PRIMS Full-text transcription (HTML)
Neue Reiſe durch Jtalien
Erſter Band. Erſtes Heft.
Berlin1797,bei Friedrich Vieweg dem Aeltern.
[1]

Neue Reiſe durch Jtalien.

Siebentes Heft. A[2][3]

Vorerinnerung.

Der Verfaſſer der Reiſe eines Lief - laͤnders, mit dem ich zu gleicher Zeit in Botzen war, iſt mein aͤlteſter und ver - trauteſter Freund. Wir ſind mit einan - der geboren und erzogen; auf einer und eben derſelben niedern und hohen Schule geweſen; auf einem und demſelben Wege ein gutes Stuͤck durch das Leben gegan -A 24gen. Beſtaͤndig wollten, dachten und tha - ten wir beyde Einerley. Es iſt hier mehr, als Damon und Pythias. Wir waren immer, im eigentlichſten Sinne der Re - densart, Ein Herz und Eine Seele.

Dieſe Nachricht ſchicke ich voraus, da - mit es den Leſer weniger befremden moͤge, daß ich nachſtehende Reiſe durch Jtalien als die Fortſetzung der Reiſe eines Lieflaͤn - ders angebe. Sie iſt es in der That, weil ſie da anhebt, wo letztere aufhoͤrt, und weil der Lieflaͤnder, vermoͤge ſeiner gedach - ten engen Verbindung mit mir, die zugleich eine voͤllige Gleichheit in der Art zu ſehen, zu fuͤhlen, zu urtheilen, ja ſogar ſich aus - zudrucken, vorausſetzt, dieſe Reiſe mit mir gemacht und mir erlaubt hat, ſie eine Fort - ſetzung der ſeinigen zu nennen.

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Wenn aber dieſer Umſtand den Zuſatz auf dem Titel rechtfertiget, ſo entſchuldigt er nicht zugleich, daß ich unternehme, nach ſo vielen Hunderten, noch eine neue Reiſe durch Jtalien zu beſchreiben. Sollten die Verhandlungen uͤber dieſes Land nicht auf funfzig und mehr Jahre, oder wenigſtens auf ſo lange, geſchloſſen werden, bis gro - ße politiſche, oder natuͤrliche, oder ſittliche Veraͤnderungen darin vorgegangen ſind? Sollte es, in ſeinem gegenwaͤrtigen Zuſtan - de, nicht bis in die innerſten Winkel der Staatskunde, der Naturbeſchreibung, der Einwohnerkenntniß, des Alterthums und der Kunſt erforſcht und beſchrieben ſeyn? Und ſollte jetzt noch ein Reiſender etwas Neues uͤber die tauſendmal beſchriebe - nen, gezeichneten und gemalten Gegenſtaͤn - de aufbringen koͤnnen?

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Etwas Neues aufzubringen, iſt uͤber - haupt ſehr ſchwer, iſt, wenn man es ge - nau nach dem Worte nimmt, unmoͤglich. Die Elemente der natuͤrlichen und morali - ſchen Dinge, die wir mit unſern Augen ſe - hen, ſind einfach und bekannt; und was im Ganzen neu ſcheint, iſt alt, wenn man es in ſeine Beſtandtheile zerlegt. Jm Grun - de gelten uns auch bekannte Dinge, die man von neuem und auf eine neue Art an - ſieht, auffaßt, miſcht und vortraͤgt, und die, in dieſer Geſtalt, eine andere Wirkung thun, oder einen andern Ausfall geben, als bisher, gewoͤhnlich ſchon fuͤr neu. Dieſes Neue, oder vielmehr dieſes Andere, koͤnnen wir immer noch an einem Gegen - ſtande finden, den Tauſende vor uns an - geſehen und beſchrieben haben. Der eigen - thuͤmliche Geiſt des Schriftſtellers, der den Bindeſtoff zu dieſer neuen Miſchung her -7 giebt, iſt es eigentlich, der den Leſer reizt, einen neu aufgeſtellten alten Gegenſtand noch einmal anzuſehen. Dieß muß mit den zahlreichen Reiſebeſchreibungen durch Jtalien beſonders der Fall geweſen ſeyn, weil ſie ſonſt nicht ſo zahlreich geworden waͤren.

Daß Jtalien, bey der großen Menge von Nachrichten, die in allen Zungen da - von vorhanden ſind, erſchoͤpfend, vom Grun - de aus, beſchrieben ſey, kann man am we - nigſten zugeben, wenn man den groͤßeſten Theil dieſer Werke geleſen hat. Die Staatskunde dieſes Landes iſt, z. B., immer noch ſehr duͤrftig. Roͤmer, Neapo - litaner, Turiner, Venetianer und Genueſer haben zwar die Haupt - und Mittelſtaͤdte ihres Vaterlandes beſchrieben, und recht nach ihrer Weiſe gelobt, nichts oder wenig8 aber von des letztern Regierung, Bevoͤlke - rung, Kunſtfleiß und Handel geſagt. Ein - ſeitig haben ſie ſich auf ihre cose stu - pende , worunter ſie ihre Kirchen, Gemaͤhl - de und Bildſaͤulen verſtehen, eingeſchraͤnkt, und die genannten Gegenſtaͤnde unberuͤhrt gelaſſen, nicht ſowohl, weil ihnen deren Erwaͤhnung durchaus verboten war, als vielmehr, weil ſie keine Kenntniß davon hatten. Wenn aber Einheimiſche dieſe große Luͤcke in der Kunde des geſammten Jtaliens nicht ausfuͤllten, wie konnten es Fremde, die nur durchreiſeten? Und man kann Jtalien nach allen Seiten, von Tu - rin nach Genua, und von Venedig nach Rom und Neapel, durchreiſen, uͤberall tappt man in den verſchiedenen Zwei - gen der Staatskunde im Finſtern, und man hoͤrt, bey aller Muͤhe, die man ſich giebt, ſo wenig davon, als man daruͤ -9 ber lieſet. Nur Florenz iſt durch Leopolds Fuͤrſorge bekannt geworden, und auch Mayland kann ſich faſt, wie es iſt, dem Lichte zeigen, weil es in neuern Zeiten ein - ſichtsvolle Herren und treue Verwalter ge - habt hat und noch hat.

Wer kann ferner ſagen, daß die Na - turbeſchreibung dieſes Landes erſchoͤpft ſey? Ferber ſah zuerſt einen Theil der - ſelben, die Mineralogie, mit denjenigen Kenntniſſen an, die damals in Schweden und Deutſchland von dieſer Wiſſenſchaft in Umlauf waren; und er gab einzelne ſchaͤtzbare Nachrichten davon. Einzeln wa - ren und ſind jetzt immer noch die Berichte, welche geborne Jtaliener, theils in eigenen Werken, theils in den Verhandlungen ei - niger ihrer gelehrten Geſellſchaften davon mittheilen; und das neueſte naturhiſtoriſche10 Werk von Umfang, das Jtalien geliefert hat, Spallanzani’s Reiſe nach den beyden Sicilien*)Die beyden letzten Theile dieſes Werkes waren kurz vor meiner Durchreiſe durch Pa - via erſchienen, und ich konnte das ganze Werk, zu meiner großen Freude, mit nach Neapel nehmen., enthaͤlt auch nur Beytraͤge, die uͤberdieß den gelehrtern deutſchen Chemico-Mineralogen nicht in allen Stuͤcken ein Genuͤgen leiſten werden. Targioni Tozzetti behandelt nur Ein Land und dazu eines der kleinſten; und die aͤltern Schriftſteller des Veſuv und des Aetna haben wohl die Erſcheinungen die - ſer Berge erſchoͤpft, aber, aus Mangel an chemiſchen Kenntniſſen, wenig zur Aufklaͤrung ihrer Urſachen beygetragen. Eben ſo verhaͤlt es ſich mehr oder we -11 niger mit den uͤbrigen Zweigen der Na - turbeſchreibung.

Die Kenntniß der Bewoh - ner der einzelnen Laͤnder Jtaliens, ih - rem hoͤchſt verſchiedenen, oͤkonomiſchen und buͤrgerlichen Zuſtande, ihrem Charakter und ihren Sitten nach, iſt vielleicht noch am allerunvollſtaͤndigſten behandelt. Kein Eingebohrner hat etwas Befriedi - gendes daruͤber geſchrieben; denn Ba - retti’s kurze, einſeitige, vertheidigende Bemerkungen daruͤber, koͤnnen nicht fuͤr zuverlaͤſſig gelten. Was man uͤber dieſen Gegenſtand in deutſchen, engliſchen und franzoͤſiſchen Reiſebeſchreibern findet, iſt theils unzulaͤnglich, theils trift es nur den Poͤbel in den Staͤdten, theils ein Volk, das ſie Jtaliener nennen, worunter ſie die Piemonteſer, die Maylaͤnder, die12 Genueſer, die Venetianer, die Bologneſer, die Florentiner, die Roͤmer, die Neapolita - taner, Kalabrier und Sicilier ſammt und ſonders begreifen, und die ſie als arm, roh, diebiſch, betruͤgeriſch, faul, aberglaͤu - biſch, meuchelmoͤrderiſch, unnatuͤrlich-wolluͤ - ſtig, ſchmutzig und feig ſchildern.

Was endlich das Alterthum und die Kunſt betrift, ſo ſcheinen dieſe Gegenſtaͤn - de, auf den erſten Blick, wirklich erſchoͤpft zu ſeyn; denn uͤber ſie iſt das meiſte ge - ſammlet und verhandelt worden. Allein, wenn man die Schriften weniger philoſo - phiſchen Alterthums - und Kunſtforſcher ausnimmt, die uns mit neuen Reſul - taten beſchenkt haben: ſo iſt alles uͤbrige, in dieſen Faͤchern geleiſtete, faſt nichts, als Namenverzeichniß, als nuͤchterne oder dichteriſche Beſchreibung, als ſogenann -13 te gelehrte Unterſuchung und als uͤber - lieferte, oft ungefuͤhlte, Bewunderung der Kunſtwerke des Alterthums, und der neuern Zeiten, die Ein ſogenannter For - ſcher, Kunſtkenner und Reiſebeſchreiber dem Andern nachgeſchrieben hat, oft ohne ſie geſehen zu haben, oft ohne ſie zu kennen, wenn er ſie, nach einer ſchon herausgege - benen Abhandlung daruͤber, erſt ſahe.

Sind vorſtehende Bemerkungen uͤber das, was wir von Jtalien in den erwaͤhn - ten vier Hauptfaͤchern wiſſen, richtig; ſo iſt, die Verhandlungen uͤber Jtalien auf eine Weile zu ſchließen, eben ſo unnoͤthig, als es unthunlich ſeyn wuͤrde; und ſo kann uns immer noch jeder Beytrag zu jenen Beytraͤgen willkommen ſeyn, bis da - hin, wo einmal alle Quellen geoͤfnet, alle Luͤcken gefuͤllt, alle Verwirrung geloͤst,14 alle Dunkelheiten aufgeklaͤrt, alle Gefuͤhle beſtimmt und alle Urtheile uͤber Jtalien und Jtalieniſche Dinge zur Feſtigkeit ge - kommen ſeyn werden.

Jn Erwartung dieſes, noch etwas weit hinaus zu ſetzenden, Zeitpunkts, bitte ich Kunſtrichter und Leſer, die Reihe von Beitraͤgen aller Art, die ſie in folgenden Blaͤttern finden werden, nach ſo vielen an - dern, noch ohne Unwillen aufzunehmen und, wo moͤglich, auch zu leſen. Jch kann ihnen dafuͤr mit Wahrheit verſprechen, daß ſie uͤber manchen darin behandelten Ge - genſtand mehr finden, und daß ſie, wenn ſie nicht ganz neue Dinge antreffen, doch andere Seiten an den alten bemerken ſol - len, als ſie in den ſchon bekannten Reiſe - beſchreibungen, deutſchen Urſchriften, wie Ueberſetzungen, ſchon gefunden haben. 15Den Namen des geſammten Landes, ſei - ner einzelnen Theile, ſeiner Staͤdte und deren Merkwuͤrdigkeiten, habe ich leider! nicht aͤndern koͤnnen, ſo ſehr ich es, vieler Leſer wegen, haͤtte wuͤnſchen moͤgen, die dieſe Namen ſo oft gehoͤret und geleſen ha - ben, daß ſie endlich wohl glauben duͤrfen, alles zu wiſſen, was daruͤber geſagt wer - den koͤnne. Dieſe Leſerklaſſe bitte ich beſon - ders bey dem Anblicke dieſes Buches um Nachſicht, und, bey deſſen etwaniger Le - ſung, um die ſtrengſte Vergleichung mit meinen reiſebeſchreibenden Vorgaͤngern. Jch will keinen derſelben uͤbertroffen, moͤchte auch keinen derſelben ausgeſchrieben, aber wohl hier und da manchen ergaͤnzt, erwei - tert, und ſtillſchweigend berichtiget haben.

Uebrigens iſt auch in dieſer Schrift der Menſch mein vorzuͤglichſtes Augenmerk ge -16 weſen; und ich bekenne gerne, daß ich mich an ihm nicht ſatt ſehen kann, und daß ich dieſen anlagereichen Queerkopf recht herzlich liebe.

Mitau, den 1ſten May, 1796.

Erſter17

Erſter Abſchnitt.

  • Abreiſe von Votzen. Weg und Gegend. Aeußeres der Landleute in dieſen Gegenden. Salurn. Deſſen alte Burg. Oedes Thal. Drohendes Gewitter in den Alpen. Wälſch-Michel. Schönheit und Fruchttrieb der dortigen Gegend. Trient. Einige Bemerkungen über dieſe Stadt. Noveredo. Eingeſperrter Weg bis dahin. Blühender Zuſtand dieſer Stadt. Zer - riſſene und zerſchmetterte Felſen, ein großes Natur - ſchauſpiel. Eintritt in Jtalien. Wahrnehmungen von den allmählichen Uebergängen in der Natur. Venetianiſcher Gränzzoll. Venetianiſche Flecken. Häu - ſer und Menſchen in Peri, nach der Natur gemalt. Venetianiſche Großmuth, durch die Regierung beför - dert. Heuſchreckenbrut auf den Poſten. Ende der Alpen. Erſter Blick in die Ebene. Bemerkungen über die zurückgelegte Reiſe durch die Alpen. Gränz - feſtung Chiuſa[.]Anbau der Lombardiſchen Felder. Landhaus. Verona. Flüchtiger Blick auf einen Ve - netianiſchen Soldaten. Vierfacher Ueberblick von Verona und deſſen umliegenden Gegenden. Feſtungs - werke. Kaſamatte delle Boccare, als Kunſtwerk ſehenswerth. Merkwürdige Brücke am Castel vec -Siebentes Heft. B18chio. Anſicht des Jnnern von Verona. Straßen. Pflaſter. Bürgerhäuſer. Palläſte und Häuſer des Adels. Oeffentliche Plätze. Der Herrenplatz. Der Kräuterplatz. Der Platz Bra. Das alte Amphi - theater. Was ein Laye darüber urtheilen könnte. Altes und neues Schöne. Das neue Hoſpital. Un - vollendeter Pallaſt des Proveditore. Gebäude der Philharmoniſchen Akademie und deren verſchiedene Jnſtitute. Lapidariſches Muſeum. Akademie der Philotimi. Adeliches Kaſino. Großes Schauſpiel - haus. Ein Blick auf italieniſche Natürlichkeit. Unbedeutende Alterthümer. Kirchen. Kapelle Pel - legrini. Uebergang auf die Einwohner.

Den 14ten September 1793, reis’te ich von Botzen ab. Der Weg lief in Kruͤmmungen bald nach Weſten, bald nach Suͤdweſten. Mir zur Seite erhoben ſich rechts und links Berge, die aber minder hoch, ſchroff und rauh waren, als die jenſeits Botzen. Anſtatt der Eiſach, hatte ich jetzt die Etſch, die jene dieſſeits Botzen aufgenommen, zur Seite. Die Thaͤler, durch die ich kam, dehn - ten ſich mehr aus, oͤfneten ſich eines in das andere, wie eine Reihe zuſammen hangender19 Becken, und zeigten den herrlichſten Fruchttrieb. Maulbeerbaͤume, oder Obſtbaͤume, oder Mays, umkraͤnzten ihre Raͤnder; Wieſen, die zum drit - tenmal die Senſe erwarteten, gruͤnten in ihrer Mitte. Die Berge zur Rechten waren unfrucht - bar, die zur Linken nicht alle, denn an vielen zogen ſich Pflanzungen von Weinreben hoch hinan. Die zur Rechten liefen in Doppel - reihen wellenfoͤrmig fort, (ungefaͤhr eben ſo, nur weit ſtattlicher, als die Berge bey Wiene - riſch-Neuſtadt) und die hinteren ragten uͤber die vorderen amphitheatraliſch hervor. Man koͤmmt auf dieſem Wege vor einer Menge von kleinen Haͤuſern vorbey, die, niedriger oder hoͤher, an dem Gehaͤnge der Berge gleichſam ſchweben; und durch zwey maͤßige Flecken, auf die ein dritter, Branſol, folgt, worin ſich die naͤchſte Poſt (2 M.) befindet.

Es begegneten mir dieſen Morgen große Zuͤge von Landleuten, die, in ihrem beſten Putze, nach Botzen zum Jahrmarkte gingen. Dieſer Putz hatte viel Abenteuerliches, undB 220unterſchied ſich beſonders durch die ſchreyenden Farben, die ohne alle Wahl, eine auf die an - dere geladen waren, und durch allerley Baͤn - derwerk, Einfaſſungen, bunte Naͤthe und Zwi - ckel, von dem Anzuge der angraͤnzenden Kaͤrn - thner, Krainer und Salzburger. Jch bemerk - te unter dem bunten Getuͤmmel beſonders vier Gattungen von Trachten: eine, fuͤr die Maͤdchen und jungen Weiber; die andere, fuͤr bejahrte Frauen; die dritte, fuͤr unverheura - thete junge, die vierte, fuͤr verheurathete[ aͤl - tere] Maͤnner und fuͤr Greiſe.

Die jungen Maͤdchen und Weiber erſchie - nen entweder im bloßen Kopfe, das Haar in Flechten geſchlagen, auf dem Wirbel in ein Neſt gewunden und mit einer Neſtelnadel be - feſtigt, oder in kleinen, runden, gruͤnen, auch gelben, mit flatternden Baͤndern verzierten, Huͤten, die ſie leicht auf jenen Kopfputz ge - ſtuͤlpt hatten. Bruſt und Schultern waren ganz bedeckt, theils durch den hohen und dicken Kra - gen des Kamiſols, theils durch das ſteife Mie -21 der, das bis unter das Kinn hinauf ſtieg und noch queervor durch einen Latz unuͤberwind - licher gemacht wurde. Die Farben dieſer Kleidungsſtuͤcke waren hochroth, hochgelb, hell - gruͤn, himmelblau u. ſ. w. Jm Ruͤcken des Kamiſols, das einen ſehr kurzen und breiten Leib hatte, liefen entweder dreyfache Nathbe - ſetzungen von anderer Farbe, in der Geſtalt eines Dreyecks, deſſen Grundlage zwiſchen den Schultern war, zwiſchen die Huͤften herab; oder ſie ſtiegen in einer doppelten Reihe von dem Schnitt herauf und zogen ſich an beyden Seiten unter den Armen herum. Ueber den Huͤften endigte ſich das Kamiſol in vier duͤten - artige Falten. Es war von Tuch, ſo wie die vielfaltigen Roͤcke, die, wie Glocken, um den Untertheil des Leibes bauſchten, und ein ſtaͤm - miges Bein, mit rothen, blauen, gruͤnen, und gelben Struͤmpfen bezogen, freygebig genug ſehen ließen. Den Fuß bekleidete ein ſchwar - zer lederner Schuh mit ſpitzen Abſaͤtzen und bunten Bandſchleifen.

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Die aͤlteren Frauen hatten eben dieſelben Kamiſoͤler, Mieder, Laͤtze und Roͤcke, aber die Zierrathen waren daran mehr geſpart, die Far - ben, Schleifen und Schnuͤre minder lebhaft und zahlreich, der Schnitt weniger zierlich, der Koͤrper weniger eingerammelt. Statt des bloßen Kopfes, oder des Hutes, trugen ſie ei - ne baumwollene Zottelmuͤtze, in Geſtalt der al - ten Stutzperuͤcken, die den Kopf mit Stirn und Nacken ganz bedeckte und einen abſcheuli - chen Anblick giebt, zu der aber im Winter auch die juͤngern Weiber und Maͤdchen zu greifen pflegen.

Der Anzug der jungen Maͤnner war un - gleich vortheilhafter, als der weibliche, und verbeſſerte den Wuchs in eben dem Grade, als ihn jener verſchlimmerte. Jch zeichne hier ei - nen jungen Kerl, der zur feineren Gattung gehoͤrte, genau ſo, wie er mir begegnete. Er war groß und ohne Tadel gewachſen. Eine hellrothe Jacke, die weit kuͤrzer und ſchmaler geſchnitten war, als alle uͤbrige, die ich ſah,23 hing ihm ungezwungen uͤber den Schultern, und war mit eng an einander geſetzten, ſilbernen Knoͤpfen verzieret. Darunter trug er ein ſtroh - farbenes Leibchen, mit hellblauen Knopfloͤchern und glatten Knoͤpfchen von blaßgelbem Bern - ſtein. Die Beinkleider waren ſchwarzledern, wie an die Schenkel gegoſſen, mit gelber Naͤtherey am Latze, an den Knopfloͤchern und an den Guͤrteln, die ſich an der Seite in gelbe Qua - ſten endigten. Die Struͤmpfe waren von fei - ner, hellrother Wolle, und hatten gelbe Zwi - ckel; die Schuh waren wie Pantoffel gemacht und mit gelben Schleifen zugebunden. Sein runder Hut war gruͤn, und hatte vorne eine maͤchtige, gruͤne, flatternde Bandſchleife. Das ſchwarze Haar hatte er vorne in die Stirn gekaͤmmt, und im Nacken ſauber verſchnitten. So trug er ein Geſicht, worauf die Geſund - heit gluͤhete, zwiſchen drey oder vier ſeiner Landsmaͤnninnen einher, und er war, ſeine Bluͤthe und Kraft ihm vorbehalten, in ſeiner24 Art kein kleinerer Stutzer, als die in den gro - ßen Staͤdten.

Die aͤlteren Maͤnner waren weder ſo bunt, noch ſo leicht gekleidet. Sie hatten uͤber ihre Jacken noch weite Kamiſoͤler gezogen, die bis in die Kniekehle reichten, einen ſehr breiten Schnitt, weite Schoͤße und Aufſchlaͤge von an - derem Tuch, auch auf den Naͤthen und um die Knopfloͤcher, Schnuͤre oder Baͤndereinfaſſungen hatten. Jhre Beinkleider waren mit Traͤgern verſehen, ihre Huͤte groͤßer und mit ſchma - len Schleifen verziert; die Schuh waren mit ſchwarzen Baͤndern zugebunden. Jhre Strumpf - baͤnder, von allerley Farben, meiſt aber roth oder gruͤn, waren unter dem Knie uͤber blauen, rothen und gruͤnen Struͤmpfen befeſtigt.

Uebrigens nahm das Aeußere dieſer Men - ſchen fuͤr ſie ein. Sie waren ſehr hoͤflich, aber nicht kriechend; offen und zutraulich, aber nicht zudringlich; ſonſt von einem vier - ſchroͤtigen, ſtarken Schlage.

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Von Branſol aus bleiben Weg und Gegend wie auf dem vorigen Poſtlaufe. Das Thal verengert und erweitert ſich wechſelsweiſe, und die Becken, die es im letztern Falle bildet, ſind immer noch fruchtbar und reizend. Maulbeer - und Obſtbaͤume, Mayspflanzungen und Wie - ſen verfolgen den Reiſenden auf beyden Sei - ten, und es dauert bis zu dem Poſtflecken Neumarkt (2 M.) und von da bis zu einem aͤhnlichen Flecken, Salurn, (2 M.) auf dieſe Art fort.

Von Salurn aus wurde die Gegend, auf eine ziemliche Strecke, wieder wilder und ſtel - lenweiſe ſogar fuͤrchterlich. Am Ausgange han - gen einem ſchroffe Kalkfelſen entgegen, die von oben herab, bis zu ihrer Wurzel, zum Theil geborſten, zum Theil in ungeheuere Steinſtroͤ - me zerbroͤckelt ſind: dennoch hat hier der Un - ternehmungsgeiſt der mittleren Zeiten, auf ei - nem kleineren Felſen, der nur durch Ver - ſchwemmung und Erſchuͤtterung von den groͤ - ßeren abgeriſſen iſt, eine Burg, und zwar mit26 ſolcher Keckheit angebracht, daß deren Grund - mauer gleich ſo ſenkrecht empor ſteigt, wie der Felſen ſelbſt, daß man mithin vor deſſen Ver - witterung gar nicht beſorgt geweſen ſcheint; und doch war dieſe Burg, wie es von unten herauf das Anſehen hat, nicht unuͤberwindlich, weil man ſie, von den heruͤber ragenden Berg - ſpitzen her, mit etwas Mechanick, unter Fel - ſenſtuͤcken begraben und die Belagerten mit Steinen haͤtte zerſchmettern koͤnnen. Sie iſt uͤbrigens ſeit lange nicht mehr bewohnt, und zwar wie ein uralter deutſcher Reiſebeſchreiber, Herr Johann Wilhelm Neumair von Ramßla, ſagt: wegen der Geſpenſt, ſo ſich darin aufhalten ſollen.

Das Thal, welches hier auf beyden Seiten von unwirthbaren Felſen eingeſchloſſen, und von der Etſch durchſtroͤmt wird, giebt eine oͤde, arme Anſicht. Es iſt ſtreckenweiſe ſumpfig, und ſtreckenweiſe von dem Strome ſo aufgeriſ - ſen, daß der Boden kein Graͤschen zeigt, ſon - dern nichts, als Stein und Stein, zwiſchen27 denen an der linken Seite ein ausgetretenes, gruͤngelbes Waſſer ſtauet und ſtockt. Armſeli - ge Huͤtchen ſtehen einzeln, auf dieſem undankba - ren Boden und preſſen dem Reiſenden die trau - rige Frage ab, wie und womit ihre Bewohner ein duͤrftiges Leben friſten moͤgen?

Als ich von Salurn abreis’te hingen ſchwar - ze Wolken in den Alpen, durch die mein Weg fuͤhrte. Man rieth mir, das drohende Wetter erſt abzuwarten, weil der Donner in jenen Schluͤchten fuͤrchterlich, der Blitz zerſtoͤrend, und der Regen ſelten etwas anderes, als ein Wolkenbruch ſey, der, wie der Blitz mit ſei - nem Strahle, ſo mit ſeinen Stroͤmen, große Felſenſtuͤcke in die Thaͤler herabzuwaͤlzen pflege. Dieſe Warnung war wohlgemeynt, auch mir nicht gleichguͤltig geweſen; eine Erſcheinung aber, wie dieſe, war mir auf einem ſolchen Lokale noch nicht vorgekommen, hatte ich mir, ihrer Groͤße und Furchtbarkeit nach, als ein - zig gedacht, und ſo oft zu erleben gewuͤnſcht, daß ich, freylich nicht ohne ein lebhaftes Ge -28 fuͤhl von Aengſtlichkeit, auf meinen Kopf be - ſtanden und der zu fuͤrchtenden Gefahr entge - gen geeilt war.

Jndem ich um einen vorſtehenden Felſen in das wuͤſte Thal hinein fuhr, das ich vor - hin beſchrieben habe, flog mir eine dicke, zu - ſammen gepreßte, ſchwuͤle Luft entgegen, und ließ mich einige Augenblicke in der phyſiſchen und moraliſchen Bewegung, worein ſie mich verſetzt hatte; auf einmal folgte ihr ein ra - ſcher, kuͤhlender Wind; ein entfernter Donner ließ ſich hoͤren, und einige hoͤchſt feine, gleich - ſam diamantene, Blitze, beſchnoͤrkelten raſch hinter einander den ſchwarzen Hintergrund. Einzelne große Regentropfen, anſtatt eines Wolkenbruchs, fuhren mir auf Geſicht und Haͤnde. Mit einem Worte, das Wetter blieb in einer entfernten Alpengruppe hangen und tobte dort aus. Wenn ich ſonach das Unge - witter ſelbſt nicht in der Naͤhe ſah, ſo hatte ich dafuͤr bald nachher eine andre Erſcheinung unmittelbar uͤber meinem Haupte, die mir29 nicht weniger neu, aber zugleich im hoͤchſten Grade angenehm war. Jener Windſtoß hatte die Wetterwolken aus einander geriſſen und ſie gruppenweiſe in die Schluchten und Zwi - ſchenraͤume der Berge gejagt, aus denen er ſie nicht wieder vertreiben konnte. Bald nachher legte er ſich. Die Wolken ſchnellten wieder aus. Sie uͤberzogen terraſſenmaͤßig die Gipfel der Felſen, arbeiteten wurmfoͤrmig in ſich ſelbſt, und Stuͤck vor Stuͤck riß ſich los, hob ſich langſam bis zur Spitze des Felſens empor und ſtieg ſodann, unendlich verduͤnnt, wie ein Nebel oder Dunſt, uͤber denſelben hinaus, in den großen allgemeinen Luftſtrom. Jetzt blickte die Sonne wieder hervor und verwandelte das Ganze in ein gold - und ſilberfarbiges, mehr oder weniger durchſichtiges, Flockengewebe, das, in mancherley Geſtalten, beſonders aber in wellenartigen Zuͤgen und Streifen, die aͤu - ßerſten Spitzen der Felſen umwebte und all - maͤhlig, je mehr es dem Zuge der aͤußeren Luft wieder ausgeſetzt wurde, in den abgeklaͤrten30 Horizont verſchwand, ohne dem Auge eine Spur des vorigen Schreckens zuruͤck zu laſſen.

Die kahle Anſicht des Thales verwandelte ſich, nach Verlauf von einer Stunde, in eine mehr fruchtbare, und weiterhin allmaͤhlig in eine wahrhaft angenehme und lachende. Be - ſonders war dieß der Fall vor Waͤlſch-Mi - chel, einem ganz artigen Flecken, auf welchen, von einem hohen Felſen, ein ſtattliches Augu - ſtinerkloſter herabſieht. Das Thal dehnte ſich hier in ein Becken, wie das um Botzen, aus, und war mit allen Gaben der mildeſten Na - tur ausgeſtattet. Weinſtoͤcke bedeckten den Ab - hang der Berge, und unter ihren Blaͤttern ſahen die ſchwarzen, angeſchwollenen Beeren in maͤchtigen Trauben hervor. Pfirſchenbaͤu - me, mit herrlichen Fruͤchten belaſtet, draͤngten ſich mitten unter ihnen, und der niedliche Ty - roler Apfel zitterte in ſeinem matten Golde an der Spitze zarter Zweige. Mays, mit dichten gelben Kronen, die ein Stamm von ſechs Schuh uͤber den laͤngſten Mann empor -31 hielt, und Maulbeerbaͤume, die in der ganzen Schoͤnheit ihres muͤtterlichen Bodens prang - ten, ſtanden mir wechſelsweiſe zur Seite, waͤhrend unter mir ein lebhafter Fluß rauſchte, der bluͤhende Wieſen waͤſſerte, und um mich her maͤchtige Gebuͤrge roͤthlichſchillernden Mar - mors eines uͤber das andere emporſtiegen. Ein paar Flecken, mit heitern und geſunden Men - ſchen bevoͤlkert, verliehen dieſer ſchoͤnen Land - ſchaft vollends Jntereſſe und belebten ſie.

So dauerte Gegend und Weg bis Lavis (3 M.) einem gut gebaueten Flecken, fort[.]Von da faͤhrt man auf einer ſchnurgeraden, wie geſtampften, Straße, zwiſchen Weingaͤr - ten, die mit Maulbeerbaͤumen eingefaßt ſind, weiter. Die Rebe hat ſich an dem Baum hinaufgewunden, und dieſer laͤßt die Traube als ſeine eigene Frucht herabhangen. Oefnen ſich endlich dieſe gruͤnen Verſchlingungen, ſo hat man die Etſch wieder vor ſich, und an ihrem linken Ufer das alte Trento (2 M.) deſſen ſchwarze Daͤcher und Thuͤrme ſich an32 derſelben amphitheatraliſch erheben und auf der einen Seite das ganze Thal dergeſtalt verriegeln, daß es ſcheint, als ob man nur zu Waſſer auf der andern Seite weiter kommen koͤnnte.

Das Jnnere der Stadt nimmt ſich nicht ganz ſo alt aus, als das Aeußere. Die Straßen ſind zwar nicht gerade, aber meiſt geraͤumig. Um den unregelmaͤßigen Markt her, iſt faſt Gewoͤlbe an Gewoͤlbe, die von außen und innen mit einem Ueberfluß von Waaren aller Art verſehen ſind; ſo wie der Markt ſelbſt reichlich mit ſchoͤnem Obſt und andern Lebensmitteln beſetzt iſt. Die Bauart hat Aehnliches von der Botzener. Die Haͤuſer ſind ſehr gruͤndlich von roͤthlichem Marmor aufgefuͤhrt, zwiſchen zwey und drey Stock hoch, und mit Lauben, mit Balkons, und Altanen verſehen. Auch ſind viele durch Saͤulen geſtuͤtzt, die zum Theil hoͤlzerne Ga - lerien tragen, welche die Stadt in der That nicht zieren. Einzeln ſteht manches neuereBuͤr -33Buͤrgerhaus und mancher gute Privatpallaſt in den verſchiedenen Gegenden der Stadt, und die Kirchen fallen meiſt alle gut in die Augen, ſind zum Theil ganz von Marmor - quadern aufgefuͤhrt, und fuͤr den Geſchmack, worin man ſie anlegte, immer merkwuͤrdig. So iſt der Dom gothiſch genug, aber von Marmor und nicht unangenehm. Er beſitzt einen praͤchtigen Hochaltar, ein beruͤhmtes Kreuzbild, das zu reden laͤngſt aufgehoͤrt hat, und eine Kapelle, die Lotti malte, deſ - ſen Werke aber durch die Zeit faſt unkenntlich geworden ſind. S. Maria Maggiore iſt eben - falls ganz von Marmor, uͤbrigens nicht von Umfang. Hier wird die Darſtellung der be - ruͤhmten Tridentiniſchen Kirchenverſammlung aufbewahrt, die freylich ſo ausgefallen iſt, als gemalte Sitzungen, die aus Hunderten von Koͤpfen und Bruſtbildern beſtehen, auf einem kleinen Raume ausfallen koͤnnen: unbeſtimmt, ſteif und wie eine Apotheke angeordnet. Der Kuͤſter kannte indeſſen alle die merkwuͤrdigernSiebentes Heft. C34geiſtlichen Herren darunter, und nannte mir ſehr fertig die Namen derer, die waͤhrend der Dauer jener Verſammlung in Trient geſtor - ben ſind. Die uͤbrigen Gemaͤlde in dieſer Kirche fand ich nicht minder matt und geiſt - los. Niedlich iſt die ehemalige Kirche der Jeſuiten, wie faſt alles, was ſie gebauet ha - ben. Das biſchoͤfliche Schloß iſt altmodiſch und Kloſterartig. Die Peterskirche und das Rathhaus ſieht man auch wohl, wenn in ei - ner Stadt nicht viel zu ſehen iſt. Jch wenig - ſtens hatte die Merkwuͤrdigkeiten von Trient in weniger als zwey Stunden gemuſtert.

An den Einwohnern bemerkte ich nur noch entfernte Spuren von deutſcher Art, und die deutſche Sprache ſchien ganz verſchwun - den. Das Jtalieniſche, das ich an ein paar oͤffentlichen Oertern hoͤrte, klang rauh genug, und wurde in Venetianiſcher gemeiner Mund - art geſprochen. Die Kaffeehaͤuſer waren ſchon nach italieniſcher Sitte eingerichtet, d. i. ohne Billard, mehr wie die deutſchen35 Schweizerladen. Die Gaͤſte hatten ganz das Anſehen, als ob ſie den langen Tag hindurch bald davor, bald darin geſeſſen und auf jede Weiſe lange Weile gehabt haͤtten. Als das Ave Maria gelaͤutet wurde, ſetzten ſie das eine Knie auf die Baͤnke und Stuͤhle, nah - men den Hut herunter und fluͤſterten ein paar dahin gehoͤrige Worte. Sodann klapperten die Steine auf dem Damenbrete wie vorher, und die Unbeſchaͤftigten gaͤhnten dazwiſchen.

Meine eigene Fahrlaͤſſigkeit war Schuld daran geweſen, daß mich mein Poſtknecht in einen Gaſthof, wo es ihm ſehr gefiel, hatte fahren duͤrfen. Jn der That, es waͤre eine Schande fuͤr dieſe beruͤhmte alte Stadt, wenn ſie nur Einen und nur Solchen Gaſthof be - ſaͤße, als der meinige war. Jch muͤßte mich ſehr irren, wenn nicht ſchon ein Mitglied je - ner Kirchenverſammlung in dem Zimmer, das mir zu Theil wurde, gewohnt haben ſollte; wenigſtens deutete die Taͤfeley, womit daſſelbe geziert war, auf zwey Jahrhunderte und dar -C 236uͤber. Mein Abendeſſen war zum erſtenmal ganz Jtalieniſch von der geringeren Art. Harter Reis, mit einer zerkochten Taube, grobe Ma - karoni, gebratene Leber, ein Schnitt Bisquit und zwey kleine Aepfel, in Begleitung einer Flaſche rothen trientiner Weins, zum Er - ſchrecken fuͤr Jeden, der ihn nicht wie Waſſer trinkt waren die Zuthaten. Jn einem Bette, fuͤr eine ganze Geſellſchaft groß genug, ſchlief ich vortreflich. Ueberſetzt wurde ich den andern Morgen nach Gebuͤhr, denn der Wirth, der den Tag vorher mein Cicerone geweſen war, hatte die Großmuth gehabt, dafuͤr nichts von mir zu nehmen.

Uebrigens erreicht die Bevoͤlkerung von Trient die von Botzen nicht. Die Stadt hat nicht den Handel und nicht die Erzeugniſſe. Letztere ſind beſonders Wein und Oehl, die in ihrem Gebiete von einem ſtarken, ausgezeich - net gutmuͤthigen, Volke gebauet werden. Trient iſt keine Handels - und keine Manu - faktur -, ſondern eine Geiſtlich-Adeliche Stadt,37 deren leere Kirchen, und fuͤr ihre Bewohner zu große Kloͤſter und Pallaͤſte, ſchon eine mit - telmaͤßige Volksmenge andeuten. Man gab mir letztere zu Eilftauſend an, und ſelbſt dieſe Zahl ſchien mir zu hoch angeſetzt.

