Der hier vorliegende achte Band erhält durch ſeinen Inhalt eine eigenthümliche Beſchaffenheit, ſehr verſchieden von allen früheren Bänden. Zunächſt erſcheint darin der ſichtbare Einfluß des Römiſchen Rechts weit geringer, als in den früher abgehan - delten Lehren. Ferner iſt die hier dargeſtellte Lehre, verglichen mit anderen, als erſt im Werden begriffen, als unfertig, aufzufaſſen. Und zwar iſt dieſe Be - hauptung nicht etwa zu verſtehen als ein ſubjectives Bekenntniß des Schriftſtellers, der ſeine perſönlichen Kräfte für unzureichend hält zur Bewältigung der Schwierigkeit des Stoffes; ſie iſt vielmehr geſchöpft aus der Betrachtung der eigenthümlichen Natur desIVVorrede.Gegenſtandes ſelbſt, worüber nunmehr genauere Rechenſchaft gegeben werden ſoll.
In dieſer Lehre, und beſonders in der erſten Hälfte derſelben (Kap. I.), gehen bis jetzt die Meinungen der Schriftſteller, ſo wie die Urtheile der Gerichte, ziemlich wild durch einander; Deutſche, Franzoſen, Engländer und Amerikaner, ſtehen ſich oft ſehr ſchroff gegenüber. Alle aber vereinigen ſich in einem gemeinſamen lebhaften Intereſſe an den hier einſchlagenden Fragen, in dem Beſtreben nach Annäherung, Ausgleichung, Verſtändigung, ſo wie es ſich in keiner anderen Rechtslehre findet. Man kann ſagen, daß dieſe Lehre bereits ein Gemeingut der gebildeten Nationen geworden iſt, nicht durch einen ſchon erworbenen Beſitz feſter, allgemein aner - kannter Grundſätze, wohl aber durch die Gemein - ſchaft wiſſenſchaftlicher Unterſuchung, die zu einem ſolchen Beſitz hinſtrebt. Ein anſchauliches Bild dieſes unfertigen, aber hoffnungsreichen Zuſtandes gewährt das treffliche Werk von Story, das zu - gleich als reiche Materialienſammlung jedem Forſcher in hohem Grade förderlich wird.
Es iſt aber nicht blos die Ausſicht auf Ent - wicklung und Ausbau der juriſtiſchen Theorie, dieVVorrede.uns in dieſer Lehre ſo anziehend und anregend er - ſcheint, ſondern eben ſo, und noch mehr, die groß - artige Ausſicht auf eine in das Allgemeine gehende praktiſche Gemeinſchaft des Rechtsbewußtſeyns und des Rechtslebens.
Betrachten wir noch insbeſondere die Stellung dieſer Lehre zu den Beſtrebungen und Parteien der neueſten Zeit.
Der nicht ſelten feindliche Gegenſatz zwiſchen Germaniſten und Romaniſten kommt in dieſer Lehre weniger, als anderwärts, in Betracht. In den wichtigſten Fragen ſind die deutſchen Rechtslehrer meiſt zu einer großen Einſtimmung gekommen, unge - ſtört durch jenen, in anderen Lehren oft zum Nach - theil der Wiſſenſchaft hervor tretenden, Gegenſatz. Das Römiſche Recht erſcheint vergleichungsweiſe weniger, als anderwärts, einwirkend durch unmittel - bare poſitive Vorſchriften. Die genaueſte Kenntniß deſſelben aber wird hier vorzüglich dadurch wichtig, daß die Meinungen der Schriftſteller und der Ge - richte großentheils durch wahre oder falſche Auf - faſſung Römiſcher Begriffe und Regeln beſtimmt worden ſind, oft ohne deutliches Bewußtſeyn derer, die in der That ganz unter dieſem Einfluß ſtanden.
VIVorrede.Wenn ferner ein abſchließendes Hervorheben der Nationalität zu den vorherrſchenden Richtungen neueſter Zeit gehört, ſo kann ſich gerade dieſe Rich - tung in einer Lehre nicht geltend machen, die ihrer Natur nach darauf ausgehen muß, die nationalen Gegenſätze in einer anerkannten Gemeinſchaft der verſchiedenen Nationen aufzulöſen.
So finden wir alſo hier von der einen Seite die großartigſten Ausſichten in die Zukunft, von der anderen Seite die Unmöglichkeit, die vorlie - gende Aufgabe ſchon jetzt zu einem völligen Ab - ſchluß zu führen, ſelbſt unabhängig von der per - ſönlichen Fähigkeit des einzelnen Arbeiters. Jeder, der ſich in ſolcher Stellung befindet, kann aus dieſer Betrachtung eben ſo viel Muth, als Be - ſcheidenheit ſchöpfen. Er muß es ſich zur Ehre rechnen, wenn es ihm gelingt, den fortgehenden geiſtigen Prozeß durch Zurückführung dieſer Lehre auf eigentliche Grundſätze weiter fördern zu helfen, ſelbſt wenn ſein Verſuch, bei fernerer Entwicklung, nur noch als einzelner, vorbereitender Schritt im Andenken bleiben ſollte.
Einen beſonderen Mangel in den bisherigen Arbeiten glaubte der Verfaſſer dieſes Werks darinVIIVorrede.zu finden, daß man ſtets die beiden Stücke, die in dem vorliegenden Werke verbunden er - ſcheinen, die örtlichen und die zeitlichen Gränzen der Herrſchaft der Rechtsregeln, einzeln und abge - ſondert behandelt hat. Er glaubte dieſem Mangel dadurch abhelfen zu müſſen, daß er beide Stücke in Verbindung brachte, nicht blos indem er ſie äußerlich neben einander ſtellte, welches allein nicht ausreicht, auch ſchon häufig in der kurzen Dar - ſtellung der Lehrbücher ohne merklichen Erfolg ver - ſucht worden iſt, ſondern indem er den inneren Zuſammenhang der für beide Stücke geltenden Grundſätze zu erforſchen und darzuſtellen ſuchte.
Mit dem gegenwärtigen Bande iſt der allge - meine Theil des Syſtems, deſſen Bedeutung gleich Anfangs dargelegt wurde (I. § 58), zu Ende ge - führt. Die dem erſten Band vorangeſetzte Ueber - ſicht des ganzen Werks ließ erwarten, daß unmittel - bar auf die drei erſten Bücher, welche dieſen allgemeinen Theil in ſich ſchließen, in einer fort - aufenden Reihe von Bänden der beſondere TheilVIIIVorrede.folgen würde, welchem vorläufig folgende Ueber - ſchriften gegeben waren:
Eine durch zufällige Umſtände herbeigeführte, längere Unterbrechung hat indeſſen die Vollendung des Ganzen noch unwahrſcheinlicher gemacht, als ſie vielleicht gleich Anfangs angenommen werden konnte, und durch dieſe Betrachtung bin ich zu folgender Veränderung in der äußerlichen Einrichtung des Werks geführt worden, die alſo durchaus nicht aus der Annahme einer veränderten Ueberzeugung über die Zweckmäßigkeit des weſentlichen Planes deſſelben erklärt werden darf.
Ich betrachte nunmehr die jetzt vorliegenden acht Bände als ein für ſich beſtehendes abgeſchloſſenes Werk, ſo daß der Titel jedes Bandes in Gedanken zu ergänzen iſt durch die hinzugefügten Worte: Allgemeiner Theil.
Der beſondere Theil des Syſtems ſoll nunmehr nicht als Fortſetzung des allgemeinen, durch fort - laufende Bändezahl, bezeichnet, ſondern vielmehrIXVorrede.in abgeſonderten Werken dargeſtellt werden, unter welchen zunächſt das Obligationenrecht (nicht nach der früheren Abſicht das Sachenrecht) an die Reihe kommen ſoll. Dieſe abgeſonderten Werke werden alſo äußerlich als Monographieen erſcheinen, in der That aber nicht den weſentlichen Charakter von ſolchen an ſich tragen (I. S. xxxix), ſondern vielmehr gerade ſo beſchaffen ſeyn, wie wenn die gegenwärtig angekündigte Veränderung des urſprüng - lichen Planes nicht eingetreten wäre.
Geſchrieben im Julius 1849.
Drittes Buch. Herrſchaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältniſſe.
Das erſte Buch des gegenwärtigen Rechtsſyſtems hatte die Aufgabe, die Rechtsquellen, d. h. die Entſtehungsgründe der Rechtsregeln, darzuſtellen; das zweite, die allgemeine Natur der Rechtsverhältniſſe, die durch jene Regeln beherrſcht werden ſollten. Es bleibt jetzt, für den allgemeinen Theil des Syſtems, noch übrig, die Verbindung der Rechtsregeln mit den Rechtsverhältniſſen feſtzuſtellen; dieſe Verbindung erſcheint, von der einen Seite betrachtet, als Herrſchaft der Regeln über die Verhältniſſe, von der andern Seite als Unterwerfung der Verhältniſſe unter die Regeln.
Damit aber dieſer letzte, eben ſo wichtige als ſchwie - rige Theil der Aufgabe gleich Anfangs richtig aufgefaßt werde, iſt es nöthig, genau zu beſtimmen, in welchemVIII. 12Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln.Sinne hier jene Verbindung (Herrſchaft, Unterwerfung) zu denken iſt(a)Die Grundlage der gegenwärtigen Unterſuchung, insbeſondere der hier aufgeſtellten Begriffe, findet ſich oben B. 1 § 4 — 9 § 15..
Die Rechtsregeln ſollen herrſchen über die Rechtsver - hältniſſe; welches iſt aber das Gebiet ihrer Herrſchaft? Ueber welche Rechtsverhältniſſe ſollen ſie herrſchen? Dieſe Frage erhält ihren beſtimmten Sinn zunächſt durch die Natur des poſitiven Rechts, welches nicht etwa eines und daſſelbe iſt für die Menſchheit im Ganzen, ſondern ein, je nach Völkern und Staaten, beſonderes und verſchiedenes; in jedem einzelnen Volke aber theils aus allgemein menſch - lichen, theils aus eigenthümlichen rechtsbildenden Kräften entſpringend. Dieſe Mannichfaltigkeit der poſitiven Rechte iſt es, woraus das Bedürfniß und die Wichtigkeit hervor - geht, für jedes poſitive Recht das Gebiet ſeiner Herrſchaft zu beſtimmen, das heißt, die Gränzen zu ziehen zwiſchen den verſchiedenen poſitiven Rechten gegen einander. Nur durch dieſe Gränzbeſtimmung wird es möglich, über jede denkbare Colliſion zu entſcheiden, die in der Beurtheilung eines ge - gebenen Rechtsverhältniſſes zwiſchen verſchiedenen poſitiven Rechten eintreten kann.
Um zu den hier aufgeworfenen Fragen und ihrer Be - antwortung zu gelangen, kann man nun auch den umge - kehrten Weg einſchlagen. Es liegt uns ein Rechtsverhält - niß vor, als Gegenſtand unſrer Beurtheilung. Wir ſuchen dafür eine Rechtsregel auf, unter deren Herrſchaft daſſelbe3§. 344. Einleitung.ſteht, nach welcher es zu beurtheilen iſt. Indem wir hier unter mehreren Rechtsregeln zu wählen haben, welche ver - ſchiedenen poſitiven Rechten angehören, kommen wir wie - derum auf die ſchon erwähnten Gränzen der Herrſchaft eines jeden poſitiven Rechts, und auf die von dieſen Grän - zen abhängigen Colliſionen. Beide Arten, die Frage auf - zufaſſen, ſind nur im Ausgangspunkte verſchieden. Die Frage ſelbſt iſt hier und dort dieſelbe, und die Entſcheidung kann in beiden Fällen nicht verſchieden ausfallen.
Die meiſten Schriftſteller über dieſen Gegenſtand gehen aus von dem Begriff der Colliſionen, und behandeln die Entſcheidung derſelben als ihre wahre und einzige Aufgabe; gewiß zum Nachtheil eines befriedigenden Erfolgs. Die natürliche Folge der Gedanken iſt vielmehr folgende. Für die Rechtsregeln wird gefragt: Ueber welche Rechtsverhält - niſſe ſollen ſie herrſchen? Für die Rechtsverhältniſſe: Welchen Rechtsregeln ſind ſie unterworfen, oder angehörig? Die Frage nach den Gränzen der Herrſchaft oder der Ange - hörigkeit, und nach den an dieſen Gränzen eintretenden Gränzſtreitigkeiten oder Colliſionen, ſind ihrer Natur nach abgeleitete und untergeordnete Fragen(b)Wächter II. S. 34 macht die gute Bemerkung, daß manche Schriftſteller, indem ſie die Frage nach der Anwendung der Geſetze ganz abſondern von der Frage nach der Colliſion, dahin geführt werden, auf beide an ſich identiſche Fragen widerſprechende Antworten zu geben..
Zu der bisher angedeuteten Frage nach den Gränzen, in welchen die Regeln jedes poſitiven Rechts herrſchen,1*4Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln.tritt aber nun noch eine neue, von der bisher betrachteten verſchiedene, obgleich damit verwandte, hinzu. Wir betrach - teten bisher die Rechtsregeln als feſtſtehende, ohne Rückſicht auf mögliche Veränderungen derſelben in der Zeit. Nun gehört es aber zu dem Weſen des poſitiven Rechts, daß daſſelbe nicht als ein ruhendes, ſondern als ein in ſteter Fortbildung und Entwickelung begriffenes, aufgefaßt werde(c)S. o. B. 1 § 7., und damit wird ihm die Eigenſchaft der Wandelbarkeit in der Zeit zugeſchrieben. Ferner hat jedes unſerer Beurthei - lung vorliegende Rechtsverhältniß nothwendig ſeinen Ent - ſtehungsgrund in juriſtiſchen Thatſachen(d)S. o. B. 3 § 104., die ſtets in einer, bald näher bald entfernter liegenden, Vergangenheit gedacht werden müſſen. Da aber in der Zwiſchenzeit, von der Entſtehung des Rechtsverhältniſſes bis zur Gegenwart, Veränderungen im poſitiven Recht eingetreten ſein können, ſo iſt noch zu beſtimmen, aus welchem Zeitpunkt wir die das Rechtsverhältniß beherrſchende Regel zu entnehmen haben.
Aus dieſer Betrachtung entſteht mithin eine neue Art von Gränzen für die Herrſchaft der Rechtsregeln, und da - mit eine neue Art möglicher Colliſionen, nicht minder wich - tig und ſchwierig, als die vorher betrachteten Gränzen und Colliſionen. In der früheren Betrachtung wurden die Rechtsregeln gedacht als gleichzeitige, ruhende, feſtſtehende; in dieſer ſpäteren werden ſie gedacht als ungleichzeitige,5§. 344. Einleitung.durch Fortbildung verſchiedene, ſucceſſive. Zum Zweck einer kurzen und gleichförmigen Beziehung will ich folgende Aus - drücke gebrauchen: Örtliche Gränzen der Herrſchaft der Rechtsregeln. Zeitliche Gränzen der Herrſchaft.
Der zweite dieſer Kunſtausdrücke iſt für ſich klar. Die Rechtfertigung des erſten iſt nur im Laufe der folgenden Unterſuchung möglich.
Das gegenwärtige Werk hat zum Gegenſtand das Römiſche Recht. In welchem Verhältniß nun ſteht das Römiſche Recht zu den hier aufgeworfenen Fragen? Wir müſſen dafür ein zwiefaches, an ſich verſchiedenes, Ver - hältniß anerkennen.
Zunächſt müſſen wir für die Anwendung des Römiſchen Rechts auf beſtimmte Staaten und Völker, im Verhältniß zu anderen poſitiven Rechten, auf jene Fragen eingehen, wenn wir ihm irgend eine praktiſche Geltung ſichern wollen. Dieſes Bedürfniß würde unabweislich ſein, ſelbſt wenn die Römiſchen Juriſten an jene Fragen nie gedacht, ſich damit niemals beſchäftigt hätten. — Zweitens aber haben die Römer in der That dieſe Fragen behandelt, und wir müſ - ſen daher ihre Ausſprüche über dieſelben aufſuchen und feſtſtellen. Obgleich nun dieſe Ausſprüche zum Theil ein - ſeitig und mangelhaft ſind, auch nicht überall auf unmit - telbare Anwendung Anſpruch haben können, ſelbſt da, wo wir die Geltung des Römiſchen Rechts im Allgemeinen anzunehmen berechtigt ſind, ſo iſt dennoch die Feſtſtellung6Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln.derſelben von großer Wichtigkeit. Sie iſt es ſchon deshalb, weil die Lehre der neueren Schriftſteller, und die damit zu - ſammenhängende Praxis, großentheils auf den Ausſprüchen der Römer, oft aber nach einer unrichtigen Auffaſſung der - ſelben beruht, ſo daß ſowohl das rechte Verſtändniß der neueren Lehre und Praxis, als die Reinigung derſelben, nur durch eine gründliche Unterſuchung über die im Römi - ſchen Recht niedergelegten Anſichten herbeigeführt werden kann.
Die nunmehr folgende, hier eingeleitete, Unterſuchung wird in zwei Kapiteln: I. die örtlichen Gränzen, II. die zeitlichen Gränzen der Herrſchaft der Rechtsregeln über die Rechtsverhältniſſe feſtzuſtellen haben.
Bei dieſen zweifachen Gränzen iſt aber noch voraus zu bemerken, daß unter denſelben eine gewiſſe Wechſelwirkung eintreten kann. Wenn überhaupt zwei Rechtsregeln mit einander in zeitliche Colliſion kommen, ſo daß eine Gränz - beſtimmung nöthig iſt, um die Herrſchaft der einen oder der andern Regel zu entſcheiden, ſo wird dabei ſtets eine eingetretene Veränderung vorausgeſetzt. Eine ſolche Verän - derung nun kann auf zwei verſchiedenen Seiten liegen.
Sie kann erſtens liegen auf der Seite der Rechtsregel. Der einfachſte Fall iſt der, wenn der Geſetzgeber durch Er - laß eines neuen Geſetzes über das vorliegende Rechtsver - hältniß, die bisher beſtehende Regel ändert, alſo neues ob - jectives Recht ſchafft.
7§ 344. Einleitung.Die Veränderung kann aber auch zweitens liegen auf der Seite des Rechtsverhältniſſes, indem, bei unveränderter Rechtsregel, die thatſächlichen Bedingungen des Rechtsver - hältniſſes wechſeln. Als Beiſpiel zur Erläuterung kann die Handlungsfähigkeit dienen, die nach dem Recht beur - theilt wird, welches am Wohnſitz der Perſon gilt. Wenn nun dieſe Perſon den Wohnſitz ändert, ſo kann dadurch das Rechtsverhältniß unter eine neue Rechtsregel fortrücken, und es kann die Frage entſtehen, ob die Handlungsfähigkeit von jetzt an nach dem Geſetz des früheren, oder des ſpäteren Wohnſitzes zu beurtheilen iſt.
Es iſt einleuchtend, daß die Veränderungen dieſer zwei - ten Art zugleich in das Gebiet der örtlichen und der zeit - lichen Colliſion einſchlagen. Jedoch iſt dabei das örtliche Element vorherrſchend, und es iſt daher zweckmäßig und räthlich, alle dahin einſchlagende Fragen in Verbindung mit den örtlichen Gränzen der Herrſchaft abzuhandeln, alſo in das erſte Kapitel mit aufzunehmen(e)Die Erörterung dieſer Fragen kommt vor in den §§ 365 (Ende des §), § 366 — 368, § 370. n. § 372. N. III, § 379. N. 3. — In andern Lehren kommt dieſe Frage deswegen nicht vor, weil dabei der Einfluß des an ſich veränderlichen thatſächlichen Verhältniſſes auf einen beſtimmten Zeitpunkt fixirt iſt, wodurch die Möglichkeit jedes Zweifels ausgeſchloſſen wird. So bei dem Erbrecht (§ 374. 377), und bei der Regel: locus regit actum (§ 381)..
Sonach bleiben für die Unterſuchung über die zeitlichen Gränzen der Herrſchaft (das zweite Kapitel) nur noch die8Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Veränderungen der erſten Art übrig, welche auf der Seite der Rechtsregel liegen.
Schriftſteller(a)Der Abkürzung wegen werde ich die hier zuſammengeſtellten Schriftſteller künftig blos mit ihren Namen anführen.:
Jedes Recht erſcheint zunächſt als eine der Perſon zu - ſtehende Macht(b)S. o. B. 1 § 4., mithin als Eigenſchaft dieſer Perſon, und von dieſem erſten und nächſten Standpunkt aus haben wir auch die Rechtsverhältniſſe als Attribute einer Perſon zu betrachten. Hiernach würde die Frage, womit wir uns beſchäftigen, ſo zu faſſen ſein: Auf welche Perſonen er - ſtreckt jede gegebene Rechtsregel das Gebiet ihrer Herrſchaft? 11§. 345. Ueberſicht.Oder in umgekehrter Auffaſſung (§ 344): Welches ſind die Rechtsregeln, denen eine gegebene Perſon unterworfen oder angehörig iſt?
Folgende Betrachtung aber muß uns ſogleich überzeu - gen, daß mit dieſer Stellung der Frage nicht auszureichen iſt. In dem Gebiet der erworbenen Rechte(c)B. 1 § 53. erweitert ſich die Perſon nach den von ihr ſelbſt verſchiedenen Ge - genſtänden dieſer erworbenen Rechte hin, und ſchon aus dieſer Erweiterung an ſich entſteht wenigſtens die Möglich - keit des Eintritts der Perſon in das Gebiet einer ihr ur - ſprünglich fremden Rechtsregel. Dieſe bloße Möglichkeit aber gewinnt noch eine ganz andere Geſtalt, wenn wir die beſondere Beſchaffenheit jener Gegenſtände der erworbenen Rechte in’s Auge faſſen. Unter dieſen Gegenſtänden finden wir vor allen auch fremde Perſonen, deren jede auch wieder einem eigenthümlichen Gebiet beherrſchender Rechts - regeln angehört, und da es nun ganz zufällig iſt, ob zwei, mit einander in einem Rechtsverhältniß ſtehende Perſonen demſelben Rechtsgebiet angehören oder verſchiedenen Rechts - gebieten, ſo ergiebt ſich daraus eine neue, und zwar ſehr ausgedehnte, Quelle von Colliſionen zwiſchen den die Rechts - verhältniſſe beherrſchenden Rechtsregeln.
Folgende Ueberſicht über die Gegenſtände der Rechts - regeln wird es anſchaulich machen, in welcher mannich - faltigen Weiſe die Colliſionen unter den Rechtsregeln12Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.verſchiedener Gebiete des poſitiven Rechts eintreten können(d)Dieſe Ueberſicht ſoll hier nur zu einem vorläufigen Anhalt dienen. Sie wird unten (§ 361) genauer ausgeführt werden..
Die Rechtsregeln können zum Gegenſtand haben:
Aus dieſer Ueberſicht iſt es klar, daß allerdings der nächſte und unmittelbare Gegenſtand, worüber die Rechts - regel herrſcht, die Perſon iſt. Und zwar zunächſt die Per - ſon in ihrem allgemeinen Daſein, als Träger aller Rechte; dann aber auch die Perſon, inſofern ſie durch ihre freie Handlungen in den meiſten und wichtigſten Fällen die Rechtsverhältniſſe erzeugt oder erzeugen hilft.
Allein die Perſon breitet ſich aus zu künſtlichen Erwei -13§. 345. Ueberſicht.terungen ihres Daſeins. — Sie will herrſchen über Sachen, und begiebt ſich dadurch in den beſtimmten Raum, den dieſe Sachen einnehmen, alſo in ein ihr ſelbſt möglicher - weiſe fremdes Rechtsgebiet. Am unverkennbarſten geſchieht Dieſes bei unbeweglichen Sachen, bei welchen der Raum, den ſie erfüllen, nicht zufällig und veränderlich iſt; es iſt aber, dem Weſen nach, nicht minder wahr auch bei beweg - lichen Sachen. — Sie will durch Obligationen herrſchen über fremde Handlungen, oder ihre eigene Handlungen einem fremden Willen unterwerfen. — Sie geht in beſon - dere Lebensformen ein durch die Familie, und tritt auch dadurch, bald freiwillig, bald unfreiwillig, auf mancherlei Weiſe aus ihrem urſprünglichen, rein perſönlichen, Rechts - gebiet heraus.
Es ergiebt ſich aus dieſer Betrachtung, daß für jeden gegebenen Fall die anzuwendende Rechtsregel beſtimmt und begränzt wird zunächſt und hauptſächlich durch die Unter - werfung der berechtigten Perſon unter ein beſtimmtes Rechts - gebiet; daß aber daneben die mannichfaltigſten und wich - tigſten Modificationen eintreten können durch das Verhält - niß, in welchem theils beſtimmte Sachen, theils beſtimmte Handlungen oder Lebensverhältniſſe zu anderen Rechtsge - bieten ſtehen(e)Hieran knüpft ſich die in früherer Zeit ſehr verbreitete Unter - ſcheidung der Statuta personalia, realia, mixta, von welcher bald noch weiter die Rede ſein wird (§ 361)..
Die nächſte Aufgabe wird daher auf die Gründe ge -14Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.richtet ſein müſſen, aus welchen die allgemeine Angehörig - keit einer Perſon an ein beſtimmtes Rechtsgebiet abzu - leiten iſt.
Um den Zuſammenhang zu erkennen, wodurch eine Per - ſon mit einem beſtimmten poſitiven Recht durch die Ange - hörigkeit an daſſelbe verknüpft wird, müſſen wir uns daran erinnern, daß das poſitive Recht ſelbſt ſeinen Sitz in dem Volk als einem großen Naturganzen, oder in einer volks - mäßigen Abtheilung dieſes Ganzen hat. Es iſt aber nur ein anderer Ausdruck derſelben Wahrheit, wenn wir ſagen, das Recht habe ſeinen Sitz in dem Staat, oder in einem einzelnen organiſchen Theile des Staates, da eben nur in dem Staat das Volk wahre Realität hat, indem nur hier der Wille der Einzelnen in einem Geſammtwillen wahr - haft aufgeht(a)Vgl. oben B. 1. § 8. 9.. In Folge dieſer allgemeinen Angabe ha - ben wir daher näher zu beſtimmen, wodurch dasjenige Ganze gebildet, diejenige Einheit begränzt wird, worin die Rechtsregeln, als Beſtandtheile des poſitiven Rechts, ihren Sitz haben. Dadurch werden wir erkennen, durch welches Band die einzelnen Perſonen zur Gemeinſchaft eines und deſſelben poſitiven Rechts zuſammen gehalten werden.
15§ 346. Abſtammung und Landgebiet.Suchen wir nun auf geſchichtlichem Wege zur Löſung dieſer Aufgabe zu gelangen, ſo finden wir zwei Gründe, wodurch von jeher im Großen und Ganzen eine ſolche Ge - meinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen vor - zugsweiſe beſtimmt und begränzt worden iſt: die Volks - abſtammung, und das Landgebiet.
I. Die Volksabſtammung (Nationalität) als Grund und Gränze der Rechtsgemeinſchaft hat zunächſt einen ganz perſönlichen und unſichtbaren Charakter. Obgleich ſie, ihrem Begriffe nach, den Einfluß der Willkür auszu - ſchließen ſcheint, iſt ſie dennoch einer Erweiterung durch die freie Aufnahme Einzelner empfänglich.
In großer Ausdehnung erſcheint die Nationalität als Grund und Gränze der Rechtsgemeinſchaft bei wandernden Völkern, für welche ein feſtes Landgebiet überhaupt nicht vorhanden iſt, wie bei den Germanen zur Zeit der Völker - wanderung. Bei dieſen hat ſich aber auch nach ihrer feſten Niederlaſſung auf dem alten Boden des Römiſchen Reichs derſelbe Grundſatz noch lange lebendig erhalten in dem Syſtem der perſönlichen Geſetze, die hier in demſelben Staate neben einander zur Anwendung kamen, und in deren Reihe jetzt, neben den Rechten der Franken, Lombarden u. ſ. w., auch das Römiſche Recht, als das fortdauernde perſönliche Recht der urſprünglichen Einwohner dieſer durch Eroberung neu gegründeten Staaten erſcheint(b)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 3 § 30 — 33..
16Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.In den neueren Jahrhunderten finden wir noch jetzt im Türkiſchen Reich das vollſtändigſte Bild dieſer Art der Rechtsgemeinſchaft. In den chriſtlichen Staaten von Eu - ropa aber hat ſich ein Ueberreſt davon am längſten bei der Jüdiſchen Nation erhalten, in welcher die Fortdauer des nationalen Rechts, ſo wie die der abgeſonderten Natio - nalität ſelbſt, mit der Religion in Verbindung ſtand. Aber auch dieſer Ueberreſt verſchwindet immer mehr(c)In Preußen z. B. iſt ſchon im J. 1812 durch das Judenedict § 20. 21 für die Juden das ge - meine Recht der übrigen Einwohner als Regel aufgeſtellt, das beſon - dere nationale Recht nur als Aus - nahme beibehalten worden..
Verwandt, aber nicht gleichbedeutend mit dem eben dar - geſtellten Grunde der Rechtsgemeinſchaft iſt derjenige, wel - cher auf dem eigenthümlichen Bürgerverhältniß beſonderer Klaſſen von Perſonen beruht. Ein ſolches erſcheint bei den Römern ſehr ausgebildet, und lange dauernd, in den Klaſſen der cives, latini, peregrini, welche wiederum mit den Syſtemen des jus civile und jus gentium zuſammen - hängen(d)Vgl. oben B. 1 § 22, und: Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 1.. Dennoch hat dieſe Unterſcheidung, obgleich in anderer Hinſicht ſehr wichtig, in der Richtung, die uns hier ausſchließend beſchäftigt, niemals einen Einfluß erlangt, welcher dem Einfluß der Volksabſtammung oder des Land - gebietes an die Seite geſtellt werden könnte.
II. Das Landgebiet (die Territorialität) erſcheint als der zweite beſonders wichtige und verbreitete Grund, die Gemeinſchaft des poſitiven Rechts unter den Einzelnen17§. 346. Abſtammung und Landgebiet.zu beſtimmen und zu begränzen. Dieſer Grund unterſchei - det ſich von dem vorhergehenden (der Nationalität) durch ſeine weniger perſönliche Natur. Er iſt an etwas äußer - lich Erkennbares, die ſichtbare Landgränze, gebunden, und der Einfluß menſchlicher Willkür in der Anwendung dieſes Grundes iſt ausgedehnter und unmittelbarer, als bei der Volksabſtammung, bei welcher dieſer Einfluß mehr die Na - tur einer bloßen Ausnahme an ſich trägt.
Dieſer zweite Grund der Rechtsgemeinſchaft hat den erſten (die Nationalität) im Laufe der Zeit, bei fortſchrei - tender Ausbildung, mehr und mehr verdrängt. Darauf hat vor Allem eingewirkt der vielſeitigere, lebendigere Verkehr der Völker unter einander, durch welchen die ſchrofferen Gegenſätze der Nationalitäten verändert werden mußten. Beſonders aber darf nicht verkannt werden der Einfluß des Chriſtenthums, welches als gemeinſames Band des geiſtigen Lebens die verſchiedenſten Völker umſchlingend, die eigen - thümlichen Unterſchiede derſelben mehr in den Hintergrund treten ließ.
Gehen wir nun aus von dieſem zweiten Grunde der Rechtsgemeinſchaft, ſo bezieht ſich die Colliſion, die uns hier überall vor Augen ſtehen muß, auf die örtliche Verſchiedenheit der Rechte, und unſere Aufgabe läßt ſich für alle eintretende Colliſionsfälle nunmehr in folgende Frage faſſen:VIII. 218Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Welches Territorialrecht iſt in jedem gege - benen Falle anzuwenden?
Hierin liegt denn auch der Grund, weshalb ſchon bis - her die gleichzeitigen Gränzen der Rechtsregeln als ört - liche Gränzen bezeichnet worden ſind (§ 244).
Suchen wir zunächſt durch Beiſpiele anſchaulich zu machen, welche Bedeutung die hier in Frage geſtellte Colli - ſion verſchiedener örtlicher oder territorialer Rechte haben kann. An einem beſtimmten Orte iſt ein Rechtsſtreit zu entſcheiden über die Erfüllung eines Vertrages oder über das Eigenthum einer Sache. Der Vertrag aber iſt ge - ſchloſſen an einem anderen Orte, als an dem des Gerichts; die ſtreitige Sache befindet ſich an einem anderen Orte, als dem des Gerichts; beide Orte haben verſchiedenes territo - riales Recht. Daneben können beide ſtreitende Parteien, ihrer Perſon nach, dem Orte des Gerichts angehören, oder beide einem fremden Orte, oder auch beide Parteien ver - ſchiedenen Orten. Welches unter den verſchiedenen ört - lichen Rechten, mit denen das ſtreitige Rechtsverhältniß in irgend einer Berührung ſteht, ſoll bei der Entſcheidung des Streites zur Anwendung kommen? Das iſt der Sinn der Colliſionsfrage in Anwendung auf Territorialrechte(e)Die Colliſion verſchiedener Rechte kommt allerdings auch bei der auf die Volksabſtammung ge - gründeten Rechtsgemeinſchaft in Frage, und bedarf hier, eben ſo gut als neben dem Territorialrecht, ihrer Löſung. Ein genaueres Ein - gehen auf dieſe Geſtalt unſerer Frage, die ja überhaupt nur des geſchichtlichen Zuſammenhangs wegen gegenwärtig berührt wurde, und für das heutige Recht keine.
Die einander widerſtreitenden Territorialrechte, für deren Colliſion wir nunmehr die Regeln feſtzuſtellen haben (§ 346), können unter einander in einem zweifachen Verhältniß ſte - hen, und wenngleich die Grundſätze der Beurtheilung ſtets dieſelben bleiben, ſo hat doch dieſe Verſchiedenheit den größten Einfluß auf die Art der Anwendung jener Grund - ſätze.
Jene Territorialrechte können gelten entweder in ver - ſchiedenen Gebietstheilen eines und deſſelben Staates, oder in verſchiedenen, von einander unabhängigen Staaten.
I. Verſchiedene Territorialrechte innerhalb eines und deſſelben Staates ſind ſchon an einer früheren Stelle be - merklich gemacht worden unter dem Namen von particu - lären Rechten im Gegenſatz eines gemeinen Rechts eines ſolchen Staates, und ſie können eben ſowohl in der Ge - ſtalt von Geſetzen als von Gewohnheiten beſtehen(a)S. o. B. 1 § 8. 18. 21..
Die geſchichtliche Veranlaſſung derſelben, ſo wie ihre davon abhängende Begränzung, iſt höchſt mannichfaltig. Der wichtigſte Fall der Anwendung während der Dauer des deutſchen Reiches war begründet durch das Verhältniß(e)Bedeutung hat, würde hier nicht am Orte ſein. Vgl. Savigny Geſchichte des R. R. im Mittel - alter B. 1 § 46.2*20Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.der einzelnen deutſchen Staaten zu dem, ſie alle zuſammen haltenden deutſchen Reiche(b)B. 1 § 2. — Ein ähnliches, doch nicht völlig gleiches, Verhält - niß finden wir unter den ſouveränen kleinen Staaten, aus welchen die vereinigten Niederlande beſtanden, die nicht ſo, wie die deutſchen Staaten, durch eine gemeinſame höhere Staatsgewalt und Geſetz - gebung verbunden waren. Durch die daſelbſt ſehr häufig hervortre - tenden Colliſionsfälle wurden be - ſonders die Holländiſchen Juriſten (Rodenburg, P. Voet, J. Voet, Huber) veranlaßt, große Aufmerk - ſamkeit auf den hier vorliegenden Gegenſtand zu wenden. Aehnlich iſt auch das Verhältniß der Nord - amerikaniſchen Freiſtaaten.. — Aehnliche Verhältniſſe aber fanden ſich innerhalb der zum deutſchen Reiche gehö - renden einzelnen Staaten, und finden ſich noch jetzt nach der Auflöſung des Reiches.
Solche Particularrechte erſcheinen bald in ganzen Pro - vinzen, bald in Abtheilungen von Provinzen, bald und vor - züglich in einzelnen Gemeinden. Beſonders häufig erſchei - nen ſie in Stadtgebieten, ja zuweilen ſelbſt in einzelnen örtlichen Beſtandtheilen eines und deſſelben Stadtgebietes(c)So z. B. beſtanden neben einander in Breslau bis zum 1. Jan. 1840 fünferlei partikuläre Geſetze und Obſervanzen über Erb - recht, eheliches Güterrecht u. ſ. w., deren Anwendung durch Juris - dictionsbezirke begränzt war. Nicht ſelten war hier das Recht von Haus zu Haus verſchieden, ja es kam vor, daß Ein Haus auf der Gränze verſchiedener Rechte lag, denen es daher theilweiſe angehörte. Vgl. das Geſetz vom 11. Mai 1839 (Geſetzſammlung 1839 S. 166)..
In größeren Landſtrichen (Provinzen oder Provinzab - theilungen) ſind ſolche Particularrechte oft dadurch entſtan - den, daß ein ſolcher Landſtrich früher als ſelbſtſtändiges Staatsgebiet oder auch als Theil eines fremden Staates beſtand, und erſt ſpäter dem Staate, dem er jetzt angehört, einverleibt wurde.
21§. 347. Widerſtreit. Territorialrechte in demſelben Staate.In Stadtgebieten ſind ſie oft für dieſe einzelne Stadt erlaſſen, ſei es von dem Landesherrn, dem dieſe Stadt un - terworfen war, oder auch von der ſtädtiſchen Obrigkeit, mit Zulaſſung oder Genehmigung des Landesherrn.
Dieſe Entſtehung beſonderer Stadtrechte finden wir ſchon im Römiſchen Reiche, deſſen einzelne Gemeinden nicht nur vor ihrer Vereinigung mit dem großen Ganzen das Recht eigener Geſetzgebung gehabt hatten, ſondern dieſes Recht auch durch jene Vereinigung nicht ſchlechthin einbüßten, wenngleich ſie den in Rom neu erlaſſenen Geſetzen ſtets unterworfen waren(d)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 Kap. 2.. Sie ſind es, durch welche über - haupt die Römiſchen Juriſten Veranlaſſung erhielten, auf die hier vorliegende Unterſuchung einzugehen(e)S. o. § 344.. Sie bil - den hier, als Particularrechte, den Gegenſatz gegen das ge - meine Römiſche Recht. — Noch weit ausgedehnter und wichtiger aber waren die Stadtrechte, die ſich im Italieni - ſchen Mittelalter faſt in jeder Stadt ausbildeten, und die hier, als Particularrechte, nicht blos gegen das Römiſche Recht, ſondern auch gegen das Lombardiſche, beide als ge - meine Rechte gedacht, den Gegenſatz bildeten(f)Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 3 § 42. 189 B. 2 § 76.. Für ſie wurde der Name Statuta als Kunſtausdruck geltend, der dann auch auf andere Länder übertragen wurde, und an welchen ſich die Lehre von den Statuta personalia, realia, mixta anſchloß (§ 345 f.).
22Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zu der Colliſion verſchiedener Territorialrechte inner - halb deſſelben Staates könnte man verſuchen auch folgen - den Fall zu ziehen, der jedoch in der That eine ganz an - dere Natur hat, und gar nicht in das Gebiet der gegen - wärtigen Unterſuchung gehört. — In jedem Staate können Particularrechte in verſchiedener Abſtufung und Unterord - nung vorkommen, von dem örtlich begränzteſten an in immer weiteren Kreiſen der Anwendung geltend, bis zum gemeinen Recht eines ſolchen Staates hinauf. Auch dabei kann man von einer Colliſion reden, indem an beſtimmten Orten jedes dieſer Particularrechte im Allgemeinen wirkliche Geltung hat, und alſo in gegebenen einzelnen Fällen gefragt werden kann, welches derſelben, wenn ſie einander widerſtreiten, die Regel der Entſcheidung bilden ſolle. Hier aber hat die Colliſionsfrage, wenn man dieſen Ausdruck dabei ge - brauchen will, eine andere Bedeutung, als bei den neben einander ſtehenden, Particularrechten deſſelben Staates, die von einander unabhängig ſind, alſo nicht im Verhältniß der Abhängigkeit und Unterordnung zu einander ſtehen.
Zwiſchen mehreren einander untergeordneten Rechten gilt die einfache Regel, daß ſtets dasjenige Recht in der An - wendung den Vorzug hat, welchem der beſchränkteſte Um - fang der Geltung zuzuſchreiben iſt, nur mit Ausnahme des beſonderen Falles, wenn das über ihm in weiterem Um - fange ſtehende Recht einzelne Beſtimmungen von einem ab - ſolut gebietenden Charakter enthält(g)S. o. B. 1 § 21. 45. Außer dieſem beſonderen Falle alſo gilt die Regel: Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemein Recht..
23§. 347. Widerſtreit. Territorialrechte in demſelben Staate.Mit einer ſo einfachen Regel iſt die Colliſion, die zwi - ſchen mehreren von einander unabhängigen Particularrech - ten eintritt, nicht zu beherrſchen. Für ſie iſt eine tiefer ein - gehende Unterſuchung nöthig, die eben in der Folge des gegenwärtigen Kapitels angeſtellt werden ſoll. Da übri - gens in dem gegenwärtig allein vorausgeſetzten Fall Par - ticularrechte eines und deſſelben Staates vorausgeſetzt wer - den(h)Es ließe ſich Dieſes denken ohne Unterſchied, ob über den eigenthümlichen Particularrechten ein und daſſelbe gemeine Recht ſteht (ſo wie in Preußen das allge - meine Landrecht über den Provin - zialrechten von Brandenburg, Pom - mern, Oſt - u. Weſtpreußen u. ſ. w.), oder nicht, denn auch in dieſem letzten Fall, welcher z. B. zwiſchen der Preußiſchen Rheinprovinz und den übrigen Provinzen eintritt, ließe ſich doch denken, daß ein Preußiſches Landesgeſetz die Colli - ſion dieſer verſchiedenen Rechte vollſtändig geregelt hätte., ſo ließe ſich denken, daß die Colliſion dieſer Rechte ſelbſt durch die allgemeine Geſetzgebung eben dieſes Staates geregelt wäre. Gerade Dieſes aber findet ſich bis jetzt wohl in keinem Lande auf irgend erſchöpfende Weiſe durchgeführt, vielmehr ſind überall die meiſten und wichtig - ſten hierher gehörenden Fragen der wiſſenſchaftlichen Feſt - ſtellung überlaſſen geblieben.
II. Der zweite Fall einer möglichen Colliſion verſchie - dener Territorialrechte ſetzt voraus, daß dieſe Rechte nicht24Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.in demſelben Staate, ſondern in mehreren von einander un - abhängigen Staaten beſtehen (§ 347). Sehen wir dabei zurück auf die ſchon oben zur Erläuterung der ganzen Colliſionsfrage angegebenen Beiſpiele (§ 346), ſo nehmen dieſe nunmehr folgende Geſtalt an. Ein Richter unſeres Staates hat zu entſcheiden über ein ſtreitiges Rechtsver - hältniß, das durch die Thatſachen, die ihm zum Grunde liegen (z. B. den Ort, wo ein Vertrag abgeſchloſſen iſt, oder wo ſich eine ſtreitige Sache befindet), mit dem von unſrem poſitiven Rechte abweichenden Rechte eines fremden Staates in Berührung ſteht. Daneben iſt es möglich, daß beide Parteien Inländer, oder beide Ausländer ſind, oder daß die eine dem Inlande, die andere dem Auslande per - ſönlich angehört. Welches der verſchiedenen hier einſchla - genden Territorialrechte hat der Richter zur Anwendung zu bringen?
Ganz dieſelbe Frage könnte auch dem Richter jenes fremden Staates zur Entſcheidung vorliegen, wenn zufällig der Rechtsſtreit nicht in unſrem, ſondern in dem fremden Staate entſtanden wäre.
Manche haben verſucht, dieſe Fragen lediglich durch den Grundſatz der unabhängigen Staatsgewalt (Souverä - nität) zu entſcheiden, indem ſie folgende zwei Regeln an die Spitze ſtellen. 1. Jeder Staat kann fordern, daß inner - halb ſeiner Gränzen lediglich ſein Geſetz gelte. 2. Kein25§. 348. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten.Staat kann die Geltung ſeines Geſetzes außer ſeinen Gränzen fordern(a)Huber § 2, Story § 18 — 21..
Ich will nicht nur die Wahrheit dieſer Sätze einräumen, ſondern ſelbſt ihre Ausdehnung bis zu den äußerſten denk - baren Gränzen anerkennen, glaube aber, daß ſie für die Löſung unſrer Aufgabe wenig Hülfe gewähren.
Die weiteſte Ausdehnung der unabhängigen Staats - gewalt in Beziehung auf Fremde könnte bis zur völligen Rechtloſigkeit der Fremden führen. Eine ſolche Auffaſſung iſt dem Römiſchen Völkerrecht nicht fremd(b)Das R. R. wendet dieſe Rechtloſigkeit, und zwar mit gegen - ſeitigen Folgen, nicht nur auf hostes an, deren Begriff einen erklärten Krieg vorausſetzt, ſondern ſelbſt auf alle Bürger ſolcher Staaten, mit welchen Rom weder foedus noch amicitia gegründet hat. L. 5 § 2 de capt. (49. 15), und auch da, wo ſie von den Römern gegen das Ausland nicht geltend gemacht wird, iſt wenigſtens ein großer Unterſchied in der Rechtsfähigkeit zwiſchen Römern und Fremden ſtets feſtgehalten worden (§ 346). — Das heutige Recht dagegen hat allmälig zur Anerkennung vollſtändiger Rechtsgleichheit zwiſchen Einheimiſchen und Fremden hingeführt(c)Wächter I. S. 253 II. S. 33 — 34. 181. Puchta Pan - dekten § 45. 112. Eichhorn deutſches Recht § 75..
Mit dieſer Rechtsgleichheit der Perſonen iſt jedoch über die Frage wegen der Colliſion zwiſchen dem einhei - miſchen und fremden Rechte noch gar nicht entſchieden. Vor Allem müſſen wir anerkennen, daß, wenn einheimiſche26Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Geſetze über die Behandlung der Colliſionsfälle Vorſchriften geben, dieſe Vorſchriften von den Richtern unſres Staates ſchlechthin angewendet werden müſſen(d)Wächter I. S. 237 fg. Story § 23. — Seltſamerweiſe widerſpricht Struve § 9. 37, indem er die Geſetze für nichtig erklärt, die nicht von richtigen Grundſätzen über die Colliſion ausgehen.. Nur finden ſich ſolche Geſetze in erſchöpfender Weiſe nirgend, insbeſondere nicht in den Staaten, für welche das gemeine deutſche Recht gilt(e)Es tritt alſo hier derſelbe Fall ein, wie bei der Colliſion der Particularrechte (§ 347).
Allerdings könnte das ſtrenge Recht der höchſten Gewalt unter Anderm dahin führen, daß allen Richtern des Landes vorgeſchrieben würden, die ihnen vorkommenden Rechts - verhältniſſe lediglich nach dem einheimiſchen Rechte zu ent - ſcheiden, unbekümmert um die vielleicht abweichenden Be - ſtimmungen irgend eines fremden Rechtes, mit deſſen Land - gebiet etwa das ſtreitige Rechtsverhältniß in Berührung gekommen ſein möchte. Eine ſolche Vorſchrift iſt aber in der Geſetzgebung keines bekannten Staates zu finden, und mußte auch ſchon durch folgende Betrachtung verhindert werden.
Je mannichfaltiger und lebhafter der Verkehr unter den verſchiedenen Völkern wird, deſto mehr wird man ſich über - zeugen müſſen, daß es räthlich iſt, jenen ſtrengen Grundſatz nicht feſtzuhalten, ſondern vielmehr mit einem entgegengeſetzten Grundſatz zu vertauſchen. Dahin führt die wünſchenswerthe Gegenſeitigkeit in der Behandlung der Rechtsverhältniſſe, und27§. 348. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten.die daraus hervorgehende Gleichheit in der Beurtheilung der Einheimiſchen und Fremden, die im Ganzen und Großen durch den gemeinſamen Vortheil der Völker und der Ein - zelnen geboten wird. Denn dieſe Gleichheit muß in voll - ſtändiger Ausbildung dahin führen, daß nicht bloß in jedem einzelnen Staate der Fremde gegen den Einheimiſchen nicht zurückgeſetzt werde (worin die gleiche Behandlung der Per - ſonen beſteht), ſondern daß auch die Rechtsverhältniſſe, in Fällen einer Colliſion der Geſetze, dieſelbe Beurthei - lung zu erwarten haben, ohne Unterſchied, ob in dieſem oder jenem Staate das Urtheil geſprochen werde.
Der Standpunkt, auf den wir durch dieſe Erwägung geführt werden, iſt der einer völkerrechtlichen Gemeinſchaft der mit einander verkehrenden Nationen, und dieſer Stand - punkt hat im Fortſchritt der Zeit immer allgemeinere An - erkennung gefunden, unter dem Einfluß theils der gemein - ſamen chriſtlichen Geſittung, theils des wahren Vortheils, der daraus für alle Theile hervorgeht.
Auf dieſem Wege kommen wir dahin, die Colliſion der Territorialrechte unabhängiger Staaten, von welcher gegen - wärtig die Rede iſt, weſentlich nach denſelben Grundſätzen zu behandeln, welche für die Colliſion verſchiedener Particular - rechte deſſelben Staates gelten (§ 347), und dieſe Gleich - ſtellung iſt für die geſammte folgende Unterſuchung maaß - gebend.
Für beide Arten der Colliſion läßt ſich nunmehr die gemeinſame Aufgabe dahin beſtimmen,28Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.daß bei jedem Rechtsverhältniß dasjenige Rechtsgebiet aufgeſucht werde, welchem dieſes Rechtsverhältniß ſeiner eigen - thümlichen Natur nach angehört oder unterworfen iſt.
Man kann dieſe Gleichſtellung, im Gegenſatz des oben erwähnten ſtrengen Rechts, als freundliche Zulaſſung unter ſouveränen Staaten bezeichnen, nämlich als Zulaſſung ur - ſprünglich fremder Geſetze unter die Quellen, aus welchen die einheimiſchen Gerichte die Beurtheilung mancher Rechts - verhältniſſe zu ſchöpfen haben(f)Huber de conflictu le - gum § 2. „ Rectores imperiorum id comiter agunt, ut jura cujus - que populi … teneant ubique suam vim “. I. Voet. de statu - tis § 1. 12. 17. „ Dein quid ex comitate gens genti … liberaliter et officiose indul - geat, permittat, patiatur, ultro citroque “… — Story con - flict of laws § 24 — 38..
Nur darf dieſe Zulaſſung nicht gedacht werden als Ausfluß bloßer Großmuth oder Willkür, die zugleich als zufällig wechſelnd und vorübergehend zu denken wäre. Vielmehr iſt darin eine eigenthümliche und fortſchreitende Rechtsentwickelung zu erkennen, gleichen Schritt haltend mit der Behandlung der Colliſionen unter den Particular - rechten deſſelben Staates(g)Ich kann daher nicht über - einſtimmen mit Wächter I. S. 240. II. S. 12 — 15, wenn er hierin ſo ſehr warnt gegen Verwechſelung des richterlichen und legislativen Standpunktes. Was er zu dem legislativen Standpunkt rechnet, fällt gewiß großentheils in den richterlichen, bei einem Gegenſtand den die Geſetzgebung ohnehin der wiſſenſchaftlichen Entwickelung.
29§. 348. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten.Nur dadurch muß die eben behauptete Gleichſtellung beider Arten der Colliſion beſchränkt werden, daß bei wi - derſtreitenden Particularrechten (§ 347) die Colliſionsfrage entſchieden werden kann durch ein über beiden Particular - rechten ſtehendes gemeinſames Landesgeſetz. Eine ſolche mögliche Auskunft kann bei widerſtreitenden Geſetzen ver - ſchiedener unabhängiger Staaten allerdings nicht eintreten.
Dieſer Standpunkt einer völkerrechtlichen Gemeinſchaft unter unabhängigen Staaten, aus welchem dann die An - näherung zu einer gegenſeitigen Gleichſtellung in der Be - handlung der Colliſion verſchiedener poſitiver Rechte hervor - gegangen iſt, war den Römern fremd. Der Verkehr der Völker mußte erſt den ungeheuren Schwung erhalten haben, den wir in neueren Zeiten wahrnehmen, damit das Be - dürfniß ſolche Grundſätze zur Anerkennung und Ausbildung bringen konnte.
Wenn dieſer Standpunkt bei neueren Schriftſtellern nicht geradezu wörtliche Anerkennung gefunden hat, ſo liegt er doch, dem Weſen nach, zum Grunde bei dem in dieſer Unterſuchung häufig geltend gemachten allgemeinen Gewohn - heitsrecht(h)Wächter I. S. 255 — 261. II. S. 175 — 177. S. 195. S. 371. — Schäffner § 21.. Zwar wird dieſes Gewohnheitsrecht vor - zugsweiſe behauptet für das Gebiet des gemeinen deutſchen(g)größtentheils überlaſſen hat. Auch liegt eine Annäherung an die hier aufgeſtellte Anſicht in einer anderen Stelle von Wächter (I. 265), worin er den Richter auf Richtung, Sinn und Geiſt ſeiner Landesge - ſetze verweiſt.30Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Rechts. Allein die Ableitung deſſelben aus der (ſtets fort - ſchreitenden) Uebereinſtimmung der Schriftſteller und der Richterſprüche führt gerade hier unwiderſtehlich über dieſe Gränze hinaus. Auch daß ſehr gewöhnlich über den In - halt und die Gränzen jenes Gewohnheitsrechts geſtritten wird, kann hierin Nichts ändern. Die gemeinſame An - nahme des Daſeyns deſſelben, und das gemeinſame Suchen nach deſſen Inhalt, iſt entſcheidend für die hier aufgeſtellte Behauptung. Schwankende und durch einander gehende Meinungen aber können am wenigſten befremden in einer Rechtslehre, die, ſo wie die hier vorliegende, noch erſt im Werden begriffen iſt(i)Vgl. hierüber die Vorrede zum gegenwärtigen Bande..
Die hier aufgeſtellten Grundſätze über die mögliche, wünſchenswerthe, zu erwartende völkerrechtliche Gemein - ſchaft in der Behandlung der Colliſionen örtlicher Rechte können eine beſondere Förderung erhalten, wenn über dieſen Gegenſtand unter verſchiedenen, beſonders unter benach - barten Staaten, bei welchen die Colliſionsfälle am häufigſten eintreten, Staatsverträge geſchloſſen werden. Solche Staatsverträge ſind nicht blos von Rechtslehrern lebhaft gewünſcht und empfohlen worden, ſondern auch in der That ſchon vorlängſt zu Stande gekommen(k)I. Voet. § 1. 12. 17.. Es würde31§. 348. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten.unrichtig ſein, ſolche Verträge, wo ſie ſich finden, ſo aufzu - faſſen, als werde darin etwas ganz Neues poſitiv feſtge - ſtellt, ſo daß, abgeſehen von denſelben, und vor ihrer Zeit, etwa gerade das Gegentheil gegolten haben müßte. Viel - mehr ſind ſie faſt immer als der Ausdruck der oben dar - gelegten allgemeinen Rechtsgemeinſchaft anzuſehen, mithin als Verſuche, dieſe Rechtsgemeinſchaft ſtets vollſtändiger zur Anerkennung zu bringen.
Kein Staat hat in neuerer Zeit ſo zahlreiche Verträge dieſer Art mit anderen Staaten geſchloſſen, als der Preußi - ſche, und in dieſen Verträgen beſonders iſt der eben aufge - ſtellte Geſichtspunkt ganz unverkennbar vorherrſchend geweſen. Ich will hier eine Ueberſicht dieſer Preußiſchen Staatsver - träge mit Nachbarſtaaten geben, um in der Folge dieſer Unterſuchung leichter darauf zurückweiſen zu können.
Unſere Unterſuchung hat bisher dahin geführt, daß auch bei der Entſcheidung über ſolche Rechtsverhältniſſe, welche mit verſchiedenen unabhängigen Staaten in Berührung kommen, der Richter dasjenige örtliche Recht anzuwenden hat, dem das ſtreitige Rechtsverhältniß angehört, ohne Un - terſchied, ob dieſes örtliche Recht das einheimiſche Recht dieſes Richters, oder das Recht eines fremden Staates ſein mag (§ 348.).
Dieſer Grundſatz aber muß nunmehr beſchränkt werden mit Rückſicht auf manche Arten von Geſetzen, deren beſon - dere Natur einer ſo freien Behandlung der Rechtsgemein - ſchaft unter verſchiedenen Staaten widerſtrebt. Bei ſolchen Geſetzen wird der Richter das einheimiſche Recht aus - ſchließender anzuwenden haben, als es jener Grundſatz ge - ſtattet, das fremde Recht dagegen unangewendet laſſen müſſen, auch wo jener Grundſatz die Anwendung rechtfer - tigen würde. Daraus entſteht eine Reihe von Ausnahme - fällen wichtiger Art, deren Gränzen feſtzuſtellen vielleicht die ſchwierigſte Aufgabe in dieſer ganzen Lehre ſein mag. 33§. 349. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten. (Fortſ.)Die oft unbewußte Rückſicht unſerer Schriftſteller auf dieſe Ausnahmefälle hat nicht wenig dazu beigetragen, die über - einſtimmende Anerkennung der Regeln zu verhindern, die durch dieſelben beſchränkt werden. Sollte es gelingen, jene Ausnahmen als ſolche, und zugleich die wahren Gränzen derſelben, auf überzeugende Weiſe feſtzuſtellen, ſo dürfte da - durch vielleicht mancher Widerſtreit über die Regeln ſelbſt beſeitigt, und ſo die gegenſeitige Annäherung der ſtreitenden Parteien gefördert werden.
Ich will es verſuchen, die angedeuteten Ausnahmen auf zwei Klaſſen zurückzuführen:
Schon oben ſind verſchiedene Gegenſätze in der Natur und Herkunft der Rechtsregeln hervor gehoben worden(a)S. o. B. 1 § 15. 16. 22.. An dieſe müſſen wir hier anknüpfen, wir reichen damitVIII. 334Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.aber für den gegenwärtigen Zweck nicht aus, müſſen viel - mehr die verſchiedene Natur der Rechtsregeln noch genauer betrachten.
Zwar könnte man glauben, hier auszureichen mit der Unterſcheidung abſoluter und vermittelnder Rechtsregeln (§ 16), allein auch darin würde man ſich täuſchen. Zwar iſt dieſe Unterſcheidung inſofern von einigem Einfluß auf unſre Frage, als niemals eine blos vermittelnde Rechts - regel in die Reihe jener Ausnahmefälle gehören wird(b)Jedes Geſetz über die In - teſtaterbfolge iſt ein vermittelndes, weil es nur wirkt in Ermangelung eines letzten Willens. Daher iſt es auch allgemein anerkannt, daß ſolche Geſetze außer dem Ge - biete, wofür ſie gegeben ſind, wirken können; denn die häufigen abweichenden Meinungen betreffen nicht dieſe Geſetze an ſich, ſondern nur ihre Anwendung auf das Grundeigenthum, wovon unten ausführlich die Rede ſein wird (§. 376).. Dagegen würde es umgekehrt ganz irrig ſein, allen abſo - luten Geſetzen eine ſo poſitive, zwingende Natur zuzuſchrei - ben, daß ſie unter die Ausnahmefälle gerechnet werden müßten. So z. B. gehört jedes Geſetz über den Anfang der Volljährigkeit unter die abſoluten Geſetze, weil es nicht blos in Ermangelung einer anders beſtimmenden Privat - willkür wirken ſoll; dennoch ſind Alle darüber einig, daß gerade dieſes Geſetz auch außer den Gränzen des Staates, worin es gegeben iſt, unbedenklich wirken kann (§ 362).
Ob nun irgend ein Geſetz unter die Ausnahmefälle zu rechnen iſt, das hängt vor Allem von der Abſicht des Ge - ſetzgebers ab. Hat dieſer ſich darüber ausdrücklich erklärt,35§. 346. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten. (Fortſ.)ſo muß dieſe Erklärung gelten, da dieſelbe dann die Na - tur eines Geſetzes über die Colliſion hat, welches ſtets unbedingt befolgt werden muß (§ 348 d.). Allein an einer ſolchen ausdrücklichen Erklärung wird es meiſt fehlen, und dann bleibt Nichts übrig, als auf die verſchiedene Na - tur der abſoluten Geſetze zurück zu gehen, die uns auf fol - gende Unterſcheidung führen muß.
Eine Klaſſe der abſoluten Geſetze hat keinen anderen Grund und Zweck, als die Handhabung des Rechts durch feſte Regeln zu ſichern, ſo daß ſie erlaſſen werden lediglich um der Perſonen Willen, welche die Träger der Rechte ſind. Dahin gehören die Geſetze über die Einſchränkung der Handlungsfähigkeit wegen des Alters, des Geſchlechts u. ſ. w. Ferner die Geſetze über die Formen der Ueber - tragung des Eigenthums (durch bloßen Vertrag oder durch Uebergabe). — Bei allen Geſetzen ſolcher Art iſt kein Grund vorhanden, ſie unter die Ausnahmefälle zu rechnen, die da - bei eintretende Colliſionen können vielmehr nach dem Grund - ſatz der freieſten Rechtsgemeinſchaft geſchlichtet werden, da jeder Staat unbedenklich auch innerhalb ſeiner Gränzen dem fremden Geſetze ſolcher Art eine Einwirkung geſtat - ten kann.
Eine andere Klaſſe der abſoluten Geſetze dagegen hat ihren Grund und Zweck außer dem reinen, in ſeinem abſtracten Daſein aufgefaßten, Rechtsgebiet(c)„ contra rationem juris “, ſ. o. B. 1 § 16 Note p. , ſo daß ſie3*36Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.erlaſſen werden nicht lediglich um der Perſonen Willen, welche die Träger der Rechte ſind. — Die Geſetze dieſer Klaſſe können beruhen auf ſittlichen Gründen. Dahin gehört jedes Ehegeſetz, welches die Polygamie ausſchließt. — Sie können auch beruhen auf Gründen des öffent - lichen Wohls (publica utilitas), mögen dieſe nun mehr einen politiſchen, einen polizeilichen, oder einen volkswirth - ſchaftlichen Charakter an ſich tragen. Dahin gehören manche Geſetze, welche den Erwerb des Grundeigenthums von Seiten der Juden einſchränken.
Alle Geſetze ſolcher Art gehören zu den oben erwähn - ten Ausnahmefällen, ſo daß in Beziehung auf ihre Anwen - dung jeder Staat für ſich als völlig abgeſchloſſen erſcheint. — Schließt alſo das Geſetz unſers Staates die Polygamie aus, ſo muß unſer Richter auch der polygamiſchen Ehe ſolcher Ausländer, deren Landesgeſetz ſie zuläßt, den Rechts - ſchutz verſagen. — Unterſagt unſer Geſetz den Juden die Erwerbung des Grundeigenthums, ſo muß unſer Richter nicht nur den einheimiſchen Juden den Erwerb unterſagen, ſondern auch den auswärtigen, in deren Staat ein ſolches Verbot nicht beſteht, wenngleich nach den allgemeinen Re - geln über die Colliſion die perſönliche Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit nach den Geſetzen des Wohnſitzes der Perſon beurtheilt werden müßte. Ebenſo aber umgekehrt wird der fremde Staat, deſſen Geſetz eine ſolche Beſchrän - kung der Juden nicht kennt, auch die unſerm Staate ange -37§. 349. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten. (Fortſ.)hörenden Juden zum Grundbeſitz zulaſſen, ohne Rückſicht auf das beſchränkende Geſetz ihres perſönlichen Wohnſitzes.
Der Richter eines Staates, dem der bürgerliche Tod der Franzöſiſchen oder Ruſſiſchen Geſetzgebung unbekannt iſt, wird auf Perſonen, die in dieſen Ländern dem bürger - lichen Tode unterworfen worden ſind, die damit verbundene Rechtsunfähigkeit nicht anzuwenden haben, wenngleich, nach allgemeinen Regeln über die Colliſion, der perſönliche Zu - ſtand beurtheilt werden müßte nach dem am Wohnſitz gel - tenden Recht(d)Vgl. oben B. 2 § 75. — Anderer Meinung iſt in dieſem Punkte Schäffner § 35, außer wenn man etwa die auswärtige Wirkſamkeit des Straferkennt - niſſes verneinen möchte.. — Eben ſo wird in einem Staate, der die Sklaverei nicht kennt, ein Negerſklave, der ſich daſelbſt aufhält, nicht als Eigenthum ſeines Herrn, und nicht als rechtsunfähig, behandelt werden können(e)Wächter II. S. 172. Schäffner § 34.. In dieſem letzten Fall werden ſogar beide hier aufgeſtellte Geſichts - punkte zuſammen treffen, und zu einem und demſelben Ziele führen. Die Sklaverei iſt als Rechtsinſtitut unſerm Staate fremd, in ihm nicht anerkannt; und zugleich iſt es von unſerm Standpunkte aus etwas durchaus Unſittliches, einen Menſchen als Sache zu behandeln. Bei dem vorher ange - führten Fall des bürgerlichen Todes würde nur der erſte Grund geltend gemacht werden können, nicht der zweite, da38Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.der bürgerliche Tod nicht unſittlicher iſt, als jede andere ſehr harte Strafe.
Die hier zuſammen geſtellten Klaſſen abſoluter Geſetze, ſo verſchieden von einander ſie außerdem ſein mögen, kom - men darin überein, daß ſie ſich der für die Colliſion des örtlichen Rechts im Allgemeinen geforderten Rechtsgemein - ſchaft aller Staaten entziehen, daß ſie alſo in dieſer Hin - ſicht eine anomale Natur haben. Es iſt aber zu erwarten, daß dieſe Ausnahmefälle, in Folge der natürlichen Rechts - entwickelung der Völker, ſich fortwährend vermindern werden(f)Die wichtigſten und mannich - faltigſten Anwendungen der hier aufgeſtellten Regeln werden unten in der Lehre von der Rechtsfähig - keit und Handlungsfähigkeit vor - kommen (§ 365). Was nun hier vielleicht in einer zu abſtracten Geſtalt erſcheint, wird dort mehr Anſchaulichkeit gewinnen, und durch dieſe geeigneter ſein, Ueber - zeugung zu bewirken..
Die in dem gegenwärtigen Paragraphen abgehandelten Ausnahmen von den ſonſt geltenden Regeln der Colliſion beziehen ſich zunächſt auf die widerſtreitenden Territorial - rechte verſchiedener Staaten. Bei den Particularrechten eines und deſſelben Staates (§ 347) werden ähnliche Ver - hältniſſe weit ſeltener vorkommen, da die oben charakteri - ſirten Geſetze von ſtreng poſitiver, zwingender Natur meiſt - für den ganzen Umfang eines Staates erlaſſen werden, alſo ohne Rückſicht auf die Gränzen particulärer Rechte. Doch kommen auch innerhalb deſſelben Staates ſolche anomale39§. 349. Widerſtreit. Territorialrechte in verſchied. Staaten. (Fortſ.)Verhältniſſe vor, wenn nämlich die Verſchiedenheit örtlicher Rechte aus einer Zeit herrührt, in welcher manche gegen - wärtige Beſtandtheile des Staates noch nicht zu ihm ge - hört haben. Dieſes gilt namentlich von dem Recht der Preußiſchen Rheinprovinz im Verhältniß zu dem in den übrigen Preußiſchen Provinzen geltenden Recht. Dann werden die in dem gegenwärtigen Paragraphen aufgeſtell - ten beſonderen Regeln auch innerhalb der Gränzen deſſelben Staates zur Anwendung kommen können.
Unſere Unterſuchung hat bis jetzt dahin geführt, daß die Colliſion verſchiedener poſitiver Rechte in der Beur - theilung eines Rechtsverhältniſſes zunächſt und hauptſächlich zu entſcheiden iſt nach dem Rechtszuſtand der Perſon, welche in dieſem Rechtsverhältniß ſteht, und daß ſelbſt die zahlreichen und wichtigen Abweichungen von dieſem Grund - ſatz nur im Zuſammenhang mit denſelben und als Modifi - cationen deſſelben richtig verſtanden werden können (§ 345). Es wurde ferner gezeigt, daß der Rechtszuſtand der Perſon, nach der ſeit langer Zeit allgemein anerkannten Regel, durch das Landgebiet (nicht durch die Abſtammung) beſtimmt werde (§ 346 — 348).
Allein auch dieſe gewonnene Einſicht hat nur erſt eine formelle Bedeutung. Denn es bleibt noch die Frage übrig:40Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Wodurch wird die einzelne Perſon mit ihrem Rechtszuſtand an das Land gebunden? Welches iſt alſo der Grund, der zwiſchen der Perſon und dem Territorialrecht den Zuſammen - hang vermittelt? Unſere nächſte Aufgabe muß auf die Be - antwortung dieſer Frage gerichtet ſein.
Hier treten uns nun zwei thatſächliche Verhältniſſe als ſolche Vermittelungsgründe entgegen: Origo und domicilium, Herkunft und Wohnſitz. Wir haben uns die Bedeutung derſelben, den juriſtiſchen Einfluß, das Verhältniß beider zu einander klar zu machen.
Daran nun zweifelt Niemand, daß uns ſowohl dieſe Ausdrücke, als die mit denſelben bezeichneten Rechtsbegriffe, durch das Römiſche Recht zugekommen ſind: Alle, die davon Anwendung machen, gehen auf die Quellen des Römiſchen Rechts zurück. Wir müſſen alſo vor Allem genau feſtzu - ſtellen ſuchen, was ſich die Römiſchen Juriſten unter jenen Ausdrücken denken, und welchen Einfluß ſie den dadurch bezeichneten Rechtsbegriffen beilegen. Damit iſt aber keines - weges geſagt, daß die Römiſche Auffaſſung derſelben auch für uns maaßgebend ſein müſſe. Vielmehr wird ſich im Fortgang der Unterſuchung zeigen, daß eben hierin unſer Rechtszuſtand die größten Abweichungen von dem Römiſchen darbietet. Es ſoll zunächſt nur gegen die auf bloßen Miß - verſtändniſſen beruhende Anwendung vermeintlicher Römiſcher Kunſtausdrücke und Rechtsbegriffe ein ſicherer Schutz ge - währt werden.
Hierin nun hat es mit einem der angeführten Aus -41§. 350. Origo und domicilium. Einleitung.drücke, dem domicilium, wenig Gefahr, indem ſich hierin der Rechtszuſtand weſentlich nicht verändert hat, dabei alſo ſchon die tägliche Anwendung hinreicht, die richtige Auf - faſſung feſtzuhalten. Anders verhält es ſich mit der origo (Herkunft); und zwar auch hier nicht etwa deshalb, weil die Ausſprüche des Römiſchen Rechts über dieſen Gegen - ſtand dunkel oder zweideutig wären, ſondern weil hierin unſer Rechtszuſtand von dem Römiſchen durchaus verſchie - den iſt, die Lebenserfahrung alſo nicht ſchon als Schutz gegen eine unrichtige Auffaſſung der Begriffe dienen kann. Da nun der eben erwähnte Ausdruck an ſich leicht dahin führt, ihn von dem Geburtsort zu verſtehen, ſo hat ſich dieſer letzte Begriff bei den neueren Rechtslehrern häufig Geltung verſchafft, auch bei denen, die daneben die wahre Bedeutung der origo aus den Quellen des Römiſchen Rechts an - geben(a)Voet. ad Pand. V. 1. §. 91. „ Est autem originis lo - cus, in quo quis natus est, aut nasci debuit, licet forte re ipsa alibi natus esset, matre in peregrinatione parturiente. “ Durch den Zuſatz wird allerdings den nachtheiligen Folgen des fal - ſchen Grundbegriffs entgegen ge - arbeitet; die folgenden Allegate aber erwähnen, daß hierin die Meinungen ſchwankend ſeien. Eben ſo iſt Glück B. 6 § 511 ſchwan - kend und verworren, indem mitten in die richtigen Angaben immer wieder der Geburtsort hinein ſpielt.. Der bloße Geburtsort an ſich aber iſt ein höchſt zufälliger Umſtand, ohne allen juriſtiſchen Einfluß.
Bevor nun der wahre Sinn jener Kunſtausdrücke feſt - geſtellt werden kann, muß bemerklich gemacht werden, daß die praktiſche Bedeutung derſelben keinesweges auf die Ent -42Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſcheidung unſrer Colliſionsfrage, als auf eine vereinzelte Folge, eingeſchränkt werden darf, ſondern daß vielmehr dieſe Entſcheidung ſelbſt nur als einzelnes Stück eines größeren Zuſammenhanges aufgefaßt werden darf.
Jeder Einzelne nämlich iſt in den Verhältniſſen des öffentlichen Rechts in einer zweifachen Abhängigkeit oder Verpflichtung zu denken. Erſtlich zu dem Staate im Ganzen, dem er als Bürger und Unterthan angehört. Zweitens zu irgend einem engeren, örtlichen Kreiſe (nach Römiſcher Verfaſſung einer Stadtgemeinde), der ein orga - niſches Glied jenes größeren Ganzen bildet. Die Abhängig - keit von dieſem engeren Kreiſe, der Zuſammenhang mit demſelben, erſcheint in mannichfaltigen wichtigen Folgen; nach Römiſchem Recht bald in der Verpflichtung zu ſtädti - ſchen Laſten (munera); bald in dem Gehorſam gegen ſtäd - tiſche Obrigkeiten; bald in dem ſtädtiſchen poſitiven Recht, welches als das perſönliche Recht dieſes Einzelnen anzu - ſehen iſt.
Der Gehorſam gegen die örtlichen Obrigkeiten zeigt ſich in dem Gerichtsſtand, dem jeder Einzelne regelmäßig unter - worfen iſt, dem forum originis und forum domicilii.
Das örtliche poſitive Recht endlich, als das perſönliche Recht jedes Einzelnen, war die Veranlaſſung, dieſen Ge - genſtand ſchon an dieſer Stelle vorläufig zur Sprache zu bringen; es ſollte namentlich ſchon im Eingang auf den Zuſammenhang zwiſchen dem Gerichtsſtand und dem per -43§. 350. Origo und domicilium. Einleitung.ſönlichen Recht (forum und lex originis, forum und lex domicilii) aufmerkſam gemacht werden(b)Es darf nicht anſtößig gefunden werden, daß hier von dieſen Dingen in ſo allgemeinen, abſtracten Ausdrücken geſprochen wird. Die genauere Beſtimmung und Bezeichnung iſt erſt im Fort - gang der Unterſuchung möglich, und zwar ſowohl für das Römi - ſche Recht, als für das heutige..
Nach dieſer Vorbemerkung ſoll nunmehr ſowohl die wahre Bedeutung von origo und domicilium im Römiſchen Recht, als das praktiſche Verhältniß dieſer beiden Begriffe zu einander, feſtgeſtellt werden. Es verhält ſich nämlich damit alſo, daß für jeden Einzelnen durch origo und domicilium beſtimmt wird:
Und zwar werden dieſe Wirkungen hervorgebracht bald von den beiden oben bezeichneten Verhältniſſen (origo und domicilium) neben einander, ſo daß ſie an zwei verſchie - denen Orten zugleich eintreten können, bald von einem der - ſelben allein. Alles Dieſes ſoll nunmehr näher beſtimmt werden.
Gemeinſame Quellen für origo und domicilium.
Zur Zeit der ausgebildeten Römiſchen Verfaſſung gegen das Ende der Republik und in den erſten Jahrhunderten der Kaiſerregierung, war der Zuſtand der einzelnen Beſtand - theile des Römiſchen Reichs folgender(a)Vgl. Savigny Geſchichte des Römiſchen Rechts im Mittel - alter. B. 1. Kap. 2..
Ganz Italien, außer der Stadt Rom, beſtand aus einer großen Zahl von Stadtgemeinden, meiſt Municipien und Colonieen, nebſt einigen untergeordneten Klaſſen von Ge - meinden. Jede derſelben hatte eine mehr oder weniger ſelbſtſtändige Verfaſſung, mit eigenen Obrigkeiten, mit Ge - richtsbarkeit, und ſelbſt mit beſonderer Geſetzgebung (§ 347 d.). Der ganze Boden von Italien alſo, mit Ausnahme der Stadt Rom und ihres beſonderen Gebietes, war in den Gebieten dieſer Städte enthalten, und alle einzelne Ein -45§. 351. Origo und domicilium I. Origo. wohner von Italien waren Angehörige entweder der Stadt Rom, oder irgend einer dieſer ſtädtiſchen Gemeinden.
Die Provinzen dagegen hatten urſprünglich ſehr ver - ſchiedene Verfaſſungen. Indeſſen wurden ſie allmälig immer mehr der Städteverfaſſung von Italien angenähert, wenn gleich dieſe nicht ſo vollſtändig und eingreifend in ihnen durchgeführt wurde. Zur Zeit der großen Juriſten, im zweiten und dritten Jahrhundert unſrer Zeitrechnung, konnte man den ſo eben für Italien aufgeſtellten Grundſatz faſt auf das ganze Reich anwenden: der Boden des Reichs war faſt ganz in beſtimmten Stadtgebieten enthalten, und die Einwohner des Reichs waren nunmehr Angehörige ent - weder der Stadt Rom, oder irgend einer anderen ſtädtiſchen Gemeinde(b)In wiefern ſie auch beides zugleich ſeyn konnten, ſpäterhin ſogar ſein mußten, wird weiter unten feſtgeſtellt werden..
Die Stadtgemeinden führen den gemeinſamen Namen civitates oder respublicae(c)S. o. B. 2 § 87. Auch municipes, als collectiver Aus - druck, wird häufig gebraucht, um die Gemeinde ſelbſt, als juriſtiſche Perſon, zu bezeichnen; der Aus - druck ſteht dann für municipium, welches letzte aber gerade in dieſer abſtracten Bedeutung (für Städte jeder Art) nicht üblich iſt (§ 352. f. g).. Das Gebiet jeder Stadt heißt territorium, auch wohl regio(d)Territorium. L. 239 § 8 de V. S. (50. 16 ), L. 20 de jurisd. (2. 1 ), L. 20 de jud. (5. 1 ), L 53 C. de decur. (10. 31). — Regio. Siculus Flaccus de condicionibus agrorum, gleich im Anfang der Schrift, p. 135 der Gromatici veteres ed. Lach - mann Berol. 1848.. Jedes ſtädtiſche Gebiet, und die demſelben angehörende Gemeinde, umfaßte46Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.zugleich die in deſſen Gränzen befindlichen vici(e)L. 30 ad mun. (50. 1). In der älteren Zeit gab es auch vici, die eine eigene res publica hatten. Festus v. vici. , ſo wie die darin einzeln liegenden Höfe, in welchen zu allen Zeiten ein ſo großer Theil der Bevölkerung von Italien enthalten war. Aus dieſem Grunde eben läßt ſich behaupten, daß faſt der geſammte Boden des Reichs in einer großen Zahl von Stadtgebieten aufging.
Es iſt nunmehr zu beſtimmen, wie jeder Einzelne An - gehöriger einer Stadtgemeinde wird, alſo zu ihr in ein beſtimmtes Verhältniß der Abhängigkeit tritt. Dieſes ge - ſchieht auf zweierlei Weiſe: erſtlich durch das Bürger - recht der Gemeinde (origo), zweitens durch den Wohn - ſitz in dem Stadtgebiet (domicilium).
I. Bürgerrecht.
Das Bürgerrecht wird erworben durch folgende That - ſachen: Geburt, Adoption, Freilaſſung, Auf - nahme(f)L. 1 pr. ad mun. (50. 1). „ Municipem aut nativitas facit, aut munumissio, aut adoptio “. L. 7 C. de incolis (10. 39 ) „ Cives quidem origo, manumissio, allec - tio, vel adoptio, incolas vero .. domicilium facit “. .
Aufgehoben wurde das Bürgerrecht mit ſeinen Folgen nicht durch den einſeitigen Willen der Perſonen, die durch irgend eine der hier angegebenen Thatſachen in daſſelbe ein - getreten waren(p)L. 6 pr. ad mun. (50. 1 ), L. 4. 5 C. de municip. (10. 38). — Eine Entlaſſung durch die Stadt - behörde mußte eben ſo gut eintreten können, als die Aufnahme durch dieſelbe.. — Durch rechtsgültige Ehe in einer fremden Stadt trat die Ehefrau zwar nicht eigentlich aus dem angebornen Bürgerverhältniß aus; allein ſie war, wäh - rend der Dauer der Ehe, von den damit verbundenen per - ſönlichen Laſten (munera) befreit(q)L. 37 § 2. L. 38 § 3 ad mun. (50. 1). L. 1 C. de muner. (10. 62).. — Eine ähnliche Be - freiung von perſönlichen Laſten, ohne gänzliche Zerſtörung des angebornen Bürgerrechts, galt für den Stadtbürger, der zur Würde eines Senators des Römiſchen Reichs er - hoben wurde, ſo wie für deſſen Nachkommenſchaft(r)L. 23 pr. L. 22 § 4. 5 ad mun. (50. 1).; des - gleichen für jeden Soldaten, ſo lange ſein Dienſtverhältniß dauerte(s)L. 3 § 1. L. 4 § 3 de muner. (50 4)..
Aus den hier aufgeſtellten Regeln folgt der wichtige Satz, daß nicht ſelten eine und dieſelbe Perſon zu mehreren Städten des Römiſchen Reichs gleichzeitig in einem wahren Bürgerverhältniß ſtehen konnte, alſo die Rechte einer jeden dieſer Städte vereinigte, und die Laſten einer jeden zu tra - gen hatte(t)Dieſer Satz ſcheint im Wi - derſpruch zu ſtehen mit Cicero pro Balbo Cap. II. „ Duarum civitatum civis esse nostro jure. So konnte zu dem angeborenen BürgerrechtVIII. 450Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ein ſpäteres durch Adoption oder Aufnahme treten, welche beide neben einander beſtanden (Note l). Und eben ſo konnte der freigelaſſene Sklave gleich Anfangs in ein mehrfaches Bürgerverhältniß durch die Freilaſſung gebracht werden (Note n).
Auf der anderen Seite aber war es denkbar, daß Je - mand in keiner Stadt ein Bürgerverhältniß hatte, obgleich dieſer Fall gewiß nicht häufig vorkam. Er mußte eintre - ten, wenn ein Ausländer als Einwohner in das Römiſche Reich aufgenommen wurde, ohne durch Aufnahme Bürger irgend einer einzelnen Stadt zu werden (Note o); eben ſo, wenn der Bürger irgend einer Stadt aus dem ſtädtiſchen Verband derſelben entlaſſen wurde (Note p), ohne in eine andere Bürgergemeinde aufgenommen zu werden; endlich auch bei den Freigelaſſenen der unterſten Klaſſe, welche dedititiorum numero waren, und keiner Gemeinde ange - hörten(u)Ulpian. XX. § 14..
Die urſprüngliche große Verſchiedenheit der Städte - verfaſſung in Italien und den Provinzen könnte leicht zu(t)civili nemo potest. “ Allein in dieſer Stelle iſt die Rede von Städten außer dem Römiſchen Staate, die als ſouveräne Staaten neben demſelben ſtanden. Wir ſprechen von den Städten inner - halb des Römiſchen Reichs.51§. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Fortſ.)der Annahme verleiten, daß die hier vorgetragenen Regeln über die Stadtgebiete und das Stadtbürgerrecht nur in Italien, nicht in den Provinzen, Geltung gehabt hätten. In der That aber war hierin faſt gar kein Unterſchied.
Die Stadtgebiete (territoria) waren in faſt allen Pro - vinzen(a)Es muß nämlich Aegypten ausgenommen werden, welches in jeder Hinſicht eine durch große Be - ſchränkungen ausgezeichnete Ver - faſſung hatte. So war daſelbſt kein Proconſul oder Proprätor, ſondern nur ein praefectus Au - gustalis von geringerem Rang. (Dio Cass. 51. 17, 53. 13, Tacitus hist. 1.11, Digest. 1. 17). Eben ſo aber gab es daſelbſt nur Diſtricte (Nomen), keine Stadt - gemeinden, und nur in Alexandrien fand ſich ein Bürgerrecht (Plinius epist. X. 5. 22. 23). eben ſo abgegränzt, wie in Italien. Dieſe Gränzen, ſo wie der Einfluß derſelben auf die Verpflich - tung zu ſtädtiſchen Laſten, namentlich in den zu den Städten gehörenden Dörfern, gaben auch in den Provinzen nicht ſelten Anlaß zu Prozeſſen. Nur darin wird ein Unterſchied bemerkt, daß in manchen Provinzen, namentlich in Afrika, die Stadtgebiete nicht den ganzen Boden des Landes er - ſchöpfen, indem hier im Beſitz mancher Privatperſonen, auch des Kaiſers, ſehr ausgedehnte, zur Weide benutzte, Land - ſtrecken (saltus) waren, die ganz für ſich beſtanden, und zu keinem Stadtgebiete gehörten(b)Agennius Urbicus de controversiis agrorum p. 84. 85 der Gromatici veteres ed. Lach - mann Berol. 1848..
Die oben vorgetragene Lehre von dem Stadtbürgerrecht, welches durch Geburt, Freilaſſung u. ſ. w. entſtand, wird von den alten Juriſten in Anwendung auf Provinzialſtädte,4*52Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ganz ohne Unterſchied von den Italieniſchen Städten, vor - getragen(c)L. 1 § 2. L. 37 pr. ad mun. (50. 1 ) (Ilium, Delphi, Pontus). L. 2 C. de municip. (10. 38 ) (Aquitaniſche Städte). L. 7 § 10 de interd. et releg. (48. 22).. Eben ſo auch die Anwendung dieſes Rechts auf die ſtädtiſchen Laſten, ſo wie auf die einzelnen Befrei - ungen von dieſen Laſten (vacatio und immunitas)(d)L. 8 pr. L. 10 § 1 de vacat. (50. 5 ), L. 5 § 1 de j. immunitatis (50. 6)..
So vielfachen und unzweideutigen Zeugniſſen gegen - über würde mit Unrecht eine Stelle des Ulpian gel - tend gemacht werden, zum Beweiſe, daß in den Provinzen überhaupt kein jus originis, ſondern nur allein das domi - cilium, beachtet worden wäre(e)L. 190 de V. S. (50. 16 ) „ Provinciales eos accipere de. bemus, qui in provincia domi - cilium habent, non eos, qui in provincia oriundi sunt. “ Dieſe Stelle, wie ſo viele andere deſſelben Titels, hat nur in den Digeſten einen falſchen Schein von Allge - meinheit, anſtatt daß ſie urſprüng - lich nur von einer ganz einzelnen Anwendung verſtanden werden ſollte, die nur jetzt nicht mit Sicherheit zu ermitteln iſt. Vgl. über dieſe Stelle: Gundlingiana St. 31 N. 2 S. 34 — 43. Conradi par - erga p. 488 — 506. Hollweg Verſuche S. 6. — Bei dem Ehe - verbot zwiſchen den Römiſchen Provinzialbeamten und den Pro - vinzialinnen heißt es in L. 38 pr. de ritu nupt. (23. 2) gerade um - gekehrt: „ inde oriundam, vel ibi domicilium habentem uxo - rem ducere non potest “, wobei es ganz willkürlich iſt, wenn Manche das vel durch id est erklären wollen..
Hieran ſchließt ſich folgende, zum Verſtändniß unſerer Rechtsquellen nicht unwichtige, Bemerkung über den Sprach - gebrauch, welche die Bedeutung der Ausdrücke municipium und municeps zum Gegenſtand hat. — Die urſprüng - liche Bedeutung dieſer Ausdrücke iſt nicht blos in neueren53§. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Fortſ.)Zeiten beſtritten und zweifelhaft, ſie war es auch ſchon bei den Römern ſelbſt. Die Zweifel ſind dabei theils ſprach - licher, theils ſachlicher, alſo geſchichtlicher Art(f)Vgl. beſonders Niebuhr Römiſche Geſchichte B. 2 S. 56 — 88. der dritten Ausgabe. Außer - dem iſt zu benutzen ein Programm von Rudorff, welches als Vor - rede zum lateiniſchen Lections - Katalog der Berliner Univerſität, Winterſemeſter 1848, abgedruckt iſt.. Wir können aber für unſern Zweck dieſe ſchwierige Unterſuchung auf ſich beruhen laſſen, da ſich ſpäterhin der Sprachgebrauch in folgender Weiſe unzweifelhaft feſtgeſtellt hat. — Seit der Lex Julia über das allgemeine Bürgerrecht von Italien war municipium die regelmäßige Bezeichnung der Einen Hauptklaſſe Italiſcher Städte, der Städte nämlich, die nicht von Rom aus als Gemeinden zuerſt begründet worden waren, im Gegenſatz der anderen Hauptklaſſe, der colo - niae(g)In der Lex Julia munici - palis (tabula Heracleensis) iſt die regelmäßige, ſtets wiederkehrende, Aufzählung der Stadtgemeinden in Italien folgende: municipium, colonia, praefectura, forum, conciliabulum (Haubold mo - numenta legalia N. XVI); faſt eben ſo in der Lex Rubria (ibid. N. XXI).. Der Name municipium, der allerdings auch in den Provinzen nicht ſelten iſt, wurde aber auf die Pro - vinzen keinesweges allgemein übertragen, zu der Zeit, als die Civität dem ganzen Reiche, alſo allen Städten, mitge - theilt wurde. Sollte nun eine Stadtgemeinde überhaupt bezeichnet werden, ohne Unterſchied zwiſchen Municipien und Colonieen, zwiſchen Italien und den Provinzen, ſo wurden dafür regelmäßig die Ausdrücke respublica und civitas gebraucht. — Municeps aber erſcheint bei den alten54Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Juriſten als die gemeinſame Bezeichnung eines jeden Stadt - bürgers, ohne Rückſicht auf die eben erwähnten Unterſchiede, alſo eben ſo allgemein, wie die für das Ganze gebrauchten Ausdrücke respublica und civitas(h)L. 1 § 1 ad mun. (50. 1 ) „ Et proprie quidem municipes appellantur muneris participes, recepti in civitatem, ut munera nobiscum facerent; sed nunc abusive municipes dicimus suae cujusque civitatis cives, utputa Campanos, Puteolanos. (Im § 2 wird derſelbe Sprachgebrauch angewendet auf Ilium und Delphi). Eben ſo in L. 23 pr. eod. — Das abusive hat hier eine doppelte Bedeutung. Erſtlich (wovon Ul - pian zunächſt ſpricht) im Gegen - ſatz der oben im Text erwähnten urſprünglichen, alterthümlichen Be - deutung, die in den vorhergehenden Worten des Ulpian angedeutet iſt. Zweitens aber auch in der anderen Bedeutung, daß Municeps nicht blos auf Municipien angewendet wurde, ſondern auch auf Colonieen und Provinzialſtädte. Dieſe letzten kommen im § 2 vor; Puteoli aber war ſeit Nero durchaus Colonie. Tacitus ann. XIV. 27. — In der erſten Beziehung findet ſich der abuſive Sprachgebrauch (muni - ceps für civis überhaupt) ſchon bei Cicero ad fam. XIII. 11 „ meos municipes Arpinates “pro Cluentio 16 „ municipum suorum dissimillimus “und de legibus II. 2. Sehr genau unterſcheidet noch die Lex Julia municipalis lin. 145 (Haubold pag. 129): municipes, coloni und qui ejus praefecturae erant (vgl. lin. 159 — 163). Und dennoch mag gerade dieſes Geſetz die ſpätere allgemeine Bedeutung des Aus - drucks municipes vorzugsweiſe be - fördert haben, da daſſelbe die Ita - liſchen Stadtbürger aller Klaſſen gemeinſchaftlich umfaßte, und zu - gleich den Namen Lex Julia mu - nicipalis führte.. Für dieſe ver - ſchiedenartige Ausdehnung beider an ſich verwandter Aus - drücke läßt ſich auch ein befriedigender Grund angeben. Wollte man etwa nur die Stadtbürger in den eigentlichen Municipien municipes nennen, ſo wäre für die Stadtbür - ger überhaupt kaum ein anderer Name übrig geblieben, als civis(i)So kommt dieſer Ausdruck in der That vor in L. 7 C. de incolis (10. 39)., analog mit civitas, worunter wirklich jede Stadt -55§. 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Fortſ.)gemeinde ohne Unterſchied verſtanden wurde. Allein der Ausdruck civis war hier weniger brauchbar, weil er in der Klaſſifikation der cives, latini, peregrini, eine für die alten Juriſten allzu wichtige und unentbehrliche Stellung hatte, um noch für einen andern Zweck verwendet zu werden, welches zu mancher Zweideutigkeit geführt haben würde.
So iſt alſo municeps der allgemeine Ausdruck gewor - den, für jeden Inhaber irgend eines Stadtbürgerrechts außer Rom, alſo für alle diejenigen Perſonen, deren gemein - ſame Angehörigkeit an eine Stadtgemeinde außerdem ſehr gewöhnlich mit origo oder auch patria bezeichnet wird.
Eine ſehr eigenthümliche Ausdehnung erhielt die auf das Bürgerrecht gegründete Angehörigkeit an eine Stadtge - meinde, ſeitdem die Römiſche Civität durch die Lex Julia an ganz Italien, durch eine Verordnung von Caracalla auch an alle Provinzen, gegeben worden war. Denn da die Römiſche Civität, ihrem Urbegriff nach, das Bürger - recht der Stadt Rom war, ſo hatten nunmehr faſt alle Stadtbürger in Italien und in den Provinzen, die ohnehin ſchon ein mehrfaches Bürgerrecht zufällig haben konnten (§ 351), mindeſtens ein zweifaches Bürgerrecht: das ihrer eigenen Stadt, und das der Stadt Rom. Dieſe doppelte patria wird dann auch in ganz verſchiedenen Zeiten aus -56Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.drücklich anerkannt(k)Cicero de legibus II. 2 „ omnibus municipibus duas esse censeo patrias, unam naturae, alteram civitatis … habuit alteram loci patriam, alteram juris. “— L. 33 ad mun. (50. 1 ) (Modestinus): „ Roma communis nostra patria est “. Cicero ſpricht nur von Stadt - bürgern aus Italien (municipes), Modeſtin ſpricht ganz allgemein, (nostra); jeder nach dem Rechte ſeiner Zeit.. — Indeſſen war dieſes Verhält - niß von minderer Wichtigkeit, als man ihm auf den erſten Blick zuſchreiben möchte. Bei dem Stadtbürgerrecht von Rom kamen die in andern Städten wichtigen ſtädtiſchen Laſten und Verpflichtungen (munera) wenig in Betracht, da für dieſe Zwecke in Rom meiſt auf andere Weiſe geſorgt war. — Der auf das Stadtbürgerrecht gegründete Ge - richtsſtand (forum originis) vor den Gerichten der Stadt Rom war allerdings auch für die Bürger anderer Städte vorhanden, jedoch nur unter großen Einſchränkungen. Er galt nur, wenn dieſe Bürger ſich zufällig in Rom aufhiel - ten, und auch dann nur unter dem Vorbehalt zahlreicher Ausnahmen, die unter dem gemeinſamen Namen des jus revocandi domum begriffen werden(l)L. 28 § 4 ex quib. caus. (4. 6 ), L. 2 § 3 — 6 de jud. (5. 1 ), L. 24 — 28 eod. . — Was endlich die Anwendung des örtlichen Rechts der Stadt Rom auf die Perſonen der Bürger anderer Städte betrifft (alſo das eigentliche Ziel unſrer ganzen gegenwärtigen Unterſuchung), ſo kann davon erſt weiter unten (§ 357) in einem größeren Zuſammenhang geredet werden.
Es würde jedoch unrichtig ſein, der hier erwähnten neuen Combination den Sinn beizulegen, als ob nun in57§ 352. Origo und domicilium. I. Origo. (Fortſ.)der That alle freie Einwohner des Römiſchen Reichs min - deſtens das Stadtbürgerrecht von Rom (als cives Romani) hätten haben müſſen. Denn es gab auch nach der Ver - ordnung des K. Caracalla über die Civität noch immer eine nicht geringe Zahl von Perſonen, die in niedere Klaſ - ſen neu eintraten, und durch welche alſo dieſe Klaſſen ſtets erhalten wurden: theils indem durch unvollſtändige Frei - laſſung neue Latini und peregrini entſtanden(m)Erſt Juſtinian hob dieſe unvollſtändigen Freilaſſungen auf (Cod. VII. 5. 6), deren Wirkungen alſo bis auf ihn fortgedauert hatten, und zwar ſowohl in den auf ſolche Weiſe freigelaſſenen Sklaven ſelbſt, als in den Nachkommen derſelben., theils durch Einwanderung von Ausländern in das Römiſche Reich, welchen nicht gerade auch die Civität neben ihrer Aufnahme als Unterthanen ertheilt wurde.
So bleibt alſo für alle Zeiten der oben (§ 351) auf - geſtellte Satz wahr, daß freie Einwohner des Römiſchen Reichs ohne alles Bürgerverhältniß zu irgend einer Stadt ſein konnten, wenngleich freilich die Anwendung dieſes Satzes im Laufe der Zeit ſeltener und unbedeutender wurde.
Quellen (ſ. o. § 350).
Schriftſteller:
Der zweite Grund, wodurch der Einzelne Angehöriger einer Stadtgemeinde werden konnte, war, der Wohnſitz (domicilium)(a)Wohnſitz halte ich für bezeichnender und darum beſſer als Wohnort; eine verſchiedene Bedeutung beider Ausdrücke aber (Linde § 88 Note l) kann ich nicht einräumen. Die Verſchieden - heit vom bloßen Aufenthalt wird ſogleich erwähnt und näher be - ſtimmt werden. — Die Lehre vom domicilium wird hier, eben ſo wie die von der origo, allerdings zunächſt in ihrem Zuſammenhang mit dem R. R. feſtgeſtellt. Da ſich aber unten zeigen wird, daß im heutigen Recht das domicilium in den Hauptpunkten dieſelbe Stellung wie im R. R. einnimmt, ſo ſchien es zweckmäßig, dabei gleich hier auch den heutigen Rechts - zuſtand mit zu berückſichtigen..
Als Wohnſitz eines Menſchen iſt derjenige Ort zu be - trachten, welchen derſelbe zum bleibenden Aufenthalt, und dadurch zugleich zum Mittelpunkt ſeiner Rechtsverhältniſſe und Geſchäfte frei gewählt hat(b)L. 7 C. de incolis (10. 39) (ſ. o. § 350. f) „., incolas vero .. domicilium facit. Et in eo loco singulos habere domicilium non ambigitur, ubi quis larem rerumque ac fortu - narum suarum summam con - stituit, unde rursus non sit discessurus, si nihil avocet, unde quum profectus est, pere - grinari videtur, quo si rediit, peregrinari jam destitit. “— L. 203 de V. S. (50. 16 ) „ … Sed de ea re constitutum esse, eam domum unicuique nostrum debere existimari, ubi quisque sedes et tabulas haberet, sua - rumque rerum constitutionem fecisset “. . — Der bleibende Aufenthalt ſchließt aber weder eine vorübergehende Abwe -59§. 353. Origo und domicilium. II. Domicilium. ſenheit aus, noch eine künftige Abänderung, deren Vorbe - halt vielmehr von ſelbſt verſtanden wird; es iſt damit nur gemeint, daß nicht ſchon jetzt die Abſicht auf vorüberge - hende Dauer vorhanden ſein darf.
Das domicilium, wie die origo, begründete die Ange - hörigkeit an eine beſtimmte Stadtgemeinde, bezog ſich alſo ſtets auf ein beſtimmtes Stadtgebiet(c)L. 3. 5. 6 C. de incolis (10. 39)., und umfaßte da - her nicht nur die Bewohner der eigentlichen Stadt ſelbſt, ſondern auch die Bewohner der zu dieſem Gebiete gehören - den Dörfer und einzelnen Höfe (coloniae)(d)L. 239 § 2 de V. S. (50. 16 ) „ .. Nec tantem hi, qui in oppido morantur, incolae sunt, sed etiam qui alicujus oppidi finibus ita agrum habent, ut in eum se, quasi in aliquam sedem, recipiant. “ Scheinbar wider - ſprechen L 27 § 1 L. 35 ad mun. (50. 1), welche dem Bewohner einer colonia nur dann das do - micilium der Stadt zuſchreiben wollen, wenn er durch überwie - genden Aufenthalt in der Stadt auch die Vortheile und Annehm - lichkeiten derſelben genieße. Dieſe Einſchränkung beruht aber ohne Zweifel nur auf einem ungenauen Ausdruck, und geht eigentlich nicht auf das domicilium an ſich, ſondern nur auf eine einzelne Wirkung deſſelben, die Theilnahme an gewiſſen Arten von ſtädtiſchen Laſten. Denn daß die Bewohner der coloniae ihren Gerichtsſtand vor den ſtädtiſchen Obrigkeiten hatten (forum domicilii), wurde gewiß von Niemand bezweifelt. Vgl. unten § 355. m. .
Für die Perſonen, die auf dieſem Wege Angehörige einer Stadtgemeine geworden waren, iſt die regelmäßige Bezeichnung: Incola(e)L. 5. 20 ad mun. (50. 1 ), L. 239 § 2 de V. S. (50. 16). — Die zwei verſchiedene Gründe aber, wodurch eine ſolche Angehörigkeit begründet werden konnte (Bürgerrecht und Wohnſitz), werden durch folgende gegenſätzliche Ausdrücke unterſchieden:
60Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Aus dem ſo eben beſtimmten Begriff des Wohnſitzes ergiebt ſich die weſentliche Verſchiedenheit deſſelben vom bloßen Aufenthalt, ſo wie vom Grundbeſitz. — Der Auf - enthalt, welcher nicht verbunden iſt mit der gegen - wärtigen Abſicht, daß er ein bleibender, immerwährender ſein ſoll, begründet nicht den Wohnſitz, ſelbſt dann nicht, wenn er zufällig längere Zeit dauert, alſo nicht blos ſchnell vorübergehend iſt. Dahin gehört z. B. der Aufenthalt der Studierenden an einer Bildungsanſtalt; erſt wenn dieſer mindeſtens zehen Jahre dauerte, ſollte derſelbe nach einer Verordnung von Hadrian als bleibend, folglich als Wohn - ſitz angeſehen werden(k)L. 5 §. 5 de injur. (47. 10 ), L. 2. 3 C. de incolis (10. 39). Allerdings ſind die zehen Jahre nur eine Präſumtion der auf immer - währenden Aufenthalt gerichteten Abſicht. Lauterbach de domi - cilio § 27.. — Der Grundbeſitz aber, den Jemand in einem Stadtgebiet hat, iſt zum Wohnſitz nicht(e)(Note d), L. 7 C. de incolis (10. 39 ) (Note b).61§. 353. Origo und domicilium. II. Domicilium. erforderlich, für ſich allein aber dazu auch nicht hinrei - chend(l)L. 17 § 13. L. 22 § 7 ad mun. (50. 1 ), L. 4 C. de incolis (10. 39). — Manche Städte hatten das Privilegium, daß der bloße Grundbeſitz, ohne Wohnſitz, zur Uebernahme perſönlicher munera verpflichten ſollte. L. 17 § 5 ad mun. (50. 1)..
Die Begründung des Wohnſitzes mit ſeinen rechtli - chen Wirkungen geſchieht durch den freien Willen und die mit demſelben übereinſtimmende That, alſo nicht durch bloße Willenserklärung ohne That(m)L. 20 ad mun. (50. 1 ) „ Domicilium re et facto trans fertur, non nuda contestatione; sicut in his exigitur, qui negant se posse ad munera, ut incolas, vocari “. . — Der Wille aber wird dabei ſo ſehr als frei gedacht, daß dieſe Freiheit nicht ein - mal ſoll beſchränkt werden dürfen durch privatrechtliche Beſtimmungen, z. B. durch die einem Legat hinzugefügte Bedingung eines beſtimmten Aufenthalts, welche Bedingung in der Regel als nicht geſchrieben anzuſehen iſt(n)L. 31 ad mun. (50. 1 ), L. 71 § 2 de cond. (35. 1). S. o. B. 3 S. 184.. — Dagegen kann durch das öffentliche Recht dieſe Freiheit auf mancherlei Weiſe beſchränkt werden. So hat jeder Staatsdiener, z. B. jeder Soldat, einen nothwendigen Wohnſitz am Orte des Dienſtes(o)L. 23 § 1 ad mun. (50. 1).; der Verbannte am Orte der Verbannung(p)L. 22 § 3 ad mun. (50. 1).. Umgekehrt kann durch Strafe ein beſtimmter Aufenthalt unterſagt werden(q)L. 31 ad mun. (50. 1 ), L. 7 § 10 de interd. et releg. (48. 22). — Wenn in L. 27 § 3 ad mun. (50. 1) geſagt wird, daß der Relegirte ſeinen vorigen Wohn - ſitz behalte, ſo hat das wohl den Sinn, daß er durch die Strafe nicht frei werden ſoll von der Theil - nahme an den bisherigen Laſten..
62Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Außerdem aber konnte in folgenden Fällen der Wohnſitz begründet werden durch die Beziehung, in welcher eine Perſon zu einer anderen Perſon und deren Wohnſitz ſtand, welches man einen relativen Wohnſitz nennen könnte:
Die Aufhebung eines bisher vorhandenen Wohnſitzes erfolgt, eben ſo wie die Begründung, durch die freie Will - kür des bisherigen Einwohners. Gewöhnlich, wenngleich nicht allgemein und nothwendig, wird dieſe Aufhebung zu - ſammen fallen mit der Begründung eines neuen Wohn - ſitzes, und daher wird in unſern Rechtsquellen die Aufhe - bung als Uebertragung bezeichnet(x)L. 20 ad mun. (ſ. o. Note m.), L. 1 C. de incolis (10. 39). Dieſe Veränderlichkeit wird bezeichnet durch den Ausdruck domicilii ratio temporaria. L. 17 § 11 ad mun. (50. 1)..
Der Wohnſitz, als ſelbſtändiger Grund der Angehörig - keit an eine beſtimmte Stadtgemeinde, kann auch gleichzeitig in Beziehung auf mehrere Städte vorhanden ſein, wenn64Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Jemand mehrere Orte gleichmäßig als Hauptpunkte ſeiner Verhältniſſe und Geſchäfte behandelt, und unter ſie, je nach Bedürfniß, ſeinen wirklichen Aufenthalt vertheilt. Manche unter den Römiſchen Juriſten bezweifelten dieſe Möglichkeit, zuletzt aber wurde ſie dennoch anerkannt, ob - gleich dabei nicht verkannt wurde, daß ein ſolcher Fall nur ſelten als vorhanden anzunehmen ſein werde(a)L. 5, L. 6 § 2, L. 27 § 2 ad mun. (50. 1 ), C. 2 pr. de sepult. in VI. (3. 12)..
Umgekehrt kann Jemand ganz ohne Wohnſitz ſein in dem oben beſtimmten Sinn des Wortes, wiewohl auch die - ſer Fall zu den ſeltneren gehören wird(b)L. 27 § 2 ad mun. (50. 1).. Er iſt na - mentlich anzunehmen unter folgenden, an ſich ſehr verſchie - denen, Vorausſetzungen:
Der oben aufgeſtellte Begriff des Wohnſitzes (§ 353) bezieht ſich auf die Lebensverhältniſſe des natürlichen Men - ſchen, iſt alſo, ſeiner Natur nach, nicht anwendbar auf ju - riſtiſche Perſonen(e)S. o. B 2 § 85 fg.. Dennoch kann auch bei dieſen das Bedürfniß vorkommen, etwas, dem Wohnſitz der natürlichen Perſonen Entſprechendes oder Aehnliches, gleichſam einen künſtlichen Wohuſitz, anzunehmen, vorzüglich wohl um denVIII. 566Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Gerichtsſtand darauf zu begründen(f)Vgl. Linde Lehrbuch § 88 Note 14.. In den meiſten Fällen nun wird hierüber kein Zweifel ſeyn wegen des na - türlichen Zuſammenhanges, in welchem die juriſtiſche Per - ſon zu dem Grund und Boden ſteht; ſo bei Städten und Dörfern, bei Kirchen, Schulen, Krankenhäuſern u. ſ. w. Zweifelhaft kann es ſein beſonders bei gewerblichen Geſell - ſchaften, wenn deren Thätigkeit entweder an gar keine Ört - lichkeit gebunden iſt, oder auf größere Räume ſich erſtreckt, wie z. B. die der Geſellſchaften für Eiſenbahnen, oder Dampfſchiffahrt, oder für den Brückenbau über große Ströme, deren beide Ufer oft verſchiedenen Gerichten, ver - ſchiedener Geſetzgebung, ja ſelbſt verſchiedenen Staaten, un - terworfen ſind. Hier iſt es räthlich, gleich bei der Grün - dung einer ſolchen juriſtiſchen Perſon einen künſtlichen Wohnſitz feſtzuſtellen(g)Beiſpiele: Statut der Ber - lin-Sächſiſchen (Anhaltiſchen) Ei - ſenbahn-Geſellſchaft § 1: „ Berlin iſt ihr Domizil und der Sitz ihrer Verwaltung und das Königliche Stadtgericht zu Berlin ihr Ge - richtsſtand “. — Statut der Berlin - Stettiner Eiſenbahn-Geſellſchaft § 3: „ Stettin iſt das Domizil der Geſellſchaft “u. ſ. w. (Geſetzſamml. für die Preußiſchen Staaten 1839 S. 178, 1840 S. 306).; wird dieſes verſäumt, ſo muß der Richter den Mittelpunkt der Geſchäfte künſtlich zu er - mitteln ſuchen.
Wenn wir die beiden, von einander unabhängigen, Gründe der Angehörigkeit an eine beſtimmte Stadtgemeinde,67§. 355. Origo und domicilium. Wirkung.Bürgerrecht und Wohnſitz, zuſammenhalten, ſo ergeben ſich aus den für beide hier aufgeſtellten Grundſätzen (§ 351 — 354) folgende mögliche Combinationen.
Eine einzelne Perſon konnte im Bürgerverhältniß ſte - hen zu Einer Stadt, zu mehreren Städten, zu keiner Stadt (§ 351).
Daneben konnte dieſelbe Perſon im Verhältniß des Wohnſitzes ſtehen zu Einer Stadt, zu mehreren Städten, zu keiner Stadt (§ 354).
Der regelmäßige und häufigſte Zuſtand aber war es gewiß, daß das Bürgerverhältniß einer Perſon nur für Eine Stadt begründet war, und daß dieſe Perſon in der - ſelben Stadt zugleich auch ihren Wohnſitz hatte.
Nachdem die beiden Gründe der Angehörigkeit an eine beſtimmte Stadtgemeinde dargeſtellt worden ſind, iſt nun die praktiſche Seite dieſer Lehre, oder die juriſtiſche Wir - kung der aus ihnen entſpringenden Angehörigkeit, zu un - terſuchen.
Man möchte dabei ein gleiches Maaß von Rechten und Pflichten als Wirkung erwarten, und es muß zunächſt auf - fallen, daß in unſern Rechtsquellen faſt nur von Pflichten, nicht von Rechten, die Rede iſt. Dieſe Erſcheinung iſt auf folgende Weiſe zu erklären. — Das Bürgerverhältniß5*68Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.(die origo) führte allerdings Rechte mit ſich, die urſprüng - lich großen Werth hatten; beſonders das ausſchließende Recht der Theilnahme an der Stadtverwaltung durch den Eintritt in die Stadtſenate und in die obrigkeitlichen Aem - ter. Allein die Theilnahme an den Stadtſenaten war in der ſpäteren Kaiſerzeit aus einem Ehrenrecht in Druck und Laſt verwandelt worden(a)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 §. 8., von den Obrigkeiten der Städte aber geben uns unſre Rechtsquellen überhaupt nur ſehr dürftige Nachrichten, welches aus ihrer ausſchließenden Beſtimmung zum Gebrauch im Reich von Juſtinian (d. h. im Orient) zu erklären iſt(b)a. a. O. § 22.. Dagegen waren die an das Bürgerverhältniß urſprünglich geknüpften Verpflichtungen auch im Laufe der Zeit unverändert geblieben, ſo daß ſie auch in unſern Rechtsquellen in ihrem vollſtändigen Zu - ſammenhang dargeſtellt werden konnten und mußten. — Was aber den Wohnſitz, als den zweiten Grund der An - gehörigkeit betrifft, ſo war bei demſelben überhaupt nicht von eigentlichen Rechten die Rede, da er ſelbſt aus reiner Willkür des Einzelnen begründet werden konnte (§ 353), wozu ja der Erwerb eigentlicher Rechte wenig gepaßt ha - ben würde. Auch werden in der That als praktiſche Fol - gen des Wohnſitzes, da wo man etwa die Angabe beſtimm - ter Rechte erwarten möchte, vielmehr bloße thatſächliche Vortheile und Genüſſe aufgezählt(c)L. 27 § 1 ad mun. (50. 1 ) „ Si quis … in illo (munici - pio) vendit, emit, contrahit,.
69§. 355. Origo und domicilium. Wirkung.Es bleiben alſo nur noch die Verpflichtungen aus der Angehörigkeit zur näheren Betrachtung übrig. Dieſe ſind ſchon oben in einer allgemeinen Ueberſicht dahin angedeutet worden: Städtiſche Laſten, Gerichtsſtand, das örtliche Recht (§ 350), und dieſe drei Stücke ſollen nunmehr theils ge - nauer entwickelt, theils in unſern Rechtsquellen nachgewie - ſen werden.
Unter dem Ausdruck munera werden im Allgemeinen Laſten jeder Art verſtanden; hier aber kommen nur diejeni - gen Laſten in Betracht, die aus dem öffentlichen Recht ent - ſpringen, alſo nur publica, nicht privata(d)L. 239 § 3 de V. S. (50. 16 ), L. 18 § 28 de mun. (50. 4). — Wenn alſo anderwärts die munera eingetheilt werden in publica und privata (L. 14 § 1 de mun. ), ſo iſt das nicht eine Eintheilung der ſtädtiſchen Laſten (die ſtets publica ſind), ſondern der Laſten überhaupt, die ja auch aus privatrechtlichen Ver - hältniſſen herrühren können., und zwar insbeſondere aus der perſönlichen Angehörigkeit an eine Stadtgemeinde, weshalb ſie auch civilia munera genannt werden(e)L. 18 §. 28 de mun. (50. 4).. Damit iſt jedoch nicht geſagt, daß dieſe La - ſten gerade für ſtädtiſche Zwecke und Vortheile getragen werden mußten; vielmehr war ein großer Theil der ört - lichen Staatsverwaltung den Städten aufgebürdet worden, und manche der drückendſten Bürgerlaſten dienten nur zu(c)in eo foro, balneo, spectaculis utitur, ibi festos dies celebrat, omnibus denique municipii commodis .. fruitur, ibi magis habere domicilium “… Vgl. über dieſe Stelle oben § 353 d. 70Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zwecken des Staates, nicht der Städte ſelbſt, von deren Angehörigen ſie getragen wurden(f)Vgl. z. B. L. 18 § 3. 4. 8. 16 de mun. (50. 4)..
Die Römiſchen Juriſten unterſcheiden munus und honor dadurch, daß jenes nicht, ſo wie dieſes, mit einer perſön - lichen Würde (dignitas) verbunden war(g)L. 14 pr. § 1 L. 6 § 3 de mun. (50. 4). — Der Ausdruck honor wurde aber nicht blos auf die Obrigkeiten, ſondern auch auf die Decurionen angewendet. L. 5 de vac. (50. 5).. Es würde jedoch irrig ſein, dieſer Unterſcheidung den Sinn beizulegen, als ob der honor blos als Ehre und Recht, ohne Zwang und Verpflichtung, betrachtet worden wäre. Für den honor galt dieſelbe Verpflichtung der Uebernahme, wie für das munus(h)L. 3 § 2. 3. 15. 17 de mun. (50. 4)., beide wurden gleichmäßig als ſtädtiſche Laſten betrachtet, und jene Unterſcheidung betraf alſo blos den Namen.
