PRIMS Full-text transcription (HTML)
Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Zweyter Theil.
Berlin,1795. bei Friedrich Vieweg dem aͤltern.
Reiſe eines Lieflaͤnders von Riga nach Warſchau, durch Suͤdpreußen, uͤber Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nuͤrnberg, Regensburg, Muͤnchen, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol.
Drittes Heft.
Enthaltend die Reiſe durch Lithauen, und eine Schilderung von Warſchau, nebſt Anekdoten aus der Geſchichte des Konſtitutions-Reichstages, mit den Bildniſſen der vornehmſten Theilhaber begleitet.
Berlin,1795. bei Friedrich Vieweg dem aͤltern.

Fuͤnfter Abſchnitt. Warſchau.

Fortgeſetzte Erlaͤuterungen der Schilderung eines großen polniſchen Hauſes. Schauſpiele. Spiel. Kurze Lauf - bahn eines jungen Edelmannes in Warſchau. Spiel - ſucht unter allen Staͤnden. Spatzierfahrten. Mode der Kabriolette. Prinz Joſeph Poniatowski, Wielo - hurski und Kosciusko in Einem Kabriolet. Wetteifer der ſchoͤnen Weiber mit ihnen. Schlittenfahrten. Redouten. Pickenicke. Hetze. Badehaͤuſer. Der Krebsmaͤſter. Orgien. Barbarey, an einem oͤffent - lichen Maͤdchen veruͤbt. Muthwillige Koͤpfgeſellſchaft. Oeffentliche Maͤdchen nach ihren Klaſſen. Verkehr mit ihnen. Charakter der erſten Klaſſe. Zwey merk - wuͤrdige Zuͤge. Spatziergaͤnge und Luſtoͤrter in und um Warſchau. Der Saͤchſiſche, Kraſinskiſche und Po - niatowskiſche Garten. Alleen vor Ujasdow und Bel - vedere. Lazienka. Mokatow. Villanow. Marie - mont. Wola. Powonsk. Jablonne.

A 24

Jch hole noch einige Unterhaltungen nach, welche der großen Welt in Warſchau mehr oder weniger nothwendig geworden ſind.

Das Schauſpiel fuͤllt bey ihr woͤchent - lich einige Stunden aus. Jch ſage: woͤchent - lich, weil es, wegen des Gedraͤnges anderer Vergnuͤgungen, nicht taͤglich von ihr beſucht werden kann. Als Sammelplatz der Societaͤt wird es benutzt, wie anderwaͤrts: zum Sehen, zum Geſehenwerden und zu Beſtellungen von der jungen und mitteljaͤhrigen Welt, zum wirk - lichen Zeitvertreib und Genuß, und nebenher zum Beobachten und Beurtheilen, von der al - ten. Jene ſehen es faſt nur als die Gelegen - heit an, ihre und ihrer Modenhaͤndlerinnen Kunſt in Erhoͤhung und Verbeſſerung der Na - tur, zu zeigen, und als einen Standpunkt, der durch Naͤhe oder Entfernung, durch Hoͤhe oder Tiefe, durch Licht oder Dunkel, ſehr ge - ſchickt wird, zu blenden oder zu ruͤhren, Sehn - ſucht oder Neugier zu erwecken, und dem5 Auge zu verſprechen, oder wirklich zu ge - waͤhren.

Jn der That man konnte, wenn in dem ſchon oben beſtimmten Zeitraume, bey feyerli - chen Gelegenheiten, politiſch-bedeutende Schau - ſpiele gegeben wurden, nichts reizvolleres ſehen, als die erſte und zweyte Reihe der Logen im Theater. Es geſchah dem Koͤnige und ſeinen Freunden zu gefallen, wenn man recht zahl - reich erſchien; dem Tage zu gefallen, wenn man recht praͤchtig, und ſeinen Reizen und ſeinen Liebhabern zu gefallen, wenn man recht geſchmackvoll und verfuͤhreriſch erſchien. Jch ſpreche, wie man ſieht, von den Weibern; von Weibern, die an ſich zu den ſchoͤnſten, uͤppigſten und geſchmackvollſten in der Welt gehoͤren, und die, an ſolchen Abenden, von tauſend Wachskerzen angeflammt, dreyfach blendeten und bezauberten. Die Geſchaͤftigkeit der Maͤnner, die in ihrem glaͤnzendſten An - zuge, in ſilberſtarrenden Kurtken, oder mit goldſchweren Paͤſſen, oder mit brillantenen6 Degengefaͤßen und Schnallen, mehr wie be - taͤubt und trunken, als frey und heiter, von Loge zu Loge trippelten und ſich tiefer buͤckten und noch lauter und wortreicher waren, als ſonſt: dieſe Erſcheinung zeigte, daß die Feen in den Logen mit ihrem Einfluß auf das Par - terre zufrieden ſeyn konnten und daß ihr Zweck erreicht war, wenn ſie ſich, und nicht das Schauſpiel und die Schauſpieler, zur Haupt - ſache in dem von Menſchen ſtarrenden Hauſe machen wollten. Kam dann eine politiſch-an - wendbare Stelle im Stuͤcke vor, und eine die - ſer Zauberinnen ſtreckte ein paar runde Haͤnde uͤber den Rand der Loge heraus und ſchlug ſie ſanft-patſchend zuſammen: ſo war die pa - triotiſche Trunkenheit, die durch jene Stelle erweckt wurde, vollends allgemein und ſtuͤr - mend, und tauſend Haͤnde fuhren wild und hohl zuſammen, waͤhrend eben ſo viele Stim - men bravo und fora mehr bruͤllten, als riefen. Es gab ein Geraͤuſch, das ſich nur derjenige denken kann, der die aͤltern Franzo -7 ſen eine ſchmeichelhafte Stelle fuͤr ihren Koͤ - nig, und die neuern die erſte republikaniſche Tirade hat beraſen hoͤren.

Die vornehmen Polen und Polinnen haben ſelbſt eine trefliche Anlage zur Schauſpielkunſt, die ſie von jeher auf geſellſchaftlichen Buͤhnen mit Gluͤck zeigten und ausbildeten. Doch wa - ren letztere ehedem mehr Mode, als jetzt, und man fand in vielen Pallaͤſten in Warſchau kleine, gut eingerichtete Theater, auf welchen theils freundſchaftliche Cirkel, theils Familien unter einander, Schauſpiele und Operetten, meiſt franzoͤſiſche, gaben. Waͤhrend meines erſten Aufenthalts in Warſchau, ſah ich nur Eine Vorſtellung dieſer Art bey dem Grafen Thomatis. Die Schauſpieler und Schauſpie - lerinnen waren in allen Stuͤcken ſchon der Neid und das Muſter der feinen Welt, und wurden es auch in dieſem. Was man an Leich - tigkeit, Anſtand und Feinheit in der Darſtel - lung, an Geſchmack in der Kleidung, und an Reinheit und Richtigkeit in der Ausſprache8 nur fordern kann, leiſtete dieſe elegante kleine Geſellſchaft. Es war eines von den niedlichen Stuͤcken des Favart, das man gab, deſſen Titel mir aber entfallen iſt. Die Buͤhne ſelbſt war ſehr geſchmackvoll verziert und vortreflich bedient, und des Grafen werth, der mehrere Jahre hindurch Unternehmer des hieſigen Schauſpiels war, eh 'er zu ſeiner gegenwaͤrti - gen Lage, die er großentheils der Gutmuͤthig - keit des Koͤnigs zu danken hat, hinauf ſtieg.

Ueber den Zuſtand der Schauſpielkunſt ſelbſt, mache ich weiter unten einige Anmer - kungen.

Das Spiel iſt der hieſigen feinen Welt ſo ſehr Beduͤrfniß, als irgend einer andern, und vielleicht haͤngt man nirgendwo demſelben mit ſoviel Begierde, Leichtſinn und Verſchwen - dung nach; und es iſt eine Urſach mehr von den zerruͤtteten Vermoͤgensumſtaͤnden vieler gro - ßen Haͤuſer. Außer den uͤberall gewoͤhnlichen Geſellſchaftsſpielen, ſind alle nur bekannte Zu - fallsſpiele hier gaͤng 'und gebe. Jene werden9 mit ungewoͤhnlichen Einſaͤtzen getrieben, und dieſe, beſonders wenn der Wein dazu koͤmmt, mit wahrer Wildheit. Jn gemiſchten Geſell - ſchaften bilden ſich oft kleinere Cirkel von Frauenzimmern und Kindern, die ein Pharo zur Seele ihrer Unterhaltung machen; und es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß ſelbſt unter dieſen, Dutzende von Dukaten verloren wer - den. Oft macht die Frau vom Hauſe Bank fuͤr ihre Geſellſchaft, oft einer von den Gaͤ - ſten, oft mehrere, und es faͤllt hier nicht als unanſtaͤndig auf. Daß ſolche Baͤnke ganz ei - gentlich dazu beſtimmt waͤren, die Gaͤſte, und beſonders die Unerfahrnen oder Fremden unter ihnen, zu pluͤndern, was ehedem oft in man - chem ſtattlichen Hauſe zu Paris geſchah, dieß habe ich nie bemerkt, auch nie etwas davon ge - hoͤrt; daß aber, wenn auch alles richtig zu - geht, Alt und Jung ſich dadurch zu Grunde richten kann, verſteht ſich von ſelbſt.

Zu Anfang des Jahres 1793, erſchien ein junger Edelmann, von einem ſtillen und be -10 ſcheidenen Weſen, in Warſchau. Er kam taͤg - lich in den weißen Adler zu Tiſche, und fiel mir dort wegen eben dieſes, einem jungen Polen ungewoͤhnlichen, ſanften Weſens auf. Jn den erſten Tagen trug er ſich polniſch; die Farbe ſeines Kleides war unſcheinbar; ſein Paß nicht praͤchtig; ſein Saͤbel, nach aͤlterer Sitte, klein und ſchwarz. Er miſchte ſich we - nig in die Unterhaltung, und forderte, was er brauchte, von den Kredenzern (ſo nennt man hier die Kellner) ohne Geraͤuſch, und er - wartete es ohne Ungeduld. Auch kam er je - desmal zu Fuße. Jch erfuhr, ſein Vater, der ſehr reich ſeyn ſollte, habe ihn nach Warſchau geſchickt, daß er mit der Welt bekannt werden moͤchte. Gewoͤhnlich hatte er einen andern jungen Mann, einen Officier von der Artille - rie, der jedoch einige Jahre aͤlter war, bey ſich. Jch fand beyde haͤufig im Reichstags - ſaale, wo ſie ſehr aufmerkſam waren, und in einigen oͤffentlichen Geſellſchaften wieder, wo ſie wenig Bekanntſchaft zu haben ſchienen11 und ſich immer in einiger Entfernung hiel - ten.

An derſelben Wirthstafel aßen drey andre junge Polen, welche die Munterkeit und der Muthwille ſelbſt waren, viel Bekanntſchaft unter den juͤngern Reichsboten hatten, und in den Geſellſchaften mit der vertrauteſten Miene bey den Weibern herumſchwaͤrmten. Dieſe naͤ - herten ſich allmaͤhlig dem jungen Mann, und er ſelbſt ſchloß ſich mit jedem Tage mehr an ſie; aber ſein Begleiter blieb ſeinem vorigen Benehmen gegen ſie treu, behandelte ſie zu - ruͤckhaltend und kalt, und nahm ſelten an ih - ren Geſpraͤchen Theil.

Auf einmal erſchien, an einem Sonntage, der junge Mann, vom Kopfe bis zu den Fuͤßen neu gekleidet, zwar noch in der Nationaltracht, aber nach dem neueſten Schnitte und von der neueſten Farbe. Ein koſtbarer Paß um den Leib, ein ſchoͤner Saͤbel mit brillantirtem, ſtaͤhlernem Heft an der Seite, und ein paar rothe Stiefeln vom feinſten Saffian, machten21 den Anzug vollſtaͤndig. Seine drey neuen Freunde hatten ihn ſeit einigen Tagen uͤber ſein altpolniſches Weſen, wie ſie es nannten, geneckt; heute, wo er, ohne Zweifel auf ihre Winke hin, ſehr neumodiſch erſchien, fragten ſie ihn, wie er es denn ſo geſchickt gemacht habe, ſeine neuen Stiefeln von rothem Saf - fian und ſein neues Kleid nicht zu beflecken, da er doch zu Fuße gekommen ſey? Wo Te - lemach ſeinen Mentor gelaſſen habe? (Der Ar - tillerieofficier war nicht bey ihm) Wie ſich ſeine Lehrmeiſter befaͤnden? Ob er auch ſeine Ausgaben huͤbſch eingeſchrieben habe? u. ſ. w. Anſtatt zu lachen, ſchaͤmte er ſich und ward boͤſe. Einer ſeiner neuen Freunde bot ihm fuͤr ſeine Ruͤckkehr nach Hauſe ſeinen Wagen an, und er fuͤgte ſich dieſem Anerbieten mit Freu - den. Gegen Abend traf ich ihn bey der Schwe - ſter des Koͤnigs. Sein ſonſtiger Begleiter war nicht bey ihm, aber wohl zwey ſeiner neuen Freunde, die ihn ihren Bekannten, jungen Reichsboten und Officieren von der National -13 kavallerie, und einigen beruͤchtigten, ſchon et - was veralteten, Koketten fleißig vorſtellten.

Einige Tage hindurch kam er nicht zu Ti - ſche und zwey ſeiner neuen Freunde auch nicht. Von dem dritten vernahmen wir beylaͤufig, daß er bey Dangel einen ſchoͤnen Wagen, und von einem Staroſten, den er nannte, ein paar koͤſtliche Pferde gekauft habe. Den andern Tag war ich noch auf meinem Zimmer, als ein neuer Wagen, die Pferde im ſtaͤrkſten Sprunge, uͤber den Hof her ſtuͤrmten. Ein ſtattlicher Kutſcher in neuer Livree auf dem Bocke, ein eben ſo ſtattlicher Bedienter hinter dem Wagen, drey junge Leute darin. Unſer nouvellement debarqué (abermals in ei - nem neuem Anzuge) und zwey ſeiner neuen Freunde, ſprangen heraus.

Der junge Mann war nicht mehr derſelbe. Er hatte ein hochfahrendes, ſtuͤrmiſches Weſen angenommen, mißhandelte die Kredenzer, trank Burgunder aus einem Bierglaſe, ſprach von großen Bekanntſchaften, und als man ihm die14 Geſellſchaft bey dem Marſchall Mniczech vor - ſchlug, um einen Theil des Abends dort hin - zubringen, war ſeine erſte Frage: Ya-t-il de jolieſ femmeſ? Nach Tiſche ſetzte er ſich, ziemlich betrunken, mit ſeinen Freunden zum L'hombre. Dieſelbe Nacht traf ich ihn auf der Redoute im Radzivilſchen Pallaſt, wo er ein paar bekannten Maͤdchen die Kour machte. Nach Mitternacht ſtand er bey der Pharobank und ſetzte muthig, ohne das Spiel zu verſtehen.

Den Morgen des folgenden Tages rollte er in einem neuen Whisky, in der Mitte der beyden erwaͤhnten Maͤdchen, uͤber den Hof von Tlomazk, und einer ſeiner neuen Freunde folgte ihm in einem andern, der auf gleiche Weiſe beſetzt war. Der zweyte und dritte ſprengten zu Pferde hinterdrein.

Sein voriger Begleiter, der Artillerieoffi - cier, den Mittag an unſerm Tiſche, und von ihm erfuhren wir, daß ſein Freund in Wola zu eſſen gebe, und daß er ſeinen neuen15 Wagen ſamt den jungen Pferden gegen einen alten Whisky, ſamt abgejagten Pferden, mit Nachſchuß einer betraͤchtlichen Anzahl von Du - katen, vertauſcht habe. Einem unſerer Tiſch - genoſſen, einem verſtaͤndigen Edelmann, ſagte er, mit allen Bewegungen deſ Unwillens, noch etwas ins Ohr.

Nach etlichen Tagen erſchien der junge Mann abermals in einem neuen Wagen, mit andern Pferden, und er erzaͤhlte ſelbſt mit großem Wohlgefallen, daß er ſeinen Whisky an einem andern Wagen, der ihm im Sprunge begegnet, zuſammen gefahren habe. Dieſen Tag hatte er auch ſeine polniſche Kleidung ab - gelegt und trug ſich franzoͤſiſch. Er war da - durch in die Klaſſe der ganz neuen Polen ge - treten, hatte aber ſein ſonſt nicht unvortheil - hafteſ Aeußere in eine unleidlich-ſteife, ge - ſpannte Puppengeſtalt verwandelt. Kein ein - ziges Kleidungsſtuͤck ſaß, wie eſ haͤtte ſitzen ſollen, vom Schuh bis zum Haarbeutel. Die - ſer hatte, ſeines kurzen Haares wegen, das er16 vorher als Pole geſtutzt trug, dicht an den Kopf mehr geklebt alſ gebunden werden muͤſ - ſen. Eſ verſteht ſich, daß man ihn auch mit Ringen, Tabackſdoſen, Spitzen, und mit ei - nem brillantirten Stutzerdegen verſorgt hatte, um die Karrikatur vollſtaͤndig zu machen. Seine Rede war Spiel und Weiber. Mit ſeinem erſten Freunde ſchien er gaͤnzlich ent - zweyet, und man ſah ſie nicht beyſammen.

Einige Tage darauf bemerkte ich ihn auf der Krakauer Vorſtadt im zweyten Stock ei - nes Hauſes, das ganz zum Vermiethen be - ſtimmt war. Zwey ſeiner neuen Begleiter ſtanden um ihn. Er ſelbſt zeigte ſich in einem Anzuͤge und Benehmen, daß man wohl ſehen konnte, er ſey da zu Hauſe. Es fand ſich, auf Erkundigung, auch ſo. Er hatte ſich fuͤr neunzig Dukaten monatlich dort eingemiethet.

Jch ſah ihn in ungefaͤhr vierzehn Tagen nicht wieder, denn er kam nicht mehr in den Adler zu Tiſche, auch in keine große anſtaͤndi - ge Geſellſchaft mehr. Eſ hieß, er habe einenKoch17Koch angenommen und eſſe zu Hauſe. Seine Freunde und auch ſeine bezeichneten Freundin - nen aͤßen faſt taͤglich bey ihm.

Endlich ſah ich ihn eines Morgens wieder. Die Fenſter ſeiner Wohnung waren durch Ja - louſien dicht verſperrt, bis auf eines. An die - ſem ſtand er im Schlafrocke, den Hals dick umwunden, todtenblaß. Ein bekannter ge - ſchickter franzoͤſiſcher Wundarzt ſtand bey ihm. Auf eine Frage von mir, verſicherten ſeine Freunde, daß er ſehr krank ſey, und gaben auch deutlicher, als es bey Tiſche anſtaͤndig war, zu verſtehen, woran. Einer ließ uns durch ein freches Wortſpiel errathen, daß er zugleich Mangel an Gelde habe.

Ein paar Tage nachher ging ich abermals vor der Wohnung des jungen Mannes vor - bey. Jch konnte mich nicht mehr erwehren, einen Blick auf ſeine Fenſter zu werfen. Sie waren abermals verſperrt, bis auf eines. An dieſem lag er, den Kopf auf beyde Haͤnde ge - ſtemmt und ſtarr vor ſich hinſehend. SeinDrittes Heft. B18aͤlterer Freund, der Artillerieofficier, lehnte dicht neben ihm, und hatte theilnehmend ſei - nen Arm um ihn geſchlungen.

Denſelben Mittag, als die Tiſchgeſellſchaft ſchon verſammelt war, fuhr ein Fiaker vor, und der Artillerieofficier ſprang eilig heraus. So wie er hereintrat, ging er auf die drey erwaͤhnten Geſellſchafter ſeines Freundes zu, und zog ſie ſchnell bey Seite. Nach einigen Worten, die er ihnen ins Ohr ſagte, griffen ſie, ſichtbar verlegen, nach ihren Muͤtzen und Saͤbeln und gingen, ohne ſich zu empfehlen, ſingend und pfeifend und mit einer gezwungnen Langſamkeit, zur Thuͤr hinaus.

Sie waren kaum weg, ſo fuhr eine be - ſcheidene Remiſe vor und ein bejahrter Pole, ein ſchoͤner Mann, mit einem ſehr ſprechenden Geſichte, ſtieg heraus. Er hatte ſeine Muͤtze in der Hand, und trocknete ſich Stirn und Vorkopf mit einem Schnupftuche. Der Ar - tillerieofficier lief ihm entgegen und fuͤhrte ihn herein.

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Wir ſetzten uns zu Tiſche, und kaum ſaßen wir, ſo wußten wir auch ſchon, wer der fremde Tiſchgenoß war. Er erklaͤrte ſich in franzoͤſi - ſcher Sprache ſehr nachdruͤcklich uͤber die Le - bensart in Warſchau, uͤber Leichtſinn und Ver - fuͤhrung, und gleich darauf kam die Geſchichte ſeines Sohnes. Jn der That, er war der Vater unſers jungen Mannes. Dieſer hatte, ſeit den ſechs Wochen ſeines hieſigen Aufent - halts, tauſend Dukaten, die er ihm baar mit - gegeben, dreytauſend Dukaten in einem Kre - ditbrief auf Kabrit, wovon noch tauſend fuͤr ihn und die beyden andern tauſend zur Zah - lung an einen Geſchaͤftsfreund beſtimmt gewe - ſen waren, ausgegeben, war noch uͤberdieß funfzehn hundert auf Ehrenwort ſchuldig ge - blieben und hatte dabey weder die Miethe, noch den Schneider, noch den Kaufmann be - zahlt. Am hoͤchſten ſtieg der Unwillen des Mannes, wenn er auf den Gedanken zuruͤck kam, daß der Sohn faſt dieſe ganze Summe verſpielt habe, ohne ſpielen zu koͤnnen; undB 220ſein Auge funkelte, und ſein Geſicht roͤthete ſich, als er endlich auf die neuen Freunde ſei - nes Sohnes kam. Der Artillerieofficier ſah uns dabey an, und wir erriethen nun, warum er jene junge Leute weggeſchaft habe.

Es ging uͤbrigens ohne heftige Auftritte ab. Der Vater nahm nach einigen Tagen ſei - nen Sohn wieder mit nach Podlachien. Vor - her hatte er noch einen geſchickten Wundarzt fuͤr dreyhundert Dukaten auf drey Monat an - genommen, der mit auf ſeine Guͤter reiſete.

Die Spielſucht iſt in Warſchau unter al - len Staͤnden unglaublich tief eingeriſſen. Man ſieht die Thuͤrſteher unter den Thoren der Pal - laͤſte, die wartenden Kutſcher auf ihren Boͤcken, die Bedienten in den Vorzimmern ſpielen, ja, ich habe drey Bettler auf den Stufen der Kreutzkirche ſitzen und ſpielen und zwiſchenher die Kirchengaͤnger anbetteln ſehen. Daher kann man ſich erklaͤren, wie, laut den Verzeichniſ - ſen der Stempelkammer, im Jahre 1781 die Zahl von 22,697 Spielen franzoͤſiſcher Karten,21 bloß fuͤr den Verbrauch von Warſchau, ſind geſtempelt worden.

Spatzierfahrten an ſchoͤnen Sommer - und Winter-Tagen gehoͤhren auch zu den Er - holungen der großen Welt in Warſchau. Wer an andern Orten Wagen und Pferde fuͤr ſeine Bequemlichkeit haͤlt, faͤhrt auch mit denſelben ſpatzieren; aber hier bedarf es zu dieſem Be - hufe noch eines eigenen Fuhrwerks und eigner Pferde. Der Prinz Joſeph Poniatowski, den man als vortreflichen Taͤnzer kennt, iſt ein eben ſo vortreflicher Reiter und Fuhrmann. Er war einer der erſten, der die leichten, of - fenen, hochhangenden Wagen (in Deuſchland Whisky, hier Kabriolets genannt) in War - ſchau zur Mode machte. Anfangs legte er vier Pferde davor, nach der Zeit acht, wovon er jedesmal vier nebeneinander ſpannte, die er ſaͤmtlich vom Wagen herab und ſtehend re - gierte, was einen uͤberaus maleriſchen Anblick gab, und den Zuſchauer in die Zeiten der al - ten Wagenrenner zuruͤck verſetzte. Seine22 Pferde waren immer die ausgeſuchteſten, voll Feuer, groß und ſtark; aber er wußte ſie mei - ſterhaft zu behandeln, und dieſe ſtolzen Thiere ſtanden und gingen, ſprangen und ſprengten, wie ſeine Hand und ſeine Zunge es wollte. Man verlor Hoͤren und Sehen, wenn er eine der langen und breiten Straßen heraufflog und ſich im Sprunge durch die uͤbrigen Wa - gen, die ihm begegneten, durchwand. Ge - woͤhnlich hatte er zwey ſeiner Freunde neben ſich, und er ſtand in ihrer Mitte. Wielo - hurski, ſein Waffenbruder, mit dem er ge - gen die Tuͤrken gefochten hatte, war ſein be - ſtaͤndiger Begleiter, und nach ihm ſah man ihn am haͤufigſten mit Kosciusko fahren. Dieſe fuͤr die Polen ſo hoͤchſt anziehende Gruppe, konnte, ihre Umgebungen dazu ge - rechnet, nicht anders, als alle Augen auf ſich ziehen. Aus Bewunderung und Wohlgefallen ward Trieb, ihnen nachzuahmen, und es dauerte nicht vier Wochen, ſo war Warſchau mit Kabrioletten zu drey Perſonen uͤber -23 ſchwemmt. Wer nicht reich oder nicht ſtark genug war, acht Pferde zu halten und zu len - ken, begnuͤgte ſich mit vieren oder zwey; wem die großen fuͤrchterlich waren, der hielt ſich kleine; genug, man mußte ein Kabriolet ha - ben und es ſelbſt fahren, wenn man auch uͤbrigens dem erſten Muſter nicht gleich kom - men konnte.

Die Wagengeſellſchaft der drey beruͤhmten Maͤnner kam beſonders den Weibern ſo ſchoͤn vor, daß ſie nicht verſaͤumen konnten, aͤhnliche zu bilden. Sechs der reizendſten Eleganten von Warſchau hatten in kurzer Zeit zwey Whiskys fuͤr ſich fertig, und glaͤnzten damit auf allen Straßen. Sie traten ſehr bald in Unterhandlung mit den drey Maͤnnern, die ihnen die Aufmerkſamkeit des Publikums im - mer noch viel zu ſehr an ſich zogen; und, ehe man es ſich verſah, ſtanden dieſe drey Kabrio - lette in Buͤndniß, und das eine ließ ſich ohne die beyden andern nicht mehr ſehen. Die Weiber uͤberliſteten dabey den Fuͤhrer des24 maͤnnlichen Kabriolets ſo ſehr, daß er ſich ge - fallen ließ, jedesmal hinter den beyden weibli - chen zu fahren. So nahmen dieſe, auf eine recht gottloſe Weiſe, die Bluͤthe der Neugier und Aufmerkſamkeit jedesmal vorweg. Jndeſ - ſen iſt gewiß, daß dieſe ſchoͤnen Weiber, mit ihren kleinen tatariſchen Pferden, die ſie eben - falls, doch nur zu vieren, ſelbſt lenkten, an Schnelligkeit und Verwegenheit dem Prinzen und ſeinen Freunden nichts nachgaben.

Zwar dauerte dieſe Verbindung nur wenig Tage, und ſie ſcheint durch den Umſtand, daß ſechs Weiber, aber nur drey Maͤnner, daran Theil nahmen, eben ſo kraͤftig untergraben worden zu ſeyn, als durch die natuͤrliche Un - beſtaͤndigkeit und Wechſelſucht der Weiber; in - deſſen wirkte das Beyſpiel derſelben fort, und man ſah noch lange drey, vier, ſechs Kabrio - lette hintereinander, die theils in der Stadt ſpatzieren fuhren, theils Ausfluͤchte nach den Luſtoͤrtern um Warſchau machten. Um das Mißverhaͤltniß zwiſchen der Zahl der Maͤnner25 und Weiber nicht wieder ſo merklich zu ma - chen, ward es Mode, daß jedesmal ein Mann zwiſchen zwey Weibern ſaß und ſie fuhr. So war alles mehr in Ordnung und man blieb mehr der Gewohnheit treu, nach welcher hier, auch außerhalb dem Kabriolet, oft zwey Wei - ber mit einem Manne zufrieden ſcheinen, und Ein Mann mit zwey Weibern zufrieden iſt.

Jn kurzem war auch das Publikum der Wechsler und Kaufleute mit dieſen Kabriolet - ten verſehen; aber ihre Weiber verriethen nie ſtaͤrker ihren buͤrgerlichen Urſprung und ihren Mangel an adelichen Talenten. Sie ließen ſich entweder von ihren Freunden, oder Bruͤdern und Verwandten, oder gar, gegen alle Sitte, von ihren Kutſchern, die auf dem Sattelpferde ſaßen, herumfahren, und keine wagte, die Zuͤgel ſelbſt in die Hand zu neh - men, wofuͤr ſie auch von Kennern und Ken - nerinnen argen Spott zu erdulden hatten. Gleich nach dieſer Klaſſe erſchienen auch die Maͤdchen, die zu keiner Klaſſe gehoͤren, weil26 ſie fuͤr alle paſſen, zu dreyen in den Whiskys, welche die große Welt abgelegt und die Lohn - kutſcher zum Vermiethen angekauft hatten. Nun waren ſie nichts außerordentliches mehr, aber ſie blieben zu Spatzierfahrten, wie die gewoͤhnlichen Wagen zu Beſuchen und Geſchaͤf - ten, in der Mode.

Jm Winter machen die Schlittenfahr - ten einen andern Zweig des geſellſchaftlichen Verkehrs aus. So wie hier alles auf einen hohen Grad von Pracht getrieben wird, ſo auch dieſe. Die Schlitten ſind nach ſehr man - nigfachen, gefaͤlligen oder abenteuerlichen, For - men gebauet, zu einem, zwey und vier Sitzen, meiſt mit reichem Lack uͤberzogen, und mit Zierrathen von Bronze, von Silber, ja von Gold verſehen. Das Geſchmeide, der Putz und die Decken der Pferde, ſind jenen ange - meſſen, und ſie ſelbſt ſind gewoͤhnlich die fluͤch - tigſten aus dem Stalle. Eine Verzierung, die ich hier zum erſtenmal geſehen habe, iſt, daß man an den beyden hintern Pferden zwey laͤng -27 liche Stuͤcke von ſehr lebhaft gefaͤrbtem ſeidnem Zeuge, glatt oder geſtreift, befeſtigt und ſie, zwiſchen ihnen und dem Schlitten, locker aus - ſpannt. Sie ſchuͤtzen die Schlittenfahrer vor den Unrath, den die Pferde mit den Hufen zuruͤck zu werfen pflegen, und geben zugleich den Anblick von Seegeln, die durch die Schnel - ligkeit, womit man die Luft durchſchneidet, angeſchwellt werden. Da das Ganze des Schlit - tenfahrens ein wenig auf Tand und Abenteuer - lichkeit berechnet iſt, ſo macht dieſer Zuſatz, in dieſem Geiſte genommen, eine ſehr vortheil - hafte Wirkung.

Ein andres winterliches Vergnuͤgen iſt die Reduote. Sie faͤngt hier zu Anfange des Decembers an, dauert bis Faſtnacht, macht ſodann die Faſten hindurch Stillſtand, wird nach Oſtern fortgeſetzt, und waͤhrt bis Pfing - ſten. Sie wird an zwey Orten woͤchentlich ge - geben. Das eine Lokale begreift die Saͤle hin - ter dem Schauſpielhauſe, deren zwey große und zwey kleinere ſind; das andre iſt der Pal -28 laſt Radziwil auf der Krakauer Vorſtadt, und namentlich deſſen erſter Stock, der einen ſehr großen Saal, drey kleinere, und einige Zim - mer enthaͤlt. Dieß letztre Lokale iſt bey wei - tem nicht ſo neu, ſo gut verziert und ſo an - ſtaͤndig, als das erſtere; aber es wird mehr be - ſucht, weil der Eintritt um einen oder zwey Gulden wohlfeiler und die Maſkenfreyheit aus - gedehnter iſt.

Man koͤmmt in die Radziwil'ſche Redoute, wie man geht und ſteht, in Stiefeln und Sporn, in Rock und Jacke, mit oder ohne Larve. Die einzige Spur von Redoutenpoli - cey iſt, daß man den Saͤbel abgeben muß, wenn man eintritt. Hunde gehen unangetaſtet mit ihren Herren herein.

Einen Domino oder Tabaro ſieht man hier aͤußerſt ſelten und nur immer bey Fremden, die noch keine polniſche Redoute beſucht haben, mithin ſich ſo einrichten, wie es an andern Orten erforderlich iſt. Jeder koͤmmt, wenn nicht etwa Beſtellungen, oder eiferſuͤchtige Be -29 ſchleichungen das Gegentheil erfordern, in ſei - nen gewoͤhnlichen Kleidern, mit offenem Ge - ſicht. Nur Weiber aus der großen Welt, wenn ſie allein, oder wenn ihrer nur zwey oder drey beyſammen ſind, vermummen ſich vom Kopfe bis zu den Fuͤßen, weil ſich doch der Wohlſtand mit dem Gegentheile nicht ver - tragen wuͤrde, da eine große Menge liederli - cher Maͤdchen hier gleichen Weg gehen. Dieſe Bedenklichkeit hoͤrt aber auf, wenn ſich ganze Geſellſchaften zuſammen thun und in den Saͤ - len herumziehen, oder ſich auf den Kanapeen und Stuͤhlen lagern; nach dem Grundſatze, daß eine große und feine Geſellſchaft uͤberall ihre Wuͤrde mitbringt, und ſich dieſelbe unter den zweydeutigſten erhaͤlt. Dieſe Gattung tanzt auch nicht auf den Redouten, ſo wenig als aͤhnliche in Berlin und Wien. Ueberhaupt tanzen in Warſchau nur die vorletzten Klaſſen und unter dieſen die Handwerksburſche, die zu den feinern gehoͤren, mit ihren Meiſters - toͤchtern oder mit oͤffentlichen Maͤdchen.

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Was in ſogenannten Charaktermasken er - ſcheint, iſt gewoͤhnlich auch nicht von feiner Abkunft, den Fall ausgenommen, daß man ſich darein ſteckte, um einen geſellſchaftlichen Scherz auszufuͤhren, oder um fuͤr irgend eine verliebte Abſicht zu kundſchaften. Man nimmt die allergewoͤhnlichſten dazu, als Moͤnche, Strußen, Kutſcher, Koſaken, Teufel, Juden, Fledermaͤuſe ꝛc. Nur ein einzigesmal iſt mir eine ſatyriſche Maske vorgekommen. Es war ein ungeheurer Stiefel mit Stulpen, ſorgfaͤl - tig gewichſt und mit Sporn nach Verhaͤltniß verſehen. Dieſer wandelte in den Saͤlen des Radziwilſchen Pallaſtes umher, war aber, ſei - ner Dicke wegen, oft gezwungen, ſtill zu ſtehn, und auszuruhen. Auf der Stulpe ſtand ein wunderlicher Name, der den Verfertiger ſol - cher Stiefeln bezeichnete. Kurz vorher waren naͤmlich die ſteifen Stiefeln mehr als vorher Mode geworden, und eine Menge Leute, die nicht gerade Bereiter oder Stallmeiſter waren, fingen an, ſie zu tragen. Darauf bezog ſich31 dieſer Scherz, deſſen Ausfuͤhrung dem Erfin - der ſehr ſchwer werden mußte, weil ſich der Stiefel nach einer Weile in eine Ecke ſtellte, und ſeine Seele, die von Schweiß triefte, her - aus ließ.