Die naͤchſte Poſt iſt nicht mehr Acqua - viva , wie die Poſtbuͤcher melden, ſondern Messina (2 M.), ein einzeln ſtehendes Haus. Der Weg von Trient bis dahin, und deſſen Umgebungen, ſind bey weitem nicht ſo ange - nehm, als vorher. Man faͤhrt naͤmlich zwi - ſchen hohen Mauern, welche an beyden Sei - ten Weingaͤrten einſchließen und zugleich die Ausſicht verſperren, wie in einem wahren Hohlwege und, des Staubes halber, faſt aͤr - ger noch. Die Berge dauern wie vorher fort, und die Fruchtbarkeit des Thals bleibt ſich gleich. Letzteres erweitert ſich merklich, der Fluß wird breiter und, was man aus die - ſen beyden Umſtaͤnden von ſelbſt ſchließen wird, auch die Berge ſenken ſich allmaͤhlig, und der Hintergrund zeigt kein ſo mannichfaches Ge -38 draͤnge von Klippen mehr; mit einem Worte, man merkt deutlich, daß man nicht in ein großes Gebuͤrge hinein, ſondern aus einem ſolchen hinaus faͤhrt, und ſich einer Ebene naͤ - hert. Doch geht es ſo ſchnell damit nicht, weil die Natur die Spruͤnge nicht liebt. Zwi - ſchen Meſſina und Roveredo, der naͤchſten Poſt (2 M.), hat ſie Stellenweiſe wieder Ruͤckfaͤlle, und es thuͤrmen ſich abermals Stein - maſſen an den Seiten engerer Thaͤler auf, die den vorigen nichts nachgeben; hat man ſie aber im Ruͤcken, ſo wird der Abfall bald wieder deſto merkbarer.

Der Weg, der unmittelbar nach Rove - redo (Rovereit) hinein fuͤhrt, hat wiederum die Unbequemlichkeit, daß man zwiſchen Gar - tenmauern eng eingeſchloſſen iſt, und nur die kahlen Felſenkoppen uͤber ſeinem Haupte ſieht, ohne ſich dafuͤr an den Herrlichkeiten des Thals ſchadlos halten zu koͤnnen. Aus dieſer Urſache ſieht man auch Roveredo nicht eher, als bis man dicht davor iſt; ungeachtet dieſe39 Stadt, bey einem zwar nicht betraͤchtlichen Umfange, doch anſehnliche Haͤuſer, Privat - pallaͤſte*)Wenn ich die größeren adelichen Wohnungen in Trient und Roveredo Palläſte nenne, ſo iſt es nach der Weiſe der Jtaliener, die freygebiger mit dieſem Namen ſind als die Deutſchen. Sie wür - den die Straße unter den Linden in Berlin, die Moritzſtraße in Dresden, Straßen mit Palläſten beſetzt, und Wien ſelbſt, eine Stadt von lauter Palläſten, nennen. Doch verlangen ſie meiſt immer, daß ſolch ein zum Pallaſt erhobenes, gro - ßes Haus einen adelichen Beſitzer habe.Eben ſo verhält es ſich mit dem Namen Ca - ſtello , das wir nicht mit Feſtung, ſondern mit Schloß geben müſſen, weil dieſe Kaſtelle mit unſern deutſchen Feſtungen nicht verglichen werden können. Solche Schlöſſer haben Botzen, Trient, Roveredo und alle übrige beträchtliche Städte und wichtige Eingänge in Tyrol; aber ſie werden da - durch nicht zu Feſtungen. und Kirchen hat. Gleich beym Eintritt in dieſelbe uͤberraſchte mich ein an - genehmer Anblick, den ich mir auf dieſer Reiſe noch oft zu haben verſpreche: der Anblick ei - nes ganz neuen Pallaſtes, der, mit einer rei - zenden Einfalt und in den ſchoͤnſten Verhaͤlt - niſſen, ſo eben aus den Haͤnden des Baumei -40 ſters hervor gegangen und noch nicht einmal mit Hausgeraͤth verſehen war. Jch bekenne gern, nichts aͤhnliches an Leichtigkeit in der Zeichnung, an anſpruchsloſer Eleganz in der Verzierung, und an Sorgfalt in der mecha - niſchen Ausfuͤhrung des Maurers, des Zim - mermanns und des Gypsarbeiters, geſehen zu haben.

Jch wuͤrde aber getaͤuſcht worden ſeyn, wenn ich dies Gebaͤude fuͤr das Muſter der allgemeinen Bauart von Roveredo genommen haͤtte. Man hat es kaum hinter ſich, ſo ſieht man ſich zwiſchen ſchwarzen, altmodiſchen, drey - und vierſtoͤckigen Haͤuſern, in einer en - gen Straße, die das Bild der meiſten uͤbrigen iſt, eingeſchloſſen, und dem Auge wird nur noch hier und da durch einzelne gute Werke der Baukunſt Genuß geboten. Dafuͤr hat man aber den Anblick einer lebhaften Volks - menge, die auf den Straßen und in den Haͤu - ſern geſchaͤftig, und freylich wohl eben ſo viel werth iſt, als die ſchoͤne Vorderſeite eines41 Palazzo . Ein thaͤtiger Handel und eine mannigfaltige Gewerbſamkeit, die ihre Ge - ſchaͤfte und Arbeiten mit Seide, Tabak, Baumwollenwaaren, Haͤuten, geſalzenen Le - bensmitteln und andern Artikeln, ununterbro - chen forttreiben, haben dieſe kleine Stadt in noch nicht hundert Jahren faſt um mehr als die Haͤlfte volkreicher gemacht; denn die Zahl ihrer Einwohner, die zu Anfange dieſes Jahrhunderts gegen acht tauſend war, iſt ſeit jener Zeit uͤber achtzehn tauſend geſtiegen.

Dieſer Anwachs iſt freylich nicht aus dem urſpruͤnglichen Stamme der Einwohner her - vorgeſchoſſen. Es ſind meiſt lauter fremde Handelsleute und Manufakturiſten, Deutſche, Schweizer und Jtaliener, die ſich ſeit unge - faͤhr hundert und funfzig Jahren hier nieder - ließen, und die Stadt und ihre Geſchaͤfte im - mer lebhafter machten. Dieſe Anſiedelung wurde beſonders dadurch mit befoͤrdert, daß Maximilian der Erſte, dem ſich dieſe Stadt zu Anfange des Sechzehnten Jahrhun -42 derts freywillig unterwarf, derſelben eine Zoll - freyheit fuͤr alle Waaren, die ſie einfuͤhrte und brauchte, und zugleich die freye Wahl ih - rer eigenen Obrigkeit zugeſtand.

Die Seidenwaaren von Roveredo ſind wegen ihrer Gruͤndlichkeit und ihrer ſchoͤnen Farbe geſchaͤtzt und geſucht. Die letztere Voll - kommenheit ſchreibt man der Wirkung des Waſſers aus dem Fluͤßchen Leno zu, das ſich hier in die Etſch ergießt.

Die Seide beſchaͤftigt faſt alle junge und alte Haͤnde der Buͤrger in den untern Ge - ſchoſſen und in den kleinern Haͤuſern der Stadt; aber nicht bloß ſie, ſondern ihr gan - zes Gebiet, verbeſſert durch dieſe Beſchaͤfti - gung die Natur, die hier in Abſicht der erſten Beduͤrfniſſe karg geweſen iſt.

Da ein Theil der Bewohner von Rove - redo aus Guͤterbeſitzern und Rentnern vom Adel und vom Buͤrgerſtande beſteht, ſo bildet ſich mitten unter dem groͤßeren Haufen der handelnden und arbeitenden Klaſſen ein innerer43 Kreis, der, aus den gewoͤhnlichen Bewegungs - gruͤnden, ſich mit den Kuͤnſten und Wiſſen - ſchaften abgiebt und immer ſchon abgab; und aus deſſen Schooße die Denkmale der beſſern Baukunſt und anderer Kuͤnſte, die man in Roveredo ſieht, und die Namen, die man in der Gelehrten-Geſchichte dieſer Stadt nennt, hervor gegangen ſind. Die hieſige Akademie der Agiati wurde von dem Ritter Van - netti und ſeiner Gemahlin, Laura Sai - banti, geſtiftet, und von Maria There - ſia, im Jahre 1750, beſtaͤtigt. Sie zaͤhlte gelehrte, einheimiſche und fremde, Mitglieder, doch deren mehr bey ihrem Anfange, als in der Folge der Zeit.

Uebrigens iſt das Becken, worin Roveredo liegt, angenehm. Um die Stadt her iſt Wein - garten an Weingarten, die, wie wir ſchon ge - wohnt ſind, auch ſchoͤne Fruͤchte hervorbrin - gen. Deutſch hoͤrt man wenig, doch wieder mehr als in Trient. Die Speiſen, der Haus - rath, die Kleidung, das Benehmen und die44 Gemuͤthsart der oberen und niederen Klaſſen ſind ſchon ganz italieniſch.

Den andern Tag (den 17. Sept.) fuhr ich von Roveredo ab. Man bleibt abermals, waͤhrend einer Strecke, zwiſchen Gartenmauern eingeſchloſſen. Koͤmmt man aber ins Freye, ſo wird man ſogleich von einem jener Schau - ſpiele uͤberraſcht, welche die Natur zuweilen in einer Anwandlung von Laune giebt, und die uns ſo groß, ſo erhaben ſcheinen, ihr aber ſo wenig koſten moͤgen. Man ſieht eine ſtar - rende, unfruchtbare Felſenrinde vor ſich ausge - breitet, welche die deutlichſten Zeichen traͤgt, daß ſie vormals in hochgewoͤlbter Geſtalt auf dieſem Platze geſtanden habe, durch irgend eine Kraft aber in ihren Grundfeſten erſchuͤt - tert und ausgedehnt, und ſo von oben herab in ſich ſelbſt zuſammen geſunken und faſt zur Flaͤche geworden ſey. Sie zieht ſich rechts bis zu der Etſch herab und iſt links eine maͤ - ßige Anhoͤhe geblieben, deren Schichten, durch die erwaͤhnte Kraft, langſam gehoben und auf45 die Seite gelehnt ſind, aber unzerriſſen und dicht auf einander gepreßt, wie eine ungeheure graue Moſaik, da liegen. Der Weg laͤuft am Abhange hin, und nichts erquickt das Auge auf dieſer todten Kruſte.

Daß dieſe Kruſte nur durch die letzte Schwingung einer großen Kraft ihre Bildung erhielt, zeigt ſich da, wo ſie aufhoͤrt, ganz deutlich. Denn wenn ſie der Ueberreſt Eines bloß zuſammen geſunkenen Felſen iſt, ſo ſteht man nun vor den Truͤmmern um und um ge - kehrter, aus ihren Wurzeln geriſſener, von ih - rem Standplatz hinweg geſchleuderter Alpen. Felſenbloͤcke, Hunderte von Zentnern ſchwer, liegen hier wie Kieſel verſtreuet, die Anhoͤhe hinan, das Thal herab. Unordentlich erſchei - nen ſie bald auf einander gethuͤrmt, bald ne - ben einander gelagert, bald einzeln auf ihren ſcharfen Ecken empor gerichtet. Um, zwiſchen und neben ihnen ſieht man gleichſam Guͤſſe von kleinern Steinen, die theils die Kluͤfte ausfuͤllen, theils die Flaͤche uͤberſchwemmen. 46Kein Baum, keine Staude was ſage ich? kein Grashalm zeigt ſich hier, weil er kein Wurzelfaͤdchen ausrecken konnte.

Durch dieſe Verwuͤſtung faͤhrt man uͤber eine halbe Stunde fort, und man iſt, bei der Menge von Betrachtungen, die ſich einem dar - bieten, wie betaͤubt. Auf einmal ſieht man ſich vor einem neuen Meere von Steinen, die an Groͤße alle vorigen uͤbertreffen. So weit dem Auge zu blicken geſtattet iſt, erſcheinen Anhoͤhe und Thal mit dieſen, wild durch ein - ander geworfenen, in einander geruͤttelten, auf einander gethuͤrmten, uͤber einander ſchweben - den, ungeheuren Felſenklumpen, fuͤr die der Zentner ein Kindergewicht iſt, beſtreuet und uͤberſchuͤttet. Bald ſind ſie eckigt, bald abge - rundet, bald flach, bald keilfoͤrmig; nie haben ſie die Lage, die ihre Schwere ſich gegeben haben wuͤrde; ſie waren, als ſie ſtuͤrzten, in Reibung mit tauſend andern die zugleich ſtuͤrz - ten, und arbeiteten im Gegendrucke von tau - ſend andern als ſie ſich lagerten. Man ſieht47 ungeheure Bloͤcke gegen einander ſtrebend da ſtehen, deren keiner zum Liegen gekommen iſt, und auf ihren Haͤuptern ruhen kleinere, denen ſie zu Traͤgern dienen. Wiederum liegt auf einem kleineren eine ungeheure Wacke, die ihn in den Boden gedruͤckt hat. Dort ſtehen die einzelnen Theile einer ganzen herausgetriebe - nen und umgekehrten Schicht hinter einander wie Borſten; hier iſt die Koppe einer ganzen Klippe wie ein verkehrter Kegel aufgepflanzt. So ſieht man die ſeltſamſten Gruppen um ſich her gelagert und ſo lange feſtgeſtellt, bis eine neue Kraft ſie von neuem wie einen Sack voll Tonkugeln aufruͤtteln und anders wohin aus einander ſchnellen wird.

Sehr anziehend wurde mir dies Feld der Verwuͤſtung dadurch, daß es doch einige Stel - len zeigte, die ſich entweder gebildet oder er - halten hatten, und durch ein ſparſames Gruͤn Auge und Herz wieder erquickten. Bald wa - ren es zwei Schritt Flaͤche, mit Grashalmen bekleidet und mit ein paar Baͤumchen beſetzt;48 bald war es ein Keſſel von betraͤchtlicherem Umfange, der in ſeiner Tiefe Waſſer enthielt und rund herum an ſeinem Abhange Maulbeer - oder Weidenbaͤume naͤhrte, die, fuͤr ihre be - druͤckte Lage, muthig genug gruͤnten; bald waren es Truͤmmer ehemaliger Terraſſen, auf denen Weinſtoͤcke in einer aͤrmlichen Geſtalt herum krochen; bald ein paar maͤchtige Stein - kloͤtze, deren Oberflaͤche Zeit und Wetter zu erweichen anfingen und in deren verwitterten Theilen feine Mooſe ſich anzuſiedeln wagten. Dieſe Zeichen von der unermuͤdlichen Guther - zigkeit der Natur, die den Tod ſelbſt zur Ge - burt und die Faͤulniß zur Bluͤthe macht, be - wegten mich wunderbar und beſchaͤftigten mich ſehr angenehm bey meiner Durchfahrt durch dieſe Steinhaufen, die uͤbrigens keine Spur von Feuer zeigen, mithin wohl die Kinder ei - nes Erdbebens ſeyn moͤgen.

Nach einer betraͤchtlichen Strecke wird der Weg beſſer, die Berge ſtehen wieder aufrecht, das Thal wird wieder fruchtbar und iſt ent -weder49weder mit Maulbeerbaͤumen oder mit Wein bepflanzt, oder mit gruͤnenden Wieſen uͤber - zogen. Man ſchoͤpft freyern Athem, und es wird einem um ſo behaglicher, da ſich die Berge immer mehr abſenken und das Thal ſich merklich erweitert. So erreicht man die naͤchſte Poſt, Ala oder Hall (3 M.), eine zwar kleine, aber lebhafte und wohlgebauete Stadt, die durch ein in der Naͤhe befind - liches, ergiebiges Salzwerk bekannt und die letzte im oͤſterreichiſchen Gebiet iſt. Nach ei - ner halbſtuͤndigen Fahrt befindet man ſich vor der kaiſerlichen Graͤnzmaut, wo man ſeinen Paß vorzeigt und dem Zollbeamten verſichert, daß man nichts Mautbares fuͤhrt, ſodann ei - nen Schlag zufahren laͤßt und jenſeit der Graͤnze iſt.

Man ſieht ſich nun in Jtalien, und nichts veraͤndert ſich, und doch iſt alles anders als in Deutſchland. Dieſe Erſcheinung hat man den allmaͤhligen Uebergaͤngen zu danken, welche die Natur uͤberall ſo gern anbringt. Siebentes Heft. D50Koͤnnte man aus der Gegend von Berlin mit Einem Sprunge in die Gegend von Verona gelangen, ſo waͤre einem Alles neu; da man aber uͤber Wien oder Augsburg allmaͤhlig nach Jtalien hinein faͤhrt, ſo muß man ſich von der Natur darauf vorbereiten laſſen.

Jn Wien ſieht man ſchon eine Menge Jtaliener, vom veroneſiſchen Wurſthaͤndler, vom venetianiſchen Muſikmeiſter und maylaͤndiſchen Operiſten an, bis zum Mann von Stande, bis zum Miniſter des Koͤnigreichs beyder Si - cilien. Man ſieht ſie, und hundert Andre von anderer Beſtimmung und Art, mehreremal, und ihre Bildung, ihr Weſen, ihre Kleidung fallen einem auf; weil ſie in irgend etwas von denen verſchieden ſind, die man ſonſt vor Au - gen hat. Man reiſet von Wien ab, und na - tuͤrlich nimmt man einen der Hauptwege, mittelſt deſſen Jtalien und Deutſchland zuſam - men hangen, und beyde Laͤnder einander ihre Menſchen und Waaren zukommen laſſen. Auf dieſem Wege begegnen einem italieniſche51 Fuhrwerke mit ihren Zugthieren, ihren Ge - ſchirren und ihren Reiſenden und Fuͤhrern; ferner herum ziehende Kleinkraͤmer, ihren Handel auf dem Ruͤcken; und auswandernde Familien, die in Deutſchland reiche Verwandte oder uͤberhaupt ein beſſeres Schickſal auf - ſuchen. Man bemerkt an allen dieſen Gegen - ſtaͤnden gewiſſe neue Dinge, die einem von dem Augenblick an nicht mehr neu ſind. Man ſetzt ſeine Reiſe fort und ſieht unter - wegs Landhaͤuſer, Gaͤrten, Saͤulen, Statuen, Gemaͤlde, Kirchen in italieniſchem Ge - ſchmack; weiterhin Kamine, Kaffeehaͤuſer, Balkons, Altane nach italieniſcher Sitte; zwar immer noch einzeln, aber ſo verſteht es ſich. So wie man weiter vorruͤckt, vermehren ſich die italieniſchen Vorboten. Hinter Klagenfurt ſetzt man einem Gemuͤſe mit Oehl gekocht vor, zu Lienz eine Pollenta, in Brixen waͤl - ſches Brot. Hier findet man ſchon zahme Kaſtanienbaͤume; zu Botzen feinere Fruͤchte, Maulbeerbaͤume, Mays, ein italieniſches Klima,D 252italieniſche Bauart, Menſchen von italieniſcher Abkunft. Die runden, fleiſchigten, gutmuͤthi - gen deutſchen Geſichter verſchwinden nach und nach, und machen den ſchwarzen hageren, oder gelben aufgetriebenen, mit ſchwarzen Baͤrten und ſprechenden trotzigen Augen, Platz. Ein gewiſſer Leichtſinn wird bey der dienenden, und eine große Fertigkeit im Uebervortheilen bey der handelnden Klaſſe ſichtbar. Ernſt und Beſcheidenheit verlieren ſich in den Far - ben der Kleidung, d. i. grau, blau, dunkel - gruͤn, braun und ſchwarz werden den Leuten zu unſcheinbar; aber roth, hochgelb, hellgruͤn, hellblau, in der ſchreyendſten Miſchung, wer - den immer mehr Leibfarben. Der gemeine Mann zeigt immer weniger Gefuͤhl fuͤr einen anſtaͤndigen Anzug. Auf dem Kopfe traͤgt er bald keinen Hut mehr, ſondern eine ſchmu - tzige wollene Muͤtze, oder auch gar nichts; die Bruſt hat er bis zu dem Nabel bloß; uͤber die Schenkel ſchlottern ihm Beinkleider herab, die er am Knie nicht zuknoͤpft; die53 Beine ſind ohne Struͤmpfe, die Fuͤße ohne Schuh; beydes iſt in Monaten nicht gewa - ſchen. Weiterhin begegnen einem ſchon haͤu - fig Leute in ſeidenen Lumpen.

Abzeichen dieſer Art hatte ich von Wien an, und ſie wurden immer haͤufiger, je mehr ich mich der Graͤnze naͤherte. Zu Trient bet - telte ſchon der Poſtknecht gebrochen Deutſch noch um einige Sololi uͤber ein reichliches Trinkgeld; und ein Kerl, der ihm die Pferde vom Wagen geſpannt hatte, erpochte dafuͤr von mir ein Geſchenk. Bis Roveredo iſt alles, womit der Fremde zu handeln kommt, Jtalieniſch geworden; und alles geht Jtalie - niſch mit ihm um. Wirth, Kellner, Lohnbe - dienter, Poſtknecht, Hausknecht, Hausmagd, alles betruͤgt ihn, jeder bettelt von ihm, je - der beluͤgt ihn, jeder bleibt in der beſten Laune, wenn er ihn uͤber die mannigfachen Plackereyen verdrießlich ſieht, oder wenn ihm die Woͤrter Gauner, Betruͤger, unverſchaͤmte Luͤgner, Bettler, entwiſchen. Hoͤchſtens ſagen54 ſie: es ſey einmal in Jtalien ſo! Er werde ſehen! Mein Kellner in Roveredo, dort ſchon cameriere genannt, machte mir beym Ein - ſteigen in den Wagen noch eine zweyte Rech - nung, weil er, wie er ſagte, in der ſchon be - zahlten einige Artikel vergeſſen haͤtte, die er aus ſeiner Taſche bezahlen muͤßte, was un tal Signor doch nicht zugeben wuͤrde. Jch warf ihm ein kleines Silberſtuͤck zugleich mit einem gran bricone zu, der ſo ernſthaft nicht gemeynt war. Eccellenza! rief er aus, zog die Achſeln zuſammen, lehnte den Kopf demuͤthiglich an die rechte Schulter und druͤckte die aufgefangene Muͤnze an die Bruſt. Als der Poſtknecht fortfuhr, ſagte er zu den Umſtehenden, ſo laut daß ich es wohl hoͤren mußte, un buon Signor! und als ich den Kopf herum drehte, um den Gaudieb noch einmal anzuſehen, uͤberraſchte ich ihn bey ei - nem großen Kreutze, das er mir nachſchlug.

Alle dieſe und hundert andere kleine Zuͤge und Erſcheinungen ſind Jtalieniſch, und dem55 Reiſenden ſchon gelaͤufig, wenn er nach Jta - lien ſelbſt koͤmmt. Er kennt die Menſchen ſchon, das heißt den kleinen Theil derſelben, den er auf der Reiſe braucht; er kennt die Natur ſchon, das heißt diejenige, die er bey ſeinem erſten Eintritt in Jtalien findet. Nichts daran ſcheint ihm mehr neu, und doch hatte er, noch vor Wien, weder ſolche Menſchen, noch ſolch eine Natur geſehen. Gerade ſo wird ihm ſeyn, wenn er vor dem Amphi - theater von Genua, auf der Kuppel vom St. Peter in Rom, und an dem Rande des Aetnaſchlundes ſtehet.

Von Ala fuͤhrt der Weg auf Peri, die naͤchſte Station. (Eine Poſt*)Die italieniſche Poſt haͤlt ſieben, acht, auch wohl neun Miglien.) Die Straße iſt nicht ſo ſorgfaͤltig gemacht, als bisher; aber die Gegend iſt ganz dieſelbe. Nach ei - ner Fahrt von anderthalb Stunden befindet man ſich vor dem venetianiſchen Graͤnzzoll Borghetta. Es ſind zwey kleine, einzeln56 am Wege einander gegen uͤber ſtehende, und durch ein Wetterdach, das den Wagen Schutz giebt, mit einander verbundene Haͤuſer. Aus dem einen trat mir ein Zollbedienter mit dem hoͤflichſten Weſen entgegen, war voͤllig uͤber - zeugt, daß ich keine verbotenen Waaren bey mir fuͤhrte, und bat ſich fuͤr dieſe Ueberzeu - gung, mit in dem Wagen geſtreckter Hand und ſpielenden Fingern, dalla bona grazia dell excellentissimo Signor forestiero ein kleines Geſchenk aus. Dieſer gab ihm eins; da es jener aber gern groͤßer gehabt haͤtte und dies mit einem è poco Excel - lenza! deutlich zu erkennen gab; ſo erwie - derten die Exzellenz: basta così, amico! und fuhren hartherzig weiter nach Peri.

Dies iſt ein unanſehnlicher Flecken, wie ein paar andere, durch die ich, von Ala aus, im venetianiſchen Gebiete gekommen war. Das Aeußere dieſer Oerter iſt in der That hoͤchſt abſchreckend. Sie ſind ganz offen, ihre Haͤuſer ſind zwar gemauert, aber von eben57 den Steinſtuͤcken, die im Wege herum liegen, und wie man ſie ohne Auswahl aufrafft: groß und klein, rund und eckigt, von allerley Bergarten. Sie erſcheinen wie bloß auf ein - ander gelegt, nicht mit Moͤrtel ausgefuͤllt, noch weniger beworfen. Dieſe rauhen Mau - ern ſtehen da, Theilweiſe verwittert, Theil - weiſe aus einander gegangen, Theilweiſe von Luft, Regen und Sonne grau oder ſchwarz gefaͤrbt. Sie haben im unterſten Geſchoß eine Oeffnung, welche Thuͤre und Fenſter zu - gleich bildet und in ein ſchwarzes, mit Stei - nen ausgeſetztes oder mit Lehm ausgeſchlage - nes, Gemach fuͤhrt, das eine Familienwoh - nung vorſtellt. Das zweyte Geſchoß hat zwar drey oder vier kleine Fenſteroͤffnungen, aber Glasſcheiben ſind nicht darin zu ſehen, ſondern bloß ein paar eiſerne Staͤbe, und dahinter hoͤlzerne Laden. Das Dach iſt mit Schindeln gedeckt, die von der Sonne ver - kohlt und nicht angenagelt, ſondern um die Koſten fuͤr die Naͤgel zu erſparen, mit58 Steinen belegt ſind, wodurch ſie feſt gehalten werden.

Jn und vor ſolchen Haͤuſern ſieht man Menſchen, ſchwarzgelb von der Fußſpitze bis zum Wirbel; die Maͤnner bloß mit einem Hemde und mit einer Hoſe nicht beklei - det ſondern nur behaͤngt; die Weiber baarfuß, baarkoͤpfig, nur mit einem zerlump - ten Unterrocke, mit einem erdſchwarzen Hals - tuch und einem ſteifen, rothen oder gelben Mieder halb und halb bekleidet; das raben - ſchwarze Haar in ein Neſt auf dem Hinter - kopfe zuſammen gewickelt, und unter dem Arm einen Rocken, dem ſie dicke Faden ab - zupfen, die ſie mittelſt einer in der Luft ſchwebenden Spindel zugleich drehen und auf - winden.

Die Honoratioren von Peri zeigten ſich zwar angekleidet, aber wunderlich genug. Ein abge[ſ]chabter Rock von hellerothem, wollenen Sommerzeuge, oder von gruͤner, oder hellblauer, verſchoſſener Seide; eine59 ſtrohfarbene, oder hochgelbe, oder purpurfar - bige Weſte, nur in der Mitte oder unten mit Einem Knopfe befeſtigt, weil die uͤbrigen fehlten; Beinkleider, theils von der Farbe des Rocks, theils von allen uͤbrigen ſchreyen - den Farben, uͤber dem Knie nicht zugeknoͤpft; Zwirnſtruͤmpfe, ſo duͤnne, daß man ſie nur durch ihre groͤßere Schwaͤrze auf der Haut unterſcheiden konnte; Pantoffeln, oder viel - mehr eingetretene Schuhe; ein langer Zopf, der bald geflochten und oben mit einem Bind - faden eingebunden, bald mit einem rothge - wordenen ſchwarzen Seidenbande umwickelt war, und uͤberall Buͤſchel von Haaren heraus ließ; breite Manſchetten und große ſchmutzige Buſenſtreifen von grobem Zwirnfilet; eine duͤnne ſchmale Halsbinde, mit einer gewalti - gen Schnalle im Nacken befeſtigt dies waren die Toilettenſtuͤcke ſolch eines Ehren - mannes, denen er durch ein ungekaͤmmtes Haar, in welchem die Federn und Dunen aus dem Bette flatterten, und durch eine60 baumwollene Nachtmuͤtze, die ſich in eine lange, zwiſchen den Schultern ſchwebende Trottel endigte, die Krone aufzuſetzen gewußt hatte.

Meine Vorgaͤnger und Nachfolger auf der Reiſe durch Peri werden dieſe Zeichnun - gen treu finden. Jch habe ſie nach der Na - tur gemacht, indem ich vor dem Poſthauſe ſaß und meine Pferde erwartete.

Die Regierung hat anbefohlen, daß jeder Reiſende, der durch ihre Staaten mit Extra - poſt geht, ein Bollettone von dem Ober - poſtmeiſter aus Venedig vorzeigen ſoll. Man kann ſich durch einen Freund, oder durch ſei - nen Wechsler, ſolch einen Eingangsſchein entgegen ſchicken laſſen; oder ihn auch in Wien von dem dortigen Geſandten der Re - publik erhalten. Auf deſſen Vorzeigung muͤſ - ſen ihm die Poſtmeiſter fuͤr acht Paoli mit zwey Pferden eine Station, oder zwey deut - ſche Meilen fortſchaffen. Hat er aber kei - nen, ſo koͤnnen ſie nach Willkuͤhr, anſtatt61 acht Paoli, zwoͤlf bis funfzehn nehmen und der Reiſende darf ſich nicht beſchweren. Jch hatte um ſolch ein Bolletton geſchrieben und es in Roveredo zu finden geglaubt, aber nicht gefunden. Dieſer Umſtand half mir nichts bey dem Poſtmeiſter in Peri. Jch muͤßte Sie fuͤr acht Lire fahren, ſagte er, wenn Sie eins haͤtten; aber Sie haben keins! Da es mir alſo erlaubt iſt, mehr zu nehmen, ſo kann ich nicht gegen meinen Vor - theil handeln, und ich muß mehr nehmen. Sie ſollen aber ſehen, daß Sie mit einem großmuͤthigen Venetianer zu thun haben. Jch verlange nur zwoͤlf Paoli; dem Folgen - den muͤſſen Sie funfzehn geben! Das ſag ich Jhnen vorher!

Jn der beſten Laune uͤber ſeine ganz neue Art von Großmuth gab ich ihm die verlangten zwoͤlf Paoli, und die uͤbrigen drey einem Bettler, der neben mir ſtand; wobey ich ihm recht ernſthaft dankte, daß er mir Gelegenheit gaͤbe, gegen ſeinen armen Lands -62 mann meinerſeits auch großmuͤthig zu ſeyn. Dieſe Wendung ſchien doch ſein edles Herz ſo in Bewegung zu ſetzen, daß es ſich ver - gaß und in einige harte Worte gegen den Bettler ausbrach; allein dieſer, der alles vor - trefflich begriff, lachte ihn aus und mir dankte er fuͤr mein Almoſen nicht.

Dieſer Wettſtreit der Großmuth hatte nicht die geringſte Wirkung auf die Unter - heuſchrecken des Poſthauſes gethan. Es wa - ren ihrer ſechs trotzige, zerlumpte Kerl, wo - von der Eine mir die Vorder - und der An - dere die Hinterraͤder beſprengt, der Dritte den Koffer angezogen, der Vierte die Pferde ge - bracht, der Fuͤnfte ſie dem Poſtknecht ange - ſpannt, und der Sechſte mich gefragt hatte: ob ich etwas aus dem benachbarten Wirths - hauſe befoͤhle? Was ſie haben wollten, war, wie ſie es nannten, per la bona ma - no (fuͤr willige Handreichung), und ſie for - derten es in einem Tone, daß ich lieber gleich geben, als mir Stationen machen wollte, wie63 der uͤbellaunige Smollet, der ſie immer mit Gallenfiebern verließ und doch am Ende alles, was man von ihm haben wollen, be - zahlt hatte.

Hinter Peri hoͤren endlich die Berge auf, doch nicht ohne ſich noch einmal in ihrer Furchtbarkeit zu zeigen. Man koͤmmt nach Chiusa , einem Graͤnzſchloſſe, das an dem Gehaͤnge eines ſteilen Berges angebracht iſt. Man braucht Vorſpann, um den Weg hinan zu kommen, der dem Berge durch Kunſt ab - gewonnen und nur ſo breit iſt, daß zwey Wagen einander ſo eben ausweichen koͤnnen. Man haͤngt auf demſelben gleichſam uͤber der Etſch, ſo wie der Felſen drohend uͤber den Weg haͤngt. Unter einem, in einer Tiefe von wenigſtens 150 Schuh, draͤngt ſich die Etſch zwiſchen dieſen und dem gegen uͤber ſtehen - den, noch rauhern und ganz ſchroffen, Felſen hinein und rauſcht an den Wurzeln beyder, ohne ſelbſt dem Fußgaͤnger an den Seiten Platz zu laſſen. Sie kann hier auch64 noch mittelſt einer ſtarken Kette geſchloſſen werden.

Wenn man uͤber den hoͤchſten Punkt des Weges gekommen iſt, ſo hat man im Herab - ſteigen das Schloß vor ſich, zu welchem man uͤber eine Zugbruͤcke gelangt. Es iſt klein und ſchmal, und giebt in der That einen armſeligen Anblick. Das Mauerwerk iſt ver - altet, und aus den wenigen Schießſcharten ſehen roſtige Kanonen hervor. Vor demſel - ben hat man im Felſen ſelbſt ein Kaͤmmer - chen fuͤr den Waͤchter ausgehauen, zu wel - chem man auf kurzen Stufen gelangt. Un - mittelbar uͤber dem Schloſſe hat man Kaſa - matten angebracht, die theils in den Felſen ſelbſt gehauen, theils durch Mauerwerk an demſelben angebauet ſind. Alles iſt klein und enge; aber als Anhang zu der Feſtung, welche die Natur ſelbſt hier gebauet hat, wuͤrde dies Schloͤßchen doch dazu beytragen, den Feind, der durch dieſen Paß eindringen wollte, eine Weile abzuhalten.

Jen -65

Jenſeit dieſes Schloſſes fuͤhrt der Weg am Fuße des Felſens und hart am Ufer der Etſch fort, die hier als ein anſehnlicher Fluß erſcheint. Die Durchfahrt zwiſchen Felſen und Fluß iſt ſo ſchmal, daß man, um Plaͤtze zu gewinnen wo die Wagen einander aus - weichen koͤnnen, erſtern hat ausſchweifen muͤſ - ſen. Auf dieſe Art zieht ſich der Weg nach Volargine (eine Poſt), von wo aus man endlich auch zur Linken die Ebene uͤberſieht, die man ſchon eine Weile zur Rechten hat uͤberſehen koͤnnen. Hier hatte ich nun die Gebirge, in welchen ich, von Schottwien an, verſchloſſen geweſen war, mit ihren angeneh - men und fuͤrchterlichen Stellen im Ruͤcken, und ich blickte mit freyerem Athem in das Paradies Lombardey.

Uebrigens iſt vielleicht keines der großen Gebirge ſo leicht und anmuthig zu bereiſen, als das, welches ich von dem Semmering an bis hieher durchfahren hatte. Der Weg laͤuft beſtaͤndig, theils im Grunde der Thaͤler,Siebentes Heft. E66theils am Gehaͤnge der Berge fort. Er iſt durchweg vortrefflich unterhalten, und nur an zwey oder drey Stellen etwas enge und nicht genug durch Gelaͤnder geſichert. Er iſt hin - laͤnglich mit Bruͤcken verſehen, um mit Si - cherheit uͤber die kleinern und groͤßern Fluͤſſe zu kommen die einem ſo haͤufig begegnen, oder welchen man folgt. Er iſt ſicher zu be - reiſen, weil die Menſchen gut ſind, die laͤngs demſelben wohnen. Er bietet viel Abwechs - lung dar, weil er zugleich eine lebhafte Han - delsſtraße iſt. Das Land ſelbſt, durch das er fuͤhrt, iſt anziehend. Ungeachtet Berge und nichts als Berge um den Reiſenden her ſte - hen, ſo gewaͤhrt doch die unendliche Abwechs - lung ihrer Geſtalten und Zuſammenſtellungen, ihrer An - und Ausſichten, ihrer Erleuchtung, ihrer ungeheuren Maſſen und ihrer mannig - faltigen Beſtandtheile großen Genuß. Die Thaͤler zwiſchen ihnen ſind groͤßtentheils ſchoͤn, oft wahrhaft reizend, meiſt immer fruchtbar; und das fleißige, unverdorbene Volk, das ſie67 bewohnt, das ſich in vielen Dingen uner - ſchrocken mit der Natur ſelbſt in Kampf ein - laͤßt, erfuͤllt das Herz mit Theilnehmung und freudigem Erſtaunen. Jch bekenne, noch keine Reiſe mit ſo viel Vergnuͤgen gemacht zu ha - ben, als dieſe Bergreiſe; und wenn ich jetzt wieder die Ebene mit Freudigkeit empfing, ſo lag derſelben nicht Ueberdruß der Berge, ſondern der natuͤrliche Gefallen des menſchli - chen Herzens an Abwechslung zum Grunde.

Von Volargine bis Verona (1 ½ Poſt) fuͤhrt der Weg durch eine Landſchaft, die ei - nem großen, zuſammenhaͤngenden Garten gleicht. Pflanzungen von Maulbeerbaͤumen, oder von Ulmen und Ahorn, alleenweiſe ver - theilt, bedecken die Felder. Maͤchtige Wein - ſtoͤcke lehnen ſich an dieſe Baͤume und trei - ben Ranken, Blaͤtter und Fruͤchte bis in de - ren Kronen hinauf; von dort fallen ſie her - ab und finden andere, die, wie ſie, eines Anhalts beduͤrftig ſind. Der Winzer nimmt ſich ihrer an, fuͤgt ſie zuſammen, und ſo ver -E 268ſchlingen ſie ſich in einander und laufen in Gewinden durch alle Alleen. Das Land zwi - ſchen dieſen iſt bearbeitet, und Feldfruͤchte al - ler Art werden auf demſelben gezogen. Es iſt ein Gedanke, der fuͤr den Boden der Lombardey Achtung erweckt, daß er faſt zu gleicher Zeit Getreide und Wein hervorbringt und den Seidenbau moͤglich macht. Hier herum iſt er uͤbrigens noch ſo ſteinigt, daß die Baͤume aus den Steinen ſelbſt hervor - zuwachſen ſcheinen, und daß die eigentliche Erde kaum ſichtbar wird. Dieſe iſt ocker - braun gefaͤrbt, wie die Steine, die ganz die - ſelben ſind aus welchen die Berge von Sa - lurn bis vor Volargine beſtehen. Je mehr der Fleiß dieſen Boden uͤberwindet, deſto fruchtbarer wird er; und je weiter man ge - gen Verona hinab koͤmmt, in deſto ergiebi - gerem Stande iſt er ſchon. Um die Mitte des Weges fand ich ein artiges Luſtſchloß, das die Naͤhe einer großen Stadt verkuͤn - digte. Es war juͤngſt erſt angelegt und fiel69 angenehm in die Augen. Der dazu gehoͤrige Garten war ſchon mit Mauern eingefangen, ſchien aber nur ein Ziergarten werden zu ſol - len, denn ich ſah wohl ziemlich mittelmaͤßige Bildſaͤulen, aber keine Spur, daß man auch fuͤr Schatten ſorgen wolle, in einem Lande, wo man deſſen ſo viel braucht.