Sie unterſcheiden ferner Laſten der Perſon und des Vermögens (munera personalia und patrimonii), je nach - dem dabei allein oder doch überwiegend die Mühe und Ar - beit in Betracht kam, oder vielmehr die auf dem Vermögen ruhende Ausgabe oder Gefahr(i)L. 1 § 1. 2. 3. 4 de mun. (50. 4 ), L. 6 § 3. 4. 5 eod., L. 18 pr. § 1 — 17 eod. — Unter die perſönlichen Laſten gehörte die Ver - waltung des Richtergeſchäfts, ſo wie die der Bormundſchaft. L. 1 §. 4, L. 18 § 14 eod., L 8 § 4, L. 13 pr. § 2. 3 de vac. (50. 5).. Dieſe Unterſcheidung war jedoch ſchwankend und von unbeſtimmter Gränze(k)Daher nahmen Manche noch eine Mittelklaſſe an, mixta munera. L. 18 pr. § 18 — 27 de mun. (50. 4)., auch ohne Erheblichkeit, da beiderlei Laſten gleichmäßig die71§. 355. Origo und domicilium. Wirkung.Angehörigen jeder Stadt, und nur dieſe, betrafen. Dage - gen iſt es wichtig, davon ſtreng zu unterſcheiden diejenigen Laſten, die blos auf dem Grundbeſitz hafteten (wie die Grundſteuern), ganz ohne Rückſicht darauf, ob der Beſitzer perſönlich der Stadt angehörte (durch origo oder domicilium), oder nicht(l)L. 6 § 5 de mun. (50. 4 ), L. 14 § 2, L. 18 § 21 — 25, L. 29. 30 eod., L. 10 pr. de vac. (50. 5 ), L. 11 eod. — Etwas abweichend iſt der Sprachgebrauch einer Stelle, worin dieſe reine Grundlaſten patrimonii munera genannt werden. L. un. C. de mulier. (10. 62)..
Die hier dargeſtellte Verpflichtung zur Uebernahme ſtädtiſcher Laſten betraf in der Regel alle Angehörige einer Stadt, ohne Unterſchied, ob ſie in dieſes Verhältniß durch Bürgerrecht oder durch Wohnſitz eingetreten waren(m)L. 22 § 2, L. 29 ad mun. (50. 1 ), L. 6 § 5, L. 18 § 22 de mun. (50. 4 ), L. 1 C. de municip. (10. 38 ), L. 4. 6 C. de incolis (10. 39). — Die ſchwan - kende Erklärung mancher Stellen über das domicilium von Bauer - höfen im Stadtgebiet (§ 353 d.), mag daher rühren, daß vielleicht für manche Arten der Laſten ein verſchiedener Vertheilungsmaaßſtab, etwa nach örtlichen Gränzen, an - genommen wurde.. Wer alſo in mehreren Städten zugleich das Bürgerrecht, vielleicht auch in mehreren den Wohnſitz hatte (§ 351, 354), war in jeder dieſer Städte zur vollſtändigen Theilnahme an dieſen Laſten verpflichtet, und konnte dadurch in ein ſehr nachtheiliges Verhältniß kommen.
Obgleich aber dieſe allgemeine und gleichmäßige Ver - pflichtung aller Angehörigen die Regel bildete, ſo gab es doch daneben ausnahmsweiſe vielfache Befreiungen aus ſehr verſchiedenen Gründen, und unter verſchiedenen Benen -72Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.nungen (vacatio, excusatio, immunitas); theils immerwäh - rende, theils vorübergehende(n)Dig. L. 5 und L. 6, Cod. X. 44 — 64. Die genauere Unter - ſuchung dieſer Befreiungen kann hier auf ſich beruhen, da ſie für unſren gegenwärtigen Zweck gleich - gültig iſt..
Dabei liegt zum Grunde die allgemeine Regel, daß jeder Rechtsſtreit zu führen iſt im Gerichtsſtand des Beklagten, nicht des Klägers(o)Vat. fragm. 325. 326, L. 2. C. de jurisd. (3. 13 ), L. 3 C. ubi in rem. (3. 19 ), L. 3. 4 C. ubi causa status (3. 22).. Fragt man nun, wo der Beklagte ſeinen regelmäßigen Gerichtsſtand hat, ſo beſtimmt dieſen das Römiſche Recht dahin: In jeder Stadt, gegen deren Obrigkeit er zum Gehorſam verpflichtet iſt, weil er dieſer Stadt angehört. Angehörig einer Stadt aber wird der Einzelne ſowohl durch Bürgerrecht, als durch Wohnſitz; und dadurch verwandelt ſich nunmehr jene Beſtimmung in die praktiſche Regel: Jeder muß ſich als Beklagter belangen laſſen in jeder Stadt, worin ihm das Bürgerrecht zuſteht; außerdem aber auch in jeder Stadt, worin er den Wohn - ſitz hat. So wird dieſe Regel geradezu ausgeſprochen, und zugleich auf ihren eben angegebenen höheren Grund zurück geführt in folgender Stelle des Gajus(p)L. 29 ad mun. (50. 1).: Incola et his magistratibus parere debet, apud quos incola est, et illis, apud quos civis erit; nec tan - tum municipali jurisdictioni in utroque municipio73§. 355. Origo und domicilium. Wirkung.subjectus est, verum etiam omnibus publicis mu - neribus fungi debet.
In dieſer wichtigen Stelle wird zugleich anerkannt, daß hierin durchaus daſſelbe Verhältniß eintrete für den Ge - richtsſtand, wie für die ſtädtiſchen Laſten. Hieraus folgt alſo, daß auch der Gerichtsſtand für dieſelbe Perſon ſo - gar in mehr als zwei Städten zugleich begründet ſein konnte, wenn etwa dieſe Perſon in mehreren Städten das Bürger - recht, und zugleich in mehreren anderen Städten den Wohn - ſitz, gehabt haben ſollte. Dann mußte es in der freien Wahl des Klägers ſtehen, in welcher dieſer mehreren Städte er einen Rechtsſtreit anhängig machen wollte, und der Be - klagte war in jeder dazu gewählten Stadt zur Einlaſſung verpflichtet.
Bei dieſem unzweideutigen Ausſpruch ſowohl der Regel ſelbſt, als ihres höheren Grundes, und ihres Zuſammen - hanges mit den ſtädtiſchen Laſten, muß es auffallen, daß anderwärts von dem auf das bloße Bürgerrecht (verſchieden von dem Wohnſitz) gegründeten Gerichtsſtand (forum ori - ginis) ſo wenig die Rede iſt. In vielen Stellen, worin der perſönliche Gerichtsſtand nur für einzelne Fälle und nur beiläufig erwähnt wird, iſt lediglich von dem forum domicilii, nicht von dem forum originis, die Rede(q)L. 19 § 4 de jud. (5. 1 ), L. 29 § 4 de inoff. test. (5. 2 ), L. 1. 2 de reb. auct. jud (42. 5 ), Vat. fragm. 326, L. 2 C. de jurisd. (3. 10 ), L. 1 C. ubi res her. (3. 20 ), L. 4 C. ubi causa status (3. 22). — Dagegen wird in mehreren Stellen das Wahlrecht. 74Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Dennoch darf uns dieſe Erſcheinung an der Richtigkeit der Regel ſelbſt nicht zweifelhaft machen; ſie iſt vielmehr aus folgenden Gründen zu erklären. Erſtlich fand jene Regel ihre vollſtändige Anwendung nur in Italien, nicht in den Provinzen, in welchen Stadobrigkeiten mit Gerichtsbarkeit gar nicht vorkamen(r)Erſt ſpät erhielten hier die Defenſoren eine Art von Gerichts - barkeit, die lange Zeit ſehr be - ſchränkt blieb, und erſt von Ju - ſtinian zu etwas mehr Bedeutung erhoben wurde. Savigny Ge - ſchichte des R. R. im Mittelalter B. 2 § 23.; daher konnte hier das Stadtbür - gerrecht keinen Gerichtsſtand begründen, anſtatt daß der abſtracte Begriff des Wohnſitzes auf das Gebiet einer Pro - vinz, alſo auf die Gerichtsbarkeit des Kaiſerlichen Statt - halters derſelben, eben ſo anwendbar war, wie auf das Gebiet einer einzelnen Stadt. Mehrere der angeführten Stellen aber ſprechen ausdrücklich nur von den Provin - zen(s)So z. B., unter den in der Note q. angeführten Stellen: L. 19 § 4 de jud. (5. 1 ), L. 29 § 4 de inoff. (5. 2 ), Vat. fragm. 326., und andere derſelben mögen auch davon geſprochen haben, ohne daß es an ihrer gegenwärtigen Geſtalt ſichtbar iſt. — Zweitens war vielleicht ſtets für den, welcher in zwei verſchiedenen Städten das Bürgerrecht und den Wohn - ſitz hatte, die Anwendung des forum originis auf den Fall beſchränkt, wenn er ſich zufällig in der Stadt aufhielt, wo - rin ihm das Bürgerrecht zuſtand(t)So war es mit dem forum originis in der Stadt Rom (§ 352. k.), und es iſt vielleicht nur zufällig, daß von einer gleichartigen Vor -. Selbſt aber wenn(q)des Klägers zwiſchen dem forum domicilii und dem forum con - tractus erwähnt. L. 19 § 4 de jud. (5. 1 ), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5).75§. 355. Origo und domicilium. Wirkung.eine ſolche beſchränkende Rechtsregel nicht vorhanden war, mußte doch meiſt der Kläger ſeines eigenen Vortheils we - gen das forum domicilii vorziehen, weil der Beklagte am Ort ſeines Wohnſitzes leichter und bequemer zu errei - chen war.
Zum Schluß aber muß nun noch bemerkt werden, daß die hier aufgeſtellten Regeln, ſo wie ſie größtentheils durch die in den Digeſten niedergelegten Zeugniſſe der alten Ju - riſten begründet worden ſind, auch nur von der Zeit an ſichere und allgemeine Geltung in Anſpruch nehmen können, in welcher die befeſtigte und ausgebildete Kaiſerregierung einen hohen Grad der Gleichförmigkeit in die einzelnen Theile des Reichs gebracht hatte. Damit iſt es alſo ſehr wohl vereinbar, daß manche Provinz in früherer Zeit, bald nach ihrer Unterwerfung unter das Römiſche Reich, eigen - thümliche Vorrechte in der Gerichtsverfaſſung genoß, wo - von in unſeren Rechtsquellen keine Spur mehr zu fin - den iſt(u)Dieſes gilt namentlich von Sicilien. Cicero in Verrem act. 2 lib. 2 C. 13. 24. 25. 37..
(t)ſchrift für andere Städte keine Er - wähnung gefunden wird.
III. Das eigenthümliche Recht einer Stadt als Eigenſchaft der ihr angehörenden Perſonen (lex originis, domicilii).
Es ſind oben, in allgemeiner Ueberſicht, drei Wirkungen der Angehörigkeit einer Perſon an eine Stadtgemeinde ange - geben worden (§ 350): Städtiſche Laſten, Gerichtsſtand, endlich das Recht dieſer Stadt als Eigenſchaft der Perſon. Die zwei erſten Wirkungen ſind bereits im Einzelnen dargeſtellt (§ 355), und es bleibt nunmehr die dritte zu unterſuchen übrig, die allein unſerer gegenwärtigen Auf - gabe angehört, und um deren Willen die ganze bisher ge - führte Erörterung unternommen wurde, indem nur auf dieſem Wege die Unterordnung der Perſon unter das ört - liche Recht einer beſtimmten Stadt in ihrem wahren Zu - ſammenhang erkannt werden kann.
Dieſe Unterſuchung knüpft ſich an die oben aufgeſtellten Sätze, nach welchen jede Perſon einem beſtimmten Rechts - gebiet angehört (§ 345), dieſes Rechtsgebiet aber vorzugs - weiſe als ein örtliches oder territoriales Gebiet anzuſehen iſt (§ 350), und zwar nach Römiſcher Verfaſſung insbe - ſondere als ein Stadtgebiet (§ 351). Da nun jede einzelne Perſon überhaupt einem Stadtgebiet auf zweierlei Weiſe angehören konnte, durch Bürgerrecht oder durch Wohnſitz (§ 351), ſo konnte auf dieſen beiden Wegen auch die Unter -77§. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)ordnung der Perſon unter das territoriale Recht einer Stadt begründet werden.
Es wird alſo hier ein innerer Zuſammenhang behauptet zwiſchen den drei verſchiedenen Wirkungen der Angehörig - keit an eine Stadtgemeinde, und dieſer Zuſammenhang iſt beſonders zu bemerken zwiſchen den zwei letzten Wirkungen (dem Gerichtsſtand und dem territorialen Recht), da beide nur als verſchiedene Seiten des geſammten örtlichen Rechts - zuſtandes anzuſehen ſind. Die Anerkennung aber dieſes inneren Zuſammenhanges iſt für unſere ganze Aufgabe von Wichtigkeit, und reicht ſelbſt über die eigenthümliche Rö - miſche Verfaſſung hinaus, ſo daß auch bei der Feſtſtellung des heutigen Rechtszuſtandes davon Gebrauch zu machen ſeyn wird.
Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Behauptung, ſo wie die beſtimmtere Ausführung derſelben, will ich nun - mehr in den Quellen des Römiſchen Rechts nachzuweiſen verſuchen. Allerdings ſind die Ausſprüche der Römiſchen Juriſten über dieſe Frage ſehr ſpärlich, um ſo mehr, als wir bei einem kritiſchen Verfahren genöthigt ſind, gar manche ſcheinbare Aeußerungen über dieſelbe als nicht da - hin gehörend zurück zu weiſen. Auch dürften jene wenige Ausſprüche kaum hinreichen, die Anſicht der Römer voll - ſtändig zu erkennen.
1. Der älteſte hierher gehörende Fall bezieht ſich auf die Colliſion eines poſitiven Römiſchen Geſetzes mit dem78Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Recht anderer ſouveräner (jedoch mit den Römern verbün - deter) Staaten (§ 348)(a)Livius XXXV. 7..
Im Jahre der Stadt 561 (L. Cornelio Merula, Q. Mi - nucio Thermo Coss.) fand ſich in Rom eine große Noth der durch Wucher bedrückten Schuldner. Zwar beſtanden ſchützende Wuchergeſetze, allein dieſe wurden dadurch um - gangen, daß die Wucherer ihre Forderungen zum Schein auf den Namen von Einwohnern benachbarter Staaten (Socii und Latini) ſchreiben ließen. Denn da dieſe durch das poſitive Wuchergeſetz nicht gebunden waren, ſo hatten gegen ſie die Schuldner keinen Schutz(b)Welches Wuchergeſetz, nach dem angegebenen Jahre, hier ge - meint iſt, läßt ſich bei der ſehr unſicheren Geſchichte dieſer Geſetze nicht beſtimmen. Es kann ſeyn das über unciarium foenus, aber auch das über semunciarium. Für unſern gegenwärtigen Zweck iſt dieſe Frage gleichgültig.. Zur Entkräftung dieſes unredlichen Verfahrens wurde ein beſonderes Geſetz erlaſſen mit der Vorſchrift, daß die Römiſchen Geſetze über das Gelddarlehen (die Wuchergeſetze) auch für die Socii und Latini als Glaubiger Römiſcher Bürger bindend ſeyn ſollten(c)Livius l. c. „ plebesque scivit, ut cum sociis ac nomine Latino pecuniae creditae jus idem, quod cum civibus Ro - manis esset “. .
2. Eine ähnliche Natur hat die in einem Senatsſchluß aus der Zeit des Hadrian anerkannte Rechtsregel, daß das Kind aus einer secundum leges moresque peregrinorum geſchloſſenen Ehe ſelbſt dann als Peregrine geboren werden (alſo ſeinem Vater angehören) ſolle, wenn zur Zeit der79§. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)Geburt blos die Mutter (und nicht zugleich der Vater) die Civität erlangt hatte. Es wurde alſo hier der für das Römiſche Recht geltende Grundſatz, daß der status der legitime concepti nach der Zeit der Erzeugung beurtheilt werden ſollte, mit völliger Reciprocität auch auf die Bürger fremder Staaten angewendet(d)Gajus I. §. 92, verglichen mit § 89..
Die folgenden Fälle beziehen ſich auf die Colliſion der für Italien gegebenen poſitiven Geſetze mit dem Recht der Provinzen, alſo auf eine Colliſion von Rechten innerhalb der Gränzen des Römiſchen Staates.
3. Die Verpflichtung eines fidepromissor ging in der Regel nicht ſo, wie die eines fidejussor, auf die Erben über; ausnahmsweiſe aber trat dennoch dieſer Uebergang ein, wenn der fidepromissor ein Peregrine war, und zwar einer ſolchen Provinzialſtadt angehörte, deren poſitives Recht hierin von dem Römiſchen abwich(e)Gajus III. § 120 „ Prae - terea sponsoris et fidepromis - soris heres non tenetur, nisi si de peregrino fidepromissore quaeramus, et alio jure civitas ejus utatur “. Es könnte auf - fallen, daß in der Aufſtellung der Regel außer dem fidepromissor auch der sponsor genannt wird, der nachher in der Ausnahme nicht wieder erwähnt iſt. Dieſer Um - ſtand erklärt ſich daraus, daß Pe - regrinen überhaupt nicht sponsores ſein konnten. Gajus III. § 93..
4. Eine Lex Furia hatte verordnet, daß die Ver - pflichtung der sponsores und fidepromissores durch den Ablauf von zwei Jahren getilgt ſein ſolle, ſo wie daß mehrere neben einander eintretende Bürgen ſolcher Art nur theilweiſe haften ſollten, nicht für die ganze Schuld. Dieſes80Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Geſetz aber war nur für Italien gültig, nicht für die Pro - vinzen(f)Gajus III. § 121. 122., das heißt, es galt nur für die Bürger der Städte in Italien, nicht für die Bürger der Provinzialſtädte, auch wenn dieſe die Römiſche Civität hatten(g)Die sponsores, die als Provinzialen in den § 121. 122 vorausgeſetzt werden, mußten noth - wendig die Römiſche Civität haben, ſ. o. Note e. — Rudorff ſucht der Lex Furia eine engere Be - ſchränkung anzuweiſen (Zeitſchrift XIV. S. 441), nach welcher der Fall derſelben nicht mehr in dieſen Zuſammenhang gehören würde. Die genauere Unterſuchung würde hier zu weit abführen..
5. Es gab eine Klaſſe der Freigelaſſenen, die durch die Freilaſſung weder cives noch latini, ſondern nur pere - grini, und zwar mit ganz beſonderen Zurückſetzungen, wur - den (dedititiorum numero). Von dieſen nun wird geſagt, ſie könnten keine Teſtamente machen, und zwar weder als Römiſche Bürger, weil ſie nicht unter dieſe gehörten, noch als Peregrinen, weil ſie nicht irgend einer beſtimmten Stadt als Bürger angehörten, um nach deren Stadtrecht teſtiren zu können(h)Ulpian. XX § 14 „ La - tinus Junianus, item is qui dedititiorum numero est, testa - mentum facere non potest … qui dedititiorum numero est, quoniam nec quasi civis Ro - manus testari potest, cum sit peregrinus, nec quasi peregri - nus, quoniam nullius certae civitatis civis est, ut adversus leges civitatis suae testetur “. Anſtatt des offenbar richtigen civis est, lieſt die Handſchrift sciens, welches Manche gezwungen und unbefriedigend zu vertheidigen ge - ſucht haben. — Adversus heißt hier nicht: entgegen, im Wider - ſpruch mit, ſondern: in Beziehung auf, in Gemäßheit dieſer Geſetze. Ganz wie in L. 5 de usurp. (41. 3). Andere wollen emendiren: secun - dum. S. o. Lachmann Zeit - ſchrift IX. S. 203.. — Dabei liegt augenſcheinlich folgende Vor - ausſetzung zum Grunde. Wäre dieſer Peregrine der Bürger81§. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)einer ſolchen Provinzialſtadt, welche das Recht der Teſta - mente anerkennt, und dafür gewiſſe Regeln vorſchreibt, ſo könnte er mit Beobachtung dieſer Regeln ein gültiges Teſta - ment machen, und zwar ſowohl in Rom, als in ſeiner Va - terſtadt. Nun aber kann er es nicht, weil er überhaupt keiner Stadt als Bürger angehört (§ 351. n).
6. Endlich kann hier noch die bekannte Thatſache er - wähnt werden, daß das eigenthümliche Eherecht der Latini - ſchen Städte unterging, als dieſe Städte das Römiſche Bürgerrecht erhielten(i)Gellius Lib. 4 C. 4..
Es würde ſehr gewagt ſein, aus dieſen wenigen, ver - einzelten Ausſprüchen erſchöpfende Regeln über die Be - handlung der Colliſion verſchiedener Territorialrechte ablei - ten zu wollen. Doch laſſen ſich darin folgende leitende Geſichtspunkte nicht verkennen.
Außerdem kommen noch zweierlei andere Aeußerungen der Römiſchen Juriſten vor, die leicht als Regeln über die Beobachtung des örtlichen Rechts angeſehen werden können, in der That aber nicht als ſolche zu betrachten ſind, ſo daß noch beſonders gegen die Anwendung derſelben auf die hier vorliegende Unterſuchung gewarnt werden muß.
Erſtlich gehören dahin einige vereinzelte Stellen, welche bei der Auslegung und Anwendung von Rechtsgeſchäften auf örtliche Gewohnheiten verweiſen, die man aber fälſchlich von örtlichen Rechtsregeln verſtehen würde. — So ſoll bei der Auslegung eines unbeſtimmten Vertrags als die wahrſcheinliche Abſicht der Parteien unter Anderen Das angenommen werden, welches in dieſer Gegend vor - zugsweiſe üblich iſt(l)L. 34 de R. J. (50. 17). „ .. id sequamur, quod in re - gione in qua actum est fre - quentatur “. . Dieſes iſt nun offenbar nicht eine Rechtsregel dieſer Gegend, ſondern vielmehr das, woran man dort thatſächlich gewöhnt iſt, welches man häufig zu thun pflegt. Eine einzelne wichtige Anwen - dung dieſer allgemeinen Auslegungsregel findet ſich bei den Cautionen, die der Verkäufer werthvoller Sachen zu leiſten hat; auch dieſe ſollen ſich nach der Sitte der Gegend rich -83§. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)ten, d. h. nach den Cautionen, die dort am häufigſten frei - willig geleiſtet zu werden pflegen(m)L. 6 de evict. (21. 2). — Aus demſelben Grunde war eine ſolche Caution, die duplae stipu - latio, bei wichtigen Sachen ſogar allgemein in die Verpflichtungen des Verkäufers übergegangen. L. 31 § 20 de aed. ed. (21. 1 ), L. 2, L. 37 pr. § 1 de evict. (21. 2). Andere Anwendungen derſelben Auslegungsregel (bei Teſtamenten) finden ſich in L. 21 § 1 qui test. (28. 1 ), L. 50 § 3 de leg. 1. (30 un. ), L. 18 § 3 de instructo (33. 7). — Daß jedoch von den hier abgewieſenen Stellen auch in unſerer Lehre ein indirecter Ge - brauch zu machen iſt, wird unten gezeigt werden (§ 372).. — Ferner ſoll die Höhe der Verzugszinſen nach dem Zinsfuß beſtimmt wer - den, der in dieſer Gegend gerade jetzt üblich iſt(n)L. 1 pr. de usuris. (22. 1 ), „ .. usurarum modus ex more regionis, ubi contractum est, constituitur “. . Ganz eben ſo die Höhe der Zinſen, die ein Geſchäftsführer von ſeinem ausgelegten baaren Gelde berechnen darf(o)L. 37 de usuris (22. 1 ) „ .. debere dici usuras venire, eas autem, quae in regione fre - quentantur, ut est in b. f. judi - ciis constitutum “(das ſind eben die in der vorhergehenden Stelle erwähnten Verzugszinſen). Vergl. auch L. 10 § 3 mand. (17. 1 ), L. 7 § 10 de admin. (26. 7).. In beiden Stellen iſt gar nicht von einer örtlichen Rechtsregel die Rede, wodurch der Zinsfuß dort beſtimmt geweſen wäre, ſondern von dem Zinsfuß, wie er augenblicklich an dem dortigen Geldmarkte vorgefunden wurde. Der Grund die - ſer Beſtimmung aber lag darin, daß jene Zinſen dem Glau - biger eine wahre Entſchädigung für die entbehrte Geld - nutzung gewähren ſollten, welche Entſchädigung nur nach den Zinſen abgemeſſen werden konnte, die der Glaubiger aus dem wirklichen Geldbeſitz anderwärts hätte gewinnen können.
6*84Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zweitens aber ſind noch viel wichtiger die Stellen, welche von den drei Klaſſen der freien Einwohner des Rö - miſchen Reichs (cives, Latini, peregrini) reden, und die man gleichfalls verſucht ſein könnte, mit der Unterordnung der Einzelnen unter ein beſtimmtes poſitives Recht in Ver - bindung zu bringen. Man könnte nämlich einen ſolchen Gedanken etwa dahin ausbilden wollen, daß auf die erſte Klaſſe (die cives) das jus civile, auf die zwei niederen Klaſſen das jus gentium angewendet worden wäre. Allein dieſer ganze Gedanke muß völlig zurück gewieſen werden. Jene Klaſſification war höchſt wichtig für die Rechtsfä - higkeit der Einzelnen, indem der civis das connubium und commercium, der Latinus das commercium ohne connu - bium, der peregrinus keine dieſer beiden Fähigkeiten hatte(p)S. o. B. 2 § 64. 66. — Zu dieſer Lehre von der Rechts - fähigkeit, und nicht zu dem Syſtem der auf den Einzelnen anwend - baren Territorialrechte (wovon hier allein die Rede iſt), gehört auch der Satz, daß die Stipulation in der Formel: spondes? spondeo nur von Römiſchen Bürgern, nicht von Peregrinen, gebraucht werden konnte. Gajus III. § 93.. Dagegen hat jene Klaſſification durchaus keine Verbindung mit der hier vorliegenden Aufgabe, nämlich mit dem Syſtem der auf jeden Einzelnen anwendbaren poſitiven Rechtsre - geln. Einige Beiſpiele werden Dieſes außer Zweifel ſetzen. Auf die cives wurden die Regeln des jus gentium nicht minder, als die des jus civile angewendet. Der Latinus Junianus konnte allerdings, obgleich er als Latinus die testamentifactio hatte, kein Teſtament machen, weil ihm85§. 356. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)Dieſes beſonders verboten war(q)Ulpian. XX. § 14. — Daß ihm das Recht der testamen - tifactio nicht fehlte (alſo nur jenes ganz poſitive Verbot im Wege ſtand), ſagt ausdrücklich Ulpian ebendaſ. § 8. Auch be - ruhte ja das Teſtament auf der Mancipationsform, und daher war die testamentifactio gleichbe - deutend mit dem commercium oder der Mancipationsfähigkeit, welche den Latinen jeder Art zuſtand. Ulpian. XIX. § 4. 5.. Sein Sohn aber war ein freigeborner Latinus, der durch dieſes Verbot nicht ge - bunden war, und wenn dieſer ein Teſtament machte, wozu ihn ſein Stand als Latinus berechtigte (Note q), ſo wurde er nach den Regeln der hereditas, alſo nach dem ſtrengſten jus civile, beerbt, welches alſo auf ihn anwendbar ſein mußte.
Noch weniger aber, als die hier angeführten Stellen, können für unſre Unterſuchung ſolche Ausſprüche des Rö - miſchen Rechts benutzt werden, welche nur ganz im Allge - meinen die Berückſichtigung eines örtlichen Gewohnheits - rechts erwähnen, ohne dabei den Gegenſatz verſchiedener örtlicher Rechte (alſo den Fall einer Colliſion) voraus zu ſetzen oder anzudeuten(r)Dahin gehören etwa fol - gende Stellen: L. 1 § 15 de in - spic. ventre (25. 4 ), L. 19 C. de locato (4. 65). — Eben dahin gehört die Erwähnung der chiro - grapha und syngraphae, als eines genus obligationis pro - prium peregrinorum. Gajus III. § 134. — Von den beſonderen Aus - ſprüchen über die Regel: locus regit actum vgl. unten § 382..
Aus der bis hierher geführten Unterſuchung ergab es ſich, daß die Angehörigkeit einer einzelnen Perſon an eine beſtimmte Stadtgemeinde drei Wirkungen hatte, indem die angehörige Perſon unterworfen war: 1. den ſtädtiſchen Laſten, 2. dem Gerichtsſtand dieſer Stadt, 3. dem eigen - thümlichen poſitiven Rechte derſelben. Dieſe drei Wirkun - gen ſtanden in einem inneren Zuſammenhang, und konnten daher als gleichartig betrachtet werden. Es iſt aber nun noch eine wichtige Verſchiedenheit unter dieſen Wirkungen hervor zu heben.
Wenn eine Perſon mehreren Städten angehörig war, ſei es durch Bürgerrecht oder durch Wohnſitz, ſo war ſie in jeder dieſer Städte den Bürgerlaſten und dem Gerichts - ſtand unterworfen, ſo daß dann eine wahre Concurrenz un - ter den Anſprüchen jener Städte an dieſelbe Perſon ent - ſtand. Eine ſolche Concurrenz war bei der Unterordnung der Perſon unter das poſitive Recht verſchiedener Städte unmöglich, weil ſie einen inneren Widerſpruch mit ſich ge - führt hätte. Dieſelbe Perſon konnte vor verſchiedenen Obrigkeiten verklagt werden, je nach der Wahl des Klägers, ſie konnte aber nicht nach verſchiedenen, vielleicht ganz wi - derſprechenden, Rechtsregeln beurtheilt werden. Es war alſo nur die Unterordnung unter Ein örtliches Recht mög -87§. 357. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)lich, und es mußte für dieſen Zweck unter den verſchiedenen, in anderer Hinſicht concurrirenden Städten eine entſcheidende Wahl getroffen werden.
Ich halte es nun für unzweifelhaft, daß das örtliche Recht, dem jede Perſon unterworfen ſeyn ſollte, wenn dieſe Perſon in zwei verſchiedenen Städten das Bürgerrecht und den Wohnſitz hatte, durch das Bürgerrecht beſtimmt wurde, nicht durch den Wohnſitz. Für dieſe Annahme ſprechen folgende Gründe. Erſtlich war das Bürgerrecht das engere, an ſich höher ſtehende Band, verglichen mit dem von Willkür und Laune abhängenden Wohnſitz. Zweitens war es das frühere Band, da es durch die Geburt geknüpft wurde, der anderwärts vorhandene Wohnſitz erſt ſpäter durch eine freie Handlung entſtanden ſein konnte; es fehlt aber an jedem Grunde, weshalb das für die Perſon ein - mal begründete territoriale Recht hätte umgewandelt werden ſollen. Drittens deuten darauf auch mehrere der eben an - geführten Aeußerungen der Römiſchen Juriſten, indem dieſe ſagen: si … alio jure civitas ejus utatur (§ 356 e), und quoniam nullius certae civitatis civis est (§ 356 h), welche Ausdrücke offenbar auf das Bürgerrecht hindeuten als Beſtimmungsgrund für das auf die Perſon anwendbare örtliche Recht, nicht auf den Wohnſitz.
Nimmt man die hier aufgeſtellte Regel als richtig an, ſo bleiben dann noch folgende Fälle, die dadurch nicht be - ſtimmt werden, zu entſcheiden übrig.
88Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Erſtlich konnte Jemand das Bürgerrecht an mehreren Orten zugleich haben: an dem einen durch die Geburt, an einem andern durch Adoption oder durch Aufnahme (§ 351). In einem ſolchen Falle wurde ohne Zweifel das frühere Bürgerrecht, alſo das durch Geburt entſtandene (die origo), als vorherrſchend behandelt, weil kein Grund vor - handen war, eine Umwandlung des perſönlichen Rechtszu - ſtandes anzunehmen. — Das Bürgerrecht der Stadt Rom, welches jeder municeps neben ſeinem beſonderen Stadtbür - gerrecht hatte (§ 352), kam bei der Beſtimmung des per - ſönlichen Rechts gewiß nicht in Betracht, vielmehr konnte in dieſer Hinſicht nur das Recht der engeren Heimath be - rückſichtigt werden.
Zweitens konnte Jemand ganz ohne ſtädtiſches Bür - gerrecht ſein (§ 351), während er einen Wohnſitz hatte. In dieſem Fall mußte der Wohnſitz als Beſtimmungsgrund für das auf ihn anwendbare perſönliche Recht gelten.
Zuletzt bleiben noch die Fälle zu erwägen übrig, wenn Je - mand in keiner Stadt das Bürgerrecht (§ 351), und zu - gleich entweder in mehreren Städten, oder auch in keiner Stadt einen Wohnſitz hatte (§ 354). Wie die Römer ſolche, bei ihnen gewiß ſeltene, Fälle beurtheilt haben mögen, läßt ſich aus unſern Rechtsquellen nicht durch unmittelbare Zeugniſſe nachweiſen. Wir werden auf dieſelben zurück - kommen bei der Unterſuchung des heutigen Rechts (§ 359).
Auch für dieſe, das örtliche Recht betreffende, Regeln, muß die Bemerkung wiederholt werden, welche oben für die89§. 357. Origo und domicilium. Wirkung. (Fortſ.)Gerichtsverfaſſung gemacht worden iſt, daß die Allgemein - heit dieſer Regeln zwar für das Zeitalter der alten Juriſten behauptet werden darf, in der früheren Zeit aber, durch die eigenthümliche Verfaſſung mancher Provinzen, nur mit Aus - nahmen anzunehmen iſt(a)Dieſes gilt namentlich von Sicilien nach den oben aus Cicero angeführten Stellen (§ 355. u.), worin die Gerichte und die Geſetze neben einander genannt werden als Vorrechte der Sicilianer. Cap. 13 „ domi certet suis legi - bus. “ Cap. 24 „ postulant, ut se ad leges suas rejiciat. “ Cap. 37 „ ut cives inter se legibus suis agerent. “.
Es iſt nicht ſchwer zu zeigen, daß die hier dargeſtellte Römiſche Lehre von origo und domicilium in unſerem heutigen Rechtszuſtand, namentlich in dem für Deutſchland geltenden gemeinen Recht, nicht mehr Anwendung findet, und daß davon höchſtens vereinzelte Beſtandtheile übrig ge - blieben ſind. Denn die Grundlage und Vorausſetzung jener Lehre beſtand in den Stadtgebieten, die wie ein Netz über den ganzen Boden des Römiſchen Reichs verbreitet waren, und, damit zuſammenhängend, in den Stadtgemeinden, die für die einzelnen Einwohner das Verhältniß zum Staate vermittelten, ſo daß alle Einzelne, mit wenigen Ausnahmen, als Stadtbürger, mannichfaltigen und dauernden perſön - lichen Verpflichtungen unterworfen waren (§ 351).
Gerade dieſe Grundlage nun der Römiſchen Verfaſſung90Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.in ihrer Anwendung auf die einzelnen Theile des Staats - gebietes, findet ſich in den neueren Zeiten nicht mehr. Namentlich in Deutſchland haben zwar ſeit vielen Jahr - hunderten die Städte ein wichtiges Stück der Verfaſſung, ſowohl im Reiche, als in den einzelnen Ländern, gebildet; jedoch nur ein vereinzeltes, neben anderen meiſt wichtigeren Beſtandtheilen ſtehendes Stück, ſo daß hier an ein Aufgehen des Ganzen in bloße Stadtgebiete und Stadtgemeinden niemals zu denken war. Wie mit Deutſchland, ſo verhielt es ſich in dieſer Hinſicht auch mit anderen Staaten neuerer Zeit; und höchſtens in Italien finden ſich theilweiſe noch Zuſtände, die, wenn auch unvollſtändig, nicht nur an den Zuſtand des Römiſchen Kaiſerreichs erinnern, ſondern auch in der That als Ueberreſte deſſelben zu betrachten ſind.
Iſt nun die Grundlage jener Römiſchen Lehre von origo und domicilium verſchwunden, ſo können auch die darauf beruhenden Rechtsverhältniſſe (munera, forum, Stadtrecht als Recht der Perſon) nicht mehr in Römiſcher Weiſe be - hauptet werden. Vorzüglich einleuchtend iſt Dieſes für die origo, das heißt für das bei jedem Einzelnen vorauszu - ſetzende Stadtbürgerrecht, anſtatt daß bei der abſtracteren Natur des domicilium ſich noch eher eine gewiſſe Art von Fortdauer annehmen ließe.
Auch haben von jeher die neueren Schriftſteller als unzweifelhaft anerkannt, daß in dieſer Lehre unſer Rechts - zuſtand von dem der Römer durchaus abweiche. Zwar den ganzen Umfang der eingetretenen Veränderung konnten ſie91§. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht.deswegen nicht anerkennen, weil keiner unter ihnen den wahren und vollſtändigen Zuſammenhang jener Römiſchen Rechtsinſtitute überſah. Allein bei einer einzelnen Anwen - dung, dem Gerichtsſtande, wurden ſie auf dieſen Gegen - ſtand aufmerkſam, und hier eben erkannten ſie einſtimmig an, daß das Römiſche forum originis, in ſeiner urſprüng - lich vorherrſchenden Bedeutung, für uns ganz verſchwunden ſey, und daß höchſtens noch etwas ihm Aehnliches, aber untergeordnet, und als bloße Aushülfe für ſeltenere Fälle, für unſer heutiges Recht übrig bleibe(a)Lauterbach de domicilio § 13. 14. 50. Schilter ex. 13 § 24. Stryk V. 1 § 17. 18. Glück B. 6 S. 261.. — Wollte etwa Jemand bezweifeln, ob wirklich in dieſer Lehre eine durch - greifende Veränderung vorgegangen wäre, ſo müßte er ſchon durch den Umſtand überzeugt werden können, daß ſelbſt die Begriffe und Kunſtausdrücke der Römer bei den Neueren ganz verwirrt und verdunkelt erſcheinen. Denn dieſer Umſtand erklärt ſich nicht daraus, daß etwa die Quellen des Römiſchen Rechts in dieſer Lehre beſonders undeutlich oder lückenhaft wären, (welches in der That nicht der Fall iſt), ſondern lediglich daraus, daß der In - halt jener Rechtsquellen ſo wenig zu unſern Zuſtänden paſſen wollte.
Man könnte nun etwa verſuchen, die eingetretene Veränderung ſo aufzufaſſen, als wäre aus dem Römiſchen Recht blos die eine Hälfte (die origo) verſchwunden, die andere Hälfte (das domicilium) unverändert übrig geblieben. 92Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Allein auch dieſe Auffaſſung kann nur mit großer Be - ſchränkung als richtig anerkannt werden.
Die praktiſche Bedeutung nämlich des Römiſchen domi - cilium bezog ſich immer wieder auf die Stadtgemeinde und deren Gebiet, indem der Wohnſitz, eben ſo wie das Bür - gerrecht, jeden Einzelnen zum Angehörigen einer Stadt - gemeinde machen konnte (§ 351. 353). Dieſe aus - ſchließende praktiſche Bedeutung iſt nicht mehr vorhanden, oder ſie hat vielmehr eine andere Geſtalt angenommen.
Dagegen iſt die Art, wie der Wohnſitz entſteht und wieder[aufgehoben] wird (§ 353. 354), bei uns ganz die - ſelbe wie im Römiſchen Recht, und in ſofern ſind bei uns die Beſtimmungen des Römiſchen Rechts völlig anwendbar.
Die Gränze des anwendbaren und nicht anwendbaren Theils jener ganzen Lehre wird nun noch anſchaulicher werden durch die Betrachtung der drei einzelnen Wirkungen, die das Römiſche Recht an den Wohnſitz, eben ſo wie an das Stadtbürgerrecht, knüpft (§. 355. 356).
1. Städtiſche Laſten (munera). Dieſe können hier völlig unbeachtet bleiben, da ſie ſich ganz auf eigenthümlich Römiſche Verhältniſſe bezogen.
2. Gerichtsſtand (forum domicilii).
Dieſe Wirkung des Wohnſitzes iſt nicht nur im heuti - gen Rechte übrig geblieben, ſondern ſie erſcheint hier noch wichtiger, als bei den Römern. Denn bei die - ſen beſtand ganz gewöhnlich das forum originis neben93§. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht.dem forum domicilii, ſo daß zwiſchen beiden der Klä - ger die Wahl hatte (§ 355); bei uns iſt die origo im Römiſchen Sinne verſchwunden, und ſo iſt nunmehr das forum domicilii der einzige ordentliche, regelmäßige Gerichtsſtand jedes Menſchen.
Dieſer Gerichtsſtand aber, wie der Wohnſitz ſelbſt, auf welchem er beruht, hat jetzt eine andere Bedeutung, als im Römiſchen Recht. Er bezieht ſich nicht mehr, wie dort, allgemein und nothwendig auf die richterliche Obrigkeit eines Stadtgebietes, zu welchem der Wohn - ſitz gehört, ſondern eines Gerichtsſprengels, der ſehr verſchiedenartige Entſtehungsgründe und Gränzen haben, und allerdings unter anderen und zufällig auch mit den Gränzen eines Stadtgebietes zuſammen fallen kann.
3. Das beſondere territoriale Recht, welchem jeder Einzelne, als ſeinem perſönlichen Recht, untergeordnet iſt. Damit verhält es ſich ähnlich, wie es ſo eben von dem Gerichts - ſtand bemerkt worden iſt. Dieſe Wirkung des Wohnſitzes iſt nicht nur übrig geblieben, ſondern auch ausſchließender anwendbar und darum wichtiger geworden, als bei ihnen. Zugleich aber hat ſie bei uns, eben ſo wie der Gerichts - ſtand, eine veränderte Bedeutung angenommen.
Dieſer Gegenſtand aber iſt für die Aufgabe der gegen - wärtigen Unterſuchung wichtiger, als alles Uebrige, ja er allein war die Veranlaſſung, auch die übrigen hier abge -94Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.handelten Fragen mit in den Kreis dieſer Unterſuchung zu ziehen. Daher iſt derſelbe nunmehr einer abgeſonderten, ſelbſtſtändigen Betrachtung zu unterwerfen (§ 359).
Neben der hier dargeſtellten großen und allgemein aner - kannten Verſchiedenheit, die bei dem Uebergang aus den Römiſchen Zuſtänden in die heutigen eingetreten iſt, muß es als eine Merkwürdigkeit erwähnt werden, daß ſich in einem kleinen Europäiſchen Lande ein ähnlicher Rechtszu - ſtand ausgebildet hat, wie der oben dargeſtellte Römiſche: eine origo, verſchieden von dem domicilium, aber mit ent - ſchiedenem Uebergewicht über dieſes; ein Rechtszuſtand, der nicht Ueberreſt des Römiſchen, und eben ſo wenig Nach - ahmung deſſelben iſt, ſo wie er auch darin eigenthümlich erſcheint, daß er nicht ausſchließend auf einem Stadtbür - gerrecht, ſondern auf dem Heimathsrecht oder Bürgerrecht in irgend einer Gemeinde (ſey ſie ſtädtiſch oder ländlich) beruht. Dieſer Zuſtand findet ſich in den meiſten Kantonen der deutſchen Schweiz, wo das Heimathsrecht in einer be - ſtimmten Gemeinde, welches zugleich Bedingung für den Erwerb des Kantonsbürgerrechts iſt, vorzugsweiſe vor dem vielleicht anderswo gewählten Wohnſitz, entſcheidend iſt für viele der wichtigſten Rechtsverhältniſſe: namentlich für die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, für die Ehe, väterliche Gewalt, Vormundſchaft, ſo wie für das Recht der Teſtamente und die Inteſtaterbfolge. Für mehrere95§. 358. Origo und domicilium im heutigen Recht.dieſer Rechtsverhältniſſe wird nicht blos das anwendbare örtliche Recht, ſondern auch der Gerichtsſtand durch die origo (das Gemeindebürgerrecht) beſtimmt, vorzugsweiſe vor dem Wohnſitz; namentlich gilt Dieſes für die Klagen auf Eheſcheidung, und für die aus dem Erbrecht. Alle dieſe Beſtimmungen gründen ſich theils auf altes Her - kommen, theils auf die zwiſchen vielen Kantonen geſchloſſenen Konkordate(b)Offizielle Sammlung der das Schweizeriſche Staatsrecht be - treffenden Aktenſtücke B. 2 Zürich 1822. 4 S. 34. 36. 39. — Ich verdanke dieſen, das Schweizerrecht betreffenden, Zuſatz der freundlichen Mittheilung von Keller..
Nach dem heutigen Recht iſt der Wohnſitz als regel - mäßiger Beſtimmungsgrund anzuſehen für das beſondere territoriale Recht, welchem jeder Einzelne, als ſeinem per - ſönlichen Rechte, untergeordnet iſt (§. 358), und dieſer Satz hat auch von jeher ſehr allgemeine Anerkennung gefun - den(a)Vgl. die im § 358 Note a. angeführten Schriftſteller, und Eichhorn deutſches Recht § 34. — Für die Uebereinſtimmung aus - ländiſcher Rechtslehrer ſind folgende Zeugniſſe zu bemerken: Projet de code civil Paris 1801. 8. p. LV. LVI. — Rocco Lib. 2 C. 8, wo gleichfalls der bloße Wohnſitz als Grundlage des örtlichen Rechts für den Einzelnen anerkannt wird, völlig verſchieden von der (poli - tiſchen) Naturaliſation, von welcher Lib. 1 C. 10 handelt. — Story Chap. 3. und 4.. Es tritt alſo nunmehr als Regel derjenige Zu -96Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſtand ein, welcher im Römiſchen Rechte ausnahmsweiſe an - erkannt werden mußte für ſolche Perſonen, die zufällig zu keiner Stadt ein eigentliches Bürgerverhältniß hatten, alſo ohne origo waren (§ 357). Man könnte dieſe Regel des heutigen Rechts, um ihr Verhältniß ſowohl zum Römiſchen Recht, als zu der ſchon erwähnten verwandten Regel für den Gerichtsſtand, anſchaulich zu machen, etwa ſo aus - drücken. 1. Bei den Römern beſtand neben dem forum domicilii das forum originis, beide mit völlig gleicher Be - rechtigung, alſo concurrirend. Bei uns iſt das forum originis im Römiſchen Sinne verſchwunden, das forum domicilii allein übrig. 2. Bei den Römern galt, als ter - ritoriales perſönliches Recht der Einzelnen, die lex originis, und nur ausnahmsweiſe die lex domicilii, für diejenigen Perſonen, die zufällig keine origo hatten. Bei uns iſt die lex domicilii der einzige regelmäßige Beſtimmungsgrund für das territoriale perſönliche Recht der Einzelnen(b)Es iſt ſchon oben (§ 356) aufmerkſam gemacht worden auf den Zuſammenhang zwiſchen forum (originis, domicilii) und lex (originis, domicilii) Dieſer Zu - ſammenhang zeigt ſich nicht blos im R. R., ſondern auch in manchen rein praktiſchen Folgen des heutigen Rechts; ſo unter andern in der Regel, nach welcher die vom ge - wöhnlichen örtlichen Gerichtsſtand eximirten Perſonen auch nicht den örtlichen Statuten unterworfen ſind. Eichhorn deutſches Recht § 34. — Es darf jedoch keine unbedingte, ausſchließende Behauptung dieſes Zuſammenhangs geltend gemacht werden, welches ſchon wegen der nicht ſeltenen Concurrenz verſchie - dener Arten des Gerichtsſtandes (z. B. domicilii mit rei sitae) bedenklich ſeyn würde..
Obgleich nun dieſe ungemein wichtige Regel, die für die ganze folgende Unterſuchung die Grundlage abgeben wird,97Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortſ.)als Regel ſehr allgemein anerkannt wird, ſo iſt es doch nach zwei Seiten hin nöthig, ſie näher zu beſtimmen.
Erſtlich hat im heutigen Recht der Wohnſitz auch in Anſehung des territorialen Rechts eine andere Bedeutung und andere Gränzen, als im Römiſchen Recht, ganz ſo wie es bereits in Anſehung des Gerichtsſtandes bemerkt worden iſt (§ 358). Bei den Römern war die lex originis, wie die lex domicilii, ſtets das örtliche Recht eines beſtimmten Stadtgebietes (§ 356). Bei uns dagegen hat die Einheit eines territorialen Rechtes, eben ſo wie der Gerichtsſtand, ſehr verſchiedenartige Entſtehungsgründe und Gränzen(c)Von dieſer verſchiedenar - tigen Natur und Begränzung terri - torialer Rechte iſt ſchon oben im § 347 die Rede geweſen., und das territoriale Recht kann nur unter andern und zu - fälligerweiſe mit den Gränzen eines Stadtgebiets zuſammen fallen, alſo ein Stadtrecht ſein. Wollen wir alſo für dieſes Verhältniß den Vortheil einer allgemein paſſenden Bezeich - nung gewinnen, ſo müſſen wir dafür einen beſonderen Kunſt - ausdruck erſt bilden, und es würde ſich dazu etwa der Aus - druck Geſetzſprengel eignen, welcher durch ſeine Aehn - lichkeit mit dem allgemein üblichen Ausdruck: Gerichtsſpren - gel leicht verſtändlich ſein wird. Nur muß dabei bedacht werden, daß der Ausdruck: Geſetz (eben ſo wie lex domi - cilii) in einem weiteren Sinn zu nehmen iſt, für jede Re - gel des poſitiven Rechts, ohne Unterſchied, ob dieſe Regel durch ein eigentliches Geſetz, oder etwa durch Gewohnheits - recht, entſtanden ſein mag.
VIII. 798Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zweitens könnte man verſucht ſein, der hier aufgeſtell - ten Regel von der lex domicilii einen uneingeſchränkten Einfluß einzuräumen nur bei der Colliſion zwiſchen den Particularrechten eines und deſſelben Staates (§ 347), nicht ſo bei der Colliſion zwiſchen den Geſetzen ſouveräner Staaten (§ 348); man könnte annehmen, daß für dieſe Colliſion nicht ſowohl der Wohnſitz, als vielmehr der Staatsverband, das Unterthanenverhältniß, maaßgebend ſein müſſe. — In mehreren großen Staaten nämlich ſind ge - naue Beſtimmungen erlaſſen worden über den Erwerb und Verluſt des Staatsbürgerrechts, und man könnte daher glauben, in dieſen Staaten ſei die Anwendung des territo - rialen Rechts auf die Einzelnen forthin bedingt durch das Staatsbürgerrecht, nicht mehr durch den Wohnſitz, worin alſo eine modificirte Rückkehr zu dem Römiſchen Begriff der origo (verſchieden von domicilium) gefunden werden könnte.
Dieſe Annahme iſt nicht ohne Schein im Franzöſiſchen Recht, welches genaue Beſtimmungen enthält über die Ent - ſtehung und Aufhebung der Eigenſchaft eines Français(d)Code civil art. 9 — 13. 17 — 21. Von dem Français iſt verſchieden der citoyen, welcher Ausdruck die politiſchen Rechte be - zeichnet, art. 7. — Auch Foelix p. 36 ‒ 39 ſpricht zwar zuerſt von der nationalité als Grundlage des anzuwendenden örtlichen Rechts, nimmt aber dann dieſen Ausdruck gleichbedeutend mit domicile, will alſo nicht etwa in Widerſpruch treten mit der unter den Schrift - ſtellern des gemeinen Rechts herr - ſchenden Anſicht.. Daran knüpft ſich dann die Beſtimmung, daß der perſön - liche Zuſtand des Français (l’état et la capacité), auch wenn99§. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortſ.)er im Ausland wohne, nach Franzöſiſchem Recht beurtheilt werden ſolle(e)Code civ. art. 3, ſ. u. § 363 am Ende des §.; ferner daß jeder Français alle droits ci - vils genieße(f)Code civ. art. 8.. Dieſem letzten Satz könnte man die aus - ſchließende Bedeutung beilegen, daß der Ausländer die droits civils in Frankreich nicht genieße, worin dann eine Herſtellung des Römiſchen Unterſchieds der cives und pere - grini in der Lehre von der Rechtsfähigkeit gefunden werden möchte. Allein, abgeſehen davon, daß die Franzö - ſiſchen Juriſten von den droits civils ſehr verworrene und irrige Begriffe haben(g)S. o., B. 2 S. 154 fg., werden daneben den Ausländern ſo ziemlich dieſelben Rechte, wie den Français, eingeräumt(h)Code civ. art. 11, wo der Grundſatz der Reciprocität aufge - geſtellt iſt, welcher jetzt faſt über - all auf völlig gleiche Rechtsfähig - keit zwiſchen Inländern und Aus - ländern führen wird.. Daraus geht hervor, daß die praktiſche Bedeutung des Be - griffs Français weit geringer iſt, als ſie auf den erſten Blick ſcheint, und daß ſie ſich hauptſächlich in der Lehre von der Handlungsfähigkeit äußert, an welcher Stelle wir auf dieſen Gegenſtand zurückkommen werden.
In Preußen iſt neuerlich ein Geſetz erlaſſen worden über die Entſtehung und Aufhebung der Eigenſchaft eines Preußen oder Preußiſchen Unterthans(i)Geſetz vom 31. Dec. 1842 (G. S. 1843 S. 15)., und man könnte auch bei dieſem Geſetz verſucht ſein, darnach die Anwend - barkeit des Preußiſchen Rechts auf die Einzelnen, unabhän -7*100Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gig von dem Wohnſitz, abzumeſſen(k)Daß die Eigenſchaft des Preußen durch den Wohnſitz allein weder begründet noch aufgehoben werde, ſagt ausdrücklich das an - geführte Geſetz § 13. 23.. In der That aber iſt dazu noch weniger Schein, als im Franzöſiſchen Recht, jenes Geſetz betrifft blos die Verhältniſſe des öffentlichen Rechts, und nach den allgemeinen Preußiſchen Geſetzen iſt es unzweifelhaft, daß das perſönliche Recht der Einzelnen durch den Wohnſitz zu beſtimmen iſt, ohne Unterſchied der Inländer und Ausländer(l)Allg Landrecht Einleitung § 23. 24. 34. — Eine Beſtätigung dieſer Annahme liegt auch in den zahlreichen Staatsverträgen mit deutſchen Nachbarſtaaten, in welchen für die beiderſeitigen Unterthanen der Wohnſitz ſchlechthin als Grundlage des ordentlichen per - ſönlichen Gerichtsſtandes anerkannt wird, ohne Erwähnung eines da - von möglicherweiſe verſchiedenen Unterthanenverbandes. Ich ver - weiſe nur beiſpielsweiſe auf die Verträge mit Weimar 1824 Art. 8 und Sachſen 1839 Art. 8 (G. S. 1824 S. 150. 1839 S. 354)..
Auch für das Engliſche, und das darauf gegründete Amerikaniſche Recht könnte man annehmen, daß der Be - griff des Staatsverbandes, an ſich verſchieden von dem des Wohnſitzes, als Grundbegriff angenommen ſein möchte. Allein Story, welcher ganz von den Begriffen des Engli - ſchen Rechts ausgeht, erkennt dennoch den Begriff des Wohnſitzes als Grundlage an, und zwar ganz in dem Sinn, in welchem derſelbe von den Schriftſtellern über das Römi - ſche Recht angewendet wird (Chap. 3 und 4).
Es muß alſo in der That der Wohnſitz als allgemei - ner Beſtimmungsgrund anerkannt werden, und ſo haben ihn auch die oben angeführten Schriftſteller (§ 358. a) als101§. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortſ.)den wahren Grund des Unterthanenverhältniſſes (in Bezie - hung auf das Privatrecht) anerkannt.
Der hier aufgeſtellte Grundſatz, daß der Wohnſitz als Beſtimmungsgrund gelten ſoll ſowohl für den Gerichtsſtand (forum domicilii), als für das örtliche Recht der Perſon (lex domicilii), iſt für zwei mögliche Fälle nicht ausreichend, und bedarf alſo für dieſe Fälle einer Ergänzung. Es kann nämlich geſchehen, daß die Perſon, deren Gerichtsſtand oder deren örtliches Recht wir zu beſtimmen haben, entweder einen mehrfachen Wohnſitz hat, oder überhaupt keinen Wohnſitz (§ 354).
Im erſten Fall entſteht für den Gerichtsſtand keine Schwierigkeit. Dieſer iſt an jedem der verſchiedenen Orte des Wohnſitzes völlig begründet, und der Kläger hat unter ihnen die Wahl, ganz ſo wie nach dem Römiſchen Recht (§ 355).
Für das örtliche Recht der Perſon iſt eine gleichartige Beſtimmung nicht möglich, vielmehr muß hier unter den mehreren Orten des gleichzeitigen Wohnſitzes einer als aus - ſchließender Beſtimmungsgrund für das örtliche Recht ge - wählt werden. Ich habe kein Bedenken, dafür denjenigen Ort vorzugsweiſe anzuerkennen, an welchem zuerſt der Wohnſitz errichtet war; und zwar deswegen, weil es an einem hinreichenden Grunde fehlt, in dem örtlichen Recht,102Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.das die Perſon durch Errichtung des erſten Wohnſitzes ein - mal begründet hat, eine Aenderung anzunehmen(m)Aus demſelben Grunde iſt ſchon oben eine gleichartige Ent - ſcheidung getroffen worden, wenn nach Römiſchem Recht dieſelbe Perſon an mehreren Orten das Bürgerrecht hatte (§ 357). — Mit der hier aufgeſtellten Behauptung ſtimmt überein Meier de con - flietu legum p. 16..
Der zweite Fall endlich, wofür der aufgeſtellte Grund - ſatz nicht ausreicht, alſo einer Ergänzung bedarf, iſt der, wenn die Perſon, für welche wir den Gerichtsſtand oder das örtliche Recht aufzuſuchen haben, gegenwärtig gar keinen Wohnſitz hat.
Dieſer Fall kann zunächſt in der Geſtalt auftreten, daß dieſelbe Perſon einen wahren Wohnſitz früher erweislich gehabt, dann aber aufgegeben hat, ohne einen neuen zu wählen. Dann haben wir dieſen früheren Wohnſitz als Beſtimmungsgrund anzuſehen, und zwar wieder, wie es ſchon bei anderer Gelegenheit geltend gemacht worden iſt (Note m), weil es an einem hinreichenden Grunde zur Annahme einer Aenderung fehlt. — Und von demſelben Standpunkt aus iſt dann auch der letzte noch übrig blei - bende Fall zu entſcheiden, der Fall, in welchem jene Perſon auch in keiner früheren Zeit irgend einen Wohnſitz errich - tet hat. Denn in einem ſolchen Fall müſſen wir auf einen Zeitpunkt zurück gehen, in welchem ſie, ohne eigene Wahl, einen Wohnſitz hatte. Dieſes iſt der Zeitpunkt der Geburt, in welchem der Wohnſitz des ehelichen Kindes mit dem103§. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortſ.)Wohnſitz zuſammen fällt, den zu dieſer Zeit der Vater hat(n)S. o. § 353. t. (mit der daſelbſt hinzugefügten näheren Be - ſtimmung). — Mit dieſer Ent - ſcheidung ſtimmt überein Voetius V. 1 § 92 (am Ende des §), der auch den richtigen Grund angiebt. — Meier de conflictu legum p. 14 will auf den Geburtsort ſehen, der aber als ſolcher ganz gleichgültig iſt. Thatſächlich wer - den freilich beide Orte meiſt zu - ſammen treffen..
Dieſes nun iſt die origo im Sinne unſers neueren Rechts, und ſo iſt auch die Sache, bei Gelegenheit des forum originis, von beſonnenen Rechtslehrern ſtets auf - gefaßt worden(o)Auch die Preußiſche Ge - ſetzgebung faßt die Sache richtig in dieſem Sinne auf. Zwar iſt in dem A. L. R. Einl. § 25 der Ausdruck: „ Ort der Herkunft “un - beſtimmt, und könnte von dem bloßen Geburtsort verſtanden wer - den. Allein die Allg. Ger. Ordn. I. 2 § 17. 18 erklärt die Herkunft und das forum originis ganz ausdrücklich von dem Gerichts - ſtand der Eltern., obgleich dabei oft die Verwechslung mit dem bloßen Geburtsort (§ 350. a), oft auch eine unklare Vor - ſtellung von dem Verhältniß dieſes Begriffs zu dem Römiſchen Begriff von origo, der richtigen Einſicht hinderlich geweſen iſt. Um in dieſer letzten Beziehung jeder künftigen Ver - wechslung ſicherer vorzubeugen, will ich den Unterſchied, wie er aus der ganzen bisher geführten Unterſuchung her - vorgeht, hier kurz zuſammenſtellen. Die Römer nennen origo das durch die Geburt eines Menſchen erworbene Stadt - bürgerrecht deſſelben. Wir nennen origo die Fiction des Wohnſitzes eines Menſchen an dem Ort, an welchem zur Zeit der Geburt deſſelben der Wohnſitz des Vaters ge - weſen iſt.
104Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Dieſer Begriff der origo oder der Herkunft im Sinne des heutigen Rechts iſt nun gleichmäßig anzuwenden auf den Gerichtsſtand, als forum originis, und auf das örtliche Recht der Perſon, als lex originis.
Mit dieſer Behauptung ſetzen wir uns auch gar nicht etwa in Widerſpruch mit den Beſtimmungen des Römiſchen Rechts, deſſen Entſcheidung über den hier vorliegenden Fall ich oben einſtweilen dahin geſtellt gelaſſen habe (§ 357). Vielmehr glaube ich, daß die Römer dieſen Fall ganz eben ſo entſchieden haben würden, wenn ihnen ein ſolcher Fall vorgekommen wäre. Dafür ſpricht nicht nur der oben für das heutige Recht geltend gemachte innere Grund, den ſie eben ſo gut, als wir, anerkennen konnten, ſondern auch ein auf demſelben Grunde beruhender beſtimmter Ausſpruch über einen nahe liegenden, völlig verwandten Fall. Der Freigelaſſene konnte ſeinen Wohnſitz frei wählen, unabhän - gig von dem Wohnſitz ſeines Patrons (§ 353. v). Dennoch wird daneben geſagt, der Wohnſitz eines Freigelaſſenen werde beſtimmt durch den Wohnſitz des Patrons; eben ſo ſogar der Wohnſitz der Kinder des Freigelaſſenen, und ſelbſt der von ihm wiederum freigelaſſenen Sklaven(p)S. o. § 353. u. — Die entſcheidenden Stellen ſind: L. 6 § 3, L. 22 pr. ad mun. (50. 1), und es iſt für das richtige Ver - ſtändniß dieſer Stellen beſonders zu vergleichen: Zeitſchrift für ge - ſchichtliche Rechtswiſſ. B. 9 S. 98.. Der ſcheinbare Widerſpruch dieſer Ausſprüche iſt unbedenk - lich auf folgende Weiſe zu löſen. Im Augenblick der Frei -105§. 359. Origo und domicilium nach heutigem Recht. (Fortſ.)laſſung hat der bisherige Sklave keinen anderen Wohnſitz, als den ſeines Patrons, zu deſſen Hausſtand er bis dahin gehört hat. Er behält dieſen Wohnſitz ſo lange, bis durch ſeinen freien Willen eine Veränderung hierin vorgenommen wird, das heißt, ſo lange, als nicht eine ſolche Veränderung nachgewieſen werden kann. Derſelbe Wohnſitz muß alſo bis dahin auch fortwährend angenommen werden für die von ihm abhängigen Perſonen (Kinder und Freigelaſſene), ſo lange bis auch dieſe wieder eine Veränderung hierin vornehmen durch Errichtung eines eigenen Wohnſitzes. — Dieſe Ausſprüche der Römiſchen Juriſten beruhen augen - ſcheinlich auf demſelben Grunde, welcher oben für die origo des heutigen Rechts geltend gemacht worden iſt, und ſie laſſen kaum einen Zweifel übrig, daß die Römer auch für den Sohn eines Freigebornen, wenn er keinen eigenen Wohn - ſitz errichtet hatte, denjenigen Wohnſitz angenommen haben würden, den der Vater zur Zeit der Geburt dieſes Sohnes hatte.
Es iſt hierbei noch beſonders hervor zu heben ein ſelt - ſamer, bei neueren Schriftſtellern ganz gewöhnlicher, Kunſt - ausdruck: domicilium originis(q)Schilter ex. 13 § 24. Lautebbach de domicilio § 13. — Thomasius de vagabundo § 44. bis 68 kritiſirt dieſen Kunſt - ausdruck, verwickelt ſich aber dabei in unerträgliche, völlig unfrucht - bare Subtilitäten.. Unter Vorausſetzung des Römiſchen Sprachgebrauchs iſt dieſe Zuſammenſetzung widerſinnig, da dieſe Ausdrücke zwei verſchiedene, unabhän -106Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gige Gründe der Angehörigkeit bezeichneten. Im Sinn der neueren Juriſten ſoll es heißen: der Wohnſitz eines Menſchen, der nicht durch eigene freie Wahl, ſondern durch ſeine Abſtammung begründet wird, alſo gewiſſermaßen auf einer Fiction beruht.
Man kann nun allerdings in der Kaſuiſtik noch etwas weiter fortſchreiten, und die Frage aufwerfen, welches Recht anwendbar ſei auf einen Menſchen, bei dem weder ein ſelbſtgewählter Wohnſitz, noch ein Wohnſitz des Vaters er - mittelt werden kann. Dieſe Frage kann unter andern vor - kommen, wenn dieſer Menſch ſtirbt, und deſſen Inteſtaterb - folge beſtimmt werden ſoll. Dann wird kaum etwas An - deres übrig bleiben, als den augenblicklichen Aufenthalt für den Wohnſitz anzunehmen, alſo (wenn von der Erbfolge die Rede iſt) den Ort, an welchem er geſtorben iſt. — Bei Findelkindern mag als Wohnſitz gelten der Ort, wo ſie gefunden werden, mit Vorbehalt einer Aenderung, wenn ſie an einem anderen Orte zum Zweck der Erziehung einen bleibenden Aufenthalt bekommen, ſei es in einer öffentlichen Anſtalt, oder bei Privatperſonen(r)Linde Lehrbuch § 89..
Wir ſind jetzt an einem Punkt unſrer Unterſuchung an - gelangt, der einen größeren Abſchnitt bildet, und an welchem ein Rückblick auf den zurückgelegten Theil räthlich erſcheint.
Der Gang der Unterſuchung war bisher folgender. Es wurde ein Rechtsgrund aufgeſucht, aus welchem die Unter - ordnung der einzelnen Perſon unter ein beſtimmtes örlliches Recht, alſo die Angehörigkeit der Perſon an ein beſtimmtes Rechtsgebiet, abgeleitet werden könne (§ 345). Als ein ſolcher Rechtsgrund wurde im Römiſchen Recht anerkannt das ſtädtiſche Bürgerrecht (origo), in deſſen Ermangelung aber der Wohnſitz in einem beſtimmten Stadtgebiet (§ 350. bis 357). Im heutigen Recht trat an die Stelle dieſes Rechtsgrundes der Wohnſitz in einem beſtimmten Geſetz - ſprengel (§ 358. 359).
Es wurde aber zugleich anerkannt, daß dieſe Beſtimmung nur die Grundlage bilden könne für die Löſung unſrer Auf - gabe, und nicht als eine ſolche Löſung ſelbſt angeſehen werden dürfe. Denn zu dieſer Löſung genügt nicht die Betrachtung der Perſon in ihrem abſtracten Daſeyn (ſo wie in der oben erwähnten Beſtimmung), ſondern es muß vielmehr die Perſon unter einem ganz anderen Geſichts - punkt betrachtet werden, nämlich als eintretend in einen weiten Kreis erworbener Rechte, und als Träger dieſer108Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Rechte, womit zugleich die Möglichkeit des Eintritts in die verſchiedenſten Rechtsgebiete gegeben iſt (§ 345).
Anſtatt alſo, daß bisher der Gegenſtand unſerer Unter - ſuchung die Perſon war, für welche ein Band aufgeſucht wurde, durch das ſie an eine beſtimmte Oertlichkeit, als an ein einzelnes Rechtsgebiet, angeknüpft wäre, ſo wendet ſich jetzt die Unterſuchung auf einen anderen Gegenſtand, auf die Rechtsverhältniſſe, für welche wir nunmehr eine ähnliche Verknüpfung mit einer beſtimmten Oertlichkeit, mit einem einzelnen Rechtsgebiet, feſtzuſtellen haben. Um aber beide Theile der Unterſuchung auch im Ausdruck einander näher zu bringen, können wir ſagen, daß in der Folge für jede Klaſſe der Rechtsverhältniſſe ein beſtimmter Sitz auf - geſucht werden ſoll.
Dieſen Gedanken verfolgend, will ich hier die Formel wiederholen, die ſchon oben in anderem Zuſammenhang vor - läufig aufgeſtellt worden iſt (§ 348), und nach welcher die geſammte Aufgabe dahin geht, daß bei jedem Rechtsverhältniß dasje - nige Rechtsgebiet aufgeſucht werde, welchem dieſes Rechtsverhältniß ſeiner eigenthümlichen Natur nach angehört oder unterworfen iſt, (worin daſſelbe ſeinen Sitz hat).
Dieſe Formel iſt im Weſentlichen gleich anwendbar auf die Colliſion von örtlichen Rechten deſſelben Staates und verſchiedener Staaten.
109§. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen.Nur durch die vollſtändige Löſung dieſer Aufgabe wird eine ſichere und erſchöpfende Anwendung der aufzuſtellenden Grundſätze auf das wirkliche Leben möglich, und von dieſem Standpunkte aus können wir die bisher geführte Unter - ſuchung als den theoretiſchen Theil der ganzen Lehre, die nunmehr folgende als den praktiſchen Theil derſelben be - zeichnen.
In dieſer Unterſuchung werden einige allgemeine Ge - ſichtspunkte öfter erwähnt werden müſſen. Eine vorläufige Zuſammenſtellung derſelben am gegenwärtigen Orte wird die ſpäter davon zu machende Anwendung weſentlich er - leichtern und fördern.
1. Schon oben iſt auf den inneren Zuſammenhang auf - merkſam gemacht worden, welcher zwiſchen dem Gerichts - ſtand und dem anzuwendenden örtlichen Recht ſchon bei den Römern beſtand, und auch im heutigen Recht nicht verſchwunden iſt (§ 356. 359). Dieſer Zuſammenhang beruhte bei der Perſon auf dem Gehorſam, den dieſelbe, wie der Obrigkeit, ſo dem örtlichen Recht, zu leiſten hatte, alſo auf einer gleichartigen Unterwerfung der Perſon unter beide über ihr ſtehende Gewalten. Eine ähnliche Verwandt - ſchaft, beſtehend in gleichartiger Unterwerfung, müſſen wir nunmehr auch für die Rechtsverhältniſſe geltend machen. Nur darf dieſer innere Zuſammenhang nicht bis zu völliger Identität ausgedehnt werden. Eine ſolche Annahme wird110Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſchon durch den Umſtand ausgeſchloſſen, daß in vielen Fällen ein mehrfacher Gerichtsſtand anwendbar iſt, anſtatt daß das anwendbare örtliche Recht ſtets nur ein einfaches ſeyn kann.
2. Das für jedes Rechtsverhältniß anwendbare örtliche Recht ſteht unter einem ſehr ausgedehnten Einfluß des freien Willens der betheiligten Perſonen, alſo der frei - willigen Unterwerfung unter ein beſtimmtes Rechtsgebiet, obgleich dieſer Einfluß nicht als ein unbegränzter gedacht werden darf. Dieſelbe freiwillige Unterwerfung iſt auch wirkſam bei dem für die einzelnen Rechtsverhältniſſe gelten - den Gerichtsſtand.
Die freie Unterwerfung unter ein örtliches Recht erſcheint in verſchiedenen Arten und Graden. Zuweilen darin, daß der Inhalt eines beſtimmten örtlichen Rechts als maaßgebend frei gewählt wird, anſtatt daß auch wohl ein anderer In - halt hätte vorgezogen werden können; ſo insbeſondere bei den obligatoriſchen Verträgen, bei welchen das frei gewählte örtliche Recht gleichſam als Beſtandtheil des Vertrages ſelbſt anzuſehen iſt. In anderen Fällen erſcheint jene freie Unterwerfung in dem Erwerbe eines Rechtes an ſich, ſo z. B. bei dem Erwerbe eines Grundeigenthums in einem fremden Rechtsgebiet, wobei der Erwerber zwar freie Macht hat, den Erwerb zu unterlaſſen, wenn er ihn aber beſchließt, den Inhalt des örtlichen Rechts über den Grundbeſitz noth - wendig anerkennen muß.
111§. 360. Uebergang zu den einzelnen RechtsverhältniſſenBei dieſer Anwendung eines örtlichen Rechts in Folge freier Unterwerfung ſind ſtets zwei Fragen zu beachten: Unter welchen Bedingungen iſt dieſelbe anzunehmen, da es meiſt an einer ausdrücklichen Erklärung darüber fehlen wird? In welchen Fällen iſt ſie zuläſſig, oder aber durch entgegen - ſtehende abſolute Geſetze ausgeſchloſſen?
Der große Einfluß dieſer freiwilligen Unterwerfung auf das anzuwendende örtliche Recht hat denn auch ſtets ſehr allgemeine Anerkennung gefunden. Er konnte noch etwa bezweifelt werden im Römiſchen Recht, nach welchem die perſönliche Abhängigkeit von einem beſtimmten örtlichen Recht zunächſt durch das ſtädtiſche Bürgerverhältniß be - ſtimmt wurde (§ 357), in welches Jeder regelmäßig nicht durch ſeinen freien Willen, ſondern durch die Geburt ein - trat (§ 352). Jeder mögliche Zweifel aber verſchwindet für das heutige Recht, in welchem die perſönliche Abhän - gigkeit von einem beſtimmten örtlichen Recht durch den Wohnſitz beſtimmt wird. Denn da der Wohnſitz ſelbſt durch völlig freie Wahl eines Jeden beſtimmt wird, ſo kann auch für einzelne Rechtsverhältniſſe die regelmäßige Befugniß zur freien Unterwerfung unter ein beſtimmtes örtliches Recht keinem Zweifel unterliegen.
Die hier erwähnte freiwillige Unterwerfung erſcheint theils als eine einſeitige (wie bei dem Erwerb des Eigen - thums und anderer dinglicher Rechte), theils als eine in mehreren Perſonen übereinſtimmend vorhandene (wie bei den obligatoriſchen Verträgen). Dieſe letzte könnte man geneigt112Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſeyn, ſelbſt für einen Vertrag, nämlich einen ſtillſchweigen - den, zu halten. Allein dieſe Auffaſſung würde nicht genau richtig ſeyn. Zu jedem Vertrag wird vorausgeſetzt ein poſitives Wollen mit beſtimmtem Bewußtſeyn. Ein ſolches iſt bei der hier in Frage ſtehenden Unterwerfung keineswe - ges immer vorhanden. Vielmehr wird hier nur das dem inneren Bedürfniß Entſprechende als gewollt, in Kraft einer allgemeinen Rechtsregel, vorſorglich angenommen, ſo lange nicht ein beſtimmt widerſprechender Wille vorliegt. Von dieſer, allerdings etwas ſubtilen, Unterſcheidung zwiſchen der hier angenommenen Unterwerfung und dem Vertrage, wird unten eine nicht unwichtige Anwendung gemacht werden (§ 379 Num. 3), in welcher die Unterſcheidung ſelbſt noch anſchaulicher hervortreten wird.
Wenngleich nun in der Sache ſelbſt große Ueberein - ſtimmung herrſcht über den großen Einfluß der freiwilligen Unterwerfung unter ein beſtimmtes örtliches Recht, ſo muß ich doch Widerſpruch einlegen gegen einen Sprachgebrauch, der hierin neuerlich geltend gemacht worden iſt. Die neueren Schriftſteller pflegen nämlich dieſe ſehr allgemeine Einwirkung des freien Willens als Autonomie zu be - zeichnen(a)Wächter II. S. 35. Eichhorn deutſches Recht § 34. 37. Mittermaier deutſches Recht § 30. 31. Foelix p. 134., da doch dieſer Kunſtausdruck von früherer Zeit her vielmehr angewendet worden iſt als Bezeichnung eines ſehr eigenthümlichen Verhältniſſes in der Entwickelung des deutſchen Rechts, beſtehend in der Befugniß des deutſchen113§. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen.Adels und mancher Korporationen, ihre eigenen Verhält - niſſe durch eine Art innerer Geſetzgebung ſelbſtſtändig zu ordnen(b)Eichhorn deutſches Recht §. 20. 25. 30, Rechtsgeſchichte B. 2 § 346. — Phillips deut - ſches Recht B. 1 S. 89 B. 2 S. 73. — Puchta Gewohnheits - recht B. 1 S. 155 — 160 B. 2 S. 107.. Hier iſt der Ausdruck nicht wohl zu entbehren, und er wird in ſeiner eigenthümlichen Bedeutung nur ge - ſchwächt durch die überflüſſige Anwendung auf die ganz ungleichartigen Verhältniſſe unſerer Lehre, welche an Klar - heit und Beſtimmtheit dadurch gar Nichts gewinnt. Wollte man dieſe Anwendung etwa dadurch zu rechtfertigen ſuchen, daß ſich auch hier die Parteien einem (ſchon beſtehenden) Rechte unterwerfen, in dieſem Sinne alſo ſich ſelbſt ein Geſetz geben, ſo gilt ja Daſſelbe in noch höherem Grade von der freien Wahl des Wohnſitzes, und doch denkt Niemand daran, die Wahl des Wohnſitzes als Ausfluß der Autonomie zu bezeichnen. — Hiernach ſcheint es gerathen, bei der freien Unterwerfung unter irgend ein örtliches Recht, eben ſo wie bei der Wahl des Wohnſitzes, und bei den unzähligen anderen freien Handlungen, woraus rechtliche Folgen entſpringen, den Namen der Autonomie zu ver - meiden(c)Vgl. auch Puchta Gewohn - heitsrecht B. 1 S. 158, B. 2 S. 107 Es liegt bei dem hier getadelten Sprachgebrauch eine ähnliche Ver - wechſelung zum Grunde, wie die, durch welche die Entſtehungsgründe der Rechtsverhältniſſe mit den Rechtsquellen zuſammengeſtellt wer - den, ſ. o. B. 1 § 6 Note b. .
3. Wenn wir die Behandlung der hier vorliegenden Fragen im Großen betrachten, wie ſie im Laufe mehrererVIII. 8114Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Jahrhunderte bei den Schriftſtellern, in der gerichtlichen Praxis, und ſelbſt in der Geſetzgebung verſchiedener Na - tionen erſcheint, ſo erſcheint uns darin eine unverkennbare Umänderung, und zwar ein Fortſchritt, nach einer und der - ſelben Richtung hin. In früherer Zeit war eine ſcharfe Abſonderung der einzelnen Staaten gegen einander vor - herrſchend, an deren Stelle im Laufe der Zeit eine ſtets wachſende Annäherung getreten iſt. Uebereinſtimmend damit hat ſich auch unter den Schriftſtellern der verſchiedenen Nationen eine merkliche Verminderung der früheren Mei - nungsverſchiedenheiten gezeigt. Von dieſer veränderten Richtung geben zwei ſchon oben (§ 348) bemerkte That - ſachen Zeugniß: die ſtets allgemeiner anerkannte gleiche Rechtsfähigkeit unter Inländern und Ausländern, ſo wie das zunehmende Einverſtändniß über manche Sätze eines allgemeinen Gewohnheitsrechts über unſere Fragen. Wird dieſe bereits angefangene Entwickelung des Rechts nicht durch unvorhergeſehene äußere Umſtände geſtört, ſo läßt ſich erwarten, daß ſie zuletzt zu einer völlig übereinſtim - menden Behandlung unſerer Lehre in allen Staaten führen wird. Eine ſolche Uebereinſtimmung könnte herbeigeführt werden auf dem Wege der Wiſſenſchaft und der durch dieſe geleiteten Praxis der Gerichte. Sie könnte auch bewirkt werden durch ein unter allen Staaten vereinbartes Geſetz über die Colliſion der örtlichen Rechte. Ich ſage nicht, daß ein ſolches wahrſcheinlich wäre, oder auch nur räthlicher und heilſamer, als die blos wiſſenſchaftliche Vereinbarung. 115§. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen.Allein der Gedanke an ein ſolches Geſetz kann uns als Maaßſtab dienen für die Prüfung einer jeden von uns auf - zuſtellenden Regel über die Colliſion. Wir haben uns da - bei ſtets zu fragen, ob eine ſolche Regel wohl geeignet ſeyn dürfte, um in jenes allen Nationen gemeinſame Geſetz aufgenommen zu werden.
Bei dieſer zunehmenden Annäherung iſt Ein Haupt - punkt übrig geblieben, an welchen ſich fortwährend die ſtrengſten Gegenſätze angeſchloſſen haben. Das ältere ger - maniſche Recht geht aus von einem ſcharfen Unterſchied zwiſchen dem Eigenthum an unbeweglichen Sachen auf der einen Seite, und dem beweglichen Eigenthum nebſt allem übrigen Vermögen (beſonders Obligationen) auf der andern Seite. Hält man dieſen Unterſchied auch in unſerer Lehre feſt, ſo wird man dahin geführt, das unbewegliche Ver - mögen in allen Beziehungen nach dem Recht des Ortes, wo die Sache liegt, zu beurtheilen, alſo in vielen der wichtigſten Fälle von dem übrigen Vermögen gänzlich zu trennen. Giebt man jenen Unterſchied auf, ſo kommt man dahin, in vielen ſolchen Fällen das Vermögen aller Art gleich zu behandeln. Dieſer ſehr wichtige Gegenſatz wird zunächſt bei den dinglichen Rechten, dann aber beſonders in dem Erbrecht und in dem ehelichen Güterrecht, weiter unten genauer dargeſtellt werden. Seiner allgemeineren Natur wegen erſchien jedoch eine vorläufige Erwähnung deſſelben ſchon an dieſer Stelle räthlich.
Nach einer unbefangenen Betrachtung muß man aner -8*116Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.kennen, daß die in neuerer Zeit völlig veränderten Verhält - niſſe des Vermögens und des Verkehrs dahin führen, jenen ſtrengen Unterſchied aufzugeben. Die Gegner dieſer Meinung verkennen zwar nicht die große Schwierigkeit der Ausführung, die in heutiger Zeit mit dem Beharren bei jenem Unter - ſchied verbunden ſeyn müſſe. Sie pflegen aber auf dieſen Umſtand etwas vornehm herab zu ſehen, indem ſie be - haupten, eine ſolche Unbequemlichkeit dürfe uns nicht hindern, an richtigen Grundſätzen feſt zu halten. Dieſes möchte zugegeben werden, wenn die Rede wäre von einer bloßen Schwierigkeit für die urtheilenden Richter, deren Mühe und Arbeit alſo durch die ausgleichende Meinung vermindert werden ſollte, Allein die Schwierigkeiten, und die aus dieſen entſpringenden Nachtheile treffen die Be - theiligten ſelbſt, die Parteien, auf welche die Rechtsregeln anzuwenden ſind, und wir dürfen niemals vergeſſen, daß deren wahres und gleichförmiges Intereſſe zu fördern, der Zweck der Rechtsregeln iſt, daß dieſe Regeln ihnen dienen ſollen, nicht umgekehrt.
Und betrachten wir doch genauer, worin der Grundſatz beſtehen könnte, der durch die Beſeitigung jener Schwierig - keit etwa gefährdet würde. — Man könnte gefährdet glau - ben den Vortheil der eigenen Unterthanen, wenn vielleicht in einzelnen Fällen ein Grundeigenthum unſres Landes durch Vererbung nach Rechtsregeln des Auslandes an einen Ausländer fiele, anſtatt an einen Einheimiſchen. Allein theils könnte im einzelnen Fall auch gerade der umgekehrte117§. 360. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen.Erfolg bei der Anwendung der fremden Rechtsregel eintreten, theils wird jede ſolche Gefahr, (wenn man dieſen Namen gebrauchen will) durch die von uns vorausgeſetzte Gegen - ſeitigkeit völlig beſeitigt. — Oder man könnte glauben, die Würde und Selbſtſtändigkeit unſres Staates wäre gefährdet, wenn auf die Vererbung eines einheimiſchen Grundeigen - thums fremde Rechtsregeln angewendet würden. Allein auch dieſer Einwurf widerlegt ſich durch die angenommene Gegenſeitigkeit, die ſich, allgemeiner aufgefaßt, in eine völkerrechtliche Gemeinſchaft, als Grundlage und letztes Ziel unſrer ganzen Lehre auflöſt (§ 348).
Thatſächlich nun hat ſich der hier erwähnte Gegenſatz der Meinungen ſo ausgebildet. Die deutſchen Schriftſteller haben ſich in neuerer Zeit immer mehr dahin geneigt, den oben erwähnten ſtrengen Unterſchied zwiſchen unbeweglichem und anderem Vermögen aufzugeben, und zwar ſo, daß hierin Romaniſten und Germaniſten ganz einverſtanden ſind. Die Engliſchen Schriftſteller dagegen mit Einſchluß der Ame - rikaniſchen (deren Lehre auf demſelben Boden des common law ſteht) halten jenen Unterſchied in großer Strenge feſt(d)Nicht ohne Einfluß auf dieſes Feſthalten in England iſt gewiß das Normänniſche Lehenrecht geweſen, welches daſelbſt noch jetzt den Verkehr im Grundeigenthum großentheils beherrſcht., und ihnen ſcheinen ſich auch die Franzöſiſchen Schriftſteller anzuſchließen. Mit den Schriftſtellern aber geht überall die Praxis der Gerichte, nach einer ſehr natür - lichen Wechſelwirkung, Hand in Hand.
Unſere nächſte Aufgabe geht dahin, für jede Klaſſe der Rechtsverhältniſſe ein beſtimmtes Rechtsgebiet dem es an - gehört, alſo gleichſam einen Sitz des Rechtsverhältniſſes, aufzuſuchen (§ 360). Die Grundlage dieſer Arbeit muß eine zuſammenſtellende Ueberſicht der Rechtsverhältniſſe ſelbſt bilden, auf welche jene Unterſuchung gerichtet wer - den ſoll(a)Vgl. oben § 345 und B. 1 § 53 — 58. — Die Rechtsfähig - keit und Handlungsfähigkeit ſind oben dargeſtellt, B. 2 und 3, das Actionenrecht B. 5. 6. und 7. — Uebrigens verſteht es ſich von ſelbſt, daß die vorliegende Unterſuchung, ſo wie das ganze Werk, beſchränkt iſt auf das materielle Privatrecht, ſo daß davon ausgeſchloſſen bleibt ſowohl das Prozeßrecht, als das Strafrecht, ſ. o. B. 1 § 1..
Den Mittelpunkt jedes Rechtsverhältniſſes bildet die Perſon, als der Träger derſelben, und es muß zuvörderſt der Zuſtand der Perſon an ſich beſtimmt werden. Dieſes geſchieht durch die Feſtſtellung von zweierlei Bedingungen: den Bedingungen, unter welchen die Perſon Träger von Rechtsverhältniſſen ſeyn kann (Rechtsfähigkeit); und den Bedingungen, unter welchen ſie durch eigene Freiheit Träger von Rechtsverhältniſſen werden kann (Handlungs - fähigkeit). Man pflegt dieſe zweifache Fähigkeit den abſoluten Zuſtand der Perſon zu nennen.
119§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)Um dieſen Mittelpunkt nun (die Perſon an ſich) bilden ſich die erworbenen Rechte in ihren mannichfaltigen Ge - ſtalten. Sie laſſen ſich auf zwei Hauptklaſſen zurückführen, die durch ihre Gegenſtände beſtimmt werden: Familien - recht und Vermögensrecht.
Zum Vermögensrecht gehören zunächſt die Rechte an einzelnen Sachen (dingliche Rechte), dann die Rechte an einzelnen Handlungen beſtimmter Perſonen (Obligationen - recht, wovon das Actionenrecht als einzelner Zweig zu be - trachten iſt).
Dieſe, das Vermögen bildende, einzelne Rechte erſchei - nen als eine künſtliche Einheit im Erbrecht, welches das Vermögen in ſeinem abſtracten Begriff, von unbeſtimmtem Inhalt, zum Gegenſtand hat.
Die Familie erſcheint theils in ihrer urſprünglichen Na - tur, als dauernde Lebensform (reines Familienrecht), theils in dem wichtigen Einfluß, den ihre einzelne Zweige auf das Vermögen ausüben (angewandtes Familienrecht). Sie iſt in den drei Geſtalten zu betrachten, die im heutigen Römi - ſchen Recht allein noch übrig ſind: Ehe, väterliche Ge - walt, Vormundſchaft, da das im Römiſchen Recht bis zur ſpäteſten Zeit enthaltene Sklavenrecht längſt verſchwun - den iſt.
Aus dieſer Ueberſicht ergiebt ſich, als leitend für den ganzen folgenden Theil unſerer Unterſuchung, folgende Reihe der Rechtsverhältniſſe:
120Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Für jedes Rechtsverhältniß nun, das einer dieſer Klaſſen angehört, werden wir die Regel feſtzuſtellen haben, nach welcher die Colliſion verſchiedener örtlicher Rechte zu ent - ſcheiden iſt. Der formelle Grundſatz zur Löſung dieſer Aufgabe iſt bereits (§ 360) dahin angegeben worden, daß der Sitz (die Heimath) jedes Rechtsverhältniſſes (wohl zu unterſcheiden von dem Wohnſitz der Perſon) ermittelt wer - den müſſe; dieſes örtliche Recht ſoll in jedem Fall einer Colliſion zur Anwendung kommen. Die thatſächlichen Ver - hältniſſe, die bei dieſer Ermittelung in Betracht kommen können, unter welchen alſo jedesmal zu wählen ſein wird, wo es darauf ankommt, den Sitz der einzelnen Rechts - verhältniſſe feſtzuſtellen, ſind folgende: Der Wohnſitz irgend einer mit dem Rechts - verhältniß in Beziehung ſtehenden Perſon. 211[121]§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)Der Ort, an welchem eine Sache liegt, auf die ſich das Rechtsverhältniß bezieht. Der Ort einer juriſtiſchen Handlung, welche geſchehen iſt oder geſchehen ſoll. Der Ort des Gerichts, welches einen Rechts - ſtreit zu entſcheiden hat.
Nun ſind aber zu verſchiedenen Zeiten Verſuche ge - macht worden, auch einen materiellen Grundſatz für die Entſcheidung aller vorkommenden Colliſionsfragen aufzu - finden. Ich will hier die wichtigſten Verſuche dieſer Art zuſammen ſtellen. Die Prüfung eines jeden derſelben wird davon abhängen, ob er dem angegebenen formellen Grund - ſatz entſpricht, das heißt, ob aus ihm in der That für jedes einzelne Rechtsverhältniß der wahre Sitz deſſelben ſicher erkannt werden kann. Als bedenklich aber müſſen alle dieſe Verſuche ſchon in vorläufiger Betrachtung des - wegen erſcheinen, weil ja die einzelnen Rechtsverhältniſſe von ſo ſehr verſchiedener Natur ſind, daß ſie ſchwerlich auf eine gemeinſame, durchgreifende Regel über ihren Wohn - ſitz zurückgeführt werden können.
1. Die Unterſcheidung der Statuta personalia, realia, mixta(b)Darauf iſt ſchon oben hin - gedeutet worden am Schluß des § 345 und im § 347. Ausführ - lich handelt davon Wächter I. S. 256 — 261. S. 270 — 311. Vgl. auch Foelix § 19 fg. Story § 12 fg..
122Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.In einem ſehr unreifen Anfang findet ſich dieſe Unter - ſcheidung ſchon bei Bartolus(c)Bartolus in L. 1 C. de summa trin. Die Hauptſtelle iſt excerpirt bei Wächter I. S. 272. bis 274., vollſtändiger ausgebil - det erſt gegen Ende des ſechszehnten Jahrhunderts(d)Argentraeus Num. 5. 6. 7. 8. Eine kurze, klare Zuſammen - ſtellung bei I. Voet. §. 2 — 4..
Perſonalſtatuten ſollen diejenigen Geſetze ſein, welche principaliter die Perſon und deren Zuſtände zum Gegenſtande haben, mögen ſie auch nebenher Beſtimmungen enthalten, die ſich auf das Vermögen beziehen.
Realſtatuten werden die Geſetze genannt, welche prin - cipaliter von Sachen (und zwar von unbeweglichen) han - deln, mögen auch nebenher die Perſonen erwähnt ſein.
Gemiſchte Statuten werden von Einigen die Geſetze genannt, die keines von beiden (Perſon oder Sache) zum Gegenſtand haben, ſondern vielmehr die Handlungen(e)Auch wohl mit engerer Be - ſchränkung auf die Form der Handlungen. I. Voet. § 4.; von Anderen die, welche beides (Perſon und Sache zugleich) umfaſſen. Dieſe zwei Erklärungen ſind einander ſcheinbar entgegengeſetzt, ſpielen jedoch in einander über.
Die praktiſche Bedeutung dieſer Begriffe iſt nun dieſe. Man geht aus von der Frage, welche Geſetze auch außer dem Staatsgebiet des Geſetzgebers anzuwenden ſind, und man beantwortet dieſelbe in folgender Weiſe. Perſonalſtatuten ſollen anzuwenden ſeyn auf alle Perſonen, die in dem Ge - biete des Geſetzgebers ihren Wohnſitz haben, auch wenn123§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)ein auswärtiger Richter zu entſcheiden hat. Realſtatuten auf alle in dem Gebiete des Geſetzgebers liegende Grund - ſtücke, wiederum ohne Unterſchied, ob ein einheimiſcher oder ein auswärtiger Richter zu entſcheiden hat; gemiſchte Sta - tuten endlich auf alle in dem Gebiete des Geſetzgebers vor - kommende Handlungen, es mag die Entſcheidung in demſelben Lande zu geben ſeyn oder nicht. — So ſtellt ſich die An - wendung im Großen und Ganzen, allein im Einzelnen fin - den ſich unzählige abweichende Meinungen, indem die Grän - zen der Begriffe ſelbſt, ſo wie der praktiſchen Anwendung derſelben, bald ſo, bald anders gezogen werden.
Als ganz unwahr läßt ſich dieſe Lehre gewiß nicht ver - werfen, da ſie der verſchiedenſten Deutungen und Anwen - dungen empfänglich iſt, unter welchen ſich mitunter auch ganz richtige wahrnehmen laſſen. Dagegen zeigt ſie ſich als völlig ungenügend, ſowohl durch Unvollſtändigkeit, als durch Vieldeutigkeit, und ſie iſt daher durchaus unbrauchbar, als Grundlage für den bevorſtehenden Theil unſerer Unterſu - chung zu dienen.
Manche neuere Schriftſteller haben behauptet, es ſey dieſe Lehre als entſchiedenes allgemeines Gewohnheitsrecht aufgenommen worden(f)Thibaut Pandekten § 38. Kierulff S. 75 — 82.. Die Richtigkeit dieſer Behaup - tung iſt nicht nur unerwieſen, ſondern ſogar unmöglich, da die Meinungen der Schriftſteller, mit welchen auch die Ent - ſcheidungen der Gerichte mehr oder weniger zuſammenhän -124Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gen, weit aus einander gehen, alſo nicht von einer über - einſtimmenden Gewohnheit Zeugniß geben können. Als wahren Beſtandtheil jener Behauptung können wir nur die Thatſache anerkennen, daß faſt alle Schriftſteller, bis auf ſehr neue Zeit hin, in der Behandlung unſerer Lehre die erwähnten Kunſtausdrücke (Perſonal - und Realſtatuten, nebſt gemiſchten) anwenden. Da ſie aber an dieſe Aus - drücke ganz verſchiedene Begriffe und Regeln anknüpfen, ſo iſt der übrig bleibende wahre Beſtandtheil der erwähnten Behauptung ganz unbedeutend und gleichgültig.
Der oben erwähnte ſcharfe Unterſchied zwiſchen dem unbeweglichen und dem übrigen Vermögen (§ 360 No. 3) pflegt mit der ſo eben dargeſtellten Lehre in Verbindung geſetzt zu werden, und zwar in der Art, daß die Verthei - diger jenes Unterſchiedes ein beſonderes Gewicht auf den Begriff der Realſtatuten legen, anſtatt daß für ihre Gegner dieſer Begriff ein weit geringeres Intereſſe hat.
2. Jedes einzelne Rechtsverhältniß ſoll in der Regel, im Zweifel, nach dem örtlichen Recht des Wohnſitzes der Perſon beurtheilt werden, welche das Rechtsverhältniß betrifft. Dieſes ſoll alſo geſchehen in allen Fällen, für welche nicht eine beſondere Ausnahme nachgewieſen werden kann(g)Eichhorn deutſches Recht § 34. Göſchen Vorleſungen B. 1 S. 111. Puchta Pandekten §. 113 und: Vorleſungen über die Pan - dekten § 113. (Puchta nimmt dieſen Grundſatz nur an bei der Colliſion örtlicher Rechte deſſelben Staates). — Gegen dieſen Grundſatz erklärt ſich Wächter II. S. 9 — 12..
125§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rchtsverhältniſſen. (Fortſ.)Auf den erſten Blick ſcheint dieſer Grundſatz im Zu - ſammenhang zu ſtehen mit der ſehr allgemein, und auch von mir, anerkannten Regel, nach welcher der Wohnſitz das Band iſt, das eine Perſon mit einem beſtimmten Rechts - gebiet verknüpft (§ 359. a). Bei genauerer Betrachtung aber verhält es ſich damit ganz anders. Das für die Per - ſon als ſolche geltende Recht gilt darum nicht auch für die einzelnen Rechtsverhältniſſe, in welche ſich die Perſon be - giebt, und durch die ſie in die verſchiedenſten Rechtsgebiete eintreten kann (§ 360). Das örtliche Recht der Perſon kann zugleich für irgend ein einzelnes Rechtsverhältniß derſelben anwendbar ſein, und darum zeigt ſich jener Grund - ſatz in manchen beſonderen Fällen als richtig. Aber ein ſolches Zuſammentreffen iſt ganz zufällig, der Grundſatz ſelbſt hat an ſich keinen Anſpruch auf allgemeine Anwend - barkeit für die einzelnen Rechtsverhältniſſe, und wir können uns bei dieſen nicht der Nothwendigkeit entziehen, für jedes derſelben das ihm angemeſſene Rechtsgebiet mit völliger Unbefangenheit beſonders zu ermitteln.
Dazu kommt noch der wichtige Umſtand, daß die meiſten Rechtsverhältniſſe nicht eine einzelne Perſon allein, ſondern mehrere Perſonen zugleich betreffen. In ſolchen Fällen nun läßt uns jener Grundſatz ganz ohne Entſcheidung, in - dem aus ihm nicht erkennbar iſt, welche unter dieſen meh - reren, von dem Rechtsverhältniß betroffenen, Perſonen durch ihren Wohnſitz das auf das Rechtsverhältniß anzu - wendende örtliche Recht beſtimmen ſoll.
126Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Endlich muß auch noch Widerſpruch eingelegt werden gegen die ganze Geſtalt, worin der erwähnte angebliche Grundſatz auftritt. Er ſoll in der Regel, oder im Zweifel, gelten, alſo nur dann nicht gelten, wenn die Anwendbar - keit eines anderen örtlichen Rechts vollſtändig bewieſen werden kann(h)So beſonders bei Puchta Pandekten § 113 Note b. Damit ſcheint die Geltung des Grund - ſatzes bevorwortet zu werden für die zahlreichen Fälle, wo - rin für eine oder die andere Meinung ſcheinbare Gründe, gewichtige Autoritäten, Präjudizien der Gerichte, vorgebracht werden. Es wird alſo hier gewiſſermaßen das Verfahren des Civilprozeſſes angewendet, in welchem Jeder, dem die Beweislaſt obliegt, den Prozeß verliert, wenn es ihm nicht gelingt, den Beweis zu führen. Dieſe ganze Art der Be - handlung kann ich nicht billigen. Vielmehr muß für jedes einzelne Rechtsverhältniß das Rechtsgebiet, dem es nach ſeiner Natur angehört, ſelbſtſtändig unterſucht und feſtge - ſtellt werden, ſo daß in dieſe Unterſuchung keine allgemeine Präſumtion, fördernd oder hindernd, eingemiſcht werden darf. Dieſer Widerſpruch übrigens wird nicht blos gegen den eben erwähnten vermeintlichen Grundſatz erhoben, ſon - dern er iſt ganz eben ſo auch auf den nachfolgenden an - wendbar.
3. Jedes einzelne Rechtsverhältniß ſoll in der Regel zu beurtheilen ſein nach dem Ort des Gerichts, das heißt, nach den Geſetzen des Landes, dem der darüber urtheilende127§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)Richter angehört. Dieſer Grundſatz wird übrigens nur aufgeſtellt für die Colliſion der Rechte verſchiedener Staa - ten, nicht für die der Particularrechte deſſelben Staates(i)Wächter I. S. 261 — 270 (deſſen ganze Schrift nur von den Geſetzen verſchiedener Staaten han - delt); Puchta Pandekten § 113. Vorleſungen § 113. — Dieſe Meinung wird beſtritten von Schäffner § 24 — 29. Kori Archiv B. 27. S. 312.. An ſich aber würde kein Hinderniß ſein, dieſen Grundſatz, wenn man ihn als wahr anerkennte, auch auf die collidi - renden Particularrechte eines und deſſelben Staates anzu - wenden.
Die ſcheinbare Wahrheit dieſes Grundſatzes liegt darin, daß jeder Geſetzgeber ausſchließende Herrſchaft über ſein Land hat, in dieſem Gebiet alſo die Einmiſchung irgend eines fremden Rechts nicht zu dulden braucht; oder, was von anderer Seite her Daſſelbe ſagt, daß jeder Richter nur die Geſetze ſeines Staates anzuwenden berufen iſt(k)Zugleich ſteht dieſer Grund - ſatz ſcheinbar in Zuſammenhang mit der oben (§ 360) geltend ge - machten Verwandtſchaft zwiſchen dem Gerichtsſtand und dem ört - lichen Recht. Nur wird irriger - weiſe von den Vertheidigern deſſel - ben dieſe Verwandtſchaft in wirk - liche Identität ausgebildet.. Dieſer Grund würde entſcheidend ſein, wenn der vorherrſchende Geſichtspunkt neuerer Geſetzgebung die eiferſüchtige Hand - habung der eigenen Autorität wäre. Dieſes aber verſteht ſich gewiß nicht von ſelbſt; vielmehr entſteht uns nun erſt die Frage, ob die einheimiſche Geſetzgebung nach ihrem Geiſt und ihrer Richtung die Anwendung jedes fremden Rechts auf die mit mehreren Rechtsgebieten in Berührung128Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſtehenden Rechtsverhältniſſe in der Regel ausſchließt(l)Dieſen Geſichtspunkt er - kennt auch der Vertheidiger des hier zu prüfenden Grundſatzes, als wahr an. Wächter I. S. 262. 265.. Ein neuerer Schriftſteller giebt dieſer Anſicht folgenden ſehr angemeſſenen Ausdruck. Wir wollen einräumen, ſagt er, daß jeder Richter zunächſt die Geſetze ſeines Landes anzu - wenden habe. Aber er ſoll ſie doch gewiß nur anwenden auf die Perſonen und die Fälle, für welche ſie gegeben ſind; ob nun aber der Geſetzgeber ſein Geſetz hat gelten laſſen wollen für die an ſich zweideutigen Rechtsverhältniſſe, bei welchen eine Colliſion örtlicher Rechte eintritt, dieſes her - auszufinden (ſagt jener Schriftſteller), iſt der allein ſchwie - rige Punkt(m)Thöl Handelsrecht B. 1 S. 28..
Wenn wir nun die oben angeregte Frage unbefangen erwägen, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß der vorherr - ſchende Geſichtspunkt der neueren Geſetzgebung und Praxis nicht in der eiferſüchtigen Handhabung der ausſchließenden eigenen Herrſchaft beſteht, ja daß ſie vielmehr gerade um - gekehrt auf die Förderung einer wahren Rechtsgemeinſchaft gerichtet iſt, alſo auf die Beurtheilung der Colliſionsfälle nach dem inneren Weſen und Bedürfniß eines jeden ein - zelnen Rechtsverhältniſſes, ohne Rückſicht auf die Gränzen der Staaten und ihrer Rechtsgebiete (§ 348).
Erkennen wir aber dieſen vorherrſchenden Geſichtspunkt der neueren Rechtsentwickelung (in Geſetzgebung und129§. 361. Uebergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)Praxis) als wahr an, ſo müſſen wir nothwendig den hier vorliegenden Grundſatz (daß der Richter in der Regel nach den Geſetzen ſeines Landes zu entſcheiden habe, wo ihm ein Colliſionsfall vorkommt) verwerfen. Dieſer Grundſatz ſtört und hindert ſogar die wünſchenswerthe und annähe - rungsweiſe zu erreichende Uebereinſtimmung der Ent - ſcheidung von Colliſionsfällen in verſchiedenen Staaten. Er könnte daher unmöglich in ein gemeinſames Geſetz aller Staaten über die Colliſion der örtlichen Rechte (wenn ein ſolches je verſucht werden ſollte) aufgenommen werden (§ 360, S. 115).
Es kommt aber noch ein beſonderer Grund hinzu, der die Anwendung jenes Grundſatzes ſehr bedenklich macht. In vielen Colliſionsfällen findet ſich der Gerichtsſtand an verſchiedenen Orten concurrirend begründet, ſo daß die Wahl des Gerichtsſtandes im einzelnen Falle dem Kläger frei ſteht. Dadurch wird, wenn jener Grundſatz gelten ſoll, das in jedem einzelnen Fall anzuwendende örtliche Recht abhängig gemacht, nicht allein von blos zufälligen Umſtänden, ſondern ſelbſt von der einſeitigen Willkür einer Partei. Ein Grundſatz aber, deſſen Anwendung zu dieſem Erfolge führt, kann unmöglich als gerecht anerkannt wer - den. Recht auffallend erſcheint die Härte und Willkür, wozu die Anwendung jenes Grundſatzes führen kann, wenn man dabei an die Länder denkt, worin der volle Land - ſaſſiat eingeführt iſt(n)Eichhorn deutſches Recht § 75. — Als beſonderer Einwurf.
VIII. 9130Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zum Schluß aber müſſen noch die wahren Beſtand - theile des hier bekämpften Grundſatzes anerkannt werden, um ſo mehr, als gerade dieſe Anerkennung vielleicht eine Verſtändigung über die widerſtreitenden Meinungen erleich - tern kann.
(n)gegen den hier vorliegenden Grund - ſatz wird auch noch der Umſtand geltend gemacht, daß in dem Ge - richtsſprengel des entſcheidenden Richters mehrere örtliche Rechte neben einander beſtehen können, und daß es dann unentſchieden bleibe, welches derſelben gelten ſolle. Seuffert Archiv für Ent - ſcheidungen der oberſten Gerichts - höfe in den deutſchen Staaten B. 2 Num. 4.
131§. 361. Übergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)der hier bekämpften und der von mir vertheidig - ten Lehre in der That minder groß iſt, als ſie auf den erſten Blick erſcheinen mag.4. Jedes Rechtsverhältniß ſoll nach dem örtlichen Recht desjenigen Rechtsgebietes beurtheilt werden, worin es exiſtent geworden iſt(o)Schäffner § 32. — Vgl. dagegen Wächter II. S. 32..
Dieſer Grundſatz iſt nicht nur willkürlich, weil der Ent - ſtehungsort an ſich, und abgeſehen von möglichen vermit - telnden Gründen, nicht das anzuwendende örtliche Recht beſtimmen kann, ſondern er hat auch blos den Schein eines materiellen Grundſatzes, während er in der That eine blos9*132Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.formelle Natur hat. Denn der Ort, wo das Rechtsver - hältniß im juriſtiſchen Sinn exiſtent wird, kann nur durch genaueres Eingehen in die individuelle Natur jedes Rechts - verhältniſſes erkannt werden, und dabei iſt die vorherrſchende, an die Spitze geſtellte Rückſicht auf den Entſtehungsort nur ſtörend, nicht fördernd.
5. Es ſoll ſtets dasjenige örtliche Recht angewendet werden, wodurch wohlerworbene Rechte aufrecht erhalten werden(p)Vgl. über dieſen Grundſatz Wächter II. S. 1 — 9..
Dieſer Grundſatz führt auf einen bloßen Zirkel. Denn welche Rechte wohlerworben ſind, können wir nur erfahren, wenn wir zuvor wiſſen, nach welchem örtlichen Rechte wir den vollzogenen Erwerb zu beurtheilen haben.
In dieſer allgemeinen Ueberſicht ſollen zuletzt noch einige der in neuerer Zeit erſchienenen umfaſſenden Geſetzbücher für größere Europäiſche Staaten erwähnt werden.
Das Preußiſche Allgemeine Landrecht(q)Vgl. A. L. R. Einleitung § 23 — 35. erkennt den Grundſatz der Rechtsgleichheit in der Behandlung der In - länder und Ausländer ſehr beſtimmt an(r)A. L. R. Ein - leitung § 34, vgl. mit §. 23., und wo da - von Ausnahmen vorkommen, da haben dieſe durchaus nicht den Zweck, dem einheimiſchen Recht eine ausſchließende Herr - ſchaft auch über Fremde zu verſchaffen, ſondern vielmehr133§. 361. Übergang zu den einzelnen Rechtsverhältniſſen. (Fortſ.)den wohlwollenden Zweck, unternommene Rechtsgeſchäfte gegen die Ungültigkeit zu ſchützen, die etwa aus der Colli - ſion örtlicher Rechte hergeleitet werden möchte(s)A. L. R. Einleitung § 27. 35.. — Sicht - baren Einfluß auf die Abfaſſung dieſer Stellen des Land - rechts hat die damals allgemein herrſchende Lehre von Per - ſonal - und Realſtatuten gehabt(t)Vornemann Preuß. Recht Ausg. 2. B. 1 S. 52. Koch Preuß. Recht B. 1 S 129.; und gerade die Man - gelhaftigkeit dieſer Lehre iſt als Haupturſache der neuerlich entſtandenen Zweifel und Streitigkeiten über eine der wich - tigſten Anwendungen geworden, wovon unten in der Lehre vom Erbrechte (§ 378) die Rede ſeyn wird.
Das Franzöſiſche Geſetzbuch enthält nur wenige Be - ſtimmungen, die als entſcheidend für Colliſionsfragen ange - ſehen werden können. Dennoch iſt auch hier die regelmäßig anzuwendende Rechtsgleichheit in der Behandlung der Ein - heimiſchen und der Fremden unzweideutig anerkannt(u)Code civil art. 3 art. 11. bis 13. Vgl. oben § 358 Noten d bis h. .
Das Oeſterreichiſche Geſetzbuch(v)Oeſterreich. Geſetzbuch § 4. § 33 — 37. nähert ſich dem Preußiſchen. Es erkennt die Rechtsgleichheit der Inländer und Ausländer an und nimmt ähnliche wohlwollende Rück - ſichten auf die Erhaltung der Rechtsgeſchäfte, wie das Preußiſche Recht(w)Ebendaſ. § 33. 34. § 35..
Auf die verſchiedenen Zuſtände der Perſon, wodurch die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit beſtimmt wird, iſt nur eine reine, einfache Anwendung desjenigen örtlichen Rechts möglich, welchem die Perſon ſelbſt durch ihren Wohnſitz angehört (§ 359).
Dieſer Grundſatz iſt zwar auch nicht ganz ohne Wider - ſpruch geblieben(a)So z. B. bei I. Voet, § 7. Andere Gegner ſiehe bei Wächter II. S. 162. 163 und Foelix p. 121.. Allein die Zahl der Anhänger deſſel - ben iſt ſo überwiegend, daß man ihn dennoch als Gegen - ſtand einer faſt allgemeinen Meinung bezeichnen kann, ja daß er durch ein gemeines in Deutſchland geltendes Ge - wohnheitsrecht beſtätigt worden iſt(b)Wächter II. S. 162. 163. 175. 177.. Auch liegt darin die eigentliche Bedeutung der Perſonalſtatuten, auf deren Begriff in früherer Zeit ſo großer Werth gelegt worden iſt (§ 361 Num. 1).
Indeſſen würden wir irren, wenn wir dieſe Ueberein - ſtimmung allzu hoch anſchlagen wollten, da ſie großentheils nur ſcheinbar iſt. Es iſt nämlich folgende Unterſcheidung ſchon in früherer Zeit verſucht, neuerlich aber mit großem Nachdruck geltend gemacht worden(c)Hert. § 5. 8. 11. 22. Meier, p. 14. Mittermaier deutſches R. § 30 S. 118. Ausg. 7, beſonders aber Wächter II. S 163. S. 175 — 184.. Man will unter -135§. 362. I. Zuſtand der Perſon an ſich.ſcheiden das bloße Daſeyn der rechtlichen Eigenſchaften einer Perſon an ſich, und die rechtlichen Wir - kungen dieſer Eigenſchaften, das heißt, die daraus entſprin - genden Rechte und Beſchränkungen der Perſon. Die Eigen - ſchaften an ſich ſollen beurtheilt werden nach dem örtlichen Recht des Wohnſitzes; die rechtlichen Wirkungen aber nicht nach dieſem, ſondern nach irgend einem anderen örtlichen Recht; nach welchem Recht? Davon wird noch ferner die Rede ſeyn. Von den Vertheidigern dieſer Unterſcheidung wird daher auch die allgemein übereinſtimmende Meinung, und das damit zuſammenhängende gemeine Gewohnheitsrecht, auf die Eigenſchaften an ſich beſchränkt.
Der Sinn dieſer Unterſcheidung wird aus folgenden An - wendungen klar werden. Zu den Eigenſchaften an ſich ge - hören die Zuſtände des Bevormundeten, Unmündigen, Minderjährigen, des Verſchwenders, ferner des Geſchlechts, der Verheiratheten, der ehelich oder unehelich Gebornen u. ſ. w. Ob alſo Jemand minderjährig iſt oder nicht, das heißt, die Gränze der Minderjährigkeit, ſoll zu beurtheilen ſeyn nach dem Recht des Wohnſitzes. Dagegen gehören die Rechte und Beſchränkungen des Minderjährigen zu den rechtlichen Wirkungen, und ſind daher (nach jener Lehre) nicht nach dem Wohnſitz zu beurtheilen.
Zu allen Zeiten jedoch haben viele Schriftſteller eine ſolche Unterſcheidung gar nicht gemacht, ſondern vielmehr die rechtlichen Wirkungen, gerade ſo wie die Eigenſchaften an ſich, lediglich nach dem durch den Wohnſitz der Perſon136Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.beſtimmten örtlichen Rechte beurtheilt(d)Argentraeus N. 47. 48. 49. Rodenburg T. 1 C. 3 § 4 — 10. Boullenois T. 1 p. 145 — 198. Huber § 12. Foelix p. 126 (An - wendung auf Ehefrauen und Ge - ſchlechtsvormundſchaft). Viele an - dere Anhänger dieſer Meinung ſ. bei Wächter II. S. 167.. Und mit dieſen übereinſtimmend muß auch ich jene Unterſcheidung gänzlich verwerfen. Ich halte ſie für willkürlich und inconſequent, da es an einem inneren Grunde, eine ſolche Gränze zu ziehen, gänzlich fehlt. Sehen wir die Sache genau an, ſo finden wir keinen anderen Unterſchied, als daß manche perſönliche Zuſtände mit beſonderen Namen bezeichnet werden, andere aber nicht; dieſer ganz zufällige, gleichgül - tige Umſtand nun kann unmöglich einen Grund abgeben, verſchiedene örtliche Rechte anzuwenden.
Volljährig nennen wir Den, welcher die vollſtän - digſte, durch das Alter erreichbare, Handlungsfähigkeit be - ſitzt; das iſt alſo nur ein Name für gewiſſe rechtliche Wirkungen, für die Verneinung früher vorhandener Be - ſchränkungen der Fähigkeit. Eben ſo nennen wir minder - jährig Den, welcher jene vollſtändige Fähigkeit noch nicht beſitzt; es iſt ein Name für die Verneinung des Zu - ſtandes vollſtändiger Fähigkeit. Wenn nun aber ein Geſetz auch bei den Minderjährigen gewiſſe Stufen der Fähigkeit aufſtellt, ohne dafür einen beſonderen Namen zu gebrauchen, ſo iſt doch gewiß kein Grund einzuſehen, warum nicht dieſe Stufen der Fähigkeit, eben ſo wie der Eintritt der voll - ſtändigen Fähigkeit, nach dem Recht des Wohnſitzes beur -137§. 362 I. Zuſtand der Perſon an ſich.theilt werden ſollten. Durch folgendes Beiſpiel wird dieſe Behauptung noch anſchaulicher werden. Die Vertheidiger jener Unterſcheidung räumen ein, daß ein Franzoſe, der 21 Jahre alt iſt, auch in Preußen, wo ſonſt 24 Jahre, und eben ſo in Ländern des Römiſchen Rechts, wo 25 Jahre erfor - dert werden, als volljährig und völlig handlungsfähig gelten muß; denn er hat ja durch den art. 488 des Franzöſiſchen Geſetzbuchs den Titel als majeur erhalten, und daher hat er eine Eigenſchaft an ſich, auf welche das Recht des Wohnſitzes anzuwenden ſeyn ſoll. Allein daſſelbe Geſetzbuch räumt den Minderjährigen theils mit 16, theils mit 15 und 18 Jahren, gewiſſe beſchränktere Fähigkeiten ein, ohne aus ihnen eine beſondere Klaſſe mit eigenem Namen zu bilden(e)Code civil art. 903. 904. 477. 478.. Das iſt alſo nach jener Lehre keine Eigenſchaft an ſich, ſondern blos eine rechtliche Wirkung, eine eigenthümlich eingerichtete Beſchränkung der Perſon, und dabei ſoll das Recht des Wohnſitzes nicht gelten.
