der Kunſt. Um die Vorzuͤge einzelner Kuͤnſtler inniger zu verknuͤpfen, und um dieſen Zweck planmaͤßiger verfolgen zu koͤnnen, hat man bekanntlich in neueren,1 *4ſo wie andererſeits jene allgemeineren Gegenſaͤtze in der Auf - faſſung des Kunſtzweckes nothwendig in eine unbeſtimmbar große Menge von untergeordneten zerfallen. Liegt es doch in dem Weſen der Ableitung aus vereinzelten Wahrnehmungen, daß jeglicher Kunſtgelehrte, ſo lang’ er von dem Eindruck, bald der einen, bald der andern Schule und Meiſterſchaft ausgeht, bald dieſe, bald wiederum eine andere Eigenthuͤm - lichkeit beſtimmter Erſcheinungen mit denen Vorſtellungen ver - knuͤpft, welche ihm fuͤr allgemeine gelten. Frey von einer ſolchen Vermiſchung des Beſonderen und Allgemeinen erhielten ſich nicht einmal die unvergeßlichen Stifter jener hoͤheren Richtung des deutſchen Kunſtſinnes, aus deren Nachwirkung ſogar das ſcheinbar Entgegengeſetzte in neueren Anſichten und Beſtrebungen entſtanden iſt. Denn wie koͤnnten wir uns ver - hehlen, daß Winkelmannund Leſſingkeinesweges von einem, ſey es urſpruͤnglichen, oder mit großer Verſtandes - ſchaͤrfe abgeſonderten Begriffe der Kunſt, ſondern uͤberall nur von dem Eindruck einzelner Kunſtgebilde des Alterthumes aus -**)Theorieen die Kunſt in viele einzelne ſogenannte Theile zerlegt; in Zeichnung, Colorit, Helldunkel, Compoſition, Ausdruck, u. ſ. f., wie ſolches in der franz. Encyclopaͤdie, in ihrer deutſchen Bear - beitung, bei Sulzer, und in den Schriften des Mengsaufzu - finden, und bis auf Sandrartund weiter, ruͤckwaͤrts zu ver - folgen iſt. Ich will nicht unterſuchen, ob man bey Auffaſſung ſol - cher vereinzelten Evolutionen der Kunſt uͤberall mit Scharfſinn wahrgenommen und unterſchieden habe; obwohl ich die Bemerkung nicht unterdruͤcken kann, daß man in dieſen Begriffen das blos Techniſche mit dem Geiſtigſten der Kunſt wild durch einander ge - worfen. Einige dieſer Kunſtbegriffe gehoͤren in der That nur in die Werkſtaͤtte des thaͤtigen Meiſters, und auf keine Weiſe in die Theorie; andere ſollte man in der Kunſtlehre voranſtellen, ſtatt ſie mit untergeordneten Fertigkeiten der Laͤnge nach aufzureihn.5 gegangen ſind. Wir wollen es dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob und in wie fern ihre Wahl ſolcher vereinzelten Denkmale, in denen ſie den Begriff der Kunſt gleichſam verkoͤrpert zu er - blicken geglaubt, auch durchhin gluͤcklich geweſen. Gewiß erwarben unſere Zeitgenoſſen mit ſo viel neuen Gegenſtaͤnden der Vergleichung*)Lord ElginsErwerb, jetzt im britt. Muſeum, und durch die Freygebigkeit des Koͤnigs von Großbrit. in guten Abguͤſſen in den meiſten europaͤiſchen Hauptſtaͤdten. Andere Bruchſtuͤcke athe - nienſiſcher Tempelverzierungen zu Paris, Copenhagenetc. Die Aegi - neten im Muſeo zu Muͤnchen, der Fries von Phigaliaim britt. Muſeo. Groͤßere Aufmerkſamkeit auf die griechiſchen Staͤdte - Muͤnzen. — Solche Werke, deren Alterthum durch die Gebaͤude, die ſie verzierten, beurkundet wird, geben uns einen Maaßſtab fuͤr diejenige Kunſtart, welche ſelbſt den ſpaͤteren Alten noch immer fuͤr die beſte, bisweilen fuͤr die einzig rechte galt. Zu Winkel - mann’sZeit fehlte es noch an einem beurkundeten Kennzeichen des beſten Alterthumes; er war daher beſchraͤnkt auf Vermuthungen und Meinungen. auch neue Veranlaſſungen zur Unterſuchung der altgriechiſchen Kunſt, was die Kenntniß und richtige Wuͤr - digung dieſer letzten dem Anſehn nach gefoͤrdert haben koͤnnte. Doch an dieſer Stelle genuͤgt es uns, daß Leſſing’sBe - ſtreben, aus vereinzelten Bruchſtuͤcken der alten Bildnerey die Gegenſtaͤnde zu erkennen, welche vorzeiten faͤhig geweſen, den Sinn griechiſcher Kuͤnſtler zu feſſeln, oder Winkelmann’s, uns ſogar die Formen vorzuzeichnen, innerhalb deren die Dar - ſtellung der Alten ſich bewegte, doch ſelbſt im gluͤcklichſten Falle eben nur zur Kenntniß der antiken Kunſt fuͤhren duͤrfte und nie zu allgemeineren Kunſtanſichten. Eben ſo wenig in - deß duͤrfen wir uns verſprechen, indem wir aus einzelnen Schulen und Richtungen der neueren Kunſt, oder aus deren6 gefeyertſten Werken, Regeln und Vorſchriften abziehen*)Gleich einigen Neueren, deren geiſtreiche Anregungen all - gemein bekannt ſind., jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anſchauung des We - ſens der Kunſt, noch zu irgend einer allgemein triftigen und durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer von einer beſchraͤnkenden Vorliebe fuͤr eigenthuͤmliche Richtun - gen, Schulen und Foͤrmlichkeiten der Kunſt unabhaͤngig iſt, vermag das Weſen der Kunſt rein aufzufaſſen, vermag ihre einzelnen, oft nur ſcheinbar einander widerſtrebenden Leiſtungen aus einem gemeinſchaftlichen Standpunkte zu uͤberſchauen und allgemeinguͤltige Grundſaͤtze aufzufaſſen und feſtzuſtellen, nach welchen einestheils unter allen Umſtaͤnden Gutes entſtehen muß, anderntheils uͤber den Werth jeglicher Richtung und Leiſtung mit gleichmaͤßiger Gerechtigkeit zu entſcheiden iſt.
Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die bildenden Kuͤnſte ſo rein aufzufaſſen, daß unſerem Begriffe auf der einen Seite nichts Ungehoͤriges, oder Ueberfluͤſſiges anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie - ben, welches nun einmal zu ihrem Weſen gehoͤrt: ſo wuͤrden wir damit beginnen muͤſſen, von vorkommenden, oder moͤg - lichen Gegenſtaͤnden der Kunſt gaͤnzlich abzuſehen. Denn da dieſe Gegenſtaͤnde vorausſetzlich viele und mannichfaltige ſind, ſo fuͤhren ſie nothwendig ins Einzelne, und geben daher uͤber - haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu thun iſt. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenſtand der Kunſt giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenſtand des Be - griffes und des Nachdenkens waͤre, oder doch ſeyn koͤnnte: ſo iſt es klar, daß die bildenden Kuͤnſte nicht, wie Manche ge -7 wollt, durch den Gegenſtand von den Redekuͤnſten unterſchie - den werden; daß demnach auf dieſem Wege eine deutliche und richtige Vorſtellung von den Verſchiedenheiten dieſer bei - den Beziehungen des menſchlichen Geiſtes nicht wohl zu er - langen iſt.
Wenn aber die bildenden Kuͤnſte von den Redekuͤnſten nicht durch den Gegenſtand unterſchieden werden, ſo muß die Verſchiedenheit, welche doch nun einmal ſichtlich vorhanden iſt, entweder auf einer Eigenthuͤmlichkeit der Auffaſſung, oder auf einer beſtimmten Art der Darſtellung, oder auch auf bei - den zugleich beruhen. Und in der That iſt es das Unterſchei - dende der bildenden Kuͤnſte, nicht in Begriffen, ſondern in Anſchauungen aufzufaſſen, und das anſchaulich Aufgefaßte ſo darzuſtellen, daß ſolches ohne alle Zuziehung von Thaͤtigkeiten des Verſtandes unmittelbar durch die Anſchauung auch von anderen erfaßt werden koͤnne. Oder mit anderen Worten: es iſt das Unterſcheidende der Kunſt, die Dinge nicht, wie der Verſtand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenſchaften, vielmehr ſie im Ganzen und nicht fortſchreitend, ſondern augenblicklich ſowohl aufzufaſſen, als darzuſtellen. — Nun giebt es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und ſeiner folgerechten Handhabung uͤberhaupt kein Geiſtesleben ſich denken koͤnnen; denen es nicht zum Bewußtſeyn gekom - men, daß auch dem abſtrakten Denken, wo es nicht, was der Himmel verhuͤte, in beziehungsloſen, inhaltsleeren For - men ſich bewegt, gleich Schuluͤbungen im Buchſtabenrechnen; daß auch dem abſtracten Denken, wiederhole ich, wo es im - mer Gehalt und Tiefe beſitzt, das Anſchauliche nothwendig zum Grunde liegt. Dieſen freylich duͤrfte es ſcheinen, als werde die Kunſt durch obige Erklaͤrung erniedrigt, und in8 die Sphaͤre des Aeußerlichen und Materiellen herabgezogen; waͤhrend wir ſelbſt die Ueberzeugung hegen, die Kunſt weit entſchiedener, als jemals vor uns geſchehen, recht in das innerſte Heiligthum alles geiſtigen Wirkens und Lebens zu verſetzen.
Alſo iſt mir bildende Kunſt eine dem Begriffe, oder dem Denken in Begriffen entgegengeſetzte, durchhin anſchauliche, ſowohl Auffaſſung, als Darſtellung von Dingen, welche ent - weder unter gegebenen, oder auch unter allen Umſtaͤnden die menſchliche Seele bewegen und bis zum Beduͤrfniß der Mit - theilung erfuͤllen. Auch ohne alle Erfahrung uͤber die Groͤße ihrer Leiſtungen wuͤrden wir demnach ſchon aus ihrem Be - griffe ſchließen muͤſſen, daß erſt die Kunſt das geiſtige Leben und Wirken vollende; daß ſie das Gebiet des Geiſtes erwei - tere und ausrunde; daß ſie Wuͤnſche und Beduͤrfniſſe der Seele befriedige, welche der Begriff ſtets unerfuͤllt laͤßt. Indeß duͤrfte es zur naͤheren Beſtimmung unſeres Kunſtbegriffes un - umgaͤnglich ſeyn, das Eigenthuͤmlichkuͤnſtleriſche im menſchli - chen Geiſte, ſo wie die wichtigſten Beziehungen eben dieſer Geiſtesart im Allgemeinen anzudeuten.
Unter allen Umſtaͤnden liebt der Scharfſinn, die Dinge unter ſich zu vergleichen und anzunaͤhern; beſonders aber, wo es gilt, Entfernteres durch Naͤherliegendes zu erklaͤren. Daher die Vergleichung der kuͤnſtleriſchen Geiſtesart mit der poeti - ſchen, welche nicht von den Kuͤnſtlern, ſondern von den Dich - tern und Denkern herbeygezogen worden, um die Kunſt durch ihr Naͤchſtverwandtes[ſich zu] verdeutlichen. Allerdings iſt in den bildenden Kuͤnſten die Geiſtesart, aus der ſie hervorgehen, oder, um bey dem fruͤheren Ausdruck zu bleiben, die Auffaſ - ſung, nicht weſentlich verſchieden von Solchem, was vor -9 nehmlich den neueren Deutſchen in einem engeren Sinne Poeſie heißt*) Toelken(uͤber das verſchiedene Verhaͤltniß der antiken und modernen Malerey zur Poeſie ꝛc. Berlin, Nicolaiſche Buch - handlung, 1822) kommt, nachdem er in einer anderen Beziehung die Poeſie wenigſtens der neueren Malerey entgegenſtellt (S.[31]), ebenfalls darauf zuruͤck, daß Poeſie in dieſem Sinne allerdings auch die Grundlage der bildenden Kuͤnſte ſey. Goͤthe, aus meinem Leben, Bd. II. S. 348. „ Die Gipfel beyder ſchienen nun getrennt, wie nah ihre Baſen auch zuſammenſtoßen mochten. “. Die Verſchiedenheit beider Kuͤnſte, welche vortreff - liche Geiſter von Zeit zu Zeit geltend zu machen bemuͤht ſind, beruht alſo nicht auf Eigenthuͤmlichkeiten der Art, oder Wen - dung des Geiſtes, aus welchem ſie hervorgehen, ſondern ein - zig auf Forderungen und Moͤglichkeiten des ſo ganz verſchie - denen Stoffes der Darſtellung der einen und der andern Kunſt - art. In den bildenden Kuͤnſten nemlich wird das anſchaulich Erfaßte auch fuͤr die Anſchauung, in Formen, oder durch den Schein von Formen, dargeſtellt; in der Poeſie aber beruht die Darſtellung des anſchaulich und kuͤnſtleriſch Erfaßten auf einer gewandten Handhabung des Begriffes, welcher an ſich ſelbſt, wie es einleuchtet, dem poetiſchen Denken widerſtrebt und gerade entgegenſteht. Daher denn kann die Poeſie, wie ſie auch durch abgemeſſene Rede und maleriſche Wortklaͤnge (der[Mimen] nicht zu gedenken) ſich zu helfen ſuche, doch in der Darſtellung des anſchaulich Erfaßten mit den bildenden Kuͤnſten nicht wohl gleichen Schritt halten. Dagegen vermag ſie, vermoͤge des Begriffes, des einzigen Mittlers ihrer Dar - ſtellung, in das Gebiet des reinen Denkens hinuͤberzuſchwei - fen, wie denn auch der That nach, vornehmlich im Alter - thume der Dichtkunſt, Poeſie und Philoſophie meiſtens Hand10 in Hand gehen*) Seneca, Ep. VIII. Quam multa poetae dicunt, quae a phi - losophis dicta sunt, aut dicenda.. Die bildenden Kuͤnſte aber, wie unver - gleichlich tief und voͤllig und erſchoͤpfend alles anſchaulich Er - faßte in ihnen dargeſtellt werden koͤnne, vermoͤgen doch ſelbſt durch jene willkuͤhrlichen Zeichen, auf denen Bilderſchrift und Allegorie beruht, nur mit Unbehuͤlflichkeit auszudruͤcken, was irgend Gutes und Loͤbliches in Begriffen erdacht worden. Der bildende Kuͤnſtler alſo iſt allerdings mehr als der Dichter auf das Gebiet eigentlicher Poeſie eingeſchraͤnkt; doch entſchaͤdigt ihn die Faͤhigkeit, daſſelbe tiefer zu durchdringen und bis auf den Grund auszunutzen, welche jenem verſagt iſt. Und wenn ich mich nicht taͤuſche, ſo entſprang aus einer dunklen, nicht zu voller Deutlichkeit entwickelten Wahrnehmung dieſes Gegen - ſatzes auch LeſſingsEntgegenſtellung der Poeſie und Kunſt**) Leſſing, Laok. Anhang XXXI. „ Die eigentliche Be - ſtimmung einer ſchoͤnen Kunſt kann nur dasjenige ſeyn, was ſie ohne Beyhuͤlfe einer anderen hervorzubringen im Stande iſt; “und kurz darauf: „ die neuen Mahler — bedenken nicht —, daß ihre Kunſt den Werth einer primitiven Kunſt gaͤnzlich dadurch verliert ꝛc. ; “nemlich ſolche, welche nur in die Form uͤbertragen wollen, was in den Redekuͤnſten gereift und ausgebildet worden., auf welche wir zuruͤckkommen werden.
Unter den Dingen nun, welche nicht einzig dem abge - ſonderten Denken, vielmehr auch und vornehmlich der anſchau - lichen Auffaſſung unterliegen, welche mithin, da es Verwegen - heit waͤre, gleich einigen unſerer Vorgaͤnger, dem Genius vor - zugreifen, ohne einige Ausnahme, Gegenſtaͤnde der Kunſt ſind, oder doch ſeyn koͤnnten, iſt die menſchliche Seele und, wie11 Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der ſitt - lichen Natur von uͤberſinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich erkannt wird, einleuchtend der edelſte und wichtigſte Gegenſtand der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung. Erwaͤgen wir die eigenthuͤm - liche Faͤhigkeit der Kunſt, jegliches ſittliche Seyn und Wollen in ſolcher Tiefe und Fuͤlle darzuſtellen, daß in Vergleich ge - lungener Darſtellungen der Kunſt die Rede ſelbſt des groͤßten Dichters in dieſer Beziehung, bald nur als fluͤchtige Andeu - tung, bald als ſchleppende Umſchreibung erſcheinen muß; ſo werden wir nicht anſtehen koͤnnen, der Kunſt einzuraͤumen: daß ſie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung menſch - licher Gemuͤths - und Geiſteskraͤfte zu vollenden. Wuͤrdigen wir nur zu Genuͤge, was die bildenden Kuͤnſte in den Grie - chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunſt in anderen Voͤlkern erweckt und ausgebildet haben, ſo wird uns einleuchten muͤſſen, daß jedes Volk, dem die Kunſt, oder doch der Sinn fuͤr die Kunſt fehlt, auch im beſten Falle nur halb gebildet, halb noch barbariſch ſey. — Hier indeß zaͤhle ich darauf, dem Mißverſtaͤndniß zu entgehen, als verwechſele ich, wie es geſchehen*) Quatremère de Quincy, Essai sur la nature, le but et les moyens, de l’imitation dans les beaux arts. Paris1823. II. p. 157. — „ Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili - sés, — — — que de fixer et de consacrer dans un langage sen - sible, les opinions morales et les sentimens religieux. ” — Bei einem ſo nuͤchternen Bewußtſeyn des nuͤtzlichen Zweckes, als der - ſelbe gleich darauf andeutet (C’est ainsi que l’on peut donner à l’imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la société), moͤchte ſchwerlich, wenn auch nur das maͤßigſt Erfreuliche geleiſtet werden koͤnnen., die Sitte mit dem Moraliſiren. 12Dieſes letzte ſetzt ein Denken in Begriffen voraus, welches ich ſchon durch obige Erklaͤrung von der Kunſt ausgeſchloſſen. Allein die kuͤnſtleriſche Auffaſſung ſittlicher Verhaͤltniſſe iſt vor - ausſetzlich ohne alle Pedanterey, nach den inneren Forderungen, oder nach der aͤußeren Stellung des Talentes bald ernſt, bald heiter, und gleich faͤhig, die Tiefen alles Daſeyns zu durch - meſſen, als, auf der Oberflaͤche weilend, Zufaͤlliges hervorzu - heben und menſchliche Gebrechlichkeiten zu necken.
Niedriger freylich, doch an ſich ſelbſt noch immer wichtig genug, iſt eine zweite Richtung der Kunſtfaͤhigkeit, welche nach den Erfahrungen der alten, wie der neuern Kunſtgeſchichte, jederzeit die Nachbluͤthe großer Kunſtepochen zu ſeyn pflegt. Ich bezeichne hier die Darſtellungen ſolcher Dinge, welche ohne jederzeit an ſich ſelbſt ſittliche, oder gar uͤberſinnliche zu ſeyn, dennoch entweder die ſinnliche Empfindung, oder auch das Verlangen nach Erkenntniß befriedigen. Dieſe Richtung der Kunſt ſcheint allerdings weniger, als jene hoͤhere, auf Guͤte des Gemuͤthes und eingeborener Tiefe des Geiſtes zu beruhen; doch ſetzt ſie unter allen Umſtaͤnden Lebendigkeit der Empfindung und Schaͤrfe der Wahrnehmung voraus. Indeß iſt es mißlich, ſolche Entgegenſtellungen (gleich denen, welche die verſchiedenen Schulen der Kunſt bald von der Idee, bald von der Natur ausgehen laſſen*)S. Wagenerund Schelling, uͤber die Aegineten. An - dere minder bedeutende Schriftſteller., das heißt, wenn ich ſie recht verſtehe, bald von einer angeborenen Faͤhigkeit, oder erworbenen Spannung des Geiſtes, bald von der Gewalt des Eindrucks aͤußerer Dinge) durch alle Faͤlle hindurch zu fuͤhren. Denn genau genommen ſind beide Richtungen nothwendig in13 jedem einzelnen Kuͤnſtler gemeinſchaftlich vorhanden, und die bemerkten Abweichungen der Schulen werden eigentlich nur durch ein Uebergewicht der einen uͤber die andere hervorge - bracht, welches immer voruͤbergehend und oftmals bloß ſchein - bar vorhanden iſt.
Denn gewiß entſpringt die Kunſtfaͤhigkeit, wie hoch oder niedrig die Richtung ſey, welche ſie nimmt, doch unter allen Umſtaͤnden aus den verborgenſten Tiefen des menſchlichen Daſeyns*) Schelling, phil. Schriften, Bd. I. S. 384. „ Die Kunſt entſteht nur aus der lebhaften Bewegung der innerſten Gemuͤths - und Geiſteskraͤfte, welche wir Begeiſterung nennen. “, in welche einzugehn ich ſcheue, wie es denn ohne - hin die Kunſtbetrachtung nicht weſentlich foͤrdern duͤrfte. Woll - ten wir uͤberhaupt der Darſtellung jedes einzelnen Zweiges menſchlicher Kenntniſſe jederzeit ein Syſtem der Weltweisheit voranſtellen, ſo duͤrften viele Schriften kuͤnftig, was doch Niemand begehrt, etwa beginnen muͤſſen, wie die Jahrbuͤcher des Mittelalters. Solches iſt nun freylich auch in den Kunſt - lehren kein allgemeiner Gebrauch; doch liebt man darin einige Andeutungen einer hoͤheren Weisheit fallen zu laſſen, und ver - huͤllt ſich mindeſtens in der Allgemeinheit des Woͤrtchens Idee, deſſen ſchwankender, ſinnlich geiſtiger Sinn allerdings jeder wilden Behauptung eine Ausflucht offen laͤßt, mithin aller Unentſchiedenheit oder Undeutlichkeit willkommen iſt. Sollte ich nun dieſen Gemeinplatz der neueren Aeſthetik mehr, als gewoͤhnlich vermeiden, oder da, wo einzig von der aͤußeren Entfaltung der Kunſt die Rede, ihr geiſtiges Prinzip, als vorhanden annehmen, und als dermalen nicht zur Sache ge - hoͤrig, uͤbergehen: ſo bitte ich, mich deßhalb noch nicht einer14 gewiſſen Materialitaͤt zu bezuͤchtigen. Dagegen verwahre ich mich, weil es den Bekennern verworrener, unentſchiedener Lehren anhaͤngt, da Irrthum zu vermuthen, wo ſie den Klang ihrer Stichworte entweder gar nicht, oder doch nur ſelten vernehmen.
Wir wollen alſo den Urſprung des Geiſtes, der in den bildenden Kuͤnſten ſich ausſpricht, mit Ehrfurcht uͤbergehen und uns darauf beſchraͤnken, dieſen Geiſt in ſeiner Thaͤtigkeit und Anwendung zu betrachten, oder die Geſetze zu erforſchen, nach welchen die einzelnen Thaͤtigkeiten der allgemeinen Kunſt - faͤhigkeit ſich bewegen. Nun ſind wir oben davon ausgegan - gen, daß jegliche, die groͤßte wie die geringſte Leiſtung der Kunſt, zween Thaͤtigkeiten vorausſetze: die Auffaſſung und die Darſtellung. Sollte es uns gelingen, ihren Begriff rein auf - zufaſſen: ſo werden wir aus ſolchem gewiß jedes allgemeinere Geſetz der Kunſt mit Sicherheit ableiten koͤnnen.
Auffaſſung nennt man bisweilen eine bloß leidende Hin - gebung in den Eindruck aͤußerer Dinge; Auffaſſung heißt anderen, und gerade in Bezug auf Dinge der Kunſt, eine gewiſſe Willkuͤhrlichkeit in der Aneignung irgend eines, ſey es nun ſinnlichen, oder geiſtigen Gegenſtandes. Dieſe Bedeu - tungen indeß, ſowohl das beſchraͤnkte Erleiden der erſten, als die unbegrenzte Willkuͤhr der anderen, werden wir nicht wohl voranſtellen koͤnnen, weil wir ſie, ohne ſie auszuſchließen, doch unterordnen muͤſſen. Denn Auffaſſung iſt uns der Inbegriff von jeglichem Leiben und Wirken, Empfangen und Geſtalten, ſo den Gegenſtand kuͤnſtleriſcher Darſtellungen zu jener Klar - heit der inneren Anſchauung erhebt, welche die Moͤglichkeit genuͤgender Darſtellung durchaus bedingt.
Darſtellung dagegen iſt uns der Inbegriff aller Thaͤtig -15 keiten, durch welche ein ſolches Selbſtangeſchauete auch Ande - ren moͤglichſt klar und erfaßlich mitgetheilt wird.
Unter dieſen Thaͤtigkeiten iſt die Auffaſſung einleuchtend die vorangehende und, wenn es noͤthig waͤre, ihren verhaͤlt - nißmaͤßigen Werth zu beſtimmen, gewiß auch die wichtigſte, da ihre Beſchaffenheit jedes tiefere, nachhaltende Intereſſe der Kunſt bedingt. Denn gewiß verleihet kein Vorzug Kunſtwer - ken einen groͤßeren Werth, als Weisheit, Richtigkeit, Kraft oder Anmuth der Auffaſſung; was ſogar ſolche Kunſtgelehrte, welche ſich einſeitig mit Vortheilen der Darſtellung beſchaͤf - tigen, nicht ſo unbedingt laͤugnen, oder laͤugnen werden. Indeß iſt die Darſtellung, wenn gleich die untergeordnete und abhaͤngige Thaͤtigkeit, dennoch die unerlaͤßliche Bedingung einer lichten und deutlichen Erſcheinung des Aufgefaßten, ja in ge - wiſſer Beziehung der einzige Buͤrge fuͤr die Guͤte oder Schwaͤche der Auffaſſung ſelbſt. Da ſie demnach ſogar aus dem Stand - punkt einer denkbaren ganz einſeitigen Wuͤrdigung der Auf - faſſung betrachtet, jederzeit fuͤr das Geſammtergebniß der Kunſt von hoͤchſter Wichtigkeit iſt, ſo wird es eine bloße Fluͤchtigkeit ſeyn, durch welche Einige, bey billiger Ehrfurcht vor den Alterthuͤmern der neueren Kunſt, ganz nutzlos in die Para - doxie verwickelt worden: da eine beſondere Tiefe und Erha - benheit der inneren Anſchauung vorauszuſetzen, wo die Faͤhig - keit der Darſtellung kaum hinreichte, eine milde und guͤtige Gemuͤthsart, eine ſchoͤne Unbefangenheit der Sitte auszu - druͤcken*)An einer Stelle, wo man ſie nicht erwarten ſollte, bey Schubert, die Urwelt S. 299. wird dieſe Meinung ſchon als hiſtoriſcher Beweis aufgefuͤhrt.. Ganz im Gegentheil ſcheint es, daß Kunſtwerke16 einer gewiſſen Uebereinſtimmung beider Thaͤtigkeiten beduͤrfen, wenn ſie uͤberhaupt befriedigen ſollen, was doch meiſt bezweckt wird. So erklaͤre ich mir die Beyfaͤlligkeit der Incunabeln, ſowohl der altgriechiſchen, als der neuitalieniſchen Kunſtepoche nicht, wie manche Andere, aus einer willkuͤhrlich angenom - menen Ueberlegenheit ihres Geiſtes uͤber ganz ausgebildete Kuͤnſtler derſelben Richtung, vielmehr nur daher, daß in jenen Kunſtwerken nirgend Spuren eines Verlangens nach ſolchen Vorſtellungen des Geiſtes ſichtbar werden, welche das be - ſchraͤnkte Darſtellungsvermoͤgen anfaͤnglicher und kaum zur Haͤlfte ausgebildeter Kunſtſtufen ſchon um Vieles uͤberſteigen. Giebt es doch auch im Begriffsleben Gedanken und Vorſtel - lungen, welche das Lallen der Kinder, die treuherzige Einfalt ungebildeter Menſchen treffender ausdruͤckt, als die gewandteſte oder gelehrteſte Sprache. Wer wuͤrde indeß daraus folgern wollen, daß alle Tiefe, alle Erhebung des Geiſtes eben nur bey den Kindern und in der roheren Menge wohne? In be - ſtimmter Beziehung auf die neuitalieniſche Kunſt duͤrfte frey - lich die bewundernswerthe Ausbildung des Begriffes in einem Dante, Petrarca, Boccaz, viele unſerer Zeitgenoſſen in etwas irre geleitet haben. Denn es lag nahe, ſich zu denken, daß Kuͤnſtler, welche von jenen großen Meiſtern des Begriffes geſchaͤtzt wurden, ihnen auch nicht ſogar fern geſtanden. Indeß erhellt das Verhaͤltniß Dante’szu den Malern des vierzehn - ten Jahrhunderts aus ihren zahlreichen Nachbildungen ſeines Gedichtes; dieſelben Kuͤnſtler, denen das treuherzige, innige, zartſinnige Familienleben der Patriarchen, oder die Jugend - geſchichte des Heilands, oder Aehnliches ganz unuͤbertrefflich gelang, ſcheiterten ohne Ausnahme an dem ſo haͤufig wieder -holten17holten Verſuche, die kecken Meiſterzuͤge des groͤßten italieni - ſchen Dichters in das Gebiet der Kunſt hinuͤberzuziehen.
Wollten wir indeß den Fall ſetzen, daß jene Harmonie des Wollens und Koͤnnens einem beſtimmten Kunſtwerke fehle, ſo wuͤrde deſſen Eindruck ſicher ſehr unbehaglich, unbefriedi - gend und peinlich ſeyn. Denn es wuͤrde ein ſolches Kunſt - werk, welches die Ahnung eines hoͤhern Wollens anregte, ohne eben daſſelbe ganz deutlich und anſchaulich zu machen, den Beſchauer nur etwa tantaliſiren, und den Kuͤnſtler in nicht unbilligen Verdacht bringen, es habe ihm doch an dem rech - ten Ernſt, an der Faͤhigkeit einer ſtraffen und dauernden An - ſtrengung gefehlt, welche nun einmal zum Manne gehoͤrt und weſentlich mitwirkt, ſein Werk zu empfehlen. Eben deßhalb bin ich geneigt, Faͤlle obiger Art, wenn nicht fuͤr unmoͤglich, doch wenigſtens fuͤr unwahrſcheinlich zu halten. Ich kann mich ſchwerlich davon uͤberzeugen, daß ein edler mit der Faͤ - higkeit der Auffaſſung hoher Dinge begabter Geiſt nicht auch den Drang, ja ſelbſt die Kraft fuͤhlen ſollte, ſeine Darſtellung in gleichem Maße durchzubilden, wenigſtens ſcheinen Leonardo, Michelangeloder Maler, und ſogar Raphaelnur deßhalb uͤber die, obwohl ſchon geſteigerte, doch immer noch unbehuͤlfliche, Darſtellung ihrer Vorgaͤnger ſo raſch und kraftvoll hinauszu - gehen, weil ſolche ihrem maͤchtigen Geiſte nimmer genuͤgen konnte.
Dagegen ſind Vorzuͤge der bloßen Darſtellung, entkleidet, wenn nicht von allem, doch wenigſtens von einem gleichmaͤ - ßigen Verdienſte der geiſtigen Auffaſſung, allerdings eine nicht ungewoͤhnliche, ich moͤchte ſagen, ſelbſt eine willkommenere Er - ſcheinung, als nackte Vorzuͤge der Auffaſſung ſeyn duͤrften,I. 218wenn ſie uͤberhaupt ohne eine angemeſſene Darſtellung von Anderen entdeckt werden koͤnnten. Denn der Eindruck eines edlen, unter dem Drucke aͤußerer Umſtaͤnde verkommenden, Geiſtes iſt nothwendig niederſchlagend; dem ſchoͤnen Gewande aber, ob es wohl einen Unwuͤrdigen bekleide, goͤnnen wir gern einen, wenn auch nur voruͤbergehenden Blick. Nicht ſelten indeß zeigen die Vorzuͤge der reinen Darſtellung eine andere und ernſtere Seite, da ſie auch wohl, gleich den Leiſtungen der emſigen und in ihren Studien des Objektiven gleichſam verlorenen deutſch-italieniſchen Vorlaͤufer Raphaelsalle Vor - theile der Kunſt weſentlich foͤrdern und alſo hoͤheren Beſtre - bungen den Weg bahnen. Ich beziehe mich hier, wie ſich’s verſteht, nicht etwa auf leere Fertigkeiten der Hand, oder, wie die neueren Italiener ſagen, auf einen Fortſchritt von ſchmaler zu breiter Manier*)Allargare la maniera — gewoͤhnlich bey Lanzi, storia pitt. und in a. ital. Kſchr., vielmehr einzig auf gediegene, ſich ihrer ſelbſt deutlich bewußte Darſtellung.
Verfolgen wir nun, nach dieſer allgemeinſten Verglei - chung und Wuͤrdigung beide Thaͤtigkeiten mehr in das Ein - zelne ihrer beſonderen Beziehungen und Wirkungen. Ueber die Auffaſſung wird freylich, da ſie ganz intenſiver Beſchaffenheit iſt, nur Weniges und Allgemeines zu ſagen ſeyn. Allein die Darſtellung, welche ihrem Weſen nach mehr in die Breite geht, duͤrfte eine lange Reihe vereinzelter Bemerkungen her - beyfuͤhren, bey denen der Leſer ausharren wolle.
Da die Kunſt uͤberhaupt wohl eine eigenthuͤmliche Wen - dung und Beziehung, doch keinesweges, wie Manche anzuneh - men geneigt ſind, eine ganz eigene und ausgeſchiedene Gegend19 des Geiſtes iſt, ſo wird die Auffaſſung, an und fuͤr ſich und ohne Ruͤckblick auf ihren Gegenſtand betrachtet, nach denſelben Ge - ſetzen ſich bewegen, in ihrer Werthbeſtimmung demſelben Maße unterliegen, als jede andere gleich freye Thaͤtigkeit des Geiſtes. Alſo wird daſſelbe, ſo in vielen andern Verhaͤltniſſen unſer Urtheil uͤber den Werth, oder Unwerth menſchlicher Leiſtungen beſtimmt, uns auch da leiten muͤſſen, wo bey Kunſtwerken uͤber das Verdienſt, oder Unverdienſt der Auffaſſung zu ent - ſcheiden iſt. Kraft, Nachdruck, Schwung, oder Guͤte und Milde, oder auch Scharfſinnigkeit und deutliches Bewußtſeyn des eignen Wollens werden, wie uͤberhaupt im Leben, ſo auch in der Kunſt einen begruͤndeten Anſpruch auf Billigung be - ſitzen. Mit Ungrund daher und nach irrigen Vorausſetzungen ward juͤngſt von der abſcheidenden Kunſtlehre der aufſtreben - den vorgeworfen, daß ſie auf ſittlichen Ernſt und innere Belebung des Gemuͤthes unnoͤthiger Weiſe Gewicht lege. In einem ſolchen Streben, welches leichter auszuſprechen, als zu bethaͤtigen iſt, ſollten wir unſere Zeitgenoſſen nur zu beſtaͤrken ſuchen. Denn nicht hierin, ſondern, wenn uͤberhaupt, nur in den Anſichten der Darſtellung ſcheint die neueſte Kunſt - lehre Irrthuͤmer zu enthalten, welche, wenn man ſie nur in der Naͤhe beſehen wollte, eine bloße Ueberſetzung derſelben Meinungen ſind, welche ſchon einmal eine Uebertragung er - fahren, als ſie aus der Kunſtlehre der Manieriſten in die klaſſiſch geſtimmte der Schoͤnheitslehrer uͤberging.
So allgemeine Begriffe indeß, als oben zur Andeutung genuͤgen mochten, werden in der Anwendung auf das man - nichtfaltigſte bald ſich feiner ausſpalten, bald wiederum ſich einigen und verſchmelzen wollen. Denn die kuͤnſtleriſche Auf - faſſung iſt, eben wie das menſchliche Naturell uͤberhaupt,2 *20nothwendig eigenthuͤmlich und ſelbſt innerhalb der Grenzen des Tuͤchtigen, Guten und Richtigen noch immer ausnehmend mannichfaltig. Doch darf bei ſo umfaſſender und billiger Anſicht nicht uͤberſehen werden, daß die niedrigſten Stufen des Lobenswerthen: genuͤgſame Behaglichkeit beym Geringen und ironiſche Auffaſſung des Gemeinen und Schlechten, das unbedingt Verwerfliche der Laͤſſigkeit des eignen Geiſtes und der Verkehrtheit des eignen Sinnes ſchon unmittelbar begrenzen.
Betrachten wir aber die Auffaſſung in Bezug auf ihren Gegenſtand, ſo wird ſich ergeben, daß ſie, aus dieſem Ge - ſichtspunkt angeſehen, einzig nach dem Maaße ihrer Treue und Strenge zu wuͤrdigen iſt. Allerdings werde ich zugeben muͤſſen, daß im Uebrigen achtungswerthe Kuͤnſtler doch, ver - moͤge ihrer eigenthuͤmlichen Sinnesart, oder aͤußeren Stellung, unfaͤhig ſeyn koͤnnen, beſtimmte Aufgaben mit Treue und Richtigkeit aufzufaſſen. Doch ſcheint es einzuleuchten, daß die Verdienſte eines Kuͤnſtlers, der ſeinen Gegenſtand aus Unfaͤ - higkeit oder Laͤſſigkeit ſchief auffaßt, in allem Anderen, nur nicht in der Auffaſſung des Gegenſtandes begruͤndet ſeyn koͤn - nen; demnach wird durch ſolche Ausnahmefaͤlle der Grundſatz weder aufgehoben, noch abgeaͤndert: daß der Kuͤnſtler bemuͤht ſeyn muͤſſe, in das Weſen ſeines Gegenſtandes — oder ſagen wir einmal ſeiner Aufgabe — jedesmal ſo tief einzudringen, als ihm nach ſeiner eigenthuͤmlichen Sinnesart irgend moͤglich iſt. Und wirklich zeigen haͤufige Beyſpiele, daß hierin ſchon die bloße Redlichkeit des Strebens ſich unmittelbar belohnt. Denn vergleichen wir etwa die kirchlichen Darſtellungen der aͤlteren deutſchen Maler, deren Sinn und Faͤhigkeit im ganzen beſchraͤnkt war, mit aͤhnlichen des Rubens, der in ſo vielen Beziehungen jenen uͤberlegen iſt, ſo werden wir gewiß, wenn21 wir anders nur auf den Gegenſtand ſehen, uns leichter mit der treuen und innigen Auffaſſung der erſtern ausſoͤhnen koͤn - nen, als mit der theils phantaſtiſchen, theils froſtigen des Anderen.
Die Verdienſte alſo, welche in der Auffaſſung ſich offen - baren koͤnnen, fließen theils aus einer durchhin gluͤcklichen Beſchaffenheit, oder Stimmung des Geiſtes, in dem ſie vor - geht, theils aber auch aus der Treue und Gewiſſenhaftigkeit des Eingehens in gegebene Gegenſtaͤnde. Aber gegebene nenne ich nicht bloß ſolche Gegenſtaͤnde, welche durch menſchlichen Gebrauch und geſchichtliches Herkommen irgend eine uͤberein - koͤmmliche Geſtaltung erhalten, vielmehr auch ſolche, welche, wie immer ihre Wahl in der Willkuͤhr des Kuͤnſtlers liege, doch an ſich ſelbſt aus einer inneren Nothwendigkeit ſtaͤtig und unveraͤnderlich ſind. Denn ſo wenig als ein Sophiſt uns jemals uͤberzeugen wird, etwa daß Gutes boͤſe ſey, oder umgekehrt; eben ſo wenig vermag der Kuͤnſtler, ohne Anſtoß zu geben, unvereinbare Vorſtellungen zu verſchmelzen, oder unveraͤnderliche Naturverhaͤltniſſe zu verruͤcken; wann es nicht etwa bloßen Scherz gilt, wie in den Masken und Karikaturen aller Art; oder wann nicht etwa der Gegenſtand untergeordnet, der eigentliche Zweck Verzierung iſt, wie in der Arabeske und Aehnlichem*)Ich uͤbergehe, was die Kunſt im Dienſte der Ueppigkeit durch Verknuͤpfung des Entgegengeſetzten (durch monſtroͤs Reizen - des) leiſten und gewaͤhren kann. Denn ich bin ungewiß, ob die Kunſt, wo ſie vergaͤnglicher Sittenverwilderung ſchmeichelt, uͤber - haupt noch der Betrachtung werth[iſt]; gewiß wenigſtens nahm Win - kelmannin ſeiner Analyſe antiker Kunſtformen eben dieſe Aus - weichung viel zu ernſtlich..
22Daß die kuͤnſtleriſche Auffaſſung in dieſem Sinne gebun - den ſey, werden freylich ſolche mir nicht zugeben wollen, wel - che — wie aus tiefen Traͤumen Erwachende eine Weile hin - durch gegen ſie Umgebendes wie verblendet ſind — noch im - mer den Wahn nicht abſtreifen koͤnnen, daß der Kuͤnſtler vermoͤge, ja daß ihm obliege, ſich ſeine eigene Welt zu er - ſchaffen, und dieſe in ſeinen eigenen ſelbſt erbildeten Formen darzuſtellen.
Wir wollen nicht daruͤber ſtreiten, ob die Kunſt, wie Einige behaupten, gleichſam eine Welt außer der Welt er - ſchaffe, oder ob ſie vielmehr nur, gleich anderen Geiſtesthaͤ - tigkeiten, ſowohl allgemeine Wahrheiten, als beſonderes Wahre auf ihre Weiſe entdecke, erkenne und Anderen verdeutliche. Denn es wird fuͤr die Kunſtuͤbung ohne Belang ſeyn, auf welche Weiſe man ſich gefalle, ihren Urſprung abzuleiten, oder die Ergebniſſe ihrer Wirkſamkeit zu erklaͤren, da ſie bekannt - lich nicht etwa aus irgend einem Syſteme der Weltweisheit, ſondern ganz aus ſich ſelbſt entſtanden iſt. Indeß iſt es von groͤßerem, ja von hoͤchſtem Einfluß auf die Ausuͤbung der Kunſt, ob die Beſchaffenheit der Formen, in denen ſie dar - ſtellt, falſch oder richtig erklaͤrt werde; ob man dieſe Formen, wie es geſchehen, als willkuͤhrliche und ſelbſterbildete betrachte, oder vielmehr als gegebene, nothwendige, mithin als ſolche, welche unter allen Umſtaͤnden muͤſſen erlernt und erworben werden. Denn es iſt hier nicht, wie in der fruͤheren Bezie - hung, wo der Genius, wie man auch ſeine Entſtehung und Beſchaffenheit erklaͤre, doch immer unveraͤndert derſelbe bleibt; vielmehr geht die Anſicht, welche man in Bezug auf die For - men der Darſtellung gefaßt, ſchon unmittelbar in die prakti - ſche Kunſtlehre uͤber, wirkt alſo unumgaͤnglich auf die Kunſt -23 uͤbung ſelbſt ein, der ſie, wie es einleuchtet, nach Maßgabe ihrer Richtigkeit nuͤtzen, oder ſchaden muß. Es wird demnach auch nach ſo Vielem, was uͤber die Kunſt gedacht und ge - ſchrieben worden, noch immer erſprießlich ſeyn, die Abkunft und Beſchaffenheit der darſtellenden Kunſtformen von Neuem in Frage zu bringen; eine Unterſuchung, die wir ohnehin, bey nachſtehender Betrachtung der Darſtellung, nicht wohl um - gehen koͤnnten.
In Kunſtwerken nenne ich darſtellende Formen ſolche, welche beſtimmte, ſey es gegebene, oder willkuͤhrlich erwaͤhlte Kunſtaufgaben bezeichnen, ausdruͤcken, oder Anderen vor den Sinn bringen. Von dieſen unterſcheide ich viele Foͤrmlichkei - ten ganz anderer Art, welche die Darſtellung, ohne ihr anzu - gehoͤren, als Außenwerke zu begleiten pflegen. Denn Vieles, was in Kunſtwerken zur Verſinnlichung der eigentlichen Kunſt - aufgabe auf keine Weiſe behuͤlflich iſt, wird bald durch For - derungen des Stoffes herbeygefuͤhrt, in welchem der Bildner ſeine Formen bildet, der Maler ſie wenigſtens erſcheinen macht, bald auch durch ein Beduͤrfniß harmoniſcher Fuͤllung des Raumes, deſſen naͤhere Beleuchtung wir hier jetzt noch ausſetzen wollen, bis wir uns uͤber die Abkunft und wahre Beſchaffenheit der eigentlich darſtellenden Formen werden ver - ſtaͤndigt haben.
Neigte die moderne Bildung nicht durchhin zu einer ge - wiſſen Abtoͤdtung des aͤußeren Sinnes, waͤre es den Gelehr - ten, welche ſich mit der Kunſt beſchaͤftigen, nur halbhin auf - gegangen, daß ſchon die Natur durch ihre Geſtalten Alles, was die Kunſt irgend beſtrebt und leiſtet, bald entfernt an - regt, bald unuͤbertrefflich ausdruͤckt: ſo wuͤrden wir, vornehm - lich bey ſo ernſtlicher Beſchaͤftigung mit den Alterthuͤmern der24 griechiſchen Kunſt, wohl ſchon laͤngſt dahin gelangt ſeyn, die ausdruͤckenden oder darſtellenden Formen der Kunſt ohne einige Beſchraͤnkung fuͤr in der Natur gegebene, oder natuͤrliche zu halten. Denn abgeſehn von einigen Verſuchen*)Lange hatte ich vergebens geſtrebt, mir zu verdeutlichen, was denn eigentlich nach dem Sprachgebrauche der romantiſchen Kunſtrichtung unter ſymboliſcher Darſtellung verſtanden werde. Im weiteſten Sinne waͤre ja alle Darſtellung der Kunſt und nicht bloß die Darſtellung beſtimmter Schulen ſymboliſch zu nennen, wenn es uͤberhaupt das Verſtaͤndniß foͤrdern koͤnnte, hier ein Wort zu gebrauchen, deſſen Grundbild den Wenigſten ſinnlich iſt. Wenn irgend ein Puriſt verſuchen wollte, nach der Analogie fuͤr ſymbo - liſche, kerbholzmaͤßige Darſtellung zu ſagen, ſo duͤrfte dieſe nackte Saͤchlichkeit nicht denſelben Reiz haben, als der dunkle viel - fach uͤbertragene Sinn des Wortes Symbol. — Wenn wir indeß einen Aufſatz im Kunſtblatte (1821. No. 45. f.) als das Organ der Anſichten einer Mehrheit von Kuͤnſtlern und Kunſtgelehrten betrachten duͤrften, ſo wuͤrde aus dieſem hervorgehen, daß ſymbo - liſche Darſtellung vielen Neueren etwa ſo viel heißt, als Andeu - tung von Begriffen durch willkuͤhrlich gebildete, nur durch Verab - redung verſtaͤndliche Zeichen. der juͤngſten Zeit, den Begriff der Kunſt von neuem mit dem Begriffe der Bilderſchrift zu vermengen, leuchtet es den Meiſten ein, daß jede Bezeichnung von Begriffen und Gedanken des Verſtandes durch willkuͤhrlich gewaͤhlte, nur durch Verabredung verſtaͤnd - liche Bilder, daß die Hieroglyphe, oder wie man ſonſt die bildneriſch-maleriſchen Verſuche der alten Voͤlker benennen will, noch lange nicht eigentliche Kunſt ſey. Obwohl man zugeben muß, daß die Kunſt durch die Hieroglyphe techniſch vorgebil - det; ſogar in einzelnen Anwandlungen durch ſich ſelbſt ver - ſtaͤndlicher Darſtellung, deren Beyſpiele bey Gau**)Denkmaͤler ꝛc. Vgl. die Unterſuchungen und Beobachtun - gen anderer Reiſenden in Ober-Aegyptenund Nubien.vor -25 kommen, gleichſam vorbedeutet worden, ſo wird doch von den meiſten Gelehrten angenommen, daß die Griechen die wahre Kunſt zuerſt aufgefunden, und mit der groͤßten Friſche des Geiſtes die neue Erfindung ſogleich einer bis jetzt unerreichten Vollkommenheit entgegen gefuͤhrt. Doch, wenn ich nicht irre, fehlt es ihnen durchhin an einer deutlichen Einſicht in Sol - ches, was dieſe von ihnen als die einzig wahre anerkannte Kunſt der Griechen eben zur Kunſt macht und von der Bild - ſchrift unterſcheidet*)S. bey Herder(zerſtreute Blaͤtter, Gotha1792. S. 240.) die Entwickelung der Hinderniſſe einer voͤlligen Ausbildung der indiſchen Kunſt, wo der Umſtand, daß ihre Goͤtter aus ſym - boliſchen Begriffen entſprungen waren, nur als ein Hin - derniß ſchoͤner Erſcheinung, nicht als ein die Darſtellung[Ausſchlie - ßendes] aufgefaßt wird. Auch in Heinr. MeyersGeſch. der bild. Kuͤnſte bey den Griechen, welche durch den gebildeten Kunſtſinn und die Beobachtungsgabe dieſes Kunſtgelehrten ſo bemerkenswerth iſt, wird in der Vorrede die Beſchaͤftigung mit allen vor - und außergriechiſchen Kunſtbeſtrebungen nur darum abgelehnt, weil es darin an Schoͤnheit, Anmuth und reinem Geſchmacke fehle, in welcher Beziehung eben dort ſogar den Incunabeln grie - chiſcher Kunſt vor aͤgypt. und anderen der Vorzug gegeben wird, welches letzte partheylich iſt, oder doch mir zu ſeyn ſcheint; wenn anders die Bemerkung: daß der hohe edle Geiſt, welcher ſelbſt aus den uralten und rohen Arbeiten der Griechen unſer Gemuͤth an - ſpricht und erhebt, in jenen nicht wohne, nicht etwa die minder deutliche Wahrnehmung einer entſchiedeneren Richtung der aͤlteſten Griechen auf eigentliche Darſtellung in ſich einſchließen ſollte..
Offenbar liegt dieſes Unterſcheidende nicht in jenem An - theil willkuͤhrlicher Begriffsbezeichnung, welcher, wie zart er immer dem eigentlich Kuͤnſtleriſchen angelegt ſey**)Eine beſonders lichte Darſtellung des Verhaͤltniſſes der Allegorie zur griechiſchen Malerey findet ſich bey Toͤlken, a. a. O., doch in26 der griechiſchen Kunſt ihren Urſprung aus der Schriftbildnerey der aͤlteſten Zeiten beurkundet; alſo liegt es nur in ſolchem, was unmittelbar durch die Anſchauung dem Geiſte einleuchtet. Der naͤheren Beſtimmung des Grundes dieſer von Erklaͤrungen unabhaͤngigen Erfaßlichkeit ſetzten ſich indeß tief eingewurzelte Vorurtheile entgegen, welche, ſo dunkel und verworren ihr Urſprung iſt, doch, von vortrefflichen Geiſtern ſcheinbar be - gruͤndet, waͤhrend des letzten Menſchenalters an Muth und Hartnaͤckigkeit noch um Vieles zugenommen. Denn es iſt eben nur die traditionelle, nirgend erwieſene Vorausſetzung einer dem Kuͤnſtler angeborenen Kraft, ſich eigene Formen der Darſtellung zu erſchaffen, welche uͤber die Thatſache verblendete und noch immer verblendet: daß die Griechen (entweder weil durch die Erfindung und Ausbildung der Buchſtabenſchrift die Geſtalt des duͤrren Begriffsdienſtes ſchon entbunden worden, oder auch, weil die Natur ſich gefallen, in ihnen ſelbſt, wie noch die Truͤmmer des Volkes beweiſen, die Geſtalt in hoͤhe - rem Maße zu beſeelen) zuerſt die innere, nothwendige, gege - bene Bedeutſamkeit entdeckten, welche, wenn wir nur ſehen wollten, uͤber alle Gebilde der Natur verbreitet iſt. Auf die - ſer allgemeinſten Bedingung aller bildenden Kunſt beruhet jene unmittelbare Verſtaͤndlichkeit griechiſcher Kunſtgebilde, welche wir taͤglich bewundern, ohne jederzeit deren wahren Grund uns einzuraͤumen. Denn man geht wohl, um ihn nur laͤugnen zu duͤrfen, ſo weit, hiſtoriſche Unwahrheiten zu behaupten, wie dieſe, daß die Aegypter, welche weltkundig nur die allge - meinſten Zuͤge der menſchlichen Geſtalt erfaßt, und ſelbſt dieſe meiſt hoͤchſt willkuͤhrlich verwendet haben, doch der Naturge - ſtaltung naͤher geblieben, als die Griechen, deren Kenntniß der Naturformen, deren Gefuͤhl fuͤr deren zarteſte Uebergaͤnge,27 wie ihre Bildwerke unwiderſprechlich an den Tag legen, von keiner ſpaͤteren Leiſtung jemals uͤbertroffen worden. In aͤhn - licher Abſicht behauptete Herder, daß die alten Griechen keine eigentliche Bildniſſe gemacht, Leſſingwenigſtens, daß ſie ſolche nach allgemeinen Schoͤnheitsbegriffen abgeaͤndert haben*)Auch WinckelmannK. G. neue Ausg. Bd. IV. S. 131..
Unbelohnend waͤre es freylich, den Blinden und Verblen - deten begreiflich zn machen, daß die griechiſche Kunſt eben nur der ſcharfſinnigſten Wahrnehmung bedeutſamer Zuͤge der Na - turgeſtalt ihre unvergleichlich lichte, anſprechende Darſtellung verdanke. Wer indeß die Faͤhigkeit beſitzt, ihre Kunſtwerke zu ſehen, wer ſo viel Unbefangenheit ſich erhalten, die Aeuße - rungen alter Schriftſteller uͤber Dinge der Kunſt nicht nach vorgefaßter Meinung**)So iſt es eine willkuͤhrliche Auslegung, wenn Leſſingannimmt, daß Widerwille gegen Bildniſſe die Griechen beſtimmt habe, nur dem dreymaligen olympiſchen Sieger ikoniſche Bildſaͤu - len zu ſetzen. Weshalb denn waͤre eben der dreyfach Geehrte durch eine minder erfreuliche, oder widrigere Kunſtform ausgezeichnet worden?, ſondern nach den Umſtaͤnden und aus der Verbindung zu erklaͤren, wird leicht mir einraͤumen, daß die einen durchaus natuͤrliche ſind, und daß die anderen unzweydeutig darlegen, daß man im Alterthume den ſelbſt - ſtaͤndigen Werth der darſtellenden Formen, ſo oft man ſolche fuͤr ſich betrachtete, immer nur nach dem Maße ihrer Natuͤr - lichkeit beſtimmte***)S. CiceroBrut. 18. — Boͤttiger, Archaͤol. der Mal. S. 2. „ Aus dem Gelungenen der Nachahmung erklaͤrten auch die Alten jeden Kunſtgenuß ꝛc. “ Doch ſcheint dieſer Gelehrte hierin eine Verwandtſchaft mit den Anſichten des Batteuxzu vermu - then, welche nicht unbedingt einzuraͤumen iſt. Die Wuͤnſche der. Allerdings wollten die Griechen die28 Aufgabe, welcher Art ſie ſeyn mochte, deutlich ausgedruͤckt, oder dargeſtellt ſehen; ihnen, wie ſelbſt den roheren Roͤmern, kam es wirklich darauf an, die Idee der Aufgabe, mit der ſie es meiſt ganz ernſtlich meinten, durch entſprechende For - men dargeſtellt zu ſehen, weßhalb ſie Recht hatten, zu zuͤrnen, wenn ſie ſtatt eines Gottes, oder Helden, das Bildniß einer trivialen Perſon erhielten, deren Formen vielleicht, auch abge - ſehen von den ihrer Perſoͤnlichkeit anklebenden Nebenvorſtel - lungen, in jeder Beziehung der Aufgabe widerſprachen. Folgt aber daraus, daß ſie ihre Goͤtter und Heroen, gegen alle Geſchichte, in unmenſchlichen und unnatuͤrlichen Formen er - blicken wollen? Gewiß konnte dieſes, wenn jemals, doch nur in den aͤlteſten Zeiten und an ſolchen Orten, unter ſolchen Verhaͤltniſſen ſtatt finden, wo — wie es nicht unerhoͤrt in der griechiſchen Kunſtgeſchichte — nicht ſowohl Darſtellung und eigentliche Kunſt, als vielmehr willkuͤhrliche Bezeichnung verborgener Begriffe bezweckt wurde, deren Eroͤrterung der hiſtoriſchen, nicht der aͤſthetiſchen Archaͤologie anheimfaͤllt. Wenn aber der Kunſt unkundige Griechen bey Darſtellungen in ſich abgeſchloſſener Vorſtellungen des Geiſtes noch zweifeln***)hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Kunſtgelehrten beſchraͤnkten ſich auf die Gaukeley des Erſcheinens an ſich ſelbſt; die Alten aber, wenig - ſtens die beſten, betrachteten den vollen Beſitz der Naturformen als die Bedingung genuͤgender Darſtellung. Vergl. Winckelmannund ſein Jahrh. S. 281. — Das illuſoriſche Kunſtbeſtreben bedarf vieler Zuͤge der Natur, vieler Umſtaͤnde der Erſcheinung, welche in den meiſten Faͤllen zur eigentlichen Darſtellung unweſentlich ſind; und umgekehrt wird es andere Zuͤge der Naturgeſtalt uͤber - gehen duͤrfen, welche in beſtimmten Faͤllen die Darſtellung hoͤch - lich unterſtuͤtzen. Alſo ſteht der darſtellende Kuͤnſtler zur Natur nicht ganz in demſelben Verhaͤltniß, als der bloß ſinnlich illu - dirende.29 konnten, ob der Kuͤnſtler wohl unter den ihn koͤrperlich um - gebenden Geſtalten der Natur, fuͤr jene ein vollendetes Vor - bild gefunden: ſo fuͤhrt eine ſolche naive Aeußerung, weit entfernt fuͤr die Willkuͤhrlichkeit der griechiſchen Kunſtformen zu zeugen, vielmehr auf die Vermuthung, daß dem Griechen der ſchoͤnſten Zeit, welcher das aͤußere Treiben ſeiner Kuͤnſtler noch vor Augen hatte, ſie unablaͤſſig umherſchauen, nachbil - den, forſchen ſah, die ganze Kunſt wohl einmal als bloßer Wetteifer mit der Natur, als bloße Nachahmung ihrer ein - zelnen Gebilde erſchien. Wir indeß haben uns oben daran erinnert, daß eben vermoͤge jener gegebenen Bedeutſamkeit der Naturformen, deren unumgaͤngliche Erforſchung und Aneig - nung nicht ſelten der Kunſt Unkundige weiter hinausliegende Zwecke der Kuͤnſtler uͤberſehen macht, vieles Große, in ge - wiſſer Beziehung ſelbſt das Hoͤchſte, was uͤberall im menſch - lichen Geiſte gedeihet und reift, auch kuͤnſtleriſch ſowohl zu erfaſſen, als darzuſtellen iſt*)Vergl. zwey engliſche Monographieen, die eine, uͤber die Geſtalt und Lage des Iliſſus, die andere, Vergleichung des alt - griechiſchen Pferdekopfes, im brittiſchen Muſeum, mit einem der venezianiſchen. Titel und Verf. vermag ich nicht umſtaͤndlich an - zugeben. Als ich ſie vor etwa vier Jahren zu Florenzauf der Magliabecch. Bibliothek fand und las, glaubte ich, ſo ausgezeich - nete Arbeiten wuͤrden in Deutſchlanduͤberall zu finden, oder doch aus Englandzu erhalten ſeyn. Beides iſt mir fehlgeſchlagen, wo - her ich ſchließe, daß ſie nicht in den Handel gekommen, und nur als Geſchenk vertheilt worden ſind. — Aufmerkſame Beachtung und gruͤndliche Unterſuchung von Werken der beſten und ſchoͤnſten Schule antiker Bildnerey leitete ihren Verf., in Bezug auf die Art und Abkunft der darſtellenden Kunſtformen, ungefaͤhr auf die - ſelbe Anſicht, welche ich oben zu begruͤnden verſucht..
Allerdings ſind ſchon bey den Griechen, unmittelbar nach30 der ſchoͤnſten Bluͤthe ihres Geiſteslebens zween obwohl ent - gegengeſetzte, doch gleichmaͤßig irrige Kunſtanſichten aufgekom - men. Die eine, welche nach den Andeutungen in der Com - pilation des aͤlteren Pliniusgewiß ſehr weit verbreitet war, verlor uͤber jene Gaukeley der ſinnlichen Wahrſcheinlichkeit, welche allerdings ein ergoͤtzliches Spiel der Meiſterſchaft iſt, wohl nicht ſelten hoͤhere Zwecke der Kunſt aus den Augen; obwohl ſchwerlich in dem Maße, als einige Theorieen der letzten Jahrhunderte. Die andere erhielt ſich ebenfalls auf der Oberflaͤche, indem ſie der eitlen Selbſttaͤuſchung ſich hin - gab, daß organiſche Formen, durch, wenn auch damals noch ſehr bedingte, doch immer ſchon willkuͤhrliche Abaͤnderungen verſchoͤnt werden koͤnnen; daß die Natur, daß die Anordnun - gen des Schoͤpfers einer Nachbeſſerung durch menſchlichen Witz beduͤrfen. Die erſte dieſer Anſichten, welche mit den hochge - ſpannten Vorausſetzungen unſerer aͤſthetiſchen Archaͤologen ſo wenig uͤbereinſtimmt, wird von dieſen meiſt uͤberſehen oder doch zu fruͤh beſeitigt*)Eine umfaſſende Zuſammenſtellung dahinaus zielender Stel - len alter Schriftſteller waͤre der Gelehrſamkeit und des Fleißes eines Boͤttigerwerth. Moͤchte dieſer treffliche Gelehrte der Kunſt zum Frommen auch dieſe, ſo hoͤchſt verdienſtliche Arbeit auf ſich nehmen, die Stellen, aus denen theils die philoſophiſche, theils die populaͤre Kunſtanſicht der Alten hervorgeht, nicht, wie gewoͤhnlich, zur Beſtaͤrkung moderner Meinungen, ſondern nur eben der alten willen, mit Hindeutung auf den jedesmaligen Standpunkt des Autors, oder ſeiner redend Eingefuͤhrten nach Zeit und Gegenſtand zu ordnen und zu vereinigen.. Aus der anderen indeß, welche ſicher den modernen Kunſtgelehrten willkommen iſt, duͤrfen wir auf keine Weiſe auf die Anſichten der aͤlteren und beſten Kuͤnſtler zuruͤckſchließen. Denn ſie gehoͤrt der Zeit an, da der31 Sinn und die Wuͤnſche gewaltiger Herrſcher die griechiſche Kunſt von lieblicher Unbefangenheit und ſchauerlicher Tiefe zum aͤußeren Glanze, zur Wirkung hinuͤberlenkte. Und hierin werden wir nicht, wie Manche, einen Fortſchritt wahrzuneh - men glauben, vielmehr nur bewundern koͤnnen, daß unbewußte Fortpflanzung des Alten, oder Ehrfurcht vor den Werken ihrer naͤchſten Vorgaͤnger, die Kuͤnſtler, welche ſo verderblichen An - ſichten ſich hingegeben, doch in der Hauptſache noch lange beym Rechten erhalten und, bis zum gaͤnzlichen Verſiegen, die alte Kunſt vor jener grenzenloſen Verirrung in Manieren bewahrt hat, welche den neueſten Jahrhunderten vorbehal - ten blieb.
Allein auch die neuere Kunſt ward keinesweges gleichſam todt geboren, und befolgte daher von ihrem erſten Aufſtreben bis auf ihren hoͤchſten Gipfel noch immer die Anſicht des Alterthumes: daß alle darſtellenden Formen der Kunſt, als in der Natur gegebene, vom Kuͤnſtler erlernt und erworben, nicht etwa willkuͤhrlich erdacht und erbildet werden muͤſſen. Wenn wir nur im Geſicht behalten, daß die Kunſt auf ihren fruͤheren Stufen ſich mit den allgemeinſten Zuͤgen der Natur begnuͤgt, theils weil es ſo zur Darſtellung ihrer Aufgaben genuͤgt, theils weil ſie noch weit von dem Wunſche, oder Vermoͤgen entfernt iſt, illuſoriſche Wirkungen hervorzubringen; ſo werden wir ſchon in Cimabue’smaͤchtiger Jungfrau, vor - nehmlich in dem Kinde und in den Engeln, oder auch in anderen Werken dieſer Zeit wahrnehmen koͤnnen, daß man in eben dem Maße, als man weiter gedacht und weiter hin - ausgeſtrebt, auch der Natur ſich angenaͤhert, ihr Feinheiten und Bezeichnungen abgewonnen hatte, welche den naͤchſt vor - angehenden, ſtumpfſinnigeren Kuͤnſtlern noch durchaus fremd32 waren. Die Zeitgenoſſen Giotto’s, des beruͤhmten Florenti - ners, der wenigſtens in der Bewegung der Figuren, und in der Freyheit der Erfindung noch weiter vorgeſchritten war, glaubten, da auf ſo fruͤhen Kunſtſtufen auch der Beſchauer mehr Phantaſie und Waͤrme hinzubringt, in ſeinen Werken das Leben, oder wenigſtens die Lebendigkeit ſelbſt zu erblicken*) Gio. Boccaccio, Dec. gior. 6. n. 5. von Giotto: — „ niuna cosa dà la Natura madre de tutte le cose — che egli con lo stile e con la penna, o col pennello non dipignesse sì simile a quella, che non simile anzi déssa paresse; u. ſ. f.” — Villani, Gio, stor. Fior. lib. XI. (ed. Torrent. Flor.1554. p. 30.) ad. a. 1334. — „ Giotto—, il più sovrano maestro stato in dipintura, che si tro - vasse al suo tempo, e quegli, che più trasse ogni figura ed atti al naturale.” . Dieſe war das Maß, nach welchem der Werth der Kunſtform ſchon da - mals beſtimmt wurde, wie es vollends aus Ghiberti’sSchrift hervorgeht, welcher in ſeinen Nachrichten uͤber die Werke des Giottound Anderer Alles, was er in Bezug auf die Darſtellung lobt und billigt, mit der Naturgeſtalt und mit den Werken der antiken Bildner vergleicht, welche ihm nach einem richtigen Gefuͤhle voͤllig uͤbereinzuſtimmen ſchei - nen**) Lor. Ghiberti, trattato di scultura e pittura; Magliabecch.classe XVII. palch. 1. No. 33. p. 7. a tergo — Giotto— arecò l’arte naturale con esso non uscendo dalle misure — und p. 9. a tergo, von einem deutſchen Bildner, „ perfetto — al pari degli statuarj antichi Greci. ” —. Im funfzehnten Jahrhunderte ſtieg nun gar die Begier, ſich bedeutende und ſchoͤne Naturformen anzueignen, eben bey den beachtenswertheſten Malern ſo hoch, daß nicht ſelten, wie bey Domenico Ghirlandajodie eigentlichen Gegenſtaͤnde ihrer Darſtellung ſich ihrem Blicke entruͤckten,was33was indeß der Kunſt im Ganzen betrachtet nicht eben Nach - theil gebracht. Wie dann Lionardo, wie Michelangeloin den geheimſten Werkſtaͤtten der Natur umhergewuͤhlt und geforſcht, wie liebevoll Raphaelſich der Naturfuͤlle hingegeben, lehren ſowohl die groͤßeren Werke dieſer Meiſter, als vornehmlich ihre Studienbuͤcher und Handzeichnungen, wie es denn auch die Angaben ihrer Zeitgenoſſen beſtaͤtigen. Alſo werden wir in einer viel neueren Epoche die Entſtehung des Irrthumes aufſuchen muͤſſen: daß der Kuͤnſtler, nicht zufrieden, den eige - nen Sinn, wie tief, oder flach, wie hoch, oder niedrig er ihm gewaͤhrt ſey, in den Formen der Natur auszupraͤgen, viel - mehr auch ſeine eigenen Formen ſich erbilden koͤnne und ſogar, wie man hie und da unbedingt fordert, ſie erbilden ſolle.
Es iſt mir bisher nicht gelungen, die moderne Meinung, daß Formen der Darſtellung denkbar, und moͤglich und wuͤn - ſchenswerth ſeyen, welche der kuͤnſtleriſchen Erfindung durch - aus angehoͤren, weiter zuruͤck zu verfolgen, als bis zu einem naiven und liebenswerthen Briefe Raphaels, der ſo haͤufig benutzt worden, daß ich ihn als bekannt vorausſetzen darf. Kuͤnſtler ſind nun freylich nach ihren Werken zu beurtheilen, weniger, oder auch gar nicht, nach Anſichten, Meinungen, Grundſaͤtzen, welche ſie in Begriffen ausſprechen. Demunge - achtet iſt ein Wort, welches aus der Feder des groͤßten Kuͤnſt - lers gefloſſen, ſchon der Beachtung und Pruͤfung werth. Nun zeigt ſich Raphaelin ſeinen bekannteren Briefen und Gedich - ten zwar der Geſinnung und dem Streben nach ſtets ſeiner ſelbſt werth, doch auf der anderen Seite, was Begriff und Sprache anbelangt, nur wenig ausgebildet; ſo daß nicht ſo leicht zu entſcheiden iſt, wie er es ſelbſt verſtanden, wenn er ſagte: „ Er finde in der Natur keine Geſtalt, welche ſeinemI. 334Wunſche, die ſchoͤnſte Goͤttin darzuſtellen, ganz entſpreche und ſtrebe daher einer gewiſſen Idee nach. “
Genau betrachtet bezeugen dieſe Worte, auf der einen Seite nur etwa eine augenblickliche Unzufriedenheit mit den eben vorhandenen Modellen; auf der anderen Seite aber die naive Vorausſetzung, daß fuͤr jede in ſich abgeſchloſſene Idee unter den abgeſchloſſenen Geſtalten der Natur auch ein vollen - detes Gegenbild muͤſſe aufzufinden ſeyn. Wollten wir indeß annehmen, Raphaelhabe hier, vielleicht durch Freunde unter den gelehrteren Hoͤflingen zu Romveranlaßt, eben nur etwas platoniſiren wollen, ſo war Solches fuͤr ſeinen kuͤnſtleriſchen Zweck ſicher ohne allen Belang, da es klar iſt, daß der frag - liche Schulbegriff, in ſo fern er Grund hat, ſchon ohne ſich deſſen bewußt zu werden, bey Kuͤnſtlern in Wirkung treten muß; dagegen in ſo fern er etwa falſch iſt, ihr Beſtreben und Wirken nur durchkreuzen kann. Ueberhaupt duͤrfte der Kuͤnſtler mit der Idee des Schulbegriffes nicht wohl auslan - gen koͤnnen. Denn die kuͤnſtleriſche Darſtellung bedarf, wie es ſchon einleuchten wird, ganz durchgebildeter Geſtalten, kann mithin bey jenen dunklen Erinnerungen der platoniſchen, oder noch aͤlteren Weisheit auf keine Weiſe ſich beruhigen. Wer aber wuͤrde behaupten wollen, daß Raphaelnach zwanzigjaͤh - riger Hingebung in die liebevollſte und emſigſte Naturbeſchau - ung eine ſolche Verſtandesgrille ernſtlich habe behaupten wol - len? Wer wuͤrde nicht lieber annehmen, ſein Ueberdruß an den Geſtalten, ſo die Natur ihm damals darbot, oder nur darzubieten ſchien, ſey nur ein unmuthiges Wort, dem Muͤ - den um ſo mehr nachzuſehen, als er es, wie ſeine Goͤttin zeigt, nicht einmal in dem Augenblicke, da er es ausſprach, damit ſo gar genau genommen.
35Wie man nun immer die Worte deuten wolle, welche Raphaeleinmal hingeworfen, ohne ſie jemals naͤher erklaͤrt, noch, in ſo fern ſie eine allgemeine Ungenuͤgſamkeit mit den Geſtalten der Natur zu bezeugen ſcheinen, in ſeiner Kunſt - uͤbung ernſtlich befolgt zu haben; ſo wird dennoch darin kein hinreichender Grund entdeckt werden koͤnnen, ihm das ent - ſchiedene Eingehen in einen Irrthum beizumeſſen, welcher da - zumal uͤberhaupt noch nicht an der Zeit war. Er konnte erſt um Decennien ſpaͤter Beyfall und Eingang finden, als Eitel - keit und Traͤgheit unter den Kuͤnſtlern uͤberhand genommen. Denn in dem gedoppelten Beſtreben, durch Seltſamkeit aufzu - fallen, und den Geiſt anſtrengenden Studien auszuweichen, liegt der eigentliche Grund, ſowohl der Entſtehung, als wie der ſchnellen und bereitwilligen Aufnahme der Meinung, daß es dem Kuͤnſtler gegeben ſey, aus ſich ſelbſt Formen zu ent - wickeln, welche die natuͤrlichen an Bedeutſamkeit und Schoͤn - heit uͤbertreffen.
Schon in dem ſpaͤteren Malerleben des Vaſariwird auf die Erfindung und Handhabung deſſen, was er die ſchoͤne moderne Manier benennt, ein Gewicht gelegt, welches errathen laͤßt, wie ſehr man ſchon damals in der Vorſtellung befangen war, daß eine loͤbliche Darſtellung nicht etwa ſchon aus der Beobachtung und Erforſchung des Gege - benen hervorgehe, vielmehr und vornehmlich aus freyer, muth - williger Erfindung und willkuͤhrlicher Gewandtheit*)S. bey Georg Vaſari(vite de pittori etc. 1568. P. III. p. 813.) die anziehende Erzaͤhlung von einem Beſuch, den er mit Michelangeolobey Tizianabgelegt, und die Reflection am Schluſſe: — chi non ha disegnato assai e studiato cose scelte an - tiche o moderne, non può far bene di pratica da se, nè ajutare le cose, che si ritranno dal vivo, dando loro quella grazia e perfe -. In der3 *36That lobt und billigt bieſer Schriftſteller einige Kuͤnſtler, wel - che ſogar den modern Geſinnten unter den Richtern und Ge - ſchichtſchreibern der Kunſt fuͤr Manieriſten gelten. Vaſariindeß, der bekanntlich in ſeiner eignen Darſtellung die Mitte des Rechten und Falſchen, der Geſetzmaͤßigkeit und Willkuͤhr gehalten, bildet auch in der allgemeinen Anſicht gleichſam nur einen Uebergang. Denn mit deutlichem Bewußtſeyn und ent - ſchiedenem Wollen ausgeruͤſtet erblicken wir jenen, fuͤr die moderne Kunſt grundverderblichen Irrthum nicht fruͤher, als in der Zeit, da die vielbeſprochene Partheyung der Idealiſten und Naturaliſten zuerſt verlautete*)S. die Quellen der modern italien. Kunſtgeſchichte, welche bey Fiorillo.Geſch. d. z. K., ſehr vollſtaͤndig nachgewieſen ſind. — Die Naturaliſten erhoben ſich allerdings um etwas ſpaͤter; ihre Einſeitigkeit wurde durch Ekel an den leeren Zerrbildern der ſo - genannten Idealiſten hervorgerufen..
Kein Uebel kommt ſo leicht allein, und kein Extrem ent - ſteht, dem nicht alſobald ein entgegengeſetztes gegenuͤber traͤte; daher, denke ich, erſcheint der falſche Idealbegriff jederzeit in Begleitung eines gleich ſchiefen Naturbegriffes, ſo daß wir*)zione, che da l’arte[fuori] dell’ ordine della natura etc. Alſo hoff - ten ſchon die Zeitgenoſſen des Vaſaridie Natur in der Form zu uͤberbieten; mit welchem Erfolge wiſſen die Sachkundigen. — Auch dieſes Verhaͤltniß durchſchaute Baco(Sermones fideles etc. XLI. de pulchritudine): — „ Non quin existimem elegantiorem fa - ciem depingi a pictore posse, quam unquam in vivis fuit; sed hoc ei contingere oportet ex felicitate quadam et casu — non autem ex regulis artis.” Ein ſolches Gluͤck und Gelingen faͤllt, wenn uͤberhaupt, doch nur denen zu, welche durch (wie Bacoandeu - tet) bedachtloſe Hingebung in die Natur mit dieſer ſo ganz eins geworden ſind, daß ſie, auch unabhaͤngig von einzelnen Vor - bildern, doch im Sinn und Geiſt der Natur geſtalten und bilden koͤnnen.37 den einen nicht aufloͤſen und aufheben koͤnnen, ohne vorher den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey - ung aber, welche durch dieſe irrigen Begriffe hervorgebracht worden, wird an ſich ſelbſt nur in ſo fern der Aufmerkſamkeit werth ſeyn, als ſie durch das Beyſpiel ihrer Leiſtungen den Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falſchen Auffaſſung der Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder weſentlich be - duͤnken moͤchte, ſogar fuͤr die wirkliche Kunſtuͤbung entſteht. Ueberhaupt aber moͤgen der Kunſtgeſchichte weniger Kundige nicht etwa glauben, daß den Idealiſten die Idee, den Natu - raliſten die Natur ſo ſehr am Herzen gelegen. Ihr Streit drehte ſich einzig um Formen der Darſtellung, ob dieſe will - kuͤhrlich zu erſinnen*)Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrartaus der Kunſtſprache der italieniſchen Maler ſeiner Zeit uͤberſetzt, iſt dem oben Angefuͤhrten, far da se, des Vaſariungefaͤhr gleichbedeutend., oder vielmehr jedem in der Wirklich - keit ſich zufaͤllig darbietenden Gegenſtande nachzubilden ſeyn. Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth - willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verſchmaͤhte, wollte die andere, die inneren Forderungen beſtimmter Kunſtaufgaben verachtend und jeglicher Erhebung der Seele entſagend, nur ſolche For - men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil - liger Weiſe eben die, welche der Aufgabe ſichtlich widerſpra - chen. Wie nur die Schulbegriffe ſo platter Richtungen in die Sprache der unlaͤugbar beſſer geſinnten Kuͤnſtler, der un - laͤugbar tiefer denkenden Kunſtgelehrten der neueſten Zeit haben uͤbergehen koͤnnen!
Wenden wir uns zunaͤchſt zum Grundbegriffe der Natu - raliſten, ſo iſt es wohl klar, daß der Name der Natur, die - ſes weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver -38 wendet werden kann, um, wie noch immer in der modernen Kunſtſprache gebraͤuchlich iſt, eben nur einen zufaͤllig vorlie - genden Gegenſtand der ſinnlichen Anſchauung und oft genug nur mechaniſchen Nachahmung zu bezeichnen. Doch nicht bloß frevelnd, vielmehr auch abgeſchmackt iſt es, nur in der Kunſt - ſprache das Einzelne durch den Namen des Allgemeinen zu bezeichnen, dem es etwa unterzuordnen. Wuͤrden wir im Leben, anſtatt: ich habe einen Menſchen, einen Baum, einen Berg geſehen, einmal ſagen wollen: ich habe die Natur ge - ſehen; ſo duͤrften wir, wenn uͤberall verſtanden, doch gewiß wegen des Unbeſtimmten und Unſchicklichen unſeres Ausdrucks mit allem Grunde verlacht werden. Weshalb denn ſollte es paſſender ſeyn, wenn man im gemeinen Kunſtverkehr anſtatt: ich habe dieſe Geſtalt nach einem beſtimmten Menſchen gebil - det, zu ſagen pflegt: ich habe ſie nach der Natur gemacht? Und wie haͤufig wird dieſer thoͤrichte Kunſtausdruck nicht ſelbſt auf todte, von Menſchenhand verarbeitete Dinge ausgedehnt, welche der gemeine, wie der wiſſenſchaftliche Sprachgebrauch als kuͤnſtliche den natuͤrlichen entgegenſetzt. Habe ich doch oft von Teppichen, Stuͤhlen, Baͤnken, Gebaͤuden und Anderem der Art gehoͤrt, es ſey nach der Natur gezeichnet oder gemalt worden.
Indeß, wird man mir einwenden, weiß der Kuͤnſtler, wie der Kunſtfreund, daß Natur ihm eben nicht Anderes be - deute, als Modell, Vorbild, Objekt der ſinnlichen Anſchau - ung oder Aehnliches; und uͤberhaupt, wird man hinzuſetzen, komme es ja weniger darauf an, daß man ein Wort ganz ſprachgemaͤß gebrauche, als daß man uͤber den Sinn einig ſey, den man ihm beylegen wolle. Es liegt nicht in meiner39 Aufgabe, hier die Frage zu erledigen, ob die Sprache an ſich ſelbſt durch jene Willkuͤhr der Wortbedeutungen, in welcher die Modernen ſich zu gefallen ſcheinen, irgend etwas gewinne, oder umgekehrt von ihrer urſpruͤnglichen Klarheit einbuͤße, wie ſie mehr und mehr von den Bildern und Anſchauungen ſich entfernt, welche der Bezeichnung ſelbſt der abſtracteſten Be - griffe zum Grunde liegen. Doch kann ich nicht umhin, die Kunſtfreunde und Kuͤnſtler zu erinnern, daß auf der einen Seite der Begriff, den ſie meiſt ziemlich ausſchließlich mit dem Worte Natur verbinden, durch Modell und Vorbild ſchon ſehr genuͤgend bezeichnet wird; daß auf der anderen Seite der weitumfaſſende Begriff der zugleich erzeugenden und erzeugten Natur nicht wohl, etwa aus Gefaͤlligkeit gegen die Grillen einiger Kuͤnſtlerſchulen von zweifelhaftem Werth, durch ein neues, noch unerfundenes Wort zu erſetzen iſt. Beachten wir zudem, daß jegliches Weſen, alſo ſelbſt der Manieriſt, zur wirklichen Natur in ſo vielfacher Beziehung ſteht, daß es den Kunſtgelehrten und Kuͤnſtlern, wie pedantiſch aͤngſtlich ſie immer ihren eigenthuͤmlichen Naturbegriff in ſeiner Reinheit zu erhalten Bedacht nehmen moͤchten, doch unmoͤglich faͤllt, nicht abwechſelnd einmal weiter hinaus zu denken, und bey dem Worte Natur dieſe ſelbſt und nicht bloß jenen Modellbegriff im Sinne zu haben. Eine ſolche Vermiſchung des Einzelnen mit dem Allgemeinen fließt alſo leicht von dem Ausdruck, in dem man ſie etwas leichtſinnig zugelaſſen, auf die innere Vorſtellung hinuͤber, woher zu erklaͤren iſt, daß viele vor - treffliche Denker, was etwa in Bezug auf ein beſtimmtes Modell ganz wahr ſeyn mag, unvermerkt auf die Geſammt - heit der Natur uͤbertragen haben, welche ſie bey ſchaͤrferer40 Unterſcheidung doch ſchwerlich haͤtten ſo ſchmaͤhen koͤnnen, wie es geſchehen und noch taͤglich geſchieht*)Ueberall in unſeren, obwohl von ſcharfſinnigen Bemerkun - gen, geiſtvollen Zuͤgen, von großen und erhabenen Gedanken uͤber - ſchwellenden, dennoch in vielen Kunſtbegriffen der Manieriſten noch immer befangenen deutſchen Kunſtſchriften will man, nicht etwa mit einem allgemeinen poetiſchen, oder religioͤſen Sehnen, nein eben mit den ſo ganz reellen Formen der Kunſt uͤber die Schran - ken der Natur hinaus. Sogar Winckelmannnennet da, wo ihn ſein angeborener Naturſinn verlaͤßt, wo der Vorbegriff der Manieriſten ihn eben uͤberwaͤltigt, die Natur wohl einmal ſchlecht - hin die gemeine, ein Ausdruck der nicht ohne Nachfolge geblie - ben. Es liegt hier vielleicht eine Verwechſelung des Natuͤrlichen mit dem Geſchichtlichen zum Grunde. Denn die Natur ſelbſt, deren Beſtimmungen und Erzeugniſſe wir mit Dank aufnehmen ſollen, wie ſie eben ſind, kann uns nicht bald gemein, bald unge - mein ſeyn; nur die menſchlichen Willenskraͤfte koͤnnen bald auf Gutes, bald auf Schlechtes gelenkt werden; alſo nur in Bezug auf ſittliche Richtungen und Zuſtaͤnde kann von Gemeinem und Edlem der Natur die Rede ſeyn. Ein franzoͤſirter Laffe z. B. welcher in ſeiner geſchichtlichen Entwickelung das mißlichſte Vor - bild der Kunſt abgeben duͤrfte, wuͤrde demungeachtet unter dem Meſſer des Anatomen ſeines Geſchichtlichen entkleidet und nur ſein Natuͤrliches darlegend, ſogar dem groͤßten Kuͤnſtler ein edler und wuͤrdiger Gegenſtand der Forſchung ſeyn..
Ein eben ſo beſchraͤnktes, als ſtumpfſinniges und hart - naͤckiges Feſtkleben an zufaͤllig dem Sinne vorliegendem Ein - zelnen giebt demnach der Secte der Naturaliſten noch keinen Anſpruch an ſo ſchoͤnen Namen; noch weniger indeß duͤrfte die entgegengeſetzte Secte der Idealiſten berechtigt ſeyn, ſich nach einem Worte zu nennen, welches, obwohl von einem ſinnlichen Bilde ausgehend, doch nach unſerem Sprachge - brauche die geheimſten Tiefen des geiſtigen Lebens, wenn auch wohl etwas zu allgemein, bezeichnet. Freylich moͤchte es in41 Frage ſtehen, ob die italieniſchen Manieriſten das Wort Ideal, vermoͤge deſſen ſie ihre willkuͤhrlich gebildeten Formen von den natuͤrlichen zu unterſcheiden pflegten, aus jenem Schulbegriffe der Idee abgeleitet haben, welcher nach damaligem Stande der Wiſſenſchaft dem Raphaelin obigem Briefe vielleicht noch vorgeſchwebt. Denn es lag ihnen naͤher, ihren Idealbegriff aus dem neuitalieniſchen, idea, Einfall, oder willkuͤhrliche Vorſtellung, abzuleiten. Damit indeß waͤre nur die Ableitung des Wortes gerechtfertigt, keinesweges der Begriff ſelbſt; denn Ideale, deren Unterſcheidendes, nicht in einer beſonderen Gei - ſtigkeit der Abkunft, oder des inneren Gehaltes, ſondern einzig in einer gewiſſen Willkuͤhrlichkeit der Form beſteht, ſind doch, wie es einleuchten ſollte, eben ſo zweckloſe, als unerfreuliche Dinge.
Die leeren Zerrbilder der Manieriſten*)Auch das Kunſtwort, maniera, verdanken wir den Italie - nern; maniera iſt buchſtaͤblich ſo viel, als Handhabung, und wird als ſolche ſowohl in gutem als in ſchlimmem Sinne genommen. Indeß, da jenes Uebel, welches wir Manier nennen, eben aus einem unbedachten ſich Hingeben in erworbene, oder angeborene Gewandtheit der Hand entſtanden, ſo hat es auch davon den Na - men erhalten, welcher, wie ich denke, allgemein verſtaͤndlich iſt, und keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. fuͤr gute Kunſt - werke ausgeben, oder die Grundſaͤtze, nach denen ſie entſtan - den, unbedingt anerkennen, ſcheint denn auf den erſten Blick unvereinbar mit jener hingegebenen Bewunderung der Kunſt - werke des claſſiſchen Alterthumes, welche, ſeit Winckel - mann, bey unerheblichen Stoͤrungen, in immer weiteren Kreiſen ſich ausgebreitet hat. Indeß, ſey es nun, weil man nicht tief genug in das Weſen antiker Kunſt eingedrungen, oder auch, weil man die Liebe zum claſſiſchen Alterthume eben42 nur zur Schau trug; gewiß aber ward die Verachtung der Manieriſten und ihrer Hervorbringungen bey weitem nicht ſo ſchnell allgemeine Geſinnung, als man nach Winckelmann’sentſchloſſenem Durchgreifen*)Kunſtgeſchichte B. 5. S. 3. §. 27. und an anderen Stellen; haͤtte Mengsnicht bisweilen ſein Urtheil gemaͤßigt, wie ich zu erkennen glaube, ſo wuͤrde er vielleicht noch weiter gegangen ſeyn. erwarten konnte. Giebt es doch noch gegenwaͤrtig hoͤchſt ehrenwerthe, in der Kunſt nicht un - bewanderte Maͤnner, welche ſich nicht ſcheuen, die matte, leere Manier eines Marattaund anderer als lieblich und an - muthsvoll zu preiſen; da man doch offenbar ſogar den ſtreng - ſten Forderungen der Billigkeit ſchon genuͤgen wuͤrde, wenn man die großen Talente, die achtenswerthe Geſchicklichkeit und Ruͤſtigkeit, welche ſich inmitten der modernen Verkehrtheiten uͤberall in beklagenswerther Fuͤlle gezeigt, von dem Urtheil[ausnehmen] wollte, welches ihre Richtung im Ganzen ver - dammt. Wenn aber der Eindruck claſſiſcher Vorbilder nicht vermocht, den Geſchmack durchhin vom Schlechten abzulenken, ſo mußten viele Kuͤnſtler und Kunſtfreunde nicht minder ge - neigt bleiben, auch eine irrige Vorſtellung feſtzuhalten, welche die[Frechheit] der Manieren erzeugt, und ſo lange genaͤhrt und gepflegt hatte. Gewiß verband ſich dieſe manieriſtiſche Vor - ſtellung von einer gewiſſen Unentbehrlichkeit oder Auserleſen - heit menſchlich willkuͤhrlicher, von der Natur abweichender, oder wenigſtens ſie uͤbertreffender Formen nunmehr faſt un - abloͤslich mit allem Wahren und Richtigen, welches in der Richtung, die Winckelmannund Leſſingangegeben, uͤber die Kunſt uͤberhaupt, oder uͤber einzelne Seiten und Verhaͤlt - niſſe derſelben gedacht und geſchrieben worden.
Wie dieſer Vorbegriff dazu gelangt, inmitten ſo viel tie -43 fer Gelehrſamkeit und aͤchter Weisheit ſich ein bequemes und ſicheres Neſt zu betten, erklaͤre ich mir auf folgende Weiſe. Winckelmann, dem wir die meiſten unſerer gangbaren Kunſtbegriffe, wenn nicht vielmehr unſere ganze Kunſtſprache verdanken, brachte nach altem Schrot und Korn eine gewiſſe Ehrfurcht fuͤr den Gegenſtand hinzu, dem er in ſchon vorge - ruͤcktem Lebensalter ſeine Anſtrengungen widmen wollte. Da - her nahm er die Belehrungen der ihn umgebenden Kuͤnſtler - und Kennerwelt, deren hiſtoriſch-techniſche Kunſtkenntniſſe den ſeinigen uͤberlegen waren, mit Dank und Achtung entgegen*) Winckelmannbeſchließt ſeine Gedanken uͤber die Nachahmung mit Anerkennung deſſen, was er darin ſeinen Un - terredungen mit dem Maler Friedrich Oeſerverdanke.. In der Kunſtwelt, die er vorfand, war indeß, wie wir mit Sicherheit wiſſen, jener manieriſtiſche Vorbegriff tief einge - wurzelt**) Moͤſer, der Winckelmann’sSchriften wahrſcheinlich nicht geleſen hatte, ſagt, patr. Phantaſ. Bd. 2. No. 2. S. 15. f. (Ed. 776.) „ An den griechiſchen Kuͤnſtlern lobt man es, daß ſie ihre Werke nach einzelnen ſchoͤnen Gegenſtaͤnden in der Natur ausgearbeitet und es nicht gewagt haben, eine allgemeine Regel des Schoͤnen feſtzuſetzen. — Man ſpricht taͤglich davon — wie ſehr die neueren durch einige wenige Ideale gehindert werden, ſich uͤber das Mittelmaͤßige zu erheben. “ Noch ſo ſpaͤt alſo ward, Ideal, ſelbſt von deutſch gebildeten Maͤnnern in dem niedrigen Sinne gebraucht, den ihm die Manieriſten beygelegt hatten, daher der Natur und den Werken der griechiſchen Bildner entgegen - geſetzt. und ſeiner ſelbſt ſo ſicher, daß die letzten Sproͤß - linge der hollaͤndiſchen Richtung auf illuſoriſche Natuͤrlichkeit, ein Ditricyund Aehnliche, nicht wegen ihres Schlimmen, ſondern ihres Guten willen, welches noch immer einigen An - theil erweckt, von Allem, was Stimme hatte und zur großen44 Kunſtwelt gehoͤrte, mit groͤßter Zuverſicht verlacht wurden. Waͤre es nun ſo wunderbar, wenn der damals glaͤubig ſich hingebende Kunſtjuͤnger von ſeinem Zeichnenlehrer Oeſer*)Außer der o. a. Stelle, ſ. Winckelmann’sLeben, in ſ. Schriften, neue Ausg. und, Goethe, aus meinem Leben, Bd. 2., dieſem grauenhafteſten, leichenaͤhnlichſten aller Manieriſten, oder ſelbſt von dem beſſeren, aber unentſchiedenen Mengs, Anſichten und Vorbegriffe ſich haͤtte aufdraͤngen laſſen? Ge - wiß iſt es ungleich mehr zu bewundern, daß Winckelmann, der ſpaͤterhin aus der Fuͤlle ſeines Geiſtes ſo manchen kuͤhnen Wurf gewagt, doch ſelbſt auf der Hoͤhe ſeiner Entwickelung nimmer das Joch eines Vorbegriffes abgeworfen, gegen wel - chen ſein eigenthuͤmliches und beſſeres Gefuͤhl nicht aufhoͤrte, ſich aufzulehnen. Denn kein Neuerer hat wohl mit ſo an - tikem Sinn das Schoͤne und Bedeutungsvolle der Naturfor - men empfunden**)S. Winckelmannund ſein Jahrhund. Brief 21. Seine Schriften durchhin, vornehmlich, K. G. Buch 1. K. 3. §. 9. ff. Ferner ſeine Nachrichten uͤber das Muſeum von Capo di Monte. — Daher erfreute ihn unter neueren Malern vornehmlich Raphaelund Titian., ſo ungeduldig ihr wahres Verhaͤltniß zur Kunſt geahnet, ohne ſich deſſen jemals ſo ganz, wie es ſeyn ſoll, bewußt zu werden. Und es wuͤrde nicht ſo ſchwer fallen, vornehmlich im Geleite ſeiner Kunſthiſtorie nachzuwei - ſen, wie alle Incohaͤrenzen ſeiner philoſophiſchen Kunſtbetrach - tung eben nur daher entſtanden, daß er unablaͤſſig von der manieriſtiſchen Vorſtellung willkuͤhrlicher Kunſtformen zu dem Gefuͤhle hinuͤber ſchwankte, daß die Formen der Kunſt unter allen Umſtaͤnden in der Natur gegebene ſind***)Kunſtgeſch. Buch 5. K. 4. §. 2. beſchließt W. eine Reihe.
45Daß in der Folge dieſelbe Vorſtellung in noch neuere Kunſtbetrachtungen uͤbergegangen, darf Niemand befremden, da es bekannt iſt, wie viele ſich an dem Feuer Winckel - mann’serwaͤrmt und aus ſeinen Fundgruben bereichert haben. Gewiß findet ſie ſich ſelbſt in den beſten und lehrreichſten der neueren Kunſtſchriften, wo ſie den mancherley Idealbegriffen, welche der verſchiedene Standpunkt der Kunſtgelehrten erzeugt hat, uͤberall gleich einer verdunkelnden Folie anklebt. So wenig nun denen, welche ihr Buch bereits abgeſchloſſen, da - mit gedient ſeyn mag, ſo werden wir doch nicht wohl umhin koͤnnen, die verſchiedenen Begriffe, welche in den Kunſtſchrif - ten, mit einem allen gemeinſamen Namen, Ideale, heißen, jeden fuͤr ſich zu betrachten, damit ſich ergebe, ob ihr Wah - res nicht etwa von jenem Irrthume zu ſondern iſt, welcher eben ſo ſehr einer reinen und hinreichend ſcharfen Auffaſſung der Kunſt im Ganzen, als jeglichem Gedeihen ihrer einzelnen Beſtrebungen entgegenwirkt.
Ideal — obwohl dieſer Ausdruck neuerlich dem Worte, Symbol, zu weichen ſcheint*)S. des trefflichen Creuzer’sSymbolik, zu Anfang. Vergl. Fernow, zu Winckelmann’sVerſuch uͤber die Allegorie, und an a. S. — heißt den Alterthumsfor - ſchern die Darſtellung von Ideen, oder im Geiſte ausgebilde - ten Vorſtellungen, im Gegenſatze zu Bildniſſen und anderen Nachbildungen ſinnlich erſchaulicher Dinge**)S. Heyne, ak. Vorleſ. uͤber die Archaͤol. der Kunſt, wo. Gewiß ent -***)von Faͤllen, in denen die antiken Kuͤnſtler nicht etwa bloß von be - ſtimmten Modellen, nein ſogar von allgemeineren Geſetzen der na - tuͤrlichen Bildung ſollen abgewichen ſeyn, mit dem Satze: „ ſo wie es ſich auch in der Natur ſchoͤner, wohlgewachſener Menſchen findet. “46ſpricht dieſe Bedeutung der, obwohl etwas willkuͤhrlichen Bil - dung des Wortes, und in der That, wenn ihm die vielleicht unnoͤthige Fremdheit ſeiner Wurzel auch kuͤnftig nachgeſehen werden ſollte, ſo wuͤßte ich kaum, wie derſelbe Sinn ohne Umſchreibung, oder gleich kurz und buͤndig auszudruͤcken waͤre. In der Kuͤnſtlerſprache jedoch ward daſſelbe Wort (welches dieſe Forſcher, wie ich oben gezeigt und noch einmal in Er - innerung bringe, weder aus dem Alterthume, noch aus latei - niſchen Compendien, ſondern mittelbar aus dem Italieniſchen entlehnt haben) ſchon lange, bevor Winckelmanngeſtrebt, ihm einen vernuͤnftigen und menſchlichen Sinn beyzulegen, bloß von einer zweckloſen Willkuͤhrlichkeit der Form verſtan - den. Es galt demnach den neuen antiquariſchen Idealbegriff von dieſer Nebenvorſtellung abzuſondern, oder auch die Unzer - trennlichkeit und Uebereinſtimmung beider Kunſtbegriffe nach - zuweiſen. Die Archaͤologen haben das erſte unterlaſſen, das zweyte verſucht; die Gruͤnde, welche ſich ihnen darzubieten ſchienen, beruhen auf Wahrnehmung des Typus und des Sty - les; dieſe Eigenſchaften der Kunſt des Alterthumes erheiſchen indeß eine eigene Beleuchtung, welche wir, da ſie Raum er - fordert, fuͤr jetzt verſchieben, und am Schluſſe dieſer Betrach - tung von Dingen der Darſtellung wieder aufzunehmen denken.
