PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Inhalt.

  • I.
  • Sophie G. Seite 1.
  • II.
  • Graf von L. Seite 61.
  • III.
  • Hanns K , Bauer zu M . Seite 179.
  • IV.
  • Das ſteinerne Brantbett; oder: Hugo und Kleta. Seite 213.
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Sophie G .

Einer der beruͤhmten und bekannten Marg - grafen zu B , ſein Name thut nichts zur Sache war ein guter Fuͤrſt, ein kluger Regent, und in mancher Ruͤckſicht ein Vater ſeines Volkes und Landes. Wenn Tauſende ihn lobten, und die Wohlthaten, mit denen er ſie begluͤckte, erzaͤhlten, ſo faſſen nur we - nige im zahlreichen Zirkel, welche nicht in dies verdiente Lob einſtimmten. Auch derBiogr. d. W. 4r Bd. A2beſte Fuͤrſt iſt Menſch, auch der beſte Menſch iſt nicht fehlerfrei! Eine Leidenſchaft, die er liebte und pflegte, war oft Urſache, daß einzelne Vaͤter uͤber ihn murrten, einzelne Muͤtter ihn hart und grauſam nannten. Das Siſtem der ſtehenden Kriegsheere ward da - mals herrſchend in Deutſchland. Wilhelm, der Preuſſen Koͤnig, war das groſſe Urbild, wel - ches kleinere Fuͤrſten ihrem Verhaͤltniſſe ge - maͤß, nachzuahmen ſuchten. Der erſtere ſamm - lete in ganz Europa die groͤßten Koloſſen des menſchlichen Geſchlechts, um ſich ein Gnarde - regiment zu bilden. Der Marggraf durch - ſpaͤhte ſein ganzes Land, um aͤhnliche Rieſen zu finden, welche als Granadiere vor ſeinem Schloſſe und in den Gemaͤchern deſſelben Wa - che ſtehen mußten. Keiner ſeiner Untertha - nen entging den Forſchern, wenn ſein Koͤrper die erforderliche Groͤſſe erreichte; daher kams, daß oft die freien Buͤrgersſoͤhne, die noch freiern Kandidaten des Prieſterſtandes wider3 Gewohnheit zur Annahme der Waffen gezwun - gen wurden.

Zu eben dieſer Zeit lebte in der Haupt - ſtadt ein nicht reicher, aber auch nicht ganz armer Buͤrger, welcher einen einzigen Sohn hatte. Als dieſer, gleich einer Pappel am waſſerreichen Fluſſe empor wuchs, prophezei - ten ihm ſchon ſeine Freunde und Verwandte mit kummervollem Blicke, daß er einſt als Granadier im fuͤrſtlichen Schloſſe Wache ſte - hen wuͤrde. Dem ſorgloſen Juͤnglinge war dieſe Weiſſagung ſehr gleichguͤltig, weil er nur das Gegenwaͤrtige zu genuͤſſen ſuchte, und der Zukunft nie gedachte; aber dem liebenden Vater, der zaͤrtlichen Mutter verbitterte ſie oft manche frohe Stunde. Der Wohlſtand des erſtern hing ganz allein vom thaͤtigen Betriebe ſeines Handwerks ab, er hofte in ſeinem Sohne einen Gehuͤlfen zu erziehen, ihm in ſeinen alten Tagen alles zu uͤberge -A 24ben, und, ernaͤhrt von ihm, ein ruhiges Al - ter zu genuͤſſen. Dieſe ganze Ausſicht ſchwand, wenn er ſich das kuͤnftige Schickſal ſeines Soh - nes dachte.

Da dieſes noch nicht ganz beſtimmt war, da er durch hundert gluͤckliche Zufaͤlle der dro - henden Gefahr entgehen konnte, ſo fuhr er zwar fort, ihn in den Vortheilen ſeines Hand - werks und des damit verknuͤpften Handels zu unterrichten, aber er war auch gefaͤllig genug, den Juͤngling nicht emſig zu Geſchaͤften anzu - halten, ihm manche Freude zu goͤnnen, welche er ihm ſonſt verweigert haͤtte, wenn ihn nicht der Gedanke, es wird ihm als Soldat doch nichts nuͤtzen, nachgebend gemacht haͤtte. Wollte der arbeitſame Vater auch dann und wann den allzu nachlaͤſſigen Sohn mit Stren - ge zur Arbeit anhalten, ſo ward die zaͤrtliche Mutter Fuͤrbitterinn, und ſuchte den erſtern zu uͤberzeugen, daß es hart und grauſam ſei,5 wenn man dem Jungen izt ſchon jedes Ver - gnuͤgen rauben wolle, da ſein hoͤchſt wahr - ſcheinlicher, kuͤnftiger Stand ihn ohnehin zum Sklaven machen wuͤrde. Dieſe ſtraͤfliche Nach - ſicht weckte in dem Herzen des Juͤnglings immer mehr den Hang zum Muͤſſiggange und zum Vergnuͤgen, der mit ſeinem Koͤrper im aͤhnlichen Verhaͤltniſſe wuchs, und bald die Grundlage ſeines Karakters, der Fuͤhrer aller ſeiner Handlungen ward. Er kannte alle Haͤu - ſer, in welchen getanzt und geſpielt wurde, er war immer einer der erſten, welche dahin gingen, und einer der lezten, wenn die Ge - ſellſchaft es verließ.

Wie er neunzehn Jahre alt war, und gleich einer Roſe bluͤhte, lernte er einſt auf einem Tanzſaale die ſchoͤne Tochter eines ſehr armen Buͤrgers kennen, welche im Marg - graͤflichen Schloſſe als Laufmaͤdchen diente, und ſich durch ihre Reize, noch mehr aber durch6 ihr ſittſames Betragen unter allen uͤbrigen Taͤnzerinnen aufs vortheilhafteſte auszeichne - te. Er fuͤhrte ſie heim, geſtand ihr Liebe, und erhielt von ihr die Erlaubnis, ſie dann und wann beſuchen zu duͤrfen.

Eben hatte er zum Beweiſe ihrer Liebe den erſten Kuß erhalten, und wandelte, ihn noch fuͤhlend und genuͤſſend, uͤber den Schloß - hof, als ſich ploͤzlich ein Fenſter oͤfnete, an welchem der Marggraf ſtand, der ihn ruͤck - waͤrts rief. Zagend erſchien der Juͤngling vor ihm, langſam und trauernd ging er von dan - nen, wie man ihn auf des Marggrafs Gebot nach der Hauptwache fuͤhrte, und bald nach - her die Granadiermuͤtze aufſetzte. Weinend empfing ihn die Mutter, ſeufzend gruͤßte ihn der Vater, wie er mit dieſem untruͤglichen Kennzeichen ſeines kuͤnftigen Standes vor ih - nen erſchien. Als aber beide vernahmen, daß der Marggraf ihm, weil er der einzige Sohn7 war, eine kurze, nur drei Jahr dauernde Ka - pitulazion zugeſtanden habe, auch nebenbei noch verſichert hatte, daß ihm dieſe Zeit als eine bei ſeinem Handwerke noͤthige Wander - ſchaft angerechnet werden ſolle, ſo troknete die Mutter ihre Thraͤnen, und der Vater blickte wieder heiter in die Zukunft.

Wilhelm, ſo nannte ſich der Juͤngling, liebte ſein Maͤdchen mit dem erſten Feuer der brauſenden Jugend. Die Kaſerne der Grana - diere ſtand nahe am Schloſſe, er konnte als ein Liebling des Marggrafen denn dies war jeder Granadier dort ungehindert aus und eingehen, und ſein Maͤdchen oͤfters ſehen und ſprechen. Schon dieſer Vorzug minderte die Haͤrte ſeines Standes, und die Hofnung, daß ſie nur eine kurze Zeit dauern werde, tilgte ſeine Trauer bald ganz. Er war bald wieder der froͤhliche Wilhelm, und troͤſtete ſein Maͤd - chen, wenn ihr thraͤnender Blick auf ſeinem8 Rocke haͤngen blieb, oder ſie ihm den Kuß verweigerte, weil er leicht eben ſo flatterhaft wie ein gewoͤhnlicher Soldat werden koͤnne, denn dieſe ſtanden ſchon dazumal in dem Ru - fe, daß ſie mit jedem Standquartiere auch ihr Maͤdchen verwechſelten.

Als er ſeine Sophie uͤber dieſen Gegen - ſtand vollkommen beruhigt, ihr ewige Treue geſchworen, ſie nach Verlauf ſeiner Dienſtzeit zu heurathen gelobt hatte, langte am Hofe des Marggrafen die einzige Tochter deſſelben zum Beſuche an. Sie hatte den Erbprinzen von K geheurathet, lebte mit dieſem in der gluͤcklichſten Ehe, und fuͤhrte die Frucht derſelben eine dreijaͤhrige Prinzeſſinn an der muͤtterlichen Hand, als ihr der entzuͤckte Va - ter zum frohen Willkomme entgegen eilte.

Der Marggraf war ein groſſer Kinder - freund, wenn er auf ſeinen Spaziergaͤngen9 irgend einen Haufen ſpielender Kinder antraf, ſo trat er mitten unter ſie, und beſchenkte oft alle, wenn ſein Anblick ſie nicht zerſtreute, und ſie ungehindert fortſpielten. Der Anblik der kleinen Prinzeſſin, die ſuͤſſe Ueberzeugung, daß ſie ſeine Enkelin, das Ebenbild der gelieb - ten Tochter ſei, vermehrte daher ſeine Freu - de um ein groſſes, er nahm den kleinen En - gel auf ſeine Arme, und jubelte hoch, wie die Holde ihre kleinen Arme um ſeinen Nacken ſchlang, und ihn ohne Furcht freundlich kuͤß - te. Sein Herz hing von dieſem Augenblicke an ganz an ihr, er ſchrieb dem Vater, er bat die Mutter, und beide mußten ihre Liebe zum Kinde dem Wunſche des ehrwuͤrdigen Vaters opfern, ihm verſprechen, daß ſie wenigſtens ei - nige Jahre die Tochter an ſeinem Hofe laſſen, und ihm die Freude goͤnnen wollten, ſich ih - res Umganges zu freuen, ſie groß zu erziehen.

Die zaͤrtliche Mutter verbarg ihre Thraͤ - nen, als ſie ſich bald hernach von ihrem Kin -10 de trennen, und in die Arme ihres Gatten ruͤkkehren mußte, der Marggraf verſprach dieſe Ueberwindung hoch zu lohnen, und jubelte aufs neue, als die kleine Prinzeſſin durch den Abſchied der Mutter nicht bekuͤmmert ſchien, ſondern munter und froͤhlich zu ſeinen Fuͤſſen ſpielte. Er ordnete ihr itzt einen vollkomme - nen Hofſtaat, ernennte eine der verehrungs - wuͤrdigſten Damen ſeines Landes zur Obriſt - hofmeiſterinn der kleinen Prinzeſſin, und uͤber - ließ es ihr, die uͤbrigen Diener und Dienerin - nen nach Gefallen zu waͤhlen.

Dieſe Dame ſah bei ihrer Wahl vorzuͤg - lich auf Treue und Redlichkeit. Sophie war unter denen, welche ſie zum Kammermaͤdgen der Prinzeſſin beſtimmte. Dieſer neue Dienſt brachte ihr viel hoͤhern Lohn und Gewinn, aber die Pflicht, ſtets bei der Prinzeſſin, oft ſo gar ihre Fuͤhrerin zu ſein, verhinderte ſie, ihren geliebten Wilhelm zu ſprechen und zu11 ſehen. Oft verfloſſen Tage, ſo gar Wochen, in welchem ſie ihn nur von weiten gruͤſſen; hoͤchſtens nur im Voruͤbereilen ein paar Wor - te der Liebe zufluͤſtern konnte.

Zwang und Hinderniß ſind aͤchtes Unkraut im fetten, fruchtbaren Akker, je mehr man dieſes zu vertilgen ſucht, je ſtaͤrker und viel - faͤltiger keimt es empor. Auch Wilhelm und Sophie empfanden dieſe Wahrheit, ſie glaub - ten ſich ehe ſchon innig und zaͤrtlich zu lieben, ſie ſahen itzt ein, daß ſie ſich, getrennt von einander, noch weit ſtaͤrker, noch weit heftiger liebten.

Sophie ſuchte die Sehnſucht nach ihrem Geliebten durch treue Erfuͤllung ihrer Pflicht, durch raſtloſe Beſchaͤftigung zu mindern, Wil - helm, dem die Wache die Woche nur einmal traf, der unter dieſer Zeit ganz geſchaͤftlos umher wanderte, konnte dies Mittel zur Til -12 gung ſeiner bangen Sehnſucht nicht waͤhlen, Muͤſſiggang und Zeit zum Nachdenken ver - mehrte ſeine Marter um ein Groſſes, ſie ward ihm oft unausſtehlich, er ſuchte wenn er ſtundenlang auf einen Blick ſeiner Geliebten gelauert hatte Zerſtreuung, Erholung, und fand ſie im Trink - oder Spielhauſe.

So lange es ihm vergoͤnnt war, ſeine Sophie oft zu ſehen, und zu ſprechen, hatte er dieſe Haͤuſer aͤuſſerſt ſparſam beſucht, die maͤchtigſte Leidenſchaft des Menſchen, die all - maͤchtige Liebe hatte jede andere Leidenſchaft beſiegt, itzt raͤchten dieſe den Sieg, und keimten durch liſtige Vorſtellung, daß ihr Ver - gnuͤgen die Qualen der Liebe mindere, wie - der maͤchtig empor, Wilhelm trank und ſpiel - te bald ſtaͤrker als vorher. Um dieſen Auf - wand zu beſtreiten, langte ſeine Loͤhnung nicht zu, die Eltern gaben ihm freilich eine mo - nathliche Zulage, aber auch dieſe ward oft in13 einem Abende verſpielt, und diente daher nur zur Vergroͤſſerung ſeiner Liederlichkeit. Seine Spielſucht mehrte ſich taͤglich, um ſie zu be - friedigen, machte er fuͤr ſeinen Stand nahm - hafte Schulden, die ihn quaͤlten und aͤngſtig - ten, aber auch in der Hofnung, daß er gluͤck - lich ſpielen wuͤrde, ſtets zu neuem Spiele ver - leiteten.

Als er eben wegen einer Schuld von zehn Gulden aͤuſſerſt gedraͤngt wurde, Klage bei ſeinem Hauptmanne befuͤrchtete, und doch nicht wußte, wie er bezahlen ſollte, traf ihn die Reihe zur Wachtparade. Er mußte an der Thuͤre des Saals Wache ſtehen, in welchem der Marggraf mit den Groſſen ſeines Hofes ſpeißte, und ſeinen Geburtstag feierte. Wil - helm war ſo gluͤcklich an dieſem Tage ſeine Sophie einigemal zu ſehen und ſogar im Vor - uͤbergehen zu ſprechen. Dies machte ihn hei - ter und froͤhlich, wenn er aber ſeiner Schul -14 den gedachte, ſo ward er wieder duͤſter und traurig. Der Marggraf ſpielte ſelten, aber wenn er ſpielte, ſo ſpielte er gerne hoch, ver - lohr und gewann dann namhafte Summen. An eben dieſem Tage fand er Abends Ver - gnuͤgen am Spiele.

Wilhelm ſah mit gierigem Blicke zu, wenn auf einer Karte oft ein Haufe Goldes ſtand. Dieſer reizende Anblick wekte ſeine ganze Spiel - ſucht, und endete immer mit der Vorſtellung, daß eine einzige dieſer Karten ihn gluͤklich machen, ganz aus aller Verlegenheit retten koͤnne. Er ward abgeloͤßt, und dieſe Vorſtel - lung war die ganze Ruhezeit hindurch die ein - zige Beſchaͤftigung ſeiner erhitzten Einbildungs - kraft. Wie er wieder zur Wache an die Thuͤ - re des Saals gefuͤhrt wurde, ſpielte der Marggraf noch immer, obgleich die Mitter - nachtsſtunde begann. Erſt als dieſe geendet hatte, ſtand er auf, wikkelte ſein Gold, wel -[15]〈…〉〈…〉[16]〈…〉〈…〉

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Der Marggraf verließ erſt ſpaͤt am an - dern Tage das Bette, ſchon hatten andere Granadiere die Wache bezogen, als die klei - ne Prinzeſſin, welche jeden Morgen in ſei - nem Schlafgemache erſcheinen mußte, zu ihm eintrat. Wie er dieſe erblikte, gedachte er erſt ſeines geſtrigen Gewinns, den er zu ei - nem Geſchenke fuͤr ſie beſtimmt hatte, er ſuchte und fand ihn nicht, er erinnerte ſich endlich deut - lich, daß er das Gold in ſein Schnupftuch faßte, und dieſes im Geſpraͤche auf einen Tiſch legte. Er ging ſelbſt nach dem Saale, durchſuchte alles und fand nichts.

Nun war's erwieſen, daß das Gold ge - ſtohlen ſei, nun begann die Unterſuchung. Alle Diener, welche gegenwaͤrtig waren, alle Granadiere, welche am Saale Wache ſtanden, wurden arretirt. Unter den leztern befand ſich auch Wilhelm, er war ſchon von der Hauptwache nach ſeinem Quartiere zuruͤckge -Biogr. d. W. 4r Bd. B18kehrt, und wurde von dort in den Arreſt ge - fuͤhrt. Man unterſuchte ſogleich die Wohnun - gen und Sachen aller Arretirten, und fand nicht das geringſte, man viſirte ihre Schub - ſaͤcke, und fand bei Wilhelmen kein Gold, aber das Schnupftuch des Marggrafen, welches da - durch unverkennbar wurde, weil es mit einer Krone und ſeinem Namen gezeichnet war.

Wilhelm geſtand ſogleich die That, und zeigte den Ort an, wo er das Gold hinter einem Holzſtoſſe in einem alten Topfe vergra - ben hatte. Er konnte in der Folge ſelbſt nicht ſagen, wie es geſchah, daß er das verraͤtheri - ſche Tuch nicht vernichtete, nicht von ſich warf, er ſchuͤttete das Gold aus dem Tuche in den Topf, und ſteckte es, ohne die Folgen zu be - denken, in einer wahrſcheinlich mechaniſchen Bewegung in den Sack.

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So wahr, als ich Marggraf bin! der Kerl muß haͤngen! ſprach der Marggraf zor - nig, als man ihm meldete, daß der Thaͤter entdeckt, und ein Granadier ſei. Er befahl, Standrecht uͤber ihn zu halten, und einige Stunden nachher verſammlete ſich dies wuͤrk - lich, um uͤber Wilhelmen den Tod auszu - ſprechen. Erſt um dieſe Zeit erfuhr die lie - bende Sophie das Verbrechen und das unver - meidliche Schickſal ihres Geliebten. Verzweif - lung kennt keine Schranken, uͤberſpringt ſie alle, wenn ſie jenſeits Huͤlfe erblickt. Sie eilte, als ein Raub derſelben, zu den Eltern des ungluͤcklichen Wilhelms, ſie geſtand die - ſen, was ihnen vorher noch ein Geheimniß war, daß ſie ihren Sohn aufs innigſte liebe, und von ihnen Rath, Huͤlfe und Troſt er - warte.

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Die Ungluͤcklichen konnten ihr nicht ge - ben, was ſie ſelbſt nicht beſaſſen, ſie jam - merten troſtlos mit ihr, ſuchten Freunde, Huͤlfe und Rath, und fanden keins von bei - den. Vater und Mutter knieten bald nach - her an der Schloßtreppe, welche nach dem Garten fuͤhrte, ſie flehten um Erbarmen, als der Marggraf dieſe herabſtieg, aber er winkte mit ernſtem Blicke, und die Troſt - loſen wurden weggefuͤhrt. Sie eilten von einem Miniſter zum andern, und erhielten uͤberall die toͤdende Verſicherung, daß ſolch ein Verbrechen kein Mitleid verdiene, daß nichts in der Welt den Marggrafen bewegen wuͤrde, ſeinen theuern Schwur zu brechen.

Unter dieſer Beſchaͤftigung nahte der Abend, ſie wankten nach ihrer Wohnung, und brachten die Gewißheit heim, daß das Standrecht uͤber ihren einzigen Sohn den Tod ausgeſprochen habe, daß er ihn morgen in der21 zehnten Stunde unter der Hand des Henkers dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach - richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache, ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein - mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor - gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar - rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er - ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte - rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab - weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt hatte.

Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ - hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund - liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr22 Herz maͤchtig, ſie ſuchte ſie zu troͤſten, durch Gruͤnde der Religion zu uͤberzeugen, daß Gottes Wege unerforſchlich, aber ſtets weiſe und gerecht waͤren, als aber die verzweif - lungsvolle Sophie ſie dreuſt verſicherte, daß ſie an Gottes Barmherzigkeit zweifle, wenn er nicht Huͤlfe und Rettung ſende, ſo ſuchte ſie ſolche mit der Vorſtellung aufzurichten, daß auch dieſe noch zu hoffen, noch moͤglich ſei.

Sophie ergrif dieſen ſchwachen Stab des Troſtes mit Begierde, ſie warf ſich zu den Fuͤſſen der Troͤſterin nieder, und flehte um Huͤlfe und Erbarmen. Ich will thun, was ich kann und vermag, ſprach die Holde, nur die Gnade des Marggrafen kann dem Ungluͤck - lichen das Leben retten, ich ſehe ein, daß meine Bitte bei ihm nichts vermag, aber ich hoffe, eine Fuͤrbitterin zu finden, die er hoͤ - ren wird. Sie deutete bei dieſen Worten auf die kleine Prinzeſſin, welche neben ihr mit23 einer Pnppe ſpielte, und ſchon oft theilneh - mend gefragt hatte: Warum die liebe Sophie ſo ſehr weine?

Sophie ſprang hoffend und ahndungsvoll empor, als ſie dieſe Worte des Troſtes hoͤr - te, ſie kannte die Liebe des Marggrafen zu dieſem Kinde, ſie glaubte uͤberzeugt zu ſein, daß er ihr nichts verſagen wuͤrde. Gewoͤhn - lich ſtand der Marggraf ſchon um ſechs Uhr des Morgens auf, ſobald die Prinzeſſin erwach - te, welches gemeiniglich um acht Uhr geſchah, mußte die Obriſthofmeiſterin ſolche zu ihm brin - gen. Die muntere Kleine blieb dann oft einige Stunden in ſeinem Kabinete, und zwang ihn, manchmal gar mit ihr zu ſpielen.