Ein anderes Beiſpiel mag folgendes ſeyn. Nach manchen Geſetzen bedürfen Frauen zu ihren Rechtsgeſchäften der Zuziehung eines Geſchlechtsvormundes; nach anderen Geſetzen bedürfen die Ehefrauen der Genehmigung des Mannes. Wenn nun eine Frau im Ausland ein Geſchäft eingeht, ſo müßte (bei conſequenter Anwendung jener Lehre) nach dem Wohnſitz beurtheilt werden nur das Da - ſeyn der perſönlichen Eigenſchaft an ſich, das heißt, die138Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Frage, ob ſie eine Frau iſt (im Gegenſatz eines Mannes), oder eine Ehefrau (im Gegenſatz einer Jungfrau oder Wittwe). Dagegen wäre die nothwendige Zuziehung des Geſchlechtsvormundes, ſo wie die Genehmigung des Ehe - mannes, nicht nach dem Wohnſitz zu beurtheilen, da dieſe Dinge zu den rechtlichen Wirkungen und Beſchränkungen gehören(f)So meint es in der That Wächter II. S. 180, der dadurch unmittelbar dahin geführt wird, auf die im Ausland handelnden einheimiſchen Frauen ganz andere Colliſionsregeln anzuwenden, als die wir den bei uns handelnden Ausländerinnen einräumen..
Ich komme nun auf die Frage, welches andere örtliche Recht, als das des Wohnſitzes, von den Vertheidigern jener Unterſcheidung angewendet wird, wenn die rechtlichen Wir - kungen der perſönlichen Eigenſchaften zu beurtheilen ſind. Hierüber finden ſich folgende verſchiedene Meinungen.
In älterer Zeit verſuchte man auch hierin die Real - ſtatuten anzuwenden, wenn von unbeweglichem Vermögen die Rede war, ſo daß alſo eine und dieſelbe Perſon ganz verſchiedene Handlungsfähigkeit haben konnte in Anſehung ihrer auswärtigen Grundſtücke, und in Anſehung ihres übrigen Vermögens. Dieſe Meinung findet jetzt in Deutſch - land wenig Anklang mehr(g)Wächter II. S. 163. 164..
Andere nehmen an, die Wirkungen der perſönlichen Eigenſchaften ſeyen zu beurtheilen nach dem Rechte des Orts, an welchem ein Rechtsgeſchäft vorgenommen wird(h)Meier p. 14. Dagegen erklärt ſich Mittermaier deut - ſches Recht § 31 S. 120.. 139§. 362. I. Zuſtand der Perſon an ſich.Dieſe Meinung iſt noch aus beſonderen Gründen, unabhän - gig von dem allgemeinen Widerſtreite, zu verwerfen. Wenn Der, welcher auswärts einen Vertrag ſchließt, an ſeinem Wohnſitz mehr Handlungsfähigkeit hat, als am Ort des Vertrags, ſo kann man nicht annehmen, daß er ſich habe mit dieſem Vertrag einem örtlichen Rechte unterwerfen wollen, nach welchem dieſer Vertrag ungültig wäre; die freie Unterwerfung aber (die ſogenannte Autonomie) iſt ja der einzige Grund, wodurch das am Ort des Vertrags gel - tende Recht anwendbar gemacht werden ſoll. Hat aber umgekehrt der Handelnde an ſeinem Wohnſitz weniger Handlungsfähigkeit, als am Ort des Vertrags, ſo daß der am Wohnſitz geſchloſſene Vertrag ungültig wäre, ſo würde es inconſequent ſein, wenn das heimathliche Geſetz den Vertrag an ſich verhindern, aber mit Hülfe einer kleinen Reiſe zulaſſen wollte; vielmehr wird ihn jenes Geſetz eben ſowohl an der Unterwerfung unter das fremde Recht, als an dem Vertrag ſelbſt, verhindern. Dabei braucht gar nicht einmal die Abſicht einer Umgehung des Geſetzes (in fraudem legis) eingemiſcht zu werden.
Der neueſte Vertheidiger jener Unterſcheidung nimmt dagegen an, daß die Wirkungen der perſönlichen Eigen - ſchaften nach dem örtlichen Recht des in jedem einzelnen Falle urtheilenden Richters zu beurtheilen ſeyen (Note c). Gegen dieſe Meinung muß ich zunächſt die Gründe geltend machen, die gegen die ganze Unterſcheidung zwiſchen den Eigenſchaften an ſich und deren Wirkungen bisher ausge -140Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.führt worden ſind; dann aber auch die anderen Gründe, die überhaupt gegen das örtliche Recht des urtheilenden Richters als durchgreifende Regel ſprechen (§ 361. Nr. 3). Und hier beſonders muß daran erinnert werden, wie grell ſich die Anwendung jener Meinung darſtellt in den Ländern, worin der volle Landſaſſiat gilt. Denn da würde Jeder, der einen unbedeutenden Grundbeſitz in einem ſolchen Lande hat, durch die bloße Willkür ſeines Gegners, einem ihm völlig fremden Rechte in der Beurtheilung der rechtlichen Wirkungen ſeiner eigenen perſönlichen Zuſtände unterworfen werden können.
Meine Meinung geht alſo vielmehr dahin, daß Jeder in ſeinen perſönlichen Zuſtänden ſtets nach dem Recht ſeines Wohnſitzes zu beurtheilen iſt; ohne Unterſchied, ob darüber im Inland oder im Ausland geurtheilt werde; eben ſo aber auch ohne Unterſchied, ob die perſönliche Eigenſchaft an ſich, oder die rechtliche Wirkung derſelben, beurtheilt werden ſoll.
Dabei ſollen jedoch keinesweges die praktiſchen Schwie - rigkeiten verkannt werden, die mit der Anwendung dieſes Grundſatzes in einzelnen Fällen verbunden ſeyn können. Bei dem Vertrag mit einem Ausländer mag es zuweilen ſchwer ſeyn, das örtliche Recht ſeiner Heimath ſicher zu erkennen; allein dieſe Schwierigkeit wird auch durch die hier verworfene Unterſcheidung nicht beſeitigt, nur im Um - fang verringert. Es wird alſo Nichts übrig bleiben, als in Fällen ſolcher Art genaue Erkundigungen einzuziehen,141§. 363. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)die ja ohnehin für die individuellen Verhältniſſe des Aus - länders unentbehrlich ſind, ganz unabhängig von dem fremden örtlichen Recht. Wer aber etwa noch mehr Er - leichterung und Sicherheit auf dieſem Gebiete verlangen möchte, der kann dieſelbe nur auf dem Wege poſitiver Ge - ſetzgebung erwarten. Was hierin geſchehen kann, wird ſo - gleich bei der Ueberſicht neuerer Geſetze in unſerer Lehre gezeigt werden.
Es ſoll nun zuſammengeſtellt werden, was ſich in den wichtigſten neueren Geſetzbüchern über die hier vorliegende Frage findet.
I. Das Preußiſche Allgemeine Landrecht ſtellt fol - genden Grundſatz an die Spitze: „ Die perſönlichen Eigen - ſchaften und Befugniſſe eines Menſchen werden nach den Geſetzen der Gerichtsbarkeit beurtheilt, unter welcher der - ſelbe ſeinen eigentlichen Wohnſitz hat “(a)L. R. Einl. § 23. Die näheren Beſtimmungen folgen in den §§ 24 — 27.. Dieſe Be - ſtimmung bezieht ſich auf die Preußiſchen Unterthanen, und unterſcheidet nicht, ob ſie ihre Befugniſſe (wozu vor allen die Handlungsfähigkeit gehört) ausüben an ihrem Wohnſitz ſelbſt, oder an einem andern Ort des Inlandes, der viel -142Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.leicht ein anderes örtliches Recht über ſolche Befugniſſe hat, oder endlich im Ausland.
Für die Ausländer lautet die Beſtimmung ſo: „ Auch Unterthanen fremder Staaten, welche in hieſigen Landen leben, oder Geſchäfte treiben, müſſen nach obigen Be - ſtimmungen beurtheilt werden “(b)L. R. Einl. § 34..
So weit ſtimmt Alles mit den oben aufgeſtellten Grund - ſätzen überein. Völlig gleiche Behandlung der Einheimiſchen und der Fremden. Allgemeine Beurtheilung des perſönlichen Zuſtandes, der Handlungsfähigkeit, nach dem örtlichen Recht, das an dem Wohnſitz der Perſon beſteht, es mag dieſes ein einheimiſches oder ein fremdes Recht ſeyn.
Daneben bleiben aber zwei Fragen zu erörtern, welche ſchon oben für das gemeine Recht aufgeworfen worden ſind. Zuerſt: Sind hier nur die Eigenſchaften an ſich gemeint, oder ſollen auch die rechtlichen Wirkungen derſelben nach dem Rechte des Wohnſitzes beurtheilt werden (§ 362)? Wäre in dem § 23 blos geſagt: „ die perſönlichen Eigen - ſchaften “, ſo könnte man vielleicht die erſte, alſo die be - ſchränkende, Bedeutung in jene Worte legen; da aber hin - zugeſetzt wird: „ und Befugniſſe “, ſo muß jene Vor - ſchrift auch auf die rechtlichen Wirkungen der Eigen - ſchaften bezogen werden, das heißt: es iſt für Jeden nach dem Recht ſeines Wohnſitzes zu beſtimmen, nicht blos, ob er minderjährig iſt oder nicht, ſondern auch,143§. 363. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)was er als Minderjähriger vermag und nicht vermag. Wollte man dieſe Behauptung noch bezweifeln, ſo würde doch jeder Zweifel beſeitigt werden durch einige nachfolgende Stellen des Geſetzes, worin der nach dem Recht des Wohn - ſitzes zu beurtheilende Gegenſtand bezeichnet wird als Fä - higkeit zu handeln(c)L. R. Einl. § 27. 35., und zwar ſo, daß damit nicht etwas Neues erwähnt, ſondern blos das Vorhergehende mit einem willkürlich abwechſelnden, völlig gleichbedeutenden, Ausdruck bezeichnet werden ſoll. Es iſt daher unzweifel - haft, daß das Preußiſche Recht unter den perſönlichen Ei - genſchaften und Befugniſſen gerade die Handlungsfähigkeit mit begreift, und daß es alſo nicht blos die Eigenſchaften an ſich, ſondern auch die rechtlichen Wirkungen derſel - ben, nach dem örtlichen Rechte des Wohnſitzes beurtheilt wiſſen will.
Zweitens iſt ſchon oben auf die praktiſche Schwierigkeit aufmerkſam gemacht worden, die bei den Verträgen eines Ausländers in unſerm Lande entſtehen kann, indem vielleicht das im Auslande, an ſeinem Wohnſitz geltende, Recht bei uns unbekannt iſt (§ 362). Dieſe Schwierigkeit beſeitigt das Preußiſche Geſetz durch die Vorſchrift, daß die Hand - lungsfähigkeit des Ausländers nach dem für das Beſtehen des Vertrages günſtigſten Geſetz (alſo nach dem leichteſten) beurtheilt werden ſoll, vorausgeſetzt, daß die Gegenſtände144Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.des Vertrags in unſerm Lande ſich befinden(d)L. R. Einl. § 35 „ Doch wird ein Fremder, der in hieſigen Landen Verträge über daſelbſt be - findliche Sachen ſchließt, in An - ſehung ſeiner Fähigkeiten, zu han - deln, nach denjenigen Geſetzen be - urtheilt, nach welchen die Hand - lung am beſten beſtehen kann “. Der § 26 enthält eine ähnliche, aber weit weniger wichtige, Be - ſtimmung. Beide Stellen fehlten in dem Entwurf, und wurden erſt ſpäter aufgenommen, mit Rückſicht auf die oben erwähnte praktiſche Schwierigkeit. Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note l. . Wird alſo in Berlin ein ſolcher Vertrag geſchloſſen von einem Franzoſen, der über 21 Jahre alt iſt, ſo iſt der Vertrag gül - tig nach Franzöſiſchem Recht, welches die Volljährigkeit auf 21 Jahre ſetzt. Wird der Vertrag ebendaſelbſt geſchloſ - ſen von dem Einwohner eines unter dem Römiſchen Recht ſtehenden Landes, welcher über 24 Jahre alt iſt, ſo iſt der Vertrag gültig nach Preußiſchem Recht, welches 24 Jahre als Gränze der Minderjährigkeit annimmt. Das erſte iſt dem allgemeinen Grundſatz gemäß, das zweite iſt eine rein poſitive Vorſchrift, gegeben in der Abſicht, die Inländer gegen die Folgen eines unverſchuldeten Irrthums, vielleicht ſelbſt der Unredlichkeit ihres Gegners, zu ſchützen. Eine gleichartige Beſtimmung ließe ſich in den Geſetzen jedes Staates denken, und die wünſchenswerthe Rechtsgemeinſchaft in der Beurtheilung der Colliſionen würde dadurch nicht beeinträchtigt werden.
II. Das Oeſterreichiſche bürgerliche Geſetzbuch (1811) beſchränkt ſich auf zwei hierher gehörende Beſtimmungen, die mit den oben aufgeſtellten Grundſätzen übereinſtimmen.
Die Staatsbürger bleiben auch in Handlungen, die ſie außer dieſem Staatsgebiete vornehmen, an dieſe Geſetze145§. 363. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)(alſo an die Geſetze ihres Wohnſitzes) gebunden, „ inſoweit als ihre perſönliche Fähigkeit, ſie zu unternehmen, dadurch eingeſchränkt wird “(e)Oeſterr. Geſetzbuch § 4..
Eben ſo wird für Fremde beſtimmt: „ Die perſönliche Fähigkeit der Fremden zu Rechtsgeſchäften iſt insgemein nach den Geſetzen des Ortes, denen der Fremde vermöge ſeines Wohnſitzes ..... unterliegt, zu beurtheilen “(f)Ebendaſ. § 34..
Aus dieſen Stellen, ſo allgemein ſie auch gehalten ſind, geht doch unzweifelhaft hervor, daß für Inländer und Ausländer der perſönliche Zuſtand nach gleichem Grundſatz, und zwar nach dem örtlichen Rechte des Wohnſitzes zu be - urtheilen iſt; ferner, daß dieſe Beurtheilung nicht blos zu beziehen iſt auf die Eigenſchaften an ſich (z. B. ob Jemand minderjährig iſt oder nicht), ſondern auch auf die rechtlichen Wirkungen dieſer Eigenſchaften, da in beiden Stellen aus - drücklich erwähnt wird, die „ perſönliche Fähigkeit, ſie (die Handlungen) zu unternehmen, die perſönliche Fähigkeit ..... zu Rechtsgeſchäften. “
Dagegen findet ſich hier eine beſondere Vorkehrung we - gen des, vielleicht unbekannten, örtlichen Rechtes, dem der Ausländer unterworfen ſein kann, nicht(g)Zwar könnte man hierauf beziehen den § 35, indem man ihn in einem ähnlichen Sinne auffaßte, wie die oben erwähnte Vorſchrift des Preußiſchen Rechts (Note d.). Allein bei einer unbefangenen Ver - gleichung des § 34 mit § 35 — 37 muß man ſich überzeugen, daß nur der § 34 von der perſönlichen Handlungsfähigkeit ſpricht, anſtatt daß die drei folgenden §§ von der objectiven Natur und Gültigkeit der Rechtsgeſchäfte reden..
VIII. 10146Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.III. Das Franzöſiſche Geſetzbuch enthält über unſre Frage nur folgende ganz kurze Stelle: „ Les lois concer - nant l’état et la capacité des personnes régissent les Fran - çais même résidant en pays étranger “(h)Code civil art. 3.. Allein aus den vorhergegangenen Discuſſionen ſcheint unzweifelhaft her - vorzugehen, daß man dabei vorausſetzte, auch die perſönliche Handlungsfähigkeit der Ausländer müſſe nach dem Wohn - ſitz derſelben, alſo nach dem ausländiſchen Rechte, beurtheilt werden. Hierüber ſind Schriftſteller und Gerichte in ihren Entſcheidungen übereinſtimmend(i)Foelix p. 44..
Aus den angeführten Ausdrücken des Geſetzes iſt es übrigens unzweifelhaft, daß daſſelbe nicht blos auf die Ei - genſchaften an ſich (l’état), ſondern auch auf die rechtlichen Wirkungen dieſer Eigenſchaften (et la capacité) zu beziehen iſt(k)Foelix p. 126 (ſ. o. § 362. d).. Ferner geht daraus ganz beſtimmt hervor, daß, ſo lange die Eigenſchaft eines Français nicht aufgehoben iſt, dieſe Eigenſchaft allein entſcheidet, ſelbſt wenn die Perſon ihren Wohnſitz in das Ausland verlegt (même résidant en pays étranger), ſo daß alſo das Franzöſiſche Geſetz den Wohnſitz als Grundlage der Rechtsfähigkeit und Handlungs - fähigkeit nicht unbedingt feſt hält (§ 359. e).
Es iſt bisher der Grundſatz durchgeführt worden, daß der perſönliche Zuſtand an ſich, der vorzugsweiſe in der Handlungsfähigkeit beſteht, nach dem an dem Wohnſitz der Perſon geltenden örtlichen Rechte beurtheilt werden müſſe. Dieſem Grundſatz aber werden nicht ſelten von Denen, die ihn im Allgemeinen anerkennen, mancherlei Ein - ſchränkungen an die Seite geſtellt, die nunmehr zu prüfen ſind, und die theilweiſe die Natur wahrer Ausnahmen an ſich tragen, anſtatt daß andere nur auf der Anerkennung natürlicher Gränzen beruhen, die nur vielleicht verkannt werden möchten. Dieſe Einſchränkungen werden hier theils als gegründet angenommen, theils aber verworfen werden müſſen.
Von manchen Seiten wird ein Unterſchied behauptet zwiſchen einer allgemeinen und beſonderen Fähigkeit und Unfähigkeit zu juriſtiſchen Handlungen. Die erſte ſoll ſich auf Rechtsgeſchäfte aller Art beziehen, und dabei ſoll das örtliche Recht des Wohnſitzes zur Anwendung kommen; die zweite ſoll nur auf beſtimmte, einzelne Rechtsgeſchäfte gehen, und dabei ſoll nicht das Recht des Wohnſitzes an - wendbar ſein, ſondern dasjenige örtliche Recht, in deſſen10*148Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Gebiet das einzelne Rechtsgeſchäft vorgenommen wird. — Dieſe Unterſcheidung iſt aber an ſich willkürlich und grund - los, da die an einen beſtimmten Zuſtand der Perſon ge - knüpfte Unfähigkeit in beiden Fällen dieſelbe Natur hat; auch iſt hierin eine feſte Gränzbeſtimmung, alſo eine ſichere Anwendung kaum möglich(a)Aus beiden Gründen ver - wirft dieſe Unterſcheidung auch Wächter II. S. 172.. — In folgenden Fällen etwa kann von dieſer Unterſcheidung Gebrauch gemacht werden.
1. Nach dem Römiſchen Recht ſind Frauen, ihres bloßen Geſchlechts wegen, unfähig zu wirkſamen Bürgſchaften (Sc. Vellejanum). Wenn nun eine Frau in einem fremden Lande eine Bürgſchaft übernimmt, ſo entſteht die Frage, nach welchem örtlichen Rechte die Gültig - keit derſelben zu beurtheilen iſt. Nach der eben dar - geſtellten Unterſcheidung wäre die Bürgſchaft ungültig, wenn am Ort des Vertrages das Römiſche Recht gälte, möchte auch am Wohnſitz der Bürgin ein anderes Recht beſtehen. Nach der richtigen Meinung iſt die Bürgſchaft ungültig, wenn das Römiſche Recht am Wohnſitz der Bürgin gilt, ohne Rückſicht auf das am Ort des Ver - trags beſtehende Recht. Wollen wir hierin den früher verbreiteten Kunſtausdruck anwenden, ſo müſſen wir ſagen: Das Sc. Vellejanum iſt ein reines Perſonal - ſtatut(b)Dieſer Ausdruck wird in der That gebraucht von folgenden Schriftſtellern, welche die hier auf -.
149§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)2. Gleichfalls nach dem Römiſchen Recht iſt jede in väterlicher Gewalt ſtehende Perſon unfähig, ohne Wiſſen des Vaters ein gültiges Gelddarlehen aufzunehmen (Sc. Macedonianum). Dieſe Vorſchrift hat eine ganz ähn - liche Natur, wie die eben erwähnte Vorſchrift über die Bürgſchaft der Frauen: ſie iſt ein reines Perſonal - ſtatut. Die Gültigkeit des Darlehens wird alſo davon abhängen, ob am Wohnſitz des Schuldners das Sc. Macedonianum als geltendes Recht beſteht. Das Recht des Ortes, wo das Darlehen geſchloſſen wird, iſt dabei gleichgültig.
3. Die wichtigſte und ſchwierigſte Anwendung jener Unterſcheidung iſt die auf das Wechſelrecht. Denn für kein Geſchäft beſtehen ſo verſchiedene örtliche Rechte, wie über die perſönliche Wechſelfähigkeit, und kein Rechtsgeſchäft verbreitet ſeine Wirkſamkeit in ſo ſchran - kenloſer Ausdehnung Nach gemeinem Recht nun ſtellt ſich die Sache ſo: Die Anhänger jener Unterſcheidung müſſen die allgemeine Fähigkeit des Ausſtellers (z. B. Volljährigkeit) nach dem Recht des Wohnſitzes, die be - ſondere nach dem Recht des Ausſtellungsortes beſtimmen(c)Schäffner S. 120 hat hierin eine abweichende Meinung. Nach ihm muß der Ausſteller wechſelfähig ſein: 1. am Ort der Ausſtellung, 2. an ſeinem Wohn -. (b)geſtellte Meinung (mit Widerlegung der Gegner) vertheidigen: Boul - lenois T. 1 p. 187. Chabot de l’Allier questions transitoires Paris 1809 T. 2 p. 352.150Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Nach der richtigen Meinung wird das örtliche Recht des Wohnſitzes allein entſcheiden.
Die ſo eben erwähnte ganz eigenthümliche Natur des Wechſelgeſchäfts dürfte gerade hier ein erleichterndes Ein - greifen poſitiver Geſetzgebung rechtfertigen, da es dem Käu - fer eines Wechſels oft ſchwer, ja unmöglich ſein wird, die verſchiedenen Geſetze über Wechſelfähigkeit zu kennen, unter welchen die einzelnen durch den Wechſel bezeichneten Schuldner (Ausſteller, Indoſſanten, Acceptanten) nach ihrem Wohnſitz ſtehen, ſo wie die auf die Heimath be - züglichen perſönlichen Verhältniſſe dieſer Schuldner(d)Darauf gründet ſich im Preußiſchen Recht eine abweichen - de, das Wechſelgeſchäft erleichternde, Beſtimmung über die perſönliche Fähigkeit (ſ. u. Noten l. m.). Indeſſen iſt doch die Schwierigkeit im wirklichen Leben geringer, als ſie auf den erſten Blick ſcheinen mag. Der vorſichtige Käufer eines gezogenen Wechſels(e)Bei trockenen Wechſeln iſt ohnehin, wegen der großen Ein - fachheit des Geſchäfts, die Er - mittelung der Wechſelfähigkeit we - nig ſchwierig., wenn auch dieſer durch mehrere Welttheile gelaufen und mit zahlreichen Unterſchriften bedeckt iſt, wird meiſt nur auf wenige Unter - ſchriften ſehen, die ihm aus eigener Erfahrung als ſicher bekannt ſind, und neben welchen ihm alle übrigen gleich - gültig ſein können. — Für ganz Deutſchland aber iſt die Schwierigkeit ungemein vermindert worden durch die neue(c)ſitz, wenn er da verklagt werden ſoll, weil ſonſt ein abſolutes Ge - ſetz die Klage hindern würde. Er iſt irre geführt worden durch un - richtige Auffaſſung der Vorſchriften des Preußiſchen Rechts, wovon ſogleich die Rede ſeyn wird.151§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)deutſche Wechſelordnung vom 27. November 1848(f)Vgl. die Preußiſche Geſetz - ſammlung 1849 S. 51. Das Ge - ſetz hat in Preußen Geſetzeskraft vom 1. Febr. 1849 ab., die gleich im erſten Artikel Jeden, der überhaupt Verträge ſchließen kann, für wechſelfähig erklärt, alſo alle bisher be - ſtehenden beſonderen Einſchränkungen der Wechſelfähigkeit aufhebt(g)Der Art. 3 beſtimmt aus - drücklich, daß jede auf einem Wechſel befindliche Unterſchrift für ſich verbindliche Kraft hat, unab - hängig von der Gültigkeit der übrigen[Unterſchriften], welche Be - ſtimmung beſonders für die per - ſönliche Wechſelfähigkeit wichtig iſt.. Im Verhältniß zum Ausland erkennt dieſe Wechſelordnung den hier aufgeſtellten Grundſatz an, daß die perſönliche Fähigkeit nach dem Wohnſitz jedes Ver - pflichteten zu beurtheilen iſt; nur mit der ſehr zweckmäßigen praktiſchen Erleichterung, daß Der, welcher im Auslande eine Wechſelverpflichtung eingeht, vom Gericht dieſes Lan - des als wechſelfähig zu behandeln iſt, wenn ihn auch nur das Geſetz dieſes Landes als fähig annimmt (Art. 84).
Es würde übrigens ganz unrichtig ſein, den Fall eines Wechſelſchuldners, dem das Recht ſeines Wohnſitzes die Wechſelfähigkeit verſagt, mit dem Fall gleich zu ſtellen, wenn am Ort des Wohnſitzes (oder auch am Ort der Aus - ſtellung) kein Wechſelrecht gilt. In dieſem Fall iſt der Ausſteller, Indoſſant, Acceptant, für wechſelfähig zu halten, wenn er nur überhaupt handlungsfähig iſt. Aber eine Wechſelklage freilich wird gegen Niemand angeſtellt werden können an einem Orte, wo kein Wechſelrecht gilt, weil bei der Wechſelklage Alles auf das örtliche Prozeßrecht152Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ankommt. Die aus dem ausgeſtellten Wechſel herzuleitende perſönliche Verbindlichkeit ſelbſt wird dadurch nicht ausge - ſchloſſen, wenngleich ſie nicht (wenigſtens am Wohnſitz des Ausſtellers) im Wechſelprozeß verfolgt werden kann.
Eine beſondere Rückſicht verdient in dieſer Beziehung die Preußiſche Geſetzgebung. Wenn wir die allgemeinen Regeln derſelben über die perſönliche Handlungsfähigkeit (§ 363 Nr. I.) unbedingt anwenden auf die Wechſelfähigkeit, ſo finden wir folgendes Ergebniß. Der Inländer iſt in ſeiner Wechſelfähigkeit nach Preußiſchem Recht (dem Recht ſeines Wohnſitzes) zu beurtheilen, er mag im Inland oder Ausland ein Wechſelgeſchäft vornehmen. Der Ausländer, der in Preußen Wechſelgeſchäfte vornimmt, wird nach dem hei - mathlichen oder dem Preußiſchen Rechte beurtheilt, je nach - dem das eine oder das andere die Gültigkeit des Geſchäfts mehr begünſtigt (§ 363 d). — Bei dieſer reinen Anwen - dung der allgemeinen Grundſätze auf das Wechſelgeſchäft iſt nun aber unſere Geſetzgebung nicht ſtehen geblieben, ohne jedoch ſtark davon abzuweichen. Zu einiger Abänderung konnte ſie aber auch in der That bewogen werden, nicht nur durch die oben dargelegte ganz eigenthümliche Natur des Wechſelgeſchäfts überhaupt, ſondern auch durch die ganz beſonderen Beſchränkungen der Wechſelfähigkeit, die ſie nö - thig fand, und worin ſie einen eigenen Weg, verſchieden von anderen Geſetzgebungen, einſchlug. Betrachten wir zunächſt dieſe Beſchränkungen, wie ſie bis auf die neueſte Zeit im Preußiſchen Recht beſtanden.
153§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)Wechſelfähig ſollten nur folgende Klaſſen von Perſonen ſeyn: Die, welche die Rechte eines Kaufmannes hatten, ferner Rittergutsbeſitzer, Domänenpächter, und Die, welchen von ihrem perſönlichen Richter die Befugniß zum Wechſel - geſchäft beſonders beigelegt war; alle übrige Einwohner (alſo die ungeheure Mehrzahl aller Einwohner überhaupt) ſollten nicht wechſelfähig ſeyn(h)A. L. R. II. 8 § 715 — 747.. Beſonders ſchwierig aber wurde die Erkennbarkeit jener Eigenſchaft durch die geſetzliche Beſtimmung, daß da, wo Innungen der Kaufleute beſtanden, nur die Mitglieder dieſer Innungen kaufmänniſche Rechte haben, alſo wechſelfähig ſeyn ſollten(i)A. L. R. II. 8 §. 480. Dieſe Beſtimmung wurde außer Kraft geſetzt durch das Gewerbe - geſetz vom 7. Septbr. 1811, nach welchem der Gewerbeſchein zu allen kaufmänniſchen Rechten genügen ſollte; dagegen wurde ſie für die - jenigen Städte wiederhergeſtellt, welche ein beſonderes Statut für die Kaufmannſchaft erhielten, wie Berlin, Stettin, Danzig, Königs - berg, Magdeburg u. ſ. w. Vgl. Ergänzungen des A. L. R. von Gräff, Koch, Rönne, Simon, Wentzel (häufig das Fünfmänner - buch genannt) B. 4 S. 758 — 760 Ausg. 2.. Der Grund dieſer ſehr eigenthümlichen Beſchränkung war ohne Zweifel die vormundſchaftliche Fürſorge für Die, welche etwa aus Leichtſinn Schulden zu machen geneigt ſeyn möchten. Das Wechſelgeſchäft wurde, wegen der damit verbundenen ſtren - gen Execution, als beſonders gefährlich angeſehen; und der Gebrauch dieſes gefährlichen Inſtruments zur künſtlichen Erhöhung des Credits ſollte allen Denen verſagt werden, denen es nicht, wegen ihrer beſonderen gewerblichen Ver - hältniſſe, unentbehrlich wäre(k)Koch Preuß. Recht B. 1 § 415 B. 2 § 617 N. 2. 3. trennt.
154Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Nach dieſer Vorbereitung gehe ich über zu den Beſtim - mungen über das bei Beurtheilung der Wechſelfähigkeit anzuwendende örtliche Recht. Zuerſt von den Inländern. Wenn dieſe im Inlande Wechſelgeſchäfte vornehmen, ſo ſind ſie natürlich an die Beſchränkungen des Preußiſchen Rechts gebunden. Thun ſie es im Auslande, ſo müßte ei - gentlich, nach dem allgemeinen Grundſatz, Daſſelbe gelten; ſie müßten nach dem Rechte des Wohnſitzes beurtheilt werden, alſo nach dem Preußiſchen Geſetz über die beſchränkte Wechſel - fähigkeit. Dieſes aber ſoll hier anders gehalten werden; ihre Wechſelfähigkeit ſoll beurtheilt werden nach dem Orte des verhan - delten Geſchäftes(l)A. L. R. II. 8 § 936 „ Außerhalb Landes vorgenommene Wechſelgeſchäfte ſind nach den Ge - ſetzen des Orts, wo ſie verhandelt worden, zu beurtheilen “. Dieſe Worte allein könnten auch etwa blos von der Einrichtung des Wechſels u. ſ. w., und nicht von der perſönlichen Wechſelfähigkeit, verſtanden werden. Die Beziehung auf dieſe letzte aber wird unzweifel - haft durch den augenſcheinlichen Gegenſatz im § 938: „ Hat aber ein Landeseinwohner mit einem andern Landeseinwohner, welcher nicht wechſelfähig iſt, ein Wechſelgeſchäft geſchloſſen: ſo iſt ſelbiges nur eben ſo zu beurtheilen, wie wenn es innerhalb Landes ge - ſchloſſen wäre “., und nur ausnahmsweiſe nach Preußiſchem Rechte, wenn nämlich beide Contrahenten Preußen ſind(m)A. L. R. II. 8 § 938 (abgedruckt in Note l). — Daß dieſe Auffaſſung die richtige ſey, wurde früherhin beſtritten, in. — Wie iſt es nun zu erklären, daß das Landrecht hier von dem allge -(k)bei Wechſeln gänzlich die allge - meine Handlungsfähigkeit von der Wechſelfähigkeit; dieſe letzte ſey nach Preußiſchem Recht eine Ge - werbsberechtigung, ein Privilegium der Kaufleute. Dieſe Auffaſſung ſcheint mir gezwungen, und erklärt auch nicht einmal die beſonderen Vorſchriften über das örtliche Recht bei der Wechſelfähigkeit (ſ. u. Note q).155§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)meinen Grundſatz des § 23 der Einleitung (§ 363. a) ab - geht, und denſelben nur noch ausnahmsweiſe für den Fall gelten läßt, wenn zwei Preußen mit einander ein Wechſel - geſchäft abſchließen? Der Grund dieſer Abweichung liegt, wie ich glaube, in der ganz eigenthümlichen Beſchaffenheit der Preußiſchen Geſetzgebung über die Wechſelfähigkeit. Wenn ein Berliner in Paris an einen Franzoſen einen Wechſel ausſtellt, ſo wäre es gewiß höchſt unbillig, von dem Franzoſen, der über die künftige Wechſelklage in Ber - lin Gewißheit haben wollte, zu verlangen, nicht nur, daß er jene Geſetze kenne (welches noch etwa auszuführen wäre), ſondern auch daß er unterſuche, ob der Ausſteller Mitglied der Berliner Kaufmannscorporation, oder Rittergutsbeſitzer, oder Domänenpächter ſei, welche Eigenſchaften gewiß nicht leicht erkennbar ſind. Eine ſolche Unbilligkeit würde ſich aber ſogleich empfindlich beſtraft haben, indem dadurch der Wechſelcredit der im Ausland befindlichen Preußen unter - graben worden wäre. Daher war es räthlich, ja faſt noth - wendig, in dieſem Fall den allgemeinen Grundſatz aufzuge - ben(n)Anders wird dieſe Ab - weichung erklärt in dem Staats - rathsgutachten und dem Erkennt - niß des Obertribunals (Note m), indem an beiden Orten die Unter - ſcheidung der allgemeinen und beſonderen Bedingungen der Handlungsfähigkeit zum Grunde gelegt wird, gegen welche ich mich im Eingang dieſes § ausgeſprochen. Dagegen mußte derſelbe ausnahmsweiſe beibehalten(m)neuerer Zeit iſt es allgemein aner - kannt worden. Es ſpricht dafür: 1. Ein Gutachten des Staatsraths von 1834, 2. Ein Erkenntniß des Obertribunals vom 21. Nov. 1840, Entſcheidungen des Obertribunals von Simon B. 6 S. 288 — 300, wo auch ein Auszug des vorher erwähnten Staatsrathsgutachtens S. 289 abgedruckt iſt.156Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.werden für den Fall von zwei mit einander im Ausland verhandelnden Preußen, weil ſonſt das Preußiſche Geſetz über die beſchränkte Wechſelfähigkeit durch eine Reiſe über die Gränze allzuleicht umgangen werden konnte. — Es muß aber noch hinzugefügt werden, daß die eben erwähnte Abweichung von den allgemeinen Grundſätzen an die Ana - logie einer anderen Beſtimmung unſeres Geſetzes ſich an - ſchließt, nämlich des § 35 der Einleitung zum A. L. R. Was hier für die Ausländer in Preußen vorgeſchrieben iſt, wird dort auf die Preußen im Ausland übertragen, und dazu war gerade im Wechſelrecht, wie ſo eben bemerkt, dringender Grund vorhanden. Man hätte aber auch dieſe Uebertragung allgemein vornehmen können, für alle Rechts - verhältniſſe, ohne den Grundſätzen allzuviel zu vergeben.
Ich betrachte nun ferner die Beſtimmungen über die Wechſelfähigkeit der Ausländer, die im Preußiſchen Staate Wechſelgeſchäfte unternehmen wollen. Hier lauten die Be - ſtimmungen des Geſetzes ſo:
(n)habe. — Wieder anders erklärt ſie Koch (Note k); da nämlich die ausſchließende Wechſelfähigkeit der Kaufleute in unſrem Geſetz als Privilegium des Kaufmannsſtandes gedacht werde, ſo könne davon im Ausland keine Anwendung ein - treten.
157§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)Es liegt blos an der nicht ganz glücklichen Faſſung, daß der § 931 das Anſehen hat, und auch wohl von Schriftſtellern ſo aufgefaßt worden iſt, als ſollte darin eine Abweichung von den allgemeinen, in der Einleitung zum A. L. R. aufgeſtellten Grundſätzen vorgeſchrieben werden. Es iſt aber vielmehr eine reine Anwendung derſelben beab - ſichtigt, beide Paragraphen waren eigentlich zu entbehren, und ohne ſie würde ganz Daſſelbe eingetreten ſeyn, welches aus ihnen hervorgehen ſoll. Der § 932 ſagt Dieſes für die objectiven Erforderniſſe des Wechſels ausdrücklich. Aber auch von der perſönlichen Wechſelfähigkeit, von welcher der § 931 ſpricht, muß Daſſelbe behauptet werden. Denn der § 931 enthält nur den negativen Satz, daß die Einſchrän - kungen des hieſigen Wechſelrechts den Ausländer nicht binden ſollen. Darin liegt aber gar nicht, daß er nun unbedingt wechſelfähig ſeyn ſollte; vielmehr ſoll er (ganz nach dem § 35 der Einleitung), in Anſehung der Wechſel - fähigkeit, nach demjenigen Geſetz beurtheilt werden, welches158Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.die leichteſten Bedingungen ſtellt(p)Vgl. Ergänzungen ꝛc. von Gräff ꝛc. B. 4 S. 804. — Der Unterſchied vom § 35 der Ein - leitung muß allerdings eintreten, daß bei dem Wechſel nicht die Einſchränkung des § 35 hinzuge - dacht werden darf, nach welcher das Geſchäft nur die im Inland befindlichen Sachen betreffen darf. Dieſer Unterſchied liegt aber in der Natur und dem Gegenſtand des Wechſels.. Dieſe in der That beabſichtigte Vorſchrift konnte ohne beſondere Gefahr ſo ausgedrückt werden, wie es hier geſchehen iſt, weil man im Voraus gewiß ſeyn konnte, daß kein fremdes Geſetz in der Beſchränkung der perſönlichen Wechſelfähigkeit ſo weit gehen würde, wie das Preußiſche. Unter dieſer Voraus - ſetzung aber reichte der negative Satz des § 931 für den praktiſchen Zweck völlig aus, obgleich ein einfacherer Aus - druck der eigentlichen Abſicht wünſchenswerth geweſen wäre zur Verhütung von Mißverſtändniſſen. — Iſt nun aber, wie ich glaube, der § 931 keine abweichende Vorſchrift, ſondern nur eine einfache Anwendung der allgemeinen Grundſätze, ſo bedarf es für ihn auch keiner beſonderen Erklärung und Rechtfertigung(q)Die Anſicht von Koch (ſ. o. Note k) iſt, wie ich glaube, mit dieſer Beſtimmung nicht wohl vereinbar. Es läßt ſich denken, daß dem Preußiſchen Handelsſtand der aus dem Wechſelgeſchäft zu ziehende Vortheil als ein Privile - gium, mit Ausſchließung der übrigen Landeseinwohner, zugeſtan - den worden wäre, welches nur in der Abſicht geſchehen ſeyn könnte, um den Handelsſtand zu begün - ſtigen. Dann wäre es aber völlig inconſequent geweſen, den in das Land kommenden Ausländern (auch den Nichtkaufleuten) den Mitgenuß jenes Vortheils zu geſtatten, während man ihn den gleichartigen eigenen Unterthanen verſagte.. Höchſtens könnte man fragen, warum der vormundſchaftliche Schutz gegen die Gefahren der Wechſelſtrenge, um deſſen Willen das Land -159§. 364. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)recht die meiſten Einwohner von der Wechſelfähigkeit aus - ſchließt, nicht auch den Ausländern zu gut kommen ſolle. Allein Dieſes rechtfertigt ſich hinreichend daraus, daß über - haupt die Gränzen ſchützender Maaßregeln jedem Geſetz - geber für die ihm unterworfenen Einwohner anheim geſtellt bleiben. Wie alſo in Preußen der Franzoſe mit 21 Jahren fähig erkannt wird, andere Verträge zu ſchließen, die ihm Nachtheil bringen können, welches wir dem Preußen erſt mit 24 Jahren geſtatten, ſo müſſen wir conſequenterweiſe den Franzoſen für fähig halten, in Preußen Wechſelver - bindlichkeiten zu übernehmen, ohne Kaufmann, Ritterguts - beſitzer oder Domänenpächter zu ſeyn.
Alle hier erörterten Zweifel und Schwierigkeiten aber haben im Preußiſchen Recht ihr Ende erreicht ſeit dem 1. Febr. 1849, an welchem Tage hier die neue deutſche Wechſelordnung in Kraft getreten iſt, die Jeden, der über - haupt Verträge ſchließen kann, auch für wechſelfähig erklärt (Note f).
Bisher iſt für die Handlungsfähigkeit das örtliche Recht des Wohnſitzes als allgemein maaßgebend behauptet worden, und zwar ſelbſt in ſolchen Fällen, die von manchen Schrift - ſtellern anders angeſehen zu werden pflegen (§ 364). Es ſind aber nun noch die Gränzen der Anwendung jenes160Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Grundſatzes hinzuzufügen, alſo die Fälle, in welchen derſelbe nicht anzuwenden iſt. Die Anerkennung dieſer Fälle kann vielleicht auch eine Verſtändigung mit manchen von mir bisher bekämpften Gegnern erleichtern, welche nicht ſelten durch die Rückſicht auf ſolche Fälle dem Grundſatz ſelbſt abgeneigt geworden ſeyn mögen.
Dieſe Fälle laſſen ſich auf zwei Klaſſen zurück führen.
A. Wenn ein den perſönlichen Zuſtand (Rechtsfähigkeit oder Handlungsfähigkeit) betreffendes Geſetz unter diejenigen abſoluten Geſetze gehört, die durch ihre anomale Natur außer den Gränzen der Rechtsgemeinſchaft unabhängiger Staaten liegen, ſo hat der Richter nicht das örtliche Recht des Wohnſitzes der Perſon anzuwenden, ſondern vielmehr das örtliche Recht des Landes, dem der Richter angehört. Dieſer Grundſatz iſt oben (§ 349) ausführlich dargeſtellt worden, und es kommt hier nur darauf an, einige der wichtigſten Anwendungen deſſelben auf die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, wovon gegenwärtig die Rede iſt, anzugeben.
1. Wo die Polygamie als Recht beſteht, hat auch Der, welcher in einer gegenwärtigen Ehe lebt, die Fähigkeit, neben derſelben eine zweite und fernere Ehe einzugehen. Der Richter eines chriſtlichen Staates aber wird ihm dafür keinen Rechtsſchutz gewähren, alſo, in Anſehung dieſer Art der Handlungsfähigkeit, nicht das Recht des perſönlichen Wohnſitzes, ſondern das Recht des eigenen Landes, zur Anwendung bringen.
161§. 365. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)2. Wenn Der, welchem als Ketzer das Recht ſeiner Heimath die Rechtsfähigkeit verſagt, in einem Lande Rechte erwerben und Handlungen vornehmen will, das ein ſolches Ketzerrecht als unſittlich verwirft, vielleicht ſelbſt der Religion dieſes ſogenannten Ketzers zugethan iſt, ſo wird der Richter dieſes Landes nicht das am Wohnſitz der Perſon geltende, ſondern das eigene, einheimiſche Recht zur Anwendung bringen(a)Hert. § 8 Note 3. — Anders verhält es ſich wohl mit der Unfähigkeit auswärtiger Mönche zum Erwerb von Erbſchaften, welches Recht ihres Wohnſitzes, als zur gewöhnlichen Handlungs - fähigkeit gehörend, auch auf dem freien Willen der Perſon beruhend, in unſrem Staate anzuerkennen iſt. Hert. §. 13. Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note 1..
3. Wenn die Geſetze eines Landes die Erwerbsfähig - keit kirchlicher Inſtitute (der todten Hand) einſchränken, ſo werden daſelbſt von dieſer Einſchränkung auch die in einem anderen Lande beſtehenden kirchlichen Inſtitute be - troffen werden. Umgekehrt werden in dem anderen Lande, das ſolche Geſetze nicht hat, die kirchlichen Inſtitute, die in ihrer Heimath unter ſolchen Geſetzen ſtehen, ſolchen Ein - ſchränkungen nicht unterliegen. Es wird alſo in beiden Fällen die Handlungsfähigkeit zu beurtheilen ſeyn nach dem Recht des Landes, dem der urtheilende Richter angehört, nicht nach dem an dem Wohnſitz eines ſolchen Inſtituts geltenden Recht.
4. Erklärt ein Landesgeſetz die Juden für unfähig zum Erwerb des Grundeigenthums, ſo bindet daſſelbeVIII. 11162Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſowohl fremde als einheimiſche Juden; die einheimiſchen Juden aber ſind dadurch nicht gehindert, in einem anderen Lande, das ein ſolches Geſetz nicht hat, Grundeigenthum zu erwerben. In beiden Fällen alſo kommt das am Wohnſitz der Perſon geltende örtliche Recht nicht zur An - wendung.
5. Ganz dieſelbe Bewandniß hat es mit einem be - kannten Franzöſiſchen Geſetz, welches in einigen weſtlichen (theilweiſe nachher an deutſche Staaten abgetretenen) De - partements die Juden für unfähig erklärte, Schuldfor - derungen anders, als unter gewiſſen, ſehr beſchränkenden, Bedingungen zu erwerben. Dieſes Geſetz bindet inner - halb eines ſolchen Landes alle Juden, einheimiſche und fremde(b)Wächter II. S. 173. Foelix p. 147. — Damit ſtimmt überein ein Urtheil des O. A. G. zu München. Seuffert Archiv für Entſcheidungen der oberſten Gerichte in den deutſchen Staaten B. 1 N. 35.; die einheimiſchen werden davon in einem anderen Lande nicht betroffen. Von dem örtlichen Recht des Wohnſitzes iſt alſo dabei keine Rede.
Die hier zuſammengeſtellten Fälle gründen ſich darauf, daß das anzuwendende Geſetz über die Rechtsfähigkeit oder Handlungsfähigkeit eine ſtreng poſitive und zwingende Natur hat(c)Es bedarf kaum der Er - innerung, daß der Werth oder Unwerth der hier beiſpielsweiſe angeführten Geſetze für unſre Frage gleichgültig iſt, alſo dahin geſtellt bleibt.. In folgenden Fällen wird eine gleichmäßige Aus - nahme von der ſonſt geltenden Regel des Wohnſitzes des -163§. 365. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)wegen behauptet werden müſſen, weil in einem Staate irgend ein Rechtsinſtitut des anderen Staates überhaupt keine Anerkennung gefunden hat.
6. So verhält es ſich mit der aus dem bürgerlichen Tod des Franzöſiſchen und des Ruſſiſchen Rechts hervor - gehenden Rechtsunfähigkeit. Der Richter eines Staates, dem das Inſtitut des bürgerlichen Todes fremd iſt, wird davon keine Anwendung machen, alſo das Recht des Wohnſitzes nicht beachten dürfen (§ 349. d).
7. Ganz Daſſelbe gilt von der Rechtsunfähigkeit eines Negerſklaven, wenn dieſelbe zur Sprache kommt in einem Staate, der die Sklaverei überhaupt nicht als ein Rechts - inſtitut anerkennt (§ 349. e).
B. Andere Fälle, in welchen die Anwendbarkeit unſres Grundſatzes verneint werden muß, haben den Grund der Verneinung darin, daß in ihnen gar nicht von der Rechts - fähigkeit oder Handlungsfähigkeit, die allein hierher gehört, die Rede iſt, daß ſie alſo ihrer Natur nach außer den Gränzen dieſer Lehre liegen, und nur durch täuſchenden Schein dahin gezogen werden können. Dahin rechne ich folgende Fälle:
1. In manchen Ländern hat der Adel gewiſſe eigen - thümliche Rechte im Erwerb des Grundeigenthums oder in der Erbfolge. Dieſe Privilegien haben mit unſrer Lehre gar keinen inneren Zuſammenhang. Ob ſie blos dem einheimiſchen Adel, oder auch dem auswärtigen, zu - ſtehen ſollen, hängt von dem Inhalt der das Privilegium11*164Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.begründenden Rechtsnormen ab; aus einem allgemeinen Rechtsgrundſatz läßt ſich dieſe Frage nicht entſcheiden(d)Wächter II. S. 172..
2. Eine ganz ähnliche Bewandniß hat es mit den Privilegien im Concurs, welche nach manchen Geſetzen den Kirchen und Klöſtern, oder auch dem Fiscus, zukommen. Was insbeſondere den Fiscus betrifft, ſo iſt damit nicht der abſtracte Begriff eines Fiscus überhaupt, ſondern ſtets nur der einheimiſche Fiscus gemeint. Alle ſolche Rechte aber gehören nicht hierher, ſondern zur Lehre vom Concurſe(e)Wächter II. S. 173. 181..
3. Zweifelhafter iſt die Reſtitution der Minderjähri - gen, indem genau feſtgeſtellt werden muß, in welchem Sinn das Recht derſelben in der Geſetzgebung ſelbſt gedacht wird. Urſprünglich war dieſelbe aufgefaßt als eine Beſchränkung der Handlungsfähigkeit, ſo daß ſie dem Minderjährigen als ein Surrogat dienen ſollte für die den Unmündigen ſchützende völlige Unfähigkeit. Seitdem aber die Reſtitution auch auf die Handlungen der Cu - ratoren angewendet, und in dieſer Geſtalt ſelbſt auf die Tutoren der Unmündigen ausgedehnt worden iſt, hat ſie jenen Charakter verloren(f)S. o. B. 7 §. 322.. Sie gehört nun nicht mehr hierher, zu der Einſchränkung der Handlungsfähigkeit, muß vielmehr in Anſehung des anwendbaren örtlichen165§. 365. I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)Rechts ſo, wie andere Anfechtungsgründe der Rechts - geſchäfte, behandelt werden(g)Vgl. Wächter II. S. 174. 179..
4. Eben ſo muß auch behauptet werden, daß die Begünſtigung der Minderjährigen, wodurch ſie gegen alle Klagverjährungen unter 30 Jahren geſchützt ſind (und zwar ſelbſt ohne Reſtitution)(h)S. o. B. 7 § 32 4 N. 1., mit der Handlungs - fähigkeit keine Verbindung hat, alſo in Anſehung des örtlichen Rechts nicht nach den hier aufgeſtellten Regeln zu beurtheilen iſt(i)Wächter II. S. 179., ſondern nach den für die Klagver - jährung geltenden Regeln.
Zum Schluß dieſes Theils der Unterſuchung mögen noch zwei allgemeine Bemerkungen folgen.
Es war hier die Rede von der Rechtsfähigkeit und der Handlungsfähigkeit (§ 362 — 365). Unter dieſen beiden Verhältniſſen gebührte im Römiſchen Recht der erſte Rang der Rechtsfähigkeit, ſie war das Ueberwiegende. Im heutigen Recht verhält es ſich umgekehrt, indem die Römi - ſchen Einſchränkungen der Rechtsfähigkeit theils ganz ver - ſchwunden, theils vermindert ſind. Verſchwunden iſt der Einfluß der Freiheit und der Civität, vermindert der auf die väterliche Gewalt gegründete Einfluß.
166Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Eine zweite Bemerkung betrifft den Wohnſitz, als den hier anerkannten Beſtimmungsgrund für das in jedem ein - zelnen Fall anwendbare örtliche Recht über den perſönlichen Zuſtand. Der Wohnſitz aber hat eine veränderliche wech - ſelnde Natur, und daher wird auch der perſönliche Rechts - zuſtand in Folge des veränderten Wohnſitzes wandelbar ſeyn, dergeſtalt, daß der Rechtszuſtand in jeder Zeit zu be - urtheilen iſt nach dem örtlichen Recht des gegenwärtigen Wohnſitzes, nicht nach dem des früheren, wenngleich dieſer von der Geburt an beſtanden haben ſollte(k)Dieſe ganze Frage gehört zu den oben, § 344. e, vorbehaltenen..
Als Regel iſt dieſer Satz ziemlich allgemein anerkannt(l)Story § 69 fg., und er wird namentlich, wenn auch nur auf indirecte Weiſe, durch eine Stelle des Preußiſchen Landrechts beſtä - tigt(m)A. L. R. Einl. § 24. „ Eine bloße Entfernung aus ſeiner Gerichtsbarkeit, bei welcher die Abſicht, einen andern Wohnſitz zu wählen, noch nicht mit Zuver - läſſigkeit erhellet, verändert die perſönlichen Rechte und Pflichten dieſes Menſchen nicht. “ Darin liegt der unzweifelhafte Gegenſatz, daß die zuverläſſige Wahl eines neuen Wohnſitzes die perſönlichen Rechte in der That verändert.. Nach zwei Seiten bedarf derſelbe jedoch einer genaueren Erwägung.
Erſtlich wird jener Satz leicht und allgemein anerkannt werden von den Gerichten des neuen Wohnſitzes; eben ſo auch von den Gerichten irgend eines dritten Ortes. Dage - gen findet ſich nicht ſelten ein Widerſpruch von Seiten der Gerichte des früheren Wohnſitzes, welche ihr eigenes ört -167§. 365 I. Zuſtand der Perſon an ſich. (Fortſ.)liches Recht auch nach verändertem Wohnſitz der Perſon feſt halten wollen, obgleich grundſätzlich dieſer Widerſpruch nicht zu rechtfertigen iſt(n)Story a. a. O. führt ſo - wohl Schriftſteller, als Amerika - niſche und Engliſche Urtheils - ſprüche, für die eine oder andere Meinung an. Indeſſen ſpielen’ in ſeiner ausführlichen Erörterung zwei an ſich ſehr verſchiedene Fragen in einander: Die Colliſion des alten und neuen Wohnſitzes, und die Colliſion des Wohnſitzes über - haupt mit dem Ort, wo ein Rechtsgeſchäft (z. B. eine Ehe) geſchloſſen wird..
Zweitens verdient beſondere Erwägung eine vorzüglich häufige und wichtige Anwendung jenes Satzes, die auf den geſetzlichen Zeitpunkt der Volljährigkeit. Eine unbe - dingte Anwendung der oben aufgeſtellten Regel würde hier zwei entgegengeſetzte Folgen mit ſich führen. Das Preußiſche Landrecht ſetzt die Volljährigkeit auf vier und zwanzig Jahre, das in Cöln geltende Franzöſiſche Recht auf ein und zwanzig. Wenn nun im Alter von zwei und zwanzig Jahren ein Berliner ſeinen Wohnſitz nach Cöln verlegt, ſo müßte er augenblicklich volljährig werden. Verlegt dagegen im gleichen Alter ein Cölner den Wohnſitz nach Berlin, ſo müßte er wieder minderjährig werden, von Neuem unter Vormund - ſchaft kommen, und noch zwei Jahre unter derſelben bleiben. — Die erſte dieſer beiden Folgen hat auch kein Bedenken, und wird ſchwerlich einen Widerſpruch erfahren. Die zweite Folge aber, obgleich ſie von aͤlteren Schriftſtellern gleichfalls vertheidigt wird(o)Lauterbach de domici - lio § 69, Dissert. Vol. 2 p. 1353. Hert. § 5 am Ende des §., iſt aus folgenden Gründen zu ver - werfen.
168Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Für den Minderjährigen, der an ſeinem Wohnſitz das geſetzliche Alter der Volljährigkeit erreicht, hat die dadurch erlangte Selbſtſtändigkeit ganz die Natur eines erworbenen Rechts, welches ihm alſo durch die blos zufällige Verände - rung des Wohnſitzes nicht wieder entzogen werden kann. Dieſe Auffaſſung erhält eine beſondere Beſtätigung durch die Vergleichung mit dem Fall, wenn die Volljährigkeit an dem früheren Wohnſitz nicht durch das Alter, ſondern durch venia aetatis, erworben, und nachher der Wohnſitz verlegt wird. Die Folgen einer ſolchen landesherrlichen Verleihung können ihm unmöglich wieder entzogen werden(p)Dieſes Letzte wird auch anerkannt in der Uebereinkunft zwiſchen Preußen und Sachſen vom J. 1821 § 3 (Geſ. Samml. S. 39). Desgleichen wird es anerkannt von Hert § 8, der alſo hierin ganz inconſequent iſt (Note n).. Es würde aber unnatürlich und willkürlich ſein, der auf das Geſetz der früheren Heimath gegründeten Volljährigkeit ge - ringere Kraft und Dauer zuzuſchreiben, als der aus Ver - leihung entſtandenen.
Die hier aufgeſtellte Behauptung iſt im Preußiſchen Recht, ſowohl durch die Praxis der Gerichte, als durch Schriftſteller, unzweifelhaft anerkannt(q)Bornemann Preuß. Recht B. 1 S. 53 Note 1. Num. 2. Koch Preuß. Recht § 40 Note 11. Beide geben mehrere Reſcripte des Juſtizminiſterii an, wodurch die Praxis der Gerichte außer Zweifel geſetzt wird..
Indem wir jetzt zu den Rechten an einzelnen Sachen, oder den dinglichen Rechten, übergehen, um das Rechtsge - biet, dem ſie angehören, zu ermitteln, werden wir ſchon durch den Gegenſtand derſelben zur Beſtimmung dieſes Ge - bietes hingeführt. Denn da ihr Gegenſtand ſinnlich wahr - nehmbar iſt, alſo einen beſtimmten Raum erfüllt, ſo iſt der Ort im Raum, an welchem ſie ſich befinden, zugleich der Sitz jedes Rechtsverhältniſſes, deſſen Gegenſtand ſie ſeyn ſollen. Wer an einer Sache ein Recht erwerben, haben, ausüben will, begiebt ſich zu dieſem Zweck an ihren Ort und unterwirft ſich freiwillig für dieſes einzelne Rechts - verhältniß dem in dieſem Gebiet herrſchenden örtlichen Recht. Wenn alſo behauptet wird, daß die dinglichen Rechte nach dem örtlichen Recht der gelegenen Sache (lex rei sitae) zu beurtheilen ſeyen, ſo beruht dieſe Behauptung auf dem - ſelben Grunde, wie die Anwendung der lex domicilii auf den perſönlichen Zuſtand. Beides entſpringt aus freiwilli - ger Unterwerfung.
Auch hier zeigt ſich der ſchon oben hervorgehobene innere Zuſammenhang des Gerichtsſtandes mit dem ört - lichen Recht(a)S. o. § 360 Num. 1. Ueber das forum rei sitae iſt im Allgemeinen zu vergleichen: Bethmann Hollweg, Verſuche S. 69 — 77, wo die hier folgenden Sätze weiter ausgeführt ſind.. Zwar war im älteren Römiſchen Recht170Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.das forum rei sitae ganz unbekannt(b)Vatic. fragm. § 326. — Das Gegentheil folgt nicht aus L. 24 § 2 de jud. (5. 1), welche Stelle nicht vom forum rei sitae ſpricht, ſondern von dem forum originis, das jeder Römiſche Bür - ger in der Stadt Rom, noch neben ſeiner beſonderen Heimath, hatte, dem ſich aber die Legaten entziehen konnten (§ 352. k).. Allein es wurde ſchon frühe für die Eigenthumsklage eingeführt(c)L. 3. C. ubi in rem (3. 19)., und ſpäter auf andere Klagen in rem ausgedehnt(d)Nov. 69. — Ob dieſe Aus - dehnung hier als ganz neues Recht eingeführt, oder nur anerkannt werden ſollte, während ſie ſchon früher in die Praxis Eingang ge - funden hatte, iſt in Ermangelung von Quellen nicht zu[entſcheiden]. Mühlenbruch Archiv B. 19 S. 377 behauptet wohl zu be - ſtimmt, daß jenes Geſetz nichts Neues enthalten ſollte.. Es gilt jedoch nicht als ausſchließender Gerichtsſtand, ſondern ſo, daß der Kläger die Wahl hat zwiſchen dem (ſpeciellen) fo - rum rei sitae und dem (allgemeinen) forum domicilii. Allein eine ſolche, von einſeitiger Willkür abhängige, Unbeſtimmt - heit würde für die Beſtimmung des örtlichen Rechts, das einer feſten Regel bedarf, nicht anwendbar ſein. Daher muß für dieſen Zweck Eines von Beiden ausſchließend gelten, und dieſes Eine wird nur das örtliche Recht der gelegenen Sache (lex rei sitae) ſein können, indem daſſelbe durch den ſpeciellen, gerade auf dieſes einzelne Rechtsver - hältniß gerichteten, Willen gerechtfertigt wird. Dieſer Vor - zug wird auch noch durch einen anderen Grund unterſtützt. Zu demſelben Recht auf eine einzelne Sache können meh - rere Perſonen in Beziehung ſtehen, deren jede einen beſon - deren Wohnſitz haben kann. Sollte nun das Recht des171§. 366. II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.Wohnſitzes maaßgebend ſein für die dinglichen Rechte, ſo würde in einem ſolchen Fall der Zweifel übrig bleiben, welcher Wohnſitz zu entſcheiden hätte. Dieſer Zweifel ver - ſchwindet von ſelbſt durch den Vorzug der lex rei sitae, die ſtets eine einfache, ausſchließende Natur hat.
Der hier aufgeſtellte Grundſatz hat denn auch im All - gemeinen von jeher Anerkennung gefunden, und es ſteht damit in Verbindung der oben erwähnte Begriff der Real - ſtatuten (§ 361 Nr. 1.), durch welchen eben ausgedrückt werden ſollte, daß die Geſetze, welche zunächſt und haupt - ſächlich über das Recht an Sachen Verfügung treffen, an - zuwenden ſeyen auf alle im Gebiet dieſes Geſetzgebers lie - gende Sachen, ohne Rückſicht darauf, ob einheimiſche oder fremde Perſonen zu dieſen Sachen in Beziehung treten möchten. Jedoch wurde lange Zeit hindurch die Anerken - nung dieſer richtigen Lehre durch folgende willkürliche Unter - ſcheidung verkümmert, die ihr alle innere Haltung und Conſequenz entzog. Der Grundſatz ſollte nämlich nur gel - ten in Anwendung auf unbewegliche Sachen; dagegen ſollten die beweglichen beurtheilt werden, nicht nach der lex rei sitae, ſondern nach der lex domicilii, indem vermöge einer Fiction angenommen werden müſſe, daß bewegliche Sachen, auch wenn ſie anderwärts ſich befänden, doch ſo angeſehen werden müßten, als befänden ſie ſich an dem Wohnſitz der Perſon(e)Neuere Schriftſteller be - zeichnen nicht ſelten dieſe Anſicht durch die Formel: mobilia ossibus inhaerent, und zwar in ſolcher.
172Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Dieſe Unterſcheidung iſt eigentlich entſtanden auf dem Gebiete des Erbrechts, wo davon eine ſehr wichtige, und zwar ganz irrige, Anwendung gemacht worden iſt. Von da iſt ſie erſt übertragen worden auf die Rechte an ein - zelnen Sachen, wozu ſie aber großentheils ſo entſchieden nicht paßt, daß ihre conſequente Anwendung auf die ding - lichen Rechte oft ganz unhaltbar iſt, und auch ſchwerlich Vertheidiger finden wird. Grundſätzlich iſt dieſe Unterſchei - dung in beiden hier erwähnten Gebieten der Anwendung zu verwerfen, ſo daß überall ein und daſſelbe örtliche Recht auf bewegliche und unbewegliche Sachen anzuwenden iſt. Jedoch muß gleich hier darauf aufmerkſam gemacht werden, daß in dieſen beiden Anwendungen die Parteimei - nungen auf ganz verſchiedene, ja entgegengeſetzte Weiſe ein - ander gegenüber ſtehen. — Im Erbrecht iſt, der richtigen Meinung nach, das örtliche Recht des Wohnſitzes auf Sachen aller Art anzuwenden. Die Gegner geben Dieſes zu bei den beweglichen, wollen aber bei den unbeweglichen ein anderes Recht, das Recht der gelegenen Sache, zur Anwendung bringen. — Umgekehrt iſt im Sachenrecht, der richtigen Meinung nach, das örtliche Recht der gelegenen Sache, und zwar bei Sachen aller Art, anzuwenden. Die Gegner geben dieſes zu bei den unbeweglichen Sachen,(e)Weiſe, daß man glauben möchte, dieſe Formel fände ſich bei den älteren auf jeder Seite. So Story § 362. Schäffner § 65. Dieſes iſt aber nicht richtig, und ich weiß auch den Urſprung jener Formel nicht anzugeben.173§. 366. II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.wollen aber bei beweglichen Sachen das am Wohnſitz der Perſon geltende örtliche Recht anwenden.
Bei der gegenwärtig (für das Sachenrecht) vorliegenden Frage nach dem Werth jener Unterſcheidung wollen wir zunächſt erwägen, wohin die in verſchiedenen Zeitaltern ent - ſprungene Geſetzgebung neigt. Und hier können wir nicht in Abrede ſtellen, daß die älteren Deutſchen Rechtsbücher, der Sachſenſpiegel und Schwabenſpiegel, allerdings eine beſondere Rückſicht auf unbewegliche Sachen zu nehmen ſcheinen, inſofern alſo die hier bekämpfte Unterſcheidung ſcheinbar begünſtigen(f)Sachſenſpiegel I. 30, III. 33. Schwabenſpiegel Kap. 87. 130. 405.. Indeſſen ſind die darauf bezüg - lichen Stellen ſo ſchwankend und unbeſtimmt, und es bleibt beſonders ſo zweifelhaft, welche Gegenſätze dabei im Hin - tergrunde liegen, daß durchaus keine ſichere Behauptung darauf gebaut werden kann.
Die Bairiſche Geſetzgebung aus der Mitte des achtzehn - ten Jahrhunderts erklärt ſich entſchieden gegen jene Unter - ſcheidung, und will bei beweglichen und unbeweglichen Sachen das örtliche Recht der gelegenen Sache gelten laſſen(g)Cod. Bavar. Maximil. P. 1. C. 2. § 17 „ ſo ſoll … in realibus vel mixtis auf die Rechten in loco rei sitae ohne Unterſchied der Sachen, ob ſie beweglich oder unbeweglich … geſehen und erkannt werden. “ Die ganze Stelle iſt abgedruckt bei Eichhorn deutſches Recht § 34 Note d. .
174Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Dagegen haben ſich die in neuere Zeiten fallende Ge - ſetzbücher der zur Zeit ihrer Abfaſſung herrſchenden Unter - ſcheidung angeſchloſſen, jedoch in ſo abſtracter und unbe - beſtimmter Weiſe, daß daraus ein ſicherer Schluß, insbe - ſondere auf die beabſichtigte Behandlung der dinglichen Rechte, durchaus nicht gezogen werden kann. Dieſes gilt vom Preußiſchen Recht(h)A. L. R. Einleitung § 28. „ Das bewegliche Vermögen eines Menſchen wird … nach den Ge - ſetzen der ordentlichen Gerichts - barkeit deſſelben beurtheilt “(d. h. nach dem Wohnſitz § 23). — § 32 „ In Anſehung des unbeweg - lichen Vermögens gelten, ohne Rückſicht auf die Perſon des Eigen - thümers, die Geſetze der Ge - richtsbarkeit, unter welcher ſich daſſelbe befindet. “, und in noch höherem Grade vom Oeſterreichiſchen(i)Oeſterr. Geſ. § 300 „ Un - bewegliche Sachen ſind den Ge - ſetzen des Bezirks unterworfen, in welchem ſie liegen; alle übrige Sachen hingegen ſtehen mit der Perſon ihres Eigenthümers unter gleichen Geſetzen.. Das Franzöſiſche Geſetzbuch aber deutet ſeine Zuſtimmung zu der herrſchenden Unter - ſcheidung nur ſtillſchweigend an, indem es für unbewegliche Sachen die Anwendung des örtlichen Rechts der gelegenen Sache vorſchreibt, von den beweglichen Sachen aber gar Nichts ſagt(k)Code civil art. 3. „ Les immeubles, même ceux possé - dés par des étrangers, sont régis par la loi française. “. Alle dieſe Geſetzbücher ſagen nur, daß gewiſſe Sachen nach dieſen oder jenen Geſetzen beurtheilt wer - den, ihnen unterworfen ſind u. ſ. w. Solche allge - meine Ausſprüche aber ſind vereinbar mit den verſchiedenſten Deutungen in Beziehung auf die Art und die Gränze einer ſolchen Beurtheilung oder Unterwerfung.
175§. 366. II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.Ich gehe nun über zu den Meinungen der Schriftſteller über die hier vorliegende Frage.
In der älteren Zeit erklären ſich die meiſten und ange - ſehenſten derſelben entſchieden für die eben erklärte Unter - ſcheidung der beweglichen und unbeweglichen Sachen(l)Argentraeus Num. 30. — Rodenburg Tit. 1 C. 2 — P. Voet. Sect. 4 C. 2 § 8. — I. Voet. §. 11. (dieſer jedoch mit der ſehr beachtenswerthen Ein - ſchränkung, daß Geſetze von poli - zeilicher Natur, z. B. über Getreide - ausfuhr, eine ſtreng territoriale Einwirkung auch auf die beweg - lichen Sachen im Lande haben müßten)., und dieſe Meinung hat ſich auch noch bis in ſehr neue Zeit hin erhalten(m)Story Chap. 9. 10 und § 362. — Foelix p. 72 — 75 p. 80. — Schäffner § 54 — 56 § 65 — 68. — Story § 386 be - merkt jedoch, daß die Gerichte von Louifiana auch bei beweglichen Sachen die lex rei sitae (nicht domicilii) als anwendbar be - trachten.. Indeſſen iſt ſie doch bei mehreren der neueſten Zeit angehörigen Rechtslehrern mehr ſcheinbar, als in der Wirklichkeit anzutreffen. Sie tragen jene Lehre zwar in denſelben allgemein lautenden Formen vor, wie ihre Vorgänger, und ſchließen ſich alſo dieſen ſcheinbar an(n)Foelix und Schäffner (Note m)., wo es aber darauf ankommt, dieſelbe auf die Rechte an einzelnen Sachen wirklich anzuwenden, gehen ſie wieder davon ab, und werden alſo dem eigenen Grundſatz untreu(o)Foelix p. 78. — Schäffner § 66, welcher geradezu behauptet, für die Rechte an ein - zelnen Sachen gebe es gar keine allgemeine Regel..
Dagegen wird dieſe Unterſcheidung von den meiſten neueren Schriftſtellern völlig verworfen, alſo eine gleiche176Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Regel für bewegliche und unbewegliche Sachen (das örtliche Recht der gelegenen Sache) behauptet(p)Mühlenbruch doctrina Pand. §. 72. Meißner vom ſtillſchweigenden Pfandrecht. Ganz beſonders aber Wächter I. S. 292. — 298. II. S. 199 — 200. S. 383. — 389, wo auch I. 293 Note 130 noch mehrere Vertheidiger dieſer Meinung angeführt werden., für welche Mei - nung auch ich mich bereits ausgeſprochen habe.
Die ſchwächſte Seite jener unterſcheidenden Meinung, welche auf die beweglichen Sachen nicht die lex rei sitae, ſondern die lex domicilii anwenden will, wird von den Vertheidigern derſelben meiſt umgangen oder verhüllt. Man ſagt, der Wohnſitz der Perſon ſolle über das anzuwen - dende örtliche Recht entſcheiden; welche Perſon aber iſt damit gemeint(q)Dieſe Einwendung iſt ſehr gut hervorgehoben von Wächter I. S. 293.? Ohne Zweifel die bei dem Rechts - verhältniß zu dieſer Sache betheiligte Perſon; dieſes iſt aber ein ſehr vieldeutiger Begriff, und dadurch wird die ganze Behauptung ſelbſt, auch wenn man ſie zugeben wollte, in hohem Grade unbeſtimmt und ſchwankend. Man kann unter dem Betheiligten den Eigenthümer verſtehen(r)So wird es aufgefaßt in der Preußiſchen und der Oeſterreichi - ſchen Geſetzgebung, ſ. o. Noten h. und i. ; daneben aber bleibt es zweifelhaft, ob bei einer Uebertra - gung des Eigenthums der alte oder der neue Eigenthümer gemeint ſein ſoll; eben ſo, bei einem Streite über das Ei - genthum, welche der beiden ſtreitenden Parteien, deren jede das Eigenthum ſich zuſchreibt. — Man kann aber auch177§. 366. II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.den Gedanken an den Eigenthümer ganz aufgeben, und dafür den Beſitzer annehmen, wodurch allerdings die Aus - führung vereinfacht und erleichtert wird. — Außer dem Eigenthum endlich kommen noch verſchiedene andere dingliche Rechte in Betracht, und jedes derſelben, wenn es vorhan - den iſt, oder auch nur behauptet wird, führt wieder auf eine neue bei dieſer Sache betheiligte Perſon. — So iſt alſo die auf den Wohnſitz der Perſon gerichtete Behauptung, ſelbſt wenn ſie an ſich Grund hätte, doch eine ſehr viel - deutige, indem jede der hier genannten Perſonen einen ver - ſchiedenen Wohnſitz haben kann; und daher iſt die behaup - tete Regel nicht dazu geeignet, eine praktiſche Löſung der Aufgabe herbei zu führen.
Die Hauptfrage aber bleibt immer die, ob denn ein in - nerer Grund vorhanden iſt, die dinglichen Rechte an be - weglichen Sachen nach einem anderen örtlichen Recht zu beurtheilen, als die an unbeweglichen. Gerade Dieſes muß durchaus verneint werden. Vielleicht iſt eine Einigung über die ganze Frage bisher am meiſten dadurch verhindert worden, daß man die Frage ſelbſt zu abſtract aufgefaßt hat. Ich will es verſuchen, anſchaulich zu machen, wie ſich die Sache im wirklichen Leben auf ganz verſchiedene Weiſe geſtaltet. Dieſe Betrachtung wird zugleich dahin führen, die Entſtehung der Meinung, die ich für irrig halte, zu erklären, und das in ihr enthaltene wahre Element nach - zuweiſen.
VIII. 12178Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Wenn wir die räumliche Lage beweglicher Sachen be - trachten, ſo können wir dabei zwei äußerſte, völlig entge - gengeſetzte, Fälle unterſcheiden, zwiſchen welchen viele an - dere Fälle, mit mancherlei Abſtufungen, in der Mitte liegen.
Erſtlich kann die räumliche Lage der beweglichen Sache in ſolchem Grade unbeſtimmt und wechſelnd ſeyn, daß da - durch ein beſtimmtes Bewußtſeyn dieſer Lage, ſo wie des Landgebiets worin das örtliche Recht beſteht, folglich auch die Annahme einer freiwilligen Unterwerfung unter dieſes örtliche Recht, völlig ausgeſchloſſen wird. Dahin gehören etwa folgende Fälle. Ein Reiſender, der ſich mit ſeinen Sachen in einem Eilwagen oder auf einer Eiſenbahn be - wegt, kann in Einem Tage mehrere Landgebiete durchſchnei - den, ohne auch nur daran zu denken, in welchem derſelben er ſich augenblicklich befindet. Derſelbe Fall tritt ein, wenn ein Kaufmann Waaren auf weite Strecken hin verſendet, ſo lange als dieſe Waaren auf dem Wege ſind; beſonders im Seehandel, wenn die Waaren nach verſchiedenen Häfen, vielleicht nach verſchiedenen Welttheilen, verſchifft werden, damit irgendwo ein vortheilhafter Verkauf bewirkt werde. — In ſolchen Fällen kann man von dem örtlichen Recht der gelegenen Sache allerdings keine Anwendung machen; man wird vielmehr in Gedanken irgend einen Ruhepunkt aufſuchen müſſen, an welchem ſolche Sachen auf längere, vielleicht unbeſtimmte Zeit zu bleiben beſtimmt ſind. Ein ſolcher Ruhepunkt kann vielleicht aus dem erweislichen179§. 366 II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.Willen des Eigenthümers unzweifelhaft hervorgehen; in andern Fällen wird er mit dem Wohnſitz des Eigenthümers zuſammen fallen. Dieſes Letzte wird unter Anderm anzu - nehmen ſeyn bei dem Reiſegepäck, das nach vollendeter Reiſe in die Heimath zurück zu kehren pflegt; oft aber auch bei den in Fracht gehenden Waaren, die der Eigenthümer, wenn kein Verkauf zu Stande kommt, vielleicht nach ſeinem Wohn - ſitz kommen läßt, um ſie da bis zu einer günſtigeren Zeit aufzubewahren. Die einſeitige Rückſicht auf Fälle ſolcher Art ſcheint die oben dargeſtellte Behauptung veranlaßt oder unterſtützt zu haben, nach welcher das örtliche Recht des Wohnſitzes bei beweglichen Sachen überhaupt anwendbar ſein ſoll(s)Daraus erklärt es ſich auch wohl, warum Amerikaniſche Ge - richte u. Schriftſteller (wie Story) dieſer Meinung ſehr zugethan ſind, denn bei dieſen iſt die vorherrſchende Rückſicht auf den Seehandel ſehr natürlich..
Der zweite, völlig entgegengeſetzte, Fall ſetzt voraus, daß bewegliche Sachen eine Beſtimmung erhalten haben, die ſie an einem bleibenden Aufenthalt feſt bindet. So geſchieht es mit dem Mobiliar eines Hauſes, mit einer da - ſelbſt aufgeſtellten Bibliothek oder Kunſtſammlung, mit dem Inventar eines Landgutes. Zwar kann auch bei ſol - chen Sachen die Abſicht geändert, ſie können an einen an - deren Ort, in ein anderes Land gebracht werden; allein dieſe Veränderungen ſind zufällig, und liegen außer dem12*180Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gegenwärtigen Bewußtſeyn und Willen des Beſitzers(t)Dieſes Verhältniß beweg - licher Sachen von bleibender räum - licher Beſtimmung wird auch im Römiſchen Recht öfter erwähnt, wenngleich aus anderen juriſtiſchen Veranlaſſungen, als der hier vor - liegenden. L. 35 pr. § 3 — 5 de her. inst. (28. 5 ), L. 17 de act. emt. (19. 1 ), L. 32 de pign. (20. 1 ), L. 203 de V. S. (50. 16).. Es verhält ſich damit genau, wie mit dem Wohnſitz einer Perſon, welcher gleichfalls als bleibend gedacht wird, und dennoch in der Zukunft ſtets veränderlich bleibt (§ 353). — Bei Sachen dieſer Art nun iſt auch nicht einmal ein ſcheinbarer Grund vorhanden, ſie anders zu behandeln, als unbewegliche Sachen, vielmehr ſind ſie ohne allen Zweifel, eben ſo wie dieſe, nach demjenigen örtlichen Recht zu be - urtheilen, welches durch ihre gegenwärtige Lage (nicht durch den Wohnſitz des Eigenthümers oder Beſitzers) beſtimmt wird. Dieſes wird denn auch von mehreren Schriftſtellern anerkannt, die außerdem die Unterſcheidung beweglicher und unbeweglicher Sachen grundſätzlich vertheidigen, die alſo für die angegebene Klaſſe von Sachen eine Ausnahme ihrer Regel behaupten, und inſofern eine mittlere Meinung ver - treten(u)I. Voet. ad Pand. I. 8. §. 14, Story § 382, und mehrere andere bei Wächter I. S. 296 Note 133 angeführte Schriftſteller..
Zwiſchen den hier dargeſtellten Klaſſen beweglicher Sachen liegen endlich viele andere in der Mitte, und zwar in den verſchiedenſten Abſtufungen. Als Beiſpiele können gelten die Kaufmannswaaren, die der Eigenthümer an einem an - deren Ort, als an ſeinem Wohnſitz, auf unbeſtimmte Zeit181§. 366. II. Sachenrecht. Gemeinſame Regeln.aufbewahren läßt, das Reiſegeräthe bei einem vorübergehenden Aufenthalt des Eigenthümers an einem fremden Orte u. ſ. w. Bei dieſen wird es von den Umſtänden abhängen, ob ſie der erſten oder der zweiten Klaſſe von Sachen beigezählt werden ſollen. Es wird Dieſes nicht blos von dem kürzeren oder längeren Aufenthalt ſolcher Sachen abhängen, ſondern auch von der Natur der Rechtsregel, deren Anwendbarkeit gerade in Frage geſtellt wird. So z. B. wird bei der Frage nach der Form der Veräußerung (Tradition oder bloßer Vertrag) auch ſchon ein ſehr kurzer Aufenthalt an einem beſtimmten Orte hinreichen, um das örtliche Recht der gelegenen Sache für anwendbar zu erachten, anſtatt daß die Erſitzung viel - leicht anders anzuſehen ſein wird. Im Allgemeinen aber müſſen wir die Anwendung des örtlichen Rechts der gele - genen Sache als Regel feſthalten, ſo daß uns eine ab - weichende Behandlung der oben dargeſtellten erſten Klaſſe von Sachen nur als eine (verhältnißmäßig ſeltnere) Aus - nahme gelten darf.
Ich will hier die einzelnen, das Eigenthum betreffenden, Rechtsfragen der Reihe nach durchgehen, bei welchen von der Anwendbarkeit verſchiedener örtlicher Rechte die Rede ſeyn kann.
1. Die Fähigkeit einer Perſon, Eigenthum zu erwerben, und eben ſo die Fähigkeit einer Perſon, das ihr gehörende182Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Eigenthum aufzugeben, iſt zu beurtheilen nach dem örtlichen Recht, welches am Wohnſitz der einen oder der anderen Perſon gilt (§ 362), alſo nicht nach dem Recht der gele - genen Sache, weil jede dieſer Fähigkeiten nur ein einzelner Zweig der allgemeinen Rechtsfähigkeit und Handlungs - fähigkeit iſt, alſo zum perſönlichen Zuſtand gehört.
Dieſe Regel iſt von folgenden irrigen Standpunkten aus beſtritten worden, welche ſchon oben ihre Erledigung gefunden haben. Manche ſagen, jene Fähigkeiten gehörten nicht zu den Eigenſchaften der Perſon an ſich, ſondern zu den rechtlichen Wirkungen jener Eigenſchaften; dabei aber ſoll nicht das Recht des Wohnſitzes zur Anwendung kommen, ſondern das Recht des jedesmal urtheilenden Richters(a)Von dieſer Meinung iſt oben ausführlich gehandelt worden §. 362..
Andere laſſen zwar im Allgemeinen das Recht des Wohnſitzes gelten, behaupten aber eine Ausnahme für den Fall unbeweglicher Sachen. Hier ſoll auch die perſönliche Fähigkeit nach der lex rei sitae beurtheilt werden, das heißt, es ſoll das Realſtatut zur Anwendung kommen(b)Vgl. oben § 362 Note g. Dieſe irrige Meinung hat Story § 430 — 434, der viele Schriftſteller anführt; die richtige Meinung hat Huber § 12..
Allerdings aber muß eine Ausnahme jener Regel be - hauptet werden, wenn eine Beſchränkung der Erwerbs - fähigkeit vorgeſchrieben wird durch ſtreng poſitive, zwingende183§. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum.Geſetze, wie die, welche einen polizeilichen Charakter an ſich tragen. Solche Geſetze kommen zur Anwendung bei allen im Gebiete dieſes Geſetzgebers befindlichen Sachen, und es iſt dabei auf das Recht des Wohnſitzes der Perſon, die erwerben will, nicht zu ſehen (§ 365).
2. Die Fähigkeit einer Sache, dem Privateigenthum unterworfen zu werden, alſo nicht unter die res quarum commercium non est zu gehören, iſt zu beurtheilen nach dem Geſetz des Ortes, an welchem die Sache liegt.
3. Dieſelbe Regel gilt für den Umfang der herrenloſen Sachen, alſo für die Zuläſſigkeit oder Beſchränkung des Eigenthumserwerbs durch Occupation an Sachen mancher Art. Dahin gehören die Geſetze über die Regalität des Bernſteins, ſo wie mancher Arten von Mineralien. Niemand bezweifelt, daß hierin die lex rei sitae allein entſcheidet, alſo auch auf bewegliche Sachen anzuwenden iſt. Iſt jedoch nach dieſem Geſetz das Eigenthum einer ſolchen Sache einmal erworben, ſo muß dieſes Eigenthum auch in jedem anderen Staate anerkannt werden, wenngleich dieſer Staat eine gleichartige Erwerbung innerhalb ſeiner Gränzen nicht anerkannt haben möchte.
4. In den Formen der Veräußerung, das heißt, der freiwilligen Uebertragung des Eigenthums an eine andere Perſon, kommen ſehr verſchiedene Rechtsregeln vor, und nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz müſſen wir die am Ort der gelegenen Sache geltende Rechtsregel anwenden, ohne Rückſicht auf den Wohnſitz der einen oder der anderen184Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Perſon, und ohne Rückſicht auf den Ort des geſchloſſenen Vertrages.
So beruht nach dem Römiſchen Recht die Veräußerung auf der Uebergabe der Sache. Nach dem Preußiſchen Recht gleichfalls auf der Uebergabe(c)A. L. R. I. 10. § 1. Vgl. Koch Preuß. Recht B. 1 § 252. 255. 174. Selbſt die bedeutenden praktiſchen Erleichterungen bei der unter Abweſenden durch Ueberſen - dung vor ſich gehenden Tradition (I. 11 § 128 — 133) ändern an jenem Grundſatz Nichts.. Nach dem Franzöſiſchen Recht wird dagegen die Uebertragung des Eigenthums ſchon durch den bloßen Vertrag bewirkt(d)Code civil art. 1138. Dieſes Recht gilt alſo auch in der Preußiſchen Rheinprovinz..
Die Anwendung dieſer Regeln wird durch folgende Bei - ſpiele anſchaulich werden. Wenn ein Pariſer ſein in Berlin befindliches Mobiliar einem Pariſer in Paris verkauft, ſo geht das Eigenthum nur durch Tradition über. Wenn aber umgekehrt ein Berliner ſeine in Paris ſtehende Sachen einem Berliner in Berlin verkauft, ſo überträgt ſchon der bloße Vertrag das Eigenthum. Ganz Daſſelbe wird ein - treten, wenn wir in dieſen Beiſpielen die Stadt Köln an die Stelle von Paris ſetzen.
Für die Anwendung dieſer Regel wird es genügen, wenn der Aufenthalt der Sache auch nur ein vorübergehen - der, kurz dauernder, ſeyn ſollte(e)S. o. § 366 S. 181., da in jedem Fall die Uebertragung des Eigenthums auf einer augenblicklichen Handlung beruht, alſo keinen längeren Zeitraum erfüllt. 185§. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum.Anders wird es ſich nur verhalten in den Ausnahmefällen, in welchen der augenblickliche Aufenthalt der Sache in ſolchem Grade unbeſtimmt iſt, daß auf denſelben ein ſicheres Bewußtſeyn der handelnden Perſonen gar nicht gerichtet ſeyn kann. In ſolchen Fällen werden wir als Ort der gelegenen Sache denjenigen Ort zu betrachten haben, an welchem die Sache zunächſt zu bleiben beſtimmt iſt, welches häufig der Wohnſitz des gegenwärtigen Eigenthümers (des Veräußerers) ſeyn wird(f)S. o. § 366 S. 179. Bei der Veräußerung von Kaufmanns - gütern kommen noch die ſehr zwei - felhaften Fragen von dem kauf - männiſchen Zeichen, und (wenn die Waaren im Transport begriffen ſind) von der Wirkung des über - tragenen Connoſſements in Be - tracht. Vgl. Thöl Handelsrecht § 79. 80..
In allen hier unterſchiedenen Fällen kommt es unzwei - felhaft nur auf den Ort an, an welchem ſich die Sache zur Zeit der Uebertragung befindet. Iſt dieſe Uebertragung einmal geſchehen, ſo iſt für das Schickſal des Eigenthums jede ſpätere Veränderung des Aufenthalts der Sache gleich - gültig, indem das einmal erworbene Eigenthum durch eine ſolche räumliche Veränderung nicht berührt werden kann.
5. Der Erwerb des Eigenthums durch Erſitzung un - terſcheidet ſich weſentlich von dem Erwerb durch Tradition darin, daß er nicht, wie die Tradition, durch eine augen - blickliche, ſondern durch eine über einen längeren Zeitraum verbreitete Thatſache bedingt iſt.
186Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Bei unbeweglichen Sachen nun iſt die Anwendung des Rechts der gelegenen Sache ganz unbeſtritten. Dagegen gehen, in Anſehung der Erſitzung beweglicher Sachen, die Meinungen ſehr auseinander(g)Mühlenbruch doctr. Pand. § 73 nimmt ganz richtig die lex rei sitae an. Meier p. 37 die lex domicilii, und zwar nach dem Wohnſitz des Uſucapien - ten, weil dieſer während der lau - fenden Uſucapion das prätoriſche Eigenthum ſchon habe. Schäff - ner §. 67 läßt Alles ungewiß.. Hier aber iſt die Frage dadurch beſonders wichtig, daß die Geſetze verſchiedener Länder ſehr von einander abweichen. Das Römiſche Recht erfordert einen Beſitz von drei Jahren, das Preußiſche von zehn Jahren(h)A. L. R. I. 9 §. 620., das Franzöſiſche endlich erfordert gar keinen fortgeſetzten Beſitz, ſondern ſchließt ſchon mit dem Anfang deſſelben die Eigenthumsklage des früheren Eigen - thümers aus; Dieſes jedoch mit Ausnahme verlorener und geſtohlener Sachen, deren Schutz aber mit dem Ablauf von drei Jahren aufhört(i)Code civil art. 2279.. Durch dieſe letzte Beſtimmung ſchließt ſich im praktiſchen Erfolg das Franzöſiſche Recht dem Römiſchen nahe an.
Gerade hier nun erſcheint die Anwendung der lex rei sitae vorzugsweiſe gewiß durch den Umſtand, daß die Grund - lage aller Erſitzung der fortwährende Beſitz iſt. Der Beſitz aber, als ein, ſeinem Weſen nach, ganz thatſächliches Ver - hältniß, iſt noch unzweifelhafter, als jedes dingliche Recht, nach der lex rei sitae zu beurtheilen (§ 368).
187§. 367. II. Sachenrecht. Eigenthum.Ein Zweifel kann noch entſtehen für die Fälle, in wel - chen der Aufenthalt der beweglichen Sache, während der Erſitzungszeit, innerhalb verſchiedener Landgebiete geweſen iſt. Es kann nicht zweifelhaft ſein, daß alle dieſe Zeiten des Beſitzes zuſammengerechnet werden müſſen. Der Ab - lauf der Erſitzung aber, alſo der vollendete Erwerb des Eigenthums, muß nach dem Recht des Orts beurtheilt werden, an welchem zuletzt die Sache ſich befindet, weil erſt mit dem Ablauf des ganzen Zeitraums die Veränderung im Eigenthum eingetreten, vorher aber eine ſolche nur erſt vorbereitet worden iſt(k)Es gilt alſo bier derſelbe Grundſatz, wie bei der zeitlichen Colliſion der Uſucapionsgeſetze (§ 391. b).. Iſt einmal nach dieſem Recht durch Erſitzung das Eigenthum erworben, ſo muß daſſelbe auch in jedem anderen Lande anerkannt werden, wenngleich das Geſetz dieſes Landes einen längeren Zeit - raum erfordern möchte.
6. Die Verfolgung des Eigenthums durch Klage, mit allen dazu gehörenden näheren Beſtimmungen, iſt zu beur - theilen nach dem Recht des Ortes, an welchem der Prozeß geführt wird(l)S. o. § 361 Num. 3 C. .
Dieſes kann der Ort der gelegenen Sache ſein, wegen des an dieſem Orte begründeten Gerichtsſtandes (§ 366. a); alsdann iſt die lex rei sitae anwendbar. Es kann aber auch der Wohnſitz des Beklagten ſein, weil nach gemeinem188Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Recht beide Arten des Gerichtsſtandes in der Art concur - riren, daß der Kläger zwiſchen beiden die Wahl hat; als - dann iſt die lex domicilii des Beklagten anzuwenden auf alle, die Eigenthumsklage betreffende, Rechtsfragen. Es iſt nicht zu verkennen, daß durch dieſe alternative Regel eine bedenkliche Willkür in die Hand des Klägers gelegt wird; ſie iſt aber hier unvermeidlich.
Eine große Verſchiedenheit zwiſchen den Geſetzgebungen findet ſich in Anſehung der Beſchränkung der Eigenthums - klage. Das Römiſche Recht läßt die Klage unbedingt zu ge - gen jeden Beſitzer, der nicht Eigenthümer iſt, und zwar ohne Anſpruch dieſes Beſitzers auf Erſatz des ausgelegten Kauf - preiſes. — Das Preußiſche Recht läßt gleichfalls die un - bedingte Vindication zu, jedoch mit Vorbehalt des eben erwähnten Erſatzes an den redlichen Beſitzer(m)A. L. R. I. 15 § 1. 26. art. 2102 N. 4.. — Das Franzöſiſche Recht läßt in der Regel gar keine Vindication beweglicher Sachen zu, und macht davon nur einige Aus - nahmen: bei geſtohlenen oder verlorenen Sachen binnen drei Jahren, und bei verkauften, noch unbezahlt gebliebenen Sachen, die gegen den Käufer binnen acht Tagen vindicirt werden können(n)Code civil art. 2279.. Der eine oder der andere dieſer Grund - ſätze wird zur Anwendung kommen müſſen, je nachdem an dem Ort des Gerichts, vor welchem der Prozeß geführt wird, das Römiſche, das Preußiſche, das Franzöſiſche Recht gilt.
189§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re.Der eingeleitete Prozeß über das Eigenthum kann be - ſondere Folgen mit ſich führen, insbeſondere wegen der Früchte, wegen des durch den Untergang oder die Beſchä - digung der vindicirten Sache begründeten Schadenerſatzes u. ſ. w.(o)S. o. B. 6 § 260 fg.. Alle darauf bezügliche Fragen ſind gleichfalls nach dem am Orte des Gerichts geltenden Recht zu ent - ſcheiden.
Auf die dinglichen Rechte außer dem Eigenthum (jura in re) ſind meiſt ähnliche Grundſätze anzuwenden, wie auf das Eigenthum.
1. Daß die Prädialſervituten nur nach der lex rei sitae beurtheilt werden können, wird von keiner Seite be - ſtritten.
Eben ſo verhält es ſich mit den perſönlichen Servituten, deren Gegenſtand in einer unbeweglichen Sache beſteht.
Iſt der Gegenſtand eine bewegliche Sache, ſo wird von Vielen die lex domicilii eben ſo, wie bei dem Eigenthum an beweglichen Sachen, mit Unrecht für anwendbar gehal - ten. Der Parteiſtreit über dieſe Frage im Allgemeinen iſt ſchon oben ausführlich abgehandelt worden (§ 366).
2. Die Emphyteuſe und die Superficies ſind keinem Zweifel unterworfen, da ſie nur an unbeweglichen Sachen190Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.vorkommen können, alſo, wie alle Parteien annehmen, nach dem Recht der gelegenen Sache zu beurtheilen ſind.
3. Das Preußiſche Recht giebt dem Miether, Pächter, und ähnlichen Inhabern fremder Sachen zum Zweck eige - ner Benutzung, ein dingliches Recht mit einer Klage in rem gegen den dritten Beſitzer, vorausgeſetzt, daß ihnen die Sache übergeben iſt(a)A. L. R. I. 2 § 135 — 137. I. 7. § 169. 170. Vgl. Koch Preuß. Recht B. 1 §. 317. 318.. Im Römiſchen Recht kommt bekanntlich ein ſolches dingliches Recht nicht vor.
Ohne Zweifel wird nun ein dingliches Recht dieſer Art entſtehen, wenn die Sache, ſie mag beweglich oder unbe - weglich ſeyn, im Preußiſchen Staat zur Zeit der Uebergabe ſich befindet; liegt ſie zu jener Zeit in einem, dem Römi - ſchen Recht folgenden Lande, ſo entſteht das dingliche Recht nicht.
Geſetzt aber, dieſes dingliche Recht wird im Preußiſchen Staat durch Uebergabe einer gemietheten beweglichen Sache begründet, und der Beſitzer bringt die Sache in ein Land des Römiſchen Rechts, ſo könnte man annehmen, er könne auch hier das einmal erworbene Recht gegen einen dritten Beſitzer geltend machen. Ich glaube jedoch, Dieſes verneinen zu müſſen, weil ſein Anſpruch auf einem ganz eigenthüm - lichen Rechtsinſtitut beruht, das in jenem Lande über - haupt nicht anerkannt iſt(b)S. o. § 149. B. Dieſer Meinung iſt auch Wächter II. S. 388. 389, zwar nicht in dem hier angeführten beſonderen Fall, wohl aber in dem ganz gleichar -. — Uebrigens iſt dieſe Frage191§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. nicht von praktiſcher Erheblichkeit, weil das hier erwähnte dingliche Recht überhaupt nur bei unbeweglichen Sachen in wichtigen Folgen hervortritt.
4. Das Pfandrecht iſt nicht nur von ausgedehnterer Wirkſamkeit, als die bisher genannten jura in re, ſondern auch in der hier vorliegenden Frage größeren Zweifeln und Streitigkeiten unterworfen.
Auch hier muß das örtliche Recht der gelegenen Sache als Regel feſtgehalten werden, und die meiſten dagegen er - hobenen Bedenken beruhen auf bloßem Schein.
Ich will damit anfangen, eine Ueberſicht der wichtigſten, dieſes Rechtsinſtitut im Ganzen betreffenden, Verſchieden - heiten zu geben, die in deutſchen Staaten wahrzunehmen ſind.
Das Römiſche Recht beruht auf folgenden Grundſätzen. a. Das Pfandrecht entſteht, als dingliches, gegen jeden dritten Beſitzer verfolgbares Recht, durch bloßen Vertrag, auch ohne übergebenen Beſitz(c)Ich beſchränke mich hier abſichtlich auf das Pfandrecht in ſeinem eigentlichen Sinn, als jus in re, das heißt, ein vom Eigen - thum abgezweigtes Recht, mit Uebergehung der künſtlicheren An - wendung deſſelben auf Obligatio - nen u. ſ. w.. b. Der Vertrag kann auch ſtillſchweigend geſchloſſen werden, indem, neben mehre - ren obligatoriſchen Rechtsgeſchäften, vermöge einer allge - meinen Rechtsregel fingirt wird, es ſey zur Sicherheit der(b)tigen Fall des Pfandrechtes, von welchem ſogleich die Rede ſeyn wird.192Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Forderung zugleich eine Verpfändung verabredet worden(d)L. 3 in quib. caus. (20. 2 ), „ .. tacitam conven - tionem de inveetis illatis .. “ L. 4 pr. eod. „ .. quasi id taci - te convenerit .. “ L. 6 eod. „ .. tacite solet conventum ac - cipi, ut perinde teneantur in - vecta et illata, ac si specialiter convenisset .. “ L. 7 pr. eod. „ .. tacite intelliguntur pignori esse .. etiamsi nominatim id non convenerit. “ Der bei neueren Schriftſtellern übliche Aus - druck des geſetzlichen Pfandrechts (pignus legale) verdunkelt die wahre Natur des Rechtsinſtituts.. c. Bewegliche und unbewegliche Sachen werden, als Ge - genſtände einer Verpfändung, nicht unterſchieden. d. Der ausdrückliche ſowohl, als der ſtillſchweigende Vertrag kann ſich beziehen, nicht nur auf einzelne Sachen, ſondern auch auf ein ganzes Vermögen. Die Verpfändung dieſer letzten Art hat den Sinn, daß ſie alle zu dieſem Vermögen jetzt gehörende, und alle in daſſelbe künftig eintretende Sachen umfaßt, alſo auch ſolche Sachen, die nicht einzeln bezeich - net, ja nicht einmal einzeln zum Bewußtſeyn der Parteien gebracht werden. Mit Unrecht hat man als den Gegen - ſtand eines ſolchen Pfandrechts das Vermögen in ſeinem idealen Begriff, abſtrahirt von allem Inhalt, anſehen, und daher die juriſtiſchen Begriffe der universitas und successio per universitatem, ähnlich den Verhältniſſen des Erbrechts, darauf anwenden wollen(e)Ueber dieſe Begriffe vgl. oben B. 3 § 105.; in der That iſt dabei nur von einer indirecten Bezeichnung und Begränzung der Ge - genſtände die Rede, die als einzelne Sachen mit dem Pfandrecht behaftet ſeyn ſollen.
193§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re.Unter den verſchiedenen Ländern nun, welche im Ganzen das Römiſche Recht befolgen, kommen gerade im Pfand - recht, neben der eben dargeſtellten gemeinſamen Grundlage, manche untergeordnete Abweichungen vor. Hauptſächlich betreffen dieſe den Umfang des ſtillſchweigenden Pfandrechts, welches, je nach den einzelnen Landesgeſetzgebungen, bald mehr bald weniger Fälle von Obligationen umfaßt, die mit der Fiction eines Pfandvertrages verbunden ſeyn ſollen.
Geſetzt nun, es ſey von zwei, das Römiſche Recht im Ganzen befolgenden, Ländern die Rede. In dem einen gelte auch die Regel des Römiſchen Rechts, nach welchem das Verſprechen, eine Brautgabe zu beſtellen, ſtets durch ſtillſchweigende Verpfändung des ganzen Vermögens ge - ſichert iſt(f)L. un § 1 C. de rei ux. act. (5. 13).; in dem anderen Lande ſey dieſe Regel auf - gehoben. Wenn nun zwei Einwohner jenes erſten Landes einen ſolchen Dotalvertrag ſchließen, der Schuldner aber beſitzt in dem zweiten Lande ein Grundſtück, ſo fragt es ſich, ob dieſes Grundſtück dem ſtillſchweigenden Pfandrecht unterworfen ſey. Man könnte dieſe Frage verneinen wollen, indem man die lex rei sitae zur Anwendung brächte; aber mit Unrecht. Denn auch das zweite Land erkennt die Möglichkeit einer Verpfändung durch bloßen Vertrag, und ſelbſt durch ſtillſchweigenden Vertrag, an. Ob nun im vorliegenden Fall ein ſolcher Pfandvertrag vorhanden iſt, das iſt eine thatſächliche Frage, die nur nach demjenigenVIII. 13194Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.örtlichen Recht entſchieden werden kann, unter welchem überhaupt das hier geſchloſſene Rechtsgeſchäft ſteht(g)Welches örtliche Recht als ſolches anzuſehen iſt, wird in dem gleich folgenden Abſchnitt (Obli - gationenrecht) feſtgeſtellt werden (§ 374. D.).. Nach dieſem Recht aber wird fingirt, es ſey eine ausdrück - liche Verpfändung des ganzen Vermögens, alſo auch jenes auswärtigen Grundſtücks, vorgenommen worden, und daher muß das Grundſtück als mitverpfändet gelten(h)Dieſelbe Entſcheidung ge - ben Meier p. 39 — 41. Meißner vom ſtillſchweigenden Pfandrecht § 23. 24, aber aus einem Grunde, den ich nicht als richtig anerkenne. Das Recht des Wohnſitzes, als ſolches, ſoll entſcheiden, gerade wie bei Fragen des Erbrechts, weil hier das ideale Vermögen, die universitas, Gegenſtand der Ver - pfändung ſey.. Wäre der Dotalvertrag in dem zweiten Lande, von Einwohnern deſſelben, geſchloſſen worden, ſo würde weder das Grund - ſtück, noch das übrige Vermögen des Schuldners, als verpfändet anzuſehen ſeyn.
Eine ungleich größere Verſchiedenheit aber findet ſich zwiſchen den deutſchen Ländern, die das Römiſche Pfand - recht im Ganzen anerkennen, und denen, die das Pfand - recht auf eine ganz neue Grundlage ſtellen. Ich will als Typus dieſer letzten die Preußiſche Geſetzgebung annehmen, worin ein ſolches neues Recht am vollſtändigſten ausgebildet erſcheint. Einzelne Beſtandtheile davon finden ſich auch in anderen Ländern, und es wird nicht ſchwer ſeyn, die hier folgenden Regeln auch auf dieſe anzuwenden.
Das Preußiſche Recht verſagt dem bloßen Vertrag all - gemein die Kraft, ein Pfandrecht als dingliches Recht zu195§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. erzeugen. Es unterſcheidet ferner unbewegliche und beweg - liche Sachen. Bei den unbeweglichen entſteht das dingliche Recht nur durch die Eintragung in das Hypothekenbuch(i)A. L. R. I. 20 § 411. 412.. Ein Vertrag über die Eintragung eines beſtimmten Grund - ſtücks iſt ein Titel, auf deſſen Grund die Eintragung ſelbſt gefordert werden kann, ein allgemeiner Pfandvertrag über das ganze Vermögen giebt einen ſolchen Anſpruch für ein - zelne Grundſtücke nicht(k)Ebendaſ. § 402. 403.. — An beweglichen Sachen ent - ſteht ein dingliches Pfandrecht nur durch die Uebergabe(l)Ebendaſ. § 111.; ein Vertrag über die Verpfändung beſtimmter einzelner Sachen iſt ein Titel zum Anſpruch auf dieſe Uebergabe(m)Ebendaſ. § 109. 110. — Ein allgemeiner Verpfändungsver - trag giebt dieſen Anſpruch nur in den beſonderen Fällen, worin auch eine Cautionsleiſtung gefordert werden kann. Ebendaſ. § 112..
Wenn nun in einem Lande, worin das Römiſche Recht gilt, eine Verpfändung durch Vertrag ausdrücklich oder ſtillſchweigend vorgenommen wird, ſo kann dieſe an den in Preußen befindlichen Sachen des Schuldners kein Pfand - recht erzeugen. Sie kann höchſtens als Titel gelten, um an jenen Sachen die Beſtellung eines Pfandrechts (durch Eintragung oder Uebergabe) zu fordern, und auch das nur unter den ſo eben angegebenen beſonderen Bedingungen (Noten k. m.). — Wird aber umgekehrt in Preußen ein Pfandvertrag über einzelne Sachen oder über ein ganzes Vermögen geſchloſſen, und hat der Schuldner Vermögens -13*196Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſtücke, die in einem Lande des Römiſchen Rechts liegen, ſo iſt kein Hinderniß vorhanden, dieſe Vermögensſtücke als gültig verpfändet zu behandeln, da das Römiſche Recht die Verpfändung durch Vertrag weder von einem beſtimmten Ort des geſchloſſenen Vertrags, noch von einem beſtimmten Wohnſitz des Verpfänders abhängig macht. Es kann und muß alſo hier die lex rei sitae ungeſtört zur Anwendung kommen(n)Eine buchſtäbliche Anwen - dung des Allg. Landrechts Einl. § 28 würde dahin führen, daß ein Berliner in Stralſund (wo Rö - miſches Recht gilt) ſeine bewegliche Sache nicht durch bloßen Vertrag verpfänden könnte, ſo daß dieſe Ver - pfändung in Stralſund wirkſam wäre (§ 366. h). Die Widerſinnig - keit dieſer Behauptung wird beſon - ders einleuchtend, wenn man den Fall umgekehrt denkt. Denn ſo müßte auch der Stralſunder ſeine beweg - liche Sache durch bloßen Vertrag in Berlin dergeſtalt verpfänden können, daß die Verpfändung in Berlin wirkſam wäre. Dieſe letzte Behauptung wird ſchwerlich irgend einen Vertheidiger finden, und doch folgt auch ſie aus der völlig buchſtäblichen Anwendung des § 28..
Nur folgender Fall bleibt dabei noch zu erwägen übrig. Wenn in einem Lande des Römiſchen Rechts eine beweg - liche Sache durch Vertrag, ſey es ausdrücklich oder ſtill - ſchweigend, gültigerweiſe verpfändet, die Sache aber nach - her nach Preußen gebracht wird; wirkt nun das Pfandrecht fort, ſo daß die Sache auch hier mit einer Klage gegen jeden Beſitzer (ſey es der Schuldner oder ein Dritter) ver - folgt, und eben ſo von dem Pfandberechtigten, wenn dieſer durch Zufall, ohne Uebergabe, den Beſitz erlangt, veräußert werden kann? Man möchte geneigt ſein, dieſe Frage zu bejahen, weil ſcheinbar das einmal erworbene Recht durch197§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. die Veränderung des Orts ſeine Kraft nicht verlieren kann.
Dennoch glaube ich, die Frage verneinen zu müſ - ſen. Es iſt nämlich in einem ſolchen Fall nicht von einem und demſelben Pfandrecht die Rede, das nur in mehreren Ländern auf verſchiedene Weiſe erworben werden möchte, etwa ſo, wie das Eigenthum hier durch Tradition, dort durch bloßen Vertrag erworben wird, und dennoch überall gleichmäßig anerkannt, als Eigenthum wirkt. Vielmehr iſt das Pfandrecht durch bloßen Vertrag ein ganz anderes Rechtsinſtitut, als das, welches nur durch Uebergabe begründet werden kann, und beide haben nur den Namen und den allgemeinen Zweck mit einander ge - mein. Wenn daher die oben erwähnte bewegliche Sache in das Gebiet der Preußiſchen Geſetzgebung hereingebracht wird, und hier das anderwärts durch bloßen Vertrag be - gründete Pfandrecht geltend gemacht werden ſoll, ſo beruft ſich der angebliche Pfandgläubiger auf ein im Preußiſchen Staat nicht anerkanntes Rechtsinſtitut und ein ſolches Ver - fahren iſt ſchon oben als unzuläſſig nachgewieſen wor - den(o)S. o. § 349. B. — Die - ſelbe Meinung wird vertheidigt in den Ergänzungen zum A. L. R. von Gräff u. ſ. w. B. 1 S. 116. — Eben ſo auch von Wächter II. S. 386. 388. 389, in Bezie - hung auf das Württembergiſche Recht, welches hierin mit dem Preußiſchen übereinſtimmt. Er giebt als Grund an, daß das Ge - ſetz hier das Pfandrecht an Mo - bilien in Entſtehung und im Fortbeſtehen nur in der Form des Fauſtpfandes anerkenne. Dieſe. Dagegen kann umgekehrt der Pfandgläubiger,198Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.welchem in Preußen eine bewegliche Sache durch Uebergabe verpfändet worden iſt, ſein Recht auch in einem Lande des Römiſchen Rechts geltend machen, da er alle Bedingungen in ſich vereinigt, die hier zu einem wirkſamen Pfandrechte erfordert werden.
Die Rangordnung mehrerer an derſelben Sache begrün - deter Pfandrechte iſt nach der lex rei sitae zu beurtheilen. Dieſe Rangordnung kann beſonders auch im Concurſe zur Sprache kommen, und von dieſem Falle wird noch unten gehandelt werden (§ 374).
5. Was hier von den dem Römiſchen Recht angehö - renden, und den ihnen durch neuere Geſetzgebung nachge - bildeten dinglichen Rechten geſagt worden iſt, muß eben ſo von den rein germaniſchen gelten. Das Recht an Lehen und Fideicommiſſen iſt ſtets ein Recht an beſtimmten Grund - ſtücken, und wird alſo beherrſcht von dem Geſetz des Ortes, an welchem die Grundſtücke liegen.
Im Laufe dieſer Unterſuchung über das Geſetz, welchem die dinglichen Rechte unterworfen ſind, habe ich an jedem gehörigen Orte ſogleich die oben (§ 344. e) vorbehaltene Frage eingeſchaltet, inwiefern das anwendbare Geſetz durch(o)Begründung iſt weſentlich dieſelbe, wie die von mir verſuchte, und nur in der Ausdrucksweiſe davon ver - ſchieden.199§. 368. II. Sachenrecht. Jura in re. eine Veränderung in dem Aufenthalt der beweglichen Sache, die den Gegenſtand eines dinglichen Rechts bildet, ſo oder anders beſtimmt werden müſſe.
Der Beſitz gehört zwar nicht unter die dinglichen Rechte, jedoch wird an der gegenwärtigen Stelle, neben den dinglichen Rechten, die Frage nach dem auf den Beſitz anwendbaren örtlichen Recht zweckmäßiger, als an irgend einer anderen Stelle, behandelt werden können.
Der Beſitz ſelbſt iſt, ſeiner Natur nach, ein rein that - ſächliches Verhältniß(p)Savigny Recht des Beſitzes § 5. a. a. O. §. 6. 37., und als ſolches kann er nur dem örtlichen Recht der gelegenen Sache unterworfen ſeyn, er mag ſich auf bewegliche oder unbewegliche Sachen beziehen. Nach dieſem Recht allein alſo iſt die Frage nach dem Er - werb und Verluſt irgend eines Beſitzes, alſo nach dem Daſeyn deſſelben, zu entſcheiden, ohne Unterſchied, um wel - ches Zweckes und Erfolges Willen dieſe Frage irgendwo aufgeworfen werden möge. An den Beſitz aber knüpfen ſich zwei rechtliche Folgen, die Uſucapion und die poſſeſſoriſchen Interdicte. Die erſte hat gar keine ſelbſtſtändige Natur, fällt vielmehr mit dem Eigenthum zuſammen, und gehört mit dieſem zur lex rei sitae (§ 367 Num. 5). — Die poſſeſſoriſchen Interdicte, als die zweite Folge des Beſitzes, gehören unter die obligationes ex delicto(q)Savigny, ſtehen alſo200Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.unter dem örtlichen Rechte des Gerichts, vor welchem der Rechtsſtreit geführt wird(r)S. u. § 374. C. Dieſes kann nun allerdings das forum rei sitae ſeyn, welches unſtreitig für die Beſitzklagen ſtets begründet iſt. L. un C. ubi de poss. (3. 16 ), Nov. 69. C. 1. Es kann aber auch das davon vielleicht verſchiedene forum domicilii ſeyn, indem dieſes mit jenem electiv concurrirt (§ 371 Note n. und p.).. Indeſſen iſt dieſer Satz von weit geringerer Erheblichkeit, als man ihm auf den erſten Blick zuſchreiben möchte. Er betrifft nämlich nur das eigentlich delictartige Element in den Beſitzklagen, alſo ihre Straf - natur, welches der bei weitem geringere Beſtandtheil ihres juriſtiſchen Gehaltes iſt. Der weit wichtigere Beſtandtheil, die Frage nach dem Daſeyn und der Anerkennung des Be - ſitzes, iſt aber von jedem Richter, wie ſo eben bemerkt wurde, lediglich nach der lex rei sitae zu entſcheiden.
Bei den Obligationen, wie bei den dinglichen Rechten, tritt die Perſon aus ihrer abſtracten Perſönlichkeit heraus in das örtliche Rechtsgebiet eines einzelnen Rechtsverhält - niſſes (§ 345. 360. 366). Auch hier alſo haben wir die ſtets wiederkehrende Frage zu beantworten, wo der wahre Sitz jeder Obligation iſt, an welchem Ort im Raum ſie ihre Heimath hat. Denn aus dieſem Sitz der Obligation, aus dieſer ihrer Heimath, werden wir zugleich den beſonderen201§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.Gerichtsſtand derſelben, ſo wie das örtliche Recht erkennen nach welchem ſie zu beurtheilen iſt.
Die Beantwortung dieſer Frage iſt gerade bei den Obli - gationen aus folgenden Gründen, mehr als anderwärts, ſchwierig und zweifelhaft.
Erſtlich hat die Obligation einen Gegenſtand von un - ſichtbarer Natur, in Vergleichung mit dem dinglichen Recht, welches an einem ſinnlich wahrnehmbaren Gegenſtand, einer Sache, haftet. Wir müſſen uns alſo jenes Unſichtbare in der Obligation erſt zu verkörpern ſuchen.
Ferner bezieht ſich jede Obligation weſentlich auf zwei verſchiedene Perſonen; in der einen erſcheint ſie als erweiterte Freiheit, als Herrſchaft über einen fremden Willen: in der anderen als beſchränkte Freiheit, als Abhängigkeit von einem fremden Willen(a)S. o. B. 1 § 56.. Nach welchem dieſer beiden, zwar eng verbundenen, dennoch verſchiedenen, Verhältniſſe ſollen wir nun den Sitz der Obligation beſtimmen? — Ohne Zweifel nach dem Verhältniß des Schuldners, da die in der Perſon des Schuldners vorhandene Nothwendigkeit einer Handlung das eigentliche Weſen der Obligation aus - macht. Dieſe Annahme wird beſtätigt durch den unbeſtrit - tenen großen Einfluß des Orts der Erfüllung auf den Gerichtsſtand, indem die Erfüllung vorzugsweiſe in einer Thätigkeit des Schuldners beſteht, neben welcher eine Thä - tigkeit des Glaubigers entweder gar nicht, oder doch nur202Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.in untergeordneter, mitwirkender Weiſe vorkommt. Ferner durch den inneren Zuſammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsſtand, welcher letzte ſtets auf die Perſon des Beklagten, hier alſo des Schuldners, ſich bezieht.