Wie falſch, oder richtig demnach die Alterthumsforſcher den Hergang der Darſtellung ſich erklaͤrt haben moͤgen, ſo beruhet doch ihr Idealbegriff, noch immer auf der mehr und minder ausgebildeten Vorſtellung von einer reinkuͤnſtleriſchen, anſchaulichen Auffaſſung ſelbſt der geiſtigſten Aufgabe. Da -**)Ideal, unwandelbar in dieſem Sinne zu verſtehen iſt. Bey ande - ren Alterthumskundigen ſchwankt er meiſt zu den uͤbrigen Ideal - begriffen hinuͤber.47 gegen ſcheinen die kritiſch-philoſophiſchen Kunſtbetrachtungen, welche wiederholt, obwohl mit ſehr ungleichen Kraͤften ange - ſtellt worden, die kuͤnſtleriſche Geiſtesart ganz zu verkennen, indem ſie deren Hoͤhe in eine gewiſſe Annaͤherung an das Begriffsleben verſetzen, die wenigſtens mit jener allgemeinen Erklaͤrung der Kunſt, welche ich oben vorangeſtellt, nicht wohl vereinbar iſt. In den geiſtreichen und conſequenten aͤſthetiſchen Verſuchen Wilhelms von Humboldtſcheint allerdings, was dieſer Denker in Kunſtwerken Totalitaͤt nennt, auf den erſten Blick dem anſchaulichen, voͤlligen, ausgerunde - ten Denken des Kuͤnſtlers zu entſprechen. Doch bey naͤherer Betrachtung ergiebt es ſich als ein anderer Ausdruck fuͤr den Gegenſtand eines allen Denkern derſelben Schule eigenthuͤm - lichen Verlangens, auch in der Kunſt die ihnen befreundete Abſtraktion, den Begriff, wieder aufzufinden*) Fernowin Briefen an den Maler Kuͤgelgen, Joh. Schopenhauer, Leben Fernows, S. 359.: abſtracte Ideal - bildungen, weiter unten: abſtracte Formen; welch’ ein in - nerer Widerſpruch!. In einer anderen, doch ſchwaͤcheren Arbeit, wo daſſelbe Beſtreben ſich naiver und eben deshalb vielleicht um ſo deutlicher zeigt, ver - ſinnlicht der Verfaſſer ſeine Erklaͤrung des Idealen durch das Beyſpiel der verſchiedenen Lebensſtufen**) Heydenreich, aͤſth. Woͤrterbuch uͤber die bild. K., nach Wateletund Levesque, Leipzig1795. s. v. Ideal. Zu dieſer Wahl indeß hatte ihn Winckelmannveranlaßt, welcher, nach - dem er B. IV. und V. der Kunſtgeſchichte uͤber die Schoͤnheit wie ein Begeiſterter geredet, alſobald zu den wenig entſcheidenden Cha - rakteren der Lebensſtufen uͤbergeht.. So denkt er ſich das Ideal des Knaben, in welchem die Merkmale der fruͤhe - ren Jugend vereinigt ſind; ein anderes des Mannes, des48 Greiſes u. ſ. f. Zunaͤchſt duͤrfen wir ihm Gluͤck wuͤnſchen zu dem Poetiſchen in der Wahl ſeines Beyſpiels, welche ſicher bezeugt, daß ihm die Kunſt ſowohl von Haus aus, als durch Erfahrung durchaus fremd war. Denn auch abgeſehen von dem geringen Intereſſe dieſer Vorſtellung iſt das Lebensalter, wie auch das buͤrgerliche Geſetz daſſelbe abtheilen mag, doch an und fuͤr ſich ohne ſichere Grenze, alſo unfaͤhig auf ſolche Weiſe verallgemeint zu werden. Wichtiger indeß iſt es fuͤr uns, hervorzuheben, daß ſolche Ideale, wenn die Kunſt ſie zuließe, von dem Begriffe: Knabe, Mann u. ſ. f. doch nicht weſentlich verſchieden waͤren, weshalb man fragen duͤrfte: wie denn ſollte der Kuͤnſtler ſo viel Muͤhe anwenden, einen ſo großen Anlauf nehmen, als ſogar das mindeſte Kunſtwerk erfordert, um am Ende nichts Anderes zu bilden, als Sol - ches, ſo mit einem einzigen Worte gleich genuͤgend Anderen mitzutheilen iſt? Wahrlich, wenn die Vielfaͤltigkeit, Fuͤlle und Tiefe, welche die anſchauliche Auffaſſung in einem Mo - mente vereinigt, jemals gegen die Duͤrre des Begriffes ver - tauſcht werden ſollte, was denn wuͤrde durch eine ſolche Um - ſtellung fuͤr die Kunſt, was fuͤr das Leben gewonnen werden? Freylich wird dieſe Frage die bezeichneten Kunſtgelehrten nicht eben in Verlegenheit bringen, da ſie, auch abgeſehen von dem Umſtand, daß ſie nicht ſowohl die kuͤnſtleriſche Hervorbrin - gung foͤrdern, als die Kunſt auf ihre Weiſe reconſtruiren wollen, ihrer Sache ſchon im Voraus gewiß ſind. Denn eben jene Idealgeſtalten, welche ſie als das endliche Ergebniß aller kuͤnſtleriſchen Bemuͤhungen anſehen, welche ſie in einer zu auffallenden Uebereinſtimmung mit den Manieriſten ganz negativ als Dinge erklaͤren, welche auch in Bezug auf die Form theils dem Wirklichen entgegengeſetzt ſind,theils49theils das Wirkliche uͤbertreffen*) W. v. HumboldtVerſuche etc. — Winckelmannu. ſ. Ih. S. 208. u. f. „ Die Anſpruͤche des Materiellen, welche die Malerey befriedigen muß, hindern jene gaͤnzliche Abſtraction und Erhebung uͤber das Wirkliche, welche von den idealiſchen Darſtel - lungen der Plaſtik, die bloß die Formen in ihrer hoͤchſten Reinheit und Schoͤnheit liefern ſollen, gefordert wird. “, ſind nicht das Ergebniß, ſondern die Vorausſetzung ihrer Darlegung, welche ſie als eine runde, keiner Entwickelung, keines Beweiſes be - duͤrftige Forderung voranſtellen, und als ſolche durch ein ent - ſcheidendes Soll oder Muß dem Leſer ankuͤndigen. Voraus - ſetzungen ſind aber, wie es einleuchtet, das Ergebniß, nicht deſſen, was daraus gefolgert und abgeleitet wird, ſondern vor - ausgegangener Darlegungen, welche in dieſem Falle noch er - ſehnt werden.
Dagegen entſteht einer anderen Philoſophie Solches, was ſie in Kunſtwerken ideal nennt, aus jener inneren Belebung des Geiſtes, welche auch unter uns haͤufig die Idee genannt wird. Allerdings duͤrfte nur die traurigſte Abgeſtorbenheit alles inneren Lebensgeiſtes verleiten koͤnnen, mit Zuverſicht, wie hie und da geſchehen, jene Faͤhigkeit der Begeiſterung zu laͤugnen, welche, wie uͤberall, ſo auch in der Kunſt aller froͤhlichen und fruchtbaren Leiſtung vorangeht. Allein in dieſem Sinne bezeich - net Idealitaͤt offenbar nicht eine beſtimmte Beſchaffenheit, we - der der Form, noch der Aufgabe, ſondern einzig ſolches, ſo in den verborgenſten Tiefen des Daſeyns allem Denken und Dichten, allem Auffaſſen und Darſtellen zum Grunde liegt. Dieſe ideellſte Idealitaͤt unterſcheidet ſich alſo nicht bloß von jenen nuͤchternen Aggregaten, oder Abſtractionen, welche wir ſo eben beruͤhrt haben; vielmehr unterſcheidet ſie ſich nicht minder auch von den Idealen der Alterthumsforſcher, etwaI. 450wie Subjectives vom Objectiven. Dem Alterthumsforſcher nemlich heißt ideal, was Ideen darſtellt, welche meiſt, ſchon ehe der Kuͤnſtler die Hand erhoben, eine gewiſſe geiſtige In - dividualitaͤt, oder Abgeſchloſſenheit innerhalb ihrer ſelbſt er - langt hatten. Die Idee iſt demnach in dieſem Falle das Ob - ject der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung und der gelehrte Sprachge - brauch geſtattet, auch da von Idealen zu reden, wo die Dar - ſtellung, oder nur die Andeutung von außerhalb des Kuͤnſt - lers vorgebildeten Ideen durch bloß mechaniſchen Fleiß (wie in Copien und Nachahmungen) hervorgebracht worden. Dem conſequenten Idealiſten indeß darf in Kunſtwerken nur Sol - ches ideal heißen, welches, was es auch darſtelle, oder von auſſen herbeyziehe, doch immer von jener inneren Belebung des Geiſtes ausgegangen, welche ganz der Subjectivitaͤt des Kuͤnſtlers angehoͤrt. Oftmals daher wird er ſich bewogen fuͤh - len Manches, was dem Alterthumsforſcher ideal heißt, als geiſtlos zu verwerfen, und umgekehrt vieles, was jenem als individuell oder bildnißartig den geradeſten Gegenſatz des Idea - len zu bilden ſcheint, wenn es, gleich raphaeliſchen, oder an - tiken Bildniſſen, von dem ganzen Lebensgeiſte der Kuͤnſtler durchdrungen iſt, fuͤr idealer zu halten, als den groͤßten Theil alles deſſen, was ſchon vorgebildete Ideen durch mechaniſche Mittel auszudruͤcken, oder anzudeuten bezweckt.
Bis dahin duͤrften wir dem Idealbegriffe idealiſtiſcher Kunſtphiloſophen unſere Zuſtimmung geben. Allein, wenn ſolche Denker, nicht zufrieden ſich der Grundlage verſichert zu haben, nun auch weiter bauen und die Geſetze beſtimmen wol - len, nach welchen Kunſtwerke ſich nach außen entfalten: ſo ergiebt es ſich nicht ſelten, daß ſie dem kuͤnſtleriſchen Aus - druck des Geiſtigen eine ungleich freyere, entbundenere Bewe -51 gung beylegen*) Schelling, der in ſeiner geiſtvollen Rede uͤber das Ver - haͤltniß der bildenden Kuͤnſte zur Natur (Schriften S. 349.) in Bezug auf uͤbliche Lehrmethoden „ bloße Steigerung des Beding - ten, “oder „ Streben von der Form zum Weſen, “wie billig ver - wirft, ſagt bald darauf (S. 361.): Aus den Banden der Natur wand ſie (die helleniſche Kunſt) ſich zu goͤttlicher Freyheit empor. Koͤnnte es irgend angenommen werden, daß Natur hier in dem Sinne der Kuͤnſtlerſprache genommen ſey, ſo wuͤrde allerdings in Bezug auf die aͤußere Entwickelung der Schulen, ſelbſt jedes ein - zelnen Meiſters ein gewiſſer Uebergang der ſchuͤlerhaften Abhaͤngig - keit von zufaͤllig dem Sinne vorliegenden zu einem allgemeineren Beſitze der Naturform, durch dieſen zur Sicherheit, Meiſterſchaft und relativen Freyheit einzuraͤumen ſeyn. — Indeß ſteht zu befuͤrch - ten, daß der treffliche Denker in dieſen Zeilen einer Autoritaͤt nachgegeben, auf welche er ſich am Rande bezieht, und daher die Natur wenigſtens augenblicklich zur Kunſt in einem ganz anderen, beengenderen Verhaͤltniß gedacht habe, als wirklich ſtatt findet. Denn nicht mehr als der Fiſch in den Fluthen und jedes andere Ding in ſeinem Elemente, wird der Kuͤnſtler ſich in der Fuͤlle der Geſtaltungen beengt fuͤhlen koͤnnen, in denen er ſeiner ſelbſt und ſeines eigenen Wollens in dem Maße ſich deutlicher bewußt wird, als er ſie mehr in jeder Richtung durchdringt. — Giebt es uͤber - haupt in der großen Verkettung, der wir angehoͤren, Anlagen und Dinge, welche ihr eigenthuͤmliches Seyn durch Ausſonderung beſſer und zu einem hoͤheren Ziele entwickeln, ſo wird doch die Kunſt durch ihr naturgleiches Streben nach Geſtalt und aͤußerer Entfal - tung durchaus davon ausgeſchloſſen. Und liegt auch, wie S. be - geiſtert andeutet: „ Das Vermoͤgen, die Seele ſammt dem Leib, zumal und wie mit einem Hauche zu ſchaffen, “in der Kunſt, wie in der Natur; ſo wird dieſe Kraft doch nur in denen wirkſam, welche ſich ſelbſt und ihr eignes Wollen im Spiegel der Natur erkennen wollen., als ſelbſt den Kuͤnſten des Begriffes, deren luͤckenhafter, gleichſam nur uͤber die Dinge hinſchwebender Aus - druck, verglichen mit der unendlichen Voͤlligkeit des kuͤnſtleri - ſchen, doch offenbar minder ſtrengen Anforderungen unter -4 *52liegt. — Den Idealen unſerer Philoſophen und philoſophiren - den Dichter raͤumt man ein, daß ſie von jener inneren Be - lebung der Idee ausgehend, ſich allgemach mit einem gewiſ - ſen Fleiſch und Bein bekleiden, welches bekanntlich, theils jener geſchichtlichen Begriffs-Entwickelung angehoͤrt, welche wir Sprache nennen, theils der Unterſcheidung und Erkennt - niß ſowohl des Zufaͤlligen, als des Geſetzmaͤßigen in den aͤu - ßeren Dingen. Wuͤrden aber Philoſophen und Dichter, welche ihre Idee in einer Sprache von eigner Erfindung ausdruͤcken, oder die Natur der Dinge umkehren wollten, unſtreitig weder verſtanden, noch gebilligt werden; wie koͤnnte man denn eben dem Kuͤnſtler, deſſen Darſtellung noch ungleich mehr Aus - fuͤhrlichkeit und Rundung bedarf, auflegen wollen, daß er die Ideen, ſo in ſeiner Seele aufſteigen, oder geweckt werden, mit durchaus ſelbſterfundenen Formen und Beziehungen be - kleide? Freylich pflegt man dieſe Forderung, deren Ueberein - ſtimmung mit den Anſichten der Manieriſten zu deutlich in den Sinn faͤllt, dadurch abzuaͤndern, daß man dem Kuͤnſtler einraͤumt, entweder an allgemeine Naturgeſetze ſich an - zuſchließen, oder in den letzten Augenblicken der Vol - lendung ſeiner Idealgeſtalt etwas Modell hinzu - zunehmen. Dieſe Modificationen indeß gehoͤren in die Lehre von der kuͤnſtleriſchen Aneignung der Naturformen, welche wir beſonders abhandeln wollen.
Wieder einen aͤnderen Sinn hat Ideal in der Sprache der Schoͤnheitslehrer und Aeſthetiker von Profeſſion. Dieſen nemlich heißt Ideal (obwohl die Maͤnner des Gefuͤhls ſelten vermoͤgen, einen Begriff rein aufzufaſſen und unwandelbar feſtzuhalten) im Durchſchnitt weder, wie den Vernunftphilo - ſophen, die Verkoͤrperung eines abſtracten Begriffes, noch,53 wie den Alterthumskundigen und Idealiſten, die Darſtellung irgend einer beſtimmten, von Außen gegebenen, oder im In - neren aufgefaßten Idee, ſondern eben nur, nach ihrer jedes - maligen Schule, entweder die aͤußere Entfaltung einer allge - meinen, beziehungsloſen Vorſtellung der Schoͤnheit, oder eine mechaniſche Anreihung durch den Geſchmacksſinn herbey geta - ſteter ſchoͤner Theile*)Zu beiden Vorſtellungsarten hatte Winck.angeleitet. Nach ihm ſagt Stieglitz(Verſuch einer Einrichtung ant. Muͤnzſamm - lungen. Leipz.1809. S. 38.) von den Griechen, daß ſie auf einer gewiſſen Hoͤhe ihrer Kunſt, „ theils von mehreren Gegenſtaͤnden das ſchoͤnſte waͤhlten, theils nach Idealen ſtrebten, um die Form uͤber die Natur zu erheben, “ſo wollen auch die Herausgeber der Briefe Winckelmanns: daß Michelangelozuerſt die neuere Kunſt, in dem was die Form betrifft, uͤber die Beſchraͤnktheit des Wirklichen zum Idealiſchen erho - ben ( Winckelmannund ſ. Ih. S. 209.). Wird nun von Ken - nern dieſer Schule dem Raphael, der dem Geiſt und der Idee nach dem Michelangelomindeſtens nicht nachgeſtanden, Solches, was ſie Idealform nennen, rund abgeſprochen: ſo iſt es klar, daß obige Worte in vollem Ernſt einzig von einem gewiſſen Zuſchnitt der Form zu verſtehen ſind. Da zudem Michelangelo’sallge - meinere Kunſtanſichten, da ſein Vorbild, vornehmlich in der ſpaͤ - teren Haͤlfte ſeines Lebens, ſo ganz entſcheidend mitgewirkt, die Verirrungen der Manier hervorzurufen; ſo wird obige Behauptung, daß Michelangelounter den Neueren zuerſt zum Idealiſchen ſich aufgeſchwungen habe, uns behuͤlflich ſeyn koͤnnen, die Stamm - verwandtſchaft der Idealbegriffe italieniſcher Manieriſten und mo - derner Aeſthetiker zu bezeugen..
Dieſe Ideale, welche, wie man ſich verſpricht, auch wohl durch platte Nachahmung ſchon vorhandener Geſtaltungen der Kunſt vermehrt und fortgepflanzt werden koͤnnen, ſind, weil ſie nicht aus einer inneren Belebung des Geiſtes, oder aus Ideen entſtehen, ſo leer, daß ſogar ihre Verehrer eingeſtehen,54 man muͤſſe ihnen ein gewiſſes Beygewicht von Individualitaͤt auf den Weg geben, mit welchem Worte dieſe Kunſtlehrer nicht etwa Untheilbarkeit, oder Abgeſchloſſenheit in ſich ſelbſt zu bezeichnen gewohnt ſind, ſondern eben nur einige ſchroffe Zuͤge zufaͤllig erreichbarer Vorbilder, oder Modelle, welche zu jener duͤnnen Geſchmacksbruͤhe gleichſam als Wuͤrze hinzuge - fuͤgt werden ſollen*) Fernow(in ſeinem Leben. S. 364.) ſagt, nachdem er, was er Idealgeſtalt nennt, dem Charakter des Gegenſtandes (dem Idealen der Archaͤologen) entgegengeſtellt: „ Leere Idealfor - men und Bildungen, ohne Phyſiognomie und Charakter, ſind eben ſo wenig genuͤgend, als charakteriſtiſche Geſtalten ohne Adel und Schoͤnheit. “.
Doch ſcheint es, daß dieſer unlaͤugbar aͤrmlichſte Ideal - begriff einer anderen Urſache ſeine Entſtehung, einer anderen wiederum ſeine verbreitete Aufnahme verdanke. Entſprungen iſt er offenbar aus der Anwendung jenes eben ſo ſchiefen, als hochmuͤthigen Vorbegriffes der Manieriſten auf die Anſichten und Wuͤnſche der Schoͤnheitslehre. Denn ſchon Leſſingſetzte bey den Kuͤnſtlern die Faͤhigkeit rund voraus, die Formen der Natur, ſogar die Formen der Darſtellung beſtimmter, ſey es individueller, oder ideeller Kunſtaufgaben ins Schoͤnere umzumodeln, und wenn er an einer anderen Stelle den Ge - danken hinwirft, die Landſchaft habe kein Ideal**)Laokoon. Anh. XXXI. Dieſe Andeutung ward von denen, welche die Schoͤnheitstheorie weiter ausgeſponnen, durchaus beſei - tigt; ſie hatten Freunde unter den Landſchaftsmalern, oder Freude an ihren Werken, oder ſie entdeckten, wie Fernowin Ruisdaelund Claude, auch in der Landſchaft ein Ideal. In der entgegen - geſetzten Richtung ward ſie indeß, lange, nachdem Leſſingſie hingeworfen, die erſte Veranlaſſung zur Geringſchaͤtzung einer Be - ziehung des Kunſtvermoͤgens, in welcher Anmuthsvolles und Er -, ſo ſcheint55 er damit anzudeuten, daß man mit den landſchaftlichen For - men nicht ſo willkuͤhrlich umgehen, ſie nicht ſo in das Schoͤ - nere umgeſtalten koͤnne, als die menſchliche. Aber auch ſpaͤ - tere Schoͤnheitslehrer ſetzen Solches, was ſie Idealform nen - nen, den natuͤrlichen Geſtalten ſo ausgemacht entgegen, daß ſie die letzten, ſelbſt wenn ſie, wie es denkbar iſt, fuͤr be - ſtimmte Ideen den paßlichſten Ausdruck hergaͤben, doch auf keine Weiſe in das Gebiet der idealen Formen wollen ein - ſchleifen laſſen*)S. Anmerk. 158. der neuen Ausg. Winckelmanns, Band IV., wo allerdings WinckelmannsSinn nicht ſeyn kann, daß claſſiſche Bildner etwa in den Fehler desArelliusverfallen waͤren; doch auch gewiß nicht jener, den ihm ſeine Herausgeber unterlegen. Wenn er annahm, daß griechiſche Kuͤnſtler ſich der Schoͤnheit irgend eines beſtimmten Vorbildes hingegeben, ſo ſetzte er ſicher voraus, einmal, daß dieſes Vorbild der Aufgabe hoͤchſt analog war; dann aber auch, daß der Kuͤnſtler mit Feuer und Lei - denſchaft, nicht vornehm und nuͤchtern zum Werk geſchritten ſey. — Darin daß die Idee der Aufgabe geloͤſt werde, ſtimme ich durch - aus mit den Wuͤnſchen der Herausg. uͤberein; nur nicht darin, daß ſolches nicht anders, als in minder natuͤrlichen Formen geſchehen koͤnne.. Sehen wir indeß weniger auf die Entſte - hung, mehr auf die Hartnaͤckigkeit und Zuverſicht, mit wel - cher dieſer Kunſtbegriff noch immer vertheidigt und feſtgehal - ten wird, ſo ſcheint ſolche in irgend einer, wenn auch nur undeutlichen Wahrnehmung wirklicher Verhaͤltniſſe ihren Grund zu haben. Aus verſchiedenen Zeichen glaube ich zu erkennen, worauf dieſe Wahrnehmung ſich[beziehe]. Da nemlich die idee - loſe Idealitaͤt, die leere Idealform, oder wie man ſonſt die -**)ſtaunenswerthes geleiſtet worden, welche demnach deßhalb, weil Syſtematiker keinen Platz dafuͤr uͤbrig behielten, noch lange nicht verdient, aus der Kunſt ausgeſtrichen zu werden.56 ſes Dunſtgebilde benennt, offenbar nur den aͤußerlichſten Ge - ſchmack angeht; dieſer aber in Kunſtwerken nur durch Vor - theile in der Behandlung des groben Stoffes, aus welchem der Bildner ſeine darſtellenden Formen bildet, durch welchen der Maler ihren Schein hervorbringt, befriedigt werden kann: ſo duͤrfte eine halb deutliche Wahrnehmung der guͤnſtigen Wir - kung von ſolchen Kunſtvortheilen der niedrigſten Art, deren Eroͤrterung uns bald beſchaͤftigen ſoll, wenigſtens mitgewirkt haben, auch dieſem Idealbegriffe Daſeyn und Dauer zu geben.
Nehmen wir hinzu, daß in der Sprache des gemeinen Lebens und in der ungluͤcklichſten, jenem eng verſchwiſterten, Ro - manliteratur ein jedes Aeußerſte*)Ideal menſchlicher Haͤßlichkeit, bey Oehlenſchlaͤger, Maͤhrchen. 1. Bd. S. 36. — Auch Winckelmann(Kunſtgeſch. B. IV. K. 2. §. 25.) ſagt einmal: „ doch mit der Erinnerung, daß etwas idealiſch heißen kann, ohne ſchoͤn zu ſeyn. “— In einer trefflichen Schrift (uͤber Reinheit der Tonkunſt, Heidelberg1825. S. 99.) heißt ein idealiſch ſchoͤner und edler Juͤngling u. ſ. w. ſo viel, als ein ausnehmend ſchoͤner; was ich nur als ein Beyſpiel uͤblichen Wortgebrauches anfuͤhre, da der hohe Werth dieſes Buches, welcher auf reiner und edler Auffaſſung ſeines Gegenſtandes, der Muſik beruht, von dieſem gelegentlich ergriffenen Bilde durchaus unabhaͤngig iſt., oder, wie man vornehmer ſagt, jedes Vollkommnere ſeiner Art Ideal genannt wird, was wieder einen anderen Begriff giebt: ſo werden wir nicht laͤn - ger anſtehen duͤrfen, dieſes fremdartige Wort, auch fuͤr ein hoͤchſt verfaͤngliches zu halten. Wirklich iſt es nicht unge - woͤhnlich, daß die Kunſtgelehrten, da ſie, ohne ſchleppend zu werden, nicht jedesmal beſonders anzeigen koͤnnen, wie ſie das Wort verſtehen wollen, in dem Gewirre der gangbaren Idealbegriffe ſich verwickeln, weshalb dieſer Ausdruck in der -57 ſelben Kunſtſchrift oft in verſchiedenen, oder ſelbſt in allen den Bedeutungen vorkommt, deren Pruͤfung uns ſo eben be - ſchaͤftigt hat. Verworrene Koͤpfe werden ſich allerdings eben in dieſer Begriffsvermiſchung einheimiſch und wie in ihrem Elemente fuͤhlen. Wer indeß ernſtlich der Wahrheit dient, ſollte vor einem Worte auf der Hut ſeyn, welches, ſelbſt wo Wahres damit bezeichnet wird, ganz unvermeidlich irrige Ne - benvorſtellungen herbeyzieht, weil es allem Anſchein nach nicht mehr von den praktiſchen Anſichten der Manieriſten zu tren - nen iſt, welche mit dem Worte zugleich auch deſſen fruͤheſte Bedeutung ausgeſonnen, deren naͤhere Beleuchtung wir nach obiger Abſchweifung nunmehr wieder aufnehmen wollen.
Allerdings duͤrfen wir vorausſetzen, daß der treue Glaube, mit welchem neuere Kunſtgelehrte bis auf gegenwaͤrtige Zeit dieſer Anſicht der Manieriſten angehangen, wenn er gleich nirgendwo auf Vernunftſchluͤſſe begruͤndet worden, doch wenig - ſtens durch ein gewiſſes Geflimmer unbeſtimmter Wahrneh - mungen in Kraft erhalten ſey. Nun faͤllt es den reinen Be - griffsgelehrten uͤberhaupt unſaͤglich ſchwer, der Wirkſamkeit des Kuͤnſtlers in das Einzelne zu folgen. Daher wahrſcheinlich entſtand der Wahn, daß eben die beſten, das iſt die nicht kuͤnſtlich zugeſtutzten, oder, wie man ſagt, idealiſirten Bild - niſſe aus einer ganz mechaniſchen Nachbildung der Theile*) Fernowz. B. denkt eben darum die Natur und das Wirk - liche (beides heißt ihm eben nur ſo viel, als die Formen, welche die Natur hervorbringt, in ihrem beſonderen Verhaͤltniß zum Kuͤnſtler, als Modelle nemlich und Gegenſtaͤnde der Nachbildung) unwandelbar im grellſten Gegenſatze zu ſeinen Idealformen. Leben des Maler Carſtens, S. 71. — „ Da unſer Kuͤnſtler — von der Antike, alſo vom Ideale, und nicht von der Nachahmung des Wirklichen ausgegangen. “— Uebrigens iſt dieſe Angabe hiſto -58 entſtehen; obwohl der Darſtellung aller werthvollen Bildniſſe, wie man nie verkennen ſollte, die Auffaſſung des Ganzen im Geiſte des Kuͤnſtlers nothwendig vorangeht, ſo daß Alles, was der Auffaſſung an ſich ſelbſt Werth und Verdienſt giebt, eben ſowohl bey Bildniſſen und Nachbildungen aller Art in Kraft tritt, als bey ideellen Kunſtaufgaben. Wer nun in den Irrthum verfallen, eben die beſten Bildniſſe als bloß mecha - niſche Nachbildungen des Einzelnen, dem Sinne eben Vor - liegenden anzuſehen, dem wird ſchon des Gegenſatzes willen auch der andere nahe liegen: daß Formen, in denen Ideen ſich darſtellen, aus einer vollkommenen Abſonderung von ſinn - lichen Anſchauungen*)Wie in der angefuͤhrten Stelle, Winck.u. ſ. Ih. S. 208. Vergl. Winckelmann(K. G.) uͤber den belvederiſchen Apoll. entſtehen, mithin von einer ganz be - ſonderen Art und Abkunft ſeyn muͤſſen.
*)riſch nicht ſo ganz richtig; im Vaterlande dieſes Kuͤnſtlers giebt es noch viele wohlgezeichnete Bildniſſe von ſeiner Hand, welche mit ſo viel Liebe und Einſicht gemacht ſind, daß man wohl ſieht, daß er — wie ihm auch Kleidung und Mienen widerſtreben moch - ten — doch ſolches, was in ſeinen Vorbildern der Natur und nicht ihrer geſchichtlichen Stellung angehoͤrte, mit Nutzen aufge - faßt. Solche Bildniſſe waren ſeine Vorſchule; ob es ihm ſpaͤter gelungen in der Natur auch fuͤr Allgemeineres die rechte Bezeich - nung aufzufinden, ob er, indem er ſie in Kunſtwerken aufgeſucht, an gediegenem Werthe gewonnen habe, iſt eine andere Frage. — Auch in Bezug auf die Niederlaͤnder behauptet derſelbe Schrift - ſteller hoͤchſt irrig, ſie haben die Darſtellung des Wirklichen (ver - ſtehe ihrer von ihm angenommenen Ideeloſigkeit willen) am wei - teſten gebracht. Was in den Hollaͤndern ſchaͤtzenswerth iſt, gehoͤrt ebenfalls groͤßtentheils ihrem Geiſt und Gefuͤhl an. Auf der an - dern Seite haben ſie es nirgend in der Charakteriſtik wirklicher Dinge ſo weit gebracht, als der ſo ungleich geiſtvollere Raphael, wo es ihm, wie im Bildniß LeosX., wirklich darum zu thun war.
59Einen Scheingrund wenigſtens gewann dieſe Annahme, Meinung, oder Behauptung durch die Mehrdeutigkeit jenes Naturbegriffes der modernen Kunſtſprache, von welcher wir oben mit gutem Grunde uns losgeſagt haben. Wer nemlich bey dem Worte, Natur, bald die Natur ſelbſt, bald nur irgend ein einzelnes Object der ſinnlichen Anſchauung im Sinne hatte; wer ſogar in ſeiner inneren Vorſtellung beide ſo hoͤchſt entgegengeſetzte Naturbegriffe vermiſchte, dem mußte Vieles, was ihn in Bezug auf den einen uͤberzeugte, auch in Bezug auf den andern wahr zu ſeyn beduͤnken. Auf dieſe Weiſe alſo beſtaͤrkte, wie es wohl, wenn es der Muͤhe lohnte, auch umſtaͤndlicher nachzuweiſen waͤre, die an ſich ſelbſt ganz richtige Wahrnehmung, daß nicht jede ſich darbietende An - ſchauung des Geiſtes durch jede beliebige Naturform auszu - druͤcken iſt, unſere Kunſtgelehrten in der vorgefaßten Mei - nung: daß geiſtige Anſchauungen uͤberall nicht durch natuͤr - liche, ſondern nur durch willkuͤhrliche, der menſchlichen Erfin - dung durchaus oder doch zum Theil angehoͤrende Formen dar - zuſtellen ſeyn.
Wir indeß, denen die Natur eben nur die Natur iſt, und Alles, was auf einige Weiſe aus der Natur entſpringt, natuͤrlich heißt, wird keine Form deßhalb, weil ſie dieſe und nicht eine andere iſt, mehr und minder natuͤrlich zu ſeyn ſcheinen. Wenn daher Kuͤnſtler, welche, nehmen wir an, die innere Anſchauung weiblicher Anmuth erfuͤllte, nicht unter Pflanzen und Thieren, ſondern unter Menſchen und Weibern, nicht unter den Haͤßlichen, ſondern unter den Schoͤnen die Formen aufſuchen, welche ihrem inneren Bilde entſprechend, eben dieſes kuͤnſtleriſch vollenden, daß es auch Anderen in hoͤchſter Deutlichkeit verſinnlicht werden koͤnne: ſo werden ihre60 Formen darum, weil ſie nicht die erſten ſich darbietenden, ſon - dern eben nur die ſind, welche ihr beſonderer Zweck begehrt, gewiß nicht weniger natuͤrlich ſeyn. Wenn aber Andere die - ſelbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich den ſogenannten Naturaliſten der Zeit des Caravagio, ſie durch Formen haͤßlicher und abgelebter Weiber darzuſtellen daͤchten, wuͤrden wohl dieſe Formen darum, weil ſie der Auf - gabe widerſprechen, uns natuͤrlicher zu ſeyn duͤnken, als jene anderen ihren Kunſtzweck durchaus erfuͤllenden? — Demnach wird durch eine zweckgemaͤße Verwendung in der allgemein - ſten Beſchaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeaͤn - dert, vielmehr ſcheint es, daß ſie durch eine ſolche Verwen - dung noch einen zweyten Anſpruch auf Natuͤrlichkeit gewin - nen, da auch dieß naturgemaͤß iſt, die Typen der Natur in ihrem urſpruͤnglichen und eigenen Sinne in Anwendung zu bringen. Jener Grund fuͤr die frag - liche Unnatuͤrlichkeit, oder Uebernatuͤrlichkeit der darſtellenden Kunſtformen beruht alſo auf einer Taͤuſchung, uͤber welche wir nunmehr hinausſehen duͤrfen.
Demnach iſt die allerdings zulaͤßliche Eintheilung der Kunſtaufgaben in ſinnlich und geiſtig erfaßliche auf keine Weiſe uͤber die Formen ihrer Darſtellung auszudehnen, da dieſe Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald ſinnlich, bald geiſtig, ſondern, was ſie auch darſtellen moͤgen, doch unveraͤnderlich ſinnliche Dinge ſind. Waͤren nun eben dieſe durchaus ſinnliche Formen (wie man unter den Benen - nungen Geſetzmaͤßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch ein bedingtes Einraͤumen des Modellgebrauches doch einge - ſteht) bisweilen, oder zum Theil natuͤrliche; erlitten dieſe For - men, wie wir ſo eben ausgemacht, in ſo fern ſie Formen61 ſind, durch die ſinnliche, oder geiſtige Beſchaffenheit des Ge - genſtandes, den ſie darſtellen, durchaus keine Abaͤnderung: ſo duͤrften ſie, allem Anſehen nach, durchhin von derſelben Art und Beſchaffenheit, nemlich einzig natuͤrliche Formen ſeyn. Um dieſen Zweifel zur Entſcheidung zu bringen, wenden wir uns an unſer innerſtes Bewußtſeyn, und fragen uns einmal auf’s Gewiſſen, ob in Kunſtwerken Formen, welche in irgend einem Theile und Verhaͤltniß verfehlt, und nach unſerem ein - geborenen Gefuͤhle, oder auch nach einer ſicheren Ueberzeugung uns widernatuͤrlich erſcheinen, jemals gerade durch eine ſolche Unrichtigkeit in unſeren Augen an Bedeutung und Schoͤnheit gewonnen haben? Denn gewiß werden wir ſolches verneinen und uns geſtehen muͤſſen, daß ganz im Gegentheil jegliche uns deutliche, oder nur fuͤhlbare Abweichung von den Natur - geſetzen (welche das Einzelne und Untergeordnete eben ſowohl beherrſchen, als das Große und Allgemeinere) uns jederzeit nur etwa als etwas bloß Ungethuͤmliches, Leeres, oder Schau - derhaftes erſchienen iſt. Indeß duͤrfte es auch unter den Un - befangenen Perſonen geben, welche dieſer Verſicherung ihre Zuſtimmung verſagten.
Denn unſtreitig giebt es viele Menſchen, welche von Natur, oder durch Gewoͤhnung uͤberhaupt nur das Nothduͤrf - tigſte, und auch dieſes nur oberflaͤchlich vermoͤge des Geſich - tes auffaſſen, welche mithin wenig geeignet ſind, in den Na - turformen ihr Erfreuliches, Belehrendes, oder Erhebendes zu erkennen, oder mit Lebhaftigkeit zu empfinden, oder deſſen Eindruck, wie ſchwach er ſey, in ihrem Gedaͤchtniß aufzube - wahren. Dann giebt es auch Individuen und ganze Voͤlker, denen die Natur nicht eben ihre ſchoͤnſten Seiten bietet, die mithin unter den ſie umgebenden Dingen der Natur nichts62 finden duͤrften, was den Lineamenten, Formen und Verhaͤlt - niſſen griechiſcher Statuen, oder guter italieniſcher Gemaͤlde, wenn auch nur halbhin, zu vergleichen waͤre. Jene des For - menſinnes Entbehrenden moͤchten denn allerdings, wenn ſie aus einer vorgefaßten guͤnſtigen Meinung, oder auch ange - zogen von der ſchaͤrferen Charakteriſtik, in welche die kuͤnſtle - riſche Darſtellung ſo leicht verfaͤllt, Kunſtwerken einmal ihre Aufmerkſamkeit zuwenden, darin Schoͤnheiten der bloßen Form wahrzunehmen glauben, welche die natuͤrlichen Formen uͤber - traͤfen. Dieſe anderen aber, denen die Natur ihre Kehrſeite zugewendet, koͤnnten wohl einmal auf die Meinung verfallen, die Natur bringe uͤberall keine andere Formen hervor, als ſolche, ſo ihnen eben bekannt geworden. Jenen waͤre nun freylich nichts zu erwidern, als etwa der Wunſch und Rath, ſie moͤgen verſuchen, ihren Formenſinn durch Uebung zu ſchaͤr - fen. Dieſen dagegen, ſie moͤgen, um ihren Zweifel ganz zu beſeitigen, ihre unwirthlichen und barbariſchen Himmelsſtriche nur einmal verlaſſen und ſich bemuͤhen, die Natur auch von Antlitz kennen zu lernen und ſie in ihrem vollen Tage anzu - ſchauen. Denn es wird, wenn ſie ſolches nur ernſtlich be - ſtreben, nicht an Gelegenheiten fehlen, wie jene, welche eine ſinnvolle Goͤnnerin, die Freyfrauvon Rheden, vor wenig Jahren herbeygefuͤhrt, als ſie die ſchoͤneViktoria von Albanonach Rombrachte, um dort von den beſten Kuͤnſtlern model - lirt, gemalt und gezeichnet zu werden. Wer damals zu Romverweilte, wird ſich des Aufſehens entſinnen, welches das ſchoͤnſte Antlitz hervorgebracht, und der allgemeinen Ueberein - kunft, daß ſolches, in Anſehung der Uebereinſtimmung ſeiner Verhaͤltniſſe, oder der Reinheit ſeiner Formen, ſowohl alle Kunſtwerke Romsuͤbertreffe, als auch den nachbildenden Kuͤnſt -63 lern durchaus unerreichbar bleibe. Doch liegt es hier nicht in meinen Abſichten, der Natur das Wort zu reden, welche ſelbſt in ihren unſchuldigſten Pflanzenformen, in ihren einfach - ſten Schneekryſtallen*) S. W. Scoresby, Tagebuch einer Reiſe auf den Wall - fiſchfang etc. Hamburg1825. Tafel 2 — 5. die Kunſt, was die Form angeht, weit uͤbertrifft, und uͤberhaupt unter den Lebendigen keiner Lobrede bedarf; vielmehr wollte ich nur Meinungen erklaͤren und entſchuldigen, welche minder frevelhaft erſcheinen muͤſſen, ſobald man annimmt, daß ſie in einer gewiſſen Beſchraͤnkt - heit ihren Sitz haben.
Die Anſicht alſo, welche dem Kuͤnſtler die Faͤhigkeit bey - legt, willkuͤhrliche, aus der Luft gegriffene, der Natur im Einzelnen, oder im Ganzen entgegengeſetzte Formen hervorzu - bringen; welche ſich verſpricht, daß ſolche von Menſchen er - ſonnene Formen ſchoͤner und edler und bedeutender ausfallen werden, als die natuͤrlichen; iſt, durch welche Gruͤnde wir ſie unterſtuͤtzen, oder beſchoͤnigen moͤgen, doch durchhin unhaltbar. Wenn aber dieſe Anſicht in ſich ſelbſt falſch und wie die Er - fahrung beſtaͤtigt, in der Anwendung von hoͤchſtem Nachtheil iſt: ſo wird der Kuͤnſtler kuͤnftig wohl thun, von dem titani - ſchen Vorhaben abzuſtehen, die Naturform zu verherr - lichen, zu verklaͤren, oder mit welchen anderen Namen ſolche Ueberhebungen des menſchlichen Geiſtes in den Kunſt - ſchriften bezeichnet werden. Muß doch der Kuͤnſtler auch bey dem ſchoͤnſten Talente, dem treueſten Naturſinn, immer darin ſich ergeben, daß er ſogar in ſeinen beſten Leiſtungen, was deren Formenheit angeht, die Tiefe und Fuͤlle, die Einheit und Weſenheit der Naturform nicht zur Haͤlfte erreicht; wie64 denn ſollte er daruͤber hinaus gehen koͤnnen? Gluͤcklicher Weiſe indeß beſteht der Zweck der Kunſt in ganz anderem, als in dieſer Altflickerey*) Boͤttiger, Ideen zur Arch. der Malerey. Dresden1811. S. 1. f. — „ Wenn ſchon die bildende Kunſt uͤberhaupt das Werk des Schoͤpfers gleichſam ergaͤnzt. “— der Werke des groͤßten und aͤlteſten Mei - ſters en ronde bosse und basso rilievo**)Ausdruck des Wandsb. Boten. Petrarc.ep. lib. V. ep. XVII. — Vetus ille magister Artis ingeniique largitor.; doch werden wir dieſe Andeutung, weil ſie das dritte Element aller kuͤnſt - leriſchen Hervorbringung, den Gegenſtand, angeht, erſt ſpaͤter - hin begruͤnden und gegen ihr widerſtrebende Anſichten durch - fuͤhren koͤnnen.
Denn es moͤchte uns Anderen, die wir, das unbegruͤn - dete Vorurtheil der Manieriſten abwerfend, uns deutlich er - innert haben, daß in den bildenden Kuͤnſten die nothwendige, kraft umfaſſender Naturgeſetze jedem offenen Sinne urſpruͤng - lich erfaßliche Bedeutſamkeit der Naturformen die Grundbe - dingung aller Darſtellung niedriger, wie hoher Gegenſtaͤnde ſey; daß mithin dieſe Kuͤnſte durchhin nur in natuͤrlichen For - men darſtellen und darzuſtellen vermoͤgen; es moͤchte uns An - deren, wiederhole ich, vorerſt obliegen und noͤthig ſeyn, zu unterſuchen und zu entwickeln, auf welche Weiſe der Kuͤnſtler der Naturform ſo ſehr Meiſter werde, daß er ſolche mit groͤß - ter Willensfreyheit zu den mannichfaltigſten Kunſtzwecken an - wenden koͤnne.
Durch zween, wohl in einander greifende, doch unter - ſcheidbare, und unterſcheidenswerthe Beziehungen ſeiner Gei - ſtesfaͤhigkeit, gelangt der Kuͤnſtler in den Beſitz einer ſo kla -ren,65ren, ſo durchgebildeten und reichhaltigen Anſchauung der Na - turformen, als er jedesmal bedarf, um diejenigen Kunſtauf - gaben, welche theils aus ſeiner inneren Beſtimmung, theils aus ſeiner aͤußeren Stellung hervorgehen, deutlich und gemu - thend darzuſtellen. Die erſte beſteht in gruͤndlicher Erfor - ſchung der Geſetze, einestheils der Geſtaltung, anderntheils der Erſcheinung ſolcher Formen der Natur, welche aus inne - ren Gruͤnden und durch aͤußere Veranlaſſungen dem Kuͤnſtler naͤher liegen, als andere. Die Forſchungen dieſer Art zerfal - len in anatomiſche und optiſch-perſpectiviſche.
Die zweyte beſteht in Beobachtung gemuthender und be - deutſamer Zuͤge, Lagen und Bewegungen der Geſtalt; und dieſe erheiſcht um fruchtbar und ergiebig zu ſeyn, nicht ſo ſehr ſonſt empfehlenswerthe Ausdauer und Gruͤndlichkeit des Flei - ßes, als vornehmlich die leidenſchaftlichſte Hingebung in den ſinnlich-geiſtigen Genuß des Schauens.
Wenn wir, um ihren verhaͤltnißmaͤßigen Werth zu er - mitteln, dieſe beiden Beziehungen des kuͤnſtleriſchen Studien - fleißes gegenſeitig vergleichen wollten: ſo wuͤrde uns die letzte unſtreitig die wichtigere zu ſeyn ſcheinen. Denn ſetzen wir, was auf einer gewiſſen Hoͤhe der Kunſtbildung nicht wohl zulaͤſſig iſt, daß der Kuͤnſtler entweder der einen, oder auch der anderen entſagte, ſo entbehrte er offenbar mit geringerem Nachtheil allgemeiner, als ſchon irgend ein Beſtimmtes dar - ſtellender Zuͤge der Natur; mit geringerem Nachtheil der Rich - tigkeit, als der Fuͤlle. Verſchiedene Beyſpiele beleuchten die Wahrheit dieſer Bemerkung. Fra Angelico da Fieſole, Benozzo Gozzoli, Domenico Ghirlandajo, und aͤhn - liche Maler ihrer Zeit und Richtung entbehrten ohne Zweifel der Kenntniß allgemeiner Bildungsgeſetze der menſchlichen Ge -I. 566ſtalt; dagegen koͤnnen die beſten unter den Zeitgenoſſen der Carracci im Ganzen fuͤr einſichtsvolle Zeichner gelten. Aber die erſten ſind eben ſo reich an einzelnen Wahrnehmungen gemuthender und bedeutender Zuͤge der Natur, als jene ande - ren beſchraͤnkt auf wenige und gleichfoͤrmige Durchſchnittsvor - ſtellungen. Daher hoben ſich, ſeitdem man, in Bezug auf gewiſſe Aeußerlichkeiten der Kunſt, ſeine Anſpruͤche herabge - ſtimmt, in Bezug auf das geiſtige Intereſſe ſie geſteigert hatte, die einen in der Meinung und ſelbſt im Handelswerthe, waͤh - rend die anderen eben ſo tief unter ihre fruͤhere Schaͤtzung herabſanken. Dieſes Beyſpiel indeß duͤrfte der Anfechtung unterliegen, da mancherley noch immer ſtreitige Kunſtanſichten der Modernen zum Theil eben um dieſen Gegenſatz ſich her - umdrehen. Nehmen wir deßhalb ein anderes zur Hand, wel - ches uͤber allen Partheyzwiſt erhaben iſt, nemlich das gegen - ſeitige Verhaͤltniß der groͤßten Kuͤnſtler neuerer Zeiten, des Raphaelund des Michelagnuolo. Der letzte vertritt hier die Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze; der erſte die Fuͤlle und Lebendigkeit der Anſchauungen des Einzelnen. Nie - mand indeß, meine ich, wuͤrde Raphaelaufgeben wollen, koͤnnte er nur zu dieſem Preiſe den Michelangeloſich er - halten.
Die deutliche Erkenntniß allgemeiner Naturgeſetze hat demnach verhaͤltnißmaͤßig nur einen untergeordneten Werth, ich moͤchte ſagen, nur einen abhaͤngigen, da ſie fuͤr ſich ſelbſt und entkleidet von den bezeichnenden, unterſcheidenden, alſo nothwendig mannichfaltigen, Zuͤgen der Naturgeſtaltung in der Anwendung eben nichts Anderes wuͤrde gewaͤhren koͤnnen, als Darſtellung allgemeiner Geſetze der Geſtaltung und Erſchei - nung. Auch ſolche koͤnnen nun allerdings der Kunſt, im Gan -67 zen betrachtet, ſehr foͤrderlich werden, indem ſie Werke hervor - bringen, welche, gleich dem beruͤhmten Canon des Polyklet, Kuͤnſtler belehren, oder ihnen die Auffaſſung des Allgemeinen erleichtern. Doch, im Einzelnen genommen, duͤrfte ſie keinem Kunſtwerke den Gehalt geben, der ihm jene allgemeinere Theil - nahme erwirbt, auf welche doch gerechnet wird. Denn der Werth einer ſicheren Einſicht, einer deutlichen Erkenntniß all - gemeiner Naturgeſetze zeigt ſich nur da, wo ſie mit Fuͤlle ver - einzelter Anſchauungen verbunden, dieſen ſelbſt, wie dem, was ſie in der Darſtellung bezeichnen und ausdruͤcken wollen, jene Schaͤrfe und Deutlichkeit verleiht, welche wir an durchaus vollendeten Kunſtwerken bewundern und lieben.
Allerdings moͤgen ſolche Unterſcheidungen innerhalb ver - wandter Beziehungen des Geiſtes auf den erſten Blick als muͤßige Spiele des Scharfſinns erſcheinen. Erwaͤgen wir in - deß, daß eben die Verſaͤumniß ſolcher Unterſcheidungen in die - ſem beſonderen Falle gar Manche veranlaßt hat, das Stu - dium der Naturformen auf eine unerſprießliche Weiſe zu be - treiben. Denn aus dieſem Grunde allein glauben Viele, bey dem ſogenannten Modellzeichnen nicht, was einzig dabey zu gewinnen iſt, nemlich einige Gruͤndlichkeit der Einſicht, viel - mehr auch Geſchmacksbildung und Bereicherung an Vorſtel - lungen zu erlangen, welche doch auf dieſem Wege nicht zu erwerben ſind; ſo wie Andere in entgegengeſetzter Richtung durch ein fluͤchtiges Aufhaſchen des Mannichfaltigen, was ihnen doch eben nur viele und verſchiedene Zuͤge der Natur gewaͤhren kann, zugleich auch Einſichten in allgemeinere Na - turgeſetze zu erlangen hoffen. Wir indeß werden aus der eben ausgefuͤhrten Entgegenſtellung der beiden Hauptbeziehungen des kuͤnſtleriſchen Studienfleißes nunmehr mit Zuverſicht folgern5 *68koͤnnen, daß ſie nur in ſeltenen Faͤllen gemeinſchaftlich in An - wendung kommen, weil die eine Ausdauer und Verſtand, die andere Lebendigkeit der Empfindung und Behendigkeit der Wahrnehmung vorausſetzt; Faͤhigkeiten, welche theils nicht jederzeit in derſelben Perſoͤnlichkeit zuſammentreffen, theils, wo ſie gemeinſchaftlich vorkommen, doch nicht wohl in demſelben Momente, in derſelben Handlung gemeinſchaftlich in Kraft treten koͤnnen. Es wird daher unumgaͤnglich ſeyn, jene Be - ziehungen der kuͤnſtleriſchen Wirkſamkeit, ſowohl im Begriffe zu trennen, als vornehmlich ſie in der Ausuͤbung moͤglichſt getrennt zu halten.
Benutzen wir dieſe Unterſcheidung auf der Stelle, um jenes vornehmlich ſeit dem ſiebzehnten Jahrhunderte beliebte Modell oder Actzeichnen in ſein wahres Licht zu ſetzen. Daß Uebungen dieſer Art unter allen Umſtaͤnden dem Geiſte nicht Mannichfaltiges, ſondern einzig Allgemeines zufuͤhren koͤnnen, erhellt, wie wir bereits bemerkt haben, ſchon aus ſich ſelbſt. Demungeachtet geſchieht es haͤufig, daß man die Aufmerkſam - keit des Lehrlings durch allerley maleriſche Taͤndeleyen, wie durch wunderbare Stellungen, effectvolle Beleuchtungen und Anderes, zerſtreut und von jenem einzig erreichbaren Zwecke ablenkt; oder daß man ihn abſichtlich auf Solches zu lenken ſucht, was man eben fuͤr das Erforderniß einer ſchoͤnen und geſchmackvollen Darſtellung haͤlt. Doch wenn man auch, wie hie und da wirklich geſchieht, dieſen althergebrachten Zerſtreu - ungen der Aufmerkſamkeit auf die Geſetze natuͤrlicher Bildung ausweichen wollte, ſo wuͤrde doch das Modellzeichnen fuͤr ſich allein nicht ausreichen, weil die vorausſetzlich bezweckte Ein - ſicht in allgemeinere Geſetze der menſchlichen Bildung durch ein bloß aͤußerliches Beſchauen des Nackten nicht wohl kann69 genuͤgend begruͤndet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling, der zum erſten und anderen Male nackte Koͤrper beſchaut und ſich bemuͤht, ſie aufzufaſſen und nachzubilden, zu Anfang ſchon durch aͤußerliche Beſichtigung manches Weſentliche. Doch, nachdem die Friſche des Sinnes ſich abgeſtumpft hat, nach - dem er erlernt, was durch bloße Beſchauung der Oberflaͤche uͤberhaupt zu erlernen iſt, pflegt er, wie hundertfaͤltige Erfah - rung beſtaͤtigt, das ſchon Erlernte mehr und minder mecha - niſch zu wiederholen, jenes ihm ſinnlich Vorliegende willkuͤhr - lich und fauſtmaͤßig nachzuahmen; das Nutzloſeſte und Nach - theiligſte, was Kuͤnſtler uͤberhaupt beginnen koͤnnen, weil da - bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geiſt in freyer Thaͤtigkeit geuͤbt wird. Aus dieſem Grunde gleichen ſich die Actzeichnungen aller europaͤiſchen Akademien; daher unterſchei - den ſich ſogar die aͤlteren italieniſchen Acte, deren ich viele geſammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der Schule, durchaus nicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Modelle, welche bey ſo großer Entlegenheit der einzelnen Kunſtſchulen doch nothwendig unter ſich verſchieden waren*)Dieſes bemerkte ſchon Carſtens; deſſen Leben von Fer - now. S. 134..
Wollte nun eine Kunſtſchule, welche aufrichtig die Bil - dung und Foͤrderung ihrer Lehrlinge beabſichtete, dieſem Uebel vorbeugen; wollte ſie in der Ueberzeugung, daß der gewoͤhn - liche Modellzeichner, anſtatt Kenntniſſe zu erwerben, vielmehr nur den ihm ſo noͤthigen Naturſinn abſtumpfe, inskuͤnftige dem Modellzeichnen eine beſtimmtere Richtung auf den einzi - gen Zweck geben, der uͤberhaupt dabey zu erreichen iſt: ſo wuͤrde ſie, denke ich, daſſelbe auf das genaueſte mit anato - miſchen Studien verbinden muͤſſen. Es muͤßte dasjenige Glied70 des Koͤrpers, welches in der einen Woche am Todten erklaͤrt und in ſeine Theile zerlegt dem Kuͤnſtler bis in ſeine verbor - genſten Fuͤgungen bekannt geworden, in der nachfolgenden Woche allein entbloͤßt werden, um an dem lebendigen Vor - bilde nun auch die Beſtimmung und Handlung und aͤußere Erſcheinung des eben Erlernten aufzufaſſen. Dieſes muͤßte vorausſetzlich nicht nach den gerade vorgefaßten Anſichten vom Maleriſchen, ſondern einzig nach der Empfindung und Ge - woͤhnung des Menſchen, der eben zum Vorbilde dient, in alle erdenkliche Richtungen, Lagen und Bewegungen gebracht, und von dem Schuͤler ſeinerſeits aus dem verſchiedenſten Geſichts - punkte aufgefaßt und nachgezeichnet werden. Allerdings duͤrfte Solches bey vollem Tageslichte geſchehen muͤſſen; denn der Punkt, von welchem das ſo haͤufig angewendete kuͤnſtliche Licht ausſtroͤmt, ſteht dem Modell unausweichlich ſo nahe, daß die Strahlen viele vorragende Theile umfließen, und daher dem ungeuͤbten Auge vieles als eine Flaͤche erſcheinen machen, was wirklich ſchon Abaͤnderungen der Form enthaͤlt; unangeſehen, daß die Nachtbeleuchtung jederzeit der deutlichen Reflexe ent - behrt, mithin die ganze Schattenſeite der Beobachtung unzu - gaͤnglich macht. Waͤre dann der menſchliche Koͤrper auf die angegebene Weiſe ſeinen Theilen nach gruͤndlich durchgenom - men worden, ſo moͤchte es endlich an der Zeit ſeyn, auch auf das Ganze zu gehen, und abwechſelnd die Geſtalt auch in ihrem Zuſammenhange und mehr in Hinſicht ihrer allgemeine - ren Verhaͤltniſſe und Vergliederungen nachzuzeichnen. Wollte man alsdann noch weiter gehen, und den Lehrling auch in ſchneller Auffaſſung der Bewegung und Handlung uͤben, ſo muͤßte dem Vorbilde die Wahl der Stellungen uͤberlaſſen blei - ben, damit nichts Erzwungenes zum Vorſchein komme; damit71 der Lehrling nicht ſehe, was er ſobald als moͤglich zu ver - geſſen hat. Bey letzteren Uebungen muͤßte die jedesmalige Stellung ſo voruͤbergehend ſeyn, daß Juͤnglinge daran lernen, ihrem Geiſte die Spannung und beſonnene Entſchloſſenheit zu geben, welche die Auffaſſung des Mannichfaltigen und Fluͤch - tigen erfordert.
Indeß fragt es ſich wohl, ob die Entwickelung der noͤ - thigen Behendigkeit im Aufgreifen des Voruͤbergehenden und Fluͤchtigen methodiſch befoͤrdert werden koͤnne; ob ſie nicht vielmehr ganz aus dem eigenen Beſtreben des Lehrlings her - vorgehen muͤſſe. Denn in der Beziehung des Studienfleißes auf das ſchnell zu erfaſſende Mannichfaltige, Voͤllige, Lebens - reiche der Naturformen verſchmilzt ſich der Zweck, Formen der Darſtellung zu gewinnen, ſo innig mit den Anregungen des Gemuͤthes und Geiſtes, welche die Natur dem Kuͤnſtler in Fuͤlle gewaͤhrt, daß dieſe Uebung nicht wohl ohne Luſt und Liebe anzuſtellen iſt, welche ſicher weder zu lehren, noch ein - zufloͤßen ſind. Ueberhaupt ſcheint es, daß man kaum unge - ſtraft den Schleyer luͤften koͤnne, welcher die geheimnißvollen Beziehungen unter den geſtaltenden Kraͤften beider, der Natur und des Kuͤnſtlers, bedeckt; gewiß glaubte ich verſchiedentlich wahrzunehmen, daß Kuͤnſtler, welche nicht durch einen allge - meinen Zug und Hang ihrer Seele, ſondern mit kaltem Be - wußtſeyn des Zweckes von der Natur gleichſam nur Formen erborgen wollten, in ihren Erwartungen gaͤnzlich getaͤuſcht wurden und ihren Zweck verfehlten.
Wie wichtig es ſey, dieſe gegenſeitige Anziehung, dieſes geheimnißvolle Band, was[Natur] und Kunſt umſchlingt, un - aufgeloͤſt und ſtraff zu erhalten, ſcheint nun allerdings ſelbſt denen nicht ſo gaͤnzlich einzuleuchten, welche ihre, nach der72 Anſicht der Manieriſten, willkuͤhrlichen und mehr als natuͤr - lichen Kunſtformen durch eine gewiſſe allgemeine Naturgemaͤß - heit, Geſetzmaͤßigkeit, oder wie einige ſagen, Naturnothwen - digkeit bedingen*)Unter den verſchiedenen Bezeichnungen dieſer Anſicht, welche uͤber die neueſte Literatur der Kunſt und der Arch. verſtreut ſind, iſt folgende beſonders merkwuͤrdig ( Boͤttiger, Archaͤol. der Ma - lerey. S. 145): „ Die Nothwendigkeit des Geſetzes mit der Liebe zum Idealen gatten. “— Vgl. Heinr. Meyer, Kunſtgeſch. Abth. 1. S. 36.. Sowohl aus der Wortbildung dieſer Aus - druͤcke, als aus einzelnen Anwendungen und Beyſpielen erhel - let zu Genuͤge, daß dieſe ſchon etwas herabgeſtimmten Anfo - derungen unſerer theoretiſchen Idealiſten nur ſolches angehe, was ich ſo eben als gruͤndliche und wiſſenſchaftliche Natur - ſtudien bezeichnet und ausgeſondert habe. Gewiß ſind auch dieſe Studien auf einer gewiſſen Hoͤhe der Kunſt ganz unum - gaͤnglich. Indeß haben wir ſchon oben geſehen, daß ſie wohl die Darſtellung befoͤrdern, doch fuͤr ſich allein auf keine Weiſe alle Foderungen einer guten und faßlichen Darſtellung erfuͤllen koͤnnen; und wenn es noch anderer Beyſpiele beduͤrfte, wuͤr - den wir unter den neueren Schulen von einiger Gruͤndlichkeit des Wiſſens naͤchſt der bologneſiſchen auch die neueſte franzoͤ - ſiſche aufuͤhren koͤnnen, welche bey ausgezeichneter Kenntniß allgemeiner Bildungsgeſetze der Natur an bezeichnenden und darſtellenden Formen ſo arm iſt, als jedem bekannt, welcher ihre Werke ohne vorgefaßte Meinung betrachtet hat. Dem - nach wird uns jene kalte und uͤberlegte Auseinanderſetzung, in welcher der Natur gleichſam durch Abfindung ihr Recht abgedungen wird, durchaus nicht genuͤgen koͤnnen; im Gegen - theil wuͤrden wir befuͤrchten muͤſſen, daß auf dieſem Wege73 nicht einmal Solches zu erreichen ſteht, was den conſequente - ren Manieriſten, oder, wie ſie ſelbſt ſich nennen, Idealiſten nicht abzuſprechen iſt, nemlich Einheit des Guſſes. Fuͤr dieſe, vermuthe ich, fuͤrchtete Bernini, als er die Moͤglichkeit be - zweifelte, durch mechaniſche Zuſammenſetzung des einzelnen Schoͤnen verſchiedener organiſcher Koͤrper uͤbereinſtimmende Ge - ſtalten hervorzubringen. Einer kalten, zerlegenden Pruͤfung, einem vornehmen Herabſchauen auf die Werke der Natur, gleich dem, welches unſere gemaͤßigteren Idealiſten empfehlen, wuͤrde nun freylich eine ſolche Verſchmelzung nimmer gelingen koͤnnen; wohl aber gelingt es der unbedingten, leidenſchaftli - chen Hingebung in den Eindruck des Einzelnen, in dieſem die geheimeren Faͤden aufzufinden, welche in den einzelnen Natur - geſtalten das Untergeordnete mit dem Herrſchenden, das Be - ſondere mit dem Allgemeinen verknuͤpfen. Dem geheimen Zuge alſo, welcher fuͤr beſtimmte Kunſtaufgaben Begeiſterte zu die - ſen verwandteren Naturformen hinuͤberzieht, werden wir ruhig uͤberlaſſen koͤnnen, das erwartete Wunder, das Kunſtwerk, zu bewirken. Wo aber Begeiſterung und Liebe fehlt, da wird es uͤberhaupt zwecklos ſeyn, im Einzelnen nachzubeſſern und Maͤßigung*) Winckelmannund ſ. Ih. S. 277. heißt es von den Ca - racci: „ ſie bedienten ſich der Natur weislich um ihren Dar - ſtellungen das Wahrſcheinliche, den Formen das Mannich - faltige zu geben. “— Heinr. MeyerKunſtgeſch. Abtheil. 1. S. 36. zeigt dort, nach den Worten des Index, s. v.Ideal, wie in den Werken der Zeit des Ueberganges vom hohen zum ſchoͤnen Style, Idealbegriff und naturgemaͤße Wahrſcheinlich - keit vereinigt worden. Alſo nur der Wahrſcheinlichkeit und der Abwechſelung willen (wie in den oben beruͤhrten Ausfuͤllungen zu empfehlen, moͤge dieſe nun in beſtimmten Faͤllen wuͤnſchenswerth ſeyn, oder auch nicht.
74Doch auch dem bloßen Gedanken nach, duͤrften wir Solchen, welche in derſelben Form (von denen rede ich, welche unter idealen Formen nicht bloß Darſtellungen eines Geiſtigen, ſon - dern eine eigene Art reeller Formen verſtehen)*) Boͤttigera. a. O. S. 353. (Von der aͤlteren griech. Ma - lerey) — „ So wurde, wo das Ideal noch nicht erreicht werden konnte, wenigſtens das Geiſtige und Heilige der Kunſt ſchon gehandhabt. “ Alſo unterſcheidet dieſer Gelehrte in Bezug auf die Kunſt Ideales und Geiſtiges. eine gedop - pelte Beſchaffenheit, die natuͤrliche und die kuͤnſtliche, vereini - gen wollen, die Frage vorlegen: wo ſie denn in den Natur - formen die Grenze der Geſetzmaͤßigkeit ziehen wollen, da es doch am Tage liegt, daß die kleinſte Fiber, ſogar das ſchein - bar Zufaͤllige ſelbſt, eben ſowohl allgemeinen Naturgeſetzen unterliegt, als das Knochengebaͤude und Muskelſyſtem, welche ſie hier vielleicht allein im Sinne haben! — Sollten dieſe Kunſtgelehrten wirklich uͤberzeugt ſeyn, daß Darſtellungen des uͤberſchwenglich Großen und Herrlichen, welche ſie vorausſetz - lich im Sinne haben, durch ein ſolches Raͤthſel der Trennung des organiſch Vereinten, der Vereinigung des Entgegengeſetzten deutlicher erklaͤrt werde, als, indem den Naturformen in ihrer Geſammtheit die Kraft zugeſtanden wird, mit vielem Anderen*)ſogenannter leerer Idealbildungen durch individuelle Zuͤge) haͤtten ſich, nach der Anſicht der ang. Schriftſt., die Kuͤnſtler be - ſtimmter und ausgezeichneter Schulen der Natur genaͤhert? Nicht das Beduͤrfniß, darſtellende Formen ſich anzueignen, nicht Hin - gebung in die begeiſternden Anregungen der Natur, nur das Be - ſtreben etwas Sinnestaͤuſchung und unterhaltende Mannichfaltigkeit der Erſcheinung hervorzubringen, haͤtte die griechiſchen und ſpaͤtere Kuͤnſtler veranlaßt, ſich der Natur, umſichtig und mißtrauiſch, anzunaͤhern? —75 auch das Schoͤne und Erhabene beſtimmter Vorſtellungen des Geiſtes auszudruͤcken; dem Kuͤnſtler aber die Faͤhigkeit, die urſpruͤngliche Bedeutung der Naturformen zu faſſen, ſie zu unterſcheiden, und fuͤr jede ſich darbietende Kunſtaufgabe nach den Umſtaͤnden die angemeſſenſte aufzufinden; ſollte er auch eben dieſe ihm einwohnende Faͤhigkeit nicht immer in Worten erklaͤren, nur in ſeinen Werken ſie darlegen koͤnnen.
Doch ſtellet ſich dem rechten Verſtaͤndniß der Naturbe - ziehungen des Kuͤnſtlers noch immer jener ſchwankende Natur - begriff entgegen, deſſen Verkehrtheit und Mißlichkeit ich bereits erwieſen habe. Denn haͤtten die Kunſtgelehrten nur erſt ſich dieſes widerſtrebenden Wortgebrauches entledigt, ſo wuͤrden ſie aufhoͤren, was ihnen in Bezug auf ein beſtimmtes einzelnes Modell ganz richtig ſcheint, auf die Geſammtheit der Natur zu uͤbertragen, woher hoͤchſt wahrſcheinlich, und hie und da ſelbſt erweislich, die große Sorglichkeit entſtanden, mit wel - cher das Naturſtudium in vielen Kunſtſchriften noch immer bedingt wird. — Hier kommt aber auch noch dieſes in Frage, ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, auf ſo kuͤ[hl]e und froſtige, be - denkliche und maͤkelnde Weiſe der Naturform, wenn auch nur das Mindeſte, geſchweige denn ihr Beſtes abzugewinnen.
Gewiß wird Niemand laͤugnen wollen, daß der Menſch uͤberhaupt, welche Beziehung und Anwendung er den Thaͤtig - keiten ſeines Geiſtes wohl gebe, doch, was er mit Luſt und Liebe ergreift, oder mit Achtung und Ehrfurcht vor deſſen Zweck und Gegenſtand, jederzeit viel leichter und beſſer zum Ende bringen wird, als Solches, was er durchaus kalt und nuͤchtern, oder gar mit einer vornehmen Geringſchaͤtzung be - handelt. Weshalb denn ſollte nur eben in der Kunſt das Gegentheil ſtatt finden? Wenn daher die Bekenner jenes76 Schaukelſyſtemes einmal ſich dazu verſtehen, der Kunſt Na - turgemaͤßheit einzuraͤumen, ſo werden ſie auch davon abſtehen muͤſſen, vom Kuͤnſtler zu fodern, daß er ſolchen, ſo ſeltſam bedingten Antheil Natuͤrlichkeit mit einer durchaus unergiebi - gen, ja unertraͤglichen Nuͤchternheit in ſich aufnehme und gleich - ſam ſeinen Werken nur aͤußerlich anhefte. Moͤchten ſie doch nur, wenn es ihre Befangenheit geſtattete, Kunſtwerke, ſo aus der Nachfolge ihrer Lehre hervorgegangen, in ihrem wahren Lichte ſehen, und in ihnen wahrnehmen koͤnnen, wie ſeltſam darin widrige Modellzuͤge mit willkuͤhrlicher Ungeſtalt gegattet ſind; wie dieſe einander widerſtrebenden Elemente, ohne alle Einheit des Guſſes, nur ganz aͤußerlich und ohne inneren Verband zuſammenhaften*) Carſtensfand, nach Fernowin deſſen Leben S. 134. in den Arbeiten, welche ſeiner Zeit in dieſer Richtung beſchafft wurden: ein widriges Gemiſch von Antike, gemeiner Modellnatur etc. Vergleiche die Zweifel uͤber das Ergebniß dieſer Richtung kuͤnſtle - riſcher Studien Anm. 477. Band IV. der neuen Ausg. Winckel - manns.!
Gehen wir aber in die beſonderen Verhaͤltniſſe der Kunſt ein, ſo wird es wohl ſogar denen, welche die Kunſtformen in ſogenanntem Ideale vereinfachen wollen, doch klar ſeyn, daß, wie die Zwecke der Kunſt auch bey der einſeitigſten Rich - tung des Geiſtes doch nothwendig viele und mannichfaltige ſind, ſo auch die Formen, welche die Darſtellung erheiſcht, verſchiedene und mehrfache ſeyn muͤſſen. Nehmen wir nun an, daß ein Kuͤnſtler, im Sinne des eben beruͤhrten beding - ten Naturſtudiums, die natuͤrlichen Formen ohne alle Waͤrme, ja ſogar mit einer gewiſſen Geringſchaͤtzung betrachtend, ſolche nicht fruͤher in Anſpruch nehmen wollte, als nachdem ein be -77 ſtimmter Kunſtzweck ſich dargeboten*)S. die Herausg. Winckelmanns, Kunſtg. Bd. IV. An - merk. 158., den zu erreichen er etwa jener zu beduͤrfen glaubte; ſo duͤrfte auf der einen Seite die rechte und paßliche Form nicht immer zur Hand ſeyn; auf der anderen der Kuͤnſtler ſelbſt ſehr ungeuͤbt, aus dieſer, welche ſie auch ſey, doch immer ihm ungewohnten Naturform den rechten Vortheil zu ziehen. Waͤre dem alſo, wie ich be - ſtimmt zu wiſſen glaube, ſo wuͤrde der Kuͤnſtler gewiß genoͤ - thigt ſeyn, ſowohl ſeine Vorſtellung bey Zeiten und vor aller Ausſicht auf kuͤnftige Verwendung mit vielen und mannich - faltigen Formen zu erfuͤllen, was ohne luſtiges und freudiges Umherſchauen nicht wohl zu erreichen ſteht, als anderntheils ſich unablaͤſſig in der Aneignung einzelner Naturformen ein - zuuͤben, damit eine weſentliche Fertigkeit der Kunſt ihn nicht verlaſſe, da, wo er deren am meiſten bedarf. — Doch gilt dieſes nur techniſche Vortheile. Wie aber waͤre die Natur, wie ich oben beruͤhrt habe, nicht bloß die einzige Quelle dar - ſtellender Formen, vielmehr auch zugleich die ergiebigſte, un - erſchoͤpflichſte Quelle aller kuͤnſtleriſchen Begeiſterung? wenn Solches, was die kuͤnſtleriſche zu einer eigenthuͤmlichen Gei - ſtesart macht, nicht anders gruͤndlich erweckt, wenn das eigen - thuͤmliche Wollen der einzelnen Kuͤnſtler nicht anders ſeiner ſelbſt deutlich bewußt werden koͤnnte, als durch die ruͤckhalt - loſeſte Verſenkung in das ihm naͤchſtverwandte Naturleben?
Zwiefach iſt jegliche Leiſtung der Kunſt von außen be - dingt; einmal durch die geſchichtliche Stellung des Kuͤnſtlers, dann durch die oͤrtliche Geſtaltentwickelung der Natur, die ihn umgiebt. Die geſchichtliche Stellung giebt dem Kuͤnſtler die78 Richtung; von dieſer Seite angeſehen, ſtehet er mit dem ge - ſammten Geiſtesleben ſeiner Zeit, oder doch ſeines Volkes in einem fuͤr jeden Theil erſprießlichen Wechſelverhaͤltniß. Aber die oͤrtliche Naturentwickelung beſtimmt, in wie weit er die Richtung, welche ſein Geiſt und ſein Gemuͤth durch den Be - griff erhalten, mit Ausſicht auf ein froͤhliches Gelingen ver - folgen koͤnne. Die Kunſthiſtorie zeigt kein Beyſpiel, daß Kuͤnſtler durch den Begriff uͤber die Anregungen hinaus be - geiſtert werden koͤnnten, welche die Natur ihnen eben gewaͤh - ren will. Die griechiſche Kunſt veraͤnderte ſchon im alten Rom, wenn wir froſtige Nachahmungen hintanſetzen, und uns an die genialiſchen Darſtellungen roͤmiſch buͤrgerlicher Groͤße halten wollen, mit ihrem Streben zugleich auch den Charak - ter. Sogar, was man den Griechen nachahmte, erhielt den Aufdruck italiſcher Eigenheiten*)Niemand, wie ich glaube, hat jemals bemerkt, oder doch die Bemerkung ausgeſprochen, daß in einigen Theilen Italiens, welche die germaniſchen Einwanderer weniger, oder gar nicht ein - genommen und durchwohnt haben, nemlich in den Niederungen der Etſch, und vornehmlich im Bezirke von Rom(dem Ducatus Ro - manus des fruͤheren Mittelalters) ein eigenthuͤmliches Verhaͤltniß in der Haupteintheilung des Koͤrpers vorherrſcht, welches ſowohl von dem deutſchen, als von dem altgriechiſchen durch verhaͤltniß - maͤßige Laͤnge des Leibes, Kuͤrze des Untergeſtelles ſich unterſchei - det. Dieſer Mangel zeigt ſich zu Romnicht ſelten, wenn auch minder auffallend, ſogar in ſchoͤnen Modellen, wie kuͤrzlich noch in dem, Kuͤnſtlern bekannten, Saverio. — Da wir nun dieſelbe Eigenthuͤmlichkeit in vielen roͤmiſchen Bildnißſtatuen wahrnehmen, da ſie ſogar in vielen Darſtellungen von Goͤttern und Helden vor - kommt, welche den Aufdruck bekannterer Kunſtmanieren der Kai - ſerzeit tragen (der Standbilder auf den Ruͤckſeiten der Kaiſer - muͤnzen nicht zu gedenken); ſo werden wir auf der einen Seite nicht anſtehen koͤnnen, ſie in dieſen aus dem wiederholten Eindruck. Auf das mannichfaltigſte79 unterſchieden ſich aber auch die neueren Schulen, ſelbſt als ſie noch in aͤhnlicher Richtung begriffen waren, durch den Aufdruck der Oertlichkeit*) Goͤthe, aus meinem Leben, zweiter Abtheilung, erſter Theil, S. 207. „ Als ich bey hohem Sonnenſchein, durch die Lagunen fuhr, und auf den Gondelraͤndern die Gondeliere leicht ſchwebend, bunt bekleidet, rudernd betrachtete, wie ſie auf der hellgruͤnen Flaͤche ſich in der blauen Luft zeichneten; ſo ſah ich das beſte, friſcheſte Bild der venetianiſchen Schule. Der Sonnenſchein hob die Localfarben blendend hervor, und die Schattenſeiten waren ſo licht, daß ſie verhaͤltnißmaͤßig wieder zu Lichtern haͤtten dienen koͤnnen. Ein gleiches galt von dem Wiederſcheinen des meergruͤnen Waſſers. Alles war hell in Hell gemalt, ſo daß die ſchaͤumende Welle und die Blitzlichter darauf noͤthig waren, um ein Tuͤpfchen aufs i zu ſetzen. “ Dieſe meiſterlich herrliche Schilderung war, wenn ſie einmal geraubt werden ſollte, nicht wohl zu theilen und abzukuͤrzen. — Die auffallende Oertlichkeit der italieniſchen Staͤdte - ſchulen (in Italiengiebt es groͤßere Verſchiedenheiten der Abkunft und der climatiſchen Einwirkung als unter uns) fiel ſogar einem italieniſchen Maler moderner Richtung, Hrn. Camoccini, auf, als er 1810 veranlaßt war, den Norden zu beſuchen. — Vergl. die geiſtreichen Winke uͤber das Verhaͤltniß des Rubenszur ihn um - gebenden Natur im Athenaͤum B. 1. Stck. 2. S. 47. — Jomard(in Descr. des l’ Egypte), sur les Momies des Hypogèes de Thèbes, fand die Knochenbildung der Mumien in Uebereinſtimmung mit den Geſtaltungen aͤgyptiſcher Kunſt. In wie fern er richtig geſehen, iſt wohl bey der Entlegenheit der Denkmale hier nicht mit Sicher - heit zu entſcheiden., ſo daß, wenn wir Copien und Nachahmungen ausnehmen, welche eben dem aͤchten Barbaren*)aͤhnlicher Bildungen zu erklaͤren, auf der anderen aber allenthal - ben, wo wir in Statuen den verlaͤngerten Unterleib, die verhaͤlt - nißmaͤßig kuͤrzeren Beine erblicken, auf roͤmiſche Arbeit zu ſchlie - ßen. — Sogar Raphaelvertauſchte nach laͤngerem Aufenthalte zu Romdie ſchlanken florentiniſchen und umbriſchen Geſtalten, welche wir in der Grablegung und Disputa ſehen, gegen die gedrungene, kurze Bildung der Roͤmer.80 am leichteſten zu gelingen pflegen, alle wirklich werthvollen Schulen der alten, wie der neuen Welt unlaͤugbar ein eigen - thuͤmlich-oͤrtliches Anſehen haben. Gewiß alſo koͤnnen Kuͤnſt - ler, deren geſchichtliche Richtung falſch, oder doch niedrig iſt, wohl, gleich vielen Hollaͤndern des ſiebzehnten Jahrhunderts, den Anregungen, welche die Natur ihnen gewaͤhren will, min - der entſprechen, doch nimmer durch den Begriff ſo weit uͤber ſie hinausgehoben werden, als unſere mancherley Idealiſten vorausſetzen.
Genau genommen geht es den Kuͤnſten des Begriffs nicht ſo gar viel beſſer; doch haben ſie den Vortheil der unbeſtimm - teren Darſtellung. Denn ſo ſchwer es ſeyn mag, in einer Sprache, der von Natur etwas Plattes, Laͤcherliches oder Kleinliches anklebt, tragiſche und heroiſche Wirkungen hervor - zubringen, ſo gewoͤhnt man ſich doch allgemach an ihre Aeu - ßerlichkeiten und, was im Grunde ſchwimmt, erhaͤlt am Ende die Geſtalt, welche die Phantaſie ihm aufdruͤcken will. Der Kuͤnſtler aber erſchoͤpft ſeinen Gegenſtand, bis auf den Grund, und Alles, was er falſch gedacht, ſchief aufgefaßt, ungenuͤ - gend gearbeitet, liegt nackt und bloß vor aller Augen da. Auf einer Taͤuſchung zwar beruht es, wenn wir dem Dichter glauben, er habe ſich weit uͤber ſeine geſchichtliche Befangen - heit hinaus in ferne Welten verſetzt. Doch eben weil dieſe Art der Taͤuſchung dem Kuͤnſtler nicht zu Huͤlfe kommt, muß er, wie endlich ſelbſt die Schoͤnheitslehre zugeben wird, vieles an ſich ſelbſt ganz Wuͤnſchenswerthe ſich verſagen.
Nicht herabſtimmen, nein ermuntern moͤge dieſe Erinne - rung, Solches, was nach den Umſtaͤnden allein geſchehen kann, ganz zu thun; die kurze Zeit, welche der jugendlichen Empfaͤnglichkeit gewaͤhrt iſt, nicht in hoffnungsloſem Sehnenhinzu -81hinzubringen*)Am leichteſten nehmen gerade die edelſten Gemuͤther dieſe Stimmung an, weshalb der Verluſt, welcher daraus entſteht, nur um ſo mehr zu beklagen iſt, und dringend auffordert, ihn auf alle Weiſe abzuwenden. — Bis zur Abſichtlichkeit durchgebildet zeigt ſich die Sehnſucht nach vergangener Herrlichkeit in einer Aeuße - rung des Petrarca, welche Hr. Hofr. H. Meyerzur Andeutung ſeines eigenen Standpunktes, als Motto, ſeiner Kunſtgeſchichte vorangeſtellt. Waͤre es nicht gewiß, daß Petrarcaan dieſer Stelle, als warmer Patriot, den buͤrgerlichen Verfall ſeines Vaterlandes im Sinne hatte, waͤre es, wie bey einigen Neueren, ein bloß aͤſthetiſcher Ueberdruß an den Ecken und Schaͤrfen der Gegenwart: ſo duͤrfte man doch bezweifeln, ob der weiche moderne Dichter, haͤtte das Schickſal ihn ploͤtzlich in antike Lebensverhaͤltniſſe ver - ſetzt, ſich darin ſo ganz behaglich gefuͤhlt haben koͤnne., wie dem geſchieht, welcher die redneriſchen Wendungen, durch welche die Sterblichen ſich uͤber die Be - dingtheit ihres Daſeyns hinauszureden lieben, fuͤr baaren Ernſt nimmt. Allerdings ſoll der Kuͤnſtler ſich ſittlich beſtimmen laſſen zum Wahren, Rechten und Guten; doch nimmer ſich uͤberreden, uͤber das angeborene Maß ſeines Talentes, uͤber ſeine geſchichtliche Stellung und natuͤrliche Umgebung hinaus zu wollen. Denn nur dieſes liegt in der Macht ſeiner Ent - ſchließungen, ob er das verliehene Pfund inneren Lebensgeiſtes und aͤußerer Anregungen freudig und ruͤſtig verſchmelze und einige, was unter allen Umſtaͤnden gute und reichliche Fruͤchte bringt. Ueberhaupt iſt in der Kunſt Raum fuͤr mancherley Gaben und mancherley Beziehungen deſſelben Beſtrebens. Wenn ihr ein rechtes Gedeihen beywohnt, bluͤht ſie nicht bloß in den Treibhaͤuſern der Hauptſtaͤdte, in den Prunkſaͤlen der Rei - chen, oder zur Befriedigung gelehrter Grillen, vielmehr ver - breitet ſie ſich uͤber Alles, was nur den Aufdruck der Geſtalt zulaͤßt, und beherrſcht, wie in den gluͤcklichſten Zeiten der altenI. 682und der neueren Kunſtbildung, ſogar das Handwerk. Auch bey minder guͤnſtigen Umſtaͤnden der Kunſt findet das unter - geordnete Talent ſeine Stelle, indem es bald in ſinnlich vor - liegenden Formen der Natur durch bloße Macht der Empfin - dung auf ihr Schoͤnes und Bedeutendes trifft, bald wieder durch techniſche Gewandtheit hoͤhere Beſtrebungen ſtuͤtzt und traͤgt; und maͤchtige Geiſter werden Alles, was ſie mit Ernſt und Tuͤchtigkeit ergreifen, wie gering es an ſich ſelbſt ſey, doch unumgaͤnglich in ihr Lebensblut verwandeln und als ihr eigenes wieder ausgebaͤren.
Moͤchte es mir in den voranſtehenden Zeilen gelungen ſeyn, meinen Gegenſtand mit uͤberzeugender Deutlichkeit auf - zufaſſen und darzulegen! Doch fuͤrchte ich, daß ſeine Theile durch mancherley Abſchweifungen ſo weit auseinander geruͤckt worden, daß es noͤthig ſeyn duͤrfte, ſie noch einmal im Gan - zen zu uͤberſchauen.
Darlegen wollte ich, daß die Formen, vermoͤge deren Kuͤnſtler ihre Aufgaben, die ſinnlichſten, wie die geiſtigſten, darſtellen, ohne einige Ausnahme in der Natur gegebene ſind. Zu dieſem Zwecke habe ich im Gefolge der Kunſtgeſchichte er - innert, daß im Alterthume, wie ſelbſt in den beſten Zeiten der neueren Kunſt, dieſe Wahrheit nirgendwo bezweifelt wurde; daß man erſt ſpaͤt, in ſehr modernen Zeiten auf die Grille verfallen iſt: daß nicht bloß der Gegenſtand, vielmehr auch die darſtellenden Formen ſelbſt der Erfindung, oder doch der freyen Auffaſſung des Kuͤnſtlers angehoͤren koͤnnen; noch ſpaͤter: daß ſolche der Erfindung des Kuͤnſtlers durchaus an - gehoͤren muͤſſen. Darauf habe ich daran erinnert, daß eben dieſe Anſicht in den letzten Jahrhunderten eine Fuͤlle der ſchoͤn - ſten Talente in ſich ſelbſt aufgerieben hat, indem ihre Ge -83 ſchicklichkeit zwecklos in ſolches ausartete, was wir im ſchlimm - ſten Sinne Manier, oder leere Fertigkeit der Hand nennen.
Ferner habe ich gezeigt, wie dieſer verderbliche Irrthum durch den gleichzeitig entſtandenen, beſchraͤnkteſten Naturbegriff der Kuͤnſtlerſprache ein gewiſſes Anſehen von Richtigkeit erhal - ten, indem man nun, was in Bezug auf beſtimmte Modelle wahr zu ſeyn ſchien, unbewußt auf die Geſammtheit des Er - zeugten, ja auf die zeugende Grundkraft ſelbſt uͤbertrug. End - lich zeigte ich, wie dieſe Anſichten der verwerflichſten Kunſt - richtung, als Vorbegriffe, in die Syſteme gelehrter Geſchicht - ſchreiber und philoſophiſcher Theoretiker der Kunſt uͤbergegan - gen, und dieſe verhindert, deutlich aufzufaſſen: daß die Dar - ſtellung der Kunſt auch da, wo ihr Gegenſtand der denkbar geiſtigſte iſt, nimmer auf willkuͤhrlich feſtgeſetzten Zeichen, ſon - dern durchhin auf einer in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit der organiſchen Formen beruhe; wie ferner eben dieſelben Kunſtgelehrten, den vollen Werth, die ganze Bedeutung na - tuͤrlicher Formen verkennend, und dennoch aus Vernunftgruͤn - den der Natur einige Rechte einraͤumend, auf die unentſchie - dene Anſicht verfallen ſind: daß Kuͤnſtler nur unter gewiſſen Einſchraͤnkungen und Bedingungen dem Eindruck natuͤrlicher Formen ſich hingeben duͤrfen. Dagegen beſtand ich, mit Hin - deutung auf die Erfolgloſigkeit ſo anorganiſcher Verknuͤpfung des Natuͤrlichen und Kuͤnſtlichen der Form, auf den Grund - ſatz: daß Kuͤnſtler ſich dem Eindruck der natuͤrlichen Formen ganz ruͤckhaltlos hingeben muͤſſen, ſowohl weil dieſe die ein - zigen allgemeinfaßlichen Typen aller Darſtellung durch die Form in ſich einſchließen, als auch, weil ſie fuͤr Kuͤnſtler eine un - verſiegbare Quelle geiſtiger Anregungen ſind, da auch die Natur ſich gefaͤllt, was immer der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung6 *84werth iſt, in ihren mannichfaltigſten Formen auszudruͤcken und darzulegen.
Einiges indeß, deſſen halbdeutliche Wahrnehmung manche Archaͤologen und Kunſtgelehrten veranlaßt hat, jene manieri - ſtiſche Anſicht fuͤr begruͤndeter zu halten, als ſie wirklich iſt, bleibt uns, wie wir oben verſprochen, noch zu eroͤrtern uͤbrig.
Denn ſchon bey Beleuchtung der verſchiedenen Begriffe vom Idealen der Kunſt hatte ich angedeutet, daß die Alter - thumsforſcher in zween die Kunſt des claſſiſchen Alterthumes begleitenden Umſtaͤnden eine gewiſſe Beſtaͤtigung des Vorbe - griffes zu finden geglaubt, den ſie nun einmal aus den Kunſt - anſichten der Manieriſten ſich angeeignet. Dieſe Umſtaͤnde nannten wir: den Typus und den Styl. Ueber den Ty - pus, oder uͤber die Gleichfoͤrmigkeit in der Darſtellung glei - cher, oder doch verwandter Kunſtaufgaben, werden wir leicht hinweggehen duͤrfen. Er iſt gedoppelter Abkunft und Art. Denn zum Theil entſpringt er aus einer Nachwirkung jener aͤlteſten Bezeichnungsart von Begriffen und Gedanken, welche wir von der reinen Kunſtbetrachtung ausſchließen, weil dieſe Eigenſchaft der griechiſchen Kunſt, kuͤnſtleriſch angeſehen, nur in ſo fern in Betrachtung kommt, als ſie uͤberall mit bewun - dernswuͤrdiger Feinheit dem eigentlich Kuͤnſtleriſchen angelegt iſt; im Uebrigen faͤllt ſie, wie oben gezeigt, der hiſtoriſchen Archaͤologie anheim. An ſolchen Stellen aber, wo eben dieſe Gleichfoͤrmigkeit ganz kunſtgemaͤß iſt, entſtehet ſie eben aus jener in der Natur gegebenen Bedeutſamkeit der Form, ver - moͤge welcher beſtimmte Ideen nur in beſtimmten Formen ſich kuͤnſtleriſch ausdruͤcken koͤnnen. Demnach ehrt ſie gleich ſehr den Naturſinn, als die religioͤſe Strenge, mit welcher alt - griechiſche Kuͤnſtler ihre Aufgaben aufgefaßt; alſo beſtaͤtigt ſie85 nicht etwa die Anſicht der Manieriſten, vielmehr die Ueber - zeugung, welche wir eben begruͤndet und erlaͤutert haben.
Der Styl aber wird eine laͤngere Abſchweifung, viel - mehr eine eigene Betrachtung erfordern, da man bis dahin weder uͤber die Bedeutung dieſes Wortes, noch uͤber die Wahr - nehmung, welche ich damit zu verbinden geneigt bin, ſo gaͤnz - lich einig und im Reinen iſt.
Schon die alten Roͤmer uͤbertrugen das Bild des stylus, des Griffels, oder des Werkzeuges, durch welches ſie ihre Gedanken und Entwuͤrfe auf Wachstafeln einzugraben pfleg - ten, auf allgemeinere Vorzuͤge der Schreibart. Wir haben bekanntlich mit dem Begriffe auch das bezeichnende Wort von ihnen angenommen. Die neueren Italiener indeß, denen wir einen großen Theil unſerer Kunſtworte verdanken, weil ſie zuerſt Dinge der Kunſt mit einigem Erfolge behandelt haben, hatten laͤngſt aufgehoͤrt mit Griffeln zu ſchreiben, als in dem beruͤhmten Sonett des Petrarca*)Auf das Bild ſeiner Laura. Son. 57. Vergl. Cennino di Drea Cenninitrattato etc. c. 8.daſſelbe, nur zu, stile, erneuerte Wort in dem Sinne eines Zeichnenſtiftes wieder auf - trat. Daher, aus dem modernen Begriffe eines Werkzeuges der Kunſt, ſtammt die Uebertragung des Wortes auf Vor - theile der kuͤnſtleriſchen Darſtellung, welche in der That in Italienfruͤhe, in Deutſchlandund in den uͤbrigen tramonta - nen Laͤndern ſehr ſpaͤt vorkommt. Den Italienern aber, denen das Grundbild gegenwaͤrtig blieb, bezeichnete stile, wie ma - niera, durchaus nur die aͤußerlichſten Vortheile in der Hand - habung der Form, oder des Stoffes, wie die Beyworte, welche ſie mit dieſem Begriffe zu verbinden gewohnt ſind, deutlich86 an den Tag legen*)Stile facile, robusto etc. . Winckelmannindeß, der dieſen, gleich anderen Kunſtausdruͤcken, von den Italienern annahm, erweiterte ihn ſogleich nach ſeiner durchhin hoͤheren Anſicht, indem er die Manier, den Styl im Sinne der Italiener, mit gewiſſen Richtungen des Geiſtes in Verbindung dachte, aus dieſen, jenen ableitete. Denn es iſt klar, daß ſeine verſchie - denen Kunſtſtyle der Griechen, welche in Aller Munde ſind, nicht bloß auf Wahrnehmungen angenommener Artungen des Vortrages beruhen, vielmehr beſonders auf der Beobachtung beſtimmter Richtungen des geiſtigen Sinnes auf Edles, Ge - faͤlliges, oder Anderes. Der Ausdruck, Styl ſchoͤner For - men, welcher in noch neueren Kunſtſchriften vorkommt, ſcheint eine entſchiedenere Neigung, oder Gewoͤhnung zum Schoͤnen anzudeuten; denn es iſt undeutlich, ob er mehr von beſtimm - ten Richtungen des Geiſtes, oder nur von Fertigkeiten der Hand zu verſtehen ſey. — Doch unter allen Umſtaͤnden moͤchte es gegen die Ableitung ſeyn, Solches, was bereits auf der Wahl und Auffaſſung des Gegenſtandes beruhet, alſo auf der allgemeinen Empfaͤnglichkeit und Richtung des Geiſtes ganzer Schulen, oder einzelner Meiſter, mit einem Worte zu bezeich - nen, welches urſpruͤnglich ein bloßes Werkzeug bedeutet, alſo in der Strenge auch bildlich nur von Vorzuͤgen der Behand - lung des aͤußeren Stoffes ſollte verſtanden werden.
Es iſt mir unbekannt, durch welchen Zufall der, obwohl noch ſchwankende, Stylbegriff vieler Kuͤnſtler der juͤngſten Zeit dem Grundbilde des Wortes ſich wiederum angenaͤhert hat**)Ich vermuthe, daß dieſes damals geſchehen, als Car - ſtens, Thorwaldſenund andere Kuͤnſtler zu Romden Grund. 87In ihrem Sinne iſt Styl nicht mehr, wie bey den Italienern, ein Beſonderes und Eigenthuͤmliches, ſondern ein allgemeiner, durchhin begehrenswerther Vortheil in der Handhabung des aͤußeren Kunſtſtoffes. Allerdings iſt dieſer Begriff bey Vielen noch immer mit Vorſtellungen von beliebten Eigenthuͤmlichkei - ten einzelner Schulen und Meiſter verbunden; doch nur, weil ſie dieſe Eigenthuͤmlichkeiten fuͤr durchaus muſterhaft, und gleichſam fuͤr ein Allgemeines halten. Alſo werden wir nicht weſentlich weder vom Wortgebrauch, noch von dem eigentli - chen Sinne der beſten Kuͤnſtler dieſer Zeit abweichen, wenn wir den Styl als ein zur Gewohnheit gediehenes ſich Fuͤgen in die inneren Foderungen des Stoffes erklaͤren, in welchem der Bildner ſeine Geſtalten wirklich bildet, der Maler ſie erſcheinen macht.
Styl, oder ſolches, was mir Styl heißt, entſpringt alſo auf keine Weiſe, weder, wie bey Winckelmannund in anderen Kunſtſchriften, aus einer beſtimmten Richtung oder Erhebung des Geiſtes, noch, wie bey den Italienern, aus den eigenthuͤmlichen Gewoͤhnungen der einzelnen Schulen und Mei - ſter, ſondern einzig aus einem richtigen, aber nothwendig be - ſcheidenen und nuͤchternen Gefuͤhle einer aͤußeren Beſchraͤnkung der Kunſt durch den derben, in ſeinem Verhaͤltniß zum Kuͤnſt - ler geſtalt-freyen Stoff*) Sandrart, teutſche Akad. Theil I. Bch. 2. Kap. 1., de - finirt die Bildnerey als eine Kunſt, „ welche durch Abnehmung und Stuͤmmelung des uͤberfluͤſſigen Stoffes dem ungeſtalten Holz u. ſ. f. die verlangte Form giebt. “. Daß ein ſolcher vom Dar -**)legten zu der mehrſeitigen Regſamkeit deutſcher Kuͤnſtler, welche noch immer dauert. S. FernowLeben des Maler Carſtens, S. 246. — Bey Fernowliegt dieſer Begriff allerdings noch ſehr im Rohen.88 geſtellten, wie von den darſtellenden Formen verſchiedener und unterſcheidbarer Stoff in jedem Werke der Kunſt vorhanden ſey, erhellt aus ſich ſelbſt. Weniger vielleicht, daß derſelbe unter allen Umſtaͤnden ſich geltend macht, und, je nachdem ſeine inneren Forderungen erfuͤllt, oder verletzt worden, bald die Geſammterſcheinung der Kunſtwerke beguͤnſtigt, bald ſie, wenn nicht vernichtet, doch ſtoͤrt. Es iſt daher von großer Wichtigkeit, dieſe Foderungen zu erforſchen, was nur geſchehen kann, indem wir den Stoff ganz fuͤr ſich betrachten, alſo denſelben von anderem, ſey es, Allgemeinem, oder Beſonde - rem der Kunſt, in unſerer Vorſtellung abſondern.
Die Foderungen des derben Kunſtſtoffes, deren Erfuͤllung ich Styl nenne, ſind, einmal allgemeine, jegliche Kunſtart gemeinſchaftlich umfaſſende; zweytens beſondere, nur die ein - zelnen Kunſtarten, jegliche fuͤr ſich, betreffende.
In Bezug auf den derben und aͤußerlichſten Kunſtſtoff treffen beide darſtellende Kuͤnſte unter ſich, wie mit der Bau - kunſt (welche bekanntlich, nachdem ſie der Nothdurft und der Staͤrke genuͤgt hat, auch nach Schoͤnheit ſtreben darf), nur in einer einzigen Eigenſchaft uͤberein: der Erſcheinung im Raume. Das allgemeinſte, umfaſſendſte Stylgeſetz iſt dem - nach: Uebereinſtimmung der raͤumlichen Verhaͤltniſſe; eine Schoͤnheit, deren allgemeines Geſetz allerdings noch keines - weges feſtgeſtellt worden, noch ſo leicht feſtzuſtellen iſt; fuͤr welche indeß uns ein Gefuͤhl verliehen worden, deſſen Schaͤr - fung und Ausbildung dem Kuͤnſtler beſonders obliegt.
Daß Uebereinſtimmung raͤumlicher Verhaͤltniſſe ganz un - abhaͤngig von den Foderungen ſowohl des Gegenſtandes, als der Formen der Darſtellung, erſtrebt werden koͤnne, zeigt ſich89 zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor - nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar - ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be - duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden.
Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal - len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen, welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn - gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter - thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt - leren Laufbahn Raphaelsund ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen. Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten, ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt. Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr, da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi - rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung90 der Vortheile guter Anordnung entſtanden ſind, auch wenn ſie weniger beſchraͤnkt aufgefaßt wuͤrden, als gemeinhin ge - ſchieht, doch fuͤr das Beduͤrfniß nicht ausreichen duͤrften.
Dieſer allgemeine Styl, welcher Kunſtwerken wenigſtens ſo viel Vortheil bringt, als der Tact muſicaliſchen Ausfuͤh - rungen, ſcheint durchaus nur auf den fruͤheſten Stufen der Kunſt ſich zu regeln und auszubilden. Dieſe Erſcheinung er - klaͤre ich mir aus einer gedoppelten Urſache. Einmal geſtattet auf fruͤheren Kunſtſtufen die Einfachheit des Wollens und die - ſem entſprechender Formen der Darſtellung die Aufmerkſamkeit ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunſtſtoffes zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer Kunſt ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck - gemaͤß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entſteht beſon - ders eben der allgemeinſte, raͤumliche Harmonie bezielende Styl aus der Herrſchaft, welche die Baukunſt*)Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann(K. G. Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild - nerey und Malerey eher, als die Baukunſt, zu einer gewiſſen Voll - kommenheit gelangt ſey. Anders und weiter gebildet hat die Bau - kunſt ſich allerdings in den ſpaͤteren Zeiten des Alterthumes. In wie fern ſie aber im Zeitalter des Phidiasund kurz vor ihm min - der entwickelt geweſen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar als die Malerey, daruͤber laͤßt uns ſowohl Winck., als ſeine Her - ausgeber im Dunkeln. auf dieſen fruͤhe - ren Stufen uͤber die bildenden Kuͤnſte auszuuͤben pflegt. Wie uͤberhaupt in der Baukunſt (Zweck, Vernunft, Realitaͤt, Tuͤch - tigkeit, vorausgeſetzt, welche ein geſunder und geſchaͤrfter Sinn hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schoͤnheit vornehm - lich auf dem Verhaͤltniß der Groͤßen unter ſich, wie zum Ganzen beruhet, ſo gewoͤhnt ſich auch der Bildner und Maler91 in ihrem Dienſte, Solches, was weder vom Gegenſtande, noch von den Bildungsgeſetzen der Natur ſo unbedingt gefordert wird, was demnach mehr und minder in ſeiner Willkuͤhr liegt, dem Maße zu unterwerfen; weshalb es den Kuͤnſtlern auf ausgebildeteren Kunſtſtufen immer nuͤtzlich ſeyn wird, in Be - zug auf Styl die fruͤheren Bildungsſtufen ihrer eigenen Kunſt - richtung im Auge zu behalten. Betrachten wir nun auch die Stylgeſetze, welche theils die Bildnerkunſt, theils die Malerey insbeſondere angehen*) Fernowa. a. O., will dem Gefuͤhle ſeiner Zeitgenoſſen nicht zugeben, daß Malerey und Bildnerey verſchiedenen Stylge - ſetzen unterliegen. Doch verſchmolz ihm noch jenes einzig allge - meine Stylgeſetz mit den beſonderen, deren Ausfuͤhrung folgt..
