PRIMS Full-text transcription (HTML)
die ſchönſten Sagen des klaſſiſchen Alterthums.
Zweiter Theil.
Mit einem Titelbilde.
[I]
Die ſchönſten Sagen des klaſſiſchen Alterthums.
Nach ſeinen Dichtern und Erzählern
Zweiter Theil.
Mit einem Titelbilde.
Stuttgart.Verlag von S. G. Lieſching.1839.
[II][III][IV]
[figure]
[V]
Die Sagen Troja's von ſeiner Erbauung bis zu ſeinem Untergang.
Nach den Dichtern und Erzählern der Alten
Mit einem Titelbilde.
Stuttgart. Verlag von S. G. Lieſching. 1839.
[VI][VII]

Vorwort.

Auf den erſten Band dieſer Sammlung der ſchönſten Sagen des klaſſiſchen Alterthums, der eine Mannigfaltigkeit kleinerer Mythen und Geſchichten in ſich ſchloß, folgt in gegenwärtigem zweiten Bande eine einzige Sage, aber die großartigſte der alten Zeit, die Sage von Troja, und zwar von der Stadt Grün¬ dung bis zu ihrem Untergange, mithin in einer Vollſtändigkeit, wie ſie als Erzählung aus den Quellen noch nie in dieſer Geſtalt zuſammengefaßt worden iſt. Der Bearbeiter wünſcht und hofft, daß das Ganze, auf dieſe Weiſe überſchaulich gemacht, nicht nur der Jugend neu und intereſſant erſcheinen, ſondern auch manchem ältern Leſer der Ilias als eine im Geiſte dieſes unſterblichen Gedichts wenigſtens verſuchte Vervollſtändigung nicht unwillkommenVIII ſeyn werde. Um ſo mehr hat er die Pflicht, ſich darüber auszu¬ weiſen, daß jene Ergänzung von ihm nicht willkührlich, ſondern mit gewiſſenhafter Benützung der Alten ſelbſt, deren Quelle ihrer¬ ſeits die epiſchen Darſtellungen einzelner cykliſchen Dichter waren, vorgenommen worden iſt.

Im erſten Viertel des vorliegenden Bandes mußte ſich der Verfaſſer für den Strom der Erzählung mit den trübe fließenden Quellen jener rhetoriſchen Machwerke behelfen, die wir, aus ſpäteſter Zeit, unter den Namen des Dictys Cretenſis, und des Dares Phrygius beſitzen. Doch bildet ihr Bericht, aus welchem immer das mit Homer am leichteſten Vereinbare herausgeſucht wurde, nur das hiſtoriſche Grundgewebe oder die Kette der Bege¬ benheiten, während die berühmteſten Dichter des griechiſchen und römiſchen Alterthums, Sophokles, Euripides, Horaz, Ovid u. A. den farbenreichen Einſchlag ihrer Phantaſie zu dem Geſpinſte beiſteuerten.

Den Kern der Sage bildet ſodann die Ilias Homers, welchem der Erzähler auch für die beiden andern Theile dieſes Bandes den allgemeinen Ton der Darſtellung abzulauſchen, und deſſen Färbung er in demjenigen Theile, in welchem er der ein¬ zige Berichterſtatter iſt, ſo unverkümmert, als es in ungebundener Rede und doch dabei zuſammengedrängtem Vortrage geſchehenIX konnte, beizubehalten ſich beſtrebt hat. Die Homeriſche Geſchichte der Ilias bildet auf ſolche Weiſe faſt die Hälfte des zweiten Bandes. Täuſcht den Verfaſſer dieſes Buches ſeine Hoffnung nicht, ſo iſt die innere Geſtalt der unverderblichſten Dichtung auch unter Aufopferung der poetiſchen Form nicht verloren gegangen, und ihr Götterleib ſchimmert noch durch das prunkloſe Gewand der ſchlichteſten Proſa hindurch.

Das letzte Viertel des Bandes iſt wieder mehreren Dichtern entnommen: Pindar, Sophokles, Virgil ſind wiederholt berückſich¬ tigt worden; doch iſt hier der Darſteller ſo glücklich geweſen, in der Fortſetzung Homers durch den Dichter Quintus, deſſen weiterer Name, Vaterland und Zeitalter in eine ungerechte Ver¬ geſſenheit oder Unſicherheit gehüllt ſind, und den nur die Gelehr¬ ſamkeit bald Calaber, bald Smyrnäus benannt hat, eine ächt poetiſche Grundlage, und Stoff wie Form zu fortlaufender Erzäh¬ lung vorzufinden. Die Paralipomenen dieſes Poeten ſind ein klaſſiſches Kunſtwerk und werden hoffentlich in ihrer Schönheit und Größe, gleich den Schöpfungen anderer Dichter, durch die treffliche metriſche Ueberſetzung des Herrn Profeſſors Platz in Wertheim, der das Publikum in der Sammlung verdeutſchter Klaſſiker entgegenſehen darf, ſich bald die Anerkennung aller Freunde ächter Poeſie gewinnen. Der künſtleriſchen UebertragungX jenes Gedichtes, welche der Erzähler dieſer Sagen im Manu¬ ſkripte zu benützen Gelegenheit gehabt hat, verdankt ſeine Dar¬ ſtellung an Farbe und lebendigem Ausdrucke nicht wenig, und der genannte Gelehrte möge den öffentlichen Dank, welcher ihm hier dargebracht wird, nicht verſchmähen.

Was die allgemeinen Grundſätze betrifft, nach welchen auch der gegenwärtige Sagenkreis vom Verfaſſer in der Erzählung behandelt worden iſt, ſo ſind ſie dieſelben, die bei Abfaſſung des erſten Bandes befolgt worden ſind; und der Bearbeiter freut ſich, daß ihre Anwendung den Beifall billiger und einſichtiger Richter erlangt hat.

G. Schwab.

[XI]

Inhalts-Ueberſicht.

Erſtes Buch.
  • Seite
  • Troja's Erbauung3.
  • Priamus, Hekuba und Paris7.
  • Der Raub der Helena12.
  • Die Griechen19.
  • Botſchaft der Griechen an Priamus25.
  • Agamemnon und Iphigenia29.
  • Abfahrt der Griechen. Ausſetzung des Philoktetes46.
  • Die Griechen in Myſien. Telephus47.
  • Paris zurückgekehrt53.
  • Die Griechen vor Troja55.
XII
Zweites Buch.
  • Seite
  • Ausbruch des Kampfes. Proteſilaus. Cygnus65.
  • Palamedes und ſein Tod71.
  • Thaten des Achilles und Ajax73.
  • Polydorus77.
  • Chryſes, Apollo und der Zorn des Achilles84.
  • Verſuchung des Volkes durch Agamemnon93.
  • Paris und Menelaus100.
Drittes Buch.
  • Pandarus113.
  • Die Schlacht. Diomedes118.
  • Glaukus und Diomedes135.
  • Hektor in Troja137.
  • Hektor und Ajax im Zweikampfe143.
  • Waffenſtillſtand149.
  • Sieg der Trojaner153.
  • Botſchaft der Griechen an Achilles160.
  • Dolon und Rheſus164.
  • Zweite Niederlage der Griechen172.
  • Kampf um die Mauer182.
  • Kampf um die Schiffe188.
  • XIII
  • Seite
  • Die Griechen von Poſeidon geſtärkt198.
  • Hektor von Apollo gekräftigt204.
  • Tod des Patroklus215.
  • Jammer des Achilles237.
Viertes Buch.
  • Achilles neu bewaffnet245.
  • Achilles und Agamemnon verſöhnt252.
  • Schlacht der Götter und Menſchen259.
  • Kampf des Achilles mit dem Stromgotte Skamander267.
  • Schlacht der Götter273.
  • Achilles und Hektor vor den Thoren277.
  • Der Tod Hektors282.
  • Leichenfeier des Patroklus289.
  • Priamus bei Achilles300.
  • Hektors Leichnam in Troja312.
  • Pentheſilléa316.
  • Memnon332.
  • Der Tod des Achilles342.
  • Leichenſpiele des Achilles349.
XIV
Fünftes Buch.
  • Seite
  • Der Tod des großen Ajax359.
  • Machaon und Podalirius369.
  • Neoptolemus375.
  • Philoktetes auf Lemnos384.
  • Der Tod des Paris392.
  • Sturm auf Troja398.
  • Das hölzerne Pferd402.
  • Die Zerſtörung Troja's417.
  • Menelaus und Helena. Polyxena424.
  • Abfahrt von Troja. Ajax des Lokrers Tod431.
[1]

Erſtes Buch.

Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 1[2][3]

Troja's Erbauung.

In uralten Zeiten wohnten auf der Inſel Samothrace, im ägäiſchen Meere, zwei Brüder, Iaſion und Dardanus, Söhne des Jupiter und einer Nymphe, Fürſten des Lan¬ des. Von dieſen wagte Iaſion, als ein Götterſohn, ſeine Augen zu einer Tochter des Olymp zu erheben, warf eine ungeſtüme Neigung auf die Göttin Demeter [Ceres], und wurde zur Strafe ſeiner Kühnheit vom eigenen Vater mit dem Blitze erſchlagen. Dardanus, der andere Sohn, ver¬ ließ, tief betrübt über den Tod ſeines Bruders, Reich und Heimath, und ging hinüber auf das aſiatiſche Feſtland, an die Küſte Myſiens, da wo die Flüſſe Simois und Ska¬ mander vereinigt in das Meer ſtrömen, und das hohe Idagebirge ſich nach dem Meere abgedacht in eine Ebene verliert. Hier herrſchte der König Teucer, Kretiſchen Ur¬ ſprungs, und nach ihm hieß auch das Hirtenvolk jener Gegenden Teukrer. Von dieſem Könige wurde Dar¬ danus gaſtfreundlich aufgenommen, bekam einen Strich Landes zum Eigenthum und die Tochter des Königes zur Gemahlin. Er gründete eine Anſiedlung, das Land wurde nach ihm Dardania und das Volk der Teukrer von nun an Dardaner genannt. Ihm folgte ſein Sohn Erichthonius in der Herrſchaft, und dieſer zeugte den Tros, nach wel¬ chem die Landſchaft nun Troas, der offene Hauptort des Landes Troja, und Teukrer oder Dardaner jetzt auch1 *4Trojaner oder Troer genannt wurden. Nachfolger des Köni¬ ges Tros war ſein älteſter Sohn Ilus. Als dieſer einſt das benachbarte Land der Phryger beſuchte, wurde er von dem Könige Phrygiens zu eben angeordneten Kampfſpielen eingeladen, und trug hier im Ringkampfe den Sieg davon. Er erhielt als Kampfpreis fünfzig Jünglinge und eben ſo viele Jungfrauen, dazu eine buntgefleckte Kuh, die ihm der König mit der Weiſung eines alten Orakelſpruches über¬ gab, wo ſie ſich niederlegen würde, da ſollte er eine Burg gründen. Ilus folgte der Kuh, und da ſie ſich bei dem offenen Flecken lagerte, der ſeit ſeinem Vater Tros der Sitz des Landes und ſeine eigene Wohnung war, auch ſchon Troja hieß, ſo baute er hier auf einem Hügel die feſte Burg Ilion oder Ilios, auch Pergamus geheißen, wie denn das ganze Weſen von nun an bald Troja, bald Ilion, bald Pergamus genannt wurde. Ehe er jedoch die Burg anlegte, bat er ſeinen Ahnherrn Zeus um ein Zei¬ chen, daß ihm die Gründung derſelben genehm ſey. Am folgenden Tage fand er das vom Himmel gefallene Bild der Göttin Athene, Palladium genannt, vor ſeinem Zelte liegen. Es war drei Ellen hoch, hatte geſchloſſene Füße, und hielt in der rechten Hand einen erhobenen Speer, in der andern Rocken und Spindel. Mit dieſem Bilde hatte es folgende Bewandniß. Die Göttin Athene [Minerva] wurde nach der Sage von ihrer Geburt an bei einem Triton, einem Meergott, erzogen, der eine Tochter Namens Pallas hatte, die gleichen Alters mit Athene und ihre ge¬ liebte Geſpielin war. Eines Tages nun, als die beiden Jungfrauen ihren kriegeriſchen Uebungen oblagen, traten ſie zu einem ſcherzhaften Wettkampfe einander gegenüber. Eben wollte die Tritonentochter Pallas einen Streich auf5 ihre Geſpielin führen, als Jupiter, für ſeine Tochter ban¬ gend, den Schild aus Ziegenfell, die Aegide, dieſer vor¬ hielt. Dadurch erſchreckt, blickte Pallas furchtſam auf, und wurde in dieſem Augenblicke von Athene tödtlich verwundet. Tiefe Trauer bemächtigte ſich der Göttin, und ſie ließ zum dauernden Andenken ein recht ähnliches Bild ihrer gelieb¬ ten Geſpielin Pallas verfertigen, legte demſelben einen Bruſtharniſch von dem gleichen Ziegenfelle, wie der Schild war, um, der nun auch Aegispanzer oder Aegide hieß, ſtellte das Bild neben die Bildſäule Jupiters und hielt es hoch in Ehren. Sie ſelbſt aber nannte ſich ſeitdem Pallas Athene. Dieſes Palladium nun warf, mit Einwilligung ſeiner Tochter, Jupiter vom Himmel in die Gegend der Burg Ilios herunter, zum Zeichen, daß Burg und Stadt unter ſeinem und ſeiner Tochter Schutze ſtehe.

Der Sohn des Königes Ilus und der Eurydice war Laomedon, ein eigenmächtiger und gewaltthätiger Mann, der Götter und Menſchen betrog. Dieſer dachte darauf, den offenen Flecken Troja, der noch nicht befeſtigt war, wie die Burg, mit einer Mauer zu umgeben und ſo zu einer förmlichen Stadt zu machen. Damals irrten die Götter Apollo und Poſeidon (Neptunus), die ſich gegen ihren Vater Jupiter empört hatten und aus dem Himmel geſto¬ ßen waren, heimathlos auf der Erde umher. Es war der Wille des Zeus, daß ſie dem Könige Laomedon an der Mauer Troja's bauen helfen ſollten, damit die Lieblings¬ ſtadt Jupiter's und Athene's der Zerſtörung trotzende Mauern hätte. So führte ſie denn ihr Geſchick in die Nähe von Ilios, als eben mit dem Bau der Stadtmauern begonnen wurde. Die Götter machten dem Könige Laomedon ihre Anträge, und da ſie auf der Erde nicht blos müßig gehen6 durften, noch ohne Arbeit mit Ambroſia geſpeist wurden, ſo bedingten ſie ſich einen Lohn aus, der ihnen auch ver¬ ſprochen ward, und fingen nun an zu fröhnen. Neptu¬ nus half unmittelbar bei dem Bau; unter ſeiner Leitung ſtieg die Ringmauer breit und ſchön, eine undurchdringliche Schutzwehre der Stadt, in die Höhe. Phöbus Apollo weidete inzwiſchen das Hornvieh des Königes in den ge¬ wundenen Schluchten und Thälern des waldreichen Gebir¬ ges Ida. Die Götter hatten verſprochen, auf dieſe Weiſe dem Könige ein Jahr lang zu fröhnen. Als nun dieſe Friſt abgelaufen war, auch die herrliche Stadtmauer fertig ſtand, entzog der trügeriſche Laomedon den Göttern gewalt¬ ſam ihren geſammten Lohn, und als ſie mit ihm rechteten und der beredte Apollo ihm bittere Vorwürfe machte, ſo jagte er beide fort, mit der Androhung, dem Phöbus Hände und Füße feſſeln zu laſſen, beiden aber die Ohren abzu¬ ſchneiden. Mit großer Erbitterung ſchieden die Götter, und wurden Todfeinde des Königs und des Volkes der Trojaner, auch Athene kehrte ſich von der Stadt, die bis¬ her ihre Schützlingin geweſen war, ab, und ſchon jetzt war, einer ſtillſchweigenden Einwilligung Jupiters zu Folge, die eben erſt mit ſtattlichen Mauern verſehene Hauptſtadt mit ihrem Königsgeſchlecht und Volke dieſen Göttern, zu welchen ſich mit dem glühendſten Haſſe in kurzer Zeit auch Juno geſellte, zum Verderben überlaſſen.

7

Priamus, Hekuba und Paris.

Das weitere Loos des Königes Laomedon und ſeiner Tochter Heſione iſt ſchon von uns berichtet worden*)Erſter Band, S. 252 254.. Ihm folgte ſein Sohn Priamus in der Regierung. Dieſer vermählte ſich in zweiter Ehe mit Hekuba oder Hekabe, der Tochter des phrygiſchen Königes Drymas. Ihr erſter Sohn war Hektor. Als aber die Geburt ihres zweiten Kindes herannahete, da ſchaute Hekuba in einer dunkeln Nacht im Traume ein entſetzliches Geſicht. Ihr war, als gebäre ſie einen Fackelbrand, der die ganze Stadt Troja in Flammen ſetze und zu Aſche verbrenne. Erſchrocken meldete ſie dieſen Traum ihrem Gemahle Priamus. Der ließ ſeinen Sohn aus erſter Ehe, Aeſakus mit Namen, kom¬ men, welcher ein Wahrſager war, und von ſeinem mütterlichen Großvater Merops die Kunſt Träume zu deuten erlernt hatte. Aeſakus erklärte, ſeine Stiefmutter Hekuba werde einen Sohn gebären, der ſeiner Vaterſtadt zum Verderben gerei¬ chen müſſe. Er rieth daher, das Kind, das ſie erwartete, auszuſetzen. Wirklich gebar die Königin einen Sohn, und die Liebe zum Vaterland überwog bei ihr das Muttergefühl. Sie geſtattete ihrem Gatten Priamus, das neugeborne Kind einem Sklaven zu geben, der es auf den Berg Ida tragen und daſelbſt ausſetzen ſollte. Der Knecht hieß Agelaus. Dieſer that wie ihm befohlen war; aber eine Bärin reichte dem Säugling die Bruſt und nach fünf Tagen fand der Sklave das Kind geſund und munter im8 Walde liegen. Jetzt hob er es auf, nahm es mit ſich, erzog es auf ſeinem Aeckerchen wie ſein eigenes Kind und nannte den Knaben Paris.

Als der Königsſohn unter den Hirten zum Jünglinge herangewachſen war, zeichnete er ſich durch Körperkraft und Schönheit aus, und wurde ein Schutz aller Hirten des Berges Ida gegen die Räuber, daher ihn jene auch nur Alexander, d. h. Männerhilf, nannten.

Nun geſchah es eines Tages, als er mitten im abweg¬ ſamſten und ſchattigſten Thale, das ſich durch die Schluch¬ ten des Berges Ida hinzog, zwiſchen Tannen und Stein¬ eichen, ferne von ſeinen Heerden, die den Zugang zu dieſer Einſamkeit nicht fanden, an einen Baum gelehnt mit ver¬ ſchränkten Armen hinabſchaute durch den Bergriß, der eine Durchſicht auf die Palläſte Troja's und das ferne Meer gewährte, daß er einen Götterfußtritt vernahm, der die Erde um ihn her beben machte. Eh er ſich beſinnen konnte, ſtand, halb von ſeinen Flügeln, halb von den Füßen getra¬ gen, Merkur der Götterbote, den goldnen Heroldsſtab in den Händen, vor ihm; doch war auch er nur der Verkün¬ diger einer neuen Göttererſcheinung: denn drei himmliſche Frauen, Göttinnen des Olymp, kamen mit leichten Füßen über das weiche, nie gemähete und nie abgeweidete Gras einhergeſchritten, daß ein heiliger Schauer den Jüngling überlief und ſeine Stirnhaare ſich aufrichteten. Doch der geflügelte Götterbote rief ihm entgegen: Lege alle Furcht ab; die Göttinnen kommen zu dir als zu ihrem Schiedsrichter: dich haben ſie gewählt zu entſcheiden, welche von ihnen Dreien die ſchönſte ſey. Jupiter befiehlt dir, dich dieſem Richteramte zu unterziehen: er wird dir ſeinen Schirm und Beiſtand nicht verſagen! So ſprach Merkur und erhob9 ſich auf ſeinen Fittigen, den Augen des Königsſohnes ent¬ ſchwebend, über das enge Thal empor. Seine Worte hatten dem blöden Hirten Muth eingeflößt, er wagte es, den ſchüchtern geſenkten Blick zu erheben und die göttlichen Geſtalten, die in überirdiſcher Größe und Schönheit ſeines Spruches gewärtig vor ihm ſtanden, zu muſtern. Der erſte Anblick ſchien ihm zu ſagen, daß eine wie die andere werth ſey, den Preis der Schönheit davon zu tragen: doch gefiel ihm jetzt die eine Göttin mehr, jetzt die andere, ſo wie er länger auf einer der herrlichen Geſtalten ver¬ weilt hatte. Nur ſchien ihm allmählig eine, die jüngſte und zärteſte, holder und liebenswerther als die andern, und ihm war, als ob aus ihren Augen ein Netz von Liebesſtrahlen ausgehend, ſich ihm um Blick und Stirne ſpänne. Indeſſen hub die ſtolzeſte der drei Frauen, die an Wuchs und Hoheit über die beiden andern hervorragte, dem Jünglinge gegenüber an: Ich bin Juno, die Schwe¬ ſter und Gemahlin Jupiters. Wenn du dieſen goldenen Apfel, welchen Eris, die Göttin der Zwietracht, beim Hoch¬ zeitmahle der Thetis und des Peleus unter die Gäſte warf, mit der Aufſchrift: der Schönſten, mir zuerkenneſt, ſo ſoll dir, ob du gleich nur ein aus dem Königspallaſte verſtoßener Hirte biſt, die Herrſchaft über das ſchönſte Reich der Erde nicht fehlen. Ich bin Pallas, die Göttin der Weisheit, ſprach die andere mit der reinen, gewölbten Stirne, den tiefblauen Augen und dem jung¬ fräulichen Ernſt im ſchönen Antlitz; wenn du mir den Sieg zuerkennſt, ſollſt du den höchſten Ruhm der Weisheit und Männertugend unter den Menſchen ärnten! Da ſchaute die dritte, die bisher immer nur mit den Augen geſprochen hatte, den Hirten mit einem ſüßen Lächeln10 noch durchdringender an, und ſagte: Paris, du wirſt dich doch nicht durch das Verſprechen von Geſchenken bethören laſſen, die beide voll Gefahr und ungewiſſen Erfolges ſind! Ich will dir eine Gabe geben, die dir gar keine Unluſt bereiten ſoll; ich will dir geben, was du nur zu lieben brauchſt, um ſeiner froh zu werden: das ſchönſte Weib der Erde will ich dir als Gemahlin in die Arme führen! Ich bin Aphrodite, die Göttin der Liebe!

Als Venus dem Hirten Paris dieß Verſprechen that, ſtand ſie vor ihm, mit ihrem Gürtel geſchmückt, der ihr den höchſten Zauber der Anmuth verlieh. Da erblaßte vor dem Schimmer der Hoffnung und ihrer Schönheit der Reiz der andern Göttinnen vor ſeinen Augen, und mit trunkenem Muthe erkannte er der Liebesgöttin das goldene Kleinod, das er aus Juno's Hand empfangen hatte, zu. Juno und Minerva wandten ihm zürnend den Rücken und ſchwuren die Majeſtätsbeleidigung ihrer Geſtalt an ihm, an ſeinem Vater Priamus, am Volk und Reiche der Trojaner zu rächen, und alle miteinander zu verderben, und Here [Juno] insbeſondere wurde von dieſem Augenblicke an die unverſöhnlichſte Feindin der Tro¬ janer. Venus aber ſchied von dem entzückten Hirten mit holdſeligem Gruße, nachdem ſie ihm ihr Verſprechen feier¬ lich und mit dem Göttereide bekräftiget wiederholt hatte.

Paris lebte ſeiner Hoffnung geraume Zeit als uner¬ kannter Hirte auf den Höhen des Ida; aber da die Wünſche, welche die Göttin in ihm rege gemacht hatte, ſo lange nicht in Erfüllung gingen, ſo vermählte er ſich hier mit einer ſchönen Jungfrau Namens Oenone, die für die Tochter eines Flußgottes und einer Nymphe galt, und mit welcher er auf dem Berge Ida bei ſeinen Heerden glück¬11 liche Tage in der Verborgenheit verlebte. Endlich lockten ihn Leichenſpiele, die der König Priamus für einen ver¬ ſtorbenen Anverwandten hielt, zu der Stadt hinab, die er früher nie betreten hatte. Priamus ſetzte nämlich bei die¬ ſem Feſte als Kampfpreis einen Stier aus, den er bei den Hirten des Ida von ſeinen Heerden holen ließ. Nun traf es ſich, daß gerade dieſer Stier der Lieblingsſtier des Paris war, und da er ihn ſeinem Herrn dem Könige nicht vorenthalten durfte, ſo beſchloß er wenigſtens den Kampf um denſelben zu verſuchen. Hier ſiegte er in den Kampf¬ ſpielen über alle ſeine Brüder, ſelbſt über den hohen Hektor, der der tapferſte und herrlichſte von ihnen war. Ein anderer muthiger Sohn des Königs Priamus, Deiphobus, von Zorn und Schaam über ſeine Niederlage überwältigt, wollte den Hirtenjüngling niederſtoßen. Dieſer aber flüch¬ tete ſich zum Altare Jupiters, und die Tochter des Pria¬ mus, Kaſſandra, welche die Wahrſagergabe von den Göttern zum Angebinde erhalten hatte, erkannte in ihm ihren ausgeſetzten Bruder. Nun umarmten ihn die Eltern, vergaßen über der Freude des Wiederſehens die verhäng¬ nißvolle Weiſſagung bei ſeiner Geburt, und nahmen ihn als ihren Sohn auf.

Vorerſt kehrte nun Paris zu ſeiner Gattin und ſeinen Heerden zurück, indem er auf dem Berge Ida eine ſtatt¬ liche Wohnung als Königsſohn erhielt. Bald jedoch fand ſich Gelegenheit für ihn zu einem königlicheren Geſchäfte, und nun ging er, ohne es zu wiſſen, dem Preis entgegen, den ihm ſeine Freundin, die Göttin Aphrodite, verſpro¬ chen hatte.

12

Der Raub der Helena.

Wir wiſſen, daß, als König Priamus noch ein zarter Knabe war, ſeine Schweſter Heſione von Herkules, der den Laomedon getödtet und Troja erobert hatte, als Sieges¬ beute fortgeſchleppt und ſeinem Freunde Telamon geſchenkt worden war. Obgleich dieſer Held ſie zu ſeiner Gemah¬ lin erhoben und zur Fürſtin von Salamis gemacht, ſo hatte doch Priamus und ſein Haus dieſen Raub nicht verſchmerzt. Als nun an dem Königshofe einmal wieder die Rede von dieſer Entführung war und Priamus ſeine große Sehnſucht nach der fernen Schweſter zu erkennen gab, da ſtand in dem Rathe ſeiner Söhne Alexander oder Paris auf und erklärte, wenn man ihn mit einer Flotte nach Griechenland ſchicken wolle, ſo gedenke er mit der Götter Hülfe des Vaters Schweſter den Feinden mit Ge¬ walt zu entreißen und mit Sieg und Ruhm gekrönt nach Hauſe zurückzukehren. Seine Hoffnung ſtützte ſich auf die Gunſt der Göttin Venus, und er erzählte deswegen dem Vater und den Brüdern, was ihm, bei ſeinen Heerden begegnet war. Priamus ſelbſt zweifelte jetzt nicht länger, daß ſein Sohn Alexander den beſondern Schutz der Himm¬ liſchen erhalten werde und auch Deiphobus ſprach die gute Zuverſicht aus, daß, wenn ſein Bruder mit einer ſtattlichen Kriegsrüſtung erſchiene, die Griechen Genugthuung geben und Heſione ihm ausliefern würden. Nun war aber unter den vielen Söhnen des Priamus auch ein Seher, Namens Helenus. Dieſer brach plötzlich in weiſſagende Worte aus und verſicherte, wenn ſein Bruder Paris ein Weib aus13 Griechenland mitbringe, ſo werden die Griechen nach Troja kommen, die Stadt ſchleifen, den Priamus und alle ſeine Söhne niedermachen. Dieſe Wahrſagung brachte Zwieſpalt in den Rath. Troilus, der jüngſte Sohn des Priamus, ein thatenluſtiger Jüngling, wollte von den Prophezeihun¬ gen ſeines Bruders nichts hören, ſchalt ſeine Furchtſamkeit und rieth, ſich von ſeinen Drohungen nicht vom Kriege abſchrecken zu laſſen. Andere zeigten ſich bedenklicher. Priamus aber trat auf die Seite ſeines Sohnes Paris, denn ihn verlangte ſehnlich nach der Schweſter.

Nun wurde von dem König eine Volksverſammlung berufen, in welcher Priamus den Trojanern vortrug, wie er ſchon früher unter Antenor's Anführung eine Geſandt¬ ſchaft nach Griechenland geſchickt. Genugthuung für den Raub der Schweſter und dieſe ſelbſt zurückverlangt hätte. Damals ſey Antenor mit Schmach abgewieſen worden, jetzt aber gedenke er, wenn es der Volksverſammlung ſo gefalle, ſeinen eigenen Sohn Paris mit einer anſehnlichen Kriegsmacht auszuſenden und das mit Gewalt zu erzwin¬ gen, was Güte nicht zuwege gebracht. Zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags erhub ſich Antenor, ſchilderte mit Unwil¬ len, was er ſelbſt, als friedlicher Geſandter, Schmähliches in Griechenland geduldet hatte, und beſchrieb das Volk der Griechen als trotzig im Frieden und verzagt im Kriege. Seine Worte feuerten das Volk an, daß es ſich mit lau¬ tem Zurufe für den Krieg erklärte. Aber der weiſe König Priamus wollte die Sache nicht leichtſinnig beſchloſſen wiſſen und forderte Jeden auf zu ſprechen, der ein Beden¬ ken in dieſer Angelegenheit auf dem Herzen hätte. Da ſtand Panthous, einer der Aelteſten Troja's, in der Ver¬ ſammlung auf, und erzählte, was ſein Vater Othryas,14 von der Götter Orakel belehrt, ihm ſelbſt in jungen Jahren anvertraut hatte. Wenn je einmal ein Königsſohn aus Laomedons Geſchlechte eine Gemahlin aus Griechen¬ land ins Haus führen würde, ſo ſtehe den Trojanern das äußerſte Verderben bevor. Darum, ſchloß er ſeine Rede, laſſet uns den trügeriſchen Kriegsruhm nicht verführen, Freunde, und unſer Leben lieber in Frieden und Ruhe dahinbringen, als auf das Spiel der Schlachten ſetzen und zuletzt mit ſammt der Freiheit verlieren. Aber das Volk murrte über dieſen Vorſchlag und rief ſeinem Könige Priamus zu, den furchtſamen Worten eines alten Mannes kein Gehör zu ſchenken und zu thun, was er im Herzen doch ſchon beſchloſſen hätte.

Da ließ Priamus Schiffe rüſten, die auf dem Berge Ida gezimmert worden, und ſandte ſeinen Sohn Hektor ins Phrygerland, Paris und Deiphobus aber ins benach¬ barte Päonien, um verbündete Kriegsvölker zu ſammeln; auch Troja's waffenfähige Männer ſchickten ſich zum Kriege an, und ſo kam bald ein gewaltiges Heer zuſammen. Der König ſtellte daſſelbe unter den Befehl ſeines Sohnes Paris, und gab ihm den Bruder Deiphobus, den Sohn des Panthous, Polydamas, und den Fürſten Aeneas an die Seite; die mächtige Ausrüſtung ging in die See und ſteuerte der griechiſchen Inſel Cythere zu, wo ſie zuerſt zu landen gedachten. Unterwegs begegnete die Flotte dem Schiffe des griechiſchen Völkerfürſten und ſpartaniſchen Königes Menelaus, der auf einer Fahrt nach Pylos zu dem weiſen Fürſten Neſtor begriffen war. Dieſer ſtaunte, als er den prächtigen Schiffszug erblickte, und auch die Trojaner betrachteten neugierig das ſchöne griechiſche Fahr¬ zeug, das feſtlich ausgeſchmückt einen der erſten Fürſten15 Griechenlands zu tragen ſchien. Aber beide Theile kannten einander nicht, Jeder beſann ſich, wohin wohl der Andere fahren möge, und ſo flogen ſie auf den Wellen aneinander vorüber. Die trojaniſche Flotte kam glücklich auf der Inſel Cythere an. Von dort wollte ſich Paris nach Sparta begeben und mit den Jupitersſöhnen Caſtor und Pollux in Unterhandlung treten, um ſeine Vatersſchweſter Heſione in Empfang zu nehmen. Würden die griechiſchen Helden ſie ihm verweigern, ſo hatte er von ſeinem Vater den Befehl, mit der Kriegsflotte nach Salamis zu ſegeln und die Für¬ ſtin mit Gewalt zu entführen.

Ehe jedoch Paris dieſe Geſandtſchaftsreiſe nach Sparta antrat, wollte er in einem der Venus und Diana gemein¬ ſchaftlich geweihten Tempel zuvor ein Opfer darbringen. Inzwiſchen hatten die Bewohner der Inſel die Erſcheinung der prächtigen Flotte nach Sparta gemeldet, wo in der Abweſenheit ihres Gemahls Menelaus die Fürſtin Helena allein Hof hielt. Dieſe, eine Tochter Jupiters und der Leda, und die Schweſter des Kaſtor und Pollux, war die ſchönſte Frau ihrer ganzen Zeit und als zartes Mädchen ſchon von Theſeus entführt, aber von ihren Brüdern ihm wieder entriſſen worden*)Vergl. Bd. I, S. 306. 307.. Als ſie, zur Jungfrau auf¬ geblüht, bei ihrem Stiefvater Tyndareus, König zu Sparta, heranwuchs, zog ihre Schönheit ein ganzes Heer Freier herbei, und der König fürchtete, wenn er Einen von ihnen zum Eidam wählte, ſich alle Anderen zu Feinden zu ma¬ chen. Da gab ihm Odyſſeus von Ithaka, der kluge grie¬ chiſche Held, den Rath, alle Freier durch einen Eid zu verpflichten, daß ſie dem erkohrenen Bräutigam gegen jeden16 Andern, der den König um dieſer Heirath ſeiner Tochter willen anfeinden würde, mit den Waffen in der Hand beiſtehen wollten. Als Tyndareus dieß vernommen, ließ er die Freier den Eid ſchwören, und nun wählte er ſelbſt den Sohn des Atreus, Agamemnons Bruder, Menelaus den Argiverfürſten, gab ihm die Tochter zur Gemahlin und überließ ihm ſein Königreich Sparta. Helena gebar ihrem Gemahl eine Tochter, Hermione, die noch in der Wiege lag, als Paris nach Griechenland kam.

Wie nun die ſchöne Fürſtin Helena, die in ihrem Pallaſte während des Gemahls Abweſenheit freudloſe Tage ohne Abwechslung verlebte, von der Ankunft der herrlichen Ausrüſtung eines fremden Königsſohnes auf der Inſel Cythere Kunde erhielt, wandelte ſie eine weibliche Neu¬ gierde an, den Fremdling und ſein kriegeriſches Gefolge zu ſchauen, und um dieß Verlangen befriedigen zu können, veranſtaltete auch ſie ein feierliches Opfer im Dianen¬ tempel auf Cythere. Sie betrat das Heiligthum in dem Augenblicke, als Paris ſein Opfer vollbracht hatte. Wie dieſer die eintretende Fürſtin gewahr ward, ſanken ihm die zum Gebet erhobenen Hände und er verlor ſich in Stau¬ nen, denn er meinte, die Göttin Aphrodite ſelbſt wieder zu erblicken, wie ſie ihm in ſeinem Hirtengehöfte erſchienen war. Zwar war der Ruf ihrer Schönheit längſt zu ſeinen Ohren gedrungen, und Paris war begierig geweſen, ihrer Reize in Sparta anſichtig zu werden. Doch hatte er gemeint, das Weib, das ihm die Göttin der Liebe verhei¬ ßen hatte, müſſe viel ſchöner ſeyn, als die Beſchreibung von Helena lautete. Auch dachte er bei der Schönen, die ihm verſprochen war, an eine Jungfrau und nicht an die Gattin eines Anderen. Jetzt aber, wo er die Fürſtin von17 Sparta vor Augen ſah, und ihre Schönheit mit der Schön¬ heit der Liebesgöttin ſelbſt wetteiferte, ward ihm plötzlich klar, daß nur dieſes Weib es ſeyn könne, das ihm Venus zum Lohne für ſein Urtheil zugeſagt hatte. Der Auftrag ſeines Vaters, der ganze Zweck der Ausrüſtung und Reiſe ſchwand in dieſem Augenblick aus ſeinem Geiſte; er ſchien ſich mit ſeinen Tauſenden Bewaffneter nur dazu ausge¬ ſendet, Helena zu erobern. Während er ſo in ihre Schön¬ heit verſunken ſtand, betrachtete auch die Fürſtin Helena den ſchönen aſiatiſchen Königsſohn mit dem langen locki¬ gen Haarwuchs, in Gold und Purpur mit orientaliſcher Pracht gekleidet, mit nicht unterdrücktem Wohlgefallen, das Bild ihres Gemahls erbleichte in ihrem Geiſte und an ſeine Stelle trat die reizende Geſtalt des jugendlichen Fremdlings.

Indeſſen kehrte Helena nach Sparta in ihren Königs¬ pallaſt zurück, ſuchte das Bild des ſchönen Jünglings aus ihrem Herzen zu verdrängen und wünſchte ihren noch immer auf Pylos verweilenden Gatten Menelaus zurück. Statt ſeiner erſchien Paris ſelbſt mit ſeinem erleſenen Volke in Sparta, und bahnte ſich mit ſeiner Botſchaft den Weg in des Königes Halle, obgleich dieſer abweſend war. Die Gemahlin des Fürſten Menelaus empfing ihn mit der Gaſtfreundſchaft, welche ſie dem Fremden, und mit der Auszeichnung, welche ſie dem Königsſohne ſchuldig war. Da bethörte ſeine Saitenkunſt, ſein einſchmeicheln¬ des Geſpräch, und die heftige Gluth ſeiner Liebe das unbewachte Herz der Königin. Als Paris ihre Treue wanken ſah, vergaß er den Auftrag ſeines Vaters und Volkes und nur das trügeriſche Verſprechen der Liebes¬ göttin ſtand vor ſeiner Seele. Er verſammelte ſeineSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 218Getreuen, die bewaffnet mit ihm nach Sparta gekommen waren, und verführte ſie durch Ausſicht auf reiche Beute, in den Frevel zu willigen, welchen er mit ihrer Hülfe aus¬ zuführen gedachte. Dann ſtürmte er den Pallaſt, bemäch¬ tigte ſich der Schätze des griechiſchen Fürſten, und entführte die ſchöne Helena widerſtrebend und doch nicht ganz wider Willen nach der Inſel und ſeiner Flotte.

Als er mit ſeiner reizenden Beute auf der See durch das ägäiſche Meer ſchwamm, überfiel die eilenden Fahrzeuge eine plötzliche Windſtille: vor dem Königsſchiffe, das den Räuber mit der Fürſtin trug, theilte ſich die Woge und der uralte Meeresgott Nereus hub ſein ſchilfbekränztes Haupt mit den triefenden Haar - und Bartlocken aus der Fluth empor und rief dem Schiffe, welches wie mit Nägeln in das Waſſer geheftet ſchien, das ſelber einem ehernen Walle glich, der ſich um die Rippen des Fahrzeugs auf¬ geworfen hatte, ſeine fluchende Wahrſagung zu: Unglücks¬ vögel flattern deiner Fahrt voran, verfluchter Räuber! Die Griechen werden kommen mit Heeresmacht, verſchwo¬ ren, deinen Frevelbund und das alte Reich des Priamus zu zerreißen! Wehe mir, wie viel Roſſe, wie viel Män¬ ner erblicke ich! Wie viele Leichen verurſachſt du dem dardaniſchen Volke! Schon rüſtet Pallas ihren Helm, ihren Schild und ihre Wuth! Jahre lang dauert der blu¬ tige Kampf, und den Untergang deiner Stadt hält nur der Zorn eines Helden auf. Aber wenn die Zahl der Jahre voll iſt, wird griechiſcher Feuerbrand die Häuſer Troja's freſſen!

So rief der Greis und tauchte wieder in die Fluth. Mit Entſetzen hatte Paris zugehört, als aber der Fahr¬ wind wieder luſtig blies, vergaß er bald im Arm der19 geraubten Fürſtin der Prophezeihung und legte mit ſeiner ganzen Flotte vor der Inſel Kranae vor Anker, wo die treuloſe und leichtſinnige Gattin des Menelaus ihm jetzt freiwillig ihre Hand reichte und das feierliche Beilager gehalten wurde. Da vergaßen beide Heimath und Vater¬ land und zehrten von den mitgebrachten Schätzen lange Zeit in Herrlichkeit und Freuden. Jahre vergingen, bis ſie nach Troja aufbrachen.

Die Griechen.

Die Verſündigung, die ſich Paris als Geſandter zu Sparta gegen Völkerrecht und Gaſtrecht zu Schulden kom¬ men laſſen, trug im Augenblick ihre Früchte und empörte gegen ihn ein bei dem Heldenvolke der Griechen Alles vermögendes Fürſtengeſchlecht. Menelaus, König von Sparta, und Agamemnon, ſein älterer Bruder, König von Mycene, waren Nachkommen des Tantalus, Enkel des Pelops, Söhne des Atreus, aus einem an hohen wie an verruchten Thaten reichen Stamme; dieſen beiden mächtigen Brüdern gehorchten außer Argos und Sparta die meiſten Staaten des Peloponneſes, und die Häupter des übrigen Griechenlands waren mit ihnen verbündet. Als daher die Nachricht von dem Raube ſeiner Gattin Helena den König Menelaus bei ſeinem greiſen Freunde Neſtor zu Pylos traf, eilte der entrüſtete Fürſt zu ſeinem Bruder Agamemnon nach Mycene, wo dieſer mit ſeiner Gemahlin Klytämneſtra, der Halbſchweſter Helena's, regierte. Dieſer theilte den Schmerz und den Unwillen ſeines2*20Bruders; doch tröſtete er ihn und verſprach, die Freier Hele¬ na's ihres Eides zu gemahnen. So bereisten die Brüder ganz Griechenland und forderten ſeine Fürſten zur Theil¬ nahme an dem Kriege gegen Troja auf. Die erſten, die ſich anſchloſſen, waren Tlepolemus, ein berühmter Fürſt aus Rhodos, ein Sohn des Herkules, der ſich erbot, neun¬ zig Schiffe zu dem Feldzuge gegen die trügeriſche Stadt Troja zu ſtellen; dann Diomedes, der Sohn des unſterb¬ lichen Helden Tydeus, der mit achtzig Schiffen die muthig¬ ſten Peloponneſier der Unternehmung zuzuführen verſprach. Nachdem dieſe beiden Fürſten mit den Atriden zu Sparta Rath gepflogen, erging die Aufforderung auch an die Dioskuren oder Jupitersſöhne Kaſtor und Pollux, die Brüder Helena's. Dieſe aber waren ſchon auf die erſte Nachricht von der Entführung ihrer Schweſter dem Räu¬ ber nachgeſegelt und bis zur Inſel Lesbos, ganz nahe an die trojaniſche Küſte gekommen; dort ergriff ein Sturm ihr Schiff und verſchlang es. Die Dioskuren ſelbſt ver¬ ſchwanden; aber die Sage verſicherte, ſie ſeyen nicht in den Wellen umgekommen, ſondern ihr Vater Jupiter habe ſie als Sternbilder an den Himmel verſetzt, wo ſie als Beſchirmer der Schifffahrt und Schutzgötter der Schiff¬ fahrenden ihr ſegenvolles Amt von Zeitalter zu Zeitalter verwalten. Indeſſen erhub ſich ganz Griechenland und gehorchte der Aufforderung der Atriden; zuletzt waren nur zwei berühmte Fürſten noch zurück. Der eine war der ſchlaue Odyſſeus aus Ithaka, der Gemahl Penelope's. Dieſer wollte ſein junges Weib und ſeinen zarten Knaben Telemachus der treuloſen Gattin des Spartanerköniges zu Liebe nicht verlaſſen. Als daher Palamedes, der Sohn des Fürſten Nauplius aus Euböa, der vertraute Freund des21 Menelaus, mit dem Sparterfürſten deswegen zu ihm kam, heuchelte er Narrheit, ſpannte zu dem Ochſen einen Eſel an den Pflug und pflügte mit dem ſeltſamen Paare ſein Feld, indem er in die Furchen, die er zog, ſtatt des Sa¬ mens Salz ausſtreute. So ließ er ſich von beiden Helden treffen und hoffte dadurch von dem verhaßten Zuge frei zu bleiben. Aber der einſichtsvolle Palamedes durch¬ ſchaute den verſchlagenſten aller Sterblichen, ging, während Odyſſeus ſeinen Pflug lenkte, heimlich in ſeinen Pallaſt, brachte ſeinen jungen Sohn Telemachus aus der Wiege herbei und legte dieſen in die Furche, über die Odyſſeus eben hinwegackern wollte. Da hob der Vater den Pflug ſorgfältig über das Kind hinweg und wurde von den laut aufſchreienden Helden ſeines Verſtandes überwieſen. Er konnte ſich jetzt nicht länger mehr weigern, an dem Zuge Theil zu nehmen, und verſprach, die bit¬ terſte Feindſchaft gegen Palamedes in ſeinem liſtigen Her¬ zen, zwölf bemannte Schiffe aus Ithaka und den Nachbar¬ inſeln dem Könige Menelaus zur Verfügung zu ſtellen.

Der andere Fürſt, deſſen Zuſtimmung noch nicht erfolgt, ja deſſen Aufenthalt man nicht einmal kannte, war Achil¬ les, der junge, aber herrliche Sohn des Peleus und der Meeresgöttin Thetis. Als dieſer ein neugebornes Kind war, wollte ſeine unſterbliche Mutter auch ihn unſterblich machen, ſteckte ihn, von ſeinem Vater Peleus ungeſehen, des Nachts in ein himmliſches Feuer und fing ſo an zu vertilgen, was vom Vater her an ihm ſterblich war. Bei Tage aber heilte ſie die verſengten Stellen mit Ambroſia. Dieß that ſie von einer Nacht zur andern. Einmal aber belauſchte ſie Peleus, und ſchrie laut auf, als er ſeinen Sohn im Feuer zappeln ſah. Dieſe Störung hinderte22 Thetis ihr Werk zu vollbringen, ſie ließ den unmündigen Sohn, der auf dieſe Weiſe ſterblich geblieben war, troſtlos liegen, entfernte ſich und kehrte nicht mehr in den Pallaſt ihres Gatten zurück, ſondern entwich in das feuchte Wellen¬ reich der Nereiden. Peleus aber, der ſeinen Knaben gefähr¬ lich verwundet glaubte, hub ihn vom Boden auf und brachte ihn zu dem großen Wundarzt, dem Erzieher ſo vieler Helden, dem weiſen Centauren Chiron. Dieſer nahm ihn liebreich auf, und nährte den Knaben mit Bärenmark und mit der Leber von Löwen und Ebern. Als nun Achilles neun Jahre alt war, erklärte der griechiſche Seher Kalchas, daß die ferne Stadt Troja in Aſien, welcher der Untergang durch griechiſche Waffen bevorſtehe, ohne dieſen Knaben nicht werde erobert werden können. Dieſe Wahr¬ ſagung drang auch zu ſeiner Mutter Thetis hinab zur See in ihr unſterbliches Ohr, und weil ſie wußte, daß jener Feldzug ihrem Sohn den Tod bringen würde, ſo ſtieg ſie wieder empor aus dem Meere, ſchlich ſich in ihres Gatten Pallaſt, ſteckte den Knaben in Mädchenkleider, und brachte ihn in dieſer Verwandlung zu dem Könige Lyko¬ medes auf der Inſel Scyros, der ihn unter ſeinen Mäd¬ chen als Jungfrau heranwachſen ließ und in weiblichen Arbeiten großzog. Als aber dem Jüngling der Flaum um das Kinn zu keimen anfing, entdeckte er ſich in ſeiner Ver¬ kleidung der lieblichen Tochter des Königes, Dëidamia. Die gleiche zärtliche Neigung vereinigte in der Verborgen¬ heit den Heldenjüngling mit der königlichen Jungfrau und während er bei allen Bewohnern der Inſel für eine Ver¬ wandte des Königs galt und auch bei Dëidamia für nichts anderes gelten ſollte, war er heimlich ihr Gemahl gewor¬ den. Jetzt, wo der Götterſohn zur Beſiegung Troja's23 unentbehrlich war, entdeckte der Seher Kalchas, dem wie ſein Geſchick, ſo auch ſein Aufenthalt kein Geheimniß geblie¬ ben, dieſen letztern den Atriden. Und nun ſchickten die Fürſten den Odyſſeus und den Diomedes ab, ihn in den Krieg zu holen. Als die Helden auf der Inſel Scyros ankamen, wurden ſie dem Könige und ſeinen Jungfrauen vorgeführt. Aber das zarte Jungferngeſicht verbarg den künftigen Helden, und, ſo ſcharfſichtig der Blick der beiden Griechenfürſten war, ſo vermochten ſie doch nicht, ihn aus der Mädchenſchaar heraus zu erkennen. Da nahm Odyſ¬ ſeus ſeine Zuflucht zu einer Liſt. Er ließ, wie von unge¬ fähr, in den Frauenſaal, in dem die Mädchen ſich befan¬ den, einen Schild und einen Speer bringen, und dann die Kriegstrompete blaſen, als ob der Feind heranrückte. Bei dieſen Schreckenstönen entflohen alle Frauen aus dem Saale, Achilles aber blieb allein zurück und griff muthig zu dem Speer und zu dem Schilde. Jetzt ward er von den Fürſten entlarvt und erbot ſich, an der Spitze ſeiner Myrmidonen oder Theſſalier, in Begleitung ſeines Erzie¬ hers Phönix und ſeines Freundes Patroklus, welcher mit ihm einſt bei Peleus aufgezogen worden war, mit fünfzig Schiffen zu dem griechiſchen Heere zu ſtoßen.

Zum Verſammlungsort aller griechiſchen Fürſten und ihrer Schaaren und Schiffe wurde die Hafenſtadt Aulis in Böotien, an der Meerenge von Euböa, durch Aga¬ memnon auserſehen, den die Volkshäupter als den thätig¬ ſten Beförderer der Unternehmung zum oberſten Befehls¬ haber derſelben ernannt hatten.

In jenem Hafen ſammelten ſich nun außer den ge¬ nannten Fürſten mit ihren Schiffen unzählige andere. Die vornehmſten darunter waren der rieſige Ajax, der Sohn24 des Telamon aus Salamis, und ſein Halbbruder Teucer, der treffliche Bogenſchütze; der kleine, ſchnelle Ajax aus dem Lokrerlande; Meneſtheus aus Athen, Askalafus und Jalmenus, Söhne des Kriegsgottes mit ihren Minyern aus Orchomenus; aus Böotien Peneleus, Arceſilaus, Klonius, Prothoenor; aus Phocis Schedius und Epiſtro¬ phus; aus Euböa und mit den Abantern Elephenor; mit einem Theile der Argiver und andern Peloponneſiern außer Diomedes, Sthenelus, der Sohn des Kapaneus, und Euryalus, der Sohn des Mekiſtheus; aus Pylus Neſtor der Greis, der ſchon drei Menſchenalter geſehen; aus Arkadien Agapenor, der Sohn des Ancäus; aus Elis und andern Städten Amphimachus, Thalpius, Diores und Polyxenus; aus Dulichium und den echinadiſchen Inſeln Meges, der Sohn des Phyleus; mit den Aetoliern Thoas, der Sohn des Adrämon; aus Kreta Idomeneus und Me¬ riones; aus Rhodos der Heraklide Tlepolemus; aus Syma Nireus, der ſchönſte Mann im griechiſchen Heere; aus den kalydniſchen Inſeln die Herakliden Phidippus und Antiphus; aus Phylake Podarkes, Sohn des Iphiklus; aus Pherä in Theſſalien Eumelos, der Sohn des Admetus und der frommen Alceſtis; aus Methone, Thaumacia und Meliböa Philoktetes; aus Tricca, Ithoma und Oechalia die zwei heilkundigen Männer Podalirius und Machaon; aus Orme¬ nium und der Umgegend Eurypylus, der Sohn des Euä¬ mon; aus Argiſſa und der Gegend Polypötes, der Sohn des Pirothous, des Theſeusfreundes; Guneus aus Cyphos, Prothous aus Magneſia.

Dieß waren nebſt den Atriden, Odyſſeus und Achilles, die Fürſten und Gebieter der Griechen, die, Keiner mit wenigen Schiffen, ſich in Aulis ſammelten. Die Griechen25 ſelbſt wurden damals bald Danaer genannt, von dem alten ägyptiſchen Könige Danaus her, der ſich zu Argos im Peloponneſe niedergelaſſen hatte, bald Argiver, von der mächtigſten Landſchaft Griechenlands, Argolis oder dem Argiverlande; bald Achajer oder Achiver, von dem alten Namen Griechenlands, Achaja. Später heißen ſie Griechen, von Gräcus, dem Sohne des Theſſalus, und Hellenen, von Hellen, dem Sohne des Deukalion und der Pyrrha.

Botſchaft der Griechen an Priamus.

Unterdeſſen, ſo lange die Ausrüſtung der Griechen ſich vorbereitete, ward von Agamemnon im Rathe ſeiner Vertrauten und der erſten Häupter des Volkes, um auch gütliche Mittel nicht unverſucht zu laſſen, beſchloſſen, daß eine Geſandtſchaft nach Troja an den König Priamus abgehen ſollte, um ſich über die Verletzung des Völker¬ rechts und den Raub der griechiſchen Fürſtin zu beſchweren und die entriſſene Gattin des Fürſten Menelaus ſammt ihren Schätzen zurückzufordern. Es wurde hierzu in der Verſammlung der Kriegshäupter Palamedes, Odyſſeus und Menelaus auserwählt, und obgleich Odyſſeus im Herzen der Todfeind des Palamedes war, ſo unterwarf er ſich doch zum gemeinen Beſten der Einſicht dieſes Für¬ ſten, der in dem griechiſchen Heere um ſeines Verſtandes und ſeiner Erfahrung willen hoch gefeiert war, und über¬ ließ ihm willig die Ehre, am Hofe des Königs Priamus als Sprecher aufzutreten.

26

Die Trojaner und ihr König waren über die Ankunft einer Geſandtſchaft, die mit einer anſehnlichen Schiffs¬ rüſtung erſchien, in kein geringes Staunen verſetzt. Sie wußten von der unmittelbaren Urſache der Sendung noch nichts, denn Paris verweilte noch immer mit ſeiner ge¬ raubten Gattin auf der Inſel Kranae und war in Troja verſchollen. Priamus und ſein Volk glaubten deswegen nicht anders, als der trojaniſche Kriegszug, der die Geſandt¬ ſchaft des Paris und die Zurückforderung der Heſione unterſtützen ſollte, habe Widerſtand in Griechenland gefun¬ den, und jetzt würden, nach Vernichtung deſſelben, die Griechen, übermüthig geworden, über die See herbeikommen, die Trojaner in ihrem eigenen Lande anzufallen. Die Nachricht, daß ſich griechiſche Geſandte der Stadt nähern, verſetzte ſie daher in nicht geringe Spannung. Indeſſen öffneten ſich Jenen die Thore willig, und die drei Fürſten wurden ſofort in den Pallaſt des Priamus und vor den König ſelbſt, der ſeine zahlreichen Söhne und die Häupter der Stadt zu einem Rathe zuſammenberufen hatte, geführt. Palamedes ergriff vor dem Könige das Wort, beklagte ſich bitter im Namen aller Griechen über die ſchändliche Verletzung des Gaſtrechtes, die ſich ſein Sohn Paris durch den Raub der Königin Helena zu Schulden kommen laſ¬ ſen. Dann entwickelte er die Gefahren eines Krieges, die dem Reiche des Priamus aus dieſer Unthat erwüchſen, zählte die Namen der mächtigſten Fürſten Griechenlands auf, die mit allen ihren Völkern auf mehr als tauſend Schiffen vor Troja erſchienen ſeyen, und verlangte die gütliche Auslieferung der geraubten Fürſtin. Du weißeſt nicht, o König, ſo ſchloß er ſeine zornige Rede, was für Sterbliche durch deinen Sohn beſchimpft worden ſind,27 es ſind die Griechen, die Alle lieber ſterben, als daß einem Einzigen von ihnen durch einen Fremdling ungerächte Kränkung widerfahre. Sie hoffen aber, indem ſie dieſes Unrecht zu rächen kommen, nicht zu ſterben, ſondern zu ſiegen, denn ihre Zahl iſt wie der Sand am Meere und Alle ſind von Heldenmuth erfüllt und Alle brennen vor Begierde, die Schmach, die ihrem Volke widerfahren iſt, in dem Urheber zu tilgen. Darum läßt euch unſer ober¬ ſter Feldherr, Agamemnon, König der mächtigen Landſchaft Argos und der erſte Fürſt Griechenlands, und mit ihm laſſen euch alle anderen Fürſten der Danaer ſagen: Gebet die Griechin, die ihr uns geſtohlen habt, heraus, oder ſeyd Alle des Untergangs gewärtig!

Bei dieſen trotzigen Worten ergrimmten die Söhne des Königes und die Aelteſten von Troja, zogen ihre Schwerter und ſchlugen ſtreitluſtig an ihre Schilde. Aber König Priamus gebot ihnen Ruhe, erhob ſich von ſeinem Königsſitze und ſprach: Ihr Fremdlinge, die ihr im Na¬ men eures Volkes ſo ſtrafende Worte an uns richtet, gön¬ net mir erſt, daß ich von meinem Staunen mich erhole. Denn weſſen ihr mich beſchuldiget, davon iſt uns Allen nichts bewußt; vielmehr ſind wir es, die wir bei euch uns über das Unrecht zu beklagen haben, das ihr uns andichtet. Unſre Stadt hat euer Landsmann Herkules mitten im Frieden angefallen, aus unſrer Stadt hat er meine un¬ ſchuldige Schweſter Heſione als Gefangene mit ſich geführt und ſie ſeinem Freunde, dem Fürſten Telamon auf Sala¬ mis, als Sklavin geſchenkt; und es iſt der gute Wille die¬ ſes Mannes, daß ſie von ihm zu ſeiner ehrlichen Gemah¬ lin erhoben worden iſt und nicht als Magd und Kebsweib dient. Doch konnte dieß den unehrlichen Raub nicht wieder28 gut machen, und es iſt ſchon die zweite Geſandtſchaft, die dießmal unter meinem Sohne Paris nach eurem Lande abgegangen iſt, meine freventlich geraubte Schweſter zurück¬ zuverlangen, damit ich wenigſtens noch in meinem Greiſen¬ alter mich ihrer erfreuen könne. Wie mein Sohn Paris dieſen meinen königlichen Auftrag ausgerichtet, was er gethan hat, und wo er weilt, weiß ich nicht. In meinem Pallaſte und in unſerer Stadt befindet ſich kein griechiſches Weib, dieß weiß ich gewiß. Ich kann euch alſo die ver¬ langte Genugthuung nicht geben, auch wenn ich wollte. Kommt mein Sohn Paris, wie mein väterlicher Wunſch iſt, glücklich nach Troja zurück, und bringt er eine entführte Griechin mit ſich, ſo ſoll euch dieſe ausgeliefert werden, wenn ſie anders nicht als Flüchtlingin unſern Schutz an¬ fleht. Aber auch dann werdet ihr ſie unter keiner andern Bedingung und nicht eher zurückerhalten, als bis ihr meine Schweſter Heſione aus Salamis wieder in meine Arme zurückgeführt habt!

Der Rath der Trojaner ſtimmte zu dieſen Worten des Königs; aber Palamedes ſprach trotzig: Die Erfül¬ lung unſerer Forderung, o König, läßt ſich von keiner Bedingung abhängig machen. Wir glauben deinem ehr¬ würdigen Antlitz und der Rede deines Mundes, die uns verſichert, daß die Gemahlin des Menelaus noch nicht in deinen Mauern angekommen iſt. Sie wird aber kommen, zweifle nicht; ihre Entführung durch deinen unwürdigen Sohn iſt nur allzu gewiß. Was zu unſerer Väter Zeiten von Herkules geſchehen iſt, dafür ſind wir nicht mehr ver¬ antwortlich. Aber was einer deiner Söhne uns jetzt eben von empörender Kränkung zugefügt hat, dafür verlangen wir Rechenſchaft von dir. Heſione iſt willig mit Telamon29 davongezogen und ſie ſelbſt ſendet einen Sohn in dieſen Krieg, der euch bevorſteht, wenn ihr uns nicht Genug¬ thuung gebet, den gewaltigen Fürſten Ajax. Helena aber iſt wider Willen und freventlich geraubt worden. Danket dem Himmel, der euch durch eures Räubers Zögerung Bedenkzeit gegeben hat, und faſſet einen Beſchluß, der das Verderben von euch abwendet.

Priamus und die Trojaner empfanden die übermüthige Rede des Geſandten Palamedes übel, doch ehrten ſie an den Fremdlingen das Recht der Geſandtſchaft: die Ver¬ ſammlung wurde aufgehoben und ein Aelteſter von Troja, der Sohn des Aeſyntes und der Kleomeſtra, der verſtän¬ dige Antenor, ſchirmte die fremden Fürſten vor allen Be¬ ſchimpfungen des Pöbels, führte ſie in ſein Haus und beherbergte ſie dort mit edler Gaſtlichkeit bis zum andern Morgen. Dann gab er ihnen das Geleite an den Strand, wo ſie die glänzenden Schiffe wieder beſtiegen, die ſie herbeigeführt hatten.

Agamemnon und Iphigenia.

Während nun die Flotte zu Aulis ſich verſammelte, vertrieb der Völkerfürſt Agamemnon ſich die Zeit mit der Jagd. Da kam ihm eines Tages eine herrliche Hindin in den Schuß, die der Göttin Artemis oder Diana gehei¬ ligt war. Die Jagdluſt verführte den Fürſten: er ſchoß nach dem heiligen Wild und erlegte es mit dem prahlenden Worte: Diana ſelbſt, die Göttin der Jagd, vermöge nicht, beſſer zu treffen. Ueber dieſen Frevel erbittert ſchickte30 die Göttin, als in der Bucht von Aulis alles Griechenvolk gerüſtet, mit Schiffen, Roß und Wagen beiſammen war, und der Seezug nun vor ſich gehen ſollte, dem verſam¬ melten Heere tiefe Windſtille zu, ſo daß man ohne Ziel und Fahrt müſſig in Aulis ſitzen mußte. Die rathsbedürf¬ tigen Griechen wandten ſich nun an ihren Seher Kalchas, den Sohn des Theſtor, welcher dem Volke ſchon früher weſentliche Dienſte geleiſtet hatte, und jetzt erſchienen war, als Prieſter und Wahrſager den Feldzug mitzumachen. Dieſer that auch jetzt den Ausſpruch: wenn der oberſte Führer der Griechen, der Fürſt Agamemnon, Iphigenia, ſein und Klytämneſtra's geliebtes Kind, der Artemis opfert, ſo wird die Göttin verſöhnt ſeyn, Fahrwind wird kommen und der Zerſtörung Troja's wird kein übernatürliches Hin¬ derniß mehr im Wege ſtehen.

Dieſe Worte des Sehers raubten dem Feldherrn der Griechen allen Muth. Sogleich beſchied er den Herold der verſammelten Griechen, Talthybius aus Sparta, zu ſich und ließ denſelben mit hellem Heroldsruf vor allen Völkern verkündigen, daß Agamemnon den Oberbefehl über das griechiſche Heer niedergelegt habe, weil er keinen Kindesmord auf ſein Gewiſſen laden wolle. Aber unter den verſammelten Griechen drohte auf die Verkündigung dieſes Entſchluſſes eine wilde Empörung auszubrechen. Menelaus begab ſich mit dieſer Schreckensnachricht zu ſeinem Bruder in das Feldherrnzelt, ſtellte ihm die Folgen ſeiner[Entſchließung], die Schmach, die ihn, den Menelaus, treffen würde, wenn ſein geraubtes Weib Helena in Feindes¬ händen bleiben ſollte, vor, und bot ſo beredt alle Gründe auf, daß endlich Agamemnon ſich entſchloß, den Greuel geſchehen zu laſſen. Er ſandte an ſeine Gemahlin31 Klytämneſtra nach Mycene eine briefliche Botſchaft, welche ihr befahl, die Tochter Iphigenia zum Heere nach Aulis zu ſenden, und bediente ſich, um dieſem Gebote Gehorſam zu verſchaffen, des in der Noth erdichteten Vorwandes, die Tochter ſolle, noch bevor das Heer der trojaniſchen Küſte zuſegle, mit dem jungen Sohne des Peleus, dem herr¬ lichen Phthierfürſten Achilles, von deſſen geheimer Ver¬ mählung mit Dëidamia Niemand wußte, verlobt wer¬ den. Kaum aber war der Bote fort, ſo bekam in Aga¬ memnons Herzen das Vatergefühl wieder die Oberhand. Von Sorgen gequält und voll Reue über den unüberlegten Entſchluß, rief er noch in der Nacht einen alten, ver¬ trauten Diener, und übergab ihm einen Brief an ſeine Gemahlin Klytämneſtra zur Beſtellung; in dieſem ſtand geſchrieben, ſie ſollte die Tochter nicht nach Aulis ſchicken, er, der Vater, habe ſich eines andern beſonnen, die Vermäh¬ lung müſſe bis aufs nächſte Frühjahr aufgeſchoben werden. Der treue Diener eilte mit dem Briefe davon, aber er erreichte ſein Ziel nicht. Noch ehe er vor der Morgen¬ dämmerung das Lager verließ, ward er von Menelaus, dem die Unſchlüſſigkeit des Bruders nicht entgangen war, der ebendeßwegen alle ſeine Schritte überwacht hatte, ergriffen, der Brief ihm mit Gewalt entriſſen und ſofort von dem jüngern Atriden erbrochen. Das Blatt in der Hand trat Menelaus abermals in das Feldherrnzelt des Bruders. Es gibt doch, rief er ihm unwillig entgegen, nichts Ungerechteres und Ungetreueres, als den Wankelmuth! Erinnerſt du dich denn gar nicht mehr, Bruder, wie begie¬ rig du nach dieſer Feldherrnwürde wareſt, wie du vor übelverheimlichter Luſt brannteſt, das Heer vor Troja zu führen? wie demüthig du dich da gegen alle griechiſchen32 Fürſten gebärdeteſt, wie gnädig du jedem Danaer die Rechte ſchüttelteſt? Deine Thür war ſtets unverſchloſ¬ ſen; Jedem, auch dem Unterſten des Volkes, ſchenkteſt du Zutritt, und alle dieſe Geſchmeidigkeit bezweckte nichts Anderes, als dir jene Würde zu verſchaffen. Aber als du nun Herr geworden wareſt, da war Alles bald anders; da warſt du nicht mehr deiner alten Freunde Freund, wie vorher; zu Hauſe warſt du ſchwer zu treffen, drauſſen bei dem Heere zeigteſt du dich nur ſelten. So ſollte es ein Ehrenmann nicht machen; er ſollte am meiſten dann ſich unveränderlich gegen ſeine Freunde zeigen, wenn er ihnen am meiſten nützen kann! Du hingegen, wie haſt du dich betragen? Als du mit dem Griechenheere nach Aulis gekommen wareſt und, vom göttlichen Geſchicke heimge¬ ſucht, vergebens auf Fahrwind hoffteſt, und nun im Heere rings der Ruf ſich hören ließ: laßt uns davonſegeln und nicht vergebens in Aulis uns abmühen! wie zerſtört und troſtlos blickte da dein Auge umher, und wie wußteſt du mit ſammt deinen Schiffen keinen Rath! Damals beriefſt du mich, und verlangteſt nach einem Auswege, deine ſchöne Feldherrnwürde nicht zu verlieren. Und als hierauf der Seher Kalchas befahl, anſtatt eines Opfers der Artemis deine Tochter darzubringen, da gelob¬ teſt du nach kurzem Zuſpruche freiwillig deines Kin¬ des Opferung, und ſchickteſt Botſchaft an dein Weib Klytämneſtra, deine Tochter, ſcheinbar als Braut des Achilles, herzuſenden. Und jetzt, o Schande, beugeſt du doch wieder aus und verfaſſeſt eine neue Schrift, durch welche du erklärſt, des Kindes Mörder nicht werden zu können? Aber freilich, tauſend Andern iſt es ſchon ſo gegangen, wie dir. Raſtlos, bis ſie ans Ruder gelangt33 ſind, treten ſie ſpäter ſchimpflich zurück, wenn es gilt, das Ruder mit Aufopferung zu lenken! Und doch taugt keiner zum Heeresfürſten und Staatenlenker, der nicht Einſicht und Verſtand hat, und dieſelben auch in den ſchwierigſten Lagen des Lebens nicht verliert!

Solche Vorwürfe aus dem Munde des Bruders waren nicht geeignet, das Herz Agamemnons zu beruhigen. Was ſchnaubſt du ſo ſchrecklich, entgegnete er ihm, was iſt dein Auge wie mit Blut unterlaufen? Wer beleidigt dich denn; was vermiſſeſt du denn? Deine liebenswürdige Gattin Helena? Ich kann ſie dir nicht wieder verſchaffen! Warum haſt du deines Eigenthums nicht beſſer wahrge¬ nommen? Bin ich denn thöricht, wenn ich einen Mißgriff durch Beſinnung wieder gutgemacht habe? Viel eher han¬ delſt Du unvernünftig, der du aufs neue nach der Hand eines falſchen Weibes trachteſt, anſtatt daß du froh ſeyn ſollteſt, ihrer los geworden zu ſeyn. Nein, nimmermehr entſchließe ich mich, gegen mein eigenes Blut zu wüthen. Weit beſſer ſtände dir ſelbſt die gerechte Züchtigung deines buhleriſchen Weibes an.

So haderten die Brüder miteinander, als ein Bote vor ihnen erſchien, und dem Fürſten Agamemnon die Ankunft ſeiner Tochter Iphigenia meldete, der die Mutter und ſein kleiner Sohn Oreſtes auf dem Fuße folgten. Kaum hatte der Bote ſich wieder entfernt, ſo überließ ſich Agamemnon einer ſo troſtloſen und herzzerreißenden Verzweiflung, daß Menelaus ſelbſt, der bei Ankunft der Botſchaft auf die Seite getreten war, jetzt ſich dem Bruder wieder näherte und nach ſeiner rechten Hand griff. Agamemnon reichte ſie ihm wehmüthig dar und ſprach unter heißen Thränen: Da haſt du ſie, Bruder; der Sieg iſt dein! Ich binSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 334vernichtet! Menelaus dagegen ſchwor ihm, von der alten Forderung abſtehen zu wollen; ja er ermahnte ihn ſelbſt jetzt, ſein Kind nicht zu tödten, und erklärte einen guten Bruder um Helena's willen nicht verderben und nicht ver¬ lieren zu wollen. Bade doch dein Angeſicht nicht länger in Thränen, rief er. Giebt der Götterſpruch mir Antheil an deiner Tochter, ſo wiſſe, daß ich denſelben ausſchlage und meinen Theil dir abtrete! Wundre dich nicht, daß ich von der Heftigkeit meiner natürlichen Gemüthsart um¬ gekehrt bin zur Bruderliebe; denn Biedermanns Weiſe iſt es, der beſſern Ueberzeugung zu folgen, ſobald ſie in unſerm Herzen die Oberhand gewinnt!

Agamemnon warf ſich dem Bruder in den Arm, doch ohne über das Geſchick ſeiner Tochter beruhigt zu ſeyn. Ich danke dir, ſprach er, lieber Bruder, daß uns gegen Verhoffen dein edler Sinn wieder zuſammengeführt hat. Ueber mich aber hat das Schickſal entſchieden. Der blutige Tod der Tochter muß vollzogen ſeyn: das ganze Griechen¬ heer verlangt ihn; Kalchas und der ſchlaue Odyſſeus ſind einverſtanden; ſie werden das Volk auf ihrer Seite haben, dich und mich ermorden und mein Töchterlein abſchlachten laſſen. Und flöhen wir gen Argos, glaube mir, ſie kämen, und riſſen uns aus den Mauern hervor, und ſchleiften die alte Cyklopenſtadt! Deßwegen beſchränke dich darauf, Bru¬ der, wenn du in das Lager kommſt, darüber zu wachen, daß meine Gemahlin Klytämneſtra nichts erfahre, bis daß mein und ihr Kind dem Orakelſpruch erlegen iſt!

Die herannahenden Frauen unterbrachen das Geſpräch der Brüder, und Menelaus entfernte ſich in trüben Gedanken.

Die Begrüßung der beiden Gatten war kurz und von Agamemnons Seite froſtig und verlegen; die Tochter aber35 umſchlang den Vater mit kindlicher Zuverſicht und rief: O Vater, wie entzückt mich dein lange entbehrtes Ange¬ ſicht! Als ſie ihm hierauf näher in ſein ſorgenvolles Auge ſah, fragte ſie zutraulich: Warum iſt dein Blick ſo un¬ ruhig, Vater, wenn du mich doch gerne ſiehſt? Laß das, Töchterchen, erwiederte der Fürſt mit beklommenem Her¬ zen, den König und den Fürſten kümmert gar vielerlei! So verbanne doch dieſe Furchen, ſprach Iphigenia, und ſchlage ein liebendes Auge zu deiner Tochter auf! Warum iſt es denn ſo von Thränen angefeuchtet? Weil uns eine lange Trennung bevorſteht, erwiederte der Vater. O wie glücklich wäre ich, rief das Mädchen, wenn ich deine Schiffsgefährtin ſeyn dürfte! Nun, auch du wirſt eine Fahrt anzutreten haben, ſagte Aga¬ memnon ernſt, zuvor aber opfern wir noch ein Opfer, bei dem du nicht fehlen wirſt, liebe Tochter! Die letzten Worte erſtickten unter Thränen, und er ſchickte das ahnungsloſe Kind in das für ſie bereitgehaltene Zelt zu den Jungfrauen, die in ihrem Gefolge gekommen waren. Mit der Mutter mußte der Atride ſeine Unwahr¬ heit fortſetzen, und die fragende, neugierige Fürſtin über Geſchlecht und Verhältniſſe des ihr zugedachten Bräutigams unterhalten. Nachdem ſich Agamemnon von der Gemahlin losgemacht, begab er ſich zu dem Seher Kalchas, um mit dieſem das Nähere wegen des unvermeidlichen Opfers zu verabreden.

Derweilen mußte der tückiſche Zufall Klytämneſtra im Lager mit dem jungen Fürſten Achilles, der den Heerführer Agamemnon aufſuchte, weil ſeine Myrmidonen den längern Verzug nicht ertragen wollten, zuſammenführen, und ſie nahm keinen Anſtand, ihn als den künftigen Eydam3*36mit freundlichen Worten zu begrüßen. Aber Achilles trat verwundert zurück. Von welcher Hochzeit redeſt du, Fürſtin? ſprach er. Niemals habe ich um dein Kind gefreit, nie iſt ein Einladungswort zur Vermählung von deinem Gemahl Agamemnon an mich gelangt! So begann das Räthſel ſich vor Klytämneſtra's Augen aufzu¬ hellen, und ſie ſtand unentſchloſſen und voll Beſchämung vor Achilles. Dieſer aber ſagte mit jugendlicher Gut¬ müthigkeit: Laß dich's nicht kümmern, Königin, wenn auch Jemand ſeinen Scherz mit dir getrieben hätte, nimm es leicht, und verzeih mir, wenn mein Erſtaunen dir wehe gethan hat. Und ſo wollte er mit ehrerbietigem Gruße davon eilen, den Feldherrn aufzuſuchen, da öffnete eben ein Diener das Zelt Agamemnon's, und rief mit verſtörter Miene den beiden Sprechenden entgegen; es war der vertraute Sklave Agamemnon's und Klytämneſtra's, den Menelaus mit dem Briefe ergriffen hatte. Höre, ſprach er leiſe, doch athemlos, was dir dein treuer Diener zu vertrauen hat: deine Tochter will der Vater eigenhändig tödten! Und nun erfuhr die zitternde Mutter das ganze Geheimniß aus dem Munde des getreuen Sklaven. Kly¬ tämneſtra warf ſich dem jungen Sohne des Peleus zu Füßen, und ſeine Kniee wie eine Schutzflehende umfaſſend rief ſie: Ich erröthe nicht, ſo vor dir im Staube zu liegen, ich, die Sterbliche, vor dem Götterſprößling. Weiche, Stolz! vor der Mutterpflicht. Du aber, o Sohn der Göttin, rette mich und mein Kind von der Verzweif¬ lung! Dir, als ihrem Gatten, habe ich ſie bekränzt hier¬ her geführt; zwar eitler Weiſe, dennoch heiſſeſt du mir meines Mädchens Bräutigam! Bei allem, was dir theuer iſt, bei deiner göttlichen Mutter beſchwöre ich dich, hilf37 ſie mir jetzt retten. Sieh, ich habe keinen Altar, zu dem ich flüchten könnte, als deine Kniee! Du haſt Agamemnon's grauſames Unterfangen gehört; du ſieheſt, wie ich, ein wehrloſes Weib, in die Mitte eines gewaltthätigen Heeres eingetreten bin! Breite über uns deinen Arm aus, ſo iſt uns geholfen!

Achilles hob die vor ihm liegende Königin voll Ehr¬ furcht vom Boden und ſprach: Sei getroſt, Fürſtin! Ich bin in eines frommen, hülfreichen Mannes Haus aufge¬ zogen worden; am Heerde Chirons habe ich ſchlichte, red¬ liche Sinnesart gelernt. Ich gehorche den Söhnen des Atreus gerne, wenn ſie mich zum Ruhme führen, aber ſchnödem Befehle gehorche ich nicht. Darum will ich dich ſchützen, ſo weit es den Armen eines Jünglings möglich iſt, und nimmermehr ſoll deine Tochter, die einmal mein genannt wurde, von ihrem Vater hingewürgt werden. Ich ſelbſt erſchiene mir nicht unbefleckt, wenn meine erlogene Brautſchaft dieſes Kind verdürbe, ich käme mir wie der feigſte Wicht im Heere und wie der Sohn eines Miſſe¬ thäters vor, wenn mein Name deinem Gemahl zum Vor¬ wand eines Kindesmordes dienen könnte. Iſt das wirklich dein Wille, edler, mitleidiger Fürſt, rief Kly¬ tämneſtra, auſſer ſich vor Freude, oder erwarteſt du vielleicht noch, daß auch meine Tochter deine Kniee als Schutzflehende umſchlingen ſoll? Zwar iſt es nicht jung¬ fräulich; aber wenn es dir gefällt, ſo wird ſie züchtiglich nahen, wie es einer Freigebornen ziemt. Nein, ent¬ gegnete ihr Achilles, führe dein Mädchen nicht vor mein Angeſicht, damit wir nicht in Verdacht und üble Nachrede kommen, denn ein ſo großes Heer, das keine Heimat¬ ſorgen hat, liebt faules Geſchwätz; aber vertraue mir, ich38 habe nie gelogen. Möge ich ſelbſt ſterben, wenn ich dein Kind nicht rette. Mit dieſer Verſicherung verließ der Sohn des Peleus Iphigenia's Mutter, die jetzt mit un¬ verhehltem Abſcheu vor ihren Gatten Agamemnon trat. Dieſer, der nicht wußte, daß der Gemahlin das Geheim¬ niß verrathen war, rief ihr die zweideutigen Worte ent¬ gegen: Entlaß jetzt dein Kind aus dem Zelte und über¬ gib es dem Vater, denn Mehl und Waſſer und das Opfer, das unter dem Stahle vor dem Hochzeitsfeſt fallen ſoll, Alles iſt ſchon bereit. Vortrefflich, rief Klytämneſtra, und ihr Auge funkelte, tritt ſelbſt aus unſerm Zelte heraus, o Tochter, du kennſt ja gründlich deines Vaters Willen, nimm auch deinen kleinen Bruder Oreſtes mit heraus! Und als die Tochter erſchienen war, fuhr ſie fort: Siehe Vater, hier ſteht ſie dir zu Gehor¬ ſam da, laß aber mich zuvor ein Wort an dich richten: ſage mir aufrichtig, willſt du wirklich meine und deine Tochter umbringen? Lange ſtand der Feldherr lautlos da, endlich rief er in Verzweiflung aus: O mein Ver¬ hängniß, mein böſer Geiſt! Aufgedeckt iſt mein Geheimniß, Alles iſt verloren! So höre mich denn, ſprach Kly¬ tämneſtra weiter, ich will mein ganzes Herz vor dir ausſchütten. Mit einem Verbrechen hat unſre Ehe begon¬ nen, du haſt mich gewaltſam entführt, haſt meinen frü¬ heren Gatten erſchlagen, mein Kind mir von der Bruſt genommen und getödtet. Schon zogen meine Brüder Kaſtor und Pollux auf ihren Roſſen mit Heeresmacht gegen dich heran. Mein alter Vater Tyndareus war es, der dich den Flehenden rettete, und ſo wurdeſt du wieder mein Gemahl. Du ſelbſt wirſt es bezeugen, daß ich tadellos in dieſem Ehebunde war, deine Wonne im Hauſe und39 dein Stolz draußen. Drei Mädchen und dieſen Sohn habe ich dir geboren, und nun willſt du des älteſten Kin¬ des mich berauben, und frägt man dich warum, ſo ant¬ worteſt du: damit dem Menelaus ſeine Ehebrecherin wie¬ der zu Theil werde! O zwinge mich nicht, bei den Göt¬ tern, ſchlecht gegen dich zu werden, und ſey nicht ſchlecht gegen mich! Du willſt deine Tochter ſchlachten? welch Gebet willſt du dabei ſprechen, was willſt du dir beim Tochtermord erflehen? Eine unglückſelige Rückkehr, ſo wie du jetzt ſchmählich von Hauſe wegziehſt? Oder ſoll Ich etwa Segen für dich erbitten? Müßte ich doch die Götter ſelbſt zu Mördern machen, wenn ich es thäte! Warum ſoll es denn dein eigenes Kind ſeyn, das als Opfer fällt? Warum ſprichſt du nicht zu den Griechen: Wenn ihr vor Troja ſchiffen wollet, ſo werfet das Loos darüber, weſſen Tochter ſterben ſoll. Nun ſoll ich, deine treue Gattin, mein Kind verlieren, während er, deſſen Sache ausgefochten wird, Menelaus, ſeiner Tochter Her¬ mione ſich ohne Sorgen erfreuen darf, während ſeine treuloſe Gattin dieſes Kind in Sparta's Pflege geborgen weiß! Antworte, ob ich ein einziges unrechtes Wort geſagt habe. Ward aber von mir dir Wahrheit geſprochen, o ſo tödte doch deine und meine Tochter nicht, thu es nicht, beſinne dich!

Jetzt warf ſich auch Iphigenia zu den Füßen ihres Vaters und ſprach mit erſtickter Stimme: Beſäße ich den Zaubermund des Orpheus, o Vater, daß ich Felſen len¬ ken könnte, ſo wollte ich mich mit beredten Worten an dein Mitleid wenden. Jetzt aber ſind alle meine Künſte nur Thränen und anſtatt des Oelzweigs umflechte ich dein Knie mit meinem Leibe, Verdirb mich nicht frühzeitig,40 Vater, lieblich iſt das Licht zu ſchauen, nöthige mich nicht, das zu ſehen, was die Nacht verbirgt! Gedenke deiner Liebkoſungen, mit welchen du mich als Kind auf deinem Vaterſchooße gewiegt haſt. Noch weiß ich alle deine Reden, wie du hoffteſt mich in eines edlen Mannes Wohnung ein¬ zuführen, mich in Wohlergehen und Blüthe zu ſchauen, wenn du heimgekehrt wäreſt. Du aber haſt das Alles vergeſſen; du willſt mich tödten! O thu es nicht, bei dieſer Mutter beſchwöre ich dich, die mich mit Schmerzen geboren hat, und jetzt noch größeren Schmerz um mich empfindet! Was gehen mich Helena und Paris an? Warum muß ich ſterben, weil er nach Griechenland gekommen iſt? O blicke mich an; gönne mir dein Auge, deinen Kuß, daß ich doch ſterbend noch ein Andenken von dir empfange, wenn dich mein Wort nicht mehr zu rühren vermag! Sieh deinen Knaben, meinen Bruder an, Vater; ſchweigend fleht er für mich. Er iſt noch ein Küchlein; ich aber bin herangereift! So laß dich doch erweichen und erbarme dich meiner. Das Licht zu ſchauen iſt für Sterbliche doch das Holdſeligſte! Elend leben iſt beſſer, als der allerſchönſte Tod!

Aber Agamemnons Entſchluß war gefaßt, er ſtand unerbittlich wie ein Fels und ſprach: Wo ich Mitleid fühlen darf, da fühle ich Mitleid: denn ich liebe meine Kinder, ich wäre ja ſonſt ein Raſender. Mit ſchwerem Herzen, o Gemahlin, führe ich das Schreckliche aus, aber ich muß. Ihr ſehet ja, welch ein Schiffsheer mich umringt, wie viele Fürſten im Kriegspanzer mich umſtehen; dieſe Alle finden die Fahrt nach Troja nicht, Troja wird nicht erobert, wenn ich dich nicht opfere, Kind, nach dem Ausſpruche des Sehers. Dieſe Helden alle wollen den41 Entführungen der Griechenfrauen ein Ziel ſtecken; ſie ſind es feſt entſchloſſen; und bekämpfte ich nun dieſen Götter¬ ſpruch, ſo mordeten ſie euch und mich. Hier hat meine Macht eine Gränze, nicht meinem Bruder Menelaus, ſon¬ dern ganz Griechenland weiche ich.

Ohne weitere Bitten abzuwarten, entfernte ſich der König und ließ die jammernden Frauen allein in ſeinem Zelte. Da hallte plötzlich Waffenlärm vor dieſem. Es iſt Achilles, rief Klytämneſtra freudig. Vergebens ſuchte ſich Iphigenia in tiefer Beſchämung vor dem erheuchelten Bräutigam zu verbergen. Der Sohn des Peleus trat, von einigen Bewaffneten begleitet, haſtig in das Zelt: Unglückliche Tochter Leda's, rief er, das ganze Lager iſt im Aufruhr und verlangt den Tod deiner Tochter; ich ſelbſt, der mich dem Geſchrei widerſetzte, wäre faſt geſtei¬ niget worden. Und deine Myrmidonen? fragte Klytämneſtra mit ſtockendem Athem. Die empörten ſich zuerſt, fuhr Achilles fort, und ſchalten mich einen liebes¬ kranken Schwätzer. Mit dieſem treuen Häuflein hier komme ich, euch gegen den anrückenden Odyſſeus zu vertheidigen. Tochter, klammere dich an deine Mutter; mein Leib ſoll euch decken, ich will ſehen, ob ſie es wagen, den Sohn der Göttin anzugreifen, von deſſen Leben das Schickſal Troja's abhängt. Dieſe letzten Worte, die einen Schim¬ mer von Hoffnung enthielten, gaben der Mutter den Athem wieder.

Jetzt aber machte ſich Iphigenia aus ihren Armen los, richtete ihr Haupt auf und ſtellte ſich mit entſchloſſenen Schritten vor die Königin und den Fürſten: Höret meine Reden an! ſprach ſie mit einer Stimme, die alles Zit¬ tern verloren hatte, vergebens, liebe Mutter, zürnſt du42 deinem Gatten; er kann ſich nicht gegen das Nothwendige ſtemmen. Alles Lob verdient der Eifer dieſes Fremdlings, aber er wird es büßen müſſen, und du wirſt geläſtert wer¬ den. Höret deßwegen den Entſchluß, den mir die Ueber¬ legung eingegeben hat. Ich habe beſchloſſen, zu ſterben, ich verbanne jede niedrige Regung aus meiner freien Bruſt und will es vollenden. Auf mir ruht jetzt jedes Auge des herrlichen Griechenlands, auf mir die Fahrt der Flotte und der Fall Troja's, auf mir die Ehre der griechiſchen Frauen. Alles dieſes werde ich mit meinem Tode ſchirmen; mit Ruhm wird ſich mein Name bedecken, die Befreierin Griechenlands werde ich heißen. Soll ich, eine Sterbliche, der Göttin Artemis in den Weg treten, weil es ihr gefällt, mein Leben für das Vaterland zu verlangen? Nein, ich gebe es willig dahin, opfert mich, zerſtöret Troja, das wird mein Denkmal ſeyn und mein Hochzeitsfeſt.

Mit leuchtendem Blicke, wie eine Göttin, ſtand Iphigenia vor der Mutter und dem Peliden, während ſie alſo ſprach. Da ſenkte ſich der herrliche Jüngling Achilles vor ihr auf ein Knie und rief: Kind Agamemnons! die Götter machten mich zum glückſeligſten Menſchen, wenn mir deine Hand zu Theil würde. Um dich beneide ich Griechenland, und um Griechenland, das dir angetrauet iſt, dich. Liebesſehnſucht ergreift mich nach dir, du Herr¬ liche, nun ich dein Weſen geſchaut habe. Erwäg 'es wohl! der Tod iſt ein ſchreckliches Uebel, ich aber möchte dir gerne Gutes thun, möchte dich heimführen zum Leben und Glück! Lächelnd erwiederte ihm Iphigenia: Män¬ nerkrieg und Mord genug hat Frauenſchönheit durch die Tyndaridin Helena angeregt, mein lieber Freund, ſtirb43 nicht auch du für ein Weib, noch tödte Jemand um mei¬ netwillen. Nein, laß mich Griechenland retten, wenn ich es vermag! Erhabene Seele, rief der Pelide, thue was dir gefällt, ich aber eile mit dieſen meinen Waffen zum Altar, deinen Tod zu hindern. In deiner Unbeſon¬ nenheit darfſt du mir nicht ſterben, vielleicht nimmſt du mich noch beim Worte, wenn du den Mordſtahl auf dei¬ nen Nacken gezückt ſiehſt. So eilte er der Jungfrau voran, die bald darauf, der Mutter alle Klage verbietend und ihr den kleinen Bruder Oreſtes auf die Arme legend, im beſeligenden Bewußtſeyn, das Vaterland zu retten, dem Tode freudig entgegen ging. Die Mutter warf ſich im Zelt auf ihr Angeſicht und vermochte nicht, ihr zu folgen.

Unterdeſſen verſammelte ſich die ganze griechiſche Hee¬ resmacht in dem blumenreichen Haine der Göttin Diana vor der Stadt Aulis. Der Altar war errichtet und neben ihm ſtand der Seher und Prieſter Kalchas. Ein Ruf des Staunens und Mitleids ging durch das ganze Heer, als man Iphigenien, von ihren treuen Dienerinnen begleitet, den Hain betreten und auf den Vater Agamemnon zuwan¬ deln ſah. Dieſer ſeufzte laut auf, wandte ſein Angeſicht zurück und verbarg einen Thränenſtrom in ſein Gewand. Die Jungfrau aber ſtellte ſich dem Vater zur Seite und ſprach: Lieber Vater, ſiehe, hier bin ich ſchon! Vor der Göttin Altar übergebe ich mein Leben, wenn es der Göt¬ terſpruch ſo gebeut, den Führern des Heeres zum Opfer fürs Vaterland. Mich freut es, wenn ihr glücklich ſeyd und mit Siegeslohn zur Heimat wiederkehrt. Berühre mich drum auch kein Argiver, muthig und ſtill will ich den Nacken dem Opferſtahle bieten!

44

Ein lautes Staunen ging durch das Heer, als es Zeuge ſolchen Hochſinnes ward. Nun gebot Talthybius, der Herold, in der Mitte ſtehend, Stillſchweigen und Andacht. Der Seher Kalchas zog einen blanken ſchnei¬ denden Stahl aus der Seite und legte ihn vor dem Altar in einem goldenen Korbe nieder. Jetzt trat Achilles in voller Waffenrüſtung und mit gezücktem Schwerte vor den Altar. Aber ein Blick der Jungfrau verwandelte auch ſeinen Entſchluß. Er warf das Schwert auf die Erde, beſprengte den Altar mit Weihwaſſer, ergriff den Opfer¬ korb, umwandelte den Feſtaltar wie ein Prieſter und ſprach: O hohe Göttin Artemis, nimm dieſes heilige, freiwillige Opfer, das unbefleckte Blut des ſchönen Jung¬ frauennackens, das Agamemnon und Griechenlands Heer dir jetzo weiht, gnädig an, gib unſern Schiffen glückliche Fahrt, und Troja's Sturz unſern Speeren! Die Atriden und das ganze Heer ſtanden ſtumm zur Erde blickend. Der Prieſter Kalchas nahm ſeinen Stahl, betete, und faßte die Kehle der Jungfrau ſcharf ins Auge. Deut¬ lich hörte man den Fall ſeines Schlages. Aber, o Wun¬ der, in demſelben Augenblicke war die Jungfrau aus den Augen des Heeres verſchwunden. Diana hatte ſich ihrer erbarmt und eine Hindin von hohem Wuchs und herrlicher Geſtalt lag zappelnd auf dem Boden und beſprengte mit reichlichem Opferblute den Altar. Ihr Führer des ver¬ einten Griechenheeres, rief Kalchas, nachdem er ſich von ſeinem freudigen Staunen erholt hatte, ſehet hier das Opfer, welches die Göttin Artemis geſandt hat, und das ihr willkommner iſt, als die Jungfrau, deren edles Blut den Altar nicht beſudeln ſollte. Die Göttin iſt verſöhnt, gibt unſern Schiffen fröhliche Fahrt und verſpricht uns45 die Erſtürmung Troja's. Seyd guten Muths, ihr See¬ gefährten, denn noch an dieſem Tage verlaſſen wir die Bucht von Aulis! So ſprach er, und ſah zu, wie das Opferthier allmählig vom Feuer verkohlt ward. Als der letzte Funke erloſchen war, unterbrach die Stille der Luft ein Sauſen des Windes, die Blicke des Heeres kehrten ſich nach dem Hafen, und ſahen hier die Schiffe im bewegten Meere ſchwanken. Mit lautem Jubelrufe ward aus Dianens Haine aufgebrochen, und alles Volk eilte nach den Zelten.

Als Agamemnon in dem ſeinigen ankam, fand er ſeine Gattin Klytämneſtra nicht mehr dort; ihr treuer Diener war ihm vorausgeeilt und hatte die ohnmächtig auf dem Boden Liegende mit der Nachricht von der Ret¬ tung ihrer Tochter erweckt und aufgerichtet. Mit einem flüchtigen Gefühl des Dankes und der Freude erhob die zur Beſinnung gekommene Königin ihre Hände gen Him¬ mel, dann aber rief ſie mit bitterem Schmerze: Mein Kind iſt mir doch geraubt! Er iſt doch der Mörder mei¬ ner Mutterfreude! Laß uns eilen, daß meine Augen den Kindesmörder nicht ſchauen! Der Diener eilte, den Wagen und das Gefolge zu beſtellen, und als Aga¬ memnon von dem Opferfeſte zurückkam, war ſeine Ge¬ mahlin ſchon fern auf dem Wege nach Mycene.

46

Abfahrt der Griechen. Ausſetzung des Philoktetes.

Noch an demſelben Tage ging die Flotte der Griechen unter Segel, und der günſtigſte Fahrwind führte ſie ſchnell auf die hohe See. Nach einer kurzen Fahrt landeten ſie auf der kleinen Inſel Chryſe, um friſches Waſſer einzu¬ nehmen. Hier entdeckte Philoktetes, der Sohn des Kö¬ niges Pöas aus Meliböa in Theſſalien, der erprobte Held und Waffengefährte des Herkules, der Erbe ſeiner unüberwindlichen Pfeile, einen verfallenen Altar, welchen einſt der Argonaute Jaſon auf ſeiner Fahrt der Göttin Pallas Athene, der die Inſel heilig war, geweihet hatte. Der fromme Held freute ſich ſeines Fundes und wollte der Beſchirmerin der Griechen auf ihrem verlaſſenen Hei¬ ligthume opfern. Da ſchoß eine giftige Natter, dergleichen die Heiligthümer der Götter zu bewachen pflegten, auf den Herantretenden zu, und verwundete den Helden mit ihrem Biß am Fuße. Erkrankt wurde er wie¬ der zu Schiffe gebracht und die Flotte ſegelte weiter. Die giftige und ſtets weiter freſſende Wunde aber pei¬ nigte den Sohn des Pöas mit unerträglicher Qual, und ſeine Schiffsgenoſſen konnten den übeln Geruch des eitern¬ den Geſchwüres und ſein beſtändiges Jammergeſchrei nicht länger aushalten. Keine Spende, kein Opfer vermochten ſie ruhig darzubringen; in Alles miſchte ſich ſein unheiliger Angſtruf. Endlich traten die Söhne des Atreus mit dem verſchlagenen Odyſſeus zuſammen, denn die Unzufrieden¬ heit der Begleiter des kranken Helden fing an, ſich durch das ganze Heer zu verbreiten, welches fürchtete,47 daß der wunde Philoktetes das Lager von Troja ver¬ peſten und den Griechen mit ſeiner endloſen Wehklage das Leben verbittern möchte. Deßwegen faßten die An¬ führer des Volkes den grauſamen Entſchluß, als ſie an der wüſten und unbewohnbaren Küſte der Inſel Lemnos vorüberfuhren, den armen Helden hier auszuſetzen, und bedachten dabei nicht, daß ſie mit dem tapfern Manne ſich zugleich ſeiner unüberwindlichen Geſchoſſe beraubten. Der ſchlaue Odyſſeus erhielt den Auftrag, dieſen hinterliſtigen Anſchlag zu vollführen, er lud den ſchlafenden Helden ſich auf, fuhr mit ihm auf einem Nachen an den Strand, und legte ihn hier unter einer nahen Felſengrotte nieder, nach¬ dem er ſo viel Kleidungsſtücke und Lebensmittel zurück¬ gelaſſen hatte, als zur kümmerlichen Friſtung ſeines Lebens für die nächſten Tage nöthig waren. Das Schiff hatte am Strande nur ſo lange angehalten, als es Zeit bedurfte, den Unglücklichen auszuſetzen: dann ſegelte es, ſobald Odyſſeus zurückgekehrt war, weiter, und vereinigte ſich bald wieder mit dem übrigen Zuge.

Die Griechen in Myſien. Telephus.

Die griechiſche Flotte kam jetzt glücklich an die Küſte von Kleinaſien. Da aber die Helden der Gegend nicht recht kun¬ dig waren, ließen ſie ſich von dem günſtigen Winde zuerſt ferne von Troja an die myſiſche Küſte treiben, und legten ſich mit allen ihren Schiffen vor Anker. Längs des Geſtades fanden ſie zur Bewachung des Ufers allenthalben Bewaff¬ nete aufgeſtellt, die ihnen im Namen des Landesherrn48 verboten, dieß Gebiet zu betreten, bevor dem Könige ge¬ meldet wäre, wer ſie ſeyen. Der König von Myſien war aber ſelbſt ein Grieche, Telephus, der Sohn des Herkules und der Auge, der nach wunderbaren Schickſalen ſeine Mutter bei dem Könige Teuthras in Myſien antraf, des Königes Tochter Argiope zur Gemahlin erhielt, und nach deſſen Tode König der Myſier geworden war. Die Griechen, ohne zu fragen, wer der Herr des Landes wäre, und ohne den Wächtern eine Antwort zu ertheilen, griffen zu den Waffen, ſtiegen ans Land und hieben die Küſtenwächter nieder. Wenige entrannen und meldeten dem Könige Telephus, wie viel tauſend unbekannte Feinde in ſein Land gefallen ſeyen, die Wachen niedergemetzelt haben und ſich jetzt im Beſitze des Ufers befinden. Der König ſammelte in aller Eile einen Heerhaufen und ging den Fremdlingen entgegen. Er ſelbſt war ein herrlicher Held und ſeines Vaters Herkules würdig, hatte auch ſeine Kriegsſchaaren zu griechiſcher Heereszucht gebildet. Die Danaer fanden deswegen einen Widerſtand, wie ſie ihn nicht erwartet hatten; denn es entſpann ſich ein blu¬ tiges und lange unentſchiedenes Treffen, in welchem ſich Held mit Helden maß. Unter den Griechen that ſich in der Schlacht beſonders Therſander hervor, der Enkel des berühmten Königes Oedipus und Sohn des Polynices, der vertraute Waffengenoſſe des Fürſten Diomedes, der ſchon als Epigone ſich berühmt gemacht hatte*)S. Bd. I, S. 379 f.. Dieſer raste in dem Heere des Telephus mit Mord und erſchlug endlich den geliebteſten Freund und erſten Krieger des Königes an ſeiner Seite. Darüber entbrannte der König49 in Wuth und es entſpann ſich ein grimmiger Zweikampf zwiſchen dem Enkel des Oedipus und dem Sohne des Herkules. Der Heraklide ſiegte und Therſander ſank, von einem Lanzenſtiche durchbohrt, in den Staub. Laut ſeufzte ſein Freund Diomedes auf, als er dieß aus der Ferne ſah, und ehe der König Telephus ſich auf den Leichnam werfen und ihm die Rüſtung abziehen konnte, war er herzugeſprungen, hatte ſich den Leichnam des Freundes über die Schultern gelegt, und eilte mit Rieſenſchritten, ihn aus dem Kampfgewühle zu tragen. Als der Held mit ſeiner Laſt fliehend an Ajax und Achilles vorüberkam, durchfuhr auch dieſe Helden ein ſchmerzlicher Zorn, ſie ſammelten ihre wankenden Schaaren, theilten ſie in zwei Haufen und gaben durch eine geſchickte Schwenkung dem Treffen eine andere Geſtalt. Die Griechen waren jetzt bald wieder im Vortheil und als Teuthrantius, der Halb¬ bruder des Telephus, von einem Geſchoſſe des Ajax gefallen war und Telephus ſelbſt, in der Verfolgung des Odyſſeus begriffen, dem ſinkenden Bruder zu Hülfe kom¬ men wollte, ſtrauchelte er über einen Weinſtock; denn durch die Geſchicklichkeit der Griechen waren die kämpfen¬ den Schaaren der Feinde in eine Weinpflanzung gelockt worden, in der die Stellung der Danaer die günſtigere war. Dieſen Augenblick erſah ſich Achilles, und während Telephus vom Falle ſich aufrichtete, durchbohrte ſein Wurfſpieß die linke Weiche des Myſiers. Dieſer richtete ſich dennoch auf, zog das Geſchoß aus der Seite, und durch den Zuſammenlauf der Seinigen beſchirmt, entging er weiterer Gefahr. Und noch lange hätte das Treffen mit abwechſelndem Glücke fortgedauert, wenn nicht die Nacht eingebrochen wäre und beide Theile, der RuheSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 450bedürftig, ſich von dem Kampfplatze zurückgezogen hätten. Und ſo begaben ſich die Myſier nach ihrer Königsſtadt, die Griechen nach ihrem Ankerplatze zurück, nachdem von beiden Seiten viele tapfere Männer gefallen, viele ver¬ wundet waren. Am folgenden Tage ſchickten beide Theile Geſandte wegen eines Waffenſtillſtandes, damit die Leiber der Gefallenen zuſammengeſucht und begraben werden könnten. Jetzt erſt erfuhren die Griechen zu ihrem Stau¬ nen, daß der König, der ſein Gebiet ſo heldenmüthig ver¬ theidigt habe, ihr Volksgenoſſe und der Sohn ihres grö߬ ten Halbgottes ſey, und Telephus ward mit Schmerzen inne, daß ihm Bürgerblut an den Händen klebe. Nun fand es ſich auch, daß im griechiſchen Heere drei Fürſten waren, Tlepolemus, ein Sohn des Herkules, Phidippus und Antiphus, Söhne des Königes Theſſalus und Enkel des Herkules, dieſe drei alſo Verwandte des Königes Telephus. Dieſe nun erboten ſich, im Geleite der myſi¬ ſchen Geſandten vor ihren Bruder und Vetter Telephus zu gehen und ihm näher zu berichten, wer die Griechen ſeyen, die an ſeiner Küſte gelandet, und in welcher Abſicht ſie nach Aſien kämen. Der König Telephus nahm ſeine Verwandte liebreich auf und konnte ſich nicht genug von ihnen erzählen laſſen. Da erfuhr er, wie Paris mit ſeinem Frevel ganz Griechenland beleidigt hatte, und Menelaus mit ſeinem Bruder Agamemnon und allen verbünde¬ ten Griechenfürſten aufgebrochen ſey. Darum, ſprach Tlepolemus, der, als ein leiblicher Halbbruder des Köni¬ ges, für die Uebrigen das Wort führte, lieber Bruder und Landsmann, entzeuch dich deinem Volke nicht, für das ja auch unſer lieber Vater Herkules an allen Orten und Enden der Welt geſtritten, von deſſen Vaterlandsliebe51 ganz Griechenland unzählige Denkmale aufzuweiſen hat; heile die Wunden wieder, die du, ein Grieche, Griechen geſchlagen haſt, indem du deine Schaaren mit den unſri¬ gen vereinigſt und als unſer Verbündeter gegen das meineidige Trojanervolk zieheſt.

Telephus richtete ſich auf ſeinem Lager, auf welchem, von der Wunde des Achilles darniedergeſtreckt, er die grie¬ chiſchen Helden empfangen hatte, mit Mühe auf und erwiederte freundlich: Eure Vorwürfe ſind nicht gerecht, liebe Volksgenoſſen; durch eure eigene Schuld ſeyd ihr aus Freunden und Blutsverwandten meine blutigen Feinde geworden. Haben doch die Küſtenwächter, meinem ſtren¬ gen Befehle gehorſam, euch wie alle Landenden geziemend nach Namen und Abkunft gefragt und nicht nach roher Barbarenweiſe, ſondern nach dem Völkerrechte der Grie¬ chen mit euch gehandelt. Ihr aber ſeyd in der Meinung, daß gegen Barbaren Alles erlaubt ſey, ans Land geſprun¬ gen, ohne ihnen die verlangte Weiſung zu geben, und habt meine Unterthanen, ohne ſie anzuhören, niedergemacht. Auch mir habt ihr, hier zeigte er auf ſeine Seite, ein Andenken hinterlaſſen, das mich, wohl fühle ich es, mein Lebenlang an unſer geſtriges Zuſammentreffen erinnern wird. Doch grolle ich euch darüber nicht, und kann die Freude, Blutsverwandte und Griechen in meinem Reiche aufgenommen zu haben, nicht zu theuer erkaufen. Höret nun, was in Beziehung auf eure Anforderung mein Be¬ ſcheid iſt. Gegen Priamus zu Felde zu ziehen, muthet mir nicht zu. Mein zweites Gemahl, Aſtyoche, iſt ſeine Tochter, dazu iſt er ſelbſt ein frommer Greis und ſeine übrigen Söhne ſind edelmüthig, er und ſie haben keinen Antheil an dem Verbrechen des leichtſinnigen Paris. Sehet4 *52dort meinen Knaben Eurypylus; wie ſollte ich ihm das Herzeleid anthun, und das Reich ſeines Großvaters zer¬ ſtören helfen! Wie ich aber dem Priamus nichts zu Leide thun will, ſo werde ich auch euch, meine Landsleute, auf keinerlei Weiſe ſchädigen. Nehmet Gaſtgeſchenke von mir, und faſſet Mundvorrath, ſo viel euch nöthig iſt. Dann gehet hin und fechtet in der Götter Namen euren Handel aus, den ich nicht ſchlichten kann.