Endlich entſteht noch eine Schwierigkeit aus der Gegen - ſeitigkeit, welche, wenn auch nicht bei allen, doch bei vielen Obligationen vorkommt. Wo dieſe vorhanden iſt, da iſt jede der beiden Perſonen als Schuldner anzuſehen, nur in Beziehung auf verſchiedene Handlungen, weshalb die ſo eben aufgeſtellte Regel der überwiegenden Berückſichtigung des Schuldners nicht mehr auszureichen ſcheint. Allein in jeder gegenſeitigen Obligation laſſen ſich die beiden getrenn - ten Schuldverhältniſſe ſtets als getrennte behandeln, ſo daß uns auch hier Nichts hindert, für jede der beiden, durch dieſe Trennung entſtehenden, Hälften, den Gerichtsſtand und das örtliche Recht nach der Perſon des Schuldners zu be - ſtimmen. Ja ſogar iſt dieſe abſondernde Auffaſſung als die urſprüngliche und natürliche anzuſehen, die zuſammen - faſſende Behandlung und Bezeichnung als eine abgeleitete und künſtliche, welche jedoch in der innigen Verbindung der beiden Obligationen ihre Rechtfertigung findet. Die Rich - tigkeit der hier aufgeſtellten Anſicht wird beſtätigt durch die bei den Römern ſehr gewöhnliche Abſchließung eines Kauf - vertrags u. ſ. w. durch zwei getrennte Stipulationen(b)Es ſoll dabei nicht geleugnet werden, daß in manchen Fällen dieſe abſondernde Behandlung bei - der Hälften einer zweiſeitigen Obli - gation, namentlich in Beziehung auf das örtliche Recht, Zweifel und.
203§. 369. III. Obligationenrecht. Einleitung.Bei den Obligationen finden wir wieder den ſchon öfter hervorgehobenen Zuſammenhang zwiſchen dem Gerichtsſtand und dem Recht (§ 360. Num. 1). Derſelbe zeigt ſich aber hier wichtiger und einflußreicher, als anderwärts, weil im Römiſchen Recht der für die Obligationen geltende beſon - dere Gerichtsſtand ſorgfältig ausgebildet erſcheint, anſtatt daß das örtliche Recht faſt gar nicht erwähnt wird. Den - noch paſſen die den Gerichtsſtand beſtimmenden Gründe durchaus auch auf das örtliche Recht, indem Beides auf dem gleichmäßigen Gehorſam gegen verſchiedene Zweige der örtlichen öffentlichen Zuſtände beruht. Wir können daher aus den Beſtimmungen des Römiſchen Rechts über den Gerichtsſtand der Obligationen mit Sicherheit abnehmen, in welchem Sinne das örtliche Recht der Obligationen auf - zufaſſen iſt.
Der ſpecielle Gerichtsſtand, wie das örtliche Recht der Obligationen, beruht auf einer freiwilligen Unterwerfung (§ 360. Num. 2), die in den meiſten Fällen nicht ausdrück - lich erklärt wird, ſondern nur aus den Umſtänden zu ſchließen iſt, eben deshalb aber auch durch eine entgegenge - ſetzte ausdrückliche Erklärung ausgeſchloſſen wird(c)L. 19 § 2 de jud. (5. 1 ) „ .. nisi alio loci, ut defen - deret, convenit “…. Die Umſtände alſo, unter welchen eine Obligation entſteht, kön -(b)Verwickelungen mit ſich führen kann. Grundſätzlich aber iſt ſie darum nicht weniger richtig, und ſie wird auch von Anderen für mehrere Fälle der Anwendung be - hauptet. Vgl. Wächter II. S. 45.204Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.nen oft in Anderen eine beſtimmte wohlbegründete Erwar - tung erregen, und dieſe Erwartung ſoll dann auch nicht getäuſcht werden. Das iſt der Geſichtspunkt, von welchem aus ſowohl der Gerichtsſtand der Obligationen, als das örtliche Recht derſelben, aufgefaßt werden muß.
Freiwillige Unterwerfung iſt nun auch der Grund des prorogirten Gerichtsſtandes, und daher iſt eine Verwandt - ſchaft zwiſchen dieſem und dem Gerichtsſtand der Obliga - tionen unzweifelhaft, obgleich dieſer letzte eine mehr objective, der prorogirte eine mehr ſubjective Natur hat, die Rückſicht auf ein beſtimmtes Gericht, oft auch auf beſtimmte Gerichts - perſonen. Den Gerichtsſtand der Obligation als eine reine Anwendung des prorogirten, als einen einzelnen Fall deſſel - ben, aufzufaſſen, iſt wohl nicht gerechtfertigt(d)Über dieſe Frage wird geſtritten zwiſchen Bethmann Hollweg Verſuche S. 20 — 27 S. 50 und Linde Abhandlungen B. 2 S. 75 ſg. Der letzte aber irrt offenbar darin, daß er bei den Obligationen nicht blos den Aus - druck des prorogirten Gerichts - ſtandes verwirft, ſondern ſelbſt die freiwillige Unterwerfung als Rechts - grund. — Die Hauptſtellen über den prorogirten Gerichtsſtand ſind: L. 1 L. 2 pr. § 1 de jud. (5. 1 ), L. 15 de jurisdict. (2. 1 ), L. 1 C. de jurisdict. (3. 13).. Das eigentliche Intereſſe dieſer Frage möchte etwa darin beſte - hen, daß es nach Römiſchem Recht zweifelhaft iſt, ob die Prorogation ſtreng bindet(e)Nach L. 29 C. de pact. (2. 3) ſcheint ſie bindend, nach L. 18 de jurisdict. (2. 1) wider - ruflich. Die letzte Stelle ſetzt wohl ein nudum pactum voraus, ſo daß die Stipulation allerdings bindend war, und eben ſo das pactum adjectum neben einem b. f. contractus (Cato de re rust. 149). Vgl. auch Holl - weg Verſuche S. 12.. Der Gerichtsſtand der205§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.Obligation dagegen iſt ganz gewiß bindend für den Beklag - ten, und eben ſo gewiß nicht bindend für den Kläger, der zwiſchen dieſem ſpeciellen Gerichtsſtand und dem forum domicilii des Beklagten freie Wahl hat(f)Vgl. unten § 371. Der Grund des ſpeciellen Gerichtsſtan - des der Obligationen iſt alſo gewiß nicht die Begünſtigung des Be - klagten (wie Linde annimmt, Archiv VII. S. 67), ſondern des Klägers. Dieſem ſoll der Beweis und die Execution erleichtert wer - den, vielleicht auch die Prozeßfüh - rung ſelbſt, indem er dadurch oft an dem eigenen Wohnſitz klagen kann, nicht blos an dem des Be - klagten..
Es ſind oben drei in ſich zuſammenhängende Fragen auf - geworfen worden (§ 369): Wo iſt der Sitz einer Obliga - tion? Wo iſt der beſondere Gerichtsſtand derſelben? Wo iſt206Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.das örtliche Recht aufzuſuchen, welches auf ſie angewendet werden muß? Die erſte dieſer drei Fragen hat eine theo - retiſche Natur, und dient blos als Grundlage für die rich - tige Beantwortung der beiden anderen, weshalb ſie mit der zweiten Frage ſogleich zuſammen gefaßt werden kann. Dieſe zweite, den Gerichtsſtand der Obligation betreffende, Frage hat im Römiſchen Recht zu einer Reihe von prak - tiſchen, ſehr in das Einzelne gehenden Entſcheidungen ge - führt, weshalb die Meinungsverſchiedenheiten unſrer Schrift - ſteller weniger den Inhalt der Rechtsregeln, als deren An - ordnung und Begründung betreffen, alſo eine mehr theore - tiſche, als praktiſche Natur haben.
Der beſondere Gerichtsſtand der Obligation (zuſammen fallend mit dem wahren Sitz der Obligation) beruht auf freier Unterwerfung der Parteien, die jedoch meiſt nicht in einer ausdrücklichen, ſondern in einer ſtillſchweigenden Wil - lenserklärung liegt, und daher ſtets durch eine entgegenge - ſetzte ausdrückliche Erklärung ausgeſchloſſen wird (§ 369). Wir haben alſo zu erforſchen, auf welchen Ort die Erwar - tung der Parteien gerichtet war, welchen Ort ſie ſich als den Sitz der Obligation gedacht haben? An dieſem Ort haben wir den beſonderen Gerichtsſtand der Obligation, vermöge freier Unterwerfung, anzunehmen. Da aber die Obligation an ſich, als Rechtsverhältniß, ein unkörperliches, nicht räumliches Daſeyn hat, ſo müſſen wir in dem natür - lichen Entwickelungsgang derſelben ſichtbare Erſcheinungen aufſuchen, an welche wir das unſichtbare Weſen der Obli -207§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.gation anknüpfen können, um ihr gleichſam einen Körper zu verſchaffen.
Nun finden wir in jeder Obligation vorherrſchend und gleichförmig zwei ſolche ſichtbare Erſcheinungen, die wir als leitend anſehen könnten. Jede Obligation entſteht näm - lich aus ſichtbaren Thatſachen: jede Obligation wird aber auch erfüllt durch ſichtbare Thatſachen; beide müſſen an irgend einem Orte vorkommen. Wir können daher entwe - der den Entſtehungsgrund der Obligation, oder die Erfüllung derſelben, als Anhalt wählen, um darauf den Sitz der Obligation, ſo wie den beſonderen Gerichtsſtand derſelben, zu beſtimmen; entweder den Anfang oder das Ende der Obligation. Welchem von beiden Punkten wer - den wir nach allgemeiner Betrachtung den Vorzug zu geben haben?
Nicht dem Entſtehungsgrund. Dieſer iſt an ſich zu - fällig, vorübergehend, dem Weſen der Obligation und ihrer ferneren Entwickelung und Wirkſamkeit fremd. Sollte dem Ort, wo die Obligation entſtand, in den Augen der Par - teien eine bleibende, in die Zukunft hin wirkende, Wichtig - keit zugeſchrieben werden, ſo könnte Dieſes gewiß nicht aus dem Entſtehungsgrund an ſich hervorgehen, ſondern nur aus der Verbindung deſſelben mit äußeren, ihm ſelbſt fremd - artigen Umſtänden, durch welche eine beſtimmte Erwartung der Parteien gerade auf dieſen Ort gerichtet werden möchte.
208Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Ganz anders verhält es ſich mit der Erfüllung, die mit dem eigenſten Weſen der Obligation zuſammen fällt. Denn die Obligation beſteht eben darin, daß irgend Etwas, das früher in der Willkür einer Perſon ſtand, in ein Nothwen - diges, das bisher Ungewiſſe in ein Gewiſſes, verwandelt wird, und dieſes nothwendig und gewiß Gewordene iſt ge - rade die Erfüllung. Auf dieſe alſo iſt die ganze Erwar - tung der Parteien gerichtet, und es liegt daher im Weſen der Obligation, daß der Ort der Erfüllung als Sitz der Obligation gedacht, daß an dieſen Ort der beſondere Ge - richtsſtand der Obligation durch freie Unterwerfung verlegt werde. — Bevor aber dieſer Gedanke im Einzelnen durch - geführt wird, ſcheint es räthlich, einen vorläufigen Blick auf die unter den neueren Schriftſtellern vorherrſchenden Auffaſſungen der hier vorliegenden Frage zu werfen.
Die meiſten Schriftſteller haben von jeher den beſon - deren Gerichtsſtand der Obligation an den Ort geſetzt, an welchem die Obligation entſtanden iſt. Da nun die meiſten Obligationen aus Verträgen entſtehen, ſo ſollte der Ort, an welchem der Vertrag geſchloſſen wurde, be - ſtimmend ſeyn für den Gerichtsſtand, und daraus erklärt ſich der ſehr allgemein verbreitete, keinesweges quellen - mäßige, Kunſtausdruck forum contractus für den beſonde - ren Gerichtsſtand der Obligationen. — Die Erklärung und ſcheinbare Rechtfertigung dieſer Lehre liegt in einigen Haupt - ſtellen des Römiſchen Rechts, in welchen durch ungründ - liche Auslegung das wahre Verhältniß der Regel zur Aus -209§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.nahme, des Mittelpunktes zu den untergeordneten Beſtim - mungen, verkannt und verſchoben wurde. Die praktiſchen Irrthümer, wozu jener Grundſatz führen konnte, wurden nun eben abgewendet durch eine Reihe beigefügter Ausnah - men, die aber den Grundſatz ſelbſt großentheils in bloßen Schein auflöſten(a)Vgl. oben B. 1 Vorrede S. XLV. — Jene Stellen ſind: L. 3 de reb. auct. jud. (42. 5 ), L. 21 de O. et A. (44. 7), vor - züglich aber L. 19 § 2 de jud. (5. 1), welche allerdings auf den erſten Blick ſo ausſieht, als wolle ſie ſo, wie es von den Neueren zu geſchehen pflegt, Regel und Ausnahme neben einander ſtellen, anſtatt daß ſie in der That nur verſuchsweiſe einen ſcheinbar allge - meinen Satz an die Spitze ſtellt, dann aber durch hinzugefügte Be - ſchränkungen den Leſer dahin führt, die wahre Regel, die ſie nicht un - mittelbar ausſpricht, durch Ab - ſtraction zu finden; ganz wie es der Methode der alten Juriſten angemeſſen iſt.. — Nach der oben aufgeſtellten An - ſicht müſſen wir dieſe Lehre im Ganzen verwerfen, weil ſie eines inneren Grundes, der nur aus dem Weſen der Obligation entnommen werden könnte, völlig ermangelt. Was aber an partieller Wahrheit in ihr enthalten iſt, wird in der unten folgenden Lehre ſeine wahre Stellung finden, und nach Gebühr anerkannt werden.
Andere Schriftſteller dagegen haben in neuerer Zeit je - nen Grundſatz aufgegeben, und den Gerichtsſtand der Obli - gation vielmehr an den Erfüllungsort anzuknüpfen verſucht. Mit dieſer Grundlage habe ich mich bereits im Allgemeinen einverſtanden erklärt. Der richtige Erfolg dieſes Verfah - rens hängt aber ab von der Art, wie der Erfüllungsort feſtgeſtellt werden ſoll. Dieſes kann zunächſt geſchehenVIII. 14210Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.durch den für dieſe beſondere Obligation ausgeſprochenen Willen der Parteien. Daß nun an einem ſolchen Ort der Gerichtsſtand der Obligation anzunehmen ſey, iſt niemals bezweifelt worden. Allein der hier vorausgeſetzte Fall iſt gerade der ſeltnere, und es bleibt daher für die meiſten Fälle zu unterſuchen übrig, welcher Ort in Ermangelung eines ſolchen beſonderen ausgeſprochenen Willens als Er - füllungsort, und (an dieſen anknüpfend) zugleich als beſon - derer Gerichtsſtand der Obligation angenommen werden ſoll.
Hierüber wird von manchen Schriftſtellern folgender Grundſatz aufgeſtellt: In Ermangelung des Privatwillens entſcheidet das Geſetz. Für jede Obligation alſo giebt es ſtets einen feſt beſtimmten Erfüllungsort; dieſer beruht ent - weder auf dem beſonderen Willen der Parteien, oder, in deſſen Ermangelung, auf der Vorſchrift des Geſetzes. Der eine wie der andere beſtimmt zugleich den beſonderen Ge - richtsſtand der Obligation.
Ich halte dieſe Lehre für völlig verwerflich, will aber die Widerlegung derſelben erſt verſuchen, nachdem ich eine andere durchgeführt haben werde. Dieſe läßt ſich in we - nigen Worten ſo ausdrücken: Der Erfüllungsort wird ſtets beſtimmt durch den beſonderen Willen der Parteien; dieſer kann aber entweder ausdrücklich erklärt werden, oder ſtillſchweigend; in beiden Fällen beſtimmt er zugleich den beſonderen Gerichtsſtand der211§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.Obligation, der alſo ſtets auf freier Unterwerfung beruht (§ 369)(b)Weſentlich ſtimmt damit überein Albrecht S. 13 — 27, deſſen Ausführung ich ganz als richtig anerkenne. Er geht aber in dem ſpäteren Theil ſeiner Ab - handlung (S. 28 — 35) wieder in die oben erwähnte irrige Lehre über, wovon noch unten die Rede ſeyn wird (Note aa)..
Die hier angedeutete Lehre alſo unterſcheidet ſich von der vorher angegebenen und verworfenen darin, daß an die Stelle des geſetzlich beſtimmten Erfüllungsortes der durch ſtillſchweigende Uebereinkunft beſtimmte ge - ſetzt wird.
Ich gehe nun zur genaueren Darſtellung dieſer Lehre über.
I. Der erſte mögliche Fall, den wir zu berückſichtigen haben, ſetzt voraus den an ſich zufälligen Umſtand, daß der beſondere Wille der Parteien einen Ort der Erfüllung feſt - geſtellt hat. Dieſes kann etwa dadurch geſchehen, daß der Vertrag, worin die Auszahlung einer Geldſumme ver - ſprochen wird, zugleich die Stadt geradezu benennt, worin dieſe Handlung vorgenommen werden ſoll. Daß nun in einem ſolchen Fall dieſer Ort als der beſondere Ge - richtsſtand der Obligation gelten ſoll, iſt in unſern Rechts - quellen ſo deutlich und zugleich ſo vielfältig geſagt(c)L. 19 § 4 de jud. (5. 1 ), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5 ), L. 21 de O. et A. (44. 7) „ con - traxisse … in eo loco intelli - gitur “, C. 17 X. de foro comp. (2. 2). — Es gehört dahin auch L. 1 de eo quod certo loco (13. 4). Denn indem dieſe Stelle ſagt, daß eigentlich (d. h. abgeſehen,14*212Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.daß darüber zu keiner Zeit ein Zweifel erhoben worden iſt(d)Manche haben den wahren Geſichtspunkt verdunkelt, indem ſie dieſen Fall als forum solutionis bezeichnet, und dadurch als weſent - lich verſchieden von den folgenden Fällen mit Unrecht angegeben haben. Andere haben dieſe ver - meintliche Verſchiedenheit bis zu dem praktiſchen Irrthum getrieben, neben dieſem Gerichtsſtand gleich - zeitig ein zweites forum contrac - tus am Ort des geſchloſſenen Ver - trages anzunehmen. So Linde Abhandl. II. S. 112 — 114. (Vgl. Hollweg S. 46). Allerdings be - ſteht neben dieſem beſonderen Ge - richtsſtand ſtets das allgemeine forum domicilii, ſo daß zwiſchen beiden der Kläger die Wahl hat (§ 371)..
Jedoch würde man dieſen Fall in zu enge Gränzen ein - ſchließen, wenn man ihn auf die Geſtalt beſchränken wollte, die ſo eben an einem Beiſpiel anſchaulich gemacht worden iſt. Um Dieſes klar zu machen, iſt es nöthig, den natür - lichen Unterſchied unter den Handlungen hervor zu heben, die als Gegenſtände von Obligationen vorkommen können. Einige dieſer Handlungen, und zwar die meiſten, ſind ſo beſchaffen, daß ſie an jedem Orte vorgenommen werden können. Dahin gehören perſönliche Dienſtleiſtungen, ferner die Bearbeitung beweglicher Sachen, eben ſo die Beſitz - übertragung beweglicher Sachen, insbeſondere die Zahlung von baarem Gelde. Für dieſe Handlungen nun kann ein beſtimmter Erfüllungsort nur in der oben beiſpielsweiſe be - merkten Geſtalt feſtgeſtellt werden, nämlich durch wörtliche Bezeichnung des Ortes, wo ſie geſchehen ſollen. — Andere(c)von der actio arbitraria) an keinem anderen, als dem be - dungenen Erfüllungsort geklagt werden könne, liegt darin gewiß vor Allem die Regel, daß an dieſem Ort die Klage zuläſſig iſt.213§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.Handlungen dagegen ſind ſchon ihrer Natur nach ſo aus - ſchließend an einen einzelnen Ort gebunden, daß ſie nur an dieſem gedacht werden können. Dahin gehört jede Bearbei - tung eines beſtimmten Grundſtücks, der Aufbau oder die Ausbeſſerung eines Hauſes, Vermiethung, Verpachtung, Verkauf eines Hauſes oder Landgutes. Denn bei jedem Verkauf beſteht die Verpflichtung des Verkäufers in der Beſitzübertragung(e)L. 11 § 2 de act. emti (19. 1)., dieſe aber iſt an einem Grundſtück nur denkbar da, wo dieſes liegt(f)Die Apprehenſion iſt nur durch die Gegenwart des Beſitz - erwerbers möglich (Savigny Recht des Beſitzes § 15), anſtatt daß der bisherige Beſitzer auch ab - weſend ſeyn kann (Ebendaſ. S. 239).. Daher wäre es eine ganz müſſige, überflüſſige Förmlichkeit, in dem Verkauf zu verſprechen, daß die Uebergabe des verkauften Hauſes gerade in der Stadt, worin das Haus liegt, vorgenommen werden ſolle. Von dieſer Förmlichkeit die Anwendung unſeres Grundſatzes abhängig zu machen, iſt durchaus kein Grund vorhanden, und wir müſſen alſo vielmehr behaupten, daß die Feſtſtellung des Erfüllungsortes mit ihren Folgen be - wirkt wird nicht nur durch die wörtliche Bezeichnung eines Ortes, ſondern ganz eben ſo auch durch die Natur einer ſolchen Handlung, die nur an dieſem Orte denkbar iſt(g)Anderer Meinung hierüber iſt Bethmann Hollweg S. 47. — 50.. Ja es würde ſelbſt ungenau ſein, in dieſem Fall eine nur ſtillſchweigende Willenserklärung annehmen zu wollen. Denn unter dieſer verſtehen wir die auslegende Folgerung aus214Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.einer zu anderen Zwecken, als der Willenserklärung, be - ſtimmten Handlung, welche Folgerung ſtets durch eine ent - gegengeſetzte ausdrückliche Erklärung ausgeſchloſſen werden kann(h)S. o. B. 3 § 131.. Wenn aber Jemand ein Haus verkauft, das heißt, zu übergeben verſpricht, ſo iſt der beſondere Umſtand, daß dieſe Uebergabe gerade da, wo das Haus liegt, geſche - hen ſolle, ſchon in dem Verſprechen ſelbſt unmittelbar enthalten, indem eine Uebergabe an anderem Orte unmög - lich iſt, ſo daß auch eine entgegengeſetzte ausdrückliche Erklärung über dieſen Nebenpunkt völlig widerſinnig ſeyn würde.
Wir gehen jetzt über zu den weit häufigeren und ſehr mannichfaltigen Fällen, in welchen ein feſt beſtimmter Er - füllungsort der Obligation nicht vorhanden iſt; dieſe Fälle aber werden ſich nur beziehen können auf Handlungen, die ihrer Natur nach überall vorkommen können, alſo nicht mit einer beſtimmten Oertlichkeit zuſammen hängen, weil ſonſt, wie ſo eben gezeigt wurde, eben dieſer Zuſammenhang den Erfüllungsort mit ſich führen würde. Für alle dieſe Fälle nun haben wir zu unterſuchen, an welchem Orte von den Parteien die Erfüllung gedacht und erwartet ſeyn möge; dieſen Ort haben wir als den wahren Sitz der Obligation und als ihren beſonderen Gerichtsſtand zu betrachten, indem215§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.in jener durch die Umſtände begründeten Erwartung eine ſtillſchweigende Feſtſtellung des Erfüllungsortes, alſo auch eine ſtillſchweigende Unterwerfung des Beklagten unter den Gerichtsſtand dieſes Ortes, enthalten iſt. Aus dieſer Annahme einer ſtillſchweigenden Uebereinkunft und Unter - werfung folgt aber von ſelbſt, daß der durch die folgenden Betrachtungen feſtzuſtellende beſondere Gerichtsſtand der Obligation ſtets ausgeſchloſſen werden kann durch eine ent - gegengeſetzte ausdrückliche Willenserklärung (§ 369. b). Dieſer Grundſatz nun findet ſich im Römiſchen Recht nirgend wörtlich ausgeſprochen; allein alle einzelne Entſcheidungen der Römiſchen Juriſten laſſen ſich ungezwungen auf ihn, und nur auf ihn, zurückführen, auch ſteht er in unverkenn - barem Zuſammenhang mit der freien Unterwerfung (§ 369), die ja in dieſer ganzen Lehre überall als beſtimmend anzu - ſehen iſt.
Wir werden alſo nunmehr zurückgeführt auf die That - ſachen, die der Obligation ihre Entſtehung gegeben haben, und wir haben, der Reihe nach, diejenigen äußeren Um - ſtände anzugeben, unter deren Vorausſetzung der Entſtehungs - ort der Obligation von den Parteien zugleich als Erfüllungs - ort zu erwarten war. Wenn wir uns bei dieſer Unter - ſuchung an die Ausſprüche der Römiſchen Juriſten halten, welches, vom Standpunkt des gemeinen Rechts aus, als richtig und nothwendig nicht bezweifelt werden kann, ſo dürfen wir dabei nicht überſehen, welcher Natur jene Aus - ſprüche ſind. Sie enthalten nicht etwa Vorſchriften des216Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.poſitiven Rechts, ſondern leitende Geſichtspunkte, aus welchen der wahrſcheinliche, natürliche Gedanke der Parteien zu erkennen iſt, neben welchen alſo ſtets die beſonderen Um - ſtände jedes einzelnen Falles zu beachten ſind. Wo alſo dieſe Umſtände auf eine andere Entſcheidung führen möchten, da handeln wir ganz im Sinn jener Römiſchen Ausſprüche, wenn wir ſie nicht zur Anwendung bringen. Von häu - figem Einfluß wird jedoch dieſe Bemerkung gewiß nicht ſeyn.
II. Um den erſten Fall dieſer Art deutlich zu machen, iſt eine vorläufige Betrachtung nöthig über die verſchiedene Beſchaffenheit und äußere Erſcheinung der Thatſachen, aus welchen Obligationen entſtehen. Die meiſten Obligationen entſtehen aus einzelnen, vorübergehenden Handlungen. So verhält es ſich mit dem häufigſten aller Entſtehungsgründe, dem Vertrag, der zwar nicht ſelten lange vorbereitet wird, deſſen wirklicher Abſchluß aber ſtets eine augenblickliche Erſcheinung darbietet, alſo einen kaum merklichen Zeitraum erfüllt. Dagegen giebt es andere, allerdings ſeltnere, Obli - gationen, die aus einer fortgeſetzten, zuſammenhängenden Thätigkeit des Schuldners entſpringen, einer Thätigkeit, die ſtets einen längeren Zeitraum erfüllt, und zugleich mit einer beſtimmten Oertlichkeit in Verbindung ſteht. Wir können eine Thätigkeit ſolcher Art, aus welcher, im Laufe der Zeit, mehr oder weniger einzelne Obligationen zu entſtehen pflegen, mit dem gemeinſamen Namen der Geſchäftsführung be - zeichnen. Eine Ueberſicht der wichtigſten Fälle ſolcher Art,217§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.wie ſie in unſeren Rechtsquellen erwähnt werden, mit An - erkennung des dadurch begründeten Gerichtsſtandes, wird die Sache anſchaulich machen(i)L. 19. § 1 de jud. (5. 1 ), L. 36 § 1 L. 45 pr. eod., L. 4 § 5 de ed. (2. 13 ), L. 54 § 1 de proc. (3. 3 ), L. 1. 2 C. ubi de ratio - cin. (3. 21). — Der Grund der freiwilligen Unterwerfung wird aus - drücklich angegeben bei der nego - tiorum gestio in L. 36 § 1 de jud. (5. 1) „ non debet judicium recusare … cum sua sponte sibi hanc obligationem con - traxerit “. .
Es gehören dahin folgende Fälle. Die Tutel über Un - mündige, ſo wie jede Art von Curatel. Ferner die Be - ſorgung der Geſchäfte eines Anderen, ſey es aller ſeiner Geſchäfte (Generalmandat), ſey es einer gewiſſen Klaſſe derſelben, etwa einer Fabrik, Handlung u. ſ. w.; ſey es in Folge eines Vertrags (Mandat oder operae locatae), oder aber aus einſeitigem Willen (negotiorum gestio)(k)Nicht jedes Mandat, und nicht jede negotiorum gestio ge - hören in dieſe Kategorie; denn beide können auch ein einzelnes, vorübergehendes Geſchäft zum Ge - genſtand haben, wovon hier nicht die Rede iſt.. Endlich ein fortlaufendes eigenes Bank - und Commiſſions - geſchäft (argentaria). Aus dieſer Ueberſicht ergiebt es ſich, daß ſowohl eigene, als fremde Geſchäftsführung dieſen Gerichtsſtand begründen kann, ferner ſowohl ein Vertrag, als ein Quaſicontrakt, welcher der fremden Geſchäftsführung zum Grunde liegt. Die weſentliche Vorausſetzung beſteht nur darin, daß die fortgehende Geſchäftsführung an eine beſtimmte Oertlichkeit bleibend geknüpft iſt(l)L. 19 § 1 de jud. (5. 1 ) Si quis tutelam … vel quid aliud, unde obligatio oritur, certo loci administravit, etsi ibi domicilium non habuit, ibi se debebit defendere “. . In den218Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.meiſten Fällen tritt dieſer beſondere Gerichtsſtand deswegen nicht merklich hervor, weil die Geſchäftsführung mit dem Wohnſitz zuſammenfällt; beide können aber auch getrennt ſeyn, und dann zeigt ſich dieſer Gerichtsſtand wirkſam (Note l).
Manche Schriftſteller haben dieſen Gerichtsſtand als einen ganz eigenthümlichen betrachten wollen unter dem Namen forum gestae administrationis, verſchieden von dem ſogenannten forum contractus. Ganz mit Unrecht, da beide auf demſelben Grunde beruhen, auf der in den Umſtänden begründeten Erwartung der Parteien, daß die aus der Ge - ſchäftsführung entſtehenden Obligationen auch an dem Ge - ſchäftsort ihre Erledigung finden werden, zu welcher Er - wartung die dauernde Natur einer ſolchen Verwaltung gewiß hinreichenden Grund darbietet; denn in dieſer Ge - ſchäftsführung hat die Geſammtheit der aus ihr entſprin - genden Obligationen gleichſam ein räumliches, ſichtbares Daſeyn gewonnen, ſie erſcheint darin wie verkörpert. Will man alſo überhaupt den Kunſtausdruck forum contractus anwenden, ſo muß man dieſen Fall durchaus darunter be - ziehen. Nur darf hier der Entſtehungsort der Obligation nicht da gedacht werden, wo etwa der Vertrag wegen Uebernahme des Geſchäfts geſchloſſen worden iſt; noch auch da, wo die einzelnen Kaufverträge, Geldeinnahmen u. ſ. w. Statt gefunden haben, aus welchen der Geſchäftsführer dem[Herrn] des Geſchäfts verantwortlich geworden ſeyn mag. Dieſe beiden Orte verſchwinden hier als unterge -219§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.ordnet, und das Geſchäft ſelbſt, als dauerndes Ganze, muß als die gemeinſame Grundlage der daraus entſpringenden einzelnen Obligationen angeſehen werden(m)Vgl. Albrecht S. 23.. Auf den bleibenden Sitz dieſes Geſchäfts war der Gedanke, die Er - wartung, die freie Unterwerfung der Parteien gerichtet.
III. Es bleiben jetzt noch übrig diejenigen Obligationen, denen weder ein beſtimmter Erfüllungsort angewieſen iſt (Num. I.), noch eine fortgeſetzte Thätigkeit an einem be - ſtimmten Orte als Grundlage dient (Num. II.). Dieſe müſſen alſo insgeſammt auf Handlungen, die überall vor - kommen können, gerichtet ſeyn, und zugleich aus einzelnen, vorübergehenden Handlungen entſpringen; denn ſonſt wür - den ſie den früher aufgeſtellten Kategorieen anheim fallen. Bei dieſen alſo haben wir zu unterſuchen, unter welchen Vorausſetzungen die Rückſicht auf den Entſtehungsort die Erwartung begründet, daß dieſer zugleich der Erfüllungs - ort, und daher der wahre Sitz der Obligation, ſeyn werde.
Der nächſte Fall, auf welchen wir in dieſer Reihe von Betrachtungen geführt werden, beſteht darin, daß ein Schuld - ner in ſeinem perſönlichen Wohnſitz in eine Obligation eintritt. Dadurch unterwirft er ſich dem Gerichte dieſes Ortes als dem beſonderen Gerichtsſtande dieſer Obligation. Es ſcheint auf den erſten Blick überflüſſig, ja widerſprechend, den Gerichtsſtand, der ohnehin für dieſe Perſon als der220Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.allgemeine begründet iſt, nun noch als etwas Neues, als einen beſonderen Gerichtsſtand, anſehen zu wollen, indem man annehmen möchte, es ſey ausreichend, in einem ſolchen Fall blos die gewöhnliche Wirkung des ohnehin geltenden forum domicilii anzuerkennen.
Allein die praktiſche Wichtigkeit der hier aufgeſtellten Unterſcheidung bezieht ſich auf die Fälle möglicher Verände - rungen. Wenn jener Schuldner willkürlich ſeinen Wohnſitz ändert, oder wenn er ſtirbt, ſo hat ſein bisheriges forum domicilii, als ſolches, gänzlich aufgehört. Aber in der hier aufgeſtellten Eigenſchaft, als beſonderer Gerichtsſtand der Obligation, dauert er fort: er folgt dem Auswandernden in ſeinen neuen Wohnſitz nach, er bindet im Fall des To - des den Erben, wenngleich dieſer einen anderen Wohnſitz hat(n)L. 19 pr. de jud. (5. 1 ), L. 2 C. de jurisdict. (3. 13). Vgl. Bethmann Hollweg S. 24. Dieſer wichtige Satz ſteht in Verbindung mit dem oben gemachten Vorbehalt § 344. e. — Aus dieſem Satz iſt auch zu erklären L. 45. de jud. (5. 1), welche folgenden Fall vorausſetzt. Eine Einwohnerin von Rom nimmt in ihrer Heimath ein Darlehen auf. Nach ihrem Tode wird ſie beerbt von ihrer Tochter, deren Wohnſitz in eine Provinz kommt. Hier werden die Vormünder im Namen der Mündel verurtheilt. Dennoch, ſagt Ulpian, gehört die judicati actio wieder nach Rom, weil die Erblaſſerin daſelbſt den Gerichts - ſtand der Obligation begründet hatte..
Der Grund dieſer eigenthümlichen Beſtimmung liegt darin, daß der Schuldner durch die hier übernommene Obli - gation die Erwartung erregt hat, er werde ſich an dem - ſelben Orte auch den Folgen derſelben unterwerfen (§ 369);221§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.dieſe Erwartung ſoll nicht getäuſcht werden, der Schuldner ſoll alſo zwar nicht gehindert werden, ſeinen Wohnſitz will - kürlich zu ändern, er ſoll aber die an dem alten Wohnſitz übernommenen Obligationen ebendaſelbſt abwickeln.
IV. Aber auch außer ſeinem Wohnſitz kann Jemand als Schuldner in eine Obligation eintreten unter ſolchen Umſtänden, welche die natürliche Erwartung erregen, daß der Entſtehungsort der Obligation zugleich ihr Erfüllungsort ſeyn werde.
Eine ſolche Erwartung erregt Der, welcher außer ſeinem Wohnſitz ein gewerbliches Geſchäft von einiger Dauer be - gründet, und dabei Einrichtungen trifft, aus welchen abzu - nehmen iſt, er werde die Waaren, die er hier verkauft, auch eben daſelbſt abliefern. Dadurch unterwirft er ſich dem beſondern Gerichtsſtand der Obligation an dem Ort des geſchloſſenen Vertrags. Dieſes wird von Ulpian ausführlich angegeben, und zwar als Warnung gegen die unbedingte Annahme eines Gerichtsſtandes blos deswegen, weil an irgend einem Orte ein Vertrag geſchloſſen worden ſey; er begründet dieſe Warnung durch die Erwähnung eines Durchreiſenden, der einen Vertrag ſchließe, und von welchem man doch gewiß nicht werde behaupten wollen, daß er ſich einem Gerichtsſtand am Ort des Vertrags un - terwerfe(o)L. 19 § 2 de jud. (5. 1 ) „ .. durissimum est, quotquot locis quis navigans, vel iter facicns, delatus est, tot locis se defendi. At si quo consti - tit, non dico jure domicilii, sed.
222Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Aber das hier erwähnte gewerbliche Verhältniß iſt über - haupt nur als Beiſpiel, keinesweges als ausſchließende Be - dingung, eines Gerichtsſtandes der Obligation anzuſehen. Werden nämlich während eines Aufenthaltes außer dem Wohnſitz Verträge geſchloſſen, ſo muß aus dem Inhalt derſelben abgenommen werden, welchen Gedanken über die Erfüllung die Parteien damit wahrſcheinlich verbunden ha - ben mögen. Wenn alſo ein Beamter in Folge eines Amts - geſchäfts, oder ein Abgeordneter zu einer legislativen Ver - ſammlung, Monate lang an demſelben Orte verweilt, und daſelbſt Schulden contrahirt, die ſich auf ſeinen täglichen Lebensunterhalt beziehen, ſo iſt an der Begründung des beſonderen Gerichtsſtandes der Obligation nicht zu zweifeln. Eben ſo, wenn bei einem Badeaufenthalt Schulden zu ähn - lichen Zwecken entſtehen. Wenn dagegen bei einem Bade - aufenthalt Verträge über Handelsgeſchäfte geſchloſſen wer - den, deren weitere Entwickelung nur von der Heimath aus zu erwarten iſt, ſo muß ein ſolcher Gerichtsſtand für den Ort des geſchloſſenen Vertrages verneint werden(p)Bethmann Hollweg S. 24. 25. Vgl. Seuffert Ar - chiv B. 2 N. 119.. Da hier Alles auf die wahrſcheinliche Abſicht der Parteien an - kommt, ſo kann nach Umſtänden auch ſchon ein ſehr kurzer(o)tabernulam … officinam con - duxit, ibique distraxit, egit: defendere se eo loci debebit. “— L. 19. § 3 eod. — L. un. C. de nund. (4. 60) verneint das forum contractus nur gegen Die, welche einen öffentlichen Markt zu einzelnen Kaufgeſchäften als Rei - ſende beſuchen, nicht gegen Die, auf welche die oben von Ulpian angegebenen Kennzeichen paſſen.223§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.Aufenthalt zur Begründung jenes Gerichtsſtandes hin - reichen. So wird dieſe Begründung angenommen werden dürfen gegen einen Reiſenden, der im Gaſthauſe ſeine Rech - nung nicht bezahlen will, da bei dieſem Geſchäft die unver - zügliche Erfüllung allgemein üblich iſt, alſo von Jedem er - wartet werden kann. Es kommt alſo Alles darauf an, in welchem Verhältniß die Natur und die Dauer des Aufent - halts zu dem Inhalt der Obligation ſteht.
Wenn wir die bisher aufgeſtellten Regeln (Num. II. III. IV. ) mit der oben dargeſtellten und verworfenen Meinung ver - gleichen, ſo ergiebt ſich folgendes Verhältniß beider Auf - faſſungen. Jene Meinung betrachtete den Ort der obliga - toriſchen Handlung an ſich als den Grund des Gerichts - ſtandes der Obligation (nur mit Ausnahmen); die hier vorgetragene Lehre knüpft dieſe Wirkung nicht an die obli - gatoriſche Handlung an ſich, ſondern nur in Verbindung mit anderen, ihr zum Grund liegenden und vorhergehenden Umſtaͤnden(q)Mühlenbruch beurtheilt die unter der Num. IV. zuſammenge - ſtellten Fälle an ſich richtig, und mit praktiſcher Einſicht in die Ver - hältniſſe des wirklichen Lebens (S. 355 — 357. 360 — 361. 365 — 375), allein er irrt in der theore - tiſchen Begründung derſelben, in - dem er in dieſen Fällen ein Qua - ſidomicil oder ein temporäres Do - micil annimmt, und ſie alſo mit dem Fall Num. III. in Verbindung ſetzt. Dieſe Verbindung iſt ge - zwungen und unfruchtbar..
V. Es bleibt endlich noch übrig, den Sitz der Obliga - tion für diejenigen Fälle zu beſtimmen, in welchen alle bis - her angegebene Vorausſetzungen nicht ausreichen, indem224Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.weder ein feſt beſtimmter Erfüllungsort vorhanden iſt (Num. I.), noch der Entſtehungsort der Obligation durch begleitende Umſtände geeignet erſcheint, zugleich als Erfül - lungsort von den Parteien gedacht zu werden (Num. II. III. IV.). Dahin wird alſo namentlich der von Ulpian an - gegebene Fall zu zählen ſeyn, wenn ein Durchreiſender während ſeines ganz vorübergehenden Aufenthaltes einen Vertrag ſchließt (Note o). Fehlt es hier an jeder Andeu - tung irgend eines beſtimmten Erfüllungsortes, ſo muß an - genommen werden, daß der Wohnſitz des Schuldners, an den er doch immer wieder zurückkehrt, als Erfüllungsort gedacht worden iſt. Ein ſolcher Fall iſt alſo gerade ſo zu beurtheilen, wie wenn der Vertrag nicht auf der Reiſe, ſondern in dem eigenen Wohnſitz, von dem Schuldner ge - ſchloſſen worden wäre (Num. III.).
Dieſer Fall wird am häufigſten in folgender Geſtalt auftreten, die noch einer beſonderen Erwähnung wegen der zweideutigen Natur des Inhalts der Obligation bedarf. Wenn der Eigenthümer einer Fabrik oder Handlung um - her reiſt oder ſeinen Diener reiſen läßt, um Beſtellungen zu ſammeln, alſo Verträge über Lieferung von Waaren abzu - ſchließen, ſo kann es zweifelhaft ſcheinen, worin eigentlich der Inhalt der von ihm übernommenen Obligation beſteht, und davon wird zugleich der Erfüllungsort abhängig ſein. Die Lieferung iſt nämlich ein zuſammengeſetztes, Zeit er - füllendes Geſchäft. Die Waare wird zuerſt vom Verkäu - fer abgeſendet, bleibt dann einige Zeit auf dem Wege, und225§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.kommt endlich in den Beſitz des Käufers. Dabei könnte man als wahren Inhalt der Obligation denken entweder die Ab - ſendung, ſo daß die Empfangnahme blos eine ſpätere Folge der vollendeten Erfüllung wäre, oder aber die Empfang - nahme, ſo daß die Abſendung blos als Vorbereitung der wirklichen Erfüllung gelten könnte. Im erſten Fall würde als Erfüllungsort der Wohnſitz des Verkäufers gedacht, im zweiten Fall der Wohnſitz des Käufers. Welche dieſer bei - den Anſichten iſt nun nach allgemeinen Rechtsgrundſätzen vorzuziehen? Ich halte die erſte für richtig, nach welcher die eigentliche Erfüllung in der Abſendung beſteht, der Er - füllungsort alſo an dem Wohnſitz des Verkäufers anzuneh - men iſt. Dafür ſprechen, wie ich glaube, zwei Beſtimmun - gen des Römiſchen Rechts. Erſtlich der Uebergang der Gefahr des zufälligen Untergangs auf den Käufer vom Au - genblick des geſchloſſenen Kaufs an, alſo noch ehe das Ei - genthum durch Uebergabe erworben iſt(r)§ 3 J. de emt. (3. 23).. Zweitens die allgemeinere Regel, nach welcher die verſprochene Uebergabe einer beweglichen Sache nur an dem Orte gefordert werden kann, wo gerade jetzt die Sache liegt(s)L. 12 § 1 depos. (16. 3). Von dieſem Satze wird ſogleich noch ausführlicher die Rede ſeyn. In Verbindung mit demſelben be - hauptet auch Thöl Handelsrecht § 78 Note 5. 6, die Uebergabe einer Waare müſſe in der Regel da erfolgen, wo der Verkäufer ſeine gewöhnliche Waarenniederlage habe.. — Im Preußi - ſchen Recht iſt dieſe Anſicht noch unzweifelhafter anerkannt. Denn hier geht mit der Abſendung nicht blos die Gefahr,VIII. 15226Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſondern ſelbſt ſchon das Eigenthum auf den Käufer über, vorausgeſetzt, daß die Art der Abſendung durch den Käufer entweder angeordnet war, oder durch unterlaſſenen Wider - ſpruch genehmigt worden iſt(t)A. L. R. I. 11 § 128 — 133..
Unter dieſelbe Kategorie glaube ich auch ſtellen zu müſſen den Fall der L. 65 de judiciis (5. 1) von einer Dos, über welche der künftige Ehegatte einen ſchriftlichen Vertrag ſchließt außer ſeinem Wohnſitz (etwa im Wohnſitz der Braut, oder ihres Vaters). Die Klage auf Rückgabe der Dos, ſagt Ulpian, iſt künftig nicht anzuſtellen an dem Ort des geſchloſſenen Dotalvertrags, ſondern an dem Wohn - ſitz des Mannes. Denn dieſer iſt zugleich der Sitz der Ehe, alſo der Aufenthalt der Dos, und von dieſem Orte aus mußte daher die künftige Rückgabe der Dos erwartet werden.
Der bequemeren Ueberſicht wegen will ich die hier aus - führlich erörterten Regeln über den beſonderen Gerichtsſtand der Obligation kurz zuſammenſtellen. Dieſer Gerichtsſtand iſt in folgenden verſchiedenen Fällen als begründet anzu - nehmen.
Alle dieſe Fälle, ſo verſchiedenartig ſie ausſehen, und ſo zufällig ihre Verbindung erſcheint, laſſen ſich doch auf einen gemeinſamen Grundſatz zurück führen. Es iſt überall der Erfüllungsort, welcher den beſonderen Gerichtsſtand beſtimmt; entweder der ausdrücklich feſtgeſtellte (Num. I.), oder der auf ſtillſchweigender Erwartung beruhende (Num. II. — V.). In beiden Fällen iſt eine freie Unterwerfung15*228Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.des Beklagten unter dieſen Gerichtsſtand anzunehmen, wenn nicht eine entgegengeſetzte ausdrückliche Erklärung ihn ausſchließt.
Die hier vorgetragene Lehre iſt oben zuſammengeſtellt worden mit einer anderen, theilweiſe ähnlichen, deren Prüfung und Widerlegung nun noch nachgeholt werden muß (S. 210). Dieſe andere Lehre lautet, auf eine conſequente Spitze getrieben, alſo. Für jede Obligation läßt ſich ſtets ein beſtimmter Ort angeben, an welchem ſie erfüllt werden muß. Dieſer kann durch den Willen der Parteien feſtge - ſtellt ſeyn; wo dieſe Feſtſtellung fehlt, da ſorgt das Geſetz für einen beſtimmten Erfüllungsort. In beiden Fällen iſt der Gerichtsſtand der Obligation an dieſem Erfüllungsort begründet.
Dieſe ganze Lehre ſteht und fällt mit der Behauptung, daß es für jede Obligation einen geſetzlichen Erfüllungs - ort gebe; prüfen wir alſo vor Allem die Richtigkeit dieſer Behauptung. Es ließe ſich etwa denken, daß geſetzlich be - ſtimmt wäre, jede Obligation müſſe da erfüllt werden, wo ſie entſtanden wäre; dann wäre das forum contractus im buchſtäblichen Sinne dadurch begründet, daß der Ort des geſchloſſenen Vertrags als Erfüllungsort vorgeſchrieben wäre(u)So nahm es früher Linde (Archiv S. 61 — 63 S. 75), er, und an innerem Zuſammenhang würde es dann229§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.jener Lehre nicht fehlen. Allein weder dieſe, noch irgend eine ähnliche Regel über den geſetzlichen Erfüllungsort iſt wahr. Vielmehr lautet die wahre Regel ſo, daß in Er - mangelung eines vertragsmäßigen Erfüllungsorts der Schuldner erfüllen muß da, wo er gerade verklagt wird (ubi petitur)(v)L. 1 de ann. leg. (33. 1 ), L. 38 de jud. (5. 1 ), L. 47 § 1 de leg. 1 (30. un. ), L. 4 de cond. trit. (13. 3 ), L. 22 de reb. cred. (12. 1)., ſo daß es ganz in der Willkür des Klägers ſteht, an welchem Ort er die Erfüllung erzwingen will, natürlich vorausgeſetzt, daß er an dieſem Ort einen Gerichtsſtand findet, welchen der Beklagte anzuerkennen verpflichtet iſt. Anſtatt alſo daß nach jener Lehre der ge - ſetzliche Erfüllungsort den Gerichtsſtand beſtimmen ſollte, wird gerade umgekehrt der geſetzliche Erfüllungsort beſtimmt durch jeden irgendwo begründeten Gerichtsſtand, ſobald nur der Gläubiger beſchließt, des einen oder des anderen Ge - richtsſtandes ſich zu bedienen. Nach Römiſchem Recht nun war für jeden Schuldner ſowohl das forum originis be - gründet, als das forum domicilii, welche beide ganz ver - ſchieden ſeyn konnten; ja der Schuldner konnte in mehreren Städten Bürger ſeyn, auch in mehreren Städten einen wahren Wohnſitz haben. Dann hatte der Kläger freie Wahl, an welchem unter dieſen vielen Orten er klagen wollte, und wo er immer klagte, da war zugleich(u)wurde aber ſelbſt ſpäter irre an dieſem Grundſatz (Abhandlungen II. S. 111). Daß er ihn theilweiſe beibehalten hat, wird ſogleich ge - zeigt werden.230Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.der geſetzliche Erfüllungsort. So wird alſo durch jene Lehre das wahre Sachverhältniß geradezu umgekehrt; denn nach der wirklichen Lehre des Römiſchen Rechts iſt der Er - füllungsort nicht das Beſtimmende für den Gerichtsſtand, ſondern vielmehr das von dem Gerichtsſtand Abhängige.
Wäre nun die eben angegebene Regel des Römiſchen Rechts allein vorhanden, ſo würde ein ſo handgreiflicher Zirkel nicht verkannt worden ſeyn, und die erwähnte irrige Lehre hätte ſchwerlich Vertheidiger gefunden. Allein jener Regel iſt im Römiſchen Recht eine Beſchränkung hinzuge - fügt worden, und dieſe Beſchränkung hat das ganze Miß - verſtändniß verſchuldet. In vollſtändigem Zuſammenhang ſteht nun die Sache alſo.
Allerdings kann in der Regel jeder Glaubiger die Er - füllung einer Forderung an jedem Ort erzwingen, wo er einen Gerichtsſtand des Schuldners findet. Wenn aber die Forderung auf Uebergabe einer individuell beſtimmten beweglichen Sache, einer certa species, gerichtet iſt, ſo tritt für den Schuldner die Erleichterung ein, daß er ſich frei machen kann durch die Uebergabe an dem Orte, wo ſich gerade jetzt die Sache zufällig befindet, daß er ſie alſo nicht auf ſeine Koſten und Gefahr an den Ort der Klage zu bringen ver - pflichtet iſt. Nur verliert er dieſen Vortheil, wenn die Sache nicht durch Zufall, ſondern durch ſeine unredliche Handlung anderwärts iſt. Ferner gilt dieſe Erleichterung nicht bei allen Schuldklagen, ſondern nur bei Klagen aus231§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.bonae fidei Contracten(w)L. 12 § 1 depos. (16. 3)., oder aus einem Teſtament auf Entrichtung eines Legates(x)L. 38 de jud. (5. 1 ), L. 47 pr. §. 1 de leg. 1 (30. un.). Es kann auffallen, daß hier die per - ſönliche Legatenklage mit den b. f. actiones gleich geſtellt wird, da ſie ſelbſt doch eine Condiction war (S. o. B. 5 S. 540). Wahrſchein - lich bezogen ſich jene Stellen ur - ſprünglich blos auf das sinendi modo legatum, in deſſen Begriff dieſe Begünſtigung ſchon lag, und das auch in anderen Beziehungen von Julian den Fideicommiſſen gleich, alſo ſehr frei, behandelt wurde (Gajus II. § 280.). Mit der hier vorliegenden Streitfrage hat dieſes Bedenken gewiß keinen Zuſammenhang.; namentlich alſo nicht bei der Condiction aus einer Stipulation(y)L. 137 § 4 de V. O. (45. 1 ) „ .. ut sie non multum referre videatur, Ephesi daturum se, an (quod Ephesi sit, cum ipse Romae sit) dare spon - deat … “. Dagegen gelten dieſelben Sätze auch bei Klagen in rem, namentlich der Eigen - thumsklage, und eben ſo bei der actio ad exhibendum, welche beide arbiträre Klagen ſind(z)L. 10. 11. 12 de rei vind. (6. 1 ), L. 38 in f. de jud. (5. 1 ), L. 11 §. 1 ad exhib. (10. 4)..
Faßt man dieſe exceptionelle Vorſchrift ſo auf, wie es hier geſchehen iſt, als eine bloße Begünſtigung des Schuld - ners, auf Billigkeit gegründet, ſo iſt es einleuchtend, daß ſie mit dem Erfüllungsort, und einem auf denſelben zu gründenden Gerichtsſtand, gar Nichts zu ſchaffen hat; denn dieſe ſind gerade umgekehrt bindend und beſchränkend für den Schuldner. Die Richtigkeit meiner Auffaſſung aber geht daraus hervor, daß durch den Dolus des Schuldners die exceptionelle Maaßregel ausgeſchloſſen ſeyn ſoll, welches nur Sinn hat, wenn dieſe Maaßregel als Begünſtigung des Schuldners anzuſehen iſt. Daraus folgt aber, daß die232Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Vertheidiger der hier bekämpften Lehre im Irrthum ſind, wenn ſie in dieſer Maaßregel einen geſetzlichen Erfüllungs - ort ſehen, und darauf einen beſonderen Gerichtsſtand der Obligation gründen wollen, nämlich eben an dem Orte, wo die bewegliche Sache ſich zufällig befindet(aa)Linde Abhandlungen II. S. 118. Albrecht S. 29 — 32. Dieſer legt mit Unrecht Werth auf ſolche Ausdrücke, wie: ibi dari debet, ubi est in L. 38 de jud. (5. 1). Nach dem ganzen Zu - ſammenhang heißt das: „ er iſt nur ſchuldig, an dieſem Ort zu übergeben “, wie die gleich darauf folgende Ausnahme deutlich macht; er braucht alſo nicht die Trans - portkoſten daran zu wenden „ nisi dolo malo heredis subductum fuerit, tunc enim ibi dari debet, ubi petitur. “— So heißt es ja auch in L. 38 de jud. (5. 1) „ per in rem actionem … ibi peti debet, ubi res est. “ Und doch hat der Kläger ſtets die Wahl zwiſchen dem forum rei sitae und dem forum domi - cilii. Bethmann Hollweg S. 70.. Vollends dieſe letzte Folgerung (worauf hier Alles ankommt) iſt ſchon deswegen durchaus verwerflich, weil darin ein forum rei sitae für perſönliche Klagen liegen würde, das wohl Nie - mand behaupten wird.
Die hier bekämpfte Meinung iſt noch durch folgenden Umſtand unterſtützt worden. Bei Fideicommiſſen (womit gewiß das fideicommissum hereditatis gemeint iſt) beſteht die, auf billige Schonung des belaſteten Erben gegründete, Vorſchrift, daß er ſie nur da zu entrichten braucht, wo der größere Theil der Erbſchaft liegt. An dieſem Ort ſoll da - für auch ein beſonderer Gerichtsſtand begründet ſein(bb)L. 50 pr. de jud. (5. 1 ), L. un. C. ubi fideicomm. (3. 17).. Eine ähnliche billige Rückſicht ſoll auch gelten zum Vortheil233§. 370. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand der Obligation.des Fideicommiſſarerben, welcher aus Erbſchaftsſchulden be - langt wird(cc)L. 66 § 4 ad Sc. Treb. (36. 1).. Ganz irrig hat man dieſe, was den Ge - richtsſtand betrifft, ſehr poſitive Vorſchriften in ſolche Ver - bindung geſetzt mit der vorher erörterten Regel über die Ablieferung beweglicher Sachen an dem Orte, wo ſie liegen, daß man daraus auch bei dieſen einen beſonderen Gerichts - ſtand hat ableiten wollen(dd)Albrecht S 20.. Noch weit irriger aber war es, dieſe ſehr willkürliche Vorſchriften zur Unterſtützung eines allgemeinen Rechtsgrundſatzes über den Gerichtsſtand der Obligationen benutzen zu wollen. Die ganz poſitive und vereinzelte Natur der erwähnten Vorſchriften ergiebt ſich theils aus dem ſehr unbeſtimmten Begriff der major pars hereditatis, der gewiß nicht auf die Ableitung aus einer allgemeinen Rechtsregel hindeutet, theils aus der ge - ſchichtlichen Entwickelung der Fideicommiſſe überhaupt, die, geſchützt durch extraordinaria cognitio, ſtets einer viel freieren und durchgreifenderen Einwirkung der Geſetzgebung unter - worfen waren, als die Obligationen(ee)Vgl. Bethmann Hollweg S. 32 — 35. S. 48..
Die hier aufgeſtellten Regeln über den beſonderen Ge - richtsſtand der Obligation bedürfen noch einiger Ergänzun -234Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gen und näheren Beſtimmungen, die nunmehr hinzugefügt werden ſollen.
Nach einer früher ſehr verbreiteten Meinung, die ſelbſt dem Kunſtausdruck forum contractus zum Grunde liegt, ſoll jener Gerichtsſtand in der Regel an dem Orte ange - nommen werden, an welchem die obligatoriſche Handlung, alſo der thatſächliche Entſtehungsgrund der Obligation, vor - genommen worden iſt (§ 370). Dieſe Meinung mußte zwar verworfen werden, indem nicht jene Handlung an ſich ſelbſt, ſondern nur in Verbindung mit anderen, ihr zum Grund liegenden und vorhergehenden Umſtänden, dazu geeig - net iſt, einen ſolchen Gerichtsſtand zu begründen (S. 208). Dennoch muß, auch nach dieſer umgebildeten Anſicht, der obligatoriſchen Handlung noch immer ein wichtiger Einfluß auf die Begründung jenes Gerichtsſtandes zugeſtanden wer - den. Und ſo erſcheint uns auch jetzt noch die Frage von Bedeutung: Wo iſt der wahre Ort einer obligatoriſchen Handlung? oder mit anderen Worten: Wo entſteht eine Obligation? Die Beantwortung dieſer Frage, die oft nicht ohne Schwierigkeit iſt, ſoll hier nach den drei wichtigſten Arten obligatoriſcher Handlungen verſucht werden: Ver - träge, einſeitige erlaubte Handlungen, Delicte.
A. Verträge. Dieſe werden meiſt geſchloſſen in per - ſönlicher Zuſammenkunft beider Parteien; dann iſt der Ort dieſer Zuſammenkunft zugleich der Entſtehungsort der Obli - gation. Es können aber folgende Abweichungen von dieſem einfachſten und gewöhnlichſten Hergang eintreten.
235§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)Zuerſt kann die Gültigkeit des Vertrags durch geſetzliche Vorſchrift, oder auch durch den Willen der Parteien, abhän - gig gemacht werden von der Beobachtung einer beſonderen Form, etwa von ſchriftlicher, notarieller, gerichtlicher Ab - faſſung. Dann iſt der Ort, an welchem dieſe Form vollen - det wird, der wahre Ort des Vertrags, weil bis zu dieſer Vollendung kein Theil gebunden iſt(a)L. 17 C. de fide instr. (4. 21). Vgl. Meier p. 58..
Weit[häufiger] und ſchwieriger aber iſt der Fall, wenn ein Vertrag nicht in perſönlicher Zuſammenkunft beider Theile geſchloſſen wird, ſondern durch einen Boten, durch eine an verſchiedenen Orten von Beiden unterzeichnete Ur - kunde, oder, welches das Häufigſte iſt, durch bloßen Brief - wechſel. Hier iſt der wahre Ort des Vertrags ungemein beſtritten. Für dieſen Fall entſtehen eigentlich drei, an ſich verſchiedene, Fragen, die jedoch von den Meiſten vermiſcht behandelt werden: Wo iſt der Vertrag geſchloſſen? Welcher Ort gilt für den Gerichtsſtand? Welcher für das örtliche Recht? Die erſte Frage beantworte ich unbedenklich dahin, daß der Vertrag da geſchloſſen iſt, wo der erſte Brief em - pfangen und von dem Empfänger die zuſtimmende Antwort abgeſendet wird; denn an dieſem Ort iſt es zu einer über - einſtimmenden Willenserklärung gekommen. Der Abſender des erſten Briefes iſt demnach ſo zu betrachten, als ob er ſich durch eine Reiſe zu dem Anderen hinbegeben, und deſſen236Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zuſtimmung eingeholt hätte(b)Daſſelbe iſt alſo bei dem Boten anzunehmen an dem Orte, wo dieſem die Zuſtimmung ausge - ſprochen wird; bei der doppelt unterſchriebenen Urkunde an dem Orte, wo die letzte Unterſchrift er - folgt; bei einem Wechſel an jedem Orte, an welchem Einer acceptirt oder indoſſirt.. Dieſe Meinung iſt auch von Mehreren angenommen worden(c)Hommel obs. 409 N. 17. 18. Meier p. 59 (Beide bei Ge - legenheit der Frage nach dem gel - tenden örtlichen Recht). Wening Archiv f. civ. Praxis B. 2 S. 267 — 271 (der zunächſt nur von dem Zeitpunkt des vollen - deten Vertrags, ſpricht jedoch ſo, daß ſeine Entſcheidung zugleich auf den Ort zu beziehen iſt). Lauterbach de nuncio § 25 (Diss. T. 3 N. 107), wo zunächſt von dem Boten die Rede iſt, dieſer aber dem Briefe ganz gleich geſtellt wird.. Manche aber haben dabei folgendes Bedenken geltend gemacht. Der zu - ſtimmende Brief, meinen ſie, könne ja vor der Ankunft wie - der zurückgeholt oder durch einen Widerruf entkräftet wer - den; daher ſey der Vertrag erſt vollendet an dem Orte, wo der Abſender des erſten Briefes die Antwort empfangen, alſo von der Zuſtimmung ein Bewußtſeyn erhalten habe(d)Hert de commeatu lite - rarum § 16 — 19 in Comment. Vol. I p. 243. Haſſe Rhein. Muſeum II. 371 — 382. Wächter Archiv B. 19 S. 116. Etwas zweideutig iſt I. Voet. V. 1 § 73.. Es iſt aber ganz verwerflich, den richtigen Grundſatz durch die Rückſicht auf ſolche, ohnehin ſehr ſeltene, Fälle entkräf - ten zu wollen. In den allermeiſten Fällen werden beide Erklärungen abgegeben werden ohne ein ſolches Schwanken der Entſchlüſſe, wo aber ein ſolches einmal vorkommt, da kann die Frage nur durch Berückſichtigung der ſehr man - nichfaltigen einzelnen Umſtände entſchieden werden, ſo daß237§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)dann auch jene von den Gegnern aufgeſtellte ſehr willkür - liche Regel keinesweges ausreicht(e)Wening a. a. O. macht dafür praktiſche Vorſchläge. Die für eine andere, aber verwandte, Frage gegebenen Vorſchriften des A. L. R. I. 5 § 90 fg. könnten dabei benutzt werden..
Ich gehe nun zu der zweiten Frage über: Wo iſt der Gerichtsſtand der Obligation bei einem durch Briefwechſel geſchloſſenen Vertrage? Man möchte, nach der eben aufge - ſtellten Behauptung, glauben, an dem Orte, wo der erſte Brief empfangen und zuſtimmend beantwortet wurde. Die - ſes muß aber entſchieden verneint werden(f)So erklärt ſich auch Müh - lenbruch S. 348. 351.. Denn der Abſender des erſten Briefes kann doch höchſtens verglichen werden mit einem Durchreiſenden, gewiß nicht mit Einem, der einen bleibenden Aufenthalt an dem Wohnſitz des Geg - ners aufgeſchlagen hat; alſo hat er ſich auch nicht dem Ge - richtsſtand dieſes Ortes unterwerfen wollen (§ 370. o). Vielmehr iſt für jede der beiden Parteien der durch Brief - wechſel geſchloſſene Vertrag zu betrachten als an ihrem Wohnſitz geſchloſſen, und hier muß ſie den beſonderen Ge - richtsſtand der Obligation für ſich anerkennen (§ 370 Nr. V.) Iſt aber in dem Vertrag ein beſtimmter Erfüllungsort an - gegeben, ſo wird durch dieſen zugleich der Gerichtsſtand der Obligation begründet. — Das eigenthümliche Bedürf - niß des Wechſelgeſchäfts (Note b) kann ſtarke Modifica - tionen dieſer Grundſätze über den Gerichtsſtand rechtferti - gen. So iſt denn auch in der Preußiſchen Einführungs -238Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ordnung zur neueſten Deutſchen Wechſelordnung(g)§ 5, ſ. Geſetzſamml. 1849. S. 50. vorge - ſchrieben worden, daß nicht blos der Zahlungsort und der Wohnſitz den Gerichtsſtand begründe, ſondern daß an den Ort der einmal angeſtellten Wechſelklage auch andere Wech - ſelſchuldner herangezogen werden können.
Die dritte Frage, wegen des bei einem Vertrag durch Briefwechſel geltenden örtlichen Rechts, kann erſt weiter un - ten (§ 373) beantwortet werden.
B. Einſeitige erlaubte Handlungen.
Daß dieſe hier ganz auf gleiche Weiſe wie Verträge zu beachten ſind, iſt in unſeren Rechtsquellen klar ausge - ſprochen(h)L. 20 de jud. (5. 1 ) „ Omnem obligationem pro contractu habendam, existi - mandum est … “, ohne Zweifel mit Hinſicht auf den Gerichtsſtand ſo ausgeſprochen.; auch iſt von dieſem Satz ſchon oben Anwen - dung gemacht worden auf die wichtigen Obligationen, die aus einer Geſchäftsführung u. ſ. w. entſtehen (§ 370 Nr. II.). Nur Ein Fall bedarf jedoch noch einer beſonderen Er - wähnung.
Der Erbe, der eine Erbſchaft antritt, übernimmt dadurch Obligationen verſchiedener Art, insbeſondere gegen die Erb - ſchaftsglaubiger und gegen die Legatare. Dieſe Obliga - tionen werden in unſern Rechtsquellen als contractähn - liche bezeichnet(i)§. 5 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27 ), L. 3 § 3, L. 4 quib. ex caus. (42. 4 ), L. 5 § 2 de O. et A. (44. 7 ), L. 19 pr. de R. J. (50. 17).. Daher haben mehrere neuere Schrift -239§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)ſteller für einen ſolchen Fall ein forum contractus ange - nommen, und zwar bald an dem Ort, wo der Antritt der Erbſchaft erklärt worden ſey, bald an dem, wo die Erbſchaft liege, oder am Wohnſitz des Verſtorbenen(k)Linde Abhandlung B. 2 S. 101 — 109, Mühlenbruch S. 379 — 382.. Dieſe Meinung aber iſt zu verwerfen, und es iſt ein ſolcher Ge - richtsſtand nicht anzunehmen. Nur ausnahmsweiſe, durch ganz poſitive Vorſchrift, iſt ein ſolcher Gerichtsſtand be - gründet für Fideicommiſſe, und zwar an dem Orte, wo der größte Theil der Erbſchaft liegt(l)Bethmann Hollweg Verſuche S. 32 — 35. S. 48. Vgl. oben § 370 am Ende des §.. Der oben erwähnte Ausdruck der Rechtsquellen bezieht ſich nur auf den per - ſönlichen Eintritt des Erben in das obligatoriſche Verhält - niß zu Glaubigern und Legataren, nicht auf deſſen eigent - liche Entſtehung und juriſtiſche Beſchaffenheit.
C. Delicte.
Der durch ein Delict begründete beſondere Gerichtsſtand iſt dem älteren Römiſchen Recht fremd, und erſt in der Kaiſerzeit entſtanden(m)Bethmann Hollweg Verſuche S. 29. 52.. Dann aber hat er eine ſo all - gemeine Anerkennung gefunden, daß er nunmehr auch in Geſetzen auf gleiche Linie mit dem forum domicilii, con - tractus, rei sitae geſtellt wird(n)Nov. 69 C. 1. — C. 20. X. de foro comp. (2. 2).. — Es würde aber un - richtig ſeyn, dieſen Gerichtsſtand als eine einzelne Anwen - dung des Gerichtsſtandes der Obligation, des ſ. g. forum240Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.contractus, zu betrachten(o)In der angeführten Stelle des canoniſchen Rechts werden beide auch wörtlich unterſchieden und einander coordinirt.. Denn das forum delicti entſteht nicht durch eine präſumtive freiwillige Unterwer - fung, und daher gelten für daſſelbe auch nicht die Be - ſchränkungen, welche oben für den Gerichtsſtand der Obli - gation aufgeſtellt worden ſind (§ 370). Zur Begründung dieſes Gerichtsſtandes iſt weder Wohnſitz, noch irgend ein anderer hinzutretender äußerer Umſtand, erforderlich, viel - mehr entſteht derſelbe aus der Verübung des Delicts an ſich, auch bei einem ganz zufälligen und vorübergehenden Aufenthalt. — Es hat demnach dieſer Gerichtsſtand eine ganz eigenthümliche Natur, indem er begründet wird nicht durch freiwillige, ſondern durch nothwendige Unterwerfung; dieſe aber iſt eine unmittelbare Folge der Rechtsverletzung, deren ſich der Thäter ſchuldig gemacht hat. — Der Ge - richtsſtand aus dem Delict iſt übrigens eben ſo wenig aus - ſchließend, als der aus dem Contract, vielmehr hat der Kläger ſtets die Wahl zwiſchen dieſem beſonderen und dem allgemeinen, auf den Wohnſitz des Schuldners gegründeten Gerichtsſtand. Dieſes liegt ſchon in der wörtlichen Er - wähnung jenes Gerichtsſtandes in den angeführten Ge - ſetzen (Note n); noch mehr aber folgt es daraus, daß der - ſelbe ganz gewiß nicht zum Vortheil des Beklagten, ſondern vielmehr des Klägers, eingeführt iſt(o¹)Linde Lehrbuch des Pro - zeſſes § 93 Note 10..
241§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)Man hat die Frage aufgeworfen, ob der Gerichtsſtand der Obligation blos begründet ſey für die Klagen, die zur natürlichen Entwickelung der Obligation gehören, alſo zur Erfüllung derſelben führen, oder vielmehr auch für die, welche die umgekehrte Richtung haben, indem ſie die Auflöſung der Obligation bezwecken, oder Das rückgängig machen wollen, welches in Erfüllung der Obligation ſchon geſchehen iſt. Hier muß nun in der Regel die erſte, beſchränktere Anwen - dung jenes Gerichtsſtandes behauptet werden(p)L. 2 C. ubi et apud quem (2. 47).. Die zweite, ausgedehntere Anwendung des Gerichtsſtandes kann nur ausnahmsweiſe in den ſeltneren Fällen eintreten, in welchen die Auflöſung der Obligation mit der Entſtehung derſelben einen gemeinſchaftlichen Urſprung hat, alſo wenn die Auflöſung einer durch Vertrag gegründeten Obligation ab - geleitet wird aus einem dieſem Vertrag hinzugefügten Nebenvertrag(q)Glück B. 6 S. 301 — 303. Unbedingt wird dieſe Anwendung des Gerichtsſtandes verneint von Linde Archiv B. 7 S. 67 — 69..
Der beſondere Gerichtsſtand der Obligation ſchließt den allgemeinen, aus dem Wohnſitz entſpringenden, Gerichts - ſtand nicht aus, vielmehr hat der Kläger freie Wahl, an dem einen oder dem andern eine Klage anzuſtellen(r)L. 19 § 4 de jud. (5. 1), (wo geleſen werden muß: habeat. VIII. 16242Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Manche haben mit Unrecht dieſes Wahlrecht auf den Fall einſchränken wollen, wenn der Gerichtsſtand durch einen beſonders verabredeten Ort der Erfüllung begründet ſey. Das Wahlrecht gilt vielmehr in der That auch, wenn der Gerichtsſtand ſich gründet auf den Vertrag an ſich (ohne Erfüllungsort)(s)L. 2 C. de jurisdict. (3. 13). In den Worten: ubi domieilium reus habet “liegt der Accent nicht auf domicilium, ſondern auf reus. Es ſoll alſo geſagt werden, des Beklagten Wohnfitz (nicht des Klägers) be - ſtimme den Gerichtsſtand; das zeigen die Anfangsworte der Stelle. Damit ſoll aber dem Kläger nicht benommen ſeyn, das forum con - tractus vorzuziehen, wo ein ſolches begründet iſt., oder aber auf eine geführte Verwal - tung(t)Das ſ. g. forum gestae administrationis hat überhaupt keine eigenthümliche Natur (§ 370. II.). Auch wird das Wahlrecht ausdrücklich anerkannt im Fall des Argentarius. L. 4 § 5 de ed. (2. 13). Und gerade für dieſen Fall hat man es verneinen wollen wegen L. 45 pr. de jud. (5. 1). Allein hier heißt „ conveniri oportet “: er muß ſich gefallen laſſen, daß er verklagt werde. Die richtige Meinung haben: Struben Be - denken III. 96. Gönner Hand - buch B. 1 Abh. X I; die irrige Meinung: Leyser 73. 8, Weber Beiträge B. 2 S. 35, Linde Archiv B. 7 S. 73..
Gerade umgekehrt mußte für den Fall eines durch Sti - pulation beſtimmten Erfüllungsortes urſprünglich behauptet werden, daß nur an dieſem Ort geklagt werden könne, indem der Glaubiger durch den beſonderen Inhalt dieſer Stipulation darauf verzichtet hatte, den allgemeinen perſön - lichen Gerichtsſtand ſeines Schuldners für die Klage zu be -(r)anſtatt habuit, ſ. Hollweg S. 46), L. 1. 2. 3 de reb. auct. jud. (42. 5 ), L. un C. ubi conv. (3. 18 ) C. 17 X. de foro comp. (2. 2). — Nach Römiſchem Recht konnte der Kläger auch noch in dem forum originis klagen (§ 355).243§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)nutzen. Weil aber dieſes zu einer völligen Verſagung des Rechtsſchutzes führen konnte, wenn etwa der Schuldner die Vorſicht gebrauchte, an dem bedungenen Erfüllungsorte nicht zu erſcheinen, ſo wurde eine beſondere Klage eingeführt, die nun auch an dem perſönlichen Gerichtsſtand angeſtellt wer - den konnte, nur mit Berückſichtigung des vielleicht verſchie - denen örtlichen Intereſſe der Leiſtung(u)L. 1 de eo quod certo loco (13. 4). „ Alio loco, quam in quem sibi dari quisque sti - pulatus esset, non videbatur agendi facultas competere. Sed quia iniquum erat, si promis - sor ad eum locum, in quem daturum se promisisset, nun - quam accederet, quod vel data opera faceret, vel quia aliis locis necessario distringeretur, non posse stipulatorem ad suum pervenire, ideo visum est, utilem actionem in eam rem comparare “Was hier von der Stipulation geſagt iſt, gilt eben ſo von jeder anderen mit einem beſtimmten Erfüllungsort verſehenen Obligation, ſobald dieſe eine Condiction erzengt (wie Dar - lehen und Legat), nur nicht von den b. f. obligationes, wobei die Contractsklage ſelbſt ſchon aus - reichte. L. 7 eod. . Durch dieſe Klage iſt alſo ſelbſt für ſolche Fälle das Wahlrecht des Klägers begründet worden.
Dagegen iſt es nicht zu rechtfertigen, wenn Manche auch ein Wahlrecht des Klägers annehmen wollen zwiſchen dem auf ausdrückliche und dem auf ſtillſchweigende Verabre - dung eines Erfüllungsortes gegründeten Gerichtsſtande(v)So daß alſo der Kläger bald an dem bedungenen Er - füllungsort, bald an dem Ort des geſchloſſenen Vertrages, nach Be - lieben ein forum contractus gel - tend machen könnte (§ 370).; denn die Annahme einer ſolchen ſtillſchweigenden Verabredung wird durch das Daſeyn einer ausdrücklichen ſtets aus - geſchloſſen.
16*244Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Der beſondere Gerichtsſtand der Obligation kann nur geltend gemacht werden, wenn der Schuldner in dieſem Ge - richtsſprengel entweder perſönlich anweſend iſt, oder Vermögensſtücke beſitzt, in welchem letzten Fall durch missio in possessionem der Zwang gegen ihn durchgeführt wird. Dieſe alternative Bedingung iſt nach dem älteren Römi - ſchen Recht unzweifelhaft(w)L. 1 de eo qui certo loco (Note u) „ .. si nunquam ac - cederet “. L. 19 pr. de jud. (5. 1) „ si ibi inveniatur “. § 1 eod. „ si non defendat … bona possideri patietur “. Aehnlich lautet die Beſtimmung für das forum rei sitae in L. 2 C. ubi in rem (3. 19).. Nach einem Geſetz von Juſtinian könnte man dieſelbe für aufgehoben anſehen(x)Nov. 69 C. 1. 2.. Allein dieſes Geſetz iſt ſo allgemein und unbeſtimmt gefaßt, und wirft ſo ſehr die verſchiedenen Gerichtsſtände ohne Un - terſcheidung durch einander, daß die Abſicht, das frühere Recht zu verändern, daraus nicht mit Sicherheit entnom - men werden kann. Daher hat denn auch eine Decretale darauf keine Rückſicht genommen, ſich vielmehr ganz an das frühere Römiſche Recht, und ſelbſt an die Ausdrücke deſſelben, angeſchloſſen(y)C. 1 § 3 de foro comp. in VI. (2. 2) „ … nisi inve - niantur ibidem (vgl. Note w) trahere coram se non debent invitos, licet in possessionem bonorum, quae ibi habent, … possint missionem facere “. Von Mehreren wird dieſe Stelle ſehr gezwungen ſo ausgelegt, der Richter ſolle den Abweſenden nicht durch eigene Gewalt (ſondern nur durch Requiſition ſeines Richters) zwingen. Cocceji jus controv. V. 1 qu. 15. Glück VI. S. 304. Linde Archiv VII. S. 69. 70.. Die überwiegende Praxis der neueren Zeit iſt dieſer Meinung beigetreten(z)Dieſe überwiegende Praxis, ſo daß245§. 371. III. Obligationenrecht. Gerichtsſtand ꝛc. (Fortſ.)alſo der Gerichtsſtand der Obligation gegen einen Abwe - ſenden durch bloße Requiſition eines fremden Gerichts nicht geltend gemacht werden kann. — Es iſt nicht zu verkennen, daß durch dieſe beſchränkende Bedingung der beſondere Ge - richtsſtand der Obligation einen großen Theil ſeiner Wich - tigkeit verliert.
In neueren Geſetzgebungen hat der Gerichtsſtand der Obligation, wie zu erwarten war, diejenige Geſtalt ange - nommen, die zur Zeit ihrer Abfaſſung unter den Schrift - ſtellern herrſchend war, alſo theilweiſe nicht in Ueberein - ſtimmung mit dem wirklichen Römiſchen Recht, dem man ſich doch anzuſchließen glaubte. So ſetzt das Preußiſche Recht jenen Gerichtsſtand zunächſt an den Ort der verab - redeten Erfüllung, und, wo ein ſolcher nicht vorhanden iſt, an den Ort des geſchloſſenen Vertrags(aa)Allg. Ger. Ordn. I. 2 § 148 — 152. Eben ſo iſt dieſer Gerichtsſtand anerkannt in Ver - trägen mit vielen Nachbarſtaaten, z. B. Weimar 1824 Art. 29, Ge - ſetzſammlung 1824 S. 153., ohne Rückſicht auf die beſchränkenden Bedingungen, unter welchen allein das Römiſche Recht den Ort des geſchloſſenen Ver - trags als entſcheidend anſieht. Das Wahlrecht des Klä - gers wird auch hier anerkannt, und zugleich wird der Be - klagte, im Sinn der neueren Praxis (Note z), nur dann(z)wird ſelbſt von den Gegnern ein - geräumt. Cocceji l. c. Glück VI S. 304 — 306. Linde S. 69.246Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.an dieſen Gerichtsſtand gebunden, wenn er ſich an einem ſolchen Orte antreffen läßt.
Die Lehre vom Gerichtsſtande der Obligation iſt bisher deshalb ſo genau in ihren Einzelheiten dargeſtellt worden (§ 370. 371), weil ſie allein einen ſicheren Halt gewährt für die Frage nach dem bei den Obligationen anwendbaren örtlichen Recht, für welche Frage es an quellenmäßigen Beſtimmungen des Römiſchen Rechts eigentlich ganz fehlt. Gerade hier iſt der innere Zuſammenhang zwiſchen dem Gerichtsſtand und dem örtlichen Recht eben ſo ergiebig und fruchtbar, als wohl begründet, indem dieſelbe präſumtive Unterwerfung, welche den Sitz der Obligation und mit ihm den Gerichtsſtand beſtimmt, auch für das anwendbare ört - liche Recht als beſtimmend anerkannt werden muß(a)Auch Eichhorn deutſches Recht § 37 b wendet die von dem Gerichtsſtand redenden Stellen des Römiſchen Rechts unmittelbar auf das örtliche Recht an..
Ich nehme die ganze Reihe praktiſcher Regeln, wie ſie oben für den Gerichtsſtand aufgeſtellt worden ſind, ohne Bedenken zugleich als maaßgebend für das anwendbare örtliche Recht an (§ 370). Daſſelbe iſt alſo, je nach Verſchiedenheit der Fälle, auf folgende Orte zurück zu führen (S. 226. 227).
247§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.Inſofern alſo fällt die Beſtimmung des örtlichen Rechts ganz zuſammen mit der Beſtimmung des Gerichtsſtandes. Nur darin iſt ein wichtiger Unterſchied wahrzunehmen, daß neben dem beſonderen Gerichtsſtand der Obligation auch noch der allgemeine Gerichtsſtand des Wohnſitzes wirkſam bleibt, mit freiem Wahlrecht des Klägers; anſtatt daß das anwendbare örtliche Recht einem ſolchen einſeitigen Wahl - recht nicht unterworfen ſeyn kann, ſondern ausſchließend durch den feſt beſtimmten Erfüllungsort, in deſſen Erman - gelung durch den Ort der Entſtehung der Obligation, oder durch den Wohnſitz des Schuldners, je nach Verſchieden - heit der Fälle, beſtimmt werden muß.
Die Ableitung der hier aufgeſtellten Regeln aus der vermutheten freiwilligen Unterwerfung des Schuldners un - ter ein beſtimmtes örtliches Recht hat einige wichtige prak - tiſche Folgen, die hier zuſammengeſtellt werden ſollen.
A. Dieſes örtliche Recht tritt zurück, wenn es in Widerſpruch ſteht mit einer am Ort des urtheilenden Rich - ters geltenden zwingenden, ſtreng poſitiven Rechtsregel (§ 349), indem in ſolchen Fällen der freie Wille der Parteien überhaupt keinen Einfluß haben kann(b¹)Vgl. Wächter II. S. 397 — 405. Foelix p. 145..
B. Das angegebene örtliche Recht tritt gleichfalls zurück, wenn die Vermuthung der freiwilligen Unterwerfung249§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.ausgeſchloſſen wird durch eine ausdrückliche abweichende Willenserklärung(c)L. 19 § 2 de jud. (5. 1 ) „ .. nisi alio loci, ut defen - deret, convenit .. “. Was hier von dem Gerichtsſtand geſagt wird, muß eben ſo von dem örtlichen Recht gelten, ſoweit deſſen Be - ſtimmungen durch Privatwillkür abgeändert werden können. Vgl. oben § 369. b. und § 370..
C. Von manchen Seiten iſt behauptet worden, daß unter mehreren an ſich denkbaren örtlichen Rechten dasje - nige jedesmal angewendet werden müſſe, nach welchem das vorliegende Rechtsgeſchäft am beſten aufrecht erhalten wer - den könne(d)Eichhorn deutſches Recht § 37. Noten f. g. . Aus dem beſtehenden Recht läßt ſich dieſer Satz in ſolcher Allgemeinheit wohl nicht begründen, dage - gen könnte man darauf kommen, ihn als neues poſitives Geſetz aufzuſtellen(e)Für einen einzelnen Fall iſt er im Preußiſchen A. L. R. auf - geſtellt (I. 5 § 113), nämlich für den Fall verſchiedener geſetzlicher Formen bei einem durch Brief - wechſel geſchloſſenen Vertrage.. Allein in folgendem Sinn läßt ſich der Satz dennoch vertheidigen. Wenn die Anwendung der oben aufgeſtellten Regeln dahin führen würde, den Vertrag einem örtlichen Recht (etwa des Erfüllungsortes) zu unter - werfen, nach welchem er ungültig ſeyn würde, anſtatt daß er nach dem Rechte des Wohnſitzes gültig wäre, ſo iſt ge - wiß nicht zu vermuthen, daß ſich die Parteien einem ört - lichen Recht haben unterwerfen wollen, das mit ihrer Abſicht völlig im Widerſpruch ſtände(e¹)So aufgefaßt, ſtimmt der Satz ganz überein mit einer be - kannten Auslegungsregel bei zwei - deutig gefaßten Rechtsgeſchäften. L. 12 de reb. dub. (34. 5)..
250Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Wenngleich nun durch die hier aufgeſtellten Regeln der Sitz der Obligation, und mit dieſem zugleich das örtliche Recht derſelben, im Ganzen ſicher beſtimmt ſeyn meg, ſo ſoll damit doch nicht behauptet werden, daß alle bei Gele - genheit einer Obligation möglicherweiſe eintretende Rechts - fragen eben nur nach dieſem örtlichen Rechte zu entſcheiden ſeyn möchten. Dazu iſt eine tiefer eingehende Erwägung ſolcher Rechtsfragen in ihrem vollſtändigen Zuſammenhang nöthig, die der Fortſetzung dieſer Unterſuchung (§ 374) vorbehalten bleiben muß(f)Auf die verſchiedenartige Beurtheilung ſolcher einzelnen Rechtsfragen haben ſchon hinge - wieſen: Leyser 73. 3, Foelix p. 142 — 145. Dieſe Schriftſteller kann ich daher nicht als meine Gegner in der Aufſtellung des Grundſatzes anſehen; es wird darauf ankommen, bei den einzelnen Rechtsfragen ſich mit einander zu verſtändigen. Ein ähnliches Ver - fahren iſt ſchon oben in der Lehre vom Eigenthum eingeſchla - gen worden (§ 367)..
Von der hier aufgeſtellten Lehre über das bei den Obli - gationen anwendbare örtliche Recht weichen die Mei - nungen unſerer Schriftſteller in folgenden zwei Haupt - punkten ab.
Erſtlich knüpfen faſt Alle das anwendbare örtliche Recht an den Ort der obligatoriſchen Handlung an ſich, ohne zugleich die im Römiſchen Recht hinzugefügten beſonderen Vorausſetzungen zu berückſichtigen (§ 370), obgleich doch im Allgemeinen die Meiſten auf dem Boden des Römiſchen Rechts zu ſtehen vermeinen. Dieſes iſt aber um ſo mehr zu mißbilligen, als die erwähnten Vorausſetzungen des Rö -251§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.miſchen Rechts, wodurch die Sache eine andere Geſtalt gewinnt, nicht auf willkürlichen poſitiven Vorſchriften beruhen, ſondern vielmehr auf der in der Natur der Sache beruhenden Erwägung, in welchen Fällen eine frei - willige Unterwerfung unter ein beſtimmtes örtliches Recht mit Wahrſcheinlichkeit angenommen werden kann oder nicht.
Zweitens findet ſich ein ſehr häufiger Widerſpruch gegen die hier angenommene Meinung, nach welcher vorzugsweiſe ein verabredeter Erfüllungsort zugleich das anwendbare örtliche Recht beſtimmen ſoll. Hierin ſind jedoch die Mei - nungen ſehr getheilt. Ein Theil der Schriftſteller, und zwar der größere Theil, ſtimmt mit der hier vorgetragenen Lehre überein(g)Christinaeus Vol. I. Dec. 283 N 8. 11. P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 12. 15. Mühlen - bruch doctr. Pand. § 73. not. 17. Foelix p. 142 — 145. Story § 280. 299.. Ein anderer Theil dagegen behauptet, das örtliche Recht dürfe lediglich nach dem Ort der obliga - toriſchen Handlung beſtimmt werden; der verabredete Er - füllungsort habe darauf gar keinen Einfluß, indem die von dieſem redenden Stellen des Römiſchen Rechts lediglich auf den Gerichtsſtand, gar nicht auf das örtliche Recht, zu be - ziehen ſeyen(h)Hert. § 10 ampl. 2. Meier p. 57. 58. Wächter II. S. 41 — 47..
Bei dieſer Streitfrage kommt es auf die Erklärung der hier einſchlagenden Stellen des Römiſchen Rechts an, die ich, der leichteren Ueberſicht wegen, voranſtelle.
252Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Dieſe Stellen werden von den Gegnern auf folgende Weiſe erklärt. Die erſte Stelle, ſagen ſie, ſpreche allein vom örtlichen Recht, und wolle bei dieſem ausſchließend den Ort beachtet wiſſen, an welchem die obligatoriſche Hand - lung vorgenommen worden ſey (in qua negotium gestum est), wodurch alſo die Beachtung des Erfüllungsortes ver - neint werde. Die zweite und dritte Stelle dagegen ſollen lediglich von dem Gerichtsſtand reden, nicht von dem ört - lichen Recht; für den Gerichtsſtand aber fordern ſie die Beachtung des Contractsorts, und als Contractsort bezeich - nen ſie nicht den Ort der obligatoriſchen Handlung, ſon - dern den der Erfüllung. So werden, ſagen ſie, in dieſen Stellen der Gerichtsſtand und das örtliche Recht ſcharf un - terſchieden, und nach entgegengeſetzten Regeln behandelt.
253§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.Dieſe Erklärung hat Schein, aber keine Wahrheit. Allerdings ſpricht die dritte Stelle von dem Gerichtsſtand, nicht von dem örtlichen Recht; die zweite aber redet ſo allgemein, daß ſie eben ſo gut auf das Eine, wie auf das Andere, anzuwenden iſt. Sind nun die oben aufgeſtellten Gründe für den inneren Zuſammenhang des örtlichen Rechts mit dem Gerichtsſtand überzeugend, ſo muß eine praktiſche Verſchiedenheit in der Behandlung beider Fragen ſo lange verneint werden, als nicht beſtimmte Zeugniſſe für dieſe Verſchiedenheit aufgewieſen werden können; dieſe eben ſollen in den oben angegebenen Stellen liegen, und es wird jetzt hauptſächlich darauf ankommen, durch die Erklärung der erſten Stelle zu zeigen, daß dieſe den praktiſchen Gegenſatz gegen die zwei anderen Stellen, den man darin finden will, in der That nicht enthält.
Von der erſten Stelle nun, der L. 6 de evict., iſt ſchon oben bemerkt worden, daß ſie eigentlich gar nicht von dem anzuwendenden örtlichen Recht ſpricht, ſondern von that - ſächlichen Gewohnheiten, die gar nicht Rechtsregeln begrün - den (§ 356. i. k.). Indeſſen können wir über dieſes Be - denken hinweggehen, und einen indirecten Gebrauch dieſer Stelle für unſere Frage willig einräumen. Denn dieſelbe Wahrſcheinlichkeit, die dafür ſpricht, daß die Parteien ge - wiſſe factiſche Gewohnheiten des Orts ſtillſchweigend be - folgen wollten, läßt ſich auch geltend machen für ihre frei - willige Unterwerfung unter das örtliche Recht deſſelben Orts. Wir wollen alſo die Stelle ganz ſo behandeln, als254Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ob ſie über das örtliche Recht entſcheiden wollte, und nur noch fragen, für welchen beſtimmten Ort ſie entſcheidet. Offenbar will ſie in den Worten: ejus regionis, in qua negotium gestum est, irgend einen anderen denkbaren Ort ausſchließen; welches iſt nun dieſer von ihr ausgeſchloſſene Ort? Um die verſchiedenen Möglichkeiten, die dabei in Betracht kommen können, zur Anſchauung zu bringen, will ich folgendes Beiſpiel wählen. Zwei Einwohner von Pu - teoli, deren Einer in dieſer Stadt ein Grundſtück beſitzt, treffen zuſammen im Bade von Bajä, und ſchließen daſelbſt einen Kaufcontract über jenes Grundſtück; hinterher ent - ſteht ein Streit über die Evictionsleiſtung, und es fragt ſich, welches örtliche Recht dabei angewendet werden ſoll. Nach der Erklärung der Gegner müßte es das Recht von Bajä ſeyn (regionis, in qua negotium gestum est), nicht das von Puteoli, und dieſes letzte eben ſollte durch den Ausſpruch des Juriſten verneint werden. Ich gebe nun zu, daß es möglich wäre, der alte Juriſt hätte an den auf einem ſo verwickelten Fall beruhenden Gegenſatz gedacht, und darüber eine Entſcheidung geben wollen; aber in der Stelle ſelbſt findet ſich darauf nicht die entfernteſte Hin - deutung, und eine unbefangene Erklärung muß vielmehr darauf führen, folgenden viel einfacheren Fall vorauszu - ſetzen. Die zwei Einwohner von Puteoli haben in ihrer Vaterſtadt ſelbſt den Kaufvertrag geſchloſſen(i)So erklärt die Stelle auch C. Molinaeus, Conclusiones de statutis in dem Comm. in Codicem hinter L. 1 C. de; in dieſem255§. 372. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht.Stadtgebiet aber gilt bei Evictionen eine eigenthümliche Gewohnheit, abweichend von der anderwärts üblichen. An - ſtatt nämlich, daß die allgemeine Gewohnheit anderer Orte dahin führte, für den Fall der Eviction den doppelten Kauf - preis zurück zu zahlen(k)L. 31 § 20 de aedil. ed. (21. 1 ), L. 2. L. 37 de evict. (21. 2)., war es in Puteoli üblich, einen anderen Erſatz, etwa den anderthalbfachen, oder den dreifachen Kaufpreis eintreten zu laſſen. Der Ausſpruch des Juriſten geht alſo dahin, in einem ſolchen Fall nicht die allgemeine, anderwärts übliche, Höhe des Erſatzes gel - ten zu laſſen, ſondern die an dieſem Ort hergebrachte, weil wahrſcheinlich dieſe den Parteien vorgeſchwebt haben werde. Geſetzt nun, es wäre ihm die weitere Frage vor - gelegt worden, wie es zu halten ſey, wenn der Ver - trag nicht in Puteoli ſelbſt, ſondern in Bajä geſchloſ - ſen worden wäre (wovon übrigens die Stelle ſelbſt keine Spur enthält), ſo würde er ohne Zweifel auch wieder auf die Gewohnheit von Puteoli verwieſen haben, weil der Vertrag in dieſer Stadt und nicht in Bajä zu erfüllen war; nur würde er dann nicht mehr den Ausdruck gebraucht haben: in qua negotium gestum est, weil dieſer, wenn ein ſolcher Gegenſatz in Frage geſtanden hätte, faſt nothwendig(i)summa trin. (p. 6. 7 ed. Hanov. 1604. f) „ quod est intelligen - dum non de loco contractus fortuiti, sed domicilii, prout crebrius usu venit, immobilia non vendi peregre, sed in loco domicilii. Lex autem debet adaptari ad casus vel hypo - theses, quae solent frequenter accidere: nec extendi ad casus raro accidentes. “256Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.mißverſtanden werden mußte. — Wird nun dieſe Erklärung der Stelle angenommen, die ganz bei ihren Worten ſtehen bleibt, und ihr keine fremdartige Vorausſetzungen aufdrängt, ſo enthält ſie durchaus keinen Grund, das örtliche Recht nach einer andern Regel zu beſtimmen, als den Gerichts - ſtand.
Es ſind nun für das örtliche Recht der Obligation einige Nebenfragen zu erörtern, meiſt anſchließend an ähn - liche Nebenfragen, die ſchon oben für den Gerichtsſtand der Obligation unterſucht worden ſind (§ 371).
In mehreren Fällen nämlich wird das örtliche Recht, eben ſo, wie der Gerichtsſtand der Obligation, begründet durch den Entſtehungsort derſelben (§ 372 Num. III. IV), und es kann dann die genauere Beſtimmung dieſes Ent - ſtehungsortes wichtig, zuweilen aber auch zweifelhaft ſeyn. Mit Rückſicht auf ſolche Zweifel ſollen hier mehrere beſon - dere Fälle angegeben und einer Prüfung unterworfen werden, in ähnlicher Weiſe wie Dieſes bereits bei dem Gerichtsſtand geſchehen iſt.
A. Verträge:
Der zweifelhafteſte und beſtrittenſte Fall iſt der eines Vertrages, welcher durch Briefwechſel geſchloſſen wird. Mit dieſem Fall aber iſt auf völlig gleiche Linie zu ſtellen der Vertrag, der durch eine an verſchiedenen Orten unter -257§. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Fortſ.)zeichnete Urkunde, oder durch die mündliche Willenserklärung vermittelſt eines Boten, zu Stande kommt (§ 370. b). — Hierüber nun kann nur wiederholt werden, was oben (S. 235) über den Gerichtsſtand in ſolchen Fällen geſagt worden iſt. Der Vertrag durch Briefwechſel iſt als ge - ſchloſſen anzuſehen an dem Orte, wo der Brief empfangen und zuſtimmend beantwortet wird. Käme es alſo blos darauf an, ſo müßte durch dieſen Ort auch das örtliche Recht beſtimmt werden, und dieſes iſt in der That die Meinung mehrerer Schriftſteller(a)Hommel rhaps., obs. 409 N. 17. 18, Meier p. 59.. Dieſe Meinung muß aber verworfen werden, weil der Verfaſſer des Briefes höchſtens einem Reiſenden zu vergleichen iſt, der ſich auf einen Augenblick zu dem Empfänger hinbegeben hat, um den Vertrag zu ſchließen; durch einen ſolchen ganz vorüber - gehenden Aufenthalt aber wird, auch wenn darin ein Ver - trag zu Stande kam, der Sitz der Obligation mit ſeinen rechtlichen Folgen nicht begründet. Daher iſt hier das örtliche Recht der Obligation zu beurtheilen vor Allem nach dem Erfüllungsort, wenn ein ſolcher feſt beſtimmt iſt; fehlt es an einer ſolchen Beſtimmung, ſo gilt für jede Partei das Recht ihres Wohnſitzes(b)Wächter II. S. 45 nimmt das Recht des Wohnſitzes allge - mein an, ohne Rückſicht auf den Erfüllungsort.. — Ganz abweichend von dieſen verſchiedenen Anſichten haben andere Schriftſteller angenommen, der durch Briefwechſel geſchloſſene VertragVIII. 17258Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.müſſe nach dem Naturrecht beurtheilt werden(c)Grotius de j. belli Lib. 2 C. 11 § 5 N. 3. Hert. de com - meatu literarum § 16 — 19 (Comm. Vol. I pag. 243).; wobei nur zu bedauern iſt, daß ſie nicht zugleich das naturrecht - liche Syſtem angegeben haben, welches ſie angewendet wiſſen wollen. — Das Preußiſche Geſetzbuch entſcheidet die hier vorliegende Frage nur in der beſchränkten An - wendung auf den Fall, wenn am Wohnſitz beider Parteien ein verſchiedenes Recht über die Form des Vertrags gelte; dann ſoll dasjenige Recht angewendet werden, bei welchem der Vertrag am beſten beſtehen kann(d)A. L. R. I. 5 § 113. 114.. In dem Sinn dieſer Vorſchrift aber liegt es, auch in anderen Beziehungen (wo es nicht auf das Beſtehen des Vertrags, ſondern auf die Art der Wirkung ankommt) das Recht des Wohnſitzes über die Schuld jedes Theiles entſcheiden zu laſſen.
Die wichtigſte Anwendung dieſer Streitfrage iſt die auf das Wechſelrecht. Nach dem aufgeſtellten Grundſatze müſſen wir annehmen, daß die Verpflichtung jedes einzelnen Unter - zeichners eines Wechſels nach dem Recht ſeines Wohnſitzes zu beurtheilen iſt. Das ganz eigenthümliche Bedürfniß dieſes Geſchäfts aber kann eine abweichende poſitive Be - ſtimmung wohl rechtfertigen. Das neueſte deutſche Wechſel - recht beſtimmt im Art. 85 Folgendes. Jede Wechſel - erklärung iſt zu beurtheilen nach dem Geſetz des Orts, an welchem ſie erfolgt iſt. Iſt ſie jedoch nach dieſem Geſetz mangelhaft, genügt aber den Anforderungen des inländiſchen259§. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Fortſ.)Geſetzes, ſo ſind die ſpäter im Inland auf den Wechſel geſetzten Wechſelerklärungen gültig. Eben ſo ſind gültig die Wechſelerklärungen, die ein Inländer einem anderen Inländer im Auslande giebt, wenn ſie nur dem inländiſchen Geſetze entſprechen(e)Preußiſche Geſetz-Sammlung 1849 S. 68. Aehnliche Be - ſtimmungen enthält das A. L. R. II. 8 § 936 — 938..
B. Einſeitige erlaubte Handlungen.
Aus dieſer Kategorie kommen hier hauptſächlich in Betracht die mannichfaltigen Verpflichtungen, die aus dem Klagenrecht hervorgehen, insbeſondere aus der Litisconte - ſtation (Anſtellung der Klage), dem gerichtlichen Geſtändniß, dem rechtskräftigen Urtheil. Hierüber waren früher viele Zweifel und Meinungsverſchiedenheiten wahrzunehmen, die ſich jedoch allmälig immer mehr dem richtigen Grundſatz angenähert haben, nach welchem das am Ort des Gerichts (und zwar der erſten Inſtanz) beſtehende örtliche Recht als anwendbar gelten muß, auch wenn an anderen Gerichten dieſe Frage ſpäterhin vorkommt(f)Huber § 6. Meier p. 29. Story § 584 fg..
Es muß jedoch bemerkt werden, daß hier eigentlich zwei, wenngleich verwandte, dennoch an ſich verſchiedene Fragen zu entſcheiden ſind, deren Sinn am anſchaulichſten werden wird, wenn ich ſie ſogleich auf den wichtigſten Fall der Anwendung, das rechtskräftige Urtheil, beziehe. Die erſte, allerdings wichtigſte, Frage iſt die, ob überhaupt das aus -17*260Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.geſprochene rechtskräftige Urtheil auch anderwärts, ſelbſt in einem anderen Lande, anzuerkennen iſt. Die zweite Frage betrifft die Modalitäten in den Bedingungen und Wirkungen des rechtskräftigen Urtheils, die in den Geſetzen verſchie - dener Länder verſchieden beſtimmt ſeyn können. Unſere Schriftſteller denken meiſt nur an die erſte Frage. Wer aber dieſe zum Vortheil der Gültigkeit des rechtskräftigen Urtheils beantwortet, muß conſequenterweiſe auch auf die Modalitäten das Geſetz des Orts anwenden, an welchem das Urtheil geſprochen wurde, da man doch überhaupt das Urtheil nur in dem Sinn kann anwenden wollen, in welchem der urtheilende Richter daſſelbe erlaſſen hat.
Dieſer Gegenſatz tritt hervor in der Faſſung vieler Ver - träge, die von der Preußiſchen Regierung mit Nachbarſtaa - ten geſchloſſen worden ſind(g)Vertrag mit Weimar Art. 3 (ſ. o. § 348) „ Ein von einem zu - ſtändigen Gericht gefälltes rechts - kräftiges Erkenntniß begründet vor den Gerichten des andern Staates die Einrede des rechtskräftigen Ur - theils (exceptio rei judicatae) mit denſelben Wirkungen, als wenn das Urtheil von einem Gericht desjenigen Staates, in welchem ſolche Einrede geltend ge - macht wird, geſprochen wäre “. — Eben ſo mit mehreren anderen Nachbarſtaaten.. Nach der wörtlichen Faſſung dieſer Verträge könnte man annehmen, wenn ein in Weimar geſprochenes Urtheil in einem Preußiſchen Ge - richt vorgebracht werde, ſo müſſe die exceptio rei judicatae ſo angewendet werden, wie es den Preußiſchen Regeln über dieſe Exception, nicht, wie es den Weimarſchen (ge - meinrechtlichen) entſpreche. An dieſen feineren Gegenſatz261§. 373. III. Obligationenrecht. Örtliches Recht. (Fortſ.)aber hat man dabei ſchwerlich gedacht, um ſo weniger, als bei jenen Verhandlungen gewiß nicht die möglichen Ver - ſchiedenheiten in der Theorie der exceptio rei judicatae er - wogen worden ſind. Die Meinung ging vielmehr unzwei - felhaft blos dahin, daß die Exception aus einem Urtheil des Nachbarlandes eben ſo gewiß, wie aus einem inlän - diſchen Urtheil, geltend gemacht, alſo nicht etwa wegen der ausländiſchen Stellung des früheren Richters zurückgewie - ſen werden könne.
C. Delicte.
Der Gerichtsſtand am Ort des begangenen Delicts hat nach den Geſetzen und nach der Praxis keinen Zweifel, ob - gleich er auf andere Weiſe begründet werden muß, als der Gerichtsſtand anderer Obligationen (§ 371. C.). Für das örtliche Recht aber muß eine andere Regel gelten. Indeſſen wird es zweckmäßiger ſeyn, dieſe Frage in einem anderen Zuſammenhang zu behandeln (§ 374. C.), weshalb ſie hier einſtweilen ausgeſetzt bleibt.
Die neueren Geſetzgebungen enthalten nur ſehr unvoll - ſtändige Beſtimmungen über das örtliche Recht der Obli - gationen. Das Preußiſche Landrecht giebt eine Vorſchrift über die durch Briefwechſel geſchloſſenen Verträge (Note d). Es erkennt ferner bei der Frage über Maaß und Gewicht, ſo wie über die Münzſorte, die in einem Vertrag gemeint ſeyn mögen, den Grundſatz an, daß der örtliche Gebrauch262Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.des vertragsmäßigen Erfüllungsortes anwendbar ſey(h)A. L. R. I. 5 § 256. 257. — Koch Preuß. Recht B. 1 S. 133 ſtellt den ganz richtigen Grundſatz auf, es müſſe das ört - liche Recht gelten, dem ſich die Parteien haben unterwerfen wollen, nimmt aber ohne hinreichenden Grund an, daß dieſes meiſtens der locus contractus ſeyn werde. Auch Bornemann B. 1 S. 65 nimmt dieſen Ort als vorherr - ſchende Regel an. — Von der Form der Verträge wird noch unten die Rede ſeyn bei der Regel: locus regit actum. Vgl. auch die oben in der Note e angeführten Geſetzſtellen.; dieſe Vorſchrift nun bezieht ſich zwar eigentlich nicht auf das örtliche Recht, ſondern auf die davon verſchiedene Auslegung der Verträge (§ 374. f); ich halte es aber für unbedenklich, den hier anerkannten Grundſatz auch auf das örtliche Recht über die Wirkungen der Verträge im Sinne des Landrechts anzuwenden, da in demſelben der erwähnte ſcharfe Unterſchied ſchwerlich vorausgeſetzt werden darf.
Das Oeſterreichiſche Geſetzbuch legt vorzugsweiſe Ge - wicht auf den Ort, wo ein Vertrag geſchloſſen iſt, um das anwendbare örtliche Recht zu beſtimmen, und fügt nur die natürliche Ausnahme hinzu, wenn die Parteien erweislich die Anwendung eines anderen örtlichen Rechts beabſichtigt haben(i)Oeſterreichiſches Geſetzbuch §. 36. 37..
Die bisher aufgeſtellten Grundſätze betrafen das örtliche Recht der Obligation im Allgemeinen. Es wurde aber dabei anerkannt, daß dieſes örtliche Recht nicht gerade auf alle einzelne, bei Gelegenheit einer Obligation etwa vor - kommende Rechtsfragen anwendbar ſeyn müſſe, und es wurde die beſondere Prüfung dieſer einzelnen Rechtsfragen noch vorbehalten (§ 372. S. 250). Zu dieſer Prüfung gehe ich jetzt über.
A. Die erſte dieſer Rechtsfragen betrifft die perſön - liche Fähigkeit des in einer Obligation auftretenden Glaubigers oder Schuldners zu dieſem beſonderen Rechts - verhältniß.
Gerade dieſe erſte Frage nun iſt gar nicht nach dem örtlichen Recht der Obligation als ſolchem zu entſcheiden, ſondern lediglich nach dem örtlichen Recht, welches an dem Wohnſitz der Perſon gilt. Es muß Dieſes unbedingt be - hauptet werden, da der von Vielen aufgeſtellte Unterſchied zwiſchen der allgemeinen und beſonderen Handlungsunfä - higkeit durchaus unhaltbar iſt (§ 364).
Es gilt dieſes namentlich nach gemeinem Recht in Beziehung auf die perſönliche Wechſelfähigkeit, welche ſtets nach dem Rechte des Wohnſitzes des bei einem Wechſel betheiligten Unterzeichners zu beurtheilen iſt. Jedoch würde es irrig ſeyn, die perſönliche Wechſelunfähigkeit zu verwechſeln mit dem an irgend einem Orte264Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.nicht geltenden Wechſelrecht. An einem ſolchen Orte näm - lich kann nur keine Wechſelklage mit Erfolg angeſtellt wer - den, ſelbſt aus einem an ſich vollgültigen Wechſel; dagegen hat das Recht eines ſolches Ortes auf die Gültigkeit der an demſelben ausgeſtellten Wechſel keinen Einfluß, ſo daß dieſe an anderen, mit Wechſelrecht verſehenen Orten aller - dings wechſelmäßig eingeklagt werden können (§ 364).
B. Eine andere Rechtsfrage betrifft die Auslegung der Rechtsgeſchäfte, insbeſondere der Verträge, aus welchen Obligationen entſtehen(a)Schriftſteller über dieſe Frage: Boullenois T. 2 obs. 46 dixième règle. p. 489 — 538. Story § 272 fg. 280 fg. Wäch - ter Archiv für civil. Praxis B. 19 S. 114 bis 125..
Man kann dieſe Frage mit mehreren Schriftſtellern in einem ſo weiten Sinne auffaſſen, daß ſie alle andere Fra - gen über das örtliche Recht in ſich aufnimmt, indem die Anwendung irgend einer örtlichen Rechtsregel auf einen Vertrag ſtets ſo verſtanden werden kann, daß ſie nach dem wahrſcheinlichen Willen der Parteien zu dem Vertrag hinzu gedacht werden müſſe. Das läßt ſich als ergänzende Aus - legung bezeichnen, ſo wie ſie überhaupt den vermittelnden Rechtsregeln zum Grunde liegt(b)S. o. B. 1 § 16.. Allein ſo allgemein aufgefaßt, verliert die Frage nach der Auslegung alle eigen - thümliche Bedeutung. Soll ihr dieſe erhalten werden, ſo müſſen wir ſie in einem engeren Sinne auffaſſen, indem wir ſie auf die Zweifel beziehen, die aus der ungewiſſen265§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Faſſung eines Vertrags, alſo aus den Ausdrücken deſſelben, entſpringen. Das iſt eine thatſächliche Frage, eben ſo wie bei der Geſetzauslegung; ſie iſt hier und dort gerichtet auf die Erkenntniß des wahren Gedankens, den die gebrauchte mündliche oder ſchriftliche Rede in ſich enthält(c)S. o. B. 3 S. 244. — So drücken ſich auch die Römiſchen Juriſten aus. L. 34 de R. J. (50. 17) „ id sequimur, quod actum est “. L. 114 eod. „ In obscuris inspici solere, quod verisimilius est, aut quod ple - rumque fieri solet “. . Bei dieſer Frage nun iſt gar nicht die Rede von der Anwen - dung irgend eines örtlichen Rechts, wohl aber kann der örtliche Sprachgebrauch oft dazu dienen, den Gedanken der Perſon erkennen zu laſſen, von welcher die Willens - erklärung herrührt. Fragen wir nun nach dem Ort, deſſen Sprachgebrauch zu berückſichtigen iſt, ſo können dabei die Regeln über das anwendbare örtliche Recht nicht maaßge - bend ſeyn, und es iſt ganz grundlos, wenn Manche auf den Entſtehungsort oder den Erfüllungsort der Obligation blos deswegen verweiſen, weil ſich nach dieſen Orten das anwendbare örtliche Recht in vielen Fällen richtet.
So wird bei einem durch Briefwechſel geſchloſſenen Vertrag in der Regel der Sprachgebrauch des Ortes zu beachten ſeyn, an welchem der Verfaſſer des erſten Schrei - bens wohnt, nicht der Ort des Empfanges und der An - nahme, obgleich an dieſem letzten Ort der Vertrag als ab - geſchloſſen anzuſehen iſt (S. 235)(d)Wächter a. a. O., S. 117. Er erläutert dieſen Satz durch folgenden Rechtsfall. Eine Leip - ziger Verſicherungsgeſellſchaft hatte; denn es iſt anzu -266Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.nehmen, daß der Verfaſſer des Schreibens den ihm geläu - figen Sprachgebrauch vor Augen gehabt haben wird.
Wenn ferner ein mündlicher oder ſchriftlicher Vertrag im Wohnſitz beider Parteien geſchloſſen wird, ſo iſt unſtrei - tig der Sprachgebrauch dieſes Ortes anwendbar. Dagegen läßt ſich Dieſes nicht unbedingt behaupten, wenn der Ver - trag an einem Orte geſchloſſen wird, der für eine der Par - teien oder für beide nicht der eigene Wohnſitz iſt. Hier muß in jedem einzelnen Fall erwogen werden, ob anzuneh - men iſt, daß der Fremde, der an dem Vertrage Theil nahm, dieſen örtlichen Sprachgebrauch kannte, und ſich ihn wahr - ſcheinlich aneignen wollte(e)Man könnte dieſe Be - hauptung widerlegen wollen durch L. 34 de R. J. (50. 17) „ id sequamur, quod in regione, in qua actum est, frequenta - tur. “ Allein dieſe Stelle will ge - wiß keine willkürliche Vorſchrift geben, muß alſo unter der natür - lichen Vorausſetzung verſtanden werden, daß die verhandelnden Perſonen an dieſem Orte ein - heimiſch ſind; ganz eben ſo wie die L. 6 de evict. (21. 2), ſ. o. §. 372. i. .
Aus denſelben Gründen können wir auch nicht den Sprachgebrauch des verabredeten Erfüllungsortes unbedingt zum Grunde legen bei der Auslegung eines Vertrages,(d)in ihren gedruckten Bedingungen den Fall einer Zerſtörung durch Aufruhr ausgenommen. Bei einer auswärts vorgekommenen Feuers - brunſt entſtand nun die Frage, ob dabei der juriſtiſche Begriff des Auf - ruhrs anwendbar ſey, indem die Ge - ſetze verſchiedener Länder dieſen Begriff nicht gleichmäßig beſtimmen. Wächter entſcheidet ganz richtig, es müſſe auf den Sprachgebrauch des Sächſiſchen Geſetzes geſehen werden, weil in dem Bereich deſſel - ben die Bedingungen abgefaßt waren, auf deren Grund die Ver - ſicherungen ausgeſtellt und ange - nommen wurden.267§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.wenngleich das örtliche Recht einer Obligation ſtets nach dem Erfüllungsort ſich richtet. Auch hier wird es darauf ankommen, ob die Parteien den Sprachgebrauch dieſes Ortes kannten und ſich aneignen wollten. Für manche Stücke in dem Inhalt eines Vertrages werden wir freilich den Sprachgebrauch des Erfüllungsortes allgemein bei der Auslegung zum Grunde legen können. Wenn nämlich an einem fremden Orte eine Geldſumme ausgezahlt, eine Waare nach Maaß und Gewicht abgeliefert, oder ein Grundſtück nach dem beſtimmten Umfang eines Landmaaßes übergeben werden ſoll, in dem Vertrage aber für die Geldſorte, das Maaß oder das Gewicht Ausdrücke gebraucht ſind, die in verſchiedener Bedeutung, in verſchiedenem Umfang und Werth vorzukommen pflegen, ſo iſt der Sprachgebrauch des Erfüllungsortes zum Grunde zu legen, nicht blos, weil an - zunehmen iſt, daß die Parteien an das dort übliche Geld, Maaß, Gewicht gedacht haben werden, ſondern auch, weil es in jenem Orte oft an der Möglichkeit fehlen wird, die Erfüllung nach anderen Gewichten u. ſ. w. abzumeſſen und zu vollziehen(f)Boullenois p. 496 — 498. So iſt es auch ausdrücklich in dem Preußiſchen Geſetze beſtimmt. A. L. R. I. 5 § 256. 257..