Der Stoff, in welchem der Bildner ſeine Formen wirk - lich geſtaltet, iſt ohne Ausnahme eine dichte Maſſe, Holz, Thon, Erz, Geſtein, oder Aehnliches; die ſichtliche Schwere und Unbehuͤlflichkeit dieſes Stoffes wird ſelbſt von den an - ſtelligſten Meiſtern nie ſo ganz uͤberwunden, daß ſie aufhoͤrte, ſich dem Gefuͤhle aufzudraͤngen. Daher, und durchaus nicht, wie Winckelmannanzunehmen ſcheint, aus einem ſittli - chen Grunde, iſt dem Bildner das Schwebende, Fahrende, Sauſende, Fallende darzuſtellen verſagt, welches Alles, ſobald es der Gegenſtand begehrt, in der Malerey, die es leicht und bequem vor den Sinn bringen kann, noch gar nicht mißfaͤl - lig iſt, wie es doch ſeyn muͤßte, wenn es an ſich ſelbſt un - ſittlich waͤre. Dieſelbe Beſchaffenheit des Stoffes gebietet, daß der Bildner uͤberall, nicht bloß nach einem wirklichen Gleichgewichte ſtrebe, welches nur etwa die Umſtehenden ſichern duͤrfte, ſondern nach einem in die Augen fallenden, uͤberzeu - genden, welches in Statuen, ohne daß man ſich immer des92 Grundes bewußt wuͤrde, das Gemuͤth beruhigt und zugaͤng - lich macht. Anſchaulich kann man ſich von der Richtigkeit dieſer Wahrnehmung uͤberzeugen, indem man den erſten Ein - druck geringer und ſchon handwerksmaͤßig hervorgebrachter Statuen des Alterthumes mit dem der gewiß ſehr geiſtreichen Bildnereyen des Michelangelooder des Johann von Bolognavergleicht. Der Eindruck, den die erſten bewirken, wenn ſie etwa, wie in den roͤmiſchen Villen, im Voruͤber - gehen betrachtet werden, kann nicht anders, als angenehm und beruhigend ſeyn; bey den anderen hingegen wird man, um in ihre Verdienſte einzugehen, vorher den erſten Eindruck zu bekaͤmpfen haben. Auf dieſe Veranlaſſung erinnere ich viele Zeitgenoſſen an den maͤchtigen Eindruck der erſten ſichtlich auf ſich ſelbſt beruhenden Statue moderner Zeiten, des Jaſon von Thorwaldſen. Denn es iſt nicht zu berechnen, wie viel dieſer Eindruck mitgewirkt, dem Kuͤnſtler, deſſen kuͤnftige Groͤße noch nicht mit Zuverſicht zu ermeſſen war, den Ein - gang in die oͤffentliche Meinung zu eroͤffnen, ihm die Befoͤr - derung zuzuwenden, welche nun einmal die vollſtaͤndige Ent - wickelung jeglicher Kunſtanlage bedingt.
In gleichem Maße verſagt dem Bildner die ſichtliche Schwerfaͤlligkeit ſeines Stoffes, das Leichte und Durchſchei - nende in ſeiner wirklichen Ausdehnung nachzubilden. Eine Haarlocke erſcheint im Geſtein, in ihrer wirklichen, oder denk - baren Ausdehnung dargeſtellt, nicht durchſcheinend und leicht, wie ſie ſelbſt, ſondern als ein ſchwerfaͤlliger Klotz; und hier machen die bekannten Lockenkoͤpfe roͤmiſcher Caͤſarn nicht etwa eine Ausnahme; daß ihr Lockengebaͤu auch in Marmor er - traͤglich ausſieht, beruht darauf, daß ſie friſirten, nicht zwang - los wallenden Haaren nachgebildet ſind. Aus demſelben93 Grunde werden maͤchtige Falten, die in Gemaͤlden nicht ſel - ten von großer Wirkung ſind, in ihrer ganzen Ausdehnung gemeiſſelt, oder gegoſſen eine ungeſchlachte, ſchwerfaͤllige Maſſe zu bilden ſcheinen, etwa wie in den ſonſt ſo lobenswerthen Statuen des Ghibertian der Vorſeite der Kirche Orſanmi - chele zu Florenz*)Es iſt an dieſer Stelle von uͤberzeugender Beweiskraft, daß Schnitzwerke in leichten, faſerigen Stoffen, in Holz und Aehnli - chem, einen Grad der Ausladung und des Geſchwungenen zulaſſen, der ſogar in Erz, wie viel mehr im Geſteine den gebildeten Sinn ſchon verletzen wuͤrde. Wie in dem wunderbaren AltareHanns Bruͤgmannszu Schleßwig, und in einer zierlich geſchnitzten Figur von jenem altniederlaͤndiſchen Kuͤnſtler, den Vaſari, mro. Janni Francese, nennt, im letzten Pfeiler zur Rechten des Schiffes der Servitenkirche zu Florenz.. Um ſolchem Uebelſtande auszuweichen, muß die Bildnerey aus den zeichnenden Kuͤnſten einige, ihrer eigenen Darſtellungsweiſe ganz fremde Huͤlfsmittel entlehnen und durch den Schein erſetzen, was ſie in voller Form nicht ohne mißfaͤllig zu werden nachbilden kann. Dieſe entlehnten Kunſtvortheile beſtehen, bald, wie bey den Haaren, in ein - gebohrten Tiefen von unbeſtimmtem Umriß; bald, wie bey den Gewaͤndern, in laͤngs der meiſt bezeichnenden Außenlinien hineingehenden Eintiefungen, welche, indem ſie tiefe Rand - ſchatten bewirken, den Anſchein deſſen hervorbringen, was man darzuſtellen bezweckt. Wer mit den Bildnereyen des Alter - thumes bekannt iſt, dem werden hier Beyſpiele hoͤchſt gelun - gener Kunſtgriffe der bezeichneten Art im Gedaͤchtniß gegen - waͤrtig ſeyn. Beyſpiele des Verfehlens ſolcher Vortheile bie - tet die moderne Bildnerey in groͤßter Fuͤlle, ſeltener ſchon die mittelalterliche, welche in Bezug auf Styl dem Alterthume94 noch ungleich naͤher ſteht*)Ueber dem Haupteingange der groͤßeren Kirche zu Saalfeldam Thuͤringer Waldeſah ich vor langer Zeit ein juͤngſtes Gericht in basso rilievo, deſſen bildneriſcher Styl vortrefflich iſt., als die mit Michelangelobeginnende moderne.
Noch vieles Andere vermieden die alten Bildner eben nur, weil der derbe Stoff deſſen bequeme, oder annehmliche Darſtellung verſagt. So deuteten ſie viele Beywerke mit ab - ſichtlicher Rohheit an; denn da Baͤume und andere landſchaft - liche Dinge nun einmal im dichten Stoffe nicht ſcheinbar zu machen, ſo wollten ſie lieber laut verkuͤnden, daß ſie ſolches durchaus nicht bezwecken, als ein Verlangen anregen, dem ſie nimmer genuͤgen konnten. Oder ſie milderten haͤutige und andere weiche Theile, welche bisweilen auf der Oberflaͤche der Geſtalten erſcheinen, oder unterdruͤckten ſie durchaus, wenn ſie etwa die Darſtellung vorkommender Kunſtaufgaben nicht weſentlich foͤrderten**)Die Widrigkeit der Erſcheinung weicher, ſchlaffer, halb - durchſichtiger Theile der menſchlichen Geſtalt in ihrer Uebertragung in dichte, ſtarre, undurchſichtige Koͤrper zeigt ſich beſonders deut - lich in, auf dem Leben abgeformten, Gypsmodellen, welche, wie ſchoͤn auch die Geſtalt ſey, welcher ſie durch mechaniſche Mittel abgewonnen, doch eben durch dieſen Widerſpruch von Form und Stoff nothwendig leichenaͤhnlich und grauenhaft ausſehen.. Wenn nun Winckelmannin ſol - chen Zartheiten des antiken Bildnerſtyles, welche der Wirkung nach ſeinem Scharfblick nicht entgehen konnten, eine Beſtaͤti - gung jenes freylich ſchon mannichfach bedingten Vorbegriffes der Manieriſten zu entdecken glaubte; wenn er Vieles, ſo aus richtig verſtandenen Beſchraͤnktheiten des derben Kunſtſtoffes hervorging, aus den inneren Foderungen der dargeſtellten Ideen erklaͤrte, ſo werden wir nunmehr daruͤber hinausſehen duͤrfen.
95Schwieriger iſt es unſtreitig, die beſonderen Stylgeſetze der Malerey anzugeben, welche an ſich ſelbſt minder deutlich am Tage liegen, als die bildneriſchen; woher es ſich erklaͤrt, daß man noch in den neueſten Zeiten gelehrt*) Fernowa. a. O. und andere ihm ſinnverwandte Theo - retiker., und vor - nehmlich in den Akademien verſucht hat, den maleriſchen Styl durch die Nachahmung von Bildwerken zu bilden, welche in ihrer Kunſtart muſterhaft behandelt und von untadeligem Style ſind. Nichts indeß kann im Grundſatz irriger, in der An - wendung geſchmackloſer ſeyn, als eine ſolche Uebertragung der Darſtellungsweiſe der einen Kunſtart auf die andere, und ge - wiß iſt jenes ſchon an ſich ſelbſt, als mechaniſche Uebung an - geſehen, hoͤchſt geiſttoͤdtende Zeichnen in den Antikenſaͤlen, auch durch die Stylvermiſchung, die es verbreitet hat, von der nach - theiligſten Wirkung. Denn nach ſo vielen Andeutungen in den Beurtheilungen neuerer Kunſtwerke, iſt es auch dem ge - woͤhnlichen Sinne auffallend, wie eben ſolches, was Statuen ihr ſicheres Beruhen giebt, wenn es auf Gemaͤlde uͤbertragen wird, einen gewiſſen Anſchein von Schwerfaͤlligkeit annimmt und zum Umfallen geneigt ſcheint, wie die colorirten Formen des Apoll in der bekannten Muſenverſammlung des Mengsan einer Decke der Villa Albani. Dieſe Wirkung entſteht daher, weil bildneriſch ſtyliſirte Formen den Anſchein des Wirklichen und Lebendigen, vermoͤge deſſen die Malerey dar - ſtellt, auf gewiſſe Weiſe durchkreuzen, indem ſie Solches, was in der Bildnerey den Foderungen der Schwere genuͤgte, in die lebendigere, bewegtere Darſtellung der Malerey hinuͤber - bringen, wo es zwecklos und ſinnverwirrend an Schweres ge -96 mahnt, ohne daß dafuͤr ein Grund vorhanden, oder nur denk - bar waͤre. — Sieht man doch gegenwaͤrtig ein, welcher Nach - theil der modernen Bildnerey ſeit Michelagnuoloaus dem Wetteifer mit der Malerey erwachſen, welche die andere Kunſt in den modernen Zeiten zufaͤllig, oder nothwendig uͤberboten und alſo vielleicht zur Nachahmung angereizt hatte. Vor - nehmlich aber ſollten Alle, welche Leſſingsmit Dank ge - denken, weil er den Gedanken, wenn nicht ausgefuͤhrt, doch angeregt hat: daß Poeſie und bildende Kuͤnſte nach Maßgabe des Stoffes, in welchem ſie darſtellen, auch jede ihre eigenen Bedingungen und Moͤglichkeiten einſchließen, um ſich ſelbſt gleich und getreu zu bleiben, auch in Bezug auf bildneriſche und maleriſche Darſtellung die nothwendige Begrenzung aner - kennen und in ihren Lehren ſie hindurch fuͤhren.
Das hoͤchſte und unerlaͤßlichſte Stylgeſetz der Malerey entſpringt aus jenem allgemeineren, welches gebietet, in der Anordnung und Vertheilung von darſtellenden, oder nur ſchmuͤckenden und fuͤllenden Formen und Lineamenten, Maß und inneres Verhaͤltniß zu beobachten. Denn, eben weil die Malerey, vermoͤge des Stoffes, in welchem ſie darſtellt, Vie - les in einem Bilde vereinigen kann und daher zu vereinigen beſtrebt: ſo iſt in ihr die Uebereinſtimmung in den Verhaͤlt - niſſen der Theile in eben dem Maße, als Vielfaͤltiges ſich leichter zur Verwirrung hinuͤber neigt, auch ſorgfaͤltiger zu erſtreben. Aus einem richtigen Gefuͤhle dieſes Stylgeſetzes iſt die ſymmetriſche Anordnung vieler alten Gemaͤlde entſtanden, welche das Vorurtheil ſpaͤterer Zeiten als gezwungen verwor - fen hat. Und obwohl dieſe Anordnung in den himmliſchen Verſammlungen, welche viele Altargemaͤlde des funfzehnten Jahrhundertes ausfuͤllen, hier und da aus unzureichendemKoͤnnen97Koͤnnen etwas zu ſehr ins Steife gehen mag, ſo muͤſſen wir doch das Stylgefuͤhl, aus dem ſie hervorgegangen, um ſo hoͤher ſtellen, als es ſchwieriger iſt, ſolche Stylgeſetze der Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben eroͤrterten der Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthuͤmlichen rohen Stoffes entſtehen.
Denn in der Malerey iſt jenem groͤberen, auf einer ge - gebenen Flaͤche faͤrbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln - den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in der Fuͤhrung des Stiftes, der Feder, des Pinſels, oder in Tinten und Uebergaͤngen der Farbe, Maͤngel, oder Vorzuͤge erſcheinen koͤnnen, ſo ſind dieſe doch, theils ziemlich unweſent - lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Geſetz zu brin - gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden - den Kuͤnſten diejenige iſt, welche nicht durch die Form, ſon - dern durch den Anſchein von Formen darſtellt, iſt es denkbar, daß dieſer Anſchein durch gewiſſe Kunſtvortheile, durch Ver - ſtaͤrkungen, Milderungen, Unterlaſſungen, oder Anderes be - foͤrdert wuͤrde.
Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann - teren Kunſtmittel der Malerey nur beſchwerlich hervorzubrin - gen iſt; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre Haͤrte und Abgeſchnittenheit in Gemaͤlden den Anſchein wirk - lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal eine der aͤußeren Bedingungen gluͤcklicher Darſtellung iſt. Hierin denn wuͤrden wir etwas zu finden glauben, was den Maler beſtimmen koͤnnte, Einiges ſchaͤrfer herauszuheben, An - deres abſichtlich zu mildern. In den Lichtmaſſen der Gewaͤn - der, um ein Beyſpiel anzugeben, iſt es ſo ſchwierig die ſchar - fen Umriſſe des kleinen Gefaͤltes ohne den Mißſtand einerI. 798ſcheinbaren Zerſtuͤckelung der Maſſe anzugeben, daß die beſten Maler unter den Neueren, ſogar die Wandmalereyen der Alten, in ſolchen Lichtmaſſen ihre Umriſſe mit willkuͤhrlicher Leichtig - keit gleichſam nur angedeutet haben. In einem der glaͤnzend - ſten Beyſpiele des um 1530 ploͤtzlich ſinkenden Stylgefuͤhles, in der Madonna del Sacco zu Florenz, kann der entgegen - geſetzte Fehler in dem vielfaͤltig zerſchnittenen Gefaͤlte einge - ſehen werden, welches das Haupt und die Schultern der Jungfrau umgiebt. Aus gleichem Grunde vermieden die beſten Maler ein ſchwarzes Haupthaar, wo es nicht, wie im Bild - niß, vom Gegenſtande geboten wird; denn ſo reizend dieſe Haarfarbe im Leben zu erſcheinen pflegt, ſo ſchwer iſt es, ſie in Gemaͤlden mit dem daran ſtoßenden helleren Fleiſche zu gemeinſamen Licht - und Schattenparthien zu vereinigen und zu verhuͤten, daß der grelle Abſtich nicht etwa den Anſchein zu - ſammenhaͤngender Form aufhebe, wo ſolcher gefodert wird.
Muͤſſen wir uns nun eingeſtehen, daß ſogar die aͤußer - lich vollendetſten Gemaͤlde doch immer an Fuͤlle und Deut - lichkeit ſo ſehr der Erſcheinung wirklicher Dinge nachſtehen, daß ſie nur innerhalb ihrer eigenen Begrenzung fuͤr wahr, oder ſcheinbar wirklich gelten koͤnnen; ſo wird aus dieſer Vor - ausſetzung ein anderes Stylgeſetz abzuleiten ſeyn, welches nicht mehr die Theile im Einzelnen, vielmehr das Ganze der Kunſt - werke befaßt. Dieſes Geſetz befiehlt dem Kuͤnſtler, durch eine gewiſſe Gleichmaͤßigkeit in der Ausfuͤhrung von Gemaͤlden die Aufmerkſamkeit des Beſchauers ſo zu begrenzen, daß er, auch wollend, kaum im Stande waͤre, irgend einen Theil des Kunſt - werkes fuͤr ſich allein der Vergleichung mit anderen, außer dem Bilde befindlichen Gegenſtaͤnden zu unterwerfen. Wir werden ſpaͤter Gelegenheit finden, die Macht einer ſolchen in99 ſich abgeſchloſſenen Darſtellung an Kunſtwerken zu bewundern, welche ganz verſchiedenen Stufen der Kunſtfertigkeit angehoͤ - ren, da ſie eben ſowohl in den Werken des Giottound ſei - ner Zeitgenoſſen, als in den groͤßten Leiſtungen neuerer Kunſt - beſtrebungen ſich geltend macht.
Endlich duͤrfte es nicht minder dem maleriſchen Style beygezaͤhlt werden koͤnnen, wenn Kuͤnſtler ſolches, was ſie nicht eigentlich darzuſtellen bezwecken, vielmehr nur als ein Beywerk betrachtet ſehen moͤchten, durch etwas willkuͤhrlichere Geſtaltungen dem geiſtigen Sinne genuͤgend anzudeuten ver - ſtehen, ohne doch den aͤußeren Sinn zu verletzen. Wie die unvollkommenen Ueberreſte antiker Malerey errathen laſſen, ward im Alterthume alles landſchaftliche Beywerk auf ziem - lich willkuͤhrliche Weiſe angedeutet; demungeachtet befriedigt es auch ſo, weil es keine Anſpruͤche erweckt, und gluͤcklich im Raume vertheilt iſt. Lobenswerth ſind, aus demſelben Geſichts - punct angeſehen, die Landſchaften in den hiſtoriſchen Gemaͤlden Raphaelsund ſeiner Zeitgenoſſen, ſogar die Hintergruͤnde ſei - ner fruͤheren und ſpaͤteren Vorgaͤnger. Obwohl nun eben dieſe nicht ſelten von denen getadelt werden, welche alle einzeln vor - kommende, oder denkbare Vorzuͤge in demſelben Kunſtwerke vereinigt ſehen moͤchten; ſo duͤrfte es doch wieder Andere geben, welche einſehen, daß jenes genaue Eingehen in die Formen - ſpiele der Pflanzen, in die linden Wallungen, oder trotzigen Kanten der Erdformen, oder in alle Gaukeleyen der Luft und des Lichtes, welches Alles wir in einemClaudio, Ruis - daelund anderen bewundern und lieben muͤſſen, durchaus unvereinbar iſt mit den Zwecken der ſogenannten hiſtoriſchen Gemaͤlde. Denn dieſe wirken, indem ſie menſchliche Verhaͤlt - niſſe darſtellen, auf die tiefſten unter den Sinnen, die uͤber -7 *100haupt durch Kunſtwerke angeregt werden koͤnnen; jene Vor - zuͤge wieder mehr auf die Oberflaͤche des menſchlichen Daſeyns, ſo daß ihre Verſchmelzung ſicher nur verwirren wuͤrde. Zudem liegt etwas theils teleſcopiſches, theils auch mikroſcopiſches in der modernen Landſchaftsmalerey, welches daher ſcheint entſtanden zu ſeyn, daß man das ſchwaͤchere Intereſſe der außermenſchlichen Natur durch Fuͤlle an Gegenſtaͤnden hat er - ſetzen wollen, was genau beſehen nicht immer zum Zwecke fuͤhrt; hieraus aber entſpringt, da der Hiſtorienmaler ſeine Formen jederzeit dem Auge nahe ruͤckt, ein ſo ſchneidender Gegenſatz in den Abſtufungen, daß ſchon deshalb nimmer ein - geraͤumt werden kann, daß die moderne Behandlung der Land - ſchaft den Hintergruͤnden hiſtoriſcher Gemaͤlde zur Zierde ge - reichen koͤnne. Uebrigens moͤgen Manche in dieſer Beziehung auf eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen und Handhabungen alter Maler ein uͤbergroßes Gewicht legen. Denn gewiß kommt es nicht ſo genau darauf an, ob ein Baum, wenn er uͤberhaupt mit richtigem Sinn den Forderungen des jedesmaligen Kunſt - werkes untergeordnet worden, ſo oder anders zugeſchnitten ſey.
Ueberhaupt wird man nie ſorgfaͤltig genug von den all - gemeinen Stylgeſetzen ſolche ganz eigenthuͤmliche Gewoͤhnungen der einzelnen Schulen und Meiſter ausſchließen koͤnnen, welche ſich auf minder weſentliche Beywerke, auf die Landſchaft, das Gefaͤlte und Anderes beziehen. Und wollte man durchaus, gleich den Italienern, jenen Antheil an Manier, der auch den beſten Kunſtwerken als ein minderſtoͤrender, wohl auch, als unterſcheidendes Merkmal angeſehen, nicht unwillkommener Mangel anklebt, mit in den Stylbegriff hineinziehen; ſo wuͤrde man ſich doch beſinnen muͤſſen, fuͤr jene allgemeineren Kunſt - vortheile einen anderen Namen aufzufinden. Herr Dr. Schorn,101 deſſen Scharfblick und billigen Sinn ich hochſchaͤtze, deſſen oͤffentlichen und freundſchaftlichen Mittheilungen ich vielfaͤltige Belehrung verdanke, brachte mir ſchon vor Jahren das Kunſtſchoͤne in Vorſchlag, ein neues Wort, welches dieſer Kunſtgelehrte ſchon fruͤher, nach dem Vorgange Hirts, in ſeinen trefflichen Studien griechiſcher Kuͤnſtler aufgenommen hatte. Bis dahin habe ich mich nicht einmal an den Klang gewoͤhnen koͤnnen; doch duͤrfte dieſer, in einer rauhen Spra - che, wie die unſrige, nicht ſo ſehr in Frage kommen, als die - ſes: ob die Grundbegriffe, aus denen er zuſammengeſetzt wor - den, mit Solchem, was ich Styl nenne, durchaus vereinbar waͤren. Das Kunſtſchoͤne indeß kann nach dem Beyſpiel verwandter Wortbildungen nichts anders heißen wollen, als das Schoͤne der Kunſt. Der Styl aber in dem Sinne, den ich feſthalte, iſt zwar allerdings ein Schoͤnes der Kunſt, aber noch keinesweges der Inbegriff alles Schoͤnen der Kunſt; das Kunſtſchoͤne ſcheint alſo fuͤr meinen Stylbegriff zu Vieles zu bezeichnen, oder zu weit umfaſſend zu ſeyn. Sehen wir zudem das Kunſtwort Styl, auch in den neueſten Kunſtbetrachtungen deſſelben Gelehrten*)S. Kunſtblatt 1825. Jan. und Nov. Ich raͤume meinem Gegner, vornehmlich deſſen letzter Zuſchrift, ſeine dialectiſche Ueberlegenheit ein. Die Sache aber, um welche es am Ende ihm ſelbſt ebenfalls nur zu thun iſt, wird durch obige Entwickelung an Deutlichkeit und Feſtigkeit gewonnen haben. Gegen die Beyſpiele, welche Dr. Schornmir entgegenſtellt, habe ich folgendes einzuwenden. Die Aegineten ſind, ihrer erſten Beſtimmung nach, in Bezug auf Styl, aus dem Geſichtspunct des Hochreliefs zu beurtheilen. Niobe und ihre Kinder, nach der geiſt - vollen Hypotheſe Cockerellsnicht minder; und obwohl ich nicht glaube, daß die medizeiſchen Exemplare Originale und ſo alt ſind, noch immer nach102 einer beſtimmteren Bedeutung ſtreben, bald an das Edle der Richtung, oder des Gegenſtandes, bald wieder an Eigenthuͤm - lichkeiten der Kuͤnſtler ſich anſchließen, ſo werde ich um ſo mehr auf Nachſicht zaͤhlen duͤrfen, wenn ich daſſelbe als bie - ſterfrey angeſehen und gewagt, ihm einen Sinn unterzulegen, dem es auch von dem Worte abgeſehen, gewiß nicht an inne - rer Begruͤndung fehlt.
Doch muß ich einraͤumen, daß, wie bey feyerlichen Hand - lungen Ordnung und Anſtand, ſo auch bey kuͤnſtleriſchen Dar -*)als der Gebrauch altdoriſcher Tempelbaukunſt, ſo bin ich doch, erſt ſeitdem ich ſie zum erſten Male als eingeordnet in einen gegebenen Raum gedacht, mit dem Zwange ihrer Stellungen verſoͤhnt wor - den. Der herrliche Discobol des Vaticans(an ſich ſelbſt ein Aus - nahmefall) uͤberſchreitet uͤbrigens auch in ſeiner Bewegung (ohne welche er uͤberhaupt nicht denkbar waͤre) nirgend dasjenige Gleich - gewicht, jene aͤußerlichſte Symmetrie, welche mir fuͤr Bedingung wohlgefaͤlliger Erſcheinung plaſtiſcher Darſtellungen gilt. Eben an einer ſolchen Klippe, welche die Bildnerey des Alterthumes meiſt vermieden, zeigt ſich die Ausbildung ihres Stylſinnes in ihrem glaͤnzendſten Lichte. — In Gruppen, wie im Toro Farneſe, iſt aber dieſe Qualitaͤt des Styles nicht in den einzelnen Geſtalten, die ſie enthalten, ſondern in ihrer Zuſammenordnung, in der Geſammt - geſtalt der Gruppe aufzuſuchen. — Wenn aber mein Gegner (in dieſem einen Wortſinn) in ſeiner letzten Erklaͤrung die Beſorgniß aͤußert, daß der Stylbegriff, den ich oben naͤher zu entwickeln ver - ſucht, zur Manier und zum Conventionellen fuͤhren moͤchte, ſo entſtehet ſolche unſtreitig nur daher, daß ich mich fruͤher nur ge - legentlich und nicht vollſtaͤndig genug ausgeſprochen. Und vielleicht wird auch obige Entwickelung nur denen genuͤgen, welche ihre Maͤn - gel und Auslaſſungen aus eigener Kunde ſich ergaͤnzen koͤnnen. Von verſchiedenen Seiten, und namentlich durch Hrn. Dr. Schorn, wird meinem kuͤnſtleriſchen Stylbegriffe der rhetoriſche entgegenge - ſetzt. Ich habe bereits gezeigt, daß der kuͤnſtleriſche Stylbegriff aus einem andern, obwohl verwandten Grundbilde entſtanden iſt, als der rhetoriſche; uͤberdieß wird dieſer letzte wohl ſo leicht mit103 ſtellungen des Edlen und Wuͤrdigen Solches, was ich Styl nenne, minder geduldig vermißt werden duͤrfte, als bey Darſtellungen des Niedrigen, oder Ausgelaſſenen, welchen das ſogenannte Maleriſche oder, wenn ich dieſen Ausdruck recht verſtehe, eine gewiſſe ſanfte Undulation der Formen ge - nuͤgen mag. Auch ſehe ich ein, daß in dem Geſammteindruck von Kunſtwerken der Styl jedem anderen Verdienſte ſich ver - maͤhlen wird, was allerdings die abgeſonderte Betrachtung die - ſes Vorzuges der Kunſt erſchweren muß. Einleuchtend indeß*)meinem Stylbegriffe auszugleichen ſeyn, als mit anderen. Denn verſteht man in der Sprache und Schrift den Styl uͤberhaupt, wie ich denke, als einen, wie immer durch Eigenthuͤmlichkeiten der Perſoͤnlichkeit und aͤußeren Stellung abgeaͤnderten, doch nothwen - dig allgemeinen Vorzug; ſo wird dieſer in nichts Anderem beſtehen koͤnnen, als in der Gewandtheit, den Stoff der Darſtellung (hier die Sprache) ſeiner inneren Beſtimmung gemaͤß zu behandeln, und daher ihn ohne aͤußeren Mißſtand bequem dem jedesmaligen Zwecke anzupaſſen. — Uebrigens ſcheint jener hoͤhere Stylbegriff, den Hr. Dr. Schorngegen mich zu behaupten ſtrebt, die Begriffe: Rich - tung, Eigenthuͤmlichkeit, Handhabung (Gewoͤhnung, Manier) ge - meinſchaftlich zu umfaſſen; und es duͤrfte in Frage ſtehen, wie ich bereits erinnert habe, ob dieſe ſo hoͤchſt verſchiedenartigen Begriffe mit Fug und Nutzen einander coordinirt werden koͤnnen. — Und wenn ich einraͤumen muß, daß der Styl in Kunſtwerken immer in Begleitung von Eigenthuͤmlichkeiten der Zeit, der Nationalitaͤt, der Perſon, an das Licht tritt, daß man daher, bey geringerer Schaͤrfe der Unterſcheidung, leicht darauf verfallen mußte, Styl und Eigenthuͤmlichkeit aller Art in eins zu faſſen; ſo kommt mir doch ſogar hierin der Umſtand zu Huͤlfe, daß kein deutſcher Kunſt - gelehrte jemals Neigung gezeigt, die nackte, vom Styl in meinem Sinne entbloͤßte Eigenthuͤmlichkeit (z. B. des ſo ehrenwerthen Rembrandt) einen Styl zu nennen. Alſo liegt ſelbſt denen, welche von eigenthuͤmlichen Stylen reden, doch immer der eine, allgemeine Stylbegriff, obwohl minder deutlich, im Hintergrunde des Bewußtſeyns.104 unterliegt der Kunſtgenuß ganz anderen Geſetzen, als die Lehre der Kunſt. Waͤhrend der eine den vollen Eindruck des Gan - zen erheiſcht, und durch Zergliederung in den meiſten Faͤllen vernichtet wird, will die andere unterſcheiden, ausſondern und ordnen. Wenn man nun einmal zum Werke geſchritten iſt, und den lebendigen Leib der Kunſt in ſeine Theile zerlegt hat; ſo wird es darauf ankommen, ſeine Fibern und Muskeln ſau - ber abzuloͤſen, ſie nicht mitten durchzuſchneiden, zuletzt aber jedes Stuͤck an ſeine rechte Stelle zu legen. Denn nur durch Schaͤrfe, Deutlichkeit und Folge wird die abgeſonderte Kunſt - betrachtung, einmal ſich ſelbſt genuͤgen, dann auch auf die Ausuͤbung der Kunſt zuruͤckwirken koͤnnen. Freylich vermag eine duͤrre Theorie auf keine Weiſe den Kuͤnſtler aufzuregen und zu begeiſtern; wohl aber die Banden irriger Lehrgebaͤude aufzuloͤſen, gegenſeitige Verklammerungen des Wahren und Falſchen zu ſpalten, das Nuͤtzlichſte gewiß, ſo fuͤr den Augen - blick moͤglich iſt.
Dem hiſtoriſchen Archaͤologen haben wir alſo den Typus, dem aͤſthetiſchen den Styl eingeraͤumt und hiemit zugegeben, daß in der Kunſt, und vornehmlich eben in der Kunſt des Alterthumes, Bezeichnungen und Schoͤnheiten vorhanden, welche nicht ſo geradehin weder aus der Befolgung allgemeiner Na - turgeſetze, noch aus dem belebenden Eindruck einzelner Natur - geſtalten zu erklaͤren ſind. Zugleich aber haben wir uns erin - nert, daß die willkuͤhrliche Bezeichnung nur den Verſtand, der Styl aber nur den aͤußeren Sinn in Anſpruch nimmt; daß alſo dieſe Eigenſchaften vortrefflicher, vornehmlich antiker Kunſt - gebilde auf keine Weiſe die Darſtellung ſelbſt angehen, oder die Beſchaffenheit und Abkunft der darſtellenden Formen we - ſentlich abaͤndern. Auch hatten wir den Styl nicht, wie An -105 dere, aus einem gewiſſen Aufſchwung des kuͤnſtleriſchen Gei - ſtes erklaͤrt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben Stoffes, wodurch wir den Kuͤnſtler, weit entfernt ihm von dieſer Seite einige Freyheit einzuraͤumen, vielmehr auch hier auf aͤußere Schranken hingewieſen, welche er nie ungeſtraft uͤberſchreiten wird. Der Kunſt Unkundigen, oder auch denen, welche das geruͤgte Vorurtheil der Modernen noch verblendet, duͤrfte es nun wohl ſcheinen, als werde die Kunſt durch ſo mannichfache Beſchraͤnkungen aus dem Gebiete des Geiſtigen und Entbundenen verwieſen und zu einer gewiſſen Befangen - heit verurtheilt.
Waͤre es, wie die Kunſtlehre der letzten ſechzig Jahre darzulegen und zu behaupten bemuͤht geweſen, der Zweck, oder doch der Hauptzweck der Kunſt, die Schoͤpfung in ihren ein - zelnen Geſtaltungen nachzubeſſern, beziehungsloſe Formen her - vorzubringen, welche das Erſchaffene ins ſchoͤnere nachaͤffen*)Wie ſogar die Titel (de l’imitation, u. a.) mancher Kunſt - ſchriften andeuten, und wie die Entwickelungen der uͤbrigen zeigen, laſſen auch ſolche Kunſtgelehrte, welche mit den Kunſtformen weit uͤber die natuͤrlichen hinauswollen, den Kuͤnſtler gewoͤhnlich mit ſtumpfſinnig („ ohne Wahl “) unternommener Nachahmung des ſinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieſer Nach - ahmung ſich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun - gen nennt. Boͤttiger, a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte der beiden claſſiſchen Voͤlker, das Haupt (meiſt?) unbedeckt zu tragen, nie eine Idealform zum Vorſchein gekommen waͤre. Nicht aus der Idee, ſondern aus dem Eindruck des ſinn - lich Vorliegenden entwickelte ſich demnach, nach den Anſichten die - ſes Gelehrten, was ihm Idealform heißt. — Daß ein geheimer Zug des Geiſtes, etwa was man Idee nennt, den Kuͤnſtler mit verwandten Naturgeſtaltungen verbinde; daß er in dieſen ganz all -,106 und das ſterbliche Geſchlecht gleichſam dafuͤr ſchadlos hielten, das die Natur eben nicht ſchoͤner zu geſtalten verſtanden*)Die Worte: gemeine Natur, Beſchraͤnktheit der Natur, und aͤhnliche, ſind in der aͤſthetiſchen Literatur ſo gaͤng und gebe, daß ich durch Anfuͤhrung des Einen, den Anderen zu betheiligen fuͤrchte.: ſo wuͤrde dem Kuͤnſtler allerdings durch die Anſicht, welche ich oben zu begruͤnden verſucht, alle Ausſicht auf freye Be - wegung und ſelbſtſtaͤndige Leiſtung benommen. Doch duͤrfte er innerhalb der Schranken, welche in Bezug auf Form und Stoff der Willkuͤhr ſich entgegenſtellen, die freyeſte Bewegung bewahren koͤnnen, wenn der Zweck der Kunſt, wie, ſowohl aus ihren bekannteren Leiſtungen, als ſchon aus ihrem allge - meinſten Begriffe darzulegen iſt, theils mannichfaltiger, theils ſelbſt ungleich wichtiger waͤre, als jener, den die aͤſthetiſchen Schwaͤrmer ihr vorzeichnen.
Worauf denn, duͤrfte man hier fragen, begruͤndet ſich wohl die Anſicht, welche Geiſt und Gefuͤhl des Kuͤnſtlers, Sittliches und Wahres des Gegenſtandes, Klarheit und Ver - nehmlichkeit der Darſtellung, kurz alles, was nach dem Ge - fuͤhl jedes ſich hingebenden, nicht bloß eigne, oder angenom - mene Meinungen und Anſichten verfolgenden Kunſtfreundes den Werken der Kunſt allein tieferen Gehalt und wahrhaft anſprechende Formen verleiht, einer unbeſtimmten Vorſtellung von beziehungsloſer Formenſchoͤnheit unterordnet? Nicht auf eine poſitive und urſpruͤngliche Vorſtellung[von] For -*)gemach ſein eigenes Wollen immer deutlicher erkenne, durch dieſe daſſelbe auszudruͤcken erfaͤhigt werde; ſcheint bis dahin nur Weni - gen deutlich zu ſeyn. Ich habe bereits angemerkt, daß Fortſchritte in der Meiſterſchaft in dieſem Verhaͤltniß nichts veraͤndere, wohl den Meiſter aufwaͤrts ruͤcke, doch die Natur ſelbſt nicht herabſetze.107 menſchoͤnheit, ſondern auf eine ſolche, die man auf der einen Seite nur durch Verneinung der Natur zu bezeichnen weiß, auf der anderen aber durch ſinnliche Anſchauung be - ſtimmter Kunſtwerke*) Fernow, den uͤberhaupt Offenheit und naive Zuverſicht aus - zeichnet, der uns mithin die Anſichten moderner Kunſtgelehrten meiſt in wuͤnſchenswerther Nacktheit und Deutlichkeit ausſpricht, ſagt (Leben des Maler Carſtens. S. 299.): „ Das Ideal iſt in beiden bildenden Kuͤnſten weſentlich daſſelbe; aber in jeder hat es ſeinen eigenen Charakter. Der Bildner findet das ſeine in der Antike; den Maler weiſet Raphaeldarauf (auf die Antike) hin. “erworben hat, in welche man zudem nicht ohne Beywirkung von vorgefaßten Meinungen hoͤchſt muͤhſam ſich hinein begeiſtern muͤſſen**)Nur in Beziehung auf dieſen Weg der Geſchmacksbildung gilt ( Goͤtheaus meinem Leben Bd. II. S. 248.): daß die An - ſchauung eine verhaͤltnißmaͤßige Bildung erfordere, der Begriff hingegen nur Empfaͤnglichkeit wolle, den Inhalt mitbringe und ſelbſt das Werkzeug der Bildung ſey. An ſich ſelbſt iſt offenbar die Anſchauung das Urſpruͤngliche, der Begriff das Geſchichtliche; erfordert Anſchauung, wenn ſie auch der Uebung und Schaͤrfung faͤhig iſt, nur offenen, unbefangenen Sinn, der Begriff aber unter allen Umſtaͤnden den mannichfaltigſten Austauſch, die endloſeſten Vereinbarungen der Menſchen unter ſich.. Iſt aber dieſe Vorſtellung keine urſpruͤngliche, nur eine von außen angenom - mene, alſo hiſtoriſche, ſo wird ſie auch als Thatſache zu be - trachten, und als ſolche der Pruͤfung zu unterwerfen ſeyn.
Pruͤfen laͤßt ſich in dieſer Beziehung zuerſt, ob die Alten ſelbſt, wenn wir nur ihr unvergleichlich feines, ausnahmelo - ſes Stylgefuͤhl nach obiger Ausſonderung beyſeite ſtellen, je - mals in der Kunſt von dem Streben nach einer ſolchen be - ziehungsloſen Schoͤnheit ausgegangen ſind; zweytens, ob die Kunſtwerke, in denen man die Verwirklichung einer ſolchen108 Vorſtellung wahrzunehmen glaubt, welche man daher fuͤr mu - ſterhaft anſieht und der Nachahmung empfiehlt, etwa unter den Leiſtungen der antiken Kunſt das Beſte ſind, oder was uns gleichbedeutend ſeyn ſollte, den Alten ſelbſt fuͤr das Beſte gegolten haben.
So weit die Anſicht, welche die Kunſt des Alterthumes im Ganzen beherrſchte, uͤberhaupt aus den abgeriſſenen An - deutungen der Schriftſteller zu ergaͤnzen iſt, zeigt ſich nichts, woraus zu ſchließen waͤre, daß die Alten jemals Geiſt und Gefuͤhl des Kuͤnſtlers, Sinn und Bedeutung der Aufgabe, Charakter und Lebendigkeit der Darſtellung einem allgemeinen beziehungsloſen Begriffe der Schoͤnheit untergeordnet haben*) Winckelmannund ſein Jahrh. S. 281. — „ Weil es ſich aber darthun laͤßt, daß die ſchoͤnen Formen nicht der Haupt - zweck der griechiſchen Kunſt waren, ſondern ſie ſich nur aus dem Geiſte derſelben entwickelten, als nothwendige Mittel zum Aus - druck ſchoͤner Gedanken. “ Weshalb ſteht dieſe der Sache nach ſo richtige Bemerkung, ſtatt wie hier nur eingeſchaltet und gleichſam entglitten zu ſeyn, nicht lieber an der Spitze irgend einer Kunſt - lebre? — Wuͤrde ſie nicht mit Conſequenz angewendet, die ganze Lehre von aͤußerlicher Aneignung antiker Kunſtformen umwerfen?. Freylich wohnt die Bluͤthe menſchlicher Schoͤnheit in jener Jugendlichkeit und Lebensfuͤlle, welche in ihren Kunſtgeſtal - tungen vorherrſcht; wo iſt aber die Aeußerung, welche uns berechtigen duͤrfte, anzunehmen, dieſes friſche Jugendleben hel - leniſcher Kunſt ſey aus pedantiſchen Grundſaͤtzen**)Gleich jenen, welche LeſſingLaokoon, §. 2. aus einer Stelle Aelianshervordeutet, var. hist. lib. IV. c. 4., wo es heißt: ἀκούω κεῖσϑαι νόμον Θήβησι πϱοςτάττοντα τοῖς τεχνίταις, καὶ τοῖς γϱαφικοῖς, καὶ τοῖς πλαστικοῖς, εἰς τὸ κϱεῖττον τὰς ἐικόνας μιμεῖς - ϑαι· ἀπειλεῖ δε ὸ νόμος τοῖς εἰς τὸ χεῖϱον ποτὲ, ἢ πλάσασιν, ἢ γϱάψασι, ζημίαν τὸ τίμημα δϱᾶν. — Leſſingerklaͤrt dieſe, nicht109 vielmehr aus der herrſchenden Lebensanſicht und Sinnesrich - tung entſtanden?
Allein auch die Ueberreſte alter Kunſt zeigen, wie jedem Unbefangenen bey einiger Orientirung einleuchten muß: daß in der Kunſt des Alterthumes, welche uns Entlegenen wohl einmal als ein Ganzes, oder Gleichfoͤrmiges erſcheint, welche wir daher wohl etwas zu allgemein und franzoͤſirt, die An - tike, nennen, mehr, als eine Richtung des Geiſtes ſich ausgedruͤckt; daß ſie durchhin der Spiegel des jedesmaligen Geiſteslebens, nirgend nackte Anwendung aͤſthetiſcher Prinzi - pien ſey.
**)Stelle, welche, weil ſie in der That mancherley Deutungen zulaͤßt, auch hoͤchſt verſchieden gedeutet worden, mit groͤßter Zuverſicht fuͤr ein Geſetz gegen die Karikatur, und wir duͤrfen ihm Gluͤck wuͤn - ſchen, daß er mit ſo wenig Beſchwerde uͤber einen ſo kitzlichen Fall ſich hinweggeſetzt. Gewiß lag die Karikatur in der modernen moraliſirenden, oder politiſirenden Richtung durchhin außer dem Wege der alten Kuͤnſtler; in einem anderen Sinne kannten und nutzten ſie die Uebertreibung als einen wichtigen Kunſtvortheil, vorausſetzlich in den Haͤnden des Meiſters; dieſe in den gehoͤrigen Schranken zu halten, waͤre denn, wenn anders Leſſingdie Stelle recht gedeutet haͤtte, der Zweck jenes Geſetzes. Indeß will ich An - deren uͤberlaſſen, auszumachen, zunaͤchſt, ob das Fact. auf dieſe Autoritaͤt ſo unbedingt anzunehmen ſey; dann: welche Worte etwa dem Geſetze ſelbſt, welche dem Schriftſteller angehoͤren; was end - lich das vieldeutige: εἰς τὸ κϱε̃ιττον τὰς εἰκόνας μιμεῖσϑαι, an die - ſer Stelle ſagen wolle. Das Gebot gute Arbeit zu liefern, findet ſich in den Statuten auch neuerer Malerzuͤnfte, woher es dem Ju - nius nicht ſo fern lag, zu verſtehen, daß jenes Geſetz gegen die Stuͤmper gerichtet ſey, was Leſſingrund verwirft, ohne Gruͤnde zu geben. Da er glaubte, daß man die Hervorbringung des Schoͤ - nen durch Gruͤnde befoͤrdern koͤnne, ſo lag es ihm nahe, auch die - ſes anzunehmen, daß man es durch Geſetze verordnen koͤnne. — Zwar enthaͤlt jene Stelle Aelianskeine Angabe, aus welcher die
110Vorherrſchend war in der aͤlteſten und ſchoͤnſten Epoche der ausgebildeten Kunſt des Alterthumes, wie wir nunmehr faſt urkundlich darthun koͤnnen, jenes unbefangene ſich Hin - geben in ein geſundes Lebensgefuͤhl, jene Anmuth, welche nur aus der Unbefangenheit hervorgeht und der Abſicht nimmer gelingt. Die ernſteren und tieferen Werke dieſer Zeit ſind freylich fuͤr uns verloren; doch die eine Seite, welche wir uns noch verſinnlichen koͤnnen, reicht hin, die Uebereinſtim - mung des kuͤnſtleriſchen Wollens*)Indem ich hier vorſchlage, die Kunſt des claſſiſchen Alter - thumes auch einmal nach der jedesmal vorwaltenden Lebensanſicht, oder allgemeinen Stimmung des Gemuͤthes abzutheilen, glaube ich keinesweges die Unterſcheidung von verſchiedenen Stufen der Ent - wickelung aͤußerer Kunſtfertigkeiten uͤberfluͤſſig zu machen, in wel - cher Hr. Hofr. H. Meyer(Geſch. der bild. K. bey den Griechen u. a. a. St.) ausgezeichneten Scharfſinn bewieſen hat; noch die mancherley Richtungen des Sinnes auszuſchließen, welche unſere aͤſthetiſchen Archaͤologen mit jenen gemeinſchaftlich aufzufaſſen und, Style, zu benennen pflegen. — Doch fuͤrchte ich, daß jene nicht ſelten ſehr feinen Unterſcheidungen der aͤußerlichen Merkmale der verſchiedenen Zeiten und Schulen der Kunſt bisweilen irre leiten jener Zeiten mit dem ge -**)Zeit beſtimmt werden koͤnnte, da das Geſetz gegeben worden. Doch in Erwaͤgung der mannichfaltigen und gewaltſamen Veraͤnderungen in der Geſetzgebung griechiſcher Staaten vom Anbeginn des pelo - ponneſiſchen Krieges, das mazedoniſche Zeitalter und die Herrſchaft der Roͤmer hindurch bis auf das Zeitalter dieſes Schriftſtellers, duͤrfte man ſich geneigt fuͤhlen, in dieſem Geſetze eine Verordnung ſpaͤter (aelianiſcher) Zeit zu ſuchen, die ohnehin laͤngſt ſchon nicht mehr productiv war. Dazu ſpricht er von Theben, welches in der Kunſtgeſchichte nicht eben hervorleuchtet; wie endlich LeſſingsAuslegung nicht wohl mit den Anſichten auszugleichen iſt, welche Plutarch, dem neben Aelianwohl ebenfalls eine Stimme gebuͤhrt (de audiendis poetis; opp. ed.Reisk.Vol. VI. p. 62. sq.), auf - geſtellt.111 ſammten Leben des Volkes an den Tag zu legen. Wie ganz anders mußte ſich die Kunſt ſchon unter den macedoniſchen Herrſchern geſtalten. Gewiß trug ſie den Aufdruck jener phan - taſtiſchen Trunkenheit des Sieges und der Herrſchermacht, jenes Schwelgens in Ruhm und Genuß, des Erbtheils, welches Alexanderſeinen Nachfolgern zuruͤckgelaſſen. Deutet doch Alles, was wir uͤber die Kunſt des macedoniſchen Zeitalters wiſſen, auf Pracht und Glanz; und im Geleite der Muͤnzen duͤrften unter den Truͤmmern Romsnoch immer Beyſpiele dieſer Kunſtrichtung (Ueberreſte der Beute des macedoniſchen Krieges) aufzufinden ſeyn, wenn kuͤnftig einmal, wie Unbe - fangenheit fuͤr das Kennzeichen aͤchter altgriechiſcher Kunſt, ſo anſpruchvoll Maͤchtiges fuͤr das Merkmal griechiſch-macedo - niſcher gelten wird. — In Romaber, wo das Beduͤrfniß zu herrſchen aus dem Geiſte des Ordnens und buͤrgerlichen Ge - ſtaltens hervorging; wo von den aͤlteſten Zeiten, bis auf ſpaͤte Caͤſarn das Gemeinweſen ſtets mit einer wunderbaren Feyer und Ruhe aufgetreten, verherrlichte die Kunſt die Wuͤrde des Staates, die Bedeutung des perſoͤnlichen, oder politiſchen Cha - rakters. Obwohl hoͤchſt ungriechiſch, ſind die Bildnereyen am Bogen des Titus, vom Forum Trajans, mit vielem Anderen bewundernswerth, ja, weil ſie ſo ganz von dem Leben durch - drungen ſind, aus welchem ſie hervorgegangen, auch wahr - haft ergreifend.
*)koͤnnten, weil bekanntlich in der Bildnerey die taͤuſchendſte Nach - ahmung, oder Nachbildung des bloß Formellen ſtatt findet. Da - hingegen ſcheint es, daß der Aufdruck des Geiſtes einzelner Kuͤnſt - ler und ganzer Genoſſenſchaften nimmer irre leiten koͤnne, mithin bey hiſtoriſchen, wie bey aͤſthetiſchen Forſchungen ſtets das ſicherſte Kennzeichen abgeben muͤſſe.
112Welche nun unter dieſen verſchiedenen Richtungen der alten Kunſt bezeichnet uns die Lehre, welche Verſchoͤnerung der Naturform fuͤr den Hauptzweck der Kunſt giebt, als das allgemeine, durchhin nachahmenswerthe Muſter? So weit meine Kunde reicht, verweiſt ſie uͤberall, ohne Ruͤckſicht auf die Ver - ſchiedenheit des Geiſtes der einen und der anderen Epoche, entweder unter dem Namen, Antike, auf alle Ueberreſte der alten Kunſt insgeſammt, oder auf einzelne Werke von hoͤchſt verſchiedenem Geiſt und Zuſchnitt, uͤber deren hoͤheren Kunſt - werth man uͤbereingekommen iſt.
Indeß ward in den Zwiſchenraͤumen und auf den Sei - tenwegen jener drey von eigenthuͤmlichem Geiſte beſeelten Kunſt - epochen des Alterthumes mit groͤßter Unverdroſſenheit fuͤr das taͤgliche Beduͤrfniß gearbeitet, weiches im Alterthume uͤber moderne Vorſtellungen ausgedehnt war*)S.Jacobs, uͤber den Reichthum der Griechen an plaſti - ſchen Kunſtwerken etc., vornehmlich S. 66. f. — Ueber den phan - taſtiſchen Glanz griechiſch-macedoniſcher Kunſt wird an dieſer Stelle mit einſeitig republikaniſcher Strenge der Stab gebrochen; Niemand indeß hat wohl in der Entwickelung der altgriechiſchen Kunſt aus dem eigenthuͤmlichen Lebensgeiſte des Volkes tiefe Ge - lehrſamkeit beſſer und gluͤcklicher mit Helligkeit der Anſchauung verbunden, als in dieſer Schrift geſchehen, deren Darſtellung ein vollendetes Bild iſt. — Der Werth mechaniſcher Nachbildungen, welche Herderzu hoch geſtellt, indem er ſie eine gluͤckliche Tradition der Kunſt nennt, wird hier gehoͤrig bedingt. Im Alterthume dienten ſolche Werke des mechaniſchen Geſchickes mehr dem Beduͤrfniß, als dem Kunſtſinn; obwohl ſie fuͤr uns etwa den Werth haben, als Ueberſetzungen und Auszuͤge verlorener Schrift - ſteller. Gegen obige Zeile Herdersiſt uͤberhaupt manches einzu - wenden. Tradition, Ueberlieferung, verſteht ſich von lebendiger Mittheilung, welche noͤthig ſeyn kann, um Richtungen des Geiſtes. Namentlich zu Rom113 Romwar unter den Kaiſern die Moͤglichkeit entſtanden, die Launen der Gewalt und des Reichthumes mit erſtaunenswer - ther Schnelligkeit zu befriedigen. Allerdings duͤrfen wir auch hierin die hohe, leider nicht umſtaͤndlich bekannte, Ausbildung der bildneriſchen Technik des Alterthumes bewundern. Allein, daß dieſe Arbeiten ſaͤmmtlich Werke des Geiſtes geweſen, koͤn - nen wir ſchon deßhalb nicht annehmen, weil ſie unter den Zeitgenoſſen keine Achtung erlangt haben. Und wenn es theils, wie bey den Verzierungen der Villa Hadrians, gewiß, theils doch wahrſcheinlich iſt, daß die große Ueberzahl zu Romund in deſſen Umgebungen, aufgefundener Bildwerke, aus den Werk - ſtaͤtten roͤmiſcher marmorarii, wie Seneca*)ep. 88.ſie gering - ſchaͤtzig benennt, hervorgegangen, welche zur lebendigen und eigenthuͤmlichen Kunſt des Alterthumes etwa in dem Verhaͤlt - niß ſtehen moͤgen, als die modernen italieniſchen Marmiſten zu mehr eigenthuͤmlichen Bildnern ihrer Zeit: ſo wird es un -*)und techniſche Kunſtvortheile fortzupflanzen, doch eben nicht, um zum Copiren zu veranlaſſen. Der Copiſt regnet uͤberall in die Welt, wie ein Meteorſtein. Nur wo alle wirkliche Tradition abgeriſſen worden, wie in den neueſten Zeiten, wie in Bezug auf eingenthuͤm - lich Griechiſches, wahrſcheinlich auch zu Romunter den Caͤſarn (denen eine der Kunſt verderbliche Epoche voranging, welche bis jetzt nicht hinreichend unterſucht worden) verfaͤllt die Geiſtesar - muth auf ſtumpfſinniges Nachbilden vorhandener Kunſtwerke. Die Gelehrten indeß ſehen die Kunſt im Ganzen nicht genug auf die Kunſt an; es genuͤgt ihnen, auf Ideen zu ſtoßen, welche ihnen be - reits durch Vermittelung des Begriffes befreundet ſind; das Leben, welches vom Kuͤnſtler ausſtroͤmt, iſt ihnen gleichguͤltiger, daher die Copie minder verhaßt, als dem Kunſtfreunde. Aber auch darin ſcheint Herderfehl zu greifen, daß er das eigenthuͤmliche Leben der macedoniſch - und roͤmiſch-griechiſchen Kunſt ganz uͤberſpringt.I. 8114umgaͤnglich ſeyn, den Charakter dieſer untergeordneten Kunſt - arbeiten zu ermitteln und feſtzuſtellen, damit man ſie uͤberall mit groͤßter Schaͤrfe von allem Lebendigen und Eigenthuͤmli - chen abſondern koͤnne.
Unter den Neueren fuͤhlte Mengs*)Vergl. Winckelmannund ſein Jahrh. S. 281., wo ein abgeſchloſſenes Syſtem ſich inſtinctmaͤßig gegen eine Neuerung auf - lehnt, welche ihm allerdings verderblich werden koͤnnte.zuerſt das Be - duͤrfniß, in den Bildwerken des Alterthumes Originale[s]und Nachgeahmtes zu unterſcheiden; denn die Wahrnehmung ein - zelner Maͤngel in den Verhaͤltniſſen, oder in dem Hauptent - wurf der Formen veranlaßte ihn zu Zweifeln an der Aecht - heit ſelbſt beruͤhmter Statuen. Maß und Verhaͤltniß, ſogar die allgemeinſte Andeutung der Formen, koͤnnen indeß, wie die neueſten Werkſtaͤtten zeigen, in der Bildnerkunſt ſchon durch geometriſche und mechaniſche Kunſtgriffe in groͤßter Vollkom - menheit wiederholt werden. Fehler des bloßen Maßes, welche bisweilen aus dem Standort der Statuen zu erklaͤren ſeyn duͤrften, werden alſo in dieſem Falle das Urtheil nicht be - ſtimmen koͤnnen. Allein in der Vollendung der aͤußerſten Oberflaͤche wird jener dem Copiſten unerreichbare Hauch des Geiſtes, jener volle Aufdruck kuͤnſtleriſcher Eigenthuͤmlichkeit ſich ankuͤndigen, an welchem wir, wenn ſolches bey ſo großer Entlegenheit der Zeiten uͤberall noch moͤglich iſt, in den Sta - tuen des Alterthumes, eben wie in den Malereyen der Neue - ren, das Werk des Meiſters, das Original, erkennen ſollen.
Erſcheint nun eben dieſer Hauch des Geiſtes, weil er nothwendig uͤberall als ein Lebendiges und Wahres ſich an - kuͤndigt, unſeren aͤſthetiſchen Idealiſten meiſt als ein verdaͤch -115 tiges Anzeichen der Individualitaͤt, oder, in ihrem Sinne, des Nichtidealen*)So nennt Winckelmannden einzigen ſeiner Idee ganz entſprechenden Faun, den barberiniſchen, gegenwaͤrtig zu Muͤnchen, eine der vornehmſten Zierden der unvergleichlichen Antikenſamm - lung S. M. des Koͤnigs Ludewig von Bayern, an mehr als ei - ner Stelle: eine Nachbildung der gemeinen Natur. Was konnte ihn dazu veranlaſſen, wenn nicht etwa jener Lebenshauch, den minder befangene Formen-Idealiſten, die neueren Herausg. Winckelmanns(Anm. 203 zum Buch V. der K. G.) eben ſo meiſterlich, als ſinnig geſchildert haben. „ Wie er ermuͤdet, ſagen ſie, der Ruhe hingegeben daliegt, wie alle Sehnen der Glieder los - geſtrickt ſind, iſt unverbeſſerlich, ja unnachahmlich ausgedruͤckt. Man glaubt ihn tief athmen zu hoͤren, zu ſehen, wie ihm der Wein die Adern ſchwellt, die erregten Pulſe ſchlagen. “— Doch uͤbergehen ſie weislich, was daſſelbe Kunſtwerk als Darſtellung ſei - ner Idee leiſtet. Es iſt ein Anderes, dem lebendigen, nothwendig richtigen Sinne nachzugeben, ein Anderes, die Dinge in einen im Voraus eingerichteten Zuſammenhang von Begriffen und Ge - danken einzuzwaͤngen.; ſo ſteht zu befuͤrchten, daß ihr Formenideal nicht ſelten, wenn nicht gar durchhin eben nur aus ſolchen Uebereinkoͤmmlichkeiten und Allgemeinheiten des Zuſchnitts**)Was innerhalb eines gewiſſen Kreiſes fuͤr das aͤußere Merkmal der Idealitaͤt gilt, kennen wir nunmehr aus den Bil - dern zur neuen Ausg. der Werke Winckelmanns. Dieſelben Kf. erklaͤrten in einem Programm der Jen. Lit. Z. von zween zuſam - mengeordneten Figuren, die eine, welcher die ſchon beruͤhrten roͤ - miſchen Proportionen in auffallendem Maße eigen ſind, eben wegen jenes zwecklos allgemeinen Schnittes der Formen, den ich den roͤmiſchen Werkſtaͤtten beizumeſſen geneigt bin, fuͤr die goͤttliche und ideale; die ſchoͤnere hingegen, welche griechiſche Verhaͤltniſſe und eine gefuͤhlvolle Hand zeigt, fuͤr die minder goͤttliche und menſch - liche. Es fragt ſich, ob die Verlaͤngerung des Unterleibes, welche Winckelmann(K. G. Bch. V. Kap. 4. §. 2.) als ein Merkmal antiker Formenideale bezeichnet, nicht ebenfalls aus roͤmiſchen Standbildern entnommen iſt.8 *116menſchlicher Formen entlehnt ſey, deren die Marmiſten vor - nehmlich des roͤmiſchen Alterthumes zur Vereinfachung ihrer Gewinn bezweckenden Arbeit bedurften, und welche ſie, wie ſo unendliche Beiſpiele beweiſen, wirklich in Anwendung geſetzt.
Wenn es demnach bis dahin noch wenig ausgemacht iſt, ob das Vorbild dieſer Kunſtgelehrten auch wirklich aus den beſten Leiſtungen des Alterthumes entlehnt ſey; wenn es da - gegen gewiß iſt, daß ein abſichtliches Unterordnen alles Le - bendigen und Geiſtigen unter vorgefaßte Geſchmacksanſichten, der Bildnerey des Alterthumes nicht ohne ſchreyenden Zwang beygelegt wird: ſo werden wir um ſo weniger einraͤumen duͤr - fen, daß eine ſolche, weder in ſich ſelbſt, noch hiſtoriſch be - gruͤndete Formenwahl als Maßſtab des Werthes an neuere Leiſtungen angelegt werde. Welcher aͤchte Kunſtfreund koͤnnte ohne Aufwallung jener Zergliederungen Raphaelsgedenken*)In FernowsSchriften, in den Propylaͤen, und a. a. St.; welche den groͤßten und ſchoͤnſten Geiſt nach den Eintheilun - gen eines maͤßig klugen Syſtemes zerſtuͤcken, um die Bruch - ſtuͤcke alsdann, nach Maßgabe ihrer Annaͤherung an die Vor - urtheile und Sinnesgewoͤhnungen einer ſelbſt unfruchtbaren[Geſchmackspartheyung], bald vornehm und herablaſſend zu billigen, bald abſprechend und bitter zu tadeln? Was denn wuͤrde wohl den neueren Dichtern uͤbrig bleiben, wenn man uͤber ihren Werth, oder Unwerth nach dem Maße der Annaͤ - herung ihres Ausdrucks an griechiſche Anſchaulichkeit und Fuͤlle, oder an roͤmiſche Schaͤrfe und Gedraͤngtheit, abſprechen wollte?
Als ein allgemeines Vorbild innerer Vollendung, feſten, unwandelbar durchgefuͤhrten Wollens moͤgen die Alten nie auf - hoͤren, juͤngere Geſchlechter zum Nacheifer anzuſpornen. Als117 ein ſolches haben ſie unſtreitig der glorwuͤrdigen Kunſtepoche, aus welcher Raphaelhervorgegangen, weſentlich genuͤtzt*)Und ſchon ungleich fruͤher vornehmlich auf die Italiener eingewirkt. S. Petrarcaeep. fam. Lib. II. ep. XIX. (alter Aus - gaben) und Ghibertia. a. O.. Allein, daß man damals ſchon geſtrebt, in ihre Aeußerlichkei - ten, in ihre Formen ſich hineinzugießen, iſt eine hiſtoriſche Luͤge, welche man ſich am Ende ſelbſt geglaubt. Die Schule Ra - phaelshat allerdings mancherley Motive, Verzierungen, Be - kleidungen vornehmlich aus untergeordneten Werken des Al - terthumes frey ergriffen und in ihr eignes Gebiet uͤbertragen. Doch von jenen Nachaͤffungen des Habituellen und Aeußerli - chen der Antike, welche in den letzten 60 Jahren mit ſo vie - lem Eifer, als geringem Erfolge**)„ Aber, ſagen die Herausg. Winckelmanns(Thl. IV. Anm. 477.), wenn einſt die in den letzten funfzig bis ſechzig Jah - ren entſtandenen Kunſtwerke aller Art unpartheyiſch betrachtet und mit den fruͤheren verglichen werden; wird man alsdann unſerer Zeit gegen jene (von Marattibis auf Winkelmann) auch den Vorzug geiſt - und gehaltvollerer Erfindung, belebterer Darſtel - lungen, mehrerer Eigenthuͤmlichkeit und im ganzen herrſchender Harmonie zugeſtehn? es iſt viel zu fuͤrchten. “— Demnach duͤrfte nach dieſen Zweifeln eifriger Beguͤnſtiger der Nachahmung antiker Statuen das Ergebniß dieſer Nachahmung nicht einmal den Ver - gleich mit der verwerflichſten Epoche moderner Kunſt ertragen koͤnnen. betrieben worden, findet ſich unter tauſenden von Studien und Handzeichnungen der raphaeliſchen Zeit auch nicht die geringſte Spur. Raphaelverſchmaͤhte ſogar in der Schule von Athendie Statuen in den Vertiefungen der Waͤnde zu antikiſiren, was hier vielleicht aus einem maleriſchen Stylgefuͤhle geſchehn, auf deſſen Grund ich oben hingedeutet. In der That muͤßte[] ſeine Nachahmung118 antiker Formen, wenn er ſie je verſucht haͤtte, ſogar nach dem Urtheil derer, welche Raphaelbeſonders darauf angeſehn, faſt gaͤnzlich mißgluͤckt ſeyn*)Propylaͤen. Fernow, Leben Carſtensetc..
Allein auch abgeſehen von jener Frage, ob die ſo ganz verſchiedenartigen Leiſtungen des Alterthumes jemals als ein Gemeinſchaftliches zu betrachten, und als ein Solches nachge - ahmt werden koͤnnen, duͤrfte es an ſich ſelbſt noch keines - weges ausgemacht ſeyn, ob es uͤberhaupt moͤglich ſey, durch Nachahmung von Kunſtwerken Kuͤnſtler zu bilden. Nach den Erfahrungen und Beobachtungen, welche ich anzuſtellen Gele - genheit fand, duͤrfte jeder Kuͤnſtler ſeine darſtellenden Formen ſtets aus der erſten Quelle, aus der Natur ſelbſt zu ſchoͤpfen haben; duͤrfte er ſogar die mehr aͤußerlichen Fertigkeiten der Handhabung des Stoffes und der Werkzeuge nur durch Wett - eifer mit der Erſcheinung des Wirklichen gehoͤrig ausbilden koͤnnen**)Vergl. die ſchoͤne Stelle bey Sandrart, Teutſche Aka - demie, Thl. I. Buch III. Kap. VII. . Schon daher wird er ſeine darſtellenden Formen jedesmal von neuem in der Natur aufſuchen muͤſſen, weil auch bey jener Staͤtigkeit der Richtung, welche die drey anti - ken Kunſtepochen und einige Schulen und Abſchnitte der neue - ren Kunſt auszeichnet, doch immer, theils durch unmerkliche, durch die Zeit herbeygefuͤhrte Abaͤnderungen in der allgemei - nen Richtung, theils durch die nothwendige Eigenthuͤmlichkeit der kuͤnſtleriſchen Anlage jederzeit neue, oder doch abweichende Beſtrebungen, Foderungen, oder Wuͤnſche herbeygefuͤhrt wer - den, welche nur in neuen, fruͤher minder, oder gar nicht be - nutzten Formen der Natur auszudruͤcken ſind. Techniſche Ge -119 wandtheit kann aber darum nur im Wetteifer mit den natuͤr - lichen Erſcheinungen ausgebildet werden, weil die Nachbildung des ſchon kuͤnſtleriſch Vollendeten verhaͤltnißmaͤßig leichter iſt, daher das Urtheil unbeſchaͤftigt laͤßt und, wie die Erfahrung taͤglich zeigt, in mechaniſche Nachbildung der einzelnen Puncte, Linien und Formen ausſchlaͤgt, in welche das kuͤnſtlich Ge - machte ſich jederzeit leichter zerlegen laͤßt, als der volle Guß der Naturgebilde. Aus dieſem Grunde ſind Viele, welche nach langer Uebung loͤbliche Copien verfertigen, doch unfaͤhig, ſelbſt die einfachſte Form in irgend eine Kunſtart zu uͤbertra - gen. Kunſtwerke koͤnnen alſo auf Kuͤnſtler nur in ſo fern einwirken, als ſie ihnen zunaͤchſt als ein allgemeines Vorbild erreichbarer Vortrefflichkeit vorſchweben; dann, indem ſie ih - nen als Muſter der Anordnung, oder des Styles im allge - meinſten, wie im beſonderen Sinne vorleuchten; endlich, in - dem ſie ihnen, bey verwandter Richtung, Beyſpiele richtiger, oder falſcher Auffaſſung wiederkehrlicher Kunſtaufgaben vor - fuͤhren, welche nach den Umſtaͤnden hierin vor Fehlern war - nen, oder zum Wahren anleiten.
Es iſt demnach eine unfruchtbare Unterſuchung, ob Ra - phaelſich den Alten in aͤußerlichen Dingen angenaͤhert habe; genuͤgt es doch, daß er ein ganzer Menſch war, der ſein eige - nes Wollen maͤchtig hindurchgefuͤhrt, ſeinen unendlichen Geiſt, ſein tiefes Gemuͤth in ſo gediegenen Formen ausgedruͤckt, daß die Alten ſelbſt, obwohl ſie ganz Anderes gewollt, ihn doch ſicher fuͤr ihres Gleichen anerkannt haͤtten. Ueberhaupt unter - ſcheidet ſich ein neuerer Kuͤnſtler von den guten Alten weſent - lich nur durch Unfaͤhigkeit des Geiſtes, durch Unfruchtbarkeit, durch Stumpfheit des Gefuͤhls, vornehmlich aber durch jenes unanſchauliche Gruͤbeln, durch jene Furcht vor Hingebung in120 ſinnliche Eindruͤcke, welche das moderne ganz einſeitige Be - griffsleben ſo leicht auch bey Kuͤnſtlern erzeugt. Unweſentlich aber iſt die Verſchiedenheit, welche die oͤrtliche und geſchicht - liche Stellung der Kuͤnſtler nothwendig herbeyfuͤhrt, in welche ſie nun einmal ſich unumgaͤnglich zu ſchicken haben. Stumpf - ſinnige Nachahmung, wenn auch des Herrlichſten, was die Kunſt jemals hervorgebracht, wird uns demnach unter allen Umſtaͤnden fuͤr den Auswurf und Kehricht der Kunſt gelten muͤſſen; wie es denn unerhoͤrt iſt, daß Hervorbringungen der nackten, eines inneren Lebensgeiſtes durchaus entbehrenden Ge - ſchmacksrichtung, welche practiſch von Mengsausgegangen, in den groͤßeren Sammlungen neuerer Meiſterwerke waͤren aufgenommen worden; daß ſie, auch wo man ihnen aus Na - tionalſtolz eine Stelle eingeraͤumt, die unmittelbare Naͤhe ſol - cher Malereyen haͤtten ertragen koͤnnen, welche aus eigenthuͤm - lichen und belebteren Kunſtſchulen, wenn auch niedriger Rich - tung, hervorgegangen. Dahingegen wird uns Alles, was in Bezug auf die Auffaſſung, geiſtreich, belebt, gefuͤhlvoll iſt, in Bezug auf die Darſtellung der Aufgabe, oder dem eigen - thuͤmlichen Wollen der einzelnen Kuͤnſtler entſpricht, ſtylge - maͤß, oder auch nur maleriſch iſt, durchhin mehr und minder werthvoll zu ſeyn ſcheinen. Wir werden demnach, beſtaͤrkt durch das Beyſpiel aller wirklichen, thaͤtig eingreifenden Kunſt - freunde, nicht etwa ein roͤmiſches Originalwerk verwerfen, weil es kein griechiſches iſt, noch ein Neueres, weil es eben mit antiken Werken nicht die geringſte aͤußere Aehnlichkeit zeigt. Vielmehr werden wir anzunehmen gezwungen ſeyn: daß die ſittliche Anmuth vorraphaeliſcher Italiener, die Treue und Ge - nuͤglichkeit gleichzeitiger Deutſchen, der umfaſſende Sinn der Zeitgenoſſenſchaft Raphaels, ſogar die volle Empfindung,121 mit welcher die Hollaͤnder im ſiebzehnten Jahrhundert ſich dem Eindruck des ihnen ſinnlich Vorliegenden hingegeben, ohne einige Ausnahme fuͤr gute und loͤbliche Richtungen der allge - meinen Kunſtanlage zu achten ſind. Denn eben, wie ſie nir - gend dem Sinn und Gefuͤhl gebildeter Kunſtfreunde wider - ſtreben, eben wie ſie ſogar von den Bekennern ſolcher Syſteme, in denen ſich fuͤr einzelne dieſer Richtungen kein Raum vor - gefunden, nicht ohne Inconſequenz doch in der Anwendung immer gebilligt werden: eben ſo vereinbar ſind ſie ſaͤmmtlich mit dem allgemeinſten Seyn und Wirken der Kunſt, wenn wir anders bey der Erklaͤrung, die ich oben vorangeſtellt, be - harren wollen.
Bildende Kunſt war uns dort: eine eigene und wohl die angemeſſenſte Form der Darſtellung anſchaulich aufgefaßter Dinge; die geiſtige Thaͤtigkeit aber, aus welcher die Kunſt hervorgeht, hatte ich zwar dem abſtracten Denken entgegenge - ſetzt, doch vermieden, ſie zu zergliedern. Denn auch davon abgeſehen, daß ich einer ſolchen Unterſuchung mich keineswe - ges gewachſen fuͤhle, duͤrfte das anſchauliche Denken, oder die kuͤnſtleriſche Geiſtesart, dem Verſtande mit ſeinen ſcharfen Be - griffeszangen, mit ſeinen trennenden Meſſern und Scheeren uͤberhaupt minder zugaͤnglich ſeyn. Gewiß gewaͤhrt die Sprache nicht einmal ein Wort, welches nur ihren allgemeinſten Be - griff ganz deckte. Denn Imagination, Phantaſie werden meiſt als regelloſe untergeordnete Kraͤfte und Thaͤtigkeiten betrach - tet*)In einer edleren, unſerm kuͤnſtleriſchen Denken verwand - teren Bedeutung ſteht Phantaſie in den angef. Verſuchen des Hrn. v. Humboldt.; Contemplation und Beſchauung haben einen einſeitig122 ernſten Sinn und ſtehn uͤberall unter der Obhut und Leitung des Begriffes. Das anſchauliche Denken aber, wenn dieſe Be - griffsverbindung mir zugeſtanden wird, vermag eben ſowohl ſich in Tiefen zu verſenken, als auf der Oberflaͤche zu ver - breiten; iſt eben ſowohl der ſtrengſten Folge, als eines mun - teren Ueberſpringens faͤhig. Dieſe Geiſtesart iſt demnach gleich - ſam ein zweytes Bild, der Spiegel des geſammten Geiſtes - lebens; wenn nicht gar das Urſpruͤngliche ſelbſt, wie die aͤl - teſte Philoſophie und der Umſtand anzudeuten ſcheint, daß alle ſehr alte, oder durch den Verbrauch nicht gaͤnzlich abgeſchliffene Sprachen deſſen Aufdruck bewahrt haben.
Doch werde ich einraͤumen muͤſſen, daß dieſe Art, Be - ziehung, oder Thaͤtigkeit des Geiſtes, wie hoch wir ſie ſtellen moͤgen, doch in der beſcheidenen Mitte zweyer Extreme liegt, welche von beiden Seiten, weit uͤber ſie hinausreichen. Denn dem abſtracten Denken, welches durch folgerechtes Anreihen aus weſenloſen Formeln uͤberraſchende Ergebniſſe hervorbringt, vermag die anſchauliche Auffaſſung, wie ich ſchon angedeutet habe, auf keine Weiſe zu folgen. Eben ſo wenig aber auch jenem unbeſtimmten Sehnen und Ahnen des Schoͤneren und Beſſeren*)Dieſes auszudruͤcken iſt die eigenthuͤmliche Aufgabe der hoͤ - heren Muſik; ſ. die gehaltvolle kleine Schrift: Ueber Reinheit der Tonkunſt, Heidelb.1825, wo aufKochersArbeiten hingewieſen wird, welche mir nur aus muͤndlichen Andeutungen des Vf. bekannt ſind. — Die verſchiedenen Formen, in denen das allgemeine Gei - ſtesleben ſich offenbart und ausdruͤckt, ſind nicht der bloßen Man - nichfaltigkeit willen vorhanden; ſie ergaͤnzen einander; ſie unter - ſtuͤtzen ſich gegenſeitig; keine iſt ſo durchhin die Wiederholung und Abſpiegelung der anderen., deſſen im Gefuͤhle ſchwebende, zitternde, unge -123 wiſſe Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli - gion beleben und naͤhren.
Daß abſtracte Begriffe, oder Ergebniſſe abſtracten Den - kens, durch die bekannteren Huͤlfsmittel der Allegorie und Per - ſonification nur hoͤchſt allgemein und wenig ausfuͤllend ange - deutet werden; daß die Verſtaͤndlichkeit ſolcher Andeutungen unter allen Umſtaͤnden eine angemeſſene Vorbereitung des Gei - ſtes durch den Begriff vorausſetzt, erhellt, wie mir ſcheint, aus ſich ſelbſt. Weniger indeß duͤrfte es ſogleich dem erſten Blicke einleuchten, daß Ahnungen eben ſowohl und vielleicht noch un - gleich entſchiedener außerhalb des Gebietes der kuͤnſtleriſchen Geiſtesart und außerhalb der Moͤglichkeiten kuͤnſtleriſcher Dar - ſtellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un - beſtimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns ſo leicht zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur in Vergleichung unſerer ſelbſt, der ſo ganz in ihr befangenen, gering zu ſchaͤtzen, oder zu ſchmaͤhen, zu trefflichen Geſtalten verkoͤrpert werden koͤnnen; was zu den vielfaͤltigen Verſuchen gehoͤrt, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieriſten zu begruͤnden. Solchem indeß muͤſſen wir aus innerer Ueberzeu - gung entgegenſtellen, daß nur in ſo weit, als es dem allge - meinen Naturgeiſt gelingen kann, Geiſt und Koͤrper innig zu vermaͤhlen und durch die Geſtalt an ſich ſelbſt, oder durch ihre Bewegung, oder auch durch gegenſeitige Beziehungen von Geſtalten Geiſtiges auszudruͤcken, auch dem Kuͤnſtler die Faͤ - higkeit beiwohne, Geiſtiges in ſeiner Weiſe aufzufaſſen und auszudruͤcken.
Naͤhern wir uns den Heroen und Goͤttern der griechi - ſchen Kunſt nur ohne religioͤſen, oder aͤſthetiſchen Aberglauben, ſo werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen koͤnnen,124 was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens ſich entfaltet haͤtte, oder noch entfalten koͤnnte. Denn Alles, was in dieſen Geſtaltungen der Kunſt ſelbſt angehoͤrt, iſt Darſtel - lung menſchlich ſchoͤner Sitte in herrlichen organiſchen Bil - dungen; was aber darin uͤber die Kunſt hinauszielt, beſteht in willkuͤhrlicher Andeutung myſtiſcher Begriffe*)Mit großem Scharfſinn entwickelt Leſſing(Laokoon §. 12.), weßhalb es nicht wohl anders ſeyn kann.. Dahin gehoͤrt ſogar die Vergroͤßerung der natuͤrlichen Ausdehnung der Geſtalten, das Coloſſale, welches wohl als Zeichen auf den Verſtand, oder ſinnlich auf die Phantaſie einwirken und durch dieſe Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere Bedeutung der Formen eben ſo wenig veraͤndert, als deren Verkleinerung, welche ein gewiſſes Streben nach Niedlichkeit auf ganz verſchiedenen Stufen der Kunſt herbeyzufuͤhren pflegt.
Eben ſo wenig ſollten wir verkennen, daß in Werken der neueren Kunſt, etwa in den beſeelten Engeln und Heiligen des Fieſoleund ihm verwandter Maler, jene herrlichen Zuͤge und Mienen eben nur die natuͤrlichen Typen ſind fuͤr Rein - heit des Wollens, fuͤr Aufhebung des ganzen Daſeyns in Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorſtellung eines uͤbernatuͤrlichen Daſeyns und Geſchehens, wird uns auch hier durch willkuͤhrliche Begriffszeichen, Wolken, Fluͤgel, Glorien und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. — Schoͤn waͤre es freylich, wenn uns der Maler den Himmel ſelbſt, der Bild - ner den wirklichen Olymp vor Augen ſtellte, obwohl uns dann leicht die Erde zu eng werden duͤrfte.
Daß Kuͤnſtler das Goͤttliche ſelbſt nicht darſtellen, daß ſie ſogar im gluͤcklicheren Falle nur etwa vermoͤge willkuͤhrli -125 cher Zeichen daran erinnern koͤnnen, ſcheint nicht minder durch die Andachtsbilder alter, wie neuerer Zeiten beſtaͤtigt zu wer - den. Die aͤlteren hoͤlzernen Goͤtzen, deren Schauer Pauſa - niasempfand, die ſchwarzen Madonnen, in denen vornehm - lich in barbariſchen Laͤndern der Chriſtenheit, die unmittelbare Gegenwart des Goͤttlichen geglaubt und verehrt wird, ſind und waren jederzeit nichts weniger, als wirkliche und ausgebildete Kunſtwerke. Dagegen ſcheint die antike Kunſt, in eben dem Maße, als ſie an Leben und Ausbildung gewonnen, im Menſch - lichen und Erreichbaren ſich verbreitet, auch jene Schauer des polytheiſtiſchen Aberglaubens verſcheucht zu haben, deren Ver - luſt ſo viel politiſche Moraliſten des Alterthumes beklagen. Und wenn dieſe Wahrnehmungen auf der einen Seite die Ver - muthung anregen, daß Goͤtzenthum und Polytheismus uͤberall aus willkuͤhrlichen Bildzeichen entſtanden ſey, deren Sinn ent - weder im Laufe der Zeit ſich verloren, oder der Menge ſtets unverſtaͤndlich geblieben; ſo fuͤhren ſie auf der anderen zur Ueberzeugung: daß aͤchte, nach den Geſetzen und Verwandt - ſchaften des allgemeinen Naturlebens Sittliches und Geiſti - ges verſinnlichende Kunſt, weder den chriſtlichen, noch uͤberhaupt allen rein deiſtiſchen Religionsanſichten jemals Gefahr brin - gen koͤnne*)Wie ein ſtrenger Chriſt, Hr. Tholuck, in NeandersDenkwuͤrd. aus der Geſchichte des Chriſtenthumes Bd. I. 1823. S. 74. ff., vornehmlich S. 81. f. zu fuͤrchten ſcheint, deſſen tief - begruͤndete Einwendungen gegen bildliche Darſtellung menſchlicher Vorſtellungen vom Goͤttlichen mir uͤbrigens in obiger Betrachtung vorgeleuchtet haben.. Im Gegentheil wird die hoͤchſte Ausbildung der inneren Verhaͤltniſſe des ſittlichen und religioͤſen Lebens, welche wenigſtens der naͤhere Zweck aller Religion iſt, vor -126 nehmlich nur das Werk der Kunſt ſeyn koͤnnen, da dieſe ein - leuchtend reicher ausgeruͤſtet iſt, als die Sprache, wenn es gilt, Reinheit des Willens und innere Heiligung darzuſtellen, oder auch deſſen Gegenſatz, das entſchieden Boͤſe, oder die Kaͤmpfe und Uebergaͤnge, durch welche Boͤſes oder Gutes im menſchlichen Daſeyn Macht gewinnt. Und hierin eben den hoͤchſten Zweck der Kunſt zu ſetzen, ſtreitet ſicher eben ſo we - nig gegen die allgemeinen Anſichten der beſten Alten, als, wie ich ſchon angedeutet habe, gegen die Erfahrungen der alten, wie der neueren Kunſtgeſchichte. Wie Vieles indeß ſich die - ſem hoͤchſten Kunſtzwecke an - und unterordnen laſſe, ergiebt ſich auf den erſten Blick. Das rein ſinnliche Ergoͤtzen am Schauen, der mittelbar ſinnliche Reiz durch Sichtbares ange - regter Vorſtellungen, die Laune und Phantaſie, das Gefuͤhl und der Verſtand, haben ſaͤmmtlich Anſpruͤche auf Befriedi - gung; und wer haͤtte nicht laͤngſt empfunden, daß die Geſtalt und das Sichtbare uͤberhaupt bald auf dieſe, bald auf jene Seite der allgemeinen Empfaͤnglichkeit einwirkt, und waͤhrend es die eine minder befriedigt, die andere erfreut und hinreißt. Alſo wird es bey ſo mannichfacher Beziehung der Geſtalt un - moͤglich ſeyn, genau im Voraus zu beſtimmen, was Alles faͤ - hig ſey, durch ſeine Geſtalt, oder durch Umſtaͤnde ſeiner Er - ſcheinung den Sinn befriedigend anzuregen.
Indeß pflegen moderne Kunſtgelehrte, von der Lebhaftig - keit ihres Antheils hingeriſſen, oftmals, wie unbewußt, den Standpunkt zu verwechſeln und, ohne ſelbſt zum Malen und Bilden berufen und vorbereitet zu ſeyn, doch dem Genius vor - greifen, fuͤhlen, ſehen, ihm vorzeichnen zu wollen, was ihn durchaus begeiſtern muͤſſe, was er einzig darzuſtellen habe. Freilich duͤrfte in dem Feuer, mit welchem ſie ihre Wuͤnſche127 geltend machen, hie und da ein aͤchtes, nur zufaͤllig nicht nach Außen entwickeltes Kunſttalent ſich hervordraͤngen wollen; wuͤrde aber das aͤchte Kunſttalent nicht irgendwo durch ein eigenthuͤmliches Wollen ſich ankuͤndigen? Wuͤrde es, gleich unſeren vorzeichnenden Kunſtweiſen, immer nur irgend ein ſchon Geleiſtetes bald der antiken, bald der modernen Kunſt vor Augen haben? Und gewiß duͤrfte es unter allen Umſtaͤn - den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemeſſe - ner ſeyn, wenn man minder zerſtreut durch das fruchtloſe Ge - ſchaͤft der Auswahl und Werthbeſtimmung moͤglicher Gegen - ſtaͤnde der Kunſt, den allgemeinen Begriff des Gegenſtandes, und deſſen Verhaͤltniß zur Kunſt und zum Kuͤnſtler feſter zu ſtellen verſuchte, als, ſo weit meine Kunde reicht, in moder - nen Kunſtlehren geſchehen iſt.
Auffaſſung und Gegenſtand (Subjectives und Objecti - ves) bezeichnet an ſich ſelbſt ein bloßes Verhaͤltniß von Din - gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenſeitige Stellung ins Unendliche veraͤndern. Demnach kann in der Kunſt auch die darſtellende Form, voruͤbergehend ſogar der grobe Stoff, aus welchem dieſe Form geſtaltet wird, Gegenſtand der Auf - merkſamkeit und des Nachdenkens ſeyn, mithin, wenn wir nur nicht verſaͤumen, das Voruͤbergehende dieſes Verhaͤltniſſes be - merklich zu machen, auch Gegenſtand heißen. Doch, eben wie in den Werken der Redekuͤnſte nicht die einzelnen Worte und Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifuͤhrenden Ein - leitungen und Ausfuͤhrungen, Beyſpiele und Einſchaltungen, ſondern eben nur das Geſammtergebniß, der Hauptzweck jeder Schrift, ihr Gegenſtand genannt wird; ſo werden wir auch an Kunſtwerken, weder die einzelnen Geſtalten, noch ihre Theile den Gegenſtand nennen duͤrfen, ohne uns ſelbſt zu verwirren,128 und Anderen unverſtaͤndlich zu werden. In dieſem Sinne wuͤrde im Bildniß nur der Geſammtzweck, das eigenthuͤmliche Seyn eines beſtimmten Menſchen zu ſchildern, in Darſtellun - gen geiſtiger Vorſtellungen eben nur dieſe Vorſtellungen ſelbſt der eigentliche Gegenſtand des Kunſtwerks ſeyn. Denn wer im Bildniß ſchon die einzelnen, ihm ſinnlich vorliegenden For - men, nicht das Ganze, ſo in jenen erſcheint, fuͤr ſeinen eigent - lichen Gegenſtand haͤlt, wird gemeinen und fachmaͤßigen Bild - nißmalern gleich ſtehn, welche das Einzelne bloß ſinnlich er - faſſen und mechaniſch aufreihen; mit welchem Erfolg, erweiſt ſich aus ihren zahlloſen Sudeleyen, welche Leſſingund an - dere Moderne verleitet haben werden, das Bildniß an ſich ſelbſt, theils herab zu ſetzen, theils zu ſchmaͤhen, was ihnen die Kunſt verzeihen moͤge. Wer aber, eben wie es unſere Ge - genſtandstheoretiker begehren, in der Darſtellung geiſtiger Vor - ſtellungen, nicht dieſe ſelbſt, ſondern die Formen, in denen ſie etwa darzuſtellen, fuͤr den eigentlichen Gegenſtand nimmt, der wuͤrde, da dieſe ſich erſt aus jenen hervorbilden ſollen — uͤber die Art und Weiſe haben wir uns ſchon verſtanden — ſogar den bloßen Formenreiz verfehlen, wenn er jemals die fragliche Verknuͤpfung einzelner Formen ganz neu hervorbringen ſollte. Wo es ſchon wahre Kunſtwerke giebt, durch deren mechaniſche Nachbildung jener leere Anſchein des Weſens hervorzubringen iſt, welcher dem oberflaͤchlichſten Blicke zu genuͤgen pflegt*)Vielen Kunſtfreunden, beſonders aber den Kunſthaͤndlern, wird es erinnerlich ſeyn, wie, waͤhrend aͤſthetiſche Gemeinplaͤtze und pedantiſche Geſchmackslehren den wirklichen Geſchmack meiſter - ten und unterdruͤckten, nichts beſſere Handelswaare geweſen, als Copien beliebter Kunſtwerke. Oberflaͤchliche Anregung gefaͤlliger,da129da mag man allerdings uͤber die gaͤnzliche Erfolgloſigkeit einer ſolchen Umkehrung aller Verhaͤltniſſe voruͤbergehend ſich taͤu - ſchen koͤnnen.
In jener Kunſtlehre aber, welche, von Leſſingausge - hend, eben durch ihre einſeitige Richtung auf Unterſuchung des Gegenſtandes beſonders veranlaßt waͤre, deſſen Begriff recht ſcharf und deutlich aufzufaſſen, verſchwimmt der Gegen - ſtand, in dem Sinne, den ich erklaͤrt, uͤberall mit ihn dar - ſtellenden Formen, ſogar mit jenen aͤuſſerlichſten Bedingungen der Darſtellung, welche den bildenden Kuͤnſten durch ihren Stoff aufgelegt werden. Wir werden indeß alles Umbeſtimmte und Irrige, ſo hieraus entſtanden, in ſeiner Wurzel abſchnei - den, wenn es uns anders gelingt, eine Schwaͤche der Darle - gung aufzudecken, welche die wichtigſte Kunſtſchrift Leſſings, Laokoon, bey hoͤchſtem Werthe ihrer abgeriſſenen Andeutun - gen, doch in Bezug auf die Kunſtlehre eines allgemeinen Re - ſultates entbehren laͤßt.
Gewiß konnte ein Geiſt, deſſen Verſtandesſchaͤrfe bis da - hin kaum uͤbertroffen worden, auch uͤber die Kunſt nichts ganz Gemeines denken, noch von ihr ein durchaus Verwerfliches*)Vorſtellungen genuͤgte denen, welche bey Ausſpruͤchen ſich befriedig - ten, gleich jenem ( Eberhard, Handbuch der Aeſthet. etc. Halle1803.): die ſchoͤnen Kuͤnſte vergnuͤgen; Darſtellung der Schoͤnheit iſt ihr Geſchaͤft und ihr Intereſſe nichts, als das Vergnuͤgen ih - res Genuſſes u. ſ. w. — Als wenn Solches allein die bildenden Kuͤnſte ſchon hinreichend bezeichnete, ſie von anderen Beſtrebungen genuͤgend unterſchiede; als wenn es, den Boͤſen und ſeine Helfer ausgenommen, irgend ein menſchliches Streben gaͤbe, welches gra - dehin verletzen und quaͤlen, nicht lieber vergnuͤgen wollte! Oder ſoll es heiſſen, die ſchoͤnen Kuͤnſte vergnuͤgen, ohne einen dauern - den Eindruck zu hinterlaſſen, ohne in das geſammte[n]Leben wirkſam einzugreifen, ohne, im beſten und edelſten Sinne, auch zu nuͤtzen?I. 9130begehren. Allein da die Entfaltung beſtimmter Geiſtesanlagen, da die Wahrheit ſelbſt doch immer mehr und wichtiger iſt, als fromme Verehrung einer großen Perſoͤnlichkeit; ſo duͤrfen wir uns auch nicht verlaͤugnen, daß Leſſingim Kunſtfache aller Sachkenntniß entbehrte. Wenn es daher ſchon voraus - zuſetzen iſt, und kaum der Anmahnung bedarf, daß er, wie Jeder, welcher einer beſtimmten Sache unkundig, doch in ihr Einzelnes eingehen will, unumgaͤnglich in der Anwendung zahlloſe Mißgriffe*)Was ihm ſeinerzeit mancherley mehr und minder begruͤn - dete Ruͤgen zugezogen; ſ.Heinze(Deutſches Muſeum 1785. Bd. II. S. 211.) uͤber RaphaelsHeliodor. begangen; ſo bringe ich Solches nur deßhalb in Erinnerung, weil eben jene Unkunde, jene Befrem - dung des Neulings bey jeglicher, nicht immer wichtigen Er - ſcheinung des Kunſtlebens, ihn offenbar zerſtreut und von Sol - chem abgelenkt hat, was ihm in Bezug auf die Kunſt einzig zu leiſten gegeben war. Auch legte er ſelbſt auf ſeine Kunſt - ſchriften lange nicht das Gewicht**)S. Laokoon, Vorrede und den Anhang zu den ſpaͤte - ren Ausg., als ſpaͤtere Bewunde - rer; denn es war ihm wohl bewußt, daß ſie uͤberall nur aus Aufwallungen der Mißbilligung, oder des Widerwillens gegen beſtimmte Einſeitigkeiten, oder Verkehrtheiten ſeiner Zeitgenoſ - ſen, durchaus nicht aus einem poſitiven Beruf zur Kunſt ent - ſtanden waren***)Gegen Wink.Verſuch uͤber die Allegorie, wie wir nunmehr wiſſen, eine bloße Habilitationsſchrift; gegen die Haͤß - lichkeit, welche ſich im achtzehnten Jahrh. der Kunſt, wie der Le - bensſitte, bemaͤchtigt hatte; auf der anderen Seite nicht ohne den Vorgang der Italiener, welche auch in den ſchlimmſten Zeiten dem Grundſatz nach auf Schoͤnheit beſtanden, und in der Conſequenz.
131Nach LeſſingsStellung zur Kunſt kommt es demnach durchaus nicht in Frage, ob er ſelbſt ſeinen Sinn fuͤr Schoͤ - nes ſehr gluͤcklich ausgebildet hatte, was nach ſeinen hiſtori - ſchen Beziehungen und techniſchen Vorſchlaͤgen ſich allerdings bezweifeln laͤßt. Alles, was ihm in Bezug auf die Kunſt zu leiſten moͤglich war, mußte aus einer ſtrengen Gedankenfolge hervorgehen. Doch eben hierin entſpricht Laokoon bei wei - tem nicht der gewohnten Schaͤrfe des Geiſtes, der ihn her - vorgebracht. Denn ſchon in der erſten Anlage verſchmilzt ihm der Begriff des Gegenſtandes, welcher, wie wir geſehen, im allgemeinſten Sinne, und haͤufig Leſſingſelbſt, der Kunſt - aufgabe, oder dem Hauptzwecke der einzelnen Kunſtwerke gleich ſteht, theils mit den aͤuſſerlichſten, durch den rohen Stoff herbeygefuͤhrten Bedingungen der Darſtellung, theils mit den einzelnen zur Darſtellung erforderlichen, oder mitwirkenden Formen. Mit den aͤuſſerlichſten Bedingungen der Darſtellung vermiſcht er den Gegenſtand ſchon da, wo er den erſten An - lauf nimmt, ſeine Anſicht etwas methodiſcher zu entwickeln*)Laokoon §. XVI. . Dort nemlich nennt er Fortſchritt und Weilen (Koͤrper und Handlung)[eigentliche] Gegenſtaͤnde der einen und der anderen Kunſt; obwohl es offenbar iſt, daß Fortſchritt in den bildenden Kuͤnſten, zwar nicht die Form, doch allerdings der Gegenſtand ihrer Darſtellung ſeyn kann, ſo wie auf der an - deren Seite in der Poeſie das Weilen ſehr wohl der Gegen - ſtand, nur nicht die Form ihrer Darſtellung; ſo daß wir nicht anſtehen koͤnnen, Bewegung und Ruhe, in der Beziehung***)der damals ſchon auf die Kunſt angewendeten Gefuͤhlslehre, ſuchte Leſſing, wie ich hier in Erinnerung bringe, hindurchzufuͤhren: daß die bildenden Kuͤnſte nur Schoͤnes darſtellen ſollen.9 *132jener Stelle, nicht, wie Leſſing, fuͤr Gegenſtaͤnde zu neh - men, ſondern einzig fuͤr gewiſſe Bedingungen und Beſchraͤnkt - heiten der Darſtellungsweiſe, der einen und der anderen Kunſt - art. Noch gefaͤhrlicher indeß iſt die ſchon beruͤhrte Vermi - ſchung des Gegenſtandes mit den Formen, die ihn etwa be - zeichnen und kuͤnſtleriſch darſtellen koͤnnen. Denn eben dieſe Verwechſelung, welche aus dem Laokoon auf den groͤßten Theil der aͤſthetiſchen Literatur der nachfolgenden Zeiten uͤber - gegangen, erzeugte jenes Streben von außen nach ein - waͤrts*) Schellinga. a. O., welches, da man unvermeidlich bey der Auſſen - ſeite ſtehen blieb, den modernen Kunſtbeſtrebungen ſo nachthei - lig geworden. Wo Leſſingaber den Gegenſtand in einiger Annaͤherung an denjenigen Sinn genommen, den ich oben erklaͤrt, verſteht er ihn doch nur als eine entfernte Anregung des Geiſtes, als Motiv, da er dem Kuͤnſtler große Frey - heit einraͤumt, nach den Foderungen eines vermeintlichen Ge - ſchmackes damit zu ſchalten. Hierin folgt er indeß einem ver - breiteten Irrthum, aus welchem in der modernen Kunſtuͤbung eine gewiſſe Untreue und Schlaffheit der Auffaſſung entſtan - den iſt, welche dieſe nicht eben vortheilhaft von antiker Strenge unterſcheidet.