Mit dieſer gütigen Antwort kamen die drei Fürſten vergnügt in das Lager der Argiver zurück und meldeten dem Agamemnon und den andern Fürſten, wie ſie Freund¬ ſchaft im Namen der Griechen mit Telephus geſchloſſen. Der Kriegsrath der Helden beſchloß, den Ajax und Achil¬ les ſofort an den König zu ſenden, daß ſie das Bündniß mit ihm beſtätigten und ihn wegen ſeiner Wunde tröſteten. Dieſe fanden den Herakliden ſchwer an der Wunde dar¬ niederliegen und Achilles warf ſich weinend über ſein Lager und bejammerte es, daß ſein Speer unwiſſentlich einen Landsmann und edlen Sohn des Herkules getroffen. Der König aber vergaß ſeine Schmerzen und bedauerte nur, von der Ankunft ſo herrlicher Gäſte nicht unterrichtet geweſen zu ſeyn, um ihnen einen königlichen Empfang zu bereiten. Hierauf lud er die Atriden feierlich in ſeine Hofburg ein und empfing ſie mit feſtlicher Pracht und köſtlichen Geſchenken. Dieſe brachten auf die Bitte des Achilles die beiden weltberühmten Aerzte Podalirius und Machaon mit, die Wunde des Königes zu unterſuchen und zu heilen. Das letztere gelang ihnen zwar nicht, denn der Speer des Götterſohnes hatte ſeine eigene Kraft und die Wunden, die er ſchlug, widerſtanden der Heilung; doch befreiten die Linderungsmittel, die ſie auflegten, den König53 für den Augenblick von den unerträglichſten Schmerzen. Und nun ertheilte er von ſeinem Krankenlager aus den Griechen allerlei heilſame Rathſchläge, verſah die Flotte mit Lebensmitteln und ließ ſie nicht eher abziehen, als bis der Winter, der im Anzuge war, da ſie landeten, mit ſeinen härteſten Stürmen vorüber war. Darauf belehrte er ſie über die Lage der Stadt Troja und über den Weg, den ſie dahin zu machen hätten, und bezeichnete ihnen als einzigen Landungsplatz die Mündung des Fluſſes Skamander.

Paris zurückgekehrt.

Obgleich in Troja noch nichts von der Abfahrt der großen griechiſchen Flotte bekannt war, herrſchte doch ſeit der Abreiſe der griechiſchen Geſandten Schrecken und Furcht vor dem bevorſtehenden Kriege in dieſer Stadt. Paris war inzwiſchen mit der geraubten Fürſtin, der herr¬ lichen Beute und ſeiner ganzen Flotte zurückgekommen. Der König Priamus ſah die unerbetene Schwiegertochter nicht mit Freuden in ſeinen Pallaſt eintreten und verſammelte auf der Stelle ſeine zahlreichen Söhne zu einer Fürſten¬ verſammlung. Dieſe ließen ſich durch den Glanz der Schätze, die ihr Bruder unter ſie zu vertheilen bereit war, und die Schönheit der Griechinnen aus den edelſten Fürſtengeſchlechtern, welche er im Gefolge Helena's mit¬ gebracht hatte und denjenigen ſeiner Brüder, die noch keine Frauen hatten, zur Ehe zu geben bereit war, leicht bethören, und weil ihrer viele noch jung und alle kampf¬ luſtig waren, ſo fiel die Berathung dahin aus, daß die54 Fremde in den Schutz des Königshauſes aufgenommen und den Griechen nicht ausgeliefert werden ſollte. Ganz anders hatte freilich das Volk der Stadt, dem vor einem feindlichen Angriff und einer Belagerung gar bange war, die Ankunft des Königsſohnes und ſeinen ſchönen Raub auf¬ genommen; mancher Fluch hatte ihn durch die Straßen verfolgt und hier und da war ſelbſt ein Stein nach ihm geflogen, als er die erbeutete Gemahlin in des Vaters Pallaſt geleitete. Doch hielt die Ehrfurcht vor dem alten König und ſeinem Willen die Trojaner ab, ſich der Auf¬ nahme der neuen Bürgerin ernſtlich zu widerſetzen.

Als nun im Rathe des Priamus der Beſchluß gefaßt war, die Fürſtin nicht zu verſtoßen, ſandte der König ſeine eigene Gemahlin zu ihr in das Frauengemach, um ſich zu überzeugen, daß ſie freiwillig mit Paris nach Troja ge¬ kommen ſey. Da erklärte Helena, daß ſie durch ihre eigene Abſtammung den Trojanern ebenſoſehr angehöre als den Griechen: denn Danaus und Agenor ſeyen eben¬ ſowohl ihre eigenen Stammväter als die Stammhalter des trojaniſchen Königshauſes. Unfreiwillig geraubt, ſey ſie jetzt doch durch langen Beſitz und innige Liebe an ihren neuen Gemahl gefeſſelt und freiwillig die ſeinige. Nach dem, was geſchehen, könne ſie von ihrem vorigen Gatten und ihrem Volke keine Verzeihung erwarten; nur Schande und Tod ſtände ihr bevor, wenn ſie ausgeliefert würde.

So ſprach ſie mit einem Strom von Thränen und warf ſich der Königin Hekuba zu Füßen, welche die Schutz¬ flehende liebreich aufrichtete, und ihr den Willen des Kö¬ niges und ſeiner Söhne verkündete, ſie gegen jeden Angriff zu ſchirmen.

55

Die Griechen vor Troja.

So lebte denn Helena ungefährdet am Königshofe von Troja und bezog darauf mit Paris einen eigenen Pal¬ laſt. Auch das Volk gewöhnte ſich bald an ihre Lieblich¬ keit und griechiſche Holdſeligkeit, und als nun endlich die fremde Flotte wirklich an der trojaniſchen Küſte erſchien, waren die Einwohner der Stadt minder verzagt, denn zuvor.

Sie zählten ihre Bürger und ihre Bundesgenoſſen, die ſie ſchon vorher beſchickt und deren wirkſamer Hülfe ſie ſich verſichert hatten, und ſie fanden ſich an Zahl und Kraft ihrer Helden und Streiter den Griechen gewachſen. So hofften ſie mit dem Schutze der Götter denn außer Venus waren noch mehrere Götter, darunter der Kriegs¬ gott, Apollo und Jupiter der Göttervater ſelbſt, auf ihrer Seite die Belagerung ihrer Stadt abtreiben und die Feinde zum ſchnellen Rückzuge nöthigen zu können.

Zwar war ihr Anführer, König Priamus ſelbſt, ein nicht mehr kampffähiger Greis, aber fünfzig Söhne, worunter neunzehen von ſeiner Gattin, der Königin Hekuba, umringten ihn theils im blühenden, theils im kräftigſten Alter, vor allen Hektor, nächſt ihm Deiphobus, und nach dieſen als die ausgezeichnetſten Helenus, der Wahrſager, Pammon, Polites, Antiphus, Hipponous, Polydorus und der zarte Troilus. Vier liebliche Töchter, Kreuſa, Lao¬ dice, Caſſandra, die wahrſagende Jungfrau, und die in der Kindheit ſchon von Schönheit ſtrahlende Polyxena umgaben ſeinen Thron. Dem Heere, das ſich jetzt ſtreit¬ fertig machte, ſtand als Oberfeldherr Hektor, der helm¬56 umflatterte Held vor, neben ihm befehligte die Dardaner Aeneas, der Schwiegerſohn des Königes Priamus und Gemahl Kreuſa's, ein Sohn der Göttin Aphrodite und des greiſen Helden Anchiſes, der noch immer ein Stolz des trojaniſchen Volkes war; an die Spitze einer andern Schaar ſtellte ſich Pandarus, der Sohn des Lykaon, dem Apollo ſelbſt ſeinen Bogen verliehen hatte; andere Schaa¬ ren, zum Theil trojaniſcher Hülfsvölker, führten Adraſtus, Amphius, Aſius, Hippothous, Pyläus, Akamas, Euphemus, Pyrächmes, Pylämenes, Hodius, Epiſtrophus; Chromis und Ennomus eine Hülfsſchaar von Myſiern; Phorkys und Askanius eine gleiche der Phryger, Meſthles und Antiphus die Mäonier, Naſtes und Amphimachus die Ka¬ rier, die Lycier Sarpedon und Glaukus.

Auch die Griechen hatten inzwiſchen gelandet und ſich längs dem Geſtade des Meeres zwiſchen den beiden Vor¬ gebirgen Sigeum und Rhöteum in einem geräumigen Lager¬ platz angeſiedelt, der einer ordentlichen Stadt nicht unähn¬ lich war. Die Schiffe waren ans Land gezogen worden und in mehreren Reihen hintereinander aufgeſtellt, ſo daß ſie ſich, weil der Boden des Ufers aufwärts ging, ſtufen¬ förmig übereinander erhoben. Die Schiffszüge der einzel¬ nen Völkerſchaften reihten ſich in der Ordnung aneinander, wie ſie gelandet waren. Die Schiffe ſelbſt waren auf Unterlagen von Steinen aufgeſtellt, damit ſie vom feuchten Boden nichts zu leiden hätten und luftiger ſtänden. In der erſten Reihe vom Lande aus hatten an den beiden äußerſten Enden der Telamonier Ajax und Achilles, beide das Geſicht gegen Troja gekehrt, jener zur Linken, dieſer zur Rechten ihre Schiffe aufgeſtellt, und ihre Lagerhütten aufgepflanzt, die wir nur uneigentlich und der Kürze57 halber Zelte nennen. Das Quartier des Achilles wenigſtens glich beinahe einem ordentlichen Wohnhauſe, hatte Scheu¬ nen und Ställe für Mundvorräthe, Wagenpferde und zahmes Vieh; und neben ſeinen Schiffen war Raum zu Wettrennen, Leichenſpielen und andern Feierlichkeiten. An Ajax ſchloſſen ſich die Schiffe des Proteſilaus an, dann kamen andere Theſſalier, dann die Kreter, Athener, Pho¬ cier, Böotier, zuletzt Achilles mit ſeinen Myrmidonen; in der zweiten Reihe ſtanden unter andern die Lokrer, Duli¬ chier, Epeer, in der dritten waren minder namhafte Völ¬ ker mit ihren Schiffen gelagert; aber auch Neſtor mit den Pyliern, Eurypylus mit den Orchomeniern, zuletzt Menelaus. In der vierten und letzten längs dem Meeres¬ geſtade ſelbſt ſtanden Diomedes, Odyſſeus und Agamemnon, ſo daß Odyſſeus in der Mitte, zur Rechten Agamemnon, links Diomedes lagerte. Vor Odyſſeus befand ſich die Agora, der freie Platz, der zu allen Verſammlungen und Verhandlungen beſtimmt war, und auf welchem die Altäre der Götter ſtanden. Dieſer Platz theilte auch noch die dritte Reihe, ſo daß ſie den Neſtor zur Linken, den Eury¬ pylus zur Rechten hatte. Der Raum nach dem Meere hin verengerte ſich, und auch die Agora nahm viel Platz weg, ſo daß die dritte und vierte Reihe die wenigſten Schiffe enthielt. Das ganze Schiffslager war wie eine ordentliche Stadt von vielen Gaſſen und Wegen durch¬ ſchnitten, die Hauptſtraßen aber liefen zwiſchen den vier Reihen durch; vom Lande nach dem Meere gingen Queer¬ gaſſen, welche die Schiffe jeder Völkerſchaft von einander trennten; die Schiffe ſelbſt waren von den Lagerhütten ihrer Völkerſchaften wieder durch kleine Zwiſchenräume abgeſondert, und jede Völkerſchaft zerfiel wieder in kleinere58 Unterabteilungen nach den verſchiedenen Städten oder Anführern. Die Lagerhütten waren aus Erde und Holz aufgebaut und mit Schilf bedeckt. Jeder Anführer hatte ſein Quartier in der vorderſten Reihe ſeiner Schaar, und ein jedes war nach dem Range des Bewohners mehr oder weniger ausgeſchmückt. Die Schiffe dienten zugleich dem ganzen Lager zur Vertheidigung. Noch vor ihnen hatten die Griechen einen Erdwall aufgeworfen, der erſt in der letzten Zeit der Belagerung einer Mauer Platz machte. Hinter ihm war ein Graben, vorn mit einer dichten Reihe von Schanzpfählen verſehen.

Zu allen dieſen ſchönen Einrichtungen hatten die Grie¬ chen während der langen Zeit, da König und Rath von Troja über die beſte Weiſe der Vertheidigung ſich beriethen, Muße gefunden. Ihre Krieger verrichteten zugleich den Schiffs¬ dienſt, und erhielten ihr Brod auf öffentliche Veranſtaltung. Für die übrigen Lebensbedürfniſſe hatte ein jeder ſelbſt zu ſorgen. Die gemeinen Streiter waren leicht bewaffnet und fochten zu Fuße. Die vornehmeren ſtritten auf Kriegs¬ wägen, ſo daß jeder ſtreitende Held einen andern Helden als Wagenlenker bei ſich hatte. Von Reiterei wußten die Völker jener alten Zeit noch nichts. Die Streit¬ wägen mit den größten Helden waren auch beſtimmt, in der erſten Reihe zu kämpfen, und ſollten immer das Vordertreffen bilden.

Zwiſchen dem Schiffslager der Griechen und der Stadt Troja breitete ſich, von den Flüſſen Skamander und Simois eingeſchloſſen, die ſich erſt beim griechiſchen Lager zu Einer Mündung vereinigten, die blumigte ſkamandriſche Wieſe und die Troiſche Ebene vier Wegeſtunden lang aus, die zum Schlachtfelde beſtimmt und wie geſchaffen war,59 und hinter welcher ſich mit hohen Mauern, Zinnen und Thürmen, die von Götterhand befeſtigte, herrliche Stadt und Burg Troja erhob. Sie lag auf einem Hügel weit hin ſichtbar; ihr Inneres war uneben und bergicht und von vielen Straßen durchſchnitten. Nur von zweien Sei¬ ten war ſie leichter zugänglich, und hier befand ſich auf der einen Seite das Skäiſche, auf der andern das Dar¬ daniſche Thor mit einem Thurme. Die übrigen Seiten waren höckricht und mit Gebüſchen verwachſen, und ihre Thore und Thörchen kamen wenig in Betracht. In der obern Stadt oder Burg Ilium, auch Pergamus genannt, ſtanden die Palläſte des Priamus, des Paris, die Tempel der Hekate, der Athene und des Apollo, auf der höchſten Spitze der Burg ein Tempel des Jupiter. Vor der Stadt am Simois, den Griechen zur Linken, war der Hügel Kallikotone, zur rechten führte die Straße an den Quellen des Skamander und dann an dem hohen Hügel Batina vorbei, der umgangen werden konnte, und außen vor der Stadt lag. Hinter Troja kam das Iliſche Feld, das ſich ſchon bergan zog und die unterſte Stufe des waldigen Idagebirges bildete, deſſen höchſter Gipfel Gargarus hieß, das bis in die Ebene hinablief, und deſ¬ ſen beide letzte Aeſte rechts und links von den Griechen das Sigeiſche und Rhöteiſche Vorgebirge bildeten.

Noch ehe der Kampf zwiſchen beiden Völkern ſeinen Anfang nahm, wurden die Griechen durch die Ankunft eines werthen Gaſtes überraſcht. Der König Telephus von Myſien, der ſie ſo großmüthig unterſtützt hatte, war ſeitdem an der Wunde, die ihm der Speer des Achilles geſchlagen, unheilbar krank gelegen und die Mittel, die ihm Podalirius und Machaon aufgelegt hatten, thaten60 ſchon lange keine Wirkung mehr. Gequält von den uner¬ träglichſten Schmerzen hatte er ein Orakel des Phöbus Apollo, das in ſeinem Lande war, befragen laſſen, und dieſes hatte ihm die Antwort ertheilt, nur der Speer, der ihn geſchlagen, vermöge ihn zu heilen. So dunkel das Wort des Gottes lautete, ſo trieb ihn doch die Verzweif¬ lung, ſich einſchiffen zu laſſen und der griechiſchen Flotte zu folgen. So kam denn auch er bei der Mündung des Skamander an, und ward in die Lagerhütte des Achilles getragen. Der Anblick des leidenden Königes erneuerte den Schmerz des jungen Helden. Betrübt brachte er ſei¬ nen Speer herbei und legte ihn dem Könige zu den Fü¬ ßen ſeines Lagers, ohne Rath zu wiſſen, wie man ſich deſſelben zur Heilung der eiternden Wunde bedienen ſollte. Viele Helden umſtanden rathlos das Bett des gepeinigten Wohlthäters, bis es Odyſſeus einfiel, aufs Neue die großen Aerzte des Heeres zu Rathe zu ziehen. Podali¬ rius und Machaon eilten auf ſeinen Ruf herbei. Sobald ſie das Orakel Apollo's vernommen, verſtanden ſie als weiſe, vielerfahrene Söhne des Aeſkulapius ſeinen Sinn, feilten ein wenig Roſt vom Speere des Peliden ab, und legten ihn ſorgfältig verbreitet über die Wunde. Da war ein Wunder zu ſchauen: ſowie die Feilſpäne auf eine eiternde Stelle des Geſchwüres geſtreut wurden, fing dieſe vor den Augen der Helden zu heilen an, und in wenigen Stunden war der edle König Telephus, dem Orakel zu Folge, durch den Speer des Achilles von der Wunde deſſelben Speeres geneſen. Jetzt erſt war die Freude der Helden über den großmüthigen Empfang, der ihnen in Myſien zu Theil geworden war, vollkommen. Geſundet und froh ging Telephus wieder zu Schiffe, und wie jüngſt61 die Griechen ihn, ſo verließ jetzt er ſie unter Dankſagun¬ gen und Segenswünſchen, in ſein Reich Myſien zurück¬ kehrend. Er eilte aber, nicht Zeuge des Kampfes zu ſeyn, den ſeine lieben Gaſtfreunde gegen den eben ſo geliebten Schwäher beginnen würden.

[62][63]

Zweites Buch.

[64][65]

Ausbruch des Kampfes. Proteſilaus. Cygnus.

Die Griechen waren noch mit dem Geleite des Königes Telephus beſchäftiget, als die Thore Troja's ſich aufthaten, und die völlig gerüſtete Heeresmacht der Trojaner unter Hektors Anführung ſich über die Skamandriſche Ebene ergoß, und ohne Widerſtand gegen die Schiffe der ſorg¬ loſen Achiver anrückte. Die Aeußerſten im Schiffslager, die zuerſt zerſtreut zu den Waffen griffen und den heran¬ ziehenden Feinden entgegeneilten, wurden von der Ueber¬ macht erdrückt. Doch hielt das Gefecht mit ihnen die Heerſchaar der Trojaner ſo lange auf, daß die Griechen im Lager ſich ſammeln, und auch ihrerſeits in einem geordneten Heerhaufen den Feinden entgegentreten konn¬ ten. Da geſtaltete ſich nun die Schlacht ganz ungleich. Denn wo Hektor ſelbſt zugegen war, gewannen die Trojaner die Oberhand, in die Schlachtreihen aber, die ferne von ihm fochten, drangen die Griechen ſiegreich ein. Der erſte namhafte Held unter den Griechen, der von der Hand des trojaniſchen Fürſten Aeneas in dieſer erſten Schlacht fiel, war Proteſilaus, des Iphiklus Sohn. Als verlobter Jüngling war er gen Troja gezogen, und der erſte Grieche, der bei ber Landung ans Ufer ſprang: ſo ſollte er auch als das erſte Heldenopfer fallen, und ſeine Braut Laodamia, die holdſelige Tochter des Argonau¬ ten Akaſtus, ſollte den Bräutigam, den ſie mit bangerSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 566Sorge in den Krieg hatte ziehen laſſen, nicht wieder erblicken.

Noch war Achilles vom Kampfplatz entfernt. Er hatte dem Myſier, den er einſt mit dem Speere verwundet und jetzt mit dem Speere geheilt hatte, das Geleite ans Meer gegeben, und ſah nachdenklich dem Schiffe nach, das ſich in die ferne Fluth vertiefte. Da kam ſein Freund und Kampfgeſelle Patroklus auf ihn zugeeilt, faßte ihn bei der Schulter und rief: Wo weilſt du, Freund, die Griechen bedürfen deiner. Der erſte Kampf iſt entbrannt: des Königes Priamus älteſter Sohn, Hektor, rast an der Spitze der feindlichen Schaaren, wie ein Löwe, deſſen Höhle Jäger umſtellt haben. Aeneas, der Eidam des Königes, hat aus der Mitte unſerer Fürſten den edlen Proteſilaus, der an Jugend und Muthe dir glich, doch an Kraft dir nicht gleich war, erſchlagen. Wenn du nicht kommſt, ſo wird der Mord unter unſern Helden einreißen! Aus ſeinen Träumen erwacht, blickte Achilles hinter ſich, ſah den mahnenden Freund, und in dieſem Augenblicke drang auch der Hall des Kampfgetümmels in ſein Ohr. Da ſprang er, ohne ein Wort zu erwiedern, durch die Gaſ¬ ſen des Schiffslagers ſeinem Zelte zu. Hier erſt fand er die Sprache wieder, rief mit lauter Stimme ſeine Myrmi¬ donen unter die Waffen und erſchien mit ihnen wie ein donnerndes Wetter in der Schlacht. Seinem ſtürmiſchen Angriffe hielt ſelbſt Hektor nicht Stand. Zwei Söhne des Priamus erſchlug er, und der Vater ſah wehklagend von den Mauern herab den Tod ſeiner Kinder von des fürch¬ terlichen Heldenjünglings Hand. Dicht an der Seite des Peliden kämpfte der Telamonier Ajax, deſſen Rieſenleib alle andern Danaer überragte; vor den Streichen der bei¬67 den Helden flohen die Trojaner wie eine Heerde von Hirſchen vor einer Hundekoppel daher; zuletzt wurde die Flucht der Feinde allgemein, und die Trojaner ſchloſſen ſich wieder in ihre Thore ein. Die Griechen aber begaben ſich in Ruhe wieder zu ihren Schiffen und fuhren in Vollendung ihres Lagerbaues gemächlich fort. Achilles und Ajax wurden von Agamemnon zu Wächtern der Schiffe beſtimmt, und dieſe ſetzten wieder andere Helden zu Wäch¬ tern über einzelne Abtheilungen der Flotte.

Alsdann wandten ſie ſich zum Begräbniſſe des Prote¬ ſilaus, legten den Leichnam auf einen ſchön geſchmückten und aufgethürmten Scheiterhaufen und begruben ſeine Gebeine auf einer Halbinſel des Strandes unter ſchönen, hohen Ulmbäumen. Noch waren ſie mit der Beſtattung nicht ganz fertig, als ein zweiter Ueberfall die ſorglos Feiernden erſchreckte.

In Kolonis bei Troja herrſchte der König Cygnus, der, von einer Nymphe dem Meeresgotte Neptunus gebo¬ ren, auf der Inſel Tenedos wunderbarer Weiſe von einem Schwan großgezogen worden war, daher er auch ſeinen Namen Cygnus, d. h. Schwan, bekommen hatte. Dieſer war den Trojanern verbündet, und ohne beſonders dazu von Priamus aufgefordert zu ſeyn, hielt er ſich verpflich¬ tet, als er die Landung der fremden Kriegsvölker vor Troja gewahr wurde, ſeinen alten Freunden zu Hülfe zu kommen. Daher ſammelte er in ſeinem Königreich einen anſehnlichen Heerhaufen, legte ſich in der Nähe des grie¬ chiſchen Schiffslagers in einen Hinterhalt und war mit ſeiner Schaar eben erſt in dieſem Verſteck angekommen, als die Griechen aus dem erſten Treffen mit den Troja¬ nern als Sieger zurückgekehrt, ihrem gefallenen Helden5 *68die letzte Ehre erwieſen. Während ſie ſorglos und nicht in der vollen Waffenrüſtung um den Scheiterhaufen ge¬ ſchaart ſtanden, ſahen ſie ſich plötzlich von Streitwagen und Bewaffneten umringt, und ehe ſie ſich nur beſinnen konnten, ob der Boden die Streiter ausgeſpieen habe, oder woher ſie ſonſt erſchienen ſeyen, hatte Cygnus mit ſeiner Heeresmacht ein furchtbares Blutbad unter den Griechen angerichtet.

Doch war nur ein Theil der Argiver bei der Leichen¬ feier des Proteſilaus beſchäftigt und zugegen. Die andern bei den Schiffen und in den Lagerhütten waren ihren Waffen näher und eilten den Ihrigen, den Peliden Achilles an der Spitze, bald in voller Rüſtung und in geſchloſſenen Kriegsreihen zu Hülfe. Ihr Anführer ſelbſt ſaß auf dem Streitwagen, ſchrecklich anzuſchauen, und ſeine todbringende Lanze traf mit ihrem Stoße bald dieſen, bald jenen Kolo¬ niten, bis er, in den Reihen der Schlacht nur den Feld¬ herrn der Fremdlinge ſuchend, dieſen im fernen Kampfgewühle an den gewaltigen Stößen erkannte, die auch er, auf einem hohen Streitwagen ſtehend, rechts und links an die Grie¬ chen austheilte. Dorthin lenkte der Held Achilles ſeine ſchneeweißen Roſſe, und als er nun dem Cygnus gegen¬ über auf dem Wagen ſtand, rief er, die bebende Lanze mit nervigem Arme ſchwingend: Wer du auch ſeyeſt, Jüngling! nimm dieſen Troſt mit in den Tod, daß du von dem Sohne der Göttin Thetis getroffen worden! Dieſem Ausruf folgte ſein Geſchoß. Aber ſo ſicher er die Lanze abgezielt hatte, ſo rüttelte ſie dem Sohne des Nep¬ tunus doch nur mit dumpfem Stoße an der Bruſt; und mit ſtaunendem Blicke maß der Pelide ſeinen unverwund¬ lichen Gegner. Wundre dich nicht, Sohn der Göttin, 69rief dieſer ihm lächelnd zu; nicht mein Helm, den du anzuſtaunen ſcheinſt, oder mein hohler Schild in der Lin¬ ken halten die Stöße von meinem Leibe ab; vielmehr trage ich dieſe Schutzwaffen als bloßen Zierrath, wie auch wohl der Kriegsgott Mars zuweilen zum Scherze Waffen anzulegen pflegt, deren er doch gewiß nicht bedarf, ſeinen Götterleib zu ſchirmen. Wenn ich alle Bedeckung von mir werfe, ſo wirſt du mir doch die Haut mit deinem Speere nicht ritzen können. Wiſſe, daß ich am ganzen Leibe feſt wie Eiſen bin, und daß es etwas heißt, nicht etwa der Sohn einer Meernymphe zu ſeyn, nein der geliebte Sohn deſſen, der dem Nereus und ſeinen Töch¬ tern und allen Meeren gebeut. Erfahre, daß du dem Sohne Poſeidons ſelbſt gegenüber ſtehſt! Mit dieſen Worten ſchleuderte er ſeinen Speer auf den Peliden, und durchbohrte damit die Wölbung ſeines Schildes, ſo daß derſelbe durch das Erz und die neun erſten Stierhäute der göttlichen Waffe hindurchdrang: erſt in der zehnten Lage blieb das Wurfgeſchoß ſtecken. Achilles aber ſchüt¬ telte den Speer aus dem Schilde, und ſandte dafür den ſeinigen gegen den Götterſohn ab. Aber der Leib des Feindes blieb unverwundet. Selbſt das dritte Geſchoß, das der Pelide abſandte, blieb ohne Wirkung. Jetzt ge¬ rieth Achilles in Wuth, wie ein Stier im Thiergefechte, dem ein rothes Tuch vorgehalten wird und der mit den Hörnern in die Luft geſtoßen hat. Noch einmal warf er die Lanze aus Eſchenholz nach Cygnus, traf dieſen auch wirklich an der linken Schulter, und jubelte laut auf, denn die Schulter war blutig. Doch ſeine Freude war vergeb¬ lich; das Blut war nicht Blut des Götterſohnes; es war der Blutſtrahl des Menoetes, eines neben Cygnus fechtenden70 und von anderer Hand getroffenen feindlichen Helden. Knirſchend vor Wuth ſprang jetzt Achilles vom Wagen, eilte auf den Gegner zu und hieb mit gezücktem Schwerte auf ihn ein; aber ſelbſt der Stahl prallte ſtumpf an dem zu Eiſen gehärteten Körper ab. Da erhub Achilles in der Verzweiflung den zehnhäutigen Schild und zerpochte dem unverwüſtlichen Feinde, ganz auf ihn eingedrungen, drei, viermal die Schläfe mit der Schildbuckel. Jetzt erſt fing Cygnus an zu weichen, und Nebel ſchwamm ihm vor den Augen; er wandte ſeine Schritte rückwärts, ſtrauchelte über einen Stein und darüber ergriff ihn Achilles mit der Hand im Nacken, und warf ihn vollends zu Boden. Dann ſtemmte er ſich mit Schild und Knieen auf die Bruſt des Liegenden und ſchnürte dem Feinde mit ſeinem eigenen Helmbande die Kehle zu.

Der Fall ihres göttlichen Führers nahm den Koloni¬ ten plötzlich den Muth; ſie verließen den Kampfplatz in wilder Flucht und bald war von dem ganzen Ueberfalle nichts mehr zu ſehen, als die vielen Leichen von Griechen und Barbaren, die auf dem Felde um den halbvollendeten Grabhügel des Helden Proteſilaus zerſtreut umherlagen und den um viele der Ihrigen trauernden Argivern neue Arbeit machten.

Die Folge dieſes Ueberfalls war, daß die Griechen in die Landſchaft des erſchlagenen Königes Cygnus ein¬ fielen und aus der Hauptſtadt Metora die Kinder deſſel¬ ben als Beute hinwegführten. Dann griffen ſie das be¬ nachbarte Cilla an, eroberten auch dieſe feſte Stadt mit unermeßlicher Kriegsbeute, und kehrten ſo beladen zu ihrem wohlbewachten Schiffslager zurück.

71

Palamedes und ſein Tod.

Der einſichtsvollſte Mann im griechiſchen Heere war Palamedes, thätig, weiſe, gerecht und ſtandhaft; von zar¬ ter Geſtalt, des Geſangs und Leierſpiels kundig. Seine Beredſamkeit hatte den Atriden die meiſten Fürſten Grie¬ chenlands für den Feldzug gegen Troja geſtimmt, ſeine Klugheit ſelbſt den ſchlauen Sohn des Laertes überliſtet. Dadurch hatte er ſich aber auch einen unverſöhnlichen Feind in dem Heere der Danaer erworben, der Tag und Nacht auf Rache ſann und nur um ſo finſterer darüber brütete, je mehr das Anſehen des verſtändigen Euböers unter den Fürſten zunahm. Nun wurde den Griechen durch ein Orakel Apollo's bekannt, daß ſie dieſem Gott als Apollo Sminthius unter dieſem Namen wurde er in der Landſchaft Troas verehrt eine Hekatombe an der Stelle opfern ſollten, wo ſeine Bildſäule und ſein Tempel ſtand, und Palamedes war von dem Gotte aus¬ erwählt worden, die ſtattlichen Opferthiere nach der heiligen Stätte zu führen. Dort wartete ihrer Chryſes, der Prieſter des Gottes, der das feierliche Opfer vollbrachte. Die Verehrung des Gottes in dieſer Landſchaft hatte einen ſeltſamen Urſprung. Als die alten Teukrer, aus Kreta herüber mit ihrem Könige Teucer kommend, an dieſer Küſte Kleinaſiens gelandet hatten, gab ihnen das Orakel den Befehl da zu bleiben, wo ſie ihre Feinde aus der Erde würden hervorkriechen ſehen. Als ſie nun in Hama¬ xitus, einer Stadt dieſer Landſchaft, angekommen waren, benagten die Mäuſe, aus der Erde hervorſchlüpfend, in72 Einer Nacht alle ihre Schilde. Sie ſahen auf dieſe Weiſe den Spruch des Gottes erfüllt, ließen ſich in der Gegend nieder und erbauten dem Apollo eine Bildſäule, der eine Maus, was in äoliſcher Mundart Smintha bedeutet, zu Füßen lag.

Dieſem Apollo dem Sminthier, der ſeinen Tempel nicht weit von Chryſa auf einer Anhöhe ſtehen hatte, ward nun unter Palamedes Anführung von ſeinem Prieſter Chryſes eine Hekatombe oder Hundertzahl heiliger Schafe geopfert. Die Ehre, die dem Palamedes durch die An¬ ordnung Apollo's ſelbſt wiederfuhr, beſchleunigte ſeinen Untergang. Denn in Odyſſeus ſonſt nicht unedlem Ge¬ müthe gewann jetzt ganz der Neid die Oberhand, und er ſann auf eine fluchwürdige Liſt, durch welche er dem edeln Manne den Untergang bereitete. Er verbarg eigenhändig in tiefſter Heimlichkeit eine Summe Geldes in das Zelt des Palamedes. Dann ſchrieb er im Namen des Priamus einen Brief an den griechiſchen Helden, in welchem dieſer von überſchicktem Golde ſprach und dem Palamedes ſei¬ nen Dank ausdrückte, daß derſelbe ihm das Heer der Griechen verrathen habe. Dieſer Brief wurde einem phrygiſchen Gefangenen in die Hände geſpielt, bei dieſem ſodann von Odyſſeus entdeckt und der unſchuldige Träger auf ſeine Veranſtaltung ſofort auf der Stelle niedergemacht. Den Brief zeigte Odyſſeus vor der Fürſtenverſammlung im griechiſchen Lager. Palamedes wurde von den entrüſteten Häuptern der Danaer vor einen Kriegsrath geſtellt, den Agamemnon aus den vornehmſten Fürſten zuſammenſetzte und in welchem Odyſſeus ſich den Vorſitz zu verſchaffen wußte; auf ſeine Veranlaſſung ward im Zelte des Be¬ ſchuldigten geforſcht, endlich nachgegraben, und ſo die Summe73 Goldes, die der trügeriſche Odyſſeus dort verſteckt hatte, unter ſeiner Lagerſtätte aufgefunden. Die Richter, nichts vom wahren Vorgang der Sache ahnend, ſprachen einſtimmig das Todesurtheil aus. Palamedes würdigte ſie keiner Selbſtvertheidigung: er durchſchaute den Trug, aber er hatte keine Hoffnung, Beweiſe ſeiner Unſchuld, ſo wie der Schuld ſeines Gegners vorzubringen. Als daher das Urtheil gefällt war, das auf Steinigung lautete, brach er nur in die Worte aus: O ihr Griechen, ihr tödtet die gelehrteſte, die unſchuldigſte, die geſangreichſte Nach¬ tigall! Die verblendeten Fürſten lachten über dieſe Ver¬ theidigung, und führten den edelſten Mann im griechiſchen Heere zum unbarmherzigſten Tode fort, den er mit hel¬ denmüthiger Standhaftigkeit ertrug. Als ihn ſchon die erſten Steinwürfe niedergeſchmettert hatten, brach er noch in die Worte aus: Freue dich, Wahrheit, du biſt noch vor mir geſtorben! Als er dieſe Worte geſprochen, fuhr ihm, von Odyſſeus rachſüchtiger Hand geſchleudert, ein Stein an die Schläfe, daß er umſank und ſtarb. Aber Nemeſis, die Göttin der Gerechtigkeit, ſchaute vom Him¬ mel herab, und beſchloß, den Griechen und ihrem Ver¬ führer Odyſſeus noch am Ziel ihrer Thaten die Miſſethat zu vergelten.

Thaten des Achilles und Ajax.

Von den nächſten Kriegsjahren vor Troja erzählt die Sage nichts Ausführliches. Die Griechen lagen nicht unthätig vor Troja, da aber die Bewohner dieſer Stadt74 ihre Kräfte ſchonten und ſelten Ausfälle machten, ſo wand¬ ten die Danaer ihre Macht gegen die Umgegend. Achilles zerſtörte und plünderte allmählig zwölf Städte mit ſeiner Flotte, eilf nahm er zu Lande ein. Dem Prieſter Chryſes führte er auf einem Streifzuge nach Myſien ſeine ſchöne Tochter Aſtynome oder Chryſeis, gefangen fort. Bei der Einnahme von Lyrneſſus überfiel er den Pallaſt des Kö¬ niges oder Prieſters Briſes, der in der Verzweiflung den Strick um den Hals ſchlang und ſich den Tod gab. Sein holdſeliges Kind Briſeis oder Hippodamia wurde dem Sie¬ ger zu Theil, und er führte ſie als eine Lieblingsbeute ins griechiſche Lager mit ſich davon. Auch die Inſel Lesbos und die Stadt Thebe in Cilicien, am Fuße des Berges Placius gegründet, unterlagen ſeinen Angriffen. In der letztern Stadt herrſchte der Eidam des Königes Priamus, der König Eëtion, deſſen Tochter Andromache mit dem tapferſten Helden Troja's, mit Hektor, vermählt war. Sieben blühende Söhne wuchſen noch in ſeinem Königs¬ hauſe. Da kam Achilles, ſtürmte die hochragenden Thore der Stadt und erſchlug den König mit den ſieben Söhnen. Als der Leichnam des hohen Fürſten, der von herrlicher, Ehrfurcht gebietender Geſtalt war, vor dem jungen Hel¬ den ausgeſtreckt lag, bemächtigte ſich deſſelben ein Grauen und eine Scheu, und er wagte es nicht, den Liegenden der Waffen zu berauben, und ſich dieſelben als rühmliche Siegesbeute anzueignen. Er verbrannte daher den Leich¬ nam zur ehrlichen Beſtattung im vollen kunſtreich gearbei¬ teten Waffengeſchmeide und thürmte ihm ein mächtiges Denk¬ mal auf, das noch lange, von hohen Ulmen umſchattet, die Gegend ſchmückte. Die Gemahlin des Königes, die75 Mutter Andromache's, führte er mit ſich fort in die Skla¬ verei, doch gab er ſie ſpäter gegen ein reiches Löſegeld frei, und ſie kehrte nach der Heimath zurück, wo ein Pfeil der Göttin Diana ſie am Webeſtuhl traf und töd¬ tete. Aus dem Stalle des Königes führte Achilles ſein treffliches Pferd, Pedaſus genannt, mit ſich fort, das, obwohl ſterblich gezeugt, es doch an Kraft und Schnellig¬ keit ſeinen eigenen unſterblichen Roſſen gleich that und mit ihnen in die Wette am Wagen einherlief; aus der Rüſt¬ kammer des Königes Eëtion aber nahm er viel andere Herrlichkeiten mit, unter andern auch eine ungeheure eiſerne Wurfſcheibe, ſo groß, daß ſie einem Bauer fünf Jahre lang Eiſen zu ſeinem Ackergeräthe würde gege¬ ben haben.

Nächſt Achilles war der tapferſte und rieſigſte Held unter den Griechen der Telamonsſohn Ajax. Auch er feierte nicht. Er führte ſeinen Schiffszug nach der thraci¬ ſchen Halbinſel, wo die Königsburg Polymneſtors prangte. Dieſem hatte der König Priamus von Troja ſeinen jüng¬ ſten Sohn Polydorus, den er mit der Laothoe, einem Kebsweibe, gezeugt hatte, zur Pflege überſandt und dadurch, weil er ſein Liebling war, dem Waffendienſt entzogen, auch dem thraciſchen Könige zur Beköſtigung des Kindes Gold und Koſtbarkeiten genug übergeben. Dieſer Schätze und des ihm anvertrauten Unterpfandes bediente ſich nun der treuloſe Barbar, als ſein Land von dem Helden Ajax überfallen und ſeine Burg belagert wurde, den Frieden zu erkaufen; er verläugnete ſeine Freundſchaft mit dem Könige Priamus, verfluchte ihn, theilte Geld und Ge¬ treide, das er zur Nahrung des Knaben von ihm empfan¬ gen, unter die griechiſchen Streiter aus; dem Ajax ſelbſt76 aber überlieferte er das Gold und alle Koſtbarkeiten ſeines Verbündeten und endlich den Knaben Polydorus ſelbſt.

Ajax kehrte mit ſeiner Beute nicht ſogleich zum grie¬ chiſchen Schiffslager zurück, ſondern wandte ſich auf ſeinen Schiffen nach der phrygiſchen Küſte. Dort griff er das Reich des Königes Teuthras an, tödtete den König, der ihm an der Spitze eines Heerhaufens entgegenzog, in der Schlacht, und ſchleppte die Tochter des Teuthras, die königliche Jungfrau Tekmeſſa, die edelgeſinnt und von herrlicher Geſtalt war, als Kriegsbeute mit ſich fort. Doch ward ſie ihm bald wegen ihrer Schönheit und ihres Edelſinnes lieb; er hielt ſie hoch wie eine Gemahlin und hätte ſich feierlich mit ihr vermählt, wenn es Grie¬ chengebrauch geweſen wäre, eine Barbarin zu freien.

Achilles und der Telamonier trafen von ihren glück¬ lichen Streifzügen, ihre Laſtſchiffe voll Beute, zu gleicher Zeit im griechiſchen Schiffslager vor Troja wieder ein. Alle Danaer gingen ihnen unter Lobgeſängen entgegen; bald umringte ſie eine ganze Verſammlung von Streitern; man ſtellte die Helden in die Mitte, und unter jubelndem Zuruf wurde ihnen als Lohn der Siege ein Olivenkranz aufs Haupt geſetzt. Alsdann hielten die Helden einen Rath, um über die mitgebrachte Beute, die von den Griechen als Gemeingut angeſehen wurde, einen Beſchluß zu faſſen. Da wurden denn auch die gefangenen Frauen vorgeführt, und alle Danaer ſtaunten über ihre Schönheit. Der Beſitz der holden Briſeistochter wurde dem Achilles, dem Helden Ajax der Beſitz der königlichen Tekmeſſa beſtätigt. Ueberdieß durfte der Pelide auch die Geſpielin ſeiner Geliebten, die holde Jungfrau Diomedea, behalten, welche ſich von der Königstochter nicht trennen wollte, mit der77 ſie von zarter Kindheit an im Hauſe des Briſes auf¬ gewachſen war; ſie hatte ſich, vor die griechiſchen Helden geführt, zu Achilles Füßen geworfen und flehte ihn unter Thränen an, ſie nicht von ihrer lieben Herrin trennen zu laſſen. Nur Aſtynome, die Tochter des Prieſters Chryſes, wurde dem Völkerhirten Agamemnon, ſeine Königswürde zu ehren, zugeſprochen und von Achilles auch willig abge¬ treten. Die andre Kriegsbeute an Gefangenen und Mund¬ vorrath ward Mann für Mann unter das griechiſche Heer vertheilt.

Dann brachte Ajax, von Odyſſeus und Diomedes aufgefordert, die Schätze des Königes Polymneſtor aus ſeinen Schiffen herbei, und es wurde auch davon dem Könige Agamemnon ein ſchöner Theil an Gold und Sil¬ ber zugeſchieden.

Polydorus.

Endlich beriethen ſich die Helden über den allerkoſt¬ barſten Theil der Beute, über den Knaben Polydorus, den Sohn des Königes Priamus, und nach kurzer Rath¬ ſchlagung wurde einſtimmig beſchloſſen, daß Odyſſeus und Diomedes als Geſandte zu König Priamus abgeordnet werden ſollten, und ihm die Uebergabe ſeines jungen Soh¬ nes anbieten, ſobald Helena den Geſandten Griechenlands ausgeliefert ſeyn würde. Den beiden Helden wurde der Gemahl der geraubten Fürſtin, Menelaus, als dritter Ge¬ ſandter beigegeben, und ſo machten ſich alle drei mit dem jungen Polydorus auf den Weg, und wurden unter dem78 Schutze des Völkerrechts als heilige Geſandte von den Trojanern ohne Widerſpruch in ihre Mauern aufge¬ nommen.

Priamus und ſeine Söhne in ihrem Königspallaſte, der fern auf der Burg der Stadt gelegen war, wußten noch nicht, was zu ihren Füßen vorging, als ſchon die Geſandtſchaft auf dem Marktplatze Troja's ſtille hielt und, von trojaniſchem Volk umgeben, Menelaus das Wort ergriff und ſich mit herzzerſchneidenden Worten über die frevelhafte Verletzung des Völkerrechts beklagte, die ſich Paris an ſeinem heiligſten und theuerſten Beſitzthum durch den frechen Raub ſeiner Gemahlin zu Schulden kommen laſſen. Er ſprach ſo beredt und eindringlich, daß die umſtehenden Trojaner alle, und darunter die älteſten Häupter des Volkes, von ſeinen Worten ergriffen wurden und unter Thränen des Mitleids ihm Recht geben mußten. Als Odyſſeus ihre Rührung bemerkte, nahm auch er das Wort und ſprach: Mir däucht, ihr ſollet wiſſen, Häup¬ ter und andre Bewohner von Troja, daß die Griechen ein Volk ſind, die nichts unüberlegter Weiſe unternehmen, und daß ſie ſchon von ihren Vorfahren her bei allen ihren Thaten darauf bedacht ſind, Lob und nicht Schmach davon zu tragen. So wiſſet ihr denn auch, daß nach der unerhörten Beleidigung, die uns Allen eures Königes Sohn Paris durch die Entführung der Fürſtin Helena angethan hat, wir, bevor wir die Waffen gegen euch erhoben, zur gütlichen Beilegung dieſes Handels eine friedliche Geſandtſchaft an euch geſchickt haben. Erſt als dieß vergebens war, iſt der Krieg, und zwar noch dazu durch einen Ueberfall von eurer Seite, begonnen worden. Auch jetzt, nachdem ihr unſern Arm gefühlt79 habt und alle euch unterworfene oder mit euch verbündete Städte rings umher in Trümmer liegen, ihr ſelbſt aber nach vieljähriger Belagerung in mannigfaltige Noth gera¬ then ſeyd, liegt ein glücklicher Ausgang unſeres Streites immer noch in eurer Hand, ihr Trojaner! Gebet uns heraus, was ihr uns geraubt habt, und auf der Stelle brechen wir unſre Lagerhütten ab, ſteigen zu Schiffe, lich¬ ten die Anker, und verlaſſen mit der furchtbaren Flotte, die euch ſo vielen Schaden gethan hat, euren Strand für immer. Auch kommen wir nicht mit leeren Händen. Wir bringen eurem Könige einen Schatz, der ihm lieber ſeyn ſollte, als die Fremde, die eure Stadt zu ſeinem und eurem eigenen Fluche beherbergen muß. Wir bringen ihm den Knaben Polydorus, ſein jüngſtes und geliebteſtes Kind, den unſer Held Ajax in Thracien dem Könige Polymneſtor entriſſen hat, und der hier gebunden vor euch ſteht und von eurem und eures Königes, ſeines Va¬ ters Entſchluſſe, ſeine Freiheit und ſein Leben erwartet. Gebt ihr uns Helena heraus und liefert ihr ſie heute noch in unſere Hände, ſo wird der Knabe ſeiner Feſſeln ledig und bleibt im Hauſe ſeines Vaters. Wird uns Helena verweigert, ſo gehe eure Stadt zu Grunde und vorher noch wird euer König ſehen müſſen, was er für ſein Leben nicht ſehen möchte!

Ein tiefes Stillſchweigen herrſchte in der ihn umrin¬ genden Verſammlung des trojaniſchen Volkes, als Odyſ¬ ſeus aufgehört hatte zu ſprechen. Endlich ergriff der weiſe und bejahrte Antenor das Wort und ſprach: Lie¬ ben Griechen und einſt meine Gäſte! Alles was ihr uns ſaget, wiſſen wir ſelbſt, und müſſen in unſerm Herzen euch Recht geben; auch fehlt uns der Wille, die Sache80 zu beſſern, nicht, wohl aber die Gewalt. Wir leben in einem Staate, in welchem der Befehl des Königes Alles gilt; ihm ſich zu widerſetzen, erlaubt die Verfaſſung unſers Reiches, der Glaube, den wir von den Vätern ererbt, und das Gewiſſen des Volkes keinem von uns. Wir dürfen in allen öffentlichen Angelegenheiten nur alsdann ſprechen, wenn der König uns zu Rathe zieht; und wenn wir geſprochen haben, ſo behält er noch immer freie Hand, zu thun, was er will; damit du aber erfahreſt, was die Meinung der Beſten im Volke über eure Angelegenheit iſt, ſo werden ſich die Aelteſten unſeres Volkes verſammeln, und vor euch ihre Meinung abgeben. Dieß iſt, was uns zu thun übrig bleibt und unſer König ſelbſt uns nicht ver¬ weigern kann.

Und ſo geſchah es. Antenor veranſtaltete einen Rath der Aelteſten und führte die Geſandten in denſelben ein. Hier führte er den Vorſitz und befragte die Häupter des Volkes der Reihe nach über die Gewaltthat des Paris. Die vornehmſten Männer Troja's erklärten der Reihe nach, daß ſie die That für einen fluchwürdigen Frevel hielten; nur Antimachus, ein kriegsluſtiger aber tückiſcher Mann, vertheidigte den Raub der griechiſchen Fürſtin. Er war von Paris mit reichlichen Gaben beſtochen wor¬ den, wo es immer Gelegenheit gäbe, ſich ſeiner anzuneh¬ men und die Auslieferung Helena's zu verhindern. Auch dießmal arbeitete er für dieſen Zweck und hinter dem Rücken der Helden ertheilte er den ruchloſen Rath, die Geſandten der Griechen, drei ihrer tapferſten und klügſten Helden, umzubringen. Als aber die Trojaner dieſen Vor¬ ſchlag mit Abſcheu von ſich wieſen, rieth er, ſie wenig¬ ſtens ſo lange zu behalten, bis ſie den gefangenen81 Polydorus, ohne Löſegeld und Tauſch, dem Priamus aus¬ geliefert hätten. Auch dieſer Rath wurde als treulos ver¬ worfen, und da Antimachus nicht aufhörte, ſelbſt öffentlich in der Verſammlung die Helden zu ſchmähen, ſo wurde er von ſeinen Mitbürgern, welche den Griechen ihre Mi߬ billigung ſeines Betragens und ſeiner Grundſätze beweiſen wollten, mit Schimpf aus der Verſammlung geſtoßen.

Erbittert begab ſich Antimachus auf die Burg und unterrichtete den König von der Ankunft der griechiſchen Geſandtſchaft. Nun erhub ſich im Rathe des Königes und ſeiner Söhne ſelbſt eine lange zwieſpältige Berathung, zu welcher auch ein Aelteſter, der edle Panthous, der das volle Vertrauen des alten Königes genoß, gezogen wurde. Dieſer wandte ſich an den tapferſten, edelſten und tugend¬ hafteſten aller Söhne des Königes, an Hektor, mit der flehentlichen Bitte, dem Rath aller beſſern Trojaner nachzugeben und die unheilvolle Urheberin des Krieges auszuliefern. Hat doch, ſprach er, Paris ſo viele Jahre lang Zeit gehabt, ſich ſeines ungerechten Raubes zu erfreuen und ſeine Luſt zu büßen! Jetzt ſind alle unſre verbündeten Städte zerſtört und ihr Untergang weiſſagt uns unſer eigenes Schickſal; dazu haben die Griechen deinen kleinen Bruder Polydorus in ihrer Gewalt, und wir wiſſen nicht, was aus ihm werden wird, wenn wir den Griechen Helena nicht ausliefern!

Hektor wurde ſchamroth und bis zu Thränen betrübt, als er der Unthat ſeines Bruders Paris gedachte. Den¬ noch ſprach er ſich im Rathe des Königes nicht für die Auslieferung der Fürſtin aus. Sie iſt, antwortete er dem Panthous, einmal die Schutzflehende unſres Hauſes. Als ſolche haben wir ſie aufgenommen, ſonſt hätten wirSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 682ſie von der Schwelle des Königspallaſtes zurückweiſen müſ¬ ſen. Statt dieß zu thun, haben wir ihr und dem Paris ein prächtiges Haus gebaut, und ſie haben darin in Herr¬ lichkeit und Freuden lange Jahre verlebt, und ihr Alle habt dazu geſchwiegen und habt doch dieſen Krieg kommen ſehen! Warum ſollen wir ſie jetzt vertreiben? Ich habe nicht geſchwiegen, erwiederte Panthous, mein Ge¬ wiſſen iſt ruhig: ich habe euch die Prophezeiung meines Vaters mitgetheilt und euch gewarnt; ich warne euch zum zweitenmal. Komme was da will, ich werde die Stadt und den König mit euch getreulich vertheidigen helfen, auch wenn ihr meinen heilſamen Rath nicht befolget! Mit ſolchen Worten verließ er die Verſammlung der Kö¬ nigsſöhne.

In dieſer wurde zuletzt auf Hektor's Vorſchlag beſchloſ¬ ſen, zwar die Fürſtin Helena nicht auszuliefern, wohl aber Genugthuung und Erſatz für Alles zu leiſten, was mit ihr geraubt worden ſey. An ihrer Statt ſollte dem Me¬ nelaus eine der Töchter des Königes Priamus ſelbſt, die weiſe Kaſſandra oder die in Jugendblüthe heranreifende Polyxena, mit königlicher Mitgift zur Gemahlin angeboten werden. Als die griechiſchen Geſandten, vor den König und ſeine Söhne geführt, dieſen Vorſchlag vernahmen, ergrimmte Menelaus und ſprach: Wahrhaftig, es iſt weit mit mir gekommen, wenn ich, ſo viele Jahre des Ehegemahls meiner Wahl beraubt, am Ende von den Feinden mir eine Gattin ausleſen laſſen muß! Behaltet eure Barbarentöchter und gebt mir das Weib meiner Ju¬ gend zurück! Dagegen erhob ſich der Eidam des Königes, der Gemahl Kreuſa's, der Held Aeneas, und rief dem Fürſten Menelaus, der die letzten Worte mit verächtlichem83 Hohnlachen geſprochen hatte, mit rauher Stimme zu: Du ſollſt weder das Eine noch das Andre erhalten, Elender, wenn es nach meiner Abſtimmung geht, und nach der Meinung aller derjenigen, die den Paris lieben und es mit der Ehre dieſes alten Königshauſes halten! Noch hat das Reich des Priamus ſeine Beſchützer! Und ſollte auch der Knabe Polydorus, der Sohn des Kebs¬ weibes ihm verloren gehen, ſo iſt Priamus dadurch nicht kinderlos geworden! Sollen die Griechen einen Freibrief von uns erhalten, Frauen zu rauben? Genug der Worte! Wenn ihr euch nicht auf der Stelle mit eurer Flotte davon macht, ſo ſollet ihr den Arm der Trojaner fühlen! Noch haben wir ſtreitluſtiger Jugend genug und aus der Ferne kommen uns von Tag zu Tag mächtigere Verbündete, wenn auch die Schwachen in der Nähe erlegen ſind!

Dieſe Rede des Aeneas wurde von lautem Beifalls¬ ruf in der Trojaniſchen Fürſtenverſammlung begleitet und die Geſandten nur durch Hektor vor rohen Mißhand¬ lungen geſchützt. Voll heimlicher Wuth entfernten ſie ſich mit ihrem Gefangenen, Polydorus, den der König Priamus nur aus der Ferne erblickt hatte, und kehrten zu den Schiffen der Griechen zurück. Als ſich hier die Nachricht von dem verbreitete, was ihnen in Troja widerfahren war, von den Umtrieben des Antimachus, von dem Ueber¬ muthe des Aeneas und aller Priamusſöhne, auſſer Hektor, entſtand ein Auflauf unter dem Heere, und alles Volk ſchrie mit wilden Gebärden um Rache. Ohne lange die Fürſten zu fragen, wurde in einer unordentlichen Krieger¬ verſammlung der Beſchluß gefaßt, den unglücklichen Kna¬ ben Polydorus büßen zu laſſen, was ſeine Brüder und ſein Vater verſchuldet. Und auf der Stelle ſchritten ſie6*84zur Ausführung des Beſchloſſenen. Das arme Kind wurde auf Schußweite unter die Mauern Troja's geführt, und als, durch den großen Heeresauflauf herbeigelockt, König Priamus ſelbſt mit ſeinen Söhnen auf den Mauern erſchien, tönte bald ein kläglicher Weheruf von den Zin¬ nen herab, denn mit ihren eigenen Augen mußten ſie ſehen, wie die Drohung des Odyſſeus an dem Knaben vollzogen ward. Steine flogen von allen Seiten gegen ſein bloßes Haupt und ſeinen aller Beſchirmung baaren Leib, und unter unzähligen Würfen ſtarb er eines kläg¬ lichen und grauſamen Todes. Den zerfleiſchten Leichnam geſtatteten die Griechenfürſten dem flehenden Vater zum ehrlichen Begräbniß auszuliefern, und die Diener des Königes erſchienen, von dem Trojanerhelden Idäus begleitet, und luden die Leiche des Kindes unter Thränen und Wehklagen auf den Trauerwagen, der ſie dem troſt¬ loſen Vater zuführen ſollte.

Chryſes, Apollo und der Zorn des Achilles.

Unter dieſen Begebenheiten war das zehnte Jahr des Krieges angebrochen, und der griechiſche Held Ajax von vielen glücklichen Streifzügen zurückgekehrt. Mit der Ermordung des Polydorus aber flammte der Haß zwi¬ ſchen beiden Nationen feuriger auf, als zuvor, und die Götter des Himmels ſelbſt, die einen durch die Grauſam¬ keit der Griechen den Trojanern zugeneigt, die andern zum Schutze der Danaer aufgeregt, nahmen thätigen Antheil an dem Kampfe: Juno, Minerva, Merkur,85 Neptun, Vulkan auf Seite der Griechen, auf der Gegen¬ ſeite Mars und Venus, ſo daß von dieſem zehnten und letzten Jahre der Belagerung Troja's zehnmal mehr erzählt und geſungen wird, als von den neun andern. Denn jetzt hebt das Lied des Fürſten der Dichter, des Ho¬ merus, vom Zorne des Achilles an, und von allen Uebeln, die der Groll ihres größten Helden über die Achiver brachte.

Die Veranlaſſung zum Zorne des Peliden war fol¬ gende. Die Griechen hatten nach der Rückkehr ihrer Ge¬ ſandten die Drohung der Trojaner nicht vergeſſen, und bereiteten ſich in ihrem Lager zu entſcheidenden Kämpfen vor, als der Prieſter Apollo's, Chryſes, dem ſeine Tochter von Achilles geraubt und dem König Aga¬ memnon überlaſſen worden war, den Lorbeer ſeines Got¬ tes um den goldenen Friedensſtab geſchlungen, mit reichen Löſegeldern im Schiffslager der Griechen ankam, ſeine Tochter freizukaufen. Mit dieſer Bitte ſtellte er ſich vor die Atriden und das geſammte Heer, und ſprach: Ihr Söhne des Atreus und andre Achiver, mögen euch die Olympiſchen Vertilgung Troja's und glückliche Heimkehr verleihen, wenn ihr, den fernhintreffenden Gott Apollo, deſſen Prieſter ich bin, ehrend, mir gegen die Löſung, die ich bringe, die geliebte Tochter zurückgebet!

Das ganze Heer gab ſeinen Worten Beifall und gebot, den ehrwürdigen Prieſter zu ſcheuen und die köſtliche Löſung anzunehmen. Nur der König Agamemnon, der die liebliche Sklavin nicht verlieren wollte, wurde zornig und ſprach: Laß dich nicht mehr bei den Schiffen treffen, Greis, weder jetzt noch in Zukunft; deine Tochter iſt und bleibt meine Dienerin und wird in meinem Königshauſe86 zu Argos bis ins Alter hinter dem Webſtuhl ſitzen! Geh, reize mich nicht, mache, daß du geſund in deine Heimath kommſt!

Chryſes erſchrack und gehorchte. Schweigend eilte er an den Meeresſtrand; dort aber erhob er ſeine Hände zu dem Gotte, dem er diente, und flehte ihn an: Höre mich, Sminthier, der du zu Chryſa, Cilla und Tenedos herrſcheſt! Wenn ich je dir deinen Tempel zum Wohl¬ gefallen geſchmückt, und dir auserleſene Opfer dargebracht habe, ſo vergilt jetzt den Achivern mit dem Geſchoſſe!

So betete er laut: und Apollo erhörte ſeine Bitte. Zorn im Herzen verließ er den Olymp, Bogen und Köcher mit den hallenden Pfeilen auf der Schulter; ſo wandelte er einher wie die düſtere Nacht, dann ſetzte er ſich in einiger Entfernung von den griechiſchen Schiffen nieder und ſchnellte Pfeil um Pfeil ab, daß ſein ſilberner Bogen grauenvoll erklang. Wen aber ſein unſichtbarer Pfeil traf, der ſtarb den plötzlichen Tod der Peſt. An¬ fangs nun erlegte er im Lager nur Maulthiere und Hunde, bald aber wandte er ſein Geſchoß auch gegen die Men¬ ſchen, daß einer um den andern dahinſank und bald die Todtenfeuer unaufhörlich aus den Scheiterhaufen loderten. Neun Tage lang wüthete die Peſt im griechiſchen Heere. Am zehnten Tage berief Achilles, dem die Beſchirmerin der Griechen, Juno, es ins Herz gelegt, eine Volksver¬ ſammlung, nahm das Wort, und rieth, einen der Opfer¬ prieſter, Seher oder Traumdeuter im Heere zu befragen, durch welche Opfer der Eifer Phöbus Apollo's beſänftigt und das Unheil abgewendet werden könne.

Hierauf ſtand der weiſeſte Vogelſchauer im Heere, der Seher Kalchas auf, und erklärte, den Zorn des87 fernhintreffenden Gottes deuten zu wollen, wenn ihm der Held Achilles Schutz zuſpräche. Der Sohn des Peleus hieß ihn getroſt ſeyn und Kalchas ſprach: Keine ver¬ ſäumten Gelübde oder Hekatomben haben den Gott erzürnt. Er iſt ergrimmt über die Mißhandlung ſeines Prieſters durch Agamemnon, und wird ſeine Hand zu unſerm Verderben nicht zurückziehen, bis das Mägdlein dem erfreuten Vater zurückgegeben und ohne Entgeld mit einem hundertfachen Sühnopfer nach Chryſa heimgeführt wird. Nur auf dieſe Weiſe möchten wir die Gnade des Gottes wieder gewinnen.

Im Buſen des Königes Agamemnon ſchwoll die Galle bei dieſen Worten des Sehers; ſein Auge funkelte, und er begann mit drohendem Blicke: Unglücksſeher, der noch nie ein Wort geſprochen, das mir Gedeihen gebracht hätte, auch jetzt beredeſt du das Volk, der Fern¬ hintreffer habe uns die Peſt geſandt, weil ich das Löſe¬ geſchenk für die Tochter des Chryſes verworfen habe. Wahr iſt's, ich behielte ſie gern in meinem Hauſe, denn ſie iſt mir lieber, als ſelbſt Klytämneſtra, das Weib mei¬ ner Jugend, und ſtehet ihr an Wuchs, Schönheit, Geiſt und Kunſt nicht nach! Dennoch will ich ſie eher zurück¬ geben, als daß ich das Volk verderben ſehe. Aber ich verlange ein anderes Ehrengeſchenk zum Erſatze für ſie!

Nach dem Könige nahm Achilles das Wort: Ich weiß nicht, ruhmvoller Atride, ſprach er, welches Ehren¬ geſchenk deine Habſucht von den Achivern verlangt. Wo iſt denn noch viel Gemeinſchaftliches aufgeſpeichert? Alle Beute aus den eroberten Städten iſt längſt vertheilt, und den Einzelnen kann man doch das Ausgetheilte nicht wie¬ der nehmen! Darum entlaß die Tochter des Prieſters! 88Wenn uns dereinſt Jupiter die Eroberung Troja's gönnt, ſo wollen wir dir den Verluſt drei - und vierfach erſetzen! Tapferer Held, rief ihm der König zu, ſinne nicht auf Trug! Meinſt du, ich werde deinem Befehle folgen und mein Geſchenk hergeben, während du das deinige behältſt? Nein. Geben mir die Griechen keinen Erſatz, ſo gehe ich hin, mir einen aus eurer Beute zu holen, ſey es ein Ehrengeſchenk des Ajax oder des Odyſſeus, oder auch das deinige, Pelide; möget ihr dann noch ſo ſehr zürnen. Doch davon reden wir ein andermal. Jetzt aber immer¬ hin ein Schiff und die Hekatombe gerüſtet; ſie ſelbſt, die roſige Tochter des Chryſes möget ihr einſchiffen, und einer der Fürſten, meinethalben du, Achilles, mag das Schiff befehligen!

Finſter entgegnete Achilles: Schamloſer, ſelbſtſüch¬ tiger Fürſt! wie mag dir nur ein Grieche noch gehorchen! Ich ſelbſt, dem die Trojaner nichts zu Leibe gethan haben, bin nur dir gefolgt, um deinen Bruder Menelaus dir rächen zu helfen. Und das achteſt du nun nicht, ſondern willſt mir mein Ehrengeſchenk entreißen, das ich mir mit meinem Schweiß errungen und die Griechen mir geſchenkt haben! Bekam ich doch nach keiner Städteeroberung je ein ſo herrliches Geſchenk, wie du; die ſchwerſte Laſt des Kampfes hatte mein Arm ſtets zu tragen, aber wenn es zur Theilung kommt, trägſt du das Beſte davon, und ich kehre ſtreitmüde und mit wenigem vergnügt zu den Schif¬ fen zurück! Jetzt aber gehe ich heim nach Phthia; ver¬ ſuch 'es, und häufe dir Güter und Schätze ohne mich!

Fliehe nur, wenn dir's dein Herz gebeut, rief ihm Agamemnon zu, ich habe genug Helden ohne dich, du89 biſt doch einer der Zankſüchtigſten! Aber wiſſe, die Tochter des Chryſes erhält zwar ihr Vater wieder, ich dagegen hole mir ſelbſt die liebliche Briſëis aus deinem Zelte, damit du lerneſt, wie viel ich höher als du ſey, und kei¬ ner mehr es wage, mir ins Antlitz zu trotzen, wie du thuſt!

Achilles entbrannte, ſein Herz rathſchlagte unter ſeiner Männerbruſt, ob er das Schwert ziehen und den Atriden auf der Stelle niederhauen oder ſeinen Zorn beherrſchen ſolle. Da ſtand plötzlich unſichtbar hinter ihm die Göttin Athene, enthüllte ſich ihm allein, indem ſie ihn am braunen Lockenhaar faßte und ſprach flüſternd: Faſſe dich, zücke das Schwert nicht, ſchelten magſt du immerhin. Wenn du mir gehorchſt, verſpreche ich dir dreifache Gabe!

Auf dieſe Mahnung hemmte Achilles ſeine Rechte am ſilbernen Hefte des Schwertes und ſtieß es in die Scheide zurück; aber ſeinen Worten ließ er freien Lauf: Unwür¬ diger, ſprach er, wann hat dein Herz dir eingegeben, mit den Edelſten Griechenlands in einen Hinterhalt zu ziehen, oder in offener Schlacht zuvorderſt zu kämpfen? Viel bequemer dünkt es dir, hier im Heereslager ſein Geſchenk dem zu entwenden, der es wagt, dir zu widerſprechen! Aber ich ſchwöre dir bei dieſem Fürſtenſcepter, ſo gewiß er nie wieder als Baumaſt grünen wird, hinfort ſieheſt du den Sohn des Peleus nicht mehr in der Schlacht; umſonſt wirſt du Rettung ſuchen, wenn der Männer mor¬ dende Hektor die Griechen ſchaarenweiſe niederwirft; um¬ ſonſt wird alsdann an deiner Seele der Gram freſſen, daß du den edelſten der Danaer keiner Ehre werth geach¬ tet haſt! So ſprach Achilles, warf ſeinen Scepter auf die Erde und ſetzte ſich nieder. Vergebens ſuchte der90 ehrwürdige Neſtor die Streitenden mit milder Rede zu verſöhnen. Endlich rief Achilles, ſich aus der Verſamm¬ lung erhebend, dem Könige zu: Thue was du willſt, nur muthe mir keinen Gehorſam weiter zu. Nie werde ich des Mägdleins wegen gegen dich oder Andere die Arme zum Streit aufheben. Ihr gabet ſie mir, ihr könnt ſie mir auch wieder nehmen. Aber laß dir nicht einfallen, das Mindeſte ſonſt bei meinen Schiffen anzutaſten, wenn du nicht willſt, daß dein Blut von meiner Lanze triefe!

Die Verſammlung trennte ſich. Agamemnon ließ die Tochter des Chryſes und die Hekatombe zu Schiffe bringen und Odyſſeus führte beide ihrer Beſtimmung zu. Dann aber berief der Atride die Herolde Talthybius und Eury¬ bates und befahl ihnen, die Tochter des Briſes aus dem Zelte des Peliden zu holen. Die Herolde gingen ungerne, jedoch dem drohenden Wort ihres Herrſchers gehorchend, zum Schiffslager. Sie fanden den Achilles vor ſeinem Zelte ſitzend; und er wurde ihres Anblickes nicht fröhlich; ſie ſelbſt aber wagten vor Scheu und Ehrfurcht nicht, zu verkündigen, weswegen ſie kämen. Aber Achilles hatte es ihnen im Geiſte ſchon abgelauſcht. Freude ſey mit euch, rief er ihnen zu, ihr Herolde Jupiters und der Menſchen! Nahet euch immerhin; nicht ihr traget die Schuld eurer Forderung, ſondern Agamemnon. Wohlan denn, Freund Patroklus, führe die Jungfrau heraus und übergib ſie ihnen. Aber ſie ſelbſt ſollen mir Zeugen ſeyn vor den Göttern, den Menſchen und jenem Wütherich: wenn man je wieder meiner Hülfe bedarf, ſo iſt es nicht meine Schuld, ſondern die Schuld des Atriden, wenn ich nicht erſcheine.

Patroklus brachte das Mädchen, die den Herolden91 widerſtrebend folgte, denn ſie hatte ihren milden Herrn lieb gewonnen. Achilles aber ſetzte ſich weinend an den Strand, ſchaute hinunter in die dunkle Meerfluth und flehte ſeine Mutter Thetis um Hülfe an. Da ertönte ihre Stimme aus der Tiefe: Wehe mir, mein Kind, daß ich dich gebar; ſo kurz, ſo gar kurz währet dein Leben; und nun ſollſt du auch noch ſo viel Thränen und Kränkung erfahren! Aber ich ſelbſt gehe hinauf zum Donnerer und flehe für dich um Hülfe. Zwar iſt er geſtern zum Mahle der frommen Aethiopier an den Strand des Oceanus gegangen, und erſt nach zwölf Tagen wird er wiederkehren; dann aber eile ich hinauf zu ihm und umfaſſe ihm die Kniee. So lange ſetze du dich zu deinen Schiffen, zürne den Danaern und enthalte dich des Krieges. Achilles verließ, mit der Antwort ſeiner Mutter im Herzen, den Strand und ſetzte ſich grollend, mit verſchlungenen Armen, in ſeinem Zelte nieder.

Inzwiſchen war Odyſſeus mit dem Schiffe zu Chryſa angekommen und übergab dem freudig überraſchten Vater ſein holdſeliges Kind. Dankbar hob Chryſes ſeine Hände gen Himmel und flehte zu Phöbus um Abwendung der Plage, die er den Griechen zugeſandt, und in dieſem Au¬ genblicke hörte die Peſt unter dem griechiſchen Heere auf, und als Odyſſeus mit dem Schiffe ins Lager der Griechen zurückkam, fand er dieſe des Uebels ledig.

Der zwölfte Tag, ſeit Achilles ſich in ſeine Lager¬ ſtätte zurückgezogen hatte, war angebrochen und Thetis hatte ihr Verſprechen nicht vergeſſen. Im frühſten Morgennebel tauchte ſie aus dem Meere und ſtieg empor zum Olymp. Hier fand ſie auf der höchſten Kuppe des gezackten Ber¬ ges, abſeits von den andern Göttern, den waltenden Ju¬ piter gelagert, ſetzte ſich zu ihm, und mit der Linken ſeine92 Kniee umſchlingend, mit der Rechten nach der Sitte Fle¬ hender ſein Kinn berührend, ſprach ſie zu ihm: Vater Zeus, wenn ich dir je mit Worten oder Thaten gedient habe, ſo gewähre mir mein Verlangen: Ehre meinen Sohn, der vom Geſchicke ſo früh zu welken beſtimmt iſt; Agamemnon hat ihn jetzt eben aufs Tiefſte gekränkt und ihm das Ehrengeſchenk entzogen, das er ſelbſt erbeutet hatte. Deswegen bitte ich dich, Göttervater, gib den Trojanern ſo lange Sieg, bis die Griechen meinem Sohne wieder die verdiente Ehre erweiſen! Lange blieb Jupiter unbeweglich und ſchweigend. Aber Thetis ſchmiegte ſich ihm immer feſter ans Knie und flüſterte: So gewähre mir doch meine Bitte, Vater, oder verweigere ſie mir rund weg, damit ich es wiſſe, ob ich mehr als alle andere Götter einer Ehre von dir gewürdigt werde! So nöthigte ſie endlich den Vater der Götter zu der unmuthigen Ant¬ wort: Es iſt nicht zum Heile, daß du mich zwingſt, mit der Göttermutter Juno zu hadern, die ohnehin mir immer zuwider iſt. Eile nur hinweg, daß ſie dich nicht bemerke, und es genüge dir der Wink meines Hauptes, welcher der untrüglichſten Verheißung gleich iſt. So ſprechend nickte Jupiter mit ſeinen Augenbraunen und die Höhen des Olymps erbebten von dem Nicken ſeines Hauptes. Zufrie¬ den fuhr Thetis hinab zur Meerestiefe. Juno aber, welche die Rathſchlagung ihres Gemahles mit der Göttin wohl beachtet hatte, trat heran zu Jupiter und reizte ihn mit Vorwürfen. Doch dieſer antwortete der Göttin ruhig: Getraue dir nicht einzuſehen, was ich beſchließe; ſchweig und gehorche meinem Gebote. Da erſchrack Juno vor dem Wort ihres Gemahls, des Götter - und Menſchenvaters, und wagte nicht weiter Einſprache gegen ſeinen Entſchluß zu thun.

93

Verſuchung des Volkes durch Agamemnon.

Jupiter gedachte des Winks, den er der Meeresgöttin Thetis zugenickt hatte. Er ſchickte den Traumgott in das Lager der Griechen und in das Zelt des ſchlummernden Königs Agamemnon. Dieſer ſtellte ſich in Neſtors Geſtalt, den der König vor allen andern Aelteſten ehrte, zu ſeinen Häupten und ſprach zu ihm: Schläfſt du, Sohn des Atreus? ein Mann, der das ganze Volk berathen ſoll, darf nicht ſo lange ſchlafen. Höre mich, der ich als ein Bote Jupiters zu dir komme; er befiehlt dir, die Achiver zur Schlacht zu rüſten: jetzt ſey die Stunde, wo Troja bezwungen werden kann. Die Himmliſchen ſind entſchloſ¬ ſen und Verderben ſchwebt über der Stadt.

Agamemnon erwachte vom Schlafe und ſprang vom Lager. Er band ſich die Sohlen unter die Füße, zog das Gewand an, hängte das Schwert über die Schulter, ergriff den Scepter und wandelte in der Frühe des Mor¬ gens nach den Schiffen. Die Herolde gingen auf ſein Geheiß, das Volk zur Verſammlung zu rufen, von einer Lagerſtatt zu der andern; die Fürſten des Heeres aber wurden am Schiffe Neſtors in einen Rath verſammelt. Hier eröffnete Agamemnon die Berathung mit den Wor¬ ten: Freunde, vernehmet! ein gottgeſandter Traum, in Neſtors Geſtalt zu mir tretend, hat mich belehrt, daß, von Jupiter herabgeſandt, über Troja Verderben ſchwebe. Laßt uns nun ſehen, ob es uns gelingt, die durch den Zorn des Achilles entmuthigten Männer zur Schlacht zu rüſten. Ich ſelbſt will ſie zuerſt mit Worten verſuchen94 und ihnen den Rath ertheilen, zu Schiffe zu gehen und die trojaniſche Küſte zu verlaſſen, dann ſollt ihr euch, der eine da, der andere dorthin eilend, vertheilen, und die Völker zum Bleiben zu bewegen ſuchen. Nach Agamemnon erhob ſich Neſtor und ſprach zu den Fürſten: Wenn ein anderer Mann uns einen ſolchen Traum erzählte, ſo würden wir ihn der Lüge beſchuldigen und uns verächtlich abwenden. So aber iſt der, der dieſen Traum geſehen hat, der erſte Fürſt aller Danaer; und darum glauben wir ihm und gehen ans Werk! Neſtor verließ den Rath und alle Fürſten folgten ihm auf den Markt, wo das geſammte Volk ſich ſchon wie ein Bienenſchwarm verſam¬ melte. Neun Herolde ordneten daſſelbe, daß es ſich im Kreiſe lagerte und allmählig der Lärm und das Flüſtern der Redenden verſtummte. Dann ſprach Agamemnon, in der Mitte der Verſammlung ſtehend und auf ſeinen Herrſcherſtab ſich lehnend: Lieben Freunde, verſammelte heldenmüthige Streiter des Danaervolkes, der grauſame Jupiter hat mich in ſchwere Schuld verſtrickt, er, der mir einſt ſo gnädig gelobt hatte, daß ich nur als Vertilger Troja's heimziehen ſollte. Jetzt aber gefällt es ihm, der ſchon ſo viele Städte zu Boden geſchmettert hat und in ſeiner Allmacht noch niederſchmettern wird, mir zu befeh¬ len, daß ich, nachdem ſo viel Volkes umſonſt erlegen iſt, ruhmlos nach Argos zurückkehren ſoll. Auch iſt es freilich ſchmählich, wenn ein ſpäteres Geſchlecht vernehmen ſoll, daß dieſes große Griechenvolk in einem heilloſen Streite gegen ſo viel ſchwächere Feinde fortkämpfe. Denn wahr¬ haftig, wenn wir die Zahl der Trojaner im Frieden mit der Zahl der Unſrigen meſſen wollten, ſo daß je ein Tro¬ janer einem Tiſche von zehn Griechen den Wein kre¬95 denzte: viele Tiſche, däucht mir, würden des Weines ent¬ behren müſſen. Aber freilich haben ſie mächtige Bundes¬ genoſſen aus vielen Städten, deren Macht mir nicht erlaubt, ihre Stadt zu vertilgen, wie ich wohl möchte. Inzwiſchen ſind neun Jahre herumgegangen, das Holz an unſern Schiffen wird anbrüchig, die Seile vermodern, unſere Weiber und Kinder ſitzen zu Hauſe und ſchmachten nach uns, ſo iſt es wohl das Beſte, wir fügen uns in Jupiters Gebot, gehen zu Schiffe und kehren ins liebe Land der Väter zurück. Die Worte Agamemnons beweg¬ ten die Verſammlung, wie ſchwellende Meereswogen. Das ganze Heer gerieth in Aufruhr; Alles ſtürzte den Schiffen zu, daß der Staub in die Luft wirbelte; einer ermunterte den andern, die Schiffe ins Meer zu ziehen; die Balken unter dieſen wurden hinweggezogen, die Graben, die mit dem Meer in Verbindung ſtanden, geräumt.

Den Freunden der Griechen im Olymp ſelbſt wurde bange, als ſie den Ernſt der Völker ſahen, und Juno ermahnte Minerva, hinunter zu eilen ins Heer der Achi¬ ver und durch ihre ſchmeichelnde Götterrede die Flucht derſelben zu hemmen. Pallas Athene gehorchte ihr und flog von den Felſenhöhen des Olymp hinab ins Schiffs¬ lager der Griechen. Hier fand ſie den Odyſſeus mit gramvollem Herzen regungslos vor ſeinem Schiffe ſtehend, das er nicht zu berühren wagte. Die Göttin näherte ſich ihm, und indem ſie ſich ſeinen Blicken offenbarte, ſprach ſie freundlich zu ihm: Alſo wollet ihr euch wirklich in die Schiffe ſtürzen und fliehen? wollet dem Priamus den Ruhm und den Trojanern Helena laſſen, die Griechin, um welche ſo viele Griechen, fern vom Vaterlande, dahin¬ geſunken ſind? Nein, das wirſt du nicht dulden, edler,96 kluger Odyſſeus! Eilig dich ins Heer der Danaer geworfen, nicht gezaudert! brauche deiner Beredſamkeit, ermahne, hemme ſie. Auf den Ruf der Göttin warf Odyſſeus ſchnell ſeinen Mantel weg, den Eurybates, ſein Herold, der ihm gefolgt war, aufnahm, und eilte unter das Volk. Stieß er nun auf einen der Fürſten und edlern Männer, ſo hielt er ihn mit freundlichen Worten an und ſprach ihm zu: Ziemt es dir auch, mein Trefflicher, zu verzagen wie ein Feigling? Du ſollteſt vielmehr ruhig bleiben und auch die Andern beruhigen. Weißeſt du doch nicht, wie der Atride wirklich im Herzen geſinnt iſt, und ob er die Griechen nicht hat verſuchen wollen! Wenn er aber wo einen Mann vom Volke lärmend und ſchreiend antraf, den ſchlug er mit ſeinem Scepter und bedrohte ihn mit lauter Stimme: Elender, rühre dich nicht; hör 'du, was Andre ſagen, du, den man weder im Kampf, noch im Rathe rechnen kann! Wir Griechen können doch nicht alle Könige ſeyn! Vielherrſchaft iſt nichts nütze, nur Einem hat Jupiter den Scepter verliehen, und dieſem ſollen die Andern gehorchen!

So ließ Odyſſeus ſeine herrſchende Stimme durchs Heer erſchallen, und bewog endlich das Volk von den Schiffen auf den Verſammlungsplatz zurückzuſtrömen. All¬ mählich wurde alles ruhig und verharrte geduldig auf den Sitzen. Nur eine einzige Stimme krächzte noch: es war Therſites, der ſich, wie gewöhnlich, mit fordernden Schelt¬ worten gegen die Fürſten vernehmen ließ. Dieſer war der häßlichſte Mann, der aus Griechenland mit vor Troja gekommen war; er ſchielte mit dem einen Auge und war lahm am andern Fuße, hatte einen Höcker auf dem Rücken, die Schultern gegen die Bruſt eingeengt, einen97 Spitzkopf, deſſen Scheitel nur mit dünner Wolle ſpärlich beſäet war. Beſonders war der Haderer dem Peliden und Odyſſeus verhaßt, denn gegen dieſe Helden läſterte er unaufhörlich. Dießmal aber kreiſchte er ſeine Schmähun¬ gen dem Völkerfürſten Agamemnon entgegen: Was haſt du zu klagen, Atride, ſchrie er; weſſen bedarfſt du denn? Iſt nicht dein Zelt voll von edlem Erz, und voll von Weibern? Du läſſeſt es dir wohl ſeyn, und wir ſollen uns von dir in allen Jammer hineinführen laſſen? Viel beſſer thun wir, auf den Schiffen heimzuſegeln, und dieſen hier allein vor Troja ſich mit Ehrengeſchenken mäſten zu laſſen! Hat er doch jetzt ſelbſt den mächtigen Achilles ver¬ unehrt und vorenthält ihm ſeine Ehrengabe. Aber der träge Pelide hat keine Galle in der Leber, ſonſt hätte der Tyrann heute zum letzten Male gefrevelt!

Während Therſites ſo ſchalt, ſtellte ſich Odyſſeus neben ihn und maß ihn mit finſterem Blick, dann hub er ſein Scepter, bläute ihm Rücken und Schultern und rief: Find 'ich dich noch einmal im Wahnſinne toben, wie jetzt, du Schuft! ſo ſoll mein Haupt nicht auf meinen Schultern ſtehen, und Telemachus nicht mein Sohn ſeyn, wenn ich dir nicht die Kleider bis auf die Blöße vom Leibe ziehe, und dich mit Geißelhieben geſtäupt nackt zu den Schiffen ſende! Therſites krümmte ſich unter den Streichen des Helden mit blutigen Striemen auf Schulter und Nacken, und lief dann tobend vor Schmerz und heu¬ lend vor Wuth von dannen. Im Volk aber ſtieß ein Nachbar den andern lachend an, und freute ſich darüber, daß der ekelhafte Menſch die verdiente Strafe erhielt.

Jetzt aber trat der Held Odyſſeus vor das Volk; neben ihm Pallas Athene, welche die Geſtalt eines HeroldsSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 798angenommen hatte, und den Völkern Stillſchweigen gebot. Er ſelbſt hob ſeinen Fürſtenſtab in die Höhe, daß die Umſtehenden aufmerkten und ſprach: Sohn des Atreus! wahrhaftig, ſo weit iſt es gekommen, daß die Griechen dir Schmach bereiten und ihren Verheißungen ungetreu werden, ſie, die verſprochen haben, nicht eher von dannen zu ziehen, als bis ſie Troja vertilgt hätten. Nun jam¬ mern ſie wie Weiber und kleine Kinder nach der Heim¬ kehr, und klagen einander ihr Leid! Aber welche Schande wäre es für uns, nachdem wir ſo lange hier verweilt, leer heimzukehren! Darum, ihr Freunde! geduldet euch doch noch ein weniges; erinnert euch an das Zeichen, das uns vor unſerer Abfahrt nach Aulis zu Theil wurde, als wir auf geweihten Altären, um jenen Sprudelquell her, Hekatomben unter dem ſchönen Ahornbaume opferten. Mir iſts, als wäre es erſt geſtern geſchehen! Ein gräßlicher Drache mit dunkelfarbigen Schuppen ſchlüpfte unter dem Altar hervor, und fuhr ſchlängelnd an dem Ahornbaume hinauf. Dort hing ein Sperlingsneſt mit nackten Jun¬ gen ſchwankend auf einem Aſte: ihrer achte ſchmiegten ſich in die Blätter, das neunte aber war die brütende Mutter der Vögel. Die umflog mit kläglichem Zwitſchern die Kleinen, bis der Drache ſein Haupt hindrehte und die jammernde am Flügel erhaſchte. Nachdem er die Mutter ſammt den Jungen verzehrt, verwandelte Jupiter, der den Drachen geſandt hatte, ihn zum offenbaren Wunderzeichen in einen Stein, und ihr Achiver ſahet es mit ſtaunendem Grauen. Kalchas aber, der Seher, rief euch zu: Was ſtehet ihr verſtummt, ihr Griechen? Wiſſet ihr nicht, daß dieß Wunder eine Wahrſagung Jupiters iſt? Die neun Sperlinge ſind neun Jahre, die ihr um Troja kriegen99 werdet; im zehenten aber werdet ihr die prachtvolle Stadt erobern. So weiſſagte damals Kalchas. Nun aber wird ja Alles vollendet! Die neun Jahre des Kampfes ſind vorüber, das zehnte Jahr iſt erſchienen und der Sieg muß mit ihm kommen. So harret denn die kleine Weile mit¬ einander noch aus, ihr Griechen! Bleibet, bis wir die Veſte des Königes Priamus zerſtört haben!

Ein Jubel der verſammelten Argiver beantwortete die Rede des Odyſſeus, der weiſe Neſtor benützte die umgewandelte Stimmung der Völker und rieth dem Könige Agamemnon, ſofort, wenn ſich etwa noch einer unbändig nach der Heimkehr ſehnte, einem ſolchen nicht zu verwei¬ gern, zu Schiffe zu gehen und von dannen zu fahren. Dann aber ſollte er die Männer nach Stamm und Ge¬ ſchlecht abſondern und kämpfen laſſen: ſo würde er am ſicherſten erfahren, wer von Kriegern und Führern der Muthigere oder der Feigere ſey, und ob Göttergewalt, oder Furcht, oder mangelnde Kriegserfahrung die Erobe¬ rung Troja's verhindere. Erfreut antwortete auf dieſen Vorſchlag der Völkerfürſt:

Fürwahr, Neſtor, du der Greis übertriffſt unſere Männer alle durch Einſicht. Hätte ich im Rathe der Grie¬ chen noch zehen deines Gleichen, ſo ſollte mir Troja's hochragende Burg bald zertrümmert in den Staub ſinken! Ich ſelbſt muß geſtehen, daß ich unbeſonnen gehandelt habe, mich mit Achilles wegen des Mädchens zu entzweien. Jupiter hatte mich damals mit Blindheit geſchlagen. Ver¬ ſöhnen wir beide uns je wieder, ſo wird der Untergang Troja's nicht länger ſäumen! Doch nun wollen wir uns zum Angriffe rüſten, ſtärke ſich jeder mit einem Mahl, bereite Schild und Lanze, füttre und tränke ſeine Roſſe,7 *100beſichtige den Streitwagen und gedenke der Schlacht, die bis zum Abend dauern wird. Bleibt mir einer abſichtlich bei den Schiffen zurück, deſſen Leib ſoll den Hunden und Vögeln nicht entgehen!

Als Agamemnon ausgeredet, ſchrieen die Danaer laut auf, daß es tönte wie die Meerfluth, wenn ſie ſich beim Südwind am hohen Felſenſtrande bricht. Das Volk ſprang auf, jeder eilte zu ſeinen Schiffen und bald ſah man den Rauch des Frühſtücks aus den Lagerhütten dampfen. Agamemnon ſelbſt opferte dem Jupiter einen Stier und lud die edelſten Achiver zum Mahle ein. Als dieß vor¬ über war, gebot er den Herolden, die Griechen zur Schlacht zu rufen, und bald ſtürzten die Haufen, Schaaren von Kranichen oder Schwänen gleich, die am Flußufer hin¬ flattern, auf die ſkamandriſche Wieſe. Die Führer, an ihrer Spitze der Atride, ordneten die Reihen. Herrlich war der Fürſt der Fürſten Agamemnon anzuſchauen, an Augen und Haupt dem Göttervater gleich, an breiter Bruſt dem Neptunus und gerüſtet wie der ſtreitbare Kriegsgott ſelbſt.

Paris und Menelaus.

Das Heer, auf Neſtors Rath nach Volksſtämmen geordnet, ſtand in Schlachtordnung, als man endlich den Staub der aus ihren Mauern heranziehenden Trojaner gewahr wurde. Nun ſetzten ſich auch die Griechen in Bewegung. Als beide Heere einander nahe genug waren, daß der Kampf beginnen konnte, ſchritt aus der Reihe der Trojaner der Königsſohn Paris vor, in ein buntes Pantherfell101 gekleidet, den Bogen um die Schultern gehängt, ſein Schwert an der Seite, und indem er zwo ſpitze Lan¬ zen ſchwenkte, forderte er den tapferſten aller Griechen heraus, mit ihm den Zweikampf zu wagen. Als dieſen Menelaus aus den ſich heranwälzenden Schaaren hervor¬ ſpringen ſah, freute er ſich, wie ein hungriger Löwe, dem eine anſehnliche Beute, ein Gemsbock oder ein Hirſch, in den Weg kommt, und ſchnell ſprang er in voller Rüſtung von ſeinem Wagen zur Erde herab, den frevelhaften Dieb ſeines Hauſes zu beſtrafen. Dem Paris aber graute beim Anblick eines ſolchen Gegners und er entzog ſich dem Kampfe erblaſſend und ins Gedränge ſeiner Landsleute zurückfahrend, als hätte er eine Natter geſehen. Als ihn Hektor ſo in die Menge der Trojaner zurücktauchen ſah, rief er ihm voll Unmuth zu: Bruder, du biſt doch nur von Geſtalt ein Held, in Wahrheit aber nichts, als ein weibiſcher ſchlauer Verführer. Wäreſt du lieber geſtorben, ehe du um Helena gebuhlt! Siehſt du nicht, wie die Griechen ein Gelächter erheben, daß du es nicht wageſt, dem Manne Stand zu halten, dem du die Gattin geſtoh¬ len haſt? Du wäreſt werth zu erfahren, an welchem Manne du dich verſündigt, und ich würde dich nicht bemitleiden, wenn du dich verwundet auf dem Boden wälz¬ teſt und der Staub dein zierliches Lockenhaar beſudelte. Paris antwortete ihm: Hektor, dein Herz iſt hart und dein Muth unwiderſtehlich, wie eine Axt aus Erz, mit der der Schiffszimmermann Balken behaut, und du tadelſt mich nicht mit Unrecht; aber ſchilt mir nicht meine Schön¬ heit, denn ſie iſt auch eine Gabe der Unſterblichen. Wenn du mich aber jetzt kämpfen ſehen willſt, ſo heiß Trojaner und Griechen ruhen; dann will ich um Helena und alle102 ihre Schätze mit dem Helden Menelaus vor allem Volke den Zweikampf wagen. Wer von uns beiden ſiegt, mag ſie heimführen; ein Bund ſoll es bekräftigen; ihr bauet alsdann das trojaniſche Land in Frieden und jene ſchiffen heim gen Argos.

Eine freudige Ueberraſchung hatte ſich Hektors bei dieſen Worten ſeines Bruders bemächtigt; er trat vor die Schlachtordnung heraus in die Mitte und hemmte, den Speer vorhaltend, den Anlauf der trojaniſchen Haufen. Als die Griechen ſeiner anſichtig wurden, zielten ſie in die Wette mit Wurfſpießen, Pfeilen und Steinen nach ihm. Agamemnon aber rief laut nach den griechiſchen Reihen zurück: Haltet ein, Argiver, werfet nicht, der helmumflatterte Hektor begehrt zu reden! Die Griechen ließen ihre Hände ſinken und verharrten in Schweigen rings umher; und nun verkündete Hektor mit lauter Stimme den Völkern den Entſchluß ſeines Bruders Paris. Seine Rede beantwortete ein tiefes Stillſchweigen. End¬ lich nahm Menelaus vor den Heeren das Wort: Hört mich an, rief er, mich, auf deſſen Seele der allgemeine Kummer am ſchwerſten laſtet! Endlich, hoffe ich, werdet ihr, Argiver und Trojaner, nachdem ihr um des Streites willen, den Paris angefacht, ſo viel Schlimmes erduldet habt, verſöhnt von einander ſcheiden! Einer von uns Zweien, welchen auch das Schickſal auserkohren hat, ſoll ſterben; ihr Andern aber ſollt in Frieden ſcheiden. Laßt uns opfern und ſchwören, alsdann mag der Zweikampf beginnen!

Beide Heere wurden froh über dieſen Worten, denn ſie ſehnten ſich nach einem Ende des unſeligen Kriegs. Auf beiden Seiten zogen die Wagenlenker den Roſſen die103 Zügel an, die Helden ſprangen von den Streitwagen, zogen die Rüſtungen aus und legten ſie, Feinde ganz nahe an Feinden, auf die Erde nieder. Hektor ſandte eilig zween Herolde nach Troja, die Opferlämmer zu bringen und den König Priamus herbeizurufen, auch der König Agamemnon ſchickte den Herold Talthybius zu den Schif¬ fen, ein Lamm zu holen. Die Götterbotin Iris aber, in Priamus Tochter Laodice umgeſtaltet, eilte, die Botſchaft der Fürſtin Helena in die Stadt zu bringen. Sie fand ſie am Webeſtuhl, ein köſtliches Gewand mit den Kämpfen der Trojaner und Griechen durchwirkend, die Augen auf ihre Arbeit geheftet. Komm doch heraus, trautes Kind, rief ſie ihr zu, du ſollſt etwas Seltſames ſchauen! Die Trojaner und Griechen, die noch eben voll Ingrimms zur Feldſchlacht gegen einander heranrückten, ruhen ſtillſchwei¬ gend, auf die Schilde hingelehnt, die Speere in den Bo¬ den geſteckt, einander gegenüber; aller Krieg iſt beendigt; nur deine Gatten Alexander und Menelaus werden mit der Lanze um dich kämpfen, und wer ſeinen Gegner be¬ ſiegt, trägt dich als Gemahlin davon!

So ſprach die Göttin und erfüllte das Herz Helena's mit Sehnſucht nach ihrem Jugendgemahl Menelaus, nach der Heimath und nach den Freunden. Sie hüllte ſich ſchnell in einen ſilberweißen Schleier, in welchen ſie die Thräne verbarg, die ihr an den Wimpern hing, und eilte, von Aethra und Klymene, zweien ihren Dienerinnen ge¬ folgt, nach dem Skäiſchen Thore. Hier ſaß auf den Zin¬ nen König Priamus mit den älteſten und verſtändigſten Greiſen des trojaniſchen Volkes, Panthous, Thymötus, Lampus, Klytius, Hiketaon, Antenor und Ukalegon; die beiden Letztern waren die verſtändigſten Männer von104 Troja; ſie Alle ruhten zwar in ihrem hohen Alter vom Kriege aus; in der Rathsverſammlung aber war ihr Wort das tüchtigſte. Als dieſe von der Höhe des Thur¬ mes Helena herankommen ſahen, flüſterten die Greiſe, die Geſtalt der Fürſtin beſtaunend, einander leiſe zu: für¬ wahr, Niemand ſoll Trojaner und Griechen tadeln, daß ſie für ein ſolches Weib ſo lange im Elend ausharren. Gleicht ſie doch einer unſterblichen Göttin an Herrlichkeit! Aber auch mit ſolcher Geſtalt mag ſie immerhin auf den Schiffen der Danaer heimkehren, damit uns und unſern Söhnen nicht der Schaden zurückbleibe! Priamus aber rief Helena liebreich herbei: Komm näher heran, ſprach er, mein Töchterchen, ſetze dich zu mir her, ich will dir deinen erſten Gemahl, deine Freunde und deine Verwand¬ ten zu ſchauen geben; du biſt mir nicht Schuld an dieſem jammervollen Kriege; die Götter ſind es, die ihn mir zu¬ geſendet haben. Nenne mir denn jenes gewaltigen Man¬ nes Namen, der dort ſo groß und herrlich über alle Danaer hervorprangt; an Haupt überragen ihn zwar hier und da noch größere Männer in dem Heere, aber von ſo königlicher Geſtalt habe ich doch noch keinen unter ihnen geſehen.

Ehrfurchtsvoll entgegnete Helena dem Könige: Theu¬ rer Schwiegervater, Scheu und Furcht bewegen mich, in¬ dem ich dir nahe. Mir wäre der bitterſte Tod beſſer geweſen, als daß ich, Heimath, Tochter und Freunde ver¬ laſſend, deinem Sohne hierher gefolgt bin. In Thränen möchte ich zerfließen, daß es geſchah! Nun aber höre: der dort, nach dem du fragſt, iſt Agamemnon, der treff¬ lichſte König und ein tapferer Krieger; er war, ach er war dereinſt mein Schwager! Glücklicher Atride, rief105 Priamus aus, den Helden ſich betrachtend, Geſegneter, deſſen Scepter zahlloſe Griechen gehorchen! Auch ich ſtand einſt in männlicher Jugend an der Spitze eines gro¬ ßen Heeres, als wir die Horde der Amazonen von Phry¬ gien abwehrten; doch war mein Heer nicht ſo groß, wie das deinige! Dann fragte der Greis von Neuem: Nenne mir nun auch noch jenen, Töchterchen, er ragt nicht ſo hoch empor, wie der Atride, aber ſeine Bruſt iſt breiter, ſeine Schultern ſind mächtiger; ſeine Wehr liegt zu Boden geſtreckt; er ſelbſt umwandelt die Reihen der Männer, wie ein Widder die Schaafe. Das iſt der Sohn des Laertes, antwortete Helena, der ſchlaue Odyſſeus; Ithaka, die felſige Inſel, iſt ſeine Heimath. Jetzt miſchte ſich auch der Greis Antenor ins Geſpräch: Du haſt Recht, Fürſtin, ſagte er, ihn und Menelaus kenne ich gut; habe ich ſie doch in meinem Haus als Ge¬ ſandte einſt beherbergt. Im Stehen überragte Menelaus den Helden Odyſſeus; wenn ſie ſich aber beide geſetzt, erſchien Odyſſeus als der Herrlichere. Auch redete Mene¬ laus wenig, lauter hingeworfene inhaltsreiche Worte. Odyſſeus aber, wenn er reden wollte, ſtand da, die Augen zur Erde geheftet, den Stab unbeweglich in der Hand, anzuſehen wie ein Verlegener; man wußte nicht, iſt er tückiſch oder dumm. Sandte er aber einmal die gewaltige Stimme aus der Bruſt, dann drängten ſich ſeine Worte wie Schneeflocken im Winter, und kein Sterblicher konnte ſich mit Odyſſeus an Beredtſamkeit meſſen.

Priamus hatte ſich indeſſen noch weiter umgeſchaut. Wer iſt denn der Rieſe dort, rief er, der ſo gar groß und gewaltig über alles Volk hervorragt? Das iſt der Held Ajax, antwortete Helena, die Stütze der Achiver;106 und weiter drüben ſteht wie ein Gott unter ſeinen Kretern Idomeneus. Ich kenne ihn wohl; Menelaus hat ihn oft in unſerer Wohnung beherbergt. Und ach, nun erkenne ich Einen um den Andern, die freudigen Krieger aus meiner Heimath; hätten wir Muße, ſo wollte ich dir ſie Alle mit Namen nennen! Nur meine leiblichen Brüder Kaſtor und Pollux ſehe ich nicht. Sind ſie wohl nicht mit hierher gekommen? oder ſcheuen ſie ſich, in der Schlacht zu erſcheinen, weil ſie ſich ihrer Schweſter ſchä¬ men? Ueber dieſem Gedanken verſtummte Helena; ſie wußte nicht, daß ihre Brüder ſchon lange von der Erde verſchwunden waren.

Während dieſe ſich ſo unterredeten, trugen die Herolde die Bundesopfer durch die Stadt, welche aus zwei Läm¬ mern und aus einheimiſchem Weine zum Trankopfer, der in einen bocksledernen Schlauch gefüllt war, beſtand. Der Herold Idäus folgte mit einem blinkenden Krug und gol¬ denen Becher. Als ſie durchs Skäiſche Thor kamen, nahte dieſer dem Könige Priamus und ſprach zu ihm: Mach dich auf, König, beide, die Fürſten der Trojaner und der Griechen rufen dich hinab ins Gefilde, damit du dort einen heiligen Vertrag beſchwöreſt. Dein Sohn Paris und Menelaus werden allein um das Weib mit dem Speere kämpfen: wer im Kampfe ſiegt, dem folgt ſie mit ſammt den Schätzen. Alsdann ſchiffen die Danaer nach Griechenland zurück. Der König ſtutzte, doch befahl er ſeinen Gefährten, die Roſſe anzuſchirren, und mit ihm beſtieg Antenor den Wagenſitz. Priamus ergriff die Zügel und bald flogen die Roſſe durchs Skäiſche Thor hinaus aufs Blachfeld. Zwiſchen den beiden Völkern angekom¬ men, verließ der König mit ſeinem Begleiter den Wagen107 und ſtellte ſich in die Mitte. Aus dem griechiſchen Heere eilten jetzt Agamemnon und Odyſſeus herbei. Die Herolde führten die Bundesopfer heran, miſchten den Wein im Kruge, und beſprengten die beiden Könige mit dem Weih¬ waſſer. Dann zog der Atride das Opfermeſſer, das ihm immer neben der großen Scheide ſeines Schwertes herab¬ hing, ſchnitt den Lämmern, wie bei Opfern gebräuchlich, das Stirnhaar ab, und rief den Göttervater zum Zeugen des Bündniſſes. Dann durchſchnitt er den Lämmern die Kehlen und legte die geopferten in den Staub nieder; die Herolde goſſen unter Gebet den Wein aus goldnen Bechern und alles Volk von Griechenland und Troja flehte dazu laut: Jupiter und ihr unſterblichen Götter alle! welche von uns zuerſt den Eidſchwur brechen, deren Gehirn fließe auf den Boden, wie dieſer Wein, ihres und ihrer Kinder!

Priamus aber ſprach: Jetzt, ihr Trojaner und Grie¬ chen, laßt mich wieder zu Ilions hoher Burg zurück¬ kehren, denn ich kann es unmöglich mit eigenen Augen anſehen, wie mein Sohn hier auf Leben und Tod mit dem Fürſten Menelaus kämpft; weiß doch Jupiter allein, welchem von beiden der Untergang verhängt iſt! So ſprach der Greis, ließ die Opferlämmer in den Wagen legen, beſtieg mit ſeinem Begleiter den Sitz, und lenkte die Roſſe wieder der Stadt Troja zu.

Hierauf maßen Hektor und Odyſſeus den Raum des Kampfplatzes ab, und ſchüttelten in einem ehernen Helm zwei Looſe, zu entſcheiden, wer zuerſt die Lanze auf den Gegner werfen dürfe. Hektor, rückwärts gewandt, ſchwenkte den Helm, da ſprang das Loos des Paris heraus. Nun waffneten ſich beide Helden und wandelten in Panzer und108 Helm, die mächtigen Lanzen in der Hand, mit drohendem Blicke in der Mitte der Trojaner und Griechen einher, von beiden Völkern angeſtaunt. Endlich traten ſie einan¬ der in dem abgemeſſenen Kampfraume gegenüber und ſchwangen zornig ihre Speere. Durch das Loos berech¬ tigt, entſandte zuerſt Paris den ſeinigen: der traf dem Menelaus den Schild, aber die Lanzenſpitze bog ſich am Erze und ſank zurück. Dann erhob auch Menelaus ſeinen Speer und betete dazu mit lauter Stimme: Zeus, laß mich den ſtrafen, der mich zuerſt beleidigt hat, daß man noch unter den ſpäten Enkeln ſich ſcheue, dem Gaſtfreunde Böſes zu thun! Der entſandte Speer durchſchmetterte dem Paris den Schild, durchdrang den Harniſch und durchſchnitt ihm den Leibrock an der Weiche; nun riß der Atride ſein Schwert aus der Scheide und führte einen Streich auf den Helm des Gegners, aber die Klinge zer¬ ſprang ihm knitternd. Grauſamer Zeus, was mißgönnſt du mir den Sieg? rief Menelaus, ſtürmte auf den Feind ein, ergriff ihn am Helm und zog ihn umgewendet der griechiſchen Schlachtordnung zu, ja er hätte ihn geſchleift, und der beengende Kehlriemen hätte ihn erwürgt, wenn nicht die Göttin Aphrodite die Noth geſehen und den Riemen geſprengt hätte. So blieb dem Menelaus der leere Helm in der Hand; dieſen ſchleuderte der Held den Griechen zu und wollte aufs Neue auf ſeinen Gegner eindringen. Den aber hatte Venus in einen ſchirmenden Nebel gehüllt und plötzlich nach Troja geführt. Hier ſetzte ſie ihn im ſüß duftenden Gemache nieder, trat dann in Geſtalt einer alten ſpartaniſchen Wollekrämplerin zu Helena, die auf einem der Thürme unter vielen trojani¬ ſchen Weibern ſaß. Die Göttin zupfte ſie am Gewand109 und ſprach zu ihr: Komm, Paris ruft dich, er ſitzt in der Kammer in reizendem Feierkleide; du ſollteſt glauben, er gehe zum Reigen und nicht, er komme vom Zweikampf. Als Helena aufblickte, ſah ſie Venus in göttlichem Reize vor ſich verſchwinden. Unbemerkt von den Frauen ſchlich ſie ſich davon und eilte nach ihrem Pallaſte. Dort fand ſie im hohen Gemache den Gatten, von Aphrodite ge¬ ſchmückt, in einen Seſſel gelagert. Sie ſetzte ſich ihm gegenüber, kehrte die Augen weg und ſchalt ihren Ge¬ mahl: So kommſt du vom Kampfe zurück? Lieber ſähe ich dich getödtet von dem Gewaltigen, der mein erſter Gatte war! Noch kürzlich prahlteſt du, ihn im Lanzen¬ wurf und im Handgemenge zu beſiegen! Geh nun, und fordere ihn noch einmal heraus! Doch nein, ich rathe dir, bleib in Ruhe, das zweite Mal dürfte er dir übler mitſpielen! Kränke mir das Herz nicht durch deine Schmähungen, Frau, erwiederte ihr Paris, wenn Me¬ nelaus mich beſiegt hat, ſo geſchah es mit Athene's Hülfe. Ein andermal werde ich über ihn ſiegen; die Götter haben auch uns noch nicht vergeſſen. Da wandte Aphro¬ dite Helena's Herz, daß ſie den Gatten freundlicher anſah und ihm verſöhnt die Lippen zum Kuſſe reichte.