Man könnte glauben, die hier aufgeſtellten Regeln über die Auslegung der Verträge ſtänden im Widerſpruch mit gewiſſen Vorſchriften des Römiſchen Rechts. Nach dieſen nämlich ſoll die Auslegung eines zweifelhaften Vertrages268Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſtets ausfallen zum Nachtheil des Stipulator bei einer Stipula - tion(g)L. 26 de reb. dub. (34. 5 ), L. 38 § 18, L. 99 pr. de V. O. (45. 1).; eben ſo zum Nachtheil des Verkäufers oder des Vermie - thers, wenn von dieſen anderen Verträgen die Rede iſt(h)L. 39 de pactis (2. 14 ), L. 21. 33 de contr. emt. (18. 1 ), L. 172 pr. de R. J. (50. 17).. Als Grund wird dabei der Umſtand angegeben, daß dieſe Perſonen es in ihrer Macht hatten, den Zweifel durch an - dere Faſſung zu verhüten, welches ſo viel ſagen will, daß ſie entweder durch ihre Nachläſſigkeit oder gar durch un - redliche Abſicht den Zweifel verſchuldet haben. Eben dieſer Grund aber deutet darauf hin, daß ein ganz anderer Fall, als bei der hier vorliegenden Frage, vorausgeſetzt wird. Jene Ausſprüche beziehen ſich überdem ganz ausdrücklich auf dunkle, zweideutige Ausdrücke(i)L. 39 de pactis (2. 14 ), L. 21. 33 de contr. emt. (18. 1 ), L. 26 de reb. dub. (34. 5 ), L. 172 pr. de R. J. (50. 17)., anſtatt daß in un - ſerer Frage von Ausdrücken die Rede iſt, die an ſich weder dunkel noch zweideutig ſind, ſondern nur an verſchiedenen Orten eine andere Bedeutung mit ſich führen, welche aber an jedem dieſer Orte für ſich klar und gewiß iſt.
Die hier erörterte Frage wegen der Auslegung der Verträge iſt von jeher von den meiſten Schriftſtellern auf andere Weiſe, als hier geſchehen, aufgefaßt, und vielmehr auf die Grundſätze des örtlichen Rechts zurückgeführt wor - den. Hiernach hat man gewöhnlich angenommen, daß die Auslegung geſchehen müſſe nach dem Sprachgebrauch des269§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Vertragsortes, oder des Erfüllungsortes, wenn ein ſolcher verabredet ſey(k)So Story § 272. 280 und die daſelbſt angeführten Schrift - ſteller.. Mehrere aber haben völlig richtig die Aufgabe erkannt, nicht ſowohl eine juriſtiſche Regel feſtzu - ſtellen, als vielmehr die wahre Abſicht der Parteien nach den für die Auslegung überhaupt geltenden Grundſätzen für jeden einzelnen Fall zu erforſchen(l)So Boullenois a. a. O., beſonders p. 494 — 498, und Wächter a. a. O..
C. Die Gültigkeit einer Obligation iſt abhängig theils von formellen, theils von materiellen Bedingungen. Die formellen Bedingungen werden weiter unten, in Ver - bindung mit den bei anderen Rechtsverhältniſſen anwend - baren Formen, erwogen werden, da, wo von der Regel: locus regit actum die Rede ſeyn wird (§ 381). Hier iſt für die materiellen Bedingungen der Gültigkeit das örtliche Recht feſtzuſtellen, nach welchem ſie beurtheilt werden müſſen.
Als Regel müſſen wir annehmen, daß die Gültigkeit der Obligation abhängt von dem örtlichen Recht, dem die Obligation überhaupt unterworfen iſt (§ 372); alſo, je nach Verſchiedenheit der Fälle, von dem Recht des Erfüllungs - ortes, oder des Entſtehungsortes der Obligation, oder des Wohnſitzes des Schuldners. Von dieſer Regel aber muß eine Ausnahme behauptet werden in allen Fällen, in wel - chen ein am Ort der angeſtellten Klage geltendes Geſetz von ſtreng poſitiver, zwingender Natur entgegenſteht.
270Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Die hier aufgeſtellte Regel wird denn auch von den meiſten Schriftſtellern anerkannt, natürlich mit Vorbehalt ſehr verſchiedener Anwendungen, gegründet auf die Mei - nungsverſchiedenheiten über das örtliche Recht der Obliga - tion ſelbſt(m)Voet. Pand. IV. 1. § 29. Hert. § 66. Story § 332 fg. Wächter II. S. 397. 403. 404..
Dieſe Uebereinſtimmung jedoch beſchränkt ſich auf den durchgreifenden Gegenſatz einer durchaus gültigen oder durchaus ungültigen (nichtigen) Obligation. Zwiſchen die - ſen beiden äußerſten Fällen finden ſich mannichfaltige Mit - telglieder, und über das örtliche Recht, nach welchem dieſe beurtheilt werden ſollen, gehen die Meinungen ſehr aus - einander.
Zunächſt ſind hier die Fälle zu beachten, in welchen einer an ſich nicht ungültigen Obligation blos die Rechts - hülfe der Klage verſagt wird (naturalis obligatio); ferner die weit häufigeren Fälle, in welchen eine klagbare Obli - gation durch entgegenſtehende peremtoriſche Einreden ent - kräftet wird. Manche Schriftſteller haben hier die Klagen und Einreden als Prozeßinſtitute behandelt, und daher auf alle Fälle ſolcher Art das Geſetz, welches am Ort der an - geſtellten Klage gilt, anzuwenden verſucht(n)Weber natürliche Ver - bindlichkeit § 62. 95. Foelix p. 146.. Dieſe Mei - nung aber iſt ganz verwerflich; alle Rechtsregeln der hier erwähnten Art beſtimmen nur verſchiedene Stufen und271§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Formen unvollſtändiger Gültigkeit einer Obligation(o)S. o. B. 4 § 202. 203. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die hier aufgeſtellte Regel nur an - wendbar iſt auf Einreden, die einen materiellen Rechtsgrund haben (alſo auf alle peremtoriſche), nicht auf die, welche blos in Prozeß - vorſchriften gegründet ſind, und die ſtets eine nur dilatoriſche Natur haben. S. o. B. 5 § 227 S. 171. 175. Dieſe letzten richten ſich ge - wiß nach dem am Ort der Klage geltenden Recht, und vielleicht hat die Verwechſelung beider Arten da - zu beigetragen, die falſche Lehre zu befeſtigen., und gehören daher eben ſo, wie die Regeln über völlige Gültig - keit oder Ungültigkeit dem materiellen Rechte an, nicht dem Prozeßrecht(p)Eichhorn deutſches Recht § 36 Note n. Wächter II. S. 401. 402.. Es iſt alſo ganz inconſequent, beide Ar - ten von Rechtsregeln nach verſchiedenen Grundſätzen zu behandeln. Beſonders bedenklich aber muß es erſcheinen, wenn dieſe Behandlung auf neuere Geſetzgebungen ange - wendet werden ſoll, welchen ſcharf begränzte Begriffe und Kunſtausdrücke oft fehlen, worauf allein jene Unterſcheidung gegründet werden könnte.
Die hier aufgeſtellte Regel iſt alſo namentlich anzuwen - den auf die exceptio non numeratae pecuniae; denn ob - gleich in dieſer zunächſt von einer eigenthümlichen Beweis - regel die Rede iſt, die dem Prozeßrecht anzugehören ſcheint, ſo iſt dieſelbe dennoch ganz in dem materiellen Recht ge - wiſſer Arten von Obligationen gegründet. Ferner gehört dahin die exceptio excussionis; imgleichen die auf das beneficium competentiae gegründete Einrede. — Dagegen ſind nicht unter dieſe Regel zu beziehen die exceptio Sc. 272Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Macedoniani und Sc. Vellejani, da dieſe Einreden nicht auf der mangelhaften Natur der Obligation an ſich, ſon - dern auf der unvollſtändigen Handlungsfähigkeit der be - theiligten Perſonen beruhen, folglich, ſo wie alle dieſen Ge - genſtand betreffenden Rechtsverhältniſſe, nach dem an dem Wohnſitz ſolcher Perſonen geltenden Rechte beurtheilt werden müſſen (§ 364).
Eben ſo, wie mit den Einreden, verhält es ſich auch mit den Klagen, wodurch eine Obligation angefochten und entkräftet werden ſoll; ſie ſind zu beurtheilen nach dem Recht des Ortes, dem die Obligation überhaupt unter - worfen iſt(q)Das örtliche Recht der Obligation iſt alſo allgemeiner und unbedingter auf die Anfechtungs - klagen anzuwenden, als der Ge - richtsſtand der Obligation, indem dieſer letzte nur zur Aufrechthaltung und Durchführung der Obligation beſtimmt iſt (§ 371)..
Anwendungen dieſer Regel ſind folgende: Die An - fechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. — Die Anfechtung eines Kaufs durch die redhibitoriſche Klage oder die actio quanti minoris. — Ferner jede Re - ſtitution gegen einen obligatoriſchen Vertrag(r)Auch ſelbſt wenn die Re - ſtitution auf der Minderjährigkeit beruht, da dieſe, nach ihrer all - mäligen Entwickelung im Rö - miſchen Recht, nicht mehr als reine Folge der Handlungsunfähig - keit betrachtet werden kann, ſon - dern als ein die Obligation als ſolche entkräftendes Rechtsmittel (§ 365. B. 3)..
273§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Unter den hier erwähnten Einreden, wodurch eine Obli - gation entkräftet werden kann, iſt die allgemeinſte in der Anwendung, und darum auch die wichtigſte, die Einrede der Klagverjährung, und dieſe bedarf noch einer ab - geſonderten Erwägung, weil ſich gerade darüber die Schrift - ſteller auf ſehr verſchiedene Weiſe ausgeſprochen haben, jedoch ſo daß der allgemeine Gegenſatz der Meinungen, der bereits bei den Einreden überhaupt erwähnt worden iſt, hier nur in etwas ſchärferer Weiſe hervortritt. Wenn nun ins - beſondere verſchiedene Verjährungszeiten gelten an dem ver - abredeten Erfüllungsort, wo wir den Sitz der Obligation annehmen, und an dem Ort der wirklich angeſtellten Klage (etwa dem Wohnſitz des Schuldners), ſo entſteht die Frage, welche Verjährungszeit angewendet werden ſoll.
Viele behaupten, die Verjährungsgeſetze ſeyen Prozeß - geſetze, und müßten daher angewendet werden auf alle in ihrem Bereiche angeſtellte Klagen, ohne Rückſicht auf das örtliche Recht der Obligation(s)Huber § 7. Weber na - türliche Verbindlichkeit § 95 S 413 und S. 419. Story § 576 fg. Foelix p. 147 — 149. (der ſich jedoch ſchwankend erklärt). Weber fügt eine inconſequente Ausnahme hinzu für den Fall, wenn der Schuldner aus einem Orte von langer Verjährung an einen Ort, wo kurze Verjährung gilt, ſeinen Wohnſitz verlegt; hier ſoll der Lauf der kurzen Verjährung erſt anfangen mit der Gründung des neuen Wohnſitzes..
Nach der richtigen Lehre muß das örtliche Recht der Obligation über die Verjährungszeit entſcheiden, nicht das des Klageorts; und dieſe Regel, die ſo eben für die Ein -VIII. 18274Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.reden überhaupt aufgeſtellt worden iſt, wird bei der Ver - jährung noch dadurch beſtätigt, daß die verſchiedenen Gründe, worauf dieſelbe beruht, mit dem Weſen der Obligation ſelbſt in Zuſammenhang ſtehen(t)S. o. B. 5 § 237.. Dieſe Meinung iſt denn auch zu allen Zeiten von nicht wenigen Schriftſtellern als richtig anerkannt worden(u)Hert. § 65. Schäffner § 87. Wächter II. S. 408 — 412, wo auch noch andere Schriftſteller angeführt werden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die hier be - hauptete Uebereinſtimmung nur von dem Grundſatz gilt, nicht von allen Anwendungen; denn das örtliche Recht der Obligation wird ja eben von dieſen Schriftſtellern nicht auf gleiche Weiſe beſtimmt. — Der Grundſatz iſt auch anerkannt in einem Urtheil des Berliner Revi - ſionshofs von 1843. Seuffert Archiv B. 2 Num. 120. — Für das Preußiſche Recht ſtimmen bei: Koch I. S. 133 Note 23. Bor - nemann I. S. 65..
Dieſe Lehre iſt aber auch nicht blos grundſätzlich richtig, ſondern ſie empfiehlt ſich zugleich durch eine gewiſſe Billig - keit, indem durch die aus ihr folgende feſte Beſtimmung des Verjährungsgeſetzes jede einſeitige Willkür einer Partei zum Nachtheil des Gegners ausgeſchloſſen wird. So kann nun nicht etwa bei concurrirenden Gerichtsſtänden der Klä - ger gerade den Ort zur Klage ausſuchen, an welchem die längſte Verjährungszeit gilt. Eben ſo kann umgekehrt nicht der Beklagte durch willkürliche Verlegung des Wohnſitzes an einen Ort von kurzer Verjährung den Vortheil derſel - ben ſich zuwenden, indem für die am vorigen Wohnſitz von ihm contrahirte Schuld das örtliche Recht, ſo wie der be - ſondere Gerichtsſtand der Obligation, unabänderlich feſtge -275§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.ſtellt iſt(v)Vgl. oben § 370 Num. III. § 372 Num. III. Wäre dieſes nicht, ſo brauchte nur der Schuld - ner während der Dauer jener kurzen Verjährung das Betreten des früheren Wohnſitzes zu vermeiden (§ 371. z), um ſich von der Schuld ſchneller zu befreien. Wie hier - gegen Weber helfen will, iſt oben in der Note s bemerkt worden.. — Man kann auch keine Härte für den Glau - biger darin finden, daß bei einem verabredeten Erfüllungs - ort, der vielleicht eine ſehr kurze Verjährungszeit hat, der Schuldner während dieſer Zeit willkürlich vermeiden kann, an dieſem Ort zu erſcheinen, wodurch die Klage an dieſem Ort einſtweilen ausgeſchloſſen wird (§ 371. z). Denn der Glaubiger iſt ja nicht gehindert, zu jeder Zeit an dem Wohnſitz des Schuldners zu klagen (§ 371. r). Wäre freilich der Gerichtsſtand am Erfüllungsort aus - ſchließend, ſo würde in einem ſolchen Fall dem Glaubiger nur durch die Mittel zu helfen ſeyn, die überhaupt gegen die Klagverjährung in Fällen gehemmter Rechtsverfolgung ſchützen(w)Nämlich durch Reſtitution, oder auch durch Anſtellung der Klage vor dem Statthalter, De - fenſor u. ſ. w. S. o. B. 7 § 328..
Die oben aufgeſtellte Regel, nach welcher die Gültig - keit einer Obligation beurtheilt werden ſoll nach dem Rechte des Ortes, welchem die Obligation überhaupt unterworfen iſt (S. 269), muß durch eine wichtige Ausnahme beſchränkt werden. Wenn nämlich der Gültigkeit der Obligation ein Geſetz von ſtreng poſitiver, zwingender Natur entgegen -18*276Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.geſetzt wird, ſo iſt nicht das eben erwähnte örtliche Recht, ſondern vielmehr das am Ort der angeſtellten Klage geltende Recht, das Recht des jetzt urtheilenden Richters, anzu - wenden(x)Damit ſtimmt überein Wächter II. S. 389 — 405..
Dieſe Ausnahme iſt die bloße Folge eines ſehr allge - meinen Grundſatzes über die Anwendbarkeit zwingender Ge - ſetze (§ 349. 372. A). Sie iſt anzuwenden ſowohl poſitiv, als negativ: das heißt, indem der Richter das für ihn gel - tende zwingende Geſetz anzuwenden hat, auch wenn es am Sitz der Obligation nicht gilt; eben ſo aber auch, indem er das anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende zwin - gende Geſetz nicht anzuwenden hat, wenn es für ihn nicht als Geſetz beſteht.
Die erwähnte Ausnahme kommt vor ſowohl bei Ver - trägen, als bei Delicten.
Unter die Verträge dieſer Art gehören die durch Wucher - geſetze verbotene. Wird alſo eine Zinſenſchuld eingeklagt, die dem für dieſen Richter geltenden Geſetz widerſpricht, ſo muß er ſie als ungültig behandeln, auch wenn am Sitz der Obligation ein gleichmäßig einſchränkendes Wuchergeſetz nicht vorhanden ſeyn mag; denn der Sinn eines ſolchen Geſetzes geht dahin, daß kein unter ihm lebender Richter ſeine Amtsgewalt zur Durchführung eines ſo unſittlichen, gemeinſchädlichen Unternehmens, wie der wucherliche Ver - trag angeſehen wird, anwenden ſoll. — Eben ſo aber wird277§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.auch umgekehrt der Richter, in deſſen Amtsſprengel ein Verbot der vor ihm eingeklagten Zinſen nicht beſteht, die Zinſen als gültig anzuſehen haben, ohne Rückſicht auf das etwa anderwärts (am Sitz der Obligation) geltende Verbot. Dieſe negative Behauptung wird nicht nur durch die Con - ſequenz der erſten, poſitiven gefordert, ſondern auch aus folgendem Grunde. Die Anwendbarkeit eines beſtimmten örtlichen Rechtes auf eine Obligation gründet ſich überhaupt auf die anzunehmende freie Unterwerfung; eine ſolche Unter - werfung kann aber durchaus nicht angenommen werden, wenn ſie auf ein Geſetz führen würde, welches gerade die hier vorliegende Obligation entkräften müßte (§ 372. C).
Dieſelbe Behauptung, wie bei den wucherlichen Ver - trägen, muß auch aufgeſtellt werden für die Spielſchulden, wenn dieſe nach dem einen Geſetze als gültig, nach dem anderen als ungültig, anzuſehen ſeyn ſollten. Das Geſetz des Ortes, an welchem geklagt wird, kann allein über die Gültigkeit der Obligation entſcheiden.
Eben ſo verhält es ſich mit der Lex Anastasiana bei Schuldforderungen, die unter ihrem Nominalwerth verkauft werden. Dieſes Geſetz beruht auf der Vorausſetzung, daß ein ſolcher Handel für den Schuldner gefährlich und be - drückend werden könne, und ſucht ihn als unſittlich und gemeinſchädlich zu verhüten durch die Vorſchrift, daß eine unter ſolchen Bedingungen erworbene Forderung nur bis auf die Höhe des bezahlten Kaufpreiſes geltend gemacht278Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.werden dürfe(y)L. 22 C. mandati (4. 35).. Die Anwendbarkeit dieſes Geſetzes hängt davon ab, ob daſſelbe an dem Orte der angeſtellten Klage gilt oder nicht gilt; das am Ort der entſtandenen Forderung oder der Ceſſion geltende Recht iſt dabei gleichgültig(z)Abweichend davon wird in einem Urtheil des Münchener O. A. G. von 1845 angenommen, es ſey zu ſehen auf das Recht, unter welchem die Forderung urſprünglich entſtanden ſey. Seuffert Archiv B. 1 N. 402..
Scheinbar gehört dahin auch das Franzöſiſche Geſetz über die Forderungen der Juden an Chriſten; in der That aber gehört daſſelbe vielmehr zu der die Handlungsfähigkeit betreffenden Frage, und iſt auch bei dieſer ſchon oben er - wähnt worden (§ 365. A. Num. 5). Die praktiſche Be - handlung des Falles fällt mit der hier angegebenen zu - ſammen.
Die angegebene Ausnahme iſt nun ferner anzuwenden auf die Obligationen aus Delicten, und zwar ganz allgemein, da die auf Delicte bezüglichen Geſetze ſtets unter die zwin - genden, ſtreng poſitiven, zu rechnen ſind.
Bei dieſen alſo iſt ſtets zu ſehen auf das am Orte der Klage geltende Geſetz, nicht auf das, unter welchem das Delict begangen wurde(z¹)Dieſes iſt alſo namentlich anzuwenden auf die poſſeſſoriſchen Interdicte, jedoch hier in ſehr be - ſchränkter Weiſe, ſ. o. § 368 am Ende des §.. Auch hier gilt der Satz, wie bei den Verträgen, ſowohl poſitiv als negativ, das heißt, für und wider die Anwendung eines Geſetzes, das eine279§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Obligation aus einem Delicte anerkennt. Dieſe Frage iſt bei keiner Art von Obligationen ſo häufig aufgeworfen, be - zweifelt, beſtritten worden, als bei den aus dem außerehe - lichen Beiſchlaf abgeleiteten Obligationen. Es wird die Frage beſonders anſchaulich machen, wenn ich dabei von der ſehr unbedingten Vorſchrift des Franzöſiſchen bürger - lichen Geſetzbuchs ausgehe, welches im Art. 340 ſo lautet: la recherche de la paternité est interdite. Dieſes Geſetz beruht augenſcheinlich auf der Ueberzeugung, daß im Intereſſe der Sittlichkeit jeder Anſpruch und Rechtsſtreit, gegründet auf außerehelichen Beiſchlaf, verhindert werden müſſe(aa)Dieſe Abſicht des Fran - zöſiſchen Geſetzes iſt unzweideutig ausgeſprochen in dem an die Richter gerichteten unbedingten Verbot aller Procedur.; andere Geſetzgebungen beruhen auf der entgegen - geſetzten Ueberzeugung. Beide alſo ſind von zwingender, ſtreng poſitiver Natur. Wird nun vor einem Gericht, das unter jenem Franzöſiſchen Geſetze ſteht, ein ſolcher Anſpruch geltend gemacht, ſo iſt er zurückzuweiſen, auch wenn der angebliche Beiſchlaf vorgekommen ſeyn ſoll an einem Ort, deſſen Geſetz einen ſolchen Anſpruch zuläßt und begünſtigt. Umgekehrt aber muß von dem Gericht eines ſolchen Ortes der Anſpruch zugelaſſen werden, ſelbſt wenn der Beiſchlaf an einem Orte des Franzöſiſchen Rechts Statt gefunden haben ſoll. Was nun hier von dem äußerſten Gegenſatz, der unbedingten Verwerfung oder Zulaſſung, gilt, muß eben ſo auch behauptet werden, wenn die Geſetze der ver -280Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſchiedenen Orte in geringerem Maaße von einander ab - weichen, etwa in den Bedingungen oder dem Umfang der Anſprüche. — Die Entſcheidungen der Gerichte über dieſe Frage ſind ſehr verſchieden(bb)Für den Ort der Klage (welcher meiſt zuſammen fallen wird mit dem Wohnſitz des Be - klagten): Obertribunal zu Stutt - gart. Seuffert Archiv für Ent - ſcheidungen der oberſten Gerichte in den deutſchen Staaten B. 2 N. 4. — Für den Ort des Bei - ſchlafs: O. A. G. zu München, und zwei Urtheile aus Jena. Seuffert B. 1 N. 153 B. 2 N. 118..
Dieſe ganze Frage iſt verwandt mit der Frage des Strafrechts, ob ein auswärts begangenes Verbrechen von unſren Gerichten zu beſtrafen iſt, und mit welcher Strafe. Dennoch dürfen beide Fragen nicht identificirt werden, da in dem Strafrecht, als einem Beſtandtheil des öffentlichen Rechts, Rückſichten zu nehmen ſind, von welchen bei den Obligationen aus Delicten nicht die Rede iſt.
Aus den eben aufgeſtellten Grundſätzen über das örtliche Recht in den Fällen zwingender Geſetze folgt nun allerdings, daß in ſolchen Fällen ſehr häufig eine bedeutende Macht in die Hände des Klägers gelegt wird, indem dieſer oft die Wahl zwiſchen mehreren Gerichten hat, alſo auch dadurch beſtimmen kann, welches unter mehreren örtlichen Rechten zur Anwendung kommen ſoll. Dieſes iſt indeſſen die unver - meidliche Folge der beſonderen Natur dieſer Klaſſe von Ge - ſetzen. Auch wird die Gefahr für den Beklagten vermindert durch die ſehr beſchränkende Bedingungen, an welche281§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.jeder beſondere Gerichtsſtand der Obligation gebunden iſt (§ 371. z).
D. Die Wirkung einer Obligation, und insbeſondere der Umfang dieſer Wirkung, iſt ſtets zu beſtimmen nach dem Recht des Orts, welcher überhaupt als Sitz der Obli - gation zu betrachten iſt; ja es iſt dieſes die hauptſächliche Bedeutung des örtlichen Rechts der Obligation. Gerade deshalb iſt auch dieſe einzelne Frage am wenigſten Veran - laſſung zu Zweifel und Streit geworden. Wenige Beiſpiele werden zur Erläuterung der Frage hinreichen.
Nach manchen örtlichen Geſetzen hat der Verkäufer das Recht des Rücktritts bis zur vollzogenen Uebergabe, welcher Satz dem gemeinen Rechte fremd iſt. Hier wird es darauf ankommen, ob ein ſolches Geſetz an dem Orte gilt, an wel - chem das Grundſtück liegt, ohne Rückſicht auf den Ort des geſchloſſenen Vertrags oder den Ort der Klage; denn da der Verkauf eines Grundſtücks ſtets einen beſtimmten Er - füllungsort hat, ſo iſt dieſer zugleich der Sitz der Obliga - tion, der das örtliche Recht derſelben beſtimmt (§ 370. 372). — Eben ſo verhält es ſich mit einem örtlichen Geſetz, welches bei Grundſtücken die ſtillſchweigende Wiederverpach - tung eines Landgutes auf einen Zeitraum von drei Jahren anſetzt. Auch dieſes Geſetz wird anzuwenden ſeyn auf alle in ſeinem Bereiche liegende Grundſtücke, und zwar aus dem bei dem vorigen Fall angeführten Grunde(cc)Beide Fälle werden angeführt von Boullenois T. 2 p. 452 fg. Er entſcheidet den letzten Fall, ſo wie es hier geſchieht, findet aber bei dem erſten ohne Noth Bedenken..
282Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Die Höhe der Verzugszinſen iſt nach gemeinem Recht abhängig von dem zu jeder Zeit geltenden Zinsfuße, alſo von dem thatſächlichen Gebrauche, Wenn aber an manchen Orten ein geſetzlicher Maaßſtab, und zwar ein verſchiede - ner, für die Verzugszinſen vorgeſchrieben iſt, ſo wird bei jeder Obligation das Geſetz des Ortes, der als Sitz der - ſelben gilt, anzuwenden ſeyn, alſo, bei einem verabredeten Zahlungsorte, das Geſetz dieſes Ortes(dd)Voet. Pand. XXII. 1 § 11. — In L. 1 pr. de usur. (22. 1) heißt es: „ ex more re - gionis, ubi contractum est “. Dabei wird der gewöhnlichſte Fall vorausgeſetzt, daß zwei Einwohner derſelben Stadt in dieſer Stadt einen Vertrag ſchließen; von einem Vertrag außer dem Wohnſitz, oder von einem anderwärts beſtimmten Zahlungsort, iſt da nicht die Rede..
Oie Obligation kann mit einem ſtillſchweigenden Pfand - recht (bald einem allgemeinen, bald einem ſpeciellen) ver - bunden ſeyn. Ob ein ſolcher ſtillſchweigender Pfandvertrag anzunehmen iſt, das hängt von dem örtlichen Recht ab, unter welchem überhaupt dieſe Obligation ſteht. Ob dem - ſelben die Wirkung eines Pfandrechts beizulegen iſt, kann dagegen nur nach dem Recht des Orts beſtimmt werden, an welchem die Sache ſich befindet (§ 368).
E. Die Stellung der Obligationen im Concurſe bedarf einer beſonderen Erwägung, da gerade hierin die größten Verſchiedenheiten in den einzelnen Geſetzgebungen vorkommen. Es iſt dabei nöthig, vor Allem die eigenthüm - liche Natur des Concurſes in’s Auge zu faſſen.
283§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Der Concurs ſetzt voraus einen zahlungsunfähigen Schuld - ner, welchem mehrere Glaubiger gegenüber ſtehen, alſo einen Fall, in welchem eine vollſtändige Execution aller ausge - ſprochenen oder noch auszuſprechenden Schuldurtheile nicht möglich iſt, ſo daß der Zweck darauf beſchränkt bleiben muß, die Execution theilweiſe, ſo weit ſie möglich iſt, zu bewirken. Dieſes geſchieht, indem das gerade jetzt vorhan - dene Vermögen des Schuldners geſammelt, durch Verkauf in baares Geld verwandelt, und dann nach irgend einer Regel unter die Glaubiger vertheilt wird. So erſcheint alſo der Concurs, ſeinem Weſen nach, als ein bloßes Exe - cutionsverfahren über eine beſtimmte Vermögensmaſſe, und die Aufgabe des Richters beſteht in der Ausgleichung der Anſprüche der einzelnen Glaubiger auf dieſe Maſſe. Auf das endliche Schickſal der Forderungen hat der Concurs keinen Einfluß, ſo daß jeder Glaubiger, der in demſelben ganz oder theilweiſe ausfällt, ſein Recht noch immer gegen den Schuldner geltend machen kann, wenn dieſer etwa ſpä - terhin neues Vermögen erwirbt.
Da der Concurs eine Ausgleichung unter mehreren Glaubigern bezweckt, ſo iſt er nur an Einem Orte möglich, und zwar an dem Wohnſitz des Schuldners, ſo daß hier der beſondere Gerichtsſtand der Obligation von dem allge - meinen perſönlichen Gerichtsſtand verdrängt wird.
Die richterliche Thätigkeit bei Gelegenheit eines Concur - ſes zerfällt in zwei an ſich verſchiedene Theile: vorbereitende Handlungen, und der Concurs ſelbſt.
284Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zu den vorbereitenden Handlungen gehört theils die Feſtſtellung der Forderungen ſelbſt (Liquidation), theils die Bildung und Feſtſtellung der Concursmaſſe durch Ausſchei - dung aller zum Vermögen des Schuldners nicht gehören - den Stücke (Vindicanten, Separatiſten), durch Auf - ſammlung aller zu dieſem Vermögen wirklich gehörenden Beſtandtheile, und durch Verwandlung derſelben in baares Geld vermittelſt des Verkaufs. — Dabei gelten, in Anſe - hung des anwendbaren örtlichen Rechts, ganz die allge - meinen Grundſätze über dingliche Rechte und Obligationen. Die zufällige Veranlaſſung durch einen Concurs macht da - bei keinen Unterſchied. — Was aber insbeſondere den erſten Punkt betrifft, die Feſtſtellung der Forderungen, ſo bleibt es nicht dem Zufall überlaſſen, welche Glaubiger ſich mel - den wollen, vielmehr werden alle durch öffentliche Vorla - dung zur Anmeldung bis zu einer beſtimmten Friſt vorge - laden. Wer dieſe Friſt nicht einhält, wird durch Erkennt - niß präcludirt, und verliert dadurch nicht etwa ſeine For - derung ſelbſt, wohl aber den Anſpruch auf Befriedigung in dieſem Concurſe, aus dieſer Maſſe. Die Vorladung bindet ſelbſt die Glaubiger, die bereits Schuldklagen ander - wärts angeſtellt, aber noch nicht zu Ende geführt haben, ſo daß der Concursprozeß die anderwärts ſchwebenden Schuldklagen an ſich zieht(ee)Wernher Obss. T. 2 P. 10 obs. 297. Leyser Sp. 478 med. 8..
285§ 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Der Concurs ſelbſt hat zum Gegenſtand die Ausglei - chung der einzelnen Glaubiger in ihren Anſprüchen an die vorhandene Activmaſſe (Claſſification). Da nun dieſe Aus - gleichung zu dem oben erwähnten Executionsverfahren ge - hört, welches eine rein prozeſſualiſche Thätigkeit iſt, ſo kann darauf kein anderes örtliches Recht angewendet werden, als das am Ort des Concursgerichts geltende: mittelbar alſo das örtliche Recht am Wohnſitz des Schuldners(ff)Leyser 478. 10..
Mit dieſer einfachen Regel könnte die ganze Frage er - ledigt ſeyn, wenn nicht viele, und meiſt die wichtigſten, An - ſprüche der Glaubiger eine gemiſchte Natur hätten: gemiſcht aus Obligation und dinglichem Recht, dem Hypothekenrecht. Darin liegt die hauptſächliche Schwierigkeit.
Die Sache wird anſchaulicher werden durch die Anwen - dung auf das gemeine Concursrecht, ſo wie es ſich, gegrün - det auf die Vorſchriften des neueſten Römiſchen Rechts, in der Theorie und Praxis der neueren Zeit ausgebildet hat.
Sämmtliche Glaubiger werden nach fünf Klaſſen geord - net: 1. Abſolut privilegirte, 2. Privilegirte Hypotheken, 3. Gemeine Hypotheken, 4. Perſönlich privilegirte, 5. Alle übrigen(gg)Die genauere Ausführung dieſer Claſſification liegt außer dem hier vorliegenden Zweck. Vgl. Mühlenbruch I. § 173. Göſchen Vorleſungen II. 2 § 424.. — Unter dieſen fünf Klaſſen enthalten die erſte, vierte und fünfte, reine Obligationen, und für dieſe entſcheidet ausſchließend das am Ort des Concursgerichts geltende örtliche Recht, ohne Rückſicht auf das vielleicht286Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.abweichende Recht des Entſtehungsorts und des Erfüllungs - orts der Obligation. Es bleiben alſo nur noch die zweite und dritte Klaſſe, enthaltend die hypothekariſchen Glaubi - ger, zu näherer Betrachtung übrig.
Jeder hypothekariſche Glaubiger hat in der That ein zuſammengeſetztes Recht, deſſen beide Beſtandtheile eine ganz verſchiedene Natur haben; er iſt wahrer Glaubiger, hat aber daneben zur Sicherheit ſeiner Forderung ein ding - liches Recht. Um es nun klar zu machen, wie dieſe un - gleichartigen Rechte in die Einheit des Concurſes eingefügt werden können, iſt es nöthig, zuvor einen ergänzenden Blick rückwärts zu werfen auf die oben erwähnte Bildung der Concursmaſſe, und die hypothekariſchen Glaubiger einſtweilen noch auf ſich beruhen zu laſſen.
Die Bildung der Concursmaſſe durch Aufſammlung und Verkauf der Vermögensſtücke macht keine Schwierigkeit, wenn dieſe ſämmtlich in dem Bezirk des Concursgerichts ſich befinden. Dagegen iſt die Behandlung der Sache in hohem Grade beſtritten in Anſehung der Vermögensſtücke, die in anderen Gerichtsbezirken, oder gar in einem fremden Lande liegen. Ich will ſogleich dieſen letzten Fall, als den äußerſten, in’s Auge faſſen. Für denſelben wird von Vie - len folgende Behauptung aufgeſtellt. Der fremde Landes - herr und deſſen Richter braucht die Verfügungen unſers Concursgerichts nicht zu befolgen, entzieht ſich ihnen auch,287§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.der Erfahrung nach, in der That ganz gewöhnlich(hh)Man giebt zu, daß dieſe Schwierigkeit ſich ſehr vermindert bei Sachen in einem anderen Ge - richtsbezirk deſſelben Landes, in - dem hier geholfen werden kann theils durch bloße Requiſition unter gleich ſtehenden Gerichten, theils durch die bei einer gemeinſamen Oberbehörde von dem Concurs - gericht extrahirte Verfügung an das andere Gericht.. Daher bleibt nach jener Meinung keine andere Aushülfe übrig, als daß unſer Concursrichter auf Heranziehung des auswärts liegenden Vermögens verzichtet, die Glaubiger aber in jenem fremden Lande gleichfalls gegen den Schuld - ner klagen können, wodurch dann neben dem erſten Concurs ein zweiter, eben ſo vielleicht noch ein dritter oder vierter Concurs, bei einem ſehr zerſtreuten Vermögen, ſoll veran - laßt werden können.
Ich kann weder die erwähnte Aushülfe, noch die Schwie - rigkeit ſelbſt, die ihr zum Grund liegen ſoll, als richtig einräumen. — Was die Aushülfe betrifft, ſo ſetzt ſie vor - aus, daß jede Schuldklage überall angeſtellt werden könne, wo ein Schuldner Vermögen beſitzt; oder, mit andern Wor - ten, ſie nimmt ein allgemeines forum rei sitae an für per - ſönliche Klagen. Gerade Dieſes nun muß entſchieden ver - worfen werden, und deshalb iſt auch ein mehrfacher Con - curs in verſchiedenen Ländern nicht zuläſſig. Inwiefern etwas dieſem Aehnliches in Folge von Hypotheken vor - kommen kann, wird ſogleich bemerkt werden. — Aber auch die Schwierigkeit iſt geringer, als man gewöhnlich an - nimmt. Indem der gerichtlich beſtellte Curator des Ver -288Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.mögens(ii)Tit. D. de curatore bonis dando (42. 7), beſonders in L. 2 tit. cit. , unter Aufſicht des Concursrichters, die Sachen des Schuldners verkauft, beſorgt er nur eine der Handlungen, die zur Execution eines Urtheils gehören, ſey es eines ſchon geſprochenen, oder eines bevorſtehenden, noch zu erwartenden. Nun gehört es zu der oben erwähnten, ſeit längerer Zeit ſtets fortſchreitenden, Rechtsgemeinſchaft unabhängiger Staaten unter einander, daß ſie ſich gegen - ſeitig gleiche Rechtshülfe leiſten (§ 348). Dazu gehört die Execution der in einem Staate geſprochenen Urtheile inner - halb jedes anderen Staates (§ 373. B.), alſo auch die Unterſtützung des Curators bei den ſo eben erwähnten Maaßregeln, die zum Verkauf der auswärtigen Vermögens - ſtücke, folglich zur Bildung der Concursmaſſe, führen. Wollte man ihm dieſe Unterſtützung verſagen, ſo würde darin eine völlige Rechtsverweigerung liegen, indem ſo eben bemerkt worden iſt, daß in dieſem fremden Lande ein Gerichtsſtand gegen den Schuldner für perſönliche Klagen gar nicht begründet iſt.
Die hier aufgeſtellte Behauptung iſt denn auch ſchon längſt von mehreren Schriftſtellern als richtig anerkannt worden(kk)I. Voet. § 17, und Comm. ad Pand. XX. 4 § 12 (wo er dieſe Regel gerade aus der oben erwähnten comitas ableitet). Pufendorf T. 1 obs. 217 (mit einer Beſchränkung für den Fall von Hypotheken, wovon ſogleich die Rede ſeyn wird). Dabelow Lehre vom Concurſe S. 746 — 765 (der nur ſeine richtige Ausführung durch die Bemerkung am Schluſſe. Andere nehmen das Gegentheil an, aber289§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.nicht in Folge eines juriſtiſchen Grundſatzes, ſondern nur, weil die fremden Landesherrn ihre Mitwirkung verſagen ſollen(ll)Struben Bedenken I. 118, V. 27.. In den Engliſchen Gerichten werden die aus - wärts liegenden beweglichen Sachen mit zum Concurſe am Wohnſitz gezogen, die unbeweglichen nicht; in den meiſten Amerikaniſchen Gerichten weder die beweglichen, noch die unbeweglichen Sachen(mm)Story § 403 fg. Er ſelbſt zieht die Engliſche Praxis der Amerikaniſchen vor. Daß er blos von beweglichen Sachen ſprechen will, ergiebt ſich ſchon daraus, daß er dieſe ganze Frage in dem Chap. IX. personal property (bewegliches Vermögen) behandelt..
Allerdings entſteht nun eine eigenthümliche Verwicklung und Schwierigkeit in den Fall, wenn die im Ausland befindlichen Sachen mit einem Pfandrecht behaftet ſind, und die Rück - ſicht auf dieſen ſehr gewöhnlichen Fall hat ohne Zweifel auf die eben erwähnte abweichende Anſicht mancher Schrift - ſteller und Gerichte Einfluß gehabt, obgleich offenbar beide Fragen an ſich verſchieden ſind, und eine getrennte Be - handlung derſelben für den Erfolg der Unterſuchung vor - theilhafter iſt.
Dieſer letzte Fall unterſcheidet ſich von dem vorherge - henden, in welchem die auswärts befindlichen Sachen als unverpfändet gedacht wurden, zunächſt darin, daß die Pfandglaubiger ihre Hypothekarklagen im Gerichtsſtand der gelegenen Sache anſtellen können. Wird nun die Hypo -(kk)entkräftet, daß die Praxis entge - genſtehe, und alſo mehrere Con - curſe nothwendig ſeyen).VIII. 19290Buch III Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.thekarklage gegen einen anderen Pfandglaubiger angeſtellt, der die Sache beſitzt, oder von zwei Pfandglaubigern gleich - zeitig gegen einen dritten Beſitzer, ſo hat der Richter über die Priorität nach denſelben Grundſätzen zu entſcheiden, wie es auch im Concurſe geſchieht(nn)L. 12 pr. § 7 qui pot. (20. 4). Vgl. P. Voet. Sect. 10 C. un. § 5. — Die neueſte Preußiſche Geſetzgebung geſtattet jedem Pfand - und Hypotheken - glaubiger, auch wo nicht von einem Verhältniß zum Ausland die Rede iſt, ſeine Befriedigung aus der Sache unmittelbar einzuklagen, ohne ſich in den Concurs einzu - miſchen. Geſetzſammlung 1842 S. 4., und dieſe Regel iſt anwendbar, ohne Unterſchied, ob die verpfändeten Sachen in denſelben Lande liegen oder nicht Dennoch wäre es ganz unrichtig, dieſes Verfahren als einen beſon - deren Concurs aufzufaſſen, indem die Formen des Con - curſes dabei gar nicht vorkommen. — Indeſſen iſt auch kein Hinderniß vorhanden, die verpfändeten auswärtigen Sachen mit in den Concurs am Wohnſitz des Schuldners zu ziehen, wenn nur dafür geſorgt wird, daß Jeder, der an einer ſolchen auswärts befindlichen Sache ein Pfandrecht hat, an dem Kaufpreis dieſer Sache diejenige Priorität erhält, die ihm nach dem Recht des Orts, wo ſich die Sache zur Zeit des Verkaufs befindet, gebührt, indem die lex rei sitae auch über die Priorität entſcheidet (§ 368).
Es mag zuweilen ſchwer ſeyn, dieſen Zweck zu erreichen; unmöglich iſt es nicht, und es wird beſonders zur Erleich - terung der Sache dienen, wenn aus dem Kaufpreis der einzelnen, auswärts aufgefundenen Sachen beſondere291§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Specialmaſſen gebildet werden. Indem Dieſes von dem - ſelben Richter geſchieht, wird gewiß die Einheit der zu - ſammentreffenden Anſprüche ſicherer erreicht, als es durch die Einleitung mehrerer Concurſe in verſchiedenen Gerichten geſchehen könnte(oo)Pufendorf (Note kk) erachtet die Feſthaltung der Prio - rität in einem fremden Gerichte für ſo ſchwierig, daß er es vorzieht, einen beſonderen Concurs am Ort der gelegenen Sache zu eröffnen, ſobald Dieſes die Pfandglaubiger verlangen..
Daß nun überhaupt eine ſolche Behandlung der Sache möglich iſt, ergiebt ſich am ſicherſten aus dem Umſtand, daß dieſelbe in einer bedeutenden Zahl von Staatsverträgen der Preußiſchen Regierung mit benachbarten Staaten wirk - lich feſtgeſetzt iſt. Die Grundlage dieſer Verträge bildet das Preußiſche Concursgeſetz. Nach dieſem giebt es ſtets nur Einen Concurs, und zwar am Wohnſitz des Gemein - ſchuldners. Der Concursrichter veranlaßt die inländiſchen Gerichte, in deren Sprengel Theile des Vermögens liegen, durch Requiſition zur Mitwirkung. — Liegen Vermögens - ſtücke im Auslande, ſo hat der Richter zunächſt zu erforſchen, ob Staatsverträge vorhanden ſind. In Ermangelung der - ſelben ſoll er dem ausländiſchen Richter vorſchlagen, auf ähnliche Weiſe, wie es ſo eben von anderen inländiſchen Gerichten erwähnt worden iſt, auf die Mitwirkung zu dem inländiſchen Concurſe einzugehen. Mißlingt Dieſes, ſo hat der Curator bei dem auswärtigen Specialconcurſe das In - tereſſe der inländiſchen Glaubiger wahrzunehmen(pp)Allg. Ger. Ordnung I. 50 § 25 — 32 § 647 — 671.. —19*292Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Alle ſpäterhin wirklich geſchloſſene Verträge beruhen nun auf dem Grundſatz, daß nur Ein Concurs Statt finden ſoll, und zwar in der Regel am Wohnſitz des Schuldners. Die in dem anderen Staate befindlichen Sachen des Ge - meinſchuldners ſollen veräußert, und der erlöſte Kaufpreis ſoll an das Concursgericht abgeliefert werden. Bei dieſem müſſen ſich alle Glaubiger einlaſſen. Die Rangordnung unter den Glaubigern iſt für die blos perſönlichen For - derungen nach den Geſetzen des Gerichtsortes zu beſtimmen, für alle dingliche Rechte nach den Geſetzen des Ortes der belegenen Sache(qq)Vertrag mit Weimar 1824 Art. 18 — 22. dann gleich - lautend mit Altenburg, Koburg - Gotha, Reuß-Gera. — Späterhin mit Königreich Sachſen 1839 Art. 19 — 21, und gleichlautend mit Rudolſtadt, Bernburg, Braun - ſchweig (S. o. § 348. S. 31).. Nur darin findet ſich eine Verſchiedenheit, daß nach den neueren Verträgen (ſeit 1839) die dinglichen Anſprüche auf die außer dem Land des Con - curſes liegenden Sachen auch an dem Ort der gelegenen Sache, vor ihrer Ausantwortung an den Concursrichter, erhoben werden können. Geſchieht Dieſes von Hypotheken - glaubigern, ſo ſind die verpfändeten Sachen dort zu ver - kaufen, das Kaufgeld iſt den Glaubigern auszuzahlen, und nur der etwa bleibende Ueberſchuß iſt an das Concurs - gericht abzuliefern.
Was nun hier durch Verträge feſtgeſtellt iſt, darf keines - weges als eine neue, willkürliche Erfindung angeſehen werden; es iſt blos der Ausdruck der ohnehin in neuerer293§. 374. III. Obligationenrecht. Einzelne Rechtsfragen.Zeit ſtets wachſenden Rechtsgemeinſchaft (§ 348). Daher hat es auch kein Bedenken, daß derſelbe Grundſatz auch anderwärts in Staatsverträgen feſtgeſtellt, ja ſelbſt ohne ſolche Verträge von den darin übereinſtimmenden Gerichten verſchiedener Staaten, unter ausdrücklicher oder ſtillſchwei - gender Genehmigung ihrer Regierungen, geltend gemacht werden könnte.
Der Inhalt der hier angegebenen Verträge iſt aber nicht blos unmittelbar wichtig für das Verhältniß zwiſchen Preußen und den dabei betheiligten Staaten, und mittelbar für das Verhältniß zu anderen fremden Staaten als Grundlage einer gütlichen Unterhandlung mit denſelben, wie ſo eben bemerkt wurde. Vielmehr können dieſe Verträge, indem ſie Aufſchluß geben über den Sinn unſrer Geſetzgebung, zugleich dazu dienen, eine auf das innere Verhältniß unſrer verſchiedenen Landestheile bezügliche Rechtsfrage zu beant - worten. Wenn in Berlin ein Concurs eröffnet wird, zum Vermögen des Schuldners aber Grundſtücke und beweg - liche Sachen gehören, die ſich in Neuvorpommern befinden (wo das Römiſche Recht gilt), und dort durch bloßen Vertrag verpfändet ſind, ſo fragt ſich, wie ſich der Werth dieſer Sachen zu jenem Concurſe verhalte. Ständen die Richter jenes Landestheils unter der Preußiſchen Gerichts - ordnung, ſo müßten ſie den Werth der erwähnten Sachen, (oder die beweglichen Sachen in Natur) dem Berliner294Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Concursrichter einliefern(rr)Allg. Ger. Ordnung I. 50 § 648. Geſetz vom 28. Dec. 1840 § 2 (Geſetzſammlung 1841 S. 4)., der das erlöſte Geld nach der Preußiſchen Claſſification behandeln würde. Dabei würden jene Glaubiger ſehr in Nachtheil kommen, indem ihre Forderungen weder auf die zweite, noch auf die dritte Klaſſe der Preußiſchen Concursordnung Anſpruch haben. Allein jene Richter ſind durch die angeführten Geſetze nicht gebunden, und die erwähnten Forderungen und Pfandrechte ſind demnach ſo zu behandeln, wie wenn ſie dem Auslande angehörten, und zwar einem ſolchen Auslande, deſſen Be - hörden gegen unſre Behörden zu gegenſeitiger Unterſtützung nach billigen Grundſätzen bereit wären. Dieſes führt nun dahin, die Grundſätze der oben erwähnten Verträge anzu - wenden. Hiernach würden die Neuvorpommerſchen Gerichte die in ihrem Bereiche liegenden Vermögensſtücke zu ver - kaufen und das Kaufgeld an den Berliner Concursrichter abzuliefern haben. Die Glaubiger aber, die an jenen Sachen Pfandrechte hatten, würden in dem Berliner Con - curs, ſo weit dieſes Kaufgeld reicht, dieſelbe Priorität ver - langen können, die ihnen zugekommen wäre, wenn der Concurs in Neuvorpommern Statt gefunden hätte.
Wir haben zunächſt für das Erbrecht, ſo wie es für an - dere Rechtsinſtitute bereits geſchehen iſt, zu unterſuchen, welchem örtlichen Recht daſſelbe nach ſeiner beſonderen Na - tur angehört, alſo wo es ſeinen eigentlichen Sitz hat (§ 360). Um Dieſes zu erkennen, müſſen wir zurückſehen auf die oben angedeutete Natur des Erbrechts (B. 1 § 57). Es beſteht in dem Uebergang eines Vermögens, bei dem Tode des Inhabers, auf andere Perſonen. Darin liegt eine künſtliche Erſtreckung der Macht, alſo auch des Willens, eines Menſchen über die Gränze des Lebens hinaus, wel - cher fortwirkende Wille bald ein ausdrücklicher ſeyn kann (in dem Teſtament), bald ein ſtillſchweigender (in der In - teſtaterbfolge)(a)Dieſe zweite Art des fortwirkenden Willens ſteht zugleich in Zuſammenhang mit der Fortſetzung der Individualität des Menſchen durch die Verwandtſchaft, ſ. o. B. 1 § 53.. Dieſes Verhältniß nun ſchließt ſich ganz und unmittelbar an die Perſon des Verſtorbenen an, ge - rade ſo, wie es oben von der Rechtsfähigkeit bemerkt wor - den iſt (§ 362), und wie es ſpäterhin bei der Familie ge - zeigt werden wird. Iſt nun dieſe Auffaſſung der Sache richtig, ſo muß behauptet werden, daß das Erbrecht ſich im Allgemeinen richtet nach dem örtlichen Recht des Wohn - ſitzes, welchen der Verſtorbene zur Zeit ſeines Todes296Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.hatte(b)S. o. § 359. Nach Rö - miſchem Recht war vielmehr das Recht der origo zunächſt ent - ſcheidend (§ 357). — Bei dem Tode eines Vagabunden, der keinen Wohnſitz hat, entſcheidet das Recht ſeiner Herkunft, und, wenn auch dieſe nicht zu ermitteln iſt, das Recht des letzten Aufenthalts, d. h. des Ortes wo er ſtarb (§ 359).. — Um dieſe Behauptung an oben erklärte Kunſt - ausdrücke anzuknüpfen, müſſen wir ſagen, daß die Geſetze über das Erbrecht zu den Perſonalſtatuten gehören, indem ſie principaliter die Perſon, und nur mittelbar auch Sachen, zum Gegenſtand haben (§ 361).
Die Richtigkeit dieſer Behauptung wird noch durch fol - gende Betrachtungen beſtätigt. Wollte man den Wohnſitz des Erblaſſers nicht als beſtimmend anſehen für das örtliche Recht, ſo bliebe kein anderer Ort übrig, an den wir das Erbrecht anknüpfen könnten, als der Ort, wo ſich das hin - terlaſſene Vermögen, die Erbſchaft, befindet, ſo daß dann die lex rei sitae entſcheiden müßte. Wo iſt nun aber dieſer Ort? Das Vermögen als Ganzes iſt ein ideales Object von völlig unbeſtimmtem Inhalt(c)S. o. B. 1 § 56., möglicherweiſe beſte - hend aus Eigenthum und anderen Rechten an einzelnen Sachen, aus Forderungen und Schulden, welche letzte Be - ſtandtheile ſogar ein völlig unſichtbares Daſeyn haben. Dieſes Vermögen alſo iſt überall und nirgend, ſo daß ein locus rei sitae dafür gar nicht aufzufinden iſt. Es wäre ein ganz willkürlicher Behelf, wenn man den Ort annehmen wollte, wo der größere Theil der Erbſchaft liegt, denn theils iſt dieſer Begriff völlig ſchwankend, theils hat der kleinere297§. 375. IV. Erbrecht.Theil eben ſo viel Anſpruch auf Beachtung, als der größere. Geben wir aber Dieſes auf, ſo bliebe dann nur noch übrig, den Ort der Erbſchaft überall anzunehmen, wo ſich irgend eine einzelne, zum Vermögen gehörende, Sache befindet. Dieſes aber würde wieder dahin führen, bei einem ausge - dehnten und zerſtreuten Vermögen, viele von einander un - abhängige Erbſchaften anzunehmen, die vielleicht ganz ver - ſchiedenen Geſetzen unterworfen wären, und damit doch nur einen Theil der Erbſchaft (die dinglichen Rechte) zu treffen, den andern Theil aber (die Obligationen) unberührt zu laſſen. Es iſt einleuchtend, daß dieſes Verfahren völlig willkürlich und grundſatzlos iſt, ja auf einen leeren Schein, ohne Wahrheit, führt. Dennoch hat daſſelbe zahlreiche An - hänger gefunden, wovon ſogleich weiter die Rede ſeyn wird.
Die Grundlage des Römiſchen Erbrechts iſt die Suc - cessio per universitatem, die bei jeder Erbfolge angenom - men werden muß, und neben welcher alle andere Rechts - verhältniſſe als bloße Nebenſache erſcheinen. Dieſe iſt aber nur die juriſtiſche Form, unter welche das eben erklärte Weſen des Erbrechts gebracht wird, und von dieſem Stand - punkt aus müſſen wir noch beſonders vom Römiſchen Recht behaupten, daß nach demſelben die hier aufgeſtellte Behaup - tung über den Sitz des Erbrechts völlig zweifellos erſcheint. Ganz verwerflich aber iſt die Anſicht mancher neueren Schriftſteller, nach welcher die Univerſalſucceſſion ein eigen - thümliches Rechtsinſtitut der Römer ſeyn ſoll, im Gegenſatz298Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.anderer (germaniſcher) Geſetzgebungen, die davon, wie man behauptet, Nichts wiſſen wollen. Das wahre Verhältniß iſt vielmehr ſo aufzufaſſen, daß im poſitiven Recht vieler Staaten das Erbrecht auf einer niederen Stufe der Entwickelung ſtehen geblieben iſt, anſtatt daß daſſelbe bei den Römern, in Folge eines glücklichen Taktes, ſchon von früher Zeit an, die ſeiner eigenthümlichen Natur allein angemeſſene Behandlung erfahren hat, wohin dann auch jedes abweichende poſitive Recht unaufhaltſam hinſtrebt(d)S. o. B. 1 § 57. S. 382. 383.. Es würde auch unrichtig ſeyn, dieſe Verſchiedenheit als eine blos theoretiſche aufzufaſſen, über deren Werth oder Unwerth man etwa ſo oder anders denken möchte. Viel - mehr iſt es gerade das praktiſche Bedürfniß neuerer Zeit, das nur in der ausgebildeten Univerſalſucceſſion ſeine volle Befriedigung findet, da in dem ungeheuren Aufſchwung aller Vermögensverhältniſſe die Obligationen eine ſtets zu - nehmende Wichtigkeit erlangen.
Ich gehe nun über zur Darſtellung der wichtigſten Mei - nungsverſchiedenheiten über die auf das Erbrecht anwend - baren Geſetze, ſo wie ſie ſich unter den Schriftſtellern, und, damit zuſammenhängend, in der Praxis verſchiedener Län -299§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)der und Zeiten, allmälig ausgebildet haben. Dieſe Mei - nungen laſſen ſich auf drei Hauptklaſſen zurück führen.
Die eine iſt die oben dargeſtellte, nach welcher das Erb - recht allgemein beherrſcht wird von dem Geſetz des Ortes, an welchem der Erblaſſer zur Zeit des Todes ſeinen Wohn - ſitz gehabt hat. Sie hält die Geſetze über das Erbrecht für Perſonalſtatuten.
Eine andere, völlig entgegengeſetzte, die auch ſchon an - gedeutet worden iſt, geht dahin, daß das Erbrecht ſich rich - tet nach dem Ort, an welchem die Sachen der Erbſchaft ſich befinden. Dieſe Meinung führt auf die Möglichkeit, daß die Beſtandtheile der Erbſchaft nach verſchiedenen Rech - ten beurtheilt werden; ſie läßt ferner die in dem Vermö - gen befindlichen Forderungen und Schulden zunächſt unbe - ſtimmt, mit dem natürlichen Vorbehalt, darüber in jedem einzelnen Fall das praktiſche Bedürfniß durch irgend eine beliebige Auskunft zu befriedigen.
Eine letzte Meinung endlich ſteht zwiſchen den beiden eben angegebenen in der Mitte. Sie nimmt für das un - bewegliche Eigenthum die lex rei sitae an, für alles übrige Vermögen (bewegliches Eigenthum und Obligationen) das am Wohnſitz des Erblaſſers geltende Geſetz. Dieſe Mei - nung iſt von der praktiſchen Schwäche der vorhergehenden theilweiſe frei, da man nach ihr beſtimmt weiß, wer die Forderungen bekommen ſoll; aber auch nur theilweiſe, in - dem die Schulden in jedem Fall auf dem ganzen Vermö - gen haften müſſen, auch auf den ausländiſchen Immobilien,300Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſo daß die Schulden vielleicht von ſehr verſchiedenen Perſo - nen zu tragen ſind(a)Dieſe ungemeine Schwierig - keit in der Ausführung wird auch von den Schriftſtellern nicht ver - kannt, und es werden Vorſchläge zur Aushülfe gemacht, die ſich großentheils willkürlich und unzu - reichend zeigen. Vgl. Hert. § 29. Es liegt darin aber nur ein Kenn - zeichen der inneren Unwahrheit dieſes ganzen Syſtems. Derſelbe Vorwurf trifft natürlich auch die vorhergehende Meinung, nur noch in weit höherem Grade.. — Man kann dieſe Meinung nach dem oben erklärten Kunſtausdruck kurz ſo bezeichnen, daß ſie Geſetze über das Erbrecht für Realſtatuten er - klärt (§ 361)(b)Dieſe Bezeichnung würde noch in höherem Grade auf die vorhergehende Meinung paſſen, wenn es nicht üblich wäre, den Ausdruck der Realſtatuten auf Immobilien zu beſchränken..
Ich werde dieſe drei Meinungen jetzt einzeln darſtellen, und zwar nach der Zeitfolge ihrer Entſtehung und vorherr - ſchenden Geltung.
A. Die älteſte Meinung iſt die, nach welcher die Erbſchaft in alle Sachen, bewegliche und unbewegliche, le - diglich unter dem Geſetz des Landes ſtehen ſoll, in welchem die Sache liegt(c)Schriftſteller für dieſe Mei - nung ſind in großer Zahl ange - führt bei Wächter I. 275. 276. II. 192.; dieſe Meinung iſt eine einzelne An - wendung des ſtrengen Rechts der Territorialität (§ 348).
Die älteſte und ſchroffſte Geſtalt derſelben ging dahin, daß alle im Lande befindliche Erbſchaftsſtücke (bewegliche und unbewegliche) an ausländiſche Erben gar nicht kom - men, ſondern an deren Stelle dem Landesherrn (oder Vog -301§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)teiherrn) zufallen ſollten(d)Droit d’aubaine. Vgl. Eichhorn deutſches Recht § 75.. Die mildere Form unter - wirft dieſe Erbſchaftsſtücke nur unbedingt dem inländiſchen Geſetz, ohne Rückſicht auf den Wohnſitz des Erblaſſers, aber auch ohne zwiſchen inländiſchen und ausländiſchen Erbberechtigten zu unterſcheiden.
Die Gründe gegen dieſe Lehre ſind bereits oben ausge - führt worden; ich will dieſen Gründen aber jetzt noch fol - gende praktiſche Bemerkung hinzufügen. Wäre dieſer Grund - ſatz überall anerkannt und durchgeführt, ſo müßte jeder vor - ſichtige Hausvater, wenn er auswärts Vermögen beſitzt, irgend einen Schutz ſuchen gegen unerwünſchte Erben, ſo wie gegen die drohende Verwirrung in Beziehung auf Schuldverhältniſſe. Dieſen Schutz gegen den Druck jenes Grundſatzes könnte er nur darin finden, daß er in Zeiten alles auswärts liegende Eigenthum veräußerte, oder auch die beweglichen Sachen in das Land ſeines Wohnſitzes herein brächte. Auch in dieſem natürlichen Bedürfniß und Beſtreben liegt ein untrügliches Zeichen der aus jenem Grundſatz hervorgehenden grundloſen Härte.
B. Die vermittelnde Meinung ſchließt ſich ganz der vorhergehenden an, nur mit Einſchränkung derſelben auf das zur Erbſchaft gehörende unbewegliche Eigenthum; das bewegliche Eigenthum überläßt ſie dem am Wohnſitz des Erblaſſers geltenden Recht, auch wenn es im Ausland ſich befinden ſollte. Alle Gründe, welche gegen die vorherge -302Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.hende Meinung aufgeſtellt worden ſind, gelten auch gegen dieſe Meinung, nur in geringerem Grade, indem ſie in einem minderen Umfang von der richtigen Behandlung abweicht.
Dieſe Meinung hat ſich beſonders vom ſechszehnten Jahrhundert an geltend gemacht(e)Schriftſteller werden in großer Zahl angeführt bei Wäch - ter II. S. 188 — 192. Foelix p. 72 — 85.. In Deutſchland iſt ſie ſeit dem achtzehnten Jahrhundert mehr und mehr ver - drängt worden. Dagegen hat ſie ſich bis auf unſere Zeit erhalten in England und Amerika(f)Story Chap. 11. 12., ſo wie in Frank - reich(g)Foelix (Note e). — Daſſelbe erwähnt von Holland Vinnius sel. quaest. II. 19, na - türlich für ſeine Zeit.. Sie ſteht im Zuſammenhang mit dem allgemei - nen Unterſchied, welcher in den erwähnten Ländern zwiſchen dem beweglichen und unbeweglichen Vermögen feſt gehalten zu werden pflegt (§ 360. Num. 3).
C. Die von mir vertheidigte Meinung endlich, nach welcher der Wohnſitz allgemein entſcheidet, iſt vom achtzehn - ten Jahrhundert an beſonders in Deutſchland ſtets zuneh - mend zur allgemeinen Anerkennung gelangt, nachdem ſie zu - erſt vorzugsweiſe für die Inteſtaterbfolge angenommen wor - den war(h)Schriftſteller in großer Zahl werden angeführt von Wächter II. 192 — 198 und Schäffner § 130. Auszeichnung verdienen: Pufendorf I. Obs. 28. Glück Inteſtaterbfolge § 42. Martin Rechtsgutachten der Hei - delberger Fakultät B. 1 S. 175 — 186. — Wächter, der ſich ſelbſt zu dieſer Meinung bekennt, recht - fertigt dieſelbe II. 198. 199. 363.. Sie wird nicht blos von Romaniſten ver -303§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)theidigt (wie man vielleicht glauben könnte in Beziehung auf die Univerſalſucceſſion), ſondern auch, im richtigen Ge - fühl des praktiſchen Bedürfniſſes, eben ſo von Germa - niſten(i)Eichhorn deutſches Recht § 35. Mittermaier deutſches Recht § 32.; auch hat ſich die Praxis der höheren Gerichte dafür entſchieden(k)O. A. Gericht zu Caſſel 1840. Seuffert Archiv B. 1 N. 92.. — Die eigentliche Begründung dieſer Meinung liegt in der oben entwickelten Natur des Erbrechts über - haupt, und dieſe Begründung iſt auf Teſtamente eben ſo anwendbar, wie auf die Inteſtaterbfolge. Bei der Inteſtat - erbfolge aber kommt noch folgende Rückſicht in Betracht. Dieſelbe beruht überhaupt auf dem präſumtiven, alſo ſtill - ſchweigenden, Willen des Verſtorbenen; nicht als ob von dieſer beſtimmten Perſon für ihre individuellen Verhältniſſe ein ſolcher Wille als ſichere Thatſache behauptet würde, ſondern indem jedes poſitive Recht eine allgemeine Vermu - thung aufſtellt, ſo wie ſie der Natur der Familienverhält - niſſe angemeſſen erſcheint. Daß nun eine ſolche Präſum - tion in verſchiedenen Geſetzgebungen ſo oder anders ange - nommen werden kann, iſt ganz natürlich. Dagegen würde es ſehr unnatürlich ſeyn, in einem einzelnen gegebenen Fall(h)ganz richtig auf folgende Weiſe: der Staat wolle durch die Erbfolge - geſetze nicht das Schickſal der Ob - jecte (der Güter) reguliren, ſondern das der Subjecte, der Perſonen; daher richte er ſolche Geſetze an die Staatsangehörigen (die Ein - wohner), und die Erbfolge in das Vermögen verſtorbener Aus - länder ſey ihm gleichgültig. — Das iſt nur ein anderer Ausdruck dafür, daß Erbfolgegeſetze als Perſonalſtatute beabſichtigt werden, nicht als Realſtatute.304Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.der Erbfolge, dem Erblaſſer für verſchiedene Vermögens - ſtücke einen verſchiedenen Willen durch Präſumtion unterzu - legen, alſo etwa anzunehmen, daß er für ſein Haus eine andere Perſon, als für ſein Landgut oder ſein baares Geld, als Erben zu haben wünſche, wenn er ſich nicht darüber (durch Teſtament) beſonders erklärt hat.
In Beziehung auf die unter B. dargeſtellte vermittelnde Meinung, welche zwiſchen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterſcheidet, ſind noch zwei Anſichten zur Sprache gekommen, deren genauere Prüfung vielleicht zur Annäherung der Meinungen beitragen kann.
Ein neuerer Schriftſteller tadelt es, daß ſich Andere überhaupt für die eine oder andere Meinung allgemein aus - ſprächen, da doch jede derſelben unter gewiſſen Voraus - ſetzungen richtig ſey(l)Schäffner § 57 — 59, § 126 — 152.. In den Ländern, welche das Erb - recht (nach Römiſchem Grundſatz) als Univerſalſucceſſion behandelten, ſey der Wohnſitz für das ganze Vermögen ent - ſcheidend; in den Ländern dagegen, welche das Erbrecht nicht als Univerſalſucceſſion anſähen (wie England und Amerika) müſſe die Erbfolge in Immobilien nach der lex rei sitae beurtheilt werden. — Bei dieſer Anſicht liegt das Mißverſtändniß zum Grunde, als ob die Annahme oder Verwerfung der Univerſalſucceſſion etwas für ſich Beſtehen - des wäre, woraus dann weiter auf den Sitz des Erbrechts und das bei demſelben geltende örtliche Recht gefolgert werden305§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)könnte. In der That aber iſt Beides identiſch, und die Univer - ſalſucceſſion iſt nur die juriſtiſche Form und der Kunſtaus - druck für die Auffaſſung des Erbrechts, die den Sitz deſſel - ben allgemein (ohne Unterſchied der Beſtandtheile des Ver - mögens) in den Wohnſitz verlegt. So aufgefaßt, muß alſo die aufgeſtellte Unterſcheidung unter folgenden Ausdruck ge - bracht werden: Vom Standpunkte der Länder und der Schriftſteller aus, die das Erbrecht auf das Vermögen als Ganzes beziehen, iſt die lex domicilii entſcheidend auch für Immobilien, von einem anderen Standpunkt aus iſt ſie es nicht. In dieſem Sinn aber wird die Unterſcheidung auch gewiß von keiner Seite bezweifelt werden.
Weit wichtiger iſt folgender Grund, der nicht ſelten zur Rechtfertigung der vermittelnden Meinung (unter B.) gel - tend gemacht wird. Es giebt gewiſſe Arten von Grund - ſtücken, ſagt man, von welchen Jeder zugiebt, daß bei ihnen die Erbfolge nach der lex rei sitae zu beurtheilen iſt; da - hin gehören namentlich Lehen und Fideicommiſſe. Was nun bei dieſen allgemein eingeräumt wird, muß conſequenter - weiſe auch bei allen anderen Grundſtücken gelten. — Be - trachten wir dieſen Grund etwas genauer.
Mit den Lehen und Fideicommiſſen verhält es ſich auf ähnliche Weiſe, wie mit dem Römiſchen Niesbrauch: ſie gehören nicht zum Vermögen, alſo auch nicht zur Erbſchaft. Der Niesbraucher hat ein lebenslängliches Recht des Frucht - genuſſes; dieſes allein iſt in ſeinem Vermögen, mit dem Tode verſchwindet es, alſo iſt in der Erbſchaft keine Spur mehrVIII. 20306Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.davon vorhanden. Ganz ähnlich das Fideicommiß, und eben ſo das Lehen. Der Fideicommißbeſitzer hat ein lebens - längliches Recht des Fruchtgenuſſes, mit ſeinem Tode ver - ſchwindet daſſelbe, und das Gut fällt an den Eigenthümer, die fideicommißberechtigte Familie, zurück; nur nicht ſo, wie bei dem Niesbrauch, als freies Eigenthum, mit willkürlicher Verfügung durch Theilung oder Verkauf, ſondern ſo, daß das durch die Fideicommißſtiftung bezeichnete Familienglied in den durch den Tod frei gewordenen Fruchtgenuß, wiede - rum als in ein lebenslängliches Recht, eintritt. Indem alſo die Lehen und Fideicommiſſe, ihrer Natur nach, gar nicht zu einer Erbſchaft gehören können, werden ſie auch gar nicht berührt von den Erbſchaftsgeſetzen, weder des Landes, worin der jetzt verſtorbene Beſitzer wohnte, noch des Landes, worin ſie liegen. Es ſind ſpecielle Rechtsinſtitute an beſtimmten, einzelnen Grundſtücken, und dieſe können überall nur von der lex rei sitae beherrſcht werden (§ 366. § 368. Num. 5). Wir können dieſen Satz auch ſo aus - drücken: Die Geſetze über die Nachfolge in Lehen und Fidei - commiſſe ſind Realſtatute. Oder mit anderen Worten: Jeder Geſetzgeber über Lehen und Fideicommiſſe will Etwas beſtimmen über die in ſeinem Lande liegenden Güter ſolcher Art, nicht über die auswärtigen Güter, deren zeitige Be - ſitzer nur in ſeinem Lande wohnen.
Etwas verſchieden iſt das Verhältniß mancher anderen Klaſſen von Grundſtücken, und dennoch iſt der Erfolg der - ſelbe. — Wenn ein Landesgeſetz die Erhaltung eines wohl -307§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)habenden Bauernſtandes dadurch zu befördern ſucht, daß es, ohne Einſchränkung des Eigenthums und namentlich des Rechts der Veräußerung, nur die Erbfolge in Bauer - güter dahin beſtimmt, daß ſtets der älteſte (oder auch der jüngſte) Sohn als einziger Erbe eintreten ſoll, ſo hat die - ſes Geſetz folgende Natur. Es ſchließt aus die teſtamen - tariſche Erbfolge, die Theilung des Gutes, das Erbrecht der Töchter, ſo lange Söhne vorhanden ſind. Es iſt alſo zwar ein Erbfolgegeſetz, hat aber einen politiſchen, außer dem reinen Rechtsgebiet liegenden, Zweck, und iſt daher ein Geſetz von zwingender, ſtreng poſitiver Natur (§ 349). Ein ſolches Geſetz iſt ein Realſtatut, und umfaßt alle im Lande liegenden Bauergüter, ohne Rückſicht auf den Wohnſitz des gegenwärtigen Eigenthümers. Es bezieht ſich aber gar nicht auf die Bauergüter, die etwa ein Einwohner des Lan - des im Ausland beſitzen möchte. Es will daher nicht, wie gewöhnliche Erbfolgegeſetze, dem Vermögen verſtorbener Einwohner das angemeſſenſte Schickſal anweiſen, ſondern es will gewiſſe Staatszwecke fördern durch das einer be - ſtimmten Klaſſe von Grundſtücken angewieſene Schickſal. — Aehnliche Beſtimmungen, und mit völlig gleichem Erfolg kommen auch bei adeligen Gütern vor, zum Zweck der Er - haltung wohlhabender adeliger Familien. Ein ſolches Ge - ſetz war im Herzogthum Weſtphalen die Erblandesvereini - gung von 1590, welche den Töchtern des Beſitzers die Erb - folge in adelige Güter verſagte. Ueber die Anwendung dieſes Geſetzes entſtand im J. 1838 ein merkwürdiger20*308Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Rechtsſtreit, welcher vom Oberlandesgericht zu Münſter, und eben ſo vom Obertribunal in Berlin, ganz richtig dahin entſchieden wurde, daß das Geſetz ein Realſtatut ſey, anwendbar auf die im Herzogthum liegenden adeligen Güter, ohne Rückſicht auf den Wohnſitz der betheiligten Perſonen(m)Graf Bocholtz c. Freifrau von Venningen, in: Ulrich und Sommer neues Archiv B. 6 S. 476 — 512. Die entſcheidend - ſten Stellen der Urtheilsgründe finden ſich S. 481. 507. 508..
Alle hier angeführte Fälle, ſo verſchieden ſie an ſich ſeyn mögen, kommen darin überein, daß die Geſetze über die Nachfolge nicht darauf ausgehen, das Vermögen eines Verſtorbenen einer angemeſſenen Richtung zuzuweiſen, ſon - dern vielmehr das Schickſal beſtimmter einzelner Grundſtücke, oder auch Klaſſen von Grundſtücken, zu regeln; daher müſſen ſie als Realſtatute angeſehen werden, nicht als Perſonalſtatute(n)Ganz übereinſtimmend er - klärt ſich Wächter II .. S. 364.. Die aufgeſtellte Behauptung ſteht alſo gar nicht im Widerſpruch mit der oben angegebenen Regel über die Behandlung reiner Erbfolgegeſetze, und ſie kann alſo auch nicht dazu benutzt werden, die erwähnte Regel zweifelhaft zu machen.
Bei den bisher abgehandelten einzelnen Rechtsverhält - niſſen iſt ſtets hingewieſen worden auf den innigen Zu - ſammenhang zwiſchen dem beſonderen Gerichtsſtand und309§. 376. IV. Erbrecht. (Fortſ.)dem anwendbaren örtlichen Recht (§ 360 Num. 1). Einen ſolchen Zuſammenhang möchte man nun auch bei dem Erb - recht erwarten; dennoch muß er hier entſchieden verneint werden, und zwar deswegen, weil für das Erbrecht über - haupt keine andere Örtlichkeit aufgefunden werden kann, als die allgemeine, die in dem Wohnſitz des Erblaſſers gegründet iſt (§ 375).
Im Römiſchen Recht(o)Vgl. Bethmann Holl - weg Verſuche S. 61 — 69. Arndt’s Beiträge Num. 2. gab es lange Zeit für die Erbrechtsklage durchaus keinen anderen Gerichtsſtand, als im Wohnſitz des Beklagten(p)L. un. C. ubi de hered. (3. 20). Die Worte: „ vel si ibi, ubi res hereditariae sitae sunt, degit, ſind ſo zu überſetzen: „ die hereditatis petitio gehört aus - ſchließend in das forum domicilii des Beklagten, und dieſe Regel iſt ſelbſt dann anzuwenden (vel si ibi etc.), wenn auch der Beklagte an dem Orte, wo die Erbſchafts - ſachen liegen, ſich einige Zeit auf - hält “(si ibi degit). Arndt’s Beiträge S. 122 — 124.. Nach Juſtinian’s Geſetz - gebung ſollte ſie auch angeſtellt werden können im forum rei sitae(q)Nov. 69 C. 1, die einen ſehr allgemeinen Umfang hat. Die L. 3 C. ubi in rem (3. 19) geht, nach richtiger Auslegung, nur auf die Eigenthumsklage, nicht auf andere Klagen in rem, alſo auch nicht auf die hereditatis petitio. . Das hat aber nur den Sinn, daß Jeder, der das Recht des Erben dadurch verletzt, daß er irgend eine Erbſchaftsſache pro herede oder pro possessore beſitzt, da belangt werden kann, wo gerade die Sache liegt, das heißt, wo der unrechtmäßige Beſitz, der die Rechtsverletzung enthält, ausgeübt wird(r)Die Nov. 69 C. 1 führt den Gerichtsſtand ſtets zurück auf den Ort der Rechtsverletzung. Eben. Es iſt aber einleuchtend, daß310Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.durch dieſen Ort nicht auch das örtliche Recht der Erbſchaft beſtimmt werden kann, da es möglich iſt, daß die Erb - ſchaftsſachen an vielen Orten zerſtreut liegen, und von unberechtigten Perſonen beſeſſen werden. Die Erbſchaft im Ganzen aber, oder auch nur der größere Theil derſelben, kann auf gar keinen beſtimmten Ort mit irgend einer Sicherheit zurückgeführt werden (§ 375), und ein ſolcher Ort wird auch in keinem Geſetz als Grund eines beſonderen Gerichts - ſtandes angegeben. Für die Fideicommiſſe hat allerdings das Römiſche Recht einen beſonderen Gerichtsſtand ange - ordnet, da, wo der größere Theil der Erbſchaft liegt(s)S. o. § 370 Noten bb. bis ee. ; allein es verſteht ſich von ſelbſt, daß dieſe willkürliche, excep - tionelle Vorſchrift für ein ganz vereinzeltes Rechtsinſtitut nicht maaßgebend ſeyn kann für das örtliche Recht der Erb - ſchaft überhaupt.
Manche neuere Geſetzgebungen haben als Gerichtsſtand der Erbſchaft den Ort feſtgeſtellt, wo die Erbſchaft eröffnet iſt(t)Code de procedure art. 59 „ le tribunal du lieu ou la succession est ouverte. “, welches eben ſo viel ſagt, als den letzten Wohnſitz des Erblaſſers(u)Preußiſche Allg. Gerichts - ordnung I. 2 § 121 — 125..
(r)ſo ſagt L. 3 C. ubi in rem (wenn man dieſe überhaupt auf die here - ditatis petitio anwenden will): „ in locis, in quibus res … constitutae sunt, adversus pos - identem moveri. “
Wie es oben bei den Obligationen geſchehen iſt (§ 374), ſo ſollen jetzt auch bei dem Erbrecht einzelne Rechtsfragen aufgeſtellt werden, die in Beziehung auf das örtliche Recht vorkommen können. Dieſelben bedürfen nur da einer beſon - deren Erörterung, wo die allgemeine Regel, nach welcher der Wohnſitz zur Zeit des Todes entſcheidet, nicht aus - reichend iſt(a)Es ſind hierbei zu ver - gleichen die über die zeitliche Colli - ſion der Erbrechtsgeſetze unten auf - zuſtellende Regeln (§ 393. 395). Die daſelbſt gegebene genauere Er - örterung über die Natur des Te - ſtaments iſt auch hier maaßgebend..
1. Die perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen Rechtsverhältniſſe iſt, wie in zwei ver - ſchiedenen Zeitpunkten(b)Zur Zeit der Errichtung und zur Zeit des Todes (§ 393)., ſo auch, im Fall des veränderten Wohnſitzes, an zwei verſchiedenen Orten erforderlich. Fehlt ihm alſo dieſe Fähigkeit nach dem Geſetz des Wohnſitzes, in welchem er das Teſtament errichtet, ſo iſt und bleibt das Teſtament ungültig, auch nach verändertem Wohnſitz. Eben ſo iſt es aber auch ungültig, wenn ihm jene Fähig - keit fehlt nach dem Geſetz, welches in dem letzten Wohnſitz zur Zeit des Todes beſteht. Der Grund liegt darin, daß der letzte Wille zu betrachten iſt als ausgeſprochen in zwei verſchiedenen Zeitpunkten, und möglicherweiſe auch an zwei312Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.verſchiedenen Orten: faktiſch zur Zeit der Errichtung, und an dem Orte, der in dieſer Zeit der Wohnſitz des Teſtators iſt; juriſtiſch zur Zeit des Todes, und an dem Orte, der in dieſer Zeit der Wohnſitz iſt (§ 393).
2. Die perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen phyſiſche Eigenſchaften (z. B. das Alter) richtet ſich nach dem zur Zeit des errichteten Teſtaments am Wohnſitz des Teſtators geltenden Geſetz, ohne Rückſicht auf ſpätere Veränderungen des Wohnſitzes.
3. Der Inhalt des Teſtaments, insbeſondere die geſetzliche Gültigkeit oder Ungültigkeit deſſelben, richtet ſich nach dem am letzten Wohnſitz des Teſtators geltenden Ge - ſetz. So insbeſondere die Regeln über Enterbung, Präter - ition und Pflichttheil. Daſſelbe muß behauptet werden von Legaten und Fideicommiſſen. Zwar beziehen ſich dieſe auf einzelne, begränzte Gegenſtände, und man könnte daher annehmen wollen, daß auf ſie die lex rei sitae anwendbar ſeyn möchte. In der That aber ſind dieſe Rechtsinſtitute nur einzelne, untergeordnete Modificationen der geſammten Erbſchaft, die nur von ihrem Standpunkt aus richtig be - urtheilt werden können. Jede abſondernde Behandlung würde zu den größten Widerſprüchen führen können.
Ausnahmen können eintreten durch entgegen ſtehende zwingende Geſetze. Wenn alſo durch Teſtament ein Fami - lienfideicommiß errichtet wird für ein Gut, das in einem fremden Lande liegt, deſſen Geſetz Fideicommiſſe nicht aner - kennt, ſo entſcheidet das für den urtheilenden Richter313§. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen.geltende Geſetz, welches hier auf die Ungültigkeit der An - ordnung führt.
Die Auslegung des Teſtaments ſteht unter ähnlichen Regeln, wie die Auslegung der Verträge (§ 374. B). Dieſe Regeln werden hier meiſt auf den letzten Wohnſitz des Erblaſſers zurück weiſen(c)Foelix p. 171..
4. Die perſönliche Fähigkeit der zur Erbſchaft im Ganzen, oder zu einem einzelnen Stück der Erbſchaft, be - rufenen Perſonen (Erben oder Legatare) iſt in der Regel nach ihrem Wohnſitz, nicht nach dem des Erblaſſers zu beurtheilen, und zwar nach dem Wohnſitz, den ſie zur Zeit des Todes des Erblaſſers haben, zu welcher Zeit ihnen das Succeſſionsrecht deferirt wird.
Ausnahmen können eintreten, da wo Geſetze von zwin - gender Natur in Betracht kommen. Iſt z. B. der einge - ſetzte Erbe durch den bürgerlichen Tod oder durch Ketzerei nach dem Geſetz ſeines Wohnſitzes zur Erbfolge unfähig, welches Hinderniß anderwärts nicht anerkannt wird, oder ſteht ein beſchränkendes Geſetz über den Erwerb von Seiten der todten Hand im Wege, ſo iſt nicht das am Wohnſitz des Erben, ſondern das am Ort des urtheilenden Richters geltende Geſetz anwendbar, welches ſehr häufig mit dem Wohnſitz des Erblaſſers zuſammen fallen wird (§ 349. 365).
5. Von der Form des Teſtaments wird unten, bei der Regel: locus regit actum, die Rede ſeyn (§ 381).
314Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.6. Wenn das Geſetz des Ortes, an welchem der Teſta - tor zur Zeit der Errichtung ſeinen Wohnſitz hat, Teſtamente gar nicht anerkennt, ſo iſt und bleibt das da errichtete Te - ſtament ungültig. Eben ſo iſt das Teſtament ungültig, wenn das am letzten Wohnſitz geltende Geſetz Teſtamente nicht anerkennt. Es gelten alſo in dieſer Hinſicht dieſelben Regeln, welche oben über die juriſtiſche Fähigkeit der Perſon des Teſtators aufgeſtellt worden ſind (Num. 1).
7. Die Inteſtaterbfolge richtet ſich nach dem Geſetz, welches am letzten Wohnſitz des Teſtators zur Zeit des Erbanfalls beſteht(d)Ueber die nähere Beſtimmung dieſes Zeitpunktes vgl. unten § 395.. Dieſes gilt namentlich von der geſetzlichen Reihefolge der berufenen Inteſtaterben. Es gilt aber eben ſo von den Bedingungen der Verwandtſchaft überhaupt, alſo von dem Daſeyn ehelicher Verwandtſchaft, ſo wie von der Legitimation(e)Wächter II. S. 364..
8. Erbverträge ſind dem Römiſchen Recht fremd. Wo ſie vorkommen, gelten für ſie ähnliche Regeln, wie für die Teſtamente.
Der einſeitige Erbvertrag iſt nach dem am Wohnſitz des Erblaſſers geltenden Geſetz zu beurtheilen. Eben ſo aber auch gegenſeitige Erbverträge; welcher von beiden Theilen als Erblaſſer zu betrachten iſt, hängt von dem zu - fälligen Umſtande ab, wer zuerſt ſtirbt. Dieſe Regel folgt aus der Analogie der Teſtamente. Sie erſcheint aber nicht315§. 377. IV. Erbrecht. Einzelne Rechtsfragen.minder begründet, wenn man dabei das örtliche Recht der Verträge als maaßgebend anſehen will. Denn für das Vermögen als Ganzes kann nur der Wohnſitz des Verſtor - benen als Erfüllungsort des Erbvertrages angeſehen werden.
Wenn an einem dieſer Orte die Geſetze über Erbver - träge geändert werden, ſo entſcheidet lediglich das zur Zeit des geſchloſſenen Vertrags geltende Geſetz (§ 395).
9. Das Recht auf einen erbloſen Nachlaß (bona va - cantia) iſt ſtets als Surrogat des Erbrechts anzuſehen, alſo gleichfalls nach dem Geſetz des Wohnorts des Erblaſſers zu beſtimmen, ohne Rückſicht auf die Lage der Vermögens - ſtücke, ſelbſt des auswärtigen unbeweglichen Vermögens. Insbeſondere nach dem Römiſchen Recht iſt das Succeſ - ſionsrecht des Fiscus zwar nicht hereditas zu nennen, wohl aber ganz nach den Grundſätzen derſelben zu behandeln, ſo daß der Fiscus ſelbſt zu Legataren und Fideicommiſſaren ganz in daſſelbe Verhältniß, wie ein wahrer Erbe, treten kann(d)Glück Inteſtaterbfolge § 147. 150. Puchta Pandekten §. 564.. — An ſich verſchieden von dieſer, allein hierher gehörenden, Frage nach dem anwendbaren örtlichen Recht über die bona vacantia, iſt die Frage, welchem Fiscus der Anſpruch auf dieſelben zuſteht, dem Fiscus des Wohn - ſitzes, oder dem der gelegenen Sache. Denn dieſe Frage kann unter zwei Ländern entſtehen, die gleichmäßig das316Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Römiſche Recht anerkennen. Auch dieſe Frage muß zum Vortheil des Fiscus entſchieden werden, in deſſen Ge - biet der Wohnſitz liegt, aus demſelben Grunde, der für das örtliche Recht geltend gemacht wurde, nämlich weil dieſes Recht des Fiscus die juriſtiſche Natur eines Erb - rechts, und nur nicht den Namen deſſelben, hat(e)Glück Inteſtaterbfolge §. 149..
Schriftſteller:
Es hat ſich in neuerer Zeit lebhafter Streit erhoben über die Frage, welches örtliche Recht die Preußiſche Ge - ſetzgebung dem Erbrecht zum Grund lege: ob allgemein das Recht des Wohnſitzes des Erblaſſers (wie es die zwei317§. 378. IV. Erbrecht. Preußiſches Recht.letzten unter den angeführten Schriftſtellern behaupten), oder vielmehr bei unbeweglichen Vermögensſtücken das Recht der gelegenen Sache (nach den zwei erſten Schrift - ſtellern).
Betrachten wir die Sache blos vom Standpunkt allge - gemeiner Grundſätze aus, ſo müſſen wir unbedenklich den Wohnſitz als allgemeine Grundlage annehmen, übereinſtim - mend mit dem Römiſchen Recht. Denn dieſe Annahme folgt ſtreng und nothwendig aus dem Römiſchen Begriff der Univerſalſucceſſion (§ 375); dieſer Begriff aber wird nicht etwa von uns der Preußiſchen Geſetzgebung untergeſchoben, ſondern er liegt unzweifelhaft dem geſammten Preußiſchen Erbrecht zum Grunde. Wäre es alſo anders nach beſtimm - ten Preußiſchen Geſetzen, ſo könnten wir darin doch höch - ſtens eine Inconſequenz erkennen.
Der ganze Streit dreht ſich in der That um die Erklä - rung folgender Stelle des allgemeinen Landrechts (Einlei - tung § 32): In Anſehung des unbeweglichen Vermögens gel - ten, ohne Rückſicht auf die Perſon des Eigen - thümers, die Geſetze der Gerichtsbarkeit, unter welcher ſich daſſelbe befindet.
Wenn man dieſer ſehr abſtract gefaßten Vorſchrift die höchſte Ausdehnung giebt, deren die Worte empfänglich ſind, ſo kann allerdings der von den Gegnern behauptete Sinn in dieſelbe gelegt werden. Es fragt ſich aber, wel - cher Sinn in ihr nach richtiger Auslegung zu finden iſt. 318Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zunächſt iſt anzunehmen, daß in dieſer Vorſchrift gar nicht an die Succeſſion von Todes wegen, ſondern nur an den Verkehr unter Lebenden gedacht worden iſt(a)Dieſes iſt auch die Meinung von Koch Preußiſches Recht § 40 Note 12, wo nur durch Druckfehler § 23 anſtatt § 32 ſteht.. Dafür ſpricht folgende Faſſung der entſprechenden Stelle in dem vorhergehenden gedruckten Entwurf (Einleitung § 30): Was die Provinzialgeſetze und Statuten in An - ſehung der liegenden Gründe verordnen, iſt auf alle in der Provinz oder unter der ordentlichen Obrigkeit des Orts gelegene Grundſtücke anzu - wenden; ohne Rückſicht auf den Ort, wo der Beſitzer wohnt, oder der Vertrag darüber geſchloſ - ſen worden.
Hier iſt augenſcheinlich blos an den Verkehr unter Le - benden gedacht. Nun könnte man annehmen wollen, der veränderte Ausdruck im Landrecht deute gerade auf die Ab - ſicht einer weiteren Ausdehnung des Objects der Vorſchrift. Allein wäre dieſer Zweck beabſichtigt worden, ſo hätte man denſelben gewiß beſtimmter angedeutet. Ohne Zweifel be - ruht der veränderte Ausdruck nur auf dem überall im Land - recht ſichtbaren Streben, einen vermeintlich reineren Ge - ſchmack vermittelſt eines möglichſt abſtracten Ausdrucks an den Tag zu legen.
Aber ſelbſt wenn wir in der Auslegung der Stelle die Beſchränkung auf den Verkehr unter Lebenden aufgeben und das Gebiet der Succeſſion von Todes wegen mit her -319§. 378. IV. Erbrecht. Preußiſches Recht.ein ziehen wollten, ſo würde doch noch eine andere, ſelbſt in ihren Worten liegende, wichtige Beſchränkung übrig bleiben. Sie ſpricht doch augenſcheinlich nur von „ Statuten in Anſehung der liegenden Gründe “, von Geſetzen, die „ in Anſehung des unbeweglichen Vermögens “gelten ſollen. Welche Geſetze ſollen durch dieſen Ausdruck bezeichnet ſeyn? Ganz offenbar die wahren Realſtatuten, die principaliter auf unbewegliche Sache ſich beziehen, welcher Begriff dem Landrecht, wie es auch unſere gegenwärtigen Gegner ein - räumen, ſehr bekannt und geläufig iſt (§ 361. t). Dieſe Eigenſchaft aber können wir unmöglich einem Geſetz über die gewöhnliche Inteſtaterbfolge blos deswegen zuſchreiben, weil in dem Vermögen unter andern und zufällig auch Grundſtücke enthalten ſeyn können, woran jenes Geſetz gar nicht denkt. Dagegen iſt dieſe Eigenſchaft allerdings vor - handen bei gewiſſen, die Succeſſion von Todes wegen be - treffenden Geſetzen, nämlich bei den Geſetzen über die Nach - folge in Lehen, Fideicommiſſe u. ſ. w. (§ 376). Die Ge - ſetze über dieſe Nachfolge ſind in der That wahre Real - ſtatuten, und wenn wir auf ſie die vorliegende Stelle be - ziehen, ſo handeln wir ihrem wahren Sinne gemäß, die Verfaſſer mögen dabei an dieſen beſonderen Gegenſtand ge - dacht haben oder nicht. Auch unſer hauptſächlicher Gegner erklärt, daß er früher die Stelle in dieſer Beſchränkung aufgefaßt, und erſt ſpäterhin weiter ausgedehnt habe(a¹Bornemann S. 61.. Nur würde es ganz irrig ſeyn, in dieſer Beſchränkung etwa320Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.eine dritte, vermittelnde Meinung annehmen zu wollen. Vielmehr liegt darin eben unſere ganze, vollſtändige Mei - nung, da Niemand daran denkt, die Nachfolge in Lehen, Fideicommiſſe u. ſ. w. von der lex rei sitae auszuſchließen. Die einzige Streitfrage iſt die, ob in Anſehung der gewöhn - lichen, reinen Inteſtaterbfolge auf die unbeweglichen Theile des Vermögens die lex rei sitae angewendet werden ſoll (wie die Gegner wollen) oder nicht (wie wir behaupten). Ein beſonders wichtiger Grund aber, unſre Auslegung nicht blos für räthlich und wünſchenswerth in ihren Folgen, ſondern auch für wahr anzunehmen, liegt in der ungemei - nen praktiſchen Schwierigkeit der Ausführung, die mit der entgegengeſetzten Auslegung verbunden ſeyn würde. — Ein Beiſpiel möge dieſe Schwierigkeit anſchaulich machen. Ein Einwohner von Berlin ſtirbt ohne Teſtament, und hinter - läßt eine Wittwe und mehrere nahe Verwandte verſchiede - ner Art. Das Vermögen beſteht aus einem Landgut bei Berlin, einem Landgut in Schleſien, einem Hauſe in Ehren - breitſtein, einem Hauſe in Coblenz; daneben hat er viele perſönliche Schulden, die natürlich auf allen Theilen des Vermögens haften. Nach der Meinung der Gegner müß - ten auf die Erbfolge in die Grundſtücke nicht weniger, als Vier Geſetze zur Anwendung kommen, die auf ganz ver - ſchiedene Erben führen können: in der Mark Branden - burg die Joachimica von 1527(b)Corpus constitut. Marchicarum von Mylius Th. 2. Abth. 1 S. 19., mit dem Anſpruch der321§. 378. IV. Erbrecht. Preußiſches Recht.Wittwe auf die Hälfte des zuſammengeworfenen Vermögens beider Ehegatten, in Schleſien das allgemeine Landrecht(c)Seit dem Geſetz vom 11. Juli 1845, welches alle Schleſiſchen Provinzialgeſetze über das Erbrecht aufgehoben hat., in Ehrenbreitſtein das Römiſche Recht, in Coblenz das Franzöſiſche Recht, ſo daß in der That Vier verſchiedene Erbſchaften entſtehen würden. Den Glaubigern iſt es nun ganz einerlei, wer Erbe wird, wenn ſie nur befriedigt wer - den; das iſt aber nicht möglich, bevor durch gerichtliche Taxen der Werth jedes Grundſtücks, alſo deſſen Verhältniß zum geſammten Vermögen, feſtgeſtellt iſt. Unſer Gegner meint zwar, dieſe Schwierigkeiten dürften uns nicht ab - ſchrecken(d)Bornemann S. 62.. Das ließe ſich hören, wenn davon die Rede wäre, dem Richter Mühe und Zweifel zu erſparen; allein die Schwierigkeiten und Nachtheile treffen die Parteien, insbeſondere die Glaubiger, und warum ſollen dieſe damit belaſtet werden? Nicht etwa zur Aufrechthaltung eines ſicheren Rechtsgrundſatzes, ſondern zum Schutz der buch - ſtäblichen Auslegung eines Paragraphen des Landrechts, von welchem die Gegner mindeſtens zugeben müſſen, daß er auch noch eine andere Auslegung zuläßt. Gerade in dieſem Umſtand aber ſehe ich den wichtigſten Grund für die Richtigkeit unſerer Auslegung, da es gewiß nicht wahr - ſcheinlich iſt, daß der Geſetzgeber die Abſicht gehabt haben ſollte, einen Grundſatz aufzuſtellen, der die Betheiligten,VIII. 21322Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.insbeſondere die Glaubiger, in ganz unnütze Noth ver - wickeln mußte. Dieſer rein praktiſche Grund ſcheint mir weit erheblicher, als der von den Gegnern geltend gemachte, daß zur Zeit, als das Landrecht abgefaßt wurde, die ent - gegengeſetzte Lehre in der Praxis herrſchend war, ein An - ſchließen an dieſe Praxis aber in dem Geſetz angenommen werden müſſe, wo nicht eine Abweichung von derſelben deutlich ausgeſprochen würde(e)Es iſt beſonders zu be - merken, daß kurz vor Abfaſſung des Landrechts Pufendorf, der doch auch ein Praktiker war, die Verkehrtheit jenes Syſtems ſehr gründlich dargeſtellt hatte (§ 376. h)..
Es kommen daneben noch folgende einzelne Stellen un - ſerer Geſetzgebung in Betracht.
1. Ueber die Inteſtaterbfolge unter Ehegatten wird im Allgemeinen vorgeſchrieben, daß das am Wohnſitz des Ver - ſtorbenen geltende örtliche Geſetz zur Anwendung kommen ſoll(f)A. L. R. II. 1 § 495., und ein ſpäterer Zuſatz zu dieſer Stelle lau - tet ſo: Anhang § 78. Von dieſer Beſtimmung macht auch das unbewegliche Vermögen der Eheleute keine Ausnahme, ob dieſes ſich gleich unter einer anderen Gerichtsbarkeit befindet.
Nichts iſt einfacher und natürlicher, als dieſes Geſetz für eine einzelne Anwendung unſers Grundſatzes anzuſehen, und alſo eine Beſtätigung dieſes Grundſatzes darin zu fin - den. Unſere Gegner ſehen darin eine beabſichtigte Aus -323§. 378. IV. Erbrecht. Preußiſches Recht.nahme der von ihnen angenommenen Regel, ſuchen aber vergeblich dieſe Abſicht aus der Entſtehungsgeſchichte der Stelle herzuleiten(g)Bornemann S. 58 — 60. Der § 78 des Anhangs iſt ent - nommen aus einer Entſcheidung der Geſetzcommiſſion von 1794. Dieſe aber war veranlaßt durch eine Anfrage der Regierung zu Cleve, worin beiläufig die irrige Lehre für andere Fälle als wahr dargeſtellt wurde. Die Geſetzcom - miſſion gab ihre Entſcheidung, ohne auf die Ausführung der Gründe einzugehen, und dadurch ſoll ſie ſtillſchweigend die falſche Meinung der Regierung zu Cleve gebilligt, und die Entſcheidung ſelbſt als bloße Ausnahme aner - kannt haben. Die Aktenſtücke ſind abgedruckt in Klein’s Annalen B. 13 S. 3 — 6..
2. Nach der Meinung der Gegner müßten oft mehrere Erbſchaften deſſelben Erblaſſers angenommen werden; in dem oben angegebenen Beiſpiel Vier Erbſchaften. Dann wäre es conſequent, für jede derſelben einen beſonderen Gerichtsſtand anzuordnen, da wo die einzelnen Grundſtücke liegen. Das Preußiſche Geſetz aber nimmt überall nur Einen Gerichtsſtand der Erbſchaft an, am letzten Wohnſitz des Verſtorbenen(h)Allg. Gerichtsordnung I. 2 § 121., ohne den Fall auswärts liegender Grundſtücke auszunehmen. Darin erkennt ſie an, daß ſtets nur Eine Erbſchaft vorkommen kann.
3. Wenn Jemand einen Erben einſetzt, und demſelben mehrere Perſonen ohne weitere Beſtimmung ſubſtituirt, welche die Inteſtaterben des eingeſetzten Erben ſeyn wür - den, ſo ſoll die Subſtitution ſo ausgelegt werden, daß ſie ſich nach den Regeln der Inteſtaterbfolge richte, und dieſe21*324Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Inteſtaterbfolge ſoll beurtheilt werden nach dem am Wohnſitz des eingeſetzten Erben geltenden Geſetz(i)A. L. R. I. 12 § 536. 537.. Dabei iſt au - genſcheinlich vorausgeſetzt, daß ausſchließend der Wohnſitz die Inteſtaterbfolge beſtimme, ohne Ausnahme der etwa auswärts liegenden Grundſtücke(k)Bornemann S. 60 ſucht dieſen Grund zu entkräften durch die dem Teſtator ganz willkürlich[untergeſchobene] Abſicht, er habe nur einen einzigen Subſtituten zulaſſen wollen..
Zum Schluß iſt noch zu bemerken, daß die meiſten Schriftſteller die hier vertheidigte Lehre annehmen(l)Dieſe Thatſache wird aner - kannt von Bornemann S. 54., und eben ſo auch die meiſten Gerichte(m)Anerkannt von Borne - mann S. 62. Dahin gehört ein ſehr gründliches Urtheil aus Glo - gau von 1828 (Fünfmännerbuch S. 118. 119). Auch ſtimmt mit der richtigen Lehre ganz überein das oben § 376. m angeführte Ur - theil, obgleich daſelbſt in die Ur - theilsgründe manches Unrichtige eingemiſcht worden iſt..
Das Familienrecht hat am meiſten Aehnlichkeit mit dem Zuſtand der Perſon an ſich (Rechtsfähigkeit und Handlungs - fähigkeit § 362), und unterſcheidet ſich weſentlich von den Verhältniſſen des Vermögens, welche die Perſon mit äußer - lichen, willkürlich gewählten Gegenſtänden in Verbindung bringen(a)S. o. B. 1 § 53.. — Auf der anderen Seite haben theils ſittlich religiöſe, theils politiſche Rückſichten großen Einfluß auf325§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.daſſelbe, weshalb vorzugsweiſe in dieſem Gebiete Geſetze von einem zwingenden, ſtreng poſitiven Charakter vor - kommen.
Ueber den wahren Sitz des ehelichen Verhältniſſes iſt kein Zweifel; er iſt anzunehmen an dem Wohnſitz des Ehe - mannes, der nach den Rechten aller Völker und aller Zei - ten als das Haupt der Familie anerkannt werden muß(b)L. 5 de ritu nupt. (23.2) „ .. deductione enim opus esse in mariti, non in uxoris domum, quasi in domicilium matrimonii. “ Darin liegt weder eine eigenthümlich Römiſche Be - ſtimmung, noch überhaupt eine poſitive Vorſchrift, ſondern nur die gelegentliche Anerkennung eines aus dem allgemeinen Weſen der Ehe hervorgehenden Verhältniſſes.. Daher muß denn auch das örtliche Recht jeder Ehe hier - nach beſtimmt werden, und der Ort, wo etwa außer dem Wohnſitz die Ehe durch Trauung geſchloſſen ſeyn mag, iſt dabei ganz gleichgültig(c)Huber § 10. Story § 191 — 199..
Manche haben dieſen letzten Satz deswegen bezweifelt, weil ſie die Ehe als obligatoriſchen Vertrag betrachteten, bei ſolchen Verträgen aber den Ort des Abſchluſſes als maaßgebend für das örtliche Recht zu betrachten gewohnt waren. Die erſte dieſer beiden Anſichten iſt falſch, da die Ehe mit den obligatoriſchen Verträgen Nichts gemein hat. 326Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Wäre ſie aber auch richtig, ſo würde ſie uns dennoch nicht auf den Entſtehungsort der Ehe als Beſtimmungsgrund für das örtliche Recht derſelben führen, ſondern vielmehr auf den Erfüllungsort (§ 372). Als Erfüllungsort aber für die aus der Ehe hervorgehenden Verpflichtungen kann ſicherlich nur der Wohnſitz des Ehemannes gelten.
Von dieſem Standpunkt aus iſt nunmehr eine Reihe einzelner Rechtsfragen in Beziehung auf die Ehe zu un - terſuchen.
1. Die Bedingungen der Möglichkeit der Ehe, oder (von der umgekehrten Seite betrachtet) die Ehehinderniſſe, gründen ſich theils auf die perſönlichen Eigenſchaften jedes der beiden Ehegatten für ſich, theils auf das Verhältniß der - ſelben zu einander. Nach allgemeinen Grundſätzen nun möchte man annehmen, daß die perſönliche Fähigkeit der Frau nach dem Geſetz ihrer Heimath zu beurtheilen wäre (§ 362). Allein gerade die hier einſchlagenden Geſetze, die auf ſittlichen Rückſichten beruhen, haben eine ſtreng poſitive Natur, und daher ſind die in dem Wohnſitz des Mannes geltenden Ehehinderniſſe ſchlechthin bindend, ohne Rückſicht auf die vielleicht abweichenden Geſetze in der Heimath der Frau, oder in dem Ort, an welchem die Trauung vorge - nommen wird. Dieſe Regel gilt namentlich für die verbo - tenen Verwandtſchaftsgrade, und die in dem religiöſen Ver - hältniß gegründeten Hinderniſſe(d)Wächter II. S. 185. 187. Schäffner § 102. 103. Die Praxis mehrerer Länder iſt über dieſen Punkt ſehr verſchieden. Story § 79 fg..
327§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.2. Die zum Abſchluß der Ehe nöthigen Förmlichkeiten richten ſich nicht nothwendig nach dem eben erwähnten Orte Davon wird weiter unten (§ 381) die Rede ſeyn.
3. Beſonders wichtig und beſtritten iſt die Frage, nach welchem Geſetze das eheliche Güterrecht zu beurtheilen iſt, indem gerade hierin die Geſetze ſo ſehr von einander ab - weichen. Es iſt für jeden einzelnen Fall hauptſächlich zu entſcheiden zwiſchen dem (Römiſchen) Dotalrecht, und der (Germaniſchen) Gütergemeinſchaft. Das erſte aber findet ſich bald rein Römiſch, bald mit Modificationen, die in Deutſchland ſehr verbreitet ſind. Eben ſo kommt die Gü - tergemeinſchaft in den verſchiedenſten Abſtufungen vor.
Der Grundſatz nun iſt von keiner Seite beſtritten, daß ſich das eheliche Güterrecht richtet nach dem Wohnſitz des Ehemannes(e)P. Voet. Sect. 9. C. 2 § 5. 6. Wächter II. S. 47. Foelix p. 127., nicht nach dem Ort, wo die Ehe abge - ſchloſſen worden iſt. Allein innerhalb dieſes Grundſatzes finden ſich zwei große Meinungsverſchiedenheiten.
Erſtlich behaupten Viele, daß dieſer Grundſatz nicht gelte bei auswärts liegenden Grundſtücken, welche vielmehr nach der lex rei sitae beurtheilt werden müßten(f)P. Voet. Sect. 4 C. 3 § 9. I. Voet. in Pand. XXIII. 2 § 60. Hommel rhaps. Obs. 175. 409 N. 15. Story § 186. 454.. Der richtigern Meinung nach iſt die lex domicilii auch auf die auswärtigen Grundſtücke zu beziehen(g)Hert. § 46. Wächter II. S. 48. Foelix p. 127 — 129. Schäffner § 106. 107. Damit ſtimmt überein das Preußiſche Allg. Landrecht II. 1 § 365 — 369.. — Da hier die328Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Ortliche Gränzen.Entſcheidung eben ſo ausfällt, wie oben bei dem Erbrecht, ſo könnte man auf den Gedanken kommen, auch eine ähn - liche Begründung, vermittelſt der Zurückführung auf eine Univerſalſucceſſion, zu verſuchen (§ 376). Eine ſolche aber darf bei keinem der hier einſchlagenden Rechtsinſtitute an - genommen werden, namentlich nicht bei der auf das ganze Vermögen der Frau gerichteten Dos. Der wahre Grund liegt vielmehr darin, daß die Wahl des örtlichen Rechts vorzugsweiſe auf freie Unterwerfung zurückgeführt werden muß (§ 360. Num. 2), daß es aber gewiß nicht mit Wahrſcheinlichkeit angenommen werden kann, die Ehegatten hätten die Einrichtung ihrer Vermögensverhältniſſe von dem ganz zufälligen Umſtand abhängig machen wollen, ob etwa ein Theil des Vermögens in auswärts liegenden Grund - ſtücken beſtehe. Die daraus möglicherweiſe hervorgehende Verſchiedenheit des Güterrechts an verſchiedenen Vermö - genstheilen könnte zu den größten Verwickelungen und Un - gewißheiten führen, und iſt daher gewiß nicht als die wahr - ſcheinliche Abſicht der Parteien anzuſehen.
Eine zweite Streitfrage betrifft den Fall, wenn während der Ehe der Wohnſitz des Ehemannes verändert wird(g¹)Die Erörterung dieſer wichtigen Streitfrage gehört zur Erledigung des oben § 344e gemachten Vorbehalts..
Hier geht eine erſte Meinung dahin, daß das örtliche Recht des anfänglichen Wohnſitzes für alle Zeiten beſtim - mend bleibe, und alſo nicht durch die Wahl des neuen329§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.Wohnſitzes geändert werden könne. Der Grund wird meiſt darin geſetzt, daß in der Eingehung der Ehe der ſtillſchwei - gende Vertrag enthalten ſey, das Güterrecht nach dem an dem gegenwärtigen Wohnſitz geltenden Geſetz unabänderlich einrichten zu wollen(h)P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 7. I Voet. in Pand. XXIII. 2 § 87. Hert. § 48. 49. Pufen - dorf II. Obs. 121. Wächter II. S. 49 — 55. Schäffner § 109 — 114. Foelix p. 130 — 132. Bü - low und Hagemann Erör - terungen B. 6 Num 24. Pfeiffer praktiſche Ausführungen B. 2 Num. 6. Urtheile der Gerichte von Celle (1836) und München (1845) bei Seuffert Archiv B. 1 N. 152.. Dieſe Meinung halte ich für richtig; der angegebene Grund wird noch näher geprüft werden.
Eine zweite Meinung verneint die Annahme eines ſtill - ſchweigenden Vertrags, und läßt das eheliche Güterrecht lediglich aus dem am Wohnſitz geltenden Geſetz entſtehen. Daraus wird gefolgert, daß im Fall eines neu gewählten Wohnſitzes auch das Geſetz dieſes neuen Wohnſitzes ent - ſcheiden müſſe, daß alſo jeder Wechſel ein anderes Güter - recht zur Folge haben könne(i)Eichhorn deutſches Recht § 35. g. § 307. d. § 310. e. f. Story § 187. Andere Schriftſteller werden angeführt von Wächter II. S. 49..
Eine dritte, vermittelnde Meinung endlich verwirft, ſo wie die zweite, die Annahme des ſtillſchweigenden Vertrags, und läßt gleichfalls nur das Geſetz des zu jeder Zeit vor - handenen Wohnſitzes entſcheiden, jedoch mit der Maaßgabe, daß das bei der Gründung der Ehe einmal erworbene Vermögen unverändert bleibe (als jus quaesitum), und nur330Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.der künftige Erwerb durch das Geſetz des neuen Wohnſitzes geregelt werden ſoll(k)Kierulff S. 78. 79. (am Schluß der ganzen Note). Puchta Pandekten § 113 und: Vorleſungen § 113. Vgl. darüber Wächter II. S. 50 (Note 264), und S. 54; er ſelbſt bekennt ſich zu der erſten Meinung (Note h)..
Prüfen wir etwas näher die Gründe dieſer Meinungen. — Für die erſte ſpricht unzweifelhaft ein unbefangenes Rechtsgefühl. Als die Ehe geſchloſſen werden ſollte, ſtand es ganz ſicher in dem freien Willen der Frau, die Ehe entweder ganz zu unterlaſſen, oder an gewiſſe, das Ver - mögen betreffende, Bedingungen zu knüpfen. Sie hat kei - nen ſolchen Vertrag geſchloſſen, vielmehr das durch das Geſetz des Wohnſitzes beſtimmte Güterrecht gelten laſſen, natürlich alſo auf deſſen ſtete Fortdauer gerechnet. Jetzt verändert der Mann mit einſeitiger Willkür den Wohnſitz, wozu er unſtreitig berechtigt iſt, und es ſoll nun ein ganz anderes Güterrecht für dieſe Ehe herbeigeführt werden. Iſt damit die Frau zufrieden, ſo iſt unſre ganze Streitfrage weniger wichtig, da ja auch durch Vertrag eine Aenderung des Güterrechts hätte bewirkt werden können. Die Frage iſt aber wichtig, wenn die Veränderung der Frau nach - theilig, und die Frau damit nicht zufrieden iſt. Gerade um dieſe, durch Nichts zu rechtfertigende, einſeitige Macht des Mannes über die Rechte der Frau auszuſchließen, wurde von den Vertheidigern der erſten Meinung das Da - ſeyn eines ſtillſchweigenden Vertrages angenommen. Daran331§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.nahmen die Gegner Anſtoß, und nicht ganz ohne Grund. Es läßt ſich aber daſſelbe Ziel erreichen, auch wenn man den ſtillſchweigenden Vertrag aufgiebt. Unter einem Ver - trag, dem ſtillſchweigenden wie dem ausdrücklichen, verſte - hen wir eine übereinſtimmende Willenserklärung, die nicht ohne beſtimmtes Bewußtſein beider Theile denkbar iſt(l)S. o. B. 3 § 140.. Fragen wir nun, ob bei der Eingehung einer Ehe ſtets ein beſtimmtes Bewußtſein beider Theile, beſonders der Frau, über das Güterrecht Statt gefunden hat, ſo müſſen wir Das allerdings verneinen, und daher iſt die allgemeine Annahme eines ſtillſchweigenden Vertrags unbegründet. Allein eine freie Unterwerfung, als Begründung des ört - lichen Rechts, die auch auf negative Weiſe, als bloßer Nichtwiderſpruch, denkbar iſt (§ 360. Nr. 2), müſſen wir allgemein annehmen; dieſe iſt für das örtliche Recht des neuen Wohnſitzes in dem oben vorausgeſetzten Fall der Meinungsverſchiedenheit durchaus nicht vorhanden, und ſo müſſen wir für dieſen Fall die Aenderung des Gü - terrechts, zu deren Annahme es an einem hinreichenden Grunde fehlt, verneinen, ſelbſt von dem Standpunkt der Gegner aus, die das Geſetz, und nicht den Vertrag, als Beſtimmungsgrund für das örtliche Recht anſehen. So kommen wir in der That, nur auf einem anderen Wege, auf daſſelbe Ziel, worauf die Annahme des ſtillſchweigen - den Vertrags führen ſollte(m)Dieſe Begründung der erſten Meinung, die vielleicht den Widerſpruch mancher bisherigen.
332Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Es wurde hierbei der Fall vorausgeſetzt, daß die Aende - rung des Güterrechts durch Veränderung des Wohnſitzes zum Nachtheile der Frau gereiche, und daher ihrem Willen entgegen ſey. Allein dieſer Fall, in welchem die ungerechte Folge der entgegenſtehenden Meinung freilich am ſchärfſten hervortritt, iſt keineswegs der einzige. Wenn ein Beamter in einen Landestheil verſetzt wird, worin ein anderes ehe - liches Güterrecht gilt, ſo iſt auch für ihn die Veränderung des Wohnſitzes unfreiwillig, und vielleicht für beide Ehe - gatten die Aenderung des Güterrechts unerwünſcht. Sie würden aber dieſe Aenderung, je nach dem Inhalte des örtlichen Rechts, vielleicht gar nicht, vielleicht nur durch läſtige und koſtſpielige Verträge abwenden können.
Folgende Betrachtung wird die hier verſuchte Begrün - dung noch deutlicher hervor treten laſſen. Wenn ein Ge - ſetz das Güterrecht der Ehegatten beſtimmt, ſo fragt es ſich zunächſt, für welche Perſonen daſſelbe zu verfügen die Ab - ſicht hat. Ganz gewiß denkt der Geſetzgeber an alle Ehen, die in ſeinem Bereich gegründet werden, und für dieſe will(m)Gegner beſeitigen dürfte, findet ſich ſchon bei Schäffner § 114. — Man könnte etwa den Unter - ſchied der Auffaſſungen, und die hier dargebotene Vermittlung, ſo bezeichnen, daß man dem am Ort des urſprünglichen Wohnſitzes gel - tenden Recht nicht ſowohl die Natur eines ſtillſchweigenden, als eines fingirten Vertrags zuſchriebe, ähnlich dem pignus tacite con - tractum, wobei es auch nicht auf ein beſtimmtes Bewußtſeyn der Parteien ankommt. Es iſt dieſes nur ein anderer Ausdruck; das Weſen der Sache beſteht in dem beſtimmten Recht jeder Partei, un - abhängig von der Willkür der andern.333§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.er Das vorſchreiben, welches er theils an ſich für das Zu - träglichſte hält, theils der bisherigen Sitte des Landes ent - ſprechend findet. Will er aber dieſe Regel auch den an - derwärts begründeten, bei ihm neu einwandernden Ehen aufdrängen? Dazu iſt ein hinreichender Grund nicht vor - handen, beſonders im Widerſpruch mit dem ſo eben näher entwickelten Bedenken. Wenn aber das Geſetz, ſeiner wahr - ſcheinlichen Abſicht nach, auf die einwandernden Ehen gar nicht zu beziehen iſt, ſo hat für dieſe der von den Gegnern aufgeſtellte Grund alle Kraft verloren.