Wenn ſich die Weiber maskiren, ſo ſieht man am haͤufigſten Juͤdinnen, Ruſſinnen, Tuͤr - kinnen, Baͤuerinnen ꝛc., die bald mit mehr, bald mit weniger, Geſchmack und Reichthum angezogen ſind. Das Heer der oͤffentlichen Maͤdchen, das beſonders auf der Radziwil '- ſchen Redoute zahlreich iſt, kleidet ſich nach eigner Phantaſie, oft ſehr gut, oft hoͤchſt ge - ſchmacklos, und man kann darnach die Klaſſen beſtimmen, in welche ſie einzeln gehoͤren. Ue - brigens ſteigt die Zahl der Menſchen, die an - weſend ſind, gewoͤhnlich auf zwey und drey tauſend. Man kann alle moͤgliche Lebensmit - tel zum Eſſen, zum Trinken und zum Naſchen haben. Eine Pharobank darf nicht fehlen.

Die Redoute in den Saͤlen des Schau - ſpielhauſes iſt anſtaͤndiger, als die Radziwil '-32 ſche, aber weniger beſucht. Schmutzige Mas - ken, wie man ſie dort haͤufig findet, wer - den hier gar nicht eingelaſſen. Dieſe Re - doute behauptet ſich ſo gut in dieſem Tone, daß ſich jeder, der ſie beſuchen will, ſchon von ſelbſt beſcheidet, in einem beſſern Anzuge er - ſcheinen zu muͤſſen. Auch hier beſteht das ein - zige Vergnuͤgen darin, unter dem mannigfal - tigſten Gewimmel auf - und abzugehen und ſich weiter zu beluſtigen, wie es die Gelegenheit giebt. Getanzt wird hier ſehr ſelten. Ge - woͤhnlich beſucht man beyde Redouten in Ei - ner Nacht.

So groß die Reihe von Vergnuͤgungen iſt, die ich bisher aufgezaͤhlt habe, ſo genuͤgt ſie den Genußjaͤgern in Warſchau doch noch nicht: die ordentlichen werden noch mit außerordent - lichen vermehrt. Hieher rechne ich die Picke - nicke, die, außerhalb Berlin, wohl nirgend ſo haͤufig ſind, und von ſo mancherley Staͤn - den unternommen werden, als in Warſchau,nur,33nur, wie es ſich von ſelbſt verſteht, mit un - gleich mehr Aufwand und Koſten.

Die Pickenicke fuͤr die große Welt richtet irgend ein Großer ein, der das Ganze uͤber - nimmt. Er beſtimmt den Preis zu zehn, acht, ſechs und vier Dukaten auf die Perſon, und macht dem gemaͤß ſeine Anſtalten. Er beſorgt dafuͤr die Saͤle, die Muſik, die Tafel, den Wein und andre Getraͤnke. Jm Fruͤhling und Herbſt giebt man dieſe Pickenicke gern außer - halb der Stadt, in Mariemont, Villanow, Wola u. a. a. O.; im Winter in den Saͤlen hinter dem Schauſpielhauſe, im Radziwilſchen Pallaſt und anderwaͤrts. Jeder, der ein Bil - let bezahlen kann, nimmt Theil daran, von welcher Abkunft, von welchem Stande er auch ſey. Niemand bekuͤmmert ſich um ſolche Din - ge, die man hier bey Vergnuͤgungen fuͤr Ne - benſachen haͤlt. Dieß iſt ein Grund mit, warum dieſe Geſellſchaften, wie alle uͤbrige in Warſchau, beſtaͤndig ſehr zahlreich und heiter, und zugleich uͤberaus glaͤnzend ſind. Der TanzDrittes Heft. C34iſt dabey die Hauptſache fuͤr die junge und ſchoͤne Welt, die Karte fuͤr die aͤltere und haͤßliche. Letztre bleibt hier um ſo gewiſſer unaufgefordert, da die Mitglieder der Geſell - ſchaft einander ſelten ſo genau kennen, daß ſie aus Hoͤflichkeit oder Politik etwas fuͤr einan - der thun ſollten. Bloß Reiz und Geſchicklich - keit im Tanze werden hervorgezogen, und man iſt verſucht, die Warſchauer ſchoͤne Welt fuͤr die ſchoͤnſte zu halten, wenn man auf dieſen Pickenicken keine andre, als reitzende, treflich gebildete und gewachſene Perſonen erblickt. Man gehe indeſſen nur in die Nebenzimmer, ſo wird man die Schlacken von dieſem Silber finden.

Warſchau hat mit Wien eine Anſtalt ge - mein, die eigentlich nur fuͤr das rohe Volk beſtimmt iſt, und fuͤr dieſes beſtimmt bleiben ſollte, die aber doch auch hier, wie in Wien, von den hoͤhern Klaſſen beſucht wird ich meyne die Hetze*)Vergl. Berl. Monatsſchrift, Juny. 1792. S. 572. fg.. Man giebt ſie hier eben -35 falls an Sonn - und Feyertagen, wo dasjenige Publikum, auf die ſie berechnet iſt, die meiſte Zeit und das meiſte Geld zu verlieren hat.

Das Hetzamphitheater hat weder den Um - fang noch die Hoͤhe des Wieneriſchen, iſt aber in derſelben Form gebauet. Es hat eine Gal - lerie weniger und iſt nicht ſo gut unterhalten als jenes. Die Anzahl der wilden Thiere iſt weder ſo ſtark, noch ſind ihrer ſo viele Arten vorhanden. Der Hetzmeiſter und die Hetz - knechte haben weder ſo viel Heldenmuth, noch ſo viel Geſchicklichkeit, ihr Publikum zu belu - ſtigen, als die Wiener, die uͤbrigens ihre Mu - ſter ſind. Das Erhabene, das in ihrer Kunſt und Beſtimmung liegt, wiſſen ſie nicht gehoͤ - rig geltend zu machen. Einem wilden Stier entgegen zu gehen, ihn bey den Hoͤrnern zu faſſen, mit ihm zu ringen und ihn endlich zu ermuͤden; einen biſſigen Wolf aus den Zaͤhnen der Hunde loszumachen und ihn, an die Bruſt gedruͤckt, nach ſeiner Falle zu tragen; mit dem Raubbaͤren ſolch eine zaͤrtliche Verbindung zuC 236unterhalten, daß er Naſe und Haͤnde leckt, die er eben ſo gut wegreißen koͤnnte: dieſe und aͤhnliche Heldenthaten, die dem Wiener Hetzmeiſter zum Kinderſpiel geworden ſind, bleiben fuͤr den Warſchauer noch unerreichbar, und man ſieht daraus, daß er ſich nicht ein - bilden darf, die Liebhaber zu befriedigen. Das groͤßeſte Kunſt - und Wagſtuͤck, welches ich in Geſellſchaft einiger Bekannten von ihm geſehen habe, war, daß er, auf einem ziem - lich matten Stiere reitend, in das Amphithea - ter ſprengte und den Stier und ſich zugleich von ſechs oder acht Hunden fangen ließ. Der Poͤbel beklatſchte dieß freylich, aber bey uns feinern Kennern konnte er es nicht hoͤher als zu einem mitleidigen Achſelzucken bringen. Seine Wolfs - und Baͤrenhetzen raubten uns vollends alle Geduld; und ein junger Officier aus Wien konnte ſeinen edlen Unwillen ſo we - nig bergen, daß er ihn foͤrmlich auspfiff und auspochte. Es war gerade am Namenstage des Koͤnigs, und am Jahrstage der neuen37 Konſtitution den 3ten May 1792, an welchem man dieſe, fuͤr beyde ſehr beleidigende, gemei - ne Hetze gab, auf welcher nicht einmal ein elender duͤrrer Wolf zerriſſen wurde. Jn Wien feyert man ſolche Tage ganz anders, erzaͤhlte uns der junge Mann mit Feuer: dort hatte er an einem Annentage geſehen, daß zehn Hunde einen eilften zerriſſen; daß die Loͤwin einen, rund herum mit Katzen behaͤngten, Eſel auf Einen Schlag mit der Tatze das Kreutz zerbrochen, ſo daß Hinter - und Vordertheil, nur noch mittelſt der Haut zuſammenhangend, einander entgegengefallen waͤren; daß der Raub - baͤr ein Boͤckchen aus heiler Haut, trotz Schwaͤrmern und Granaten, weggegeſſen; und daß wenigſtens ein paar Dutzend Stier - und Baͤren-Ohren im Amphitheater, wie geſaͤet, herum gelegen haͤtten. Wir hoͤrten ſeiner Erzaͤhlung mit moͤglichſter Theilnehmung zu, und unſre Bewunderung der Wiener Hetze fiel als tiefe Verachtung auf die Warſchauer zu - ruͤck. B. R. W.

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Uebrigens hat der Koͤnig in dieſem Hetz - amphitheater eine Loge, wie in der Wiener der Kaiſer auch. Er beſucht es aber ſelten oder nie. Auf beyden Seiten neben der ſeini - gen, ſind andre Logen, die zuweilen aus den hoͤhern Staͤnden beſetzt werden. Dieſe kom - men in die Hetze, wie ſie uͤberall hinkommen, um ein paar Stunden zu toͤdten, nicht, weil ſie Geſchmack daran faͤnden. Die große Welt weiß an Sonn - und Feyertagen am wenigſten, was ſie mit ihrer Zeit anfangen ſoll, da es einmal uͤblich iſt, daß an ſolchen Tagen ſelte - ner Feſte und Geſellſchaften gegeben werden; die Stunden von vier bis ſechs des Nachmit - tags, in welche die Hetze faͤllt, ſind an ſich ſchon zu unbequem, um mit einer Luſtbarkeit ausgefuͤllt zu werden; uͤberdieß iſt es Sitte, dahin zu fahren, wo man Geſellſchaft findet, und man koͤmmt bloß dieſer zu gefallen, und nutzt das uͤbrige nur als die Gelegenheit dazu. Dieſe Umſtaͤnde muß man erwaͤgen, um ſich zu erklaͤren, wie in Warſchau, und wie in39 Wien feinere und gebildetere Leute die Hetze beſuchen und ſich bey dieſem rohen, und, trotz aller Grauſamkeit, erbaͤrmlichen Schauſpiele zu Stunden verweilen koͤnnen. Es iſt in der That ungerecht, daraus zu folgern, es fehle dieſen Klaſſen in beyden Staͤdten ſo ſehr an Geſchmack und Gefuͤhl, daß ſie wirklich Ge - fallen an dieſen blutigen Raufereyen faͤnden, und mir daͤucht, die wohlwollenden Maͤnner, die ſich beſonders uͤber die Wiener Hetze ſo nachdruͤcklich erklaͤrt haben, ſind bey ihren Schluͤſſen zu uͤbereilt geweſen. Es ſcheint frey - lich in dem menſchlichen Herzen an ſich ſchon ein Hang zu liegen, Kaͤmpfe auf Tod und Le - ben, ſo wie Hinrichtungen und Beſtrafungen, gern anzuſehen; aber bey einer genauern Un - terſuchung wuͤrde man, meyne ich, finden, daß Neugier, Nachahmungsſucht, Hang ſich zu zeigen, oder Leute zu ſehen, und hundert andre geſellſchaftliche Antriebe wenigſtens zur Haͤlfte dazu beytragen, daß bey ſolchen Gelegenhei - ten die Fenſter und Geruͤſte von Perſonen je -40 des Standes und Geſchlechts ſo dicht beſetzt erſcheinen. Als vor einigen Jahren ein Mord - brenner in Berlin verbrannt, und in Wien der Dieb und Moͤrder Zahlheim mit gluͤhen - den Zangen gezwickt wurde, war an beyden Orten die Zuſchauerſchaft ſehr zahlreich, ſehr glaͤnzend; aber wer haͤtte darum die Berliner und Wiener eines Wohlgefallens an grauſa - men Hinrichtungen bezuͤchtigen wollen?

Uebrigens wird die Warſchauer Hetze bey weitem nicht ſo haͤufig beſucht, als die Wie - ner. Zwar iſt die Volksmenge von Warſchau um mehr als zwey Drittel geringer, wie die Wiener, aber das Amphitheater faßt auch kaum halb ſo viel Zuſchauer, als das Wieneriſche und iſt, nach Verhaͤltniß, gewoͤhnlich nicht halb ſo ſtark beſetzt, als dieſes. Der Stamm der Zuſchauer iſt hier uͤbrigens derſelbe, wie dort. Die rauhern Handwerker, als Fleiſcher, Schmiedte u. dergl. vermengt mit Soldaten, Moͤnchen, Stallmeiſtern, Jaͤgern, jungen, wilden Leuten beſſern Standes, und Dirnen,41 ſind eigentlich diejenigen, die am meiſten Ge - ſchmack an der Hetze finden, und Hunde, Woͤlfe, Baͤren, Stiere, Hetzmeiſter und Hetz - knechte durch einander, am herzlichſten be - klatſchen.

Warſchau hat auch oͤffentliche Badehaͤu - ſer, an welchen es mancher großen Haupt - ſtadt in Deutſchland noch mangelt. Das eine iſt nahe an der Weichſel befindlich und faͤllt gut in die Augen. Es beſteht aus einem ho - hen Erdgeſchoß, das in einzelne Kabinetter ab - getheilt iſt, worin ſich Eine Badewanne, oder auch ihrer zwey befinden. Durch alle laufen Roͤhren, eine mit kaltem, die andre mit war - mem Waſſer. Die Wannen ſind zwar nur von Holz, werden aber ſauber gehalten. Das Bad koſtet vier polniſche Gulden, wofuͤr man auch das noͤthige Badelinnen erhaͤlt. Ein Ka - napé, auf welchem man ſich nach dem Bade erholen kann, ſteht in jedem Zimmer. Beyde Geſchlechter baden haͤufig hier, und man iſt (was ich wohl kaum zu bemerken brauche) ſo42 gewiſſenhaft nicht, Aufhebens zu machen, wenn Perſonen zweyerley Geſchlechts in Ein Kabi - net gehen. Wirklich ſind dieſe Baͤder oft ge - nug die Zufluchtsoͤrter bedraͤngter Liebe und wegen ihrer Abgelegenheit ſehr bequem dazu. Es iſt auch ein Kaffee - und Weinſchank da - mit verbunden, und man kann beydes auf einer Gallerie, die uͤber die Straße laͤuft und die Weichſel beherrſcht, auf eine angenehme Weiſe genießen. Wenn mich einige Merkzeichen nicht truͤgen, ſo ſorgt auch der Unternehmer dieſes Kaffeehauſes, daß zu gewiſſen Stunden, die der Badegaſt beſtimmen mag, ſich Geſellſchaf - terinnen dort treffen laſſen, die den Aufent - halt in der Wanne und auf der Gallerie ver - ſchoͤnern!

Bey Lazienka iſt ein anderes Badeinſti - tut, das ungefaͤhr auf gleichen Fuß eingerichtet iſt. Man findet hier, wie dort, oft genug auch Badende aus den hoͤhern Klaſſen.

Am Eingange der großen Allee, die nach Ujasdow fuͤhrt, wohnt eine wunderliche Art43 von Speiſewirth, der viel Zuſpruch hat. Es iſt ein Krebsmaͤſter. Er hat in mehreren Behaͤltern ſeine Thiere in der Maſt, verbirgt aber die Maſtungsart ſelbſt als ein Geheim - niß, vermuthlich aus dem doppelten Grunde, daß er Nebenbuhler vermeiden und daß er ſei - nen Gaͤſten mit dem Anblicke der Aezung die Eßluſt nicht verderben will.

Es iſt wahr, er bringt die Krebſe zu einer ungewoͤhnlichen Groͤße und Fuͤlle. Die be - ruͤhmten Oderkrebſe kommen ihnen in beyden nicht gleich, noch weniger im Geſchmacke. Die Art, ſie zuzubereiten, hat auch etwas be - ſonderes, und iſt mithin auch ein Geheimniß. Man wuͤrde vielleicht nicht glauben, daß man bey dieſem Mann Dukaten verzehren koͤnne, wenn man nicht ſchon durch mehrere Winke benachrichtigt worden waͤre, daß in Warſchau alles vornehm und theuer iſt. Zudem ſind Burgunder, Champagner und alter Unger die einzigen Weine, die man mit Anſtand dazu trinken kann, da das Gericht Krebſe ſelbſt nur44 drey oder vier polniſche Gulden koſtet! Man geht einzeln oder in kleinen, feinen Geſellſchaf - ten hieher; und ſchon der Preis zeigt, was fuͤr Klaſſen beſonders einzuſprechen pflegen.

Gewiſſe Mitglieder der beſſern Staͤnde ha - ben endlich noch einige oͤffentliche Haͤuſer, wo ſie ſich beſonders des Abends zum Schmauſen und Zechen zuſammen finden. Es ſind meiſt alte Voͤller oder junge Wuͤſtlinge vom Adel, auch Kaufleute, Beamte, Officiere und der - gleichen. Getrunken wird hier beſonders nach altpolniſcher Sitte, und geſpielt nicht minder ernſthaft. Wenn dieſe Geſellſchaften bis nach Mitternacht geſchwaͤrmt haben, ſo gehen ſie gewoͤhnlich noch, wenn es Winter iſt, auf die Redoute, und im Sommer in die liederlichen Haͤuſer. Wo ſie hinkommen, ſcheinen boͤſe Geiſter losgelaſſen zu ſeyn. Auf den Redou - ten gehen ſie in Rotten umher und treiben Muthwillen, fangen noch einmal an zu trin - ken, jagen die liederlichen Maͤdchen zuſam - men, und waͤhlen unter ihnen fuͤr ihre An -45 zahl und ihren Bedarf, und begleiten ſie nach Hauſe, oder nehmen ſie mit in ihre eigene Wohnungen. Dieſe Menſchen erlauben ſich noch, ſolche Kreaturen auf das ſchaͤndlichſte zu mißhandeln, was ſonſt in großen Staͤdten, wo die zuͤgelloſeſte Jugend iſt, nicht mehr ge - ſchieht, weil die Polizey ein wachſames Auge darauf hat. Aber hier, wo faſt keine iſt, hat der Muthwille leichtes Spiel, beſonders wenn die Unholden von Familie ſind.

So ward im Winter 1792 eines Morgens ein huͤbſches Maͤdchen von ungefaͤhr vierzehn Jahren, am Eingange des ſaͤchſiſchen Palla - ſtes, halbtodt gefunden. Jhr Haar und ihre Kleider waren in der groͤßeſten Unordnung; ſie hatte mehrere Beulen am Kopfe und blaue Flecke an ihrem Koͤrper. Man brachte ſie in ein benachbartes Haus, rieb und baͤhete ſie, und ſie kam wieder zu ſich. Jetzt erfuhr man, daß ſie einem jungen Edelmanne von der Re - doute nach ſeiner Wohnung gefolgt ſey, weil er ſie auf das dringendſte dazu aufgefordert. 46Sie habe anfangs durchaus nicht gewollt, weil ſie ihn vorher mit ſechs oder acht Andern, die ſehr laut und wild geweſen, auf - und ab - rennen ſehen. Dieſe ſeyen aber nach und nach verſchwunden, und ihre anfaͤngliche Beſorgniß habe ſich zerſtreut. Sie ſey in ſeinem Wagen mit ihm nach Hauſe gefahren, wiſſe aber bis dieſe Stunde das Haus nicht, weil ſie erſt vor ein paar Tagen nach Warſchau gekommen. Kaum ſey ſie fuͤnf Minuten dort geweſen, ſo haͤtten ſich die Uebrigen nach und nach wieder zuſammen gefunden; haͤtten die ſchrecklichſten Dinge mit ihr vorgenommen, und als ſie ſich wehren wollen, ſie gewaltſam gemißhandelt. Sie haͤtte endlich Sinne und Bewußtſeyn dar - uͤber verloren, und ſie wiſſe nicht, wie ſie da - hin gekommen ſey, wo man ſie gefunden. Jn einer andern Stadt waͤre nichts leichter geweſen, als dieſe Ungeheuer aufzufinden und zur Strafe zu ziehen; aber wo in Warſchau kein Klaͤger iſt, da iſt kein Richter; und waͤre das Maͤdchen oder ihre Wirthin laut gewor -47 den, ſo waͤren ſie fuͤr ihre Handthierung zwar zur Strafe gezogen, aber der Wuͤſtlinge waͤre nicht weiter gedacht worden.

Ein aͤhnlicher Zug des ſtrafbarſten Muth - willens zeigte ſich den folgenden Fruͤhling. Eine kleine Geſellſchaft von jungen Edelleuten, un - ter denen man zwey Stanislausritter geſehen hatte, waren nach Mokatow, dem Luſtſitze der Kronmarſchallin Lubomirska, gekommen. Die Beſitzerin hat Gefallen an ſchoͤnem Feder - vieh und man unterhielt hier, auch waͤhrend ihrer Abweſenheit, eine ausgeſuchte Samm - lung davon. Den jungen Leuten duͤnkte es ein großer Scherz, wenn ſie dieſe Thiere ſaͤmmt - lich koͤpften. Sie zogen auch ſogleich ihre Saͤ - bel und vollſtreckten ihren Einfall. Pfauen, Huͤnern, Enten, Gaͤnſen von den koſtbarſten Arten, ſchlugen ſie die Koͤpfe herunter. Den Aufſeher des Schloͤßchens, der dazu kam und ſich ihnen widerſetzte, mißhandelten ſie groͤb - lich. Sodann ſuchten ſie die Stoͤrche, Kra - niche und Schwaͤne, die in dem Garten zer -48 ſtreut waren, auf, und behandelten ſie wie das uͤbrige Gefluͤgel. So ſieht man, daß der Geiſt des beruͤchtigten Karl Radziwil doch in Polen noch nicht ganz ausgegangen iſt.

Jch bin von den hoͤhern und feinern Ge - nuͤſſen der Warſchauer großen Welt, allmaͤh - lig zu den geringern und groͤbern herabgeſtie - gen, und ſchließe nun mit einem, der wohl nirgend ſo unmaͤßig und ſo unverholen geſucht wird, wie in Warſchau ich meyne das Ver - kehr mit liederlichen Weibern und Maͤdchen. Jn dieſem Punkte, mehr als in allen andern, zeigt ſich hier noch eine altpolniſche Rauhigkeit der Sitten, die ſelbſt dem aufzufallen pflegt, der dieſen Theil in der Charakteriſtik von Ber - lin, Wien, Paris und Neapel zu beobachten Gelegenheit gehabt hat. Jch ſpreche nachher von den leichten Begriffen, die man hier uͤber die ehelichen Pflichten hat; jetzt mache ich hier nur einige Bemerkungen uͤber die oͤffentlichen Maͤdchen und ihre Art zu ſeyn.

Bey49

Bey dem Luxus, der hier, wie anderwaͤrts, die Heirathen vermindert, und der Hageſtol - zen mit jedem Jahre mehr macht; bey der Menge von jungen Leuten, die hier in den Staatskollegien, beym Militaͤr, in den Schreib - ſtuben und Gewoͤlben der Kaufleute ꝛc. ange - ſtellt ſind; bey dem ſtarken Zuſtroͤmen des Adels aus den Provinzen, der oft nur des Le - bensgenuſſes wegen hieher koͤmmt, und fuͤr denſelben mit vollen Haͤnden ausſtreuet; bey der Ungebundenheit, welche Grundſaͤtze und oͤffentliche Meynung in dieſem Punkt hier ein - mal angenommen haben; bey der ſcheuloſern Art, ſeinen Launen und Geluͤſten nachzuhan - gen, die in freyen Verfaſſungen den Staats - buͤrgern zur Natur wird; bey der verwahr - loſten Erziehung des weiblichen Geſchlechts ge - ringerer Klaſſen; bey dem ſchlechten Beyſpiele, das hierin die Weiber und Maͤnner hoͤherer Klaſſen geben; bey dem Mangel aller naͤheren Aufſicht von Seiten des Staates, durch die Polizey bey dieſen Umſtaͤnden iſt es keinDrittes Heft. D50Wunder, daß hier das unſittliche Verkehr bey - der Geſchlechter eine Ausdehnung, eine Oef - fentlichkeit, Mannigfaltigkeit und Duldung, aber auch einen Grad von Anreitzung, Koſt - barkeit, Verderblichkeit, mit einer Miſchung von Schamloſigkeit und Brutalitaͤt verbunden, erreicht hat, zu dem es vielleicht in keiner an - dern großen Hauptſtadt in Europa gelangt iſt.

Die Werkzeuge dieſer Ausſchweifungen thei - len ſich in mehrere Klaſſen. Dieſe ſind zwar durch keinen ſcharfen Graͤnzſtrich geſchieden; ihre Mitglieder ſteigen aus einer in die andre, bald hinauf, bald herab, und, da nur ihr Aeußeres die Unterſcheidungen bewirkt, ſo wer - den ſie von den Wuͤſtlingen in der Sache ſelbſt promiſcue gebraucht; aber im Ganzen giebt es doch einen gewiſſen Zuſtand fuͤr ſie, der die Beſchaffenheit und die Anzahl ihrer Kunden beſtimmt und ihnen einen hoͤhern oder niedri - gern Rang zutheilet.

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Die erſte Klaſſe bilden demnach die un - terhaltenen Maͤdchen, die fuͤr Wohnung, Nahrung, Kleidung, oder auch fuͤr einen ge - wiſſen Gehalt, ihre Freyheit und ihre Perſon vermiethen. Unter den hoͤhern Staͤnden iſt es faſt in Sitte uͤbergegangen, daß Verheirathete, Unverheirathete und Wittwer ſolche Perſonen zu ihrer Erholung unterhalten, und deßhalb iſt ihre Anzahl, beſonders zu Reichstagszeiten und uͤberhaupt bey Gelegenheiten, die den Adel nach Warſchau ziehen, ſehr ſtark, und ſie wuͤrde dreyfach ſtaͤrker ſeyn, wenn nicht manche verheirathete Frau, neben der Beſchaͤf - tigung mit ihrem Gemal, noch Zeit und Luft genug behielte, die Stelle einer Unterhaltenen, auf gleichem Fuße, bey einem zweyten einzu - nehmen.

Da man mit dieſer Klaſſe von Maͤdchen gleichſam lebt und noch andern, als den thie - riſchen Genuß bey ihr ſucht: ſo verlangt man, daß ſie neben Schoͤnheit und Ueppigkeit, auch Verſtand, Gefuͤhl, Geſchmack und Munter -D 252keit beſitzen. Daher kommt es, daß dieſe Gat - tung meiſt aus fremden Maͤdchen und Wei - bern, beſonders aus Franzoͤſinnen, Jtaliene - rinnen, (weniger aus Deutſchen) beſteht, die als Kammerjungfern, oder als Putzmacherin - nen, oder als Hofmeiſterinnen, oder als Schauſpielerinnen nach Polen theils verſchrie - ben, theils ſchon in ihrer jetzigen Beſtimmung, von Reiſen mitgebracht werden. Die Polinnen ſelbſt werden zu dieſem Behufe weniger geſucht, theils, weil diejenigen Klaſſen, die dergleichen Subjekte ſtellen koͤnnten, in Erziehung und Bildung ſehr zuruͤck ſind, theils, weil die Po - len alles Fremde, auch in dieſem Punkte, dem Einheimiſchen vorziehen, theils, weil es praͤch - tiger und vornehmer iſt, eine italieniſche oder franzoͤſiſche Maͤtreſſe zu beſitzen, theils endlich, weil es der Eitelkeit ſchmeichelt, jemand um ſich zu haben, mit dem man ſich in fremder Sprache unterhalten kann. Erſt, wenn ſolche fremde Perſonen nicht zu haben ſind, ent - ſchließt man ſich, polniſche dazu taugliche Werk -53 zeuge aufzuſuchen, und dann ſieht man ſich nach ſolchen um, die von beſſerer Geburt und Bildung ſind, die man entweder ihren Eltern oder ihrem Mann entfuͤhrt oder abhandelt, oder von ihren Kupplerinnen loskauft; kurz, die zugleich durch die Art, wie man ſie er - wirbt, ein gewiſſes Jntereſſe erhalten, das den Werth ihres Beſitzes in den Augen eines verkehrten Publikums erhoͤht, und vergeſſen macht, daß ſie nur Polinnen ſind.

Der Charakter dieſer Geſchoͤpfe iſt hier, wie uͤberall. Da ſie von der Willkuͤhr ihres Sultans abhangen, der ſie nach Gefallen ver - ſtoßen oder behalten kann, ſo benutzen ſie die Zeit, waͤhrend der ſie ſeiner gewiß ſind, und erpreſſen, erſchmeicheln und ertrotzen von ihm ſo viel ſie koͤnnen. Sind ſie klug, ſo leiten ſie ſeine Freygebigkeit auf gruͤndliche Dinge; ſind ſie bloß eitel, ſo dringen ſie auf Tand. Jene werden zuweilen nuͤtzlich. Jndem ſie bloß ihren eigenen Vortheil vor Augen haben, ſo halten ſie ihre Liebhaber von tauſend an -54 dern unnuͤtzen Ausgaben ab, und leben haͤus - lich mit ihnen, um eine Veraͤnderung in ihrer Oekonomie zu verhuͤten, die ſie zuerſt mit tref - fen koͤnnte. Sind ſolche Maͤdchen noch kluͤger und arbeiten ſie insgeheim dahin, eine eheliche Verbindung oder einen Vertrag auf lebens - laͤngliches Jahrgeld herbeyzufuͤhren: ſo geben ſie ihnen Proben von Uneigennuͤtzigkeit, ſogar von Treue, das heißt, ſie thun mehr, als hier manche Gemalin thut.

Ein Beyſpiel davon ſah ich an dem aͤltern Sohne des bekannten Fuͤrſten P**. Da die Finanzen des Vaters ſehr zerruͤttet waren, mußte es die Haushaltung der Soͤhne nicht minder ſeyn. Sie erhielten ſich faſt allein vom Spiele. Der aͤltere gewann im Herbſte des Jahres 1791, in Einer Nacht, zwanzigtau - ſend Dukaten. Er lebte mit einer Jtaliene - rin, einem ſchoͤnen, ſehr gebildeten Maͤdchen, welche die mannigfachen Abwechslungen in ſei - ner Oekonomie mit ihm getheilt hatte. Dieſe nutzte ſein neueſtes Gluͤck zur Grundlage eines55 ſichern Auskommens fuͤr ſie beyde. Durch ih - ren Einfluß auf den jungen Mann brachte ſie es ſo weit, daß er das gewonnene Kapital auf Zinſen anlegte und ſeine haͤusliche Ein - richtung ſo traf, daß er mit dem Ertrage der - ſelben auskam, nicht mehr ſpielte und mit ihr, zwar einſam, aber ſehr gluͤcklich lebte und noch lebt. Als kluges und reizendes Maͤdchen ver - ſtand ſie die Kunſt, ihn zu feſſeln, und ihn ſich, trotz allen Nachſtellungen, zu erhalten; denn (man wird es kaum glauben, aber es iſt nur zu wahr und ein ſehr beſchreibender Zug fuͤr die Grundſaͤtze vieler Weiber aus der hieſigen großen Welt) denn manches ſchoͤne Weib ſuchte, aus bloßem Kitzel der Eigen - liebe, ihn zu erobern, damit die Jtalienerin nicht den Ruhm behalten ſollte, einen jungen, wohlgebildeten und angenehmen Mann dem geſellſchaftlichen Verkehr entzogen zu haben. Auf der andern Seite ſetzte man junge Maͤn - ner in Bewegung, das Maͤdchen ungetreu zu machen, aber dieſen gelang ihr Plan eben ſo56 wenig bey ihr, als er den Weibern bey ihm gelungen war.

Prinz J** P** war einmal in einem aͤhnlichen Falle. Er hielt ſich ein Maͤdchen, an die er ſehr hing. Um ihr dieſen Triumph zu entreißen, verbanden ſich drey der reitzend - ſten Weiber in Warſchau, ihn, koſte es was es wolle, zu erobern. Da ihnen dieß auf dem gewoͤhnlichen Wege nicht gelang, ſpielten ſie ihre Angriffe bis in ſein Schlafzimmer. Ver - fuͤhreriſch, in einem Grade, wie nur ein pol - niſches Weib der hohen Klaſſe es ſeyn kann, erwarteten ſie ihn eines Abends in demſelben, die ſchoͤnſte in ſeinem Bette, und die beyden andern, wie Nymphen gekleidet, vor demſel - ben. Dieſe flogen ihm entgegen, als er her - eintrat, und fuͤhrten ihn zu dem wolluͤſtigen Lager hin; aber ſie hatten die Beſchaͤmung, den Prinzen umkehren und ſich in die Arme ſeines Maͤdchens retten zu ſehen. Ein Hel - denmuth, den man ihm lange nicht hat ver - zeihen koͤnnen.

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Solche Beweiſe von Treue geben indeſſen der Unterhaltende und die Unterhaltene ſelten. Jener behandelt dieſe als ein Eigenthum ohne freyen Willen, und ſie behandelt ihn als einen Herrn, dem ſie zwar Dank ſchuldig iſt, und der gewiſſe Gefaͤlligkeiten von ihr verlangen kann, dem ſie aber ihr Jch nicht verkauft ha - ben will. Wenn er Anhaͤnglichkeit fuͤr ſie fuͤhlt, ſo iſt es bey den Anwandlungen des Naturtriebes oder der Eiferſucht, bey dem Ge - nuſſe, den ihr Beſitz ſeiner Eitelkeit verſchaft, oder bey dem Gedanken an das, was ſie ihm koſtet; uͤbrigens glaubt er ſich ihrentwegen nicht binden zu muͤſſen; und ſie, ihm nur in ſo fern ergeben, als er ihre Beduͤrfniſſe, ihre Launen, und ihr Begehr befriedigt, als er ſie ſchaͤtzt und ihr ausſchließend Beweiſe ſeiner Neigung darbringt, glaubt, ſobald ſie dieſe Dinge vermißt, ihm auch keinen Dank weiter ſchuldig zu ſeyn. Aus dieſem Verhaͤltniſſe fließt das Benehmen beyder gegen einander. Eins traut dem andern nie. Er giebt, um58 ihrer ſicher zu ſeyn, und ſie muß empfangen, um uͤberzeugt zu werden, daß ſie ſeiner ſicher iſt. Dieß Band des thieriſchen Triebes, der Eigenliebe und des Eigennutzes iſt nicht halt - bar. Sie findet bey ihm keine Liebe, und er bey ihr hoͤchſtens Dankbarkeit, nie perſoͤnliche Anhaͤnglichkeit, ihr Herz muͤßte denn unge - woͤhnlich gut ſeyn. Ein aͤngſtliches Mißtrauen auf beyden Seiten theilt ihnen eine Empfin - dung mit, die wie Eiferſucht ausſieht, und im Grunde haͤlt bloß dieſe eine Verbindung zu - ſammen, die ſo locker und ſo quaͤlend iſt, als ſie, fuͤr das Wohl der buͤrgerlichen Geſellſchaft und die Fortpflanzung des menſchlichen Ge - ſchlechts, zu ſeyn verdienet.