Auf dem Kampfplatze durchſtürmte Menelaus noch immer wie ein Raubthier das Heer, den verſchwundenen Paris ausſpähend: aber weder ein Trojaner, noch ein Grieche konnte ihm den Fürſten zeigen, und doch hätten ſie ihn gewiß nicht verhehlt, denn er war beiden zu¬ wider, wie der Tod. Endlich erhob Agamemnon ſeine Stimme und ſprach: Höret mein Wort, ihr Dardaner und Griechen! Menelaus iſt der offenbare Sieger. So110 gebet uns denn jetzt Helena ſammt den Schätzen zurück und bezahlet uns für alle Folgezeit einen Tribut! Die Argiver nahmen dieſen Vorſchlag mit Jubel auf, die Trojaner ſchwiegen.

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Drittes Buch.

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Pandarus.

Auf dem Olymp war große Götterverſammlung: Hebe wandelte an den Tiſchen umher und ſchenkte Nektar ein. Die Götter tranken einander aus goldenen Poka¬ len zu und ſchauten auf Troja nieder. Da ward von Zeus und Here Troja's Untergang beſchloſſen. Der Vater der Götter wandte ſich zu ſeiner Tochter Athene und befahl ihr, auf den Kampfplatz hinabzueilen und die Trojaner zu verſuchen, daß ſie die auf ihren Sieg ſtolzen Griechen wider den Vertrag zu beleidigen anfingen. Pal¬ las Athene miſchte ſich ſofort unter das Getümmel der Trojaner, nachdem ſie die Geſtalt des Laodokus, der ein Sohn Antenors war, angenommen. In dieſer Verhül¬ lung ſuchte ſie den Sohn Lykaons, den trotzigen Pandarus, auf, der ihr zu dem Werke geſchickt ſchien, das ihr der Vater aufgetragen. Dieſer war ein Verbündeter der Trojaner und aus Lycien mit ſeiner Heerſchaar hergekom¬ men. Die Göttin fand ihn bald, in der Mitte der Sei¬ nigen ſtehend. Sie trat nahe zu ihm, klopfte ihm auf die Schulter und ſprach: Höre, kluger Pandarus, jetzt könn¬ teſt du etwas thun, wodurch du bei allen Trojanern dir Preis und Dank verdienteſt, vor Allem von Paris, der dir gewiß mit den herrlichſten Geſchenken lohnen würde. Siehſt du dort Menelaus, den hochmüthigen Sieger ſtehen? Wage es, und drücke deinen Pfeil auf ihn ab. So ſprachSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 8114die verhüllte Göttin und das Herz des Thoren gehorchte ihr. Schnell entblößte er den Bogen, öffnete den Deckel des Köchers, wählte einen befiederten Pfeil, legte ihn auf die Sehne und bald ſprang das Geſchoß vom ſchwir¬ renden Horn. Athene aber lenkte den Pfeil auf den Leib¬ gurt, ſo daß er zwar durch dieſen und den Harniſch drang, aber nur die oberſte Haut ritzte, jedoch ſo, daß das Blut aus der Wunde drang, und den Menelaus ein leichter Schauer durchflog. Wehklagend umringten ihn Agamemnon und die Genoſſen. Theurer Bruder, rief der König, dir zum Tode hab ich das Bündniß geſchloſſen; die treu¬ loſen Feinde haben es mit Füßen getreten. Zwar werden ſie es büßen, und ich weiß gewiß, daß der Tag kommt, wo Troja mit Priamus und dem ganzen Volke hinſinkt; mich aber erfüllt dein Tod mit dem bitterſten Schmerz. Wenn ich ohne dich heimkehre, und deine Gebeine auf trojaniſchem Boden am unvollendeten Werk dahinmodern, mit welcher Schmach würde mich das Vaterland empfan¬ gen; denn einem Andern, nicht mir ohne dich, iſt beſchie¬ den, Troja zu erobern und Helena fortzuführen; und die Trojaner werden ſpottend über deinem Grabe hüpfen! Thäte ſich doch die Erde unter mir auf! Aber Menelaus tröſtete ſeinen Bruder; Sey ruhig, ſprach er, das Geſchoß hat mich nicht zum Tode verwundet, mein Leib¬ gurt hat mich geſchützt. O daß dem ſo wäre, ſeufzte Agamemnon, und beſchickte durch ſeinen Herold eilig den heilkundigen Machaon. Dieſer kam, zog den Pfeil aus dem Gurt, löste dieſen, öffnete das Blech des Harniſches und beſchaute die Wunde; dann ſog er ſelbſt das quellende Blut heraus und legte ihm eine lindernde Salbe auf.

Während der Arzt und die Helden ſo um den115 verwundeten Menelaus beſchäftigt waren, rückten die Schlachtreihen der Trojaner ſchon heran; auch die Griechen hüllten ſich wieder in ihre Wehren, und Agamemnon über¬ gab dem Eurymedon Roſſe und Wagen mit der Weiſung, ihm ſie zu bringen, wenn er ihn vom Durcheilen der Schlachtordnung ermattet ſehe. Dann flog er zu Fuß unter die Schaaren der Streiter und ermunterte ſie zur Abwehr, die Muthigen belobend, die Saumſeligen tadelnd. So gelangte er auf ſeinem Gange zu den Kretern, die gewappnet ihren Heerführer Idomeneus umringten. Die¬ ſer ſtand an ihrer Spitze, kampfluſtig wie ein Eber. Die hinteren Reihen munterte ſein Freund Meriones auf. Als Agamemnon dieſe Schaaren ſah, wurde ſein Herz fröhlich: Du biſt mir doch der Beſten Einer, Idomeneus, rief er ihnen zu, bei jedem Geſchäfte, im Kriege wie beim Mahle, wenn man den funkelnden Ehrenwein in den mächtigen Krügen miſcht. Wenn da die Andern ihr beſchei¬ denes Maaß trinken, ſo ſteht dein Becher immer voll wie der meinige. Jetzt aber ſtürme mit mir in die Schlacht, wie du dich ſo oft gegen mich gerühmt. Wohl bleibe ich dein treuer Genoſſe, König, erwiederte jener, geh nur Andere anzuſpornen, bei mir bedarf es deſſen nicht. Möge Tod und Verderben die bundbrüchigen Trojaner treffen!

Jetzt erreichte Agamemnon die beiden Ajax, hinter denen ein ganzes Gewühl von Fußvolk einherzog: Wenn doch, rief ihnen der König im Vorübereilen zu, ein Muth wie der eurige den Buſen aller Danaer beſeelte, dann ſollte die Burg des Priamus bald unter unſern Händen in Trümmer fallen. Nun traf er weiterſchrei¬ tend auf Neſtor. Dieſer ordnete gerade ſeinen Heerhaufen:8 *116voran die Helden mit Roß und Wagen, viele und tapfere Männer zu Fuße hinten, die Feigen in die Mitte gedrängt. Dazu ermahnte er ſie mit weiſen Worten: Wage ſich mir keiner mit ſeinem Streitwagen zu weit vor, weiche mir auch Keiner zurück; ſtößt Wagen auf Wagen, ſo ſtrecket die Lanze vor. Wie ihn Agamemnon die Seini¬ gen ſo ermahnen hörte, rief er ihm zu: O Greis, möch¬ ten dir die Kniee folgen und deine Leibeskraft ausreichen, wie dir der Muth noch den Buſen füllt. Könnte doch ein Anderer dir die Laſt des Alters abnehmen, daß du zum Jüngling umgeſchaffen würdeſt! Wohl möchte ich jetzt der ſeyn, der ich einſt war, antwortete ihm Neſtor, doch haben die Götter den Menſchen nicht Alles zugleich ver¬ liehen. Mögen die Jüngeren Speere werfen, ich begleite meine Männer mit Worten und weiſem Rathe, den auch das Alter geben kann. Freudig ging Agamemnon an ihm vorüber und ſtieß jetzt auf Meneſtheus, den Sohn des Peteus, um den die Athener geſchaart waren, und neben welchem die Cephallener in dichten Schlachtreihen unter Odyſſeus ſtanden. Beider Haufen ruhten in Er¬ wartung und wollten andere Züge voranſtürmen laſſen. Dieß verdroß den Völkerfürſten und er ſprach mürriſch zu ihnen: Was ſchmieget ihr euch ſo zuſammen, ihr Bei¬ den, auf Andere harrend? Wenn wir Braten ſchmauſen und Wein trinken, ſeyd ihr immer die Erſten; nun aber würdet ihr es nicht ungerne ſehen, wenn zehn Griechen¬ ſchaaren vor euch in die Schlacht eindrängen! Odyſſeus aber ſah ihn finſter an und ſprach: Was denkſt du, Atride? uns ſchiltſt du ſaumſelig? warte nur, wenn wir einmal losbrechen, ob wir die Wuth der Schlacht nicht gehörig gegen die Troer aufregen, und du mich nicht im117 vorderſten Getümmel erblicken wirſt. Drum ſchwatze mir nicht voreilig nichtige Worte! Als er den Helden ſo zürnen ſah, erwiederte Agamemnon lächelnd: Ich weiß es wohl, edler Sohn des Laertes, daß du weder Tadel noch Ermahnung bedarfſt; auch biſt du im Herzensgrund milde, wie ich; laß uns keine harte Worte wechſeln. So verließ er ihn und eilte weiter. Da fand er den Sohn des Tydeus, den ſtolzen Diomedes, neben Sthenelus, des Kapaneus Sohn, ſeinem Freund und Wagenlenker, auf dem herrlichen Streitwagen harrend. Auch dieſen verſuchte er mit verdrießlichen Worten: Weh mir, ſprach er, Sohn des Tydeus, du ſcheinſt dich bange nach dem Treffen umzuſehen; ſo blickte dein Vater nicht, als er gegen Thebe zog: den ſah man immer mitten in der Arbeit! Diomedes ſchwieg auf den Verweis des Herr¬ ſchers, ſein Freund Sthenelus antwortete für ihn: Du weißt es beſſer, Atride, ſprach er, wir rühmen uns größerer Tapferkeit, denn unſere Väter, haben wir doch Theben erobert, vor dem nicht ſie erlegen ſind! Diome¬ des aber unterbrach ſeinen Genoſſen und ſagte finſter: Schweige, Trauter, ich verarge es dem Völkerhirten nicht, daß er die Griechen zum Kampf anreizt; ihm wird der Ruhm zu Theil, wenn wir ſiegen; ihm unendlicher Gram, wenn wir überwunden werden! Darum auf, laß uns der Abwehr gedenken! So ſprach Diomedes und ſprang vom Wagen, daß ihm das Erz um die Bruſt klirrte.

Indeſſen zogen die Danaer Haufen an Haufen raſt¬ los in die Schlacht, wie ſich Meereswogen ans Geſtade wälzen. Die Völkerfürſten befehligten; die Andern gin¬ gen lautlos einher. Die Trojaner dagegen lärmten, wie118 eine Heerde Lämmer blöckt, und gemiſchte Sprache der mancherlei Völker tönte aus ihren Reihen. Auch der Schlachtruf der Götter hallte darein: die Trojaner ermun¬ terte Mars, der Gott des Krieges, die Reihen der Griechen feuerte Pallas Athene an.

Die Schlacht. Diomedes.

Bald begegneten ſich die Heere in Einem Raum; Schild traf auf Schild, Speer kreuzte ſich mit Speer und lautes Getöſe, hier Wehklagen, dort Frohlocken, erhob ſich ringsum. Wie ſich im Spätling zwei geſchwollene Bergſtröme im Hinabſturz vermiſchen, ſo vermählte ſich das Geſchrei der kämpfenden Heere. Der erſte Held, welcher fiel, war der Trojaner Echepolus, der ſich zu weit in den Vorkampf gewagt hatte. Dieſem durchbohrte Neſtors Sohn Antilochus mit der Lanzenſpitze die Stirne, daß er umſank wie ein Thurm. Schnell ergriff Elephenor, der griechiſche Fürſt, den Fuß des Gefallenen, um ihn den Geſchoſſen zu entziehen und der Rüſtung zu berauben. Aber wie er ſich bückte, ihn zu ſchleifen, entblößte er ſich die Seite unter dem Schild; dieß ſah Agenor, der Troja¬ ner, und durchbohrte ihm die Seite mit dem zückenden Speer, daß der Grieche todt in den Staub ſank. Ueber ihm tobte der Kampf beider Heere fort, und wie Wölfe erwürgten ſie einander.

Ajax traf den blühenden Simoeiſius im Vorwärts¬ dringen rechts über der Bruſt, daß ihm der Speer zur Schulter herausfuhr und er in den Staub hintaumelte;119 dann ſtürzte er ſich auf ihn, und beraubte ihn der Rüſtung; gegen ihn warf der Trojaner Antiphus die Lanze; dieſe verfehlte ihn zwar, traf aber Leukus, den tapfern Freund des Odyſſeus, wie er eben den Todten hinwegſchleifte. Das ſchmerzte den Odyſſeus und, vorſichtig umſchauend, ſchleuderte er ſeinen Wurfſpieß ab, vor dem die Trojaner zurückprallten; und er traf einen Sohn des Königes Priamus, den Baſtard Demodokoon, ſo daß die Spitze von einer Schläfe zur andern durchdrang. Als dieſer in dumpfem Falle hinſtürzte, wichen die vorderſten Käm¬ pfer der Trojaner rückwärts, und ſelbſt Hektor mit ihnen. Die Griechen aber jauchzten laut auf, ſchoben die Leich¬ name bei Seite und drangen tiefer in die Schlachtreihen der Trojaner ein.

Darüber zürnte Apollo und ermunterte die Trojaner von der Stadt aus, indem er ihnen zurief: Räumet doch den Achivern das Feld nicht! Iſt doch ihr Leib we¬ der von Stein noch von Eiſen, und ihr beſter Held Achilles kämpft nicht einmal, ſondern grollt bei den Schif¬ fen. Auf der andern Seite trieb Minerva die Danaer in den Kampf, und ſo fielen von beiden Theilen noch viele Helden.

Da rüſtete Pallas Athene den Sohn des Tydeus, Diomedes, mit beſonderer Kraft und Kühnheit aus, daß er vor allem Danaervolk hervorſtrahlte, und ſich unſterb¬ lichen Ruhm gewann. Helm und Schild machte ſie ihm glänzend wie ein Geſtirn der Herbſtnacht, und trieb ihn hinein ins wildeſte Getümmel der Feinde. Nun befand ſich unter den Trojanern ein Prieſter des Vulkan, mit Namen Dares, ein mächtiger, reicher Mann, der zwei Söhne, Phegeus und Idäus, muthige Männer, in die Schlacht120 geſendet hatte. Dieſe ſprengten aus den Reihen der Ihri¬ gen auf Diomedes hervor mit ihren Streitwagen, wäh¬ rend der griechiſche Held zu Fuße kämpfte. Zuerſt ſandte Phegeus ſeine Lanze ab; ſie fuhr aber links an der Schulter des Tydiden vorbei, ohne ihn zu verwunden. Des Diomedes Wurfſpieß dagegen traf den Phegeus in die Bruſt und ſtürzte ihn vom Wagen. Als ſein Bruder Idäus dieſes ſah, wagte er es nicht den Leichnam ſeines Bruders zu ſchirmen, ſondern ſprang vom Wagen und entfloh, indem der Beſchirmer ſeines Vaters, Vulkanus, Finſterniß um ihn her verbreitete; denn dieſer wollte nicht, daß ſein Prieſter beide Söhne verlöre.

Jetzt nahm Athene ihren Bruder, den Kriegsgott Mars bei der Hand und ſprach zu ihm: Bruder, wollen wir nicht Troer und Griechen jetzt ſich ſelbſt überlaſſen und eine Weile zuſehen, welchem Volke die Fürſehung unſers Vaters den Sieg zuwende? Mars ließ ſich von der Schweſter aus der Schlacht hinausführen und nun waren die Sterblichen ſich ſelbſt überlaſſen, doch wußte Minerva wohl, daß ihr Liebling Diomedes mit ihrer Kraft ausgerüſtet ſtreite. Nun fingen die Argiver an, den Feind erſt recht hart zu bedrängen und vor jedem griechiſchen Führer ſank ein Trojaner dahin. Agamemnon jagte dem Hodius den Speer ins Schulterblatt; Idomeneus durchſtach den Phäſtus aus Tarne, daß er dem Wagen entſtürzte; der kundige Jäger Skamandrius wurde von der ſpitzen Lanze des Menelaus durchbohrt; den kunſt¬ vollen Phereklus, der dem Paris die räuberiſchen Schiffe gezimmert hatte, traf Meriones; und andere fielen von anderer Hand. Der Tydide aber durchtobte das Feld wie ein angeſchwollener Herbſtſtrom und man wußte nicht,121 gehörte er den Griechen oder den Trojanern an, denn bald war er da, bald dort. Wie nun der Kampf ihn ſo hin und her trieb, faßte Lykaons Sohn, Pandarus, ſich ihn ins Auge, richtete ſeinen Bogen auf ihn, und ſchoß ihm mit dem Pfeil gerade in die Schulter hinein, ſo daß ſein Blut über den Panzer herabſtrömte. Pandarus, ſolches ſehend, jauchzte und rief hinterwärts zu ſeinen Genoſſen: Drängt euch heran, ihr Trojaner, ſpornt eure Roſſe! Ich habe den tapferſten Danaer getroffen! Bald wird er umſinken und ausgewüthet haben, wenn anders mich Apollo aus Lycien zum Kampfe ſelbſt herbei¬ gerufen hat! Doch den Diomedes hatte das Geſchoß nicht tödtlich getroffen; er ſtellte ſich vor ſeinen Streit¬ wagen und rief ſeinem Freund und Wagenlenker Sthene¬ lus zu: Steige doch vom Wagen, mein Geliebter, und zeuch mir den Pfeil aus der Schulter! Sthenelus ſprang eilig herab und that alſo: das helle Blut ſpritzte dabei aus den Panzerringen. Da betete Diomedes zu Athene: Blauäugige Tochter Jupiters! Wenn du je ſchon meinen Vater beſchirmt haſt, ſo ſey auch mir jetzt gnädig! Lenke meinen Speer auf den Mann, der mich verwundet hat, und jetzt frohlockt, auf daß er nicht lange mehr das Licht der Sonne ſchaue! Minerva hörte ſein Flehen und beſeelte ihm Arme und Füße, daß ſie leicht wurden wie der Leib eines Vogels, und er, unbeſchwert von ſeiner Wunde, in die Schlacht zurück eilen konnte. Geh, ſprach ſie zu ihm, ich habe auch die Finſterniß von deinen Au¬ gen genommen, daß du Sterbliche und Götter in der Schlacht unterſcheiden kannſt; hüte dich darum, wenn ein Unſterblicher auf dich zugewandelt kommt, dich mit ſolchem in einen Kampf einzulaſſen! Nur Aphrodite, wenn122 ſie dir naht, die magſt du mit deinem Speere ver¬ wunden!

Nun flog Diomedes in das vorderſte Treffen zurück, mit dreifachem Muth und mit Kraft wie ein Berglöwe ausgerüſtet. Hier hieb er den Aſtynous durch einen Streich ins Schultergelenke nieder; dort durchbohrte er den Hypenor mit der Lanze; dann erlegte er zwei Söhne des Eurydamas; dann zwei ſpätgeborne Söhne des Phä¬ nops, daß dem Vater nur der Gram zurück blieb; dann warf er zwei Söhne des Priamus, den Chromius und Echemon zugleich aus dem Wagen mit Gewalt und beraubte ſie der Rüſtung, indeß die Seinigen den erbeu¬ teten Streitwagen nach den Schiffen abführten.

Aeneas, der tapfre Eydam des Königes Priamus, ſah, wie dünn die Reihen der Trojaner unter den Strei¬ chen und Stößen des Tydiden wurden. Deßwegen eilte er durch die ſtürmenden Geſchoſſe hin, bis er den Pan¬ darus traf, den er ſo anredete: Sohn Lykaons, wo bleibt dein Bogen und Pfeil, wo dein Ruhm, den bisher kein Lycier, kein Trojaner dir ſtreitig machte? Sende doch dem Manne, der den Troern ſo viel Böſes thut, noch ein Geſchoß zu; wenn er nicht anders ein unſterb¬ licher Gott in menſchlicher Geſtalt iſt! Ihm antwortete Pandarus: Wenn es nicht ein Gott iſt, ſo iſt's der Tydide Diomedes, den ich erſchoſſen zu haben glaubte. Iſt er es aber, ſo hat ſich ein Unſterblicher ſeiner erbarmt und ſteht ihm auch jetzt noch zur Seite! Dann bin ich wohl ein unglücklicher Kämpfer! Schon gegen zween grie¬ chiſche Heerfürſten ſandte ich den Pfeil ab; verwundete beide, ohne ſie zu tödten, und habe ſie nur wüthender gemacht! Wahrhaftig, zur Unglücksſtunde habe ich Köcher123 und Bogen genommen, und bin damit vor Troja gezogen! Kehre ich je wieder heim, ſo ſoll mir ein Fremdling das Haupt abſchlagen, wenn ich nicht Bogen und Pfeile mit den Händen zerknicke, und dieſen nichtigen Tand, der mich begleitet hat, ins lodernde Feuer werfe!

Nicht alſo! ſprach ihn beruhigend Aeneas. Be¬ ſteige vielmehr meinen Streitwagen, und lerne die Ge¬ wandtheit der trojaniſchen Pferde im Verfolgen und Ent¬ fliehen kennen. Verleiht Jupiter dem Diomedes durchaus die Siegesehre, ſo werden ſie uns ſicher nach Troja hin¬ eintragen! Ich ſelbſt will indeſſen zu Fuße des Kampfes warten. Aber Pandarus bat ihn, die Roſſe ſelbſt lenken zu wollen, da er dieſes Werkes nicht kundig ſey, ſchwang ſich zu ihm auf den Wagen, und ſo ſprengten ſie mit den hurtigen Thieren auf den Tydiden zu. Sein Freund Sthenelus ſah ſie herankommen, rief den Genoſſen an und ſprach: Sieh da, zwei tapfre Männer, die auf dich losſtürmen, Pandarus und der Halbgott Aeneas, Aphro¬ ditens Sohn! Dießmal laß uns zu Wagen entfliehen; dein Wüthen dürfte dir nichts nützen gegen dieſe!

Aber Diomedes blickte finſter und erwiederte ihm: Sage mir nichts von Furcht! Es liegt nicht in meiner Art, vor einem Kampfe zurückzubeben, oder mich zu ſchmiegen. Meine Kraft iſt noch nicht erſchöpft; es ver¬ dröſſe mich, unthätig im Wagen ſtehen zu müſſen. Nein, wie ich hier zu Fuße bin, will ich ihnen entgegen wan¬ deln. Gelingt es mir, ſie beide zu tödten, ſo hemme du unſre Pferde, den Zaum am Seſſelrand befeſtigend, und führe mir die Roſſe des Aeneas als Beute zu den Schiffen! Indem flog die Lanze des Pandarus dem Ty¬ diden entgegen, durchfuhr den Schild und prallte vom124 Panzer ab. Nicht getroffen, gefehlt, rief Diomedes dem jauchzenden Trojaner entgegen, und ſein, die Luft im Bogen durchſauſender Speer fuhr dem Gegner unter dem Auge in den Kiefer, durch Zähne und Zunge hin¬ durch, daß die Spitze am Unterkinn wieder herauskam. Pandarus ſtürzte raſſelnd vom Wagen und zuckte ſterbend in der glänzenden Rüſtung auf dem Boden. Seine Roſſe rannten flüchtig mit dem Wagen auf die Seite; Aeneas aber ſprang herab und umwandelte den Leich¬ nam wie ein trotziger Löwe, Schild und Speer vor¬ ſtreckend, und Jeden zu erſchlagen bereit, der ihn antaſten würde. Jetzt ergriff Diomedes einen Feldſtein, wie ihn zwei gewöhnliche Männer nicht aufheben konnten. Mit dieſem traf er den Sohn des Anchiſes am Hüftgelenk, zermalmte dieſes und zerriß ihm die Sehnen, daß der Held ins Knie ſank, die Rechte gegen den Boden ſtem¬ mend, und ihm die Sinne vergingen; und er wäre geſtor¬ ben, wenn nicht Venus ihren trauten Sohn mit den Lilien¬ armen umſchlungen, ihn mit den Falten ihres ſilberhellen Gewandes umhüllt und aus der Schlacht getragen hätte. Sthenelus hatte inzwiſchen Wagen und Roſſe des Aeneas, dem Befehle ſeines Freundes folgſam, zu den Schiffen geführt, und war auf dem eigenen Wagen bald wieder an der Seite des Tydiden angekommen. Dieſer hatte mit ſeinen von Athene geöffneten Augen die Göttin Aphrodite erkannt, durch das Schlachtgetümmel verfolgt und mit ihrer Beute erreicht. Der Held ſtieß mit der Lanze nach ihr, und ſein Speer drang durch die ambroſiſche Haut in die Handwurzel, daß ihr unſterbliches Blut zu rinnen begann. Die verwundete Göttin ſchrie laut auf und warf den Sohn zur Erde hin. Dann eilte ſie ihrem Bruder Mars zu,125 den ſie zur Linken der Schlacht, Wagen und Roſſe in Nacht gehüllt, ſitzen fand. O Bruder, rief ſie flehend, ſchaff 'mich weg, gib mir die Roſſe, daß ich zum Olymp entkomme; mich ſchmerzt meine Wunde; Diomedes, der Sterbliche, hat mich verwundet: er wäre im Stande, ſelbſt mit unſerm Vater Jupiter zu kämpfen. Mars über¬ ließ ihr den Wagen, und Venus, auf der Höhe des Olymps angekommen, warf ſich weinend in die Arme ihrer Mutter Dione und wurde von ihr unter ſchmeicheln¬ den Troſtworten vor den Göttervater geleitet, der ſie lächelnd empfing und ihr entgegen rief: Drum wurden dir nicht die Werke des Krieges verliehen, mein liebes Töchterchen, ordne du Hochzeiten und laß die Schlachten den Kriegsgott beſorgen! Ihre Schweſter Pallas und Juno aber ſahen ſie ſpöttiſch von der Seite an, und ſprachen ſtichelnd: Was wird es ſeyn? wahrſcheinlich hat die ſchöne falſche Griechin unſere Schweſter nach Troja gelockt, da wird ſie Helena's Gewand geſtreichelt und ſich mit einer Spange geritzt haben!

Drunten auf dem Schlachtfeld hatte ſich Diomedes auf den liegenden Aeneas geworfen, und holte dreimal aus, ihm den Todesſtreich zu verſetzen; aber dreimal hielt der zornige Gott Apollo, der nach der Schweſter Verwundung herbeigeeilt war, ihm den Schild vor; und als jener das viertemal anſtürmte, drohte er ihm mit ſchrecklicher Stimme: Sterblicher, wage nicht mit den Göttern dich zu meſſen! Scheu und mit zauderndem Schritt entwich Diomedes. Apollo aber trug den Aeneas aus dem Schlachtgewühl in ſeinen Tempel nach Troja, wo Latona, ſeine Mutter, und Diana, ſeine Schweſter, ihn in ihre Pflege nahmen. Auf dem Boden, wo der126 Held gelegen, ſchuf er ſein Scheinbild, um das ſich nun Trojaner und Griechen mit wilden Schlägen und Stößen zankten. Nun ermahnte Apollo den Mars, daß er den frechen Tydiden, der die Götter ſelbſt bekämpfe, aus der Schlacht zu entfernen ſtrebe. Und der Kriegsgott, in der Geſtalt des Thraziers Akamas, miſchte ſich im Getümmel unter die Söhne des Priamus und ſchalt ſie: Wie lange gönnet ihr den Griechen das Morden, ihr Fürſten? wollt ihr warten, bis um die Thore eurer Stadt ſelbſt gekämpft wird? wißt ihr nicht, daß Aeneas auf dem Boden liegt? Auf und retten wir den edeln Genoſſen aus der Hand der Feinde! So erregte Mars die Her¬ zen der Trojaner. Sarpedon, der Fürſt der Lycier, näherte ſich Hektor und ſprach zu ihm: Hektor, wohin iſt dir dein Muth geſchwunden? Rühmteſt du dich doch jüngſt, ſelbſt ohne Verbündete, ohne Heeresmacht, mit deinen leiblichen Brüdern und Schwägern allein wollteſt du Troja ſchirmen; nun aber ſehe ich ihrer keinen in der Schlacht, ſie ſchmiegen ſich alle wie die Hunde vor dem Löwen, und wir Bundesgenoſſen allein müſſen den Kampf auf¬ recht erhalten! Hektor fühlte den Vorwurf tief im Herzen, er ſprang vom Wagen, ſchwenkte die Lanze, durchwan¬ delte ermahnend alle Heldengeſchwader und erweckte den tobenden Streit auf's Neue. Seine Brüder und alle Trojaner kehrten die Stirne dem Feinde wieder zu. Auch den Aeneas, mit Geſundheit und Kraft erfüllt, ſandte Apollo wieder in den Kampf, daß er ſich plötzlich unver¬ letzt den Seinigen wieder zugeſellte. Alle freuten ſich, aber Keiner nahm ſich Zeit, ihn zu fragen, ſie ſtürzten nur miteinander in die Schlacht.

Aber die Danaer, Diomedes, die beiden Ajax und127 Odyſſeus an der Spitze, erwarteten ruhig die Heranſtür¬ menden, wie ein unbewegliches Gewölk; und Agamemnon durcheilte die Heerſchaar und rief: Jetzt ſeyd Männer, o ihr Freunde, und ehret euch ſelbſt in der Schlacht, denn wo ein Volk ſich ſelbſt ehrt, da ſtehen mehr Männer, als fallen: aber für den Fliehenden gibt es keinen Ruhm und keine Rettung! So rief er, ſchickte ſelbſt zuerſt den Speer gegen die heranrückenden Trojaner ab, und ſtreckte den Freund des Aeneas, den hochgeehrten Dikoon, der immer im Vorderkampfe ſtritt, nieder. Aber auch die gewaltige Hand des Aeneas tödtete zwei der tapferſten Danaer, Krethon und Orſilochus, Söhne des Diokles, die zu Pherä im Peloponnes wie zwei freudige Berg¬ löwen zuſammen aufgewachſen waren. Um die Gefallenen trauerte Menelaus, ſchwenkte den Speer und warf ſich raſch in das vorderſte Gewühl. Mars ſelbſt ſpornte ſein Herz, denn er hoffte, daß ihn Aeneas fällen werde. Aber Antilochus, Neſtors Sohn, um den Völkerhirten beſorgt, ſtürzte gleichfalls hervor an ſeine Seite, während jene beiden ſchon voll Kampfgier ihre Lanzen gegeneinander gezückt hatten. Als Aeneas zwei Helden ſich gegenüber ſah, wich er zurück; Menelaus und Antilochus retteten die beiden Leichen aus den Händen der Feinde und übergaben ſie den Freunden; ſie ſelbſt wandten ſich dem Vorkampfe wieder zu. Menelaus durchſtach den Pylämenes, Anti¬ lochus hieb ſeinem Wagenlenker Mydon das Schwert in die Schläfe, daß er auf den Scheitel geſtellt in den Staub ſtürzte, bis ihn ſeine eigenen Roſſe umwarfen, die Anti¬ lochus mit der Geißel den Griechen zutrieb.

Jetzt aber jagte Hektor mit den tapferſten Heer¬ ſchaaren der Trojaner voran, und der Kriegsgott ſelbſt128 wandelte bald vor, bald hinter ihm her. Als Diomedes den Gott kommen ſah, ſtutzte der Held wie ein Wan¬ derer vor einem brauſenden Waſſerfalle ſtaunt, und rief dem Volke zu: Staunet nicht über die Unerſchrockenheit Hektors, ihr Freunde, denn immer geht ein Gott neben ihm her und wehrt das Verderben von ihm ab. Darum, wenn wir weichen, ſo weichen wir den Göttern! Indeſſen ſtürmten die Schlachtreihen der Trojaner immer näher heran, und Hektor erſchlug zwei tapfere Griechen auf Einem Streitwagen, den Anchialus und Meneſthes. Ajax, der Telamonier, eilte herbei, ſie zu rächen; er traf mit der Lanze den Amphius, einen Verbündeten der Trojaner, unter dem Gurte, daß er in dumpfem Falle zu Boden ſtürzte; dann ſtemmte er den Fuß auf den Leichnam und zog die Lanze heraus; ein Hügel von Speeren hinderte ihn, den Gefallenen der Rüſtung zu berauben.

Auf einer andern Seite trieb ein böſes Verhängniß den Herakliden Tlepolemus auf den Lycier Sarpedon zu, dem er ſchon von weitem zurief: Was nöthigt dich, hier in Angſt zu vergehen, weibiſcher Aſiate, der du dich fälſch¬ lich rühmeſt, ein Jupitersſohn zu ſeyn, wie mein Vater Herkules! Du biſt feige, und ſelbſt wenn du ein Tapferer wäreſt, ſo ſollteſt du jetzt dem Hades nicht entgehen! Habe ich mir noch keinen Ruhm erworben, entgegnete ihm Sarpedon, ſo ſoll dein Tod mir ihn verſchaffen! Und nun kreuzten ſich die Lanzen beider Helden; der Wurfſpieß des Sarpedon traf den prahleriſchen Gegner grade in den Hals, daß die Spitze hinten hervordrang und er entſeelt zur Erde ſtürzte. Aber auch des Tlepole¬ mus Speer hatte den linken Schenkel Sarpedons bis auf die Knochen durchbohrt, und nur ſein Vater Jupiter129 hemmte den Tod. Die Freunde führten den Bebenden aus dem Kampfe, ſo haſtig, daß Keiner bemerkte, wie er die aus dem Schenkel hervorragende Lanze noch nach¬ ſchleppte. Auch die Leiche des Tlepolemus trugen die Griechen aus dem Kampfe zurück.

Während Odyſſeus in der führerloſen Schaar der Lycier wüthete, und ſchon ganz nahe an dem flüchtenden Sarpedon war, erfreute dieſen der Anblick des heranna¬ hen Hektors, und er rief ihm mit ſchwacher Stimme zu: Priamus Sohn, laß mich nicht den Achivern zum Raube daliegen, vertheidige mich, daß ich mein Leben ruhig in dieſer Stadt aushauchen mag, wenn ich doch das Land der Väter, mein Weib und mein Söhnlein nicht mehr ſehen ſoll! Ohne ein Wort zu erwiedern, drängte Hektor die verfolgenden Griechen unwiderſtehlich zurück, ſo daß ſelbſt Odyſſeus nicht wagte, weiter vorzudringen. Nun legten den Sarpedon ſeine Freunde unweit vom ſkäiſchen Thore unter der hohen Buche nieder, die ſeinem Vater Jupiter heilig war, und ſein Jugendgenoſſe Pelagon zog ihm den Speer aus dem Schenkel. Einen Augenblick ver¬ ließ den Verwundeten die Beſinnung, doch athmete er bald wieder auf, und ein kühler Nordwind wehte ſeinen matten Lebensgeiſtern Erfriſchung zu.

Mars und Hektor bedrängten jetzt die Griechen, daß ſie allmählig rückwärts wichen zu ihren Schiffen. Sechs herrliche Helden fielen allein von Hektors Hand. Mit Schrecken überblickte vom Olymp herab Juno, die Göt¬ termutter, das Gemetzel, das die Trojaner unter dem Beiſtande des Mars anrichteten. Auf ihren Antrieb ward Athene's Wagen mit den ehernen, goldumfaßten Rädern, der ſilbernen Deichſel und dem goldenen Joche gerüſtet,Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 9130in welches Here ſelbſt ihr ſchnellfüßiges Roſſegeſpann fügte: Minerva aber hüllte ſich in ihres Vaters Panzer, bedeckte das Haupt mit dem goldenen Helm, ergriff den Schild mit dem Gorgonenhaupte, faßte den Speer und ſchwang ſich auf den ſilbernen Seſſel, der in goldenen Riemen hing. Neben ihr ſitzend, ſchwenkte Juno die Geißel und beflügelte die Roſſe. Des Himmels Thor, das die Horen hüteten, krachte von ſelbſt auf, und die rieſigen Göttinnen fuhren an den Zacken des Olymp vorüber. Auf der höchſten Kuppe ſaß Jupiter, und ihr Geſpann einen Augenblick zügelnd, rief ihm Here, ſeine Gemahlin, zu: Zürnſt du denn gar nicht, Vater, daß dein Sohn Mars das herrliche Volk der Griechen wider das Geſchick verdirbt? Siehſt du, wie ſich Venus und Apollo freuen, die den Wütherich gereizt haben? Nun wirſt du mir doch erlauben, daß ich dem Frechen einen Streich verſetze, der ihn aus dem Kampfe hinausſtößt! Immerhin ſoll es dir geſtattet ſeyn, rief ihr Jupiter von ſeinem Sitze zu, ſende nur friſch meine Tochter Athene gegen ihn, die am bitterſten zu kämpfen verſteht. Nun flog der Wagen zwiſchen dem Sternengewölbe und der Erde dahin, bis er ſich am Zuſammenfluſſe des Si¬ mois und Skamander mit ſammt den Roſſen auf den Boden niederließ.

Die Göttinnen eilten ſofort in die Männerſchlacht, wo die Krieger wie Löwen und Eber um den Tydiden gedrängt ſtanden. Zu ihnen geſellte ſich Here in Stentors Geſtalt und rief mit der ehernen Stimme dieſes Helden: Schämet euch, ihr Argiver, ſeyd ihr nur furchtbar, ſo lang Achilles an eurer Seite ficht? Der ſitzt nun bei den Schiffen, und ihr vermöget nichts! Mit dieſem Ruf131 erregte ſie den wankenden Muth der Danaer. Athene aber bahnte ſich durch das Gedränge einen Weg zu Dio¬ medes ſelbſt. Sie fand dieſen, an ſeinem Wagen ſtehend und die Wunde abkühlend, die ihm der Pfeil des Pan¬ darus gebohrt hatte. Der Druck des breiten Schildgehen¬ kes und der Schweiß peinigten ihn, und ſeine Hand fühlte ſich kraftlos; mit Mühe lüftete er den Riemen und trock¬ nete ſich das Blut. Nun faßte die Göttin Athene das Joch der Roſſe, ſtützte ihren Arm darauf, und ſprach, zu dem Helden gekehrt: In Wahrheit, der Sohn des mu¬ thigen Tydeus gleicht ſeinem Vater nicht ſonderlich; dieſer war zwar nur klein von Geſtalt, aber doch ein immer rüſtiger Kämpfer; ſchlug er ſich doch vor Thebe einmal ganz wider meinen Willen, und doch konnte ich ihm mei¬ nen Beiſtand nicht verſagen. Auch du hätteſt dich meiner Obhut und meiner Hülfe zu erfreuen: aber ich weiß nicht was es iſt ſtarren dir deine Glieder von der Arbeit, oder lähmt dich die ſinnberaubende Furcht: genug, du ſcheinſt mir nicht der Sohn des feurigen Tydeus zu ſeyn! Diomedes blickte bei dieſen Reden der Göttin auf, ſtaunte ihr ins Geſicht und ſprach: Wohl erkenne ich dich, Ju¬ piters Tochter, und will dir die Wahrheit unverhohlen ſagen. Weder Furcht noch Trägheit lähmten mich, ſondern der gewaltigſten Götter einer. Du ſelbſt haſt mir das Auge aufgethan, daß ich ihn erkenne. Es iſt Mars, der Gott des Krieges, den ich im Treffen der Trojaner wal¬ ten ſah; ſieh hier die Urſache, warum ich ſelbſt zurück wich, und auch dem übrigen Griechenvolke gebot, ſich hier um mich zu ſammeln! Darauf antwortete ihm Athene: Diomedes, mein auserwählter Freund! hinfort ſollſt du weder den Mars, noch einen andern der Unſterblichen9 *132fürchten; ich ſelbſt will deine Helferin ſeyn. Lenke nur muthig deine Roſſe dem raſenden Kriegsgott ſelber zu! So ſprach ſie, gab ſeinem Wagenlenker Sthenelus einen leichten Stoß, daß er willig vom Streitwagen ſprang, und ſetzte ſich ſelbſt in den Seſſel zu dem herrlichen Helden. Die Axe ſtöhnte unter der Laſt der Göttin und des Stärk¬ ſten unter den Griechen. Sofort ergriff Pallas Athene Zügel und Peitſche, und lenkte den Huftritt der Roſſe Mars dem Kriegsgotte zu. Dieſer raubte gerade dem tapferſten Aetolier, Periphas, den er erſchlagen hatte, die Rüſtung. Als er aber den Diomedes im Streitwagen auf ſich zukommen ſah, (die Göttin hatte ſich in undurchdring¬ liche Nacht gehüllt,) ließ er den Periphas liegen und eilte auf den Tydiden zu, über Joch und Zügel ſeiner Roſſe herausgelehnt, und mit der Lanze nach der Bruſt des Helden zielend. Aber Athene, unſichtbar, ergriff ſie mit der Hand, und gab ihr eine andere Richtung, daß ſie ohne Ziel in die Luft hinausflog. Nun erhub ſich Dio¬ medes in ſeinem Wagenſitze, und Athene ſelbſt lenkte den Stoß ſeines Speeres, daß er dem Mars unter dem eher¬ nen Leibgurt in die Weiche fuhr. Der Kriegsgott brüllte, wie zehntauſend Sterbliche in der Schlacht ſchreien, Tro¬ janer und Griechen zitterten, denn ſie glaubten, bei hei¬ terer Luft den Donner Jupiters zu hören. Diomedes aber ſah den Mars, in Wolken gehüllt, wie in einem Orkane zum Himmel emporfahren. Dort ſetzte ſich der Kriegsgott neben den Donnerer, ſeinen Vater, und zeigte ihm das aus der Wunde herabtriefende Blut. Aber Ju¬ piter ſchaute finſter und ſprach: Sohn, winſle mir hier nicht an meiner Seite! Von allen Olympiern biſt du mir der Verhaßteſte; immer haſt du nur Zank und Fehde133 geliebt, mehr als alle Andere gleicheſt du an Trotz und Starrſinn deiner Mutter. Gewiß hat dieſes Weh mir auch ihr Rath bereitet! Dennoch kann ich nicht län¬ ger mit anſehen, wie du leideſt, und der Arzt der Götter wird dich heilen. So übergab er ihn dem Päan, welcher der Wunde wahrnahm, daß ſie ſich auf der Stelle ſchloß.

Inzwiſchen waren auch die andern Götter in den Olymp zurückgekehrt, um die Feldſchlacht der Troer und Danaer wieder ſich ſelbſt zu überlaſſen. Zuerſt brach jetzt Ajax, der Sohn Telamons, in das Gedränge der Tro¬ janer, und machte den Seinigen wieder Luft, indem er Akamas, dem gewaltigſten Thrazier, die Stirne unter dem Helm durchbohrte. Darauf erſchlug Diomedes Arylus und ſeinen Wagenlenker; vor Euryalus erlagen drei an¬ dere edle Trojaner, vor Odyſſeus Pidytes, vor Teucer Aretaon, vor Antilochus Ableros, vor Agamemnon Elatus, vor Andern Andere. Den Adraſtus erhaſchte Menelaus, als ihn die Roſſe ſtrauchelnd auf den Boden geworfen, und mit dem Wagen, unter andern herrenloſen Pferden, zur Stadt enteilten. Der liegende Feind umſchlang die Knie des Fürſten und flehte jämmerlich: Fange mich lebendig, Atride, nimm volle Löſung von Erz und Gold aus dem Schatze meines Vaters, der ſie dir willig gibt, wenn er mich wieder lebendig umarmen darf! Menelaus fühlte ſein Herz im Buſen bewegt, da lief Agamemnon heran und ſtrafte ihn mit den Worten: Sorgſt du ſo für deine Feinde, Menelaus? fürwahr, ſie haben es um dich im Heimathlande verdient! Nein, Keiner ſoll un¬ ſerm Arm entfliehen, auch der Knabe im Mutterſchooße nicht! Alles, was Troja groß gezogen hat, ſoll ohne Erbarmen ſterben! Da ſtieß Menelaus den Flehenden134 mit der Hand von ſich und Agamemnon durchbohrte ihm den Leib mit der Lanze. Unter den ſtürmenden Argivern hörte man Neſtors hallenden Ruf: Freunde! daß nur Keiner, zu Raub und Beute gewendet, dahinten bleibe! Jetzt gilt es nur, Männer zu tödten; nachher könnt ihr gemäch¬ lich den Leichnamen die Rüſtung abziehen!

Bald wären jetzt die Trojaner ihrer Stadt überwun¬ den zugeflohen, wenn nicht Helenus, der Sohn des Priamus, der kundigſte Vogelſchauer, ſich zu Hektor und Aeneas gewendet und ſo zu ihnen geſprochen hätte: Alles beruht jetzt auf euch, ihr Freunde, nur wenn ihr das flüchtige Volk vor den Thoren hemmet, vermögen wir ſelbſt noch die Schaaren der Danaer zu bekämpfen. Dir, Aeneas, übertragen die Götter zunächſt dieſes Ge¬ ſchäft. Du aber, Bruder Hektor, eile gen Troja und ſage unſerer Mutter ein Wort. Sie ſoll die edelſten Weiber auf der Burg im Tempel Athene's verſam¬ meln, ihr köſtlichſtes Gewand auf die Kniee der Göttin legen und ihr zwölf untadeliche Kühe geloben, wenn ſie ſich der trojaniſchen Frauen und Kinder und ihrer Stadt erbarmt, und den ſchrecklichen Tydiden abwehrt. Unverdroſſen ſprang Hektor vom Wagen, durchwan¬ delte ermahnend die Geſchwader und enteilte nach der Stadt.

135

Glaukus und Diomedes.

Auf dem Schlachtfelde rannten jetzt der Lycier Glaukus, der Enkel des Bellerophontes, und der Tydide Diomedes aus den Heeren hervor und begegneten voll Kampfgier einander. Als Diomedes den Gegner in der Nähe ſah, maß er ihn mit den Blicken und ſprach: Wer biſt du, edler Kämpfer? noch nie biſt du mir in der Feldſchlacht begegnet, doch jetzt ſehe ich dich vor Andern weit hervor¬ ragen, da du es wageſt, dich meiner Lanze entgegenzu¬ ſtellen; denn mir begegnen nur Kinder, die zum Unglücke geboren ſind. Biſt du aber ein Gott, der ſterbliche Ge¬ ſtalt angenommen hat, ſo begebe ich mich des Kampfes. Ich fürchte den Zorn der Himmliſchen und verlange nicht ferner nach dem Streite mit unſterblichen Göttern. Doch wenn du ein Sterblicher biſt, ſo komm immerhin heran, du ſollſt dem Tode nicht entgehen! Darauf antwortete der Sohn des Hippolochus: Diomedes, was frägſt du nach meinem Geſchlecht? Wir Menſchen ſind wie Blätter im Walde, die der Wind verweht, und der Frühling wie¬ der treibt! Willſt du es aber wiſſen, ſo höre: Mein Urahn iſt Aeolus, der Sohn des Hellen, der zeugte den ſchlauen Siſyphus, Siſyphus zeugte den Glaukus, Glau¬ kus den Bellerophontes*)S. Bd. I, S. 271 ff., Bellerophontes den Hippolo¬ chus, und des Hippolochus Sohn bin ich. Dieſer ſchickte mich her gen Troja, daß ich Andern vorſtreben und der Väter Geſchlecht nicht ſchänden ſollte. Als der Gegner136 geendigt, ſtieß Diomedes fröhlich ſeinen Schaft in die Erde und rief ihm mit freundlichen Worten zu: Wahr¬ lich, edler Fürſt, ſo biſt du ja mein Gaſtfreund von Väter¬ zeiten her, Oeneus mein Großvater hat deinen Großvater Bellerophontes zwanzig Tage lang gaſtlich in ſeinem Hauſe beherbergt, und unſere Ahnen haben ſich ſchöne Ehrengeſchenke gereicht: der meine dem deinen einen purpurnen Leibgurt, der deinige dem meinen einen golde¬ nen Henkelbecher, den ich noch in meiner Behauſung ver¬ wahre. So bin ich denn dein Wirth in Argos und du der meine in Lycien, wenn ich je dorthin mit meinem Gefolge komme. Darum wollen wir uns im Schlacht¬ getümmel beide mit unſern Lanzen vermeiden. Gibt es doch für mich noch Trojaner genug zu tödten, und für dich der Griechen genug! Uns aber laß die Waffen mit¬ einander vertauſchen, damit auch die Andern ſehen, wie wir uns von Väterzeiten her rühmen, Gaſtfreunde zu ſeyn! So redeten jene, ſchwangen ſich von den Streit¬ wagen herab, faßten ſich liebreich die Hände und gelobten einander gegenſeitige Freundſchaft. Jupiter aber, der Alles, was geſchah, zu Gunſten der Griechen lenkte, ver¬ blendete den Sinn des Glaukus, daß er ſeine goldene Rüſtung mit der ehernen des Diomedes wechſelte; es war, wie wenn ein Mann gegen neun Farren hundert hergäbe.

137

Hektor in Troja.

Hektor hatte unterdeſſen die Buche Jupiters und das Skäiſche Thor erreicht. Hier umringten ihn die Weiber und Töchter der Trojaner und forſchten ängſtlich nach Gemahlen, Söhnen, Brüdern und Verwandten. Nicht Allen wußte er Beſcheid zu geben, er ermahnte nur Alle, die Götter anzuflehen. Doch Viele hatten ſeine Nachrich¬ ten in Weh und Jammer verſenkt. Jetzt war er am Pallaſte ſeines Vaters angekommen. Dieſer war ein herrliches Gebäude, ringsum mit weithin ſich dehnenden Säulenhallen geſchmückt, im Innern waren fünfzig Ge¬ mächer aus glattem Marmor, eins ans andere nachbarlich angebaut. Hier wohnten die Söhne des Königes mit ihren Gemahlinnen. Auf der andern Seite des inneren Hofes reihten ſich zwölf Marmorſäle an einander, wo die Eidame des Königes mit ſeinen Töchtern hausten. Das Ganze war mit einer hohen Mauer umſchloſſen und bil¬ dete für ſich allein eine ſtattliche Burg. Hier begegnete Hektor ſeiner guten Mutter Hekuba, die eben zu ihrer liebſten und anmuthigſten Tochter Laodice zu gehen im Begriffe war. Die Mutter eilte auf Hektor zu, faßte ihm die Hand und ſprach voll Sorgen und Liebe: Sohn, wie kommſt du zu uns aus der wüthenden Schlacht? Die entſetzlichen Männer müſſen uns wohl hart bedrängen, und du kommſt gewiß, die Hände zu Jupiter zu erheben. So verziehe denn, bis ich dir vom lieblichen Wein bringe, daß du dem Vater Zeus und den andern Göttern ein Trankopfer darbringen kannſt, und darauf dich ſelbſt mit138 einem Labetrunk erquicken; denn der Wein iſt doch die kräftigſte Stärkung für einen müden Kämpfer! Aber Hektor erwiederte der Königin: Laß mir keinen Wein reichen, geliebte Mutter, daß du mich nicht entnerveſt und ich meiner Kraft vergeſſe; auch dem Göttervater ſcheue ich mich, mit ungewaſchener Hand Wein zu ſpenden; du hingegen geh, von den edelſten Frauen Troja's umringt, mit Räuchwerk zu Athenes Tempel, lege der Göttin dein köſtlichſtes Gewand auf die Kniee und gelobe ihr zwölf untadeliche Kühe, wenn ſie ſich unſerer erbarmt. Ich aber will hingehen, meinen Bruder Paris in die Schlacht zu berufen. Schlänge ihn doch die Erde lebendig hinab, denn er iſt zu unſerem Verderben geboren!

Die Mutter that, wie der Sohn ſie angewieſen. Sie ſtieg in die duftende Kammer hinunter, wo die ſchönſten Seidengewande verwahrt lagen, die Paris ſelbſt aus Sidon mitgebracht hatte, als er aus Umwegen mit Helena nach der Heimath ſchiffte. Eines davon, das größeſte, ſchönſte, mit den herrlichſten Bildern durchwirkte, das zu unterſt von allen lag, ſuchte ſie hervor und wandelte nun, von der Schaar der edelſten Weiber begleitet, nach der Burg, zu Athene's Tempel. Hier öffnete ihnen Antenors Gattin Theano, die trojaniſche Prieſterin der Pallas, das Haus der Göttin. Die Frauen reihten ſich um das Bild Athene's und huben mit Klagetönen die Hände zu der Göttin empor. Dann nahm Theano das Gewand aus den Händen der Königin, legte es auf die Kniee des Bildes und flehte zu der Tochter Jupiters: Pallas Athene, Beſchirmerin der Städte, erhabene, machtvolle Göttin, brich du dem Diomedes den Speer, laß ihn ſelbſt, auf ſein Angeſicht geſtürzt, vor unſern Thoren ſich139 wälzen; erbarme dich der Stadt, der Frauen, der ſtam¬ melnden Kinder! In dieſer Hoffnung weihen wir dir zwölf untadeliche Kühe.

Aber Pallas Athene verweigerte ihnen im Herzen ihre Bitte. Hektor war inzwiſchen im Pallaſte des Paris angekommen, der hoch auf der Burg, in der Nähe vom Königspallaſt und von Hektors Wohnung ſtand; denn beide Fürſten hatten von der Königswohnung abgeſonderte Häuſer. Er trug in der Rechten ſeinen Speer, der eilf Ellen lang und deſſen eherne Spitze am Schaft mit einem goldenen Ring umlegt war. Er fand den Bruder, wie er in ſeinem Gemache die Waffen muſterte und das Horn des Bogens glättete; ſeine Gemahlin Helena ſaß emſig unter den Weibern und leitete ihr Tagewerk. Wie Hektor jenen ſah, ſchalt er ihn und rief: Du thuſt nicht Recht, ſo im Unmuthe hier zu ſitzen, Bruder, um deinet¬ willen ſchlägt ſich das Volk vor der Stadt im Feldgetüm¬ mel! Du ſelbſt aber würdeſt mit jedem Andern zanken, den du ſo ſaumſelig zum Treffen ſäheſt. Auf denn, ehe die Stadt unter den Feuerbränden unſeres Feindes auf¬ lodert, hilf ſie vertheidigen mit uns! Paris antwortete ihm: Du tadelſt mich nicht mit Unrecht, Bruder, doch bin ich nicht aus Unmuth, ſondern nur aus Gram hier in der Unthätigkeit geſeſſen. Nun aber hat mir meine Gattin freundlich zugeredet, in die Schlacht hinaus zu gehen; ſo verziehe denn, bis ich meine Rüſtung angezogen habe, oder geh: ich hoffe dir bald nachzufolgen. Hektor ſchwieg darauf, aber Helena redete ihn mit Worten der Beſchämung an: O Schwager, ich bin ein ſchnödes, unheilſtiftendes Weib! Hätte mich doch die Meereswoge verſchlungen, ehe ich mit Paris hier ans Land ſtieg! Nun140 das Uebel aber einmal verhängt worden: wäre ich doch wenigſtens nur die Genoſſin eines beſſeren Mannes, der die Schmach und die vielen Vorwürfe, die er ſich zuzieht, auch empfände; ſo aber hat er kein Herz im Leibe und wird keines haben, und die Frucht ſeiner Feigheit wird nicht ausbleiben. Aber du, Hektor, komm doch herein und ruhe von der Arbeit, die wegen meiner, des ſchändlichen Weibes, die wegen der Frevelthat meines Gatten doch zumeiſt auf deinen Schultern laſtet! Nein, Helena, ſprach Hektor, heiß mich nicht ſo freundlich ſitzen, ich darf wahrlich nicht: mein Herz drängt mich, den Trojanern zu helfen. Muntere du nur dieſen Menſchen da auf, und er ſelbſt treibe an ſich, daß er mich bald noch innerhalb der Stadtmauern erreiche. Ich will zuvor noch in meine eigene Wohnung gehen und nach Weib, Söhnlein und Geſinde ſchauen. So ſprach Hektor und enteilte. Aber er fand die Gattin nicht zu Hauſe. Als ſie hörte, ſprach zu ihm die Schaffnerin, daß die Trojaner Noth leiden und der Sieg ſich zu den Griechen neige, verließ ſie die Wohnung wie außer ſich, um einen der Stadtthürme zu beſteigen und die Wärterin mußte ihr das Kind nachtragen.

Schnell legte Hektor den Weg durch die Straßen Troja's jetzt wieder zurück. Als er das Skäiſche Thor erreicht, kam ſeine Gemahlin Andromache, die blühende Tochter des ciliciſchen Eëtion von Theben, eilenden Laufes gegen ihn her, die Dienerin, ihr folgend, trug das unmün¬ dige Knäblein Aſtyanax, ſchön wie ein Stern, an der Bruſt. Mit ſtillem Lächeln betrachtete der Vater den Knaben, Andromache aber trat ihm unter Thränen zur Seite, drückte ihm zärtlich die Hand und ſprach: Entſetz¬ licher Mann! gewiß tödtet dich noch dein Muth, und du141 erbarmeſt dich weder deines ſtammelnden Kinds, noch dei¬ nes unglückſeligen Weibs, das du bald zur Wittwe machen wirſt. Werde ich deiner beraubt, ſo wäre es das Beſte, ich ſänke in den Boden hinab. Den Vater hat mir Achil¬ les getödtet, meine Mutter hat der Bogen Diana's erlegt, meine ſieben Brüder hat auch der Pelide umgebracht, ohne dich habe ich keinen Troſt, Hektor, du biſt mir Vater und Mutter und Bruder. Darum erbarme dich, bleib hier auf dem Thurm; mach dein Kind nicht zur Waiſe, dein Weib nicht zur Wittwe! Das Heer ſtelle dort an den Feigenhügel: dort ſteht die Mauer dem Angriffe frei und iſt am leichteſten zu erſteigen, dorthin haben die tapfer¬ ſten Krieger, die Ajax beide, Idomeneus, die Atriden und Diomedes ſchon dreimal den Sturm hingelenkt, ſey es, daß ein Seher es ihnen offenbarte, ſey's daß das eigene Herz ſie trieb!

Liebreich antwortete Hektor ſeiner Gemahlin: Auch mich härmt Alles dieſes, Geliebteſte; aber ich müßte mich vor Troja's Männern und Frauen ſchämen, wenn ich, erſchlafft wie ein Feiger, hier aus der Ferne zuſchaute. Auch mein eigner Muth erlaubt es mir nicht, er hat mich immer gelehrt, im Vorderkampfe zu ſtreiten; zwar, das Herz weiſſagt es mir: der Tag wird kommen, wo die heilige Troja hinſinkt, und Priamus und all ſein Volk; aber weder der Trojaner Leid, noch der eigenen Eltern und der leiblichen Brüder, wenn ſie dann unter dem Schwert der Griechen fallen, geht mir ſo zu Herzen, wie das deine, wenn dich, die Weinende, ein Danaer in die Knechtſchaft führen wird, und du dann zu Argos am Webeſtuhl ſitzeſt oder Waſſer trägſt, vom harten Zwang belaſtet, und dann wohl ein Mann, dich in Thränen142 ſchauend, ſpricht: das war Hektors Weib! Decke mich der Grabhügel, eh ich von deinem Geſchrei und deiner Ent¬ führung hören muß! So ſprach er und ſtreckte die Arme nach ſeinem Knäbchen aus; aber das Kind ſchmiegte ſich ſchreiend an den Buſen der Amme, von der Zärtlichkeit des Vaters erſchreckt, und vor dem ehernen Helm und dem fürchterlich flatternden Roßſchweif erbangend. Der Vater ſchaute das Kind und die zärtliche Mutter lächelnd an, nahm ſich ſchnell den ſchimmernden Helm vom Haupte, legte ihn zu Boden, küßte ſein geliebtes Kind und wiegte es auf dem Arm. Dann flehte er zum Himmel empor: Zeus und ihr Götter! laßt dieß mein Knäblein werden wie mich ſelbſt, voranſtrebend dem Volk der Trojaner; laßt es mächtig werden in Troja und die Stadt beherr¬ ſchen, und dereinſt ſage man, wenn es beutebeladen aus dem Streite heimkehrt: der iſt noch weit tapferer, als ſein Vater, und darüber ſoll ſich ſeine Mutter herzlich freuen! Mit dieſen Worten gab er den Sohn der Gattin in den Arm, die unter Thränen lächelnd ihn an den Buſen drückte. Hektor aber ſtreichelte ſie, inniger Wehmuth voll, mit der Hand, und ſagte: Armes Weib, traure mir nicht zu ſehr im Herzen, gegen das Geſchick wird mich Niemand tödten, dem Verhängniß aber iſt noch kein Sterblicher entronnen. Auf, geh du zur Spindel und zum Webeſtuhl und befiehl deinen Weibern! den Männern Troja's liegt die Sorge für den Krieg ob, am meiſten aber mir! Als er dieß geſagt, ſetzte ſich Hektor den Helm auf und ging davon. Auch Andromache ſchritt dem Hauſe zu, indem ſie wiederholt rückwärts blickte und herzliche Thränen weinte. Als die Mägde in der Kammer ſie erblickten, theilte ſich143 ihnen Allen ihr Gram und ihre Betrübniß mit, und Hektor wurde bei lebendigem Leib in ſeinem Pallaſt betrauert.

Auch Paris hatte nicht gezaudert; in ſtrahlenden Erz¬ waffen eilte er durch die Stadt, wie ein ſtattliches Roß die Halfter zerreißt und nach dem Strombade rennt. Er erreichte den Bruder, als dieſer ſich eben von ſeiner Gat¬ tin Andromache gewendet hatte. Nicht wahr, rief ihm Paris von weitem zu, ich habe dich, mein älterer Bru¬ der, durch mein Zaudern aufgehalten, und bin nicht da zur rechten Zeit! Aber Hektor antwortete ihm freundlich: Mein Guter, billig zu reden biſt du ein tapferer Strei¬ ter, nur ſäumſt du oft gern und willſt nicht, und ſieh, da kränkt es mich dann innig, wenn ich unter dem Trojaner¬ volke, das ſo viel für dich erduldet, ſchmähliche Reden über dich hören muß. Doch, das wollen wir ein andermal ausmachen, wenn wir die Griechen aus Troja verjagt haben und um den Krug der Freiheit im Pallaſte ſitzen!

Hektor und Ajax im Zweikampf.

Als die Göttin Athene vom Olymp herab die beiden Brüder ſo zum Kampfe hineilen ſah, flog ſie ſtürmiſch hinunter zur Stadt Troja. An Jupiters Buche begegnete ihr Apollo, der von der Zinne der Burg, von wo er die Schlacht der Trojaner lenkte, daher kam, und ſeine Schwe¬ ſter anredete: Welch ein heftiger Eifer treibt dich vom Olymp herunter, Pallas? biſt du noch immer auf den Fall der Trojaner bedacht, Erbarmungsloſe? Wollteſt du mir doch gehorchen, und für heute den Entſcheidungskampf144 ruhen laſſen. Ein andermal mögen ſie die Feldſchlacht erneuern, weil ihr, du und Here, doch nicht ruhet, bis ihr die hohe Stadt Troja verwüſtet habt! Ihm antwortete Athene: Fernhintreffer, es ſey, wie du ſagſt; und in derſelben Abſicht bin auch ich vom Olymp herabgekommen. Aber ſage mir, wie gedenkſt du den Männerkampf zu ſtillen? Wir wollen, ſprach Apollo, dem gewaltigen Hektor ſeinen Muth noch ſteigern, daß er einen der Da¬ naer zum entſcheidenden Zweikampf herausfordert, laß uns denn ſehen, was dieſe thun. Athene war das zufrieden.

Das Geſpräch der Unſterblichen hatte der Seher He¬ lenus in ſeiner Seele vernommen; eilig trat er zu Hektor und ſprach: Weiſer Sohn des Priamus, wollteſt du dießmal meinem Rathe gehorchen, der ich dein liebender Bruder bin? Heiß die andern Alle, Trojaner und Grie¬ chen, vom Streite ruhen; du ſelbſt aber fordre den Tapfer¬ ſten aller Achiver zur Entſcheidung heraus. Du kannſt es ohne Gefahr; denn, glaube meinem Seherworte, der Tod iſt noch nicht über dich verhängt.

Hektor freute ſich dieſes Worts. Er hemmte die tro¬ janiſchen Heerhaufen und trat, den Speer in der Mitte haltend, zwiſchen die kämpfenden Heere, und auf dieſes Zeichen ruhte alsbald der Streit auf beiden Seiten, denn auch Agamemnon hieß ſeine Griechen ſich lagern. Minerva und Apollo aber ſetzten ſich beide in Geſtalt zweier Geier auf Jupiters Buche und freuten ſich des Männergewühls, bis beide Ordnungen, von Schilden, Helmen und hervor¬ ragenden Lanzen dicht umſtarrt, gedrängt daſaßen, nur ſo viel ſich regend, als das Meer, wenn das Gekräuſel des Weſtes darüber hinſchauert. In der Mitte beider Völker begann jetzt Hektor: Trojaner und ihr Griechen, höret,145 was mir mein Herz gebietet! den Bundesvertrag, den wir jüngſt geſchloſſen, hat Jupiter nicht genehmigt, viel¬ mehr beiden Völkern böſe Entſchlüſſe eingegeben, bis ent¬ weder ihr ſelbſt Troja erobert, oder vor uns erlieget bei euren Schiffen. Nun ſind die tapferſten Helden Griechen¬ lands in eurem Heere. Welchem nun von ſolchen ſein Herz gebeut, mit mir, dem göttergleichen Hektor den Vor¬ kampf zu wagen, der trete heraus! Die Bedingung, die ich ſtelle, iſt dieſe, und Jupiter ſey mein Zeuge: wenn mein Gegner mich mit dem Speer erlegt, mag er meinen Waffenraub zu den Schiffen hinabtragen, doch meinen Leib nach Troja ſenden, daß er der Ehre des Scheiterhaufens in der Heimath theilhaftig werde; wenn aber mir Apollo Ruhm gewährt und ich meinen Gegner erlege, ſo hänge ich ſeine Rüſtung im Tempel des Phöbus zu Troja auf, und den Erſchlagenen möget ihr bei euren Schiffen mit Pracht beſtatten und ihm am Helleſpont ein Mal auf¬ thürmen, von dem einſt in ſpäten Zeiten der Schiffer noch ſage: Sehet, hier ragt der Grabhügel des längſtverſtorbe¬ nen Mannes, der einſt im Streit mit dem göttergleichen Hektor erlag!

Alſo ſprach Jener, die Danaer aber ſchwiegen, denn es war ſchimpflich, den Kampf zu verweigern, und gefahr¬ voll, ihn anzunehmen. Endlich ſtand Menelaus auf und ſtrafte ſeine Landsleute ſeufzend mit den Worten: Wehe mir, ihr Prahler, Griechinnen und nicht Griechen. Wäre es doch eine unvertilgbare Schande, wenn kein Danaer dem Hektor zu begegnen wagte! Möchtet ihr euch Alle in Koth und Waſſer verwandeln, wie ihr miteinander daſitzet, Jeder ohne Herz und ohne Ruhm! So will ich denn mich ſelbſt zum Kampfe gürten und den Göttern denSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 10146Ausgang anempfehlen! So ſprach er und warf ſich in die Rüſtung; und ſein Tod wäre bei den Göttern beſchloſ¬ ſen geweſen, wenn nicht die Fürſten der Griechen auf¬ gefahren wären und ihn zurückgehalten hätten. Ja ſelbſt Agamemnon ergriff ſeine Rechte und ſprach: Bruder, bedenke dich! was fällt dir ein, den ſtärkern Mann be¬ kämpfen zu wollen, vor dem ſelbſt Andern, als du biſt, graut, mit dem Achilles ſelber in der Feldſchlacht ſich zu meſſen geſtutzt hat. Wir bitten dich Alle, tritt zurück und ſetze dich nieder! So wandte Agamemnon ſeinem Bruder das Herz. Und nun hielt Neſtor eine ſtrafende Rede an das Volk und erzählte ſeinen eigenen Zweikampf mit Ereuthalion dem Arkadier. Wäre ich noch ſo jugendlich, endete er, noch ſo ungeſchwächter Kraft, wie damals, ſo ſollte Hektor ſeinen Kämpfer bald gefunden haben! Auf ſeine Strafrede erhuben ſich neun Fürſten in dem Heere: vor Allen Agamemnon, ihm zunächſt Diomedes, drauf die beiden Ajax zugleich; dann Idomeneus, ſein Genoſſe Meriones, Eurypylus, Thoas und Odyſſeus. Sie Alle erboten ſich zu dem gefürchteten Kampf. Das Loos ſoll entſcheiden, begann von Neuem Neſtor, wen es auch trifft, freuen werden ſich die Griechen, und der Erkohrene mit, wenn er aus dem erbitterten Streit als Sieger her¬ vorgeht. Nun bezeichnete ſich Jeder ſelbſt ſein Loos; Alle zuſammen wurden in den Helm Agamemnons gewor¬ fen; das Volk betete; Neſtor ſchüttelte den Helm, und heraus ſprang das Loos des Telamonsſohnes Ajax. Ein Herold zeigte das Loos herumwandelnd den acht Helden vor Ajax, aber keiner erkannte es, bis die Reihe an den kam, der es ſich ſelbſt bezeichnet hatte. Freudig warf Ajax das Loos vor die Füße und rief: Freunde, wahrlich, es147 iſt mein Loos, und mein Herz iſt froh, denn ich hoffe, über Hektor zu ſiegen. Ihr Alle betet in der Stille oder laut, während ich mich rüſte.

Das Volk gehorchte ihm und bald ſtürmte Ajax, den rieſigen Leib in blinkende Erzwaffen gehüllt, zum Kampfe vor, dem ungeheuren Kriegsgott ſelber ähnlich. Ein Lä¬ cheln flog über ſein finſterernſtes Antlitz, wie er mächtigen Schrittes, die gewaltige Lanze ſchwingend, einherwandelte. Alle Danaer freuten ſich ringsum ſeines Anblicks und Schrecken durchſchauderte die Schlachtreihen der Trojaner. Ja dem gewaltigen Hektor ſelbſt fing ſein Herz im Buſen an zu ſchlagen, aber er konnte nicht mehr ins Gewühl ſeiner Schaaren zurückfliehen, hatte er doch ſelbſt den Zweikampf gefordert.

Ajax näherte ſich ihm, den ehernen ſiebenhäutigen Schild vortragend, den der berühmte Künſtler Tychius ihm einſt gefertigt. Als er ganz nahe vor Hektor ſtand, ſprach er drohend: Hektor, nun erkennſt du, daß es im Danaer¬ volk auch außer dem löwenherzigen Peliden noch Helden gibt, und zwar ihrer genug. Wohlan denn, beginne den blutigen Kampf! Ihm antwortete Hektor: Göttergleicher Sohn des Telamon, verſuche mich nicht wie ein ſchwa¬ ches Kind oder ein unkriegeriſches Weib. Sind mir doch die Männerſchlachten wohl bekannt, ich weiß den Stier¬ ſchild rechts und links hinzuwenden, weiß den Tanz des ſchrecklichen Kriegsgotts zu Fuße zu tanzen, und die Roſſe im Gewühl zu lenken! Wohlan, nicht mit heimlicher Liſt ſende ich den Speer nach dir, tapferer Held, nein öffent¬ lich, laß ſehen, ob er dich treffe! Mit dieſen Worten entſandte er in hohem Schwung die Lanze, und ſie fuhr dem Ajax in den Schild, durchdrang ſechs Schichten und10 *148ermattete erſt in der ſiebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft: dieſe durchſchmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchſchnitt ſeinen Leibrock und wäre ihm in die Weiche gedrungen, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere aus den Waffen und rannten wie unverwüſtliche Wald¬ eber aufs Neue gegen einander an. Hektor zielte, mit dem Speere ſtoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds, aber ſeine Lanzenſpitze bog ſich und durchbrach das Erz nicht; Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speer den Schild ſeines Gegners und ſtreifte ihm ſelbſt den Hals, daß ihm ſchwarzes Blut entſpritzte. Nun wich Hektor zwar ein wenig rückwärts; ſeine nervigte Rechte ergriff jedoch einen Feldſtein und traf damit die Schildbuckel des Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax hub einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und ſandte ihn mit ſolchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild ein¬ wärts brach und den Gegner ins Knie verletzte, ſo daß derſelbe rücklings hinſank; doch verlor er den Schild nicht aus den Händen und Apollo, der ihm unſichtbar zur Seite ſtand, richtete ihn ſchnell vom Boden wieder auf. Beide wären jetzt mit dem Schwert auf einander losgegangen, um den Streit endlich zu entſcheiden: da eilten die Herolde der beiden Völker, Idäus, der Troer, und Talthybius, der Grieche, herbei, und ſtreckten die Stäbe zwiſchen die Kämpfenden. Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder, rief Idäus, ihr ſeyd ja beide tapfer, beide von Jupiter geliebt; wir Alle haben das geſehen! Jetzt aber kommt die Nacht herbei, gehorchet der Nacht. Ermahne du deinen eige¬ nen Volksgenoſſen! entgegnete dem Herold Ajax, er iſt es ja, der den Tapferſten der Griechen zum Kampfe149 hervorgerufen hat! Will er es ſo, ſo mag ich dir gehor¬ chen! Und nun ſprach Hektor ſelbſt zu ſeinem Gegner: Ajax, ein Gott hat dir den gewaltigen Leib, die Kraft und die Speerkunde verliehen: darum, laß uns heute vom Entſcheidungskampfe ausruhen; ein andermal wollen wir ihn erneuern und ſo lange fechten, bis ein Gott einem von beiden Völkern Sieg und Kriegsruhm verleiht! Nun laß uns aber auch noch einander rühmliche Gaben ſchen¬ ken, damit es einſt bei Trojanern und Griechen heiße: ſehet, ſie kämpften mit einander den Kampf der Zwietracht, aber in Freundſchaft ſind ſie von einander geſchieden! So ſprach Hektor und reichte dem Gegner ſein Schwert mit dem ſilbernen Griff, ſammt Scheide und zierlichem Wehrgehenk. Ajax aber löste ſeinen purpurnen Gurt vom Leibe und bot ihn dem Hektor dar. Dann ſchieden beide von einander. Ajax zog ſich in die Schaar der Griechen zurück, Hektor ins Gewühl der Trojaner. Dieſe waren froh, ihren Helden unverletzt aus den Händen des furcht¬ baren Ajax zurückzuerhalten.

Waffenſtillſtand.

Die Fürſten der Danaer verſammelten ſich jetzt in dem Gezelte ihres Oberfeldherrn Agamemnon, wohin ſie auch den ſeines Sieges ſich hocherfreuenden Ajax jubelnd geführt hatten. Hier wurde dem Jupiter ein fünfjähriger fetter Stier geopfert, und beim Schmauſe der Sieger mit dem beſten Rückenſtücke geehrt. Als ſie ſich an Speiſe und Trank geſättiget, eröffnete Neſtor den Rath der Fürſten150 mit dem Vorſchlage, am andern Morgen den Krieg ruhen zu laſſen und nach Abſchluß eines Waffenſtillſtandes die Leichname der gefallenen Danaer auf Wagen mit Rindern und Maulthieren beſpannt abzuholen, und abſeits von den Schiffen zu verbrennen, damit, wenn ſie wieder zum Va¬ terlande heimzögen, ein Jeder den Kindern ſeiner Ver¬ wandten den Staub der Ihrigen mitbringen könnte. Die Könige riefen ihm ringsumher Beifall.

Auf der andern Seite kamen auch die Trojaner auf ihrer Burg, vor dem Pallaſte des Königes, nicht ohne Schmerz und Verwirrung über den Ausgang des Zwei¬ kampfes zur Verſammlung, und hier ſtand der weiſe An¬ tenor auf und ſprach: Höret mein Wort, ihr Trojaner und Bundsgenoſſen. So lange wir treulos gegen den heiligen Vertrag, den Pandarus gebrochen hat, kämpfen, kann unſerm Volke keine Wohlfahrt blühen; deswegen berge ich meines Herzens Meinung und meinen Rath nicht, daß wir die Argiverin Helena mit ſammt ihren Schätzen den Atriden ausliefern ſollten. Dagegen erhub ſich Paris und erwiederte: Wenn du im Ernſte ſo gere¬ det haſt, Antenor, ſo haben dir wahrhaftig die Götter deinen Verſtand geraubt; ich aber bekenne gerade heraus, daß ich das Weib nie wieder hergeben werde. Die Schätze, die ich aus Argos mitgeführt, mögen ſie meinet¬ halben wieder haben, und ich will freiwillig von dem Meinigen noch hinzuthun, was ſie als Buße verlangen können! Nach ſeinem Sohne ſprach der greiſe König Priamus mit wohlmeinender Geſinnung: Laßt uns heute nichts Weiteres mehr beginnen, ihr Freunde! vertheilet den Nachtimbiß unter das Heer, ſtellet die Wachen aus und überlaſſet euch, behutſam wie immer, dem Schlafe. 151Am andern Morgen aber ſoll Idäus, unſer Herold, zu den Schiffen der Griechen gehen, und denſelben das fried¬ ſame Wort meines Sohnes Paris verkündigen, zugleich ſie erforſchen, ob ſie geneigt ſeyen, uns Waffenruhe zu gewähren, bis wir unſere Todten verbrannt haben. Kön¬ nen wir uns nicht vereinigen, ſo mag nachher die Feld¬ ſchlacht wieder beginnen.

So geſchah es. Am andern Morgen erſchien Idäus als Herold vor den Griechen und meldete das Anerbieten des Paris und den Vorſchlag des Königes. Als die Hel¬ den der Danaer ſolches hörten, blieben Alle lange ſtumm. Endlich begann Diomedes: Laßt euch doch nicht einfallen, ihr Griechen, die Schätze anzunehmen, auch nicht, wenn ihr Helena dazu bekämet. Der Einfältigſte wird ja wohl hieraus erkennen, daß die Trojaner bereits mit dem Unter¬ gang bedroht ſind! Dieſem Worte jauchzten die Fürſten alle Beifall zu und Agamemnon ſprach jetzt zu dem He¬ rolde: Du haſt ſelbſt den Beſcheid der Griechen, was den Vorſchlag des Paris betrifft, vernommen; die Ver¬ brennung der Todten aber ſoll euch keineswegs verweigert ſeyn; der Donnerer ſelbſt ſoll dieſe unſere Zuſage hören! Mit dieſen Worten hub er den Scepter gen Himmel. Idäus kehrte nach Troja zurück und traf den Rath der Trojaner wieder verſammelt. Auf die willkommene Bot¬ ſchaft wurde es ſchnell in der Stadt lebendig; die Einen holten die Leichname, die Andern Holz aus der Waldung. Und ganz daſſelbe geſchah im Schiffslager der Griechen. Friedlich begegneten im Strahl der Morgenſonne Feinde den Feinden, und ſuchten ihre Todten, Einer an der Seite des Andern. Schwer war der Gegner vom Freunde zu erkennen, wie die Leichname blutig und der Rüſtungen152 beraubt dalagen. Unter heißen Thränen wuſchen die Tro¬ janer den Ihrigen, deren viel mehrere waren, das Blut von den Gliedern; aber alle laute Wehklage verbot Pria¬ mus. So huben ſie ſie verſtummt auf die Wagen und thürmten unter großer Herzensbetrübniß die Scheiterhaufen auf. Daſſelbe thaten die Griechen, gleichfalls mit trauri¬ gem Herzen, und als die Glut ausgelodert, kehrten ſie zu ihren Schiffen zurück. Der Tag war über dieſer Arbeit zu Ende gegangen und das Abendmahl begann. Gerade zur rechten Zeit waren aus Lemnos von Eunëus, dem Sohne Jaſons und Hypſipyle's, Laſtſchiffe mit einer La¬ dung edlen Weines angekommen, den der Gaſtfreund den verwandten Griechen zum Geſchenke ſandte, viel tauſend Krüge. Da ward ein lieblicher Feſtſchmaus gerüſtet, und als die Griechen ihre Beute bei den Schiffen untergebracht, ſetzten ſie ſich zum Mahle.

Auch die Trojaner wollten ſich beim Schmauſe von der Schlacht erholen. Aber Jupiter ließ ihnen keine Ruhe und ſchreckte ſie die ganze Nacht hindurch mit Donner¬ ſchlägen, die ſich von Zeit zu Zeit wiederholten und ihnen neues Unglück zu verkündigen ſchienen. Entſetzen faßte ſie, und ſie wagten den Becher nicht an den Mund zu führen, ohne dem zürnenden Göttervater ein Trankopfer auszugießen.

153

Sieg der Trojaner.

Für den Augenblick jedoch hatte es Jupiter anders in ſeinem Rathe beſchloſſen. Höret mein Wort, ſprach er zu den verſammelten Göttern und Göttinnen am andern Morgen, wer mir heute hingeht, den Trojanern oder den Griechen beizuſtehen, den faſſe ich und ſchleudere ihn in den Abgrund des Tartarus unter das Erdreich, ſo tief hinunter, als tief unter dem Himmel die Erde drunten liegt; dann verſchließe ich die eiſerne Pforte, welche die eherne Schwelle der Unterwelt verwahrt, und der Miſſe¬ thäter kommt mir nicht mehr herauf. Und zweifelt ihr an meiner Allmacht, ſo verſucht es: befeſtiget eine goldene Kette am Himmel, hängt euch Alle daran, und ſehet zu, ob ihr mich auf den Erdboden herabzuziehen vermögend ſeyd. Vielmehr würde ich euch ſelbſt mit ſammt Erd 'und Meer emporziehen, die Kette an der Felſenkuppe des Olymp feſtbinden und ſo das Weltall in der Schwebe tragen. Die Götter demüthigten ſich unter dieſes zor¬ nige Wort; Jupiter ſelbſt beſtieg ſeinen Donnerwagen und fuhr nach dem Ida, wo er einen Hain und Altar hatte. Dort ſetzte er ſich auf die Höhe und überſchaute mit freudigem Trotze die Stadt der Trojaner und das griechiſche Schiffslager. An beiden Orten warfen ſich die Männer in die Rüſtung. Der Trojaner waren zwar Wenigere, doch waren auch ſie nach der Schlacht begierig, galt es doch den Kampf für ihre Weiber und Kinder. Bald öffneten ſich bei ihnen die Thore, und ihr Kriegsheer ſtürzte, zu Fuß und zu Wagen, unter Getümmel heraus. 154Den Morgen über wurde mit gleichem Glücke gekämpft, und auf beiden Seiten ſtrömte viel Blut auf den Boden. Als aber die Sonne hoch am Mittagshimmel ſtand, legte Zeus zwei Todeslooſe in ſeine goldne Waage, faßte ſie in der Mitte und wog in der Luft. Da ſank das Ver¬ hängniß der Griechen, daß ihr Gewicht ſich bis zur Erde niederſenkte und das der Trojaner zum Himmel emporſtieg.

Mit einem Donnerſchlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem ein Blitz¬ ſtrahl mitten unter daſſelbe herabfuhr. Bei dieſem An¬ blicke durchſchauderte ein ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen und die größten Helden fingen an zu wanken. Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax ſelbſt hielten nicht mehr Stand. Bald war nur noch der greiſe Neſtor im Vorderkampf zu ſchauen, aber auch dieſer nur gezwungen, denn Paris hatte ſein Roß vorn am Mähnenbuſch mit einem Pfeile tödtlich getroffen. Das Pferd bäumte ſich angſtvoll und wälzte ſich bald mit ſeiner Wunde; während nun Neſtor dem Nebenroß die Stränge mit ſeinem Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit ſeinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen be¬ griffen, auf ihn zugefahren, und jetzt wäre es um das Leben des edlen Greiſes geſchehen geweſen, wenn nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieſer ſchalt den mit umge¬ wandtem Rücken den Schiffen zufliehenden Odyſſeus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann ſtellte er ſich ſelbſt vor die Roſſe Neſtors, überantwortete ſie dem Sthe¬ nelus und Eurymedon und nahm den Greis auf ſeinen eigenen Wagen. Dann ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, ſchickte ſeinen Speer ab und verfehlte zwar den Helden ſelbſt, durchſchoß jedoch ſeinem Wagenlenker155 Eniopeus die Bruſt, daß er dem Wagen entſank. So tief ihn der Tod des Freundes ſchmerzte, ließ ihn Hektor doch liegen, rief einen andern Helden herbei, die Roſſe zu lenken, und flog dem Diomedes entgegen. Hektor wäre verloren geweſen, wenn er ſich mit dem Tydiden gemeſſen hätte, und Jupiter wußte wohl, daß mit ſeinem Sturze ſich die Schlacht gewendet und die Griechen noch an dieſem Tage Ilion erobert hätten. Dieß wollte Zeus nicht, und ſchleuderte dicht vor dem Wagen des Dio¬ medes einen Blitzſtrahl in den Boden. Neſtor ließ vor Schrecken die Zügel aus den Händen fahren und ſprach: Auf, Diomedes, wende deine Roſſe zur Flucht, erkennſt du nicht, daß Jupiter dir heute den Sieg verweigert? Du haſt Recht, o Greis, erwiederte dieſer, aber es empört mir das Herz, wenn Hektor einſt in der Verſamm¬ lung der Trojaner ſagen darf: der Sohn des Tydeus hat ſich vor mir in banger Flucht den Schiffen zugewendet! Aber Neſtor ſprach: Was denkſt du, wenn dich Hektor auch feige ſchilt, werden ihm die Troer und Troerinnen glauben, deren Freunde und Gatten du in den Staub geſtreckt haſt? Mit dieſen Worten wandte er die Roſſe zur Flucht und Hektor, mit ſeinen Trojanern nachſtürmend, rief: Tydide, dich ehrten die Griechen in der Verſamm¬ lung und beim Feſtmahl; künftig verachten ſie dich, wie ein zagendes Weib! Du biſt es nicht, der Troja erobern und unſere Frauen zu Schiffe wegführen wird! Da beſann ſich Diomedes dreimal, ob er die Roſſe umlenken und dem Höhnenden entgegenfahren ſollte, aber dreimal donnerte Jupiter fürchterlich vom Ida her, und ſo ſetzte er die Flucht und Hektor die Verfolgung fort.

Vergebens wollte Juno, die dieß mit Kummer ſah,156 Poſeidon (Neptunus), den beſondern Schutzgott Troja's, bewegen, ſeinem Volke beizuſtehen; er wagte es nicht, gegen das zornige Wort ſeines mächtigen Bruders zu handeln. Jetzt waren die fliehenden Griechen mit Roß und Mann am Wall und Graben vor den Schiffen ange¬ kommen, und gewiß wäre Hektor eingedrungen und hätte die Brandfackel ins Schiffslager der Griechen geworfen, wenn nicht Agamemnon, von Juno ermuthigt, die verſtör¬ ten Griechen um ſich geſammelt hätte. Er betrat das gewaltige Meerſchiff des Odyſſeus, das in der Mitte ſtand und hoch über die andern hervorragte. Hier ſtand er auf dem Verdeck, den ſchimmernden Purpurmantel mit der nervigten Rechten ſich über die Schulter ſchlagend, und rief, auf der einen Seite zu den Gezelten des ſalamini¬ ſchen Ajax, auf der andern zu denen des Peliden hinab, wo auf beiden Seiten das flüchtende Heer ſich zuſammen¬ drängte: Schämet euch, Verworfene, rief er, wo iſt euer Heldenruhm jetzt, ihr Prahler bei den Krügen? Vor dem einen Hektor ſind wir jetzt zu nichte geworden, bald wird er unſere Schiffe in Brand ſtecken. O Zeus, mit welchem Fluche haſt du mich beladen! Wenn ich dich je mit Gebeten und Opfern geehrt, ſo laß uns jetzt wenig¬ ſtens entfliehen und entkommen, und nicht hier bei den Schiffen von der Macht der Trojaner erdrückt werden! So rief er unter Thränen, daß es den Göttervater ſelbſt erbarmte, und er den Griechen ein heilvolles Zeichen vom Himmel ſandte, einen Adler, der ein junges Reh in den Klauen trug und vor Jupiters Altar ſelbſt niederwarf.

Dieſes Zeichen ſtärkte die Danaer und aufs Neue flogen ſie vorwärts, dem Gewühl der eindringenden Feinde entgegen. Vor allen Andern ſprengte Diomedes mit ſeinen157 Roſſen über den Graben hervor, und ſtieß den Trojaner Agelaus, der vor ihm ſeinen Streitwagen zur Flucht wandte, mit dem Speere durch den Rücken. Nächſt ihm drangen Agamemnon und Menelaus vor, ihnen zunächſt die beiden Ajax; dann Idomeneus und Meriones; dann Eurypylos. Jetzt kam Teucer als der Neunte; dieſer, hinter dem Schilde ſeines Halbbruders Ajax aufgeſtellt, ſchoß einen Trojaner um den andern mit ſeinen Pfeilen in den Staub. Schon hatte er ihrer achte zu Boden ge¬ ſtreckt, als Agamemnon einen freudigen Blick auf ihn warf und ihm zurief: Triff ſo fort, edler Freund, und werde ein Licht der Danaer! Gewähren uns Jupiter und Athene, Troja zu vertilgen, ſo ſollſt du der Erſte ſeyn, dem ich ein Ehrengeſchenk verleihe! Du brauchſt mich nicht lange zu ermahnen, König, antwortete ihm Teucer, zaudere ich doch ſelbſt nicht mit aller meiner Kraft! Nur den wüthenden Hund dort zu treffen, iſt mir noch nicht gelungen! Damit ſandte er einen Pfeil gerade auf Hektor ab; dennoch fehlte das Geſchoß und traf nur einen Baſtard des Priamus, den Gorgythion, der ſein helm¬ beſchwertes Haupt zur Seite neigte, wie ein Mohnhaupt unter dem Regenſchauer des Frühlings ſich beugt. Einen zweiten Pfeil des Teucer lenkte Apollo ab, doch durch¬ ſchoß er die Bruſt ſeines Wagenlenkers Archeptolemus. Auch dieſen Freund ließ Hektor mit bitterem Schmerze lie¬ gen und rief einen Dritten auf den Wagen. Dann drang er in heißer Begier auf Teucer los und traf ihn, als er eben den Bogen wieder ſpannte, mit einem kantigen Stein am Schlüſſelbeine, daß die Sehne ihm zerriß, die Hand am Knöchel erſtarrte, und er ins Knie ſank. Aber Ajax vergaß des Bruders nicht, er umging ihn und deckte ihn158 ſo lange mit dem Schild, bis zwei Freunde den ſchwer Aufſtöhnenden nach den Schiffen getragen hatten.

Nun aber ſtärkte Jupiter den Trojanern den Muth wieder. Wüthend und mit funkelnden Augen drang Hektor mit den Erſten voran, und verfolgte die Griechen, wie ein Hund den gehetzten Eber im Bergwalde verfolgt, in¬ dem er immer jeden Aeußerſten, der ihm in den Wurf kam, niederſtreckte. Die Griechen wurden wieder zu den Schiffen zuſammengedrängt und beteten geängſtet zu ihren Göttern. Das erbarmte Juno, und zu Athene gewendet ſprach ſie: Wollen wir das ſterbende Volk der Danaer immer noch nicht retten? Siehſt du nicht, wie unerträglich Hektor dort unten wüthet, welches Blutbad er ſchon an¬ gerichtet hat! Ja, mein Vater iſt grauſam, antwortete Minerva, er hat ganz vergeſſen, wie getreulich ich ſeinem Sohne Herkules auf allen Abentheuern zur Seite geſtan¬ den bin. Aber die Schmeichlerin Thetis hat ihn mit ihren Liebkoſungen beſtochen und nun bin ich ihm verhaßt geworden. Doch, denke ich, nennt er mich einmal wieder ſein blauäugiges Töchterlein. Hilf mir den Wagen an¬ ſchirren, Here, ich ſelbſt will zum Vater nach dem Ida hinabeilen!

Aber Jupiter ergrimmte, als er dieß inne wurde, und ſeine windſchnelle Botin Iris mußte den Wagen aufhal¬ ten, als er mit den beiden Göttinnen eben durch das vor¬ derſte Thor des Olympus hindurchfuhr. Auf ſeine zornige Botſchaft lenkten dieſe um, und bald erſchien Zeus auf dem Donnerwagen ſelbſt wieder, daß die Höhen des Götterbergs vor ſeinem Nahen erbebten. Aber er blieb taub gegen die Bitten der Gemahlin und der Tochter. Noch größeren Sieg der Trojaner ſollſt du morgen159 ſchauen, ſprach er zu Juno. Nicht eher ſoll der gewal¬ tige Hektor vom Streite ruhen, bis die Griechen in ſchreck¬ licher Bedrängniß, um die Steuerruder ihrer Schiffe zu¬ ſammengedrängt, kämpfen, und der zürnende Achilles ſich wieder in ſeinem Zelt erhebt. So iſt es der Wille des Verhängniſſes. Juno ward traurig und verſtummte.

Bei den Schiffen hatte die Nacht dem Kampf ein Ziel geſetzt. Hektor berief ſeine Krieger, ſeitwärts von den Schiffen, bei den Wirbeln des Skamander, zu einer Rathsverſammlung, und ſprach: Hätte uns die Nacht nicht ereilt, ſo wären die Feinde jetzt vertilgt. Aber auch ſo laſſet uns nicht in die Stadt zurückkehren, ſondern führet eilig aus derſelben Hornvieh und Schafe herbei, auch Wein und Brod werde uns reichlich aus den Häuſern herbeigeſchafft; Wachtfeuer ſollen uns rings vor einem Ueberfall der Feinde ſchützen, während wir des Mahles oder der Wunden pflegen. Mit Anbruch des Morgens erneuern wir den Angriff auf die Schiffe, dann will ich ſehen, ob Diomedes mich zur Mauer hinwegdrängt, oder ich ihm ſelbſt die Rüſtung vom Leichnam abziehe! Die Trojaner rauſchten ihm Beifall zu; es geſchah nach ſeinem Rathe, die ganze Nacht über raſteten ſie, im Schutze von tauſend Wachtfeuern, je fünfzig und fünfzig, bei Schmaus und Wein; ihre Roſſe ſtanden beim Geſchirr und labten ſich an Spelt und Gerſte.

160

Botſchaft der Griechen an Achilles.

Im griechiſchen Lager hatte ſich der Schrecken von der Flucht noch nicht gelegt, als Agamemnon die Fürſten Mann für Mann, doch nicht laut, zu einer Rathsverſamm¬ lung rufen ließ. Tiefbekümmert ſaßen ſie bald beiſammen und unter ſchweren Seufzern ſprach der Völkerfürſt: Freunde und Pfleger des Volkes, in ſchwere Schuld hat mich Jupiter verſtrickt. Er, deſſen gnädiger Wink mir verheißen hatte, daß ich als Sieger nach Vertilgung Tro¬ ja's heimgehen ſollte, hat mich betrogen und befiehlt mir jetzt, ſo viele tapfere Männer auf der Wahlſtadt zurück¬ laſſend, ruhmlos nach Argos heimzukehren. Vergebens widerſetzen wir uns dem Willen deſſen, der ſchon ſo vie¬ len Städten das Haupt zerſchmettert hat und noch zer¬ ſchmettern wird. Aber Troja ſollen wir nicht erobern. So gehorchet mir denn, und laßt uns auf den ſchnellen Schiffen zum Lande der Väter fliehen!

Lang blieben die bekümmerten Helden Griechenlands ſtumm, als ſie das traurige Wort vernommen hatten, bis endlich Diomedes zu reden begann: Zwar ſchmähteſt du jüngſt, ſprach er: meinen Muth und meine Tapferkeit vor den Griechen, o König! jetzt aber will mir bedünken, daß dir ſelbſt Jupiter mit dem Scepter der Macht die Tapferkeit nicht verliehen hat. Glaubſt du denn im Ernſte, die Männer Griechenlands ſeyen ſo unkriegeriſch, wie du geredet? Wohl, wenn dich das Herz ſo ſehr nach der Heimath drängt, ſo wandre! der Weg iſt frei, und dein Schiff ſteht bereit! Wir andern Achiver wollen bleiben,161 bis wir die Burg des Priamus zerſtört haben. Ja, wenn ſie Alle davon gingen, ſo blieben doch wir, ich und mein Freund Sthenelus, und kämpften fort, im Glauben, daß eine Gottheit uns hierher geführt! Die Helden jubelten bei dieſem Worte und Neſtor ſprach: Du könnteſt mein jüngſter Sohn ſeyn, o Jüngling, und doch haſt du lauter Verſtändiges geſprochen. Auf daher, Agamemnon, gib den Führern ein Mahl, du haſt ja Weins genug in den Zelten; die Schaarenhüter ſollen ſich am Graben drau¬ ßen vor der Mauer lagern, du aber horche beim Mahl auf den Rath der Beſten unter dem Volke.

So geſchah es. Die Fürſten ſchmausten bei Aga¬ memnon getröſteteren Muths, und nach dem Mahle ſprach Neſtor wieder in der Verſammlung: Agamemnon, du weißt, was ſeit dem Tage geſchehen iſt, an welchem du dem zürnenden Peliden die ſchöne Tochter des Briſes aus den Zelten raubteſt, wider unſern Sinn: denn ich habe dich mit großem Ernſt abgemahnt. Jetzt iſt es Zeit, daraus zu ſinnen, wie wir das Herz des Gekränkten zur Verſöhnung bewegen mögen. Du haſt Recht, o Greis, antwortete Agamemnon, ich habe gefehlt, und läugne es nicht. Auch will ich es gerne gut machen, und dem Be¬ leidigten unendliche Sühnung bieten: zehn Talente Gol¬ des, ſieben Dreifüße, zwanzig Becken, zwölf Roſſe, ſieben blühende lesbiſche Weiber, die ich ſelbſt erobert habe, end¬ lich die liebliche Jungfrau Briſëis ſelbſt, die ich, obgleich ich ſie dem Achilles entriſſen, doch immer in Ehren gehal¬ ten habe, wie ich mit heiligem Eide beſchwören kann. Erobern wir dann Troja und theilen den Siegsraub, ſo will ich ihm ſelbſt ſein Schiff mit Erz und Gold voll füllen, und er mag ſich zwanzig Trojanerinnen, die ſchönſtenSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 11162nach Helena, zur Beute herausſuchen. Kommen wir nach Argos heim, ſo ſoll er ſich eine von meinen Töchtern zur Gattin erwählen; er wird mir ein lieber Eidam ſeyn und meinen eigenen einzigen Sohn Oreſtes will ich nicht höher halten. Sieben Städte werde ich ihm zum Brautſchatz geben. Solches Alles will ich thun, ſobald er von ſeinem Zorn abläßt.

Fürwahr, antwortete ihm Neſtor, du bieteſt dem Fürſten Achilles keine verächtliche Gaben. Senden wir denn auf der Stelle auserleſene Männer, Phönix als Führer, dann den großen Ajax und den edlen Odyſſeus, und mit ihnen die Herolde Hodius und Eurybates nach den Zelten des zürnenden Helden.

Nach einem feierlichen Trankopfer verließen wirklich die von Neſtor ausgewählten Helden die Verſammlung und gelangten in Kurzem zu den Schiffen der Myrmido¬ nen. Hier fanden ſie den Achilles, wie er auf der ſchönen gewölbten Leyer mit ſilbernem Stege, einer Beute aus Eëtions Stadt, ſein Herz erlabend ſpielte, und Sieges¬ thaten der Helden dazu ſang. Ihm gegenüber ſaß ſein Freund Patroklus und harrte ſchweigend, bis Jener den Geſang beendigt hätte. Als der Pelide die Abgeſandten, Odyſſeus an der Spitze, kommen ſah, erhub er ſich beſtürzt von ſeinem Sitze, die Leyer in der Hand behaltend. Auch Patroklus ſtand auf, ſobald er ihrer anſichtig wurde; beide gingen ihnen entgegen, und Achilles faßte den Phö¬ nix und den Odyſſeus bei den Händen und rief: Freude ſey mit euch, ihr Theuren! Zwar führt euch gewiß irgend eine Noth zu mir her, doch ich liebe euch ſo ſehr vor allen Griechen, daß ihr auch dem Zürnenden willkommen ſeyd. Schnell brachte jetzt Patroklus einen großen Krug163 Weines herbei. Achilles ſelbſt ſteckte den Rücken einer Ziege und eines Schafes und das Schulterblatt eines Maſtſchweins an den Spieß und briet Alles mit Hülfe ſeines Gefährten Automedon. Nachdem ſie ſich nun, um das Mahl gelagert, an Speiſe und Trank gelabt hatten, winkte Ajax dem Phönix; Odyſſeus aber kam dieſem zu¬ vor, füllte den Becher mit Wein und trank dem Peliden mit einem Handſchlage zu; dann begann er: Heil dir, Pelide, deinem Schmaus gebricht es nicht an Fülle; aber nicht das liebliche Mahl iſt's, wornach uns verlangt; ſon¬ dern unſer großes Unglück führt uns zu dir. Denn jetzt gilt es unſere Rettung oder unſern Untergang, je nachdem du mit uns geheſt, oder nicht. Die Trojaner bedrohen den Steinwall und unſere Schiffe; Hektor, die Augen voll Mordluſt, wüthet, auf Jupiter vertrauend. Erhebe dich denn, die Griechen, wenn auch ſpät, zu befreien; bän¬ dige den Stolz deines Herzens, glaube mir, freundlicher Sinn iſt beſſer, als verderblicher Zank. Hat dir doch dein Vater Peleus ſelbſt ſolche Ermahnungen mit auf den Zug gegeben! Dann zählte ihm Odyſſeus alle die herrlichen Gaben auf, die Agamemnon ihm zur Sühne anbieten ließ und noch weiter verſprach.

Aber Achilles erwiederte: Edler Sohn des Laertes, ich muß deine ſchöne Rede von der Bruſt weg mit Nein beantworten. Agamemnon iſt mir verhaßt, wie die Pforte des Hades, und weder er noch die Griechen werden mich bereden, wieder in ihren Reihen zu kämpfen, denn wann habe ich einen Dank für meine Heldenarbeit davongetra¬ gen? Wie eine Mutter den nackten Vögelchen den ge¬ fundenen Biſſen darbringt, auch wenn ſie ſelbſt hungert, ſo habe ich unruhige Nächte und blutige Tage genug11 *164zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern, und was ich erbeutet hatte, brachte ich dem Atriden zur Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das Meiſte, und vertheilte davon nur Weniges; mir ſelbſt hat er auch die lieblichſte Beute entriſſen. Darum will ich morgen ſchon Jupiter und den Göttern opfern; noch im Morgenrothe ſollen meine Schiffe im Hellespont ſchwimmen und in dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hauſe zu ſeyn. Ein¬ mal hat er mich betrogen, zum zweitenmale wird er mich nicht täuſchen, er begnüge ſich! Gehet und meldet den Fürſten dieſe Botſchaft, Phönix aber bleibe, wenn es ihm gefällt, und ſchiffe heim mit mir ins Land der Väter!

Vergebens ſuchte Phönix, ſein alter Freund und Füh¬ rer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen. Er winkte dem Patroklus, dem alten Helden ein warmes Bette zurecht zu machen: da ſtand Ajax auf und ſprach: Odyſſeus, laß uns gehen, in der Bruſt des Grauſamen wohnt keine Milde; den Unbarmherzigen bewegt nicht die Freundſchaft der Genoſſen, er trägt ein unverſöhnliches Herz im Buſen! Auch Odyſſeus erhob ſich nun vom Mahle, und nachdem ſie den Göttern das Trankopfer dargebracht, verließen ſie mit den Herolden das Zelt des Achilles, bei dem nur Phönix zurückblieb.

Dolon und Rheſus.

Als Odyſſeus die unwillkommene Botſchaft aus dem Zelte des Peliden mitbrachte, verſtummten Agamemnon und die Fürſten. Kein Schlaf legte ſich die ganze Nacht165 über auf die Augenlieder der Atriden; in banger Angſt erhoben ſich beide noch vor Tagesanbruch und theilten ſich in ihr Geſchäft. Menelaus ging, die Helden Mann für Mann in den Zelten zu bearbeiten; Agamemnon aber wandelte nach der Lagerhütte Neſtors. Er fand den Greis noch im weichen Bette ruhend; Rüſtung, Schild, Helm, Gurt und zwei Lanzen lagen an der Seite des Lagers. Der Greis, aus dem Schlaf erweckt, ſtützte ſich auf den Ellbogen, und rief dem Atriden zu: Wer biſt du, der in finſterer Nacht, wo andere Sterbliche ſchlummern, ſo einſam durch die Schiffe wandelt, als ſuchteſt du einen Freund, oder ein verlaufenes Maulthier? So rede doch, du Schweigender, was ſuchſt du? Erkenne mich, Ne¬ ſtor, ſprach Jener leiſe, ich bin Agamemnon, den Jupi¬ ter in ſo unergründliches Leid verſenkt hat; kein Schlaf kommt in meine Augen, mein Herz klopft; meine Glieder zittern aus Angſt um die Danaer. Laß uns zu den Hü¬ tern hinabgehen, ob ſie nicht ſchlummern. Weiß doch Kei¬ ner von uns, ob die Feinde nicht noch in der Nacht einen Angriff machen werden! Neſtor zog eilig ſeinen wollenen Leibrock an, warf den Purpurmantel um, ergriff die Lanze und durchwandelte mit dem Könige die Schiffsgaſſen. Zuerſt weckten ſie Odyſſeus, der auf ihren Ruf ſogleich den Schild um die Schultern warf und ihnen folgte; dann nahte ſich Neſtor dem Zelt und der Lagerſtatt des Tydi¬ den, berührte ihm den Fuß mit der Ferſe, und weckte ihn ſcheltend. Unmüßiger Greis, antwortete der Held im hellen Schlafe, du kannſt doch nimmer von der Arbeit ruhen! Gäbe es nicht Jüngere genug, die das Heer bei Nacht durchwandern und die Helden aus dem Schlafe we¬ cken könnten? Aber du biſt unbändig, Alter! Du haſt166 wohlziemend geredet, erwiederte ihm Neſtor, habe ich doch ſelbſt Völker genug, dazu treffliche Söhne, die dieß Amt verrichten könnten. Aber die Bedrängniß der Achiver iſt viel zu groß, als daß ich nicht ſelbſt thun ſollte, was das Herz mir gebietet. Auf der Schwertſpitze ſteht bei ihnen Untergang und Leben, deswegen erhebe dich und hilf du ſelbſt uns den Ajax und Meges, den Sohn Phy¬ leus, wecken! Diomedes warf ſogleich ſein Löwenfell um die Schultern und holte die verlangten Helden. Nun muſterten ſie zuſammen die Schaar der Hüter, aber keinen fanden ſie ſchlafend, alle ſaßen munter und wach in ihren Rüſtungen da.

