Verlag von B. G. Teubner in Leipzig.
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„ Aus dem Titel wird der Leser ersehen, dass es sich nur um die sogenannte deduktive oder formale Logik handelt. Die rechnerische Behandlung der deduktiven Logik, durch welche diese Disziplin sich loslöst von den Fesseln, worein die Wortsprache durch die Macht der Gewohnheit den Menschengeist geschlagen, möchte wol die Bezeichnung als „ exakte Logik “vorzugsweise verdienen. Sie allein auch vermag den Gesetzen des folgerichtigen Denkens den schärfsten, konzisesten und übersichtlichsten Ausdruck zu geben und befindet sich zufolge dieses Vorzugs in der Lage, zahlreiche und bedeutungsvolle Lücken — wo nicht Fehler — der älteren Darstellungen zu offenbaren.
Seit dem Erscheinen von des Verfassers „ Operationskreis des Logikkalkuls “hat diese Behandlung noch höchst bedeutende Fort - schritte gemacht: vor allem durch die Arbeiten des Amerikaners Charles S. Peirce und seiner Schule. Namentlich gebührt Herrn Peirce das Verdienst, die Brücke von den älteren blos verbalen Be - handlungen jener Disziplin zu der neuen rechnerisch zuwerke gehenden geschlagen zu haben, eine Brücke, welche im Lager der Berufsphilo - sophen mit Recht vermisst worden und deren Fehlen es wol zuzu - schreiben ist, dass die neue Richtung daselbst zum Teil nur mit Befremden aufgenommen wurde. Durch jene Arbeiten, in welche noch Verfasser nicht unwesentlich eingreift, ist die Theorie nun so weit entwickelt und vollendet, dass für einen ersten und Hauptteil des ganzen Lehrgebäudes bereits eine endgültige Darstellung und Anord - nung als erreichbar erscheint.
Mit dem Bestreben, solche, soweit es in seinen Kräften steht, zu verwirklichen, verbindet Verf. zugleich die Absicht, von der schon sehr ansehnlichen Literatur, welche besonders in englischer Sprache einschlägig existirt, das Wertvollste in einheitlicher Darstellung zu einem Handbuch zu vereinigen. “
… Soweit die Anzeige. Inwieweit es mir gelungen, obiges Ideal zu verwirklichen, werden Diejenigen zu beurteilen in der Lage sein,a*IVVorwort.die das Buch studiren und die bisherige thunlichst vollständig von mir zusammengestellte Literatur mit in Vergleichung ziehen. Unge - achtet meines Strebens, das Werk so vollkommen wie nur möglich zu gestalten, kann — das verhehle ich mir keineswegs — dasselbe in mancher Hinsicht doch nur ein Kind seiner Zeit geworden sein. Gleichwol darf ich vielleicht die Hoffnung hegen, dass auch Vieles, was aus demselben hervorleuchtet, für alle Zeiten maassgebend bleiben wird.
Was sonst noch über die Eigenart des Buches zu sagen ist, findet sich in C der Einleitung dargelegt, und begnüge ich mich hier, nur einiges Wenige noch zu bemerken.
Durch den Anblick der Formeln des Buches ist es nahe gelegt im voraus zu statuiren: dass mathematische Vorkenntnisse oder irgend welche spezifische Fachkenntnisse in demselben nicht vorausgesetzt werden. Vielmehr passen auch hier die einer Dedekind'schen Schrift jüngst vorausgeschickten Worte: „ Diese Schrift kann Jeder verstehen, welcher das besitzt, was man den gesunden Menschenverstand nennt “. Aber auch dieses Wort wird gleichwol zutreffen (eines andern Autors): Die Schöngeister freilich, nicht gewöhnt an so strenge Anforderungen des Denkens, werden frühzeitig kehrt machen. —
Eine Ausnahme zu oben Gesagtem bildet nur der Anhang 7, der sich ausschliesslich an Mathematiker wendet, und vielleicht in einem geringen Grade noch der Anhang 5, indem er wenigstens den Begriff der mathematischen Funktion voraussetzt. Überhaupt aber dürfte eine Bekanntschaft mit den Elementen der Buchstabenrechnung, so weit sie etwa in Tertia eines Gymnasiums gelehrt zu werden pflegt, bei dem Leser als immerhin wünschenswert zu bezeichnen sein.
Vermittelnd wendet sich das Buch an zwei nur allzu verschieden disponirte Leserkreise: an die Mathematiker und an die Philosophen.
Wenn ich mit Ausführlichkeit auch solche Geistesoperationen be - spreche, deren Analoga in ihrer Anwendung auf das Reich der Zahlen dem Mathematiker längst geläufig sind, so glaube ich mich für diese Ausführlichkeit entschuldigt halten zu dürfen nicht nur durch die wünschenswerte Rücksichtnahme auf den nicht mathematisch gebildeten Leser, sondern auch darum, weil es im didaktischen Interesse liegt, im Interesse auch einer Erziehung zum guten Lehrer, die Aufmerksam - keit zu zwingen, dass sie bei solchen Punkten verweile, bei denen der Anfänger zu straucheln oder Schwierigkeiten zu finden pflegt. Über - haupt liegt hier auch nicht der Fall vor, dass — wie in der Mathe -VVorwort.matik — eine in den Grundzügen schon fertige Kunstsprache vor - handen ist, durch jahrhundertelangen Usus von jedem Doppelsinn gereinigt und zufolge dessen eine knappe Ausdrucksweise ermöglichend, sondern unsre junge Disziplin muss sich die ihr erforderliche Kunst - sprache zum grossen Teil erst schaffen, und eventuell auch, soweit vereinzelte Anläufe dazu vorliegen, zunächst erst aus einer schon fast babylonischen Sprachverwirrung herauszukommen suchen.
Philosophen mögen andrerseits etwaige im Kontext erfolgende Seitenblicke auf Fragen von spezifisch mathematischem Interesse ge - neigtest mit in den Kauf nehmen.
Was auf Zahlen Bezug hat, fällt der Arithmetik anheim, die man ja als einen Zweig der deduktiven Logik (im weiteren Sinne) betrachten mag. Ich habe mich hier bemüht, das numerische Element der Logik nach Möglichkeit zurücktreten zu lassen und von ihm gesondert die Logik im engeren Sinne darzustellen. Die noch wenig zahlreichen An - wendungen, welche von den Begründern und Bearbeitern der logischen Algebra gemacht worden sind auf numerische Probleme — insbesondre als Studien über „ numerisch bestimmte Syllogismen “und in Aufgaben der Wahrscheinlichkeitsrechnung — habe ich deshalb nicht in das System aufgenommen. Die Berücksichtigung der letzteren würde mich überdies genötigt haben, auf die Kontroversen einzugehen, welche über die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung noch schweben. Solches, wie ich hoffe, nur auf eine andre Gelegenheit zurückstellend, begnügte ich mich zunächst, mit Anhang 7 wenigstens darzuthun, wie die neue Disziplin auch für Probleme der in Zahlen rechnenden Analysis verwertbar.
Seines Umfanges halber musste ohnehin das einheitlich veranlagte Werk in zwei Bände zerlegt werden.
Die allgemein-philosophisch gehaltene „ Einleitung “, mit ihren drei Teilen etwa drei von unsern Vorlesungen entsprechend, ist fast schon ein eigenes Buch geworden; und möchte ich an eine etwaige Kritik das Ersuchen stellen, dieselbe von dem Hauptinhalte des Werks, welcher mit der „ ersten “Vorlesung beginnt, getrennt halten zu wollen. Besonders viel verdanke ich in Bezug auf sie dem Studium der Schriften von Sigwart, Mill und Jevons, aus der Lektüre von deren oft citir - ten Werken mir zuweilen auch eine Reminiscenz wol wörtlich in die Feder geflossen sein mag, ohne als solche in jedem Falle gekenn - zeichnet zu werden. Dem Lehrer habe ich unter μ) in A der Ein - leitung ein Mittel an die Hand gegeben um nötigenfalls diese ganzVIVorwort.zu überspringen und sogleich mit § 1 in medias res einzutreten: wer solches vorzieht, kann das jeweils Unumgängliche aus unsern Vor - betrachtungen nach Bedarf in die Theorie einschalten.
Für das Vierteljahrhundert, welches seit dem Erscheinen von Boole's „ Laws of thought “nunmehr verflossen, gibt das Buch (noch mannigfach vermehrt) auch eine wol nahezu vollständige Sammlung aller Aufgaben, welche zu denkrechnerischer Lösung seither gestellt worden. —
Grossen Dank verdient jedenfalls der Verleger dafür, dass er es unternommen, eine so umfangreiche Schrift, welche so hohe und neue typographische Anforderungen stellte und sich in Deutschland ihren Leserkreis doch erst wird erobern müssen, zu drucken und in der vor - liegenden Weise auszustatten.
Der Umstand, dass die deutsche Übersetzung von Liard's Schrift über die „ Logiciens anglais contemporains “, welche einer Kritik sich enthaltend nur über deren Arbeiten referirt, bereits die zweite Auflage erlebte, lässt mich indess hoffen, dass für die neue Richtung doch schon in weiten Leserkreisen ein Interesse vorhanden, und dass eine systematische und kritische Überarbeitung und Weiterführung dieser Forschungen um so willkommener sein werde.
Ich schliesse mit dem etwas verwegenen Wunsche, dass meine englischen und amerikanischen Mitarbeiter ihre Arbeiten in der meinigen geläutert wiederfinden und aus derselben nicht weniger Anregung und Förderung schöpfen mögen als ich aus den ihrigen geschöpft habe.
Karlsruhe in Baden, im März 1890.
Der Vorverweisungen halber sei hier sogleich mit angeführt der Inhalt des zweiten Bandes.
Berichtigungen.
Zum Titelblatt. Das Citat nach Goethe ist mit Liebmann leicht ab - geändert. In Eckermann's Reminiscenz steht: die Probleme der Welt, sowie in der Grenze …
α) Die Logik, im weiteren Sinne des Wortes, beschäftigt sich mit all' den Regeln, durch deren Befolgung die Erkenntniss der Wahrheit gefördert wird. Sie hat es demnach mit den Methoden der Forschung überhaupt zu thun. Sie sucht die Frage zu beantworten: wie gewinnen wir Erkenntnisse, auf welchem Wege gelangen wir zur Wahrheit? Mithin, da Erfassen der Wahrheit ein Akt des Denkens ist, dürfen wir als Gegenstand der Logik überhaupt bezeichnen: das Denken, so - fern es das Erkennen zum Endzweck hat.
Es steht dieses erkennende Denken im Gegensatz, vor allem, zum Dichten, zum phantasirenden Denken.
Desgleichen blosse Erzählung und Beschreibung, wenn schon sie nicht ohne Denkthätigkeit zustande kommen und unter sonst gleichen Umständen von einem logisch geschulten Kopfe vielleicht besser in Angriff genommen werden, bilden als solche noch ebenfalls nicht ein Thema der eigentlichen Logik. Ein gleiches wäre von der gesetzgebenden Thätigkeit zu sagen. Endlich auch diejenigen Denkvorgänge, welche bei Äusserung unsrer un - mittelbaren Empfindungs - und Willenszustände mitspielen, also bei Aus - rufen, Wunschäusserungen, Fragen, Bitten und Befehlen, zu denen die Sprache die Interjektionen und Fragepartikeln, sowie die Optativ - und Imperativform der Verba hergibt, gehören nicht in den Bereich der logischen Disziplin.
Mit Übersetzung aus einer Sprache in eine andere werden wir uns nur soweit zu beschäftigen haben, als es sich dabei um Übertragung von Aussagen aus unsrer nationalen Wortsprache in eine eigens zu begründende Kunstsprache des logischen Denkens, in die Formelsprache — oder um - gekehrt — handelt.
Schröder, Algebra der Logik. 12Einleitung.β) Die Wissenschaften pflegen ausser dem Dasein erkennender Subjekte wesentlich vorauszusetzen, dass es auch etwas Erkennbares gebe, eine „ Wahrheit “, und zwar in Bezug auf jede Frage nur eine Wahrheit, die von allen mit der unsrigen gleichartigen Intelligenzen, von allen im Besitz normaler Geisteskräfte befindlichen Menschen, not - wendig als dieselbe erkannt werden muss, wofern jene sich nur die Mühe geben, sich in gleicher Weise in die für die Erkenntniss der - selben günstigen Verhältnisse zu versetzen.