Moͤgen wir indeß den Gegenſtand von den Formen der Darſtellung abſondern, oder, wie die Schoͤnheitslehrer, ihn[mit denſelben] vermengen, ſo iſt er doch, wie weit oder eng wir ihn nehmen wollen, fuͤr LeſſingsZweck, die Hervor - bringung des Schoͤnen, nimmer von der Bedeutung und Wich - tigkeit, welche ihm noch immer von Vielen beygelegt wird. Zerlegen wir nun ein beliebiges Kunſtwerk in Auffaſſung,133 Darſtellung und Gegenſtand, ſaͤmmtlich Begriffe, uͤber welche wir uns bereits verſtanden haben; und vergleichen wir dieſe drey unerlaͤßlichen Elemente jeglichen Erzeugniſſes der Kunſt das eine mit dem andern: ſo werden wir ſehen, daß die er - ſten, die Auffaſſung und Darſtellung, Thaͤtigkeiten ſind; das dritte aber, der Gegenſtand, in ſeinem Verhaͤltniß zum Kuͤnſt - ler ein durchaus Leidendes. Hieraus folgt, daß der Gegen - ſtand unfaͤhig ſey, ſich in Kunſtwerken ohne die Huͤlfe der Auffaſſung und Darſtellung geltend zu machen. Jede Kunſt - lehre demnach, welche, weder von der Begeiſterung des Kuͤnſt - lers, noch von ſeiner Faͤhigkeit darzuſtellen, vielmehr nur von der Wahl des Gegenſtandes ausgeht, oder gar damit ſich be - gnuͤgt, den Werth, oder Unwerth der Kunſtgegenſtaͤnde ermit - teln zu wollen, ergreift ſichtlich die Sache bey ihrem Ende und bleibt daher unumgaͤnglich ſeicht, unerſchoͤpfend und, in ſo fern ſie alle Theile der Kunſt in ein falſches Verhaͤltniß verſetzt, auch durchhin ſchief und verkehrt.
Iſt nun der Gegenſtand unter den Elementen der kuͤnſt - leriſchen Hervorbringung des Schoͤnen bey weitem das Unwich - tigſte, iſt es vielmehr nur die Auffaſſung und Darſtellung, welche in der Kunſt unter allen Umſtaͤnden die Hervorbrin - gung des Schoͤnen bedingt; ſo wird auch der Grund wegfallen, welcher die ſogenannte Schoͤnheitstheorie beſtimmt, die Wahl des Gegenſtandes mit ſo großer Aengſtlichkeit zu bewachen. Verſuchen wir zu ermitteln, auf welche Weiſe jenes an ſich ſelbſt ſo menſchliche und billige Verlangen nach Schoͤnem auch bey weiteſter Ausdehnung des Gebietes kuͤnſtleriſcher Beziehun - gen noch immer befriedigt werden koͤnne.
Die Griechen ihrer beſten und gluͤcklichſten Zeit, oder die Italiener des ſechzehnten Jahrhunderts (alſo eben ſolche Voͤl - ker und Zeitgenoſſen, deren Geiſteswerke bekanntlich den fein - ſten und ſicherſten Schoͤnheitsſinn darlegen), begnuͤgten ſich mit dem allgemeinſten Schoͤnheitsbegriffe und zeigten wenig Verlangen, ihre Vorſtellungen vom Schoͤnen bis in das Ein - zelne zu beſtimmen und auszubilden. In entgegengeſetztem Verhaͤltniß ſcheint das moderne Beſtreben, bald den Begriff der Schoͤnheit moͤglichſt ſcharf im Verſtande auszubilden, bald wiederum die ſinnlichen Merkmale des Schoͤnen recht genau zu beſtimmen, aus einer unbefriedigten Sehnſucht nach Schoͤ - nem entſtanden zu ſeyn; wenigſtens zeigte es ſich zu keiner Zeit ſo unverdroſſen, als eben waͤhrend des entſchiedenſten Einfluſſes der europaͤiſchen Chineſen, der Pariſer, welche, wie bekannt, den Reifrock, die Friſur und, was ſchlimmer iſt, verzerrte und gezierte Gebaͤrden erfunden und uͤber die moderne Welt verbreitet haben.
Allerdings duͤrfen wir befuͤrchten, daß die Vorſtellungen vom Schoͤnen, von welchen die Schoͤnheitslehrer ſo ungluͤckli - cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemuͤhens, an Kunſt - werke des ſchoͤnſten und beſten Alterthumes ſich anzulehnen, ſich dennoch nicht ſo ganz rein erhalten konnten, weil ſie den Einwirkungen eines falſchen Zeitgeſchmackes nun einmal bloß geſtellt waren. Ward doch ſogar Mengs, der auf die beſten135 Theoretiker ſeiner Zeit ſtark eingewirkt, eben wie ſpaͤterhin Canova, bey unlaͤugbarem Streben nach aͤchter Schoͤnheit, doch von dem Eindruck gezierter Sitten, friſirter Haare und anderer Wunderlichkeiten dieſer Art ganz offenbar bemeiſtert. An dieſer Stelle jedoch fragt es ſich nicht ſowohl, ob Leſ - ſing, oder Winckelmann, oder noch neuere Goͤnner des ſogenannten Schoͤnheitsprincip vom Schoͤnen richtige, oder un - richtige Vorſtellungen erlangt, als vielmehr, ob ſie den Be - griff der Schoͤnheit in gehoͤriger Allgemeinheit aufgefaßt und von ſolchen Vorſtellungen frey erhalten haben, die nicht die allgemeine Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen, ſondern nur irgend ein beſonderes Schoͤne betreffen. Ich glaube wahr - zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigſtens alle ſolche, welche die Kunſt naͤher ins Auge faſſen, eben weil ſie ihren Schoͤnheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schoͤnen zu - ſammenſetzen, denſelben nothwendig nicht ſo rein und ſcharf auffaſſen, daß man ſagen koͤnnte, jegliches Schoͤne ſey darein begriffen und jegliches Unſchoͤne davon ausgeſchloſſen. Viel - leicht wird das Ergebniß ein anderes ſeyn, wenn wir bey Auffaſſung des Schoͤnheitsbegriffes nicht, wie ſo viele unſerer Vorgaͤnger, von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen aus - gehen, vielmehr von der Empfindung ſelbſt, welche uns be - ſtimmt, ſichtbare Dinge ſchoͤn zu nennen.
Gewiß ſtritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut - ſchen wie jeder anderen Sprache, wollte man ſolche Dinge ſchoͤn nennen, welche unerfreulich zu ſchauen ſind. Denn ſchoͤn und, was in anderen Sprachen daſſelbe bedeutet, heißt, ehe denkende Koͤpfe den Begriff feiner ausſpalten, eben nur Sol - ches, was den Blick an ſich ſelbſt, oder durch ihn die Seele vergnuͤgt. Allein zur Verwirrung Aller, welche jemals die136 Schoͤnheit zu beleuchten verſucht, iſt die Erregbarkeit und Em - pfaͤnglichkeit der Menſchen ſo verſchieden, daß ein unbegrenz - bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche ſchoͤn heißt.
Demnach duͤrfte es uns zur naͤheren Begrenzung unſeres Schoͤnheitsbegriffes behuͤlflich ſeyn, wenn wir uns vorher uͤber die Menſchengattung vereinbarten, deren Schoͤnheitsſinn, oder Schoͤnheitsurtheil bey unſerer Unterſuchung einzig in Frage kommen ſoll. Dem Griechen freylich wuͤrde es ſeltſam genug ſcheinen, wenn Jemand uͤber Solches, was ihm ſchoͤn hieß, das Urtheil von Barbaren haͤtte einholen wollen; in den neue - ren, weltbuͤrgerlichen Zeiten nahm indeß ſogar ein Winckel - mann*)Kunſtgeſchichte Buch IV. auf die Empfindungen von Menſchen Bedacht, welche in dieſer Beziehung nicht bloß perſoͤnlich, vielmehr auch der Gattung nach, und wahrſcheinlich unheilbar roh ſind. Um nun nicht ſogleich und von vorn herein durch eine aͤhnliche Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten folgen und uns dahin entſcheiden, daß nur die Empfindungen eines geſunden Geſichtes, nur die Gefuͤhle und Urtheile von ſittlich edlen und geiſtig faͤhigen Menſchen bey Unterſuchung der Schoͤnheit uns zur Richtſchnur dienen koͤnnen.
Doch ſelbſt innerhalb dieſer engeren Grenze wuͤrden wir ſchwerlich der Zerſplitterung entgehen, wenn wir eben nur an vereinzelten ſchoͤnen Dingen erproben wollten, welchen Ein - druck ſie vorausſetzlich auf empfaͤngliche und begabte Menſchen bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schoͤnen werden wir demnach abſehen muͤſſen, um allgemeinere, durchwaltende Ur - ſachen, Veranlaſſungen, oder Beweggruͤnde des Wohlgefallens137 am Schauen aufzuſuchen, welche, da dieſes Wohlgefallen of - fenbar, theils ein rein ſinnliches, theils ein gemiſchtes und mehrdeutiges, theils wiederum ein rein ſittlich-geiſtiges iſt, nothwendig ſowohl verſchiedene, als auch verſchiedenartige ſind.
Wir beduͤrfen demnach, wie es vortrefflichen Geiſtern laͤngſt eingeleuchtet, einer Abtheilung nicht innerhalb des Schoͤnen, dem wir nun einmal ſeine unuͤberſehliche Mannig - faltigkeit einraͤumen muͤſſen, vielmehr innerhalb der allgemei - nen Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen. Dreyfach theilte ſchon Baco*) Francis Bacon, Works etc. Lond.1753. fo. Vol. III. Ser - mones findeles XLI. de Pulchritudine. „ In pulchritudine praefertur venustas colori; et decorus ac gratiosus oris et corporis motus ipsi venustati. “ Bey dieſem, gleich anderen derſelben Aphorismen, wie im erſten Aufſteigen hingeworfenen Gedenken laͤßt die Unbeſtimmt - heit des Ausdrucks manchem Zweifel Raum. Der engliſche Ueber - ſetzer uͤbertraͤgt, venustas, in favour, Reiz, und haͤlt ſich dabey mehr an das Etymon des lateiniſchen Wortes, als an den muth - maßlichen Sinn ſeines Originales. Denn es iſt nicht denkbar, daß Bacohier, den Reiz, der Farbe und der Anmuth entgegengeſetzt habe, welche mit jenem eng verſchwiſtert ſind; ich glaube daher, daß er damit eben ſolches bezeichnen wollen, was durch formositas unuͤbertrefflich, gewiß in keiner Sprache[gleichdeckend] ausgedruͤckt wird. Nach ſeiner ganzen Denkart verſtand er aber Anmuth der Bewegung ſicherlich nicht einzig vom Liebreiz, oder vom bloß ſinn - lich Gefaͤlligen, vielmehr vom Ethiſchen uͤberhaupt. Farbe aber duͤrfte an dieſer Stelle die Veranlaſſungen eines rein ſinnlichen Wohlgefallens am Schauen vertreten, mithin duͤrften darin alle Elemente der nachfolgenden Darlegung enthalten ſeyn.die Schoͤnheit ein, obwohl er, da ſein Antheil an Dingen der Kunſt zu allgemein war, uns die Be - gruͤndung und naͤhere Entwickelung ſchuldig geblieben. Auch138 Schiller*) Fr. v. Schiller, uͤber Anmuth und Wuͤrde, Horen, 1793. Stuͤck II. und Werke 1820. 12. Bd. XVII. S. 165., welcher den dritten, ganz ethiſchen Theil der Schoͤnheit hoͤchſt meiſterlich durchdacht, unterſcheidet denſelben mit großer Schaͤrfe, wenigſtens von dem zweyten, den er den architectoniſchen nennt. Nach ſolchen Vorgaͤngern wage ich, die Anregungen des Schoͤnheitsgefuͤhles, nach jedesmaliger Beſchaffenheit des letzteren, in drey durchaus verſchiedene Gat - tungen zu zerlegen und in Bezug auf deren Art, Beſchaffen - heit und Verhaͤltniß zur Kunſt eine jede fuͤr ſich allein zu betrachten.
Die erſte und einleuchtend die niedrigſte umfaßt die Veranlaſſungen eines bloß ſinnlichen Wohlgefallens am Schauen**) Goͤthe, uͤber Kunſt u. Alt. 5. Bdes 1. Heft. S. 121. — „ Das nothwendige Vorwalten der Sinneswerkzeuge. “—. Dieſe Art der Schoͤnheit, welche ſowohl die Farbe, als das Helldunkel in ſich einſchließt, koͤnnen wir nicht bloß im Geiſte abſondern, vielmehr auch nicht ſelten an be - ſtimmten Dingen fuͤr ſich allein wahrnehmen und beobachten, da es ſich haͤufig ergiebt, daß Dinge, welche das ſinnliche Auge befriedigen, doch weder den Geiſt beſchaͤftigen, noch das Gemuͤth erfreuen; oder daß Dinge, welche letztere Faͤhigkeiten auf das Hoͤchſte in Anſpruch nehmen, den aͤuſſeren Sinn mehr und minder verletzen. Auch in der Kunſt erſcheint das ſinnlich Gefaͤllige nicht ſelten fuͤr ſich allein; woher zu erklaͤ - ren, daß Neulinge im Kunſtfache, welche meiſt das ſinnlich Angenehme, dem Geiſtigen und Gemuthenden vorziehen, ganz andere Kunſtwerke zu lieben und zu ſchaͤtzen pflegen, als durchgebildete Kenner, die allenfalls uͤber den ſinnlichen Ein - druck hinwgeſehen, und dagegen manchem ſchmucken und139 ſinnlich angenehmen Dinge der inneren Schaalheit wegen ab - geneigt ſind.
Uebrigens iſt nicht mit Sicherheit anzugeben, worauf denn eigentlich die ſinnliche Annehmlichkeit ſichtbarer Dinge beruhe, da jegliches Auge nach Maaßgabe ſeiner Geſundheit und Scharfſicht verſchieden empfindet, woher der richtige, ob - wohl einzig auf dieſe niedrigſte Stufe der Schoͤnheit anwendbare Gemeinſpruch entſtanden: daß uͤber den Geſchmack nichts ent - ſchieden werden koͤnne. In Bezug auf dieſe rein[ſinnliche] An - nehmlichkeit, welche wir vorausſetzlich von dem ſinnlichen Reize anſchaulich angeregter Vorſtellungen des Geiſtes (z. B. vom Ueppigen und Wohlluͤſtigen) zu unterſcheiden wiſſen, muͤſſen wir uns allerdings damit begnuͤgen, daß es, wie einen mittleren Zuſtand des Auges, ſo auch eine mittlere Beſchaf - fenheit des Anſchaulichen geben muß, welche gleichweit von buttriger Weiche und ſchneidender Haͤrte entfernt, wenigſtens die Mehrzahl geſunder Geſichtsſinnen befriedigen wird. Dieſe Art der Schoͤnheit nimmt in den anſichtlichen Dingen etwa dieſelbe Stelle ein, als in der Muſik der einzelne Ton, deſſen verhaͤltnißmaͤßige Reinheit, wie ſehr ſie immer den Geſammt - eindruck befoͤrdern mag, doch an und fuͤr ſich unbezweifelt ein rein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt. Auch an den Pflan - zenformen kann ſie beobachtet werden, deren Eindruck noth - wendig frey iſt von ſittlichen Nebenvorſtellungen, welche in den animaliſchen Formen den reinſinnlichen Eindruck durch - kreuzen. Der Feldkuͤmmel*)Chaerophyllum silvestre. z. B., deſſen ſchoͤne Bluͤthen - formen, deſſen zierlich ausgeſchaͤrfte Blaͤtter in der Naͤhe be - trachtet Bewunderung erregen, iſt mir in meinen laͤndlichen140 Luſtwegen und Anlagen ſtets ein eben ſo unwillkommener Gaſt, als die ungleich geſtaltloſere Neſſel. Dagegen erfreut mich der Farren, ja ſelbſt, wenn nicht im Uebermaaß, die ſaftige Klette. Ich erklaͤre mir dieſe Wirkung aus der groͤßeren Deutlichkeit und Schaͤrfe der Geſammterſcheinung der letzten, der bleichen Farbe, der duͤnnen, unweſenhaften, ſchlaffen Er - ſcheinung der erſten. Denn es iſt mir deutlich bewußt, daß hier keine geheime Wahlverwandtſchaft, kein Vorurtheil, ſon - dern der bloße Sinneseindruck mich veranlaßt, die eine Pflanze mit Luſt, die andere mit Widerwillen wahrzunehmen. Dahin gehoͤrt nicht minder der unwiderſtehliche Reiz, den edle Ge - ſteine auch fuͤr Solche haben, welche ſicher nicht durch den Wunſch ſie zu beſitzen, alſo auch nicht durch den Begriff ih - res relativen Werthes beſtimmt werden, ſie zu bewundern. Es iſt, wie ein unvergleichlicher Beobachter andeutet*) Goͤthe, Wahlverwandtſch. Thl. I. S. 109. (Ausg. 1809.) — „ wenn der Smaragd durch ſeine herrliche Farbe dem Geſichte wohlthut. “—, die Tiefe und Reinheit der Farbe, die Hoͤhe des Glanzes, welche im Edelſteine den Geſichtsſinn erfuͤllt und durchwaͤrmt und den rein ſinnlichen Schoͤnheitseindruck zu einer ungewoͤhnlichen Hoͤhe ſteigert.
Die zweyte Art der Schoͤnheit beruhet auf beſtimmten Verhaͤltniſſen und Fuͤgungen von Formen und Linien, welche auf eine unerklaͤrte und dunkle Weiſe, doch der Wirkung nach ganz ſicher und ausgemacht, nicht etwa bloß das Geſicht an - genehm anregen, vielmehr die geſammte Lebensthaͤtigkeit er - greifen und die Seele nothwendig in die gluͤcklichſte Stim - mung verſetzen. Dieſe Art der Schoͤnheit ſcheint, gleich der muſikaliſchen Harmonie, in der allgemeinen Weltordnung ihr141 Gegenbild zu haben; doch wird es unmoͤglich ſeyn, das Geſetz, nach welchem ſie entſtehet und wirkt, jemals etwa eben ſo deutlich zu erkennen und darzulegen, als laͤngſt ſchon das Ver - haͤltniß und die Folge der Toͤne erkannt und beſtimmt worden iſt. Denn Toͤne ſind bey weitem geeigneter, abgeſondert auf - gefaßt und betrachtet zu werden, als Formen und Linien, weßhalb wir es dahin geſtellt ſeyn laſſen, ob die grade, oder die gebogene Linie, die gewoͤlbte, oder die kantige Form die ſchoͤnere ſey; was Manche beſchaͤftigt hat, obwohl nach der Analogie der Muſik anzunehmen iſt, daß keine Linie, oder Form an ſich ſelbſt, vielmehr nur in beſtimmten Verbindun - gen, Reihen und Verhaͤltniſſen jene gleichſam muſikaliſche*) Leibnitiiep. (ed. Kortholt.Vol. 1. p. 241.) — „ Musica est exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi. “Schoͤnheit hervorbringt.
Da es nun vornehmlich in der Baukunſt am Tage liegt, daß beſtimmte raͤumliche Verhaͤltniſſe ſchon an und fuͤr ſich uͤber die Seele eine unwiderſtehliche Gewalt ausuͤben, ſo nannte Schillerdieſe Schoͤnheit die architectoniſche; wie wir denn auch im gemeinen Leben die Verhaͤltniſſe des menſchlichen, oder anderer belebter Koͤrper, mit demſelben Gleichniß den Bau zu nennen pflegen. Doch ſcheint mir dieſes Bild, weil es von einem Kuͤnſtlichen und Abgeleiteten entlehnt iſt, nur wenig geeignet, eine urſpruͤngliche Schoͤnheit zu bezeichnen; und ungleich ſchoͤner gewiß erklaͤrten ſich viele Alten in um - gekehrter Richtung die Verhaͤltniſſe der Baukunſt eben aus den Verhaͤltniſſen natuͤrlicher und belebter Koͤrper. Denn auch bey Menſchen, wie es dem naturſinnigen Griechen ſo deutlich war, kann uns das bloße Ebenmaaß ihrer Zuͤge gleichſam142 bezaubern, ſo daß wir durch dieſes oft uͤber ihren ſittlichen Unwerth verblendet werden, und dagegen bey auffallendem Mißverhaͤltniß der Theile eines Geſichtes mit einiger Muͤhe uns in ſolche Zuͤge deſſelben hineindenken, in denen eine edle Seele, oder ein thaͤtiger Geiſt ſich ausdruͤckt. Die Benennung, Schoͤnheit des Maßes, welche ich vorſchlage, duͤrfte daher freyer von Nebenbeziehungen und weit umfaſſender ſeyn, als jene andere.
Dieſe zweyte Schoͤnheit*)Bey Ausbildung ihrer philoſophiſchen Begriffe fand die la - teiniſche Sprache in dem allgemeinen Vorbilde roͤmiſcher Geſittung, der griechiſchen Nation, die Kunſt und den Kunſtſinn ſchon voͤllig durchgebildet vor. Daher, denke ich, die gluͤckliche Ableitung und daraus hervorgehende Schaͤrfe der Begriffe, formosus, formositas, welche obige Entwickelung merklich unterſtuͤtzen., wie es ſcheint, die eigent - liche Schoͤnheit der Griechen**)Sie wuͤnſchten ſie mit ſittlichem Werthe verbunden zu ſehen, alſo war ihnen Schoͤnheit an ſich ſelbſt etwas Anderes, als der Ausdruck, oder als der Charakter ſittlicher Guͤte. — Auch die Behauptung: daß dem Barbaren daſſelbe ſchoͤn ſeyn muͤſſe, was dem Griechen ſchoͤn war ( WinckelmannK. G. Bch. 4. K. 2.), deutet auf die Schoͤnheit des Ebenmaßes hin. Denn der bloß ſinn - liche Eindruck des Formenſpieles, der Abwechslungen des Lichtes und Dunkels, den die Griechen ebenfalls von der eigentlichen Schoͤnheit unterſchieden ( Winckelm.daſ. §. 19.), konnte ſchon unter den Griechen ſelbſt nicht ganz derſelbe, mußte gewiß bey den Barbaren ein ganz verſchiedener ſeyn. Die Auffaſſung der ſittlichen Bedeutung der Formen ſetzt aber ſittliche Bildung voraus, welche eben ein griechiſcher Denker nicht ſo durchhin dem Barbaren duͤrfte beygemeſſen haben. Nehmen wir aber dieſe beiden Schoͤnheiten zu - ruͤck, ſo bleibt nur die Schoͤnheit des Maßes uͤbrig, welche, nach neueren Beobachtungen, allerdings ſelbſt auf den roheſten Barbaren einzuwirken ſcheint (S. v. Spixund v. MartiusReiſe in Bra - ſilien. 1. Thl. Muͤnchen. 1823. 4. S. 259. und C. Ritter, Erdkunde,, iſt uͤbrigens nicht mehr, wie143 jenes bloß ſinnlich Wohlgefaͤllige, nach Maaßgabe der Em - pfaͤnglichkeit der Einzelnen, bald dieſe, bald jene, ſondern ſtets und unwandelbar dieſelbe. Allerdings giebt es Menſchen, welche dieſe Schoͤnheit nicht empfinden, entweder weil ihr Sinn fuͤr ſolche noch ſchlummert, oder weil Vorbegriffe und Verſtandesgrillen ihn verſchließen. Doch wird die Gleichguͤl - tigkeit der erſten erweckt und angeregt, das Vorurtheil, oder die falſche Gewoͤhnung der anderen beſiegt werden koͤnnen, eben weil dieſe Schoͤnheit nach allgemeinen Naturgeſetzen wirkt, gegen welche die Einzelnen wohl aus Laune, oder Stumpfſinn ſich eine Weile verſchlieſſen moͤgen, deren Herrſchaft indeß ſie auf die Laͤnge nothgedrungen werden anerkennen muͤſſen*) Heydenreich(aeſth. Woͤrterbuch etc. Bd. 4. S. 74.) un - terſcheidet ein allgemeines Ideal ſchoͤner Form, was der Menſch a priori beſitze, von Idealen fuͤr beſtimmte Gattungen von Gegen - ſtaͤnden (von den, in der vorangehenden Unterſuchung, angefuͤhr - ten Verkoͤrperungen abſtracter Begriffe.) Dieſer allgemeine Ideal - begriff iſt in Bezug auf die beſondere Schoͤnheit des Maßes und der Verhaͤltniſſe einzuraͤumen; inſofern nemlich Ideal an dieſer Stelle nicht ſowohl ein vollendetes, deutliches, ausgerundetes Ur - bild, als vielmehr eine urſpruͤngliche Empfaͤnglichkeit, einen ein - geborenen Sinn bedeuten ſollte; was allerdings in Frage ſteht.. Bewirkte doch die lebendige Beredſamkeit Winckelmanns**)zweite Aufl. Thl. 1. S. 267.). Dagegen fand Burckhardt(Tra - vels in Nubiap. 264) bey einem ſchoͤn gebildeten Stamme von zweifelhafter Abkunft Widerwillen gegen die Weiſſen; die Farbe ſchien ihnen krankhaft; alſo entſchied in dieſem Falle hoͤchſt wahr - ſcheinlich nur dieſe; eben wie der malayiſchen Bemannung eines oſtindiſchen Schiffes, welches im verfloſſenen Jahre in der Elbevor Anker lag, die hellen Nordteutſchen nach gar nichts ausſahen. — Schellingſcheint alſo eine mehr chriſtliche, als antike An - ſicht auszuſprechen, wo er (a. a. O. S. 373.) ſagt: „ Dieſe Schoͤn - heit, welche aus der vollkommenen Durchdringung ſittlicher Guͤte und ſinnlicher Anmuth hervorgeht. “144inmitten der Schnoͤrkel und Fratzen des achtzehnten Jahrhun - derts eine unaufhaltſame Umwaͤlzung des Geſchmackes, welche nur deshalb ſo ſpaͤt auf die Thaͤtigkeit der Kunſt zuruͤckgewirkt, weil man ungleich fruͤher das Schoͤne der Kunſt als das Ge - heimniß ſeiner Hervorbringung wieder aufgefunden hatte.
Die dritte, und fuͤr ſittliche und erkennende Weſen un - laͤugbar die wichtigſte, Schoͤnheit beruhet aber auf jener ge - gebenen, in der Natur, nicht in menſchlicher Willkuͤhr, ge - gruͤndeten Symbolik der Formen, durch welche dieſe in be - ſtimmten Verbindungen zu Merkmalen und Zeichen gedeihen, bey deren Anblick wir uns nothwendig theils beſtimmter Vor - ſtellungen und Begriffe erinnern, theils auch beſtimmter in uns ſchlummernder Gefuͤhle bewußt werden. Vermoͤge dieſer Eigenſchaft erwecken die Formen, ganz unabhaͤngig, ſowohl vom ſinnlichen Wohlgefaͤlligen, als von der eben beruͤhrten Schoͤnheit des Maßes, ein gewiſſes ſittlich-geiſtiges Wohlge - fallen, welches theils aus der Erfreulichkeit der eben angereg - ten Vorſtellungen hervorgeht, theils auch gradehin aus dem Vergnuͤgen, welches ſchon die bloße Thaͤtigkeit eines deutlichen Erkennens unfehlbar nach ſich zieht.
Den Grund der Erfreulichkeit von Vorſtellungen, die Sichtbares im Geiſte anregt, werden wir vorausſetzen und uͤbergehen duͤrfen, da dieſe Abtheilung innerhalb der Schoͤn - heit laͤngſt ſchon mit dem beſten Erfolge unterſucht und be - leuchtet worden; vielleicht, weil ſie den Schriftſtellern zugaͤng - licher war, als Solches, ſo einzig der Geſtalt und ihrer Er - ſcheinung angehoͤrt, mithin nur den kuͤnſtleriſch gebildeten See - len genuͤgend deutlich wird. Das Erfreuliche aber, welches ſchon in der nackten Deutlichkeit der Erſcheinung liegt, hatte in dem Kreislauf neuerer Theorieen das Schickſal, bald vielzu145zu hoch geſtellt, bald wiederum von der Schoͤnheit ausgeſchloſ - ſen und der Kunſt unterſagt zu werden. Leſſing*)Laokoon, §. II. Dritte Aufl. S. 11.verwarf es aus Conſequenz oder Zufall; daher wohl ſeine, keiner Er - wiederung beduͤrfenden, Ausfaͤlle gegen das Bildniß und die Landſchaft**) Carl Ritter, die Erdkunde etc., Thl. 1, zweyte Aufl., S. 75. „ In der auf diefe Weiſe entſpringenden, unerſchoͤpflichen Vielartigkeit des Waſſerlaufes liegt eine der wichtigſten Bedingun - gen zur, dem Raume nach, allgemeinen Entwickelung der unorga - niſirten Erdoberflaͤche zu derjenigen localiſirten Vielſeitigkeit und Einheit, welche wir, in ihrem uͤberſchaulichen Zuſammenhange, Landſchaft nennen, die immer und uͤberall einen geheimen Zauber uͤber den Menſchen ausuͤben wird, der in ihrem Kreiſe ſich bewegt, und uͤberhaupt die raͤumliche Baſis alles organiſchen Lebens iſt. “ So kommt uns unerwartet zugleich die Vertheidigung und Grund - idee der Landſchaftsmalerey, wo wir deren am meiſten bedurften, durch den beſten und wuͤrdigſten Vertreter ihrer Anſpruͤche.. Seine Nachfolger indeß haben, bey reiferer Ausbildung des Kunſtſinnes, ſowohl am Bildniß, wie an der Landſchaft Behagen gefunden, ja ſogar anatomiſchen und an - deren etwas roh und fluͤchtig behandelten Studien großer Meiſter ihre Bewunderung nicht verſagt, mithin factiſch ein - geſtanden, daß ſchon die bloße Schaͤrfe und Deutlichkeit der Charakteriſtik den Sinn vergnuͤgen koͤnne, daß ſolche mithin fuͤr ſich ſelbſt eine Abart der dritten ſymboliſch-ethiſchen Schoͤn - heit bilden muͤſſe. Denn eine eigene Art der Schoͤnheit iſt ſie freilich eben ſo wenig, als ſie jemals das ausgeſonderte Ziel irgend einer Kunſtrichtung geweſen.
Bis dahin haben wir die Schoͤnheit an ſich ſelbſt, und ohne ausſchließliche Beziehung auf die Kunſt, unterſucht, und, wie ich glaube, gefunden: daß Schoͤnheit im allgemeinſten,I. 10146und wenn man ſo will, im modernen Verſtande, alle Eigen - ſchaften der Dinge in ſich begreift, welche entweder, den Ge - ſichtsſinn befriedigend anregen, oder durch ihn die Seele ſtimmen und den Geiſt erfreuen; daß aber eben dieſe Eigen - ſchaften in drey durchaus verſchiedene Arten zerfallen, deren eine nur auf das ſinnliche Auge, deren andere nur auf den eigenen, vorausſetzlich dem Menſchen eingebornen, Sinn fuͤr raͤumliche Verhaͤltniſſe, deren dritte zunaͤchſt auf den Verſtand wirkt, dann erſt durch die Erkenntniß auch auf das Gefuͤhl.
Wo nun alle Arten der Schoͤnheit in einem Gegenſtande, gleich wie in ihrem Brennpuncte, ſich vereinigen, ein Fall, der ſchon den ſchoͤngeſinnten Alten mehr wuͤnſchenswerth, als durchhin erreichbar zu ſeyn ſchien, da wuͤrde ohne Zweifel ein ausnehmend Schoͤnes entſtehen. In den ſichtbaren Dingen pflegt indeß bald die eine, bald die andere Schoͤnheit vorzu - herrſchen, oft ſogar die uͤbrigen durchaus zu verdraͤngen; da - her iſt es ſchon fuͤr die Auffaſſung und fuͤr den Genuß des Schoͤnen von großem Vortheil, in jeglichem Schoͤnen die ſol - chem eben beywohnende Art der Schoͤnheit deutlich zu erken - nen, und dieſe von anderen genau zu unterſcheiden. Denn wollten wir etwa, gleich den aͤſthetiſchen Neulingen, da, wo eben nur ſinnliche Annehmlichkeiten vorhanden, zugleich auch die Anregung edler und erhebender Vorſtellungen des Geiſtes begehren, oder bey dieſen letzteren wiederum nach ſinnlichem Reize geluͤſten, ſo wuͤrden wir uns durch ein fruchtloſes Seh - nen gewiß um gegenwaͤrtige Freude bringen. Freilich wird ein geſunder, von Vorbegriffen unbeſtochener, Sinn wohl auch ohne jene Begriffsſpaltung das Schoͤne empfinden und genie - ßen lernen; und es iſt daher vornehmlich nur fuͤr die Kunſt - lehre, und in ſo fern dieſe auf die Ausuͤbung der Kunſt ein -147 wirkt, auch fuͤr die letztere von Wichtigkeit, die ſinnliche An - nehmlichkeit von der Schoͤnheit des Maßes, und beide wieder - um von der Schoͤnheit mittelbar durch die Geſtalt im Geiſte angeregter Vorſtellungen zu unterſcheiden.
Im juͤngſt verfloſſenen Menſchenalter beherrſchten zwey große Namen, Leſſingund Winkelmann, die Anſicht, die Lehre, ja gewiſſermaßen ſelbſt die Ausuͤbung der Kunſt; beide redeten auf ihre Weiſe der Schoͤnheit das Wort, gewiß in edler Geſinnung und Abſicht. Uns ſcheint die Schoͤnheit in der Kunſt, wie im Leben, nicht weniger wuͤnſchenswerth, wie jenen; doch ungewiß, ob ſie die Schoͤnheit erkannt, oder die Hervorbringung des Schoͤnen weſentlich gefoͤrdert haben.
Gewiß war WinkelmannsAuffaſſung des einzelnen Schoͤnen hoͤchſt ſinnvoll, ſeine Darſtellung deſſelben von uner - reichbarer Anſchaulichkeit, von hinreißendem Feuer. Doch eben weil er, unbefriedigt von ſeinem Anfluge myſtiſcher Schoͤn - heitsanſichten, im Durchſchnitt eben nur von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen ſich zum Begriffe der Schoͤnheit ſelbſt zu erheben ſuchte, gelangte er nie dahin, die Schoͤnheit des Begriffes vom Schoͤnen der Anſchauung zu unterſcheiden*)Τὸ καλλός, pulchritudo, Schoͤnheit, iſt die Eigenſchaft; von metaphoriſchen Bedeutungen abgeſehen, τὸ καλὸν, pulcrum, daß Schoͤne, eine unbeſtimmte Mehrheit von Dingen, denen die Eigenſchaft der Schoͤnheit beywohnt. Einige Uebertragungen indeß im griechiſchen Wortgebrauch, vielleicht auch nur der triviale Sinn des franzoͤſiſchen Wortes beauté, welcher die aͤſthetiſchen Schrift - ſteller dieſer Nation haͤufig veranlaßt, ſtatt jenes, le beau zu ſez - zen, ſcheint auch unter uns die urſpruͤngliche Grenze beider Begriffe mehr und mehr zu verwiſchen. Nichts deſtoweniger iſt ihre Unter - ſcheidung nothwendig; nach den Geſetzen, nach dem Gebrauch un - ſerer Sprache, wird aber Schoͤnheit nur eine Eigenſchaft, Schoͤnes. 10 *148Seine Arten der Schoͤnheit ſind wirklich eben nur Vorſtellun - gen von beſtimmten Arten des Schoͤnen, wie etwa des Kraͤf - tigen, des Zarten, des Edeln, des Anmuthigen. Er wirkte daher zwar auf der einen Seite vortheilhaft, indem er dem Sinne ſeiner Zeitgenoſſen die Richtung auf wahrhaft Schoͤnes gab; auf der andern aber auch nachtheilig, indem er die Mei - nung verbreitete, daß eben dieſes einzelne, in ſich abgeſchloſ - ſene, Schoͤne einen Maßſtab fuͤr die Beurtheilung, eine Richt - ſchnur fuͤr die Hervorbringung eines jeglichen Schoͤnen ent - halte. Doch wie einestheils kein einzelnes Schoͤne jemals die Allgemeinheit des Schoͤnheitsbegriffes ſelbſt gleichſam verkoͤr - pern kann; wie es ſtets ſein eigenes Maaß beſitzt, und nicht wohl nach anderen, gleich eigenthuͤmlichen, alſo verſchiedenen, Entfaltungen der Schoͤnheit zu beurtheilen, oder gar zuſam - menzuſetzen iſt; ſo ſollte anderntheils die Erfahrung ſelbſt ſchwaͤchere Denker laͤngſt belehrt haben, daß in der Kunſt das Schoͤne einzig das Werk lebhafter Begeiſterung iſt, dieſe aber durch nichts mehr gelaͤhmt wird, als durch platte, mechani - ſche Nachahmung, welche doch der einzige Weg iſt, auf wel - chem ein ſchon vorhandenes Einzelne wiederholt und auf ge - wiſſe Weiſe verdoppelt werden kann, wenn ſolches nun ein - mal durchaus geſchehen ſollte.
Die Schoͤnheitsbeſtimmungen aber, welche Leſſingauf WinkelmannsBahn, doch mit unendlich geringerer Sach - kenntniß, und beinahe ohne alles eigene Gefuͤhl des Schoͤnen,*)nur ein Dingliches ſeyn koͤnnen, dem jene beywohnt. So iſt es in allen analogen Faͤllen; Gewohnheit und Gewohntes, Klarheit und Klares u. ſ. f. werden wir uͤberall nach demſelben Geſetze ein - ander entgegenſetzen.149 verſucht hat, ſind ohne Nachwirkung verhallt. Man erinnert ſich nur im Allgemeinen, daß er der Kunſt die Darſtellung des Schoͤnen empfohlen, und begnuͤgt ſich, ſolches zu billigen oder zu beſtreiten. Allein die Frage, ob die Kunſt nur das Schoͤne darſtellen ſolle, iſt nicht ſo rund und kurz zu beant - worten, wie ſolche Kunſtlehrer dafuͤr halten, welche durch ſtarrſinniges Beharren auf dem bloßen Namen der Schoͤnheit ſchon ein Großes zu leiſten glauben. Denn, wenn anders die Eintheilung der Schoͤnheit, welche wir eben verſucht ha - ben, in ſich richtig iſt: ſo wird eine jede der bezeichneten Ar - ten oder Gattungen der Schoͤnheit zur Kunſt ihr eigenes Ver - haͤltniß einnehmen, welches wir, jedes fuͤr ſich, unterſuchen muͤſſen, ehe wir entſcheiden koͤnnen, in wie fern Schoͤnheit des Gegenſtandes die Schoͤnheit von Kunſtwerken bedingt.
Das rein ſinnliche Wohlgefallen am Schauen, welches wir vorausſetzlich von dem Reize, oder von der Ueppigkeit durch ſichtbare Dinge im Geiſte angeregter Vorſtellungen, zu unterſcheiden wiſſen, beruhet nun, wie wir uns entſinnen, auf gewiſſen Wirkungen des Licht - und Farbenwechſels, welche geſunde und wohlgeuͤbte Augen weniger weich und ſchmelzend zu lieben pflegen, als krankhafte; weniger grell und abſtechend, als rohe und ungebildete. Wollten wir nun pruͤfen, ob die bildenden Kuͤnſte nur ſolche Gegenſtaͤnde der ſinnlichen An - ſchauung nachahmen duͤrfen, welche im Leben, oder außerhalb der Kunſt, ein rein ſinnliches Wohlgefallen am Schauen her - vor bringen; ſo ſetzt ſich dieſem die Erfahrung entgegen, daß nicht jeder Gegenſtand, der an ſich ſelbſt gefaͤllig anzuſehen, in Kunſtwerke aufgenommen, einen gleich gefaͤlligen Eindruck be - wirkt. Da nemlich das aͤußere, ſinnliche Anſehen von Kunſt - werken, wie ich zum Theil beim Style gezeigt habe, und,150 wenn es hier nicht zu weit ablenkte, auch am ſogenannten Maleriſchen der Niederlaͤnder nachweiſen koͤnnte, bey weitem mehr durch den rohen Kunſtſtoff und durch deſſen Anwendung und Behandlung bedingt wird, als durch die Beſchaffenheit der wirklichen Formen, welche darin zu irgend einem Kunſt - zwecke nachgebildet worden: ſo fragt es ſich in dieſer Bezie - hung nicht ſowohl, ob Gegenſtaͤnde der ſinnlichen Anſchauung an ſich ſelbſt gut in die Augen fallen, als vielmehr, ob ſie innerhalb der Grenzen der jedesmal zur Hand liegenden Kunſt - art bequem, leicht erfaßlich, mithin gefaͤllig koͤnnen ausge - druͤckt werden. Bey der Wahl und Nachbildung von Gegen - ſtaͤnden der ſinnlichen Anſchauung kommt es demnach nicht ſowohl auf deren ſelbſtſtaͤndige Schoͤnheit an, als einzig auf ihre Darſtellbarkeit; im Kunſtwerke ſelbſt wird aber das gute oder uͤble Anſehen ſo gewaͤhlter Gegenſtaͤnde der Nachbildung das Ergebniß der techniſchen Vortheile ſeyn, oder des Kunſt -, nicht des Natur-Geſchmackes, den der jedesmalige Kuͤnſtler ſich anzueignen das Gluͤck und die Faͤhigkeit beſeſſen. Aller - dings nun wird der Kuͤnſtler bemuͤht ſeyn muͤſſen, ſolche Vor - theile oder einen ſolchen Geſchmack ſich anzueignen, damit er den aͤußeren Sinn nicht verletze, der unter allen Umſtaͤnden den erſten Eindruck ſeines Werkes aufnimmt, ehe er ihn hoͤ - heren Lebensthaͤtigkeiten uͤberliefert. Doch moͤge er ſich nicht verſprechen, jemals in dieſer Beziehung Allen gleichmaͤßig ge - recht zu werden, weil die Empfaͤnglichkeit des Auges auch un - ter den geſund und ſcharf Sehenden verſchieden iſt, weshalb er, ſchon um die erſte Bedingung aller bloß ſinnlichen Wohl - gefaͤlligkeit, die Uebereinſtimmung der Arbeit, nicht etwa durch Schwanken zu verfehlen, durchaus ſeinem eigenen Sinne nach - gehen muß. Iſt nun dieſe erſte und niedrigſte Schoͤnheit in151 Kunſtwerken abhaͤngig von Eigenthuͤmlichkeiten des Geſichtes der einzelnen Kuͤnſtler, ſo mag es wohl moͤglich ſeyn, eben dieſen Sinn durch Beiſpiel und practiſche Anleitung um etwas ſchneller zu entwickeln, doch ſchwerlich, ihn nach allgemeinen Regeln zu leiten. Jede Schoͤnheitslehre demnach, welche, gleich der Aeſthetik der hollaͤndiſch-franzoͤſiſchen Epoche, aus dem Sinn - lich-Wohlgefaͤlligen einzelner Werke der Kunſt die Regel aller Wohlgefaͤlligkeit derſelben Art zu entwickeln verſucht, oder gar ſich vermißt, ſolche Einſeitigkeiten, gleich als ergaͤben ſie ein allgemeines Schoͤnheitsgeſetz, der Kunſt aufzudraͤngen, treibt doch, mit dem mildeſten Ausdruck, nur ein muͤßiges Spiel des Witzes.
Allein ſchon ungleich umfaſſender und gleichmaͤßiger, als dieſe, iſt jene zweite Art der Schoͤnheit, welche auf beſtimm - ten Verhaͤltniſſen von Formen und Linien beruht. Denn, weil dieſelbe nicht mehr, wie jene niedrigere, von der Stim - mung und Empfaͤnglichkeit des einzelnen Daſeyns abhaͤngig iſt, vielmehr nach allgemeineren, die geſammte Natur beherr - ſchenden, Geſetzen entſteht und wirkt; ſo wird ſie auch gleich - maͤßiger begehrt und empfunden; ſo kann die Empfaͤnglichkeit fuͤr ſie ſelbſt da, wo ſie etwa durch falſche Gewoͤhnungen, oder durch Verſtandesgrillen waͤre verbildet worden, doch im - mer noch durch Beobachtung, Vergleichung und Nachdenken geheilt werden. Wenn nun der Kuͤnſtler in dieſer Beziehung einestheils eine weit verbreitete Empfaͤnglichkeit vorfindet, an - derntheils ſeinen etwa ſchlummernden oder abgelenkten Sinn fuͤr Harmonie raͤumlicher Verhaͤltniſſe in ſich ſelbſt gleichſam wieder aufwecken kann; ſo folgt, daß er auf alle Weiſe, ſo - wohl faͤhig ſey, als Bedacht nehmen muͤſſe, ſeinen Werken dieſe Schoͤnheit beyzulegen.
152Indeß, wie wir ſolche auch in der Wirklichkeit nur in - nerhalb der Grenzen in ſich abgeſchloſſener Erſcheinungen auf - faſſen; wie wir ſie, etwa bei einem menſchlichen Antlitz, nicht durch Vergleichung mit einem andern, noch durch Ausſonde - rung der einzelnen Theile, vielmehr nur in dem Verhaͤltniß aller Theile unter ſich, wie zum Ganzen, aufſuchen werden: ſo ergiebt ſie ſich auch in Kunſtwerken nicht aus der Wohl - geſtalt der einzelnen Theile, ſondern einzig aus ihrem Ge - ſammtverhaͤltniß. Wo dieſes mangelhaft iſt, da hilft die Wohlgeſtalt der Theile nicht aus, wie ſolches unter anderen die hiſtoriſchen Gemaͤlde der Zeiten des MengsundDavid, ſo wie nicht minder gar viele Bauwerke der Neueren ins Licht ſetzen. Denn, obwohl in den erſten viele einzelne Theile gu - ten Modellen und ſchoͤnen alten Statuͤen, in den anderen Saͤulen und Gebaͤlke den alten Bauwerken mit großer Ge - ſchicklichkeit nachgemacht ſind, ſo erſcheinen ſie doch von eben jener raͤumlichen Harmonie, von der hier die Rede, durchaus entbloͤßt, was uͤbrigens ihrem aͤchten Verdienſte nicht etwa im Lichte ſtehen ſoll. Wenn nun auf dieſer Seite ſchoͤne Theile fuͤr ſich allein nicht hinreichen, in Kunſtwerken die Schoͤnheit des Ebenmaßes hervorzubringen, ſo wird letztere andererſeits nicht ſelten, gleichwie in der Muſik, gerade durch weniger ſchoͤne, und ſogar durch unſchoͤne Theile zur Vollen - dung gebracht, wie denkenden Kuͤnſtlern gar wohl bekannt iſt. Wird aber die Schoͤnheit der Eurythmie in Kunſtwerken nicht ſowohl durch die ſelbſtſtaͤndige Schoͤnheit der einzelnen Geſtal - ten und Linien, welche Kunſtwerke zur Erſcheinung bringen, als vielmehr durch ihre Anordnung, Vertheilung und Stel - lung bewirkt; ſo entſteht offenbar auch dieſe nicht, wie Einige annehmen, ſchon aus der eigenen Wohlgeſtalt von Gegenſtaͤn -153 den der kuͤnſtleriſchen Nachbildung oder Darſtellung, ſondern einzig aus ſolchen Griffen und Vortheilen der Darſtellung ſelbſt, welche ich in der vorangehenden Unterſuchung dem Stylbegriffe beygeſellt. Demnach muͤßten wir den bekannten Ausſpruch: der Kuͤnſtler duͤrfe nur das Schoͤne darſtellen, wenn wir ihn, in Bezug auf die erſte und zweyte Art der Schoͤnheit, etwa zugeben wollten, doch vorher dahin uͤberſez - zen: daß der Kuͤnſtler ſchoͤn oder mit Schoͤnheit darſtellen ſolle, was allerdings ihm zu empfehlen iſt.
Wenn nun die Darſtellung unlaͤugbar die Gewalt beſitzt, Schoͤnheiten der erſten und zweyten Art hervor zu bringen, oder die entſprechenden Unſchoͤnheiten innerhalb der abgeſchloſ - ſenen Erſcheinung von Kunſtwerken vollſtaͤndig auszugleichen; wenn dagegen, was ſittlich und geiſtig widerwaͤrtig iſt, durch keine menſchliche Gewalt geſchminkt und beſchoͤnigt werden kann, ſo ſcheint es auf den erſten Blick, als haͤtten wir nun - mehr den Punkt getroffen, wo es wirklich auf Schoͤnheit des Gegenſtandes der Darſtellung ankommt. Indeß iſt das ſitt - lich und geiſtig Erfreuliche auf der einen Seite nicht eben das ausgeſonderte Augenmerk der ſogenannten Schoͤnheitstheorie; auf der anderen aber iſt die[Kunſt] auch hier keinesweges auf Gegenſtaͤnde zu beſchraͤnken, welche, abgeſehen von der kuͤnſt - leriſchen Auffaſſung und Darſtellung, oder ſchon an ſich ſelbſt erfreulich ſind.
Daß den Goͤnnern der Schoͤnheitslehre keinesweges ſchon durch ſittlich und geiſtig Erfreuliches genuͤgt werde, zeigt, was man in Goͤthe’sLeben in Bezug auf LeſſingsStiftung ausgeſprochen findet; dieſes nemlich: der Dichter duͤrfe auch das Bedeutende, der Kuͤnſtler nur das Schoͤne darſtellen. Koͤnnte das Bedeutende, welches hier dem Schoͤnen entgegen -154 ſteht, ſo viel ſagen wollen, als Andeutung von Begriffen durch willkuͤhrliche Zeichen, ſo wuͤrden wir jenem Satze, we - nigſtens innerhalb gewiſſer Bedingungen, beyſtimmen duͤrfen. Nach der ganzen Verbindung ſteht es indeß, wenigſtens dem Anſchein nach, fuͤr jegliches den Geiſt Beſchaͤftigende, oder das Gemuͤth Erfreuende, ſobald ſolches nicht zugleich ein ſinnliches Wohlgefallen hervorbringt, oder auch jenen tiefer begruͤndeten Sinn fuͤr raͤumliche Verhaͤltniſſe befriedigt. Nun haben wir uns ſo eben daruͤber verſtaͤndigt, daß dieſe mehr aͤußerlichen Arten der Schoͤnheit in Kunſtwerken nicht ſowohl aus dem Gegenſtande, als vielmehr aus der Darſtellung hervorgehen. Wir werden demnach, wenn dieſe einmal auf gutem Wege iſt, nicht weiter darum zu ſorgen brauchen. Sichert uns aber ſchon die Darſtellung, und gewiſſermaßen ſie allein, die Schoͤn - heiten der erſten und zweyten Art; ſo wird, dieſen ganz un - beſchadet, Jegliches, deſſen Vorſtellung edle und wohlgebildete Seelen erfreut, oder thaͤtige, lebenvolle Geiſter in Anſpruch nimmt, in Kunſtwerke aufzunehmen oder zum Gegenſtande kuͤnſtleriſcher Darſtellungen zu waͤhlen ſeyn.
Wenn nun ſchon dieſer Schluß viele der beſchraͤnkenden, den hervorbringenden Geiſt ganz nutzlos laͤhmenden, Wirkun - gen der Schoͤnheitslehre uͤber den Haufen wirft; ſo wird es doch noͤthig ſeyn, noch einen Schritt weiter vorzugehen, und die Behauptung daran zu ſchließen: daß eben, wie das ſinnlich Mißfaͤllige und raͤumlich ſich Mißverhaltende durch ſchoͤne Darſtellung aͤußerlich ſchoͤn wird, ſo auch das geiſtig und ſitt - lich Unerfreuliche durch treffliche Auffaſſung in Kunſtwerken zu einem Ergoͤtzlichen und Anziehenden ſich umgeſtalte. Dieſe Umwandlung wird indeß nicht, wie Leſſingan einigen Stel -155 len des Laokoon vorſchlaͤgt*)§. II. Plut.de audiendis poetis. — οὐ γάϱ ἐστι τοὐτὸ, τὸ καλὸν καὶ καλῶς τι μιμ῀εισϑαι ηκαλῶς γὰϱ ἐστὶ, τὸ πϱεπόντως καὶ οἰκείως οὶκεῖα δέ καὶ πϱεπόντα τοῖς αἰσχϱοῖς τὰ αἰσχϱὰ. Der Geiſt, in welchem die Dinge aufgefaßt worden, kommt hier, wie uͤber - haupt in den Kunſtbemerkungen der Alten, kaum in Betrachtung. Nur ſelten moͤchte, wo bei den Alten von Kunſtwerken die Rede iſt, auf die geiſtige Thaͤtigkeit, welche den Kuͤnſtler dabey geleitet, Ruͤckſicht genommen werden, wie in folgender Stelle des Plutarch(Athenienses bellone an pace clariores p. 346): γέγϱαφε δὲ καὶ τὴν έν Μαντινείᾳ πϱὸς Ἐπαμινώνδαν ἱππομαχιάν οὐκ ἀνενϑουσιάςως Εὐφϱάνωϱ. Ganz anders verhaͤlt es ſich damit in den neueſten Zei - ten, wo der Mangel an allem, oder doch an dem rechten Geiſte, deſſen Beduͤrfniß in der Kunſt[fuͤhlbar] gemacht, und eben daher den Begriff ſelbſt zu einiger Deutlichkeit des Bewußtſeyns erhoben hat,[woraus] auf der anderen Seite uͤbertriebene Forderungen ent - ſtanden ſind., durch eine gewiſſe Halbheit des Eingehens, oder durch ein unvermeidlich widriges Schminken und Beſchoͤnigen des Unerfreulichen hervorgebracht; vielmehr nur, indem der Kuͤnſtler, nach den Umſtaͤnden, durch leichten Spott oder bitteren Ernſt den Geſichtspunct feſtſtellt, aus wel - chem ſein Gegenſtand uͤberhaupt aufzufaſſen, und wirklich von ihm ſelbſt erfaßt worden iſt. Erinnern wir uns hier eines ſchlagenden Beyſpiels, der Silenen und Faunen des Alterthu - mes, in denen Schoͤnheiten der Technik und des Styles die (nach griechiſchem Maße) unſchoͤne Bildung des Leibes auf - heben, ſo wie ein anmuthiges Schwanken der Auffaſſung von tiefſinnigem Ernſt zu leichtem Scherz in dieſen Darſtellungen die Niedrigkeit fauniſcher Neigungen nie unliebenswerth, oft hoͤchſt bedeutend erſcheinen laͤßt. Ueberhaupt ſpiegelt ſich, nach den Geſetzen eben jener natuͤrlichen Symbolik der Form, wel -156 che die dritte und hoͤchſte Art der Schoͤnheit hervorbringt, in jedem Kunſtwerke, neben dem eigentlichen Gegenſtande der Auffaſſung und Darſtellung, auch der Sinn und Geiſt des Kuͤnſtlers, der ihn erfaßt und dargeſtellt*) Schellinga. a. O., S. 369. — „ Zunaͤchſt zeigt ſich frei - lich in dem Kunſtwerke die Seele des Kuͤnſtlers. “. Und es duͤrfte ſchwer ſeyn, zu entſcheiden, was beym ethiſchen Gefallen an Kunſtwerken den Ausſchlag giebt, ob der Eindruck des Ge - genſtandes der Darſtellung, oder umgekehrt, der Eindruck des Geiſtes, in dem er aufgefaßt worden. Alſo wird[] das bekannte Schoͤnheitsprincip, auch in Bezug auf dieſe dritte und hoͤchſte Art der Schoͤnheit, umzuſtellen ſeyn, ſo daß wir auch hier, anſtatt: der Kuͤnſtler duͤrfe nur das geiſtig und ſittlich Erfreuliche darſtellen, vielmehr ſagen muͤſſen: der Kuͤnſt - ler ſolle ſelbſt ſittlich und geiſtreich ſeyn, oder mit anderen Worten: er ſolle ſelbſt ſchoͤn denken.
Doch bin ich weit davon entfernt, gleichſam aus Para - doxie das Schoͤne des Gegenſtandes herabzuſetzen, welches den Kuͤnſtler in den meiſten Faͤllen unwiderſtehlich ergreifen und wahrhaft begeiſtern wird, und, wo es gehoͤrig aufgefaßt und dargeſtellt worden, auch den Kunſtfreund nothwendig beſonders befriedigen muß. Nur dieſes wuͤnſchte ich darzulegen: daß Schoͤnheit des Gegenſtandes nur unter gewiſſen, nicht durch - hin zu bemeiſternden, Bedingungen die Schoͤnheit von Kunſt - werken befoͤrdern; waͤhrend andererſeits Alles, was ſchoͤn ge - macht iſt, nothwendig ſchoͤn in das ſinnliche Auge faͤllt; waͤh - rend, was ſchoͤn im Raume vertheilt (von richtigem Style) iſt, den Sinn fuͤr Schoͤnheit des Maßes unumgaͤnglich befrie - digen wird; wie endlich, was auf irgend eine Weiſe, vom157 ſittlich Erhabenen, oder Gemuͤthlichen und Zarten, bis zum Phantaſtiſchen und Muthwilligen, ſchoͤn im Geiſte des Kuͤnſt - lers erfaßt iſt, nothwendig das ſittliche Gefuͤhl befriedigen, den Geiſt erfreuen muß.
Durch dieſe Sichtung und endliche Umſtellung eines von Vielen fuͤr unfehlbar gehaltenen Lehrſatzes, wird denn, wie Unbefangenen einleuchten muß, die Schoͤnheit ſelbſt keineswe - ges gefaͤhrdet, vielmehr wird ſie hierdurch gerade gegen die hemmenden und durchkreuzenden Wirkungen einer minder er - ſchoͤpfenden Theorie verwahrt, was allerdings wohl noͤthig iſt. Denn, obwohl Viele noch immer durch Vorliebe fuͤr eigene oder fuͤr die Werke befreundeter Zeitgenoſſen uͤber das eigent - liche Ergebniß der Anwendung jener vorgeblichen Schoͤnheits - lehre getaͤuſcht werden, ſo hat doch die Erfahrung eines gan - zen Menſchenalters bewaͤhrt, daß ſie weder eine bemerkliche Erhebung des Geiſtes bewirkt, noch zu ſchoͤner Darſtellung an - leitet, alſo die allgemeinſten und unerlaͤßlichſten Bedingungen aller Schoͤnheit von Kunſtwerken ſowohl unbeachtet, als un - erfuͤllt laͤßt.
Unter den mancherley Entgegenſtellungen, welche der Scharfſinn erfindet, und die Oberflaͤchlichkeit von den Verhaͤlt - niſſen, auf welche ſie ſich allein beziehen, auf die Dinge an158 ſich ſelbſt uͤbertraͤgt, ward jene weitbekannte, welche antike und moderne, helleniſche und romantiſche, oder, wie man auch wohl ſagt, heidniſche und chriſtliche Kunſt im ſchaͤrfſten Ge - genſatze denkt, eine laͤngere Zeit hindurch uͤberall mit beſonde - rer Gunſt aufgenommen. Dieſer Gegenſatz betrifft indeß, in ſo fern er begruͤndet iſt, nur etwa die Wendung und Bezie - hung, nimmer das ganze Weſen der Kunſt, welches uͤberall nur Eines iſt. Und, wenn es Niemand befremdet, Niemand neu iſt, daß die geſchichtlichen Urkunden, die geheime, wie die practiſche Weisheit der neuen Weltreligion in den Begriffen und Redeformen der claſſiſchen Sprachen niedergelegt worden, ſo wird es keinen Anſtoß geben koͤnnen, wenn ich behaupte, daß nicht minder auch die fruͤheſten Verſuche einer bildneriſch - maleriſchen Darſtellung chriſtlicher Ideen nicht in eigenen und durchaus neuen, vielmehr eine laͤngere Zeit hindurch eben nur in den uͤberlieferten Kunſtformen des Alterthumes ſich beweg - ten, im Style nemlich und in der Technik des Alterthumes; die darſtellenden Formen veraͤndern ſich vorausſetzlich nach den Forderungen des Gegenſtandes.
Dieſe allgemeineren Kunſtformen waren allerdings den griechiſchen, wie den roͤmiſchen Kuͤnſtlern ſchon laͤngſt minder gelaͤufig worden, als Umſtaͤnde zuerſt geſtatteten, ſie mit ei - nigem Aufwand an Koſten und Arbeit auf chriſtliche Gegen - ſtaͤnde zu verwenden. Unſere aͤlteſten Denkmale chriſtlicher Kunſt gehoͤren, wenn wir Zweifelhaftes an die Seite ſtellen, dem vierten Jahrhundert nach Chriſtus*) Cicognara(storia x. T. 1. c. VI), welcher dieſen Gegen - ſtand, duͤrftig genug, nach Collectaneen, ohne eigene, oder doch ohne deutliche Anſchauung, abhandelt, nimmt etwas zu rund an,. Schon gegen159 Ende des zweyten war indeß die roͤmiſch-antike Kunſt in al - lem, was ihre Technik angeht, ſo weit geſunken, als an den beiden Boͤgen des Septimius Severus zu Tage liegt. Wir werden demnach bei den altchriſtlichen Denkmalen nicht ſowohl auf Kenntniß und Gewandtheit im Einzelnen, als viel - mehr auf den Entwurf des Ganzen, die Abſicht, den Styl und Aehnliches zu merken haben, und an denſelben nur etwa die Macht einer neuen Begeiſterung bewundern koͤnnen, welche noch ſo ſpaͤt, und bei ſo viel tieferem Verfalle der buͤrgerli - chen Wohlfahrt, dennoch vermochte, ſowohl die letzten Anſtren - gungen heidniſcher Kunſt zu uͤbertreffen, als auch der neuen Wendung der Kunſt fuͤr alle Zukunft die Bahn vorzuzeichnen, welche ſie unter guͤnſtigeren Umſtaͤnden durchmeſſen ſollte.
Die fruͤheſten Kunſtverſuche der Chriſten gewaͤhren alſo durchaus nicht den erhebenden Anblick einer[gemaͤhlich], doch ununterbrochen und ſicher fortſchreitenden Entwickelung, gleich jener der altgriechiſchen Kunſt, oder auch gleich jener anderen, vom Wiederaufleben des Geiſtes im dreyzehnten Jahrhundert bis auf das Zeitalter Raphaels. Sie gleichen vielmehr jener ſpaͤten Abendroͤthe, welche oftmals nach ſtuͤrmiſchen Tagen eintritt, und, obwohl nach einer langen und dunkeln Nacht,*)daß man vor Conſtantindurchaus keine chriſtliche Bilder gemacht habe. Bildniſſe heiliger Perſonen wurden nach den Gruͤnden, wel - che ich unten geltend mache, ſicher ungleich fruͤher angefertigt; hoͤchſt wahrſcheinlich nicht minder auch verdecktere Allegorien. Daß man die Karte nicht offen aufzulegen wagte, war nach den Umſtaͤn - den vorauszuſehen, und bedurfte nicht aus dem Lactantius, den Cicognarahier anfuͤhrt, bewieſen zu werden. Vergl. Molani, de hist. SS. imagg. x. Lib. 4. Lugd.1619. Dieſe gehaltreiche Com - pilation iſt freylich großentheils nur als Nachweiſung, und immer mit Umſicht zu benutzen.160 doch endlich einen heiteren Morgen verſpricht. Denn, indem ſie dem tiefſten Verfalle der alten Bildung angehoͤren, ſchlie - ßen ſie doch zugleich den Anbeginn, Urſprung und erſten Le - benskeim der neueren Kunſt in ſich ein. Da wir ſie nun eben nur aus dem letzteren Geſichtspuncte zu betrachten haben, ſo duͤrfen wir in vorliegender Unterſuchung jenen unaufhalt - ſamen Ruͤckſchritt im Gebrauche aller Vortheile der Darſtel - lung als bekannt vorausſetzen, ohne den Leſer durch die An - fuͤhrung einzelner Unvollkommenheiten zu ermuͤden.
Ueberhaupt beſteht, was den altchriſtlichen Denkmalen fuͤr neuere Kuͤnſtler Werth und Bedeutung giebt, keinesweges in aͤußerer Vollendung und durchgaͤngiger Vorbildlichkeit, ſon - dern eben nur in Solchem, was jeglicher Kunſtrichtung den Ruͤckblick auf ihre Incunabeln unumgaͤnglich macht. Schon auf den fruͤheſten Stufen nemlich verkuͤndet ſich ſtets, als Vorbedeutung einer lebenskraͤftigen Entwickelung, die vorwal - tende Anſchauung, die alles beherrſchende Geſinnung beſtimm - ter Kunſtepochen, oder, wenn wir uns eines Stichwortes der modernen Kunſtſprache bedienen ſollen, die Idee; ich ſage, daß ſie ſich ankuͤndigt; denn ich bin weit davon entfernt, de - nen beyzupflichten, welche das geiſtige Leben beſtimmter Kunſt - epochen auf deren fruͤheſten Stufen, theils beſonders rein und gehoben, theils auch wohl uͤberall nur dort erblicken wollen. Wie es haͤufig bey etwas paradoxen Behauptungen eintritt (welche deshalb gewoͤhnlich von Einigen unbedingt verworfen, von Anderen mit Jubel aufgenommen werden), ſo ſcheint auch hier der Irrthum nicht im Grundgedanken, ſondern in deſſen Ausbildung und Anwendung zu liegen. Denn obwohl es eine laͤcherliche Willkuͤhrlichkeit iſt, eben da eine beſondere Klarheit des Bewußtſeyns, eine beſondere Tiefe der Anſchauung anzu -neh -161nehmen, wo die Mittel des Ausdrucks oder der Darſtellung ſo unzulaͤnglich ſind, daß, wenn auch Gutes; doch immer nur Beſchraͤnktes darin zur Anſchauung zu bringen iſt; ſo enthal - ten doch eben dieſe geſtaltloſen Anfaͤnge meiſt ſchon den ein - fachen Grundton der Gemuͤthsſtimmung, den erſten Anſtoß der Geiſtesrichtung, welche irgend eine Kunſtepoche beherrſcht und zur Einheit bringt, welche der ſpaͤtere Kuͤnſiler ebendaher feſthalten ſoll, doch in der That, unter den[zerſtreuender] An - regungen vorgeruͤckter Kunſtſtufen, nur hoͤchſt muͤhſam feſthaͤlt. Wo es nun dem geuͤbten und ausgebildeten Kuͤnſtler darauf ankommt, ſeine Seele zu ſammeln, ſich, inmitten vielfaͤltiger Eindruͤcke und verbreiteter Studien, des Allgemeinen in ſeinem Streben wiederum deutlich bewußt zu werden, da gewaͤhren ihm unſtreitig eben die Werke ſeiner fruͤheſten Vorgaͤnger große Huͤlfe, weil der Grundgedanke ſeines eigenen Geiſteslebens hier im einfachſten Zuſtande vorhanden, und um ſo bequemer auszuſondern und fuͤr ſich ſelbſt zu erfaſſen iſt, als die Form der Darſtellung nur nothduͤrftig dem Geforderten entſpricht, mithin nicht etwa durch uͤberſchwellende Fuͤlle zerſtreuet und abzieht. Dem Kuͤnſtler alſo wird das Alterthum ſeiner Rich - tung allerdings wohl einmal als das Geiſtigſte und Reinſte der Kunſt erſcheinen koͤnnen; was waͤre aber der kuͤnſtleriſche, was der menſchliche Geiſt uͤberhaupt, wenn es wahr ſeyn ſollte, daß die urſpruͤngliche Lebenskraft jeglichen Keimes in der Entwickelung verloren gehe! Gewiß werden nur die Traͤumer aller Art in einer grauſigen Embryonenwelt, wie dieſe, welche ſie ſich ſelbſt erſchaffen, ihre Beruhigung und Freude finden koͤnnen*) Winckelm.u. ſ. Ih. S. 311. — „ Wer nun alle die Ero -.
I. 11162Schon die Kunſt der alten Griechen verdankte die Unbe - ſcholtenheit ihres Styles der unausgeſetzten Beachtung und vernuͤnftig bedingten Nachahmung ihrer eigenen Incunabeln; ſo wie dieſe ſelbſt eben jenes Verdienſt gewiß nicht ohne die Einwirkung fremder Schule oder fremder Vorbilder erworben haben, da auch der vorkuͤnſtleriſchen und willkuͤhrlich ſymboli - ſchen Bildnerey der aͤlteſten Voͤlker, wenn auch die weſentli - cheren Eigenſchaften der Kunſt, doch gewiß der Styl nicht wohl abzuſprechen iſt. Nach demſelben Geſetze entſtand der Styl der neueren Bildner und Maler in den fruͤheſten Kunſt - verſuchen der Chriſten, zunaͤchſt aus dem Style der Kuͤnſtler des claſſiſchen Alterthumes, dann aus den altchriſtlichen, durch mancherley Mittelglieder wiederum der Styl der Italiener des vierzehnten Jahrhunderts; ſo daß man von Hand zu Hand bis in Raphaelsgeruͤhmteſte Werke verfolgen kann, wie be - ſtimmte Gewohnheiten der Anordnung und Zuſammenſtellung, ſo ſchon in den herben, ſogar den mehrſeitigen Kunſtfreund noch ſchreckenden Bildern des vierten bis ſechsten Jahrhun - derts vorkommen, doch ſelbſt dem groͤßten Kuͤnſtler der Neue - ren noch fuͤr belehrend und beſtimmend galten. In der That moͤchte der Sinn, wie die Gewohnheit einer harmoniſchen Anordnung der Theile, wie anderentheils die einfache, gerade, und eben daher allein richtige Auffaſſung in ſich beſchloſſener Kunſtaufgaben, auf der breiten und luftigen Hoͤhe der Kunſt nicht wohl anders zu erlangen und feſtzuhalten ſeyn, als durch*)berungen geringſchaͤtzt, welche maͤchtiger Geiſter unſaͤgliches For - ſchen und denkender Fleiß fuͤr das Gebiet der Kunſt gemacht — kennt ihren wahren Geiſt, ihr beſſeres, weiter geſtecktes Ziel noch nicht. “— Von ſeinen Beziehungen abgeſondert, und ganz allge - mein genommen, iſt dieſer Einwurf gewiß unwiderleglich.163 jene fromme Beachtung der ungelehrteren, einfaͤltigen Vorgaͤn - ger, welche die altgriechiſche, und ſelbſt den beſſeren Abſchnitt der neueren Kunſt ſo lange Zeit vor den Ausweichungen und Zerſplitterungen moderner Genieſucht bewahrt hat.
Freilich nun wird der moderne Kuͤnſtler nie darauf zaͤh - len duͤrfen, daß die Denkmale des chriſtlichen Alterthumes ihm in den ausgefuͤhrten Beziehungen gleichſam Alles in Allem leiſten. Denn einmal koͤnnen ſie dem Beduͤrfniß derer, welche in der Auffaſſung und Darſtellung chriſtlicher Kunſtaufgaben dem Herkommen ſich anſchließen moͤchten, ſchon deshalb nicht ſo ganz genuͤgen, weil die Denkmale bisher durch Vernachlaͤſ - ſigung oder Neuerungsſucht unſaͤglich verringert und verduͤnnet worden ſind, mithin uͤberall nur Bruchſtuͤcke darbieten. Dann aber war der Geſichtskreis jener aͤlteſten Kuͤnſtler der neueren Geſchichte, theils aus noch obwaltender religioͤſer Befangen - heit, theils ſelbſt aus Armuth und Erſchlaffung des Geiſtes, den nothwendigen Begleitern verſinkender Reiche, unlaͤugbar zu beſchraͤnkt, als daß man erwarten duͤrfte, durch ihre Werke uͤber Alles und Jegliches belehrt zu werden, was neueren Kuͤnſtlern zur Aufgabe dient. Sie enthalten alſo nur etwa die allgemeinſten Grundzuͤge der neueren Kunſt; in dieſe aber mit Nachdenken einzugehen, duͤrfte bey ſo großer Verbreitung und zerſtreuenden Mannigfaltigkeit der Beziehung, als unſeren Zeiten nun einmal verliehen iſt, dem modernen Kuͤnſtler ge - wiß nicht bloß erſprießlich, vielmehr auch ganz unumgaͤng - lich ſeyn*) Winckelmannund andere Gelehrte, welche nach ihm die Kunſtgeſchichte des claſſ. Alterthumes, oder deren einzelne Seiten beſchrieben haben, legen ein großes Gewicht auf jene Gleichfoͤrmig -.
11 *164Auf zweyen, zwar verſchiedenen, doch vereinbaren We - gen kann der Kuͤnſtler darlegen, was ſeine Seele bewegt: durch Andeutung und Darſtellung. Das Angedeutete erfordert, um verſtaͤndlich zu ſeyn, daß die Begriffe und Gedanken, welche es bezielt, im Geiſte des Beſchauenden ſchon ausgebil - det vorhanden ſeyen; das Dargeſtellte aber kann auch ganz Neues und noch Unbekanntes offenbaren, da es nicht nach*)keit der Behandlung verwandter Aufgaben, welche in den beſten Abſchnitten der alten Kunſt aus religioͤſem Eingehen in vorgebildete Ideen, in ſpaͤteren indeß wohl nur aus platter Nachahmung her - vorging. In juͤngeren Zeiten entſtand aus der Auffaſſung dieſer Seite antiker Kunſt (die Uebergaͤnge habe ich ſelbſt erlebt) die An - ſicht: daß der moderne Kuͤnſtler, um dem Alten weſentlich gleich zu ſeyn, ebenfalls den Typus zu befolgen habe, den das Alterthum ſeiner eigenen Richtung beſtimmten, laͤngſt ſchon ausgebildeten Kunſtideen aufgedruͤckt. Gewiß war dieſe Anwendung, gegen welche die Nachahmer des griechiſch Alterthuͤmlichen ſich verſchiedentlich aufgelehnet, an ſich ſelbſt ganz folgerecht. Zweyerley indeß ſcheint mir in den bisherigen Verſuchen, das Muſter des Alterthumes auf dieſe Weiſe zu befolgen, nicht voͤllig richtig zu ſeyn und daher den Erfolg aufzuhalten. Gleich vielen Kennern des claſſiſchen Alter - thumes verwechſeln, wenn ich nicht irre, auch einige neuer Ge - ſinnte ein bloß aͤußerliches Nachahmen mit dem nur allein frucht - baren Eingehen in den Geiſt traditioneller Aufgaben; daher haͤufig ein zu aͤußerliches, zu mechaniſches Nachbilden, welches mehr da - hin fuͤhrt, den Beſchauer durch ungewohnte Foͤrmlichkeiten zu uͤber - raſchen, als die Idee der Aufgabe deutlicher hervorzuheben. Zwey - tens geht man offenbar nicht weit genug zuruͤck, und begnuͤgt ſich das Mittelalter zu durchforſchen, in welchem jene aͤlteſten Typen bereits durch die Eigenthuͤmlichkeiten neuerer Nationalſchulen ab - geaͤndert und nicht mehr ſo rein vorhanden ſind, als ein ſo conſe - quent-chriſtlicher Typolog ſie erſehnen wird, wie der Vf. einer Abhandlung uͤber chriſtliche Ideale, im zweyten Jahrgange des Al - manachs aus Rom.165 willkuͤhrlichen Vereinbarungen, ſondern nach allgemeinen Ge - ſetzen und nothwendigen Analogien dem Sinne unwiderſtehlich ſich aufdraͤngt. Es ſcheint, daß die Chriſten der fruͤheſten Zeit die leichtere, genau genommen, ganz unkuͤnſtleriſche An - deutung der Darſtellung vorzogen. Denn, obwohl die Denk - male des einen, wie des anderen Kunſtweges der Zeit nach ſich durchkreuzen, ſo tragen doch ſolche, welche bloß Allegorieen und willkuͤhrliche Symbole enthalten, das Gepraͤge der Ab - kunft aus einem hoͤheren Alterthume, wie ſie denn ſelbſt, was hier entſcheidend zu ſeyn ſcheint, auch uͤberall die ſeltneren ſind.
Unter dieſen halte ich die Wandmalereyen der Gruͤfte des heil. Calixtus, welche zur Zeit des Boſiusaufgedeckt und von ihm in Abbildungen herausgegeben worden*) Bosio, Ant. Ro., Roma sotterranea, Roma1632. fol. Die Abbildungen dieſes Werkes, welche ein geſchickter Kupferſtecher, Cherubin Alberti, verfertigt hat, ſind etwas gleichfoͤrmig, verbeſ - ſern viele unfoͤrmliche Denkmale, waͤhrend ſie in ſchoͤneren, wie im Sarcophag des Jun.[Baſſus], nicht das ganze Kunſtverdienſt ih - res Vorbildes hervorheben., fuͤr beſon - ders bemerkenswerth. Die Abbildungen werden wenigſtens ſo treu ſeyn, als ſolche, die wir noch mit ihren Urbildern ver - gleichen koͤnnen. Was darin unſtreitig zuverlaͤſſig, beſteht in der Vertheilung des Raumes auf Weiſe antiker Wandmale - reyen, und in der Bezeichnung chriſtlicher Vorſtellungen durch mythiſche Charactere und Handlungen, welche jenen, wenn auch nur entfernt, verwandt ſind. An anderen Denkmalen, deren Erfindung den Ausdruck etwas ſpaͤterer Zeiten traͤgt, an den muſiviſchen Deckengemaͤlden der Kirche Sta. Conſtanza bey Rom, an der großen Graburne von Porphyr, gegenwaͤr -166 tig im Pio-Clementino, ſind bacchiſche Symbole verwendet, deren Beziehung nahe liegt*)Dahin gehoͤren auch die Gegenuͤberſtellungen antiker und bibliſcher Helden, z. B. des Theſeus und David, ſ. Ciampini, vet. mon. Romae1699. p. 4.. Doch verloren ſich dieſe, viel - leicht bedenklichen, gewiß etwas weit hergeholten mythiſchen Allegorieen ſehr fruͤh, und nur in den Beywerken, uͤbrigens rein chriſtlicher Darſtellungen, erhielten ſich bis in das ſpaͤtere Mittelalter einige, hier ſchon nicht mehr auf Chriſtliches ge - deutete, Symbole der alten Welt, aus welchen, bey allgemei - nem Wiederaufleben des Geiſtes, die moderne Anwendung der Allegorie ſich mag entwickelt haben.
So findet ſich in verſchiedenen Elfenbeinſchnitzwerken des neunten bis eilften Jahrhunderts, welche ich ſpaͤterhin naͤher anzeigen werde, in der Darſtellung des Gekreuzigten der auf - gehende Mond, die untergehende Sonne durch die bekannten Perſonificationen des Alterthums angedeutet. Auf gleiche Weiſe erſcheinen die Staͤdte und Fluͤſſe nach altgriechiſcher Art perſonificirt in einer anziehenden Pergamentrolle der Vaticana, auf deren einer Seite die Hauptereigniſſe des Buches Joſua**)Abgebildet bei D’Agincourthist. de l’Art, T. III. Peinture Part. II. Pl. 28. fs. Dieſe, wie andere Nachbildungen ueugriechi - ſcher Miniaturen ſind in dieſem Werke meiſt nach den Originalen gemacht, und ziemlich genau. Hingegen ſind die verkleinerten Nach - bildungen, vornehmlich ſolche, welche aus Kupferwerken entlehnt worden, durchhin unbrauchbar. ſehr leicht und mit maleriſchem Geiſte in Acquarellfarben ge - zeichnet, und hie und da etwas aufgehoͤht ſind. Dieſe Rolle indeß gehoͤrt, wiewohl die Schrift des Textes ſchon ziemlich curſiv, alſo verhaͤltnißmaͤßig neu iſt, doch der Erfindung nach ganz offenbar zu den aͤlteſten Denkmalen chriſtlicher Kunſt. 167Ihre Malereyen ſind unſtreitig copirt; denn in den Gelenken, in den Haͤnden und Fuͤßen zeigt ſich derſelbe Mangel an Ein - ſicht, der in den griechiſch-mittelalterlichen Malereyen uͤberall vorkommt; allein in dem Geiſte der Erfindung, in den Trach - ten und Bewaffnungen, ſteht ſie dem claſſiſchen Alterthume ſo nahe, daß mir unter den altchriſtlichen Denkmalen durch - aus nichts vorgekommen iſt, was, kuͤnſtleriſch betrachtet, gleich trefflich waͤre. An einer Stelle, wo Beſiegte vor dem Seſſel des Feldherrn um Gnade flehen, draͤngt ſich die Vermuthung unwiderſtehlich auf, daß dem erſten Erfinder irgend ein Achill, ein Alexanderoder ein anderer Kriegesfuͤrſt des Alterthumes vorgeſchwebt, in welchem menſchliches Mitleid und kriegeriſche Strenge um die Oberhand kaͤmpfen.
Der groͤßte Theil indeß alles deſſen, was in den alt - chriſtlichen Denkmalen mehr in das Gebiet der Andeutung faͤllt, als in jenes andere der aͤcht kuͤnſtleriſchen Darſtellung, iſt geradehin aus chriſtlichen Erinnerungen, Gebraͤuchen und Vorſtellungen entſtanden. Unter dieſen wird uns freilich nur Solches betreffen, was auf irgend eine Weiſe in die Kunſt hinuͤbergreift; alle, oder doch die meiſten außerkuͤnſtleriſchen Symbole der Chriſten, ſind ohnehin erſt vor Kurzem mit großer Sorgfalt in einer belehrenden Monographie verei - nigt worden*) Muͤnter, Dr. Fr., Sinnbilder und Kunſtvorſtellungen der alten Chriſten, Altona1825. 4. zwey Hefte. In dieſem Werke des gelehrten Biſchofs werden ſolche, welche dieſen Zweig der Kunſtge - ſchichte weiter ausbilden wollen, als hier meine Aufgabe iſt, einen wichtigen Theil ihrer Lit. verzeichnet finden..
Unter den Allegorieen, welche auf Gleichniſſe und bedeu - tendere Vorgaͤnge der Schrift gegruͤndet worden, iſt der gute168 Hirt leichtlich die aͤlteſte. Denn obwohl unter ſo vielen, wel - che ich geſehen, nur eine Statue des guten Hirten — zur lin - ken des Einganges in das chriſtliche Muſeum der Vaticana — einiges techniſche Kunſtverdienſt beſitzt, ſo duͤrfen wir doch aus dem guten Anſehen dieſes einzigen Werkes auf ein ziem - lich hohes Alterthum der Vorſtellung ſchließen. Freilich wur - den noch in ſehr ſpaͤter Zeit, in der Mitte des vierten Jahr - hunderts, ſehr loͤbliche Bildnereyen verfertigt, welche der be - merkten Statue durchaus nicht nachſtehen. Durch Boſiusiſt die Graburne des Junius Baſſusbekannt, welche ich in den Gewoͤlben der Peterskirche zu Romverſchiedentlich mit Intereſſe betrachtet habe; dieſe faͤllt nach der Inſchrift, die keine aͤußere Spur von Verfaͤlſchung zeigt*)Ich habe fruͤher im Kunſtblatte 1821, Nr. 12, angedeutet, daß ſie von dem Verzeichniß der Praͤfecten bey Almeloveen(Fasti Consulares, Amstel. 1740. 8. vergl. Jac. Gothofred. Chronol. cod. Theodos. ad. a. Chr. 359) um ein Geringes abweicht. — In Be - zug auf die gute Arbeit gewaͤhren vornehmlich die Diptycha man - ches Gegenſtuͤck, wie jenes der barberiniſchen Bibliothek, welches, nach den Muͤnzen, Conſtantius II. beygemeſſen wird, wo das Bild - niß zu Pferde gewiß ſehr ſchaͤtzbare Arbeit zeigt. Vergleiche Gori, Thes. vet. Diptych. und andere vereinzelte Abbildungen von Denk - malen derſ. Art und Beſtimmung. Die ſchaͤtzbare Sammlung von Denkmalen dieſ. Art, welche der Abbé[Triulzi]zu Maylandver - einigt hatte, werde ich ſpaͤter beruͤhren. Hier, wie in anderen Sammlungen, und ſelbſt bey Gori, werden nur zu haͤufig die klei - nen Altartafeln des dunkleren Mittelalters, ſogar Bruchſtuͤcke von Reliquiarien, mit den Diptychen der letzten Jahrh. des roͤm. Rei - ches durcheinander geworfen., in die Mitte des vierten Jahrhunderts; und der Arbeit nach duͤrfte die um etwas ſchoͤnere Graburne unter einem Altare der Franciscaner - kirche zu Perugia, nur um Weniges aͤlter ſeyn. Vieles jedoch,169 was der Sinn wohl wahrnimmt, doch die Sprache nimmer ausdruͤckt, entſcheidet mich zu glauben, daß jene Statue in noch aͤlterer Zeit gebildet worden; denn ſicher zeigt ſie, bey gleichem oder geringerem Kunſtgeſchicke, doch ein feineres Ge - fuͤhl fuͤr die Bedeutung der Geſichtsformen*)Vor einigen Jahren habe ich uͤber die bildneriſche Behand - lung dieſer Statue nachſtehende Bemerkungen aufgezeichnet: Sie iſt vom halben Schenkel abwaͤrts reſtaurirt, eben ſo beide Arme, mit Ausnahme der linken Hand, und am Kopfe die Kno - chenwoͤlbung uͤber dem rechten Auge, die Naſe, ein Theil der Lip - pen und das Kinn. Die Augen ſtehen nicht gleich; demungeachtet iſt die Form der antiken Theile nicht unſchoͤn, der Ausdruck liebenswerth, auch in Hals und Bruſt einige Ausbildung der Theile. Die Falten der Tunica haben einzelne ſehr gute Parthieen; im Ganzen iſt ihre Behandlung antik, nur nicht alles gleich gut ent - wickelt. Die Tunica iſt um die Huͤften aufgebunden. Das Haar iſt durch tief eingebohrte Loͤcher ausgedruͤckt, die Wolle am Schaafe etwas gezwungener, doch aͤhnlich behandelt.; ſo wie endlich die Vorſtellung an ſich ſelbſt ſo ſehr im Geiſte der antiken Kunſt zu ſeyn ſcheint, daß ich, auch abgeſehen von der er - waͤhnten Figur, nicht anſtehen wuͤrde, ihre erſte Auffaſſung ſehr fruͤhen Zeiten des Chriſtenthums beizulegen. Ueberhaupt halte ich, unter rein chriſtlichen Allegorieen, ſolche fuͤr die aͤl - teren, welche ſich auf bibliſche Gleichniſſe ſtuͤtzen; die bibliſch - geſchichtlichen aber durchhin fuͤr die neueren. Unter den letz - ten ſind bekanntlich die Anſpielungen auf die Wiedergeburt, der Prophet Jonas, die Erweckung des Lazarus, die Ver - wandlung des Weines und aͤhnliche bey weitem die gewoͤhn - lichſten. Es wundert mich, daß die Denkmale, an denen ſie vorkommen, groͤßtentheils von der roheſten Arbeit ſind. Viel - leicht glaubte man, es genuͤge, den Gedanken nur anzudeu -170 ten; vielleicht auch ſank die Kunſt zu Rom, nachdem der Hof nach Ravennagezogen; wahrſcheinlich indeß ward die Bildne - rey durch das neu erwachende Intereſſe an maleriſchen, vor - nehmlich muſiviſchen Darſtellungen, fuͤr den Augenblick zu - ruͤck gedraͤngt.
Die hohe techniſche Ausbildung, welche die Muſivmale - rey ſchon im claſſiſchen Alterthume erlangt hatte, laͤßt vermu - then, daß die Maler chriſtlicher Gegenſtaͤnde ſchon fruͤh ſich dieſer Kunſtart bedient haben; und nicht minder, daß die fruͤ - heſten Verſuche techniſch auch die beſten waren. In ſo weit, als das beſchaͤdigte und ſtark wieder hergeſtellte Chriſtusprofil im chriſtlichen Muſeo der Vaticana hiſtoriſchen Glauben ver - dient, ſcheint es zu den aͤlteſten Beyſpielen ſeiner Art zu ge - hoͤren, und mehr Geſchicklichkeit und mehr Kenntniß der na - tuͤrlichen Typen zu verrathen, als der groͤßere Theil der zu Romund Ravennaerhaltenen Kirchenzierden derſelben Kunſt - art. Indeß ward die muſiviſche Malerey erſt um das fuͤnfte Jahrhundert durch Errichtung prachtvoller Baſiliken beguͤnſtigt, deren viele zu Romund Ravennabis auf unſere Zeiten ſich erhalten haben*)Ueber die Menge und Groͤße ſolcher Unternehmungen waͤh - rend des fuͤnften und ſechsten Jahrhunderts ertheilen uns verſchie - dene Schriftſteller derſelben, oder doch nur um wenig ſpaͤteren Zeit ziemlich umſtaͤndliche Nachrichten. Procop. de aedif. Justiniani. Venet.1729; Agnelli, liber pontificalis (To. II scriptt. rer. Ital.). P. 1; Anast.bibl. ib. To. III. durchhin. — Sogar im mittleren Frankreichward nach Einwanderung der Weſtgothen und Burgun - dionen noch immer manche praͤchtige Baſilika erbaut; ſ. Gregor.Tur. hist. Franc. (To. I. scriptt. h. Franc. op. Du Chesne) lib. II. No. XIV — XVI. — Ueberall aber, hier wie dort, werden muſivi - ſche Wandverzierungen angefuͤhrt, welche, wenigſtens in Italien,. Die großen Mauerflaͤchen und weitge -171 ſprengten Gewoͤlbe, welche das Innere dieſer Gebaͤude darbot, gewaͤhrten damals zuerſt Gelegenheit, die Malerey in der Verſinnlichung ſittlicher und goͤttlicher Hoheit, durch eine ſchreckhafte Groͤße zu unterſtuͤtzen; hierdurch wiederum wurde die Kunſt ſowohl veranlaßt, als erfaͤhigt, mehr und mehr von der Andeutung zur wirklichen Darſtellung, von willkuͤhrlichen Zeichen zu ſolchen Charakteren uͤberzugehen, deren Bedeutung nach einem allgemeinen Naturgeſetze, und ohne vorangehende Uebertragung in Begriffe, der Anſchauung ſelbſt unmittel - bar einleuchtet.
Freilich giebt es in den Darſtellungen der muſiviſchen Epoche ſehr Vieles, ſo in ein weit hoͤheres Alterthum, viel - leicht bis in die erſten Jahrhunderte des Chriſtenthumes zu - ruͤck verweiſet. Der Heiland, die Apoſtel und die Propheten erſcheinen darin jederzeit in ſtreng alterthuͤmlicher Bekleidung, in langer Tunica mit uͤbergeſchlagenem Pallium, in nackten, durch Sandalen geſchuͤtzten Fuͤßen; neuere Heilige dagegen in reichen und barbariſchen Trachten, die Fuͤße aber durchhin be - kleidet*)So in einem der beſten muſiviſchen Gemaͤlde der roͤmiſchen. Auch ſcheint es nicht ohne aͤußere Veranlaſſung,*)an vielen Stellen ſich erhalten haben. Die aͤlteſten unterſcheiden ſich durch groͤßere Annaͤherung an Foͤrmlichkeiten der claſſiſchen Kunſt. So zu Romin S. Maria maggiore die freilich ſehr be - ſchaͤdigten Muſive des Mittelſchiffes uͤber den Saͤulen; und[das] halb verſenkte, doch wohl etwas neuere, der Tribune von S. Pu - dentiana. Waͤren die Muſive des großen Bogens der jetzt abge - brannten Paulskirche zu Romnicht, wie aus Ciampini’saͤlte - ren Abbildungen zu erſehen, ſehr ſtark reſtaurirt, ſo wuͤrden wir ſchließen muͤſſen, daß dieſe Kunſt, wenigſtens zu Rom, um Theo - doſius des GroßenZeit zuruͤck geſchritten ſey, ſpaͤter ſich wiederum gehoben habe.172 daß die Apoſtel Petrusund Paulusin allen Gemaͤlden dieſer und ſpaͤterer Zeiten immer daſſelbe ganz bildnißartige Anſehen haben, wovon ich durch eine genaue Nachbildung, welche aus einem der ſchoͤnſten Denkmale des ſechsten*)Wahrſcheinlicher ward dieß Werk von Felix III, geſt. 530, angeordnet. S. Ciampinivet. mon. P. II. ed. Ro.1699. p. 56. Jahrhunderts entnommen iſt, dem man ſeine grelle Darſtellungsweiſe ſchon nachſehen wird, der - einſt ein Beiſpiel zu geben hoffe. Allein der Kunſtgriff, allen dieſen Geſtalten ein uͤbermenſchliches Anſehen zu geben; durch ihren Charakter, durch ihre Stellung und Gebehrde heilige Schauer zu bewirken, konnte nicht wohl fruͤher in Anwendung kommen, als nachdem Baſiliken und andere Tempel von großem Umfang dem neuen Dienſte errichtet worden.
In dieſen Zeitraum verſetzen wir demnach, wenn nicht die erſte Auffaſſung, doch die Ausbildung und Befeſtigung je - ner Wuͤrde des Charakters, jener Feyer in Stellungen und Gebehrden, welche zu allem Ernſten und Gediegenen der neue - ren und chriſtlichen Kunſt den Grundton angegeben. Die Nachwirkung der Richtung dieſer Zeit verſoͤhnt ſelbſt mit den unfoͤrmlichſten Verſuchen der roheren Abſchnitte des Mittelal - ters; wie ſollte es denn nicht erfreulich ſeyn, zu ſehen, wie dieſelben Vorſtellungen, welche ſelbſt in den ſchlimmſten Zei - ten nicht durchaus verkuͤmmern konnten, verjuͤngt und in maͤnnlicher Schoͤnheit und Reife in Raphaelsgefeyerteſten Werken wieder aufleben. Ich bezeichne hier ſolche, in denen der Gegenſtand, gleichwie in den Tapeten, oder auch in der*)Kirchen, in der Tribune von S. Coſimo und Damiano, wo Chri - ſtus und die Apoſtel in antiker, ein ſpaͤterer Seeliger, deſſen Na - me im Felde angemerkt iſt, in Stiefeln und etwas neuerer Klei - dung erſcheint.173 Disputa, die Annaͤherung an das Hochalterthuͤmliche geſtat - tete. Denn Gegenſtaͤnde der Kunſt, welche um Vieles ſpaͤter aufgekommen, gleich den Madonnen, gleich der Leidensge - ſchichte, gleich den Lebensereigniſſen neuerer Heiligen, beruhen, wie ſie denn ſchon aus einer ganz anderen Stimmung und Anſicht hervorgegangen, ſo auch auf ihren eigenen Vorbildern, welche ungleich ſpaͤter, im vorgeruͤckten Mittelalter, ihre Wur - zeln verbreiten.
Waͤre es uͤberhaupt meine Abſicht, die aͤlteſten Kunſtver - ſuche der Chriſten bis in das Einzelne zu verfolgen, ſo wuͤrde ich doch dem Stoffe nach kaum uͤber die weitlaͤuftigen, aber geiſtloſen Werke des Boſiusund Ciampini, uͤber Fu - rietti’sMuſive und Gori’sDiptycha, uͤber die Compilation des Molanusund die Topographen von Ravenna, wie end - lich uͤber Buonaroti’streffliche Monographien*)Osservazioni sopra alcuni frammenti di vasi antichi di vetro ornati di figure, trovati né cimister di Roma. Firenze1716. 4. Der groͤßte Theil der oben bezeichneten Buͤcher iſt uͤberall bekannt. Die Topographie von Ravenna, welche am Agnelluseine wich - tige Quelle beſitzt, und nach ihm ſchon von Rubeusund Fabribearbeitet worden, hat noch im achtzehnten Jahrh. große Nachhuͤlfe erhalten. — Molanuswird durch Ayala, pictor. Christ. erudi - tus unterſtuͤtzt, und wenn beide nur als Vorarbeit genuͤgen koͤnnen, ſo giebt Kopp, Ulrich Friedr., Bilder und Schriften der Vorzeit, Mannheim1819. 8., ein Buch, welches ich leider nur aus einer guͤnſtigen Beurtheilung kenne, wahrſcheinlich die noͤthige Aushuͤlfe. hinausge - hen koͤnnen. Eine fruchtbare Bemuͤhung um dieſen Gegenſtand erheiſcht aber einestheils eine eigene, in unſeren Tagen unter Kunſtfreunden ſeltene Gelehrſamkeit, die Kenntniß der Vaͤter und der Concilien, anderntheils eine genaue Durchforſchung weit verſtreueter Alterthuͤmer, welche nicht mit Erfolg anzu -174 ſtellen iſt, wenn man unterlaͤßt, oder die Mittel nicht anwen - den will, jedes Denkmal einzeln zeichnen zu laſſen, um nach Beduͤrfniß ſeinen Stoff verſammelt vor Augen zu haben. Fuͤr meinen beſchraͤnkten Zweck genuͤgt es indeß, das Durchwal - tende hervorzuheben, vornehmlich, in ſo fern es die Geſchichte der neueren Kunſt begruͤndet und aufklaͤrt. Und da ich ſolches bereits, ſo viel als mir moͤglich war und nuͤtzlich ſchien, voll - bracht habe, ſo will ich mich jetzt darauf einſchraͤnken, in der Kuͤrze nachzutragen, was etwa noch unberuͤhrt geblieben.
Zunaͤchſt erinnere ich, daß, eben wie der Weltlehrer, die Propheten, die Apoſtel, oder wie die einzelnen Geſtalten der ſinnbildlich verwendeten bibliſchen Ereigniſſe, ſo auch die Mut - ter des Herrn, wo ſie vorkommt, ſtets in antiker Bekleidung erſcheint, nemlich in der Tracht roͤmiſcher Matronen; wie es denn an ſich ſelbſt bemerkenswerth iſt, daß die feſtſtehende Bekleidung dieſer alten Kunſtgebilde uͤberall mehr roͤmiſch als griechiſch iſt. Gleichfalls bedarf es einiger Erwaͤhnung, daß die ſinnbildlich-evangeliſchen Geſchichten fruͤhzeitig durch Bege - benheiten des alten Teſtaments vermehrt worden, theils ſchon des prophetiſchen Sinnes willen, theils auch um der noch vor - waltenden Triebkraft antiker Kunſt die Richtung auf Dinge zu geben, welche durch ihre entferntere Stellung zum Chriſten - thume den Spitzfindigkeiten des Sectengeiſtes weniger ausge - ſetzt waren.
Darſtellungen dieſer Art waren im chriſtlichen Alterthume nach den Schriftſtellern und Concilien uͤberaus gewoͤhnlich, wichen indeß ſpaͤterhin einigen neueren Vorſtellungen der Lei - densgeſchichte, deren ausfuͤhrlicher Darſtellung die aͤlteren Chri - ſten ſich lange erwehrt hatten; der Mutter mit dem Kinde; wie endlich den Bildniſſen und Lebensereigniſſen neuerer Hei -175 ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar - ſtellungen von Geſchichten des alten Teſtaments, wenn nicht durchaus unterbrochen, doch wenigſtens nicht ſehr lebhaft und thaͤtig, weshalb wir uns Gluͤck wuͤnſchen duͤrfen, daß, naͤchſt vielen in den kirchlichen Handſchriften verſtreueten Miniaturen und Zeichnungen, deren ſchoͤnſte ich oben erwaͤhnt habe, auch noch ein hoͤchſt bedeutendes Werk muſiviſcher Kunſt vorhanden iſt, aus deſſen Anordnung und Behandlung wir auf Solches ſchließen duͤrfen, ſo fuͤr uns untergegangen.
Ich bezeichne hier die muſiviſchen Deckengemaͤlde des aͤu - ßeren Ganges der venezianiſchen Marcuskirche. Dieſer Um - gang, welcher die weſtliche und ſuͤdliche Seite der Kirche um - ſchließt, iſt gegenwaͤrtig der einzige Theil dieſes beruͤhmten Gebaͤudes, der dem hoͤheren Alterthume der Chriſtenheit, und wahrſcheinlich den Zeiten des[Exarchates] angehoͤrt*)Nach den venez. Hiſtorikern und Topographen ward die Markuskirche ziemlich ſpaͤt gegruͤndet (zur Zeit der fraͤnkiſchen Groͤße, glaube ich zu entſinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre Angabe in Bezug auf die Gruͤndung einer Markuskirche ihre Richtigkeit hat. Venedighatte aber ſchon ungleich fruͤher Bedeu - tung ( Daruͤaus Caſſiodor; Muratori, Ant. It. Diss. 2.), und die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beſchraͤnkt - heit des Raumes, ſchon die Stelle einer aͤlteren Hauptkirche des Rialtogeweſen ſeyn. So daß jener gewiß nicht ſpeciell beurkun - dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begruͤndete Vermuthung ei - nes hoͤheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt.. Die Kirche ſelbſt, wie das Aeußere der Giebelſeite, iſt in einer ge - miſchten gothiſch-neugriechiſchen Manier erneuert, und da ein Theil jenes Umgangs aͤußerlich von der italieniſch-gothiſchen Vorſeite, nach innen aber von dem Koͤrper der Kirche einge - ſchloſſen iſt, ſo erkennt man ſein hoͤheres Alter, theils ſchon176 aus den Proportionen und Eintheilungen, welche nicht den erwaͤhnten Neuerungen, ſondern dem ſpaͤtroͤmiſchen Alterthume entſprechen, theils aus den Deckenverzierungen ſelbſt, welche denen der ravennatiſchen Kirchen im Ganzen aͤhnlich ſind, doch, wie mir ſcheint, die gegenwaͤrtig vorhandenen durch - hin uͤbertreffen.