Verona ſieht man nicht eher, als bis man nur noch eine halbe Stunde davon ent - fernt iſt. Dieſe Stadt liegt gerade da, wo die Alpen allmaͤhlig bis zu ihrer tiefſten Ab - dachung gelangt ſind, und dieſe in wahre Flaͤche uͤbergeht. Jſt man alſo uͤber den letz - ten Abſatz hinunter, ſo erſcheint ſie an eben dieſen Abſatz gelehnt, der Laͤnge nach ausge - breitet, mithin ganz eigentlich an den Wur - zeln der Alpen gelagert und von der Etſch durchſtroͤmt, die ich in Jtalien auch italie - niſch, Adige, nennen will. Nach wenig Augenblicken iſt man vor ihren Thoren. Jch fuhr durch das aͤußere Biſchofsthor hinein, ohne von den Zollbedienten anders, als zu70 Borghetta, belaͤſtigt zu werden. Unter dem innern fragte mich ein Soldat großer Gott, was fuͤr ein Soldat! nach Namen und Vaterland, und ſchrieb beydes mit einer Feder! aus einem Tintenfaß! auf Papier! wahrlich, daß ich zur Schande des gefluͤgelten Loͤwen, ſeiner Vogelſcheuche von Soldaten kein Trinkgeld, wie er verlangte, ſondern ein wahres, von chriſtlicher Milde hervorgebrach - tes, Almoſen darreichte. Jch fuhr in den Gaſthof alle due torre , behandelte aus noͤthiger Vorſicht, ehe ich abpacken ließ, mit dem cameriere Zimmer, Tiſch, Bedienung und alles uͤbrige, und ließ mich ſodann erſt in einer Stadt nieder, worin ich einige an - genehme und lehrreiche Tage zu verweilen be - ſchloſſen hatte.

Es ſind mehrere Punkte in der Stadt und um dieſelbe, wo man ſie, ihrer ganzen Lage und Geſtalt nach, uͤberſehen kann. Man mag einen ihrer Kirchthuͤrme, eines ihrer Thore, eines ihrer Außenwerke, oder eines71 ihrer Schloͤſſer waͤhlen, immer hat man eine anziehende Ausſicht; die weitlaͤuftigſte aber findet man auf dem Schloſſe S. Felice, und dieſe wollte ich zuerſt aufſuchen.

Jch gelangte durch einige ziemlich ver - ſchlungene und unreinliche Straßen zu der Bruͤcke della Pietra , die uͤber die Adige fuͤhrt, und beſahe im Vorbeygehen zwey ih - rer Bogen, die noch von altroͤmiſcher Arbeit ſind und gegen welche die benachbarten aller - dings ſehr abſtechen. Jenſeits dieſer Bruͤcke erhebt ſich die Anhoͤhe, auf welcher das feſte Schloß S. Felice uͤber dem andern feſten Schloſſe S. Pietro liegt. Eine Anzahl von Haͤuſern iſt amphitheatraliſch an derſelben hinangebauet, die ſich zwar, weder durch Neuheit, noch Groͤße, noch Geſchmack em - pfehlen, dennoch aber dieſes Ufer der Adige gut verzieren. Jch ſtieg langſam die Anhoͤhe hinauf, ohne die Truͤmmer zu ſuchen, die an derſelben von einem alten Theater und einem alten Kapitolium nicht mehr zu ſehen ſind,72 und uͤberrumpelte die Feſtung S. Pietro, die freylich keine Thore hatte, und deren Ring - mauer an mehreren Stellen ohne Kanonen und Kugeln eingeſchoſſen war. Jch beſtieg ihre Schanzen und Waͤlle, fand aber keinen Punkt, von welchem ich Stadt und Gegend ganz ohne Hinderniß fuͤr das Auge haͤtte uͤberſehen koͤnnen; eilte alſo vollends nach S. Felice hinan, und traf es wirklich mit Thoren, mit wohlerhaltenen Ringmauern, mit Kanonen und Beſatzung verſehen, und ſonderbar! aus eben dem Grunde, aus wel - chem S. Pietro nichts von dem allen hat. Um dies Raͤthſel zu loͤſen, erinnere man ſich, daß der Loͤwe, der von hier herab Verona beherrſcht, trotz ſeinen Fluͤgeln, zu einem ſehr mißtrauiſchen Geſchlechte gehoͤrt; und daß er dieſen obern Platz fuͤr ſich behalten, den un - teren aber, ſo wie die ganze Stadt, in den Haͤnden der Veroneſer gelaſſen hat.

Auf einem der hoͤchſten Außenwerke von S. Felice fand ich, was ich ſuchte: einen73 Platz, der zu einer allgemeinen Ueberſicht der Stadt und Gegend alle Erforderniſſe hatte. Er war mit einem Altan bezeichnet, den ich zwar nur mit Ziegelſteinen ausgeſetzt, und mit einem alten Dache, auf vier verwitterten Saͤu - len ruhend, bedeckt fand, der aber nach allen Seiten offen war, und ſeine Beſtimmung vor - trefflich erfuͤllte. Die ganze Stadt lag vor mir ausgedehnt da, ſo klar und hell, daß ich das entfernteſte Gartenhaͤuschen unterſcheiden konnte. Von der umliegenden koͤſtlichen Flaͤche uͤberſah ich einen Halbcirkelſchlag von vier bis fuͤnf Meilen, und nordweſtlich zitterte da, wo der dunkelblaue, ganz reine Horizont ſich auf die ſchwarzgruͤne Scheibe lehnte, Man - tua mit ſeinen Thuͤrmen, waͤhrend die naͤhe - ren Staͤdte und Flecken, weiß und roth, wie hollaͤndiſche Doͤrfer in einem großen Luſtgar - ten, gelagert erſchienen. Auf der entgegen geſetzten Seite hingen die Alpen, durch die ich gekommen war, mir noch einmal uͤber dem Haupte, ſo nahe ſchienen ſie. Der Baldo74 ragte hier am hoͤchſten unter ihnen hervor, und an ſeiner Seite liefen nach Nordoſten kleinere Berge herab, deren Gipfel mit Baͤu - men gekroͤnt waren, unter denen ein Volk lebt, das, ſo wie ſeine Berge einzeln ſtehen, einzeln fuͤr ſich beſteht, nicht mehr zu den Deutſchen gehoͤrt, und noch nicht zu Waͤlſchen umgeſchaffen iſt: ich meyne die ſogenannten Cimbern, welche die bekannten dreyzehn Ge - meinen bilden. Von ihrem Wohnort an da - chen ſich wellenfoͤrmig immer niedrigere Berge dergeſtalt ab, daß ſie in der Ferne nur noch als Anhoͤhen das Land umſchließen, und ſich allmaͤhlig in die ſchoͤne Ebene verlieren, die, durch nichts mehr unterbrochen, als der uͤp - pigſte, fruchtbarſte, wohlhabendſte Theil von Jtalien, ſich uͤber Mantua, Mayland und Turin bis an die Wurzeln der jenſeitigen Al - pen hinzieht, durch welche die Schweitz und Frankreich von Jtalien geſchieden werden.

Nachdem ich uͤber eine Stunde auf dieſem anziehenden Platze zugebracht hatte, ſtieg ich75 die Anhoͤhe wieder hinunter und ließ mich zu der Stelle fuͤhren, wo man vermuthet, daß vor Alters Baͤder geſtanden haben. Man ſchließt dieß aus einigen Roͤhren, die man dort gefunden hat. Jetzt dringt noch aus dem Felſen ein ſehr lebhafter Strahl von Waſſer hervor, der mit einer Roͤhre einge - faßt und mit einem Becken verſehen iſt. Dieſe Quelle wird im Fruͤhling und Som - mer von den Einwohnern haͤufig beſucht und als Geſundbrunn getrunken. Das Waſſer hat im Geſchmack viel Aehnliches mit dem Eger - brunnen und ſoll auch eine aufloͤſende Kraft haben.

Als ich zu der Bruͤcke della Pietra zu - ruͤck kam, verweilte ich auf derſelben, um ſie als Standpunkt fuͤr eine Ausſicht uͤber einen Theil des Jnneren der Stadt zu benutzen. Maffei empfiehlt ſie als einen ſolchen, ich bekenne aber, daß in dieſem Fall, wie in vie - len andern, ſeine Vaterſtadtsliebe ihn zuviel hat ſagen laſſen. Das linke Ufer des Fluſſes,76 an welchem die Anhoͤhe, die ich beſtiegen hatte, ſich hinzieht, gewaͤhrt wohl eine angenehme Ausſicht, aber das rechte eine deſto unange - nehmere; denn die daran ſtehenden Haͤuſer kehren demſelben alle ihre roſtigen, hoͤlzernen Gaͤnge, Altane und heimlichen Gemaͤcher, und ihre uͤber dieſelben hingebreitete Sudelwaͤſche zu; und auf den Balkonen der oberen Ge - ſchoſſe bemerkte ich einige ſorgfaͤltige Haus - wirthinnen, die ihre frechſten Feinde in den Falten der Bettdecken aufſuchten und ſie, wo nicht erhaſchten, doch in die Adige ſprengten. Dieß war fuͤr mich kein Standpunkt per formare prospettive così nobili et cosi vaghe, che scene non si videro mai meglio ideate. *)Verona illustrata, Tom. II. 4. des Auszugs.Vielleicht benahmen ſich Maffei’s Landsleute zu ſeiner Zeit aͤſthetiſcher oder we - nigſtens verſchaͤmter.

Angenehmer uͤberſieht man von dem Neuen Thor herab einen Theil der Stadt, und zwar77 einen der ſchoͤnſten. Dieſes Thor, das auch, wie das Thor del Pallio , als Werk der Kunſt ſehenswerth iſt, liegt auf der andern Seite der Stadt, den Schloͤſſern S. Pietro und S. Felice gerade gegenuͤber. Jm Vor - dergrunde hat man die Ueberſicht der ganzen Neuen Straße, einer der ſtattlichſten und lebhafteſten in der Stadt. Dieß wird ſie be - ſonders um die Zeit der Korſofahrt. Sie iſt ſehr lang, verhaͤltnißmaͤßig breit, an beyden Seiten mit erhoͤheten Fußwegen, und in der Mitte mit einem gut gepflaſterten Fahrwege, verſehen. Gegen Abend ſind ſo viel Wagen auf dieſer Straße, als in der Stadt gehalten werden, weil ſie einen Theil des Korſo aus - macht, den niemand verſaͤumt, der ein Fuhr - werk beſitzt, und den zu beſuchen, manche Fa - milie ſich den Koſten eines Zwey - oder Vier - ſpannes unterzieht. Dieſe Korſofahrer neh - men ſodann ihren Weg unter dem gedachten Neuen Thore hin und man uͤberſieht das Ge - draͤnge, welches ſich hier durch die Heraus -78 und Hereinfahrt bildet, von oben herab ganz in der Naͤhe. Die Fußgaͤnger, die unterdeſſen die Wege an den Seiten fuͤllen, ziehen in mannigfachen Gruppen von dem Platze Bra daher, draͤngen ſich zwiſchen den Wagen hin - durch und bilden außerhalb der Stadt auf der Bruͤcke und in den daran ſtoßenden Alleen bunte Reihen, durch welche die Wagen hin - fahren. Viele der Fußgaͤnger kommen auch auf die Waͤlle, die zu beyden Seiten des Neuen Thors hinlaufen, gehen auf denſelben ſpatzieren oder ſetzen ſich in langen Reihen nieder, um das Getuͤmmel auf der Bruͤcke und in den Alleen zu beobachten.

Die Ausſicht uͤber den lebendigen Theil von Verona machte mir dieſen Standpunkt lieber, als irgend einen andern in der Stadt. Er beſchraͤnkt ſich aber nicht auf das Getuͤm - mel des Korſo allein, er beherrſcht zugleich die Haͤuſermaſſe der Stadt, in ihrer ganzen Ausdehnung, nach allen Seiten. Man ſieht, wie ſie ſich noͤrdlich und nordoͤſtlich an den79 Wurzeln der Alpen erhebt, und in die beyden aͤuſſerſten Baſtionen des Schloſſes S. Felice auslaͤuft; wie nordweſtwaͤrts die Adige hinein -, und nach einer Schlangenwindung durch die Stadt, ſuͤdlich wieder hinausſtroͤmt; und wie oͤſtlich, ſuͤdlich und weſtlich jener große Lom - bardiſche Garten an ihre Mauern ſtoͤßt und ſie gleichſam zu einem der großen Gartenhaͤu - ſer macht, deren er ſo viele in ſeinen gruͤnen - den Labyrinthen einſchließt.

Eine dritte angenehme Ausſicht uͤber die Stadt gewaͤhrt der Garten des Grafen Giuſti, deſſen Terraſſen bis zu dem Fuße der Mauern des Schloſſes S. Pietro hinan ſteigen. Man uͤberſieht hier beſonders ihre Geſtalt und den eigentlichen Lauf der Adige. Der Garten ſelbſt iſt nicht von Umfange, auch in Abſicht ſeiner Anlagen nicht auſſerordentlich. Dieſe ſind nach altem Geſchmack, und beſtehen in Heckenlabyrinthen, in kleinen, mit Marmor eingefaßten, Springbrunnen und andern Waſ - ſerſpielereyen; in Grotten, aus Muſcheln und80 Steinſtuͤcken zuſammen geſetzt, und andern altmodiſchen Verzierungen. Auch iſt der Gar - ten ſchon ziemlich bejahrt, und Burnet und Addiſon, die zu Ende des vorigen Jahr - hunderts hier waren, erwaͤhnen ſeiner ſchon in dieſer Geſtalt. Fuͤr den Nordlaͤnder er - haͤlt er durch eine vortreffliche Weinterraſſe und eine Reihe koͤſtlicher Cypreſſen, die man vielleicht in ganz Jtalien nicht ſo ſchoͤn wie - der findet, viel Anziehendes.

Meine naͤchſten Ausfluͤchte hatten die Kennt - niß des Jnnern der Stadt zum Zweck.

Verona iſt wie eine altgewordene Schoͤne, die noch in dem altmodiſchen Anzuge, der in ihrer Jugend fein und zierlich war, einher tritt, und der man wegen der Ueberbleibſel von vormaligen Reizen, die man an ihr ent - deckt, Gerechtigkeit wiederfahren laͤßt.

Die Stadt iſt theils mit einer bloßen Mauer, theils mit Waͤllen und Graben um - geben, theils wird ſie durch den Fluß und theils durch die beyden erwaͤhnten Kaſtelleein -81eingeſchloſſen. Ein drittes, das castel vecchio liegt in der Stadt ſelbſt am rechten Ufer des Fluſſes und beherrſcht dieſen da, wo er herein tritt.

Die Mauern ſind ſehr hoch, von laͤnglich - viereckigten Werkſtuͤcken erbauet, oben mit ei - nem nach alter Weiſe ausgezackten Kranze verſehen, alt und verwittert, doch nirgends noch bis zum Einfallen vernachlaͤßigt. Den Waͤllen, Graben und Außenwerken kann man dieß eher nachſagen. Die Bruſtwehren ſind zum Theil eingeſchoſſen und in die Graben gefallen; letztere ſind mit Schutt und ande - rem Unrath ausgefuͤllt, und die Kaſamatten und bedeckten Gaͤnge großentheils zuſammen geſtuͤrzt. Auch gehen dieſe Werke nicht hin - ter einander fort, und ſind an einigen Stel - len unvollendet geblieben. Was aber davon uͤbrig iſt, zeigt in der That von Einſicht in der Kriegsbaukunſt, von Feſtigkeit, und von gluͤcklicher Benutzung oder Ueberwindung des Lokals. Reiſende, die ſich uͤber dieſen Gegen -Siebentes Heft. F82ſtand Kenntniſſe und Unterricht verſchaffen wollen, finden in Verona Gelegenheit dazu. Zwar ſind viele der hieſigen Befeſtigungsarten durch neuere Erfindungen verdraͤngt worden, viele andere aber gelten auch jetzt noch, und ſind in der That ungleich lehrreicher, als die zu Graudenz und Pleſſe, weil man ſich ihnen mit der Bleyfeder naͤhern darf, ohne zu fuͤrchten, daß die Signorie von Venedig eine edle Lernbegierde in eine ihrer Kaſamatten verſchließen moͤchte. Es iſt in der That vor keiner derſelben eine Thuͤre mehr.

Jch mache dieſe Anmerkung, um die Ma - nen des, fuͤr den Ruhm ſeines Vaterlandes und ſeiner Vaterſtadt, ſo eifrigen Maffei be - ſaͤnftigen zu helfen. Er klagt,*)Ver. illustr. Tom. II. 102. daß noch kein Reiſender dieſer merkwuͤrdigen Seite von Verona erwaͤhnt hat. Gewoͤhnlich glaubt man, ſagt er, daß die Befeſtigungskunſt in Jtalien nicht zu Hauſe ſey, und man ſtellt83 nur immer die franzoͤſiſchen, hollaͤndiſchen und deutſchen Erfindungen zur Schau; und doch iſt dieſe Kunſt in Jtalien geboren und ausge - bildet. Man kennt aber die Bosheit der Al - tromontaniſchen Schriftſteller. Weil die Jta - lieniſche Sprache bey ihnen nicht getrieben wird, ſo legen ſie ſich wenigſtens mit Fleiß darauf, um ſich in vielen Dingen unentdeckt fuͤr Erfinder ausgeben zu koͤnnen. Mit wenig Worten zu zeigen, daß die Befeſtigungskunſt ganz unſere iſt, darf ich nur die Buͤcher an - geben, durch die ſich der Leſer davon ver - ſichern kann. Hier zieht er eine Reihe von Werken an, die im ſechzehnten und ſieb - zehnten Jahrhundert uͤber jene Wiſſenſchaft in Jtalien geſchrieben ſind; und zeigt ſodann, daß eine Menge von Befeſtigungsarten, wo - durch Vauban und die deutſchen und hollaͤn - diſchen Kriegsbaumeiſter beruͤhmt geworden ſind, lange vorher von italieniſchen vorgeſchla - gen waren. Sein Landsmann, San Mi - chele, ein vorzuͤglicher Baumeiſter, habeF 284viele davon bey den drey Feſtungen von Ve - rona wirklich ausgefuͤhrt.

Man zeigt in Verona gern die Baſtion delle Boccare , und ſie verdient in der That, wegen einer Kaſamatte geſehen zu wer - den, die unter derſelben angebracht iſt. Die Veroneſer fuͤhren ſie als ein Probeſtuͤck von der ehemaligen Vorzuͤglichkeit ihrer Befeſti - gungen an und nehmen dieſe Gelegenheit wahr, um durch ein bedeutendes Achſelzucken den Fremden errathen zu laſſen, was ſie da - von halten, daß die Regierung ſie abſichtlich hat verfallen laſſen. Jene Kaſamatte nimmt den ganzen Umfang der uͤber ihr liegenden Baſtion ein. Sie hat die Figur eines Cirkels, und hundert und fuͤnf Schuh im Durchmeſ - ſer. Jn der Mitte ſteht ein runder Pfeiler, gegen fuͤnf und zwanzig Schuh dick, auf wel - chen die ganze gewoͤlbte Decke zuſammen laͤuft, die in der Mitte vier und zwanzig Schuh uͤber den Boden erhaben, und von dem Pfei - ler an, nach allen Punkten der Mauer hin,85 vierzig Schuh breit, und doch ſo flach gehal - ten iſt, daß ſie in einem Winkel von nur fuͤnf und vierzig Graden ſich an die Mauer lehnt. Dieſe ſchwere architektoniſche Aufgabe iſt mit einer Leichtigkeit ausgefuͤhrt, und mit einer Feſtigkeit, welcher drey Jahrhunderte, mit allem ihren Regen und Schnee, noch kei - nen Riß, noch keinen ausgeſprungenen Stein, haben abgewinnen koͤnnen. Der breite und hohe Eingang, einige Schießſcharten und uͤber denſelben und in der Decke angebrachte Luft - loͤcher, geben dem Ganzen ein trefliches Licht. Einem deutſchen Fuͤrſten, der dieſe Kaſamatte beſah, gefiel ſie ſo wohl, daß er eine Zeich - nung davon mitnahm, um einen Pferdeſtall darnach anlegen zu laſſen.

Die vier Bruͤcken, die uͤber die Adige laufen, ſind, in Ruͤckſicht der Laͤnge und der Groͤße des Anblicks, mit keiner der beruͤhm - tern deutſchen zu vergleichen. Die einzige Bruͤcke beym alten Schloſſe (Castel vecchio) hat einen Bogen, der ſich durch die kuͤhne86 Ausſpannung ſeines Gewoͤlbes, die, nach Maffei 142 Fuß betraͤgt, und durch Zierlich - keit und Leichtigkeit empfiehlt. Dieſe beyden Vorzuͤge, die freylich durch Backſtein beque - mer zu erreichen ſind, als durch Werkſtuͤcke, machen aber den Veroneſern bange, daß der Bogen unter der Laſt eines Wagens einfallen moͤchte, und ſie halten deswegen dieſe Bruͤcke geſperrt. Die Fuͤrſorge, ihrer Stadt ein Kunſtwerk zu bewahren, traͤgt zu dieſer Maß - regel mit bey. Die drey uͤbrigen Bruͤcken ka - men mir ganz gemein vor.

Die Straßen von Verona ſind großen - theils gerade und haben eine verhaͤltnißmaͤßige Breite. Einige darunter, z. B. der Korſo und die Neue Straße, ſind wegen ihrer Geradheit, Breite und guten Haͤuſer und Pallaͤſte, wirklich ſchoͤn. Auch bleiben ſie den ganzen Tag uͤber ſehr lebhaft, theils, weil ſie zu den beyden Marktplaͤtzen, dem Herren - und Kraͤuterplatz, und uͤberhaupt zum volkreichern Mittelpunkt der Stadt fuͤhren;87 theils, weil ſie mit Gewoͤlben fuͤr Waaren aller Art, mit Trink - Speiſe - und Kaffeehaͤu - ſern, mit Laͤden fuͤr erfriſchende Naͤſchereyen und mit Werkſtaͤtten verſchiedener Kuͤnſtler und Handwerker, dicht beſetzt ſind; theils, weil ſie gegen Abend der Tummelplatz der großen, oder der muͤßigen Welt uͤberhaupt, und mit Wagen und mit Spatziergaͤngern an - gefuͤllt, werden. Die uͤbrigen Straßen um und an dem Kerne der Stadt und bey den Bruͤcken, ſind auch lebhaft, aber nicht zugleich ſo glaͤnzend; die entferntern hingegen ſind menſchenleer, ſtille und zum Theil ſehr enge und unanſehnlich.

Die meiſten dieſer Straßen moͤgen vor Alters ein gutes Pflaſter gehabt haben, aber jetzt iſt es ſehr vernachlaͤßigt und be - ſchwerlich. Die Seitenwege fuͤr Fußgaͤnger ſind aus kleinen Steinen, wie ſie der Fluß fuͤhrt, zuſammen geſetzt, und durch die Traufe in eben ſo viel Stacheln verwandelt worden. Dieſe Moſaik wird durch eiſerne, zum Theil88 eingetretene, zum Theil wandelbare Gitter, die uͤber den Luftloͤchern der Keller liegen, unterbrochen und in der That gefaͤhrlich. Jn manchen Straßen ſind die Fußpfade auch mit Marmorplatten belegt, die aber theils auf der einen Seite verſunken, theils in Stuͤcke ge - ſprengt ſind, und einen ungewiſſen Schritt veranlaſſen. Da, wo dieſes Seitenpflaſter klaͤfft, waͤchſt ungeſtoͤrt langes Gras hervor, außer an gewiſſen Stellen, die man erraͤth, und die zu keiner Zeit des Tages und in der Nacht mit Sicherheit zu betreten ſind. Das Mittelpflaſter iſt nicht minder vernachlaͤßigt, beſonders in den entlegenern Straßen, in die vielleicht binnen Jahren kein Fuhrwerk koͤmmt, und die wie Wieſen gruͤnen.

Die Buͤrgerhaͤuſer in der Stadt ſind ohne Ausnahme alt und raͤuchrig, und haben im untern Geſchoſſe mehrentheils finſtre Ge - woͤlbe oder Lauben, mit ſchwarzen, hoͤlzernen Wetterdaͤchern daruͤber. Der erſte Stock hat meiſt immer zwey hohe und breite Fenſter,89 mit Saͤulen eingefaßt, und vor denſelben ei - nen Balkon, mit einem eiſernen oder mar - mornen Gelaͤnder umgeben. Der zweyte Stock hat bald Austritte vor den Fenſtern, bald nicht, und im dritten ſind die Fenſter meiſt immer mit ſchwarzen Laden vermacht, uͤber welche die eben ſo ſchwarze Dachtraufe weit heruͤber ſteht. Auf dem flach gehaltenen Dache ſchwanken hoͤlzerne Altane, unter welchen die Waͤſche der Hausbewohner ſehr widerwaͤrtig im Winde ſpielt. Ein deutſches Auge, das an abgeputzte, oder wenigſtens reinliche, Auſ - ſenſeiten der Haͤuſer gewoͤhnt iſt, findet in Verona ſeine Rechnung nicht. Die urſpruͤng - liche Beraffung iſt abgefallen und die Steine, woraus die Mauern beſtehen, in welchen Bruchſteine, Werkſtuͤcke und Backſteine unter einander gemengt ſind, erſcheinen in ihrer gan - zen Nacktheit. Um den Eindruck von Duͤſter - keit zu vollenden, bemerkt man noch den Um - ſtand, daß alle Haͤuſer geſperrt gehalten wer - den, und daß die Bewohner derſelben nur90 mit dem Hausſchluͤſſel heraus und hinein koͤnnen. Die Straßen beſonders, die keine Gewoͤlbe und Kramladen im Erdgeſchoſſe ha - ben, geben ein wahres Bild der Veroͤdung, und ihrer findet man immer mehrere, je wei - ter man ſich von den lebhaftern, oͤffentlichen Plaͤtzen entfernet.

Die Gegenden um letztre her, ſind in Ve - rona, wie uͤberall, auch heiterer und lebendi - ger. Hier ſtehen die groͤßeren und ſchoͤneren Haͤuſer des Adels und ſeine Pallaͤſte. Von beyden Arten ſind viele in Verona, und man findet ſie, bis auf einige, ziemlich in und an dem Mittelpunkte der Stadt beyſammen, z. B. um und an dem Platze Bra, dem Herrenplatze, dem Kraͤuterplatz und in den Straßen, die mit zum Korſo gehoͤren. Jn dieſen Gegenden ſieht man auch die merk - wuͤrdigen oͤffentlichen Gebaͤude und die Ueber - bleibſel aus den mittlern und aͤltern Zeiten, deren Verona einige ganz merkwuͤrdige und ein faſt einziges aufzuweiſen hat.

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Die Haͤuſer und Pallaͤſte des Adels fallen, wie vorhin erwaͤhnt, weniger oͤde und duͤſter in die Augen, aber den allgemeinen Anſtrich von Veraltung und Vernachlaͤſſigung tragen doch die meiſten. Hier muß man das Auge zwingen, ſich nur ſchoͤnen Verhaͤltniſſen und an die Nettigkeit und Leichtigkeit, die ſie her - vorbringen, zu halten, und nicht bey dem Roſt und der Vernachlaͤſſigung zu verweilen; man muß es anleiten, ein zierliches Portal zu bemerken, wenn es auch mit Brettern ver - ſchlagen iſt; eine geſchmackvoll verzierte Vor - derſeite, nach Verdienſt zu ſchaͤtzen, ungeachtet man ſie nicht vollendet hat; ein kuͤhn empor geworfenes Treppengewinde gehoͤrig zu ſchaͤ - tzen, obgleich es von Staub und Unrath ſtarrt; und endlich eine Reihe, im gefaͤlligſten Maaß und in Licht und Luft ſtehender, Zim - mer, bey noch nicht fertigem Fußboden, mei - ſterhaft zu finden. Es iſt in der That in ganz Verona kein ſehenswuͤrdiges Haus, kein Pal - laſt, keine Kirche, kein oͤffentliches Werk, wo92 man nicht das muthwillige und einſeitige Auge im Zaume halten muͤßte, damit es nicht uͤber der Menge von oft ſehr laͤcherlichen und un - anſtaͤndigen Abſtichen, ſehr ſchoͤne und vollen - dete Dinge uͤberſieht oder verſchmaͤhet.

Die Plaͤtze der Stadt ſind, bis auf den Platz Bra, mehr enge als geraͤumig, und fallen altmodiſch in die Augen, weil ſie zum Theil oͤffentliche Gebaͤude einſchließen, deren Anlage in ſehr fruͤhe Zeiten faͤllt. Dahin gehoͤren der Herrenplatz und der Kraͤu - terplatz.

Der Herrenplatz iſt ein regelmaͤßiges Vier - eck. Auf demſelben ſteht der Stadtpallaſt, ein altes Gebaͤude, mit einer geraͤumigen Loge, und einem Engel und einer Maria in Bronze, von dem veroneſiſchen Kuͤnſtler Campagna. Anziehender ſind die Bildſaͤulen einiger be - ruͤhmten, aus Verona gebuͤrtigen, aͤltern Ge - lehrten, welche die Stadt zu Ende des funf - zehnten Jahrhunderts dort hat aufſtellen laſ - ſen; es ſind Katullus, Kornelius Ne -93 pos, Aemilius Macrus, Vitruvius und Plinius der aͤltere. Den Fraca - ſtor und Maffei ſieht man auf den beyden Bogen, durch die man zu dieſem Platze ge - langt. Jn den Saͤlen des gedachten Stadt - pallaſtes ſind einige hiſtoriſche Gemaͤlde, die meiſt auf die Kriegsthaten der Stadt Verona Bezug haben, die aber die Zeit ſehr unſchein - bar gemacht hat. Der Pallaſt des Podeſta und des Capitano, beydes veraltete Wer - ke, ſtehen auch auf dieſem Platze; und in deſ - ſen Naͤhe findet man die Grabmaͤler einiger ehemaligen Beherrſcher von Verona aus dem Hauſe Scala, als des Can Grande , des Can Signorio und des Can Mastino , Werke in gothiſchem Geſchmack, die im Gan - zen eben keine gefaͤllige Wirkung thun, deren einzelne Theile aber mit viel Feinheit und Leich - tigkeit gemeiſelt ſind.

Der Kraͤuterplatz, ein laͤngliches Vier - eck, wenigſtens noch einmal ſo groß als der Herrenplatz, iſt, beſonders des Vormittags,94 einer der lebhafteſten Punkte in Verona, und vorzuͤglich geſchickt, von dem Aeußern, der Sprache und dem Weſen der niederen Volks - klaſſen einen Begriff zu geben. Maͤnner und Weiber kaufen hier die Beduͤrfniſſe fuͤr den Mittag ein; und ich glaube die erſtern zahl - reicher auf dieſem Markte geſehen zu haben, als die letztern. Die Gewohnheit, daß Haus - vaͤter fuͤr die Kuͤche ſorgen und den Einkauf in eigener Perſon nach Hauſe tragen, war mir nicht neu mehr, weil ich ſie ſchon in Ro - veredo geſehen hatte; Maͤnner aber mit eben der Beredſamkeit, Waarenkenntniß und Zaͤhig - keit, (wenn man mir dieſen Ausdruck erlauben will) feilſchen und bieten zu ſehen, als die Weiber, war mir ganz neu und beluſtigte mich außerordentlich. Ueberhaupt hat die Art, wie die Jtaliener handeln, ſo viel Eigenthuͤmliches, daß ich vielleicht weiter unten der Verſuchung nachgebe, einige Bemerkungen daruͤber mitzu - theilen. Jm Ganzen genommen iſt es eine Art von Krieg, den man mit großer Heftig -95 keit fuͤhrt, waͤhrend deſſen man ſich eine Men - ge boͤſer und hoͤhniſcher Worte ſagt, und der endlich, wie alle, doch damit endigt, daß einer der ſtreitenden Theile hinter das Licht gefuͤhrt wird. Außer den gruͤnen Waaren, die dieſem Platze den Namen geben, ſind in den Ge - woͤlben, die das Erdgeſchoß der Haͤuſer ent - haͤlt, eine Menge anderer von jeder Art feil.

Hier ſteht das große Kaufhaus (Casa de Mercanti), das ſchon zu Anfange des vierzehnten Jahrhunderts erbauet wurde. Jn demſelben ſind Boͤrſe, Niederlage, und Ge - richtshof der Kaufleute in Handelsſachen, bey einander. Man ſieht hier abermals ein Ma - rienbild in Bronze von Campagna; und uͤber einem benachbarten Springbrunnen eine noch weit aͤltere marmorne Bildſaͤule (vom Jahre 806, nach Maffei) welche die Stadt Verona vorſtellt, mit einer Krone auf dem Haupt und einem Papier in der Hand, worauf die Worte ſtehen:96 Est iusti latrix Urbs haec, et laudis amatrix. *)Gerechtigkeit übt dieſe Stadt, Nach Ehr ſie groß Gelüſten hat.

Das hieſige Kollegium der Advokaten gruͤn - det auf dieſe Jnſchrift ſein Alterthum und ſeine Gerechtigkeitsliebe; der Adel ſein Ehr - gefuͤhl; die Gelehrten und Kuͤnſtler ihren ſchon fruͤh erkannten Eifer fuͤr Gelehrſamkeit und Kunſt; und alle wiederholen dem Frem - den gern dieſe kurze Charakteriſtik ihrer Stadt, die, was wenigſtens den letzten Zug derſelben betrifft, in der That noch jetzt paſſend iſt. Wie man aber mit dem erſteren das wunder - liche Vorrecht reimen will, das eine benach - barte, noch ſtehende, oben mit einem Loͤwen beſetzte, Saͤule hatte, vermoͤge deſſen ein Schuldner, der ſie beruͤhrte, vor allen Verfol - gungen ſeiner Glaͤubiger ſicher war, ſehe ich nicht wohl ein; und Verona mag ſich mit Padua und Neapel, die aͤhnliche Jnſtitutehaben,97haben, und mit den deutſchen Gerichtshoͤfen, die eiſerne Briefe geben, vereinigen, um die Gerechtigkeit fuͤr dieſe Sitte zu ge - winnen.

Einige rieſenhafte, gemalte Figuren, ein großer Heiliger, Chriſtoph, und ein hoher Thurm, der mit zu den ſieben oder acht Wunderthuͤrmen Jtaliens gehoͤrt, verſchoͤnern noch, ſo gut ſie koͤnnen, dieſen Platz. Der Pallaſt Maffei, der die obere ſchmale Seite deſſelben einnimmt, thut dies auf eine mehr befriedigende Art. Doch koͤnnte er noch ſchoͤ - ner ſeyn, wenn ſeine Vorderſeite nicht zu ſehr mit Zierrathen des Steinmetzen uͤberla - den waͤre. Die uͤbrigen Haͤuſer um dieſen Platz ſind meiſt anſehnlich genug, aber ver - altet, wie alle uͤbrige, und ohne Merkwuͤrdig - keiten in Abſicht der Bauart. Nichts kann haͤßlicher ſeyn, als der Anblick ihrer Erdge - ſchoſſe an einem Sonntage, wenn die alten verwitterten Thuͤren und Fenſterladen der Ge - woͤlbe geſchloſſen ſind.

Siebentes Heft. G98

Heiterer, neuer und geraͤumiger, obgleich unregelmaͤßig, iſt der Platz Bra. Er wird von dem alten Amphitheater, von dem neuen Hoſpital, von dem angefangenen, aber nicht vollendeten, Pallaſte fuͤr den Proveditore, von den Gebaͤuden der philharmoniſchen Aka - demie, von drey oder vier neuen, in die Augen fallenden, Pallaͤſten, worunter ſich der Pallaſt Verza beſonders auszeichnet, und von einer Reihe guter Buͤrgerhaͤuſer eingeſchloſſen. Rund herum vor dieſen Haͤuſern und Pallaͤ - ſten laufen breite Leiſten von Marmorplatten, zur Bequemlichkeit der Spatziergaͤnger, die beſonders gegen Abend dieſen Platz aufſuchen, und ihn bis nach Mitternacht anfuͤllen. Un - ter den Arkaden der Haͤuſer ſind Kaffee -, Feinbaͤcker - und Kaufmanns-Gewoͤlbe aller Art hart neben einander, vor welchen Stuhl an Stuhl ſteht, die immer mit Menſchen be - ſetzt ſind, waͤhrend der Reſt innerhalb oder außerhalb dieſer Arkaden ſich auf - und ab - draͤngt, oder ſich Zugweiſe in die daran ſtoßende99 Neue Straße verliert, von daher aber beſtaͤn - dig zu dieſer Stelle zuruͤckkoͤmmt. Die Naͤhe jener Straße vermehrt uͤberhaupt die Lebhaf - tigkeit des Platzes Bra, weil die Korſofahrer immer ein Stuͤck deſſelben beruͤhren; wer in das Theater faͤhrt oder geht, koͤmmt gewoͤhn - lich auch uͤber dieſen Platz, weil es unmittel - bar an denſelben ſtoͤßt.

Jn der Mitte dieſes Platzes ſteht ein Denkmal, welches die Vereinigung der Adige und Venedigs, mithin die Unterwerfung von Verona an dieſen Freyſtaat, vorſtellt, das aber weder anſehnlich genug iſt, um dieſen Platz zu zieren, noch gut genug gearbeitet, um den Kenner anzulocken und zu feſſeln. Als eine Schmeicheley fuͤr Venedig iſt es zu ſchwach, als ein Kunſtwerk fuͤr Verona zu ſchlecht.