Die Vorfrage aber, ob und inwiefern Erkenntniss der Wahrheit überhaupt möglich ist, pflegt einer besonderen Disziplin zugewiesen und in dieser abgehandelt zu werden, die man als „ Erkenntnisstheorie “bezeichnet.
Man hat dieselbe bald als eine Vorstufe der Logik hingestellt, bald auch hat man versucht, die ihr obliegenden Erörterungen in die Darstellung der Logik selbst einzuflechten.
Davon, dass das Ergebniss dieser Voruntersuchung bejahend aus - falle — und dies ist nicht unbestritten — würde hienach die Logik mit ihrer ganzen Existenzberechtigung abhängig erscheinen, wofern wir auch für sie die obengenannte „ Voraussetzung der Wissenschaften (im allgemeinen) “in Anspruch nehmen wollten.
Indessen könnte die gedachte Untersuchung doch jedenfalls nur mittelst Beweisführungen oder Widerlegungen, Schlüssen, Argumenta - tionen nach den Regeln eben der Logik geführt werden, deren Existenz - berechtigung erst aus ihrem Ergebniss zu entnehmen wäre, und so sähen wir uns von vornherein in einen fatalen Zirkel gebannt, wofern wir wirklich jene Voraussetzung schon für die Logik in Anspruch nehmen müssten.
Gezeigt zu haben, wie über die angedeutete Schwierigkeit hinweg - zukommen ist, durch Lieferung des Nachweises, dass die Logik als eine formale Disziplin sich in der That davon auch unabhängig be - gründen lässt, erscheint vorzugsweise als Herrn Sigwart's Verdienst, und werden wir auf diesen Punkt noch näher einzugehen haben.
γ) Mit ihrem einen — dem gewöhnlich und wol mit Recht als zweiten aufgeführten — Teile, in Gestalt der nach Whately's und John Stuart Mill's Vorgange so genannten „ induktiven Logik “, geht unsre Disziplin speziell auch auf die Grundsätze ein, nach welchen Beobach - tungen und Versuche, Experimente anzustellen, nach welchen diese sowie Erfahrungen und Wahrnehmungen überhaupt zur Erweiterung der Erkenntniss zu verwerten sind. Die Logik untersucht hier näher3Einleitung.diese — wenn nicht einzige*)Dass Wahrnehmung die Urquelle aller Erkenntniss sei, wird — nachdem die Verfechter „ angeborner “Erkenntnisse aus dem Felde geschlagen sind — nur noch von Denjenigen bestritten, die eine „ göttliche Offenbarung “annehmen. Als Wahrnehmung ist hier allerdings nicht blos die sog. „ äussere “Wahr - nehmung zu berücksichtigen, welche sich auf den Sinneseindruck stützt, sondern auch die „ innere “. Z. B. dass ich fröhlich oder traurig bin, spaziren gehen will, und dergleichen, nehme ich nicht durch die Sinne wahr, sondern werde dessen unmittelbar inne. „ Wir empfinden auch die Spannkraft unsres Willens und die Anstrengung des Nachdenkens “(Lange). Vergleiche hierzu noch γ3) erste Fussnote. — so doch jedenfalls ursprüngliche und hauptsächliche Quelle des Erkennens, als welche die Wahrnehmung, Perzeption, hinzustellen ist.
Sie setzt auseinander, wie aus einzelnen, nötigenfalls sehr zahlreich gemachten Wahrnehmungen**)Dieselben, wenn bis zur Bildung einer Vorstellung von dem wahr - genommenen Gegenstande entwickelt, heissen „ Apperzeptionen “. von unter sich ähnlicher Art durch einen kühnen Prozess der Verallgemeinerung — den „ Induktionsschluss “, die „ Induktion “— allgemeine Sätze (Regeln oder Gesetze) ableitbar sind, welche auch die nicht mehr wahrgenommenen Fälle derselben Art in den Bereich unsrer Erkenntniss ziehen, uns Aufklärung über dieselben geben. Doch weist sie nach, dass dieser Aufschluss, diese Informa - tion, nicht unfehlbare Sicherheit, dass sie nicht absolute Gewissheit gewähren kann, wohl aber eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlich - keit, Probabilität beansprucht, deren Grad sich beurteilen oder taxiren, sich abschätzen lässt. ***)Immerhin mit Einschränkungen — vergl. Herrn Johannes von Kries1 gediegene Arbeit über Die Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung — siehe Literaturverzeichniss.
Indem die induktive Logik auch auf diese Schätzung ausgeht, nach welcher sich der den Induktionsergebnissen zu schenkende Glaube be - misst, untersucht sie, wie einzelne Induktionen durch andere gestützt und gekräftigt, eventuell auch abgeschwächt oder gar durch neue Wahr - nehmungen völlig entkräftet, umgestossen werden, und sucht zu ergründen, wie innerhalb der Schranken des menschlichen Könnens Induktionen anzustellen sind, damit sie möglichst glaubwürdige Ergebnisse liefern.
Auf diese, die induktive Logik, so hochwichtig und interessant sie auch ist, beabsichtige ich hier ganz und gar nicht einzugehen. †)Es sei darüber auf die Werke von Mill2, Sigwart2, Apelt1 u. A. ver - wiesen. Vergl. das Literaturverzeichniss am Schlusse, auf welches die im Text als Exponenten angesetzten Chiffren sich jeweils beziehen.
δ) Wir wollen uns auf ein viel engeres Gebiet beschränken, um1*4Einleitung.dasselbe um so gründlicher in Angriff zu nehmen und — in gewissen Richtungen wenigstens — um so vollständiger abzuhandeln, nämlich auf den ersten Teil der heute so genannten Logik, die Logik im engeren Sinne, Logik*)Den Namen führt die Disziplin bekanntlich zurück auf das griechische λόγος = das Wort, die Sprache, der Sinn, die Vernunft etc. Dass „ Wort “und „ Vernunft “solchergestalt homonym bezeichnet wurden, war nicht ganz ohne innere Berechtigung — in Anbetracht, dass die auf dem Wort beruhende Sprache und die menschliche Vernunft einander wirklich nicht entbehren zu können scheinen und in ihren successiven Entwickelungsstufen sich gegenseitig bedingen dürften. Die enge Beziehung unsrer Vernunft zur Sprache, von der schon Wilhelm v. Humboldt sagte, dass wir sie uns nicht enge genug vorstellen können, hat Lazarus Geiger zu einem interessanten Versuche veranlasst, die Ent - stehung der ersteren ganz aus der letzteren zu erklären — ein Versuch, der nach Heymann Steinthal's und Julius Keller's Kritik im wesentlichen als fehl - geschlagen zu betrachten — vergl. noch Benno Erdmann's Rezension in den Göttingischen gelehrten Anzeigen v. 1885 von Keller's Schrift1, welcher letztern wir obige Angabe über W. v. Humboldt entlehnten. Nach allem möchte, den menschlichen Verstand als ein durch die Wort - sprache erst entwickeltes Erziehungsprodukt zu erklären, noch eben so viel Wahr - heit und Übertreibung enthalten, als wie umgekehrt die Sprache das Werk eines konsequent denkenden Verstandes zu nennen. Dass Letzteres in der That nicht durchaus der Fall ist, werden wir häufig Gelegenheit haben hier wahrzunehmen, wo uns auch eine Kritik dieses immerhin bewunderungswürdigen Instruments des Gedankenausdrucks mit obliegen wird. im Sinne der Alten.
Diese, die „ deduktive “oder auch „ formale “**)„ formale “in einem engern als dem S. 2 erwähnten Sinne. Logik beschäftigt sich mit den Gesetzen des folgerichtigen Denkens.
Worin die „ Folgerichtigkeit “des Denkens bestehe, ist durchaus nicht leicht zu sagen. Ich will die Frage erst einer vorläufigen Be - sprechung unterziehen, um dann nochmals auf dieselbe zurückzukommen.
Zur Orientirung sei zunächst bemerkt, dass „ folgerichtig “mehr wie „ konsequent “besagt. Man kann auch konsequent verkehrt ver - fahren, konsequent unlogisch zuwerke gehen. Wenn ich ein Fremd - wort, einen international rezipirten wissenschaftlichen Kunstausdruck für „ folgerichtiges Denken “gebrauchen sollte, so wüsste ich dasselbe nicht anders, wie als „ logisches “Denken zu bezeichnen.
ε) Ältere Autoren, wie Drobisch1 und Ueberweg1 in ihren so verdienstlichen Werken haben geglaubt, das Kennzeichen der Folge - richtigkeit des Denkens allein in der Übereinstimmung dieses Denkens mit sich selbst erblicken zu sollen.
Dass das Denken, wenn es folgerichtig genannt werden soll, zu5Einleitung.Widersprüchen mit sich selbst nicht führen dürfe, ist unstreitig (auch) eine von diesem zu erfüllende Anforderung.
Wer auf sie das Kennzeichen der Folgerichtigkeit des Denkens zu gründen versucht, ist verpflichtet, zunächst auseinanderzusetzen, was ein „ Widerspruch “ist.
Mannigfach sind die Arten oder möglichen Formen des Wider - spruchs; es gibt deren versteckte oder mittelbare, und es gibt auch offene, unmittelbare Widersprüche.
Die ersteren vollständig aufzuzählen dürfte als ein hoffnungsloses Beginnen, Unterfangen erscheinen. Zur Charakterisirung der letztern dagegen lassen — an deren sprachliche Ausdrucksformen anlehnend — sich wol unschwer äusserliche Kennzeichen aufstellen.
Der Widerspruch kann schon in einer einzigen Aussage enthalten sein, die alsdann eine „ sich selbst widersprechende “genannt werden mag.
Wer z. B. die Versicherung abgibt: „ Ich kann nicht sprechen “oder wer dem ihn Besuchenden entgegenruft: „ Ich bin abwesend, bin nicht zu - hause, todt “und dergleichen, setzt sich dadurch in Widerspruch zu einer schon durch die blosse Existenz eben dieser seiner Aussage verbürgten (und damit einen gegenteiligen Ausspruch herausfordernden) Thatsache.
Wird einem Dinge, wovon gesprochen werden kann, einem Objekte des Denkens, im Prädikat der Aussage ein Merkmal abgesprochen, welches im Subjekt dieser Aussage demselben zugesprochen erscheint (oder um - gekehrt), so kann man darin einen Widerspruch der Aussage mit sich selbst erblicken (sogenannte „ contradictio in adjecto “, d. h. im Prädikate) — so z. B. wenn wir sagten: „ Ein kugelförmiger Körper ist nicht kugel - förmig “. Es waltet dabei allerdings mit die Unterstellung, dass es kugel - förmige Körper gebe, oder dass solche wenigstens denkbar seien. (Ver - gleiche auch Hegel's vielberufenes: „ Sein ist Nicht sein “, und Anderes.)
Ähnlich verhält es sich mit Konditionalsätzen oder hypothetischen Urteilen, sobald der Folgesatz in Abrede stellt, was der Bedingungssatz vorauszusetzen forderte, z. B. „ Wenn dies stattfindet, so findet es nicht statt. “ Hier sind die einander widersprechenden Satzteile und Teilsätze von einander abhängig gesetzt.
Als Wesen des Widerspruchs wird am besten erklärt die Beziehung zwischen zwei selbständig hingestellten Sätzen oder Aussagen, von denen die eine in Abrede stellt, leugnet, was die andre behauptet.
Gewöhnlich stellt man zwei Urteile: „ A ist B “und „ A ist nicht B “als allgemeine Form derartiger Aussagen hin, unter der Voraussetzung, dass unter A etwas und zwar in beiden Aussagen genau das nämliche verstanden werde, desgleichen unter B. Zum Beispiel, nachdem irgend eine Behauptung gefallen, werden die beiden Aussagen:
„ Diese Behauptung ist wahr “, und „ Diese Behauptung ist nicht wahr “einen reinen Widerspruch bilden.