Die Decke des Umganges beſteht in ſeiner ganzen Laͤnge aus flachen, kuppelfoͤrmigen Gewoͤlben, deren Verbindungen und Uebergaͤnge viel Eigenthuͤmliches haben. In jeder dieſer ſanft ausgewoͤlbten Scheiben ſind Geſchichten des alten Teſta - ments in Figuren von mittelmaͤßiger Groͤße ausgefuͤhrt; ſie ſtehen auf weißem Grunde, wie die muſiviſchen Verzierungen des inneren Umganges der Kirche S. Coſtanza, außerhalb Rom; ihre Beywerke ſind untergeordnet, etwa wie in halber - hobenen Arbeiten; innerhalb jedes Kreiſes findet keine Abſon - derung ſtatt; ſie ſind endlich in kleineren Glasſtiften, und nicht ohne Zierlichkeit und verhaͤltnißmaͤßiges Kunſtgefuͤhl aus - gefuͤhrt. Nehmen wir hinzu, daß in keiner dieſer Darſtellun - gen einige Spur mittelalterlicher Trachten und Baulichkeiten vorkommt, daß ſie durchaus, bis in ihre aͤußerſten Beywerke herab, mit geringen Modificationen antik ſind; daß dieſe Mo - dificationen keine andere ſind, als ſolche, welche vom vierten bis achten Jahrhundert uͤberall ſich geltend machen, ſo duͤrfte es nicht zu gewagt ſcheinen, wenn ich das Werk eben dieſen Zeiten beymeſſe, und vermuthe, daß ſolches aus der Schule von Ravennaentſproſſen ſey, zu deſſen Behoͤrden das damals ſchon nicht unbedeutende Venedigim naͤchſten Verbande ſtand.
Ich enthalte mich, dieſes Hauptwerk unter den altchriſt - lichen Malereyen zu zergliedern; die Schoͤnheiten der Anord - nung und Auffaſſung, welche daruͤber reichlich verbreitet ſind,wer -177werden hoffentlich bald einige Kuͤnſtler oder Kunſtfreunde ver - anlaſſen, ein ſo wichtiges Werk mit Geſchmack und Genauig - keit in den Druck zu geben, ehe es, wie ſo viele andere zu Romund Ravenna, durch Vernachlaͤſſigung untergeht.
Es ſcheint demnach, daß die Kuͤnſtler, denen wir die Erfindung und erſte Geſtaltung ſo viel trefflicher Vorſtellungen zu danken haben, im Ganzen angeſehen, zwar der Gewandt - heit und des einſichtsvollen Gebrauches der noͤthigſten Kunſt - mittel, doch keinesweges des Geiſtes oder des Gefuͤhles ent - behrten. Verſetzen wir uns nur in jene Zeiten zuruͤck, wo Tod und Verwuͤſtung und ſchlechte Staatseinrichtungen zuſam - menwirkten*)S. Ammianuͤber die Verwaltung unter Valentinianund uͤber den Einbruch der Gothen in Thracien und in die angrenzen - den Provinzen. Dieſe Ereigniſſe waren indeß nur das Vorſpiel je - nes allgemeinen Verderbens, welches erſt im fuͤnften und ſechsten Jahrhundert eintrat., jenen Schatz von Geiſtesbildung zu zerſtoͤren, den vom aͤußerſten Orientbis in den Weſten hundert Voͤlker mehr als ein Jahrtauſend lang geſammelt und gemehrt hat - ten. Wer unter ſo grauſamen Verhaͤltniſſen nicht gaͤnzlich ver - ſank, wer noch damals Neues zu denken, der Nachwelt neue Bahnen vorzuzeichnen faͤhig war, in dem wohnte ſicher kein ſchwacher, kein gemeiner Geiſt. Doch bevor wir den guͤnſtig - ſten Zeitpunct dieſer gleichmaͤßig aufſtrebenden und verſinkenden Kunſtepoche verlaſſen, duͤrfte es noch in Frage kommen, wel - chem Volke, welcher Gegend des Alterthumes ſo unverzagte Gemuͤther entſproſſen waren.
Erwaͤgen wir, daß unter den kunſtbegabten Griechen viele ſehr fruͤh, vielleicht ſchon aus Gruͤnden ihrer eigenen Philoſo - phie, der chriſtlichen Anſicht geneigt waren, ſo wird uns dieI. 12178Vermuthung nahe liegen, daß griechiſche Kuͤnſtler die neue Kunſt gegruͤndet, oder deren wichtigſte Vorſtellungen zuerſt aufgefaßt und ausgeſtaltet haben. Indeß finden ſich nur we - nig Namen*) Milizia(stor. degli architetti) hat einige Namen geſam - melt. Man deutet auch einige Monogramme an Gebaͤudetheilen auf Kuͤnſtlernamen (Commentatoren des Agnellus). Wenn ich mich recht entſinne, finden ſich bey einigen Vaͤtern Kuͤnſtlernamen. altchriſtlicher Kuͤnſtler, und wenn auch aus dieſen mit einiger Sicherheit auf deren Abkunft zu ſchließen waͤre, ſo iſt es doch nichts weniger als ausgemacht, daß ge - rade dieſe Kuͤnſtler, deren Namen wir durch Schriften kennen lernen, die Gruͤnder eben der Kunſtideen geweſen, welche wir in den Denkmalen wahrnehmen. Es fehlt uns alſo, ſelbſt wenn wir jene Vermuthung dahin bedingen, daß etwa nur ein Theil der aͤlteſten Kunſtideen der Chriſten von griechiſchen Kuͤnſtlern erfunden und ausgebildet worden, ſo wahrſcheinlich ſie ſeyn moͤge, doch auch dafuͤr aller hiſtoriſche Beweis. Wie wuͤrden wir alſo erweiſen koͤnnen, daß den alten Griechen die - ſes Verdienſt, wie Einige anzunehmen ſcheinen, ganz aus - ſchließlich angehoͤre? Gewiß iſt es gegenwaͤrtig unmoͤglich, nach dem bloßen Anſehen den griechiſchen oder roͤmiſchen Ur - ſprung der einzelnen Darſtellungen zu erkennen, wie denn die Bildung der Griechen und Roͤmer ſchon in den erſten chriſtli - chen Zeiten ſo innig verſchmolzen war, daß auch in anderen Beziehungen die urſpruͤngliche Verſchiedenheit ſich mehr und mehr verwiſchte. Wir werden demnach, was irgend Griechen oder Roͤmer, vielleicht ſelbſt Barbaren, in den erſten Jahr - hunderten des Chriſtenthumes gemalt und gemeißelt haben, in dem einen allumfaſſenden Begriff altchriſtlicher Kunſtbeſtrebun - gen vereinigen muͤſſen.
179Uebrigens duͤrfen wir nicht uͤberſehen, daß Romdamals noch die Hauptſtadt der Welt war; daß, eben wie die letzten Anſtrengungen der antiken und heidniſchen Kunſt, wie immer die Griechen daran noch Theil nahmen, doch in Romund zur Verherrlichung Romsangeſtellt wurden, ſo auch die fruͤheſten Unternehmungen der neuen und chriſtlichen eben nur dort beſonders beguͤnſtigt werden und gedeihen konnten. Da - her, denke ich, die roͤmiſche Bekleidung der aͤlteſten Geſtaltun - gen der chriſtlichen Kunſt. In der Folge freilich entſtanden im neuen Rom, der Stiftung Conſtantins, und noch ſpaͤter in Ravennaneue Mittelpuncte; und es duͤrfte ſcheinen, als muͤſſe mindeſtens Conſtantinopelſchon unmittelbar nach ſeiner Stiftung eine ganz griechiſche Stadt geweſen ſeyn. Allein beide Gruͤndungen waren, was hier entſcheidet, bloße Nach - ahmungen des alten Roms*)Wie wenig Conſtantinopelnoch gegen Ende des vierten Jahr - hunderts den Vergleich mit dem alten Romaushielt, lehrt bey Ammian, das Erſtaunen Conſtantius II.— Die lateiniſche Epi - graphe der Muͤnzen von Conſtantinopel, der Kaiſermuͤnzen uͤber - haupt, verliert ſich erſt im ſiebenten Jahrhundert (ſ. Eckheldoctr. num.). — Lateiniſche Rechtsſchriften und Geſetzbuͤcher unter Theodoſ.u. Juſtinian, welche bekanntlich nicht fuͤr Italien, ſon - dern fuͤr das geſammte Reich angeordnet worden., und es iſt gewiß, daß Ra - vennadurchaus, Conſtantinopelgroßentheils aus roͤmiſchen Elementen erwachſen ſind. Eigenthuͤmlich Neugriechiſches wer - den wir demnach um Vieles ſpaͤter, und erſt nach dem ſie - benten Jahrhundert aufſuchen koͤnnen; welches, wie ich zu be - merken bitte, die hie und da in obigem Ueberblick erwaͤhnten Denkmale nicht uͤberſchreiten.
Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro - ßen gothiſchen Krieges entſpringt, wie es ſcheint, bey den Italienern des Mittelalters jenes unbeſiegbare Vorurtheil ge - en die Gothen, aus welchem zu erklaͤren iſt, daß man die - ſen, bis auf ſehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei - ſtes und der Fertigkeiten der Kunſt beygemeſſen, als wenn uͤberhaupt, in ſinnlichen und geiſtigen Dingen, die Aufloͤ - ſung jederzeit eine aͤußere Urſache vorausſetze. Daher, be - ſonders bey italieniſchen Schriftſtellern, der Gebrauch, jegli - ches Mißfaͤllige in Werken und Arbeiten der Kunſt gothiſch zu nennen; daher der Name der gothiſchen Architectur fuͤr ei - nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet ſehr durch - gebildeten Baugeſchmack, welcher bekanntlich nicht fruͤher, als im[dreyzehnten] Jahrhunderte entſtanden iſt, alſo lange nachdem die Volkseigenthuͤmlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver - ſchwunden war. Ich uͤbergehe fuͤr jetzt den Namen und Be - griff der gothiſchen Architectur, welche uns ſpaͤterhin beſchaͤfti - gen ſollen, und ſetze die Unſtatthaftigkeit jenes mittelalterlichen Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldloſigkeit an dem181 unaufhaltſamen Verfalle der Bildung der alten Welt als be - kannt voraus. Denn die Unterſuchungen neuerer Forſcher ha - ben allgemach eine verbreitete Anerkennung der Milde und Schonung herbeygefuͤhrt, welche die Gothen, vornehmlich un - ter Theodorich, doch auch noch unter den ſpaͤteren Regierun - gen, den ſchwachen Ueberreſten roͤmiſcher Bildung und Sitte bewieſen*)S. Muratori, autt. Ital. Diss. I.; Tiraboschi, sto. della lett. It. To. V. — Gibbonjedoch, dem die griechiſchen Quellen zugaͤnglicher waren, der uͤber Geſchmack und Sitte nicht, wie jene, durch den hoͤfiſchen Caſſiodorgeblendet wurde, faßte anderer - ſeits, als Britte, den militaͤriſch-politiſchen Geiſt der Verwaltung Theodorichsungleich ſchaͤrfer ins Auge. Vgl. unſeres Sarto - riusPreisſchrift..
Die Kunſtbeſtrebungen der aͤlteren Chriſten, die claſſiſch alterthuͤmlichen, hatten ja ohnehin laͤngſt aufgehoͤrt, erlitten demnach waͤhrend der gothiſchen Herrſchaft uͤber Italiendurch - aus keine Hemmungen, noch erhielten ſie, wie man vormals gewaͤhnt, eine neue oder ganz verſchiedene Richtung. Im Ge - gentheil ward die Muſivmalerey eben in der Richtung, welche wir oben im Ganzen uͤberſehen haben, mit Erfolg und Eifer fortgeuͤbt, und, wenn wir einigen Berichten ſo unbedingt trauen koͤnnten, ſo waͤre ſogar die Bildnerey, deren gaͤnzliche Abnahme ſeit der Mitte des vierten Jahrhunderts ſchon in Erinnerung gekommen, in dieſer Zeit von neuem in etwas vorgeſchritten.
Ein Vertrag des Theodahatbey Procop**)De bello Goth. lib. V. cap. VII.ſetzt den Gebrauch voraus, den gothiſchen Koͤnigen und ihren Oberher - ren, den oſtroͤmiſchen Kaiſern***)Dieſen wurde, obwohl ſparſam, doch immer auch noch, Denkſaͤulen zu errichten;182 gewiß aber befand ſich vorzeiten eine Statue Theodorichsaus Erz auf dem Giebel einer Vorhalle des koͤniglichen Palaſtes zu Ravenna. Jener Vertrag indeß bezieht ſich auf kuͤnftige moͤgliche Faͤlle, die nach den Umſtaͤnden nicht wohl koͤnnen eingetreten ſeyn; und die Statue zu Ravennagalt nach einem Geruͤchte, welches noch den Agnelluserreicht hatte, fuͤr eine Statue des Kaiſers Zeno, welche nur durch Inſchrift oder ſonſtige Zeichen zu einer Denkſaͤule des Koͤnigs Theodorichumgeſtaltet worden*) Agnell.lib. pont. vita Petri sen. cap. 2. (ap. Murat, scriptt. To. II. p. 123). In der Beſchreibung der Statue folgte Agnel - lusſchon entlegenen Erinnerungen, und giebt vielleicht eben daher manche Beywerke an, die in Statuen nicht wohl ſtatt finden koͤn - nen. — Bacchini, not. ad Agn.macht aus der einen Statue ver - ſchiedene. Zirardini, degli Edifizi profani di Ravenna, Faenza1762. 8. p. 109. hat aufmerkſamer geleſen.. Erwaͤgen wir die techniſchen Schwie - rigkeiten der Bronzeguͤſſe; ferner, daß Karl der Große, dem roͤmiſche Alterthuͤmer bekannt waren, ſie bewunderte, und mit andern Zierden deſſelben Palaſtes nach Achenentfuͤhrte; ſo duͤrfte die Vermuthung nahe liegen, ſie ſey ein antikes Werk geweſen, was vielleicht auch von anderen Ehrenſaͤulen dieſer Zeit vorauszuſetzen iſt.
Wie es ſich nun mit der Bildnerey der gothiſchen Zeit verhalten moͤge, von welcher, Bauverzierungen und Muͤnzen ausgenommen, kein Denkmal auf uns gekommen iſt, ſo machte man doch ſicher nicht jene muſiviſch incruſtirten, oder gar aus kleinen Stuͤcken zuſammengeſetzten Statuen, von de -***)ſpaͤterhin manches Ehrenbild in Marmor oder Metall errichtet. S. die Auszuͤge aus den Quellen bey Banduri, in Heyne, se - rioris artis opp. sub Impp. Byz. sect. I. (comm. soc, reg. scient. Goetting.vol. XI.)183 nen Tiraboſchigetraͤumt hat*) Tirab.sto. della lett. It. To. c. lib. I. c. VII. §. 8. — tutta composta di sassolini minuti ed a varj colori, intrecciati ed uniti insieme. — Verſchiedene haben dieſe Albernheit dem Tiraboſchiungepruͤft nachgeſchrieben.. Gewiß verließ er ſich in dieſer Beziehung auf irgend einen literaͤriſchen Aufſchneider. Denn er kann die Stelle, auf welche er ſich bezieht, weder im griechiſchen Text, noch in der lateiniſchen Verſion geleſen haben, wo klaͤrlich ſteht, das Bild, alſo nicht nothwendig die Bildſaͤule, ſey von der Wand herabgefallen**) Procop. de bello Goth. lib. I. c. 24, wo der griechiſche Text der venez. Ausg. : Ταύτῃ τε ἅπασα ἐκ τοῦ τοίχου ἐξίτηλος ἡ ἐικὼν γέγονεν; die lateiniſche, dort und auch bey Muratori, scriptt. To. I. P. 1, abgedruckte Verſion: „ itaque de pariete effigies pror - sus abolevit. “, was außer Frage ſtellt, daß es ein muſiviſches Wandgemaͤlde geweſen, wie die uͤbrigen Bildniſſe Theodorichs, welche Agnellusnoch geſehen***) Agnell.l. c. „ Ticinum, quae civitas Papia dicitur, ubi Theodoricuspalatium struxit, et eius imaginem sedentem super equum in Tribunalis cameris Tessellis ornatis bene conspexi. — Bacchinimacht eben dieſes offenbar muſiv. Bild zu einer zweyten Statue. — Daſ. geht Agnellusunmittelbar nachher auf Ra - vennauͤber, und beſchreibt ein zweytes muſiviſches Bild Theodo - richsauf der Flaͤche des Giebelfeldes, deſſen Gipfel jene Ritter - ſtatue zierte, welche wir nicht mit dem allegoriſchen Gemaͤlde des Feldes verwechſeln werden..
Alſo nicht die Gothen, ſondern die blutige Ruͤckeroberung Italiensunter Juſtinian, der bald darauf erfolgte Einbruch der Longobarden, das neue Staatsverhaͤltniß endlich, welches aus dieſen Ereigniſſen hervorging, verkuͤmmerte allgemach die Fortpflanzung der kuͤnſtleriſchen Ueberlieferungen. Auch ohne184 genauere Kunde zu haben, duͤrfen wir vorausſetzen, daß die Verheerungen des langwierigen Gothenkrieges, daß Hunger und Seuchen, welche aus dieſem entſtanden, daß die Haͤrte der Longobarden gegen die roͤmiſche Bevoͤlkerung, ſelbſt die Lebensgewohnheiten der juͤngſten Eroberer der Kunſt vielfaͤltig Eintrag gebracht. Entſcheidender indeß wirkte das endliche Ergebniß dieſes Kampfes von Fremdlingen um die leidend ihrem Schickſal hingegebene Provinz. Denn es war nicht mehr, wie zur Gothenzeit, Vereinigung Italiensinnerhalb ſei - ner natuͤrlichen Grenzen, ſondern Theilung unter feindliche Maͤchte, Unſicherheit auf weit ausgedehnten inneren Begren - zungen. Den Griechen blieb Ravennamit ſeinem Stadtge - biet, das roͤmiſche Ducat, Sicilien, einige Staͤdte und Land - ſchaften der Kuͤſte; das noͤrdliche Italienbis an die Suͤmpfe Venedigs, ein großer Theil des ſuͤdlicheren Mittellandes ge - horchte den Longobarden. So blieb es mit geringen Veraͤn - derungen, welche die Kunſtgeſchichte nicht angehen, bis zur fraͤnkiſchen Eroberung im achten Jahrhundert.
Beide Haͤlften Italienserlagen demnach dem Ungluͤck verworrener Grenzen und fremder, alſo mehr und minder feindſeliger*)S. Agn., l. c. vita S. Felicis; obwohl die damaligen Leiden der Revennaten dem ganzen Reiche gemein waren (vergl. die ent - ſprechenden byzant. Geſchichtſchreiber, oder Gibbon, Kap. XLVIII, und Schloſſer, bilderſtuͤrm. Kaiſer etc. S. 115 f.), ſo waren doch die Abgeordneten Juſtinians II.genoͤthigt, in Ravennaſich der Liſt zu bedienen, weil Gegenwehr denkbar und moͤglich war. Vergleiche denſ. vitaJohannis, cap. 2, wo die Feindſeligkeit gegen griechiſche Abgeordnete thaͤtlich wird; doch liegt hier (ſ. Bacchiniobserv. V.) die Vermuthung nahe, daß die Ravennaten einen Ueberfall der Bilderſtuͤrmer abgewieſen. Vgl. die endloſen Beſchwerden der Roͤ - Beherrſcher. Dieſe indeß waren in Anſichten185 und Gewoͤhnungen des Lebens ſo hoͤchſt verſchieden, der Ein - fluß aber von Verfaſſungen und Machthabern iſt nach allen Erfahrungen ſo uͤberwiegend, daß wir durchaus vorausſetzen muͤſſen, das longobardiſche Land ſey ſchon ſehr fruͤh in vielen Stuͤcken, und namentlich in Dingen der Kunſt, von den grie - chiſchen Provinzen abgewichen.
Dieſe erhielten, neben roͤmiſch-buͤrgerlichen Rechten und Sitten, welche wohl beurkundet ſind*)S. Savigny, Geſchichte des roͤmiſchen Rechts, a. ſ. St., in ummauerten, un - zerſtoͤrten Staͤdten, vornehmlich in Ravennaſelbſt, dem Sitze der neuen Provinzialregierung, die Baukunſt mit ihren Beglei - terinnen, den bildenden Kuͤnſten, bey den roͤmiſchen, oder ſa - gen wir lieber, den altchriſtlichen Gewohnheiten. Zu Anfang dieſer Epoche wagte man ſich noch an das Große und Glaͤn - zende; S. Vitale, noch unter den Gothen begonnen, ward unter Juſtinianvollendet und mit herrlichen Muſiven ge - ziert**)S. Agnell.l. c. vita S. Ecclesii, I. und den Commentar des Bacchini, obs. I et II. — Abbildungen der Muſive an mehr als einer Stelle, doch durchhin ungenau.; andere minder ausgedehnte, doch aͤhnlich geſchmuͤckte Bauwerke wurden unter den vorangehenden und naͤchſtfolgen - den Fuͤrſten in Menge errichtet; Denkmale, welche Agnelloſelbſt geſehen und, theils nach ihren Inſchriften, als Werke verſchiedener Biſchoͤfe unterſchieden***)S. Agnell.l. c. vom Leben des heil. Urſusbis gegen Ende des ſechsten Jahrhunderts, wo im Leben des heil. Marinia - nus, und in den nachfolgenden, die fruͤher faſt ununterbrochene Reihe kunſthiſt. Notizen in ſeltene und wenig bedeutende Nachrich - ten auslaͤuft. Auch bey Anaſtaſiusmindern ſich gleichzeitig die; deren manche bis auf*)mer in dem Leben der Paͤpſte, in deren Briefen; oder Gibbondurchhin; beſſer: Schloſſer, a. a. O.186 die juͤngſte Zeit herab ſich erhalten haben. Allein nachdem der kurze Rauſch der Ruͤckeroberung Italiensſich gelegt hatte, als man, ſchon auf einzelne Provinzen und Staͤdte beſchraͤnkt, auch dieſe nur muͤhſeelig behauptete, verminderten ſich noth - wendig auch die Bauunternehmungen; man hatte zu Rom, wie zu Ravenna, in den letzten Zeiten der ſchwerſten Bedraͤng - niß durch die Longobarden wohl kaum die Mittel, das Vor - handene nothduͤrftig zu unterhalten, wie aus den zahlreichen Wiederherſtellungen alter Bauwerke erhellt, welche die Paͤpſte beſchaͤftigten, unmittelbar nachdem ſie durch Karl den Großen, zum Theil ſchon durch Pipin, Sicherheit erlangt und neue Huͤlfsquellen erworben hatten.
Die Longobarden dagegen, welche, als Germanen, ſicher weder eine eigene Kunſt hinzubrachten*)Leges Rotharis (LL. Long.) 288. Si quis de lignamine adu - nato in curte aut in platea ad casam faciendam lignum furatus fue - rit, componat sol. VI. cf. c. 287. 290. 308. — Vergl. K. G. An - ton, Geſchichte der teutſchen Landwirthſch. Th. 1. Goͤrlitz1799. S. 86 ff. (Gebaͤude) S. 95. (Ackerbau)., noch deren Werke zu wuͤrdigen wußten, hatten, wie ihre Geſetze darlegen, ihre nordteutſche Hofeinrichtung nach Italienverpflanzt, und hie und da, wie Urkunden zeigen**)Zu Verona, ſ. MaffeiVer. ill. ; auch zu Chiuſi, welches, wie Siena, im fruͤheren MA. ein offener Flecken war, mit einigen Burgen zur Schutzwehr und Zuflucht. — Tiraboschi, stor. lett. To. V. lib. II. c. 1. §. V. ff., ſucht gegen Muratoridarzulegen, daß die Longobarden Italiennicht eben begluͤckt haben; zu dieſem Zwecke vereinigt er bis §. X. eine Menge Beweisſtellen, welche al - lerdings von großem Ungluͤck zeugen, doch nicht eigentlich widerle -, inmitten verwuͤſteter Staͤdte***)Nachrichten von Stiftungen der Paͤpſte. Die Bedraͤngniſſe beider Hauptſtaͤdte des weſtlichen Reiches begannen eben damals zur Zeit Gregor des Großen(ep. Gr. M. lib. 2. ep. 32.).187 ihre Hoͤfe angelegt, weshalb die Kunſt bey ihnen weder durch Sitte, noch durch Lebenseinrichtung beguͤnſtigt wurde, ja nicht einmal durch religioͤſe Meinungen, da ſie bekanntlich groͤßeren - theils der Lehre des Arius anhingen, welche dem kirchlichen Beſitz und Glanze unguͤnſtig war. Es iſt daher ſo unwahr - ſcheinlich als unbekundet, daß ſie unmittelbar nach der Ero - berung die Kuͤnſte bey ihren roͤmiſchen Unterthanen befoͤrdert haben, deren Lage damals, wie man immer die bekannte Stelle Paul Warnefriedsauslegen wolle, doch ſicher von der Art war, daß ſie freywillig ſchwerlich mehr, als das hoͤchſt Nothduͤrftige unternommen. Paviaindeß ward unver - ſehrt in Beſitz genommen*) Paul.Diac. de gestis Long. lib. 11. c. 27., der Palaſt Theodorichs, als Re - ſidenz der longobardiſchen Koͤnige, ſo wohl unterhalten, daß Agnello**) Agnell.l. c. vita Petri Sen.c. 2.noch in den Zeiten Karl des Großendas Wandgemaͤlde Theoderichsdarin beſchauen konnte; woher zu ſchließen, daß die neuen Einwanderer, wenigſtens ihre Beherr - ſcher, ſich fruͤh an italiſches Gemach gewoͤhnt haben. Gewiß ward ſpaͤterhin, gegen die Mitte der longobardiſchen Herr - ſchaft, zu Paviamanches neue Bauwerk errichtet***)S. Paul.Diac. lib. IV. cap. 22. 23; lib. V. c. 33. 34. 36, 50; lib. VI. c. 1. 17. 35. 58. Dieſe Angaben betreffen einzig die koͤnigl. Reſidenzſtaͤtten, ſind nur gelegentliche Erwaͤhnungen, laſſen mithin Raum fuͤr die Vermuthung, daß uͤberall ein Gleiches ſtatt gefunden, was hie und da aus Urkunden und Inſchriften erweislich iſt. Die Inſchrift zu Citta nuova bey Muratori(antt. It. Diss. 21); ein Bruchſtuͤck aus Koͤnig CunipertsZeit bey Bava(Diss. istoriche, ragion. 2) und die wichtigere beyPizzetti(antt. Tos -, deren**)gen, was Muratoriaus ſeinem hiſtor. Standpunkt, der jenem fehlte, behauptet hatte.188 Ueberreſte indeß, wie ich befuͤrchten muß, theils ſpaͤteren Bau - ten Raum gegeben, theils unter den Erneuerungen nachfolgen - der Jahrhunderte unkenntlich geworden ſind. So fuͤhrt auch Brunetti*)Cod. dipl. Toscano. P. 1. Ser. c. cap. III. §. 7.aus Urkunden von den Jahren 754 und 763 an, daß der Koͤnig Aiſtolfeinen zu Luccaanſaͤßigen MalerAripertbeguͤnſtigt und beſchenkt habe.
Im Allgemeinen werden wir demnach annehmen duͤrfen, daß waͤhrend dieſes Zeitraums die altchriſtliche Kunſtuͤbung zu Romund Ravennain eben dem Verhaͤltniß zuruͤck geſchritten ſey, als ſie im longobardiſchen Italienallmaͤhlich zugenom - men; bis, gegen die Zeit Karls des Großen, durch den Ruͤck - ſchritt des einen, den Vorſchritt des anderen Theiles wiederum eine gewiſſe Gleichheit der Kunſtſtufe entſtanden. Von einer gemeinſchaftlichen Grundlage ſpaͤtroͤmiſcher Technik und chriſt - licher Kunſtideen, war die Kunſtuͤbung in beiden Bezirken Ita - liensausgegangen; und bey vielfaͤltigen Feindſeeligkeiten wa - ren doch friedlichere Beruͤhrungen**)S. Epp. Greg. M., deren viele an longob. Machthaber ge - richtet ſind. bey ſo nahen Anwoh - nern unvermeidlich, wie ſie den wirklich auch aus den ſpaͤrlich***)caneT. 1. lib. 1. c. 13. p. 268), welche ein, unter Luitprand, zu Chiuſiangefertigtes Ciborium beurkundet. Indeß enthaͤlt eine zweyte, dem Anſehen nach ſpaͤtere, Inſchrift die Worte: cedat no - vitati diruti antiquitas ligni, welche Zweifel hervorrufen, ob nicht die Altarverzierung der longob. Zeit in ſpaͤteren erneuert worden; obwohl die aͤltere Inſchrift durch die Worte: pulcrius ecce micat nitenti marmoris decus, dieſen Zweifel wiederum aufzuheben ſcheint. Unter allen Umſtaͤnden gehoͤrt dieſe Arbeit der Bauverzierung einer Provinzialſtadt an; zu den uͤbrigen Inſchriften fehlen uns aber die Werke, deren Zeitalter ſie bezeugten. — Auf einige die Baukunſt betreffende Umſtaͤnde werde ich in der achten Abhandlung zuruͤckkommen.189 fließenden Quellen der Geſchichten jener Zeit ſich genuͤgend nachweiſen laſſen.
Allerdings nun iſt der Zuſtand der italieniſchen Kunſtuͤ - bung dieſer Zeiten weder an ſich ſelbſt beſonders merkwuͤrdig, noch durch Denkmale recht umſtaͤndlich bekannt. Wir werden uns daher, die oben aufgeſtellten Vermuthungen zu bekraͤfti - gen, mit ſpaͤrlichen Beiſpielen begnuͤgen muͤſſen, welche uns vornehmlich die Handſchriften darbieten; obwohl ſogar dieſe nur eine karge Ausbeute geben, da der Gebrauch, die Buͤcher durch Bilder zu verzieren, wie es ſcheint, im Abendlande erſt am Hofe der Carolinger Aufnahme und Beguͤnſtigung gefunden.
Die wichtigſte Urkunde der Malerey longobardiſcher Zei - ten, welche mir zu Geſicht gekommen, befindet ſich auf eini - gen Blaͤttern der beruͤhmten Bibeluͤberſetzung der Abtey auf Monte Amiata, gegenwaͤrtig im Beſitze der Laurentiana zu Florenz. Bandini*) Bandinicat. bibl. Leop. Laur. T. 1. p. 701. cap. 1. Diss. de insigni cod. Bibl. Amiatino.verſetzt das Alter dieſer Handſchrift durch uͤberzeugende Gruͤnde in das ſechste Jahrhundert; waͤren dieſe etwa zu entkraͤften, ſo wuͤrde ſie doch immer ſchon der Schrift und dem aͤußeren Anſehen nach nicht weit daruͤber hinausgehen koͤnnen. In dieſem Buche nun beſitzen wir ei - nige miniirte Blaͤtter, welche ziemlich kunſtlos ſind, doch, in Vergleich der ſpaͤteren italieniſchen Arbeiten aus dem neunten bis eilften Jahrhundert, noch immer Lob verdienen. Das erſte Blatt (Seite 7. III. des Codex) enthaͤlt in der Mitte einer ſehr einfachen Verzierung bibliſche Geraͤthe und Sinnbil - der, welche hie und da auch in den muſiviſchen Werken der aͤlteren Chriſten vorkommen. Das zweyte Blatt (Seite 4. V)190 enthaͤlt eine Figur, nach der etwas neueren Ueberſchrift, den Esdra, der die Buͤcher des alten Teſtaments vereinigt, welche Handlung der geoͤffnete und antiquariſch beachtenswerthe Buͤ - cherſchrank im Grunde offenbar anzudeuten beabſichtigt. Die Figur hat, bey ſchlechterer Ausfuͤhrung, etwas von jener Duͤr - re, welche die neugriechiſche Bildnerey fruͤh, ihre Malerey in - deß viel ſpaͤter angenommen, welche wahrſcheinlich auch hier aus eben dem Gebrauche von Durchzeichnungen entſtanden iſt, welche den Kunſtgeſtaltungen der ſpaͤteſten Neugriechen ihr mu - mienartiges Anſehen gegeben. Denn aus der Aufſchrift, wel - che die Ruͤckſeite des Blattes 86 zeigt, erhellt allerdings Be - kanntſchaft mit griechiſchen Buchſtaben, welche um dieſe Zeit noch nicht befremden darf; doch weder, daß der dortgenannteServandusein Grieche geweſen, noch daß er griechiſche Vor - bilder vor Augen gehabt, die ihn ſicher beſſer geleitet haben wuͤrden, da in unſerem Bilde bereits die Vorzeichen der aͤu - ßerſten Entartung italieniſcher Malerey vornehmlich darin ſich zeigen, daß die Augaͤpfel nur als ein kleiner Punct im weit entbloͤßten Weißen angedeutet ſind.
Techniſch merkwuͤrdig iſt unter den folgenden (auf dem Blatte 6. VII) ein allerdings ſehr unvollkommen gezeichnetes Koͤpfchen, welches nach Art der Bildniſſe auf Glasgefaͤßen der Coemeterien gemacht iſt, durch Schraffirung nemlich, mit ei - nem ſcharfen Werkzeuge, im friſch aufgelegten Golde; ferner in Bezug auf Anordnung, die Geſtalt des Heilandes (Blatt 796, Ruͤckſeite), den zwey Engel mit Staͤben in der Hand verehren.
Ich zweifle nicht, daß in anderen kirchlichen Handſchrif - ten dieſer Zeit, welche allerdings zu den Seltenheiten gehoͤren, an einigen Stellen aͤhnliche Verzierungen vorkommen; doch wird dieſes calligraphiſche Prachtſtuͤck, welches betraͤchtlichen191 Aufwand vorausſetzt, da es in groͤßter Form und herrlich ge - ſchrieben iſt, an ſich ſelbſt fuͤr ein ſehr hervorſtechendes Bey - ſpiel gelten koͤnnen. Als Gegenſtuͤck in der Schriftart bezeich - net Bandini*)A. a. O.einen Bibelcodex der Dombibliothek zu Pe - rugia, vielleicht denſelben, der dort mit No. 19 bezeichnet iſt und dem ſiebenten oder achten Jahrhundert zugeſchrieben wird. Er enthaͤlt drey colorirte Federzeichnungen von ſehr geringer Arbeit. Die erſte zeigt den Weltlehrer, wie er vom Thron herab durch einen Engel dem Matthaͤus ſein Evangelium rei - chen laͤßt. Auf den Wangen rothe Flecke, weit geoͤffnete Au - gen, keine Spur von Schatten und Licht, vielmehr ſind die Theile nur durch harte Federumriſſe geſchieden. Uebrigens iſt in der Bewegung etwas Gutes, und die antiken Faltenmaſſen ſind weder unverſtaͤndig durcheinander geworfen, wie es ſpaͤ - terhin, auch bey beſſerer Ausfuͤhrung, vorkommt, noch durch barbariſchen Schmuck unterbrochen. Die Beyſchriften, welche ſich zur Currentſchrift hinneigen, ſind den Diplomen der lon - gobardiſchen Zeit nicht unaͤhnlich.
Andere und groͤßere Kunſtwerke, von denen erweislich waͤre, daß ſie innerhalb und unter der Herrſchaft longobardi - ſcher Koͤnige verfertigt worden, ſind mir bis dahin nicht vor - gekommen. Die Bildnerarbeiten an der Johanniskirche zu Monzahabe ich nicht ſelbſt unterſucht, bezweifle jedoch nach den Abbildungen**)S. die Abbildung bey Muratori(scriptt. T. I. P. I. ad p. 460. , daß ſie bis zur erſten Gruͤndung der Kirche durch die Koͤnigin Theudelindezuruͤckreichen. Was darin aus altchriſtlichen Darſtellungen entnommen iſt, koͤnnte allerdings192 eben ſowohl aͤlter als neuer ſeyn; allein das Bild der Koͤni - gin erinnert zu ſehr an Schmuck und Bekleidung des Mittel - alters, und man muͤßte, um dieſe Frage zu erledigen, das Gebaͤude ſelbſt unterſuchen, welches gar wohl im eilften oder zwoͤlften Jahrhunderte erneuet ſeyn koͤnnte. Sehr bemerkens - werth iſt ein anderes Denkmal, welches hier wohl von neuem in Frage kommen duͤrfte; jenes Stuͤck nemlich im Fußboden der Kirche S. Michael zu Pavia, wo an einer Seite David und Goliath, an der anderen Theſeus und der Minotaurus*) Ciampini, vet. mon. Romae1699. p. 4 sq. Er erwaͤhnt eines aͤhnlichen Denkmals im Fußboden von S. Maria tras Te - vere, prope sacrarii januam, welches ich uͤberſehen, wenn es noch vorhanden iſt.. Dieſes Gleichſtellen mythiſcher und chriſtlicher Charaktere, Er - eigniſſe und Sinnbilder entſpricht indeß, wie wir uns entſin - nen, vorzuͤglich der aͤlteren Epoche chriſtlich kuͤnſtleriſcher Dar - ſtellungen, und die Kirche ſelbſt, deren PaulDiac. nicht als einer neuen Gruͤndung, ſondern als eines beſtehenden Gebaͤu - des erwaͤhnt, ſcheint fruͤher erbaut zu ſeyn, und diente viel - leicht ſchon dem Palaſte der Gothenkoͤnige zur Kapelle. Gegen die Meinung indeß der Topographen und Geſchichtſchreiber der Stadt Pavia, welche dieſe Kirche roͤmiſchen Zeiten zuſchreiben, behauptet Muratori**)Annali d’ Italia, ad a. 650, denen Tiraboſchi(sto. c. T. V.) gar unbedingt nachfolgt., ſie ſey von longobardiſchen Koͤni - gen erbaut worden. Allein, da er nicht angiebt, von welchem beſonderen Koͤnige, ſo werden ſeine Gruͤnde eben nur auf dem Titel der Kirche und auf dem Umſtande beruhen, daß der Erzengel Michael von longobardiſchen Koͤnigen verehrt, und auf den Ruͤckſeiten ihrer Muͤnzen angebracht worden. Dochiſt193iſt es nicht ohne Beyſpiel, daß man neubeliebte Titel auf aͤl - tere Gebaͤude uͤbertragen*) Anast.l. c. vita Sergii II.(ap. Mur.scriptt. T. c. p. 229. col. 2). — Nam et basilicam Beati Romani martyris, quae non longe ab urbe foris porta salaria sita est, a fundamentis perfecit. Quam etiam titulo SS. Silvestri et Martini Parrochiam esse decre - vit. — Hierauf gruͤndete ich oben die Vermuthung: daß zu Vene - digſchon vor der Ueberkunft der Reliquien des heil. Marcusan der Stelle der gegenwaͤrtigen Kirche dieſes Heil. eine andere vor - handen war.; aus dem Titel allein wird daher, wenn beſſere Gruͤnde fehlen, das Alter des Gebaͤudes nicht wohl zu beſtimmen ſeyn.
Nicht unwichtig ſind uns, bei ſolcher Duͤrftigkeit der Denkmale, die Ueberreſte von Wandmalereyen in der unterir - diſchen kleinen Baſilica, uͤber welche der gegenwaͤrtige Dom zu Aſiſiim zwoͤlften Jahrhundert aufgerichtet worden. Dieſe kleine Kirche wird von ſechs Saͤulen geſtuͤtzt, deren Kapitaͤle, aus Travertin, antik zu ſeyn ſcheinen, oder doch alten Vor - bildern mit vielem Fleiße nachgebildet ſind. Die alten Um - fangsmauern ſind von drey Seiten vermauert; nur die Mauer der Tribune, in welche der Saͤulengang ausgeht, beſtand noch in ihrer erſten Geſtalt, als ich dieſes Denkmal im Jahre 1819 beſichtigte. Die verzierende Einfaſſung, ein Zickzack in Braun und Gruͤn, iſt noch mit antiker Praxis gemalt; denn die Lichter ſind paſtos aufgetragen, was ſpaͤterhin ſich verliert. Die Zeichen der Evangeliſten, die Figur eines Heiligen, das Einzige, ſo nicht abgefallen, waren den erwaͤhnten Buͤcherver - zierungen in Wahl, Vertheilung und Zeichnung nicht unaͤhn - lich. Erwaͤgen wir, daß dieſe Malereyen fuͤr die fruͤhere Epoche, das fuͤnfte und ſechste Jahrhundert, zu unvollkommen,I. 13194fuͤr die nachfolgende der fraͤnkiſch-ſaͤchſiſchen Herrſchaft viel zu alterthuͤmlich und ſelbſt zu kunſtreich; daß die Namenszuͤge der Heiligen in eckigen, obwohl ungleichen Capitalbuchſtaben geſchrieben ſind, welche keine neuere Schrift-Gewohnheiten verrathen: ſo duͤrfte die Vermuthung, daß ſie vor Ankunft Karls des Großenoder waͤhrend der longobardiſchen Herrſchaft beſchafft worden, an Sicherheit gewinnen. Gewiß iſt das Gemaͤuer, an welchem dieſe Malereyen haften, nach ſeiner ar - chitectoniſchen Anlage und Ausfuͤhrung*)S. Disamina degli scritt. e Doc. risguardauti S. Rufino vesc. e martire di Asisi. ib. 1797. 4. p. 171. s. um Vieles aͤlter, als der neue Bau; auch haben die roh angelegten Verſtaͤrkun - gen der Seitenmauern der Unterkirche offenbar den Zweck, die Pfeiler der oberen, neueren Kirche zu unterſtuͤtzen. Die An - nahme eines oͤrtlichen Forſchers, daß jene Malereyen nicht fruͤher, als eben damals beſchafft worden, als der Heilige ſeine neue, glaͤnzendere Wohnung bezog, iſt nach dieſen Vor - ausſetzungen ganz unhaltbar**)Ebendaſ. Die Vermuthung dieſes Localſcribenten iſt durchaus unbegruͤndet, nur einer jener willkuͤhrlichen Griffe, in welche die Geſchichtſchreiber leicht verfallen, wenn es Dinge angeht, die ihnen minder wichtig ſcheinen..
Den eben beſchriebenen Wandmalereyen ſind die beſſer bewahrten der kleinen, gleichfalls unterirdiſchen Kapelle S. Nazario e Celſo zu Veronain Entwurf, Manier und Aus - fuͤhrung nicht unaͤhnlich. Ich uͤbergehe ſie indeß, da ſie vor kurzem beſchrieben und ſo gluͤcklich charakteriſirt worden, daß Niemand ſo leicht ihr Zeitalter verkennen wird***)S. Fr. H. von der Hagen, Briefe in die Heimat, Bd. II. S. 62..
195Beſſer beurkundet, als dieſe beiden Denkmale, und dem - ungeachtet, als ſtark nachgebeſſert und von mannichfaltigen Herſtellungen durchſetzt, an ſich ſelbſt minder urkundlich, ſind die muſiviſchen Malereyen der Kirche S. Agneſe außerhalb Rom, welche nach Anaſtaſiusim ſiebenten Jahrhundert von Papſt Honoriusangeordnet worden*)Ueber dieſe Arbeit bemerkte ich Folgendes an der Stelle: „ Sehr beſchaͤdigt; vieles ſogar nur durch Malerey wieder hergeſtellt In der Mitte eine weibliche Figur in fremdartiger, faſt byzantini - ſcher Bekleidung, welche im Ganzen minder gelitten hat. Ihr Ant - litz iſt ſehr einfach behandelt; die Grundfarbe hell; einige Linien darin, die Zuͤge zu bezeichnen, zwey braune Flecken auf der Wange. Dieſer rohen Behandlung ungeachtet ein gewiſſer Ausdruck von Gutmuͤthigkeit und Annaͤherung an Schoͤnheit der Bildung. “; ferner die bekannten Ueberreſte der Kapelle Johannes VII. in den Gewoͤlben der Peterskirche. In ſo weit man in dem mannichfaltigſten Flick - werk die aͤlteſten Theile noch unterſcheiden kann, deuten auch dieſe auf jenen raſchen Ruͤckſchritt in techniſchen Vortheilen, den der unaufhaltſame Verfall der griechiſch-roͤmiſchen Provinz, wie ich bereits angedeutet, nothwendig herbeyfuͤhren mußte.
Aus angefuͤhrten, allerdings nur nothduͤrftigen Beyſpie - len, deren Zahl ich durch unerprobte Angaben neuerer Schrift - ſteller nicht zu vermehren wage, ſchließe ich: daß alle Kunſt - arbeiten der longobardiſchen Zeit, deren Andenken durch gleich - zeitige, oder um wenig ſpaͤtere Schriftſteller erhalten worden, dem Entwurf nach meiſtens ſpaͤtroͤmiſch oder altchriſtlich, allein der Ausſuͤhrung nach ſchon ungleich roher und formloſer ge - weſen, als aͤhnliche der naͤchſt vorangegangenen Epoche der gothiſchen Herrſchaft.
Gegen Ende des Zeitraumes, den wir ſo eben im Gan - zen uͤberſehen haben, mindern ſich alſo die oͤffentlichen Kunſt - unternehmungen in beiden Hauptſtaͤdten der griechiſch-roͤmiſchen Provinz. Gewaltſame Verwaltung; mancherley innerer Hader; fortgehende Abnahme der Gewerbe, des Handels, der Wohl - farth der alten Welt; Ohnmacht des Mittelpunctes der Staats - gewalt und ſteigender Druck der longobardiſchen Anwohner bald auf die eine, bald auf die andere Grenze der griechiſchen Provinz, verringerte nothwendig deren Huͤlfsquellen bis zur gaͤnzlichen Erſchoͤpfung. Gewiß hatte das buͤrgerliche Elend Romszur Zeit Gregor des Großen, deſſen Klagen und Be - fuͤrchtungen bekannt ſind, noch lange nicht ſeine hoͤchſte Stufe erreicht. Es konnte daher Aufſehen machen, als Donus, der im Jahre 676 zum roͤmiſchen Biſchof erwaͤhlt worden, den Vorhof der großen, leider durch den neuen Bau verdraͤngten, Baſilica S. Peters mit weißen Marmorquadern, wahrſchein - lich Spolien altroͤmiſcher Gebaͤude, belegen ließ*)S. Paul. Diac. de gestis Long. lib. V. c. 31. und Ana - stas. bibl. de vitis pont. v. Doni. Beide erwaͤhnen dieſer nuͤtzli - chen Vorrichtung mit einem Pomp, der vermuthlich aus dem Aus -.
197Doch nachdem unertraͤglicher Druck der Longobarden auf die ohnmaͤchtige, huͤlfloſe Provinz, oder auch Ehrgeiz und Herrſchſucht unternehmender Paͤpſte veranlaßt hatte, ſich mit Erfolg um fraͤnkiſchen Schutz zu bewerben; nachdem Romzu - naͤchſt an Sicherheit und Ruhe gewonnen, endlich ſogar uͤber ſeine italieniſchen Feinde und Nebenbuhler, Longobarden und Ravennaten, geſiegt, von allen Seiten Anſehen und neue Huͤlfsquellen erworben hatte, da erwachte, im Angeſicht der noch wohlerhaltenen Truͤmmer der herrlichen Weltſtadt, die alte roͤmiſche Prachtliebe, und mit ihr der Trieb, ſowohl Al - tes zu erhalten, als wie Neues zu gruͤnden. Zu Romdem - nach, und nicht mehr in Ravenna, welches bis dahin, wie es buͤrgerlich der That nach die Hauptſtadt der griechiſchen Provinz geweſen, ſo auch kirchlich, obwohl vergebens, nach Unabhaͤngigkeit geſtrebt hatte, haben wir nunmehr fuͤr einige Zeit den Mittelpunct italieniſcher Kunſtbeſtrebungen aufzuſu - chen; wenn anders mechaniſche Fortpflanzung uͤberlieferter Fer - tigkeiten, knechtiſche, und dennoch mißverſtandene Nachahmung alter Vorbilder uͤberall noch Kunſt zu heißen verdient.
Der vorangegangene Zeitraum vereinigte gegenwaͤrtige Bedraͤngniſſe, welche alle Kraͤfte erſchoͤpfen mußten, da die Landſchaft wiederholt verwuͤſtet, der Friede haͤufig durch ſchwere Opfer erkauft wurde, mit ungemeſſenen Hoffnungen auf die Zukunft. Dieſe Hoffnungen, wenigſtens die naͤher liegenden,*)druck ihrer Quellen in den ihrigen hinuͤbergefloſſen. — Ich fuͤhre hier und in der Folge das ſogen. liber pontificalis ſtets unter dem Namen des Anaſtaſiusauf, weil es uͤberall unter demſelben ab - gedruckt worden. S. uͤber die verſchiedenen Verfaſſer dieſes Wer - kes, Blanchini, Diss. etc. c. VIII. bey Muratori, scriptt. T. III. p. 24. sq. 198 gingen unter Hadrian I. in Erfuͤllung, welcher den roͤmiſchen Stuhl, wie bekannt iſt, an Macht und Einfluß und weltli - chen Mitteln auf eine fruͤher kaum geahnete Hoͤhe brachte. Daher vervielfaͤltigen ſich unter ſeiner Regierung die Nachrich - ten von mancherley Aufwand fuͤr den Gebrauch und zur Ver - herrlichung der Kirche. Das naͤchſte Ziel des wieder angereg - ten Kunſtſtrebens war die Wiederherſtellung verfallener Kirchen und anderer Gebaͤude von allgemeiner Wichtigkeit*)S. Anast.bibl. de vitis pontif. cura C. A. Fabroti, Ven.1729. fo. p. 59 — 63, wo von unzaͤhligen Kirchen gemeldet wird, daß trabes (tecti) confractae, oder tectum, vicinum ruinae, oder ba - silica, quae in ruina erat, wieder hergeſtellt worden; daſſelbe p. 60. col. 2. p. 61. col. 1, von antiken Waſſerleitungen.; denn offenbar hatten dieſe uͤberall, und beſonders zu Rom, durch lange Vernachlaͤſſigung gelitten. Dann ging man zu neuen Stiftungen uͤber, deren Kunſtverdienſt und Eigenthuͤmliches noch immer aus einigen Denkmalen der Regierung Leos III. hervorſpricht, wenn ſie anders dieſem, und nicht dem folgen - den Leobeyzumeſſen ſind, woruͤber wir uns vor Allem Ge - wißheit verſchaffen muͤſſen.
Anaſtaſius, in kunſthiſtoriſcher Beziehung fuͤr dieſe Zeiten bey weitem der wichtigſte Gewaͤhrsmann, erzaͤhlt, daß Leo III. im lateraniſchen Palaſte einen Feſtſaal habe von Grund auf bauen und durch muſiviſche Malereyen ausſchmuͤk - ken laſſen**) Anast.l. et ed. c. p. 76. col. 1. — „ cameram ipsius ma - cronae noviter fecit et diversis historiis pictura mirifice decoravit. “cf. p. 66. col. 1. p. 69. col. 1.. An einer anderen Stelle aber, im Leben Leos IV. , erwaͤhnt dieſer, oder wahrſcheinlicher ein anderer der Schriftſteller, welche unter ſeinem Namen gehen, einiger Wie -199 derherſtellungen, welche der letzte in demſelben Gebaͤude habe vornehmen laſſen, auf eine ſo dunkele und mehrdeutige Weiſe, daß Platinaverleitet ward, ſie von Vollendung des Gebaͤu - des ſelbſt zu verſtehen*) Platina, de vit. pont. Leone IV.— „ Solarium a Leone III.inchoatum perfecit. “. Da es nun gilt, uns irgend eines Denkmals, aus welchem der Zuſtand der roͤmiſchen Kunſt da - maliger Zeiten zu beurtheilen waͤre, ganz zu verſichern; ſo werden wir jene Stelle, ſo wenig anziehend ſie ſeyn mag, doch einer genaueren Pruͤfung unterwerfen muͤſſen**) Anast.l. et ed. c. p. 94. col. 2. (ap. Murat.scriptt. To. III. p. 232. col. 2). — „ Nam et (ad) accubitum, quod Dn. Leob. m III. papa a fundamentis construxerat, et (del. ) omnia orna - menta, quae ibi paraverat, tunc (ſo einige HSS. ) prae nimia ve - tustate et oblivione antecessorum pontificum deleta (ablata?) sunt. Et in die natalis D. N. I. Chr. secundum carnem tam Dn. Grego - rius, quam et Dn. Sergiuss. rec. ibi minime epulabantur. Idem vero beat. et summus praesul Leo IV.cum gaudio et nimia delecta - tione omnia ornamenta, quae inde deleta (ablata) fuerant, noviter reparavit et ad usum pristinum magnifice revocavit. “— Vgl.Nic. Alemanni, de Lateran. parictinis. Rom1756. 4. .
Betrachten wir ſie zuerſt als unverdorben durch Nachlaͤſ - ſigkeiten der Abſchreiber, vielmehr nur als ſchlecht abgefaßt; ſo wuͤrden wir gleich anfangs das Wort accubitum als No - minativ anſehen, und, nebſt dem folgenden, ornamenta, mit dem Zeitworte deleta verbinden muͤſſen. Auf dieſe Weiſe auf - gefaßt ergaͤbe ſich der Sinn, daß der ganze Feſtſaal in der nicht langen Zwiſchenzeit von Leo III. zum vierten dieſes Na - mens zu Grund gegangen ſey. Da aber der Schriftſteller, dem wir dieſes Leben verdanken, nach ſeiner ganzen Manier und Richtung alsdann nicht wuͤrde unterlaſſen haben, uns die Wiederaufrichtung unten zu melden; da es zudem, bey großer200 Dauerhaftigkeit damaliger Bauwerke, unwahrſcheinlich iſt, daß dieſes ſo fruͤh ſchon eingegangen ſey: ſo werden wir vermuthen duͤrfen, der Text ſey hier entſtellt. Und in der That ſcheint gleich im erſten Satze vor accubitum, welches nach der Schreibart und Gewohnheit dieſes elenden Scribenten noth - wendig Accuſativ iſt*)Id. (Ed. Murat.p. 209. col. 1), — et accubitos. , das muͤßige et eine Praͤpoſition ver - draͤngt, oder das folgende ac - ſie in ſich aufgenommen zu haben, nach Analogieen ein ad; das zweyte et vor omnia moͤchte aber, durch Nachlaͤſſigkeit des Schriftſtellers ſelbſt oder nur ſeiner Abſchreiber, ſich bloß eingeſchlichen haben; deleta endlich, wenn nicht ſchon hier, doch unten, ganz ſicher aus ablata entſtanden ſeyn. Denn dieſes letzte paßt ungleich beſ - ſer zu ornamenta, welches dem Anaſtasoder ſeinen naͤhe - ren Vorgaͤngern uͤberall bewegliches Geraͤthe bedeutet, und wird unten durch das voranſtehende inde durchaus gefordert; wie endlich, bey longobardiſcher Schriftart, in welcher wenig - ſtens der aͤlteſte Codex geſchrieben ſeyn mußte, von den Ab - ſchreibern, vielleicht von den Editoren ſelbſt, jenes ab ſehr leicht fuͤr de genommen werden konnte. Nach dieſen Aende - rungen wuͤrde die ganze Stelle uns folgenden, ſowohl in ſich ſelbſt, als mit den Umſtaͤnden uͤbereinſtimmenden Sinn geben.
„ Denn beym Feſtſaale, den Herr Leo III. ſeligen An - denkens von Grund auf erbauet hatte, waren damals (unter Leo IV. ) alle Geraͤthe, welche er daſelbſt beſchafft hatte, vor Alter und durch Vernachlaͤſſigung der vorangehenden Paͤpſte, verſtreuet worden. Gewiß hatten, ſowohl Herr Gregor, als auch Herr Sergius, heil. Andenkens, daſelbſt am Weihnachts -201 tage keine Tafel gehalten*)Ueber das Etikette dieſer Mahlzeiten findet ſich beyAle - mannia. a. O. und bey anderen roͤmiſch-kirchlichen Schriftſtellern die noͤthige Auskunft.. Dieſer Papſt Leo IV. erſetzte aber alles Geraͤthe, welches von da war weggenommen wor - den, und gab es ſeiner fruͤheren Beſtimmung zuruͤck. “
Leo dem dritten, und nicht dem vierten**)Was Leo IV. fuͤr das Gebaͤude ſelbſt gethan, findet ſich Anast.l. et ed. col. 1. und (ed. Mur.T. et p. cc. col. 1.) genauer angegeben. „ Solarium, quod b. m. Leo III.Papa construxerat, cum prae nimia vetustate fractis trabibus in ruinis cerneretur, eversum (al. emersum) (al. emersit noviter etc.) noviter pulcrius in meliorem speciem restauravit. “ Doch iſt dieſe Stelle von modernen Kritikern zugerichtet, die Lesarten der Handſchriften werden hier ſehr man - nichfaltig, ſo daß ich fuͤrchte, daß Alles, was daraus abzunehmen, auf Nachbeſſerung des Daches ausgeht, welches allein, und keines - weges die Mauern und Woͤlbungen an den Seiten, in ſo kurzer Zeit konnte eingegangen ſeyn., wuͤrden wir demnach das Bauwerk und Muſiv beymeſſen duͤrfen, deſſen Ueberreſt Reiſende wohl einmal im Voruͤbergehen betrachten, wann die herrliche Ausſicht nach Frascatihin ſie an die Stelle fuͤhrt. Leider hat die unbegreifliche Neuerungsſucht der Paͤpſte auch dieſes Denkmal nicht mehr verſchont, als ſo viel andere des hohen Alters ihres kirchlichen Anſehens. Nicht einmal dem Gemaͤuer des Bruckſtuͤckes, an welchem unſer Gemaͤlde befeſtigt iſt, hat man ſein alterthuͤmliches Anſehen gelaſſen, denn es iſt durchaus incruſtirt worden, um es mit den gro - tesken Gebaͤuden umher in Uebereinſtimmung zu ſetzen; auf welche Veranlaſſung auch die muſiviſchen Malereyen, wie wir nicht uͤberſehen duͤrfen, allerdings bedeutende Ausbeſſerungen erlitten haben. Demungeachtet unterſcheiden wir an ihnen,202 einmal die noch vorwaltende altchriſtliche Anordnung, welche durch die eingeſchobenen Stuͤcke nicht veraͤndert worden; dann in allen beſſer bewahrten Theilen die Nachwirkung und Fort - pflanzung der muſiviſchen Technik des ſinkenden Reiches. Al - lerdings ſind erhebliche Ruͤckſchritte bemerkbar; doch iſt es noch immer weit bis zu jener aͤußerſten Verſunkenheit der naͤchſt - folgenden Zeiten, welche wir nun bald zu betrachten haben. Denn in dem Weltlehrer, in den Apoſteln Petrusund Pau - lus, zeigt ſich noch einige Spur jener herkoͤmmlichen Wuͤrde, deren Urſprung ich oben nachgewieſen, und, wie die Beyſchrif - ten beweiſen, verſuchte man ſogar die Bildniſſe Conſtantinsund Karls des Großen, endlich des Stifters ſelbſt darin an - zubringen; doch wohl mehr der Allegorie, als des Charakters willen, deſſen Bezeichnung noch uͤber die Kraͤfte damaliger Kuͤnſtler hinausging. Von den Malereyen der naͤchſtfolgenden und ſchlimmſten Zeit unterſcheiden ſich die unſrigen vornehm - lich durch etwas reinere Umriſſe und durch das Beſtreben, Schatten und Halbtoͤne anzugeben, nach Maßgabe nemlich des Herkommens altchriſtlich-muſiviſcher Kunſt.
Ein anderes und aͤhnliches Denkmal dieſer Zeit, unter dem Porticus der Kirche S. Suſanna, oder auch der Heiligen Vincenz und Anaſtaſius*)Barberina, No. 1050, copie dell’ antiche pitture, che Sono al portico di S. Vinc. e Anastasioall’ acque Salvie. Dieſel - ben werden an anderen Stellen als in der Kirche S. Suſanna be - findlich abgebildet und angefuͤhrt. Nach Anaſtaſ. hatte Leo III. die letzte verzieren laſſen., iſt nicht mehr vorhanden**)S. Ciampini, vet. mon. ; uͤberhaupt duͤrfte obiges genuͤgen, wo es nur darauf ankommt,203 fuͤr das Kunſtverdienſt anderer unter Leo III. entſtandener Werke einen Maßſtab zu haben. Nach Angabe des Anaſta - ſiusließ dieſer Papſt viele Kirchen wieder herſtellen, und in einigen die Tribune oder Woͤlbung hinter dem Hauptaltare neu mit muſiviſchen Malereyen verſehen, welche der beſchriebenen im Weſentlichen moͤgen geglichen haben. Solches geſchah in der Kirche zum heil. Kreuz*) Anast.l. et ed. c. p. 72. col. 1. , wo indeß ſchon im funfzehnten Jahrhundert eine Frescomalerey an die Stelle des Muſives getreten; ſo wie in der Kapelle des lateraniſchen Palaſtes**)ib. p. 76. col. 1. , welche mit dieſem zugleich zerſtoͤrt ſeyn wird.
Alſo ward die muſiviſche Malerey, als Karl der Große Rombeſuchte, dort noch immer, nach dem Maße der Um - ſtaͤnde, auf hergebrachte Weiſe fortgeuͤbt. Allein, auch in der Baukunſt waren Meiſter und Arbeiter vorhanden, welche, wie es theils aus den Angaben der Schriftſteller, theils und ſiche - rer aus den Denkmalen erhellt, ihre Werke, mit geringen Ab - aͤnderungen, nach Art der fruͤheren Chriſten oder ſpaͤteren Roͤ - mer entwarfen und ausfuͤhrten. Unter den Wiederherſtellungen alter, den Gruͤndungen neuer Gebaͤude, welche Anaſtaſiusim Leben Leos III. meldet, nennt er, außer dem ſchon beruͤhr - ten Saale, auch die Kapelle des lateraniſchen Palaſtes. Die letzte iſt nicht mehr vorhanden; doch aus dem Ueberreſte des erſten duͤrfen wir ſchließen, daß dieſes Gemach in betraͤchtli - chen Ausdehnungen ausgefuͤhrt war, und ſchon hiedurch von den haͤuslichen Anlagen des ſpaͤteren Mittelalters ſich weſent - lich unterſchied. Der noch beſtehende Theil war nur die eine204 von vielen ſich gegenuͤberliegenden Tribunen oder uͤberwoͤlbten Seitenvertiefungen*)id. (ed. Mur.scr. T. III. p. 201. col. 2.) — cum absida de musivo, sed et alias absidas decem, dextra laevaque diversis histo - riis depictas, habentes Apostolos gentibus praedicantes etc. , welche die Luftigkeit des Anſehens er - hoͤhen mußten, und durch ihre Vertheilung, Anlage und Aus - dehnung deutlich darlegen, daß die Baukunſt dieſer Zeiten eben nur als Nachwirkung jener großen, weit verbreiteten Schule zu betrachten iſt, welche auf der Hoͤhe und gegen das Ende der politiſchen Groͤße Romsaus alten Elementen und neuen Beduͤrfniſſen und Forderungen entſtanden war.
Ein zweytes Beyſpiel ſo ſpaͤter Nachwirkung jener, zwar in aͤſthetiſcher Hinſicht ſchon willkuͤhrlichen, doch in techniſcher ſtreng roͤmiſchen Baukunſt des vierten bis ſechsten Jahrhun - derts beſitzen wir in dem bemerkenswerthen Octogon des La - terans, der Taufkapelle nemlich Conſtantins des Großen. Es iſt nicht uͤberall bekannt, daß Leo III. dieſer Kapelle die Ein - richtung geben laſſen, welche ſie noch zur Stunde bewahrt. Anaſtaſiusaber, dem wir in dieſer Beziehung trauen duͤr - fen, erzaͤhlt: der genannte Papſt habe das Baptiſterium, weil es den Einſturz drohte, auch weil es zu eng war, durchaus verbeſſert, daſſelbe von Grund auf ins Runde gebaut, den Taufbrunnen in der Mitte erweitert und ringsum mit Por - phyrſaͤulen verziert**) Anast, l. et ed. c. p. 71. sq. (ed. Murat.scr. T. III. p. 204. col. 2.) — „ in circuitu columnis porphyreticis decoravit. “— Aehnliche Pracht meldet derſ. (ed. Mur.p. 201. col. 2.) — collo - cavit, et in medio (des Feſtſaals im Lateran) concham porphyreti - cam aquam fundentem. “. Allerdings iſt dieſes Gebaͤude mit ſei - nen ungleichen Saͤulenreihen, ſeinen gemiſchten, aus mancher -205 ley Fragmenten zuſammengeſetzten Gebaͤlken der Zeiten Con - ſtantinsganz unwerth. Doch als ein Werk des achten Jahr - hunderts angeſehen, verdient es in mehr als einer Hinſicht Beachtung. Einmal iſt es, nach modernem Maße, nicht ohne Schoͤnheiten des Plans und der Ausfuͤhrung; zweytens aber beweiſet es, daß dazumal viele Theile, welche in der Baukunſt der Alten urſpruͤnglich nicht der Verzierung, ſondern der Con - ſtruction angehoͤren, damals noch immer in ihrem erſten Sinn verwendet wurden; daß keinesweges ſchon damals, ſondern erſt im vorgeruͤckteren, Mittelalter jene gaͤnzliche Verzwergung der Saͤulen und Gebaͤlke entſtanden, welche der gothiſchen Ar - chitectur um einige Jahrhunderte vorangeht.
Ueberhaupt darf es uns nicht befremden, die italieniſche Baukunſt im Zeitalter Karl des Großen, bey verhaͤltnißmaͤßig geringem Ruͤckſchritt in techniſchen Vortheilen, noch ungefaͤhr auf der Hoͤhe zu finden, welche ſie unter den gothiſchen Koͤ - nigen und fruͤheren Exarchen eingenommen; vielleicht ſelbſt in Bezug auf die Anlage dem Hochalterthuͤmlichen oder Antiken um etwas verwandter, als beruͤhmte Denkmale jener Zeiten, das Mauſoleum Theodorichsund S. Vitale, beide zu Ra - venna. Große Hoffnungen, welche gerade damals aus dem neuen Bunde fraͤnkiſcher Macht und roͤmiſchen Anſehens ent - ſtanden, mochten den Muth unternehmender Geiſter erhoͤhen; auf der anderen Seite war Karl, wie Alle, ſo ihm durch Geiſt und Verdienſt nahe ſtanden, gleich Eginhardund Alcuin, von der Groͤße und Gediegenheit des Alterthums maͤchtig er - griffen worden. Wie man die Alten (obwohl nur jenſeit der Berge) mit feuriger Bewunderung las, nach gleicher Klarheit des Gedankens ( Eginhard), nach aͤhnlicher Reinheit der Sprache ſtrebte, ſo bewunderte man auch die Herrlichkeit ihrer206 Baukunſt. Allem, was Karlin dieſer Kunſt unternahm, la - gen roͤmiſche und ravennatiſche Vorbilder zum Grunde. Bloße Nachahmung erzeugt aber keine Kuͤnſtler; die Schule muß hinzukommen. Daher vermuthe ich, daß der maͤchtigſte Herr - ſcher jener Zeit in eben dem Lande, welches ihm theils unbe - dingt gehorchte, theils doch ſein hoͤchſtes Anſehen anerkannte, ſpaͤte Sproͤßlinge der alten roͤmiſchen Bauſchule an ſich gezo - gen, um unter ihrer Leitung und durch ihre Kunſt in ſeinen rheiniſchen Sitzen ſich mit roͤmiſchen Erinnerungen zu umgeben.
Gewiß fehlte es auch den Franken dieſer Zeit weder an Vorbildern und Beyſpielen roͤmiſch-chriſtlicher Kunſtart, noch an einiger Schule und Anleitung ſie fortzuuͤben. Noch immer beſtehen, vornehmlich in den ſuͤdlichen und weſtlichen Provin - zen des franzoͤſiſchen Reiches, ſehr ausgezeichnete Denkmale der roͤmiſchen Baukunſt*)S. Clérisseau, antt. de la France, Paris1778. fo. ; im achten Jahrhundert mußten ſie ſich in groͤßerer Menge finden, und beſſer im Stande ſeyn. Gregor von Toursbeſchreibt ein roͤmiſches Caſtrum, angeb - lich die Stiftung Aurelians, als voͤllig erhalten; deſſen regel - maͤßige und dauerhafte Befeſtigung ward noch zu ſeiner Zeit genutzt**) Gregor. Tur.lib. III. c. 19. (ap. Du Chesnescriptt. T. 1.) . Unter den Burgundionen und Gothen***)Dſ. ſ. Abh. VIII. , ſo - gar noch unter den fraͤnkiſchen Koͤnigen des erſten Stammes†)Dſ. lib. V. c. 46. Vom Agroecula, Biſchof zu Chalons: „ Multa in civitate illa aedificia fecit, domos composuit, Ecclesiam fabricavit, quam columnis fulcivit, variavit marmore, musivo de - pinxit. “, wurden Kirchen nach roͤmiſcher Anlage gebaut, durch ſchoͤnes Geſtein und Muſivmalerey gleich den italieniſchen geſchmuͤckt. 207Doch, nachdem die fraͤnkiſche Herrſchaft uͤber alle galliſchen Provinzen ausgebreitet, das herrſchende Haus in ſich zerfallen, die Sitten gaͤnzlich verwildert waren, erlitt jene Nachwirkung roͤmiſch-chriſtlicher Kunſtbeſtrebungen eine ſichtbare Unterbre - chung; und todte Vorbilder ſind, wie die vielfaͤltigſten Erfah - rungen zeigen, unzureichend, einſeitig auf kriegeriſche oder po - litiſche Groͤße, oder bloß auf Ueberfluß an Nothduͤrftigem ge - richtete Voͤlker zur Kunſt anzuleiten. Ueberhaupt ſind die Franken, in Bezug auf Faͤhigkeit und Sinn der Kunſt, nicht wohl mit den Anwohnern des Rheins*)Von den Anwohnern des Mittelrheinserwaͤhnt Ammian(lib. XVII. ) „ domicilia — curatius ritu Romano constructa. “oder mit den Gothen zu vergleichen, welche an den oͤſtlichen Grenzen des Reiches, in fruchtbaren Wohnſitzen**)Dſ. (lib. XXXI.). — „ Ermenrichilate patentes e uberes pagos. “, fruͤh den Werth der Geſittung kennen gelernt. Schon wo ſie zuerſt in der Geſchichte auftreten, erſcheinen die Franken als kriegeriſch verwilderte, rauhe Voͤl - ker, welche vielleicht eben daher fruͤh die Sittenloſigkeit der letzten Roͤmer in ſich aufnahmen, ſehr ſpaͤt aber jene Grund - lagen guter Ordnung und fruchtbarer Sitte erkannten und wuͤrdigten, welche in den Truͤmmern der roͤmiſchen, in den Keimen der chriſtlichen Bildung verborgen lagen. Die duͤrf - tige Geſchichte der Koͤnige des erſten Stammes zeigt keinen Fuͤrſten auf, welcher das Andenken Romsgeehrt und geſtrebt haͤtte, ſich mit roͤmiſchem Glanze zu umgeben***)Verſchiedentlich wird aus Gregor von Tours(lib. V. c. 18.) angefuͤhrt, Chilperichhabe einen Circus auf antike Weiſe erbauen laſſen. Sehen wir indeß die Quelle ſelbſt: Chilperichwird durch Geſandte drohend angemahnt, herauszugeben, was er, oder aus208 den Ueberlieferungen des Alterthums Nutzen zu ziehen. Un - mittelbar nach der Eroberung fuͤllen verraͤtheriſche, blutige Er - eigniſſe*)S. Gregor. Tur.ed. c., etwa zu Ende des vierten Buches, oder lib. VI. c. 35. und a. a. St. die fraͤnkiſche Geſchichte, oder Klagen der Geiſtlich - keit uͤber den Druck kriegeriſcher Gewalthaber**) Greg. Tur.lib. IV. c. 42. — Fuitque illo in tempore pejor in Ecclesiis gemitus, quam tempore persecutionis Diocletiani. — Vergl. den Stoßſeufzer im folgenden Kapitel., aus welchen wir abnehmen koͤnnen, daß auch die roͤmiſche Bevoͤlkerung die hergebrachten Kuͤnſte nur hoͤchſt nothduͤrftig fortbetrieb; aus Denkmalen habe ich mich bis dahin nicht uͤber das Maß der Unvollkommenheit damaliger Kunſtuͤbung belehren koͤnnen, da ſolche theils ganz fehlen, theils zweifelhaft oder ſicher un - aͤcht ſind***)Wie die meiſten bey Montfauconantt. de la mon. françoise T. 1. p. 158. pl. XI. und andere daſ., etwa mit Ausnahme des halb zerſtoͤrten muſiviſchen Denkmals der Koͤnigin Fredegunde, welches indeß ebenfalls zweifelhaft, woruͤber Lenoir, musée des monum. français, einzuſehen..
Karl Martell, den wahren Stifter der fraͤnkiſchen Groͤße, beſchaͤftigten kriegeriſche Thaten; ſeinen Nachfolger Pipinum - faſſende Raͤnke der Staatskunſt, Befeſtigung der neuen Ge - walt; es mußte demnach Karl dem Großenvorbehalten ſeyn,die***)von ſeines NeffenChildebertErbtheil an ſich geriſſen. Quos ille (erzaͤhlt Gregor) despiciens, apud Suessicnas atque Parisios circos aedificare praecepit, eos populis spectaculum praebens. Nach der Sitte der Zeit duͤrfte es wohl in Frage kommen, ob er nicht etwa die Geſandten ſelbſt darin dem Spotte Preis gegeben. Unter allen Umſtaͤnden aber konnten dieſe Circus nur hoͤlzerne Einfaͤnge ſeyn, da ſogar die Roͤmer ſolche Gebaͤude nicht bloß des Schimpfes wil - len, vielmehr mit einem Aufwand an Zeit und Koſten, den hier die Umſtaͤnde ausſchließen, erbauten.209die roͤmiſch-chriſtliche Kunſtart in ſein Gebiet wieder einzufuͤh - ren, oder doch den Glanz zu verjuͤngen, den ſie im fuͤnften Jahrhundert in den roͤmiſchen, burgundiſchen und gothiſchen Gebieten Galliensvielleicht noch bewahrt hatte. Gewiß findet ſich nicht, daß ſeine Vorgaͤnger fuͤr den Glanz der Kirche, das wichtigſte Ziel des damaligen, wenn nicht vielleicht jeglichen Kunſtbeſtrebens, thaͤtig gewirkt haͤtten. Beide gedachten, wenn wir ihrem Geſchichtſchreiber folgen, erſt in der Sterbeſtunde der Schutzheiligen Frankreichsund ihrer Staͤtten*) Fredegar. (ap. Du ChesneTo. I.) ad a. 768, und fruͤ - her beym Tode Karl Martells.; dagegen findet ſich, daß ſie Befeſtigungen angeordnet**) Fred.chron. contin. (ib.) ad a. 762 — 66. (bey Bou - quet, recueil, T. V.) „ Rex Pipin.castrum, cui nomen est Argento - nus — a fundamento miro opere in pristinum statum reparari iussit. “, die Belage - rungskunſt verſtanden***)Id. ib. „ Cum machinis et omni genere armorum circum - dedit eam vallo; — fractisque muris cepit urbem etc. “; denn uͤberall richtet ſich der Sinn, in Zeiten der Gruͤndung, oder unmittelbar nach gewaltigen Zerſtoͤrungen, zunaͤchſt auf das Nothduͤrftige.
Allerdings zeigt ſich, bey ſteigender Wohlfahrt des Staa - tes, ſchon gegen das Ende Pipinsdie erſte Lebensregung je - nes Kunſtbeſtrebens, welches durch Karlgefoͤrdert und weiter ausgebildet worden. Chrodegang, Biſchof von Metz, ein be - guͤnſtigter und reicher Praͤlat, der als Abgeordneter Romge - ſehen, bemuͤhte ſich unter dieſer Regierung, in ſeinem Spren - gel roͤmiſchen Geſang†)PaulDiac. de episc. Mettens. (ap. BouquetT. c.) — „ Clerum abundanter — Romana imbutum cantilena, morem atque ordinem Romanae ecclesiae servare praecepit, quod usque ad id tempus in Metensi ecclesia factum minime fuit. , roͤmiſche Zierde und Anordnung derI. 14210Kirchen einzufuͤhren. Mit Beyſtand Koͤnig Pipinserrichtete er in S. Stephans, des erſten Maͤrtyrers, Kirche deſſen Altar, das Gelende und die Bogen umher*)Dſ. ebendaſ. S. 193. (bey Du Chesnescr. To. 2.); und in der Peters - kirche das Presbyterium, und einen Altar in Gold und Sil - ber geziert, und umher eine Bogenſtellung. Ferner gruͤndete er einige Kloͤſter, uͤber deren Bauart nichts Umſtaͤndliches ge - meldet wird.
Eins dieſer Gebaͤude, das Kloſter zu Lorſch, ſcheint nicht fuͤher als unter Karl dem Großenvollendet zu ſeyn, da der genannte Fuͤrſt der Einweihung im Jahre 774 beygewohnt**) Eginhardann. ad a. 774.; woraus ein gewiſſer Antheil an den Stiftungen Chrodegangshervorzuleuchten ſcheint, welcher vielleicht meine Vermuthung, daß die Kunſtliebe Karls, oder des fraͤnkiſchen Hofes uͤber - haupt, durch gedachten Praͤlaten zuerſt ſey angeregt worden, in ſo weit beſtaͤtigt, als Vermuthungen durch Vermuthungen beſtaͤtigt werden koͤnnen. Unter allen Umſtaͤnden erhellt aus dem Angefuͤhrten, daß Biſchof Chrodegang, eben wie ſpaͤterhin Kaiſer Karl, von dem Eindruck roͤmiſcher Herrlichkeiten aus - gegangen, daß mithin beide demſelben Vorbilde nachgeſtrebt.
Gleich den Paͤpſten Hadrian I. und Leo III. gebot Karlzunaͤchſt die Wiederherſtellung von, uͤberall innerhalb des Umfanges ſeines Reiches, verfallenen Kirchen***) Eginh.vita Caroli M.(ap. Bouquetrec. T. V. p. 96) — „ Praecipue tamen aedes sacras, ubicunque in toto regno suo ce - tustate collapsas comperit, — ut restaurarentur, imperavit. “. Es kann nicht zufaͤllig ſeyn, daß dieſe Wiederherſtellungen im fraͤnki - ſchen Reiche mit jenen, welche Anaſtaſiusund Agnellusmelden, der Zeit nach zuſammenfallen.
211Nach unbeſtimmten Traditionen, welche uͤberall gern an große Namen ſich anlehnen, ſoll Karlauch in Italienverſchiedene Gebaͤude aufgerichtet haben, unter denen manche, namentlich die Apoſtelkirche zu Florenz*)S. Vasarivite etc. ed. San. T. 1. p. 224. Er ſtuͤtzt ſich auf eine Inſchrift von groͤbſter Erdichtung, welche daſ. S. 227 abgedruckt., ſchon unter den Longobarden duͤrften entſtanden ſeyn. Denn da nichts verraͤth, daß Karlein Land, welches ſtets nur ein Außenwerk ſeiner Groͤße war, jemals beſonders beguͤnſtigt haͤtte, ſo werden ſolche nirgend wohl begruͤndete Ueberlieferungen, durchhin aus ſpaͤteren Ver - muthungen entſtanden ſeyn. Gewiß lag es dem großen Herr - ſcher naͤher, die Vorſtellungen von Pracht und Groͤße, welche er zu Romund Ravennaaufgefaßt, in einem ganz anderen Kreiſe, den Rheingegenden, zu verwirklichen. Dieſe liebte er, wie es hiſtoriſch gewiß, wie ſie denn wirklich, von ihrer An - muth abgeſehen, politiſch der rechte Mittelpunct ſeines Staa - tes, kriegeriſch die Grundlinie aller Feldzuͤge waren, welche ſeine ſo ganz eigenthuͤmliche Lage beynahe alljaͤhrlich her - beyfuͤhrte.
Dort erbauete er Palaͤſte, Baͤder, Tempel**) Eginh.vita Car. M.c. XVII und c. XXVI. Leider iſt dieſer treffliche Schriftſteller in ſolchen Dingen nicht umſtaͤndlich genug; daß ein Porticus vom Palaſte zur Kirche fuͤhrte, ſehen wir erſt c. XXXII., wo deſſen Einſturz gemeldet wird. — Ermoldi Ni - gellicarmen el. de gestis Ludovicipii lib. IV. (ap. Murat.scriptt. Vol. Il. P. II. p. 65. col. 1.) — von Ingelheim. — Quo domus alma patet centum perfixa (?) columnis. — Mille aditus, reditus, millenaque claustra domorum Acta magistrorum artificumque manu. — — Templa operata metallo, Aerati postes, aurea ostiola x. Gro - ßentheils offenbar poetiſche Hyperbeln. Das Verzeichniß der im Palaſte gemalten Gegenſtaͤnde iſt indeß ſehr wichtig; es umfaßt den ganzen Bilderkreis des Mittelalters., welche14 *212gleichzeitige Schriftſteller erwaͤhnen oder beſchreiben, deren An - denken haͤufig durch die Annaliſten nachfolgender Jahrhunderte erneuert wird*)S. Wippo, vita Conr. Sal.(ap.[Pistor.]scr. p. 429.) und Andere.. Die Rotunde**)— basilica rotunda Caroli Magni, in den Nachrichten von Kroͤnungen nachfolgender Kaiſer. zu Acheniſt bis auf die heutige Stunde erhalten; die alte Hofkapelle bildet indeß nur einen Nebentheil der heutigen Hauptkirche der Stadt; Achenwar damals ein Hofſitz, keine Hauptſtadt. Von der neueren Erhoͤhung unterſcheidet ſich das alte Gemaͤuer durch Groͤße der Werkſtuͤcke; die Granitſaͤulen im Inneren, dieſelben, welche in den letzten Kriegen nach Parisentfuͤhrt, und zum Theil wiederum zuruͤckverſetzt worden, entſtehen hier, wie es ſchon in dem Palaſte Diocletianszu Spalatro***)S. Cassas, voy. pittoresque et hist. d’ Istrieet de Dal - matie, Paris, an X. (1802.) Pl. 42. 43. Verkleinerte Nachbildungen bey Durand., und ſpaͤter immer haͤufiger vorkommt, nicht mehr aus einem Beduͤrfniß der Conſtruction; doch vermehren ſie, indem ſie verzieren, wenig - ſtens das innere Gemach, und ſind eben deshalb noch weit entfernt von jener Verzwergung der Saͤulen, welche gewiß vor dem zwoͤlften Jahrhundert in Italiennirgend Eingang gefunden, und wahrſcheinlich im Norden entſtanden iſt. Die Anlage der Gebaͤude in die Runde darf[uns] aber in dieſer Zeit nicht befremden. Denn ſeit dem erſten Jahrhundert des herrſchenden Chriſtenthums waren Anlagen dieſer Art, deren Vorbilder im roͤmiſchen Alterthume aufzuſuchen ſind, vornehm - lich fuͤr Taufkirchen ſtark im Gebrauch†)S. Maffei, Veronaillustrata, T. III. (S. 116 f. der ach -.
213Von einem anderen Gebaͤude dieſer Zeit, der Vorhalle des Kloſters zu Lorſch, findet ſich die Abbildung im erſten Hefte von Georg MollersDenkmaͤlern der deutſchen Bau - kunſt*) Darmſtadt. 1815.; und gewiß duͤrfen wir dieſem verdienſtvollen Bau - kuͤnſtler Dank wiſſen, unſere Kunde von der Baukunſt der ka - rolingiſchen Zeiten durch ein Denkmal von ganz verſchiedener Beſtimmung und Anlage erweitert zu haben. Auch hier laͤßt das Ganze, wie das Untergeordnete, ſich uͤberall aus der roͤ - miſchen Baukunſt ableiten. Denn, wie fremdartig dieſes Bau - werk auf den erſten Blick erſcheinen moͤge, ſo ergeben ſich doch, wenn wir es in ſeine Theile zerlegen, lauter roͤmiſche Elemente, deren willkuͤhrliche Verknuͤpfung Niemand befrem - den wird, dem aus den italieniſchen Denkmalen dieſer und fruͤherer Zeiten deutlich geworden, wie im Verlaufe der Zeit und durch allmaͤhliche Uebergaͤnge mancher weſentliche Theil zur bloßen Verzierung eingeſchmolzen, manche Verzierung ihre Stelle gewechſelt, oder benachbarte Glieder eingebuͤßt hat.
Schwerlich nun hatte die Bauart des ſpaͤten und chriſt - lichen Romsunter den Merowingern ſich in der Reinheit und Ausbildung erhalten, welche wir in den angefuͤhrten Bauwer - ken Karl des Großenwahrgenommen haben. Denn es kommt, außer dem bereits Bemerkten, hier auch noch dieſes in Be - trachtung, daß die Franken, eben wie die Longobarden, deut - ſche Lebensſitten in ihre Eroberungen eingefuͤhrt. Ueberall aber, wo die germaniſchen Voͤlker den Roͤmern bekannt gewor -†)ten Aufl.). Dort werden viele, obwohl nicht alle, Baptiſterien von acht - und ſechseckigem Grundriß, ſo wie einige ganz runde aufgezaͤhlt.214 den, baueten ſie aus leichten Stoffen*) Ammian.lib. XVIII. — sepimenta fragilium penatium in - flammata. Wir verdanken, wie ich an andern Stellen nachgewieſen, ſogar unſere Kunſtausdruͤcke in der Steinbaukunſt den Roͤmern; z. B. Pforte, Mauer, Fenſter etc.; daher beſitzen wir auch im Suͤden kein Denkmal deutſcher Bankunſt, welches aͤlter waͤre, als die roͤmiſchen Colonieen und Befeſtigungen am Rheinund Maynund an der Donau; noͤrdlicher keins, wel - ches uͤber die Einfuͤhrung des Chriſtenthums zuruͤckreichte. Unmittelbar nach ihrer Einwanderung verbreiteten die Franken ihre Holzbaukunſt auch in Gallien**)S. Gregor. Tur.Lib. V. cap. II. ad basilicam S. Martini, quae super muros civitatis (Rothomagi) ligneis tabulis fabricata est — und lib. IV. c. 20. — „ Basilica (sanc. Martini) — succensa. — Sed et civitas Turonica ante annum jam igni consumpta fuerat et totae (toutes, tutte) Ecclesiae in eadem destructae, desertae relictae sunt. An einer anderen Stelle ewaͤhnt dſ. Schriftſteller ſogar einer hoͤlzernen Kapelle. Wo endlich von der Villa eines Reichen die Rede iſt (derſelb. lib. IV. c. XLI.), heißt es — ostia domus ex ligneis fabrieata tabulis. Die Erwaͤhnung dieſes Umſtandes zeigt auf vermiſchten Gebrauch roͤmiſcher und teutſcher Bauart. Siehe auch uͤber den Brand des koͤn. Hofes zu Worms, bey Eginhardad a. 790.; obwohl ſolche in den noͤrdlichen Provinzen ſeit den aͤlteſten Zeiten gegen roͤmiſche Sitten ſich behauptet haben koͤnnte, da Caeſarſie dort vorge - funden. In einem alten Verzeichniß koͤniglicher Meyerhoͤfe erſchei - nen die Nebengebaͤude uͤberall von Holz, nur etwa das Hauptge - baͤude von Stein, eine Verbeſſerung, welche unter der geregelten Verwaltung des bauluſtigen Karlduͤrfte aufgekommen ſeyn***) Car. M.Breviarium rer. fisc. (ap. Leibnitz. in collectan. etym. P. II. p. 325. 28. 31.). — Juvenimus in Anaspio, fisco do - minico,[salam] regalem ex lapide factam optime, cameras tres, sola - riis totam casam eircumdatam, — alias casas infra curtem ex ligno.215 In Italienhingegen wurden, mindeſtens zu Rom, wie wir oben geſehen haben, die Kunſtvortheile der roͤmiſchen Baukunſt ungleich reiner und ungetheilter ausgeuͤbt, als im fraͤnkiſchen Reiche. Ließ nun Karl der Große, voll Bewunderung des verhaͤltnißmaͤßigen Glanzes italieniſcher Staͤdte ſeiner Zeit, von Romund Ravennapraͤchtiges Geſtein an den Rheinbringen*) Eginh.vita Car. M.c. 26. „ basilicam Aquisgrani exstruxit. — Ad cuius structuram, cum columnas et marmora aliunde habere non posset, Romaet Ravennadevehenda curavit. — Die Verguͤn - ſtigung, den koͤn. Palaſt zu Ravenna[ſeines] Schmuckes zu berauben, bey Bouquet.T. c. Epist. Hadriani I.ep. 36. — „ tam marmora, quamque, mosivum, caeteraque exempla de eodem palatio vobis concedimus auferenda. “ Die naͤheren Umſtaͤnde wuͤrde Agnellusha - ben, wenn nicht eben hier einige Lebensbeſchreibungen fehlten. Doch erwaͤhnt er (ſ. oben) der Entfuͤhrung der Statue des Gipfels. Andere ſchreiben den Eginhardnur aus.; ſo liegt die Vermuthung nicht fern, daß er gleichzeitig von dort, oder aus anderen Mittelpuncten Italiens, Meiſter und Arbeiter an ſich gezogen; was an ſich ſelbſt der allgemeinen Erfahrung nicht widerſpricht, daß Kuͤnſtler ſtets dem beleben - den Lichte der Gunſt und Befoͤrderung nachziehen.
Als Leo III. die Kirche des heiligen Apollinaris zu Ra - venna wieder herſtellen wollte, ſandte er nicht allein den Bau - meiſter, vielmehr auch Arbeiter aus Romhinuͤber**) Agnell.l. c. vita Martini, cap. 2. — Leo (III)Ro. Ec - clesiae et Urbis Artistes misit cubicularium suum nomine Chrysa - phum et reliquos caementarios, restauravit tecta S. Apollenaris etc. — Vgl. Anast.l. c. vita Leonis III.(ed. Murat.p. 211. col. 2), wo: misit illue etc. ohne Bezeichnung der Perſon.. Wenn dieſes nicht etwa aus perſoͤnlicher Beguͤnſtigung zu erklaͤren,***)factas XVII. cum totidem cameris et caeteris appendiciis compositis. — Curtem strenue tunimo (Zaun) munitam cum porta lapidea etc. 216 ſo duͤrfte ich daraus ſchließen, daß in Italiendamals bereits ein gewiſſer Mangel an brauchbaren Arbeitern entſtanden ſey, deſſen Veranlaſſung in den rheiniſchen Unternehmungen des Koͤnigs verborgen ſeyn koͤnnte. Hadrian I. begehrte von Karleinen geſchickten Zimmermann, ihm das Bauholz zu einer ſchwierigen Wiederherſtellung in der S. Peterskirche auszuwaͤh - len*)Epist. Hadriani I.(ap. Bouquet.T. c. p. 559. — „ prius nobis unum dirigite magistrum, qui considerare debeat ipsum lignamen, quod ibidem necesse fuerit, ut sicut antiquitus fuit, ita valeat renovari. “. War es, weil die noͤrdlichen Nationen den Holzbau beſſer verſtanden? Oder war es vielmehr, weil der Koͤnig die beſſeren Handwerker auch in dieſem Kunſtzweige aus Italienan ſich gezogen, in welchem Falle der Papſt nur zuruͤck begehrt haͤtte, was urſpruͤnglich Italienangehoͤrt? Dieſe Fragen ſind allerdings nicht uͤbereilt zu beantworten, indeß Vermuthungen, welche in der Folge vielleicht zu begruͤnden ſeyn werden.
Vor der Hand aber liegt es uns naͤher, auch in Bezug auf Sculptur und Malerey, das Daſeyn und den Fortgang einer urſpruͤnglich roͤmiſch-altchriſtlichen Schule nachzuweiſen, welche am Hofe Karl des Großenaufgebluͤht, und, vielleicht durch VermittelungArnulphs, welcher auf der einen Seite dem fraͤnkiſchen Herrſcherſtamme, auf der anderen dem deut - ſchen Lande verwandt war**)S. Zirngibl, P. Rom., von der Geburt und Wahl des Koͤnigs Arnolf, im Bd. III. der neuen hiſt. Abh. der baieriſchen Akad. der Wiſſ., auch dieſſeit des RheinesWurzeln geſchlagen und neue Zweige getrieben hat. Kuͤnftige Geſchichtſchreiber der deutſchen Kunſt werden auf dieſe Grund - lagen der karolingiſchen Zeit zu achten haben. Denn eben wie217 jene Ausbreitung roͤmiſcher Technik und Conſtructionsart, die wir in den Rheingegenden auch in anderen, als den erwaͤhn - ten Gebaͤuden wiederfinden (z. B. in der runden Taufkapelle hinter dem Dome zu Bonn, in der Marienkirche der Veſte zu Wuͤrzburg, welche, ihres faſt antiken Anſehens willen, gewiß faͤlſchlich, roͤmiſchen Zeiten beygemeſſen werden), vermuthen laͤßt, daß hierin der erſte Grund der entſchiedenen Ueberlegenheit rheiniſch-mittelalterlicher Architecten verborgen liege; ſo duͤrfte auch in den bildenden Kuͤnſten der Vorſprung, den die Deut - ſchen im fruͤheren Mittelalter uͤber ihre ſuͤdlichen Nachbaren gewonnen, mittelbar aus derſelben Anregung des Kunſtfleißes hervorgegangen ſeyn, deren Nachwirkung zu verfolgen fuͤr uns auch in anderer Beziehung unumgaͤnglich iſt.
Wie in der Architectur, ſo werden wir auch hier das Vorbild Karlszunaͤchſt in Italienaufſuchen muͤſſen. Koſt - bare Weihgeſchenke waren dort ſchon im fuͤnften und ſechsten Jahrhundert uͤblich*)S. Agnellusund Anaſtaſ.in den Lebensbeſchreibungen damaliger Biſchoͤfe von Romund Ravenna.; gleichzeitig freilich auch am fraͤnkiſchen Hofe, wo Chilperich, nach Gregor von Tours, ein Kir - chengeraͤth anfertigen ließ, auf welches, wenn die Zahl nicht verdorben iſt, funfzig Pfund Gold verwendet[wurde]**) Gregor. Tur.lib. VI. c. 2. — „ ibique nobis rex misso - rium magnum, quod ex auro gemmisque fabricaverat in quinquaginta librarum pondere, ostendit, dicens: Ego haec ad exornandam et nobilitandam Francorum gentem feci. Sed et plura adhuc, si vita comes fuerit, faciam. “ Vergl. dſ. lib. VII. c. 4.. [An] beiden Stellen kam die erſte Anregung dieſes Geſchmacks wahrſcheinlich aus dem oͤſtlichen Reiche. Auf der Hoͤhe und gegen das Ende der roͤmiſchen Groͤße war der uralte Gebrauch,218 Goͤtterbilder, Tempelgeraͤthe und Weihgeſchenke aus koſtbaren Stoffen anzufertigen, bereits in Abnahme gerathen, in Byzanzaber, wohl durch Einwirkung des Orients, fruͤh von neuem beliebt geworden*)S. Heyne, serioris artis opera sub Impp. Byz. sect. 1. (in Comm. soc. reg. Scientiar. Goett.Vol. XI. p. 41.) — ingenia; — mox (nach Conſtantin dem Gr.) multo magis fuere corrupta adscito luxu et fastu Asiatico; quo non artem, sed materiam, non manum, sed pretium in honore haberent. Gut durchgefuͤhrt und belegt auf dieſer und den folgenden Seiten; doch ohne Beruͤckſichtigung, ja ohne Kenntniß des Schoͤnen und Guten, welches demungeachtet bis auf die fraͤnkiſche Eroberung in byzantiniſchen Malereyen ſich er - halten hat.. Chilperichward von byzantiniſchen Kai - ſern mit ſolchen Koſtbarkeiten beſchenkt**) Gregor. Tur.l. s. l. ; reiche Zeuge und verarbeitetes Gold wurden aus Byzanzund Alexandriain Romeingefuͤhrt***) Anast.bibl. vita Leonis III.(ed. Murat.p. 210. col. 2.) — vela Alexandrina. — Ib. — vela de fundato, — ornata in cir - cuitu de blatthin Byzanteoet investita de blatthin Neapolitano. Alſo ward dieſer Handelsgegenſtand auch in Italienverfertigt, der byzantiniſche aber, da man ihn ſparſamer verwendete, hoͤher ge - ſchaͤtzt. — Ib. — cortinam maiorem Alexandrinammirae magnitu - dinis etc. Merkwuͤrdig ſind die Teppichgehaͤnge von Saͤule zu Saͤule, deren Anaſtaſiusſo haͤufig erwaͤhnt. Es waren dazumal antike Sitten und Gewohnheiten noch immer ſtark in Gebrauch. Wie dieſe Gehaͤnge angebracht wurden, ſieht man in jenem Muſiv zu Ravenna, welches fuͤr eine Darſtellung des koͤniglichen Palaſtes gilt; abgebildet in den Buͤchern uͤber Ravenna, uͤber Muſive, uͤber Coſtuͤme.. Alſo fehlte es nicht an aͤußeren Ver - anlaſſungen einer Sitte, welche der allgemeinen Verarmung des weſtlichen Reiches weder natuͤrlich, noch angemeſſen war.
In der Folge indeß unterlag Romdem Drucke der grie - chiſchen Verwaltung, den Anfeindungen der Longobarden; das219 Frankenreich den Mißhelligkeiten und der Ohnmacht des herr - ſchenden Hauſes; bis auf Pipinund Karlmußten demnach an beiden Stellen die Mittel fehlen, dem ſchon erwachten Geſchmacke an kirchlicher Pracht Genuͤge zu leiſten. Doch un - ter Hadrian I. brach die lange Zeit zuruͤckgehaltene, halb un - terdruͤckte Neigung zu metalliſchem Glanze nur um ſo gewal - tiger hervor, und in dem Leben Leos III. , bey Anaſtaſius, erfuͤllt die Aufzaͤhlung von mancherley Weihgeſchenken aus Gold und Silber und edlem Geſteine mindeſtens ein Drittheil des ganzen Raumes. Aber auch am fraͤnkiſchen Hofe ſcheint die Luſt an ſolchen Kunſtarbeiten ganz in demſelben Verhaͤlt - niß zuzunehmen; die Weihgeſchenke, welche der große Koͤnig unter Hadrian I. der roͤmiſchen Kirche darbringt, ſind ungleich karger*) Anaſtaſ.(vita Hadr. I.) erwaͤhnt nur eines einzigen Ge - ſchenkes von Bedeutung, eines ſchon zu ſeiner Zeit beraubten Kreuzes; wahrſcheinlich daſſelbe, fuͤr deſſen Ueberſendung Hadrian(ep. 22. ap. Bouquet, recueil, T. c. p. 565.) dem Koͤnige Dank abſtattet., als die ſpaͤteren Austheilungen unter Leo III. **) Anast.vit. Leo III.ed. c. p. 67. col. 2. 68. col. 1. — „ obtulit mensam argenteam (vgl. Eginhard, vit. Car. M.c. 33.) — diversa vasa ex auro purissimo — patenam auream cum gemmis — calicem majorem cúm gemmis etc. etc. — Verum etiam et Evan - gelium ex auro mundissimo cum gemmis ornatum. — Des Tiſches, den, nach Eginhard, die Kirche zu Ravennadurch Vermaͤchtniß Karls des Großenerhalten, erwaͤhnt Agnellusim Leben des gleichzeitigen Erzbiſchofs. Dieſe ſilbernen Tafeln, zwey mit den Grundriſſen von Romund Conſtantinopel, die eine mit dem Welt - kreiſe, waren hoͤchſt wahrſcheinlich niellirt, vielleicht byzantiniſche Arbeit, wenigſtens der Plan von Conſtantinopel.. Nehmen wir hinzu, daß dieſe Paͤpſte dem Koͤnige theils mit Beyſpiel vorangegangen ſind, theils ihn, wenn wir uns an220 die vorhandenen Nachrichten halten, in der Menge und Koſt - barkeit ſolcher Arbeiten weit uͤberboten haben*) Anast.vit. Leo III.; ſo wird es nahe liegen, das damalige Romim Weſten fuͤr den Mittel - punct der Betriebſamkeit in Guͤſſen, geſchlagenen und getriebe - nen Arbeiten zu halten, und von dort aus die Schule abzu - leiten, welche unter Karl dem Großenam fraͤnkiſchen Hofe entſtanden, deren Wirkſamkeit aber gewiß bis auf Heinrich II. , vielleicht noch ungleich weiter zu verfolgen iſt. Indeß werden wir aus der Ueberlegenheit der fraͤnkiſchen Schriftſteller dieſer Zeit uͤber die italieniſch-lateiniſchen ſchließen duͤrfen: das herr - ſchende Volk habe bey hoͤherem Lebensmuthe die Erfahrungen und Vorbilder, welche Romihm bot, alſobald weiter gebildet und fruͤhzeitig uͤbertroffen. Gewiß laͤßt ſich annehmen, daß Alles, was Karl der Großeangeordnet, durchhin aus einem Guſſe geweſen, da ſeine Anlagen von Grund auf neu waren, von einem gemeinſchaftlichen Plane[ausgingen]; die Paͤpſte hingegen verſtreueten ihre Schaͤtze uͤber ganz Rom, ihre An - ordnungen waren nicht ſelten bloße Aufzierungen des Alten, und, bey zu großer Naͤhe noch unerreichbarer Vorbilder, mußte ſogar der Sinn der Kuͤnſtler, deren ſie ſich bedient, befange - ner[ſeyn], als im fraͤnkifchen Norden, wo empfangene Anre - gungen im Geiſte nachwirken, und, ohne niederzubeugen, Stre - ben und Thaͤtigkeit hervorrufen mochten.