Daß die Unterhaltung einer ſolchen Per - ſon ſehr koſtbar ſeyn muͤſſe, fließt aus dem vorigen. Man miethet eine Wohnung, die der Eitelkeit des Unterhalters und den An - maßungen der Unterhaltenen angemeſſen iſt. Sie muß in einer lebhaften Straße ſeyn, da - mit man, wenn man bey ihr im Fenſter liegt,59 von Vielen geſehen werde, und damit ſie, wenn ſie allein iſt, zum Zeitvertreibe viel ſehen koͤnne; man haͤlt ihr entweder eigene Equipage, oder eine Remiſe, die durch Neuheit und Pracht auffaͤllt, damit ſie anſtaͤndig, und man mit ihr, im Publikum erſcheinen koͤnne; man ſtat - tet ſie mit Kleidern und Juwelen ſo aus, daß ſie, wo ſie nicht ausdruͤcklich gekannt iſt, fuͤr eine Frau von Stande gehalten werde; man verſorgt ihren Tiſch, man putzt ihre Wohnung praͤchtig auf, damit man gute Freunde mit Eh - ren zu ihr bitten und ſie von ihr bewirthen laſſen moͤge; mit einem Worte, man ſetzt ſie in Umgebungen, die eine Frau ſelbſt nicht ſchoͤner und reichlicher verlangen koͤnnte. Jſt man ver - heirathet, ſo wohnt man nicht gerade bey ihr, widmet ihr aber, wenigſtens die erſte Zeit, alle ſeine leeren Stunden; iſt man unverheira - thet, ſo hindert nichts, daß man zu ihr ziehe. Dieß ganze Gluͤck erkauft man ſich monatlich mit ein -, zwey - und dreyhundert Dukaten.

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Jſt ein Maͤdchen oder ein Weib auf dieſen Fuß geſetzt, ſo ſieht man ſie in ihrem neuen Glanze auf allen Straßen und Spatziergaͤn - gen, an allen oͤffentlichen Orten, bey allen Schauſpielen, und ſie macht ſich, durch ihre kindiſche Freude, ſo laͤcherlich, als es in der Natur der Sache liegt. Da ſie, um ganz gluͤcklich zu ſeyn, weibliche Bekanntſchaften braucht, um ihre Herrlichkeiten ihnen zu zei - gen und ſie vor Neid außer ſich zu ſetzen; da ſie aber dazu nur Jhresgleichen finden kann: ſo ſieht man oft in Warſchau dieſer Geſchoͤpfe zu halben Dutzenden bey einander, wie ſie, mit ihrem ganzen Reichthum uͤberladen, in das Theater, auf das Land, in die Koncerte, auf die Redouten fahren und ihren Uebermuth und ihre Schande zur Schau tragen. Ge - woͤhnlich geſtatten oder geben ihre Unterhalter ihnen gewiſſe Leute zu Geſellſchaftern, die ſie fuͤr ungefaͤhrlich halten, und die ſie ſelbſt ent - weder, oder ihre Maͤdchen, unter ihren Be - kannten ausſuchen. Dieſe eſſen, trinken, fah -61 ren und tanzen mit ihnen, werden oft aus Waͤchtern ihre Beyſchlaͤfer, und eben ſo oft ihre Kuppler; denn dieſe Maͤdchen ſind ſehr geſuchte Gegenſtaͤnde fuͤr die Begehr gewiſſer, hier ſehr haͤufiger, Dilettanten, die ihr Ver - gnuͤgen in dieſem Punkt nach dem Grade von Verbotenheit und Schwierigkeit, die deſſen Ge - nuß mit ſich fuͤhrt, abzumeſſen pflegen, und die beſonders der Umſtand dabey kitzelt, daß ſie ſchadenfroh das theure Werkzeug eines an - dern benutzen, und, freylich nicht umſonſt, die Wonne haben, ihm vorgezogen zu werden. Hierin ſchont kein Freund den andern, kein Sohn entſieht ſich, dem Vater dieſen Poſſen zu ſpielen, kein Bruder dem Bruder. Die Maͤdchen ſelbſt ſind gewoͤhnlich ſehr willig, die Hand dabey zu bieten, weil es ihre Luſt und ihre Einkuͤnfte vermehrt, und ſie ſind darin um ſo gewiſſenloſer, wenn ihr beylau - fender Liebhaber reich und ſtark genug iſt, ih - ren Verluſt zu erſetzen, im Fall ſie das Un - gluͤck haͤtten, ertappt und entlaſſen zu werden. 62So verſchwendet Einer gewoͤhnlich fuͤr den Andern, und die Folgen, die daraus oft fuͤr die Geſundheit beyder entſtehen, ſind leicht zu errathen. Mit einem Worte alles hieruͤber zu ſagen: die Ausgaben fuͤr den Wundarzt neh - men bey der Unterhaltung ſolch eines Ge - ſchoͤpfes eine betraͤchtliche Stelle ein; und nun erſpare man mir die naͤhere Erwaͤhnung der Greuel, die hierauf Bezug haben, und die ent - weder aus Leichtſinn, oder aus Schadenfreude und Rachſucht begangen werden, und die man oft in den Jahrbuͤchern der pariſiſchen Sit - tenverderbniß geleſen haben wird.

Die zweyte Klaſſe oͤffentlicher Maͤdchen bil - den ſolche, die ſich auf ihre eigene Hand ſetzen und von zufaͤlligen Beſuchen leben. Sie ſchla - gen ihren Wohnſitz mehrentheils in der Kra - kauer Vorſtadt, und zwar in dem belebteſten Theile derſelben, zwiſchen der Poſt und dem Eingange des ſaͤchſiſchen Pallaſtes, auf. Hier befinden ſich gewiſſe Haͤuſer, oder Stockwerke in Haͤuſern, die ſeit Jahren in Beſitz ſind,63 ſolche Bewohnerinnen zu hegen. Man geht zu ihnen, wie man anderwaͤrts in ein Kaffee - haus geht. Man zeigt ſich bey ihnen am Fen - ſter, man liegt mit ihnen im Fenſter, und laͤßt jedem Voruͤbergehenden ohne Scheu ſein Geſicht ſehen. Niemand faͤllt darauf, den Schein zu bewahren, und von der allgemeinen Sorgloſigkeit hierin, giebt der Zug einen Be - weis, daß an dem Tage der Konſtitutions - feyer, als der Koͤnig in Gala, der Primas in ſeinem ganzen geiſtlichen Gepraͤnge, alle Bi - ſchoͤfe, alle Senatoren und Reichsboten uͤber die Krakauer Vorſtadt fuhren, die ſaͤmmtlichen Fenſter dieſer Maͤdchen mit Officieren und an - dern Kunden, die theils ihre Generale, theils ihre Vaͤter und Verwandte in dem großen Zuge hatten, mit den Maͤdchen ſelbſt unter - mengt, die uͤber ſie hinweg, oder uͤber die ſie hinwegkletterten und ſahen, ſtarrend beſetzt waren.

Eben dahin gehoͤrt der Umſtand, daß die Hausherren, die Zimmer in ihren Haͤuſern ver -64 miethen, und daß die Gaſtwirthe es nicht ein - mal zu bemerken ſcheinen, wenn ihre Mieths - leute von ſolchen Maͤdchen oͤffentlich beſucht werden, wenn ſie ſelbſt des Abends dergleichen mit nach Hauſe bringen und ſie erſt den an - dern Morgen entlaſſen, oder auch ſie zu Wo - chen und Monaten bey ſich im Hauſe behal - ten. Es iſt ſchon hergebracht, ihnen dieſe Freyheit mit der Wohnung ſelbſt zuzugeſtehen, und es faͤllt den Wirthen nicht ein, zu glau - ben, daß ihre Haͤuſer dadurch in einen unguͤn - ſtigen Ruf kommen koͤnnten. Ja, ſie wiſſen, daß die Lohnbedienten, die ſich zu ihrem Hauſe halten, die unverſchaͤmteſten Kuppler ſind, die den Fremden liederliche Maͤdchen bey lichtem Tage zufuͤhren, und doch iſt keiner ſo eigenſin - nig, ſie darum fortzujagen! Daß die Kaffee - Wein - und Speiſe-Wirthe eben ſo wenig un - terſuchen werden, was fuͤr Perſonen unter ih - ren anſtaͤndigern Gaͤſten, ohne alle Aengſtlich - keit, Platz nehmen, verſteht ſich von ſelbſt. Auf der andern Seite findet auch keine anſtaͤn -dige65dige Familie Bedenken dabey, eine Wohnung zu beziehen, aus der ſo eben ein liederliches Maͤdchen weggezogen iſt, oder ſich an einen Tiſch zu ſetzen, welchen verdaͤchtige Perſonen ſchon zum Theil eingenommen haben. Der Leichtſinn iſt in dieſem Punkt hier allgemein, und wenn man noch einige Feinheit des Ge - fuͤhls in dieſer Hinſicht findet, ſo iſt es unter den Einwohnern deutſcher Zunge, die, trotz den boͤſen Beyſpielen, eine gewiſſe Verſchaͤmt - heit und Bedenklichkeit in Dingen dieſer Art, die ihrem Volke vor vielen andern eigen iſt, noch nicht abgelegt haben.

Die Maͤdchen dieſer zweyten Klaſſe, die eine gewiſſe Wahl unter ihren Kunden tref - fen, ſind in ihrer Haushaltung ungefaͤhr ſo eingerichtet, wie die Spieler, die heute Ueber - fluß, morgen nur genug, und uͤbermorgen nicht ſatt haben. Jhre Gunſtbezeugungen ſind zu einem gewiſſen Preis angeſchlagen, der nach ihrer koſtbarern oder aͤrmern Einrichtung ab - gemeſſen iſt, der ſich durch Ueberlieferung ziem -Drittes Heft. E66lich gleich erhaͤlt und der uͤbrigens in War - ſchau, wo Lebensmittel, Dienſte und Gefaͤllig - keiten theurer als irgendwo ſind, auch ziemlich hoch angeſetzt zu ſeyn pflegt. Einige unter ihnen (und dieß ſind die anſtaͤndigſten) erlau - ben keinen Beſuch geradezu, ſondern Liebha - ber laſſen ſich entweder durch einen ſchon be - kannten Kunden auffuͤhren, oder durch ihre Bedienten, oder durch einen Kuppler anmel - den. Sie ſitzen den ganzen Tag, mehrentheils mit Geſchmack gekleidet, am Fenſter, und ſcheinen in irgend einer weiblichen Arbeit ver - tieft. Am liebſten gelten ſie fuͤr junge verhei - rathete Weiber, oder fuͤr Wittwen, und ſie ſorgen, daß ein Kind oder mehrere, die ſie miethen, an den andern Fenſtern ſpielen; ſie gehen oder fahren auch mit ihnen aus und laſ - ſen ſich ſo in dem Saͤchſiſchen und Kraſinski - ſchen Garten ſehen. Dieſer Kunſtgriff koͤmmt ihnen freylich nur bey Auslaͤndern und Pro - vinzialen zu ſtatten; da dieſe aber immer haͤu - fig in Warſchau ſind, ſo fehlen ſolche Fliegen67 ihren Netzen ſelten. Je gefaͤhrlicher ſie nun, als junge Weiber, den Genuß ihrer Gunſtbe - zeugungen zu machen wiſſen, je hoͤher ſie, als junge Wittwen, ihre Schwachheit, die ihre Ehre bedrohet, anzuſchlagen verſtehen, deſto freygiebiger iſt der verliebte Abentheurer, der oft glaubt, ſoviel Gefahr und Liebe mit hal - ben und ganzen Dutzenden von Dukaten er - ſetzen zu muͤſſen. Wer kein geuͤbtes Auge hat, wird auch durch ihr Aeußeres und ihre Woh - nung in dieſer Taͤuſchung nicht unterbrochen. Erſteres iſt anſtaͤndig und fein, letztre ſauber aufgeputzt, mit neuem und geſchmackvollen Hausrath, beſonders aber mit einem zwey - ſchlaͤfrigen Bette verſehen, das durch ſeidene Polſter und Vorhaͤnge ſich als die Hauptſache im Zimmer anmeldet und ſelbſt in Zeiten der Noth, wo Kleider, Waͤſche und Ringe ver - ſetzt werden muͤſſen, in ſeinem vornehmen Zu - ſtande erhalten wird.

Dieſe Art Maͤdchen laͤßt ſich auch oft ge - fallen, fuͤr die Zeit, die ſich ein Fremder inE 268Warſchau aufzuhalten gedenkt, in ſeinen Sold zu treten. Dieſer iſt dann nach der Einnahme beſtimmt, die ſie ſich ſonſt zu verſchaffen wußte, und ſteigt von fuͤnf und zwanzig bis auf funf - zig und hundert Dukaten. Da ſie ihre Liebha - ber durch ihren vorgeblichen Mann, oder Bru - der, oder Verwandten in beſtaͤndiger Schuͤch - ternheit erhalten koͤnnen, ſo ſchluͤpfen ihre ſon - ſtigen Kunden unter dieſer Maske beſtaͤndig bey ihr aus und ein; oder ſie bedingt ſich auch gewiſſe Stunden aus, wo ſie dieſe Geſchoͤpfe ihres Betrugs um ſich dulden zu muͤſſen vor - giebt. Man hat Beyſpiele, daß Maͤdchen die - ſer Art Edelleute aus der Provinz in dieſer Taͤuſchung ſo geſchickt zu erhalten und ſo an ſich zu feſſeln wußten, daß letztre ſie, als ver - meynte junge Frauen, ihren Maͤnnern, oder als vermeynte junge Wittwen, denen man eine zweyte Heirath aufdringen wollte, ihren Ver - wandten bey Nacht und Nebel, unter Zittern und Beben, entfuͤhrten, auf ihre Guͤter in Sicherheit brachten und ſie heimlich unterhiel -69 ten, wenn ſie verheirathet, oder gar ehelichten, wenn ſie unverheirathet waren. Zwey dieſer Maͤdchen, eine Jakobowska und eine Jo - hannka, beyde ſehr huͤbſch, die noch jetzt in der Krakauer Vorſtadt wohnen und großen Zu - ſpruch haben, ſind durch ſolche Abentheuer be - ruͤhmt geworden. Jhr Gluͤck hielt ſich aber immer nur ſo lange, als ſie ihre gewoͤhnliche, leichtſinnige Gemuͤthsart verbargen, oder als ſie nicht von einem vormaligen Liebhaber zu - faͤllig entdeckt und verrathen wurden.

Uebrigens erhalten ſich dieſe Maͤdchen un - abhaͤngig und frey von der Botmaͤßigkeit einer Kupplerin. Dafuͤr haben ſie die Lohnbedien - ten in Warſchau an der Hand, deren Empfeh - lung ſie ſich durch Geſchenke, oder durch ei - nen beſtimmten Antheil an ihrem Gewinnſte, zu verſchaffen und zu erhalten wiſſen. Außer dieſen machen ſie ſich mit gewiſſen Kupplern, meiſt Juden, bekannt, die, zur Befriedigung hoher Herrſchaften, in einem ewigen Treibja - gen hinter Maͤdchen aller Art, wie die Laune70 des Wuͤſtlings ſie begehrt, begriffen, und mit die verworfenſten unter den Taugenichts ſind, deren hier die niedrigen Klaſſen eine ſo große Menge darbieten.

Zu dieſer Gattung Maͤdchen gehoͤren auch die Schauſpielerinnen und Taͤnzerinnen, die ein ſo aͤrgerliches Leben fuͤhren, als ihre Mit - ſchweſtern zu Paris, Venedig, Neapel und Livorno nur immer fuͤhren koͤnnen. Die ſchoͤ - nern, juͤngern und geſchicktern unter ihnen, werden gewoͤhnlich unterhalten, aber wenn ſie ihre Unterhalter einbuͤßen, ſinken ſie ſogleich in jene zweyte Klaſſe hinab, die uͤberhaupt oͤf - ter durch den Fall der erſten Klaſſe, als durch die Erhebung der dritten, erſetzt und vollzaͤh - lig erhalten wird.

Die dritte Klaſſe lebt, und handelt auch wo moͤglich, unter den Augen einer ſogenann - ten Wirthin, und hat keinen freyen Wil - len. Die Maͤdchen aus derſelben koͤnnen nicht mehr, wie die aus der zweyten, nach Gefallen Beſuche machen und annehmen, noch ſich eine71 Zeitlang vermiethen oder verkaufen, ſondern beduͤrfen dazu des Vertrauens und der Zu - ſtimmung ihrer Beſitzerin. Dieſe haͤlt ſie durch die Schulden, die ſie bey ihr gemacht haben, verſtrickt, und bewacht ihre Perſon und kon - trolirt ihre Gunſtbezeugungen als ihre Hypo - thek. Des Scheins wegen, haͤngt ſolch eine Familie das Schild des Hutſtaffierers, des Kleiderputzers, des Weinſchenken ꝛc. aus. Ge - woͤhnlich laͤßt ſich die Tochter an dem einen, und die Mutter an dem andern Fenſter ſe - hen, und wenn ein paar luͤſterne Augen erſtre auszeichnen, ſo giebt letztre durch Nicken, Winken, Huſten und andre nicht unverſtaͤnd - liche Bewegungen kund, daß man nicht Urſach habe, es beym bloßen Anſehen bewenden zu laſſen. Dieſe Klaſſe iſt uͤbrigens am wenig - ſten zahlreich in Warſchau, theils, weil die Liebhaber einer doppelten Erpreſſung, von Sei - ten des Maͤdchens und der Kupplerin, ausge - ſetzt ſind, mithin ſparſam kommen, theils, weil die Maͤdchen ſich ungern in dieſe Skla -72 verey begeben, theils, weil ſie hier, wo die Polizey ſehr nachſichtig iſt, nicht wie ander - waͤrts noͤthig haben, ſolch ein Weib als eine Art von Ruͤckenhalt zu waͤhlen, um in der buͤrgerlichen Geſellſchaft geduldet zu werden.

Die vierte und fuͤnfte Klaſſe dieſer Maͤd - chen dienen als Ausſchenkerinnen in den zahl - reichen Bier - und Branntweinshaͤuſern von Warſchau. Es ſind gewiſſe Straßen, die ganz oder zum Theil mit ſolchen Haͤuſern beſetzt und deßhalb nicht minder uͤbel beruͤchtigt ſind, als die Kanonier - und Baͤren-Straße in Ber - lin, der Spitalberg in Wien, die Straße St - Honoré in Paris, die Chiaja in Neapel und gewiſſe Winkel in Venedig. Dahin gehoͤren die Trompeter - Zabia - Swentojurska - und Wallowa-Straße. Jn dem Erdgeſchoß faſt aller Haͤuſer der Trompeterſtraße ſind Schlupf - winkel fuͤr den Soff und die Unzucht, und in jedem derſelben befinden ſich drey bis vier weib - liche Weſen, die ſich den ſchmutzigen und wilden Ausbruͤchen derſelben darleihen muͤſſen. 73Die Kunden dieſer Haͤuſer gehoͤren noch nicht zu den gemeinſten, und oft genug kehrt noch die vornehmere Brutalitaͤt hier ein, wenn ſie, beym Trunke oder durch Verabredung einer zuͤgelloſen Geſellſchaft, alles Gefuͤhl fuͤr Ord - nung und Sittlichkeit abgelegt hat. Sonſt ſind die gewoͤhnlichen Beſucher liederliche Buͤr - ger, Bediente, Handwerksburſche u. dergl., die beſonders an Sonn - und Feyertagen dieſe Tummelplaͤtze der Rohigkeit anfuͤllen. Die Haͤuſer in den uͤbrigen genannten Straßen ſind vielleicht die phyſiſch-elendeſten und moraliſch - weggeworfenſten in der Welt. Da ſie der Hefe des Volks zu ihren wildeſten Erholungen die - nen, da dieſe Hefe vielleicht nirgend ſo ſehr Hefe iſt, als hier: ſo kann man ſich denken, wie in dieſen hausgehalten werden mag. Dieſe ſind entweder bloß Buden, von Holz zuſam - men geſchlagen, die mitten im Kothe daſte - hen, wie die beruͤchtigten Czapskiſchen hinter dem ſaͤchſiſchen Garten; oder auch hoͤlzerne Haͤuſer mit Einer Stube, und Einem Ver -74 ſchlage, der von der Stube durch einen ſchmuz - zigen Vorhang getrennt wird. Jn dieſen en - gen, tiefer als die Straße liegenden, Behaͤlt - niſſen, beluſtigt ſich der gemeine Soldat, der Struße, der Bettler ꝛc. bey Branntwein und Spiel, und bey weiblichen Scheuſalen, die Jahr aus Jahr ein, oft bloß im Hemde und Unterrock, in dieſen Hoͤlen niſten; hier ſind beſtaͤndig Schlaͤgereyen, die nicht ſelten mit einem Mord endigen; hier iſt der beſtaͤn - dige Sitz alles Ungeziefers, aller ſchrecklichen Krankheiten; hier iſt die Graͤnzlinie al - ler Darſtellung fuͤr einen Schriftſteller von Gefuͤhl, und hier ſollte die Stelle ſeyn, wo eine gewiſſenhafte Polizey mit ihren wichtig - ſten Unternehmungen zum Wohl ihrer gerin - gern Mitbuͤrger, durch eine gaͤnzliche Schlei - fung dieſer graͤulichen Huͤtten, den Anfang machen muͤßte.

Kehren wir zu aufheiternden Gegenſtaͤnden zuruͤck.

75

Die Warſchauer ſind ein reitendes und fah - rendes Volk und ſchaͤtzen das Spatzierengehen wenig. Dazu koͤmmt, daß es, wegen des ſchlechten Pflaſters, das bald mit Koth uͤber - laufen, bald mit Staub uͤberdeckt iſt, faſt un - moͤglich wird, in der Stadt ſelbſt zu Fuße fortzukommen. Selbſt der Saͤchſiſche und Kra - ſinskiſche Garten, die ziemlich im Mittelpunkte der Stadt liegen, koͤnnen, wenn es nur maͤßig geregnet hat, nicht ohne Wagen erreicht wer - den, vielweniger der Garten des Kronkam - merherrn, die Alleen von Ujasdow mit ihrem Belvedere, oder Lazienka. Dieſe fuͤnf Spaz - ziergaͤnge liegen innerhalb dem Ringwalle von Warſchau und bieten ein mehr oder weniger angenehmes und geraͤumiges Lokale dar.

Der Saͤchſiſche Garten befindet ſich hinter dem, im erſten Abſchnitte dieſes Wer - kes erwaͤhnten, Saͤchſiſchen Pallaſte. Er nimmt ein laͤngliches Viereck von ungefaͤhr ſechszehn bis achtzehn hundert Fuß in der Laͤnge und ungefaͤhr halb ſo viel in der Breite ein. An76 beyden Seiten laufen dreyfache Alleen, die durch eine hohe Hecke geſchieden ſind, hinun - ter bis zu einem großen Pavillon, der, auf einer Erderhoͤhung, dem Pallaſte auf der an - dern Seite des Gartens gegenuͤber ſtehet. Zwiſchen dieſen Alleen liegen einfache Raſen - beete, auf welchen Baͤnke zum Niederſitzen an - gebracht ſind. An der rechten Seite (wenn man vom Pallaſte her koͤmmt) ſpringt ein Dreyeck heraus, das zu einem Nutzgarten ge - braucht wird, und Treib - und andre Beete einſchließt, von dem eigentlichen Luſtgarten aber durch eine Hecke getrennt iſt. Eben ſo befindet ſich an der linken Seite, die ganze Laͤnge des Gartens hinunter, ein verwildertes Gewirre von Baͤumen, Stauden und Gebuͤ - ſchen, das ebenfalls durch Spaliere und Hecken von dem eigentlichen Garten geſchieden wird. Hinter dem erwaͤhnten Pavillon fuͤhrt eine, mit Raſen bedeckte, Erderhoͤhung unter Al - leen, zu dem Ausgange des Gartens nach der Kaſernenſtraße zu. Hier hat man rechts ein77 paar Haͤuſer, die von Saͤchſiſchen Beamten bewohnt werden, und links dergleichen, nebſt einem mit Baͤumen und Buͤſchen beſetzten Ra - ſenplatze. An dem Ausgange ſelbſt ſtehen, an beyden Seiten, kleine Haͤuſer, worin, gerade wie an dem Ein - und Ausgange des großen Gartens bey Dresden, ſogenanntes Saͤchſi - ſches Bier geſchenkt wird.

Die Alleen, Hecken und Raſenſtuͤcke im Garten ſelbſt ſind nach franzoͤſiſchem Ge - ſchmacke. Sie gewaͤhren zwar viel Raum und geſtatten weite Ausſichten den Garten hinab und hinauf, aber wenig Schatten. Deß - halb beſucht man auch dieſen Garten am haͤu - figſten des Morgens und des Abends. Ge - frornes und andre Erfriſchungen hat man un - ter dem erwaͤhnten Pavillon, in welchem Zim - mer angebracht ſind, und in einem Zelte, feil, das an der rechten Seite des Gartens, unge - faͤhr in der Mitte deſſelben, aufgeſchlagen wird; Backwerk und feine Waſſer werden theils herumgetragen, theils findet man ſie in einem78 Seitengebaͤude des Pallaſtes, wo ſich ein Schweitzerbaͤcker niedergelaſſen hat.

Dieſer Garten war, waͤhrend des Revolu - tionsreichstages, bey ſchoͤnem Wetter, vorzuͤg - lich glaͤnzend, und man fand dort zu gewiſſen Stunden Alles beyſammen, was damals Ho - hes, Reiches, Schoͤnes und Politiſch-bedeu - tendes in den Mauern von Warſchau ſich be - fand. Jch erinnere mich keines Punktes in irgend einer andern großen Stadt, die ich ge - ſehen habe, der ſolche zahlreiche Gruppen von Menſchen beyderley Geſchlechts, die ſich durch irgend etwas auszeichneten, umfaßt haͤtte. Dazu war alles gewoͤhnlich in einer rauſchen - den Bewegung. Vaterlandsliebe und Egois - mus waren damals hier in gleich-ſtarker Thaͤ - tigkeit, Liebe und Galanterie, Zufriedenheit und Mißvergnuͤgen aͤußerten ſich unverholen und, bey dem lebhaften Weſen der Polen, ſehr laut und ſichtbar. Zuweilen kam es zu beunruhigenden Auftritten zwiſchen den Par - teyen, zuweilen wurden Perſonen, die ſich79 nicht zu den herrſchenden Grundſaͤtzen bekann - ten, mit ſo heftig ausgedruͤcktem Mißfallen empfangen und begleitet, daß ſie, um die all - gemeine Stimme uͤber ſie nicht in Thaͤtlich - keiten zu verwandeln, den Garten raͤumen mußten. Man ſah in der That hier, nach verjuͤngtem Maßſtab, Auftritte, die an die im Palais Royal zu Paris, kurz nach dem Ausbruche der Revolution, erinnerten, nur mit dem Unterſchiede, daß hier Landesbeherrſcher, mit Sternen und Ordensbaͤndern, von Frey - heit ſprachen und ſchwaͤrmten und dort Skla - ven, ohne Hut und Hemde. Daß uͤbrigens hier, wie dort, die oͤffentlichen Maͤdchen den Patrioten Zerſtreuungen darboten, verſteht ſich von ſelbſt.

Der Kraſinski'ſche Garten liegt hin - ter dem Pallaſte gleiches Namens, und hat ungefaͤhr ein Drittel von dem Umfange des Saͤchſiſchen, iſt auch weniger beſucht als die - ſer, und ſein Publikum iſt nicht ſo glaͤnzend. Seine Anlage iſt ebenfalls franzoͤſiſch, und ſie80 hat alle Bequemlichkeiten und Unbequemlich - keiten dieſes Geſchmacks. An beyden Seiten ſind ſchoͤne Alleen und Hecken, die Mitte iſt frey und den ganzen Tag uͤber der Sonne aus - geſetzt. Sonſt iſt dieſer Garten, wie der Saͤch - ſiſche, gut unterhalten. Auch hier iſt fuͤr die Genießer geſorgt, die nicht trocken ſpatzieren gehen moͤgen. Jn der Mitte ſind Zelte auf - geſchlagen, worin man Erfriſchungen haben kann, und in den Seitenalleen irren Maͤdchen umher, bey denen man den beſten Willen zur Unterhaltung findet.

Der Krongroßkammerherr, aͤlterer Bruder des Koͤnigs, beſitzt einen Garten von Umfang, den er nach ſeiner Laune, weder ganz nach engliſchem, noch ganz nach franzoͤſiſchem Ge - ſchmack, angelegt hat. Zum engliſchen fehlen ihm die ſchneckenfoͤrmigen Staudenbeete, und die Lufthoͤlzchen, aber die dazu gehoͤrigen Er - hoͤhungen und Vertiefungen, kuͤnſtlichen Fel - ſen, Obelisken, Teiche, Thuͤrme hat er; zum franzoͤſiſchen fehlen lange Alleen, Hecken, Par -terre,81terre, Porzellainbeete mit Buchsbaum einge - faßt; aber Pavillons, Terraſſen und Lauben ſind vorhanden. Da die Grundflaͤche des Gar - tens ſich von oben uͤber das hohe Ufer, das die Weichſel ehedem beſpuͤhlte, von dem ſie aber zuruͤck getreten iſt, nach der Niederung, worin die Schulitz liegt, hinabzieht, ſo hat der Beſitzer dieſe Erhoͤhung und Vertiefung zu natuͤrlichen Terraſſen benutzt; und da das Erd - reich ſehr locker iſt, ſo hat er es in mancher - ley Richtungen aushoͤlen und zu unterirrdiſchen Gaͤngen vorrichten laſſen, die, mittels einiger Durchbruͤche nach oben, Luft und Licht erhal - ten und zu artigen unterirrdiſchen Anlagen, theils Grotten, theils Saͤlen fuͤhren, die ſehr geraͤumig und heiter ſind und betraͤchtliche Ge - ſellſchaften faſſen koͤnnen*)Coxe erwaͤhnt dieſes Gartens, in ſeinem bekannten Werke, (Th. I. S. 129. fg. ) und ich wuͤnſche, daß man dort nachleſen moͤge, was er daruͤber ſagt, aber auch die ſchoͤnen Farben, mit denen er malt, ein wenig mildern. Man ſieht ihn nicht immer in dem. Die ſuͤdoͤſtlicheDrittes Heft. F82Seite des Gartens iſt zu Terraſſen benutzt, die mit Weinreben beſetzt ſind, und an deren Fuße ſich eine kleine Meyerey befindet, von welcher herab man zu einem Teiche gelangt, in deſſen Mitte eine Niederlaſſung angelegt iſt, deren kleine hoͤlzerne Haͤuſer vor der Hand nur noch von Froͤſchen bevoͤlkert ſcheinen. Auf dieſem Teiche ſchwimmen auch einige artige Fahrzeuge. Das Ganze indeſſen iſt mir mehr ſonderbar, als geſchmackvoll vorgekommen.

Bey meinem erſten Aufenthalt in Warſchau, ſtand dieſer Garten zwar jedem Wohlgekleide - ten offen, aber er war nicht oͤffentlich. Jetzt fand ich ihn an einen Unternehmer verpachtet, der Wein, Bier und Kaffee ſchenkt und da - durch, beſonders des Sonntags, ein zahlrei - ches Publikum aus allen Staͤnden dahin zieht.

*)magiſchen Glanze des Mondes, und in der bezaubern - den Geſellſchaft eines liebenswuͤrdigen Koͤnigs, und unter den Toͤnen einer reizenden Harmonie. Auch iſt er ſeit 15 Jahren ziemlich vernachlaͤßigt worden.

83

Die Alleen vor Ujasdow, einem ehema - ligen Luſtſchloſſe, das jetzt zu Kaſernen einge - richtet iſt, bedecken vor demſelben, an der ſuͤd - oͤſtlichen Spitze der Stadt, ein dreyeckigtes Lokale. Die Hauptallee nimmt am Ende der Ujasdow-Straße ihren Anfang und fuͤhrt, in einer Laͤnge von ungefaͤhr fuͤnftauſend Schu - hen, zu einer Terraſſe, unter welcher ſich der Boden abſenkt und ſich, in einer großen, mit Vorwerken, Luſtſchloͤßchen und reichen Saaten beſetzten Flaͤche, von dem Auge uͤberſpannen laͤßt. Hier iſt das Belvedere. Jn der Mitte jenes Dreyecks laͤuft eine zweyte Allee herauf, die, wie die erſte, von mehreren Queer - alleen, in mancherley Richtungen durchſchnit - ten wird, welche verſchiedene kleinere, mit Ra - ſen bedeckte, Dreyecke bilden. Unmittelbar vor Ujasdow iſt der Uebungsplatz der dort liegen - den Regimenter, und zur Linken dieſer ſchoͤnen Kaſerne hatte man das Lokale zu der neu zu erbauenden Providenz-Kirche gewaͤhlt, deren Grundlage jetzt verlaſſen da liegt. Man fin -F 284det an der erwaͤhnten großen Allee mehrere Land - und Garten-Haͤuſer mit Altanen, und ein groͤßeres Gebaͤude, das der Koͤnig fuͤr die Generalin Grabowska, ſeine Freundin, in dieſer angenehmen Landſchaft hat bauen laſ - ſen. Jn die Alleen ſelbſt darf kein Wagen hinein, und deßhalb iſt der Weg zwiſchen den - ſelben fuͤr die Fußgaͤnger ſehr bequem. Sie werden aber verhaͤltnißmaͤßig von der großen Welt nicht ſo haͤufig beſucht, als ſie verdien - ten, eben weil man darin zu Fuße gehen muß; deſto haͤufiger kommen, beſonders des Sonn - tags, die Buͤrgerklaſſen hieher, die, unter ih - nen hin, ihren Weg nach und von Lazienka nehmen.

Dieß Lazienka (zu deutſch Bad, Ba - dehaus) liegt unterhalb Ujasdow*)Es iſt ein Gedaͤchtnißfehler, wenn Coxe ſagt, La - zienka ſey zwey Stunden von der Stadt entfernt. Vom Mittelpunkte derſelben kann man in drey Vier - telſtunden bequem hinausgehen und, vom koͤniglichen Schloſſe aus, in einer halben Stunde dahin fahren. und ge -85 hoͤrt dem Koͤnige, der dieſe ſchoͤne Anlage ganz nach eignem Geſchmacke hat ausfuͤhren laſſen. Sie nimmt ein laͤngliches Viereck ein, das auf der noͤrdlichen Seite etwaſ ſchmaler iſt, als auf der ſuͤdlichen. Ein Kanal laͤuft der Laͤnge nach hindurch und bildet, faſt in der Mitte deſſelben, ein viereckigtes Becken, in welchem das Hauptgebaͤude des Gartens, ein Luſt - ſchloß, auf einer Erhoͤhung ſteht, die vom Waſſer umgeben und durch zwey Bruͤcken, die angezogen werden koͤnnen, auf zwey Seiten mit dem Lande verbunden wird. Das Schloß ſelbſt faͤllt hoͤchſt anmuthig in die Augen, weil es in einem ſehr heitern und leichten Geſchmack erbauet iſt. Bey Mondenſchein geſehen, be - ſonders von der Bruͤcke her, die uͤber den Ka - nal fuͤhrt, ſcheinen deſſen ſchlanke Saͤulen leicht auf der Oberflaͤche des Waſſers zu ruhen und, wenn der Wind den Waſſerſpiegel bewegt, unter der hellbeglaͤnzten Maſſe, die ſie empor - tragen, ſanft zu erzittern. Die ſchwarzen Gruppen von Nadelholz, die auf beyden Sei -86 ten den Kanal beſchatten, erheben das Male - riſche dieſer Anſicht ungemein.