Der sogenannte „ Satz des Widerspruchs “, der für die Logik eine fundamentale Bedeutung besitzt, fordert anzuerkennen, dass einunddieselbe6Einleitung.Behauptung, im nämlichen Sinne verstanden, nicht zugleich wahr und nicht wahr sein könne.
So drücken ferner die Paare von Sätzen: Der Mars ist bewohnt; Der Mars ist nicht bewohnt, Alle Menschen sind vollkommen; Alle Menschen sind nicht vollkommen, je einen Widerspruch aus — wenn auch vielleicht nicht in der oben als Ideal des reinen Widerspruchs hingestellten Weise — und letzteres würden sie auch noch thun, wenn man statt der Worte „ nicht bewohnt “, „ nicht vollkommen “bezüglich „ unbewohnt “, „ unvollkommen “in ihnen setzte (wo dann für den letzten Satz auch „ Kein Mensch ist voll - kommen “sich sagen lassen würde.)
Dagegen die beiden Sätze: Einige Menschen sind klug; Einige Menschen sind nicht klug drücken keinen Widerspruch aus, schon darum, weil hier das Subjekt der - selben dargestellt wird durch den mehrsinnigen, äquivoken Namen „ Einige Menschen “, unter dem im ersten Satze ganze andere Menschen verstanden werden, wie im zweiten.
Auf die erwähnte Form lassen auch die vorhergehenden Beispiele sich zurückführen, indem man dieselben zusammenhält mit den als selbstverständ - lich anzuerkennenden Sätzen: „ Wenn dies stattfindet, so findet es statt “resp. „ Ein kugelförmiger Körper ist kugelförmig “.
Ob aber jene zwei Urteile über A und B wirklich und in allen Fällen das Wesen des Widerspruchs in dem darüber erklärten Sinne dar - stellen, dies zu entscheiden muss eingehenderen Untersuchungen vorbehalten bleiben. (Vergl. § 15.)
Wollen wir vorsichtig verfahren, ganz sicher gehen, so müssen wir als das Vorbild, die „ typische “Form des unmittelbaren Widerspruchs die Gegenüberstellung zweier Sätze nehmen, welche (wie in der That die vor - hin kursiv gedruckten) zum Subjekt einunddieselbe Behauptung haben, zum Prädikat aber bezüglich „ wahr “und „ nichtwahr “oder „ gültig “und „ un - gültig “. Direkten Widerspruch erblicken wir zwischen irgend einer (als gültig hingestellten, mit der Versicherung ihrer Gültigkeit abgegebenen) Aussage (zwischen einer „ Behauptung “) und einer zweiten Aussage, welche die Ungültigkeit der ersten behauptet.
Bei versteckten Widersprüchen kann man verlangen, dass sie auf unmittelbare zurückgeführt werden, und zwar wie? — Nun natürlich wiederum durch folgerichtiges Denken. So kämen wir denn zunächst zu dem Zirkel, für „ folgerichtig “dasjenige Denken zu erklären, welches aus sich selbst und durch sich selbst nicht zu direkten Widersprüchen führt. Dasselbe dürfte also widersprechende Prämissen (als Über - zeugungen) nie zulassen und von (als Überzeugung) zugelassenen Prä - missen zu Widersprüchen nie führen. Nun kann man ja aber, ehe man diejenigen Folgerungen oder Denkhandlungen vollzieht, welche den unmittelbaren Widerspruch liefern würden, allemal ganz willkür - lich abspringen, und so erscheint die Erklärung als vollkommen nichts - sagend, solange ihr nicht die Voraussetzung mit zugrunde gelegt wird,7Einleitung.dass das Denken nach bestimmten Normen, Vorschriften, Schemata oder Gesetzen überhaupt stattfinde oder stattzufinden habe.
Sollen diese Gesetze solche des folgerichtigen Denkens sein, so wird das Denken, wenn es gemäss denselben stattfindet, aus sich selbst nicht zu Widersprüchen führen dürfen.
Immerhin, auch wenn man niemals von gegebenen Gesetzen ab - weicht, bleibt aber die Möglichkeit, durch Enthaltung von gewissen Schlussfolgerungen dem Widerspruch ständig auszuweichen, sich z. B. in einem Zirkel immerfort zu bewegen, welcher solchen Widerspruch nicht berührt. So wenigstens, sobald der Gedankenverlauf durch jene Gesetze nicht vollkommen bestimmt erscheinen sollte — wie wir uns denn in der That bewusst sind (auch bei folgerichtigem Denken) uns doch den verschiedensten Dingen in freier Entschliessung noch zu - wenden, beliebigen Stoffs uns bemächtigen, kurz: in sehr verschiedenen Richtungen noch weiterdenken zu können.
Es würde demnach die Widerspruchslosigkeit des „ folgerichtigen “Denkens als Kennzeichen desselben sich höchstens aufrecht erhalten lassen, wenn sie gefordert wird für den ganzen Bereich der nach den Gesetzen dieses Denkens noch möglichen Denkhandlungen oder Schluss - folgerungen.
Ob dies nun eine hinlängliche Bestimmung für die Folgerichtigkeit des Denkens ergäbe, scheint eine schwierige Frage zu sein. Für be - stimmt begrenzte Gedankensphären, wenigstens, glaube ich dieselbe ver - neinen zu müssen und dünkt mich, dass gerade die im gegenwärtigen Buch entwickelte Theorie dieses folgerichtigen Denkens Material dafür liefert, um (hiefür) die Unzulänglichkeit jener Begriffsbestimmung be - sonders schlagend darzuthun.
Hier nämlich wird dieses Denken, auf seinen knappsten Ausdruck reduzirt, sich als ein Kalkul darstellen. Nun lassen aber zahllose in sich vollkommen konsequente Kalkuln sich aufstellen, die gleichwol nichts weniger als die Gesetze des logischen Denkens ausdrücken, und die, weil sie derselben Zeichen sich bedienen, doch auch als Gesetze eines gewissen Denkens gedeutet werden könnten. Der logische Kalkul ist in der That nur einer von unzähligen in sich widerspruchsfreien Kalkuln — die aber in ihren Grundgesetzen oft äusserst weit von einander abweichen.
Wofern nur die unbeschränkte Deutungsfähigkeit solcher Kalkuln, ihre Anwendbarkeit auf alle erdenklichen Objekte des Denkens, sich auch von vornherein absehen liesse, würde ich keinen Anstand nehmen, schon überhaupt die Konsistenz, oder Verträglichkeit mit sich selbst,8Einleitung.für allein noch nicht ausreichend zu erklären, um die Gesetze des logischen Denkens zu bestimmen. Solange aber Obiges noch ununter - sucht geblieben, brauchen wir zu der Frage auch nicht definitiv Stellung zu nehmen.
Der vorstehend genommene Anlauf dürfte indess schon genügen, um erkennen zu lassen, dass der Versuch, von dieser Seite die Auf - gabe in Angriff zu nehmen, in grosse Schwierigkeiten von vornherein verwickeln muss.
Nicht überflüssig scheint es, erinnernd hervorzuheben, dass vorstehende Betrachtung sich beschränkte auf das Gebiet rein deduktiver Denkhandlungen, wobei also eine Berufung auf neue Erfahrungen von vornherein ausge - schlossen war.
Wenn dagegen auch diejenigen Widersprüche mit in Berücksichtigung gezogen werden sollten, welche eintreten können zwischen unsern Denk - handlungen und dem Zeugniss der Sinne, den Thatsachen der Wahrnehmung (genauer den durch letztere unweigerlich provozirten Denkhandlungen oder Urteilen), so dürfte die Frage sich anders stellen.
War auch dieselbe für das erwähnte engere Gebiet vielleicht verneinend zu entscheiden, so bleibt es unbenommen, sie für das weitere Gebiet alles Denkens überhaupt noch in gewissem Sinne zu bejahen, nämlich als das Kriterium der Wahrheit für die Gesamtheit unsrer Überzeugungen doch hinzustellen die durchgängige und widerspruchslose Übereinstimmung alles auf diese gegründeten Denkens mit sich selbst, sofern dieselbe auch bei allem ferneren Zuwachs an Erfahrung sich fort und fort bewährt und von dem Bewusstsein folgerichtigen Schliessens schon gestützt und getragen ist. Jedenfalls wird hierbei (wenn solcher Zustand erreicht) das Denken sich immer schon beruhigen und faktisch jeder Zweifel schwinden.
ζ) Es wird demnach zu billigen sein, dass von neueren Schrift - stellern der vorstehend charakterisirte Standpunkt auch nicht mehr eingenommen wird. Vielmehr findet sich von den meisten, die die Frage berühren, der Umstand anerkannt, um welchen sich augenschein - lich durchaus nicht herumkommen lässt, dass dem Begriff des folge - richtigen Denkens eine Annahme, ein Dogma zugrunde liegt, welches sozusagen den „ Glauben des Logikers “bildet.
Wir haben unter β) eine solche Annahme bereits als eine Voraus - setzung der Wissenschaften (im allgemeinen) angedeutet, müssen je - doch für die formale Logik die Annahme anders und enger fassen.
In einer durchaus haltbaren Weise scheint mir solches vonseiten Sigwart's geschehen, aus dessen lesenswertem Werke1 ich hier be - sonders die Lektüre der Einleitung und namentlich der Paragraphen 1 und 3 der letzteren empfehle.
Die darin gegebenen Ausführungen des genannten Autors vermöchte ich einerseits nicht besser darzustellen und möchte dieselben auch nicht9Einleitung.mit andern Worten wiedergeben und andrerseits sind dieselben doch zu umfangreich als dass es ratsam erscheinen könnte, sie hier wörtlich auf - zunehmen.
Wenn ich daher mich damit begnüge — verknüpft mit anderweitigen Betrachtungen —, hier nur den Grundgedanken Sigwart's zur Darstellung zu bringen, so darf nicht verhehlt werden, dass derselbe, solchergestalt herausgerissen aus dem festen Gefüge seiner Ausführungen, vielleicht an überzeugender Kraft verliert.
Folgerichtig oder logisch mögen wir (mit Sigwart) das Denken nennen, wenn es für den prüfenden Verstand mit dem Bewusstsein der Selbstverständlichkeit oder Evidenz verknüpft ist, wenn eine „ Denk - notwendigkeit “uns zwingt, dasselbe mit der Überzeugung absoluter Ge - wissheit zu vollziehen. *)Die Leichtigkeit, mit welcher diese Erklärung auch scheint missbraucht werden zu können, benimmt derselben nichts von ihrer Richtigkeit.
Es bedarf diese Erklärung indess mehrfacher Erläuterungen und Ergänzungen.
Zunächst: der rein persönliche Charakter, das subjektive Moment, welches der Folgerichtigkeit des Denkens nach obiger Erklärung an - zuhaften scheint, wird aufgehoben, das folgerichtige Denken wird dieser Besonderheit entkleidet durch den Glauben, dass es eine für alle Intelli - genzen verbindliche — weil eben objektiv begründete — Denknotwendig - keit gebe.
„ Widersprüche “kann dieses Denken darum nicht enthalten, auch nicht zu solchen mit sich selber führen, weil es eben dem Verstande unmöglich fällt, solche mit Bewusstsein zu vereinigen, weil jene Denk - notwendigkeit uns namentlich zwingt, von zwei einander direkt (kontra - diktorisch) widersprechenden Urteilen das eine anzunehmen, das andre zu verwerfen.
Die Induktionsschlüsse können, wie schon angedeutet, die Über - zeugung absoluter Gewissheit, ganz unfehlbarer Wahrheit, nicht ge - währen**)Denn was auch tausendmal schon gleichmässig eingetroffen, braucht darum doch nicht das 1001te Mal wieder einzutreffen. und gehören demnach samt allem empirischen Erkennen, nicht in den Bereich des folgerichtigen Denkens.
Für letzteres bleiben als das Substrat, welches somit das Thema der deduktiven Logik zu bilden hat, nur übrig:
Erstens die sogenannten „ analytischen Wahrheiten “, „ Truismen “, sich darstellend als „ identische Urteile “— wofür als ein Beispiel hier nur etwa der Satz angeführt sei: „ Alle schwarzen Krähen sind schwarz. “ Es sind das Urteile, welche unabhängig von allen Erfahrungsthatsachen10Einleitung.die Überzeugung von ihrer Wahrheit in sich selbst tragen, zu deren Anerkennung wir gezwungen sind kraft des Sinnes, den wir den Worten beilegen.