Da es mir nie gegluͤckt iſt, bis zum Schatze der Peters - kirche vorzudringen, ſo bin ich ungewiß, ob daſelbſt von den vielfaͤltigen Stiftungen und Geſchenken, welche die Paͤpſte im achten und neunten Jahrhundert uͤber die roͤmiſchen Kirchen221 vertheilt haben, ein und anderes Stuͤck noch vorhanden ſey. Gewiß ſind die Kunſtarbeiten aus Gold und Silber den An - feindungen der Habſucht und Neuerung beſonders ausgeſetzt, weshalb ſie ſich uͤberall nur hoͤchſt zufaͤllig erhalten haben. Ein um wenig ſpaͤteres Beyſpiel des Geſchmackes oder der Fertigkeit damaliger Zeiten beſitzen wir noch immer in dem Altarſchmucke der Kirche S. Ambroſius zu Mayland, einem ausgedehnten kunſtreichen Werke, deſſen Einzelnes ich uͤbergehe, weil es ganz neuerlich von Herrn von der Hagenbeſchrie - ben worden, auf den ich mithin verweiſen darf*)S. Briefe in die Heimat etc., Bd. 1. S. 287 f., wo auch das Literaͤriſche nachgewieſen iſt.. Der Kuͤnſtler oder Goldarbeiter ſetzte ſeinen Namen,Wolfwin, hinzu, welcher auf deutſchen Urſprung verweiſt, doch in Zwei - fel laͤßt, ob er einer minder bekannten norditalieniſchen, oder vielmehr der fraͤnkiſchen Hofſchule beyzuſchreiben ſey.
Die verhaͤltnißmaͤßig bedeutende Ausbildung und Thaͤtig - keit dieſer letzten erlernen wir theils aus den Schriftſtellern, theils aus einigen Ueberreſten, welche mir ſelbſt indeß nur durch Berichte bekannt ſind. Eginharderwaͤhnt im Allgemeinen, daß Karldie Hofkirche zu Achendurch Geraͤthe und Schmuck aus Gold und Silber, wie ſelbſt durch in Erz gegoſſene Ge - lende und Thore verherrlicht habe**) Eginh.vita Car. M.c. 26. — Basilicam Aquisgrani ex - struxit, auroque et argento et luminaribus atque ex aere solido can - cellis et januis adornavit.. Hermold Nigelluserzaͤhlt, wenn ihm anders zu trauen, von aͤhnlichen Herrlich - keiten im Reichspalaſte zu Ingelheim. Verſe von einem Al - tare, den Hildebold, Erzbiſchof zu Coͤlln, auf KarlsGeheiß222 in getriebener Arbeit anfertigen laſſen, finden ſich in den Quellenſammlungen der fraͤnkiſchen Geſchichte*)Bey Du Chesne, T. 11. rer. Franc. ed. 1636. p. 691. und BouquetT. c. ; ob der Altar ſelbſt noch vorhanden ſey, iſt mir unbekannt. An einem der Altaͤre der Hauptkirche zu Achenſoll, nach dem Zeugniß eines unterrichteten Kuͤnſtlers, der Ueberreſt von getriebenen Gold - platten bewahrt werden, welche, nach Einigen**)Mon. Egolism. Excerpta, bey Bouquet, T. c. — corpus eius in sede aurea sedens positum est — verſtehe, auf einem mit Goldplatten belegten Seſſel., den Seſſel geſchmuͤckt haben, auf dem Karl der Großein ſitzender Stel - lung beerdigt worden. Dieſe muͤſſen von einem ſpaͤteren Sarge aus getriebenem Silber***)S.Gottfried Colon., aus zweyter Hand benutzt von Walch.hist. canonis. Caroli M. Jenae1750. 8. p. 25 sq. , welcher ebenfalls noch vorhan - den ſeyn ſoll, unterſchieden werden. Bey kirchlichen Hand - ſchriften, welche Karlanfertigen und ſchmuͤcken laſſen, mag ſich hie und da einer jener in Gold getriebenen Buͤcherdeckel erhalten haben, deren gleichzeitige Schriftſteller erwaͤhnen. Daß dieſe Arbeiten nicht ohne Geiſt und Geſchmack geweſen, ſchließe ich aus einigen Miniaturmalereyen, welche ich naͤher betrachtet habe, und daher etwas umſtaͤndlicher bezeichnen will.
Waͤhrend des ſiebenten und zu Anfang des achten Jahr - hunderts wurden die lateiniſchen Handſchriften nur ſelten durch Malerey verziert, und ſelbſt, wo ſolches vorkommt, iſt die Arbeit doch nur gering, mehr bunte Zeichnung, als durchhin ausgefuͤhrte Miniatur. Erſt in der Folge, und augenſchein - lich†)S. die Vorreden der karolingiſchen Codd. Ms. durch Beguͤnſtigung Karls des Großen, gewann dieſer223 Kunſtzweig an Ausbildung. Unter den miniirten Handſchrif - ten*)S. die ziemlich genauen Nachbildungen bey D’Agincourt, h. de l’art, T. III. Peinture Part. II. Pl. 40 ß. , deren Prolog anzeigt, daß ſie auf Befehl dieſes Fuͤr - ſten geſchrieben worden, unterſuchte ich wiederholt die lateini - ſche Bibel, welche zu Romjenſeit der Tiber, im Kloſter S. Caliſto vorhanden iſt, und vormals lange Zeit hindurch in dem Kloſter des gleichen Ordens bey S. Paul, auf dem Wege nach Oſtia, bewahrt worden.Alemanni**)De Later. pariet. ed. c. p. 80. ad tab. IX. und, nach ihm, Montfaucon***)Antt. de la monarchie Franc. T. 1. p. 175 s.haben dieſe Handſchrift umſtaͤndlich beſchrieben, und die hiſtoriſchen Merkwurdigkeiten ihrer Bilder beleuchtet, in welcher Beziehung ich auf dieſe Forſcher verwei - ſen darf. Doch haben beide uͤberſehen, daß der Text durchhin von neuerer Hand geſchrieben iſt, daß mithin nichts darin dem Zeitalter Karlsangehoͤrt, als der Prolog und die Minia - turen. Die Zuͤge der Handſchrift des Textes verweiſen in das eilfte Jahrhundert, und ſtimmen mit dem, obwohl in anderer Tinte geſchriebenen, Lehenseid Herzog Roberts von Sicilienuͤberein, welcher der Bibel vorgeheftet iſt†)Ich unterſuchte dieſe HS. im I. 1819 in Geſellſchaft des Herrn Geh. Staatsraths Niebuhr, auf deſſen Zeugniß ich mich um ſo mehr berufen darf, da alle kritiſche Merkmale, welche ich angegeben, dem geuͤbten Blicke dieſes Meiſters der Forſchung ſich alſobald dargeboten.. Dieſer Umſtand aber entkraͤftet keinesweges die Aechtheit der eingehefteten Mi - niaturen. Dieſe nemlich fallen nirgend mit den Quaternionen der neueren Handſchrift zuſammen, ſind, eben wie der Prolog, nur beygeheftet, und zudem an den Raͤndern auffallend mehr abgegriffen. Der aͤltere Codex, zu welchem ſie gehoͤrt, mochte224 alſo durch den Gebrauch vernutzt oder ſonſt beſchaͤdigt ſeyn, als man dieſe Erneuerung unternahm. Da nun ſolche Mi - niaturen zu erſetzen oder nachzubilden, wie wir ſehen werden, im eilften Jahrhundert wenigſtens den Italienern unmoͤglich fiel, mag man ſie deshalb bewahrt und der neuen Handſchrift wieder beygegeben haben. Uebrigens iſt es zweifelhaft, ob ſie jenem Codex angehoͤrt, deſſen Anaſtaſiusunter den roͤmi - ſchen Weihgeſchenken Karlserwaͤhnt, ohne ganz deutlich zu machen, ob er der Paulskirche oder der Kirche S. Salvator anheimgefallen ſey.
Auf dem vorderen Blatte unſerer Handſchrift, deſſen, kuͤnſtleriſch angeſehen, hoͤchſt unvollkommene Abbildung beyAlemanniund Montfaucon, befindet ſich das Bildniß Karls des Großen; es iſt nicht ohne einigen Anſtrich von Individualitaͤt. Die nachfolgenden Darſtellungen aus dem alten Teſtamente verrathen, bey auffallender Abweichung von jenem antiken Kunſtcharakter, dem wir ſchon mehrmal in den Kunſtarbeiten des hoͤheren Mittelalters begegnet ſind, bereits einige Eigenheit des Geiſtes; im Saul iſt Großartiges; im Leben des Moſes viel Ausdruck in den Bewegungen der Menge. Wirklich ſcheinen ſie, da ſelbſt die Bekleidungen nicht ſelten ganz fraͤnkiſch, die Charaktere auffallend noͤrdlich ſind, großen - theils der freyen Erfindung, oder doch der Umgeſtaltung des Kuͤnſtlers anzugehoͤren. Doch zeigt ſich, dieſer freyeren Dar - ſtellung ungeachtet, in den Flußgoͤttern der Geſchichte Joſua, auch in Anderem, Bekanntſchaft mit altchriſtlichen Vorbildern, wenigſtens mit ihren italieniſchen Nachahmungen. Auch ver - ſpricht ſich der Kuͤnſtler im Prolog*)MS. Cod. c. fo. 2. — praesenti — libro,, mit italieniſchen Lei -ſtun -225ſtungen Schritt zu halten, ſogar ſie zu uͤbertreffen. Und da er ſich eben dort mit einem fraͤnkiſchen Namen,Ingobertus, nennt, ſo werden wir berechtigt ſeyn, dieſe Miniaturmalereyen als eine Verjuͤngung italieniſcher Ueberlieferungen durch den friſcheren Lebensmuth des herrſchenden Volkes zu betrachten. Auch in anderen zufaͤllig erhaltenen Handſchriften der karolin - giſchen Zeit melden ſich Kuͤnſtler mit deutſchen Namen, aus welchen wir abnehmen koͤnnen, ſowohl daß jene fraͤnkiſche Hofſchule zahlreich war, als daß ihre Zoͤglinge von einer foͤr - derlichen Ruhmbegier beſeelt wurden*)Im Codex von Toulouſe( BouquetT. c. p. 401.), wel - cher bey der Taufe des ehem. Koͤnigs von Romdem dam. Herrſcher dargebracht worden (ſ. Jen. Lit. Zeitung 1811. col. 508.), nennt ſich der Calligraph und MalerGodescalcus; im Pſalter der Kk. Hofbibl. zu Wienein anderer:Dagulf. Vgl. den Prolog anderer HSS. d. Z. bey Bouquet, T. c. p. 404 und 410..
Bey Schriftſtellern uͤber fraͤnkiſche Alterthuͤmer**)z. B. bey Montfaucon, l. et T. c. p. 301 s. , in bibliographiſchen und diplomatiſchen Werken findet ſich die Nachweiſung anderer Handſchriften des achten und neunten Jahrhunderts, welche mit kunſtreichen Deckeln und zierlichen Miniaturen verſehen ſind, gleich dem Evangeliarium Karls des Kahlen, ehemals im Reichsſtifte S. Emmeram, gegen - waͤrtig in der Hofbibliothek zu Muͤnchen. Das wichtigſte Blatt dieſes Buches hat allerdings, wahrſcheinlich bey jener Ausbeſſerung, welche auf der inneren Seite des Einbandes*)Quem tibi, quemque tuis rex Carolusore serenus Offert, XPE, — Ejus ad imperium devoti pectoris artusIngobertuseram referens et scriba fidelis Graphidas Ausonios aequans superansve tenore.I. 15226angegeben, hie und da einige Aufmalungen erfahren, deren man ſich bey Denkmalen dieſer Art ſtets enthalten ſollte. Doch unterſcheidet ſich das Erhaltene durch mehr Leimgehalt und groͤßeren Glanz der Farbe, ſo daß ſchon aus dieſem Bei - ſpiel mit Sicherheit abzunehmen, die Miniatur ſey am Hofe der Karolinger mit Erfolg, und nicht ohne techniſchen Fort - ſchritt weitergeuͤbt worden.
Sehen wir nun in der Folge, waͤhrend der inneren Zer - ruͤttungen des weſtfraͤnkiſchen Reiches im zehnten Jahrhundert, dort ihre Spur verſchwinden; finden wir dahingegen im eigent - lichen DeutſchlandWeihgeſchenke des Koͤnigs Arnolf, welche in aͤhnlichem Charakter, in derſelben Kunſtart gearbeitet ſind*)S. Zirngibl, neue hiſt. Abhh. der baieriſchen Ak. Bd. III. S. 374. Das Evangeliarium wird in der k. Hofbibl. zu Muͤnchen, das goldene Feldaltaͤrchen vielleicht im Schatze ebendaſ. aufbewahrt.; ſo ſcheint die Vermuthung ſich aufzudraͤngen, daß jene Schule von Goldarbeitern und Juwelieren, von Kalligraphen und Miniaturmalern, welche mehr als ein Jahrhundert lang am Hofe der Karolinger fortgebluͤht, damals dem letzten noch le - benskraͤftigen Zweige dieſes Stammes ſich angeſchloſſen habe. Denn von nun an erblicken wir ſie im Gefolge der deutſchen Koͤnige, denen ſie gewiß bis auf Heinrich II. , und, bey ſtei - gender Wohlfarth des Reiches, hoͤchſt wahrſcheinlich auch un - ter den folgenden Regierungen mit wechſelndem Geſchicke ge - dient hat.
Freilich entſchwindet mir der Faden unter der kurzen Re - gierung Conrad I. , aus welcher bis dahin kein Denkmal der angedeuteten Art mir bekannt worden. Ueberhaupt duͤrfen wir annehmen, daß zu Anfang des zehnten Jahrhunderts, waͤhrend227 der bedraͤngten RegierungenConradsund Heinrichs, der erſten, zur Befoͤrderung uͤberfluͤſſiger und freier Kuͤnſte nur wenig ge - ſchehen konnte. Der neue deutſche Staat rang noch mit man - chen Beſchwerden und Hinderniſſen; mit Ausnahme einiger roͤmiſchen Colonieen, welche bei veraͤnderter Bevoͤlkerung ihre aͤußere Einrichtung bewahrt hatten, gab es nur dem Namen nach Staͤdte; die wiederholten Verwuͤſtungen der Ungarnmuß - ten, wie die einfache Beſtattung Heinrich I. zu bewaͤhren ſcheint*) Wallmann, I. Andr., Abh. von den ſchaͤtzbaren Alter - thuͤmern zu Quedlinburg. Daſ. 1776. 8., da, wo ſchon fruͤher kein Reichthum war, groͤßere Armuth zuruͤcklaſſen, welche die einfachſte Lebensſitte**)S. die Biographen der Koͤniginnen Mathildeund Adel - heid, bey Leibnitz, scr. rer. Brunsv. min - der fuͤhlbar machte. Indeß konnte jene Schule unter Con - rad I. keine gaͤnzliche Unterbrechung erfahren haben, weil ſie ſchon unterHeinrichund Otto I. wieder hervortritt; weil die Kunſtfertigkeiten unter allen Umſtaͤnden der Uebung und leben - digen Fortpflanzung beduͤrfen.
Unter den Geſchenken der Koͤnige und Fuͤrſten des ſaͤchſi - ſchen Hauſes, welche bis zur Unterdruͤckung des Reichsſtiftes zu Quedlinburgdaſelbſt aufbewahrt wurden, befand ſich ein von außen mit getriebenem Goldblech bekleidetes Miſſale, wel - ches fuͤr ein Geſchenk Heinrich des erſtengalt, weil der Ein - weihungstext des Muͤnſters, ſeiner Stiftung, darin eingetragen war, und weil man wiſſen wollte, der Schoͤnſchreiber, der ſich zu Ende des BuchesJohannes Presbyternennt, habe unter dieſem Koͤnige gelebt***) Wallmann, a. a. O. S. 95. Vgl. S. 93.. Obwohl dieſe Angabe an ſich ſelbſt kein Mißtrauen erweckt, ſo will ich ſie doch nicht15 *228verbuͤrgen, da dieſes Miſſal zugleich mit den uͤbrigen Beſtand - theilen des Kirchenſchatzes, wie ich unter der weſtphaͤliſchen Regierung aus guter Quelle erfahren, ſchon bey Unterdruͤckung des alten Reichsſtiftes verſchollen iſt. Moͤchte es noch irgendwo in den wiſſenſchaftlichen Sammlungen der preußiſchen Monar - chie ſich erhalten haben.
Daſelbſt ward ein anderes Evangeliarium mit koſtbarem Deckel aufbewahrt, welches Einigen fuͤr ein Geſchenk Ottos des Großengalt*) Eckard, Mr. Tob., MSS. Quedlinb.1723. 4. p. 4., doch von dem beruͤhmten I. G. Eccardfuͤr eine Handſchrift der karolingiſchen Zeit gehalten wurde**)Praef. ad Lgg. Franc. Sal. et Rip. Im Chron.Gottwic.T. 1. p. 48. wird eine HS. der Capitularien angefuͤhrt, in der Herzogl. Bibl. zu Gotha, deren Miniaturen die Bildniſſe Ottos I. undII.enthalten ſollen. Ich habe ſie nicht ſelbſt unterſucht. Odilo( Henr. Canis.lectt. ant. To. V.) von der Kaiſerin Adelheid: — „ dominicae crucis vexilla et Christi Evangelia exinde (aus ihrem Schmuck) adornari praeparabat. “ Da dieſe Sitte beſtand, die Fer - tigkeit vorhanden war, da das ſaͤchſiſche Haus Quedlinburgbeguͤn - ſtigte, ſo liegt es naͤher, jenen Codex dem Zeitalter der Ottonen beyzumeſſen, wenn nicht entſcheidendere Gruͤnde fuͤr das Gegentheil vorhanden ſind.. Indeß duͤrfte das aͤußere Anſehen, welches ihn beſtimmte, hier minder entſcheidend ſeyn, da die calligraphiſchen Denkmale der ſaͤchſiſchen Epoche aus Gruͤnden, welche ich oben beruͤhrt und entwickelt habe, den karolingiſchen aͤhnlich ſind, mithin den fluͤchtigen Blick gar wohl beſtechen koͤnnen. Ebendaſelbſt be - fand ſich ein Reliquienkaͤſtlein von Elfenbein, mit koſtbaren Verzierungen und mancherley halberhobener Arbeit, nach allge - meinen, doch an ſich ſelbſt unverwerflichen, Vermuthungen229 ebenfalls ein Geſchenk Ottos des Großen*) Wallmann, a. a. O. S. 90.. Nach alten Nachrichten ward ein aͤhnliches Kaͤſtlein vor dem dreyßigjaͤhri - gen Kriege im Domſchatze zu Magdeburgaufbewahrt**)S. Dreſſer, Matth., Saͤchſiſch Chronikon etc. 1596. fo. S. 270 f. in dem Verzeichniß der damals reichhaltigen Koſtbarkei - ten des magdeburg. Domſchatzes: „ Ein Schrein oder Keſtlin von weiſſen Helfenbein und mehrentheils mit Gold und Silber beſchla - gen. ſ. Marien oder U. L. F. Keſtlin geheiſſen. “, von welchem ein Bruchſtuͤck ſich erhalten hat, welches im Jahre 1810 zu Maylandin der beruͤhmten Sammlung des verewig - ten AbbateTriulzivorhanden war, und vielleicht, da die Erben geneigt ſchienen, die Sammlung ungetrennt aufzube - wahren, noch an derſelben Stelle zu ſuchen iſt.
Sulzer, der dieſe Sammlung von Diptychen und Schnitzwerken nun ſchon vor laͤngerer Zeit beſehen, erzaͤhlt von einer Tafel, welche ihm aufgefallen: „ ſie ſtelle den Kaiſer Otto I. mit ſeiner Gemahlin vor dem paͤpſtlichen Throne vor***) Sulzer, Tagebuch auf einer Reiſe durch Italienetc. S. 327.. “ Ich wage nicht zu entſcheiden, ob er nur fluͤchtig darauf hingeſehen, oder eine andere, von Muratoribeleuch - tete Elfenbeintafel im Sinne gehabt, auf welcher Otto II. und ſeine Gemahlin Theophanuvorgeſtellt worden. Denn die unſrige enthaͤlt, nach einer genauen Beſchreibung, welche Herr von Ramdohrnach der Aufgabe, die ich ihm dahin mitge - geben, auf der Stelle entworfen, und ſogar mit einigen Nach - zeichnungen begleitet hat, in der Mitte den Weltlehrer, Ma - ria, S. Mauritius und den Kaiſer Otto I. , alſo weder deſſen230 Gemahlin, noch den Papſt, mithin ganz andere, als jene von Sulzerangegebenen Gegenſtaͤnde. Meinem Berichtgeber ſchien im Heiland der altchriſtliche Typus in großer Reinheit hervor - zutreten; die mechaniſche oder techniſche Behandlung billigte er, wie ſchon Sulzer, wenn dieſer anders daſſelbe Denkmal im Sinne hatte.
In Bezug auf deſſen fruͤhere Beſtimmung ſchließt ſich mein Berichtgeber der Meinung der maylaͤndiſchen Kenner an, und haͤlt dieſes kleine Denkmal entweder fuͤr eine bewegliche Altartafel, oder auch fuͤr einen ehemaligen Buͤcherdeckel. Er - waͤgen wir aber, daß unſere Tafel nur einen ſchlichten unver - zierten Rand hat, waͤhrend in den bekannteren Deckeln dieſer Zeit, wie in den bambergiſchen der muͤnchener Hofbibliothek die Randverzierung meiſt mit dem Bilde aus einem Stuͤcke, geſchnitzt iſt; ſo wird es naͤher liegen, ſie fuͤr ein Bruchſtuͤck zu halten. Und da ihre Gegenſtaͤnde, uͤber welche die beyge - fuͤgten Inſchriften keinen Zweifel zulaſſen, durchhin mit der Beſtimmung jenes Marienkaͤſtleins, dem Geſchenke Ottos des Großenan ſeinen Schutzheiligen, Mauritius, zuſammenfallen; ſo ſpreche ich mit Zuverſicht noch einmal die Vermuthung aus, daß ſie vormals dieſem Reliquiar muͤſſe angehoͤrt haben. Die Pluͤnderung Magdeburgsim dreyßigjaͤhrigen Kriege, vornehm - lich die fremden Voͤlker im kaiſerlichen Dienſte, duͤrften die Verſetzung dieſes Bruchſtuͤckes in eine italieniſche Sammlung zur Genuͤge erklaͤren.
Ein Denkmal der Calligraphie unter Otto II. beſitzen wir in der herrlichen Bekraͤftigung des Leibgedinges der Kaiſerin Theophanu, welche zu Gandersheimaufbewahrt wird; wenn ſie anders von Caſſel, wohin ſie unter der weſtphaͤliſchen Re - gierung gelangt war, den rechtmaͤßigen Eigenthuͤmern zuruͤck -231 geſtellt worden. Die ſchoͤnen Uncialbuchſtaben dieſer Urkunde ſind in Gold aufgetragen und durch miniirte Leiſten erhoͤht, denen antike Greife zum Grunde liegen*)Bey Huch, S. A., Verſuch einer Lit. der Diplom. ſoll S. 37 ein Verzeichniß vieler Urkunden in Gold - und Silberſchrift vorkommen, deſſen Werth zu pruͤfen mir bis jetzt die Gelegenheit ge - fehlt. Muratori(antt. It. Diss. 34.) bezweifelt die Aechtheit, ja das Vorhandenſeyn von Urkunden in Goldſchrift; obwohl ſolche gelegentlich ſogar von den aͤlteren Annaliſten erwaͤhnt werden.. In einem Kloſter des Sprengels von Trierbefand ſich noch zu BrowersZeit ein koͤſtliches Evangeliarium, auf deſſen in Gold getriebenem Deckel Otto II. unter dem Schutze des heil. Benedictus, Theo - phanu, ſeine Gemahlin, unter der Figur des damaligen Ab - tesLudgerangebracht war**) Brower, ann. Trevir. ad a. 975. — „ monast. Epernac. — Egregia visitur ibi caelatura et bracteis aureis obductus Evang. codex — in quo sub S. Bened. quidem imagine ipsius effigies scul - pta Ottonis, sub beatiLudgeriAbb. icone, regali ornatu habituque Theophania. “. Einer aͤhnlichen Darſtellung dieſer Fuͤrſten habe ich bereits erwaͤhnt. Eins der drey Evan - geliarien des Kirchenſchatzes zu Quedlinburg, deſſen Deckel aus einer ſchoͤn geſchnitzten Elfenbeintafel beſtand, enthielt ein Ge - bet, worin Papſt Silveſter II. , Otto III. und die Aebtiſſin Adelheiderwaͤhnt wurde, woraus erhellt, daß es unter Otto III. war beſchafft worden***) EckardMSS. Quedlinb.p. 4. Vgl. Wallm.a. a. O. S. 98.. Andere Denkmale dieſer Art und Zeit werden hie und da theils von den Schriftſtellern erwaͤhnt, theils noch immer in Sammlungen und Schatzkam - mern aufbewahrt.
Dieſe faſt ununterbrochene Kette von kleineren, aus koſt -232 baren Stoffen angefertigten Kunſtarbeiten, welche, da ich ſie aus den Vorbereitungen zu einer laͤngſt abgebrochenen Unter - ſuchung hervorziehe, ſicher vielfaͤltig ergaͤnzt und vermehrt wer - den koͤnnte*)S. Testamentum Brunonis fratris Ottonis M.(ap. Leib - nitzscriptt. T. 1. p. 289), wo eine lange Reihe koſtbarer und kunſtreicher Haus - und Kirchengeraͤthe. In derſ. Sammlung, vita Bernwardic. 7. fecit Evangelia auro et gemmis clarissima; ſiehe fer - ner daſ. p. 525, vita[Meinwerei], §. 18. Dort laͤßt dieſer heitere und bizarre Charakter, den Heerenin ſ. Geſch. der claſſiſchen Lit. aus Verſehen gelehrt nennt, da er doch nach ſeinem Biogra - phen auch fuͤr jene Zeit unwiſſend war, die Buͤcher, aus denen ſein Gaſt, der heil. Heimerad, die Meſſe geleſen, ins Feuer wer - fen, weil er ſie, incomptos et neglectos et nullius ponderis aut pretii, fand. Dieſe Handlung — eines Thoren allerdings — wirft einiges Licht auf die Verbreitung der Sitte, die kirchlichen HSS. durch Kunſt und Glanz zu verherrlichen. Gerbert( Silveſter II. Ep. 106. ap. Du Chesnescriptt. ) begehrt von Ecbert, Erzbiſchof von Trier: crucem vestra scientia elaboratam, und daſ. ep. 104 und 124, erſcheint derſelbe Praͤlat auch als Baumeiſter. S. ferner Ditmar, uͤber die Geſchenke, welche Ottodem Dome zu Magdeburg, in — libris caeteroque regio apparatu, dargebracht; denſ. (ap. Leibnitz. scriptt. T. 1. p. 394.) wo er von Walterd, Erzbiſchof von Magde - burg, erzaͤhlt: „ sarcophagum ingentem ad includendas sanctorum reliquias de argento fecit. “ Auch in der Bibliothek des Domes zu Modenabefindet ſich ein Evangel. mit geſchnitztem Einbande, denMillin(voy. dans le Mil. T. II. p. 205), wohl nach Tiraboſchi, in das eilfte Jahrhundert verſetzt. Ueber die betraͤchtliche Folge von Elfenbeinſchnitzwerken dieſer und fruͤherer Zeit in der oͤffentli - chen Bibliothek zu S. Gallengiebt v. d. Hagen, Briefe etc. Thl. 1. S. 165, gute Auskunft, wo auch auf den vorangehenden Seiten einiges Hiſtoriſche. Dieſe Gegenſtaͤnde beruͤhrt auch Joh. v. Muͤl - ler, Schweizergeſch. der alten Ausg. Thl. 1. S. 233 f. und S. 271. — Daß dieſe Kunſtrichtung ſich tief in den chriſtlichen Norden ver - breitet, ſehen wir, theils ſchon ausSnorro Sturleſ.(Ed. Schö - ningT. III. p. 14.) theils aus dem großen, aus Gold getriebenen, was ich Anderen uͤberlaſſe, beweiſt unwiderleg -233 lich, daß dieſelbe Schule von Goldarbeitern und Kalligraphen, welche unter Karl dem Großen, wenn nicht ihren Anfang, doch einen gewiſſen hoͤheren Schwung erhalten, im Gefolge der Macht und Groͤße bis auf Heinrich II. fortgedauert, unter welcher Regierung ſie ihren hoͤchſten Glanz erreicht zu ha - ben ſcheint.
Obwohl die Hauptſchrift uͤber Heinrich II. ſein Leben von Adelbold, Biſchof von Utrecht, bis auf ein Fragment der Muͤnchner Bibliothek, auch dieſes in neuerer Abſchrift, verlo - ren iſt, ſo findet ſich doch in anderen Schriftſtellern ſeiner Zeit mehrfaͤltige Kunde ſeiner Freygebigkeit und Kunſtbefoͤrde - rung. Die Kirche zu Merſeburgempfing durch ſeine Freyge - bigkeit einen Altar aus getriebenem Golde, zu welchem Biſchof Ditmar, wie er ſelbſt gemeldet, aus dem ſchon fruͤher vor - handenen ſechs Pfunde Gold beytrug; ein neuer Beweis fuͤr die Verbreitung ſolcher Kirchengeraͤthe*) Ditm. Mers.lib. VII. ap. Leibn.scriptt. T. 1. p. 416. — In hoc vernali tempore — aureum altare ad decus ecclesiae fabricari jusserat nostrae, ad quod ego ex antiqui altaris nostri sumptu auri VI. libras dedi. Dieſer Altar ward im Kriege gegen Herzog Mo - ritzauf Befehl des Kurfuͤrſten Joh. Friedrichder Domkirche zu Merſeburgentriſſen. Ob er eingeſchmolzen, ob im ſaͤchſiſchen Schatze aufbehalten worden? — Von den uͤbrigen Geſchenken, de - ren Ditmaran a. St. erwaͤhnt, befindet ſich nur noch ein Miſſal beym Dome zu Merſeburg, welches nach dem Kalender wenigſtens aus DitmarsZeit iſt. Nach Leo von Oſtiabeſchenkte Heinrichſogar daß entlegene Kloſter zu Monte Caſſinomit aͤhnlichen Arbeiten, welche noch ſpaͤt vor -*)Altare des nordiſchen Muſei zu Kopenhagen, wo unten die Felder von aͤlterem, vielleicht karolingiſchem Style, die Erneuerungen oben am Bogen und darunter gewiß nicht neuer, als das zwoͤlfte Jahrhundert ſind.234 handen waren*)S. Gattula(nicht Grattula) hist. Abbat. Cassinensis. T. 1. p. 161. sq.. Zu Bambergwurden die Weihgeſchenke Hein - richsmit groͤßter Sorgfalt aufbewahrt**)S. von Murr, Merkwuͤrdigk. von Bamberg. 1799. 8. S. 92 f. und a. a. St. Einiges zum Domſchatze gehoͤrende ſcheint man bey Aufhebung des Stiftes veraͤußert zu haben. Im I. 1811 ſah ich beym Domherrn, Grafen von Wallerndorf, ein Altaͤr - chen, nicht in Elfenbein, ſondern in Muſchelſchaalen geſchnitzt, welches in den actis ss. der Bollandiſten, vita S. Henrici, beſchrie - ben, und fuͤr ein Denkmal dieſes Kaiſers ausgegeben wird. Indeß gehoͤrt es der deutſchen Schule des ſechszehnten[Jahrhunderts] an; es finden ſich darin ſogar aus SchongauersKupferſtichen Remi - niscenzen., bis ſie in neueren Zeiten theils der koͤniglichen Bibliothek zu Muͤnchen, theils der Schatzkammer daſelbſt einverleibt worden, wo die Freunde der Kunſt und ihrer Alterthuͤmer ſie mit Bequemlichkeit ſehen, und von ihrem Kunſtverdienſte ſich anſchaulich uͤberzeugen koͤnnen. Dieſes letzte iſt ſo groß, daß Viele auf den erſten Blick be - zweifeln, daß dieſe Denkmale ſo alten Zeiten angehoͤren, bis ſie den Zuſammenhang eingeſehen, und aus ſo vielen Umſtaͤn - den, welche offenbar auf gleichzeitige Dinge und Begebenheiten ſich beziehen, aufgefaßt haben, daß nicht einmal die Deckel der Buͤcher die Conjectur zulaſſen, daß ſie in den erſten chriſt - lichen Zeiten gemacht, und nur zufaͤllig zu ihrer gegenwaͤrtigen Beſtimmung verwendet worden***)Wie H. v. Ramdohr, bis er ſich ſpaͤter, vornehmlich in der Sammlung des AbbateTriulzi, vom Gegentheil uͤberzeugte..
Es galt, unumgaͤnglicher Unterſcheidung willen, das Al - ter und die Abkunft einer gewiſſen Zahl deutſcher Denkmale außer Zweifel zu ſtellen, welche an ſich ſelbſt nicht ohne Kunſt -235 verdienſt, in Vergleich aber mit gleichzeitigen Arbeiten der Italiener wahre Meiſterſtuͤcke ſind. Ueberhaupt iſt die Unge - ſchicklichkeit und der rohe Sinn italieniſcher Kuͤnſtler des neun - ten bis zwoͤlften Jahrhunderts, oder des Zeitraumes, der uns gegenwaͤrtig beſchaͤftigen ſoll, durchaus unvergleichbar mit an - deren Erſcheinungen der Kunſthiſtorie. Sogar die roheſten Voͤlker des Nordens zeigen in ihren Kunſtarbeiten verhaͤltniß - maͤßig einige Nettigkeit und Sicherheit der Hand; nur die Larven aus Baumrinde, welche von braſilianiſchen Reiſenden in unſere Muſeen eingefuͤhrt worden, ſtimmen in der ſchwan - kenden Angabe der Zuͤge, vornehmlich der Augen und Naſen, mit den Ungeheuern uͤberein, deren Entſtehung wir geſchicht - lich verfolgen, deren Charakter wir andeuten wollen, ohne uns zu lange dabey aufzuhalten. Allein, daß unter dem italieni - ſchen Himmel, inmitten einer ſo herrlichen Natur und zahlrei - cher Vorbilder, bey einem Cultus, welcher den Bildern eine ehrenvolle Stelle anwies, nicht mehr,[nicht] Beſſeres geleiſtet wurde, als in den braſilianiſchen Suͤmpfen von einem halb - thieriſchen Geſchlechte, erinnert uns, daß die Entwickelung menſchlicher Faͤhigkeiten mehr, als wir wuͤnſchen und zu glau - ben geneigt ſind, von aͤußeren Umſtaͤnden abhaͤngt, welche wir mithin, ſo viel an uns liegt, zu bemeiſtern bemuͤht ſeyn muͤſſen.
Die ruͤſtigen Unternehmungen Hadriansund Leos III. verſprachen allerdings, wie wir oben geſehen, eine ganz andere Wendung, als dieſe, deren Stufenfolge und Dauer wir nun - mehr bis zum erſten Aufdaͤmmern eines neuen Tages verfolgen wollen. Doch werden wir zunaͤchſt verſuchen muͤſſen, in den allgemeineren Verhaͤltniſſen des Volkes die Urſachen einer ſo ganz beyſpielloſen Erſcheinung aufzufinden.
236Bey dieſer Unterſuchung duͤrfen wir nicht uͤberſehen, daß die Baukunſt, welche ihrem Zwecke nach menſchlicher und buͤr - gerlicher Beduͤrftigkeit dient, ihrem Weſen nach auf Vernunft und Muth beruht, gleichzeitig theils beym Alten blieb, theils ſogar an Muth und Freyheit ſichtlich zunahm. Denn eben darin, daß man unausgeſetzt und in zunehmenden Ausdehnun - gen Kirchen erbauete, welche in den Staͤdten, wie die Tempel des alten Roms, bey wichtigen Angelegenheiten des Gemein - wohls auch zur Berathung dienten*)Z. B. ſ. Piero Scheraggio, eine der aͤlteſten Baſiliken zu Florenz, deren letzter Ueberreſt unter Peter Leopoldabgetragen worden. S. Malaſpina, Villaniund andere florentiniſche Annaliſten, oder neuere Topographen dieſer Stadt., darin, daß man ſtaͤd - tiſche Mauern ſtaͤrkte und erweiterte, uͤberhaupt fuͤr gemeinen Nutzen keine Bauunternehmung zu groß und koſtſpielig fand; erkenne ich den wahren Geiſt des verworrenen, doch lebenvol - len Treibens, in welchem zwar nun auch die letzten Nachwir - kungen der antiken Cultur untergegangen ſind, doch zugleich das neue Italienmit ſeinen bluͤhenden Freyſtaaten, ſeinem ſcharfen Lebensverſtande, ſeiner munteren Kunſt, anmuthvollen Sprache, Dichtung, Muſik, ſich entwickelt hat. Auf Gruͤn - dung und Stiftung ging man aus, den Sinn einzig auf Be - nutzung und Mehrung des Erworbenen gerichtet; einer ſolchen Richtung des Geiſtes mußte die Baukunſt unentbehrlich erſchei - nen, weil ſie dem Beduͤrfniß diente. Da ſie nun in friſcher Thaͤtigkeit erhalten, mehr und mehr die Faͤhigkeit entwickelte, zu leiſten; ſo ward ſie ſpaͤterhin unter allen Kuͤnſten zuerſt in Anſpruch genommen, als die ſtaͤdtiſchen Gemeinweſen began - nen, Kraft zu entwickeln und nach Glanz und Herrlichkeit zu ſtreben.
237Ueberhaupt koͤnnen die Zerruͤttungen, denen Italienvom neunten bis zwoͤlften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit gewoͤhnlichen Ungluͤcksfaͤllen verglichen werden. Freilich zer - ſtoͤrten ſie das Alte, wenigſtens in Bezug auf Kunſt und Sprache, faſt bis auf die letzte Spur; doch waren ſie, wie bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens, alſo mittel - bar der ganzen modernen Bildung, welche der fruͤhen, vielſei - tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als ſelbſt in unſeren Tagen zugeſtanden wird. Die erſte Veranlaſſung zu jener langen und ſtuͤrmiſchen Gaͤhrung aller Kraͤfte liegt nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls des Großen. Er hatte das herrſchende Volk, die Longobar - den, gedemuͤthigt; der alten Bevoͤlkerung in den Paͤpſten eine neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anſe - hen geeinigt. Als darauf unter ſeinen immer ſchwaͤcheren Nachfolgern der Glaube an fraͤnkiſche Uebermacht allmaͤhlich zuruͤckgewichen, da regten ſich allenthalben die fremdartigen Beſtandtheile des Volkes, bald zu gegenſeitigem Kampf, ſelte - ner, bey zunehmender Vermiſchung der Staͤmme, zu gemein - ſamen Unternehmungen. Waͤre es damals moͤglich geweſen, die Freyen germaniſcher Abkunft, in denen ich die Ahnen des Land und Leute beſitzenden Adels etwas ſpaͤterer Zeiten zu er - blicken glaube, mit Allem, was noch roͤmiſche Erinnerungen bewahrte, innig zu verſchmelzen; haͤtte nicht die Geiſtlichkeit, deren Einfluß bey der ſo ganz eigenthuͤmlichen Stellung der Paͤpſte unvermeidlich war, ein weiter hinausſehendes Ziel ins Auge gefaßt; ſo duͤrfte Italiendamals von neuem einen ſelbſt - ſtaͤndigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet haben. Da nun die Umſtaͤnde dieſe Wendung des politiſchen Geiſtes der Nation verſagten, wandte ſich der buͤrgerliche, prac -238 tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte bey roͤmiſchen oder germaniſchen Abkoͤmmlingen noch vorhan - den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchſten. Auf der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des Adels, welche in Italienalt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien, aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge - wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten, etwa in Luccaund Piſa*)Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi, wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep. Amalphit.ad calcem hist. Pandect. Flo. — Einzelnes, wohl rheto - riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul. , ſchon im eilften Jahrhundert ſo ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind, er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe - rer Verſunkenheit hervorgebildet.
Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach, und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff - nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da - maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli - chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man, obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb -239 fleiße von allen Seiten ungemeſſene Ausſicht ſich eroͤffnete, verloren die leeren, ausgehuͤlſeten Formen des Alterthums ih - ren Werth. Und da man dennoch aus bloßer Gewoͤhnung, oder aus Nachgiebigkeit gegen Geiſtliche und Rechtsgelehrte, im Rechtsgange die lateiniſche Sprache, in den Kirchen die darſtellenden Kuͤnſte beybehielt, ſo verfiel Kunſt und Sprache inmitten des aufgeregteſten Lebens ſo tief, als wir nunmehr, wenigſtens in Bezug auf die Kunſt, an beſtimmten Denkma - len nachweiſen wollen.
Wie wir uns oben erinnert haben, erhielt ſich die Kunſt - uͤbung zu Rom, bey geringer Abweichung, durch Abnahme der Fertigkeiten im achten Jahrhundert, noch etwa auf der Stufe, welche ſie im ſechsten eingenommen. Wie ſchnell ſie indeß ſchon zu Anfang des neunten geſunken, lernen wir aus einem Denkmal Paſchal I. , den muſiviſchen Malereyen des Gewoͤlbes und aͤußeren Bogens der Tribune in der Kirche der heil. Praxedis zu Rom. Daß dieſe Malereyen von Paſchal I. , alſo um das Jahr 820, angeordnet worden, berichtet ſchon Anaſtaſius*) Anast.de vitis pont. ed. c. p. 80. col. 1. — Ecclesiam — Praxedis — in alium non longe demutans locum, in meliorem eam, quam dudum fuerat, erexit statum. Absidam vero ejusd. Eccl. mu - sivo opere[exornatam] variis decenter coloribus decoravit. Simili modo et arcum triumphalem eisdem metallis mirum in modum per - ficiens componit. Triumphbogen nennt er hier die Wand uͤber und neben dem Bogen der Tribune, auf welchem oben Engel, unten Heilige, welche dem Heiland ihre Siegeskronen reichen., dann die gedoppelte, muſiviſch ausgelegte Aufſchrift des Werkes ſelbſt**)Im Fries unter der Woͤlbung der Tribune: Emicat aula piae variis decorata metallis Praxedis[]— Pontificis summi studio Paschalis. — Und uͤber dem Chriſtus. Die Vorſtellungen, welche240 darin angebracht oder nach aͤlteren wiederholt worden, ſind faſt ohne Ausnahme altchriſtliche, vielleicht Copieen von Ma - lereyen der eben abgetragenen aͤlteren Kirche. In den Umriſ - ſen zeigt ſich noch einige Spur der hergebrachten Voͤlligkeit und Ruͤndung. Allein die Glasſtifte, welche an ſich ſelbſt groͤber und minder regelmaͤßig zugeſchnitten, ſind ſchon nach - laͤſſiger oder ungeſchickter zuſammengeſetzt, als in den alten Theilen des Muſives Leos III. ; Halbtoͤne und Schatten, deren Spur dort noch bemerklich iſt, haben hier bereits einfachen Localtoͤnen und Farbenflecken Raum gegeben; dicke und auf - fallende Umriſſe begrenzen die Formen. Erwaͤgen wir, daß dieſes Werk die Stiftung eines Papſtes iſt; daß der Name des Stifters darauf mit einem gewiſſen Anſpruch angebracht worden, den auch Anaſtaſiusanzudeuten ſcheint: ſo werden wir ſolches als ein hervorragendes Beiſpiel damaliger Leiſtun - gen betrachten, alſo mit Sicherheit annehmen koͤnnen, daß die Kunſt bereits in der ganzen Ausdehnung von Italienim Sin - ken begriffen war, und innerhalb weniger Decennien Vortheile eingebuͤßt hatte, welche noch unter Leo III. bekannt, oder doch bewußtlos in Gebrauch waren. Nur ein einziger Schritt blieb noch uͤbrig zur aͤußerſten Entartung der italieniſchen Technik: die voͤllige Entaͤußerung aller Sicherheit, aller Fuͤlle, alles Schwunges der Umriſſe.
Doch auch dahin gelangte man nunmehr innerhalb weni - ger Jahrzehende, wie ein Denkmal darlegt, welches, obwohlvon**)im Bogen das Monogramm deſſelben Papſt〈…〉〈…〉. Auch an einer aus antiken Fragmenten zuſammengeflickten Thuͤre der Kapelle der heil. Saͤule ſieht man in Stein gegraben: Paschalispraesulis opus etc. Ein anderes Werk deſſ. Papſtes, die Tribune der Kirche S. Caͤci - lia, duͤrfte mittelalterliche Wiederherſtellungen erfahren haben.241von geringem Umfang, doch mit einigem Anſpruch auf Aus - zeichnung gemacht ſeyn muß, da die Namen vornehmer Stif - ter darauf angemerkt ſind. Ich bezeichne hier die bewegliche Altartafel von Elfenbein, welche aus der Sammlung des ge - lehrten Florentiners, Senatore Buonarruoti*)Er hat derſelben eine eigene Monographie gewidmet: Buo - narruoti, osservaz. sopra alcuni framenti di vasi antichi di vetro etc. Fir.1716. Appendice, wo Tab. 3 eine ziemlich genaue Ab - bildung dieſes Denkmals., nach deſſen Tode in das chriſtliche Muſeum der Vaticana gelangt iſt. Innerhalb eines engen Raumes zeigen ſich hier, naͤchſt dem Gekreuzigten, in den oberen Winkeln die antiken, damals nicht ungewoͤhnlichen Perſonificationen der Sonne und des Mondes, unter dem Kreuze Maria und Johannes, und einige Heiligen in halber Figur; Alles mit erſinnlichſter Ungeſchick - lichkeit angedeutet, und ohne die beygefuͤgten Inſchriften in barbariſchem Latein faſt unkenntlich. In der unteren Aufſchrift melden ſich die Stifter, der Abt des Kloſters Rambonaund die Goͤnnerin deſſelben, Agiltrude, Herzogin von Spoleto, Gemahlin Guido’s, des nachmaligen Kaiſers. Guidoward im Jahre 889 von ſeiner Parthey zum Koͤnige von Italiengewaͤhlt, und als Koͤnig und roͤmiſcher Imperator beſtaͤtigt und gekroͤnt im Jahre 891**)S. Muratori, antt. It. diss. 3. und Annali, ad a. . Da nun in obiger Aufſchrift dieſe Erhoͤhung noch nicht angedeutet, ſo duͤrfen wir anneh - men, daß unſere Tafel um etwas fruͤher entſtanden, wie ſie denn gewiß nicht ſo gar viel neuer ſeyn***)Vgl. Buonarr.am a. O., wo er aus einer Urkunde des J. 898 im Domarchiv zu Parmadas Verhaͤltniß der Kaiſerin zum Kloſter Rambona, dort Arabona, aufzuklaͤren ſucht. kann. AlſoI. 16242duͤrfen wir, mit Ruͤckblick auf die Denkmale Paſchals I. , annehmen, daß um die Mitte des neunten Jahrhunderts die italieniſche Kunſtuͤbung bereits ihre niedrigſte Stufe erreicht hatte. Daß ſie im eilften Jahrhundert noch immer dieſelbe Stufe einnahm, ſehen wir aus einem unwiderleglichen Zeug - niß, dem vaticaniſchen Exemplare des Lobgedichtes auf die Graͤfin Mathilde*)Bibl. Vaticana, No. 4922. .
Verſchiedene behaupten, ich erkenne nicht aus welchen Gruͤnden, daß dieſe Abſchrift des bekannten Lobgedichtes des Donizoim zwoͤlften Jahrhundert geſchrieben ſey. Gewiß koͤnnte das erſte unter den theils miniirten, theils nur farbig bezeichneten Blaͤttern dieſer Handſchrift eher auf die Vermu - thung leiten, ſie ſey der Graͤfin perſoͤnlich uͤberreicht, mithin noch vor ihrem Tode beſorgt worden. Iſt ſie vielleicht ſogar in ihren Bildern die Copie eines anderen Exemplares, welches ich angezeigt finde**)Millin, voy. c. T. II. p. 176. , aber nicht ſelbſt geſehen habe?
Unter allen Umſtaͤnden iſt ſo viel gewiß, daß ſie ſchon ihres Gegenſtandes willen nicht fruͤher, als nach der Mitte des eilften Jahrhunderts kann geſchrieben und durch Bilder geziert ſeyn, deren ſchwankende, oft tief in die Form einſchnei - dende Umriſſe, deren rohe Farbenkleckſe, deren Unbekanntſchaft ſelbſt mit den leiſeſten Andeutungen des Helldunkels und der Modellirung bezeugen, daß um das Jahr 1100 noch keine Beſſerung eingetreten war. Die aͤußerſte Grenze dieſer ganz negativen Kunſtepoche faͤllt demnach mit dem Gegenſtande der nachfolgenden Unterſuchung zuſammen.
243Obiges wird genuͤgen, die tiefſte Entartung der italieni - ſchen Kunſt der Zeit nach zu begrenzen. Fuͤr ſolche, welche dieſe Forſchung weiter zu verfolgen veranlaßt ſind, vereinige ich in dieſem Nachtrage alle Beiſpiele, welche ich ſelbſt zu pruͤfen Gelegenheit gefunden. Andere, welche in Druckſchriften angefuͤhrt werden, halten nicht immer Probe*)Vita etc. di Pietro Peruginoetc. Perugia1804. In einer Randbemerkung der Vorrede wird einer alten Tafel mit aufgekleb - ter Leinwand erwaͤhnt, „ nella chiesa parrochiale del ponte Felcino (bey Perugia) ove si legge in ben formati ma consunti caratteri romani l’anno in cui fu dipinta: AD MXII. “ Dieſe Angabe des Topographen von Perugiaiſt, wenn ich mich recht entſinne, an irgend einer Stelle auch von Lanziaufgenommen worden; doch finde ich ſie nicht wieder auf, oder verwechſele ſie mit einer anderen und aͤhnlichen Jahresangabe, welche ich unten beruͤhren werde. Im Auguſt 1819 fand ich Gelegenheit, die genannte Tafel im Pfarrhauſe zu Ponte Felcino zu pruͤfen; dieſelbe, welche, nach Ausſage des ſchon bejahrten Pfarrherrn, der Vf. obiger Bemerkung (der bekannte Orſini), einen Tag lang bey ihm betrachtet hatte. Sie iſt von maͤßiger Hand im Geſchmacke des vierzehnten Jahr - hunderts gemalt. Allerdings finden ſich noch einige Reſte von In - ſchriften, z. B. unter dem Heiligen der Pfarre: FELICISSIMO V M P. (Vescovo Martire Perugino?), welche Abkuͤrzungen vielleicht dem Orſinidie Zahl MXII. auszudruͤcken ſchienen, welche, nach dem Charakter des Bildes (worin Madonna ſitzend, zwey Engel,S. Felicein biſchoͤflichem Ornat), auf keine Weiſe jemals kann darauf geſtanden ſeyn.. Ich werde ſie daher durchhin uͤbergehen, indem ich auf Lanzisto. pitt. dell’ Italiaverweiſe, wo zu Anfang, origini etc., die wich - tigſten Schriften uͤber dieſen Gegenſtand nachgewieſen ſind.
1) Unter den Denkmalen des tiefſten Verfalles italieni - ſcher Kunſt iſt das Muſiv der Kirche S. Francesca Romana, auf dem Forum zu Rom, in der Naͤhe des Titusbogens, das16 *244ausgedehnteſte. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die untere Haͤlfte ergaͤnzt, nur die obere von alter Arbeit. Der Schmuck der Madonna barbariſch ſeltſam; deutlich, daß der Kuͤnſtler die neugriechiſche Geſtaltung dieſer Kunſtidee entweder nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf Saͤulen mit korinthiſirenden Kapitaͤlen, welche nach den, frei - lich erneueten, Inſchriften Johannes, Jacobus, Petrusund Andreasvorſtellen. Die ſehr bemerklichen Umriſſe fuͤllt ein einfacher Localton ohne Abaͤnderung durch Schatten und Lich - ter. In den Apoſteln iſt der Hauptentwurf aus altchriſtlichen Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde iſt indeß bekanntlich ſpaͤt zugelaſſen, alſo erſt in barbariſchen Zeiten er - funden worden; ſie ſcheint ſelbſt bey den Griechen, obwohl minder unfoͤrmlich als hier, doch ſogleich als Mumie entſtan - den, nicht allmaͤhlich eingewelkt zu ſeyn, wie aͤltere Kunſtvor - ſtellungen. Die Ausbildung dieſer Idee gehoͤrt den Italienern des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir ſie naͤher betrachten werden.
2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende, doch unbezweifelt in dieſer traurigen Epoche entſtandene Ma - lereyen an verſchiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich 1821 im Hauptſchiff der Kirche S. Frediano zu Luccadie Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in ſtumpfem Winkel beſchloſſen war, ein Umſtand, welcher bey Alterthuͤ - mern dieſer Zeit und Art in Italienvon der Mitte des drey - zehnten Jahrhunderts ruͤckwaͤrts deutet, da ſpaͤter die gothiſche Verzierung herrſchend geworden. Die Arbeit iſt aͤußerſt roh, dicke Umriſſe trennen die unbeleuchteten Formen. Doch duͤrfte dieſe Malerey nicht aͤlter ſeyn, als das zwoͤlfte Jahrhundert.
245Derſelben Zeit ſcheint die Madonna in der Kirche S. Maria della Valle, detta la Carbonara, de’ Cavalieridi Malta, zu Viterbo, anzugehoͤren, weil ſie, bey großer Ro - higkeit der Arbeit, doch ſchon geruͤndetere Umriſſe zeigt. Sie iſt ein uraltes Andachtsbild des Ordens. Ebendaſelbſt ein wohl gleich alter Chriſtuskopf, den ein Maler ſieneſiſcher Schule des funfzehnten Jahrhunderts mit einem Koͤrper verſe - hen und durch zwey Engel gemehrt hat.
3) In der barberiniſchen Bibliothek zu Romwerden fuͤnf loſe Pergamentſtreifen aufbewahrt, als Denkmal eines hochmittelalterlichen Kirchengebrauches, nach welchem die Ge - bete und Formeln dem Prieſter, die Bilder auf dem herabhan - genden Theile des Blattes dem Volke vorlagen, wovon auch zu Piſa, im Dome, Beyſpiele vorhanden ſind. In unſerem Exemplare deutet die anomale, ſelten vorkommende Schriftart auf das eilfte oder zwoͤlfte Jahrhundert; nach den Anſpielun - gen auf die Inveſtiturſtreitigkeiten, No. 1, ſind ſie nothwendig ſpaͤter als dieſe. Die Ausfuͤhrung der Miniaturen iſt, obwohl beſſer, als in oben beleuchtetem Donizo, doch immer noch aͤußerſt roh. Mit Ausnahme des Chriſtus, eines Engelheeres und anderer altchriſtlichen Vorbildern nachgeahmter Einzelnhei - ten, iſt das Uebrige, wie es die Beſtimmung herbeyfuͤhrte, von mittelalterlicher Erfindung. Vgl. daſ. die lateiniſche Bi - bel, wo auf dem vierten Blatte des neuen Teſtamentes in al - ten Schriftzuͤgen AN̅N̅. D̅. M. XCVII. IN̅D̅. V. M. IV̅L̅.
4) No. 29 der kleinen Dombibliothek zu Perugiaenthaͤlt unter ande[rn]aſcetiſchen Werken auch Schriften des Rhaba - nus[Maurus]und Beda; nach den Zuͤgen aber ſcheint die -246 ſer Codex im zehnten oder eilften Jahrhundert geſchrieben zu ſeyn. Die Miniaturen zu Anfang ſind unglaublich unfoͤrm - lich; die Jungfrau vornehmlich iſt auffallend ungeſtalt und roh behandelt. Was an altchriſtlichen Gewandmotiven aufge - nommen worden, iſt durcheinander geworfen und gaͤnzlich miß - verſtanden. Aehnliche Miniaturen, deren Alter mehr und minder mit Sicherheit anzugeben, finden ſich uͤberall in den Bibliotheken Italiens, und wahrſcheinlich, wenn man ſie ſu - chen wollte, auch in einigen der groͤßeren Sammlungen dieſ - ſeit der Berge. Z. B. in der Bibl. der Sapienza zu Siena, No. 1 und 2 der chronologiſchen Sammlung miniirter HSS. Die erſte, ſ. Augustin. in Ev. fo. m., enthaͤlt acquarellirte Anfangsbuchſtaben, unter denen in c. Serm. XIII. ein Rund mit Koͤpfen von aͤußerſter Rohigkeit; die zweyte, Antiphona - rium, hat einfachere Verzierungen, darin Figuren von etwa vier Kopflaͤngen. Dieſe Kritzeleyen ſind ſchwerlich das Beſte ihrer Zeit, ſtimmen indeß zum Tone ihrer Zeit. Vgl. v. d. Hagenim a. B. Bd. III. S. 251 ff. uͤber Bibl. u. Archiv des Kloſters la Cava.
5) In der bereits angefuͤhrten Kirche S. Praxedis, welche Paſchal I. , wie ſchon erwaͤhnt, neu gebauet hat, befinden ſich einige Malereyen, welche offenbar juͤnger und roher ſind, als jene Muſive deſſ. Papſtes, doch als minder barbariſch in Be - kleidungen und Beywerken, aͤlter zu ſeyn ſcheinen, als das angefuͤhrte Muſaik in S. Francesca Romana. Dieſe beſtehen, zunaͤchſt in dem Muſive der kleinen Niſche der Kapelle des heil. Paul, worin die Madonna mit dem Kinde, zu beiden Seiten die Hll. Praxedis und Pudentiana. Das lateiniſche Monogramm im Felde, aufgeloͤſt: Maria, Christi mater, iſt wegen ſeiner Seltenheit bemerkenswerth; zugleich beſtaͤtigt247 es, was ſchon das Anſehen des Gemaͤldes zeigt: daß man auch zu Rom, ohne genauere Bekanntſchaft mit der griechiſchen Vorſtellung, auf ſeine Weiſe verſucht die Madonna zu malen; obwohl ſie noch ſchlimmer ausgefallen, als die Mutter der griechiſchen Kirche. Dieſe Jungfrau duͤrfte gegenwaͤrtig das aͤlteſte Beiſpiel eigenthuͤmlich lateiniſcher Darſtellung dieſes Gegenſtandes ſeyn; obwohl derſelbe unſtreitig viel fruͤher auf - gekommen, da dieſes Gemaͤlde unter allen Umſtaͤnden etwas neuer iſt, als die Gruͤndung der Kirche zu Anfang des neun - ten Jahrh. Lanzi, l. c. origg., folgt den opusc. Calo - geriani, T. 43, wo in einer Abh. uͤber dieſen Gegenſtand die Erfindung, oder der Gebrauch, die Mutter mit dem Kinde zu malen, ungefaͤhr ins fuͤnfte Jahrhundert verſetzt wird. Das iſt zu fruͤh.
Die ſehr verdorbenen Malereyen an der Wand außerhalb dieſer Kapelle duͤrften dem Muſive der großen Tribune und der Wiederherſtellung der Kirche durch Paſchal I. gleichzeitig ſeyn. In der Unterkirche ebendaſ. iſt indeß derſelbe Gegen - ſtand, die Madonna und jene zwey Heiligen, roh auf die Mauer gemalt, und duͤrfte vielleicht das Vorbild jenes oberen Muſives ſeyn. Die beiden Heil. ſind nicht antik, ſondern barbariſch bekleidet, ihre Koͤpfe indeß ſehr aufgefriſcht. Die Gewaͤnder ſind ohne Schatten und Licht, die Bezeichnungen in Haͤnden und Koͤpfen, wo ſie alt ſind, uͤberall aus unver - ſtandenen Traditionen entſprungen. Aus den eingedruͤckten Umriſſen ſollte man ſchließen, das Bild ſey auf naſſen Kalk gemalt; uͤbrigens zeigen ſich darin noch einige Handgriffe der antiken Malerey, vornehmlich in einem gewiſſen markigen Auftrage der Farbe, welcher zwar nahe an das Kleckſige grenzt, doch auch in dieſer Form noch ſeine Abkunft aus den248 Kunſtgriffen vergangener Meiſterſchaft an den Tag legt. Wir erinnern uns aus den Beiſpielen der vorangehenden Abhand - lung eines aͤhnlichen Auftrages in longobardiſchen Malereyen zu Veronaund Aſiſi; dort ſteht er indeß dem Antiken um ei - nige Stufen naͤher als hier, was denn allerdings in der Ord - nung iſt.
6) Gleichzeitige Bildnereyen, welche vornehmlich an den Vorſeiten der Benedictinerabteyen aufzuſuchen, deren Beguͤnſti - gung mit dem tiefſten Verfalle der italieniſchen Kunſt zuſam - menfaͤllt. An der Abtey von Volterrahat ein Fries mit ganz kurzen Figuͤrchen die Erneuerung der Vorſeite uͤberdauert. Eine Anbetung der Koͤnige, links vom großen Eingang in die Pfarrkirche zu Arezzo, ein aͤhnliches auf dem Platze vor S. Franz zu Bolſena, gehoͤren theils durch ihren Gegenſtand, theils durch deſſen Behandlung zu den Ausnahmen; ſie ſchei - nen gegen Ende unſeres Zeitraumes oder zu Anfang des naͤch - ſten entſtanden zu ſeyn. Muſiviſch eingelegte, ſilhouettartige Figuren an toskaniſchen Gebaͤuden des eilften Jahrhunderts, etwa an der Vorſeite des Domes zu Piſaund ſonſt, ſind ſtandhaft von hoͤchſter Unform. — Einige Nachtraͤge zu dem hier Angefuͤhrten finden ſich im ſechsten Theile der Geſch. der Hohenſtaufen von Friedrich von Raumer, S. 536 ff. Ich habe manches dort Angemerkte nicht einzeln auffuͤhren wollen, theils weil Vollſtaͤndigkeit im Einzelnen außer meinem Plane liegt, theils weil jenes treffliche Buch uͤberall genutzt und ge - leſen wird. Ueberhaupt hoffe ich mit anderen Beleuchtungen dieſes dunkeln Zeitraumes, etwa Cicognara’sstoria della sc. etc. T. 1. S. 70 ff., oder Fiorillo’sGeſch. der zeich - nenden Kuͤnſte, Bd. 1. S. 33 — 68, ſowohl in Bezug auf Zahl, als vornehmlich auf Zuverlaͤſſigkeit der Beiſpiele, die249 Vergleichung auszuhalten, und fuͤrchte nicht ſowohl den Vor - wurf der Kargheit, als vielmehr den des Ueberfluſſes an nie - derſchlagenden Thatſachen.
Ein wichtiges Denkmal, welches Muratori(scriptt. To. II. Part. II. ad p. 772.) nach Dachery abgebildet und beſchrieben, uͤbergehe ich, weil ich es weder ſelbſt geſehen, noch in Erfahrung gebracht, ob es noch vorhanden ſey. Dieſer Bronzeguß iſt zum Andenken der Verſetzung der Gebeine des heil. Clemensangefertigt, alſo auf jeden Fall nicht aͤlter, als die Regierung Ludwigs II. , welcher ſie angeordnet, wahrſchein - lich aber, ſchon nach den Zuͤgen und Abkuͤrzungen der Inſchrift, etwas ſpaͤter; auf der anderen Seite jedoch gewiß nicht neuer, als das eilfte Jahrhundert, gegen deſſen Ende die Abtey ſich dem Papſte unterwarf, und den kaiſerlichen Beguͤnſtigungen, welche jenes Bronzethor verewigt, fuͤr die Zukunft entſagte (ſ. Luc. Dacheriipraef. in Chronicon Casauriense, Spicil. To. V.; Mur.scriptt. T. et P. c. p. 771.). Nach der Abbildung, der es, wie allen aͤlteren, an einer richtigen Be - zeichnung der Kunſtſtufe ihres Vorbildes fehlt, laͤßt ſich das Alter des Werkes nur annaͤhernd beſtimmen. Wahrſcheinlich iſt das Kunſtverdienſt ſehr gering, da der Kuͤnſtler Figuren, Handlungen, ſogar Sachen, uͤberall durch Beyſchriften erlaͤu - tert, ein Gebrauch, welcher, wie wir ſehen werden, im eilften Jahrh. ſehr verbreitet geweſen.
Denen, welche die Culturgeſchichte der unfruchtbarſten Abſchnitte des Mittelalters behandeln, ſcheint es nahe zu lie - gen, ſich ſelbſt, oder auch nur ihre Leſer durch bedingende Re - den, oder durch Vertroͤſtungen auf wirkliche oder nur eingebil - dete Fortſchritte abwechſelnd ein wenig aufzurichten. In dieſer Abſicht, denke ich, verkuͤndete Fiorillomitten im neunten Jahrhundert, eben da, wo, wie uns bekannt, die erſinnlich tiefſte Entartung der italieniſchen Kunſtuͤbung eintritt, bemerk - liche Fortſchritte und gute Hoffnungen; worin er hoͤchſt wahr - ſcheinlich ſeinen Gewaͤhrsleuten, beſchraͤnkten Localſcribenten, unnachdenklich gefolgt iſt*) Fior.Geſch. der zeichnenden Kuͤnſte, Thl. II. S. 379.. Gewiß fehlte es ihm an Luſt und Gelegenheit, in jener Beziehung eigene Unterſuchungen anzu - ſtellen; mir ſelbſt aber iſt es waͤhrend vieljaͤhriger Nachfor - ſchungen durchaus nicht gelungen, irgend ein Beiſpiel des Wiederaufſtrebens und Fortſchreitens der italieniſchen Kunſtuͤ - bung aufzufinden, deſſen Alter den Anbeginn des zwoͤlften Jahrhunderts uͤberſtiege.
Die Bildnerey, welche uͤberall der Malerey voranzueilen251 pflegt*) Boͤttiger, Arch. der Mal. S. 3, bemerkt ſehr richtig: „ Die roheſten Verſuche der Plaſtik ſind uͤberall den roheſten Ver - ſuchen der Malerey vorangegangen. Runde Geſtalten nach ih - rer Apparenz auf einer Flaͤche darzuſtellen, ſetzt ſchon Reflexion voraus. “, vielleicht weil es, in gewiſſem Sinne, leichter iſt, wirkliche Formen, als deren Schein hervorzubringen, ſtrebt allerdings auch in dieſem Zeitraum, den zeichnenden Kuͤnſten einen gewiſſen Vorſprung abzugewinnen. Denn es duͤrften ei - nige halberhobene Arbeiten, in denen eine ſchwache Regung eigenen Geiſtes, ein gewiſſes Beſtreben ſich zeigt, beſſeren, vielleicht altchriſtlichen Vorbildern gleichzukommen, theils in Anſehung des Entwurfes und der Ausfuͤhrung ihrer architek - toniſchen Beywerke, theils weil ſie von der roheſten Arbeit des zehnten und eilften Jahrhunderts zu den Bildwerken des zwoͤlften einen gewiſſen Uebergang bilden, vielleicht ſchon dem Ende des eilften beyzumeſſen ſeyn. Dahin zaͤhle ich das Re - lief an der Bruſtwehr der Kanzel des Domes zu Volterra, deſ - ſen architectoniſche Beywerke ins eilfte Jahrhundert verweiſen, wenn man, wie es noͤthig iſt, die aͤlteren Stuͤcke von den neueren unterſcheidet, welche bloße Erweiterung des inneren Raumes zu bezwecken ſcheinen. Der Gegenſtand der Darſtel - lung iſt die Fußwaſchung der bußfertigen Magdalena; die Fi - guren ſind auf dieſelbe Weiſe hinter die Tafel geordnet, als auf den aͤlteren Darſtellungen des Abendmahles; Chriſtusin - deß hier am linken Ende der Tafel, zu ſeinen Fuͤßen Magda - lena, von dem ſymboliſchen Drachen noch immer verfolgt, oder eben erſt ausgeſpieen, woruͤber wir den Kuͤnſtler ſelbſt vernehmen muͤßten. Die Charaktere der Koͤpfe ſind hier ſchon ziemlich entſchieden, doch im Verhaͤltniß zum Koͤrper etwas252 groß zugemeſſen; die uͤbrigen Glieder von beſſerem Verhaͤltniß, als in ſo fruͤhen Arbeiten gewoͤhnlich iſt. In der Anordnung oder im Style des Reliefs gleicht das unſrige den roheren altchriſtlichen Bildnereyen.
Im Entwurf und in der Arbeit der Roſons und Geſimſe, in dem ſparſam angebrachten Schmuck von eingelegtem ſchwar - zen Marmor, gleicht dieſes Werk jenen architectoniſchen Denk - malen, welche waͤhrend des eilften Jahrhunderts im oberen Arnothale in nicht geringer Zahl errichtet worden. Mit dieſen ſtimmt ein anderes Werk noch genauer uͤberein, dem es, wie jenem, an einer zeitbeſtimmenden Inſchrift fehlt, die Kanzel nemlich der vorſtaͤdtiſchen Kirche S. Leonardo, außerhalb und zur Linken des roͤmiſchen Thores zu Florenz.
Dieſe Arbeit ward unter dem GroßherzogPeter Leopoldbey Abtragung der noch uͤbrigen Theile der uralten Baſilica S. Piero Scheraggio an ihre gegenwaͤrtige Stelle verſetzt. Nach einer Ueberlieferung, welche weit zuruͤckreicht, waͤre ſie ſchon im eilften Jahrhundert aus Fieſolenach Florenzentfuͤhrt worden, bey Zerſtoͤrung jener alten Bergſtadt durch die Flo - rentiner, uͤber welche Begebenheit allerdings die umſtaͤndlichen Berichte von Augenzeugen und Zeitgenoſſen noch erſehnt wer - den*)S. Osservatore Fio. Vol. V. p. 223 s. . Doch, wie es immer mit dieſer Erzaͤhlung zu neh - men ſey, ſo iſt doch ſo viel gewiß: daß die zahlreichen Bey - ſchriften, durch welche der Kuͤnſtler ſeine unvollkommene Dar - ſtellung unterſtuͤtzt hat, ſowohl den Schriftzeichen, als der Sprache, als ſelbſt dem Gebrauche nach, nicht ſehr viel neuer ſeyn koͤnnen; daß ferner die architectoniſchen Beywerke, in ſo weit ſie erhalten und nicht ſpaͤterhin ergaͤnzt ſind, mit einem253 bewaͤhrteren Bauwerke dieſer Zeit und Gegend große Aehnlich - keit zeigen. Ich beziehe mich hier auf die Vorſeite und auf einige innere Verzierungen der alten Abtey S. Miniato a Monte, außerhalb Florenz, von welchen vornehmlich durch Manni*) Manni, Dom., Sigilli, To. 9. p. 107. Descrizione della chiesa etc. di S. Miniato. erwieſen worden, daß ſie durch Beguͤnſtigung Heinrichs II. zu Anfang des eilften Jahrhunderts zu Stande gekommen.
Wie ſchon angedeutet worden, ſind einzelne Beywerke dieſer Kanzel eingeſchoben oder erneuet. Die vorderen Saͤul - chen indeß ſind alt, eben wie die Kapitaͤle, welche korinthi - ſchen mit ziemlicher Genauigkeit nachgebildet ſind. Dagegen erſcheinen zunaͤchſt uͤber den Saͤulen, welche die Kanzel tragen, Architrav, Friis und Kranz ungleich neuer und ganz auf Weiſe des fuͤnfzehnten Jahrhunderts profilirt, in welchem die Herſtellung demnach beſchafft ſeyn mag. Die ſechs halberho - benen Darſtellungen, welche die Kanzel von drey Seiten um - geben, ſelbſt ein Theil des oberen Karnieſes, entſprechen den beiden vorderen Saͤulchen im Charakter der Arbeit, wie in der Verwitterung der Politur. Die Einfaſſung der Reliefs beſteht in Leiſten von weißem Marmor, auf denen muſiviſche Muſter in ſchwarzem ausgelegt ſind. Beym Wiederaufſetzen der Stuͤcke ſcheint fruͤher oder ſpaͤter die Ordnung der Darſtellungen von der Linken zur Rechten des Beſchauers umgeſtellt zu ſeyn.
Die Vorſtellung im Tempel; in dem Hintergrunde die - ſer Darſtellung zeigen ſich drey auf Saͤulen ruhende Bogen, in deren Mitte ein Kreuz ſchwarz auf weißem Grunde einge - legt iſt, zur Andeutung, denke ich der Beſtimmung des Neu -254 gebornen, wenn nicht eher gedankenloſe Wiederholung eines herkoͤmmlichen Symbols. Die vier einzelnen Figuren, ſogar der Altar, ſind nach dem Gebrauche des hoͤheren Mittelalters mit Beyſchriften verſehen. Ehe die Kunſt das Vermoͤgen er - langt, im eigentlichſten Sinne darzuſtellen, ſo lange ſie nur an ſchon vorgebildete Begriffe oder an bekannte Ereigniſſe er - innern will, unterſtuͤtzt ſie die noch unbeſeelte Geſtalt durch Zeichen von willkuͤhrlicher Bedeutung, oder durch Schrift, wenn ſolche, wie hier, ſchon vorhanden iſt.
Nach der Taufe des Heilands, welche ebenfalls durch Beyſchriften erklaͤrt wird, folgt die Anbetung der Koͤnige. Dieſe ſind ganz mittelalterlich bekleidet, in kurzer, am Saume beſetzter Tunica, mit Maͤnteln, welche von einer Schulter her - abhangen; der heil. Joſephhingegen, welcher den rechten Arm auf die Lehne des Seſſels, das Kinn auf die Hand ſtuͤtzt, das Haupt mit vieler Wahrheit der Bewegung den Koͤnigen zuwendet, erinnert an hochalterthuͤmliche Simplicitaͤt. Das Vorbild dieſer Geſtalt mochte, wenn auch in anderer Bedeu - tung, dem Kuͤnſtler auf altchriſtlichen Sarkophagen vorgekom - men ſeyn; hingegen moͤgen die Koͤnige ſelbſt, deren bildliche Darſtellung ſo ſpaͤt aufgekommen iſt, ſeiner eigenen oder doch der Erfindung barbariſcher Zeiten angehoͤren. Ich uͤbergehe die uͤbrigen Darſtellungen, weil ſie dem kuͤnſtleriſchen Her - kommen des Mittelalters entſprechen, mithin wenig Neues darbieten.
Im Ganzen angeſehen unterſcheidet ſich dieſes Denkmal von anderen ungefaͤhr gleichzeitigen derſelben Gegend durch Behandlung und Verhaͤltniſſe. In ungefaͤhr gleichzeitigen Ar - beiten an der Vorſeite und am Chore der Kirche S. Miniato a Monte, in den ganz aͤhnlichen Tragſteinen der Rinnen an255 der Johanniskirche zu Florenzfindet ſich noch immer jenes kurze, gedruͤckte, ſchwerfaͤllige Verhaͤltniß, welches im hoͤheren Mittelalter die Kunſtarbeiten der Italiener von denen gleichzei - tiger Griechen unterſcheidet. In Vergleich mit dieſen und aͤhnlichen Figuren ſcheint denn obiges Denkmal allerdings ſich dem Griechiſchen anzunaͤhern. Ich unterdruͤcke indeß die Ver - muthungen, welche dieſer Umſtand erweckt, da es gefaͤhrlich ſeyn duͤrfte, ſie zu verfolgen, ehe es gelungen waͤre, das Al - ter und die Herkunft des Werkes, von welchem ſie ausgehen, ſicherer zu beſtimmen, als mir bisher gelungen iſt.
Indeß werden wir auch fuͤr die Folge feſthalten muͤſſen, daß die beſchriebenen Bildnereyen im Entwurf wie in der Ausfuͤhrung ſogar von den italieniſchen Bildnereyen des naͤchſt - folgenden Jahrhunderts ſich unterſcheiden, in welchem wir wiederum auf Kuͤnſtlernamen treffen, was von erwachendem Ehrgeiz zeugt und den heilſamen Trieb ankuͤndigt, ſich vor der Menge auszuzeichnen.
Es iſt bemerkenswerth, daß wir den aͤlteſten Urkunden der toscaniſchen Bildnerey eben in Piſtojabegegnen, einer fruͤh beguͤterten Stadt, welche indeß ſchon ſeit dem Ende des zwoͤlften Jahrhunderts gegen Luccaund Piſazuruͤcktritt, im vierzehnten ſchon zur bloßen Provinzialſtadt herabſinkt. Auch an groͤßeren Orten, zu Piſa, Florenz, Rom, werden wir die aͤlteſten Denkmale neuerer Kunſt vornehmlich in vernachlaͤſſig - ten Kirchen der Vorſtaͤdte aufſuchen. Aus welchen Umſtaͤnden abzunehmen, daß wir nur den kleinſten Theil der Kunſtarbei - ten jener Zeit beſitzen, und dieſen ſelbſt nur der Vernachlaͤſſi - gung, nicht der abſichtlichen Aufbewahrung verdanken. An ſolchen Puncten, in denen die bildenden Kuͤnſte ſchon ſeit dem dreyzehnten Jahrhunderte und bis in die neueſte Zeit hin un -256 ermuͤdlich befoͤrdert worden, haben die unſcheinbaren Denkmale der aͤlteren Epoche nicht bloß der naͤchſten, vielmehr ganzen Reihefolgen der neueren Kunſt - und Geſchmacksgenerationen Raum geben muͤſſen. Weshalb diejenigen in einer Taͤuſchung befangen ſind, welche aus jenen Zeiten mehr, als die bloße Probe der jedesmaligen Kunſtfertigkeit zu beſitzen waͤhnen; und die, in dieſem Irrthum befangen, die abgeriſſenen Thatſa - chen, welche etwa ſich begruͤnden laſſen, uͤberall unter ſich verbinden wollen, was ſicher nicht durchhin moͤglich iſt.
Unter den Meiſtern von unbekannter Herkunft, welche zu Piſtojagearbeitet haben, giebt ein gewiſſer Gruamons(die Italiener nennen ihn Gruamonte, obwohl der Name aus an - deren Sylben latiniſirt oder uͤberſetzt ſeyn koͤnnte) ſich ſelbſt das Epithet: magister bonus. Dieſes hatte Vaſari*)Vita d’ Arnolfo di Lapo, T. 1. delle vite de’ pitt. etc. Hier, wie uͤberall, wo nichts damit gewonnen wuͤrde, erſpare ich dem Leſer die Namen derer, welche den Vaſaribloß ausgeſchrieben.entweder fluͤchtig geleſen, oder mit einer anderen Inſchrift verwechſelt, wo der Meiſter ſich wirklich Bonus nennt; wenn ihn nicht eher ein Berichtgeber irre geleitet. Gewiß verbreitete er, froh einen namhaften Kuͤnſtler zu haben, ſeine Thaͤtigkeit uͤber halb Italien, was zu den vielfaͤltigen Zeichen des Leicht - ſinns gehoͤrt, mit welchem Vaſariſeine abgeriſſenen, oft an ſich ſelbſt ganz unbegruͤndeten Nachrichten aus dem hoͤheren Mittelalter genutzt und dichteriſch ausgebildet hat.
Der Meiſter Gruamonsnennt ſich zunaͤchſt auf einem Architrav der Kirche S. Andreas zu Piſtoja; derſelben, welche Vaſarianfuͤhrt. Hier ſagt die Inſchrift: Gruamonsma̅g̅. bon̅. et Adeodatus frater ejus. Nach der Auslegung be -ſon -257ſonnener Forſcher*) Ciampi, notizie inedite della sagrestia Pistojese, Fir. Mo - lini, 1810. 4. p. 24. Vgl. Morrona, Pisaillustr. T. II. P. 1. cap. 2, wo an einem Kapitaͤle unter jenem erſten Architrav eine zweyte Inſchrift nachgewieſen iſt: magist. Euricus fecit. iſt magister bonus hier ein bloßer Zu - ſatz, und als ſolcher beſtaͤtigt er ſich in der That in einer zweyten Inſchrift derſelben Stadt, am Architrav der Seiten - thuͤre von S. Johannes, außerhalb des alten Ringes der Stadt (forcivitas), wo noch einmal und voll ausgeſchrieben: Gruamonsmagister bonus fec̅. hoc opus. Aehnliche Zu - ſaͤtze finden ſich in anderen Inſchriften derſelben oder doch um wenig ſpaͤteren Zeit**)Z. B.: probatus, laudatus, hac summus in arte etc. So fand ich auch: maestri buoni, taugliche Meiſter, in urkundlichen Berathungen und Verſtiftungen oͤffentlicher Arbeiten.; auf der anderen Seite iſt nicht an - zunehmen, daß Bonus hier Geſchlechtsname ſey, da dieſe un - gleich ſpaͤter eintreten, auch weil die Conſtruction dawi - der ſtreitet.
Indeß vermiſchte Vaſari, oder wem er ſonſt dieſe Kunde verdankte, dieſe Inſchrift mit einer anderen derſelben Stadt, an der Außenſeite nemlich der Tribune von S. Maria nuova, wo in dem Geſimſe eines auf leidlich gearbeiteten Koͤpfen ru - henden Kranzes: A. D. MCCLXVI. T̅P̅R̅ PARISII PAGNI ET SI - MONIS. MAGISTER BONVS FE.
Derſelbe Meiſter nennt ſich an der Kirche S. Salvatore daſelbſt noch einmal, mit dem dort ausgeſchriebenen Jahre 1270***)S. Morronal. c. §. 2. .
Hier iſt nach der Wortſtellung nicht zu bezweifeln, daßI. 17258der MeiſterBuonogeheißen habe; dieſerBuonoiſt indeß um ein Jahrhundert neuer, als Vaſari’s, oder als jener Grua - monsder fruͤheren Inſchriften. Denn aus verſchiedenen Um - ſtaͤnden erhellt, daß dieſer Kuͤnſtler nicht ſpaͤter als im eilften oder zwoͤlften Jahrhundert gemeißelt haben konnte. Auf die Jahre 1166 und 1162, welche den obigen Inſchriften beyge - fuͤgt ſind, duͤrften wir uns allerdings nicht verlaſſen koͤnnen. Die Charaktere, in denen ſie eingegraben, erſcheinen gleich modernen Nachahmungen der antiken, kantigen Inſcriptional - majuskel, waͤhrend das uͤbrige in jenen rundlich fetten Cha - rakteren, welche im eilften bis ſpaͤt in das vierzehnte Jahr - hundert uͤblich waren, und der Majuskel der aͤlteſten calligra - phiſchen Denkmale nachgeahmt ſind. Die erſte: A. D. MC. LXVI. ſtimmt in den Einern und Zehnern zu auffallend mit Vaſari’sAngabe uͤberein, welche wiederum offenbar aus Verwechſelung der Inſchrift am Architrav von S. An - dreas mit jener andern vom Jahre 1266 entſtanden iſt; denn wer einmal die Namen ſo fluͤchtig geleſen, mochte auch ein einzelnes Zahlzeichen uͤberſehen oder vergeſſen ha - ben. Erwaͤgen wir nun, daß Vaſarilange Zeit hindurch auch fuͤr die aͤltere Kunſthiſtorie als Gewaͤhrsmann betrachtet worden; daß der Localpatriotismus der Italiener ganz unbe - grenzt, und, in Ermangelung vieler anderen Anſpruͤche, vor - nehmlich durch Anſpruͤche auf fruͤhe Leiſtungen in Dingen der Kunſt erfreuet und genaͤhrt wird; ſo duͤrften wir vermuthen, dieſe Jahreszahlen von verdaͤchtiger Schriftart ſeyen ſpaͤter, etwa im ſechszehnten Jahrhundert nachgetragen worden; was um ſo wahrſcheinlicher iſt, da ſie auch, ganz gegen den Ge - brauch ſo fruͤher Zeiten, einen bloß nachhallenden, unverbun -259 denen Hinterſatz bilden. Dieſelbe Verfaͤlſchung verraͤth ſich am Architrav der Hauptthuͤre von S. Bartolomeo, wo an der in - neren Seite des Architraves, nach dem unzweydeutigen Namen des Vorſtehers, Rodolfinus operarius, ebenfalls in neu an - tiken Charakteren: ANNI DN̅I̅. M.C.LXII., welches Jahr mit dem Zuſatze zur zweyten Inſchrift des Meiſter Gruamonsuͤbereinſtimmt, und eben hiedurch die Verdaͤchtigkeit dieſer letz - ten erhoͤht*) Pisaill. l. s. c. .
Wer immer dieſe Verfaͤlſchungen vorgenommen, gewiß in der redlichen Abſicht, den verdienten und wohlbegruͤndeten Ruhm ſeiner Vaterſtadt vor Vergeſſenheit ſicher zu ſtellen, haͤtte doch wohl die Muͤhe erſparen koͤnnen, da Meiſter Grua - monsnach der zum Schlanken ſich neigenden, vorgothiſchen Architectur der Bauwerke, in welche ſeine Bildnereyen einge - laſſen ſind, gewiß nur im zwoͤlften Jahrhundert, nicht fruͤher noch ſpaͤter, gemeißelt haben kann.
Das Kunſtverdienſt ſeiner Arbeiten beſteht vornehmlich in einem loͤblichen Sinn der Anordnung nach den Forderungen halberhobener Arbeiten. Die Gegenſtaͤnde im Architrav von S. Andrea: links die heil. drey Koͤnige zu Pferde, rechts die - ſelben in der Handlung der Anbetung des Kindes; in der Mitte, beide Handlungen trennend, Chriſtus, der die Apoſtel von den Netzen abruft. An jener Seitenthuͤre des heil. Jo - hannesEv.: das Abendmahl, deſſen Anordnung zu den aͤlte - ren Beyſpielen einer feſtſtehenden Form der Darſtellung dieſes Gegenſtandes gehoͤrt, welche ganz neuerlich durch Ruſcheweih’sKupferſtich nach einem Gemaͤlde, welches Vaſarifaͤlſchlich dem Giottobeygemeſſen, in einem weiteren Kreiſe bekannt geworden.
17 *260Dieſe und andere Bildnernamen, welche wir noch aufzu - zaͤhlen haben, benutzt Morrona, dem die Verdaͤchtigkeit obi - ger Inſchriften durchaus entgangen, um ſeine piſaniſche Bild - nerſchule bis in das zwoͤlfte Jahrhundert zuruͤckzufuͤhren. Wir werden uns, bey ſo großer Entlegenheit des Ortes, von dem Localpatriotismus dieſes und anderer Geſchichtsforſcher italie - niſcher Staͤdte nicht anſtecken laſſen, und lieber annehmen, daß wir den Geburtsort und die Schule jener alten Bildner, deren Namen uns der Zufall an geſunkenen und vergeſſenen Staͤtten bewahrt hat, durchaus nicht kennen. Gewiß meldet ſich in der Verwaltung der italieniſchen Staͤdte erſt im drey - zehnten Jahrhundert einiges noch unausgebildete Streben nach geordneter, regelmaͤßiger Buchfuͤhrung; und, wenn uns eben daher aus fruͤheren Zeiten die ſo wichtigen Zahlungspartiten durchhin fehlen, ſo duͤrfen wir nicht etwa darauf rechnen, un - ter den loſen Urkunden, den aͤlteſten der Archive, einigen Er - ſatz zu finden, da es erſt ſpaͤter, bey ſteigender Achtung der Kunſt, uͤblich geworden, mit den Kuͤnſtlern ſchriftliche Vertraͤge abzuſchließen. Das Vaterland und die Lebensumſtaͤnde der aͤlteſten Kuͤnſtler werden wir alſo, wo uͤberhaupt, doch nur aus Inſchriften, oder durch zufaͤllige Erwaͤhnung ihrer Namen in Beſitzesvertraͤgen erlernen koͤnnen.
Bey S. Salvatore, zu Lucca, einer kuͤrzlich wieder ein - geweiheten und erneuerten Kirche, haben ſich die alten Thuͤr - bekleidungen unverſehrt erhalten. Die Nebenthuͤre zur Rechten der Vorſeite zeigt auf ihrem Architrave ein Relief von groͤßter Unfoͤrmlichkeit, deren Gegenſtand mir nicht deutlich geworden. Wahrſcheinlich iſt dieſe Arbeit ein Denkmal der ſchlimmſten Zeit, des zehnten, ſpaͤteſtens des eilften Jahrhunderts. Um etwas ſchlanker und beſſer gearbeitet, doch deßhalb keinesweges261 vorzuͤglich, ſind die Figuren des Reliefs am Architrav der Seitenthuͤre, in welchem ein Heiliger mit Nimbus nackt, ſo - gar die Geſchlechtstheile entbloͤßt, in einem Gefaͤße ſteht; zwey Maͤnner halten, oder laſſen ihn an beiden aufgehobenen Ar - men in das Gefaͤß hinab, worin er wahrſcheinlich geſotten werden ſoll. Auf dem Gefaͤße lieſet ſich: BIDVINO ME FECIT HOC.
Morronaſetzt ein opus hinzu, welches ich weder geſe - hen, noch den Raum gefunden habe, wo es etwa haͤtte ange - bracht ſeyn koͤnnen. Im Felde aber ſteht: S. NICH., der Name des Heiligen; ferner: OLAVI. PSBR., offenbar der Name des Pfarrers, welcher das Bild angeordnet. Ich wuͤrde ſolches, nach der Beſchaffenheit der Arbeit, wie ſelbſt nach dem beygeſchriebenen Namen des Heiligen, fuͤr eine Arbeit des eilften Jahrhunderts halten. Morronaindeß giebt aus der vorſtaͤdtiſchen Kirche S. Caſſiano bey Piſaeine zweyte Inſchrift, welche ich nicht geſehen oder verglichen habe, deren Ausdruck indeß unverdaͤchtig iſt*)Daſ. Hoc opus, quod cernis,Biduinusdocte peregit Un - decies Centum et octoginta post anni etc. etc. . Dieſer zufolge waͤreBi - duinusein klaͤglicher Meiſter des zwoͤlften Jahrhunderts, wel - cher Morrona’spiſaniſcher Schule, wenn er ihr zuzugeben waͤre, doch nur geringe Ehre bringen duͤrfte.
Am Taufſtein der alten Kirche S. Frediano zu Luccabe - findet ſich eine leider beſchaͤdigte Inſchrift, welche die meiſten Forſcher dieſer Gegend uͤberſehen haben. Die einfache Anlage des Werkes, mancherley altchriſtliche Reminiſcenzen, die Wap - penung und Bekleidung der Figuren — Reiter in geſtrickten262 Harniſchen, ein Koͤnig in ihrer Mitte, ſetzen durch einen Fluß; — alle dieſe Umſtaͤnde wuͤrden auf ein hoͤheres Alterthum ſchließen laſſen, wenn nicht der rundliche Charakter der In - ſchrift, wie ſelbſt der Gebrauch, des Kuͤnſtlers Namen anzu - merken, mich beſtimmte, das Werk den piſtojeſiſchen Denkma - len der Zeit nach gleich zu ſtellen. Vielleicht giebt es irgendwo in mir fuͤr jetzt unzugaͤnglichen Buͤchern eine aͤltere Abſchrift; zu meiner Zeit indeß waren nur folgende Schriftzuͤge erhalten und durchhin lesbar: + ME fec. ITROBERTVSMAGIS̅T̅. LA ......
Vereinigen wir mit dieſen fuͤnf, nach allen begleitenden Umſtaͤnden unzweifelhaft beynahe gleichzeitigen Kuͤnſtlern, dem Gruamons,Deodatus,Enricus,Biduino,Robertus, auch den beruͤhmteren Namen des Bonanno*)Er war ſchon dem Vaſaribekannt. Vergl. MorronalI. et T. c. und andere., deſſen Bronzethore zu Piſauntergegangen, deſſen anderes Werk zu Monrealein Sicilienmir anſichtlich unbekannt; ſo ergiebt ſich, daß in dem engen Kreiſe des noͤrdlichſten Toscanaſchon in jener ent - legeneren, noch ſo dunkeln Zeit nicht weniger als ſechs Bild - ner gearbeitet und, was mehr iſt, nach Ruhm und Auszeich - nung geſtrebt haben. In Betrachtung ihrer Proportion, Ma - nier und Wahl waren dieſe Kuͤnſtler, wenn wir Bonannoausnehmen, uͤber welchen ich nichts zu entſcheiden wage, ſaͤmmtlich aus irgend einer italieniſchen Schule hervorgegangen, da ſie an keiner Stelle den Eindruck griechiſcher Vorbilder an den Tag legen. Ob nun dieſes Beſtreben ganz oͤrtlich und durch den Flor von Piſahervorgerufen war, an welchem Luccaund Piſtojamittelbar Theil nahmen; oder ob vielmehr dieſer263 fruͤhe Mittelpunct aus entlegeneren Gegenden Kuͤnſtler ange - lockt? Gewiß erſcheinen um dieſe Zeit, wie wir unten ſehen werden, uͤberall in Italienlombardiſche Bildner.
Im Mittelalter, wie uͤberall auf den fruͤheren Stufen der Bildnerey, vereinigen ſich Baumeiſter und Steinmetz in der - ſelben Perſoͤnlichkeit; aus dem Steinmetzen aber geht in der Folge auch der darſtellende Bildner hervor; und es iſt ganz in der Ordnung, daß Handgriff und Behandlung des Mate - rials waͤhrend der allgemeinen Kindheit der Kunſt, eben wie im Knabenalter der einzelnen Kuͤnſtler, zeitig und voran er - worben werde; damit ſpaͤterhin der ſchon entwickelte Geiſt ſich ungehemmt und frey nach allen Seiten bewegen koͤnne. Nun war, worauf wir zuruͤckkommen werden, an der noͤrdlichſten Grenze Italiens Comoſchon ſeit Einwanderung der Longobar - den in allen der Baukunſt dienenden Kuͤnſten wunderbar be - vorrechtet. Schon in den longobardiſchen Geſetzen, dann in unzaͤhligen Urkunden und Inſchriften, finden ſich die magistri Comacini; von daher kommen auch noch gegenwaͤrtig den Italienern wenigſtens ihre Maurer.
Zu Piſtoja, an einer merkwuͤrdigen, doch aͤußerſt bedenk - lichen Kanzel der Kirche S. Bartolomeo, nennt ſich ein Bild - ner aus Como,Guido, den die Geſchichtſchreiber laͤngſt unter die Zeitgenoſſen des großen Nicolasvon Piſaaufgenommen haben. Doch iſt es nicht ſo leicht, ja vielleicht unmoͤglich, auszumachen, wohin die erſte der beiden Inſchriften des Wer - kes gehoͤre; ob zu dem Saͤulengeſtelle der Kanzel, oder zu den halberhobenen Arbeiten ihrer Bruſtwehr. Die letzten nemlich ſtimmen in Manier, Verhaͤltniſſen, ſelbſt in der Gewohnheit die Augen ſchwarz auszulegen, auffallend uͤberein mit jenen oben beſchriebenen der Kanzel in S. Leonardo bey Florenz. 264Das Saͤulengeſtelle hingegen entſpricht dem dreyzehnten Jahr - hundert, alſo den Jahren der zweyten Inſchrift, welche mit der erſten auf keine Weiſe zuſammenhaͤngt. Beide Inſchriften ſind verſchiedentlich abgedruckt worden; doch wiederhole ich ſie, theils meine Zweifel zu unterſtuͤtzen, theils weil die ſo gewoͤhn - liche Abkuͤrzung T9 im erſten Verſe von Einigen faͤlſchlich in TVR aufgeloͤſt worden. Die obere lautet alſo: SCVLPTOR LAVDATVS QVI SVMMVS IN ARTE PROBATVS GVIDODE COMOQVEM CVNCTIS CARMINE PROMO Davon abgeſondert, und durchaus weder dem Sinn, noch der Anordnung nach, nothwendig mit jener zu verbinden, ſagt die zweyte: A. D. M. CC. L. EST OPERI SANVS SVPERE - STANS TVRRIGIANVS NAMQVE FIDE PRONAVIGILH̅C̅ D̅S̅ I̅N̅ CO - RONA. Koͤnnten wir mit Sicherheit annehmen, die erſte Inſchrift ſey der zweyten gleichzeitig, ſo wuͤrden wir demGuidodie halb - erhobene Arbeit der Bruſtwehr abſprechen muͤſſen; er koͤnnte alsdann einzig die Kanzel um etwas erweitert, die beiden Loͤ - wen und die menſchliche Figur mit den Saͤulen, welche auf jenen ruhen, gearbeitet haben, welche ſicher dem Zeitalter des Nicolasvon Piſa, oder dem in der zweyten Inſchrift angege - benen Jahre 1250 entſprechen. Gehoͤrte hingegen die erſte Inſchrift zu den Reliefs, ſo wuͤrden wir denGuidonothwen - dig fuͤr einen Meiſter des eilften oder zwoͤlften Jahrhunderts halten muͤſſen, und annehmen koͤnnen, er ſey mit dem Bild -265 ner der florentiniſchen Kanzel aus derſelben Schule ent - ſproſſen*) Vasari, vite etc. vita d’ Andrea Tafi. — I maestri di quell’ età, come s’é detto nel proemio delle vite, furono molto goffi, come si può vedere in molti luoghi, e particolarmente in Pistojain S. Bartolomeo de’ Canonici règolari, dove in un Pergamo fatto gof - fissimamente da Guidoda Como, e’ il principio della vita di Gésu Christo, con queste parole fattevi dall’ artefice medesimo l’anno 1199. “ Darauf eine verrenkte Abſchrift obiger Inſchrift, aus welcher abzunehmen, daß Vaſari, oder wer ihm die Nachricht mitgetheilt, nur fluͤchtig geleſen hatte. Gewiß konnte ich von dem angegebenen Jahre 1199 an Ort und Stelle keine Spur entdecken, obwohl mir darum zu thun war. Sollte dieſe Angabe Vaſari’s, fluͤchtig verbunden mit einer um wenig Zeilen vorangehenden Erwaͤhnung der florentiniſchen Kirche S. Miniato a Monte, einen neueren Schriftſteller (Anſich - ten uͤber die Kunſt, 1820. 8. ) veranlaßt haben, die Kanzel in S. Miniato (er ſagt nicht, ob in S. Miniato a Monte, oder im Dome von S. Miniato de’ Tedeſchi, noch, wenn im erſten, ob er die wirklich alterthuͤmliche Evangelienkanzel meine) im Jahre 1199 von Guido von Comoanfertigen zu laſſen? Nirgend wird in die - ſer dreuſten Compilation eine Quelle nachgewieſen, weshalb ſie nicht ſelten nutzlos beunruhigt..