Das Jnnere dieſes Pallaſtes iſt ebenfalls ſehr heiter, bequem eingerichtet und mit Ge - ſchmack moͤblirt. Mehrere Gemaͤlde darin, worunter auch einige von aͤltern Jtalieniſchen Meiſtern ſind, verdienen die Aufmerkſamkeit des Kenners, und einige vom Hofmaler Bac - ciaelli verſchaffen dem Auge des Liebhabers Genuß. Der Koͤnig wohnt gern im Fruͤhjahre hier, in der kleinen Geſellſchaft ſeiner liebſten Freunde und Freundinnen. Fuͤr ſeine Schwe - ſter iſt ſeitwaͤrts ein Pavillon, der einen reitzen - den Saal und mehrere niedliche Kabinetter ein - ſchließt, und fuͤr die Generalin Grabowska iſt eine groͤßere, ſehr bequeme Wohnung erbauet. Auch iſt eine neue Hauptwache, nach einem, zu ihrem Behufe ſehr paßlichen Plan ange - fangen, aber noch nicht vollendet. Eben ſo ein Amphitheater, mit gemauerten Sitzen, auf welchem, ſtatt einer Baluͤſtrade, die Figuren alter Weiſen, in Gyps uͤber Staͤben gearbei -87 tet, in gewiſſen Entfernungen herum geſtellt ſind. Dieß Werk ſteht einem Gartentheater, deſſen Kouliſſen von Felſen und Baͤumen ge - bildet werden, und das von einem Arme des erwaͤhnten Kanals umſchlungen wird, gegen - uͤber, und ſoll bey zu gebenden Vorſtellungen fuͤr die Zuſchauer dienen. Jch hatte, waͤhrend meines doppelten Aufenthalts in Warſchau, das Vergnuͤgen nicht, eine dieſer Vorſtellungen zu ſehen, aber man hat mir verſichert, daß ſie ſehr angenehm und glaͤnzend ausfielen. Mehrentheils werden laͤndliche Feſte und Spiele und Waſſerfahrten damit verbunden, die, un - ter Erleuchtung und Muſik ausgefuͤhrt, eben ſo mannigfaltig in der Erfindung, als fuͤr das Auge reitzend ſeyn ſollen.

Die gaͤrtneriſchen Anlagen dieſes angeneh - men Ortes, ſchraͤnken ſich auf Alleen, bedeckte Gaͤnge, Engliſche Stauden Beete, Raſen - plaͤtze ꝛc. ein, die mit Sorgfalt unterhalten werden. Ein Chineſiſches Geruͤſt, zu welchem breite, bequeme Treppen hinanfuͤhren, erhebt88 ſich an der einen Seite des Gartens, und bil - det oben einen, von allen Seiten offenen, Saal, von welchem herab man ganz Lazienka uͤberſehen kann. Weiterhin findet man einen Behaͤlter fuͤr fremde Thiere, worin jetzt nur zwey ungeheure Strauße befindlich ſind, ein Geſchenk, wenn ich nicht irre, vom Koͤnige beyder Sicilien. Voran, nach der Schulitz zu, ſteht ein geraͤumiges Gebaͤude, worin ſich ein Speiſewirth befindet, der fuͤr kleine Geſell - ſchaften beſtaͤndig angerichtet hat, und fuͤr groͤßere, wenn man es beſtellt, reichlich anrich - ten kann. Er hat Platz fuͤr große Pickenicke, und was ſie an Speiſen, Wein und Leckereyen beduͤrfen, ſchafft er herbey; er hat auch einzelne Zimmer fuͤr kleine, feine Geſellſchaften; mit einem Worte, er hat alles, was Spatziergaͤn - ger jedes Standes, wenn ſie der Reitze des Gartens genoſſen, zu ihrem Genuſſe noch wuͤn - ſchen koͤnnen. Die Lauben und ſchattigen Baͤume um ſein Haus her, ſind, beſonders an Sonn - und Feſttagen, mit frohen Gaͤſten, meiſt aus dem Buͤrgerſtande, beſetzt.

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Lazienka haͤngt, durch den erwaͤhnten Ka - nal mit einem andern nicht minder angeneh - men Luſtſitze, Mokatow, zuſammen, wel - cher, wie ſchon gedacht, der Kronmarſchallin Lubomirska gehoͤrt. Dieſe Anlage iſt nicht vom groͤßeſten Umfange, aber ſie enthaͤlt einen Reichthum von gaͤrtneriſchen Verzierungen, von Terraſſen, welche die umliegende Gegend beherrſchen, von Lauben, die am Ufer klarer Teiche liegen, von Jrrgaͤngen, Luſthoͤlzchen, von Waſſerfaͤllen, Becken, Pavillons und Ein - ſiedeleyen, die mit dem, was die Natur fuͤr Grund und Boden gethan hat, ſehr gluͤcklich vereiniget ſind. Von der Anhoͤhe herab, die ſich in Terraſſen uͤber die niederen Theile des Gartens erhebt, hat man eine ausgebreitete Ausſicht uͤber die Gegend um Warſchau jen - ſeits der Weichſel. Am Eingange des Gar - tens ſteht ein artiges Luſtſchloͤßchen, das von Außen nicht praͤchtig in die Augen faͤllt, aber von innen ſehr geſchmackvoll verziert und mit allen Bequemlichkeiten verſehen iſt, die man90 fuͤr einen laͤndlichen Aufenthalt wuͤnſchen kann.

Weiterhin liegt der Luſtſitz des Grafen Thomatis, von einem weitlaͤuftigen Garten umgeben. Man verſicherte mir, daß beyde vorzuͤglich angenehm waͤren. Jch ſelbſt habe ſie nicht geſehen.

Eine Allee fuͤhrt von da auf den Weg nach Villanow, verlaͤßt einen aber bald, und man faͤhrt weiter durch angebauetes Land, das einen weiten Geſichtskreis darbietet. Kurz vor Villanow empfaͤngt einen eine andre Allee, die ſich in mehreren Zweigen um dieſen Ort aus - breitet. Das hieſige Luſtſchloß, das auch der Beſitzerin von Mokatow gehoͤrt, faͤllt gut in die Augen. Es ſchließt, im Halbzirkel erbauet, einen geraͤumigen, mit Raſen bedeckten Hof ein, und ſeine Vorderſeite iſt mit einer Folge von Basreliefs verziert, welche die merkwuͤr - digſten Thaten des Koͤnigs Johann So - bieski darſtellen. Man weiß, daß dieſer Koͤ - nig dieß Schloß ſelbſt erbauete, und den dazu91 gehoͤrigen Garten anlegte. Er lebte am lieb - ſten hier, ſtarb hier auch, und die nachfolgen - den Beſitzer haben, aus Ehrfurcht fuͤr das An - denken dieſes Stolzes der Polen, ſeine Zim - mer ſo gelaſſen, wie ſie waren, als er ſie be - wohnte. Auch ſein Sterbebette ſteht noch an derſelben Stelle, mit eben den Vorhaͤngen da, die es hatte, alſ ſeine Huͤlle darin erſtarrte. Die uͤbrigen Zimmer mit ihren Mobilien ſind neuern Geſchmacks, und werden, der Abwe - ſenheit der Beſitzerin ungeachtet, ſorgfaͤltig un - terhalten.

An den Pallaſt iſt eine kleinere Anlage ge - bauet, die ein Bad einſchließt, welches mit den feinſten und uͤppigſten Bequemlichkeiten verſehen iſt und ſich neben den ſchoͤnſten ſeiner Art mit Ehren zeigen darf.

Der Garten, der das Schloß an drey Sei - ten umgiebt, hat große Vorzuͤge. Wenn man hineintritt, ſo hat man ein langes, praͤchtiges Gewaͤchshaus vor ſich, das eine Orangerie einſchließt, die man, nach der im Zwinger zu92 Dresden, noch mit Wohlgefallen anſieht, be - ſonders wenn man ſich an den Himmelsſtrich und an die Schwierigkeit und Koſtbarkeit, ſie zu ſammeln, erinnert. Vor demſelben hat man den Boden mit allerley Beeten in franzoͤſiſchem Geſchmack verziert. An Bildſaͤulen mancher Art fehlt es nicht, doch habe ich keine gefun - den, die als vortreflich ausgezeichnet werden koͤnnte. Der Reſt des Gartens iſt ſehr man - nigfach benutzt. Theils durchſchneiden ihn alte Kaſtanien Alleen, theils nehmen ihn Jrr - gaͤnge, durch Hecken umgeben, ein. theils hat man ſeinen Boden zu Terraſſen erhoͤht, theils ihn zu Teichen ausgegraben, theils zu Nutz - beeten beſtellt. Gruppen von ungewoͤhnlich ho - hen und dicken Baͤumen, in deren Hoͤlung man zum Theil Sitze angebracht hat, umge - ben einen großen Teich, auf welchen Gon - deln ſchwimmen, und von deſſen Ufern man eine freye Ausſicht auf die umliegende, von der Weichſel durchſtroͤmte, Landſchaft hat. Jn der Naͤhe deſſelben iſt eine ſchoͤne gewoͤlbte93 Grotte, worin zahlreiche Geſellſchaften ſpeiſen koͤnnen, ohne die gewoͤhnlichen Unbequemlich - keiten der Grotten, feuchte Luft und feuchten Fußboden, zu empfinden. Weiterhin iſt ein kuͤnſtlicher Berg aufgethuͤrmt, der mit dem feinſten Raſen uͤbergruͤnt iſt, und, nach einer andern Seite hin, einen Theil der umliegen - den Gegend uͤberſpannen laͤßt. Das alles, ver - mengt mit ſeinen Obſtbaͤumen, Treibbeeten, Lauben, Parterren und Waͤldchen, giebt die - ſem angenehmen Flecke zugleich eine Abwechs - lung, die man zu finden kaum erwartet hat.

Fuͤr Spatziergaͤnger, die außer dem allen noch etwas mehr brauchen, iſt nicht weit von dem Schloſſe ein geraͤumiges Wirthshaus er - richtet, das ein paar große Saͤle und mehrere Zimmer, mit allem, was - und Trinkluſt verlangen kann, darbietet. Jn demſelben, wie in dem zu Lazienka, koͤnnen große Geſellſchaf - ten zu Mittag und Nacht-Eſſen, zu Fruͤhſtuͤcken und Pickenicken ſich verſammlen, und es wird auch haͤufig dazu benutzt.

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Auf der entgegengeſetzten Seite der Stadt liegt Mariemont, ein anderer Luftort fuͤr die Bewohner von Warſchau. Nicht weit von der Weichſel, die hier ſehr breit iſt und meh - rere mit Weiden beſetzte Jnſeln bildet, erhebt ſich uͤber eine Flaͤche tiefen Sandes, eine maͤßi - ge Anhoͤhe, auf der ſich ein einfaches Schloͤß - chen befindet, welches das erwaͤhnte Marie - mont iſt. Es war ein Jagdſchloß der beyden Koͤnige aus dem Saͤchſiſchen Hauſe, und ge - hoͤrt letzterm noch, wie das am Eingange auf - gepflanzte Wappen beweiſet. Jetzt iſt es an einen Unternehmer vermiethet, der Geſellſchaf - ten und einzelne Perſonen aller Art darin bewirthet, vom Handwerksburſchen an, bis zum Fuͤrſten. Fuͤr letztern iſt ein großer Saal, eine Treppe hoch, der den ganzen er - ſten Stock einnimmt, mit großen Spiegeln verziert iſt und ſehr zahlreiche Geſellſchaften zu Fruͤhſtuͤcken, Mittags - und Nacht-Eſſen und zu Baͤllen faßt; fuͤr erſtern ſind Zimmer im Erdgeſchoß, und hoͤlzerne Baͤnke und Tiſche95 im Freyen und in dem Hoͤlzchen, das hinter dem Schloſſe ſich ausbreitet, von ſchmalern und breitern Gaͤngen durchſchnitten wird, und angenehme, ſchattenreiche Promenaden darbie - tet. Ganz in der Naͤhe liegt die bekannte Muͤhle, die den Koͤnig nach ſeiner gewaltſa - men Entfuͤhrung aufnahm.

Die Ausſicht von dem obern großen Saale herab iſt ſehr ausgebreitet. Man umſpannt die Weichſel, den Strom hinauf und hinun - ter, in einer betraͤchtlichen Strecke, und uͤber - ſieht Warſchau in ſeiner ganzen Ausdehnung. Jn dieſer Entfernung hat die Stadt etwas Ehrwuͤrdiges, das ſie verliert, wenn man naͤ - her kommt und dann auch die ſchwarzen Huͤt - ten bemerkt, die zwiſchen den großen Pallaͤ - ſten modern.

An dem Gehaͤnge der Anhoͤhe, worauf das Schloß ſteht, hat der Unterkanzler von Lit - thauen, Chreptowicz, ein gutmuͤthiger Greis, eine kleine Meyerey angelegt, die aus einem artigen Landhauſe und einem daran -96 ſtoßenden Gaͤrtchen beſteht, welche beyde ſehr ſorgſam unterhalten ſind. Zur Meyerey wird dieſe Klauſe dadurch, daß der Beſitzer einge Schweitzerkuͤhe unterhaͤlt, die dort herum gute Weide finden. Er ſelbſt wohnt den Fruͤhling und einen Theil des Sommers hier, und koͤmmt nur nach der Stadt, wenn ſeine Ge - ſchaͤfte ihn hinein rufen.

Von Mariemont aus rechts, liegt Wola, von der Stadt ſelbſt ungefaͤhr drey Viertel - meilen entfernt. Es iſt eigentlich ein Dorf - mit einem Landſitz und Garten, die zu einem oͤffentlichen Beluſtigungsorte gemacht ſind und an einen Unternehmer vermiethet werden. Bis - her hatte der Wechsler Schultz dieſe Anlage in Beſitz, jetzt iſt ſie mit im Konkurſe. Das Haus iſt geraͤumig und ziemlich bequem ange - legt. Es hat zwey oder drey große Saͤle, an welchen auf beyden Seiten mehrere Zimmer ſtoßen, die auf einem beſſern Fuße moͤblirt und unterhalten ſind, als man in oͤffentlichen Haͤuſern zu finden gewohnt iſt. Auch iſt esunter97unter den Luftoͤrtern um Warſchau bey wei - tem der glaͤnzendſte und beſuchteſte. Bey gu - tem Wetter vergeht kein Mittag oder Abend, wo nicht kleinere und groͤßere Geſellſchaften hier ſpeiſten, und die zahlreichſten Pickenicke werden hier ſehr haͤufig gegeben. Als Teppers Haus noch ſtand, wurden alle Luftpartieen und Pickenicke, die man außerhalb der Stadt ma - chen wollte, und an denen er ſelbſt und ſeine Bekanntſchaft Antheil nahm, hieher geleitet und verlegt, um dem Unternehmer der Wirth - ſchaft Einnahme, mithin ſeinem Schwieger - ſohne Schultz die ſichere Zahlung des Pacht - zinſes zu verſchaffen. Man uͤberſah dieſe kauf - maͤnniſche Kleinlichkeit, weil ſie in dieſem Falle ihren Vortheil mit dem Vergnuͤgen der Ge - nießer verband, die in der That in Wola eine beſſere Aufnahme, ſorgfaͤltigere Bedienung, auſsgeſuchtere Speiſen und Getraͤnke und ein angenehmeres Lokale fanden, als ſonſt irgend - wo. Es war nicht ſelten, hier Mittags - und Nacht-Eſſen von funfzig bis ſechszig Gedecken,Drittes Heft G98und Pickenicke von hundert und funfzig Per - ſonen zu ſehen, die vortreflich bedient wurden.

Der Garten, der an das Haus ſtoͤßt, ob - gleich von noch nicht alter Anlage, hat keinen Mangel an Alleen, Berceaus und andern Werken der Gartenkunſt, die an ſchoͤnen Mor - gen und Abenden viel Reitz gewaͤhren. Jm Fruͤhlinge wartete man in demſelben haͤufig Brunnenkuren ab.

Powonsk und Jablonne, erſteres dem Fuͤrſten Czartoryski und letzteres dem Primas gehoͤrig, ſind Luftſchloͤſſer mit artigen Gaͤrten und Parks, jenſeits der Weichſel, die aber nicht zu den oͤffentlichen Beluſtigungsorten ge - hoͤren. Man leſe bey Core*)Th. I. S. 131. fg das nach, was er davon ſagt, hauptſaͤchlich der Auftritte und der Geſellſchaft wegen, die er dort ſah, und deren Schilderung mehrere Zuͤge darbie - tet, die der Leſer auf das anwenden und zu99 dem fuͤgen moͤge, was ich von dem geſelligen Leben, dem Ton, dem Geſchmack und Auf - wande der polniſchen großen Welt bisher mit - getheilt habe.

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Sechster Abſchnitt. Warſchau.

Fortgeſetzte Erlaͤuterungen der Schilderung eines großen polniſchen Hauſes. Anmerkung uͤber das Eigenthuͤm - liche des Luxus und Aufwandes in Polen. Koſtbar - keit des Bauens; der Hofmeiſter; der Aerzte; der Kuͤnſtler, und der Huͤlfsmittel zur Bildung des Gei - ſtes und Geſchmacks. Politiſcher und gerichtlicher Auf - wand. Folgen des Luxus. Zerruͤttetes Vermoͤgen. Egoismus. Politiſcher Charakter der Polen. Kaͤuf - lichkeit. Jahrgelder von auswaͤrtigen Maͤchten. Po - litiſche Spaltungen in Familien. Gleichguͤltige Staats - buͤrger. Politiſch-freundſchaftliche Verbindungen. Ein merkwuͤrdiges Beyſpiel davon. Gang der Staats - geſchaͤfte. Landtage. Reichstage. Konfoͤderationen. Unwiſſenheit und Leichtſinn vieler Reichsboten. Ein - fluß der Weiber. Fuͤrchterliche Verſchwoͤrung derſel - ben gegen den Koͤnig. Wie der Verkauf der Staro - ſteyen durchgeſetzt wurde. Merkwuͤrdiger Auſtern - ſchmaus. Reichstagsausſchuͤſſe. Hoͤchſtlangſame und doch hoͤchſtſchnelle Entſcheidung eines wichtigen Staats - Rechts-Handels. Art zu ſolicitiren. Gang der Ju -101 ſtiz-Geſchaͤfte. Richter, Berichtſteller, Anwalde. Einfluß des Egoismus auf alle uͤbrige Verhaͤltniſſe. Freundſchaften. Ehen. Galanterie. Weiber. Klei - dung der Weiber und Maͤnner. Erziehung. Egoiſti - ſche, gleißneriſch-demuͤthige, ſklaviſche Gruͤße und Ergebenheitsbezeugungen. Sprache der Hoͤflichkeit und Unterwuͤrfigkeit. Beſchluß der erlaͤuterten Schil - derung eines großen polniſchen Hauſes.

Nach vielen einzelnen Zuͤgen, die den bisher aufgeſtellten Bemerkungen eingeſtreuet ſind, wird ſich der aufmerkſame Leſer von dem Luxus und Aufwande der polniſchen großen Welt ei - nen ziemlich deutlichen Begriff haben machen koͤnnen; jetzt erlaube man mir, noch einige Be - merkungen hinzu zu fuͤgen, die dieſen Begriff erweitern und vervollſtaͤndigen werden.

Die orientaliſche Uebertreibung und Aben - theuerlichkeit, welche die polniſchen Großen in Handlungen der Gaſtfreyheit und der Geſellig - keit legen, erſtrecken ſich auch auf alle uͤbrige, nur erdenkliche oͤkonomiſche, politiſche, ſinnliche102 und geiſtige Beduͤrfniſſe. Schon dieſer große Maßſtab, der ihnen, hauptſaͤchlich durch ih - ren hohen Standpunkt im Staate, durch Reich - thum und die daraus folgende Auszeichnung im buͤrgerlichen und geſellſchaftlichen Leben, mit - hin durch Hochmuth, Eitelkeit und eingefuͤhrte Sitte, eigen geworden iſt, macht ihnen, mehr als andern Jhresgleichen in dem uͤbrigen Eu - ropa, ihre Exiſtenz theuer; aber noch koſtbarer wird ſie durch den Umſtand, daß die Polen, außer den allernoͤthigſten und einfachſten Er - forderniſſen des Lebens, Alles, vom Kleide an bis zur Stecknadel, aus fremden Laͤndern, theils ziehen muͤſſen, theils, aus Liebhaberey, Vorurtheil und Mode, freywillig zu ziehen pflegen.

Wenn, zum Beyſpiel, der engliſche Große Aufwand in Pferden, in Mobilien, in Klei - dung macht, ſo kommen ihm dieſe Gegen - ſtaͤnde bey weitem nicht ſo hoch zu ſtehen, als dem polniſchen Großen, der engliſche Pfer - de, Mobilien, Tuͤcher und Zeuge aller Art,103 hunderte von Meilen aus England her, durch den dritten und vierten Kaufmann, mit dem dritten und vierten Zoll, mit der dritten und vierten Fracht belaſtet, empfaͤngt und ver - braucht. Eben der Fall iſt es mit denjenigen natuͤrlichen und kuͤnſtlichen Erzeugniſſen, die er aus Frankreich, aus Spanien, aus Jta - lien ꝛc. in eben der Menge und reichlicher braucht, als der Franzoſe, Spanier und Jta - liener in denſelben Laͤndern, wo ſie gezogen und verfertigt werden. Selbſt ſolche Dinge, die dieſe Nationen, wie er, aus fremden Laͤndern ziehen, kommen ihm ungleich hoͤher zu ſtehen, als jenen, theils, weil er entfernter wohnt, theils, weil ihm die bequemere und wohlfei - lere Verbindung mit dem Meere fehlt, auch die Provinzen ſeines Landes ſelbſt, weder Straßen noch Kanaͤle haben; und theils, weil ſeine Kaufleute, wegen Theurung der Le - bensmittel und Handarbeit, wegen des einge - fuͤhrten Luxus, wegen der Gefahren einer wei - ten, zuſammengeſetzten, vielfach bezollten An - fuhr und wegen haͤufigen Borgens und ſpaͤter,104 unſicherer Zahlung, hoͤhere Preiſe machen muͤſ - ſen, als es in wohlgeordneten Laͤndern der Fall iſt und ſeyn darf.

So iſt es in Polen in Abſicht der Gegen - ſtaͤnde, die man genießt, die man an ſeinem Koͤrper traͤgt, die man um ſich hat; und ſo iſt es mit denen, die man zur Wohnung, zur Erziehung, zur Lektuͤre, und zur Bildung des Geiſtes und des Koͤrpers braucht.

Ein Pallaſt in Warſchau, von bloßen Back - ſteinen, koſtet mehr, als in Genua ein aͤhnli - cher von behauener Pietra di Lavagna, als in Rom ein aͤhnlicher von Travertin. Die Ziegel - und Kalkbrennereyen um Warſchau koͤnnen, bey maͤßigen Bauten, nicht Materia - lien genug liefern; die zum Auf - und Aus - bau noͤthigen Handwerker haben nicht Geſellen genug, und die erforderlichen Tageloͤhner ſind nicht aufzubringen, in einem Lande, wo der niederen, zahlreichern Volksklaſſe verwehrt iſt, zu Handthierungen und Handwerken uͤberzu - treten. Deßhalb ſind hier fruͤhe und große105 Vorbereitungen noͤthig, wenn man einen be - traͤchtlichen Bau unternehmen will. Steine, Kalk und Holz muͤſſen, lange vorher, aus der Naͤhe und Ferne zuſammen gefahren, die Baumeiſter oft aus der Fremde verſchrieben, und die Handwerker durch Vertraͤge und Vor - ſchuͤſſe in den Stand geſetzt werden, ſich mit Geſellen zu verſehen. Was man an Werk - ſtuͤcken zu Treppen, zu Fenſter-Verzierungen, zu Geſimſen ꝛc. braucht, muß man auswaͤrts beſtellen, und, bearbeitet oder roh, weit her anfahren laſſen; und zu Handlangern muß man zum Theil Weiber und Kinder anneh - men, um nur Aerme zu haben, die zur Auf - fuͤhrung der nackten Mauern mitwirken hel - fen. Stehen dieſe endlich, ſo erfordert der in - nere Bau und Aufputz eine neue koſtbare Zu - ruͤſtung, deren tauſendfache Beſtandtheile faſt ſaͤmmtlich, oft mit den Haͤnden zugleich, die ſie einrichten und anordnen, aus der Fremde gezogen werden muͤſſen. Unter dieſen Umſtaͤn - den iſt es vielleicht ein groͤßeres Wunder, daß106 Warſchau fuͤnf und neunzig Kirchen, Kapellen und Pallaͤſte einſchließt, als daß Rom drey - hundert und fuͤnf und vierzig Kirchen und Ka - pellen und hundert und ſechs und vierzig Pal - laͤſte zaͤhlt.

Wenn in Jtalien und Deutſchland nichts wohlfeiler iſt, als Erziehung und Aufſicht uͤber die Kinder, ſo iſt in Polen nichts theurer. Dort wimmelt es auf allen Straßen von Ab - baten und Kandidaten, die fuͤr einen Spott - preis das muͤhſamſte aller Geſchaͤfte uͤberneh - men, und Geſchicklichkeit und Kenntniſſe aller Art, oft in einem ausgezeichneten Grade, da - zu beſitzen; hier ſind dergleichen Subjekte, ſelbſt von der gemeinen Art, ſelten, und man iſt auf die Welt - und Ordensgeiſtlichen einge - ſchraͤnkt, die ſich mit Unterricht abgeben. For - dert man Sitten, ſogenannte galante Kennt - niſſe und Sprachen, ſo leiſten ſie keine Genuͤ - ge; man iſt gezwungen, Hofmeiſter aus Deutſch - land, Frankreich und Jtalien, mit großen Ko - ſten, kommen zu laſſen, und ſie ſo zu beſolden,107 wie es die Seltenheit ihrer Talente in Polen, die Aufopferung ihres vaͤterlichen Bodens, und die Trennung von ihrer Familie und ihren Freunden, erfordern. So iſt es mit denjeni - gen Lehrern, die zur Bildung der Sitten und des Verſtandes vornehmer Kinder gehalten werden; ſo iſt es mit denen, die ihnen in der Reit - Fecht - Tanz - Zeichen - und Tonkunſt Un - terricht geben. Faſt alle ſind Auslaͤnder; ſie muͤſſen fuͤr ihre Auswanderung Erſatz haben, ſie wollen ein Vermoͤgen erwerben, mit dem ſie einmal ihr Vaterland wieder aufſuchen koͤn - nen, ſie laſſen ſich mithin theuer bezahlen. Derſelbe Fall iſt es mit den Aerzten, Wund - aͤrzten, Kuͤnſtlern, Koͤchen, Kammerdienern ꝛc. die ſaͤmmtlich ihre Dienſte hoͤher anſchlagen, als anderwaͤrts, wo ſie mit einer Menge von eben ſo geſchickten Nebenbuhlern einerley Lauf - bahn zu machen haben.

Die Werke der Wiſſenſchaften und ſchoͤnen Kuͤnſte ſind hier ebenfalls ſchwerer zu erhal - ten, mithin theurer, als ſonſt uͤberall. Der108 Preis der Buͤcher ſteht wenigſtens um die Haͤlfte hoͤher, als in Frankreich, Jtalien und Deutſchland; Zeichnungen, Gemaͤlde, Bild - hauerarbeiten, ſind noch einmal ſo theuer, als dort. Die Liebhaberey an Bibliotheken, an Kunſtſammlungen iſt demnach aͤußerſt koſtbar, alſo auch die Bildung des Geiſtes und Ge - ſchmacks.

Aber neben den Ausgaben, welche die pol - niſche große Welt mit der in andern Laͤndern gemein hat, erweckt die Landesverfaſſung ihr noch andre, von denen jene entweder gar nichts, oder doch weniger, empfindet. Sie braucht, nach eingefuͤhrter Sitte, politiſchen Einfluß, und dieſen kann ſie nur durch Staats - und Ehrenſtellen, durch Landaͤmter, durch Anhaͤn - ger, durch Orden und andre in die Augen fallende Dinge, erhalten. Dieſe ſind aͤußerſt koſtbar, und werden es dadurch um ſo mehr, da ſie nicht durch die Erkaufung eines Einzi - gen, ſondern Vieler zu erlangen ſind; da Ver - dienſte hier nichts entſcheiden, und da man109 uͤberall Nebenbuhler vor ſich findet, die eben - falls kein anderes Mittel, um ihren Zweck zu erreichen, in Haͤnden haben, als das Meiſte zu bieten. Sonach koſtet einem Polen das allmaͤhlige Aufſteigen von den untern Wuͤrden zu den oberen, eine außerordentliche Summe, und ſelbſt dann, wenn er die hoͤchſte Stufe erreicht hat, ſind ſeine hieher gehoͤrigen Aus - gaben noch nicht zu Ende, falls er ſich auch des Einfluſſes verſichern will, zu welchem ihn dieſe Stufe berechtiget. Er muß ſich auf je - dem neuen Landtage in den Woiwodſchaften, uͤber die er geſetzt iſt, oder die er bewohnt, Anhaͤnger erkaufen; er muß unter den Reichs - boten, an jedem neuen Reichstage, durch Ge - ſchenke, Schmaͤuſe und Verſprechungen, neue Freunde ſuchen; er muß ein Heer von aͤrmern Edelleuten unterhalten, damit er, durch ein zahlreiches Gefolge, theils die Augen des gro - ßen Haufens blenden, theils ſeine Nebenbuh - ler uͤberglaͤnzen, theils in Furcht erhalten koͤnne; und er muß zu allem dieſem endlich110 noch die Miniſter derjenigen Maͤchte, die auf die Geſchaͤfte in Polen Einfluß haben, auf gleichem Wege, immer mit vollen Haͤnden, fuͤr ſeine Entwuͤrfe zu gewinnen ſuchen.

Nicht minder koſtſpielig werden den polni - ſchen Großen ihre Rechtshaͤndel. Der hoch - muͤthige, habſuͤchtige und egoiſtiſche Zug in ihrem Charakter, verwickelt ſie leicht in Strei - tigkeiten mit ihren Nachbarn und Nebenbuh - lern; Beeintraͤchtigung des Eigenthums, die der Maͤchtigere ſich ſo oft gegen den Schwaͤ - chern zu Schulden kommen laͤßt; perſoͤnliche Mißhandlungen gegen Geringere, die hier noch ſo haͤufig ſind; und der zweydeutige, ſchwan - kende, verdrehbare Sinn der Geſetze ſelbſt das alles veranlaßt eine ungewoͤhnliche Menge von Rechtshaͤndeln. Da uͤberdieß in Polen derjenige, der bloß Recht hat und nichts wei - ter, gewoͤhnlich Unrecht behaͤlt, ſo iſt es un - umgaͤnglich noͤthig, daß man es durch Geſchenke an die Anwalde, Berichtſteller und Richter, befeſtige. Daſſelbe thut aber auch der Gegner,111 der ſein Unrecht gern in Recht verwandeln moͤchte. So entſteht ein doppelter Rechts - kampf: einer mit Urkunden und Geſetzen, ein anderer mit Doſen, Ringen und Dukaten. Jm letztern die Oberhand haben, heißt im er - ſtern gewinnen; ſtehen auf beyden Seiten die genannten Kraͤfte im Gleichgewicht, ſo ſchla - gen Anwald und Richter, die ſodann keinem wehe thun wollen, den Lieblingsweg der pol - niſchen Gerechtigkeit, den Mittelweg (me - dium terminum) ein, und beyde Theile be - halten Recht. Dadurch gewinnen jene nicht nur die Sporteln des gegenwaͤrtigen Rechts - handels, ſondern auch des kuͤnftigen, den ihr auf Schrauben geſtellter Spruch, mit der Zeit, wenn ſich die Parten erholt haben, nothwen - dig wieder erneuern muß. Dieſer Gang der Rechtshaͤndel iſt ſo bekannt und durch lange Gewohnheit ſo alltaͤglich geworden, daß es nicht einmal noͤthig iſt, bey dem Ankaufe der Advokaten, Referenten und Richter mit einer gewiſſen Heimlichkeit und Schonung zu Werke112 zu gehen. Dieſer Ankauf erhoͤhet den Auf - wand der polniſchen Großen, die zuweilen auf einmal vor zehn bis zwoͤlf Gerichshoͤfen in Warſchau und in den Provinzen, Rechtshaͤndel ſchweben haben*)Weiter unten bringe ich noch mehr uͤber dieſe Gegen - ſtaͤnde bey..

Alle dieſe Bemerkungen weiſen auf das Reſultat zuruͤck, daß der Aufwand der polni - ſchen Großen außerordentlich, daß er von groͤ - ßerem Umfange ſey, als in irgend einem an - dern europaͤiſchen Lande, weil ſie alles das zum Luxus und Beduͤrfniß brauchen, was Jh - resgleichen in andern Laͤndern brauchen, aber zu einem geringern Preiſe haben koͤnnen; und daß ihre Lage als Staatsbuͤrger in politiſcher und rechtlicher Hinſicht Ausgaben noͤthig macht, zu denen die Großen in dem uͤbrigen Europa gar nicht oder doch ſeltener gedrungen ſind.

Die Folgen dieſes Aufwandes und Luxus zeigen ſich auch vielleicht nirgends fuͤrchterlicher,als113als in Polen. Es ſind wenig große Haͤuſer, deren oͤkonomiſche Umſtaͤnde nicht darunter lit - ten; es ſind wenig einzelne Perſonen, deren politiſcher und moraliſcher Charakter nicht da - durch, zum Theil oder ganz, verdorben wuͤrde. Der ewige Ausfall zwiſchen Vermoͤgen und Aufwand; die Nothwendigkeit, dieſen Ausfall zu decken, wenn man auf dem vorigen Fuße fortglaͤnzen will; die Menge von Leuten, die in dieſem Punkt in einer gleichen Lage ſind, die alſo gleiche Mittel ergreifen muͤſſen, um ſich zu erhalten erregen einen Wetteifer, eine Reibung, eine Gewinnſucht, mithin einen Egoismus, der ſich vielleicht nirgends ſo deut - lich, ſo offen ausdruͤckt, als in Polen. Kei - ner hilft dem andern, wenn er nicht dabey zu gewinnen weiß, ſey es an Einfluß oder an Gelde; gewinnt er aber, ſo hilft er, waͤre es auch bey den ungerechteſten Dingen. Jeder macht ſeine Wuͤrde, ſeinen Einfluß, und ſeine Stelle zu Gelde, weil ihr Erwerb ihm Geld gekoſtet hat, das er wieder herausmarktenDrittes Heft. H114muß; keiner erfuͤllt die Pflichten derſelben um - ſonſt, weil kein anderer ihm noch die Pflich - ten der ſeinigen umſonſt geleiſtet hat. Ver - moͤge dieſes verderblichen Grundſatzes, der ſich in Polen ſo haͤufig mit Ehrſucht, Rache, Geitz und Neid verbindet, ſchont man ſelbſt ſeines Vaterlandes und ſeiner eigenen Familie nicht, wenn man gewiſſe Abſichten erreichen will. Er iſt es beſonders, durch den die be - nachbarten Maͤchte ſich von jeher ſo viele und maͤchtige Anhaͤnger in Polen verſchafften. Die - jenige unter ihnen, die den einzelnen Großen die ſtaͤrkſten Jahrgelder gab, oder ihnen durch ihren Einfluß die hoͤchſten Stellen, die beſten Staroſteyen verſchafte, war immer die ſtaͤrkſte in Polen, beſonders wenn ſie zur rechten Zeit auch durch Schrecken zu wirken wußte. Solche Jahrgelder, oder andre Wohlthaten, pflanzten ſich von einem Haupte der Familie auf das andere fort, und daher hatte man ganze Ver - wandtſchaften, die ſeit einer Reihe von Jah - ren Ruſſiſch, Preußiſch, Kaiſerlich, und ehe -115 dem Franzoͤſiſch, Saͤchſiſch und Schwediſch waren, dieß ohne Schaam oͤffentlich ſagten, und durch ihre Grundſaͤtze und Handlungen zeigten. Manche nahmen ſogar von allen, die ihnen geben wollten, und blieben bloß deshalb unpartheyiſch, oder auf dem Mittelwege, ſo lange wenigſtens, als ihre Politik nicht be - kannt und uͤbel empfunden wurde; manche em - pfahlen ihre Soͤhne und Verwandte, ſobald ſie Stellen erhielten, die ihnen Stimmen ver - ſchaften, zu ſolchen Jahrgeldern; mancher Sohn, manche Frau, wurde aber auch oft, durch aͤhnliche, von der Gegenpartey des Va - ters, oder des Gemals gewonnen; und in ſol - chen Faͤllen gab es in einzelnen Familien ein dreyfaches Jntereſſe und einen Haß, eine Er - bitterung und Auftritte, die am Reichstage ſelbſt nicht heftiger und unanſtaͤndiger ſeyn konnten. Waͤhrend des Konſtitutions-Reichs - tages, deſſen Handlungen man haͤufig einem reinen Jntereſſe fuͤr das Wohl der geſammten Nation und einer vortheilhaften VeraͤnderungH 2116des polniſchen Charakters zuſchreibt, offenbar - ten ſich alle dieſe Dinge dem Augenzeugen noch ſo deutlich, ſo haͤufig, als ſonſt; und ich koͤnnte einzelne Perſonen und ganze Familien nennen, die dieſem altpolniſchen Egoismus ge - treu blieben und ſtandhaft nach deſſen Einge - bungen handelten. Diejenigen Charaktere, die immer auf der Seite des Staͤrkſten ſind, und deren es unter dem politiſch bedeutenden Theile der polniſchen Nation eine ungewoͤhnliche Men - ge giebt, handeln ebenfalls ſklaviſch nach jenen Grundſaͤtzen der Selbſtſucht, und auch dieſe koͤnnte ich namentlich bezeichnen, wie ſie, an dem gedachten Reichstage, alle die Beſchluͤſſe gegen das Jntereſſe unſerer Kaiſerin durchtrei - ben halfen, die ſie an dem bevorſtehenden Reichstage zu Grodno*)Jm Jahre 1793 den 17ten Jun. werden aufheben helfen.