Mit Lotze1 (p. 573) zu reden, wäre schon die Thatsache der Selbst - verständlichkeit bei solchen Urteilen, bei den „ apriorischen Wahrheiten “merkwürdig.
Soweit dieselben auf die Zahl Bezug haben, werden hier diese Urteile grösstenteils den arithmetischen Spezialwissenschaften überlassen.
Im übrigen werden diese, zwar eine unentbehrliche Grundlage alles Denkens bildenden, aber ebendeswegen als überflüssiger Ausdruck des Selbst - verständlichen gewöhnlich mit Übermut übergangenen Urteile in diesem Buche eine besonders eingehende Beachtung finden. Unsre Betrachtungen würden uns sogar in den Stand setzen, diese Urteile innerhalb irgend welcher Grenzen, die durch eine nicht zu überschreitende Komplikation ihres Aus - drucks gegeben werden mögen, gewünschtenfalls mit Leichtigkeit auch voll - ständig aufzuzählen.
Zweitens bleibt das denknotwendige Fortschreiten von schon vor - handenen Überzeugungen*)Diese können auch provisorisch angenommene, können blosse „ Annahmen “(Hypothesen) sein., sei es wirklichen, sei es blos vermeintlichen Erkenntnissen, zu neuen Überzeugungen (wirklichen resp. fraglichen Erkenntnissen), das ist eben die eigentliche Deduktion. Und deren Gesetze zu erforschen, wird unsre Hauptaufgabe bilden.
Nach dem Gesagten dürfen, wenn jenes Fortschreiten ein rein deduktives sein soll, in dessen Verlauf keine neuen Wahrnehmungen an den Dingen selbst, um deren Erkenntniss es sich handelt, hinzu - gezogen, es darf nicht an Erfahrungsthatsachen dabei appellirt werden, die nicht unter den „ schon vorhandenen “, den zum Ausgangspunkt der Deduktion genommenen Erkenntnissen oder Überzeugungen bereits ein - registrirt wären. Diese heissen die „ Prämissen “und die aus ihnen abgeleiteten Überzeugungen oder Erkenntnisse heissen die „ Konklu - sionen “der Deduktion; der Übergang von den erstern zu den letztern wird (deduktives) Schliessen, Folgern genannt.
Gleichwol verzichtet die Deduktion nicht ganz auf das mächtige Hülfsmittel der Wahrnehmung. Zugelassen nämlich sind Beobach - tungen an den Namen oder Zeichen der Dinge. Gerade in ihren höch - sten Formen, wenn die Deduktion die verwickeltsten ihrer Aufgaben rechnerisch bewältigt, zeigt sich solches Beobachten der Zeichen als ein wesentliches und charakteristisches Merkmal derselben. Ein Blinder wird bei gleicher Begabung, eben wegen seines mangelhaften Beob - achtungsvermögens in der angedeuteten Richtung, dergleichen deduk -11Einleitung.tive Aufgaben nicht so leicht zu lösen im Stande sein, wie ein Sehender. Und auf der Gründlichkeit und Sorgfalt, mit der*)Zufolge des Verharrens, der Beständigkeit oder Permanenz der Schrift - zeichen — weil m. a. W. ein x sich nie von selber in ein u verwandelt. Be - obachtungen dieser Art immer ausgeführt werden können, beruht mit die grosse Zuversicht, mit welcher wir die Ergebnisse der Deduktion acceptiren.
Indem unter den Prämissen des deduktiven Schliessens auch solche Sätze figuriren können, welche das Ergebniss einer Wahrnehmung an den Objekten der Untersuchung selbst und ferner auch von auf der - gleichen Wahrnehmungen gegründeten Induktionsschlüssen darstellen, mithin als absolut zuverlässig nicht angesehen werden dürfen, liefert uns die Deduktion namentlich ein Mittel, die Richtigkeit gemachter Induktionen durch das, was denknotwendig aus ihnen folgt, durch ihre Konklusionen oder Konsequenzen zu prüfen. Sobald sich auch nur eine von diesen Konsequenzen mit den Thatsachen oder als zuverlässig anzusehenden, ferneren Wahrnehmungsergebnissen unver - einbar erweist, ist mindestens eine von den nicht denknotwendigen Prämissen zu verwerfen. Solange dagegen auch alle ihre Folgerungen sich empirisch bewahrheiten, können die Induktionsschlüsse aufrecht erhalten und zur Grundlage einer „ Theorie “genommen werden, welche die Erscheinungen zusammenfassend zu beschreiben und zu erklären beansprucht.
Auf diese Weise wird die Deduktion zu einem mächtig fördernden Hülfsmittel aller induktiven Wissenschaften. Wogegen sie ihrerseits, wie wir gesehen haben, der Induktion nicht nur entraten kann, son - dern vielmehr dieselbe ausschlieſst. Dieser Umstand rechtfertigt auch das Voranstellen der deduktiven vor die induktive Logik.
η) Wenn vorstehend wiederholt von einer „ Denknotwendigkeit “ge - sprochen wurde, so ist (mit Sigwart) darauf aufmerksam zu machen, dass sich von einer solchen in zweierlei Sinne reden lässt.
Wir haben eine physikalisch-physiologisch-psychische, die „ psycho - logische “oder subjektive Denknotwendigkeit zu unterscheiden von der „ logischen “oder objektiven.
Die erstere ist der Grund, weshalb ein Mensch gerade so denkt, wie er eben wirklich denkt. „ Psychologisch betrachtet mag man alles, was der Einzelne denkt, für notwendige, d. h. gesetzmässig aus den jeweiligen Voraussetzungen erfolgende Thätigkeit ansehen; dass gerade12Einleitung.dies und nichts anderes gedacht wird, ist notwendige Folge des Vor - stellungskreises, der Gemütsstimmung, des Charakters, der augenblick - lichen Anregung, welche das einzelne Individuum erfährt “(Sigwart1, p. 5 u. 6). Diese Notwendigkeit ist für den Denkenden eine absolute; aber für verschiedene Menschen, und für dieselbe Persönlichkeit bei verschiedenen Gelegenheiten, ist sie oft verschieden; sie gebiert, ruft hervor da richtiges, dort falsches, unlogisches Denken. Thatsächlich wird ja sehr vielfach auch unlogisch gedacht.
Die andre, die letztere Notwendigkeit scheint weniger leicht zu fassen. Gerade sie aber, indem sie dem Denken die Folgerichtigkeit vorschreibt (und unter Umständen auch aufnötigt), ist diejenige Denk - notwendigkeit, die wir bei obigen Erklärungen im Sinne hatten.
ϑ) Sie würde sich — zunächst als ein noch unverwirklichtes Ideal — charakterisiren lassen als diejenige Notwendigkeit, welche unser Denken beherrschen muss, wofern es seinen Zweck erreichen soll: das Erkennen.
In der That: nicht um Naturgesetze des Denkens handelt es sich in der Logik (diese als die Gesetze, nach denen wirklich gedacht wird, bleiben der Psychologie überlassen), sondern um normative Gesetze, Gesetze, welche die Richtschnur, Norm des Denkens bilden müssen, damit es jenen Zweck des Erkennens erreiche. Im Hinblick auf ihre Beziehung zu, Abhängigkeit von diesem Zwecke wäre also diese Denk - notwendigkeit auch als eine relative zu bezeichnen.
Sie wäre, genauer gesagt, hinzustellen als der Inbegriff aller der Gesetze, allgemeinen Schemata oder Methoden, durch deren Befolgung man erstens von richtigen Überzeugungen, Erkenntnissen ausgehend, stets wieder nur zu richtigen Erkenntnissen geführt wird, und zweitens, so - fern solchen Gesetzen etwa auch selbständige Urteile entspringen sollten, gemäss welcher nur absolut gewisse und wahre gebildet werden können.
Nun frägt sich aber: wie lässt sich solches Ideal verwirklichen?
Empirisch, indem man diese oder jene Gesetze für alle Fälle durchprobirt, gewiss nicht! Nicht allein bleiben auch die für am sichersten gehaltenen unsrer Überzeugungen immer noch der An - zweifelung, Skepsis, ausgesetzt, sondern es wäre jedenfalls auch aus - sichtslos, die unendliche Fülle der Möglichkeiten erschöpfend durch - gehen zu wollen.
ι) Wie lässt sich dennoch jenes objektiv notwendige Denken von dem zufälligen, dem subjektiv verschiedenen unterscheiden? Da wir aus der Jurisdiktion unsrer subjektiven Denknotwendigkeit doch13Einleitung.niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen, so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „ Einleuchtens “die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.
Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig - keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all - gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „ folgerichtige “Denken gibt, und wie sie beschaffen sein müssen.
Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz, welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).
ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über - zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel - baren Widersprüchen handelt.
Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:
„ Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge - leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent - gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen - teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver -14Einleitung.nichtung des Widersprechenden vorübergehend sein, insofern die un - mittelbare Deckung der Widersprüche vorübergehend ist. Was in ver - schiedenen Denkgebieten tief eingewurzelt ist, kann nicht so ohne weiteres zerstört werden, wenn man durch blosse Folgerungen zeigt, dass es widersprechend ist. Auf dem Punkte freilich, wo man die Konsequenzen des einen und des andern Satzes unmittelbar zur Deckung bringt, bleibt die Wirkung nicht aus, allein sie schlägt nicht immer durch die ganze Reihe der Folgerungen hindurch bis in den Sitz der ursprünglichen Widersprüche. Zweifel an der Bündigkeit der Schluss - reihe, an der Identität des Gegenstandes der Folgerung schützen den Irrtum häufig; aber auch wenn er für den Augenblick zerstört wird, bildet er sich aus dem gewohnten Kreise der Vorstellungsverbindungen wieder neu und behauptet sich, wenn er nicht endlich durch wieder - holte Schläge zum Weichen gebracht wird.
Trotz dieser Zähigkeit des Irrtums muss gleichwol das psycho - logische Gesetz der Unvereinbarkeit unmittelbarer Widersprüche im Denken mit der Zeit eine grosse Wirkung ausüben. Es ist die scharfe Schneide, mittelst welcher im Fortgang der Erfahrung allmälig die unhaltbaren Vorstellungsverbindungen vernichtet werden, während die besser haltbaren fortdauern. *)Auch hier ein „ survival of the fittest “, Überleben der Tauglichsten. Der Verf.Es ist das vernichtende Prinzip im natürlichen Fortschritt des menschlichen Denkens, welches, gleich dem Fortschritt der Organismen darauf beruht, dass immer neue Ver - bindungen von Vorstellungen erzeugt werden, von denen beständig die grosse Masse wieder vernichtet wird, während die bessern überleben und weiter wirken.
Dieses psychologische Gesetz des Widerspruchs bedarf natürlich zu seinem Bestande und zu seiner Wirksamkeit keiner Anschauung. Es ist unmittelbar durch unsre Organisation gegeben und wirkt vor jeder Erfahrung als Be - dingung aller Erfahrung. Seine Wirksamkeit ist eine objektive und es braucht nicht erst zum Bewusstsein gebracht zu werden, um thätig zu sein.
Sollen wir nun aber dasselbe Gesetz als Grundlage der Logik auffassen, sollen wir es als Normalgesetz alles Denkens anerkennen, wie es als Natur - gesetz auch ohne unsre Anerkennung wirksam ist, dann allerdings bedürfen wir hier so gut wie bei allen andern Axiomen der typischen Anschauung, um uns zu überzeugen … „**)Ich breche das Citat mit Absicht erst bei diesen Worten ab, welche zwar von andern Seiten bestritten, doch jedenfalls für die der Lange'schen Schrift zu - grunde liegende Gesamtauffassung bezeichnend sind.
15Einleitung.Insbesondre bringt der Gang wissenschaftlicher Forschung es fort - während mit sich, dass Streit geschlichtet wird durch Verfolgung falscher Sätze in ihre Konsequenzen, und jeder apagogische Beweis ist ein Beispiel dieses Verfahrens (Sigwart1, p. 13).
λ) Im Hinblick auf die enormen unter den Menschen herrschenden Meinungsverschiedenheiten und auf die Thatsachen des Irrtums und des Streites, scheint auf den ersten Blick ein Glaube an die Ge - meinverbindlichkeit folgerichtigen Denkens nur schwer aufkommen zu können.