Ich glaube mich zu entſinnen, daß Ciampi, deſſen ſchon angefuͤhrtes Werk ich nicht vor Augen habe, dieſe Zweifel nicht aufklaͤrt, im Gegentheil die beiden Inſchriften zuſammen - lieſt. Unter allen Umſtaͤnden gewaͤhren ſie uns ein Beyſpiel der weiten Verbreitung jener alten lombardiſchen Bildnerſchule, deren Spur wir nunmehr, ſo viel an uns liegt, nach anderen Gegenden hin verfolgen wollen.
Beſondere Aufmerkſamkeit hat in neueren Zeiten ein Bild - ner erweckt, welcher zu Parmaim Dome einen Altar mit266 Bildnerey geſchmuͤckt hat, und ſeinen Namen Benedictund das Jahr 1178*)S. Millin, voy. dans le Milanais. T. II. p. 116 und p. 119; Cicognaraa. ſ. St.; denen ich, was Namen und Jahr an - geht, folgen muß, da ich meine eigene Abſchrift eingebuͤßt habe. — Ob Benedictſich hier: Antelamioder de Antelamo nennt, welches letzten ich mich zu entſinnen glaube, wuͤrde entſcheiden, ob dieſer Zuſatz den Namen des Vaters oder des Geburtsortes andeute. hinzugeſetzt. Daſelbſt ſind auch die drey Thuͤren der Taufkirche mit halberhobenen Arbeiten geſchmuͤckt, an der noͤrdlichen aber lieſt man, nach Morrona**)l. c. §. 1., Bisdenis demptis annis de mille ducentis Incepit dictus opus hoc Benedictus. Die Vorliebe fuͤr Vaterlaͤndiſches verleitete den Morrona, jene Arbeiten tiefer zu ſtellen, als Solches, ſo gleichzeitig in Toscanavon Meiſtern gearbeitet worden, welche er ohne ur - kundliche Gruͤnde ſaͤmmtlich fuͤr Piſaner haͤlt. So viel ich mich entſinne, haͤlt Meiſter Benedict, den Neuere faͤlſchlich Antelami nennen, da doch zu jener Zeit noch keine Geſchlechts - namen in Gebrauch geweſen, den Vergleich mit Gruamonswohl aus, und uͤbertrifft den armſeligenBiduinoum Vieles. Andere laſſen von demſelben Benedictdie piſaniſche oder tos - caniſche Bildnerſchule ausgehen, was ebenfalls gewagt und thoͤricht iſt, da wir, wie oben bemerkt worden, in Bezug auf dieſe aͤltere Kunſtepoche nur unzuſammenhaͤngende, abgeriſſene Nachrichten haben, welche wir dem Zufall, nicht dem verhaͤlt - nißmaͤßigen Verdienſte der Kuͤnſtler verdanken.
Gleichzeitig mit dieſem Meiſter Benedictgoſſen andere Lombarden fuͤr den paͤpſtlichen Hof zu Romzwey Bronzethore, welche noch vorhanden ſind. Das eine, welches ganz glatt267 iſt, wird uns nur durch ſeine Inſchrift merkwuͤrdig; es befin - det ſich gegenwaͤrtig im Gange zur Sacriſtey der Kirche S. Johannes zum Lateran, war aber vordem in dem alten laͤngſt abgetragenen Palaſte daſelbſt angebracht. Das andere, wel - ches zu einer Seitenkapelle der Taufkirche Conſtantinsfuͤhrt, hat in der Mitte des linken Fluͤgels eine Figur in Relief, welche an Habituelles des ungleich ſpaͤteren Andreas von Piſaerinnert, und an den Tag legt, wie dieſe Lombarden nicht bloß das Erz reinlich zu gießen, vielmehr auch die menſchliche Geſtalt ganz wohl zu behandeln wußten. Die uͤbrigen Felder dieſer zweyten Thuͤre ſind durch ſauber einge - grabene Umriſſe verziert, welche ſaͤmmtlich vorgothiſche Gebaͤude darſtellen, worin ſchon einige ſpitze Bogen eingemengt ſind, von welchem Umſtande wir ſpaͤterhin Gebrauch machen wollen.
Auf dem rechten Fluͤgel dieſes Thores ließt man in un - termiſchten rundlichen und eckigen Uncialbuchſtaben: + ANNO. V̂. PONTI̅F̅. DN̅I. CELESTINI III. P̅P̅. CE̅CIO. CARDI̅N̅. S. LVCIE. EIVSDEM DN̅I P̅P̅. CAMERARIO. IVBENTE. OPVS ISTVD. FACTVM. Und gegenuͤber auf dem linken Fluͤgel: + HVI9. OPERIS.VBERT9. ETPETR9. F̅R̅S̅. MAGISTRI LATV̅S̅ENE̅N̅. FVERVNT. Auf der anderen, einfachen Thuͤre der Sacriſtey: +VBERT9. MAGISTER. ET.PETRVS. EI9. F̅R̅. PLACENTINI. FECERVNT HOC. OP9. + INCARNACI̅O̅I̅S. DN̅I̅CE AN̅O. M. C. XC. VI. ° PONTIFICAT9. V̅O̅. DN̅I̅. CELESTINI. P̅P̅. III. 268ANNO. VI. ° CENCIO. CAMERARIO. MINI - STRA̅TE HOC. OP9. FACTV̅. EST. Wir lernen aus der letzten Inſchrift, daßHubertder Meiſter, ſein BruderPetrusdeſſen Gehuͤlfe, beide aber aus Piacenzawaren. Was indeß das obige zuſammengezogene Latu̅s̅ene̅n̅. bedeute, weiß ich mir nicht zu erklaͤren, noch habe ich daruͤber weder aus den Gloſſarien oder ſonſt einige Auskunft erlan - gen koͤnnen.
Andere Kuͤnſtlernamen, ohne Angabe des Vaterlandes, finden ſich an roͤmiſchen Denkmalen dieſer Zeit, welche, da ſie durchhin nur in den mehr vernachlaͤſſigten Kirchen der aͤußeren Stadt vorkommen, auf eine große, verbreitete Wirkſamkeit ſchließen laſſen, deren Erzeugniſſe in den Erneuerungen der inneren Stadt bis auf die letzte Spur verſchwunden ſind.
In der alten Baſilika S. Lorenzo, auf dem Wege nach Tivoli, findet ſich am Hauptaltare eine Verdachung, welche[auf] vier antiken Porphyrſaͤulen ruht, deren componirte Kapi - taͤle offenbar mittelalterliche, doch nach den Umſtaͤnden gut ausgefuͤhrte Nachbildungen antiker Muſter. Auf dieſen Saͤu - len ruhet zunaͤchſt ein ſehr einfaches Geſimſe, darauf ein ver - zierender Zwergporticus; die hoͤlzerne und bemalte Bedeckung des Gipfels iſt durchaus neu. Der Altar ſelbſt enthaͤlt, ob - wohl er neu aufgeſchmuͤckt worden, doch immer noch einige Eckpfeiler, welche den alten Theilen der Verdachung gleichzei - tig zu ſeyn ſcheinen; an der inneren Seite des Architraves, alſo an einem der alten Theile dieſer Verdachung, befindet ſich folgende Inſchrift: + IO̅H̅S̅.PETRVS. ANG̅L̅S̅. ET SASSO. FILII. PAVLI. MARMO̅R̅. 269+ AN̅N̅. D̅. Mͦ. C. ° XL. VIII. ° EGO HVGO. HV - MILIS. AB̅B̅S̅. HOC OPVS FIERI FECI. Als techniſch gewandte Bildner zeigen ſich dieſe Bruͤder beſon - ders an den Knaͤufen uͤber den Porphyrſaͤulen, bey denen ge - wiſſe eigenthuͤmlich willkuͤhrliche Formen des vorgeruͤckteren Mittelalters die Vermuthung nicht aufkommen laſſen, als waͤren ſie etwa antike Arbeiten aus den Zeiten des ſinken - den Reiches.
Vor dem letzten Brande befand ſich in der uralten Paulskirche, auf dem Wege von Romnach Oſtia, ein wohl zwanzig Fuß hoher, aus einer beſchaͤdigten Saͤule von griechi - ſchem Marmor gearbeiteter Kandelaber. An ſeinen Verzierun - gen war minder gute Arbeit, als an den erwaͤhnten Kapitaͤ - len; die kleinen Reliefs in kurzen Figuren, welche ſeine Mitte mehrfach umguͤrteten, ſchienen auf den erſten Blick dem eilften Jahrhundert mehr, als dem zwoͤlften zu entſprechen. Indeß ſagte die in der Mitte verſtuͤmmelte, doch zu Anfang und Ende ganz lesbare Inſchrift: + EGONICONAVS DE ANGILOCVM PE .. ..... HOC OPVS COMPLEVIT*)MonſignorNic. Nicolai, della basilica di S. Paolo, Ro.1815. fo. p. 297, lieſt oder uͤberſetzt die verſtuͤmmelten BuchſtabenPietro Fassa di Tito. Ich habe dieſe Inſchrift wiederholt darauf angeſehen; doch fand ich zwar die deutliche Spur von Petro; die darauf folgenden erhaltenen Buchſtaben ſtehen aber mit ihren Lagu - nen in dieſer Ordnung: ·I·AS. AMIE .. O, darauf HOC OPVS etc.; ſo daß die Lesart des Monſ.Nicolaiſicher unbegruͤndet, die Lagune ſelbſt, an welcher offenbar von Wißbegierigen geſchabt worden war, gegenwaͤrtig nicht mehr zu ergaͤnzen iſt.. Es liegt demnach die Vermuthung nahe, daßNicolausder Sohn des oben, in S. Lorenzo, genanntenAngelus, ſein Ge -270 huͤlfePetrusderſelbe ſey, der oben unter den Bruͤdern desAngelusvorkam, alſo der Oheim des Meiſters. In dem verſtuͤmmelten Theile der Inſchrift mag auchSaſſo, der an - dere Bruder desNicolausvorgekommen ſeyn, da darin we - nigſtens die Buchſtaben AS noch deutlich zu leſen, die anſto - ßenden nicht allein abgeſchliffen, vielmehr ſelbſt wieder aufge - kratzt, mithin leicht entſtellt waren.
Gleichzeitig mit dieſen minder bekannten Namen zeigt ſich zu Romeine andere Bildnerfamilie, deren ſpaͤtere Sproͤßlinge,Cosmas, der SohnJacobs, undJohannes, desCosmasSohn, bereits dem dreyzehnten Jahrhundert angehoͤren;Jacobaber, roͤmiſcher Baumeiſter, Bildner und Muſaiciſt, Vater des beruͤhmterenCosmas, muß ſchon im zwoͤlften Jahrhundert gearbeitet haben, da er bereits im Jahre 1210 ſeinen SohnCosmasals Gehuͤlfen brauchte*)S. die Inſchrift der Hauptkirche zu Civita Caſtellana, welche ich nachtragen werde.. Auf anderen, beſcheidne - ren Werken nennt er ſich allein, z. B. an einem Bogen des zwerghaften Saͤulengeſtelles im Kloſter S. Scholaſtica bey Subiaco; an dem Bruchſtuͤcke eines mit Saͤulen gezierten Chores zu Rom, in der Kirche S. Aleſſio nennt er uns aber auch ſeinen Vater. Denn wir leſen dort an einem ausge - ſparten Marmorſtreife des gegenwaͤrtig in Holzarbeit erneue - ten Chores: +IACOBVSLAVRENTII FECIT HAS DECEM ET NOVEM COLVMPNAS CVM CAPITELLIS SVIS.
271Die Erwaͤhnung ſeines VatersLorenzſcheint hier deſſen friſcheres Andenken, oder die Abſicht anzudeuten, ſeinen eige - nen, vielleicht noch minder bekannten Namen durch vaͤterlichen Ruhm zu unterſtuͤtzen. Denn es iſt nach damaliger Familien - ſitte vorauszuſetzen, daßLorenz, deſſen weitere Lebensſchickſale und Wirkſamkeit unbekannt, daſſelbe Kunſtgewerbe betrieben, welches ſeiner Familie in den drey folgenden Generationen Ehre und Beguͤnſtigung erworben. In erwaͤhnten Bruchſtuͤk - ken zeigen die noch vorhandenen Pilaſtercapitaͤle, wie ſelbſt das in die Marmorleiſten eingelegte Glasmuſiv, loͤbliche Schaͤrfe und Nettigkeit der Arbeit; ein Verdienſt, welches dieſe Kuͤnſtlerfamilie nirgend verlaͤugnet. Waͤre es nun gar auszu - machen, daß auch jene frey nach antiken Muſtern copirte Ein - faſſung der Kirchenthuͤre ebenfalls MeiſterJacobsArbeit ſey, ſo wuͤrde dem wackeren Meiſter daraus eine gedoppelte Ehre entſtehen. Doch eben weil dieſe, theils dem Alterthume be - fangener nachgebildet, theils aber auch ungleich magerer im Marmor ausgemeißelt iſt, als ſonſt inJacobsund ſeines Sohnes Arbeiten bemerklich, bin ich geneigt, dieſe Thuͤre, zu - gleich mit einer anderen verwandten, der Kloſterkirche zu Grotta ferratabey Rom, fuͤr Denkmale jener Richtung zu halten, welche vom Hofe Heinrichs II. auch uͤber Italienausgegangen ſeyn moͤchte. Dieſer Herr beguͤnſtigte, wie be - reits erinnert worden, die Benedictinerabteyen bey Florenzund zu Montecaſſino. Es waͤre demnach nicht auffallend, wenn er auch andere der Stadt und Gegend von Romverherrlicht haͤtte; wie andererſeits noch ein dritter Fall denkbar iſt, nem - lich die Fortpflanzung ſeiner Anregungen von einem Kloſter des Ordens zum anderen.
Noch einen anderen Kuͤnſtlernamen entdeckte ich an dem272 zwerghaften Saͤulengange eines Kloſterhofes hinter der Kirche S. Johannes im Lateran. Dort ſteht an einem der Giebel: MAG̅R̅ DEODATVS — FECIT HOC OPVS. Dieſe Giebel indeß neigen ſich zum Gothiſchen, und das Wappen Colonna in einem anderen ſcheint auf Erneuerungen des dreyzehnten Jahrhunderts hinzuweiſen, denen dieſer Name anheimfallen moͤchte. Deodatuskann demnach nicht derſelbe ſeyn, den wir oben als den Bruder des Meiſter Gruamonskennen gelernt.
Ich komme darauf zuruͤck, daß ein großer Theil der an - gefuͤhrten Arbeiten, welche uns nun auch fuͤr Romeine gute Zahl von Kuͤnſtlernamen abgegeben haben, bloß in Bauverzie - rungen beſteht, in deren verhaͤltnißmaͤßig guter Ausfuͤhrung die Kuͤnſtler ihre Ehre geſetzt. Emſige Bearbeitung, gute Fuͤ - gung der Marmorſtuͤcke zeigt ſich gleichzeitig auch in anderen Mittelpuncten des damaligen Italiens, z. B. im Grabmal des BiſchofsRainer von Florenz, daſelbſt in der S. Johan - niskirche, welcher Herr nach der Inſchrift im J. 113 geſtor - ben. Alſo fand Nicolas von Piſaſein Handwerk ſchon vor - gebildet. Demungeachtet ſteht er in Anſehung ſeines Geiſtes, Styles, Naturſinnes, in jener Zeit ganz einſam; und gewiß blieb in der bildneriſchen Technik, da in dieſer Kunſtart die Technik des Alterthums fruͤh vernachlaͤſſigt worden, noch bis in die neueſten Zeiten ſo mancher Handgriff aufzufinden, daß nur dem außerordentlichſten Geiſte gelingen konnte, unuͤber - windliche Schwierigkeiten zu beſiegen. Ich glaube nicht, daß die italieniſchen Vorgaͤnger des NicolasThonmodelle gemacht haben, noch daß letzter ohne Thonmodelle ſo herrlich in Mar - mor habe vollenden koͤnnen, als etwa die Figuren an der Kanzel zu Siena. Leider fehlt es uns an umſtaͤndlichen Nach -rich -273richten, thaͤtigen Beweiſen fuͤr die Vermuthung, daß er den Gebrauch, in naſſem Thon zu modelliren, vielleicht in der vollen Groͤße ſeiner halberhobenen Arbeiten, wiederum in die Bildnerey eingefuͤhrt. Den Gebrauch ſage ich, nicht die Er - findung; denn, obwohl die Guͤſſe in Erz damals nur in klei - neren Theilen, und im Ganzen nur ſelten beſchafft wurden, ſo ſetzen dennoch die eben vorkommenden die Fortuͤbung des Modellirens in Thon voraus; alſo nur von der Anwendung dieſes Kunſtgriffes auf Vorbilder des Meißels kann hier, wenn jene Vermuthung ſonſt zulaͤſſig, die Rede ſeyn.
Daß jene alten Kuͤnſtler des zwoͤlften Jahrhunderts bey einiger Verbeſſerung ihrer Hand - und Kunſtgriffe ganz Ande - res haͤtten leiſten koͤnnen, ergaͤbe ſich aus jenem, angeblich in Weinſtock geſchnitzten Hauptthore der Kirche S. Sabina zu Rom, wenn anders mit Sicherheit auszumachen waͤre, daß dieſes Werk, wie Umſtaͤnde wahrſcheinlich machen, um das Jahr 1200 entſtanden ſey.
Da man durch die Seitenthuͤre einzugehen pflegt, ſo wer - den dieſe Thore, welche gegenwaͤrtig zum Garten gekehrt ſind, und von innen her geoͤffnet werden muͤſſen, ſehr haͤufig von den Reiſenden uͤberſehen, obwohl ſie der Beachtung werth ſind. Denn in den niedrig gehaltenen Figuren der Fuͤllungen, ſelbſt in den Gruͤnden und Beywerken, naͤhern ſie ſich dem Spaͤt - roͤmiſchen oder Altchriſtlichen, ſo daß ich anfangs veranlaßt wurde, in den Leben aͤlterer Paͤpſte nach ihrer Stiftung zu ſuchen. Doch bey wiederholter Beſichtigung entdeckte ich an der inneren Seite Verzierungen, welche bereits das Antike verlaſſen und Verhaͤltniſſe und Formen annehmen, welche im zwoͤlften Jahrhundert die Annaͤherung jenes Bau - und Ver - zierungsgeſchmackes ankuͤndigen, den man den gothiſchen nennt. I. 18274Damit ſtimmt auch in den Gruͤnden der Bilder der Vorſeite das Oblonge und Aufgerichtete in der Behandlung, dem Ent - wurf nach, antiker Baulichkeiten, ſo daß ſchon das Aeußere des Werkes belehrt, daß, wer es vollbracht habe, wohl antike und altchriſtliche Vorbilder befolgt, doch bereits des Eindruckes ſpaͤterer Sitten und Eigenheiten nicht durchaus ſich erwehren koͤnnen. Die verhaͤltnißmaͤßig ſchoͤne Ausfuͤhrung duͤrfte aber, wie oben bemerkt worden, aus der Schmeidigkeit des Stoffes ſich erklaͤren, dem, bey ſchon erwachtem Streben nach loͤbli - cher Leiſtung, der Kuͤnſtler leichter beygekommen, als ſeine Zeitgenoſſen dem ſproͤderen Marmor.
Ueber dieſer Thuͤre befindet ſich, an der aͤußeren Wand der Vorſeite genannter Kirche, eine muſiviſche Verzierung, welche, da die beiden Geſtalten zu beiden Enden nur den kleinſten Raum einnehmen, faſt ganz aus einem langen Streife Inſchrift beſteht. Ohne Beyſpiel waͤre es wohl, wenn die letzte, welche allerdings durch ihre großen, beſonders reinen Schriftzuͤge eine huͤbſche Verzierung bildet, ſo ganz allein um ihrer ſelbſt willen vorhanden ſeyn ſollte; allein auch die Wahl und Stellung der Worte gebietet, ihr einen weiteren Sinn zu ge - ben, ſie auf ein unbeſtimmtes Mancherley auszudehnen, was eben unter Coeleſtin III. zur Erhaltung oder Verherrlichung des Gebaͤudes geſchehen war; ſo daß, mit Ruͤckblick auf obige Kennzeichen, ohne Zwang anzunehmen iſt, auch jenes ſchoͤne und loͤbliche Schnitzwerk der Thuͤre gehoͤre zu der allgemeinen Erneuerung, welche die muſiviſche Aufſchrift in folgenden Worten ankuͤndigt: CVLMEN APOSTOLICVM CVM CAELESTINVSHABERET275 PRIMVS ET IN TOTO FVLGERET EPISCO - PVS ORBE HAEC QVAE MIRARIS FVNDAVIT PRESBY - TER VRBIS ILLYRICA DE GENTE PETRVS VIR NOMINE TANTO DIGNVS — —
Allein auch die zeichnenden Kuͤnſte der Malerey und des Muſives muͤſſen ſchon damals einen nicht unerheblichen Vor - ſchritt gewonnen haben, da jene weiblichen Geſtalten, Perſoni - ficationen der Kirche (ex circumcisione und ex gentibus)*)S. die Abbildung bey Ciampini, vet. mon. P. 1. ed. 1690. ad p. 191., fleißiger gearbeitet ſind, als jene von Paſchal I. in ſ. Praxe - dis und von den nachfolgenden Paͤpſten in anderen Kirchen angeordneten, vornehmlich weil ſie bereits einige Spur des wieder angeregten Verlangens zeigen, die Formen nicht mehr bloß durch ſtark bemerkliche Umriſſe, vielmehr auch durch Schatten hervorzuheben. Die Bekleidung dieſer Figuren iſt, mit geringer Unterbrechung, antik, was zu verrathen ſcheint, daß man mehr, als noch vor Kurzem, den altchriſtlichen Denkmalen ſich angenaͤhert, welche in Italien, vornehmlich zu Rom, haͤufig vorhanden waren.
Dieſe Fortſchritte verlaͤugnen ſich indeß in einigen Ueber - reſten der Herſtellungen, welche Honorius III. um wenig ſpaͤ - ter, von 1210 — 20, in der Kirche S. Lorenzo, auf dem Wege nach Tivoli, angeordnet hat. Im Frieſe nemlich der Vorhalle dieſer Kirche, welcher muſiviſch ausgelegt iſt, zeigen18 *276ſich einige menſchliche Geſtalten; zur Linken drey halbe Figu - ren, in der Mitte Chriſtus, zu den Seiten die Mutter und S. JohannesEv.; zur Rechten S. Lorenzund der Papſt, im Felde lieſt man nach alter Art: S. Laur.und Ho - no̅r̅i̅ PP. III. In dieſen unfoͤrmlichen kleinen Puppen ſon - dern ſich die Localfarben noch immer durch dicke Umriſſe, wie in der Zeit, welche wir oben uͤberſehen haben. Doch iſt es moͤglich, daß dieſe unbedeutende Arbeit nicht eben den beſten Muſivmalern uͤbergeben worden; denn wir werden nun bald, theils etwas aͤlteren, theils auch ganz gleichzeitigen Muſiven begegnen, deren Kunſtverdienſt ſehr weit uͤber jene kleinen Verzierungsarbeiten hinausgeht.
Unterhalb der Saͤulenhalle, ſchon an der Wand der Kirche ſelbſt, befinden ſich Mauergemaͤlde, welche die Lebensereigniſſe der Heil. Stephanund Lorenz, zur anderen Haͤlfte einige Be - gebenheiten der Regierung Honorius III. darſtellen*)Vgl. Nibby, viaggio antiq. ne’ contorni di Roma. T. 1. Ro.1819. p. 97 ss. . Sie ſind aber faſt durchaus uͤbermalt, ſo daß man nur an der Ein - theilung in viele kleine[Bilder], an den Einfaſſungen, wie end - lich an der Architectur der Gruͤnde, ihr hohes Alter noch erkennt. Zur Rechten indeß befindet ſich ein noch ziemlich wohl erhal - tenes Gemaͤlde. In dieſem folgen Biſchof und Prieſter einem zweyraͤdrigen Karren, auf welchem ein heil. Leichnam mit maͤchtigem Nimbus. Die Pferde gehen zur Linken nebenher; eben ſo kunſtlos iſt die Anordnung der uͤbrigen Figuren; doch ſieht man bereits einige Spuren von Modellirung, gruͤnliche Halbtinten und ſparſame Schatten. Die aͤhnlich abgetheilten277 Malereyen im Innern der Kirche ſcheinen den Beywerken nach etwas juͤnger zu ſeyn.
Die Malereyen, welche vormals in der kleinen vorſtaͤdti - ſchen Kirche S. Urban, unweit der appiſchen Straße, zu ſehen geweſen, ſcheinen nach alten Abbildungen der ſchon erwaͤhnten Sammlung der barberiniſchen Bibliothek*)Barber. No. 1047. pitture di S. Urbano alla Caffarella. ebenfalls um das Jahr 1200 entſtanden zu ſeyn. Gegenwaͤrtig ſind ſie von der roheſten Hand uͤbermalt; ſogar die Aufſchrift iſt verſchwunden, welche die eine der beiden Abbildungen genannter Sammlung bewahrt hat**)No. 1047. In No. 1050 fehlt ſie.. Sie lautet: BONIZZO F̅R̅T̅ AXPI MXI. Die letzte Zeile wird von Einigen gedeutet: anno Christi 1011***) Lanzi, stor. pitt. dell’ It. T. I. Origini etc. Er folgt dem Herrn von Agineourt, welcher, da ſeiner Zeit die Originale laͤngſt uͤbermalt waren, nur jene alten Copieen vor Augen hatte.. Gewiß eine damals ſehr ungewoͤhnliche, vielleicht ganz beyſpielloſe Form und Verbindung†)Anno Domini waͤre mehr in der Ordnung; doch pflegte man ſogar dieſes nicht, wie hier, nach, ſondern voran zu ſetzen. So in einer der kuͤrzeſten Aufſchriften, die mir je vorgekommen, an einem Kapitaͤle, rechts der Tribune des Domes zu Fieſole: A. D. M. CC. I. an einem anderen: M. P. (magisterPetrus?) . Indeß findet ſich dieſe Aufſchrift nur in der einen der beiden Abbildungen deſ - ſelben Werkes, und es duͤrfte gewagt ſeyn, ſo unbedingt an - zunehmen, daß der Copiſt ſie richtig geleſen; und in Frage ſtehen, ob nicht ſein Vorbild andere Buchſtaben enthalten, mithin eine andere Deutung erfordert habe.
278Andere Spuren einer den Roͤmern eigenthuͤmlichen Schule der Malerey uͤbergehe ich fuͤr jetzt, weil ſie ſchon weiter in das dreyzehnte Jahrhundert hinuͤberreichen, dem wir eine eigene Betrachtung widmen wollen, wo einige mir ſichere toscaniſche Malereyen des zwoͤlften oder des Anbeginnes des dreyzehnten Jahrhunderts ebenfalls ihre Stelle finden werden. Doch, ehe wir uns von den minder unerfreulichen Kunſtarbeiten dieſes Zeitraumes trennen, wird es noͤthig ſeyn, eines umbriſchen Malers zu erwaͤhnen, deſſen Name auf einem Bilde des Ge - kreuzigten in den Gewoͤlben der Kirche S. Giovanni e Paolo zu Spoletoſich erhalten hat.
Die Darſtellung dieſes Gegenſtandes war, obwohl, wie es bekannt iſt, eben ſo wenig, als Darſtellungen aus dem Jugendleben des Heilandes, von den fruͤheren Chriſten gebil - ligt und geduldet, doch endlich nicht lange vor Eintritt des Bilderſturmes uͤberall zugelaſſen worden. Wie eben dieſe Bilder alsdann binnen Kurzem Gegenſtaͤnde der Verehrung der einen, des Haſſes der anderen chriſtlichen Partheyung geworden, iſt aus vortrefflichen Bearbeitungen auch in weiteren Kreiſen be - kannt*)Ergaͤnze Gibbonsunlaͤugbar geiſtreiche Auffaſſung (hist. of the Decline etc. Chapt. XLIX.) durch: Schloſſer, Friedr. Chriſt., Geſch. der bilderſtuͤrmenden Kaiſer des oſtroͤmiſchen Rei - ches. Frankf.1812. 8.. Allein, eben weil dieſe Vorſtellungen erſt damals, als Italienbereits mehr und minder vom oͤſtlichen Reiche ab - geſondert war, in den chriſtlichen Bilderkreis aufgenommen worden, geſtalteten ſie ſich in den beiden Haͤlften der chriſtli - chen Welt auf verſchiedene Weiſe. Hier wie dort ohne Zwei - fel hoͤchſt unvollkommen; zierlicher indeß bey den Griechen, wenn man gleich, ſowohl der Madonna als dem Gekreuzigten,279 dieſer letzten auch in den guͤnſtigſten Beyſpielen anſieht, daß ſie ſogleich als Mumie entſtanden waren, und kuͤnftiger Aus - bildung im voraus entſagt hatten; den italieniſchen hingegen, daß ihre Form, bey groͤßter Rohigkeit, doch nicht, wie jene, aͤußerlich abgeſchloſſen, mithin einer hoͤheren Entwickelung noch faͤhig war. Streben nach einer edleren, ſchoͤneren Entwicke - lung der italieniſchen Idee des Gekreuzigten finden wir laͤngere Zeit, bevor ſie durch neugriechiſche Vorbilder verdraͤngt wurde, in verſchiedenen einander aͤhnlichen Bildern der Gegend von Aſiſi, wo ſpaͤter durch die feurige Beredſamkeit des heil. Franzdas Andenken der Leiden Chriſti, und dadurch die Verehrung des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwaͤrmerey erhoͤhet wurde. Ein Beyſpiel der barbariſch-italieniſchen Vorſtellung der Maria, im Gegenſatz zur neugriechiſchen, gewaͤhrt uns ein Bild zu Sienain der casa di S. Ansano, in der Seitenca - pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215, halb Relief, halb Malerey iſt. Sie iſt, im Vollen angeſehen, gerade aufgerichtet ſitzend. Im goldenen Felde zwey ſehr kleine Engel; der Thron von hoͤchſter Einfachheit. Uebrigens iſt das Antlitz der Madonna nicht ohne Schoͤnheit.
Das Eigenthuͤmliche dieſer Bilder zeigt ſich zunaͤchſt in der Anordnung, da ſie unter den ausgebreiteten Armen des Heilandes verlaͤngerte Fuͤllungen haben, auf denen Maria und Johannes, nebſt den uͤbrigen Marieen der Leidensgeſchichte in verjuͤngtem Maße vorgeſtellt ſind; an den Ausgaͤngen der Schenkel des Kreuzes befinden ſich unter mancherley Verzie - rungen von muſiviſchem Charakter Bruſtbilder von Engeln. Das wichtigſte Merkmal der Unterſcheidung italieniſcher und griechiſcher Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten ſelbſt gegeben. 280Die Griechen nemlich, denen der Anblick grauſamer Leibesſtra - fen Gewohnheit war, dachten ſich den Heiland am Kreuze mit der ganzen Schwere des Leibes herabhaͤngend, den Unter - leib geſchwellt und die erſchlafften Kniee links ausgebogen, den geſenkten Kopf mit den Qualen eines grauſamen Todes rin - gend. Ihr Gegenſtand war demnach das koͤrperliche Leiden an ſich ſelbſt, ihr Zweck hoͤchſtens Erweckung des Mitleidens, obwohl die damalige Kunſt, um dieſen untergeordneten Zweck ganz zu erfuͤllen, an darſtellenden und wahr ſcheinenden For - men noch viel zu arm war. Die Italiener hingegen, in de - ren aͤlteren Denkmalen, wie nicht zu uͤberſehen iſt, die Dar - ſtellung, ſowohl der Jungfrau mit dem Kinde, als des Ge - kreuzigten nur hoͤchſt ſelten vorkommt, pflegten die Geſtalt des Heilandes am Kreuze aufzurichten, verfolgten alſo, wie es ſcheint, die Idee des Sieges des Geiſtigen, nicht, wie jene, des Erliegens des Koͤrperlichen.
Dieſe unlaͤugbar edlere Auffaſſungsart einer wohl ſchwie - rigen, doch, wie ſo viele Beyſpiele darlegen, unter Umſtaͤnden hoͤchſt belohnenden, Kunſtaufgabe tritt in mehr beguͤnſtigten Kreiſen des Abendlandes fruͤh an das Licht, wie an dem Deckel des einen der beiden ſchon erwaͤhnten Miſſalien Hein - richs des zweyten, wo auch die uͤbrigen Figuren, Phoebus und Diana, Johannesund Maria, ſogar der wohlverzierte Rand, bemerkenswerthe Geſchicklichkeit darlegen. Hingegen wird ſie in den italieniſchen Kunſtarbeiten der aͤlteren Zeit, z. B. in jener Altartafel des Kloſters Rambona, allerdings durch techniſche Ungelenkigkeit der Kuͤnſtler verhuͤllt, weshalb jene oben erwaͤhnten Bilder des Gekreuzigten, in denen ſie fuͤr Italienzuerſt in einiger Deutlichkeit hervortritt, fuͤr uns ein gedoppeltes Intereſſe beſitzen. Denn einmal gewaͤhren ſie uns281 das aͤlteſte bekannte Beyſpiel der italieniſchen Auffaſſung und Darſtellung einer beſtimmten Kunſtidee, deren Ueberlieferung in der Folge, zwar durch Nachahmung der Neugriechen einige Zeit hindurch abgeriſſen, doch bald wiederum aufgenommen und weitergebildet wird; dann aber nicht minder einen ſonſt unbekannten Kuͤnſtlernamen, alſo einen neuen Stuͤtzpunkt der hiſtoriſchen Forſchung. Denn am Fuße des erwaͤhnten Kruzi - fixes zu Spoletobefindet ſich folgende, ſo weit ich ſie gebe, ganz erhaltene Aufſchrift, in unzweydeutigen, etwas verlaͤnger - ten, und hie und da zuſammengezogenen Majuskeln.
A. D. M. C. L. XXX. VII. M̅S̅ .. .. OPVS ALBER ....... An dem beſchaͤdigten Ausgange des Namens glaubte ich zu - naͤchſt die Sylbe TO, nicht TI, zu erkennen; eine Verſchie - denheit, auf welche es wenig ankommt; dann nach dem Na - menAlbertodie Buchſtaben: SOTA ..., welche letzteren, als einem unbekannten Namen angehoͤrend, von mir falſch gedeutet ſeyn koͤnnten, weshalb ich ſie nicht verbuͤrgen will.
Die beiden anderen bereits erwaͤhnten, bey durchgehender Uebereinſtimmung mit jenem nothwendig gleichzeitige Bilder des Gekreuzigten befinden ſich, das eine in der Kirche S. Chiara zu Aſiſi*) Lanzikannte unter dieſen drey gleichartigen Bildern nur jenes in S. Chiara zu Aſiſi; es ſey, ſagt er (scuola Romana, epoca prima), nach der Tradition aͤlter, alsGiunta. Und hierin ward er nicht irregeleitet., das andere in dem Gewoͤlbe des Kirch - leins zu S. Giovanni d’ Aſſo, einem Orte des ſieneſiſchen Ge - bietes, unweit Buonconventound Monte Uliveto Maggiore. Dieſe Bilder beſitzen, eben wie jene, den Vorzug einer nicht unedlen Ausbildung des Chriſtuskopfes, deſſen Zuͤge indeß noch282 immer durch dicke rothe und ſchwarze Umriſſe geſondert ſind, mit geringer Spur von Schattengebung in den Augenhoͤhlen und Laͤnge des Naſenruͤckens. Die gerade Haltung des Leibes theilen ſie mit den aͤlteren italieniſchen und abendlaͤndiſchen Darſtellungen deſſelben Gegenſtandes.
Aus einer eigenthuͤmlichen Wendung, aus einer allgemei - nen Steigerung des Geiſteslebens entſtand, wie es unter uns nicht mehr in Frage kommt, jene glaͤnzende Entwickelung der Kunſtanlage, welche die neueren Italiener lange Zeit hindurch vor anderen Nationen auszeichnete. Demungeachtet werden auch hier, wie uͤberall, einige aͤußere Anregungen des Kunſt - triebes, Foͤrderungen ſeiner Ausbildung eingetreten ſeyn, denen die Italiener, zwar nicht die volle Entwickelung ihrer treffli - chen Anlage, doch immer deren fruͤhere Zeitigung verdanken. 283Wirklich haben eben zu jener Zeit, als der eigenthuͤmliche Geiſt der neueren Kunſt zuerſt in entſchiedneren Zuͤgen hervortrat, fremde Muſter, fremde Anſichteu, vielleicht ſogar fremde Mei - ſter von verſchiedenen Seiten foͤrdernd auf italieniſche Kuͤnſt - ler eingewirkt.
Unter dieſen Einwirkungen ward eben die folgenreichſte und wichtigſte, der byzantiniſchen auf die italieniſche Malerey, ſchon ſeit laͤngerer Zeit mit einem Netze entgegengeſetzter Miß - verſtaͤndniſſe und Uebertreibungen umzogen, was ihre Beleuch - tung um ſo dringender, doch zugleich ſo ſchwierig macht, daß es unumgaͤnglich iſt, um der Wahrheit Luft und Licht zu ſchaffen, hie und da die Faͤden ganz zu durchreißen. Und, da Vaſa - ri’sKuͤnſtlerleben, ein ſinn - und gemuͤthvolles, in Dingen ſeiner Zeitgenoſſen und naͤheren Vorgaͤnger im Ganzen zuver - laͤſſiges Buch, doch in jener Beziehung gleichſam das Mittel - glied moderner und mittelalterlicher Irrungen und Mißver - ſtaͤndniſſe bilden; ſo werden wir, von dieſem Schriftſteller ausgehend, ſowohl abwaͤrts als aufwaͤrts ſteigen koͤnnen. Dabey moͤge es dem trefflichen Stifter ſo viel genauer Kunde von den Lebensumſtaͤnden, Anſichten, Werken ſeiner Zeitgenoſ - ſen auf keine Weiſe zum Vorwurf gereichen, daß er ſeinen Stoff nicht gelehrt und kritiſch, ſondern kuͤnſtleriſch und dich - teriſch aufgefaßt. Nur den Compilatoren, welche ihn ausge - ſchrieben, den Kritikern, die ihm widerſprochen, ohne ihn zu berichtigen, darf man vorwerfen, den einen, daß ſie ihn je - mals in weitentlegenen Dingen als Quelle angeſehen, den anderen, verkannt zu haben, daß Vaſari’sIrrthuͤmer hin - ſichtlich des Ereigniſſes, welches wir nunmehr beleuchten wol - len, nicht abſichtliche Luͤgen und eitle Erfindungen, vielmehr bloß mißverſtandene hiſtoriſche Wahrheiten ſind, welche, wenn284 der oberflaͤchliche Kritiker ſich begnuͤgt, ſie zu beſtreiten, den aͤchten auffordern, ihnen auf den Grund zu gehen.
Vaſarinun wirft im Leben des Cimabuegleich anfangs im Großen hin, die Bedraͤngniſſe des fruͤheren Mittelalters haben in Italienalle Ueberlieferung der Kunſt rund abgebro - chen, den Gebrauch, Bilder zu machen, bis auf die letzte Spur verdraͤngt; und ſowohl in dieſem, als in dem nachfol - genden Leben, ſcheint er die Anſicht feſtzuhalten, daß Cima - bue, den einige griechiſche Maler nothduͤrftig ſollen angelehrt haben, die Malerey, nach langer Unterbrechung, in Italienzuerſt wieder ausgeuͤbt, und durch Beyſpiel oder Lehre die Entſtehung und Verbreitung der neueren Kunſt herbeygefuͤhrt habe. Dieſe Anſicht, welche er nirgend hiſtoriſch begruͤndet, verſtoͤßt indeß ſowohl gegen die Wahrſcheinlichkeit, als gegen allgemein bekannte Thatſachen; daher haben verſchiedene, ſo - wohl aus einem allgemeineren und hiſtoriſchen Standpuncte*)Schon Maffei, Veronaill. ; dann Muratori, antt. Ital. Diss. XXIV. und Tiraboschi, sto. della lett. It. To. V. VI. etc. , als auch aus dem engeren der oͤrtlichen Forſchung**)Schon Malvasia, Felsina pittrice. In den letzten De - cennien des verfloſſenen Jahrh. eine große Zahl Topographen und Localſcribenten, deren Titel bey Fiorillo, Geſchichte der zeichn. Kſte., nachgewieſen., dage - gen ſich aufgelehnt; wenn auch andere, unter dieſen vornehm - lich der bekannte Baldinucci, darauf fortgebauet, und jenes Trug - und Luggebaͤude errichtet haben, welches Cimabueals den gemeinſchaftlichen Vater und alleinigen Gruͤnder aller neue - ren Kunſtbeſtrebungen vorausſetzt, und ſogar ganz entgegenge - ſetzte Richtungen von ihm ableitet.
Ob man waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte des Mit -285 telalters in Italiengemalt und gemeißelt habe, kann, wie ich oben an ſparſam und mit Umſicht gewaͤhlten Beyſpielen dargelegt, durchaus nicht in Frage kommen; wer mit den Quellen der mittleren Geſchichte, vornehmlich der kirchlichen, bekannt iſt, dem wird es unerklaͤrlich ſeyn, wie man uͤberall jemals daruͤber habe ſtreiten koͤnnen. Ich uͤbergehe daher das muͤßige Gezaͤnk oͤrtlicher Forſcher, welche die Ehre ihrer Va - terſtadt durch die Entdeckung aͤlterer Kunſtwerke zu erhoͤhen geglaubt, die nicht durchhin Probe halten; iſt es doch nicht einmal ſo ausgemacht, ob Vaſari, den ſie mit ſo viel Hef - tigkeit beſtreiten, in Dingen, uͤber welche ihm ohnehin keine Stimme gebuͤhrt, ſo ganz vom Wahren abgewichen ſey. Denn es waren ihm ſelbſt viele Thatſachen bekannt, welche die Fort - dauer einer gewiſſen Kunſtuͤbung außer Zweifel ſetzen; ſo daß wir die Wahl haben, ihm entweder abſichtliche Verdrehung, oder Fluͤchtigkeit und Vergeſſenheit beyzumeſſen; oder, was doch zugleich das billigſte und meiſt uͤberzeugende ſeyn duͤrfte: daß ihm die rohen Arbeiten des dunkleren Mittelalters, gegen welche er ſeinen Widerwillen deutlich ausſpricht*) Vasari, Giorg.vite de pittori etc. Ed. Giunt. Fir 1568. 4. ; vita d’ Andrea Tafi. „ — — perché tutte quelle (sculture) che fecero in Italiai maestri di quell’ età, come s’é detto nel proemio delle vite, furono molto goffe. “— Er geht von S. Miniato a Monte aus, welches Gebaͤude er in das J. 1013 verſetzt, und fuͤhrt als Beyſpiel die Kanzel von Guido von Comoan, die er im J. 1199 entſtehen laͤßt. — Fruͤher im proemio, p. 78. — la pittura poco meno, che spenta affatto — nemlich im eilften Jahrh., der Beach - tung unwerth geſchienen; daß er daher die Kunſtgeſchichte lie - ber mit einem Meiſter habe beginnen wollen, deſſen Werke Geiſt und Geſchicklichkeit darlegen. Cimabuewar in der That, wie wir in ſeiner großen, wohlerhaltenen Jungfrau, in der286 Kirche Sta. Maria novella zu Florenz, noch wahrnehmen koͤnnen, ein beſeelter und maͤchtiger Meiſter, deſſen Ueberlegen - heit von Zeitgenoſſen anerkannt worden, wie wir aus einem Verſe des Danteſehen, welche die rege Imagination des Vaſarigetroffen, und wahrſcheinlich mehr, als der Eindruck jenes Gemaͤldes, ihn beſtimmt hat, dem Cimabueeine wich - tigere Stellung einzuraͤumen, als ihm wohl zukommen duͤrfte.
Allein, wie unentſchieden es bleiben moͤge, ob Vaſaries jemals ernſtlich gemeint, wo er eine gaͤnzliche Unterbrechung in der Fortuͤbung gewoͤhnlicher Kunſtfertigkeiten anzunehmen ſcheint, ſo iſt doch ſo viel gewiß, daß er den Zeitpunct, den Gang, die Umſtaͤnde und aͤußeren Veranlaſſungen des Auf - ſchwunges der neueren Kunſt nicht gruͤndlich genug erforſcht hatte; daß er vielmehr in dieſer Gegend der Kunſthiſtorie blo - ßen Wahrſcheinlichkeiten und ganz willkuͤhrlichen Verknuͤpfungen gefolgt iſt. Unter allen Umſtaͤnden iſt nicht anzunehmen, daß er ſeine umſtaͤndliche Jugendgeſchichte des Cimabueaus alten Materialien geſchoͤpft habe. Der Schriftgebrauch war um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts noch nicht ſo weit ver - breitet, daß man ſchon damals, wie ſpaͤterhin, Familienereig - niſſe und paͤdagogiſche Beobachtungen haͤtte aufzeichnen moͤgen; toscaniſch ſchrieb man noch nicht allgemein; wenigſtens reichen wenige Denkmale dieſer Sprache ſo weit zuruͤck; lateiniſch zu ſchreiben, ſetzte eine minder zugaͤngliche Bildung voraus, wel - che, wo ſie erlangt worden, auf oͤffentliche Geſchaͤfte aller Art verwendet wurde; obwohl auch die lateiniſche Buchfuͤhrung und Geſchichtſchreibung der neuen Staaten von Toscanadamals durchhin erſt im Entſtehen war. Alſo wird Vaſari’sJu - gendgeſchichte des Cimabue, wie die meiſten ganz alten Maler, im Durchſchnitt ſeiner eigenen, poetiſch angeſehen, hoͤchſt an -287 muthsvollen Erfindung angehoͤren; und ſogar die angeblich griechiſchen Lehrmeiſter des Cimabue, denen ich bisher vergeb - lich nachgeſpuͤrt*)Die Angaben, osservatore Fio. T. V. p. 61 s., und Richa, delle chiese di Firenze, werde ich unten zu pruͤfen Gelegenheit finden., duͤrften allem Anſehen nach bloß auf Ver - muthungen beruhen. Wir wollen ſeinen Quellen nachſpuͤren, einmal, um zu zeigen, wie fluͤchtig Vaſariſie benutzt; dann aber, und vornehmlich, um zu ermitteln, zu welcher Zeit, aus welchen aͤußeren Veranlaſſungen und inneren Gruͤnden der Einfluß der Byzantiner eingetreten; endlich, welche eigenthuͤm - lichen Vorzuͤge oder Maͤngel die italieniſche Malerey von da - her angenommen habe.
Jener Sage von einer gaͤnzlichen Unterbrechung der ita - lieniſchen Kunſtuͤbung begegnen wir zuerſt im Leo von Oſtia, einem Schriftſteller des eilften Jahrhunderts. Dieſer meldet**)S. Leo Ost.lib. III. cap. 29. Die ganze Stelle ausge - hoben bey Muratori, antt. It. Diss. 24., daß um das Jahr 1070 der damalige Abt des Kloſters zu Monte Caſſino, Deſiderius, aus Conſtantinopelgriechiſche Muſaiciſten berufen habe, um die Woͤlbung uͤber dem Haupt - altare der neuen Kirche, dem Glanze des Werkes entſprechend, auszuzieren. Junge Moͤnche habe dieſer Abt in der Muſiv - malerey unterweiſen laſſen, weil man waͤhrend der vorange - henden fuͤnfhundert Jahre, d. i. ſeit Einwanderung der Lon - gobarden, in Italiendieſe Kunſtarbeit entweder ganz ausge - ſetzt, oder doch vernachlaͤſſigt hatte***) Leol. c. — „ Artium istarum ingenium a Quingentis et ultra jam annis magistra Latinitas intermiserat. “— Der Abt habe die Novizen darin unterrichten laſſen: ne sane id ultra Italiaedeperiret. —.
288Meinte Leoetwa das erſte, was indeß nicht mit Sicher - heit auszumachen iſt; glaubte er wirklich, daß in Italiendas Handwerk der Muſivmalerey in ſo langer Zeit nicht mehr ausgeuͤbt worden: ſo irrte er ſich, wie ſchon aus den Thatſa - chen erhellt, die ich angefuͤhrt habe, und mit wenig Muͤhe vermehren koͤnnte; oder aus der Widerlegung des Murato - ri*)Antt. It. Diss. 24. — S. 359 f. der italieniſchen Verſion des Vfs., der indeß mit bey weitem zu viel Zuverſicht annimmt, daß Leoeben nur ſo koͤnne verſtanden werden. Nun waͤre es wohl an ſich ſelbſt bey einem Schriftſteller des eilften Jahrhunderts ohne Belang, ob er die Kunſtgeſchichte ihm ent - legener Zeiten falſch oder richtig aufgefaßt habe; denn hierin wuͤrden wir ihn unter allen Umſtaͤnden nicht fuͤglich als Quelle betrachten koͤnnen, wie Alle wiſſen, denen hiſtoriſche Forſchun - gen nicht gaͤnzlich fremd ſind. Indeß werden wir weder durch den Sinn, noch durch die Stellung der Worte des guten Leo, wie Muratoriihn nennt, ſo durchaus genoͤthigt, ſie auszu - legen, wie bisher meiſt geſchehen iſt. Auch neueren Forſchern duͤrfte es ankommen koͤnnen, einmal, was ihnen durchaus veraͤchtlich ſcheint, als nicht vorhanden anzuſehen, als nicht der Rede werth unberuͤhrt zu laſſen. Und, da unſer Leodie zierliche Kunſtarbeit der griechiſchen Colonie zu Montecaſſinogleichſam mit Kennerblicken durchgeht**) Leol. c. — Quarum artium tunc ei destinati Magistri cujus perfectionis fuerint, in eorum est operibus existimari etc. —; da andererſeits, wie wir wiſſen, die italieniſche Kunſtuͤbung ſeiner eigenen und der vorangegangenen Zeit ſo uͤber alles Maß hinaus verwildertwar:289war: ſo liegt uns die Vermuthung nahe genug, daß er nicht habe ſagen wollen: ganz ausgeſetzt, ſondern vernachlaͤſſigt.
Allein eben darin, daß Leodie Ueberlegenheit der griechi - ſchen Arbeit uͤber die italieniſche ſeiner Zeit nach Billigkeit an - erkannte, zeigt ſich, daß Vaſariſeine Anſicht vom griechiſchen Einfluß und von einer vorangegangenen Unterbrechung der ita - lieniſchen Kunſtuͤbung nicht aus dieſem Schriftſteller geſchoͤpft hat, welcher zudem damals noch ungedruckt, und vorausſetzlich nur Wenigen bekannt war. Vaſarinemlich weiß die Kunſt - fertigkeit und den Geſchmack der Griechen des Mittelalters nicht tief genug herabzuſetzen, und iſt ſehr weit davon entfernt, die Bewunderung zu theilen, welche Leofuͤr ſie gehegt zu ha - ben ſcheint. Zu dieſer Verachtung der byzantiniſchen Maler, welche, hiſtoriſch angeſehen, ſich nicht rechtfertigen laͤßt, ver - leitete ihn nicht eigene genauere Vergleichung ihrer Arbeiten mit denen ihrer italieniſchen Zeitgenoſſen, ſondern Ghiberti, deſſen handſchriftliches Werk er, nach ſeiner eigenen Angabe, gekannt und benutzt hat.
Lorenzo Ghiberti, der beruͤhmteſte Bildner der erſten Haͤlfte des funfzehnten Jahrhunderts, fuͤhlte, wie ſpaͤter und mit groͤßerem Gluͤcke Michelagnuolo, den Kuͤtzel, univerſell zu ſeyn. Wenn er nicht ſelbſt gemalt hat, ſo machte er doch Entwuͤrfe fuͤr Fenſtermalereyen, welche man dazumal noch muſiviſch aus farbigem Glaſe mechaniſch zuſammenſetzte; wor - aus Vaſari, was ſeine Fluͤchtigkeit in ein hoͤchſt unguͤnſtiges Licht ſetzt, die Angabe hervorgedrehet, daß Ghibertiſelbſt auf Glas gemalt habe*) Ghibertiſagt, p. 11 a tergo des Codex der Magliaber -. Am weiteſten jedoch entfernte ſich die -I. 19290ſer von ſeinem eigentlichen Berufe, indem er ſich daranſetzte, eine betrachtende Kunſtgeſchichte zu ſchreiben. Wir beſitzen noch immer dieſelbe Abſchrift, deren Vaſariſich bedient, ge - genwaͤrtig das Eigenthum der magliabecchiſchen Bibliothek zu Florenz*)Daſ. Classe XVII. palchetto 1. No. 33.. Leider beſteht der groͤßte Theil dieſes Werkes aus einer ganz unbrauchbaren Zuſammenſtellung aus Ueberſetzungen des Pliniusund Vitruv; dagegen fuͤllt die neuere Kunſt - geſchichte, uͤber welche Ghibertiuns ſo Vieles und Wichti - ges haͤtte mittheilen koͤnnen, nur wenige Seiten, welche dem - ungeachtet, wie uͤberhaupt, ſo beſonders bey gegenwaͤrtiger Un - terſuchung von großem Belang ſind.
Ghibertinemlich beginnt dieſen Abſchnitt ſeiner Arbeit mit einer gedraͤngten Ueberſicht der Kunſthiſtorie, vom Verfalle der antiken Kunſtbildung bis auf Cimabue, der auch ihm, wie dem Vaſari, der aus ihm ſchoͤpfte, dazu gedient, die neuere Kunſtgeſchichte zu eroͤffnen. Er ſagt**)Cod. cit. fo. 7. a tergo. In dem einzigen vorhandenen Abdruck dieſer Abtheilung des bezeichneten Werks, bey Cicog - nara, sto. Vol. II. p. 108, iſt obige Stelle, welche ich im Kunſt - blatte 1821, No. 8, S. 30, nachgeliefert habe, ich weiß nicht aus welchem Grunde, ausgelaſſen worden.: „ Alſo zur Zeit des*)chiana, von ſich ſelbſt — e a’ pittori (ho) disegnato moltissime cose; — Disegnai nella faccia di Sta maria del fiore nell’ occhio di mezo l’assunzione di nostra Donna e disegnai gli altri, che sono dallato etc. etc. — Hieraus macht Vaſari, der dieſe Quelle kannte, im Leben des Lor. Ghiberti(Ed. c. P. II. p. 285.): — egli attese, meutre visse, a più cose (Ghib. : poche cose si sono fatte d’importanza nella nostra terra non sieno disegnate ed ordinate da me) e dilettòssi della pittura e di lavorare di vetro; ed in Sta Ma - ria del Fiore fece quegli occhj, che sono intorno alla cupola etc. — e cosi l’occhio della facciata etc. etc. — Zeichnungen und Ideen angeben iſt noch nicht malen, und gar in Glas malen. —291 Kaiſers Conſtantinund des Papſtes Sylveſteruͤberwog der chriſtliche Glaube. Die Abgoͤtterey erlitt ſo große Verfolgung, daß alle Statuen und Malereyen zerſtoͤrt, und die Kunſt von ihrer alten Wuͤrde und Achtbarkeit herabgewuͤrdigt ward. Und ſo vergingen mit den Statuen, Gemaͤlden, Buͤchern, auch die Grundzuͤge und Regeln, welche zu dieſer herrlichen und liebli - chen Kunſt anleiten. Und um allen Anſchein des Goͤtzendien - ſtes zu entfernen, verordneten ſie, daß alle Kirchen weiß (un - bemalt) ſeyn ſollten. Damals ward, wer Bildſaͤulen und Malereyen machte, mit ſchweren Strafen belegt; und ſo ging die Bildner - und Malerkunſt verloren und jeder Be - griff derſelben.
Nachdem es mit der Kunſt vorbey war, ſtanden die Tempel unbemalt ſechshundert Jahre lang. Die Griechen be - gannen, die Kunſt mit groͤßter Ungeſchicklichkeit wieder aus - zuuͤben. In eben dem Maße, als die alten Griechen darin geſchickt waren, zeigten ſie ſich in dieſem Zeitalter geiſtlos und roh*)Vergl. Vasari, proemio delle vite, p. 80, wo der Stoff der Darſtellung offenbar aus obiger Stelle entlehnt iſt.. “
Durch neuere Unterſuchungen iſt es bekannt, daß bey weitem nicht alle Kunſtwerke des Alterthums durch chriſtliche Eiferer, wenn nicht Frevler, zerſtoͤrt worden ſind; anderntheils haben die Verfolgungen chriſtlicher Andachtsbilder, welche Ghibertioffenbar mit jenem fruͤheren Ereigniſſe vermiſcht und verwechſelt, nur im oſtroͤmiſchen Reiche, und auch dort nur voruͤbergehend, ſtatt gefunden; und aus vielen Umſtaͤnden erhellt, daß nicht einmal waͤhrend des Bilderſturmes die Kunſtuͤbung je ſo gaͤnzlich abgebrochen worden. Freilich wer -19 *292den wir dem trefflichen, doch ungelehrten Kuͤnſtler dieſe Taͤu - ſchungen nachſehen duͤrfen; minder jedoch den Vaſarient - ſchuldigen koͤnnen, daß er bey ſo viel hoͤherem Stande der hiſtoriſchen Forſchung und Gelehrſamkeit, bey eigener, anſchau - licher Bekanntſchaft mit ſo mancherley Denkmalen des fruͤhe - ren Mittelalters, dennoch jene groben Irrthuͤmer nachgeſchrie - ben; gleichſam gegen ſein beſſeres Wiſſen, ſo daß der Argwohn ſich aufdraͤngt, er habe entweder nur einen bequemen Eingang geſucht, oder die eben nicht anziehende Unterſuchung und Dar - ſtellung des dunkleren Mittelalters rund abſchneiden wollen.
Ueber dieſe Seite der oben uͤbertragenen Stelle iſt denn nun allerdings kein Wort mehr zu verlieren, da ſie in unſeren Tagen fuͤr Niemand verfaͤnglich ſeyn, Niemand ſo leicht noch verleiten wird. Wichtiger indeß iſt, was Ghibertiuͤber die Malerey der neueren oder mittelalterlichen Griechen anmerkt, weil hierin der eigentliche Grund der Geringſchaͤtzung neugrie - chiſcher Kunſtarbeiten verborgen liegt, welche durch das Mit - telglied der aͤlteren Malerleben des Vaſaribeſonders bey den italieniſchen Forſchern ſich feſtgeſetzt hat. Bemerken wir auch hier die Fluͤchtigkeit, mit welcher Vaſaridie Quellen der aͤlte - ren Kunſthiſtorie zu benutzen gewohnt war. Ghibertinem - lich ſetzt allerdings die Kunſtfaͤhigkeit der neueren Griechen in Vergleich der alten ziemlich tief; und wem koͤnnte es wohl in den Sinn kommen, die eine Kunſtepoche der anderen gleichzu - ſtellen? Doch erhellt ſchon aus den Lobſpruͤchen, welche er dem Duccio von Siena*) Ghiberti, cod. c. fo. 9. a tergo. — „ Fu in Sienaancora Duccio, el quale fu nobilissimo. Tenne la maniera Greca. E di sua mano la tovola maggiore del Duomo di Siena. — Questa ta -ertheilt, einem Maler, dem er,293 vollkommen zutreffend, neugriechiſche Manier beylegt, daß er die letzte nur verhaͤltnißmaͤßig, und keinesweges unbedingt ge - ring ſchaͤtzte. Vaſariaber riß Ghiberti’sWorte aus ihrer Verbindung, und gab ihnen hiedurch einen neuen Sinn; worin Andere ihm wiederum blindlings nachgefolgt ſind, ohne jemals von neuem zu unterſuchen, wie ſich wohl die Kunſtfertigkeit der mittleren Griechen zu jener der weſtlichen Europaͤer derſel - ben Jahrhunderte verhalten moͤge.
Die gedoppelte Frage, ob die neueren Griechen jemals auf die Kunſt der Italiener eingewirkt, worin dieſe Einwirkung beſtanden, welche Foͤrderung, oder auch welcher Aufenthalt der neueren Kunſtentwickelung daraus erwachſen ſey, iſt doch nicht wohl ſo ganz zu erledigen und zur Entſcheidung zu bringen, ehe wir die eigenthuͤmlichen Vorſtellungen, Manieren und Handhabungen der neueren Griechen um etwas ſchaͤrfer aufge - faßt haben, als gewoͤhnlich von denen geſchieht, welche den Einfluß der Byzantiner annehmen oder beſtreiten. Denn die italieniſchen Forſcher, welche Nationaleitelkeit, nicht ſelten wohl auch die unbewußte Nachwirkung kirchlicher Gegenſaͤtze und Feindſeligkeiten, gegen alles Griechiſche im Voraus einnimmt, pflegen griechiſch zu nennen, was ihnen unter den Denkmalen des hoͤheren Mittelalters uͤber alles Maß hinaus roh zu ſeyn ſcheint, und eben daher, aus Gruͤnden, welche ich bereits ausgefuͤhrt habe, vorausſetzlich immer italieniſch iſt. In Deutſchlanddagegen liebt man Jegliches byzantiniſch zu nen - nen, worin die ſpaͤteren, erſt in den bildneriſchen Verzierungen der gothiſchen Baukunſt entwickelten, Eigenthuͤmlichkeiten der*)vola fu fatta molto eccellentemente, e doctamente; é magnifiea cosa e (egli) fu nobilissimo pittore. “294deutſchen Schule noch nicht hervorſprechen. Dieſer aͤltere, ſenkrechte, ruhige Styl der deutſchen Bildnerey iſt indeß, wie wir wiſſen, mit wenig Ausnahmen, durch andere Mittelglie - der aus dem Style der altchriſtlichen Bildnerey entſtanden, und, wo die eigenthuͤmlichen Merkzeichen byzantiniſchen Ge - ſchmackes fehlen, iſt nicht wohl anzunehmen, daß Vorſtellun - gen oder Gewoͤhnungen des chriſtlichen Alterthumes gerade auf dem weiteren Wege in die Kunſt des weſtlichen Europaein - gedrungen ſeyen. Eben ſo irrig iſt es aber, die Byzantiner des hoͤheren Mittelalters nach jenen rohen, mit geiſtloſer Fer - tigkeit behandelten Andachtsbildern neuerer Jahrhunderte zu beurtheilen, welche in Rußland, oder im tuͤrkiſchen Reiche, noch taͤglich in großer Menge angefertigt werden. Allerdings werden dieſe Bilder noch immer nach Durchzeichnungen und Patronen gemalt, welche urſpruͤnglich aus Erfindungen des Alterthums entnommen ſind; ihre Ausfuͤhrung indeß geſtattet keine Vergleichung mit jener der aͤlteren Zeiten; nicht zu ge - denken, daß man ſich im Verlaufe der Jahrhunderte immer weiter von ſeinen Urbildern entfernt, immer mehr aller eigenen Erfindung entſchlagen hat, welcher letzten das griechiſche Mit - telalter noch keinesweges ſo gaͤnzlich entſagt hatte. Ueberhaupt bewirkte die Eroberung und Schaͤdigung Conſtantinopels, im Jahre 1204, das darauf erfolgende Zwiſchenreich fraͤnkiſcher und griechiſcher Uſurpatoren, wenigſtens in Bezug auf die Kunſtuͤbung, einen tiefen Einſchnitt in die fruͤhere, der chine - ſiſchen vergleichbare, Bildung des oͤſtlichen Reiches. Und ge - wiß gehen die wirklich werthvollen, zierlich, und nicht ohne alles Kunſtgefuͤhl beendigten Miniaturen ſolcher Handſchriften, welche ich geſehen und unterſucht habe, nur ſelten uͤber dieſen Zeitpunct hinaus, wenn ſie nicht etwa durchhin in aͤlteren295 entſtanden ſind, was bisweilen nicht mit voller Sicherheit aus - zumachen iſt. Doch, ſelbſt wenn es auszumachen waͤre, daß in den griechiſchen Kunſtarbeiten bis zur tuͤrkiſchen Eroberung einiges Gute ſich bewahrt habe, ſo wuͤrde uns an dieſer Stelle, wie wir unten ſehen werden, doch einzig Solches angehen, was bis zum Anbeginn des dreyzehnten Jahrhunderts gemacht, geuͤbt oder geleiſtet worden.
Das Unterſcheidende der griechiſchen Kunſtuͤbung des Mittelalters liegt, wie wir uns aus einer fruͤheren Entwicke - lung entſinnen, nicht etwa in ſolchen Vorſtellungen, welche ſchon im Alterthume des Chriſtenthums kuͤnſtleriſch aufgefaßt worden. Allerdings wird es auch zu Anfang der neuen Kunſt - epoche, im vierten und in den folgenden Jahrhunderten, Schu - len gegeben haben, welche vor anderen durch Talent ſich aus - zeichneten, und durch aͤußere Beguͤnſtigung gehoben wurden; und beſonders von den Griechen duͤrfen wir vorausſetzen, daß ſie ſich fruͤh auch in chriſtlichen Darſtellungen hervorgethan, ſowohl in Anſehung der Nationalanlage fuͤr anſchauliche Auf - faſſung ſittlicher Verhaͤltniſſe, als auch, weil, nach Einwan - derung der Barbaren in die weſtlichen Provinzen, im oͤſtlichen Reiche, vornehmlich unter Juſtinian I. , aber auch unter den nachfolgenden Kaiſern, die Kuͤnſte der alten Welt, ſo viel noch an ihnen war, mit groͤßerem Nachdruck betrieben und mit Aufwand gefoͤrdert wurden. Indeß fehlt es uns uͤber die oͤrt - liche Entwickelung der altchriſtlichen Kunſtideen an genauer und ausfuͤhrlicher Kunde, und es duͤrfte gewagt ſeyn, vor den Verheerungen des gothiſchen Krieges, oder vor Einwanderung der Longobarden in Italien, eine andere Entwickelung der Handhabungen, des Geſchmackes, des Geiſtes altchriſtlicher Kunſt anzunehmen, als in den oͤſtlichen Provinzen oder im296 neuen Mittelpuncte des roͤmiſchen Reiches. Wenn nun auch Italienin Folge erwaͤhnter Ereigniſſe ſeit dem ſechsten Jahr - hunderte an Bevoͤlkerung und Huͤlfsmitteln verarmte; wenn auch von nun an die Griechen in techniſchen Vortheilen un - wiederbringlich und fuͤr lange Zeit den Vorſprung gewannen: ſo war doch damals die Zeit ſchon laͤngſt voruͤber, in welcher die aͤlteſten Vorſtellungen der chriſtlichen Kunſt gleichſam in den antiken Formen wieder ausgegoſſen, die Figuren noch an - tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich ſelbſt der Styl der Darſtellung den Gebilden des claſſiſchen Alter - thums nicht unaͤhnlich entworfen wurden. Dem roͤmiſchen Weltreich gehoͤren, wiederhole ich, die aͤlteſten Kunſtgebilde der Chriſten; und da dieſe in beiden Haͤlften der Chriſtenheit, wenn auch mit verſchiedenem Erfolge, bis auf ſehr neue Zei - ten unablaͤſſig nachgebildet worden; ſo wird das Vorkommen ſolcher Vorſtellungen an und fuͤr ſich noch keinen Unterſchied begruͤnden koͤnnen. Dieſen werden wir vielmehr theils in der Manier aufſuchen muͤſſen, in welcher uͤberlieferte Vorſtellungen auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils in Solchem, ſo nicht fruͤher, als im Verlaufe des Mittelal - ters, theils im oͤſtlichen Reiche, theils in Italienund im Weſten uͤberhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die Gegenſtaͤnde bildlicher Darſtellungen aufgenommen worden.
Verſuchen wir zunaͤchſt auszumachen, worin die Manier italieniſcher und griechiſcher Kuͤnſtler ſich unterſcheide. Bey dieſer Unterſuchung iſt es uns foͤrderlich, daß wir bereits aus einer fruͤheren Darlegung mit der Form bekannt ſind, welche die aͤußerſte Entartung der Kunſtfertigkeiten in Italienange - nommen; daß wir wiſſen, wie man in dieſem Lande waͤhrend297 des zwoͤlften Jahrhunderts kaum begonnen, die Umriſſe wie - derum zu fuͤllen, ſonſt des Helldunkels noch durchaus entbehrte, dicke Umriſſe ſehen ließ, und im Allgemeinen zu einer widri - gen Kuͤrze der Proportion hinuͤberneigte. Wir lernen aus ei - nem Gemaͤlde der oͤffentlichen Gallerie zu Siena, daß dieſe rohe Manier in Toscanamindeſtens bis auf das Jahr 1215 noch in Gebrauch geweſen.
Auf dieſem Gemaͤlde, welches nach dem Katalog der Gallerie, S. 18, in der Kirche S. Salvatore della Berardenga gefunden worden, lieſt man am Rande: + ANNO DNI MILLESIMO: CC. XV: MENSE NOVEMBRI: HEC. TABVLA. FACTA. EST: In der Mitte der Tafel, welche von maͤßiger Hoͤhe, groͤßerer Breite, ſitzt eine flache erhobene Geſtalt, welche gleich dem uͤbri - gen uͤbergypſt und mit Gold und Farben bemalt iſt, Chriſtusin Glorie, an den vier Ecken die bekannten Zeichen der Evan - geliſten; alles in der Anordnung, jenem Blatte des oben be - zeichneten Bibelcodex von Monte Amiatanicht unaͤhnlich. Au - ßerhalb der Glorie lieſt man: ; — das gegenuͤberſtehende Monogramm iſt erloſchen; die griechiſche Abkuͤrzung darf uns hier nicht befremden, da ſie ſeit den aͤlteſten Zeiten auch in der lateiniſchen Kirche uͤblich, vielleicht durch ihre fremdartige Erſcheinung dunkler und heiliger war*)Nach den bekannten Monogrammen: A. ☧. Ω. oder . ̄, haben Verſchiedene geglaubt, bey italieniſchen Malereyen ih - ren griechiſchen Urſprung beſtimmen zu koͤnnen. Dieſe Monogramme und Zeichen waren indeß ſeit den aͤlteſten Zeiten bey lateiniſchen Inſchriften und in anderen Denkmalen des Weſtens in Gebrauch geblieben, wie man in Ermangelung eigner Anſchauung aus Boſio, Boldetti, Ciampiniund anderen erlernen kann. — Aus nach -. Zu beiden Seiten298 dieſer, die ganze Hoͤhe der Tafel durchmeſſenden Geſtalt, iſt der uͤbrige Raum dreyfach abgetheilt; zur Linken ſieht man darauf drey Geſchichten, in denen Chriſtusjedesmal am Kreuze; vielleicht ſollen dieſe Bilder verſchiedene der Handlun - gen und Reden andeuten, welche, nach den Evangelien, waͤh - rend der Kreuzigung ſtattgefunden. Zur Rechten blieb mir der Gegenſtand der Darſtellungen undeutlich; die mittlere iſt viel - leicht die Erweckung des Lazarus.
In dieſem Bilde nun ſind die Figuren kurz, die Charak - tere deutlich, aber roh, die Kleidungen groͤßerentheils, wenn wir die mittlere Geſtalt ausnehmen, nicht herkoͤmmlich, ſon - dern barbariſch. Die Arbeit iſt ſehr unvollkommen, obwohl ſchon etwas verſchmolzener, als jene der Bilder des Gekreu - zigten von jenem umbriſchen Meiſter Alberto; die Umriſſe noch immer dunkelfarbig, breit und ſtark in die Augen fallend; ob - wohl ſie in der erhobenen Figur ſchon mehr untergeordnet worden, als fruͤherhin zu geſchehen pflegte.
Die barberiniſche Bibliothek zu Rombewahrt eine Ab - ſchrift der Pſalmen Davids, welche nach einer Angabe im Buche ſelbſt im Jahre 1177 geſchrieben, alſo jenem Altarge - maͤlde beinahe gleichzeitig iſt*)Barberina codd. gracci. No. 202.. Auch die Schrift, ſelbſt die Goldgruͤnde der Miniaturen, bezeugen dieſes fuͤr neugriechiſche Malerey bereits etwas vorgeruͤckte Alter. Unter den Miniatu - ren ſind die beiden erſten minder bedeutend, obwohl der antike Schnitt der Bekleidung von hochalterthuͤmlichem Urſprung zeugt. Das dritte Bild indeß gehoͤrt zu den ausgezeichneteren Denk - malen mittelalterlicher Kunſtfertigkeit; die Figur des David, welche das ganze Blatt ausfuͤllt, iſt ſchon an ſich ſelbſt ſehr lobenswerth, der Kopf aber von großer Schoͤnheit des Charak - ters, von ungemeiner Feinheit in der Ausbildung der Zuͤge. Das vierte Bild, die Anfangsvignette des zweyten Blattes, gehoͤrt wiederum zu den bemerkenswertheſten Proben altchriſt - licher Auffaſſungsart, welche in den griechiſchen Handſchriften ſo oft in wunderbarer Reinheit hervortritt. David, der koͤnig - liche Saͤnger, in einer aufgeſchuͤrzten Tunica mit leicht umge - worfenem Mantel, in einem Haine, neben ihm eine weibliche Figur, beide mit Nimbus verſehen; hinten ein Gemaͤuer, uͤber dem eine Figur hervorſchaut, gleich als zu horchen. Unten ein Flußgott, dem der Geſang nicht minder ſuͤß zu lauten ſcheint. Die aͤußere Erſcheinung dieſes Bildes iſt durchaus antik, die Ausfuͤhrung aber von ungemeiner Feinheit. Das fuͤnfte iſt unbedeutend, das ſechste, zum Blatte 221, die Er - ſaͤufung der Aegypter im rothen Meere, zeigt ſchoͤne Bewegun - gen, gute Gewandmotive, feine Koͤpfe.
Doch werden wir bey Anerkennung des verhaͤltnißmaͤßi -300 gen Kunſtwerthes der byzantiniſchen Arbeiten die Bildnerey, vornehmlich aber einige die Mitte haltende Metallarbeiten, das Niello und den Schmelz, von der Malerey unterſcheiden muͤſ - ſen, welche um dieſe Zeit ſich guͤnſtiger zeigt als jene. Aller - dings ſcheint die Bildnerey im oͤſtlichen Reiche minder ſchnell zum Unbedeutenden und Rohen geſunken zu ſeyn, als in Ita - lien, wo wir ſie bereits ſeit dem vierten Jahrhundert erloͤſchend geſehen. In Conſtantinopelwurden bis in ſehr ſpaͤte Zeiten herab den Herrſchern*) Heyne, serioris ant. opp. sub Imp. Byz. (Comm. Goett. Vol. XI.) Sect. l. p. 44 ss. und anderen hervorleuchtenden Men - ſchen**)Ib. Sect. II. an oͤffentlichen Plaͤtzen Statuen errichtet, uͤber deren Werth oder Unwerth allerdings nicht mehr zu entſcheiden iſt; doch erwecken die Muͤnzen derſelben Zeit, deren Gepraͤge be - kanntlich hoͤchſt barbariſch iſt, keine ganz vortheilhafte Mei - nung von ihrer Schoͤnheit und Ausbildung. Ein Vorzug indeß blieb den Griechen hoͤchſt wahrſcheinlich auch in dieſer Kunſt - art zu eigen; Zierlichkeit nemlich und Nettigkeit der Arbeit. Dieſe wenigſtens fand ich bisher an allen bildneriſch gezierten Altartafeln, Buͤcherdeckeln, Diptychen, welche aus verſchiedenen Epochen des griechiſchen Mittelalters auf Bibliotheken und in Sammlungen bewahrt werden. Als beſonders zierlich geſchnitzt erſchien mir unter dieſen jenes mehr beachtete Triptychum des chriſtlichen Muſei der Vaticana, welches in Anſehung der In - ſchriften in reinen, unverzogenen, nicht accentuirten Buchſtaben einem aͤlteren Abſchnitte der neugriechiſchen Kunſthiſtorie bey - zumeſſen iſt. Im Hauptfelde dieſes kleinen Werkes, deſſen Stoff gutes Elfenbein mit mancherley Vergoldung, ſieht man301 oberwaͤrts Chriſtusals Weltlehrer auf einem ſchwerfaͤlligen, ſchon etwas fremdartigen Seſſel, deſſen reicher Blaͤtterſchmuck indeß noch immer antike Vorbilder verraͤth. Die linke Hand ruht auf einem großen Buche, welches bekanntlich ſchon im Alterthume chriſtlicher Kunſt eine feſte Bedeutung erhalten; die rechte ſegnend aus dem Pallium hervorgeſtreckt, woher jene von Alters her beliebte gerade Falte entſteht, welche wohl aus den Sitten claſſiſcher Zeiten ihren Urſprung genommen. In ſo weit iſt alles hochalterthuͤmlich; dagegen haben die beiden erwachſenen Engel hinter dem Throne, mit ihren fein ausge - ſchnitzten Fluͤgeln, bereits ein mittelalterliches Anſehen. Zu beiden Seiten Johannesder Evangeliſt, hier baͤrtig, und die Jungfrau in roͤmiſcher Matronentracht, doch mit vergoldeten Troddeln am Saume des Schleiermantels, die mir ſonſt nir - gend aufgefallen. Beide Figuren wenden die eine Hand fle - hend zum Heiland, und in dieſen und in anderen Extremitaͤ - ten des Werkes zeigt ſich, ungewoͤhnlich genug, etwas mehr Feinheit und Regel, als ſelbſt in den Koͤpfen. In die - ſer oberen, ſich ſelbſt erklaͤrenden Abtheilung finden ſich keine Inſchriften.
Hierauf folgt eine Queerleiſte, in welcher fuͤnf Buͤſten in runden, vorſpringenden Einfaſſungen; die eine hat die Bey - ſchrift: ῾Ⓐ ΦΙΛΙΠΠΟϹ. Vier andere Koͤpfe in derſelben Hoͤhe an den Seitenfluͤgeln. Darauf endlich ein groͤßeres Feld, in welchem fuͤnf Apoſtel in typiſch-antiker Bekleidung, unter denen der Charakter der Heil. Peterund Paulſehr kenntlich. Dieſe ſind an und fuͤr ſich recht ſchoͤne Figu - ren; ihre Namen ſtehen im Felde, bey ſenkrechter Stellung der Buchſtaben.
Ich uͤbergehe die Gegenſtaͤnde der Fluͤgel und Ruͤckſeiten302 dieſer kleinen Altarverzierung, weil das Angefuͤhrte hinreichen mag, die Kunſtſtufe zu bezeichnen, welche das Ganze einnimmt, und es wird ſchon aus dieſem Beyſpiele deutlich ſeyn, daß die griechiſche Bildnerey des Mittelalters, wie ſie auch an ſich ſelbſt beſchraͤnkt und bedingt ſeyn mochte, doch immer noch ſehr weit von der Rohigkeit der italieniſchen entfernt war, auf welche wir oben einige unwillige Blicke gerichtet haben. Min - der vortheilhaft erſcheinen allerdings die Schmelzarbeiten der Griechen, deren wir groͤßere und kleinere die Fuͤlle beſitzen. Dieſe entſprechen jenem Schnitzwerke in einer einzigen Bezie - hung, in der uͤbermaͤßigen Verlaͤngerung der Geſtalten, welche, mit Ausnahme einiger Malereyen in Buͤchern, oder des klei - nen Muſives im Schatze der Johanniskirche zu Florenz, auf welches wir zuruͤckkommen werden, ein allgemeines Kennzeichen griechiſch-mittelalterlicher Kunſt iſt, ein ſicheres Merkmal zu - gleich der Unterſcheidung von eigenthuͤmlich Italieniſchem, wel - ches, wie gezeigt worden, weit uͤber das Moͤgliche hinaus ſich zum Kurzen zu neigen pflegt.
Die ehernen Thore S. Pauls vor Rom, die aͤhnlichen der Hauptkirche zu Amalfi, welche beide gegen Ende des eilf - ten Jahrhunderts zu Conſtantinopelangefertigt worden*)Nach den Inſchriften, welche in verſchiedenen gelehrten Werken abgedruckt und erlaͤutert worden ſind, warden wenigſtens jene der Paulskirche im Jahre 1070 angefertigt., uͤbertreffen an Ausdehnung alle andere Beyſpiele jener merk - wuͤrdigen Verbindung der Niello und Schmelzarbeit, welche damals in Griechenlandverfertigt, und als Gegenſtand der Pracht waarenartig in das weſtliche Europaeingefuͤhrt wurde. Kleinere Arbeiten dieſer Art, welche uͤberall das Gepraͤge des303 Mittelalters tragen, finden ſich haͤufig in den groͤßeren Mu - ſeen; verſchiedene ſchon in dem mehrgenannten der Vaticana; das Kreuz aus dem Domſchatze zu Bamberg*)S. v. Murr, Beſchreibung von Bamberg; oder die Bol - landiſten, vita S. Henrici, wo ſogar eine Abbildung, ſo gut ſie ausgefallen.wohl zu Muͤnchenin der Schatzkammer, welche mir niemals zugaͤnglich geweſen; andere ſind mir an den Deckeln auch lateiniſcher Handſchriften vorgekommen, vornehmlich, wo der Geſchmack in den getriebenen Arbeiten, welche ſie an ſolchen Stellen zu umſchließen pflegen, dem neugriechiſchen verwandt war, wie in dem emmeramiſchen Evangeliario der koͤn. Bibliothek zu Muͤn - chen, welchesArnulphdem Stifte verehrt haben ſoll. Andere werden ſich an anderen Stellen finden; nirgend aber, wie ich aus den Beyſpielen ſchließe, die mir zu Geſichte gekommen, duͤrfte ſich darin einige Spur des feinen Kunſtgefuͤhles, der Nettigkeit und Zierlichkeit entdecken laſſen, welche die Minia - turen, die Muſive, ſogar noch die Schnitzwerke des griechiſchen Mittelalters auszuzeichnen pflegt. Beſonders roh iſt oder war die Zeichnung der kleinen Figuren an den Thoren S. Pauls, die vielleicht im letzten Brande untergegangen ſind, oder ſchon fruͤher in der Wiederherſtellung, welche man beabſichtete, als ich Italienverließ. Die Koͤpfe waren durch Schmelzarbeit ausgefuͤllt, welche, wenn wir ſie nach einigen Stellen, an de - nen ſie haͤngen geblieben, beurtheilen duͤrfen, durchhin roh und verfloſſen geweſen, wie an den uͤbrigen mir bekannten Kunſtarbeiten dieſer Art, Zeit und Gegend. Obwohl dieſe Koͤpfe ſchon an ſich ſelbſt ſehr in die Laͤnge gezogen waren, ſo mochten doch uͤberall zehn bis dreyzehn Kopflaͤngen auf die304 Geſtalten gehen, welche mithin ſogar unter byzantiniſchen Ar - beiten durch Hagerkeit ſich auszeichneten.
Wenn wir nun dieſe roheren Fabrikate ausnehmen, und zugleich von allen bildneriſchen Verſuchen der Byzantiner im Allgemeinen vorausſetzen, daß ſie den maleriſchen durchhin um einige Stufen nachgeſtanden; ſo werden wir uns unbedenklich der Bewunderung ihrer aͤlteren Malereyen hingeben koͤnnen. Groͤßere muſiviſche Werke, Wandmalereyen und Tafeln kann ich allerdings nicht anfuͤhren, noch weniger genau bezeichnen; kleinere indeß die Fuͤlle, deren Erhaltung wir hoͤchſt wahr - ſcheinlich nur ihrer Tragbarkeit und Verpflanzung in geſittete Laͤnder zu verdanken haben.
Unbedenklich gebe ich unter dieſen, da jene Rolle der Vaticana, mit geiſtreichen Zeichnungen aus der Geſchichte des Joſua, ſchon oben beruͤhrt worden, dem muſiviſchen Kalenda - rio den Vorrang, welches gegen Ende des vierzehnten Jahr - hunderts von einer venetianiſchen Dame, der Wittwe eines byzantiniſchen Kaͤmmerlings, dem Schatze der Johanniskirche zu Florenzgegen eine anſehnliche Leibrente uͤberlaſſen wor - den*)S. Gori, mon. Basil. Bapt. Flor.p. 23. IV. 4. Die Dame hießNicoletta de Grionibus. Ihr Gemahl war fruͤher des Joh. KantacuzenusKaͤmmerling geweſen. Das Kunſtwerk ſoll er aus der kaiſ. Kapelle empfangen haben, wie man vielleicht nur ins Blaue hinein behauptet.. Es beſteht aus zwey kleinen Tafeln von zierlichſtem Muſiv, welches in aͤſthetiſcher, wie in kunſthiſtoriſcher Bezie - hung fuͤr uns von hoͤchſter Wichtigkeit iſt. In aͤſthetiſcher, weil es in ſolchen Theilen, wo hochalterthuͤmliche Vorbilder dem Kuͤnſtler zu Huͤlfe kommen, Vortheile der Anordnung und der Charakteriſtik zeigt, welche in der neueren Malereyerſt305erſt von Raphaelwiederum genutzt, und allerdings[unendlich] gefoͤrdert worden. Namentlich in der Wendung der Augen, im Benutzen des weißen Localtons in den Winkeln ſeitwaͤrts gerichteter Augenſterne, iſt es dem Kuͤnſtler gelungen, Betrof - fenheit, Schauer und innere Bewegung des Gemuͤths bey viel aͤußerer Ruhe auszudruͤcken. In kunſthiſtoriſcher und typolo - giſcher Beziehung iſt es wichtig, theils weil das Kreuz und die Geburt des Heilands, Vorſtellungen und Erfindungen bar - bariſcher Zeiten, den Aufdruck derſelben auch hier nicht ver - laͤugnen; theils weil in anderen hochalterthuͤmlichen Vorſtel - lungen, etwa in der Wiederbelebung des Lazarus, der allge - meine Charakter bey weitem claſſiſcher iſt, als irgend in ita - lieniſchen Denkmalen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts; theils endlich, weil die Glorie in der Transfiguration, ich weiß nicht durch welches Mittelglied, dieſelbe iſt, welche Ra - phaeldem Entwurf nach in ſein beruͤhmtes Altargemaͤlde aufgenommen.
Gorihaͤlt dieſes Werk in Anſehung ſeiner freilich nicht ſo durchgehenden Aehnlichkeit mit dem bekannten Menologio des Baſilius Porphyrogennetos, fuͤr Arbeit des zehnten Jahr - hunderts. Wir werden annehmen duͤrfen, es ſey unter allen Umſtaͤnden nicht ſo gar viel juͤnger. Denn der Beſchlag von getriebenem, vergoldetem Silber iſt in einem rohen, zum Orientaliſchen ſich hinneigenden Geſchmacke verziert und email - lirt; dieſer indeß hat auch im oͤſtlichen Reiche ſchwerlich den vorgothiſchen und gothiſchen Baugeſchmack uͤberdauert, welcher bekanntlich im dreyzehnten und folgenden Jahrhundert auch in den Orienteingedrungen. Aus dem Alter der Einfaſſung wuͤrden wir auf ein verhaͤltnißmaͤßiges Alter des Muſives zu - ruͤckſchließen duͤrfen, da jenes ſicher fuͤr dieſes gemacht wor -I. 20306den, wohl unter Umſtaͤnden neuer, doch gewiß nicht aͤlter iſt, als das Werk ſelbſt.
Der Gegenſtand der einzelnen Darſtellungen, welche auf beſtimmte Kirchenfeſte ſich beziehen, ergiebt ſich ſchon aus den elenden Abbildungen bey Gori, aus denen Niemand waͤhne, den Charakter der Arbeit, das Kunſtverdienſt weder im Allge - meinen, noch in den beſonderen Bezeichnungen und Darſtel - lungen beurtheilen zu koͤnnen. Wie wollte man darin die wunderbare Schoͤnheit der Geſtalt, Bewegung, Gewandung, oder das herrliche Antlitz des Heilandes erkennen, wo er den Lazarus erweckt; oder auch in demſelben Bilde die ſchoͤnen, richtig verſtandenen Falten, die ausdrucksvollen Koͤpfe ſogar in den minder gelungenen Figuren der Schweſtern, welche vor Chriſtuszu Boden fallen? Nur im Bilde des Gekreuzigten duͤrfte jene rohe Nachbildung genuͤgen, um hinreichend darin wahrzunehmen, wie die Griechen dieſe Vorſtellung bey weitem materieller aufgefaßt hatten, als die kunſtloſeren Italiener; wie ſie, an grauſame Strafen gewoͤhnt, eben nur das koͤrper - liche Leiden ausdruͤcken wollten durch Senkung des Hauptes, vornehmlich durch ſeitwaͤrts ausgeſenkten, ſtarken, geſchwellten Leib, und eben hiedurch ihrem Kruzifix ein widriges und ge - meines Anſehen gaben, welches, wie wir ſehen werden, vor - uͤbergehend auch in die italieniſche Malerey ſich eingedraͤngt hat, und dort uͤberall, wo es vorkommt, noch obwaltende Nachahmung byzantiniſcher Muſter beurkundet.
Das Menologium des zehnten Jahrhunderts, in der Vaticana, mit welchem Goridas florentiniſche Kalendarium verglichen, enthaͤlt eine große Zahl vortrefflicher Miniaturen, welche indeß ſtellenweiſe, ich weiß nicht zu welcher Zeit, etwas wieder angefriſcht worden. Der Aufgabe nach ſind dieſe klei -307 nen, fleißig ausgefuͤhrten Darſtellungen etwas zu gleichartig; in der Zuſammenſtellung der Henker und Maͤrtyrer, etwa in der Enthauptung der Heil. Eudoxius,Romulusund Anderer, entwickeln die Kuͤnſtler indeß hoͤchſt wahrſcheinlich viel eigene, gewiß nicht ungluͤckliche Erfindung. Die ſtehende Figur des heil. Gregoriushat einen ſchoͤnen Kopf, die Wendung des Hauptes in einer anderen, ruhenden Figur iſt gut verſtanden; die Erzvaͤter Abraham, Iſaac und Jacob in antiker Gewan - dung, wohl auch nach altchriſtlichen Muſtern, ſind ſchoͤne Fi - guren, deren Koͤpfe indeß, bis auf den mittleren, ſtark wie - der aufgefriſcht. Auch das architectoniſche Beywerk neigt ſich zum Antiken, woraus indeß nicht wohl auf den Zuſtand der Baukunſt jener Zeiten zuruͤckzuſchließen iſt.
An dieſes Werk ſchließt ſich, dem Verdienſte nach, eine Handſchrift des eilften Jahrhunderts*)Bibl. Medic. Laurentiana. Plut. V. Cod. IX. catena in IV. Prophetas majores. , in welcher miniirte Bilder, unter denen der Prophet Jeremias ſchon vor Jahren einer Abhandlung beygegeben worden, welche die Grundzuͤge der vorliegenden in ſich einſchließt**)Kunſtblatt, 1821, No. 7.. Dieſe Figur iſt, eben wie die ſeitwaͤrts angedeutete des Heilandes, dem Entwurf nach altchriſtlich; doch offenbar Copie nach Copieen, da ſowohl im Gefaͤlte, als in den Fuͤßen und Haͤnden viel urſpruͤnglich richtige Andeutungen durch mechaniſche Umbildungen entſtellt ſind. Bemerkenswerth iſt in dieſer Malerey der ganz gleiche, ſtark vergoldete Grund, der Rand, deſſen Zeichnung claſſiſche Erinnerungen, deſſen buntfarbige Ausfuͤhrung aber, mit dem Goldgrunde zuſammengehalten, von orientaliſcher Luſt an Glanz20 *308und Buntheit zu zeugen ſcheint. In einer anderen Handſchrift derſelben Sammlung*)Laurent. Plut. V. No. 38. biblia, graece. , welche um etwas aͤlter zu ſeyn ſcheint, als jene, befinden ſich verſchiedene Miniaturen von geringer Ausdehnung, unter denen ich die vordere, Gott den Vater, der das Licht in die Finſterniß ſendet, ebenfalls in einer ziemlich zutreffenden Abbildung bekannt gemacht**)Kunſtblatt, 1821.. Auf dem vierten Blatte des Codex ſieht man ein anderes Bild, die Erſchaffung der erſten Menſchen, in zwey uͤberein - ander ſtehenden Abtheilungen, auf goldenem Felde. Auch dieſe Gebilde ſcheinen in anderen und beſſeren Zeiten entworfen zu ſeyn, da die Ausfuͤhrung der Idee nicht durchhin entſpricht. Der Suͤndenfall, auf dem ſechsten Blatte, iſt ſo beſchaͤdigt, daß man daran kaum mehr, als die ſymboliſchen Fluͤſſe erkennt.
In derſelben Sammlung finden ſich andere griechiſche, wohl ausgezierte Handſchriften; unter dieſen ein Codex der Evangelien in großen, hie und da verſchlungenen Charakteren, den Bandiniins eilfte Jahrhundert verſetzt, Lamihingegen fuͤr Arbeit des neunten oder zehnten haͤlt***) Lami, de erud. Apostolor. ed. vet. Flor.1766. 4. p. 793. . Die Minia - turen dieſer Handſchrift ſind ausgezeichnet. Auf dem erſten Blatte ſitzt Johannesder Evangeliſt auf einem Seſſel von uͤberladener Form; Sitz und Stellung bequem; die Gewan - dung gut entworfen, doch mager ausgefuͤhrt. Der Charakter des aus dem Bilde herausgewendeten Antlitzes iſt ſchoͤn, der Blick begeiſtert, die Bezeichnung der Zuͤge wohlverſtanden. Auf dem zweyten Blatte befindet ſich eine ſeltſam pedantiſche Vorſtellung, deren Erfindung offenbar dem griechiſchen Mittel -309 alter angehoͤrt. Jeſusnemlich, der ſehr magiſtraliſch an ſei - nem Pulte ſteht, belehret, aus einem aufgeſchlagenen Buche die Apoſtel, an deren Spitze Petrusund Paulus. Der Ent - wurf des Gewandes iſt in dieſem Stuͤcke durchhin gut; die Charaktere der Apoſtel ſind ſchoͤn, ihre Geſtalten indeß ſehr duͤrre und ſchlecht ausgefuͤhrt. Sie tragen weiße Schweißtuͤ - cher um den Hals, was ihr gutes Anſehen nicht eben erhoͤht. Jeſuswird uns durch den Nimbus und das gewoͤhnliche I̅C. ̅ X̅C. ̅ bezeichnet; die Apoſtel haben indeß weder Nimbus noch Schrift. Das Verkuͤmmerte und Pedantiſche in der Auffaſſung dieſes Bildes erklaͤrt ſich wohl daher, daß bey den Griechen vornehmlich Moͤnche die kirchliche Malerey zu betreiben pfleg - ten. Auf dem dritten Blatte iſt Matthaͤus, ein ſchoͤner, treuer Charakter; das vierte Blatt, auf welchem der heil. Lucas, iſt minder gerathen, die Geſtalt verbogen, die Ausfuͤhrung faſt verkruͤppelt. Waͤre dieſes Bild etwa von anderer Hand? — Auch in dieſen Darſtellungen giebt Buntheit und Flachheit der Behandlung den Randverzierungen, obwohl ſie aus antiken Zuͤgen entſtanden ſind, ein etwas morgenlaͤndiſches Anſehen*)Meine Aufgabe iſt die Beleuchtung der italieniſchen Kunſt - hiſtorie; wer die griechiſche des hoͤheren Mittelalters ausfuͤhren wollte, wuͤrde ſeine Forſchungen weiter ausdehnen muͤſſen, als ich ſelbſt bezweckt und erreicht habe. Doch zeigt es ſich ſchon in den Zuſammenſtellungen von Quellen und Auszuͤgen bey Banduri, im - perium orient. sive antt. Constantin. etc. Venet.1729. T. II. und bey Du Cange, hist. Byzant. II. ; oder bey Heyne(comm. Goett. Vol. XI. ), der jene in Bezug auf bildende Kuͤnſte ausgezogen, und bey Gibbonund Schloſſer, a. a. O., welche letzte vornehmlich die Architectur und ſtaͤdtiſche Anlagen beruͤckſichtigt haben; daß, techniſch angeſehen, die Kunſtuͤbung bey den Griechen ungleich mehr befoͤrdert wurde, als, bis zum Jahre 1200, irgendwo in der ganzen Ausdehnung des Abendlandes. Daher die Bewunderung,.
310Ueberhaupt war, wie wir nicht uͤberſehen duͤrfen, daſſelbe Volk, an deſſen techniſcher Ueberlegenheit die aufſtrebende Kunſt des neueren Italienseine ſo maͤchtige Stuͤtze gefunden, doch in Hinſicht auf ſeine ſittlich-geiſtige Entwickelung ein barbariſches. Seine techniſche Ueberlegenheit beruhete nicht ſowohl auf thaͤtigem Streben nach Vollendung, als vielmehr auf dem zufaͤlligen Umſtande, daß im oͤſtlichen Reiche das ſtaͤdtiſche Leben ſich erhalten, und unablaͤſſig Reibungen und Aufmunterungen des Kunſtfleißes hervorgerufen hatte, welche im Weſten nicht ſtattfinden konnten, nachdem germaniſche Ein - wanderer dort uͤberall laͤndliche Sitten verbreitet hatten, wo - durch auch ſolche Staͤdte, deren Staͤtte bewohnt geblieben, all - gemach ihre Bedeutung einbuͤßten. Zudem blieb den griechi - ſchen Kuͤnſtlern, bey groͤßerem Reichthum an Vorbildern, oder an Gegenſtaͤnden der aͤußerlichſten Nachahmung, mehr Wahl, mithin, wenn auch nicht eben die Luſt und Faͤhigkeit eigener Erfindung, doch mindeſtens die Moͤglichkeit, ſchon Vorhande - nes umzuſtellen und Getrenntes neu zu vereinigen. Doch, wo es galt, in der Wirklichkeit fuͤr neue Vorſtellungen neue Ty - pen aufzufinden, oder in aͤußeren Verzierungen, Einfaſſungen oder Gruͤnden der Bilder eigene Wahl und Erfindung zu zei - gen, verraͤth ſich uͤberall in ihren Arbeiten die Huͤlfloſigkeit ihres Geiſtes, die Rohigkeit ihres Geſchmackes. Die Charak - tere mittelalterlicher Heiligen ſind in ihren Gemaͤlden durchge -*)mit welcher die weſtlichen Europaͤer, im fruͤheren Mittelalter, den Glanz und die Kunſtgeſchicklichkeit der Byzantiner zu betrachten pflegten; z. B. Luitprandbey Muratorian bekannten, oft an - gezogenen Stellen ſeines Geſandtſchaftsberichtes; ſpaͤter wieder, unter den Zeugen der Eroberung von Conſtantinopel, Villehar - douin, den ich in der nachfolgenden Unterſuchung benutzen werde.311 hend grell und leer, die Bekleidungen verunſtaltet durch Ge - haͤnge von Schmuck und Gewand, welche ſchon ſeit dem ſechsten Jahrhundert in die Lebensſitten der neueren Griechen, wohl aus dem nahen Orient, ſich eingedraͤngt haben. Die Handlungen und Zuſammenſtellungen, welche ſpaͤt, in ſchon barbariſchen Zeiten, in den chriſtlichen Bilderkreis eingeruͤckt worden, das Kruzifix, die Jungfrau mit dem Kinde und an - dere, ſind durchhin von allem Geiſt und Gefuͤhl entbloͤßt, und, aͤußerlich angeſehen, auch voͤllig geſchmacklos. — Merkwuͤr - dig iſt es, daß unter den ſpaͤteren Erfindungen die Auffaſſung des Anachoretenlebens naiv und geiſtreich. Die griechiſchen Kuͤnſtler dieſer Zeit waren groͤßtentheils Moͤnche, und zwar Moͤnche mit Leib und Seele*)S. im vaticaniſchen Muſeo die Tafel, mit Ueberſchrift: Deposizione di S. Efrem Siro. — Das Vorbild Lorenzetti’s. Es wird noch immer mit großer Treue wiederholt — Durchzeichnungen des Barons Stackelberg..