Es ward nun verabredet, daß man die Prinzeſſin am folgenden Morgen fruͤher wek - ken, und dann zum Marggrafen fuͤhren woll - te, wo ſie ſogleich um Wilhelms Leben bitten24 ſollte. Die Ausfuͤhrung war aber ſchwerer, als man anfangs glaubte. Die noch nicht drei Jahr alte Prinzeſſin plauderte zwar ſtets, aber meiſtens nur einzelne, abgebrochne Woͤrter, konnte viele derſelben gar nicht ausſprechen. Indeß Sophie mit dem wahrſcheinlichen Troſte zu Wilhelms Eltern eilte, auch dieſe der zer - ſtoͤhrenden Verzweiflung entreiſſen, und neue Hofnung in ihrem toden Herzen wecken wollte, verſuchte die gutherzige Obriſthofmeiſterin, ih - ren kleinen Eleven die Worte zu lehren, mit welchen ſie zu Gunſten des ungluͤcklichen Wil - helms das Herz des Marggrafen ruͤhren ſollte; aber ſo ſehr ſie ſich auch muͤhte, die Bitte abzu - kuͤrzen, und nur durch wenige Worte auszu - druͤcken, ſo mengte doch eben oft die kleine Plauderin dieſe wenigen untereinander, und erregte die gegruͤndete Furcht, daß der Marg - graf ihre Bitte nicht verſtehen, und daher auch nicht achten wuͤrde. Doch hofte ſie das Beſte, und trug die Prinzeſſin bald ins Bette,25 um ſie am andern Morgen fruͤher wecken, und die Lekzion wiederholen zu koͤnnen.

Sophie, deren Augen ſich nicht ſchloſſen, wachte die ganze Nacht am Bette des Engels, der ihr Erloͤſer werden ſollte, ſie betete in - bruͤnſtig zu Gott, damit er dieſen ſtaͤrken, und ihren Worten Kraft verleihen moͤge. Schon um ſechs Uhr weckte man die Prinzeſſin, aber ſie war noch ſchlaftrunken, weinte anhal - tend, und ſchlief bald aufs neue. Man den - ke ſich das Leiden der armen Sophie, die den einzigen moͤglichen Retter ſchlafend erblickte, indeß der Geliebte ihres Herzens nahe Todes - angſt duldete, die jeder Glockenſchlag mehrte.

Schon wars acht Uhr voruͤber, als die Prinzeſſin munter und froͤhlich erwachte. Es war ruͤhrend anzuſehen, mit welcher haſtigen Eilfertigkeit die zitternde Sophie ſie anzuklei - den ſuchte, und aus allzu groſſer Eile den An -26 zug nur verzoͤgerte, haͤtte die gutherzige Obriſthofmeiſterin ihr nicht Beiſtand gelei - ſtet, ſie wuͤrde dies kleine Geſchaͤft lange nicht vollendet haben. Nun begann neuer Unter - richt, und wie die Prinzeſſin ihre Bitte nur mit halben Worten ſtammlen konnte, ſo ergrif die Obriſthofmeiſterin ihre Hand, und fuͤhrte ſie zum Kabinete des Marggrafen. Sophie folgte vom weiten mit gefalteten Haͤn - den, jedes ihrer Glieder zitterte der nahen Entſcheidung entgegen.

Die Obriſthofmeiſterin oͤfnete izt die Thuͤ - re des Kabinets, und ließ die Prinzeſſin allein eintreten, ſie lehnte die Thuͤre nur langſam an, und horchte an der ofnen Spalte der Wuͤrkung entgegen. Sophie draͤngte ſich naͤ - her hinzu, und hob ihre Haͤnde zu Gott em - por. Der Marggraf ſaß an ſeinem Schreib - tiſche, und blickte auf die Kommende. Sie ging bis in die Mitte des Kabinets, kniete27 nieder, und hob ihre kleinen Haͤnde bittend empor. Liebe Großpapa, ſtammlete ſie, Ganadirle ſchenken! Liebe Großpa - pa, wiederholte ſie noch einmal, Ganadirl ſchenken! Der geruͤhrte Marggraf ſtand haſtig auf, hob die Prinzeſſin empor, und ſchloß ſie in ſeine Arme. Du verlangſt viel, ſprach er, indem er ſie kuͤßte, aber es iſt deine erſte Bitte, ich muß ſie erfuͤllen! Der Granadier hat: Gnade! Er hat Gnade! fluͤſterte die horchende Obriſthofmeiſterin der harrenden Sophie zu. Er hat Gnade! ſchrie dieſe laut[auf], daß es im Vorgemache wie - derhallte, und ſtuͤrzte fort, um die erſte Ver - kuͤndigerin derſelben zu werden.

Ich wage es nicht, den Jubel der Eltern zu ſchildern, als die athemloſe Sophie mit dieſem allmaͤchtigen Worte des Troſtes vor ihnen erſchien, ihr flehendes Gebet, ihre ſtammlende Bitte zum Ewigen mit dieſem28 freudigen Zurufe unterbrach, und ihnen noch nebenbei erzaͤhlte, daß ein Kammerjunker, wie ſie bei der Hauptwache vorbeieilte, dieſe Gnade bereits dem armen Wilhelm im Na - men des Marggrafen verkuͤndigt habe. Der groſſe Jammer hatte bereits ihre wenige Le - benskraft maͤchtig geſchwaͤcht, die ſchnelle Freu - de ſchien den Ueberreſt ganz zu rauben. Man mußte die ungluͤcklichen Alten aufs Bette le - gen, alle ihre Glieder durchbebte ein hefti - ger Fieberfroſt, ſie waren dem Tode nahe, naͤherten ſich ihm bald noch mehr, als ſie kurz hernach hoͤrten, daß der Marggraf zwar ihrem Sohne das Leben geſchenkt, ihn aber doch zur Verſoͤhnung der Gerechtigkeit auf drei Jahre zur Zuchthausſtrafe verurtheilt habe.

Damals achtete man jeden, der in die - ſem Hauſe dulden mußte, fuͤr unehrlich. Keiner unter den Buͤrgern ſprach mit dieſen29 ungluͤcklichen Opfern der Gerechtigkeit. Auch wenn die Strafe geendet hatte, und man den Erloͤſten wieder in jeder buͤrgerlichen Geſell - ſchaft und Innung dulden mußte, ſo blieb ſie doch immer als ein unvertilgbarer Fleck zuruͤck, der den reinen Glanz einer ganzen Familie verdunkelte, ihr bei jeder Gelegenheit zum geheimen, oft gar oͤffentlichen Vorwurf dien - te. Dieſe Vorſtellung, und wahrſcheinlich auch das Bewuſtſein, daß ihr Sohn die Strafe mehr als doppelt verdient habe, verbitterte die Freude ſeiner gluͤcklichen Rettung um ein Groſſes. Die Folgen des ausgeſtandnen Schreckens und Jammers, der finſtere, truͤbe Blick in die Zukunft nagte an ihrem morſchen Koͤrper, ehe zwei Monden verfloſſen, ſchlum - merten beide im Grabe. Das ganze Erbe, welches ſie ihrem Sohne hinterlieſſen, ward in gerichtliche Verwahrung genommen, und zum Beſten des Duldenden, weil er es izt30 nicht genuͤſſen, nicht verwalten durfte, in ein zinsbares Kapital verwandelt.

Sophie liebte liebte mit warmen Ju - gendfeuer, mit inniger, wahrer Zaͤrtlichkeit. Niemand wirds ihr daher verdenken, oder es wenigſtes ganz natuͤrlich finden, wenn ſie nicht gleich den Buͤrgern der Stadt, nicht wie Wil - helms Eltern dachte. Der Allgeliebte war ge - rettet, mußte zwar harte Strafe, aber nicht immer, nicht ewig dulden. Ihre Einbildungs - kraft uͤberhuͤpfte mit ſeltner Fertigkeit dieſen kurzen Zeitraum, ſie ſah ihren Wilhelm wie - der kettenlos unter den Menſchen umher wan - deln, er arbeitete emſig und anhaltend, er fand Unterſtuͤtzung und Nahrung in einer frem - den Stadt, die ſein ehemaliges Verbrechen nicht kannte, er kam als Buͤrger derſelben, um ſich eine Gattin zu waͤhlen, er reichte ihr die Hand, und ſie ſank woune - und freude - fuͤhlend in ſeine Arme. Dies war die ange -31 nehme Vorſtellung, mit welcher ſie ſich zu troͤſten ſuchte, wenn Wehmuth ſie ergrif, und ſchwarzer Tiefſinn an ihrem Herzen nagen wollte.

Wilhelm hatte ein ſchweres Verbrechen veruͤbt, die Gelegenheit war reizend und ein - ladend, aber lange nicht hinreichend genug, um den aͤchten Rechtſchafnen in die Falle zu locken! Dieſer Gedanke haͤtte ſie ſchrecken, we - nigſtens bange Sorge fuͤr die Zukunft in ihr erregen ſollen, aber nichts verzeiht, nichts entſchuldigt ſtaͤrker, als die Liebe. Sie hat zwei Maͤntel, welche ſie abwechſelnd traͤgt, einer iſt lang, weit, und dem Auge undurch - dringbar, der andere iſt klein, enge und vom duͤnſten Flore gewebt. Mit dem erſtern be - deckt ſie die Maͤngel und Fehler des geliebten Gegenſtands, wenn ſie ſich naht, in den lez - tern huͤllt ſie dieſen, wenn ſie Abſchied nehmen will, oder einen Reizendern findet.

32

Wie Wilhelm zur Prinzeſſin gefuͤhrt wur - de, um ihr auf Befehl des Markgrafen fuͤr ihre Fuͤrbitte, fuͤr ſein Leben zu danken, ſtand Sophie im Gemache derſelben. Ihr rothge - weintes Auge, ihr noch thraͤnender Blick uͤber - zeugte ihn deutlich, daß ihr Leiden, ihr Jam - mer groß war, er ſah zugleich ein, daß ſie die Retterin ſeines Lebens war, und ohne ihre Mitwuͤrkung die Prinzeſſin ſchwerlich fuͤr ihn gebeten haͤtte. Dieſer große Beweis ihrer Liebe ermunterte ihn zur Dankbarkeit, er trat naͤher zu ihr. Wenn ichs je vergeſſe, fluͤ - ſterte er leiſe, was ich ihnen zu verdanken habe, ſo ſoll mir Gott ſchnell wieder rauben, was er mir ſo wunderbar ſchenkte. Vergeſſen ſie indeß den Ungluͤcklichen nicht ganz, er iſt ihres Mitleids wuͤrdig. Sophie konnte nicht antworten, aber ihr Blick ſprach um ſo ſtaͤrker, Wilhelm ging mit der Gewißheit von dannen, daß ſie ihn noch liebe, und ſeiner harren wuͤrde.

Die33

Die Obriſthofmeiſterin hatte das kurze Geſpraͤch bemerkt, und Sophiens redenden Blick geſehen, ſie achtete es fuͤr noͤthig, die letzere fuͤr unangenehmen Folgen zu warnen. Liebes Kind, ſprach die Gute, ohne zu un - terſuchen, ob der ungluͤckliche, aber auch ſtrafbare Juͤngling deiner Liebe noch wuͤrdig ſei, will ichs nicht hindern, wenn du ihm in ſeinem kuͤnftigen Zuſtande nach deinen Kraͤften Wohlthaten erzeigſt, aber ich muß es dir bei Verluſte deines Dienſtes und meiner Gnade ſtreng verbieten, ihn im Zuchthauſe zu be - ſuchen, oder mit ihm auf der Gaſſe zu ſpre - chen. Es wuͤrde deinen Ruf kraͤnken, wenn du meinen Befehl uͤbertreten wollteſt, und ſchwarzen Schatten auf mich werfen, wenn ich es duldete. Ich fordere daher dein feſtes Verſprechen, damit ich ruhig ſeyn, und mit Recht ſtrafen kann, wenn du es doch nicht er - fuͤllteſt.

Biogr. d. W. 4r Bd. E34

Sophie ſah die Billigkeit ihrer Forderung ein, ſie verſprach, ſtreng zu gehorchen, nur bat ſie flehend, ihr die einzige Erlaubniß zu goͤnnen, ihm dies Verbot kund zu machen, damit es der Ungluͤckliche nicht fuͤr Verachtung von ihrer Seite halte, und dadurch zur Ver - zweiflung gereizt wuͤrde. Obgleich die Obriſt - hofmeiſterin dieſen Schritt nicht billigen konnte, ſo war ſie doch großmuͤthig genug, ihn nicht zu verbieten, doch forderte ſie aus - druͤcklich, daß es nicht durch Sophien ſelbſt, ſondern durch einen dritten geſchehen muͤſſe, und fuͤr die Zukunft kein Briefwechſel ſtatt ha - ben duͤrfe.

Sophie dankte, und eilte noch am nem - lichen Tage zu Wilhelms Mutter, welche ſie um ihrer Theilnahme willen izt innig liebte, und herzlich gerne als Schwiegertochter um - armt haͤtte. Dort ſchrieb ſie ihrem Wilhelm alles, und fuͤgte noch manches, was ihn35 troͤſten und erquicken konnte, hinzu. Eine alte Frau, welche von der Mutter an Wil - helmen geſandt wurde, brachte muͤndlichen, innigen Dank zuruͤck, weil es ihm nicht ver - goͤnnt war, Antwort zu ſchreiben.

Die Arbeit aller Verbrecher im Zuchthau - ſe war ſchwer und anhaltend, aber noch ent - kraͤftender und haͤrter war die ſchmale, aͤuſſerſt ſchlechte Koſt, welche ihnen gereicht wurde. Die Ungluͤcklichen, welche nicht Freunde und Anverwandte hatten, nicht Wohlthaͤter in der Stadt fanden, mußten oft hungrig ſchla - fen gehen. Dieſe ſchlechte Koſt war nicht Strafe, wahrſcheinlich nur eine Folge der Habſucht der Vorſteher, weil es allen, die in dieſem Hauſe duldeten, erlaubt war, ſich beſ - ſere Speiſen zu kaufen, wenn ſie Geld von auſ - ſen erhielten.

E 236

So lange Wilhelms Eltern lebten, ſand - ten ſie ihrem ungluͤcklichen Sohn taͤglich Spei - ſen, als aber beide in ſo kurzer Zeit ſtarben, da fuͤhlte Wilhelm durch einige Tage die volle Laſt ſeines Schickſals in ſeiner ganzen Groͤſſe. Er war von Jugend auf beſſerer Koſt gewohnt, ein unuͤberwindlicher Ekel hinderte ihn izt, das Wenige zu genuͤſſen, was man ihm reich - te. Matt und kraftlos taumelte er umher, bekam Schlaͤge, weil er die vorgeſchriebne Ar - beit nicht vollenden konnte, und hofte eben, daß der Tod ſeine Marter bald enden wuͤrde, als ein altes Weib erſchien, und ihm nahr - hafte und gute Speiſe brachte. Sie ſchuͤzte ſtrenges Verbot vor, wenn er nach dem Na - men ſeines neuen Wohlthaͤters fragte, ſie laͤchelte geheimnißvoll, wenn er bald dieſen, bald jenen ſeiner Anverwandten nannte. Erſt nach einigen Wochen gab die Alte, welche von nun an taͤglich mit Speiſe erſchien, ſeiner dringenden Bitte Gehoͤr, und geſtand ihm,37 daß Sophie ſeine Wohlthaͤterin ſei, ihre Koſt mehr als mit ihm theile, ſich ſtets nur mit einer Speiſe ſaͤttige, und alle uͤbrigen ihm ſende. Dankbare Thraͤnen rollten bei dieſer Nachricht uͤber ſeine Wangen, er blickte gen Himmel, und ſchien Gott zu fragen: Wie er ſolch eine Liebe lohnen und vergelten koͤnne?

Sophie hofte, Wilhelms Strafe durch neue Fuͤrbitte abzukuͤrzen, ſie wandte ſich da - her, wie ein Jahr ſeiner Strafzeit verfloſſen war, aufs neue an die Obriſthofmeiſterin, al - lein dieſe konnte nicht mehr helfen und nuͤtzen, weil der Marggraf es ihr ausdruͤcklich und bei Verluſt ſeiner Gnade unterſagt hatte, die Prinzeſſin nie mehr zu einer aͤhnlichen Bitte aufzufordern, und dadurch den Lauf der Ge - rechtigkeit zu hemmen. Dieſe Nachricht that ihrem liebenden Herzen aͤuſſerſt weh, nur die Hofnung, daß die uͤbrigen zwei Jahre gleich dem erſten ſchwinden muͤßten, war der ſuͤſſe38 Troſt, wenn ſie das Schickſal des Ungluͤckli - chen im Verborgnen beweinte. Noch mehr als dieſer Gedanke troͤſtete ſie die Vorſtellung, daß ſie dieſe ganze Zeit hindurch ihres Geliebten Wohlthaͤterin ſeyn, und das harte Loos deſ - ſelben um vieles erleichtern koͤnne, ſie ſandte ihm nicht allein taͤglich die mehrſten der Spei - ſen, welche fuͤr ſie beſtimmt waren, ſondern ſie legte auch jede Woche etwas Geld bei, weil ſie wußte, daß Wilhelm gerne Tobak rauche, und ſie ihm dies Vergnuͤgen nicht rauben wollte.

So verfloſſen auch die zwei lezten Jahre der Strafzeit. Schnell und anhaltend klopfte Sophiens Herz, als der lezte Monden, die lezte Woche, und endlich auch der lezte Tag derſelben nahte. Noch roͤthete ſich ihre Wan - ge, reine Freude glaͤnzte in ihrem Auge, wie Wilhelm ihr durch die Ueberbringerin der Speiſen nochmals aufs waͤrmſte fuͤr die groſſe39 Wohlthat danken, und zugleich melden ließ, daß er morgen das Haus der Strafe verlaſſen wuͤrde. Er wird, fuͤgte die Alte hinzu, zu einer alten Muhme ziehen, und wenn er ſich anſtaͤndig gekleidet hat, es wagen, ſie dahin einzuladen, um ihnen muͤndlich danken zu koͤnnen.

Sophie harrte dieſer Nachricht mit der Ungeduld der Liebenden entgegen. Sie hatte ihren Wilhelm wuͤrklich durch drei volle Jahre nicht geſehen, er mußte immer im Hofe des Zuchthauſes arbeiten, ſie konnte ſich nicht da - hin wagen, weil man jedem jungen Maͤdchen den Zutritt dahi[n]verweigerte, und der Ver - luſt ihres Dienſtes ganz ſicher erfolgt waͤre, wenn nur ein Verſuch dieſer Art waͤre verra - then worden. Man denke ſich nun die Sehn - ſucht, das peinigende, heiſchende Verlangen des liebenden Maͤdchens!

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Eben wars ein Sonntag, eben kam ſie aus der Kirche zuruͤck, in welcher ſie andaͤch - tig gebetet, aber auch mit ſuchendem Auge oft und lange umher geblickt hatte, als ein kleines Maͤdchen im Schloßhofe ihrer harrte, und ihr einen Brief uͤberreichte. Wilhelm, der dankbegierige Wilhelm hatte ihn geſchrie - ben, er enthielt eine Einladung auf den fol - genden Nachmittag zu ſeiner alten Muhme, welche ihn nicht allein liebreich aufgenommen, ſondern auch wider Vermuthen ſein und So - phiens Gluͤck zu gruͤnden verſprochen hatte.

Sophie eilte um die beſtimmte Stunde zu ihrem Wilhelm. Als ſie zitternd die Thuͤre des Gemachs oͤfnete, wankte er ihr mit Thraͤ - nen im Auge entgegen, das Ungluͤck und wahr - ſcheinlich noch der Kummer hatte ſeine Wangen gebleicht, aber ſein Auge glaͤnzte um ſo feu - riger, ſein Mund ſprach zwar wenig, aber das Wenige bewies deutlich, daß er ſein Ver -41 gehen innig bereue, und ewig dankbar ſeyn werde. Die alte, geſchwaͤtzige Muhme ſtoͤhrte das Gefuͤhl der Liebenden um ein groſſes, ſie lobte Sophiens Wohlthaten, welche ſie ſo lan - ge Zeit hindurch ihrem Vetter erwieſen hatte, mit vielen Worten. Ich muß aufrichtig geſte - hen, ſprach ſie, daß ich den gottloſen Buben, der ſeine Eltern ins Grab geſtuͤrzt, mir und allen ſeinen Freunden ſo viel Schande gemacht hat, ganz vergeſſen wollte. Wie ich aber hoͤrte, daß ein fremdes Maͤdchen nicht allein ſein Leben gerettet, ſondern ihn auch drei Jah - re lang ernaͤhrt habe, da dachte ich: Du han - delſt doch zu hart, du mußt vergeben und ver - geſſen! Auch will ich mein Geluͤbde halten, will ſein kuͤnftiges Gluͤck zu gruͤnden und zu vermehren ſuchen, wenn er nur kuͤnftig auch keine luͤderliche Streiche mehr begeht, und ſeinem treuen Maͤdchen ihre Liebe lohnt.

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Sie ſprach noch lange in dieſem Tone fort, wie aber auf dem nahen Thurme die Glocken zur Nachmittagspredigt ruften, da ergrif ſie ihr Geſangbuch, eilte fort, und goͤnnte den Liebenden das ſeltne Gluͤck, ungeſtoͤrt ſprechen, ungehindert kuͤſſen zu koͤnnen. Der Bund der ewigen Treue und Liebe ward in dieſer weni - gen Zeit erneuert, ſogar Plaͤne zur kuͤnftigen Erfuͤllung entworfen.