Die Zierde, die das alte Amphitheater die - ſem Platze verſchafft, muß ein wenig durch Gelehrſamkeit, Einbildungskraft und Liebha - berey heraus gehoben werden, wenn ſie nichtG 2100fuͤr eine Verunſtaltung deſſelben gelten ſoll. Wer bloß Laye iſt, ſieht an dem Aeußern deſ - ſelben nichts, als eine hoͤhere Mauer, die ſo alt, ſo roſtig, und eine niedrigere, die ſo zu - ſammen gedruͤckt, ſo verwittert und benagt iſt, daß ſie ein Bild der Verwuͤſtung vorſtel - len koͤnnte. Er hat wohl einmal davon gele - ſen, aber was er las, nicht im Geiſte des Al - terthums genommen; deshalb vermuthet er ein glattes, feſtes, majeſtaͤtiſches Werk, etwa nach altdeutſcher Art von großen Werkſtuͤcken aufgefuͤhrt, zu ſehen; aber er findet in dieſen Mauern kleine, groͤßere und große Steine durch einander gemengt und plump mit Moͤr - tel beworfen. Betritt er das Jnnere, ſo ſieht er links[und] rechts gewoͤlbte Gaͤnge, die hoͤchſt unanſehnlich ſind, weil ſie aus kleinen, run - den Steinen beſtehen, zwiſchen welche der Moͤrtel abermals Klumpenweiſe hinein gewor - fen iſt, und die eben ſo wenig berafft ſind, als die Haͤuſer in Peri. Die Kieſel, die nun ſchon ſeit Jahrhunderten unerſchuͤttert an ein -101 ander kleben, ſcheinen ihm endlich auf den Kopf fallen zu wollen, und er ſchaͤmt ſich, daß er nicht einmal von einem ſtattlichen Quader - ſtein erſchlagen werden ſoll. Der innere Umgang des Erdgeſchoſſes iſt ihm unertraͤg - lich ſchmutzig; er findet ihn voll Waſſer; und die Ein - und Ausgaͤnge der Arena ſind ihm zu klein, und die Treppen zu enge nach Ver - haͤltniß des Ganzen. Eine beſſere, aber keine große, Wirkung thut auf ihn die Arena ſelbſt, mit den rund herum emporſteigenden Sitzen. Er verwundert ſich uͤber die aufgethuͤrmte Steinmaſſe, aber er bewundert ſie nicht; er hat, nach ſeiner Meynung, nicht den Genuß des Schoͤnen und Großen. Die uͤber einan - der gereiheten Sitze druͤcken ſich, von der ent - gegen geſetzten Seite geſehen, ganz auf einan - der, und er bemerkt nichts, als eine Ring - mauer, in Abſaͤtzen aufgefuͤhrt. Und wie moͤ - gen, ſagt er laut, die ſchmutzigen Fuͤße deſſen, der auf der naͤchſten Stufe uͤber dem Andern ſaß, dieſem zwiſchen den Schultern geſpielt102 und ihm die Toga verdorben haben! Die beyden Ehrenplaͤtze des Ovals, die einander gegenuͤber ſtehen, und die ihm wohl auch Staͤnde fuͤr die Spielleute geweſen ſind, was ſie ihm klein und unanſehnlicher ſcheinen! Die Vomitorien, die zwey und zwanzig tau - ſend Menſchen zu Ausgaͤngen dienen ſollen, duͤnken ihm bloße Luftloͤcher; und wenn man ihm vorſtellt, daß alle dieſe Dinge, eben we - gen der Groͤße des Ganzen, ihm ſo klein vorkommen, ſo antwortet er mit der wunder - lichen Frage: warum hat der Baumeiſter nicht fuͤr Verhaͤltniſſe geſorgt, die dem Um - fange des Ganzen und dem Vermoͤgen des Geſichts beſſer entſprechen?

Gelehrte und Alterthumsforſcher wiſſen, wie ſolchen Layen zu antworten iſt. Sie kennen aus Kupfern und Beſchreibungen die - ſes Werk des Alterthums zu gut, und haben das Maaß ſeines Umfangs von außen und innen, die Anzahl der Sitze, die Ordnung der Bauart, den Namen des vermuthlichen103 Erbauers und die uͤbrigen Merkwuͤrdigkeiten deſſelben zu ſehr im Gedaͤchtniſſe, als daß ich noͤthig haͤtte, es noch einmal zu beſchreiben, und dadurch die Bemerkungen aller und jeder Layen und zugleich die, an modernen Putz gewoͤhnten, Kunſtkenner zu widerlegen. Ge - gen die letzteren wiederhole ich nur, daß man in Jtalien einen gewiſſen Stutzerſinn in Be - urtheilung der Werke der Kunſt ablegen muͤſſe, den man ſich ſo leicht in Frankreich und England angewoͤhnt. Wer in dieſen Laͤndern ſein Kunſtgefuͤhl gebildet hat, laͤßt erſt etwas ſpaͤt den Alten und ihren Nachah - mern Gerechtigkeit widerfahren, weil er das, was er fuͤr ſchoͤn und vollkommen haͤlt, von dem Charakter der neuern Schoͤnheit und Vollkommenheit abgezogen hat. Dieſer iſt Nettigkeit, Glanz und Vollendung; bey den Alten war er nichts, als Erfuͤllung des Zwecks. Wer auf der andern Seite ſein Kunſtgefuͤhl aus Jtalien holte, befreundet ſich wiederum ſchwer mit den Werken der fran -104 zoͤſiſchen und engliſchen Meiſter. Hat man alſo einen recht aufrichtigen, gefuͤhlten Ge - fallen an dem Dom der Jnvaliden zu Paris, ſo haͤlt man die aͤußere Form des Pantheons in Rom fuͤr einen großen Backofen, mit einem ſchoͤnen Portikus, der nicht dazu gehoͤrt; und das Jnnere, beſonders nach einem ſtarken Regen, fuͤr eine Art von Marſtall; hat man hingegen einen aͤhnlichen Gefallen am Pantheon, ſo vergleicht man jenen Dom, ſeiner aͤußern Form nach, mit einer Nuͤrnbergiſchen Bindfadenbuͤchſe, und ſeiner innern Geputztheit nach, mit dem Gar - tenpavillon einer galanten Frau.

Das neue Hoſpital, das man nahe an dem Amphitheater jetzt auffuͤhrt, ſcheint eins der ſchoͤnſten in Jtalien zu werden. Die Anlage iſt groß und erhaͤlt durch eine Saͤu - lenſtellung, die an der Vorderſeite hinlaͤuft, jetzt ſchon, da ſie noch nicht vollendet iſt, ei - nen Anblick von Pracht und Groͤße. Aber eben dieſe Groͤße und Pracht laſſen fuͤrchten,105 daß die Liebe zur Kunſt und Wohlthaͤtigkeit, zwar nicht nachlaſſen, aber ſich an den Mit - teln erſchoͤpfen moͤchte, die zu ihren Werken unentbehrlich ſind. Dieſe Furcht begruͤndet der unvollendete, in der Naͤhe ſtehende Pal - laſt des Proveditore, der ſeit dem Jahre 1609, wo er angefangen wurde, noch nicht zur Haͤlfte vollendet iſt, auch wohl ſchwerlich vollendet werden wird, da ſeit mehr als hundert Jahren kein Stein hinzu gekom - men, und jetzt weder Verona noch die Repu - blik in den Umſtaͤnden iſt, dem praͤchtigen und geſchmackvollen Anfang ein aͤhnliches Ende hinzu zu fuͤgen. Von dieſem Pallaſt iſt das Gebaͤude der Philharmoniſchen Akademie nur durch zwey neben einander ſtehende Bogen getrennt, durch die man von dem Platze Bra in die neue Straße gelangt. Es macht den Veroneſern Ehre, daß eine oͤffentliche Anlage, die mit zum Anbau der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften beytraͤgt, in ihrer Stadt nicht unvollendet geblieben iſt. 106Man war aber auch vorſichtig genug, dieſes Muſeum nicht ausſchließend auf den Eifer fuͤr die Muſenkuͤnſte zu gruͤnden, ſondern den ſinnlichen Genuß, die Bequemlichkeit und Wirthſchaftlichkeit zu Miterbauern und Mit - erhaltern deſſelben zu machen. Die verſchie - denen Anlagen dieſes Gebaͤudes werden dar - uͤber naͤhere Aufklaͤrung geben.

Vor demſelben, nach dem Platze Bra zu, iſt ein Vorhof, der auf drey Seiten von ei - ner Galerie umſchloſſen wird, die auf Dori - ſchen Saͤulen ruhet, und ſich nach innen oͤff - net. Die Umgaͤnge enthalten eine Menge von Alterthuͤmern, die in der Gegend von Verona und in dieſer Stadt ſelbſt gefunden ſind, und hier nach einer gewiſſen Ordnung aufbewahrt werden. Dem Reiſenden duͤnken ſie mehr oder weniger merkwuͤrdig, je nach - dem er von Rom oder aus Deutſchland koͤmmt. Jm letztern Falle wird ihm die große Sammlung alter Jnſchriften, die in die Mauern der Galerie eingelegt, und alter Al -107 taͤre, Basreliefs, Meilenzeiger, Fußgeſtelle ꝛc. die zwiſchen den Saͤulen aufgeſtellt ſind, viel Unterrichtendes und Anziehendes darbieten; im erſteren Falle wird er freylich in dieſer ganzen Sammlung nichts mehr finden, was ihm neu waͤre, und er wird ſich ſogar wun - dern, wie eine Menge Dinge als Merkwuͤr - digkeiten hier aufgenommen worden, die theils hoͤchſt unbedeutend, theils wohl auch ſichtbar von neueren Pfuſchern nachgemacht ſind.

Der innere Raum, den der Vorhof ein - ſchließt, iſt urſpruͤnglich zu einem botaniſchen Garten beſtimmt, der aber bis jetzt noch ver - mißt wird.

Die beſchriebene bedeckte Galerie und ihr Vorrath, fuͤhren den Namen des Lapida - riſchen Muſeums und ſind fuͤr die Phil - harmoniſche Akademie, eine gelehrte Geſell - ſchaft, berechnet und ihr zur Aufſicht anver - trauet worden. Niemand konnte auch dieſer Pflicht ſich beſſer entledigen, als ſie, da ſie mehrere Mitglieder beſitzt, die in den dahin108 gehoͤrigen Kenntniſſen theils ſehr bewandert ſind, theils ſie zu ihrer Liebhaberey gemacht haben. Dem gelehrten Grafen Muſelli hat dies Muſeum ſeine jetzige Ordnung zu danken.

Ehe man in das Hauptgebaͤude der Aka - demie eintritt, laͤßt man das Auge bey dem Portikus deſſelben, der auf ſechs Joniſchen Saͤulen ruhet, wohlgefaͤllig verweilen, und ſieht mit Vergnuͤgen das Bruſtbild Maffei’s, der ſo viel gruͤndliche Verdienſte um ſeine Vaterſtadt und beſonders auch um dieſe Aka - demie hatte, uͤber der Thuͤre. Man tritt ſo - dann in einen großen Saal zu ebener Erde, der links zu den Verſammlungszimmern der Philharmoniſchen, und uͤberhaupt der guten, Geſellſchaft von Verona, rechts aber zur Akademie der Philotimi fuͤhrt. Der Name deutet den Zweck dieſer Geſellſchaft an: ſie ſollte eine Schule ſeyn, worin der Adel ſich im Fechten, Reiten, Springen und andern Kuͤnſten, die ſeinem Stande, theils aus Be -109 duͤrfniß, theils aus Vorurtheil, unentbehrlich ſind, uͤben ſollte nur der Adel, denn ein jeder, der daran Theil nehmen will, muß ſich der Adelsprobe unterziehen. Dies iſt das zweyte Jnſtitut der Akademie.

Auf das dritte habe ich oben ſchon hinge - winkt. Sie ſoll der Sammelplatz der beſten Geſellſchaft in Verona ſeyn, und ſie iſt es auch als Casino della Nobilità. Die meiſten adelichen Haͤuſer nehmen Theil daran und ſetzen einen Werth auf dieſe Theilnahme. Man findet woͤchentlich mehrere Tage eine Geſellſchaft von beyden Geſchlechtern dort, und einen angenehmen Zeitvertreib, mag man ihn am Spieltiſch, oder in der Unterhaltung, oder vor einem Orcheſter ſuchen. Der Fremde iſt hier eingefuͤhrt, wenn er eine Empfehlung an irgend ein adeliches Haus hat. Dieſe Leichtigkeit erkauft er freylich damit, daß er in dem Hauſe[ſelbſt], dem er empfohlen iſt, nie ſo eingefuͤhrt wird, wie man es in Deutſchland verſteht; und dies iſt eben der110 Umſtand, weshalb ich oben geſagt habe, daß auch Wirthſchaftlichkeit dazu tritt, dieſe Aka - demie aufrecht zu erhalten. Außer der in Jtalien uͤblichen, ſparſamen haͤuslichen Ein - richtung, die einen ſolchen oͤffentlichen Ver - ſammlungsort noͤthig macht, wird auch kein Land ſo von Fremden angefallen; und das Haus, das ihnen mit Gaſtfreyheit entgegen kaͤme, wuͤrde bald in einen Gaſthof verwan - delt werden, den Umſtand ungerechnet, daß ein gefaͤlliger Hauswirth ſeinen Gaſtfreunden Dinge zeigen, und Dinge daruͤber ſagen muͤßte, die er tauſendmal ſchon gezeigt und geſagt haͤtte. Jch halte dieſe beyden Gruͤnde fuͤr ſtark genug, die Jtaliener zu entſchuldi - gen, daß ſie ſich der Fremden ſo wenig an - zunehmen, und ſie mit Fleiß der Raubſucht der Gaſtwirthe und noch mehr ihres Geſin - des zu uͤberlaſſen ſcheinen. Es ſind nur drey oder vier Haͤuſer in ganz Verona, die zu Gunſten regierender Fremden eine Aus - nahme machen und ſie zu einem Thee oder111 Gefrornem einladen, aber auch, bey ihrer Ab - reiſe, fuͤr dieſe gaſtfreundliche Aufnahme, ein gut gewaͤhltes und dargebotenes Andenken nicht verſchmaͤhen.

Das vierte Stuͤck der Akademie iſt end - lich noch das große Schauſpielhaus, welches ſie in ihrem Gebiete einſchließt. Es ſteht erſt ſeit 1750, in welchem Jahre das vorige ab - brannte. Der Saal iſt geraͤumig und laͤßt dem Auge, in Ruͤckſicht ſeiner Verhaͤltniſſe, nichts zu wuͤnſchen uͤbrig. Die Buͤhne ſelbſt iſt zwar nur mit mittelmaͤßiger Mechanik verſehen, und die Dekorationen ſind etwas abgenutzt, ſie hat aber hinlaͤngliche Breite und Tiefe und erhebt ſich, auf beyden Seiten mit ſtattlichen Saͤulen verziert, uͤber das Par - terre. Fuͤnf Reihen Logen ſteigen eine uͤber die andre empor. Die Logen der drey erſten Reihen haben Zimmer hinter ſich, um die Beſitzer des Theaters deſto bequemer ſo ge - nießen zu laſſen, wie es in Jtalien Sitte iſt. Die Umlaͤufe ſind geraͤumig, die Treppen112 breit und von Stein. Aber auch hieher fol - gen uns Ungehoͤrigkeiten, woraus dieſes, in ſolchen Stuͤcken hoͤchſt natuͤrliche, Volk kein Arg hat. Hinter jedem Vorſprunge dieſer Umlaͤufe, ſteht eine Pfuͤtze, uͤber die man mit Bedacht ſchreiten muß, woran ihr Geruch er - innert; und in jeder Vorſtellung, der ich bey - wohnte, ſah ich Eine oder Zwey Fledermaͤuſe, die im Saale mit ſolcher Dreiſtigkeit herum flogen, daß man wohl ſah, wie ungeſtoͤrt ſie dies Weſen ſchon eine gute Weile getrieben haben mußten.

Man ſieht endlich, in der Naͤhe des Pla - tzes Bra, noch einige Truͤmmer von Alter - thuͤmern, z. B. einen Bogen und ein Stadt - thor, beyde ſehr ſchadhaft, aber auch beyde, ſelbſt wenn ſie unbeſchaͤdigt waͤren, ohne alle Bedeutung von Seiten des Geſchmacks und der Kunſt.

Jch erlaube mir noch ein paar Bemer - kungen uͤber die Kirchen dieſer Stadt.

Es113

Es ſind ihrer in Verona weder ſo viele, noch ſo praͤchtige, in Ruͤckſicht des Aeußern und Jnnern, als verhaͤltnißmaͤßig in andern großen italieniſchen Staͤdten. Ein paar aus - genommen, ſchreiben ſie ſich alle aus dem 9ten, 11ten, 12ten, 13ten und 14ten Jahrhundert her. Sie ſind groͤßeſtentheils von Backſteinen aufgefuͤhrt; einige darunter zwar auch von Marmor, aber von dem gemeinſten aus der Nachbarſchaft, und immer ſind große Par - tien von Backſteinen dazwiſchen gemauert. Die Mauern ſelbſt ſtehen in ihrer natuͤrlichen Geſtalt, unbeworfen, da; und Bauart, Faça - den, Thuͤrme, Pfeiler und Gewoͤlbe ſind go - thiſch, verſchnoͤrkelt und finſter, und die darin befindlichen Bildhauereyen nicht durch ihre Ausfuͤhrung ſowohl, als vielmehr durch ihren Zweck merkwuͤrdig, der dahin geht, das An - denken verdienter Maͤnner aufzubewahren. Unter den Malereyen, die ſie beſitzen, ſind merkwuͤrdigere, beſonders in Ruͤckſicht des Anfangs und Fortgangs der Kunſt; und dieSiebentes Heft. H114beruͤhmtern veroneſiſchen aͤltern Meiſter haben Beytraͤge zu ihrer Verzierung geliefert, wie z. B. Orbetti, Farinati, Tintoretti, Baſſetti, Barbieri, Bruſaſorzi, Cignaroli, Paul Vero - neſe u. v. a. m. Jch zeichne fuͤr meine rei - ſenden Landsleute nur Zehn Kirchen aus, worin ſie alles beiſammen finden werden, was dieſe Meiſter Gutes fuͤr die Gotteshaͤuſer ihrer Vaterſtadt gemalt haben, obgleich man in allen uͤbrigen, ſelbſt den kleinſten Kloſter - kirchen, wenigſtens Ein Bild antreffen wird, das eines Beſuchs werth iſt. Ueberhaupt, wenn gedachte Meiſter nicht Rafaele, Corre - gio, Guido Reni, mit einem Worte, nicht ganz vortrefliche Kuͤnſtler ſind, ſo gehoͤren ſie doch zu den Guten, und man darf nicht be - ſorgen, ſich den Geſchmack bey ihnen zu ver - derben. Die gedachten zehn Kirchen ſind fol - gende: S. Anaſtaſia, S. Biagio, der Dom, S. Bernardino, S. Zenone, S. Luca, S. Niccolo, S. Fermo, S. Stefano und endlich S. Giorgio. Letztere iſt von außen und innen115 die neueſte und geſchmackvolleſte, und eine wahre Gemaͤldeſammlung. Jn der Kirche S. Bernardino feſſelt die Kapelle Pellegrini am laͤngſten: ein wahres Kleinod in ihrer Art, dergleichen ich vielleicht, an Einfalt, Ge - ſchmack und Sorgfalt in der Ausfuͤhrung, in ganz Jtalien nicht wiederfinden werde. *)Dieſe Vermuthung, die ich nach der Muſterung jener Kapelle niederſchrieb, iſt eingetroffen. Jch habe prächtigere, größere, koſtbarere in Mayland, Genua, Florenz und Rom geſehen, aber keine, die eine ſo ganz reine, anſpruchsloſe Wirkung auf mich gethan hätte.San Micheli hat ſie angegeben.

Jch gehe zu der lebendigen Merkwuͤrdig - keit von Verona, zu dem Menſchen, uͤber.

H 2116

Zweyter Abſchnitt.

  • Boden und Himmelsſtrich von Verona. Erzeugniſſe. Wetterbeobachtungen. Geringe Sterblichkeit. Volks - menge. Urſachen ihrer Verminderung. Der vero - neſiſche Adel. Deſſen Tracht. Anzug der ältern adelichen Damen und Anſtand der jüngern. Aus - gezeichnete körperliche Bildung. Zug von Winkel - mann, ſein Schönheitsgefühl betreffend. Unausge - bauete, nicht eingerichtete, Palläſte. Menge von Bedienten, beſonders Läuſern. Ungeſelligkeit. Sel - tenheit der Beſuche in den Häuſern. Falſche Schaam, eine ſeltene Erſcheinung. Graf Alexander Bevilacqua, ein Lohnbedienter. Anmerkung über ein paar italieniſche Charakterzüge. Liebhaberey der ſchönen und nützlichen Wiſſenſchaften und Künſte. Sammlungen von Kunſt -, Natur - und litterariſchen Merkwürdigkeiten. Große Meynung der Veroneſer von ihren Sehenswürdigkeiten. Ein dahin gehöriger, beſchreibender Zug. Jhre Willigkeit, ſie zu zeigen. Verhältniß der Stadt Verona mit Venedig. Der Mittelſtand oder der niedere Adel. Regierungspoli - tik der Signoria von Venedig. Die Kaufmann - ſchaft. Manufakturen und Handel. Schafzucht. 117Seiden - und Weinbau. Die Geiſtlichkeit. Gerin - gere Klaſſen der Einwohner. Handwerker. Pöbel. Ein veroneſiſches Parterre. Lärm auf den Straßen. Anzug der gemeinen Bürger und Handwerker. Aeußeres des Pöbels. Bettler. Jhre Lebensart, Menge und Kunſtgriffe. Oeffentliche Vergnügungen. Der Korſo. Das adeliche Kaſino. Eingeſchränkt - heit der Unterhaltungen. Erſcheinungen von Rach - ſucht und Meuchelmord. Verſchwundene Galanterie. Das große Theater. Benehmen in demſelben, von Seiten der Zuſchauer und der Schauſpieler. Dra - matiſche Bude in dem alten Amphitheater. Waiſen - und Findelkinder, feyerlich in dieſe Theater geführt. Wettrennen junger Läufer, umſtändlich beſchrieben. Abreiſe von Verona.

    Reiſe nach Mantua. Land um Verona. Horn - vieh, Schafe, Schweine. Villa Franca. Maſſecane, ein Städtchen von lauter Landhäuſern. Roverbella, erſter kayſerlicher Ort. Abſtich gegen die Venetia - niſchen. Veränderung des Weges, des Bodens und der Gegend. Anſicht von Mantua. Große Brücke. Großer Gaſthof. Pallaſt del Te. Ueber deſſen Form und Namen. Bemerkungen über Julius Romanus, als Baumeiſter und Maler. Wie viele junge Engländer reiſen. Jnneres von Mantua. Palläſte. Verdienſte des Julius Romanus um die Lokalität dieſer Stadt. Die Domkirche. Der Her - zogliche Pallaſt. Die Andreaskirche. Beſteigung ihrer Kuppel. Ausſicht von derſelben. Bevölkerung der Stadt, auffallend gering. Politiſche und phyſi - ſche Urſachen davon. Anſicht der entferntern Stra - ßen. Mangel an Unterhaltung für Fremde. Ab -118 reiſe nach Kremona. Schnelle Fahrt. Beſchaffen - heit des Landes und der Straße. Oerter, durch die man kömmt. Anſicht und Lage von Kremona. Jnneres. Volksmenge. Ariſtokratiſche Verfaſſung. Menge des Adels. Geſellſchaftliches Leben. Der Dom. Der hohe Thurm. Entwicklung eines all - gemeinen italieniſchen Charakterzuges. Ariette, auf Sieben Glocken geſpielt. Taufkapelle. Schulen. Abreiſe nach Mayland. Umſatz des Bodens und zum Theil der Landſchaft. Wohlhabende Anſicht derſelben. Oerter, durch die man kömmt. Lodi. Anſicht von Mayland und Eintritt in dieſe Stadt.

Der Erdſtrich, auf welchem, und der Him - melsſtrich, unter welchem, der veroneſiſche Menſch lebt, ſind beyde zu ſeinem Gedeihen ſehr vortheilhaft gewaͤhlt.

Der Boden des veroneſiſchen Gebiets, das jetzt nur noch 70 ital. Meilen in die Laͤnge, und ungefaͤhr 40 dergleichen in die Breite hat, iſt von ſehr verſchiedener Art, und bringt deshalb eine große Abwechslung von Erzeugniſſen hervor. Die Berge liefern heilſame Kraͤuter, Holz und Marmor; die119 Anhoͤhen geben Wein, Oehl und Obſt, und ernaͤhren Heerden; die Ebenen ſind der Maul - beerzucht und dem Ackerbau guͤnſtig; die Nie - derungen bringen Reis. Ein großer See (lago di Garda), ein großer Fluß (die Adige) und mehrere kleinere, geben Fiſche und bewaͤſ - ſern das Land. Nur Eine Wunde hat dies Gebiet, die ſich jaͤhrlich verſchlimmert; es ſind die Suͤmpfe, die das Austreten der Fluͤſſe, beſonders der Adige, verurſacht, die oft genug ſelbſt der Stadt großen Schaden zufuͤgt.

Verona liegt, nach dem Auszuge des Maffei, unter dem 46ſten Grade, 26 Minuten und 26 Sekunden der Breite, und unter dem 28ſten Grade und 50 Minuten der Laͤnge. Nach den neueſten Wetterbeobachtungen von 1788 bis 1791*)Folgende Angaben ſind aus dem neueſten Bericht der Accademia d’agricultura, commercio ed arti etc. Verona, 1793. gezogen. war die mittlere Hitze in Verona 11 Grad des Reaumuͤrſchen Thermo -120 meters. Die Stadt genoß 129 heitere, und 111 zum Theil heitere, zum Theil nebeligte, Tage. Jhrer 125 waren durchaus nebeligt, und 102 regneriſch. Der Oſtwind herrſchte vor allen uͤbrigen, ſeltener der Suͤdweſt - und Suͤdwind. Die Monate, wo es in Verona am meiſten regnet, ſind der Junius und Oktober; wo es am wenigſten regnet, der Februar und Maͤrz. Jm Jahre 1791 waren der Geſtorbenen nur 1571, gewoͤhnlich ſind ihrer ein Sechſtel mehr. Eine faſt unglaub - lich geringe Sterblichkeit fuͤr die Bevoͤlkerung der Stadt, die nur ein gluͤckliches Klima und Maͤßigkeit moͤglich machen koͤnnen.

Man ſetzt die Volksmenge von Ve - rona in deutſchen Erd - und Reiſebeſchreibun - gen gewoͤhnlich auf 45 bis 55,000 Seelen. Dieſe Zahl iſt ganz willkuͤhrlich, und nach der Verona illustrata , angenommen, die in - circa 45,000 zaͤhlt. Der Auszug dieſes Buches, der im Jahre 1771 erſchien, berech - net ſie nicht hoͤher. Wenn neuere Schrift -121 ſteller alſo 50 oder 55,000 zaͤhlen, ſo wollten ſie nur eine andere Summe ſetzen, als Maf - fei; und ſie fielen dabey in einen großen Jrr - thum, indem ſie annahmen, die Stadt muͤſſe ſeit jenes Mannes Zeiten an Einwohnern ge - wonnen haben. Dieſe Vorausſetzung hat aber nicht die geringſte Wahrſcheinlichkeit, da Verona ſchon ſeit ſeiner Unterwerfung an Venedig (1405) in beſtaͤndigem Abnehmen geweſen iſt. Schon um jene Zeit zogen ſich viele anſehnliche Familien vom Adel aus die - ſer Stadt, und ihr Verkehr ward von einer Hauptſtadt, die auch Handelsplatz iſt, nach und nach eingeſchraͤnkt, ſo feyerlich ſie auch angelobt hatte, die kaufmaͤnniſchen Vorrechte von Verona zu beachten. Ueberdies verlor dieſe Hauptſtadt ſelbſt allmaͤhlig ihr großes Handelsgebiet, und konnte die veroneſiſchen Waaren, die ihr zugefuͤhrt wurden, nicht mehr in voriger Menge vertreiben. Die Manufakturen in Seide und Wolle, die in Verona vorzuͤglich bluͤheten, ſanken ſonach. 122Jn der Nachbarſchaft kam Roveredo in Auf - nahme und machte faſt in allen den Artikeln Geſchaͤfte, die Verona hervorbrachte. Der Handel von und nach Deutſchland, fuͤr wel - chen Verona ein Legeplatz war, nahm ab, weil die franzoͤſiſchen und engliſchen Seiden -, Wollen - und Baumwollen-Waaren, die ita - lieniſchen Fabrikate in Deutſchland und die deutſchen in Jtalien verdraͤngten. Endlich wurden noch einige der reichſten Familien nach und nach dem goldnen Adelsbuch in Ve - nedig einverleibt und gingen dadurch fuͤr Ve - rona verloren. Dieſe und andere Um - ſtaͤnde bewirkten die Abnahme der Stadt, und haben noch nicht aufgehoͤrt, ſie zu bewir - ken, wie ein geuͤbtes Auge, bey der Muſte - rung ihres Jnnern und ihrer Einwohner, auf den erſten Blick, leicht bemerken kann. Jhr Umfang, den man zu 6 ital. Meilen angiebt, und ihre Haͤuſermaſſe koͤnnten uͤber hundert - tauſend Einwohner bequem faſſen, ich zweifle aber, daß ſie jetzt uͤber 36 bis 40,000 ein -123 ſchließen. Dieſe Angabe kann ich mit keiner Berechnung aus Kirchen -, oder Raths -, oder Polizeybuͤchern belegen; wie ſollt ich es auch, da ſelbſt Maffei, der den letzten Stein in ſei - ner Vaterſtadt kannte, hier ein incirca[]ſetzt; ich baue aber auf jene Thatſachen, die gewiß nicht auf Wachsthum ſchließen laſſen. Viel - leicht koͤnnte ich mich auch auf eine Art von Maaßſtab berufen, der Reiſenden nicht entſte - hen kann, die viele Staͤdte geſehen, und ihre Lebhaftigkeit mit ihrem Umfange und der Groͤße und Anzahl ihrer Haͤuſer verglichen, auch das wohlhabende oder armſelige Anſe - hen, und die froͤhliche und reichliche, oder die traurige und ſparſame, Lebensweiſe ihrer Ein - wohner beobachtet haben. Es waͤre allerdings ſeltſam, aus ſolchen Beobachtungen und Schluͤſ - ſen zuverlaͤſſige Angaben ziehen zu wollen; indeſſen kann man doch damit der Wahrheit nahe kommen, oder wird wenigſtens nicht zu weit daruͤber hinaus gehen.

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Das lebendige Getuͤmmel in Verona ver - raͤth eben ſo wenig Pracht und Glanz, als die Haͤuſer, Kirchen und Pallaͤſte; oder zei - gen ſie ſich, ſo iſt es in veralteter, verblaßter Geſtalt.

Der Adel, der, nach Verhaͤltniß, der wohlhabendſte Stand in Verona iſt, traͤgt ganz auffallend dieſe Charakteriſtik. Die be - jahrten Perſonen dieſer Klaſſe, die zum Theil ſehr alte, und in der Landesgeſchichte ſehr beruͤhmte, Namen haben, durchſchreiten die Straßen zu Fuße, und erſcheinen in den ge - woͤhnlichen Kaffeehaͤuſern, im Theater und im adelichen Casino ſelbſt, in einem Anzuge, den man in Wien und in andern großen deutſchen Staͤdten den geringern bejahrten Schreibern und Regiſtratoren kaum verzeihen wuͤrde. Gewoͤhnlich beſteht er in einem ver - ſchoſſenen, ſeidenen Kleide, in einer gelbge - wordenen geſtickten Weſte, in uralten ſeide - nen Struͤmpfen, einem kurzen verroſteten Stahldegen, und einem mit Taffet oder Wachs -125 tuch uͤberzogenen Hute; und man wundert ſich, wenn man die deutſchen Begriffe noch nicht abgelegt hat, Maͤnner von dieſem Aeu - ßern mit Conte Bevilacqua , Pellegrini , Giusti , Pompei , Canossa ꝛc. anre - den zu hoͤren. Die Juͤngeren von Adel tra - gen ſich allerdings neuer, und zwar, ſeit ei - niger Zeit, in ſeynſollenden engliſchem Ge - ſchmack; aber die Zuſammenſetzung ihres An - zuges iſt zum Theil ſehr wunderlich; und was, zum Beyſpiel, bey den Englaͤndern durchaus Tuch, oder Leder, oder Baumwolle ſeyn muß, iſt hier Seide, Seide und Seide. Die Fein - heit und Sauberkeit der Englaͤnder in ihren Kleidungsſtuͤcken, ihre beſcheidenen und halt - baren Farben, ihre Einfachheit in Schnallen, Uhrketten und Haarputz, ihr runder Hut, ihr ungezwungener, oft auch ungezogener, An - ſtand ſind lauter Dinge, die gegen den Charakter und mithin gegen den Geſchmack der Jtaliener anſtoßen; und wenn ſie ſich ein - zeln in einem engliſchen Frack, oder in einem126 runden Hute, oder in einem ſchlichten Haare zeigen, ſo kann man darauf rechnen, daß ſie wiederum zu dem erſtern eine hoͤchſt ſorgfaͤl - tige Friſur und den Hut unter dem Arm, zu dem andern, einen Haarbeutel und Degen, und zu dem dritten, ein ſeidenes Kleid, tra - gen werden. Dieſer Mangel an Geſchmack und Paßlichkeit wird dadurch unterhalten, daß der juͤngere Adel von Verona nicht rei - ſet, ſondern ſeine Moden von den einzelnen Reiſenden abnimmt, die er in ſeiner Vater - ſtadt ſieht.

Mit der weiblichen Haͤlfte des Adels iſt es derſelbe Fall. Die aͤlteren Damen ſchei - nen noch ganz nach dem Geſchmack ihrer Muͤtter gekleidet zu ſeyn, und ich getrauete mir kaum, ſie von den aͤltern Rathsfrauen der großen deutſchen Reichsſtaͤdte zu unter - ſcheiden, wenn nicht Anſtand und Miene und, bey feyerlichen Gelegenheiten, auch alte, aber gehaltvolle, Geſchmeide von Brillanten und Perlen, einen Unterſchied bemerklich machten. 127Die Juͤngern kleiden ſich allerdings beſſer, aber doch nur immer ſo, daß es allenfalls in Leipzig und Dresden, aber nicht einmal in Berlin und Muͤnchen, noch weniger in Wien und Warſchau, fuͤr ihren Stand hingehen koͤnnte. Den Anſtand und das ungezwungene Weſen der Weiber aus den hoͤhern Klaſſen in Berlin, Wien und Warſchau ſucht man hier vergebens; deſto ſichtbarer wird dagegen ein gewiſſes ſteifes, kleinſtaͤdtiſches Benehmen, welches ſelbſt ein hier ſehr haͤufiger ſchoͤner Wuchs und ein großes, ſchwarzes Auge nicht verſtecken koͤnnen.

Jn Ruͤckſicht der koͤrperlichen Bildung ſcheint der veroneſiſche Adel von einer ganz andern Voͤlkerſchaft zu ſtammen, als der ve - roneſiſche Buͤrger und gemeine Mann. Man ſieht unter demſelben viel große, wohlgebauete Figuren, mit ausdrucksvollen, maͤnnlichen Ge - ſichtern, einem feinen Mund und einer ſtatt - lichen Habichtsnaſe. Die Geſichtsfarbe faͤllt mehr ins Braune, laͤßt aber in den oberen128 Gegenden der Wangen ein feines Roth her - durch ſchimmern. Das Auge iſt groß, ſchwarz und geiſtreich, der Bart, wie das Haupthaar, ſchwarz und ſtark.

Bey dem erſten Anblick dieſer Menſchen erkannte ich eine kleine Ungerechtigkeit, die ich an Winkelmann begangen hatte, als ich den Zug von ihm hoͤrte oder las, daß er ſich, bey ſeiner ungluͤcklichen Ruͤckreiſe nach Deutſch - land, mit den deutſchen Geſichtern nicht habe ausſoͤhnen koͤnnen. Jch hielt dies damals fuͤr Ziererey; jetzt aber widerrufe ich mein Urtheil. Schon in Verona iſt mir keines der unbedeutenden, rothen und runden Geſich - ter vorgekommen, die einem in Franken, Bayern und Oeſterreich ſo oft begegnen, und deren es in England vielleicht noch mehr ge - ben wuͤrde, als in Deutſchland, wenn die Verfaſſung jenes Landes nicht ihre Buͤrger vor Charakterloſigkeit bewahrte.

So wie der veroneſiſche Adel ſeinen An - zug vernachlaͤßigt und ungebuͤhrlich veraltenlaͤßt,129laͤßt, ſo haͤlt er es auch mit allen ſeinen uͤbrigen Umgebungen. Jch habe geſagt, daß er ſeine Haͤuſer und Pallaͤſte von außen und innen ſelten ausbauet. Wie ſie der Sohn von dem Vater erhaͤlt, ſo laͤßt er ſie, und waͤre auch nur die letzte Hand anzulegen. Dies iſt allerdings nicht immer Geitz, ſon - dern dringende Nothwendigkeit, weil ſich oft genug der Vater durch den Bau eines Palla - ſtes, durch die Anhaͤufung von Kunſt - und Naturprodukten erſchoͤpft hat; aber welcher Deutſche machte nicht lieber Schulden, um ein vollendetes Haus zu bekommen, um ir - gend eine Sammlung zu einem gewiſſen be - ſtimmten Grade von Vollſtaͤndigkeit zu brin - gen? Ueberlegung und eigner Vortheil, und mehr noch, eine gewiſſe Schaam, dringen ihm dazu. Die Jtaliener haben aber ſolche Be - weggruͤnde nicht; und es werden ſich weiter unten mehrere Umſtaͤnde hervor thun, die die - ſen auffallenden Unterſchied zwiſchen der deut -Siebentes Heft. J130ſchen und italieniſchen Art, hierin zu denken, veranlaſſen.

Man kommt in Verona in Pallaͤſte, die von außen ganz vollendet, im Jnnern aber hoͤchſtens mit drey oder vier eingerichteten Zimmern verſehen ſind, womit ſich die Herr - ſchaft behilft. Alle uͤbrigen ſtehen leer, und haben weder Tiſch noch Stuhl, weder Vor - hang noch Tapete. Dafuͤr ſind ſie mit Ge - maͤlden behaͤngt, deren Ankauf leicht zehn bis funfzehn tauſend Zechinen gekoſtet haben kann, und ſonach freylich mehr, als der praͤchtigſte Hausrath gekoſtet haben wuͤrde. Hier zeigt ſich ein großer Unterſchied zwiſchen der italie - niſchen und engliſchen Denkungsart. Ein Englaͤnder, der erſt zehn bis funfzehn tauſend Zechinen fuͤr Gemaͤlde ausgiebt, wendet, wie es ſich bey ihm von ſelbſt verſteht, verhaͤlt - nißmaͤßig eben ſo viel auf die Saͤle, worin er ſie aufhaͤngt, damit eines zu dem andern paſſe.

Die adelichen Haͤuſer der erſten Klaſſe in Verona haben viel Bediente, beſonders Laͤufer,131 die bey den Korſofahrten nie fehlen duͤrfen; wie ſchlecht ſie aber bezahlt ſind, zeigt ihr Aeußeres. Drey hinten auf dem Wagen ſte - hende Bedienten wetteifern in ungekaͤmmten Haaren, ungewaſchenen Struͤmpfen und kah - len Roͤcken; drey Laͤufer, deren einer lang - ſam voran trabt, und zwey neben dem Wa - gen bleiben, ſind noch armſeliger, und zeigen ſich in kurzen Jaͤckchen von Kannefas, in Beinkleidern von Nanking und in Zwirn - ſtruͤmpfen, die von Schmutz ſtarren.