Allmählig waren jetzt alle Fürſten vom Schlaf aufge¬ weckt worden, und bald ſaß die Rathsverſammlung voll¬ ſtändig beiſammen. Neſtor aber begann das Geſpräch: Wie wär 'es, ihr Freunde, ſagte er, wenn jetzt ein Mann die Kühnheit hätte, hinzugehen zu den Trojanern, ob er nicht etwa einen der Aeußerſten erhaſchen könnte, oder ihren Rath erlauſchen, und erfahren, ob ſie hier auf dem Schlachtfelde zu bleiben gedenken, oder mit dem Siege ſich in ihre Stadt zurückzuziehen? Edle Gaben ſollten den kühnen Mann belohnen, der ſolches wagte! Als Neſtor ausgeredet, ſtand Diomedes auf und erbot ſich zu dem Wagniſſe, falls ein Begleiter ſich zu ihm geſellen wollte. Da fanden ſich Viele bereit: die Ajax beide, Meriones, Antilochus, Menelaus und Odyſſeus; und Diomedes ſprach: Wenn ihr mir anheim ſtellet, den Genoſſen ſelbſt zu wählen, wie ſollte ich des Odyſſeus vergeſſen, der in jeder Gefahr ein ſo entſchloſſenes Herz zeigt, und den Pallas Athene liebt. Wenn er mich be¬ gleitet, glaube ich, wir würden aus einem Flammenofen167 zurückkehren; denn er weiß Rath wie Keiner! Schilt und rühme mich nicht zu ſehr, antwortete Odyſſeus, du redeſt beides vor kundigen Männern! Aber gehen wir, denn die Sterne ſind ſchon weit vorgerückt, und wir ha¬ ben nur noch ein Drittheil von der Nacht übrig.

Darauf hüllten ſich beide in furchtbare Rüſtung und machten ſich unkenntlich, Diomedes ließ Schwert und Schild bei den Schiffen, und entlehnte das zweiſchneidige Schwert des Helden Thraſymedes, ſo wie deſſen Sturm¬ haube und Stierhaut, ohne Federbuſch und Roßſchweif. Dem Odyſſeus gab Meriones Bogen, Köcher und Schwert und einen Helm von Leder und Filz mit Schweinshauern. So verließen ſie das griechiſche Lager und wandelten in der Nacht dahin. Da hörten ſie einen Reiher von der rechten Seite ſchreiend vorüberflattern, wurden des Glückszeichens froh, das ihnen Pallas Athene ſendete, und flehten zu ihr um Begünſtigung ihres Unternehmens. So gingen ſie durch Waffen, Blut und Leichen im Dun¬ kel dahin, an Muth zween wilden Löwen gleich.

Während dieſe Auskundſchaftung im griechiſchen Lager verabredet wurde, hatte in der Verſammlung ſeiner Tro¬ janer Hektor denſelben Vorſchlag gemacht, und aus der griechiſchen Beute, die er hoffte, einen Wagen und zwei der edelſten Roſſe dem Manne verſprochen, der es über ſich nehmen würde, den Zuſtand des griechiſchen Lagers zu erforſchen. Nun befand ſich unter dem trojaniſchen Volke der Sohn des Eumedes, eines edlen Herolds, Na¬ mens Dolon, ein an Geld und Erz wohlbegüterter Mann, von unanſehnlicher Geſtalt, aber ein gar hurtiger Läufer, neben fünf Schweſtern der einzige Sohn. Dieſen reizte die Kühnheit ſeines Herzens, daß er gegen das Verſprechen,168 den Wagen und die Roſſe des Achilles zu erhalten, es über ſich nahm, das feindliche Kriegsheer zu durchwan¬ dern, bis er an Agamemnons Feldherrnſchiff käme, um dort den Fürſtenrath der Danaer zu belauſchen. Er hängte eilend ſeinen Bogen um die Schulter, hüllte ſich in ein graues zottiges Wolfsfell, ſetzte einen Otterhelm auf das Haupt, faßte den Wurfſpieß, und ging mit Begier ſeinen Weg. Dieſer aber führte ihn ganz nahe an den auf gleichem Gange begriffenen Griechenhelden vorüber. Odyſ¬ ſeus merkte den Tritt des Herannahenden und flüſterte ſeinem Geſellen zu: Diomedes, dort kommt ein Mann aus dem trojaniſchen Lager herangewandelt; entweder es iſt ein Kundſchafter, oder er will die Leichname auf dem Schlachtfelde berauben; laſſen wir ihn ein wenig vorüber¬ gehen, dann wollen wir ihm nachjagen und ihn entweder erhaſchen, oder nach den Schiffen treiben. Nun ſchmieg¬ ten ſich beide, abſeits von dem Wege, unter die Todten, und Dolon lief ſorglos vorüber. Als er einen Bogen¬ ſchuß entfernt war, hörte er das Geräuſch der Helden und ſtand ſtille, denn er vermuthete, daß Hektor ihn durch befreundete Boten zurückrufen laſſe; bald aber waren die Helden nur noch einen Speerwurf entfernt, und nun erkannte er ſie als Feinde. Nun regte er ſeine ſchnellen Kniee und flog dahin, wie ein Hund, der einen Haſen ver¬ folgt. Steh, oder ich werfe meine Lanze nach dir, donnerte Diomedes, und entſandte ſeinen Speer, jedoch mit Vorſatz fehlend, ſo daß das Erz über die Schulter des Laufenden hin in den Boden fuhr. Dolon ſtand, ſtarr und bleich vor Schrecken, ſein Kinn bebte und die Zähne klapperten ihm. Fahet mich lebendig, rief er unter Thränen, als die herankeuchenden Helden ihn mit169 beiden Händen feſthielten, ich bin reich und will euch als Löſegeld Eiſenerz und Gold geben, ſo viel ihr nur wol¬ let! Sey getroſt, ſprach Odyſſeus zu ihm, und mach dir keine Todesgedanken, aber ſag 'uns die Wahrheit, was dich dieſen Weg führte. Als Dolon zitternd und bebend Alles geſtanden, ſprach Odyſſeus lächelnd: Für¬ wahr, du haſt keinen ſchlechten Geſchmack, Burſche, daß deine Seele nach dem Geſpann des Peliden gelüſtet! Jetzt aber ſage mir auf der Stelle: wo verließeſt du den Hektor, wo ſtehen ſeine Roſſe, wo iſt das Kriegsgeräthe? wo ſind die andern Trojaner? wo die Bundesgenoſſen? Dolon antwortete: Hektor beräth ſich mit den Fürſten am Grabmale des Ilus; das Kriegsheer iſt ohne beſon¬ dere Wachen um Feuer gelagert, die fern herbeigerufenen Bundesgenoſſen aber, die für keine Weiber und Kinder zu ſorgen haben, ſchlafen getrennt von dem Heere und unbewacht. Wenn ihr in das trojaniſche Lager wandeln wollet, ſo ſtoßet ihr zuerſt auf die eben angekommenen Thrazier, die um ihren Fürſten Rheſus, den Sohn des Eoneus, hingeſtreckt ruhen. Seine blendend weißen Roſſe ſind die ſchönſten, größeſten und ſchnellfüßigſten, die ich je geſehen habe; ſein Wagen iſt mit Silber und Gold köſtlich geſchmückt, er ſelbſt trägt eine wundervolle goldne Rü¬ ſtung, wie ein Unſterblicher und nicht wie ein Menſch. Nun wißt ihr Alles, führet mich nun nach den Schiffen, oder laßt mich gebunden hier, und überzeuget euch, daß ich die Wahrheit geſagt habe. Aber Diomedes ſchaute den Gefangenen finſter an und ſprach: Ich merke wohl, Betrüger, du ſinneſt auf Flucht; aber meine Hand wird dafür ſorgen, daß du den Argivern nicht mehr verderblich ſeyn kannſt! Zitternd erhob Dolon ſeine Rechte, das170 Kinn des Helden flehentlich zu berühren, als ſchon das Schwert des Tydiden ihm durch den Nacken fuhr, daß das Haupt des Redenden in den Staub hinrollte. Hier¬ auf nahmen ihm die Helden den Otterhelm vom Scheitel, zogen dem Rumpfe das Wolfsfell ab, lösten den Bogen, nahmen den Speer des Getödteten zur Hand, und legten die ganze Rüſtung zum Merkmale für den Heimweg auf einige Rohrbüſchel; dann gingen ſie vorwärts und ſtießen endlich auf die harmlos ſchlafenden Thrazier. Bei Jedem ſtand ein Doppelgeſpann von ſtampfenden Roſſen, die Rüſtungen lagen in ſchöner Ordnung und in dreifachen Reihen blinkend auf dem Boden. In der Mitte ſchlief Rheſus, und ſeine Roſſe ſtanden am hinterſten Wagen¬ ringe, mit Riemen angebunden. Hier ſind unſre Leute, ſprach Odyſſeus ins Ohr des Tydiden; jetzt gilt es Thätigkeit; löſe du die Roſſe ab, oder beſſer, tödte du die Männer, und laß mir die Roſſe. Diomedes antwortete ihm nicht, ſondern wie ein Löwe unter Ziegen oder Schafe fährt, hieb er wild um ſich her, daß ſich ein Röcheln un¬ ter ſeinem Schwert erhub und der Boden roth von Blute ward. Bald hatte er zwölf Thrazier gemordet; der kluge Odyſſeus aber zog jeden Getödteten, am Fuß ihn ergreifend, zurück, um den Roſſen eine Bahn zu ma¬ chen. Nun hieb Diomedes auch den Dreizehnten nieder, und dieß war der König Rheſus, der eben in einem ſchweren Traume ſtöhnte, den ihm die Götter geſendet hatten. Inzwiſchen hatte Odyſſeus die Roſſe vom Wagen abgelöſt, mit Riemen verbunden, und, indem er ſich ſeines Bogens anſtatt der Geißel bediente, ſie aus dem Haufen hinweggetrieben. Dann gab er ſeinem Genoſſen ein Zei¬ chen durch leiſes Pfeifen: dieſer beſann ſich, ob er den171 köſtlichen Wagen an der Deichſel wegziehen, oder auf den Schultern hinaustragen ſollte; da nahte ihm warnend Pallas, die Göttin, und trieb ihn zur Flucht. Eilend beſtieg Diomedes das eine Roß, Odyſſeus trieb nebenher laufend beide mit dem Bogen an, und nun flogen ſie dem Schiffslager wieder zu.

Der Schutzgott der Trojaner, Apollo, hatte bemerkt, wie ſich Athene zu Diomedes geſellte. Dieß verdroß ihn; er machte ſich ins Getümmel des trojaniſchen Heeres und weckte den tapfern Freund des Rheſus, den Thrazier Hippokon, aus dem Schlaf. Als dieſer die Stelle leer fand, wo die Roſſe des Fürſten geſtanden, und ermordete Männer am Boden zappelnd, rief er laut wehklagend den Namen ſeines Freundes. Die Trojaner ſtürzten im Aufruhr heran, und ſtarrten vor Schrecken, als ſie die entſetzliche That ſahen.

Unterdeſſen hatten die beiden Griechenhelden den Ort wieder erreicht, wo ſie den Dolon getödtet hatten; Dio¬ medes ſprang vom Roſſe, ſchwang ſich aber wieder hinauf, nachdem er die Rüſtung den Händen des Freundes über¬ reicht, Odyſſeus beſtieg das andere Thier und bald waren ſie mit den raſch dahinfliegenden Pferden bei den Schiffen angekommen. Neſtor hörte zuerſt das Stampfen der Hufe und machte die Fürſten der Griechen aufmerkſam; aber ehe er ſich recht beſinnen konnte, ob er geirrt oder Wirkliches vernommen, waren die Helden mit den Roſſen da, ſchwangen ſich vom Pferde, reichten den Freunden die Hände rings umher zum Gruße, und erzählten unter dem Jubel des Heeres den glücklichen Erfolg ihres Unterneh¬ mens. Dann trieb Odyſſeus die Roſſe durch den Graben, und die andern Achiver folgten ihm jauchzend zur Lagerhütte172 des Tydiden. Dort wurden die Pferde zu den andern Roſſen des Fürſten an die mit Waizen wohl gefüllte Krippe gebunden. Die blutige Rüſtung Dolons aber legte Odyſſeus hinten im Schiffe nieder, bis ſie bei einem Dankfeſt Athene's prangen könnte. Dann ſpülten ſich beide Helden mit der Meerfluth Schweiß und Blut von den Gliedern, ſetzten ſich zum warmen Bad in Wannen, ſalb¬ ten ſich mit Oel, und genoſſen dann das Frühmahl beim vollen Kruge; und Pallas Athene ward mit dem Trank¬ opfer nicht vergeſſen.

Zweite Niederlage der Griechen.

Es war Morgen. Agamemnon befahl nun dem Volke ſich zu gürten, und legte ſelbſt die Rüſtung an, den herr¬ lichen Harniſch, an dem zehn bläuliche Stahlſtreifen mit zwölf aus funkelndem Gold und zwanzig aus Zinn wech¬ ſelten; die Halsbrünne bildeten drei Drachen, glänzend wie Regenbogen, der Panzer war ein Geſchenk des Ciny¬ ras, Fürſten von Cypern; dann warf er ſich das Schwert, mit goldenen Buckeln am Griff, in ſilberner Scheide, am ſtrahlenden Goldgehenke befeſtigt, um die Schulter; darauf hob er den kunſtreich gewölbten Schild, um den zehn Erz¬ kreiſe herliefen, und zwanzig weiße zinnerne Buckeln blink¬ ten; auf dem mittleren dunkelblauen Felde war das grä߬ liche Gorgonenhaupt abgebildet, das Schildgehenk hatte die Geſtalt eines bläulichen Drachens mit drei gekrümm¬ ten Häuptern. Dann ſetzte er ſich den viergipflichten, von Roßhaaren umwallten Helm, mit fürchterlich nickendem173 Helmbuſch, aufs Haupt, ergriff zwei mächtige Lanzen mit ſtrahlenden Erzſpitzen, und ſchritt in die Schlacht. Juno und Minerva begrüßten vom Himmel herab den herr¬ lich gerüſteten König der Völker mit einem freudigen Donner. Zuerſt drangen die Fußgänger mit den ehernen Waffenrüſtungen über den Graben, ihnen folgten die Rei¬ ſigen auf den Streitwagen, und mit lautem Getümmel eilte das ganze Heer vorwärts.

Auf der andern Seite hielten die Trojaner einen Hügel des Feldes mit ihren Schaaren beſetzt; ihre Führer waren Hektor, Polydamas und Aeneas; nächſt ihnen Polybius, Agenor und Akamas, die drei tapfern Söhne Antenors. Wie ein Stern durch Nachtgewölk, wandelte Hektor bald durch den vorderſten, bald durch den äußer¬ ſten Zug, und ordnete die Schlachtreihen; in ſeiner Erz¬ rüſtung leuchtete er wie ein Blitzſtrahl des Donnerers. Bald ſtürmten nun Trojaner und Danaer mordend gegen¬ einander, wie Schnitter mähend in die Schwaden fahren, Alles drängte ſich Haupt an Haupt zur Schlacht; in bei¬ den Heeren tobten die Streiter wie Wölfe. Endlich durch¬ brachen die Griechen mit ihrer Kraft die Schlachtreihen der Feinde, und Agamemnon ſtieß, voranſtürmend, den Fürſten Vianor und ſeinen Wagenlenker nieder. Dann warf er ſich auf zwei Söhne des Königes Priamus, den Antiphus und ſeinen Wagenlenker, den Baſtard Iſus; jenem durchſchoß er die Bruſt mit der Lanze, dieſen ſtürzte er mit einem Schwerthiebe vom Wagen, und den Getödteten entzog er eilig die Rüſtung. Jetzt begegnete er zwei Söhnen des Antimachus, des Trojanerfürſten, der einſt, von Paris Golde bethört, die Helena auszu¬ liefern verboten hatte. Vergebens flehten ihn die Knaben,174 in den Wagen hineingeſchmiegt, um Schonung an. Ihres Vaters gedenkend, durchbohrte er den einen und hieb dem andern die Hände vom Leib und das Haupt von der Schulter. Immer tiefer drang die Verfolgung der Grie¬ chen ein, auf Fußvolk und auf Wagen, wie ein Feuer¬ brand unter Sturm durch unausgehauene Waldung ſich verbreitet.

Aus den Blutſtrömen und dem Getümmel entzog den Fürſten Hektor Jupiter ſelbſt den Geſchoſſen, daß er zum Denkmale des alten Königes Ilus, an dem Feigenhügel vorüber, mitten durch das Gefilde, ſehnſüchtig nach der Stadt hin floh; aber Agamemnon, ſeine Hände mit Tro¬ janerblute beſudelt, folgte ihm laut ſchreiend. Endlich an der Buche Jupiters, nicht fern vom ſkäiſchen Thore, ſtand Hektor, und mit ihm die ganze Flucht der Seinigen, ihm nachgedrungen, ſtille. Da ſandte Jupiter die Götterbotin Iris zu ihm, und befahl ihm, ſo lange Agamemnon im Vordergewühl tobte, ſelbſt zurückzuſtehen und dem andern Volke die Feldſchlacht zu überlaſſen, bis der Atride ver¬ wundet würde. Dann wollte der Göttervater ihn ſelbſt wieder zum Siege führen. Hektor gehorchte. Von der Hinterhut aus mahnte er die Seinigen zu neuem Kampfe. Aufs neue begann das Gefecht; Agamemnon ſtürmte voraus und fing wieder an, in den Schaaren der Trojaner und ihrer Bundesgenoſſen zu wüthen. Ihm begegnete zuerſt Antenors Sohn, Iphidamas, ein großer gewaltiger Held, der in Thrazien bei ſeinem Ahn aufge¬ wachſen war, und neuvermählt zum Kampfe in die alte Heimath gezogen kam. Agamemnons Lanze fehlte; der Speer des Iphidamas verbog ſich die Spitze am Leibgurt ſeines Feindes. Schleunig ergriff jetzt Agamemnon die175 Lanze des Gegners, riß ſie ihm aus der Hand und durch¬ hieb ihm den Nacken mit dem Schwert. So ſank der Arme, von der Gattin getrennt, im Kampfe für die Sei¬ nigen, bemitleidenswerth, in den ehernen Todesſchlummer. Agamemnon entwaffnete ihn, und prahlte mit der herr¬ lichen Rüſtung durch die Reihen der Achiver. Als ihn ſo der ältere Sohn des Antenor, Koon, einer der geprie¬ ſenſten trojaniſchen Kämpfer, einherſchreiten ſah, faßte ihn unausſprechlicher Gram um den gefallenen Bruder; doch raubte ihm der Schmerz die Beſinnung nicht, ſon¬ dern, unbemerkt vom Atriden, ſtach er dieſem ſeitwärts mit ſeinem Speere mitten in den Arm, dicht unter der Beugung. Agamemnon fühlte ſich von einem plötzlichen Schauer durchdrungen; dennoch gönnte er ſich keine Raſt vom Kampfe, und während Koon ſeinen Bruder am Fuß aus dem Gewühl zu ziehen beſtrebt war, durchſtach ihn der Schaft des Atriden unter dem Schilde, ſo daß er entſeelt auf den Leichnam des Bruders hinſank.

So lange das Blut noch warm aus der offenen Wunde hervordrang, fuhr Agamemnon fort, mit Lanze, Schwert und Steinen in den Reihen der Trojaner zu morden; als aber das Blut in der Wunde zu erharſchen anfing, da mahnte ihn ein ſcharfer zuckender Schmerz, das Gewühl der Schlacht zu verlaſſen. Schnell ſprang er in den Sitz des Streitwagens, dem Roſſelenker gebie¬ tend nach den Schiffen umzukehren, und bald trug der Wagen, mit Staub umwölkt, den von der Wunde hart gequälten König dem Schiffslager zu.

Als Hektor ſah, wie der Atride ſich entfernte, gedachte er an den Befehl Jupiters, eilte in die Vorderſchaar der Trojaner und Lycier, und rief laut aus: Jetzt, ihr176 Freunde, ſeyd Männer und ſinnet auf Abwehr! Der tapferſte Mann Griechenlands iſt ferne, und Jupiter ver¬ leiht mir Siegsruhm. Auf, mitten unter die Helden der Danaer hinein mit den Roſſen, damit wir um ſo höheren Ruhm gewinnen! So rief Hektor, und ſtürzte ſich wie ein Sturmwind zuerſt in die Schlacht. Und in kurzer Zeit waren neun Fürſten der Griechen, dazu viel gemei¬ nes Volk, unter ſeinen Händen erlegen. Schon war er nahe daran, das fliehende Heer der Griechen in die Schiffe zu drängen; da ermahnte Odyſſeus den Tydiden: Iſt es möglich, daß wir der Abwehr ſo ganz vergeſſen? Tritt doch näher, Freund, und ſtelle dich neben mich, laß uns die Schande nicht erleben, daß Hektor unſer Schiffs¬ lager erobere! Diomedes nickte ihm zu und durch¬ ſchmetterte die Bruſt des Trojaners Thymbräus mit dem Wurfſpieß auf der linken Seite, daß er vom Wagen auf die Erde herabfiel; unter Odyſſeus ſank Molion zu Boden, der Wagengenoſſe deſſelben. Weiter noch durchtobten die vorwärts Gewendeten den Feind, und die Griechen fingen an, wieder aufzuathmen. Jupiter, der noch immer vom Ida herabſchaute, ließ die Schlacht im Gleichgewichte ſchweben. Endlich erkannte Hektor durch die Schlachtreihen hindurch die zwei raſenden Helden, und ſtürmte mit ſeinen Heerſchaaren auf ſie daher. Noch zur rechten Zeit ſah ſich Diomedes vor und ſchleuderte ihm die Lanze an die Helmkuppel. Zwar prallte ſie ab, doch flog Hektor zurück in die Schaaren aufs Knie, ſeine Rechte ſtemmte ſich gegen die Erde und vor ſeinen Blicken ward es Nacht. Bis jedoch der Tydide dem Schwung ſeines Speeres ſelbſt nachgeeilt kam, hatte ſich der Trojaner in den Wagenſitz geſchwungen und rettete ſich vor dem Tod ins Gedränge177 der Seinigen. Unmuthig wandte ſich Diomedes einem andern Trojaner zu, den er niederſtreckte und der Rü¬ ſtung zu berauben ſich anſchickte.

Dieſen Augenblick erſah Paris, ſchmiegte ſich hin¬ ter die Denkſäule des Ilus, und ſchoß den knieenden Helden in die Ferſe, daß der Pfeil, durch die Sohle ge¬ drungen, im Fleiſche feſtſaß. Dann ſprang er lachend aus dem Hinterhalte, und ſpottete jauchzend des Ge¬ troffenen. Diomedes ſchaute ſich um, und als er den Schützen erblickte, rief er ihm zu: Biſt du es, Weiber¬ held? du vermöchteſt mit offener Gewalt nichts gegen mich, und prahleſt jetzt, daß du mir den Fuß von hinten geritzt haſt? das macht mir ſo wenig, als hätte mich ein Mädchen oder ein Knabe getroffen! Inzwiſchen war Odyſſeus herbeigeeilt und ſtellte ſich vor den Verwundeten, der ſich mit Schmerzen, doch in Sicherheit, den Pfeil aus dem Fuße zog. Dann ſchwang er ſich in den Wagenſitz zu ſeinem Freunde Sthenelus, und ließ ſich heimgeleiten zu ſeinen Schiffen.

Nun blieb Odyſſeus allein zurück im tiefſten Gedränge der Feinde, und kein Argiver wagte ſich in die Nähe. Der Held beſprach ſich mit ſeinem Herzen, ob er weichen ſollte oder ausharren. Doch ſah er wohl ein, daß es demjeni¬ gen, der in der Feldſchlacht edel erſcheinen will, durchaus Noth thut, Stand zu halten, mag er nun treffen oder getroffen werden. Während er dieß erwog, umſchloſſen ihn die Trojaner mit ihren Schlachtreihen, wie Jäger und Jagdhunde einen ſtürzenden Eber umringen, der den Zahn im zurückgebogenen Rüſſel wetzt. Er aber empfing entſchloſſen die auf ihn Einſtürmenden, und es dauerte wenig Augenblicke, ſo waren fünf Trojaner vor ſeinenSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 12178Waffen in den Staub geſunken. Da kam ein Sechſter heran, Sokus, dem er eben den Bruder erſtochen, und rief: Odyſſeus, heute trägſt du entweder den Ruhm davon, daß du beide Söhne des Hippaſus, herrliche Män¬ ner, zu Boden geſtreckt und ihre Waffen erbeutet haſt, oder aber du verhauchſt unter meiner Lanze das Leben! Und nun durchſchmetterte er ihm den Schild und riß ihm die Haut von den Rippen; tiefer ließ Athene den Stoß nicht eindringen. Odyſſeus, der ſich nicht zum Tode ge¬ troffen fühlte, wich nur ein Weniges zurück, ſtürzte dann auf den Gegner los, der ſich zur Flucht wendete, und durchbohrte ihm den Rücken zwiſchen den Schultern, daß der Speer aus dem Buſen vordrang und er in dumpfem Falle hinkrachte. Dann erſt zog ſich Odyſſeus die Lanze des Feindes aus der Wunde. Als nun die Trojaner ſein Blut ſpringen ſahen, drängten ſich erſt recht Alle auf ihn zu, daß er zurückwich und dreimal einen lauten Hülferuf ausſtieß.

Menelaus vernahm das Geſchrei zuerſt, und rief ſei¬ nem Nebenmanne Ajax zu: Laß uns durchdringen durch das Getümmel, ich habe den Schrei des Odyſſeus gehört! Beide hatten in Kurzem den duldenden Kämpfer erreicht und trafen ihn, gegen unzählige Feinde ſeine Lanze ſchwin¬ gend. Als aber der Schild des Ajax wie eine gethürmte Mauer dem Streitenden vorgehalten ward, erzitterten die Trojaner. Da benutzte Menelaus den Augenblick, ergriff den Sohn des Laertes bei der Hand, und half ihm auf ſeinen eigenen Streitwagen. Ajax aber ſprang jetzt auf die Trojaner hinein und wälzte Leichen vor ſich her, wie ein Bergſtrom im Herbſte dorrende Kiefern und Eichen. Davon hatte Hektor keine Ahnung; er kämpfte auf der179 linken Seite des Treffens, am Geſtade des Skamander, und richtete dort in den Reihen der Jünglinge, die den Helden Idomeneus umgaben, breite Verwüſtung an. Den¬ noch wären die Helden nicht vor ihm gewichen, hätte nicht ein dreikantiger Pfeil des Paris dem großen Arzt des Danaerheeres, Machaon, die rechte Schulter verwundet. Da rief erſchrocken Idomeneus: Neſtor! Hurtig dem Freund auf den Wagen geholfen! Ein Mann, der Pfeile ausſchneidet und lindernden Balſam auflegt, iſt hundert andere Helden werth! Schnell ſchwang ſich Neſtor auf ſeinen Wagen, der verwundete Machaon mit ihm, und beide flogen den Schiffen zu.

Aber der Wagenlenker Hektors machte jetzt dieſen auf die Verwirrung aufmerkſam, in welcher ſich der andere Flügel der Trojaner befand, wo Ajax das Gewühl der Feinde durchtobte. In einem Augenblicke waren ſie mit ihrem Wagen dort, und Hektor fing an unter den Rei¬ hen der Griechen zu raſen. Nur den Ajax vermied er, denn Jupiter hatte ihn gewarnt, ſich mit dem ſtärkeren Manne nicht meſſen zu wollen. Zugleich aber ſandte der Göttervater in die Seele des Ajax Furcht, daß dieſer beim Anblicke Hektors den Schild auf die Schulter warf, und, angſtvoll um die Schiffe der Danaer beſorgt, die Reihen der Trojaner, ſich zur Flucht kehrend, verließ. Als die Feinde dieß gewahr wurden, ſchleuderten ſie ihm die Lan¬ zen auf den vom Rücken herabhängenden Schild. Doch Ajax durfte ſein Angeſicht nur umwenden, ſo flohen ſie wieder. Wo der Weg zu den Schiffen ging, ſtellte er ſich jetzt auf, hielt den Schild vor, und wehrte die vor¬ dringenden Trojaner ab, daß ihre Speere theils in ſeinem ſiebenhäutigen Stierſchilde hafteten, theils ohne den Leib12 *180zu berühren in die Erde fuhren. Als der tapfere Held Eurypylus ihn ſo von Geſchoſſen bedrängt ſah, eilte er dem Telamonier zu Hülfe, und durchbohrte dem Trojaner Apiſaon die Bruſt. Doch während Eurypylus dem getöd¬ teten Feinde die Rüſtung abzog, ſandte ihm Paris einen Pfeil in den Schenkel, daß er ſich ſchnell in das Gedräng der Freunde zurückzog, die ihn mit erhöhten Lanzen und vorgehaltenen Schilden deckten.

Inzwiſchen trugen ſeine Stuten den Neſtor mit dem wunden Machaon aus der Schlacht, vorbei an dem grollenden Achilles, der auf dem Hinterdecke ſeines Schif¬ fes ſaß und geruhig zuſah, wie ſeine Landsleute von den Trojanern verfolgt wurden. Da rief er dem Patroklus, ohne zu ahnen, daß er das Unglück ſeines Freundes ſelbſt vorbereite, und ſprach: Geh doch, Patroklus, und erforſche mir von Neſtor, welchen Verwundeten er dort aus der Schlacht zurückführt: denn ich weiß nicht, welch Mitleid für die Griechen ſich in meiner Seele regt! Patroklus gehorchte und lief zu den Schiffen. Er kam am Zelte Neſtors an, als dieſer eben aus dem Wagen ſtieg, ſeinem Diener Eurymedon die Roſſe übergab, und ins Zelt hinein trat, mit Machaon der erquickenden Mahlzeit zu genießen, die ihnen ſeine erbeutete Sklavin Hekamede vorſetzte. Als der Greis den Helden Patroklus an der Pforte gewahr ward, ſprang er vom Seſſel, ergriff ihn bei der Hand, und wollte ihn freundlich zum Sitzen nöthigen. Doch Patroklus ſprach: Es bedarf deſſen nicht, ehrwürdiger Greis! Achilles hat mich nur ausgeſandt, zu ſchauen, welchen Verwundeten du zurückführeſt. Nun habe ich ſelbſt in ihm den heilungskundigen Helden Machaon erkannt, und eile, ihm dieſes zu melden. Du kennſt ja den heftigen181 Sinn meines Freundes, der auch Unſchuldige ſelber leicht beſchuldigt. Aber Neſtor antwortete ihm mit tiefer Ge¬ müthsbewegung: Was kümmert ſich doch das Herz des Achilles ſo ſehr um die Achiver, die bereits zum Tode wund ſind? Alle Tapferen liegen bei den Schiffen umher: Diomedes iſt pfeilwund, Odyſſeus und Agamemnon ſind lanzenwund; und dieſen unſchätzbaren Mann entführte ich ſo eben, vom Geſchoß des Bogens verwundet, aus der Feldſchlacht! Aber Achilles kennt kein Erbarmen! Will er vielleicht warten, bis unſre Schiffe am Geſtad 'in Flam¬ men lodern und wir Griechen Einer um den Andern der Reihe nach hinbluten? O wär' ich noch kräftig wie in meiner Jugend und in meinen beſten Mannsjahren, damals, wo ich als Sieger im Hauſe des Peleus einkehrte! Da ſah ich auch deinen Vater Menötius und dich und den klei¬ nen Achilles. Dieſen ermahnte der graue Held Peleus, ſtets der erſte zu ſeyn und allen Andern vorzuſtreben, dich aber dein Vater, des Peliden Lenker und Freund zu ſeyn, weil er an Stärke zwar der Größere, am Alter aber hinter dir ſey. Erzähle davon dem Achilles; vielleicht rührt ihn auch jetzt deine Zurede. So ſprach der Alte und miſchte liebliche Erinnerungen aus ſeiner eigenen Heldenjugend in die Rede, ſo daß dem Patroklus das Herz im Buſen be¬ wegt wurde.

Als er auf der Rückkehr an den Schiffen des Odyſ¬ ſeus vorüber eilte, fand er hier den Eurypylus, der, vom Pfeil in den Schenkel verwundet, mühſam aus der Schlacht einhergehinkt kam. Es erbarmte den Sohn des Menötius, wie der wunde Held ihn ſo kläglich anrief, ſeiner mit den Künſten Chirons des Centauren, die er gewiß durch Achil¬ les gelernt habe, zu pflegen; ſo daß Patroklus endlich den182 Verwundeten unter der Bruſt faßte, ins Zelt führte, dort ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem Meſſer den ſcharfen Pfeil aus dem Schenkel ſchnitt; dann ſpülte er das ſchwarze Blut ſogleich mit lauem Waſſer ab, zer¬ malmte eine bittere Heilwurzel mit den Fingern und ſtreute ſie auf die Wunde, bis das Blut ins Stocken gerieth. So pflegte der gute Patroklus des wunden Helden.

Kampf um die Mauer.

Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um ihre Schiffe her breit aufgethürmt hatten, war ohne ein Feſtopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut wor¬ den. Deßwegen ſollte ſie ihnen auch nicht zum Schutze dienen und nicht lange unerſchüttert beſtehen. Schon jetzt, wo Troja im zehnten Jahre ſeiner Belagerung ſchmachtete, beſchloſſen Poſeidon (Neptun) und Apollo, den Bau dereinſt zu vertilgen, die Bergſtröme auf ſie hereinzuleiten und das Meer gegen ſie zu empören. Doch ſollte dieß erſt nach der Zerſtörung Troja's ins Werk geſetzt werden.

Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver drängten ſich, bange vor Hektors Wuth, bei den Schiffen eingehegt. Die¬ ſer rannte wie ein Löwe im Gewühl umher und munterte die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber wollte kein Roſſegeſpann ihm wagen. Am äußerſten Rande des Grabens angekommen, bäumten ſich Alle unter lautem Gewieher zurück, denn dieſer war zu breit zum Sprunge und zu abſchüſſig von beiden Seiten zum Durchgang, dazu183 mit dicht gereihten ſpitzen Pfählen bepflanzt. Nur die Fußvölker verſuchten daher den Uebergang. Als dieß Polydamas ſah, ging er mit Hektor zu Rathe und ſprach: Wir wären Alle verloren, wenn wir es mit den Roſſen wagen wollten, und kämen ruhmlos in der Tiefe des Gra¬ bens um. Laſſet deßwegen die Wagenlenker die Roſſe hier am Graben hemmen, uns ſelbſt aber in den ehernen Waf¬ fen eine Fußſchaar bilden, unter deiner Führung über den Graben ſetzen und den Wall durchbrechen.

Hektor billigte dieſen Rath. Auf ſeinen Befehl ſtürm¬ ten alle Helden von den Wagen, mit Ausnahme der Len¬ ker; ſie ſchaarten ſich in fünf Ordnungen, die erſte unter Hektor und Polydamas, die andere unter Paris, die dritte führten Helenus und Deïphobus, der vierten gebot Aeneas; an der Spitze der Bundesgenoſſen ſchritt Sarpe¬ don und Glaukus. Dieſe Fürſten alle aber hatten an¬ dere bewährte Helden zur Seite. Von den ſämmt¬ lichen Streitern wollte nur Aſius ſeinen Wagen nicht verlaſſen. Er wandte ſich mit demſelben zur Linken, wo die Achajer ſelbſt beim Bau einen Durchgang für ihre eigenen Roſſe und Streitwagen gelaſſen hatten. Hier ſah er die Flügel des Thores offen, denn die Griechen harrten, ob nicht noch ein verſpäteter Genoſſe käme, der dem Tref¬ fen entflohen, Rettung im Lager ſuchte. So lenkte Aſius die Roſſe gerade auf den Durchgang los, und andere Trojaner folgten ihm zu Fuße mit lautem Geſchrei nach. Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer aufgeſtellt, Polypötes, der Sohn des Pirithons, und Leonteus. Dieſe ſtanden am Thore, hohen Bergeichen gleich, die, mit langen und breiten Wurzeln in den Boden eingeſenkt, in Sturm und Regenſchauer unverrückt aushalten. Plötzlich184 ſtürzten dieſe beiden auf die hereinſtürmenden Trojaner vor, und zugleich flog ein Schwall von Steinen von den feſten Thürmen der Mauer herab.

Während Aſius und die ihn Umringenden verdrießlich den unvermutheten Kampf beſtanden und Viele erlagen, kämpften Andere, zu Fuß über den Graben ſtürmend, um andere Thore des griechiſchen Lagers. Die Argiver waren jetzt auf die Beſchirmung ihrer Schiffe beſchränkt, und die Götter, ſo viel ihrer ihnen halfen, trauerten herzlich, vom Olymp herabſchauend. Nur die zahlreichſte und tapferſte Schaar der Trojaner, unter Hektor und Polydamas, verweilte noch unſchlüſſig am jenſeitigen Rande des Grabens, den ſie eben erſtiegen; denn vor ihren Augen hatte ſich ein bedenkliches Zeichen ereignet. Ein Adler ſtreifte links über das Kriegsheer hin; er trug eine rothe zappelnde Schlange in den Klauen, die ſich unter ſeinen Krallen wehrte, und den Kopf rückwärts dre¬ hend, den Vogel in den Hals ſtach; von Schmerzen ge¬ quält, ließ er ſie fahren und flog davon; die Schlange aber fiel mitten im Haufen der Trojaner nieder, die ſie mit Schrecken im Staube liegen ſahen, und in dieſem Ereigniß ein Zeichen Jupiters erkannten. Laß uns nicht weiter gehen, rief Polydamas, der Sohn des Panthous, ſeinem Buſenfreunde, dem Hektor, erſchrocken zu, es könnte uns ergehen, wie dem Adler, der ſeinen Raub nicht heimbrachte. Aber Hektor erwiederte finſter: Was küm¬ mern mich die Vögel, ob ſie rechts oder links daher flie¬ gen, ich verlaſſe mich auf Jupiters Rathſchluß! Ich kenne nur Ein Wahrzeichen, es heißt Rettung des Vaterlandes! Warum zitterſt denn du vor dem Kampfe? Sänken wir auch Alle an den Schiffen darnieder, dir droht kein185 Todesſchrecken, denn du haſt kein Herz, in der Feldſchlacht auszuhalten; doch wiſſe, wo du dich dem Kampf entzieheſt, ſo fällſt du, von meiner eigenen Lanze durchbohrt! So ſprach Hektor und ging voran, und alle Andern folgten ihm unter gräßlichem Geſchrei. Jupiter aber ſchickte einen ungeheuren Sturmwind vom Idagebirge herab, der den Staub zu den Schiffen hinüber wirbelte, daß den Griechen der Muth entſank, die Trojaner aber, dem Winke des Donnergottes und der eigenen Kraft vertrauend, die große Verſchanzung der Danaer zu durchbrechen ſich anſchickten, indem ſie die Zinnen der Thürme herabriſſen, an der Bruſtwehr rüttelten, und die hervorragenden Pfeiler des Walles mit Hebeln umzuwühlen begannen.

Aber die Danaer wichen nicht von der Stelle; wie ein Zaun ſtanden ſie mit ihren Schilden auf der Bruſt¬ wehr und begrüßten die Mauerſtürmer mit Steinen und Geſchoſſen. Die beiden Ajax machten die Runde auf der Mauer und ermahnten das Streitvolk auf den Thürmen, die Tapfern freundlich, die Nachläßigen mit ſtrengen Droh¬ worten. Inzwiſchen flogen die Steine hin und her wie Schneeflocken; doch hätte Hektor mit ſeinen Trojanern den mächtigen Riegel an der Wallpforte noch immer nicht durchbrochen, wenn nicht Jupiter ſeinen Sohn Sarpedon den Lycier, mit dem goldgeränderten Schilde, wie einen heißhungrigen Berglöwen gegen die Feinde gereizt hätte, daß er ſchnell zu ſeinem Genoſſen Glaukus ſprach: Was iſt es, Freund, daß man uns im Lyciervolke mit Ehrenſitz und gefüllten Bechern beim Gaſtmahle wie die Götter ehrt, wenn wir in der brennenden Schlacht nicht auch uns im Vorkampfe zeigen? Auf, entweder wollen wir den eige¬ nen Ruhm, oder durch unſern Tod den Ruhm Anderer186 verherrlichen! Glaukus vernahm es nicht träge, und beide ſtürmten mit ihren Lyciern in gerader Richtung voran. Meneſtheus, von ſeinem Thurme herab, ſtutzte, als er ſie ſo wüthend herannahen und ſich und die Seinigen dem Verderben ausgeſetzt ſah. Aengſtlich ſchaute er ſich nach der Unterſtützung anderer Helden um: wohl ſah er in der Ferne die beiden Ajax, unerſättlich im Kampfe, daſtehen, und noch näher den Teucer, der eben von den Zelten zurückkam; doch hallte ſein Hülferuf nicht ſo weit, er prallte an Helmen und Schilden ab, und das Getöſe der Schlacht verſchlang ihn. Deswegen ſchickte er den Herold Theotes zu den beiden Ajax hinüber, und bat den Tela¬ monier durch ihn, wenn ſie beide dieß könnten, ſammt ſeinem Bruder Teucer ihm aus der Bedrängniß zu helfen. Der große Ajax war nicht ſäumig, er eilte mit Teucer und Pandion, der ſeines Bruders Bogen trug, der Mauer entlang, von innen dem Thurme zu. Sie kamen bei Meneſtheus an, als eben die Lycier an der Bruſtwehr emporzuklimmen anfingen. Ajax brach ſogleich einen ſcharf¬ gezackten Marmorſtein zu oberſt aus der Bruſtwehr und zerknirſchte damit dem Epikles, einem Freunde des Sar¬ pedon, Helm und Haupt, daß er wie ein Taucher von dem Thurme herabſchoß. Teucer aber verwundete den Glaukus am entblößten Arme, während er eben den Wall hinan¬ ſtieg. Dieſer ſprang ganz geheim von der Mauer, um nicht von den Griechen erblickt und mit ſeiner Wunde ge¬ höhnt zu werden. Mit Schmerzen ſah Sarpedon ſeinen Bruder aus der Schlacht ſcheiden, er ſelbſt aber klomm aufwärts, durchſtach den Alkmaon, den Sohn Theſtors, mit der Lanze, daß dieſer der wieder herausgezogenen taumelnd folgte, faßte dann mit aller Gewalt die Bruſtwehr, daß187 ſie von ſeinem Stoß zuſammenſtürzte, und die Mauer, entblößt, für Viele einen Zugang gewährte. Doch Ajax und Teucer begegneten dem Stürmenden; der letztere traf ihn mit einem Pfeil in den Schildriemen; Ajax durchſtach dem Anlaufenden den Schild: die Lanze durchdrang ihn ſchmetternd, und einen Augenblick zückte Sarpedon von der Bruſtwehr hinweg. Doch ermannte er ſich bald wieder, und, gegen die Schaar ſeiner Lycier ſich umdrehend, rief er laut: Lycier, vergeſſet ihr des Sturmes? mir allein, und wäre ich der Tapferſte, iſt es unmöglich, durchzu¬ brechen! Nur wenn wir zuſammenhalten, können wir uns die Bahn zu den Schiffen öffnen! Die Lycier dräng¬ ten ſich um ihren ſcheltenden König und ſtürmten raſcher empor; aber auch die Danaer von innen verdoppelten ihren Widerſtand, und ſo ſtanden ſie, nur durch die Bruſtwehr getrennt, und über ſie hin wild auf einander los hauend, wie zwei Bauern auf der Grenzſcheide ſtehen und mitein¬ ander darum hadern. Rechts und links von den Thürmen und der Bruſtwehr rieſelte das Blut hinab. Lange ſtand die Waage der Schlacht ſchwebend, bis endlich Jupiter dem Hektor die Oberhand gab, daß er zuerſt an das Thor der Mauer vordrang und die Genoſſen theils ihm folgten, theils zu ſeinen beiden Seiten über die Zinnen kletterten. Am verſchloſſenen Thore, deſſen Doppelflügel zwei ſich begegnende Riegel von innen zuſammenhielten, ſtand ein dicker, oben zugeſpitzter Feldſtein. Dieſen riß Hektor mit übermenſchlicher Gewalt aus dem Boden, und zerſchmet¬ terte damit die Angeln und die Bohlen, daß die mächti¬ gen Riegel nicht mehr Stand hielten, das Thor dumpf aufkrachte, und der Stein ſchwer hineinfiel. Furchtbar anzuſchauen wie die Wetternacht, im ſchrecklichen Glanze188 ſeiner Erzrüſtung, mit funkelndem Auge, ſprang Hektor, zwei blinkende Lanzen ſchüttelnd, in das Thor. Ihm nach ſtrömten ſeine Streitgenoſſen durch die aufgeriſſene Pforte, Andere hatten zu Hunderten die Mauer überklettert; Auf¬ ruhr tobte allenthalben im Vorlager, und die Griechen flüchteten zu den Schiffen.

Kampf um die Schiffe.

Als Jupiter die Trojaner ſo weit gebracht hatte, überließ er die Griechen ferner ihrem Elende, wandte, auf dem Gipfel des Ida ſitzend, ſeine Augen von dem Schiffslager ab und ſchaute gleichgültig ins Land der Thrazier hinüber. Inzwiſchen blieb der Meergott Poſei¬ don nicht unthätig. Dieſer ſaß auf einem der oberſten Gipfel des waldigen Thraziens, wo der Ida mit allen ſeinen Höhen, ſammt Troja und den Schiffen der Danaer unter ihm lagen. Mit Gram ſah er die Griechen vor Troja's Volk in den Staub ſinken, er verließ das zackige Felſengebirg, und mit vier Götterſchritten, unter denen Höhen und Wälder bebten, ſtand er am Meeresufer bei Aegä, wo ihm in den Tiefen der Fluth ein von unver¬ gänglichem Golde ſchimmernder Pallaſt erbaut ſtand. Hier hüllte er ſich in die goldne Rüſtung, ſchirrte ſeine goldmähnigen Roſſe ins Joch, ergriff die goldene Geißel, ſchwang ſich in ſeinen Wagenſitz und lenkte die Pferde über die Fluth; die Meerungeheuer erkannten ihren Herr¬ ſcher und hüpften aus den Klüften umher, die Woge trennte ſich freudig, und ohne die eherne Wagenaxe zu189 benetzen, kam Neptunus bei den Schiffen der Danaer, zwiſchen Tenedos und Imbros, in einer tiefen Grotte an, wo er die Roſſe aus dem Geſchirr ſpannte, ihnen die Füße mit goldenen Feſſeln umſchlang, und Ambroſia zur Koſt reichte. Er ſelbſt eilte mitten ins Gewühl der Schlacht, wo ſich die Trojaner wie ein Orkan um Hektor mit brauſendem Geſchrei drängten, und jetzt eben die Schiffe der Griechen zu bemeiſtern hofften. Da geſellte ſich Poſeidon zu den Reihen der Griechen, dem Seher Kalchas an Wuchs und Stimme gleich. Zuerſt rief er den beiden Ajax zu, die für ſich ſelbſt ſchon von Kampf¬ luſt glühten: Ihr Helden beide vermöchtet wohl das Volk der Griechen zu retten, wenn ihr eurer Stärke ge¬ denken wolltet. An andern Orten ängſtet mich der Kampf der Trojaner nicht, ſo herzhaft ſich ihre Heeresmacht über die Mauer hereinſtürzt; die Vereinigten Achiver werden ſie ſchon abzuwehren wiſſen. Hier nur, wo der raſende Hektor wie ein Feuerbrand vorherrſcht, hier nur bin ich um unſre Rettung bange. Möchte doch ein Gott euch den Gedanken in die Seele geben, hierhin euren Widerſtand zu kehren, und auch Andere dazu anzureizen. Zu dieſen Worten gab ihnen der Ländererſchütterer einen Schlag mit ſeinem Stabe, davon ihr Muth erhöht und ihre Glie¬ der leicht geſchaffen wurden; der Gott aber entſchwang ſich ihren Blicken, wie ein Habicht, und Ajax, der Sohn des Oïleus, erkannte ihn zuerſt. Ajax, ſprach er zu ſeinem Namensbruder, es war nicht Ralchas, es war Neptun, ich habe ihn von hinten an Gang und Schenkeln erkannt, denn die Götter ſind leicht zu erkennen. Jetzt verlangt mich im innerſten Herzen nach dem Entſcheidungs¬ kampfe, Füße und Hände ſtreben mir nach oben! Ihm190 erwiederte der Telamonier: Auch mir zücken die Hände ungeſtüm um den Speer, die Seele hebt ſich mir, die Füße wollen fliegen, Sehnſucht ergreift mich, den Einzel¬ kampf mit Hektor zu beſtehen!

Während die beiden Führer dieß Geſpräch wechſelten, ermunterte Poſeidon hinter ihnen die Helden, die vor Gram und Müdigkeit bei den Schiffen ausruhten, und ſchalt ſie, bis alle Tapfern ſich um die beiden Ajax ſchaar¬ ten und gefaßt den Hektor mit ſeinen Trojanern erwar¬ teten. Lanze drängte ſich an Lanze, Schild auf Schild, Helm an Helm, Tartſche war an Tartſche gelehnt, Krie¬ ger an Krieger, die Helme der Sinkenden berührten ſich mit den Zacken, ſo dicht ſtand die Heerſchaar; ihre Speere aber zitterten dem Feind entgegen. Doch auch die Tro¬ janer drangen mit aller Kraft herein, Hektor voran, wie ein Felsſtein von der Krone des Bergs, durch den herbſt¬ lichen Strom abgeriſſen, im Sprunge herniederſtürzt, daß die Waldung zerſchmettert zuſammenkracht. Haltet euch, Trojaner und Lycier, rief er hinterwärts, jene wohl¬ geordnete Heerſchaar wird nicht lange beſtehen, ſie werden vor meinem Speere weichen, ſo gewiß der Donnerer mich leitet! So rief er, den Muth der Seinigen anſpornend. In ſeiner Schaar ging trotzig, doch mit leiſem Schritt, unter dem Schilde Deïphobus, das andere Heldenkind des Priamus, einher. Ihn wählte ſich Meriones zum Ziele und ſchoß die Lanze nach ihm ab; aber Deïphobus hielt den mächtigen Schild weit vom Leibe vor, daß der Wurf¬ ſpieß brach. Erbittert über den verfehlten Sieg, wandte ſich Meriones zu den Schiffen hinab, ſich einen mächtige¬ ren Speer aus dem Zelte zu holen.

Die Andern kämpften indeſſen fort und der Schlachtruf191 brüllte. Teucer traf den Imbrius, den Sohn Men¬ tors, unter dem Ohre mit dem Speer, daß er wie eine Eſche auf luftigem Gebirgsgipfel hintaumelte. Den Leich¬ nam machte ihm Hektor ſtreitig; doch traf er ſtatt des Teucer nur den Amphimachus; als er dieſem den Helm von den Schläfen ziehen wollte, traf ihn die Lanze des großen Ajax auf den Schildnabel, daß er von dem Erſchlagenen zurückprallte, und Meneſtheus ſammt Stichius den Leichnam des Amphimachus, den Imbrius aber die beiden Ajax, wie zwei Löwen die Ziege, die ſie den Hun¬ den abgejagt, hinab ins Heer der Griechen trugen.

Amphimachus war ein Enkel Neptuns und ſein Fall empörte dieſen. Er eilte zu den Zelten hinunter, die Griechen noch mehr zu entflammen. Da begegnete ihm Idomeneus, der einen verwundeten Freund zu den Aerzten geſchafft hatte und jetzt ſeinen Speer im Zelte ſuchte. In den Thoas verwandelt, den Sohn des Andrämon, näherte ſich ihm der Gott, und ſprach mit tönender Stimme zu ihm: Kreterkönig, wo ſind eure Drohungen? Nimmer kehre der Mann von Troja heim, der an dieſem Tag den Kampf freiwillig meidet; die Hunde ſollen ihn zer¬ fleiſchen! So geſchehe es, Thoas, rief Idomeneus dem enteilenden Gotte nach, ſuchte ſich zwei Lanzen aus dem Zelte hervor, hüllte ſich in ſchönere Waffen, und flog, herrlich wie der Blitz Jupiters, aus dem Zelte hervor. Da begegnete er dem Meriones, deſſen Speer an Deï¬ phobus Schilde zerbrochen war, und der dahin eilte, ſich im fernen Zelt einen andern zu holen. Tapferer Mann, rief ihm Idomeneus zu, ich ſehe, in welcher Noth du biſt; in meinem Zelte lehnen wohl zwanzig erbeutete Speere an der Wand, hole dir den beſten davon. Und als192 Meriones ſich eine ſtattliche Lanze erkohren hatte, eilten ſie beide in die Schlacht zurück, und geſellten ſich zu den Freunden, die den eindringenden Hektor bekämpften. Ob¬ gleich Idomeneus ſchon halb ergraut war, ermunterte er die Griechen doch, ſobald ſie ihn in ihren Reihen wieder begrüßt hatten, wie ein Jüngling. Der Erſte, dem er den Wurfſpieß mitten in den Leib ſandte, war Othryoneus, der als Freier der Kaſſandra, der Tochter des Königes Priamus, in den Reihen der Trojaner kämpfte. Froh¬ lockend rief Idomeneus, während er den Gefallenen am Fuß aus dem Schlachtgewühle zog: Hole dir jetzt die Tochter des Priamus, beglückter Sterblicher! Auch wir hätten dir die ſchönſte Tochter des Atriden verſprochen, wenn du uns hätteſt helfen wollen Troja vertilgen! Folge mir nun zu den Schiffen, dort wollen wir uns über die Ehe verabreden, du ſollſt eine ſtattliche Mitgift erhalten! Er ſpottete noch, als Aſius vor ſeinem Geſpanne, das der Wagenführer lenkte, herangeflogen kam, den Getödte¬ ten zu rächen. Schon holte er den Arm zum Wurfe aus: da traf ihn der Speer des Idomeneus unter dem Kinn in die Gurgel, daß das Erz aus dem Nacken hervorragte, und er vor ſeinem Streitwagen der Länge nach darniederfiel. Sein Wagenlenker erſtarrte, als er dieſes ſah, er ver¬ mochte das Geſpann nicht mehr rückwärts zu lenken, und ein Lanzenſtoß von Antilochus, dem Sohne Neſtors, warf auch ihn vom Wagen herab.

Nun aber kam Deïphobus auf Idomeneus heran, und entſchloſſen, den Fall ſeines Freundes Aſius zu rä¬ chen, ſchleuderte er die Lanze gegen den Kreter. Dieſer aber ſchmiegte ſich ſo ganz unter den Schild, daß der Wurfſpieß über ihn hinwegflog, und den Schild nur193 klirrend ſtreifte, dafür aber dem Fürſten Hypſenor in die Leber fuhr, der auch alsbald in die Kniee ſank. So liegſt du doch nicht ungerächt, lieber Freund Aſius, ſo frohlockte der Troer, denn ich habe dir einen Begleiter gegeben, gleichviel welchen! Der ſchwer aufſtöhnende Hypſenor wurde indeſſen von zwei Genoſſen aus dem Getümmel getragen. Doch war Idomeneus dadurch nicht muthlos gemacht, er erſchlug den Alkathous, den edlen Eidam des Anchiſes, und rief jauchzend: Iſt unſre Rech¬ nung billig, Deïphobus? ich gebe dir drei für einen! Wohlan, erprobe du ſelbſt auch, ob ich wirklich von Jupi¬ ters Geſchlechte bin! Es war aber Idomeneus ein Enkel des Königes Minos und ein Urenkel Jupiters. Deïphobus beſann ſich einen Augenblick, ob er den Zwei¬ kampf allein beſtehen, oder ſich einem heldenmüthigen Trojaner geſellen ſolle. Der letzte Gedanke ſchien ihm der beſte; und bald führte er ſeinen Schwager Aeneas dem Idomeneus entgegen. Dieſer aber, als er die beiden gewaltigen Kämpfer auf ſich zukommen ſah, zagte nicht etwa vor Furcht, wie ein Knabe, ſondern erwartete ſie, wie ein Gebirgseber die Hetzhunde. Doch rief auch er ſeine Genoſſen herbei, die er in der Nähe kämpfen ſah, und ſprach: Heran, ihr Freunde, und helfet mir Einzel¬ nem, denn mir graut vor Aeneas, der ein Gewaltiger in der Feldſchlacht iſt und noch in üppiger Jugend ſtrotzt! Auf dieſen Ruf verſammelten ſich um ihn, die Schilde an die Schultern gelehnt, Aphareus, Askalaphus, Depy¬ rus, Meriones, Antilochus. Indeß rief auch Aeneas ſeine Genoſſen Paris und Agenor herbei, und die Troja¬ ner folgten ihnen nach, wie Schafe dem Widder. Bald raſſelte das Erz der Speere ans Erz, und aus demSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 13194Zweikampfe wurde ein vielfältiger Männerkampf. Aeneas ſchoß zuerſt ſeinen Speer auf Idomeneus ab; aber er fuhr an dem Helden vorüber in den Boden. Idomeneus dagegen traf den Oenomaus mitten in den Leib, daß er ſtürzend und ſterbend mit der Hand den Boden faßte; der Sieger hatte eben nur Zeit, den Speer aus dem Leichnam herauszuziehen, denn die Geſchoſſe bedrängten ihn ſo, daß er ſich zum Weichen entſchließen mußte. Aber ſeine greiſen Füße trugen ihn nur langſam aus dem Treffen, und Deïphobus ſchickte ihm voll Groll die Lanze nach, die zwar ihn ſelbſt verfehlte, aber den Askalaphus, den Sohn des Mars, dafür in den Staub warf. Der Kriegsgott, der durch den Rathſchluß Jupiters mit andern Göttern in die goldenen Wolken des Olymp gebannt war, ahnte nicht, daß ihm ein Sohn gefallen ſey. Dieſem aber riß Deïphobus den blanken Helm vom Haupte: da fuhr ihm der Speer des Meriones in den Arm, daß der Helm auf den Boden rollte. Meriones ſprang herzu, zog den Wurfſpieß aus dem Arme des Verwundeten, und flog ins Gedränge ſeiner Freunde zurück. Nun faßte Polites ſeinen verwundeten Bruder Deïphobus um den Leib, und trug ihn aus der ſtürmenden Schlacht über den Graben hinüber zu dem harrenden Wagen, auf dem der Blutende, matt vor Schmerz, alsbald nach der Stadt geführt wurde.

Die Andern kämpften fort. Aeneas durchſtach den Aphareus; Antilochus den Thoon; der Trojaner Adamas verfehlte dieſen, und verblutete bald am Speere des Me¬ riones. Dafür rollte Deïpyrus der Grieche, von Helenus mit dem Schwert über die Schläfe getroffen, die Reihen der Danaer entlang. Schmerzergriffen zuckte Menelaus ſeinen Speer gegen Helenus, der zu gleicher Zeit den195 Pfeil vom Bogen auf den Atriden abſchnellte. Menelaus traf den Sohn des Priamus auf das Panzergewölbe; doch prallte der Wurfſpieß ab; aber auch der Pfeil des Helenus war vergebens entflogen, und nun bohrte ihm Menelaus ſeine Lanze in die Hand, die den Bogen noch hielt, und Helenus ſchleppte den Speer, ins Gedränge ſeiner Freunde flüchtend, nach. Sein Kampfgenoſſe Agenor zog ihm die Waffe aus der Hand, nahm einem Begleiter die wollene Schleuder ab und verband damit die Wunde des Sehers.

Jetzt führte ſein böſes Geſchick den Trojaner Piſan¬ der dem Helden Menelaus entgegen. Der Atride ſchoß fehl mit der Lanze, ſein Gegner ſtieß kräftig den Speer dem Menelaus in den Schild; aber der Schaft zerbrach am Oehre. Nun holte Menelaus mit dem Schwert aus; Piſander hob die lange Streitaxt unter dem Schilde und beide rannten aufeinander los, aber der Trojaner traf dem Gegner nur die Spitze des Helmbuſches, indeß dieſer ihm den Knochen über der Naſe zerſpaltete, daß die Au¬ gen ihm blutig vor die Füße hinab rollten, und er ſich ſterbend auf dem Boden wand. Menelaus ſtemmte ihm die Ferſe auf die Bruſt, und ſprach frohlockend: Ihr Hunde, die ihr mein junges Weib und Schätze genug freventlich von dannen geführt, nachdem ſie euch freundlich bewirthet hatte; die ihr nun auch noch den Feuerbrand in unſre Schiffe werfen und alle Griechen ermorden möchtet: wird man euch endlich zur Ruhe bringen, ihr nimmer¬ ſatten Fechter? So ſprach er und zog dem Leichnam die blutige Rüſtung ab, die er den Freunden übergab. Dann drang er wieder in den Vorderkampf und fing die geſchwungene Lanze des Harpalion mit dem Schild auf;13*196den, der ſie abgeſchoſſen, traf Meriones rechts in die Weiche, daß er ſterbend von ſeinem Vater Pylamenes auf den Wagen gerettet werden mußte. Das erbitterte den Paris und er ſchoß dem Korinthier Euchenor, der ihm eben in den Weg kam, den Pfeil durch Ohr und Backen, daß dieſer entſeelt zu Boden ſank.

So kämpften ſie dort; Hektor ahnete indeſſen nicht, daß zur Linken der Schiffe der Sieg ſich auf die Seite der Griechen hinneigte, ſondern wo er zuerſt durchs Thor hereingeſprungen, und die Mauer am niedrigſten gebaut war, fuhr er fort, ſiegreich in die Schlachtreihen der Achiver einzubrechen. Vergebens wehrten ihn anfangs die Böotier, Theſſalier, Lokrer, Athener ab: ſie vermochten nicht, ihn hinwegzudrängen. Wie zwei Stiere am Pflug wandelten die beiden Ajax dicht aneinander: vom Tela¬ monier wichen die Seinigen nicht, lauter entſchloſſene Männer, aber die Lokrer, den ſtehenden Kampf nicht aushaltend, waren ihrem Ajax nicht auf den Ferſen ge¬ folgt; denn voll Zuverſicht waren ſie ohne Helme, Schilde und Lanzen, mit Bogen und wollenen Schleudern allein bewaffnet, gen Troja gezogen, und hatten früher mit ihren Geſchoſſen manche trojaniſche Schaar geſprengt. Auch jetzt bedrängten ſie die Troer, ſich verbergend und von ferne herſchießend, mit ihren Pfeilen, und richteten ſelbſt ſo keine geringe Verwirrung unter ihnen an.

Und wirklich wären die Trojaner jetzt, von Schiffen und Zelten zurückgetrieben, mit Schmach in ihre Stadt geworfen worden, hätte nicht Polydamas dem trotzigen Hektor ſo zugeredet: Verſchmäheſt du denn allen Rath, Freund, weil du im Kampf der Kühnere biſt? ſieheſt du nicht, wie die Flamme des Krieges über dir zuſammen¬197 ſchlägt, die Trojaner ſich theils mit den erbeuteten Rü¬ ſtungen aus dem Gefechte entfernen, theils, und dieß die Wenigeren, durch die Schiffe hin und her zerſtreut käm¬ pfen? Weiche darum, beruf 'einen Rath unſrer Edeln, und laß uns dann entſcheiden, ob wir uns ins Labyrinth der Schiffe hineinſtürzen, oder unbeſchädigt von dannen ziehen wollen; denn fürwahr, ich beſorge, die Griechen möchten uns die geſtrige Schuld mit Wucher heimbezah¬ len, ſo lang ihr unerſättlichſter Krieger noch bei den Schif¬ fen auf uns harrt! Hektor war es zufrieden und beauf¬ tragte ſeinen Freund, die Edelſten des Volkes zu verſam¬ meln. Er ſelbſt eilte in die Schlacht zurück, und wo er einen der Führer traf, befahl er ihm, ſich bei Polydamas einzufinden. Seine Brüder Deïphobus und Helenus, den Aſius und ſeinen Sohn Adamas ſuchte er im Vorder¬ kampfe, und fand die Erſteren verwundet, die Andern todt. Als er ſeinen Bruder Paris erblickte, rief er ihn zornig an: Wo ſind unſere Helden, du Weiberverführer? Bald iſt es aus mit unſerer Stadt, dann nahet auch dir das grauſe Verhängniß; jetzt aber komm in den Kampf, wäh¬ rend die Andern ſich zum Rath verſammeln! Ich be¬ gleite dich mit freudiger Seele, erwiederte Paris dem Bruder, ihn beſchwichtigend, du ſollſt meinen Muth nicht vermiſſen! So eilten ſie miteinander in das heftigſte Gefecht, wo die tapferſten Trojaner wie ein Sturmwind im rollenden Wetter daherrauſchten; und bald war Hektor wieder an ihrer Spitze. Doch erſchreckte er die Griechen nicht mehr wie früher, und der mächtige Ajax rief ihn trotzig zum Kampfe heraus. Der Trojaner achtete ſein Schelten nicht und ſtürmte vorwärts ins Getümmel der Schlacht.

198

Die Griechen von Poſeidon geſtärkt.

Während ſo draußen das Treffen tobte, ſaß der greiſe Neſtor geruhig in ſeinem Zelte beim Trunk, den verwun¬ deten Helden und Arzt Machaon bewirthend. Als nun aber der Streitruf immer lauter hallte und näher in ihre Ohren drang, überantwortete er ſeinen Gaſt der Dienerin Hekamede, ihm ein warmes Bad zu bereiten, ergriff Schild und Lanze und trat hinaus vor das Zelt. Hier ſah er die unerfreuliche Wendung, die der Kampf genommen hatte, und während er in Zweifeln ſtand, ob er in die Schlacht eilen, oder den Völkerfürſten Agamemnon auf¬ ſuchen ſollte, mit ihm zu berathen, begegnete ihm, von den Schiffen am Meeresgeſtade zurückkommend, dieſer ſelbſt mit Odyſſeus und Diomedes, alle drei auf ihre Lanzen geſtützt und an Wunden krank. Sie kamen auch nur, der Schlacht wieder zuzuſchauen, ohne Hoffnung, ſelbſt an dem Kampfe Theil nehmen zu können. Sorgenvoll traten ſie mit Neſtor zuſammen und beriethen das Geſchick der Ihrigen. Endlich ſprach Agamemnon: Freunde, ich hege keine Hoffnung mehr. Da der Graben, der uns ſo viele Mühe gekoſtet, da die Mauer, die unzerbrechlich ſchien, den Schiffen nicht zur Abwehr gereicht haben, und der Kampf längſt mitten unter dieſen wüthet; ſo gefällt es wohl dem Jupiter, uns Griechen alle, wenn wir nicht freiwillig abziehen, ferne von Argos, hier in der Fremde, ruhmlos umkommen zu laſſen. Laßt uns deswegen mit den Schiffen, die wir zunächſt am Meeresſtrande aufge¬ ſtellt haben, auf der hohen See uns vor Anker legen,199 und die Nacht dort erwarten. Ziehet ſich alsdann Troja's Volk zurück, ſo wollen wir auch die übrigen Schiffe in die Wogen ziehen und noch bei Nacht der Gefahr ent¬ rinnen. Mit Unwillen hörte Odyſſeus dieſen Vorſchlag. Atride, ſprach er, du verdienteſt ein feigeres Kriegsvolk anzuführen, als das unſrige. Mitten im Treffen ermah¬ neſt du, die Schiffe ins Meer hinabzuziehen, daß die armen Griechen in Angſt umſchauen, der Streitluſt ver¬ geſſen, und verlaſſen auf der Schlachtbank zurückbleiben? Ferne ſey das von mir, erwiederte Agamemnon, daß ich wider Willen der Argiver und ohne ſie zu hören ſol¬ ches thun wollte! Auch gebe ich meinen Rath gerne auf, wenn Einer beſſeren vorzubringen weiß. Der beſte Rath iſt, rief der Tydide, daß wir ſogleich in die Schlacht zurückkehren, und wenn wir auch nicht ſelbſt zu kämpfen vermögen, doch die Andern als ehrliche Volks¬ führer zur Tapferkeit ermahnen.

Dieſes Wort hörte mit Wohlgefallen der Beſchirmer der Griechen, der Meergott, der ſchon lange das Geſpräch der Helden belauſcht hatte. Er trat in Geſtalt eines greiſen Kriegers zu ihnen, drückte dem Agamemnon die Hand und ſprach: Schande dem Achilles, der ſich jetzt der Griechenflucht erfreuet! Aber ſeyd getroſt; noch haſſen euch die Götter nicht ſo, daß ihr nicht bald den Staub von der Trojanerflucht aufwirbeln ſehen ſolltet! So ſprach der Gott und ſtürmte von ihnen weg durchs Ge¬ filde, indem er ſeinen Schlachtruf in das Heer der Grie¬ chen hineinſchallen ließ, der wie zehntauſend Männerſtimmen brüllte und jedes Helden Herz mit Muth durchdrang.

Auch die Himmelskönigin Juno, die vom Olymp herab den Kampf überſchaute, blieb jetzt nicht unthätig,200 als ſie Neptunus, ihren Bruder und Schwager, zu Gun¬ ſten ihrer Freunde ſich in die Schlacht miſchen ſah. Und wie ſie ihren Gemahl Jupiter ſo feindſelig auf dem Gipfel des Ida ſitzend erblickte, zürnte ſie ihm in der tiefſten Seele und ſann hin und her, wie ſie ihn täuſchen und von der Sorge für den Kampf abziehen möchte. Ein glücklicher Gedanke ſtieg ihr plötzlich im Herzen auf. Sie eilte in das verborgenſte Gemach, das ihr Sohn Hephä¬ ſtus im Götterpallaſte ihr kunſtreich gezimmert, und deſſen Pforte er mit unlösbaren Riegeln befeſtigt hatte. Dieſes betrat ſie und ſchloß die Thürflügel hinter ſich. Hier badete und ſalbte ſie mit ambroſiſchem Oel ihre ſchöne Geſtalt, flocht ihr Haupthaar in glänzende Locken um den unſterblichen Scheitel, hüllte ſich in das köſtliche Gewand, das ihr Minerva zart und künſtlich gewirkt hatte, heftete es über der Bruſt mit goldenen Spangen feſt, umſchlang ſich mit dem ſchimmernden Gürtel, fügte ſich die funkeln¬ den Juwelengehänge in die Ohren, umhüllte das Haupt mit einem durchſichtigen Schleier, und band ſich zierliche Sohlen unter ihre glänzenden Füße. So von Anmuth leuchtend verließ ſie das Gemach und ſuchte Aphrodite, die Liebesgöttin, auf. Grolle mir nicht, Töchterchen, ſprach ſie liebkoſend, weil ich die Griechen und du die Trojaner beſchützeſt; und verſage mir nicht, um was mein Herz dich bittet. Leihe mir den Zaubergürtel der Liebe, der Menſchen und Götter bezähmt, denn ich will an die Gränze der Erde gehen, den Oceanus und die Tethys, meine Pflegeeltern, aufzuſuchen, die in Zwiſtigkeiten leben. Ich möchte ihr Herz durch freundliche Worte zur Verſöh¬ nung bewegen, und dazu brauche ich deinen Gürtel. Venus, die den Trug nicht durchſchaute, erwiederte arglos:201 Mutter, du biſt die Gemahlin des Götterköniges, nicht recht wäre es, dir eine ſolche Bitte zu verweigern. Da¬ mit löste ſie ſich den wunderköſtlichen buntgeſtickten Gür¬ tel, in dem alle Zauberreize verſammelt waren. Birg ihn, ſprach ſie, immerhin in dem Buſen, gewiß kehrſt du nicht ohne Erfolg von dannen.

Weiter ging nun die Götterkönigin nach dem fernen Thrazien in die Behauſung des Schlafes, und beſchwor dieſen, in der folgenden Nacht dem Göttervater die leuch¬ tenden Augen unter ſeinen Wimpern tief einzuſchläfern. Aber der Schlaf erſchrack. Er hatte ſchon einmal auf Here's Befehl den Sinn des Gottes betäubt, damals als Herkules von dem verwüſteten Troja heimfuhr, und Juno, ſeine Feindin, ihn auf die Inſel Kos verſchlagen wollte. Damals hatte Jupiter, als er erwachend den Betrug inne wurde, die Götter im Saale herumgeſchleudert und den Schlaf ſelbſt hätte er vertilgt, wenn er nicht in die Arme der Nacht geflüchtet wäre, die Götter und Menſchen bän¬ digt. Daran erinnerte jetzt der Schlafgott erſchrocken die Gemahlin des Zeus, doch dieſe beruhigte ihn und ſprach: Was denkſt du, Schlaf! Meinſt du, Jupiter vertheidige die Trojaner ſo eifrig, als er ſeinen Sohn Herkules liebte? ſey klug und willfahre mir: thuſt du es, ſo will ich dir die jüngſte und ſchönſte der Grazien zur Gemahlin geben. Der Gott des Schlummers ließ ſie mit einem Schwure beim Styx dieß Verſprechen bekräftigen, und verſprach, ihr zu gehorchen.

Nun beſtieg Juno im Glanz ihrer Schönheit den Gipfel des Ida, und Inbrunſt erfüllte das Herz ihres Gemahls, als er ſie erblickte, ſo daß er auf der Stelle des Trojanerkampfs vergaß. Wie kommſt du hierher vom202 Olympus, ſprach er, wo haſt du Roſſe und Wagen gelaſſen, liebes Weib? Mit liſtigem Sinn erwiederte ihm Here: Väterchen, ich will ans Ende der Erde ge¬ hen, den Oceanus und die Tethys, meine Pflegeltern, zu verſöhnen. Hegſt du denn ewige Feindſchaft gegen mich? antwortete Jupiter, dieſe Ausfahrt kannſt du auch ſpäter betreiben. Laß uns hier, ſanft gelagert, und einmüthig an dem Kampfe der Völker uns ergötzen. Als Juno dieß Wort hörte, erſchrack ſie, denn ſie ſah, daß ſelbſt ihre Schönheit und der Zaubergürtel Aphrodite's dem Gemahl die Sorge für den Kampf und den Groll gegen die Griechen nicht ganz aus dem Herzen zu ſcheuchen ver¬ mochten. Doch verhehlte ſie ihren Schrecken, umſchlang ihn freundlich und ſprach, ſeine Wange ſtreichelnd: Vä¬ terchen, ich will ja deinen Willen thun. Zugleich aber winkte ſie dem Schlaf, der ihr unſichtbar gefolgt war, und ihres Befehles gewärtig hinter Jupiters Rücken ſtand. Dieſer ſenkte ſich auf ſeine Augenlieder, daß er, ohne zu antworten, ſein nickendes Haupt in den Schooß der Gemahlin legte, und in tiefen Schlummer verſank. Eilig ſchickte jetzt die Himmliſche den Gott des Schlafs als Boten nach den Schiffen zu Poſeidon, und ließ dem Gotte ſagen: Jetzt laß, dir's Ernſt ſeyn, und verleih den Griechen Ruhm, denn Jupiter liegt auf dem Gipfel des Ida durch meine Bethörung in tiefen Schlaf geſunken!

Schnell ſtürzte ſich Neptunus jetzt ins vorderſte Ge¬ tümmel und rief dem Danaervolke zu: Wollen wir dem Hektor auch jetzt noch den Sieg laſſen, ihr Männer, daß er die Schiffe erobere und Ruhm einärnte? Zwar ich weiß, er verläßt ſich auf den Zorn des Achilles, aber es wäre eine Schmach für uns, wenn wir ohne dieſen nicht203 zu ſiegen vermöchten! Ergreifet eure gewaltigſten Schilde, hüllt euch in die ſtrahlenſten Helme, ſchwinget die mäch¬ tigſten Lanzen, wir wollen gehen und ich ſelbſt voraus vor euch Allen; wir wollen ſehen, ob Hektor vor uns beſteht! Die Krieger gehorchten der gewaltigen Stimme des mächtigen Streiters, die verwundeten Fürſten ſelbſt ordneten die Schlacht, vertauſchten den Männern die Waffen, gaben dem Starken ſtarke, dem Schwächeren ſchwache. Dann drang Alles vor; der Erderſchütterer ſelbſt, ein entſetzliches Schwert, wie einen flammenden Blitz, in der Rechten führend, war ihr Führer. Ihm wich Alles aus und Niemand wagte, ihm im Kampfe zu begegnen. Zugleich empörte er das Meer, daß es wo¬ gend an die Schiffe und Zelte der Danaer anſchlug.

Doch ließ ſich Hektor durch dieſes Alles nicht ſchre¬ cken. Er ſtürzte mit ſeinen Trojanern in die Schlacht, wie ein Waldbrand mit ſauſenden Flammen durch ein gekrümmtes Bergthal praſſelt, und ein erneuter Kampf entſpann ſich zwiſchen beiden Heeren. Zuerſt zielte Hektor auf den großen Ajax mit der Lanze und traf gut; aber Schild - und Schwertriemen, die ſich ihm über dem Buſen kreuzten, beſchirmten den Leib, und Hektor, des Speeres verluſtig, wich unwillig in die Reihen der Seinigen zu¬ rück. Ajax ſchickte dem Weichenden einen Stein nach, daß er in den Staub ſtürzte, Lanze, Schild und Helm ihm entflog und das Erz der Rüſtung klirrte. Die Griechen jauchzten, ein Hagel von Speeren folgte, und ſie hofften den Liegenden wegzuziehen. Aber die erſten Helden der Trojaner verſäumten ihn nicht: Aeneas, Polydamas, der edle Agenor, der Lycier Sarpedon und ſein Genoſſe Glaukus, Alle hielten die Schilde zur Abwehr vor, erhuben

204den Betäubten und brachten ihn ungefährdet auf den Streitwagen, der ihn zur Stadt zurückführte.

Als ſie den Hektor fliehen ſahen, rannten die Grie¬ chen noch viel heftiger auf den Feind ein. Um Ajax erhub ſich ein Getümmel, denn nach allen Seiten hin traf ſein Wurfſpieß und ſeine Lanze. Doch ſchmerzte auch die Griechen hier und dort ein in ihrer Mitte fallender Held. Den Sturz des Danaers Prothoenor, den Polydamas erlegt hatte, mußte dem Ajax der Sohn des Antenor, Archilochus, büßen; den Böotier Promachus, den der Bru¬ der des Archilochus, Akamas, mit dem Speere niedergeſtochen, rächte der Grieche Peneleus am Ilioneus; Ajax ſtieß den Hyrtius nieder; Antilochus den Mermerus und Falces; Meriones den Hippodion und Morys; Teucers Pfeil brachte den Prothon und Periphetes zu Falle; Agamemnon durchſtach dem Hyperenor die Weiche, am allermeiſten aber wüthete unter den Trojanern, die ſchon draußen vor der Mauer über den Graben und durch die Pfähle zu fliehen begannen, der kleine Ajax, der hurtige Lokrer, deſ¬ ſen Augenblick jetzt gekommen war.

Hektor von Apollo gekräftigt.

Erſt bei ihren Wagen machten die Trojaner wieder Halt, erſchrocken und bleich vor Angſt. Jetzt aber erwachte Jupiter auf dem Gipfel des Ida und erhob ſein Haupt aus Juno's Schooße. Schnell ſprang er empor und überſchaute mit einem Blicke Griechen und Trojaner, dieſe in die Flucht getrieben, jene ſtürmiſch verfolgend; mitten205 in ihren Reihen ſeinen Bruder Poſeidon; er ſah Hektorn auf dem Wege zur Stadt, mitten im Felde, aus dem Wagen gehoben, zu Boden liegen, die Genoſſen um ihn her; ſchwer athmete der Bewußtloſe und ſpie Blut; denn kein Schwächerer hatte ihn getroffen. Voll Mitleid ruhte der Blick des Vaters der Götter und Menſchen auf ihm, dann wandte er ſich drohend zu Juno, ſein Angeſicht ver¬ finſterte ſich und er ſprach: Argliſtige Betrügerin, was haſt du gethan? Fürchteſt du nicht, die erſte Frucht dei¬ nes Frevels ſelbſt zu genießen? Denkſt du nicht mehr daran, wie du, die Füße an zwei Amboſe gehängt, die Hände mit goldner Feſſel geſchürzt, zur Strafe in der Luft ſchwebteſt, und kein Olympiſcher dir zu nahen wagte, ohne von mir auf die Erde geſchleudert zu werden, damals als du die Götter des Orkans gegen meinen Sohn Herkules aufgewiegelt? Verlangt dich darnach zum zweitenmale?

Juno ſtutzte eine Weile ſchweigend, dann ſprach ſie: Himmel und Erde und die Fluth des Styx ſollen meine Zeugen ſeyn, daß nicht mein Geheiß den Erderſchütterer gegen die Trojaner aufgehetzt hat, ihn wird die eigne Regung getrieben haben. Ja eher möchte ich ihm ſelbſt freundlich zureden, daß er deinem Befehle, du wolkig Blickender, ſich füge. Jupiters Stirne wurde heiterer, denn noch immer wirkte der Gürtel Aphrodite's, den Juno bei ſich trug. Endlich ſprach er beſänftigt: Hegteſt du im Rathe der Unſterblichen gleiche Geſinnung mit mir, Gemahlin, ſo würde freilich Neptunus ſeinen Sinn bald nach unſer beider Herzen umlenken. Wenn es dir aber Ernſt iſt, ſo geh und rufe mir Iris und Apollo herbei, daß jene meinem Bruder befehle, aus dem Kampf zum Pallaſte heimzukehren, und Phöbus Apollo den Hektor206 heile, zur Schlacht aufmuntere und mit neuer Kraft be¬ ſeele! Mit erſchrockenem Antlitze gehorchte Juno, und trat in den olympiſchen Saal ein, wo die Unſterblichen zechten. Dieſe ſprangen ehrerbietig von den Sitzen em¬ por und ſtreckten ihr die Becher entgegen. Sie aber ergriff den Becher der Themis, ſchlürfte vom Nektar, und mel¬ dete Jupiters Machtgebot. Windſchnell fuhr Iris hinab auf das Schlachtfeld. Als Poſeidon den Befehl ſeines Bruders aus ihrem Munde vernahm, ſprach er zuerſt un¬ muthsvoll: Traun, das iſt nicht brüderlich geſprochen! Auch ſoll er nicht mit Gewalt meinen Willen hemmen, denn ich bin, was er iſt; hat gleich das Loos um die Herrſchaft mir nur das graue Meer zugetheilt, dem Pluto die Hölle, und ihm den Himmel. Die Erde wie der Olymp iſt uns Allen gemein! Soll ich dieſe trotzige Rede, ſo wie du ſie geſprochen, dem Göttervater über¬ bringen? fragte Iris zögernd. Da beſann ſich der Gott, und das Heer der Danaer verlaſſend, rief er: Nun wohl, ich gehe! Das aber wiſſe Jupiter, trennt er ſich von mir und den andern olympiſchen Freunden der Grie¬ chen, und beſchließt Troja's Vertilgung nicht, ſo entflammt uns unheilbarer Zorn! So ſprach er, in die Fluthen tauchend; und augenblicks vermißten die Danaer ſeine Gegenwart.

Seinen Sohn Phöbus Apollo ſandte dagegen Jupiter zu Hektor vom Olymp hinab. Dieſer fand ihn nicht mehr lie¬ gend auf dem Boden, ſondern ſchon wieder aufgerichtet, und von Zeus geſtärkt. Der Angſtſchweiß hatte nachgelaſſen, der Athem war leichter, ihn erfriſchte wiederkehrendes Leben. Als Apollo ſich ihm mitleidig näherte, blickte er traurig auf und ſprach: Wer biſt du, Beſter der Himmliſchen,207 der nach mir fragt? Haſt du es ſchon gehört, daß der gewaltige Ajax mich bei den Schiffen mit einem Stein an die Bruſt getroffen und mitten im Siege gehemmt hat? Glaubte ich doch noch an dieſem Tage den ſchwarzen Hades ſchauen zu müſſen! Sey getroſt, antwortete ihm Apollo, ſiehe, mich ſelbſt, ſeinen Sohn Phöbus, ſen¬ det dir Jupiter, dich ferner, wie ich wohl auch von ſelbſt früher gethan habe, von nun an auf ſein Geheiß zu ſchir¬ men, und ich werde das goldene Schwert, das du in meinen Händen ſieheſt, für dich ſchwingen. Beſteige dei¬ nen Wagen wieder, ich ſelbſt eile voran, ebne euren Roſ¬ ſen den Weg, und helfe dir die Griechen in die Flucht jagen!

Kaum hatte Hektor die Stimme des Gottes vernom¬ men, ſo ſprang er, wie ein muthiges Roß das Halfter an der Krippe zerreißt, vom Boden auf und ſchwang ſich in ſeinen Wagen. Die Griechen aber, als ſie den Helden herbeifliegen ſahen, ſtanden ſtarr und ließen plötzlich von der Verfolgung ab, wie Jäger und Hunde, die einem Hirſch ins Waldesdickicht nachfolgen, vor einem zottigen Löwen erſchrecken, der ihnen plötzlich drohend in den Weg kommt. Der Erſte, der Hektors anſichtig geworden, war der Aetolier Thoas, ein beredter Mann, der ſogleich die erſten Fürſten der Griechen, in deren Mitte er kämpfte, aufmerkſam machte und ausrief: Wehe mir, welch Wun¬ der erblicke ich mit meinen Augen dort! Hektor, den wir Alle unter dem Steinwurfe des Telamoniers ſtürzen ſa¬ hen, kommt aufrecht auf dem Wagen heran, freudigen Muthes dem Vorkampfe zueilend; gewiß ihm ſteht Jupiter der Donnerer zur Seite! So gehorchet denn meinem Rathe: heißt die Maſſe des Heeres ſich auf die Schiffe208 zurückziehen; wir aber, die Tapferſten im Heere, wollen ihm mit Abwehr begegnen; und unſre Schaar zu durch¬ brechen wird er ſich ſcheuen, wenn er auch noch ſo mör¬ deriſch herantobt.

Die Helden gehorchten dem vernünftigen Rathe; ſie beriefen die edelſten Fürſten und Kämpfer und dieſe rei¬ heten ſich ſchnell um die beiden Ajax, um Idomeneus, Meriones und Teucer her: hinter ihnen aber zog ſich alles Volk auf die Schiffe zurück. Die Trojaner ihrer¬ ſeits drangen mit Heereskraft vor; ſie führte Hektor, hoch auf ſeinem Streitwagen ſtehend; ihn ſelbſt, in Gewölk eingehüllt, Apollo der Gott, den grauenvollen Aegisſchild in der Hand. Die griechiſchen Helden harrten der Feinde in gedrängtem Häuflein; lautes Geſchrei ſtieg aus beiden Heeren: bald ſprangen die Pfeile und ſausten die Speere; aber die Geſchoſſe der Trojaner hafteten alle in Feindes¬ leibern, weil Phöbus Apollo mit ihnen war, und ſobald dieſer die gräßliche Aegide gegen das Antlitz der Danaer ſchüttelte, laut und fürchterlich aus ſeiner dunkeln Wolke dazu aufſchreiend, bebte den Griechen das Herz im Buſen und ſie vergaßen der Abwehr. So erſchlug denn Hektor zuerſt den Führer der Böotier, Stichius, dann Arceſilaus, den edeln Genoſſen des Meneſtheus; Aeneas raubte dem Athener Jaſus und dem Medon, dem Halbbruder des lokriſchen Ajax, Leben und Waffen, vor Polydamas ſank Mekiſtheus, vor Polites Echius, und Klonius vor Agenor; den Diochus aber, der aus dem Vorderkampfe floh, erſchoß Paris durch den Rücken, daß die Lanzenſpitze zur Bruſt herausdrang. Während die Trojaner dieſe alle der Rüſtungen entblösten, flohen die Griechen in Verwirrung, dem Graben und den Pfählen zuſtürzend, bebten da und209 dorthin und manche retteten ſich in der Noth auch ſchon über die Mauer. Hektor rief unter ſeine Trojaner hinein, daß es hallte: Laßt die Leichname in ihren blutigen Rü¬ ſtungen liegen, und ſprenget geradenwegs auf die Schiffe zu. Wen ich nicht auf dem Wege dorthin treffe, der iſt des Todes! So rief er, geißelte ſeine Roſſe über die Schultern und lenkte dem Graben zu, und ihm folgten alle Helden Troja's mit ihren Streitwagen. Apollo ſtampfte mit ſeinen Götterfüßen die emporragenden Rän¬ der des Grabens in der Mitte hinab und ſchuf ihnen ſo die Brücke eines Pfades, ſo lang und breit als der Schwung eines Wurfſpießes reicht. Auf dieſem Wege überſchritt der Gott ſelbſt zuerſt den Graben, und mit einem Stoße ſeiner Aegide warf er die Mauer der Grie¬ chen über den Haufen, wie ein am Meeresufer ſpielendes Kind den Sandhaufen, den es aufgebaut hat, auseinander ſtört. Die Griechen waren jetzt wieder in den Schiffs¬ gaſſen zuſammengedrängt und hoben ihre Hände flehend zu den Göttern empor. Auf Neſtors Gebet aber donnerte Jupiter mit gnädigem Halle.

Die Trojaner deuteten das Zeichen vom Himmel zu ihren eigenen Gunſten, ſtürzten ſich mit Wuthausruf durch die Mauerbrücke mit Roß, Wagen und Mann und kämpf¬ ten von ihren Streitwagen herab, während die Griechen ſich auf die Verdecke ihrer Schiffe flüchteten und von ihren Borden herab ſich wehrten.

Während Griechen und Trojaner noch um den Wall kämpften, ſaß Patroklus immer noch in dem ſchönen Zelte des Helden Eurypylus, und pflegte die Wunde deſſelben, lindernde Säfte darein träufelnd. Als er aber hörte, wie die Troer mit Macht an die Mauer rannten, und dasSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 14210Getümmel und Angſtgeſchrei der flüchtenden Danaer vor ſeine Ohren kam, ſchlug er ſich die Hüfte mit der flachen Hand und rief laut aufjammernd: Nein, Eurypylus, ſo gerne ich dich noch weiter pflegen möchte, länger darf ich nicht bei dir verweilen, denn draußen wird es zu laut! So behilf dich denn mit deinem Waffengenoſſen. Ich ſelbſt aber eile zu meinem Freunde dem Peliden und ver¬ ſuche es, ob ich mit Hülfe der Götter und mit meinem Zuſpruche ihn nicht zu bewegen vermag, an der Feldſchlacht endlich wieder Antheil zu nehmen! Kaum hatte er aus¬ geſprochen, als ſeine behenden Füße ihn auch ſchon aus dem Zelte trugen.

Inzwiſchen tobte der Kampf bei den Schiffen, ohne daß der Vortheil ſich auf Eine Seite geneigt hätte. Um eines der Schiffe ſtritten ſich Hektor und Ajax; aber jener vermochte dieſen nicht vom Borde zu vertreiben, und den Feuerbrand in das Fahrzeug zu werfen; dieſer nicht, jenen zu verdrängen. Der Speer des Telamoniers ſtreckte Kaletor, den Verwandten Hektors, an deſſen Seite nieder; die Lanze Hektors traf Lykophron, den Streitgenoſſen des Ajax. Auf ſeinen Fall eilte Teucer dem Bruder zu Hülfe, und ſchoß dem Wagenlenker des Polydamas, Klitus, einen Pfeil in den Nacken. Polydamas, der zu Fuße focht, hemmte die leer davon eilenden Roſſe. Ein zweiter Pfeil Teucers flog auf Hektor, aber Jupiter ließ die Sehne zerreißen und das Geſchoß ſeitwärts abirren; der Bogenſchütze empfand ſchmerzlich die feindſelige Gewalt des Gottes. Ajax ermahnte den Bruder, Bogen und Pfeil zu laſſen, und zu Schild und Speer zu greifen; dieß that der Held und bedeckte ſich mit einem ſtattlichen Helme. Hektor dagegen rief ſeinen Kämpfern zu: Muthig211 fortgeſtritten, ihr Männer! Eben ſah ich, wie der Don¬ nerer der tapferſten Griechen Einem das Geſchoß zer¬ brochen hat! Drum auf mit Heereskraft zum Schiffs¬ kampfe. Mit uns ſind die Götter! Schande über euch, Argiver, rief auf der andern Seite Ajax, nun gilts zu ſterben, oder den Schiffen Rettung zu ſchaf¬ fen! Wenn der gewaltige Hektor dieſe mit Feuer zerſtört, gedenket ihr zu Fuße über die Meerfluth heimzu¬ kehren? Oder meint ihr, Hektor lade euch zum Reigen¬ tanz und nicht zum Kampfe? Viel beſſer iſt's, die Wahl des Todes oder Lebens zu beſchleunigen, als in ſchmäh¬ licher Unentſchiedenheit hinzuſchmachten, von ſchlechteren Männern, die hinter dem Schirme der Götter fechten, ver¬ tilgt! So rief Ajax und ſtreckte einen Trojanerhelden nieder, aber für jeden Fallenden vergalt ihm Hektor mit dem Fall eines Andern. Endlich entſpann ſich ein mör¬ deriſcher Kampf um die Leiche und Rüſtung des Dolops, den Menelaus gefällt hatte. Hektor bot alle Brüder und Verwandte auf; Ajax und ſeine Freunde dagegen umzäun¬ ten die Schiffe mit einem ehernen Gehäge von Schilden und Lanzen. Da munterte Menelaus den ſchmucken Sohn des Neſtor, Antilochus, auf und rief ihm zu: Es iſt doch keiner jünger und ſchneller im ganzen Heer, als du, und auch nicht tapferer, o Jüngling! Es wäre ſchön, wenn du hervorſprängeſt und einen der Trojaner erlegteſt! So reizte er den Antilochus, der ſofort aus dem Gewühle hervoreilte, ſich umſchaute und den blinkenden Wurfſpeer abſandte. Als er zielte, flohen die Trojaner auseinander, dennoch traf ſein Geſchoß den Melanippus, den Sohn Hiketaons, unter der Bruſtwarze, daß er zuſammenſtürzte und die Waffen um ihn praſſelten. Herzuſprang Antilochus,14 *212wie der Hund auf das Hirſchkalb, das der Jäger auf der Lauer durchſchoſſen; als ihm aber Hektor entgegenlief, entfloh er wie ein Wild, das Hund oder Hirten der Heerde zerriſſen, und ſich Böſes bewußt davon flieht, wenn es eine Männerſchaar herannahen ſieht. Die Ge¬ ſchoſſe der Trojaner folgten ihm und Antilochus wandte ſich erſt wieder um, als er bei den Seinigen in Sicher¬ heit war.

Nun ſtürzte Troja's Volk wie eine Schaar blutgieri¬ ger Löwen unter die Schiffe: Jupiter hatte beſchloſſen, den unbarmherzigen Wunſch der mit ihrem Sohne Achilles zürnenden Thetis ganz zu gewähren. Doch wartete er nur darauf, bis er die aufflackernde Lohe eines einzigen in Flammen geſetzten Schiffes erblickte, um alsdann wieder Flucht und Verfolgung über die Trojaner zu verhängen, und den Griechen aufs Neue Siegesruhm zu gewähren. Hektor wüthete unterdeſſen voll Grimm: der Schaum ſtand ihm um die Lippen, die Augen funkelten ihm unter den düſteren Brauen, und fürchterlich wehte der Buſch von ſeinem Helme. Weil ihm nur noch wenige Lebenstage gewährt waren, ſo rüſtete ihn Zeus vor allen Männern noch einmal mit Kraft und Herrlichkeit aus: denn ſchon lenkte ihm Pallas Athene das grauſe Todesverhängniß entgegen. Jetzt aber durchbrach er die Reihen der Feinde, wo er die dichteſten Haufen und die beſten Rü¬ ſtungen ſah. Aber er verſuchte lang umſonſt einzubrechen; die dichtgeſchloſſene Schaar der Danaer ſtand wie ein gethürmter Meerfels, an dem die Brandung umſonſt in die Höhe ſchäumt; dennoch warf er ſich auf die Heer¬ ſchaaren, wie im Sturm eine Woge ſich in ein Schiff hineinſtürzt, daß endlich ein Grauen ſich der Griechen213 bemächtigte, und ſie mit einander die Flucht ergriffen. Einem jedoch, der, als er zur Flucht ſich umdrehte, unten am Schilde ſich ſtieß und rückwärts fiel, es war der Sohn des berüchtigten Kopreus, Periphetes aus Mycene, ein beſſerer Mann, als ſein häßlicher Vater, bohrte dicht bei ſeinen fliehenden Genoſſen Hektor die Lanze in die Bruſt.

Schon wichen die Griechen von den vorderen Schiffen zurück, doch zerſtreuten ſie ſich nicht durch die Gaſſen des Lagers, ſondern Schaam und zugleich Furcht hielt ſie bei den Zelten in Schaaren aufgeſtellt zuſammen, und ſie ermahnten einander gegenſeitig, vor allen der greiſe Held Neſtor, der mit ſeinem Schlachtruf die Herzen der Män¬ ner ermuthigte. Ajax der Telamonier aber umwandelte die Schiffsverdecke, ein zwei und zwanzig Ellen langes Ruder, mit Eiſenringen gefügt, in ſeiner Rechten, und wie ein geſchickter Roſſeſpringer von einem Pferde aufs andre zum Staunen der Zuſchauer hüpft, ſo ſprang er von einem Schiffsgetäfel aufs andere und ſchrie mit ſchrecklicher Stimme zu den Griechen hinab, Schiffe und Zelte zu vertheidigen. Aber auch Hektor weilte nicht un¬ thätig im Haufen der Seinigen, ſondern wie ein funkeln¬ der Adler auf die Schaaren von Kranichen oder Schwä¬ nen ſtürzt, die ſich am Ufer eines Stroms gelagert haben, ſo drang er geradenwegs auf eines der Meerſchiffe ſtür¬ mend los, Jupiter ſelbſt gab ihm im Rücken einen Stoß, daß er voranflog und ſeine ganze Schaar ihm nachſtürmte.

Da erhub ſich von Neuem um die Schiffe ein erbit¬ terter Kampf: die Griechen wollten lieber ſterben als entfliehen, von den Trojanern aber hoffte ein Jeder, den erſten Fackelbrand in die Schiffe zu ſchleudern. Und nun214 faßte Hektor das Steuer-Ende des ſchönen Schiffes, das den Proteſilaus gen Troja geführt hatte, aber nicht wie¬ der heimbringen ſollte, weil er der erſte war, der nach der Landung im Gefechte gegen die Trojaner gefallen war. Um dieſes Schiff kämpften und mordeten jetzt Da¬ naer und Troer; da war keine Rede mehr von Bogen¬ ſchuß oder auch nur von Speerwurf: zuſammengedrängt ſchwangen alle nur ſcharfe Beile, Aexte und Schwerter gegeneinander und führten Lanzen zum Stich. Manches gute Schwert ſtürzte dort aus der Hand in den Staub, oder von den Schultern der Streitenden herab, und der Boden ſchwamm in Blut. Hektor aber, nachdem er ein¬ mal das Schiff gefaßt, umklammerte es feſt und rief: Jetzt Feuer her und den Schlachtruf erhoben! Jetzt ſchickt uns Jupiter den Tag, der uns für alle andern ſchadlos hält! Jetzo die Schiffe erobert, welche uns ſo viel Jam¬ mer gebracht haben! Jetzt wird kein Aelteſter uns hin¬ dern, den Sieg zu benützen, Jupiter ſelbſt ermahnt und befiehlt uns jetzt!

Auch Ajax vermochte Hektor's Andrange nun nicht mehr zu widerſtehen, die Geſchoſſe drängten ihn zu ſehr, er wich ein wenig vom Verdecke des Schiffs und ſchwang ſich auf die Bank des Steuermanns. Aber auch von hier aus ſpähte er umher, wo abzuwehren ſey, und richtete ſeine Lanze gegen die mit Feuerbränden eindringenden Trojaner; zugleich donnerte er ſeine Volksgenoſſen an: Freunde, jetzt ſeyd Männer! oder wähnet ihr, hinter den Schiffen ſtehen euch noch andere Helfer, noch ein ſtärkerer Wall, der euch ſchirmen könnte? Ihr habt keine Stadt, hinter deren Mauern ihr euch flüchten könntet, wie die Trojaner; auf Feindesboden, fern vom Lande der Väter,215 an den Meeresrand ſind wir hingedrängt! Unſer ganzes Heil beruht nur auf unſerem Arme! So rief er, und empfing jeden Feind, der mit einer Fackel ſich dem Schiffe näherte, mit einem Lanzenſtich, daß bald zwölf Leichen vor ihm den Boden deckten.

Tod des Patroklus.

Indeß um das Schiff, auf welchem Ajax ſtand, auf Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklus, als er das Zelt des wunden Eurypylus verlaſſen, zu ſeinem Freunde Achilles geeilt, und als er in deſſen Lagerhütte eintrat, ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen, wie eine finſtre Quelle, die ihr dunkles Waſſer aus ſteilen Klippen gießt. Mitleidig ſah ihn der Pelide an und ſprach zu ihm: Du weinſt ja, wie ein kleines Mädchen, Freund Patroklus, das der Mutter nachläuft und nimm mich ſchreit, und ſich lang an ihr Kleid anklammert, bis die Mutter es aufhebt! Bringſt du meinen Myrmidonen, mir oder dir ſelbſt ſchlimme Botſchaft aus Phthia? Ich weiß doch, dein Vater Menötius lebt, mein Vater Peleus lebt! Oder beklagſt du vielleicht das Volk von Argos, daß es ſo jämmerlich zu Grunde geht, zum Lohn ſeines eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und laß mich Alles wiſſen!

Schwer ſeufzte bei dieſer Frage Patroklus auf, und ſprach endlich: Zürne mir nicht, erhabenſter Held! Aller¬ dings laſtet der Gram der Griechen ſchwer auf meiner Seele! Alle Tapferſten liegen von Wurf oder Stoß ver¬216 wundet bei den Schiffen umher; wund iſt Diomedes; lan¬ zenwund Odyſſeus und Agamemnon; den Eurypylus traf ein Pfeil in den Schenkel: ſie alle ſind den Aerzten zur Heilung übergeben, ſtatt daß ſie in[unſern] Reihen kämpfen ſollten. Du aber bleibſt unerbittlich; nicht Peleus und Thetis, der Menſch und die Göttin, können deine Eltern ſeyn; dich muß das finſtre Meer oder ein ſtarrer Fels geboren haben, ſo unfreundlich iſt dein Herz! Nun denn, wenn die Worte deiner Mutter und ein Beſcheid der Göt¬ ter dich zurückhalten: ſo ſende wenigſtens mich und deine Krieger ab, ob wir den Griechen nicht vielleicht Troſt bringen. Laß mich deine eigene Rüſtung anlegen: leicht mag es ſeyn, wenn die Trojaner mich ſehen und dich zu erblicken glauben, daß ſie vom Kampf abſtehen und den Danaern Zeit laſſen, ſich zu erholen!

Aber Achilles erwiederte unmuthig: Wehe mir, Freund! Nicht das Wort meiner Mutter, auch kein Götterausſpruch hindert mich; nur der bittere Schmerz, daß ein Grieche es gewagt hat, mich, den Ebenbürtigen, des Ehrengeſchenks zu berauben, frißt mir an der Seele. Dennoch habe ich mir nicht vorgeſetzt, ewig zu grollen, und war von jeher entſchloſſen, wenn das Schlachtgetüm¬ mel bis zu den Schiffen gelangen ſollte, meinem Groll Abſchied zu ſagen. Selber Antheil am Kampfe zu nehmen, kann ich mich zwar noch nicht entſchließen; du aber hülle immerhin deine Schultern in meine Rüſtung, und führe auch unſer ſtreitbares Volk zum Kampfe. Stürze mit aller Macht auf die Trojaner, und treibe ſie aus den Schiffen fort! Nur an Einen lege die Hände nicht, und dieß iſt Hektor; auch hüte dich, daß du nicht einem Gott in die Hände falleſt: denn Apollo liebt unſre Feinde! 217Wenn du die Schiffe gerettet haſt, kehre wieder um. Die Andern mögen ſich dann auf dem offenen Felde gegenſeitig ermorden; denn eigentlich wäre es doch am Beſten, wenn gar kein Trojaner von Allen und auch kein Danaer davon käme, und wir zwei allein der Vertilgung entgingen und Troja's Mauern niederreiſſen könnten!

Bei den Schiffen athmete inzwiſchen Ajax immer ſchwerer: ſein Helm raſſelte von feindlichen Geſchoſſen, die Schulter, vom aufliegenden Schilde beſchwert, fing an, ihm zu erſtarren: der Angſtſchweiß floß ihm von den Gliedern herab, und keine Erholung durfte er ſich gönnen. Als nun vollends Hektors Schwert ihm die Lanze dicht am Oehre durchſchmetterte, daß der verſtümmelte Theil in ſeiner Hand blieb, und die eherne Spitze klirrend auf den Boden fiel, da erkannte Ajax, daß die Gewalt eines Gottes den Griechen entgegen ſey, und entwich dem Ge¬ ſchoß. Und nun warf Hektor mit den Seinigen einen mächtigen Feuerbrand in das Schiff, und bald ſchlug die Flamme lodernd um das Steuerruder zuſammen.

Als Achilles von ſeinem Zelt aus das Feuer von dem Schiffe auflodern ſah, da durchzuckte auch den unbeug¬ ſamen Helden der Schmerz. Auf, edler Patroklus, rief er, erhebe dich, daß ſie die Schiffe nicht nehmen und den Unſrigen jeden Ausweg verſperren! Ich ſelbſt will hingehen, mein Volk zu verſammeln. Patroklus war des Wortes froh, das er aus dem Munde ſeines Freun¬ des vernommen hatte; eilig legte er die Beinſchienen an, ſchnallte den kunſtvoll gearbeiteten Harniſch um die Bruſt, hing ſich das Schwert um die Schulter, ſetzte den von Roßhaaren umwallten Helm aufs Haupt, griff mit der Linken zum Schilde, mit der Rechten faßte er zwei218 mächtige Lanzen. Gern hätte er den mörderiſchen Speer ſeines Freundes Achilles ſelbſt genommen, der aus einer Eſche des theſſaliſchen Berges Pelion gezimmert war und den ſein Erzieher, der Centaure Chiron, dem Vater Pe¬ leus geſchenkt hatte; dieſer aber war ſo groß und ſchwer, daß ihn auſſer dem Peliden kein anderer Held ſchwingen konnte. Nun ließ Patroklus ſeinen Freund und Wagen¬ lenker Automedon die Roſſe Xanthus und Balius anſchir¬ ren, die unſterblichen Kinder der Harpyie Podarge und des Zephyrus, die Achilles einſt aus der Stadt Thebe als Beute fortgeführt hatte: Achilles aber rief ſein Myrmido¬ nenvolk unter die Waffen, und dieſe ſtürmten ſchlacht¬ begierig, hungrigen Wölfen gleich, herbei, je fünfzig Männer aus den fünfzig Schiffen; ihre Schlachtreihen führten fünf Kriegsoberſten: Meneſthius, der Sohn des Stromgottes Sperchius; Eudorus, der Sohn Merkurs und der Jungfrau Polymele; Piſander, der Sohn des Mämalus, nach Patroklus der beſte Kämpfer in der Schaar; endlich der ergraute Phönix und Alcimedon, der Sohn des Laerkes.