Wilhelm erzaͤhlte ſeiner Sophie, daß ſein vaͤterliches Erbe nahe an zweitauſend Gulden betrage, wenn er nun, fuͤgte er hinzu, was er hoffen und erwarten koͤnne, von der weit reichern Muhme noch eine aͤhnliche Summe erhalten wuͤrde, ſo ſei dieſe Summe hinlaͤng - lich, ſich in einem Staͤdchen eines benachbar - ten Fuͤrſtenthums als Handelsmann zu etabli - ren, und dort gluͤcklich und vorwurfsfrei zu leben. Sophie, welche innig liebte, und ſich daher ſo gerne eine gluͤckliche Zukunft traͤumte,43 billigte den ganzen Plan vom Herzen, bat ſogar, ihn nur recht bald auszufuͤhren. Sie beſuchte nun ihren Wilhelm oͤfters, kam vor - zuͤglich alle Sonntage, um den Nachmittag deſſelben in ſeinen Armen zu durchleben. Wilhelm, den mehr die Schande und die Sorge eines kraͤnkenden Vorwurfs als aͤchte, wahre Reue an ſein Zimmer feſſelte, und an jedem geſellſchaftlichen Vergnuͤgen hinderte, ge - wann bald dadurch das volle Zutrauen der gut - herzigen Alten, ſie wollte eben ſeine Bitte er - fuͤllen, und ihm mit einer hinlaͤnglichen Sum - me unterſtuͤtzen, als ſie ein jaͤher Schlagfluß traf, und ihr nur noch ſo viel Lebensfriſt goͤnnte, um bei vollem Bewuſtſein und reifer Vernunft ihren Vetter zum Univerſalerben einzuſetzen.

Wilhelm war nun ein reicher Mann, ſein Vermoͤgen graͤnzte nahe an funfzehn tauſend Gulden, es beſtand in lauter ſichern Kapita - lien, die er jederzeit aufkuͤndigen und erhe -44 ben konnte. Er that das erſtere, und wand ſich nun aus Sophiens Armen los, um ſich einen Ort zu ſuchen, wo ſie kuͤnftig ruhig le - ben, und das Gluͤck der Liebe genuͤſſen koͤnn - ten.

Ehe er ſchied, forderte er ſchlechterdings, daß Sophie ihrem Dienſte entſagen, und bei ihren Eltern ſeine Ruͤckkunft erwarten ſollte. Die armen Eltern, welche nur auf das zeit - liche Gluͤck ihres Kindes ſahen, billigten So - phiens Wahl und Entſchluß, nur forderten ſie, daß Wilhelm ſich mit ihr vor ſeiner Ab - reiſe verloben ſollte, er war willig, dieſe Forderung zu erfuͤllen, und Sophie verließ das Schloß noch einige Tage vor Wilhelms Abreiſe. Er war mit ihr verlobt, als er ſchied, er verſprach, binnen Mondensfriſt wieder zu kehren, und ſie dann ſogleich zu heu - rathen. Wer kanns dem liebenden Maͤdchen verdenken, wenn ſie bei ſo voller Gewißheit45 ihres nahen Gluͤcks dankbar zu ſeyn wuͤnſchte, minder ſtreng eine kleine Freiheit verweigerte, und dadurch unvermerkt in die Fluthen des brauſenden Stroms gerieth, der alles mit ſich fortreißt, was ſich ſeinen Wellen naht. Als endlich Wilhelm wuͤrklich ſchied, ſo miſchten ſich in die Thraͤnen des Abſchiedes auch Thraͤ - nen der Reue, der verlohrnen Unſchuld, wel - che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr trocknen konnte.

Es war zwiſchen den Liebenden verabredet worden, daß Wilhelm mit jedem Poſttage ſchreiben, ſeine Geſundheit und den Erfolg ſei - nes Unternehmens berichten ſolle. Er erfuͤllte ſein Verſprechen ſtrenge, Sophie erhielt jede Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer - te ſie, wenn ſie in ſeinen Briefen laß, daß er immer weiter reiſe, und es ihm nirgends beha - gen wollte. Wie ein Monat verfloſſen war, und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge -46 ſchrieben hatte, erfolgte kein Brief, keine Nach - richt mehr.

Sophiens Kummer ward bald groß, ward in der Folge unertraͤglich, weil ſie ſich ſchwan - ger fuͤhlte. Vier Monate harrte ſie vergebens auf weitere Nachricht, als aber ihre Eltern uͤber Wilhelms Stillſchweigen ebenfalls traurig wurden, ihr Vorwuͤrfe zu machen begannen, weil ſie ſich mit einem ſo ſchlechten Menſchen in ein Liebesverſtaͤndniß eingelaſſen, und ihrem guten Dienſte ſo leichtſinnig entſagt habe, da rang ſie ingeheim nach Troſt und Huͤlfe. Sie erinnerte ſich izt erſt, daß Wilhelm kurz vor ſeiner Abreiſe einem ſehr rechtſchafnen Advoka - ten die Verwaltung ſeines Vermoͤgens anver - traut habe, ſie eilte zu ihm, um zu erfahren, ob Wilhelm ihm dieſe lange Zeit hindurch eben - falls nicht geſchrieben habe, und wollte ihn dann erſt als tod beweinen, wenn er, da er nicht mehr als funfzig Dukaten mit ſich ge -47 nommen hatte, unter dieſer langen Zeit kein Geld verlangt haͤtte. Todesblaͤſſe verbreitete ſich uͤber ihre Wangen, ſie zitterte und bebte, als der ehrliche Mann ihr ſogleich erzaͤhlte, daß Wilhelm dieſe Zeit uͤber ihm ſtets geſchrie - ben, nun aber wohl nicht mehr ſo oft ſchreiben wuͤrde, weil er ihm eben mit lezter Poſt den lezten Reſt ſeines ganzen Vermoͤgens nach Frankfurt uͤberſandt habe. Er wird ſich dort, fuhr er fort, wie ich aus allem erſehe, etabli - ren und ein reiches Maͤdchen heurathen. Je nun, ſezte er hinzu, ich goͤnne ihr und ihm das Gluͤck herzlich gerne, und wuͤnſche nur, daß es von Dauer ſei. Hier kennt man den Vogel, hier waͤre es ihm nicht gelungen, eine ſo reiche Braut heimzufuͤhren.

Sophie konnte die zentnerſchwere Laſt, welche der Erzaͤhler ſo ſchnell, ſo unbarmherzig auf ſie waͤlzte, nicht ertragen, ſie ſank kraftlos zu Boden. Als der Alte ſie geweckt und ge -48 labt hatte, forſchte er nach ihrem Namen und der Urſache ihres Schreckens, als ſie den er - ſtern ſtammlete, errieth er ſogleich die Urſache des leztern. Er erinnerte ſich, daß Wilhelm ihn in einem ſeiner Briefe ſehr dringend gebe - then hatte, ſeinen Aufenthalt zu Frankfurt vor jedermann, vorzuͤglich aber vor einem ge - wiſſen Maͤdchen, welches ſich Sophie G nen - ne, geheim zu halten. Sie koͤnnen ſich, ſchrieb der Undankbare, die Urſache meiner Bitte leicht denken, ich wurde, als ich noch Granadier war, mit ihr bekannt, das Maͤdchen hieng kletten - maͤßig an mir, ſie gewaͤhrte, und ich genoß al - les. Habſucht und Eigennuz koͤnnte ſie izt leicht reitzen, dem ehmaligen armen, izt reichen Liebhaber nachzulaufen, nach Art dieſer kuͤhnen Kreaturen entweder ſeine aͤußerſt vortheilhafte, ihm ganz gluͤcklich machende Heurath zu hin - dern, oder wenigſtens ihr Stillſchweigen nur fuͤr eine namhafte Summe zu verkaufen.

Der49

Der Advokat, welcher in dieſem Falle Wil - helms ſchaͤndlichen Luͤgen vollen Glauben bei - maß, auch izt noch muthmaßte, daß ihre Nach - frage aͤhnliche Urſache zur Abſicht habe, war of - fenherzig genug, der leidenden Sophie dies alles mit trocknen Worten kund zu machen, ihr nebenbei wohlmeinend zu rathen, daß ſie ſeines Klienten Gluͤck nicht hindern moͤge, weil ſie in jedem Falle zu ſpaͤt kommen, wohl ſeinen Zorn, aber durch ſolche Mittel nie ſeine Großmuth reizen wuͤrde.

Sophiens Zuſtand war ſchrecklich, war er - barmungswuͤrdig. Ihr Blick hatte immer hoffend und feſt an der Zukunft gehangen, izt verfinſterte ſich dieſe gluͤckliche Ausſicht, ein Ab - grund oͤfnete ſich zu ihren Fuͤßen, ſie ſchauderte zuruͤck, und ein noch graͤßlicherer lag vor ihr. Sie fuͤhlte ſich verſtoßen, und verlaſſen; ſie ſah nirgends Troſt, nirgends Hofnung, noch Huͤl - fe; ihre Sinne ſtarrten wuͤrkungslos umher;Biogr. d. W. 4r Bd. D50das Rad ihrer[Einbildungskraft] ſtockte, die im - mer thaͤtige Seele konnte es nicht drehen, nicht wenden. Undank und Grauſamkeit hatten ſie toͤdlich verwundet, ihr Schmerz durchbebte jede Nerve, durchzitterte jede Faſer des ver - laßnen Maͤdchens. Mit jedem Tropfen Blu - tes rollte der zentnerſchwere Gedanke langſam durch ihre Adern, und ſtroͤmte wieder haſtig nach dem Herzen, um dort vergebens Raum zu ſuchen. Sie konnte nicht reden, kaum wanken, ſie verließ das Zimmer des Advokaten, ohne es verlaſſen zu wollen, ſie irrte in den Gaſſen der Stadt umher, ohne zu wiſſen, wohin ſie gehen wolle.

Am Abende fand ſie die ſuchende Mutter in einem Garten der entlegenſten Vorſtadt, ſie ſaß im Gipfel einer hohen Linde, und breitete ihre Arme hoch zum Himmel empor. Ein kleines Maͤdchen, welches ſie hinauf klettern ſah, verrieth ihren Aufenthalt. Die Mutter51 ſtaunte mit Recht uͤber dies ſeltne Unterneh - men, aber ſie ſtaunte bald noch mehr, als die Tochter zwar ihr aͤngſtliches Rufen hoͤrte, willig herabſtieg, aber auch nur zu deutlich be - wies, daß ihre Vernunft ſchlummere, wohl gar ein Raub des Wahnſinues geworden ſey: Die Folge beſtaͤtigte dieſe traurige Gewißheit voll - kommen, lange bliebs den jammernden El - tern ein Geheimniß, welch ein ſchreckliches Un - gluͤck ihr armes Kind in dieſen Abgrund ge - ſtuͤrzt habe, endlich entdeckten ſie durch Zufall den Beſuch, welchen ſie bei dem Advokaten ge - macht hatte, und erfuhren durch dieſen den graͤßlichen Meineid des treuloſen Wilhelms.

Die wahnſinnige Sophie hatte mit ihrer Vernunft auch den Gebrauch ihrer Sprache verlohren, ſie beantwortete keine Frage, uie - mand hoͤrte mehr ein Wort von ihr. Sie ging, wenn ſie daheim war, mit gefalteten Haͤnden, mit geſenktem Auge langſam aufD 252und nieder, und verſuchte ſtets durch tiefe Seufzer, die druͤckende Laſt ihres Herzens zu loͤſen. Schon am andern Morgen umguͤr - tete ſie ihren Koͤrper mit einem langen Flore, und heftete auf ihre linke Bruſt, unter der ihr verlaßnes Herz ruhte, einen ſchwarzen Fleck. Sie zitterte und bebte, ſie wuͤthete und raßte, wenn man ihr dieſen Zierrath rauben wollte, ſie ſchuͤttelte langſam und traurig den Kopf, wenn man ſie troͤſten wollte. Oft entwiſchte ſie der Aufmerkſamkeit ihrer Eltern, und eilte ins Freie. Die ſu - chende Mutter war dann gewiß, daß ſie ſol - che auf der hohen Linde wiederfinden wuͤrde; immer traf ſie ſolche im Gipfel derſelben, wo ſie mit hocherhabnen Haͤnden zu beten ſchien.

Wehmuth fuͤllt mein Herz, theilnehmen - de Thraͤnen treten in mein Auge, wenn ich mir das Leiden der Ungluͤcklichen denke, wenn ich der Urſache nachforſche: Warum ſie eben53 die hohe Linde erſtieg, und dort ſo andaͤchtig betete? Wahrſcheinlich wollte ſie ihren unend - lichen Schmerz, ihren uͤbergroßen Jammer dem Ewigen klagen; wahrſcheinlich glaubte ſie in ihrem Wahnſinne, daß ſie im Gipfel der Linde ihm naͤher ſey, daß er ſie in dieſer Hoͤhe beſſer hoͤren wuͤrde. Ach, es iſt ein ſchaudernerregendes Bild, wenn der Ungluͤck - liche, der nirgends Huͤlfe, nirgends Troſt auf der weiten, großen Erde findet, einen hohen Baum erklettert, um von ſeiner Hoͤhe zum Ewigen zu rufen, da er ſein Flehen aus der Tiefe nicht zu hoͤren ſcheint. Es iſt ein Beweis des hoͤchſten Dranges, des groͤßten Jammers, des fuͤhlbarſten Schmerzes!

Erſt einen Monat ſpaͤter ſahen die ungluͤck - lichen Eltern des ungluͤcklichſten Kindes, daß ihr Jammer noch kein Ziel erreiche, daß er ſich in der Folge noch um ein großes mehren muͤſſe, ſie erkannten deutlich, daß Sophie54 ſchwanger ſey. Ihre gerechte Klagen uͤber den ſchaͤndlichen und meineidigen Verfuͤhrer, wur - den nun lauter, man ſprach in der ganzen Stadt von Sophiens Ungluͤcke; die Obriſthof - meiſterin erfuhr es, und durch dieſe der Marg - graf ſelbſt. Er ſtaunte uͤber den ſchrecklichen Undank des Juͤnglings, er ging am Nachmit - tage ſelbſt nach Sophiens Wohnung, um ſich von der Wahrheit der Geſchichte zu uͤberzeu - gen. Er ſah die Ungluͤckliche, und Thraͤnen traten in ſein Auge, er beſchenkte ihre Eltern ſehr reichlich, und verſprach noch mehr zu thun.

Eine Stunde nach ſeiner Ruͤckkunft ins Schloß, ging ein Kourier nach Frankfurt ab, welcher den gemeßnen Auftrag hatte, Wilhelms Heurath wo moͤglich zu hindern, und ihm un - ter den fuͤrchterlichſten Drohungen zur Ruͤck - kehr und zum Erſatze der leidenden Unſchuld zu bewegen. Der Abgeſandte fand Wilhelmen55 nicht mehr in Frankfurt, er hatte in einem benachbarten Staͤdtchen eine ſchoͤne, reiche Kaufmannstochter geheurathet, und lebte dort mit einem Aufwande, der nach Zeugniß der Sachkundigen, ein weit groͤſſeres Vermoͤ - gen bald verſchlingen wuͤrde.

Ohne zu bedenken, daß nun keine Heu - rath mit Sophien moͤglich ſey, reiſte der Ab - geſandte nach dieſem Staͤdtchen, und machte dem in Freuden lebenden Wilhelm die Schrek - kenspoſt des Marggrafen kund. Sie ſchien ihn ſehr zu erſchuͤttern, er zitterte und bebte, verſprach dem Abgeſandten am andern Morgen eine ſchriftliche Rechtfertigung und eine Sum - me Geldes zur Unterſtuͤtzung der leidenden So - phie zu uͤberbringen. Wie aber der Abgeſand - te bis am Mittag des andern Tages vergebens auf beides harrte, und nun wieder nach Wil - helms Wohnung ging, fand er dort alles in groͤßter Beſtuͤrzung, und erfuhr, daß Wil -56 helm ſchon am Abende vorher aus dem Hauſe verſchwunden, den mitgenommeuen Sachen nach zu urtheilen, ganz entflohen ſey.

Wenn der treuloſe Undankbare mein Land jemals betritt, ſprach der Marggraf, als er dieſe Nachricht hoͤrte, ſo harrt ſeiner ewige Zuchthausſtrafe! Der menſchenfreundliche Fuͤrſt ward nun ſelbſt Vater der Verlaßnen, er ſezte ihr eine jaͤhrliche Penſion von zweihundert Tha - lern aus, er verſprach, das Kind zu verſor - gen, und gebot den Eltern, die Ungluͤckliche nicht durch Vorwuͤrfe zu kraͤnken, ihr viel - mehr durch ſorgfaͤltige Pflege den ſchrecklichen Zuſtand auf alle moͤgliche Art zu erleichtern. Oft ſandte er ihr Speiſen von ſeiner Tafel, und ſchuͤttelte immer nachdenkend den Kopf, wenn er ſich die ſeltne Liebe des Maͤdchens, den ſchrecklichen Undank des Juͤnglings dachte.

Die fuͤrſtliche Fuͤrſorge reizte die nun we - nigſtens von Nahrungsſorgen befreiten Eltern57 zur groͤſſern und mehrern Aufmerkſamkeit. Um Ungluͤck zu verhuͤten, welches in ihrem Zu - ſtande ſo leicht und moͤglich war, verhinderten ſie es ſtrenge, daß Sophie nicht mehr nach dem Garten gehen, nicht mehr die hohe Linde be - ſteigen konnte, aber eben dieſe gute Meinung war die Urſache des ſchrecklichen Todes ihres ungluͤcklichen Kindes. Sophie wollte beten, ihr Ungluͤck, das keiner aͤuſſern Linderung faͤ - hig war, forderte dieſen innern Troſt mit Heftigkeit, ihr Wahnſinn verleitete ſie zu den Gedanken, daß ſie nur auf einem erhabnen Orte beten koͤnne. Als ihr alter Vater, noͤ - thiger Geſchaͤfte wegen, abweſend war, und ihre Mutter mit einer Nachbarin an der Haus - thuͤre ſprach, verließ Sophie das Zimmer, eilte auf den Boden des Hauſes, erkletterte ein Dachfenſter, und wollte durch dieſes bis au den Fenſtern des Hauſes empor klim - men. Die Nachbarn ſahen es, ehe ſie aber zn Huͤlfe eilen konnten, verlohr ihr Koͤrper das58 Gleichgewichte, ſie ſtuͤrzte von der Hoͤhe her - ab, und lag zerſchmettert vor dem ſtarrenden Auge der bebenden Mutter.

Ich wende mein naſſes Auge von dieſer ſchrecklichen Szene; als ſie dem Marggrafen bekannt wurde, ſeufzte er tief, und legte die Hand auf ſein fuͤhlendes Herz. Bald nachher machte er es bekannt, daß er die Leiche ſelbſt zu ihrer Ruheſtaͤtte begleiten wuͤrde, ſeinem Beiſpiele folgte der Hof und die ganze Stadt. Es war ruͤhrend zu ſehen, wie der lange Zug durch alle Gaſſen in krummen Linien dem Sar - ge der Ungluͤcklichen nachwallte. Der Hofpre - diger mußte die Leichenrede halten, er waͤhlte den Text: Er hat mich verlaſſen, aber der Herr nahm mich auf! Aller Augen thraͤnten, als er begann, und manche wan - kende Tugend des luͤſternen Maͤdchens ward durch ſeine vortrefliche Rede zum ſtaͤrkern und ſiegenden Kampfe ermuntert. Der Marggraf59 ließ das Grab der Ungluͤcklichen mit einem Leichenſteine zieren, und zahlte den trauern - den Eltern die zweihundert Thaler bis an ih - ren Tod.

Zwanzig lange Jahre nachher, als der Koͤrper des redlichen Fuͤrſten ſchon in der Gruft ſeiner Vaͤter ſchlummerte, langte am Rathhauſe der Stadt eine ſogenannte Bettel - fuhre an. Ein Sterbender aͤchzte darinne auf einem Bunde Stroh. Die Schriften, welche der Fuhrmann dem Rathe uͤberreichte, uͤber - zeugten den leztern ſogleich, daß der Ster - bende der undankbare, treuloſe Wilhelm ſei. Er war als ein Bettler im benachbarten Lande an der Straſſe krank gefunden, und gemaͤß ſeiner Auſſage, nach ſeinem Geburtsorte zur noͤthigen Verſorgung abgeſandt worden. Wie man ihn nach dem Spitale tragen wollte, hatte er ſeinen fuͤrchterlichen Todeskampf ſchon vol - lendet, er ward auf dem Gottesacker des60 Zuchthauſes beerdigt, niemand ging mit ſei - ner Leiche, niemand weinte an ſeinem Gra - be. Er ruht izt dort, wo er haͤtte dulden und buͤſſen ſollen! O wie gerne moͤchte ich den Vor - hang luͤften, und in das unendliche Jenſeits blicken, um jeden Verfuͤhrer, jeden Meinei - digen mit Gewißheit zurufen zu koͤnnen: Er buͤßt auch dort, was er hier verbrach!

61

Graf von L .

Selten, ſagt man im gemeinen Spruͤchwor - te, ſind die Ehen der Groſſen und Vorneh - men gluͤcklich, weil ſie ſelten aus aͤchter Liebe und Neigung, meiſtens nur aus Eigennutz und Nebenabſichten die Gehuͤlfin waͤhlen, wel - che mit ihnen Hand in Hand durchs Leben wan - dern, Kummer und Freude, Gluͤck und Un - gluͤck mit ihnen theilen ſoll. Graf L war unter den Wenigen, welche blos aus Nei - gung und Liebe waͤhlten, der gluͤcklichſte! Als ſein ſterbender, ſehr reicher Vater von dem jammernden Sohne die Erfuͤllung des einzigen Wunſches, ihn vor ſeinem Ende verheurathet zu ſehen, mit Wehmuth heiſchte, da fuͤhrte der Gehorſame ein ſehr armes, aber ſchoͤnes und tugendhaftes Maͤdchen vor ſein Sterbe -62 bette. Nur wenige Stunden hatte der Alte noch zu leben, ſie waren ihm zu wichtig, um ſie zur Unterſuchung des Stammbaums der Braut zu verwenden, er ſegnete die Verlob - ten, und genoß in der lezten Stunde ſeines Lebens die Freude, ſeinen einzigen Sohn ver - heurathet zu ſehen.

Der zahlreiche Adel der ganzen groſſen Hauptſtadt ſtaunte uͤber dieſe ſeltne und ſchnel - le Heurath. Viele Muͤtter hatten bisher Ur - ſache, zu hoffen, daß der ahnen - und geld - reiche Graf eine ihrer Toͤchter zur Gemahlin waͤhlen wuͤrde, viele Vaͤter glaubten mit Zu - verſicht, daß er den Glanz ihrer zahlreichen Ahnen erkennen, und die durch ihre Ver - ſchwendung arm gemachte Tochter wieder reich und gluͤcklich machen wuͤrde. Aller Ausſichten waren nun vernichtet und verſchwunden, ein unbekanntes, armes Maͤdchen, das nie in einer Aſſemblee erſchienen war, war Graͤfin63 geworden, konnte nun alle an Glanz und Pracht verdunkeln!