In diesem Glauben lässt sich die Logik gleichwol nicht beirren. Sie nimmt an, dass jene Fakta nicht sowol im Intellekte begründet sind, als vielmehr ganz andern Ursachen zur Last fallen.
Zumeist entspringen jene Meinungsverschiedenheiten schon aus der Nichtübereinstimmung der Prämissen des Schliessens, deren Erfassung bei verschiedenen Denkern nach verschiedenen Richtungen mangelhaft erscheint und die sich häufig nicht zu dem wünschenswerten Grade der Klarheit im Bewusstsein emporgearbeitet haben, über die denn auch eine hinreichende Verständigung nicht stattgefunden hat. Viele Menschen verschliessen auch ihr Bewusstsein gewissen Erkenntnissen.
Doch, sofern selbst die Prämissen deduktiven Schliessens noch leidlich übereinstimmen, sind die Schlussfolgerungen oft noch verschieden wegen mangelnder oder unvollständiger, nicht gründlich genug vollzogener Prüfung der im Bewusstsein aufgenommenen Objekte des Denkens durch den Ver - stand vonseiten des einen oder andern Denkenden. Solches kann veranlasst sein durch Denkfaul - (oder zarter ausgedrückt: - träg) heit, Schwerfälligkeit auf der einen Seite, durch die Scheu vor der geistigen Anstrengung nicht nur im gegebenen Falle, sondern auch durch den Mangel an Denkfertigkeit und Gewandtheit, an geistiger Schulung und Disziplin im Denken, welche jene Disposition im Gefolge zu haben pflegt — und der grossen Menge gilt in der That das „ Kopfzerbrechen “für die allerunangenehmste Arbeit. Andrer - seits wird häufig Ungeduld und Übereilung, ein lapsus attentionis etc., auf das Zustandekommen fehlerhafter Schlüsse hinwirken. So in der That schon bei ganz aufrichtigen Überzeugungen.
Dazu kommt aber noch die Dazwischenkunft, Intervention des Gemütes mit seinen Leidenschaften, welche dahin wirken, dass der Mensch, mitunter sich selbst unbewusst, oder auch sich beschwindelnd, einer in seinem (wirk - lichen oder vermeintlichen) Interesse liegenden, einer ihm genehmen, er - wünschten, schmeichelhaften Konklusion den Vorzug zu geben sucht vor der logisch berechtigten. Namentlich kommt oft das Übergewicht in Betracht, welches die Eitelkeit mit in die Wagschale legt, indem sie den Menschen geneigt macht, bei eingewurzelten, überhaupt bei den einmal von ihm ge - fassten Meinungen mit dem Dünkel der Unfehlbarkeit zu verharren, und Anderes mehr. Die Logik von Port-Royal1 schon entrollt uns ein aus feiner Beobachtung hervorgegangenes psychologisches Bild in beregter Hinsicht.
16Einleitung.Man könnte auch die Frage aufwerfen, ob für den weiblichen Intellekt dieselbe Denknotwendigkeit verbindlich ist wie für den männlichen. *)Bedeutsam sagt z. B. ein feiner Menschenkenner, Bodenstedt (in Mirza - Schaffy):Frauensinn ist wohl zu beugen, Ist der Mann ein Mann und schlau, Aber nicht zu überzeugen: Logik gibt's für keine Frau. Frau'n kennen keine andern Schlüsse Als Krämpfe, Thränen und Küsse. Auch die auf diesem Gebiete zutag tretenden Gegensätze schieben wir aber auf Rechnung vor allem der bei beiden Geschlechtern so verschiedenartigen Vor - bildung und Schulung des Geistes, sodann auch auf Unterschiede des Tem - peramentes und der Neigungen, welche beim weiblichen Geschlechte reiner Verstandesthätigkeit im allgemeinen abgewendet sind. **)Nicht ohne Ausnahmen. Wir werden in diesem Werke auch mit den Leistungen einer Dame auf dem Gebiet der rechnenden Logik Bekanntschaft zu machen haben.
Aus alledem geht hervor, dass unser wirkliches Denken in den Urteilen, die es erzeugt, seinen Zweck häufig verfehlt (cf. Sigwart1, p. 9); dass diese Urteile teils von dem einzelnen Denkenden selbst wieder aufgehoben werden, indem die Überzeugung eintritt, dass sie ungültig sind, d. h. dass notwendig anders geurteilt werden muss, teils dass die Urteile von andern Denkenden nicht anerkannt werden, indem diese ihre Notwendigkeit bestreiten, sie für blosse Meinung und Ver - mutung erklären oder gar ihre Möglichkeit leugnen, sofern über den - selben Gegenstand notwendig anders geurteilt werden müsse.
Solche Erfahrungen müssen uns dazu anregen, uns selbst auf die Grundlagen unsres Denkens zu besinnen; in ihnen wurzelt das Be - dürfniss einer Disziplin, welche beitragen kann, dem Irrtum vorzu - beugen, den Streit vermeiden zu lehren, eventuell ihn zu schlichten, indem sie dem Verstande eine solche Vorbereitung gibt, dass ihm korrektes Denken zur Gewohnheit wird, und so darauf hinwirkt, dass das gemeinverbindliche Denken auch wirklich zum allgemeinen werde.
μ) Wir wollten uns mit den Gesetzen des folgerichtigen Denkens beschäftigen, somit des von einer für alle Intelligenzen verbindlichen Denknotwendigkeit beherrschten Denkens.
Nun kann man fragen: was ist Denken überhaupt, was Notwendig - keit, was sind Gesetze? Würde jemand diese Fragen beantworten, so könnte weiter gefragt werden, was die Worte bedeuten, mit Hülfe deren der Sinn der vorigen zu erklären versucht worden und so weiter17Einleitung.in infinitum. Wer diese Fragen fort und fort zu beantworten unter - nähme, würde in Erinnerung rufen — das Bild des Hundes, der sich in den Schwanz zu beissen sucht; er würde sich immerfort im Ring herum bewegen!
Zudem ist die exakte Beantwortung derartiger Fragen etwas höchst Schwieriges — zumeist wol ein verfrühtes Unternehmen!
Und ihr Versuch schon könnte uns von unserm eigentlichen Vorhaben immer weiter abziehen, würde uns möglicherweise gar nicht zu demselben kommen lassen, ja er dürfte uns in Untersuchungen verwickeln, die zu den schwierigsten der Philosophie überhaupt gehören, darunter manche, die Ver - fasser gern berufeneren Federn überlassen möchte. Daneben aber — und nicht zum mindesten — müsste uns solches Wagniss auch auf Untersuchungs - gebiete führen, in Bezug auf welche die Philosophen von Fach noch lange nicht einig sind, wo es annoch heisst: „ soviel Köpfe, soviel Sinne “, Gebiete, die sich eben einer exakten Behandlung bis jetzt nicht zugänglich erwiesen haben.
Und sich auf Spekulationen in derartigen Gebieten einzulassen, würde als unvereinbar erscheinen mit dem ganzen Charakter der deduktiven Logik, die ja auf das Gemeinverbindliche, unmittelbar oder mittelbar Selbstverständ - liche sich zu beschränken hat, und deren Aufgabe es vorzugsweise ist, in dem Chaos der philosophischen Systeme den gemeinsamen Boden herzustellen, auf dem jedes System fussen muss, den unumstösslich sichern Kern zu ge - winnen, um welchen die übrigen Zweige der Philosophie und Wissenschaft überhaupt ankrystallisiren mögen.
Jedenfalls, meine ich, kann es dem Verfasser eines Buches über Logik nicht zugemutet werden, die tiefsten Rätsel des Daseins über - haupt, die schwierigsten Probleme der Metaphysik, Erkenntnisstheorie, Psychologie und vielleicht auch Physiologie schon in dessen Einleitung vorweg zu lösen. Wir können eben hier nur ein Ideal aufstellen, und von dem Standpunkte aus, den jeder Mensch einnimmt, welcher die Sprache beherrscht, auf dasselbe zusteuern.
Das Ideal ist: die Gesetze folgerichtigen (weil als solches einleuch - tenden) Denkens zum Bewusstsein zu bringen, denselben einen allgemeinen und zugleich möglichst einfachen Ausdruck zu geben, sie namentlich auch auf möglichst einfache Grundlagen — auf möglichst wenige Prinzipien oder Axiome — zurückzuführen, und überhaupt dieses Denken zu einer bewussten Kunstfertigkeit zu gestalten — noch mehr: es in eine Technik zu entwickeln, welche zu irgendwie gegebenen Prämissen oder An - nahmen mit leichtester Mühe alle Folgerungen liefere, die nach irgend einer wünschbaren Richtung überhaupt gezogen werden können, auch mit unfehlbarer Sicherheit über die Folgerichtigkeit oder - unrichtigkeit einer Behauptung zu entscheiden, die richtige zu beweisen, die unbe - rechtigte oder falsche zu widerlegen gestatte.
Schröder, Algebra der Logik. 218Einleitung.In ihrem ganzen Umfange kann diese Aufgabe begreiflicherweise nicht sofort gelöst werden. Aus dem allgemeinen Hintergrunde derselben hebt sich zunächst ein elementarer Teil hervor, für welchen die Aufgabe nicht nur als lösbar, sondern bereits als definitiv und nahezu vollständig gelöst erscheinen wird (ich meine die im Englischen als „ logic of absolute terms “bezeichnete Disziplin). An ihn reiht sich ein höherer Teil (die „ logic of relatives “), dessen Behandlung sich mehr noch in den Anfangsstadien ihrer Entwickelung befindet.
Was namentlich den zu allerletzt charakterisirten Teil der Aufgabe be - trifft, so muss die künftige Entwickelung der logischen Disziplin erst vollends herausstellen, inwieweit er überhaupt durch allgemeine Methoden lösbar ist, und wann etwa zu seiner Lösung die Spezial wissenschaften einzutreten haben.
Wir könnten uns hienach mit dem bisher Gesagten begnügen, und mit dem Beginn der „ ersten Vorlesung “sogleich in medias res eintreten.
ν) Um indessen dem ersten unsrer Motti (in welchem ich eine hohe Weisheit erblicke) thunlichst gerecht zu werden, will ich mir doch gestatten, etwas weiter auszuholen, und versuchen, dem Ursprung des logischen Denkens auch noch von einer andern Seite beizukommen, denselben noch eingehender darzulegen, die angedeuteten Rätsel und Probleme wenigstens streifend.
Ich thue dies nicht ohne Widerstreben, hervorgerufen durch das Be - wusstsein subjektiver Fehlbarkeit, sowie der bei der unerschöpflichen Viel - seitigkeit des Themas höchst wahrscheinlichen Einseitigkeit der Betrachtungen. Ausdrücklich möchte ich mit diesen einleitenden Überlegungen ebenso an - spruchslos auftreten, als ich zuversichtlich der alsdann entwickelten Theorie einen hohen Grad von Vollkommenheit in sachlicher Hinsicht zuspreche, und be - merke ich zum voraus, dass auch solche Leser, die mir bei jenen nicht überall zustimmend zu folgen vermöchten, sich mittelst Überschlagung von etlichen Seiten darüber hinwegsetzen mögen und die Korrektheit sowol als Wirksamkeit der alsdann folgenden Ausführungen gleichwol nicht werden bestreiten können.
Im Anschluss an gedachte Überlegungen werde ich zudem schliesslich Gelegenheit und Veranlassung finden, mich über die Eigenart der hier be - vorzugten Darstellungsweise der logischen Theorie, und des Buches insbe - sondere, noch näher auszulassen, dieselbe in gewissem Sinne zu rechtfertigen.
ξ) Der Mensch ist sich seines Daseins unmittelbar bewusst, und schreibt sich einen Geist zu. Die Existenz des eignen Ich's in der Form der Zeit ist wol (für dieses selbst) die unzweifelhafteste, die un - bestreitbarste und auch unbestrittenste von allen Thatsachen.
Von dieser der allersichersten Thatsache sind vorsichtige Philosophen jederzeit ausgegangen und werden solche es auch in Zukunft voraussicht - lich thun müssen.