Giebt man die hier aufgeſtellten Gründe als richtig zu, ſo iſt damit die zweite der oben aufgeſtellten Meinungen, und eben ſo auch die dritte, völlig widerlegt. Die zweite aber erſcheint noch beſonders hart und ungerecht in Beziehung auf das ſchon erworbene Vermögen. Wenn an einem Orte, deſſen Geſetz die allgemeine Güter - gemeinſchaft ausgedehnteſter Art als Regel aufſtellt, eine Ehe begründet wird von einem reichen Mann mit einer armen Frau, ſo wird durch den Abſchluß der Ehe das Vermögen gemeinſchaftlich. Wird nachher von dem Manne der Wohnſitz an einen Ort verlegt, an welchem das Dotal - recht als Regel gilt, ſo müßte die Frau, nach der zweiten Meinung, den ihr bereits erworbenen Antheil am Vermögen augenblicklich, und wider ihren Willen, verlieren. Gerade um dieſem ſchreienden Erfolg zu begegnen, iſt die dritte, vermittelnde, Meinung aufgeſtellt worden. Allein abgeſehen davon, daß dieſelbe durch die oben aufgeſtellten Gründe334Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.gleichfalls widerlegt wird, leidet ſie auch an den gewöhn - lichen Mängeln halber Maaßregeln. Läßt man das eheliche Güterrecht für das ſchon vorhandene Vermögen durch den alten Wohnſitz, für den künftigen Erwerb durch den neuen beherrſchen, ſo können dadurch Verwicklungen und Wider - ſprüche entſtehen, die ſich gar nicht voraus überſehen laſſen, und die eben ſo wenig dem Vortheil, als den Wünſchen der Ehegatten entſprechen möchten.
Allerdings würde die zweite Meinung angenommen werden müſſen, wenn etwa in dem neuen Wohnſitz ein eheliches Güterrecht von ſtreng poſitivem, ausſchließendem Inhalt beſtehen ſollte. Dieſes würde anzunehmen ſeyn, wenn daſelbſt ein Geſetz des Inhalts gegeben wäre, daß durchaus nicht geduldet werden ſolle, eine Ehe anders als nach Dotalrecht zu begründen, oder, wenn ſie anderwärts be - gründet war, hier fortzuführen; oder auch anders als nach dem Recht der Gütergemeinſchaft(m)Wächter II. S. 55. 362. § 350 — 355.. Ob überhaupt ſolche Geſetze vorhanden ſind, mag dahin geſtellt bleiben.
Das Preußiſche Geſetz erkennt im Allgemeinen die hier vertheidigte Meinung an, nach welcher das örtliche Recht des bei dem Anfang der Ehe beſtehenden Wohnſitzes auch für alle künftige Zeit entſcheiden ſoll, nur mit zwei unter - geordneten Modificationen für den Fall, wenn eine mit Dotalrecht angefangene Ehe an einen neuen Wohnſitz, in welchem Gütergemeinſchaft gilt, verlegt wird(n)Allg. Landrecht II. 1.
335§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.4. Eine beſondere Rückſicht verdienen die Geſetze, wo - durch die Liberalität eines Ehegatten gegen den andern ein - geſchränkt werden ſoll, wohin insbeſondere das im Römiſchen Recht enthaltene Verbot aller Schenkungen unter Ehegatten gehört.
In dieſer Hinſicht entſcheidet das Geſetz des Wohn - ſitzes; hier aber nicht das des urſprünglichen Wohnſitzes, ſondern vielmehr des Wohnſitzes, zu deſſen Zeit die Hand - lung vorgenommen wurde. Der Grund dieſer, von der vorhergehenden abweichenden, Entſcheidung liegt darin, daß Geſetze dieſer Art auf Erhaltung der ſittlichen Reinheit der Ehe abzwecken, alſo einen ſtreng poſitiven Charakter an ſich tragen (§ 349). Vergleichen wir dieſen Fall mit dem vor - her (unter Num. 3.) abgehandelten, ſo wird man nicht be - haupten können, daß die an einem Ort des Römiſchen Rechts geſchloſſene, nachher an einen anderen Ort verlegte Ehe nur unter dem ſtillſchweigenden Vertrag geſchloſſen worden ſey, daß in derſelben zu keiner Zeit eine wirkſame Schenkung vorkommen werde. Das Verbot der Schenkung iſt vielmehr eine reine Beſchränkung der Freiheit, der ſich die Ehegatten fügen müſſen, kein durch freie Unterwerfung in die Ehe herüber genommenes Rechtsinſtitut.
Dagegen kann nicht eingeräumt werden, daß die hier erwähnten Geſetze zu beziehen ſeyn ſollten auf alle in ihrem Bereich liegende Grundſtücke, auch wenn die Ehe in einem Lande geführt wird, das eine ſolche Beſchränkung der Frei -336Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.heit nicht kennt(o)Dieſes iſt die Meinung von Rodenburg Tit. 2 C. 5 § 1. I. Voet in Pand. XXIV. 1 § 19. Meier p. 44.. Denn der Zweck dieſer Geſetze iſt nicht der, von den Sachen eine Gefährdung abzuwenden, gleich als ob dieſelben durch eine Schenkung unter Ehegatten Schaden leiden könnten, ſondern vielmehr, wie ſchon er - wähnt, die Erhaltung ſittlicher Reinheit der Ehe. Der Geſetzgeber redet alſo zu den in ſeinem Bereich lebenden Ehegatten, ohne Rückſicht auf die Lage ihres Vermögens.
5. Die Inteſtaterbfolge unter Ehegatten richtet ſich, eben ſo wie bei Fremden, nach dem letzten Wohnſitz des Erb - laſſers. In manchen Fällen aber kann es zweifelhaft ſeyn, ob der Anſpruch auf den Nachlaß aus eigentlicher Inteſtat - erbfolge, oder vielmehr aus der bloßen Fortwirkung der während der Ehe beſtehenden Güterverhältniſſe (der Güter - gemeinſchaft) abzuleiten iſt. Im erſten Fall entſcheidet der letzte Wohnſitz, im zweiten Fall der Wohnſitz, an welchem die Ehe angefangen hat, wie oben gezeigt worden iſt (Num. 3).
Ein ſolcher Zweifel wäre namentlich denkbar bei der ſchon oben erwähnten, in der Mark Brandenburg geltenden, Joachimica (§ 378. b). Indeſſen iſt der hier angeordnete Anſpruch des überlebenden Theils auf die Hälfte des zu - ſammen geworfenen Vermögens beider Ehegatten in der That als reine Inteſtaterbfolge, nicht als Ausfluß irgend einer Art von Gütergemeinſchaft, anzuſehen, alſo nach dem337§. 379. V. Familienrecht. A. Ehe.letzten Wohnſitz zu beurtheilen. Dieſes folgt aus der Ver - bindung, in welche dieſer Anſpruch mit der ganzen übrigen Inteſtaterbfolge durch das Geſetz gebracht wird. Jener An - ſpruch hat daher eine ganz ähnliche Natur mit den im Römiſchen Recht begründeten Inſtituten: der Bonorum possessio unde vir et uxor, und der Succeſſion des hinter - laſſenen dürftigen Ehegatten.
6. Die Eheſcheidung unterſcheidet ſich von den eben abgehandelten, das Vermögen betreffenden, Rechtsinſtituten dadurch, daß die Geſetze über dieſelbe auf der ſittlichen Natur der Ehe beruhen, alſo einen ſtreng poſitiven Charakter an ſich tragen. Daraus folgt, daß der über ſie urtheilende Richter nur das Geſetz ſeines Landes befolgen darf, ohne Rückſicht auf andere Verhältniſſe der Ehegatten(p)S. o. § 349. Im Ganzen ſtimmt damit überein Schäffner § 124 und Wächter II. S. 184 — 188.. Dieſer Grundſatz aber wird in der Regel wieder auf das am Wohnſitz des Ehemannes geltende Geſetz führen, weil nur da ein wahrer Gerichtsſtand über die Eheſcheidung begrün - det ſeyn wird.
Dabei iſt nicht ſo, wie bei dem Güterrecht, der Wohn - ſitz zur Zeit der geſchloſſenen Ehe zu beachten, ſondern viel - mehr der gegenwärtige Wohnſitz. Denn das am früheren Wohnſitz beſtehende Geſetz kann keinem der Ehegatten ein Recht, oder auch nur eine begründete Erwartung gegeben haben, nach demſelben Geſetz auch künftig einmal geſchiedenVIII. 22338Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.zu werden, da der eben erwähnte Charakter der Scheidungs - geſetze zu einem anderen Erfolge führt.
Ueber dieſen Gegenſtand aber ſind ſowohl die Meinungen der Schriftſteller, als die Ausſprüche der Gerichte, außer - ordentlich verſchieden(q)Schäffner § 118 — 125. Story Chap. 7..
Die Entſtehung der väterlichen Gewalt durch Zeugung in der Ehe, ſo wie deren denkbare Anfechtung, iſt zu be - urtheilen nach dem Geſetz des Ortes, an welchem der Vater zur Zeit der Geburt des Kindes ſeinen Wohnſitz hatte.
Dagegen ſind die Vermögensverhältniſſe zwiſchen dem Vater und den Kindern zu beurtheilen nach dem Geſetz, welches an dem jedesmaligen Wohnſitz des Vaters beſteht, ſo daß alſo eine Veränderung des Wohnſitzes auch eine Veränderung dieſer Verhältniſſe nach ſich ziehen kann (§ 396. II.).
Die Legitimation durch nachfolgende Ehe richtet ſich nach dem Wohnſitz des Vaters zur Zeit der geſchloſſenen339§. 380. V. Familienrecht. B. Väterliche Gewalt.Ehe, und die Zeit der Geburt des Kindes iſt dabei gleich - gültig. Zwar iſt behauptet worden, daß dieſer letzte Zeit - punkt beachtet werden müſſe, weil das Kind durch die Ge - burt ſchon ein gewiſſes Rechtsverhältniß begründet habe, das durch die ſpätere Ehe der Eltern nur zu voller Wirk - ſamkeit gelange; man ſetzt hinzu, daß außerdem der Vater einen dem Kind nachtheiligen Wohnſitz vor der Ehe will - kürlich wählen könne(a)Schäffner § 37.. Allein von einem Rechte ſolcher Kinder, alſo auch von einer Verletzung deſſelben, kann gar nicht die Rede ſeyn, da es in der freien Willkür des Vaters ſteht, nicht nur die Ehe mit der Mutter des Kindes zu unterlaſſen, ſondern, ſelbſt wenn er dieſe Ehe ſchließt, das Kind nicht anzuerkennen. In beiden Fällen aber erlangt das Kind kein Recht der Legitimität, da ein wahrer Beweis der außerehelichen Kinderzeugung unmöglich iſt, mit - hin die freie Anerkennung allein noch neben der Ehe, und unabhängig von derſelben, dem Kinde die Rechte der ehe - lichen Geburt verſchaffen kann(b)So iſt es nach gemeinem Recht. Im Römiſchen Recht tritt dieſer Satz weniger ſichtbar hervor, da die Legitimation nur auf Con - cubinenkinder (naturales) ging, bei welchen die Paternität faktiſch faſt eben ſo ſicher war, wie bei den ehelichen. Wir haben keine naturales, ſondern nur spurii, und bei dieſen hängt gewiß Alles allein von der ganz willkürlichen Anerkennung des Vaters ab. — Allerdings ſieht das Preußiſche Recht den Beweis des bloßen Bei - ſchlafs in einer gewiſſen Zeit vor der Geburt ſchon als Beweis der Paternität an (A. L. R. II. 1 § 1077). Dennoch läßt es bei der Legitimation durch Ehe die Rechte der ehelichen Geburt erſt von der Trauung anfangen (A. L. R. II. 2 § 598). Daher muß auch nach dem Sinn des Landrechts.
22*340Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.So weit, als Engliſches Recht gilt, wird wiederum an - genommen, daß der Einfluß der väterlichen Gewalt und der Legitimation auf auswärts liegende Grundſtücke nicht nach der lex domicilii, ſondern nach der lex rei sitae be - urtheilt werden müßte(c)Story § 456 § 87. Mit Recht erklärt ſich dagegen Schäff - ner § 39..
Die Vormundſchaft unterſcheidet ſich weſentlich von den bisher abgehandelten Rechtsinſtituten. Nur im älteſten Römiſchen Recht konnte ſie als ein rein privatrechtliches Verhältniß angeſehen werden. Seitdem hat ſie immer mehr den Charakter angenommen, der im heutigen gemeinen Recht in Deutſchland, eben ſo, wie in anderen Geſetzgebungen, ausſchließend wahrzunehmen iſt. Die Vormundſchaft er - ſcheint nunmehr als Ausübung des Schutzes, welchen der Staat der häufigſten und wichtigſten Klaſſe von Schutz - bedürftigen (Unmündige und Minderjährige) zu gewähren berechtigt und verpflichtet iſt. So aufgefaßt, gehört die Vormundſchaft, ihrem eigentlichen Weſen nach, dem öffent - lichen Recht an, und nur einzelne Folgen derſelben fallen dem Gebiete des Privatrechts anheim. Dieſer Auffaſſung aber iſt es auch angemeſſen, daß die Vormundſchaft nicht(b)die Legitimation verneint werden, wenn der Vater vor der Trauung den Wohnſitz in ein Land des ge - meinen Rechts verlegt, und nun die Anerkennung des Kindes ver - weigert.341§. 380. V. Familienrecht. C. Vormundſchaft.blos in verſchiedenen Ländern verſchiedenes Recht hat, ſon - dern auch in einem und demſelben Lande einer freieren Be - handlung von Seiten öffentlicher Behörden unterliegt, als die dem reinen Privatrecht angehörenden Rechtsverhältniſſe. Dieſe Verſchiedenheiten zeigen ſich nicht blos in den Rechts - regeln ſelbſt, ſondern ſelbſt in der Annahme des ört - lichen Rechts, von welchem jene Regeln beſtimmt werden ſollen.
Ich wende mich nun zu den wichtigſten einzelnen Rechts - fragen.
1. Errichtung der Vormundſchaft.
Als Regel wird ganz richtig angenommen, daß das ört - liche Recht des Wohnſitzes des Mündels, welcher in der Regel mit dem letzten Wohnſitz des verſtorbenen Vaters zuſammen fällt, für die Errichtung der Vormundſchaft be - ſtimmend iſt, und daß dieſe Vormundſchaft dann auch das anderwärts liegende Vermögen des Mündels umfaßt(d)P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 17. I. Voet. in Pand. XXVI. 5 § 5. Schäffner § 41.. Es kommen dabei aber folgende Abweichungen in Be - tracht.
Erſtlich, wenn unbewegliches Vermögen des Mündels unter einer anderen Gerichtsbarkeit, vielleicht in einem frem - den Lande liegt. Hier kann es geſchehen, daß für dieſe Vermögenstheile eine beſondere Vormundſchaft errichtet wird, ſo daß dann derſelbe Mündel mehrere Vormünder von ört -342Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.lich verſchiedenen Sprengeln hat(e)Vgl. die in der Note d. angeführten Schriftſteller.. — Eine ſolche Ein - richtung kommt ſchon im Römiſchen Rechte vor. Zwar der teſtamentariſche und der geſetzliche Vormund war an eine ſolche örtliche Verſchiedenheit nicht gebunden. Wenn dagegen die Obrigkeit Vormünder über ein zerſtreutes Ver - mögen zu beſtellen hatte, ſo wurden dieſe für jede ſouve - räne Gerichtsbarkeit beſonders beſtellt, andere für res Itali - cae, andere für res provinciales(f)L. 39 § 8 de admin. (26. 7 ), L. 27 pr. de tutor. et cur. (26. 5).. — Nach der Preußi - ſchen Geſetzgebung wird in der Regel Eine Vormundſchaft für das ganze Vermögen errichtet, und zwar nach dem am Wohnſitz des Vaters geltenden örtlichen Recht; die ſpätere Aenderung des Wohnſitzes ſoll darauf nur ausnahmsweiſe Einfluß haben. Ueber auswärts liegende Vermögenstheile können beſondere Curatelen errichtet werden, die ſich mit der eigentlichen Vormundſchaft in Verbindung zu ſetzen haben(g)A. L. R. II. 18 § 56. 81 — 86.. In Verträgen der Preußiſchen Regierung mit Nachbarſtaaten iſt beſtimmt, daß die Vormundſchaft einge - richtet werden ſoll nach dem Wohnſitz des Mündels; wenn derſelbe jedoch Grundſtücke in dem andern Lande beſitzt, ſoll das Gericht dieſes andern Landes die Wahl haben[,]dieſe Grundſtücke der allgemeinen Vormundſchaft zu unter - werfen, oder dafür eine beſondere Vormundſchaft zu errich -343§. 380. V. Familienrecht. C. Vormundſchaft.ten(h)Vertrag mit Königreich Sachſen 1839 Art. 15, gleichlautend mit anderen Staaten. (S. o. § 348).. — Vorzüglich ſchwankend iſt die Praxis in den Ländern des Engliſchen Rechts, indem in dieſen theilweiſe beſondere Vormundſchaften beſtellt werden, nicht blos über das unbewegliche, ſondern auch über das bewegliche, aus - wärts liegende Vermögen(i)Schäffner § 41. Story §. 492 fg..
Zweitens aber kann, ſelbſt ohne Rückſicht auf die ört - liche Lage des Vermögens, das individuelle Bedürfniß eine eingreifende Aenderung in den aufgeſtellten Grundſatz recht - fertigen, beſonders wenn, nach den Familienverhältniſſen, dem letzten Wohnſitz des Vaters kein Einfluß zuzuſchreiben iſt auf den künftigen Zuſtand der Mündel. Ein aus dem wirklichen Leben entnommener Fall wird dieſe Behauptung anſchaulich machen. Ein Familienvater ſtarb in ſeinem Wohnſitz Bonn, wo der Sitz ſeines Vermögens, insbeſon - dere mehrerer Grundſtücke, war. Die Kinder verlegten ſo - gleich, nach den Beſtimmungen des väterlichen Teſtaments, ihren Wohnſitz zu einer entfernten Verwandten außerhalb des Preußiſchen Staats. Gleichfalls das Teſtament hatte die Vormundſchaft einem Einwohner von Berlin aus per - ſönlichem Vertrauen, und mit ſehr freier Verwaltung, über - tragen. Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz hätte die Vormundſchaft in Bonn, nach Franzöſiſchem Recht, errich - tet und geführt werden müſſen. Allein das Juſtizminiſte - rium, als höchſte vormundſchaftliche Aufſichtsbehörde des344Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ganzen Staats, verlegte die Vormundſchaft nach Berlin, wodurch die Obervormundſchaft an das Kurmärkiſche Pu - pillencollegium in Berlin überging, und zugleich die Preußi - ſche Geſetzgebung anwendbar wurde.
2. Verwaltung der Vormundſchaft.
Daß die Verwaltung der Vormundſchaft in der Regel ſich richtet nach dem Recht des Gerichts, unter welchem ſie entſtanden iſt und geführt wird, kann nicht bezweifelt wer - den. Der Zweifel betrifft hier wiederum den Fall, wenn zu dem Vermögen auswärts liegende Grundſtücke gehören, und dieſe nicht von einer beſonderen Vormundſchaft ver - waltet werden (wie es nach Num. 1 geſchehen kann), ſon - dern von der allgemeinen Vormundſchaft.
In dieſer Beziehung wird von Manchen behauptet, daß nach einer allgemeinen Praxis in Anſehung jener Grundſtücke, beſon - ders der Veräußerung derſelben, die lex rei sitae beobachtet werden müſſe, ſo daß dann die Verwaltung deſſelben Vor - mundes nach verſchiedenen Geſetzen zu beurtheilen ſeyn würde(k)Schäffner § 41. — Etwas vorſichtiger iſt der Ausdruck von P. Voet. Sect. 9 C. 2 § 17. Er hält es für räthlich, daß ſich der Vormund bei der Veräußerung durch ein Decret beider Gerichts - behörden ſicher ſtelle.. Offenbar nimmt man dabei an, das Geſetz über die Veräußerung der Pupillengüter ſey ein Realſtatut. — Ich kann dieſe Behauptung weder grundſätzlich, noch mit Hinſicht auf die angebliche allgemeine Praxis, ein - räumen.
345§. 380. V. Familienrecht. C. Vormundſchaft.Zuerſt nicht grundſätzlich. Wenn ein Geſetz verordnet, daß Pupillengüter nur unter gewiſſen Einſchränkungen (etwa Subhaſtation, gerichtliches Decret u. ſ. w.) ver - äußert werden ſollen, ſo liegt darin eine vorſorgliche Maaß - regel — nicht für dieſe Güter, als Gegenſtände eines wün - ſchenswerthen ſicheren Verkehrs, als Grundlagen vortheil - hafter Fruchterzeugung (durch dieſe Abſichten würde ſich das Geſetz als Realſtatut darſtellen), ſondern — für die ſchutzbedürftige Perſon des Mündels. Zur Sicherheit deſ - ſelben werden gewiſſe Formen der Veräußerung gefordert, und nur wenn dieſe beobachtet ſind, ſoll die Handlung des veräußernden Vormundes gleiche Wirkung haben mit der Veräußerung eines volljährigen Eigenthümers. Ein ſolches Geſetz alſo zweckt ab auf die Ergänzung der Handlungen des Vormundes, es iſt ein Perſonalſtatut, kein Realſtatut. Mit anderen Worten: Der Geſetzgeber verfügt über die unter ſeinem Schutze ſtehenden Minderjährigen, nicht über die in ſeinem Lande liegenden Güter.
Aber auch die allgemeine Praxis möchte leichter zu be - haupten, als zu beweiſen ſeyn, wie es denn überhaupt mit allgemeinen Angaben ſolcher Art ſehr mißlich iſt. Ich will einen hierher gehörenden, ſehr erläuternden Rechtsfall an - führen(l)Urtheil des Caſſationshofes zu Berlin von 1847 in Sachen Baſſenheim contra Raffauf. S. Seuffert Archiv B. 2 N. 2.. Ein Mündel aus ſtandesherrlicher Familie lebte in Baiern, und hatte daſelbſt ſeine Vormundſchaft. 346Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Er beſaß Grundſtücke in der Preußiſchen Rheinprovinz, über welche daſelbſt keine beſondere Vormundſchaft errichtet worden war. Die Bairiſchen Vormünder verkauften die Grundſtücke aus freier Hand, ohne Subhaſtation. Nach erlangter Volljährigkeit griff der vormalige Eigenthümer den Verkauf als nichtig an, weil die Franzöſiſchen Geſetze über Veräußerung der Pupillengüter nicht beobachtet wor - den ſeyen(m)Code civil art. 457 — 460. Es wird erfordert: 1) Beſchluß eines Familienraths unter Mit - wirkung des Gerichts erſter Inſtanz, 2) Subhaſtation in Gegenwart des subrogé tuteur (erwählt vom Familienrath art. 420) und unter Mitwirkung des Gerichts oder eines Notars.. In allen Inſtanzen wurde dieſer Grund zurückgewieſen, weil die angeführten geſetzlichen Einſchrän - kungen ein unzertrennliches Ganze bildeten, und mehrere Beſtandtheile derſelben (Familienrath und subrogé tuteur) auf Vormundſchaften des Auslandes völlig unanwendbar wären. Dieſe Geſetze alſo ſeyen überhaupt nur anzuwen - den auf die im Bereich der Franzöſiſchen Geſetzgebung ſte - henden Vormundſchaften, nicht auf alle daſelbſt liegende Grundſtücke.
Die oben angeführten Verträge der Preußiſchen Regie - rung mit Nachbarſtaaten (Note h) geben dem Perſonal - vormund, der Grundſtücke im Auslande zu verwalten hat, folgende Vorſchrift: „ welcher letztere jedoch, bei den auf das Grundſtück ſich beziehenden Geſchäften, die am Orte des gelegenen Grundſtücks geltenden geſetzlichen Vorſchriften zu beobachten hat. “ Nimmt man dieſe Stelle in der größten347§. 380. V. Familienrecht. C. Vormundſchaft.Ausdehnung, deren die Worte empfänglich ſind, ſo müſſen ſie auch auf die Einſchränkungen vormundſchaftlicher Ver - äußerungen bezogen werden, und beſtimmen dann das Ge - gentheil von der ſo eben angeführten und gebilligten rich - terlichen Entſcheidung. Ich würde aber geneigt ſeyn, in der Stelle eine etwas ungenaue Faſſung voraus zu ſetzen, und ſie gar nicht auf die geſetzlichen Vorſchriften über die Vormundſchaft zu beziehen, ſondern nur auf die den allgemeinen Verkehr mit Grundſtücken betreffenden Vor - ſchriften, wie Hypothekenbeſtellung, gerichtliche Confirmation, Verlautbarung u. ſ. w.
3. Zuletzt ſind noch die perſönlichen Rechtsverhältniſſe des Vormundes zu erwähnen.
Ueber die Verpflichtung zur Uebernahme der Vormund - ſchaft, und die dagegen zuläſſigen Excuſationen, kann nur das am Wohnſitz des Vormundes geltende Geſetz ent - ſcheiden.
Auf die Obligationen, in die der Vormund eintritt durch Führung der Vormundſchaft, ſind die oben aufgeſtellten Grundſätze über den Gerichtsſtand und das damit zuſam - menhängende örtliche Recht zu beziehen (§ 370. Num. 2. § 372).
Wo das obervormundſchaftliche Gericht verſchieden iſt von dem perſönlichen Richter des Vormundes, und auch von dem Gericht, dem das beſondere forum gestae admi - nistrationis zuzuſchreiben ſeyn würde, iſt neuerlich aus Gründen der Zweckmäßigkeit behauptet worden, das ober -348Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.vormundſchaftliche Gericht müſſe ſtets als competent ange - ſehen werden(n)Mühlenbruch Archiv B. 19 S. 362 — 365.. Eine ſolche allgemeine Behauptung iſt ſchon deswegen bedenklich, weil ſtets die Gerichtsverfaſſung jedes Landes zu beachten ſeyn wird. Sie iſt aber auch an manchen Orten als unmöglich zu verwerfen, nämlich da, wo die obervormundſchaftliche Gerichtsbehörde gar keine gewöhnliche Civiljurisdiction hat.
Nachdem die einzelnen Rechtsverhältniſſe, in Beziehung auf das anwendbare örtliche Recht, der Reihe nach geprüft worden ſind, bleibt noch die Darſtellung einer beſonderen Rechtsregel übrig, die deswegen abgeſondert und an das Ende der ganzen Unterſuchung geſtellt werden mußte, weil ſie auf die meiſten und wichtigſten der abgehandelten Rechts - verhältniſſe Anwendung findet.
Dieſe Regel bezieht ſich auf die für Rechtsgeſchäfte nicht ſelten vorgeſchriebenen poſitiven Formen der Willens - erklärung(a)Ueber die Natur dieſer Formen vgl. oben B. 3 § 130. 131.. Hierin gerade kommen ſehr häufig Colli - ſionen verſchiedener örtlichen Rechte vor, und zwar in mancherlei Weiſe. Das eine Geſetz kann eine poſitive Form als nothwendig vorſchreiben, das andere nicht; eben ſo können auch in beiden Geſetzen Formen vorgeſchrieben ſeyn,349§. 381. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum).jedoch verſchiedene Formen. In allen Fällen ſolcher Art entſteht nun die Frage, welches örtliche Recht auf ein be - ſtimmtes Rechtsgeſchäft, in Beziehung auf deſſen Form, anwendbar iſt; daraus allein wird in vielen Fällen die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Geſchäfts zu erkennen ſeyn.
Faſſen wir dieſe Frage von dem allgemeinen Stand - punkt auf, von welchem aus die ganze bisherige Unter - ſuchung geführt worden iſt, ſo können wir über die Ant - wort kaum zweifelhaft ſeyn. Wir müſſen, ſo ſcheint es, die erforderliche Form nach demjenigen örtlichen Recht ab - meſſen, dem das Rechtsgeſchäft überhaupt nach den bisher aufgeſtellten Regeln unterworfen iſt. Demnächſt müßten Verträge geſchloſſen werden nach den geſetzlichen Formen des verabredeten Erfüllungsortes, Teſtamente errichtet nach den Formen, die im Wohnſitz des Teſtators gelten, Ehen geſchloſſen nach den im Wohnſitz des Ehemannes vorge - ſchriebenen Formen. Die Beobachtung dieſer Regel hat auch weder Zweifel, noch Schwierigkeit, wenn das Rechts - geſchäft gerade an dieſen Orten zu Stande kommt. Allein es geſchieht ſehr oft, daß die Gründung des Geſchäfts an einem ganz anderen, vielleicht weit entfernten, Orte vorge - nommen wird, und dieſer Umſtand kann die größten Schwierigkeiten zur Folge haben.
An dem Orte, wo das Rechtsgeſchäft zu Stande kommen ſoll, wird es oft ſehr ſchwer ſeyn, die geſetzlichen Formen jenes anderen, eigentlich maaßgebenden, Ortes mit Sicher - heit zu erfahren, oder, wenn man ſie kennt, zur Anwen -350Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.dung zu bringen; ja dieſes Letzte wird oft völlig unmöglich ſeyn, wie es in dem folgenden Beiſpiel anſchaulich werden muß. Wenn ein Preuße in Frankreich erkrankt, und ein Teſtament zu machen wünſcht, ſo müßte er dazu, nach der oben vorläufig aufgeſtellten Regel, die Mitwirkung eines Gerichts gebrauchen, da das Preußiſche Recht keine anderen Teſtamente, als gerichtliche, anerkennt. In Frankreich aber hat kein Gericht die Befugniß, bei einem Teſtamente thätig zu ſeyn, da dieſes Geſchäft lediglich den Notarien zu - kommt(b)Code civil art. 971 — 979.. Daher würde jener Preuße genöthigt ſeyn, die Errichtung eines Teſtaments völlig zu unterlaſſen, vielleicht zum größten Nachtheil der Familie.
Die nahe liegende Erwägung der in dieſen Umſtänden liegenden großen Härte, wodurch Rechtsgeſchäfte zuweilen ganz unmöglich werden, noch öfter in die Gefahr der Un - gültigkeit durch mangelhafte Ausführung kommen, und zwar beides nur in Folge von geſetzlichen Formen, die ge - wiß nicht zur Hemmung und Erſchwerung des Verkehrs eingeführt ſind, — dieſe Erwägung hat ſchon ſeit dem ſechszehenten Jahrhundert mit ſtets ſteigender Ueberein - ſtimmung ein allgemeines Gewohnheitsrecht herbeigeführt, welches an die Stelle der oben vorläufig aufgeſtellten Re - gel tritt, und die eben dargeſtellten Schwierigkeiten beſeitigt. Die neu gebildete Regel wird ſo ausgedrückt: Locus regit actum, und hat den Sinn, daß die Form eines Rechtsge -351§. 381. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum).ſchäfts als genügend angeſehen werden ſoll, wenn ſie dem Geſetz des Ortes entſpricht, an welchem das Geſchäft vor - genommen wird, ſelbſt wenn an dem Ort, wo das Rechts - verhältniß ſelbſt ſeinen Sitz hat, eine andere Form geſetzlich vorgeſchrieben iſt. Dieſe Regel wird von den Schriftſtellern verſchiedener Zeiten und Nationen übereinſtimmend aner - kannt(c)P. Voet. Sect. 9 C. 2 Foelix p. 97 fg. Schäffner § 9. I. Voet. §. 13 — 15. Hert. § 73 — 85. Wächter II. S. 368 § 10. 23. Eichhorn deutſches bis 380 und S. 405 fg. Recht § 37. Story § 260. 261..
Wir haben zunächſt die Anwendung dieſer wichtigen Regel auf die einzelnen Arten der Rechtsverhältniſſe genauer zu betrachten. Bei dem üblichen allgemeinen Ausdruck der - ſelben möchte man leicht annehmen, daß ſie auf alle Ver - hältniſſe anwendbar, und bei allen von gleich wichtiger und häufiger Anwendung wäre. Die genauere Erwägung wird dieſe Annahme einigermaßen beſchränken.
I. Bei dem Zuſtand der Perſon an ſich wird ſich kaum eine Anwendung jener Regel finden, da hier die bloße Willenserklärung, auf deren geſetzliche Form allein die Regel ſich bezieht, wenig Einfluß hat. So würde es ganz irrig ſeyn, anzunehmen, daß ein Minderjähriger die Voll - jährigkeit, oder ein Ehrloſer die Herſtellung der Ehre, in einem fremden Lande erlangen könnte durch einen Ausſpruch der höchſten Gewalt in jenem Lande, nach der Regel: locus regit actum. Denn dieſe Veränderungen des Zu -352Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.ſtandes werden gar nicht bewirkt durch eine Willenserklärung der betheiligten Perſon, für deren gehörige Form nur zu ſorgen wäre. Sie können vielmehr nur hervorgehen aus einer freien Entſchließung der höchſten Staatsgewalt, und zwar derjenigen Gewalt, welcher die betheiligte Perſon als Unterthan unterworfen iſt.
II. Auch auf die das Sachenrecht betreffenden Rechts - geſchäfte kann jener Regel kein bedeutender Einfluß zuge - ſchrieben werden, und zwar hier aus folgendem Grunde. Es muß erinnert werden an einen, oben zu einem andern Zweck bemerklich gemachten, durchgreifenden Unterſchied unter den menſchlichen Handlungen (S. 212). Es giebt Handlungen, die an ſich überall gleich möglich ſind, ſo daß es nur von zufälligen Umſtänden abhängt, ob ſie hier oder dort vorkommen. Dahin gehören die obligatoriſchen Verträge, die Errichtung eines Teſtaments u. ſ. w. Es giebt aber andere Handlungen, die ihrer Natur nach nur an Einem Orte vorkommen können. Dahin gehören die meiſten und wichtigſten in das Gebiet des Sachenrechts einſchlagenden Handlungen. In demſelben iſt überall die lex rei sitae herrſchend (§ 366), und auch die einflußreichen Handlungen ſtehen darin meiſt in ſo naher Beziehung zu der Sache ſelbſt, daß ſie nur da, wo ſich die Sache eben befindet, gedacht werden können. Dahin gehört vor Allem die Tradition; eben ſo aber auch eine Reihe blos förmlicher Handlungen, wie die gerichtliche Auflaſſung, die Eintragung in Hypothekenbücher u. ſ. w., die nur bei einer an einen353§. 381. IV. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum).beſtimmten Ort gebundenen Behörde möglich ſind. — Die Regel: locus regit actum, bezieht ſich nun, ihrer Natur nach, lediglich auf Handlungen der erſten Art, weil nur bei dieſen der Ort, wo die Handlung vorgenommen wird, von dem wahren Sitz des Rechtsverhältniſſes zufällig ver - ſchieden ſeyn, und dadurch eine künſtliche Aushülfe nöthig machen kann. Eben daher aber iſt dieſelbe auf die meiſten und wichtigſten, das Sachenrecht betreffenden, Handlungen ohne Anwendung. Dieſe Bemerkung beſchränkt ſich auch nicht auf unbewegliche Sachen, ſie iſt vielmehr an ſich wahr auch bei beweglichen, bei welchen gleichfalls die Tra - dition nur da geſchehen kann, wo ſie gerade ſind. Nur iſt bei den beweglichen Sachen dieſer Umſtand wenig erheblich und bemerklich, weil der Beſitzer den Ort derſelben jederzeit willkürlich verändern kann, wodurch ſie augenblicklich einer neuen lex rei sitae unterworfen werden.
Der Grund der Unanwendbarkeit jener Regel auf die dinglichen Rechte iſt alſo weſentlich derſelbe mit dem bei dem Zuſtand der Perſon an ſich geltend gemachten Grunde. Er liegt darin, daß bei den dinglichen Rechten der Wille an ſich nicht das Entſcheidende iſt, ſondern daß es auf die Beziehung ankommt, in welche die Perſon mit der Sache, als dem Gegenſtand des dinglichen Rechts, tritt. Dieſe Beziehung kann nun unter Anderem, nach der Beſtimmung mancher poſitiven Rechte, in einer bloßen Willenserklärung beſtehen, dieſer Umſtand aber iſt an ſich zufällig, dem Weſen des dinglichen Rechts fremd.
VIII. 23354Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.III. Auf Obligationen, vorzüglich auf obligatoriſche Verträge, ſteht der ausgedehnteſten Anwendung unſrer Regel Nichts im Wege(d)Wächter II. S. 405., obgleich dieſe Art der An - wendung weniger häufig zur Sprache kommt. Einige Bei - ſpiele werden dieſelbe anſchaulich machen.
In manchen Geſetzen ſind für die obligatoriſchen Ver - träge über Grundſtücke beſondere Formen erforderlich (welche von der Uebertragung des Eigenthums ganz verſchieden ſind), anſtatt daß das Römiſche Recht ſolche Formen nicht kennt. Nach unſrer Regel nun hat es kein Bedenken, daß die Gültigkeit einer ſolchen Handlung abgemeſſen werden muß nach dem Geſetz des Ortes, wo der Vertrag geſchloſſen wird, ohne Rückſicht auf die lex rei sitae. Ich habe dieſen Fall beſonders hervor, um darauf aufmerkſam zu machen, daß im Preußiſchen Recht das Gegentheil ausdrücklich vor - geſchrieben iſt(e)Allg. Landrecht I. 5 § 115. „ In allen Fällen, wo unbeweg - liche Sachen, deren Eigenthum, Beſitz oder Nutzung, der Gegen - ſtand eines Vertrages ſind, müſſen wegen der Form die Geſetze des Ortes, wo die Sache liegt, beob - achtet werden: “Das Preußiſche Recht fordert aber für alle Ver - träge über Grundſtücke ſchriftliche Abfaſſung, welches freilich nicht ganz ausdrücklich geſagt iſt, aber doch unzweifelhaft folgt aus I. 5 § 135, I. 10 § 15 — 17, I. 21 § 233, und auch ſchon daraus, daß der Gegenſtand ſolcher Ver - träge faſt immer mehr, als Funfzig Thaler (I. 5 § 131), werth ſeyn wird. Als Regel für Verträge überhaupt gilt dagegen der Satz: locus regit actum (I. 5 § 111), und dieſe Regel wird bei den außer Landes geſchloſſenen Verträgen über. Darin liegt alſo eine entſchiedene, mit Abſicht und Bewußtſeyn vorgeſchriebene einzelne Ausnahme der Regel: locus regit actum.
355§. 381. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum).Die Beweiskraft eines Handelsbuches iſt zu beurtheilen nach dem Geſetz des Ortes, an welchem das Buch geführt wird(f)Urtheil des Ober-Apella - tionsgerichts zu Caſſel 1826. Seuffert Archiv B. 1 Num. 132.. Zwar ſcheint dieſe Beweiskraft dem Prozeßrecht anzugehören, und daher dem Geſetz des Gerichtsortes unter - worfen werden zu müſſen. Allein die Beweiskraft iſt hier unzertrennlich verbunden mit der Form und Wirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts ſelbſt, welche hierin als das Ueberwiegende betrachtet werden muß. Der Fremde, der ſich mit dem Kaufmann eines Ortes, an welchem Handelsbücher gelten, einläßt, unterwirft ſich dem örtlichen Recht derſelben.
Die formelle Gültigkeit jeder einzelnen, unter einem Wechſel ſtehenden Unterſchrift iſt zu beurtheilen nach dem Recht des Ortes, an welchem dieſe Unterſchrift darunter ge - ſetzt wird(g)Urtheil des Reviſionshofes zu Berlin 1844. Seuffert Archiv B. 2 Num. 121..
IV. Die wichtigſte, und von jeher am meiſten be - ſprochene, Anwendung unſrer Regel iſt die auf die Ab - faſſung eines Teſtaments, wenn ſich der Teſtator zufällig außer ſeinem Wohnſitze befindet. Hierüber iſt, was die Regel ſelbſt betrifft, ſchon längſt allgemeine Uebereinſtimmung vorhanden(h)Rodenburg Tit. 2 C. 3 § 1 — 3. Vinnius selectae quaest. II. 19. Hert. § 23. Wächter II. S. 368 — 380. Zur Zeit des Durantis war die Frage noch ſehr beſtritten. Speculum II. tit. de instrum. edit. § 12 Num. 16..
(e)bewegliche Sachen anerkannt, auch wenn vor Preußiſchen Gerichten geklagt wird. I. 5 § 148.
23*356Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Zwei Abweichungen aber kommen bei dieſer Anwendung vor. — Im Bereiche des Engliſchen Rechts ſoll die Regel zwar gelten, jedoch ſoll das Teſtament nicht einwirken auf auswärts liegende Grundſtücke(i)Story § 474. 478.. Die Unterſcheidung des beweglichen und unbeweglichen Vermögens ſcheint jedoch für die Anwendung der hier vorliegenden Regel noch weniger Sinn und Grund zu haben, als in anderen Be - ziehungen. — Ein neuerer Schriftſteller fügt folgende Ein - ſchränkung hinzu. Das Teſtament ſoll gültig ſeyn, wenn der Teſtator im Ausland ſterbe. Kehre er aber in die Heimath zurück, ſo verliere es ſeine Gültigkeit, wenigſtens in dem Fall, wenn dieſe Art der Teſtamente in dem ein - heimiſchen Rechte unbekannt ſey(k)Eichhorn deutſches Recht §. 37.. Ich glaube nicht, daß dieſe Einſchränkung grundſätzlich gerechtfertigt werden kann, und ſie ſcheint auch bei Anderen keinen Anklang gefunden zu haben. Indeſſen würde allerdings ein vorſichtiger Haus - vater wohl thun, in der Heimath ein neues Teſtament zu errichten, um jedem, von dieſer Seite aus möglichen, künf - tigen Einwand ganz ſicher vorzubeugen.
V. Für den Abſchluß der Ehe wird allgemein ange - nommen, daß unſere Regel anzuwenden ſey(l)Hert. § 10. Schäffner § 100. 101. Story § 121 fg. Es iſt bemerkenswerth, daß die Theorie und Praxis des Engliſchen Rechts gerade in dieſer Anwendung ſehr unbedenklich zu ſeyn ſcheint.. Indeſſen ſcheint mir die Sache nicht ohne Bedenken. Wenn die Ein -357§. 381. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum.)wohner eines Landes, deſſen Geſetz blos juriſtiſche Formen zum Abſchluß einer Ehe erfordert, im Ausland eine Ehe ſchließen, ſo hat die Sache keinen Zweifel. Anders aber verhält es ſich mit den Einwohnern eines Landes, deſſen Geſetz die Ehe an die kirchliche Trauung bindet. Denn ein ſolches Geſetz hat einen ſittlich religiöſen Grund, alſo einen zwingenden Charakter (§ 349). Aus dieſem Grunde würde ich die nachzuholende Trauung im Inlande für nöthig halten, nicht aber deswegen, weil angenommen werden müßte, daß die Ehegatten in fraudem legis im Ausland ihre Ehe geſchloſſen hätten, welche Abſicht vielleicht gar nicht vorhanden, oder doch nicht erweislich ſeyn wird. Wenn aber auch die Trauung erſt nachgeholt wird, ſo muß doch, ſelbſt nach den Grundſätzen des gemeinen Rechts, die Ehe für die bereits vergangene Zeit als gültig und wirkſam angeſehen werden. — Auf die ſchon beſtehende Ehe fremder Perſonen, die in das Land einwandern, kann indeſſen jener ſtrengere Grundſatz in keinem Fall bezogen werden. Denn ein Geſetz des hier erwähnten Inhalts, mit ſeinem zwingenden Charakter, bezieht ſich nur auf die Ein - gehung von Ehen, nicht auf die Fortführung der ſchon beſtehenden.
Zum Schluß ſind noch einige allgemeine Bemerkungen nachzutragen.
358Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Manche haben behauptet, unſere Regel gelte nicht, wenn ein Geſchäft im Ausland, zur Umgehung der einheimiſchen Geſetze (in fraudem legis), vorgenommen werde, etwa um den größeren Geſchäftskoſten im Inland, dem Gebrauch des Stempelpapiers u. ſ. w. auszuweichen(m)I. Voet. § 14. Foelix p. 105.. Mit Recht haben Andere dieſe Einſchränkung verworfen(n)Schäffner § 85.. Solchen Umgehungen kann auf anderem Wege, beſonders durch Geldſtrafen, vorgebeugt werden; die Gültigkeit der Rechts - geſchäfte davon abhängig zu machen, iſt kein hinreichender Grund vorhanden, und es würde dazu wenigſtens eines poſitiven Geſetzes bedürfen.
Eine ſehr wichtige Frage betrifft die eigentliche Stellung unſrer Regel. Iſt die Beobachtung der am Orte der Handlung geltenden Form unbedingt nöthig, oder iſt ſie blos facultativ, ſo daß der Handelnde die Wahl hat, ent - weder dieſe Form zu beobachten, oder die Form des Ortes, dem das Rechtsgeſchäft eigentlich angehört(o)So allein darf die Frage geſtellt werden, ſo daß nicht davon die Rede ſeyn kann, eine völlig willkürliche Wahl zu geſtatten zwiſchen lex domicilii, rei sitae u. ſ. w. So ſcheint es jedoch an - zuſehen I. Voet. § 15.? Sieht man auf den Grund der Einführung unſrer beſonderen Regel, als einer bloßen Begünſtigung und Erleichterung, ſo kann man nicht zweifelhaft ſeyn, ſie für facultativ zu halten, alſo ein Wahlrecht zu geſtatten. Dieſes iſt denn auch meiſt anerkannt worden(p)Rodenburg Tit. 2 C. 3 § 2. 3. Hert. § 10. 23 (etwas.
359§. 381. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte (Locus regit actum).Wenn alſo der Einwohner eines unter dem Römiſchen Recht lebenden Landes in Paris ein Teſtament machen will, ſo kann er eine der mehreren Formen des Franzöſiſchen Rechts anwenden; er kann aber auch vor Sieben Zeugen das Teſtament errichten. Auch in dieſem letzten Fall iſt in der Heimath das Teſtament gültig, wobei es ſich nur von ſelbſt verſteht, daß es an dem Beweiſe der gehörig beobachteten Form nicht fehlen darf. — Wenn von Ein - wohnern eines Landes, das zur Ehe die kirchliche Trauung fordert, die Ehe geſchloſſen wird in einem Lande, das eine juriſtiſche Form und nicht die Trauung vorſchreibt, und wenn ſie ſich hier kirchlich trauen laſſen, ohne die juriſtiſche Form des Landes zu beobachten, ſo iſt die Ehe gültig, weil ſie die Form der Heimath, alſo des eigentlichen, bleibenden Sitzes der Ehe, angewendet haben(q)Anerkannt in einem Urtheil des Ober-Appellationsgerichts zu Dresden 1845. Seuffert Archiv B. 2 Num. 5..
Bisher iſt die beſondere Rechtsregel über die anwend - bare Form der Rechtsgeſchäfte vom Standpunkt eines allge - meinen Gewohnheitsrechts aus betrachtet worden, welches(p)ſchwankend). Foelix p. 107 fg. Schäffner § 83 (ſchwankend). Wächter II. S. 377 — 380.360Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.aus einem anerkannten Bedürfniß hervorgegangen, und von den Rechtslehrern weiter ausgebildet worden iſt. Es bleibt noch die Frage zu beantworten übrig, wie ſich die poſitive Geſetzgebung zu jener Regel verhält. Zuerſt die dem ge - meinen Recht zum Grunde liegende (Römiſches und cano - niſches Recht), dann einige neuere Geſetzgebungen.
Von jeher haben mehrere Schriftſteller verſucht, jene Regel aus den Quellen des geſchriebenen gemeinen Rechts abzuleiten; von Anderen aber iſt mit Recht bemerkt worden, daß dieſe Verſuche mißlungen ſind(a)Wächter I. S. 246.. Eine Ueberſicht der für die erwähnte Regel angeführten Geſetzſtellen wird dieſes Urtheil beſtätigen, wodurch übrigens der Wahrheit und Gewißheit der Regel ſelbſt durchaus Nichts entzogen werden ſoll.
1. L. 9. C. de testamentis (6. 23). Dieſes iſt die ſcheinbarſte unter den angeführten Stellen, dennoch begrün - det ſie unſere Regel nicht.
Es war ein Teſtament gemacht worden ohne Beobach - tung der bekannten Regel des Römiſchen Rechts, nach wel - cher die Zeugen in unmittelbarer Gegenwart des Teſtators ſeyn müſſen(b)L. 9 cit. „ in conspectu testatoris “L. 30. C. eod. „ sub praesentia ipsius testatoris “. L. 3 C. Th. de test. (4. 4) „ praesentes videant subscrip - tores “. — Vgl. Glück B. 34 S. 292.. Auf eine Anfrage der Patroclia (wahr -361§. 382. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte ꝛc. (Fortſ.)ſcheinlich der eingeſetzten Erbin) reſcribiren die Kaiſer, das Teſtament ſey nichtig „ si non speciali privilegio(c)Privilegium heißt hier ein Stadtrecht oder einzelnes Stück eines Stadtrechts, das durch eine Kaiſerconſtitution der hier in Frage ſtehenden Stadt ertheilt war. pa - triae tuae juris observatio relaxata est. “— Ein ſchwa - cher Schein für die Beziehung dieſer Stelle auf unſere Rechtsregel liegt in den Worten patriae tuae, die eine Colli - ſion zwiſchen verſchiedenen örtlichen Rechten anzudeuten ſcheinen. Allein dieſer Schein verſchwindet wieder, wenn man erwägt, daß doch unmöglich die patria der Erbin ent - ſcheidend ſeyn könnte; wo das Teſtament gemacht war, wird gar nicht geſagt. Wahrſcheinlich hatte der Verſtor - bene in ſeiner Heimath teſtirt, die auch die Heimath der Erbin war. Dann iſt von einer Anwendung unſerer Regel gar nicht die Rede, vielmehr enthält die Stelle dann nur den ohnehin unzweifelhaften Satz, daß in der Colliſion das Particularrecht dem gemeinen Recht vorgeht.
2. L. 2. C. quemadm. test. aper. (6. 32). Ein Vater, der von dem Wohnſitz abweſend war, hatte vor dem Tod ſeinem Sohne ein Teſtament übergeben, mit dem Auftrag, daſſelbe in die Heimath zu überbringen. Die Kaiſer reſcri - biren, bei der Eröffnung des Teſtaments vor der ſtädtiſchen Curie müßten die daſelbſt geltenden Geſetze und Gewohn - heiten beobachtet werden. — Dabei iſt von einer Colliſion örtlicher Rechte nicht die Rede, ſondern nur der unzweifel -362Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.hafte Satz ausgedrückt, daß bei einer gerichtlichen Handlung das Geſetz dieſes Orts zu beobachten ſey.
3. L. 1. C. de emanc. (8. 49). Vor den Duumvirn einer Stadt hatte ein Mann, der nicht dieſer Stadt ange - hörte, ſeinen Sohn emancipirt, und die Gültigkeit dieſer Handlung wurde bezweifelt. Der Zweifel gründete ſich darauf, daß überhaupt in der Regel die Municipalmagiſtrate keine legis actio hatten, ſondern ſie nur ausnahmsweiſe durch Privilegium erlangen konnten(d)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 1 § 27.. Die Kaiſer re - ſcribiren, die Gültigkeit der Handlung hänge ab von dem Inhalt des Stadtgeſetzes. Gebe dieſes die legis actio den Duumvirn, und zwar auch in der Ausdehnung, daß ſie dieſelbe ſelbſt über Fremde ausüben könnten, ſo ſey die Handlung gültig. — Von einer Colliſion örtlicher Rechte iſt hier keine Spur.
4. C. 1. X. de spons. (4. 1). Ein Sachſe hatte eine Fränkiſche Frau zur Ehe genommen, und dabei nicht die Sächſiſchen, ſondern die Fränkiſchen Gebräuche beobachtet. Nachdem er mit ihr viele Jahre gelebt, und Kinder erzeugt hatte, berief er ſich auf den erwähnten Fehler im Abſchluß der Ehe, verſtieß die Frau, und nahm eine andere. Eine Kirchenverſammlung erklärt dieſes Verfahren für ſtrafbar, die verſuchte zweite Ehe für nichtig, und verfügt die Her - ſtellung der früheren Ehe. — Auch hier iſt von einer Colli - ſion örtlicher Rechte nicht die Rede, und beſonders wird363§. 382. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte ꝛc. (Fortſ.)der Ort des Abſchluſſes gar nicht erwähnt. Die Entſchei - dung beruht darauf, daß die erſte Ehe im Sinne des cano - niſchen Rechts gültig und unauflöslich war, und daß da - bei die Beobachtung dieſer oder jener Gebräuche des bür - gerlichen Rechts als ganz gleichgültig angeſehen werden mußte.
Das Franzöſiſche Geſetzbuch hatte in dem Entwurf fol - genden Satz: „ La forme des actes est reglée par les lois du lieu, dans lequel ils sont faits ou passés”. Dieſe Stelle wurde im Geſetzbuch ſelbſt weggelaſſen, nicht weil man ſie für falſch oder zweifelhaft hielt, ſondern gerade umgekehrt, weil ſie ſo gewiß und bekannt ſchien, daß ihre Aufnahme für überflüſſig gehalten wurde(e)Foelix p. 111.. Einzelne Anwendun - gen, worin unſere Rechtsregel als geltend vorausgeſetzt wird, ſind folgende:
Das Preußiſche Recht enthält eine allgemeine Anerken - nung der Regel: locus regit actum, gar nicht. Eine blos ſcheinbare Abweichung von der Regel enthält das allgem. Landrecht Einl. §. 33. Dieſe Stelle will nicht ſagen, daß Fremde die durch ein einzelnes Statut eingeführte Form nicht beobachten dürfen, oder daß eine ſo vorgenommene Handlung nicht gültig wäre; ſondern, daß nur die Einhei - miſchen, nicht die Fremden, zur Beobachtung des Statuts verpflichtet ſeyen(i)Die Zweideutigkeit liegt in den Worten: „ gelten nur bei Handlungen “u. ſ. w. nämlich: gelten als verpflichtend nur bei ſolchen Handlungen. Denn als zuläſſig und in ihrer Anwendung hinreichend gelten ſie auch für Fremde..
Bei den Verträgen erkennt es dieſe Regel als gültig an, und läßt ſie allgemein gelten in Anſehung beweglicher365§. 382. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte ꝛc. (Fortſ.)Sachen; bei unbeweglichen aber läßt es ſie ausnahmsweiſe nicht gelten, fordert vielmehr die ausſchließende Beobachtung der durch die lex rei sitae gebotenen Form (§ 381. e).
Ueber die Formen der im Ausland errichteten Teſta - mente enthält das Landrecht gar keine Beſtimmung. Da - raus ſchließt ein neuerer Schriftſteller, es müſſe die allge - meine Vorſchrift des gerichtlichen Teſtaments zur einzigen Richtſchnur dienen, und unſere Rechtsregel dürfe nicht zur Anwendung kommen(k)Koch Preußiſches Recht § 40 Note 18., welches eben ſo viel heißt, als daß ein Preuße in manchen fremden Ländern, z. B. in Frankreich, gar kein Teſtament machen könne. Ich muß dieſe Behauptung aus folgenden Gründen durchaus beſtrei - ten. Als das allgemeine Landrecht abgefaßt wurde, gehörte unſere Rechtsregel unter den deutſchen Juriſten, und zwar gerade in Anwendung auf Teſtamente, zu den bekannteſten und gewiſſeſten Sätzen. Es iſt aber ſehr unwahrſcheinlich, daß man eine Regel von ſolchem Charakter durch bloßes Stillſchweigen zu beſeitigen die Abſicht gehabt haben ſollte.
Im Jahr 1823 wurde zur Bequemlichkeit des im Aus - land befindlichen Preußiſchen Geſandtſchaftsperſonals eine neue Form von Teſtamenten eingeführt(l)Geſetz vom 3. April 1823 § 2, Geſetzſamml. 1823 S. 40.. Dieſe Be - ſtimmung kündigt ſich durch Inhalt und Ausdruck, ſo wie durch den Eingang des Geſetzes, als eine ganz neue, poſi - tive Vorſchrift an. Es geht ihr aber folgende einleitende Stelle voran:
366Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. I. Örtliche Gränzen.Ich frage nun, was heißen die Worte: auch ferner, wie bisher? Das Landrecht enthält ja gar Nichts über die Form der Teſtamente im Ausland. Dagegen enthielt von jeher das gemeine Recht in Deutſchland unſere Rechts - regel, und zwar nicht beſonders für Geſandte, ſondern für alle Inländer, die im Ausland teſtiren wollten. Der Sinn der ganzen Stelle iſt alſo folgender. Die Geſandten, ſo wie alle andere Einwohner, können im Auslande teſtiren nach den Formen des Orts, wo ſie ſich aufhalten. Dieſes Recht nun, das ſie ohnehin mit allen andern Inländern theilen, ſollen ſie auch ferner, wie bisher, ausüben dürfen (§ 1). Zu ihrer Bequemlichkeit aber ſoll gegenwärtig noch eine neue Form von Teſtamenten eingeführt und ihnen mit jener früheren zur freien Auswahl anheim geſtellt werden (§ 2).
Im J. 1824 wurde mit Weimar ein Vertrag über die gegenſeitigen Rechtsverhältniſſe der Unterthanen geſchloſſen, und gleiche oder ganz ähnliche Verträge mit anderen Nach - barſtaaten folgten darauf in großer Anzahl (§ 374. qq). In dem Art. 34 jenes Vertrags(m)Geſetzſammlung 1824 S. 154. wird nun geſagt: „ Alle Rechtsgeſchäfte unter Lebenden, und auf den Todes -367§. 382. VI. Formen der Rechtsgeſchäfte ꝛc. (Fortſ.)fall, werden, was die Gültigkeit derſelben rückſichtlich ihrer Form betrifft, nach den Geſetzen des Orts beurtheilt, wo ſie eingegangen ſind. “ Dieſe Beſtimmung iſt nun offenbar keine Gefälligkeit, keine Conceſſion für die Nach - barſtaaten, auch ſoll ſie ja gegenſeitig gelten. Sie war ferner nicht gedacht als eine neue Erfindung, ſondern als Anſchluß an ein allgemeines Rechtsprincip, welches auch ſchon aus der häufigen gleichlautenden Wiederholung folgt. Dieſes Rechtsprincip aber konnte kein anderes ſeyn, als die uralte, in ganz Deutſchland von jeher geltende Regel: locus regit actum, die alſo dadurch von Seiten unſerer Geſetzgebung die unzweifelhafteſte Anerkennung erhält.
Schriftſteller:
Die Aufgabe des dritten Buchs dieſes Rechtsſyſtems iſt dahin angegeben worden, das Gebiet, in welchem die Rechtsregeln über Rechtsverhältniſſe herrſchen ſollen, und369§. 383. Einleitung.die Gränzen dieſes Gebietes, zu beſtimmen (§ 344). Eine ſolche Gränzbeſtimmung kann nach zwei Seiten hin nöthig ſeyn, je nachdem neben einander, oder nach einander, ver - ſchiedene Rechtsregeln als geltend gedacht werden. Von der erſten Art, der Beſtimmung der örtlichen Gränzen, iſt bisher gehandelt worden (Kap. I.). Es bleibt nun noch die zweite Art der Gränzbeſtimmung übrig, die ſich auf die zeitlichen Gränzen bezieht.
Dabei wird vorausgeſetzt, daß an demſelben Orte in zwei verſchiedenen Zeiträumen verſchiedene Rechtsregeln gelten, zu welchen ein gegebenes Rechtsverhältniß, oder eine einzelne Rechtsfrage, in ſolche Beziehung kommt, daß es zweifelhaft wird, welche unter jenen beiden Rechtsregeln die Entſcheidung der Frage beherrſchen ſoll. Ein ſolcher Streit zweier Rechtsregeln um die Herrſchaft ſetzt alſo ſtets eine eingetretene Veränderung voraus. Dieſe Veränderung aber, ſofern ſie dem Gebiet der nun folgenden Unterſuchung ange - hören ſoll, muß noch näher dahin beſtimmt werden, daß es eine Veränderung in den Rechtsregeln ſelbſt (dem objec - tiven Recht) ſeyn muß, nicht eine bloße Veränderung in den thatſächlichen Bedingungen des Rechtsverhältniſſes (dem ſubjectiven Recht), indem nämlich die Veränderungen dieſer letzten Art bereits in Verbindung mit den örtlichen Gränzen der Herrſchaft abgehandelt worden ſind(b)S. o. § 344 am Schluß des §.. Wir ſetzen alſo im Laufe der jetzt folgenden Unterſuchung voraus einVIII. 24370Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Rechtsverhältniß, das in ſich ſelbſt unverändert geblieben iſt, dem aber zwei, der Zeit nach verſchiedene, Rechtsregeln gegenüber treten, die um die Herrſchaft über das Rechts - verhältniß ſtreiten.
Eine Veränderung in den Rechtsregeln aber, wie ſie hier als Grund und Bedingung aller zeitlichen Colliſions - fragen gedacht werden muß, kann in folgenden verſchiedenen Geſtalten eintreten:
Wie verſchieden dieſe Fälle von einander ſeyn mögen in ausgedehnter und wichtiger Anwendung, ſo ſtehen ſie doch einander grundſätzlich ganz gleich in Anſehung der hier vorliegenden Colliſionsfrage. In allen dieſen Fällen iſt es möglich, die Colliſionsfrage durch beſondere geſetz - liche Beſtimmungen voraus zu entſcheiden, und in den drei letzten Fällen iſt dazu beſondere Veranlaſſung vorhanden. Solche Geſetze werden tranſitoriſche genannt, indem ſie den Uebergang aus einer Rechtsregel in eine andere zum Gegenſtand haben.
Als Juſtinian die Inſtitutionen und die Digeſten bekannt machte, legte er denſelben rückwirkende Kraft bei(f)L. 2 § 23, L. 3 § 23 C. de vet. j. enucl. (1. 17). Etwas anders lautet die Const. Summa § 3 über den Codex. Vgl. Berg - mann § 14.. Darin lag jedoch nicht der Ausdruck eines bleibenden Grund - ſatzes über Rückwirkung, noch die Aufſtellung einer wahren Ausnahme, indem dieſe Rechtsbücher nicht dazu beſtimmt waren, neues Recht zu ſchaffen, ſondern das beſtehende24*372Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Recht zu ſichern und zu reinigen. Man konnte darin eine Art von authentiſcher Auslegung des beſtehenden Rechts im Großen ſehen, welche von ſelbſt rückwirkend ſeyn mußte (§ 397).
In keiner Geſetzgebung iſt für dieſe Colliſionsfrage ſo viel Vorſorge getroffen worden, als in der Preußiſchen(g)Das Oeſterreichiſche Ein - führungspatent enthält über dieſen Gegenſtand nur wenige Beſtim - mungen. Im Franzöſiſchen Ge - ſetzbuch finden ſich bei einzelnen Artikeln tranſitoriſche Beſtimmun - gen (z. B. art. 2281); außerdem aber wurden einige abgeſonderte tranſitoriſche Geſetze erlaſſen, gleich - zeitig mit dem code, namentlich über Adoption, Eheſcheidung, un - eheliche Kinder., und ich will gleich hier eine Ueberſicht über die Preußiſchen tranſitoriſchen Geſetze geben, um in der Folge darauf leichter zurück weiſen zu können. — Das älteſte derſelben iſt das Publikationspatent des allgemeinen Landrechts vom 5. Februar 1794(h)Abgedruckt vor allen Aus - gaben des Landrechts., welches in den §§ 8 bis 18 ausführ - liche tranſitoriſche Beſtimmungen enthält. Daran ſchließen ſich folgende Geſetze an, wodurch die Preußiſche Geſetzge - bung theils in neu erworbene Landestheile zuerſt eingeführt, theils in wiedergewonnene Landestheile zurückgeführt wurde.
Es iſt dabei zu bemerken, daß die Einführungspatente von 1803 faſt nur abgekürzte Wiederholungen des Patents von 1794 ſind, anſtatt daß die ſeit dem Jahre 1814 er - laſſene Patente manche eigenthümliche und abweichende Beſtimmungen enthalten.
An die Spitze dieſer Lehre wird gewöhnlich ein Grund - ſatz mit dem Anſpruch auf Allgemeingültigkeit geſtellt, der bei den einzelnen Schriftſtellern unter verſchiedenen Wen - dungen erſcheint, die ſich jedoch meiſt auf folgende zwei Ausdrücke zurückführen laſſen:
Dieſem Grundſatz ſoll weder ſeine Wahrheit, noch ſeine Wichtigkeit beſtritten werden. Dennoch kann die herrſchende Auffaſſung und Darſtellung deſſelben als befriedigend nicht anerkannt werden, indem man ihn als allgemein anwendbar zu behandeln pflegt, während er nur für Eine Gattung von Rechtsregeln wahr, für eine andere Gattung aber völlig unwahr iſt.
Auf den erſten Blick möchte man geneigt ſeyn, dem hier angedeuteten Gegenſatz der Auffaſſungen eine größere Wichtigkeit beizulegen, als ihm in der That gebührt, indem man glauben könnte, die hier getadelte Behandlung der Sache müßte dahin führen, die vorkommenden praktiſchen Rechtsfragen großentheils irrig zu entſcheiden. Dem iſt aber nicht alſo. Wo ein ſo bedenklicher, einſchneidender Erfolg zu erwarten wäre, der ſich dann durch den Verſuch einer ſtrengen Durchführung von ſelbſt als unmöglich dar - ſtellen würde, pflegt man dadurch abzuhelfen, daß man Ausnahmen des angeblich allgemeinen Grundſatzes behaup - tet. Aber eben dieſe Aushülfe durch bloße Ausnahmen iſt es, die hier völlig verworfen werden muß, welches unten ausführlich dargethan werden wird (§ 398). Und ſo muß ich bei dem erhobenen Widerſpruch gegen die gewöhnlich angenommene Allgemeingültigkeit jenes Grundſatzes beharren, wenngleich dieſe irrige Annahme eine geringere Gefahr praktiſcher Folgen mit ſich führt, als man glauben möchte.
Um nun das Gebiet, in welchem der angegebene Grund - ſatz in der That anzuerkennen iſt, näher zu begränzen,375§. 384. Zweierlei Rechtsregeln.muß ich auf den verſchiedenen Inhalt der Rechtsregeln eingehen, mit deren möglichen Veränderungen wir uns in der ganzen hier vorliegenden Unterſuchung zu beſchäftigen haben (§ 383).
Eine erſte Gattung von Rechtsregeln bezieht ſich auf den Erwerb der Rechte, das heißt, auf die Verbindung eines Rechts mit einer einzelnen Perſon, oder auf die Ver - wandlung eines (abſtracten) Rechtsinſtituts in ein (perſön - liches) Rechtsverhältniß(a)S. o. B. 1 § 4. 5.. — Die Natur dieſer Rechts - regeln und ihrer möglichen Veränderungen wird durch fol - gende Beiſpiele anſchaulich werden. Wenn in einem Lande bisher das Eigenthum durch bloßen Vertrag veräußert und erworben werden konnte, ein neues Geſetz aber zur Ver - äußerung die Tradition fordert, ſo betrifft die Veränderung der Rechtsregel lediglich die Frage, unter welchen Bedin - gungen der Einzelne Eigenthum einer Sache erwerben, alſo zu ſeinem Rechte machen kann. Eben ſo, wenn bisher alle obligatoriſche Verträge mündlich mit voller Wirkung geſchloſſen werden konnten, ein neues Geſetz aber vor - ſchreibt, daß bei einem Gegenſtand, deſſen Werth mehr als Funfzig Thaler beträgt, nur ein ſchriftlicher Vertrag klag - bar ſeyn ſoll.
Eine zweite Gattung von Rechtsregeln bezieht ſich auf das Daſeyn der Rechte, alſo auf die Anerkennung eines Rechtsinſtituts im Allgemeinen, welche ſtets vorausgeſetzt376Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.werden muß, bevor von der Beziehung auf eine einzelne Perſon, oder von der Verwandlung eines Rechtsinſtituts in ein Rechtsverhältniß, die Rede ſeyn kann. — Auch die Regeln dieſer Gattung ſind wieder von zweierlei Art, die in ihrem Umfang verſchieden, in ihrem inneren Weſen gleich ſind, und daher in Beziehung auf unſere gegenwärtige Un - terſuchung völlig auf gleicher Linie ſtehen.
Einige dieſer Rechtsregeln betreffen das Seyn oder Nichtſeyn eines Rechtsinſtituts. — Beiſpiele ſind dieſe. Wenn in einem Staate bisher die Römiſche Sklaverei an - erkannt war, oder die Germaniſche Leibeigenſchaft, oder das Zehentrecht, und ein neues Geſetz eines dieſer Rechtsinſti - tute aufhebt, für unmöglich erklärt, ihm alſo den Rechts - ſchutz entzieht.
Andere unter dieſen Rechtsregeln betreffen zwar nicht das Seyn oder Nichtſeyn, wohl aber das So oder An - dersſeyn eines Rechtsinſtituts, alſo, neben der allgemei - nen Fortdauer, eine innere Umwandlung deſſelben. — Da - hin gehören folgende Fälle. Anſtatt des Eigenthums mit ſtrenger Vindication (nach Römiſchem Recht) verordnet ein neues Geſetz, daß das Eigenthum gar nicht mehr durch Vindication, ſondern nur durch Beſitzklagen und Obliga - tionen geſchützt werden ſoll. Anſtatt des bisher unab - löslichen Zehentrechts, verordnet ein neues Geſetz, daß jede Partei einſeitig die Ablöſung des Zehentrechts verlangen könne. Eben dahin gehört das bekannte Geſetz Juſtinian’s über das Eigenthum. Seit Jahrhunderten hatte ein dop -377§. 384. Zweierlei Rechtsregeln.peltes Eigenthum beſtanden, ex jure quiritium und in bo - nis. Durch ein neues Geſetz hob Juſtinian dieſe zwei Arten auf, ſo daß künftig nur Ein Eigenthum, und zwar mit vollſtändiger Wirkung, beſtehen ſollte; in Verbindung damit hörte auch die bisherige Eigenthümlichkeit der res mancipi und des fundus Italicus auf.
Es muß aber wiederholt werden, daß beide zuletzt er - wähnte Arten der Rechtsregeln das Daſeyn der Rechte betreffen, unter ſich alſo ganz gleichartig ſind, und daß wir keine Veranlaſſung haben, im Laufe der gegenwärtigen Un - terſuchung ſie zu unterſcheiden. Ihr natürlicher Unterſchied wurde nur erwähnt, um es anſchaulich zu machen, in wel - chem Umfang und wie mannichfaltig die das Daſeyn der Rechte betreffenden Rechtsregeln zu denken ſind, und um jedem möglichen Zweifel über dieſen Umfang vorzubeugen.
Zu der hier dargeſtellten Unterſcheidung von zweierlei Rechtsregeln, die den Erwerb, oder das Daſeyn der Rechte betreffen, ſind noch einige zuſätzliche Bemerkungen nöthig(b)Damit nicht dieſe Klaſſi - ſication der Rechtsregeln, auf welcher die ganze folgende Unter - ſuchung beruht, für unvollſtändig und unzureichend gehalten werde, iſt gleich hier zu bemerken, daß die gegenwärtige Unterſuchung be - ſchränkt iſt auf das materielle Pri - vatrecht, alſo das öffentliche Recht (insbeſondere das Strafrecht), und das Prozeßrecht nicht in ſich auf - nimmt. Dieſe Einſchränkung iſt dieſelbe, welche ſchon oben ange - geben worden iſt für die örtlichen Gränzen (§ 361. a), ja für das ganze gegenwärtige Rechtsſyſtem (B. 1 § 1)..
378Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Was zuerſt die Bezeichnung dieſer zwei Gattungen von Regeln betrifft, ſo habe ich diejenige gewählt, welche vor - zugsweiſe durch ſich ſelbſt verſtändlich zu ſeyn ſchien. Man könnte ſie auch dadurch zu unterſcheiden ſuchen, daß man die eine Gattung auf das Recht im ſubjectiven, die andere auf das Recht im objectiven Sinn bezöge(c)S. o. B. 1 § 4. 5.. Oder ſo, daß die eine Gattung auf die bleibende Natur (das Permanente) der Rechtsverhältniſſe bezogen würde, die andere auf das Bewegliche in denſelben.
Die Gränze der beiden Gattungen von Rechtsregeln iſt nicht überall unzweifelhaft, indem es bei manchen ungewiß erſcheinen kann, ob ſie der einen oder der andern Gattung angehören. Solche Zweifel ſind nur durch genaue Erwä - gung des Sinnes und der Abſicht neuer Geſetze zu löſen (§ 398).
Die erſte Gattung von Rechtsregeln wurde bezogen auf den Erwerb der Rechte; indeſſen iſt darin auch der Verluſt derſelben, die Auflöſung der Rechtsverhältniſſe (ihre Abtren - nung von der Perſon des bisherigen Inhabers) mit inbe - griffen, und nur der Kürze wegen nicht mit ausgedrückt(d)Es hätte daher dieſe Gat - tung auch bezeichnet werden können als: Regeln für die juriſti - ſchen Thatſachen (B. 3 § 104). Ich habe dieſen Ausdruck als zu abſtract lautend vermieden.. In den meiſten und wichtigſten Anwendungen fällt ohne - hin Beides völlig zuſammen; ſo bei der Veräußerung, der Uſucapion, der Klagverjährung, der Auflöſung einer379§. 384. Zweierlei Rechtsregeln.Obligation, in welchen Fällen ſtets der eine Theil gerade Das erwirbt, welches der andere Theil verliert. Aber auch in den ſeltneren und weniger wichtigen Fällen, worin der Verluſt eines Rechts allein für ſich eintritt, wie bei der Dereliction, hat es keinen Zweifel, daß die zeitliche Colliſion der Geſetze völlig eben ſo, wie bei dem Erwerb, zu beurtheilen iſt.
Die Natur mancher Rechte iſt auf eine endloſe Dauer eingerichtet, wie das Eigenthum vermittelſt des Erbrechts, die Sklaverei, die ſich durch die Geburt fortgeſetzt, ſo daß ein völliges Aufhören dieſer Rechte nur durch zufällige Um - ſtände eintreten kann; im Gegenſatz anderer Rechte, die ſchon durch ihre Natur auf ein vorübergehendes Daſeyn angewieſen ſind, ſo wie faſt alle Obligationen, der Nieß - brauch, die Familienverhältniſſe. Bei beiden iſt an ſich die Colliſionsfrage auf gleiche Weiſe zu entſcheiden. Nur iſt nicht zu verkennen, daß die das Daſeyn der Rechte betref - fenden Regeln, und daher auch die Grundſätze für die Col - liſion derſelben, von ungleich größerer Wichtigkeit ſind bei den Rechten von endloſer Dauer, als bei den vorübergehenden.
Wenn man die Frage aufwirft, welche von jenen beiden Gattungen von Rechtsregeln an ſich ſelbſt, und ſo auch in Anſehung möglicher Colliſionen, wichtiger iſt, ſo wird die Antwort verſchieden ausfallen, je nach verſchiedenen Ge - ſichtspunkten, die man dabei wählen kann. Auf der einen Seite ſind neue Geſetze über das Daſeyn der Rechte wich - tiger, inſofern ſie tiefer in den geſammten Rechtszuſtand380Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.eingreifen, und insbeſondere das jetzt Beſtehende umwan - deln. Auf der anderen Seite aber erſcheinen neue Geſetze über den Erwerb der Rechte in der Hinſicht wichtiger, als ſie häufiger zur Sprache und zum Bewußtſeyn kommen. Sie bilden nämlich die Grundlage der juriſtiſchen Handlun - gen, der Rechtsgeſchäfte(e)Bei Weitem die meiſten und wichtigſten juriſtiſchen That - ſachen beſtehen in freien Handlun - gen; allerdings nicht alle, viel - mehr kommen darunter auch zu - fällige Ereigniſſe vor, die aber mit den freien Handlungen in der Colliſionsfrage unter völlig gleichen Regeln ſtehen. Dahin gehören z. B. als Gründe des Eigenthums - erwerbs die verſchiedenen Formen der Acceſſion; als Grund eines deferirten Inteſtaterbrechts der Tod einer beſtimmten Perſon., alſo des geſammten Verkehrs. Daher iſt gerade die Colliſionsfrage bei ihnen ſowohl erheb - licher, als verwickelter, welcher Grund beſonders mich beſtimmt hat, dieſe Gattung der Rechtsregeln der anderen in der folgenden Unterſuchung voran zu ſtellen.
Aus der bisher angeſtellten Betrachtung ergiebt ſich für die Löſung der hier vorliegenden Aufgabe folgende Anord - nung als natürlich und zweckmäßig.
Die Aufgabe geht dahin, die zeitlichen Gränzen der Herrſchaft für zweierlei Rechtsregeln zu beſtimmen.
A. Erſtlich für die Rechtsregeln, welche den Erwerb der Rechte zum Gegenſtand haben.
381§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.Dabei iſt vor Allem der Grundſatz in ſeiner wahren Bedeutung darzuſtellen, und zugleich das Verhältniß alter und neuer Geſetzgebung, ſo wie der Meinungen der Schrift - ſteller, zu dieſem Grundſatz anzugeben.
Ferner iſt dieſer Grundſatz auf einzelne Rechtsverhält - niſſe und Rechtsfragen anzuwenden.
Endlich iſt die Natur der Ausnahmen darzuſtellen, die neben dieſem Grundſatz nicht ſelten vorkommen.
B. Zweitens für die Rechtsregeln, welche das Daſeyn der Rechte zum Gegenſtande haben. Die Anordnung der einzelnen Fragen iſt der für die erſte Klaſſe angegebenen ähnlich, nur daß dieſe Fragen hier eine einfachere Geſtalt annehmen.
Es iſt nunmehr der Grundſatz der zeitlichen Colliſion für diejenigen Rechtsregeln feſtzuſtellen, welche den Erwerb der Rechte zum Gegenſtand haben. In dieſem Gebiete iſt in der That der Grundſatz als wahr anzunehmen, deſſen Allgemeingültigkeit oben (§ 384) verneint werden mußte. Ich will denſelben in den beiden vorläufig angegebenen Formeln genauer feſtzuſtellen ſuchen, wodurch zugleich das innere Verhältniß beider Formeln zu einander anſchaulich werden wird.
382Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Die erſte Formel lautete ſo:
Zunächſt iſt die wahre Bedeutung der Rückwirkung aufzuſuchen, die durch dieſe Formel abgewieſen wer - den ſoll.
Es iſt augenſcheinlich, daß dieſelbe nicht in einem buch - ſtäblichen, materiellen Sinn aufzufaſſen iſt. Dieſer Sinn würde dahin gehen, daß das Geſchehene ungeſchehen ge - macht werden ſolle. Da nun Dieſes an ſich unmöglich iſt, ſo bedarf es keiner Rechtsregel, um es zu verhindern. — Vielmehr iſt alſo die Rückwirkung in einem juriſtiſchen oder formellen Sinn aufzufaſſen, wodurch ſie die Bedeu - tung erhält, daß das rückwirkende Geſetz die Folgen der vergangenen juriſtiſchen Thatſachen unter ſeine Herrſchaft ziehen, alſo auf dieſe Folgen einwirken würde. Eine ſolche Rückwirkung aber auf die Folgen der vergangenen That - ſachen läßt ſich noch in folgender Abſtufung denken:
A. Auf die Folgen allein, die von der Zeit des neuen Geſetzes künftig eintreten würden.
B. Auf dieſe Folgen, und zugleich auf die, welche in die Zwiſchenzeit zwiſchen der juriſtiſchen Thatſache und dem neuen Geſetze fallen.
Zwei Beiſpiele werden dieſe Rückwirkung anſchaulich machen. — Wenn in einem Lande, das den Zinsvertrag ohne Einſchränkung zuläßt, ein Gelddarlehen zu zehn Pro - zent Zinſen gegeben wird, nach drei Jahren aber wird das383§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.Römiſche Recht in dieſem Lande eingeführt, welches höhere Zinſen, als zu ſechs Prozent, verbietet, ſo würde die Rück - wirkung der erſten, geringeren Abſtufung dahin führen, daß von der Zeit des neuen Geſetzes an die überſchießenden vier Prozente nicht mehr gefordert werden könnten, anſtatt daß die in den verfloſſenen drei Jahren fällig gewordenen gültig bleiben würden und noch ferner eingeklagt werden könnten. Die zweite, weiter gehende Abſtufung der Rück - wirkung würde dahin gehen, daß die überſchießenden vier Prozente weder für die vergangenen drei Jahre, noch für die künftige Zeit, gefordert werden könnten. — Wenn fer - ner in einem Lande, das die Veräußerung des Eigenthums durch bloßen Vertrag zuläßt, ein Landgut in dieſer Weiſe an einen Käufer veräußert wird, nach fünf Jahren aber ein neues Geſetz die Tradition zur Veräußerung erfordert, ſo würde die Rückwirkung der erſten Abſtufung dahin füh - ren, daß der Käufer in den vergangenen fünf Jahren Ei - genthümer geweſen wäre, und die Früchte als Eigenthümer bezogen hätte, anſtatt daß er von jetzt an Eigenthümer zu ſeyn aufhören müßte. Nach der zweiten Abſtufung würde er auch in den vergangenen Jahren Nichteigenthümer gewe - ſen ſeyn, und die Früchte mit Unrecht bezogen haben.
Die oben aufgeſtellte Formel nun (der Grundſatz der Nichtrückwirkung) verneint ſchlechthin die Einwirkung des neuen Geſetzes auf die Folgen der vergangenen Thatſachen, und zwar in jeder denkbaren Abſtufung. Sie erhält alſo den Zinsvertrag zu zehen Prozent aufrecht, ſowohl für die384Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.vergangenen drei Jahre, als für die ganze Zukunft(a)Dieſe Aufrechthaltung für die Zukunft wird meiſt unerheblich ſeyn, weil der Schuldner das Dar - lehen kündigen kann, und in Folge des neuen Geſetzes leicht Geld zu geringeren Zinſen finden wird. Sie iſt in den ſeltneren Fällen wichtig, wenn die Unkündbarkeit der Schuld auf längere Zeit be - dungen ſeyn ſollte.. Sie läßt das durch bloßen Vertrag erworbene Eigenthum fortwirken, nicht blos für die vergangenen fünf Jahre, ſon - dern auch für alle Zukunft.
Ich gehe nun zur zweiten Formel über, die alſo lautet:
Damit wird gefordert die Schonung der bereits erwor - benen Rechte, oder, in genauerem Ausdruck, die Erhaltung der Rechtsverhältniſſe in der ihnen einmal gegebenen Na - tur und Wirkſamkeit.
Manche haben dieſe zweite Formel ſo aufgefaßt, als ob darin ein neuer, ſelbſtſtändiger Grundſatz enthalten wäre, verſchieden von dem in der erſten Formel ausgedrückten(b)Bergmann S. 92. Puchta Vorleſungen S. 223.. In der That aber erſcheint in beiden Formeln ein und derſelbe Grundſatz, nur von verſchiedenen Seiten angeſehen und bezeichnet. Die Anwendung auf die bereits bei der erſten Formel benutzten Beiſpiele wird Dieſes anſchaulich machen. — Der Glaubiger hat durch den auf zehen Pro - zent geſchloſſenen Zinsvertrag das Recht erworben, Zinſen in dieſem Betrag zu fordern, ſo lange das Darlehen385§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.beſteht(c)Es würde ganz unrichtig ſeyn, nur den Anſpruch auf ſchon fällige Zinſen ein erworbenes Recht zu nennen. Auch der Anſpruch auf künftige iſt ein ſolches, jedoch darin von dem erſten verſchieden, daß die Ausübung von dem Ein - tritt eines in der Zukunft liegen - den Zeitpunktes abhängt., und dieſes erworbene Recht ſoll erhalten wer - den, obgleich ein neues Geſetz die Zinsverträge auf ein ge - ringeres Maaß beſchränkt. — Durch den bloßen Vertrag hat der Käufer des Landgutes Eigenthum erworben, und dieſes erworbene Recht ſoll ihm erhalten werden, obgleich ein neues Geſetz die Veräußerung an die Bedingung der Tradition knüpft.
Die auf die Erhaltung der erworbenen Rechte gerichtete Formel bedarf nach zwei Seiten einer näheren Beſtimmung, um gegen mögliche, ſehr bedenkliche, Mißverſtändniſſe ge - ſchützt zu werden.
Erſtlich ſind unter erworbenen Rechten, welche nach jener Formel erhalten werden ſollen, nur die Rechtsverhält - niſſe einer beſtimmten Perſon zu verſtehen, alſo die Be - ſtandtheile eines Gebietes unabhängiger Herrſchaft des indi - viduellen Willens(d)S. o. B. 1 § 52. 53., nicht die abſtracten Befugniſſe aller Menſchen oder ganzer Klaſſen von Menſchen(e)Bergmann § 20.. Einige Beiſpiele werden dieſen Gegenſatz, und die aus demſelben hervorgehende Beſchränkung für die Anwendung der aufge - ſtellten Formel, anſchaulich machen. — Wenn in einem Staate der bisher ſtrafloſe Zweikampf unter Strafe geſtellt wird, ſo iſt dadurch allen jetztlebenden Einwohnern dieVIII. 25386Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.bisher genoſſene Befugniß, den Zweikampf ungeſtraft vorzu - nehmen, entzogen. Die augenblickliche Einwirkung dieſes neuen Geſetzes aber wird durch unſere Formel nicht ausge - ſchloſſen, weil die bisher vorhandene abſtracte Befugniß aller Menſchen zum ſtrafloſen Zweikampf nicht die Natur eines erworbenen Rechtes hat. — Auf gleiche Weiſe verhält es ſich, wenn in einem Staate, der bisher Bürgſchaften der Frauen mit voller Wirkung anerkannte, das Römiſche Recht, und mit dieſem das Sc. Vellejanum, eingeführt wird, wodurch alle Frauen die bisherige Befugniß zu vollgültigen Bürgſchaften verlieren. — Und ganz Daſſelbe muß behauptet werden, wenn da, wo bisher die Volljährigkeit mit 21 Jahren eintrat, das Römiſche Recht mit der auf 25 Jahre beſtimmten Volljährigkeit eingeführt wird. Alle, die zur Zeit dieſes neuen Geſetzes noch nicht 21 Jahre vollendet haben(f)Anders verhält es ſich mit Denen, die zur Zeit des neuen Ge - ſetzes ſchon 21 Jahre zurückgelegt hatten, denn für jeden Einzelnen unter dieſen war die Volljährigkeit bereits ein perſönliches erworbenes Recht geworden, ſ. u. §. 389., verlieren durch daſſelbe die Befugniß, mit dieſem Alter volljährig zu werden, und werden alſo Vier Jahre länger in der Minderjährigkeit erhalten.
Zweitens ſind erworbene Rechte nicht zu verwechſeln mit bloßen Erwartungen, die durch das bisher beſtehende Geſetz begründet waren, durch das neue Geſetz aber zerſtört werden. Dieſe Zerſtörung wird durch den auf die Er - haltung der erworbenen Rechte gerichteten Grundſatz keines -387§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz,weges ausgeſchloſſen. — So konnte ein beſtehendes Erb - folgegeſetz in beſtimmten Perſonen einer Familie die Er - wartung erregen, daß ſie die Inteſtaterben eines anderen Familiengliedes werden würden, und ſie mögen vielleicht ihren Lebensberuf nach dieſer Erwartung eingerichtet haben. Wenn nun ein neues Erbfolgegeſetz dieſe Erwartung ver - nichtet, ſo mag ihnen dieſe Aenderung des Rechts ſehr ſtörend werden, aber unſer Grundſatz ſchließt dieſen Erfolg nicht aus, da derſelbe nur erworbene Rechte, nicht erregte Erwartungen, in Schutz nimmt. — Eben ſo verhält es ſich, wenn Jemand von einem reichen kinderloſen Mann das Verſprechen erhält, daß dieſer ihn zum einzigen Erben einſetzen werde, wenn ſogar das Teſtament wirklich gemacht und ihm gezeigt worden iſt. Dieſe bloße Erwartung kann durch ein, bei dem Leben des Teſtators, erlaſſenes neues Geſetz, das die Teſtamente verbietet, eben ſo gut vereitelt werden, wie durch den veränderten Willen des Teſtators(g)Meyer p. 32. 33.. — Dagegen würde es unrichtig ſeyn, hierin den bloßen Erwartungen gleich zu ſtellen die Rechte, die nur noch nicht ausgeübt werden können, weil ſie an eine Bedingung oder Zeitbeſtimmung geknüpft ſind. Dieſes ſind wirkliche Rechte, iudem ſelbſt bei der Bedingung die eingetretene Erfüllung retrotrahirt wird. Der Unterſchied liegt darin, daß bei der Erwartung aller Erfolg von der bloßen25*388Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Willkür einer fremden Perſon abhängt, anſtatt daß bei conditio und dies Dieſes nicht anzunehmen iſt(h)S. o. B. 3 § 116. 117. 120. — Chabot T. 1 p. 128. Meyer p. 30 — 32 p. 172..
Der hier aufgeſtellte[Grundſatz], der aus beiden angege - benen Formen hervorgeht, hat aber zwei an ſich verſchiedene Bedeutungen, deren jede wahr und wichtig iſt; die eine bezieht ſich auf den Geſetzgeber, die andere auf den Richter.
Für den Geſetzgeber hat jener Grundſatz die Bedeutung, daß er neue Geſetze nicht mit rückwirkender Kraft, nicht mit Gefährdung erworbener Rechte, erlaſſen ſoll(i)Darauf geht der Ausdruck der L. 65 C. de decur. (10. 31) „ cum conveniat leges futuris regulas imponere, non praeter - itis calumnias excitare. “ Die meiſten anderen Stellen faſſen mehr den Standpunkt der Belehrung für den Richter auf. So unter anderen auch die Stelle, aus welcher außer - dem die L. 65 cit. größtentheils wörtlich entnommen iſt. L. 3 C. Th. de const. (1. 1 ) „ Omnia constituta non praeteritis ca - lumniam faciunt, sed futuris regulam imponunt. “.
Für den Richter geht die Bedeutung des Grundſatzes dahin, jedes neue Geſetz, auch wenn es hierüber unbeſtimmt lautet, ſo auszulegen und anzuwenden, daß ihm keine rückwirkende Kraft beigelegt, daß kein erworbenes Recht geſtört werde.
Wird alſo in einem Staat, der bisher die Veräußerung durch bloßen Vertrag zuließ, die Tradition als Bedingung der Veräußerung vorgeſchrieben, ſo wird dieſes neue Geſetz der eben geſtellten Anforderung dadurch genügen, daß es in folgendem Sinn gedacht wird: „ Wer künftig Eigenthum veräußern will, ſoll ſich dazu der Tradition bedienen. “In389§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.dieſem Sinn ſoll der Geſetzgeber die neue Vorſchrift denken (wenn auch nicht wörtlich ausdrücken), und der Richter ſie anwenden.
Bisher iſt verſucht worden, den Grundſatz in ſeiner eigentlichen Bedeutung und in ſeinen verſchiedenen Be - ziehungen klar zu machen, ſo wie in gehörige Gränzen ein - zuſchließen. Die Hauptfrage aber iſt dabei noch nicht be - rührt worden: ob wir ihn überhaupt für wahr zu halten haben, und aus welchen Gründen.
Man möchte vielleicht verſucht ſeyn, Folgendes dagegen einzuwenden. Ein neues Geſetz wird ſtets gegeben in der Ueberzeugung, daß es beſſer ſey, als das frühere. Daher müſſe man deſſen Wirkſamkeit ſo weit, als möglich, aus - dehnen, um den zu erwartenden beſſeren Zuſtand dem weiteſten Kreiſe mitzutheilen. — Dieſe Auffaſſung hat einige Verwandtſchaft mit der oben bei dem territorialen Rechte erwähnten (§ 348), nach welcher bei jeder örtlichen Colliſion dex Geſetze nur immer das Geſetz des eigenen Landes feſt - gehalten werden ſollte. Wie aber damals dieſem ſcheinbaren Grundſatz der wahre entgegen geſetzt werden mußte, nach welchem jedes Rechtsverhältniß vielmehr nach dem Geſetz des ihm naturgemäß zukommenden Rechtsgebietes zu beur - theilen war, ſo wird auch hier unſre Aufgabe dahin gehen, für die zeitliche Wirkſamkeit eines jeden neuen Geſetzes das Gebiet der Herrſchaft feſtzuſtellen, welches ihm naturgemäß zukommt. Die Gränzen dieſes natürlichen Gebietes nun für die Herrſchaft eines neuen Geſetzes ſind es, welche390Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.durch den oben aufgeſtellten Grundſatz der nichtrückwirken - den Kraft, der Erhaltung erworbener Rechte, bezeichnet werden. Die Wahrheit dieſer Behauptung aber geht aus folgenden Betrachtungen hervor.
Erſtlich iſt höchſt wichtig und wünſchenswerth das unerſchütterliche Vertrauen in die Herrſchaft der beſtehenden Geſetze. Damit iſt nicht gemeint das Vertrauen in ihre ſtete Fortdauer, da vielmehr nach Umſtänden die Erwartung und der Wunſch eines beſſernden Fortſchrittes wohl begründet und heilſam ſeyn kann. Wohl aber iſt gemeint das Ver - trauen, daß ihre Herrſchaft und Wirkſamkeit, ſo lange ſie beſtehen, unanfechtbar ſeyn werde. Es ſoll alſo Jeder darauf ſicher rechnen dürfen, daß die Rechtsgeſchäfte, die er zum Erwerb von Rechten nach den beſtehenden Geſetzen eingerichtet hat, auch in Zukunft wirkſam bleiben werden.
Zweitens iſt gleichfalls wichtig und wünſchenswerth die Erhaltung des jederzeit beſtehenden Rechts - und Vermögens - Beſtandes. Dieſe Erhaltung aber wird, ſo weit die Geſetz - gebung darauf einwirken kann, befördert durch den oben aufgeſtellten Grundſatz, gefährdet durch den entgegen - geſetzten.
Drittens iſt der entgegengeſetzte Grundſatz ſchon deshalb verwerflich, weil eine conſequente Durchführung deſſelben ganz unmöglich iſt, ſo daß er nur zufällig und inconſequen - terweiſe (alſo ſchon deshalb ungerecht), auf einzelne Arten von Rechtsgeſchäften einwirken würde, während alle anderen davon frei bleiben müßten. Wollte man jenen entgegen -391§. 385. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz.geſetzten Grundſatz ſtrenge durchführen, ſo müßte ein neues Geſetz, welches zur Veräußerung des Eigenthums, anſtatt des bisher genügenden bloßen Vertrags, die Tradition er - forderte, die Folge haben, daß nun auch alle vergangene Veräußerungen unwirkſam würden, oder durch nachgeholte Traditionen ergänzt werden müßten. Die völlige Unmöglich - keit eines ſolchen Rechtszuſtandes iſt ſo einleuchtend, daß gewiß Niemand daran gedacht hat, in die Annahme einer rückwirkenden Kraft, die von Manchen nach der Natur der Sache als richtig angeſehen, und nur nach poſitiven Ge - ſetzen verworfen wird, auch dieſe Folgen mit aufzunehmen. Man glaubte alſo die Rückwirkung allgemein in Frage zu ſtellen, dachte aber dabei in der That nur an eingeleitete, noch unerledigte Rechtsgeſchäfte, namentlich an früher ge - ſchloſſene obligatoriſche Verträge, deren Erfüllung erſt nach dem Erlaß des neuen Geſetzes gefordert wird(k)Dieſes iſt namentlich die Anſicht von Weber, S. 108, der das unter dem früheren Geſetz durch bloßen Vertrag erworbene Eigen - thum fortwirken läßt, auch wenn ein neues Geſetz die[Tradition] zur Veräußerung erfordert. Er wird aber dadurch ſeinem Grund - ſatz in der That untreu, indem er unvermerkt[die] Anwendung deſſelben inconſequent und willkürlich be - ſchränkt.. In dieſer beſchränkten Anwendung iſt es allerdings denkbar, die Rückwirkung durchzuführen; aber eben dieſe ganz zu - fällige und willkürliche Beſchränkung beweiſt, daß die An - nahme der Rückwirkung zu einem allgemeinen Grundſatz ganz untauglich, und in der zufällig beſchränkten Anwen - dung, worin ſie möglich wäre, ungerecht iſt.
Der Grundſatz für die den Erwerb der Rechte betreffen - den Regeln iſt bisher nur von dem Standpunkt einer allgemeinen Betrachtung über die Natur und Beſtimmung der Geſetze erwogen worden; ich wende mich nun zu den Ausſprüchen der Geſetzgebung über dieſe wichtige Frage.
Hier tritt uns zunächſt entgegen eine für den Orient von K. Theodoſius II. im J. 440 erlaſſene Verord - nung(a)L. 7 C. de legibus (1. 14). — Die Stelle wird wörtlich wieder - holt in einer Decretale von Gregor IX., C. 13 X. de constit. (1. 2). Dem Inhalt nach ſtimmt damit überein C. 2 X. eod. , die auf alle ſpätere Zeiten, ſowohl in der Ge - ſetzgebung, als in der Praxis, und in der Lehre der Schrift - ſteller, den entſchiedenſten Einfluß ausgeübt hat. Sie lautet alſo: Leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotiis, non ad facta praeterita revo - cari, nisi nominatim et de praeterito tempore et adhuc pendentibus negotiis cautum sit.
Der wichtige Inhalt dieſer Berordnung, der die bisher vorgetragene Lehre völlig beſtätigt, läßt ſich auf folgende Hauptſätze zurückführen.
Sie unterſcheidet nicht zwiſchen vergangenen und künf - tigen Wirkungen juriſtiſcher Thatſachen, ſondern zwiſchen393§. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)vergangenen und künftigen Thatſachen ſelbſt. Neue Ge - ſetze, ſagt ſie, ſind anzuwenden auf alle ſpäterhin vorzu - nehmende Rechtsgeſchäfte (futuris … negotiis), nicht an - zuwenden auf vergangene Rechtsgeſchäfte (non ad facta praeterita revocari), auch wenn deren Wirkungen erſt noch in der Zukunft liegen ſollten (adhuc pendentibus ne - gotiis)(b)Denn die Beziehung auf die pendentia negotia iſt der Ausnahme vorbehalten, für die[regelmäßigen] Fälle alſo unterſagt. Pendens negotium iſt ein Ver - trag, der zur Zeit des neuen Ge - ſetzes ſchon geſchloſſen, aber ganz oder theilweiſe noch unerfüllt iſt, ſo daß deſſen Wirkungen in der Zukunft liegen. — Der Ausdruck negotium iſt in der Stelle a po - tiori gebraucht, indem die meiſten juriſtiſchen[Thatſachen] (wenn auch nicht alle) wahre Rechtsgeſchäfte ſind (§ 384. e). Auch anderwärts kommt einmal der Ausdruck ne - gotium für eine ſolche Thatſache vor, die gewiß kein Rechtsgeſchäft iſt, nämlich die Eröffnung einer Inteſtaterbfolge. L. 12 in f. C. de suis (6. 55). — Unter die pendentia negotia gehören nun unſtreitig auch diejenigen, worüber bereits ein Rechtsſtreit erhoben, aber noch nicht entſchieden iſt; je - doch glaube ich nicht, daß der hier gebrauchte Ausdruck gerade dieſen Fall beſonders hat bezeichnen ſollen. Anders verhält es ſich mit den causis … quae in judicii adhuc pendent in der const. Tanta § 23..
Sie macht den Vorbehalt, daß ein künftiges Geſetz ausnahmsweiſe auch wohl eine rückwirkende Kraft ſich bei - legen könne, die alsdann anerkannt werden müſſe. Hieraus erhellt, daß dieſe Verordnung gedacht iſt als eine Anwei - ſung (Auslegungsregel) für die Richter, nicht für den Ge - ſetzgeber, welchem vielmehr für jeden einzelnen Fall freie Hand ausdrücklich vorbehalten wird. Wäre aber auch dieſer Vorbehalt nicht hinzugefügt, ſo würde er ſich von394Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſelbſt verſtanden haben, da dieſe Vorſchrift künftig, wie im Ganzen, ſo auch in der Anwendung auf jeden einzelnen künftigen Fall, wieder aufgehoben werden konnte.
Wichtig iſt noch der Standpunkt, von welchem aus die Verordnung erlaſſen wird. Sie iſt nicht gemeint als eine aus neuer Erfindung hervorgehende Vorſchrift, vor welcher alſo etwa das Gegentheil anzunehmen geweſen wäre. Viel - mehr will ſie nur ausſprechen, Was aus der Natur und Beſtimmung der Geſetzgebung als Regel nothwendig folge (certum est), alſo eine Belehrung geben zur Abwendung möglicher Irrthümer der Richter über dieſe Frage. Auch dürfen wir nicht zweifeln, daß jene Regel von jeher von den Römiſchen Juriſten als wahr anerkannt worden iſt, und es iſt nur zufällig, daß uns nicht Ausſprüche derſelben aus älterer Zeit aufbewahrt ſind(b¹)Sehr beſtimmt findet ſich die Regel anerkannt bei Cicero in Verrem I. 42, und zwar als Etwas, das von jeher als unzweifelhaft angeſehen worden ſey..
Endlich iſt oben bemerkt worden, daß neue Geſetze auf zweierlei Weiſe vorkommen können: als einzeln ſtehende, beſondere Vorſchriften (§ 383. Num. 1), oder im Zuſam - menhang eines ganzen Geſetzbuchs, alſo eines mit Geſetzes - kraft verſehenen Syſtems von Rechtsregeln (§ 383. Num. 2. 3. 4.). In der hier vorliegenden Verordnung iſt augen - ſcheinlich nur an den erſten Fall gedacht, der Inhalt der - ſelben paßt aber ganz eben ſo auch auf den zweiten.
395§. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)Derſelbe Grundſatz nun, den die angeführte Verordnung in allgemeiner Geſtalt ausſpricht,[findet] ſich anerkannt in einer Reihe von Conſtitutionen, welche als neue Geſetze über einzelne Rechtsfragen erlaſſen wurden, mit dem Zuſatz, daß ſie nur für die Zukunft gelten, nicht rückwirkend ſeyn ſollten; dieſer Zuſatz hat dabei die Natur eines tranſitori - ſchen Geſetzes (§ 383). — Einige dieſer Conſtitutionen ſind dadurch bemerkenswerth, daß ſie ſehr beſtimmt die oben erklärte Natur unſres Grundſatzes ausſprechen, nach wel - cher derſelbe beſtimmt iſt, die künftigen Wirkungen der vergangenen Thatſachen aufrecht zu halten(c)L. un. § 16 C. de rei ux. act. (5. 13) „ instrumenta enim jam confecta viribus ca - rere non patimur, sed suum exspectare eventum”. — L. un. § 13 C. de latina libert. toll. (7. 6). „ Sed si quidem liberti jam mortui sunt et bona eorum quasi Latinorum his, quorum intererat, aggregata sunt, vel adhuc vivunt, nihil ex hac lege innovetur, sed maneant apud eos jure antiquo firmiter deten - ta et vindicanda”. . — Andere drücken den Grund unſerer Regel ganz richtig dahin aus, daß Der, welcher im Vertrauen auf das beſte - hende Geſetz ſeine Rechtsgeſchäfte einrichte, keinen Tadel verdiene, indem er das künftige Geſetz nicht habe vorher - ſehen und beachten können(d)L. 29 C. de test. (6. 23 ), Nov. 22 C. 1. — Andere Con - ſtitutionen, die denſelben Grund - ſatz anerkennen, ſind dieſe: L. 65 C. de decur. (10. 31 ), L. 18 C. de testibus (4. 20 ), Nov. 66 C. 1 § 4. 5..
Wir haben nun zunächſt zu unterſuchen, welche Bedeu - tung dieſe Ausſprüche des Römiſchen Rechts für uns, auf dem Standpunkte des gemeinen Rechts, haben, und wir396Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.können dieſe Frage ſogleich auch auf die im Römiſchen Recht vorkommenden Ausnahmen erſtrecken, die eine rück - wirkende Kraft mit ſich führen, und deren allgemeiner Vor - behalt bereits erwähnt worden iſt, während die Erwähnung der einzelnen Fälle erſt weiter unten ihre Stelle finden kann. Unſere Schriftſteller ſind darüber ganz einverſtanden, daß alle dieſe Ausſprüche des Römiſchen Rechts, ſie mö - gen die Regel oder die Ausnahme betreffen, ſo weit über - haupt Römiſches Recht anerkannt wird, die Kraft wahrer Geſetze mit ſich führen. Ich kann mich von der Wahrheit dieſer Behauptung nicht überzeugen.
Zuerſt muß ich dieſelbe grundſätzlich verwerfen. Wir mögen jene Ausſprüche anſehen als Anweiſungen für den Geſetzgeber oder für den Richter, welche beide Auffaſſungen an ſich richtig ſind (§ 385), ſo haben ſie für uns, auch da, wo das Römiſche Recht anerkannt wird, die Kraft binden - der Geſetze nicht(e)S. o. B. 1 § 27. 49..
Zweitens muß ich jene Behauptung verwerfen mit Rückſicht auf den beſonderen Inhalt der Ausſprüche, von welchen hier die Rede iſt. Der allgemeine Ausſpruch, welcher die rückwirkende Kraft verneint, ſo wie die einzel - nen Wiederholungen deſſelben (Note a. c. d.), ſollten gar nicht neues Recht aufſtellen, und ſind auch in der That nur Belehrungen, worin die richtige Behandlung neuer Geſetze naturgemäß anerkannt wird. Bei dieſen Ausſprüchen397§. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)alſo iſt die ganze Frage ohnehin eine völlige müſſige. — Anders verhält es ſich mit den einzelnen Ausnahmen jenes Grundſatzes, die allerdings einen völlig poſitiven Charakter an ſich tragen. Und dennoch muß auch hier eine genauere Betrachtung zu demſelben Erfolg führen. Um Dieſes an - ſchaulich zu machen, will ich Juſtinian’s Geſetze über den Zinsvertrag prüfen. Im J. 528 hatte er verordnet, daß anſtatt der ſeit Jahrhunderten erlaubten Zwölf Prozente künftig in der Regel nur Sechs Prozente an Zinſen be - dungen werden dürften(f)L. 26 C. de usuris (4. 32).. Da nun bald darauf Zweifel entſtanden wegen der vor dem J. 528 geſchloſſenen Zins - verträge, erließ er im J. 529 ein tranſitoriſches Geſetz(g)L. 27 C. de usuris (4. 32). des Inhalts, daß die vor dem J. 528 verfallenen Zinſen nach dem alten Geſetz, die ſeitdem verfallenen, ſo wie die künftigen, nach dem neuen Geſetz beurtheilt werden ſoll - ten(h)Die letzte Beſtimmung geht auf rückwirkende Kraft, enthält alſo eine Ausnahme unſeres Grundſatzes (§ 385).. Nun wird wohl Jeder zugeben, daß von dem unmittelbaren Inhalt des Geſetzes nicht mehr die Rede ſeyn kann, da ganz gewiß keinem Richter ein vor 528 geſchloſ - ſener Zinsvertrag zur Entſcheidung vorgelegt werden wird. Eben ſo kann nicht von einer Anwendung des Geſetzes in den Ländern die Rede ſeyn, in welchen ſeit Jahrhunderten das Römiſche Recht herrſchend iſt, da auch hier die that - ſächliche Veranlaſſung zu einer ſolchen Anwendung durch -398Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.aus fehlen muß. Der einzige Fall einer möglichen Anwen - dung wäre der, wenn etwa eine Gegend, die bisher kein Zinsverbot gekannt hätte, einem Staate einverleibt würde, in welchem Römiſches Recht, mit dem Verbot höherer Zin - ſen, als zu 6 Prozent, gilt. Hier könnte man daran den - ken, das angeführte tranſitoriſche Geſetz auf die in jener Gegend geſchloſſenen früheren Zinsverträge anzuwenden. Allein auch dieſe Anwendung würde ich als eine ungehö - rige, blos buchſtäbliche, dem Geiſt des Geſetzes wider - ſprechende, verwerfen müſſen. Denn jedes tranſitoriſche Geſetz, ſo weit es über die Gränzen bloßer Belehrung hin - aus geht, und, ſo wie jenes Geſetz Juſtinian’s, eine Rück - wirkung anordnet, iſt von ſtreng poſitiver Natur, alſo ganz abhängig von den Umſtänden und Bedürfniſſen ſeiner Zeit, und nicht der Ausdruck einer für alle Zeiten und Verhält - niſſe gültigen Rechtsregel. Juſtinian kann alſo die hier erwähnte Rückwirkung verordnet haben, weil er (mit Recht oder Unrecht) annahm, ſie ſey nach dem Bedürfniß ſeiner Zeit nöthig oder nützlich. Wollten wir dieſelbe aber jetzt anwenden, ſo würden wir über den Sinn derſelben hinaus - gehen, indem wir ohne allen Grund vorausſetzen müßten, er habe dieſe Vorſchrift auch für alle künftige Zeiten, deren Bedürfniſſe er unmöglich vorherſehen konnte, gelten laſſen wollen.
Wenngleich nun aus dieſen Gründen hervorgeht, daß wir den erwähnten Ausſprüchen des Römiſchen Rechts die Kraft bindender Geſetze, ſelbſt in dem Gebiete unſeres ge -399§. 386. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)meinen Rechts, abſprechen müſſen, ſo darf dieſe Behaup - tung keinesweges ſo verſtanden werden, als wollten wir dieſelben für gleichgültig oder unwichtig erklären. Sie ſind vielmehr dadurch höchſt wichtig geworden, daß ſie als eine mächtige Autorität ſeit Jahrhunderten auf die Geſetzgebung, die gerichtliche Praxis, und die Lehre der Schriftſteller ein - gewirkt haben, wodurch, neben mancher Verſchiedenheit im Einzelnen, dennoch im Ganzen eine ſo große Uebereinſtim - mung entſtanden iſt, wie ſie ohne dieſe gemeinſame Grund - lage gewiß nicht zu erwarten geweſen wäre.
Der Ausſpruch des Römiſchen Rechts über die Nicht - rückwirkung (§ 386) iſt in die wichtigſten neueren Geſetz - gebungen übergegangen.
I. Preußiſche Geſetzgebung.
Die Einleitung zum allgemeinen Landrecht enthält die - ſen Grundſatz in folgenden Worten.
Dieſe Vorſchrift iſt augenſcheinlich gemeint als Anwei - ſung für die Handlungsweiſe der Richter, ſo daß das Wort können eigentlich den Sinn von ſollen mit ſich führt.
400Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II Zeitliche Gränzen.Was den Geſetzgeber betrifft, ſo war in dem Entwurf eine Stelle aufgenommen, welche den Vorbehalt von Aus - nahmen, übereinſtimmend mit dem Römiſchen Recht, aus - drücken ſollte(a)Entwurf eines Geſetzbuchs Einleit. § 20. „ Nur der Landes - herr kann, aus überwiegenden Gründen des gemeinen Beſten, ein neues Geſetz auch auf ver - gangene Fälle zurückerſtrecken. “. Dieſer Vorbehalt iſt in dem Landrecht weggelaſſen worden, und es iſt an die Stelle deſſelben die allgemeine Ausnahme getreten, daß neue Strafgeſetze, ſo - fern ſie milder ſeyen, als die alten, auch auf frühere Ver - brechen angewendet werden ſollen(b)Einleitung zum A. L. R. § 18 — 20. Eine andere, die Form der Rechtsgeſchäfte betreffende Aus - nahme (§ 16. 17) wird weiter unten (§ 388. c) erwähnt werden.. — Dieſe Weglaſ - ſung iſt jedoch ganz unerheblich, indem es ſich ohnehin von ſelbſt verſteht, daß in jedem einzelnen künftigen Fall der Geſetzgeber berechtigt iſt, einem neuen Geſetze ausnahms - weiſe die rückwirkende Kraft beſonders beizulegen.
Die oben angeführte Vorſchrift ſtimmt mit dem Römi - ſchen Recht auch darin überein, daß ſie ausdrücklich die juriſtiſchen Thatſachen der früheren Zeit („ Handlungen und Begebenheiten “) der Einwirkung des neuen Geſetzes entzieht, alſo ſowohl die vergangenen als die zukünftigen Wirkungen dieſer früheren Thatſachen davon unabhängig erhält.
Neben dieſer allgemeinen Beſtimmung, die für alle ge - genwärtige und künftige Geſetze die zeitliche Gränze ihrer401§. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)Wirkſamkeit feſtſtellt, kommt nun aber noch in Betracht eine Anzahl tranſitoriſcher Vorſchriften, veranlaßt durch die Einführung der gegenwärtigen Preußiſchen Geſetzgebung, bald in das geſammte Land, bald in einzelne Landestheile (§ 383). In dieſen iſt derſelbe Grundſatz anerkannt, und nur in näheren Beſtimmungen einzeln angewendet.
II. Franzöſiſche Geſetzgebung.
Hier iſt unſer Grundſatz für das Privatrecht in folgen - den wenigen Worten anerkannt(c)Code civil art. 2..
La loi ne dispose que pour l’avenir; elle n’a point d’effet rétroactif.
Sowohl dieſe Kürze, als der gebrauchte gangbare Kunſt - ausdruck (effet rétroactif) läßt keinen Zweifel, daß hier lediglich die aus dem Römiſchen Recht herrührende, und durch das wiſſenſchaftliche Recht aller Länder längſt ge - nauer ausgebildete Lehre ganz und vollſtändig anerkannt werden ſollte; und ſo hat es auch die Franzöſiſche Praxis aufgefaßt.
Ganz in demſelben Sinn iſt die Regel im Strafrecht ausgeſprochen(d)Code pénal art. 4.. Die rückwirkende Kraft der neuen Strafgeſetze, wenn ſie milder ſind als die früheren, iſt hier nicht, wie im Preußiſchen Recht, durch das Geſetz ſelbſt hinzugefügt, wohl aber durch die Praxis anerkannt.
III. Oeſterreichiſche Geſetzgebung.
Auch hier findet ſich blos folgende kurze Vorſchrift(e)Geſetzbuch § 5..
VIII. 26402Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Geſetze wirken nicht zurück; ſie haben daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher er - worbene Rechte keinen Einfluß.
Es gilt hier dieſelbe Bemerkung, welche bereits für das Franzöſiſche Geſetz gemacht worden iſt. Ja es iſt aus den gebrauchten Ausdrücken noch unzweifelhafter, daß der Geſetzgeber die geſammte im gemeinen Recht anerkannte und ausgebildete Theorie ſich hat aneignen wollen.
Bei der geringen Einwirkung der Geſetzgebung auf die vorliegende Lehre iſt dem wiſſenſchaftlichen Recht ein um ſo größerer Einfluß zugefallen, und es ſcheint daher nöthig, einige allgemeine Bemerkungen über die Stellung unſerer Schriftſteller zu dieſer Lehre voraus zu ſchicken. Im Großen und Ganzen findet ſich eine größere Uebereinſtim - mung, als man erwarten möchte; theils durch die große Autorität, die ſeit Jahrhunderten die Ausſprüche des Rö - miſchen Rechts ausgeübt haben (§ 386), theils durch die gerade hierin oft unverkennbare innere Macht der Dinge ſelbſt. Die dennoch vorhandenen Verſchiedenheiten haben eine zweifache Natur. Einige gründen ſich auf die mehr oder weniger richtige Auffaſſung der einzelnen Rechtsverhältniſſe in Beziehung auf unſere Frage, und von dieſen wird erſt unten, bei dieſen Rechtsverhältniſſen ſelbſt, die Rede ſein können. Andere ſind entſtanden aus den verſchiedenen Ver -403§. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)ſuchen, das mehr oder weniger deutlich Gedachte in allge - meinen Grundſätzen zu formuliren; dieſe Verſchiedenheiten haben eine überwiegend theoretiſche Natur. Eine ſehr in das Einzelne gehende Vergleichung und Kritik dieſer Ver - ſuche würde nicht in rechtem Verhältniß ſtehen zu der da - von zu erwartenden Frucht. Es wird genügen, bei einigen Schriftſtellern, die auf dieſe allgemeine Formulirung mehr als Andere, Kraft verwendet haben, auf das Eigenthümliche derſelben hinzuweiſen.