Man achtete damals noch ſtreng auf Eti - kette und Ahnenprobe, der zankſuͤchtige Neid wuͤrkte noch ſtaͤrker, als dieſe Achtung, alle Damen beſchloſſen daher, daß keine unter al - len, nach damaliger Sitte und Gewohnheit, die junge Graͤfin in irgend einer Geſellſchaft auffuͤhren wolle, wenn ihr Gatte nicht vorher im Zirkel der Maͤnner deutlich und klar erwie - ſen haͤtte, daß ſie vom aͤchten Adel abſtamme, und apartementmaͤſſig ſei. Sie kannten die Geſinnungen des Grafen aus Erfahrung, ſie wußten, daß er ſich oft ſchon uͤber den Stolz des Adels luſtig gemacht hatte, ſie hoften, daß er aus dieſer Urſache, wenn er es auch vermoͤge, die Probe nicht leiſten wuͤrde, und wollten ſich dann herrlich an ihm raͤchen.

Graf L war erſt acht und zwanzig Jahr alt, als er ſich vermaͤhlte, ſein groſſer Reich -64 thum berechtigte ihn, frei und unabhaͤngig auf ſeinen ſchoͤnen Landguͤtern zu leben, aber ſein thaͤtiger Geiſt verachtete Muͤſſiggang und laͤ - ſtige Ruhe, ſchon im achtzehnten Jahre ſeines Alters trat er in die Dienſte ſeines Monar - chen, ſtieg durch Verdienſt, nicht durch Fuͤr - ſprache, immer hoͤher, und ward nach zwei Monaten, nach dem Tode ſeines Vaters, zum Praͤſidenten der Landesregierung ernannt. Er hatte bisher mit ſeiner ihn aͤuſſerſt liebenden Gattin in ſtiller, haͤußlicher Ruhe gelebt, er war der Trauer wegen mit ihr an keinem oͤf - fentlichen Orte erſchienen, und wuͤrde wahr - ſcheinlich nie dort erſchienen ſeyn, wenn ihm ſein neues Amt nicht neue Pflichten auferlegt haͤtte. Er empfing als Praͤſident vom Mo - narchen ſogenannte Tafelgelder, mußte dafuͤr taͤglich an gewiſſen Tagen eine oͤffentliche Tafel geben, und wahrſcheinlich im Namen des Monarchen den hoͤhern Adel bewirthen. Ehe ein Monat verfloß, erſchien einer dieſerTage,65Tage, er ſandte die gewoͤhnlichen Einladungs - billets umher, und ſtaunte, als er eben ſo viele Entſchuldigungen zuruͤck erhielt. Er glaubte die Urſache zu errathen, und ging am andern Morgen zum Monarchen. Mein Fuͤrſt, ſprach er im offnen Tone, ich bitte, mir die Tafelgelder nicht mehr auszahlen zu laſſen, denn ich kann ſie nicht benutzen, man hat mir alle meine Einladungsbillets mit leeren Ent - ſchuldigungen zuruͤckgeſendet.

Fuͤrſt. Zuruͤckgeſendet? Aus welcher Ur - ſache?

Graf. Ausdruͤcklich vermag ich ſie nicht anzugeben, aber hoͤchſt wahrſcheinlich iſt's dieſe, daß ich ein armes Maͤdchen heurathete, daß ich nur ihre Tugend, ihre vortrefliche Den - kungsart bewunderte, und aus Bewunderung uͤber dieſe ſeltnen Vorzuͤge zu fragen vergaß: Ob ſie auch einen gemahlten, mit ſechszehnBiogr. d. W. 4r Bd. E66Namen beſchriebnen Baum von ihrem Vater geerbt habe?

Fuͤrſt. (laͤchelnd) So iſt's alſo wuͤrk - lich wahr, was man bisher nur im Geheim munkelte, daß der Graf L , einer der ange - ſehenſten Kavaliere meines Landes, eine Buͤr - gerliche geheurathet habe?

Graf. (mit warmer Empfindung) Der Adel ihrer Seele iſt noch groͤſſer, als die Schoͤnheit ihres Koͤrpers! Ich ſehe alſo gar nicht ein, was fuͤr ein Unterſchied zwi - ſchen ihr und andern Damen ſtatt finden koͤn - ne, da ſie des Grafen L s, des fuͤrſtlichen Praͤſidentens Gattin iſt.

Fuͤrſt. Sie ſprechen mit Waͤrme.

Graf. Und ich glaube, auch mit Wahr - heit.

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Fuͤrſt. Wer war der Vater ihrer Gat - tin?

Graf. Er nennte ſich , ſtand als Hauptmann im Dienſte des Koͤnigs von , und ſtarb auf dem Schlachtfelde zu L .

Fuͤrſt. Eine kurze, aber ehrenvolle Bio - graphie.

Graf. Wuͤrklich ruhmvoller, als die Le - bensgeſchichte manches Domherrn, manches deutſchen Ritters mit zwei und dreiſig doku - mentirten und ſtiftsmaͤßigen Ahnen.

Fuͤrſt. (lachend) Lieber Graf, ſie ſind ein Sonderling, aber ich habe Sonderlinge die - ſer Art gerne zu Praͤſidenten, weil ſie nur auf Verdienſt, nicht auf Geburt und Zufall ſe - hen.

E 268

Graf. Dieſe Antwort machte Euer Durch - laucht zum Fuͤrſten, wenn ſie es nicht ſchon waͤren.

Fuͤrſt. Ich danke, lieber Graf, und nehm's nicht als Schmeichelei, ſondern als reine Empfindung ihrer Wahrheitsliebe. Aber, was werden wir nun machen? Die Tafel muß doch wie gewoͤhnlich gegeben werden.

Graf. (laͤchelnd) Ohne Gaͤſte?

Fuͤrſt. O dieſe werden nicht ausbleiben! Doch warten ſie Ich will die Sache an - ders ordnen! Ich werde die Tafel ſelbſt ge - ben, meine Einladungsbillets wird wohl nie - mand mit Entſchuldigung zuruͤckſenden?

Graf. O ganz gewiß nicht.

Fuͤrſt. Alſo auch ſie nicht, denn ſie muͤſ -69 ſen nebſt ihrer mir izt noch unbekannten Ge - mahlin mein Gaſt ſeyn.

Graf. Wenn ich mich nicht abermals hoch an der Etikette verſuͤndigte. Mein Weib be - trauerte bis izt mit mir den Verluſt eines ge - liebten Vaters, der kurz vor ſeinem lezten Augenblicke ihre Hand in die meinige legte, und unſre Verbindung kraͤftig ſegnete. Sie iſt bei unſrer durchlauchtigſten Fuͤrſtin noch nicht vorgeſtellt worden, ſie darf alſo ohnedies bei Hofe nicht erſcheinen, wenn nicht uͤberdies noch

Fuͤrſt. O ich weiß, was ſie ſagen wollen! Das alles entſchuldigt ſie nicht, ich werde mit meiner Fuͤrſtin ſprechen, und ſie erſcheinen mit ihrer Gattin am beſtimmten Tage um zwoͤlf Uhr im Kabinete der Fuͤrſtin. Keine Ausrede findet ſtatt! Sie muͤſſen erſcheinen!

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Graf. Wenn Euer Durchlaucht ausdruͤck - lich befehlen!

Fuͤrſt. Ja, ich befehle es! Bis dahin leben ſie recht wohl!

Der Graf ging, und machte ſeiner Gattin den Befehl des Fuͤrſten kund, er war ihr laͤſtig, denn ſie liebte Einſamkeit und Ruhe, und fuͤrchtete Hohn und Verachtung der hoffaͤrtigen Damen, doch fuͤgte ſie ſich dem Willen des Gatten, dem Befehle des Fuͤrſten. Indeß dieß alles geſchah, war in allen Geſellſchaften und Aſſembleen das Geſpraͤch uͤber die leere Ta - fel des Praͤſidenten in der Tagesordnung. Je - der Wizling, und dieß will ja ſtets jeder junge Kavalier ſeyn, erſchoͤpfte ſich an luſtigen Ein - faͤllen. Alles lachte, wenn ſie ſprachen, ſogar die aͤlteſten Damen billigten vom ganzen Her - zen die Rache, welche man an dem Praͤſidenten uͤbte, weil ſonſt das uͤble Beiſpiel leicht Fol -71 gen nach ſich ziehen, und mancher unerfahrne Junker das buͤrgerliche, reizende Geſicht ſchoͤ - ner, als das ahnen - aber auch fleckenreiche Geſicht einer ſtiftsmaͤßigen Fraͤulein finden, und ſo die Zahl der ſchreckensvollen Meßallianzen vermeh - ren koͤnne.

Der Rachetriumph mehrte ſich um ein großes, als allen am andern Tage kund ward, daß der Fuͤrſt aus wichtigen Gruͤnden bewogen worden ſey, die Tafel, welche ſonſt der Praͤſi - dent in ſeinem Namen geben mußte, ſelbſt zu geben, und aus dieſer Urſache wuͤrklich ſchon die Einladung gemacht hatte.

Seht ihr nun die Folgen der ſchrecklichen Meßallianz! ſprachen die Alten, und blickten mit warnendem Auge ihre Soͤhne an, die dann und wann nach einem Buͤrgerhauſe ſchlichen, und die haͤußliche Ruhe und Gluͤckſeligkeit deſſelben zu zerſtoͤhren ſuchten. Stolzer und72 freier blickten die ahnenreichen Fraͤulein umher, und dankten ingeheim Gott, daß er ſie in einem Stande auf die Welt ſezte, der appartement - maͤßige Tafeln geben, Heiducken halten, und bei oͤffentlichen Aufzuͤgen mit ſechs Pferden fah - ren konnte.

Gebt acht, riefen die alten Raͤthe aus; welche unter dem Vorſitze des jungen Praͤſiden - ten fleiſſiger im Rathe erſcheinen, und thaͤtiger arbeiten mußten, er verliert naͤchſter Tage ſei - ne Praͤſidentenſtelle! Nichts gewiſſers als die - ſes, antworteten die Damen, da er ſeine vor - nehmſte Pflicht nicht erfuͤllen, nicht Tafel ge - ben kann, bei welcher wir ohne Kraͤnkung unſe - rer Ehre erſcheinen koͤnnen. Der arme, durch die unſeligen buͤrgerlichen Reize verfuͤhrte Graf wirds am Ende bereuen, wenn er verach - tet und verlaſſen von allen aufs Land ziehen, und dort in unertraͤglicher Langenweile, in Ge - ſellſchaft roher Bauern ſeine jungen Tage ver -73 leben muß. Die Rache iſt ſchrecklich, aber er hat ſie verdient, ſein kuͤhner Schritt beleidigte die Geſezze der Natur, die ausdruͤcklich gebieten, daß ſich gleich und gleich verbinden ſoll, die Fol - gen koͤnnen nicht ausbleiben!

Ich ende das Geſchwaͤz des ſtolzen Un - ſinns, ich eile zu wichtigern, und ſchoͤnern Be - gebenheiten: Der Graf erſchien zur beſtimmten Zeit mit ſeiner ſchoͤnen Gattin im Kabinete der Fuͤrſtin. Sie war gnaͤdig und gut, ſie liebte ihren Fuͤrſten mit Leidenſchaft und Waͤrme, er hatte es ausdruͤcklich gefordert, und die Fuͤr - ſtin eilte mit offnen Armen der jungen Graͤfin entgegen. Sie mußte Plaz an ihrer Toilette nehmen, die beſcheidne Art, mit welcher ſie das unerwartete Gluͤck annahm, und zu verdienen ſuchte, die Richtigkeit, mit welcher ſie ſprach, die Waͤrme, mit welcher ſie im Geſpraͤche je - de Wahrheit vertheidigte, die vielen Kennt - niſſe, welche ſie in ihrem Geſpraͤche verrieth,74 erwarben ihr bald die wuͤrkliche Achtung und Freundſchaft der Fuͤrſtin. Gute Seelen finden ſich bald, und wiſſen ſich noch ſchneller zu ſchaͤtzen. Der Dank der Fuͤrſtin war daher aufrichtig, als endlich der Fuͤrſt ins Kabinet trat, und laͤchelnd fragte: Wie ihr die neue Geſellſchaft behage? Sie iſt meine Freundin worden, antwortete die Fuͤrſtin, und ich hof - fe noch manche angenehme Stunden in ihrer Geſellſchaft zu genuͤßen. Die Wahl macht alſo ihrem Herzen und Verſtande gleich große Ehre, ſprach der Fuͤrſt mit vergnuͤgtem Blicke zum Grafen, reichte der Graͤfin den Arm, und ging voran, um ſie nach dem Speiſeſaal zu fuͤhren; die Fuͤrſtin folgte am Arme des Gra - fen.

Der ganze hohe Adel der Hauptſtadt war im Speiſeſaale verſammlet, die Thuͤren oͤfue - ten ſich, und manches Geſicht bleichte, ver - zog ſich in maͤchtige Falten, als es die ver -75 haßte Buͤrgerin am Arme des Fuͤrſten erblickte. Viele kannten ſie noch nicht, ehe ſie aber for - ſchen und fragen konnten: Wer die fremde Dame ſey? Ergriff die Fuͤrſtin die Hand der Graͤfin, und fuͤhrte ſie bei allen Damen des Hofs mit der Bemerkung auf, daß dies die wuͤrdige Gemahlin des Herrn Praͤſidenten Gra - fen von L ſey, und daß ſie ſich gluͤcklich ſchaͤtze, ihre Bekanntſchaft gemacht zu haben.

Es war des Mitleids wuͤrdig, wie die ſtaunenden Damen ihre Faſſung zu erhalten ſuchten, nicht freundlich ſeyn wollten, und doch freundlich ſeyn mußten. Der Fuͤrſt ſah zu, und laͤchelte. Man nahm Platz an der Tafel, die Graͤfin ſas an der Seite des Fuͤr - ſten, der Graf neben der Fuͤrſtin. Alles ſchwieg, nur dieſe ſprachen, und die Graͤfin, welche izt ihren innern Werth zu fuͤhlen be - gann, zeichnete ſich bald auf eine aͤuſſerſt vor - theilhafte Art aus. Jeder der Tafelnden ſuch -76 te ſich nun in ſein Schickſal zu fuͤgen, die Wunde, welche der Stolz eines jeden empfing, war groß und fuͤhlbar, aber man eilte auch, ſie eben ſo geſchwind, als ſie fuͤhlbar wurde, zu verbinden und zu verheelen.

Viele der anweſenden Kavaliere ſtammle - ten der neuen Graͤfin nach aufgehobner Tafel ihre Verehrung, und manche Dame ſtahl ſich hin zu ihr, und ihr ingeheim zufluͤſtern zu koͤnnen, daß ſie ſich gluͤcklich ſchaͤtzen wuͤrde, wenn ſie ſich bald ihres Beſuches erfreuen koͤnnte. Als man noch an der Tafel ſaß, ſprach der Fuͤrſt mit einmal: Apropos! lie - ber Praͤſident, eben faͤllt mirs bey, daß ich ſie heute des Vergnuͤgens beraubte, den groͤß - ten Theil meiner angenehmen Geſellſchaft in meinem Namen zu bewirthen, ich kann und will ſie dieſer Pflicht nicht entbinden. Beſtim - men ſie alſo, da wir alle beiſammen ſind, deu Tag, an welchem ſie ſolche erfuͤllen wollen.

77

Der Graf. Ich uͤberlaſſe die Beſtim - mung Euer Durchlaucht.

Fuͤrſt. So ſey's der kuͤnftige Montag, weil an dieſem eben meine Frau ihren Geburts - tag feiert, ich hoffe, daß ſie mich und ſie auch laden werden, wir werden willig erſchei - nen, und dieſen ſchoͤnen Tag in ihrer Geſell - ſchaft gewiß recht angenehm zubringen. Die Wahl der uͤbrigen Geſellſchaft uͤberlaſſe ich ih - nen, und bin dann gewiß, daß ſie nur ihre und meine Freunde waͤhlen werden!

Dieſe Donnerworte wuͤrkten maͤchtig, je - der wuͤnſchte herzlich an der Tafel Theil zu nehmen, um fuͤr einen Freund des Fuͤrſten geachtet zu werden, daher kams, daß ſich die Verachtung in ſo ſchnelle Verehrung verwandel - te, daß man izt mit groͤßter Begierde die Freundſchaft des Grafen und ſeiner Gattin ſuchte. Beide waren großmuͤthig genug,78 nicht Gegenrache zu uͤben, ſie genoſſen den verdienten Triumph im Stillen, und kamen jeden, der ſich ihnen nahte, mit Freundlich - keit entgegen. Jeder, welcher geladen zu werden wuͤnſchte, wurde geladen, und dies verpflichtete wenigſtens alle zur aͤußerlichen Hochachtung, zum innerlichen Danke.

Fuͤrſt und Fuͤrſtin bemuͤhten ſich, am be - ſtimmten Tage die Graͤfin aufs neue unter al - len Damen auszuzeichnen, und dieſe Bemuͤ - hung war die Urſache, daß man ganz zu ver - geſſen ſchien: Wer ſie einſt war? nur darauf achtetete: Was ſie izt ſey? Der Graf genoß als Praͤſident das volle Zutraun ſeines Fuͤrſten, ſeine Tafel ward immer zahlreich beſucht, und die Graͤfin erſchien nun, ohne aufgefuͤhrt zu werden, an allen oͤffentlichen Oertern, und in allen Geſellſchaften bei Hofe, wurde uͤberall hoch geſchaͤzt und geehrt, weil die Fuͤrſtin ſie als Freundin liebte. Freilich wurde im gehei -79 men, vertrauten Zirkel noch oft der Name der guten Graͤfin eitel genannt, und bitter uͤber das allzu leutſelige Betragen des fuͤrſtlichen Paars gloſſirt! Freilich gabs noch viele hoch - adliche Herren und Damen, welche dieſe Hand - lung als eine Verlezzung der theuer beeideten Landesverfaſſung, als einen Eingriff in die Rechte des Adels, als einen despotiſchen Machtſpruch ſchilderten, aber alle kamen doch darinne uͤberein, daß man dem reiſſenden Strome nicht widerſtehen koͤnne, und auf ge - legnere Zeit harren muͤſſe, bis man dieſe un - verdiente, hoͤchſt kraͤnkende Demuͤthigung raͤ - chen koͤnne.

Es verfloſſen acht lange Jahre, und die ſo oft gewuͤnſchte, ſo ſehnlich erwartete Gele - genheit zur Rache erſchien nicht. Immer mehrte ſich das Vertrauen des Fuͤrſten gegen den Grafen, die Freundſchaft der Fuͤrſtin ge - gen die Graͤfin. Man hatte geduldig zuſehen80 muͤſſen, wie der Fuͤrſt zwei der unadlichen Baſtarden, mit welchen die Graͤfin ihren Gat - ten erfreute, auf eigner Hand zur Taufe trug, und ſie durch ſeinen Namen hoch adelte. Man haͤtte gerne den Ruf der Graͤfin durch den Ver - dacht befleckt, daß der Fuͤrſt ſeine Urſachen zu dieſer ſo auszeichnenden Handlung haben muͤſſe, wenn nur er oder die Graͤfin irgend einen moͤg - lichen Scheingrund zu dieſer Vermuthung gelie - fert, die leztere nicht ſelbſt durch ihre auſſer - ordentliche, uͤberall hervorleuchtende Liebe gegen ihren Gatten derſelben geradezu wider - ſprochen haͤtte. Kurz zu ſeyn: Man be - muͤhte ſich wuͤrklich ſchon, das eingebildete, geduldete Unrecht zu vergeſſen, als mit einmal die ſo ſehnlich erwartete Gelegenheit zu nahen ſchien, die ſchlafende Rache weckte, und die Kaͤmpfer zum allgemeinen Kampfe vereinte.

Ein fremder Kavalier erſchien um dieſe Zeit bei Hofe, er und ſeine wuͤrklich ſehr ſchoͤneund81und reizende Schweſter ſuchten bei dem Fuͤrſten die Wohlthat zu erlangen, einen in einer rei - chen Erbſchaft nach aller Form Rechtens ver - lohrnen Prozeß wieder zu erneuern, und durch groͤſſere, neue Beweiſe zu ihrem Vortheile zu lenken. Der Fuͤrſt begegnete in jeder oͤffent - lichen Geſellſchaft dem fremden Kavalier, noch mehr aber ſeiner ſchoͤnen Schweſter mit beſon - derer Achtung, und gab endlich, ungeachtet der Praͤſident es wiederrieth, und die neuen Beweiſe als geringfuͤgig verwarf, die ausdruͤck - liche Erlaubniß, daß der Prozeß vom Neuen beginnen, und die voͤllige Entſcheidung ihm ſelbſt vorbehalten ſein ſolle.

Schon dieſe ſonſt ganz ungewoͤhnliche Ent - ſcheidung des Fuͤrſten gab Urſache zum Nach - denken, dies vermehrte ſich noch weit ſtaͤrker, als man deutlich gewahrte, daß der Fremde ſamt ſeiner Schweſter ſehr groſſen Aufwand mache, da es doch allgemein bekannt war, daßBiogr. d. W. 4r Bd. F82beide wirklich ſehr arm waͤren, nur von der Hofnung des neuen, unſichern Prozeſſes lebten. Man ſpuͤrte eifrig der Quelle des ſo unerwar - teten Aufwands nach, und eilte, als man ſie entdeckt zu haben glaubte, mit groͤßter Be - gierde zur anſcheinenden Favoritin, um theils aus ihrer Bekantſchaft kuͤnftigen Nutzen zu zie - hen, theils aber auch Gelegenheit zu finden, ſich durch dieſen ſo maͤchtigen Kanal an dem Praͤſidenten und ſeiner Gattin nachdruͤcklich zu raͤchen. Die fremde Dame ſchien ganz in das Komplot einzuſtimmen, weil ſie auf der wei - ten, groſſen Erde bisher nichts auszeichnendes und kein anderes Eigenthum als ihren ahnen - reichen Adelsbrief beſeſſen hatte, dieſen einzigen Reichthum daher uͤber alles ſchaͤtzte, und bei jeder Gelegenheit von ihren glorreichen Vor - fahren ſprach.