Den Abziehenden rief der Pelide zu: Vergeſſe mir Keiner, ihr Myrmidonen, wie oft ihr während meines Zornes den Trojanern gedroht und unmuthig meine Galle geſcholten habt, welche die Streitgenoſſen mit Zwang vom Kampfe zurückhalte. Endlich iſt die Stunde, nach der ihr geſchmachtet, erſchienen: kämpfe nun, wem es das mu¬ thige Herz befiehlt! Als er ſo geſprochen, zog er ſich in ſein Zelt zurück und holte aus dem Kaſten, den, voll von Leibröcken, Decken und Mänteln, auch andern koſt¬ baren Dingen, ſeine Mutter Thetis ihm mit aufs Schiff gegeben hatte, einen kunſtreichen Becher hervor, aus dem kein anderer Mann je den funkelnden Wein getrunken219 hatte, und kein anderer Gott Dankopfer empfangen hatte, als der Donnerer. Aus dieſem ſpendete er auch jetzt, in die Mitte ſeines Hofes tretend, unter Gebete dem Vater Jupiter, und bat ihn, den Griechen Sieg zu verleihen, ſeinen Waffengenoſſen Patroklus aber unverletzt zu den Schiffen zurückzugeleiten. Zu der erſten Bitte winkte Zeus Gewährung, zur zweiten ſchüttelte er ſein Haupt, beides von dem Helden ungeſehen. Achilles ging in ſein Zelt zurück, den Becher wieder aufzubewahren, dann ſtellte er ſich wieder vor ſein Zelt, um dem blutigen Kampfe zwiſchen Griechen und Trojanern zuzuſehen.

Die Myrmidonen zogen indeſſen, den Führer Patro¬ klus an der Spitze, wie ein Weſpenſchwarm am Heerweg. Als die Trojaner ihn kommen ſahen, ſchlug ihnen das Herz vor Schrecken und ihre Geſchwader geriethen in Verwirrung, denn ſie glaubten, Achilles ſelbſt habe ſich, den Groll aus der Seele verbannt, von den Zelten auf¬ gemacht, und ſchon fingen ſie an umherzublicken, wie ſie dem Verderben entrinnen könnten. Patroklus benützte ihre Furcht und ſchwang ſeine blinkende Lanze gerade in ihre Mitte hinein, wo am Schiffe des Proteſilaus das Getüm¬ mel am ſtärkſten war. Sie traf den Päonier Pyrächmes, daß er, an der rechten Schulter durchbohrt, wehklagend rücklings auf den Boden taumelte, und die Päonier um ihn her, alle betäubt, vor dem gewaltigen Patroklus flüch¬ teten. Das Schiff blieb halbverbrannt ſtehen; angſtvoll flohen alle Trojaner, die Danaerhaufen ſtürzten ſich in die Schiffsgaſſen zur Verfolgung; allenthalben tobte der Aufruhr. Doch faßten ſich die Trojaner bald wieder und die Griechen ſahen ſich genöthigt, Mann für Mann zu Fuß zu kämpfen: Patroklus durchſchoß dem Arilycus den Schenkel;220 Menelaus bohrte dem Thoas die Lanze in die Bruſt; Meges, der Neffe des Odyſſeus, durchſtach dem Am¬ phiclus die Wade; Antilochus, Neſtors Sohn, durchſtieß dem Atymnius die Weiche; da flog Maris, voll Zorn über den Fall des Bruders, auf Antilochus zu, ſtellte ſich vor den Erſchlagenen und drohte mit der Lanze; doch ihm durchbohrte Thraſimedes, Neſtors andrer Sohn, Schulter und Arm-Ende mit dem Speer, daß er ſterbend zuſammen¬ ſank. Als ſo Brüder die Brüder zu Boden geſtreckt hat¬ ten, ſprang auch der ſchnelle kleine Ajax hervor und hieb dem vom Gedränge gehinderten Kleobulus auf der Flucht das Schwert in den Nacken. Penelus und Lykon rann¬ ten, beide ſich verfehlend, mit den Lanzen gegeneinander; aber im Schwertkampf ſiegte der Danaer; Meriones traf den Akamas, als er eben den Wagen beſtieg, und durch¬ bohrte ihm unter dem Hirn das Gebein des Kopfes, daß ihm die Zähne einſtürzten und er Blut zu Mund und Naſe herausröchelte.

Der große Ajax ſann auf nichts anderes, als wie er mit dem Speere Hektorn treffen könnte: dieſer aber, voll Kriegserfahrung, deckte ſich mit ſeinem ſtierledernen Schilde, daß Pfeile und Wurfſpieße daran abprallten. Zwar hatte der Feldherr bereits erkannt, daß der Sieg ſich von ihm und den Seinen abgewendet habe, dennoch verweilte er unerſchüttert in der Schlacht, und dachte wenigſtens darauf, ſeine theuren Genoſſen zu beſchützen und zu retten. Erſt als der Andrang unwiderſtehlich wurde, kehrte er mit ſei¬ nem Wagen um und flog mit ſeinen vortrefflichen Roſſen über den Graben. Die andern Trojaner waren nicht ſo glücklich; viele Roſſe ließen hier und dort im Graben die Wagen ihrer Herren zerſchmettert an der Deichſel zurück;221 doch was glücklich hinüberkam, ſtäubte in der eiligſten Flucht nach der Stadt zurück, und Patroklus ſprengte mit tönendem Rufe den noch dieſſeits des Grabens Dahinflie¬ genden nach: viele ſtürzten kopfüber unter die Räder ihrer Wagen, und geborſtene Sitze krachten. Endlich ſprang das unſterbliche Roſſegeſpann des Peliden auch über den Graben, und Patroklus trieb ſie an, den auf ſeinem Wa¬ gen dahineilenden Hektor zu erreichen. Dabei mordete er zwiſchen Schiffen, Mauer und Strom, was er antraf. Pronous, Theſtor, Eryalus und neun andere Troer waren auf ſeinem ſtürmenden Weg theils dem Speerſchwunge, theils dem Lanzenſtiche, theils dem Steinwurfe des Siegers erlegen. Mit Schmerz und Ingrimm ſah dieß der Lycier Sarpedon, ermahnte ſcheltend ſeine Heerſchaar und ſprang gerüſtet von ſeinem Wagen zur Erde. Patroklus that ein Gleiches, und nun ſtürzten ſie ſchreiend gegeneinander wie zwei ſcharfklauige, krummſchnäblige Habichte. Mit Er¬ barmen ſah Jupiter auf ſeinen Sohn Sarpedon hernie¬ der vom Olymp; aber Juno ſchalt ihn und ſprach: Was denkſt du, Gemahl! Einen Sterblichen willſt du ſchonen, der dem Tode doch ſchon längſt verfallen iſt? Bedenke, wenn alle Götter ihre Söhne aus der Schlacht entführen wollten, was aus den Geſchicken, die du ſelber zu vollführen beſchloſſen haſt, alsdann würde. Glaube mir, es iſt beſſer, du läſſeſt ihn in der Feldſchlacht um¬ kommen, übergibſt ihn dem Schlaf und dem Tode und geſtatteſt ſeinem Volk, ihn aus dem Getümmel zu tragen, und dereinſt in Lycien unter Grabhügel und Säule zu be¬ ſtatten! Jupiter ließ die Göttin gewähren und nur eine Thräne fiel aus ſeinem Götterauge herab auf die Erde, dem fallenden Sohne geweiht.

222

Die beiden Kämpfer hatten ſich jetzt einander auf Schußweite genähert. Patroklus aber traf zuerſt den tapfern Genoſſen Sarpedons, Thraſymelus; Sarpedons Speer verfehlte zwar den Helden, ſtieß aber dafür dem Beiroſſe Pedaſus, das ſterblich war, den Speer in die rechte Schulter; bei dem Stürzen des röchelnden wären auch die zwei unſterblichen Roſſe ſcheu geworden: das Joch knarrte ſchon, die Zügel verwirrten ſich, und ſie wären ausgeriſſen, wenn nicht der Wagenlenker Automedon ſchnell ſein Schwert von der Hüfte geriſſen und den Strang des getödteten Roſſes zerhauen hätte.

Ein zweiter Lanzenwurf Sarpedons verfehlte den Gegner wieder, der Speer des Patroklus aber traf die߬ mal den Lycier ins Zwerchfell und er fiel zu Boden, wie eine Bergtanne unter der Axt, knirſchte mit den Zähnen und griff mit der Hand in den blutigen Staub. Sterbend rief er ſeinen Freund Glaukus auf, mit den Lycierſchaaren ſich um ſeinen Leichnam zu werfen, und verſchied. Da betete Glaukus zu Phöbus Apollo, ihm die Armwunde zu heilen, die Teucer ihm bei Erſtürmung der Mauer mit dem Pfeile beigebracht hatte, und die ihn noch immer quälte, und zum Kampf unthätig machte. Der Gott er¬ barmte ſich ſeiner und ſtillte auf der Stelle den Schmerz. Nun durcheilte er die Reihen der Trojaner und rief die Helden Polydamas, Agenor und Aeneas, Sarpedons Leichnam zu ſchützen, auf. Die Fürſten trauerten, als ſie den Tod des Mannes vernahmen, der, obwohl aus frem¬ dem Geſchlechte, doch ihre Stadt wie eine Säule ſtützte, aber ihre Trauer war nicht feige. Wild drangen ſie auf die Danaer ein, und ihnen allen flog Hektor voran. Die Griechen dagegen entflammte Patroklus und ſo rannten223 ſie gegeneinander mit grauenvollem Geſchrei, um die Leiche des gefallenen Sarpedon kämpfend. Als einer ihrer tapfer¬ ſten Krieger, Epigeus, der Sohn des Agakles, von einem Steinwurfe Hektors gefallen war, fingen zuerſt die Myrmi¬ donen an zu weichen. Patroklus aber, den der Tod des Freundes bitter ſchmerzte, ſtürzte ſich ins vorderſte Ge¬ wühl, zerſchmetterte dem Troer Sthenelaus den Rücken, und brachte die Trojaner wieder zum Weichen. Endlich kehrte ſich unter dieſen Glaukus zuerſt wieder um, und durchſtach den Myrmidonen Bathykles mit der Lanze; da¬ gegen traf Meriones den Laogonus, deſſen Vater Onetor Prieſter des idäiſchen Zeus war: den Meriones aber ver¬ fehlte der Speer des gewaltigen Aeneas. Während dieſe Hohnworte mit einander wechſelten, rief Patroklus ihnen zu: Was ſchwatzet ihr, Helden? Im Arme ſucht der Krieg die Entſcheidung! Und damit drang er an der Spitze der Seinigen auf den Leichnam ein, und die Troer erwehrten ſich ſeiner, daß die Leiche bald vom Haupte bis an die Sohlen von Geſchoſſen, Staub und Blut zu¬ gedeckt war.

Jupiter, der dem Kampfe aufmerkſam zuſchaute, be¬ dachte ſich eine Weile über den Tod des Patroklus, aber es däuchte ihm beſſer, dieſem vorerſt noch Sieg zu verlei¬ hen, und ſo drängte denn der Freund des Peliden die Trojaner ſammt den Lyciern zurück und der Stadt zu. Die Griechen beraubten den gefallenen König der Rüſtung, und eben wollte ihn Patroklus ſeinen Myrmidonen über¬ geben, als Apollo auf Jupiters Geheiß vom Gebirge in die Feldſchlacht herunter fuhr, den Leichnam auf ſeine göttlichen Schultern nahm, und ihn fern an den Strom des Skamander trug. Hier ſpülte er ihn im Gewäſſer224 rein, ſalbte ihn mit Ambroſia und gab ihn den Zwillingen Schlaf und Tod hinwegzutragen. Dieſe flogen mit ihm davon und brachten ihn in ſein lyciſches Heimathland.

Aber Patroklus, vom böſen Geſchicke getrieben, mun¬ terte ſeinen Wagenlenker und ſeine Roſſe auf, und rannte den Trojanern und Lyciern nach, ins eigne Unheil. Neun Troern zog er ihre Rüſtungen vom erlegten Leichnam ab, und tobte ſo unaufhaltſam im Lanzenkampfe voran, daß er die gethürmte Stadt Troja ſelbſt erobert hätte, wäre nicht auf dem feſteſten Thurme der Gott Apollo ge¬ ſtanden, und hätte auf das Verderben des Helden und auf die Beſchirmung der Trojaner geſonnen. Dreimal ſtieg der Sohn des Menötius zur hervorragenden Mauerecke heran, und dreimal verdrängte ihn Apollo mit unſterb¬ licher Hand, den leuchtenden Schild ihm entgegen haltend, und ſein Weiche! rufend. Da entwich Patroklus mit eilendem Schritte vor dem Befehl des Gottes.

Am ſkäiſchen Thore hielt der fliehende Hektor mit ſeinen Roſſen inne, und beſann ſich einen Augenblick, ob er ſie ins Schlachtgetümmel zurücktreiben oder ſeinem Volke gebieten ſollte, ſich in die Mauern der Stadt ein¬ zuſchließen. Während er ſo unentſchloſſen die Zügel an¬ zog, nahte ſich ihm Phöbus in der Geſtalt von Hecuba's Bruder Aſius, der ein Oheim des Fürſten war, und ſprach zu ihm: Hektor, was entziehſt du dich dem Kampfe? Wär 'ich ſo viel ſtärker, denn du, als ich ſchwächer bin, ich wollte dich für deine Unthätigkeit zum Hades ſenden. Aber wohlan, wenn du nicht gern ſolche Worte hörſt, lenke deine Roſſe dem Patroklus zu; wer weiß, ob dir Apollo nicht den Sieg ſchenkt. So raunte ihm der ver¬ mummte Gott ins Ohr und verlor ſich im Gewühl der225 Schlacht. Da ermunterte Hektor ſeinen Wagenlenker Kebriones, einen Baſtard ſeines Vaters, die Roſſe wie¬ der in die Schlacht zu treiben, und Apollo drang vor ihm her in die Reihen der Griechen ein und richtete Verwir¬ rung unter ihnen an. Hektor aber rührte keinen andern Achi¬ ver an, ſondern ging geraden Laufes auf Patroklus allein los.

Als dieſer ihn herannahen ſah, ſprang er aus dem Wagen, in der Linken den Speer, mit der Rechten einen zackigen Marmorſtein vom Boden aufleſend, mit dem er ſofort den Kebriones zum Tod an die Stirne traf, daß der Wagenlenker auf den Boden hinabſtürzte. Patroklus ſandte dem Fallenden beiſſenden Spott nach und rief: Bei den Göttern, ein behender Mann! Wie leicht er ſich in den Staub taucht! Hat er das Taucherhandwerk etwa auf dem Meere gelernt, und einen Auſternhandel getrieben? Mit dieſen Worten ſprang er wie ein Löwe auf die Leiche des zu Boden Geſunkenen ein, und Hektor wehrte ſich um ſeinen Halbbruder; dieſer faßte das Haupt des Erſchlagenen, Patroklus den Fuß, und von beiden Seiten ſchlugen Troer und Danaer drein, wie wenn Oſt - und Südwind miteinander kämpfen. Gegen Abend ent¬ ſchied ſich das Gefecht zu Gunſten der Achiver: ſie ent¬ riſſen die Leiche des Kebriones den Geſchoſſen, und beraub¬ ten ihn ſeiner Rüſtung. Und nun warf ſich Patroklus mit verdoppelter Wuth auf die Trojaner und erſchlug ihrer dreimal neune. Aber als er das viertemal angeſtürmt kam, lauerte der Tod auf ihn, denn Phöbus Apollo ſelbſt be¬ gegnete ihm in der Schlacht. Patroklus bemerkte den Herannahenden nicht, denn er war in dichtes Nebelgewölk eingehüllt. Apollo aber ſtellte ſich hinter ihn und verſetzte dem Helden mit der flachen Hand einen Schlag auf RückenSchwab, das klaſſ. Alterthum. lI. 15226und Schulter: da ſchwindelte es ihm vor den Augen; alsdann ſchlug der Gott ihm den Helm vom Haupte, daß er weit hin in den Sand klingend unter die Pferdehufe dahin rollte und der Helmbuſch mit Staub und Blut be¬ ſudelt ward. Nun zerbrach er ihm die Lanze in der Hand,[löste] ihm den Schildriemen von der Schulter und den Harniſch vom Leibe, und betäubte ihm ſein Herz, daß er vor ſich hinſtarrend daſtand. Nun durchbohrte ihn Euphor¬ bus, der Sohn des Panthous, ein tapferer Krieger, der ſchon zwanzig Griechen gefällt hatte, von hinten mit der Lanze, und eilte in die Heerſchaar zurück. Hektor aber rannte jetzt wieder aus der Schlachtreihe hervor, und ſtieß dem ſchon verwundeten von vorne den Speer in die Weiche des Bauchs, daß die Erzſpitze hinten wieder her¬ vordrang. So bezwang er ihn, wie ein Löwe den Eber am Gebirgsquell bezwingt, wohin ſie beide zu trinken gekommen ſind. Er entriß ihm mit dem Speere zugleich das Leben, und rief frohlockend: Ha, Patroklus! Du hatteſt im Sinn, unſre Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln, und unſre Weiber als Mägde auf den Schif¬ fen in eure Heimath zu führen! Nun habe ich ihnen den Tag der Knechtſchaft wenigſtens aufgeſchoben, und dich werden die Geier freſſen! Was hat dir nun dein Achilles geholfen?

Mit ſchwacher Stimme antwortete ihm der ſterbende Patroklus: Frohlocke du immerhin nach Herzensluſt, Hektor! Jupiter und Apollo haben dir Siegesruhm ge¬ währt ohne Mühe, denn ſie ſind es, die mich entwaffnet haben; ſonſt hätte meine Lanze dich und zwanzig deines Gleichen gebändigt! Vor den Göttern hat mich Phöbus, vor den Menſchen Euphorbus bezwungen. Du nimmſt227 mir nur die Rüſtung ab! Aber Eines verkünde ich dir: du wirſt nicht lange mehr ſo einhergehen: das Verhängniß ſteht dir ſchon zur Seite und ich weiß, durch wen du ſin¬ keſt! Er brachte mit Mühe dieſe Worte hervor, und die Seele verließ die Glieder des Leibes und entflog hinunter zum Hades. Hektor aber rief dem Geſtorbenen noch zu: Was willſt du mir da für Verderben weiſſagen, Patroklus? Wer weiß, ob nicht Achilles ſelbſt von meiner Lanze durch¬ bohrt, ſein Leben aushauchen wird? Unter ſolchen Wor¬ ten zog er, die Ferſe anſtemmend, ihm den ehernen Speer aus der Wunde und ſchwang den Todten rücklings auf den Boden. Dann kehrte er die noch vom Blute des Patroklus triefende Lanze gegen ſeinen Wagenlenker Auto¬ medon. Doch dieſen retteten die unſterblichen Roſſe vor dem nachſprengenden Verfolger.

Um die Leiche des Patroklus zankten ſich derweil mit den Waffen Euphorbus der Trojaner, und Menelaus der Atride. Du ſollſt es mir büßen, rief jener, daß du mir den Bruder Hyperenor erſchlagen und ſein Weib zur Wittwe gemacht! Und damit rannte er mit der Lanze gegen den Schild des Atriden an, aber die Eiſenſpitze bog ſich. Nun erhob auch Menelaus die Lanze und bohrte ſie dem Feinde mitten in den Schlund, daß die Spitze zum Genicke herausdrang, und ſein zierlich gelocktes, mit Gold und Silber durchringeltes Haar vom Blute trof. So ſank er in den Staub, unter dem Klirren ſeiner Waf¬ fen, deren ihn ſofort Menelaus beraubte; und er hätte die Rüſtung fortgetragen, wenn ihn nicht Apollo darum beneidet hätte. Dieſer aber ſpornte den Hektor, in Geſtalt des Mendes, des Fürſten der Cikonen, an, von den un¬ ſterblichen Roſſen des Peliden, die Automedon entführte,15 *228als einer unerreichbaren Beute, abzulaſſen, und ſich wieder der Leiche des Euphorbus zuzuwenden. Er kehrte um, und plötzlich ward er den Fürſten Menelaus gewahr, wie er ſich die herrliche Wehre des Euphorbus, über den blutenden Leichnam hingebückt, zueignete. Dieſer vernahm den ſchmetternden Weheruf des trojaniſchen Helden, und mußte ſich erröthend geſtehen, daß er dem mit ſeinen Troerſchaaren heranſtürmenden Hektor nicht Stand halten könne. So wich denn Menelaus, Leichnam und Rüſtung zurücklaſſend, doch nur unwillig, ſchaute ſich, zurückeilend, von Zeit zu Zeit um, ſtand ſtill und ſuchte den großen Ajax in der Schlacht. Als er ihn endlich zur Linken im Gemenge des Treffens erkannte, eilte er auf ihn zu und forderte ihn auf, mit ihm ſelbſt dem Kampf um die Leiche des Patroklus zuzueilen. Es war die höchſte Zeit, als beide ſich wieder dem Platze näherten, wo der Sohn des Menötius gefallen war. Denn Hektor beſchäftigte ſich eben damit, nachdem er dem Leichnam des Patroklus die Rüſtung abgezogen, dieſen an ſich zu ziehen, um ihm mit dem Schwerte den Kopf von der Schulter zu hauen, und den geſchleiften Leib den Hunden zum Fraß vorzuwerfen. Wie er aber den Ajax unter ſeinem ſiebenhäutigen Stier¬ ſchilde herannahen ſah, ließ er von dem blutigen Vorha¬ ben ab, und flüchtete ſich ſchnell in die Schaar ſeiner Streitgenoſſen zurück. Dort ſprang er empor in ſeinen Wagen, und übergab die Rüſtung des Patroklus den Freunden, damit ſie ihm dieſelbe zur Stadt trügen, wo ſie als Denkmahl ſeines Ruhmes aufbewahrt werden ſollte. Vor die Leiche ſelbſt warf ſich Ajax wie ein Löwe vor ſeinen Jungen hin, und neben ihm ſtellte ſich Mene¬ laus auf.

229

Glaukus der Lycier aber heftete einen finſtern Blick auf Hektor und ſprach zu ihm die ſtrafenden Worte: Umſonſt erhebt dich der Ruf, Hektor, wenn du dich ſo zagend vor dem Helden flüchteſt! Denke nur darauf, wie du allein die Stadt vertheidigeſt! Wenigſtens ficht hinfort kein Lycier mehr an deiner Seite. Denn welchen geringeren Mann im Heere wirſt du vertheidigen, nachdem du unſern Fürſten Sarpedon, deinen Gaſtfreund und Kampfgenoſſen, den Danaern und den Hunden preisgege¬ ben, haſt liegen laſſen? Wären die Trojaner an Kühn¬ heit uns gleich, ſo würden wir bald die Leiche des Pa¬ troklus in die Mauern Troja's hereinziehen; dann würden die Achiver auch bald den Leichnam Sarpedons abliefern, um nur wieder ſeine Rüſtung zu erhalten! Es wußte nämlich Glaukus nicht, daß Apollo die Leiche Sarpedons den Griechen entführt hatte.

Du biſt nicht klug, Freund Glaukus, erwiederte Hektor, wenn du meinſt, ich fürchte mich vor der Ueber¬ macht des Ajax. Noch kein Kampf je hat mir Grauen gemacht. Aber Jupiters Rathſchluß iſt mächtiger, als unſre Tapferkeit. Jetzt jedoch tritt näher, mein Freund, ſchau mein Thun an, und urtheile, ob ich ſo verzagt ſey, wie du ſo eben geſprochen! Mit dieſen Worten flog er ſeinen Freunden nach, welche die Waffen des Peliden, die Patroklus angethan hatte, als Beute der Stadt zu¬ trugen. Er vertauſchte, bei ihnen angekommen, ſeine eigne Rüſtung mit der Rüſtung des Achilles, und zog die unſterb¬ liche Wehre an, welche die Götter des Himmels ſelbſt dem Helden Peleus bei ſeiner Hochzeit mit der Meeres¬ göttin Thetis geſchenkt hatten, und die der Vater dem230 Sohne übergeben, als er zu altern anfing. Aber der Sohn ſollte nicht alt werden in den Waffen des Vaters.

Als der Herr der Götter und Menſchen aus der Höhe zuſchaute, wie Hektor die Waffen des göttergleichen Helden Achilles anlegte, ſchüttelte er mit trübem Ernſte ſein Haupt und ſprach in ſeines Herzens Tiefe: Du Armer, du ahneſt doch auch gar nichts von dem Todes¬ geſchicke, das ſchon an deiner Seite geht. Du haſt dem erhabenen Helden, vor dem auch Andere zittern, ſeinen geliebten Freund erſchlagen, haſt ihm von Haupt und Schultern die Rüſtung abgezogen, und ſchmückſt dich jetzt mit der unſterblichen Wehr des Sohnes der Göttin. Den¬ noch, weil dich keine Wiederkehr aus der Schlacht erwar¬ tet, und dir deine Gattin Andromache dieſe ſchönen Waf¬ fen nicht ablöſen, und dich nie mehr begrüßen wird, ſo will ich dir zur Entſchädigung noch Einmal Siegesruhm verleihen. Als Jupiter ſo ſprach, ſchloß ſich die Rüſtung enger an Hektors Leib, der kriegeriſche Geiſt des Mars durchdrang ihn, ſeine Glieder ſtrotzten ihm innerlich von Kraft und Stärke. Mit lautem Zuruf ſprengte er zu den Bundesgenoſſen und führte ſie ermunternd, mit erhöhten Lanzen, gegen den Feind. Da entbrannte der Kampf aufs Neue um des Patroklus Leiche, und Hektor wüthete ſo mit Morden, daß Ajax ſelbſt zu Menelaus ſprach: Trauter Held, ich bin nicht mehr ſo ſehr um unſern todten Patroklus beſorgt, der nun einmal die Speiſe tro¬ janiſcher Vögel und Hunde werden muß, als um mein eigenes Haupt und um das deine. Denn Hektor umringt uns mit ſeinen Kriegsſchaaren wie eine Wolke. Verſuch es daher, ob die Helden der Danaer unſern Hülferuf231 nicht hören! Menelaus erhub ſeine Stimme, ſo laut er vermochte, und der Erſte, der den Ruf hörte, war Ajax der Lokrer, des Oïleus ſchneller Sohn; dieſer flog zuerſt herbei; dann Idomeneus mit ſeinem Streitgenoſſen Me¬ riones, und bald unzählige Andere, ſo daß die Griechen bald wieder den Leichnam mit ihren Erzſchilden umzäunt hielten. Doch wurden ſie von den Trojanern ſo bedrängt, daß dieſe ſchon die Leiche hinwegzuziehen anfingen; bald aber gelang es dem herrlichen Ajax, der Noth zu ſteuern, und während Hippothous der Pelasger, ein troiſcher Bun¬ desgenoſſe, die Sehnen des Leichnams unten am Knöchel mit Riemen umband, um ihn ſo fortzuſchleppen, ſchlug ihm der Speer des Telamoniers durch die Kuppel des Helms, daß dieſer zerborſt und das Gehirn aus der Wunde blutig am Speer emporſpritzte. Hektor zielte jetzt auf Ajax, aber er traf nur den Phocäer Schedius; Ajax durchſtieß dafür Phorkys, dem Sohne des Phänops, der um den Leichnam des Hippothous kämpfte, den Panzer, daß die Spitze ihm ſchmetternd ins Eingeweide fuhr. Nun wichen die Trojaner und Hektor ſelbſt, und gegen Jupiters Beſchluß hätten die Griechen geſiegt, wenn nicht Apollo, in der Geſtalt des Helden Periphas, des greiſen Herolds, den gewaltigen Aeneas zum Kampf angetrieben hätte. Dieſer erkannte den Gott, feuerte die Seinigen mit mäch¬ tigem Zuruf an, und focht ſelbſt, weit voranſpringend, bald als der Vorderſte im Streite. Jetzt wandten die Trojaner die Stirne wieder dem Feinde zu. Aeneas durchſtach den Leokritus, den Genoſſen des Lykomedes; dieſer rächte den Tod des Freundes an Apiſaon dem Päonier: und jetzt ſtreckten die Griechen ihre Lanzen alle dem Leichnam wieder vor.

232

So, während die Schlacht auch an andern Punkten nicht feierte, wetteiferten ſie hier den ganzen Tag in im¬ mer wüthender Mordluſt, und über Schenkel und Knie, bis zu den Füßen hinab, trof den Streitern der Schweiß. Schlinge uns, riefen die Danaer, lieber der Boden hinab, als daß wir dieſen Leichnam den Trojanern über¬ laſſen, und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren! Und müßten wir, ſchrien dagegen die Trojaner, Alle mitein¬ ander bei dieſem Manne ſterben, ſo ſäume doch Keiner im Kampf!

Während ſie ſo ſtritten, ſtanden die unſterblichen Roſſe des Achilles abwärts vom Schlachtfeld. Als ſie vernom¬ men, daß ihr Wagenlenker Patroklus, von der Hand Hektors ermordet, im Staube geſtreckt liege, fingen ſie an zu weinen, wie Menſchen thun. Vergebens bemühte ſich Automedon, ſie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht heim zu den Schiffen wollten ſie gehen, nicht zu den Griechen in die Feldſchlacht, ſondern wie die Säule, die unbeweglich über dem Grabhügel eines Verſtorbenen ſteht, ſtanden ſie beide vor dem Wagenſitze feſt, ihre Häupter auf den Boden geſenkt; ihre Mähne ſank wallend und mit Staub beſudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und aus den Wimpern tropften ihnen heiße Thränen. Nicht ohne Mitleid konnte ſie Zeus von ſeiner Höhe herab er¬ blicken. Ihr armen Thiere, ſprach er bei ſich ſelbſt, warum haben wir euch ewig Junge, Unſterbliche, dem ſterblichen Peleus geſchenkt! etwa daß ihr mit den unſeli¬ gen Menſchen Gram ertragen ſollet? Denn es gibt doch nichts Jammervolleres auf Erden von Allem, was athmet und ſich regt, als der Menſch! Aber umſonſt hofft Hektor,233 euch zu bändigen und an ſeinen Wagen zu ſpannen. Nim¬ mermehr geſtatte ich dieſes; iſt es nicht genug, daß er in ſeiner Eitelkeit ſich rühmt, des Peliden Waffen zu beſitzen? Da beſeelte Jupiter die Roſſe mit Muth und edler Stärke. Plötzlich ſchüttelten beide den Staub von den Mähnen und ſprengten mit dem Wagen raſch unter Trojaner und Griechen hinein. Automedon mußte ſie gewähren laſſen, und wehrte ſich, ſo gut er konnte. Aber, allein auf dem hohen Wagenſitze, war es ihm unmöglich, zugleich die Roſſe zu lenken und die Lanze gegen den Feind zu ſchwin¬ gen. Endlich erſpähte ihn ſein Genoſſe Alcimedon, der Sohn des Laerkes, und wunderte ſich, daß der Einſame mit dem leeren Wagen ſich dem Schlachtgetümmel aus¬ ſetze. Du biſt, nächſt meinem erſchlagenen Freunde Pa¬ troklus, der beſte Roſſebändiger, Alcimedon, rief ihm jener zur Antwort zu; wollteſt du Peitſche und Zügel übernehmen, ſo überlaſſe ich dir die Roſſe und warte des Kampfs.

Wie ſich Automedon aus dem Sitze ſchwang, bemerkte es Hektor und ſprach zu ſeinem Nebenkämpfer Aeneas: Schau, dort ſprengen die Roſſe des Achilles mit ſehr unkriegeriſchen Lenkern in die Schlacht vor, iſt es dir recht, ſo beſtürmen wir ſie: die Beute kann uns nicht fehlen! Aeneas winkte, und beide ſprengten unter ihren Schilden heran, Chromius und Aretus ihnen nach. Aber Automedon betete zu Jupiter, und dieſer erfüllte ihm ſein Herz mit ungewohnter Kraft: Halt mir die ſchnaubenden Roſſe dicht am Rücken, Alcimedon! rief er, und: Ajax herbei, Menelaus herbei, überlaßt den Geſtorbenen andern Tapfern und wehret von uns Lebendigen das Verderben. Uns bedrängen Hektor und Aeneas, die tapferſten Helden234 Troja's! Mit dieſen Worten ſchwang er die Lanze gegen Aretus, und dieſe durchſtürmte den Schild und drang dem Helden ins Gedärm, daß der Vorſpringende in den Staub zurückſank. Dann warf Hektor ſeinen Speer auf Autome¬ don, aber dieſer fuhr über das Haupt des Gegners zitternd in die Erde. Und jetzt wären ſie ſich im Schwertkampfe begegnet, hätte nicht die Ankunft der beiden Ajax die Streitenden getrennt und die Trojaner zur Rückkehr nach der Leiche des Patroklus vermocht.

Dort flammte der Entſcheidungskampf wieder heftiger auf. Dem Jupiter hatte ſich das Herz gewandt; in dunkler Wolke ſenkte ſich ſeine Botin Athene hernieder, und ſtellte ſich in des alten Phönix Geſtalt, ſichtbar ge¬ worden, neben Menelaus. Dieſer ſprach, den Helden erblickend: Vater Phönix, möchte mir Athene heute Kraft verleihen, ſo wollte ich dem todten Freunde wohl helfen, denn ich verſtehe den Vorwurf deines Blickes. Da freute ſich die Göttin, daß er unwiſſend zu ihr ſelber vor allen Göttern gefleht, ſtärkte ihm Schultern und Kniee mit Kraft, und gab ihm ausdauernden Trotz ins Herz. Schnell eilte er, die Lanze ſchwingend, auf die Leiche zu, und als Hektors geehrteſter Tiſchfreund, Podes, der Sohn des Eëtion, ſich vor ihm zur Flucht wandte, traf ihn der Speer des Atriden durchbohrend am Gurt, daß er in dumpfem Falle zu Boden krachte. Jetzt trat Apollo in Phänops Geſtalt zu Hektor und ermahnte dieſen: Ei Hektor, wer im ganzen Danaervolk wird dich künftig noch fürchten, wenn ein Menelaus dich zurückzuſchrecken ver¬ mag? er hat dir deinen beſten Freund erſchlagen, und jetzt wird er, der Weichlichſte unter allen Griechen, dir auch die Leiche des Patroklus entführen! Dieſe Worte235 verſenkten das Herz Hektors in Schwermuth, und er eilte im Glanze ſeiner Erzrüſtung voran. Jupiter aber ſchüt¬ telte die Aegide, hüllte den Ida in Wolken, und gab durch Blitz und Donner den Trojanern das Zeichen des Siegs.

Der Böotier Penelus, dem der Speer des Poly¬ damas die Schultern geſtreift, war der Erſte, der zur Flucht umwendete. Den Letus machte Hektor kampfun¬ fähig, indem er ihm die Hand am Knöchel durchſtach; ihn ſelbſt verfehlte der Speer des Idomeneus; und ſtatt dieſen, der eben erſt zu Fuße von den Schiffen angekom¬ men war, mit dem Gegenwurfe zu treffen, durchſchmetterte Hektors Speer Ohr und Wange des Köranus, der mit Meriones und ſeinem Wagen dem Idomeneus zum Heile vorangefahren war. Der Speer ſtieß ihm die Zähne aus und durchſchnitt die Zunge, und der Held entſank dem Wagen; Meriones hob die Zügel aus dem Staub auf und gab ſie ſeinem Freund Idomeneus, der ſich ſchnell in den Wagenſitz ſchwang und das Geſpann fliehend den Schiffen zu trieb. Als der herrliche Ajax dieß ſah, brach er gegen ſeinen Nebenſtreiter Menelaus in ſo lauten Jam¬ mer aus, daß Jupiter ſelbſt Mitleid mit ihm fühlte, das Nebelgewölk zerſtreute und die Schlacht wieder von der Sonne beleuchten ließ. Sieh doch zu, Menelaus, ſprach jetzt Ajax, ob du nicht den Antilochus, den Sohn des Neſtor, irgendwo noch lebend erblickſt. Der wär 'uns ein tauglicher Bote zu Achilles, ihm zu melden, daß ſein Freund Patroklus todt im Staube liege. Menelaus ging mit ſpähendem Blicke, wie ein Adler nach dem flüchtigen Haſen ſpäht, der im Laubgeſträuch hingeduckt ſitzt, und bald erkannte er ihn links im Gewühl des Treffens. 236 Weißeſt du noch nicht, Antilochus, rief er ihm zu, daß ein Gott den Danaern Unheil und den Trojanern Sieg zugeſchleudert? Patroklus iſt geſunken, und alle Griechen vermiſſen ihren tapferſten Helden; nur Ein Kühnerer lebt noch, Achilles. Eile du zu dieſem ins Zelt und bring' ihm die Trauerbotſchaft; ob er nicht kommen wird, den nackten Leichnam zu retten, dem Hektor die Rüſtung ausge¬ zogen hat.

Ein Schauer durchfuhr den Jüngling, ſein Auge füllte ſich mit Thränen bei der Nachricht, und lange blieb er ſtumm und ohne Sprache. Endlich gab er ſeinem Wagen¬ genoſſen Laodokon die Rüſtung und eilte fliegenden Laufes den Schiffen zu. Als Menelaus wieder bei der Leiche angekommen war, beredete er ſich mit Ajax, wie ſie beide den erſchlagenen Freund hinwegziehen wollten, denn ſie hofften ſelbſt von Achilles Ankunft wenig, da dieſer ſeiner unſterblichen Wehre beraubt war. Sie huben den Leich¬ nam mit Gewalt hoch von der Erde empor, und obgleich die Trojaner von hinten ein grauenvolles Geſchrei hören ließen, und zuckend mit Schwertern und Lanzen folgten, ſo brauchte ſich Ajax doch nur umzuwenden, daß ſie erblaßten und ihnen die Bürde nicht ſtreitig zu machen wagten. So trugen ſie mit großer Anſtrengung den Leichnam aus der Schlacht zu den Schiffen, und mit ihnen flüchteten auch die andern Griechen aus dem Treffen. Hektor und Aeneas waren ihnen auf den Ferſen, und hier und dort entſank den Fliehenden ein Waffenſtück, indem ſie in wilder Un¬ ordnung über den Graben zurückgingen.

237

Jammer des Achilles.

Antilochus fand den Helden vorn an den Schiffen nachdenklich ſitzend, im Geiſte das Geſchick überſinnend, deſſen Vollendung er noch nicht kannte. Als er die Grie¬ chen aus der Ferne flüchtig herannahen ſah, ſprach er unmuthig zu ſich ſelbſt: Wehe mir, was ſchwärmen doch die Achiver voll Angſt durchs Gefilde den Schiffen wieder zu? Werden doch die Götter nicht, mir zum Grame, das Unglück verwirklichen, das meine Mutter mir einſt ver¬ kündigt hat, daß der tapferſte der Myrmidonen, ſo lang ich noch lebte, das Leben durch die Hand der Trojaner laſſen müſſe!

Während er noch Solches erwog, kam Antilochus weinend mit der Schreckensbotſchaft, und rief ihm ſchon von ferne zu: Wehe mir, Pelide, möchte es doch nie geſchehen ſeyn, was du jetzt vernehmen mußt. Unſer Patroklus iſt gefallen, ſie kämpfen um ſeinen nackten Leich¬ nam, die Waffen hat ihm Hektor abgezogen. Nacht wurde es vor den Augen des Achilles, als er dieſes hörte; mit beiden Händen griff er nach dem ſchwarzen Staube und beſtreute Haupt, Antlitz und Gewand. Dann warf er ſich ſelbſt, ſo rieſig er war, zu Boden, und raufte ſich das Haupthaar aus. Jetzt ſtürzten auch die Sklavinnen, die Achilles und Patroklus erbeutet hatten, aus dem Zelte hervor, mit wankenden Knieen rannten ſie herbei, als ſie ihren Herrn zu Boden geſtreckt ſahen, und da ſie inne wurden, was geſchehen war, ſchlugen ſie wehklagend an ihre Bruſt. Auch Antilochus ſchwamm in Thränen,238 jammernd und die Hände des Helden feſthaltend, denn er fürchtete, dieſer möchte ſich mit dem Schwerte die Kehle abſchneiden.

Achilles ſelbſt heulte ſo fürchterlich in die Lüfte hin¬ aus, daß ſeine Mutter im Abgrunde des Meeres, neben ihrem grauen Vater ſitzend, die Stimme des Weinenden vernahm, und ſelber ſo laut zu ſchluchzen anfing, daß ihre ſilberne Grotte ſich bald mit den Nereiden füllte, die alle zugleich an die Bruſt ſchlugen und die Wehklage mit der Schweſter begannen. Wehe mir Armen, rief dieſe ihren Geſchwiſtern zu, wehe mir unglücklicher Helden¬ mutter, daß ich einen ſo edeln, ſo tapfern, ſo herrlichen Sohn gebar! Er wuchs empor, wie eine Pflanze von Gärtnershand gepflegt, dann ſandt 'ich ihn zu den Schif¬ fen gen Troja; aber nie ſehe ich ihn wieder, nie kehrt er in den Pallaſt des Peleus zurück; und ſo lange er das Sonnenlicht noch ſieht, muß er ſolche Qual dulden, und ich kann ihm nicht helfen! Dennoch will ich mein geliebtes Kind zu ſchauen gehen, will hören, welcher Kummer ihn betraf, während er ungefährdet vom Kampfe bei den Schiffen ſitzt! So ſprach die Göttin, und ſtieg mit den Schweſtern durch die geſpaltenen Wogen hinan zum Ge¬ ſtade, tauchte bei den Schiffen ans Land und eilte dem ſchluchzenden Sohne zu. Kind, was weineſt du, rief ſie, indem ſie unter Wehklagen ſein Haupt umſchlang, wer betrübt dir dein Herz? rede, verhehle mir nichts! Iſt es doch Alles geſchehen, wie du gewollt haſt, die Männer Griechenlands ſind um die Schiffe zuſammen¬ gedrängt und ſchmachten troſtlos nach deiner Hülfe! Endlich begann Achilles unter ſchweren Seufzern: Mut¬ ter, was hilft mir das, ſeit mein Patroklus, der mir lieb239 war, wie mein eigenes Haupt, in den Staub geſunken iſt! Meine eigenen köſtlichen Waffen, das Ehrengeſchenk, das dem Peleus die Götter bei deiner Hochzeit dargebracht, hat ihm ſein Mörder Hektor vom Leibe gezogen. O wohn¬ teſt du doch lieber immer im Meere, und hätte Peleus ein ſterbliches Weib, ſo müßteſt du nicht unſterbliches Leid tragen um deinen geſtorbenen Sohn; denn nie kehrt er zur Heimath wieder! Ja das Herz ſelbſt verbietet mir, lebend umherzuwandeln, wenn mir nicht Hektor, von mei¬ ner Lanze durchbohrt und ſein Leben aushauchend, den Raub meines Patroklus büßt! Weinend antwortete The¬ tis: Ach nur allzubald verblüht dir das Leben, mein Sohn, denn gleich nach Hektor iſt dir dein eigenes Ende beſtimmt. Aber Achilles rief voll Unmuth: Möchte ich doch auf der Stelle ſterben, da das Schickſal mir nicht vergönnt hat, meinen gemordeten Freund zu vertheidigen. Ohne meine Hülfe, fern von der Heimath mußte er ſter¬ ben; was hilft die Griechen nun mein kurzes Leben? Kein Heil habe ich dem Patroklus, kein Heil unzähligen erſchla¬ genen Freunden gebracht. Bei den Schiffen ſitz' ich, eine unnütze Laſt der Erde, ſo ſchlecht im Gefecht, wie kein anderer Achiver, im Rathe beſiegen mich ohnedem andere Helden. Verflucht ſey der Zorn bei Göttern und Men¬ ſchen, der zuerſt dem Herzen ſüß eingeht, wie Honig, und bald wie eine Feuerflamme in der Mannesbruſt empor¬ wächst! Und plötzlich fuhr er, ſich ermannend, fort: Doch, Vergangenes ſey vergangen, ich gehe, den Mör¬ der des geliebteſten Hauptes zu haſchen, den Hektor. Mag mein Loos mir werden, wann Zeus und die Götter es wollen, wird doch manche Trojanerin, über mir mit beiden Händen ſich die Thränen des Jammers von der Roſen¬240 wange trocknen, und zitternde Seufzer werden ihrer Bruſt entſteigen. Die Trojaner ſollen merken, daß ich lange genug vom Kriege geraſtet habe! Verwehre mir den Kampf nicht, liebe Mutter!

Du haſt Recht, mein Kind, antwortete ihm Thetis, nur ſchade, daß deine ſtrahlende Rüſtung in der Gewalt der Trojaner iſt und Hektor ſelbſt in ihr einherſtolzirt. Doch ſoll er nicht lange darin frohlocken; denn in aller Frühe, ſobald die Sonne aufgeht, bringe ich dir neue Waffen, die Hephäſtus ſelbſt geſchmiedet. Nur geh mir nicht früher in die Schlacht, als bis du mich mit eigenen Augen zurückkommen ſaheſt. So ſprach die Göttin und hieß ihre Schweſtern in den Schooß des Meeres wieder hinabtauchen. Sie ſelbſt eilte hinauf zum Olymp, den Gott der Feuerarbeit, Hephäſtus oder Vulkan, aufzuſuchen.

In dieſer Zeit ereilte den Leichnam des Patroklus, den die Freunde davontrugen, der Kampf der Trojaner noch einmal, und Hektor kam ihm, gleich daherſtürmendem Feuer, ſo nahe, daß er ihn dreimal hinten am Fuße faßte, um ihn wegzuziehen, und dreimal die beiden Ajax ihn von dem Todten hinwegſtoßen mußten. Nun wüthete er ſeit¬ wärts durchs Schlachtengewühl, ſtand dann wieder von Neuem und ſchrie laut auf; zurückweichen wollte er nim¬ mermehr. Vergebens beſtrebten ſich die beiden gleich¬ namigen Helden, ihn von dem Leichnam abzuſchrecken, wie Hirten bei Nacht umſonſt eineu hungrigen Berglöwen vom Leibe des zerriſſenen Rindes zu verſcheuchen bemü¬ het ſind. Und wirklich hätte Hektor zuletzt die Leiche ge¬ raubt, wäre nicht Iris auf Juno's Befehl mit der Bot¬ ſchaft zu dem Peliden geflogen, ſich von Jupiter und den andern Göttern ungeſehen, heimlich zu bewaffnen. Aber241 wie ſoll ich zur Schlacht gehen? fragte erwiedernd Achil¬ les die Götterbotin, da die Feinde meine Rüſtung haben. Auch hat mir meine Mutter ſelbſt alle Bewaffnung ver¬ boten, bis ich ſie ſelbſt mit einer neuen Rüſtung von Hephäſtus zurückkehren ſehen würde. Ich weiß Niemand, deſſen Waffen mir gerecht wären, es müßte denn der Rieſenſchild des Ajax ſeyn; aber der hat und braucht ihn ſelber zum Schutze meines erſchlagenen Freundes! Wohl wiſſen wir, antwortete ihm Iris, daß du deiner herr¬ lichen Waffen beraubt biſt, aber nahe dich einſtweilen nur ſo dem Graben, wie du biſt, und erſcheine den Trojanern, vielleicht ſtehen ſie vom Kampf ab, wenn ſie dich nur erblicken; und den Griechen iſt Erholung gegönnt.

Als Iris wieder entflogen war, erhub ſich der gött¬ liche Achilles. Athene ſelbſt hängte ihm ihren Aegisſchild um die Schulter, und umgab ſein Geſicht mit überirdiſchem Glanze. So trat er ſchnell durch Wall und Mauer zum Graben; doch miſchte er ſich, der mütterlichen Warnung eingedenk, nicht in den Kampf, ſondern blieb von ferne ſtehen und ſchrie, und in ſeinen Ausruf miſchte ſich der Ruf Minerva's, daß er wie eine Kriegspoſaune ins Ohr der Trojaner tönte. Als ſie die eherne Stimme des Pe¬ liden vernahmen, füllte ſich ihr Herz mit unheilvoller Ahnung, und Wagen und Roſſe wandten ſich rückwärts; mit Grauen ſahen die Lenker um das Haupt des Peliden die Flamme brennen, und vor ſeinem dreifachen Schrei vom Graben her zerſtob dreimal das Schlachtgewühl der Troer, und zwölf ihrer tapferſten Männer fielen in dem Gewühl, unter den Wagen und Lanzen ihrer eigenen Freunde. Jetzt war Patroklus den Geſchoſſen entriſſen, die Helden legten ihn auf Betten, und voll WehmuthSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 16242umringten den Leichnam die Freunde. Als Achilles ſei¬ nen treuen Genoſſen, von den Speeren zerfleiſcht, auf der Bahre liegen ſah, miſchte er ſich zum erſtenmale wieder unter die Griechen, und warf ſich mit heißen Thrä¬ nen über den Leichnam. Die untergehende Sonne beleuch¬ tete das jammervolle Schauſpiel.

[243]

Viertes Buch.

16 *[244][245]

Achilles neu bewaffnet.

Beide Heere ruhten jetzt vom hartnäckigen Kampfe. Die Trojaner löſten ihre Roſſe von den Streitwagen, aber noch ehe ſie des Mahles gedachten, eilten ſie zur Verſammlung. Da ſtanden Alle aufrecht im Kreis umher, Keiner wagte ſich zu ſetzen, denn noch bebten ſie vor Achilles und fürchteten ſein Wiedererſcheinen. Endlich ſprach der Sohn des Panthous, der verſtändige Polyda¬ mas, der allein vorwärts wie rückwärts zu ſchauen ver¬ ſtand, und rieth, nicht auf die Frühe zu warten, ſondern ſogleich in die Stadt heimzukehren. Findet Achilles der Gewappnete, ſprach er, uns morgen noch hier, dann werden diejenigen froh ſeyn, die ihm in die Stadt ent¬ rinnen, Viele aber werden den Hunden und Geiern zum Fraße dienen. Möge mein Ohr nie von ſolchem hören! Drum iſt mein Rath, die Nacht auf dem Markte der Stadt mit aller Kriegsmacht zu halten, wo hohe Mauern und feſte Thore uns ringsum beſchützen. In aller Frühe ſodann ſtehen wir wieder auf der Mauer; und wehe ihm, wenn er alsdann, von den Schiffen angeſtürmt, mit uns um jene zu kämpfen begehrt.

Nun ſtand auch Hektor auf und begann mit finſterem Blick: Mir gefällt keineswegs, was du da geſprochen haſt, Polydamas. In dem Augenblicke, wo mir Jupiter den Sieg verliehen, daß ich die Achiver bis ans Meer246 zurückgedrängt habe, muß dein Rath dem Volke thöricht erſcheinen, und kein einziger Trojaner wird dir gehorchen. Vielmehr befehle ich Haufen um Haufen, die Nachtkoſt unter das Heer zu vertheilen, und der Wachen nicht zu vergeſſen. Härmt ſich Einer um ſein Gut und Vermögen, der laſſe es beim gemeinſamen Gaſtmahl aufgehen, beſſer daß die Unſrigen ſich dran erluſtigen, als daß die Grie¬ chen es thun. Am Morgen wiederholen wir ſodann den Sturm auf die Schiffe; wenn wirklich Achilles wieder auferſtanden iſt, ſo hat er ſich das ſchlimmere Loos erkoh¬ ren; denn nicht werde ich dieſen gräßlichen Kampf ver¬ laſſen, ehe mich oder ihn die Siegesehre krönt! Die Trojaner überhörten die heilſamen Worte des Polydamas, rauſchten dem Unheilsworte Hektor's Beifall zu, und war¬ fen ſich hungrig auf ihr Mahl.

Die Griechen aber jammerten die ganze Nacht über der Leiche des Patroklus, und vor Allen erhub Achilles die Klage, während ſeine mörderiſchen Hände auf dem Buſen des Freundes ruhten. O eitles Wort, ſprach er, das mir damals entfallen iſt, als ich, den alten Hel¬ den Menötius im Pallaſte tröſtend, ihm verſprach, ſeinen Sohn nach Troja's Zerſtörung, reich an Ruhm und Beute, nach Opûs in ſeine Heimath ihm zurückzubringen! Nun ward uns beiden beſtimmt, dieſelbe fremde Erde mit unſerm Blute roth zu färben, denn auch mich werden mein grauer Vater Peleus und meine Mutter Thetis nimmermehr im Pallaſt empfangen, ſondern hier vor Troja wird mich das Erdreich bedecken. Aber weil ich doch nach dir in den Boden ſinken ſoll, Patroklus, ſo will ich dir nicht eher dein Leichenfeſt feiern, als bis ich dir die Waffen und das Haupt deines Mörders, Hektor's,247 gebracht habe; auch will ich dir zwölf der edelſten Söhne Troja's an deinem Scheiterhaufen opfern. Bis dieß ge¬ ſchieht, ruhe du hier bei meinen Schiffen, geliebter Freund! Hierauf befahl Achilles ſeinen Freunden, einen großen Dreifuß voll Waſſer an das Feuer zu ſtellen, und den Leichnam des gefallenen Helden zu waſchen und zu ſal¬ ben. Alsdann wurde er auf ſchöne Betten gelegt, und köſtliche Leinwand vom Haupte bis zu den Füßen über ihn gebreitet, auch ein ſchimmernder Teppich über den Todten geworfen.

Derweil gelangte Thetis an den unvergänglichen, ſternenhellen Pallaſt des Hephäſtus, den der hinkende Künſtler ſich ſelbſt aus Erze gebaut. Sie fand ihn dort ſchwitzend und in voller Arbeit um ſeine Blaſebälge be¬ ſchäftigt: er bereitete an zwanzig Dreifüße, und befeſtigte unter dem Boden eines jeden goldene Räder, mit welchen ſie, ohne von fremder Hand getrieben zu werden, in den olympiſchen Sälen vor die Götter hinrollten, und dann wieder zu ihrem Gemache heimkehrten: wahre Wunder¬ werke anzuſchauen; ſie waren bis auf die Henkel fertig, und dieſe fügte er jetzt eben an, indem er mit dem Ham¬ mer die Nägel am gehörigen Ort einſchlug. Seine Gat¬ tin, die holde Charis, eine der Huldgöttinnen, ergriff die Hand der hereintretenden Göttin, führte ſie auf einen ſilbernen Seſſel, rückte ihr einen Schemel unter die Füße, und rief ihren Gemahl herbei. Dieſer rief, als er die Meeresgöttin erblickte, freudig aus: Wohl mir, iſt doch einmal die Edelſte der Unſterblichen bei mir im Hauſe, die mich, den Neugeborenen, vom Verderben gerettet hat; denn weil ich lahm auf die Welt kam, warf mich die Mutter aus dem Schooße, und ich wäre elendiglich248 verkommen, wenn nicht Eurynome und Thetis mich in ihrem Schooße aufgefangen hätten, und in ihrer Meeresgrotte groß gezogen bis ins neunte Jahr. Dort ſchmiedete ich allerlei Kunſtwerke, Spangen, Ringe, Ohrengehenke, Haarnadeln, Kettchen aller Art, in der gewölbten Grotte; und rings um uns her ſchäumte brau¬ ſend der Strom des Oceans. Dieſe meine Retterin be¬ ſucht jetzt mein Haus! Bewirthe ſie, holdſelige Gattin, mich aber laß dieſen Wuſt hier aus dem Wege ſchaffen. So ſprach der rußige Gott, erhob ſich hinkend vom Am¬ bos, und mühſam hin und herwankend, legte er die Blaſe¬ bälge vom Feuer weg, verſchloß alle die mancherlei Ge¬ räthſchaften in einen ſilbernen Kaſten, wuſch ſich dann mit einem Schwamme Hände, Angeſicht, Hals und Bruſt, und hinkte, in einen Leibrock eingehüllt, und von ge¬ ſchäftigen Mägden geſtützt, wieder aus der Kammer; dieſe Dienerinnen aber waren keine geſchaffene Weſen, doch lebenden gleich; voll Jugendreiz, alle von ihm aus Gold geſchmiedet, mit Kraft, Verſtand, Stimme und Kunſttrieb begabt. Sie eilten mit hurtigen Füßen von ihrem Herrn weg, er aber, nachwackelnd, nahm ſich einen ſchmucken Seſſel, ſetzte ſich neben Thetis, faßte ihre Hand und ſprach: Ehrenwerthe, geliebte Göttin, was führt dich zu meiner Wohnung, die du ſonſt nur wenig beſucheſt, ſage mir, was du verlangſt: Alles wird dir mein Herz gewähren, was ich nur gewähren kann und was an ſich gewährbar iſt.

Da erzählte ihm Thetis ihren ganzen Jammer, und bat ihn, ſeine Kniee umfaſſend, ihrem früh verwelkenden Sohne Achilles, ſo lang er den Griechen zum Schirm noch lebe, Helm, Schild, Harniſch, Beinſchienen und249 Knöchelbedeckung neu gefertigt zu verleihen; denn die Rüſtung der Unſterblichen, die er früher beſeſſen, habe der gefallene Genoß ihm vor Troja verloren. Muthig, edle Göttin, antwortete ihr Hephäſtus, dein Herz kümmere ſich darüber nicht; möchte ich deinen Sohn doch ſo gewiß aus der Gewalt des Todes retten können, wenn ihm dereinſt ſein Geſchick herannaht, als ich ihm jetzt eine herrliche Rüſtung fertigen will, die ihn erfreuen ſoll, und die noch mancher Sterbliche, der ſie erblickt, anſtaunen wird! So ſprach er, verließ die Göttin, und in ſeine Feuereſſe hinkend, kehrte er die Blaſebälge ins Feuer und ließ ſie mit Macht arbeiten. Ihrer zwanzig ſchickten den glühenden Wind zugleich in die Oefen hinein, während in mächtigen Tiegeln Erz, Zinn, Silber und Gold auf der Gluth ſtand. Alsdann richtete er den Ambos auf dem Blocke zurecht, griff mit der Rechten nach ſeinem ge¬ waltigen Hammer, und faßte mit der Linken die Zange. Und nun fing er an zu ſchmieden, und formte zuerſt den rieſenmäßigen ſtarken Schild aus fünf Schichten, mit einem Silbergehenk und dreifachem blankem Rande. Auf der Wölbung des Schilds bildete er die Erde, das wogende Meer, den Himmel mit Sonne, Mond und allen Geſtir¬ nen ab; ferner zwei blühende Städte, die eine voll von Hochzeitfeſten und Gelagen, mit Volksverſammlung, Markt, hadernden Bürgern, Herolden und Obrigkeiten; die andere von zwei Heeren zugleich belagert: in den Mauern Wei¬ ber, unmündige Kinder, wankende Greiſe; die Männer der Stadt, vor dieſer draußen in einen Hinterhalt gelagert, und den Hirten in die Heerden fallend. Auf einer andern Seite Schlachtgetümmel; Verwundete, Kampf um Leich¬ name und Rüſtungen. Weiter ſchuf er ein lockres Brachfeld,250 mit Bauern und Ochſen am Pflug; ein wallendes Aehren¬ feld voll Schnitter; ſeitwärts unter einer Eiche die Mahlzeit bereit; weiter einen Rebgarten voll ſchwarzer ſchwellender Trauben, an Pfählen von lauterem Silber, ringsum ein Graben von blauem Stahl und ein Gehäge von Zinn; eine einzige Furche führte durch den Wein¬ garten, und eben war Leſe: Jünglinge jauchzten, und roſige Jungfrauen trugen die ſüße Frucht in ſchönen Kör¬ ben davon; mitten in der Schaar ging ein Leierknabe, den andere umtanzten. Weiter ſchuf er eine Rinderheerde aus Gold und Zinn, längs einem wallenden Fluß, mit vier goldenen Hirten und neun Hunden; vorn in die Heerde waren zwei Löwen gefallen und hatten einen Farren gefaßt, die Hirten hetzten ihre Hunde, die bellend auf Sprungweite von den Löwen ſtanden. Wiederum ſchuf er eine anmuthige Thaltrift, von ſilbernen Schafen durchſchwärmt, mit Hirtengehägen, Hütten und Ställen; endlich einen Reigen von blühenden Jünglingen und Jungfrauen in glänzenden Gewanden; jede Tänzerin ſchmückte ein Kranz, die Tänzer hatten goldene Dolche an ſilbernen Riemen hangen; zwei Gaukler drehten ſich im Kreiſe zur Harfe eines Sängers; Zuſchauergedräng um¬ gab den Reigen. Um den äußerſten Rand des Schildes ſchlang ſich der Strom des Oceans wie eine Schlange.

Als er den Schild vollendet, ſchmiedete er auch den Harniſch und gab ihm helleren Glanz, als das Feuer hat; dann den ſchweren prangenden Helm, den Schläfen ganz gerecht, mit goldnem Haarbuſch; und zuletzt Beinſchienen aus dem feinſten Zinn. Dieſes ganze Geräthe legte er gehäuft vor die Mutter des Peliden hin. Sie aber warf ſich auf die Rüſtung, wie ein Habicht auf die Beute, dankte251 und trug das ſchimmernde Waffengeſchmeide mit ihren Götterhänden von dannen.

Mit dem erſten Morgenlichte war ſie wieder bei ihrem Sohne, der noch immer weinend und von jammern¬ den Genoſſen umgeben, über ſeinen Freund Patroklus geſtreckt lag. Sie legte die Waffen vor Achilles nieder, daß alle die Wunder zuſammenraſſelten. Die Myrmido¬ nen zitterten bei dem Anblicke, und keiner wagte, der Göttin gerade ins Geſicht zu ſchauen. Dem Peliden aber funkelten die Augen unter den Wimpern, wie Feuer¬ flammen, von Zorn und Freude; er hielt die herrlichen Gaben des Gottes, eine um die andere, in die Höhe, und weidete lange ſein Herz an der Betrachtung. Dann brach er auf, ſich damit zu waffnen. Sorget mir dafür, ſprach er im Weggehen zu ſeinen Freunden, daß nicht Fliegen in die Wunden meines erſchlagenen Streitgenoſſen ſchlüpfen und den ſchönen Leichnam entſtellen! Laß dieß meine Sorge ſeyn, ſprach Thetis; und nun flößte ſie dem Patroklus Ambroſia und Nektar in die halbgeöff¬ neten Lippen, und dieſer Götterbalſam durchdrang ſeinen Leib, daß er blieb wie ein Lebender.

Achilles aber ging an den Meerſtrand, und ſeine Donnerſtimme rief die Danaer herbei. Da lief zuſam¬ men, was wandeln konnte; ſelbſt die Steuermänner, die die Schiffe noch nie verlaſſen hatten, kamen herbei; herbei hinkten, auf ihre Lanze geſtützt, Diomedes und Odyſſeus, die Verwundeten; alle Helden kamen, am ſpäteſten erſchien der Völkerfürſt Agamemnon, auch er noch krank an der Wunde, die ihm Koon, der Sohn des Antenor, mit dem Speere gebohrt hatte.

252

Achilles und Agamemnon verſöhnt.

Als die Verſammlung vollzählig war, ſtand Achilles auf und ſprach: Sohn des Atreus, hätte lieber Diana's Pfeil an jenem Tage die Tochter des Briſes bei den Schiffen getödtet, an dem ich ſie mir aus dem zerſtörten Lyrneſſus zur Beute erleſen, ehe ſo viele Argiver, dieweil ich zürnte, von den Feinden gebändigt, den Staub mit den Zähnen knirſchen mußten! Vergeſſen ſey das Ver¬ gangene, wenn es uns auch in der Seele kränkt: mein Zorn wenigſtens iſt beſänftigt. Auf nun zum Gefecht! ich will verſuchen, ob die Trojaner noch Luſt haben, bei den Schiffen zu ruhen!

Unermeßlicher Jubel der Griechen erfüllte bei dieſen Worten die Luft. Und jetzt erhub ſich Agamemnon der Völkerfürſt und ſprach, aufgeſtanden von ſeinem Sitze, doch ohne, wie andere Redner, in den Kreis vorzutreten: Bändiget eure Zungen! wer vermag bei ſolchem Getüm¬ mel zu reden oder zu hören? Ich will mich dem Sohne des Peleus erklären, ihr Andern merkt's und beherziget meine Worte. Oft ſchon haben mich die Söhne Griechen¬ lands über mein Betragen an jenem Unglückstage geſtraft. Doch war die Schuld nicht mein: Jupiter, die Parze und die Erinnys ſchickten mir damals in der Volksverſamm¬ lung die verderbliche Verblendung zu. So mußte ich feh¬ len. Aber ſo lange Hektor um die Schiffe her die Schaa¬ ren der Argiver vertilgte, ward ich unaufhörlich an meine Schuld gemahnt, und ich wurde es inne, daß Zeus mir die Beſinnung hinweggenommen hatte. Nun will ich253 gerne büßen, was ich gefehlt, und biete dir Sühnung, Achilles, ſo viel du begehrſt. Zieh in den Kampf, und ich bin erbötig, dir alle die Geſchenke reichen zu laſſen, die dir Odyſſeus, von mir in dein Zelt abgeſandt, jüngſt noch verheißen hat. Oder wenn du lieber willſt, ſo bleib noch ſo lange, bis meine Diener aus dem Schiffe ſie hergebracht haben, damit du mit eigenen Augen ſeheſt, wie ich mein Verſprechen erfülle.

Ruhmvoller Völkerfürſt Agamemnon, antwortete der Held, mag es dir gut dünken, mir die Geſchenke, wie es ziemlich iſt, zu reichen, oder ſie zu behalten: es gilt mir gleich. Jetzt aber laß uns ohne Verzug der Schlacht gedenken, denn noch iſt Vieles ungethan, und mich verlangt darnach, daß man den Achilles wieder im Vordertreffen gewahr werde! Aber der kluge Odyſſeus that Einrede und ſprach: Göttergleicher Pelide, treibe doch die Achiver nicht ſo ungeſpeist vor Troja hin! Laß ſie ſich vorher bei den Schiffen mit Speiſe und Wein erquicken, denn nur das gibt Kraft und Stärke! Inzwi¬ ſchen mag Agamemnon das Geſchenk in unſern Kreis bringen, daß alle Danaer es mit Augen ſchauen, und dein Herz ſich dran erfreue. Und darauf ſoll er ſelbſt dich in ſeinem Gezelte feierlich mit einem köſtlichen Mahl bewir¬ then. Freudig habe ich dein Wort vernommen, Odyſ¬ ſeus, antwortete der Atride, du aber, Achilles, wähle dir ſelbſt die edelſten Jünglinge aus dem ganzen Heere, daß ſie dir alle Geſchenke aus meinem Schiffe herbeibrin¬ gen; und Thalthybius, der Herold, ſchaffe uns einen Eber herbei, daß wir Jupiter und dem Sonnengott opfern, und ohne Fährde den Bund der Eintracht beſchwören. Thut ihr, wie ihr wollt, ſprach Achilles, mir ſoll weder Trank254 noch Speiſe durch die Kehle gleiten, ſo lang mir der Freund zerfleiſcht im Zelte daliegt. Mich verlangt nur nach Mord und Blut und Geröchel der Sterbenden! Aber Odyſſeus ſprach beſänftigend zu ihm: Erhabenſter Held aller Griechen, du biſt viel ſtärker als ich, und viel tapferer im Speerkampf; am Rathe jedoch möchte ich es dir vielleicht zuvorthun, denn ich habe länger gelebt und mehr erfahren. So füge ſich denn dießmal dein Herz meiner Ermahnung. Die Danaer müſſen ja ihre Todten nicht mit dem Bauch betrauern; wie einer geſtorben, beer¬ digt man ihn, und beweint ihn einen Tag: wer aber ent¬ ronnen iſt, der ſtärke ſich mit Trank und Speiſe, damit wir um ſo raſtloſer kämpfen mögen!

So ſprach er, und wandelte, Neſtors Söhne, dann auch den Meges, Meriones, Thoas, Melanippus und Lykomedes ſich beigeſellend, mit dieſen der Lagerhütte Agamemnons zu. Dort nahmen ſie die verſprochenen Geſchenke, ſieben Dreifüße, zwölf Roſſe, zwanzig Becken, ſieben untadelige Weiber und die roſige Briſëis als achte. Odyſſeus wog die zehn Talente Goldes dar und ſchritt mit ihnen voran, die Jünglinge mit den andern Geſchen¬ ken folgten. So ſtellten ſie ſich in den Volkskreis; Aga¬ memnon erhub ſich von ſeinem Sitze, der Herold Talthy¬ bius aber faßte den Eber, richtete ihn zum Opfer zu, betete und zerſchnitt ihm die Kehle. Dann warf er den geſchlachteten wirbelnd in die Meerfluth, den Fiſchen zum Fraß. Nun ſtand Achilles auf und ſprach vor den Argi¬ vern: Vater Jupiter, wie große Verblendung ſendeſt du doch oft den Männern zu! Gewiß hätte mir der Sohn des Atreus nicht den Zorn ſo fürchterlich im Herzen auf¬ geweckt, oder nicht ſo unbeugſam mit Gewalt das Mädchen255 mir entführt, wenn du nicht den Tod vielen Danaern hätteſt bereiten wollen! Doch nun laßt uns zum Mahle gehen, und uns dann zum Angriffe rüſten.

Nachdem der Held ſo geſprochen, trennte ſich die Verſammlung. Als die Tochter des Briſes, holdſelig wie Aphrodite, in das Zelt ihres früheren Gebieters trat, und den Helden Patroklus mit ſeinen tiefen Speerwunden auf den Teppichen ausgeſtreckt daliegen ſah, zerſchlug ſie ſich Bruſt und Wangen, und warf ſich weinend über ihn. Ach mein theurer Patroklus, rief ſie, der du mein lieb¬ reichſter Freund im Elende warſt, blühend verließ ich dich im Zelte, todt finde ich dich wieder! So verfolgt mich immer Unheil auf Unheil. Meinen Bräutigam ſah ich vor unſerer Stadt vom Speer getödtet, drei leibliche herz¬ lich geliebte Brüder riß mir derſelbe Unglückstag von der Seite weg. Dennoch, als Achilles meinen Freund erſchla¬ gen und meine Heimath verheert hatte, wollteſt du mich nie weinen ſehen; du verſprachſt, mich dem Peliden zu vermählen, ſobald du mich auf den Schiffen nach Phthia gebracht hätteſt, und dort unter den Myrmidonen meine Hochzeit zu feiern. Nie werd 'ich aufhören, dich zu be¬ weinen, du Freundlicher. So ſprach ſie weinend, und ringsum ſeufzten mit ihr die gefangenen Weiber, zum Schein um den Patroklus, im Grund aber jede über ihr eigenes Elend.

Die edelſten Danaerfürſten umringten indeſſen den Peliden, indem ſie ihn flehentlich baten, ſich doch des Mahles zu erfreuen. Doch er weigerte ſich deſſen unter Seufzen. Wenn ihr wirklich Liebe zu mir heget, ſprach er, ſo verlanget nicht, mir das Herz zu erfriſchen, ihr Freunde, mein Kummer duldet es nicht. Laßt mich bleiben,256 wie ich bin, bis die Sonne ins Meer ſinkt. Mit dieſen Worten entließ er die andern Fürſten, und nur die beiden Atriden, Odyſſeus, Neſtor, Idomeneus und Phönix blie¬ ben zurück. Sie Alle waren vergebens beſtrebt, den Trauernden aufzuheitern, doch dieſer blieb regungslos, und wenn er einmal ſprach, ſo flog ſein Athem ſchneller, und ſeine Rede galt dem todten Freunde. Ach wie oft haſt du mir, ſagte er, vordem ſelber, wenn das Heer der Griechen zur Schlacht hinausdrang, in geſchäftiger Haſt das labende Frühſtück nach dem Zelte gebracht! jetzt liegſt du erſchlagen hier, und mich vermag von all dem reich¬ lichen Vorrath nichts zu erquicken; Herberes hätte mich nicht treffen können, ſelbſt nicht die Botſchaft vom Tode meines Vaters Peleus, oder meines lieben Sohnes Neoptolemus, der mir in Scyros erzogen wird, wenn er anders noch lebt. Früher tröſtete mich immer noch die Hoffnung, ich würde allein hier ſterben dürfen, du aber werdeſt nach Phthia heimkehren, und meinen Sohn von Scyros abholen, ihn in alle meine Habe einzuſetzen; denn daß mein Vater Peleus, immer den ſchrecklichen Boten erwartend, der ihm meinen frühen Tod zu verkündigen käme, längſt von Alter und Traurigkeit niedergebeugt ge¬ ſtorben ſey, das ahnt mir ja im Geiſte. So ſprach er weinend, und die Fürſten im Kreiſe ſeufzten mit, denn jeder dachte daran, was er im eigenen Hauſe von Ge¬ liebten zurückgelaſſen. Mitleidig ſah Jupiter von ſeiner Höhe auf die Trauernden herab, wandte ſich ſchnell zu ſeiner Tochter Pallas und ſagte: Kümmert ſich denn dein Herz gar nicht mehr um den edlen Helden, trautes Töchterchen, der dort, während die Andern zum Früh¬ mahle hingingen, um ſeinen Freund wehklagend daſitzt ohne257 Speiſe und Trank zu berühren. Auf, labe ihm ſogleich die Bruſt mit Nektar und Ambroſia, daß ihm in der Schlacht kein Hunger nahe!

Wie ein Adler mit breiten Flügeln, ſchwang ſich die Göttin, die längſt darnach verlangt hatte, ihrem Freunde zu helfen, durch den Aether, und während das Heer ſich eifrig zur Schlacht rüſtete, flöſte ſie Nektar und Am¬ broſia ſanft und unvermerkt in die Bruſt des Peliden, daß ſeine Kniee ihm nicht im Treffen von Hunger erſtarr¬ ten. Dann kehrte ſie zum Pallaſt ihres allmächtigen Va¬ ters heim. Inzwiſchen drangen, Helm an Helm, Schild an Schild, Harniſch an Harniſch und Lanzen an Lanzen, die Danaer aus den Schiffen hervor; das ganze Erdreich leuchtete von Erz, und dröhnte von Erz unter ihren Fu߬ tritten. Mitten unter den Dahineilenden bewaffnete ſich Achilles, mit den Zähnen knirſchend und Gluth in den Augen, wie feurige Lohe. Er ergriff das Göttergeſchenk, legte zuerſt Schienen und Knöchelbedeckung an, dann deckte er die Bruſt mit dem Harniſch, warf das Schwert um die Schulter und ergriff den Schild, der dem Vollmond ähnlich durch den Aether glänzte. Dann fetzte er den ſchweren Helm mit dem hohen goldenen Buſch, ſtrahlend wie ein Geſtirn, aufs Haupt, und die Mähne flatterte aus geſponnenem Golde von ihm herab. Nun verſuchte er ſich ſelbſt in der Rüſtung, ob ſie ihm auch genau anpaßte, und ſich die Glieder ungehemmt bewegten: und ſiehe, ſeine Waffen däuchten ihm wie Flügel und ſchienen ihn vom Boden emporheben zu wollen. Jetzt zog er den ſchweren gediegenen Speer ſeines Vaters Peleus, den kein anderer Danaer ſchwingen konnte, aus dem ſchönen Gehäuſe;Schwab, das klaſſ. Alterthum. ll. 17258Automedon und Alkimus ſchirrten die Roſſe ein, legten jedem den Zaum ins Maul, und ſpannten die Zügel über den Wagenſitz. In dieſen ſprang Automedon, die blanke Geißel faſſend, und in Waffen ſtrahlend ſchwang ſich hin¬ ter ihm Achilles auf. Ihr unſterblichen Roſſe, rief die¬ ſer dem Geſpanne ſeines Vaters zu, ich ſag 'es euch, bringt mir, nachdem wir uns in der Schlacht geſättigt haben, die Helden, die ihr führet, anders ins Heer zurück, als Patroklus zurückgekehrt iſt, den ihr todt im Gefilde liegen ließet. Wie der Held ſo ſprach, ward ihm ein grauenhaftes Wunderzeichen zu Theil: ſein Roß Xanthus neigte das Haupt tief zur Erde, daß die wallende Mähne ganz aus dem Ringe des Joches hervordrang und bis auf den Boden hinunterſank; und von der Göttin Juno plötzlich mit Sprache begabt, ertheilte es ihm unter dem Joch die traurige Antwort: Wohl, ſtarker Achilles, füh¬ ren wir jetzt dich, den Lebenden, rüſtig dahin; aber der Tag des Verderbens iſt dir nahe. Nicht unſere Säumniß oder Fahrläſſigkeit, ſondern das Verhängniß und die All¬ macht der Götter hat dem Patroklus das Leben geraubt, und dem Hektor Siegesruhm gegeben. Wir können mit Zephyrus, dem ſchnellſten der Winde, in die Wette lau¬ fen und ermüden nicht. Dir aber iſt vom Geſchicke be¬ ſtimmt, unter der Hand eines Gottes zu erliegen. So ſprach das Roß und wollte noch weiter ſprechen, aber die Macht der Rachegöttinnen hemmte ſeinen Laut, und Achil¬ les antwortete voll Unmuth: Xanthus, was redeſt du mir da vom Tode? es bedarf deiner Weiſſagung nicht, weiß ich doch ſelbſt, daß mich, ferne von Vater und Mut¬ ter, das Schickſal hier wegraffen wird. Doch auch ſo259 raſte ich nicht, bis Trojaner genug vor mir im Kampfe erlegen ſind! So ſprach er und lenkte mit lautem Ruf die ſtampfenden Roſſe vorwärts.

Schlacht der Götter und Menſchen.

Im Olymp hatte Jupiter eine Götterverſammlung berufen, in welcher er den Olympiſchen erlaubte, beiden Theilen, Trojanern und Griechen, zu helfen, wie einen jeden die Geſinnung triebe, denn wenn Achilles, ohne daß die Götter Antheil an der Schlacht nähmen, die Trojaner jetzt bekämpfte, ſo würde er ſelbſt gegen das Schickſal Troja auf der Stelle erobern. Auf dieß Zugeſtändniß gingen die Götter ſogleich zweierlei Wege: Here die Göttermutter, Pallas Athene, Poſeidon, Hermes oder Merkur, und Hephäſtus eilten zu den Schiffen der Grie¬ chen; Mars ging unter die Trojaner und mit ihm Phöbus und Diana (Artemis), beider Mutter Latona, der Flu߬ gott Skamander, bei den Göttern Xanthus genannt, und Aphrodite.

So lange die Götter ſich noch nicht unter die heran¬ rückenden Heere gemiſcht hatten, trugen die Griechen das Haupt hoch, weil der ſchreckliche Achilles wieder in ihrer Mitte war. Den Trojanern zitterten die Glieder vor Angſt, als ſie von ferne den Peliden in ſeinen blinkenden Waffen erblickten, dem furchtbaren Kriegsgott ähnlich. Plötzlich aber erſchienen die Götter in beiden Heeren, und drohten den Kampf wieder unentſchieden zu machen. Da ſtand Athene bald außerhalb der Mauer am Graben, bald17*260am Meeresſtrand, und ließ ihren mächtigen Ausruf hören. Auf der andern Seite ermahnte Mars bald von der ober¬ ſten Höhe der Stadt die Trojaner brüllend wie ein Sturm, bald durchflog er die Reihen am Simoisfluß. Durch beide Schaaren tobte Eris, die Göttin der Zwie¬ tracht; dazu donnerte gräßlich vom Olymp herab Jupiter, der Beherrſcher der Schlachten, Poſeidon erſchütterte die Erde von unten, daß die Häupter aller Berge und die Wurzeln des Ida wankten, und Pluto ſelbſt, der Fürſt der Nacht, erſchrack und bebend vom Throne ſprang, weil er fürchtete, ein Erdriß möchte ſein geheimnißvolles Reich Sterblichen und Göttern offenbaren. Nun ſtellten ſich die Götter einander unmittelbar im Kampf entgegen: dem Meergotte Poſeidon begegnete Phöbus Apollo mit ſeinen Pfeilen, dem Kriegsgotte Pallas Athene, der Göttermutter Artemis mit dem Bogen, Hermes der Latona, dem Hephä¬ ſtus Skamander.

Während ſo Götter auf Götter zurückten, ſuchte Achilles im Gewühle nur den Hektor auf, Apollo aber, ſchickte ihm, in den Sohn des Priamus, Lykaon, ver¬ kleidet, den Helden Aeneas entgegen, daß er von Muth beſeelt, im ſchimmernden Erzpanzer, ſchnell in die vorder¬ ſten Reihen vordrang. Doch blieb der Held im Getüm¬ mel der Heranziehenden nicht unbemerkt von Juno; ſchnell ſammelte ſie die ihr befreundeten Götter um ſich und ſprach: Ueberleget ihr beide, du Poſeidon und Athene du, wohin unſere Sache ſich jetzt wende. Dort kommt, von Phöbus gereizt, Aeneas gegen den Peliden angeſtürmt: dieſen müſſen wir entweder verdrängen, oder muß einer von uns die Kraft des Achilles erhöhen, daß er ſpüre, die mächtigſten der Götter ſeyen mit ihm. Heute nur ſoll261 ihm nichts vom Trojanervolke geſchehen, nur deswegen ſind wir Alle ja vom Olymp herabgekommen. Künftig mag er erdulden, was die Parze ihm bei ſeiner Geburt geſponnen hat. Sey beſonnen, Juno, erwiederte Po¬ ſeidon, ungerne möcht 'ich, daß wir, ich und ihr Anderen, vereinigt gegen die Götter anrennten, es wäre nicht ziem¬ lich, denn wir ſind die weit überlegenen: laßt uns viel¬ mehr abſeits vom Wege dort auf die Warte uns nieder¬ ſetzen. Wenn aber Mars oder Apollo zuerſt den Kampf anheben, wenn ſie den Achilles hindern und ſich nicht frei im Streite bewegen laſſen, alsdann haben auch wir ein Recht, am Gefechte Theil zu nehmen, und gewiß kehren unſere Gegner dann, von unſerer Kraft gebändigt, eilig in den Olymp zur Schaar der andern Götter zu¬ rück! Der Meergott wartete nicht auf die Antwort, ſondern ſchüttelte ſeine finſtern Locken, und ging voran auf den Wall des Herkules, den vor Zeiten Pallas und die Trojaner dieſem zum Schutze gegen die Meerungeheuer aufgethürmt hatten*)S. Bd. I, S. 229.. Dorthin eilte Poſeidon, die andern Götter folgten ihm, und hier ſaßen ſie nun, die Schultern in undurchdringlichen Nebel gehüllt. Gegenüber auf dem Hügel Kallikolone ſetzten ſich Mars und Apollo, und ſo ſaßen die Unſterblichen ſäumend und ſinnend, getrennt, aber kampfbereit und nicht ferne von einander.

Unterdeſſen füllte ſich ringsum das Gefilde und ſtrahlte vom Erz der Streiter und der Wagen, und der Boden dröhnte vom Fußtritte der Herankommenden. Doch bald erſchienen zwei Männer, Einer aus jedem Heere, kampfbegierig hervorgerannt: Aeneas, der Sohn des262 Anchiſes, und Achilles der Pelide. Zuerſt ſchritt Aeneas heraus; vom ſchweren Helme nickte ſein Federbuſch, den rieſigen Stierſchild hielt er vor die Bruſt, und ſchwenkte ſeinen Wurfſpieß drohend. Als der Pelide dieß ſah, drang auch er wie ein grimmiger Löwe mit Ungeſtüm vor. Als ſie ganz nahe an einander waren, rief er: Was wagſt du dich ſo weit aus der Menge hervor, Aeneas? Hoffſt du etwa, das Volk der Trojaner zu beherrſchen, wenn du mich erlegſt? Thörichter, dieſe Ehre wird dir Priamus nie einräumen, hat er doch Söhne die Fülle, und er ſelbſt, der Alte, gedenkt noch nicht vom Throne zu ſteigen. Oder verſprachen dir vielleicht die Trojaner ein köſtliches Landgut, wenn du mich erſchlügeſt? Hab 'ich dich doch, wie ich meine, im Beginne dieſes Kampfes, ſchon einmal mit meiner Lanze verfolgt! Denkſt du nicht mehr daran, wie ich dich, den Vereinzelten, dort von den Rinder¬ herden weg, die Höhen des Ida hinabjagte? Da ſchau¬ teſt du dich im Fliehen nicht einmal um, und bis nach der Stadt Lyrneſſus trugen dich deine Füße. Ich aber warf ſie mit Pallas und Jupiter in Trümmer, und nur die Barmherzigkeit des Letzteren rettete dich, während ich Weiber und Beute genug davon führte. Doch heute wer¬ den dich die Götter nicht zum zweitenmale retten, ich rathe dir, begieb du dich ſchleunig wieder unter die Menge zurück und hüte dich mir zu begegnen, daß dir kein Leid geſchehe! Dagegen rief Aeneas: Hoffe mich nicht mit Worten, wie einen Knaben, abzuſchrecken, Pelide, herzzerſchneidende Worte könnte auch ich dir zurufen. Kennt doch Einer vom Rufe des Andern Geſchlecht wohl: daß dich die Meeresgöttin Thetis gebar, weiß ich; ich aber rühme mich, Aphroditens Sohn und Jupiters Enkel zu ſeyn. 263Auch werden wir nicht mit kindiſchen Worten von einan¬ der aus dem Schlachtfelde ſcheiden; laß uns deswegen nicht länger hier, gleich albernen Kindern, ſchwatzend in der Mitte des Getümmels ſtehen! die ehernen Kriegs¬ lanzen ſind es, die wir einander zu koſten geben wollen. So ſprach er und ſchwang den Speer zum Wurfe, von dem der entſetzliche Schild des Achilles ringsum nachhallte; doch durchſtürmte das Geſchoß nur die zwei äußeren Schichten von Erz; die beiden inneren waren von Zinn, und von der mittleren goldenen wurde die Lanze gehemmt. Jetzt ſchwang auch der Pelide ſeinen Speer; dieſer traf den Schild des Aeneas am äußerſten Rande, wo das Erz und die Stierhaut am dünnſten war; Aeneas duckte ſich und ſtreckte in der Angſt den Schild in die Höhe: ſo ſauſte ihm die Lanze, die beiden Schildränder durchfahrend, über die Schulter hin und bohrte ſich aufrecht dicht neben ihm in den Boden ein, daß den Sohn Aphroditens vor der To¬ desgefahr ſchwindelte. Und ſchon rannte Achilles mit gezücktem Schwerte, laut ſchreiend, herbei. Da ergriff Aeneas einen ungeheuren Feldſtein, wie ihn zwei jetzige Sterbliche nicht aufheben könnten; er aber ſchwang ihn ganz behende. Hätte er nun mit dem Steine nur des Gegners Helm oder Schild getroffen, ſo wäre er unfehlbar dem Schwert des Peliden erlegen.

Das erbarmte ſelbſt die Götter, die, den Trojanern abhold, auf dem Herkuleswalle ſaßen. Es wäre doch Schade, ſprach Poſeidon, wenn Aeneas, weil er Apollo's Wort gehorcht hat, zum Hades hinabfahren ſollte; auch fürchte ich, Jupiter könnte zürnen, denn haßt er gleich den Stamm des Priamus, ſo will er ihn doch nicht ganz ver¬ tilgen, und durch Aeneas ſoll das Herrſchergeſchlecht in264 Kindern und Kindeskindern fortdauern. Thue, was du willſt, erwiederte Juno, ich und Pallas, wir haben es mit einem Eidſchwure betheuert, daß wir kein Unglück, welches es auch ſey, von den Trojanern abhalten wollen.

Dieſe Unterredung war das Werk eines Augenblicks; Poſeidon flog in den Kampf, zog unſichtbar den Speer aus dem Schilde des Aeneas und legte dieſen dem Achil¬ les quer vor die Füße, nachdem er die Augen des Helden mit einem dichten Nebel umgoſſen hatte. Den Trojaner ſelbſt ſchleuderte er, ihn hoch von der Erde aufhebend, über Wagen und Streiter hinweg, an die Gränzen der Schlacht¬ ordnung, wo das Volk der kaukoniſchen Bundsgenoſſen kampfgerüſtet einherzog. Welcher Gott, ſo ſchalt Nep¬ tunus hier den geretteten Helden, verblendete dich, Aeneas, gegen den Liebling der Götter, den weit mächtigeren Pe¬ liden, kämpfen zu wollen? Weich in Zukunft zurück, ſo oft du ihm begegneſt; hat ihn einmal das Schickſal erreicht, dann magſt du dich getroſt in den vorderſten Reihen ſchla¬ gen! Jetzt verließ ihn der Gott, und zog vor Achilles Augen den Nebel hinweg, der verwundert ſeine Lanze an der Erde liegen und den Mann verſchwunden ſah. Troll 'er ſich immerhin mit eines Gottes Hülfe, ſprach er ver¬ drießlich, ich bin ſein Fliehen ſchon gewohnt. Dann ſprang er in die Reihen der Seinigen zurück und ermun¬ terte ſie zur Schlacht. Drüben aber feuerte Hektor die Seinigen an, und nun folgte ein wilder gemiſchter Angriff. Als Phöbus Apollo ſah, wie gierig Hektor dem Peliden entgegenſtrebte, flüſterte er ihm ein Warnungswort ins Ohr, vor welchem Hektor erſchrocken in den Haufen ſeiner Streiter zurückwich. Achilles aber drang ſtürmend unter die Feinde ein, und ſein erſter Speerwurf ſpaltete dem265 tapfern Iphition das Haupt, daß er zu Boden fiel, und von den Wagenrädern der Danaer zermalmt, im vorder¬ ſten Gewühle dalag. Dann ſtieß er dem Sohn Antenors, Demoleon, den Speer in den Schlaf, dem Hippodamas ſtach er, als er eben vom Wagen herabſprang, die Lanze in den Rücken; dem Pammon, dem Sohne des Priamus, bohrte er ſie, wie er gerade an ihm vorüberflog, in den Rückgrath an der Spange des Gurtes, daß ſie vorn her¬ ausdrang und der Jüngling heulend ins Knie ſank.

Als Hektor ſeinen Bruder auf der Erde gekrümmt ſah, das eigene Gedärm in den Händen, wurde es Nacht vor ſeinen Augen; er konnte nicht länger entfernt vom Kampfe bleiben, und ſtürmte trotz der Warnung des Got¬ tes gerade auf Achilles los, ſeinen Speer wie einen Blitz¬ ſtrahl zückend. Achilles frohlockte, als er ihn ſah. Dieß iſt der Mann, ſprach er, der meinem Herzen in der tiefſten Tiefe wehe gethan hat. Wollen wir länger vor einander fliehen, Hektor? Näher heran, daß du auf der Stelle das Todesziel erreicheſt! Wohl weiß ich, wie tapfer du biſt, antwortete Hektor unerſchrocken, und wie weit ich dir nachſtehe; doch wer weiß, ob die Götter mein Geſchoß nicht begünſtigen, daß es dir, obwohl vom ſchwä¬ cheren Manne abgeſendet, dennoch dein grauſames Leben raubt. Seinen Worten ſchickte er die Lanze nach. Aber Athene ſtand hinter dem Peliden und trieb ſie mit einem leiſen Anhauche gegen Hektor zurück, daß ſie ihm kraftlos zu Füßen ſank. Nun ſtürzte Achilles heran, den Gegner mit einem Speerſtoße zu durchbohren: doch Apollo ſchlug einen Nebel um Hektor, entrückte ihn, und dreimal ſtach der heranſtürmende Pelide in die leere Luft. Als er das viertemal vergebens anrannte, rief er mit drohender266 Stimme: So entrannſt du abermals dem Tode, du Hund, und haſt gewiß zu deinem Phöbus gebetet; aber wenn anders ein Gott auch mich begleitet, entrinnſt du künftig dem Verderben von meiner Hand nicht! Für jetzt gehe ich, Andere zu erhaſchen. So ſprach er, und ſtach dem Dryops die Lanze in den Hals, daß er ihm vor die Füße taumelte, durchbohrte dem Demuchus das Knie mit einem Speerwurf, ſtürzte den Laogonus und Dardanus, die Söhne des Bias, jenen mit einem Lanzenwurfe, den mit einem Schwerthiebe vom Wagen: dem Tros, dem Sohne Alaſtors, ſpaltete er die Leber, obgleich er ihm die Knie flehend umfaßte; dem Mulius fuhr ſeine Lanze durch ein Ohr bis zum andern; dem Sohne Agenors, Echeklus, ſchwang er das Schwert tief in den Schädel; den Deu¬ kalion traf ſeine Lanzenſpitze unter dem Armbug, und ſein Haupt flog vor ſeinem Schwerte mit ſammt dem Helm in den Staub; Rhigmus, dem Thrazier, ſchoß er die Lanze in den Bauch, und ſeinen Wagenlenker Arithous warf er mit einem Speerſtoße vom Sitz. So wüthete der göttergleiche Held, wie ein Wind im entſetzlichen Wald¬ brande; ſeine Roſſe trabten ſtampfend über Schilde und Leichname dahin, die Axe ſeiner Wagenräder trof von Blut, und bis zu den ſchmucken Rändern des Sitzes ſpritzten die Tropfen empor.

267

Kampf des Achilles mit dem Stromgotte Skamander.

Als die Fliehenden und ihr Verfolger an die Flut des Wirbel drehenden Skamander gekommen waren, theilte ſich die Flucht. Ein Theil warf ſich ſtadtwärts auf das Blachfeld, wo am vorigen Tage Hektor als Sieger die Griechen getummelt hatte. Ueber ſie breitete Juno ein dichtes Gewölk aus, und hinderte ſie ſo, weiter zu fliehen. Die andern aber, hart an das Gewäſſer des Stromes gedrängt, ſtürzten ſich in ſeine toſenden Wirbel hinab, daß die Geſtade ringsumher wiederhallten. Dort ſchwam¬ men ſie durcheinander wie Heuſchrecken, die man mit Feuer ins Waſſer geſcheucht hat; ſo füllte ſich mit einem Ge¬ wirre von Roſſen und Männern der ganze Fluß. Da lehnte der Pelide ſeine Lanze an einen Tamariskenbaum des Ufers, und ſtürzte ſich, das Schwert allein in der Hand, wie ein Gott ihnen nach. Bald röthete ſich das Waſſer von Blut, und unter ſeinen Streichen erhub ſich hier und dort ein Röcheln aus den Wellen; er wüthete wie in einer Hafenbucht ein ungeheurer Delphin, der von den andern Fiſchen verſchlingt, welchen er erhaſcht. Als ihm allmählig vom Morden die Hände ſtarr wurden, ergriff er doch noch zwölf Jünglinge lebendig im Strome; er zog ſie, der Sinne halb ſchon beraubt, heraus, und über¬ gab ſie den Seinigen, um dort als Sühnopfer für den Tod ſeines Freundes Patroklus zu fallen.

Als der Held nun wieder in den Strom ſtürzte, nach neuem Würgen ſich ſehnend, begegnete ihm, eben aus den Fluthen aufſtrebend, Lykaon, der Sohn des Priamus,268 und Achilles ſtutzte bei dem Anblick. Ihn hatte einſt bei einem früheren nächtlichen Ueberfalle der Pelide im Obſthaine ſeines Vaters Priamus überraſcht, wo er gerade wilde Feigenſproſſen zu einem Seſſelrande ſeines Wagens ſchnitt. Damals ent¬ führte ihn Achilles mit Gewalt, und ſandte ihn zu Schiffe nach der Inſel Lemnos, wo der Sohn des Jaſon, Eunëus, ihn als Sklaven an ſich kaufte. Als nun ein anderer Sohn des Jaſon, Eëtion, Fürſt von Imbrus, ſeinen Halbbruder zu Lemnos beſuchte, kaufte er den feinen Jüngling dieſem um theures Geld ab, und ſandte ihn nach ſeiner Stadt Arisbe. Als Lykaon hier einige Zeit gelebt, ſchlich er ſich heimlich von dannen und rettete ſich nach Troja. Es war der zwölfte Tag, daß er aus der Gefangenſchaft zurückgekehrt war, und jetzt zum zweiten¬ male dem Achilles in die Hände fiel. Wie dieſer ihn mit wankenden Knieen kraftlos aus dem Strome hervortauchen ſah, ſprach er ſtaunend zu ſich ſelber: Wehe mir, welch Wunder muß ich erblicken! Gewiß werden jetzt auch die andern Trojaner, die ich erſchlagen habe, aufs neue aus der Nacht hervorkriechen, da dieſer wiederkommt, den ich vor langer Zeit nach Lemnos verkauft habe! Nun, wohlan, mag er die Spitze unſerer Lanzen koſten, und es dann verſuchen, ob er auch aus dem Boden zurückkehren kann! Doch ehe Achilles recht mit dem Speere zielen konnte, hatte ſich Lykaon heraufgeſchwungen, umſchlang ihm mit der einen Hand die Kniee, und faßte mit der andern ſeine Lanze. Erbarme dich meiner, Achilles, rief er, war ich doch einſt deinem Schutze anvertraut! Damals trug ich dir hundert Stiere ein, jetzt will ich mich dreimal ſo hoch löſen! Erſt ſeit zwölf Tagen bin ich in der Heimath, nach langer Qual der Gefangenſchaft, aber Jupiter muß269 mich wohl haſſen, daß er mich von neuem in deine Hand gegeben. Doch tödte mich nicht; ich bin ein Kind Laothoe's, und kein leiblicher Bruder des Hektor, der dir deinen Freund gemordet hat. Aber Achilles faltete die Stirn, und mit umbarmherziger Stimme ſprach er: Schwatze mir nicht von Löſung, du Thor; ehe Patroklus ſtarb, war mein Herz zu ſchonen willig, jetzt aber entflieht Keiner dem Tode. So ſtirb denn auch du, mein Guter; ſieh mich nicht ſo kläglich an! Iſt doch auch Patroklus geſtor¬ ben, der viel herrlicher war, als du. Und betrachte mich ſelbſt, wie ſchön und groß ich von Geſtalt bin; dennoch, ich weiß es gewiß, wird auch mich das Verhängniß von Feindeshand ereilen, ſey's am Morgen, am Mittag oder am Abend! Lykaon ließ zitternd den Speer fahren, als er ihn ſo reden hörte, ſaß mit ausgebreiteten Händen und empfing den Stoß des Schwertes in den Hals. Achilles faßte den Gemordeten am Fuße, ſchleuderte ihn in den Strudel des Fluſſes, und rief ihm höhnend nach: Laß ſehen, ob der Strom dich rette, dem ihr vergebens ſo viele Sühnopfer gebracht habt.

Ueber dieſe Worte ergrimmte der Stromgott Ska¬ mander, der ohnedem auf Seite der Trojaner war, und erwog bei ſich im Geiſte, wie er den gräßlichen Helden in ſeiner Arbeit hemmen, und die Plage von ſeinen Schütz¬ lingen abwenden könnte. Achilles ſprang indeſſen mit ſeiner Lanze auf Aſteropäus den Päonier, den Sohn des Pele¬ gon ein, der, zwei Speere in den Händen, eben aus dem Strome ſtieg. Dieſem hauchte der Flußgott Muth in die Seele, daß er mit Ingrimm das erbarmungloſe Gemetzel des Peliden überblickte, und kühn auf den Mor¬ denden zueilte. Wer biſt du, der es wagt, mir entgegen270 zu gehen, rief Achilles ihm zu, nur die Kinder unglück¬ ſeliger Eltern begegnen meiner Kraft. Ihm antwortete Aſteropäus: Was frägſt du nach meinem Geſchlechte? Der Enkel des Stromgottes Axius bin ich, Pelegon hat mich gezeugt; vor eilf Tagen bin ich mit meinen Päonen als Bundsgenoſſe Troja's erſchienen. Jetzt aber kämpfe mit mir, hoher Achilles. Da erhub der Pelide ſeine Lanze; der Päonier aber warf zwei Speere zugleich, einen mit jeder Hand, denn er konnte die linke wie die rechte brau¬ chen: der eine brach das Schildgewölbe des Peliden, ohne den Schild ſelbſt zu brechen, der andere ſtreifte ihm den rechten Arm am Ellbogen, daß das Blut hervorrieſelte. Jetzt erſt ſchwang Achilles ſeine Lanze, aber ſie verfehlte den Gegner und fuhr bis zur Hälfte ins Ufer. Dreimal zog Aſteropäus mit ſeiner nervigten Hand an ihr, ohne ſie aus dem Boden herausreißen zu können. Als er das viertemal anſetzte, überfiel ihn Achilles mit dem Schwert und hieb ihm in den Leib, daß alles Gedärme hervor¬ drang und er röchelnd auf die Erde ſank. Der Pelide zog ihm jauchzend die Rüſtung ab, und ließ den Leichnam den Aalen zur Uferbeute liegen; dann ſtürzte er ſich unter die Päonier, die noch voll Angſt an dem Fluſſe umher flogen. Ihrer ſieben hatte ſein Schwert erſchlagen, und noch wollte er unter ihnen fortwüthen, als plötzlich Skamander, der zürnende Beherrſcher des Stromes, in Menſchenge¬ ſtalt aus dem tiefen Strudel emportauchte und dem Hel¬ den zurief: Pelide, du wütheſt mit entſetzlichen Thaten, mehr als ein Menſch! Meine Gewäſſer ſind voll von Todten, mit Mühe ergießen ſich meine Ströme ins Meer, laß ab! Ich gehorche dir, denn du biſt ein Gott, antwortete Achilles, aber darum wird mein Arm nicht271 vom Morde der Trojaner raſten, bis ich ſie in die Stadt zurückgejagt und meine eigene Kraft mit der Kraft Hektors gemeſſen habe. So ſprach er und ſtürzte ſich auf die flüchtigen Reihen der Trojaner, drängte ſie aufs neue dem Ufer zu, und als ſie ſich ins Waſſer retteten, ſprang, den Befehl des Gottes vergeſſend, auch er wieder in den Strudel. Nun fing der Strom an wüthend zu ſchwellen, regte ſeine trüben Fluthen auf, warf die Getödteten mit lautem Gebrüll ans Geſtade; ſeine Brandung ſchlug ſchmetternd an den Schild des Peliden. Dieſer, mit den den Füßen wankend, faßte eine Ulme mit den Händen, riß ſie aus den Wurzeln und klomm über ihre Aeſte ans Ufer. Nun flog er über das Gefilde hin, aber der Flu߬ gott rauſchte ihm mit der toſenden Welle nach, und erreichte ihn, ſo raſch er war. Und ſo oft er ihm widerſtehen wollte, beſpülten die Wogen ihm die Schultern, und raub¬ ten ihm den Boden unter den Füßen. Da klagte der Held gen Himmel: Vater Jupiter, erbarmt ſich denn keiner der Ewigen meiner, mich aus der Gewalt des Stroms zu retten? Betrogen hat mich meine Mutter, als ſie weiſſagte, daß mir der Tod durch Apoll's edles Geſchoß bereitet ſey. Hätte mich doch Hektor getödtet, der Starke den Starken! So aber ſoll ich des ſchmäh¬ lichſten Todes in den Fluthen ſterben, wie der Knabe eines Sauhirten, der im Winter durch den Sturzbach watet und fortgeriſſen wird!

Wie er ſo jammerte, geſellten ſich Poſeidon und Athene in Menſchengeſtalt zu ihm, faßten ihn bei der Hand und tröſteten ihn, denn nicht ſey ihm vom Schickſale beſtimmt, in den Strom zu ſinken. Die Götter ſchieden wieder, aber Athene füllte ihn mit Kraft, daß er hoch272 mit den Knieen aus der Fluth ſprang, und das Gefilde wieder gewann. Aber noch immer ließ Skamander von ſeinem Zorne nicht ab; vielmehr bäumte er ſich mit immer höherer Brandung und rief laut ſeinem Bruder Simois zu: Komm Bruder, laß uns beide zuſammen die Gewalt dieſes Mannes da bändigen, ſonſt wirft er uns heute noch die Veſte des Priamus in den Staub! Auf; hilf mir, nimm die Quellen des Gebirges auf, ermuntere jeden Gießbach, hebe deine Fluth hoch, rolle Steinblöcke daher! Nicht ſeine Kraft, nicht ſeine Rüſtung ſoll ihn vertheidigen: tief im Sumpfe ſoll dieſe liegen, mit Schlamme bedeckt. Ihn ſelbſt verſchütte ich mit Muſcheln, Kies und Sand, daß die Argiver ſelbſt ſeine Gebeine in dem Wuſt nicht mehr auffinden können. So thürme ich ihm ſelbſt ſein Denkmal auf, und die Danaer brauchen ihm für kein Raſengrab zu ſorgen! Unter dieſem Zurufe rauſchte er mit Schaum, Blut und Leichen auf den Helden daher, daß bald ſeine Welle ſich über ihm bäumte, indeß auch der Strom Simois aus der Ferne ſich aufmachte.

Juno ſelbſt, voll inniger Angſt um ihren Liebling, ſchrie laut auf, als ſie dieſes ſah. Dann ſprach ſie ſchnell zu Hephäſtus: Lieber hinkender Sohn, nur deine Flam¬ men ſind dem gewaltigen Strome gewachſen: bringe dem Pe¬ liden deine Hülfe; ich ſelbſt will den Weſt - und Südwind vom Meergeſtade erregen, daß ſie die ſchreckliche Glut bis ins Heer der Trojaner hineintragen. Du aber zünde die Bäume am Geſtade des Fluſſes an und durchlodere ihn ſelbſt; laß dich durch keine Schmeichelei und durch keine Drohung zurückhalten, Glut muß die Vertilgung im Zaume halten! Auf ihr Wort durchflog die Flamme des Hephäſtus das Gefild, und zuerſt verbrannte ſie die Leichname der Troer,273 die von Achilles Hand gefallen waren. Dann wurde das Feld ganz trocken und das Waſſer gehemmt. Am Ufer fingen die Ulmen, die Weiden, die Tamarisken und alles Gras zu brennen an; ſchon ſchnappten die Aale und an¬ dere Fiſche, angſtvoll und matt von dem Glutanhauche, nach friſchem Waſſer. Endlich wogte der Strom ſelbſt in lichten Flammen, und Skamander, der Gott, rief wimmernd aus ſeinen Fluthen hervor: Gluthathmender Gott, ich begehre nicht, mit dir zu kämpfen, laß uns vom Streite ruhen; was geht mich die Fehde der Trojaner und des Achilles an! So klagte er, während ſeine Ge¬ wäſſer ſprudelten, wie Fett im Keſſel über der Flamme brodelt. Endlich wandte er ſich laut wehklagend an die Göttermutter, und rief: Here, warum quält denn dein Sohn Hephäſtus meinen Strom ſo entſetzlich? Hab 'ich doch nicht mehr verſchuldet, als die andern Götter alle, ſo viel ihrer den Trojanern beiſtehen; jetzt aber will ich ja gerne ruhig ſeyn, wenn du es befiehlſt, nur ſollte auch er mich in Ruhe laſſen! Da begann Juno zu ihrem Sohne: Halt ein, Hephäſtus, martere mir den unſterb¬ lichen Gott nicht länger um der Sterblichen willen! Jetzt löſchte der Feuergott ſeine Flamme, der Strom rollte in ſeine Ufer zurück, und der ferne Simois gab ſich auch zufrieden.

Schlacht der Götter.