Es giebt in Polen gewiſſe politiſch-freund - ſchaftliche Verbindungen, deren Mitglieder,117 vereinigt, gewiſſe Plane durchſetzen wollen; dieſe ſind nur ſcheinbar Freunde, haſſen einan - der oft, hintergehen und uͤberliſten einander, ſtehen aber bey ihren Unternehmungen Einen Mann, und bringen fuͤr das gemeinſchaftliche Jntereſſe, das den Vortheil jedes Einzelnen einſchließt, Aufopferungen, die man ſonſt nur von wahrer Freundſchaft und Uneigennuͤtzig - keit erwartet. Man erlaube mir ein Beyſpiel davon hier aufzuſtellen:

Waͤhrend des Zwiſchenreichs, das der Wahl des jetzigen Koͤnigs vorherging, bildeten ſich drey hervorſtechende Parteyen, die den Thron aus ihrem Mittel beſetzen wollten. An der Spitze der einen ſtand die Familie Czarto - ryski; die andre bildeten die Anhaͤnger des Saͤchſiſchen Hauſes; die dritte leitete der Großfeldherr, Johann Branicki. Die Partey der Czartoryski, deren Haupt der Großkanzler von Lithauen, Czartoryski war, ſchloß drey Kandidaten ein: den Bruder des Großkanzlers, Woiwoden von Rußland, Czar -118 toryski, deſſen Sohn, den Prinzen Adam, und den damaligen Stolnik (Truchſeß) von Lithauen, Stanislaus Poniatowski, den Neffen des Großkanzlers. Auf ihrer Seite war Rußland, und der Koͤnig von Preußen ſchien ihr nicht abgeneigt.

Die Haͤupter der Anhaͤnger des Saͤchſiſchen Hauſes waren die Woiwoden von Lublin, von Wilna, von Podlachien, von Kiow, von Ra - wa, von Krakau, naͤmlich die Fuͤrſten Lubo - mirski und Radziwil, und die Grafen Godzki, Potocki, Granowski, Rzewuski u. a. Dieſe wuͤnſchten den damaligen Kurfuͤrſten von Sach - ſen, Chriſtian, oder einen ſeiner Bruͤder auf den Thron zu erheben.

Das Haupt der Partey Branicki's, war der Großfeldherr ſelbſt und mehrere ihm erge - bene Edelleute. Er, ein Schweſtermann von Stanislaus Poniatowski, wuͤnſchte Koͤnig zu werden, und rechnete auf die Unterſtuͤtzung der Pforte.

119

Die Partey der Czartoryski war unter die - ſen dreyen die ſtaͤrkſte, und ſie ward es durch den Beyſtand Rußlands, durch die Klugheit und Entſchloſſenheit ihrer Hauptperſonen, durch ihren ausgebreiteten Einfluß, und durch die perſoͤnlichen Vorzuͤge der drey Kandidaten, vor - zuͤglich Poniatowski's, der durch Geiſt, Kennt - niſſe und Beredſamkeit ſchon damals ſich ſehr auszeichnete. Dazu kam, daß dieſe Partey unzertrennbar zuſammen hielt, daß Ein Mit - glied wie das Ganze und das Ganze wie Ein Mitglied handelte, daß der Reichthum und der Einfluß des Einzelnen und Aller auf Ei - nen Zweck hin wirkten, kurz, daß Eintracht und Einheit in ihren Entwuͤrfen waren, und die noͤthigen Maßregeln nach einem feſten Plane verabredet und angewandt wurden. Merkwuͤr - dig, aber ihrem Grunde nach nicht genug aufgeklaͤrt, daͤucht mir dieſe Eintracht, und es laſſen ſich einige Fragen daruͤber aufwerfen. War es dem Großkanzler gleich, welcher von den drey Kandidaten Koͤnig wuͤrde, ſein Bru -120 der, Prinz Adam Czartoryski, oder Graf Stanislaus Poniatowski? Wollte er nur ſei - nen und ſeiner Familie politiſchen Einfluß un - ter der neuen Regierung beybehalten und ver - mehren, und glaubte er, dieſen Zweck zu er - reichen, welcher von dieſen dreyen auch Koͤnig wuͤrde? Oder wollte er lieber ſeinen Bruder oder deſſen Sohn dazu machen? Wußte Sta - nislaus dieß, oder wußte er es nicht? Und war er Willens, ſeinem Onkel, dem Woiwo - den von Rußland, oder deſſen Sohn Adam, dieſen Dienſt zu leiſten und dafuͤr bloß mit ei - nem hoͤhern Standpunkt im Staat und einem mehr umfaſſenden Einfluß vorlieb zu nehmen? Oder hintergingen hierin einander der Groß - kanzler und ſein Neffe Stanislaus? Spie - gelte jener dieſem nur vor, er wolle ihn zum Koͤnig machen, um ſeinen Einfluß, ſeine Freunde und die Achtung, worin er bey der Kaiſerin und dem Koͤnige von Preußen ſtand, bis zu dem entſcheidenden Augenblicke der Wahl, zu gewinnen? Oder ſpiegelte dieſer jenem vor,121 daß er ſeinen Plan nicht durchſehe, und wollte er nur deſſen Einfluß nutzen, bis der Moment der Wahl entſchiede? Oder endlich, waren alle dahin uͤberein gekommen, daß man fuͤr die drey Kandidaten gleichmaͤßig arbeiten wolle, damit die Nation, wenn ſie auch gegen den einen oder den andern minder guͤnſtig geſinnt waͤre, doch Einen davon waͤhlen, und ſolcher - geſtalt den Plan der Familie ausfuͤhren muͤßte? Jch geſtehe, daß ich zwar auf alle dieſe Fragen kein bedingtes Ja oder Nein ſagen kann, daß ſie aber, zuſammen genommen, gewiß den Gang und die Beſchaffenheit der Entwuͤrfe und Verhaͤltniſſe dieſer Partey einſchließen. Uebrigens traue ich dem Großkanzler Czarto - ryski ſelbſt Kaͤlte genug zu, ſich nicht fuͤr ei - nen der drey Kandidaten, etwa aus herzlichem Hange, mehr verwandt zu haben, als fuͤr den andern, und Klugheit und Einfluß genug, beyde Neffen und ſeinen Bruder ſo weit zu bringen, daß ſie es ſich gleich ſeyn ließen, wer von ihnen dreyen Koͤnig wuͤrde, wenn nur ihre122 Familie und ſie ſelbſt unmittelbar und perſoͤn - lich an Glanz und Einfluß im Staate gewoͤn - nen. Gewiß iſt es, wie oben erwaͤhnt, daß, dem Aeußern nach, Eintracht und wechſelſeitige Aufopferungen dieſe Partey enge zuſammen verknuͤpften, daß ſie aber oft genug im Jnnern Streitigkeiten unter einander hatten, die bald mehr, bald weniger heftig waren, aber nie in Stuͤrme ausbrachen, die ihre politiſche Freund - ſchaft haͤtten zerreißen koͤnnen.

Die andre Partey, die Saͤchſiſche, beſtand aus den maͤchtigſten und reichſten Staatsbeam - ten, aus andern wichtigen Magnaten, auch Biſchoͤfen, und aus vielen Mitgliedern des Ritterſtandes, die, theils aus Eiferſucht auf die Czartoryski, theils in der Erinnerung der fuͤr ſie fruchtbar geweſenen Zeiten der Koͤnige aus dem Saͤchſiſchen Hauſe, fuͤr die Prinzen des letztern ſich geſtimmt fanden. Aber ihr guter Wille ward durch unſre Truppen gelaͤhmt, die ſich in der Gegend von Warſchau zu Gun - ſten der Czartoryski zuſammen gezogen hatten. 123Ueberdieß war das Saͤchſiſche Haus zu ſpar - ſam, und befeſtigte ſeine Anhaͤnger nicht ge - nug durch klingenden Dank in ihrer Freund - ſchaft, gab alſo auch wenig Hoffnung, das je zu erſetzen, was ſie, wenn die Ruſſiſche Par - tey voͤllig obſiegte, durch den Verluſt ihrer Stellen oder durch Exekutionen, auf ihre Guͤ - ter verlegt, haͤtten einbuͤßen koͤnnen.

Die dritte Partey war die ſchwaͤchſte. Der Großfeldherr ſelbſt war ein ſtolzer, ungeſtuͤmer Mann, dem es durchaus an der Klugheit und Geſchmeidigkeit fehlte, die von dem Haupt einer Partey, beſonders in Polen, wo man mit Leuten zu thun hat, die ſich bey ſolchen Gelegenheiten alle fuͤr gleich und gleich und fuͤr Goͤnner und Befoͤrderer halten, als die er - ſten Bedingniſſe gefordert werden. Er hatte allerdings auch einige Anhaͤnger unter dem Adel, verließ ſich aber beſonders auf ſeinen großen Einfluß bey der Armee, und auf den Beyſtand des tuͤrkiſchen Hofes.

124

Unter dieſen Umſtaͤnden verſammelte ſich der Konvokations Reichstag den 7ten May 1764, und ſogleich ließ der Großfeldherr durch ſeinen Liebling, den General Makronowski, der Reichsbote war, alles fuͤr nichtig erklaͤren, was auf demſelben verhandelt werden wuͤrde, wenn man nicht vorher die Beſchwerden bey - legte, die in einem Manifeſte, das ungefaͤhr dreyßig Senatoren und Reichsboten unterſchrie - ben hatten, aufgeſtellt waren. Dieſer Ein - ſpruch blieb aber ohne Wirkung. Die Partey der Czartoryski drang, unter dem Schutze der Ruſſen in der Ferne, und ihrer Haustruppen in der Naͤhe, durch, und der Prinz Adam Czartoryski ward zum Reichstags-Marſchall erwaͤhlt.

Jetzt ſahen die Anhaͤnger Branicki's und Sachſens das maͤchtige Uebergewicht, das ſich die Czartoryski an dem Konvokations-Reichs - tage zu verſchaffen gewußt hatten, und ſie konnten nicht mehr zweifeln, daß ſie ſich daſ - ſelbe auch fuͤr den folgenden Wahlreichstag zu125 zu erhalten wiſſen wuͤrden. Sogleich vereinig - ten beyde Parteyen ihr Jntereſſe, welches nun war, den Czartoryskis entgegen zu arbeiten und den ihnen guͤnſtigen Reichstag zu zerreiſ - ſen; und dieß war um ſo leichter, da der Großfeldherr ſich immer geſtellt hatte, als ob er dem Hauſe Sachſen nicht abgeneigt waͤre. Die Hauptperſonen verließen alſo den Tag darauf Warſchau und legten ein Manifeſt ge - gen den Reichstag ein. Es waren Branicki, Rzewuski, Potocki, Radziwil, Poninski und andre der Maͤchtigſten und Reichſten im Staate. Die folgenden Tage zogen ihnen viele, eben ſo bedeutende Große, z. B. der Biſchof von Krakau, Soltyk, der Woiwode von Volhi - nien, Oſſolinski, der Krongroßſchatzmeiſter, Weſſel, u. a. nach, und zwanzig Reichsboten ſchlugen ſich noch zu ihrer Partey. Der Groß - feldherr bezog ein Lager bey Koscenicz mit ſei - nen und ſeiner Anhaͤnger Haustruppen, zu wel - chen noch einige Regimenter von der Armee ſtießen.

126

Unterdeſſen entſetzte der Konvokations - Reichstag, der ſich fuͤr den aͤchten Stellver - treter der Nation erklaͤrte, den Kron-Groß - marſchall Bielinski ſeiner Wuͤrde, weil er, in - dem er den Reichstag fuͤr zerriſſen erklaͤrte, ſeine Wache zur Beſetzung des Verſammlungs - ſaales verweigert hatte; eben ſo verlor ein paar Tage nachher der Großfeldherr ſelbſt ſeine Wuͤr - de, auf die vierfache Anklage, daß er die Un - terhaltung und Zucht der Armee vernachlaͤßigt, die Graͤnzen nicht gedeckt, Truppen bey Grau - denz zuſammen gezogen, um ſeine Privatrache zu befriedigen, und daß er die Republik ver - laſſen habe, zu einer Zeit, wo ſie ſich haͤtte einmuͤthig einen Koͤnig waͤhlen koͤnnen, ohne auswaͤrtige Maͤchte dabey um Beyſtand zu bit - ten. Zugleich wurde der Woiwode von Ruß - land, Fuͤrſt Czartoryski, Vater des Prinzen Adam, zum Regimentar*)S. oben Zweytes Heft, S. 75. der Armee, er - waͤhlt, und er leiſtete der Republik den Eyd127 der Treue. Mehrere Große gingen jetzt zur ſiegenden Partey zuruͤck, und verließen die ſchwaͤchere. Das Lager der letztern wurde von den Ruſſen eingeſchloſſen; was noch von An - haͤngern zu ihr haͤtte ſtoßen wollen, konnte nicht durchdringen; im Lager ſelbſt fehlte es an Zel - ten, an Lebensmitteln, an Munition und Geld; die Hauptperſonen wurden ſchon in den er - ſten Tagen uneins, denn der Großfeldherr be - hauptete ſeinen Stolz, der Biſchof von Kra - kau wollte, daß alles nach ſeinem Willen ge - hen ſollte, Rzewuski war zu bedenklich und Radziwil beharrte auf ſeinem Kopfe, nahm keine Vorſtellungen an, und entfernte ſich end - lich ganz aus dem Lager. Eben ſo, bald nach - her, der Woiwode von Kiow, Potocki, der Biſchof von Krakau, der Großkuͤchenmeiſter Poninski, und viele andre der bedeutendſten Anhaͤnger ſeiner Partey. Sein ganzer Plan ſcheiterte, und er war nicht im Stande, et - was Bedeutendes zu unternehmen. Als nach - her der Wahlreichstag berufen ward, erhielt128 Stanislaus Poniatowski, der jetzige Koͤnig, die meiſten Stimmen; und die Familie Czar - toryski hatte ihre Entwuͤrfe, bis auf den letz - ten Augenblick enge verbunden, gluͤcklich durch - geſetzt.

Stanislaus war nicht ſo bald Koͤnig, ſo ward die innere Eiferſucht und das Mißver - gnuͤgen unter den Hauptperſonen ſeiner Par - tey, die gewiß nicht erſt am Tage ſeiner Wahl entſtanden, lauter. Er wurde von der Herrſch - ſucht des Großkanzlers bedraͤngt, von deſſen Stolze gedruͤckt, von deſſen Kaͤlte und Eigen - ſinn in ſeinen etwas lebhaften Unternehmun - gen behindert. Sein Onkel, der Woiwode von Rußland, und ſein Sohn, Fuͤrſt Adam, ließen ihn ihren Groll ohne Zwang merken, und be - nahmen ſich entweder uͤbermuͤthig oder muͤr - riſch; genug, man war recht ernſtlich mißver - gnuͤgt mit ihm; aber dennoch, (und bloß dieſes Umſtandes wegen habe ich dieſe Thatſachen*)Man vergleiche ſie mit der Correspondance sur les affaires politiques de Pologne, in Buͤſchings Ma -129 erzaͤhlt) hielten ſie, ihres gemeinſchaftlichen Jntereſſes wegen, noch eine Weile ſo feſt zu - ſammen, als vorher, und blieben, bey politi - ſchen Entwuͤrfen, ſo eintraͤchtig, ſo ſtandhaft einander ergeben, daß ſie, bis zu dem Zeit - punkte, wo aͤußere dazwiſchen tretende Um - ſtaͤnde ihre Partey zerriſſen, den polniſchen Staat ausſchließend beherrſchten.

Hier iſt ein kurzer Abriß von dem Gange der Staats - und Juſtiz-Geſchaͤfte in Polen an ſeinem rechten Orte.

Jn Staatsgeſchaͤften, in Angelegenheiten der ganzen Nation, laͤßt man nichts auf den allgemeinen Willen derſelben, den ſie ihren Stellvertretern am Reichstage, den Beduͤrf - niſſen des Ganzen entſprechend, uͤbertragen ha - ben koͤnnte, unbedingt ankommen. Da man an ſeinem eigenen Egoismus, den Egoismus*)gazin, Theil 13, Seite 4. fg., die ich uͤberhaupt dem Leſer, der ſich uͤber den politiſchen Charakter der Polen noch naͤher unterrichten will, zu einem auf - merkſamen Nachleſen empfehle.Drittes Heft. J130aller uͤbrigen erkennt, ſo weiß man ſchon, daß jeder einzelne Reichsbote nur diejenigen Punkte ſeiner Vorſchrift durchzuſetzen ſucht, die ſich mit ſeinem perſoͤnlichen Vortheil am beſten ver - einigen laſſen; und daß eben ſo jede Provinz nur das ihren Reichsboten aufzutragen pflegt, was ihr, ſey es auch mit Nachtheil fuͤr alle uͤbrige, den meiſten Vortheil bringt. Hierin liegt die natuͤrliche Veranlaſſung zu Parteyen.

Solche Parteyen bilden theils diejenigen Provinzen, deren Forderungen und Vorſchrif - ten einander gleich ſind, theils diejenigen, die ſich in den meiſten derſelben naͤhern, theils Privatperſonen, die Privatentwuͤrfe durchſetzen wollen, welche dem Vortheil, oder den Rech - ten, oder dem Syſtem einiger Provinzen oder anderer Privatperſonen zuwider laufen; und theils ſolche, die irgend einem auswaͤrtigen Hofe bey gewiſſen, das Ganze beſchaͤdigenden, Planen befoͤrderlich ſeyn wollen.

Die Arbeiten derjenigen Partey alſo, die etwas durchſetzen will, wobey ſie die Zuſtim -131 mung der ganzen Nation, oder auch nur ihrer Mehrheit, nicht hoffen kann, gehen ſchon vor der Berufung der Landtage an. Man ſchickt naͤmlich in diejenigen Bezirke, von de - nen man weiß, daß ſie den vorhabenden Pla - nen am meiſten zuwider ſind, Kundſchafter ab, um die oͤffentliche Meynung dort theils zu bil - den, theils zu leiten, um diejenigen unter dem Adel der Provinz auszuleſen, deren Grundſaͤtze jenen Abſichten entſprechen, oder ihnen am we - nigſten zuwider ſind; um dieſe Grundſaͤtze vol - lends zu berichtigen, d. i. zum Vortheil der Partey zu modeln; um durch Unterhand - lungen, Verſprechungen, Geſchenke und andre angenehme oder nuͤtzliche Dinge, die Bedeutend - ſten dieſes Adels geradezu fuͤr die gegebene Partey zu erkaufen; um endlich dieſe letztren mit auf die Wahl zu bringen und ihnen die Mehrheit der Stimmen zu kuͤnftigen Reichs - boten wirklich zu verſchaffen.

Unter dieſen Vorbereitungen erwartet man die Berufung zu den Landtagen. Diejeni -J 2132gen Gegenſtaͤnde naͤmlich, die auf dem Reichs - tage verhandelt werden ſollen, werden, im Auszuge, in die verſchiedenen Woiwodſchaften und Bezirke, im Namen des Koͤnigs, abge - ſchickt; zugleich werden die Landtage (poln. Scymiki) angeſagt, die jedesmal ſechs Wochen vor einem ordentlichen, und drey Wochen vor einem außerordentlichen Reichstage gehalten werden muͤſſen. Auf dieſen Landtagen ver - ſammeln ſich die Edelleute der Woiwodſchaften und Bezirke, und die in denſelben wohnenden Senatoren. Zuerſt wird, durch die Mehrheit der Stimmen, ein Landbotenmarſchall erwaͤhlt, der dem Landtage vorſitzt, uͤber die Foͤrmlichkeiten wacht, die Stimmen ſammelt, die Uneinigen zu vereinigen, und Ruhe und Ordnung zu erhalten ſucht. Jſt dieſer erwaͤhlt, ſo tritt ein Abgeordneter des Koͤnigs auf, legt die Gegenſtaͤnde, uͤber die das Land berath - ſchlagen ſoll, dar, und entfernt ſich ſodann. Die Verhandlungen des Landtags nehmen ih - ren Anfang, und die Punkte, woruͤber man133 einig geworden iſt, werden verzeichnet und ma - chen einen Theil der Vorſchriften fuͤr die an den Reichstag zu ſendenden Boten aus. Ne - ben den Gegenſtaͤnden, welche die koͤniglichen Ausſchreiben enthalten, werden noch viele an - dre, allgemeine und beſondere verhandelt und den Vollmachten der Boten hinzugefuͤgt, um ſie am Reichstage zu betreiben. Sodann wer - den die kuͤnftigen Reichsboten aus den ver - ſammelten Edelleuten, durch Mehrheit der Stimmen, erwaͤhlt. Schon oben im dritten Abſchnitt*)S. zweytes Heft, S. 66. habe ich angegeben, was ſie fuͤr Eigenſchaften beſitzen muͤſſen; hier bemerke ich noch, daß, da die einzelnen Mitglieder des Landtages, durch ihren Einſpruch, wie am Reichstage ſelbſt, die ganze Verſammlung zer - reiſſen und nichtig machen koͤnnen, viele Land - tage gar nicht zu Stande kommen, mithin aus der Provinz, wo dieß geſchieht, gar keine Bo - ten am Reichstage erſcheinen, bey demſelben134 auch nicht zugelaſſen werden wuͤrden. Ein ge - ſetzliches Mittel dagegen hat der Koͤnig in Haͤnden, der ſogleich einen neuen Landtag aus - ſchreiben kann; ungeſetzlich iſt dieß, daß die Partey, welche die ſtaͤrkſte iſt, Gewalt zeigt und durch Furcht die Widerſprecher im Zaum haͤlt. Uebrigens thut es den Geſchaͤften des Reichstages ſelbſt keinen Eintrag, wenn auch die Boten einiger Woiwodſchaften oder Bezirke ausbleiben. Die Gegenwaͤrtigen verfuͤgen fuͤr die Abweſenden, und dieſen bleibt es unbe - nommen, den Beſchluͤſſen des Reichstages, auf den Relations-Landtagen, die nach dem - ſelben gehalten werden, beyzutreten. Gewiß iſt indeſſen, daß, wenn der groͤßeſte Theil der Boten am Reichstage fehlte, dieſer, wo nicht ganz vergeblich, doch wenigſtens nicht im Stande waͤre, Dinge von allgemeiner Wich - tigkeit zu beſchließen, die ſodann bis zu einem neuen, an welchem mehr Boten erſcheinen, ausgeſetzt werden muͤßten.

135

Da auf dieſen Landtagen mehr als Eine Partey ihre Plane hat und durchzutreiben ſucht, ſo iſt die Vertreterſchaft der Nation, ſchon in dem erſten Augenblick ihrer Bildung, zerſtuͤckelt, und ſie bleibt es gewoͤhnlich bis zum letzten ihrer Wirkſamkeit. Ehedem gingen die Landtage ſelten ohne gewaltthaͤtige, auch wohl blutige, Auftritte ab. An mehr als einem wurden Edelleute zu Schanden gehauen, oder mit Schlaͤgen gemißhandelt, oder duuch Ueber - macht aus demſelben verſtoßen; an mehr als einem hielten zwey Parteyen einander das Gleichgewicht, waͤhlten beyde ihre eigenen Bo - ten, und jede erklaͤrte die ihrigen fuͤr die recht - maͤßig gewaͤhlten, bis etwa eine ſtaͤrkere Hand fuͤr noch andere entſchied. Das Geraͤuſch, die Erbitterung und thaͤtliche Heftigkeit, die ſolche Spaltungen verurſachten, waren um ſo ſtuͤr - miſcher, da die Theilnehmer gewoͤhnlich noch durch ſtarke Getraͤnke außer ſich geſetzt waren, die bey den uͤbrigen Mitteln, welche man zur Ausfuͤhrung gewiſſer Plane anwandte, unnach -136 laͤßlich in Fuͤlle zur Hand ſeyn mußten. So ſchaͤumte denn die Vaterlandsliebe in großen Deckelglaͤſern, wie ſie in Dukaten glaͤnzte und wie ſie in dem Blute eines Mitbuͤrgers an ei - nem Saͤbel herabfloß. Polen von Gefuͤhl er - innern ſich ſelbſt mit Schmerz ſolcher Auftritte, die bis in die neueſten Zeiten herauf dauerten, und nur erſt bey der Berufung des Revolu - tions Reichstages, bey deſſen Verlaͤngerung und Verdoppelung im December 1790 und bey der Beſtaͤtigung der neuen Konſtitution im Fe - bruar 1792, nicht mehr vorfielen. Ein pa - triotiſcher Pole verſicherte mit bey der letztern Gelegenheit, daß nur zwey Landtage ſich noch betrunken und ſich Heftigkeiten uͤberlaſſen haͤtten. Dieſe nicht ganz ernſthaft klingende Aeußerung zeugte allerdings von einer Eintracht, die den Muth der Mehrheit, die damals am Reichstage herrſchte, ſtaͤrken mußte. Jndeſſen iſt es auch gewiß, daß ſie von Warſchau aus, in alle die Bezirke, die ſie nicht ganz fuͤr ſicher hielt, Abgeordnete geſandt hatte, die ihr erge137 ben waren, und die den Edelleuten, die ſich auf den Landtagen verſammelt hatten, das Glas vorhielten, durch welches ſie ihre Unternehmun - gen anſehen mußten, wenn ſie dieſelben ein - muͤthig billigen ſollten.

Die Boten nun, die auf den Landtagen erwaͤhlt worden, bilden, mit den Senatoren, den Miniſtern und dem Koͤnige, den Reichs - tag (poln. Scym) und finden ſich zu der Zeit und an dem Orte ein, die in den koͤniglichen Ausſchreiben zu Haltung deſſelben angeſetzt ſind.

Die Reichstage*)Vergl. Lengnich Juſ publ. pol. Tom. II. pag. 314. fq. ſind entweder or - dentliche oder außerordentliche, und dieſe Eintheilung beſteht ſeit dem Jahre 1573, wo es Geſetz wurde, daß alle zwey Jahre ein Reichstag gehalten werden, daß es aber auch dem Koͤnig erlaubt ſeyn ſollte, binnen kuͤrzerer Zeit, einen ſolchen zu berufen, wenn dringende Umſtaͤnde es noͤthig machten. Jene erſteren138 ſollten ordentliche, dieſe letztre außerordentliche genannt werden. Der Tag, an welchem die ordentlichen ihren Anfang nehmen ſollten, wurde im Jahre 1717 auf den naͤchſten Mon - tag nach Michael feſtgeſetzt. Wenn ein Reichs - tag, durch irgend einen Zufall, in dem Jahre, in welchem er faͤllt, nicht zu Stande kommt, ſo muͤſſen noch zwey Jahre voruͤbergehen, ehe er wieder ausgeſchrieben werden kann.

Die Orte, wo ſich der Reichstag verſam - melt, ſind abwechſelnd Warſchau und Grodno, und zwar ſo, daß zwey hinter einander in je - ner, und der dritte in dieſer Stadt gehalten werden. Unter der Regierung des jetzigen Koͤ - nigs hat man ſich an dieſe Verordnung nicht ſtreng gebunden, und die Reichstage waren, bis drey oder vier, in Warſchau, doch dem hieher gehoͤrigen Rechte der Stadt Grodno unbeſchadet.

Außer den Schreiben, durch welche die Staͤnde berufen werden, ſchickt der Koͤnig noch139 andre, die man Deliberatorien nennt und welche die Gegenſtaͤnde enthalten, uͤber die am Reichstage berathſchlagt werden ſoll, drey Mo - nate vor Anfang deſſelben, an die einzelnen Senatoren, damit ſie daruͤber denken und vor - bereitet erſcheinen koͤnnen.

Sobald ehedem die Senatoren und Reichs - boten in der Stadt ankamen, wo der Reichs - tag ſeyn ſollte, wurden ihnen von den Hof - marſchaͤllen Wohnungen angewieſen; da aber dieſe, bey dem Luxus der neuern Zeiten und bey der Gewohnheit vieler Reichsboten, ihre Gemalinnen mitzubringen, eben ſo wenig hin - laͤnglich waren, als das Koſtgeld, (poln. Strawne) das jede Provinz den ihrigen zu bewilligen gewohnt war: ſo gab man dieſe un - bedeutende Schadloshaltung ganz auf, und die Reichsboten miethen ſich jetzt eigene Wohnun - gen, und leben darin die ganze Zeit des Reichs - tages auf ihre Unkoſten.

Zur Polizey des Reichstages gehoͤrt, daß die Geſetze Strafen gegen diejenigen beſtimmt140 haben, die auf demſelben den Saͤbel ziehen, jemand verwunden, jemand toͤdten, und daß die Landboten und ihre Dienerſchaft unter der Gerichtsbarkeit der Marſchaͤlle und des Reichs - tages ſtehen. Zu den Vorrechten der Sena - toren und Reichsboten gehoͤrt dieß, daß der Gang der Rechtshaͤndel, in denen ſie verwickelt ſind, ſey es vor welchem Gerichtshof es wolle, vom Anfange der Landtage an, waͤhrend der ganzen Dauer des Reichstags, bis vierzehn Tage nach den Berichts-Landtagen, die auf ihn folgen, gehemmt iſt, und daß alle waͤh - rend dieſer Zeit gegen ſie gethane Rechtsſpruͤche nichtig ſind.

Ehe der Reichstag angeht, wird in der Hauptkirche zu Warſchau oder zu Grodno, wenn er ſich hier verſammlet, eine feyerliche Meſſe, entweder vom Primas, oder von einem der Biſchoͤfe, oder auch von dem paͤpſtlichen Nuntius geleſen. Der Koͤnig, die Senatoren und die Reichsboten aus dem Ritterſtande, ſind bey derſelben zugegen und nur Krankheit141 kann die Abweſenheit des erſtern oder der letz - tern entſchuldigen. Nach der Meſſe und Pre - digt begleiten die Staͤnde den Koͤnig, erſt in ſeine Zimmer, ſodann in die Senatorenſtube, wo er eine feyerliche Kour annimmt. Nach Endigung derſelben verfuͤgen ſich die Reichsbo - ten in ihre Stube und beſchaͤftigen ſich mit der Wahl eines Reichstagsmarſchalls.

Dieſer Marſchall iſt gleichſam die Seele des Reichstags und ſeiner Verhandlungen. Jener hat keine Thaͤtigkeit, und dieſe haben keine Guͤltigkeit, wenn er nicht zugegen iſt, oder ſich proteſtirend den Sitzungen entzogen hat. Kann er Krankheits halber nicht zuge - gen ſeyn, ſo verrichtet der vorderſte Reichs - bote der Provinz, aus welcher der Marſchall iſt, ſeine Obliegenheiten.

Seine Befugniſſe und Pflichten ſind: daß er, als Praͤſident, den Reichsboten die zu ver - handelnden Gegenſtaͤnde vorlegt; denen, die darum bitten, das Wort giebt, das heißt, ih - nen die Thaͤtigkeit des Reichsboten verleihet;142 die Uneinigen vereinigt; die Widerſprecher durch Zureden und Gruͤnde beruhigt; Still - ſchweigen gebietet, wenn Laͤrm und Geraͤuſch ſich erheben; zu Beſcheidenheit und Schonung ermahnt, wenn ſich Reichsboten zu Heftigkei - ten hinreißen laſſen; und diejenigen, die belei - digend geworden ſind, unter ſeinen Marſchalls - ſtab beruft, um der Cenſur der geſammten Stube zu untergehen. Er hebt die Sitzungen auf und beſtimmt Tag und Stunde zu deren Fortſetzung; er fuͤhrt das Wort fuͤr die Reichs - boten; legt ihre Wuͤnſche und Forderungen dar; lieſ't die Schluͤſſe, die ſie in der Reichs - botenſtube gefaßt und gebilligt haben, dem Koͤ - nige und den Senatoren vor; und hat noch mehrere andere Verrichtungen, die ſich auf den Gang der Geſchaͤfte und auf die Foͤrmlich - keit beziehen. Gewiß iſt es, daß der gluͤckliche Erfolg der Verhandlungen großentheils davon abhaͤngt, daß der Reichstagsmarſchall ein un - terrichteter, beredtſamer, ſchlauer Mann iſt, der die Umſtaͤnde zu nutzen und am rechten143 Orte nachgiebig oder ſtandhaft zu ſeyn verſteht.

Das Geſetz ſchreibt vor, daß der Mar - ſchall unter den anweſenden Reichsboten, und zwar ſo gewaͤhlt werde, daß er abwechſelnd aus Großpolen, aus Kleinpolen und aus Li - thauen ſey. Jſt demnach der Marſchall des gegenwaͤrtigen Reichstages aus Großpolen, ſo muß fuͤr den kuͤnftigen einer aus Kleinpolen, und fuͤr den auf dieſen folgenden einer aus Li - thauen gewaͤhlt werden. Auch darf der Mar - ſchall des erſten Reichstages nicht dieſelbe Wuͤrde am zweyten wieder erhalten. Da dieſe Stelle mit großer Arbeit und mit mancherley Auf - opferungen verknuͤpft iſt, ſo beſtimmt das Ge - ſetz den Jnnhabern derſelben eine Schadlos - haltung und Belohnung von 60,000 poln. Gul - den aus dem Schatze, die aber oft erſt nach Jahren gezahlt werden, oft auch gar nicht ge - zahlt worden ſind. Zuweilen erhalten ſie auch, außer jener Summe, noch koͤnigliche Guͤter zur Benutzung und ſenatoriſche Wuͤrden.