Als die Fremde ſich lange genug mit Be - weiſen erſchoͤpft hatte, daß der Adel ihres83 Vaterlauds ſo etwas nicht dulden wuͤrde, als ſie mit vielem Witze beigefuͤgt hatte, daß man nun wohl die Urſache einſehen koͤnne: Warum der Praͤſident einer ſo uralten, anſehnlichen Familie die reiche Erbſchaft ab, und einer weit geringern, weit ahnenaͤrmern Familie zuge - ſprochen habe? trat ihr Bruder in den zahl - reichen Zirkel, welcher ſich um ſie verſammelt hatte. Aber ſagt mir nur, ſprach er im bra - marbaſirenden Tone, ihr Herrn und Damen insgeſamt: Ob denn keiner unter euch allen den edlen Stolz beſaß, dieſe groſſe Beleidi - gung zu ahnden und zu raͤchen.

Einige. Sollten, konnten wir gegen den Willen des Fuͤrſten handeln?

Der Fremde. Nicht gegen dieſen, ſon - dern gegen das Buͤrgermaͤdchen, welches ſich ſo gewaltſam in eure geſchloßnen Geſellſchaf - ten eindraͤngt, und jeden ehrliebenden Aus -F 284laͤnder verhindert, daran Theil zu nehmen. Haͤtte ich von der abſcheulichen Meßallianz nur ein Wort erfahren, ich haͤtte an des Praͤſi - denten Tiſche nie einen Biſſen gegeſſen, in ſei - nem Hauſe keine Karte angeruͤhrt. Wo Ge - walt nichts vermag, da muß Liſt ſiegen! Waͤre ich ein Mitglied eures Bundes, ſchon laͤngſt haͤtte die Buͤrgerliche aus der Geſellſchaft wei - chen, und daheim es tief fuͤhlen muͤſſen, daß man eine hohe Treppe nicht uͤberſpringen, ſon - dern nur Stufenweiſſe erſteigen muß. (Alle Anweſende zukten die Achſeln.) War - tet, nur wartet, ich wills euch lehren, wie man in dergleichen Faͤllen handeln muß. Mor - gen iſt Spiel bei Hofe, iſts moͤglich, daß ich mich zum Tiſche der Frau Buͤrgerin draͤngen kann, ſo ſollt ihr alle eure Freude erleben, wie ich blos durch Witz und treffende Anſpie - lungen das ſtolze Ding demuͤthigen will. Ich wette, was ihr wollt, ſie wird, ſie muß es fuͤhlen, und ſollte die buͤrgerliche Haut fuͤr85 feine Stiche nicht reitzbar genug ſein, ſo wie - derholt man ſie ſtaͤrker, bis ſie's fuͤhlt, und ſich demuͤthiglich in ihr Schneckenhaus zuruͤck - zieht!

Alles lachte, alles freute ſich auf dieſe herrliche Szene, nur einige wenige gaben ab - ſichtlich dem Fremden den wohlmeinenden Rath, zu uͤberlegen und zu bedenken, daß ſolch ein Scherz leicht die Ungnade des Fuͤrſten und der Fuͤrſtin nach ſich ziehen koͤnne, als aber der Fremde mit einem ſehr bemerkbaren Seiten - blick auf ſeine Schweſter verſicherte, daß der Fuͤrſt eines ſolchen Bagatells wegen, ihm ſeine Gnade nicht entziehen wuͤrde, und die Schwe - ſter uͤberdies impertinent genug war, ihres Bruders Behauptung mit einem geheimnißvol - len Laͤcheln zu beſtaͤtigen, ſo wußte man, was man wiſſen wollte, und war nun uͤberzeugt, daß die Rache gelingen wuͤrde.

86

Aller Augen ruhten auf dem Fremden, als er am andern Tage ſich kuͤhn zum Spiel - tiſche der Praͤſidentin draͤngte, und von der Gefaͤlligen ſogleich die Erlaubniß erhielt, an ihrem Spiel Theil zu nehmen. Wider Ge - wohnheit wnrde an den benachbarten Tiſchen aͤuſſerſt zerſtreut geſpielt, man ſprach kein Wort, weil man gerne hoͤren wollte, wie der ſtolze Fremde ſein Wort erfuͤllen wuͤrde. Das Tarokſpiel war dazumal noch nicht in die Buͤr - ger - und Bierhaͤuſer verbannt, man ſpielte es haͤufig bei Hofe, und die Praͤſidentin ſpielte es eben mit ihrer Geſellſchaft. Nach einigen ſtill durchſpielten Parthien ereignete ſich der Zufall, daß die Praͤſidentin eben eine ſ[k]iſirte Kavallerie anſagte, als der Fremde eine wirk - liche und natuͤrliche beſaß.

Um Verzeihung, ſprach dieſer im laͤcheln - den Tone, als ſie ſolche vorzeigte, diesmal muß mir ihr Bruder der Monſieur Skis den87 Vorzug goͤnnen, denn ich habe eine natuͤrli - che Kavallerie.

Die Praͤſidentin. (im laͤchelnden, unſchuldigen Tone) Seit welcher Zeit iſt denn der Skis mein Bruder geworden?

Der Fremde. (ſeine Karten ord - nend im hingeworfenen Tone) Seit acht Jahren Madam!

Die Praͤſidentin. Wie ſo?

Der Fremde. (im gleichen Tone fortſprechend) Der Monſieur Skis iſt ein rechtkuͤhner Kerl, er mengt ſich in alles, giebt ſich izt eben fuͤr eine Dame aus, und iſt doch weiter nichts als ein ganz gemeiner Geſelle, den man nur im Nothfalle dazu brauchen kann. Es iſt mir herzlich lieb, daß ich eben den Hoffaͤrtigen demuͤthigen, und ihm beweiſen88 kann, daß eine wirkliche Dame weit mehr ſei, als eine ſkiſirte Dame. (die Praͤſidentin anblickend) Madam, ſie ſpielen aus!

Sie thats, ohne ein Wort zu ſprechen. Ihre Wangen waren hoch geroͤthet, ihr nie - dergeſchlagnes Auge ruhte auf den Karten. Dies vermehrte den Triumph der Anweſen - den, welche das Geſpraͤch deutlich gehoͤrt hat - ten, und es nun mit ſtillem Hohngelaͤchter von einem Tiſche zum andern verbreiteten. Die Praͤſidentin ſpielte noch einige Zeit fort, end - lich endigte ſie das Spiel unter einem Vor - wande fruͤher als gewoͤhnlich. Wie ſie die gebrauchten und verlohrnen Marken gegen Geld auswechſeln wollte, entfiel ihrer merkbar zit - ternden Hand ein Dukaten, ſie buͤckte ſich dar - nach, und ſuchte ihn unter dem Tiſche. Der Fremde, welcher aus Prahlſucht einen groſſen Pack Bankuoten herausgezogen hatte, um ſeine kleine Spielſchuld zu bezahlen, ergrif ſogleich89 eine Banknote von hundert Thaler, drehte ſie in Gegenwart vieler hinter ihm ſtehenden Kavaliers in die Geſtalt eines Fidibus zuſam - men, zuͤndete ſolche behende an der Wachs - kerze an, und leuchtete damit der ihren Du - katen ſuchenden Graͤfin.

Alles ſchrie und lachte, man war ſogar ſo kuͤhn, der Graͤfin am Ende den herrlichen Gedanken zu erzaͤhlen, und das Noble und Erhabne deſſelben zu loben.

Die Praͤſidentin entfernte ſich ſtillſchwei - gend, und eilte nach Hauſe. Wie ihr Gatte, dem eine laͤngere Parthie am Spieltiſche gefeſ - ſelt hatte, auch heimkehrte, wiſchte ſie die Thraͤnen aus ihren Augen, und ging ihm mit der gewoͤhnlichen Freundlichkeit entgegen. Du ſuchſt mir, ſprach dieſer im ernſten Tone, vergebens deine Thraͤnen zu verbergen, ſie flieſſen gerecht, und mein iſt die Pflicht, ſie90 zu ſtillen, und den Schimpf zu raͤchen. Unge - achtet ſich die Graͤfin alle Muͤhe gab, ihren Gatten zu beſaͤnftigen und zu bewegen, daß er um ihrer willen nicht Zank und Streit ſuchen, nicht Genugthuung fordern moͤge, ſo beſtand er doch hartnaͤckig auf lezterer, nur verſchwieg er ihr die Art, wie er ſie fordern wuͤrde.

Wie der Tag anbrach, verließ er ſein La - ger, auf welchem er die Nacht ſchlaflos durch - wacht hatte, und ging unter dem Vorwande, daß er wichtige Geſchaͤfte habe, nach ſeinem Kabinete. Er ſchrieb einen Brief, und ſandte den Kammerdiener damit fort, der erſt nach einigen Stunden die Ruͤckantwort uͤberbrachte. Er las ſie mit merkbarem Vergnuͤgen, blieb einige Zeit im Kabinete allein, und wollte eben ſeine Kinder beſuchen, als ein Leibhuſar des Fuͤrſten erſchien, und ihn ſchnell nach Hofe berief. Der Fuͤrſt empfing ihn mit ernſtem91 Blicke. Sie haben, ſprach er, den fremden Grafen R herausgefordert?

Graf. Ja, Euer Durchlaucht! (mit fe - ſtem Tone) Ich kanns nicht laͤugnen!

Fuͤrſt. Er hat verſprochen zu erſcheinen?

Graf. Ja, Euer Durchlaucht.

Fuͤrſt. Aber ich habe es ihm verboten, und verbiete es auch ihnen bei groͤßter Ungna - de, bei ſchaͤrfſter Ahndung! Dem Fremden verdenke ich es nicht, daß ers zuſagte, wie man ihn forderte, aber ihnen ihnen muß ichs doppelt verdenken. Kennen ſie die Geſetze mei - nes Landes nicht? Ich wuͤrde es nicht wagen, den Chef und Vertheidiger derſelben auf dieſe Art zu fragen, wenn er es nicht ſelbſt geſtan - den haͤtte, daß er ſie mit ſo feſtem Vorſatze verletzen wolle. Nur ihr unbedingter Gehor -92 ſam kann die That vergeſſen machen, ſonſt muͤßte ich ſie ahnden und raͤchen.

Graf. Euer Durchlaucht haben recht, ich fuͤhls, daß ich die Wuͤrde meines Amtes kraͤnk - te, und mich deſſen ganz unwuͤrdig machte. Ich bitte daher Euer Durchlaucht unterthaͤ - nigſt, mich meines Amtes zu entlaſſen.

Fuͤrſt. (zornig) Iſt das ihre ernſtli - che Bitte?

Graf. Noch nie bat ich ſo dringend, ſo ernſtlich!

Fuͤrſt. Sie ſei ihnen gewaͤhrt.

Graf. Ich danke innigſt und demuͤthigſt.

Fuͤrſt. Aber glauben ſie nicht etwan, daß dieſe ſtolze Entſagung meines Dienſtes ſie93 berechtigt, nur den Gedanken eines Duelles auszufuͤhren. Ich unterſage es ihnen aufs neue, und verſichere ſie auf Wort und Ehre, daß ich ernſte Maasregeln ergreifen, daß ich ſie zeitlebens auf eine Feſtung ſetzen wuͤrde, wenn ſie nur Mine machen wuͤrden, mein ſtren - ges Verbot zu uͤbertreten.

Graf. Ah, das iſt hart! Ah, das hat der raſtloſe Eifer im Dienſte meines Fuͤrſten nicht verdient!

Fuͤrſt. Ich ſpreche izt nicht mit dem wuͤr - digen Praͤſidenten meines Landes, ſondern mit dem Kuͤhnen, der meine Geſetze mit Fuͤſſen tre - ten will. Als dieſer muß es ihnen angenehm ſeyn, wenn der Fuͤrſt nur warnt, wenn er ſtra - fen koͤnnte. Was hat ihnen denn der Graf ge - than, daß ſie zu einer ſo verwegnen Rache ſchreiten wollen?

94

Graf. Er hat meine Gattin beleidigt.

Fuͤrſt. Wer weiß

Graf. Er hat meine Gattin tief belei - digt.

Fuͤrſt. So wie ich von allen gegenwaͤrti - gen Zeugen, denen ich glauben kann und glau - ben muß, erfahren habe, ſo wars mehr Be - gierde, durch Witz zu glaͤnzen, als eigentliche Abſicht, ihre Gattin zu beleidigen. Schon aus dieſer Ruͤckſicht verdient die ganze Sache Ver - geſſenheit, die ich ihnen dringend anempfehle.

Graf. So etwas kann, darf ich nicht ver - geſſen. Meine Ehre erlaubt es nicht.

Fuͤrſt. Ein wahres Vorurtheil!

Graf. Sei's ein Vorurtheil, aber die Welt achtet einmal darauf, und ich will nicht der einzige ſeyn, der's zu vernichten wagt.

95

Fuͤrſt. Sie ſind ein Sonderling! Ver - zeihen ſie, daß ich es ſagen muß, ſie ſind ein Undankbarer! Sie haben ſich kuͤhn uͤber ein weit ſtaͤrkeres Vorurtheil hinweggeſezt, als ſie heuratheten; es koſtete mir Muͤhe und Arbeit, ihren Schritt zu vertheidigen, und izt, da ich ein billiges Vergeltungsrecht, die Ueberwin - dung eines weit kleinern und obendrein ſtraͤf - lichen Vorurtheils fordere, beſtehen ſie auf ih - rem Vorſatze.

Graf. Darf ich mich entfernen?

Fuͤrſt. Nein! ſie muͤſſen mich weiter hoͤ - ren.

Graf. Der Fuͤrſt ſpreche, der treue Un - terthan hoͤrt.

Fuͤrſt. Ich erwarte dies. Koͤnnen ſie es dem fremden Grafen wohl verdenken, wenn96 auch er auf ſein Vorurtheil ſtolz iſt, und es zu vertheidigen ſucht?

Graf. O ich verdenke es ihm gar nicht, und hoffe gleiche Billigkeit von ihm.

Fuͤrſt. Sie wandeln wieder auf einem verbotnen Schleichwege.

Graf. Euer Durchlaucht zwangen mich dazu.

Fuͤrſt. (mit Guͤte) Ich will ſie auf die grade Straſſe zuruͤckfuͤhren, will vergeben und vergeſſen, will ſelbſt Gelegenheit zur[Verſoͤh - nung] machen. Werden ſie ſolche ausſchlagen?

Graf. Nein! Wenn Graf R in eben der zahlreichen Geſellſchaft, in welcher er meine Gattin beleidigte, mich und ſie oͤffentlich um Vergebung bittet.

Fuͤrſt. O ſie verlangen Unmoͤglichkeiten!

Graf.97

Graf. Eine ſehr leichte Moͤglichkeit, wenn ihm anders ſein Leben nicht gleichguͤltig iſt.

Fuͤrſt. (ſehr zornig) Genug und uͤbergenug! Binnen einer Stunde werden ſie die Reſidenz verlaſſen, ihre Frau wird ihnen in ſo viel Tagen folgen. Sie werden nie da, wo ich bin, nie mehr vor meinem Angeſicht erſchei - nen! Gehen ſie, und wenn ihnen Reue anwan - delt, ſo bedenken ſie, daß ſie dieſe Strafe durch ihre Hartnaͤckigkeit verdienten.

Graf. Ich danke! Ich danke! Darf ich mich izt entfernen?

Fuͤrſt. Gehen ſie! Gehen ſie auf im - mer!

Der Graf ging. Unterdruͤckter, gehemm - ter Zorn und Begierde nach Rache leitete ſeineBiogr. d. W. 4r Bd. G98Schritte, wurde Meiſter ſeiner Vernunft, wel - che die ſchrecklichen Folgen nicht mehr erwaͤgen konnte. Ohne eigentlichen Vorſatz, ohne es ſelbſt zu wollen, trat er in die Wohnung des fremden Grafen, in deſſen Zimmer ſich eben eine zahlreiche Geſellſchaft befand, welche ge - kommen war, ihm Gluͤckwuͤnſche uͤber ſeine heroiſche That, uͤber ſeinen glaͤnzenden Witz zu machen, und zu fernern Thaten anzufeuern. Eben ſchwur er hoch und theuer, daß er nicht raſten, nicht ruhen wuͤrde, bis er die buͤrger - liche Praͤſidentin aus allen Geſellſchaften ver - draͤngt habe, als der Praͤſident ins Zimmer ſtuͤrmte. Der ſtolze Bramarbas erbleichte, und ſeine eben ſo niedrig denkenden Schmeich - ler zogen ſich zuruͤck.

Graf L . Haben ſie meinen Brief er - halten?

Graf R . Ich habe, ich habe auch geant -99 wortet, allein der Fuͤrſt hat's ausdruͤcklich un - terſagt, und ich

Graf L . Und ſie ſind ein feigherziger Schurke, der wohl wehrloſe Weiber beleidigen kann, aber dem Manne nicht Rede ſtehen will.

Graf R . Herr Graf! Herr Praͤſident!

Graf L . Sie haben meine Ausforde - rung abſichtlich bekannt gemacht, damit der Fuͤrſt ſie erfahre und verhindere. Sie ſind ein zaghafter Bube: Raͤchen ſie dieſen Schimpf, wenn ſie Muth haben.

Graf R . (zu den Gaͤſten) Meine Herren, verhindern ſie Ungluͤck

Graf L . Schurke! zieh!

G 2100

Er drang mit dem Degen auf ihn ein, Graf R zog den ſeinigen, aber er vertheidigte ſich nur ſchwach, furchtſam und ungeſchickt, ehe die Anweſenden Muth faßten, die Streitenden zu hindern, ſank Graf R roͤchelnd zu Boden, ein Stich durch die Lunge raubte ihm in zwei Stunden das Leben. Niemand wagte es, den wuͤthenden Grafen L anzuhalten, als er ſich, wie Graf R zu Boden ſank, eilend ent - fernte.

Wie das Blut aus der Wunde des Ermor - deten hervorſtroͤmte, entfloh hohnlachend die geſaͤttigte Rache, Zorn und Wuth folgten, und uͤberlieſſen den Thaͤter der ruͤckkehrenden Vernunft. Dieſe rieth zur ſchnellen Flucht, er hatte, ehe er zum Fuͤrſten berufen wurde, zu ſatteln geboten, er erinnerte ſich izt dieſes Befehls, eilte nach Hauſe, ſchwang ſich auf das bereitſtehende Roß, und jagte unaufhalt - ſam von dannen. Er liebte ſein Weib aufs101 innigſte, er war der zaͤrtlichſte Vater ſeiner Kinder, aber Furcht, Angſt und Reue erlaub - ten ihm nicht, beide noch einmal zu ſehen[u]nd an ſein Herz zu druͤcken, er war uͤberzeugt, daß er ſich nicht von ihnen trennen koͤnnte, wenn er ihr Flehen hoͤrte; er wußte, daß der Rabenſtein ſein Todenbette werden muͤſſe, wenn er bliebe; er eilte fort, um ſich vor die - ſem ſchmaͤhlichen Tod zu retten, und ſeinem Weibe groͤſſern Jammer, ſeinen Kindern Schande zu erſparen.

Erſt nach zwei Stunden erfuhr der Fuͤrſt die That und des Grafen R s Tod mit ein - mal. Er wuͤthete und raßte, er ſchwur hoch und theuer, daß er beides ſtreng raͤchen wuͤrde. Nicht allein Gerechtigkeitsliebe, ſondern auch eine heftige Leidenſchaft war die Urheberin die - ſes Schwurs. Die Spaͤher ſeiner Handlungen hatten gut und weiſe geurtheilt; er liebte die fremde Graͤfin innig und zaͤrtlich, er ſuchte102 ihre Gegenliebe durch praͤchtige Geſchenke, durch noch groͤſſere Verſprechungen zu gewin - nen. Sie nahm beides, aber ſie widerſtand, und fachte dadurch die Flamme noch heller an.

Als er ſich am Morgen nach ihrer Woh - nung ſchlich, durch neue Geſchenke nur einen Kuß erbetteln wollte, trat ihr Bruder, der Graf R , mit bleichem Angeſichte ins Zim - mer, ſprach heimlich mit ihr, und uͤbergab ihr das ſchreckbare Ausforderungsbillet des Grafen L . Sie verſprach den Furchtſamen Vermitt - lung, und er ging mit leichtem Herzen von dannen. Als er fort war, erzaͤhlte die Liſtige dem verliebten Fuͤrſten alles, verſprach ihm ſechs freiwillige Kuͤſſe, ließ ihn noch mehrere hoffen, wenn er die Sache ſo vermittle, daß der Praͤſident ſchweigen muͤſſe, und ihr Bru - der ſeines Scherzes wegen der Todesgefahr entriſſen wuͤrde.

103

Der Fuͤrſt gab ſein Wort, glaubte es durch die Entfernung des Praͤſidenten ganz erfuͤllt zu haben, und wollte eben wieder zur Graͤfin ei - len, um die Fruͤchte ſeiner Bemuͤhung zu ernd - ten, als ihm dieſe ſchreckliche Nachricht ward. Um ſeine Unſchuld zu beweiſen, um darzuthun, daß er ſein Wort getreu erfuͤllte, und endlich die betruͤbte Schweſter zu troͤſten, fuhr er zum er - ſtenmale oͤffentlich nach der Wohnung der Graͤfin. Sie weinte, als ſie aber den Fuͤrſten erblickte, ſtock - ten ihre Thraͤnen, ſie ergrif ſeine Hand, und fuͤhrte ihn ſtillſchweigend nach dem Zimmer des Ermordeten. Dies war, ſprach ſie im furcht - baren Tone, mein Bruder, der Praͤſident war ſein Moͤrder. Wenn dieſer auf dem Raben - ſteine geblutet hat, wenn ſein Weib ſammt ihrer verfluchten Brut an fremden Thuͤren um Brod bettelt, dann. Fuͤrſt, ſpreche ich wieder mit ihnen, dann bin ich ganz die Ihrige. Wenn aber der Ruchloſe nicht blutet, wenn ſein Weib und ſeine Kinder nicht betteln, ſo ſei das104 Wort, welches ich mit ihnen ferner ſpreche, das lezte, welches mein Mund auszuſprechen vermag. Ich ſchwoͤrs bei der Leiche des gelieb - ten Bruders, ich wills halten all mein Lebe - lang! Mit dieſen Worten entſchluͤpfte ſie der Hand des Fuͤrſten, und war nicht mehr zu be - wegen, die Thuͤre ihres verſchloßnen Kabinets zu oͤfnen.