Den andern Göttern tobte dafür das Herz in unge¬ ſtümer Feindſchaft, und im Sturme prallten ſie aneinander, daß der Erdkreis dröhnte und die Luft rings wie vonSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 18274Poſaunen erſcholl. Jupiter, auf der Spitze des Olymp gelagert, vernahm es, und ſein Herz erbebte vor Wonne, als er die Unſterblichen zum rieſenhaften Kampf auf ein¬ ander losrennen ſah. Zuerſt drang Mars, der Kriegsgott, vor und ſtürmte mit ſeinem ehernen Speer auf Pallas Athene ein, indem er ihr ſchmähende Worte entgegenrief: Du ſchamloſeſte Fliege, was treibſt du voll ſtürmiſcher Dreiſtigkeit die Götter zum Kampfe? Weißt du noch, wie du den Tydiden gereizt, daß er mich mit der Lanze ver¬ wundete, ja wie du ſelbſt mit dem ſtrahlenden Speere mir den unſterblichen Leib verletzt? Jetzt wollen wir die Rech¬ nung miteinander abſchließen, du Unbändige! So ſprach er, ſchlug an ſeinen ſchrecklichen Aegisſchild, und ſtieß mit dem Speer nach der Göttin. Dieſe wich aus, griff nach einem großen rauhen Markſtein, der dort im Gefilde lag, und traf damit den Wütherich an den Hals, daß er klir¬ rend in ſeinen ehernen Waffen zu Boden ſank, ſieben Hufen Landes im Fall bedeckend, und ſein göttliches Haar vom Staube beſudelt ward. Da lächelte Athene, und ſprach jubelnd: Thörichter, du haſt wohl nie bedacht, wie viel ich dich an Kraft übertreffe, da du es gewagt haſt, dich mit mir zu meſſen! Büße jetzt ganz deiner Mutter Here Verwünſchungen, die voll Zornes über dich iſt, daß du dich den Griechen entzogen haſt, und die übermüthigen Trojaner vertheidigen magſt. So redete ſie, und wandte ihre ſtrahlenden Götteraugen ab. Den ſchwer aufſtöhnen¬ den Kriegsgott, dem erſt allmählig der Athem wiederkehrte, führte Jupiters Tochter, Aphrodite, aus der Schlacht; als aber Juno die beiden gewahr wurde, begann ſie zu Athene: Weh mir, Pallas, ſieheſt du nicht, wie dreiſt dort die weichliche Liebesgöttin den wilden Mörder mitten aus dem275 entſcheidenden Kampfe durchs Getümmel hinwegführt? Wirſt du ſie nicht ſchnell verfolgen? Nun ſtürmte Pallas Athene nach, und verſetzte der zarten Göttin mit mächtiger Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß ſie zu Boden ſank, und der verwundete Kriegsgott mit ihr. Mögen alle ſo ſtürzen, rief Athene, die es wagen, den Trojanern bei¬ zuſtehen! Wäre es jedem der Unſern gelungen, wie mir, ſo hätten wir längſt Ruhe, und Troja wäre zum Schutt¬ haufen unter unſern Händen geworden. Ein Lächeln flog über Here's Geſicht, als ſie dieſes ſah und hörte. Darauf ſprach der Erderſchütterer Poſeidon, zu Apollo gewendet: Phöbus, warum ſtehen wir ſo entfernt, da doch Andere den Kampf ſchon begonnen haben? Es wäre doch eine Schmach für uns, wenn wir beide zum Olymp zurückkeh¬ ren wollten, ohne unſere Kraft aneinander verſucht zu haben. So hebe denn du an, biſt du doch der Jüngere! Was ſäumſt du? Hat dein Herz doch ganz vergeſſen, wie viel wir beide vor allen Göttern bereits Böſes um Troja geduldet haben, ſeit wir dem ſtolzen Laomedon bei dem Bau der Stadtmauer fröhnten, und er unſere Dienſte ſo ſchnöde vergalt? Du denkſt wohl nicht mehr daran, ſonſt würdeſt du mit uns Andern auf die Vernichtung der Trojaner be¬ dacht ſeyn, und nicht dem Volke des trügeriſchen Laomedon willfahren! Beherrſcher des Meeres, antwortete ihm Phöbus, ich ſelbſt würde dir nicht bei Beſinnung dünken, wenn ich, der Sterblichen wegen, die hinfällig ſind, wie das Laub im Walde, mit dir, dem ehrfurchtgebietenden Gotte, kämpfen wollte. So ſprach Apollo, und wandte ſich, voll Scheu, wider den Bruder ſeines Vaters ge¬ waltſam den Arm aufzuheben. Da ſpottete ſeiner die Schweſter Artemis und rief höhnend: Flieheſt du ſchon18 *276vor der Schlacht, du Fernhintreffer, und räumſt dem prah¬ leriſchen Poſeidon den Sieg ein? Du Thor, was trägſt du alsdann auf der Schulter den Bogen, das nichtige Kinderſpiel? Aber Juno verdroß die Spottrede: Ge¬ denkſt du etwa, weil du dein Geſchoß auf dem Rücken trägſt, dich mit mir an Stärke zu meſſen, du Schamloſe? ſprach ſie, wahrlich, dir wäre beſſer, du gingſt in die Wälder, einen Eber oder Hirſch zu erlegen, als frech gegen höhere Götter anzukämpfen! Und doch, weil du ſo trotzig biſt, ſo magſt du meine Hand fühlen. So ſchalt ſie, ergriff mit der Linken beide Hände der Göttin am Knöchel, mit der Rechten zog ſie ihr den Köcher ſammt den Pfeilen von der Schulter, und verſetzte damit der Zurückgewendeten ſchimpfliche Streiche um die Ohren, daß die Pfeile klirrend aus dem Köcher ſanken. Wie eine ſchüchterne Taube, vom Habicht verfolgt, ließ Diana Köcher und Pfeile liegen, und floh unter Thränen davon. Ihre Mutter Latona wäre ihr zu Hülfe geeilt, wenn nicht Merkur in der Nähe auf der Lauer geſtanden wäre. Als dieſer das inne ward, ſprach er zu ihr: Ferne ſey von mir, daß ich mit dir ſtreiten wollte, Latona; gefahrvoll iſt der Kampf mit den Frauen, die der Donnerer ſeiner Liebe gewürdigt hat. Deswegen magſt du dich immerhin im Kreiſe der Unſterblichen rühmen, mir obgeſiegt zu haben. So ſprach er freundlich: da eilte Latona herbei, hub den Bogen, den Köcher und die Pfeile, wie ſie wirbelnd da und dorthin in den Staub gefallen waren, ſie ſammelnd, auf, und eilte der Tochter nach, zum Olymp hinan. Dort hatte ſich Artemis weinend auf die Kniee des Va¬ ters geſetzt, und ihr feines, von Ambroſia duftendes Gewand bebte ihr noch vom Zittern der Glieder. Jupiter277 ſchloß ſie liebkoſend in die Arme, und ſprach unter freund¬ lichem Lächeln zu ihr: Welcher von den Göttern hat es gewagt, dich zu mißhandeln, mein zartes Töchterchen? Vater, antwortete ſie, dein Weib hat mir ein Leids gethan, die zornige Juno, die alle Götter zu Streit und Hader empört. Da lachte Jupiter, ſtreichelte ſie und ſprach ihr Troſt ein.

Drunten aber ging Phöbus Apollo hinein in die Stadt der Trojaner, denn ihm war ernſtlich bange, die Danaer möchten, dem Schickſale zum Trotz, noch heute die Mauer der ſchönen Veſte niederreißen. Die übrigen Götter eilten, die einen voll Siegesluſt, die andern voll Zorn und Gram, in den Olymp zurück, und ſetzten ſich um den Vater, den Donnergott, im Kreiſe.

Achilles und Hektor vor den Thoren.

Auf einem hohen Thurme der Stadt ſtand der greiſe König Priamus, und ſchaute nieder auf den gewaltigen Peliden, wie er die fliehenden Trojaner vor ſich hertrieb, ohne daß ein Gott oder ein Sterblicher erſchien, ihn ab¬ zuwehren. Wehklagend ſtieg der König vom Thurme her¬ nieder, und ermahnte die Hüter der Mauer: Oeffnet die Thorflügel und haltet ſie, bis alle die fliehenden Völker ſich in die Stadt hereingedrängt haben, denn Achilles tobt ganz nahe dem Schwarm, und mir ahnet ſchlimmer Aus¬ gang. Sind ſie innerhalb der Mauer, ſo fuget mir die Flügel wieder wohl ineinander, ſonſt ſtürmt der Verderb¬ liche hinter ihnen durch das Thor zu uns herein! Die278 Wächter ſchoben die Riegel zurück, die Thorflügel thaten ſich auseinander und eine Rettungspforte ſtand offen.

Während aber die Trojaner ausgedörrt von Durſt, bedeckt mit Staub, durch das Blachfeld flohen, und Achil¬ les mit ſeiner Lanze ſie wie wahnſinnig verfolgte, verließ Apollo Troja's offenes Thor, die Noth ſeiner Schutzbe¬ fohlenen zu wenden. Er erweckte den Helden Agenor, den tapfern Sohn Antenors, und ſtand ihm, in dunkeln Nebel eingehüllt, an die Buche Jupiters gedrängt, ſelbſt zur Seite. So geſchah es, daß Agenor zuerſt von allen Trojanern im Fliehen inne hielt, ſich beſann und ſchämte und zu ſich ſelbſt ſagte: Wer iſt es, der dich verfolgt, iſt nicht auch ihm der Leib mit ſpitzem Eiſen verwundbar, iſt er nicht auch ſterblich, wie andere Menſchen? So faßte er ſich in Gedanken und erwartete den heranſtürmen¬ den Achilles, ſtreckte den Schild vor, und rief ihm, die Lanze ſchwingend, entgegen: Hoffe nicht ſo ſchnell die Stadt der Trojaner zu verheeren, Thörichter; noch gibt es Männer unter uns, die für Eltern, Weiber und Kin¬ der ihre Veſte beſchirmen! Damit entſchwang er den Speer, und traf die neugegoſſene zinnerne Knieſchiene des Helden, von der die Lanze jedoch, ohne zu verwunden, ab¬ prallte. Achilles ſtürzte ſich auf den Gegner, aber Apollo entführte dieſen im Nebel, und wußte den Peliden ſelbſt durch eine Liſt von der Verfolgung abzulenken. Er ſelbſt verwandelte ſich nämlich in die Geſtalt Agenors, und nahm ſeinen Weg durch das Waizenfeld, dem Skamanderfluſſe zu. Achilles eilte ihm fliegend nach und hoffte ihn beſtän¬ dig im Laufe zu erhaſchen. Indeſſen flüchteten die Tro¬ janer glücklich durchs offene Thor in die Stadt, die ſich bald mit gedrängten Schaaren füllte: Keiner wartete279 auf den Andern, Keiner ſchaute ſich um, zu ſehen, wer gerettet, wer gefallen ſey; alle waren nur froh für ſich ſelbſt, ſich ſicher hinter den Mauern zu wiſſen. Da kühlten ſie den Schweiß, löſchten den Durſt und ſtreckten ſich längs der Mauer an der Bruſtwehr nieder.

Doch die Griechen, Schild an Schulter, wandelten in dichten Schaaren auf die Mauer zu. Von allen Tro¬ janern war nur Hektor auſſerhalb des ſkäiſchen Thores geblieben, denn ſein Schickſal hatte es ſo geordnet. Achilles aber war immer noch auf der Verfolgung Apollo's begrif¬ fen, den er für Agenor hielt. Da ſtand plötzlich der Gott ſtille, wandte ſich um, und ſprach mit ſeiner Götter¬ ſtimme: Was verfolgſt du mich ſo hartnäckig, Pelide, und vergiſſeſt über mich die Verfolgung der Trojaner? Du meineſt einen Sterblichen zu jagen, und rannteſt einem Gotte nach, den du doch nicht tödten kannſt. Da fiel es wie Schuppen von den Augen des Helden, und er rief voll Aerger aus: Grauſamer, trügeriſcher Gott! daß du mich ſo von der Mauer hinweglocken konnteſt! Fürwahr, noch viele hätten mir im Staube knirſchen müſſen, ehe ſie in Ilion einzogen! Du aber haſt mir den Siegesruhm geraubt und ſie gefahrlos gerettet, denn du haſt als ein Gott keine Rache zu fürchten, wie gerne ich mich auch an dir rächen möchte!

Achilles wandte ſich und flog trotzigen Sinnes auf die Stadt zu, wie ein ungeſtümes, ſieggewohntes Roß am Wagen. Ihn erblickte zuerſt der greiſe Priamus, von der Warte des Thurmes herab, auf der der König wieder Platz genommen hatte, und er erſchien ihm leuchtend, wie der ausdörrende Hundsſtern am Nachthimmel dem Land¬ mann verderbenbringend entgegenfunkelt. Der Greis ſchlug280 ſich die Bruſt mit den Händen und rief wehklagend zu ſeinem Sohne herab, der auſſerhalb des ſkäiſchen Thores ſtand und voll heiſſer Kampfgier auf den Peliden wartete: Hektor, theurer Sohn! was weileſt du drauſſen einſam und von allen Andern getrennt! Willſt du dich denn muthwillig dem Verderben in die Hände geben, ihm, der mir ſchon ſo viele tapfre Söhne geraubt hat! Komm herein in die Stadt, beſchirme hier Troja's Männer und Frauen, verherrliche nicht den Ruhm des Peliden durch deinen Tod! Erbarme dich auch meiner, deines elenden Vaters, ſo lange er noch athmet, meiner, den Jupiter verdammt hat, an der äußerſten Schwelle des Alters in Gram hinzuſchwinden, und ſo unendliches Leid mit anzu¬ ſchauen! Meine Kinder werde ich ſehen müſſen erwürgt, meine Töchter hinweggeriſſen, ausgeplündert die Kammern meiner Burg, die ſtammelnden Kinder zu Boden geſchmet¬ tert, die Schwiegertöchter fortgeſchleppt. Zuletzt liege ich wohl ſelbſt, von einem Speerwurf oder Lanzenſtich ermor¬ det, am Thore des Pallaſtes, und die Haushunde, die ich aufgezogen, zerfleiſchen mich und lecken mein Blut!

So rief der Greis vom Thurme herab und zerraufte ſein weißes Haar. Auch Hekuba, die Mutter, erſchien an ſeiner Seite, zerriß ihr Gewand und rief weinend hinun¬ ter: Hektor, gedenke, daß meine Bruſt dich geſtillt hat; erbarme dich meiner! Wehre dem ſchrecklichen Manne hinter der Mauer, aber miß dich nicht mit ihm im Vor¬ kampfe, du Raſender!

Das laute Weinen und Rufen ſeiner Eltern vermochte den Sinn Hektors nicht umzuſtimmen; er blieb unbeweg¬ lich auf dem Platze und erwartete den herannahenden Achilles. Damals hätte ich weichen müſſen, ſprach er281 in ſeinem Herzen, als mein Freund Polydamas mir den Rath gab, das Heer der Trojaner in die Stadt zurückzu¬ führen! Jetzt nachdem ich das Volk durch meine Bethö¬ rung verderbt habe, fürchte ich mich vor den Männern und Weibern Troja's, daß nicht einer der Schlechteren mir dereinſt ſage: im Vertrauen auf ſeine eigene Stärke hat Hektor das Volk preisgegeben. Viel beſſer ich ſiege oder falle im Kampfe mit dem Gefürchteten! Oder wie? wenn ich Schild und Helm jetzt zur Erde legte, meinen Speer an die Mauer lehnte, ihm entgegen ginge, ihm Helena, alle Schätze, die Paris geraubt, zudem anderes Gut die Fülle anböte; wenn ich alsdann den Fürſten Troja's einen Eidſchwur abnähme, nichts ingeheim zu entziehen; all unſre Schätze und Vorräthe in zwei Theile zu theilen ..... Doch, wehe mir, was für Gedanken kommen mir ins Herz? Ich mich ihm flehend nahen? Ohne Erbarmen würde er mich, den Entblößten, nieder¬ hauen, wie ein Weib! Fürwahr es würde ſchön laſſen, wenn ich mich zu einem traulichen Geſpräche ihm beige¬ ſellen wollte, wie ein Jüngling wohl mit der Jungfrau plaudert! Beſſer, wir rennen auf einander an zum Kampfe, daß es ſich bald entſcheiden muß, welchem von uns beiden die Olympiſchen den Sieg verliehen! Solche Gedanken wog Hektor im Geiſte ab und blieb.

282

Der Tod Hektors.

Immer näher kam Achilles geſchritten, dem Kriegs¬ gott an furchtbarer Herrlichkeit gleich; auf der rechten Schulter bebte ihm entſetzlich ſeine Lanze aus Pelions Eſchenholz, ſeine Erzwaffen ſchimmerten um ihn wie eine Feuersbrunſt, oder wie die aufgehende Sonne. Als Hek¬ tor ihn ſah, mußte er unwillkührlich zittern; er vermochte nicht mehr ſtille zu ſtehen; er wandte ſich um, dem Thore zu, und hinter ihm her flog der Pelide, wie ein Falk der Taube nachſtürzt, die oft ſeitwärts ſchlüpft, während der Raubvogel gradandringt in ſeinem Fluge. So flüchtete Hektor längs der Mauer von Troja über den Fahrweg hinüber an den beiden ſprudelnden Quellen des Skaman¬ der vorbei, der warmen und der kalten, immer weiter um die Mauer: ein Starker floh, aber ein Stärkerer folgte. Alſo kreisten ſie dreimal um die Stadt des Priamus, und vom Olymp ſahen alle ewigen Götter dem Schauſpiele mit geſpannter Aufmerkſamkeit zu. Erwägt es wohl, ihr Götter, ſprach Jupiter, die Stunde der Entſcheidung iſt jetzt gekommen; jetzt fragt es ſich: ſoll Hektor dem Tode noch einmal entfliehen, ſoll er, wie tapfer er auch ſeyn mag, fallen? Da nahm Pallas Athene das Wort und ſprach: Vater, wo denkſt du hin? Einen Sterbenden, der längſt dem Verhängniß anheimgefallen iſt, willſt du vom Tod erlöſen? Thu ', was dir gut dünkt, aber hoffe nicht, daß die Götter deinen Rath billigen werden! Ju¬ piter nickte ſeiner Tochter Gewährung zu, und ſie ſchwang283 ſich wie ein Vogel von den Felſenhöhen des Olymp aufs Schlachtfeld hinab.

Hier floh Hektor noch immer vor ſeinem Verfolger, der ihn, wie ein Jagdhund den aus dem Lager aufgejagten Hirſch, bedrängte, und ihm, wie dieſer ſeinem Wild, keinen Schlupfwinkel und keine Raſt gönnte. Auch winkte Achil¬ les ſeinem Volke zu, daß keiner ſein Geſchoß auf Hektorn werfen und ihm den Ruhm rauben ſollte, der erſte und einzige geweſen zu ſeyn, der den furchtbarſten Feind der Griechen erlegte.

Als ſie nun zum viertenmal auf ihrer Runde um die Mauer an die Quellen des Skamander gelangt waren, da erhub ſich Jupiter auf dem Olymp, ſtreckte die goldne Wage vor, und legte zwei Todeslooſe hinein, das eine für den Peliden, das andre für Hektor. Dann faßte er die Wage in der Mitte und wog: da ſank Hektors Wag¬ ſchale tief nach dem Hades zu, und augenblicklich verließ Phöbus Apollo ſeine Seite. Zu Achilles aber trat Athene die Göttin und flüſterte ihm ins Ohr: Steh 'und erhole dich, während ich Jenem zurede, dich kühn zu bekämpfen. Achilles lehnte ſich, der Göttin gehorchend, auf ſeinen eſchenen Speer, ſie aber, in der Geſtalt des Deiphobus, trat ganz nahe zu Hektor und ſprach zu ihm: Ach, mein älterer Bruder, wie bedrängt dich der Pelide! Wohlan, laß uns Stand halten und ihn abwehren. Freudig auf¬ blickend erwiederte Hektor: Du warſt immer mein trau¬ teſter Bruder, Deiphobus, jetzt aber muß dich mein In¬ nerſtes nur um ſo mehr hochachten, daß du dich, ſobald mich dein Auge wahrnahm, aus der Stadt gewagt haſt, während die andern alle hinter der Mauer ſitzen! Athene winkte dem Helden zu und ſchritt ihm, die Lanze gehoben,284 voran, dem ausruhenden Achilles entgegen. Dieſem rief Hektor zuerſt zu: Nicht länger entfliehe ich dir, Pelide: mein Herz treibt mich, dir feſt entgegen zu ſtehen, daß ich dich tödte oder falle! Laß uns aber die Götter zu Zeu¬ gen eines Eidſchwures nehmen: wenn mir Jupiter den Sieg verleiht, werde ich dich nimmermehr mißhandeln, ſondern, nachdem ich dir deine Rüſtung abgezogen, die Leiche deinen Volksgenoſſen zurückgeben. Ein Gleiches ſollſt du mir thun!

Nicht von Verträgen geplaudert! erwiederte finſter Achilles, ſo wenig ein Hund zwiſchen Löwen und Men¬ ſchen Freundſchaft ſtiftet, ſo wenig zwiſchen Wölfen und Lämmern Eintracht beſteht, ſo wenig wirſt du mich mit dir befreunden. Einer von uns muß blutig zu Boden ſtürzen. Nimm deine Kunſt zuſammen, du mußt Lanzen¬ ſchwinger und Fechter zugleich ſeyn. Doch du wirſt mir nicht entrinnen, all das Leid, das du den Meinigen mit der Lanze angethan haſt, das büßeſt du mir jetzt auf ein¬ mal! So ſchalt Achilles und ſchleuderte die Lanze: doch Hektor ſank ins Knie, und das Geſchoß flog über ihn weg in die Erde; hier faßte es Athene und gab es dem Peliden, unbemerkt von Hektor, ſogleich zurück. Mit zor¬ nigem Schwung entſandte nun Hektor auch ſeinen Speer, und dieſer fehlte nicht, er traf mitten auf den Schild des Achilles, aber prallte auch davon ab; beſtürzt ſah ſich Hektor nach ſeinem Bruder Deiphobus um, denn er hatte keine zweite Lanze zu verſenden. Doch dieſer war ver¬ ſchwunden. Da wurde Hektor inne, daß es Athene war, die ihn getäuſcht hatte. Wohl ſah er ein, daß das Schick¬ ſal ihn jetzt faſſen würde; er dachte daher nur darauf, wie er nicht ruhmlos in den Staub ſinken wollte, zog285 ſein gewaltiges Schwert von der Hüfte, und ſtürmte, das geſchwungene in der Rechten, wie ein Adler einher, der auf einen geduckten Haſen oder ein Lämmlein aus der Luft herabſchießt. Der Pelide wartete den Streich nicht ab, auch er drang unter dem Schilde vor; ſein Helm nickte, die Mähne flatterte, und ſternhell ſtrahlte ſein Speer, den er grimmig in ſeiner Rechten ſchwenkte. Sein Auge durchſpähte den Leib Hektors, forſchend, wo etwa eine Wunde haften könnte. Da fand er Alles blank von der geraubten Rüſtung umhüllt: nur wo Achſel und Hals das Schlüſſelbein verbindet, erſchien die Kehle, die gefähr¬ lichſte Stelle des Lebens im Leib, ein weniges entblößt. Dorthin lenkte Achilles ſchnell beſonnen ſeinen Stoß und durchſtach ihm den Hals ſo mächtig, daß die Lanzenſpitze zum Genick herausdrang. Doch durchſchnitt ihm der Speer die Gurgel nicht ſo, daß der Verwundete nicht noch reden konnte, obgleich er in den Staub ſank, wäh¬ rend Achilles laut frohlockte und den Leichnam Hunden und Vögeln preis zu geben drohte. Da begann der lie¬ gende Hektor, ſchon ſchwächer athmend, zu flehen: Ich beſchwöre dich bei deinem Leben, Achilles, bei deinen Knieen, bei deinen Eltern, laß mich bei den Schiffen der Danaer nicht die Hunde zerreißen! Nimm Erz und Gold ſo viel du willſt zum Geſchenk, und entſende dafür mei¬ nen Leib nach Troja, daß Männer und Frauen dort ihm die Ehre des Scheiterhaufens zu Theil werden laſſen.

Aber Achilles ſchüttelte ſein fürchterliches Haupt und ſprach: Beſchwöre mich nicht bei meinen Knieen und meinen Eltern, du Mörder meines Freundes! Niemand ſey, der dir die Hunde verſcheuche von deinem Haupt, und wenn mir deine Landsleute zwanzigfältige Sühnung286 darwögen und noch mehr verhießen. Ja, wenn dich Pria¬ mus mir ſelbſt mit Gold aufwägen wollte! Ich kenne dich, ſtöhnte Hektor ſterbend, ich ahnte, daß du nicht zu erweichen ſeyn würdeſt; dein Herz iſt eiſern! Aber denk 'an mich, wenn die Götter mich rächen, und am hohen, ſkäiſchen Thore du vom Geſchoſſe Phöbus Apollo's ge¬ troffen im Staube endeſt, wie jetzt ich! Mit dieſer Weiſſagung verließ Hektor's Seele den Leib und flog zum Hades hinunter. Achilles aber rief der fliehenden nach: Stirb du; mein Loos empfang' ich, wann Jupiter und die Götter wollen! So ſprach er und zog den Speer aus dem Leichnam, legte ihn bei Seite, und zog die eigene, blutige Rüſtung von den Schultern des Gemordeten.

Nun kamen aus dem griechiſchen Heere viel Streiter herbeigelaufen und betrachteten den Wuchs und die hohe Bildung des todten Hektor bewundernd, und mancher ſprach, ihn anrührend: Wunderbar, wie viel ſanfter iſt doch der Mann nun zu betaſten, als da er den Feuer¬ brand in unſere Schiffe ſchleuderte! Jetzt ſtellte ſich Achilles mitten unter das Volk und ſprach: Freunde und Helden! Nachdem die Götter mir verliehen haben, dieſen Mann hier zu bändigen, der uns mehr Böſes gethan hat, als alle andern zuſammen, ſo laßt uns in unſerer Rüſtung die Stadt ein wenig auskundſchaften, um zu erforſchen, ob ſie uns wohl die Burg räumen werden, oder ob ſie es wagen, uns auch ohne Hektor Widerſtand zu leiſten. Aber was rede ich? Liegt nicht mein Freund Patroklus noch unbeſtattet bei den Schiffen? Darum ſtimmet den Siegs¬ geſang an, ihr Männer, und laßt uns vor allen Dingen meinem Freunde das Sühnopfer bringen, das ich ihm geſchlachtet habe!

287

Mit ſolchen Worten wandte ſich der Grauſame dem Leichnam aufs Neue zu, durchbohrte ihm an beiden Füßen die Sehnen zwiſchen Knöchel und Ferſen, durchzog ſie mit Riemen von Stierhaut, band ſie am Wagenſitze feſt, ſchwang ſich in den Wagen, und trieb ſeine Roſſe mit der Geißel den Schiffen zu, den Leichnam nachſchleppend. Staubgewölk umwallte den Geſchleiften, ſein jüngſt noch ſo liebliches Haupt zog mit zerrüttetem Haar eine breite Furche durch den Staub. Von der Mauer herab erblickte ſeine Mutter Hekuba das grauenvolle Schauſpiel, warf den Schleier ihres Hauptes weit von ſich und ſah jam¬ mernd ihrem Sohne nach. Auch der König Priamus weinte und jammerte. Geheul und Angſtruf der Trojaner und der fremden Völker hallte durch die ganze Stadt. Kaum ließ ſich der alte König abhalten, ſelbſt in ſeinem zornigen Schmerz zum ſkäiſchen Thore hinaus zu ſtürmen und dem Mörder ſeines Sohnes nachzueilen. Er warf ſich zu Boden und rief: Hektor, Hektor! Alle andern Söhne, die mir mein Feind erſchlug, vergeſſe ich über dir: o wäreſt du doch nur in meinen Armen geſtorben!

Andromache, Hektors Gemahlin, hatte von dem gan¬ zen Jammer noch nichts vernommen, ja ihr war nicht einmal ein Bote gekommen, der gemeldet hätte, daß ihr Gatte ſich noch draußen vor den Thoren befinde. Ruhig ſaß ſie in einem der Gemächer des Pallaſtes, und durch¬ wirkte ein ſchönes Purpurgewand mit bunter Stickerei. Und eben rief ſie einer der Dienerinnen, einen großen Dreifuß ans Feuer zu ſtellen, um ihrem Gemahl ein wärmendes Bad vorzubereiten, wenn er aus der Feld¬ ſchlacht käme. Da vernahm ſie vom Thurme her Geheul und Jammergeſchrei. Finſtre Ahnung im Herzen rief ſie:288 Weh mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen muthigen Gatten allein von der Stadt abgeſchnitten und bedrohe ſeine Kühnheit, die ihn niemals im Haufen wei¬ len läßt! Folget euer zwei mir, daß wir ſchauen, was es gibt! Mit pochendem Herzen durchſtürmte ſie den Pallaſt, eilte auf den Thurm und ſah herab über die Mauer, wie die Roſſe des Peliden den Leichnam ihres Gatten, erbarmungslos an den Wagen des Siegers ge¬ bunden, durchs Gefilde ſchleppten. Andromache ſank rück¬ wärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen in tiefe Ohnmacht und der köſtliche Haarſchmuck, das Band, die Haube, die ſchöne Binde, das Hochzeitgeſchenk Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als ſie endlich wieder aufzuathmen anfing, begann ſie mit gebro¬ chener Klage ſchluchzend vor Troja's Frauen: Hektor! wehe mir Armen! du, elend wie ich, zu Elend geboren, wie ich! In Schmerz und Jammer verlaſſen, ſitze ich nun im Hauſe, eine Wittwe mit unſerem unmündigen Kinde, das des Vaters beraubt, die Augen geſenkt, mit immer bethränten Wimpern aufwächst! Betteln wird es müſſen bei den Freunden des Vaters, und bald den am Rock, bald den am Aermel zupfen, daß er ihm das Schälchen reiche und zu nippen gebe! Manchmal auch wird ein Kind blühender Eltern es vom Schmauſe ver¬ ſtoßen und ſagen: trolle dich, dein Vater iſt ja nicht bei'm Gaſtmahl! dann flüchtet es ſich weinend zu der Mutter, die keinen Gatten hat. Der aber wird die Hunde ſätti¬ gen und die Würmer werden den Ueberreſt verzehren! Was helfen mir nun die ſchmucken, zierlichen Gewande in den Käſten? Der Flamme will ich ſie alle übergeben: was frommen ſie mir? Hektor wird nicht mehr auf289 ihnen ruhen, nicht mehr in ihnen prangen! So ſprach ſie weinend und wehklagend und rings umher ſeufzten die Trojanerinnen.

Leichenfeier des Patroklus.

Sobald Achilles mit der Leiche ſeines Feindes bei den Schiffen angekommen war, ließ er dieſe am Bette des Patroklus aufs Antlitz in den Staub ſtrecken. Derweil legten die Danaer ihre Rüſtungen ab und ſetzten ſich zu Tauſenden am Schiffe des Peliden zum feſtlichen Leichen¬ ſchmauſe nieder. Stiere, Schafe und Schweine wurden geſchlachtet und der Pelide ließ den Streitern eine köſt¬ liche Mahlzeit zurichten. Den Helden ſelbſt führten die Genoſſen widerſtrebend von der Leiche ſeines Freundes weg in das Zelt des Königes Agamemnon. Hier ward ein großes Geſchirr voll Waſſers an die Gluth geſtellt: ob ſie nicht etwa den Peliden vermögen könnten, ſich den blutigen Schlachtſtaub von den Gliedern zu waſchen. Er aber weigerte ſich hartnäckig und ſchwur einen großen Eid: Nein, ſo wahr Jupiter lebt, kein Bad ſoll meinen Scheitel netzen, ehe Patroklus von mir auf den Scheiter¬ haufen gelegt iſt, ehe ich mein Haar geſchoren und ihm ein Denkmal aufgethürmt habe! Meinetwegen mögen wir jetzt das traurige Feſtmahl abhalten. Morgen aber laß Holz im Walde fällen, Fürſt Agamemnon, und beut Allem auf, was zur Leichenfeier meinem Freunde gebührt, daß das Feuer den Jammeranblick ſchnell von uns nehme und das Volk ſich wieder zur Kriegsarbeit wende! DieSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 19290Fürſten ließen ihn gewähren, ſetzten ſich ans Mahl und ſchmausten. Dann ging ein jeder zur Nachtruhe. Der Sohn des Peleus aber, weil die Todten in ſeinem Zelte waren, legte ſich, von ſeinen Myrmidonen umringt, am Meergeſtade nieder, wo der kieſige Strand von den Wel¬ len reingeſpült war.

Lange ſeufzte er hier noch auf dem harten Lager um den erſchlagenen Freund. Als ihn aber endlich der Schlum¬ mer umfangen hatte, da kam die Seele des jammervollen Patroklus im Traumbilde zu ihm, an Größe, Geſtalt, Stimme und Augen jenem ganz ähnlich, den Leib einge¬ hüllt in Gewande. So trat der Schatten zu ſeinen Häup¬ ten und ſprach: Schläfſt du, meiner ſo ganz vergeſſen, Achilles? Des Lebenden zwar haſt du immerdar gedacht; aber nicht alſo des Todten! Gib mir ein Grab, denn mich verlangt ſehr, durch das Thor des Hades einzuge¬ hen! Bis jetzt hab 'ich es nur irrend umwandelt, und es ſitzen als Wächter Seelen da, die mich zurückſcheuchen! Ehe der Scheiterhaufen mir gewährt worden iſt, kann ich nicht zur Ruhe kommen. Du mußt aber wiſſen, Freund, daß auch dir vom Schickſal beſtimmt iſt, nicht ferne von der Mauer Troja's zu fallen. Richte deßwegen mein Grab ſo ein, daß unſer beider Gebein neben einander ruhen kann, wie wir zuſammen in deines Vaters Woh¬ nung aufgewachſen ſind.

Ich gelobe dir Alles, Bruder! rief Achilles und ſtreckte die Hände nach dem Schattenbilde aus, da ſank die Seele ſchwirrend zur Erde hinab, wie ein Rauch. Der Held ſprang beſtürzt vom Lager auf, ſchlug die Hände zuſammen und ſprach jammernd: So leben denn die Seelen wirklich noch in der Behauſung des Hades, aber291 ach! ein beſinnungsloſes Leben! Dieſe Nacht ſtand ja leibhaftig vor mir des Patroklus Seele, traurig und kla¬ gend, aber ihm in Allem gleich! Dadurch erregte Achil¬ les allen Helden die Sehnſucht nach dem Todten auf's Neue.

Als aber die Morgenröthe anbrach, da verließen auf Agamemnons Befehl Männer und Maulthiere die Lager¬ zelte, Meriones an ihrer Spitze: die Thiere voran, die Männer mit Aexten und Seilen ihnen folgend. Da wur¬ den von ihnen auf den Waldhöhen des Ida die hoch¬ ſtämmigſten Bäume gefällt, das Holz zerſchlagen und den Maulthieren aufgeladen. Dieſe trabten damit hinab nach den Schiffen; auch die Männer ſchleppten Holzklötze auf den Schultern, und am Meeresſtrande wurde alles in Reihen niedergelegt. Nun befahl Achilles ſeinen Myrmi¬ donen, ihre Erzrüſtung anzulegen und den Reiſigen, die Wagen anzuſpannen. Bald ſetzte ſich der Leichenzug in Bewegung: die Fürſten, Kämpfer und Wagenlenker von den Roſſen gezogen, voran; ein dichtes Gewölk von Fu߬ volk zu Tauſenden hintendrein. In der Mitte trugen den Patroklus ſeine Streitgenoſſen und Freunde, der Leichnam war ganz mit geſchorenen Locken bedeckt; ſein Haupt hielt Achilles, der Leiche folgend, ſelbſt in den Händen, in tiefe Trauer verſenkt.

Als ſie den von dieſem für das Grab ſeines Freun¬ des bezeichneten Ort erreicht hatten, ſetzten ſie die Todten¬ bahre nieder und ein ganzer Wald von Bäumen wurde zum Scheiterhaufen herbeigebracht. Der Pelide ſtellte ſich abgewandt vom Gerüſte und ſchor ſein braungelocktes Haar, dann ſchaute er in die dunkle Meeresfluth und ſprach: O Sperchius, theſſaliſcher Heimathfluß, vergebens19*292gelobte mein Vater Peleus, ich ſollte heimgekehrt dir mein Haar ſcheeren, und an deinen Quellen, wo du Hain und Altar haſt, dir fünfzig Widder opfern! Du haſt ſein Flehen nicht gehört, Stromgott! du läſſeſt mich nicht heim¬ kehren. So zürne mir auch nicht, wenn ich mein Locken¬ haar dem Freunde Patroklus mit in den Hades zu tragen gebe! Mit dieſen Worten legte er ſein Haupthaar in die Hände des Freundes, trat zu Agamemnon und ſprach: Heiß die Völker ſich einmal ſättigen am Gram, o Fürſt! Gebeut ihnen, ſich zu zerſtreuen und das Mahl einzuneh¬ men, uns laß das Werk der Beſtattung vollenden!

Auf Agamemnons Befehl zerſtreute ſich das Krieger¬ volk zu den Schiffen, und nur die beſtattenden Fürſten blieben auf der Stelle. Da fingen ſie an ein ungeheures Gerüſt aus den gefällten und behauenen Baumſtämmen aufzuführen, je hundert Fuß ins Gevierte. Oben darauf legten ſie mit betrübten Herzen den Leichnam. Dann zo¬ gen ſie eine Menge Schafe und Hornvieh vor dem Scheiter¬ haufen ab; die abgezogenen Leiber wurden umhergehäuft, mit dem Fette der Leichnam bedeckt, gegen die Bahre Honig - und Oelkrüge gelehnt, auch vier lebendige Roſſe ächzend auf das Gerüſte geworfen; ſodann zwei der neun Haushunde geſchlachtet; endlich mit dem Schwert erwürgt zwölf tapfere trojaniſche Jünglinge, aus der Zahl der Gefangenen erleſen. Denn entſetzlich rächte Achilles den Tod ſeines Freundes.

Und nun hieß er die Flamme wüthen, und rief, wäh¬ rend der Holzſtoß angezündet wurde, dem Todten zu: Möge dich noch in die Unterwelt Freude begleiten, Pa¬ troklus! Was ich gelobt habe, iſt vollbracht. Zwölf Opfer verzehrt die Gluth. Nur den Hektor ſoll ſie nicht293 verzehren; nicht der Flammen, der Hunde Raub ſoll er ſeyn! So ſprach er drohend; doch die Götter fügten dieſes nicht ſo: Tag und Nacht wehrte Aphrodite die heißhungrigen Hunde von Hektors Leichnam ab, und ſalbte ihn mit ambroſiſchem Balſam voll Roſenduft, daß auch keine Spur von der Schleifung übrig blieb. Apollo zog eine dunkle Wolke über die Stelle, wo er lag, daß die Sonne ſein Fleiſch nicht ausdörren konnte.

Der Scheiterhaufen des Patroklus war nun zwar angezündet, aber die Gluth wollte nicht lodern. Da wandte ſich Achilles abermals vom Gerüſte, gelobte den Winden Boreas und Zephyrus Opfer, ſpendete ihnen Wein aus goldenem Becher, und flehte ſie, das Holz mit raſchem Hauche zum Brand anzufachen. Iris brachte den Winden die Botſchaft; dieſe kamen mit grauenvollem Getöſe über das Meer geſtürmt, und ſtürzten ſich in den Scheiterhaufen. Die ganze Nacht ſauſten ſie um das Gerüſt und durchwühlten es mit Flammen, während Achilles unaufhörlich aus goldnem Krug und Becher der Seele ſeines todten Freundes Opferſpenden darbrachte. Mit der Morgenröthe ruhten Winde und Flammen, und der Holzſtoß fiel in Aſche. In der Mitte der Kohlen lag abgeſondert das Gebein des Patroklus; am äußerſten Rande lagen vermiſcht untereinander die Gebeine der Thiere und Männer. Auf den Befehl des Peliden löſch¬ ten die Helden den glühenden Schutt mit rothem Weine, ſammelten unter Thränen das weiße Gebein ihres Freun¬ des, bargen es, mit einer doppelten Lage von Fett umge¬ ben, in eine goldene Urne, und ſtellten dieſe im Zelte auf. Alsdann nahmen ſie im Umkreiſe das Maaß zu ſeinem Denkmal, legten rings um den abgebrannten Scheiterhaufen294 einen Grund von Steinen, und thürmten dann aufge¬ ſchüttete Erde zum Grabhügel.

Auf die Beſtattung folgten die Leichenſpiele zu Ehren des gefallenen Helden. Achilles berief alles Griechenvolk zuſammen, hieß es in weitem Kreiſe ſich ſetzen, und ſtellte Dreifüße, Becken, Roſſe, Maulthiere, mächtige Stiere, kunſtfertige Weiber aus den Gefangenen, in köſtlichen Ge¬ wanden, dazu lautres Gold, als verſchiedene Preiſe auf. Zuerſt kam das Wagenwettrennen an die Reihe. Er ſelbſt nahm keinen Theil an dieſem Kampfe; lag doch ſein geliebter Wagenlenker im Grabe! Dagegen erhub ſich Eumelus, der Sohn Admets, der wagenkundigſte Held; Diomedes, der die dem Aeneas geraubten Roſſe anſchirrte; Menelaus mit ſeinem Hengſte Podargus und Agamemnons Stute Aethe; dann als Vierter Antilochus, der junge Sohn Neſtor's, dem ſein Vater allerlei weiſe Ermahnun¬ gen für das Wettrennen ertheilte; als Fünfter endlich ſchirrte Meriones ſeine glänzenden Roſſe an den Wagen. Alle fünf Helden beſtiegen den Wagenſitz, und Achilles ſchüttelte die Looſe, in welcher Ordnung ſie aus den Schranken fahren ſollten. Da ſprang zuerſt das Loos des Antilochus aus dem Helme, dann kamen Eumelus, Menelaus, Meriones, zuletzt der Tydide. Zum Kampf¬ ſchauer ward der graue Phönix, der Kampfgenoſſe ſeines Vaters, von dem Peliden beſtellt. Jetzt erhuben alle fünf Fürſten zumal ihre Geißel, ſchlugen mit den Zügeln, er¬ mahnten die Roſſe und durchſtürmten das Blachfeld; dicker Staub erhob ſich, wild flatterten die Mähnen der Pferde, die Wagen rollten bald tief an der Erde, bald flogen ſie in ſchwebendem Sprunge durch die Luft. Hoch ſtanden die Lenker in den Sitzen, und jedem klopfte das Herz295 nach dem Sieg. Als ſich die Roſſe dem Ende der Lauf¬ bahn, die ans Meer gränzte, nahten, da ſchien jedes ganz Schnelligkeit zu ſeyn, und alle rannten in geſtrecktem Lauf. Zuvorderſt ſprangen die Stuten des Eumelus, über Rü¬ cken und Schultern athmete ihm ſchon das Hengſtgeſpann des Tydiden, als dieſem Apollo zürnend die Geißel aus den Händen ſtieß, und ſo die Schnelligkeit ſeiner Roſſe hemmte. Athene bemerkte die Liſt, gab dem Helden die Geißel zurück, und zerbrach dem Eumelus das Joch, daß die Stuten auseinander ſprangen, und der Lenker ſich ne¬ ben dem Rade verwundet auf dem Boden wälzte. Der Tydide flog vorüber; ihm zunächſt Menelaus, nächſt ihm trieb Antilochus ſeine Roſſe mit ſcheltendem Zuruf. An einem durchwühlten Hohlwege ſtrauchelte Menelaus, Anti¬ lochus aber fuhr kühn durch den engen Paß an ihm vor¬ über. Während die zuſchauenden Helden Roſſe und Wa¬ gen durch den Staub zu erkennen ſtrebten, und ſich darüber ſtritten, war Diomedes, die Andern immer hinter ſich laſ¬ ſend, mit ſeinem von Zinn und Golde ſchimmernden Wagen am Ziel angekommen. Den dampfenden Roſſen ſtrömte der Schweiß vom Nacken; der Held ſelbſt ſprang vom Sitz und lehnte die Geißel ans Joch. Sein Freund Sthenelus nahm den Kampfpreis in Empfang, ein ſchönes Weib und einen gehen¬ kelten Keſſel, gab ſie den Freunden wegzubringen, und ſchirrte die Roſſe aus. Nächſt ihm kam Antilochus an, und faſt zu gleicher Zeit Menelaus. Speerwurfsweite davon fuhr etwas träger Meriones einher, und ganz zuletzt ſchleppte den ver¬ ſehrten Wagen mit verrenkten Gliedern Eumelus daher. Dennoch wollte dieſem Achilles, weil ihn unverſchuldetes Unglück getroffen, und er der beſte Wagenlenker war, den zweiten Preis ertheilen, aber Antilochus fuhr zornig auf:296 Mir gehört der zweite Preis, ſprach er, die herrliche ungezähmte, ſechsjährige Stute; bedauerſt du jenen, ſo haſt du Gold, Erz, Vieh, Roſſe und Mägde genug im Zelte, gib ihm davon, was du willſt! Achilles lächelte, ſprach ſeinem lieben Altersgenoſſen das Roß zu, und ſchenkte dem Eumelus einen herrlichen Harniſch. Aber Menelaus beſchuldigte nun ſeinerſeits den Antilochus, ihm die Roſſe mit Liſt gehindert zu haben, und ſann ihm einen Eid beim Schöpfer des Roſſes, Poſeidon, an. Der be¬ ſchämte Jüngling geſtand ſein Vergehen, und führte die gewonnene Stute dem Atriden zu. Dieß beſänftigte den Zorn des Menelaus; er überließ dem Jünglinge das Roß und nahm ſich den dritten Preis, das Becken. Zwei Talente Goldes als vierten Kampfpreis erhub Meriones; den übrigen fünften, einen vom Feuer noch unberührten Miſchbecher mit Henkeln, überließ Achilles dem Neſtor als Geſchenk.

Nun wurde zum Fauſtkampfe geſchritten, und dem Sieger ein Maulthier, dem Beſiegten ein Henkelbecher beſtimmt. Sogleich erhub ſich ein kraftvoller, gewaltiger Mann, Epëus, der Sohn des Panopeus, faßte das Thier und rief: Dieſes iſt mein, den Becher nehme wer will! Das aber verkünde ich: der Leib wird ihm von meiner Fauſt zerſchmettert, und die Gebeine zermalm 'ich ihm! Auf dieſen Gruß verſtummten alle Helden, bis ſich Eurya¬ lus, des Mekiſtheus Sohn, ihm gegürtet und kampfbereit entgegenſtellte. Bald kreuzten ſich ihre Arme, die Fäuſte klatſchten auf den Kiefern, der Angſtſchweiß floß ihnen von den Gliedern. Endlich verſetzte Epëus ſeinem Geg¬ ner einen Streich auf den Backen, daß er zu Boden fiel, wie ein Fiſch, der aus der Welle aufs Ufergras geſprungen297 iſt. Epëus hob ihn an den Händen empor, und ſeine Freunde führten ihn Blut ſpeiend und mit hängendem Haupt aus der Verſammlung.

Hierauf ſtellte Achilles die Preiſe für den Ringkampf aus: dem Sieger einen großen Dreifuß, zwölf Rinder an Werth, dem Beſiegten ein blühendes kunſtfertiges Weib. Da umfaßten ſich bald mit ſchmiegſamen Armen Odyſſeus und der große Ajax, ineinandergefugt, wie ein Zimmermann Sparren zuſammenfügt; ihr Schweiß floß, ihr Rücken knirſchte, an Seiten und Schultern wurden Blutſtriemen ſichtbar; ſchon murrten die Achiver, da hub Ajax den Odyſſeus in die Höhe, doch dieſer gab dem Gegner mit gebeugtem Knie von hinten einen Stoß, warf ihn rücklings nieder und ſank ihm von oben auf die Bruſt; doch vermochte er ihn nur ein Weniges zu bewegen, und beide rollten mit einander in den Staub. Ihr ſeyd beide Sieger, rief Achilles, und ich belohne euch mit gleichem Preiſe.

Für den Wettlauf ward dem Sieger ein ſilberner, ſechs Maaß haltender Krug voll Kunſtwerk beſtimmt; dem nächſten Läufer ein Stier, dem dritten ein halbes Talent Goldes. Hier erhoben ſich der ſchnelle Lokrer Ajax, Odyſſeus und Antilochus. Achilles gab das Zei¬ chen; voran ſtürmte Ajax, ihm zunächſt Odyſſeus, wie ein Webſchiff an der Bruſt des Weibes dahinfliegt; ſchon wehte ſein Hauch dem Ajax im Nacken, und alle Danaer ermunterten den Eilenden. Als ſie dem Ziel ganz nahe waren, flehte Odyſſeus im Herzen zu ſeiner Schützerin Athene; die ſchuf ihm die Glieder leicht, und ließ den Lokrer über den Unrath der dem Patroklus geſchlachteten Rinder ſtraucheln, daß ihm Mund und Naſe beſudelt298 ward. Ein lautes Gelächter ſchallte, als Odyſſeus den Miſchkrug, und bald darauf Ajax, Koth ausſpeiend, den Stier faßte. Den letzten Preis ergriff Antilochus lächelnd und ſprach: Ehre verleihen die Götter ältern Menſchen, zwar iſt Ajax nur weniges älter, denn ich, aber er iſt früheren Stammes. Du ſollſt nicht umſonſt ſo neidlos geredet haben, ſprach Achilles zu dem holden Jüngling, ich füge deinem Preis noch ein halbes Talent Goldes hinzu.

Und nun trug der Pelide die herrliche Lanze des Sarpedon, die Patroklus jüngſt erbeutet hatte, in den Kreis, und legte ſie mit Schild und Helme nieder. Darum ſollten zwei der tapferſten Helden in Waffen kämpfen, die Rüſtung ſollten beide gemeinſchaftlich erhalten, und beide köſtlich im Zelte des Achilles bewirthet werden, der Sie¬ ger aber das thraziſche Schwert des Aſteropäus voll Silberbuckeln davontragen. Mit drohendem Blicke rannten der Telamonier Ajax und Diomedes gegen einander, in Waffen dreimal auf einander losſtürmend. Ajax durch¬ ſtieß den Schild des Tydiden, Diomedes aber zielte nach dem Hals. Die Achiver, um Ajax beſorgt, trennten die Kämpfenden, doch das Schwert erhielt der Tydide.

Noch wurde mit der eiſernen Kugel, die vordem Eëtion, der König von Thebe, den Achilles erſchlug, oft geworfen, in die Wette geſtritten. Epëus ſchwang ſie im Wirbel und warf, doch ſo, daß die Danaer lachten; dann Leonteus, dann der gewaltige Ajax, daß ſie über das Zeichen wegflog; aber weit über alle hinaus, wie ein Hirt Stecken über ſeine weidenden Rinder, ſchleuderte ſie Poly¬ pötes, und trug ſie als Preis davon.

Zehn Aexte und zehn Beile von bläulich ſchimmerndem299 Eiſen ſtellte Achilles dem Schützen aus. An den Maſt eines Schiffes wurde an dünnen Fäden eine Taube ge¬ bunden; wer die traf, ſollte die Aexte haben, der Beſiegte ſich mit den kleineren Beilen begnügen. Um den erſten Schuß loosten Teucer und Meriones. Teucers Loos ſprang aus dem Helm, aber durch Apollo's Mißgunſt ver¬ fehlte er den Vogel und durchſchoß den Faden, daß die Taube ſich in die Lüfte ſchwang. Dem verdroſſen nach¬ blickenden Teucer entriß Meriones den Bogen, legte ſei¬ nen Pfeil drauf, und durchſchoß der Taube in der Luft den Flügel, denn er hatte in Eile dem Phöbus eine Dankhekatombe gelobt. Die Taube ſetzte ſich verwundet auf den Maſt, ſenkte den Hals und die Flügel, und bald fiel ſie todt zur Erde nieder. Staunend jubelten die Völ¬ ker, Meriones faßte die Aexte; Teucer ſchlich mit den Beilen davon.

Ein Speer und ein mit Blumen geziertes reines Becken ward als Preis des Speerwurfs zuletzt in den Kreis gebracht. Da ſtand zuerſt der Völkerfürſt Aga¬ memnon auf, und Meriones nach ihm. Aber Achilles ſprach: Atride, wir wiſſen Alle aus der Schlacht, wie weit du die Helden im Speerwurf beſiegeſt, laß drum dem Helden Meriones den Speer, und nimm ohne Kampf das Becken. Agamemnon gehorchte dem Wunſch, reichte dem Kreter die Lanze und griff nach dem Becken. Und damit hatten die Spiele ein Ende.

300

Priamus bei Achilles.

Als ſich die verſammelten Völker getrennt hatten, ſättigte ſich Jeder mit Speiſe und Schlaf. Nur Achilles brachte eine Nacht ohne Schlummer im Andenken an ſei¬ nen beſtatteten Freund hin; er legte ſich bald auf die Seite, bald auf den Rücken, bald aufs Angeſicht; dann ſtand er plötzlich auf und ſchweifte am Meeresufer umher. Am frühen Morgen ſpannte er ſeine Roſſe ins Joch, be¬ feſtigte den Leichnam Hektors am Wagenſitz, und ſchleifte ihn dreimal um das Denkmal des Patroklus; aber Apollo deckte dieſen mit dem goldenen Schirm ſeiner Aegide, und ſicherte den Leib vor allen Entſtellungen. Achilles verließ den Leichnam, in den Staub auf das Antlitz geſtreckt. Das erbarmte die ſeligen Götter im Olymp, mit Aus¬ nahme Juno's, und Jupiter beſchickte die Mutter des Peliden, Thetis; er befahl ihr, ſchleunig zum Heere zu gehen und dem Sohne zu verkündigen, daß den Göttern insgeſammt und Jupitern ſelbſt das Herz von Zorne glühe, weil er Hektors Leib ohne Löſung bei den Schiffen zurückhalte. Thetis gehorchte, ging in das Zelt des Soh¬ nes, ſetzte ſich nahe zu ihm, und ſanft mit der Hand ihn ſtreichelnd, ſprach ſie: Lieber Sohn, wie lange willſt du mit Gram und Seufzern dir das Herz abzehren, des Schlafs und der Nahrung vergeſſen? Es wäre gut, wenn du dich der Freude des Lebens wieder zuwendeteſt, denn du wirſt mir ja doch nicht lange mehr auf Erden einher¬ gehen, und das grauſame Verhängniß lauert ſchon an deiner Seite. Höre denn die Worte Jupiters, die ich dir301 melde. Er und alle Götter zürnen dir, daß du Hektor's Leiche mißhandelſt und bei den Schiffen zurückhältſt. Wohlan, entlaß ihn, mein Sohn, gegen reiche Löſung. Achilles ſchaute auf, ſah der Mutter ins Geſicht und ſprach: So ſey es; was Jupiter und der Rath der Himmliſchen gebietet, muß geſchehen. Wer mir die Löſung bringt, ſoll den Leichnam empfangen.

Zur ſelben Zeit ſchickte Jupiter die ſchnelle Götter¬ botin Iris in die Stadt des Priamus mit ſeinen Aufträ¬ gen. Dieſe, dort angekommen, fand nichts als Geheul und Wehklage. Im Vorhofe ſaßen, um den Vater im Kreiſe, die Söhne, ſich die Gewande feucht weinend; in der Mitte der Greis, ſtraff in den Mantel gehüllt, Staub auf Nacken und Haupt geſtreut. In den Wohnungen la¬ gen Töchter und Schwiegertöchter auf den Knieen und jammerten um die gemordeten Helden. Da trat plötzlich die Botin Jupiters vor den König und begann mit leiſer Stimme, daß ihm ein Schauer durch die Glieder fuhr: Faſſe dich, Sohn des Dardanus, verzage nicht, ich habe dir kein übles Wort zu verkündigen. Jupiter erbarmt ſich deiner: er gebietet dir, zu Achilles zu gehen und ihm Ge¬ ſchenke darzubringen, womit du den Leichnam deines Soh¬ nes löſen ſollſt. Du allein ſollſt gehen, von keinem an¬ dern Trojaner begleitet, als von einem der älteren He¬ rolde, der dir den Wagen mit den Maulthieren lenken, und dich mit dem Todten wieder zur Stadt zurückführen kann. Fürchte weder Tod, noch einen andern Schrecken; Jupiter geſellt dir den mächtigen Argoswürger Merkurius zum Schutze zu, daß er dich geleite, zum Peliden führe, und auch dort beſchirme. Doch iſt Achilles ſelbſt ja nicht302 vernunftlos, und kein blinder Frevler; er wird von ſelbſt des Flehenden ſchonen, und alles Leid von dir abwehren.

Priamus vertraute den Worten der Göttin, befahl ſeinen Söhnen, den Wagen mit dem Maulthiergeſpanne zu rüſten, und ſtieg dann in die duftige, mit Cedernholz getäferte Kammer hinab, in welcher viel Koſtbarkeiten aufbewahrt lagen. Dorthin berief er ſeine Gemahlin Hekuba, und ſprach zu ihr: Armes Weib, wiſſe, daß mir Botſchaft von Jupiter kam: ich ſoll zu Achilles nach den Schiffen wandeln, ſein Gemüth mit Geſchenken verſöh¬ nen, und den Leichnam unſeres lieben Sohnes Hektor ein¬ löſen. Wie däucht dir ſolches in deinem Herzen? mich ſelbſt, ich berge dir es nicht, drängt ein heftiger Trieb nach den Schiffen zu gehen. So ſprach der Greis; aber ſeine Gemahlin erwiederte ihm ſchluchzend: Wehe mir, Priamus, wohin iſt dir dein einſt ſo geprieſener Verſtand entflohen? Welch ein Gedanke, du, der Greis, allein zu den Schiffen der Danaer zu wandeln, und dem Manne vor Augen zu treten, der dir ſo viel tapfere Söhne er¬ ſchlagen hat! Meinſt du, der Falſche, Blutgierige werde Mitleid mit dir haben, wenn er dich erblickt? Viel beſſer, wir beweinen ihn fern, zu Hauſe, ihn, dem das Geſchick ſchon bei der Geburt beſtimmt hat, von den Hunden ver¬ zehrt zu werden! Halte mich nicht, antwortete Pria¬ mus entſchloſſen, werde mir nicht ſelbſt im Hauſe zum drohenden Unglücksvogel: und erwartete mich auch der Tod bei den Schiffen, der Wütherich mag mich ermor¬ den, wenn ich nur, mein Herz mit Thränen ſättigend, den geliebteſten Sohn in den Armen halten darf. Unter die¬ ſen Worten ſchlug er den Deckel von den Kiſten, und wählte zwölf köſtliche Feiergewande, zwölf Teppiche, eben303 ſo viel Schlafröcke, Leibröcke und prächtige Mäntel aus. Dann wog er zehn volle Talente Goldes dar, erlas wei¬ ter vier ſchimmernde Becken, zwei Dreifüße; ja ſelbſt einen köſtlichen Becher, den ihm die Thrazier geſchenkt hatten, als er zu ihnen auf Geſandtſchaft kam, ſparte der Greis nicht. So begierig war er, ſeinen trauteſten Sohn zu löſen! Dann ſcheuchte er ſämmtliche Trojaner, die ihn aufhalten wollten, aus der Halle, und bedrohte ſie: Ihr Nichtswürdigen, habt ihr nicht Gram im Hauſe genug, daß ihr herkommet, um auch mich zu bekümmern? Achtet ihr es für etwas Kleines, daß Jupiter den Jammer über mich verhängte, meinen tapferſten Sohn zu verlieren? Doch, ihr werdet's ſchon erfahren. Möchte nur ich in den Hades hinuntergehen, eh 'ich die Trümmerhaufen eurer Stadt ſchaue! So ſcheuchte er ſie mit dem Stabe hin¬ aus; dann rief er ſcheltend ſeine Söhne: Ihr Schändli¬ chen, Untüchtigen, lägt ihr mir doch alle an Hektors Statt getödtet bei den Schiffen. Alle guten ſind todt, nur die Schandflecke ſind übrig, Lügner, Gaukler, Reigentänzer, die im Fette des Volkes ſchwelgen! Werdet ihr mir nicht ſogleich den Wagen ausrüſten, und alles dieſes in den Korb hineinlegen, damit ich meinen Weg vollenden kann? Erſchrocken gehorchten die Söhne dem murrenden Vater, ſpannten die Maulthiere vor den Laſtwagen, und luden die Löſegeſchenke auf. Alsdann ſpannten ſie auch die ſorglich gepflegten Roſſe an den Wagen des Priamus, und der greiſe Herold, der ihn begleiten ſollte, war auf der Stelle. Mit bekümmertem Herzen reichte Hekuba dem Könige den goldenen Becher zum Opfertrank; die Schaff¬ nerin nahte ihm mit Waſchgefäß und Kanne, und als Priamus ſich die Hände mit lauterm Waſſer beſprengt,304 empfing er den Becher, ſtellte ſich in die Mitte des Ho¬ fes, ſpendete vom Weine, und betete mit erhobener Stimme zu Jupiter: Vater Zeus, Herrſcher vom Ida, laß mich Barmherzigkeit und Gnade vor Peleus Sohne finden! Gib mir auch ein Zeichen, daß ich getroſt zu den Schiffen der Danaer gehen kann! Kaum hatte er ausgeſprochen, ſo ſtürmte mit ausgebreiteten Fittichen ein ſchwarzgeflügel¬ ter Adler rechts her über die Stadt. Alle Trojaner ſahen es mit Wonne, und der Greis ſchwang ſich voll Zuver¬ ſicht in den Wagenſitz. Vor ihm her zogen die Maul¬ thiere den ſchwer bepackten vierrädrigen Wagen, den der Herold Idäus lenkte. Hinter dieſem trieb der Greis mit der Geißel ſein Roſſegeſpann an; die Seinigen aber folg¬ ten ihm alle wehklagend, als ob es zum Tode ginge. Als die Wagen draußen vor der Stadt waren und Pria¬ mus und der Herold am Denkmale des alten Königs Ilius vorbeilenkte, hielten ſie mit beiden Wagen ein we¬ nig, um die Roſſe und Maulthiere unten am Strome zu tränken. Der Abend war eingebrochen, und das Gefilde lag rings in Dämmerung. Da bemerkte Idäus ganz in der Nähe die Geſtalt eines Mannes, und erſchrocken ſprach er zu Priamus: Merk auf, Herr, hier gilts Beſonnen¬ heit! Sieh den Mann dort, ich fürchte, er ſteht auf der Lauer und ſinnt auf unſern Tod. Wir ſind unbewaffnet, dazu Greiſe; laß uns entweder umkehren und ſchnell in die Stadt zurückfliehen, oder ſeine Knie umfaſſen und ihn um Erbarmung flehen. Den Greis durchfuhr ein banger Schauer und ſeine Haare ſträubten ſich. Jetzt näherte ſich die Geſtalt; es war aber kein Feind, ſondern der Abge¬ ſandte Jupiters, Hermes oder Merkur, der Bringer des Heiles, der auserwählte Sterbliche auf ihren Wegen zu305 begleiten hat. Dieſer faßte die Hand des Königes, ohne daß der ihn erkannte, und ſprach: Vater, wohin lenkſt du in tiefer Nacht, wo andere Sterbliche ſchlafen, deine Roſſe und Maulthiere? Fürchteſt du dich denn gar nicht vor den erbitterten Achivern? Wenn dich einer davon ſo viel köſtliche Habe durchs Dunkel führen ſähe, wie würde dir wohl zu Muthe werden? Sorge jedoch nicht, daß Ich dir etwas zu Leide thue; vielmehr möchte ich dich auch vor Andern beſchirmen; gleichſt du doch meinem lieben Vater an Geſtalt! Aber ſage mir, führſt du ſo viel aus¬ erleſene Güter, flüchtend, nach einem fremden Lande? oder verlaſſet ihr Alle bereits Troja, nachdem ihr den tapferſten Mann verloren habt, der keinem Griechen an Muthe wich? Priamus ſchöpfte leichter Athem und ant¬ wortete: Wahrlich, jetzt ſehe ich, daß die Hand eines Gottes mich beſchirmt, da mir ein ſo liebreicher und ver¬ ſtändiger Gefährte auf meinem Wege begegnet, der ſo ſchön vom Tode meines Sohnes redet. Aber wer biſt du, mein Guter, und welcher Eltern Kind? Mein Vater heißt Polyktor, antwortete Hermes, ich bin von ſieben Söhnen der letzte, ein Myrmidone und Genoſſe des Achilles; daher ich denn oft mit meinen Augen deinen Sohn kämpfen und die Argiver zu den Schiffen treiben ſah, während wir bei unſerm zürnenden Herrn ſtanden, und ihn aus der Ferne bewunderten. Wenn du ein Genoſſe des ſchrecklichen Peliden biſt, fragte Priamus jetzt voll Ungeduld, o ſo verkündige mir, ob mein Sohn noch bei den Schiffen iſt, oder ob Achilles ihn ſchon, in Stücke zerhauen, den Hunden vorgeworfen hat? Nein, ant¬ wortete Hermes, er liegt noch im Zelte des Achilles, von Moder unberührt, obgleich ſchon der zwölfte MorgenSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 20306verfloſſen iſt, und der Held ihn mit jedem Sonnenaufgang ohne Mitleid um das Grab ſeines Freundes ſchleift. Du wür¬ deſt dich ſelbſt verwundern, wenn du ſäheſt, wie friſch und thauig er daliegt, vom Blute gereinigt, alle Wunden ge¬ ſchloſſen. Selbſt im Tode pflegen die Götter noch ſeiner. Voll Freude langte Priamus den herrlichen Becher hervor, den er bei ſich im Wagen liegen hatte. Nimm ihn, ſprach er, verleih 'mir deinen Schutz dafür, und geleite mich zum Zelte deines Herrn. Merkurius, als ſcheute er ſich, ohne Achilles Wiſſen Geſchenke zu nehmen, wies die Gabe ab, ſchwang ſich jedoch zu dem Helden in den Wagen, ergriff Zaum und Geißel, und bald hatten ſie Graben und Mauer erreicht. Hier fanden ſie die Hüter eben mit ihrem Abendmahle beſchäftigt. Doch ein Wink des Gottes verſenkte ſie in tiefen Schlaf, und ein Druck ſeiner Hand ſchob den Riegel vom Thore. So gelangte Priamus mit ſeinem Laſtwagen glücklich vor die Lager¬ hütte des Peliden, die hoch aus Balken gebaut, und mit Schilf bedeckt, auch mit einem geräumigen Hofe umgeben war, den eine dichte Reihe von Pfählen umſchloß. Nur ein einziger tannener Riegel verſchloß die Pforte, aber ſo ſchwer, daß nur drei ſtarke Griechen ihn vor oder zurück ſchieben konnten; nur Achilles ſelbſt brauchte keine Beihülfe dazu. Jetzt aber öffnete Hermes das Thor ohne Mühe, ſtieg vom Wagen, gab ſich als Gott zu erkennen und ver¬ ſchwand, nachdem er dem Greis gerathen, des Helden Kniee zu umfaſſen, und ihn bei Vater und Mutter zu beſchwören.

Priamus ſprang jetzt auch vom Wagen, und übergab dem Idäus Roſſe und Maulthiere. Er ſelbſt ging gera¬ den Weges auf die Wohnung zu, wo Achilles ſaß. Er307 traf ihn zu Hauſe, getrennt von den Seinigen, nur von den Helden Automedon und Alcimus bedient, eben von der Mahlzeit ruhend, und die Tafel ſtand noch vor ihm. Unbemerkt trat der erhabene Greis ein, eilte auf den Pe¬ liden zu, umſchlang ſeine Knie, küßte ihm die Hände, die entſetzlichen, die ihm ſo viele Söhne gemordet hatten, und ſah ihm ins Antlitz. Staunend betrachtete ihn Achilles und ſeine Freunde, da fing der Greis an zu flehen: Göttergleicher Achilles, gedenke deines Vaters, der alt iſt, wie ich, vielleicht auch bedrängt von feindlichen Nach¬ barn, in Angſt und ohne Hülfe, wie ich. Doch bleibt ihm von Tag zu Tage die Hoffnung, ſeinen geliebten Sohn von Troja heimkehren zu ſehen. Ich aber, der ich fünfzig Söhne hatte, als die Argiver herangezogen kamen, und davon neunzehn von Einer Gattin, bin der meiſten in die¬ ſem Kriege beraubt worden, und zuletzt durch dich des einzigen, der die Stadt und uns Alle zu beſchirmen ver¬ mochte. Darum komme ich nun zu den Schiffen, ihn, meinen Hektor, von dir zu erkaufen, und bringe unerme߬ liches Löſegeld. Scheue die Götter, Pelide, erbarme dich mein, gedenke deines eigenen Vaters! Ich bin des Mit¬ leids noch werther: dulde ich doch, was noch kein Sterb¬ licher geduldet hat, und drücke die Hand an die Lippe, die meine Kinder mir getödtet. So ſprach er, und erweckte dem Helden ſehnſüchtigen Gram um ſeinen Vater, daß er den Alten ſanft bei der Hand anfaßte und zurückdrängte. Da gedachte der Greis ſeines Sohnes Hektor, wand ſich zu den Füßen des Peliden, und fing laut an zu weinen; Achilles aber weinte bald über ſeinen Vater, bald über ſeinen Freund, und das ganze Zelt erſcholl von Jammer¬ tönen. Endlich ſprang der edle Held vom Seſſel empor,20 *308hub den Greis, voll Mitleid mit ſeinem grauen Haupt und Bart, an der Hand auf und ſprach: Armer, für¬ wahr, viel Weh haſt du erduldet, und jetzt, welch ein Muth, ſo allein zu den Schiffen der Danaer zu wandeln, und einem Manne vor die Augen zu treten, der dir ſo viel und ſo tapfere Söhne erſchlagen hat! Du mußt ja ein eiſernes Herz im Buſen tragen! Aber wohlan, ſetz dich auf den Seſſel, laß uns den Kummer ein wenig be¬ ruhigen, ſo ſehr er uns von Herzen geht, wir ſchaffen ja doch nichts mit unſerer Schwermuth. Das iſt nun einmal das Schickſal, das die Götter den elenden Sterblichen beſtimmt haben, Gram zu erdulden, während ſie ſelbſt ohne Sorge ſind. Denn zwei Fäſſer ſtehen an der Schwelle von Jupiters Behauſung, das eine voll Gaben des Unglücks, das andere voll Gaben des Heils. Wem der Gott vermiſcht austheilt, den trifft abwechſelnd bald ein böſes, bald ein gutes Loos; wem er nur Weh aus¬ theilt, den ſtoßt er in Schande, der wird von herzzerfreſ¬ ſender Noth über die Erde hin verfolgt. So ſchenkten die Götter dem Peleus zwar herrliche Gaben, Habe, Macht, ja ſelbſt eine Unſterbliche zur Gattin; doch hat ihm ein Himmliſcher auch Böſes gegeben, denn ihm ward ein einziger Sohn, der frühe hinwelken wird, der des Alternden ſo gar nicht pflegen kann, denn hier in weiter Ferne ſitze ich vor Troja und betrübe dich und die Deini¬ gen. Auch dich, o Greis, prieſen die Völker vormals glückſelig, jetzt aber haben die Olympiſchen dir dieſes Leid geſandt, und ſeitdem tobt nur Schlacht und Mord um deine Mauern. So duld 'es denn und jammere nicht unabläſſig, du kannſt deinen edlen Sohn doch nicht wieder aufwecken!

309

Da antwortete Priamus: Heiß mich nicht ſitzen, Liebling des Zeus, ſo lange Hektor noch unbeerdigt in deinem Zelte liegt. Erlaß ihn mir eilig, denn mich ver¬ langt, ihn zu ſchauen. Freue dich der reichlichen Löſung, ſchone meiner, und kehre heim in dein Vaterland!

Achilles runzelte die Stirne bei dieſen Worten und ſprach: Reize mich nicht mehr, o Greis! Ich ſelbſt ja beabſichtige, dir Hektor zu erlaſſen, denn meine Mutter brachte mir Jupiters Botſchaft: auch erkenne ich wohl im Geiſte, daß dich ſelbſt, o Priamus, zu unſern Schiffen ein Gott geführt hat. Denn wie ſollte dieß ein Sterblicher, und wäre es der kühnſte Jüngling, wagen, wie unſern Wächtern entſchlüpfen, wie die Riegel der Thore zurück¬ ſchieben? Darum errege mir mein trauriges Herz nicht noch mehr, ich möchte ſonſt Jupiters Befehl vergeſſen und deiner nicht ſchonen, o Greis, ſo demüthig du flehſt!

Zagend gehorchte Priamus. Achilles aber ſprang wie ein Löwe aus der Pforte, und ihm nach ſeine Ge¬ noſſen. Vor dem Zelte ſpannten ſie die Thiere aus dem Joch und führten den Herold herein. Dann huben ſie die Löſegeſchenke vom Wagen, und ließen nur zwei Män¬ tel und einen Leibrock zurück, um damit die Leiche Hektors anſtändig zu verhüllen. Dann ließ Achilles, fern und ungeſehen vom Vater, den Leichnam waſchen, ſalben und bekleiden. Achilles ſelbſt legte ihn auf ein unterbreitetes Lager; rief, während die Freunde den Todten auf den mit Maulthieren beſpannten Wagen hoben, den Na¬ men ſeines Freundes an und ſprach: Zürn 'und eifere mir nicht, Patroklus, wenn du etwa in der Nacht der Unterwelt vernimmſt, daß ich Hektors Leiche ſeinem Vater310 zurückgebe! Er hat kein unwürdiges Löſegeld gebracht, und auch dir ſoll dein Antheil davon werden!

Nun kehrte er zurück ins Zelt, ſetzte ſich dem Könige wieder gegenüber, und ſprach: Siehe, dein Sohn iſt jetzt gelöst, o Greis, wie du es gewünſcht haſt; er liegt in ehrbare Gewande eingehüllt. Sobald der Morgen ſich röthet, magſt du ihn ſchauen und davonführen. Jetzt aber laß uns der Nachtkoſt gedenken, du haſt noch Zeit genug, deinen lieben Sohn zu beweinen, wenn du ihn zur Stadt gebracht haſt, denn wohl verdient er viele Thränen. So ſprach der Held, erhub ſich wieder vom Sitz, eilte hinaus und ſchlachtete ein Schaf. Seine Freunde zogen die Haut ab, ſchnitten das Fleiſch in Stücke, und brieten es ſorg¬ fältig am Spieße. Dann ſetzten ſie ſich zu Tiſche: Auto¬ medon vertheilte in zierlichen Körben das Brod, Achilles das Fleiſch, und Alle ſättigten ſich nun mit Speiſe und Trank. Staunend betrachtete Priamus Wuchs und Ge¬ ſtalt ſeines edlen Wirthes, denn er glich den Unſterblichen. Aber auch Achilles ſtaunte vor Priamus, wenn er ihm in das Angeſicht voll Würde ſchaute, und die weiſe Rede des Greiſen vernahm. Als nun das Mahl vorüber war, ſprach Priamus: Bette mich jetzt, edler Held, daß wir uns am erquickenden Schlafe ſättigen, denn ſeit mein Sohn geſtorben iſt, haben ſich meine Augenlieder nicht mehr geſchloſſen, und das erſtemal habe ich Fleiſch und Wein gekoſtet.

Sofort befahl Achilles ſeinen Genoſſen und den Mäg¬ den, ein Bett unter die Halle zu ſtellen, mit Purpurpolſtern zu belegen, Teppiche drüber zu breiten, und zottige Män¬ tel als Decke darauf. So wurde jedem der Fremdlinge ein geſondertes Lager bereitet; und nun ſprach Achilles311 freundlich: Lagere dich jetzt draußen, lieber Greis, es möchte dich einer der Danaerfürſten, die ſich beſtändig in meinem Zelte zum Rath verſammeln, durchs Dunkel hin¬ ſchleichen ſehen, und es dem Völkerhirten Agamemnon melden. Der aber könnte dir den Leichnam ſtreitig ma¬ chen. Jetzt ſage mir aber auch noch: wie viel Tage gedenkſt du auf die Beſtattung deines edlen Sohnes zu verwenden? Damit ich ſo lange ruhe, und auch das Volk von jedem Angriff abhalte. Wenn du mir es vergönnſt, antwortete Priamus, meinem Sohn eine Leichenfeier zu halten, ſo geſtatte mir deine Güte elf Tage. Du weißt, wir ſind in die Stadt eingeſchloſſen, und müſſen das Holz fern im Gebirge holen. So brau¬ chen wir neun Tage zur Vorbereitung, am zehnten möch¬ ten wir ihn beſtatten und das Todtenmahl feiern, am elften ihm einen Ehrenhügel aufthürmen: am zwölften Tage, wenn es ſo ſeyn muß, wollen wir wieder kämpfen. Auch dieſes geſchehe, wie du begehrſt, erwiederte Achil¬ les, ich werde das Heer ſo lange zurückhalten, als du gefordert. So ſprechend, faßte er die Rechte des Grei¬ ſes am Knöchel, um ſeinem Herzen alle Furcht zu beneh¬ men. Nun entließ er ihn zum Schlafe, und legte ſich ſelbſt im innerſten Raume ſeines Zeltes nieder.

Während ſo Alles ſchlief, blieb nur Hermes der Gott ſchlummerlos, und erwog im Geiſte, wie er den König Troja's, von den Wächtern ungeſehen, aus den Schiffen zurückführen möchte. Deswegen trat er zu dem Haupte des ſchlummernden Greiſes, und ſprach zu ihm: Alter, du ſchläfſt fürwahr ſehr unbeſorgt bei feindlichen Männern, nachdem dich Alles verſchont hat. Es iſt wahr, du haſt den Sohn theuer gelöst; aber wenn Agamemnon und die312 Griechen es wüßten, ſo müßten deine Söhne daheim dich, den Lebenden, mit dreimal größerem Löſegeld auskaufen! Der Greis erſchrack und weckte den Herold; Merkur ſelbſt ſpannte ihnen Roſſe und Mäuler ein, und ſchwang ſich zu dem König in den Wagen; Idäus lenkte die Maul¬ thiere mit dem Leichnam. So fuhren ſie unbemerkt durch das Heer, und hatten bald das griechiſche Lager hinter ſich.

Hektors Leichnam in Troja.

Merkur begleitete den König bis an die Furth des Skamander. Dort ſchied er aus dem Wagen, und entflog zum hohen Olymp. Priamus und der Herold aber trie¬ ben ſeufzend und wehklagend die Roſſe mit dem Wagen des Königes, und die Maulthiere mit dem Leichnam in die Stadt. Es war früher Morgen, Alles lag noch im Schlummer, und Niemand ſah ſie herankommen; nur Kaſſandra hatte die Burg von Pergamus erſtiegen, und erſchaute von ferne ihren Vater im Wagenſitze ſtehend, den Herold mit dem Maulthierwagen, und in dieſem auf Gewanden ausgeſtreckt den Leichnam. Da begann ſie laut zu wehklagen, und rief, daß es in der ſtillen Stadt wiederhallte: Schaut doch hin, ihr Troer und ihr Troe¬ rinnen, dort kommt ja Hektor, ach nur der todte Hektor! Habt ihr euch jemals des Lebenden erfreut, wenn er ſieg¬ reich aus der Feldſchlacht zurückkehrte, ſo begrüßet jetzt auch den Geſtorbenen! Auf ihren Ruf blieb kein Mann und kein Weib in der Veſte, denn aller Herzen durch¬ drang eine gränzenloſe Trauer. Am Thore begegneten313 Männer und Frauen, voran die Mutter und die Gattin Hektors, dem Führer des Leichenwagens; jene beiden rauften ihr Haar aus, ſtürzten ſich auf den Wagen, und legten ihre Hände auf das Haupt des Erſchlagenen; die Menge umringte ſie in Thränen, und ſie hätten den Wa¬ gen mit ihrem Wehklagen bis zum Abend aufgehalten, wenn nicht Priamus von ſeinem Wagenſitz zu dem Volke geredet hätte: Macht Platz und laßt die Maulthiere hin¬ durchgehen; wenn ich ihn ins Haus geführt, möget ihr euch ſatt weinen! Auf ſeinen Ruf wichen die Volks¬ haufen ehrfurchtsvoll dem Wagen.

Sobald die Leiche am Pallaſte des Königes ange¬ kommen war, wurde ſie auf ein ſchönes Geſtell gelegt, und Sänger zugeordnet, welche mit kläglichen Lauten den Trauergeſang unter dem Nachſeufzen der Weiber anſtimm¬ ten. Vor Allen klagte die Fürſtin Andromache, die, noch in der Blüthe ihres Lebens, vor dem Leichname ſtand und ſein Haupt in Händen hielt. Herrlicher Gatte, rief ſie, ſo verlorſt du dein Leben, und läſſeſt mich als Wittwe hier im Pallaſte, und mit mir unſer unmündiges Kind. Ach, ſchwerlich blüht dieſes wohl zum Jünglinge heran! Denn vorher noch wird Troja zerſtört, da du, der Stadt Vertheidiger, ſtarbeſt, du Schutz der züchtigen Frauen und der ſtammelnden Kinder! Bald werden dieſe nun gefan¬ gen zu den Schiffen hinweggeführt, und ich mitten unter ihnen. Du aber, mein trauter Aſtyanax, wirſt Schmach und Arbeit unter einem grauſamen Frohnherrn mit deiner Mutter theilen. Oder es faßt dich ein Grieche am Arm und ſchmettert dich vom Thurme herab, weil ihm dein Vater Hektor Bruder, Vater oder Sohn getödtet; denn freilich ſchonte dein Vater auch nicht, wo es die Entſcheidung314 galt: deswegen wehklagen auch jetzt die Völker um ihn rings umher in der Burg. Unausſprechlichen Gram haſt du deinen Eltern bereitet, Hektor, endloſe Verzweiflung mir ſelbſt. Nicht von dem Sterbelager haſt du die Hand mir gereicht, nicht ein Abſchiedswort voll Weisheit mir zu¬ gerufen, deſſen ich Tag und Nacht unter Thränen der Wehmuth gedenken könnte!

Nach Andromache erhub Hekuba, die Mutter, klagend ihre Stimme. Hektor, o du mein Herzenskind, wie lieb wareſt du ſelbſt den Göttern, die deiner auch beim bitter¬ ſten Tode nicht vergeſſen haben. Mit dem Schwert ge¬ tödtet und geſchleift, ruheſt du doch ſo friſch in unſerm Hauſe, als hätte dich das linde Geſchoß Apollo's vom ſilbernen Bogen unverſehens hingeſtreckt. So ſprach ſie, ſich ſelber tröſtend, und vergoß eine Fluth von Thränen. Jetzt nahm auch Helena das Wort. Hektor, klagte ſie, du mir lieber als alle Gebrüder meines Mannes, zwan¬ zig Lebensjahre ſind mir entflohen, ſeit mich Unglückſelige Paris gen Troja geführt hat, und nie in dieſer langen Zeit hörte ich auch nur ein Wörtlein im Böſen von dir. Zwar König Priamus war immer auch milde gegen mich, wie ein Vater, aber wenn ein Anderer im Hauſe, Bruder oder Schweſter des Gatten, Schwägerin oder Schwieger¬ mutter mich hart anließ, die beſänftigteſt du immer, und dein freundliches Herz redete mir zu gut. In dir iſt mein Tröſter und Freund geſtorben; mit Abſcheu werden ſich jetzt Alle von mir abwenden!

So ſprach ſie unter Thränen, und das zahllos ver¬ ſammelte Volk ſeufzete. Da rief Priamus über das Ge¬ dränge hin: Jetzt, ihr Trojaner, bringet Holz für den Scheiterhaufen zur Stadt her, und beſorget nicht, daß315 etwa ein Hinterhalt der Danaer auf euch laure. Der Sohn des Peleus, als er mich von den Schiffen entließ, hat mir verheißen, uns keinen Schaden zu thun, bis der zwölfte Morgen gekommen wäre.

Die Völker gehorchten; ſchnell wurden Laſtwagen mit Stieren und Maulthieren beſpannt, und Alles ver¬ ſammelte ſich vor der Stadt. Neun Tage lang führten ſie Holz, eine ganze Waldung, herbei; am zehnten Mor¬ gen wurde die Leiche Hektors unter lauten Wehklagen hinausgetragen, auf das hohe Scheitergerüſt niedergelegt, und dieſes in Flammen geſetzt. Das ganze Volk ſtand um den brennenden Holzſtoß verſammelt; als er nieder¬ gebrannt war, löſchten ſie den glimmenden Schutt mit Wein, und die Brüder und Streitgenoſſen des Verſtorbe¬ nen laſen das weiße Gebein unter Thränen aus der Aſche zuſammen. Mit weichen Purpurgewanden umhüllt, ward es in ein goldenes Käſtchen gelegt, und in die hohle Gruft geſenkt. Dichte Quadern verſchloſſen dieſe, dann wurde der Grabhügel aufgeſchüttet, und ringsum ſaßen Späher, damit nicht ein plötzlicher Ueberfall der Griechen ſie ſtörte. Als die Erde aufgeſchüttet war, zog alles Volk in die Stadt zurück, und im Königshauſe des Priamus wurde das feierliche Todtenmahl begangen.

316

Pentheſiléa.

Nach Hektors Beſtattung hielten ſich die Trojaner wieder hinter den Mauern ihrer Stadt, denn ſie fürchteten ſich vor der Kraft des unbändigen Peleusſohnes, und ſcheuten ſich in ſeine Nähe zu kommen, wie ſich Stiere ſträuben, dem Lager eines entſetzlichen Waldlöwen zu na¬ hen. In der Stadt herrſchte Trauer und Klage über den Verluſt ihres edelſten Bürgers und mächtigſten Beſchützers, und der Jammer war ſo groß, als wenn Troja ſchon von den Flammen der Eroberer verzehrt würde.

In dieſer troſtloſen Lage erſchien den Belagerten eine Hülfe, von wannen ſie nicht erwartet worden war. Vom Thermodonſtrome, in der kleinaſiatiſchen Landſchaft Pontus, kam mit einem kleinen Haufen von Heldinnen die Amazo¬ nenkönigin Pentheſiléa herangezogen, die Trojaner zu unter¬ ſtützen. Es trieb ſie zu dieſer Unternehmung theils die männliche Luſt an Kriegsgefahren, die dieſem Weibervolke eigen iſt, theils eine unfreiwillige Blutſchuld, die ihr auf dem Herzen laſtete, und wegen der ſie in ihrem Vater¬ lande übel angeſehen war. Sie hatte nämlich auf einer Jagd, als ſie nach einem Hirſche mit ihrem Speere zielte, ihre eigene geliebte Schweſter Hippolyta mit dem Wurf¬ geſchoſſe getödtet. Nun begleiteten ſie die Rachegöttinnen auf allen Pfaden und kein Opfer hatte dieſelben bis auf dieſe Stunde verſöhnen können. Dieſen Qualen hoffte ſie am eheſten durch einen den Göttern wohlgefälligen Kriegs¬ zug zu entgehen, und ſo brach ſie mit zwölf auserleſenen Genoſſinnen gen Troja auf, die alle, gleich ihr, nach317 Krieg und Männerkämpfen dürſteten. Doch gegenüber vor ihrer Königin Pentheſiléa erſchienen ſelbſt dieſe herr¬ lichen Jungfrauen nur wie Sklavinnen. Wie unter den Sternen der Mond am Himmel hervorſtrahlt, ſo über¬ ragte an Glanz und Schönheit die Fürſtin alle ihrer Die¬ nerinnen. Sie war herrlich wie die Göttin der Morgen¬ röthe, wenn ſie, von den Horen umgeben, aus den Hö¬ hen des Olympus zum Rande der Erde herniederfährt.

Als die Trojaner von ihren Mauern herab an der Spitze ihrer Jungfrauen die zarte und doch gewaltige Königin, in Panzer und Schienen von Erz gehüllt, einer Göttin ähnlich, einherſchreiten ſahen, ſtrömten ſie von allen Seiten voll Bewunderung herbei, und konnten ſich, als die Jungfrauenſchaar näher heranzog, an der Schön¬ heit ihrer Fürſtin mit Blicken nicht genug erſättigen, denn in ihren Zügen war das Schreckliche wunderbar mit dem Lieblichen verbunden: ein holdſeliges Lächeln ſchwebte auf ihren Lippen, und wie Sonnenſtrahlen leuchteten unter langen Wimpern ihre lebensvollen Augen; ihre Wangen bedeckte eine ſittſame Röthe, und über das ganze Antlitz verbreitete ſich mädchenhafte Anmuth, beſeelt von kriegeri¬ ſchem Feuer. So betrübt das Volk Troja's vorher gewe¬ ſen war, ſo fröhlich jauchzte es jetzt bei dieſem Anblicke. Selbſt das trauernde Herz des Königes Priamus wurde wieder etwas freudiger geſtimmt, und als er die herrliche Pentheſiléa anſah, da wurde ihm zu Muthe wie einem Halbverblendeten, dem ein wohlthätiger Lichtſtrahl ins kranke Auge dringt. Aber ſeine Freude war nur mäßig und gedämpft durch die Erinnerung an den Verluſt ſo viel trefflicher, nicht minder ſchöner Söhne. Doch führte er die Königin in ſeine Wohnung ein, ehrte ſie wie eine eigene318 Tochter, und bewirthete ſie aufs Köſtlichſte. Die auser¬ leſenſten Geſchenke wurden für ſie auf ſein Geheiß herbei¬ gebracht, und noch mehrere verſprach er ihr für die Zu¬ kunft, wenn es ihr glücken ſollte, die Trojaner der Gefahr zu entreißen. Die Amazonenkönigin aber erhub ſich von dem Ehrenſtuhl, auf dem ſie Platz genommen, und ver¬ maß ſich eines Schwures, der noch keinem Sterblichen in den Sinn gekommen war: ſie verhieß dem Könige den Tod des göttergleichen Achilles: ihn und alle Schaaren der Argiver wollte ſie vertilgen, und ihr Feuer ſollte alle feindlichen Schiffe freſſen! So ſchwur die Thörin, welche den lanzenſchwingenden Helden und ſeinen furchtbaren Arm noch nicht kannte. Als Andromache, Hektors trauernde Wittwe, dieſes Verſprechen mit anhörte, da dachte ſie bei ſich ſelber: O du Arme, du weiſſeſt nicht, was du ge¬ ſprochen haſt, und weſſen du dich im Stolze vermiſſeſt! Wie ſollte dir die Kraft zu Gebote ſtehen, die zum Kampfe mit dem männermordenden Helden erforderlich iſt? Biſt du von Sinnen, Verlorene, und ſieheſt das Ziel des To¬ des nicht, vor dem du jetzt ſchon ſteheſt? Schauten doch auf meinen Gatten Hektor, wie auf einen Gott, alle Trojaner hin, und doch hat der Speer des Peliden ſeinen Hals durchbohrt! O möchte mich die Erde verſchlingen!

So dachte Andromache bei ſich. Indeſſen war der Tag zu Ende gegangen, und nachdem die Heldinnen ſich vom Zuge erholt und mit Speiſe und Trank gelabt hatten, wurde der Fürſtin und ihren Begleiterinnen von den Dienſt¬ mägden des Pallaſtes ein behagliches Lager bereitet, auf welchem Pentheſiléa bald in einen tiefen Schlummer ſank. Da nahete ihr auf Minerva's Befehl ein verderbliches Traumbild. Ihr eigener Vater erſchien ihr im Schlafe,319 und drang in ſie, den Kampf mit dem ſchnellen Achilles zu beginnen. Der Jungfrau, wie ſie das täuſchende Ge¬ ſicht erblickte, ſchlug das Herz im Buſen, und ſie hoffte noch am heutigen Tage das Ungeheure zu vollführen. Erwacht ſprang ſie vom Lager, und legte ſich die ſchim¬ mernde Rüſtung, die ihr Mars ſelbſt geſchenkt hatte, um die Schultern, paßte ſich die goldenen Schienen an, um¬ hüllte ſich mit dem ſtrahlenden Panzer, und warf das Wehrgehäng, an welchem in einer Scheide von Silber und Elfenbein das mächtige Schwert hing, ſich über die Achſel. Dann nahm ſie ihren Schild, welcher ſchimmerte, wie der Mond, wenn er aus dem Spiegel des Meeres aufſteigt, und ſetzte den Helm aufs Haupt, von dem eine goldgelbe Mähne herabfloß. In die Linke nahm ſie zwei Speere, und in die Rechte eine zweiſchneidige Axt, welche ihr einſt die verderbliche Göttin der Zwietracht als Kriegs¬ waffe geſchenkt hatte. Als ſie ſo in der blinkenden Rü¬ ſtung zum Pallaſte hinausſtürmte, glich ſie einem Blitz¬ ſtrahle, den die Hand Jupiters vom Olymp auf die Erde herabſchleudert.

Jauchzend vor Luſt eilte ſie zu den Mauern Troja's hinaus, und ermunterte die Trojaner zum rühmlichen Kampfe. Um ihren Ruf verſammelten ſich auch ſogleich die tapferſten Männer, die vorher dem Achilles nicht mehr entgegen zu gehen gewagt hätten. Pentheſiléa ſelbſt aber ſchwang ſich im Drange der Kriegsluſt auf ein ſchönes, ſchnellfüßiges Pferd, ein Geſchenk der Gemahlin des thra¬ ciſchen Königes Boreas, das ſo ſchnell flog, wie die Harpyien. Auf dieſem Roſſe jagte ſie hinaus aufs Schlacht¬ feld, und alle ihre Jungfrauen, gleichfalls zu Roſſe, ihr nach. Ganze Schaaren troiſchen Volkes begleiteten ſie. 320König Priamus, der im Pallaſte zurückblieb, hob ſeine Hände gen Himmel und betete zu Jupiter: Höre, o Vater, und laß Achaja's Schaaren am heutigen Tage vor der Tochter des Mars in den Staub ſinken, ſie ſelbſt aber glücklich in meinen Pallaſt zurückkehren. Thue es deinem gewaltigen Sohne Mars zu Ehren; thu es ihr ſelbſt zu Liebe, die einem Gotte entſtammt und euch un¬ ſterblichen Göttern ſo ähnlich iſt; thu 'es auch um meinet¬ willen, der ich ſo vielfach gelitten, ſo viele ſchöne Söhne unter den Händen der Griechen habe dahinſinken ſehen! Thu' es, ſo lange noch vom edeln Blute des Dardanus etwas übrig bleibt und die alte Stadt Troja noch unzer¬ ſtört iſt! Kaum hatte er ausgebetet, ſo ſtürmte ihm zur Linken ein kreiſchender Adler durch die Luft, der eine zer¬ riſſene Taube in den Krallen hielt. Ein Schauer der Furcht durchbebte das Gebein des Königes bei dieſem Vor¬ zeichen, und die Hoffnung entſank ſeiner Bruſt.

Inzwiſchen ſahen die Griechen in ihrem Schiffslager die Trojaner, an deren Muthloſigkeit ſie ſich ſeit einigen Tagen gewöhnt hatten, zu ihrem Staunen heranziehen, wie reiſſende Thiere, die ſich vom Gebirge herunter auf Schafheerden ſtürzen. Einer ſprach voll Verwunderung zum Andern: Wer hat doch wohl die Troer wieder ver¬ einigt, die ſeit Hektors Tode alle Luſt verloren zu haben ſchienen, uns je wieder zu bekämpfen? Das muß wohl ein Gott ſeyn, der ſich ihrer annimmt. Wohl! Sind wir doch auch nicht ohne Götter; und haben wir ſie bisher bezwungen, ſo wird es uns auch heute gelingen! So warfen ſie ſich in die Waffen und ſtrömten kampfluſtig von den Schiffen heraus. Bald begann die blutige Schlacht, Speer ſtreckte ſich gegen Speer, Harniſch ſtieß auf Harniſch,321 Schild prallte an Schild und Helm an Helm, der Bo¬ den Troja's färbte ſich einmal wieder roth vom Blute; Pentheſiléa wüthete unter den griechiſchen Helden, und ihre Kriegerinnen wetteiferten mit ihr in Tapferkeit. Sie ſelbſt erlegte den Molon und ſieben andere Helden; als aber die Amazone Klonia Menippes, den Freund des gewaltigen Podarkes, niederſchlug, ergrimmte dieſer und durchbohrte die Hüfte der Männin mit ſeiner Lanze; zu ſpät hieb ihm Pentheſiléa die zum Stoß ausholende Hand ab; ihre Kriegerin war in den Tod geſunken und jenen retteten die entführenden Freunde. Jetzt wandte ſich das Glück zu den Griechen; Idomeneus traf die Amazone Bremuſa rechts in die Bruſt mit dem Speere, Meriones erſchlug Evandra und Thermodeſſa, unter Ajax, des Oleus Sohn, ſank Derione; der Tydide hieb Alcibia und Deri¬ machia nieder, indem ſein Schwert beiden die Häupter mit ſamt dem Genicke von den Schultern trennte. Darauf kehrte ſich der Kampf gegen die Trojaner. Sthenelus tödtete den Kabirus aus Seſtus und vergebens ſchnellte Paris ſeinen Pfeil auf den Mörder ab. Er flog vorüber und traf, von den grauſamen Parzen abgelenkt, einen andern Griechen, den Helden Evenor von Dulichium zum Tode. Sein Schickſal regte den Anführer der Dulichier, Meges, den muthigen Sohn des Königes Phyleus, auf; raſch wie ein Löwe ſprang er heran, daß die Troer be¬ ſtürzt vor ihm flohen. Er erſchlug zwei ihrer beſten Bun¬ desgenoſſen, den Itymoneus und Agelaus von Milet, und auch Trojaner, ſoviel ſein Speer erreichen konnte. Andre erlegten Andre, denn ein furchtbares Schlachtgetümmel durchtobte die Reihen, und von beiden Seiten ſanken an dieſem Tage viele Helden in den Staub.

Schwab, das klaſſ. Alterthum. ll. 21322

Pentheſiléa aber ſtürmte noch immer unbezwungen unter die Griechen, wie eine Löwin unter einer Rinder¬ herde wüthet, und dieſe wichen von Schrecken ergriffen zurück, wo ſie nahte. Trunkenen Muthes rief ihnen die Siegerin entgegen: Heute noch, ihr Hunde, ſollet ihr die Schmach des Priamus mir büßen. Raubthieren und Vögeln ſollt ihr zum Fraße modern und Keiner von Euch ſoll Weib und Kind zu Hauſe wieder ſchauen, kein Erd¬ hügel je über euren Gebeinen ſich erheben! Wo iſt Dio¬ medes, wo Ajax, Telamons Sohn, wo der Pelide Achil¬ les, die beſten unter eurem Heere? Warum kommen ſie nicht und meſſen ſich mit mir? Aber freilich, ſie wiſſen, daß ſie vor mir zerſchmettert und zu Leichen werden mü߬ ten! So rief ſie und drang voll Verachtung auf die Argiver ein; bald wüthete ſie mit der Art, bald mit dem Wurfſpieß, und den Köcher voll Geſchoſſe trug ihr, falls ſie ſein bedürftig wäre, ihr gelenkiges Roß. Ihr nach drängten ſich die Söhne des Priamus und die erſten der Trojaner. Dieſem Andrange vermochten die Griechen nicht zu widerſtehen; wie Blätter im Winde oder wie Regentropfen fielen ſie gedrängt nach einander, bald war das Gefilde mit argiviſchen Leichen bedeckt, und die Roſſe der troiſchen Streitwagen zertraten verfolgend Ge¬ fallene und Todte wie gedroſchenes Korn. Den Troja¬ nern war nicht anders zu Sinne, denn als ob eine der Unſterblichen ſichtbar vom Himmel herab geſtiegen wäre, um ihnen die Schaaren der Feinde bekämpfen zu helfen, und in der thörichten Freude ihres Herzens glaubten ſie ſchon an deren gänzliche Vernichtung.

Aber noch war das Getöſe des Kampfes weder zu dem gewaltigen Ajax noch zu dem Götterſohn Achilles323 gedrungen. Beide lagen fern am Grabe des Patroklus, und gedachten hier ihres erſchlagenen Freundes; ſo war es vom Geſchicke verordnet, welches der Amazonenfürſtin ein paar Stunden der Aernte gönnen wollte, und ſie mit Ruhm bekränzt zum Tode trieb. Auf den Mauern der Stadt ſtanden die trojaniſchen Frauen und bewunderten jubelnd die Heldenthaten ihrer Mitſchweſter. Eine von ihnen, Hippodamia, die Gattin des tapfern Trojaners Tiſiphonus, fühlte ſich plötzlich von Kampfluſt ergriffen: Freundinnen, ſprach ſie, warum kämpfen nicht auch wir, unſern Männern gleich, fürs Vaterland, für uns und für unſere Kinder? Stehen wir doch nicht ſo ferne von dem kräftigen Geſchlecht unſerer Jünglinge: dieſelbe Kraft wie ihnen ward auch uns verliehen: unſere Augen ſpähen nicht weniger ſcharf; unſere Kniee wanken ſo wenig, wie die ihrigen; Licht, Luft und Nahrung gehört uns wie ihnen; warum ſollte nicht auch die Feldſchlacht uns verliehen ſeyn? Seht ihr denn nicht dort das Weib, das hoch hervorragt vor allen Männern? Und doch iſt es nicht einmal von unſerem Stamme! Es kämpft für einen fremden König, für eine Stadt, die nicht ſeine Heimath iſt, und thut es unbekümmert um die Männer, faßt ſich einen Muth im Herzen, und ſinnt auf Unheil gegen die Feinde. Wir aber hätten für unſer eigenes Glück zu fechten und eigenes Unglück hätten wir zu rächen. Wo iſt eine von uns, die in dieſem unſeligen Kriege nicht ein Kind, oder einen Gatten, oder einen Vater verloren hätte, oder um Brü¬ der oder andre nahe Verwandte trauerte? Und wenn unſre Männer unterliegen, was ſteht uns allen Beſſeres bevor, als die Knechtſchaft? Darum laſſet uns den Kampf nicht länger aufſchieben; lieber wollen wir ſterben, denn21*324als Beute von den Feinden hinweggeführt werden mit unſern unmündigen Kindern, wenn die Gatten todt ſind und die Stadt hinter uns in Flammen ſteht!

So ſprach Hippodamia und erregte die Begierde nach Kampf in ihnen Allen. Sie legten Wolle und Webekorb zur Seite, zerſtreuten ſich wie ein Bienenſchwarm in ihre Häuſer, und griffen nach den Waffen. Unfehlbar wären alle ein Opfer ihres unſinnigen Eifers geworden, wenn nicht die Schweſter der Königin Hekuba, Theano, die Ge¬ mahlin Antenor's, welche weiſer war, als alle Andere, ſich ihrem unſinnigen Beginnen widerſetzt hätte. Dieſe ſuchte ſie mit verſtändigen Worten zu beſchwichtigen. Was wollt ihr anfangen, ihr Unvernünftigen, rief ſie den ſchon Ausziehenden entgegen; gegen die Danaer wollt ihr ziehen, die in Waffen und im Kampfe geübten Män¬ ner? Wie möget ihr hoffen, euch mit ihnen meſſen zu können? Habt ihr denn je Kriegswerk getrieben, wie die Amazonen, habt Roſſe tummeln gelernt und anderes Thun der Männer? Dazu iſt jenes Wunderweib noch eine Tochter des Kriegsgottes, ihr aber ſeyd alle Kinder von Sterblichen. Deßwegen ſollt ihr Weiber bleiben, euch ferne vom Schlachtgetümmel halten und im innern Haus¬ raume der Spindel pflegen; den Krieg aber mögt ihr den Männern laſſen. Noch ſind ja dieſe aufrecht und umrin¬ gen ſchirmend eure Stadt; noch iſt es nicht ſo weit ge¬ kommen, daß ſie der Hülfe ihrer Weiber bedürften und dieſe zur Vertheidigung der Stadt aufrufen müßten!

Den klugen Worten der bejahrten Troerin ſchenkten die aufgeregten Frauen allmälig Gehör, kehrten auf die Mauer zurück, und ſahen bald wieder, wie zuvor, von ferne der Schlacht zu. Indeſſen mordete Pentheſiléa fort325 und die Schaaren der Argiver erbebten vor ihr; die Hel¬ den begannen zu fliehen und zerſtreuten ſich da und dort¬ hin, die Einen, nachdem ſie die Wehre von den Schul¬ tern auf den Boden geworfen, die Andern in voller Waf¬ fenrüſtung: Roſſe und Wagen flogen hier und dorthin ohne Führer; überall hörte man Gewinſel der Sterbenden, denn Alles ſank zuſammen vor dem Schlachtſpeer der Amazone.

Immer vorwärts drangen die Trojaner; ſchon waren ſie ganz nahe an den Schiffen der Griechen angekommen, und machten Anſtalt, dieſe zu verbrennen. Da hörte end¬ lich Ajax, der gewaltige Sohn des Telamon, das Kriegs¬ geſchrei, hob ſein Haupt vom Grabhügel des Patroklus empor, und ſprach zu Achilles: Kampfbruder, mir drang ein unendliches Getöſe zu den Ohren, gleich als hätte ſich irgendwo ein gefährlicher Kampf erhoben! Laß uns gehen, daß die Trojaner uns nicht zuvor kommen, und doch einmal die Schiffe verbrennen! Dieſe Worte reg¬ ten den Peliden auf, und jetzt wurde auch ſein Ohr von dem Jammergeſchrei erreicht. Eilig warfen ſich beide in ihre ſchimmernde Rüſtung und gingen, in Waffen leuch¬ tend und von Streitluſt brennend, der Gegend zu, von welcher der Hall des Kampfes ihnen entgegen lärmte.

Durch die gebrochenen Reihen der Argiver zückte eine Freude, als ſie die beiden tapferſten Männer heraneilen ſahen. Dieſe aber ſtürzten ſich ſogleich mit brennendem Eifer in den Kampf, und fingen an, unter dem trojani¬ ſchen Heere zu würgen. Ajax warf ſich auf die Männer und ſeinen erſten Speerſtößen erlagen vier Trojaner. Achilles aber kehrte ſich gegen die Amazonen, und vier der Jung¬ frauen erlagen unter ſeinen Streichen: dann ſtürzten ſich326 beide miteinander auf die Maſſe des feindlichen Heers, und mit geringer Mühe waren die noch jüngſt ſo dicht ſtehenden Reihen der Feinde gelichtet.

Als Pentheſiléa dieß inne ward, ſtürzte ſie muthig ihren beiden mächtigſten Feinden entgegen, wie ein Pan¬ therthier den Jägern entgegen eilt. Jene aber reckten ſich, daß ihre ehernen Panzer klirrten, und hielten ihre Lan¬ zen empor. Die Amazone warf ihren Speer zuerſt auf Achilles. Der Schild des Helden fing ihn auf, daß er zerſplitternd abprallte, als wäre er auf einen Felſen ge¬ ſtoßen. Mit der zweiten Lanze zielte ſie jetzt auf Ajax, und zugleich rief ſie beiden Helden zu: Wenn auch mein erſter Wurf mißlang, dieſer zweite ſoll euch Prahlern Kraft und Leben rauben, die ihr euch rühmet, die Stärk¬ ſten im Heere der Danaer zu ſeyn, aber jetzt nur herge¬ kommen ſeyd, um zu erfahren, daß ein Weib mehr ver¬ mag, als ihr beide zuſammen! So rief ſie, und brachte durch ihre Rede die Helden zum Lachen. Ihre Lanze aber erreichte die ſilberne Beinſchiene des Ajax, und ſo gerne ſie in ſeinem Blute geſchwelgt hätte, vermochte ſie doch nicht einmal ſeine Haut zu ritzen, denn die Waffe prallte von der ehernen Fußbekleidung ab. Ajax, ohne ſich viel um die Amazone zu bekümmern, ſtürzte ſich auf die Schlachtreihen der Trojaner, und überließ dem Achilles die Feindin, denn er zweifelte in ſeinem Geiſte keinen Augenblick, daß dieſer allein mit ihr fertig werden würde, ſo bald, wie ein Habicht mit der Taube.