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Gewoͤhnlich nehmen bey der Wahl des Reichstags-Marſchalls die Heftigkeiten zwi - ſchen den verſchiedenen Parteyen ſchon ihren Anfang. Es iſt jeder derſelben hoͤchſt wichtig, daß ein Bote Reichstagsmarſchall werde, der auf ihrer Seite iſt. Jede ſchlaͤgt alſo ihren eigenen Kandidaten vor, jede ſucht dem ihri - gen die meiſten Stimmen zu verſchaffen. Eine dritte Partey, die es berechnen kann, daß ihre Entwuͤrfe, wie die Stimmung der Boten jetzt iſt, nicht durchgehen moͤchten, arbeitet dahin, daß gar kein Marſchall gewaͤhlt werde, weil ſodann gar kein Reichstag ſtatt finden kann, ſie alſo die Hoffnung behaͤlt, auf einem kuͤnf - tigen ihren Zweck zu erreichen. Auch erklaͤrt ſich wohl eine auswaͤrtige Macht gegen den Kandidaten, der wahrſcheinlich die Mehrheit haben koͤnnte; oder eine andre Macht ſetzt die Wahl eines andern durch, der in ihrem Jn - tereſſe iſt. Mit einem Worte, es verlaufen oft Tage und Wochen, ehe dieſe Wahl zu Stande kommt; oft geht ſie gar nicht vor ſich,und145und der Reichstag trennt ſich fruchtlos. Ue - brigens geſchieht dieſe Wahl unter dem Vor - ſitze des Marſchalls vom letzten Reichstage.

Koͤmmt ſie wirklich zu Stande, ſo ſollten die Geſchaͤfte, den aͤltern geſetzlichen Vorſchrif - ten gemaͤß, in folgender Ordnung weiter ge - hen: die Streitigkeiten wegen der recht - oder unrechtmaͤßigen Wahl und Sendung mancher Landboten ſollten unterſucht und entſchieden werden; die Landboten ſollten dem Konig auf - warten; der Eid des Koͤnigs und die pacta conventa ſollten verleſen, die Gegenſtaͤnde, die der Reichstag verhandeln ſoll, vorgetra - gen; diejenigen geheimen Beſchluͤſſe, die bey Staats - und Kriegsoperationen, von einem Ausſchuſſe des Senats und des Ritterſtandes gefaßt worden, und die zu ihrer Zeit keine Kundwerdung litten, ſollten vorgeleſen und beſtaͤtigt; eben ſo die Dekrete, die der Koͤnig mit dem Senate, waͤhrend der Zwiſchenzeit von einem Reichstage zum andern gefaßt hat, beſtaͤtigt werden. Die Reichsboten ſollten An -Drittes Heft. K146trag wegen der Beſetzung der erledigten Staats - wuͤrden thun; die Senatoren ihre Meynung uͤber die zu verhandelnden Gegenſtaͤnde ſagen; aus ihren Mittel Kommiſſionen ernannt wer - den, welche theils die entworfenen Konſtitutio - nen durchſehen, theils den Schatzmeiſtern, und theils den Feldzeugmeiſtern ihre Rechnungen abnehmen ſollten; die Geſandten, die an frem - den Hoͤfen geſtanden, ſollten uͤber ihre Ge - ſchaͤfte gehoͤrt und ihnen uͤber die Wahrhaftig - keit ihrer Berichte der Eyd abgenommen; und endlich ſollten noch die Bevollmaͤchtigten oder Redner der Armee, uͤber Gegenſtaͤnde, die dieſe betreffen, gehoͤrt werden. Nachdem dieß alles in der Senatorenſtube geſchehen, ſollten die Reichsboten ſich wieder in die ihrige bege - ben und Konſtitutionen entwerfen, die zuerſt die oͤffentliche Sicherheit, wenn es noͤthig iſt, betreffen ſollten; der Koͤnig ſollte unterdeſſen mit den Senatoren und denjenigen Reichsbo - ten, die ſein Marſchall dazu beruft, die Reichstags-Gerichte hegen; und endlich147 ſollten die Reichsboten mit den Konſtitutionen zu den Senatoren zuruͤckkommen, fuͤnf Tage hindurch mit ihnen berathſchlagen, und den Reichstag beendigen.

Dieſe Ordnung ſchreiben die aͤltern Geſetze allerdings vor, aber wir wiſſen ſchon, daß ſie in keinem Stuͤcke puͤnktlich befolgt wurden. Der Kampf der verſchiedenen Parteyen warf alles durch einander; und die Veraͤnderungen, die in neuern Zeiten, durch den Einfluß frem - der Maͤchte, in dieſen Vorſchriften gemacht worden, haben ohnehin viele derſelben gaͤnzlich aufgehoben.

So iſt, vermoͤge der Konſtitutionen von 1768 und 1775, den ordentlichen Reichstagen eine Dauer von 6 Wochen beſtimmt worden, und der Wahl des Reichstagsmarſchall drey Tage. Zwey Tage nach derſelben vereinigen ſich die beyden Stuben; ſodann ſchreitet man zur Wahl der Mitglieder des immerwaͤh - renden Rathes; die Schatzkommiſſionen von Polen und Lithauen, und die BeyſitzerK 2148der Hof - oder Kanzleygerichte werden gewaͤhlt; drey Senatoren und ſechs Landboten entwer - fen die Konſtitutionen. Jſt dieß alles geſche - hen, was nicht mehr als drey Wochen Zeit wegnehmen darf, ſo trennen ſich die beyden Stuben wieder, und die Landboten begeben ſich in die ihrige, um das Benehmen des im - merwaͤhrenden Raths ſeit dem letzten Reichs - tage und ſeine Beſchluͤſſe und Verordnungen zu unterſuchen; die Rechnungen der Schatzkom - miſſionen durchzuſehen und zu unterſchreiben; ſich uͤber die Operationen und Ausgaben der Erziehungskommiſſion zu unterrichten; uͤber die Vertraͤge des Koͤnigs zu berathſchlagen; und endlich die Entwuͤrfe zu Konſtitutionen zu pruͤ - fen und ſie anzunehmen oder zu verwerfen. Am erſten Tage der ſechſten Woche vereinigen ſich beyde Stuben wieder, und diejenigen Ent - wuͤrfe zu Konſtitutionen, welche einmuͤthig genehmigt worden, gehen in Geſetze uͤber und werden von den Reichsboten unterſchrieben. Sodann trennt ſich, nach einer feyerlichen149 Meſſe, der Reichstag. Die Beſchluͤſſe, die er gefaßt hat, heißen Konſtitutionen.

Waͤhrend des Laufes dieſer Geſchaͤfte, bie - ten die unbedeutendſten Dinge zu Streitigkei - ten, mithin zur Verlaͤngerung und Verwirrung derſelben, Gelegenheit dar. Hat z. B. der Koͤ - nig den Tag beſtimmt, wo er die feyerliche Aufwartung der Reichsboten annehmen will, ſo verlangt wohl einer oder mehrere, daß erſt andre Dinge vorgenommen und abgethan wer - den ſollen, und uͤber dieſe Chikane verlaufen mehrere Tage; bey Vorleſung der pacta con - venta erheben ſich Streitigkeiten, dadurch veranlaßt, daß Reichsboten behaupten, der Koͤnig habe ſie nicht puͤnktlich gehalten, man muͤſſe ihn dazu ermahnen; die Gegenſtaͤnde, die zur Verhandlung dargelegt werden, erre - gen Mißverſtaͤndniſſe und Spaltungen, welche Zerreiſſung des Reichstags drohen; die Wahl des immerwaͤhrenden Raths erregt heftige Auf - tritte, und deſſen Operationen ſeit dem letzten Reichstage, noch heftigere; die Abfaſſung der150 Konſtitutionen von Seiten der Reichsboten verzoͤgert ſich, koͤmmt gar nicht zu Stande, der Reichstag geht daruͤber zu Ende; mit ei - nem Worte: Unordnungen, Mißbraͤuche, Ge - waltthaͤtigkeit, Unwiſſenheit und Leichtſinn ſpie - geln ſich in jedem Schritte einer Verſamm - lung, deren einzelne Glieder, als Reichsboten, vollends ihrem Egoismus, ihrem Hochmuthe und dem Gefuͤhle der Strafloſigkeit ſich uͤber - laſſen duͤrfen. Des liberum veto, der Quelle hoͤchſt ſchaͤdlicher Unordnungen, habe ich ſchon oben gedacht*)Jm 2ten Hefte, S. 67..

Die außerordentlichen Reichstage ha - ben eben die Einrichtung und nehmen denſelben Gang, wie die ordentlichen, duͤrfen aber, ſeit der Konſtitution von 1768, nur vierzehn Tage dauern. Die feyerlichen Formalien werden an denſelben theils zuſammengezogen, theils weg - gelaſſen. Sie ſind uͤbrigens denſelben Unord - nungen und Mißbraͤuchen unterworfen, wie 151 die ordentlichen. Eben ſo die Konvoka - tions-Reichstage waͤhrend eines Zwiſchen - reichs, und die auf ſie folgenden Wahl - Reichstage. Auf erſtern nehmen die Ge - ſchaͤfte, in eben der Form und Art, ihren Gang, wie auf den ordentlichen; und, wie und wo letztre ſich verſammeln und das Wahl - geſchaͤft abthun, findet man in allen ſtatiſti - ſchen und geographiſchen Handbuͤchern.

Da das liberum veto, verbunden mit der Verſchleppung der Geſchaͤfte uͤber die ge - ſetzliche Dauer des Reichstages hinaus, in dem laufenden Jahrhundert faſt alle Reichstage, ordentliche wie außerordentliche, zerriß: ſo kam man in neuern Zeiten auf den Gedanken, von den Konfoͤderations-Reichstagen Ge - brauch zu machen, um der Nationalrepraͤſen - tation Dauer und guͤltige Wirkſamkeit zu ver - ſchaffen. Das Wort Konfoͤderation hat in Polen die Bedeutung von Jnſurrektion: es iſt ein Aufſtand der Staatsbuͤrger, eine Ver - bindung derſelben, die dahin zielt, dringenden152 Staatsbeduͤrfniſſen abzuhelfen, welche auf dem gewoͤhnlichen Reichstage nicht gehoben werden konnten, entweder, weil deſſen Berufung ver - hindert wurde, oder deſſen Verhandlungen durch obige Urſachen fruchtlos blieben. Da die Beſchluͤſſe eines Konfoͤderations-Reichsta - ges nicht die Einhelligkeit der Stimmen, ſon - dern nur deren Mehrheit erfordern, ſo ver - mied man durch ſie die vernichtende Kraft des liberum veto. Uebrigens beſtehen ſie aus denſelben Mitgliedern und werden mit denſel - ben Foͤrmlichkeiten gehalten, wie die ordentli - chen Reichstage, auch, in neuern Zeiten, an denſelben Terminen, wie dieſe. Sie ſind aber nicht von neuerem Urſprunge, ſondern waren laͤngſt in Polen bekannt und uͤblich; z. B. wenn die Perſon des Koͤnigs und das Vater - land, durch Verſchwoͤrungen oder feindliche Ueberfaͤlle, in Gefahr gerieth, wenn durch den Tod des Koͤnigs ein Zwiſchenreich entſtand, und wenn ſich ein Wahlreichstag zur Ernen - nung eines neuen Koͤnigs verſammelte.

153

Man glaube aber nicht, daß nur wahre Landes - und Staatsbeduͤrfniſſe ſolche Konfoͤde - rationen bildeten: es waren ebenſo oft Privat - abſichten maͤchtiger Familien, politiſche Plane auswaͤrtiger Maͤchte, Hochmuth, Eiferſucht, Rachſucht und andre unpatriotiſche Bewegungs - gruͤnde; mit einem Worte: es war die ſchlechte Staatsverfaſſung, die denſelben zum Grunde lag. Demnach war auch der Gang der Ge - ſchaͤfte auf denſelben ganz nach gewoͤhnlicher Sitte. Kabale, Beſtechung, Liſt und Ueber - macht thaten alles. Oft ſetzte ſich der erſten Konfoͤderation eine zweyte entgegen; eine dritte erhob ſich gegen die beyden erſten. Die Be - ſchluͤſſe der einen veranlaßten Gegenbeſchluͤſſe der andern, waͤhrend das Land in Flammen ſtand und Buͤrgerblut auf allen Seiten floß. Man erinnere ſich der Konfoͤderations[-]Kriege neuerer Zeiten und ihrer Urſachen und verhee - renden Folgen.

Der letzte Konſtitutions-Reichstag war auch das Werk einer Konfoͤderation, jedoch154 wurde er, anſtatt des ordentlichen Reichsta - ges, an dieſem Reichstage ſelbſt, den 7ten Oktober 1788, in einen Konfoͤderations-Reichs - tag verwandelt, weil die Mehrheit an demſel - ben glaubte, daß ſich keiner ihrer Entwuͤrfe, an einem Reichstage, der nach der im Jahre 1768 vorgeſchriebenen Form eingerichtet ſey, wuͤrde zur Ausfuͤhrung bringen laſſen.

Außer den Urſachen der Selbſtſucht, des Hochmuths, der Herrſchbegier und der Ein - miſchung fremder Maͤchte, welche die erwaͤhn - ten Gattungen von Reichstagen ſo ſtuͤrmiſch und doch ſo ohnmaͤchtig machen, ſind noch zwey andre da, die nicht minder kraͤftig eben dieß bewirken: es ſind Unwiſſenheit und Leichtſinn.

Die Geſetze ſchreiben bloß vor, daß ein Edelmann, der zum Reichsboten erwaͤhlt wer - den ſoll, ein eingeborner, beſitzlicher Edelmann, nicht, daß er zugleich ein unterrichteter, fleißi - ger, der Geſetze und Gewohnheiten des Reichs kundiger Mann ſey. Daher kommt es, daß zwey Drittel der Reichsboten faſt ganz roh155 auf den Reichstag gehen, und hoͤchſtens das von ihren Pflichten auf demſelben, und von deſſen kuͤnftigen Verhandlungen wiſſen, was ſie von dem Beyſpiele anderer abgezogen und durch die einſeitigen Vorſpiegelungen eines oder des andern Parteyfuͤhrers gelernt haben. So - nach iſt der große Haufe beſtaͤndig das Spiel - werk der wenigen Kluͤgern am Reichstage. Dieſe letzteren haben aber an den einzelnen Gliedern der ununterrichteten Menge nicht we - niger treue Anhaͤnger, weil Mangel an Kennt - niſſen und Begriffen einen deſto hoͤheren Grad von Hartnaͤckigkeit gebiert. Dieſe Art von Boten hat, ſtatt aller Gruͤnde, nichts als ihr ich will nicht, oder ihr aber, die ſich auf dem gruͤnden, was ihr Haupt ihnen ge - ſagt und was ſie ohne Nachdenken als Evan - gelium aufgenommen haben. Jch habe Bey - ſpiele davon waͤhrend des Konſtitutions[-]Reichs - tages, ſowohl bey Landboten von der Revolu - tionspartey, als von der entgegengeſetzten, haͤufig geſehen; und ſie waren in der That ſo156 laͤcherlich, wie ſie nothwendig ſeyn muͤſſen. Jch fand einmal bey dem Biſchof von Lief - land, Koſſakowski, zwey juͤngere Landboten von der Revolutionſpartey. Er ſtellte ihnen die Gefahr vor, die ſich Polen zuzoͤge, wenn man fortfuͤhre, Rußland ſo hart zu behandeln, und alles aufzuheben, was die Republik an dieſe Macht baͤnde. Er fuͤhrte ihnen zu Ge - muͤthe, wie ſchwach Polen ſey, um ſich Ruß - land zu widerſetzen, im Fall es, nach einem, mit Schweden und mit der Pforte geſchloſſe - nen Frieden, losbraͤche; daß es weder eine ſtarke, noch regelmaͤßige, noch mit den noth - wendigſten Kriegsbeduͤrfniſſen verſehene Armee habe; daß Preußen und Oeſterreich, wenn es zur Hauptſache kaͤme, die patriotiſche Partey im Stiche laſſen wuͤrden ꝛc., mit einem Worte, er verkuͤndigte ihnen alles, was nachher einge - troffen iſt. Die Landboten ſagten, unter tie - fen Verneigungen, zu dem allen ja und wieder ja; doch wenn er ſie dann ermahnte, ſich dem gemaͤß zu benehmen, ſo kamen ſie, unter der157 laͤcherlichſten Manieren, mit ihrem alle (aber) und der Biſchof hatte in den Wind ge - ſprochen. Eben dieß waren die Waffen, wo - mit viele Anhaͤnger des Ruſſiſchen Jntereſſe die Vorſtellungen der patriotiſchen Partey zu - ruͤckſchlugen, und alle Verſuche, ſie auf ihre Seite zu bringen, fruchtlos machten. Genug, bey dieſen Leuten haftete der erſte Eindruck, den ihr kleiner Jdeenvorrath, oder ihr Hoch - muth, oder ihr Eigennutz, erhalten, und die Partey, die ſie einmal gewonnen hatte, konnte auf ſie rechnen, und in der That feſter, als auf Maͤnner von Verſtand und Geiſt, welche die Gegenſtaͤnde von mehr als einer Seite an - zuſehen und zu faſſen faͤhig waren.

Der Leichtſinn, der den Polen jedes Stan - des ganz eigenthuͤmlich iſt, thut dem Laufe und der Gruͤndlichkeit der oͤffentlichen Geſchaͤfte nicht weniger Eintrag, als die Unwiſſenheit. Das Gewuͤhl von Vergnuͤgungen, welches den Reichstag umgiebt, zerſtreut die Boten, ſelbſt die aͤlteren darunter, und raubt ihnen den158 groͤßeſten Theil ihrer Zeit; die juͤngern, die noch keine Hauptrollen ſpielen koͤnnen, finden kein Vergnuͤgen an den Arbeiten, die ihrer Eitelkeit nicht ſchmeicheln; die eingeſchraͤnktern brauchen zum[]Ja ſagen keine Vorbereitung; die fleißigen und unterrichteten, auf die alle Arbeit zuruͤckfaͤllt, erliegen darunter und ge - ben ſie aus Mißmuth entweder ganz auf, oder vertrauen ſie Advokaten, Abbees oder andern vermeinten geſchickten Maͤnnern an, die nur die Bezahlung dafuͤr im Auge haben und dar - uͤber hin pfuſchen. Alle ſind, bey der allge - meinen Erziehung, bey der gemaͤchlichen Art, die Geſchaͤfte zu treiben, die einmal herge - bracht iſt, zu anhaltenden Arbeiten, die Samm - lung und Nachdenken, oder auch nur Stille - ſitzen erfordern, nie gewoͤhnt worden. Selbſt der gluͤckliche Vorzug in ihrer geiſtigen Orga - niſation, daß ſie alle Dinge ſchnell faſſen, vergroͤßert den Schaden, indem ſie durch einen raſchen Ueberblick auch von Gegenſtaͤnden ſich unterrichten wollen, in deren innere Beſtand -159 theile man nur durch Nachdenken und Beharr - lichkeit eindringen kann. Eben dieſe Gabe leicht zu faſſen, bewirkt, daß ſie zwar ungezwungen, lebhaft und wortreich, aber hoͤchſt einſeitig, uͤber die wichtigſten Dinge ſprechen. Sie wer - den ſtumm bey dem erſten Einwurf eines gruͤnd - lichern Kopfes, und ſind ſchnell auf ſeiner Seite beym zweyten. Nichts waͤre alſo leichter, als eine Verſammlung von Polen, bey uͤberwie - genden Talenten, zu allem zu bewegen, wenn nicht Parteyſucht, perſoͤnlicher Vortheil, Furcht und Hochmuth, ſtatt Ueberzeugung, ſie davon abhielten. Der Umſtand, daß ſie die Angele - genheiten des Vaterlandes ohne baare Vergel - tung beſorgen muͤſſen, traͤgt nicht weniger zur Unterhaltung ihres Leichtſinns und ihrer Traͤg - heit bey; ſie halten das, was ſie fuͤr daſſelbe thun, fuͤr eine Gnade, die ſie ihm erweiſen; und da ſie uͤberdieß zu ſehen gewohnt ſind, daß eine kleine Anzahl Staatsbuͤrger ſich fuͤr das Vaterland ausgiebt und, durch Liſt oder Gewalt, die uͤbrigen fuͤr ſie zu arbeiten zwingt:160 ſo verringert dieß ihre Theilnahme noch mehr, und hoͤchſtenſ kann ſie eine reichliche Abgabe von dem, waſ die Partey, Vaterland genant, durch die Erreichung ihrer Abſichten zu gewin - nen gedenkt, etwaſ mehr in Thaͤtigkeit ſetzen. Doch auch in dieſem Falle quaͤlen ſie ſich we - der mit Nachdenken noch mit Arbeiten, weil ihre Stimme am Reichſtage hinlaͤnglich iſt, um daſ durchſetzen zu helfen, waſ die Partey - fuͤhrer wollen; und ſie uͤberlaſſen eſ dieſen, die Vorbereitungen dazu, die Geiſt und Arbeit erfordern, ſelbſt zu treffen, oder durch unter - geordnete Handlanger treffen zu laſſen.

Nimmt man alle dieſe Umſtaͤnde zuſam - men, ſo wird eſ erklaͤrlich, wie die Weiber in Polen ſolch einen ſiegenden Einfluß auf die Geſchaͤfte haben koͤnnen. Gruͤndlichkeit, Kennt - niſſe,[Arbeitſamkeit] ſind uͤberall nicht die vor - zuͤglichſten Gaben deſ andern Geſchlechtſ, und ſind eſ am wenigſten bey dem hieſigen; aber ſie beduͤrfen auch deren, bey dem einmal ein - gefuͤhrten Geſchaͤftſgange, ſo wenig, daß ſieihren161ihren Unternehmungen ſchaden wuͤrden, wenn ſie jene Mittel dabey anwenden koͤnnten oder wollten. Koͤrperliche Reize und Ueberredungs - gabe, die aus dieſen hervorgeht; die Kunſt, fein zu ſchmeicheln, gewiſſe Hoffnungen zu er - wecken, durch Thraͤnen zu erweichen, durch liebenswuͤrdigen Ungeſtuͤm zu uͤberraſchen, durch ſchoͤnen Zorn zu erſchrecken, die Nachgiebigkeit und Artigkeit, welche Natur und Gewohnheit gegen ſie in den Mann gelegt haben, geſchickt zu nutzen: dieſe Eigenſchaften ſind es, die hier, mit Liſt und Geſchmeidigkeit der Lippen verbunden, in den Geſchaͤften oft Wunder thun, und die bey den hieſigen Weibern, wie bey den Maͤnnern, durch Liebe, Galanterie und erreg - ten Enthuſiasmus eben ſo oft, als durch Geld, Juwelen und ſchoͤne Poſtzuͤge, in Thaͤtigkeit geſetzt werden.

Kein Beſchluß koſtete der Mehrheit des Revolutions-Reichstages mehr Muͤhe durch - zuſetzen, als die Zuruͤckbringung der Staro - ſteyen an den Staat und deren Verkauf; dennDrittes Heft. L162alle Weiber hatten ſich dagegen erklaͤrt, ſelbſt die Weiber der Patrioten, die jene Maßregel in Vorſchlag gebracht oder gebilliget hatten. Sie ſahen ſie fuͤr die Zerſtoͤrerin ihrer Putz - tiſche, fuͤr die Ausraͤumerin ihrer Kleider - ſchraͤnke, fuͤr die Raͤuberin ihrer Koſtbarkeiten an. Allerdings verloren dadurch manche große Familien die Haͤlfte ihrer Einkuͤnfte; und den Weibern that dieß um ſo weher, da mancher Gemal ſo freygebig geweſen war, ſie mit ih - ren Nadelgeldern und kleinen Ausgaben auf eine Staroſtey anzuweiſen. Als jener Beſchluß dennoch durchging, mußten die Befoͤrderer deſ - ſelben es ſchmerzlich buͤßen. Viele ihrer Freun - dinnen brachen mit ihnen; viele wurden kalt; viele alte Verbindungen wurden erſchuͤttert. Man reiſ'te ganz von Warſchau ab, man ſchloß ſich ein, man verkaufte Whyskys, man bot ſogar ſeine Nippes zum Kauf aus. Aber die ſchmerzlichſte Kraͤnkung widerfuhr dabey dem Koͤnige! Sonſt verſammelte ſich alles, was Schoͤnes in Warſchau war, von Koſtbar -163 keiten ſtarrend, in dem geſchmackvolleſten An - zuge, am Abend des Neujahrstages, in ſeinem großen Saale. Er pflegte in der Mitte des reizvolleſten, glaͤnzendſten Cirkels, nicht als ein geliebter Koͤnig, nein, als weit mehr als der angebetete Liebhaber von hundert der ſchoͤn - ſten Weiber zu erſcheinen, die ſich ſelbſt ſchoͤ - ner duͤnkten, als ſonſt, indem ſie ihm zu ge - fallen ſtrebten! Welch ein trauriger Abſtich am Neujahrstage 1792! Man wartete und wartete, keine der bekannten ſchoͤnen Weiber erſchien! Und als endlich die Fluͤgelthuͤren aufgingen, trat niemand herein, als Eine fremde Fuͤrſtin, die allerdings eine Menge anderer zu uͤberſtrahlen und zu erſetzen gemacht war niemand, als die regierende Herzogin von Kur - land, in Begleitung der Schweſter des Koͤnigs und zwey oder drey anderer Damen! Es kam nun heraus, daß die uͤbrige ſchoͤne Welt eine ungeheure Verſchwoͤrung gegen den Koͤnig ge - macht hatte, nicht vor ihm zu erſcheinen, weil er wie man ihn unverholen wiſſen ließ L 2164den Verkauf der Staroſteyen vorgeſchlagen und befoͤrdert, und ſie dadurch in den traurigen Zu - ſtand verſetzt habe, daß ſie keine Diamanten mehr tragen und kaufen koͤnnten! Aber die Ungluͤcklichen hatten den Zeitpunkt ihrer Rache uͤbel gewaͤhlt! Der groͤßeſte Theil der Anweſenden ſchrieb ihr Ausbleiben ihrer Eifer - ſucht und ihrem Neide auf die erwaͤhnte Fuͤr - ſtin zu, und das, was zu einer andern Zeit vielleicht eine ſehr tragiſche Wirkung gethan, ja, ſo bedenklich war es! eine fuͤrchterliche Staatsrevolution veranlaßt haben wuͤrde, er - weckte jetzt den Maͤnnern eine gute Laune und eine Schadenfreude, die ſich nicht einmal zu Gunſten der ſchoͤnen Julie Potocka und zwey anderer liebenswuͤrdigen Weiber, die ſich, faſt noch weniger als einfach gekleidet, waͤhrend der Kour nur im Vorſaale zeigten, bey den La - chern, die ſie ſahen, verlieren wollten!

Man hat mir, den erwaͤhnten Beſchluß wegen der Staroſteyen betreffend, einen Zug erzaͤhlt, der fuͤr das polniſche Thun und Trei -165 ben der Geſchaͤfte ſehr beſchreibend iſt. Viele, die in andern Dingen auf Seiten der Mehr - heit waren, traten in dieſem Punkte von der - ſelben ab, und zu der Gegenpartey uͤber; und deßhalb fuͤhlte ſich jene eine Zeit lang zu ſchwach, als daß ſie die dahin gehoͤrige Kon - ſtitution, die laͤngſt fertig war, dem Reichs - tage zur Ueberlegung und Entſcheidung haͤtte vortragen koͤnnen. Da jede Partey leicht uͤber - zaͤhlen kann, wie viel Stimmen ſie fuͤr - und wider ſich hat: ſo fand die patriotiſche dieß - mal, daß die gegenſeitige ihr um funfzehn uͤber - legen ſey. Anfangs unterhandelte, warb, uͤber - redete, verſprach ſie; aber nichts fruchtete. Endlich gelangte ſie durch folgende Liſt zu ih - rem Zwecke. Ein Großer, der ſich noch nicht oͤffentlich fuͤr oder gegen dieſe Operation erklaͤrt hatte, aber heimlich den Patrioten anhing, lud eine große Geſellſchaft zu einem Auſtern - ſchmauſe nach Wola ein. Unter den Gebete - nen waren uͤber zwanzig Widerſacher des Sta - roſteyentwurfs. Die Tafel ſtarrte von Speiſen,166 der Schenktiſch krachte unter den Flaſchen. Der Wirth und ein paar Andre, die um den Plan wußten, feuerten die natuͤrliche und Trink - luſt der Gaͤſte, beſonders derer, denen es ei - gentlich galt, uͤbermaͤßig an. Der wilde Schmaus dauerte bis den andern Morgen um vier Uhr. Man fuhr nach Hauſe, in einem Zuſtande, der nicht ſehr erlaubte, an das Va - terland zu denken. Die Hauptperſonen beſon - ders hatten die Staroſteyen und die naͤchſte Reichstagsſitzung voͤllig vergeſſen, fuͤr die man uͤberdieß, mit loͤblicher Vorſicht, den Tag vor - her einen ganz andern Gegenſtand angekuͤndigt hatte. Wer von den Auſterneſſern nicht krank war, der war betaͤubt oder ſchlaͤfrig; keiner er - ſchien in der Sitzung. Dieſe nahm ihren An - fang; die Patrioten waren ihrer Sache ge - wiß; der Reichstagsmarſchall entſchuldigte ſich, daß der Entwurf, den er geſtern angekuͤndigt habe, nicht fertig geworden; brachte dafuͤr den Staroſteyentwurf auf die Bahn; die Mehr - heit der Stimmen war fuͤr ihn; er ward in167 ein Geſetz verwandelt. Vergebens waren ei - nige von der Gegenpartey zu ihren Anhaͤngern herum gefahren, um ſich zu verſtaͤrken; ſie hatten ſie theils außer Stande gefunden, auf - zuſtehen, theils hatten ihre Erweckung vom Schlaf und ihr Ankleiden zu viel Zeit wegge - nommen, als daß ihre Erſcheinung noch haͤtte wirkſam ſeyn koͤnnen. Daß uͤberdieß die Mehr - heit nicht auf ſie gewartet haben werde, iſt leicht zu begreifen.

Die Stellvertreter der polniſchen Nation haben einen entſchiedenen Abſcheu gegen alle geſchriebene und gedruckte, ſtaatsrechtliche und gerichtliche Ausfuͤhrungen. Kurze Entwuͤrfe zu Beſchluͤſſen leſen ſie noch wohl, aber faſt immer erſt in den letzten Augenblicken, wo die Verhandlung daruͤber angehen ſoll. Es war in der That ein wenig laͤcherlich, wenn man ſie nach dem Reichstage fahren, und ſie im Wagen, trotz deſſen Schlaͤgen und Stoͤßen auf dem ſchlechten Pflaſter, ſehr aͤmſig die gedruck - ten Entwuͤrfe durchleſen, und doch die vor -168 uͤber rollenden, maͤnnlichen und weiblichen, Bekannten, gruͤßen ſah; wenn man bemerkte, daß ſie in großen, geraͤuſchvollen Geſellſchaf - ten, ſelbſt bey Tiſche, ſolche Schriften heraus - nahmen und wechſelsweiſe aßen, tranken und laſen; wenn ſie den Jnhalt derſelben huͤbſchen Weibern, deren Augen ganz andre Dinge ver - riethen, und die entweder unverholen gaͤhnten, oder ſich quaͤlten, es mit halboffnen Munde zu verbeißen, mittheilten, um ihre Meynung daruͤber zu vernehmen; wenn ſie, noch ehe ſie dieſelben gefaßt haben konnten, ſchon lobten, oder tadelten, oder mit Andern daruͤber ſtrit - ten. Als nicht minder ſeltſam fiel es auf, ſie, bey den Verhandlungen ſelbſt, Zeitungen oder Briefe leſen, oder mit uͤber einander geſchla - genen Armen zuruͤckgelehnt, ſitzen und gaͤhnen, oft wohl auch ſchlafen zu ſehen. Den Koͤnig ſelbſt uͤberraſchten bey langen Sitzungen, wo Gegenſtaͤnde verhandelt wurden, die ihn nicht nahe genug angingen, oder von deren Erfolg er durch die Mehrheit der Stimmen ſchon ge - wiß war, ſolche kleine Menſchlichkeiten.

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Was dieſe Sorgloſigkeit noch vermehrt, iſt die Gewohnheit, wichtige Gegenſtaͤnde ge - wiſſen Ausſchuͤſſen, hier Deputationen ge - nannt, zu uͤbergeben; ſie dieſen zur Unterſu - chung, Bearbeitung und zum Vortrage zu uͤberlaſſen; ſich ſodann nicht ferner darum zu bekuͤmmern, und endlich, wenn ihre Arbeit je fertig wird, ſie anzunehmen oder zu verwer - fen, wie eigner Vortheil, Jahrgelder, Ueber - macht und Leichtſinn es vorzuſchreiben pflegen.

Dieſe Ausſchuͤſſe, die aus dem Ganzen aus - gehoben werden, tragen auch im Kleinen den Geſchaͤftscharakter des Ganzen. Jede Partey ſucht ihre Anhaͤnger hinein zu bringen, und bringt eben dadurch auch die gewoͤhnliche Spal - tung hinein. Vermoͤge derſelben wird bald der Ausſchuß nicht vollſtaͤndig, (denn die Ge - ſetze ſchreiben eine gewiſſe Anzahl von Mit - gliedern vor, die bey einer Sitzung zugegen ſeyn muͤſſen, wenn ſie Kraft haben ſoll) bald ſind die Stimmen getheilt. Das eine Mit - glied erſcheint um eilf, das andrr um ein, das170 dritte um zwey Uhr, und die Sitzung koͤmmt gerade zu Stande, wenn ſie geſchloſſen wer - den ſoll. Daraus erklaͤre man ſich, warum die wichtigſten Unternehmungen des Revolu - tionsreichstages, bey denen Eile und Thaͤtig - keit, in den guͤnſtigſten Zeitpunkten fuͤr die Mehrheit, alles entſchieden, ſo ſchlaͤfrig, ſo deſultoriſch ausgefuͤhrt wurden. Die Aus - ſchuͤſſe zur Entwerfung der neuen Verfaſſung, zur Verbeſſerung des Schatzweſens und zur Einrichtung des Heeres, waren Jahre und Tage beſchaͤftigt und brachten nichts zu Stande, bis in den letzten Augenblicken, wo die Noth ſie drang und wo ſie dann ihre Arbeiten uͤber - eilten. Die Kurlaͤndiſchen Jrrungen ſchweb - ten, ſeit 1788, vor dem Reichstage, und er - hielten 1791 erſt eine eigene Deputation. Dieſe hatte binnen drey Vierteljahren ungefaͤhr zehn vollſtaͤndige Sitzungen, deren ſie, gemaͤß dem Reichstagsbeſchluſſe, woͤchentlich zwey halten ſollte. Gedachte zehn Sitzungen gingen, aus obenangezeigten Urſachen, ohne Frucht vor -171 uͤber, und erſt, als die Kriegserklaͤrung von Seiten unſeres Hofes erſchien, vereinigte man ſich (Dank ſey dem herrlichen Grundſatze des medii termini, zu welchem die Mitglieder des Auschuſſes durch die rechtenden Parteyen mittelſt gleich-wichtiger, gleich-blenden - der Urkunden vermuͤßiget wurden) in einer einzigen Sitzung, uͤber einige, den Steit zwiſchen dem Herzog und Adel betreffende, zweydeutige, auf Schrauben geſtellte Punkte, die man eine Konſtitution nannte; waͤhrend der Kanzler Kollontay, in den letzten Au - genblicken vor einem Abendeſſen, eben dieſem Ausſchuß eine Deklaration ohne Sinn, betreffend die Sache der Kurlaͤndiſchen Staͤdte, abzubetteln gezwungen war. So ſchickte man die Geſchaͤftstraͤger des Herzogs und des Adels, die ſeit vier Jahren Arbeit, Muͤhe und Geld verſchwendet hatten, und die Abgeordneten der Staͤdte, die anderthalb Jahre eben ſo in Warſchau beſchaͤftigt geweſen wa - ren, landesvaͤterlich nach Hauſe.