Der ſonſt ſo guͤtige, ſo menſchenfreundliche Fuͤrſt liebte innig, liebte aͤuſſerſt heftig. Dieſe Leidenſchaft, die zwar oft ſchmachtet, aber auch raßt und wuͤthet, wenn ſie Widerſtand findet, leitete izt ſeine Handlungen, die uͤberdies in Eile und Hitze ausgeuͤbt wurden. Noch ſaß die arme Gattin, unbekannt mit allen, in ihrem Zimmer, ſah dem Spiele ihrer Kinder zu, als Abgeſandte des Fuͤrſten eintraten, ihr ohne Schonung die raſche That ihres Gatten, und zugleich den ſtrengen Befehl des Fuͤrſten be - kannt machten, daß ſie das ganze Haus durch -105 ſuchen, den Thaͤter ohne Schonung arretiren, und in jedem Falle ſein ganzes Haab und Ei - genthum verſiegeln ſollten.

Die Arme zitterte und bebte, ſie hatte kurz vorher geweint, weil der Graf ſo lange nicht heimkehrte, und ſie ſeinen Vorſatz ahnde - te; izt bat ſie innig Gott, daß er ſeine Schrit - te von ihr entfernen moͤge, und dankte ihm inbruͤnſtig, als ihr ein treuer Diener, der ihre Sorge errieth, heimlich zufluͤſterte, daß der Graf ſchon zwei Stunden vorher auf ſeinem ſchnell - ſten Reitpferde ausgeritten, und wahrſcheinlich entflohen ſei. Man unterſuchte ſtrenge, und erſtattete, wie man ihn nicht fand, Bericht. Die Wuth des Fuͤrſten ward dadurch hoch ge - reizt, alle ſeine Huſaren mußten aufſitzen, und mit Steckbriefen in der Hand das Land durch - jagen. Die Poſt hatte nicht Pferde genug, um alle Kuriere zu foͤrdern, welche mit den drin - gendſten Erſuchſchreiben in die benachbarten106 Staaten abgeſandt wurden, um den Moͤrder anzuhalten und auszuliefern. Alle Haͤuſer der groſſen Stadt waͤren ſtreng durchſucht worden, wenn nicht Zeugen aufgetreten waͤren, und ausgeſagt haͤtten, daß man den Grafen durchs Thor jagen ſah. Ehe eine Stunde verfloß, erſcholl in der ganzen Stadt die Nachricht, daß man den Ungluͤcklichen, welcher eine halbe Stunde vor der Stadt mit ſeinem Pferde ſtuͤrz - te, und ſich den Fuß verrenkte, in einer Bau - ernhuͤtte, wo er ſich verbergen wollte, ent - deckt und nach dem Gefaͤngniſſe zuruͤckgefuͤhrt hatte.

Schrecklich war dieſe Nachricht fuͤr ſeine Freunde, noch ſchrecklicher fuͤr ſeine Gattin, die nur deswegen aus einer Ohnmacht geweckt wurde, um in eine neue und ſtaͤrkere ſinken zu koͤnnen. Alle Buͤrger liebten den gerechten Praͤſidenten, viele vom Adel mußten ihn ver - ehren, und bemitleideten ihn izt wuͤrklich, da107 da es ſo weit mit ihm gekommen war. Trau - er und ſtiller Ernſt war daher in der Stadt allgemein, nur der Fuͤrſt, welcher doch ehe - mals ſein Beſchuͤtzer, ſein Freund war, jubelte, als er ſeine Gefangenſchaft vernahm, vergaß alles andere, und verließ die Tafel, an der er eben ſaß, um zur Schweſter des Ermordeten zu eilen, und ihr den Erfolg ſeiner Bemuͤhung kund zu machen.

Er ward wider Vermuthen vorgelaſſen. Im ſchwarzen Kleide, das ihre Schoͤnheit um vieles erhoͤhte, ſaß ſie auf dem Sopha, hoͤrte ſeine Erzaͤhlungen ſtillſchweigend an, ſchien zu laͤcheln, beantwortete aber keine ſeiner Fra - gen, und war nicht zu bewegen, nur ein Wort mit dem verliebten Fuͤrſten zu ſprechen. Ob ich gleich nur ein Weib bin, ſchrieb ſie, als er anhaltend flehte, auf ein Stuͤckchen Papier, ſo werde ich doch gleich dem ſtaͤrkſten Manne meinen Schwur halten und treu erfuͤllen. 108Mehr konnte der Fuͤrſt nicht erhalten, er eilte mit dem feſten Vorſatze fort, um dieſe Erfuͤl - lung nach Kraͤften zu befoͤrdern.

Mit einer Eile, die ganz der heftigſten Rache, aber nicht der aͤchten Gerechtigkeits - liebe aͤhnlich ſah, ward von ihm noch am nem - lichen Tage eine beſondere Kommiſſion nie - dergeſezt, welche den ernſten Auftrag erhielt, die That des Ungluͤcklichen nach aller Strenge zu unterſuchen, und wuͤrde ſie wahr befun - den, das Todesurtheil und die Konfiska - zion ſeines ganzen Vermoͤgens ſogleich auszu - ſprechen. Alle Mitglieder dieſer Kommiſſion waren als Feinde und Neider des Grafen all - gemein bekannt, nur Vorſatz, nicht bloſſer Zufall konnte ſie vereint haben, und da der Fuͤrſt ausdruͤcklich erklaͤrt hatte, daß man nur die Wahrheit der That unterſuchen, ſich nicht an Formalien binden ſolle, ſo wars ſehr leicht zu begreifen, wie die Kommiſſion ſchon109 binnen drei Tagen dem Fuͤrſten nebſt den ge - ſchloßnen Akten auch das Todesurtheil und den Befehl zur Vermoͤgenskonfiskazion vorlegen konnte.

Der ungluͤckliche Graf hatte die Unterſu - chung durch ſein freiwilliges Geſtaͤndniß ſehr erleichtert, er appellirte an die Gnade ſeines Fuͤrſten, aber ſie ward verweigert, und To - desurtheil und Befehl ſogleich unterſchrieben. Indeß der Fuͤrſt zu ſeiner Geliebten eilte, um fuͤr dieſe Nachricht einen guͤnſtigen Blick zu erndten, eilten die Kommiſſairs in das Haus der ungluͤcklichen Praͤſidentin. Hofnung, den Theuern zu retten, hatte ſie aus ihren Ohn - machten geweckt, Begierde, ſein Leben zu fri - ſten, hatte ſie durch dieſe angſtvollen Tage aufrecht erhalten. Sie ließ unter dieſer Zeit nichts unverſucht, um ihren edlen Zweck zu erreichen; ſie flehte bei dem Fuͤrſten um Au - dienz, er verweigerte ſie ſtrenge, ſie ſuchte oft110 in ſeine Gemaͤcher zu dringen, aber die auf - merkſame Wache vereitelte jede ihrer Bemuͤ - hungen, ſie wollte zu ihrer Freundin, zur guͤtigen Fuͤrſtin eilen, aber auch hier verſagte ihr die Wache den Zutritt, und ob ſie gleich taͤglich auf Gelegenheit lauerte, die Fuͤrſtin auf einem ihrer gewoͤhnlichen Spaziergaͤnge zu ſprechen, ſo ward ihr doch am Ende die traurige Nachricht, daß der Fuͤrſt ſeiner Ge - mahlin ſehr ſtreng begegne, und jeden Spa - ziergang unterſagt habe. Eben ſah ſie mit groͤßtem Verlangen einer Antwort auf einen Brief entgegen, den eine alte Kammerfrau, durch ihre Thraͤnen erweicht, der Fuͤrſtin heimlich zu uͤbergeben, verſprochen hatten, als die Kommiſſaͤre in ihr Zimmer traten, und der Ungluͤcklichen ohne Schonung bekannt machten, was der Fuͤrſt kurz vorher unter - zeichnet hatte.

111

Ihre Kraͤfte wichen, ſie ſank leblos zur Erde, aber Angſt und nahende Verzweiflung riß ſie wieder auf ihre Knie empor, ſie ſtreck - te ihre Arme fuͤrchterlich in die Hoͤhe, und flehte mit zitternden Lippen, mit ſtammeln - den Worten Gottes Allmacht und Barmher - zigkeit zu ihrer Rettung herab. Sie ſchiens nicht zu achten, nicht zu fuͤhlen, als man auch noch das Wenige, was man anfangs fuͤr ihr Eigenthum erkannte, mit Siegeln beleg - te, ſie folgte willig, wie man ihr kund mach - te, daß ſie ein Haus, welches auf fuͤrſtlichen Befehl konfiszirt ſey, verlaſſen muͤſſe.

Einer ihrer alten, aber auch treuſten Diener, leitete ſie nach ſeiner elenden Woh - nung, ſie fuͤhrte ihre Kinder am Arme, und blickte mit ſtarrem Auge zum Himmel empor. Eine Menge Volks folgte der Leidenden mit thraͤnendem Auge, mit geruͤhrtem Herzen. Schon waͤhnte der treue Diener, daß ihre112 Vernunft ein Raub des Jammers geworden ſey, als ſie nach einer langen Stunde aus ihrer Starrſucht erwachte, und ihn dringend bat, zur alten Kammerfrau der Fuͤrſtin zu eilen, und anzufragen: Ob noch Hofnung fuͤr ſie auf Erden gruͤne? Der Greis eilte fort, und kehrte athemlos mit einem Briefe zuruͤck, welchen er von der Kammerfrau er - halten hatte. Es war die einzige Hofnung, an der ihr Herz hing, die ſie noch auf Erden erwarten konnte, ſie grif ſehnſuchtsvoll und haſtig darnach, und las folgendes:

Erſt izt, theure Freundin und Gefaͤhr - din des Jammers, fuͤhle ich mein eignes Un - gluͤck vollkommen, da es mich ſo deutlich uͤberzeugt, daß ich nicht einmal mehr faͤhig ſey, anderer Thraͤnen zu ſtillen, da ich nur die meinigen mit den ihrigen vermiſchen kann. Schon ehe ihr Flehen zu meinen Ohren drang, und mein Herz ſchrecklich preßte, wagte iches,113es, den Fuͤrſten dringend zu bitten, Gnade fuͤr Recht ergehen zu laſſen, den armen Wai - ſen einen Vater, der jammernden Gattin ei - nen geliebten Gemahl zu erhalten, aber ich bat, ich flehte vergebens! Freundin! Es iſt ſchrecklich, aber es iſt eben ſo wahr! Ich ha - be die Liebe meines Gatten verlohren, eine andere feſſelt ſein Herz, und fuͤllt es mit Ra - che. Wie kann, wie ſoll der Ueberſatte die Bitte ſeines Weibes hoͤren, wenn die Allge - liebte, die immer ſtaͤrker reizende Schweſter des Ermordeten unaufhoͤrlich nur blutige Ra - che heiſcht! Ich trage mein hartes Schickſal mit Geduld und Standhaftigkeit, kein Sterb - licher ſoll ſich ruͤhmen, meine Thraͤnen zu ſe - hen, ſollten ſie in Zukunft mein empfindſames Auge zu hart preſſen, ſo werden ſie nur in Gegenwart des Allwiſſenden ſtroͤmen, der mein Leiden kennt, der entſcheiden mag: Ob mir dort dafuͤr Lohn gebuͤhrt? Ich wuͤrde ih - nen gleichen Rath ertheilen, wenn ihr ſchreck -Biogr. d. W. 4r Bd. H114liches Ungluͤck einer ſolchen Standhaftigkeit faͤ - hig waͤre! Ich blicke vergebens nach Rettung umher, ich ſehe nur einen Weg, der dahin leitet. Es faͤllt meinem Stolze hart, ſie darauf zu fuͤhren, aber es gilt das Wohl und Leben guter Menſchen, und der Stolz muß weichen. Ein Wort der Schweſter des Getoͤd - teten, welches nur einer Bitte aͤhnlich lautet, wird den Fuͤrſten zur Gnade bewegen. Sie iſt ein Weib, ſie muß auch ein Herz haben. Wird dies dem Flehen der Gattin, dem Wim - mern der unſchuldigen Kinder widerſtehen koͤnnen? Verſuchen ſie dies Mittel, vielleicht harrt die zur Rache gereizte Schweſter auf die - ſen Schritt, ſie ſind ſchuldig, ihn zu thun, da ihr ungluͤcklicher Gatte ihr wuͤrklich einen geliebten Bruder raubte, der wohl Strafe, aber nicht Tod verdiente. Laſſen ſie mir in jedem Falle die Wuͤrkung meines Raths durch den bekannten Kanal erfahren, damit ich wenn allzugroßes Ungluͤck ihre Kraͤfte mindert,115 wenigſtens den Troſt genuͤße, fernere Huͤlfe zu ſuchen, wenn Huͤlfe noch moͤglich iſt.

Der Anfang dieſes Briefs raubte dem Herzen der Leidenden allen Troſt, das Ende deſſelben fuͤllte es mit neuem, auch ſie hofte, daß ihr Flehen das Herz der Rachbegierigen erweichen, und zur Fuͤrbitte bewegen wuͤrde. Sie ergriff ihrer Kinder Hand, und eilte nach der Wohnung der Graͤfin. Ihr muͤßt flehen, ihr muͤßt fuͤr euern Vater bitten! ſprach ſie zu jenen, als ſie dieſe betrat. Ein Bedien - ter, den ihre Thraͤnen ruͤhrten, fuͤhrte ſie ins Vorgemach, und meldete ſie. Ich will, ich mag die Frau des Moͤrders, die Urhebe - rin meiner Thraͤnen nicht ſehen! erſcholls durch die halbe ofne Thuͤre ins Ohr der Leiden - den.

Haben ſie Erbarmen mit der Ungluͤcklich - ſten ihres Geſchlechts! rief dieſe im verzweif -H 2116lungsvollen Tone aus, und drang ins Ge - mach der Graͤfin. Sie hatte im Gehen die Worte geordnet, mit welchen ſie das Herz derſelben erweichen wollte, izt hemmte die Groͤſſe ihres Leidens die Organe der Sprache, ſie ſtuͤrzte wimmernd zu den Fuͤßen der Graͤ - fin nieder, ſie umklammerte ihre Knie, ſie wollte ſprechen, und vermochte es nicht. Die armen Kinder knieten hinter ihr, hoben ihre Haͤnde in die Hoͤhe, und weinten laut. Weg von mir, Schlange! Weg von mir! Nat - terbrut! ſchrie die Graͤfin, entriß ſich den Haͤnden der Bittenden, und entſchluͤpfte in ihr Kabinet, das ſie feſt hinter ſich verrie - gelte.

Einige Bedienten ſchleppten die Jam - mernde ins Vorgemach, und uͤberließen ſie dort der Verzweiflung zum Raube. Bald hernach wankte ſie heim, ſchrieb einige zit - ternde Zeilen an die Fuͤrſtin, und wollte117 eben was ihr bisher noch nie gelungen war aufs neue verſuchen: Ob ſie nicht wenig - ſtens ihren ungluͤcklichen Gatten noch einmal ſehen und ſprechen koͤnne? als ein Kommiſ - ſaͤr des Fuͤrſten erſchien, ſie ſammt ihren Kindern nach einem Wagen fuͤhrte, und mit ihr nach dem Rathhauſe fuhr, wo man ihr zwar auf ſeinen Befehl ein anſtaͤndiges Zim - mer oͤfnete, aber auch zugleich kund machte, daß ſie bis auf weitere Entſcheidung eine Ge - fangne ſey.

Die rachſuͤchtige Graͤfin R war die Ur - ſache ihres neuen Kummers, dieſe Furie beobachtete noch immer in Gegenwart des Fuͤrſten ein ſtrenges Stillſchweigen, aber, wenn ſie etwas von dem Verliebten erhalten wollte, ſo ſchrieb ſie ihm, und war dann des Erfolgs gewiß. Der lezte ihrer Briefe, ent - hielt die Drohung, daß ſie augenblicklich ab - reiſen werde, wenn man die Frau des Moͤr -118 ders nicht hindere, ſie ferner plagen zu koͤn - nen, und die Aermſte wurde ſogleich arretirt, um die Moͤglichkeit eines neuen Verſuchs zu hindern. Hier duldete und ſchmachtete ſie dem ſchrecklichen Tage entgegen, an welchem ihr Gatte auf dem Rabenſteine bluten ſollte. Sein Urtheil war unwiderruflich, man mach - te es ihm am Morgen des andern Tages kund, und er bereitete ſich ſtandhaft zum nahen To - de. Seine Miene war, oder ſchien wenig - ſtens heiter und ruhig, nur dann truͤbte ſie ſich, und einige Thraͤnen rollten unaufhalt - ſam uͤber ſeine Wangen herab, als man ihm die ſchreckliche Nachricht brachte, daß ſeine lezte Bitte nicht erfuͤllt werden, daß er ſeine Gattin nicht mehr ſehen und ſprechen koͤnne. Alſo dort, wo keine Trennung mehr moͤglich iſt! ſprach er ſeufzend, und trat ans Fen - ſter, um neue Kraͤfte zur Standhaftigkeit zu ſammeln.

119

Die zahlreichen Buͤrger der großen Reſi - denzſtadt liebten den gerechten Praͤſidenten, keiner hatte, gleich ihm, ſo willig einen je - den gehoͤrt, keiner ſo anhaltend die Sache des Unterdruͤckten vertheidigt, ihr Herz nahm da - her Antheil an ſeinem ungluͤcklichen Schickſale, ſie verſammelten ſich und beſchloſſen einſtim - mig, nach Hofe zu gehen, und den Fuͤrſten anzuflehen, daß er ihm wenigſtens das Leben ſchenken moͤge. Aller Augen weinten, wie ſie am andern Tage wuͤrklich in ſchwarzen Maͤn - teln und mit traurendem Blicke nach der Burg zogen, und Audienz forderten. Der Fuͤrſt trat willig unter ſie, er hoͤrte ihre Bitte ge - duldig an, aber er verſicherte ſie eben ſo ſtand - haft, daß er Gerechtigkeit in ſeinem Staate uͤben muͤſſe, und denjenigen nicht begnadigen koͤnne, der ſeine Haͤnde in unſchuldiges Blut getaucht, nach einſtimmigen Beweiſen vor - ſezlich gemordet habe. Er blickte geruͤhrt um - her, er ſeufzte tief, als die ganze Menge120 mit einmal nieder kniete, und abermals Gnade! Gnade! rief, aber er faßte ſich ſchnell, winkte den Knienden mit der Hand, und eilte in ſein Zimmer.

Viele nahmen dieſen Wink als einen Be - weis der Erhoͤrung, aber mehrere meinten, daß den Ungluͤcklichen nur Gott retten koͤnne, und bei dem Fuͤrſten keine Gnade zu hoffen ſey. Ihre Meinung ward durch die Folge be - ſtaͤtigt; noch am nemlichen Tage wards all - gemein kund, daß der ungluͤckliche Graf am folgenden Morgen unwiderruflich auf dem Ra - benſteine bluten muͤſſe. Jeder, der es hoͤrte, weihte ihm eine neue Thraͤne, und blickte dann betend zu Gott empor, damit ſein To - deskampf kurz und ſtandhaft ſeyn moͤge.

Es war eben hoch im Sommer, ſchon um vier Uhr fruͤh ging die Sonne auf. Mit ihrem Aufgange verſammelten ſich auch die121 Soldaten, welche den Verurtheilten in zahl - reicher Menge aus dem Thurme, in welchem er ſaß, nach dem Richtplaze begleiten ſollten. Tauſende und Tauſende, welche ihn noch ſe - hen und bemitleiden wollten, wurden nur mit Muͤhe vom Eingange abgehalten. Lange harrten alle, endlich erregte die Ankunft und ſchnelle Abfahrt einiger fuͤrſtlichen Deputirten, deren verſtoͤhrtes Geſicht ein Ungluͤck zu ver - kuͤndigen ſchien, die Aufmerkſamkeit des Volks. Man fragte, forſchte und erfuhrend - lich, daß der Verurtheilte in der verfloßnen Nacht ſamt dem Kerkermeiſter entflohen ſey. Viele bezweifelten anfangs dieſe unerwartete, und ganz unmoͤglich ſcheinende Nachricht, als man aber gewahrte, daß abermals die Huſa - ren Stadt und Land durchſpaͤhten, Kuriere uͤber Kuriere abreiſten, und einzelne Depn - tirte jedes verdaͤchtige Haus emſig durchſuchten, da begann man zu glauben, was man wuͤnſch - te, da vereinigten ſich aller Herzen zum122 Gebete, daß der Ungluͤckliche ſchnell und ſicher uͤber die Graͤnze entfliehen moͤge.

Graf L war wuͤrklich aus ſeinem Ge - faͤngniſſe verſchwunden. Um zehn Uhr Abends verließ ihn der Prieſter, weil er zu ruhen wuͤnſchte. Kurz nachher entließ der Kerker - meiſter die Waͤchter mit der Verſicherung, daß er allein bei dem ſchlafenden Grafen wa - chen, ſie im noͤthigen Falle ſchon rufen werde. Sie gingen nach der Wachtſtube, und ruhten dort bis an den Morgen. Als der Prieſter wieder erſchien, fuͤhrten ſie ihn hinauf, da aber die Thuͤre des Zimmers feſt verſchloſſen war, und man vermuthete, daß er noch ru - he, ſo weilte der Prieſter im Gange, bis die Kommiſſaͤrs erſchienen, welche den Ver - urtheilten nach dem Richtplaze begleiten ſoll - ten. Auf ihren Befehl ward an der Thuͤre geklopft, nach dem Kerkermeiſter geſand, und wie man ihn nirgends fand, die Thuͤre123 erbrochen. Alle Anweſende erſtaunten, als man im Zimmer den Verurtheilten nirgends erblickte; Verrath und Flucht war nun er - wieſen, alles eilte fort, um den erſtern zu entdecken, die letztern zu verhindern.