Weber legt beſonderes Gewicht auf folgende Unter - ſcheidung(f)Weber § 21. a bis § 27.. Man könne ein neues Geſetz erſtlich ver - ſuchen ſo zu behandeln, als wenn es ſchon in einer frü - heren Zeit vorhanden geweſen wäre, ſo daß es auch auf die in die Vergangenheit fallenden Wirkungen älterer Rechts - geſchäfte bezogen würde. Darin liege eine rückwirkende Kraft, und dieſe ſey verwerflich. Man könne aber auch zweitens ſich darauf beſchränken, die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeſchäfte nach dem neuen Geſetze zu beurthei - len, und Dieſes ſey richtig. — Er glaubt, dieſe Unterſchei - dung, als Grundlage der ganzen Lehre, aus der Natur der Sache abgeleitet zu haben, ſteht aber in der That unter dem Einfluß der L. 27 C. de usuris (§ 386. g), deren ſehr eigenthümliche und willkürliche Vorſchrift ſich ihm un - vermerkt in einen allgemeinen Grundſatz verwandelt. Wie ſehr er auf dieſem Wege zu einer inconſequenten Anwen -26*404Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.dung ſeines Grundſatzes unvermerkt genöthigt wird, um der völligen Unausführbarkeit zu entgehen, iſt ſchon oben bemerkt worden(g)S. o. § 385. k. .
Bergmann legt eine allgemeinere Unterſcheidung zum Grunde(h)Bergmann § 4 § 22 § 30.. Ein Anderes ſoll gelten nach der Natur der Sache, ein Anderes nach den ganz poſitiven Vorſchriften des Römiſchen Rechts. — Nach der Natur der Sache ſoll Das wahr ſeyn, welches Weber für den Inhalt des Rö - miſchen Rechts ausgiebt. Das neue Geſetz ſoll nur nicht retrodatirt, das heißt, auf die in die Vergangenheit fallen - den Wirkungen bezogen werden; die Beziehung auf die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeſchäfte ſoll gültig ſeyn. — Die poſitive Vorſchrift des Römiſchen Rechts ſoll da - von auf zweierlei Weiſe abweichen. Erſtlich, indem es auch die künftigen Wirkungen älterer Rechtsgeſchäfte in Schutz nehme; zweitens, indem es nicht blos die rechtlichen Wir - kungen (erworbene Rechte) ſchütze, ſondern auch bloße Er - wartungen.
Bei dieſem letzten Schriftſteller iſt beſonders zu tadeln, daß er den Inhalt des Römiſchen Rechts in einen grund - ſätzlichen Gegenſatz bringt mit dem aus der Natur der Sache hervorgehenden Recht, welches der Abſicht der von Theodoſius II. herrührenden, und von Juſtinian in ſeine Geſetzſammlung aufgenommenen Hauptſtelle geradezu wider - ſpricht (§ 386. a), alſo nur vertheidigt werden kann durch405§. 387. A. Erwerb der Rechte. Grundſatz. (Fortſ.)die Vorausſetzung, die Römiſchen Geſetzgeber hätten ſich über die Natur der Sache völlig getäuſcht, nicht durch die Annahme, ſie hätten abſichtlich neues, poſitives Recht vor - ſchreiben wollen. — Uebrigens ſchlägt Bergmann weſentlich daſſelbe Verfahren ein, wie Weber. Dieſer ſteht, wie ſchon bemerkt, ohne es ſich recht deutlich zu machen, unter dem Einfluß der L. 27 C. de usuris; eben ſo Bergmann unter dem Einfluß von zwei Novellen Juſtinian’s (N. 66 und N. 22 C. 1). Unter dem falſchen Schein eines kritiſch-hiſtoriſchen Verfahrens bildet er aus einigen allgemeinen Redensarten dieſer Novellen, und aus ſehr willkürlichen Vorſchriften derſelben, eine allgemeine Theorie der erlaubten und uner - laubten rückwirkenden Kraft der Geſetze aus, unter der ganz unkritiſchen ſtillſchweigenden Vorausſetzung, Juſtinian habe in dieſe Novellen eine ſolche Theorie niederlegen wol - len, ſie ſollten alſo den allgemeinen Maaßſtab abgeben für die Anwendung neuer Geſetze überhaupt.
Struve endlich zeichnet ſich nicht aus durch eine be - ſondere Auffaſſung der rückwirkenden Kraft überhaupt, in - dem er hierin vielmehr von der Auffaſſung Anderer mehr im Ausdruck, als im Weſen, abweicht. Dagegen ſteht er ganz allein in der Behauptung, daß die Regeln über die Anwendung neuer Geſetze auf Vergangenheit und Zukunft ausſchließend aus der vom Richter zu erkennenden Natur der Sache, niemals aus poſitiven Geſetzen, hergenommen werden dürften. Jeder Verſuch, dieſen Gegenſtand geſetz - lich zu regeln, ſoll gänzlich nichtig ſein, und vom Richter406Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.gar nicht beachtet werden dürfen; weshalb er denn auch alle tranſitoriſche Geſetzgebung völlig verwirft(i)Struve S. 6. S. 30 — 34 S. 153 — 154.. — Bei dieſer Auffaſſung der Sache iſt hauptſächlich die Beſchei - denheit zu verwundern, womit dieſer Schriftſteller ſeine Be - hauptung über das Verhältniß des Richters zu den Ge - ſetzen auf den engen Kreis der die Rückwirkung betreffen - den Rechtsfragen einſchränkt. Bei unbefangener Betrach - tung wird man ſich überzeugen müſſen, daß dieſelbe Be - hauptung, wenn ſie überhaupt wahr iſt, auch auf das ganze übrige Gebiet aller Rechtsfragen ausgedehnt wer - den müſſe.
Indem ich jetzt zur Anwendung des aufgeſtellten Grund - ſatzes übergehe, muß ich zuvor auf einen, für unſere Un - terſuchung wichtigen, Unterſchied in der Beſchaffenheit der juriſtiſchen Thatſachen aufmerkſam machen. Die meiſten dieſer Thatſachen ſind einfache, einem einzelnen Zeitpunkt angehörende, Ereigniſſe, ſo wie die Verträge, deren Weſen in einer übereinſtimmenden Willenserklärung beſteht, alſo in einer augenblicklichen Handlung, bei welcher die vielleicht lange dauernde Vorbereitung ganz gleichgültig iſt. Bei die - ſer Art der Thatſachen iſt es leicht zu beſtimmen, ob ein407§. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen.neues Geſetz vor oder nach einer ſolchen Thatſache erlaſſen ſeyn mag.
Dagegen giebt es manche andere Thatſachen, die ſich über einen ganzen Zeitraum verbreiten, entweder indem ſie einen gleichmäßig fortgeſetzten Zuſtand vorausſetzen (wie die Uſucapion und die Klagverjährung), oder indem ſie aus mehreren, der Zeit nach auseinander liegenden, einzelnen Ereigniſſen zuſammengeſetzt ſind (wie die Teſtamente). Bei dieſen iſt die Beſtimmung des Zeitverhältniſſes zu einem neuen Geſetze ſchwierig und verwickelt, ſo daß ſie nur durch ſorgfältige Beachtung und Unterſcheidung der einzelnen Um - ſtände gelingen kann, indem das neue Geſetz oft erlaſſen wird zu einer Zeit, welche zwiſchen dem Anfang und der Vollendung einer ſolchen Thatſache liegt.
In den juriſtiſchen Thatſachen der erſten, einfacheren Art (den augenblicklichen Ereigniſſen) verdienen beſonders zwei Momente unſere Aufmerkſamkeit, worüber eine gemeinſame Vorbemerkung hier ihre rechte Stelle finden wird: die Handlungsfähigkeit der betheiligten Perſonen, und die juri - ſtiſche Form der Rechtsgeſchäfte.
Die Handlungsfähigkeit iſt ausſchließend zu beurtheilen nach der Zeit der juriſtiſchen Thatſache, ſowohl was den faktiſchen Zuſtand, als was das beſtehende Geſetz betrifft. Schließt alſo ein Minderjähriger ohne Vormund einen Ver - trag, ſo iſt und bleibt dieſer Vertrag ungültig, auch nach - dem das volljährige Alter erreicht iſt; eben ſo aber auch, wenn ein ſpäteres Geſetz den Zeitpunkt der Volljährigkeit408Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.früher, als bisher, eintreten läßt. Daſſelbe gilt aber auch umgekehrt; ſchließt alſo unter der Herrſchaft des Franzöſi - ſchen Rechts ein Einundzwanzigjähriger einen Vertrag, ſo iſt und bleibt der Vertrag gültig, auch wenn bald nachher dieſer Ort unter die Herrſchaft des Römiſchen Rechts tritt, welches Fünf und zwanzig Jahre für die Volljährigkeit er - fordert. — Ueber dieſen Gegenſtand iſt auch, ſo viel ich weiß, niemals ein Zweifel erhoben worden. — Daſſelbe muß behauptet werden, wenn eine Frau Bürgſchaft leiſtet, während das Römiſche Recht (mit dem Sc. Vellejanum) gilt, welches Geſetz nachher aufgehoben wird, oder umgekehrt. Im erſten Fall iſt und bleibt die Bürgſchaft ungültig, im zweiten Fall iſt und bleibt ſie gültig, auch nach dem abän - dernden neuen Geſetz(a)Von einer abweichenden Meinung von Meyer über das Sc. Vellejanum wird unten bei den Verträgen § 392 die Rede ſeyn..
Auf gleiche Weiſe muß die juriſtiſche Form eines Rechts - geſchäfts beurtheilt werden ausſchließend nach dem zur Zeit des vorgenommenen Geſchäfts beſtehenden Geſetz, ſo daß ein ſpäteres Geſetz keinen Einfluß auf die Gültigkeit hat, ohne Unterſchied, ob daſſelbe die frühere Form erleichtert oder erſchwert. Man kann dieſen Satz ſo ausdrücken: tempus regit actum, übereinſtimmend mit der Regel des örtlichen Rechts: locus regit actum (§ 381), ja er führt ſogar noch einen höheren Grad von Gewißheit und Nothwendig - keit mit ſich, als dieſe Regel, welche man als eine, durch409§. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen.allgemeine Rechtsgewohnheit begründete, Begünſtigung der Rechtsgeſchäfte anſieht. Denn bei dieſer Regel des ört - lichen Rechts iſt es oft (wenngleich nicht immer) den Par - teien möglich, eine andere Form zu beobachten, und darum wird ihnen billigerweiſe die Wahl gelaſſen, welches Geſetz ſie in Anſehung der Form beobachten wollen: das am Ort der Handlung geltende, oder vielmehr das Geſetz des Ortes, welchem in anderer Hinſicht dieſes Rechtsgeſchäft angehört, z. B. das Geſetz des Wohnſitzes. Eine ſolche Möglichkeit, und das darauf gegründete Wahlrecht der Parteien zwiſchen verſchiedenen Geſetzen, iſt neben der Regel: tempus regit actum, gar nicht vorhanden, da Niemand vorherſehen kann, daß ein künftiges Geſetz die Form abändern werde, und worin die Aenderung beſtehen werde. Daher iſt denn auch von Schriftſtellern dieſe Regel ohne Widerſpruch anerkannt worden(b)Weber S. 90 u. fg. Meyer p. 19. 29. 43. 61. 89..
Nur in Einer Beziehung könnte man einen Zweifel an der Allgemeingültigkeit dieſer Regel geltend machen wollen, wenn nämlich das neue Geſetz die Form eines Rechtsge - ſchäfts nicht erſchwert, ſondern erleichtert. Hier könnte man aus ſcheinbarer Milde und Schonung, aus dem unbedingten Beſtreben nach der Aufrechthaltung der Rechtsgeſchäfte, an - nehmen wollen, das Geſchäft ſey auch dann gültig, wenn die dabei angewendete, damals unzureichende, Form zu - fälligerweiſe den Forderungen des neuen Geſetzes genüge. 410Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Dieſen Weg hat in der That das Preußiſche Geſetz einge - ſchlagen(c)Allg. L. R. Einleit. § 17. „ Frühere Handlungen, welche, we - gen eines Mangels an Förmlich - keit, nach den alten Geſetzen un - gültig ſeyn würden, ſind gültig, in ſofern nur die nach den neu - ern Geſetzen erforderlichen Förm - lichkeiten, zur Zeit des darüber entſtandenen Streites, dabei ange - troffen werden. “. Ich halte aber dieſe Vorſchrift für einen Mißgriff, und glaube, daß, wo ein ſolches Geſetz nicht beſteht, gerade das Gegentheil nach allgemeinen Grundſätzen angenommen werden muß.
Der erwähnten Vorſchrift ſcheint die Anſicht zum Grunde zu liegen, die poſitiven Formen der Rechtsgeſchäfte ſeyen Beſchränkungen der individuellen Freiheit zum Vortheil des öffentlichen Wohls, etwa ſo, wie die Staatsabgaben, die der Staat, ohne Rechtsverletzung, nicht blos im Allge - meinen herabſetzen, ſondern auch dem Einzelnen ſchenkungs - weiſe erlaſſen kann. Dieſe Anſicht kann nur etwa zugegeben werden für die mit manchen Rechtsgeſchäften verbundene Stempelabgabe, und auch da nur, in ſofern der Gebrauch des Stempelpapiers als Bedingung der Gültigkeit des Ge - ſchäfts vorgeſchrieben ſeyn ſollte; für alle andern Formen iſt dieſe Anſicht unwahr, wie ſich aus folgendem Beiſpiel ergeben wird.
Wenn gegenwärtig in Berlin ein eigenhändig geſchrie - benes Privatteſtament errichtet wird, ſo iſt Dieſes eine unwirkſame Handlung, aus welcher, bei dem Tode des Teſtators, keine Rechte entſpringen. Wird aber vor ſeinem Tode die Franzöſiſche Teſtamentsform eingeführt, nach411§. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen.welcher das eigenhändige Privatteſtament vollgültig iſt, ſo würde dadurch, nach der angeführten geſetzlichen Vor - ſchrift (Note c), jenes Teſtament gültig werden und die künftige Erbfolge beſtimmen. Darin ſcheint eine humane Begünſtigung des Teſtators zu liegen, deren Richtigkeit jedoch[ſehr] bezweifelt werden muß. Ein Geſetz, welches, wie das jetzt in Preußen beſtehende, ſchlechthin die gericht - liche Abfaſſung der Teſtamente erfordert, wird dabei un - zweifelhaft von mehreren zuſammen wirkenden, in ſich ver - wandten, Beweggründen geleitet, die insgeſammt auf der beſonderen Wichtigkeit der Teſtamente, in Vergleichung mit anderen Rechtsgeſchäften, beruhen. Durch die nothwendige Mitwirkung des Richters wird der Unterſchiebung eines falſchen Teſtaments vorgebeugt; ferner der unbeſonnenen Uebereilung, die aus augenblicklicher Zuneigung oder Ab - neigung gegen beſtimmte Perſonen hervorgehen kann; endlich dem eigennützigen Einfluß mancher Perſonen, dem ſich der unbewachte, unberathene Teſtator aus Schwäche nicht zu entziehen vermag. Alle dieſe Beweggründe beziehen ſich auf das Privatwohl, nicht auf den Vortheil des Staats, und wenn auch das neue Geſetz dieſe Gründe nicht mehr ſo hoch anſchlägt, ſo iſt es doch eine große Frage, ob der wahre Vortheil des Teſtators, nämlich die Aufrechthaltung des wahren, ernſten, beſonnenen Willens, befördert wird durch die, dem juriſtiſchen Grundſatz widerſprechende, rück - wärts gehende Bekräftigung eines bis dahin unwirkſamen Teſtaments. Dieſes wird beſonders einleuchtend, wenn412Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.man ſich klar zu machen ſucht, warum denn der Teſtator die zur Zeit des errichteten Teſtaments beſtehende geſetzliche Form unbeachtet gelaſſen hat. Es kann Dieſes geſchehen ſeyn aus bloßer Rechtsunkunde, während ein ernſter, be - ſonnener Wille in der That vorhanden war; auf dieſer Vorausſetzung beruht ohne Zweifel die angeführte Vorſchrift des Landrechts, die als reine Wohlthat gedacht wird. Aber es kann auch geſchehen ſeyn mit vollem Bewußtſeyn des beſtehenden Rechts, ſo daß das eigenhändige Privatteſta - ment eine bloße Vorbereitung ſeyn ſollte zu einem gericht - lichen Akt, deſſen Vornahme der Teſtator noch einer weitern Ueberlegung vorbehalten wollte. Dann bekräftigen wir, in Folge jenes Geſetzes, ein Teſtament, wozu der wahre, letzte Entſchluß vielleicht niemals vorhanden war. Auf der anderen Seite kann man ſagen, daß der Teſtator, indem er das Privatteſtament nach Erſcheinung des neuen Ge - ſetzes aufbewahrte, ſo zu betrachten iſt, als hätte er es jetzt neu geſchrieben, wozu er doch unſtreitig befugt war. Allein gerade bei Teſtamenten iſt Nichts gewöhnlicher, als das unbeſtimmte Hinausſchieben, und ſo iſt Nichts unſicherer, als irgend eine Vorausſetzung, die hierauf über den wahren, endlichen Willen gebaut werden möchte. Man verwickelt ſich dabei in die Erwägung zufälliger, blos möglicher Um - ſtände, und bei unbefangener Betrachtung wird man ein - räumen müſſen, daß es durchaus an einem befriedigenden Grunde fehlt, von der reinen juriſtiſchen Regel: tempus regit actum, abzugehen, und daß man dabei in Gefahr413§. 388. A. Erwerb der Rechte. — Anwendungen.kommt, aus vermeintlicher Humanität einen Erfolg eintreten zu laſſen, der dem wirklichen Willen vielleicht geradezu widerſpricht.
Bei der Anwendung auf die einzelnen Rechtsverhält - niſſe ſoll nunmehr dieſelbe Anordnung befolgt werden, welche ſchon im erſten Kapitel befolgt worden iſt(d)Es verſteht ſich von ſelbſt, daß hier dieſelbe Beſchränkung auf das Privatrecht, und zwar auf das materielle Privatrecht, zu beobachten iſt, wie oben bei den Gränzen des örtlichen Rechts (§ 361. a. § 384. b)..
Eines beſonderen Abſchnittes über die Formen der Rechtsgeſchäfte bedarf es nicht, da dieſe Frage ſchon in den gegenwärtigen einleitenden Paragraphen aufgenommen worden iſt.
Die neuen Geſetze, welche den Zuſtand der Perſon an ſich, insbeſondere die Handlungsfähigkeit, zum Gegenſtand haben, ſind hier in zwei verſchiedenen Rückſichten zu er - wägen. Erſtlich wegen der denkbaren Einwirkung des neuen Geſetzes auf die vor demſelben von der betheiligten Perſon vorgenommenen Rechtsgeſchäfte; zweitens in Be - ziehung auf den perſönlichen Zuſtand ſelbſt, der durch das neue Geſetz beherrſcht werden ſoll. — Die erſte Frage iſt bereits beantwortet worden (§ 388); es bleibt alſo nun die zweite Frage übrig, wie ein neues, den perſönlichen Zu - ſtand betreffendes, Geſetz auf die zu ſeiner Zeit beſtehenden Rechtsverhältniſſe dieſer Art einwirkt, und ob dabei insbe - ſondere unſer Grundſatz, der die Rückwirkung ausſchließen ſoll, zur Anwendung kommt.
Dieſer Grundſatz findet auf den Zuſtand der Perſon an ſich nur geringe Anwendung, indem die meiſten Zu - ſtände dieſer Art eine ſo abſtracte Natur haben, daß ſie als erworbene Rechte nicht angeſehen werden können; unter beſonderen Vorausſetzungen jedoch, alſo ausnahmsweiſe, haben wir auch hier erworbene Rechte anzuerkennen (§ 385. d. e. f.). Nur in dieſen beſonderen Fällen alſo iſt die Ein - wirkung des neuen Geſetzes auf vorgefundene Zuſtände415§. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Perſon an ſich.durch unſren Grundſatz zu beſchränken; in allen übrigen Fällen dagegen kommt das neue Geſetz augenblicklich zu ganz unbeſchränkter Wirkſamkeit. Dieſes ſoll nunmehr in Anwendung auf die wichtigſten Fälle des Zuſtandes der Perſon an ſich dargethan werden.
1. Wegen des Alters ſind folgende Regeln anzu - nehmen. Wird die Minderjährigkeit durch ein neues Ge - ſetz verlängert oder verkürzt, ſo iſt daſſelbe ſofort anzuwen - den auf alle Minderjährige, die es eben vorfindet, ſo daß keiner derſelben behaupten kann, er habe durch das alte Geſetz das Recht erworben, gerade in dem durch daſſelbe beſtimmten Zeitpunkt volljährig zu werden.
Anders verhält es ſich jedoch mit Denen, welche nach dem alten Geſetz bereits volljährig geworden waren, wenn - gleich ſie nach dem Inhalt des neuen Geſetzes noch minder - jährig ſeyn würden. Denn für dieſe beſtimmte Perſonen iſt die Volljährigkeit, und die mit derſelben verbundene Selbſtſtändigkeit, ein erworbenes Recht, begründet durch den unter der Herrſchaft des alten Geſetzes eingetretenen beſtimmten Zeitpunkt. Wollte man ſie wieder minderjährig machen, und unter Vormundſchaft ſtellen, ſo läge darin eine, unſrem Grundſatz widerſprechende, Rückwirkung, die ſelbſt durch ausdrückliche Vorſchrift des Geſetzes nur als eine (nicht zu billigende) Ausnahme des Grundſatzes geltend gemacht werden könnte(a)Es iſt alſo für dieſen Fall des neuen Geſetzes dieſelbe Regel anzuwenden, welche für den Fall des veränderten Wohnſitzes ſchon oben aufgeſtellt worden iſt (§ 365 p. q.)..
416Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Die Richtigkeit dieſer Behauptung wird durch die Ver - gleichung mit folgendem Fall beſtätigt. Wenn ein Minder - jähriger für volljährig erklärt wird, ſey es durch den Lan - desherrn (nach Römiſchem Recht), oder durch ein Vormund - ſchaftsgericht (nach Preußiſchem Recht), ſo wird Niemand zweifeln, daß für ihn die Volljährigkeit mit ihren Folgen die Natur eines erworbenen Rechts hat. Geſetzt nun, daß bald nachher, und ehe dieſe beſtimmte Perſon das geſetzliche Alter erreicht hat, in dieſem Lande die Volljährigkeits - erklärung überhaupt abgeſchafft würde, ſo müßte doch dieſe Perſon fortwährend als volljährig anzuſehen ſeyn. Was aber in einem ſolchen Fall der Ausſpruch des Landesherrn oder des Gerichts gewährt, darf auch Dem nicht verſagt werden, der unter der Herrſchaft des alten Geſetzes das von dieſem vorgeſchriebene Alter erreicht hat.
Die hier aufgeſtellte Anſicht hat in der Preußiſchen Geſetzgebung vielfache Anerkennung gefunden.
Das Einführungspatent des A. L. R. in die Provinzen jenſeits der Elbe vom 9. Septbr. 1814 enthält im § 14 folgende Worte(b)Geſetzſammlung 1814 S. 93.: Die Volljährigkeit tritt in Anſehung aller derjenigen Perſonen, welche ſolche vor dem 1. Januar 1815(c)Der 1. Jan. 1815 war der Tag, an welchem das Landrecht Geſetzeskraft erhalten ſollte. nach den bisherigen Geſetzen noch nicht erreicht haben, erſt mit dem vollendeten vier und zwanzigſten Jahre ein.
417§. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Perſon an ſich.Eine gleichlautende Beſtimmung enthalten die übrigen tranſitoriſchen Geſetze der nachfolgenden Jahre (§ 383), und eben ſo eine beſondere für Erfurt und Wandersleben über die Volljährigkeit im J. 1817 erlaſſene Verordnung(d)Geſetzſammlung 1817 S. 201..
Eine abweichende Anſicht über dieſe Frage vertheidigt ein Schriftſteller des Franzöſiſchen Rechts, indem er be - hauptet, daß in einem ſolchen Fall der bereits volljährig Gewordene, in Folge des neuen Geſetzes, wieder als min - derjährig behandelt werden müſſe, und zur Beſtätigung dieſer Behauptung übereinſtimmende Urtheile der Gerichts - höfe von Nismes und Turin anführt(e)Meyer p. 97. 98..
2. Aehnliche Fragen können in Anſehung des Ge - ſchlechts vorkommen, nur mit dem Unterſchied, daß dabei der Fall eines perſönlich erworbenen Rechts, wie bei der Minderjährigkeit, nicht eintreten kann.
Wenn in einem Lande, das bisher die Geſchlechtsvor - mundſchaft nicht kannte, eine ſolche in irgend einer ihrer vielen Abſtufungen(f)Eichhorn deutſches Recht § 324 — 326. durch neues Geſetz eingeführt wird, ſo ſind derſelben augenblicklich alle jetzt lebende Frauen un - terworfen. Eben ſo verhält es ſich umgekehrt, wenn die bisher beſtehende Geſchlechtsvormundſchaft durch neues Ge - ſetz abgeſchafft wird(g)Chabot T. 1 p. 29 — 36..
Wenn da, wo die Frauen, gleich den Männern, gültige Bürgſchaften übernehmen können, das Sc. Vellejanum ein -VIII. 27418Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.geführt wird, ſo wirkt dieſe neue Beſchränkung augenblicklich auf alle jetzt lebende Frauen, wenn dieſe künftig in Bürg - ſchaften eintreten möchten. Ganz Daſſelbe aber muß be - hauptet werden, wenn das bisher beſtehende Sc. Vellejanum durch neues Geſetz aufgehoben wird(h)Chabot T. 2 p. 350 — 353..
In allen dieſen Fällen alſo würde es ganz unbegründet ſeyn, wenn man etwa den jetztlebenden Frauen ein erwor - benes Recht auf die bisher beſeſſene ausgedehntere Hand - lungsfähigkeit zuſchreiben, und die Wirkſamkeit des beſchrän - kenden neuen Geſetzes auf die künftige weibliche Generation einſchränken wollte.
3. Bei der Infamie iſt die hier behandelte Frage gleichfalls aufgeworfen worden(i)Ich habe oben, B. 2 § 83, zu zeigen geſucht, daß die Infamie für unſer heutiges gemeines Recht keine Geltung mehr habe. Die gegenwärtige Erwähnung derſel - ben bezieht ſich alſo theils auf die abweichende Meinung Anderer über dieſen Punkt, theils auf neuere Geſetzgebungen, worin die Infamie anerkannt iſt..
Die meiſten und wichtigſten Fälle derſelben gehören nicht in den Kreis unſerer Unterſuchung, die ſich auf das Privatrecht beſchränkt und das Strafrecht ausſchließt; ich meine alle die Fälle, in welchen die Infamie als Criminal - ſtrafe erſcheint, ſey es allein, oder in Verbindung mit an - deren Strafen, vielleicht auch als Folge anderer Strafen.
Es könnte hier davon die Frage ſeyn etwa in Anwen - dung auf manche Fälle der ſogenannten infamia immediata, wohin das Römiſche Recht mehrere Arten von unzüchtigen419§. 389. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. I. Perſon an ſich.Gewerben rechnet(k)S. o. B. 2 S. 183.. Wenn nun ein neues Geſetz für ſolche Fälle die bisher nicht geltende Infamie einführt, ſo hat es keinen Zweifel, daß daſſelbe auf Alle angewendet werden muß, die ſich von jetzt an in dieſer Lage befinden, und daß dieſe kein erworbenes Recht in Anſpruch nehmen können, eine ſolche Lebensweiſe, frei von Infamie, zu führen.
4. Endlich kann unſere Frage noch vorkommen bei der gerichtlich erklärten Verſchwendung, und den mit einer ſolchen Erklärung verbundenen Nachthei - len, insbeſondere der Interdiction eigener Vermögens - verwaltung.
Was in dieſer Hinſicht durch neues Geſetz vorgeſchrie - ben wird, ſey es ſchärfend oder mildernd in Vergleichung mit dem bisher beſtehenden Zuſtand, muß augenblicklich zur Anwendung kommen, und es kann dagegen die Fort - dauer des gegenwärtigen Zuſtandes, als eines angeb - lich erworbenen Rechtes, nicht in Anſpruch genommen werden(l)Meyer p. 99 — 111, der zur Beſtätigung ein Urtheil des Caſſationshofs zu Paris anführt. Chabot T. 2 p. 174 — 179 iſt hierin abweichender Meinung..
Im Sachenrecht kommt unſer Grundſatz meiſt zu reiner, vollſtändiger Anwendung.
Wird dieſes Recht durch bloßen Vertrag veräußert unter der Herrſchaft eines Geſetzes, das eine ſolche Ver - äußerung als vollgültig anerkennt, ſo bleibt das erworbene Eigenthum gültig, auch wenn ein ſpäteres Geſetz die Tra - dition zur Veräußerung erfordert(a)Dieſes wird auch anerkannt von Weber S. 108, jedoch inconſequenterweiſe, ſ. o. § 385, k. § 387. i. .
Wird umgekehrt unter der Herrſchaft eines Geſetzes, das die Tradition erfordert, ein bloßer Vertrag über die Veräußerung, ohne Tradition, geſchloſſen, ſo geht dadurch kein Eigenthum über, und ſelbſt wenn ein ſpäteres Geſetz den bloßen Vertrag für hinreichend erklärt, ſo wird auch dadurch der Uebergang des Eigenthums nicht begründet. Vielmehr bedarf es dann zu dieſem Zweck entweder eines neuen Vertrags, oder der nachzuholenden Tradition(b)Weber S. 108. 109..
Dabei gelten ganz dieſelben Regeln, wie bei dem Eigen - thum, wenn etwa zwei Geſetze auf einander folgen, wovon das eine den bloßen Vertrag, das andere die Tradition421§. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht.oder irgend eine poſitive Form zur Errichtung der Servitut erfordert(c)Chabot T. 2 p. 361..
Anders verhält es ſich mit den ſogenannten geſetzlichen Servituten. Wenn ſolche bisher nicht beſtanden, durch ein neues Geſetz aber eingeführt werden, ſo iſt dabei unſer Grundſatz gar nicht anwendbar; vielmehr entſtehen nun ſolche Beſchränkungen des Eigenthums unmittelbar nach dem Erlaß des neuen Geſetzes, überall, wo die thatſächlichen Bedingungen derſelben angetroffen werden(d)Chabot T. 2 p. 361. Struve S. 267.. Der wahre Grund aber liegt darin, daß ein ſolches Geſetz nicht ſowohl den Erwerb eines Rechts zum Gegenſtand hat, als vielmehr das Daſeyn (die Beſchaffenheit) des Eigenthums, alſo die Bedingungen und Gränzen, welche für die Anerkennung des Eigenthums überhaupt gelten ſollen. Auf dieſe ganze Gattung von Rechtsregeln bezieht ſich aber nicht der Grund - ſatz, welcher die rückwirkende Kraft der Geſetze ausſchließt (§ 384. 399).
Wenn in einem Lande, worin das Römiſche Pfandrecht beſteht, durch neues Geſetz ein bisher unbekannter Fall des ſtill - ſchweigenden Pfandrechts, zum Schutz irgend eines Rechts - geſchäfts, eingeführt wird, ſo iſt das neue Geſetz anzuwen - den auf alle ſpäter abgeſchloſſene Rechtsgeſchäfte dieſer Art, auf die früheren nicht. Dieſer Satz wurde anerkannt von422Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Juſtinian, als er zum Schutz der Dotalverhältniſſe ein ſtillſchweigendes Pfandrecht einführte; denn er fügte am Schluß ſeines umfaſſenden neuen Dotalgeſetzes hinzu, daß alle Beſtimmungen deſſelben (alſo auch die über das ſtill - ſchweigende Pfandrecht) nur auf ſpätere Dotalgeſchäfte an - gewendet werden ſollten(e)L. un. § 16. C. de rei ux. act. (5. 13). Bergmann S. 126..
Wird durch neues Geſetz einem Pfandrecht irgend eine Stelle in der Reihe der privilegirten Hypotheken angewie - ſen, ſo haben auf das Privilegium nur diejenigen Hypothe - ken ſolcher Art Anſpruch, die erſt nach dem neuen Geſetz entſtehen(f)L. 12 § 3 C. qui pot. (8. 18 ) (Privilegium der Dos). — L. 27 in f. C. de pign. (8. 14 ) (Privilegium der Militia).. Dieſe aber haben den Anſpruch auch gegen alle vor dem neuen Geſetz entſtandene Hypotheken; die In - haber derſelben haben alſo, ſobald das neue Geſetz er - ſcheint, Maaßregeln zu treffen, um ſich gegen die Gefahr ſolcher ſpäteren privilegirten Hypotheken zu ſchützen(g)Sie können gleich jetzt ihr Pfandrecht geltend machen, alſo zu einer Zeit, in welcher die mögliche künftige Concurrenz noch nicht vorhanden iſt..
Im älteren Römiſchen Recht war es erlaubt, eine Sache mit der Verabredung zu verpfänden, daß der Glaubiger das Eigenthum des Pfandes um den Betrag der Schuld erwerben ſollte, wenn die Schuld nicht be - zahlt werden würde(h)Vatic. fragm. § 9 (von Papinian). Ein ſolcher Vertrag heißt lex commissoria. . Dieſer Vertrag wurde ſpäter -423§. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht.hin verboten(i)L. 3 C. de pactis pign. (8. 35), d. h. L. un. C. Th. de commiss. resc. (3. 2). — Weber S. 6. 51. Meyer p. 17, der über den hiſtoriſchen Zuſammen - hang im Irrthum iſt.. In Folge unſeres Grundſatzes hätte dieſes Verbot angewendet werden müſſen nur auf die ſpä - teren Verträge dieſes Inhalts; K. Conſtantin aber, von welchem das Geſetz herrührt, gab ihm ausnahmsweiſe rück - wirkende Kraft, wodurch es auch auf die vergangenen Ver - träge anwendbar wurde. — Nach den Gründen, die oben in Beziehung auf ein ähnliches Geſetz über die Zinſen ausgeführt worden ſind (§ 386), hat dieſer tranſitoriſche Zuſatz für uns, ſelbſt die Anwendbarkeit des Römiſchen Rechts überhaupt vorausgeſetzt, keinerlei praktiſche Be - deutung.
Die hier für die neuen Geſetze über das Pfandrecht aufgeſtellten Regeln ſind aber durchaus nicht anwendbar, wenn dieſe Geſetze nicht ſowohl die Aufnahme oder Ab - ſchaffung einzelner Fälle des Pfandrechts oder der Privi - legien zum Gegenſtand haben (wie hier bisher vorausgeſetzt wurde), als vielmehr ein neues Syſtem des Pfandrechts ſelbſt. Dieſer Fall tritt ein, wenn an die Stelle des bis - her geltenden Römiſchen Pfandrechts durch neues Geſetz das Syſtem der Hypothekenbücher eingeführt wird oder umgekehrt. In einem ſolchen Fall betrifft das neue Geſetz nicht mehr den Erwerb der Rechte von Seiten beſtimmter Perſonen, ſondern das Daſeyn der Rechte (des Rechtsin - ſtituts). Dann iſt aber der die Rückwirkung ausſchließende424Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Grundſatz gar nicht anwendbar (§ 384. 385), beide Rechts - ſyſteme können nicht in einzelnen Anwendungen neben ein - ander beſtehen, und das neue Geſetz muß augenblicklich und ausſchließend zur Anwendung kommen. Wie aber hier der Uebergang aus dem alten Zuſtand in den neuen zu behandeln iſt, um Rechtsverletzungen zu verhüten, davon wird unten an geeigneter Stelle die Rede ſeyn (§ 400).
4. Andere Jura in re.
Das Römiſche Recht erkennt nur eine abgeſchloſſene kleine Zahl dinglicher Rechte neben dem Eigenthum als möglich an; es geſtattet alſo nicht, neue dingliche Rechte nach Gutdünken zu erfinden.
Die Preußiſche Geſetzgebung hat hierin einen ganz neuen Weg eingeſchlagen. Sie läßt jedes an ſich blos perſönliche Recht des Gebrauchs oder der Nutzung einer fremden Sache in ein dingliches Recht übergehen, ſobald dem Berechtigten der Beſitz der Sache eingeräumt wird(k)Koch Preußiſches Recht B. 1. § 223. 317.. Unter dieſer Vorausſetzung alſo haben namentlich alle Miether und Pächter nach Preußiſchem Recht ein dingliches Recht, die nach dem Römiſchen Recht durchaus nur ein perſönliches Gebrauchsrecht haben können.
Wird nun an einem Ort das Preußiſche Recht an die Stelle des Römiſchen eingeführt, ſo behalten alle zur Zeit dieſer Einführung vorhandene Miether und Pächter das perſönliche Recht, das ſie bis dahin hatten, und nur die425§. 390. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht.neuen Verträge ſolcher Art gewähren ein dingliches Recht. — Eben ſo behalten im umgekehrten Fall die Miether das unter der Herrſchaft des Preußiſchen Rechts entſtandene dingliche Recht, die neuen Miether aber werden nach dem Römiſchen Recht als blos perſönlich Berechtigte angeſehen. — Auch hier alſo entſcheidet unbedingt die Zeit der Ent - ſtehung jedes Rechtsverhältniſſes über das anwendbare Ge - ſetz, und von einer rückwirkenden Kraft des neuen Geſetzes darf nicht die Rede ſeyn.
Durch einen täuſchenden Schein der Aehnlichkeit könnte man ſich verleiten laſſen, dieſen Fall eben ſo zu behandeln, wie den unmittelbar vorher erwähnten Fall des Römiſchen und Preußiſchen Hypothekenſyſtems. Dann würde auch die Einführung des dinglichen Rechts der Miether und Pächter als ein neues Geſetz über das Daſeyn der Rechte (des Rechtsinſtituts) zu betrachten ſeyn: von dem die rück - wirkende Kraft ausſchließenden Grundſatz wäre dann nicht mehr die Rede, vielmehr müßte das neue Geſetz auch alle vorhandene Rechtsverhältniſſe ſofort ergreifen.
In der That aber ſind beide Fälle von durchaus ver - ſchiedener Natur. Die zwei erwähnten Syſteme des Hypo - thekenrechts können nicht gleichzeitig neben einander beſtehen, weil gerade der häufigſte und ſchwierigſte Fall im Hypo - thekenrecht die gleichzeitige Berechtigung mehrerer Perſonen an derſelben Sache zum Gegenſtand hat, deren Rang - ordnung nur durch das eine oder das andere Syſtem aus - ſchließend beſtimmt werden kann. — Dagegen hat es durch -426Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.aus kein Bedenken, daß an demſelben Orte die Rechte mehrerer Miether nach verſchiedenen Regeln beurtheilt werden, wenn ihre Verträge zu verſchiedener Zeit, und zwar unter der Herrſchaft verſchiedener Geſetze, geſchloſſen worden ſind. Daher gehört die Frage wegen des dinglichen Rechts der Miether lediglich zu der Gattung von Rechts - regeln, welche ſich auf den Erwerb der Rechte beziehen, alſo in dasjenige Gebiet, worin der die rückwirkende Kraft der Geſetze ausſchließende Grundſatz anwendbar iſt.
Bei der Betrachtung der einzelnen, dem Sachenrecht angehörenden, Rechtsinſtitute ſind einige derſelben mit Ab - ſicht vorläufig übergangen worden, weil ſie eigenthümliche Schwierigkeiten und Verwicklungen darbieten, und daher in einem größeren Zuſammenhang behandelt werden müſſen.
Dieſes iſt der Erwerb des Eigenthums und der Servi - tuten durch Uſucapion und longi temporis possessio (zu - ſammen zu faſſen unter dem Namen der Erſitzung), ſo wie die Aufhebung der Servituten durch nonusus und libertatis usucapio, gleichbedeutend mit dem Erwerb der Freiheit von der Servitut auf der Seite des Eigenthümers (§ 388). — Alle dieſe Fälle der Erwerbung haben folgende Eigenſchaften mit einander gemein. Sie werden nicht vollzogen durch427§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.)eine einfache, augenblickliche Handlung, ſondern durch einen dauernden Zuſtand, welcher während eines ganzen Zeitraums gleichmäßig fortgeſetzt ſeyn muß; es möge nun dieſer Zu - ſtand beſtehen in einer fortdauernden Thätigkeit (Beſitz, Quaſibeſitz), oder aber in einer fortdauernden Unthätigkeit.
In dieſen Eigenſchaften aber kommen mit den hier er - wähnten Rechtsinſtituten völlig überein manche außer den Gränzen des Sachenrechts liegende Rechtsinſtitute, vorzüg - lich die Klagverjährung, die gleichfalls auf der fortdauern - den Unthätigkeit während eines ganzen Zeitraums beruht, und eben ſo, wie die genannten Rechtsinſtitute, zum Er - werb eines Rechtes führt, nämlich des Rechts einer Ein - rede, wodurch das bisher beſtehende Klagrecht eines Andern völlig entkräftet wird.
Die Anerkennung dieſer inneren Verwandtſchaft hat denn auch von jeher dahin geführt, alle Rechtsinſtitute ſolcher Art unter Einen Gattungsbegriff zu bringen, und mit dem gemeinſamen Namen der Verjährung zu bezeichnen. Wie ſehr nun auch dieſes Verfahren Tadel verdient, und zur Verwirrung der Begriffe geführt hat(a)S. o. B. 4 § 177. B. 5 § 237., ſo iſt doch die erwähnte innere Verwandtſchaft aller dieſer Rechtsinſtitute nicht zu verkennen, und gerade in unſrer Lehre von der rückwirkenden Kraft tritt dieſe Verwandtſchaft ganz unver - kennbar hervor. Es ſollen daher gegenwärtig alle dieſe Rechtsinſtitute zuſammen gefaßt werden, als deren Reprä -428Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſentanten die zwei wichtigſten derſelben, die Uſucapion und die Klagverjährung, gelten mögen.
Wenn nun ein neues Geſetz das Recht der Uſucapion oder der Klagverjährung in irgend einem Punkte abändert, ſo ſind dabei folgende Fälle möglich.
Das neue Geſetz kann erſcheinen vor dem Anfang der Uſucapion. Dann hat es keinen Zweifel, daß es dieſe ſpätere Uſucapion vollſtändig beherrſchen muß, ſo daß dabei von dem alten Geſetz nicht mehr die Rede ſeyn kann. — Es kann ferner erſcheinen, nachdem eine Uſucapion ſchon vollendet iſt. Dann hat es wiederum keinen Zweifel, daß darauf das neue Geſetz gar nicht angewendet werden darf. Der unter dem alten Geſetz vollzogene Erwerb eines Rechts muß vielmehr vollſtändig aufrecht erhalten werden. — End - lich aber kann das neue Geſetz auch erſcheinen während des Zeitraums, in welchem die Uſucapion noch laufend iſt; ſpäter, als der Anfang, früher, als das Ende derſelben. Das ſind die zweifelhaften Fälle, für welche wir nunmehr die Regel aufzuſtellen haben.
Während dieſes Zeitraums iſt durchaus noch kein Recht erworben, es iſt nur ein Erwerb vorbereitet. Daher muß auch das neue Geſetz ſogleich wirkſam in dieſen un - vollendeten Zuſtand eingreifen. Zwar war auch in dieſer Zeit die Erwartung eines Erwerbes erregt, und dieſe Er - wartung konnte mehr oder weniger nahe liegen; aber bloße Erwartungen werden überhaupt nicht durch den die Rück -429§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.)wirkung ausſchließenden Grundſatz geſchützt(b)S. o. § 385. — Im Gan - zen ſtimmt mit dieſer Anſicht über - ein Weber S. 147 — 158; des - gleichen Bergmann S. 34 — 36, was die Natur der Sache be - trifft, während er S. 163 nach Römiſchem Recht das Gegentheil, nämlich die fortdauernde Einwir - kung des alten Geſetzes annimmt, indem nach ſeiner Meinung auch die bloßen Erwartungen durch das R. R. geſchützt ſeyn ſollen (ſ. o. § 387. h). — In der That wird hier derſelbe Grundſatz gel - tend gemacht, welcher oben für die örtliche Colliſton der Uſucapions - geſetze angewendet worden iſt (§ 367. k).. — Be - trachten wir jetzt im Einzelnen die verſchiedenen möglichen Fälle ſolcher neuen Geſetze.
1. Die bisher erlaubte Uſucapion oder Klagverjährung wird aufgehoben, ſey es überhaupt, oder für gewiſſe Fälle der Anwendung. — Dieſes Geſetz ergreift auch alle Fälle der bereits laufenden Uſucapion, ſo daß jeder Erwerb auf dieſem Wege unmöglich wird.
2. Es wird umgekehrt die bisher unbekannte Uſucapion oder Klagverjährung neu eingeführt. Das neue Inſtitut iſt nun ſogleich auf alle jetzt ſchwebenden Rechtsverhältniſſe anzuwenden, jedoch ſo, daß der Zeitraum von der Zeit des neuen Geſetzes an zu berechnen iſt. Wer eine fremde Sache beſaß unter den Bedingungen des neuen Uſucapions - geſetzes, fängt jetzt an, ſie zu uſucapiren, gerade ſo, als wenn zur Zeit des erlaſſenen neuen Geſetzes ſein Beſitz an - gefangen hätte; die Zeit des früheren Beſitzes wird ihm nicht angerechnet. — Alle vor dem neuen Geſetz entſtan - denen Klagrechte treten augenblicklich unter die Regel der Klagverjährung, jedoch ſo, als ob ſie erſt jetzt entſtanden430Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.wären; die Zeit der früheren Verſäumniß wird nicht gerechnet.
Ein merkwürdiges Beiſpiel dieſer letzten Art finden wir im Römiſchen Recht. Lange Zeit waren hier die meiſten und wichtigſten Klagen ohne alle Verjährung, perpetuae actiones im ſtrengſten Sinne des Worts. K. Theodoſius II. führte für alle dieſe Klagen die Verjährung ein, welche in der Regel dreißig Jahre dauern ſoll. Nach dem ſo eben aufgeſtellten Grundſatz hätten die damals bereits laufenden Klagrechte erſt nach dreißig Jahren erlöſchen müſſen. Der Kaiſer aber gab ſeinem Geſetz theilweiſe rückwirkende Kraft, dergeſtalt, daß auch die vergangene Zeit mit eingerechnet werden ſollte; jedoch ſollte der Klagberechtigte in keinem Fall weniger, als zehen Jahre, von dem neuen Geſetze an, Zeit haben, um die früher entſtandene Klage noch mit Er - folg anzuſtellen(c)L. un. § 5 C. Th. de act. certo temp. (4. 14). Ein dringendes Bedürfniß zu dieſer Abweichung von dem Grundſatz war wohl nicht zu behaupten. Ei - nige Rechtfertigung liegt darin, daß unter die Gründe der Klag - verjährung auch die Präſumtion der Tilgung gehört (ſ. o. B. 5 § 237). Dieſe Präſumtion aber hat Realität auch für die vor dem Erlaß des Verjährungsgeſetzes abgelaufene Zeit der unterlaſſenen Klage.. Als Juſtinian dieſes Geſetz in den Codex aufnahm, ließ er natürlich dieſe tranſitoriſche Be - ſtimmung weg(d)L. 3 C. de praescr. XXX. (7. 39)., die ſeit etwa hundert Jahren ihre Wirkſamkeit von ſelbſt verloren hatte.
3. Wird eine Art der Unterbrechung, die bisher zu - läſſig war, aufgehoben, oder umgekehrt eine neue Art der431§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.)Unterbrechung eingeführt, ſo iſt die eine oder die andere Beſtimmung auch auf die laufende Uſucapion ſofort anzu - wenden.
4. Das neue Geſetz, welches den Zeitraum verlängert, iſt ſogleich anwendbar auch auf die laufende Uſucapion oder Klagverjährung(e)Im Jahre 528 ertheilte Juſtinian den Kirchen das Pri - vilegium, daß ihre Klagrechte erſt in 100 Jahren verjähren ſollten. L. 23 C. de SS. eccl. (1. 2), ſ. o. B. 5 S. 355. Am Ende die - ſes Geſetzes ſtehen die etwas dun - klen Worte: „ Haec autem omnia observari sancimus in iis casi - bus, qui vel postea fuerint nati, vel jam in judicium deducti sunt. “ Büchſtäblich genommen, gehen die letzten Worte auch auf die Klagen, deren bisherige (dreißigjährige) Verjährung be - reits vor der angeſtellten Klage abgelaufen war. Dann liegt da - rin eine durch Nichts gerechtfer - tigte Rückwirkung. Vgl. Weber S. 7..
5. Schwieriger, und zugleich praktiſch wichtiger, iſt die Frage bei einem neuen Geſetz, welches den Zeitraum abkürzt. Hier müſſen wir grundſätzlich dem Erwerber die Wahl laſſen, ob er das alte Geſetz anwenden will, oder das neue; im letzten Fall aber darf er den Zeitraum erſt berechnen von dem Erlaß des neuen Geſetzes an, ſo daß er die bereits abgelaufene Zeit nicht mit einrechnen darf. Zu der erſten Wahl iſt er berechtigt, weil das neue Geſetz gewiß nicht die Abſicht gehabt hat, dem Gegner einen günſtigeren Erfolg, als nach dem unveränderten alten Geſetz, zu verſchaffen; zu der zweiten Wahl, weil er kein gerin - geres Recht haben kann, als Der, welcher in dieſem Augen - blick die Uſucapion oder die Klagverjährung anfängt. Da - gegen würde es eine ungehörige Rückwirkung ſeyn, wenn432Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.man ihm geſtatten wollte, den neuen Zeitraum mit Ein - rechnung der ſchon abgelaufenen Zeit zu benutzen, da nun der Gegner weder die von dem alten, noch die von dem neuen Geſetz verſtattete Friſt zur Thätigkeit vollſtändig ge - nießen würde. Es könnte ſogar die widerſinnige Folge eintreten, daß die Klagverjährung im Augenblick, wo das neue Geſetz erſcheint, ſofort vollendet wäre(f)So z. B. wenn ein Klag - recht, für welches die Verjährung von dreißig Jahren gilt, ſchon zehen Jahre lang unbenutzt beſteht, und nun ein neues Geſetz erſcheint, welches für Rechtsverhältniſſe die - ſer Art eine dreijährige Verjährung vorſchreibt. — Bergmann will S. 36 nach der Natur der Sache eine proportionelle Rechnung ein - treten laſſen; nach dieſer müßte in dem ſo eben eingeführten Fall, in welchem ein Drittheil der alten Verjährung abgelaufen war, auch in der neu anfangenden dreijähri - gen Verjährung ein Drittheil als abgelaufen angenommen werden, ſo daß noch zwei Jahre übrig wären. Dieſe verwickelte Behand - lung iſt weder grundſätzlich für das beſtehende Recht zu behaupten, noch als poſitive Vorſchrift zu empfehlen..
Die hier aufgeſtellten Grundſätze haben vollſtändige Anerkennung erhalten in der Preußiſchen Geſetzgebung. Das Einführungspatent des Landrechts enthält nämlich im § 17 folgende drei Beſtimmungen. Die vor dieſer Zeit abgelaufenen Verjährungen ſind nach den alten Geſetzen zu beurtheilen; die jetzt laufenden nach dem Landrecht; die letzte Beſtimmung aber erhält folgende Einſchränkung: Sollte jedoch zur Vollendung einer ſchon vor dem 1. Jun. 1794 angefangenen Verjährung in dem neuen Landrechte eine kürzere Friſt, als nach bis - herigen Geſetzen, vorgeſchrieben ſeyn: ſo kann Der -433§. 391. A. Erwerb d. Rechte. Anwendungen. II. Sachenrecht. (Fortſ.)jenige, welcher ſich in einer ſolchen kürzern Verjährung gründen will, die Friſt derſelben nur vom 1. Jun. 1794 zu rechnen anfangen.
Dieſe Vorſchrift wird wörtlich wiederholt in den ſpäte - ren tranſitoriſchen Geſetzen (§ 383). In der eben bemerkten Einſchränkung liegt die Anerkennung des oben behaupteten Wahlrechts. Noch deutlicher aber findet ſich dieſe in fol - gender Vorſchrift eines Geſetzes vom 31. März 1838, welches für viele einzelne Klagen, die bisher in Dreißig Jahren verjährten, theils eine zweijährige, theils eine vierjährige Verjährung einführt(g)Geſetzſammlung, 1838 S. 249 — 251.:
Das Franzöſiſche Geſetzbuch verordnet für die zur Zeit ſeiner Einführung bereits angefangenen Verjährungen, daß ſie in der Regel nach den alten Geſetzen beurtheiltVIII. 28434Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.werden ſollen(h)Code civil art. 2181. „ Les prescriptions, commencées à l’époque de la publication du présent titre, seront réglées conformément aux lois anciennes. “; jedoch mit der Einſchränkung, daß ſie von jetzt an nicht länger, als dreißig Jahre, dauern dürfen, wenn ihnen etwa das alte Geſetz eine längere Dauer an - weiſen möchte. — Die hier aufgeſtellte Regel iſt nach den oben entwickelten Grundſätzen nicht zu rechtfertigen. Sie enthält gerade das Gegentheil von rückwirkender Kraft, in - dem ſie dem neuen Geſetz weniger Wirkſamkeit einräumt, als ihm grundſätzlich zukommt; augenſcheinlich in der Ab - ſicht, hierin auch ſchon bloße Erwartungen zu ſchützen. Eine Härte oder Ungerechtigkeit kann darin allerdings nicht ge - funden werden.
Das Einführungspatent des Oeſterreichiſchen Geſetzbuchs ſtellt dieſelbe Regel auf, wie das Franzöſiſche Recht, daß die angefangenen Verjährungen nach den älteren Geſetzen zu beurtheilen ſeyen. Daneben aber verordnet es, nicht ganz paſſend, für die Fälle, worin das Geſetzbuch eine kürzere Verjährung vorſchreibe, als die bisher geltende, das - jenige Wahlrecht, welches ſo eben in der Preußiſchen Ge - ſetzgebung nachgewieſen worden iſt.
Im Obligationenrecht kommt der aufgeſtellte Grundſatz zu eben ſo allgemeiner Anwendung, wie im Sachenrecht. Vorzüglich häufig findet ſich dieſe Anwendung bei den Verträgen.
Das Recht eines Vertrages alſo iſt ſtets zu beurtheilen nach dem Geſetz, welches zur Zeit des geſchloſſenen Ver - trages beſtand.
Dieſe Regel iſt anwendbar auf die perſönliche Hand - lungsfähigkeit, ſo wie auf die Form des Vertrages (§ 388). Sie iſt anwendbar auf die Bedingungen der Gültigkeit des Vertrages. Ferner auf die Art und den Grad ſeiner Wirkſamkeit. Endlich auch auf die Ungültigkeit, Anfech - tung, Entkräftung eines Vertrages, ohne Unterſchied, ob dieſe Gegenwirkung durch Klage oder durch Einrede ver - ſucht werden möge.
Der Anſpruch auf die fortdauernde Wirkſamkeit aller, dieſe verſchiedenen Fragen betreffenden, Rechtsregeln, unab - hängig von jeder möglichen neuen Geſetzgebung, iſt beiden Parteien durch den Abſchluß des Vertrages erworben. Er bildet ein erworbenes Recht, welches in Folge unſeres Grundſatzes aufrecht erhalten werden muß, jedem neuen Geſetz gegenüber.
Dieſer Satz iſt auch anwendbar auf die Verträge,28*436Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.deren Wirkſamkeit durch eine Zeitbeſtimmung aufgeſchoben, oder durch eine Bedingung ungewiß gemacht iſt (§ 385. h). Er iſt auch unabhängig von dem Unterſchied der abſoluten und vermittelnden Rechtsregeln(a)S. o. B. 1 § 16., ſo daß die nicht ſelten aufgeſtellte Behauptung verworfen werden muß, nach welcher neue Prohibitivgeſetze die Natur der früher geſchloſſenen Verträge ſollen umändern können(b)Damit ſtimmt überein Bergmann § 30..
Die hier aufgeſtellte Regel hat ſehr allgemeine Aner - kennung gefunden in den, zu verſchiedenen Zeiten erlaſſenen, tranſitoriſchen Geſetzen des Preußiſchen Staates(c)Einführungspatent des A. L. R. § XI. „ Es ſind daher inſon - derheit alle Verträge, welche vor dem 1. Juli 1794 errichtet wor - den, ſowohl ihrer Form und ihrem Inhalte nach, als in Anſehung der daraus entſtehenden rechtlichen Folgen, nur nach den zur Zeit des geſchloſſenen Contracts beſtan - denen Geſetzen zu beurtheilen; wenngleich erſt ſpäter auf Erfül - lung, Aufhebung, oder Leiſtung des Intereſſe aus einem ſolchen Contracte geklagt würde. ” — Ganz eben ſo in dem tranſitori - ſchen Geſetze von 1803 § 5, 1814 § 5, und in den ſpäteren tranſi - toriſchen Geſetzen (§ 383).. Eben ſo wird dieſelbe mit großer Beſtimmtheit und con - ſequenter Durchführung anerkannt von einem der namhaf - teſten Schriftſteller über das Franzöſiſche Recht(d)Chabot T. 1 p. 128 — 139..
Jene Regel iſt eine conſequente, nothwendige Folge un - ſeres allgemeinen Grundſatzes. Aber auch von einem rein praktiſchen Standpunkte aus erſcheint ſie wahr und wichtig, indem nur durch ihre Durchführung das für die Sicherheit des Verkehrs unentbehrliche Vertrauen in die ungeſtörte437§. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht.Wirkſamkeit der Verträge erhalten werden kann. In der ausgedehnteſten Wirkſamkeit, und daher vorzugsweiſe wich - tig, erſcheint dieſelbe in Anwendung auf manche Verträge, die mit dinglichen Rechten in Verbindung ſtehen, und auf viele Generationen einzuwirken beſtimmt ſind(e)Auf die Eigenthümlich - keit dieſer Fälle hat ſehr gut auf - merkſam gemacht: Götze Altmär - kiſches Provinzialrecht B. 1 S. 11 — 13. Wir werden auf dieſe Art der Rechtsverhältniſſe von einer anderen Seite zurückkommen bei der Gattung von Rechtsregeln, welche das Daſeyn der Rechte zum Gegenſtand haben (§ 399)..
Es ſind nunmehr einige Widerſprüche zu erwähnen, welche gegen die hier dargeſtellte Regel theils in ein - zelnen Geſetzen, theils von manchen Schriftſtellern, erhoben worden ſind.
Ein ſolcher Widerſpruch liegt in dem ſchon oben er - wähnten Geſetz Juſtinian’s über die verbotenen Zinſen (§ 386. f. g), nach welchem das Verbot auch auf die vergangenen Zinsverträge bezogen werden ſollte, wiewohl nur für die künftig fällig werdenden Zinſen. Ein neuerer Schriftſteller hat dieſe Vorſchrift zu einer allgemeinen Re - gel auszubilden geſucht (§ 387. f), während andere darin ganz richtig nur eine Ausnahme unſerer Regel, eine ein - zelne Abweichung von derſelben, anerkannt haben(f)Bergmann § 30.. — Sehr auffallend iſt es, daß die neueren tranſitoriſchen Preußiſchen Geſetze, vom J. 1814 an, eine ganz ähnliche Beſtimmung in ſich aufgenommen haben(g)Geſetz für die Provinzen jenſeits der Elbe 1814 § 13, und eben ſo in den ſpäteren tranſitori - ſchen Geſetzen (§ 383)., ohne zu be -438Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.merken, daß ſie dadurch dem nahe dabei ſtehenden Grund - ſatz, welcher die Folgen der Verträge dem zur Zeit des Abſchluſſes geltenden Geſetze unterwirft (Note c), geradezu widerſprechen. Zu einer ſolchen Abweichung von dem rich - tigen, in den erwähnten Geſetzen ſelbſt ausdrücklich aner - kannten, Grundſatz war aber bei dem Zinsvertrag am we - nigſten Bedürfniß vorhanden, da gerade hier die An - wendung auf die vergangenen Verträge meiſt ganz uner - heblich iſt (§ 385. a).
Viel wichtiger aber und ſehr weit greifend iſt der Wi - derſpruch gegen die Allgemeinheit der hier aufgeſtellten Regel, der von zwei neueren Schriftſtellern erhoben worden iſt. Er betrifft nicht die Regel an ſich, ſondern nur die Anwendung derſelben auf die Anfechtung der Verträge, inſofern dieſe nicht auf die Umſtände bei dem Abſchluß des Vertrags ſelbſt, ſondern auf ſpätere Thatſachen, z. B. auf den künftigen Entſchluß einer Partei zur Anfechtungsklage, gegründet werden ſoll(h)Gerade für ſolche Fälle haben die Preußiſchen Geſetze die Anwendbarkeit unſerer Regel aus - drücklich anerkannt (Note c).. Weber hat dieſe Behauptung nicht als allgemeinen Grundſatz aufgeſtellt, wohl aber in einer Reihe einzelner wichtiger Fälle geltend gemacht(i)Dieſe Fälle werden unten bei den einzelnen Anwendungen erwähnt werden.. Bald nach ihm aber hat Meyer dieſelbe auf einen abſtrac -439§. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht.ten Grundſatz zurückgeführt, und in folgender Weiſe durch - zuführen geſucht(k)Meyer p. 36 — 40, 153 — 155, 174 — 210. Er führt dabei zwar nicht Weber als Gewährs - mann an, da er aber deſſen Schrift kennt (préface p. XI. ), ſo iſt kaum zu zweifeln, daß er ihn hie - rin benutzt und befolgt hat..
Man ſoll (ſagt er) zweierlei Folgen eines Vertrags unter - ſcheiden: nothwendige, oder unmittelbare, bei welchen die Ge - ſetze nicht rückwirken dürfen, — und zufällige, oder entfernte, bei welchen die Rückwirkung eines neuen Geſetzes auf äl - tere Verträge zuläſſig iſt. — Unter die erſte Klaſſe ſollen gehören diejenigen Folgen, an welche die Parteien dachten oder denken konnten, die ſie alſo ſtillſchweigend mit in den Vertrag hereingezogen haben(l)Meyer p. 38 — 39, 180, 187 — 191.. Unter die zweite Klaſſe dagegen die Folgen, die erſt durch künftige That - ſachen begründet werden; dahin werden gerechnet die An - fechtungsklagen wegen laesio enormis, Betrug, Zwang, Irrthum, Minderjährigkeit, außerdem auch der Widerruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit oder wegen nachgeborner Kinder(m)Meyer p. 175 — 178.. — Dieſe ganze Unterſcheidung nun iſt völlig unhaltbar, ſchon deswegen, weil unter den Fällen der zwei - ten Klaſſe gewiß kein einziger iſt, den ſich nicht die Par - teien als Folge des Vertrags denken konnten. Um die Verwirrung der Begriffe zu vollenden, wird auch noch der Gegenſatz von ipso jure und per exceptionem mit herein -440Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.gezogen(n)Meyer p. 178. 179., der doch gewiß auf dieſe Frage keinen Einfluß haben kann. Die völlige Grundloſigkeit dieſer ganzen Lehre wird aber recht anſchaulich werden aus folgender Ueberſicht über die wichtigſten einzelnen Fälle, die hierbei zur Sprache gebracht worden ſind.
Die Ungültigkeit einer Obligation kann geltend gemacht werden durch folgende Rechtsmittel: durch eine eigentliche Klage, durch Reſtitution, durch eine Exception gegen die Klage der andern Partei. Nach dieſer Ordnung ſollen jetzt die einzelnen Fälle durchgegangen werden, welche (wie ich behaupte) ſämmtlich zu beurtheilen ſind nach dem zur Zeit des geſchloſſenen Vertrags geltenden Geſetz.
1. Anfechtung eines Verkaufs wegen Verletzung über die Hälfte. Sie iſt zu beurtheilen nach dem zur Zeit des Verkaufs geltenden Geſetz(o)Chabot T. 2 p. 286 — 289.. Das wird beſtritten, weil der Verkauf nicht ipso jure ungültig ſey, ſondern erſt durch die ſpäter erhobene Klage, deren Zeit alſo das an - wendbare Geſetz beſtimme(p)Weber S. 114 — 117.; oder, wie ſich ein Anderer ausdrückt, weil an dieſen Erfolg nicht von den Parteien gedacht worden ſey(q)Meyer p. 37 — 38, 154, 175 — 176, 209 — 210..
Dieſe Auffaſſung ſteht völlig im Widerſpruch mit dem wahren Sinn der hier einſchlagenden Rechtsregel. Die - ſelbe ſetzt voraus einen Verkäufer, der durchaus Geld be - darf und ſeine Sache unter dem halben Preis weggeben441§. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht.muß, weil der einzige Käufer, der ſich findet, ſeine Noth mißbraucht. Einem ſolchen unedlen Mißbrauch fremder Noth ſoll hier durch eine poſitive Rechtsregel entgegen ge - wirkt werden. Der Fall iſt alſo ganz ähnlich dem des Zinswuchers, wobei auch das fremde Geldbedürfniß eigen - nützig mißbraucht wird. Jene Gründe der Gegner müßten conſequenterweiſe dahin führen, daß ein unter dem Römiſchen Recht geſchloſſenes, zehen Jahre unaufkündbares, Darlehen zu zwanzig Procent, wenn kurz nachher ein neues Geſetz allen Zinswucher frei gäbe, vollſtändig erfüllt werden müßte. — Auch wird Meyer nicht beſtreiten, daß im Fall des Verkaufs beide Parteien an den Fall der ſpäteren An - fechtung denken konnten, d. h. daß dieſer Fall nicht außer den Gränzen möglicher, ſelbſt wahrſcheinlicher, Berechnung lag, daß er nicht erſt durch ganz neue, völlig unerwartete Umſtände (wie er ſich die Sache zu denken ſcheint) herbei geführt wurde.
Ganz eben ſo iſt nur die Zeit des geſchloſſenen Ver - trags zu berückſichtigen, wenn das in dieſer Zeit beſtehende Geſetz die Anfechtung nicht zuläßt, ein ſpäteres Geſetz die - ſelbe einführt. Dieſe Bemerkung gilt auch für alle folgende Fälle.
2. Die Regel: Kauf bricht Miethe(r)Dieſer Fall iſt inſofern mit den übrigen nicht von gleicher Natur, als in ihm der Vertrag nicht angefochten und aufgehoben wird, welcher vielmehr ſich ſtets wirkſam erzeigt durch die dem, iſt zu beurtheilen nach dem Geſetz, welches zur Zeit des geſchloſſenen Mieth -442Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.contracts beſteht. Denn in dieſer Zeit iſt das Rechtsver - hältniß unabänderlich ſo beſtimmt worden, daß ſich der Miether den Folgen einer ſpäteren Veräußerung unterwerfen mußte. Ein ſpäteres Geſetz, das jene Regel aufhebt, kann hierin Nichts ändern, und es iſt gleichgültig, ob dieſes ſpätere Geſetz ſich auf die vereinzelte Aufhebung jener Regel beſchränkt, oder ob es dieſelbe dadurch bewirkt, daß es überhaupt dem Miether ein dingliches Recht beilegt (§ 390 Num. 4).
Es kommt daher nicht an auf die Zeit des ſpäter ge - ſchloſſenen Verkaufs, noch weniger auf die Zeit der vom Käufer gegen den Miether angeſtellten Klage. Das in dieſem letzten Zeitpunkt geltende Geſetz will Weber berückſichtigt wiſſen, wieder wie in dem vorhergehenden Fall, weil der Miethvertrag nicht an ſich ungültig ſey, ſondern nur durch die Klage des Käufers entkräftet werde(s)Weber S. 117 — 121..
3. Widerruf einer Schenkung wegen Undankbarkeit oder wegen nachgeborner Kinder. Es entſcheidet die Zeit der Schenkung, nicht die Zeit des ſpäteren Ereigniſſes, noch weniger die Zeit der auf Widerruf angeſtellten Klage(t)Chabot T. 1. p. 174 — 200. T. 2 p. 168. 194..
Das Gegentheil wird von Anderen behauptet, weil die Schenkung nicht von ſelbſt ungültig ſey, ſondern erſt durch(r)Miether zuſtehende Entſchädigungs - klage gegen den Vermiether. Die Frage iſt nur die, ob ein Dritter (der Käufer) das Miethrecht an - zuerkennen hat oder nicht.443§. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht.die Widerrufsklage entkräftet werde(u)Weber S. 107.; weil an dieſen Erfolg die Parteien nicht gedacht haben, indem ſonſt die Schenkung vielmehr unterblieben ſeyn würde(v)Meyer p. 175. 177.. — Aller - dings war die Undankbarkeit nicht zur Zeit der Schenkung erwartet; dagegen iſt ſehr natürlich die umgekehrte Er - wartung, der Beſchenkte werde Undankbarkeit vermeiden, und er werde in dieſer Geſinnung noch befeſtigt werden, durch die Rückſicht auf das den Widerruf geſtattende Ge - ſetz. Die Vorausſetzung alſo, daß der Schenker an jenes Geſetz gedacht habe, oder habe denken können, iſt gewiß den Umſtänden ganz angemeſſen.
4. Reſtitution gegen einen Vertrag. Entſcheidend iſt die Zeit des Vertrags, nicht die des Reſtitutionsgeſuchs(w)Struve S. 266.. Das Gegentheil wird behauptet, weil der Vertrag an ſich gültig ſey, und erſt durch die richterliche Handlung ent - kräftet werde(x)Weber S. 113. 114.. Derſelbe Gedanke wird von Anderen noch dadurch ausgebildet und von der Wahrheit weiter entfernt, daß die Reſtitution als Gnadenſache von dem Souverain ertheilt werde(y)Meyer p. 184. Hier - über iſt zu vergleichen oben B. 7. § 317.. Gegen dieſe Behauptungen entſcheidend iſt der Umſtand, daß, nach der im Juſtiniani - ſchen Recht vorliegenden Natur der Reſtitution, Der, welcher die Reſtitution begehrt, ein wahres erworbenes Recht auf444Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.dieſelbe hat, von dem Recht auf eine Klage oder eine Ein - rede nur wenig in der Form verſchieden(z)S. o. B. 7 S. 112. 113. 117..
5. Exceptio doli, oder metus, zu beurtheilen nach der Zeit des Vertrags, ohne Rückſicht darauf, daß hier der Vertrag nicht ipso jure, ſondern per exceptionem ungültig iſt(aa)Bei dem Dolus iſt Meyer ſehr ſchwankend, ob er die durch denſelben herbeigeführte Anfechtung und Ungültigkeit zu den nothwen - digen oder zu den zufälligen Fol - gen des Vertrags rechnen ſoll, p. 154. 179. 183. Was insbe - ſondere die Reſtitution wegen Do - lus betrifft, ſ. o. B. 7. § 332..
6. Exceptio Sc. Vellejani. Nach der Zeit der gelei - ſteten Bürgſchaft(bb)Chabot T. 1 p. 352. — S. o. § 388. — Hier ſucht Meyer p. 196 — 198 ſeinen Wi - derſpruch durch ganz verſchiedene, theilweiſe ſich ſelbſt aufhebende Gründe zu rechtfertigen..
7. Exceptio Sc. Macedoniani. Desgleichen(cc)Hierin ſtimmt überein Meyer p. 194, weil ein ſolcher Vertrag den guten Sitten entge - gen ſey und weil der Verzicht des Schuldners nicht wirke. Beiläu - fig verwechſelt er den filiusfami - lias mit dem minor. .
8. Exceptio non numeratae pecuniae. Desgleichen.
9. Durch ein Geſetz des K. Friedrich I. (Anth. Sacramenta puberum), welches der Juſtinianiſchen Geſetz - ſammlung einverleibt wurde, ſollen die meiſten Mängel eines Vertrags dadurch völlig beſeitigt werden, daß der Schuldner den Vertrag durch Eid bekräftigt(dd)Savigny Geſchichte des R. R. im Mittelalter B. 4. S 162.. Die An - wendbarkeit dieſes Geſetzes iſt zu beurtheilen nach der Zeit445§. 392. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. III. Obligationenrecht.des geleiſteten Eides. Dieſes beſtreitet Weber mit Unrecht aus dem Grunde, weil ein ſolcher Vertrag eigentlich an ſich nichtig ſey, und nur durch eine Handlung des Richters (officio judicis) hinterher geſchützt werde; daher ſey ent - ſcheidend die Zeit dieſes richterlichen Ausſpruchs(ee)Weber S. 109 — 113.. Allein es iſt augenſcheinlich, daß hier die Rechte der Par - teien ſchon vorher, eben ſo, wie in jedem anderen Rechts - verhältniß, unabänderlich feſtgeſtellt ſind, und daß der Richter hier, wie in anderen Fällen, nur dazu berufen iſt, dieſe Rechte anzuerkennen und zu ſchützen.
Es ſind nun noch einige andere Fragen übrig, die außer dem Kreiſe der eben dargeſtellten großen Meinungsver - ſchiedenheit liegen.
Dahin gehören die Obligationen aus Delicten. Es iſt allgemein anerkannt, daß dieſe zu beurtheilen ſind nach dem zur Zeit des begangenen Delicts geltenden Geſetz(ff)Anerkannt im Preu - ßiſchen Allg. Landrecht Einleitung § 19.. Man könnte hierher ziehen die aus dem unehelichen Bei - ſchlaf entſpringenden Rechte: davon aber wird beſſer unten (§ 399) gehandelt werden.
Ferner gehören dahin die den Concurs betreffenden Ge - ſetze. Hierüber kann ich mich kurz faſſen, indem ich auf die bei dem örtlichen Recht angeſtellte Unterſuchung ver -446Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.weiſe (§ 374). Der Concurs betrifft hiernach nicht die Rechte ſelbſt, ſondern die Execution in eine an einem be - ſtimmten Zeitpunkt vorhandene Vermögensmaſſe; für dieſe Execution iſt die Rangordnung der einzelnen Glaubiger zu beſtimmen. Welches Geſetz iſt auf dieſe Rangordnung an - zuwenden? Dabei ſind zu unterſcheiden die Hypotheken - glaubiger von den übrigen Glaubigern.
Die Hypothekenglaubiger ſind zu beurtheilen nach dem Geſetz, welches zur Zeit der Entſtehung ihres dinglichen Rechts beſtand (§ 390); die übrigen Glaubiger nach dem zur Zeit des ausgebrochenen Concurſes beſtehenden Ge - ſetz(gg)Anerkannt in den Preu - ßiſchen tranſitoriſchen Geſetzen (§ 383); ſo in dem Geſetz von 1814 für die Provinzen jenſeits der Elbe § 15, und gleichlautend in den übrigen. — Damit ſtimmt überein Weber S. 167 — 178.. — Dieſe Regel wird beſtätigt durch folgende Sätze des Römiſchen Rechts. Die Glaubiger der fünften Klaſſe werden pro rata befriedigt, ohne Rückſicht auf die Zeit der Entſtehung ihrer Forderungen. Denn ſie alle ſind Hypo - thekarien, deren Hypotheken entſtanden ſind durch die mit der Eröffnung des Concurſes verbundene missio in posses - sionem. — Eben ſo haben die Glaubiger der vierten Klaſſe privilegirte Hypotheken, aber ihr Hypothekenrecht, ſo wie der Rang ihrer Privilegien, iſt auch erſt entſtanden zur Zeit der missio in possessionem und durch dieſelbe. Vor - her alſo hatten ſie eine bloße Erwartung dieſer ſie begün - ſtigenden Art der Execution (als eines Prozeßakts), kein Recht darauf.
Wir haben die Regeln aufzuſuchen für die teſtamen - tariſche, die Inteſtaterbfolge, und für die Erbver - träge.
I. Teſtament. Dieſer Fall iſt der ſchwierigſte und beſtrittenſte in dem ganzen Gebiet der hier vorliegenden Unterſuchung.
Wir müſſen zunächſt ſuchen, einen feſten Standpunkt zu gewinnen für die juriſtiſche Natur des Teſtaments.
Das Schickſal einer Erbſchaft ſoll beſtimmt werden durch den letzten Willen des Verſtorbenen (suprema, ultima voluntas), welcher auf gehörige Weiſe ausgeſprochen ſeyn muß. Damit iſt alſo gemeint der im Zeitpunkt des Todes vorhandene Wille, da jeder frühere in der Zwiſchenzeit vielleicht verändert ſeyn kann. Nun iſt es aber an ſich unmöglich, gerade im Augenblick des Todes ein Teſtament zu machen, ja wegen der völligen Ungewißheit der Todes - zeit wird es oft nöthig oder räthlich ſeyn, den Willen, der als letzter gelten ſoll, in einem weit früheren, oft ſehr entfernt liegenden, Zeitpunkt auszuſprechen. Daher iſt jeder Teſtator anzuſehen als handelnd in zwei verſchiedenen Zeit - punkten: indem er das Teſtament errichtet, und in dem Augenblick des Todes, worin er das früher errichtete Te - ſtament unverändert hinterläßt. Das Erſte kann man die faktiſche Thätigkeit, das Zweite die juriſtiſche Thätigkeit des448Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Teſtators nennen. Nur das Product der zweiten Thätigkeit kann und ſoll wirken; das der erſten bleibt in der ganzen Zwiſchenzeit meiſt unbekannt, immer unwirkſam, und immer der unbeſchränkten Willkür des Teſtators unterworfen. — Schon dieſe Betrachtung muß uns dahin führen, die fak - tiſche Thätigkeit (alſo die Form des errichteten Teſtaments) zu beurtheilen nach dem zur Zeit der Errichtung beſtehenden Geſetz, die juriſtiſche (alſo den Inhalt) nach dem Geſetz zur Zeit des Todes(a)Zweifelhaft bleibt vorläufig die perſönliche Fähigkeit ſowohl des Teſtators, als der Erben und Legatare, wovon unten die Rede ſeyn wird.. — Und ſchon hier können wir vorläufig zwei abweichende Anſichten ablehnen. Die eine will auch den Inhalt beurtheilen nach der Zeit des errich - teten Teſtaments, weil der Teſtator die Gültigkeit oder Ungültigkeit des Inhalts verdiene, je nachdem ſein Wille mit dem ihm bekannten (gegenwärtigen) Geſetz übereinſtimme oder nicht, wobei man denn beſonders an Prohibitivgeſetze zu denken pflegt. Eine zweite Anſicht geht noch weiter, indem ſie das Teſtament für ungültig erklärt, ſowohl wenn es blos dem Geſetz zur Zeit des Teſtaments, als auch wenn es blos dem Geſetz zur Zeit des Todes widerſpreche. Beiden Anſichten iſt die Bemerkung entgegen zu ſetzen, daß für den Geſetzgeber nur Bedeutung hat der Inhalt eines hinter - laſſenen, möglicherweiſe wirkſamen, Teſtaments, anſtatt daß Das, welches in dem Teſtament eines Lebenden etwa ge - ſchrieben ſtehen mag, völlig bedeutungslos für ihn iſt. 449§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.Wie dieſe beiden Anſichten aus mißverſtandenen Regeln des Römiſchen Rechts hervorgegangen ſind, wird erſt weiter unten klar gemacht werden können.
Aus der bisher angeſtellten Betrachtung ergiebt ſich, daß die hier bei den Teſtamenten vorliegende Frage nahe verwandt, obgleich nicht völlig gleich, iſt mit der oben für die Uſucapion und Klagverjährung abgehandelten Frage (§ 391). Die Uſucapion beruhte auf einem fortdauernden, über einen ganzen Zeitraum gleichmäßig verbreiteten Zu - ſtand. Das Teſtament beſteht aus zwei, in verſchiedene Zeitpunkte fallenden, einzelnen Thätigkeiten. Beide alſo kommen mit einander darin überein, daß die Thatſache, wovon der Erwerb eines Rechts abhängt, nicht eine einfache, vorübergehende Natur hat, ſo wie wir es bei den meiſten juriſtiſchen Thatſachen (Vertrag, Tradition u. ſ. w.) wahrnehmen. Daher iſt für beide Fälle folgende Unterſchei - dung anwendbar und wichtig. Ein neues Geſetz, deſſen Einwirkung zu prüfen iſt, kann erlaſſen werden: erſtlich vor dem Anfang einer Uſucapion, oder vor der Errichtung eines Teſtaments; zweitens nach dem Ablauf der Uſucapion, oder nach dem Tode des Teſtators; drittens in der Zwiſchen - zeit zwiſchen dem Anfang und dem Ende der Uſucapion, zwiſchen dem errichteten Teſtament und dem Tode des Te - ſtators. — Im erſten Fall iſt die Einwirkung des neuen Geſetzes unzweifelhaft zu bejahen, im zweiten eben ſo un - zweifelhaft zu verneinen; der dritte Fall alſo iſt der ein - zige Gegenſtand unſerer vorliegenden Unterſuchung, ſo wieVIII. 29450Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.er ſchon oben für die Uſucapion feſtgeſtellt worden iſt (§ 391).
Indem wir nun für dieſen Fall eines neuen Geſetzes, erlaſſen nach der Errichtung eines Teſtaments, aber vor dem Tode des Teſtators, die Regeln aufſuchen, müſſen wir dabei einen zweifachen Zuſammenhang dieſer Regeln vor Augen behalten. Erſtens mit den Regeln, welche oben für die Colliſionen des örtlichen Rechts aufgeſtellt worden ſind (§ 377). Zweitens, welches wichtiger und ſchwieriger iſt, mit den Regeln über diejenigen Veränderungen, die, in der Zwiſchenzeit zwiſchen dem errichteten Teſtament und dem Tode, nicht in der Geſetzgebung eintreten, wohl aber in den thatſächlichen Verhältniſſen. An ſich gehören zu unſrer Aufgabe nur die Veränderungen der erſten Art. Dennoch müſſen wir aus mehreren Gründen auch die Veränderun - gen der zweiten Art nicht nur berückſichtigen, ſondern ſelbſt durch genaue, in’s Einzelne gehende Unterſuchung zu durch - forſchen nicht ſcheuen. Wir müſſen es, ſchon wegen der inneren Verwandtſchaft, indem beiderlei Veränderungen großentheils nach gleichen Regeln zu beurtheilen ſind. Noch mehr aber ſind wir dazu genöthigt durch das Verfahren der meiſten neueren Schriftſteller, deren Irrthümer großen - theils dadurch entſtanden ſind, daß ſie theils die beiden angegebenen Arten der Veränderungen ohne Unterſcheidung vermengen, theils die Regeln des Römiſchen Rechts über die thatſächlichen Veränderungen unrichtig auffaſſen.
451§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.Ich verlaſſe alſo jetzt den eigentlichen Gegenſtand der vorliegenden Aufgabe, die ſich auf die Anwendbarkeit neuer Geſetze beſchränkt, um die an ſich verſchiedene Frage zu beantworten: wie es nach Römiſchem Recht anzuſehen iſt, wenn in der Zwiſchenzeit, zwiſchen der Errichtung eines Teſtaments und dem Tode, eine Veränderung eintritt in den thatſächlichſten Verhältniſſen, die auf die Gültigkeit des Teſtaments Einfluß haben können. Ich wiederhole es, daß dieſe Frage mit der Frage nach der Einwirkung neuer Geſetze zwar verwandt, aber nicht identiſch iſt, daß alſo eine Anwendung der für die eine Frage gültigen Regeln auf die andere Frage nur mit großer Vorſicht verſucht werden darf.
Die Gegenſtände einer ſolchen möglichen Veränderung ſind folgende: Perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Be - ziehung auf deſſen Rechtsverhältniſſe, ſo wie auf deſſen phyſi - ſche Eigenſchaften. Inhalt des Teſtaments. Perſönliche Fähigkeit des Honorirten (des Erben oder Legatars).
1. Perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen Rechtsverhältniſſe. Dieſe hat zwei an ſich verſchiedene Bedingungen, die jedoch unter denſelben Re - geln ſtehen.
Dieſe beiden Bedingungen der Teſtamentsfähigkeit kom - men darin überein, daß ſie gleich nöthig ſind für beide Zeitpunkte, die Zeit des Teſtaments und die Zeit des To - des, welches ſo viel ſagen will, als daß dieſelben ſowohl zur faktiſchen als zur juriſtiſchen Thätigkeit im Teſtament gerechnet werden müſſen. Wer alſo juriſtiſch unfähig iſt, kann kein Teſtament machen, und eben ſo wenig ein Teſtament hinterlaſſen. — Nur eine blos in die Zwi - ſchenzeit fallende Veränderung ſoll nicht ſchaden, indem in dieſem Fall der Prätor das Teſtament aufrecht hält(e)Gajus II. § 147, Ulpian. XXIII. § 6. L. 1 § 8 de B. P. sec. tab. (37. 11 ), L. 6 § 12 de injusto (28. 3)..
Zwei Beiſpiele werden dieſe Regeln anſchaulich machen. Das Teſtament iſt ungültig, wenn dem Teſtator die Civität fehlt zur Zeit des Teſtaments oder zur Zeit des Todes; nicht ungültig, wenn er nur in der Zwiſchenzeit vorüber - gehend die Civität verloren hatte. — Es iſt ungültig, wenn der Teſtator filiusfamilias war zur Zeit des Teſta - ments oder zur Zeit des Todes; gültig, wenn er ſich in der Zwiſchenzeit arrogiren ließ, dann aber wieder emanci - pirt wurde.
Es ergiebt ſich aus dieſer Behandlung der Sache im Römiſchen Recht, daß die Römer die in zwei Zeitpunkten nothwendige Fähigkeit des Teſtators, als gegründet in dem inneren Bedürfniß der Sache, mit Recht anerkannten und ſtets feſt hielten, daß ſie dagegen die Fortdauer dieſes Zu - ſtandes in der ganzen Zwiſchenzeit blos als eine Conſe -454Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.quenz ſtrenger Theorie, dem praktiſchen Bedürfniß nicht entſprechend, betrachteten, und daher beſeitigten.
2. Perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen phyſiſche Eigenſchaften.
Dieſe hat eine ganz andere Natur, als die erſte Art der Fähigkeit. Sie gehört ausſchließend der faktiſchen Seite des Teſtaments an, und iſt alſo nöthig zu der Zeit, in welcher das Teſtament gemacht wird. Dagegen iſt jede ſpätere Aenderung ganz gleichgültig, und es wird dadurch weder das Teſtament gültig, wenn zur Zeit deſſelben die Fähigkeit fehlte, noch ungültig, wenn die Fähigkeit damals vorhanden war.
Zu dieſen Gründen der Ungültigkeit gehört: Unmündig - keit, Wahnſinn, nach dem älteren Römiſchen Recht auch Stummheit und eben ſo Taubheit. Wenn nun ein Unmün - diger oder ein Wahnſinniger ein Teſtament macht, ſo iſt und bleibt daſſelbe ungültig, auch wenn ſpäter Mündigkeit eintritt oder der Wahnſinn verſchwindet. Umgekehrt iſt und bleibt das Teſtament des geiſtig Geſunden gültig, auch wenn er ſpäterhin in Wahnſinn verfällt, und ſelbſt wenn er in dieſem Zuſtand ſtirbt(f)§ 1. J. quib. non est perm. (2. 12 ), L. 2 L. 6 § 1 L. 20 § 4 qui test. (28. 1 ), L. 8 § 3 de j. cod. (29. 7 ), L. 1 § 8. 9. de B. P. sec. tab. (37. 11)..
3. Der Inhalt des Teſtaments gehört ausſchließend der juriſtiſchen Seite des Teſtaments an. Daher wird gar nicht geſehen auf die blos zur Zeit des errichteten Teſta -455§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.ments vorhandenen Verhältniſſe, obgleich dieſe der Teſtator zunächſt vor Augen hatte, ſondern lediglich auf die Ver - hältniſſe zur Zeit des Todes.
Dieſes war unzweifelhaft bei ſolchen thatſächlichen Verhältniſſen, die eine ganz materielle Natur hatten. Die Schonung oder Verletzung des Pflichttheils hängt oft ab von der Größe des Vermögens. Dieſe wird beurtheilt nach der Zeit des Todes, gar nicht nach der Zeit des errichteten Teſtaments, welche doch dem Teſtator damals vor Augen ſtand(g)L. 8 § 9 de inoff. (5. 2).. — Eben ſo die Verletzung des eingeſetzten Erben im Verhältniß zu den Legaten, die durch verſchiedene Geſetze verhütet werden ſollte (Lex Furia, Voconia, Falcidia), wird beurtheilt nach der Größe des Vermögens zur Zeit des Todes, ſo daß der frühere Zuſtand gleichgültig iſt(h)§ 2 J. de L. Falc. (2. 22 ), L. 73 pr. ad L. Falc. (35. 2)..
In manchen anderen Fällen hatte die Ungültigkeit des Inhalts eine ſtrenger juriſtiſche Natur; ſo die Nichtigkeit des Teſtaments, in welchem ein Suus oder ein Posthumus präterirt war. Dennoch wurde auch hier die oben aufge - ſtellte Anſicht, nach welcher der Inhalt des Teſtaments aus - ſchließend nach der Zeit des Todes beurtheilt werden ſollte, ſo ſehr für richtig und dem praktiſchen Bedürfniß ange - meſſen gehalten, daß durch künſtliche Mittel nachgeholfen wurde. Wenn alſo der präterirte Suus oder Posthumus noch vor dem Teſtator ſtarb, ſo war und blieb eigentlich456Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.das Teſtament nichtig; es wurde aber aufrecht erhalten, indem daraus der Prätor eine B. P. secundum tabulas er - theilte(i)Ulpian. XXIII. § 6, L. 12 pr. de injusto (28. 3). — Man könnte dieſe Behandlung der Sache etwa ſo ausdrücken: Die durch Präterition bewirkte Nich - tigkeit war nach jus civile eine abſolute; der Prätor verwandelte ſie in eine relative, ſo daß ſie nur von dem lebenden Präterirten ſelbſt geltend gemacht werden konnte, nicht zufällig von einem Dritten, zu deſſen Vortheil ſie gar nicht eingeführt war. Nach der Strenge des jus civile war die Präterition des Suus oder Posthumus ein vernichtender Formfehler, der Prä - tor behandelte ſie blos als ein Stück des Inhalts des Teſtaments.. — Ganz derſelbe Erfolg trat auch ein, wenn der Teſtator fehlte durch die Präterition eines Emancipir - ten, oder durch die unbillige Enterbung eines nahen, zur Inteſtaterbfolge befähigten, Verwandten, nur mit dem Un - terſchied, daß hier der Erfolg von ſelbſt eintrat, nicht erſt durch künſtliche Aushülfe des Prätors. Denn der präter - irte Emancipirte hatte überhaupt nur einen Anſpruch durch B. P. contra tabulas, die ein ganz perſönliches Rechts - mittel war, angeboten dem zur Zeit des Erbanfalls leben - den Präterirten. Daher war die Präterition eines Eman - cipirten, der vor dem Teſtator ſtarb, wirkungslos, weil ihm nun keine ſolche B. P. c. t. deferirt werden konnte. Ganz eben ſo verhielt es ſich mit der Querela inofficiosi des unbillig ausgeſchloſſenen Inteſtatberechtigten. Denn auch dieſe iſt ein ganz perſönliches Rechtsmittel, von welchem nicht die Rede ſeyn kann, wenn etwa der unbillig Aus - geſchloſſene vor dem Teſtator ſtirbt. Vgl. oben B. 2. § 73 G.
457§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.4. Perſönliche Fähigkeit des Honorirten (des Erben oder Legatars). Dieſer Fall iſt unter allen der ſchwierigſte, und er hat die meiſten Mißverſtändniſſe in unſrer Lehre erzeugt.
An ſich gehört dieſer Punkt zum Inhalt des Teſtaments, ſo daß wir nach allgemeinen Gründen lediglich die that - ſächlichen Verhältniſſe zur Zeit des Todes zu berückſichtigen hätten, ganz ohne Rückſicht auf frühere Zuſtände. Dennoch haben ihn die Römer ganz anders behandelt, und wir müſſen uns die Gründe dieſer abweichenden Behandlung klar zu machen ſuchen.
Die Römiſche Lehre iſt folgende. Die juriſtiſche Fähig - keit des Erben und des Legatars beruht auf derſelben testamentifactio, wie die des Teſtators (Note b), ſo daß alle cives und Latini ſie haben, alle peregrini ſie ent - behren(k)Ulpian. XXII. § 1. 2. 3. Hier iſt weder der filius familias, noch der Latinus Julianus aus - geſchloſſen, weil der Vermögens - loſe zwar Nichts hinterlaſſen, wohl aber Etwas zugewieſen bekommen kann. Auch nicht das Kind und der Wahnſinnige, weil es nicht nöthig iſt, zu wollen oder zu han - deln, um eingeſetzt zu werden.. Dieſe Standesfähigkeit muß vorhanden ſeyn in drei Zeitpunkten (tria tempora): zur Zeit des Teſta - ments, zur Zeit des Todes(l)An die Stelle dieſes Zeit - punktes tritt bei bedingten Ein - ſetzungen die Zeit der erfüllten Bedingung, die alſo nicht etwa einen vierten Zeitpunkt bildet., zur Zeit des Erwerbs. Eigentlich wäre auch die fortdauernde Fähigkeit in der Zwiſchenzeit nöthig; doch wird dieſe Forderung nachgeſehen,458Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſo daß eine vorübergehende Unfähigkeit in der Zwiſchenzeit nicht ſchadet (media tempora non nocent)(m)Die Hauptſtellen für dieſe Lehre ſind folgende: § 4 J. de her. qual. (2. 19 ), L. 6 § 2. L. 49 § 1 L. 59 § 4 de her. inst. (28. 5). — Die hier erwähnte Zwiſchenzeit iſt indeſſen nur zu be - ziehen auf den erſten Zeitraum, zwiſchen Teſtament und Tod; die Unfähigkeit in dem zweiten zwi - ſchen Tod und Erwerb, ſchadet allerdings, indem durch ſie die Erbſchaft augenblicklich irgend einem Dritten deferirt wird, ſey es der Subſtitut oder der In - teſtaterbe..
Was iſt nun der Grund dieſer, von der nach allge - meinen Gründen zu erwartenden ſo abweichenden, Behand - lung gerade dieſes einen Falles? Wir können dabei ab - ſehen von dem dritten Zeitpunkt (Erwerb der Erbſchaft), der ſich eigentlich von ſelbſt verſteht, und überhaupt nicht wichtig iſt. Dann bleibt uns als auffallende, beſonders zu erklärende, Erſcheinung die Regel übrig, daß die Fähigkeit des Honorirten nicht blos erfordert wird zur Zeit des Todes (wie wir es erwarten möchten), ſondern auch zur Zeit des errichteten Teſtaments, ſo daß die zu dieſer Zeit vorhandene Unfähigkeit (z. B. Peregrinität) das Teſtament für immer ungültig macht, ſelbſt wenn der eingeſetzte Erbe bald nachher das Römiſche Bürgerrecht erwarb.
Die Erklärung dieſer auffallenden Erſcheinung aber iſt weder ſchwierig, noch zweifelhaft. Sie liegt in der Grund - form des Römiſchen Teſtaments als einer Mancipation des gegenwärtigen Vermögens(n)Gajus II, § 103., als eines idealen Ganzen (ohne Rückſicht auf deſſen einzelne Beſtandtheile, ſo wie459§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.auf mögliche Zunahme oder Verminderung), wodurch das Ganze die Geſtalt eines fingirten Erbvertrags annahm, alſo eines Rechtsgeſchäfts unter Lebenden, als deſſen thätige, mitwirkende Theilnehmer alle in dem Teſtament bedachte Perſonen (repräſentirt durch den familiae emtor) angeſehen wurden. Deswegen ſollten ſie Alle die perſönliche Fähig - keit haben zur Zeit dieſes imaginären Vertrags.
Daß dieſe Regel in der That rein theoretiſch, der juri - ſtiſchen Form zu Liebe angenommen war, alſo nicht be - ruhend auf der Anerkennung eines inneren Bedürfniſſes, ergiebt ſich noch aus folgendem Umſtand. In einer etwas neueren Zeit waren Beſchränkungen der perſönlichen Er - werbfähigkeit durch poſitive Geſetzgebung eingeführt worden, wobei man ſich von jener alten formellen Rückſicht befreien zu können glaubte; dieſer Fall trat ein bei den Eheloſen, den Kinderloſen, und den Latini Juniani. Bei dieſer neu erfundenen Unfähigkeit ſah man auf den Zuſtand zur Zeit des errichteten Teſtaments gar nicht; ja man ging ſogar auf der anderen Seite noch einen Schritt weiter, indem man auch nicht einmal auf die Todeszeit ſah, ſondern nur auf die Zeit des Erwerbs. Dieſe letzte Vorſchrift aber hatte den praktiſchen Zweck, daß gerade die dargebotene Erbſchaft ein Beweggrund ſeyn ſollte, für den Eheloſen, ſogleich in eine Ehe zu treten, für den Latinus Junianus, ſich des jus quiritium ſchnell würdig zu machen(o)Ulpian. XXII. § 3 verglichen mit XVII. § 1 und III. § 1 — 6..
460Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Hierin liegt der wahre Grund der auffallenden Regel über die tria tempora; nicht, wie Viele glauben, in der regula Catoniana(p)L. 1 pr. de reg. Cat. (34. 7 ) „ Quod, si testamenti facti tempore decessit testator, inutile foret: id legatum, quandocunque decesserit, non valere. “. Die Unrichtigkeit dieſer Ableitung ergiebt ſich aus folgenden Betrachtungen. Die tria tempora werden nirgend auf dieſe ganz einzeln ſtehende, einer ſchon etwas neueren Zeit angehörende, Regel zurückgeführt, müſſen alſo wohl einen allgemeineren und älteren Grund gehabt haben. Ferner geht die Regel des Cato nur auf Legate (Note p), und namentlich nicht auf Erbſchaften(q)L. 3 eod. „ Catoniana regula non pertinet ad here - ditates. “ Zwar will Cujacius obs. IV. 4 emendiren: liberta - tes, aber dieſe Emendation iſt völlig willkürlich und weder durch Handſchriften, noch durch inneres Bedürfniß unterſtützt. Vergl. Voorda Interpret. II. 22.. Sie betrifft alſo überhaupt nicht die perſönliche Fähigkeit des Honorirten, wovon allein hier die Rede iſt, ſondern andere Bedingungen eines ungültigen Legats; insbeſondere wohl den Fall, wenn der Teſtator eine Sache per vindi - cationem legirt, ohne daran zur Zeit des Teſtaments das Römiſche Eigenthum zu haben. Dieſes Legat iſt ungültig, auch wenn er ſpäterhin das Römiſche Eigenthum der Sache erwirbt(r)Ulpian. XXIV. § 7..
Faſſen wir dieſes Alles in Einen Gedanken zuſammen, ſo müſſen wir ſagen, die ganze Lehre der tria tempora gründete ſich gar nicht auf die Natur der Sache, auf das461§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.natürliche Weſen des Teſtaments, ſondern ſie hatte eine blos zufällige, hiſtoriſche Veranlaſſung. Ja wir müſſen hinzufügen, daß es conſequent geweſen wäre, dieſe Lehre im Juſtinianiſchen Recht gänzlich aufzugeben, indem ja in dieſem Recht der Gedanke der Mancipation, als Grundlage der Teſtamente, völlig verſchwunden war.
Die ſo eben geführte Unterſuchung betraf gar nicht die Frage wegen der zeitlichen Colliſion der Geſetze, war alſo eine Digreſſion, aber eine unentbehrliche Digreſſion. Denn indem ich mich nun zur Unterſuchung der Veränderungen wende, die nicht in den Thatſachen eintreten, ſondern in den Geſetzen,[muß] ich ſtets zurückgehen auf die Analogie der eben aufgeſtellten Regeln. Jedoch darf davon dieſer Gebrauch nur mit Vorſicht und Unterſcheidung gemacht werden, beſonders mit Rückſicht darauf, ob die aufgeſtellten Regeln aus der Natur der Sache abgeleitet wurden, oder aus eigenthümlichen Gründen. Ich werde mich dabei ganz an die Reihe von Fällen halten, wie ſie ſo eben für die thatſächlichen Veränderungen aufgeſtellt wurden.
1. Perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen Rechtsverhältniſſe.
Dieſe muß in zwei Zeitpunkten vorhanden ſeyn: zur Zeit des errichteten Teſtaments und zur Zeit des Todes; fehlt ſie in einem derſelben, ſo iſt und bleibt das Teſtament ungültig (S. 453). Sie kann aber gerade dadurch fehlen,462Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.daß der Zuſtand des Teſtators dem in einem dieſer Zeit - punkte geltenden Geſetz nicht entſpricht(s)Chabot T. 2 p. 438. 439. — Dagegen glaubt Meyer p. 121 — 131, die Unfähigkeit zur Zeit des errichteten Teſtaments ſchade nicht, und ſucht dieſe grundloſe Behauptung gegen die allerdings nicht zutreffenden Einwürfe aus der regula Catoniana zu recht - fertigen..
Folgende Beiſpiele werden die Sache erläutern. Nach Römiſchem Recht konnten teſtiren: alle cives, alle unab - hängige Latini(t)Dahin gehörten früher die Latini colonarii (Ulpian. XIX. § 4), und, ſeitdem es ſolche nicht mehr gab, alle Nachkommen eines Latinus Junianus, da das Ver - bot der Lex Junia nur ihn ſelbſt betraf, nicht die Nachkommen, welche Latini ingenui waren., nicht die peregrini (S. 452). Geſetzt nun, ein ſolcher Latinus hätte ein Teſtament gemacht, und während ſeines Lebens wäre allen Latinen durch ein Kaiſer - geſetz die testamentifactio entzogen worden, ſo wäre das Teſtament ungültig geweſen, wegen der Unfähigkeit zur Todeszeit. — Geſetzt, ein Peregrine hätte ein Teſtament gemacht, und während ſeines Lebens wäre durch ein Kaiſer - geſetz allen Peregrinen die testamentifactio verliehen worden, ſo wäre das Teſtament ungültig geblieben, wegen der Un - fähigkeit zur Zeit des errichteten Teſtaments.
2. Perſönliche Fähigkeit des Teſtators in Beziehung auf deſſen phyſiſche Eigenſchaften.
Dieſe muß blos vorhanden ſeyn zur Zeit der Errichtung des Teſtaments, alſo entſcheidet ausſchließend das zu dieſer Zeit geltende Geſetz. Ein nach demſelben gültig gemachtes463§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.Teſtament kann durch ein ſpäteres Geſetz nicht ungültig werden, eben ſo aber auch umgekehrt.
So waren im älteren Römiſchen Recht Stumme un - fähig, zu teſtiren; Juſtinian hat ihnen die Fähigkeit er - theilt(u)L. 10 C. qui test. (6. 22).. Wenn nun kurz vor dieſem Geſetz ein Stummer teſtirte, ſo wurde das Teſtament durch das neue Geſetz dennoch nicht gültig; er konnte aber jetzt ein gültiges Te - ſtament errichten. — Die Teſtamentsmündigkeit im weib - lichen Geſchlecht ſetzt das Römiſche Recht auf zwölf Jahre(v)L. 5 qui test. (28. 1)., das Preußiſche Recht auf vierzehn Jahre(w)A. L. R. I. 12 § 16.. Wenn nun ein Mädchen von dreizehn Jahren ein Teſtament macht unter der Herrſchaft des Römiſchen Rechts, ſo bleibt das Teſtament gültig, auch wenn gleich nachher das Preußiſche Geſetz eingeführt wird, und der Tod vor Vollendung des vierzehnten Jahres erfolgt. Wird das Teſtament unter der Herrſchaft des Preußiſchen Rechts mit dreizehen Jahren errichtet, ſo bleibt es ungültig, ſelbſt wenn gleich darauf das Römiſche Recht eingeführt wird.
3. Der Inhalt des Teſtaments richtet ſich lediglich nach der Zeit des Todes, ſo daß das zu dieſer Zeit beſte - hende Geſetz über die Gültigkeit des Inhalts allein ent - ſcheidet, ohne Rückſicht auf die Vorſchriften des früheren464Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Geſetzes, ſelbſt desjenigen, unter deſſen Herrſchaft das Te - ſtament errichtet war(x)Chabot T. 2 p. 367 — 370, p. 382, p. 445 — 454, der unter Allen dieſen Punkt am rich - tigſten auffaßt, freilich mit Ein - miſchung mancher Irrthümer über das R. R. — Weber S. 96 — 98 läßt das Teſtament ungültig werden, wenn der Inhalt entwe - der dem Geſetz zur Zeit des Te - ſtaments, oder dem zur Zeit des Todes widerſpricht; er behandelt alſo dieſen Punkt ſo, wie die juri - ſtiſche Fähigkeit des Teſtators (Num. 1). — Bergmann § 16. 19. 51 nimmt an, nach R. R. ſey der Inhalt blos nach dem zur Zeit des Teſtaments gültigen Geſetz zu beurtheilen, und die Rückſicht auf die Todeszeit ſey eine falſche Anſicht der franzöſiſchen Rechtslehrer, aber auch eingedrun - gen in ihre Geſetzgebung..
Anwendungen dieſer Regel, die für die Anwendung wichtiger iſt, als alle andere, ſind folgende.
Pflichttheil und Präterition ſind zu beurtheilen nach dem zur Todeszeit beſtehenden Geſetz(y)Chabot T. 2 p. 225, p. 464 — 475.. — Eben ſo die im Franzöſiſchen Geſetzbuch verbotenen Fideicommiſſe (substitu - tions)(z)Chabot T. 2 p. 382. Vgl. Meyer p. 132 — 148.. — Eben ſo die Vulgarſubſtitution, die in Frankreich im J. 1790 verboten, durch den code aber wieder erlaubt wurde(aa)Chabot T. 2 p. 367 — 370..
4. Perſönliche Fähigkeit des Honorirten (Erben oder Legatars).
In den bisher erörterten Fällen und Fragen mußte für die Veränderungen in den Geſetzen genau dieſelbe Regel ange - nommen werden, welche für die Veränderungen in den that - ſächlichen Verhältniſſen vom Römiſchen Recht anerkannt war (S. 451 — 456); denn dieſe Anerkennung hatte ſich gegründet465§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.auf die allgemeine Natur des Teſtaments überhaupt, alſo auf das innere Bedürfniß der Sache ſelbſt. Ganz anders verhält es ſich mit der Frage wegen der perſönlichen Fähig - keit des Honorirten, bei welcher die thatſächlichen Verän - derungen im Römiſchen Recht nach der Regel der tria tem - pora beurtheilt werden. Denn dieſe Beurtheilung hatte keine innere, ſondern nur hiſtoriſche Gründe, Gründe, die ſchon zu Juſtinian’s Zeit verſchwunden waren, und vollends für uns gar keine Bedeutung mehr haben können. Wir müſſen alſo hier die Analogie jener Regel des Römiſchen Rechts ganz verlaſſen, und uns lediglich an die wahre Natur des Teſtaments halten. Dieſe aber führt dahin, die perſönliche Fähigkeit des Honorirten als ein zum In - halt des Teſtaments gehörendes Stück aufzufaſſen, und daher ausſchließend nach dem zur Todeszeit geltenden Ge - ſetz zu beurtheilen, ohne Rückſicht auf das Recht, welches früher, etwa zur Zeit der Errichtung des Teſtaments, ge - golten haben mag(bb)Chabot T. 2 p. 462 — 464. ſtimmt mit dieſer Entſchei - dung völlig überein, ohne ſich in die hier verſuchte Begründung einzulaſſen..
Daß uns in dieſer Behauptung die regula Catoniana nicht irre machen darf, und daß wir alſo auch keine Ver - anlaſſung haben, die Anwendbarkeit dieſer Regel auf unſre Zeit künſtlich zu widerlegen, wie es von Manchen verſucht worden iſt, wurde ſchon oben gezeigt. Beſonders auf dieVIII. 30466Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Fähigkeit eines eingeſetzten Erben kann jene Regel auch nicht einmal ſcheinbar angewendet werden (Noten p. q.).
5. Ferner kommt das Geſetz über die Form des Te - ſtaments in Betracht, von welcher zu ſprechen bei den that - ſächlichen Veränderungen gar keine Veranlaſſung war.
Die Form gehört ganz zur faktiſchen Seite des Teſta - ments, welches daher für gültig oder ungültig gehalten werden muß, je nachdem die angewendete Form dem da - mals geltenden Geſetz entſprach oder nicht, ſo daß hierin ein ſpäteres Geſetz weder zum Vortheil, noch zum Nachtheil des Teſtaments Etwas zu aͤndern vermag(cc)Chabot T. 2 p. 394 — 399. Weber S. 90.. Dieſe Regel ſtimmt auch ganz mit den oben aufgeſtellten allge - meineren Regeln überein (§ 388).
In Anwendung dieſer Regel muß alſo ein unter dem Franzöſiſchen Recht gemachtes eigenhändiges Privatteſtament gültig bleiben, auch wenn vor dem Tode des Teſtators das Preußiſche Recht eingeführt wird, welches die Privatteſta - mente nicht anerkennt. Umgekehrt muß ein unter dem Preußiſchen Recht errichtetes eigenhändiges Privatteſtament ungültig bleiben, auch wenn während der Lebenszeit des Teſtators das Franzöſiſche Recht eingeführt wird, welches dieſe Form der Teſtamente geſtattet(dd)Eine hierin etwas abweichende Beſtimmung des Preußiſchen Rechts iſt ſchon oben erwähnt worden (§ 388. o), und wird abermals im § 394. erwogen werden..
6. Endlich iſt noch der Fall zu erwähnen, wenn etwa467§. 393. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht.ein Geſetz die teſtamentariſche Erbfolge überhaupt auf - heben, alſo die geſetzliche für die allein gültige erklären ſollte; nicht als ob dieſer Fall etwa praktiſch erheblich wäre, ſondern weil die Betrachtung deſſelben dazu dienen kann, die ganze Anſicht der Sache mehr feſtzuſtellen.
Wird nun ein Teſtament gemacht unter der Herrſchaft eines Geſetzes, das die Teſtamente überhaupt unterſagt, ſo iſt und bleibt es ungültig, ſelbſt wenn vor dem Tode ein neues Geſetz die Teſtamente wieder zulaſſen ſollte. Dieſes muß ſchon deshalb angenommen werden, weil für ein ſolches Teſtament keine dem gleichzeitigen Geſetz ge - nügende Form angewendet ſeyn kann, welches doch nach der eben aufgeſtellten Regel (Num. 5) erforderlich wäre.
Eben ſo iſt das Teſtament ungültig, wenn die teſtamen - tariſche Erbfolge zur Zeit der Errichtung erlaubt, zur Zeit des Todes, vermöge eines neuen Geſetzes, unterſagt war. Dieſes iſt ſchon deshalb anzunehmen, weil das neue Geſetz den ganzen Inhalt des Teſtaments entkräften wollte, die Gültigkeit des Inhalts aber nach dem zur Zeit des Todes beſtehenden Geſetz zu beurtheilen iſt (Num. 3). Aber auch eine zweite, noch durchgreifendere, Anſicht führt zu dem - ſelben Erfolg. Ein ſolches neues Geſetz betrifft eigentlich nicht den Erwerb eines Rechts (nämlich des Erbrechts ver - mittelſt eines Teſtaments), ſondern das Daſeyn eines ganzen Rechtsinſtituts (der teſtamentariſchen Erbfolge), und bei Geſetzen dieſer Art iſt von der rückwirkenden Kraft über - haupt nicht die Rede (§ 384).
30*468Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Am zweifelhafteſten könnte der Fall gefunden werden, wenn zur Zeit der Errichtung und zur Zeit des Todes Te - ſtamente geſetzlich erlaubt wären, ein vorübergehendes Ge - ſetz der Zwiſchenzeit aber ſie einmal unterſagt hätte. Ich würde geneigt ſeyn, auf dieſen Fall die Analogie der Römiſchen Regel: media tempora non nocent (Note m), anzuwenden, und das Teſtament als gültig anzuerkennen.
Die zeitliche Gränze der Herrſchaft neuer Geſetze in Anwendung auf Teſtamente iſt bisher nur noch aus allge - meinen Geſichtspunkten, nach der Natur der Teſtamente überhaupt, unterſucht worden, ohne Rückſicht auf die unmittelbaren Ausſprüche poſitiver Geſetze. Das Römiſche Recht wurde erwogen (§ 393) bei einer an ſich ver - ſchiedenen Frage, der Frage wegen der thatſächlichen Ver - änderungen, die in Beziehung auf die Gültigkeit der Te - ſtamente von Einfluß ſeyn können. Von den Regeln des Römiſchen Rechts über dieſe andere Frage wurde eine blos analoge Anwendung verſucht auf die Löſung unſrer vor - liegenden Aufgabe. Ich will nun unterſuchen, welche Aus - ſprüche poſitiver Geſetzgebungen für dieſe Aufgabe ſelbſt benutzt werden können, alſo für die Beſtimmung des Ein -469§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)fluſſes, den wir neuen Geſetzen auf die Gültigkeit der Te - ſtamente zuzuſchreiben haben.
Zuerſt ſoll das Römiſche Recht erwogen worden. In dieſem finden wir einen allgemeinen Ausſpruch über unſre Frage gar nicht. Der allgemeine, die rückwirkende Kraft der Geſetze verneinende Grundſatz (§ 386) iſt für die Teſtamente deswegen nicht ausreichend, weil dieſe nicht ſo, wie die Verträge und Veräußerungen, einem einzelnen Zeitpunkt angehören, ſondern mehreren Zeitpunkten (§ 393), ſo daß es gerade zweifelhaft ſeyn kann, in welchen Be - ziehungen das Teſtament unter die futura negotia, oder vielmehr unter die facta praeterita (die pendentia negotia) zu rechnen ſeyn möge.
Dagegen finden wir in vielen einzelnen Römiſchen Ge - ſetzen ſehr beſtimmte tranſitoriſche Vorſchriften über die Frage, auf welche Teſtamente gerade dieſe neuen Geſetze angewendet oder nicht angewendet werden ſollen. Dabei liegt nun der Gedanke ſehr nahe, daß dieſe tranſitoriſchen Vorſchriften zugleich den Ausdruck des auf unſre Frage be - züglichen allgemeinen, bleibenden Grundſatzes enthalten müßten, und unter dem Einfluß dieſer Vorausſetzung haben neuere Schriftſteller ſehr häufig ihre Theorie ausgebildet. Aber gerade dieſe Vorausſetzung iſt ſehr bedenklich, und für manche einzelne Fälle erweislich falſch. Denn die tran - ſitoriſche Vorſchrift kann im Einzelnen hervorgegangen ſeyn, nicht ſowohl aus der Ueberzeugung, daß es nach allgemeinen Grundſätzen ſo ſeyn müſſe, weil es der Natur der Teſta -470Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.mente angemeſſen ſey, als vielmehr aus ſchonender Rückſicht auf beſtehende Thatſachen; dann aber iſt die tranſitoriſche Vorſchrift nicht Ausdruck einer als wahr anerkannten Regel, ſondern vielmehr einer ſchonenden Ausnahme von der Regel. Dieſe Abſicht der Geſetzgeber iſt nicht nur überhaupt möglich, ſondern gerade hier in mehreren Fällen unzweifelhaft vor - handen. Wir werden alſo die einzelnen tranſitoriſchen Vor - ſchriften des Römiſchen Rechts über das Recht der Teſta - mente, welche nunmehr der Reihe nach angegeben werden ſollen, mit den oben aufgeſtellten allgemeinen Grundſätzen (§ 393) zu vergleichen haben, um bei jeder dieſer Vor - ſchriften zu erkennen, ob ſie als anerkennender Ausdruck der Regel, oder vielmehr als Ausnahme von der Regel, anzuſehen ſeyn möge.
1. Eine ſolche tranſitoriſche Vorſchrift findet ſich in der Lex Falcidia, welche im erſten Kapitel ſo lautet(a)L. 1 pr. ad L. Falc. (35. 2). — Eine ähnliche tran - ſitoriſche Beſtimmung erwähnt Cicero (in Verrem I. 41. 42) von der L. Voconia (qui here - dem fecerit), die aber Ver - res durch ſein unredliches Edict in rückwirkende Kraft umgewan - delt habe durch die Worte: fecit, fecerit. : Qui cives Romani sunt, qui eorum post hanc Legem rogatam testamentum facere volet, ut eam pecuniam etc.
Dieſe Beſtimmung, welche dann im zweiten Kapitel wörtlich wiederholt wird, beſchränkt die Anwendung des Geſetzes auf künftig zu errichtende Teſtamente, ſo daß die471§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)ſchon errichteten, auch wenn die Teſtatoren noch lebten, davon frei ſeyn ſollten.
Darin liegt eine Ausnahme unſrer Regeln. Denn da die Beſtimmung des Geſetzes den Inhalt des Teſtaments betraf, ſo hätte daſſelbe eigentlich angewendet werden müſſen auf alle Teſtamente, deren Urheber ſpäter ſtarben (§ 393 Num. 3), auch wenn ſie damals ſchon errichtet waren. Man wollte alſo den lebenden Teſtatoren die Mühe er - ſparen, ihre ſchon gemachten Teſtamente mit dem neuen Geſetz zu vergleichen und danach nöthigenfalls umzuändern, zugleich auch die Gefahr, die aus der Vernachläſſigung dieſer Vorſicht für die vollſtändige Gültigkeit des Teſtaments entſtehen konnte. Dieſe Schonung war aber deswegen natürlich und löblich, weil es in der That dem Geſetzgeber ſehr gleichgültig ſeyn konnte, ob das Geſetz einige Jahre früher oder ſpäter ausſchließende Anwendung erhielte.