Mit dem Bewusstsein aber ist uns ein Mannigfaltiges gegeben. Eine ganze Welt von Empfindungen, Erinnerungen, Vorstellungen und19Einleitung.Strebungen — auch schon fertiger Gedanken und Überzeugungen — findet der reifere Mensch, wenn er anfängt, über sich und die Welt nachzudenken, zu reflektiren, in seinem Bewusstsein bereits vereinigt. Jedenfalls — um nur das allerwenigste zu sagen — vermögen wir Ver - schiedenes in unserm Bewusstsein zu unterscheiden, wir finden Mancherlei in ihm zusammengefasst. Auch ist der Inhalt des Bewusstseins teilweise in Veränderung begriffen; Einzelnes in ihm Vorhandene schwindet aus demselben, nicht vorhanden Gewesenes wird erzeugt, Getrenntes ver - knüpft, Verbundenes gesondert.
Solche Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche wir Denken im weitesten Sinne des Worts nennen (mit andern Worten Innewerden, Bewusstwerden), und welche dessen ganzes Dasein ausfüllt, besteht also jedenfalls wesentlich mit in einer Vereinigung von Mannigfaltigem im Bewusstsein.
Schon dieser Vorgang hat, genauer besehen, etwas höchst Rätsel - haftes, um nicht zu sagen: geradezu Unbegreifliches.
Der naive, der ungeschulte Verstand, der Verstand auch des Mannes der Praxis, der nur gewohnt ist, über die Dinge der Aussenwelt in Bezug auf diese selbst zu urteilen, dagegen vernachlässigt auch nachzudenken über die Vorgänge, welche im denkenden Subjekte hierbei stattfinden (sowie über die Beziehungen zwischen diesen und jenen), mag sich vielleicht mit Er - forschung von Unbekanntem, mit der Lösung von Problemen beschäftigen, doch pflegt er nirgends Unbegreifliches zu erblicken. Dass solches wol vor - handen sein müsse*)Schon das blosse Dasein kann dafür gelten, wie denn jener indische Weise, dessen L. Büchner Erwähnung thut, sich jeden Morgen von neuem wunderte, dass überhaupt etwas ist, und nicht nichts ist., wird er eventuell erst mit Verwunderung inne, wenn er versucht, in den Sinn der philosophischen Lehrmeinungen einzudringen und auf den Widerstreit von diesen stösst. Wer dann aber, mit der Vor - sicht, zu welcher die Wahrnehmung solcher Diskrepanz auffordern muss, ernstlich strebt in den Born der Erkenntniss einzudringen, wird fast auf Schritt und Tritt gewahr, wie wenig gefestet, bestimmt und vollendet auch die ihm geläufigsten Begriffe sich erweisen, ja wie wenig oft die für un - erschütterlich gehaltenen Grundlagen seines gesamten Denkens feststehen.
ο) Um jenen Vorgang der Zusammenfassung oder Verknüpfung von Mehrerlei zu einer Einheit im Bewusstsein auf sein einfachstes Urbild zu reduziren, fassen wir einmal den Fall in's Auge, wo das denkende Subjekt nur zwei Dinge, z. B. Sinneseindrücke in seinem Bewusstsein vereinigt. Die Sache wird am deutlichsten, wenn wir diese aus verschiedenen Sinnesenergieen entlehnen.
Man hört den Knall des nahen Blitzes, während der Lichteindruck desselben noch nachklingt. Es sind ja wol verschiedene Organe des2*20Einleitung.Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa ein Wesen, das blos zu hören vermag, den Donner vernähme, und ein anderes Wesen, das blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit - zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub wäre. Vielmehr ist es ein einheitliches Bewusstsein, in welchem beide Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst doch wol: sich ver-ein-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!
Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein - drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden, z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um - gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt, und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr - genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.
Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche — mit dem Augenmaass z. B. — nach ihrer Länge vergleichen können, und dieses wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die Wahrnehmung oder Herstellung von Beziehungen zwischen Objekten des Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss - lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir — um noch ein anderes Beispiel zu wählen — ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst - sein nicht (die Auffassung von) mehr als ein (em) Buchstaben auf einmal Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver - mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen zu vereinigen.
21Einleitung.Als auf ein anderes Beispiel sei auf die kombinirten Töne und Har - monieen noch hingewiesen.
Diese Vereinigung, „ In-eins-setzung “von Zwei - oder Mehrerlei, diese Herstellung einer „ Vieleinigkeit “, welche sich im Bewusstsein des denkenden Sukjektes vollzieht, ist das, was ich als das Unbegreifliche des Vorgangs bezeichne. *)Wer an paradoxen Aussprüchen Freude hat, könnte sich, sofern er obigen Ausführungen folgte — m. a. W. im Hinblick auf das hervorgehobene Mysterium der Zweizahl, Mehrzahl, der Vieleinigkeit im Bewusstsein, oder wie man dasselbe nennen mag — wol versucht fühlen, dem Hegel'schen Ausspruch: „ Sein ist Nichtsein; dieser Widerspruch löst sich auf im Werden “— welchen ich in dieser Fassung Herrn Kuno Fischer's Logik entnehme — einen andern an die Seite zu setzen: „ Zwei sind eins; dieser Widerspruch löst sich auf (verwirklicht sich) im Innewerden (Bewusstwerden). “ Sonst allerdings sind zweie nirgends eines. Wenn — im Ernste gesprochen — ein denkendes Subjekt A im Geist zwei Dinge b und c zugleich erschaut, so erzeugt sich in diesem Geiste eines (ein „ Ding “): die Anschauung von „ b nebst c “, aus welcher nicht nur diejenige von b, oder die von c, jeden Augenblick losgelöst und isolirt zu werden vermag, sondern in welcher sogar, obzwar sie „ eins geworden “, diese beiden Anschauungen auch stets gesondert, als zweie, empfunden sind.Der Versuch, die Herstellung zweier Bilder an verschiedene Stellen des Hirns zu verlegen — wenn man doch dem letztern insbesondere, und der materiellen Welt überhaupt, Wirklich - keit zuschreiben will — lässt deren Wechselwirkung aufeinander, lässt die Einheitlichkeit des Bewusstseins, der Versuch, sie an dieselbe Stelle (oder dieselben Stellen) zu verlegen, lässt ihre Unterscheidbarkeit wol unbegreiflich erscheinen.
π) Einerlei, wie die Wissenschaft in vorgeschritteneren Stadien sich das Wesen dieses Vorgangs auch zurechtlegen wird, so haben wir uns hier mit der Thatsache abzufinden, dass in dem einheitlichen Bewusst - sein des Ich's gar Mannigfaltiges verknüpft, zusammengefasst oder vereinigt erscheint, dass wir unmittelbar inne werden einer Mannig - faltigkeit (wie gesagt) von Empfindungen und Vorstellungen, Gemüts - zuständen und Willensstrebungen, welche teilweise als sich forterhaltend oder neu immer wieder erzeugend, teilweise als im Wechsel oder Fluss, in Änderung befindlich sich uns offenbart (zuweilen sich zu eigner Thätigkeitsäusserung steigernd), und in welcher sich namentlich auch die Gedanken entwickeln.
Dieser mannigfaltige Inhalt des Bewusstseins mit seinen auf - einanderfolgenden (genauer: sich an einander reihenden) Zuständen, seinen successiven Phasen, füllt das Leben des Individuums oder denkenden Subjektes aus. Er ist eine Welt für sich, ein (Mikro -) Kos -22Einleitung.mos, den wir kurz, wenn auch nicht erschöpfend, die Ideenwelt, Gedankenwelt des Individuums nennen mögen.
ϱ) Was uns zur Anerkennung auch des Makrokosmus, der Aussen - welt nötigt, zwingt, ist die schon von früh auf gemachte und seitdem fast unaufhörlich wiederholte Wahrnehmung resp. innere Erfahrung, dass wir über gewisse Teile der uns unmittelbar bewussten Gedanken - welt nicht willkürlich verfügen können.
Schon der Säugling kann das Gefühl des Hungers nicht willkürlich beseitigen, kann sich dem Eindruck blendenden Lichtes, wenn er etwa schlafen möchte, nicht verschliessen. Andere Teile unsrer Gedankenwelt, dagegen, sind wir uns unmittelbar bewusst, selbstthätig, frei, nach unserm Willen zu gestalten. Wir können uns z. B., sobald es uns beliebt, einen grünen Tannenbaum vorstellen, oder, wenn wir mögen, auch einen schnee - bedeckten, desgleichen rote Farbe, etc. etc. Wir mögen uns angenehmer Erlebnisse, einer hübschen Melodie erinnern und uns auch bessere Zustände hoffnungsfreudig ausmalen. Schwerer schon fällt es, unangenehme Er - innerungen los zu werden.
σ) Einzelnes, was in unser Bewusstsein eintritt, empfinden wir unangenehm als Schmerz, Leid, Ärgerniss, Kummer; Manches lässt uns als ein gleichgültig Empfundenes indifferent, Anderes empfinden wir als angenehm mit Genuss, Lust, Wohlbehagen, Freude. Jenes erstere veranlasst uns, die Beseitigung, dieses letztere, die Fortdauer, eventuell Wiederholung seiner selbst zu erstreben. Abermaliges Rätsel: das Wesen der Affekte, von Zu - und Abneigung, von Schmerz und Lust.
Dass beides, wenn auch vermutlich davon bedingt und stets davon begleitet, nicht — wie nach der materialistischen Weltanschauung — lediglich in Bewegungszuständen, in einem mehr oder weniger rhythmisch ausgeführten Tanze unsrer Gehirnmoleküle bestehen könne, dass auch der vollendetste Automat noch kein fühlender Mensch wäre, Empfindung über - haupt nicht auflösbar ist in Bewegung, steht mir vorderhand dogmatisch fest. Dafür gegebene „ Beweise “vermag ich indessen als solche nicht anzuerkennen.
τ) Durch unsre physischen und psychischen Triebe, durch die Ab - neigung, auch Furcht, vor Schmerz, sowie die Erwartung von, Aus - sicht auf Genuss bedingt, bilden sich Wünsche in uns aus, werden wir uns gewisser Willensstrebungen, eines bestimmten Wollens un - mittelbar bewusst; wir nehmen Willensakte in uns vor. Und diese Thatsache des Vorhandenseins eines menschlichen Willens nun hängt auf das innigste mit der Anerkennung der Aussenwelt zusammen; sie scheint geradezu eine Vorbedingung*)Auch umgekehrt würde unser Wille unfähig sein in die Erscheinung zu treten ohne das Hinzukommen der Aussenwelt als eines Gegenstandes, an welchem derselbe sich erprobt, bethätigt und übt. zu dieser zu bilden, indem die23Einleitung.letztere in dem erkannten Unvermögen wurzelt, das Gewollte sofort, durch blosse geistige Thätigkeit des Ich in allen Fällen zu verwirklichen.
Das Wesen des Willens bildet ein vielbehandeltes und gleichwol noch nicht ergründetes Thema. Es ist eine Frage, welche die Philosophen zur Zeit noch in zwei grosse Lager spaltet: ob der menschliche Wille wirklich frei sei (und was ist Freiheit?), oder ob — mit Spinoza — die mensch - liche Freiheit, deren Alle sich rühmen, lediglich darin besteht, „ dass die Menschen sich ihres Wollens bewusst und der Ursachen, von denen sie bestimmt werden, unbewusst sind “; dergestalt, dass die Gedanken und Handlungen des Menschen lediglich eine Funktion sind („ Funktion “im mathematischen Sinne) der Zustände, aus denen der Mensch hervorgegangen, der inneren und äusseren Umstände, unter deren Herrschaft er gerade steht — eine Weltanschauung, nach welcher z. B. ein Mensch, der, wie er meint, freiwillig den Arm aufhebt, vergleichbar wäre einer (nur allerdings mit Bewusstsein begabten!) Marionette, die, während ihr mit naturgesetz - licher Notwendigkeit der Arm durch einen Draht emporgezogen wird, blos in dem Wahne stünde, denselben selbst zu heben. *)Wahrscheinlich ist dieser Vergleich eine Reminiscenz aus einer früheren Auflage von Herrn Ludwig Büchner's „ Kraft und Stoff “; in der mir vorliegenden 16. Auflage — Leipzig 1888, 512 Seiten — habe ich denselben jedoch vergeblich gesucht.