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Die Art, wie man dir Gegenſtaͤnde, die man vom Reichstage entſchieden wuͤnſcht, zur Kenntniß deſſelben bringt, iſt hoͤchſt muͤhſam. Man laͤßt ſie naͤmlich in rechtlicher Form, mit den noͤthigen Urkunden, drucken, und uͤbergiebt ſie in dieſer Geſtalt dem Koͤnige, den Mini - ſtern, dem Reichstagsmarſchall, den Senato - ren, den Reichsboten. Man ſucht alle dieſe Perſonen zu ſprechen und ihnen zugleich muͤnd - lich ſeine Sache zu empfehlen*)Vergl. zweytes Heft, S. 127 und 128. Sind es Forderungen, die man vortraͤgt, ſo iſt es Sitte, ſie ſo hoch zu ſpannen, als man nur kann, weil man weiß, daß doch nur der kleinſte Theil derſelben erfuͤllt werden wird; ſind es Klagen uͤber ſtaatsrechtliche Beeintraͤchtigun - gen, Bedruͤckungen, Vorenthaltungen, ſo muß man ſie ſo fuͤrchterlich ſchildern, mit ſo viel Urkunden belegen, mit ſo viel wehmuͤthigen Erlaͤuterungen begleiten, als man nur vermag, und ſodann ebenfalls Konkluſionen und Petita173 hinzufuͤgen, die wenigſtens um zwey Drittel mehr enthalten, als das, was man eigentlich verlangt. Da man aber in der Regel anneh - men muß, daß dieſe Klagſchriften, und noch weniger die daran gefuͤgten Urkunden, geleſen werden: ſo bringt man ſie in einen kurzen Auszug, kleidet ſie in einen freyen Vortrag, in einen gefaͤlligen Styl ein, und theilt ſie, in polniſcher, franzoͤſiſcher, auch deutſcher Spra - che, eben ſo, wie die foͤrmliche Ausfuͤhrung ſelbſt, noch einmal, wie oben gedacht, aus. Zugleich verbreitet man ſie im Publikum, da - mit man, wo moͤglich, die oͤffentliche Meynung fuͤr ſich gewinne. Der Ton darin kann ernſt - haft und derb, ſatyriſch und ſcherzhaft ſeyn; aber letztres thut die beſte Wirkung, beſonders wenn man Laͤcherlichkeiten auf ſeine Gegner dadurch zu verbreiten weiß. Dieß iſt die erſte Handlung.

Die zweyte hebt damit an, daß man die Hauptperſonen des Reichstags auf ſeine Seite zu bringen ſuche. Um dieſen Zweck zu errei -174 chen, iſt eine genaue Kenntniß des Wie noͤthig. Dieſe zu verſchaffen, giebt es gewiſſe Leute in Warſchau, die ſchon lange als Unter - haͤndler in Geſchaͤften thaͤtig geweſen ſind: Abbeeſ, Facienden-Macher, Advokaten, Be - amte in Kollegien u. a., deren politiſche und oͤkonomiſche Lokalkenntniſſe man ſich mit einer verhaͤltnißmaͤßigen Summe erkauft. Sie ha - ben entweder ſelbſt das Vertrauen mancher Großen, oder ſie kennen die Vertrauten der - ſelben und weiſen den Solicitanten an dieſe. Von ihnen erfaͤhrt er, wodurch der hohe Goͤn - ner zu gewinnen iſt, und ſie werden die Mitt - ler zwiſchen ihm und jenem. Mit ihnen ver - abredet er die Geſchenke, die er zu machen hat, um unterſtuͤtzt und beguͤnſtigt zu werden. Dieſe Leute ſind die Gewandtheit und Argliſt ſelbſt. Sie nehmen gewoͤhnlich von allen Par - teyen, verſprechen einer jeden, fuͤr ſie thaͤtig zu ſeyn, beſchneiden oft die Geſchenke, die man ihrem hohen Vertrauten zu machen glaubt (denn eine Beſcheinigung uͤber den Empfang175 kann man nicht verlangen), und nehmen, wie es ſich von ſelbſt verſteht, fuͤr ihre Muͤhe, verhaͤltnißmaͤßig, noch eine gute Summe. Außerdem empfehlen ſie gewoͤhnlich noch die Schreiber, die Kammerdiener, ſelbſt die Thuͤr - ſteher, dem Solicitanten. Dieſer hat dann Zutritt im Hauſe. Auf eben dieſe Weiſe ſucht man Weiber, die auf dieſen oder jenen Großen Einfluß haben, fuͤr ſeine Sache zu erobern.

Den Reichsboten, die in einer weniger glaͤnzenden Lage ſind, traͤgt man ſein Verlan - gen ſelbſt vor, und laͤßt ſie, gleich beym erſten Beſuche, merken, daß man ihre guten Dienſte belohnen will; ſie geben dagegen zu erkennen, daß man damit nicht abgewieſen werden ſoll; und ſchon beym zweyten Beſuche koͤmmt alles in Richtigkeit. Mit dieſer Gattung geht man in ſo fern am ſicherſten, daß man wirklich weiß, ſie haben die fuͤr ſie beſtimmte Summe erhalten: denn man hat ſie ihnen ſelbſt aufge - zaͤhlt, und ſie haben ſich ſo dafuͤr bedankt, wie ſich ein Bedienter fuͤr ein Trinkgeld bedankt,176 das ihm nicht verſagt werden konnte. Will man in ſolchen Faͤllen ſparen, (was nicht zu rathen iſt, wenn man eine wichtige Sache be - treibt) ſo unterrichtet man ſich uͤber ſolche Zeit - punkte, wo der Goͤnner dringend Geld braucht, und man koͤmmt wohlfeiler davon.

Wird die Sache des Solicitanten an einen Reichstagausſchuß verwieſen, ſo muß er ſchon bey der Wahl der Mitglieder deſſelben wach - ſam und thaͤtig ſeyn; ſodann muß er dieſe ſelbſt, auf die beſchriebene Weiſe, wenigſtens ihrer Mehrheit nach, in Beſchlag zu nehmen ſuchen. Beſonders wichtig iſt es, den Fuͤhrer des Protokolls auf ſeiner Seite zu haben, da - mit man ihn immer willig finde, Auszuͤge daraus verabfolgen zu laſſen. Den, ihm etwa zugeſellten Schreiber, muß man nicht vernach - laͤßigen, damit er einem das verrathe, was etwa der Ausſchuß (gegen die geſetzliche Ord - nung, die bey offenen Thuͤren zu verhandeln gebietet) remotiſ arbitriſ beſchließen koͤnn - te. Die Geſchaͤfte ſelbſt aber werden, wennſie177ſie einen Staatsrechts-Handel betreffen, von Advokaten eingeleitet. Sie leſen naͤmlich die - ſelbe Klagſchrift, die man ſchon vertheilt hat, ſo ſchnell ſie koͤnnen vor, zeigen die Urkunden, ohne ſie zu leſen, den Deputirten, und dieſe heben, ſobald der Gegner, auf gleiche Weiſe, gehoͤrt worden iſt, ihre Berathſchlagungen an. Man denke ſich ſelbſt, wie dieſe, unter den angezeigten Umſtaͤnden, ausfallen muͤſſen! Das Wahre iſt: daß dieſe Berathſchlagungen nur die Punkte betreffen, deren Entſcheidung die Sollicitanten ſelbſt vorgeſchrieben und ſich bey der Mehrheit erkauft haben. Denn, wenn es fuͤr die Menge noͤthig iſt, ſeine Forderungen ſo hoch zu ſpannen, ſeine Klagen ſo ſehr zu uͤbertreiben, als man nur kann: ſo iſt es bey den vertrautern Befoͤrderern derſelben noͤthig, daß man genau ſage, was man, dem Grunde nach, fordert und fordern koͤnne, und ihnen den Entwurf davon uͤbergiebt. Dieß ſetzt man denn auch durch, wenn man die Mehrheit hat. Zeigt ſich aber, daß der Gegner eben ſo vielDrittes Heft M178Stimmen hat, ſo trift man den ſchon oft er - waͤhnten Mittelweg; die Goͤnner beyder Par - teyen vereinigen ſich, indem ſie wohl wiſſen, was wechſelsweiſe ihre Ueberzeugung lenkt; man ſchraͤnkt die Forderungen beyder ein, und ein Gutachten nebſt einer Entſcheidung, die nichts entſcheidet, iſt fertig. Dieß war die dritte Handlung.

Die vierte Handlung, die neue Angſt, Ar - beit und Geldausgaben im Gefolge hat, iſt der Vortrag jeneſ Gutachtens und der Entſchei - dung des Ausſchuſſes, am Reichstage ſelbſt. Hier muß man an Stimmen noch zu gewin - nen ſuchen, was man gewinnen kann. Dieje - nigen Boten, die man bey der Einleitung und Unterſuchung ſeiner Sache nicht bedurfte, be - darf man jetzt bey deren Entſcheidung, da der Unbedeutendſte ein hoͤchſt wichtiges Talent, ſeine Stimme, hat. Man muß jeden per - ſoͤnlich beſuchen, ſprechen, durch Worte und Geſchenke uͤberreden. Die Thaͤtigkeit der Sol - licitanten erſteigt jetzt ihren hoͤchſten Grad. 179Von ſechs Uhr des Morgens an, bis um zwoͤlf Uhr des Mittags, von ſechs Uhr Nach - mittags bis um zwoͤlf Uhr in der Nacht muͤſ - ſen ſie in Bewegung ſeyn, je nachdem ſie die Senatoren und Reichsboten fruͤher oder ſpaͤter, beym Aufſtehen oder beym Niederlegen, an der Tafel oder beym Spiel, zu finden wiſſen, oder zu finden glauben. Oft treffen ſie mit ihren Gegnern an einem Orte, in einem Vor - zimmer, an einem Putztiſche zuſammen; ſie hoͤren ſie ſelbſt gegen ſich ſprechen, und war - ten nur das Ende ab, um ihrerſeits gegen ſie zu ſchreyen. Jn ſolchen Faͤllen ſieht der Kluͤ - gere nur zu, daß er der letzte iſt, der vortraͤgt. Denn der verwirrte Goͤnner giebt gewoͤhnlich dem Letzten Recht. Die Sache kommt endlich an den Reichstag, man ſtimmt dafuͤr oder da - gegen, ohne davon unterrichtet zu ſeyn, und die Mehrheit der Stimmen entſcheidet. Dieß iſt die Entwickelung des Stuͤcks, und der Vor - hang faͤllt gewoͤhnlich zum Mißvergnuͤgen aller Parteyen.

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Man ſetze kein Mißtrauen in die Wahr - heit dieſer Schilderung. Die einzelnen Zuͤge derſelben ſind aus eigener Erfahrung genom - men und weder zu ſchwach noch zu ſtark auf - getragen. Wer je Geſchaͤfte am Reichstage betrieben hat, wird ſie nicht nur treffend fin - den, ſondern auch mit vielen andern noch ver - mehren koͤnnen.

Der Gang der rechtlichen Geſchaͤfte iſt, im Kleinen, ganz derſelbe. Man ſetze anſtatt Senatoren, Richter, anſtatt Reichsboten, Bey - ſitzer, und anſtatt Unterhaͤndler und Raͤnke - macher, Berichtſteller und Anwalde, brauche bey dieſen, um ſie fuͤr eine gerechte oder un - gerechte Sache zu gewinnen, dieſelben klingen - den Gruͤnde und Urkunden: ſo nimmt das rechtliche Geſchaͤft denſelben Weg, wie das Staatsgeſchaͤft, und man erhaͤlt dieſelbe Ent - ſcheidung.

Die Vorſitzer der verſchiedenen hoͤheren und niederen Gerichtshoͤfe in Polen, und deren Beyſitzer, koͤnnen nur aus dem Adel genom -181 men werden. Jhre gerichtlichen Kenntniſſe ſind hoͤchſt eingeſchraͤnkt. Was man in andern Laͤn - dern Rechtsgelehrſamkeit nennt, iſt hier gar nicht bekannt. Die polniſche geht aus den Konſtitutionen des Reichstags, aus dem Ge - richtsbrauch und aus den Privilegien, Ver - guͤnſtigungen und Vorrechten der verſchiedenen Staͤnde, die bey Rechtshaͤndeln in Abſchriften der Klage jedesmal beygelegt werden muͤſſen, hervor. Neuere Konſtitutionen und Privile - gien werfen aͤltere um; Rechtsfragen, uͤber welche jene nicht entſcheiden, werden auch nicht mit Beyhuͤlfe auslaͤndiſcher Rechte eroͤrtert, ſondern man martert entweder die vorhande - nen Beſchluͤſſe, um ſie ihnen durch Erweite - rung oder Verengerung anzupaſſen, oder man antwortet durch Willkuͤhr darauf; ein allge - meines Geſetzbuch iſt nicht vorhanden, und die Konſtitutionen und Verordnungen widerſpre - chen einander haͤufig. Auch ſind ihrer ſo viel, daß ſie, bey dem eifrigſten Studium, nicht uͤberſehen, noch weniger, nach ihrem eigentli -182 chen Sinne, gefaßt werden koͤnnen. Welche trefliche Entſchuldigung fuͤr Richter und Bey - ſitzer, die an ſich nicht zu ernſthaften Arbeiten gewoͤhnt ſind, wenn ſie ſich nicht um ſie be - kuͤmmern! Welch ein Feld fuͤr die Chikane und Rabbuliſterey der Advokaten!

Dieſe letztre Menſchenklaſſe kann leicht eine der verworfenſten in Polen ſeyn. Ungern mag ich uͤber Tugenden und Laſter ganzer Klaſſen abſprechen, aber von dieſer bin ich ſehr ver - ſucht, zu behaupten, ſie ſey ſo ſchlecht, daß das ganze Lob, das man Einzelnen, die eine Ausnahme machen duͤrften, geben koͤnnte, die - ſes waͤre: daß ſie minder ſchlecht ſind, als die uͤbrigen.

Jhr Studium der Rechte (man erlaube mir einmal dieſen viel zu edlen Ausdruck) treiben ſie wie ein Handwerk, ſo wie ſie ſelbſt eine Art von Zunft bilden. Ein junger Menſch, der Advokat werden will, lernt ſchreiben und Lateiniſch auf den gewoͤhnlichen Schulen. Kann er dieß mit einiger Fertigkeit, ſo ſucht er bey183 einem Advokaten unterzukommen, der ihn nicht ohne Lehrgeld annimmt. Dieſem dient er als Lehrjunge (practicans iſt ſeine lateini - ſche Benennung) eine beſtimmte Zeit, waͤh - rend welcher er bloß abſchreibt, Akten heftet und in die Gerichtshoͤfe traͤgt; ſodann wird er zum Geſellen (auſcultans) erhoben. Als ſolcher reicht er ſchon bey Gerichtsſitzen ſeinem Meiſter die Urkunden zu, arbeitet leichte Auf - ſaͤtze aus, und wird in kleinern Chikanen und Verdrehungen, und im Gebrauch zweydeutig geſtellter Ausdruͤcke unterrichtet. Sodann ſteigt er zum Altgeſellen (Amanuenſis) und der Meiſter vertraut ihm feinere Arbeiten an, wo - bey er noch andre kleine Kuͤnſte, die nicht zum Rechte, aber wohl zu den rechtlichen Geſchaͤf - ten in Polen gehoͤren, theils lernen, theils ahnen und errathen kann. Hat er als ſolcher noch einige Jahre gedient, ſo hat er ausſtu - diert, und er ſetzt ſich nun ſelbſt als Meiſter und richtet ſeine Werkſtatt ein. An Beziehen einer hohen Schule wird nicht gedacht.

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Sonach beſteht die ganze Wiſſenſchaft der hieſigen Anwalde in der mechaniſchen Kennt - niß alter und neuer Konſtitutionen-Sammlun - gen, in der Kunſt, ſie auszulegen, zu verdre - hen, zu untergraben, und in der Geſchicklich - keit, verfaͤngliche, zweydeutige Konkluſionen ab - zufaſſen. Einem der beruͤhmteſten unter ihnen brachte ich eine Klagſchrift, die in Liefland ver - fertigt worden war. Er las eine Weile darin, lobte das Latein derſelben wiederholt und ſagte endlich: habent mentem profundam patro - ni Livoniae et ſcribunt excellenter, quod tamen non ſatis apud nos. (Die Lieflaͤndi - ſchen Advokaten haben tiefdenkende Koͤpfe, ſchreiben vortreflich, aber bey uns bedarfs mehr als das!) Jn der That, er arbeitete jene Schrift ſo um, und ſtopfte ſie, mittelſt ſei - nes mentiſ mit ſo viel Chikanen, Zwey - deutigkeiten und Verfaͤnglichkeiten aus, daß es ſatis fuͤr polniſche ſchon bezahlte Richter war.

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Die Mitglieder der Advokatenzunft ſind meiſt von Adel, aber von demjenigen, der nicht be - ſitzlich iſt, der mithin, wenn er nicht von dem Hoͤhern pachten, oder ſich ſonſt von ihm brau - chen laſſen will, ſich der Feder ergiebt und die Stellen der Schreiber bey Privatleuten, wie bey den Staatskollegien, und der Advokaten, Archivare, Unterrichter ꝛc. ausfuͤllt. Da dieſe Leute einen Anſtrich von Kenntniſſen haben, die den Vorſitzern und Richtern fehlen, ſo ſind ſie es eigentlich, welche die Gerichtshoͤfe be - herrſchen, und durch deren Mund jene abſpre - chen. Dieſen Einfluß wiſſen ſie treflich zu Gelde zu machen. Gewoͤhnlich ſtellen ſie ſich, wenn man ſie zu einem Rechtshandel anneh - men will, als ob ſie ſchon uͤbermaͤßig mit Ar - beiten beladen waͤren; man iſt alſo gezwungen, ihnen ein anſehnliches Geſchenk zu machen, damit ſie ſich nur mit einer Sache befaſſen, und dieß hat mit dem Lohne fuͤr ihre Arbeiten ſelbſt gar nichts gemein. Sodann erinnern ſie an die Opfer, die man den Richtern und186 Beyſitzern zu bringen habe, um ſie guͤnſtig fuͤr ſich zu ſtimmen; ſie geben vor, dieſe Herren ſeyen ſehr eigen und muͤßten mit großer Scho - nung in dieſem Punkt behandelt werden; ſie waͤren aber ſehr wohl mit ihnen bekannt und wuͤrden dieß Geſchaͤft einleiten. Darauf ver - langen ſie eine Summe zu Ausgaben dieſer Art, die ſie nie verechnen, weil man freylich uͤber Beſtechungen keine Beſcheinigung erhaͤlt. Da ſie unter einander ſehr genau zuſammen - hangen und eine Art fuͤr ſich beſtehender Ge - ſellſchaft ausmachen, ſo ſchlaͤgt die genaue Be - kanntſchaft, die daraus unter ihnen entſteht, zum Schaden ihrer Klienten aus. Zwey, die in einer Klagſache gegen einander wirken, be - reden ſich daruͤber, theilen ihre Ausarbeitun - gen einander mit; einer erfaͤhrt von dem an - dern, wer die Goͤnner der Proceßfuͤhrer ſind; ſie vergleichen wechſelſeitig das Gewicht der - ſelben; vertrauen einander gegenſeitig die Huͤlfs - mittel, den Reichthum oder die Armuth, die Freygebigkeit oder den Geitz ihrer Klienten;187 und kommen endlich, dieſe Umſtaͤnde wohl er - wogen, uͤberein, wer Recht behalten ſoll, der Klaͤger oder der Beklagte. Mehrentheils be - koͤmmt keiner von beyden ganz Recht, oder ganz Unrecht, und eine kuͤnſtlich geſtellte, in verwickelten Perioden ausgedruckte, fuͤr beyde Parteyen nicht unguͤnſtig klingende, Entſchei - dung, beſchließt das Ganze. Richter, Refe - renten und Advokaten theilen ſodann, was ſie ihren Klienten geraubt haben, wobey dieſe Be - truͤger wiederum alle ihre Liſt aufbieten, ſich unter einander ſelbſt zu betruͤgen. Jch uͤber - gehe, was ſie noch, im Laufe des Rechtshan - dels, durch die Angſt und Beſorgniſſe, worin ſie die Parten zu erhalten wiſſen, durch ge - fliſſentliche Verzoͤgerungen ihrer Arbeiten, die man mit immer neuen Geſchenken anfeuern muß, durch Abſchreibe - oder Druckkoſten und dergl. zu erpreſſen pflegen.

Uebrigens naͤhrt dieß Handwerk ſie treflich. Einige beſitzen eigene große Haͤuſer in War - ſchau und leben auf einem anſehnlichen Fuße. 188Jhre Weiber und Toͤchter gehoͤren mit zu der feinen Welt. Die vornehmſten Herren und Damen machen ihnen die Kour, weil ſie in Geſchaͤften unentbehrlich ſind. Sie halten ſich Wagen und Pferde; und diejenigen, die der - gleichen nicht halten, muß der Klient, in ſei - ner Sache, damit verſorgen.

Derſelbe Egoismus, und die aus demſel - ben fließende Vergeſſenheit aller moraliſchen Pflichten, die den oͤffentlichen Geſchaͤften, welche den Staat, und das Mein und Dein betreffen, in Polen zum Grunde lie - gen, zeigen ihren Einfluß nicht minder ab - ſchreckend in allen uͤbrigen Verhaͤltniſſen, in welchen der Menſch gegen den Menſchen ſte - hen kann. Die Gefuͤhle der Freundſchaft, der ehelichen, der vaͤterlichen, der muͤtterlichen, der kindlichen, der geſchwiſterlichen Liebe und Anhaͤnglichkeit tragen alle den Stempel der Kaͤlte, der Gleichguͤltigkeit und des Leichtſinns. Jeder geht ſeinen eigenen Weg, ſucht ſeinen189 Genuß, wo er ihn findet und uͤberlaͤßt dem andern, hierin fuͤr ſich ſelbſt zu ſorgen.

Freundſchaft iſt hier entweder auf politi - ſchen Eigennutz, oder auf geſellſchaftliche Be - duͤrfniſſe gebauet. Eine reinere Art derſelben findet hier nur unter Leuten Statt, die einan - der politiſch weder ſchaden noch nuͤtzen koͤnnen, deren wechſelſeitige Laufbahnen einander nicht beruͤhren, und die deshalb keine Urſachen ha - ben, gegenſeitig auf einander eiferſuͤchtig zu ſeyn. Dieſe Gattung iſt eben ſo feurig, eben ſo dauerhaft hier als anderwaͤrts, wenn ſie auch ſeltener ſeyn ſollte. Es fehlt den Polen nicht an Gefuͤhl, uͤberhaupt nicht an ſchoͤnen Eigenſchaften des Herzens; aber die Verfaſ - ſung und Lebensart untergraben und unter - druͤcken ſie um die Wette, und oͤfterer, als es z. B. in einem Staate der Fall ſeyn kann, wo Geſetz und Monarch eine Menge von Ge - genſtaͤnden, die hier ein allgemeines ehr - und eiferſuͤchtiges Gedraͤnge erregen, ein fuͤr alle - mal an ſich genommen haben, und wo die Po -190 lizey und der Zwang einer geordneten oͤffentli - chen Meynung, die Luͤſte, Launen und Sitten der Staatsbuͤrger mehr im Zaume halten.

Die ehelichen Verbindungen werden ſelten anders, als aus politiſchen und oͤkonomiſchen Ruͤckſichten geſchloſſen. Aus politiſchen um Glanz, Einfluß, Wuͤrden, Befoͤrderung, An - haͤnger zu erheirathen; aus oͤkonomiſchen um Schulden bezahlen und den Aufwand zu - gleich beſtreiten zu koͤnnen, den die kuͤnftige Gemalin machen duͤrfte. Deßhalb wird das Geſchaͤft des Ehevertrags mit einem Eifer und mit einer Eigennuͤtzigkeit von beyden Seiten betrieben, die ſonſt nur in den Geſchaͤften des Kraͤmers erhoͤrt ſind, und zugleich mit allen den kleinen Raͤnken und Ueberliſtungen, die hier bey den kleinſten, wie bey den groͤßeſten Geſchaͤften angewandt werden. So geben Ver - lobte einander mit der erklaͤrteſten Gleichguͤl - tigkeit die Hand, und ſie halten ſich hoͤchſtens in ſo ferne zu einander, als es die Fortpflan - zung der neuen Familie, ihre oͤkonomiſchen Um -191 ſtaͤnde und ihre Verhaͤltniſſe zu den uͤbrigen verlangen. Liebe, Treue, wechſelſeitige Auf - opferungen ihrer Liebhabereyen und Launen, haͤusliches Leben und Sorge fuͤr die Erziehung ihrer Kinder, ſind Dinge, die ſie kaum ah - nen, vielweniger als Hauptpflichten des eheli - chen Bundes ausuͤben. Hierin liegt der Grund, daß Eiferſucht in Polen ſo ſelten iſt. Wer wird eiferſuͤchtig auf einen Mann ſeyn, den man nicht liebt, von dem man nie geliebt wurde? Wer wird es auf eine Frau unter aͤhnlichen Umſtaͤn - den ſeyn? Wer wird, wenn er wirklich eifer - ſuͤchtig iſt, es lange ſeyn, da er taͤglich Gele - genheit findet, ſeinerſeits eiferſuͤchtig zu ma - chen. Da aber zuweilen den Gemal nicht ſein Herz, ſondern ſeine Ehre dringt, nicht etwa eiferſuͤchtig, ſondern buͤrgerlich beleidigt zu ſeyn und ſeine Gemalin dem gemaͤß zu behandeln, ſo braucht dieſe nur die Kunſt der Decenz oder des bewahrten Scheins zu verſtehen, um ſich gegen alle Verdrießlichkeiten von Seiten ihres Gemals voͤllig ſicher zu ſtellen.

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Dieſe Kunſt, deren Weſen darin beſteht, daß man Dinge zu verbergen wiſſe, die einen, nach den Regeln der hergebrachten Sitte, bey einer gewiſſen Societaͤt laͤcherlich oder veraͤcht - lich machen koͤnnten, iſt in Warſchau leichter als anderwaͤrts. Da der Adel die einzige Ge - ſellſchaft bildet und den Ton angiebt, ſo hat er auf die Graͤnz Klaſſen unter ſich, (denn uͤber ſich hat er keine) als ſeine Beurtheile - rinnen, nicht zu achten; da ſeine Sitten die allgemeinen Sitten ſeiner Cirkel ſind; da alſo in dem angeregten Punkte, in der Regel, eine Ehe wie die andre iſt, ein Weib, ein Mann, ſo denkt, wie das andre, wie der andre: ſo ſieht man wohl, daß hier die Decenz bey wei - tem nicht ſo fein, ſo ſtreng beobachtet ſeyn darf, als z. B. ehemals in Frankreich, wo die Großen noch einen Hof uͤber ſich hatten, der oft bey einer geheimen, großen Zuͤgelloſig - keit, dennoch ſorgfaͤltig auf den aͤußern Schein achtete, und wo unter ihnen ein Heer von hellſehenden Geringern wimmelte, das Ver -ſtoͤße193ſtoͤße gegen den Wohlſtand mit Sinngedichten und Gaſſenliedern verfolgte.

Das galante Verkehr geht ſonach in War - ſchau, ohne Anſtoß zu geben, ganz ungezwun - gen ſeinen Gang. Einzelne hieher gehoͤrige Zuͤge, die das Eigenthuͤmliche deſſelben ange - ben, hat der Leſer ſchon im Vorigen gefunden. Bey jungen und ſchoͤnen Weibern iſt Galan - terie die Hauptbeſchaͤftigung ihres Bluͤtheſtan - des. Sie haben ſie in ein Lehrgebaͤude ge - bracht, das aus Ueppigkeit, verfuͤhreriſcher Ge - ſelligkeit, und verliebter Gewiſſenloſigkeit, ver - miſcht mit etwas Herz und mit viel Eitelkeit, Politik und Habſucht, zuſammengeſetzt iſt. Die hieher gehoͤrige Geſchaͤftsſprache iſt die franzoͤ - ſiſche, und man ſieht aus dieſem Umſtande, von woher dieſe Wiſſenſchaft nach Polen ge - kommen iſt. Die franzoͤſiſchen Kunſtausdruͤcke ſind alle beybehalten. Die Weiber haben amiſ, die Maͤdchen amanſ; die verheira - theten Maͤnner haben amieſ, die unverhei - ratheten maitreſſeſ. Je l'ai eu ſa -Drittes Heft. N194gen die Weiber von einem Mann, der ihr Liebhaber geweſen iſt, das heißt, bey ihnen geſchlafen hat, denn an geiſtige Liebe iſt hier nicht zu denken; je l'ai eue ſagen die Maͤn - ner von einem Weibe in einem aͤhnlichen Falle. Die Woͤrter adorer, ſentimenſ, ri - gueurſ, ſouffranceſ, planter, ſa - crifice, monſtre, roué, noirceurſ, und alle uͤbrige aus dem verliebten Woͤrter - buche der ehemaligen franzoͤſiſchen großen Welt, die kein anderes Volk mit gleichem Werthe, Sinn und Nachdruck in ſeine Sprache uͤber - tragen kann, werden hier gehoͤrt und geuͤbt, und die Foͤrmlichkeiten bey dem Handel ſelbſt, ſind ebenfalls ganz franzoͤſiſch. Mit lorgne - rieſ, ſoupirſ, langueur faͤngt man an; mit empreſſemenſ, attentionſ, faͤhrt man fort, mit einer declaration kommt man zur Sache von Seiten des Man - nes; von Seiten des Weibes faͤngt man mit minauderieſ und langueur an, mit diſtractionſ und inégalité d'humeur 195faͤhrt man fort; mit froideur, indifféren - ce, mepriſ, fierté haͤlt man den An - griff des Mannes aus; mit ſurpriſe, bonté, indulgence, ſenſibilité er - liegt man demſelben in einem moment de foibleſſe. Jſt dieß in Richtigkeit, ſo erhaͤlt man ſich mit proteſtationſ d'une paſſion eternelle, mit marqueſ d'a - mour aller Art, wohin billetſ-doux, rendez-vouſ, cadeaux, heureſ du berger, ſacrifice deſ fortuneſ gehoͤren, eine kuͤrzere oder laͤngere Zeit; ſodann bereitet man durch petiteſ jalouſieſ, explica - tionſ, ennui, durch infidélitéſ und durch paſſadeſ auf den Bruch vor, und endlich on ſe ſurprend, on entre en déſéſperation, on ſe deteſte, on rompt, on ſe quitte. Dann ſagen ſie: tout a fini entre moi et lui; und das Publikum wiederholt: tout a fini entre elle et lui! Je ſuiſ libre, fahren ſieN 2196fort, und wer Ohren und Verſtand hat, der hoͤrt und verſteht.

Fuͤr Leſer, welche die aͤltere franzoͤſiſche Sitte und Sprache kennen, habe ich genug geſagt; fuͤr ſolche, die ſie nicht kennen, wuͤrde ich, wenn ich ihnen uͤber die polniſche Galan - terie ganz deutlich werden wollte, weitlaͤufti - ger, als es am rechten Orte waͤre, ſeyn muͤſſen.

Wo Galanterie der herrſchende Ton iſt, da findet man auch die hohe Schule der Mo - den und des Putzes. Die Warſchauer Ele - gants und Eleganten verwenden viel Zeit, Nachdenken und Geld auf dieſe Dinge. Die Weiber uͤbertreffen aber in dieſer Kunſt die Maͤnner unendlich weit, und letztre ſind darin wirklich noch beym A B C.

Die Grundlage der weiblichen Kleidung iſt die allgemeine, aus franzoͤſiſch-engliſchen Mo - den zuſammengeſetzte: aber die Nebenverzie - rungen ſind bey den Polinnen das Werk eig - nen Geſchmacks und eigner Laune. Jm Kopf -197 putze haben ſie etwas Eigenthuͤmliches, das zwiſchen den ſteifen Aufſaͤtzen der franzoͤſiſchen, und dem zu natuͤrlichen Haargehaͤnge der eng - liſchen Weiber, ein gluͤckliches Mittel haͤlt, und eine Art von morgenlaͤndiſchem Charak - ter traͤgt. Jhre Erfindungs - und Veraͤnde - rungskunſt in dieſem Punkt, iſt unerſchoͤpflich. Bey feyerlichen Gelegenheiten wiſſen ſie ſelbſt den Galakleidern, die uͤberall ſteif und ſchwer - faͤllig ſind, einen Schwung, eine Leichtigkeit zu geben, die ſehr angenehm auf das Auge wirken. Die Vertheilung der Brillanten zeigt von dem feinſten Nachdenken uͤber deren beſte Wirkung. Jch habe nichts praͤchtigeres und zugleich nichts einfacheres geſehen, als ihren Anzug bey Gelegenheit der Jahresfeyer der neuen Konſtitution. Jhrer zwey - bis drey - hundert waren damals, alle weiß und hellroth (die Farben des Koͤnigs) gekleidet, in der Kreutzkirche bey einander, und zierten die fuͤr ſie beſtimmten amphitheatraliſchen Sitze. Al - les, was Polen in ſeinem ganzen Umfange,198 unter den hoͤheren Klaſſen, Schoͤnes beſaß, glaͤnzte damals durch Natur und Kunſt reich - lich ausgeſtattet, in dem Raume jener Kirche und that, mit der Feyerlichkeit des Tages und allen uͤbrigen dazu gemachten Anſtalten ver - bunden, eine unbeſchreiblich reitzende Wirkung.

Jndeſſen ſcheint mir der Geſchmack der pol - niſchen Weiber und ihre Kunſt ſich zu kleiden, beſonders im Halbanzuge unerreichbar zu ſeyn. Die natuͤrliche Grazie, die in ihrem Weſen herrſcht, behaͤlt ein freyeres Spiel in demſel - ben; und die Zartheit und Luftigkeit der Zeuge, die ſie dazu waͤhlen, machen ihren, meiſt ſchlan - ken, hoͤchſt bewegſamen Wuchs, wie durchſich - tig, und geben dem Auge das feinſte Spiel aller Umriſſe an, die ſie durch ſehr maleriſche Stellungen und Bewegungen im Gange, bey Verneigungen und Geſpraͤchen, in beſtaͤndiger Regſamkeit zu erhalten wiſſen. Jhr Triumph ſind die Ballanzuͤge, bey denen ſie ſich weder durch eingefuͤhrte Mode, noch durch zu aͤngſt - liche Decenz, ſondern bloß von ihrem Ge -199 ſchmack und ihrer Einbildungskraft, leiten laſ - ſen. Es giebt in der That kein Schauſpiel, das verfuͤhreriſcher waͤre, als ein Ball in War - ſchau, auf welchem der Aushub der Eleganten von Polen vollzaͤhlig zugegen iſt.