Es muß aber noch beſonders darauf aufmerkſam gemacht werden, daß dieſes Geſetz nicht etwa die Abſicht und die Folge hatte, eine bis dahin unbeſchränkte Freiheit der Te - ſtatoren in Beziehung auf Legate zu beſchränken, ſondern vielmehr die ganz anderen, für manche Fälle ſtrengeren, Beſchränkungen der Lex Furia und der Lex Voconia durch eine neue, zweckmäßigere, zu erſetzen(b)Gajus II. § 224 — 227.. Die Meinung ging alſo dahin, daß auf die ſchwebenden Teſtamente die472Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Lex Furia und Lex Voconia, auf die künftigen lediglich die Lex Falcidia, angewendet werden ſollten.
2. Im J. 531 verordnete Juſtinian, jede Erbein - ſetzung ſolle nur gültig ſeyn, wenn der Teſtator den Namen des Erben mit eigener Hand ſchreibe oder vor den Zeugen mündlich ausſpreche. Dieſe Vorſchrift ſolle aber nur ange - wendet werden auf künftige Teſtamente, nicht auf ſchon errichtete(c)L. 29 C. de test. (6. 23). — Dieſe ganze Beſtimmung hat nur noch ein hiſtoriſches Intereſſe, da ſie nach wenigen Jahren wieder aufgehoben wurde. Nov. 119 C. 9 (von 544).. — In dieſer tranſitoriſchen Vorſchrift lag eine reine Anwendung der oben aufgeſtellten Grundſätze, indem das neue Geſetz lediglich die Form des Teſtaments betraf (§ 393 Num. 5). Allein drei Jahre ſpäter (534) wurde jenes Geſetz in den neueſten Codex aufgenommen, und zwar mit dem ſo eben angeführten tranſitoriſchen Zu - ſatz. Darin lag alſo die Vorſchrift, daß die in den ver - floſſenen drei Jahren (zwiſchen 531 und 534) gemachten Teſtamente, auf die eigentlich das Geſetz ſchon anwendbar geweſen wäre, davon frei ſeyn ſollten, alſo gewiſſermaßen eine Amneſtie für die in dieſen Teſtamenten etwa began - gene Vernachläſſigung des Geſetzes. Man könnte dieſe auffallende Wiederholung der tranſitoriſchen[Vorſchrift] viel - leicht für ein bloßes Verſehen halten wollen; allein Juſti - nian ſelbſt hat dieſelbe in einem ſpäteren Geſetz für ab - ſichtlich erklärt, gegründet auf die Wahrnehmung, daß das neue Geſetz urſprünglich nicht genug bekannt geworden ſey,473§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)welchem Mangel erſt die Aufnahme in den neuen Codex abgeholfen habe(d)Nov. 66 C. 1 § 1..
3. Der Pflichttheil betrug nach altem Recht ein Vier - theil der Inteſtatportion; Juſtinian erhöhte ihn nach Verſchiedenheit der Umſtände auf ein Drittheil oder die Hälfte(e)Nov. 18 (von 536).. Da dieſes Geſetz den Inhalt des Teſtaments betraf, hätte es auch auf die ſchon errichteten Teſtamente angewendet werden müſſen. Juſtinian aber verordnete, daß es erſt auf künftige Teſtamente angewendet werden ſollte, worin alſo wieder eine ſchonende Ausnahme lag(f)Nov. 66 C. 1 § 2 — 5 (von 538)..
4. Durch Kaiſerconſtitutionen wurde die Befugniß eines Vaters, ſeine Concubinenkinder durch letzten Willen zu bedenken, auf mancherlei abwechſelnde Weiſe beſchränkt(g)Göſchen Vorleſungen III. 2 § 793.. Eines dieſer beſchränkenden Geſetze geht dahin, daß ſolche Kinder, wenn keine eheliche Kinder vorhanden wären, die Hälfte des Vermögens bekommen dürften. Es wurde aber hinzugefügt, dieſe Beſtimmung ſolle nur angewendet werden auf künftig zu errichtende Teſtamente(h)L. 8 C. de natur. lib. (5. 27), von Juſtinian 528.. Darin lag wieder eine Ausnahme, indem das Geſetz den Inhalt des Teſtaments betraf, alſo eigentlich auf ſchwebende Teſtamente anwendbar geweſen wäre.
5. Durch die L. Julia und die L. Papia Poppaea war unter K. Auguſtus die ſehr verwickelte Caducität der474Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Erbſchaften und Legate eingeführt worden. Dieſes Rechts - inſtitut, welches durch viele ſpätere Geſetze umgebildet war, wurde von Juſtinian im J. 534 gänzlich aufge - hoben, jedoch mit dem Zuſatz, daß dieſes neue Recht erſt auf die künftig zu errichtenden Teſtamente angewendet werden ſollte(i)L. un. § 15 C. de cad. toll. (6. 51).. Auch darin lag wieder eine Ausnahme von den aufgeſtellten Regeln, da das neue Geſetz den In - halt des Teſtaments zum Gegenſtand hatte.
Das Preußiſche Recht enthält über unſre Frage nur wenig bleibende, für alle Zeiten gültige Beſtimmungen, und auch dieſe beantworten die Frage nicht unmittelbar, ſondern können dafür nur durch Folgerungen benutzt werden. Es wird zweckmäßiger ſeyn, dieſe erſt am Schluß zu erwähnen.
Dagegen iſt unſre Geſetzgebung reich an tranſitoriſchen Beſtimmungen über Teſtamente, die alſo keinen allgemeinen bleibenden Grundſatz ausſprechen, ſondern bei Gelegenheit einzelner Einführungsakte die Behandlung der Teſtamente beſtimmen, darin alſo höchſtens, und nicht immer, einen allgemeinen Grundſatz durchblicken laſſen.
Die Reihe dieſer tranſitoriſchen Vorſchriften iſt folgende (§ 383).
475§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)Das Einführungspatent des Allg. Landrechts von 1794 verordnet im § 12, daß alle damals errichtete Teſtamente „ nach den Vorſchriften der ältern Geſetze durchgehends beurtheilt werden ſollen, wenngleich das Ableben des Te - ſtators erſt ſpäter erfolgte. “ Durchgehends, alſo in Anſehung der Form und des Inhalts. Das erſte iſt eine reine Anwendung der oben aufgeſtellten Grundſätze; das zweite iſt eine ſchonende Ausnahme von dieſen Grundſätzen (§ 393 Num. 3), ähnlich den vielen ſo eben angeführten Ausnahmen in Römiſchen Geſetzen.
Die drei Patente von 1803 ſtimmen damit im § 6 wörtlich überein.
Eine nach zwei Seiten neue Wendung findet ſich in dem für die Provinzen jenſeits der Elbe erlaſſenen Patent von 1814(k)Geſetzſammlung 1814 S. 89 — 96..
Die erſte neue Beſtimmung ſchließt ſich abändernd an die eben angeführten älteren Vorſchriften.
Der Zuſatz: in Rückſicht ihrer Form, der in den früheren Patenten ganz fehlt, ſoll augenſcheinlich den Ge -476Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.genſatz ausdrücken gegen die Rückſicht ihres Inhalts, ſoll alſo andeuten, daß der Inhalt vielmehr nach dem neuen Geſetz (nach dem Geſetz zur Zeit des Todes) beurtheilt werden ſolle. Darin liegt alſo die Anerkennung der oben aufgeſtellten Regeln über die auf die Form und den In - halt der Teſtamente anwendbaren Geſetze(l)Bergmann S. 565 nimmt irrig an, es liege darin keine Abweichung von den älteren Patenten..
Die zweite neue Beſtimmung wird weiter unten nach - geholt werden.
Die eben erwähnte neue Beſtimmung wurde ausführ - licher und genauer ausgedrückt in dem Patent für Weſt - preußen von 1816 (§ 383).
Mit dieſer letzten Faſſung ſtimmen die ſpäter erlaſſenen tranſitoriſchen Geſetze wörtlich überein.
477§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)Hier wird nun auf ganz unzweifelhafte Weiſe für die Anwendbarkeit verſchiedener Geſetze zwiſchen Form und In - halt unterſchieden; bei den Geſetzen über die Form ſoll die Zeit des errichteten Teſtaments, bei denen über den Inhalt die Todeszeit berückſichtigt werden, und zu dieſer zweiten Klaſſe werden ganz richtig die Geſetze über die perſönliche Fähigkeit des Honorirten gerechnet. Damit iſt demnach die ganze Reihe der oben aufgeſtellten Regeln als rich - tig anerkannt, nur mit Ausnahme der Geſetze über die perſönliche Fähigkeit des Teſtators, worüber gar Nichts geſagt iſt.
Unter den wieder gewonnenen Landestheilen aber fan - den ſich drei, in denen bis zu dieſem Zeitpunkt Franzöſi - ſches Recht gegolten hatte, in welchen man alſo darauf rechnen mußte, ſchwebende Teſtamente vorzufinden, die theils auf der eigenhändigen Schrift des Teſtators, theils auf notarieller Beglaubigung beruhten. Dieſes wurde für zu gefährlich gehalten, und daher wurde in dieſen Landes - theilen neben jener allgemeinen Beſtimmung, und theilweiſe von ihr abweichend, die beſondere Vorſchrift aufgenommen, daß ſolche ſchwebende Teſtamente nur noch Ein Jahr lang gültig bleiben ſollten. Binnen dieſem Jahr ſollte der Teſta - tor ein neues Teſtament nach der Form des Landrechts (alſo gerichtlich) machen. Wenn der Teſtator nach Ablauf jenes Jahres ſterben ſollte ohne neues Teſtament, ſo ſollte das vorgefundene wirkungslos ſeyn, wenn nicht bewieſen werden könne, daß er an der Errichtung eines neuen Teſtaments478Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.fortwährend verhindert geweſen ſey(m)Provinzen jenſeits der Elbe (1814) § 7. Weſtpreußen (1816) § 9. Poſen (1816) § 9, ſ. o. § 383.. — In dieſer ganz eigenthümlichen Beſtimmung iſt nun augenſcheinlich der Ausdruck eines allgemeinen, bleibenden Grundſatzes nicht enthalten, ſondern nur die Nothhülfe für einen einzelnen Fall. Auch findet ſich in den übrigen tranſitoriſchen Ge - ſetzen eine ähnliche Beſtimmung gar nicht.
Unabhängig von dieſen tranſitoriſchen Vorſchriften ent - hält nun aber das Landrecht ſelbſt folgende bleibende Be - ſtimmungen, die zur Entſcheidung unſerer die Teſtamente betreffenden Frage benutzt werden können (S. 474).
A. Wenn ein Rechtsgeſchäft durch die dabei beobach - teten Formen zwar nicht dem Geſetz, unter welchem es gemacht wurde, wohl aber einem ſpäteren Geſetz, ge - nügt, ſo ſoll es ausnahmsweiſe aufrecht erhalten werden(n)A. L. R. Einl. § 17, ſ. o. § 388. c. Von dem ſehr bedenk - lichen Inhalt dieſer Vorſchrift iſt eben daſelbſt gehandelt worden..
Dieſe Vorſchrift geht gar nicht beſonders auf Teſta - mente, ſondern auf Rechtsgeſchäfte überhaupt, alſo aller - dings auch auf Teſtamente, und weicht bei dieſen von den oben aufgeſtellten Regeln ab. Sie iſt übrigens für den Fall der neuen Einführung des Landrechts bei Teſtamenten ganz unerheblich, weil ſich kaum denken läßt, daß irgend - wo eine ſtrengere Form für Teſtamente, als die landrecht - liche, eingeführt ſein ſollte, ſo daß, dieſer ſtrengeren Form479§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)gegenüber, das Teſtament durch die ſpäter eingeführte land - rechtliche, als die weniger ſtrenge Form, aufrecht erhalten werden könnte. Jene Vorſchrift würde daher eine praktiſche Wichtigkeit erſt dann erhalten, wenn künftig einmal im Preußiſchen Staat irgend eine leichtere Form der Teſta - mente, etwa die des Franzöſiſchen Rechts, eingeführt wer - den ſollte.
B. Die perſönliche Fähigkeit des Teſtators ſoll nach der Zeit des errichteten Teſtaments beurtheilt werden(o)A. L. R. I. 12 § 11.. Dieſe Vorſchrift bezieht ſich jedoch, wie die folgenden Sätze zeigen, auf Veränderungen in den Thatſachen, nicht in den Geſetzen, und kann daher nur durch Analogie auf Verän - derungen in den Geſetzen angewendet werden. Einzelne Anwendungen werden nun in folgender Weiſe gemacht.
C. „ Bei Beurtheilung der Fähigkeit eines Erben oder Legatarii muß auf die Zeit des Erbanfalls geſehen wer - den. “(s)So lautet wörtlich A. L. R. I. 12 § 43.. — Auch dieſe Beſtimmung iſt, ſo wie die vori - gen, gewiß nur von thatſächlichen Veränderungen in der Perſon gemeint, kann aber durch Analogie unbedenklich auch auf Veränderungen in der Geſetzgebung angewendet werden, und ſtimmt in dieſer Anwendung mit unſern Re - geln völlig überein.
Das Oeſterreichiſche Geſetzbuch enthält keine tran - ſitoriſche Beſtimmung über Teſtamente beſonders, wohl aber die allgemeine Vorſchrift, daß das neue Geſetzbuch auf vor - hergegangene Handlungen keinen Einfluß haben ſoll, auch wenn dieſe Handlungen in ſolchen Willenserklärungen beſtehen, die von dem Erklärenden noch eigenmächtig abge - ändert, und nach den in dem gegenwärtigen Geſetzbuche enthaltenen Vorſchriften eingerichtet werden könnten(t)Wörtlich aus dem Einführungspatent von 1811 S. 5. 6.. —481§. 394. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)Damit ſind augenſcheinlich die Teſtamente bezeichnet, und es liegt in dieſen Worten völlig dieſelbe Vorſchrift, welche oben aus dem Preußiſchen Einführungspatent von 1794 § 12 angeführt, und mit unſern Regeln verglichen wor - den iſt.
Die Meinungen der wichtigſten Schriftſteller ſind ſchon oben bei den einzelnen Fragen angegeben worden. Weber fehlt hauptſächlich darin, daß er die Rechtsgültigkeit des Inhalts des Teſtaments abhängig macht von der Ueberein - ſtimmung mit den Geſetzen beider Zeitpunkte, während Bergmann hierin die Zeit des errichteten Teſtaments, und zwar dieſe allein, mit Unrecht berückſichtigen will. Chabot hat hierin richtigere Anſichten, als beide (§ 393. x). Alle aber ſind mehr oder weniger durch folgende Fehler in mannichfaltige Irrthümer gerathen.
Sie haben nicht genug unterſchieden zwiſchen den Ver - änderungen, welche in den thatſächlichen Verhältniſſen, und denen, welche durch neue Geſetze eintreten können; eben ſo zwiſchen den natürlichen Mängeln, und den geſetzlichen Vorſchriften, wodurch die perſönliche Fähigkeit des Teſta - tors gehindert ſeyn kann. Sie haben im Römiſchen Recht die wahren Gründe mancher Beſtimmungen (beſonders der tria tempora) verkannt, und dagegen mit Unrecht andere, unpaſſende, Gründe untergeſchoben, wohin beſonders die regula Catoniana gehört. Ganz vorzüglich aber haben ſieVIII. 31482Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.einzelne tranſitoriſche Vorſchriften des Römiſchen Rechts generaliſirt, und darin den Ausdruck allgemeiner, bleibender Grundſätze über das Verhältniß alter und neuer Geſetze bei Teſtamenten angenommen, ganz gegen die Abſicht der Urheber dieſer Vorſchriften.
II. Die Inteſtaterbfolge hat weit einfachere Ver - hältniſſe, als die teſtamentariſche, da bei ihr nicht zwei, oft ſehr entlegene Thatſachen (Errichtung des Teſtaments und Erbanfall) in Betracht kommen. Darin aber ſtehen beide Fälle einander gleich, daß auch bei der Inteſtaterb - folge ſowohl thatſächliche Verhältniſſe mit ihren Verände - rungen, als neue Geſetze, zu beachten ſind, und daß über jene das Römiſche Recht genaue Regeln aufgeſtellt hat, deren Analogie dann bei dem Fall neuer Geſetze zu be - nutzen iſt.
Die perſönliche Fähigkeit des Verſtorbenen, eine In - teſtaterbſchaft zu hinterlaſſen, iſt zu beurtheilen nach der Zeit des Todes. Das Römiſche Recht erfordert die Civität in dem Sinn, daß nur bei dem Tod eines Römiſchen Bür - gers die Regeln der Römiſchen Inteſtaterbfolge zur Anwen - dung kommen konnten, anſtatt daß die im Römiſchen Staat ſterbenden Ausländer nach dem Recht ihrer Heimath beerbt483§. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)wurden. Ein Römer, der eine magna capitis deminutio erlitten hatte (ein Deportirter, oder ein servus poenae), konnte ohnehin keine Erbſchaft hinterlaſſen; was er hatte, oder zu haben ſchien, gehörte dem Fiscus.
Die perſönliche Fähigkeit, zu irgend einer Inteſtaterb - ſchaft berufen zu werden, beruhte auf derſelben Bedingung der Civität; die magna capitis deminutio machte dazu un - fähig, während die minima kein unbedingtes Hinderniß war, ſondern nur gewiſſe Anſprüche auf Inteſtaterbfolge, die auf Agnation gegründeten, aufhob(a)L 1 § 4. 8 ad Sc. Tert. (38. 17).. Dieſe Fähigkeit mußte gewiß vorhanden ſeyn zur Zeit des Erbanfalls, aber auch zur Zeit des Erwerbs, ja ſogar in der ganzen Zwiſchen - zeit, da jede in dieſer Zeit eintretende Unfähigkeit eines berufenen Inteſtaterben deſſen Erbantheil ſogleich irgend einer anderen Perſon, ſey dieſe neben ihm oder hinter ihm berufen, deferirt (§ 393. m). Dieſe Regeln gelten auf gleiche Weiſe, es mag eine die Erbfähigkeit aufhebende Veränderung bewirkt worden ſeyn durch neue thatſächliche Verhältniſſe, oder durch ein neues Geſetz.
Das Wichtigſte aber und zugleich das Schwierigſte iſt das perſönliche Verhältniß des Inteſtaterben zum Erblaſſer, welches vorzugsweiſe in Verwandtſchaft beſteht. Dieſes Verhältniß iſt entſcheidend ſowohl für den Erbanſpruch jedes Einzelnen überhaupt, als über die beſtimmte Stelle, welche derſelbe in der Reihefolge ſämmtlicher für dieſen31*484Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Erbanfall denkbaren Erben einzunehmen hat. Dieſes per - ſönliche Verhältniß nun muß beurtheilt werden nach der Zeit des Erbanfalls, welche meiſt, jedoch nicht immer, zuſammenfällt mit der Zeit des Todes.
Dabei ſind zu berückſichtigen die zwei Arten von Ver - änderungen, die in dieſer Hinſicht eintreten können.
A. Veränderungen in den thatſächlichen Ver - hältniſſen.
Gleichgültig, ohne allen Einfluß, ſind die Zuſtände und Veränderungen vor dem Tode des Erblaſſers. Zwar kön - nen auch in dieſer Zeit ſehr beſtimmte und wahrſcheinliche Erwartungen entſtanden ſeyn. Auf die Inteſtaterbſchaft eines reichen eheloſen Mannes, der in vorgerückten Jahren ſtand, können nahe Verwandte mit großer Sicherheit ge - rechnet haben, und dieſe Erwartung kann durch eine ſpäte Ehe mit Kindern vereitelt worden ſeyn. Allein bloße Er - wartungen ſind ja überhaupt nicht durch Rechtsregeln zu ſchützen, und jene Verwandte mußten die Möglichkeit die - ſer Veränderung, eben ſo wie die eines Teſtaments, be - denken.
Um aber der genauen Beſtimmung des entſcheiden - den Zeitpunktes näher zu rücken, ſind zunächſt zwei vorläufige, gewiſſermaßen blos verneinende, Regeln zu be - achten.
1. Als Inteſtaterbe kann Niemand betrachtet werden, der erſt nach dem Tode des Erblaſſers erzeugt iſt. Die Grundbedingung alſo beſteht darin, daß ein Inteſtaterbe485§. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)während des Lebens des Erblaſſers geboren oder wenigſtens erzeugt war(b)§ 8 J. de her. quae ab int. (3. 1 ), L. 6. 7. 8 pr. de suis (38. 16). — Ueber die Gleich - ſtellung des nasciturus mit dem natus vgl. oben B. 2 § 62..
2. Wenn ein zur Erbſchaft Berufener dieſelbe aus - ſchlägt, oder vor ihrem Erwerbe ſtirbt, ſo ſcheint es natür - lich, daß in Folge dieſer thatſächlichen Veränderung der zunächſt nach ihm Berufene an ſeine Stelle trete, welches eine successio (ordinum, graduum) genannt wird. Dieſe successio ließ man jedoch im alten Civilrecht nicht zu, in - dem man ſich ängſtlich an den Buchſtaben der Zwölf Tafeln anſchloß; der Prätor ließ dieſelbe in den von ihm neu ein - geführten Klaſſen der Erbfolge zu(c)Gajus III. § 12. 22. 28. Ulpian. XXVI. § 5.. Juſtinian aber hat dieſelbe allgemein zugelaſſen(d)§ 7 J. de legit. agnat. succ. (3. 2)..
Dieſe zwei vorläufige Regeln vorausgeſetzt, haben wir jetzt genauer den Zeitpunkt zu beſtimmen, nach deſſen that - ſächlichen Verhältniſſen die Inteſtaterbfolge zu regeln iſt. Als dieſen Zeitpunkt können wir allgemein angeben den Erbanfall, welcher jedoch nach Umſtänden in zwei ver - ſchiedenen Zeitpunkten eintreten kann.
Wir haben in dieſer Hinſicht zwei Fälle zu unter - ſcheiden.
Der erſte Fall iſt der, wenn ein Teſtament vorhanden iſt, und nur durch deſſen Entkräftung die Inteſtaterbfolge486Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.eröffnet wird. Dann iſt die Zeit dieſer Entkräftung als Zeit des Erbanfalls zu betrachten. Dieſes tritt ein, wenn ein zur Erbſchaft berufener Teſtamentserbe die Erbſchaft ausſchlägt, wenn er vor Antretung derſelben ſtirbt, wenn die Erbeinſetzung an eine Bedingung geknüpft iſt, und dieſe Bedingung vereitelt wird. Es wird aber in allen dieſen Fällen vorausgeſetzt, daß nicht andere Teſtamentserben da - neben ſtehen, durch welche das Teſtament aufrecht erhalten wird. — Der Erbanfall alſo tritt in jenen Fällen ein im Zeitpunkt der Ausſchlagung, oder des Todes des Teſtaments - erben, oder der vereitelten Bedingung; von jeder dieſer Thatſachen kann man behaupten, durch ſie werde es gewiß, daß keine teſtamentariſche Erbfolge eintreten werde, und da - durch werde alſo die Inteſtaterbfolge eröffnet.
Der zweite Fall iſt der, wenn ein Teſtament nicht vor - handen iſt. Dann iſt der Erbanfall unbedingt in den Zeit - punkt des Todes zu ſetzen, in keinen anderen, keinen ſpäteren Zeitpunkt, an welchen man etwa denken könnte.
Genau ſo wird dieſe wichtige Frage entſchieden in fol - gender Stelle der Inſtitutionen(e)§ 6 J. de legit. adgnat. succ. (3. 2). — Für den erſten Fall (des entkräfteten Teſtaments) finden ſich viele Beſtätigungen: Gajus III. § 13, L. 1 § 8, L. 2 § 5, L. 5 de suis (38. 16).: Proximus autem, siquidem nullo testamento facto quisquam decesserit, per hoc tempus requiritur, quo mortuus est is, cujus de hereditate quaeri -487§. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)tur. Quod si facto testamento quisquam deces - serit, per hoc tempus requiritur, quo certum esse coeperit, nullum ex testamento heredem ex - stiturum; tunc enim proprie quisque intestato decessisse intelligitur.
Wir bleiben jetzt bei dem zweiten Falle ſtehen, in welchem kein Teſtament vorhanden iſt. Durch die ausgeſprochene Regel werden wir angewieſen, die berufenen und nicht be - rufenen Inteſtaterben zu beſtimmen lediglich nach dem per - ſönlichen Verhältniß, welches zur Zeit des Todes wahrzu - nehmen war. Man möchte vielleicht ſagen, dieſes ſey keine poſitive Anweiſung, es verſtehe ſich von ſelbſt, indem an irgend einen ſpäteren Zeitpunkt gar nicht gedacht werden könne. Eine ſolche Auffaſſung würde ganz unrichtig ſeyn. Die ſo eben bei den Teſtamentserben angegebenen Fälle können großentheils auch bei den zunächſt berufenen In - teſtaterben eintreten. Mehrere derſelben können ausſchlagen, können vor der Antretung ſterben; was ſoll dann mit den ihnen angebotenen Erbtheilen geſchehen?
Hier ſind zwei Behandlungen möglich. Man kann erſtlich bei der durch die Todeszeit beſtimmten Vertheilung ſtehen bleiben, und den vacant gewordenen Erbtheil, ſo lange es möglich iſt, darauf zurück führen. Dann wird dieſer Erbtheil den Mitberufenen durch jus accrescendi zu - fallen, und nur, wenn ſolche Mitberufene nicht vorhanden ſind, alſo nur als Aushülfe, wird die successio ordinum oder graduum eintreten. — Man kann aber auch zweitens488Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.den umgekehrten Weg einſchlagen, den jetzigen Zeitpunkt, in welchem der Erbtheil vacant wurde, als Zeitpunkt des Erbanfalls betrachten, und hiernach die Inteſtaterbfolge neu reguliren. Dann wird die successio ordinum oder gra - duum voran ſtehen, das jus accrescendi vielleicht als Aus - hülfe angewendet werden.
Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz müſſen wir un - bedenklich die erſte Behandlung vorziehen, alſo die Zeit des Todes als den bleibenden Zeitpunkt des Erbanfalls behan - deln, auch wenn eine ſpäter eintretende thatſächliche Ver - änderung eine nachträgliche Vertheilung nöthig machen ſollte. Oder mit anderen Worten: In der Colliſion des jus accrescendi mit der Successio graduum muß das jus accrescendi den Vorzug erhalten(f)Dieſe Frage bildet den Gegenſtand einer alten, berühm - ten Controverſe. Die hier vor - getragene Meinung wird ver - theidigt von Göſchen Vorleſun - gen III. 2 § 929, und Bau - meiſter Anwachſungsrecht unter Miterben § 5. § 7. — Ein ſchein - barer Zweifel entſteht aus L. 1 § 10. 11 L. 2 ad Sc. Tert. (38. 17), worin allerdings die Re - gulirung nach der ſpäteren Zeit, in welcher der zunächſt Berufene ausſchlägt, anerkannt wird. Allein nach der deutlichen Erklärung die - ſer Stellen liegt darin nicht die Anwendung eines allgemeinen Grundſatzes, ſondern eine beſon - dere Vorſchrift für das Verhält - niß des neu erfundenen Civilerb - rechts zwiſchen Mutter und Kin - dern zu dem jus antiquum der Agnaten. Man wollte verhindern, daß, durch das Ausſchlagen der Mutter oder des Kindes, die Agnaten, unter denen keine suc - cessio graduum galt, vielleicht alles Erbrecht verlieren möchten, ganz gegen die Abſicht der Sena - tusconſulte..
B. Veränderungen in der Geſetzgebung.
Wir haben hier, ſo wie bei den Teſtamenten (§ 393),489§. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)die Analogie der für die thatſächlichen Veränderungen gege - benen Vorſchriften zu befolgen, und wir können es hier ganz unbedenklich, da jene Vorſchriften ganz als der Aus - druck allgemeiner, bleibender Grundſätze anzuſehen ſind, ſo daß dabei nicht, wie bei den Teſtamenten, theilweiſe blos zufällige, hiſtoriſche Anſichten eingewirkt haben.
Halten wir uns ganz an dieſe Analogie, ſo werden wir dadurch zu folgenden Regeln über die Einwirkung neuer Geſetze auf die Inteſtaterbfolge geführt.
1. Ein neues Geſetz, erlaſſen vor dem Erbanfall, muß ſtets auf den einzelnen Fall in der Inteſtaterbfolge einwirken.
2. Als Zeitpunkt des Erbanfalls iſt zu betrachten:
3. Ein nach dem Erbanfall erlaſſenes Geſetz hat keinen Einfluß, ſelbſt wenn es in der Zwiſchenzeit zwiſchen dem Erbanfall und dem Antritt der Erbſchaft erſcheint. Dieſer letzte Satz wird von den meiſten Rechtslehrern an - erkannt(g)Weber S. 96. Chabot T. 1 p. 379. („ au moment de l’ouverture de la succession “). , von manchen aber beſtritten(h)Heiſe und Cropp juri - ſtiſche Abhandlungen, B. 2 S. 123 — 124, 130 — 132..
490Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Der Widerſpruch gegen denſelben gründet ſich haupt - ſächlich auf folgende Verwechſelung. Man ſagt, der Grundſatz der Nichtrückwirkung der Geſetze bezwecke blos die Erhaltung erworbener Rechte. Der berufene Erbe aber habe durch den Erbanfall (die Delation) noch gar kein Recht erworben, ein ſolcher Erwerb trete für ihn ein erſt durch den Antritt der Erbſchaft, und bis zu dieſer könne daher ein neues Geſetz die Erbfolge ändern, ohne ſich einer fehlerhaften Rückwirkung ſchuldig zu machen; beide Mo - mente (Anfall und Erwerb) fielen nur ausnahmsweiſe zu - ſammen, bei dem Suus heres, der ipso jure die Erbſchaft erwerbe.
Allein durch den bloßen Anfall der Erbſchaft iſt dem berufenen Erben ein wirkliches Recht in der That ſchon erworben, und zwar ohne ſein Zuthun, ſelbſt ohne ſein Wiſſen: das ausſchließende Recht nämlich, die deferirte Erbſchaft anzutreten und dadurch in ſein Vermögen zu ver - wandeln, oder aber nach Gutdünken auszuſchlagen. Dieſes iſt ein wahres, erworbenes Recht, eben ſo ſehr, wie jedes andere, durch den Grundſatz der rückwirkenden Kraft gegen ungehörige Einwirkung neuer Geſetze geſchützt, alſo von einer bloßen Erwartung durchaus verſchieden: nur freilich ein Recht ganz anderer Art, und geringeren Umfangs, als das, welches nachher durch den Antritt der Erbſchaft ent - ſteht, und wodurch ein bisher fremdes Vermögen in eigenes Vermögen des Erben unmittelbar verwandelt wird.
491§. 395. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. IV. Erbrecht. (Fortſ.)Die hier aufgeſtellte Regel wird beſtätigt durch folgende tranſitoriſche Vorſchriften.
Ein Geſetz von K. Valentinian II. hatte den blos cognatiſchen Deſcendenten ein Inteſtaterbrecht auf drei Vier - theile des Vermögens ihrer Aſcendenten gegeben, ſo daß die concurrirenden Agnaten nur Ein Viertheil erhalten ſollten(i)L. 4 C. Th. de leg. hered. (5. 1 ), § 16 J. de her. quae ab int. (3. 1).. Juſtinian erklärte die Deſcendenten in dieſer Concurrenz für ausſchließende Erben, alſo für frei von der Abgabe des einen Viertheils an die Agnaten(k)L. 12 C. de suis (6. 55).. Er fügte aber folgende Worte hinzu: Quod tantum in futuris, non etiam praeteritis negotiis, servari decernimus.
Dieſe Worte werden gewiß am einfachſten von einem künftigen Erbanfall verſtanden, ſo daß dieſer, und nicht der Antritt der Erbſchaft, als futurum negotium bezeichnet wird. Daß aber Dieſes in der That im Sinn des Geſetz - gebers lag, folgt unwiderſprechlich aus den unmittelbar vorhergehenden Worten: „ sed descendentes soli ad mortui successionen vocentur “, woraus erhellt, daß die Berufung zur Erbſchaft, alſo die Delation, der Gegenſtand war, worüber der Geſetzgeber verfügen wollte, in ſofern dieſe Berufung nicht unter die praeterita negotia gehöre, worauf das Geſetz nicht einwirken ſolle.
492Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Noch weit beſtimmter ſagt das Preußiſche tranſitoriſche Geſetz von 1794 (bei Einführung des A. L. R.) § 13: Die geſetzliche Erbfolge ..... iſt, wenn der Erbanfall ſich vor dem 1. Jun. 1794 ereignet, nach den bisherigen Geſetzen, ſpäterhin aber ..... nach den Vorſchriften des neuen Landrechts ..... zu beurtheilen.
Damit ſtimmen denn auch alle ſpätere Preußiſche tranſito - riſche Geſetze (§ 383) überein.
III. Unwiderrufliche Erbverträge.
Dieſe haben ganz die Natur von Verträgen überhaupt, und müſſen alſo beurtheilt werden nach dem zur Zeit ihrer Abſchließung geltenden Geſetze(l)Chabot T. 1 p. 133. Struve S. 247 — 249. Vgl. oben § 392.. Gegen dieſe Behauptung iſt die Einwendung erhoben worden, ein Erbvertrag gebe kein unbedingt erworbenes Recht, weil man ſtets ungewiß ſey, welcher von beiden Theilen den anderen überleben werde(m)Weber S. 98 — 99.. Dieſe Einwendung iſt jedoch ohne Bedeutung, weil bedingte Rechte, eben ſo wie unbedingte, wirkliche Rechte ſind, und durch den Grundſatz der Nichtrückwirkung gegen den ungehörigen Einfluß neuer Geſetze geſchützt werden (§ 385. h).
Bei Franzöſiſchen Schriftſtellern findet ſich nicht ſelten eine irrige Verwechſelung der Geſetze über das Familien - recht mit den Geſetzen über den Zuſtand der Perſon an ſich. Da nun bei dieſen letzten von der Erhaltung er - worbener Rechte in der Regel nicht die Rede iſt (§ 389), ſo daß jedes neue Geſetz dabei eine beſonders freie Ein - wirkung haben kann, ſo übertragen ſie dieſes Verhältniß auf die Geſetze über das Familienrecht, ohne zu bedenken, daß dieſe letzten ſtets wahre erworbene Rechte vorfinden, und zu erhalten haben, eben ſo, wie die Geſetze über das Sachenrecht und über die Obligationen. Die Veranlaſſung zu dieſer irrigen Verwechſelung liegt in dem übertriebenen Gebrauch, den ſie von der Eintheilung der Geſetze in statuts personnels und réels (§ 361. Num. 1), ſo wie der gleichnamigen Eintheilung der Rechte(a)Droits personnels ſind die, qui sont attachés aux per - sonnes, droits réels die droits attachés aux biens. machen, wodurch das reine Familienrecht, gleich dem Zuſtand der Perſon an ſich, auf die Seite der droits personnels, und nur das angewandte Familienrecht auf die Seite der droits réels geſtellt wird(b)Chabot I. p. 23. 29 — 31. 34. 377 — 378. — Dagegen ſpricht ſich mit Recht tadelnd aus Bergmann § 50, doch ohne. — Obgleich nun dieſe Auffaſſung grund -494Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſätzlich durchaus zu verwerfen iſt, ſo hat ſie ſich doch in der Anwendung weniger verderblich gezeigt, als man er - warten möchte, da manche der wichtigſten einzelnen Fragen, die ſie zu dem Familienrecht ziehen, in der That zu der Handlungsfähigkeit gehören(c)Dahin gehört beſonders die autorisation maritale, die nicht eigentlich zum Eherecht, ſon - dern zu der Geſchlechtsvormund - ſchaft zu rechnen iſt, ſ. o. § 389 Num. 2., und auf der anderen Seite manche wichtige Geſetze über das wahre Familienrecht, beſonders die Ehe, von dem Grundſatz der Nichtrückwirkung deswegen nicht beherrſcht werden, weil ſie nicht auf den Erwerb, ſondern auf das Daſeyn der Rechte ſich beziehen.
Da die Ehe ein wahrer Vertrag iſt(e)S. o. B. 3 § 141., ſo möchte man erwarten, daß über das geſammte Recht derſelben lediglich das zur Zeit der geſchloſſenen Ehe geltende Geſetz entſcheiden müſſe. Indeſſen hat dieſe, an ſich richtige, Regel im reinen Eherecht (d. h. abgeſehen von dem Einfluß der Ehe auf das Vermögen)(f)Ueber den Begriff des reinen und angewandten Fami - lienrechts ſ. o. B. 1 § 54. 58. nur eine mäßige Anwendbarkeit.
Der rechtsgültige Abſchluß der Ehe muß allerdings ausſchließend nach dem zu dieſer Zeit geltenden Geſetz be - urtheilt werden(g)Aus denſelben Gründen, die oben für das örtliche Recht geltend gemacht worden ſind (§ 379); vgl. Code civil art. .
(b)die eben gerügte Verwechſelung ſcharf genug hervor zu heben.
495§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.Die perſönliche Gewalt des Mannes über die Frau iſt überhaupt ein Gegenſtand von ſehr beſchränkter Einwirkung des Geſetzes und des Richteramtes. — Der juriſtiſch wichtigſte Fall der Anwendung einer ſolchen Gewalt aber, nämlich die eheliche Vormundſchaft, gehört überhaupt nicht zum Eherecht, ſondern zum Zuſtand der Perſſon an ſich (Note c).
Wichtiger als alles Andere würde die Eheſcheidung ſeyn, wenn dieſe nach dem zur Zeit der abgeſchloſſenen Ehe geltenden Geſetz zu beurtheilen wäre. Es wird aber unten gezeigt werden, daß weder dieſe Zeit, noch die Zeit der Thatſache, die als Scheidungsgrund dienen ſoll, maaß - gebend ſeyn darf, ſondern allein die Zeit der Scheidungs - klage(h)S. u. § 399. Vgl. § 379 N. 6..
Dagegen iſt das eheliche Güterrecht (das angewandte Eherecht) ein höchſt wichtiger Gegenſtand der Anwendung unſrer Grundſätze. Hier nun müſſen wir behaupten, daß das zur Zeit der abgeſchloſſenen Ehe geltende Geſetz in der Regel angewendet werden muß, auch wenn ſpätere Geſetze das eheliche Güterrecht abändern(i)Die meiſten Schriftſteller ſtimmen damit überein. Chabot T. 1 p. 79 — 81. Meyer p. 167. Pfeiffer praktiſche Ausführun - gen B. 2 S. 271 — 276. Mit - termaier deutſches Recht § 400. Num. V. . Dieſe Frage iſt nahe verwandt mit der Frage nach dem anwendbaren örtlichen(g)170. — Dieſelbe Meinung hat Reinhardt zu Glück B. 1 S. 10. Etwas abweichend iſt Berg - mann S. 30.496Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Recht, und die meiſten Gründe(k)Ich ſage: die meiſten Gründe, nicht alle. Denn hier paßt nicht der Grund, daß die einſeitige Willkür des Mannes, von welchem die Wahl des Wohn - ſitzes abhängt, das beſtehende Gü - terrecht nicht abändern dürfe. Die Veränderung im Geſetz hängt allerdings nicht ab von der Will - kür des Mannes., die bei dieſer letzten Frage oben (§ 379) für die Behauptung geltend gemacht worden ſind, daß das am Wohnſitz des Mannes zur Zeit der geſchloſſenen Ehe geltende Geſetz angewendet werden müſſe, ohne Einfluß ſpäterer Veränderung des Wohnſitzes, ſprechen auch gegen den Einfluß ſpäterer Veränderung der Geſetze.
Anwendungen dieſes wichtigen Grundſatzes ſind fol - gende:
Das Verhältniß des Dotalrechts zum Recht der Güter - gemeinſchaft; ob eines dieſer Inſtitute ausſchließend gelten ſoll, oder beide neben einander, und in welcher Stellung gegen einander.
Die Natur der Dos; dos profectitia: Uebergang der Rückforderung auf die Erben; unmittelbarer Rückfall des Eigenthums auf die Erben. — Es iſt jedoch zu bemerken, daß, wo die Dos nach rein Römiſchem Grundſatz nur durch die willkürliche Handlung der beſtellenden Perſon entſteht (nicht ipso jure), nicht die Zeit der geſchloſſenen Ehe, ſondern die Zeit der Beſtellung der Dos, das anwendbare Geſetz beſtimmen muß. Dieſer Punkt iſt ausdrücklich aner - kannt in einer tranſitoriſchen Vorſchrift von Juſtinian(l)L. un. in f. C1 de rei ux. act. (5. 13).. 497§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.— Ganz eben ſo muß aber auch die Gütergemeinſchaft nach dem Geſetz irgend eines ſpäteren Zeitpunktes beur - theilt werden, wenn ſie in einem einzelnen Fall begründet wird, nicht durch das zur Zeit der abgeſchloſſenen Ehe beſtehende Geſetz, ſondern durch einen in ſpäterer Zeit ge - ſchloſſenen Vertrag der Ehegatten(m)Darin liegt alſo eine conſequente Ausnahme der oben (Note i) anerkannten Regel..
Die Folgen einer zweiten Ehe in Beziehung auf das Vermögen. Auch das iſt anerkannt durch eine tranſitoriſche Vorſchrift von Juſtinian(n)Nov. 22 C. 1..
Die Einſchränkungen der Liberalität unter Ehegatten werden unter (§ 399) erwähnt werden.
Die ſogenannte Erbfolge der Ehegatten hat eine zwei - deutige Natur. Oft iſt ſie die bloße Entwickelung und Nachwirkung eines ſchon unter den Lebenden beſtehenden Güterrechts, insbeſondere der Gütergemeinſchaft in irgend einer ihrer vielfachen Geſtalten. Dann richtet ſie ſich nach dem Geſetz der Zeit, in welcher dieſes Rechtsverhältniß entſtanden iſt, welches in der Regel die Zeit der abge - ſchloſſenen Ehe ſeyn wird, zuweilen die Zeit eines ſpäterhin abgeſchloſſenen Vertrags (Note i und m). — In anderen Fällen dagegen iſt die Erfolge der Ehegatten eine wahre, reine Inteſtaterbfolge, und dieſe iſt ſtets zu beurtheilen nach dem zur Zeit des Erbanfalls geltenden Geſetz. Unter dieſe anderen Fälle gehört das Edict unde vir et uxor und die Erbfolge des armen Ehegatten nach RömiſchemVIII. 32498Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Recht. Eben ſo nach dem Brandenburgiſchen Provinzial - recht die Joachimica(o)Ueber dieſen Unterſchied iſt zu vergleichen § 379 Num. 5, und über die bei der wahren Inteſtaterbfolge anwendbate Regel § 395. B. .
Dieſelben Unterſcheidungen und Regeln ſind auch anzu - wenden auf die Erbfolge der Kinder, in ſofern dieſe mit dem unter den Eltern beſtehenden ehelichen Güterrecht in Zuſammenhang ſteht.
Alle dieſe Regeln werden natürlich nur dann zur An - wendung kommen, wenn das neue Geſetz über das eheliche Güterrecht nicht von beſonderen tranſitoriſchen Vorſchriften begleitet iſt, und dieſe werden gerade bei dem hier vorlie - genden Gegenſtand häufiger, als in anderen Fällen, zu erwarten ſeyn. Wenn etwa ein Geſetzgeber an die Stelle des bisher in ſeinem Lande ausſchließend geltenden Dotal - rechts die allgemeine Gütergemeinſchaft ausſchließend ein - führen wollte, oder umgekehrt, ſo würde er doch ſchwerlich unterlaſſen, an die jetzt vorhandenen zahlreichen Ehen zu denken, und das Verhältniß des neuen Geſetzes zu denſelben zu beſtimmen.
Ich will zum Schluß dieſer Unterſuchung einige wirklich erlaſſene tranſitoriſche Vorſchriften über neue, die Ehe be - treffende, Geſetze zuſammen ſtellen.
Zwei Geſetze von Juſtinian, worin die hier aufge - ſtellten Grundſätze anerkannt und angewendet werden, ſind bereits angegeben worden (Note l und n).
499§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.Im Preußiſchen Recht kommen folgende tranſitoriſche Beſtimmungen vor(p)Die Beſtimmungen über die Scheidungsgründe werden un - ten erwähnt werden, § 399. e. .
Das Einführungspatent des allgemeinen Landrechts von 1794 verordnet im § 14, daß das eheliche Güterrecht, mit Einſchluß der durch eine Scheidung etwa herbeigeführten Auseinanderſetzung, beurtheilt werden ſoll nach dem zur Zeit der geſchloſſenen Ehe geltenden Geſetz; ganz nach dem hier aufgeſtellten Grundſatz. — Für den Fall einer auf das gemeine Recht (nicht auf Provinzialrecht) zu gründenden Inteſtaterbfolge wird dem Ueberlebenden die Wahl gelaſſen, ob er nach dem zur Zeit der geſchloſſenen Ehe geltenden Geſetz, oder nach dem Landrecht erben wolle. Dieſes iſt eine ganz neue, völlig poſitive Beſtimmung, die durch keinen Rechtsgrundſatz begründet werden kann. Indeſſen liegt darin gewiß keine Härte oder Ungerechtigkeit, da es ſtets in der Macht jedes Ehegatten ſteht, dieſen künftigen Erfolg durch Teſtament zu verhüten. Hat alſo der Verſtorbene Dieſes unterlaſſen, ſo kann man annehmen, er ſey mit dieſer geſetzlichen Begünſtigung des Ueberlebenden einver - ſtanden geweſen.
Mit dieſen Vorſchriften ſtimmen weſentlich überein die tranſitoriſchen Geſetze von 1814 und 1816(q)(S. o. § 383.) — Pro - vinzen jenſeits der Elbe § 9, Weſt - preußen § 11. 12, Poſen § 11, Sachſen § 11. Die hier und da anders gefaßten Beſtimmungen beziehen ſich auf das Provinzial - recht, nicht auf unſre Frage. Das.
Die Entſtehung derſelben iſt zu beurtheilen nach dem Geſetz der Zeit, in welche die dazu führenden Thatſachen fallen. So hat Juſtinian die neue Regel eingeführt, daß die Adoption eines in fremder väterlicher Gewalt ſtehenden Kindes in den meiſten Fällen nicht mehr eine neue väterliche Gewalt gründen, ſo wie die bisherige auf - heben ſollte(r)L. 10 C. de adopt. (8. 48 ), § 2 J. de adopt. (1. 11). — Nämlich mit Ausnahme des Falles, wenn der Adoptivvater zugleich ein natürlicher Aſcendent des Kindes iſt.. Dieſes Geſetz war gewiß anwendbar auf alle ſpäter vorgenommene Adoptionen; den früheren war ihre bis dahin geltende ſtärkere Wirkung nicht entzogen. — Eben ſo richtet ſich die Legitimation durch nachfolgende Ehe lediglich nach dem Geſetz, welches zur Zeit der ge - ſchloſſenen Ehe beſteht, ohne Rückſicht auf ein ſpäteres Ge - ſetz, oder auf das Geſetz zur Zeit der Geburt des Kindes (§ 380).
Die perſönlichen Rechte des Vaters über das Kind ge - hören nicht hierher; die Geſetze, die darüber beſtimmen, betreffen das Daſeyn des Rechts, nicht den Erwerb, wirken alſo auch auf die ſchon beſtehenden Rechtsverhältniſſe ein (§ 398).
(q)Geſetz für das Herzogthum Weſt - phalen 1825 ſagt über dieſe Ge - genſtände gar Nichts, weil es im § 4 von der Einführung des A. L. R. vorläufig ganz ausnimmt die drei erſten Titel des zweiten Theils, welche allein von der Ehe und Inteſtaterbfolge handeln.
501§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.Was die Rechte im Vermögen betrifft, ſo liegt der Ge - danke ſehr nahe, auf die väterliche Gewalt dieſelben Regeln anzuwenden, die ſo eben für die Ehe aufgeſtellt worden ſind. Dieſes würde die Folge haben, daß die Rechte am Vermögen unabänderlich feſtgeſtellt wären durch das Geſetz, unter welchem die väterliche Gewalt entſtanden iſt, alſo durch das zur Zeit der Geburt des Kindes geltende Geſetz, ſo daß ein neues Geſetz blos auf die künftig geborenen Kinder Anwendung finden würde. Bei genauerer Betrachtung aber zeigt ſich dieſe Analogie als eine bloße Täuſchung, und wir müſſen vielmehr annehmen, daß das neue Geſetz die Vermögensverhältniſſe ſogleich umbildet, auch in Be - ziehung auf die jetzt lebenden Kinder. Ich will damit an - fangen, dieſen Satz durch ein Beiſpiel anſchaulich zu machen, bevor ich den Beweis deſſelben unternehme.
Nach dem älteren Römiſchen Recht konnte ein Kind in väterlicher Gewalt kein Vermögen haben, indem alles durch ſeine Handlungen Erworbene unmittelbar dem Vater er - worben wurde. Dieſer Satz wurde im Lauf der Zeit be - ſchränkt bei manchen Arten des Erwerbes, namentlich bei dem castrense peculium, den bona materna u. ſ. w.; als Regel aber blieb er beſtehen. Juſtinian hob dieſe Regel von Grund aus auf, indem er verordnete, daß jeder Erwerb des Kindes, wohin alſo auch der auf den eigenen Fleiß und das Gewerbe des Kindes gegründete gehört, eigenes Vermögen des Kindes, nicht mehr Vermögen des Vaters, bilden502Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſollte(s)L. 6 C. de bon. quae lib. (6. 61 ), § 1 J. per quas pers. (2. 9).. Fragen wir nun, für welche Fälle dieſes neue Geſetz anzuwenden war, ſo würde die angegebene täuſchende Analogie dahin führen, es blos auf die ſpäterhin gebornen Kinder anzuwenden. Nach der hier aufgeſtellten Behauptung dagegen müſſen wir ſagen, daß, von der Erſcheinung des Geſetzes an, jeder neue Erwerb der Kinder als ihr eigenes Vermögen zu betrachten war; nur blieb das, welches ſie ſchon vorher erworben hatten, Vermögen des Vaters. Es war alſo das Schickſal des neuen Erwerbes, die Erwerbs - fähigkeit, durch das neue Geſetz augenblicklich umgebildet, nicht das ſchon erworbene Vermögen.
Der Beweis für die Wahrheit dieſer Behauptung liegt nun darin, daß die für den Erwerb des Kindes geltenden Regeln als Folgen der mehr oder weniger beſchränkten Rechtsfähigkeit des Kindes zu betrachten ſind(t)S. o. B. 2 § 67.; als ſolche aber gehören ſie dem Zuſtand der Perſon an ſich an, bei welchem der Grundſatz der Nichtrückwirkung keine An - wendung findet (§ 389). Gerade hierin zeigt ſich ein durch - greifender Unterſchied zwiſchen der väterlichen Gewalt und der Ehe, indem das eheliche Güterrecht (Dotalrecht oder Gütergemeinſchaft) mit der Rechtsfähigkeit gar nicht zu - ſammenhängt. — Dieſes iſt der juriſtiſche Ausdruck des durchgreifenden Unterſchieds beider Rechtsverhältniſſe. Auf denſelben Erfolg aber werden wir geführt, wenn wir von503§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.einem anderen Standpunkt aus die Sache betrachten. Die Ehe iſt ein Rechtsverhältuiß zwiſchen zwei unabhängigen, ſelbſtſtändigen Perſonen, durch deren freie Willkür, durch Vertrag, gebildet. Die väterliche Gewalt entſteht dagegen durch die Geburt des Kindes, alſo durch ein bloßes Natur - ereigniß, auf die unfreiwilligſte Weiſe. Dabei kann von einem fortwirkenden Willen, von einer vertragsmäßigen Feſtſtellung der Rechtsverhältniſſe, nicht die Rede ſeyn.
Was nun hier von den durch den äußerſten Gegenſatz eingreifenden neuen Geſetzen geſagt worden iſt, muß eben ſo auf die geringeren geſetzlichen Abänderungen angewendet werden, da jene und dieſe Geſetze nur im Grade der Ein - wirkung verſchieden, in der inneren Natur aber gleichartig ſind. Wenn alſo ein neues Geſetz den väterlichen Nieß - brauch am Vermögen der Kinder einführt oder aufhebt, oder auf längere oder kürzere Lebensjahre des Kindes vor - ſchreibt, ſo muß daſſelbe ſogleich zur Anwendung kommen, auch an dem ſchon vorhandenen Vermögen der jetzt leben - den Kinder(u)Weber S. 86. Rein - hardt zu Glück B. 1 S. 11. — Man könnte glauben, Dieſes wi - derſpreche nach R. R. der Natur des Nießbrauchs, welcher, einmal erworben, bis zum Tode des Nieß - brauchers fortdauere. Allein die - ſer, auf dem Familienverhältniß beruhende, Nießbrauch hat eine andere Natur, auch ſchon nach R. R., welches dem emancipirenden Vater, als beſondere Belohnung der Emancipation, den fortdauern - den Nießbrauch an der Hälfte des Vermögens geſtattet. L. 6 § 3 C. de bon. quae lib. (6. 61)..
Die hier aufgeſtellten Regeln werden nicht blos von Schriftſtellern anerkannt, ſondern auch in neueren504Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.tranſitoriſchen Geſetzen des Preußiſchen Staates in Be - ziehung auf den elterlichen Nießbrauch(v)Provinzen jenſeits der Elbe 1814 § 10. Weſtpreußen 1816 § 13. Poſen 1816 § 13. (ſ. o. § 383)..
Die Auflöſung der väterlichen Gewalt, namentlich durch Emancipation, ſteht unter dem Geſetz der Zeit, in welche die auflöſende Thatſache fällt. Eben ſo ſtehen unter dieſem die Folgen der Auflöſung, wohin auch das praemium emancipationis gehört (Note u).
Von den Rechtsverhältniſſen der unehelichen Kinder wird unten die Rede ſeyn (§ 399).
Dieſe erſcheint im heutigen Recht als Ausübung eines dem Staate zuſtehenden Schutzrechts, folglich als ein Zweig des öffentlichen Rechts (§ 380. C). Es hat alſo keinen Zweifel, daß dieſelbe jederzeit durch neue Geſetze umgebildet werden kann. Betreffen ſolche neue Geſetze die Art der Entſtehung der Vormundſchaft in einzelnen Fällen, ſo wird nicht leicht ein Bedürfniß angenommen werden, auch die ſchon errichteten Vormundſchaften darnach abzuändern, ob - gleich das Recht auch zu dieſer Abänderung keinem Zweifel unterworfen ſeyn könnte. Hat das Geſetz darüber Nichts beſtimmt, ſo wird es nur auf künftig zu errichtende Vor - mundſchaften zu beziehen ſeyn.
Die aus Veranlaſſung einer Vormundſchaft entſtehenden Obligationen (actio tutelae directa, contraria) ſind nach505§. 396. A. Erwerb der Rechte. Anwendungen. V. Familienrecht.den für die Obligationen geltenden Regeln zu beurtheilen (§ 392).
Ein blos dem alten Recht angehörendes, die Freilaſſung der Sklaven betreffendes, Geſetz iſt hier deswegen zu er - wähnen, weil ſich dabei eine tranſitoriſche Vorſchrift findet, welche von neueren Schriftſtellern nicht ganz richtig aufge - faßt zu werden pflegt.
Die Lex Junia hatte verordnet, daß in vielen Fällen einer unvollſtändigen Freilaſſung, der Freigelaſſene zwar wirklich frei, und zwar Latinus, werden, auch Vermögen zu erwerben fähig ſeyn ſollte, daß aber ſein erworbenes Vermögen im Augenblick des Todes dem Patron zufallen ſollte, und zwar nicht als Erbſchaft, ſondern vermöge der Fiction, als wäre der Freigelaſſene im Sklavenſtand ge - ſtorben(w)Gajus III. § 56.. Dieſe unvollſtändige Freilaſſung verwandelte Juſtinian in eine vollſtändige, ſo daß das Vermögen des Freigelaſſenen auf dieſem Wege nicht mehr an den Patron fallen ſollte. Er fügte aber hinzu, dieſe neue Vorſchrift ſolle nur auf künftige Freilaſſungen angewendet werden; auf frühere Freilaſſungen ſolle das alte Recht angewendet werden, ohne Unterſchied, ob der Freigelaſſene bereits ver - ſtorben ſey oder noch lebe(x)L. un. § 13 C. de Lat. libert. toll. (7. 6).. — Dieſes war nun nicht ein neues Geſetz über die Erbfolge (wie es neuere Schrift -506Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſteller gewöhnlich anſehen), ſondern über die Freilaſſung, und die mit derſelben verbundene Beſchränkung des Ver - mögens. Die tranſitoriſche Vorſchrift war der Natur des Rechtsverhältniſſes völlig angemeſſen.
Durch die bisher geführte Unterſuchung iſt für die zeit - liche Einwirkung neuer Geſetze auf die einzelnen Klaſſen der Rechtsverhältniſſe eine regelmäßige Gränze feſtgeſtellt worden. Ausnahmen von dieſen Regeln ſind in zwei entgegengeſetzten Richtungen denkbar; ſie können die Wirk - ſamkeit des neuen Geſetzes, in Vergleichung mit den auf - geſtellten Regeln, entweder erweitern oder einſchränken.
Eine Erweiterung der Wirkſamkeit eines neuen Ge - ſetzes, alſo eine rückwirkende Kraft des Geſetzes als Aus - nahme, wird meiſt den Sinn haben, daß der Geſetzgeber, von dem Gefühl der Wichtigkeit einer neuen Maaßregel durchdrungen, derſelben ſo weit Geltung zu verſchaffen ſucht, als ſeine Macht reicht. Ein Beiſpiel iſt oben ange - geben worden an einem Römiſchen Wuchergeſetz (§ 386. f. g.). Schwerlich möchte ſich je eine Ausnahme dieſer Art rechtfertigen laſſen, indem ſtets der auf dieſem Wege zu erreichende Vortheil überwogen werden wird von dem ungünſtigen Eindruck, der ein ſo willkürliches Durchgrei - fen, ſelbſt bei guter Abſicht, zu begleiten pflegt. — Es507§. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen.giebt aber auch Fälle, in welchen eine ſolche Ausnahme durch andere Beweggründe veranlaßt wird, insbeſondere durch die Abſicht einer Schonung des Einzelnen ohne Verletzung Anderer. Eine ſolche Bedeutung hat die Vor - ſchrift des Preußiſchen Rechts, daß ein milderes neues Strafgeſetz auch auf die unter dem alten Geſetz begangenen Verbrechen angewendet werden ſoll(a)S. o. § 387. b. Dieſe Beſtimmung wird ſchon gerechtfertigt durch die dem Geſetzgeber im einzelnen Fall ohnehin zuſtehende Be - gnadigung.. Eine gleich ſcho - nende Abſicht liegt zum Grunde bei einem anderen Preußi - ſchen Geſetz, nach welchem die Formfehler eines Rechts - geſchäfts dadurch unſchädlich gemacht werden, daß ein neue - res Geſetz eine leichtere Form vorſchreibt, welcher die frü - her vorgenommene Handlung genügt. Die bedenkliche Ra - tur dieſer Vorſchrift iſt jedoch ſchon oben bemerklich ge - macht worden (§ 388. c).
Eine Einſchränkung der Wirkſamkeit eines neuen Geſetzes als Ausnahme hat weit weniger Bedenken. Sie hat zum Zweck die Schonung bloßer Erwartungen, die durch den oben aufgeſtellten Grundſatz allerdings nicht ge - ſchützt werden (§ 385), und ſie beruht ſtets auf der Ueber - zeugung, daß die Vorſchrift eines neuen Geſetzes, wenn - gleich an ſich heilſam, doch nicht von ſo durchgreifender Wichtigkeit ſey, um eine augenblickliche unbedingte Ausfüh - rung zu erfordern, wodurch vielleicht individuelle Intereſſen gefährdet werden können.
508Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß daſſelbe Römi - ſche Kaiſergeſetz, welches die rückwirkende Kraft der Ge - ſetze im Allgemeinen verneint, den Vorbehalt einzelner Aus - nahmen ausdrücklich hinzufügt (§ 386. a), deſſen es je - doch nicht einmal bedurfte, da er ſich ohnehin von ſelbſt verſtand. Im Laufe unſerer Unterſuchung ſind nun viele Fälle ſolcher einzelnen Ausnahmen angegeben worden, theils aus dem Römiſchen Recht, theils aus neueren Geſetzgebun - gen. Es waren dieſes Fälle beider Arten von Ausnahmen, ſowohl erweiternde(b)Solche Fälle kommen vor in den §§ 386. 388. 390. 391. 394., als einſchränkende(c)So in den §§ 391 und 394., und es ver - dient bemerkt zu werden, daß die Fälle der zweiten Art häufiger ſind, als die der erſten. — Ferner iſt bereits be - merkt worden, daß die im Römiſchen Recht enthaltenen ein - zelnen Ausnahmen für uns keine praktiſche Bedeutung haben, ſelbſt da, wo etwa das Römiſche Recht für irgend ein Land neue Geltung als gemeines Recht erlangen möchte (§ 386).
Solche Ausnahmen nun werden wir bei künftigen neuen Geſetzen nur da anzuerkennen haben, wo ſie recht beſtimmt vorgeſchrieben ſind, da der Geſetzgeber, wenn er ſich zu einer Ausnahme entſchließt, alſo des Gegenſatzes zwiſchen Regel und Ausnahme ſich deutlich bewußt wird, gewiß Veranlaſſung hat, darüber eine ausdrückliche, unzweideutige Erklärung auszuſprechen. Auch iſt es als merkwürdig her -509§. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen.vorzuheben, daß gerade das Römiſche Kaiſergeſetz, welches ſeitdem die Grundlage unſerer ganzen Lehre für alle Zeiten geworden iſt, den Vorbehalt von Ausnahmen ſo aus - drückt: nisi nominatim et de praeterito tempore ..... cautum sit (§ 386. a).
Ganz abweichend von dieſer, im Römiſchen Recht ſelbſt anerkannten und geforderten, Vorſicht, hat ein neuerer Schrift - ſteller verſucht, durch mancherlei Anweiſungen den neuen Geſetzen die vielleicht gehegte Abſicht rückwirkender Kraft abzumerken(d)Weber S. 78. 106 — 109. 137 fg. — Bergmann ſtellt § 26. 29 vorſichtigere An - ſichten auf, jedoch nicht, ohne in den §§ 4. und 5. an dem unrich - tigen Verfahren von Weber eini - gen Antheil genommen zu haben.. Es ſind dabei Gegenſätze, die gar nicht hierher gehören, eingemiſcht worden, wie die zwiſchen Nich - tigkeit und verſagtem Klagrecht, ipso jure und per exce - ptionem u. ſ. w. Auf dieſem Wege kommt man nicht nur dahin, es mit der Anerkennung von Ausnahmen ungebühr - lich leicht zu nehmen, ſondern es werden dadurch unver - merkt die Begriffe von Regel und Ausnahme, ſo wie die Gränzen zwiſchen beiden, verwiſcht oder ſchwankend ge - macht. Beſonders iſt ein ſolches Verfahren bedenklich in Anwendung auf neuere Geſetzgebungen, in welchen ein ſo feſtes Syſtem von Begriffen und Kunſtausdrücken, wie im Römiſchen Recht, gar nicht vorausgeſetzt werden darf, und denen daher geradezu Gewalt angethan wird durch eine510Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Auslegung, die dennoch ſtillſchweigend auf einer ſolchen Vorausſetzung beruht(e)Ein ganz ähnlicher Tadel iſt bereits ausgeſprochen worden bei den örtlichen Gränzen der Geſetze § 374. C. .
Merkwürdigerweiſe fügt das Römiſche Recht für den Fall der erweiternden Ausnahmegeſetze eine Einſchränkung hinzu, die alſo als die Ausnahme einer Ausnahme zu be - trachten iſt. Die ausnahmsweiſe vorgeſchriebene Rückwir - kung ſoll nämlich nicht eintreten, wenn das Rechtsverhält - niß, worauf ſie bezogen werden könnte, bereits durch Urtheil oder Vergleich entſchieden worden iſt (judicatum vel trans - actum). Dieſe Einſchränkung iſt zwar nirgend als blei - bender, allgemeiner Grundſatz ausgeſprochen, ſie wird aber in ſo vielen einzelnen Stellen des Römiſchen Rechts über - einſtimmend wiederholt, daß ſie unzweifelhaft als eine von den Römern allgemein anerkannte Regel betrachtet werden muß(f)Bergmann S. 138. 146, wo dieſe Stellen überſichtlich an - gegeben werden.. Sie hat auch einen inneren Grund darin, daß ſowohl das Urtheil, als der Vergleich das urſprüngliche Rechtsverhältniß umbildet, ſo daß nun an die Stelle des Rechtsverhältniſſes, worauf ſich das neue Geſetz bezog, eigentlich ein anderes getreten iſt.
Unter dem Urtheil aber iſt hier nicht blos ein rechts - träftiges zu verſtehen, ſondern, bei noch ſchwebendem Rechtsſtreit, auch ſchon ein Urtheil erſter Inſtanz, wenn etwa während der Appellationsinſtanz das neue Geſetz er -511§. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen.ſcheint(g)Nov. 115 pr. und C. 1.. Der Grund liegt darin, daß der erſte Richter nur nach dem zur Zeit ſeines Urtheils geltenden Geſetz entſchei - den durfte, der Appellationsrichter aber nur ein irriges, in ſich nicht gerechtfertigtes, Urtheil abändern darf.
Unter dem Vergleich ferner iſt hier nicht blos der Ver - gleich im ſtreng juriſtiſchen Sinne des Wortes (die trans - actio) zu verſtehen, ſondern jede vertragsmäßige Beſeitigung eines Rechtsſtreits, welche bewirkt werden kann durch frei - williges Nachgeben von der einen oder andern Seite, alſo durch Erlaß, Verzicht, Anerkenntniß, Erfüllung eines An - ſpruchs, mag jenes Nachgeben ganz oder theilweiſe ge - ſchehen, und ſo zur völligen Beendigung des Streites führen(h)Bergmann § 25. — Vgl. auch oben B. 7 § 302..
Unter die hier dargeſtellten Ausnahmen wird gewöhnlich der Fall einer authentiſchen Geſetzauslegung gerechnet(i)S. o. B. 1 § 32., ſo daß auch ein ſolches Geſetz rückwirkende Kraft auf frü - here Rechtsverhältniſſe haben ſoll. Allerdings iſt gegen die Rückanwendung eines blos auslegenden Geſetzes Nichts einzuwenden(k)Sie wird ausdrücklich be - ſtätigt in Nov. 143 pr., am Schluß der Stelle., und nur die Auffaſſung derſelben als eines Ausnahmefalles iſt zu verwerfen: eine Meinungs -512Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.verſchiedenheit, die daher eine mehr theoretiſche, als prakti - ſche Beſchaffenheit hat. — Wird ein auslegendes Geſetz gegeben, ſo iſt für den Richter der Inhalt deſſelben, alſo der dadurch feſtgeſtellte Sinn des früheren Geſetzes, wahr und gewiß, ſeine perſönliche Ueberzeugung mag damit über - einſtimmen oder nicht. Urtheilt er alſo in Gemäßheit des auslegenden Geſetzes, ſo wendet er in der That das aus - gelegte Geſetz an, nicht das auslegende (welches ihm nur das Verſtändniß für das frühere eröffnet), und darin liegt alſo keine Rückwirkung.
Gegen die Natur einer Ausnahme ſpricht auch ſchon der Umſtand, daß dieſe Art der Anwendung ſo im Allge - meinen, und nicht blos bei einzelnen auslegenden Geſetzen, anerkannt wird. Wäre es Ausnahme, ſo müßte es in ein - zelnen Fällen auch wohl anders ſeyn können, welches jedoch ganz unnatürlich, und dem Verhältniß des Geſetz - gebers zum Richter widerſprechend, ſeyn würde.
Man könnte etwa glauben, eine praktiſche Seite die - ſer verſchiedenen Auffaſſung müſſe darin liegen, daß nach der von mir vertheidigten Anſicht die oben erwähnten Einſchränkungen (Urtheil und Vergleich) nicht gelten würden. In der That aber gelten dieſe, nur aus einem etwas anders gewendeten Grunde. Wenn wir durch das auslegende Geſetz erfahren, daß das frühere Urtheil, oder der frühere Vergleich, von einer irrigen Auslegung ausgegangen ſind, ſo verlieren ſie dadurch niemals ihre513§. 397. A. Erwerb der Rechte. Ausnahmen.Wirkſamkeit(l)Das Urtheil iſt nicht nich - tig, da es gewiß nicht gegen ein klares Geſetz geſprochen iſt. We - ber S. 212 — 214. — (Nur etwa, wenn das auslegende Geſetz wäh - rend der Appellationsinſtanz er - ſchiene, hätte deshalb der Appel - lationsrichter zu reformiren). — Der Vergleich kann ſelbſt wegen eines thatſächlichen Irrthums nicht angefochten werden. L. 65 § 1 de cond. indeb. (12. 6 ), L. 23 C. de transact. (2. 4). Vgl. auch oben B. 7 S. 42.. Auch hier alſo iſt entſcheidend der ſchon oben geltend gemachte Umſtand, daß Urtheil und Vergleich das frühere Verhältniß umbilden.
Die hier aufgeſtellte Regel über wohlbegründete Rück - anwendung geht nicht blos auf die eigentliche Auslegung eines dunklen Geſetzes, ſondern auch auf die Anerkennung und Beſtätigung eines früheren Geſetzes oder Gewohnheits - rechts, wenn deſſen Daſeyn oder verbindende Kraft bisher zweifelhaft war. Dagegen geht ſie nicht auf die Wieder - herſtellung eines älteren, bisher außer Geltung geſetzten, Geſetzes.
Ganz irrig unterſcheiden Manche zwiſchen einem richtig oder irrig auslegenden Geſetz, weil das letzte in der That neues Recht bilde. Durch eine ſolche Annahme würde ſich der Richter in der That über den Geſetzgeber ſtellen, alſo ſeine wahre Stellung gänzlich verkennen. Alles kommt darauf an, ob der Geſetzgeber das Geſetz als ein ausle - gendes gedacht und ausgeſprochen hat, nicht ob es eine, nach der Meinung des Richters, richtige Auslegung ent - hält(m)Ueber die Rückanwendung auslegender Geſetze, vgl. über - haupt Weber S. 54 — 61, S. 194 — 208. Bergmann § 10 — 12, § 31 — 33..
VIII. 33514Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Die Rückanwendung auslegender Geſetze hat im Preußi - ſchen Recht Anerkennung gefunden, und zwar mit Recht als bleibende, für alle Zeiten gültige, Regel(n)Allg. Landrecht Einleitung § 15. von 1794 § 9.. Daneben aber ſteht eine verſchiedene, blos tranſitoriſche Regel, an - wendbar auf den Fall der Einführung des allgemeinen Landrechts. Dieſe geht dahin, daß bei der Beurtheilung älterer Rechtsverhältniſſe, wenn die damals geltenden Ge - ſetze dunkel und zweifelhaft ſind, ſo daß bisher verſchiedene Meinungen der Gerichte beſtanden, künftig die Meinung vorgezogen werden ſoll, welche mit dem Inhalt des Land - rechts übereinſtimmt, oder demſelben am nächſten kommt(o)Publicationspatent.
Der ganzen gegenwärtigen Unterſuchung iſt zum Grund gelegt worden die Unterſcheidung von zweierlei Rechtsregeln (§ 384). Eine Klaſſe derſelben hatte zum Gegenſtand den Erwerb der Rechte, und für dieſe galt der Grundſatz der Nichtrückwirkung, oder der Erhaltung erworbener Rechte. — Eine zweite Klaſſe von Rechtsregeln, deren Betrachtung nun noch übrig iſt, hat zum Gegenſtand das Daſeyn der Rechte, und für dieſe Klaſſe hat der erwähnte Grundſatz keine Anwendung.
515§. 398. B. Daſeyn der Rechte. — Grundſatz.Wir nennen aber Rechtsregeln über das Daſeyn der Rechte zuvörderſt die, welche den Gegenſatz von Seyn oder Nichtſeyn eines Rechtsinſtituts betreffen, alſo Geſetze, wo - durch ein bisher geltendes Rechtsinſtitut gänzlich aufgehoben wird; außerdem aber die, welche ein Rechtsinſtitut, ohne es aufzuheben, in ſeiner Natur weſentlich umändern, alſo den Gegenſatz von So oder Andersſeyn eines Rechtsinſti - tuts betreffen. Von dieſen allen nun wird behauptet, daß für ſie die Erhaltung erworbener Rechte (die Nichtrück - wirkung) als herrſchender Grundſatz, ſo wie bei den Rechts - regeln über den Erwerb der Rechte, unmöglich gedacht werden könne, indem die wichtigſten Geſetze ſolcher Art, wenn man ihnen einen ſolchen Sinn unterlegen wollte, überhaupt gar keinen Sinn haben würden.
Um dieſe Behauptung anſchaulich zu machen, werde ich drei Geſetze anführen, die in neuerer Zeit an verſchiedenen Orten vorgekommen ſind, und auf die ich verſuchsweiſe den Grundſatz der Nichtrückwirkung anwenden will. Ein Ge - ſetz hebt die Leibeigenſchaft auf. Ein anderes hebt die Zehenten auf, ohne Entſchädigung, wie es z. B. gleich im Anfang der Franzöſiſchen Revolution geſchehen iſt. Ein drittes Geſetz verwandelt die Zehenten, die bisher unablöslich waren, in ablösliche Rechte, indem es dem Verpflichteten (vielleicht auch dem Berechtigten) geſtattet, ſie mit einſeitiger Willkür in eine Leiſtung anderer Art, von gleichem Geld - werth, zu verwandeln. — Wollte man nun dieſe drei Ge - ſetze unter den Grundſatz der Nichtrückwirkung ſtellen, ſo33*516Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.würden ſie folgende Bedeutung bekommen. Jede künftige Errichtung einer Leibeigenſchaft (oder eines Zehentrechts) iſt verboten, ungültig, wirkungslos. Jede künftige Er - richtung eines Zehentrechts ſoll ſtets die Befugniß einſeitiger Ablöſung des Zehenten mit ſich führen. — In dieſer Be - deutung aber würden die erwähnten Geſetze völlig leer und überflüſſig ſeyn, da ſeit ſehr langer Zeit Niemand daran gedacht hat, eine Leibeigenſchaft oder ein Zehentrecht neu zu begründen. Daraus folgt alſo, daß der Geſetzgeber dieſe. Bedeutung ganz gewiß nicht gemeint und gewollt hat, und daß alſo ſeine Abſicht im vollſtändigen Gegenſatz ſteht gegen die Abſicht der den Erwerb der Rechte betreffenden Geſetze, indem dieſe nicht rückwärts, ſondern nur auf künftige Rechtsgeſchäfte einwirken, mithin erworbene Rechte erhalten wollen; allerdings mit Ausnahmen, die jedoch höchſt un - bedeutend ſind, und faſt verſchwinden in Vergleichung mit der wirklich beobachteten Regel.
Man kann nun allerdings den Zweifel erheben, ob nicht etwa alle Geſetze der erwähnten Art, eben weil ſie erwor - bene Rechte zerſtören oder umbilden, durchaus rechtswidrig und verwerflich ſeyn möchten. Ich will mich dieſer Frage keinesweges entziehen, ſie vielmehr einer ſelbſtſtändigen Er - örterung unterwerfen. Nur wird es dem Gang unſrer Unterſuchung förderlich ſeyn, dieſe ganz andere Frage vor - läufig auf ſich beruhen zu laſſen, und zunächſt nur feſtzu - ſtellen, welches der Sinn und die Meinung der Geſetze iſt, mit welchen wir uns gegenwärtig beſchäftigen; die Recht -517§ 398. B. Daſeyn der Rechte. — Grundſatz.mäßigkeit derſelben ſoll am Schluß noch beſonders geprüft werden (§ 400).
Der Sinn und die Meinung der Geſetze dieſer Klaſſe wird nun durch folgende Formeln ausgedrückt werden können, die im ſchneidenden Gegenſatz ſtehen zu dem für die erſte Klaſſe von Geſetzen oben aufgeſtellten Grundſatz (§ 384. 385).
Folgende Betrachtung wird dazu dienen, die hier aufge - ſtellte Behauptung über den Sinn und die Meinung ſolcher Geſetze von einer anderen Seite her zu beſtätigen. Die meiſten und wichtigſten dieſer Geſetze haben die oben, bei einer anderen Gelegenheit, dargeſtellte ſtreng poſitive, zwin - gende Natur, indem ſie außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben, und mit ſittlichen, politiſchen, volkswirth - ſchaftlichen Gründen und Zwecken im Zuſammenhang ſtehen (§ 349). Es liegt aber in der Natur ſolcher zwingenden Geſetze, daß ſie ihre Macht und Wirkſamkeit mehr, als andere Geſetze, ausdehnen müſſen, wie dieſes auch ſchon oben bei der örtlichen Colliſion der Geſetze geltend gemacht worden iſt.
Es iſt nun noch anzugeben, welche Stellung unſre Schriftſteller zu der hier vorgetragenen Lehre einnehmen. Die Unterſcheidung der zwei Klaſſen von Rechtsregeln, die518Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.unter verſchiedenen, ja entgegengeſetzten, Grundſätzen ſtehen, wird nirgend gemacht, vielmehr wird der Grundſatz der Nichtrückwirkung als der für alle Geſetze gemeinſam gültige angeſehen. Man möchte alſo erwarten, daß die Schrift - ſteller den Geſetzen, von denen wir hier reden, in der That den eben dargeſtellten völlig unpraktiſchen Sinn beilegen, alſo die Aufhebung der Leibeigenſchaft als ein Verbot künftiger Errichtung der Leibeigenſchaft behandeln würden. Davon ſind ſie jedoch weit entfernt. Sie rechnen vielmehr ſolche Geſetze unter die, ſchon im Römiſchen Recht vorbe - haltenen, Ausnahmen der Nichtrückwirkung (§ 397), und laſſen von dieſem Standpunkt aus eine Anwendung der - ſelben auf erworbene Rechte zu(a)Weber S. 51 — 52. 188 — 189. Bergmann S. 156. 177. 257..
Obgleich nun durch dieſe Auffaſſung dem unmittelbaren Bedürfniß abgeholfen wird, iſt dennoch eine ſolche Auskunft völlig zu verwerfen. Ausnahmen von dem Grundſatz der Nichtrückwirkung haben eine zufällige Natur, ſind an ſich entbehrlich, und würden beſſer gar nicht vorhanden ſeyn. Dieſes Alles paßt auf die hier in Frage ſtehenden Geſetze nicht. Wenn wir dieſe unbefangen betrachten, ſo müſſen wir uns ſogleich überzeugen, daß in Beziehung auf ſie jene Auskunft durchaus gezwungen iſt, und den Geſetzen einen Sinn aufdrängt, der ihnen völlig fremd iſt. Das Geſetz, welches die Leibeigenſchaft aufhebt, würde dadurch auf gleiche Linie geſtellt etwa mit Juſtinian’s Geſetz über die519§. 398. B. Daſeyn der Rechte. — Grundſatz.verbotenen Zinſen, und der ſo aufgefaßte vollſtändige In - halt deſſelben würde in conſequent durchgeführter Faſſung etwa ſo lauten: Es wird hierdurch verboten, künftig eine Leibeigenſchaft zu errichten, auch ſoll dieſe Vorſchrift aus - nahmsweiſe rückwirkende Kraft haben, ſo daß ſogar auch die jetzt beſtehenden Verhältniſſe der Leibeigenſchaft aufge - hoben ſeyn ſollen. Dadurch wäre eine ganz unnütze Vor - ſchrift, an die Niemand gedacht hat, als Hauptgedanke an die Spitze geſtellt, und es wäre als beiläufige Ausnahme Das hinzugefügt, welches allein der Geſetzgeber dachte und wollte. In den allermeiſten Geſetzen ſolcher Art iſt aber ſicherlich keine Spur zu finden, die auf den Gedanken einer exceptionellen Rückwirkung gedeutet werden könnte.
Zu dieſen Gründen aber kommt noch ein rein praktiſcher Grund hinzu, der eine ſolche Behandlung der Sache völlig verwerflich macht. Hätten wir bei ſolchen Geſetzen mit einer exceptionellen Rückwirkung zu thun, ſo müßten wir dieſelbe auch unter gewiſſe Einſchränkungen ſtellen (§ 397. f); ſie müßte wegfallen, wenn ein Rechtsverhältniß durch Ur - theil oder Vergleich feſtgeſtellt wäre. Das würde aber zu der widerſinnigen Folge führen, daß die Aufhebung aller Zehenten zwar anzuwenden wäre auf alle ſtets unbeſtrittene Zehentrechte, aber nicht auf die Zehenten, worüber einmal ein Rechtsſtreit abgeurtheilt oder verglichen wäre. — Dieſe widerſinnige Folge wollen nun in der That jene Schrift - ſteller nicht, vielmehr ſoll nach ihnen eine ſolche Aufhebung520Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.allgemein wirken(b)Weber S. 213 — 215. Bergmann S. 259.. Dahin aber können ſie offenbar nur kommen, indem ſie jene Einſchränkung (die ſelbſt ſchon die Ausnahme einer Ausnahme iſt) durch eine neue Ausnahme beſeitigen, alſo gleichſam eine Ausnahme dritter Potenz an - nehmen. So wird es aber immer augenſcheinlicher, wie unnatürlich eine Auffaſſung iſt, die zu ſolchen Rettungs - mitteln hindrängt.
Sehr charakteriſtiſch iſt die ganz verſchiedene Art, in welcher ein anderer Schriftſteller die angegebene Schwierig - keit zu löſen ſucht(c)Struve S. 150 — 152. 274 — 276.. Dieſer läßt keine exceptionelle Rückwirkung, ja überhaupt keine Einwirkung des Geſetz - gebers auf zeitliche Colliſionen der Geſetze zu (§ 387. i). Bei der gegenwärtig vorliegenden Schwierigkeit aber hilft er ſich damit, daß er blos die ihm beſonders mißliebigen Inſtitute, wie Leibeigenſchaft, Steuerfreiheit des Adels, in’s Auge faßt. Dieſe nennt er Gräuel, moraliſche Schändlich - keiten, Ungerechtigkeiten, die an ſich kein rechtliches Daſeyn haben. Wenn ein Geſetz ſie aufhebt, ſo ſoll es des Zu - ſatzes der rückwirkenden Kraft nicht bedürfen. Vielmehr ſoll jede der drei Staatsgewalten (die geſetzgebende, richter - liche, vollziehende) für ſich allein die Macht haben, jene Inſtitute zu ignoriren, und dadurch praktiſch zu vernichten. — Eine Widerlegung dieſer Anſicht wird man wohl nicht verlangen. Nur auf die praktiſche Schwierigkeit in der521§. 398. B. Daſeyn der Rechte. — Grundſatz.Ausführung will ich aufmerkſam machen, die in der Feſt - ſtellung des Daſeyns und der Gränzen jener Gräuel und Schändlichkeiten liegt, indem darüber die ſubjektive Anſicht der einzelnen Träger der drei Staatsgewalten vielleicht nicht ganz übereinſtimmend ſeyn könnte. Unter dieſen Trägern könnten ſich auch conſequente Communiſten finden, und dieſe würden das geſammte Inſtitut des Eigenthums unter die Gräuel zählen.
Nimmt man nun, wie es hier geſchieht, zwei Klaſſen von Rechtsregeln an, die von ganz verſchiedenen Grund - ſätzen beherrſcht werden, ſo iſt Nichts wichtiger, als die Feſtſtellung ſcharfer und ſicherer Gränzen zwiſchen beiden Klaſſen.
Für viele Fälle iſt die Gränze keinem Zweifel unter - worfen; namentlich für die Fälle ſolcher Geſetze, in welchen ein bisher beſtehendes Rechtsinſtitut völlig aufgehoben wird. Zweifelhaft aber kann ſie ſeyn bei den Geſetzen, welche ein Rechtsinſtitut nicht aufheben, ſondern nur umbilden(d)Schon oben iſt auf dieſe Zweifel im Allgemeinen aufmerkſam gemacht worden (§ 384). Einzelne Fälle zweifelhafter Natur ſind vorgekommen § 390 Num. 3. 4. § 393 Num. 6.. Dann wird Alles auf die unbefangene Prüfung des In - halts und des Zwecks des Geſetzes ankommen. Ein be - ſonders ſicheres, und für die meiſten Fälle ausreichendes,522Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Mittel der Gränzſcheidung wird darin liegen, daß wir unterſuchen, ob vielleicht ein neues Geſetz zu den ſo eben erwähnten Geſetzen von ſtreng poſitiver, zwingender Natur gehört, die außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben (S. 517). In dieſem Fall haben wir daſſelbe un - zweifelhaft zu den Geſetzen über das Daſeyn der Rechte zu zählen, auf welche der Grundſatz der Nichtrückwirkung keine Anwendung findet.
Die Anwendungen des im § 398 aufgeſtellten Grund - ſatzes werden, eben ſo wie es bei den Geſetzen über den Er - werb der Rechte geſchehen iſt, nach gewiſſen Klaſſen der Rechtsverhältniſſe dargeſtellt werden; jedoch ſind hier ganz andere Klaſſen, als die dort angenommen, erforderlich.
I. Die erſte Klaſſe, und zugleich die wichtigſte, bilden gewiſſe Rechtsverhältniſſe, die ihrer Natur nach über das einzelne Menſchenleben hinausreichen, ja zu einer endloſen Fortdauer beſtimmt ſind, und nur zufällig im einzelnen Fall untergehen. Sie laſſen ſich gemeinſam bezeichnen als Be - ſchränkungen der perſönlichen Freiheit oder der Freiheit des Grundeigenthums, und ſind oft aus dinglichen oder obliga - toriſchen Rechten gemiſcht. Die meiſten derſelben (nicht alle) haben inſofern ein hiſtoriſches Daſeyn, als ihre Ent -523§. 399. A. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.ſtehung in ganz andere Zeitalter und in untergegangene Volks - zuſtände fällt. Dieſe ſind daher als abgeſchloſſen zu be - trachten, und werden nicht, ſo wie andere Rechtsverhält - niſſe, durch Willkür ſtets neu erzeugt(a)Vgl. oben § 392. e. . Die Geſetze, wodurch ſolche Rechtsinſtitute aufgehoben oder umgebildet werden, ſind ſtets von ſtreng poſitiver, zwingender Natur, da ſie außer dem reinen Rechtsgebiet ihre Wurzel haben (§ 398).
Aus dem Römiſchen Recht gehört dahin die für das heutige Europa längſt verſchwundene Sklaverei.
Folgende Inſtitute ſolcher Art ſind in unſerm heutigen Recht theils noch jetzt vorhanden, theils wenigſtens bis auf unſre Tage erhalten geblieben:
Ueber das Verhältniß alter und neuer Geſetze zu ein - ander wird hier nicht leicht ein Zweifel entſtehen.
II. Die zweite Klaſſe bilden einige, auf das Ge - ſchlechterverhältniß bezügliche, Rechtsinſtitute. Die Geſetze über dieſe Inſtitute gehören deswegen hierher, weil ſie nicht auf reinen Rechtsgründen beruhen, ſondern auf ſitt - lichen (theilweiſe ſittlich-religiöſen) Gründen. Die einzel - nen hierher gehörenden Fälle ſind folgende:
1. Eheſcheidung. Wenn durch ein neues Geſetz die Scheidung überhaupt eingeführt oder abgeſchafft, oder wenn eine Aenderung in den Scheidungsgründen vorge - nommen wird, ſo entſteht die Frage nach dem Einfluß des neuen Geſetzes auf die beſtehenden Ehen.
Betrachtet man ein ſolches Geſetz von dem abſtract juriſtiſchen Standpunkt aus, ſo hat es eine ähnliche Natur mit dem Geſetz über die Veräußerung des Eigenthums. Durch dieſe Eheſcheidung verliert jeder Theil die bisher aus der Ehe entſtehenden Rechte, ſo wie jeder die Freiheit von den Anſprüchen des anderen Theils, und zugleich alle Vortheile der Eheloſigkeit (Möglichkeit einer neuen Ehe) erwirbt. Hiernach möchte man glauben, es verhielte ſich mit den Geſetzen über Eheſcheidung gerade ſo, wie mit den Geſetzen über das Güterrecht (§ 396). Dann hätte jeder Ehegatte durch den Abſchluß der Ehe das unabänderliche Recht erworben, bei einer künftigen Scheidung nach dem zur Zeit des Anfanges der Ehe beſtehenden Geſetz beurtheilt zu werden.
525§. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.Dieſe Auffaſſung muß jedoch verworfen werden, weil die Geſetze über die Eheſcheidung ſittliche Gründe und Zwecke, mithin eine zwingende Natur haben, und daher zu den Geſetzen über das Daſeyn der Ehe gehören(c)Man könnte es für ein - ſeitig und unbegründet halten, daß hier nur der Eheſcheidung dieſer Charakter zugeſchrieben werde, nicht auch dem ganzen übrigen rein perſönlichen Recht der Ehe, namentlich den perſönlichen Rech - ten und Pflichten während der Ehe. Der Unterſchied iſt jedoch der, daß auf dieſe der Geſetzgeber und der Richter ſehr wenig mög - lichen Einfluß haben, anſtatt daß der Ausſpruch über Daſeyn oder Nichtdaſeyn der Ehe (alſo die Eheſcheidung) ſehr wohl mit Er - folg durchgeführt werden kann.. Dieſes iſt gleich wahr, das neue Geſetz mag die Scheidung erſchweren oder erleichtern. Das erſte ſetzt den überwie - genden Werth auf Erhaltung der Reinheit und Heiligkeit der Ehen; das zweite auf unbeſchränkte Erhaltung der in - dividuellen Freiheit(d)Die Freiheit braucht hier nicht gedacht zu werden als bloße Willkür, als Verneinung unbe - quemer Schranken, welche aller - dings keine beſonders ſittliche Na - tur hat; ſie kann auch gedacht werden als Schutz der ſittlichen Freiheit in der Ehe gegen jeden äußeren, dieſe Freiheit ſtörenden, und dadurch die Reinheit der Ehe gefährdenden, Zwang. Dieſes war die urſprüngliche Anſicht der Rö - mer, wurzelnd in der Zeit alter Sittenreinheit. L. 134 pr. de V. O. (45. 1 ), L. 14 C. de nupt. (5. 4 ), L. 2 C. de inut. stip. (8. 39).; beides ſind ſittliche Principien, deren relativer Werth oder Unwerth hier ganz dahin ge - ſtellt bleiben muß, wo es blos darauf ankommt, die Natur der darauf bezüglichen Geſetze zu beſtimmen.
Die hier aufgeſtellte Anſicht iſt in der Preußiſchen tranſitoriſchen Geſetzgebung, wiewohl mit einer geringen526Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Modification, anerkannt worden. Als in den Jahren 1814 und 1816 das allgemeine Landrecht in mehrere Provinzen theils neu eingeführt, theils wieder eingeführt wurde, be - ſtimmte man für die Scheidung der beſtehenden Ehen, daß dieſe von jetzt an nach dem Landrecht, alſo unabhängig von dem Geſetz zur Zeit der geſchloſſenen Ehe, beurtheilt werden ſollte. Nur wurde die ſehr mäßige und nicht unbillige Ausnahme hinzugefügt, daß ein Scheidungsgrund des Landrechts nicht geltend gemacht werden dürfe, wenn die zum Grund liegende Thatſache vorgefallen ſey während der Herrſchaft des fremden Geſetzes, und in dieſem Geſetz nicht als Scheidungsgrund gegolten habe(e)Provinzen jenſeits der Elbe § 9. Weſtpreußen § 11. Poſen § 11. Sachſen § 11 (ſ. o. § 383)..
Ganz gleiche Natur mit den Geſetzen über die Ehe - ſcheidung haben die Geſetze über die Nichtigkeitsklage ge - gen die Ehe.
2. Liberalität gegen Ehegatten. Dieſe iſt nicht ſelten durch neue Geſetze, auch in der heutigen Zeit, be - ſchränkt worden. Im Römiſchen Recht kommt, als uraltes, ſehr ausgebildetes Rechtsinſtitut ſolcher Art, die verbotene Schenkung unter Ehegatten vor(f)S. o. B. 4 § 162 — 164..
Man möchte nun glauben, ein ſolches Geſetz gehöre durchaus dem Güterrecht an, unter welcher Vorausſetzung lediglich die Zeit der geſchloſſenen Ehe maaßgebend ſeyn527§. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.würde. In der That aber hat ein ſolches Geſetz zwingende Natur, wirkt alſo augenblicklich auf die beſtehenden Ehen ein. Denn der Zweck deſſelben geht dahin, die Gefährdung der Reinheit der Ehe durch eigen - nützige Einwirkungen zu verhindern. Daher würde es irrig ſeyn, die Sache ſo zu betrachten, als hätte durch die abgeſchloſſene Ehe jeder Theil das unabänderliche Recht erworben, wegen der Liberalität zwiſchen ihm und dem an - dern Theil ſtets nach dem jetzt geltenden Geſetz beurtheilt zu werden.
Dieſelbe Anſicht iſt auch ſchon oben, bei der örtlichen Colliſion der Geſetze, geltend gemacht worden (§ 379. Num. 4).
3. Uneheliche Kinder.
Die aus dem außerehelichen Beiſchlaf abzuleitenden Rechte, theils des Kindes, theils der Mutter, gegen den Erzeuger gehören unter die ſchwierigſten und zweifelhafteſten Gegenſtände, ſowohl des Privatrechts, als der Geſetzge - bungspolitik.
Man kann dabei ausgehen von der Annahme eines vom Erzeuger begangenen Delicts, welche nach den Reichs - geſetzen für unſer gemeines Recht wohl begründet iſt(g)Reichspolizeiordnung 1530 Tit. 33, 1548 Tit. 25, 1577 Tit. 26. — Auch nach dem A. L. R. I. 3 § 36. 37 iſt es eine geſetz - widrige Handlung, (jedoch muß im § 37 der Druckfehler 10 in 11 verbeſſert werden). — Indeſſen verwickelt man ſich bei der Ablei - tung der Entſchädigungsanſprüche aus dieſem Delict in die ſeltſam - ſten und gewagteſten Vorſtellungen.;528Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.oder auch von der Annahme der natürlichen Blutsverwandt - ſchaft, wobei jedoch ſtets die Thatſache der Paternität völlig ungewiß bleibt(h)Die Präſumtion in der Ehe: pater est, quem nuptiae demonstrant, beruht auf der Würde und Heiligkeit der Ehe. Damit aber hat die Thatſache des erwieſenen oder eingeſtandenen außerehelichen Beiſchlafs auch nicht entfernte Aehnlichkeit, da neben dieſer Thatſache ſchon die bloße Möglichkeit der Concurrenz anderer Männer Alles ungewiß macht, noch mehr aber die erwie - ſene Wirklichkeit einer ſolchen Con - currenz (exceptio plurium)..
In beiden Fällen könnte man annehmen, durch die Thatſache des als Erzeugung angeſehenen Beiſchlafs ſey ein unabänderliches Recht begründet, wobei ein ſpäteres Geſetz Nichts ändern könne, es möge die Rechte der Kinder und der Mutter derſelben erweitern oder beſchränken. Das neue Geſetz würde dann nur Anwendung finden auf künf - tige Erzeugungen.
Allein in der That haben ſolche Geſetze ſtets einen zwingenden Charakter, indem ſie mit ſittlichen Zwecken im Zuſammenhang ſtehen. Darüber iſt eine Meinungsverſchie - denheit kaum möglich, daß die ausſchließende Geſchlechts - gemeinſchaft in der Ehe, ſowohl ſittlich als für das Staats - wohl, höchſt wünſchenswerth, beſonders aber, daß der Zu - ſtand unehelicher Kinder ein höchſt unheilvoller iſt. Man kann nun durch Erweiterung der Anſprüche der Kinder theils dieſen Zuſtand mildern, theils dem Leichtſinn der Männer entgegen wirken wollen. Man kann umgekehrt verſuchen, durch Beſchränkung oder Aufhebung dieſer An -529§. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.ſprüche theils dem Leichtſinn der Frauen entgegen zu wirken, theils die Störung des Friedens mancher Ehen durch die von fremden Frauen erhobenen Anſprüche, zu verhüten. In beiden Richtungen neuer Geſetze iſt ein ſittlicher Zweck unverkennbar, und es kann dabei ganz gleichgültig ſeyn, welche dieſer Richtungen an ſich oder durch Erfahrungen im Großen mehr begründet ſeyn möge.
Nimmt man Dieſes als richtig an, ſo muß das neue Geſetz über uneheliche Kinder augenblicklich zur Anwendung kommen, ohne Rückſicht auf das Geſetz, welches zur Zeit der Erzeugung oder der Geburt des Kindes beſtanden hat. — Dieſelbe Regel iſt ſchon oben in Beziehung auf die örtlichen Colliſionen geltend gemacht worden (§ 374 Noten aa. bb.).
Mit dieſen Anſichten ſtimmt überein das Franzöſiſche Geſetz, welches ſelbſt die Unterſuchung der Paternität verbietet(i)Code civil art. 340 „ La recherche de la paternité est interdite. “, alſo ſelbſt die Möglichkeit abſchneidet, einem unehelichen Kinde, mit Ausnahme der freiwilligen Aner - kennung, Anſprüche gegen den Erzeuger zu verſchaffen. Man hat dieſes Geſetz mit Unrecht getadelt, als ob es eine ungehörige Rückwirkung enthielte(k)Struve S. 233.. Man hat es eben ſo mit Unrecht vertheidigt, als ob es den perſönlichen Zu - ſtand an ſich zum Gegenſtand hätte(l)Weber S. 79 — 82. Die - ſelbe Anſicht haben die Franzö - ſiſchen Juriſten.. Die wahre Recht -VIII. 34530Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.fertigung liegt darin, daß es ein Geſetz von zwingender Natur iſt.
Eben ſo ſtimmt damit überein die tranſitoriſche Preußi - ſche Geſetzgebung, die, nur mit anderem Ausdruck als das Franzöſiſche Geſetz, verordnet, daß die unehelichen Kinder, auch wenn ſie noch unter der Herrſchaft des fremden Ge - ſetzes geboren wurden, dennoch von jetzt an die Anſprüche des Landrechts ſollten geltend machen können(m)Provinzen jenſeits der Elbe § 11. Weſtpreußen § 14. Poſen § 14 (ſ. o. § 383)..
III. Eine dritte Klaſſe endlich bilden manche Geſetze über rein juriſtiſche Inſtitute, welche durch jene Geſetze entweder völlig aufgehoben oder doch von Grund aus um - gebildet werden, und die deswegen augenblicklich auf ſchon beſtehende Rechtsverhältniſſe anzuwenden ſind.
Dahin gehört das Geſetz, wodurch Juſtinian das bisher beſtehende zweifache Eigenthum (ex jure quiritium und in bonis) aufhob, und an deſſen Stelle ein einfaches Eigenthum ſetzte, das alle bisher zuweilen getrennte Rechte in ſich vereinigen ſollte(n)L. un. C. de nudo j. Quir. toll. (7. 25). Damit hörte von ſelbſt auf die eigenthümliche Natur des fundus Italicus und der res mancipi. L. un. C. de usuc. transform. (7. 31).. — Eben ſo verhält es ſich mit dem Franzöſiſchen Geſetz, welches dem Eigenthümer einer beweglichen Sache die Vindication verſagt, wenn daſſelbe irgendwo anſtatt des Römiſchen Rechts eingeführt werden ſollte. Dieſe Veränderung würde augenblicklich531§. 399. B. Daſeyn der Rechte. Anwendungen. Ausnahmen.auch auf das gerade vorhandene bewegliche Eigenthum an - zuwenden ſeyn; eben ſo aber auch die umgekehrte Veränderung in dem Rechte des Eigenthums.
Ferner gehört dahin ein neues Geſetz, welches geſetzliche Servituten, als natürliche Beſchränkungen des Eigenthums, einführt, oder welches umgekehrt ſolche Servituten, wenn ſie bisher beſtanden, aufhebt (§ 390 Num. 2).
Gleiche Natur hat die Verwandlung des Römiſchen Pfandrechts in das Preußiſche Hypothekenrecht; beide Syſteme können nicht neben einander beſtehen, vielmehr muß das eine ſofort durch das andere verdrängt werden (§ 390 Num. 3). Welche Anſtalten aber zu treffen ſind, um dieſe Veränderung ohne Rechtsverletzung zu bewirken, wird ſogleich angegeben werden (§ 400).
Endlich würden wir dahin auch den Fall zu rechnen haben, wenn die teſtamentariſche Erbfolge in einem Staate, der ſie bisher anerkannte, durch ein neues Geſetz aufge - hoben würde (§ 393 Num. 6).
Ausnahmen des für dieſe Klaſſe neuer Geſetze auf - geſtellten Grundſatzes laſſen ſich eben ſowohl denken, als bei den Geſetzen über den Erwerb der Rechte (§ 397). Nur werden ſie hier niemals in der Richtung vorkommen, daß die Wirkſamkeit des neuen Geſetzes noch mehr erweitert würde, als nach dem Grundſatz ſelbſt, da dieſer ohnehin532Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſchon ſo weit als möglich geht; vielmehr werden ſie nur dahin gerichtet ſeyn können, die Wirkſamkeit des neuen Geſetzes auf ſchonende Weiſe einzuſchränken.
Ein Fall dieſer Art aus einem Preußiſchen tranſitoriſchen Geſetz iſt ſchon oben vorgekommen (§ 399. II. 1). Das Preußiſche Scheidungsgeſetz ſollte ſogleich in Wirkſamkeit treten, jedoch mit Ausnahme mancher, die Scheidung be - gründender Thatſachen.
Eine andere Ausnahme findet ſich in dem Geſetz des Königreichs Weſtphalen, welches die Lehen und Fidei - commiſſe aufhob, das heißt, in freies Eigenthum verwan - delte. Dieſes Geſetz ſollte natürlich nicht blos die Stiftung neuer Lehen nnd Fideicommiſſe verhindern, ſondern gerade die beſtehenden umwandeln. Es that Dieſes jedoch mit der ſchonenden Ausnahme, daß der nächſte Succeſſionsfall noch nach dem bisherigen Recht behandelt werden ſollte(o)An dieſe Ausnahme hat ſpäterhin das Preußiſche Geſetz vom 11. März 1818 in der Art angeknüpft, daß alle Lehen und Fideicommiſſe, worin der vorbe - haltene nächſte Succeſſionsfall noch nicht eingetreten war, nun - mehr für immer wiederhergeſtellt ſeyn ſollten. Geſetz-Sammlung 1818. S. 17..
Ich kehre jetzt zurück zu der oben vorbehaltenen Frage wegen der Rechtmäßigkeit der gegenwärtig dargeſtellten Klaſſe von Geſetzen (S. 517).
533§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.Es iſt gezeigt worden, daß dieſe Geſetze, wenigſtens in den meiſten und wichtigſten Fällen, nur ſo gemeint ſeyn können, daß ſie in erworbene Rechte eingreifen, indem ſie die Rechtsinſtitute ſelbſt, alſo auch die unter denſelben ſte - henden einzelnen Rechtsverhältniſſe(a)Vgl. oben B. 1 § 4. 5 über die Begriffe von Rechtsverhält - niß und Rechtsinſtitut., entweder vernichten, oder doch weſentlich umbilden, beides ohne Rückſicht auf den Willen des Berechtigten.
Man kann nun dieſe Behauptung zugeben, aber eben daran die ſcheinbare Einwendung anknüpfen, daß gerade deshalb die Geſetze dieſer Art durchaus als rechtswidrig, verwerflich, unzuläſſig angeſehen werden müßten. Wer dieſe Einwendung erhebt, geht offenbar aus von der Vor - ausſetzung, daß jeder Eingriff in ein erworbenes Recht, ohne Einwilligung des Berechtigten, vom Standpunkt des Rechts aus betrachtet, ſchlechthin unmöglich ſey, und er ſieht dieſe Unmöglichkeit als einen oberſten, unbedingten Grundſatz an. Gerade dieſe Vorausſetzung aber kann aus folgenden Gründen nicht zugegeben werden.
Zuerſt nicht, weil ſie mit der allgemeinen Natur und Entſtehung des Rechts unvereinbar iſt. Das Recht hat ſeine Wurzel in dem gemeinſamen Bewußtſeyn des Volkes. Dieſes iſt nun zwar auf der einen Seite durchaus verſchie - den von dem leicht und ſchnell wechſelnden, zufälligen und veränderlichen Bewußtſeyn des einzelnen Menſchen; auf534Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.der anderen Seite aber iſt es allerdings dem Geſetz einer umbildenden Entwickelung unterworfen, alſo nicht als ein ruhendes, ſtillſtehendes zu denken(b)B. 1 § 7.. Daher können wir unmöglich irgend einem einzelnen Zeitalter die Macht ein - räumen, durch ſein eigenthümliches Rechtsbewußtſeyn alle künftige Zeiten zu bannen und zu beherrſchen. — Einige Beiſpiele werden Dieſes anſchaulich machen.
Im ganzen Alterthum wurde der Stand der Sklaven als eine Art von Naturnothwendigkeit betrachtet, und man dachte ſich kaum die Möglichkeit, daß ein geſittetes Volk ohne einen ſolchen leben könne. Im heutigen chriſtlichen Europa wird eben ſo dieſer Stand als völlig unmöglich, als allem Rechtsbewußtſeyn durchaus widerſprechend, ge - dacht(c)Manche Schriftſteller ha - ben dieſen Gegenſatz mitunter da - durch zu verdunkeln oder abzu - ſchwächen geſucht, daß ſie den in neuerer Zeit mit harten Freiheits - ſtrafen verbundenen Zuſtand ver - glichen haben mit dem oft milden, ja freundlichen Zuſtand der Skla - ven des Alterthums. Dadurch aber wird das wahre Verhältniß nur entſtellt. Um ſich den Gegen - ſatz in ſeiner Reinheit und Schärfe vor Augen zu halten, muß man zwei Dinge bedenken. Erſtlich die Entſtehung der Skla - verei durch die Geburt; zweitens die dem Rechte nach ganz gleiche Stellung des Sklaven mit den Hausthieren (Ulpian. XIX. 1), als einer käuflichen Waare. — Der heutige Sklavenſtand im Orient, ſo wie der ganz verſchie - dene in Amerika, kann hier ganz auf ſich beruhen.. Der Uebergang aus dem einen dieſer Zuſtände in den andern, in Folge der ſehr allmäligen Einwirkung chriſtlicher Sitten und Zuſtände, hat ſich ſo langſam und unmerklich gemacht, daß wir das Aufhören des alten Zu -535§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.ſtandes nicht mit Sicherheit geſchichtlich verfolgen können. Geſetzt nun, dieſer Uebergang wäre nicht ſo allmälig, ſon - dern in kurzer Zeit eingetreten, etwa in Folge einer gewalt - ſamen geiſtigen Erſchütterung des Volksbewußtſeyns, ſo würden wir unmöglich einem ſolchen neuen Zeitalter das Recht verſagen können, der gegenwärtigen, allgemein ge - wordenen Ueberzeugung Raum zu geben, und dem Sklaven - ſtand als Rechtsinſtitut die fernere Anerkennung zu ver - ſagen. Daneben ließen ſich mancherlei Wege denken, den Uebergang zu vermitteln, und gegen Gefahren zu ſchützen.
Ein anderes Beiſpiel möge das Zehentrecht darbieten. In Zeiten einer wenig entwickelten, ſtationären Boden-Cultur konnte dieſes als ein einfaches, natürliches, zweckmäßiges Rechtsinſtitut gelten, und große Verbreitung erhalten. Bei lebendiger Entwickelung gewerblicher Thätigkeit mußte man ſich überzeugen, daß durch eine ſolche, auf dem Roh - ertrag ruhende, Abgabe jeder Fortſchritt des Landbaues gehemmt, oft unmöglich gemacht werde. Darunter litten die Verpflichteten, ſo wie durch ſie der Staat im Ganzen, nicht die Berechtigten, die alſo vielleicht einer Verwandlung der ihnen bequemen Zehenten widerſtrebten. Wenn nun die Ueberzeugung von den mit dieſem Zuſtand verbundenen Nachtheilen allgemein wurde, ſo war die geſetzliche Ver - wandlung der bisher unablöslichen Zehenten in ablösliche gerechtfertigt, indem dadurch dem Staat und den Verpflich - teten ein augenſcheinlicher großer Gewinn erworben, von536Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.dem Berechtigten aber durch vollſtändige Entſchädigung jeder Verluſt abgewendet wurde.
Der eben entwickelte erſte Grund gegen die Vorausſetzung einer unbedingten Rechtswidrigkeit der Geſetze, welche durch Zerſtörung oder Umbildung von Rechtsinſtituten irgend einen Eingriff in erworbene Rechte mit ſich führen, war entnommen aus der Entſtehung des Rechts, alſo aus der Betrachtung des Volkes, in deſſen Rechtsbewußtſeyn das Recht ſelbſt ſeine Wurzel hat. Ein zweiter Grund, der zu demſelben Ziele führt, bezieht ſich auf die einzelnen Men - ſchen als Träger der erworbenen Rechte. Wer die abſo - lute Unantaſtbarkeit erworbener Rechte durch neue Geſetze behauptet, verneint nur die Unfreiwilligkeit eines ſolchen Eingriffs, und räumt die Rechtmäßigkeit der Veränderung unbedenklich ein, ſobald die Einwilligung des Berechtigten in die Aufhebung oder Umbildung des erworbenen Rechts hinzutritt. Wir wollen aber die Natur dieſes Berechtigten, als des Trägers erworbener Rechte, näher betrachten. Das erworbene Recht erſcheint als erweiterte Macht des einzel - nen Menſchen, und hat ſtets eine mehr oder weniger zu - fällige Natur(d)S. o. B. 1 § 4. 52. 53.. Der einzelne Menſch aber hat ein beſchränktes und vorübergehendes Daſeyn. Wenn daher gegen die Geſetze, wodurch Rechtsinſtitute aufgehoben oder umgebildet werden, wegen des Eingriffs in erworbene Rechte ein unbedingter Widerſpruch erhoben werden ſoll,537§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.ſo iſt dieſer Widerſpruch wenigſtens wegen der beſchränkten Natur des Trägers erworbener Rechte nach zwei Seiten hin in enge Gränzen zu verweiſen.
Dem neuen Geſetze könnte höchſtens ſeine rechtmäßige Einwirkung beſtritten werden, ſo lange der Träger eines erworbenen Rechts lebt. Hinterläßt er Erben, ſo haben dieſe zur Zeit der Erſcheinung des neuen Geſetzes kein ver - letzbares erworbenes Recht. Mit anderen Worten: Alles Erbrecht iſt rein poſitiv, und wenn daſſelbe durch ein neues Geſetz an gewiſſe Bedingungen und Schranken geknüpft wird, ſo kann darin niemals ein Eingriff in erworbene Rechte gefunden werden. Wir wollen Dieſes auf den oben als Beiſpiel gewählten Fall anwenden. Wenn das neue Geſetz, welches die Sklaverei beſeitigen wollte, die Beſtimmung gäbe, daß in Zukunft kein Erbe durch Erbfolge das Eigenthum von Sklaven erwerben könnte, ſo läge darin gewiß nicht die Verletzung eines erworbenen Rechts.
Dieſe Betrachtung gründete ſich auf das nahe Ende jedes menſchlichen Lebens. Eben dahin aber führt die Er - wägung des Anfangs. Jeder Menſch muß den Rechts - zuſtand anerkennen, den er bei ſeiner Geburt beſtimmt findet. Wenn alſo vor ſeiner Geburt ein Rechtsinſtitut durch neues Geſetz aufgehoben oder umgebildet wird, ſo kann wenigſtens ihm nicht ein erworbenes Recht dadurch verletzt ſeyn(e)Meyer p. 34. 35. Vgl. oben § 395. b. — Ein Geſetz, wel - ches die Lehen oder Fideicommiſſe aufhebt, verletzt daher gewiß nicht die Rechte Derjenigen, die erſt ſpäter erzeugt werden..
VIII. 35538Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.Durch dieſe Gründe ſollte jedoch nur die Behauptung un - bedingter Rechtswidrigkeit aller Geſetze der hier betrachteten Art widerlegt werden. Ich bin aber weit entfernt, damit der ſchrankenloſen und willkürlichen Einwirkung durch ſolche Geſetze das Wort reden zu wollen. Es ſollte vielmehr die ganze Frage von dem abſoluten Rechtsboden entfernt, und in das Gebiet der Geſetzgebungspolitik hinüber geleitet werden, wo ihr wahrer Sitz iſt, und wo vielen verderb - lichen Mißgriffen entgegen gewirkt werden kann durch die ernſte Aufforderung zur Vorſicht, Beſonnenheit und Mäßigung. Die Hauptgeſichtspunkte, worauf es ankommt, möchten etwa folgende ſeyn.
Die erſte Vorſicht muß dahin gehen, nicht leichtſinnig zu verfahren, nicht ohne Noth ein Bedürfniß zu Geſetzen ſolcher Art anzunehmen, alſo mißtrauiſch zu ſeyn gegen die aus bloßen Theorien abgeleitete, durch angebliche öffentliche Meinung unterſtützte, Behauptung, daß das gemeine Wohl eine Neuerung erfordere.
Zweitens iſt in die Ausführung die höchſte Schonung und Billigkeit zu legen. Dieſe wird bei den meiſten und wichtigſten Geſetzen dieſer Klaſſe, die ſich auf ſtets fort - währende Rechtsverhältniſſe beziehen (§ 399. I.), darin be - ſtehen müſſen, daß ein Rechtsinſtitut nicht aufgehoben, ſondern umgebildet, das Rechtsverhältniß aus einem unab - löslichen in ein ablösliches verwandelt werde. Wird in dieſer Weiſe auf eine wahre, vollſtändige Entſchädigung des Berechtigten hingewirkt, ſo hat das Geſetz ſeinen Be -539§. 400. B. Daſeyn der Rechte. — Rechtmäßigkeit.ruf erfüllt. Dieſes iſt nicht ſchwer in den zahlreichen Fällen der Reallaſten aller Art, bei welchen in der Regel nur zwei Perſonen einander gegenüber ſtehen. Jeder wahre politiſche oder volkswirthſchaftliche Zweck wird durch die Ablöſung mit Entſchädigung vollſtändig erreicht, ohne Be - reicherung des einen Theils auf Koſten des anderen, die durch die Natur ſolcher Geſetze auf keine Weiſe zu recht - fertigen iſt.
Ein großartiges Beiſpiel ſolcher Entſchädigung iſt in neuerer Zeit durch die Engliſche Sklavenemancipation gege - ben worden, indem der Staat die Eigenthümer der Sklaven aus ſeinem Vermögen für den verlornen Werth entſchädigte.
Sehr ſchwierig iſt die Löſung dieſer Aufgabe bei der Aufhebung von Lehen und Fideicommiſſen, indem hier die Anſprüche und Erwartungen der zur Nachfolge berechtigten einzelnen Perſonen in hohem Grade ungewiß ſind. Eine Verminderung des Nachtheils kann darin geſucht werden, daß die Ausführung etwas verſchoben wird (§ 399. o).
In manchen Fällen iſt gar keine Entſchädigung nöthig, ſondern nur die Vermittlung eines Uebergangs, welche zur Abwendung jedes möglichen Nachtheils hinreichend ſeyn kann. So iſt es geſchehen in den zahlreichen Fällen, in welchen die Preußiſche Hypothekenordnung an die Stelle des bisher geltenden gemeinrechtlichen Pfandrechts geſetzt wurde. Es kam dabei nur darauf an, den bisherigen Pfandgläubigern ihr Recht und ihre Priorität zu erhalten. Dieſes geſchah, indem ſie öffentlich aufgefordert wurden’ 540Buch III. Herrſchaft der Rechtsregeln. Kap. II. Zeitliche Gränzen.ſich binnen einer beſtimmten Friſt zu melden, um in die neuen Hypothekenbücher nach der Rangordnung, die ihnen ihr bisheriges Recht anwies, eingetragen zu werden.
Nicht einmal einer ſolchen Vorkehrung, noch weniger einer Entſchädigung, bedurfte es, als Juſtinian das bis dahin beſtehende zweifache Eigenthum aufhob (§ 299. n). Denn durch dieſe Veränderung verlor Niemand ein Recht oder einen Vortheil, und es wurde nur der vom Geſetz - geber ſelbſt ausgeſprochene Zweck erreicht, die Gemüther der ſtudirenden Jugend von dem Schrecken zu befreien, den ihnen bis dahin die in dieſer Lehre erhaltene unnütze Ge - lehrſamkeit eingeflößt hatte.
Berlin, gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Fraktur
Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial 3.0 Unported License.