Was man in Deutſchland ſeine Freun - de bey ſich ſehen nennt, verſteht man hier nicht. Wer ſeinen Freund oder ſeine Freunde ſehen will, weiß die Kaffeehaͤuſer, wo ſie taͤglich zu gewiſſen Stunden zu finden ſind. Dort wird ausgemacht, was man mit einander zu thun hat. Sind es Sachen, die nicht dringen, ſo wartet man auch bis zum naͤchſten Kaſinotag. Nur die Damen nehmen und geben Beſuche, da ſie hier, wie ander - waͤrts, nicht ohne dieſelben beſtehen koͤnnen,J 2132und da ſie in ſolchen Faͤllen einander gewiſſe Unordnungen wechſelſeitig uͤberſehen. Auch die Cavalieri serventi werden von den Dame servite angenommen, weil man ſie als Hausgenoſſen betrachtet, denen die Sitte ihres eigenen Landes nicht auffallen kann.

Jn dieſer Gewohnheit liegt eine der Ur - ſachen, warum man in Verona ſo wenig darauf denkt, in ſeinem Hauſe eingerichtet zu ſeyn und geſchmackvoll zu wohnen. Gewoͤhn - lich iſt man fuͤr ſich ſelbſt ſehr genuͤgſam und verſchwendet bloß fuͤr Andre. Hier aber kommen keine große Geſellſchaften in das Haus Anderer, warum alſo einen Aufwand machen, der unnuͤtz iſt? Waͤre Geſelligkeit in Verona, ſo wuͤrde die Oede im Jnnern der Haͤuſer bald verſchwinden; aber einer thut hierin wie der Andre, und wenn es Alle thun, wie koͤnnte Einer auf die Frage kom - men, die uns Deutſchen noch oft ſo wichtig und ſo fuͤrchterlich iſt: was werden die Leute ſagen? Von dieſer Bedenklichkeit weiß man133 in der That in Verona nichts, und wird man wohl in wenig italieniſchen Staͤdten et - was wiſſen. Wenn die Jtaliener deshalb ein feines Gefuͤhl fuͤr Schaam nicht kennen, ſo kennen ſie wiederum auch nicht die falſche Schaam, haben deshalb mehr Charakter, und richten ſich nicht bloß ihretwegen zu Grunde.

Jch will ein Beyſpiel anfuͤhren, das die - ſen Unterſchied zwiſchen der italieniſchen und deutſchen Art zu denken recht auffallend dar - legen wird.

Am Tage meiner Ankunft in Verona ver - langte ich einen Lohnbedienten, und man ver - ſprach, mir einen kommen zu laſſen. Nach einigen Minuten pochte jemand an meine Thuͤr, und ein mitteljaͤhriger Mann trat mir mit einer anſtaͤndigen Verbeugung, in einem ſaubern Frack, mit einer feinen Weſte, und in ſeidenen Struͤmpfen, entgegen. Jch ſtand vor ihm, hatte meinen Reiſehut in der Hand, und fragte ihn, wie man einen rechtlichen Kaufmann fragt, der einem Waaren anzubie -134 ten hat: was er mir braͤchte? Sie ha - ben einen Lohnbedienten verlangt? ſagte er. Ja, man holt mir einen, erwiederte ich. Jch bin es, zu Jhrem Befehl! So? ſagte ich, und ſetzte meinen Hut lang - ſam wieder auf, denn ich war noch ſehr er - hitzt. Beynahe haͤtte ich ihn daruͤber unwill - kuͤhrlich um Verzeihung gebeten. Jch hatte freylich ſchon oͤfter weit geputztere Lohnbedien - ten geſehen; und gerade dieſer Putz hatte mir verrathen, wer ſie waren; aber ſolch ein Geſicht, ſolch ein Weſen und Anſtand hatten mir nie das Erbtheil eines Lohnbedienten ge - ſchienen. Hier indeſſen ſcheiterte meine Ge - ſichterkunde gaͤnzlich. Er erfuͤllte mit ſo viel Geſchicklichkeit und Schnelligkeit ſeine Pflicht, daß er zeitlebens nichts gethan zu haben ſchien, als Schuh abbuͤrſten und Kleider auspochen. Jn weniger als einer halben Stunde war ich auf dem Korſo. Er ging nicht hinter mir, ſondern neben mir, weil ich ihn bald nach den Beſitzern anſehnlicher Haͤuſer, bald nach135 den Namen der Voruͤberfahrenden fragte, von denen er manche gruͤßte, die ihm den Gruß hoͤflich und freundlich zuruͤckgaben. Jch freuete mich, einen Menſchen gefunden zu haben, der dieſen Herrſchaften als ein ehrliebender Be - diente vortheilhaft bekannt ſeyn muͤßte, weil ſie ſich ſo guͤtig gegen ihn bezeigten.

Er fuͤhrte mich in ein Kaffeehaus am Platze Bra. Jm Hereintreten kam uns ein aͤltlicher Kavalier entgegen, der ihm eine Kußhand zuwarf, und hoͤchſt freundlich ſagte: bona sera, caro ich verſtand Ponte. Waͤhrend ich mein Eis nahm, unterhielt er ſich am andern Ende des Saals mit den rechtlichſten Gaͤſten, die da waren: mit Geiſt - lichen und Edelleuten.

Wir gingen darauf ins Theater. Unter - wegs fragte ich ihn: ob ſein Name Ponta ſey? Nein, Aleſſandro, zu dienen! erwiederte er. Sehr vornehm! dachte ich: aber in Jtalien traͤgt man ja ſo gern große Helden - oder Heiligen-Namen zu Vornamen!

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Vor dem Schauſpielhauſe winkte er einem Livreebedienten, ungefaͤhr ſo, wie ihm ſein eigener Herr gewinkt haben wuͤrde. Jener kam geſprungen und behielt den Hut in der Hand. Er behandelte mit ihm den Schluͤſſel zu einer Loge des dritten Ranges, zu meinem Gebrauch. Dieſer Schluͤſſelverkauf iſt ein Vortheil, den ſich der aͤlteſte Bediente macht, wenn ſeine Herrſchaft nicht in der Stadt iſt, oder nicht ins Schauſpiel geht; er koͤmmt auch den Fremden zu ſtatten, die ſonſt, da die Logen an Familien vermiethet ſind, in das Parterre unter die dortige ſchmutzige und laͤr - mende Zuſchauerſchaft gehen muͤßten.

Jm Theater ſelbſt nannte mir Aleſſandro alle Namen der weiblichen und maͤnnlichen Zuſchauer, die unter und neben mir in den andern Logen waren, und mir durch irgend etwas auffielen. Die uns am naͤchſten ſaßen, gruͤßte er, und ſie dankten ihm ſo, wie es noch immer geſchehen war. Mich traf kein einziger befremdlicher Blick, daß ich mich etwa137 mit meinem Lohnlakayen ſehr gemein machen moͤchte, da ich ihn bey mir in der Loge be - hielte.

Solche Zuͤge entwickelten ſich die uͤbrigen Tage zu hunderten, wenn ich mit ihm auf der Straße, oder Merkwuͤrdigkeiten zu ſehen, ging. Den zweyten Tag zeigte es ſich, daß er Franzoͤſiſch ſprach; ein ziemlich ſeltener Fall in Verona, wo, außer dem hoͤhern Adel, faſt jedermann dieſe Sprache vernachlaͤßigt; es zeigte ſich auch, daß er Alterthums - und Kunſtkenner, mithin zugleich Cicerone , war. Er kannte in der That das Amphitheater, mit allen ſeinen Vermeſſungen und andern Merkwuͤrdigkeiten, von außen und innen. Den dritten Tag waren wir unter andern in dem Pallaſte des Grafen Bevilacqua. Er kannte deſſen Gemaͤlde und Bildhauereyen nicht minder genau, als alle uͤbrige Schaͤtze dieſer Art in der Stadt. Jndem wir den Pallaſt Bevilacqua verließen, kam uns deſſen Beſitzer, der Graf gleiches Namens, auf der138 Treppe entgegen. Er gruͤßte Aleſſandro zu - erſt, und dieſer gab ihm den Gruß zuruͤck, ohne daß ich irgend eine Veraͤnderung an ih - nen beyden bemerkte.

Die vielerley Talente, die Aleſſandro ent - wickelte, nahm ich fuͤr einen hinlaͤnglichen Aufſchluß uͤber ſein Weſen, ſeinen Anſtand, ſeine Kleidung und Bekanntſchaften. Uebri - gens ſah ich, daß er von mir nicht mehr Ge - halt verlangt hatte, als jeder gewoͤhnliche Lohnbediente, und daß er, ohne Ausnahme, alle die Dienſte verrichtete, denen ſich kein Platzbedienter entziehen kann. Mein Urtheil uͤber ihn fiel dahin aus, daß er von rechtlichen Eltern ſtammen, ſich durch Zeit, Uebung und Reiſen die Bildung verſchafft, und ſich, bey dem ſteten Durchfluge von Reiſenden, ein kleines Vermoͤgen erſpart haben koͤnne, wo - durch er ſein Aeußeres ſo ſauber und ge - ſchmackvoll zu unterhalten im Stande waͤre.

Dabey blieb es bis an den Tag meiner Abreiſe. Als ich ihm ſeinen Gehalt, (den er139 bey mir ſtehen laſſen) nebſt einer mancia *) mancia iſt eigentlich in Jtalien das Trinkgeld, das man noch außer der, für einen gewiſſen Dienſt beſtimmten, Summe geben muß. So fordert ein Poſtknecht, oder jeder andre Arbeiter, wenn man ſeine Dienſte ſchon bezahlt hat, noch eine mancia. , ausgezahlt hatte, uͤberreichte er mir ein klei - nes Buch, das ziemlich zergriffen und mit Namen und Anmerkungen angefuͤllt war; und bat mich, ihm meinen Namen zu ſchen - ken die Fremden, denen er gedient, haͤt - ten ſich alle eingeſchrieben. Jch blaͤtterte, und auf allen Seiten las ich in allerley Sprachen: der Graf Bevilacqua, Be - ſitzer dieſes, Traͤger dieſes ꝛc. ver - dient die Achtung, das Mitleid al - ler ꝛc. hat mir mit ſo viel Treue, Aufmerkſamkeit ꝛc. gedient Jch war in der That ſehr uͤberraſcht. Aleſſandro, ſagte ich: Sie ſind der Bevilacqua? Nein, erwiederte er: das war mein Va - ter. Weiterhin kommen erſt die Blaͤtter, die mich angehen. Jch blaͤtterte weiter und140 es fand ſich ſo. Unterdeſſen erzaͤhlte er mir: ſein Vater habe in ſeinem Alter das Gewerbe zu treiben angefangen, was er jetzt nach ihm triebe. Der Pallaſt, worin wir geſtern gewe - ſen, ſey ſein Pallaſt geweſen, aber er habe mangiato tutto il suo ben , und nur dies Brod ſey ihm nachmals uͤbrig geblieben. Er, Aleſſandro, habe ſeines Vaters Gaͤnge mit den Fremden gemacht, und ſo ſeine anti - quariſchen Kenntniſſe erworben, die ihm jetzt, nebſt dem Dazugehoͤrigen, ſeinen Unterhalt verſchafften. Er lerne ſeinen Sohn wiederum dazu an, und dieſer gebe alle Hoffnung zu einem brauchbaren antiquario Das Uebrige gehoͤrt nicht mehr hieher.

Wird ein adeliches deutſches Haus von dem Alter und Anſehen, wie das von Bevi - lacqua, zugeben, daß Einer aus der Familie den Lohnbedienten, wenn auch unter dem Namen antiquario mache? Jn derſelben Stadt, wo deſſen Vorfahren die ehrenvollſten Stellen bekleideten und noch bekleiden? Jm141 Mittelpunkt des Adels einer ſo adelsreichen Provinz? Wuͤrde ein Mitglied dieſes letztern den Aleſſandro Bevilacqua kennen, oder auch nur ſehen wollen? Wuͤrde Familie und Adel zugleich, ihn nicht auf irgend eine Art weg - ſchaffen und ſonſt unterſtuͤtzen, ihm vielleicht reichlich geben, wenn er es verlangte? Hier iſt nichts von dem Allen! Der ehrliche Aleſ - ſandro iſt fleißig, naͤhrt ſich, und falſche Schaam ſtoͤrt ihn nicht darin, und ſeine Standes - und Geburtsgenoſſen behandeln ihn, aus eben der Urſache, freundſchaftlich nach wie vor. *)Es ſoll auch noch ein Graf Cisa als Lohnbedienter zu Verona leben.

Wenn die Jtaliener in der gottesdienſtli - chen und philoſophiſchen Aufklaͤrung hinter den Deutſchen, Englaͤndern und Franzoſen zu - ruͤck ſind; in derjenigen, die aus dem geſun - den Verſtande fließt, ſind ſie vor ihnen. Jhre Liebe faͤngt in eigentlichem Sinne bey ihnen ſelbſt an, und auf ihre Koſten lebt man unter ihnen nie. Jhre Menſchenfreundlichkeit iſt142 ſehr nuͤchtern und uͤberlegt, und gewiſſe An - wandlungen von Großmuth, von koſtſpilliger Theilnehmung, von gutherziger Pralerey, die bey den genannten Nationen noch haͤufig ge - nug ſind, werden unter ihnen nicht bemerkt. Wer deshalb nicht ſelbſt fuͤr ſich ſorgt, koͤnnte leicht vor den Pallaͤſten ſeiner reichen Ver - wandten verhungern. Dieſer Umſtand fuͤhrt den andern herbey, daß in Jtalien nichts um - ſonſt geſchieht, daß man Gefaͤlligkeiten, Lie - besdienſte, Aufopferungen nicht kennt, und daß man nirgends in der Welt, von fruͤher Kind - heit an, ſeinen Vortheil ſo wohl verſteht. Es iſt auffallend, wie kindlich unter andern der deutſche Charakter in dieſem Punkt gegen den italieniſchen erſcheint. Dahin gehoͤrige Aeußerungen des erſtern begreift der letztere nicht, oder findet ſie einfaͤltig und laͤcherlich.

Der veroneſiſche Adel iſt Liebhaber und Befoͤrderer der ſchoͤnen und nuͤtzlichen Wiſſen - ſchaften und Kuͤnſte. Seine Vaterſtadt ſteht ſeit lange ſchon in dem Rufe, daß ſie dieſelben143 mit Eifer und Erfolg beſchuͤtzt und treibt. Dieſem Ruf ſucht er mit lobenswuͤrdigem Wetteifer aufrecht zu erhalten, und ſelbſt das weibliche Geſchlecht nimmt an dieſem Beſtre - ben Theil. Da er uͤberdies aus ſeinem Mit - tel viele Stellen in der Regierung ſeiner Va - terſtadt beſetzt, die eine gewiſſe Gabe von Kenntniſſen erfordern, ſo iſt er gewohnt, ſeine Geiſteskraͤfte zu uͤben. Es waͤre aber zu ſpaͤt, wenn ich umſtaͤndlicher hieruͤber ſeyn wollte, da einer meiner neueſten Vorgaͤnger*)Don Juan Andres Reiſe durch verſchie - dene Städte Jtaliens ꝛc. 2r. Band, S. 211 fg. Dieſer Reiſende giebt einen vollſtändigen Abriß von dem neueſten wiſſenſchaftlichen Zuſtande dieſer Stadt und von ihren Gelehrten. Bey ſeiner Nach - richt von dem Kabinette von Verſteinerungen, das der Graf Gazola beſitzt, vergißt er, das merkwür - dige Exemplar eines in Stein abgedruckten Fiſches, anzuführen, der einen zweyten bis auf die Hälfte verſchluckt hat. Der Verſchluckte iſt wenig kleiner, als der Verſchluckende, und dieſer Umſtand giebt die einzigmögliche Erklärung an die Hand, wie der Fiſch im Akt ſeiner Seeräuberey hat verſteinert werden können. Er ſtarb nämlich an ſeiner Beute und verſank in das kalkſchieferige Material, das ſich um ihn verhärtete. ſich144 hinlaͤnglich daruͤber hat vernehmen laſſen; auch zuverlaͤßig, denn ich habe ſeine Nach - richten an Ort und Stelle gepruͤft und ver - glichen, und ich unterſchreibe ſie mit dem be - ſten Gewiſſen; nur bin ich nicht ſo willig, wie der gutmuͤthige Spanier, Alles ſchoͤn, vortrefflich und unverbeſſerlich zu finden.

Ueberhaupt genommen iſt faſt keine ade - liche Familie in Verona, die nicht einen be - ruͤhmten oder bekannten Namen fuͤr die Ge - lehrten - und Kunſtgeſchichte von Verona ge - ſtellt;*)Von ältern veroneſiſchen Gelehrten S. Ver. illustr. Tom. II. S. 127 168. des Auszugs. faſt keine, die nicht irgend eine Sammlung von Merkwuͤrdigkeiten fuͤr die Alterthums - und Naturkunde, fuͤr die Kunſt und Litteratur zuſammen getragen haͤtte und noch zuſammen truͤge. Die Muſterung der - ſelben macht den Aufenthalt in Verona vor - zuͤglich angenehm und lehrreich, und die Leich - tigkeit und Gefaͤlligkeit, womit dem Fremdenalle145alle dieſe Schaͤtze geoͤffnet werden, verbreiten ein ſehr guͤnſtiges Licht uͤber den Charakter der Veroneſer.

Daß ihnen die Ueberzeugung ein wenig zu nahe liegt, als ob Alles, was ſie beſitzen, den Fremden fremd ſeyn muͤſſe, iſt ganz natuͤrlich. Vor zwey Jahren entſchluͤpfte einer veroneſi - ſchen Dame ein hieher gehoͤriger, hoͤchſt naifer Zug, der fuͤr ihre Fortſchritte in der Laͤnder - kunde ſehr wenig, aber fuͤr ihre Gefaͤlligkeit und Gutmuͤthigkeit, Fremde mit veroneſiſchen Seltenheiten bekannt zu machen, deſto mehr beweiſet. Ein junger Ruſſe, aus einem guten Hauſe, brachte einen Theil des Winters in Verona zu. Es war der ſeltene Fall, daß waͤhrend einer Nacht ein ſehr ſtarker Schnee fuͤr hieſige Landesart fiel. Zwey Laͤufer kom - men außer Athem in ſeinen Gaſthof, und la - den ihn ein, ſich eiligſt in dem Kaſino einzu - finden. Er fliegt dahin, und trifft eine große Geſellſchaft von Herren und Damen bey ei - nem Fruͤhſtuͤck an. Unterwegs iſt ihm aufSiebentes Heft. K146dem Korſo ein Zuſammenlauf von Volk vor - gekommen. Er erkundigt ſich bey der Geſell - ſchaft, was das ſeyn koͤnnte, aber man thut geheimnißvoll, und er erhaͤlt keine deutliche Auskunft. Unterdeſſen verwickelt er ſich mit einer Dame in eine Unterhaltung und vergißt ſeine Frage. Ploͤtzlich laͤuft die ganze Geſell - ſchaft zu den Fenſtern, die uͤbereilt aufgeriſſen werden. Dem jungen Ruſſen laͤuft ſeine Dame auch davon und er folgt langſam, koͤmmt mithin ſo zu ſtehen, daß ihm die Ausſicht aus dem Fenſter durch die Uebrigen verſperrt iſt. Seine Dame ſieht ihn, thut auf einmal einen lauten aͤngſtlichen Schrey: Per pietà! Meine Herren und Damen, machen Sie doch Platz, daß der arme Fremde unſre Schlittenfahrt ſehen kann! Sogleich tritt Alles zuruͤck, und dieſelbe Dame zieht ihn bey der Hand eiligſt zum Fenſter; die Umſtehenden helfen ihm ſchnell nach, und ſo zeigen ſie feyerlichſt dieſem Ruſſen dieſe Schlittenfahrt die auf ſechs147 unanſehnlichen Schlitten, auf zuſammen gekehrtem Schnee, unter großem Jubel ei - nes zahlreichen Volks, vor ſich geht, und fra - gen ihn mit innigem Wohlbehagen, ob er je ein così curiosissimo e nobilissimo ſpet - tacolo geſehen habe?

So wollte auch Aleſſandro außer ſich kommen, als er mir die alten roͤmiſchen Ueber - bleibſel, den Arco de Gavi, die Porta Bor - sari, die Truͤmmer von Saͤulen und Woͤlbun - gen eines vermeynten alten Theaters u. a. m. zeigte, und ich nichts Beſonderes daran finden wollte, weil ſie in der That unbedeutend ſind, und nichts weniger, als Spuren einer edlen Baukunſt, verrathen. Dagegen begriff er mich nicht, als ich die Dogana und die Fiera wegen ihrer guten Bauart, und ihrer hoͤchſt paßlichen und bequemen Einrichtung, ſo lobte, wie es dieſe beyden bekannten und wirklich nachahmungswuͤrdigen Anlagen verdienen.

Gingen aber auch die Veroneſer in der Wuͤrdigung ihrer Seltenheiten zu weit, ſoK 2148kann man ihnen den Ruhm doch nicht neh - men, daß ſie mit wahrer Vaterlandsliebe die - ſelben erhalten und bewahren und mit liebens - wuͤrdiger Gefaͤlligkeit zeigen. Die Erhaltung des alten Amphitheaters hat die Stadtkaſſe uͤbernommen und beſtreitet ſie von der Miethe der Gewoͤlbe, die in der Ringmauer ange - bracht ſind und von dem Pacht, den der Schluͤſſel zum Jnnern traͤgt. Die Alterthuͤ - mer der Philharmoniſchen Akademie erhaͤlt dieſe Geſellſchaft; die oben erwaͤhnte Bruͤcke, das Castel vecchio, ſteht ebenfalls unter oͤf - fentlicher Vorſorge; ſelbſt der Poͤbel, hat Ach - tung fuͤr dieſe alten Denkmale und ihre Truͤmmer. Der Preis, wofuͤr man dieſe Dinge ſehen kann, iſt aͤußerſt gering. Die unverſchloſſenen ſieht man natuͤrlich umſonſt; die verſchloſſenen fuͤr 2 Paoli (ungefaͤhr 6 Gr. Saͤchſ. ), und dahin gehoͤren alle die Kunſt -, Muͤnz - und Naturalien-Sammlungen, die hier ſo zahlreich aufbewahrt werden. Die Beſitzer haben das Geſchaͤft des Vorzeigens149 gewoͤhnlich einem ihrer Bedienten uͤberlaſſen, der auch die Trinkgelder einnimmt, ohne ſie, wie man einigen roͤmiſchen Principi nach - ſagt, mit ihren Herren theilen, oder ihnen jaͤhrlich einen gewiſſen Pacht davon geben, oder ihnen dafuͤr ohne Gehalt dienen zu muͤſ - ſen. Jn Verona treiben die Beſitzer oder Beſitzerinnen ſolcher Sammlungen ihre Ge - faͤlligkeit ſo weit, daß ſie, wenn ſich Merk - wuͤrdigkeiten der Kunſt oder des Alterthums in ihren innerſten Kabinetten oder Schlafzim - mern befinden, ſich daraus ſo lange entfernen, bis ſie der Fremde mit Muße beſehen hat, er komme zu welcher Zeit er wolle.

Alle dieſe Umſtaͤnde zuſammen genommen, verleihen der Stadt Verona einen gewiſſen eigenthuͤmlichen Charakter, den man ſonſt aus - ſchließend an Florenz ruͤhmt, und den ich alſo, wenn es ſich ſo verhaͤlt, zu ſeiner Zeit dort wieder finden werde. Gewiß iſt, daß die Ve - roneſer den Fremden merken laſſen, wie viele Urſachen ſie haben, auf feine und wohlgefaͤl -150 lige Sitten, auf Kenntniſſe, und auf reine Sprache, Anſpruͤche zu machen; und ſie zie - hen mit Wohlgefallen Beyſpiele aus aͤltern und neuern Zeiten von erlauchten Fremden an, die eine kuͤrzere oder laͤngere Weile mit Be - hagen unter ihnen gelebt haben. Beſonders ſcheint es mir, als ob ſie mit einer kleinen Bewe - gung von Eiferſucht auf Venedig blicken und, bey einer Vergleichung mit dieſer Stadt, in Ruͤckſicht der Litteratur und Kunſt, vortheilhafter zu ſtehen glauben. Es waͤre ganz natuͤrlich, wenn die Veroneſer litterariſch und artiſtiſch die Venetianer, ihre jetzigen Gebieter, zu uͤbertreffen ſuchten, da es ihnen nicht mehr erlaubt iſt, politiſch mit ihnen zu wetteifern. Ehedem verhielten ſie ſich freylich zu den Staͤdten Brescia, Padua, Vicenza, Treviſo u. a. m. wie ſich jetzt Venedig zu dieſen Staͤd - ten und zu Verona ſelbſt verhaͤlt, das heißt, ſie waren ihre Beherrſcher und ſtanden, mit den Venetianern auf gleich und gleich in Ver - bindung, als Freyſtaat; ſeitdem ſie aber ihr151 Gebiet und ihre Macht an letztre verloren haben, muß ſich die ehemalige politiſche Ne - benbuhlerſchaft wohl nur auf einen wiſſen - ſchaftlichen Wetteifer einſchraͤnken, weil der geringſte Ausbruch einer andern, nicht ohne eine harte Zuͤchtigung hingehen wuͤrde. Ve - nedig iſt deshalb beſonders aufmerkſam auf Verona, ſchont aber auch ſeinerſeits mit ziem - licher Treue die alten Vorrechte, die es die - ſer Stadt, bey ihrer Unterwerfung, zu erhal - ten gelobt hat. Dies geht ſo weit, daß Ve - rona in ſeinen Statuten, die, freylich nicht ohne Dareinmiſchung venetianiſcher Grund - ſaͤtze, in dieſem Jahrhundert zuſammen ge - tragen worden, noch ein Freyſtaat heißt und ſich durch ſeinen eigenen großen und kleinen Rath regiert: doch iſt dies nur in Ruͤckſicht buͤrgerlicher Angelegenheiten und immer unter Vorſitz des venetianiſchen Beamten. Die Statthalterſchaft, die ausuͤbende Gewalt, die Kriegsſachen und das Kaſtell, S. Felice, das die beyden andern und die Stadt ſelbſt152 beſtreicht, hat die Signoria fuͤr ſich be - halten.

Unmittelbar an den Adel ſchließt ſich in Verona ein Mittelſtand, der eine Art von niederem oder buͤrgerlichen Adel, oder Pa - triziat behauptet, weil aus ihm viele Stellen in dem großen und kleinen Rathe und uͤber - haupt in der Stadtregierung beſetzt werden. Dies ſind die Kollegien der Advokaten, Pro - kuratoren, Rechtslehrer und Doktoren der Medicin, auch die Mitglieder der Kaufmann - ſchaft. Da Verona bey ſeiner Unterwerfung an Venedig eine demokratiſche Verfaſſung hatte, welche die Oberherren der Stadt, um ſich ſelbſt gegen die Uebermacht des Adels zu erhalten, beſtaͤndig beguͤnſtigten: ſo blieben dieſem Mittelſtande ſeine Rechte auf den Zu - tritt zum großen Rathe auch nach der Unter - werfung, und Venedig benutzt denſelben eben - falls, um den hoͤhern Adel in Zaum zu hal - ten, doch nicht ohne zugleich auch auf ihn ein wachſames Auge zu haben. Denn da viele153 aus ſeinem Mittel zum Handels - und Ge - werbsſtande gehoͤren, die, in der Nachbarſchaft, ihre ehemalige Schweſter Roveredo, unter Kaiſerlicher Herrſchaft ſo gluͤcklich gedeihen ſehen; ſo ſetzt die Signoria voraus, daß ſie die Kaiſerliche Regierung lieben, und beobach - tet ſie genau; um ſo mehr, da ſie, bis zu ei - nem gewiſſen Punkt, mit dem Adel, der wie - derum dafuͤr geachtet wird, nicht vergeſſen zu koͤnnen, daß er von Seinesgleichen (denn da - fuͤr haͤlt er den Adel der Hauptſtadt) beherrſcht wird, ohne ſelbſt an der Beherrſchung des ganzen Staats Theil zu haben, ihr Jntereſſe vereinigen und, bey einer guͤnſtigen Gelegen - heit, an den naͤchſten und fuͤrchterlichſten Feind der Republik uͤbergehen koͤnnten, der in ſei - nen aͤltern Verbindungen mit Verona, dem ehemaligen Freyſtaate, hinlaͤngliche Gruͤnde finden wuͤrde, ihnen ihr Verlangen nicht zu verſagen, und ſich daruͤber zugleich diploma - tiſch vor Europa zu rechtfertigen. Deshalb hat die Republik ihrer Herrſchaft uͤber Verona154 noch zwey andere Pfeiler untergeſtellt die Eiferſucht der gemeinen Buͤrger und Hand - werker auf dieſen Mittelſtand und den Adel, die ſie ganz von der Stadtregierung ausſchlie - ßen, und die Mißgunſt des Poͤbels, die die - ſem gegen alles, was mehr hat, als er, zur Natur zu werden pflegt. So wie die Signo - ria den gemeinen Mann und den Poͤbel von Venedig in einer Ehrfurcht, die nahe an An - betung graͤnzt, gegen ſich zu erhalten weiß, ſo verſtehen dies auch ihre Beamten bey dem kleinen Buͤrger und Poͤbel in Verona zu be - wirken, durch Mittel, die ziemlich einfach ſind und nachher bey der Schilderung dieſer Volks - klaſſen vorkommen werden.

Der gedachte Mittelſtand ſchließt eigent - lich den Kern der Einwohner von Verona, in Ruͤckſicht der buͤrgerlichen Stadt - und Handelsgeſchaͤfte, ein. Die Zuͤnfte der Advo - katen und Prokuratoren ſind die Seele aller Rechts - und Gerichtsgeſchaͤfte, weil ſie, wie uͤberall, nicht bloß Rechtshaͤndel, ſondern auch155 die Richter, zu fuͤhren verſtehen; weil ſie uͤber - dies, neben ihrer Wiſſenſchaft, auch den Saͤckel der Parten vor dieſen Richtern voraus ha - ben; und weil ſie endlich in jeder Sache, die mehr als 20 Paoli betraͤgt, an den venetia - niſchen Beamten verwieſen ſind, und mithin weiter reichen, als der laͤngſte veroneſiſche ade - liche Arm, welche Stelle ſein Beſitzer auch bekleide. Dieſer Standpunkt verſchafft ihnen alſo nicht bloß Einfluß, ſondern auch gute Einkuͤnfte, und ihr Orden gehoͤrt zu den wohl - habenden, geachteten und gefuͤrchteten, in den die aͤrmern Mitglieder des hoͤhern Adels, mit - telſt eines Doktorpatents aus Padua, haͤufig ſelbſt treten. Da ihrer Viele ſind, ſo fehlt es auch nicht an Vielen Rechtshaͤndeln, und man macht hier in Ruͤckſicht ihrer eine Fol - gerung, die man wohl ſonſt zu Laſten der Aerzte macht, daß nach ihrer Anzahl ſich die Anzahl der Kranken richte. Wie uͤbrigens dieſe Klaſſe ſich hier naͤhrt und erhebt, und wie manche Familien der hieſigen Conti 156und Marchesi entſtanden ſind davon er - zaͤhlt Keyßler, nach welchem noch manche Reiſebeſchreibung aus den Neunziger Jahren trefflich berichtigt werden koͤnnte, einen jetzt noch charakteriſtiſchen Zug, den ich nicht wie - derhole, da er einmal Deutſch gedruckt iſt .*)Joh. Ge. Keyßlers Neueſte Reiſen ꝛc. Neue Aus - gabe. Hannover, 1751, S. 1033, oben..

Die Jnnung der Kaufleute in Verona hat betraͤchtliche Vorrechte, die aus alten Zeiten ſtammen und ihr bey der Unterwerfung ſind verſichert worden. Die Wollen - und Seiden - manufakturen waren von jeher der wichtigſte Nahrungszweig der Stadt, und der Signo - ria lag ſelbſt daran, daß er in ſeiner Bluͤthe erhalten wurde, weil die Veroneſer ihre da - hin gehoͤrigen Fabrikate der Hauptſtadt mit Leichtigkeit und in Menge zufuͤhrten. Jn der oben erwaͤhnten Casa de Mercanti , auf dem Herrenplatze, hat ein Vicariato ſei - nen Sitz, das uͤber die Statuten der Kauf - leute wacht, in Handelsangelegenheiten ent -157 ſcheidet, und von dem man unmittelbar an den Podeſta und Cammerlengo appelliret. Uebrigens nimmt die Kaufmannſchaft nur von dem Rathe der Zwoͤlf und der Funfziger Ge - ſetze an.

Die Kaufmannſchaft iſt, bis zu einem ge - wiſſen Grade, immer noch wohlhabend in Verona, und es iſt nicht Mangel an Eifer und Aufmunterung, wenn ihr Handel und ihre Manufakturen nicht mehr ſo bluͤhen, als in aͤltern Zeiten, ſondern derſelbe anders ge - richtete Zug des Weltverkehrs, der Venedig, Genua und Holland herunter gebracht hat. Bey Verona kommen oͤrtliche Urſachen hinzu. Die Schafzucht z. B., war ehedem ſtaͤrker; jetzt verwandeln die immer haͤufiger werdenden Ueberſchwemmungen der Adige die Wieſen und Aenger ihres Gebiets in Moraͤſte und Suͤmpfe; und die Habſucht der Gutsbeſitzer laͤßt die Berge und Huͤgel aufreiſſen, das Buſchwerk ausrotten und verbrennen, um deſto mehr Acker zu gewinnen. Dieſer doppelte158 Umſtand bewirkt die Verminderung der Schafe von Jahr zu Jahr. Auch der Seidenbau hat ſeit einer Reihe von Jahren abgenom - men, welches man zum Theil der eingeriſſenen Voreiligkeit der Landleute, die Seidenraupen auskriechen zu laſſen, zuſchreibt. Die Seiden - manufakturen ſelbſt, die ſich nie auf praͤchtige, ſondern bloß auf gemeine, aber gangbare, Waaren einließen, ſind ebenfalls ſehr geſun - ken, doch beſchaͤftigen ſie jetzt noch die meiſten Haͤnde in Verona, wie es deutlich in die Au - gen faͤllt, wenn man auf den Straßen um ſich ſieht. Jn und vor den Haͤuſern iſt Alt und Jung mit Weben, Zwirnen und Spuh - len der Seide beſchaͤftigt. Sonſt werden die veroneſiſchen Lederbereitungen, ein paar Wein - gattungen und geraͤucherte Waaren noch ge - ſucht.

An die Klaſſe der Rechtsgelehrten und Kaufleute ſchließt ſich die Geiſtlichkeit im ſtaatsbuͤrgerlichen und im geſellſchaftlichen Le - ben. Sie iſt wohlhabend und dieſe Wohlha -159 benheit ſchreibt ſich noch aus den Zeiten her, wo Verona ein Freyſtaat war. Die politi - ſchen Grundſaͤtze der Signoria ſind dem Ein - fluß und dem Wachsthume der Geiſtlichkeit an ſich nicht guͤnſtig, mithin iſt ſie hier in ziemlich enge Schranken geſetzt, und ſie hat nicht einmal den Vorzug, ſich ſelbſt zu richten, den ſie ſelten entbehrt; ſondern der Podeſta, der von Venedig geſetzt wird, ſpricht auch den geiſtlichen Perſonen, doch unter einer gewiſſen Formalitaͤt*)S. darüber Le Vrets Staatgeſchichte der Republik Venedig, 2ten Bandes 1ſte Abtheil. S. 324 fg. Dort iſt auch das Nöthige von der veroneſ. Ver - faſſung längſt Deutſch gedruckt. Recht. Uebrigens legen ſich viele aus ihrem Mittel mit Eifer und Vor - liebe auf klaſſiſche Gelehrſamkeit und auf ſchoͤne Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, und ſie er - ſcheinen literariſch und artiſtiſch mit dem Adel und dem Mittelſtande genau verbunden, ſind zum Theil Mitglieder der verſchiedenen hieſi - gen Akademien, und haben, Moͤnche wie160 Weltgeiſtliche, ein gewiſſes feines Aeußeres, welches ſonſt das Erbtheil der erſtern nicht zu ſeyn pflegt, hier aber mit daher ruͤhrt, daß jene in den Familien des kleinen Buͤrgers Hausfreunde, und dieſe in den Haͤuſern des Mitteladels cavalieri serventi ſind. Jhre Anzahl iſt uͤbrigens ſo betraͤchtlich in Verona, daß ſie des Abends den Korſo, die neue Straße, die Kaffeehaͤuſer und die Schnupftobacksladen ſchwarz faͤrben.

Die Klaſſen der geringeren Einwohner, vom kleinen Kraͤmer bis zum Bettler, haben im Aeußeren und Jnneren nichts mit den be - ſchriebenen, hoͤhern gemein. Sie ſind mehr uͤbel als wohl gebildet, und die, theils frey - willige, theils nothgedrungene, Liederlichkeit in ihrem Anzuge, traͤgt nicht dazu bey, ſie zu ver - ſchoͤnern[.]Eine gelbe Farbe, viel Magerkeit, krumme Kniee, ſchwarzes Haar, eine ſtarke aber heiſere Stimme, ſind faſt allen gemein; indeſſen, in den Zuͤgen ſelbſt habe ich noch in keiner Stadt, Paris ausgenommen, ſolch einemannig -161mannigfache Abwechslung gefunden, und an eine Nationalaͤhnlichkeit, die eine gewiſſe, im - mer wieder kommende, Falte, in Ruͤckſicht der Mienen, der Bewegungen, des Accents in der Sprache, des Totaleindrucks der Geſichter und Gebaͤhrden ꝛc. dergleichen man in Hamburg, Nuͤrnberg und Augsburg, ja in großen Haupt - ſtaͤdten, wie in Berlin und Wien, ſogar noch findet, iſt hier nicht zu denken. Dieſe Man - nigfaltigkeit hat, außer ihren hiſtoriſchen Ur - ſachen, auch die politiſche, daß der gemeine Mann, weniger noch, als die hoͤheren Staͤnde, ſich einer um den andern bekuͤmmert, und ohne Scheu ſich ſo traͤgt und benimmt, wie ſeine eigenthuͤmliche Bildung, Lage und Gemuͤths - art es ihm eingeben. Daraus iſt der oben erwaͤhnte Zug von den unanſtaͤndigen Jagden der Hausmuͤtter an der Adige zu erklaͤren, die anderwaͤrts, ſelbſt vom Poͤbel, insgeheim gehalten werden; und daher faͤllt es hier nicht auf, wenn ein Menſch vom Poͤbel, mit ſchmutzigen Fuͤßen, ohne Schuh und Struͤmpfe,Siebentes Heft. L162ohne Muͤtze und Hut, mit bloßer Bruſt, durch die Geſellſchaften auf dem Korſo und dem Platze Bra ſich frey hindurch draͤngt; ſich mitten unter ihnen mit andern ſeines Glei - chen herum balgt; raſet und bruͤllt; ohne Scheu und Ruͤckſicht allen natuͤrlichen Ver - richtungen oͤffentlich obliegt, und ſich uͤber - haupt ſo benimmt, als ob der Spatziergang, oder der oͤffentliche Ort, wo er ſich befindet, ihm ausſchließend zugehoͤre. Man kann un - ter andern ſich die Ungezogenheit nicht den - ken, die im Parterre eines veroneſiſchen Schauſpielhauſes herrſcht. Da der Eintritt in das erſte Parterre des großen Schauſpiel - hauſes nur 30 Soldi, und in das zweyte, nur 20 Soldi (oder 18 und 12 Kreutzer) ko - ſtet, ſo ſind beyde ganz von dem gemeinen Manne beſetzt, der ſeine Weiber, Toͤchter, Beyſchlaͤferinnen und Kinder hereinbringt, ſo wie ſie des Morgens aufgeſtanden ſind und zu Hauſe zu gehen pflegen, und die ſich in nichts irgend einen Zwang unter den Augen163 ihrer venetianiſchen Vorgeſetzten und ihres doppelten Adels anthun. Sie klatſchen oder ziſchen und pochen ausſchließlich; ſie zwingen die Schauſpieler und Schauſpielerinnen durch ein fuͤrchterliches Geraͤuſch, Lieder und Auf - tritte, die ihnen beſonders behagen, drey bis viermal zu wiederholen; ſie lachen und ſpre - chen aus vollem Halſe, zanken ſich, ſchimpfen einander, drangen ſich, laufen heraus, und kommen wieder herein, alles mit gleichem Un - geſtuͤm, mit gleichem Trotze. Geſchrey, Plau - dern und Stampfen reißen nicht ab. Ein Fremder iſt waͤhrend der Vorſtellung auf der Folter und genießt von derſelben nichts. Eben ſo wird er, beſonders des Abends, bey dem ſchrecklichen Heulen und Bruͤllen auf den Straßen und oͤffentlichen Plaͤtzen, in immer - waͤhrender Beſorglichkeit erhalten, ob er ſich nicht etwan in einer Stadt befinde, deren Poͤbel zur Empoͤrung aufgeſtanden und ſchon in der Arbeit begriffen iſt, die Stadt anzu -L 2164zuͤnden und was ihm vorkoͤmmt zu ermorden. An eine Polizey iſt nicht zu denken.