Die Maͤnner bleiben in der Wahl, im Ge - ſchmack, in der Zuſammenſetzung ihrer Klei - dungsſtuͤcke, hinter den ehemaligen Elegants in Paris, und den gegenwaͤrtigen in London, weit zuruͤck. Die Nationaltracht iſt mehr praͤch - tig und koſtbar, als geſchmackvoll, obgleich ſie keinem wohlgewachſenen Mann uͤbel ſteht. Das Oberkleid faͤllt, in einem bequemen Schnitte, bis auf die Mitte der Wade herab, hat keine Schoͤße, keine Taſchenpatten, hinten keinen Schlitz, aber wohl eine breite kahle Taille, die ſich da endigt, wo die Huͤften anfangen, von welchen, auf beyden Seiten, drey oder vier dichte Falten, die ſich nach unten zu im - mer mehr erweitern, herabfallen. Die Aer - mel dieſes Oberkleides ſind, nach dem Ellen - bogen zu, gebrochen, und werden uͤber die200 Schultern geworfen; an ihrer Statt treten die engen Aermel des Unterkleides hervor und laufen bis zum Handgelenke immer ſpitziger zu. Dieß Unterkleid ſchließt genau an den Leib, iſt kuͤrzer als das Oberkleid, mit kleinen Knoͤpfen, von der Halsgrube an, bis unten aus, zugeknoͤpft, und im Sommer Taffet, oder feiner Baumwollenzeug, im Winter aber Atlas. Um den Leib, unmittelbar uͤber den Huͤften, wird das Degengehenk und eine praͤch - tige, von Gold, Silber und Seide ſehr ge - haltvoll gewirkte, Leibbinde, Paß genannt, geſchlungen. Die aͤlteren tragen einen geſchor - nen Kopf, der nur auf dem Wirbel einen Cir - kel von Haaren zeigt und einen ſchoͤnen maͤnn - lichen Hals macht, die juͤngern tragen das Haar in die Stirne gekaͤmmt und hinten ge - ſtutzt. Jene haben auch noch Zwickelbaͤrte. Buſen - und Handſtreifen finden bey dieſem An - zuge nicht Statt; dafuͤr traͤgt man, am Halse und an den Handgelenken, Knoͤpfe von Dia - manten in mancherley Formen. Die Farben201 des Tuchs oder anderen Zeuges, das man zu Oberkleidern waͤhlt, ſind die helleſten, die man finden kann, und die zu den Unterkleidern muͤſ - ſen durch eine zweyte ſchreyende Farbe gegen ſie abſtechen.

Dieſen Anzug tragen gewoͤhnlich nur noch Maͤnner von gewiſſen Jahren, und altmodi - ſchen Grundſaͤtzen. Am Reichstage konnte man die Gegner der Mehrheit daran erkennen. Die juͤngern trugen ſich entweder franzoͤſiſch, oder ſie erſchienen in der Uniform der Nationalrei - terey, die ſehr praͤchtig iſt, ſchoͤnen Koͤrpern vortreflich ſteht, und ſelbſt uͤbelgebauten ſehr nachhilft. Oben*)Erſtes Heft, S. 53 und 54. habe ich ſie weitlaͤuftig be - ſchrieben. Die franzoͤſiſche Kleidung hat be - ſonders der Koͤnig zuerſt aufgebracht und durch ſein Beyſpiel ziemlich allgemein eingefuͤhrt. Die Nachkommen der jetzt lebenden Gene - ration der hoͤhern Staͤnde, duͤrften ſchwerlich noch die Nationalkleidung tragen; aber der202 niedere Adel und der wohlhabende Buͤrger pol - niſcher Abkunft, werden ſich noch nicht ſobald von ihren geſchornen Koͤpfen und von den Zwickelbaͤrten trennen. Nach den neuern Be - griffen von Schoͤnheit und Geſchmack, iſt die - ſer Zwickelbart freylich eben ſo verwerflich, als der geſchorne Kopf, weil, beyde zuſammen ge - nommen, eine widerliche Miſchung von Moͤnch und Soldat darſtellen.

Der Saͤbel, der ſonſt dem Polen angebo - ren ſchien, hat auch viel von ſeiner Allgemein - heit verloren. Theils hat er ſich in einen Stutzerdegen verwandelt, theils iſt er ganz ab - gelegt, ſeitdem die engliſchen Fracke bey der juͤngern feinen Welt beliebt geworden ſind. Jn - deſſen kann man doch noch keinen anſtaͤndigen Beſuch ohne Saͤbel oder Degen machen, ob - gleich es in manchen großen Haͤuſern, beſon - ders in denen von neuerm Tone, nicht mehr auffaͤllt, wenn man im Frack zu Tiſche koͤmmt. Uebrigens ſieht man nicht darauf, Saͤbel und Degen, Kurtka und franzoͤſiſches Kleid, Na -203 tionalkleid und Frack, geſtutztes Haar und Friſur, Muͤtze oder Hut, jedes, wie es ſich zu dem andern ſchickt, zu tragen; ſondern man vermiſcht alles auf eine widerſinnige Art. Man ſieht haͤufig juͤngere und aͤltere Leute von den hoͤhern Klaſſen runden Hut, geſtutztes Haar, Charivari, engliſchen Frack und franzoͤſiſchen Degen; oder polniſchen Saͤbel, franzoͤſiſches Kleid, geſtickte Weſte, Haarbeutel, Chapeau - bas, Beinkleid von Nanking und engliſche Klappenſtiefel: oder endlich engliſchen Frack, Gillet, lederne Beinkleider, Schuhe mit Baͤn - dern, rund herum in Locken gelegtes Haar und obendrauf die polniſche viereckigte Muͤtze tragen: Abſtiche, die hier nicht auffallen, ob ſie gleich die allerhoͤchſte Nachlaͤßigkeit und Ge - ſchmackloſigkeit verrathen. Die Stutzer nach der neueſten Mode tragen jetzt (im May 1793) einen kleinen runden Hut mit hohem, ſpitzigen Kopfe, das Haar rund um den Kopf in ſchwe - bende Loͤckchen gelegt, ein dickes, buntes Hals - tuch mit ungeheurem Quaſt, das unter dem204 Kinne bauſcht und es halb verſteckt, ein aben - teuerlich geſticktes oder gemaltes, nur bis an die Huͤften reichendes, Gillet, einen langen, ſchweifartig und ſpitzig zwiſchen die Beine hineinfallenden Frack mit hoher, ſchmaler Taille und einem, flach auf den Schultern liegenden, Kragen, ein paar hoch uͤber die Huͤften her - auf und bis zu den Knoͤcheln hinabfallende, eng anſchließende Pantalons und pantoffelartige Baͤnderſchuhe ohne Laſchen. Das Ganze vol - lenden zwey raſſelnde, mit maͤchtigen Schluͤſ - ſeln und Petſchaften behaͤngte, goldene Uhr - ketten, und ein dicker, knotiger, gebeitzter Knit - tel, der abwechſelnd aus einer Hand in die andre geworfen und beſtaͤndig in einer zuſchla - genden Bewegung erhalten wird.

Die ernſthaften Beſchaͤftigungen der galan - ten Welt mit ſich ſelbſt, erlauben ihr faſt gar nicht an ihre Kinder zu denken und ſich um ihre Erziehung zu bekuͤmmern. Sie werden von der Geburt an fremden Leuten uͤberlaſſen, die zwar vortreflich bezahlt und unterhalten205 ſind, aber dem Kinde die verſagte muͤtterliche Zaͤrtlichkeit und vaͤterliche Liebe nicht erſetzen koͤnnen. Da ſie dieſe nicht genießen, da ſie ihre Eltern ſelten ſehen, da ſie dieſelben erſt ſpaͤt kennen lernen; ſo iſt es unmoͤglich, daß das ſchoͤne Gefuͤhl der Dankbarkeit und der Vertraulichkeit in ihren zarten Herzen Wurzel faſſen, daß das Bewußtſeyn der Abhaͤngigkeit, mithin die Pflicht des Gehorſams, in ihnen lebendig und dauerhaft werden koͤnne. Ge - ſchieht nun noch (was hier gewoͤhnlich der Fall iſt) daß die Mutter ihr Kind, erſt wenn es ſich entwickelt, bloß als ein ſchoͤneſ Kind, aus Eitelkeit, zu lieben anfaͤngt, und es auf einmal mit unbeſonnenen Liebkoſungen, Schmei - cheleyen und Lobpreiſungen beſtuͤrmt: ſo muͤßte die menſchliche Natur eine goͤttliche ſeyn, wenn ſie ununtergraben und unverdorben bleiben ſollte. Daher koͤmmt es, daß die polniſchen Kinder beyderley Geſchlechts, ſchon in ſehr fruͤhen Jahren, dieſelben Anmaßungen, den - ſelben Egoismus, denſelben Hang zu allen206 uͤbrigen Untugenden im Kleinen haben, wo - durch die Eltern ſich im Großen auszeichnen, und die ſie ſelbſt aus den erſten Jahren ihrer Erziehung mit in das Alter der Wirkſamkeit heruͤber gebracht haben.

Den Kindern maͤnnlichen Geſchlechts laͤßt man in allem ihren Willen. Nur in dem er - ſten und zweyten Jahre wacht man mit eini - ger Sorgfalt uͤber ihre Diaͤt, in den folgenden wenig oder gar nicht. Dann bekommen ſie von allen Schuͤſſeln, aus allen Flaſchen. Dieß wird Kindern in andern Laͤndern verderblich, aber nicht den polniſchen, welche unbeſchraͤnkte Erlaubniß haben, in der freyen Luft, mit ih - ren Haͤnden, Fuͤßen und ganzem Koͤrper vor - zunehmen, was ſie nur wollen; die im dritten und vierten Jahre ſchon ſelbander zu Pferde ſitzen; im vierten und fuͤnften ſchon allein rei - ten, und im zehnten und zwoͤlften die wildeſten Pferde beſteigen und ſie als Meiſter zuͤgeln. Da ſie ihre fruͤhere Erziehung mehrentheils auf dem Lande erhalten, wo friſche Luft,207 Raum und allerley, den Kindern auffallende, Beſchaͤftigungen, ihre Geſundheit befeſtigen und ihre Thaͤtigkeit befriedigen; da man kei - nen Begriff davon hat, ſie in dieſen Jahren mit Stilleſitzen und Auswendiglernen zu quaͤ - len: ſo iſt es natuͤrlich, daß ſie vor der Hand ein beſſeres Blut bekommen, als ihnen Vater und Mutter (oder ami und amie? ) viel - leicht mitgetheilt haben, und daß ſie, auf dieſe verbeſſerte Grundlage hin, ſo zu gedeihen und zu bluͤhen anfangen, wie es gewoͤhnlich bey der polniſchen Jugend der Fall iſt. Denn nur aus dieſen Umſtaͤnden kann ich mir erklaͤren, wie eine Geſellſchaft, die ſo ungebunden, ſo regellos, ſo im Taumel aller ſinnlichen Ge - nuͤſſe, lebt, ſolch ein Heer von ſchoͤnen, tref - lich gebildeten und geſunden Kindern erzeugen mag.

Gewoͤhnlich bekoͤmmt die maͤnnliche Jugend erſt gegen das vierzehnte und funfzehnte Jahr Hofmeiſter. Dieſe ſind gezwungen, ihre Kunſt ganz anders zu treiben, als ihre Mitbruͤder in208 Deutſchland, die meiſt Kinder von fuͤnf bis ſechs Jahren, ſchwaͤchlich, verzaͤrtelt, verſeſ - ſen, von Kantoren und Paſtoren mit Leſen, Schreiben und Chriſtenthum ſchon zerquaͤlt, vor ſich finden. Die jungen Polen haben dieſe Dinge, wie im Fluge gelernt, oder lernen ſie noch, und um ſo ſchneller, da man ſie ihrem freyen Willen uͤberlaͤßt, da man ſie ſchon durch Ehrgefuͤhl dazu ſpornen kann. Franzoͤſiſch ler - nen ſie mit ihrer Mutterſprache faſt zu glei - cher Zeit, denn Vater und Mutter muͤßten ganz unbegreiflich vernachlaͤßigt worden ſeyn, muͤßten nie in der Geſellſchaft gelebt haben, wenn ſie dieſe Sprache nicht verſtehen, mithin die Wichtigkeit derſelben fuͤr ihre Kinder in Geſchaͤften und im geſelligen Leben, nicht ein - ſehen ſollten. Da es uͤberdieß keine wohlha - bende Familie giebt, die nicht einen franzoͤſi - ſchen Bedienten, oder eine franzoͤſiſche Kam - merjungfer haͤtte; da dieſe gewohnt ſind, die Kinder an ſich zu ziehen und durch ihr aufge - wecktes, geſchwaͤtziges Weſen zu unterhalten:ſo209ſo lernen dieſe ſpielend jene Sprache, und be - kommen zugleich mit derſelben manche Begriffe und Manieren, die ihnen auch im Aeußern eine gewiſſe Bildung, und, mit der ihnen zu - geſtandenen Freyheit verbunden, eine gewiſſe Leichtigkeit geben, welche bewirken, daß ein polniſches Kind in Geſellſchaften weit weniger Kind iſt, als ein deutſches, daß es aber auch, wenn es zum Juͤngling uͤbergeht, noch weit mehr Unbeſonnenheit, Wildheit und Muth - willen beſitzt, als ein deutſcher Juͤngling, der gegen einen polniſchen als ein wahrer Pedant erſcheint. Sogenannte kluge Kinder, wie man in Deutſchland, durch einen Mißbrauch, die gelehrten Kinder nennt, ſind in Polen unerhoͤrt; aber deſtomehr feine, liebens - wuͤrdige, witzige findet man hier. Die Hofmeiſter lehren ſie ſonach alles geſpraͤchs - weiſe; ſie fahren, reiten, rennen und ſpringen mit ihnen; ſind bey ihren koͤrperlichen Uebun - gen, beym Tanzen und Fechten, zugegen, und ſchieben dabey ein, was ſich zu ihrer geiſtigenDrittes Heft. O210Bildung einſchieben laͤßt. Jhre politiſchen Kenntniſſe erhalten ſie auf gleichem Wege; denn da der Adel, vermoͤge ſeines Stand - punkts im Staate, nichts anziehenderes kennt, als Politik, ſo fließt ſein Mund, in großen und kleinen Geſellſchaften, bey jeder Gelegen - heit davon uͤber. Dazu koͤmmt, daß ein jun - ger Edelmann ſchon im achtzehnten Jahr an den Verhandlungen der Landtage und anderer Verſammlungen des Adels in ſeiner Provinz, Antheil nehmen und gleich durch Praxis uͤber die dahin gehoͤrigen Gegenſtaͤnde ſich unterrich - ten kann. Aber, was man Studium, was man gruͤndliche Wiſſenſchaft nennt, hat er nicht, bekoͤmmt ſie auch, in reifern Jahren, aͤußerſt ſelten. Sein lebhafter Geiſt, ſeine daraus fließende leichte Faſſungsgabe gilt ihm fuͤr das alles.

So iſt die koͤrperliche und geiſtige Erzie - hung derjenigen Juͤnglinge, die ich oben als Maͤnner in den Geſellſchaften und in den oͤf - fentlichen Geſchaͤften aufgefuͤhrt und geſchildert211 habe, beſchaffen. Hier iſt die Frage nicht, ob ſie als Juͤnglinge anders ſeyn ſollten, um als Maͤnner anders zu werden, und ſodann ihren kranken Staatskoͤrper zu heilen. Jch ſcheue die Eroͤrterungen derſelben, die ſeit einigen Jahren, trotz ihrem Anziehenden, bis zur Tri - vialitaͤt herab geſchwatzt und geſchrieben wor - den ſind.

Die Erziehung der weiblichen Kinder nimmt, in ihrer Art, ganz denſelben freyen Gang. Jhr erſter Zweck iſt, Bildung zur Schoͤnheit, Liebenswuͤrdigkeit, Eroberung. Die Tugenden der Hausmutter und der Gattin, bleiben den Umſtaͤnden uͤberlaſſen, die ſie, mit einem Reſte von Herz und Gefuͤhl verbunden, welche von der galanten Erziehung nicht ganz verdraͤngt worden, hervorbringen oder nicht hervorbrin - gen. Hieruͤber werden den jungen Maͤdchen keine Lehren gegeben, und Beyſpiele kommen ihnen ſelten vor. Ein Mahl im Geſicht oder an der Hand, aͤngſtigt hier eine zaͤrtliche Mut - ter mehr, als ein Fehler des Verſtandes, undO 2212ein kleines koͤrperliches Gebrechen mehr, als ein Fehler des Herzens.

Die Maͤdchen bekommen ordentliche Hof - meiſterinnen, ſobald ſie zu reden anfangen. Dieſe, die hoͤchſt ſelten andere, als Franzoͤſin - nen ſind, fangen ſogleich an, Koͤrper und Sprachorgane, und nachher Verſtand und Grundſaͤtze, nach franzoͤſiſcher Sitte zu bilden. An der Mutter haben ſie gewoͤhnlich das Vor - bild ihrer paͤdagogiſchen Arbeiten und, indem ſie die Kopie dem Original ganz aͤhnlich zu machen ſuchen, erwecken ſie die Freygebigkeit der Originale fuͤr ſich, als Kuͤnſtlerinnen, und deren Liebe zu den Toͤchtern, als ihren Ko - pieen.

Damit aber dieſe ihre kleinen Vorzuͤge und Vollkommenheiten nicht in dem Schooße der Familie vergraben halten; damit ſie die Kunſt, unter fremden Augen ohne Schuͤchternheit zu erſcheinen und zu glaͤnzen, ſo bald als moͤg - lich, lernen moͤgen: ſo giebt man von Zeit zu Zeit Baͤlle, zu denen alles, was in dem gan -213 zen Cirkel der Bekanntſchaft an Kindern bey - derley Geſchlechts vorhanden iſt, eingeladen wird. Die Veranſtaltungen dazu ſind nicht kin - derhaft. Es werden große Geſellſchaften Er - wachſener dazu eingeladen; eben die großen Saͤle, auf denen jene glaͤnzen, werden fuͤr die Kinder hergegeben; man erquickt ſie bey ihren ſchweren Arbeiten, mit Limonade, Punſch und andern - und trinkbaren Sachen, wie jene; kein Kron - kein Wandleuchter wird weniger angezuͤndet, kein Bedienter iſt weniger in Be - wegung. Man kleidet die kleinen Taͤnzerinnen und Taͤnzer mit einem Luxus, der dem Luxus der großen nichts nachgiebt. Die anweſenden Maͤnner laſſen die Maͤdchen fuͤhlen und hoͤren, wie ſchoͤn ſie ſind, und die Weiber nehmen eben dieß Geſchaͤft bey den Knaben auf ſich. Die Kinder unter einander behandeln ſich mit einer Galanterie, und die Maͤdchen beſonders benehmen ſich mit einer natuͤrlichen Koketterie, die der durchdachten wenig nachgiebt, und den Muͤttern, die ſich in ihren Toͤchtern verjuͤngt214 ſehen, Freudenthraͤnen erpreßt. Es iſt wahr, man kann nichts anmuthigeres ſehen, als die - ſen jungen, reizenden Anflug, der, oft funfzig bis ſechzig Koͤpfe ſtark, mit aller Grazie der Jugend ausgeſtattet, in dem mannigfachſten Wechſel aller Gattungen von Schoͤnheit, in der Geſichtsbildung wie im Koͤrperbau, bunt vor dem Auge wimmelt und es, die erſten Minuten, gleichſam irre macht und blendet.

Der Ungeſtuͤm, mit welchem dieſe Kinder auf die Wiederholung ſolcher Baͤlle zu drin - gen, die Ungeduld, mit der ſie dieſelben, wenn ſie gegeben werden ſollen, zu erwarten pfle - gen, zeigen genugſam, was fuͤr einen maͤchti - gen Eindruck dieſe Luſtbarkeit auf ſie macht, und wie aͤhnliche auf ſie wirken werden, wenn ſie, bey reiferer Natur, bey ſtaͤrkern und an - ziehendern Gefuͤhlen, ſich dem Genuſſe derſel - ben hingeben koͤnnen.

Zuweilen laſſen minder beguͤterte Familien ihre Toͤchter in Kloͤſtern erziehen; aber die rei - chern aͤußerſt ſelten und nur etwan in dem215 Falle, wenn die Muͤtter fruͤh ſterben und keine weibliche Verwandten vorhanden ſind, die ihre Stelle vertreten koͤnnten oder wollten. Jgnaz Potockt, ſeit mehreren Jahren Wittwer, macht, wie in vielen andern Stuͤcken, auch mit der Erziehung ſeiner einzigen, ſehr anzie - henden, Tochter, eine Ausnahme. Er haͤlt ihr eine deutſche Hofmeiſterin, und laͤßt ſie ganz nach deutſcher Sitte erziehen.

Uebrigens glaube man nicht, daß die im Kloſter erzogenen Toͤchter anders waͤren, als die in der Welt erzogenen. Jene haben kaum vier Wochen in der Geſellſchaft gelebt, ſo ge - ben ſie dieſen in keiner Ruͤckſicht etwas nach. Der Zeitpunkt, wo die Toͤchter mit der gro - ßen Welt in Verkehr und Gemeinſchaft tre - ten, iſt zwiſchen ihrem vierzehnten und ſech - zehnten Jahre, und zwar an dem erſten oder zweyten Tage, nachdem ſie in die Gemein - ſchaft der Chriſten ſind aufgenommen worden.

216

Das Benehmen der Kinder gegen ihre El - tern, iſt, dem Aeußern nach, ſehr unterwuͤrfig und ehrfurchtsvoll; aber die Art ihrer Erzie - hung hat dafuͤr geſorgt, daß demſelben ſehr ſelten ein herzliches Gefuͤhl zum Grunde liegt. Jſt bey den Toͤchtern das Herz voll Eitelkeit und Galanterie, bey den Soͤhnen der Kopf voll Politik und Ehrfucht, ſo zeigen ſie ſich wie es der Gang ihrer Erziehung mit ſich bringt, unbiegſam, eigenwillig und ſelbſt - ſuͤchtig.

Dieſer Naturfehler der Polen liegt endlich noch, mit Hochmuth und Eitelkeit verbunden, ihrem Benehmen gegen einander im buͤrgerli - chen Leben zum Grunde. So ungezwungen ſie ſich in großen Geſellſchaften gegen einander betragen, ſo puͤnktlich, ſo ceremonienreich ſind ſie bey Geſchaͤftsbeſuchen, bey Sollicitationen, bey Schließung neuer Bekanntſchaften, bey feyerlichen Gelegenheiten. Die Erhabenſten im Staate, die einander ganz gleich ſind, begruͤßen ſich mit einem Jch falle Jhnen zu217 Fuͤßen, verneigen ſich ſehr tief dabey, und, indem einer nach dem Knie des andern zu faſ - ſen ſucht, beſtreben ſich beyde, immer noch unnatuͤrlich gebuͤckt gegen einander ſtehend, dieſes Zeichen von Unterwuͤrfigkeit zugleich ab - zulehnen und zu geben, und ſich dabey in den ſuͤßeſten und demuͤthigſten Worten zu uͤbertref - fen, bis ſich endlich dieſer wunderliche Zwey - kampf damit endigt, daß ſie einander, immer noch ringend, die Bruſt oder den Arm kuͤſſen. Der weltliche Große faͤhrt dem geiſtlichen nach der rechten Hand, um ehrfurchtsvoll ſeine Lippen darauf zu druͤcken, und der geiſtliche ſtrengt ſich ſcheinbar an, ſie ihm zu entziehen; jener aber haͤlt ſie mit aller Gewalt feſt, kuͤßt ſie und der Biſchof kuͤßt ihm den Backen oder die Stirn, oder wo er ſonſt zukommen kann.

Geringere Edelleute langen den vornehmern nach den Fuͤßen, nach dem Rockſchoße, nach der Hand, immer mit der Bewegung ſie kuͤſſen zu wollen, und jener haͤlt ſie immer mit der Miene und dem Anſtande des Goͤnners davon218 ab. Bekannte, die einander gleich ſind, ma - chen es ſich in ſo fern bequemer, daß ſie, ob - gleich immer noch tief genug gebuͤckt, einander entgegen treten, die Arme langſam und ſanft einander auf die Schultern legen und ſich ſo, immer in einer kleinen Entfernung von einan - der, den Hals, die Schulter oder die Wangen kuͤſſen. Dieſelben Bewegungen machen die uͤbrigen Klaſſen, die Lebensart haben wollen; und man ſieht ſie auch oft bey Deutſchen in Warſchau. Ehedem naͤherte man ſich in den hoͤheren Staͤnden keinem Weibe, ohne die tiefſte Verbeugung und den ehrfurchtsvollſten Handkuß; und man wiederholte es bey allen uͤbrigen in der Geſellſchaft; jetzt iſt dieß dort aus der Mode gekommen, aber die niedern Staͤnde laſſen dieſe Gewohnheit nicht ſinken. Sie bringen noch in jeder Geſellſchaft von Weibern einer jeden ihren Handkuß dar; wenn ſie auf den Straßen eine treffen und anreden, ſo macht der Handkuß den Eingang; und es iſt poſſierlich genug, zuweilen die ſchmutzigſten219 Weiber von den Maͤnnern ſo ehrfurchtsvoll be - gruͤßt zu ſehen.

Das Wort Pan, welches man in Polen theils vor den Namen, theils vor die Benen - nung der Wuͤrde ſetzt, die man bekleidet, druͤckt genau das franzoͤſiſche Seigneur aus. Man ſagt Pan Krul (Gnaͤdiger Herr Koͤnig,) wenn man vom Koͤnig ſpricht, auch wohl, wenn man an ihn ſchreibt; man ſagt Pan Biſkup, Pan Woicwoda, Gnaͤdiger Herr Biſchof, gnaͤdiger Herr Woiwode ꝛc. Wenn man aber von oder zu einem Kaſtellan ſpricht, ſo ſagt man nicht Pan Kaſtellan, ſondern man ſetzt das Pan vor den Namen des Bezirks, von welchem er Kaſtellan iſt, z. B. Pan Trocki, Pan Krakowski, gnaͤdiger Herr von Trozk, gnaͤdiger Herr von Krakan; und dieß iſt eine alte, geſetzliche Auszeichnung der Kaſtellane. Beſitzt jemand eine Wuͤrde, ſo ſetzt man das Pan nicht vor ſeinen Namen, ſondern vor jene, wie Pan Krayczi, Pan Stolnik (gnaͤ - diger Herr Vorſchneider, gnaͤdiger Herr Truch -220 ſeß) und dieß dehnt man auch auf die Weiber dieſer mit Wuͤrden begabten Maͤnner aus, die man mit Panna Krayczina, Panna Stolni - ka ꝛc. anredet. Selbſt wenn Fuͤrſten mit ſol - chen Wuͤrden bekleidet ſind, ſo ſagt man, der Fuͤrſt Mundſchenk, der Fuͤrſt Truchſeß. Haͤu - fig bezeichnet man letztre bloß durch ihre Vor - namen, man ſagt z. B. Fuͤrſt Adam (Czarto - riski) Prinz Stanislaus, Prinz Joſeph (Po - niatowski) u. ſ. w. Bey den graͤflichen und gewoͤhnlichen adelichen Familien geſchieht dieß nicht. Prinzeſſinnen und andre adeliche Wei - ber, die durch Schoͤnheit, Einfluß, Witz und andre Dinge, beruͤhmt ſind, bezeichnet man auch gewoͤhnlich bloß durch ihre Vornamen, und ſetzt das Wort Panna hinzu oder auch nicht hinzu.

Aber wenn die Franzoſen ihr Seigneur, bis zur Revolution, in Ehren zu erhalten ge - wußt haben, ſo iſt dieß nicht der gleiche Fall bey den Polen. Das Pan der letztern wird jetzt von und fuͤr jedermann gebraucht, der nur221 irgend noch ganze Stiefel hat, und iſt ſo ge - mein geworden, wie ehedem das Monſieur bey den Franzoſen. Eben ſo das Panna bey den Weibern.

Es iſt ebenfalls bedeutend, daß ſich die Po - len haͤufig mit mein Herr Goͤnner, mein Herr Wohlthaͤter anreden. Dieſe Redensart iſt unter den hoͤhern Staͤn - den wahrſcheinlich zuerſt aufgekommen, aber jetzt iſt ſie bis in die niedrigſten Klaſſen ver - breitet, und es thut eine ſeltſame Wirkung, wenn man ein paar Bettler um das dritte Wort einander mein Herr Goͤnner, oder mein Herr Wohlthaͤter nennen hoͤrt.

Der gemeine Mann redet jeden, der uͤber ihm iſt, mit gnaͤdiger Herr an; wer noch hoͤher ſteht, erhaͤlt von ihm Excellenz, Hochgebietender Herr und andre praͤch - tige Benennungen. Der Bauer ſagt nicht bloß, ich falle Jhnen zu Fuͤßen, ſondern ſtreckt ſich laͤngelang zu ſeines Herrn Fuͤßen, faßt nicht bloß nach denſelben, ſondern kuͤßt ſie wirklich.

222

Daß dieß ehrfurchtsvolle Benehmen der Großen gegen einander, und der Geringern gegen die Großen, aus keiner reinen Quelle komme, ſieht man unter andern daran, daß die aͤrgſten Feinde, wenn ſie einander treffen, ohne Ausnahme einander eben ſo behandeln, und daß die Bauern, wenn ſie ihr Herr hat kantſchuen laſſen, eben ſo ſich ihm zu Fuͤßen legen und ſie ihm kuͤſſen.

Fuͤr den Koͤnig haben die Polen, wenn man ihr unterwuͤrfiges Benehmen fuͤr Ernſt nimmt, eine unbegraͤnzte Ehrfurcht; aber es fließt in der That weder aus Achtung fuͤr ſeine Wuͤrde, noch aus einem allgemeinen Gefuͤhl fuͤr Feinheit und Hoͤflichkeit her. Man ſieht dieß daran, daß ſie ſich oft in einem ſchmutzi - gen und nachlaͤſſigen Anzuge in ſeinen Vorzim - mern zeigen; ſich ſtreiten, zanken, Arm in Arm auf und ab rennen; ſich ſchneutzen, raͤus - pern und lachen, wie es die Natur giebt, und durch das alles ein Geraͤuſch machen, das man ſonſt nur an oͤffentlichen Orten hoͤrt, wo derWein223Wein oder das Bier gut iſt. Wenn er koͤmmt, ſo ſcheint alles, was in der Naͤhe iſt, mit dem Kopf in den Boden hinein zu wollen; aber in den Nebenzimmern dauert das Geraͤuſch ſo lange fort, bis er auch dort erſcheint; dann erſt empfaͤngt man ihn, wie er in den erſten Saal empfangen wurde, der unterdeß hinter ihm wieder ſo laut geworden iſt, als vorher. Jn der That, wenn Kammerherren von ir - gend einem der kleinſten deutſchen Hoͤfe in dieſe Vorſaͤle kaͤmen, ſie wuͤrden einen toͤdtli - chen Schreck haben und ſich von dieſem laͤr - menden Haufen ſchnell zuruͤck ziehen, aus Furcht, daß er jeden Augenblick durch die Leib - wache eingeſchloſſen und auf die Feſtungen des Landes verurtheilt werden moͤchte.

Ende des dritten Hefts.

Druckfehler und Verbeſſerungen.

Erſtes Heft.

Seite 21, Zeile 11-21. Jch bitte das Ohr des Leſers wegen dieſer Periode, aus der das Wort ſtehen mit ſeinen Zuſammenſetzungen ſo oft her - vor ziſcht, gebuͤhrend um Verzeihung. Sie iſt fol - gendermaßen zu verbeſſern: Man kuͤndigte mir dieß an da ich nur wenig Ruſſiſch verſtehe, und da die anweſenden Juden mein Deutſch nicht begriffen, mit großer Anſtrengung deutlich machen und der mich zu errathen anfing u. ſ. w.

S. 36, Zeile 17, ſtatt ſel. lies verſtorbene.

S. 96, Zeile 15, iſt hinter dem Worte Biſchof der Name Sadkowski ausgelaſſen.

S. 126, Zeile 16, ſtatt einigen, lies ein - zigen.

S. 137, Zeile 2, ſtatt verſchließ - lies ver - ſchleißfaͤhigen.

Zweytes Heft.

Seite 7, Zeile 1 von unten, ſtatt geboren, lies Geborene.

S. 13, Zeile 1 von unten, ſtatt Eigentum, lies Eigentumsrecht.

S. 20, Zeile 17 fg. S. 22, Zeile 13 fg. S. 66, Zeile 3 fg. von unten. S. 118, Zeile 2 fg. Was in dieſen Stellen von den Diſſidenten geſagt wird, daß ſie naͤmlich vom Jndigenat und den Staatswuͤrden ausgeſchloſſen ſeyen, iſt dahin zu berichtigen: Nach der Konſtitution von 1736 wa - ren ſie allerdings davon ausgeſchloſſen, aber ſeit der von 1768, bey deren Abfaſſung Rußland und Preußen ſich ihrer annahmen, koͤnnen ſie beydes beſitzen, mithin auch Senatoren und Reichsboten werden, auch Staroſteyen, doch ohne Gerichts - barkeit inne haben. Diſſidentiſche Familien, die dieſer Vorrechte ſeit Jahren genießen ſind: die Oliſar, Grabowski, Felkierzamb (Voͤl - kerſam), Zyberz (Sievers), Golz, Roͤmer u. a. m.

S. 193, Zeile 14-15, iſt das Wort verwitt - wete auszuſtreichen, eben ſo in der Jnhaltsan - zeige vorher S. 116, Z. 8.

S. 197, Zeile 1 von oben und Zeile 4 von un - ten, ſtatt Julie Potocki, lies Julie Po - tocka. Der Korrektor hat dieſen Fehler hinein gebeſſert, weil er ſich nicht erinnerte, daß das ki die maͤnnliche und das ka die weibliche Endung iſt, und daß mithin, wenn der Mann auch Potock i heißt, ſeine Gemalin doch Potock a heißen muͤſſe. Ueberhaupt bemerke ich noch fuͤr Unkun - dige, daß dieß ki und ka in der polniſchen Sprache, wenn es am Ende eines Namens ſteht, das deutſche Wort von ausdruckt, das die Edelleute vor ihren Namen ſetzen; daß es mithin ein ſtarker Pleonasmus und eine Sprachunrichtig - keit zugleich iſt, wenn urſpruͤnglich polniſche Edel - leute, die nach Deutſchland verpflanzt ſind, ſich, z. B., von Mikorski, von Kaminski ꝛc. ſchreiben. Denn Mikorski und Kaminski heißt: der Mikorſiſche, der Kamin'ſche (ſcil. Herr) oder der Herr von Mikorz, der Herr von Kamin. Die Lief - und Kurlaͤnder haben dieſe Art zu reden von ihren Nachbarn an - genommen und ſie ſagen, im gemeinen Leben, ſehr haͤufig, z. B. der Oberpahlen'ſche (Herr), die Oberpahlen'ſche (Frau), der Leſtenſche, die Leſtenſche u. ſ. w. Es iſt aber irrig, wenn manche Edelleute in Lief - und Kurland ihre Na - men ohne von ſchreiben und dadurch die Po - len nachzuahmen meynen, die kein von vor die ihrigen ſetzen. Man hat geſehen, wie es damit bewandt iſt.

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TextReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol
Author Friedrich Schulz
Extent240 images; 31376 tokens; 6984 types; 226767 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

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EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationReise eines Liefländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau, Dresden, Karlsbad, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg, München, Salzburg, Linz, Wien und Klagenfurt, nach Botzen in Tyrol Enthaltend die Reise durch Lithauen, und eine Schilderung von Warschau, nebst Anekdoten aus der Geschichte des Konstitutions-Reichstages, mit den Bildnissen der vornehmsten Theilhaber begleitet Zweyter Theil, Drittes Heft Friedrich Schulz. . [1] Bl., 223 S., [1] Bl. ViewegBerlin1795.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Berlin SBB-PK, Pv 4840-3/4<a>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=155893807

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Reiseliteratur; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; mts

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:28:13Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkBerlin SBB-PK, Pv 4840-3/4<a>
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