Demnach unterſcheidet ſich die Malerey des griechiſchen Mittelalters, vornehmlich der Epoche vom neunten bis zum Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts, von der Malerey gleich - zeitiger Italiener zunaͤchſt durch beſſere Ausfuͤhrung, reichhalti - gere Vorbilder, mithin durch wirkliche Vorzuͤge des Gehaltes, wie der Technik; ferner durch eigenthuͤmlich Barbariſches in Verzierungen und Bekleidungen, in Sitten und Gewoͤhnungen der Griechen des Mittelalters. Aber auch in techniſchen Vor - theilen, durch die Stoffe, mit denen gemalt oder die Farbe vermiſcht und gebunden ward, unterſchied ſich die griechiſche Malerey von der italieniſchen. Bis aufGiuntaund andere Nachahmer der Griechen bedienten ſich die Italiener eines hel - len, auf die Farbe nicht einwirkenden Bindemittels; vielleicht312 ſchon damals der Milch unreifer Feigen und anderer minder oͤligen Leime. Die Tafeln, welche in griechiſcher Manier aus - gefuͤhrt worden, ſey es von den Griechen ſelbſt, oder von ih - ren italieniſchen Nachahmern, neigen ſich dahingegen uͤberall zu einem dunkleren, gelblichen Hauptton, welches nicht durch - hin aus den Wirkungen des Lampenrauches zu erklaͤren iſt. Dieſe Wahrnehmung und die Zweifel, welche ſie hervorrief, bewogen den Morrona, verſchiedene alte Malereyen zu be - ſchaͤdigen, und ihre Truͤmmer, was ihm die Geſchichte ihrer ſelbſt willen verzeihen moͤge, einer chemiſchen Analyſe zu un - terwerfen*) Morrona, Pisaillustrata, To. II. Ed. sec. Capit. IV. §. 3. . Aus dieſer Scheidung, deren Genauigkeit wir nicht verbuͤrgen koͤnnen, ging ein Stoff hervor, denBranchi, der Scheidekuͤnſtler, fuͤr Wachs hielt; woraus zu folgen ſcheint, daß in der Malerey der Griechen einige Kunſtvortheile und Handgriffe des hoͤchſten Alterthums ſich erhalten haben, welche in Italienwaͤhrend des Mittelalters ſicher verloren worden. Auf welche Weiſe indeß dieſes dichtere, doch immer noch pro - blematiſche Bindemittel von neueren Griechen verwendet wor - den, ob durch Miſchung mit den Farben, oder durch aͤußeren Ueberzug, duͤrfte nicht ſo leicht zu entſcheiden ſeyn. Genug daß ſolches in Gebrauch war, und durch den gelblich-gruͤnli - chen, verdunkelnden Ton, den es uͤber die Tafeln verbreitete, eines der Merkmale erzeugte, aus denen wir bey italieniſchen Malereyen mit Sicherheit auf Schule oder Nachahmung neu - griechiſcher Meiſter ſchließen duͤrfen.
Ein nicht minder ſicheres Kennzeichen griechiſcher Schule oder Nachahmung gewaͤhren bey italieniſchen Denkmalen des dreyzehnten Jahrhunderts die vergoldeten Gruͤnde der Tafeln.
313Schon die Alten wuͤrdigten die ſchoͤne Wirkung, welche aufgetragenes Gold vornehmlich bey kuͤnſtlicher Beleuchtung hervorbringt; wer entſaͤnne ſich nicht, in einem Zimmer unter den farneſiſchen Gaͤrten, der leichten, braͤunlich auf weißem Grunde gemalten Verzierungen mit leicht aufgehoͤheten goldenen Lich - tern? Goldene Flaͤchen indeß duͤrften ſie in farbigen Male - reyen vermieden haben, weil ſie in der That geſchmacklos ſind, durch ihren Glanz das Auge blenden, die farbigen Stel - len verdunkeln. Sogar in den chriſtlichen Muſivmalereyen aͤlterer Zeiten giebt es entweder ganz weiße Gruͤnde, wie in Sta. Conſtanza bey Rom, oder in der Umhalle von S. Mar - cus zu Venedig, oder doch nur goldene Lichter in Wolken und Gewaͤndern, wie im mehrberuͤhrten Muſiv der Kirche S. Cos - mas und Damianus am roͤmiſchen Forum. Noch ſpaͤter ver - ſchwindet der Gebrauch des Goldes immer mehr aus den ita - liſchen, beſonders aus den roͤmiſchen Muſiven; ſogar der Nimbus der Heiligen wird, wie ich verſchiedentlich angemerkt, durch einen farbigen Reif angedeutet, oder auch durch eine mehrfarbige Scheibe. Gleichzeitig findet ſich auch in den Mi - niaturen lateiniſcher, beſonders italieniſcher Handſchriften keine Spur des Gebrauches, in Gold zu verzieren, geſchweige denn goldene Flaͤchen anzubringen. Vielleicht fand man daran kei - nen Geſchmack; wahrſcheinlicher indeß hatten ſich damals, bey erdenklichſtem Ungeſchick, die Kunſtgriffe verloren, durch welche das Gold auf Glasſtifte eingeſchmelzt, auf Pergament und andere Gruͤnde befeſtigt wird*)S. die griechiſchen Kunſtworte: Chrysocollon, Chrysogra - phia, in jenem alten Buche zu Lucca(bey Murat.antt. It. Diss. 24.)..
Die Byzantiner dagegen bewahrten nicht allein jenen wei -314 ſeren Gebrauch des Goldes, der aus einem hoͤheren, kunſt - geuͤbteren Alterthume auf ſie uͤbergegangen; ſie vermehrten ihn ſogar uͤber alles Maß und Ziel hinaus. Schon unter Juſti - nian, uͤber deſſen Bauwerke umſtaͤndliche Nachrichten ſich er - halten haben, vergoldete man in der Muſivmalerey weite Flaͤ - chen; aus den Beſchreibungen ſpaͤterer Bauwerke, welche frei - lich minder ausfuͤhrlich ſind, duͤrfen wir ſchließen, daß der Geſchmack an dem Schimmer der Vergoldungen mit den Jahrhunderten zugenommen. Nicht minder zeigen ſich die Goldflaͤchen ſchon fruͤh in den Miniaturmalereyen; ich habe ſie bereits ſogar in vortrefflichen des zehnten bis zwoͤlften Jahr - hunderts nachgewieſen. In Italienindeß zeigt er ſich zugleich mit anderen Eigenthuͤmlichkeiten der byzantiniſchen Malerey nicht fruͤher, als zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts.
Erinnern wir uns, gelegentlich dieſer ganz techniſchen Ei - genthuͤmlichkeiten, an die mehr angedeutete Neigung neugrie - chiſcher Kuͤnſtler zum Verlaͤngerten und Hagern der Verhaͤlt - niſſe, beſonders menſchlicher Geſtalten; ſo haͤtten wir nunmehr alle Merkmale uͤberſehen und vereint, welche uns behuͤlflich ſeyn koͤnnen, dem Einfluß der griechiſchen Malerey auf die italieniſche nachzuſpuͤren, die Zeit, da er eingetreten, die Wir - kung, die er hervorgebracht, aus Denkmalen zu beſtimmen.
Ueberall, wo die Weltereigniſſe der Forſchung minder deutlich entgegentreten, bewirken ſie Befremdung; woher ſich erklaͤrt, daß auch der byzantiniſche Einfluß Vielen, bey unge - wiſſer Kunde, geheimnißvoll und ſeltſam erſchienen*)S. Notizen der goͤthiſchen Schreibtafel, uͤber Kunſt und Alterthum, Bd. V. Hft. 1. Hiſtoriſch ſind ſie werthlos.. Indeß iſt nicht ſowohl dieſes auffallend, daß byzantiniſche Sitten,315 Gewoͤhnungen und Kunſtfertigkeiten jemals in Italieneinge - drungen, als vielmehr, daß ſolches ſo ſpaͤt geſchehen, als wir ſehen werden. Blieb doch Italienbis auf das eilfte Jahr - hundert durch politiſche Verhaͤltniſſe, ſpaͤter durch den lebhaf - teſten Handel mit dem oͤſtlichen Reiche eng verbunden; betrug doch der Abſtand ſogar fuͤr damalige Schifffahrt an vielen Puncten nur einzelne Tagereiſen. Allein in ſittlichen Dingen beruhet jeglicher Einfluß nicht bloß auf der ausſtroͤmenden Wirkung, welche in dem Verhaͤltniß, welches uns beſchaͤftigt, ſicher unausgeſetzt ſtattgefunden; vielmehr beſonders auf Em - pfaͤnglichkeit, welche den Italienern bis gegen Ende des zwoͤlf - ten Jahrhunderts nun einmal durchaus gefehlt hat.
Zu verſchiedenen Zeiten finden ſich Spuren von Verbrei - tung byzantiniſcher Kunſtarbeiten und Fabrikate*)Vielleicht dient es, hier an eine etwas neuere Begebenheit zu erinnern,Witechind.ann. lib. III. (ed. Meibom.p. 659.). — „ Otto (I.)legatos suscipit Romanor. Graecor. Saracenorumque, per cosque dies diversi generis munera, vasa aurea et argentea, ae - rea quoque et mira varietate operis distincta vitrea, vasa eburnea etiam etc. “—, von Ver - ſetzung einzelner Kuͤnſtlercolonieen in den Weſten. Der Kunſt - geſchenke Kaiſer Tibersan Chilperich, Koͤnig der Franken, habe ich oben erwaͤhnt; Verwendung byzantiniſcher Goldarbei - ten zum Schmucke roͤmiſcher Kirchen, Verpflanzung byzantini - ſchen Kunſtfleißes nach Neapelhabe ich an derſelben Stelle aus Anaſtaſiusnachgewieſen**)Griechiſche Kunſtworte, bey Muratori(antt. It. Diss. 24.), in jenem Codex des Domes zu Lucca, wo die Bezeichnungen: Chrysocollon, Chrysographia. — Obwohl ſolche Worte nicht eben nothwendig in einer beſtimmten Epoche des Mittelalters in das Latein damaliger Zeiten ſich eingedraͤngt haben muͤſſen, da ſie ſehr; hier, wie in Amalfiund316 Gaeta, laͤßt ſich bis zum eilften Jahrhundert griechiſche Sitte und Betriebſamkeit vorausſetzen, deren Spuren*)Siehe die vorhandenen Notizen bey Lanzi, stor. pitt. T. 1. p. 579. der aͤlteren Ausgabe, und bey Fiorillo, Geſch. d. z. K. Th. I. S. 75. und II. S. 739. 40. — Es hat mir ſelbſt an Gelegenheit gefehlt, dieſe rohen Andeutungen zu pruͤfen oder mehr ins Einzelne auszubilden. freilich ver - wiſcht ſind. Auf der anderen Seite der Halbinſel, zu Vene - dig, deſſen Verbindung mit dem oͤſtlichen Reiche dauernder war, deſſen aͤltere Geſchichte minder dunkel iſt, will man in den bildenden Kuͤnſten den Einfluß griechiſcher Schule ſehr weit ruͤckwaͤrts verfolgen; doch fehlt es uns an einer gruͤndli - chen Beleuchtung der aͤlteren Kunſtgeſchichte Venedigs, in wel - cher Zannettivorſaͤtzlich oberflaͤchlich iſt**) Zannetti, della pittura Veneziana etc. libri V. Venez.1771. 8. p. 2. ; ſo wie es an - dererſeits den Topographen dieſer herrlichen Stadt an kritiſchem Blick und hiſtoriſcher Kunſtkenntniß gefehlt***)Sie wurden benutzt von Fiorillo, Geſch. d. z. K. II. S. 5 ff. und von Hrn. v. d. Hagena. a. O. Bd. II. S. 116 ff. — Die Berichte des letzten ſind ungemein belehrend; der Gegen - ſtand indeß nicht ſo leicht zu erſchoͤpfen.. Allein auch in Deutſchlandfinden ſich Spuren byzantiniſcher Einwirkung, und zwar, nicht unter Otto II. , wo man ſie zu vermuthen geneigt iſt, weil dieſer Herr bekanntlich mit einer griechiſchen Prinzeſſin vermaͤhlt war, ſondern unter der ſpaͤteren Regierung**)wohl ſchon in aͤlteren Zeiten koͤnnten aufgenommen ſeyn. So fin - det ſich das Wort icon ſchon bey Anaſtaſius, woher das venezia - niſche anchona, welches aus dem aͤlteſten Sprachgebrauche italieni - ſcher Kuͤſtenbewohner moͤchte entſprungen ſeyn, und nicht eben nothwendig, wie Neuere angenommen haben, aus den ſpaͤteren Be - ruͤhrungen der Venezianer und Griechen.317 Heinrichs II. Des emaillirten Kreuzes, welches vordem zu Bambergbewahrt wurde, habe ich bereits erwaͤhnt; doch als Kunſtwerk betrachtet, iſt ein groͤßeres, in Cypreſſenholz ge - ſchnitztes Kruzifix, uͤber dem Altare der weſtlichen Tribune, ungleich wichtiger, als jene Handelsarbeit. Dieſes Bild, wel - ches mir noch lebhaft vorſchwebt, hat allerdings eine gerade Haltung, unterſcheidet ſich mithin von den gemalten Bildern des Gekreuzigten, welche ich oben bezeichnet habe. Demun - geachtet halte ich es, in Anſehung der edlen Ausbildung des Kopfes, der magern Behandlung des Gefaͤltes, ebenſowohl fuͤr griechiſche oder graͤciſirende Arbeit, als die halberhobenen Dar - ſtellungen uͤber den beiden Seitenthoren des Domes, deren magere Zierlichkeit, deren verlaͤngerte Proportionen in anderen deutſchen Bildnereyen nirgend vorkommen. Auch die Minia - turen der bambergiſchen Evangelien in der koͤn. Bibliothek zu Muͤnchen, unter denen das Bildniß Heinrichs II. , zeigen,[ge - gen] karolingiſche gehalten, Annaͤherung an die griechiſche Manier und Farbenwahl*) Crammer, vita S. Henrici, lib. II. cap. V. §. VI. glaubt auch in den Siegeln Heinrichs II. byzantiniſche Hoheitsſymbole wahrzunehmen..
Dieſe gewiß ſehr beachtenswerthe Erſcheinung wird leider, ſo viel mir bekannt iſt, durch keine Berichte von Zeitgenoſſen naͤher beſtimmt und eroͤrtert; eben ſo wenig entdeckte ich, ob ſie unter den deutſchen Kuͤnſtlern dieſer und folgender Zeiten einige Wirkung hervorgebracht, einen dauernden Eindruck zu - ruͤckgelaſſen. Wahrſcheinlich indeß verlor ſich dieſe deutſch-by - zantiniſche Schule, eben wie jene andere zu Monte-Caſſino**)S. oben, zu Anfang dieſer Unterſuchung. Fiorillofrei - lich, Geſch. d. z. K. Thl. II. S. 745 f., ſtempelt die Muſaiciſten,318 unmittelbar nach ihrer Stiftung unter den eigenthuͤmlichen Schulen des Landes. In Bezug auf die letzte draͤngt ſich al - lerdings die Vermuthung ein, daß Deſiderius, der Goͤnner jener griechiſchen Muſaiciſten, nachdem er unter dem Namen Victor III. auf den paͤpſtlichen Stuhl erhoben worden, die Neigung zur Kunſtbefoͤrderung in ſeinen neuen Stand hinuͤber genommen, und die Kuͤnſtler, welche er ſelbſt herbeygezogen oder ſich herangebildet, auch zu Romhabe arbeiten laſſen, wo**)des Leozu bloßen Fußbodenarbeitern, worin er indeß italieniſchen Forſchern, welche in dieſer Unterſuchung zwecklos partheylich, und daher nicht durchhin glaubwuͤrdig ſind, ganz blindlings nachfolgt. Der Gang ihrer Folgerung iſt dieſer: „ Die Berufung der griechi - ſchen Muſaiciſten werde in der Chronik von Montecaſſino(?) nur gelegentlich des Vorhofes der Kirche erwaͤhnt (den ſie auch nach Leo von Oſtiaverziert haben); in der alten Beſchreibung des Klo - ſters la Cava ſey nur gelegentlich eines Fußbodens von griechiſchen Arbeitern die Rede: folglich haben die Griechen des Leokeine an - dere Arbeit verſtanden, als Fußboͤden auszulegen. “— War aber, angenommen, daß jene Angaben richtig waͤren, im Vorhofe zu Monte-Caſſinokein anderer Raum fuͤr muſiviſche Malerey em - pfaͤnglich, als der Fußboden? War es nicht allgemeiner Gebrauch, die Außenſeiten der Kirchen muſiviſch zu verzieren? Und, wenn wirklich in la Cava eben nur ein Fußboden griechiſche Arbeit war, folgt daraus ſo nothwendig, daß auch im Vorhofe von Montecaſ - ſinonur der Boden von griechiſcher Hand geweſen? — Doch wird man entweder zu erweiſen haben, daß Leo, deſſen Angaben ſo um - ſtaͤndlich ſind, ein Luͤgner und Aufſchneider geweſen, oder ihm glauben, wo er meldet, daß ſeine Griechen in der Kirche zu Mon - tecaſſinodie Tribune und den Bogen daruͤber (apsidam et arcum) muſiviſch ausgemalt haben. So unglaubwuͤrdig wuͤrde den Ge - waͤhrsleuten des Fiorillodieſe Angabe nicht erſchienen ſeyn, waͤre ihnen die mittlere Kunſtgeſchichte etwas umſtaͤndlicher bekannt ge - weſen; haͤtten ſie gewußt, wie niedrig die Kunſtſtufe damaliger Italiener, wie hoch verhaͤltnißmaͤßig die Geſchicklichkeit gleichzeiti - ger Griechen ſtand.319 ich bisweilen unter den Denkmalen dunkler Zeiten einige Spu - ren griechiſcher Schule wahrzunehmen glaubte. So ſcheint mir noch immer die eigenthuͤmliche Anordnung und Hagerkeit der Figuren eines laͤngſt untergegangenen Muſives, auf wel - chem Calixtus II. und Anaſtaſius IV. neben anderen Figuren, in den Abbildungen*)S. Muratori, scriptt. T. III. ad pag. 417. , welche freilich minder genau ſeyn koͤnnten, griechiſchen Urſprung zu verrathen. Ferner moͤchte das Muſiv uͤber dem Hauptaltare der Kirche S. Clemente zu Rom, uͤber deſſen Stiftung ich bekenne, nicht unterrichtet zu ſeyn, recht wohl fuͤr eine Nachahmung der Muſive zu Mon - tecaſſinogelten koͤnnen, ſo lange das Gegentheil nicht urkund - lich zu erweiſen iſt. Denn, bey damaligem Vorwalten des Architectoniſchen, duͤrfen wir ſchließen, daß die Thiere, Pflan - zen und Blumen, von denen Leoerzaͤhlt**) LeoOstiensis, l. c. — „ quum et in Musivo animatas fe - ras autumet quisque figuratas, et quaeque virentia cernere, et in marmoribus omnigenum colorum flores pulcra putet diversitate vernare. “, gleichwie in dem Muſiv von S. Clemente, in Geſchlinge und Verzierungen verflochten waren. Auch eine Madonna, von zwey Engeln umgeben, welche Kandelaber halten, uͤber einer Seitenthuͤre der Kirche Ara Celi auf dem Kapitol zu Rom, erſcheint mir, in Anſehung ihrer guten muſiviſchen Zuſammenſetzung, ihrer Hinneigung zu einiger Schoͤnheit der Umriſſe, bey uͤbrigens unausgebildeter Modellirung, als ein Werk fruͤher, durch grie - chiſche Muſter verfeinerter Italiener. Die griechiſche Abkunft verraͤth ſich theils in den kleineren, ſchaͤrfer ausgekanteten Glaswuͤrfeln des Muſives, theils auch in dem Monogramme M̅P̅. Θ̅ϒ̅. Ich habe oben aͤltere, rohere, ganz italieniſche320 Madonnen nachgewieſen, welche im Felde die Aufſchrift: M̅. C̅. (Mater Christi) haben, und wiederholt erinnert, daß jene griechiſche Beyſchrift, in italieniſchen Bildern der Madonna, auf griechiſche Abkunft verweiſe.
Dieſe ungewiſſen Spuren der Fortpflanzung griechiſcher Vorſtellungen und Handgriffe der Kunſt verlieren ſich indeß, gleich den Nachwirkungen fruͤherer Ereigniſſe derſelben Art und Abkunft, unter den ſicheren Beyſpielen eigenthuͤmlich italieni - ſcher Barbarey, deren wir uns aus einer vorangehenden Un - terſuchung*)Abh. No. V. entſinnen. Es fehlte den Italienern bis um das Jahr 1200 an Empfaͤnglichkeit und Sinn, einestheils fuͤr Gediegenheit der Arbeit, anderntheils fuͤr die innere Bedeutung organiſcher Bildungen; ehe dieſe von neuem geweckt worden, durch Umſtaͤnde, welche der allgemeinen Geſchichte angehoͤren, deren Entwickelung wir mithin an dieſer Stelle uͤbergehen duͤr - fen, vermochte das Muſterhafte und Nachahmenswerthe der griechiſchen Kuͤnſtler in Italienkeinen dauernden Eindruck zu bewirken.
Doch, ehe wir daran gehen, die Denkmale naͤher zu be - zeichnen, an denen wir einestheils die Beſchaffenheit und den eigentlichen Zweck der italieniſchen Nachahmung griechiſcher Kunſtmanieren und Vorbilder, anderntheils die Zeit nachweiſen koͤnnen, in welcher jene eingetreten iſt, werden wir uns mit den erheblichſten unter den mancherley oberflaͤchlichen Auffaſ - ſungen und Deutungen ausgleichen muͤſſen, vermoͤge deren die Kunſtgelehrten verſucht haben, die inneren Widerſpruͤche in den oben beruͤhrten Angaben des Vaſariin Uebereinſtimmung zu bringen.
Den321Den Gelehrten (nicht Kuͤnſtlern oder Liebhabern der Lite - ratur), welche dieſe Ausgleichung verſucht haben, ging der be - ruͤhmte Joh. Lamivoran, in ſeiner Abhandlung*) Lami, Dr. Gio, Diss. relativa ai pittori e scultori Italiani, che fiorirono dal 1000 al 1300. Wieder abgedruckt mit Bemerkun - gen des Abbé Fontanaim Anhang zu: Trattato di Lionardo da Vinci, Firenze1792. in 4. uͤber das Voralter neuer italieniſcher Kunſt. Dieſer treffliche und unbe - fangene Beobachter, dem zufaͤllig die Merkmale mittelalterlich griechiſcher Kunſtverſuche genauer bekannt waren, als die Kenn - zeichen der gleichzeitigen italieniſchen, iſt unter den italieniſchen Forſchern, meines Wiſſens, der einzige, dem die Vorzuͤge der er - ſten nicht entgangen ſind. „ Die griechiſchen Miniaturen des eilften Jahrhunderts, “ſagt er**)Id. Ib. p. LXII s. , „ in den bibliſchen Hand - ſchriften der Laurentiana, oder unſerer (der florentiniſchen) Ab - tey***)Dieſe ſind in den neueren Zeiten der Laurentiana groͤße - rentheils einverleibt worden., uͤbertreffen vielleicht jene des Oderigi von Gubbiound desFranco von Bologna, welche zu Anfang des vierzehn - ten Jahrhunderts gebluͤht haben, und von unſerem Dantegeprieſen werden. Die Marcheſe Riccardi beſitzen einige grie - chiſche Diptycha von Elfenbein, welche ſehr beachtenswerthe Arbeit zeigen, und einen heil. Stephanusin Bronze, von grie - chiſcher Arbeit, welcher ſehr ſchoͤn iſt; allem Anſehen nach ſind dieſe Werke aͤlter, als das Jahr Eintauſend. “ Doch hatte derſelbe Gelehrte eine zu guͤnſtige Meinung von den Arbeiten der italieniſchen Maler derſelben Epoche, welche vorehmlich darauf gegruͤndet war, daß er die Malereyen am Bigallo zu Florenz, uͤber welche die Zahlungspartiten anPiero Chellini,I. 21322einen Maler des funfzehnten, noch immer vorhanden ſind, fuͤr ein Werk des dreyzehnten Jahrhunderts anſah*) Lami, l. c. p. LXX. . Daher wahrſcheinlich erſchien es ihm ſeltſam, daß griechiſche[Vorbil - der], oder gar griechiſche Manier**)Derſ. daſ. p. LXII. vergleicht den Ausdruck: griechiſche Manier, den er ſehr unpaſſend findet, mit dem wirklich nicht zutreffenden: gothiſche Architectur. Gewiß hat man jenen Ausdruck, wenigſtens in Italien, ſehr mißbraucht, weil man uͤber - haupt nicht wußte, was denn das Unterſcheidende der griechiſchen Kunſtuͤbung geweſen. Die aͤlteren Schriftſteller wiſſen indeß recht wohl, was griechiſche Manier ſey; und jener Vergleich iſt ſchon deshalb nicht zulaͤſſig, weil die Griechen des Mittelalters wirklich eine eigenthuͤmliche Kunſtmanier beſeſſen, die Gothen aber, wie neuere[Unterſuchungen] außer Zweifel ſetzen, nur etwa der roͤmiſch - italieniſchen des vierten und fuͤnften Jahrhunderts ſich angeſchloſ - ſen haben., je in ItalienEingang gefunden. Die Behauptung, daß in Italienjemals die Ge - wohnheit, Heilige zu bilden oder zu malen, unterbrochen, oder, daß alle Bilder des hoͤheren Mittelalters, wie Baldinuccigemeint, griechiſche Arbeit geweſen, erſchien dem hiſtoriſch ge - lehrten Forſcher nothwendig als ein armſeliger Behelf unwiſ - ſender Schwaͤtzer***)Er hatte ſchon in den novelle letterarie, 1767. in ver - ſchiedenen Stuͤcken gezeigt, daß man in Italienjederzeit ſeine Hei - ligen gemalt habe.. Auf der anderen Seite blieb ihm der Grund verborgen, weshalb man die Griechen innerhalb eines beſtimmten Zeitraumes zu Vorbildern erwaͤhlt hatte. Auf dieſe Weiſe ließ er ſich verleiten, den naiven und zutreffenden Aus - druck des Cennino†)Bibl. Mediceo-Laur. Plut. 78. cod. 23. No. 2. p. 2. S. meine Nachrichten uͤber dieſes Werk, den Abdruck der angef. Stelle,, „ daß Giottodie Malerey aus dem323 Griechiſchen ins Lateiniſche abgeaͤndert habe, “eben nur, weil er ihn aus obigen Gruͤnden mißverſtanden, auch dem Sinne nach fuͤr ſeltſam und abgeſchmackt*) Lami, l. c. p. LVII. — „ come se ne avesse fatta una tal qual traduzione. “— Cenninoſagt: rimutò l’arte di Greco in Latino. Der Ausdruck iſt allerdings ungewoͤhnlich, doch verſtaͤndlich und paſſend. zu erklaͤren. Er haͤtte dieſen Ausdruck verſtehen muͤſſen, da ihm gewiß bekannt war, wie lange in den Schriften des Mittelalters lateiniſch ſo viel ſagte, als italieniſch; wie denn der daher fließende Gegenſatz der lateiniſchen und griechiſchen Kirche noch in unſern Tagen in Kraft iſt. Doch war Lamiin dem Irrthum befangen, daß Cenninounter aͤlteren Schriftſtellern fuͤr den Einfluß der Griechen der einzige Zeuge ſey**)l. c. p. c. . Es war ihm unbe - kannt, daß auch Ghiberti, deſſen Werk er nicht geleſen hatte, von Cimabueſagt, daß er die „ griechiſche Malart aus - uͤbte, welche dazumal in Toscanain großem Ruhme ſtand***) Ghiberti, cod. cit. p. 7 a tergo — Giotto— fu disce - polo di Cimabue, (che) tenea la maniera Graeca, in quella ma - niera, (che) ebbe in Etruria grandissima fama. ; von Duccio von Siena, daß er in griechiſcher Manier gemalt habe, “in Worten, welche ich bereits angefuͤhrt habe. Noch einen dritten Zeugen koͤnnte ich herbeyziehen, den Lamibey dieſer Unterſuchung wohl uͤberſehen mußte; den Gobelinus Perſona, einen deutſchen Praͤlaten, welcher zu Anfang des funfzehnten Jahrhunderts oder zu Ende des vorangehenden Italienbeſucht hatte. Dieſer mehrſeitig gebildete Mann, uͤber deſſen LebenMaibomsVorrede einzuſehen, erwaͤhnt von†)die Anzeige der mittelmaͤßigen Ausgabe des Tambroni, im Kunſt - blatt 1821 und f. Jahre.21 *324 Meinwerk, Biſchof von Paderborn, „ er habe eine Kapelle neu wieder aufgerichtet, welche vormals unter Karl dem Großenvon griechiſchen Arbeitern gebauet worden*) Gobelin. Personae Cosmodr. aet. VI. ap. Meibom. scriptt. rer. Germ. Vol. I. p. 257. — Meinwercusquandam cappellam prope majorem ecclesiam Paderbornensem, quondam perGeroldumconsanguineum et signiferum Caroli M.per Graecos operarios con - structam etc. etc. . “ In dem bekannten Leben Meinwerks, bey Leibnitz, findet ſich keine Spur von Bekanntſchaft mit den Meiſtern des aͤlteren Baues; auf der anderen Seite iſt nicht wohl anzunehmen, daß Gobelinhier einer Autoritaͤt gefolgt ſey, da die Quel - len der Geſchichte der karolingiſchen Zeit von aus der Fremde herbeygezogenen italieniſchen, nun gar griechiſchen, Arbeitern ſchweigen, weil dieſe, wenn es deren am Hofe des Koͤnigs gegeben haͤtte, doch unter allen Umſtaͤnden ſchwerlich in den noch ungeſicherten Eroberungen des Chriſtenthums, tief im Sachſenlande, waͤren beſchaͤftigt worden. Alſo wird an dieſer Stelle der Vermuthung nicht auszuweichen ſeyn, daß unſer Schriftſteller auf ſeinen italieniſchen Reiſen mit jener, wie oben angefuͤhrte Stellen zeigen, ſeinerzeit feſt angenommenen und verbreiteten Anſicht bekannt geworden: daß die Byzanti - ner waͤhrend der dunkleren Abſchnitte des Mittelalters in den Kuͤnſten eine dauernde Ueberlegenheit beſeſſen, einen wichtigen Einfluß auf den Geſchmack der weſtlichen Europaͤer aus - geuͤbt haben.
In Lami’sAuffaſſung dieſes hiſtoriſchen Verhaͤltniſſes war demnach wenigſtens die eine Seite, die Vorzuͤglichkeit griechiſcher Kunſtarbeiten, im Ganzen richtig verſtanden; in der Auffaſſung ſeiner Nachfolger findet ſich indeß, bey groͤßter325 Dreuſtigkeit und Zuverſichtlichkeit des ſich Gehabens, nur all - ſeitige Unkenntniß, Verwirrung und Widerſpruch.
Laſtri, der Verfaſſer vieler unterhaltender Mittheilungen aus den handſchriftlichen Schaͤtzen der florentiniſchen Bibliothe - ken, hatte die Anmaßung, ſichere und minder ausgemachte Thatſachen, welche zu ſeiner Zeit zur Sprache gekommen, ohne alle Anſchauung ihres Gegenſtandes in eine kurze Ueberſicht zuſammenzudraͤngen, welche lautet, wie folgt*)Osservatore Fiorentino, To. II. p. 136. sq. :
„ Es iſt Niemand verborgen, daß dieſe Kunſt zu keiner Zeit in Italienerloſchen iſt; obwohl ſie viele Jahrhunderte hindurch, in den barbariſchen Zeiten, geſiecht hat. Es waren ſtarke Erſchuͤtterungen noͤthig, ſie wieder zu beleben; dieſe aber ſind gerade um das eilfte Jahrhundert unſerer Zeitrechnung eingetreten.
Die neue Verfaſſung, welche faſt alle italieniſche Staͤdte aus ſich entwickelten oder erwarben; die Wiſſenſchaften, welche eben zu daͤmmern begannen; die Ankunft endlich griechi - ſcher Kuͤnſtler zu Florenzund Rom; alle dieſe Ereig - niſſe brachten damals Gaͤhrung in den Lebensgeiſt. “
Ehe wir Laſtriweiter reden laſſen, muß ich erinnern, daß er den Aufſchwung der italieniſchen Kunſt, wie ich oben**)S. Abh. No. V. erwieſen, hoͤchſt irrig in das eilfte Jahrhundert verlegt. In Anſehung indeß ſeiner Annahme griechiſcher Ankoͤmmlinge wird dieſe willkuͤhrliche, auf keine, ins Einzelne eingehende, For - ſchung ſicher begruͤndete Annahme durch oben beleuchtete Stelle des Leo von Oſtiaherbeygefuͤhrt ſeyn, fuͤr welche wir bereits den rechten Geſichtspunkt aufgefunden haben.
326Allein auch in einer viel neueren Epoche verknuͤpfte er mancherley halbverſtandene Angaben aͤlterer und neuerer Schriftſteller zu einer ganz falſchen Entwickelung. Er ſagt nem - lich: „ bis auf dieſe Zeit (des Cimabue) hielt ſich die Malerey im Geſchmack - und Einſichtsloſen; den Figuren fehlte es an guter Stellung und an richtigem Verhaͤltniß; ſie ſtanden auf den Spiz - zen der Fuͤße und waren durchhin hager und trocken. Zu Ende aber des (dreyzehnten) Jahrhunderts begannen die Maler, ihnen mehr Anſehen zu geben, und die Trockenheit der grie - chiſchen Muſaiciſten zu verlaſſen. — Dieſe Vorzuͤge bewirkten, daß man den Cimabueallgemeinhin als den Wie - derherſteller der Malerey betrachtete. “
Figuren mit heruntergebogenen, nicht wagerecht ſtehenden Fuͤßen, welche Laſtriwahrſcheinlich aus dem Vaſari, ſchwerlich aus eigener Wahrnehmung kannte, finden ſich, lange nach Cimabue, noch im funfzehnten Jahrhundert. Ihre Ver - draͤngung iſt demnach dem Cimabueeben ſo wenig beyzulegen, als der Vorzug, ſich von der griechiſchen Manier entfernt zu haben, da er gerade in dieſer Malart Meiſter war. Indeß ſollte der Ruhm, den Cimabueunter ſeinen Zeitgenoſſen erlangt hatte, auf alle Weiſe gerettet werden; als Stifter der neueren Kunſt war er nicht laͤnger anzuſehen, nachdem unter den aͤl - teren Kuͤnſtlern wenigſtens Guido von SienaundGiunta von Piſabekannter geworden; alſo mußte er, da es bey den ma - teriellen Kunſtanſichten neuerer Italiener entfernt lag, ſeinen Ruhm auf eine gewiſſe Ueberlegenheit und Maͤchtigkeit des Geiſtes zu gruͤnden, mindeſtens ein Verbeſſerer aͤußerlicher Handhabungen der Kunſt geweſen ſeyn.
In wie weit indeß Cimabue, oder Duccio, oder andere der ſpaͤteſten Nachahmer griechiſcher Vorbilder, dieſe in aͤuße -327 ren Kunſtvortheilen uͤbertroffen haben, iſt eine Frage, deren Beantwortung wir noch ausſetzen muͤſſen, da uns vor der Hand unter den italieniſchen Malern in griechiſcher Manier nicht die ſpaͤteſten, ſondern eben nur die fruͤheren angehen.
In Vergleich mit dieſen werden wir die griechiſchen Ma - ler nicht wohl, gleich obigem Schriftſteller, einer groͤßeren Trockenheit anklagen, unter allen Umſtaͤnden aber durchaus nicht zugeben koͤnnen, daß willkuͤhrlich und ohne alle urkund - liche Gruͤnde auf ihre Rechnung geſchrieben werde, was irgend Rohes, uͤber menſchliche Erwartung Baͤueriſches in italieniſchen Alterthuͤmern aufzufinden iſt. Der Wunſch, den Griechen nichts, oder doch ſo wenig als moͤglich zu verdanken, verlei - tete zwey Kunſtrichter des verfloſſenen Jahrhunderts, den Va - ter Della Valle*) Della Valle, P. Guglielmo, Lettere Senesi, T. II. p. 9. und den bekannten Lanzi**) Lanzi, stor. pitt. dell’ Italia, T. 1. Origini e primi me - todi della pittura risorta. (Ed. Pisan. 1815. 12 p. 16.) , ein bey - ſpiellos rohes Gepinſel in einer Kapelle der Gewoͤlbe, unter der Kirche Sta. Maria Novella zu Florenz, ohne alle Gruͤnde, ſey es der Analogie oder der Urkunde, fuͤr griechiſche Arbeit zu erklaͤren. Den Ueberreſt dieſer Malerey, welcher vor eini - gen Jahren viel Bereitwilligkeit zeigte, vollends von der Mauer abzufallen, betrachtete ich verſchiedentlich mit Intereſſe und Verwunderung. Einmal konnte ich den Gegenſtand auf keine Weiſe errathen, wenn die uͤbrigen Koͤpfe, der eine mit einem Stiergeweihe, nicht etwa Teufel, und das Ganze Ereigniſſe der Unterwelt darſtellen ſollte. Die Malart, ſogar der Kalk - bewurf, an welchem die Farbe klebte, uͤbertraf Alles, was ich fruͤher angefuͤhrt habe, an Unſauberkeit, Unbehuͤlflichkeit, Ro -328 higkeit. Da nun die Spuren einer zweiten Kalklage mit Ma - lerey des vierzehnten Jahrhunderts noch immer daran hafteten, vonwelchen Della Valleerzaͤhlt, ſie ſey eben damals herab - gefallen, als er eben des Beweiſes bedurft*) Della Valle, l. c. — „ Un accidente, di quelli che talora scuoprono in un momento agli uomini ciò, che essi in vano ricer - cato avrebbono lungo tempo, per lo scrostarsi dell’ intonacod’un muro, che é sotto la sagrestia di S. Maria di Firenze, e che pro - babilmente é uno di quelli dipinti dai Greci, maestri di Cimabueetc. , daß Cimabuevon ſeinen griechiſchen Meiſtern nichts Erhebliches habe erler - nen koͤnnen: ſo iſt ſo viel gewiß, daß ſie aͤlter ſind; und da, ſo weit ich eingedrungen, im dreyzehnten Jahrhundert die Kunſt in Toscanaauf einer ſo ungleich hoͤheren Stufe geſtan - den, ſo laͤßt ſich annehmen, dieſes Gepinſel ſey im zwoͤlften oder in einem der vorangehenden entſtanden. Uebrigens ge - hoͤrten ſie wahrſcheinlich ſchon damals nicht zu den beſten Lei - ſtungen ihrer Zeit und Gegend, da das Gemaͤuer, an dem ſie haften, nothwendig nicht zu dem neuen, erſt im dreyzehnten Jahrhundert begonnenen Kloſterbau, ſondern zu der kleinen vorſtaͤdtiſchen Pfarre gehoͤrt haben muß, welche damals den Dominicanern eingeraͤumt worden.
Nicht das Denkmal an ſich ſelbſt, deſſen wir, nach dem bereits Gemeldeten, durchaus entbehren koͤnnen, wohl aber die Zuverſicht, mit welcher jene Kunſtgelehrten, was ſie wuͤnſch - ten, auch glaubten, was ſie glaubten, auch mit groͤßter Dreu - ſtigkeit behaupteten, gehoͤrt meines Erachtens zu den Perlen und Merkwuͤrdigkeiten der neueren Kunſtgeſchichte. Lanzigeht davon aus, „ daß Vaſarimelde, die Meiſter des Cima - buehaben die Kapelle Gondi in Sta Maria Novella ausge - malt; die Kapelle ſey indeß erſt im folgenden Jahrhundert329 erbauet worden*) Lanzil. c. ; Erra però (il Vasari) facendogli operare (i Greci) nella cappella de’ Gondi fabbricata insieme con la chiesa tutta un secolo appresso; e dovea dire in altra cappella sotta la chiesa etc. . “ Hieraus haͤtte er folgern koͤnnen, daß Vaſariuͤberhaupt dieſe kleinen kunſtgeſchichtlichen Umſtaͤnde, welche er ſo vertraulich erzaͤhlt, als waͤre er dabey geweſen, nur aus der Luft gegriffen habe. Doch obwohl es ſchon an ſich ſelbſt wenig wahrſcheinlich iſt, daß Vaſariin Dingen, die ihm ſchwerlich umſtaͤndlich bekannt waren, der That nach die Wahrheit berichte, ſo wollte doch Lanziund ſein Ge - faͤhrte ihm in Bezug auf die Perſon und Handlung willig glauben; nur in Bezug auf den Ort, nahmen ſie an, habe Vaſariſich geirrt; ſich ſelbſt aber raͤumten ſie die Faͤhigkeit und Befugniß ein, den Ort, den ſchon Vaſariverfehlt, nach dem bloßen Gefuͤhle aufzufinden. Haͤtten ſie nun doch wenig - ſtens die Eigenthuͤmlichkeiten griechiſcher Manieren und Vor - ſtellungen der Kunſt gekannt, ſo wuͤrden ſie aus maleriſchen Analogieen allenfalls haben entſcheiden koͤnnen, ob in irgend einem Winkel des alten Baues griechiſche Arbeiten vorhanden ſeyn, oder auch nicht. Ueber ſolche Vorbereitungen waren ſie indeß weit erhaben; ſie brachten die Faͤhigkeit, oder den Wil - len, griechiſche Arbeit zu erkennen, von Anbeginn hinzu; und durch ſo viel Irrwege der Gedankenfolge, ſo viel Entſchieden - heit der Abſicht, wurden ſie dahin verleitet, fuͤr griechiſche Malerey zu erklaͤren, was nimmer auch nur die entfernteſte Aehnlichkeit mit byzantiniſchen Kunſtarbeiten gezeigt hat.
Auf mancherley Weiſe hat man demnach ſich bemuͤht, aus den unbeſtimmten Andeutungen des Vaſarihervorzuwin - den, was jedesmal gefiel. Einige haben, gleich dem Baldi -330 nucci, auf ihm fortgebauet, als wenn er in ſo entlegenen Dingen als Quelle zu betrachten waͤre; andere haben ſeine Angaben durchaus verworfen, wie Muratori; noch andere endlich haben die Ankunft von Griechen, nicht etwa in Vene - digund Piſaund anderen Seeſtaͤdten Italiens, ſondern eben jene noch zweifelhafte*)Ein einziger Schriftſteller, Richa, delle chiese di Firenze, T. VI. Introduc. p. XLI. behauptet, den griechiſch lautenden Namen Apollonius unter den Muſivarbeitern aufgefunden zu haben, welche in der Johanniskirche zu Florenzarbeiteten. Doch begleitet er ſeine Angabe weder mit einer umſtaͤndlichen Citation des ohnehin verleg - ten Archives, noch mit dem Jahre, in dem er angeſtellt und be - zahlt worden. Und da er auch ſonſt, wie ich an anderen Stellen zeigen werde, Archive citirt, die er nicht ſelbſt durchgeſehen; ſo werden wir ihm auch nicht ſo uͤbereilt einen vollen Glauben ein - raͤumen duͤrfen. zu Florenzihm unbedingt einge - raͤumt**) Laſtrigiebt, osservatore Fior. T. V. p. 61 sq., eine zweyte Ueberſicht der mittleren Kunſtgeſchichte, welche beſchließt: „ Comunque siasi di tal questione, egli é però certo, che la repu - blica ( Fiorentina) pensò a chiamar de’ Maestri di quest arte dalla Grecia o piuttosto da quei luoghi d’ Italia, dove già essi l’esercita - vano, affine di rimetterla in grido. Scolare di questi fu Cimabue, e la sua maniera alquanto secca la dimostra abbastanza. “ Das Archiv, delle riformagioni; zu Florenzblieb mir jederzeit unzugaͤnglich; der Archivar, Brunetti, iſt ſelbſt Schriftſteller. Alſo haͤtte ich auf keine Weiſe auf das Berufungsdecret jener Griechen ſtoßen koͤnnen, wenn ſolches etwa vorhanden waͤre. Uebrigens be - zweifle ich, daß Laſtriein ſolches geſehen habe, einmal, weil er es nicht naͤher nachweiſt, da es doch, wenn beurkundet, in der Frage, welche er unterſucht, den Ausſchlag gegeben haͤtte; dann, weil er nicht wußte, ob dieſe Griechen aus Griechenland, oder aus irgend einer italieniſchen Stadt berufen worden. Wenn je ein ſol - ches Berufungsdecret vorhanden war, ſo mußte der Ort genannt ſeyn, von woher man die fremden Arbeiter berief; Namen der, hingegen, einer grillenhaften Nationaleitelkeit zu331 genuͤgen, ſich der leeren Einbildung hingegeben, daß eben dieſe Griechen rohe, ungeſchlachte Geſellen geweſen. Eben wie jene Muſaiciſten des Leo von Oſtia, wie ſchon gemeldet worden, nur Fußboͤden verfertigt haben ſollen, weil dieſe fuͤr die nie - drigſte Verwendung der muſiviſchen Kunſt gelten; ſo ſollten auch die Griechen des Vaſarieben nur Sudler geweſen ſeyn, uͤber welche man in ſolchem Falle annehmen muͤßte, daß die Florentiner ſie aus bloßem Mitleid beſchaͤftigt haͤtten. Doch werden deutſche Leſer allen dieſen Windungen des Unverſtan - des, der Leichtglaͤubigkeit, Willkuͤhr und Einbildung in Fio - rillo’sgroͤßerem Werke nachfolgen koͤnnen, den ſeine italie - niſchen Gewaͤhrsmaͤnner bey Darſtellung dieſes hiſtoriſchen Verhaͤltniſſes bald zu dieſer, bald zu jener anderen Meinung hinuͤberziehen*)S. Fiorillo, Geſch. der zeichn. Kſte., Bd. 1. S. 38. 42. 54. 68. 75. Bd. II. S. 5. 8. 739 f. Bd. IV. Einleitung. S. 33..
Wie ich mir verſpreche, ſteht es unter uns nicht laͤnger in Frage, ob das Vorbild oder die Belehrungen byzantiniſcher**)Kuͤnſtler, naͤhere Beſtimmung der Arbeit, die man ihnen aufgege - ben, auch andere Umſtaͤnde wuͤrden daraus bekannt worden ſeyn. — Wir muͤſſen uns indeß mit dem Meiſter Appollonio des Vaſariund Richabegnuͤgen, deſſen Namen kein zuverlaͤſſiger Berichtgeber je - mals in Urkunden geſeheu, deſſen Zeitalter, wenn wir[auch] anneh - men, daß der Name irgendwo genannt werde, doch ganz unbekannt iſt; welcher demnach lange vor Cimabue, ſchon zu Anfang des drey - zehnten Jahrhunderts, von Piſanach Florenzgekommen ſeyn koͤnnte, oder wenn ſpaͤter, nachdem die griechiſche Manier laͤngſt in Ge - brauch war, nicht mehr als Lehrer, ſondern als Gehuͤlfe und Ar - beiter mußte angeſtellt ſeyn. — Daß CimabueSchuͤler dieſer un - beurkundeten, zeitloſen Griechen geweſen ſey, wird auch hier nur aus Wahrſcheinlichkeitsgruͤnden angenommen. Seine griechiſche Malart konnte er indeß, wie wir ſehen werden, auch von ſeinen italieniſchen Vorgaͤngern erlernt haben.332 Kuͤnſtler jemals auf italieniſche eingewirkt; wir haͤtten demnach nur noch jenes bereits Vorgedeutete zu eroͤrtern: wann dieſe Einwirkung denn eingetreten ſey, und in wiefern ſie der ita - lieniſchen Kunſtuͤbung Gedeihen und Foͤrderung gebracht habe.
Das ſpaͤteſte unter mir bekannten Denkmalen eigenthuͤm - lich italieniſcher Barbarey, die Altartafel der Gallerie zu Sienavom Jahre 1215, habe ich bereits beſchrieben. Der Katalog dieſer Sammlung, welcher uͤberhaupt voll dreiſter Griffe, giebt dieſes Bild, ohne allen Beweis und gegen alle Wahrſcheinlich - keit, fuͤr eine Arbeit desJacob von Turrita, eines der fruͤhe - ren Nachahmer oder Schuͤler der Griechen, deſſen Werke wir ſpaͤterhin aufzaͤhlen wollen. Hingegen iſt das aͤlteſte Denkmal italieniſch-neugriechiſcher Malerey, ſo mir bekannt geworden, jenes große Muſiv der Vorſeite am Dome zu Spoleto, deſſen verkleinerte Abbildung einer Abhandlung im Kunſtblatte, 1821. No. 8, beyliegt. Nemlich das aͤlteſte bezeichnete und ſichere Denkmal; denn es iſt nicht eben unwahrſcheinlich, daß jene Mauermalereyen in gutem neugriechiſchen Style, welche die Seitenwaͤnde des Mittelſchiffes in der Kirche S. Pietro in Grado, auf dem Wege von Piſanach Livorno, verzieren, um Decennien aͤlter ſind. Am unteren Rande des coloſſalen, ganz wohl erhaltenen Gemaͤldes (die Erhaltung ſelbſt iſt Zeug - niß fuͤr die Verbreitung der beſſeren Technik der Byzanti - ner) befindet ſich eine muſiviſche Leiſte mit folgender ganz aͤch - ten Inſchrift: + HEC EST PICTVRA QVAM FECIT SAT PLACITVRA DOCTOR SOLSERNVS HAC SVMMVS IN ARTE MODERNVS333 ANNIS INVENTIS CVM SEPTEM MILLE DV - CENTIS. OPERARII .............. Im Felde neben den Figuren, deren Annaͤherung an minder gute Vorbilder griechiſcher Abkunft auffallend, deren Ausfuͤh - rung nicht ohne alle Spur italiſcher Rohheit, lieſt man oben, neben Chriſtus, das bekannte: I̅C̅. X̅C̅., an den Seiten: S̅C̅A̅ MARIA. S̅C̅S̅ IOHANNES. Auch der Thron Chriſti hat einige Ueberladenheiten der byzantiniſchen Verzierungsart, denen wir ſchon mehrmal bey dem Throne Gott Vaters oder des Heilands begegnet ſind.
Alſo ſchon innerhalb des erſten Jahrzehends des dreyzehn - ten Jahrhunderts hatte, wie dieſes Denkmal unwiderſprechlich darlegt, die Nachahmung, oder auch die Schule der neueren Griechen in Italientiefere Wurzeln getrieben, als jemals vor - her bei den mannichfaltigſten, nie abgebrochenen Beruͤhrungen beider Nationen. In der Folge aber, nach dem Jahre 1220, begegnen wir uͤberall bey namhaften italieniſchen Meiſtern theils der griechiſchen Behandlungsart von mancherley Stoffen und Werkzeugen, deren die Malerey ſich bedient, theils aber auch der Nachbildung und Nachahmung beſtimmter Gebilde der griechiſchen Malerey, oder doch den eigenthuͤmlichen Ab - aͤnderungen, welche die letzte, bey gemeinſchaftlichen Kunſtvor - ſtellungen, in deren Auffaſſung und aͤußere Zurichtung aufge - nommen hatte.
Zuerſt begegnen wir (viele halbverdorbene, gewiß dieſem Zeitalter angehoͤrende, doch unbezeichnete Madonnen*)Solcher alten Madonnenbilder ohne Jahr und Namen zaͤhlt uͤber -334 gehend) der beruͤhmten coloſſalen Madonna des Guido von Siena, auf einem Altare der Dominicanerkirche zu Siena. Dieſe nicht unerhebliche Arbeit, welche ſo lange Zeit unbeach - tet vor aller Augen geſtanden, ward erſt neuerlich durch den Localpatriotismus der Sieneſer, und, wenn ich nicht irre, be - ſonders durch den Vater Della Valleauch in weiteren Kreiſen bekannt. Die Arbeit darin iſt allerdings, ſo weit ſie erhalten (denn das Bild iſt hie und da uͤbermalt), noch immer gleich weit von der mageren Zierlichkeit der Byzantiner, als von der*) Lanzi(sto. pitt. allgemeiner, und beſondere Eingaͤnge) gar viele auf, worin er den oͤrtlichen Forſchern der italieniſchen Staͤdte folgt, ohne ihre Angaben, welche doch nicht ſo gleichmaͤßig wohl begruͤndet ſind, einer naͤheren Pruͤfung zu unterwerfen. Unter den ſieneſiſchen, welche dem Lanziaus den Lettere Senesi bekannt waren, unterſuchte ich verſchiedene an der Stelle. Die Madonna auf dem einzigen Altare der alten Kirche di Betlem, neben der Pfarre S. Mammiliano, vor dem roͤmiſchen Thore der Stadt Siena, iſt auf Holz gemalt, das ſich geworfen hat. Sie iſt daher bis auf die Koͤpfe mit dicker Farbe durchaus uͤberſchmiert, die Koͤpfe ſelbſt ſtellenweiſe aufgefriſcht, doch die Augen der Madonna noch ziemlich rein. Gerade dieſe zeigen indeß ſchon Hinneigung zu jenem ver - laͤngerten Schnitt, welcher nach meinen Erfahrungen erſt gegen das vierzehnte Jahrhundert uͤblich geworden; weshalb dieſes Bild wohl nicht ſo gar viel aͤlter ſeyn kann. — Die Jungfrau in der Kirche S. Maria di Treſſa, fuor di porta S. Marco, die beſſer bewahrt iſt, koͤnnte indeß dem Anſehen nach wohl etwas aͤlter ſeyn, ſogar als oben beſchriebene von Guido von Siena. Mutter und Kind blicken gerade aus dem Bilde hervor; ihre Stellung hat eine ge - wiſſe bildneriſche Einfoͤrmigkeit. Die Augen der Madonna ſind noch weit geoͤffnet, zwar ungleich ſtehend, doch nicht ohne Verſtand umriſſen. In ihrem Munde iſt gleichfalls einige Feinheit, dagegen in den Backen ein heller Zug, der nur durch entſchiedenſtes Miß - verſtaͤndniß uͤberlieferter Andeutungen zu erklaͤren. — Das Kind ein kleines Maͤnnchen. Die Engel am Nimbus der Madonna Li - bellen, die ſie umſchweben.335 breiteren Formenandeutung des Cimabueentfernt. Doch be - diente ſich der Kuͤnſtler, wie ſchon der Hauptton des Bildes lehrt, griechiſcher Bindemittel, vergoldete die Flaͤche hinter den Figuren, und ahmte vielleicht (denn es fehlt uns dafuͤr unter vorhandenen griechiſchen Madonnen ein Beyſpiel) irgend einer griechiſchen Tafel nach. Der weitlaͤuftige, obwohl nicht reich verzierte, Thronſeſſel ſcheint von daher entlehnt zu ſeyn; hin - gegen zeugt die etwas ſchraͤge Lage und Stellung der Haupt - figur, welche ſich bequem auf dem raͤumigen Lehnſeſſel aus - breitet, von eigener Erfindung oder Auffaſſung aus dem Le - ben. Die unverhaͤltnißmaͤßige Kleinheit und Magerkeit des Kindes, die widrige Verkleinerung der Engel und Gott Va - ters in den oben uͤber der Abtheilung des goldenen Feldes ausgeſparten Winkeln, erinnern, das eine an byzantiniſche, das andere an barbariſch italieniſche Gewoͤhnungen, welche in dieſem Bilde in einander uͤberzugehen und gegenſeitig zu ver - fließen ſcheinen.
Die Inſchrift auf der unteren Leiſte des Bildes, welche Della Valle*)S. Lettere Senesi; Vasari, ed. San., in den Anm., und Lanzi, T. 1. zu Anfang der Sieneſer Schule, will wahrnehmen, daß Guido, der ſich eben zuerſt den Griechen angenaͤhert: se n’era allontanato non poco in quella nostra Signora etc. und Benvoglienti**)In ſeinen handſchriftlichen ſieneſiſchen Nachrichten, welche viele Baͤnde der Bibliothek der Sapienza zu Sienaeinnehmen.noch vollſtaͤndig geleſen, war ſchon im Jahre 1818 in den Zuͤgen des Na - mens beſchaͤdigt, alles Uebrige indeß durchaus erhalten und lesbar, wie folgt: + ME GV ... DE SENIS DIEBVS DEPINXIT AMENIS336 QVEM CHRISTVSLENIS NVLLIS VELIT A̅GERE PENIS AN̅O. D̅. M̂. C°C. XXI.
Ungleich gewandter in der Anwendung griechiſcher Kunſt - fertigkeiten, gluͤcklicher in der Wahl und Nachahmung alt - chriſtlicher oder mittelalterlich griechiſcher Vorbilder, war jener Kuͤnſtler, welcher im Jahre 1225 die Altarniſche der Johan - niskirche zu Florenzmuſiviſch verziert hat. Dieſes Werk, in ſo weit es noch beſteht, bekleidet die Flaͤchen eines Kreuzge - woͤlbes von geringerer Tiefe, als Breite, auf welchem, nicht ohne Erinnerung an altchriſtliche, ſpaͤtantike Eintheilungen, in der Mitte, wo die Gewoͤlbrippen ſich am meiſten verflaͤchen, ein Rund angebracht worden, deſſen aͤußere Einfaſſung ſchon etwas willkuͤhrlicher verziert iſt.
Dieſer aͤußere Kreis wird mit dem inneren durch wun - derliche Kandelaberformen verbunden, welche jedesmal in einem Cherub endigen; im goldenen Felde, von einem Kandelaber zum anderen, ein Prophet mit beygeſetztem Namen; die letzten zeigen in der Geſtalt, Stellung, Gewandung, in der Behand - lung uͤberhaupt, beſonders des Haars, recht viel Geſchmack, und die Abſicht, Wuͤrde und Hoheit auszudruͤcken. Ich will nicht entſcheiden, ob italieniſche oder griechiſche Nachahmungen altchriſtlicher Vorbilder hierin dem Kuͤnſtler vorgeleuchtet ha - ben; genug, daß ſie dem Beſten, ſo in den griechiſchen Denk - malen des Mittelalters aus dem hoͤheren Alterthume ſich er - halten hat, z. B. dem kleinen Muſiv des Schatzes eben dieſer der Johanniskirche, in jeder Hinſicht nahe ſtehen.
Der innere Kreis enthaͤlt das Lamm Gottes, und, gol - den auf rothem Grunde, die Beyſchrift:HIC337HIC DEVS EST MAGNVS MITIS QVEM DE - NOTAT AGNVS. In den Zwickeln des Gewoͤlbes, in vier rothen Feldern, lieſt man in großen goldenen, dem Zeitalter, wie obiger Inſchrift entſprechenden Zuͤgen, deren uͤberall deutliche Abkuͤrzungen ich aufloͤſe, wie folgt: 1) ANNVS PAPA TIBI NONVS CVRREBAT HONORI ACFEDERICETVO QVINTVS MONAR - CHA DECORI. 2) VIGINTI QVINQVE X̅P̅I̅ CVM MILLE DV - CENTIS TEMPORA CVRREBANT PER SE GLORIA CVNCTA MANENTIS. 3) HOC OPVS INCEPIT LVX MAI TVNC DVODENA QVOD D̅N̅I̅ N̅R̅I̅ CONSERVET GRATIA PLENA. 4) SANCTI FRANCISCI FRATER FVIT HOC OPERATVS IACOBVS IN TALI PRE CVNCTIS ARTE PROBATVS
Wir wiſſen, wie wenig den Angaben des Vaſariin aͤl - teren Dingen zu trauen iſt, wie leichtſinnig er geforſcht, wie willkuͤhrlich er Begebenheiten und Zeitbeſtimmungen durchein - ander geworfen. Demungeachtet hat man bisher, nach ſeinem Vorgange, angenommen, dieſer BruderJacobmuͤſſe durchaus derſelbe ſeyn, der in anderen und ſpaͤteren Werken ſich ſelbſtI. 22338Jacobus Torriti, den Vaſari*) Vasari, vita d’ Andrea Tafi. Jacopo da Torritanennt, einem Orte des ſieneſiſchen Gebietes. Die Geſchichtſchreiber der ſieneſiſchen Schule nehmen daher dieſes florentiniſche Werk in Anſpruch, und Lanzi, welcher ihnen folgt, nimmt zwar Bedenken, die Thaͤtigkeit dieſes Kuͤnſtlers bis zum Jahre 1300 auszudehnen, findet es indeß nicht befremdend, daß er noch im Jahre 1289**) Lanzi, l. c. T. 1., zu Anfang ſeiner Scuola senese. In den mehrmal wiederholten Jahreszahlen hat der Druckfehler 1389. 1390. 1392. fuͤr 1289 etc. ſich eingeſchlichen, den auch die Nach - druͤcke wiederholen. die Tribune von S. Maria maggiore zu Rombeendigt, und darauf die andere des Laterans begonnen, mithin uͤber ſechszig Jahre lang gewirkt habe, ſogar, wenn wir willkuͤhrlich annehmen wollten, das florentiniſche Werk ſey deſſen fruͤheſte Arbeit.
DaßJacobzu Florenzſeinen Geburtsort ausgelaſſen, wuͤrde ſich aus dem Verſe erklaͤren laſſen, dem dieſer Name vielleicht nicht wohl mehr einzufuͤgen war. Doch um behaup - ten zu koͤnnen, er ſey bloß ausgelaſſen worden, muͤßten wir aus anderen Denkmalen beweiſen koͤnnen, daß dieſer erſteJa - cobwirklich derſelbe ſey, der auf ſpaͤteren Werken ſeine Vater - ſtadt Turritazu ſeinem KloſternamenJacobhinzugeſetzt. Der Vater Richa***)Delle chiese di Firenze, T. VI. Introduz. p. 33 s. freilich giebt uns Auszuͤge von Auszuͤgen aus dem Archive der Zunft, welcher die Verwaltung der flo - rentiniſchen Johanniskirche obgelegen. In dieſen heißt es: „ Die Altarniſche oder Tribune ward im Jahre 1202 an dem Orte, wo ehemals das Thor, zu bauen begonnen. “— Schon dieſe Notiz, welche richtig und vielleicht urkundlich ſeyn wird,339 vermiſcht der Senator Strozzi, Berichtgeber des Richa, mit eigenen Bemerkungen uͤber Groͤße und Schoͤnheit und Anlage dieſes Anbaues; weshalb ich fuͤrchte, daß auch die nachfolgen - den Bemerkungen, welche unter allen Umſtaͤnden keine woͤrt - liche Auszuͤge ſeyn koͤnnen, mit Zuſaͤtzen vermiſcht ſind, welche in angenommenen Meinungen, und, mittelbar oder geradehin, ſelbſt in der Autoritaͤt des Vaſariihren Grund haben moͤchten.
Es heißt darin: „ Das Gewoͤlbe der Tribune wird im J. 1225 vom BruderJacobvon Turrita, Franciscanerordens, in Muſiv geſetzt, fuͤr welches Werk er von den Conſuln der Zunft guten Lohn empfaͤngt. “— Das Jahr, der Name und Stand des BruderJacobwird durch obige Inſchrift hinrei - chend beurkundet; ob aber der Zuſatz, von Turrita, vom Se - nator Strozzi in Urkunden geleſen, oder nur aus dem Vaſariſupplirt ſey, deſſen „ premj straordinarj “der Typus der „ premj buoni “des Strozzi zu ſeyn das Anſehen haben, wird ſich erſt dann entſcheiden laſſen, wann ein fleißiger, gewiſſen - hafter Arbeiter einmal das Archiv der arte di Callimala durchgangen haben wird, welches zu meiner Zeit verlegt oder verſtreut, gewiß mir unzugaͤnglich war. Indeß wage ich, von eigner Anſchauung italieniſcher Archive ausgehend, die Vermu - thung, daß ſchwerlich aus ſo alter Zeit ganz gleichzeitige Nach - richten uͤber Verſtiftungen an Kuͤnſtler und aͤhnliche Specialien vorhanden ſeyn duͤrften. Erſt um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts werden die Archive, die ich geſehen, in kleineren Dingen - ergiebiger, und, der Erhaltung nach, mehr zu - ſammenhaͤngend.
Gewiß war der Name Jacob in jener Zeit weder der Kunſtgeſchichte, noch dem Franciscanerorden ſo fremd, daß er nicht mehrmal bei nahen Zeitgenoſſen ſich wiederholte. An22 *340einem halberhobenen, von kleinen Figuren gezierten Kandelaber derſelben Johanniskirche, an welchem Spuren des gothiſchen Verzierungsgeſchmackes das dreizehnte Jahrhundert anzeigen, lieſt man:IOHANNES IACOBI— DE FLORE̅— ME FE ....
Auf jenem Muſiv der Tribune des Laterans, deſſen Bil - der zu ſehr erneuet ſind, deſſen Entſtehung verhaͤltnißmaͤßig einer zu weit vorgeruͤckten Zeit angehoͤrt, um uns an dieſer Stelle zu beſchaͤftigen, lieſt man unten im Felde, neben einer kleinen Bildnißfigur:IACOBVS TORITIPICTO. H. OPVS FECIT und neben einer anderen: F̅R̅. IACOBVS DE CAMERINOSOCI9 MAGR̅I O̅P̅I̅S RECON ... DAT SE ....... TIS BEATI IO̅H̅I̅S.
Eben ſo wohl nun, als hier ein Gehuͤlfe jenes MeiſterJacob, welcher wirklich von Turrita, oder desTorritoSohn oder Lehrling war (denn auch daruͤber koͤnnten Zweifel erhoben werden, wenn es von einigem Belang waͤre), konnte nicht minder auch ein Vorgaͤnger deſſelbenJacobgeheißen haben. Daß ein florentiniſcher Kuͤnſtler jener Zeit Jacob geheißen, wird aus obigemJohannes,JacobsSohn oder Schuͤler, ziemlich wahrſcheinlich. — Auf der anderen Seite zeigen die Inſchriften der roͤmiſchen Muſive des ſicheren MeiſterJacob von Turrita, im Lateran, außer den ſchon angefuͤhrten, neben dem Bildniſſe des Papſtes: NICOLAVSP̅P̅ IIII. S̅C̅E̅ D̅I̅ GENIT .... SERVI. ; und in Sta. Maria maggiore, nach der Inſchrift des Kuͤnſt - lers: IACOBVS TORRITI PICTOR H̅ OP9 MO -341 SIAC. FEC., die andere: NICOLAVSP̅P̅ IIII. und: D̅N̅S̅IACOBVS DE COLV̅P̅NACARDINALIS., ſo daß dieſe Arbeiten zwiſchen 1287 (88) und 1292, alſo bey - nahe ſechszig Jahre nach jenem florentiniſchen Muſive beſchafft ſeyn mußten. Da nun doch anzunehmen iſt, daß jener flo - rentiniſche BruderJacobnicht mehr Juͤngling war, als er jenes, nach den Umſtaͤnden ſo ausgezeichnete Muſiv vollbrachte; ſo wuͤrden wir ſeine kuͤnſtleriſche Wirkſamkeit noch ungleich weiter ausdehnen muͤſſen, wollten wir anders hindurchfuͤhren, daß beide Werke demſelben Meiſter angehoͤren*) Della Vallevermuthet, es ſey dieſer Urheber der roͤmi - ſchen Muſive einFra Giacomo da Turriechiobey Camerino, der um 1270 gebluͤht habe..
Wie Andere kuͤnftig dieſe Zweifel beſeitigen moͤgen, ſo geht doch unter allen Umſtaͤnden aus dieſen Inſchriften hervor, daß die Stiftung des heil. Franzin jener Zeit beachtenswerthe Kuͤnſtler in ihre Mitte aufgenommen, oder aus ſich ſelbſt her - vorgebildet habe, was Dank und Beachtung verdient. Allein auch ein anderer Nachahmer oder Lehrling der Griechen,Junta, oderGiuntavon Piſa, hat in letzter Stadt, und beſonders im Mittelpuncte des Ordens, zu Aſiſi, den Schutz und die Befoͤrderung der Bruͤder des heil. Franzgenoſſen. Eben wie die Belebung und Steigerung damals vorwaltender Gefuͤhle, ſo ſcheint auch der Aufſchwung der neueren Malerey, welche aus jenen ſich hervorgebildet, mit der minder ſelbſtiſchen, Liebe und Sehnſucht athmenden, Schwaͤrmerey des heil. Franzin enger Verbindung zu ſtehen.
Nach alten Nachrichten befand ſich vormals in der Kirche des heil. Franz zu Aſiſiein Kruzifix, auf welchem die Worte:342 F. Helias fecit fieri. Jesu Christepie miserere precan - tis Heliae. Juncta Pisanus me pinxit. an. d. 1236. Indict. IX*) Wading, ann. ord. S. Franc. ; Angeli, uͤber Aſiſi.. Wir duͤrfen dieſem Berichte trauen, weil er von einem Schriftſteller herruͤhrt, der in kunſtgeſchichtlichen Dingen weder Anſichten vorgefaßt, noch Meinungen zu ver - theidigen hatte. Andere, urſpruͤnglich urkundliche Nachrichten ertheilt uͤber dieſen Maler Morrona, der redlichſte und um - ſichtigſte unter denen, welche ihr Leben darangeſetzt, die Kunſt - geſchichte einzelner italieniſcher Staͤdte zu beleuchten; Kun - den**) Pisaillustr. To. II. P. 1. cap. IV. §. 1. (Ed. sec. p. 127.) , welche freilich durchhin aus zweyter Hand geſchoͤpft, und vielleicht ſchon in der erſten ohne Aufmerkſamkeit ausge - ſchrieben worden, da es ſeinen Auszuͤgen an aller Nachweiſung fehlt, welche bey durchaus neuen Nachrichten zur Beglaubigung noͤthig ſind. Ich habe ſeine Angaben ſchon aus dieſem Grunde nicht pruͤfen koͤnnen, weshalb ich dieſelben nicht verbuͤrge. Wollten wir ihnen Glauben beymeſſen, ſo waͤreGiuntaein Sohn desGuidotto, haͤtte er ſchon 1202 gemalt und noch um 1255 gebluͤht. Doch fragt es ſich noch, ob derJuncta Guidotti, pictor, derſelbeJuntaſey, deſſen Kunſtrichtung noch immer aus einem ganz wohl erhaltenen Gemaͤlde zu be - ſtimmen, dem Kruzifixe in einer Kapelle des rechten Armes der Kirche Sta. Maria degli Angeli in der Ebene naͤchſt Aſiſi.
In dieſem Bilde iſt die Stellung und Lage der Geſtalt des Heilands nicht mehr die aufgerichtete, italieniſche, welche wir oben in drey gleichartigen Bildern des Gekreuzigten, den Arbeiten eines alten umbriſchen Meiſters, oder ſeiner Zeitge - noſſen, hatten kennen gelernt; vielmehr iſt ſie ausgebogen,343 mit geſenktem Haupte, gleichwie in griechiſchen Kreuzesbildern, namentlich wie der Gekreuzigte in jenem Kalendario, welches zu Florenzim Schatze der Johanniskirche bewahrt wird. Al - lein auch in der Ausfuͤhrung zeigen ſich Spuren griechiſcher Schule. Das Bindemittel iſt entſchiedener noch, als in jenem Bilde des Guidovon Siena, jenes dichtere, verdunkelnde, glaͤnzende der Byzantiner; der Auftrag geſtrichelt, genau; ge - gen die gaͤnzliche Abweſenheit des Helldunkels gehalten, welche ich oben an aͤlteren Denkmalen italieniſcher Abkunft nachge - wieſen, iſt hier ſchon Modellirung und Streben nach Halbtoͤ - nen, welche letzte, wie bey den Griechen, ſtark in das Gruͤn - liche fallen. Bey Morronafindet ſich eine rohe Nachbil - dung dieſer Arbeit, welche vom Ganzen hinreichende Vorſtel - lung giebt*)l. et To. etc. .
Die Aufſchrift am Fuße des Bildes iſt leider zu Anfang beſchaͤdigt; doch lieſt man noch: .. NTA PISANVS ... TINI ME F ... Lanzi**)l. c. origini etc. macht es geltend, daß er in der zweyten Reihe zuerſt richtig ... TINI geleſen habe; und in der That be - greife ich nicht, wie Morronadas rundliche N fuͤr ein P nehmen und im Ganzen TIPI leſen konnte, da das italieni - ſche Diminutiv ini ſo nahe zur Hand lag. Ob aber der erſte befugt ſey, das Fehlende zu ergaͤnzen, und daraus Juntini zu machen, duͤrfte um ſo mehr in Frage ſtehen, da die frei - lich lauen Forſchungen der Piſaner bisher nur einenJuncta Guidottian das Licht gefoͤrdert haben.
344Andere Malereyen, welche dem Anſehen nach mit den bezeichneten zuſammenfallen, doch leider keine Aufſchriften ent - halten, aus denen Jahr und Meiſter zu erweiſen waͤre, finden ſich vereinzelt an den Mauern, auf den Altaͤren vernachlaͤſſig - ter Kirchen, oder in hiſtoriſch geordneten Sammlungen, vor - nehmlich ſolcher Staͤdte, welche eben zu Anfang des dreyzehn - ten Jahrhunderts, gleich Piſaund Siena, den Wendepunct ihrer Macht und Groͤße erreicht hatten. Verſchiedene Anti - menſia, deren Hauptentwurf allerdings jenem barbariſch-ita - lieniſchen Denkmal vom Jahre 1215 entſpricht, deren Aus - fuͤhrung indeß, dem faͤrbenden Stoffe, dem Auftrag, der Zeichnung nach, Bekanntſchaft mit griechiſchen Kunſtmanieren darlegt, bewahrt die Sammlung der Akademie zu Siena. Das eine, in der Mitte die groͤßere Figur des heil. Johannes Bapt., zu den Seiten Abtheilungen mit Geſchichten aus ſeinem Leben, iſt ſchwerlich noch aus dem zwoͤlften Jahrhundert, wie der Verfaſſer des Katalogs nach Eingebungen einer minder begruͤndeten Kennerſchaft behauptet hat. Das andere, aus der Kirche S. Giovannino di Pantaneto, mit Geſchichten aus dem Leben und Leiden des Apoſtels Petrus, iſt der Behandlung nach ungleich italieniſcher, als jenes; doch glaube ich, daß der Kuͤnſtler ſo viel altchriſtliche und halbantike Erinnerungen, als vornehmlich in Gebaͤuden und Kleidungen darin vorkom - men, leichter aus neugriechiſchen, als aus italieniſchen Denk - malen des hoͤheren chriſtlichen Alterthums duͤrfte aufgenommen haben. Zu Piſa, in der Kirche S. Pietro in Vinculis, fin - det ſich eine Altarbedeckung, welche mit der vorangenannten der Akademie zu Sienaim Entwurf, wie in der Ausfuͤhrung, viel Aehnlichkeit zeigt. Doch ſind die Vorſtellungen noch ent - ſchiedener griechiſch; Chriſtusam Kreuze mit geſchwollenem,345 aushaͤngendem Leibe, geſenktem Haupte; oben eine Jungfrau mit aufgerichteten Armen, zu beiden Seiten herabhaͤngen - dem Mantel.
Das wichtigſte indeß unter den minder beglaubigten Denkmalen dieſer Zeit ſcheint mir die lange Folge von Lebens - ereigniſſen der Apoſtel Petrusund Paulusan den oberen Seitenwaͤnden des Mittelſchiffes der Kirche S. Pietro in Grado, auf dem Wege von Piſanach Livorno. Dieſe nur in der Farbe unſcheinbare (vielleicht al secco gemalte, oder durch die Seeluft verzehrte) Malerey iſt durchhin von guter Anordnung, vieler Lebendigkeit der Handlung, ſelbſt von eini - ger Reinheit der Charaktere, beſonders der beiden Apoſtel. Nach einem allgemeinen Gefuͤhle nimmt Morrona*) Pisaillustr. T. III. ed. 1793. p. 405 s. an, daß ſie um das Jahr 1200 entſtanden ſeye, worin er ſicher nicht ſo gar weit vom Wahren abweicht. Uebrigens iſt die Vermuthung, daß ſie desJuntaArbeit, ihm hier eben ſo wenig einzuraͤumen, als aͤhnliche an anderen Stellen. Ueber - haupt iſt es thoͤricht, in ſo alter Zeit bey unbeglaubigten Ma - lereyen den Meiſter aus beſtimmten Eigenthuͤmlichkeiten erken - nen zu wollen. Denn einmal waren dieſe letzten, auf dama - liger Kunſtſtufe, den Schulmanieren und herrſchenden Vorſtel - lungen ganz untergeordnet; dann aber beſitzen wir, wie ich mehrmal erinnert habe, nur von einer geringen Zahl damali - ger Kuͤnſtler beglaubigte Werke, weshalb es uns wohl jeder - zeit wird verborgen bleiben, worin ſie ſich von andern Malern unterſchieden, worin wiederum ſie anderen geglichen haben, die wir nicht kennen. In jenen Zeiten erſcheint das Eigen - thuͤmliche uͤberall in groͤßeren Maſſen, von Volk zu Volk,346 von Zeitraum zu Zeitraum Gegenſaͤtze bildend. Daher werden wir bey erwaͤhnten Wandmalereyen vielleicht uͤber die Natio - nalſchule entſcheiden koͤnnen, aus welcher ſie entſtanden, doch nimmer uͤber den Meiſter, der ſie vollbracht. In dieſer Be - ziehung bin ich geneigt, ſie durchhin fuͤr griechiſche Arbeit zu halten. BeyJunta, Guido,Solſernus, ſogar bey dem flo - rentiniſchenJacob, zeigt ſich neben dem Aufdruck griechiſcher Schule oder Vorbildlichkeit, noch immer einige Spur italieni - ſcher Gewohnheiten; die Kuͤrze und Plumpheit, in welche die aͤlteren Italiener verfallen waren, veranlaßte ſie, denke ich, als ſie zum entgegengeſetzten Aeußerſten der griechiſchen Hager - keit uͤbergingen, dieſe um ein Geringes zu fuͤllen und in die Breite zu erweitern. Allein in den Malereyen der Kirche S. Pietro in Gradozeigt ſich eben jene zierliche Hagerkeit der Behandlung und der Verhaͤltniſſe mehr, als irgend ſonſt in alten toscaniſchen Arbeiten. Auch iſt es mir in ſolchen nir - gend vorgekommen, daß ſie, in emſiger Nachahmung hochal - terthuͤmlicher Vorbilder, deren Charakter ſo wohl getroffen, als in jenen geſchehen iſt. — Ob die Wandmalereyen einer al - ten Kirche zu Cremona, welche mir nur ausMillinsBe - ſchreibung bekannt ſind, in griechiſcher, oder in entgegengeſetz - ter italieniſcher Schulart gemalt ſeyn, wage ich nicht zu ent - ſcheiden. Doch bezweifle ich, ob dieſer Forſcher mit Sicherheit aufgefaßt habe, wodurch im hoͤheren Mittelalter italieniſche Ar - beiten von griechiſchen ſich unterſcheiden*)Millin, voy. dans le Mil. T. II. p. 317. — Vom Dome zu Cremona: „ Ce qui reste sur la voûte des deux nefs latérales est véritablement unique. Les sujets sont tirés de l’histoire sainte. Les figures sont malheureusement petites et la lumière est très rare. Le dessin est sec; mais le coloris est très vif et les costumes sont. Gewiß verſaͤumte347 er die Angabe der Gruͤnde, welche ihn beſtimmten, jene Ar - beiten fuͤr italieniſche zu halten. War Venedig, wie man be - hauptet, und wie es wahrſcheinlich iſt, fuͤr die Lombardey, was Piſafuͤr Toscana, der Mittelpunct nemlich, von welchem die Nachahmung der Byzantiner ausgegangen; ſo duͤrften jene Malereyen zu Cremona, welche ſchon nach den angegebenen Beyſchriften einer aͤlteren Epoche, vielleicht der unſrigen ange - hoͤren, eben ſowohl griechiſche, oder doch graͤciſirende Arbeiten ſeyn koͤnnen, als eigenthuͤmlich italieniſche; ein Wort, mit welchemMillinvielleicht nicht einmal einen ſo ganz deutli - chen Begriff verband.
Doch habe ich letztere Denkmale, deren Alter nur annaͤ - herungsweiſe und aus allgemeinen Analogieen zu beſtimmen iſt, bloß in der Abſicht herangezogen, dem Leſer die weite Verbreitung dazumal in Italienvorwaltender Anwendung griechiſcher Kunſtmanieren ſo viel als moͤglich anſchaulich zu machen. Denn, um den Zeitpunct zu beſtimmen, in welchem dieſelben zuerſt in Italieneingedrungen ſind und begonnen haben, foͤrdernd auf die Kunſtuͤbung dieſes Landes einzuwir - ken, duͤrften ſchon die fruͤher beleuchteten Denkmale genuͤgen, welche ihre Beglaubigung an der Stirn tragen. Unter dieſen war das ſpaͤteſte Beyſpiel italieniſch-barbariſcher Malart jenes Antimenſium zu Siena, mit dem Jahre 1215; das aͤlteſte Denkmal hingegen gelungener Nachahmung griechiſcher Manier und Auffaſſung das coloſſale Muſiv am Dome zu Spoletovom Jahre 1207; alſo werden wir mit Zuverſicht annehmen*)très singuliers. Des légendes apprennent les noms des figures et font connaître les sujets. Il est cependant évident (?), que les figu - res n’ont pas été faites par des Grecs; tout y est italien. “348koͤnnen, die fragliche Umwandlung der italieniſchen, wenigſtens der toscaniſchen Malerey ſey das Werk der fruͤheren Decen - nien des dreyzehnten Jahrhunderts.
Die unumgaͤngliche Vorausſetzung eines gedeihlichen Wir - kens in den Vortheilen, Handhabungen, Formen der neuen italieniſch-griechiſchen Kunſtart war denn nun allerdings die eben damals eingetretene, zunehmende Empfaͤnglichkeit fuͤr techniſche Foͤrderung oder geiſtige Steigerung der bildenden Kuͤnſte. Unter den aͤußeren Veranlaſſungen, welche hier, wie uͤberall, hinzugewirkt haben, war indeß die Eroberung von Conſtantinopeldurch Franken und Italiener offenkundig und einleuchtend die wichtigſte. — Die Venezianer ſcheinen auf die Koͤſtlichkeit kirchlicher Kunſtſchaͤtze der Byzantiner ſich beſſer verſtanden zu haben, als die kriegeriſchen Praͤlaten und muthi - gen Ritter der Franken. Villehardouinenthaͤlt, bey viel allgemeiner Bewunderung der Pracht byzantiniſcher Baukunſt und Lebenseinrichtung, durchaus keine in das Einzelne gehende Kunſtnachricht*) Villehardouin, Geoffroy de, hist. de la conquête de Constantinople. Paris1657. fo. p. 81. — Vom Brande, welcher der Eroberung voranging. — „ Les barons de l’armée eûrent grande compassion, de voir ces hautes Eglises et ces riches palais „ fondre et abaissier. “— Et les grandes ruës marchandes avec des riches - ses inestimables toutes au feu. “. Dagegen haben wir lange Verzeichniſſe von Buͤchern, Kleinoden, Geraͤthen, welche die Venezianer aus den Kirchen der Hauptſtadt ſollen entnommen haben**)S. Alter, Fr. C., philologiſch-krit. Miscellaneen. Wien1799. XVII. (S. 234). Wo „ uͤber eine lit. artiſtiſche Pluͤnderung zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts “die wichtige Stelle der Chronik desDorotheus( Venet.1778. 4. p. 397 f.) durch Ver - gleichungen und ſchaͤtzbare Bemerkungen erlaͤutert wird.. Ueber -349 reſte dieſer Pluͤnderung finden ſich noch immer im Schatze der Marcuskirche zu Venedig*)Nur einen fluͤchtigen Blick wirft v. d. Hagen, Briefe etc. Bd. II. S. 116, auf dieſe Alterthuͤmer, denen ich zufaͤllig ebenfalls keine laͤngere Zeit zu widmen im Stande war.; aber auch die mit Bildern ge - zierten kirchlichen Handſchriften der italieniſchen und anderer Bibliotheken, deren viele einer gemeinſchaftlichen, dem Jahre 1200 vorangehenden Epoche angehoͤren**)Außer den ſchon angegebenen fand ich auch zu Siena, Bibl. der Sapienza, eine beachtenswerthe miniirte HS. mit getrie - benem, maltirtem, griechiſchem Deckel, welcher ungefaͤhr in die angegebene Zeit faͤllt., duͤrften ſchon da - mals in den Weſten gelangt ſeyn. — Gewiß kann es nicht ſo ganz zufaͤllig ſeyn, daß jene Kunſtpluͤnderung im Jahre 1204 unſeren aͤlteſten Denkmalen italieniſch-griechiſcher Male - rey nur um wenig Jahre vorangeht.
Daſſelbe Ereigniß moͤchte denn auch die Verpflanzungen griechiſcher Maler in italieniſche Seeſtaͤdte vervielfaͤltigt haben, da es nach der ſchwerſten Schaͤdigung, welche Conſtantinopelſeit deſſen Gruͤndung betroffen, dort ſicher nicht an Veranlaſ - ſungen der Auswanderung, vielleicht auch von Seiten italie - niſcher Patrioten nicht an Lockungen gefehlt hat. Leider fehlt es mir, dieſe Thatſache zu bewaͤhren, an urkundlichen Ueber - zeugungen, um ſie auszumalen an umſtaͤndlicher Kunde. Nicht einmal Solches habe ich zur Hand, was in den Druckſchriften venezianiſcher Topographen und Forſcher uͤber dieſen Gegen - ſtand angemerkt und behauptet worden. Doch fuͤrchte ich, nach den Auszuͤgen bey Fiorillound von der Hagen***) Fior.Geſch. d. z. K. Thl. II. S. 8 und 214. Von der Hagen, Briefe etc. Bd.,350 daß ihre Ausbeute ſpaͤrlich, ihre Zuverlaͤſſigkeit nicht durchhin bewaͤhrt ſey. Iſt man doch, wie es ſcheint, nicht einmal uͤber den Namen eines Kuͤnſtlers einig, der im zwoͤlften (?) Jahr - hundert von Conſtantinopelnach Venediggekommen, dort eine Schule eroͤffnet haben ſoll; Fiorillo*)Daſ.nennt ihnTheophi - lus; Zannetti**)Delle pitture di Venez.1771. 8. p. 2. — Beide ſtuͤtzen ſich auf: hist. almi Ferrariensis gymn. Ferrara1735. Auch dieſes habe ich nicht zur Hand, uͤberlaſſe daher anderen, dieſe Frage zu erledigen.dagegenTheophanes.
Ueberhaupt ſteht zu befuͤrchten, daß wir uͤber die Um - ſtaͤnde der Verpflanzung griechiſcher Kuͤnſtler nach Venedigund Piſa, oder in andere Staͤdte Italiens, nicht ſo leicht zu eini - ger Sicherheit der Kunde gelangen werden. Die italieniſchen Archive ſind eben zu Anfang des dreyzehnten Jahrhunderts meiſt ſehr unvollſtaͤndig, und ſchon in der Anlage karg an jenen ſpeziellen Nachrichten, welche ſeit dem Ende deſſelben Jahrhunderts ſich ins Unendliche vervielfaͤltigen; unter den aͤlteren Chroniſten, welche hier aushelfen koͤnnten, fallen we - nige genau mit jener Begebenheit zuſammen. Demungeachtet iſt es klar, daß eine lebendige Schule und Mittheilung ſtatt - gefunden hat. Die italieniſchen Malereyen des dreyzehnten Jahrhunderts zeigen nicht bloß den Aufdruck griechiſcher Vor - bilder, vielmehr auch, wie ſchon erwaͤhnt worden, die Anwen - dung von Vortheilen und Handgriffen, welche fruͤherhin nur bey den Griechen uͤblich geweſen. Bereitung aber und Hand - habung faͤrbender Stoffe koͤnnen nimmer bereits Vollendetem abgelauſcht werden; uͤberall geſchieht die Fortpflanzung ſolcher Vortheile durch eine gluͤckliche Vereinigung von Beyſpiel und351 Anweiſung, welche nur in dem Wechſelverhaͤltniß des Schuͤlers zum Lehrer moͤglich und denkbar iſt.
Demnach erſcheinen waͤhrend der dunkleren Jahrhunderte des Mittelalters nur abgeriſſene Spuren eines voruͤbergehen - den, im Ganzen angeſehen, erfolgloſen Einfluſſes der Byzan - tiner; allgemein verbreitet und fruchtbringend zeigte ſich dieſer Einfluß nicht fruͤher, als ſeit den erſten Decennien des drey - zehnten bis zu den erſten Jahrzehenden des folgenden Jahr - hunderts. Fruͤher entdeckten wir ihn bisweilen in Bildnereyen, zu denen wir die alten Bronzethore des Domes zu Piſazaͤh - len duͤrfen, uͤber deren Entſtehung nichts Sicheres bekannt iſt. In dieſem Zeitraum aber beſchraͤnkt er ſich faſt ohne Aus - nahme auf die Malerey. Die Bildnerey befolgte heidniſch - und chriſtlich-antike Vorbilder, ſpaͤter auch deutſche, oder, wie man ſagt, gothiſche; in der Baukunſt aber war die roͤmiſche Schule, wie ich in nachſtehender Abhandlung zeigen werde, nie ſo gaͤnzlich unterbrochen worden, war das Fremde, wel - ches in dieſer Kunſtart waͤhrend des zwoͤlften und dreyzehnten Jahrhunderts ſich eingedraͤngt hatte, nicht etwa bloß ein by - zantiniſches oder anderes, ſondern gar viel und mancherley.
Doch ſogar in der Malerey der Italiener des dreyzehnten Jahrhunderts zeigen ſich Spuren einer von griechiſchem Ein - fluß ganz unabhaͤngigen Entwickelung durch Wetteifer mit chriſtlich-antiken Denkmalen. Dahin gehoͤren die Malereyen einer abgeſonderten Kapelle des Kloſters SS. Quattro zu Rom, wo die Runde mit den Buͤſten der Apoſtel altchriſtlichen Denkmalen nicht ohne Kunſtgefuͤhl nachgeahmt ſind. Das Gebaͤude, an deſſen Waͤnden ſie gemalt ſind, iſt ſicher um die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts aufgerichtet worden; zu Anfang des vierzehnten indeß wurden alle aͤlteren Manieren352 und Weiſen von der ſogenannten Giottesken verdraͤngt; jene Arbeiten werden demnach mit dem Gebaͤude zugleich entſtan - den ſeyn.
Auch in der Miniaturmalerey damaliger Zeiten zeigen ſich Fortſchritte, welche nicht ſowohl aus Nachahmung der neueren Griechen, als vielmehr aus dem Wetteifer mit italieniſchen Denkmalen zu erklaͤren ſind. Einige lateiniſche Handſchriften, welche insgemein aus dem Wunſche, Hochalterthuͤmliches zu beſitzen, oder auch nach den Zuͤgen der Schrift, welche bey calligraphiſchen Denkmalen truͤgeriſch ſind, fuͤr aͤlter gehalten werden, duͤrften, nach ihren Miniaturen zu urtheilen, in die Mitte des dreyzehnten Jahrhunderts fallen, vielleicht eben da - mals zu Rom, oder wenigſtens im Bereiche dieſer Stadt ver - fertigt ſeyn.
Eine Handſchrift der Laurentiana, welche zu Florenznach den Schriftzuͤgen dem eilften Jahrhundert beygemeſſen wird*)Dieſe HS. war vor einigen Jahren noch nicht numerirt und im Verzeichniſſe aufgenommen. Sie enthielt die Aufſchrift: Nec cultu nitidum, nec auro renidentem, sed vetustate ceteris longe clariorem codicem hunc, saec. circiter XI. exaratum, Maria Aloysia — biblioth. Mediceae donavit XVII. Cal. Oct. an. 1806. — Das Kalendar reicht weiter vorwaͤrts. Die unbeſtimmte Zeitangabe iſt nach den Schriftzuͤgen angenommen., enthaͤlt ein verziertes Kalendarium, zu Anfang eines jeden Monats eine kleine, wohl miniirte Figur, mit Einſammlung der wichtigſten Erzeugniſſe, oder mit deſſen Verarbeitung, oder auch mit Abwehrung der Bedraͤngniſſe beſtimmter Jahreszeiten beſchaͤftigt. Dieſe Figuren ſind meiſt durch eine aufgeſchuͤrzte Tunica bekleidet, mit entbloͤßten Armen und Beinen, nicht ſelten, wie Februar und Maͤrz, von vortrefflicher Stellungund353und beynahe ſtatuariſcher Einfachheit. In der Ausfuͤhrung merkliches Streben nach Rundung der Theile, bey vollſtaͤndig - ſter Entfernung von allen Eigenthuͤmlichkeiten des neugriechi - ſchen ſowohl, als des giottesken Geſchmackes. Nirgend zeigt ſich Gold und Schmuck; die Formen gehen ins Kurze und Breite; das Vorbild iſt offenbar, wenn auch vielleicht durch das Mit - telglied einer Handſchrift des fuͤnften oder ſechsten Jahrhun - derts, roͤmiſch-antik.
Aus einem aͤhnlichen Beſtreben, wahrſcheinlich beynahe zu gleicher Zeit, entſtanden die bekannteren Copieen von ſpaͤt-antiken Miniaturen in der Handſchrift des Virgilin der Vaticana.
Dieſe Bilder hat Santi Bartoli, mit unendlichen Zu - ſaͤtzen und Abaͤnderungen von ſeiner eigenen Wahl und Erfin - dung, bekannt gemacht; Niemand verſpreche ſich, daß ſeine Nachbildungen hiſtoriſche Treue beſitzen. Allerdings ſind dieſe Bilder nothwendig Copieen oder Nachahmungen aͤlterer, ſpaͤt - antiker, wie es deutlich theils ſchon aus der Anordnung er - hellt, theils aus vielen Bekleidungen, Beywerken und Bau - lichkeiten, welche waͤhrend des Mittelalters zwar nachgemacht, doch nicht wohl konnten erfunden ſeyn. Doch verraͤth ſich die ſpaͤtere Zeit durch eingeſchobene Figuren in ſpaͤtmittelalterlicher Tracht, z. B. in den Soldaten, Blatt LXXIII. Ruͤckſeite, welche zu beiden Seiten der Helden ſtehen. Das Original war vielleicht an einzelnen Stellen verletzt; oder der Nachah - mer geſtattete ſich einige Zuſaͤtze und Vermehrungen.
Unabhaͤngig von dieſer, dem Anſehen nach auf Rombe - ſchraͤnkten Nachahmung des Alterthuͤmlichen, entſtand auch zu Florenzeinige Hinneigung zu reinerer Formenbildung, mithin zu reinerem Ausdruck chriſtlich-ſittlicher Ideen, wie ſolches inI. 23354dem Muſiv an der Vorſeite der Kirche S. Miniato a Monte ſichtbar iſt, der mehrgedachten Benedictinerabtey außerhalb der Mauern jener Stadt. Ueber das Alter dieſer Arbeit giebt es keine ſichere Urkunde, wenn nicht etwa hinter dem vorra - genden Geſimſe eine Inſchrift verborgen waͤre, welches, von unten angeſehen, den Saum des Bildes etwas verdeckt. Nach allen Analogieen kann es auf keine Weiſe der aͤußeren Beklei - dung der Vorſeite gleichzeitig ſeyn, da dieſe im eilften Jahr - hundert beſchafft, worden, als die italieniſche Malerey aller Sicherheit der Umriſſe entbehrte. Auf der anderen Seite wer - den wir nicht wohl annehmen koͤnnen, daß ſolches ſpaͤter, als in den erſten Decennien des dreyzehnten Jahrhunderts ange - fertigt worden. Denn anderer, ſchon beleuchteter Beyſpiele nicht zu gedenken, enthaͤlt die Tribune derſelben Kirche ein zweytes geraͤumiges, in griechiſchem Geſchmack und in griechi - ſcher Technik (in kleineren, netter eingefuͤgten Glasſtiften) aus - gefuͤhrtes Muſiv, unter welchem in theils erloſchenen Charak - teren auf dem dunkeln Marmor des Frieſes Folgendes aufge - zeichnet und noch zu leſen iſt: AN̅O DNI MCCXCVII. TE̅PORE PP ....... .... EST … OPVS Das erſte hingegen, an der Vorſeite der Kirche, in welchem Chriſtus, auf noch einfachem, nicht byzantiniſch mit Blaͤtter - ſchmuck und Vergliederungen uͤberladenem Throne, neben ihm, etwas kleiner, S. Minias und die Jungfrau, iſt in dicken, etwas rundlichen und grobgefuͤgten Glasſtuͤcken zuſammenge - ſetzt. In der allgemeinſten Angabe der Geſichtszuͤge ſind ſie der Vermagerung, in welche die griechiſche Bildnerey ſehr fruͤh, die Malerey etwas ſpaͤter verfallen war, durchaus entgegenge - ſetzt, und entſprechen bey weitem mehr der volleren Auffaſſung355 der Form, welche die erſten, von griechiſchen Vorbildern noch unabhaͤngigen Fortſchritte der italieniſchen Malerey bezeichnen und unterſcheiden. Hierin ſtimmen mit dieſem Muſaik uͤberein einige etwas ausgebildetere Wandmalereyen im Innern der Kirche, zur Rechten der Thuͤre, welche in die Sacriſtey fuͤhrt. Sie ſind erſt in neueren Zeiten durch Herabfallen des Bewur - fes wieder zum Vorſchein gekommen. Endlich befindet ſich zu Piſa, im Capellone des Pozzo des Campo Santo, ein Kruzi - fix, welches Piſaniſche Kenner dem Ayllonio Greco des Va - ſaribeylegen. Ich bin nicht Kenner genug, um Meiſter auszufinden, deren Exiſtenz ungewiß, deren Werke ganz unbe - kannt ſind. Doch iſt es gewiß eine Nachahmung des griechi - ſchen Typus, und ungefaͤhr aus der Zeit desGiunta von Piſa.
Gedruckt bey A. W. Schade, alte Gruͤnſtraße Nr. 18.
S. 8. Z. 4 v. u. ſtatt: zu verdeutlichen, lies: ſich zu verdeutlichen. S. 9. Z. 7 v. u. ſtatt: der Mienen, lies: der Mimen. Daſ., Anm. Z. 4 v. o. ſtatt: (S. 3.), lies: (S. 31.) S. 25. Anm. *) Z. 5 u. 6 v. o. ſtatt: ausſchließender, lies: Aus - ſchließendes. S. 36. Anm. ſtatt: fuoni, lies: fuori. S. 42. Z. 10 v. u. ſtatt: Freyheit, lies: Frechheit. S. 55. Z. 2 v. u. ſtatt: bezieht, lies: beziehe. S. 106. Z. 1 v. u. ſtatt: von einer Formenſchoͤnheit, lies: von Formenſchoͤnheit. S. 116. Z. 9 v. u. ſtatt: Geſchmacksparthey und, lies: Geſchmacks - partheyung. S. 117. Z. 1 v. u. hinter: muͤßte, faͤllt das Komma weg. S. 120. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: geſammten, lies: geſammte. S. 131. Z. 7 v. u. ſtatt: eigentlich Gegenſtaͤnde, lies: eigentliche Gegenſtaͤnde. S. 132. Z. 5. v. u. ſtatt: mit derſelben, lies: mit denſelben. S. 137. Anm. Z. 7 v. u. ſtatt: gleichdeutend, lies: gleichdeckend. S.[155]. Z. 4 v. u. ſtatt: ſichtbar gemacht, lies: fuͤhlbar gemacht. S. 155. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: worauf, lies: woraus. S. 156. Z. 8. v. o. ſtatt: Alſo wird auch, lies: Alſo wird. S. 159. Z. 7 v. u. ſtatt: gemaͤchlich, lies: gemaͤhlich. S. 163. Z. 3 v. u. ſtatt: zerſtreuenden, lies: zerſtreuender. S. 165. Anm. Z. 2 v. u. ſtatt: Beſſus, lies: Baſſus. S. 168. Anm. Z. 6 v. u. ſtatt: Triubzi, lies:Triulzi. S. 171. Anm. Z. 4 v. o. ſtatt: und der, lies: und das. S. 175. Z. 6 v. o. ſtatt: Eparchates, lies: Exarchates. S. 212. Anm. *) ſtatt: Pictor. scr., lies: Pistor. scr. S. 214. Anm. ***) Z. 2 v. u. ſtatt: valam[regalem], lies: salam reg. S. 217. Z. 4 v. u. ſtatt: worden, lies: wurde; ſtatt: In, lies: An S. 232. Anm. Z. 5 v. o. ſtatt: Meinwerdi, ließ: Meinwerci. S. 235. Z. 14 v. u. ſtatt: nichts Beſſeres, lies: nicht Beſſeres, S. 239. Anm. *) Z. 4 v. o. ſtatt: oxornatam, lies: exornatam, Daſ. Anm. **) hinter: Praxedis. faͤllt das Punctum weg.
Verſetzungen der Interpunction und einzelner Buchſtaben, Un - gleichheiten der Orthographie und andere minder erhebliche Fehler wolle der guͤtige Leſer ſelbſt verbeſſern, und der Entfernung des Vfs. vom Druckorte nachſehen.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
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