Pentheſiléa, als ſie ſah, daß auch ihr zweiter Wurf ohne Erfolg geblieben, ſtieß einen lauten Seufzer aus; Achilles aber maß ſie mit ſeinen Blicken, und rief ihr zu: Sage mir, Weib, wie haſt du dich erdreiſten können,327 dich ſo übermüthig uns entgegen zu werfen, und uns, die gewaltigſten Helden der ganzen Erde, zu bekämpfen, uns, die wir vom Blute des Donnerers ſelbſt entſproſſen ſind, und vor welchen Hektor bebte und erlegen iſt? Der Wahnſinn muß aus dir geſprochen haben, als dein Mund uns heute mit dem Tode bedrohte; denn ſiehe, dein eignes letztes Stündlein iſt jetzt gekommen. Mit dieſen Wor¬ ten drang er auf ſie ein, die unbezwingliche Lanze, das Werk des Centauren Chiron, ſeines Erziehers, in der Rechten ſchwingend. Ihr Wurf traf die Kriegerin ober¬ halb der rechten Bruſt, ſo tief, daß alsbald das ſchwarze Blut aus der Wunde ſtrömte und alle Kraft ihre Glieder verließ. Die Axt fiel ihr aus der Rechten, und ihr Auge hüllte ſich in Finſterniß. Doch erholte ſie ſich noch einmal und ſah ihrem Feinde, der eben heranſtürmte, ſie vom flücht'gen Roſſe zu ziehen, feſt ins Antlitz. Sie beſann ſich einen Augenblick, ob ſie ihr Schwert aus der Scheide ziehen und ſich wehren, oder vom Roſſe ſteigen und zu dem Sieger flehend ihm Gold und Erz genug für ihr Leben verſprechen ſollte. Aber Achilles ließ ihr keine Zeit, ſich zu beſinnen. Im Zorn über ihren Stolz durchbohrte er Roß und Reiterin mit Einem Stoße. Alsbald glitt dieſe herab und ſank in den Staub und ins Verderben, am Speere zuckend und mit dem Rücken an das flüchtige Streitroß angelehnt, das ſterbend auf den Knieen lag; ſie ſelbſt einer ſchlanken Tanne gleich, die der Nordwind geknickt hat.

Als die Trojaner den Fall ihrer Heldin gewahr wur¬ den, ſtürzten ſie voll Betäubung zurück nach den Tho¬ ren der Stadt, wehklagend über den Tod der Amazone und ihrer eigenen, vielen Stammesverwandten. Der328 Sohn des Peleus aber rief mit Frohlocken: So liege du denn, du armes Geſchöpf, den Raubvögeln und Hunden zur Waide! Wer hat dich auch mit mir kämpfen geheißen? Du hoffteſt wohl unermeßliche Gaben aus der Hand des Königs Priamus als Kampfpreis zu empfangen, dafür, daß du ſo viele Griechen erſchlagen haſt! Aber ein an¬ derer Lohn wurde dir zu Theil! So ſprach er, und zog ihr und dem Pferde den Speer aus dem Leibe, und noch zückten beide. Dann nahm er ihr den Helm vom Haupte ab, und betrachtete das Antlitz der Verſchiedenen. Obgleich von Blut und Staube bedeckt, waren doch ihre edeln Züge auch im Tode noch voll Anmuth, und die Griechen, die den Leichnam umringten, mußten alle über die über¬ irdiſche Schönheit der Jungfrau ſtaunen, die, der nach heiſſer Gebirgsjagd ſchlummernden Diana ähnlich, in vol¬ ler Waffenrüſtung dalag. Achilles ſelbſt, als er ſie länger betrachtete, fühlte ſich von überſchleichendem Schmerze beſtrickt, und mußte ſich geſtehen, daß die Fürſtin, anſtatt von ihm getödtet zu werden, viel eher verdient hätte, als herrliche Gattin mit ihm in Phthia einzuziehen.

In den tiefſten Schmerz aber verſank der Vater der Amazone, der Kriegsgott, über ihrem Tode. Wie ein Blitz mit rollendem Donner ſtürzte er ſich bewaffnet vom Olymp herunter auf die Erde, und ſchritt über die Gipfel und Schluchten des Berges Ida hin, daß Gebirg und Thal unter ſeinem Schritte erbebten. Und ſicherlich hätte er den Griechen das Verderben gebracht, wenn ihn nicht Jupiter, der Freund der Danaer, durch ein furchtbares Gewitter gewarnt hätte, das ſich Schlag auf Schlag über ſeinem Haupte entlud, und in welchem er die Stimme ſeines allmächtigen Vaters vernahm, ſo daß Mars, ſo329 ſehr er ſich nach dem Kampfe ſehnte, es doch nicht ſogleich wagte, dem Willen des Donnerers entgegen zu handeln, und mitten auf dem Wege nach dem Schlachtfelde ſtille ſtand. Er war unſchlüſſig, ob er zum Olymp zurückkehren ſollte, oder dem Vater trotzend hingehen und ſeine Hände in das Blut des Achilles tauchen. Zuletzt gedachte er jedoch der vielen Söhne Jupiters ſelbſt, die nach dem Rathſchluſſe des Vaters ſterben müßten, und die er ſelbſt nicht im Stande geweſen, vor dem Tode zu ſchützen. So beſann er ſich denn des Beſſeren; kannte er ja doch ſeinen allgewaltigen Vater und wußte, daß, wer ſich ihm wider¬ ſetzt, vom Blitze gebändigt und zu den Titanen in die Unterwelt hinabgeſchleudert wird.

Um den Leichnam Pentheſiléa's drängten ſich inzwi¬ ſchen die Danaer, und fingen an, die Todten ihrer Waf¬ fen zu berauben. Achilles aber ſtand mit ganz verwan¬ deltem Gemüthe daneben, er, der noch ſo eben ihren Leib den Hunden und Vögeln zum Fraße hatte preis geben wollen. Mit tiefer Wehmuth blickte er auf die Jungfrau hernieder, und es nagte ihm keine geringere Qual am Herzen, als einſt, da er um ſeinen liebſten Freund, den erſchlagenen Patroklus, jammerte.

Unter den herbeiſtrömenden Griechen näherte ſich auch der häßliche Therſites, und fiel den Helden mit ſchmähen¬ den Reden an: Biſt du nicht ein Thor, rief er ihm zu, daß du dich um die Jungfrau abhärmen magſt, die uns Allen doch ſo vielfaches Unheil bereitet hat? Du zeigſt dich fürwahr als einen weibiſchen Lüſtling, daß dich eine Sehnſucht nach der Schönheit dieſer Erſchlagenen beſchleicht! Hätte dich doch ihre Lanze in der Schlacht getödtet, du Unerſättlicher, der du meinſt, daß alle Weiber deine Beute330 werden müßten! Wüthender Zorn bemächtigte ſich des Helden, als er aus dem Munde eines Elenden ſolche Schmähworte hören mußte. Er verſetzte dem häßlichen Schelter mit der bloßen Fauſt einen ſolchen Streich auf die Wange, daß ihm die Zähne aus dem Munde fielen, ein Blutſtrom hervorſchoß, und Therſites, ſich auf dem Boden krümmend, ſeine feige Seele aushauchte. Da war unter den Umſtehenden keiner, der ihn bedauert hätte, denn ſein einziges Geſchäft war geweſen, Andere zu ſchmähen, indeß er ſelbſt im Felde und im Rathe ſich immer nur als einen armſeligen Wicht bewies. Achilles aber ſprach voll Unmuth: Hier magſt du denn im Staube liegen und deine Thorheit vergeſſen lernen! Denn Thorheit iſt es, wenn der Schlechtere ſich dem Beſſern gleichſtellen will! Wie mich, haſt du ſchon früher den Odyſſeus gereizt, aber er war zu großmüthig, dich zu beſtrafen. Jetzt erfuhreſt du, daß der Sohn des Peleus ſich nicht ungeſtraft ſchel¬ ten läßt. Geh jetzt, und ſchmähe bei den Schatten!

Nur Einer war unter dem ganzen griechiſchen Heere, dem der Tod des Therſites die Galle aufregte: Diomedes, des Tydeus Sohn, und zwar deßwegen, weil der Er¬ ſchlagene aus Einem Blute mit ihm entſprungen war, denn ſein Großvater Oeneus und des Therſites Vater waren Brüder geweſen. Darum zürnte jetzt Diomedes, und er hätte die Waffen gegen Achilles erhoben, wenn nicht die edelſten Danaer ins Mittel getreten wären, denn auch der Pelide war bereit, ihm für das Blut ſeines Vetters mit dem Schwerte Genugthuung zu geben. So aber ließen ſich beide beſchwichtigen.

Die Atriden ſelbſt erlaubten nun, voll Mitleid und Bewunderung für die getödtete Jungfrau, daß dem Könige331 Priamus, der durch eine feierliche Botſchaft ſich die Leiche erbeten hatte, um ſie in der Gruft des Königes Laomedon zu beſtatten, ihr Leichnam ausgeliefert werde. Priamus aber[errichtete] ihr vor der Stadt einen mächtigen Schei¬ terhaufen, und legte den Leib der Jungfrau ſammt vielen herrlichen Gaben darauf. Dann entzündete er den Scheiter¬ haufen, daß er hoch empor loderte, und als der Leichnam verzehrt war, löſchten die umſtehenden Trojaner den Brand mit ſüßduftendem Weine. Sodann ſammelten ſie die Ge¬ beine Pentheſiléa's, legten dieſelben in ein Käſtchen und trugen ſie wehklagend und in feierlichem Aufzuge in die Gruft des Königes Laomedon, die ſich an einem hervor¬ ragenden Thurme der Stadt befand. Neben ihr wurden ihre zwölf Begleiterinnen, die alle ebenfalls in der Män¬ nerſchlacht geblieben waren, beigeſetzt, denn auch ihnen hatten die Söhne des Atreus dieſe Ehre gegönnt. Auf der andern Seite begruben auch die Griechen ihre Todten und bejammerten vor Allen den Podarkes, der ſeinem Bruder Proteſilaus, welchen Hektor erſchlagen hatte, nun im Schlachtentode gefolgt war. Abgeſondert von den An¬ dern wurde ihm ein eigener Grabhügel erhöhet, der ein weithin ſichtbares Denkmal bildete. Zuletzt ſcharrten ſie auch den häßlichen Therſites ein, und nun kehrten ſie wieder zu ihren Schiffen zurück, Alle voll Danks in ihrem Herzen gegen den gewaltigen Achilles, der auch dießmal der Retter der Griechen geweſen war.

Als die Nacht einbrach, lagerten ſich im geräumigen Zelte der Atriden die vornehmſten Helden zum Schmauſe, und auch die andern Griechen freuten ſich, da und dort hingeſtreckt, des erquickenden Mahles, bis der Morgen wieder anbrach.

332

Memnon.

Die aufſteigende Sonne leuchtete in Troja über lau¬ ter Kümmerniß. Auf den Mauern umher ſaßen ſpähend die Trojaner, denn ſie fürchteten jeden Augenblick, der gewaltige Sieger möchte nun auf Leitern über die Stadt¬ mauer ſetzen, und ihren alten Wohnſitz einäſchern. Da erhub ſich im Rathe der Bangenden ein Greis mit Na¬ men Thymötes, der ſprach: Freunde! vergebens ſinnt mein Geiſt auf ein Mittel, das drohende Verderben von uns abzuwenden. Seit Hektor unter den Händen des unbezwinglichen Achilles erlegen iſt, müßte, glaube ich, ſelbſt ein Gott, wenn er ſich unſer annehmen wollte, im Kampfe erliegen. Hat er doch auch die Amazone, vor der alle andern Danaer bebten, bezwungen! Und doch war ſie ſo furchtbar, daß wir alle in ihr eine Göttin zu ſehen glaubten und Freude unſer Herz bei ihrem Anblick durch¬ ſtrömte. Aber ach, leider war ſie nicht unſterblich! So fragt es ſich denn nun, ob es nicht beſſer für uns wäre, wenn wir dieſe unglückſelige Stadt, die doch zum Unter¬ gange beſtimmt iſt, verließen, und anderswo ſichere Wohn¬ ſitze aufſuchten, zu welchen die verderblichen Griechen nicht dringen könnten!

So redete Thymötes. Nun ſtand Priamus in der Verſammlung auf, ihm zu entgegnen: Lieber Freund, ſprach er, und ihr alle Trojaner und gute Bundsgenoſ¬ ſen! Laßt uns doch die geliebte Heimath nicht feige auf¬ geben, und uns größerer Gefahr preisgeben, wenn wir uns in offener Feldſchlacht durch die umringenden Feinde333 durchſchlagen ſollten. Vielmehr wollen wir warten, bis Memnon da iſt, der Aethiopier, aus dem Lande der ſchwarzen Männer, der wohl mit ſeinem unzähligen Volke ſchon unterwegs iſt, uns Hülfe zu bringen! Es iſt ſchon viel Zeit verfloſſen, ſeit meine Boten zu ihm gegangen ſind. Deßwegen haltet nur noch ein Kleines aus; und müßtet ihr ſelbſt im Kampfe Alle umkommen, ſo iſt es doch beſſer, als bei Fremdlingen, von Schande gebeugt, ſein Leben friſten zu müſſen!

Zwiſchen dieſe entgegengeſetzten Meinungen trat ein bedächtlicher Mann unter den Trojanern, der Held Polydamas, und gab ſeinen Rath mit folgenden Worten: Wenn Memnon wirklich kommt, ſo habe ich nichts dage¬ gen, König und Herr! Aber ich befürchte, der Mann wird mit ſammt ſeinen Gefährten den Tod bei uns finden, und den Unſrigen nur noch mehr Unheil bereiten. Doch bin auch ich keineswegs der Meinung, daß wir das Land unſrer Väter verlaſſen ſollten. Vielmehr wäre, wenn es auch jetzt ſpät iſt, doch immer noch das Beſte, wenn wir die Urſache dieſes ganzen Krieges, die Fürſtin Helena mit allem dem, was ſie uns aus Sparta zugebracht hat, den Griechen wieder auslieferten, ehe ſich die Feinde in unſre Habe getheilt und die Stadt mit Feuer verzehrt haben!

Dieſer Rede gaben die Trojaner zwar im Herzen ſtillen Beifall, doch wagten ſie nicht, ihrem Könige laut zu widerſprechen. Auf der andern Seite erhub ſich Paris, Helena's Gemahl, und beſchuldigte den Schutzredner der Griechen, wie er Polydamas nannte, der äußerſten Feig¬ heit. Ein Mann, der dazu rathen kann, würde im Felde der Erſte ſeyn, der die Flucht ergriffe, ſprach er. 334 Beſinnet euch wohl, Trojaner, ob es klug gehandelt iſt, dem Rathe eines Solchen zu folgen!

Polydamas wußte wohl, daß Paris von Helena nicht laſſen würde und eher einen Aufruhr im Heere erregen, ja ſelber ſterben, ehe er auf ſie verzichtete; darum ſchwieg er, und die ganze Verſammlung mit ihm. Als ſie noch ſinnend im Rathe ſaßen, kam die frohe Botſchaft, daß Memnon im Anzuge ſey. Den Trojanern ward zu Mu¬ the, wie Schiffern, die, dem Tode ſchon im Rachen, nach dem furchtbarſten Sturme die Sterne wieder am Himmel ſchimmern ſehen; vor Allen aber freute ſich der König Priamus, denn er zweifelte nicht, daß es der Ueberzahl der Aethiopier gelingen müßte, die feindlichen Schiffe zu verbrennen.

Als daher Memnon, der hohe Sohn Aurora's, ange¬ kommen war, ehrte der König ihn und die Seinen durch die herrlichſten Gaben und Feſtmahle. Das Geſpräch wurde wieder heiter, und ſie gedachten in Ehren der ge¬ fallenen Trojanerhelden. Memnon aber erzählte von ſei¬ nem unſterblichen Elternpaare, Thitonus und Aurora; ein andermal vom endloſen Weltmeere und wiederum von den Grenzen der Erde, vom Aufgang der Sonne, und von dem ganzen weiten Wege, den er von den Ufern des Oceans bis zu den Höhen des Berges Ida und der Stadt des Königes Priamus zurückgelegt, und was für Heldenthaten er unterwegs verrichtet habe. Ihm lauſchte der Trojanerkönig mit Wohlgefallen; voll Wärme ergriff er ſeine Hand und ſprach: Memnon, wie danke ich den Göttern, daß ſie mir, dem Greiſe, gegönnet haben, dich und dein Heer noch zu erblicken, und dich ſelbſt in meinem Pallaſte zu bewirthen! Fürwahr, du gleicheſt mehr als335 irgend ein Sterblicher den Göttern, und deßwegen hege ich die Zuverſicht zu dir, daß du unter unſern Feinden mit furchtbarem Gemetzel wüthen werdeſt! Mit dieſen Worten hob der König einen Pokal aus gediegenem Golde und trank ihn dem neuen Bundesgenoſſen zu. Memnon betrachtete ſtaunend ringsum den herrlichen Be¬ cher, der ein Werk Vulkans und ein Erbſtück der trojani¬ ſchen Königsfamilie war; dann erwiederte er: Nicht bei'm Schmauſe ziemt es ſich zu prahlen und zuverſicht¬ liche Verheiſſungen zu thun; ich antworte dir daher nicht, o König, ſondern freue mich jetzt in Ruhe des Mahles, und will im Geiſte das Nöthige vorbereiten. In der Schlacht muß es ſich zeigen, ob ein Mann ein Held ſey. Nun aber laß uns bald zur Ruhe gehen; denn dem, der die Entſcheidung des Kampfes erwartet, ſchadet ein über¬ mäßiger Genuß des Weines und eine durchſchwärmte Nacht!

Damit erhob ſich der beſonnene Memnon vom Mahle und Priamus hütete ſich, ſeinen Gaſt zu längerem Bleiben zu nöthigen. Auch die übrigen Gäſte gingen zur Ruhe, und Alles überließ ſich dem wohlthuenden Schlafe. Wäh¬ rend nun die Sterblichen auf der Erde ſchlummerten, ſaßen die Götter im olympiſchen Pallaſte Jupiters noch beim Schmauſe und beſprachen ſich über den Kampf um Troja. Jupiter, der Sohn des Kronos, dem die Zukunft deutlich war, wie die Gegenwart, nahm zuletzt das Wort und ſprach: Es iſt vergebens, daß ihr ſorget, der eine für die Griechen, der andre für die Troer. Noch unzäh¬ lige Roſſe und Männer werdet ihr auf beiden Seiten im Kampfe dahinſinken ſehen. So ſehr euch nun Mancher, der des Einen oder des Andern Freund iſt, am Herzen336 liegen mag, ſo laſſe ſich doch Keiner von euch einfallen, ſich mir deßhalb mit Bitten zu nahen, und für einen Sohn oder einen Freund zu flehen: denn die Schickſals¬ göttinnen ſind unerbittlich, für mich wie für euch!

Keiner der Unſterblichen wagte es, dem Göttervater zu widerſprechen; ſchweigend verließen ſie das Mahl und Jeder in ſeinem Hauſe warf ſich traurig auf das Lager, bis auch der Götter ſich der Schlaf erbarmte.

Am andern Morgen ſtieg Aurora nur widerſtrebend am Himmel auf, denn auch ſie hatte das Wort Jupiters vernommen und ihr Herz ſagte ihr voraus, welch ein Schickſal ihrem geliebten Sohne Memnon bevorſtand. Dieſer aber war ſchon in aller Frühe erwacht, als kaum die Geſtirne bleichten; er ſchüttelte ſich den Schlaf, den letzten auf Erden, von den Wimpern, und ſprang vom Lager voll Sehnen, den entſcheidenden Kampf für ſeine Freunde mit den Griechen zu beginnen. Auch die Trojaner warfen ſich in ihre Rüſtungen, und mit ihnen die zahlloſen Gäſte aus Aethiopien. Ohne ſich lange zu verweilen, ſtrömten die Schaaren Sturmgewölke gleich, das vom Winde ge¬ trieben wird, zu den Thoren hinaus aufs Blachfeld; die ganze Straße wogte von dichtem Gedränge, und der Staub erhob ſich unter ihren Füßen.

Als die Griechen ſie aus der Ferne heranziehen ſa¬ hen, ſtaunten ſie, waffneten ſich in Eile und zogen aus: Achilles, auf welchen ſie vertrauten, in ihrer Mitte, ſtolz auf ſeinem Wagen ſtehend, wie ein Titane und gleich einem Donnergeſchoß in Jupiters Hand. Aber in der Mitte des trojaniſchen Heeres zog nicht minder herrlich Memnon einher, dem Kriegsgotte ſelber zu vergleichen; und ſein unendliches Volk, gehorſam und kampfluſtig, hatte337 ſich rings um ihn her geſchaart. Nun begann der Kampf: wie zwei Meere wogten die Heere ſich entgegen und ſchlugen aneinander Well 'an Welle. Schwerter ziſchten und Speere ſausten, lautes Getöſe hallte durch die Schlachtreihen, und bald erhob ſich in beiden Heeren Klagelaut um die Fallenden. Bald ſtürzte ein Troer um den andern vor den Stößen des Achilles nieder, wie vor einem Sturm, der Bäume aus den Wurzeln reißt und Häuſer umwirft. Anderſeits warf auch Memnon die griechiſchen Schaaren darnieder, wie ein böſes Verhängniß, das den Sterblichen viel Jammer und Unheil bringt. Zwei edle Genoſſen Neſtors fielen von ſeiner Hand, und jetzt nahte er dem Greiſe von Pylos ſelber, und es fehlte wenig, daß Neſtor von der Lanze des Aethiopiers gefallen wäre. Denn eines ſeiner Wagenpferde war eben von einem Pfeile des Paris verwundet worden, und hemmte den Wagen ſeines Herrn, als Memnon mit ſeinem Speere auf den Greis herzugerannt kam. Erſchrocken rief dieſer ſeinen Sohn Antilochus zu Hülfe, und ſein Wort verhallte nicht in den Lüften. Der fromme Jüngling eilte heran, ſtellte ſich vor die Bruſt des Vaters und warf ſeinen Speer nach dem Aethiopier. Dieſer wich dem Geſchoſſe aus, aber es traf ſeinen Freund Aethops, den Sohn des Pyrrhaſus. Darüber ergrimmte Memnon und, wie der Löwe auf den Eber losſtürzt, warf er ſich nun auf Anti¬ lochus. Dieſer ſchleuderte einen Stein gegen den Toben¬ den, der jedoch an ſeinem dichten Helme abprallte. Nun ſtieß ihm Memnon die Lanze durchs Herz und Antilochus erkaufte ſo die Rettung ſeines Vaters mit dem Tode. Als die Achiver ihn ſinken ſahen, bemächtigte ſich ihrer aller der Schmerz; den bitterſten aber empfand der Vater, alsSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 22338um ſeinetwillen und ihm vor den Augen der Sohn er¬ ſchlagen wurde. Doch behielt er Beſinnung genug, einen andern ſeiner Söhne, Thraſymedes, herbeizurufen, damit er den Mörder von dem Leichname ſeines Bruders hin¬ wegſcheuche. Dieſer vernahm den Ruf im Getümmel der Schlacht und zugleich mit ihm machte ſich Pheres auf, den tobenden Sohn der Aurora zu bekämpfen. Memnon ließ ſie voll Zuverſicht nahen, und alle ihre Speere flo¬ gen an ſeiner, Rüſtung vorüber, die ihm die göttliche Mutter gefeyet hatte. Doch erreichten ſie immer ein Ziel, nur ein andres, als wofür ſie beſtimmt waren, und Beide trafen mit ihren Geſchoſſen feindliche Helden. Wäh¬ rend deſſen fing Memnon an, den getödteten Antilochus ſeiner Rüſtung zu berauben, und die griechiſchen Streiter umkreisten den Gefallenen vergebens, wie heulende Scha¬ kale einen Hirſch, den der Löwe zerreißt. Neſtor, als er dieß erblickte, jammerte laut auf, rief ſeinen übrigen Freun¬ den, ja ſprang ſelbſt vom Wagen herab und wollte mit ſchwindenden Greiſeskräften für den Leichnam des Soh¬ nes kämpfen. Doch Memnon, als er ihn kommen ſah, wandte ſich freiwillig von ihm ab, ehrfurchtsvoll, als ſähe er einen Vater nahen. Greis, ſprach er, mir ziemt nicht den Kampf mit dir zu verſuchen! Von ferne hielt ich dich für einen jungen kriegeriſchen Mann, darum zielte meine Lanze nach dir; nun aber ſehe ich, daß du weit älter biſt. Meide den Kampf, weiche, daß ich dich nicht mit widerſtrebendem Herzen fälle und du zu deinem Sohne in den Staub ſinkeſt! Würde man dich doch einen Tho¬ ren ſchelten, wenn du in ſo ungleichen Kampf dich gewagt hätteſt! Neſtor aber antwortete: Das ſind nichtige Worte, die du da geredet, Memnon! Kein Menſch heißt339 den Mann thöricht, der, über den Tod ſeines Sohnes ergrimmt, zu kämpfen kommt, und den grauſamen Mörder von ſeinem Leichnam vertreiben will! O hätteſt du mich als jung gekannt! Jetzt gleiche ich freilich nur einem alten Löwen, den jeder Hund von der Schafhürde abhal¬ ten kann! Doch nein, noch beſiege ich viele Streiter, und nur Wenigen weicht mein Alter! So ſprach Neſtor und wich ein wenig rückwärts, indem er den Sohn im Staube liegen ließ. Zugleich zogen ſich auch Thraſymedes und Pheres zurück; und nun wüthete Memnon mit ſeinen Aethiopiern ungehindert in der Schlacht fort, und die Argiver vermieden ſeinen Speer mit Schrecken.

Nun wandte ſich Neſtor an Achilles. Du Beſchir¬ mer der Griechen, ſprach er, ſiehe dort liegt mein Sohn todt; Memnon hat ihm die Waffen geraubt; bald wird er eine Speiſe der Hunde ſeyn! Eile zu Hülfe, denn nur der iſt ein wahrer Freund, der des erſchlagenen Freun¬ des ſich annimmt! Achilles horchte auf und tiefer Kum¬ mer bemächtigte ſich ſeiner, als er ſah, wie der Aethiopier die Danaer ſchaarenweiſe in den Staub ſtreckte. Bisher hatte ſich nämlich der Pelide unter den Trojanern herum¬ getummelt, und hier viele getödtet. Jetzt aber ließ er von ihnen ab, und wandte ſich plötzlich Memnon entgegen. Als dieſer ihn kommen ſah, raffte er einen Markſtein vom Boden auf und ſchleuderte ihn nach dem Schilde des Fein¬ des. Aber der Stein prallte ab, und Achilles, der ſeinen Streitwagen hinter der Schlachtreihe gelaſſen hatte, drang zu Fuße auf Memnon ein und traf ihn mit dem Speere rechts an der Schulter. Der Aethiopier achtete auf die¬ ſen Stoß nicht, eilte vorwärts, und ſtieß dem Achilles ſeine mächtige Lanze in den Arm, daß das Blut des Helden22*340zur Erde floß. Nun brüſtete ſich Memnon in eitler Freude und rief: Elender, der du ſo mitleidlos die Tro¬ janer erſchlugeſt, jetzt ſteht dir ein Götterſohn entgegen, dem du nicht gewachſen biſt, denn Aurora, meine Mutter, die Olympierin, iſt mehr denn deine Mutter Thetis, die ſich allein unter den Scheuſalen des Meeres gefällt! Aber Achilles lächelte nur und ſprach: Der Erfolg wird leh¬ ren, welcher von uns von edleren Eltern abſtammt! Ich fordre von dir jetzt Rache für den jungen Helden Antilochus, wie ich einſt an Hektor Rache genommen für meinen Freund Patroklus!

Damit faßte er ſeinen rieſigen Speer mit beiden Händen, und daſſelbe that Memnon. So ſtürzten ſie auf einander los. Jupiter ſelbſt machte ſie in dieſem Augenblick größer, ſtärker und unermüdlicher als Menſchen ſind, ſo daß kein Stoß des Einen den Andern fällte, und ſie ſo nah an einander kamen, daß Helmbuſch an Helm¬ buſch ſtreifte. Vergebens ſuchten ſie einander bald über dem Schienbein, bald unter dem Panzer zu verwunden; ihre Rüſtungen klirrten; das Kampfgeſchrei der Aethiopier, Trojaner und Argiver ſtieg empor zum Himmel, der Staub wirbelte unter ihren Füßen auf, und während die Führer kämpften, feierte unter ihren Kriegern das Ge¬ metzel nicht. Die Olympier, die von der Höhe herab zu¬ ſchauten, hatten ihre Freude an dem unentſchiedenen Kampfe, die einen an der Kraft des Peliden, die andern an Memnons unbeſiegtem Widerſtande, je nachdem ſie dem Einen oder dem Andern verwandt oder befreundet waren. Und bald wären die Götter unter einander dar¬ über in Zwietracht gerathen, wenn nicht Jupiter plötzlich zwei der Parzen aufgerufen hätte und befohlen, daß die341 finſtre ſich zu Memnon, die lichte zu Achilles geſellen ſollte. Laut ſchrieen die Bewohner des Olymps auf bei dieſem Befehle, die einen vor Freude, die andern vor Leid.

Die beiden Helden aber ſtritten fort, ohne die Schick¬ ſalsgöttinnen zu erblicken. Sie kämpften gegen einander bald mit der Lanze, bald mit Schwertern, bald mit Stei¬ nen; keiner erzitterte; feſt ſtanden ſie wie die Felſen. Und eben ſo unentſchieden zog ſich rechts und links von ihnen der Kampf ihrer Genoſſen hin, Blut und Schweiß floß auf den Boden, und die Erde deckte ſich mit Leichen. Endlich aber ſiegte das Geſchick. Achilles ſtieß ſeinem Gegner die Lanze ſo tief in die Bruſt, daß ſie zum Rü¬ cken herausfuhr, und er mit dumpfem Dröhnen in ſein Blut auf dem Kampfplatz niederſank.

Jetzt flohen die Trojaner, von dem verfolgenden Achil¬ les wie von einem Orkane gejagt, während er Memnons Leichnam ſeinen Freunden zum Berauben überließ. Aurora ſtieß am Himmel einen Seufzer aus und hüllte ſich in Gewölk ein, daß die Erde Finſterniß bedeckte; ihre Kin¬ der, die Winde, flogen auf ihr Geheiß herunter auf die Ebene, ergriffen den Leib des Erſchlagenen und entführ¬ ten ihn durch die Lüfte aus den Händen ſeiner Feinde. Nichts blieb von ihm auf der Erde übrig, als die Bluts¬ tropfen, die herabträufelten, während er von den Winden emporgetragen ward. Daraus wurde ein blutiger, un¬ verſieglicher Strom, der in ſpäten Tagen noch am Fuße des Ida jedesmal am Todestage des Memnon flüſſig wurde und mit Modergeruch dahinfloß. Die Winde hiel¬ ten ſich mit dem Leichnam nicht allzuhoch über der Erde und flogen mit ihm in der Quere dahin; die Aethiopier aber, die ſich von dem erſchlagenen Beherrſcher nicht342 trennen wollten, folgten unten mit tiefem Stöhnen, bis ſie den ſtaunenden Troern und Argivern mit der Leiche aus den Augen ſchwanden. Die Winde ſetzten den Leich¬ nam am Fuße des Fluſſes Aeſopus nieder, deſſen Töchter, anmuthige Nymphen, ihm in einem lieblichen Haine ein Grabmal errichteten, wo ihn ſeine vom Himmel herab¬ geſtiegene Mutter Aurora mit vielen andern Nymphen unter heißen Thränen beſtatten half. Auch die Troer, in ihre Stadt zurückgekehrt, beklagten den hohen Memnon herzlich. Die Argiver ſelbſt empfanden keine ungetrübte Freude: ſie prieſen zwar den Sieger Achilles, den Stolz des Heeres, aber ſie weinten auch mit Neſtor um ſeinen lieben Sohn Antilochus; und ſo durchwachten ſie unter Schmerz und Luſt die Nacht auf dem Schlachtfelde.

Der Tod des Achilles.

Am andern Morgen trugen ſeine Volksgenoſſen, die Pylier, den Leichnam ihres Königsſohnes Antilochus unter Wehklagen hinweg zu den Schiffen, und beſtatteten ihn dort an den Ufern des Hellespontes. Der greiſe Neſtor aber blieb feſt in ſeinem Gemüth und bewältigte den Schmerz durch Beſonnenheit. Achilles jedoch raſtete nicht. Sein Grimm über den Tod des Freundes jagte ihn mit Tages Anbruche unter die Trojaner, die auch ſchon kampfluſtig ihre Mauern verlaſſen hatten, obgleich ſie vor dem Speere des göttergleichen Achilles bebten. Bald wurde der Kampf wieder allgemein, der Held erſchlug eine Unzahl von Feinden, und verfolgte die Trojaner bis vor343 die Stadt. Hier, ſeiner übermenſchlichen Kraft ſich be¬ wußt, ſchickte er ſich an, die Thorflügel aus den Angeln zu heben, die Riegel zu öffnen und den Griechen die Stadt des Priamus aufzuthun.

Aber Phöbus Apollo, der vom Olymp herab den unermeßlichen Haufen Erſchlagener überſchaute, fing an ihm unerbittlich zu zürnen. Wie ein reißendes Thier ſtieg er vom Götterſitze hernieder, den Köcher mit den unheil¬ bar tödtenden Pfeilen auf dem Rücken. So trat er dem Peliden entgegen; Köcher und Pfeile klirrten, ſein Auge flammte, unter dem Wandelnden erbebte der Boden. Und nun, dem Helden im Rücken, ließ er ſeine furchtbare Stimme erſchallen: Laß von den Dardanern ab, o Pelide, wüthe nicht ſo raſend! Hüte dich, daß nicht einer der Unſterb¬ lichen dich verderbe! Achilles kannte die Stimme des Gottes wohl; aber er ließ ſich nicht einſchüchtern, und ohne die Warnung zu beachten, rief er ihm laut entgegen: Was willſt du mich reizen, mit Göttern zu kämpfen, indem du immerdar die Frevler, die Trojaner, begünſtigſt? Schon einmal haſt du mich in Zorn gebracht, als du mir zum erſtenmal Hektorn entriſſeſt. Nun rathe ich dir, ent¬ weiche fern zu den andern Göttern, daß dich mein Speer nicht treffe, obwohl du unſterblich biſt!

Mit ſolchen Worten wandte er ſich von Apollo ab den Feinden wieder zu. Der zürnende Phöbus aber ver¬ hüllte ſich in ein ſchwarzes Gewölk, legte einen Pfeil auf ſeinen Bogen und ſchoß aus dem Nebel den Peliden in die verwundliche Ferſe. Ein ſtechender Schmerz durchfuhr auf der Stelle den Achilles bis ans Herz hinan, und wie ein unterhöhlter Thurm ſtürzte er plötzlich zu Boden. Liegend ſpähte er rings um ſich her und ſchrie mit344 ſchneidendem, furchtbarem Tone: Wer hat mir aus der Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬ ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt, daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit geſprochen!

So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬ heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬ pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬ merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: Du haſt eine ver¬ derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen, wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬ ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬ tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬ chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus anſehen?

Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬ tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen. 345Dem Achilles aber kochte das dunkle Blut in den unbän¬ digen Gliedern noch immer von Kampfluſt, und kein Trojaner wagte es, dem Verwundeten zu nahen. Noch einmal erhub er ſich mit einem Sprunge vom Boden, ſtürzte, den Speer ſchwingend, unter die Feinde, und traf damit den Freund ſeines alten Gegners Hektor, Ory¬ thaon, an die Schläfe, daß die Spitze dieſem ins Gehirn drang. Dann ſtieß er dem Hipponous den Speer ins Auge, durchbohrte dem Alkithous die Wange, und raubte noch vielen Fliehenden das Leben. Jetzt aber wurden ſeine Glieder kalt; er mußte ſtille halten und ſich auf die Lanze ſtützen. Die Trojaner flohen noch immer vor ihm und ſeiner Stimme, denn er donnerte den Fliehenden nach: Laufet nur davon; auch nach meinem Tode werdet ihr meinem Speere nicht entgehen, ſondern meine Rache¬ götter werden Strafe an euch nehmen! Sie flohen zit¬ ternd, denn ſie glaubten, er ſey noch unverwundet. Ihm aber erſtarrten die Glieder, und er ſank hin unter die andern Todten, daß die Erde dröhnte und ſeine Waffen¬ rüſtung einen dumpfen Klang von ſich gab.

Zuerſt wurde ſeinen Fall Paris gewahr, ſein Tod¬ feind. Mit einem lauten Freudenſchrei ermahnte er die Trojaner, ſich der Leiche zu bemächtigen, und nun ver¬ ſammelten ſich eine Menge Streiter um den Todten, die früher ſeine Lanze gemieden oder erfahren hatten. Aber der Held Ajax umkreiſte die Leiche, und verſcheuchte mit hochemporgehaltenem Speer alle Feinde, die ſich nahten, und wenn ſich einer zum Kampfe mit ihm herbeiwagte, ſo empfing er den Todesſtoß. Endlich beſchränkte ſich Ajax nicht mehr auf den Vertheidigungskampf, ſondern brach los gegen die Trojaner und richtete ein gräßliches Blutbad346 unter ihnen an. Hier fiel auch der Lycier Glaukus und der edle Trojanerheld Aeneas ward verwundet. An des Ajax Seite kämpften Odyſſeus und andre Danaer: doch leiſteten die Trojaner immer noch hartnäckigen Wi¬ derſtand; ja, Paris wagte es, mit dem Speere plötzlich auf Ajax zu zielen. Dieſer aber nahm den Augenblick wahr, ergriff einen Feldſtein, und zerſchmetterte ihm damit den Helm, daß er in den Staub ſank und die Pfeile aus ſeinem Köcher ſich hier und dorthin zerſtreuten. Kaum hatten ſeine Freunde Zeit, den ſchwach Athmenden auf den Wagen zu heben und mit Hektors Roſſen nach Troja zurückzuführen. Als nun Ajax die Trojaner alle in die Stadt zurückgeſcheucht hatte, eilte er über Leichen, Blut und Rüſtungen zurück zu dem Helleſponte.

Derweil hatten die Könige den Leichnam des Achilles vom Schlachtfelde zu den Schiffen getragen, und umring¬ ten ihn in gränzenloſem Schmerze. Und am lauteſten tönte jetzt die Klage des herzugekommenen Ajax, welcher in dem hinweggerafften Helden den theuren Sohn eines Oheims bejammerte. Auch der greiſe Fürſt Phönix ergoß ſich in die bitterſten Klagen, indem er den rieſigen Leib des gewaltigen Peliden umſchlungen hielt. Er gedachte des Tages, da Peleus, der Vater des gefallenen Helden, ihm das Kind ans Herz legte, und ihm die Erziehung deſſelben übertrug; auch des Tages, da ſein Zögling ſich mit ihm aufmachte, gen Troja zu ziehen. Und nun mu߬ ten Vater und Erzieher das Kind überleben!

Auch die Atriden beweinten ihn und alle Griechen; unaufhörlich ſtieg Klagegeſchrei zum Himmel auf und tönte dumpf von den Schiffen wieder.

Endlich machte der greiſe Neſtor, ſeines eigenen, noch347 unbegrabenen Sohnes gedenkend, den Klagen ein Ende, indem er ſie daran erinnerte, den Leichnam des Helden zu waſchen, aufs Lager zu legen und ihm dann die letzte Ehre der Todten zu erweiſen. Dieß geſchah; der Leib des Peliden wurde mit warmem Waſſer abgewaſchen und mit ſchönen Gewändern umhüllt, die ihm ſeine Mut¬ ter Thetis mit auf den Zug gegeben hatte. Als er nun ſo im Zelte niedergelaſſen da lag, warf Minerva vom Olymp herab einen mitleidigen Blick auf ihren Liebling, und träufelte ihm aufs Haupt einige Tropfen Ambroſia's, von dem Götterbalſam, von dem es heißt, daß er die Todten vor Entſtellung und Verweſung bewahre. Da¬ durch machte ſie ihn friſch und einem Lebendigen ähnlich. Auf die Stirne legte ſie ihm den ſchrecklichen Ausdruck, von dem ſein Antlitz beſeelt war, als er über den Tod ſeines geliebten Patroklus zürnte, und dem ganzen Leibe verlieh ſie ein ſchönes und lebensvolles Anſehen. Alle Argiver, welche ihn zu ſehen kamen, ergriff Staunen, wie der Held in rieſiger Größe, ſchön und herrlich auf dem Lager ruhte, als läge er da in friedlichem Schlummer und würde nun bald wieder erwachen.

Die laute Wehklage der Griechen um ihren größten Helden drang auch in die tiefe See zu ſeiner Mutter Thetis und den übrigen Töchtern des Nereus, die dort wohnen. Ungeheurer Schmerz durchdrang ihre Gemüther und ſie ſtöhnten ſo jammervoll, daß der Helleſpont wie¬ derhallte. Voll Begierde eilten ſie nächtlicher Weile in Schaaren durch die ſich vor ihnen theilende Meerfluth herauf an den Strand, wo die Schiffe der Griechen ſtan¬ den. Alle Ungeheuer des Meeres ſtöhnten mit ihnen; ſie aber nahten wehklagend dem Leichnam und Thetis348 umſchlang ihr Kind mit den Armen, küßte ihn auf den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von ihren Thränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchts¬ vollem Grauſen zurück vor den meerentſtiegenen Göttinnen, und nahten ſich dem Leichname erſt wieder, als jene ſich entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen ſie unzählige Bäume vom Berge Ida herab, thürmten ſie hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüſtungen vieler Erſchlagenen, geſchlachtetes Opfervieh, Gold und edle Metalle; die Helden der Griechen ſchnitten ihr Haar ab und auch Briſëis, die geliebte Sklavin des Todten brachte die Locken als letztes Geſchenk ihrem Gebieter dar. Dann goſſen ſie viele Krüge Oeles über das auf¬ geſchichtete Holz als Trankopfer, ſtellten Schalen mit Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete, auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüſte; zu oberſt auf den Holzſtoß wurde der Leichnam gelegt. Dar¬ auf machten ſie in voller Waffenrüſtung zu Roß und zu Fuß die Runde um den düſtern Holzſtoß. Nun wurde der Scheiterhaufen angezündet und die verzehrenden Flammen ſchlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Aeolus aber ſandte auf Jupiters Befehl ſeine ſchnellſten Winde, die mit Sturmhauch in die aufgeſchichteten kniſternden Bäume fuhren, daß die Gluth in wenigen Stunden den Holzſtoß mit ſammt dem Leichnam in Aſche verwandelte. Die letzten Flammen löſchten ſie mit Weine. Da lagen die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten, getrennt von Allem, was zugleich mit ihnen verbrannt worden war. Seine Genoſſen ſammelten dieſelben ſeuf¬ zend und legten ſie in einen geräumigen aus Silber und Gold gehämmerten Kaſten, der auf der erhabenſten Stelle349 des Geſtades neben ſeines Freundes Patroklus Gebein in die Erde geſenkt und mit einem hohen Grabhügel überdeckt wurde.

Auch die unſterblichen Roſſe des Helden ahneten ſei¬ nen Fall; ſie riſſen die Stränge los, mit welchen ſie an¬ gebunden waren, und wollten nicht länger die Mühſelig¬ keiten der Menſchen theilen. Nur mit Mühe wurden ſie von den Freunden des Gefallenen eingeholt und ihr Kum¬ mer beſchwichtigt.

Leichenſpiele des Achilles.

Auch zu Troja wurde in dieſen Tagen eine Todten¬ feier begangen: der Lycier Glaukus, der treue Bundes¬ genoſſe der Trojaner, der im letzten Kampfe gegen die Griechen gefallen war, und deſſen Leichnam ſeine Freunde aus den Händen der Feinde gerettet hatten, wurde ver¬ brannt und beſtattet.

Am folgenden Tage erhub ſich Diomedes, der Sohn des Tydeus, in der Verſammlung der griechiſchen Helden mit dem Rathe, jetzt im Augenblicke, ehe die Feinde Muth aus Achilles Tode ſchöpften, mit Wagen, Roß und Mann gegen die Stadt anzurücken und dieſelbe zu erſtürmen. Aber gegen ihn ſtand Ajax, der Sohn Telamons, auf: Wäre es auch recht, ſprach er, die erhabene Meeres¬ göttin, die um den Tod ihres Sohnes trauert, ungeehrt zu laſſen, und nicht vor allen Dingen herrliche Spiele um das Grabmal ihres Sohnes zu feiern? Sie ſelbſt, als ſie geſtern an mir vorüber ins Meer zurück rauſchte, gab mir einen Wink, den Sohn nicht ungeehrt zu laſſen,350 indem ſie ſelbſt bei ſeiner Leichenfeier erſcheinen werde. Was die Trojaner betrifft, ſo werden ſie ſich ſchwerlich mehr ermuthigen, obgleich der Pelide dahin iſt, ſo lange nur du und ich und der Atride Agamemnon noch am Le¬ ben ſind! Ich will mich in deine Meinung fügen, erwiederte der Tydide, wenn Thetis wirklich ſelbſt heute erſcheint. Ihr Wunſch ſoll auch dem dringendſten Kampfe vorangehen.

Kaum hatte Diomedes dieſe Worte geſprochen, als die Meereswellen am Strande ſich theilten und die Ge¬ mahlin des Peleus, dem leichten Hauche des Morgens vergleichbar, aus den Fluthen heraufrauſchte und in der Danaer Mitte hineintrat. Mit ihr kamen Nymphen als Dienerinnen, die aus den Umhüllungen ihrer Schleier herrliche Kampfpreiſe hervorzogen und vor den Augen der Achiver auf dem Felde ausbreiteten. Thetis ſelbſt ermun¬ terte die Helden, mit den Kampfſpielen den Anfang zu machen. Da erhub ſich der Sohn des Neleus, Neſtor, doch nicht um zu kämpfen, denn das hohe Alter hatte ihm die Glieder ſteif gemacht, ſondern zur liebli¬ chen Rede, und pries die holde Tochter des Nereus. Er erzählte von ihrer Hochzeit mit Peleus, bei der die Un¬ ſterblichen ſelbſt als Gäſte ſchmausten und die Horen göttliche Speiſen in goldenen Körben herbeibrachten und mit ambroſiſchen Händen ſie aufſchichteten. Die Nymphen miſchten den Göttertrank in goldene Becher, die Grazien führten ihren Reigen, und die Pieriden ſangen. Der Aether und die Erde, Sterbliche und Unſterbliche, Alles nahm damals an der ſeligen Freude Theil.

So erzählte Neſtor und pries dann die ewigen Tha¬ ten des Peliden, der dieſem Ehebund entſproßt war. 351Seine Rebe goß ſanften Troſt in die Seele der betrübten Mutter, und die Argiver, obwohl voll Kampfluſt, hörten doch mit Wonne zu und ſtimmten in ſein Lob des Helden jubelnd ein. Thetis übergab dem Neſtor als Vermächtniß zwei der herrlichſten Roſſe ihres Sohnes; dann ſchied ſie aus den mitgebrachten Gaben als Preis für den Sieg im Wettlaufe zwölf ſtattliche Kühe, jede mit einem ſaugenden Milchkalbe; ſie waren eine Beute ihres Sohnes, der ſie einſt kämpfend von den Berghöhen des Ida hinweggetrie¬ ben. Nun erhuben ſich unter den griechiſchen Helden Teucer, der Sohn des Telamon, und der Lokrer Ajax, des Oïleus ſchneller Sohn, und entkleideten ſich zum Laufe bis an den Gürtel. Agamemnon ſteckte das Ziel des Wettlaufs; wie Habichte ſtürmten ſie dahin und rechts und links jauchzten ihnen die zuſchauenden Grie¬ chen Beifall zu. Schon waren beide dem Ziele nah, als dem Teucer ein Tamariskengeſträuch den Weg ver¬ ſperrte, daß er ſtrauchelte und fiel. Laut ſchrieen die Da¬ naer, der Lokrer aber ſtürmte an ihm vorbei, ergriff das Ziel und führte die Kühe triumphirend weg zu den Schif¬ fen; den Teucer führten hinkend die Seinigen davon, Aerzte wuſchen ihm das Blut vom Fuße und wickelten ihn ſorgfältig in ölgetränkte Binden ein.

Zum Ringkampfe ſtanden jetzt zwei andere Helden auf, Diomedes und der mächtigere Ajax der Telamous¬ ſohn. Beide rangen vor den neugierigen Blicken ihrer Genoſſen mit gleicher Kraft und Erbitterung, endlich aber umſtrickte Ajax den Tydiden mit den nervigen Händen und ſchien ihn erdrücken zu wollen. Dieſer aber, eben ſo gewandt als ſtark, beugte zur Seite aus, ſtemmte die Schultermuskeln an, hob den gewaltigen Gegner in die352 Höhe, daß ſeine Arme abglitten und warf ihn mit einem Stoße des linken Fußes auf den Boden. Die Zuſchauer jauchzten laut auf. Ajax aber raffte ſich empor und be¬ gann den Kampf aufs Neue, und ſo wütheten ſie, wie zwei Stiere im Gebirg ihre eiſernen Köpfe gegeneinander ſtoßen; dießmal faßte Ajax den Diomedes an den Schul¬ tern und warf ihn wie einen Felſen mit unwiderſtehlicher Kraft auf den Boden, daß er dahin rollte und die Helden umher Beifall jubelten. Doch auch Diomedes raffte ſich empor und bereitete ſich zum dritten Gange. Da ſtellte ſich Neſtor zwiſchen beide hinein und ſprach: Macht die¬ ſem Ringen doch ein Ende, Kinder, wir Alle wiſſen auch ohnedem, daß ihr, ſeit wir den großen Achilles verloren haben, die Tapferſten unter allen Argivern ſeyd! Ein Ruf der Zuſtimmung hallte durch die Luft aus dem zu¬ ſchauenden Heere, die Ringer wiſchten ſich den Schweiß von der Stirne, fielen einander in die Arme und küßten ſich. Thetis beſchenkte ſie mit vier gefangenen Sklavin¬ nen, die ſich durch Fleiß und Herzensgüte auszeichneten und die Achilles einſt auf Lesbos erbeutet hatte. Die eine von ihnen verſtand das Eſſen in der Küche zu beſorgen, die andere kredenzte den Wein beim Mahle, die dritte reichte das Waſſer am Schluſſe deſſelben, die letzte trug die Speiſen von der Tafel ab; und alle viere wurden nur von der ſchön gelockten Briſëis an Reiz übertroffen. In dieſe vier theilten ſich die beiden Kämpfer und ſandten das liebliche Geſchenk zu den Schiffen.

Hierauf begann der Fauſtkampf, zu dem ſich Ido¬ meneus erhob, der geübteſte Kämpfer in allen Arten deſ¬ ſelben. Darum, und auch weil er einer der älteren Hel¬ den war, traten die Andern alle ehrfurchtsvoll vor ihm353 zurück und es fand ſich Keiner, der den Wettſtreit mit ihm verſuchen wollte. Thetis gab ihm daher den Wagen des Patroklus zum Geſchenke. Phönix und Neſtor aber munterten die jüngeren Männer zu dieſer Gattung des Kampfes auf. Da trat[Epëus], der Sohn des Panopeus, und bald nach ihm Akamas, der Sohn des Theſeus, her¬ vor; beide ſchnürten ſich ihre Hände ſchnell mit trockenen Riemen und prüften ſie, ob ſie gelenkig ſeyen: dann er¬ hoben ſie dieſelben gegen einander und, indem ſie ſich mit lauerndem Blicke umſchauten, näherten ſie ſich einander ganz leiſe auf den Zehen, Schritt für Schritt, bis ſie plötzlich, wie vom Winde getriebene Wolken, aus denen es blitzt und donnert, auf einander losſtürzten, und nun hallten vom Schlage der Riemen die Wangen und unter den Schweiſſe floß das Blut. Theſeus Sohn wehrte den raſtlos eindringenden Gegner, liſtig ausweichend, ab, und ſchlug ihn plötzlich mit der Fauſt über den Wimpern bis auf die Knochen, daß das Blut hervordrang; dafür traf ihn Jener an die Schläfe, daß Akamas taumelnd zu Bo¬ den ſank. Doch er erholte ſich wieder und der Kampf begann aufs Neue, bis die Freunde ſich dazwiſchen war¬ fen und den Erbitterten begreiflich machten, daß hier ja nicht Grieche und Trojaner ſich entgegen ſtehen. Thetis ſchenkte ihnen zwei herrliche Miſchkrüge von Silber, die ihr Sohn als Ehrengeſchenk von Lemnos gebracht hatte. Die Helden griffen freudig darnach, noch ehe ſie an die Heilung ihrer Wunden dachten.

Nun warben Ajax und Teucer, die ſich ſchon im Wettlaufe gemeſſen hatten, auch um den Preis des Bogen¬ ſchießens. Als fernes Ziel ſtellte Agamemnon einen Helm mit flatternder Mähne auf: Sieger ſollte der ſeyn, deſſenSchwab, das klaſſ. Alterthum. ll. 23354Pfeil das Roßhaar des Schweifes durchſchnitte. Ajax ſchnellte zuerſt ſeinen Pfeil von der Sehne: der traf den Helm, daß das Erz getroffen erklang. Eilig ſandte Teu¬ cer auch ſeinen Pfeil ab; und ſiehe, ſeine Pfeilſpitze durch¬ ſchnitt den Helmſchweif, daß die zuſchauenden Helden laut aufjauchzten, denn obwohl ſein Fuß noch vom vorigen Kampfe halb gelähmt war, hatte er doch ſo zierlich und ſicher zu zielen gewußt. Thetis beſchenkte ihn mit der Rüſtung des Troilus, des königlichen Jünglings aus Troja, den Achilles in den früheren Jahren des Kampfes erlegt hatte.

Auf dieſen Wettkampf folgte das Scheibenſchießen; hierin verſuchten ſich viele der Helden, aber keiner ver¬ mochte die ſchwere Scheibe ſo kräftig zu werfen, wie Ajax, der Telamonier, der ſie hinausſchleuderte, als wäre ſie ein verdorrter Aſt. Ihn beſchenkte Thetis mit der Rü¬ ſtung des Götterſohnes Memnon, die der Held auch ſo¬ gleich anlegte. Mit Staunen ſahen die Danaer, wie Stück für Stück des rieſigen Panzers ſich um ſeine Glie¬ der ſchloß, als wäre er ihnen angegoſſen.

Die Reihe kam jetzt an den Wettſtreit im Sprunge, in welchem Agapenor der Speerſchwinger ſiegte, und da¬ für die Waffen des von Achilles beſiegten Cygnus erhielt. Im Jagdſpeerwurf ſiegte Euryalus und empfing die ſil¬ berne Schale, die Achilles einſt zu Lyrneſſus erbeutet hatte.

Nun folgte der Wettſtreit im Wagenrennen. Da ſchirrten fünf Helden zugleich ihre Roſſe: der Atride Me¬ nelaus, Euryalus, Polypoetes, Thoas und Eumelus. Dann ſtellte ſich jeder mit ſeinem Wagen vor den Schran¬ ken auf, ſchwang die Geißel, und auf ein gegebenes Zei¬ chen flogen alle fünf zugleich über das Blachfeld hin,355 und der Staub vom Sande wirbelte gen Himmel. Bald rannten weit vor den Uebrigen die Roſſe des Eumelus, nach ihm kam Thoas, dann Menelaus; die beiden Andern blieben allmählig weit und immer weiter zurück: aber auch Thoas ermüdete, die Pferde des Eumelus ſtrauchelten im allzuraſchen Lauf, und als ihr Wagenlenker ſie mit Gewalt zurechte bringen wollte, bäumten ſie ſich und war¬ fen den Wagen um, daß Eumelus in den Sand rollte. Ein Geſchrei erhub ſich aus dem Umkreiſe der Zuſchauer, und nun flogen die ausdauernden Roſſe des Atriden weit vor allen Andern dahin und hielten am Ziele. Der Sohn des Atreus freute ſich im Herzen ſeines Sieges, ohne ſich über die andern Helden zu überheben, und Thetis ſchenkte ihm den goldenen Becher, den ihr Sohn einſt in Eetions Pallaſte erbeutet hatte.

23 *
[356][357]

Fünftes Buch.

[358][359]

Der Tod des großen Ajax.

So endigten die Leichenſpiele zu Ehren des göttlichen Achilles. Von allen Fürſten des griechiſchen Heeres hatte nur Odyſſeus daran keinen Theil nehmen können, denn im Kampfe um den Leichnam des Peliden hatte er von dem Trojaner Alkon eine ſchmerzliche Wunde erhalten, an der er, obgleich wieder unter die Helden gemiſcht, doch noch immer krankte.

Zuletzt ſtellte nun Thetis die unſterblichen Waffen ihres hochherzigen Sohnes vor den Griechen als Kampfpreis aus. Weithin ſchimmerte der Schild des Helden, auf welchem von Vulkans eigener Hand die kunſtvollſten Ge¬ bilde in getriebener Arbeit glänzten. Neben ihm lag auf dem Boden der gewichtige Helm, deſſen Wölbung das Bild Jupiters trug, wie er voll Zorns auf dem Himmels¬ gewölbe ſtand, und mit den Titanen kämpfte. Weiter lag auf der Erde der ſchöne gewölbte Harniſch, der ſchwarz und undurchdringlich die Bruſt des Peliden umſchloß: dann die ſchweren und doch ſo bequemen Beinſchienen, die er trug, als wären ſie federleicht; nahe dabei glänzte ſein unbezwingliches Schwert in ſilberner Scheide, mit goldner Kuppel und elfenbeinernem Griffe; ihm zur Seite lag der gewichtvolle Speer am Boden, einer gefällten Tanne ähnlich und noch roth von Hektors Blut.

Hinter den Waffen ſtand Thetis, ihr Haupt mit einem360 dunkeln Trauerſchleier bedeckt, und ſprach tiefbetrübt zu den Danaern: Die Siegespreiſe zur Leichenfeier meines Sohnes ſind nun alle gewonnen. Jetzt aber trete der beſte der Griechen auf, der den Leichnam rettete, daß ich ihm die herrlichen Waffen meines Sohnes verleihe, lauter Göttergeſchenke, an denen die Unſterblichen ſelbſt ihre Freude hatten.

Da ſprangen in plötzlichem Wortwechſel zwei Helden zugleich auf, Odyſſeus, der große Sohn des Laertes, und der rieſige Ajax, Telamons Sohn. Strahlend, wie der Abendſtern, ſchwang ſich der letztere den Waffen an die Seite, und rief Idomeneus, Neſtor und Agamemnon zu Zeugen ſeiner Thaten auf. Aber an dieſelben Helden wandte ſich auch Odyſſeus, denn es waren die Verſtändig¬ ſten und Untadeligſten des ganzen Heeres. Neſtor nahm die beiden andern Helden bei Seite, und ſprach mit be¬ kümmerter Miene: Ein großes Unglück ſteht uns Allen bevor, dadurch, daß die beiden beſten Helden des Heeres um unſers Erſchlagenen Waffenſchmuck buhlen! Welcher auch von beiden zurückgeſetzt werden mag, der wird beleidigt und grimmig ſich vom Kampfe zurückziehen, und wir Alle werden ſeine Unthätigkeit ſchmerzlich zu empfinden haben. Deßwegen folget mir, dem erfahrenen Greiſe. Wir haben ja hier im Lager viele, erſt vor Kurzem gefangene Tro¬ janer: laſſen wir dieſe den Streit zwiſchen Ajax und Odyſſeus entſcheiden; ſie ſind unpartheiiſch und werden von beiden Helden keinen begünſtigen! Einträchtigen Sinnes mit Neſtor begaben ſich nun auch die beiden an¬ dern Schiedsrichter ihres Amtes, und nun ſetzten ſich die edelſten der Trojaner, obwohl ſie nur Kriegsgefangene waren, zu Gerichte, und zuerſt trat Ajax vor ihnen auf. 361 Welcher Dämon blendete dich, Odyſſeus, rief er voll Unmuths, daß du dich mit ihm meſſen willſt? Du ſtehſt mir wahrhaftig nach, wie ein Hund dem Löwen, oder haſt du ſchon vergeſſen, wie gerne du dich dem Zuge der Griechen gegen Troja entzogen hätteſt? O wäreſt du doch zurückgeblieben! Biſt doch du es geweſen, der uns beredet hat, den ruhmvollen Sohn des Pöas, den Phi¬ loktetes, in ſeinem ſchrecklichen Jammer auf Lemnos zu¬ rückzulaſſen; haſt doch du den Tod des Palamedes ver¬ ſchuldet, obgleich er dich ſowohl an Stärke als an Klugheit übertraf! Und jetzt vergiſſeſt du auch alle die Dienſte, die ich den Griechen geleiſtet; vergiſſeſt, daß ich dir ſelbſt das Leben gerettet, als du, von allen Andern verlaſſen, dich allein im Schlachtgetümmel fandeſt, und vergebens dich nach der Flucht umſaheſt. Damals als um Achilles Leiche ſich der Kampf erhob, bin nicht ich es geweſen, der den Leib ſamt den Waffen hinwegtrug? Du ſelbſt aber hätteſt nicht einmal die Kraft gehabt, die Waffen des Helden davon zu tragen, geſchweige denn ihn ſelber! Darum weiche mir, der ich überdieß nicht bloß ſtärker als du bin, ſondern auch edlern Stammes und mit dem Helden ſelbſt verwandt, um deſſen Waffen wir hier ſtreiten!

So vereiferte ſich Ajax. Odyſſeus aber erwiederte mit einem Lächeln des Spottes: Wozu verlierſt du ſo viel unnütze Worte, Ajax? Du ſchiltſt mich feige und kraftlos, und bedenkſt nicht, daß nur die Klugheit es iſt, die wahre Stärke verleiht. Dieſe iſt es, welche den Schiffer die Fahrt durch das empörte Meer lehrt, welche wilde Thiere, Panther und Löwen zähmt, welche die Stiere in des Menſchen Dienſt zwingt. Und deßwegen iſt in der Noth wie im Rathe ein Mann mit Verſtand mehr werth,362 als der Thörichte, der nur Körperſtärke beſitzt. Dieß war auch der Grund, warum Diomedes mich als den Liſtigſten ſich zum Gefährten auslas, um in das Lager des Rheſus zu gehen; ja, meiner Klugheit hatten es die Griechen zu verdanken, daß der Sohn des Peleus, um deſſen Waffen wir hier ſtreiten, für den Feldzug gegen Troja gewonnen wurde. Und wenn je den Danaern irgend ein neuer Held von Nöthen wäre, glaube mir's, Ajax, nicht dein plumper Arm, auch nicht der Witz eines Andern im Heere wird denſelben ihnen verſchaffen, ſondern ich allein werde es ſeyn, deſſen Schmeichelworten er folgt. Zudem haben mir die Götter nicht nur Klugheit, ſondern auch die nöthige Körperſtärke verliehen, und es iſt nicht wahr, daß du mich als Flüchtigen aus der Hand der Feinde errettet haſt; vielmehr ſtellte ich mich dem Drange der Feinde entgegen, und tödtete, die mich an¬ griffen: du aber ſtandeſt dort aufgepflanzt zu deiner eigenen Sicherheit!

So ſtritten ſie noch lange miteinander: zuletzt über¬ wogen bei den Trojanern, die zu Kampfrichtern geſetzt waren, die Gründe des Odyſſeus, und ſie erkannten ihm einſtimmig die herrliche Rüſtung des Peliden zu.

Im Innerſten erbebte Ajax, als er dieſen Spruch vernahm, das Blut in ſeinen Adern kochte vor Wuth und Galle vermiſchte ſich damit: ein ſtechender Schmerz durchzückte ſein Gehirn, und jede Faſer an ihm zitterte. Lange ſtand er wie eine Bildſäule da mit zu Boden ge¬ hefteten Blicken. Endlich führten ihn ſeine traurigen Freunde begütigend und nur zögernden Schrittes zu den Schiffen.

Inzwiſchen ſtieg die dunkle Nacht aus dem Meere. 363Ajax aber ſaß in ſeinem Zelte, rührte kein Mahl an und dachte nicht an den Schlummer, vielmehr warf er ſich in ſeine volle Rüſtung, faßte ſein ſchneidendes Schwert und beſann ſich, ob er den Odyſſeus in Stücke zerhauen, oder lieber die Schiffe verbrennen, oder mit der Schärfe des Schwertes unter alle Griechen fahren ſolle.

Und gewiß hätte er eins von den dreien ausgeführt, wenn nicht Athene, die Göttin, um ihren Freund Odyſſeus beſorgt, und dem Trotze des Ajax und dem Uebermaße ſeines Leibes abhold, den Schlimmes brütenden Helden mit Wahnſinn geſchlagen hätte. Den Stachel der Qual im Herzen, ſtürmte er aus ſeinem Zelte hervor und unter die Schafherden der Danaer, die er, von der Göttin ge¬ blendet, für die Heerſchaaren der Griechen hielt. Die Schafhirten, die den Raſenden kommen ſahen, verſteckten ſich, dem Tode zu entrinnen, in das Ufergebüſch des Xanthus. Er aber fuhr unter die Schafe und richtete rechts und links unter ihnen ein Gemetzel an. Zwei großen Widdern, auf die er ſtieß, rannte er nacheinander den Speer durch den Leib und rief dazu mit bitterem Hohn¬ lachen: Lieget Ihr im Staub, den Raubvögeln zur Beute, ihr Hunde, ihr werdet keinen ungerechten Schiedsrichter¬ ſpruch mehr beſtätigen, ſchändliche Atriden! Und du, fuhr er fort, der du dich dort in der Ecke verbirgſt, und aus böſem Gewiſſen deinen Kopf ins Geſträuche ſteckſt, jetzt ſollen dir die Waffen des Achilles, die du mir geſtoh¬ len und in denen du prangeſt, nichts helfen, denn was nützt die Rüſtung eines Helden, wenn ein feiger Mann ſie trägt? Mit dieſen Worten ergriff er einen andern großen Hammel, ſchleppte ihn mit ſich fort in ſein Zelt, band ihn hier an den Thürpfoſten, zog eine Geißel aus364 dem Buſen und fing an mit allen ſeinen Kräften auf das Thier loszuſchlagen. In dieſem Augenblicke trat Minerva von hinten zu ihm, berührte ſein Haupt, und befahl dem Wahnſinne von ihm zu weichen. So fand ſich der unglück¬ liche Held wieder, die Geißel in der Hand, vor ſich den angebundenen Widder mit zerfleiſchtem Rücken; dieſer An¬ blick ſagte ihm genug. Das ſchmähliche Werkzeug entfiel ſeiner Hand, die Heldenkraft entſchwand ihm, er ſank zu Boden von der Ahnung getroffen, daß der Zorn der Göt¬ ter ihn heimgeſucht habe. Unausſprechliche Schmerzen be¬ ſtürmten ſein Herz. Als er ſich wieder vom Staube erho¬ ben, vermochte er vor Unmuth den Fuß weder vorwärts noch rückwärts zu ſetzen, ſondern ſtand lange unbeweglich da, wie ein Wartthurm, der in Felſen wurzelt; endlich holte er einen tiefen Seufzer und ſprach: Wehe mir, warum haſſen mich die Unſterblichen, warum haben ſie mich in ſo tiefe Schmach geſtürzt, dem argliſtigen Odyſſeus zu Liebe? Hier ſteh 'ich, der Mann, dem kein Männer¬ treffen je Unehre gebracht hat, die Hände mit unſchuldigem Lämmerblute beſudelt, ein Gelächter dem ganzen Heere, ein Spott meiner Feinde!

Während er ſo jammerte, ſuchte ihn im ganzen Lager und bei den Schiffen, ſeinen kleinen Sohn Euryſaces auf dem Arme, die phrygiſche Königstochter Tekmeſſa, die Ajax, da er ihr Vaterland überfallen, als Beute fortgeführt hatte, die er einer Gattin gleich hielt, und die ihn zärtlich liebte. Sie hatte ſeinen finſtern Unmuth im Zelte beobachtet, ohne deſſen Grund erforſchen zu können, da ihr Ajax auf keine Frage Antwort gegeben hatte. Bald nachdem er das Zelt verlaſſen hatte, ſtieg ihr eine finſtere Ahnung im Herzen auf, und ſie fand endlich bei den Schafhürden das traurige365 Schlachtfeld, das Ajax ſich dort geſchaffen. In Ver¬ zweiflung eilte ſie zu dem Zelte zurück und fand ihn hier beſchämt und verzweifelnd, bald nach ſeinem Bruder Teucer und nach ſeinem Kinde Euryſaces rufend, bald nach einem edeln Untergange begehrend. Tekmeſſa nahte ſich ihm unter Thränen, umfaßte ſeine Kniee und flehte ihn an, ſie, ſeine Lebensgenoſſin, nicht allein zu laſſen, als eine Ge¬ fangene unter Feinden; ſie hieß ihn auch des greiſen Va¬ ters und der Mutter in Salamis gedenken, ſtreckte ihm ſeinen Knaben entgegen und erinnerte ihn daran, welches Loos das Kind treffen würde, wenn es von harter Vor¬ mundſchaft gedrückt, der Jugendaufſicht beraubt, ohne Vater heranwachſen müßte. Der Held griff mit einer heftigen Bewegung nach ſeinem Sohne, herzte ihn und ſprach: O Kind, übertriff an Glück deinen Vater, in allem Andern gleiche ihm, ſo wirſt du wahrlich kein ſchlech¬ ter Mann. An meinem Halbbruder Teucer haſt du ge¬ wiß einen guten Pfleger, jetzt aber ſollen dich meine Schildträger zu meinen Eltern Telamon und Eriböa nach Salamis bringen, wo du die Luſt ihres Alters ſein magſt, bis auch ſie zur Unterwelt hinabgehen. Damit reichte er das Kind den Dienern, empfahl durch ſie auch ſeine ge¬ liebte Tekmeſſa dem Halbbruder, riß ſich aus ihren Umarmungen los, zog das Schwert, das ihm einſt ſein Feind Hektor als Gaſtgenoſſe geſchenkt hatte, und pflanzte es in den Boden ſeines Zeltes. Dann hob er die Hände gen Himmel und betete: Um eine beſcheidene Wohlthat flehe ich zu dir, Vater Zeus: ſende mir meinen Bruder Teucer her, ſo bald ich gefallen bin, daß nicht mein Feind mich zuvor aufſpüre, und mich den Hunden und Vögeln zum Fraß vorwerfe. Euch aber, ihr Furien, rufe ich an:366 wie ihr mich hier als Selbſtmörder enden ſehet, ſo laſſet jene meuchelmörderiſch, durch ihr eigenes, liebſtes Blut dahingewürgt, fallen: kommet, ſchonet nichts, ſättiget euch in die Runde am ganzen Heer! Du aber, o Sonnengott, der du leuchtend am hohen Himmel dahinfährſt, wenn du mit deinem Wagen über meinem Vaterlande Salamis kreiſeſt, ſo hemme die Zügel und verkünde meinem greiſen Vater und meiner armen Mutter mein herbes Schickſal. Leb wohl, du heiliger Strahl, leb wohl Salamis, Hei¬ mathgefild; leb wohl mein Stammſitz Athen mit deinen Flüſſen und Quellen, lebt auch ihr wohl, ihr trojaniſchen Gefilde, die ihr mich ſo lange gepflegt habt! Erſcheine du jetzt, o Tod, und wirf einen Blick des Mitleids auf mich! Mit ſolchen Worten ſtürzte er ſich in das Schwert und lag im Staube da, als hätte ihn der Blitz zer¬ ſchmettert.

Auf die Nachricht von ſeinem Tode eilten die Danaer in Schaaren herbei, warfen ſich zu Boden und ſtreuten jammernd Staub auf ihre Häupter. Teucer, ſein Halb¬ bruder, dem der Vater Telamon befohlen hatte, nicht ohne den Bruder von Troja heimzukehren, wollte ſich an ſeiner Seite auch den Tod geben, und hätte es gethan, wenn die Griechen ihm das Schwert nicht genommen hät¬ ten. Dann warf er ſich auf den Leichnam und weinte heftiger, als ein vaterloſes Kind an dem Tage weint, der ihm ſeine Mutter geraubt hat. Doch faßte ſich ſeine Hel¬ denſeele, daß er ſich von dem Leichnam emporraffte und ſich an Tekmeſſa wandte, die in ſtarrer Verzweiflung bei der Leiche ſaß, den Sohn, den ihr die Diener zurückgege¬ ben hatten, auf den Armen. Er verſprach der Gefange¬ nen ſeinen Schutz, und dem Knaben, als zweiter Vater367 für ihn zu ſorgen, wenn gleich er ſelbſt, den Zorn ſeines Vaters Telamon fürchtend, ſie beide nicht nach Salamis begleiten könne.

Darauf ſchickte er ſich an, den Leichnam ſeines ge¬ liebten Halbbruders zu beſtatten. Aber hier trat ihm der Atride Menelaus wehrend in den Weg: Unterſteh dich nicht, dieſen Mann zu beſtatten, ſprach er, den wir ſchlimmer befunden haben, als unſere Feinde, die Trojaner. Um ſeines böſen Mordanſchlags willen verdient er kein ehrliches Grab. Während Menelaus ſo mit Teucer um den Leichnam des Ajax haderte, kam auch Agamemnon herbei, trat auf die Seite ſeines Bruders und ſchalt in der Hitze des Streites den Teucer einen Sklavenſohn. Umſonſt erinnerte ſie dieſer an alle Wohlthaten, welche die Griechen dem gefallenen Helden zu danken hätten, an ſeine Rettung des Heeres, als die Flamme der Trojaner ſchon um die Schiffe der Danaer emporſchlug und Hektor über den Graben in die Schiffsverdecke herniederſprang. Und was ſcheltet ihr mich einen Sklaven, rief er, iſt doch mein Vater Telamon, der herrliche Griechenheld, meine Mutter Laomedons königliche Tochter! Soll ich, edel von den Edelſten abſtammend, mich meiner Blutge¬ noſſenſchaft ſchämen? Wiſſet, daß ihr mit dem gefallenen Helden auch ſein geliebtes Weib hier und ſeinen Sohn und mich, ſeinen Bruder, aus dem Lager hinauswerfet. Bedenkt ihr auch, welchen Ruhm bei den Menſchen und welchen Segen von den Göttern euch dieſes bringen wird?

So haderten ſie, als Odyſſeus, der kluge Held, mit¬ ten unter ſie eintrat und, gegen Agamemnon gewendet, haſtig fragte: Darf euch ein treuer Freund die Wahrheit ſagen, ohne übel darum angeſehen zu werden? So368 rede doch, erwiederte Agamemnon, indem er ihn mit Verwunderung anblickte, wohl halte ich dich für meinen beſten Freund im ganzen Argiverheere! Nun, ſo höre mich auch, ſprach Odyſſeus. Wirf bei den Göttern dieſen Mann nicht ohne Erbarmen und ohne Beſtattung hinaus! Laß dich durch deine Macht nicht zum ungerech¬ ten Haſſe verleiten! Bedenke, wenn du einen ſolchen Helden ſchändeteſt, ſo würde nicht er dadurch herabgewür¬ diget, ſondern das Recht und der Wille der Götter wür¬ den verachtet! Als die Atriden ſolches hörten, blieben ſie lange vor Staunen ſprachlos. Endlich rief Aga¬ memnon: Und du, Odyſſeus, vermagſt es über dich, zu Gunſten dieſes Mannes mich zu bekriegen? Bedenkſt du denn gar nicht, daß es dein Todfeind iſt, dem du eine ſo hohe Gunſt verſchaffen willſt? Wohl war er mein Feind, antwortete Odyſſeus, und ich haßte ihn, ſo lange der Haß noch ziemlich war. Jetzt, wo er gefallen iſt und wir über den Verluſt eines ſo edlen Helden trauern müſ¬ ſen, kann und darf ich ihn nicht mehr anfeinden. Ich ſelbſt bin bereit, ihn zu beſtatten, und ſeinem Bruder bei dieſer heiligen Pflicht an die Hand zu gehen.

Als Teucer, der bei Odyſſeus Ankunft mit Abſcheu auf die Seite getreten war, ſolches hörte, trat er auf den Helden zu, ſeinen Arm zum Handſchlag ausgeſtreckt:

Edler Mann, rief er, du, ſein größter Feind, biſt die einzige Stütze des Todten! Dennoch wage ich es nicht, dich zur Berührung dieſes Todten zuzulaſſen, deſſen un¬ verſöhnt dahingeſchiedenem Geiſte ſolches unwillkommen ſeyn dürfte. In allem Andern ſey mein Helfer; gibt es doch für deinen Edelmuth noch genug zu thun! Mit dieſen Worten deutete Teucer aus Tekmeſſa, die noch369 immer ſprachlos da ſaß. Odyſſeus kehrte ſich ihr wohl¬ wollenden Sinnes zu: Niemals, o Weib, ſprach er zu ihr, ſoll ein Anderer dich als Sklavin ſchauen. So lange Teucer und ich leben, ſollſt du mit deinem Kinde gepflegt und geborgen ſeyn, als ſtände euch Ajax ſelbſt noch zur Seite, er, die Schutzwehr der Achiver.

Die Atriden ſchämten ſich, gegen die edlen Vorſtellun¬ gen des Odyſſeus Einwendungen zu machen. Der rieſige Leib wurde mit vereinter Heldenkraft vom Boden gehoben und nach den Schiffen getragen, dort von dem Blute ge¬ reinigt, das ihn zugleich mit der Rüſtung und dem Staube umgab, und endlich auf einem nicht minder ſtattlichen Scheiterhaufen verbrannt, als Achilles ſelbſt, der in ſeinem Tode noch die Urſache eines zweiten, unerſetzlichen Ver¬ luſtes für die Griechen geworden war.

Machaon und Podalirius.

Am andern Tage ſtrömten die Danaer in die Volks¬ verſammlung, welche der Völkerhirt Menelaus berufen hatte. Als Alle beiſammen waren, ſtand er ſelbſt auf und hub alſo an zu reden: Höret mich an, ihr Fürſten des Volkes! Mir blutet das Herz, wenn ich unſre Schaaren ſo vor uns hinſinken ſehe. Für mich iſt das Volk in den Kampf gezogen, und nun ſoll am Ende Keiner mehr Hei¬ math und Verwandte begrüßen! Ehe dieß geſchieht, laßt uns dieſen unheilvollen Strand verlaſſen, und was noch übrig iſt, mag mit den Schiffen, Jeder in ſein Vaterland, zurückſegeln. Seit Achilles und Ajax dahingeſunken ſind,Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 24370iſt kein Erfolg unſrer Unternehmung mehr zu hoffen. Was mich betrifft, ſo bekümmert mich jetzt Helena, meine un¬ würdige Gemahlin, weniger, als Euch, mag ſie mit dem weibiſchen Paris dahinfahren!

So redete Menelaus; doch that er es nur, um die Griechen zu verführen, denn im Herzen wünſchte er nichts ſehnlicher, als die Vertilgung der Trojaner. Der Sohn des Tydeus aber, Diomedes, der gerade Lanzenſchwinger, der ſeine Liſt nicht merkte, fuhr unwillig von ſeinem Sitz empor und fing an zu ſchelten: Unbegreiflicher! Welche ſchmähliche Furcht hat ſich deiner Heldenbruſt bemächtigt, daß du ſo ſprechen magſt? Doch bin ich ruhig. Nim¬ mermehr folgen dir die muthigen Söhne Griechenlands, bevor ſie Troja's Zinnen zu Boden geſtürzt haben! Ent¬ ſchlöſſe ſich aber ein Einziger, dir zu folgen, ſo ſoll dieſer blaue Stahl ihm das Haupt vom Rumpfe trennen!

Kaum hatte ſich Diomedes wieder auf ſeinen Sitz niedergelaſſen, als ſich der Seher Kalchas erhob und mit einem weiſen Vorſchlage den ſcheinbaren Zwiſt vermittelte. Ihr wiſſet Alle noch, ſprach er, wie wir vor mehr als neun Jahren, als wir zur Eroberung dieſer verfluchten Stadt ausſchifften, den herrlichen Helden Philoktetes, den Freund des Herkules, an einer giftigen und freſſenden Wunde krank, auf der wüſten Inſel Lemnos ausſetzen und dort zurücklaſſen mußten. Zwar war der Geruch der eitern¬ den Wunde und das Jammergeſchrei des Unglücklichen unerträglich. Dennoch war es unrecht und erbarmungslos von uns gehandelt, den Armen auf dieſe Weiſe Preis zu geben. Nun aber hat mir ein gefangener Seher geoffenbaret, daß nur mit Hülfe der heiligen und ſtets treffenden Pfeile, welche Philoktetes von ſeinem Freunde Herkules geerbt hat, ſo371 wie durch ſeine und des Pyrrhus, dieſes jungen Achilles¬ ſprößlings, Gegenwart Troja erobert werden könnte. Der Trojaner hat mir dieſe Weiſſagung wohl nur mitgetheilt, weil er die Erfüllung derſelben für unmöglich hielt, denn ſo dachte er: wie ſollte der Haß des Philoktetes gegen die Griechen, die ihn ſo ſchändlich verlaſſen haben, ihm erlauben, die Pfeile auszuliefern und ſelbſt vor Troja zu erſcheinen? Mein Rath iſt daher, ohne Verzug den ſtärk¬ ſten unſrer Helden, Diomedes, und den beredteſten, Odyſ¬ ſeus, nach dem Eilande Scyros zu ſenden, wo der Sohn des Achilles bei dem Vater ſeiner Mutter erzogen wird. Mit ſeiner Hülfe wollen wir dann auch den Philoktetes zu Lemnos bereden, ſich mit uns wieder zu vereinigen und die unſterblichen Waffen des Herkules, durch welche Troja bezwungen werden ſoll, uns mitzubringen.

Die Schaaren der Griechen jubelten dieſem Vorſchlage Beifall und die beiden Helden gingen zu Schiffe ab. Un¬ terdeſſen rüſteten ſich die Heere wieder zum Kampfe. Den Trojanern war der Sohn des Telephus, Eurypylus, von Myſien mit einem Heere zu Hülfe gekommen, und ſo fühlten ſich dieſe von neuem geſtärkt und ermuthigt. Den Griechen dagegen fehlten ihre zwei beſten Helden. So kam es, daß die wieder begonnene Schlacht ſich ihnen zum Verderben wendete. Da wurde auch Nireus, der ſchönſte unter den Danaern, von der Lanze des Eurypylus erreicht, und lag mit den andern Erſchlagenen im Staube, wie ein blühendes Stämmchen vom zerbrechlichen Olivenbaume, das, vom Fluſſe aufgewühlt, mit der Wurzel entführt und wie¬ der ans Geſtade getrieben wird, wo es nun mit Blüthen bedeckt daliegt. Eurypylus aber ſpottete ſein, und wollte den Leichnam des ſchönen Harniſches berauben. Da ſtellte24 *372ſich ihm Machaon, der Bruder des Podalirius, entgegen, der ſchon den Tod des Nireus voll Zorn mit angeſehen hatte. Er ſtieß dem Räuber ſeinen Speer in die mäch¬ tige Schulter, daß das Blut herausſtrömte. Eurypylus aber drang, wie ein verwundeter Eber, auf Machaon ein; dieſer ſuchte ihn mit einem Steinwurfe abzuwehren, aber der Helm ſchützte jenen, und nun ſtieß der Sohn des Telephus dem Griechen ſchnell wie der Blitz den Speer mitten in die Bruſt, daß die blutige Spitze bis zum Rück¬ grat durchdrang, und Machaon klirrend auf den Boden fiel. Eurypylus zog die Lanze aus dem Leibe des Er¬ ſchlagenen, und wandte ſich höhnend wieder in die Schlacht.

Teucer, der die beiden hatte fallen ſehen, rief die Griechen auf, um ihre Leichname zu kämpfen. Zuletzt aber erlagen ſie den Trojanern. Nachdem der Lokrer Ajax von Aeneas mit einem Steine hart verwundet und zu Boden geſtreckt war, mußten die Achiver den ſchwach¬ athmenden Helden aus der Schlacht tragen, und zogen ſich alle nach dem Schiffe zurück; die Trojaner richteten unter den Fliehenden eine große Niederlage an. Ja, ſie hätten die Schiffe ſelbſt durchs Feuer vernichtet, wenn die Nacht nicht dazwiſchen gekommen wäre. So aber zog ſich der ſiegreiche Myſier mit den Seinigen vor dem ein¬ brechenden Dunkel zurück zu den Mündungen des Simois, wo er freudig ſein Nachtlager aufſchlug. Die Danaer dagegen, auf dem ſandigen Ufer bei ihren Schiffen gela¬ gert, ſeufzten die ganze Nacht durch vor Schmerz, und beklagten das Loos der unzähligen Brüder, die ſie im Kampfe verloren hatten.

Aber kaum glühte die Morgenröthe am Himmel, als auch die Griechen ſchon wieder aufbrachen, voll Begierde,373 ſich an Eurypylus zu rächen. Andre von ihnen legten bei den Schiffen den ſchönen Nireus und den hochbegabten Arzt und mächtigen Kämpfer Machaon ins Grab. Wäh¬ rend nun in der Ferne die Schlacht wieder tobte, lag Podalirius, der Bruder Machaons, und wie er be¬ rühmt als der trefflichſte Arzt im Heere, Trank und Speiſe verſchmähend, im Staub, unter lautem Stöhnen. Er wich nicht vom Grabe ſeines geliebten Bruders; brütend ſann er in ſeinem Geiſte auf Selbſtmord, und legte bald die Hand ans Schwert, bald ſuchte er ein ſchnellwirkendes Gift, das er ſelbſt gebraut hatte und immer bei ſich trug, zu verſchlingen. Seine Freunde aber wehrten ihm, und ſprachen ihm Troſt ein; doch hätte er ſich endlich am fri¬ ſchen Grabhügel ſeines Bruders getödtet, wenn nicht der greiſe Neſtor dem Verzweifelnden genaht wäre. Dieſer traf ihn, wie er ſich bald jammernd auf das Grab warf, bald wieder Staub auf ſein Haupt ſtreute, ſich die Bruſt mit den nervigen Händen zerſchlug und zugleich den Namen des getödteten Bruders ausrief. Schwer lag ſein Kummer auf allen Dienern und Gefährten, die ihn um¬ gaben. Da fing Neſtor an mit ſchmeichelnden Worten den Betrübten zu tröſten: Liebes Kind, mach doch dei¬ nem bittern Kummer ein Ende. Es ziemt einem verſtän¬ digen Manne nicht, wie ein Weib an dem Grabe eines Todten zu jammern. Deine Klage ruft ihn doch nicht mehr ans Licht; das Feuer hat ſeinen Leib verzehrt und ſeine Gebeine ruhen in der Erde. Er ſchwand, wie er gekommen iſt. Du aber trage deinen großen Schmerz, wie ich den meinigen getragen habe, als der Sohn Au¬ rora's mir den Knaben erſchlug, der mein liebſter war, und ſeinen Vater liebte, wie keiner meiner Söhne. Als374 er für mich geſtorben war, nahm ich doch Nahrung zu mir, wie vorher; ich ertrug es, das verhaßte Tageslicht auch ferner noch zu ſchauen; denn ich dachte daran, daß wir ja Alle denſelben Weg zum Hades wandeln müſſen.

Machaon hörte den Greis an, während ihm die Thrä¬ nen noch über die Wangen liefen, und ſprach: Vater, wie ſollte der Gram um den erſchlagenen Bruder mein Herz nicht beugen, der mich, der ältere, als unſer Vater Aeſculap zum Olymp entrückt wurde, wie das eigene Kind auf den Armen trug, mit mir an demſelben Tiſche , ſein Lager, ſeine Habe mit mir theilte, in ſeiner herrlichen Kunſt mich unterrichtete? Nachdem er mir geſtorben, mag ich das liebliche Tageslicht nicht mehr ſchauen!

Doch der Greis ließ nicht ab mit ſeinem Troſte: Bedenke doch, ſprach er zu dem Bekümmerten, daß die Götter es ſind, welche uns die Geſchicke ſenden, gute wie ſchlimme, und daß über Allen die dunkle Parze wal¬ tet, welche dieſelben blind auf die Erde hinabwirft: darum ſtürzt oft großes Unheil auf redliche Männer, und Keiner gehet ganz ſicher einher. Das Leben geſtaltet ſich ſtets wechſelnd; bald führt es zu großem Jammer, bald wieder zu Beſſerem. Dazu gehet ja auch die Sage unter den Menſchen, daß der Gute zum ſeligen Himmel emporſteige, und der Frevler in die Schrecken des Dunkels. Dein Bruder aber war ein menſchenfreundlicher Mann, dazu ein Götterſohn; darum hoffe, daß er zum Geſchlechte der Götter emporgeſtiegen iſt. Mit ſolchen Troſtworten hub Neſtor den lange Widerſtrebenden vom Boden auf, und führte ihn von dem traurigen Grabe hinweg; dieſer aber ſah ſich noch oft nach dem Grabhügel um.

Unterdeſſen nahte Eurypylus der Myſier auf dem375 Schlachtfelde, und die Danaer flohen aufs Neue zu den Schiffen, und fochten hier bald vor dieſen, bald vor der weithin reichenden Mauer.

Neoptolemus.

Während dieß vor Troja geſchah, kamen die Geſand¬ ten der Griechen, Diomedes und Odyſſeus, glücklich auf der Inſel Scyros an. Hier trafen ſie den jungen Sohn des Achilles, Pyrrhus, der ſpäter von den Griechen Neoptolemus, das heißt Jungkrieger genannt wurde, vor dem Hauſe des Großvaters, wie er ſich abwechſelnd im Pfeilſchießen und Speerſchleudern übte, dann auch wieder zu Wagen ſchnelle Roſſe tummelte. Sie ſahen ihm eine Weile mit Wohlgefallen zu und laſen mit inniger Theil¬ nahme auf ſeinem Antlitze zugleich die Spuren der Trauer: denn der Tod des Vaters war dem Jüngling ſchon be¬ kannt. Als ſie näher traten, mußten ſie ſtaunen, denn der Jüngling war an ſchöner und hoher Geſtalt ganz und gar ſeinem Vater ähnlich. Pyrrhus kam ihnen mit ſeinem Gruße zuvor: Seyd mir von Herzen willkommen, Fremd¬ linge, ſprach er. Wer ſeyd ihr und woher kommt ihr? Was wollt ihr von mir? Darauf erwiederte ihm Odyſ¬ ſeus: Wir ſind Freunde deines Vaters Achilles, und zweifeln nicht, daß wir zu ſeinem Sohne ſprechen; ſo ganz ähnlich biſt du ihm von Geſtalt und Antlitz. Ich ſelbſt bin Odyſſeus aus Ithaka, der Sohn des Laertes, mein Ge¬ noſſe aber iſt Diomedes, der Sohn des unſterblichen Ty¬ deus. Wir kommen der Weiſſagung unſers Sehers Kalchas376 gehorſam, dich auf den Kampfplatz vor Troja abzuholen, damit wir den Krieg glücklich beendigen können. Die Söhne der Griechen werden dir herrliche Gaben verleihen, ich ſelbſt will dir die unſterblichen Waffen deines Vaters, die mir zugeſprochen worden ſind, abtreten.

Freudig antwortete ihm Pyrrhus: Wenn die Achiver mich rufen, der Stimme eines Gottes gehorſam, ſo laßt uns nur gleich morgen in die See ſtechen. Jetzt aber kommt mit mir in den Pallaſt meines Großvaters und zu ſeinem gaſtlichen Tiſche! In dem Königshauſe angelangt, fanden ſie die Wittwe des Achilles, Deidamia, noch in tiefer Herzensbetrübniß, dahinſchmelzend in Thränen. Der Sohn trat zu ihr und meldete die Fremden, verbarg ihr aber bis zum andern Morgen den Grund, um ſie nicht noch mehr zu bekümmern. Die Helden wurden ſatt und ergaben ſich getroſt dem Schlummer. Aber Deidamia ſchloß ihre Augen nicht zum Schlafe. Ihr kam nicht aus dem Sinne, wie dieſelben Helden, die ſie jetzt unter ihrem Dache beherbergen mußte, es verſchuldet hatten, daß ſie jetzt ihren Gemahl als Wittwe beweinte, indem ſie ihm ſein kampfluſtiges Herz beredeten, hinauszuziehen in den Krieg. Und nun ahnete ihr, daß auch ihr Sohn in denſelben Sturm würde hinausgeriſſen werden. Deßwegen erhob ſie ſich mit dem früheſten Morgenlichte, warf ſich dem Sohn an die mächtig gewölbte Bruſt und erfüllte die Luft mit Wehklage. O mein Kind, rief ſie, ich weiß es, auch ohne daß du es mir geſteheſt: du willſt mit den Fremden nach Troja, dem Sitze der Thränen, ziehen, wo ſo viele Helden und auch dein Vater untergegangen ſind! Nun biſt du aber ſo jung und aller Kriegswerke noch ſo unkundig! Darum höre auf mich, deine Mutter,377 und bleibe zu Hauſe bei mir, damit nicht auch noch die Unheilskunde an mein Ohr ſchlage, daß mein Sohn in der Feldſchlacht gefallen ſey, wie ſein Vater! Aber Pyrrhus erwiederte: Mutter, laß doch die Unglücksworte ſeyn! Kein Mann im Kriege fällt wider des Schickſals Willen. Soll mein Loos der Tod ſeyn nun, was könnte ich Beſſeres thun, als, werth meiner Abſtammung, für die Achiver ſterben?

Da ſtand auch Lykomedes, ſein Großvater, aus dem Ruheſeſſel auf, in welchem er zu ſchlummern ſchien, trat vor den Enkel und ſprach: Starkmüthiges Kind, wohl ſehe ich, daß du deinem Vater ganz gleich biſt. Aber wenn du auch glücklich von Troja heimkehreſt, wer weiß, ob nicht auf dem Heimwege das Verderben noch auf dich lauert; denn die Seefahrt iſt ein gefährlich Ding! So ſagte er und küßte den Enkel, doch ohne ihn von dem Wege abzuhalten. Jener aber, dem ein holdes Lächeln ſein junges Heldenangeſicht verklärte, riß ſich aus den Um¬ armungen der weinenden Mutter los, und ließ Vater¬ pallaſt und Heimath hinter ſich. Wie ihn die rüſtigen Glieder ſo hintrugen, glänzte er hell wie ein Geſtirn des Himmels. Ihm folgten die beiden Griechenhelden und zwanzig entſchloſſene Männer, lauter vertraute Diener Deidamia's, und alle ſchifften ſich am Strande der Inſel ein.

Neptun gab ihnen günſtige Fahrt, und nicht lange, ſo lagen vor ihnen im Morgenlichte die Höhen des Ida¬ gebirges, Chryſa die Stadt, das Vorgebirge Sigeum, dann das Grab des Achilles. Odyſſeus ſagte jedoch ſeinem Sohne nicht, weſſen der Grabhügel ſey, ſondern ſchwei¬ gend fuhren ſie an dem Eilande Tenedos vorüber, und378 weiter, bis in die Nähe von Troja. Sie kamen an den Strand, als gerade der Kampf gegen Eurypylus bei der Mauer, welche das Bollwerk der Schiffe bildete, am hef¬ tigſten war, und jetzt hätte ſie der Myſier niedergeriſſen, wäre nicht der eben landende Diomedes über das Fahrzeug an den Strand geſprungen, und hätte die Schaar aus dem Schiffe mit muthigem Rufe nach ſich gezogen.

Ohne Verzug eilten ſie nach dem Zelte des Odyſſeus, das dem Strande zunächſt ſtand, und wo ſich theils deſſen eigene Waffen, theils viele erbeutete Rüſtungen befanden. Von dieſen wählte ſich der Eine die, der Andere jene aus. Neoptolemus aber ſo dürfen wir ihn von jetzt an heißen hüllte ſich in die Waffen ſeines Vaters Achilles, welche den andern Allen zu groß waren; ihn ſelbſt aber drückte weder der Panzer noch der Helm; Speer, Schwert und Schild ſchwang er mit Leichtigkeit, und in Allem ähn¬ lich ſeinem Vater, ſtürzte er in den hitzigſten Kampf hinaus, und alle mit ihm gelandeten Helden ihm nach. Jetzt erſt begannen die Trojaner wieder von der Mauer zu weichen, und drängten ſich, von allen Seiten beſtürmt und beſchoſſen, um den Sohn des Telephus zuſammen, wie furchtſame Kinder bei dem Rollen des Donners zu ihrem Vater fliehen. Aber jedes Geſchoß, das aus der Hand des Neoptolemus flog, ſandte den Tod auf die Häupter der Feinde, und die verzweifelnden Trojaner glaubten den rieſigen Achilles ſelbſt in ſeiner Rüſtung vor ſich zu ſehen. Dieſer blieb an ſeiner Seite, auch focht er unter dem Schirm der Göttin Athene, der Freundin ſei¬ nes Vaters, und wie Schneeflocken den Felſen umfliegen, ſo flatterten die Geſchoſſe um ihn her, ohne ihm die Haut zu ritzen. Ein Schlachtopfer um das andere brachte er379 dem gefallenen Vater dar. Zwei Söhne des reichen Meges, Zwillingsbrüder, raffte, wie Eine Stunde ſie geboren, ſo jetzt Eine Stunde dahin, denn den Einen traf Neoptolemus mit dem Speere in das Herz, den Andern an das Haupt mit einem mächtigen Steine, ſo, daß der ſchwere Helm zertrümmert wurde, und im Schädel das Gehirn ſich miſchte. Noch unzählige andere Feinde fielen rings um ſie her, bis endlich gegen Abend Eurypylus und das feind¬ liche Heer den Rückzug vor dem Sohne des Achilles an¬ traten.

Als Neoptolemus nun vom Kampfe ruhete, kam auch der greiſe Held Phönix, der Freund ſeines Großvaters Peleus und der Erzieher ſeines Vaters Achilles, auf den jungen Helden zu, und betrachtete voll Verwunderung die Aehnlichkeit mit dem Peliden. Schmerz und Freude be¬ ſtürmten ihn zugleich, jener, bei der Erinnerung an den Tod ſeines Pflegſohnes, dieſe, weil er deſſen kräftigen Sprößling vor ſich ſah. Ein Thränenſtrom quoll aus den Augen des Greiſes, er umarmte den herrlichen Jüngling, küßte ihm Haupt und Bruſt, und rief: O Sohn, mir iſt, als wandle dein Vater, nm den ich mich täglich abhärme, wieder lebendig unter uns! Doch ſtille! es darf der Gram um den Vater dir jetzo den Muth nicht ſchwä¬ chen; vielmehr ſollſt du, das Herz voll Zornes, den Griechen zu Hülfe kommen, und den grimmigen Sohn des Telephus tödten, der uns ſo viel Schaden gethan. Uebertriffſt du ihn doch an Kraft ſo weit, als dein Vater ſeinen Vater übertraf! Beſcheiden erwiederte darauf der Jüngling: Wer der Tapferſte ſey, werden erſt Feld¬ ſchlacht und Schickſal entſcheiden, o Greis! Mit dieſen Worten wandte er ſich nach den Schiffen und dem Lager380 zurück, denn die Nacht war eingebrochen, und die Helden kehrteu um vom Streite nach ihren Zelten.

Bei Tagesanbruch begann der Kampf auf's Neue. Lanze mit Lanze, Schwert mit Schwert kreuzte ſich, und ein Mann drang auf den andern ein. Lange war das Ge¬ fecht unentſchieden, und auf beiden Seiten mordeten und fielen die Helden. Dem Eurypylus ward ein Freund er¬ ſchlagen; darüber verdoppelte ſich ſeine Wuth, und er warf die Achiver nieder, wie man Bäume in dichten Wal¬ dungen zu Haufen fällt, ſo daß die Stämme zerriſſene Schluchten anfüllen. Endlich aber trat ihm Neoptolemus entgegen, und beide ſchüttelten ihre mächtigen Lanzen in der Rechten. Wer biſt du, Jüngling, woher biſt du ge¬ kommen, mich zu bekämpfen? rief zuerſt Eurypylus ſei¬ nem Gegner zu, fürwahr, dich reißt dein Geſchick zur Unterwelt hinab! Neoptolemus erwiederte: Warum willſt du meine Abſtammung wiſſen, wie ein Freund, da du doch ein Feind biſt? So wiſſe denn, ich bin der Sohn des Achilles, der einſt deinen Vater niedergeſtreckt; die Roſſe meines Wagens ſind die windſchnellen Kinder der Harpyien und des Zephyrus, die ſelbſt über das Meer dahinrennen; die Lanze, vom Scheitel des hohen Berges Pelion ſtammend, iſt die Lanze meines Vaters, die ſollſt du jetzt erproben! So ſprach der Held, ſprang vom Wagen und ſchüttelte den Speer. Von der andern Seite hob Eurypylus einen gewaltigen Stein vom Boden auf und warf ihn nach dem goldenen Schilde ſeines Feindes; doch der Schild erzitterte nicht einmal. Wie zwei Raub¬ thiere drangen beide jetzt auf einander ein, und rechts und links von ihnen wogte die Feldſchlacht in langen Reihen. Jene aber zerſtießen einander die Schilde, und trafen381 bald die Schienen, bald die Helme; ihre Kraft wuchs mit dem Kampfe, denn beide ſtammten von Unſterblichen ab. Endlich gelang es der Lanze des Neoptolemus, den Weg in die Kehle des Gegners zu finden: ein purpurner Blutſtrom drang aus der Wunde, und, einem entwur¬ zelten Baume gleich, ſtürzte Eurypylus entſeelt zu Boden.

Nach ſeinem Falle hätten ſich die Trojaner vor Neopto¬ lemus, wie Kälber vor dem Löwen, hinter ihre Mauer geflüchtet, wenn nicht Mars, der ſchreckliche Kriegsgott ſelber, der den Trojanern Beiſtand verleihen wollte, un¬ bemerkt von den andern Göttern, den Olymp verlaſſen und mit ſeinen feuerſchnaubenden Roſſen ſeinen Kriegs¬ wagen mitten ins Schlachtgetümmel hineingetrieben hätte. Hier ſchwang er ſeinen mächtigen Speer und ermahnte die Troer mit lautem Zurufe, den Feind zu beſtehen. Dieſe ſtaunten, als ſie die göttliche Stimme hörten, denn den Gott ſelbſt, den ein Nebel unſichtbar machte, ſahen ſie nicht. Der Sohn des Priamus, der geprieſene Seher Helenus, war der erſte, deſſen Scharfſinn den Gott erkannte, und der ſeinen Leuten zurief: Bebet nicht! Euer Freund, der mächtige Kriegsgott, iſt ſelbſt mitten unter euch: habt ihr den Ruf des Mars nicht vernommen? Jetzt hielten die Trojaner wieder Stand und das Gemetzel begann auf beiden Seiten von Neuem. Mars hauchte den Trojanern gewaltigen Muth ein, und zuletzt wankten die Reihen der Griechen. Nur den Neoptolemus vermochte er nicht zu ſchrecken; dieſer kämpfte muthig fort, und er¬ ſchlug jetzt dieſen, jetzt jenen im Streite. Der Gott zürnte über ſeine Kühnheit, und ſchon war er im Begriffe, die Wolke, die ihn umgab, zerreiſſend, dem jungen Helden ſichtbar im Kampfe entgegen zu treten, als Athene, die382 Freundin der Griechen, vom Olymp herunter auf das Schlachtfeld eilte. Die Erde und die Wellen des Xanthus erbebten vor ihrer Ankunft, leuchtende Blitze flogen um ihre Waffen, die Schlangen auf ihrem Gorgonenſchilde hauchten Feuer. Und während die Sohlen der Göttin auf dem Boden ſtanden, berührte ihr Helm die Wolken; ſterb¬ lichen Blicken jedoch blieb ſie verborgen. Und jetzt hätte ſich ein Zweikampf zwiſchen den Göttern erhoben, wenn nicht Jupiter mit einem warnenden Donnerſchlage ſie ge¬ ſchreckt hätte. Beide erkannten den Willen des Vaters; Mars zog ſich nach Thracien zurück, Minerva wandte ſich nach Athen; das Schlachtfeld war den Sterblichen wieder überlaſſen, und jetzt wich die Stärke von den Trojanern: ſie flohen in ihre Stadt zurück und die Griechen dräng¬ ten ihnen nach. Von den Mauern herab vertheidigten Jene tapfer ihre Stadt; dennoch hätten die Danaer die Thore erbrochen, wenn nicht Jupiter, der den Willen des Schickſals kannte, die Stadt in Gewölk eingehüllt hätte. Da rieth der weiſe Neſtor den Griechen, ſich zurückzuziehen, um ihre Todten zu beſtatten und vom Kampf auszuruhen.

Am folgenden Tage ſahen die Danaer mit Staunen die Burg von Troja wieder unumwölkt in den blauen Morgenhimmel ſteigen, und erkannten in dem Nebel des geſtrigen Abends das Wunder des Göttervaters. An die¬ ſem Tage herrſchte Waffenruhe. Die Trojaner benutzten dieſelbe, um den Myſier Eurypylus feierlich zu beſtatten. Neoptolemus aber beſuchte das hohe Grab ſeines Vaters, küßte die zierliche Säule, die ſich darüber erhob, und ſprach unter Seufzern und Thränen der Wehmuth: Auch unter den Todten ſey mir gegrüßt, mein Vater, denn nie383 werde ich dein vergeſſen! O daß ich dich lebend bei den Griechen gefunden hätte! So aber haſt du dein Kind nie geſehen, und ich den Vater nicht, ſo ſehr ich mich im Her¬ zen nach dir geſehnt habe! Doch noch lebeſt du in mir, und lebſt in deinem Speere; beide jagen in der Feldſchlacht den Feinden Schrecken ein, und die Danaer ſehen mich mit freudigen Blicken an und ſagen, ich gleiche dir, Vater, an Geſtalt und Thaten!

So ſprach er weinend und kehrte zu den Schiffen zu¬ rück. Den ganzen nächſtfolgenden Tag wüthete der Kampf wieder um die Mauern von Troja; doch gelang es den Griechen nicht, in die Stadt einzudringen, und an den Ufern des Skamanders, wo Neoptolemus nicht war, fielen die Danaer ſogar in Schaaren darnieder. Dort hatte der muthige Sohn des Priamus, Deiphobus, einen glücklichen Ausfall gewagt, und bedrängte die Belagerer. Auf die Nachricht davon hieß Neoptolemus ſeinen Wagenlenker Automedon die unſterblichen Roſſe dorthin treiben. Stau¬ nend ſah ihn der trojaniſche Königsſohn nahen. Das Herz ſchwankte ihm zwiſchen dem Entſchluſſe zu fliehen, oder dem entſetzlichen Helden entgegenzutreten. Neoptole¬ mus aber rief ihm ſchon von Weitem zu: Sohn des Priamus, wie wütheſt du gegen die zitternden Danaer! Kein Wunder, wenn du dich für den tapferſten Helden der Erde hältſt. Wohlan denn, ſo verſuch 'es auch mit mir! So rief er und ſtürmte auf ihn zu wie ein Löwe, und gewiß hätte er ihn mit ſammt dem Wagenlenker dar¬ niedergeſtreckt, wenn nicht Apollo, in dunkles Gewölke gehüllt, aus dem Olymp herniedergeeilt wäre, und den Gefährdeten zur Stadt entrückt hätte, wohin auch die übri¬ gen Trojaner ihm nachflohen. Als Neoptolemus in die384 leere Luft mit dem Speere ſtieß, ſchrie er voll Unmuths: Hund, du biſt mir entgangen, doch nicht deine Tapfer¬ keit half dir, ſondern ein Gott hat dich mir geſtohlen! Dann warf er ſich wieder in den Kampf. Aber Apollo, der in den Mauern Troja's war, ſchirmte die Stadt. Da ermahnte der Seher Kalchas die Danaer, zu den Schiffen zurückzuweichen und ſich für eine Weile dem mühſeligen Kampfe, zu entziehen. Hier ſprach er: Es iſt vergeblich, ihr Freunde, daß wir uns im Streite gegen dieſe Stadt abmühen, wenn nicht auch der andere Theil der Weiſſagung, welche ich euch mitgetheilt habe, in Er¬ füllung geht, und Philoktetes mit ſeinen unwiderſtehlichen Pfeilen von Lemnos herbeigeſchafft wird.