Hierin liegt der Kunſtgriff, deſſen ſich die Signoria von Venedig bedient, um das Volk auf ihrer Seite zu behalten. Dieſes bildet ſich ein, vollkommen frey zu leben, weil man ihm erlaubt, ſich ſo ungebunden zu betragen, als es Luſt hat, und weil ſeine Vornehmen es ſich gefallen laſſen muͤſſen. Dazu koͤmmt, daß es wenig oder nichts an Abgaben unmit - telbar zahlt, und kurzſichtig genug iſt, nicht zu bemerken, daß es doch mittelbar alle Auf - lagen denjenigen Klaſſen erſetzen muß, die der Republik baar ſteuern. Daß gerade die un - entbehrlichſten ſeiner Beduͤrfniſſe, Brot, Oel und Fleiſch, nach Verhaͤltniß, die theuerſten ſind, daruͤber faͤllt es ihm nicht ein, Bemer - kungen zu machen, welche die Liebe zu ſeiner Durchlauchtigſten Wohlthaͤterin etwas vermin - dern koͤnnten.

Das Aeußere der Buͤrger und Handwer - ker iſt ſehr armſelig. Sie erſcheinen in bloßen165 Bruſtlaͤtzen, oder, wie man es im noͤrdlichen Deutſchlande nennt, im linnenen Aermel, oder auch nur in Hemde und Hoſen, die Bruſt bloß und das Haar ungekaͤmmt. Jhre Wei - ber tragen das Haar in Flechten auf dem Wirbel zuſammen geſchlagen; oberhalb der Stirn, zwiſchen beyden Schlaͤfen ein ſchmales und niedriges Tappee, und an beyden Seiten einen Buͤſchel von Haaren, ſchlicht herabge - kaͤmmt. Ein ſteifer Bruſtlatz und ein paar kurze Roͤcke uͤber einander, machen ihre ganze Bekleidung aus. Gehen ſie aus auf den Markt, oder in die Kirche, oder zu einem Beſuche, ſo ziehen ſie ein kurzes Kamiſol dar - uͤber, oft auch nichts weiter, nehmen aber den Mezzaro, ein weibliches Nationalkleidungs - ſtuͤck im Venetianiſchen, um, und verdecken da - mit ihren gewoͤhnlichen Anzug. Dieſer Mez - zaro beſteht aus einem langen Stuͤcke ſchwar - zen Taffet, das uͤber ein, auf dem Kopfe befe - ſtigtes, Drathgeſtell gezogen wird, vorne bis uͤber die Stirn herab faͤllt, und hier in einen166 Flor auslaͤuft, der bis auf die Bruſt herab - faͤllt und, je nachdem die Traͤgerin gefallen oder nicht gefallen will, je nachdem ſie ſchoͤn oder haͤßlich iſt, zuruͤck oder herunter geſchla - gen wird. Es iſt eine Art von Schleyer, der die Schultern und die Arme bis zum El - lenbogen bedeckt, und im Ruͤcken in eine lo - ckere Schleife geſchlagen wird, die uͤber einen dazu gehoͤrigen ſchwarztaffetnen Rock, bis zu den Abſaͤtzen, hinabfließt. Dieſen Mezzaro, der nicht ſchlecht ſteht, trugen ehedem die hoͤ - heren Klaſſen ausſchließend, jetzt iſt er in die niederen hinab geſunken, und jene brauchen ihn nur noch, wenn ſie zur Kirche gehen und ſich die Muͤhe des foͤrmlichen Ankleidens er - ſparen wollen.

Die Einwohner aus den erwaͤhnten Buͤr - gerklaſſen ſind geſchaͤftig und fleißig, und ſie ſtrafen die Reiſebeſchreiber Luͤgen, die allen Jtalienern Faulheit vorwerfen. Jeder Vor - uͤbergehende kann Zeuge ihrer Thaͤtigkeit ſeyn, weil ſie theils im Erdgeſchoſſe der Haͤuſer in167 Gewoͤlben, theils vor denſelben auf den Stra - ßen, arbeiten. Die Schneider ſitzen, mit drey oder vier Geſellen um ſich her, auf ho - hen hoͤlzernen Stuͤhlen, wie auf Thronen, und beherrſchen die Nachbarſchaft; und zu ih - ren Fuͤßen auf niedrigern Schemeln, hocken ihre Lehrburſchen. Eben ſo die Sattler, Schumacher, Riemer und andere Handwerker.

Von Bettlern wimmelt es in Verona und ihr Aufzug iſt ſcheußlich. Je groͤßer im Som - mer ihre Nacktheit, und im Winter die Lum - penmaſſe um ſie her iſt, deſto groͤßer ſind ihre Anſpruͤche auf die Barmherzigkeit, und deſto trotziger fordern ſie die Steuer derſelben. Sie liegen in allen Straßen, auf allen Plaͤ - tzen, vor allen Kirchen umher, und vertreiben ſich die lange Weile mit Eſſen, oder mit Durchſuchung ihrer Hemden, wenn ſie der - gleichen haben, oder auch mit einem Spiel - chen unter ſich. Alles, was Talente zum Betteln hat, das heißt, irgend eine haͤßliche Krankheit, oder eine unheilbare Wunde, oder168 einen Arm oder Fuß weniger, als andere, draͤngt ſich aus der Nachbarſchaft nach der Stadt und geht ſelten wieder heraus. Die zahlreiche Dienerſchaft, welche die Mode und eine, von außen wirklich bettelhafte, Pral - ſucht unterhalten, liefert keinen geringen Bey - trag zu der hieſigen Bettlermenge. Da die Beſoldung der Bedienten, Kutſcher und Laͤu - fer ſehr ſchlecht iſt, ſo koͤnnen ſie fuͤr Noth - faͤlle nichts ſparen; ſie haben alſo, wenn ſie verabſchiedet oder weggejagt werden, keine an - dre Zuflucht uͤbrig, als zu betteln oder zu ſtehlen, oder beydes zugleich zu treiben. Es fehlt hier zwar nicht an Kranken - und Ar - menanſtalten, aber in die erſteren geht ſelten ein Bettler freywillig, und die Wohlthaten der letztern nimmt er mit.

Da, wo die Einwohner am zahlreichſten ſich verſammlen, ſind dieſe wirklich Nothlei - denden, oder nur liederlichen und faulen Tau - genichts, auch am haͤufigſten. So finden ſie gegen Abend auf dem Korſo, der Neuen169 Straße und dem Platze Bra, beſonders eine reichliche Aernte. Auf dem letzteren ſah ich eine, mir ganz neue, Art von betruͤgeriſcher Betteley. Ein junger Kerl, der mehr lieder - lich und faul, als nothleidend und krank, aus - ſah, bot den Spatziergaͤngern ein Scheermeſ - ſer an, mit der Verſicherung, er ſey ſo hungrig und durſtig, daß er dieſes unentbehrliche Stuͤck ſeiner Habſeligkeiten verkaufen muͤſſe, um nicht zu verſchmachten. Dies ſagte er in ei - nem uͤberaus klaͤglichen Tone und forderte zu - gleich die Haͤlfte mehr fuͤr das Meſſer, als es ihm gekoſtet hatte. Fand ſich jemand, der ſolch ein Werkzeug brauchte, der handelte nicht lange mit einem Menſchen, der Hun - gers ſterben wollte und war betrogen. Unter - deſſen ging der Gauner weiter und bot An - dern wieder andere Waaren an, die er mit - telſt eines gewiſſen Takts immer ſo waͤhlte, wie er glaubte, daß die angebettelten Perſo - nen ſie brauchen koͤnnten.

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Die Menge von Armenanſtalten, die Aus - theilung der Kloſterſuppen, eine ausgedehntere Privatwohlthaͤtigkeit, und die Mildigkeit des Himmelsſtriches machen die Erhaltung von Tauſenden ſolcher Bettler nur allein moͤglich. Sie ſind Tag und Nacht unter freyem Him - mel, oder liegen unter den Eingaͤngen der Kirchen, der oͤffentlichen Haͤuſer und in den verfallenen Feſtungswerken. Wenn ſie das ihnen noͤthige Brod erſchwingen, ſo koſtet ih - nen, was ſie noch dazu brauchen, ſehr wenig. Die Gaͤrtnerey iſt hier und in den umliegen - den Gegenden aͤußerſt ergiebig, und auf allen Maͤrkten und Straßen ſteht und liegt Obſt von jeder Gattung, von der ſchoͤnſten Art, fuͤr den wohlfeilſten Preis, in großen Hau - fen herum. Arbuſen und Melonen, die wir im Norden mit Thalern bezahlen, eſſen hier die Bettler fuͤr Soldi zu ihrem Stuͤcke Brod, und eben ſo Weinbeeren, Birnen und Pfir - ſchen. So ſtillen ſie mit fuͤnf bis ſechs Soldi ihr taͤgliches Beduͤrfniß, und derjenige Bettler171 haͤtte viel Ungluͤck, der nicht taͤglich die dop - pelte Summe einnaͤhme; ſo kann er den Ueberſchuß erſparen, um ſich zuweilen eine Guͤte zu thun, oder ein paar alte Lappen und Lumpen zu kaufen, die er anſtatt eines Hem - des oder Bruſtlatzes traͤgt.

Jch ſchließe meinen Abriß von dem leben - digen Verona mit einigen Nachrichten von den oͤffentlichen Vergnuͤgungen, und theile uͤber diejenigen davon, die ich ſelbſt geſehen habe, ein paar Bemerkungen mit.

Der Lebensgenuß iſt hier in allen Staͤn - den einfacher und maͤßiger, als man ihn in jeder deutſchen Stadt von dieſer Bevoͤlke - rung und Wohlhabenheit, mit dieſer Menge von Adel und Adelsgleichen, und unter einem aͤhnlichen unaufhoͤrlichen Durchzuge von Frem - den, findet. Der hohe Adel hat ſeinen Kor - ſo, ſein Kaſino, ſein Theater, und ſei - ne gelehrten Akademieen, die hier mit als Zeitvertreib angeſchlagen werden muͤſſen. Der Patriciſche Stand und die angeſehenen172 Kaufleute haben daſſelbe, nur das Kaſino ausgenommen. Der gemeine Buͤrger erſcheint auch auf dem Korſo, aber zu Fuße, geht auch in das Theater, aber auf das Parterre, wo er aber nicht ſpielt, ſondern bloß Obſt oder andere Naͤſchereyen ißt, und ein Glas Limo - nade oder Punſch trinkt und nebenher Laͤrm macht. Auch der Poͤbel beſucht ein Schau - ſpiel, und dies iſt bald die Puppenkomoͤdie, bald die dramatiſche Bude, die in der Arena des alten Amphitheaters ſteht. Vergnuͤgun - gen, die jaͤhrlich nur einmal wiederkommen, und woran das ganze Publikum Theil nimmt, ſind das Karneval, das Nockenfeſt, das Pferderennen, die Ochſenhetze,*)Wir haben ſchon eine launigte Beſchreibung von einem veroneſiſchen Stiergefecht im Becker’ſchen Taſchenbuche fuͤr das Jahr 1795. kirchliche Aufzuͤge, der Jahrmarkt und das Wettrennen junger Laͤufer. Alletagszeitvertreib fuͤr den Poͤbel, auch fuͤr173 den geringeren Buͤrger, iſt das Ballſpiel und das Kugelſpiel.

Wie der Korſo in Verona iſt, ſo koͤmmt er in allen, ſelbſt den unbetraͤchtlichſten Staͤd - ten Jtaliens, wenn ſie nur einige Wagen aufbringen koͤnnen, wieder vor. Es iſt be - kanntlich ein trockenes Herumfahren in gewiſ - ſen Straßen, oder vor gewiſſen Thoren, oder auf den Waͤllen, oder am Hafen, je nachdem eine Stadt geraͤumige Straßen, oder andere dazu bequeme Plaͤtze, beſitzt. Das Vergnuͤ - gen ſelbſt iſt inſoferne nuͤchtern, als keine ge - ſellſchaftliche Annaͤherung und Unterhaltung dabey Statt findet; inſoferne aber anziehend, als Maͤnner und Weiber dabey Gelegenheit finden, ihre Pracht in Kleidung, Fuhrwerk und Geſpann, und in einem Gefolge und Vortrabe von Bedienten und Laͤufern zu zei - gen. Da die beſſeren Klaſſen wenig Gele - genheiten haben, ſich fuͤr Geſellſchaften anzu - kleiden, ſo kleiden ſie ſich hier fuͤr das ganze Publikum, und ſie ſind ſicher, von ihren174 Nebenbuhlerinnen und Nebenbuhlern beneidet und von den Fußgaͤngern ausgezeichnet zu werden, wenn ſie in irgend etwas jene uͤber - treffen. Aus dieſem Grunde macht, wie ich ſchon erwaͤhnt habe, manche Familie ihren einzigen Aufwand fuͤr den Korſo und lebt im uͤbrigen ſehr kaͤrglich. Dies iſt in Verona beſonders der Fall, wo man aber auch ſelbſt in dieſem Stuͤcke ſehr philoſophiſch denkt; denn ich erinnere mich, unter einer Zahl von hundert und funfzig Kutſchen, kaum zwey oder drey geſehen zu haben, worin eine Wie - neriſche Hofraͤthin Sonntags nach dem Pra - ter fahren wuͤrde. Auch moͤchte man in Wien ein Gefolge veroneſiſcher Bedienten, wie es oft auf dem Korſo erſcheint, vielleicht fuͤr halbverhungerte Ofenheitzer, beſonders aber die Laͤufer, fuͤr Bettler halten, die der Po - lizey entlaufen wollen. Die Kleidung der ve - roneſiſchen Herren und Frauen ſelbſt habe ich ſchon oben bezeichnet, auch ihre Sparſamkeit und Maͤßigkeit. Die Faͤlle ſind nach Ver -175 haͤltniß ziemlich ſelten, daß ein Wagen nach Endigung des Korſo vor ein Kaffeehaus faͤhrt und ein paar Sorbetti oder ein Glas Limo - nade verbraucht; geſchieht es, ſo kann man annehmen, daß mit dieſer Ausgabe zugleich das Abendeſſen beſtritten iſt.

Die Vergnuͤgungen des Casino della Nobilità und deſſen Sitz, habe ich ſchon vorhin angegeben. Letzterer hat einige gute Zimmer und Saͤle, die zu Baͤllen, Konzerten und zum Spiel eingerichtet ſind. Ein Frem - der, woher er auch komme, muß die verone - ſiſche Geſellſchaftlichkeit ſehr hoͤlzern, matt und langweilig finden. Die Politik iſt uͤber - all vortrefflich, um ſich vor der Langenweile auf eine Zeitlang zu retten; hier aber hat ſie nur wenig Seiten, die eine oͤffentliche Un - terhaltung erlaubten; manche Punkte auch nur hiſtoriſch, ohne alle Anmerkung zu beruͤh - ren, waͤre bedenklich und koͤnnte Auslegungen befuͤrchten laſſen. Deshalb enthaͤlt man ſich dieſes Gegenſtandes in Verona oͤffentlich ganz,176 und von Venedig beſonders hoͤrt man kein Wort, nicht zum Lobe, noch weniger zum Ta - del. So iſt hier auch die Kunſt, uͤber die Leute zu ſprechen, die medisance , bey wei - tem keine ſo ergiebige Huͤlfsquelle fuͤr die Un - terhaltung, als anderwaͤrts. Es iſt hier alles voller Parteyen, die in der Afterregierung des kleinen, noch ſo genannten, Freyſtaats ihren Grund haben. Auf jemand ſticheln, uͤber jemand lachen, jemand mit Verſen und Sinngedichten verfolgen, waͤre zugleich eine politiſche und geſellſchaftliche Kriegserklaͤrung, die nicht mit aͤhnlichen, ſondern mit ernſthaf - ten Waffen erwiedert werden wuͤrde; denn die Veroneſer ſind bey aller Feinheit der Sit - ten, bey aller Bildung durch ſchoͤne Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, und bey aller Artigkeit im Aeußern, dennoch im Rufe der Rachſucht, die indeſſen, unter den hoͤheren Staͤnden we - niger oͤffentlich zum Ausbruch koͤmmt, ſon - dern ſich mehr in Raͤnken, in Kraͤnkungen durch die zweyte Hand und Untergrabungenzeigt.177zeigt. Der gemeine Mann und der Poͤbel hingegen uͤben noch fleißig die Wundaͤrzte in den Krankenhaͤuſern in Heilung der Meſſer - ſtiche; und ein Veroneſer ſelbſt geſtand mir, daß man, ein Jahr in das andere gerechnet, immer noch Acht bis Zehn Geſtochene und Ermordete zaͤhlen koͤnnte. Ehedem aber ſey es doch weit aͤrger geweſen! Es waͤren wohl manches Jahr 150 und 200 geblieben.

Scherzen ſonach die Veroneſer mit oder uͤber einander, ſo hat es etwas Plattes und Kindiſches, und es laͤuft auf Gegenſtaͤnde hin - aus, die nicht leicht beleidigend werden, z. B. auf die Verliebtheit, auf den guten Appetit, auf den genaͤhrten Bauch ꝛc. eines Dritten lauter Dinge, die zugleich den Ton des Pul - cinella erlauben, der hier ſehr ergetzt, aber ſelbſt dem duldſamſten, aufgeweckteſten Frem - den, plump und abgeſchmackt vorzukommen pflegt. Wird der Ton ernſthaft, ſo iſt er ſo pedantiſch, daß ich nicht leicht einer mittelmaͤ - ßigen deutſchen Reichsſtadt einen aͤhnlichenSiebentes Heft. M178nachſagen moͤchte; denn dort bleibt er doch wenigſtens offen und natuͤrlich. Wendet man ſich in Verona an unterrichtete Maͤnner, um eine Unterhaltung anzuknuͤpfen, ſo iſt es nur immer das Fach, das ſie beſchaͤftiget, worin ſie unterhaltungsfaͤhig ſind, und jede Abſchwei - fung von demſelben macht ſie untheilnehmend und ſtumm. Solche Faͤcher ſind in Verona beſonders ſchoͤne Kuͤnſte und Alterthuͤmer, (vorzuͤglich veroneſiſche) ferner Mathematik und Naturgeſchichte. Was aber in den letz - teren ſeit Jahren im Auslande gethan und erfunden iſt, davon wiſſen ſie wenig oder nichts; ſo wie ſie uͤberhaupt in ſogenannten ultramontaniſchen Dingen in einem erſtaunli - chen Grade unwiſſend ſind.

Was man in aͤltern Reiſebeſchreibungen, mehr aber noch in den Romanen des vorigen Jahrhunderts, von dem Geiſt der Galanterie unter den italieniſchen Weibern, beſonders de - nen in Venedig und im Venetianiſchen, lie - ſet, iſt entweder nie in dem Grade wahr ge -179 weſen, oder hat ſich ſo verloren, daß man jetzt auch nicht die entfernteſte Spur mehr davon findet. Dieſer Geiſt verraͤth, wie es ſehr natuͤrlich iſt, ſein Daſeyn bald, wo er herrſcht. Jn den veroneſiſchen Geſellſchaften iſt es wahrlich nicht die beruͤchtigte altfran - zoͤſiſche Decenz, die dem ernſthaften, aͤngſtli - chen und ſtummen Benehmen der Verone - ſerinnen zum Grunde liegt, ſondern wahre, unverſtellte, kleinſtaͤdtiſche Schuͤchternheit und Eingeſchraͤnktheit, und ein erklaͤrter Mangel an Koketterie. Hat man mit einem Weibe uͤber das Theater und den Korſo und ein paar aͤltere italieniſche Dichter ausgeſprochen, ſo hat man uͤber alles mit ihr ausgeſprochen; und von der Kunſt, welche die Franzoͤſinnen, und nach ihnen die Polinnen, am beſten ver - ſtehen, jeden andern Gegenſtand des Wiſſens, des Geſchmacks und des Gefuͤhls, durch zu vernuͤnfteln, oder leicht zu uͤberblicken und da - bey in witzigen Einfaͤllen uͤberzufließen, weiß das zweyte Geſchlecht in Verona nichts. HierM 2180zeigt ſich ihre pedantiſche und beſchraͤnkte Er - ziehung beſonders, und man hat nicht noͤ - thig, es etwa dem eiferſuͤchtigen Auge eines Gemahls, oder der mißguͤnſtigen Wachſamkeit eines Cavaliere servente beyzumeſſen, wenn eine veroneſiſche Dame einem Fremden in der Unterhaltung nicht lange Stich haͤlt, ſondern ihm mit einer gewiſſen Unruhe und Aengſtlichkeit zuhoͤrt und antwortet, und nur immer bedacht iſt, mehrere Zuhoͤrerinnen und Zuhoͤrer anzurufen und herbey zu ziehen.

Einen Reitz, den beſonders in Deutſchland die Geſellſchaften großer Staͤdte gewaͤhren, daß man zugleich eine bluͤhende Jugend um ſich her ſieht, die auch ihrerſeits ſich zu ver - gnuͤgen beſchaͤftigt iſt, vermißt man hier ganz. Nur verheurathete Damen erſcheinen in Ge - ſellſchaften, und unverheurathete junge Maͤn - ner werden erſt geſellſchaftsfaͤhig, wenn ſie großjaͤhrig und aͤmterfaͤhig ſind. Daher eine auffallende Ungleichheit in der Zahl der Wei - ber und Maͤnner, und wiederum in der Zahl181 der juͤngeren und aͤlteren Weiber und Maͤn - ner. Es faͤllt in die Augen, daß der Maͤn - ner mehr ſeyn muͤſſen, als der Weiber, und der aͤlteren Maͤnner und Weiber mehr, als der juͤngeren.

Das Vergnuͤgen des Theaters ſetzt man in Verona noch in etwas anderes, als in den Genuß des Schauſpiels. Man koͤmmt dort - hin, um zu ſehen und geſehen zu werden, um zu ſpielen, um ſeine Freunde zu ſprechen, um mit Geſchaͤftsleuten Geſchaͤfte abzuthun. Nur ein beliebter Auftritt, oder eine beruͤhmte Ariette, lockte die Zuſchauer der beſſern Klaſ - ſen aus den Logenzimmern hervor, und brachte Stille und Aufmerkſamkeit in das Parterre, und Luſt und Anſtrengung unter die Schau - ſpieler ſelbſt; denn dieſe vernachlaͤßigten das Publikum die uͤbrige Zeit auf eine nicht min - der aͤrgerliche Weiſe, als das Publikum ſie vernachlaͤßigte. Sie ſprachen und liebaͤugel - ten ins Orcheſter, plauderten unter einander ſelbſt, traten auch wohl an die Logen auf der182 Buͤhne, und knuͤpften eine foͤrmliche Unter - haltung an. Der handelnde Schauſpieler, war immer der einzige, der ſpielte. Dieſer wechſelſeitige Mangel an Achtung verdirbt alle Vorſtellungen. Bey den Zuſchauern ent - ſteht er aus einer hergebrachten Sitte, im Schauſpielhauſe Dinge zu treiben, die nicht dahin gehoͤren, und dieſe Sitte entſtand wahrſcheinlich aus der Saumſeligkeit und Ar - muth der Theaterunternehmer, die an neue Dekorationen und Schauſpiele nicht dachten, oder nichts darauf verwenden konnten. Man fuͤhrte waͤhrend meiner Anweſenheit eine Operette, la Pianella (der Pantoffel) und nichts, als die Pianella, in dem großen Thea - ter auf, ungeachtet doch nur zwey kleine Arien darin waren, die dem Publikum gefie - len, was ſich daraus ſchließen ließ, daß, ſo - bald ſie vorkamen, der unſaͤgliche Laͤrm im Parterre und das Geraͤuſch in den Logen aufhoͤrte. Dieſe Saͤchelchen mußten drey bis viermal wiederholt werden, und dann war es183 wieder, als ob man ſich auf offener Straße befaͤnde. Die Zuſchauer ſahen keine Buͤhne, und die Schauſpieler kein Parterre und keine Logen mehr. Letztre enthielten ſich auch des Klatſchens und ließen den Poͤbel im Par - terre dafuͤr ſorgen.

Die Schauſpielergeſellſchaft war auch in der That ſo mittelmaͤßig, als die beſte bey ſolch einer Behandlung werden muß. Nur der erſte Saͤnger, die erſte Saͤngerin und der erſte Buffone zeichneten ſich aus, weil ſie die einzigen waren, die bemerkt und beklatſcht wurden. Alle uͤbrigen arbeiteten von Anfang bis zu Ende in den Wind, und ſie lieferten Arbeit danach; indeſſen war ſie immer noch beſſer, als die beſte deutſche unter ſolchen Um - ſtaͤnden ſeyn wuͤrde.

Der Unternehmer dieſer Geſellſchaft un - terhielt noch eine zweyte Buͤhne in der Arena des alten Amphitheaters. Es war eine offene Bude, von Brettern zuſammen geſchlagen, mit ſchlechten Dekorationen, die das Tages -184 licht vollends in ihrer ganzen Armſeligkeit zeigte. Die Vorſtellungen gingen um halb fuͤnf Uhr an und dauerten bis um halb acht, mithin hatte die Sonne Zeit, den ganzen Verlauf des Stuͤckes und die ganze ehrenwer - the Zuſchauerſchaft zu beleuchten. Wie der groͤßeſte Theil derſelben beſchaffen war, kann man ſich ſehr lebhaft denken, wenn man den Umſtand erwaͤgt, daß der Eintritt zum Par - terre fuͤnf Soldi, ſage fuͤnf Soldi (unge - faͤhr 9 deutſche Pfennige) koſtete, und wenn man ſich der Winke erinnern will, die ich oben von dem Aeußeren des gemeinen Man - nes und des Poͤbels von Verona gegeben habe. Jndeſſen belachte und beklatſchte dies Parterre eben das, was ich zu belachen und zu beklatſchen nur dann haͤtte unterlaſſen koͤn - nen, wenn ich haͤtte hochmuͤthig oder eigen - ſinnig ſeyn wollen. Ein gewiſſes Gefuͤhl fuͤr das Laͤcherliche und fuͤr das Schoͤne, war die - ſem veroneſiſchen Poͤbel eben ſo wenig abzu - ſprechen, als ich es ehedem den Pariſer Fiſch -185 weibern und Kohlentraͤgern hatte abſprechen koͤnnen. Das Hauptſtuͤck war ein Trauer - ſpiel, das Nachſpiel eine Goldoniſche Poſſe, mit Arlechino, Pantalone, Kolom - bina und Geſellſchaft, im bekannten Koſtume.

Dieſe Bude hatte aber auch Logen und ſie waren mit Herren vom hohen Adel beſetzt. Der Eintritt dazu koſtete zwanzig Soldi. Aus dem erſten Parterre, das funfzehn Soldi koſtete, ſahen auch Geiſtliche, mit andern rechtlichen Leuten, fleißig durch ihre Glaͤſer nach den Schauſpielerinnen, die uͤbrigens, wie die Schauſpieler, eben dieſelben waren, die in dem großen Theater auftraten. Man ſieht wohl, daß hier die Signoria abermals im Spiel iſt, und daß ſie ihrem unbeſchaͤftig - ten Poͤbel, neben der belobten Freyheit, auch Vergnuͤgungen um einen Spottpreis ver - ſchafft. Charakteriſtiſch iſt es endlich noch, daß die Zoͤglinge der Armen - und Fuͤndlings - Anſtalten in dies Schauſpiel gefuͤhrt werden, wie man ſie in England und Deutſchland186 zum Spatziergange und in die Kirche fuͤhrt. Ein paar Haufen von wenigſtens zwey hun - dert ſolcher Knaben, hatten, mit ihren geiſtli - chen Lehrern an der Spitze, auf den Stufen des alten Amphitheaters, der Bude gegen uͤber, Platz genommen, und klatſchten bey je - der Gelegenheit recht kunſtverſtaͤndig mit. Jch war bey dem Ganzen in der That ein wenig in einer neuen Welt.

Das Nockenfeſt, welches alle Jahre den letzten Freytag vor der Faſten gefeyert wird, wuͤrde mir nicht weniger eine unge - wohnte Welt gezeigt haben, wenn ich es mit eignen Augen geſehen haͤtte. Es muß im aͤußerſten Grade abentheuerlich und poßierlich ſeyn. Zum Gluͤck hat es einer meiner neue - ſten Vorgaͤnger, der Augenzeuge dabey war, ſehr lebhaft beſchrieben. *)S. Herrn von Ayrenhoffs ſaͤmmtliche Werke, 4r. Bd. Wien, 1789. S. 246. Dieſer Band enthaͤlt Briefe uͤber Jtalien, die nicht ſo be - kannt geworden ſind, als ſie vieler, ſehr treffender, Bemerkungen wegen verdienen.Uebrigens ſcheint187 es klar, daß dies Feſt abermals von der Signoria beguͤnſtigt wird, um das Volk bey guter Laune zu erhalten und den Adel ein wenig zu kraͤnken; denn der Podeſta, unmit - telbar als Stellvertreter des Doge, und Pul - cinella, unmittelbar als Stellvertreter des ve - roneſiſchen Volks, haben die Hauptrollen dabey.

Ein oͤffentliches Vergnuͤgen, das jaͤhrlich einigemal den groͤßeſten Theil des veroneſi - ſchen Publikums auf den Platz Bra und in die Neue Straße zieht, iſt das Wettren - nen junger Laͤufer. Da dieſe Bedien - tengattung hier haͤufig gebraucht wird, ſo giebt es auch viel junge Leute, die ſich der Laufkunſt befleißigen und oͤffentlich Proben davon ablegen. Sie thun dies, um bekannt zu werden und deſto eher Dienſte zu bekom - men; und es iſt auch gewiß, daß derjenige, der ſich als der ſtaͤrkſte in ſeiner Kunſt ge - zeigt hat, immer zuerſt verſorgt wird. Solche188 junge Leute, die gemeiniglich aus den gering - ſten Staͤnden, meiſtens aber aus Laͤufer - oder andern Bedienten-Familien ſind, brin - gen ſo viel zuſammen, daß ſie ſich fuͤr einen oͤffentlichen Wettlauf ertraͤglich kleiden koͤnnen, wozu ſich ihrer drey oder vier zu bereden pflegen. Sie ſuchen einen oder mehrere Goͤnner, die eine kleine Summe zuſammen ſchießen, welche als der Preis fuͤr den Sie - ger niedergelegt wird. Der Tag wird anbe - raumt, der Platz beſtimmt. Die Laufbahn erſtreckt ſich gewoͤhnlich von einem gewiſſen Punkt auf dem Platze Bra, bis hinunter nach dem neuen Thore, und ſie moͤchte unge - faͤhr in zwanzig Minuten, mit maͤßig ſchnellen Schritten, zuruͤck gelegt werden koͤnnen. Dieſe Strecke muͤſſen ſie, in Einem Zuge, drey mal hinab und drey mal herauf rennen, und wer zuerſt am Ziel iſt, erhaͤlt den Preis und iſt Sieger.

Diesmal waren der Wettrenner drey. Beyde Seiten der Neuen Straße waren189 bis zum Thore hinunter mit Zuſchauern, und die Fenſter der Haͤuſer, mit Zu - ſchauerinnen beſetzt; eben ſo der Platz Bra. Die jungen Leute fingen mit einem gemaͤßigten Trab an. Da man ihnen nicht folgen kann, ſo ſchließt ſich jedesmal das Getuͤmmel hinter ihnen, und man verliert ſie aus den Augen; kommen ſie aber zuruͤck, ſo finden ſie wieder eine Reihe, durch die ſie hin koͤnnen, weil jeder ſorgſam iſt, ihnen Platz zu machen. Sie kamen, bey dem er - ſten Hin - und Herlauf, noch alle drey in Ei - ner Reihe zuruͤck, und liefen auch in Einer Reihe wieder ab. Kenner um mich her woll - ten bemerkt haben, daß der mittlere den Preis ſicher nicht bekommen wuͤrde, weil die Erhi - tzung ihn blaß gemacht habe, was Mangel an Kraft vorausſetze; daß aber der zur Rech - ten, den der erſte Lauf gar nicht angegriffen wahrſcheinlich der Sieger ſeyn werde.

Sie kamen das zweytemal zuruͤck, und es zeigte ſich ein merklicher Unterſchied. Der190 Mittelſte war um zwey Schritt vorgekom - men, der zur Linken war dem zur Rechten um Einen Schritt vor. Die Kenner um mich her, blieben aber doch ihrer vorigen Meynung. Sie hatten bemerkt, daß der Mittelſte ſeinen Vorſprung mit einer Anſtren - gung erkaufte, die auf dem Punkt war, ihn ganz zu erſchoͤpfen; daß er beym Umkehren beynah uͤber ſeine eigenen Fuͤße gefallen ſey, und daß wahre Todtenblaͤſſe und Todesſchweiß ſein Geſicht uͤberzogen habe. Sie verſicher - ten, daß der zur Linken ſeinen Vorſchritt nicht behaupten wuͤrde, weil er mehrere Mo - mente ſchneller liefe, als der zur Rechten, und doch nur einen Einzigen Schritt vor dieſem voraus habe, der allerdings auch ſehr erhitzt ſey, aber noch unendlich mehr Kraft beſaͤße und ſie zu ſparen verſtaͤnde; was man daran ſehe, daß er noch ſchnurgeradeaus liefe, indeß die andern, beſonders der mittlere, hin und her ſchwankte, und der zur Linken Schul -191 tern und Kopf vorweg hangen ließe, wodurch ſeine ganze Laſt auf die Kniee fiele, und ihm das Laufen um ein Drittel erſchwert wuͤrde.

Jch war ſehr begierig, wie dieſe feinen Bemerkungen eintreffen wuͤrden. Es dauerte nicht lange, ſo ſtieg es von Mund zu Mund herauf, der zur Linken habe den Mittlern uͤberlaufen; gleich nachher: der zur Rechten habe den Mittlern eingeholt; und in dem naͤchſten Augenblick: der Mittlere ſey fuͤr todt niedergefallen. Nun dauerte es ein paar Minuten, ohne daß Nachrichten kamen. End - lich kam die, gerade von der Mitte der Lauf - bahn, daß der zur Linken den Moment des Umkehrens vor dem zur Rechten voraus habe. Alſo etwas mehr als einen Schritt! rief einer meiner Kenner: Der zur Rechten ge - winnt! Jch erkundigte mich, woraus er das ſchloͤſſe? Der zur Linken haͤtte doch noch vor? Ma, V. S. veda! erwie - derte er mit einer Art von Eyfer: Der192 Hinterſte ſtrengt immer zuerſt ſeine letzten Kraͤfte an, der Vorderſte zuletzt; mit dem er - ſten verſtaͤrkten Sprunge iſt der Hinterſte ne - ben dem Vorderſten; mit dem zweyten iſt er ihm vor, denn er iſt im Schwunge und der andre koͤmmt erſt durch den erſten Sprung hinein. Der zur Rechten hatte auch hier oben noch mehr Athem und Kraͤfte, als der zur Linken Sie ſollen ſehen, daß er gewin - nen wird! Nach zwey oder drey Minu - ten ſtellte ſich alles eiligſt in Reih und Glie - der, und die Wettrenner erſchienen, triefend von Schweiß mit Puder vermiſcht, die Bruſt aufgeriſſen, die Struͤmpfe herabgefallen, die Augen wie erſtarrt, den Mund weit offen, der zur Rechten etwas hinkend, weil er einen Schuh verloren hatte, in einer Entfernung von einander, daß der Hintere den Vorderen mit der Hand erreichen konnte. Der zur Linken war der Hintere, der zur Rechten in der That der Vordere, und er erhielt den Preis. Das Volk war ſchreyend und froͤhlichum193um ihn herum. Es erhob ſeinen Sieg nicht wenig, daß er hinkend den Preis gewon - nen, wie ein witziger Kopf aus dem Poͤbel bemerkt hatte. Er ſelbſt fuͤhlte ſeine Erſchoͤ - pfung vor Freude nicht; bey dem Andern rannen die Thraͤnen mit den Schweißtropfen in die Wette. Den Dritten brachte man ohne Bewußtſeyn getragen und legte ihn beym Ziele nieder. Man ſteckte ihm reichlich Almo - ſen in die Taſchen. Um den Andern waren Bekannte und Unbekannte beſchaͤftigt, ihn mit wahrer Theilnehmung zu troͤſten. Der Sieger wurde, nachdem ſein Name und Alter von den Kampfrichtern aufgezeichnet worden, von dem Volk in Triumph abgefuͤhrt.

So ſahe ich noch am letzten Tage meiner Anweſenheit in Verona ein allgemeines Volks - ſchauſpiel, das alle Bedingungen dieſer Spiel - gattung erfuͤllte, tragiſch und komiſch war, und Theilnehmung und Leidenſchaft durch die hoͤchſte Anſtrengung der Naturkraͤfte erregte. Ob es gleich auf das ſehr moderne BeduͤrfnißSiebentes Heft. N194der Lauferkunſt gegruͤndet war, hatte es den - noch viel Antikes, welches nicht bloß daher entſprang, daß Ziel und Preis dem alten Amphitheater gegenuͤber waren. Wetten habe ich uͤbrigens dabey nicht ſehen.