Wie Engelsruf im ſchweren Todeskampfe, wie ſanfter Floͤtenton im brauſende Stur - me und Ungewitter drangs ins Ohr der lei - denden und betenden Gattin, als ein mit - leidiger Gerichtsdiener ihr die Nachricht zu - fluͤſterte, daß der Verurtheilte wirklich und wahrſcheinlich auch gluͤcklich entflohen ſei. Ueber - ſpannung der Kraͤfte, und Raub des Wahn - ſinns war nahe, als dieſer lindernde Troſt ihr ſchmachtendes Herz erquikte. Sie wuͤrde die Stunde ſeines Todes wohl ſchwerlich, we - nigſtens nur mit dem Verluſte ihres Ver - ſtandes uͤberlebt haben, izt konnte ſie wieder hoffen, und Hoffnung iſt das einzige Labſaal des Leidenden. Sie erregt Begierde nach124 laͤngerer Duldung im Herzen des Menſchen, und wenn dieſe Begierde herrſcht, da muß Verzweiflung und Wahnſinn weichen.

Der Fuͤrſt war hoch entruͤſtet, als er dieſe unerwartete Nachricht hoͤrte. So nahe am Ziele, und nun mit einmal ſo entfernt davon zu ſein, ſchien ſeinem liebenden Her - zen eine unertraͤgliche Pein. Er ſuchte und fand Linderung in dem Gedanken, daß er Verrath und Flucht ganz gewiß entdecken wuͤrde, aber ſeine Hofnung ward nicht erfuͤllt; alle Huſaren, alle Kuriere, alle Spaͤher kehr - ten leer zuruͤck, keiner brachte nur die ge - ringſte Spur, die auf Entdeckung leiten konnte, es blieb und ſchien erwieſen, daß der Flie - hende gluͤcklich entkommen ſei, daß an ſeiner Befreiung niemand als der ungetreue Ker - kermeiſter Antheil nahm, und nun das Loos der Verbannung mit ihm theile.

125

Anfangs beſtand die rachſuͤchtige Graͤfin R hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge - luͤbdes, als ihr aber der liebende Fuͤrſt deut - lich bewies, daß er nicht allwiſſend ſei, nicht ſtrafen koͤnne, wenn der Verurtheilte entflo - hen ſei, da berechnete die Eigennuͤtzige den Vortheil der Verſoͤhnung, den Nachtheil der Rache, und fand, daß die Erſtere die Letztere um vieles uͤberwiege. Sie heiſchte den Schwur des Fuͤrſten, daß er den entflohenen Thaͤter nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt wuͤrde, nach aller Strenge ſtrafen wolle, der Fuͤrſt leiſtete dieſen Schwur, und bald wards am Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Graͤ - fin R die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten ſei.

Als ſie zum erſtenmale wieder bei Hofe erſchien, und jeder das Betragen der Fuͤr - ſtin gegen ſie beobachtete, erſtaunten alle, als dieſe ſie aufs freundlichſte empfing, und126 mit ihr anhaltend ſprach. Die Großmuͤthige wollte gerne eine gute Handlung uͤben, und achtete den ſchweren Pfad nicht, der ſie allein zum Ziele leiten konnte. Wie der Fuͤrſt eben mit einem Miniſter ſprach, fuͤhrte die Fuͤr - ſtin die Graͤfin ans Fenſter. Ich weiß, ſprach die Gute, daß ihnen der Fuͤrſt Erſatz fuͤr das Leiden ſchuldig iſt, welches ſie durch den Ver - luſt eines geliebten Bruders in ſeiner Reſi - denz erdulden mußten. Sein Herz iſt bieder und gut, es wird ihnen daher eine Bitte nicht abſchlagen, die ich ſelbſt nicht an ihn wa - gen wollte, weil er mit Recht befuͤrchten muͤßte, daß er ſie durch Erfuͤllung derſelben aufs neue kraͤnken wuͤrde. Wenn ſie aber ſolche wagen, da faͤllt der gegruͤndete Ein - wurf weg, da iſt die Erhoͤrung gewiß. Wol - len ſies thun, wenn ich ſie bitte

Graͤfin. Euer Durchlaucht befeh - len

127

Fuͤrſtin. Nein, das vermag ich nicht! Aber es wuͤrde ihren Karakter in meinem Augen um ein groſſes erhoͤhen, es wuͤrde den Lohn meiner Freundſchaft nach ſich zie - hen.

Graͤfin. O um ſolch einen Gewinn unternehme ich alles!

Fuͤrſtin. (ſanft laͤchelnd) So will ich dann ſogleich verſuchen: Ob ihre Ver - ſicherung mehr als Schmeichelei war? Die Gattin des Grafen L verzeihen ſie, daß ich ſie an dieſen erinnern muß ſchmachtet mit ihren Kindern noch immer im unver - dienten Gefaͤngniſſe. Sie hatte keinen Theil an der That, die er uͤbte, und muß doch ſtreng dafuͤr buͤſſen, da man ihr Freiheit und Ver - moͤgen raubt. Ein Wort von ihnen wuͤrde ihr ſicher beides wieder geben! Man will mich verſichern, daß ſie hoch geſchworen haͤt -128 ten, nur dann verſoͤhnt zu ſein, wenn die unſchuldige Frau ſamt ihren Kindern am Bet - telſtabe umher wanken muͤſſe. Ich kann mirs ſehr leicht vorſtellen, daß der wuͤthende Schmerz eines ſolchen Schwures faͤhig ſei, aber ich kanns nicht glauben, daß er im Herzen des ſanften Weibes Wurzel faſſen, und Fruͤchte tragen ſollte. (ihre Hand faſſend, und ſanft druͤckend) Nicht wahr, ich habe mich in meinem Glauben an ihre Großmuth nicht betrogen?

Graͤfin. (mit hocherroͤthenden Wangen) Ich kanns nicht laͤugnen, daß ich dieſen ſchrecklichen Schwur leiſtete, ich geſtehe es auch eben ſo offenherzig, daß nur Euer Durchlaucht, (ſehr bewegt) nur die Art, mit der ſies fordern, mich bewegen kann, ihn zu brechen und zu vernichten. Ich will, ich werde eifrige Fuͤrbitterin werden, abereins129eins ſei auch mir bedungen, und hoch ge - lobt

Fuͤrſtin. Fordern ſie!

Graͤfin. Daß Euer Durchlaucht mich nicht in einem aͤhnlichen Falle, auf eine aͤhn - liche Art zur Fuͤrbitterin waͤhlen; nicht for - dern, daß ich einſt auch um Gnade fuͤr den Moͤrder flehen ſollte. Und wuͤrde es mir ih - ren Zorn, ihre Verfolgung zuziehen, ſo fuͤhle ichs doch deutlich, daß ich dieſer Ver - laͤugnung nicht faͤhig waͤre. Ich liebte mei - nen Bruder innig, moͤglich daß er den Gra - fen beleidigte, aber dieſe Beleidigung ver - diente doch keinen Mord. (weinend) Wenn ich mir ſein ſchreckliches Ende denke, ſo ruft immer noch eine innere Stimme laut und anhaltend Rache uͤber den Thaͤter aus, ich wuͤnſchte

Biogr. d. W. 4r Bd. I130

Fuͤrſtin. (Ihr ins Wort fallend) Ich verſpreche es ihnen aufs heiligſte, daß ich ihre Trauer uͤber den Verluſt eines guten Bruders ehren, ſie nie an ſeinen Moͤrder erinnern will. Ich weiß zu gut, daß er Strafe verdiente. Er entfloh dem Tode gluͤcklich, der Verluſt ſeines Weibes, ſeiner Kinder, und ſeines ganzen Vermoͤgens iſt zwar eine Strafe, die den Empfindſamen oft haͤrter als jener duͤnkt, aber er hat ſie ſelbſt gewaͤhlt, er mag ſie auch tragen, ich werde nie fuͤr ihn bitten. Nur lege ich ihnen nochmals meine erſte Bitte ans Herz.

Graͤfin. Der Erfolg wirds lehren, daß ich eifrig zu bitten verſtehe.

Fuͤrſtin. (Ihre Hand druͤckend) Dann koͤnnen ſie auf meinen Dank in je - dem Falle auf Wiedervergeltung ſicher rech - nen.

131

Am andern Tage erſchien bei der gefang - nen Graͤfin ein Abgeſandter des Fuͤrſten. Er machte ihr in ſeinem Namen kund, daß zwar nach den Geſetzen des Landes das ganze Ver - moͤgen eines vorſezlichen Duellanten der ſtren - gen Konfiskazion unterliege, jedoch diesmal Gnade fuͤr Recht ergehen ſolle, und daß der Fuͤrſt ihr und ihren Kindern den Genuß des Vermoͤgens noch ferner gnaͤdig verleihen wolle, wenn ſie ſogleich die Reſidenzſtadt verlaſſe, das Hoflager ſtets meide, und ſich nicht durch ein neues Verbrechen dieſer hoͤchſten Gnade verluſtig mache.

Die Trauernde dankte, und verſprach den Befehl des gnaͤdigen Fuͤrſten ſtreng zu erfuͤllen. Weil das Haus, welches ſie bis - her bewohnt haben, fuhr der Abgeſandte fort, und der ſchoͤne Garten, den ſie in der Vor - ſtadt beſaſſen, ihnen nichts mehr nuͤtzen kann,I 2132ſo behaͤlt ſich der Fuͤrſt beides nach den Ge - ſetzen bevor.

Graͤfin. Sein Wille iſt mein Geſetz, er belohne damit den wuͤrdigſten ſeiner Diener, und ich werde in meiner trauernden Einſam - keit Ruhe in den Gedanken finden, daß ein anderer mit Vergnuͤgen genießt, was ich ſo willig entbehre.

Ehe der Abgeſandte ſchied, berichtete er ihr, daß ihr Verhaft zwar in dieſem Augen - blicke geendet habe, aber doch bis zu ihrer Abreiſe dauern muͤſſe, weil der Fuͤrſt aus - druͤcklich uͤberzeugt ſein wolle, daß ſie nicht nach Hofe komme, und auch niemanden durch einen Beſuch in Verlegenheit ſetze. Jedoch ſtehe es ihr frei, nicht allein die Anſtalten zu ihrer Abreiſe zu treffen, ſondern auch ihre Diener zu berufen, um durch dieſe ihr Haus133 raͤumen und das noͤthige Gepaͤcke herbei ſchaf - fen zu laſſen.

Als die Graͤfin allein war, ſank ſie auf ihre Knie, und dankte Gott innig, daß er das Herz des Fuͤrſten zur Gnade gelenkt habe. Der dunkle Vorhang, der bisher jede Aus - ſicht deckte, oͤfnete ſich, ſie blikte in die Zu - kunft, und ſah im Hintergrunde ihren ent - flohenen Gatten zu den Fuͤſſen des Fuͤrſten knien, wie er ihm fuͤr ſein Leben dankte, und dann in die ofnen Arme der Gattin und Kin - der eilte. Wer kanns der Leidenden wohl verdenken, wenn ſie ſah, was ſie wuͤnſchte, wenn ſie hofte, was freilich nicht moͤglich war, ihrem liebenden Herzen aber doch ſo leicht moͤglich ſchien!

Sie ſande nun in haſtiger Eile nach eini - gen ihrer treuſten Diener und Dienerinnen, ſie erzaͤhlte ihnen ihr Gluͤck, und traf An -134 ſtalten zur noͤthigen Abreiſe. Ehe die Sonne untergieng, ſas ſie ſchon im Reiſewagen und athmete freier, als die Stadt hinter ihr lag, in welcher ſie ſo ſchrecklich geduldet und ge - litten hatte. Noch vor ihrer Abreiſe, ſchrieb ſie der Fuͤrſtin, und dankte ihr innig, weil ſie ſolche mit Grunde fuͤr die Urheberin ihres Gluͤckes achtete. Sie bat am Ende, ſich ihres ungluͤcklichen Gatten einſt auf aͤhnliche Art an - zunehmen, und das groſſe Werk zu vollen - den, zwei hoͤchſt Ungluͤckliche ganz gluͤcklich gemacht zu haben.

Die großmuͤthige Fuͤrſtin antwortete ſo - gleich, daß die edle That ganz ein Werk des Fuͤrſten ſei, daß ſie keinen Theil daran habe, ihn aber durch innige Freude daran nehme. Ob es uͤbrigens, ſchrieb ſie am Ende, gleich izt noch unmoͤglich ſcheint, daß ihr entfloh - ner Gatte jemals Gnade hoffen koͤnne, ſo muß die Linderung ihres Schickſals ihnen doch der135 deutlichſte Beweis ſein, daß Gott nichts un - moͤglich ſei, daß auch er einſt in ihre Ar - me ruͤkkehren koͤnne. Dies ſei ihr Troſt, wenn ſie nach ihm bangen! Dies ihre Ausſicht, wenn ſie trauern! Nur muß ich ſie dringend bitten, daß ſie nicht durch unvorſichtige Nach - forſchung nach dem Aufenthalte ihres Gatten die Aufmerkſamkeit des Fuͤrſten erregen. Den - ken ſie, daß ſie beobachtet werden, daß des Fuͤrſten Herz noch nicht zur Vergebung ge - neigt ſei, daß ein unvorſichtiger Schritt leicht Argwohn wecken, ſeine Rache reizen, ſie und ihren Gatten, ſelbſt ihre Kinder ungluͤcklich machen koͤnne. Nuͤtzen ſie den Rath ihrer wahren Freundinn, es iſt der einzige, den ſie ihnen bei ihrem Abſchiede zu geben ver - mag.

Hofnung iſt eine Biene, welche aus je - dem Gegenſtand Honig ſaugt, und es zum ſuͤſſen Genuſſe ins menſchliche Herz traͤgt. 136Daher kams, daß auch in dieſem Briefe die ungluͤckliche Graͤfin Stof zum Troſte fand. Er hat mein Schickſal gelindert, dachte ſie, er wird einſt das ſeinige auch lindern! Die - ſer frohe Gedanke war auf der Reiſe ihre Beſchaͤftigung, war in der Folge aͤchtes Lab - ſal, wenn ihr liebendes Herz ſich nach dem Gatten ſehnte, nur einmal eine troͤſtende Nachricht von ihm zu hoͤren wuͤnſchte.

Sie lebte auf dem entlegenſten Landgute des Grafen in haͤußlicher Einſamkeit, in ſtiller Trauer, ſie weihte ſich ganz der Erziehung ih - rer Kinder, und fand nur in dieſer Beſchaͤfti - gung Troſt fuͤr ihr Leiden. Die Einkuͤnfte al - ler Guͤter des Grafen waren groß und anſehn - lich, die Leidende empfing ſie immer mit Thraͤ - nen, weil der Gedanke, daß ſie ſammle, indeß der Geliebte darbe, ihr Herz maͤchtig engte, und ſie unfaͤhig machte, das Vergnuͤgen zu genuͤſſen, ihrer Kinder Gluͤck durch Sparſam -137 keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha - ten die Thraͤnen der Armuth zu trocknen. Sie ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl - thaͤtige Gottheit verehrt, weil ſie reichlich gab, weil ſie jedem zu helfen ſuchte, aber ſie em - pfand die Wonne, gluͤcklich zu machen, nie in ſeiner vollen Groͤſſe, weil ſie in jedem Bitten - den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn eben ſo duͤrftig und huͤlflos dachte, und eben dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde.

Drei lange Jahre verfloſſen auf dieſe Art Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich zuvor das Schickſal des entflohnen Grafen enthuͤllen, und meinen Leſern kund machen: wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fuͤrſt nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei - tet, handle, auf dem Herzen der menſchen - freundlichen Fuͤrſtin. Sie kannte ſeinen Bieder - ſinn, ſeinen Edelmuth, ſie war uͤberzeugt, daß138 Reue der raſchen That folgen, ſehr wahr - ſcheinlich einſt die ſpaͤtern Tage ſeines Lebens verbittern wuͤrde; ſie liebte den Ungetreuen noch immer mit inniger Zaͤrtlichkeit, und war daher aͤuſſerſt fuͤr ſeine kuͤnftige Ruhe beſorgt. Jeder Schritt, ihm dieſe zu ſichern, ward von ihr vergebens verſucht. Er wies die Bittende mit Haͤrte ab, er ſuchte nur Befriedigung ſei - ner Leidenſchaft, und, weil der Gegenſtand derſelben blutige Rache heiſchte, den Tod des Ungluͤcklichen. Als ſie auch den lezten Ver - ſuch, die Rachbegierige durch den Anblick der verzweifelnden Gattin, der jammernden Kin - der zu verſoͤhnen, vergebens gewagt hatte, und durch die leztere die Nachricht erhielt, daß ſie mit grauſamer Haͤrte zuruͤckgewieſen ward, rang ſie nach neuen Mitteln, die That zu hin - dern. Nur moͤgliche, nur ſchleunige Flucht, rief ſie aus, kann ihn vom Tode retten, und meinen Gatten fuͤr kuͤnftiger Reue ſchuͤtzen.

139

Von dieſem Augenblicke an war dieſer Ge - danke ihre einzige Beſchaͤftigung. Sie wußte, daß der Kerkermeiſter, welcher die adlichen Staatsgefangnen in einem beſondern Thurme verwahrte, ehemals als Heiduke der Murter des Fuͤrſten diente, und mit Widerwillen den eintraͤglichen Dienſt eines Kerkermeiſters zur Belohnung ſeiner treuen Dienſte annahm; ihr war ferner bekannt, daß er kein Weib, kein Kind, keine nahen Freunde habe, und daher durch nichts ans Vaterland gefeſſelt werde. Auf dieſe Gruͤnde baute ihre Hofnung die Moͤglichkeit der Ausfuͤhrung. Sie eilte nach ihrem Garten, wo ſie oft ſtundenlang verweil - te. Eine vertraute Kammerfrau war ihre einzige Begleiterin, dieſe mußte ſich im Gar - tenhauſe verkleiden, und durch eine Neben - thuͤre entſchluͤpfen, um dem Kerkermeiſter mit dem Auftrage der groͤßten Verſchwiegenheit dahin zu berufen und zu leiten.

140

Er erſchien ſogleich, aber es ward der Fuͤr - ſtin aͤuſſerſt ſchwer, ihn zur Entfuͤhrung des Gefangnen zu bereden, weil ers fuͤr Verletzung ſeiner Pflicht, ſeines Schwurs achtete, und die wenigen Tage ſeines Lebens nicht durch Meineid beflecken wollte. Nur die Verſiche - rung, daß der izt allzu zornige Fuͤrſt ihm einſt ſelbſt die That lohnen wuͤrde, daß die Fuͤrſtin im moͤglichen Falle alle Verantwortung auf ſich nehmen wolle, machte ihn bereitwillig, die That zu verſuchen. Sie verſprach ihm uͤber - dies lebenslange und gute Verſorgung im Staate einer benachbarten Fuͤrſtin, wohin ſie ihn ſicher und ohne Gefahr ſenden wolle. Aber dies Verſprechen war es nicht, was dem redlichen Alten zur Theilnahme bewog, nur die Ueberzeugung, daß er eine gute That uͤbe, nur der Widerwille, mit welchem er den trau - rigen Dienſt eines Kerkermeiſters verrichtete, beſtimmte ſeine Handlung.

141

Es ward nun verabredet und beſchloſſen, daß der Kerkermeiſter ſobald als moͤglich ſei - nen Gefangnen von allem unterrichten, zur Nachtszeit alle laͤſtige Zeugen entfernen, und mit ihm durch eine Seitenthuͤre des Thurms, welche nicht bewacht wurde, weil ſie nur zur Wohnung des Kerkermeiſters fuͤhrte, nach dem Garten der Fuͤrſtin entfliehen ſollte. In die - ſem Garten hatte ſich die Fuͤrſtin eine Enſiede - lei erbauen laſſen, zu welcher nur ſie den Schluͤſſel bei ſich trug. Dieſer ward dem Ker - kermeiſter mit dem Auftrage uͤbergeben, daß er durch ſolchen die Gemaͤcher der Einſiedelei oͤfnen, und ſich mit dem Grafen nach einer im Hintergrunde angebrachten Grotte begeben ſolle, wo kein menſchliches Auge ſie ſehen und entdecken konnte. Genaͤhrt und gepflegt durch die Hand der Fuͤrſtin, ſollten ſie dort ſo lange verborgen leben, bis der Fuͤrſt jede Nachſpaͤhe geendet habe, und ſie unter einer unkennba -142 ren Verkleidung mit ſichern Paͤſſen verſehen, ohne Gefahr das Land verlaſſen koͤnnten.

Dieſer aͤuſſerſt vorſichtige Plan ward durch den Kerkermeiſter mit Klugheit ausgefuͤhrt. Als die Mitternachtſtunde nahte, huͤllte er ſich und ſeinen Gefangnen in weite Maͤntel, und fuͤhrte ihn gluͤcklich nach der Seitenthuͤre des Gar - tens, zu welcher er ebenfalls den Schluͤſſel er - halten hatte. Mit bangen und unruhigen Herzen erwartete indeß die Fuͤrſtin den Aus - gang ihres Wagſtuͤcks in der fuͤrſtlichen Reſi - denz, wohin ſie ſogleich ruͤckgekehrt war. Sie ſandte ſchon fruͤh ihre Vertraute auf Spaͤhe, und genoß die Fruͤchte einer edlen That in gan - zer Fuͤlle, als ihr dieſe die ſichere Nachricht brachte, daß alles wohl gelungen ſei, weil man den Entflohnen ſchon mit groͤßtem Eifer ſuche.

143

Da die Fuͤrſtin jeden moͤglichen Argwohn hindern wollte, ſo ging ſie die erſten Tage nicht nach dem Garten, nur die vertraute Kam - merfrau ging dahin, und trug den Verborg - nen, unter dem Vorwande, daß ſie fuͤr die Fuͤrſtin Buͤcher aus der dort befindlichen Bi - bliothek hole, Speiſe und Trank zu. Staͤrker ſchlug dann allemal das Herz der Edlen, wenn die ruͤckkehrende Kammerfrau ihr er - zaͤhlte, daß es den Gefangnen wohlergehe, daß der Graf in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken der Retterin ſeines Lebens danke. Als die Fuͤrſtin gewahrte, daß niemand etwas ahne, ging ſie, wie gewoͤhnlich, nach dem Garten, beſuchte die Verſteckten allemal, ſprach troͤſtend mit ihnen, und erſchien ſtets mit Wohlthaten in der Hand. Bald brachte ſie ihnen die noͤ - thige Speiſe, bald wieder Waͤſche und andere unentbehrliche Dinge, die des Lebens Noth - durft erforderte.