Sofort wurde beſchloſſen, den klugen Odyſſeus und den tapfern Jüngling Neoptolemus nach Lemnos abzu¬ ſenden, und dieſe gingen ohne Säumen zu Schiffe.

Philoktetes auf Lemnos.

Die Helden landeten an der unbetretenen, unbewohn¬ ten Küſte der wüſten Inſel Lemnos. Hier hatte vor mehr als neun Jahren, nach dem Ausſpruche der Heer¬ führer, Odyſſeus den Sohn des Pöas, Philoktetes, deſſen unheilbares Uebel den Griechen ſeine Gegenwart uner¬ träglich machte, in einer Höhle mit zwei Mündungen aus¬ geſetzt, wo er des Winters im Sonnenſtrahle Schutz vor der Kälte, und des Sommers an einer andern Stelle Schatten und Kühlung finden konnte; in der Nähe rieſelte eine lebendige Quelle. Die beiden Helden hatten dieſe385 Stelle bald wieder gefunden, und Odyſſeus traf noch Alles wie das erſtemal. Aber die Wohnung war leer, nur eine breite Streu aus Laub, wie von einem Ruhen¬ den zuſammengedrückt, ein kunſtlos geſchnitzter Becher aus Holz und etwas Feuergeräthe deuteten auf einen Bewoh¬ ner; und in der Sonne lagen Lumpen voll Eiters aus¬ gebreitet, die ſie nicht zweifeln ließen, daß der kranke Philoktetes noch der Bewohner ſey. Das Erſte, was ſie thaten, war, daß ein Diener auf die Lauer ausgeſandt wurde, damit der Kranke ſie nicht überraſchen könnte. Benützen wir, ſprach Odyſſeus zu dem jungen Sohne des Achilles, die Abweſenheit des Mannes, um unſern Plan mit ihm zu verabreden, denn nur durch Täuſchung können wir uns ſeiner bemächtigen. Bei eurer erſten Zu¬ ſammenkunft darf ich nicht zugegen ſeyn; haßt er mich doch tödtlich, und mit Recht! Sobald er dich nun frägt, wer du ſeyeſt und von wannen du kommeſt, ſagſt du ehrlich, du ſeyeſt der Sohn des Achilles. Dann aber dichteſt du noch weiter hinzu, du habeſt dich zürnend von den Griechen abgewandt und ſeyeſt auf der Fahrt nach der Heimath begriffen. Denn dieſe, die dich von Scyros nach Troja flehend herbeigeholt, um ihnen dieſe Stadt erobern zu helfen, haben dir die Waffen deines Vaters verweigert und ſie mir, dem Odyſſeus, gegeben. Häufe nur ſo viel Schimpf auf mich, als dir einfällt; mich kränkt es nicht, und ohne dieſe Liſt bekommen wir den Mann und die Pfeile nicht. Darum mußt du darauf denken, wie du ihm dieß unbeſiegbare Geſchoß entwenden magſt. Hier fiel ihm Neoptolemus ins Wort: Sohn des Laertes, ſprach er, eine That, die ich ohne Abſcheu nicht hören kann, vermag ich auch nicht zu thun, wederSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 25386ich noch mein Vater ſind zu ſo böſer Kunſt geboren wor¬ den. Gerne bin ich bereit, den Mann mit Gewalt zu fangen; nur erlaß mir die Argliſt! Wie ſollte auch der einzelne Mann, der dazu nur auf Einem Fuße ſtehen kann, uns, die Vielen, überwältigen? Mit ſeinen un¬ entfliehbaren Pfeilen, erwiederte Odyſſeus ruhig. Ich weiß wohl, mein Sohn, daß dir die Gabe der Täuſchung nicht eingepflanzt iſt, und auch ich ſelbſt, der ich von einem redlichen Vater ſtamme, war in der Jugend mit der Zunge langſam und raſch mit der Hand. Erſt die Erfah¬ rung mußte mich belehren, daß die Welt weniger durch Thaten, als durch Worte gelenkt wird. Wenn du nun bedenkſt, daß der Bogen des Herkules allein Troja zu bezwingen vermag, und du durch dieſe That den Ruhm der Klugheit wie der Tapferkeit davontragen, auch durch den Erfolg vollkommen gerechtfertigt erſcheinen wirſt, ſo weigerſt du dich gewiß nicht länger der kurzen Trugworte!

Neoptolemus gab den Gründen ſeines älteren Freun¬ des nach, und dieſer entfernte ſich nun, wie verabredet war. Auch dauerte es nicht lange, bis aus der Ferne der Schmerzensruf des leidenden Philoktetes ſich hören ließ. Dieſer hatte nämlich von Ferne das Schiff am hafenloſen Strande erblickt und kam auf Neoptolemus und ſeine Be¬ gleiter herzugeeilt. Wehe mir, rief er ihnen zu, wer ſeyd ihr, die ihr an dieſer unwirthbaren Inſel gelandet? Zwar erkenne ich an euch die geliebte Griechentracht; doch möchte ich auch den Laut eurer Sprache vernehmen. Be¬ bet vor meinem verwilderten Ausſehen nicht zurück, be¬ dauert vielmehr mich unglücklichen, von allen Freunden verlaſſenen, gepeinigten Mann, und antwortet, wenn ihr anders nicht mit feindlichen Abſichten erſchienen ſeyd!

387

Neoptolemus antwortete, wie Odyſſeus ihn gelehrt hatte; da brach Philoktetes in ein Freudengeſchrei aus: O theuer werthe griechiſche Laute, wie nach ſo langer Zeit tönet ihr in mein Ohr! O Sohn des liebſten Va¬ ters! Geliebtes Scyros! Guter Lykomedes! Und du, Pflegekind des Alten, was ſprichſt du da? So haben dich die Danaer denn auch nicht anders behandelt, als mich! Wiſſe, ich bin Philoktetes, der Sohn des Pöas, derſelbe, den die Atriden und Odyſſeus einſt, ganz verlaſſen, von entſetzlicher Krankheit gequält, auf unſrem Zuge nach Troja, hier ausſetzten. Sorglos ſchlief ich am Strande der See unter dieſem hohlen Felſendache; da entflohen ſie treulos, hinterließen mir nur kümmerliche Lumpen, wie einem Bettler, und die nothdürftigſte Koſt, wie ſie einſt ihnen aufgeſpart ſeyn möge. Wie meinſt du, liebes Kind, daß ich aus meinem Schlaf erwacht ſey? mit welchen Thränen, welchem Angſtgeſchrei, als ich von dem ganzen Schiffszuge, der mich hieher geführt, keine Seele mehr erblickte, keinen Arzt, keine Hülfe für mein Uebel; gar nichts mehr ringsum, außer meinem Jammer, aber dieſen freilich im Ueberfluß! Seitdem ſind mir Armen Tage um Tage und Jahre um Jahre verlaufen, und unter die¬ ſem engen Dache bin ich mein einziger Pfleger geweſen. Mein Bogen hier verſchaffte mir die nöthigſte Nahrung; aber wie jammervoll mußte ich mich, wenn mir eine Beute aus den Lüften zufiel, nach der Stelle hinſchleppen, den kranken Fuß nachziehend. Und ſo oft ich einen Trunk aus der Quelle ſuchen, ſo oft ich von Winter zu Winter zur Feuerung meiner Höhle mir Holz im Walde fällen wollte, das Alles mußte ich, mit Mühe aus meiner Höhle hervorkriechend, ſelbſt beſorgen. Wiederum fehlte es mir25 *388an Feuer; wie lange währte es, bis ich den rechten Stein fand, der, an Eiſen geſchlagen, den Funken ſprühte, welcher mich bis dieſe Stunde erhalten hat. Denn, als ich einmal dieß Bedürfniß hatte, fehlte mir nichts mehr, mein Leben zu friſten, als Geſundheit. Jetzt höre aber auch von der Inſel etwas, lieber Sohn! Wiſſe, es iſt der armſeligſte Fleck auf der Erde: niemals nahet ſich ihr freiwillig ein Schiffer; es fehlt an Landungsplätzen, fehlt an Gelegenheit Waaren umzutauſchen, fehlt an allem Umgange mit Sterblichen. Wen die Fahrt hierher treibt, der landet nur gezwungen. Solcherlei Schiffer beklagen mich dann zwar wohl, reichen mir auch wohl etwas Speiſe oder ein Kleid, aber heimgeleiten will mich keiner, und ſo ſchmachte ich denn hier in Noth und Hunger ſchon ins zehnte Jahr; und das Alles haben Odyſſeus und die Atriden mir zu Leide gethan, denen die Götter mit Glei¬ chem vergelten mögen!

Neoptolemus gerieth bei dieſer Erzählung in wilde Bewegung ſeines Innern; doch drängte er dieſelbe zurück, der Ermahnung des Odyſſeus eingedenk. Er berichtete dem jammernden Helden den Tod ſeines Vaters und was er ſonſt über Landsleute und Freunde zu hören wünſchte, und knüpfte daran mit aller Wahrſcheinlichkeit die Lüge, die Odyſſeus ihn gelehrt. Philoktetes hörte unter lauten Bezeugungen der Theilnahme und Ueberraſchung zu; dann faßte er den Sohn des Achilles bei der Hand, weinte bitterlich und ſprach: Nun, liebes Kind, beſchwöre ich dich bei Vater und Mutter, laß mich nicht in dieſen meinen Qualen zurück. Ich weiß wohl, daß ich eine lä¬ ſtige Ladung bin! dennoch entſchließe dich, nimm mich mit, wirf mich wohin du willſt: ans Steuerruder, an den389 Schnabel, in den unterſten Schiffsraum, wo ich deine Schiffsgenoſſenſchaft am wenigſten quäle! Laß mich nur nicht in dieſer ſchrecklichen Einſamkeit; führe mich als Retter nach deiner Heimath: von dort bis zum Oeta und dem Lande, wo mein Vater wohnte, iſt die Fahrt nicht mehr weit. Zwar habe ich oft ſchon Gelandeten manche herzliche Bitten an ihn mitgegeben, aber Niemand brachte mir Kunde von ihm und er iſt wohl ſchon lange todt; nun, ich wäre froh, wenn ich nur an ſeinem Grabe ruhen dürfte.

Neoptolemus gab dem kranken Manne, der ſich zu ſeinen Füßen warf, mit ſchwerem Herzen die unredliche Zuſage, und rief: So bald du willſt, laß uns zu Schiffe gehen; möge nur ein Gott uns ſchnelle Fahrt aus dieſem Lande verleihen, nach dem Ziele, das uns angewieſen iſt! Philoktetes ſprang auf, ſo ſchnell als das Uebel ſeines Fußes es ihm zuließ, und ergriff mit einem Freudenrufe den Jüngling bei der Hand. In dieſem Augenblick er¬ ſchien der Späher der Helden, als ein griechiſcher Schiffs¬ herr verkleidet, mit einem andern Schiffer von ihrem Gefolge. Er erzählte, an Neoptolemus gewendet, die erheuchelte Kunde, daß Diomedes und Odyſſeus auf der Fahrt nach einem gewiſſen Philoktetes begriffen ſeyen, den ſie, einer Weiſſagung des Sehers Kalchas zufolge, fan¬ gen und vor Troja bringen müßten, wenn die Stadt erobert werden ſollte. Dieſe Schreckensnachricht warf den Sohn des Pöas ganz dem Neoptolemus in die Arme. Er raffte die heiligen Geſchoſſe des Herkules zuſammen, übergab ſie dem jungen Helden, der ſich zum Träger er¬ bot, und ſchritt mit ihm unter das Thor der Höhle. Da vermochte ſich Neoptolemus nicht länger zu halten,390 die Wahrheit ſiegte in dem reinen Herzen des jungen Helden über die Lüge, und ehe ſie am Ufer angekommen waren, ſprach er: Philoktetes, ich kann es dir nicht län¬ ger verbergen: du mußt mit mir nach Troja zu den Atri¬ den und Griechen ſchiffen! Philoktetes bebte zurück, flehte, fluchte. Ehe aber das Mitleid ganz die Oberhand über die Seele des Jünglings gewann, ſprang Odyſſeus aus dem Gebüſche, das ihn verborgen hielt, hervor und befahl den Dienern, den unglücklichen alten Helden, der doch ſchon ihr Gefangener ſey, zu feſſeln. Philoktetes hatte ihn auf den erſten Laut erkannt. O wehe mir, rief er, ich bin verkauft, ermordet! Dieſer iſt's, der mich ausgeſetzt hat, der mich jetzt dahinſchleppt, durch deſſen Trug mir meine Pfeile geſtohlen ſind! Gutes Kind, ſprach er dann ſchmeichelnd zu Neoptolemus, gib du mir Bogen und Pfeile wieder! Aber Odyſſeus fiel ihm in die Rede: Nie geſchieht ſolches, rief er, und wollte es der Jüngling auch; ſondern du mußt mit uns gehen, du mußt; es gilt der Griechen Heil und Troja's Untergang! Damit überließ ihn Odyſſeus den ihn feſ¬ ſelnden Dienern und zog den verſtummten Neoptolemus mit ſich fort. Philoktetes blieb mit den Dienern im Ein¬ gange der Höhle ſtehen, klagte über den ſchamloſen Betrug und ſchien umſonſt die Rache der Götter anzu¬ rufen, als er plötzlich die beiden Helden, im Wortwechſel mit einander, zurückkehren ſah, und aus der Ferne ver¬ nehmlich die Worte des jüngeren vernahm, welcher zür¬ nend ausrief: Nein, ich habe gefehlt, ich habe durch ſchnöde Liſt einen edlen Mann verſtrickt! Ich will ſie ungeſchehen machen, die ſchnöde That, und eh 'du mich getödtet haſt, führeſt du dieſen Mann nicht gen Troja! 391Beide zogen die Schwerter, Philoktetes aber warf ſich dem Sohne Achills zu Füßen. Verſprich mir, mich zu retten wie du willſt: ſo ſollen die Pfeile meines Freundes Herkules jeden Einfall von deinem Lande abwehren! Folge mir, ſprach Neoptolemus, und hub den alten Helden vom Boden auf, wir ſchiffen noch heute nach Phthia, in mein Heimathland.

Da verfinſterte ſich die blaue Luft über den Häuptern der rechtenden Helden; ihre Blicke kehrten ſich nach oben, und Philoktetes war der Erſte, der ſeinen Freund, den vergötterten Herkules, in einer dunkeln Wolke ſchwebend, erblickte.

Nicht weiter! rief dieſer mit einer hallenden Götter¬ ſtimme vom Himmel herab. Höre, Freund Philoktetes, aus meinem Munde den Rathſchluß Jupiters, und gehorche! Du weißt, durch welche Mühſal ich Unſterblichkeit gewann, auch dir iſt vom Schickſale beſtimmt, aus dieſer Trübſal verherrlicht hervorzugehen. Mit dieſem Jünglinge vor Troja erſcheinend, wirſt du vor allen Dingen von deiner Krankheit erlöſt; dann haben dich die Götter erwählt, den Paris, den Urheber alles Leids, zu vertilgen; dann ſtürzeſt du Troja; das Herrlichſte der ganzen Beute wird dein Antheil; beladen mit Schätzen fährſt du zurück zu deinem Vater Pöas, der noch lebt. Haſt du etwas übrig von der Beute, ſo opfere es auf dem Scheiterhaufen bei meinem Denkmale. Leb wohl! Philoktetes ſtreckte dem verſchwindenden Freunde die Arme nach zum Himmel. Wohlan, rief er, zu Schiff, ihr Helden, gib mir die Hand, edler Sohn des Achilles; und du, Odyſſeus, ſchreit 'immerhin an meiner Seite: du haſt gewollt, was die Götter wollen!

392

Der Tod des Paris.

Als die Griechen das erſehnte Schiff, das den Phi¬ loktetes mit den beiden Helden am Borde hatte, in den Hafen des Helleſponts einlaufen ſahen, eilten ſie ſchaaren¬ weiſe unter lautem Jubel an den Strand. Philoktetes ſtreckte die ſchwächlichen Hände hinaus und wurde von ſeinen beiden Begleitern ans Ufer gehoben, welche müh¬ ſelig den Hinkenden in die Arme der harrenden Danaer führten. Dieſe jammerte ſeines Anblickes. Da ſprang einer der Helden aus dem Haufen heraus, heftete einen forſchenden Blick auf die Wunde, rief mit lauter Rührung ſeinen Vater Pöas bei Namen und verſprach, ihn mit der Götter Hülfe ſchnell zu heilen. Laut jauchzten die Griechen auf, als ſie ſeine Verheiſſung hörten. Es war Podali¬ rius, der Arzt, ein alter Freund des Pöas. Schnell ſchaffte dieſer die nöthigen Heilmittel herbei, die Argiver aber wuſchen und ſalbten den Körper des alten Helden. Die Unſterblichen gaben ihren Segen: das verzehrende Uebel ſchwand ihm aus den Gliedern und aller Jammer aus der Seele. Der ſieche Leib des Helden Philoktetes blühte auf wie ein Aehrenfeld, das, am Regen dahin¬ welkend, von ſommerlichen Winden erquickt wird. Die Atriden ſelbſt, die Häupter des Volkes, ſtaunten, als ſie ihn ſo gleichſam vom Tode auferſtehen ſahen, und, nach¬ dem er ſich an Trank und Speiſe gelabt, trat Agamemnon zu ihm, ergriff ihn bei der Hand und ſprach mit ſicht¬ barer Beſchämung: Lieber Freund! Es iſt in der Be¬ thörung unſeres Geiſtes, aber auch nach göttlicher Fügung393 geſchehen, daß wir dich vor Zeiten auf Lemnos zurück¬ gelaſſen haben; hege nicht länger Groll darüber im Her¬ zen, die Götter haben uns genug dafür geſtraft und dieſe Verſuchung über uns verhängt, um uns ihren Zorn fühlen zu laſſen. Für jetzt nimm die Geſchenke freundlich auf, die wir dir bereitet haben: ſieben trojaniſche Jungfrauen, zwanzig Roſſe und zwölf Dreifüße. Daran labe dein Herz und nimm in meinem eigenen Zelte Platz. Beim Mahl und allenthalben ſoll dir königliche Ehre erwieſen werden.

Lieben Freunde, erwiederte Philoktetes gütig, ich zürne nicht mehr, weder dir, Agamemnon, noch irgend einem andern Danaer, ſollte ſich auch einer an mir ver¬ gangen haben. Weiß ich doch, daß der Sinn edler Män¬ ner beugſam iſt und ſich bald ſtrenge, bald nachgiebig zeigen muß. Doch jetzt laßt uns ſchlafen gehen, denn wer ſich nach dem Kampfe ſehnt, thut wohler daran, ſich des Schlummers zu freuen, als des Schmauſes! So ſprach er und eilte ins Gezelt ſeiner Freunde, wo er bis an den Morgen behaglich der Ruhe pflegte.

Am andern Tage waren die Trojaner außerhalb der Mauer mit der Beerdigung ihrer Todten beſchäftigt, als ſie die Griechen ſchon wieder zum Streite heranrücken ſahen. Polydamas, der weiſe Freund des gefallenen Hektor, rieth ihnen, im Gefühl ihrer Schwäche ſich hinter die Mauern zurückzuziehen und ſich dort getroſt zu ver¬ theidigen. Troja, ſprach er, iſt das Werk der Götter und ihre Werke ſind nicht leicht zu zerſtören, auch fehlt es uns weder an Speiſe noch an Getränk, und in den Hallen unſeres reichen Königes Priamus liegen noch Vorräthe genug, um dreimal ſo viel Volk zu ſättigen, als wir ſind. 394Aber die Trojaner gehorchten ſeinem Rathe nicht und jauchzten vielmehr dem Aeneas Beifall, der ſie zu rühm¬ lichem Sieg oder Tod auf dem Schlachtfelde aufforderte. Bald ſtürmte der Kampf wieder in beider Heere Reihen. Neoptolemus erſchlug zwölf Trojaner hintereinander mit dem Speere ſeines Vaters, aber auch Eurymenes, der Gefährte des kühnen Aeneas, und Aeneas ſelbſt riſſen blutige Lücken ins griechiſche Heer, und Paris tödtete den Gefähr¬ ten des Menelaus, den Demoleon aus Sparta. Dagegen raſete Philoktetes unter den Trojanern wie der unbezwing¬ liche Mars ſelber, oder wie ein toſender Strom, der breite Fluren überſchwemmt. Wenn ein Feind ihn nur von ferne erblickte, ſo war er verloren; ſchon des Herkules herrliche Rüſtung, die er trug, ſchien die Troer zu ver¬ derben, als ſtünde das Meduſenhaupt auf ſeinem Panzer. Zuletzt aber wagte es doch Paris und drang auf ihn ein, Bogen und Pfeile muthig in der Luft ſchwenkend. Auch ſchnellte er bald einen Pfeil ab, doch der ſchwirrte an Philoktetes vorüber und verwundete ſeinen Nebenmann Kleodorus in die Schulter. Dieſer wich, mit der Lanze fortkämpfend, zurück, aber ein zweiter Pfeil des Paris traf ihn zum Tode. Jetzt griff Philoktetes zu ſeinem Bogen und mit donnernder Stimme rief er: Du troja¬ niſcher Dieb, Urheber alles unſres Unheils, du ſollſt es büßen, daß dich gelüſtet hat, in der Nähe dich mit mir zu meſſen. Wenn du einmal todt biſt, ſo wird deinem Haus und deiner Stadt das Verderben mit ſchnellen Schritten heraneilen! So ſprach er und zog die gedrehte Sehne des Bogens bis nahe an die Bruſt, ſo daß das Horn ſich bog, und legte den Pfeil ſo auf, daß er nur ein weniges über den Bogen hervorragte. Mit einem395 Schwirren der Sehne flog der ziſchende Pfeil dahin und verfehlte aus der Hand des göttlichen Helden ſein Ziel nicht, doch ritzte er dem Paris nur die ſchöne Haut, und auch dieſer ſpannte ſeinen Bogen wieder; da traf ihn ein zweiter Pfeil des Philoktetes in die Weiche, daß er nicht länger im Kampf auszuharren vermochte, ſondern entfloh, wie ein Hund vor dem Löwen, am ganzen Leibe zitternd.

Der blutige Kampf dauerte noch eine Weile fort, während die Aerzte ſich um die ſchmerzliche Wunde des Paris bemühten. Aber das Dunkel der Nacht war ein¬ gebrochen und die Trojaner kehrten in ihre Mauern, die Danaer zu ihren Schiffen zurück. Paris durchſtöhnte die Nacht ohne Schlaf auf ſeinem Schmerzenslager. Der Pfeil war bis ins Mark des Gebeines eingedrungen und die Wunde durch die Wirkung des ſcheußlichen Giftes, in das die Pfeile des Herkules getaucht waren, ganz ſchwarz vor Fäulniß. Kein Arzt vermochte zu helfen, ob ſie gleich Mittel aller Art anwandten. Da erinnerte ſich der Ver¬ wundete eines Orakelſpruches, daß ihm einſt in der grö߬ ten Noth nur ſeine verſtoßene Gattin Oenone helfen könne, mit welcher er, als er noch Hirte auf dem Ida war, glückliche Tage verlebt hatte. Aus dem eigenen Munde der Gattin hatte er damals, als er nach Grie¬ chenland zog, dieſe Wahrſagung vernommen. So ließ er ſich denn jetzt ungerne, aber von der harten Qual ge¬ zwungen, dem Berge Ida, wo ſeine erſte Gemahlin noch immer wohnte, zutragen. Von dem Gipfel des Berges herab krächzten Unglücksvögel, als die Diener mit ihm hinanſtiegen. Ihre Stimme füllte ihn bald mit Entſetzen, bald trieb ihn wieder die Lebenshoffnung, ſie zu verachten. So kam er in der Wohnung ſeiner Gattin an. Die396 Dienerinnen und Oenone ſelbſt erfüllte der unerwartete Anblick mit Staunen; er aber ſtürzte ſich zu den Füßen ſeines verſchmähten Weibes und rief: Ehrwürdige Frau, o haſſe mich jetzt nicht in meiner Bedrängniß, weil ich dich einſt unfreiwillig als Wittwe zurückließ. Denn ſieh, es waren die unerbittlichen Parzen, die mich Helena entge¬ gengeführt. O wäre ich doch geſtorben, ehe ich ſie in den Pallaſt meines Vaters gebracht. Doch jetzt beſchwöre ich dich bei den Göttern und unſerer früheren Liebe, habe Mitleid mit mir und befreie mich von dem quälenden Schmerz, indem du auf meine Wunde die Mittel auflegſt, die nach deiner eigenen Weiſſagung mich allein zu retten vermögen!

Aber ſeine Worte erweichten den harten Sinn der Verſtoßenen nicht. Was kommſt du zu der, ſprach ſie ſcheltend, die du verlaſſen und dem bitteren Jammer preisgegeben haſt, weil du an Helena's ewiger Jugend dich zu erfreuen hoffteſt? So geh 'nun, und wirf dich ihr zu Füßen, ob ſie dir helfen möge, meine Seele aber hoffe nicht mit deinen Thränen und Klagen zum Mitleid zu ſtimmen! So ſchickte ſie ihn wieder aus ihrer Be¬ hauſung fort, ohne zu ahnen, daß ihr eigenes Schickſal an das ihres Gatten gebunden ſey. Paris ſchleppte ſich, von den Dienern geſtützt und getragen, kummervoll über die Höhen des waldigen Ida hin, und Juno vom Olymp herab labte ſich an dem Anblicke. Noch war er nicht an den Abhang des Berges gelangt, als er der giftigen Wunde erlag und ſeinen Geiſt noch auf den Gipfeln des Ida ſelbſt aushauchte, ſo daß ſeine Buhlin Helena ihn nicht wieder erblickte.

Ein Hirte brachte ſeiner Mutter Hekuba die erſte397 Kunde von ſeinem traurigen Tode. Ihr wankten die Kniee bei der Nachricht und ſie ſank bewußtlos nieder. Priamus aber wußte noch nichts davon, er ſaß klagend am Grabe ſeines Sohnes Hektor und wußte nicht, was draußen vorging. Helena dagegen ließ ihren ſtrömenden Klagen bei der Botſchaft ihren Lauf, wiewohl ihr Gemüth wenig davon wußte, denn ſie war nicht ſowohl über den Tod des Mannes betrübt, als über ihre eigene Schuld, an welche ſie ſich jetzt mit Zagen erinnerte.

Unerwartete Reue bemächtigte ſich der Seele Oeno¬ ne's, die ferne von allen trojaniſchen Frauen auf der Höhe des Ida im einſamen Hauſe lag, und der jetzt erſt die Erinnerung an ihre mit Paris in Liebe verlebte Ju¬ gend zurückkehrte. Wie das Eis, das auf dem hohen Gebirge ſich in den Wäldern angeſetzt und die Schluchten umher deckt, unter dem lauen Hauche des Weſtwinds wie¬ der ſchmilzt und in ſtrömende Quellen zerfließt: ſo ſchmolz die Härtigkeit ihres Herzens dahin vor dem Kummer; das Herz ging ihr auf und Ströme von Thränen quollen aus ihren lang vertrockneten Augen. Endlich raffte ſie ſich auf, öffnete mit Heftigkeit die Pforte ihres Hauſes und ſtürzte wie ein Sturmwind hinaus. Von Fels zu Fels, über Schluchten und Bergſtröme trugen ſie die flüch¬ tigen Füße durch die Nacht hin. Mitleidsvoll blickte Luna vom blauen Nachthimmel auf ſie herunter. Endlich ge¬ langte ſie an die Stelle des Gebirges, wo der Leichnam ihres Gatten auf dem Holzſtoß flammte und von den Schafhirten des Berges umringt war, die dem Freund und dem Königsſohn die letzte Ehre erwieſen. Als ihn Oenone erblickte, machte ſie der heftige Schmerz ganz ſprachlos; ſie verhüllte ihr ſchönes Antlitz in die Gewänder,398 ſprang raſch auf den Scheiterhaufen, und ehe die Umſte¬ henden ſie retten, ja nur beklagen konnten, war ſie mit dem Leichnam des Gatten ein Opfer der Flammen.

Sturm auf Troja.

Während ſich dieſes auf dem Berg Ida ereignete, wurde der Kampf von Seiten beider Heere mit Erbitte¬ rung und wechſelndem Erfolge fortgeſetzt. Apollo hauchte dem Aeneas, dem Sohne des Anchiſes, und dem Eury¬ machus, dem Sohne Antenors, Muth und Stärke ein, daß ſie die Achiver mit großem Verluſte zurückdrängten, und Neoptolemus nur mit Mühe das Treffen wiederherſtellen konnte. Doch wichen die Trojaner nicht eher, bis Pallas Athene ſelbſt den Griechen zu Hülfe eilte. Nun miſchte ſich auch die Göttin Aphrodite in den Kampf, und, um das Leben ihres Sohnes Aeneas beſorgt, hüllte ſie dieſen in eine Wolke, und entrückte ihn aus der Schlacht.

Aus dieſem unbarmherzigen Kampfe entrannen nur wenige Trojaner, müde und verwundet, in die Stadt. Weiber und Kinder lösten ihnen wehklagend die blutigen Waffen vom Leibe, und die Aerzte hatten vollauf zu thun. Auch die Danaer waren vom Kampfe geſchwächt und ermüdet, denn erſt nach langem Zweifel hatte ſich der Sieg ihnen zugewendet. Doch waren ſie am andern Morgen wieder munter und, nachdem ſie eine gehörige Wache bei den Verwundeten zurückgelaſſen, zogen ſie luſtig und kriegeriſch von den Schiffen den Mauern Tro¬ ja's wieder zu, und dießmal ging es zum Sturme. Die399 Griechen hatten ihre Schaaren vertheilt und eine jede hatte den Angriff auf eines der Thore übernommen. Die Trojaner aber kämpften auf allen Seiten von Mauern und Thürmen herab, und überall erhob ſich ein gewaltiges Getümmel. An das ſkäiſche Thor wagte ſich zuerſt Sthenelus, der Sohn des Kapaneus, mit dem götterglei¬ chen Helden Diomedes. Ueber dem Thore aber wehrten der ausdauernde Deïphobus und der ſtarke Polites ſammt vielen Genoſſen die Stürmenden mit Pfeilen und Steinen ab, daß Helme und Schilde von dem Wurfe klangen. Am idaiſchen Thore focht Neoptolemus mit allen ſeinen Myrmidonen, die in den Künſten der Beſtürmung wohl erfahren waren. In der Stadt munterten hier die Tro¬ janer Helenus und Agenor auf und kämpften unermüdlich für die theure Heimath. An denjenigen Thoren, die zu der Ebene und zu dem Schiffslager der Griechen führten, waren Eurypylus und Odyſſeus in unaufhörlichem Kampfe; von der hochemporragenden Mauer aber hielt ſie durch Steinwürfe der tapfere Aeneas entfernt. An dem Ge¬ wäſſer des Simois kämpfte unter mannigfaltigen Drang¬ ſalen Teucer, und ſo Andere anderswo. Endlich kam Odyſſeus auf ſeinem Poſten auf den glücklichen Gedanken, ſeine Streiter die Schilde über ihre Häupter gedrängt aneinander emporheben zu laſſen, ſo daß das Ganze wie das wohlgewölbte Dach eines Hauſes erſchien. Unter dieſem Schilddache zogen die Schaaren der Danaer, eng geſchloſſen und wie zu einem einzigen Körper vereinigt, daher, und furchtlos hörten ſie das Getöſe der zahlloſen Steine, Pfeile und Lanzen, die von der Mauer herab aus den Händen der Trojaner auf die Schilde herabpraſſelten, ohne einen einzigen Mann zu verwunden. So nahten ſie400 ſich, Keiner von dem Anderen getrennt, wie ein dunkles Winterſturmgewölk den Mauern, der Grund dröhnte unter ihren Tritten, der Staub wallte über ihren Häuptern, und unter dem Schilddache tönte vermiſchtes Geſpräch durch¬ einander, wie Bienengeſumſe in den Körben. Freude erfüllte das Herz der Atriden, als ſie das unerſchütter¬ liche Bollwerk einherziehen ſahen: ſie drängten ihre Krie¬ ger alle den Thoren der Veſte entgegen zum Sturm¬ angriff, und rüſteten ſich, die Thore aus den Angeln zu heben, die Thorflügel mit zweiſchneidigen Beilen zu durch¬ brechen und niederzuwerfen, und bei der neuen Erfindung des Odyſſeus ſchien der Sieg unzweifelhaft zu ſeyn.

Da ſtärkten die Götter, die auf Seiten der Trojaner waren, die Arme des Helden Aeneas, daß er einen unge¬ heuren Stein mit beiden Händen herbeibrachte und voll Wuth auf das Schilderdach hinunter ſchleuderte. Dieſer Wurf richtete eine klägliche Niederlage unter den Stür¬ menden an, und ſie ſanken wie Ziegen des Berges, auf die ein losgeriſſener Fels herabrollt, zerſchmettert unter ihren Schilden zu Boden. Aeneas aber ſtand auf der Mauer mit ſtrotzenden Gliedern und ſeine Rüſtung fun¬ kelte wie der Blitz; neben ihm ſtand unſichtbar in einer dunkeln Wolke der gewaltige Mars, der den Geſchoſſen, die der Held dem Steine nachſendete, die rechte Richtung gab, daß Tod und Entſetzen unter die Reihen der Grie¬ chen fuhr. Laut ertönte von den Mauern herab der Ruf des Aeneas, der die Seinigen anfeuerte, laut von unten herauf der Ruf des Neoptolemus, der die Myrmidonen ermahnte, Stand zu halten, und ſo dauerte hier der Kampf den ganzen Tag fort ohne Erholung und Raſt.

An einer entfernteren Seite der Mauer waren die401 Griechen glücklicher. Dort ſäuberte der kühne Lokrer Ajax die Zinnen allmählig von Vertheidigern, indem er bald mit dem Pfeil einen wegſchoß, bald mit dem Speer einen niederſtieß. Und jetzt erſah ſich ſein tapfrer Waffen¬ gefährte und Landsmann Alcimedon eine ganz leer gewor¬ dene Stelle der Mauer, legte eine Sturmleiter an und ſtieg, auf ſein muthiges Herz und ſeine Jugend vertrauend, voll Kriegsluſt mit behendem Fuße die Stufen empor, den Schild über dem Haupte haltend. So gedachte er den Seinigen den Weg in die Stadt zu bahnen. Aber Aeneas hatte aus der Ferne ſein Beginnen beobachtet, und als Jener nun eben über die Mauer hinweg ſah und zum erſten und letztenmal einen Blick in das Innere der Stadt warf, traf ihn ein Stein, aus der gewaltigen Hand des trojaniſchen Helden geſchleudert, ans Haupt; die Leiter ward zertrümmert unter der Wucht des Stürzenden: wie ein Pfeil von der Sehne geſchnellt, wirbelte er durch die Luft und hauchte die Seele aus, noch ehe er unten am Boden ankam. Die Lokrer ſeufzten laut auf, als ſie den Zermalmten auf der Erde liegen ſahen. Jetzt faßte Phi¬ loktetes den Sohn des Anchiſes, der wie ein reißendes Thier die Mauern entlang tobte, ſich ins Auge und rich¬ tete ſein geprieſenes Geſchoß auf ihn. Auch verfehlte er ſein Ziel nicht, ritzte jedoch nur ein wenig das Leder des Schildes und traf dann den Trojaner Menon, der von der Mauer herabfiel, wie ein Wild, das des Jägers Pfeil erreicht hat. Aeneas zertrümmerte dafür dem Toxächmes, einem wackern Gefährten des Philoktetes, Haupt und Kno¬ chen mit einem Steinwurfe. Grimmig blickte Philoktetes zu dem feindlichen Helden empor und rief: Aeneas! du glaubſt der Tapferſte zu ſeyn, wenn du, wie ſchwacheSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 26402Weiber, von der Mauer herab deine Feinde mit Steinen bekämpfſt. Wohlan, wenn du ein Mann biſt, ſo komm in der Rüſtung vor die Thore heraus und erprobe deinen Bogen und deine Lanze im Kampfe mit dem muthigen Sohne des Pöas! Der Trojaner hatte nicht Zeit ihm zu antworten, denn die Vertheidigung der Stadt rief ihn nach einer andern Stelle der Mauer, und auch Philoktetes wurde zu neuem raſtloſen Kampfe hinweggeriſſen.

Das hölzerne Pferd.

Nachdem nun die Griechen lange erfolglos um Thore und Mauern von Troja gekämpft und der verſuchte Sturm auf allen Seiten abgeſchlagen worden war, rief der Seher Kalchas eine Verſammlung der vornehmſten Helden zu¬ ſammen und redete ſo vor ihnen: Unterziehet euch nicht ferner den Mühſeligkeiten eines gewaltſamen Kampfes, denn auf dieſem Wege kommt ihr nicht zum Ziele: beſin¬ net euch vielmehr auf irgend einen Anſchlag, der euren Schiffen und euch ſelber zum Heile gereichen mag. Denn vernehmet, was für ein Zeichen ich geſtern geſchaut habe. Ein Habicht jagte einem Täubchen nach; dieſes aber ſchlüpfte in die Spalten eines Felſen hinein, um ſeinem Verfolger zu entgehen. Lange verweilte dieſer grimmig vor dem Felſenſpalt, aber das Thierchen ging nicht her¬ aus; da verbarg ſich der Raubvogel mit unterdrücktem Unmuth ins nahe Gebüſch: und, ſiehe da, jetzt ſchlüpfte das Täublein in ſeiner Thorheit wieder heraus, der Ha¬ bicht aber ſchießt auf das arme Thier nieder und erwürgt403 es ohne Erbarmen. Laßt uns dieſen Vogel zum Muſter nehmen, und Troja nicht fürder mit Gewalt zu erobern ſuchen, ſondern es einmal mit der Liſt verſuchen.

So ſprach der Seher; aber keinem der Helden, ob¬ gleich ſie hin und her ſannen, wollte ein Mittel einfallen, wie dem grauſamen Kriege ein Ziel geſetzt werden könnte; der einzige Odyſſeus kam endlich durch die Verſchmitztheit ſeines Geiſtes auf ein ſolches. Wiſſet ihr was, Freunde, rief er, freudig bewegt durch den glücklichen Einfall: Laßt uns ein rieſengroßes Pferd aus Holze zimmern, in deſſen Verſteck ſich die edelſten Griechenhelden, ſo viele unſer ſind, einſchließen ſollen. Die übrigen Schaaren mögen ſich inzwiſchen mit den Schiffen nach der Inſel Tenedos zurückziehen, hier im Lager aber alles Zurückgelaſſene verbrennen, damit die Trojaner, wenn ſie dieß von ihren Mauern aus gewahr werden, ſich ſorglos wieder über das Feld verbreiten. Von uns Helden aber ſoll ein muthiger Mann, der keinem der Troer bekannt iſt, außerhalb des Roſſes bleiben, ſich als Flüchtling zu ihnen begeben und ihnen das Mährchen vortragen, daß er ſich der frevelhaf¬ ten Gewalt der Achiver entzogen habe, welche ihn um ihrer Rückkehr willen den Göttern als Opfer ſchlachten wollten. Er habe ſich nämlich unter dem künſtlichen Roſſe, welches der Feindin der Trojaner, der Göttin Pallas Athene, geweiht ſey, verſteckt und ſey jetzt, nach der Ab¬ fahrt ſeiner Feinde, eben erſt hervorgekrochen. Dieß muß er den ihn Befragenden ſo lange zuverſichtlich wieder¬ holen, bis ſie ihr Mißtrauen überwunden haben und ihm zu glauben anfangen. Dann werden ſie ihn als einen bemitleidenswerthen Fremdling in ihre Stadt führen. Hier ſoll er darauf hinarbeiten, daß die Trojaner das hölzerne26 *404Pferd in die Mauern hineinziehen. Geben ſich dann unſre Feinde ſorglos dem Schlummer hin, ſo ſoll er uns ein zu verabredendes Zeichen geben, auf welches wir unſern Schlupfwinkel verlaſſen, den Freunden bei Tenedos mit einem lodernden Fackelbrande ein Signal geben und die Stadt mit Feuer und Schwert zerſtören wollen.

Als Odyſſeus ausgeredet, prieſen alle ſeinen erfinde¬ riſchen Verſtand und zumeiſt lobte ihn Kalchas, der Se¬ her, deſſen Sinn der ſchlaue Held vollkommen getroffen hatte. Er machte auf günſtige Vogelzeichen und zuſtim¬ mende Donnerſchläge Jupiters, die ſich vom Himmel herab hören ließen, aufmerkſam, und drängte die Griechen ſogleich zum Werke zu ſchreiten. Aber da erhub ſich der Sohn des Achilles unwillig in der Verſammlung. Kal¬ chas, ſprach er, tapfre Männer pflegen ihre Feinde in offener Feldſchlacht zu bekämpfen; mögen die Trojaner, das Treffen vermeidend, von ihren Thürmen herab als Feige ſtreiten; uns aber laſſet nicht auf eine Liſt ſinnen oder auf irgend ein andres Mittel außer offenem Kampfe! In dieſem müſſen wir beweiſen, daß wir die beſſeren Männer ſind!

So rief er, und Odyſſeus ſelbſt mußte den hochſinnigen Jüngling bewundern; doch erwiederte er ihm: O du edles Kind eines eben ſo furchtloſen Vaters, du haſt dich ausgeſprochen, wie ein Held und wackerer Mann. Aber doch konnte dein Vater ſelbſt, der Halbgott an Muth und Stärke, dieſe herrliche Veſte nicht zerſtören. Du ſiehſt alſo wohl, daß Tapferkeit in der Welt nicht Alles aus¬ richtet. Deßwegen beſchwöre ich euch, ihr Helden, daß ihr den Rath des Kalchas befolget und meinen Vorſchlag ohne Säumen ins Werk ſetzet!

405

Alle andern Helden gaben dem Sohne des Laertes Beifall; nur Philoktetes ſtellte ſich auf die Seite des Neoptolemus, denn er lechzte noch immer nach Kampf und Schlachtgetümmel und ſein Heldenherz war noch nicht geſättigt. Am Ende hatten die beiden auch den Rath der Danaer zu ſich herübergezogen. Aber Jupiter bewegte den ganzen Luftkreis, ſchleuderte Blitz auf Blitz unter krachendem Donner zu den Füßen der widerſtrebenden Helden herab, und gab ſo hinlänglich zu verſtehen, daß ſein Wille ſich mit den Vorſchlägen des Sehers und des Laertiaden vereinige. So verloren die beiden Helden den Muth, ſich länger zu widerſetzen, und gehorchten, obgleich mit innerlichem Widerwillen.

So kehrten denn alle mit einander zu den Schiffen zurück, und ehe ans Werk gegangen wurde, überließen ſich die Helden dem wohlthätigen Schlaf. Da ſtellte ſich um Mitternacht im Traume Minerva an das Haupt des griechiſchen Helden Epëus, und trug ihm als einem kunſt¬ reichen Manne auf, das mächtige Roß aus Balken zu zimmern, indem ſie ſelbſt ihm ihren Beiſtand zu ſchnellerer Vollendung des Werkes verſprach. Der Held hatte die Göttin erkannt und ſprang freudig vom Schlafe auf: alle Gedanken wichen in ſeinem Geiſte dem Einen Auftrag, und der Geiſt ſeiner Kunſt bewegte ihm die Seele. Mit Tagesanbruch erzählte er die Göttererſcheinung in der Mitte alles Volkes, und nun ſchickten die Atriden in aller Eile in die waldreichen Thäler des Idagebirges und lie¬ ßen daſelbſt die hochſtämmigſten Tannen fällen. Dieſe wurden eilig zum Helleſpont hinabgetragen, und viele Jünglinge gingen ans Werk und halfen dem Epëus: die Einen zerſägten die Balken, die Andern hieben die Aeſte406 von den noch unzerſägten Stämmen, wieder Andere tha¬ ten Anderes, Epëus aber machte zuerſt die Füße des Pferdes, dann den Bauch; über dieſen fügte er ſodann den gewölbten Rücken, hinten die Weichen, vorn den Hals; über ihn formte er zierlich die Mähne, die ſich flatternd zu bewegen ſchien; Kopf und Schweif wurden reichlich mit Haaren verſehen, aufgerichtete Ohren an den Pferdskopf geſetzt und gläſerne leuchtende Augen un¬ ter der Stirne angebracht; kurz es fehlte nichts, was an einem lebendigen Pferde ſich regt und bewegt. So voll¬ endete er mit Minerva's Hülfe das Werk in dreien Ta¬ gen, und das ganze Heer bewunderte die Schöpfung des Künſtlers, ſo ausdrucksvoll hatte er Leben und Bewegung nachzubilden gewußt; man meinte jeden Augenblick, jetzt werde das Rieſenpferd zu wiehern anfangen. Epëus aber hob die Hände gen Himmel und betete vor allem Heere: Mächtige Pallas, erhöre mich, rette dein Pferd und mich ſelbſt, hohe Göttin! Und alle Griechen ſtimmten in die¬ ſes Gebet ein.

Die Trojaner waren in der Zwiſchenzeit vom letzten Kampfe an ſcheu hinter ihren Mauern geblieben. Um ſo lauter tobte der Zwieſpalt unter den Göttern ſelbſt jetzt, wo Troja's Verhängniß erfüllt werden ſollte. Sie fuhren in zwei getrennten Haufen, der eine den Grie¬ chen günſtig, der andere ihnen abhold, auf die Erde herunter und ſtellten ſich am Fluſſe Xanthus, den Sterb¬ lichen unſichtbar, in zwei Schlachtordnungen gegen einan¬ der auf. Auch die Meergottheiten ſchloſſen ſich der einen oder andern Seite an. Die Nereiden hielten es, als Verwandte des Achilles, mit den Griechen; andere Meer¬ götter waren auf der Seite Troja's, und dieſe empörten407 die Fluth gegen die Schiffe und trieben ſie ans Land ge¬ gen das tückiſche Roß. Sie hätten beide zerſtört, wenn das Schickſal es geſtattet hätte. Unter den obern Göt¬ tern begann indeſſen der Kampf, und Mars ſtürzte der Minerva zum Kampf entgegen. Damit war das Zeichen des allgemeinen Streites gegeben, und die Götter warfen ſich gegenſeitig auf einander: bei jeder Bewegung klirrten die goldenen Rüſtungen und das Meer rauſchte mit ſeinen Wogen darein; unter den Füßen der Unſterblichen bebte die Erde und alle ſchrieen laut zuſammen, ſo daß der Schlachtruf der Götter bis zur Unterwelt hinabdrang und die Titanen im Tartarus davor erbebten. Es hatten aber die Himmliſchen ſich zum Kampf eine Zeit erſehen, wo Jupiter, der Vater der Götter und Menſchen, fern auf einer Reiſe an den Ocean begriffen war, wohin die Re¬ gierung der Erde ihn gerufen hatte. Doch ſeinem ſcharf¬ ſichtigen Geiſte entging auch aus der Ferne nichts von dem, was auf der Oberfläche des Erdbodens ſich ereignete. Und ſo wurde er kaum den Götterkampf inne, als er ſchnell von der Fluth des Oceans mit ſeinen geflügelten Wind¬ roſſen auf dem Donnerwagen, den Iris leitete, in den Olymp zurückkehrte und von dort aus ſeine Blitze unter die kämpfenden Götter warf. Da erbebten die Unſterb¬ lichen und hielten inne mit Kämpfen. Themis, die Göt¬ tin des Rechts, die allein dem Streite ferne geblieben war, trat ein unter die Götter und ſchied ſie von einan¬ der, indem ſie ihnen verkündigte, daß Jupiter die gänz¬ liche Vernichtung der Himmliſchen beſchloſſen hätte, wo¬ fern ſie nicht gehorchten. Jetzt ward den Göttern bange für ihre Unſterblichkeit, ſie unterdrückten die Erbitterung408 ihrer Herzen und kehrten zurück aus dem Kampfe, die einen zum Olymp, die andern in die Tiefe des Meers.

Das Pferd im griechiſchen Lager war indeſſen in vollkommene Bereitſchaft geſetzt und Odyſſeus erhub ſich in der Verſammlung der Helden. Jetzt gilt es, ſprach er, ihr Führer des Danaervolks! jetzt beweiſe es, wer wirklich durch Kraft und Muth hervorragt. Denn jetzt iſt's Zeit, in dem Bauche des Roſſes, der uns beherbergen wird, der dunkeln Zukunft entgegen zu gehen! Glaubet mir, es gehört mehr Muth dazu, in dieſen Schlupfwinkel zu kriechen, als dem Tode in offener Feldſchlacht zu tro¬ tzen! Darum, wer ſich am tapferſten fühlt, der entſchließe ſich zu dieſem Wageſtück. Die Andern mögen vorerſt nach Tenedos ſchiffen! Ein wackerer Jüngling aber bleibe in der Nähe des Pferdes und thue, wie ich gerathen habe. Wer will ſich dieſem Auftrag unterziehen?

Die Helden zögerten. Da trat ein tapferer Grieche, Namens Sinon, auf und ſprach: Sehet mich bereit, das verlangte Werk zu thun! Mögen mich die Trojaner mi߬ handeln, mögen ſie mich lebendig ins Feuer werfen: mein Entſchluß ſteht feſt! Die Völker jubelten ihm Beifall zu, und mancher alte Held ſprach bei ſich im Herzen: Wer iſt doch dieſer junge Menſch? Wir haben ſeinen Namen nie gehört; noch keine tapfre That hat ihn ausgezeichnet. Ihn treibt gewiß ein Dämon, entweder den Trojanern oder uns ſelbſt Verderben zu bringen! Neſtor aber erhub ſich und ſprach ermunternd zu den Danaern: Jetzt, liebe Kinder, bedarf es wackern Muthes, denn jetzt legen die Götter das Ziel zehenjähriger Mühſeligkeiten in unſre Hände: darum raſch hinein in den Bauch des Pferdes. Ich ſelbſt fühle noch die jugendliche Kraft in meinen409 Greiſengliedern, von der ich beſeelt war, als ich mit Ja¬ ſon das Argonautenſchiff beſteigen wollte, und es auch beſtiegen hätte, wenn ich nicht von dem Könige Pelias abgehalten worden wäre!

So rief der Greis und wollte ſich vor allen Andern durch die geöffnete Seitenthüre in den Bauch des hölzer¬ nen Roſſes ſchwingen, aber Neoptolemus, der Sohn des Achilles, beſchwor ihn, dieſe Ehre ihm, dem Jünglinge ab¬ zutreten, und ſeines Greiſenalters eingedenk, die Führung der übrigen Griechen nach der Inſel Tenedos zu über¬ nehmen. Mit Mühe ließ ſich Neſtor überreden, und nun ſtieg der Jüngling in voller Rüſtung zuerſt in die geräu¬ mige Höhle. An ihn ſchloſſen ſich Menelaus, Diomedes, Sthenelus und Odyſſeus, dann Philoktetes, Ajax, Ido¬ meneus, Meriones, Podalirius, Eurymachus, Antimachus, Agapenor, und ſo viele ſonſt noch der Bauch des Roſſes faſſen mochte. Zuletzt ſtieg der Verfertiger des Roſſes, Epëus ſelbſt, hinein. Dann zog er die Leitern zu ſich herauf in die Höhlung, verſchloß dieſelbe von innen feſt, und ſetzte ſich vor den Riegel; die Uebrigen harrten im Bauche des Roſſes in tiefem Schweigen, und ſaßen in dunkler Nacht zwiſchen Tod und Sieg.

Die andern Griechen aber, nachdem ſie die Zelte und alles Lagergeräthe in Brand geſteckt hatten, brachen, von Agamemnon dem Völkerfürſten und dem Könige Neſtor befehligt, mit den Schiffen auf und ſegelten der Inſel Tenedos zu. So war es von den Danaern beſtimmt worden, welche den beiden Helden nicht geſtattet hatten, ſich dem Pferde anzuvertrauen, dem erſten um ſeiner Würde, dem andern um ſeines Alters willen. Vor Tenedos410 warfen ſie die Anker aus, ſtiegen ans Land und ſahen mit ſehnendem Herzen dem Feuerzeichen entgegen.

Die Trojaner bemerkten es bald, wie am Helleſpont der Rauch in die Lüfte emporwirbelte, und als ſie von den Mauern aufmerkſamer nach dem Geſtade hinabſpäh¬ ten, waren auch die Schiffe der Griechen verſchwunden. Voll Freuden ſtrömten ſie in Schaaren dem Ufer zu; doch vergaßen ſie nicht, ſich in ihre Rüſtungen zu hüllen, denn ſie waren der Furcht noch nicht ganz los. Als ſie nun auf der Stelle des alten feindlichen Lagers das glatte hölzerne Pferd gewahr wurden, ſtellten ſie ſich ſtaunend rings um daſſelbe her, denn es war ein gar gewalti¬ ges Werk. Während ſie noch darüber ſtritten, was mit dem ſeltſamen Wunderdinge anzufangen ſey, und die Einen der Meinung waren, es in die Stadt zu ſchaffen und als Siegesdenkmal für alle Zukunft auf der Burg aufzuſtellen, die Andern das unheimliche Gaſtgeſchenk der Griechen in die See zu werfen oder zu verbrennen rie¬ then, eine Berathung, der die im Bauche des Pferdes eingeſchloſſenen griechiſchen Helden zu ihrer Qual zuhören mußten: da trat mit eiligen Schritten Laokoon, der troja¬ niſche Prieſter des Apollo, in die Mitte des gaffenden Volkes, und rief ſchon von weitem: Unſelige Mitbürger, welcher Wahnſinn treibt euch? Meinet ihr, die Griechen ſeyen wirklich davongeſchifft, oder eine Gabe der Danaer verberge keinen Betrug? Kennet ihr den Odyſſeus ſo? Entweder iſt irgend eine Gefahr in dem Roſſe verborgen, oder es iſt eine Kriegsmaſchine, die von den in der Nähe lauernden Feinden gegen unſre Stadt angetrieben werden wird! Was es aber auch ſeyn mag, trauet dem Thiere nicht! Mit dieſen Worten ſtieß er eine mächtige eiſerne411 Lanze, die er einem neben ihm ſtehenden Krieger entriß, in den Bauch der Maſchine. Der Speer zitterte im Holz und aus der Tiefe tönte ein Wiederhall wie aus einer Kellerhöhle. Aber der Geiſt der Trojaner blieb verblendet.

Während dieß vorging, zogen einige Hirten, welche die Neugierde dicht an das hölzerne Pferd herangelockt hatte, unter dem Bauche deſſelben den ſchlauen Sinon her¬ vor, und ſchleppten ihn, als einen gefangenen Griechen, vor den König Priamus, und bald ſammelte ſich das trojaniſche Kriegsvolk, das bisher um das Pferd herum¬ geſtanden hatte, um dieſes neue Schauſpiel. Er aber, waffenlos und zagend, ſpielte die Rolle, die ihm von Odyſ¬ ſeus aufgegeben war. Flehend ſtreckte er die Arme gen Himmel und dann wieder nach den Umſtehenden aus, und rief unter Schluchzen: Wehe mir, welchem Lande, wel¬ chem Meere ſoll ich mich anvertrauen, den die Griechen ausgeſtoßen haben und die Trojaner niedermetzeln wer¬ den! Dieſe Seufzer rührten die Jünglinge ſelbſt, die ihn anfangs als einen Feind gepackt und roh behandelt hatten. Alle Krieger traten theilnehmend herzu und hie¬ ßen ihn ſagen, wer und woher er ſey, auch guten Muthes ſeyn, wenn er nichts Feindliches im Schilde führe. Jener ließ die erheuchelte Furcht endlich fahren und ſprach: Ich bin ein Argiver, das will ich ja nicht läugnen; wenn Sinon auch unglücklich iſt, ſo ſoll er doch nicht zum Lüg¬ ner werden. Vielleicht habt ihr etwas von dem euböiſchen Fürſten Palamedes gehört, der von den Griechen auf Odyſſeus 'Anſtiften abſcheulicher Weiſe geſteinigt wurde, weil er den Feldzug gegen eure Stadt mißrieth: als ſein Verwandter zog ich in dieſen Krieg, arm und nach ſeinem Tod ohne Stütze. Und weil ich es wagte, mit Rache für412 die Ermordung meines Vetters zu drohen, zog ich den Haß des falſchen Laertiaden auf mich und wurde dieſen ganzen Krieg über von ihm geplagt. Auch ruhte er nicht, bis er mit dem lügneriſchen Seher Kalchas meinen Unter¬ gang verabredet hatte. Als nämlich meine Landsleute die oft beſchloſſene und wieder aufgehobene Flucht endlich ins Werk ſetzten, und dieſes hölzerne Pferd hier ſchon aufge¬ zimmert ſtand, ſchickten ſie den Eurypylus zu einem Orakel des Apollo, weil ſie am Himmel bedenkliche Wunder¬ zeichen beobachtet hatten. Dieſer brachte aus dem Heilig¬ thum des Gottes den traurigen Spruch mit: Ihr habt bei eurem Auszuge die empörten Winde mit dem Blut einer Jungfrau verſöhnt: mit Blut müßt ihr auch den Rückweg erkaufen und eine Griechenſeele opfern. Dem Kriegsvolke lief ein kalter Schauder durch die Gebeine, als es dieſes hörte. Da zog Odyſſeus den Propheten Kalchas mit großem Lärm in die Volksverſammlung und bat ihn, den Willen der Götter zu offenbaren. Fünf Tage lang ſchwieg der Betrüger und weigerte ſich heuch¬ leriſch, einen Griechen für den Tod zu bezeichnen. End¬ lich, wie gezwungen durch das Geſchrei des Odyſſeus, nennt er meinen Namen. Alle ſtimmten bei, denn jeder war froh, das Verderben von ſeinem eigenen Haupte ab¬ gewendet zu ſehen. Und ſchon war der Schreckenstag erſchienen, ich wurde zum Opfer ausgeſchmückt, mein Haupt mit den heiligen Binden umwunden, der Altar und das geſchrotene Korn in Bereitſchaft gehalten. Da zerriß ich meine Bande, entfloh und verſteckte mich, bis ſie abge¬ ſegelt waren, im Schilfrohr eines nahen Sumpfes. Dann kroch ich hervor und ſuchte ein Obdach unter dem Bauch ihres heiligen Roſſes. In mein Vaterland und zu meinen413 Landsleuten kann ich nicht zurückkehren. Ich bin in eurer Hand, und von euch hängt es ab, ob ihr mir großmüthig das Leben ſchenken, oder mir den Tod geben wollt, der mich von der Hand meiner eigenen Volksgenoſſen bedroht hat.

Die Trojaner waren gerührt, Priamus ſprach gütige Worte zu dem Heuchler, hieß ihn die argen Griechen vergeſſen, und verſprach ihm eine Zufluchtsſtätte in ſeiner Stadt, wenn er ihnen nur offenbaren wolle, was für eine Beſchaffenheit es mit dem hölzernen Roſſe habe, dem er ſo eben den Beinamen eines heiligen gegeben. Sinon hob ſeine, der Feſſeln entledigten Hände gen Himmel und betete mit trügeriſcher Andacht: Ihr Götter, denen ich ſchon geweiht war, du Altar und du verfluchtes Schwert, das mich bedrohte, ihr ſeyd mir Zeugen, daß die Bande, die mich an mein Volk bisher knüpften, zerriſſen ſind, und daß ich nicht frevle, wenn ich ihre Geheimniſſe auf¬ decke! Von jeher war alle Hoffnung der Danaer in die¬ ſem Kriege auf die Hülfe der Göttin Pallas Athene gebaut. Seitdem aber aus dem Tempel, den ſie bei euch zu Troja hat, ihr Bild, das Palladium, entwendet worden und zwar, was ihr Trojaner wohl zum erſtenmal erfahret, durch die Hände ſchlauer Griechen, ging Alles rückwärts, die Göttin war erzürnt, und das Glück hatte die Waffen der Da¬ naer verlaſſen. Da erklärte Kalchas, der Seher, auf der Stelle müßte man mit den Schiffen umkehren, um im Vaterlande ſelbſt neue Befehle der Götter einzuholen. Ehe das Palladium an ſeine Stelle zurückgebracht ſey, dürften ſie auf keinen glücklichen Ausgang des Feldzuges hoffen. Dieß bewog die Danaer, die Flucht zu beſchließen, welche ſie nun auch wirklich ausgeführt haben. Zuvor aber er¬ bauten ſie noch, auf den Rath ihres Propheten, dieſes414 hölzerne Rieſenpferd, das ſie als Weihgeſchenk für die beleidigte Göttin zurückließen, um ihren Zorn zu verſöh¬ nen. Dieſe Maſchine ließ Kalchas ſo unermeßlich in die Höhe bauen, wie ihr ſehet, damit ihr Trojaner ſie nicht durch eure Thore führen und in eure Stadt bringen könn¬ tet, weil auf dieſe Weiſe der Schutz der Minerva Euch zu Theil werden würde. Wenn hingegen eure Hand ſich an dem geheiligten Pferde, als einem Ueberbleibſel eurer Feinde, vergriffe dieß war es, was ſie zu hoffen wag¬ ten dann wäre euer und eurer Stadt Verderben gewiß. Und in dieſer Zuverſicht gedenken ſie in kurzer Friſt, ſobald ſie zu Argos die Götterbefehle vernommen, zurückzukehren, und hoffen, das Palladium der Göttin eurer eroberten Stadt zurückgeben zu können.

Das Lügengewebe war ſo wahrſcheinlich erſonnen, daß Priamus und alle Trojaner dem Betrüger Glauben ſchenkten. Minerva aber wachte über das Geſchick ihrer Freunde, die in dem Roſſe noch immer in banger Erwar¬ tung eingeſchloſſen ſaßen und ſeit der Warnung des Lao¬ koon in beſtändiger Todesangſt ſchwebten. Die Helden wurden aus dieſer Gefahr durch ein entſetzliches Wunder befreit. Eben jener Laokoon, der Prieſter des Apollo, hatte nach dem Tode des Neptunusprieſters auch dieſe Würde durchs Loos erhalten und opferte jetzt gerade am Meeresgeſtade dem Gott einen ſtattlichen Stier am Altare. Siehe, da kamen von der Inſel Tenedos aus durch die ſpiegelglatte Meerfluth zwei ungeheure Schlangen gerudert und nahmen ihren Weg nach dem Ufer: ihre Bruſt und die blutrothe Mähne ragten aus dem Waſſer hervor, der übrige Theil ihrer Leiber ringelte ſich unter den Fluthen fort. Die See plätſcherte unter ihrer Spur, und jetzt waren ſie am415 Lande, züngelten und ziſchten und ſahen ſich mit feurigen Augen um. Die Trojaner, die noch immer in Menge um das Roß herum ſtanden, wurden todtenblaß und ergriffen die Flucht, die Thiere aber nahmen ihre Rich¬ tung nach dem Uferaltare des Meergotts, wo Laokoon mit ſeinen zwei jungen Söhnen beim Opfer beſchäftiget war. Zuerſt wanden ſie ſich um die Leiber der beiden Knaben und bohrten ihren giftigen Zahn in ihr zartes Fleiſch. Als die Verwundeten laut aufſchrieen und der Vater ſelbſt ihnen mit gezogenem Schwerte zu Hülfe kommen wollte, ſchlangen ſie ſich mit mächtigen Windun¬ gen auch dieſem zwiefach um den Leib und überragten ihn bald mit ihren aufgerichteten Hälſen und ziſchenden Häup¬ tern. Seine Prieſterbinde trof von Eiter und Gift. Ver¬ gebens beſtrebte er ſich, die Schlingen mit ſeinen Händen loszumachen, und inzwiſchen entfloh der ſchon getroffene Stier blutig und brüllend vom Altar und ſchüttelte das Beil aus dem Nacken. Laokoon erlag mit ſeinen beiden Kindern den Schlangenbiſſen, und nun ſchlüpften die Thiere in langen Krümmungen dem hochragenden Tempel der Minerva zu und bargen ſich dort unter den Füßen und dem Schilde der Göttin.

Das Trojanervolk ſah in dieſem gräßlichen Ereigniß eine Beſtrafung der frevelhaften Zweifel ſeines Prieſters. Ein Theil eilte der Stadt zu und riß die Mauern nieder, um dem unheilvollen Gaſte den Weg zu bahnen, ein ande¬ rer fügte Räder an die Füße des Roſſes, wieder andere drehten gewaltige Seile aus Werg und warfen ſie dem hölzernen Rieſenthier um den Hals. Dann zogen ſie es im Triumphe nach der Stadt; Knaben und Mädchen, die Hand an die Seile gelegt, ſangen in Chören feierliche416 Hymnen dazu. Als die Maſchine über die erhöhten Thor¬ ſchwellen rollte, ſtockte viermal ihr Lauf und viermal dröhnte ihr Bauch wie von Erze. Aber die Trojaner wa¬ ren mit Blindheit geſchlagen, und führten das Unge¬ heuer jubelnd auf ihre heilige Burg. Mitten unter der Raſerei der öffentlichen Freude blieb nur das Gemüth und der Geiſtesblick der Seherin Kaſſandra, der gottbegabten Königstochter des trojaniſchen Hauſes, ungetrübt. Nie ſprach ſie ein Wort aus, das nicht erfüllt worden wäre. Aber ſie hatte das Unglück, niemals Glauben zu finden. So hatte ſie auch jetzt unheilvolle Zeichen am Himmel und in der Natur beobachtet, und ſtürzte mit flatternden Haa¬ ren, vom Geiſte der Weiſſagung getrieben, aus dem Königs¬ pallaſte hervor: ihre Augen ſtarrten in fieberiſcher Gluth, ihr Nacken wiegte ſich hin und her, wie ein Zweig im Windhauche, ſie holte einen tiefen Seufzer aus der Bruſt herauf und rief durch die Gaſſen der Stadt: Ihr Elen¬ den, ſehet ihr nicht, daß wir die Straße zum Hades hin¬ unterwandeln? daß wir am Rande des Verderbens ſtehen? Ich ſchaue die Stadt mit Feuer und Blut erfüllt, ich ſehe es aus dem Bauche des Roſſes hervorwallen, das ihr mit Jauchzen auf unſere Burg hinaufgeführt habt. Doch, ihr glaubet mir nicht, und wenn ich unzählige Worte ſpräche. Ihr ſeyd den Erinnyen geweiht, die Rache an euch neh¬ men wegen Helena's frevelhafter Ehe.

Wirklich wurde die weiſſagende Jungfrau nur ver¬ lacht oder geſchmäht, und hier und da ſprach einer der Begegnenden zu ihr: Hat dich denn die jungfräuliche Schaam ganz verlaſſen, Kaſſandra, biſt du ganz irre ge¬ worden in deinem Geiſte, daß du dich öffentlich auf den Straßen herumtreiben magſt, und nicht ſieheſt, wie die417 Menſchen dich verachten, thörichte Schwätzerin? Kehre zurück in dein Haus, daß dich nicht Schlimmes treffe!

Die Zerſtörung Troja's.

Die Trojaner überließen ſich die halbe Nacht hindurch der Freude bei Schmaus und Gelage; Syringen und Flöten ertönten, Tanz und Geſang lärmten rings um her und dazwiſchen die bunt durcheinander ſchallenden Stimmen der Schmauſenden. Die Becher wurden einmal über das andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden Händen erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu ſtammeln anfingen und ihr Geiſt in dumpfe Betäubung verſank. Endlich lagen ſie Alle in tiefem Schlafe begraben, und die Mitternacht war herangekommen. Jetzt erhub ſich Sinon, der mit andern Trojanern im Freien geſchmauſt und ſich zuletzt ſchlafend geſtellt hatte, von ſeinem Polſter, ſchlich hinaus zu den Thoren, zündete eine Fackel an und ließ, dem Strande und der Inſel Tenedos zugekehrt, den Schiffen der Griechen zum verabredeten Zeichen, ihren lodernden Brand in die Lüfte wehen. Dann löſchte er ſie wieder, ſchlich ſich zu dem Pferde hin und pochte leiſe an den hohlen Bauch, wie ihn Odyſſeus geheißen hatte. Die Helden vernahmen den Laut; alle aber kehrten ihre Häupter lau¬ ſchend dem Odyſſeus zu: dieſer ermahnte ſie, leiſe und mit aller möglichen Vorſicht auszuſteigen; er hielt die Un¬ geduldigſten zurück, öffnete ganz leiſe, nach dem Rathe des Epëus, den Riegel der Thüre, ſtreckte den Kopf ein wenig hinaus, und ſandte ſeine ſpähenden Blicke27 Schwab, das klaſſ. Alterthum. ll. 418allenthalben umher, ob nicht einer der Trojaner erwacht ſey. Dann, wie ein heißhungriger Wolf mit aller Vorſicht zwiſchen Hirten und Hunden hindurch in den Pferch ſchleicht, ſtieg er die Sproſſen der Leiter herab, die Epëus zugleich mit dem Pferde verfertigt und jetzt herunter gelaſſen hatte, und ein Held um den andern folgte ihm mit klopfendem Herzen. Als die Höhlung des Roſſes ſich ganz entleert hatte, ſchüttelten ſie ihre Lanzen, zogen ihre Schwerter, und verbreiteten ſich durch die Straßen und in die Häuſer der Stadt. Ein gräßliches Gemetzel entſtand unter den ſchlaftrunkenen und berauſchten Trojanern; Feuerbrände wurden in ihre Wohnungen geſchleudert und bald loder¬ ten die Dächer über ihren Häuptern. Zu gleicher Zeit trieb ein günſtiger Fahrwind die Flotte der Griechen, die auf Sinons Fackelzeichen von Tenedos aufgebrochen war, in den Hafen des Helleſpontes, und bald ſtürzte ſich das ganze Heer der Danaer durch die breite Mauerlücke, durch welche Tags zuvor das Roß hereingezogen worden war, in die Stadt, von Kampfbegierde ſchnaubend. Jetzt erſt erfüllte ſich die eroberte Stadt recht mit Trümmern und Leichnamen, Halbtodte und Verſtümmelte krochen zwiſchen den Leichen umher, nur hier und dort ward noch einem aufrecht Fliehenden die Lanze in den Rücken geſtoßen. Das winſelnde Heulen geängſteter Hunde ſcholl in den Straßen und miſchte ſich ins Stöhnen der Verwundeten und in die Wehklage der jammernden Frauen und un¬ mündigen Kinder.

Doch war der Kampf für die Griechen ſelbſt auch nicht unblutig, denn obgleich die meiſten Feinde waffenlos waren, ſo wehrten ſie ſich doch ſo gut ſie konnten. Die Einen ſchleuderten Becher, die Andern Tiſche, noch419 Andere friſch von dem Herde genommene Feuerbrände auf die eingedrungenen Danaer; Andere waffneten ſich mit Bratſpießen, Beilen und Streitäxten, was ihnen gerade unter die Hände kam; und ſo ſtießen die Griechen ſelbſt, während ſie mit Feuer und Schwert in der Stadt wüthe¬ ten, auf genug Todte und Sterbende der Ihrigen. Manche zerſchmetterte auch ein Steinwurf von den Dächern, An¬ dere wurden von den Flammen der brennenden Häuſer ergriffen, oder von zuſammenſtürzenden zerſchmettert. Und als ſie endlich die Burg des Priamus ſelbſt ſtürmten, in welche ſich viele Trojaner geflüchtet, und wo ſich dieſe mit Rüſtungen, Lanzen und Schwertern verſehen hatten, kamen ihrer Viele im ordentlichen Kampfe durch die Hand der Feinde, die ſich verzweifelt vertheidigten, ums Leben.

Während des Kampfes wurde es in der Stadt mitten in der Nacht immer heller, denn der wachſende Brand der Häuſer und Palläſte und die vielen Fackeln, die hier und dort von den Achivern geſchwungen wurden, leuchteten dem Kampfe; dadurch wurde aber auch dieſer immer ſiche¬ rer und erbitterter, denn die Sieger fürchteten jetzt nicht mehr, den befreundeten Mann mit dem Feinde zu ver¬ wechſeln, und nun traf ihr Racheſchwert erſt recht mit Auswahl die edelſten Helden der Trojaner. Diomedes ſchlug zum Tode den Koröbus, den Sohn des gewaltigen Mygdon, indem er ihm die Lanze in den Schlund ſtieß; dann den Eidam des greiſen Trojaners Antenor, den gewalti¬ gen Speerſchwinger Eurydamas. Hierauf kam ihm Ilio¬ neus, einer der älteſten Troer, entgegen; dieſer ſank vor dem gezückten Schwerte des griechiſchen Helden in die Kniee, und mit der einen Hand ſein eigenes Schwert emporhebend, mit der andern das Knie des Siegers27 *420umfaſſend, rief er mit bebender Stimme: Wer du auch ſeyeſt von den Achivern; laß von deinem Zorne! Kann ja dem Manne nur der Sieg über den Jüngeren, Kräftigeren Ruhm bringen! Darum, ſo gewiß du ſelbſt dereinſt ein Greis werden willſt, ſchone des Greiſen! Einen Augen¬ blick hielt Diomedes ſein Schwert zurück und beſann ſich, dann aber ſtieß er es dem Gegner in die Kehle, mit den Worten: Freilich hoffe auch ich mich des Alters zu freuen; jetzt aber brauche ich meine Kraft und ſende alle meine Feinde zum Hades! So ging er hin und erſchlug noch einen nach dem andern. Auf gleiche Weiſe wütheten Ajax der Lokrer und Idomeneus. Neoptolemus aber ſuchte ſich die Söhne des Priamus aus und tödtete ihrer drei, dazu den Agenor, der einſt mit ſeinem Vater Achilles den Kampf gewagt hatte. Endlich ſtieß er auf den König Priamus ſelbſt, der an einem unter freiem Himmel errichteten Al¬ tare Jupiters in Gebeten lag. Gierig zückte Neoptolemus ſein Schwert und Priamus blickte ihm furchtlos ins Auge: Tödte mich, rief er, Kind des tapfern Achilles; nach¬ dem ich ſo vieles ertragen, und faſt alle meine Kinder ſterben ſah, wie möchte ich länger das Licht der Sonne ſchauen? O hätte mich ſchon dein Vater getödtet! So labe denn du dein muthiges Herz an mir, und entrücke mich allem Jammer! Greis, erwiederte Neoptole¬ mus, du ermahneſt mich zu dem, wozu mich mein eigenes Herz antreibt! Und damit trennte er leicht das Haupt des ergrauten Greiſes vom Rumpfe, wie ein Schnitter in der Sommerhitze die Aehre auf dem trockenen Saatfelde abmäht: es rollte zu Boden weit hin und der Rumpf lag mit andern trojaniſchen Leichen vermiſcht. Grauſamer noch verfuhren die gemeinen Krieger des griechiſchen421 Heeres; ſie hatten im Pallaſte des Königs den Aſtyanax auf¬ gefunden, Hektors zarten Sohn, riſſen ihn aus den Armen der Mutter und ſchleuderten ihn, aus Haß gegen Hektor und ſein Geſchlecht, von der Zinne eines Thurmes hinab. Als er der Mutter entriſſen wurde, rief dieſe den Räu¬ bern entgegen: Warum ſtürzet ihr nicht auch mich von der ſchrecklichen Mauer herab, oder in die lodernden Flam¬ men? Seit mir Achilles den Gatten getödtet, lebte ich nur noch in unſerm Kinde; befreit auch mich von der Qual eines längeren Lebens! Aber die Mörder erhörten ſie nicht und gingen davon.

So fand ſich der Tod bald in dieſem Hauſe ein, bald in jenem, und nur ein einziges verſchonte er. Dieß war die Wohnung des greiſen Trojaners Antenor, der einſt den Menelaus und Odyſſeus, als ſie nach Troja gekom¬ men waren, am Leben erhalten und gaſtfreundlich bewir¬ thet hatte. Dafür ſchenkten ihm jetzt die Danaer dankbar Leben und Beſitzthum.

Aeneas, der herrliche Held, der jüngſt noch mit un¬ verwüſtlicher Kraft beim Sturme der Stadt von den Mauern herab gekämpft hatte, als er die Stadt brennen ſah, und nach langer, vergeblicher Gegenwehr dem Feinde, den er auch jetzt ſeinen Sieg theuer bezahlen ließ, weichen mußte, handelte, wie ein muthiger Schiffer im Sturm, der, nachdem er das Schiff lange gelenkt, endlich das hoffnungslos Verlorene den Wellen überläßt, und ſich in ein Boot rettet. Er nahm den Vater Anchiſes auf die breiten Schultern, ſeinen Sohn Askanius an die Hand, und eilte davon. Der Knabe drängte ſich dicht an den Vater und ſtreifte mit den Füßen kaum die Erde; Aeneas aber ſprang mit ſchnellem Fuß über unzählige Leichen422 hinweg, indem er den Sohn auf dem beſſeren Wege leitete; und Venus, ſeine Mutter, war mit ihm: denn wohin er ſeinen Fuß ſetzte, wichen ihm die Flammen aus, die Rauchwolken zertheilten ſich, Pfeile und Wurfſpieße, welche die Danaer gegen ihn ſchleuderten, fielen ohne zu treffen auf die Erde nieder.

An andern Stellen raste der Mord. Menelaus fand vor den Gemächern ſeiner treuloſen Gemahlin Helena den Dëiphobus, den Sohn des Priamus, der ſeit Hektors Tode die Stütze des Hauſes und Volkes war, und welchem, nach dem Tode des Paris, Helena als Gemahlin zu Theile geworden war, noch in die Betäubung des nächt¬ lichen Freudengelages verſenkt. Bei ſeiner Annäherung taumelte dieſer vom Boden auf und flüchtete in die Gänge des Pallaſtes. Menelaus aber ereilte ihn, und ſtieß ihm den Speer in den Nacken. Stirb du vor der Thüre meiner Gattin, rief er mit donnernder Stimme: hätte doch meine Lanze den Unheilſtifter, den Paris, alſo getroffen! Nun iſt dieſer ſchon längſt geſchlachtet; und du ſollteſt dich meiner Gattin erfreuen, du Frevler? Wiſſe, daß kein Verbrecher dem Arme der Themis, der Göttin der Gerechtigkeit, entgeht! So ſprechend, ſtieß Menelaus den Leichnam auf die Seite, und ging hin, den Pallaſt zu durchforſchen, denn ſein Herz, von widerſtreitenden Empfindungen bewegt, begehrte nach Helena, ſeiner Ge¬ mahlin. Dieſe hielt ſich, vor dem Zorn ihres rechtmäßi¬ gen Gatten zitternd, in einem dunkeln Winkel des Hauſes verborgen, und erſt ſpät gelang es ihm, ſie zu entdecken. Bei ihrem erſten Anblicke trieb ihn die Eiferſucht, ſie zu ermorden: aber Venus hatte ſie mit holdem Liebreize ge¬ ſchmückt, ſtieß ihm das Schwert aus der Hand, verſcheuchte423 den Grimm aus ſeiner Bruſt und erweckte in ſeinem Her¬ zen die alte Liebe. Es war ihm unmöglich, bei dem An¬ blicke ihrer überirdiſchen Schönheit das Schwert auf's Neue zu erheben; die Stärke brach ihm zuſammen, und einen Augenblick vergaß er Alles, was ſie verſchuldet hatte. Da hörte er die den Pallaſt durchtobenden Argiver hinter ſich, und ein Gefühl der Schaam ergriff ihn, indem er bedachte, daß er vor ſeinem treuloſen Weibe nicht wie ein Rächer, ſondern wie ein Sklave daſtehe. Wider Wil¬ len raffte er das Schwert, das er auf die Erde geworfen, wieder auf, bezwang ſeine Neigung, und drang von Neuem auf die Gattin ein. Doch im Herzen war es ihm nicht Ernſt, und willkommen erſchien ihm daher ſein Bruder Agamemnon, der, plötzlich hinter ihm ſtehend, die Hand auf ſeine Schulter legte, und ihm zurief: Laß ab, lieber Bruder Menelaus! es ziemt ſich nicht, daß du dein eheliches Weib, um welches wir ſo viele Leiden erduldet haben, erſchlageſt! Laſtet doch die Schuld weniger auf Helena, wie mir däucht, als auf Paris, welcher ſo ſchnöde das Gaſtrecht gebrochen hat. Dieſer aber, ſein ganzes Geſchlecht, ſein ganzes Volk ſind ja jetzt beſtraft und vernichtet! So ſprach Agamemnon, und Menelaus gehorchte ihm zögernd, aber mit Freuden.

Während dieß auf Erden vorging, beklagten die Un¬ ſterblichen, in dunkle Wolken eingehüllt, den Fall Troja's. Nur Juno, die Todfeindin der Trojaner, und Thetis, die Mutter des frühe dahingeſunkenen Achilles, jauchzten im Herzen vor Luſt auf. Pallas Athene ſelbſt, der doch durch Troja's Untergang ihr Wille geſchehen war, konnte ſich der Thränen nicht enthalten, als ſie ſah, wie Ajax, der wilde Sohn des Oïleus, in ihrem Heiligthum es wagte,424 die fromme Kaſſandra, ihre Prieſterin, die ſich in Athene's Tempel geflüchtet hatte, und ihre Bildſäule ſchutzflehend umarmt hielt, mit rohen Händen anzutaſten und ſie an den Haaren zerrend herauszuſchleppen. Zwar durfte die Göttin die Tochter ihrer Feinde nicht unterſtützen; aber die Wangen glühten ihr vor Schaam und vor Zorn; ihr Bildniß gab einen Ton, der Boden ihres Heiligthums dröhnte und den Blick vom Frevel abgekehrt, ſchwur ſie in ihrem Herzen, die Frevelthat zu rächen.

Lange noch dauerte der Brand und das Gemetzel. Die Flammenſäule Troja's ſtieg hoch in den Aether hinauf und verkündete den Untergang der Stadt den Bewohnern der Inſeln und den Schiffen, die hin und her das Meer beſegelten.

Menelaus und Helena. Polyxena.

Bis zum Morgen waren ſämmtliche Bewohner der Stadt niedergemacht oder gefangen. Die Danaer fanden nirgends mehr Widerſtand, konnten ſich der unermeßlichen Schätze der Stadt nach Behagen bemächtigen und brachten ihre Beute, aus Gold, Silber, Edelgeſteinen, mannich¬ faltigem Hausrath, gefangenen Weibern, Mädchen und Kindern beſtehend, an den Strand zu ihren Schiffen. Mitten unter dieſer Schaar führte Menelaus ſeine Ge¬ mahlin Helena, nicht ohne Schaam, und doch im Herzen zufrieden über ihren wiedererlangten Beſitz, aus dem bren¬ nenden Troja hinweg. Ihm zur Seite ging Agamemnon, ſein Bruder, mit der hohen Kaſſandra, die er den wilden425 Armen des Ajax entriſſen hatte; Hektors Gattin, Andro¬ mache, wurde vom Sohne des Achilles, Neoptolemus, fortgeführt; Hekuba, die Königin, die mühſelig wandelte und unter lautem Jammer ihr graues, mit Aſche beſtreu¬ tes Haar ausraufte, ſchleppte Odyſſeus in die Gefangen¬ ſchaft. Unzählige Frauen der Trojaner folgten, junge und alte, hinter ihnen Mädchen und Kinder, und vermiſcht gingen die Mägde mit den Fürſtentöchtern: den ganzen Weg entlang hallte Jammer und Schluchzen. Nur Helena ſtimmte nicht mit ein in die Klage, denn tiefes Schaam¬ gefühl hielt ſie ab; ſie heftete die dunkeln Augen auf den Boden, und ihre Wangen färbte ein fliegendes Roth. Im Innerſten ihres Buſens aber bebte ihr das Herz und eine entſetzliche Furcht ergriff ſie, wenn ſie an das Schick¬ ſal dachte, das ihrer bei den Schiffen wartete; Todesbläſſe überzog ihre eben noch purpurrothen Wangen, ſchnell zog ſie den dichten Schleier über das Haupt und wandelte zit¬ ternd an der Hand des Gatten.

Aber als ſie bei den Schiffen angelangt waren, ſtaun¬ ten alle Danaer über die liebliche Schönheit der untadel¬ haften Geſtalt, und ſagten bei ſich ſelbſt, daß es wohl der Mühe werth geweſen ſey, dem Völkerhirten Menelans um eines ſolchen Kampfpreiſes willen vor Troja zu folgen, und dort zehnjährige Mühſeligkeiten und Gefahren auszu¬ halten. Und Keinem kam in den Sinn, Hand an das ſchöne Weib zu legen: ſie ließen ihrem Führer den fried¬ lichen Beſitz der Gattin, und das Herz des Fürſten Me¬ nelaus ſelbſt hatte Aphrodite längſt zur Verzeihung geſtimmt.

Bei den Schiffen herrſchte jauchzende Luſt: alle Helden ſaßen beim fröhlichen Mahle umher, in der Mitte ſaß ein des Cytherſpiels kundiger Sänger, und rief426 dem Heere die Thaten ſeines größten Helden, des Achilles, in das Gedächtniß zurück. So dauerte die Fröhlichkeit bis in die Nacht; dann brachen ſie auf, ein Jeglicher in ſein Zelt.

Als nun Helena mit ihrem Gemahl Menelaus allein in ſeinem Feldherrnzelte war, warf ſie ſich ihm zu Füßen, umfaßte ſeine Kniee und ſprach: Ich weiß wohl, daß du ein Recht hätteſt, deine treuloſe Gattin mit dem Tode zu beſtrafen! Aber bedenke, edler Gemahl, daß ich deinen Pallaſt zu Sparta nicht freiwillig verlaſſen habe; gewalt¬ ſam entführte mich der trügeriſche Paris, als du eben ab¬ weſend von Hauſe wareſt und mir deinen männlichen Schutz nicht angedeihen laſſen konnteſt. Und als ich ſelbſt Hand an mich zu legen gedachte, und den Strick um mei¬ nen Hals zu winden, oder mir das Schwert in den Buſen zu ſtoßen, da hielten mich die Dienerinnen des Hauſes zurück, und beſchworen mich, deiner ſelbſt und unſeres blühenden kleinen Töchterleins eingedenk zu ſeyn! Thue nun nach deinem Willen mit mir; ich liege als Reumü¬ thige und Schutzflehende zugleich zu deinen Füßen!

Menelaus hob ſie liebreich vom Boden auf und ant¬ wortete mit verſtändiger Mäßigung: Denke nicht länger an das Vergangene, Helena, und ängſtige dich nicht mit überflüſſiger Furcht: was geſchehen iſt, ſey in die Nacht der Vergangenheit verſenkt, und keines früheren Fehlers hinfort von mir gedacht. Damit ſchloß er ſie in ſeine Arme und drückte ihren Lippen den Kuß der Verſöhnung auf. Aus beider Wimpern rollte die Thräne ſüßer und wehmüthiger Rührung.

Neoptolemus, der Sohn des Achilles, lag um dieſe Stunde ſchon in tiefem Schlafe. Da trat zu ihm im Traume an ſein Zeltlager der Geiſt ſeines hohen Vaters,427 ganz, wie er einſt im Leben war, der Schrecken der Trojaner und die Freude der Griechen, küßte dem Sohne Bruſt, Mund und Augen, und ſprach: Gräme dich nicht im Gemüthe, lieber Sohn, daß ich geſtorben bin, denn ich lebe jetzt in der Gemeinſchaft mit den ſeligen Göttern, ſondern nimm dir fröhlich deinen Vater zum Beiſpiel im Kampfe wie im Rath: im Kampf ſey immer der Erſte; in der Rathsverſammlung aber ſchäme dich nicht, den weiſen Worten älterer Männer dich nachgiebig zu zeigen. Im Uebrigen ſtrebe dem Ruhme nach, wie dein Vater gethan, freue dich des Glückes und betrübe dich nicht zu ſehr im Unglück; an meinem frühen Fall aber erkenne, wie nahe die Pforten des Todes dem Sterblichen ſind; denn das ganze Menſchengeſchlecht gleicht den Frühlings¬ blumen; die Einen wachſen, die Andern vergehen. Nun aber ſage dem Völkerfürſten Agamemnon, ſie ſollen das Beſte und Edelſte von der ganzen Beute mir opfern, da¬ mit mein Herz ſich auch am Untergange Troja's laben könne, und zu meiner Zufriedenheit im Olymp nichts fehle!

Nachdem er ſeinem Sohne dieſen Befehl ertheilt hatte, verſchwand der ſelige Geiſt aus dem Traume des Neopto¬ lemus wie ein flüchtiger Hauch des Windes. Dieſer er¬ wachte und ſeinem freudig bewegten Gemüthe war, als hätte er mit dem lebendigen Vater fröhlichen Umgang gepflogen. Am andern Morgen ſprangen die Danaer un¬ geduldig von ihrem Lager auf, denn die Sehnſucht nach der Heimkehr bemächtigte ſich ihres Sinnes, und gerne hätten ſie Augenblicks die Schiffe ins Meer gezogen, wenn der Sohn des Peliden nicht unter das verſammelte Volk getreten wäre, und ihren Eifer durch ſeine Anrede gehemmt hätte.

428

Höre, Volk der Danaer, rief er mit ſeiner jugend¬ lichen Kraftſtimme, was in dieſer Nacht der Geiſt meines unſterblichen Vaters, der mich im Traume beſucht hat, mir aufgetragen, euch zu verkündigen: Ihr ſollet das Edelſte und Beſte der trojaniſchen Beute ihm opfern, damit ſich ſein Herz am Untergange der verhaßten Stadt auch ſättigen könne, und er des Siegerpreiſes nicht ver¬ luſtig gehe. Eher ſollt ihr dieſen Strand nicht verlaſſen, bis ihr die heilige Pflicht gegen den Todten erfüllt habt, dem ihr doch eigentlich die Eroberung Troja's verdanket. Denn ohne daß Hektor beſiegt worden, wäret ihr nimmer¬ mehr ſo weit gekommen!

Ehrerbietig beſchloſſen die Danaer, den Willen ihres verſtorbenen Helden zu befolgen, und Neptunus, aus Liebe zu dem Peliden, regte die Fluth zu mächtigem Sturme auf, ſo daß das Meer in thurmhohen Wellen aufbrauste, und die Griechen, auch wenn ſie es gewollt hätten, nicht im Stande geweſen wären, den Strand zu verlaſſen. Als die Völker aber die empörte See erblickten und ſtür¬ men hörten, da flüſterten ſie ſich gegenſeitig zu: Ja, wahrhaftig ſtammte Achilles vom höchſten Jupiter ab: denn ſehet ihr, wie ſich die Elemente mit ſeinen Befehlen verbünden! Und ſo zeigten ſie ſich nur noch williger, dem Gebote des Hingeſchiedenen zu gehorchen, und ſtröm¬ ten zu Haufen dem Grabmale des Helden, das den Mee¬ resſtrand hoch überragte, zu.

Nun entſtand aber die Frage: was ſoll geopfert werden, und was iſt das Beſte und Edelſte der ganzen Beute Troja's? Jeder Grieche brachte unweigerlich ſeine Beute an Schätzen und Gefangenen herbei. Als man aber Alles muſterte, da erbleichte Gold, Silber, Edelſtein429 ſammt allen Schätzen vor der himmliſchen Schönheit der Jung¬ frau Polyxena, der gefangenen Tochter des Königes Pria¬ mus, und nur Ein Ruf ging durch das ganze Heer der Griechen, daß ſie das Beſte und Edelſte von der ganzen trojaniſchen Beute ſey. Die Jungfrau, als Aller Blicke ſich auf ſie richteten, erbleichte nicht, obgleich ihr der laute Jammerſchrei ihrer Mutter Hekuba, der ſich jetzt aus dem Haufen der Gefangenen erhob, durch das Tochterherz ſchnitt. Polyxena hatte den herrlichen Helden Achilles manchesmal von den Mauern herab im Kampfe erblickt, und obgleich er ein Feind ihres Volkes war, ſo hatte ſeine göttliche Geſtalt und ſeine herrliche Heldenkraft ihr doch das In¬ nerſte bewegt. Ja, auch Achilles, ſo ging die Sage, habe, als er einſt im Kampfe bis dicht vor die Thore der bela¬ gerten Stadt gedrungen, die holdſelige Jungfrau auf den Zinnen der Mauer erblickt, und ihm ſey das Herz in Nei¬ gung zu ihr entbrannt, daß er ausrief: Priamus Tochter, würdeſt du mir zu Theile, wer weiß, ob ich deinem Vater nicht den Frieden mit den Danaern zu Wege zu bringen mich anheiſchig machen wollte! Zwar reute den Helden das Wort, ſo wie es der Zunge entflohen war: denn ihm fiel ein, was er Griechenland ſchuldig ſey. Aber Polyxena, ſo erzählte das Gerücht, habe die Worte ſich tief ins Herz gefaßt, und ſeitdem in geheimer Liebe für den Feind ihres Volkes gebrannt.

Sey dem, wie ihm ſey: die Jungfrau erblaßte nicht, als Aller Blicke, auf ſie gerichtet, nur ſie als das Opfer bezeichneten, das als der edelſte Theil der trojaniſchen Beute dem größten Helden dargebracht zu werden allein würdig wäre. Der Altar vor dem Denkmale des Peliden ſtand aufgerichtet, und es fehlte nicht an Opfergeräthen430 aller Art. Da ſprang die Königstochter aus der Schaar der gefangenen Frauen hervor, ergriff einen ſcharfgeſchliffenen Stahl, der unter den andern Geräth¬ ſchaften bereit lag, und, wie ein Opfer vor dem Altare ſtehend, ſtieß ſie ſich den Dolch, ohne ein Wort zu ſpre¬ chen, ins Herz, und ſank, ohne einen Seufzer aus der Bruſt, zu Boden.

Ein Schrei der Wehklage ließ ſich aus dem ganzen Argiverheere vernehmen. Hekuba, die greiſe Königin, warf ſich laut weinend auf die Leiche der Tochter, und von Neuem hallte das laute Schluchzen unter der Schaar der gefangenen Trojanerinnen.

In dem Augenblicke, wo Polyxena zuſammenſank und der purpurne Blutſtrahl ihr aus der durchbohrten Bruſt drang, wurde das Meer ruhig, und ſeine Wellen ebneten ſich in ſpiegelglatte Fläche. Neoptolemus eilte voll Mit¬ leid herbei, half die geopferte Jungfrau vom Altare weg¬ bringen, und ſorgte dafür, daß ſie mit königlichen Ehren beſtattet wurde. In der Verſammlung der Argiver aber erhub ſich Neſtor und ſprach herzerfreuende Worte: End¬ lich, rief der Greis, ihr lieben Landsleute, iſt die er¬ laubte Stunde der Heimkehr genaht; der Beherrſcher des Meeres hat die Wogen gebändigt, nirgendsher erhebt ſich die Fluth; Achilles iſt zufrieden geſtellt; er nimmt das Opfer Polyxena's an. Auf denn, laſſet uns ernſtlich an den Aufbruch denken, und ziehet die Schiffe ins Meer!

431

Abfahrt von Troja. Ajax des Lokrers Tod.

Es geſchah unter Jubelruf, wie Neſtor gerathen hatte; die Schiffe wurden fertig gemacht, ſämmtliche Güter an Bord gebracht, die Gefangenen zuerſt, weinend und weh¬ klagend, eingeſchifft, alsdann folgten die Danaer ſelbſt. Nur der Seher Kalchas ſchloß ſich ihnen nicht an, er¬ mahnte ſie vielmehr, die Fahrt noch nicht zu beginnen, denn ſein wahrſagender Geiſt ließ ihn ein großes Un¬ heil ahnen, das die Griechen an den kaphariſchen Fel¬ ſen bedrohe, welche ein Vorgebirge der Inſel Euböa umgaben, an dem die Flotte auf ihrer Heimkehr nach Griechenland vorüberſegeln mußte. Aber ihm folgte Kei¬ ner; das Verlangen nach der ſüßen Heimath hatte alle Herzen bethört; endlich zog Amphilochus, der Sohn des berühmten Sehers Amphiaraus, den der Boden vor Thebe verſchlungen hatte, den Fuß, den er ſchon ins Schiff ge¬ ſetzt hatte, zurück. In ſeinem Geiſte dämmerte die Se¬ hergabe ſeines Vaters auf, und er wurde ſich gleicher Ahnung bewußt, wie Kalchas. So blieb er bei dieſem zurück. Ihnen beiden war vom Schickſal beſtimmt, das griechiſche Heimathland nicht wieder zu erblicken, ſondern ſie ſollten in den ciliciſchen und pamphyliſchen Städten Kleinaſiens ſich ihre Wohnſitze gründen.

Alle andern Achiver lösten indeſſen die Taue, mit welchen die Schiffe ans Land gebunden waren, und hoben eilig die Anker empor. Bald umſpülte das freie Meer die Dahinſegelnden. Auf den Vordertheilen der Schiffe lagen überall Waffen erſchlagener Feinde; unzählige Siegeszeichen432 hingen von den Maſten herab; die Schiffe ſelbſt waren bekränzt; Kränze hatten ſich die Sieger um Schilde, Lanzen und Helme geflochten; ſo ſtanden ſie auf den Vorderver¬ decken und goſſen Trankopfer goldenen Weines ins Meer, indem ſie voll Inbrunſt zu den Göttern um eine Zurück¬ kunft flehten, mit der ihnen kein Unheil verbunden wäre. Aber ihr Gebet war nichtig; Luſt und Winde trugen es fort von den Schiffen, und zerſtreuten es in die Lüfte, bevor es ſich in den Olymp emporſchwingen konnte.

Wie die Helden nun voll Hoffnung und Sehnſucht vorwärts blickten, ſo ſchauten die gefangenen trojaniſchen Frauen und Jungfrauen mit bekümmertem Herzen rückwärts nach dem rauchenden Troja und verſtohlener Weiſe ſeufz¬ ten und weinten ſie den verhaltenen Schmerz aus. Die Mädchen hatten die Hände in den Schooß gefaltet, die jungen Frauen hielten Kinder in den Armen. Dieſe aber dachten nur an die Mutterbruſt und fühlten ihr Unglück noch nicht. In der Mitte anderer Gefangenen ſtand Caſ¬ ſandra, und ihr edler Wuchs ragte hoch über die Andern hervor. Aber ihr Auge war thränenlos und ſie ſpottete der Klage, die rings um ſie her ertönte, denn jetzt war geſchehen, was ſie geweiſſagt hatte, und worüber ſie von den Jammernden verlacht worden war. Nun höhnte wohl ihr Mund die Mitgefangenen, aber ihr Herz blutete heimlich über dem Unglücke der zerſtörten Vaterſtadt.

Unter den Trümmern Troja's irrten wenig übrig¬ gebliebene Einwohner, ſchwache Greiſe oder verwundete Männer, Antenor an ihrer Spitze, einher. Dieſer führte ſie zu dem ſchmerzlichen Werke der Leichenbeſtattung an, das nur langſam vor ſich ging, denn der Todten waren ſo viele und der Lebenden nur wenige. Dieſe Wenigen433 bauten an einem unermeßlichen Holzſtoße, und als er fer¬ tig war, legten ſie alle Leichen der Ihrigen mit einander darauf und zündeten den Scheiterhaufen unter Thränen und Wehklagen an. Die Danaer hatten indeſſen bald das Grabmal des Achilles und die trojaniſche Küſte im Rücken. Obwohl ſie aber immer fröhlicheren Muthes wurden, miſchte ſich doch auch die Wehmuth in ihre Freude, wenn ſie an die vielen gefallenen Freunde dachten. Eine Küſte und eine Inſel um die andere flog an ihrem Blicke vorüber: Tenedos, Chryſa, das Orakel des Phöbus, die heilige Cilla, Lesbos die Inſel, das Vorgebirge Lektos, endlich der äußerſte Vorſprung des Vorgebirges. Die Winde ſauſten in die Segel, die Fluth rauſchte, ſchwarz rollten die Wellen daher und weiß dehnte ſich über das Meer hin ihr ſchäumender Pfad, wenn ſie an den Schiffen ſich gebrochen hatten.

Die Sieger hätten auch wirklich die Küſte Griechenlands glücklich erreicht, wenn nicht Pallas Athene über der Unthat des Lokrers Ajax ihnen gegrollt hätte. Als ſie nun an die ſtürmiſche Küſte von Euböa gelangt waren, ſann die Göttin darauf, dem Sohne des Oïleus ein trauriges, unbarm¬ herziges Loos zu bereiten. Sie hatte dem Göttervater im Olymp den Frevel geklagt, den er in ihrem eigenen Tem¬ pel an ihrer Prieſterin Caſſandra begangen hatte, und begehrte Rache an dem Verbrecher zu nehmen. Und Ju¬ piter, der Verwalter der Gerechtigkeit auf Erden, ſetzte ſich ihren Wünſchen nicht entgegen; er legte vielmehr neben die Jungfrau die friſcheſten Donnerkeile der Cyklopen, die eben aus der Eſſe gekommen waren, und erlaubte ſeiner Tochter, den Griechen einen verderblichen Sturm zu erregen. Alsbald waffnete ſich Minerva, legte den ſchimmerndenSchwab, das klaſſ. Alterthum. II. 28434Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬ mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬ beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl, und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬ ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬ walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬ hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen, daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom435 krachendſten Donner begleitet waren. Wehklagen und Stöhnen ſcholl von den Schiffen; hier und dort borſt das Gebälke eines Fahrzeuges, wenn es vom Sturme gewaltſam an ein ſtärkeres geſchleudert worden war, und diejenigen, die dem Stoße herſtürzender Schiffe durch Rudern zu entgehen verſuchten, wurden vom Wind in die Tiefe ge¬ riſſen. Endlich ſchleuderte Athene den ſchärfſten Donner¬ keil, den ſie zu dieſem Gebrauche beſonders aufgeſpart hatte, in das Schiff des Ajax, daß es auf der Stelle hierhin und dorthin in Splitter ſprang; Erde und Luft hallten von dem Knall, und die Wogen umkreiſten das berſtende Schiff. Schaarenweiſe ſtürzten aus dieſem die Menſchen in die Fluth und wurden von den Wellen ver¬ ſchluckt. Ajax ſelbſt jedoch ſchwamm bald auf einem der Balken des Schiffes, die auf den Wellen hier und dort zerſtreut daher fuhren: bald zertheilte ſein nervigter Arm die Woge, die ſich vor dem kräftigen Schwimmer ſpaltete; jetzt trug ihn eine mächtige Welle wie zum Gipfel eines himmelhochragenden Berges, jetzt ſchleuderte ſie ihn wieder hinab in den tiefſten Abgrund. Von allen Seiten fuhr der Blitz neben ihm einſchlagend und ziſchend in die Flu¬ then, aber noch war es Athene's Wille nicht, daß der Tod ſich über ihn erbarme. Auch war ſein Muth noch nicht erſchöpft; er ergriff ein aus den Wellen hervorra¬ gendes Felsſtück und vermaß ſich, wenn auch alle olym¬ piſche Götter herangezogen kämen, und die Fluthen gegen ihn aufreizten, ſo ſollte ihm doch die Rettung nicht mi߬ lingen.

Dieſe Prahlerei hörte der Erderſchütterer Neptunus, deſſen Gottheit dem Ringenden am Nächſten war, mit Unwillen. Im heftigſten Zorn erſchütterte er Meer und28 *436Erde zugleich; die Felsabhänge des Vorgebirges Kaphareus erbebten und die Geſtade donnerten ringsumher unter der Peitſche des Herrſchers. Da wurde zuletzt der mächtige Felsblock, an welchen ſich Ajax mit den Händen ange¬ klammert hielt, vom Grunde losgerüttelt, und mit ihm der Lokrer wieder ins Meer hinausgeſtoßen, daß der an¬ ſpülende Schaum ihm Haupt und Barthaar weiß färbte. Auf den Verſinkenden ſtürzte Neptunus noch einen losge¬ riſſenen Erdhügel des Vorgebirges, daß der Scheitel deſ¬ ſelben den Lokrerfürſten, wie einſt der Aetna den Enceladus, deckte. So unterlag er, von der Erde und vom Meere zugleich bezwungen.

Die Schiffe der Danaer irrten indeſſen ſchwankend und leck auf der ſtürmenden See umher; viele waren ge¬ borſten, viele von den Wogen verſchlungen; die Meer¬ fluth tobte fort und der Regen ſtrömte herab, als drohte dem nahen Lande eine zweite deucalioniſche Fluth. Jetzt wurde auch noch die Steinigung des Palamedes an den unglücklichen Griechen gerächt. Auf Euböa herrſchte näm¬ lich noch immer der Vater dieſes Helden, Nauplius. Als dieſer an ſeiner Küſte die griechiſche Flotte erblickte, die mit dem fürchterlichen Sturme rang, gedachte er der hin¬ terliſtigen Ermordung ſeines geliebten Sohnes, um welchen er nun ſo viele Jahre trauerte. Die Racheluſt war in ſeinem Herzen nie eingeſchlummert, und jetzt endlich hoffte er ſie büßen zu können. Er eilte an den Strand, ließ längs des kaphariſchen Vorgebirges, den gefährlichſten Klippen gegenüber, brennende Fackeln aufſtecken, und machte dadurch in den Griechen den Glauben rege, daß es Rettungszeichen ſeyen, welche mitleidige Uferbewohner für ſie aufgepflanzt hätten. In dieſer Hoffnung ſteuerten437 die Danaer mit Begierde auf die Klippen zu, und viele ihrer Schiffe fanden hier den Untergang.

Zugleich ergoß ſich das Meer vor Troja, auf des grollenden Poſeidon Befehl, über ſein Geſtade, und zer¬ ſtörte alle Bollwerke und Mauern, welche die Griechen bei ihren Schiffen und vor der belagerten Stadt aufgeführt hatten. Und ſo war bald von der ungeheuren Unterneh¬ mung nichts mehr übrig, als der Schutthaufen Troja's und einige Schiffe voll zurückkehrender Helden und gefan¬ gener Trojanerinnen, die, vom Sturme da und dorthin zerſtreut, mit Mühe und nach langen und mannichfaltigen Drangſalen die Küſten Griechenlands wieder erreichten, wo nur weniger Sieger ungetrübte Glückſeligkeit wartete.

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TextDie schönsten Sagen des klassischen Alterthums
Author Gustav Schwab
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDie schönsten Sagen des klassischen Alterthums Nach seinen Dichtern und Erzählern Zweiter Theil Gustav Schwab. . XIV, 437 S. LieschingStuttgart1839.

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LanguageGerman
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