Den 24ſten September, der ein Feyertag war, ging ich von Verona ab. Vor der Stadt begegneten mir Haufen von juͤngern und aͤltern Landleuten, beyderley Geſchlechts, ſehr ſtattlich und ſehr bunt, mit Gold - und Silberband, und mit Zweigen und Blumen aufgeputzt, die Gemuͤſe und Fruͤchte nach der Stadt brachten, durch deren Verkauf ſie ſich wahrſcheinlich dort einen Sonntagsgenuß, oder ſonſt kleine Beduͤrfniſſe, verſchaffen woll - ten. Jch wuͤrde ein Gemaͤlde von ihrer Tracht, die viel Beſonderes hatte, hier mitthei - len, wenn wir nicht ſchon von einem Maler ſelbſt eines beſaͤßen, das wenigſtens ſehr tref -195 fend und lebhaft iſt, wenn auch die Farben feiner gerieben ſeyn koͤnnten. *)S. Maleriſche Reiſe eines deutſchen Kuͤnſtlers nach Rom ꝛc. Wien, 1789 S. 178 fg. Der Verfaſſer, Herr Johann Grund, lebt noch in Rom, und iſt ein ausgezeichneter Kuͤnſtler, welcher der Miniaturmalerey durch An - wendung der Enkauſtik einen hohen Grad von Schoͤnheit zu geben verſteht.

Mein Weg ging auf Mantua, und fuͤhrte gerade in die reizende Ebene hinein, die man von Verona aus ſo oft zu uͤberbli - cken Gelegenheit gehabt hat. Sie iſt, wie ſie ſchien. Zwar ſieht man rechts am Wege we - niger Weinbau und Rebengewinde, deſto fri - ſcher aber ſteht der Maulbeerbaum in unuͤber - ſehlichen Reihen da, deſto ſorgfaͤltiger iſt das Land unter und zwiſchen ihm bearbeitet, deſto heiterer und wohlhabender fallen die einzelnen Haͤuſer der Landleute in die Augen. Das Hornvieh, das einem begegnet, iſt gedrungen und maͤchtig, das Schaf groß und ſeidenartig bekleidet. Selbſt das Schwein iſt hierN 2196zahmer, wohl gar auch kluͤger denn es hat nicht die wilden Hauer und großen Ohren des Polniſchen und Ungariſchen, auch nicht ihre ſtarrenden, dicken Borſten und ihre Groͤße ſondern iſt faſt kahl, klein, lang und rund wie eine Walze, und bald goldgelb, bald ſeinen Sitten angemeſſener boue de Paris. Auch ſind die Wuͤrſte und Schinken, die das Veroneſiſche durch ganz Jtalien und nach Augsburg und Wien ſchickt, nicht minder beruͤhmt, als die Bologneſiſchen.

Man koͤmmt auf einem ſteinigten, nach - laͤßig unterhaltenen, Wege zuerſt nach Villa Franca, einem alten, noch venetianiſchen, Staͤdtchen, mit einem ziemlich weitlaͤuftigen Schloſſe, das queer uͤber den Weg gebauet iſt, mithin urſpruͤnglich als ein Graͤnzbollwerk da ſteht, jetzt aber nur noch als Geſpennſt wirkt. Seine aͤußeren Mauern haben noch große Feſtigkeit, aber die Thuͤrme und Bruſt - wehren ſind theils herunter geſchoſſen, theils in ſich ſelbſt zuſammen geſtuͤrzt. Die be -197 jahrte Anſicht dieſes Staͤdtchens, das nur aus einer einzigen Straße beſteht, und die Truͤmmer des erwaͤhnten Schloſſes, unter deſſen ausgerupften Fluͤgeln es liegt, paſſen vortrefflich zuſammen, und ich nahm beydes fuͤr eine Ruinen-Verzierung auf, die in dem großen Garten, worin ich mich befand, ſey angebracht worden.

Hinter Villa Franca werden Weg und Boden minder ſteinigt. Außer den Maulbeer - baͤumen zeigen ſich wieder Ahorn und Ulmen, mit ihren treuen Begleitern, den Weinſtoͤcken, Mitten unter ihnen erſcheint ein anmuthiges Oertchen, das noch venetianiſch iſt, Maſſe - cane heißt, und faſt ganz aus kleinern und groͤßern Landhaͤuſern beſteht, die im Durch - ſchnitt noch ganz neu ſind und ſaͤmmtlich ve - roneſiſchen Familien gehoͤren. Jedes iſt in einer beſondern Bauart und in einem andern Geſchmack aufgefuͤhrt, und keines iſt darun - ter, das nicht das Auge ſehr angenehm be - friedigte. Fremden Baukuͤnſtlern moͤchte ich198 rathen, dies Staͤdtchen, als eine wahre Ga - lerie von Landſitzen, gezeichnet mitzunehmen, und ſie den Liebhabern in ihrem Vaterlande als eine Muſterkarte zu aͤhnlichen Gebaͤuden vorzulegen. Der Erfindungsgeiſt der Bau - meiſter ſcheint hier in der That in Nettigkeit, Bequemlichkeit, Einfalt und Gefaͤlligkeit ge - wetteifert zu haben, und die meiſten ſeiner hieſigen Werke verdienten als Typen dieſer Gebaͤude - gattung durch Europa aufgeſtellt zu werden.

Roverbella (2 Poſten von Verona) iſt der erſte Ort in der oͤſterreichiſchen Lombar - dey. Er ſticht gegen die venetianiſchen Fle - cken, durch die ich gekommen bin, ſehr zu ſei - nem Vortheil ab. Seine Anſicht iſt heiter und reinlich. Die Haͤuſer ſind von Stein, meiſt ganz neu, und mit Einwohnern beſetzt, die ungleich anſtaͤndiger gekleidet ſind, als ihre Nachbarn, und eine gewiſſe Bildung ver - rathen. Jch ſahe weder Bettler noch andre Taugenichts auf der Straße herum liegen, noch Haufen von muͤßigen Leuten Ball ſpie -199 len, oder Kugeln werfen; mit einem Worte, eine mehr geordnete Verfaſſung kuͤndigte ſich in allen Dingen an. Auch die Mauthbedien - ten begnuͤgten ſich nicht damit, daß ſie mein Gepaͤck von außen anſahen und mir dann ver - ſicherten, ſie waͤren uͤberzeugt, daß ich nichts Verbotenes bey mir fuͤhre; nein, es mußte auf die Mauth gebracht, durchgeſehen und ſonach auch von neuem gepackt werden; frey - lich ein Geſchaͤft, das die Bequemlichkeit ei - nes ehrlichen Reiſers mit ſeiner Liebe zur po - litiſchen Ordnung ein wenig in Reibung bringt, wofuͤr er aber ſogleich den Erſatz darin[findet], daß die Gegenwart eines Poli - zeyſoldaten ihn vor den Zudringlichkeiten hungriger Zoll - und Poſtbeamten und fliegen - artiger Bettler ſichert.

Von Roverbella bis Mantua (1 Poſt) hatte ich wiederum einen gemachten Weg, ſo vortrefflich, wie man ihn im oͤſterreichiſchen Gebiete zu finden gewohnt iſt. Der ſteinigte Boden hatte ſich ſchon vor Roverbella ver -200 loren und, mit einer merklichen Abdachung, auch ein anderes Anſehen gewonnen. Wieſen gruͤnten uͤppig um mich her, niedrige Stellen waren mit Graben durchzogen, kleine Baͤche mit Daͤmmen eingefaßt und mit ſchlanken Pappeln beſetzt. Natur und Menſchen hat - ten ſich vereinigt, um unſerem großen Garten neue reizende Anſichten zu verſchaffen. Die anziehendſte darunter war die von Mantua ſelbſt und der umliegenden Gegend.

Verona lag neben und zum Theil auf An - hoͤhen, und hatte einen ſchoͤnen Fluß in ſei - nem Schooße; hier ſieht man, was recht ſehr zu einem großen Garten gehoͤrt einen weit ausgebreiteten See, der rund herum mit Gehoͤlz umgeben iſt, eine Jnſel in ſeiner Mitte hat, und auf dieſer Jnſel, eine be - traͤchtliche Stadt. Dieſe iſt Mantua ſelbſt! Da ſie ganz flach liegt, ſo bietet ſich nur ein Theil derſelben dem Auge dar, der aber ſehr vortheilhaft auf die uͤbrigen ſchließen laͤßt. Schon von außen erſcheint ſie weit lichter201 und neuer, als Verona. Die Thuͤrme ſind ſtattlicher, die Auſſenwerke, Mauern und Waͤlle hoͤher, und gut unterhalten; der Spie - gel des Sees, von Wieſen und Gehoͤlz um - geben, beleuchtet mit ſeiner Lichtmaſſe den Zugang, und zwey Stroͤme des Sees, die unter zwey Jochen einer großen Bruͤcke rau - ſchend heraus ſtuͤrzen, machen das Ganze durch einen Waſſerfall noch maleriſcher.

Jch fuhr zum Thore della Cittadella , das nach einer Zeichnung von Giulio Ro - mano ausgefuͤhrt iſt, herein, und gelangte uͤber die breite Hauptſtraße der Vorſtadt auf die vorhin erwaͤhnte Bruͤcke, die ein ausge - zeichnetes Werk der Baukunſt von Azzolini iſt, und durch ihre maͤchtigen Bogen, durch ihre Laͤnge, Hoͤhe und Maſſe auffaͤllt. Sie iſt uͤberwoͤlbt und ſchließt zwoͤlf Mahlmuͤhlen, eine Schneidemuͤhle mit drey Saͤgen, und mehrere große Korn - und Mehl-Niederlagen ein.

Jch fuhr in einen Gaſthof, der groͤßer iſt, als der groͤßeſte, den ich je geſehen habe, ich202 meyne das rothe Haus in Frankfurt; der aber in Ruͤckſicht der innern Einrichtung, des Tiſches, der Aufwartung, der Reinlichkeit und der Eleganz dieſem nicht beykommt. Er heißt vorzugsweiſe Albergo Reale , liegt faſt in der Mitte der Stadt und hat die Bequem - lichkeit, daß er zugleich die Poſt einſchließt, die der Fremde jeden Augenblick aus ſeinem Fenſter beſtellen kann. Er beſteht aus einem pallaſtaͤhnlichen Hauſe und aus einem wirkli - chen, daranſtoßenden Pallaſt, der in einem guten Geſchmack, nach Doriſcher und Joni - ſcher Ordnung, erbauet iſt. Beyde Anlagen gehoͤren dem K. K. Staatsrath, Marcheſe Canossa, und ſchließen, drey Geſchoß hoch, zwey große Hoͤfe ein. Jetzt wohnte ich mit einem Englaͤnder in dieſen ungeheuren Gebaͤu - den ganz allein; zur Zeit der Jahrmaͤrkte ſind aber beyde bis auf den letzten Winkel be - ſetzt. Der Grund dieſer Ueberfuͤllung liegt in der Gewohnheit, daß der muͤßige Adel des Landes die Jahrmaͤrkte der umliegenden be -203 traͤchtlichen Staͤdte zum Zeitvertreib beſucht und ſich dann, wie natuͤrlich, in dem glaͤn - zendſten Gaſthofe ausſchließend niederlaͤßt.

Jch hatte die vier und zwanzig ital. Mei - len von Verona bis Mantua, binnen etwas mehr, als vier Stunden, zuruͤck gelegt und konnte den ganzen Nachmittag zur Beſichti - gung des Pallaſtes Te nutzen, der durch den Namen des Giulio Pippi aus Rom (ſonſt ſchlechtweg Julius Romanus ge - nannt) beruͤhmt geworden iſt. Mantua, die Ernaͤhrerin dieſes Kuͤnſtlers, bauet auf ihn, naͤchſt dem Virgil, der ſich durch ſein pri - mus referam tibi, Mantua zu ihrem Sohne macht, ob er gleich in einem benach - barten Dorfe geboren iſt, die Ehrenſtelle, die ſie in der Geſchichte der ſchoͤnen Wiſſenſchaf - ten und Kuͤnſte einnimmt. Sie bewahrt auch in der That mehr von den Werken dieſes Kuͤnſtlers, aus der Malerey und Baukunſt, als Rom, der Ort ſeiner Geburt und ſeiner artiſtiſchen Ausbildung. Beſonders iſt der204 Pallaſt Te, oder The, gemeiniglich T, den er ſelbſt gebauet hat, auch faſt ganz von ihm mit Malereyen verziert.

Man gelangt dahin auf einer geraͤumigen Straße, die theils mit lebendigen Hecken, theils mit Baumpflanzungen eingefaßt iſt, und einen angenehmen Spatzierplatz fuͤr Fah - rende und Fußgaͤnger darbietet, in deſſen Hin - tergrunde der Pallaſt ſich erhebt. Dieſen ſchoͤnen Zugang und eine Menge Ausbeſſerun - gen des Pallaſtes ſelbſt, dankt man dem jetzi - gen Statthalter der oͤſterreichiſchen Lombar - dey, dem Erzherzoge Ferdinand, ohne deſ - ſen Fuͤrſorge er vollends noch durch die Zeit das verloren haben wuͤrde, was ihm der Krieg und der rohe Soldat uͤbrig gelaſſen hat - ten. Zwar ſieht man von der Veroͤdungsluſt des letztern noch Spuren genug, und diejeni - gen, die man uͤbertuͤncht oder uͤbermalt hat, verrathen ſich eben dadurch nicht weniger deut - lich; aber lobenswuͤrdig bleibt dieſe Aufmerk - ſamkeit immer, ſey ſie aus Kunſtliebe, oder205 aus Finanzruͤckſichten entſtanden. Jn Jtalien iſt es naͤmlich auch dem Staate nuͤtzlich, be - ruͤhmte Kunſtwerke zu unterhalten. Bey der Menge von Fremden, die dahin kommen, ma - chen ihre Zehrung und ihre ſonſtigen Beduͤrf - niſſe keinen zu verachtenden Gegenſtand. Man - tua beſonders, das arm an Erwerbsquellen iſt, muß dieſe mit Dank annehmen.

Jch machte dieſe kleine Reiſe mit meinem Hausgenoſſen, dem Englaͤnder, einem jungen Mann, der zwar hier herum Milordo war, aber in Mancheſter oder Hallifax, ſeinen Be - griffen und Kenntniſſen nach zu ſchließen, der Sohn eines ehrlichen Wollen - oder Baum - wollenfabrikanten ſeyn mochte. Wir hatten beyde einen Cicerone in der Taſche und einen hinten auf dem Wagen. Der meinige hieß: Descrizione storica delle Pitture del regio-ducal Palazzo del Te etc. Mantova, 1783; und der ſeinige: Breve descrizione delle Pitture, Sculture ed Architetture, che si osservano nella Città di Mantova206 e ne suoi contorni; fatta stampare nuo - vamente con molte aggiunte, a commodo singolarmente de Forestieri, da Francesco Pagliari, Mantovano, servitore di Piazza; dedicata al merito impareggiabile de piu Illustri Signori Viaggiatori. Mantova, mdcclxxxviii. Der dritte, lebendige, hieß kurzweg Antonio, und war auf die beyden Todten hoͤchſt eiferſuͤchtig, ſobald er ſie er - blickte. Er verſicherte, durch ſolche Geſchreib - ſel wuͤrden die Fremden nur irre gefuͤhrt; ſie kaͤmen von povretti Abbatini , die nicht einen zehnten Theil von dem wuͤßten, was ein ehrlicher Platzbedienter an den Schuhen abgelaufen haͤtte. Mein Englaͤnder verſicherte, ſein Buch ſey von einem Lohnbedienten ſelbſt geſchrieben, der Pagliari heiße und aus Man - tua gebuͤrtig ſey, mithin am beſten Beſcheid wiſſen muͤſſe. Antonio fuhr mit dem Zeige - und Mittelfinger vom Halſe bis zum Kinn herauf und ſagte: V. E. lo prenda al suo servigio! Auch mir ſchien der abge -207 ſchmackte Titel und der, einem Platzlakeyen angemeſſen ſeyn ſollende, Vortrag zu bewei - ſen, daß ein armer Abbate um ein paar Phi - lippsthaler dieſen Scherz gemacht habe. *)Mein Cicerone war in der That beſſer und zu - vertäſſiger. Die genannte Descrizione iſt von Gio - vanni Bottani, Direktor der Malerakademie in Mantua, der Auftrag von dem Erzherzog hatte, an der Ausführung einer Jdee Theil zu nehmen, die dahin ging, die Ueberreſte der Werke des Ju - lius Romanus, die ſich um und in Mantua befin - den, von geſchickten Meiſtern in Kupfer ſtechen zu laſſen. Bottani ſchrieb, und widmete dies kleine Werk dem Erzherzoge und ſeiner Gemahlin, als ei - nen Vorlaͤufer des Größern, das aber nicht erſchie - nen iſt.

Daß die Jtaliener ſelbſt, und nach ihnen die Franzoſen, Englaͤnder und Spanier, im - mer noch glauben, der beruͤhmte Pallaſt des Julius Romanus ſey in der Form eines T gebauet, und habe von dieſem Buchſtaben ſei - nen Namen, kann dieſen Nationen leichter hingehen, als uns Deutſchen, die wir in dem Ruf und im wirklichen Beſitze ſind, auswaͤr - tige Laͤnder und ihre Merkwuͤrdigkeiten ſo208 gut und gruͤndlich und oft weit beſſer zu ken - nen, als unſre eigenen. Jch glaube mir ein kleines Verdienſt zu ſtiften, wenn ich an dem Jrrthum mit dem T etwas ruͤttele, der ſich in allen deutſchen Reiſebeſchreibungen eben ſo gut findet, als in allen engliſchen und franzoͤ - ſiſchen. Damit die Leſer trauen koͤnnen, will ich alles mit den Worten des gedachten Di - rektors der Malerakademie von Mantua be - legen.

Der bewußte Pallaſt iſt nach Doriſcher Ordnung ins Gevierte gebauet*)Questo rinomato Edificio è di forma qua - drangulare, d’ordine dorico etc. etc. Giov. Bottani Descriz. Stor. p. 26. und ſchließt einen geraͤumigen Hof ein. Queer uͤber die - ſen Hof, von dem Fluͤgel, durch den man hineintritt, an, bis zu dem entgegen geſetzten hinuͤber, laͤuft ein bedeckter Gang. Dieſer Gang mußte einer lebhaften Einbildungskraft die Perpendikularlinie, und der Fluͤgel, an den er ſich lehnt, mußte die Transverſalliniedes209des T hergeben, und ſo erhielt der Pallaſt ſeinen Namen.

Aber außer der Unerweislichkeit dieſer Buchſtabengeſtalt*)l’Insussistenza della stessa pretesa configura - tione (cio è del T) etc. ibid. p. 24. die Julius Romanus, der große Kenner und eifrige Nachahmer des Alterthums, in der That in den alten Truͤm - mern zu Rom nicht gefunden haben wird, und die er, wenn er ſie haͤtte finden koͤnnen, nicht nachgeahmt haben wuͤrde iſt beſon - ders zu bemerken, daß der Ort, wo der Pal - laſt ſteht, auf alten Karten unter der Benen - nung The vorkommt, und daß er bis zur Oberherrſchaft der Familie Bonacalsi im drey - zehnten Jahrhundert uͤber Mantua, wie man aus den Statuten der Stadt von der dama - ligen Zeit ſieht, Tejetto iſt genannt wor - den, was die Ueberſchriften eben dieſer Sta - tuten: de dominabus Thayeti de fra - tribus S. Matthaei de Theyeto de cu - stodia Theyeti etc. klar beweiſen**)Ibid. p. 25. annot. DerSiebentes Heft. O210Pallaſt hatte alſo ſeinen Namen von dem Platze, auf welchem er erbauet wurde; dieſer Name wurde im gemeinen Leben bis zu The, zu Te, und endlich bis zu einem T zuſam - men gezogen; und als man zuletzt gar in ſei - ner Geſtalt ſelbſt ein ſolches fand, ſo blieb ihm die Benennung davon ohne Widerſpruch eigen. Wenn es richtig iſt, daß in manchen franzoͤſiſchen Provinzen die Edelleute in aͤltern Zeiten ihren Pallaͤſten die Geſtalt des erſten Buchſtabens in ihrem Familien - oder Vorna - men gaben, ſo hatten diejenigen, die den Mantuaniſchen Pallaſt einem T aͤhnlich fan - den und ihn danach benannten, eine Autori - taͤt, die ſie in dieſem Jrrthume beſtaͤrkte, aber ſie vergaßen, daß der Familienname des Erbauers kein T ſondern ein G (onzaga) und ſein Taufname ein F (riederich) war.

Gewiß iſt, daß es groͤßere und praͤchtigere Pallaͤſte geben kann und wirklich giebt, als dieſer Tepallaſt, aber nach richtigern und ſchoͤ - nern Verhaͤltniſſen erbauete, duͤrfte man wohl211 wenig finden. Er hat nur zwey Geſchoß; ein ganzes, in ruſtiſchem Geſchmack, und ein halbes, das, ohne Fenſterverzierungen, auf dieſes geſetzt iſt. An den Vorderſeiten der Fluͤgel laufen vierzehn und ſechzehn Doriſche Wandpfeiler hin, die von der Unterlage bis zum Kranz hinauf ſteigen und dieſen, der uͤberaus gefaͤllig gezeichnet iſt, und das Dach, emporhalten. Der Geſchmack in dem Gan - zen und deſſen einzelnen Theilen iſt der Be - ſtimmung dieſer Anlage ganz angemeſſen, und athmet eine auffallende Feſtigkeit, Maͤnnlich - keit und Einfalt, die alles, was Schnoͤrkel ſcheinen koͤnnte, ſtandhaft verſchmaͤhet hat; mit einem Worte, Julius brachte in dieſem Pallaſt ein Kunſtwerk hervor, das mit dem Geiſte des Alterthums die neueren Erfindun - gen zur Bequemlichkeit verband und zugleich die Stufe angiebt, welche die Baukunſt und die Malerey zu ſeiner Zeit, unter Mitwirkung ſeines großen Meiſters und ſeiner eigenen und vieler andern gluͤcklichen Geiſter, erſtiegenO 2212hatten. Denn Julius hat auch das Jnnere des Pallaſtes mit ſeinem zweyten Talent, der Malerkunſt, verſchoͤnert.

Wenn es moͤglich waͤre, in dem Falle, daß Ein großer Kopf Zwey oder Drey Kuͤnſte in einem vorzuͤglichen Grade verſteht und aus - uͤbt, genau zu entſcheiden, in welcher von die - ſen Kuͤnſten er vorzuͤglich Meiſter iſt: ſo wuͤrde es bey Julius Romanus gleichwohl ſchwerer, als bey andern aͤhnlichen Kuͤnſtlern werden, zu beſtimmen, ob er ein groͤßerer Maler, oder ein groͤßerer Baumeiſter geweſen ſey. Mir ſcheint er beyde Kuͤnſte in gleich hohem Grade beſeſſen zu haben, und ich fuͤhre zur Beſtaͤtigung meiner Meynung nur die Wahrnehmung an, daß die Baumeiſter und die Maler wechſelſeitig den groͤßeſten Antheil an ſeinem Genie ſich anmaaßen. Die bloßen Theoretiker und Kunſtrichter halten es hierin theils mit den Malern, theils mit den Bau - kuͤnſtlern. Raphael war auch Baumeiſter, aber es iſt ausgemacht, daß er ein groͤßerer213 Maler war; Michel Angelo war Bild - hauer, Maler und Baukuͤnſtler zugleich, alles in einem vorzuͤglichen Grade, aber die Mehr - heit haͤlt ihn, ſeit der Empfaͤngniß des gro - ßen Gedankens, ein Pantheon als Kuppel auf die Peterskirche in Rom zu ſetzen, als Baumeiſter fuͤr groͤßer, denn als Maler und Bildhauer.

Gerade dadurch gewinnt der Pallaſt Te ſo ſehr an Merkwuͤrdigkeit, daß er von den beyden Virtnoſitaͤten ſeines Meiſters anſchau - liche Probeſtuͤcke enthaͤlt. Wie in ſeiner Va - terſtadt kein ſo großes Werk der Baukunſt von ihm vorhanden iſt, als das hieſige, ſo ſind auch die dortigen Ueberbleibſel ſeines Pinſels theils geringer, theils zweifelhafter. Er hat Antheil an manchen Werken Raphaels, die dieſer bloß zeichnete oder anlegte, und Ju - lius mit andern Schuͤlern deſſelben ausmalte; und man zeigt in den Stanze und in der Farnesina zu Rom, Figuren und ganze Gruppen, welche die Ueberlieferung dem Ju -214 lius zuſchreibt. Aber außerdem, daß ſolche Nachrichten nicht als zuverlaͤßig verbuͤrgt wer - den koͤnnen, bleibt auch das Vorurtheil gegen ihn, daß die Erfindung, das Hauptſtuͤck des Genies, an dieſen Werken nicht von ihm ſey. Von dieſem Vorwurf erſcheint er in den Ar - beiten des Pallaſtes Te ganz frey, und was von ihm ſelbſt noch darin vorhanden iſt, giebt einen ganz reinen Stoff zur ſichern Be - urtheilung ſeines Geiſtes und ſeiner Talente als Maler, oder wenigſtens als Zeichner, wenn man ſich der Unbilde wegen, welche Zeit und Menſchen ſeinen Farben zugefuͤgt ha - ben,*)Sie ſind nämlich theils muthwillig verwiſcht, theils unangenehm nachgeröthet. lieber nicht auf ſeine Kunſt in der Farbengebung einlaſſen will. Auch iſt be - kannt, daß viele ſeiner Zeichnungen nicht von ihm, ſondern von ſeinen Schuͤlern, Prima - ticcio und Johann Briziano von Mantua, gefaͤrbt, und daß ſelbſt dieſe in ganz neueren Zeiten theils von dem Direktor215 Bottani ſelbſt, theils unter ſeinen Augen, ſind nach - und uͤbermalt worden.

Die noch von Julius in dieſem Pallaſt vorhandenen und erhaltenen Malereyen ſind von verſchiedenem Werth und Umfange. Viele erheben ſich wenig uͤber gewoͤhnliche me - chaniſche Zimmerverzierungen und beſtehen in Medaillons, Basreliefs und andern kleinern Erfindungen, woran beſonders die oben ge - nannten Schuͤler des Julius, Antheil gehabt haben; andere tragen aber ſo unverkennbar den Charakter ihres Meiſters, daß dieſer auf den erſten Blick hervorſpringt. Eine gewiſſe Kuͤhnheit und Groͤße in der Zeichnung, eine ganz antike Wendung in den Figuren und in dem Schlage der Gewaͤnder, und eine große Einſicht in Zuſammenſtellung der einzelnen Gruppen und in Anordnung des Ganzen; mit einem Worte, die anerkannten Vorzuͤge des Julius, als Malers, treten hier ſtaͤrker und reichlicher hervor, als in allen uͤbrigen Werken, die ſich von ihm erhalten haben. 216Ohne mich in eine umſtaͤndliche Beſchreibung der vorzuͤglichſten hieſigen einzulaſſen, iſt es fuͤr meinen Zweck hinlaͤnglich, nach den oben - ſtehenden Bemerkungen, ſie nur noch fuͤr meine reiſenden Landsleute namentlich zu be - zeichnen. Das erſte und vorzuͤglichſte iſt der Sturz der Giganten, der das ſogenannte Rieſenzimmer einnimmt; das zweyte der Fall Phaͤtons vom Sonnenwagen; das dritte Poliphem; das vierte Pſy - chens Geſchichte mit Amor; das fuͤnfte Mars, Venus und Adonis; und das ſechſte endlich, Caͤſar, von ſeinen Likto - ren umgeben, der Buͤcher verbren - nen laͤßt. Jch kann nicht entſcheiden, ob dies der wirkliche Gegenſtand dieſes Gemaͤldes ſeyn mag. Wenigſtens geben ihn die Reiſe - beſchreiber ſo an und der Direktor Bottani widerſpricht ihnen nicht. Wenn ich die uͤbri - gen zahlreichen Freskomalereyen, die als Ar - beiten des Julius nicht zu verkennen ſind, hier uͤbergehe, ſo habe ich oben den Grund217 davon angegeben. Man wird ſie aber alle ohne Ausnahme mit großem Genuß ſelbſt ſe - hen und uͤberall die Spuren von dem Geiſte ihres Urhebers wiederfinden.

Mir war der Nachmittag faſt zu kurz ge - worden, um alles zu ſehen, aber mein Reiſe - gefaͤhrt hatte nicht voͤllig drey Viertelſtunden dazu gebraucht. Der Pallaſt war ihm zu klein, zu raͤucherig und zu unanſehnlich, und nur der Umſtand, den ich ihm aus meinem Cicerone zum beſten gab daß er Stu - terey und Marſtall geweſen ſey, ehe ihn Ju - lius umſchuf ſchien ihm in ſeinen Augen etwas mehr Merkwuͤrdigkeit zu geben. So ſuchte er auch unter den Gemaͤlden beſonders die Thierſtuͤcke, und in dieſen wiederum, die Pferde auf, uͤber deren Bau und Stel - lung er dem Julius viel Einwendungen machte, die bey weitem nicht ſo gegruͤndet waren, als diejenigen ſeyn wuͤrden, die Kenner des Schoͤ - nen dem engliſchen Zeichner machen moͤchten, der einen ſpitzkoͤpfigen Englaͤnder, mit hervor -218 ſtehenden Huͤften und abgehauenem Schweife, als Muſter einer ſchoͤnen Pferdegeſtalt dar - ſtellen wollte. Da er nach engliſcher Sitte, einen Pferdeknecht und drey Reitpferde aus Old-England bey ſich hatte, ſo brauchte er nicht wegen des Wagens auf mich zu war - ten, ſondern konnte ſein comfortable zu Hauſe ſuchen, wo ich ihn auch des Abends, bis aufs Hemde ausgezogen, hinter einer Flaſche Rheinwein und einer Schuͤſſel vor - trefflichen Obſtes, auf dem Kanapee wieder - fand. Jn dieſer behaglichen Lage war er auch nicht zu bewegen, mit in das Theater zu gehen, ungeachtet eines der beſſern Stuͤcke von Goldoni (die gewandte Frau, la Moglie saggia) gegeben wurde, und das Schauſpielhaus ſelbſt, als ein gutes Werk der Baukunſt von Franz Bibbiena geſehen zu werden verdiente.

Das Jnnere von Mantua iſt weit geraͤu - miger und lichter, als das von Verona. Die Straßen ſind breit und groͤßeſtentheils gerade;219 die Haͤuſer ſind weit neuer und haben nicht den altmodiſchen Putz von Altanen, Balkonen und Galerien. Jhre Hoͤhe iſt gewoͤhnlich drey bis vier Geſchoß, und wenn in ihrer Mitte nicht ſo viel Pallaͤſte vorkommen, als in Verona, ſo ſind ſie doch laͤnger und min - der roſtig. Einige darunter, z. B. die Pal - laͤſte Colloredo, Valenti, Sordi, d’Arco, Cavriani, Gonzaga, Arri - vabene, Andreaſi u. a. zeichnen ſich durch gute Bauart im Aeußern, und im Jnnern durch manche artiſtiſche und gelehrte Vorraͤthe aus. Der erſtre iſt nach einer Zeichnung von Julius Romanus ausgefuͤhrt. Sein eigenes Haus, das er ſelbſt in ziemlich barockem Ge - ſchmack angab und bauete, iſt auch noch vor - handen, ſo wie einige oͤffentliche Anlagen, z. B. die Fleiſch - und Fiſchbaͤnke und der Stall fuͤr die reitende Leibwache, die von ſeiner Zeichnung ſind. Die Stadt Mantua dankt ihm uͤberhaupt viel in Ruͤckſicht ihres Grundes und ihrer Zierde. Der Herzog220 Friedrich brauchte ihn bey Ausfuͤllung der ſumpfigten Stellen, bey Erhoͤhung des Bo - dens und bey Herſtellung der Haͤuſer, die durch Ueberſchwemmungen gelitten hatten; und niemand durfte ein neues Haus bauen, der ſich nicht bey ihm gemeldet und ſeinen Rath und Plan daruͤber vernommen haͤtte. Eben dieſer Herzog ernannte ihn, kurz vor ſeinem Tode, zum Aufſeher des Waſſer - und Haͤuſerbaues, und er blieb bis an ſein Ende mit den Pflichten dieſer Stelle beſchaͤftiget.

Verona hat unter allen ſeinen Kirchen keine aufzuweiſen, die als Werk der Baukunſt ſolch einen Genuß gewaͤhrte, als die hieſige Domkirche, die nach einer Zeichnung von Julius aufgefuͤhrt iſt. Schon das Portal derſelben kuͤndigt ſelbſt dem Auge des Layen das Werk des Meiſters an, und das Jnnere, auf vier Reihen praͤchtiger Saͤulen geſtuͤtzt, vollendet den vortheilhafteſten Eindruck. Man tadelt, daß das Ganze fuͤr ſeine Laͤnge zu breit ſey und vergißt dabey, daß es von einem221 eifrigen Nachahmer der Alten entworfen wurde, die ihre Tempel uͤberhaupt breiter machten, da wir die unſrigen mehr in die Laͤnge hal - ten. Waͤre es billig, Werke, deren meiſte Theile vollkommen ſind, der wenigſten wegen, die Fehler haben, zu tadeln, ſo koͤnnte man ſagen, daß die Saͤulen fuͤr die Hoͤhe der Schiffe, die ſie tragen, zu ſchwerfaͤllig ſind, und daß das Ganze nicht Licht genug hat. Kenner werden aber auch dieſen beyden Vor - wuͤrfen dadurch begegnen, daß die Alten ihre Saͤulen ſtaͤrker machten, als wir Neueren, durch die ſchlankern Pfeiler der deutſchen Bau - kunſt verwoͤhnt, ſie zu ſehen gewohnt ſind, und daß ſie mit Fleiß ein gewiſſes feyerliches Dunkel in ihren Gotteshaͤuſern herrſchen lie - ßen. Gegen die Verhaͤltniſſe der Kuppel moͤchte ſchwerlich das eigenſinnigſte architekto - niſche Auge etwas einwenden.

Jn dieſem Dom iſt eine Seitenkapelle, zwar groͤßer und praͤchtiger, aber ſicher nicht ſchoͤner, als die Kapelle Pellegrini in Verona. 222Jhre Verzierungen paſſen wohl fuͤr eine Schaubuͤhne, aber nicht fuͤr ein Bethaus; ſie ſind bunter, als die bunteſten in der unten zu erwaͤhnenden Andreas-Kirche, und uͤberall ſo mit hellblau, hellroth, hellgruͤn, hellgelb und, zu allem Ueberfluß noch, mit Gold uͤberladen, daß das Auge geblendet wird und ſich bald geſaͤttigt wegwendet. Dieſe Zierrathen ſind ſicher nicht im Geiſte des Baumeiſters ausgefuͤhrt. Man ſieht auch ei - nige gute Gemaͤlde in dieſer Kirche: eine Be - rufung des Petrus und Andreas zum Apoſtolat, von Julius; eine Verſuchung des heil. Antonius von Paul von Verona; und die Anſetzung eines abgehackten Pferde - fußes durch das bloße Zeichen des Kreutzes, von Guercino di Cento.

Dem Dom gegenuͤber, auf dem ſogenann - ten Waffenplatze, ſteht der alte herzog - liche Pallaſt, der ſehr roſtig in die Augen faͤllt und nur noch durch einige Anlagen und Malereyen des Julius Romanus merkwuͤrdig223 bleibt. Das Hauptgeſchoß iſt, wie ſich das an weit neueren Pallaͤſten in Jtalien ſo haͤufig findet, mit Brettern vernagelt. Unter mehre - ren Hoͤfen, die er einſchließt, iſt nur Einer etwas erneuert worden, weil die Zimmer der Erzherzogin Maria von Eſte, Gemalin des jetzigen Statthalters der oͤſterreichiſchen Lombardey, die zuweilen hieher koͤmmt, nach demſelben hinaus gehen. Sonſt iſt er ſehr weitlaͤuftig; aber ganze Reihen Zimmer ſind entweder gar nicht, oder ſehr armſelig oder altmodiſch, aufgeputzt. Auch hier zeigt man mehrere Werke von Julius Romanus und von ſeinen Schuͤlern. Der ſogenannte Saal der Zeichen hat ein Deckenſtuͤck von ſeiner Hand: die Zeichen des Thierkreiſes, in rieſenhafter Form. Der Trojaniſche Saal, mit der Darſtellung einiger Begebenheiten aus dem Trojaniſchen Kriege, iſt ebenfalls ſein Werk; ſo wie die ſogenannte alte Gale - rie, die er gebauet hat, die aber weiter keine artiſtiſche Merkwuͤrdigkeiten einſchließt. Auch224 die Decke der großen Galerie iſt von ihm und ſeinen Schuͤlern gemalt. Jn einem an - dern großen, aber veralteten und raͤucherigen Saal, hangen ſechs große Gemaͤlde, die ihn ganz ausfuͤllen und von Bruſaſorzi ſeyn ſollen. Vier davon ſtellen Momente aus der Fabel vom Sturze des Phaͤton vor, das fuͤnfte Deukalion und Pyrrha, das ſechſte die Giganten, die Zevs in den Abgrund ſchleudert. Noch ſind einige Zimmer voll Niederlaͤndiſcher Tapeten da, die nach Zeichnungen von Raphael gearbeitet ſeyn ſol - len. Guercino di Cento, Bruſaſorzi und Pri - maticcio haben auch einige Gemaͤlde hieher geliefert. Noch iſt ein kleiner hangender Gar - ten, mit einem Portikus von einer Doppel - reihe toskaniſcher Marmorſaͤulen, nach einer Zeichnung von Palladio, wie man ſagt, da, und des Sehens werth.

Eine Kirche, wie die Andreaskirche, hat Verona ebenfalls nicht aufzuweiſen. Jhr Baumeiſter iſt Leon Battiſta Alberti,ein225ein aͤlterer, vorzuͤglicher Baumeiſter, der die Alten fleißig ſtudierte und nachahmte; das Jnnere ſeines Werkes iſt indeſſen durch das, was man neuere Verbeſſerungen nennt, gro - ßentheils verdorben worden,*)Milizia, Memorie degli Architetti etc. Tom. I. p. 232. beſonders durch eine Kuppel, die ein neuerer Baumeiſter, Philipp Giovara, darauf geſtuͤlpt hat. Dieſe iſt fuͤr ihren Durchmeſſer zu hoch, wo - durch ſie den Fehler bekoͤmmt, daß ſie gleich - ſam zuckerhutaͤhnlich ſich nach oben zuzuſpitzen ſcheint. Das Schiff ſelbſt, ein Ueberbleibſel des alten Plans, iſt geraͤumig, und leicht ge - woͤlbt, obwohl, wie das ganze Jnnere, mit unuͤberſehlichen, neuern, gemalten Schnoͤrkeln uͤberladen. Die meiſten darin befindlichen Gemaͤlde haben denſelben Fehler der Buntheit und ſind, nicht vor langer Zeit, wie mir der herumfuͤhrende Vater Franciskaner mit Ge - wicht ſagte, von der Mantuaniſchen Schule gemalt, woraus er mir auch einigeSiebentes Heft. P226Namen mit eben ſo viel Gewicht nannte. Jch hoͤrte ſie zum erſtenmal nennen. Viel - leicht werden ſie einmal beruͤhmt, wenn ſie ſterben, oder wenn ſie erſt noch laͤnger todt ſind. Jetzt ſchienen mir ihre Arbeiten noch mittelmaͤßig.