Die Frage ist von tiefgreifendster Bedeutung namentlich für die Rechtspflege und für die Beurteilung jenes schlimmsten aller Übel — der Schuld.
Unleugbar zeigen nun die Fortschritte der Naturforschung, besonders auf dem Gebiete der Physiologie und Psychiatrik, unterstützt auch durch die Statistik der menschlichen Gesellschaft, eine stetig steigende Tendenz, das Gebiet der möglicherweise noch für frei zu haltenden, nämlich einer nachweisbar zwingenden Bestimmung entbehrenden Lebensäusserungen des Menschen einzuengen; und es mögen darum Naturforscher und Irrenärzte mehr zu der letzterwähnten Ansicht neigen. Ich stehe meinerseits nicht an, mich zu derselben zu bekennen, und zwar meine ich, dass schon ein Jeder zu demselben Ergebniss kommen muss, wofern wir nur ohne vor - gefasste Meinung uns selbst darauf besinnen, was denn eigentlich in uns vorgeht, wenn wir einen Entschluss zu fassen haben? Kommt uns kein Zweifel an bezüglich dessen, was in einem gegebenen, vorliegenden Falle zu thun sei, so handeln wir entweder instinktiv nach einem unbewusst und ohne unser Zuthun von Natur in uns entstehenden Impulse, oder wir folgen dabei sozusagen mechanisch einer schon von früher überkommenen (und seinerzeit naturgesetzmässig erworbenen) Gewöhnung. Von freier Entschliessung wird erst dann zu sprechen sein, wenn mehrere Möglich - keiten des Handelns sich dem Geiste zur Auswahl darbieten, m. a. W. wenn wir im Zweifel sind, was thun. Hier dürfte nun die Thatsache nicht in Abrede zu stellen sein, dass sooft wir so für eine Handlung uns zu ent - scheiden haben, es wiederum von unserm Willen völlig unabhängig erscheint, welche Erinnerungen, Vorstellungen und Überlegungen sich uns bis zum24Einleitung.Moment des Handelns aufdrängen, und welche zuletzt das Übergewicht er - halten, die That bestimmend.
Des weiteren sei in Bezug auf die angeregte interessante Frage auf Herrn Emil du Bois-Reymond's bekannte Schrift „ Die sieben Welträthsel “und den darin citirten merkwürdigen Ausspruch des Abbé Galiani ver - wiesen. Die Arbeit von Ludwig Dieffenbach1 bekundet grosse Belesenheit des Verfassers und betrachtet mit Scharfsinn auch juristische Fragen vom deterministischen Standpunkte. *)Für jede Weltanschauung, ja fast für jede Ansicht, hat die Philosophie einen „ … ismus “als Namen parat. Da gibt es einen Nominalismus, Realismus und Konzeptualismus, einen Materialismus, Sensualismus, Naturalismus und Ratio - nalismus, einen Idealismus, Spiritualismus, Spiritismus, Supernaturalismus und Mysticismus, einen Eklekticismus, etc. und nicht genug damit: es müssen auch noch Personennamen zu weitern „ … ismussen “herhalten wie in Platonismus, Skotismus, Kantianismus, Schopenhauerianismus etc. Wer sich über die damit zu verbindenden Begriffe und ihre im Lauf der Jahrhunderte zum Teil recht schwankenden Bedeutungen orientiren will, mag ein gutes Konversationslexikon zu rate ziehen. Hüten aber muss man sich davor, eine Ansicht über die Dinge, schon darum, weil sie eine derartige Benennung gefunden hat, nunmehr für einen längst abgethanen und überwundenen Stand - punkt halten zu wollen. Nicht wenige dieser „ ‥ ismusse “floriren noch lustig weiter und hängen eben mit fundamentalen Fragen zusammen, welche die Philo - sophie noch keineswegs zum Austrag zu bringen vermocht bat. Mit unsrer Einleitung gingen wir unsrer Überzeugung gemäss aus vom „ idealistischen “Standpunkte. Die oben vorgetragenen (damit sehr wohl verträg - lichen) Anschauungen über die Willensfreiheit, nach welchen auch der Mensch mit seinem Fühlen, Thun und Denken keine Ausnahme in der allgemeinen Gesetzmässig - keit der Natur bildet, führen den Namen des „ Determinismus “, und werden die Gegner dieses Standpunktes auch als „ Indeterministen “bezeichnet.Von Neueren behandelt Riehl2 Bd. 2, p. 216 sqq. das Problem der Willensfreiheit besonders eingehend und, wie mir scheint, in mustergültiger Weise.
Ich würde es, nebenbei gesagt, für einen grossen Segen halten, wenn die Überzeugung von der Naturnotwendigkeit alles menschlichen Denkens und Handelns Gemeingut aller Gebildeten würde. Diese Weltanschauung, welcher unter den Dichtern der Neuzeit Herr Arthur Fitger prägnanten und poetischen Ausdruck verliehen, müsste — im Einklang mit dem schönen Gebot der Nächstenliebe und vielleicht wirksamer als diese nur allzuoft nicht vorhandene oder fast unmögliche — naturnotwendig dahin wirken, der Animosität, dem Hass und der Verdammungssucht jeglichen Boden, auf dem sie gedeihen könnten, zu entziehen und auch ein gutes Teil Über - hebung aus der menschlichen Gemeinschaft zu tilgen. Sofern die Hand - lungen des Individuums in erster Linie vom Stande seiner Einsicht ab - hängig, durch diesen sich bestimmt erweisen, würde sich für einen Jeden das praktische Gebot ergeben, vor allem auf Richtigstellung, Hebung und Vertiefung der Einsicht — eigner, wie fremder — bedacht zu nehmen. Bei der Beurteilung des Nebenmenschen würde man stets die in Madame de Staël's klassischem Spruche: Alles verstehen hiesse alles verzeihen, „ Tout25Einleitung.comprendre, c'est tout pardonner “(als Subjekt) enthaltene Voraussetzung zu verwirklichen suchen und damit eine Erkenntniss zu gewinnen streben, deren Erwerbung durch jene oben genannten Affekte in der Regel voreilig verhindert wird. Jene Weltanschauung müsste endlich die Mahnung in sich schliessen, bei dem Kampfe gegen das Übel in dem Verfahren gegen Übelthäter nicht über das zum Schutze des Einzelnen und der Gesellschaft erforderliche Maass hinauszugehen.
Wir brauchen indess zu obiger Frage hier keine Stellung zu nehmen, und genügt uns die Thatsache, dass unser Wille — sei er auch von einer uns unbewussten Notwendigkeit durchaus bestimmt, sei unsre Willensfreiheit auch nur Illusion — doch innerhalb unsres Bewusstseins wenigstens als frei erscheint, nämlich als ein freier unmittelbar empfunden wird. Diese Thatsache ist nicht nur unbestritten, sondern: dass wir überzeugt sind, frei zu denken, und auch (innerhalb der Grenzen des uns physisch Möglichen) frei zu handeln glauben, bildet sogar eine der am tiefsten eingewurzelten menschlichen Überzeugungen. (l. l. c. c.)
υ) Demjenigen nun, was in unserm Bewusstsein als unfrei em - pfunden wird, sich dem unmittelbaren Einfluss unsres Willens entzieht, schreiben wir eine ausser uns liegende Ursache zu, und die Gesamtheit dieser Ursachen, denen wir ein eigenes Dasein, eine selbständige Exi - stenz — ähnlich der unsrigen (genauer: derjenigen des Ich's) — bei - legen, bildet für uns das Nicht-ich oder die Aussenwelt.
So, was wir sehen, hören, tastend fühlen, etc., gestaltet sich (als eine unfreiwillige Empfindung) zunächst zur Anschauung von etwas ausser uns Befindlichem. Der passiv empfangene Sinneseindruck löst in der Regel, um als Empfindung in's Bewusstsein einzutreten, eine rezeptive Thätigkeit des Geistes aus, und diese setzt sich noch über die Empfindung hinaus fort, indem sie Veranlassung wird, dass wir (aktiv) uns eine Vorstellung bilden von dem Gegenstand, der sie hervorruft.
Namentlich ist bekannt, wie wir so die Eindrücke der Farbenverteilung und Helligkeitsverhältnisse, die wir aus einem zweidimensionalen Gesichts - felde empfangen, in den (in einen vorgestellten dreidimensionalen) Raum hinaus verlegen.
Bei der Bildung der Vorstellungen spielt übrigens die Induktion, ob - wol meist unbewusst geübt, schon eine grosse Rolle. Sie z. B. ist es, die uns veranlasst, denselben Tisch, den wir sehend als ausgedehnt resp. raum - erfüllend wahrnehmen, auch mit Widerstandskräften auszustatten, dergleichen sich uns beim Anfassen desselben kund geben. Mit Induktionsschlüssen beteiligt sich der Verstand schon bei der Vorstellungsbildung; er vereinigt oft die aus verschiedenen Sinnesorganen ihm zuteil gewordenen Botschaften zur Gesamtanschauung eines Dinges, das sie veranlasste.
Besonders sind es Gesichts -, Tast - und Muskelsinn*)Bekanntlich sollte man eigentlich von sieben Sinnen sprechen — zum wenigsten. Denn nicht nur ist das Funktioniren des Tastsinnes ein zwiefältiges, aus deren26Einleitung.Eindrücken wir, ihre Ursachen lokalisirend, unsre Vorstellung der mate - riellen Körperwelt mit ihrer dreifachen räumlichen Ausdehnung, ihren Widerstands - und andern Kräften und ihren Bewegungsvorgängen herausentwickelt, uns konstruirt haben.
φ) Wir bethätigen dabei das unser gesamtes Denken beherrschende „ Kausalitätsprinzip “*)Nach Schopenhauer1 sind vier Wirkungsweisen dieses Prinzips zu unterscheiden, indem dasselbe uns zwingt, einen „ zureichenden Grund “anzunehmen für das Sein, das Werden, das Erkennen und das Handeln. Nur für den zweiten Fall sollte nach ihm der obige Name angewendet werden. Der erste scheint mir, nebenbei gesagt, von S. unklar formulirt und überhaupt nicht haltbar, viel - mehr wesentlich in dem dritten Falle aufgehen zu sollen, welcher seinerseits den beiden übrigen nicht koordinirt zu setzen ist, sondern in einem gewissen Sinne über denselben steht. Als auf eine der besten mir bekannten Schriften über das Kausalitätsprinzip im engern Sinne sei hier auf Herrn Heinrich Weber's Königsberger Prorektorats - rede1 verwiesen.: für Alles, was in den Bereich desselben tritt, eine Ursache anzunehmen — sonach, sofern wir nicht uns selbst als diese Ursache fühlen, dieselbe ausserhalb zu setzen.
χ) Als ein Teil dieser von uns vorgestellten materiellen Welt findet auch unser körperlicher Leib seine Stelle. Im gewöhnlichen Leben zum Ich gerechnet, muss er von der Philosophie doch der Aussenwelt, dem Nicht-ich zugezählt werden. Wenn nämlich auch die Vorstellung, dass wir ihn besitzen, im Bewusstsein stets mehr oder minder lebendig ist, so existirt er doch nicht ganz allein in der Ideenwelt des Ich's und bildet mit seiner Gestalt und Schwere, seinem Aufbau aus Zellen, seinem Gefässsysteme und den darin kreisenden Blutwellen, seinen mannigfachen uns unbewussten Lebensfunktionen, doch keinen freien (d. h. wie gesagt als frei empfundenen) Bestandteil unsres Bewusstseins. Wäre dem so, so würde Jedermann dasjenige*)als Drucksinn und als Wärmesinn, welcher letztere auch dem Geschmacksinn bei - gegeben, sondern ist dazu neuerdings auch der „ Muskelsinn “, das Gefühl für Muskelanstrengung, getreten. Dieser letztere Sinn ist es z. B., durch welchen wir im stockfinstern Keller eine am leeren Hals gefasste volle Flasche von einer leeren unterscheiden; auch beruht auf den zur Accomodation der Augen und Kon - vergenz der Augenaxen erforderlichen Anstrengungen der Augenmuskeln ganz wesentlich das Schätzen der Entfernungen, in welchen sichtbare Gegenstände sich von uns befinden. Vergleiche besonders v. Helmholtz's „ Thatsachen der Wahr - nehmung “, sowie die auf S. 73 der Schiel'schen Übersetzung von Mill1 citirten englischen Werke, als: Brown's Lectures, Mill's Analysis of the mind, Alexan - der Bain, The senses and the intellect, Herbert Spencer's Principles of psycho - logy (Kapitel über die Wahrnehmung), u. a.27Einleitung.Antlitz, das ihm am schönsten oder gerade am wünschenswertesten dünkt, besitzen, diejenige Körperkraft, die er sich wünscht, eben - dadurch erlangen etc.