Jch hatte den Einfall, die Kuppel dieſer Kirche beſteigen zu wollen, um die Stadt zu uͤberſehen. Man gab mir einen Chorknaben zur Begleitung, und es fiel mir ſehr auf, daß er ſich dazu mit einem Lichte verſehen hatte. Wir brauchten es aber ſehr noͤthig. Jch hatte hier abermals einen Beweis von dem ganz eigenen Charakterzuge der Jtaliener, daß ſie ſo fruͤh als moͤglich, wenn auch nicht lange und nicht recht, genießen wollen. Hier hatte man nur geeilt, dasjenige an der neuen Kuppel fertig zu haben, was von außen in die Augen faͤllt; an die Vollendung des Jn - nern hatte man nicht gedacht und es duͤrfte nun wohl, ſo lange die Kirche ſteht, ſo blei - ben, wie ich es fand.

227

Mein Fuͤhrer kroch, mit ſeinem Licht - ſtumpen, den er in freyer Hand hielt, durch eine niedrige Thuͤre voran. Sie fuͤhrte zu einer Treppe, oder vielmehr zu etwas, das eine Treppe werden ſollte; denn, o Grauſen und Entſetzen! anſtatt Stufen zu finden, ſah ich einen Haufen von Schaͤdeln, Armen und Beinen vor mir, die mein Fuͤhrer ohne Scheu und Gewiſſen bekletterte und zwar mit ſo viel Uebereilung, daß ſeine kleine Perſon mit fuͤnf oder ſechs Koͤpfen und mit einer verhaͤltniß - maͤßigen Anzahl von Beinen und Armen mir vor die Fuͤße rollte. Jch half ihm wieder auf, und folgte ihm dann getreulich uͤber die ſeltſame Treppe von Knochen, freylich nicht ohne Kopfſchuͤtteln, als ich, auf Erkundigung, vernahm, daß ſie ſeit Gruͤndung der Kuppel dalaͤgen, und zwar recht bequem, weil doch ſehr ſelten jemand dahin kaͤme, als etwa ein Inglése oder Tedesco curioso.

Nach einer Weile gelangten wir zu einer wirklichen Treppe, die ſich ſchneckenartig undP 2228ſehr enge hinauf wand, aber bald wieder auf - hoͤrte. Ein paarmal mußte ich unter ſchon geſtuͤtzten Wetterdaͤchern hinweg kriechen, auf denen die Ziegel nur weitlaͤuftig lagen; ein paarmal mußte ich uͤber dieſe lockern Ziegel ſelbſt mit wirklicher Gefahr auf Haͤnden und Fuͤßen hinweg klettern. Dies alles war nur auf Unterdeſſen da, aber es wird noch nach funfzig Jahren, von Reiſenden, die mir dieſe finſtre und beſchwerliche Reiſe nachthun, eben ſo gewiß dort faulend gefunden werden, als die Todtenknochen.

Endlich gelangte ich an das Dach der Kuppel, um welche ein ziemlich ſchmaler Gang ohne Gelaͤnder laͤuft. Hier wurde ich allerdings fuͤr meine Muͤhe reichlich belohnt. Die Ausſicht von da herab iſt ſo ſchoͤn, als irgend eine um und in Verona; und da Mantua ſchon tiefer in der Ebene liegt, ſo hat man auch die Alpen, die in einem Halb - cirkel ſie im Hintergrunde umſchließen, ſchon beſtimmter und uͤberſehbarer vor ſich. Das229 Auge umſpannt mehrere Meilen in die Runde. Der See, worin Mantua liegt, tritt, von Weſten her, in einem ſchoͤnen Spiegel, der von Pappeln, Maulbeerbaͤumen und Cypreſ - ſen beſchattet wird, auf ſie zu, und ſtreckt zwey Arme um ſie her aus. Die Stadt ſelbſt hat man zu ſeinen Fuͤßen und ſie er - ſcheint faſt ſo groß als Verona, nur iſt ihre Geſtalt mehr rund. Auch der große Fluß fehlt ihr, der Verona verſchoͤnert, und die Bruͤcken daruͤber und die gruͤnen, mit Cypreſ - ſen und Weingaͤrten beſetzten, Terraſſen. Zwar geht ein Arm des Mincio durch ſie hin, aber er iſt ſehr ſchmal, und von den ſechs Bruͤcken, welche die Theile der Stadt, die er trennt, wieder verbinden, bemerkt man nichts.

Mantua hat, fuͤr ſeine Groͤße, eine auf - fallend geringe Bevoͤlkerung. Noch in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts, ſoll ſie gegen 50,000 Einwohner gehabt haben, und dazu waͤre ſie noch geraͤumig genug;230 aber ſie hatte und hat noch jetzt mehrere po - litiſche und phyſiſche Feinde, die ſie zu Grunde richteten und jetzt noch fortdaurend ihr Auf - kommen verhindern. Ehedem beſaß ſie einen Hof innerhalb ihrer Mauern, der Kuͤnſte, Wiſſenſchaften und Manufakturen beguͤnſtigte und dadurch ein mannigfaches Verkehr ver - anlaßte. Um dieſen her lebte ein zahlreicher, wohlhabender Adel. Dieſer verſchwand, bis auf wenige alte, im Lande ſelbſt ganz beſitz - liche, Haͤuſer, mit dem ehemals regierenden Hauſe der Gonzaga. *)Nachrichten von dem letzten Zweige dieſes Hauſes findet man in den letzten ſechs Stuͤcken des Ge - nius der Zeit. Jahrgang 1795.Zwey verheerende Eroberungen vertrieben noch andre Familien, die, um ihr Geld zu verzehren, andre Zu - fluchtsoͤrter aufſuchten, welche nicht bey jeder Jrrung, woran das Haus Oeſterreich Antheil hatte, kriegeriſchen Anlaͤufen ausgeſetzt waren. Der Manufakturunternehmer und Handels - mann waͤhlt aus eben dem Grunde ſolche231 Plaͤtze nicht zu Niederlagen ſeines Vermoͤgens und zu Werkſtaͤtten ſeines Erfindungsgeiſtes und Fleißes; ſelbſt der mechaniſche Arbeiter ſcheuet dergleichen, aus Furcht vor Unterbre - chungen, die ihm mit ſeiner Arbeit zugleich ſein Brod rauben. Das in Oeſterreich ſeit - dem ſo oft veraͤnderte, und mit jeder neuen Veraͤnderung druͤckender gewordene, Mauth - ſyſtem, kann einer Stadt, die in Handel und Manufakturen zuruͤck gekommen iſt, auch nicht aufhelfen, noch weniger ein Verkehr zu ihr zuruͤck fuͤhren, das einmal einen andern und freyern Zug genommen hat. Dazu koͤmmt, daß die Stadt, ihrer moraſtigen Lage wegen, mehrere Monate jaͤhrlich an einer ungeſunden Luft leidet, die Anſiedelungen un - moͤglich macht, weil Fremden die Folgen da - von fuͤrchterlicher ſcheinen und in der That ſind, als Einheimiſchen. Aus dieſen Urſachen ſind alle die Anſtalten, die Maria Thereſia, Firmian, und Joſeph der Zweyte zur Auf - nahme von Mantua trafen, nur zum Theil232 wirkſam geworden; und wenn dieſe Stadt jetzt mehr Einwohner zaͤhlt, als zu Keyß - lers Zeiten, der (wie auch nach ihm Volk - mann und Buͤſching) ihren Beſtand nur zu 10,000 Seelen berechnet; ſo enthaͤlt ſie doch auch nicht 20,000 Menſchen, wie de Luca und nach ihm Jaͤger angeben. Ein unterrichteter Mann, der in andern Dingen nichts uͤbertrieb, die ich ſelbſt unterſuchen konnte, ſetzte die Seelenzahl auf dreyzehn bis vierzehn tauſend. Nur der Kern der Stadt beweiſt durch eine groͤßere Lebhaf - tigkeit, daß ſie dieſe Anzahl enthalten kann. Da er den Markt einſchließt, ſo zeigen ſich auf den dahin fuͤhrenden Straßen die Ein - wohner am haͤufigſten. Die entferntern aber ſind menſchenleerer, als in Verona, und man ſieht da ſtellenweiſe fuͤnf bis ſechs Haͤuſer ne - ben einander verſchloſſen ſtehen, und an den Seiten hohes Gras zwiſchen dem Pflaſter hervorwachſen. Hier und da bemerkt man eine offene Thuͤr, oder einen Kopf in einem233 Fenſter, oder im Erdgeſchoſſe einen armen Schuſter, oder einen Schneider, oder eine Obſthoͤkerin oder Schwefelholzhaͤndlerin. Ein oder ein paar zarthufige Eſelchen trippeln, anſtatt aller Wagen, an den Seiten hin.

Uebrigens bekenne ich, daß mich an dieſe Stadt nichts mehr feſſeln konnte, nachdem ich ihre artiſtiſchen und literariſchen Merkwuͤrdig - keiten*)Was dieſe betrifft, ſo verweiſe ich auf Volkmann (3. Theil, S. 777 fg. ) und auf Don Andres (Bd. 1. S. 339 fg.). Letzterer wohnt ſeit einigen Jahren hier, aber er war, zu meinem Bedauern, gerade auf dem Lande. geſehen hatte. Es war jetzt weder eine Societaͤt hier, noch hatte ich irgend ein Geſchaͤft oder eine Liebhaberey, welche die leeren Stunden auch nur eines einzigen Ta - ges haͤtten ausfuͤllen koͤnnen. Jch reiſte alſo ſchon den andern Morgen (den 25. Sept.) gegen 11 Uhr ab.

Um Vier Uhr Nachmittags war ich ſchon in Kremona. Jch hatte waͤhrend dieſer234 fuͤnf Stunden eine Strecke Weges zuruͤck ge - legt, die, nach dem Meilenzeiger der Extra - poſt, 6 Stationen oder 12 deutſche und 48 ital. Meilen betragen ſollte. Man erraͤth, daß dieſe außerordentliche Schnelligkeit ihre guten Gruͤnde haben mußte. Es waren ihrer zwey: der ſchoͤnſte Weg, den man ſich denken kann, und das kuͤrzeſte Meilenmaaß, das ir - gendwo uͤblich und billig iſt.

Die Landſchaft, durch die man faͤhrt, bleibt der Gegend vor und um Mantua gleich: Alleen von Baͤumen, Felder dazwi - ſchen, und Gewinde von Reben, mit dem ganzen Reichthum eines gluͤcklichen Jahres prangend. So dauert es fort, bis man ſich dem maylaͤndiſchen Gebiete naͤhert, wo der Maulbeerbaum einzelner wird, dafuͤr aber die ſchoͤnſten Pappeln ſich erheben, die ihrerſeits fruchtbare Reisfelder einſchließen und den vor - treflichen Straßendamm zu einer wahren Gartenallee machen. Da er ſtundenlang nach der Schnur gezogen iſt; da er, wenn er ſich235 auch einigemal zur Rechten oder zur Linken wendet, ſogleich wieder in eben ſo gerader Richtung fortlaͤuft; da ſich dort, wo er ſolche Winkel bildet, immer ein Staͤdtchen, oder ein Flecken, oder ein ſchoͤnes Poſthaus befindet, das ſolche unabſehliche Alleen beherrſcht: ſo tritt hier abermals das Bild eines Gartens hervor, deſſen Baumgaͤnge im Hintergrunde mit gemalten Ausſichten auf Staͤdte und Land - ſchaften verziert ſind. Der letzte Theil des Weges gewaͤhrt die Ausſicht auf Kremona ſelbſt. Der beruͤhmte, einzeln da ſtehende, Thurm dieſer Stadt, ihre Domkirche und ein paar andre ſtattliche Thuͤrme, beſchraͤnken hier den Ausgang des angenehmen Weges und zeigen dem Reiſenden zugleich das Ziel ſeiner Tagereiſe.

Die Oerter zwiſchen Mantua und Kre - mona, wo man die Pferde wechſelt, ſind theils Staͤdtchen oder Flecken ohne große Be - deutung, theils einzelne Poſthaͤuſer. Nach der neueſten Einrichtung ſind es Castelluccio236 (1 Poſt), Bozzola (1 ½ P.), S. Lorenzo (1 ½ P.), Cigognola (¾ P.). Von da bis Kremona iſt noch Eine Poſt.

Weil dieſe Stadt in einer voͤlligen Flaͤche liegt, und das Auge uͤberdies von den Baͤu - men an der Straße beſchraͤnkt wird, ſo zeigt es ſich von außen her nur einem kleinen Theile nach; koͤmmt man aber hinein, ſo ſieht man, indem Straßen und Plaͤtze ſich vor einem ausdehnen, daß ſie nicht zu der Gattung der kleinen Staͤdte gehoͤrt, worin die meiſten Reiſebeſchreiber ohne naͤhere Be - ſtimmung ſie geſetzt haben. Sie ſcheint we - nig kleiner, als Mantua, und iſt ein wahres Seitenſtuͤck zu dieſer Stadt. Jhre Haͤuſer find von derſelben Bauart, ihre Straßen von gleicher Breite, hier und da eben ſo mit Gras bewachſen, eben ſo menſchenleer. Wie das Calendario di Cremona, per l’anno 1794 dennoch eine Einwohnerzahl von 25,652 fuͤr dieſe Stadt hat herausbringen koͤnnen, wuͤrde ich nicht begreifen, wenn es ſich nicht237 bey dieſer Nachricht der wunderlichen Worte bediente un anno con l'altro ein Jahr in das andre gerechnet. Wer weiß nun, welche Jahre einer ſtaͤrkern[Bevoͤl - kerung] dieſer feine politiſche Rechner ange - nommen hat, um ſie mit den Jahren einer ſchwaͤchern Volksmenge zu vergleichen und jene Mittelzahl zu beſtimmen? Eben dies Ca - lendario giebt weiterhin die Anzahl der Buͤr - gerhaͤuſer zu 2470 an; viele davon ſtehen, wie in Mantua, leer. Rechnet man der ſchlechten Bewohnung wegen Sechs Menſchen auf ein Haus, ſo bringt man etwas mehr, als die Volksmenge von Mantua, naͤmlich etwas uͤber 14,000 Menſchen heraus. Nimmt man aber dazu noch die Beſatzung, die zu meiner Zeit nicht uͤber zwey hundert Mann ſtark war und die Bewohner der Freyhaͤuſer, geiſtlichen Stifter, Kloͤſter, Hoſpitaͤler, Armen - und Waiſenhaͤuſer, ſo kann man dieſe Zahl allenfalls bis auf 17,000 ſteigern, die hoͤchſte, die man annehmen koͤnnte. Buͤſching zaͤhlt238 fuͤr das Jahr 1773 uͤber 26,000; ich weiß aber nicht, nach welchen Angaben. Vermuth - lich nach irgend einem aͤhnlichen Calenda - rio , von welchem ſich auch de Luca und Jaͤger bey Berechnung der Volksmenge von Mantua wahrſcheinlich fuͤhren ließen.

Der erwerbende Stand, der gemeine Mann, und ſelbſt der Poͤbel, erſcheinen hier in ihrem Aeußern bey weitem nicht ſo armſe - lig, unordentlich und zerlumpt, als in Verona. Bettelnde Tagediebe und beduͤrftige Bettler ſieht man faſt gar nicht. Man hoͤrt weniger Laͤrm, ſieht weniger Ungezogenheiten; mit ei - nem Worte, man bemerkt bald, daß eine Po - lizey vorhanden iſt, die wagen darf, zu han - deln, weil die Regierung nicht noͤthig hat, zu fuͤrchten.

Dieſer Abſtich gegen das Venetianiſche zeigt ſich in den kaiſerlichen Orten zuerſt in den Thoren. Zu Mantua forderte der Mauth - ner nicht geradezu ein Trinkgeld, ſondern machte nur die Miene, als ob er ein kleines239 Geſchenk erwartete; der venetianiſche in Ve - rona aber ſtreckte vor allen Dingen zuerſt die Hand aus. Der kaiſerliche Poſtknecht war mit ſeinem Trinkgelde zufrieden und dankte hoͤflich; der venetianiſche erpreßte das ſeinige erſt doppelt, bettelte nachher noch um eine mancia und druͤckte, wenn er ſie erhalten hatte, den Hut ohne Dank trotzig in die Augen. Vor den Thoren der kaiſerlichen Staͤdte tritt einem ein alter beſcheidener und hoͤflicher Unterofficier entgegen und thut die noͤthigen Fragen; aus den Thoren der vene - tianiſchen ſpringt ein lumpigter, ſchmutziger, verdorrter Kerl mit Habichtsaugen hervor, fragt, und ſchreibt vor Gier nach der man - cia nichts recht auf. Jſt man dieſem aus den Krallen, ſo faͤllt man unter die Bettler, die einen mit graͤßlichem Geſchrey bis nach dem Wirthshauſe verfolgen; wogegen eben dieſe Leute, die ſich in Mantua und Kremona nur einzeln zeigen, ſehr ſchuͤchtern und be - ſcheiden bleiben und, nach einer abſchlaͤgigen240 Antwort, nicht laͤnger uͤberlaͤſtig ſind. Auch die Leute in ſchwarzen Roͤcken ſind in den letztern Staͤdten nicht ſo zahlreich, als in Verona, weil Joſeph der Zweyte auch hier, wie in ſeinen deutſchen Staaten, unter ihnen aufgeraͤumt hat.

Der hieſige Adel iſt, mit dem buͤrgerlichen Stande verglichen, auffallend zahlreich. Edel - leute vom Degen findet man wenig unter demſelben, deſto mehr von der Feder. Dies liegt in der Verfaſſung der Stadt, die ſie noch großentheils von den Zeiten her bey - behalten hat, wo ſie unter Venedig, unter Mayland und unter der Herrſchaft einheimi - ſcher Familien ſtand. Die Regierung der Stadt; die Aemter in den mannigfaltigen Dikaſterien des geſammten Gebiets; die Auf - ſicht uͤber oͤffentliche wohlthaͤtige und Handels - Anſtalten; die Pfruͤnden bey den Stifftern; die Stellen der Proͤpſte und Erzprieſter in den Kloͤſtern; der Sachwalter und der An - walde bey den Gerichtshoͤfen alles iſt inden241den Haͤnden gewiſſer patriotiſcher Familien, die wiederum in gewiſſe Klaſſen und Kolle - gien oder Zuͤnfte abgetheilt ſind, welche ihre Graͤnzen eiferſuͤchtig bewachen, im geſelligen Leben aber ein Ganzes und ziemlich lebhaftes, genießendes Publikum bilden. Jhre Stellen und Namen fuͤllen mit Abkuͤrzungen ſehr eng gedruckt, zwanzig Blaͤtter aus: einen Raum, den das ganze Perſonale der Staatsbeamten von Churſachſen kaum einnehmen moͤchte. Viele dieſer Stellen ſind allerdings nur Eh - renſtellen, viele bringen nur kleine Zuſchuͤſſe fuͤr ſolche ein, die eigenes Vermoͤgen haben; die ergiebigſten aber an Ehre, Einfluß und Geld, in der Stadregierung, in der Kirche und im Rechte, ſind auch darunter und wer - den, zur immerwaͤhrenden Darniederhaltung des Buͤrgerſtandes, von dieſen patriciſchen Familien, unter denen es nicht an Conti , Marchesi , Ciambellani di S.M.J.R.A. fehlt, die zugleich Dottori Giurisconsulti ſind, ausſchließend beſeſſen. Dieſen, ſo wieSiebentes Heft. Q242den Kloͤſtern und milden Stiftungen, gehoͤ - ren denn auch die Haͤuſer in der Stadt und die Grundſtuͤcke in dem Gebiete von Kremona. Buͤrger und Bauer ſind hier, wie in dem groͤßeſten Theile von Jtalien, nichts weiter als (erſtere) Miethsleute des Adels, der Pa - trizier und der Geiſtlichkeit in den Staͤdten, und (letztre) Knechte oder hoͤchſtens kleine Pachter derſelben Staͤnde auf dem Lande.

Wer alſo die Società di Cremona bil - det, darf ich nicht erſt ſagen. Sie iſt hier in der That ſo zahlreich, wie in Verona, aber lebhafter und belebter, als dort. Man bemerkt in derſelben einen gewiſſen deutſch - franzoͤſiſchen Geſellſchaftston, der mehr Hei - terkeit und mehr Umfang in die Unterhaltun - gen bringt, und Privatbekanntſchaften beguͤn - ſtigt, die ſich auch auf Beſuche in den Fami - lien und Haͤuſern ausdehnen duͤrfen. Von Wien uͤber Mayland war auch die Tugend der Gaſtfreyheit hieher verpflanzt worden, jetzt aber klagen ſelbſt Eingeborne, daß ſie,243 des verheerenden Luxus und der immer mehr ſteigenden Theure wegen, mit jedem Jahre ſichtbarer ſich vermindern. Kremona hat uͤbrigens ſeinen Korſo, ſein Adeliches Kaſino und ſeine Opern und Koncerte. Das weib - liche Geſchlecht iſt hier nicht ſo ſchoͤn, als in Verona, aber mit mehr Geſchmack gekleidet und geiſtreicher.

Dagegen iſt dieſe Stadt ungleich aͤrmer an Merkwuͤrdigkeiten des Alterthums (von dieſen hat ſie keine einzige aufzuweiſen), der Litteratur und der Kunſt, als Verona und Mantua. Sie beſitzt aber aus den mittlern Zeiten ein Werk der Baukunſt, das leicht alle alte Ueberbleibſel dieſer Kunſt in Verona (das Amphitheater, wie ſich von ſelbſt ver - ſteht, ausgenommen) aufwiegt. Es iſt die Domkirche, ein altes Gebaͤude, das zu den ehrfurchterweckenden im altdeutſchen Geſchmacke gehoͤrt. Jhre Vorderſeite iſt ungemein hei - ter, und ſie erhaͤlt beſonders durch eine Reihe von ſchlanken Saͤulen, die durch ihre MitteQ 2244hinlaͤuft, ein Anſehen von Leichtigkeit und Kuͤhnheit, die das Auge ſehr angenehm be - ſchaͤftigen und die Erwartungen des Beſchauers auf das Jnnere ſpannen. Dieſes iſt auch ſo kuͤhn und edel, wie ich es noch bey keiner ih - rer Schweſtern, deren ich manche geſehen, angetroffen habe. Das Saͤulenwerk iſt rie - ſenhaft in Abſicht ſeiner Dicke und Hoͤhe, aber keineswegs ſchwerfaͤllig in Vergleichung des Umfangs und des Gewichts der drey Schiffe, die es empor traͤgt und ſeit Jahr - hunderten unerſchuͤttert aufrecht erhaͤlt. Dieſe Saͤulen ſind von lauter Marmorquadern zu - ſammen geſetzt.

Mehrere Malereyen von guten und vor - treflichen Meiſtern, von Tizian, Correg - gio, Paul von Verona u. a. hangen in den Kapellen dieſer Kirche und vor und uͤber ihren Altaͤren; ſie haben aber meiſt alle durch die Zeit ſehr gelitten und werden durch die hinzu kommende Dunkelheit dieſes Tempels dem Auge faſt ganz entzogen.

245

Links vom Hochaltar findet man eine neuere kleine Kapelle, die ſehr zierlich und geſchmackvoll, und von einem roͤmiſchen Bau - meiſter angegeben, aber auch, wie die bey Mantua erwaͤhnte, mit bunten Farben, Ver - goldungen und Schnoͤrkeleyen uͤberladen iſt.

Jch beſtieg auch den oben erwaͤhnten ein - zelnen Thurm, der nur ſechs oder acht Schritt von der Domkirche entfernt ſteht, um der Anſicht der Stadt und ihrer Gegenden in ih - rem ganzen Umfange zu genießen. Die Kre - moneſer halten ihn mit fuͤr den hoͤchſten in der Welt und ich laſſe ihnen willig dieſe Freude; aber der Wahrheit zur Steuer muß ich anfuͤhren, daß ich nur 500 Stufen, jede kaum einen halben Fuß hoch, zu ſteigen hatte. Er iſt, bis zu ſeinem erſten Gelaͤnder, von lauter Backſtein, von jenem dunkelrothen und feſten erbauet, den man in jenen Zeiten ſo fein, ſo leicht und ſo genau auf einander, man moͤchte ſagen, zu kuͤtten nicht zu mauern, verſtand, daß das Ganze ſich wie ein geſtreifter246 Marmorpfeiler, aus einem einzigen ungeheu - ren Block gehauen, ſich ausnimmt. Und, in der That, man erblickt noch jetzt keinen aus - gefallenen oder ausgewitterten Stein daran. Oberhalb des erwaͤhnten erſten Gelaͤnders, hat man dieſen Thurm in neuern Zeiten noch mit zwey andern und mit einer Spitze erhoͤhet; eine Arbeit, wobey der neuere Baumeiſter das Vorbild von Einfalt und Kuͤhnheit bey wei - tem nicht erreicht hat, das ihm der Baumei - ſter des alten Werks auf eine ſo unverkenn - bare Art vorgelegt hatte.

Unmittelbar unter dem erſten Gelaͤnder befindet ſich der Glockenſtuhl, welcher, der Liebhaberey der Alten gemaͤß, ſieben große, wohlklingende Glocken enthielt. Der Thuͤr - mer, mein Fuͤhrer, noͤthigte mich mit auffal - lender Heiterkeit unter die Balken, woran ſie hingen, hinein, und ließ mich auf einem hoͤl - zernen Stuhl Platz nehmen, unter der An - kuͤndigung: er wolle mir etwas zeigen, daß ich noch nie geſehen haben muͤßte. Zugleich247 lehnte er ſich an einen Balken, den Glocken gegenuͤber, ordnete einige Seile, die von ih - ren Kloͤppeln herab hingen, gab eins davon einem Buben in die Hand, und fing nun an, mit Haͤnden und Fuͤßen angeſtrengt zu arbei - ten, und dem Knaben mit dem Kopfe zu win - ken, wenn er die ſiebente Glocke anſchlagen ſollte; worauf denn ein gewiſſes Tongemenge erfolgte, das er una bella arietta nannte und die er weit ſpaͤter muͤde wurde zu ſpielen als ich, zu hoͤren. Es that mir leid, daß ich ſeine Emſigkeit unterbrechen mußte, weil ich gern auf das oberſte Gelaͤnder des Thur - mes wollte, um die Gegend zu uͤberſehen. Gerade, als er die zweyte Ariette anfing, ſtand ich auf und ſtieg hoͤher, und er gab mir, auf gut Jtalieniſch, mit klaren Worten zu vernehmen, daß es ihn verdroͤße und daß ich der erſte Fremde ſey, der ſich aus ſeiner Erfindung nichts mache. Er war mit ſeiner Beſchwerde leicht zu verſtehen. Zuvoͤrderſt war ſeine Eigenliebe beleidigt, daß ich gegen248 ſeine Erfindung kalt blieb; da aber dieſe Ei - telkeit, ſo auffallend ſtark ſie auch bey dem gemeinen Mann in Jtalien iſt, doch der Habſucht untergeordnet bleibt, ſo aͤrgerte ihn der Umſtand beſonders, daß ich nicht wenig - ſtens drey Arietten angehoͤrt, weil er dann drey Arietten bezahlt bekommen haͤtte. Hier ſchloß er von ſeinen Landsleuten auf mich. Wenn kein Jtaliener etwas umſonſt erhaͤlt, ſo giebt er auch nie etwas fuͤr nichts. Je mehr er Dienſte verlangt, je mehr er an - nimmt, deſto mehr, weiß er ſchon, muß er bezahlen; aber er giebt keinen Soldo aus Großmuth, ſo wie ſeine Landsleute keinen Finger fuͤr ihn aus Großmuth ausſtrecken. Wir Deutſchen ſtehen gegen einander noch nicht in dieſer kargen Abrechnung. Wir geben noch oft fuͤr Nichts Geſchenke, und fuͤr wirk - liche Dienſte, Nichts. Jch war Willens, meinem Thuͤrmer ſeine einzige Ariette ſo gut zu bezahlen, als ob er mir zehn geſpielt haͤtte, weil ich glaubte, ihm ein Pflaſter auf ſeine249 verwundete Eigenliebe ſchuldig zu ſeyn; aber er wußte dies nicht, wuͤrde ſich auch fuͤr ei - nen Thoren gehalten haben, wenn er es er - wartet haͤtte; mithin war er muͤrriſch, un - freundlich, verdroſſen, und beantwortete mir faſt keine Frage mehr. Artige und hoͤfliche Worte halfen nicht, wie ſie bey dem italieni - ſchen gemeinen Mann nie helfen, der ſie ſo - gar oft fuͤr Spott aufnimmt, wenn ihn et - was innerlich aͤrgert oder verdrießt. Erſt un - ten an der letzten Stufe ſeines Thurms ſoͤhnte er ſich, und dafuͤr deſto geſchwinder, mit mir aus, als er ſah, daß ſein Trinkgeld ſo aus - fiel, als ob er ein halbes Dutzend Arietten mehr geſpielt haͤtte. Jch gab ihm auch noch ein Lob uͤber ſein muſikaliſches Genie, und nun war er recht aufrichtig wie in den Him - mel verzuͤckt.

Uebrigens iſt die Ausſicht von dieſem Thurme weitſchichtiger, als die ich geſtern von der Andreaskuppel in Mantua hatte, aber ſchoͤner iſt ſie nicht, weil die umliegende250 Landſchaft ganz dieſelbe bleibt. Zwar geht der Po, der maͤchtigſte Fluß in Jtalien, ne - ben Kremona hin, und windet ſich durch ſchoͤne Auen und Felder, blickt auch von wei - tem noch in einzelnen Spiegeln flimmernd durch das ſchwaͤrzere Gruͤn der Baͤume her; das aber vergeſſen, was ein großer Fluß vor einem See voraus hat, thut der letztre um Mantua keine ſchlechtere Wirkung auf das Auge, und in weit groͤßeren Partieen.

Nahe bey dem Dom ſteht noch ein Ueber - bleibſel altdeutſcher Baukunſt von betraͤcht - lichem Umfange. Es iſt ein Battisterio , eine Taufkapelle, dergleichen bloß zum Behufe dieſer Handlung in den mittlern Zei - ten errichtet wurden, und deren ich in Parma, Piſa, Florenz und Rom wieder finden werde. Die hieſige iſt von Backſtein im Achteck er - richtet, und geſchmackvoll genug, fuͤr die da - malige Zeit. Der Taufſtein, der, von Altaͤren und ein paar alten Freskogemaͤlden umgeben, in ihrer Mitte ſteht, und eine anſehnliche251 Groͤße hat, ſetzt ſeine Merkwuͤrdigkeit nicht in eine ſchoͤne Form, ſondern in den Umſtand, daß er aus einem einzigen Block von verone - fiſchen Marmor gehauen iſt; ein Vorzug, auf den wir jetzt keinen hohen Werth mehr legen. Sein Verfertiger war ein mittelmaͤßiger Steinhauer.

Jn einigen andern Kirchen finden ſich noch Gemaͤlde von guten Meiſtern, z. B. bey den Auguſtinern, Dominikanern und in der Peterskirche. Fuͤr die ſchoͤnen Kuͤnſte hat Kremona keine oͤffentliche Anſtalt; fuͤr die Wiſſenſchaften aber ein Koͤnigliches Gym - naſium (ſo heißt jetzt die ehemalige, herun - tergekommene Univerſitaͤt) von ganz gewoͤhn - lichem Schlage, das wenig beſucht wird. Auch Normalſchulen, nach Art der oͤſterreichiſchen, ſind drey oder vier vorhanden.

Nach einem zweytaͤgigen angenehmen Auf - enthalt in Kremona, ging ich den 28. Sep - tember weiter nach Mayland. Der Weg wird auf einmal ſandig und deutet auf einen252 Umſatz des Bodens, der auch bald ſichtbarer wird. Ueberall, wo ſich am Wege Anbruͤche zum Straßenbau fanden, da zeigte ſich eine Lage von Dammerde, die zwey bis drey Schuh hoch, und ſehr reichlich mit Sand und Letten gemiſcht war; und unter dieſen waren Schich - ten von Steingeſchieben gelagert, von derſel - ben Art, wie in der Gegend um Muͤnchen. An der Landſchaft ſelbſt bemerkte ich nicht die geringſte Veraͤnderung in Ruͤckſicht ihrer Fruchtbarkeit, aber wohl ihres aͤußeren Anſe - hens. Die Maulbeeralleen verwandelten ſich in Weiden - und Pappel-Alleen, und der Weinbau ſtreckenweiſe ganz in Reisbau. Die wohlhabende Anſicht der einzelnen Haͤuſer, der Doͤrfer, Flecken und Staͤdtchen wird immer allgemeiner. Faſt auf jedem Poſtlaufe koͤmmt man durch drey oder vier derſelben, und man uͤberzeugt ſich allmaͤhlig, daß man ſich hier wohl in einem der volkreichſten und nahrhaf - teſten Theile von Jtalien befinden moͤge. Man koͤmmt uͤber Acquanera (1 P.), uͤber Piz -253 zighettone (1 P.), uͤber Zorlesko oder Ca - sal Pusturlengo (1 ¼ P.), uͤber Lodi (1 P.), uͤber Marignano (1 ¼ P.), auf Mayland (1 ½ P.). Lodi iſt eine der niedlichſten Staͤdte, die mir auf dieſer Reiſe vorgekommen ſind; ſie hat gerade, breite, reinliche, menſchenreiche Straßen; artige, zwey - und dreyſtoͤckige Haͤu - ſer; ein vortreffliches Pflaſter; mit einem Worte, ein Aeußeres, welches das wahre Bild der Wohlhabenheit aufſtellt.

Die Notitz iſt ſchon ziemlich alt, daß der beruͤhmte Parmeſaniſche Kaͤſe im Lode - ſaniſchen verfertigt wird, und alle aͤltere und neuere Erd - und Reiſebeſchreiber haben ſie, mit einem faſt laͤcherlichen Wetteifer, zum Unterricht ihrer Landsleute verzeichnet; den - noch iſt ſie (wie beruhigend fuͤr dieſe Erd - und Reiſebeſchreiber, beſonders fuͤr den juͤngſten!) noch nicht bis zu den deutſchen Kaͤſekraͤmern gedrungen, was geſchehen ſeyn wuͤrde, wenn wir mit unſern Arbeiten ſchon ſo herunter waͤren, wie die Verfaſſer der Ritterromane. 254Aber die Zeit wird auch kommen, wo das Ge - biet von Lodi wegen der Ungerechtigkeit, die man zu Ehren des Gebiets von Parma, aus lauter Unwiſſenheit, an ihm begeht, geraͤcht werden wird; und jetzt ſchon ſollte, wenig - ſtens der deutſche Gelehrte, der einen Schnitt Lodeſankaͤſe und einen Roͤmer Rheinwein bezahlen kann, und nebenher in den Wiſſen - ſchaften Richtigkeit und Gerechtigkeit liebt, ſich des obigen wahren Namens fuͤr denſelben bedienen, um wenigſtens den Ruhm zu be - haupten, daß er ihn eher gewußt habe, als z. B. die Wieneriſchen Kasſtecher.

Von Lodi faͤhrt man uͤber Marignano, einem Flecken, auf einer vortrefflichen, noch einmal ſo breiten Straße, als gewoͤhnlich, nach Mayland hinein. Jch war von Kremona bis dahin nur Acht Stunden gefahren, unge - achtet der Weg fuͤr dreyzehn deutſche Meilen, oder zwey und funfzig italieniſche, gerechnet und bezahlt wird. Dieſe Meilen ſind aber wiederum ungewoͤhnlich kurz; der Weg iſt255 außerordentlich gut; der Pferdewechſel dauert nie uͤber fuͤnf Minuten; und ein hieſiger Poſt - knecht wuͤrde es fuͤr eine Schande halten, ſeine Roſſe auch nur einmal aus dem raſcheſten Trabe kommen zu laſſen.

Da die Straße auch hier ſchnurgerade gezo - gen iſt, ſo ſieht man Mayland lange vor ſich, ehe man hinein koͤmmt. Der Thurm des be - ruͤhmten Doms, oder vielmehr die Spitze (ai - guille) deſſelben, ragt uͤber die anderen Thuͤrme nicht majeſtaͤtiſch aber hoͤchſt jugendlich und anmuthig hervor, und ihre blendende Weiſſe, und ihr durchbrochener, gleichſam in die Luft zerfließender, zarter Bau, gewaͤhrt dem Auge einen hoͤchſt angenehmen Genuß. Jhr Bau - meiſter hat in der That weniger gefuͤrchtet, ſie zu mager, als zu plump zu machen.

Beym Eintritt in die Stadt hatte ich eine lange, breite, aber nicht durch aus gerade, Straße vor mir, die ich eine Strecke hin noch nicht ge - pflaſtert fand, an deren Seiten aber der dazu noͤthige Bauſtoff ſchon bereit lag. Die Haͤuſer256 auf derſelben gaben zwar nicht den glaͤnzendſten Anblick, denn ſie waren meiſt nur zwey Geſchoß hoch, und das zweyte Geſchoß hatte gewoͤhnlich nur Fenſteroͤffnungen mit eiſernen Staͤben durch - zogen und Laden davor, oder mit Rahmen, die ſtatt glaͤſerner Scheiben papierne hatten; indeſ - ſen war keins verfallen oder ſehr veraltet. Ge - gen das Ende der Straße wurden die Haͤuſer immer groͤßer, hoͤher und ſchoͤner, und es zeig - ten ſich Pallaͤſte zwiſchen ihnen; ich kam aber bald von der vortheilhaften Erwartung, die mir dies fuͤr die folgenden Theile der Stadt erweckte, zuruͤck, als ich mich gleich darauf wieder in eine enge, krumme und finſtre Straße hinein druͤcken mußte, auf die lauter aͤhnliche folgten. Jch ſahe mich endlich ganz von ihnen verſchlungen und fand den Ausgang dieſes Labyrinths nicht eher, als auf dem Platze S. Sepolcro, vor dem Gaſthof zum Maltheſerkreutze.

About this transcription

TextNeue Reise durch Italien
Author Friedrich Schulz
Extent267 images; 35221 tokens; 7805 types; 250104 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationNeue Reise durch Italien Erster Band, Erstes Heft Friedrich Schulz. . [2] Bl., 256 S. ViewegBerlin1797. (Die \"Neue Reise durch Italien\" ist auch erschienen als 7. Heft der \"Reise eines Livländers von Riga nach Warschau, durch Südpreußen, über Breslau [...] nach Bozen in Tyrol\". )

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Reiseliteratur; Belletristik; Reiseliteratur; core; ready; china

Editorial statement

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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ImprintBerlin 2019-12-09T17:34:45Z
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ShelfmarkSBB-PK, Rm8170-1,1
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