Die Beziehungen des Leibes, als des dem Ich immerhin am näch - sten stehenden Teils der Aussenwelt zu diesem, sind mehrfacher Art.
Erstens: Durch die nach seiner Oberfläche, Peripherie, gehenden Nervenenden, die sich an einzelnen Stellen zu spezifischen Sinnes - organen vervollkommnen und ausgestalten, wird der Leib zum aus - schliesslichen Werkzeug, vermittelst dessen die ausserleibliche Aussen - welt auf uns einzuwirken vermag, spielt er die Rolle des allezeit be - reiten Boten, welcher, die „ peripherischen “Sinnesreizungen dem Be - wusstsein übermittelnd, dem Geiste von dieser Aussenwelt Kunde bringt.
Zweitens: Zufolge seiner eigenen Beschaffenheit, seiner physio - logischen Verfassung, Konstitution, entstehen in ihm selbst auch „ visce - rale “Reize, wie das Atmungsbedürfniss, Hunger, Durst, Drang jeder Art, durch welche er unabhängig vom Willen des Individuums phy - sische Triebe in dessen Bewusstsein wachruft. Auch können noch hierher gerechnet werden jene (krankhaften) Sinnestäuschungen, die wir erst unter Beihülfe induktiver Schlüsse von sinnlichen Wahr - nehmungen zu unterscheiden vermögen.
Drittens endlich: Indem sich gewisse Willensakte unmittelbar in Bewegungen und Kraftentwickelung, Arbeitsleistung seiner Gliedmaassen umsetzen, erscheint der Leib auch als das wiederum einzige*)Das Axiom: „ Es gibt keine geistige Einwirkung ohne materielle Vermitte - lung “ist die Basis, auf welcher die gesamte Naturwissenschaft steht. Wer die - selbe nicht anerkennt, ist dem Aberglauben in jeglicher Form preisgegeben. Werk - zeug, durch welches seinerseits der Geist auf die Aussenwelt einwirken kann, deren kommende Zustände beeinflussend.
Die sowol unwillkürlichen als unbewussten Wechselwirkungen zwischen Geist und Leib (deren Vorhandensein wir gleichwol durch induktive Schlüsse erkennen), wie z. B. die Wirkung von Kummer oder Freude auf das körper - liche Wohlbefinden, können hier ausser Betracht gelassen werden.
ψ) Wir haben uns hier der gewöhnlichen Ansicht angeschlossen, der die selbständige Existenz der Aussenwelt, und in ihr auch die unsrer Nebenmenschen, für unzweifelhaft, für ausgemacht gilt.
Dem gegenüber steht bekanntlich die Weltanschauung eines hervor - ragenden Metaphysikers: George Berkeley's, nach welcher ganz allein der Geist existirte, die Aussenwelt aber keine Wirklichkeit besässe, vielmehr nur eine Vision, und ihre Objekte dem Ich von einem göttlichen Geiste vor - gespiegelte Wahngebilde, subjektive Erscheinungen wären, das Leben also28Einleitung.gleichwie ein Traum sich abspielte. Solche Ansicht (selbst wenn in die Leugnung der Aussenwelt auch die der Nebenmenschen samt ihrem Geiste noch eingeschlossen würde) lässt allerdings sich weder beweisen noch widerlegen; es bleibt dem Belieben anheimgestellt, sie anzunehmen oder zu verwerfen.
Auch sie gibt übrigens ein Nicht-ich zu, bestehend aus der Gesamt - heit der von dem Ich unabhängigen (als von ihm unabhängig empfundenen) durch eine Notwendigkeit ihm oktroyirten Vorspiegelungen. Für unsre Zwecke ist es gleichgültig, ob die Aussenwelt in dieser oder in jener Form aner - kannt wird, wofern dies nur überhaupt der Fall ist.
Unstreitig kräftigt es unsre Überzeugung von der Existenz eines wahr - genommenen Dinges der Aussenwelt, wenn wir aus ihren Kundgebungen inne werden, dass auch andre Menschen dasselbe ebenso wie wir erblicken. Aus diesem Umstand aber, mit De Morgan2 p. 28 sq., erst die Anerkennung von der Existenz der Aussendinge ableiten zu wollen, scheint mir ein Umweg zu sein, und glaube ich (ohne damit einen Anspruch auf Neuheit erheben zu wollen) diesem gegenüber vorstehend — sub ϱ — υ) — den wahren Grund hervorgehoben zu haben.
ω) Empfindungen und Vorstellungen lassen auch durch Erinnerung sich reproduziren, ja wir können die Elemente uns schon geläufiger Vorstellungen auch zu ganz neuen Vorstellungsgebilden erfinderisch verknüpfen.
Wesentlich bleibt jedoch eine jede blos vorgestellte, sei es anti - zipirend geahnte, sei es in Erinnerung gerufene Empfindung von der durch Sinneseindruck thatsächlich hervorgerufenen verschieden.
Es dürfte schwierig sein, genau festzustellen, in was die faktische Em - pfindung mit ihrer Erinnerung übereinstimmt und wodurch sie doch von von dieser sich unterscheidet, was sie etwa vor ihr voraus hat. Die freien Vorstellungen scheinen mit einem erhöhten Gefühl von Selbstthätigkeit, einem Gefühl von Anstrengung der Einbildungskraft, Phantasie, verknüpft, unter Fehlen des Gefühls, eventuell Genusses, und auch der Anstrengung rezep - tiver Sinnesthätigkeit. „ Jedenfalls werden wir nicht satt durch die Vor - stellung, dass wir ein leckeres Gericht verzehrten, auch leiden wir ungleich weniger durch blos vorgestelltes Zahnweh. “
Stellen wir uns Veilchengeruch z. B. vor, so haben wir doch nicht den Genuss des letztern; wir haben die Empfindung selbst nicht. Diese können wir erst durch umgestaltende Einwirkung auf die Aussenwelt erlangen, indem wir uns z. B. wirkliche Veilchen verschaffen.
In diesem unsern Unvermögen, die uns angenehmen Empfindungen und äussern Sinneswahrnehmungen unmittelbar in unserm Bewusstsein herzustellen, wurzelte, wie schon erwähnt, unsre Erkenntniss der Aussen - welt überhaupt.
α1) Auf ebendieser Beschränkung unsrer Macht über unsern Be - wusstseinsinhalt beruht es nun auch ferner, dass wir in Bezug auf29Einleitung.viele vorgestellte Dinge zunächst nur Absichten fassen, uns Ziele oder Zwecke vorsetzen können und diese durch Mittel zu erreichen suchen müssen, dass wir sie oft erst auf Umwegen zu verwirklichen, zu rea - lisiren im stande sind.
Alles Erkennen der Aussenwelt konnte schon die Voraussetzung nicht entbehren, dass die von den Dingen auf uns ausgeübten Ein - wirkungen, dass die Art, wie die Dinge uns „ erscheinen “, von einer Notwendigkeit geregelt seien (bestimmt durch die Natur der Dinge an sich, die Natur unsres Wahrnehmungsvermögens und durch die Be - ziehung, gegenseitige Lage, in welche die Dinge und unsre Sinnes - organe zu einander stehen oder von uns gebracht werden). Und ebenso wäre das Verfolgen von Zwecken durch Mittel aussichtslos, sinnlos, ohne die Annahme, dass die aufzuwendenden Mittel notwendige Wirkungen haben, genauer gesagt: spezifische Wirkungen notwendig haben müssen. Es wird sich uns in letztrer Hinsicht nur darum handeln, diese Wir - kungen richtig vorauszusehen, die Gesetze dieser Wirkungen zu erkennen.
Gesetze in dem Sinne von „ Naturgesetzen “pflegt man dahin zu formu - liren, dass unter gleichen Bedingungen auch jedesmal gleiche Folgen aus - nahmslos eintreten. Gleiche Ursachen haben gleiche Wirkungen. Statt „ gleiche “wäre beidemal wol genauer zu sagen: „ ähnliche, d. i. solche, die einander in einer bestimmten Hinsicht gleichen “. Versucht man aber ge - nauer festzustellen, worin das Einandergleichsein von sei es Ursachen, sei es Wirkungen, in der betreffenden Hinsicht besteht, so zeigt sich, dass das - selbe zurückzuführen ist auf die Übereinstimmung zwischen Eindrücken, Em - pfindungen, die sie unter bestimmten Umständen in unserm Geist hervorrufen, zurückkommt auf die Gleichheit ihrer Erscheinung für unser Erkenntniss - vermögen, die als solche unmittelbar empfunden und von der Nichtüberein - stimmung unterschieden wird. Dieser Rückschluss aber von unsern Em - pfindungen auf die Dinge, die sie hervorrufen, beruht wieder wesentlich auf der Annahme, dass jene von diesen mit Notwendigkeit abhängen, ihnen in gegebener Weise mit unabänderlicher Prädestination entsprechen. Notwendig - keit also erscheint als der ursprünglichere und höhere Begriff, ohne welchen auch derjenige einer Gesetzmässigkeit in der Aussenwelt nicht erklärt zu werden vermöchte.
β1) Unsre eignen Empfindungen — z. B. Schmerz —, unsre Vor - stellungen, Affekte und Willenszustände werden wir unmittelbar inne als dasjenige, was sie sind; sie sind gerade das, als was sie in unser Bewusstsein eintreten. Auf die analogen Vorgänge im Bewusstsein andrer Menschen vermögen wir darum auch — mit einiger Wahr - scheinlichkeit — zu schliessen.
γ1) Im Gegensatz aber zu den Erkenntnissobjekten der angeführten Klasse, welche sonach als dasjenige, was sie „ an sich “sind, von uns30Einleitung.erkannt werden können, ist in Bezug auf die Dinge der übrigen Aussen - welt solches nicht der Fall. Vielmehr muss hier zuvörderst eine Grund - wahrheit konstatirt werden, welche die „ Metaphysik “zutage gefördert und — die einzige fast — im Kreise der Philosophen zu allgemeiner Anerkennung gebracht hat (woneben ihr aber das Verdienst nicht ab - zusprechen ist, der Oberflächlichkeit wirksam entgegengetreten zu sein, viele Irrtümer, Illusionen als solche aufgedeckt und zerstört zu haben, überhaupt auf Läuterung und Präzisirung der Begriffe, mannigfach zu weiteren Fortschritten in dieser Richtung anregend und zur Gründlich - keit und Behutsamkeit im Forschen erziehend, hingearbeitet zu haben). Es ist die Wahrheit, dass wir, was die Dinge der Aussenwelt an sich sind, zunächst überhaupt nicht zu erkennen vermögen.
Längst hat die Physik den Schall, das Licht, die Wärme etc. auf etwas ganz anderes zurückgeführt, als das ist, als was sie uns erscheinen: auf Be - wegungsvorgänge, Schwingungszustände materieller Teilchen, welche wir bei tönenden oder den Ton leitenden Körpern sogar dem Auge sichtbar machen können. So ist eine grüne Wiese z. B. durchaus nicht „ grün an sich “, d. h. ihr haftet nichts an von unsrer Empfindung der grünen Farbe, sondern wir wissen oder glauben mit gutem Grunde es zu wissen, dass diese Wiese nur die Eigenschaft hat, von den auf sie fallenden transversalen Lichtwellen die - jenigen von einer bestimmten Wellenlänge diffus zurückzuwerfen, die andern zu verschlucken, sie in Wärme oder auch chemische Arbeit des Blattgrüns (Chlorophylls) umsetzend. Herr Emil du Bois-Reymond hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass der schöne Ausspruch „ Und es ward Licht