144

Da der arme Graf ſein kuͤnftiges Schick - ſal in der Hand einer ſo großmuͤthigen Fuͤrſtin ſah, ſo zagte er nicht mehr fuͤr die Zukunft, aber das weit ungluͤcklichere Schickſal ſeines verlaßnen Weibes, ſeiner unerzognen Kinder quaͤlte ſein Herz doppelt. Er empfahl ſie der Vorſorge der gnaͤdigen Fuͤrſtin aufs dringen - de, und verleitete ſie dadurch zu dem unerwar - teten Schritt, bei der Geliebten ihres Gatten die Fuͤrſprecherin der Ungluͤcklichen zu werden. Der heiſſe Dank des Grafen, die Ueberzeu - gung, daß ſie edel gehandelt habe, lohnten ihr dieſe Ueberwindung reichlich, welche ganz natuͤrlich dieſer Schritt ihrem Herzen gekoſtet hatte.

Nun war der ſehnlichſte Wunſch des Gra - fen erfuͤllt, nun blieb ihm keiner uͤbrig, als ſeiner Wohlthaͤterin nicht laͤnger laͤſtig zu fal - len, und in irgend einem Winkel der Erde ſeine kummervollen Tage zu vertrauern. DieFuͤrſtin145Fuͤrſtin hatte ſchon lange vorher alles zur Er - fuͤllung dieſes Wunſches vorbereitet. Eine be - nachbarte Fuͤrſtin, welche als Vormuͤnderin ihres unmuͤndigen Sohnes das kleine Laͤndchen, welches ſein Vater beſaß, regierte, war ehe - mals ihre Jugendfreundin geweſen, immer fand noch eine vertraute Korreſpondenz zwi - ſchen beiden ſtatt. Sie entdeckte ihrer gepruͤf - ten Freundin ſogleich die ganze Sache, und bat um Rath und Beiſtand.

Die regierende Fuͤrſtin ſchrieb zuruͤck, daß ſie der genauen Verbindung wegen, in welcher beide Hoͤfe miteinander ſtaͤnden, nicht faͤhig waͤre, dem Grafen, wenn er nach ihrem Lande entfliehe, oͤffentlichen Schutz zu verlei - hen, doch wolle ſie, der theuern Freundin zu gefallen, alles wagen, alles unternehmen, was, wenn er im Verborgnen kaͤme, die moͤgliche Entdeckung hindern, und ihn, wenn er ein einſames Landleben nicht ſcheue, fuͤr jeder Ge -Biogr. d. W. 4r Bd. K146fahr ſchuͤtzen koͤnne. Zur Befoͤrderung dieſer Abſicht ſandte ſie ihr zwei Paͤſſe, welche auf zwei ihrem Fuͤrſtenthume unterthaͤnige Schaͤ - fer ausgeſtellt waren, die den Auftrag hatten, in den naͤchſtgelegnen Staaten die merkwuͤr - digſten Schaͤfereien zu beſuchen, und ſich die Vortheile derſelben zur Verbeſſerung der in - laͤndiſchen Schafzucht eigen zu machen. Dein, ſchrieb nun die Freundin weiter, ſei nun die Sorge, die Fluͤchtlinge der Eigenſchaft ihres Paſſes gemaͤß zu kleiden, ihre Geſichtszuͤge ſo unkennbar als moͤglich zu machen, und ſie dann geradezu nach meinem Lande zu ſenden. Ein neuer Brief von dir wird mich unterrichten, wenn ſie abreiſen, wenn ſie eintreffen koͤnnen. Sie nehmen dann ihren Weg nach der von mir neu errichteten fuͤrſtlichen Schaͤferei zu m, im Gebuͤrge F . Ich werde um dieſe Zeit auf einem benachbarten Jagdſchloſſe wohnen, und werde dann ſchon Gelegenheit finden, den Grafen zu ſprechen. Ehe dies aber geſchieht,147 gehen die Fluͤchtlinge ohne Aufenthalt nach der beſtimmten Schaͤferei, und melden ſich bei dem Vorſteher derſelben. Er hat den gemeß - nen Auftrag von mir erhalten, ſie in ſeine Dienſte aufzunehmen, und ob ſie gleich der Abſicht, die ich ihm erzaͤhlte, keinesweges ent - ſprechen werden, ſo iſt der gute Alte doch viel zu demuͤthig, als daß ers wagen ſollte, ihre verborgnen Kenntniſſe zu bezweifeln. Dies iſt, nach reifer Ueberlegung, die einzige Art, durch welche ich den Grafen ſichern Aufenthalt in meinem Lande gewaͤhren kann, er muß es ſich ſchlechterdings gefallen laſſen, wenigſtens durch einige Zeit meine Schaafe zu huͤten, weil er ſich nur in dieſer einſamen Gegend dem wach - ſamen Auge aller meiner Beamten entziehen kann, die durch mich den ernſten Befehl er - hielten, nach dem Entflohnen umher zu ſpaͤ - hen. Ein Befehl, den ich auf dringendes Er - ſuchen deines Fuͤrſten ergehen ließ, und nunK 2148nicht widerrufen, nur durch Nichterinnerung ſchwaͤchen kann.

Der arme Graf war ganz mit ſeinem Looſe zufrieden, als ſeine fuͤrſtliche Freundin ihn fragte, ob er Verlaͤugnung genug beſitze, ſich dieſer noͤthigen Einrichtung einige Zeit hindurch zu fuͤgen. Mein neuer Stand, ſprach er, iſt meiner innern Lage ganz angemeſſen, ich kann mich ungehindert, wenn ich meiner Heerde folge, meinen Gedanken uͤberlaſſen, die einſa - men Gegenden, in welche ſie mich fuͤhren wird, werden Labſal fuͤr mich ſeyn, ich kann mich dort dem Andenken meines Weibes, meiner Kinder weihen, und ihren Verluſt betrauren. Nur ſchmerzt es mich aͤuſſerſt, daß ich den Retter meines Lebens nur darum der Ruhe entriſſen habe, damit er in ſeinem hohen Alter in wuͤſten Gegenden umher irren, und eine Koſt genuͤſſen ſoll, die ſeinen Kraͤften nicht an - gemeſſen iſt.

149

Die Fuͤrſtin ſuchte ihn uͤber dieſen Gegen - ſtand zu beruhigen, und verſicherte ihn, daß eine gute und dauerhafte Verſorgung des red - lichen Kerkermeiſters ihre Pflicht ſey, die ſie auch nach Moͤglichkeit leiſten werde. Er kann, ſprach ſie, wenn er einmal der Gefahr ent - ronnen iſt, nach Belieben weiter wandern, und in einer entfernten Gegend ruhig die Sum - me genuͤßen, welche ich ihm beim Abſchiede uͤbergeben will. Sie wird hinreichen, ihn zeitlebens zu ernaͤhren, es wird noch genug uͤbrig bleiben, um ſeinen treuen Waͤrter am Ende ſeiner Tage damit belohnen zu koͤn - nen.

Der ſeltne Kerkermeiſter dankte innig, aber er verſicherte auch eben ſo ernſtlich, daß er ſich nie von dem Grafen trennen, Gluͤck und Ungluͤck, Kummer und Freude mit ihm theilen, und, waͤre es irgend moͤglich, durch treue Dienſtleiſtung ſein hartes Schickſal er -150 leichtern wolle. Die Tage, welche er in der Grotte mit ihm durchlebt hatte, waren dem guten Alten ſo angenehm verfloſſen, hatten ihn ſo deutlich uͤberzeugt, daß der Graf ei - ner der beſten Menſchen ſei. Dieſe Ueber - zengung war die Urſache, daß er ſich nie von ihm trennen wollte, durch keine Ueberre - dungskraft zu einem andern Entſchluſſe zu bewegen war. Aber der Menſch denkt, und Gott lenkt!

Eben als alles Noͤthige zur Abreiſe an - geordnet war, und ſie ſchon am andern Tage ihren Zufluchtsort verlaſſen, und ſich dem Schutze des Allmaͤchtigen uͤbergeben wollten, ward der arme Kerkermeiſter krank, eine hef - tige Augenentzuͤndung endete in fuͤnf Tagen ſein Leben, weil man ihm der groͤſſern Ge - fahr, der moͤglichen Entdeckung wegen keine Huͤlfe leiſten konnte. Er ſtarb als Chriſt, ruhig und gelaſſen, und ging mit der Gewiß -151 heit hinuͤber, daß der Barmherzige ihm ſei - nen Meineid verzeihen, die Abſicht ſeiner edeln That lohnen wuͤrde.

Den Grafen druͤckte der Verluſt eines Freundes, das Bewuſtſeyn, daß er Schuld an ſeinem Tode ſey, aͤuſſerſt ſtark, machte ihn mißmuthig und im hoͤchſten Grade traurig. Vergebens muͤhte ſich die Fuͤrſtin, ihn zu troͤſten, er faßte den Gedanken, und hielte ihn feſt, daß Gott ihn ganz verlaſſen habe, nur immer empfindlicher ſtrafen, nie verge - ben wolle! Man verdenke dem Grafen ſein Murren nicht! Er glich einem mit dem reiſ - ſenden Strome Kaͤmpfenden, der lezte ſchwa - che Aſt, von dem er wo nicht Rettung, doch Verlaͤngerung ſeines Lebens hofte, brach mit einmal, und alle Ausſicht zu beiden ſchwand.

Damit der Koͤrper nicht entdeckt werde, muſte er in der Grotte begraben werden. Die152 vertraute Kammerfrau entwendete dem Gaͤrt - ner Hakke und Schaufel, und der Graf brauchte zwei volle Naͤchte, um dem treuen Freunde eine Grabſtaͤtte im harten Boden der Grotte auszuhauen. Dieſe traurige Beſchaͤf - tigung, der fortdauernde Anblick des Todten, mehrte die Empfindungen ſeines Herzens, er wuͤnſchte ſehnlichſt gleich ihm vollendet, gleich ihm ausgerungen zu haben.

Nachdem er am dritten Abende geruht, und am vierten von ſeiner fuͤrſtlichen Wohl - thaͤterin mit Thraͤnen des waͤrmſten Danks Abſchied genommen hatte, ihrem fernern Schuze ſein Weib und Kinder empfahl, von ihr eine große Summe und zugleich die Verſi - cherung erhielt, daß ſie einen Brief von ihm richtig an ſein Weib beſtellen wolle, trat er in der folgenden Nacht ſeine Wanderung an. Er entkam durch die Seitenthuͤre gluͤcklich aus dem Garten, eben ſo gluͤcklich aus der Stadt,153 weil dieſe zwar Thore hatte, aber mit keiner Mauer umgeben war, und man durch einige Nebenwege ungehindert in die Vorſtadt, aus dieſer ins Freie gelangen konnte. Wie die Sonne aufging, lag die Reſidenz ſchon mei - lenweit hinter ſeinem Ruͤcken. Er trug die Kleidung eines Schaͤfers, ſein Haar war ver - ſchnitten, Haͤnde und Geſicht unmerklich gelb gefaͤrbt. Das leztere und der ungewoͤhnlich ſtarke Bart verſtellte ſeine Phyſionomie voll - kommen, niemand achtete auf ihn, er wan - derte auf ſelbſt gewaͤhlten Seitenwegen unge - hindert nach der Graͤnze, welche er ſchon am zweiten Tage erreichte. Eben ſo gluͤcklich, und ohne nur einmal nach einem Paſſe befragt zu werden, langte er auf der beſtimmten fuͤrſtlichen Schaͤferei an.

Sie lag mitten im hohen Forſte, in ei - ner unbewohnten, wilden Gegend. Die hie und da vom Holze entbloͤßten Berge, die154 grasreichen Thaͤler hatten die oͤkonomiſche Fuͤr - ſtin bewogen, die erſtern zu einer Sommer - weide, die leztern zum Heu fuͤr einige tau - ſend Schaafe zu benuzen, welche dort herrlich gedeihten, und weit mehr Nuzen brachten, als das wenige Wild, welches ihre Vorfahren ſonſt in dieſer Gegend gehegt hatten. Der Vorſteher dieſer Schaͤferei, ein alter, aber biederer und redlicher Mann, empfing den Grafen mit baͤuriſcher, aber traulicher Freundlichkeit. Er hatte ihn ſchon laͤngſt er - wartet, und deswegen ſchon einen ſeiner Knechte des Dienſtes entlaſſen, um dem Er - warteten ſeinen Plaz ſogleich anweiſen zu koͤn - nen. Noch am nemlichen Tage uͤbergab er ihm daher vierhundert Stuͤck ſchoͤne Schaafe, die er leiten, fuͤhren und pflegen ſollte.

Die Empfehlung der Fuͤrſtin erregte ganz natuͤrlich bei dem Alten den Gedanken, daß der Fremde ſeltne Kenntniſſe in der Schaaf -155 zucht beſitzen muͤſſe, er ſchwaͤzte daher beſtaͤn - dig mit ihm uͤber die Vortheile und Hinder - niſſe der Leztern, um die Erſtern zu pruͤ - fen. Ein Gluͤck fuͤr den Grafen, daß er ſtets die Oekonomie leidenſchaftlich liebte, wenn er auf ſeinen Landguͤtern einig Wochen Erholung von ſeinen Geſchaͤften ſuchte, ſich in den vor - nehmſten Zweigen derſelben praktiſch uͤbte, und daher wenigſtens mit den allgemeinen Regeln einer guten Schaafzucht nicht unbe - kannt war, freilich in der Folge nicht leiſtete, was der Alte hofte, aber doch auch nichts ver - darb, und wegen ſeines ſtillen und eingezoge - nen Lebenswandels endlich der Liebling deſſel - ben ward.

Die Fuͤrſtin beſuchte bald hernach die Schaͤferei, und hatte Gelegenheit, mit dem Grafen troͤſtend zu ſprechen. Er dankte innig fuͤr ihren Schuz, und dankte noch inniger, als ſie ihm kund machte, daß ſein Weib, ſei -156 ne Kinder geſund lebten; aber traurig ſank ſein hoffendes Auge zur Erde, wie ſie ihm erzaͤhlte, daß ſeine wohlthaͤtige Fuͤrſtin den Brief, welchen er ihr an ſeine Gattin hinter - laſſen hatte, noch nicht abgeſchickt habe, auch nicht abſchicken koͤnne, weil ſie als gewiß er - fahren habe, daß ein heimlicher Spaͤher des Fuͤrſten die Graͤfin genau beobachte, alle ihre Korreſpondenz ingeheim unterſuche, und durch die geringſte Spur auf Entdeckung gelei - tet werden koͤnne. Der arme Verbannte fuͤhlte bei dieſer Nachricht das Leiden der ver - laßnen Gattin, er flehte aufs neue, daß man ihr nur von ſeinem Leben, von ſeiner Geſund - heit Nachricht geben ſolle, und ging izt trau - riger, tief leidend hinter ſeiner Heerde, weil ihn auch der einzige Troſt, einige Zeilen von der geliebten Gattin zu leſen, geraubt wurde.

157

Auch dem Ruhigen und Gluͤcklichen macht Einſamkeit und Entfernung von aller menſchli - chen Geſellſchaft traurig und mißmuthig, um ſo mehr den Leidenden und Ungluͤcklichen. Kein Freund erquickt ſein ſchmachtendes Herz mit Troſt, keine unerwartete Gelegenheit zerſtreut ſeinen Kummer, er kann ungehin - dert die Groͤſſe ſeines Leidens meſſen, und ſich mit jedem Tage aufs neue uͤberzeugen, daß ſie unendlich, und daher immer dauernd ſey. So ergings auch dem Grafen, er ward ſtets trauriger, ſtets melancholiſcher, und erregte dadurch das Mitleid ſeines gutherzi - gen Meiſters, der ihn unter allen Knechten auszeichnete, oft an ſeinem eignen Tiſche ſpeiſen ließ, und ſich hoch wunderte, wie der Leidende dieſe Ehre nicht hochſchaͤzte, ſie viel - mehr auf alle moͤgliche Art zu vermeiden ſuchte.

158

Den uͤbrigen Bewohnern war der Graf ein gleiches Raͤthſel, ſeine gefaͤllige, freund - liche Art zog jeden an ſich, aber ſein Hang zur Einſamkeit, zum tiefen Nachdenken, ſtieß alle gleich ſtark wieder zuruͤck. Ohne es ſelbſt zu wollen, gewann bald die von Jugend auf ſorgfaͤltig gepflegte Gewohnheit den Rang uͤber die ſchwere Verſtellung, er ſuchte ſich, geleitet durch jene, ſeine harte Laſt dadurch ertraͤglicher zu machen, daß er ſich reinlicher und beſſer als alle uͤbrige Schaͤfer kleidete. Die wenigen Maͤdchen, welche in dieſer Ein - oͤde wohnten, oder ſie Geſchaͤfte wegen beſuch - ten, blickten daher oft luͤſtern nach ihm, und nannten ihn nur den ſchoͤnen und galanten Schaͤfer, als aber dieſer, oft in ſeiner Ge - genwart ausgeſprochne Name keinen Eindruck auf ihn machte, da nannten ſie ihn in der Folge den traurigen Schaͤfer, und blickten ihm mitleidig nach, wenn er mit geſenktem Auge hinter ſeiner Heerde ſchlich.

159

Nach drei durchſchmachteten Jahren, hat - te finſtere Melancholie in ſeinem Herzen fe - ſten Sitz genommen, er ſah mit wahrer Be - gierde dem Tod entgegen, er wuͤnſchte ſehn - lichſt, daß er bald nahen, bald ſein namlo - ſes Leiden enden moͤge. Schon im zweiten Jahre hatte ihm die beſuchende Fuͤrſtin zu ver - ſtehen[gegeben], daß ſo tiefe und erniedri - gende Verſtellung izt nicht mehr noͤthig ſei, daß er in einem entferntern Lande, unter - ſtuͤtzt durch ſeine Wohlthaͤterin, angeneh - mer und beſſer leben koͤnne, aber die Ein - ſamkeit war ſeinem Schmerze ſchon unent - behrlich geworden, er flehte, daß man ihn laͤnger hier dulden moͤge, und verſicherte dreuſt, daß ihn noch weitere Entfernung, wo er gar keine Nachricht mehr von ſeiner Gattin erhalten wuͤrde, zum Wahnſinn rei - zen werde. Die Fuͤrſtin ehrte ſeine Gruͤnde, und verſprach ihm, durch oͤftere Nachrichten von ſeiner Gattin zu erfreuen, aber ſie160 vermochte nicht Wort zu halten, weil ſie nur jaͤhrlich einmal in dieſe Gegend kam, und durch Boten die ohnehin geſpannte Auf - merkſamkeit der dortigen Bewohner nicht noch mehr reizen wollte.

Eben fragte die gleich ſtark leidende und duldende Graͤfin den Ewigen: Ob denn ihr Leiden nie enden, ihr Jammer hienieden keinen Lohn hoffen koͤnne? Als ungewoͤhn - liches Geraͤuſch im Hofe ihres Schloſſes ſie aus ihrem Tiefſinn weckte, und ans Fenſter zog. Sie blickte hinab, ſah einige Reiſe - wagen an der Thuͤre ſtehen, und eine in Trauer gehuͤllte Dame aus dem erſten der - ſelben herausſteigen. Sie eilte hinab und ſank in die Arme der Fuͤrſtin, welche ſie zu beſuchen kam. Ihre Trauer verkuͤndigte der Graͤfin ſchon im Voraus die Urſache der Moͤg - lichkeit dieſes ſeltnen Beſuches, ſie ahndetedes161des Fuͤrſten Tod, welcher auch wirklich aͤuſ - ſerſt ſchnell und unvermuthet erfolgt war.

Er hatte ſich auf einer damals ſo ge - woͤhnlichen Parforce-Jagd aͤuſſerſt erhizt, ein unvermutheter Gewitterregen durchnaͤſſete ſei - ne Kleider. Ehe er noch die Reſidenz er - reichte, ſank er vom Schlage getroffen tod vom Pferde. Die ihn immer noch liebende, und ſeinen Tod innig bejammernde Fuͤrſtin ward nun Regentin des Landes, weil ihr einziger Sohn erſt das eilfte Jahr ſeines Alters erreicht hatte. Man huldigte ihr ſogleich, als die Aerzte vergebens alle Mit - tel verſucht hatten, den Toden zu wecken. Die Graͤfin R , welche noch immer die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten war, bisher oft Land und Leute regiert hatte, erſchrak aͤuſſerſt, als ſie den Tod des Fuͤrſten und die Huldigung ſeiner Gemahlin in einem Au - genblicke vernahm. Sie fuͤrchtete die RacheBiogr. d. W. 4r Bd. L162der letztern, und ſande ihr ſogleich folgen - den Brief:

Durchlauchtigſte Fuͤrſtin! Sie koͤnnen auf Wiedervergeltung rechnen! ſprachen ſie einſt zu mir, als ich die Fuͤrbitte in der Graͤfin L zu werden verſprach. Die Zeit dieſer Wiedervergeltung iſt da! Ich hoffe, daß Sie großmuͤthig handeln, und mir er - lauben werden, mit meinem Haabe ein Land zu verlaſſen, deſſen Monarch bisher mein einziger Beſchuͤtzer war.

Die tief gebeugte Fuͤrſtin vermochte nicht ſogleich zu antworten, ſie ließ der Graͤfin nur ſagen, daß die Antwort ſicher und bald erfolgen werde. Dieſe ſah mit banger Sehnſucht und zitternd der Antwort entge - gen, aber ſie ſtaunte, und heiſſe Thraͤnen fuͤllten ihr Auge, als ſie ihr am andern Ta - ge ward, als ſie folgendes las:

163

Meine liebe Graͤfin! Sie ſind aͤuſſerſt billig, da ſie zur Wiedervergeltung einer That, die ich bisher immer noch mit dank - barem Herzen ehre, eine Sache fordern, die ihnen die ſtrengſte Gerechtigkeit nicht einmal verweigern koͤnnte. Es ſteht ihnen vollkom - men frei, ferner in dieſem Lande zu woh - nen, oder es zu verlaſſen. Im erſtern Fall wird meine Hochachtung gegen ſie fortdauern, im letztern werden ſie ſolche ungetheilt mit ſich nehmen. Aber dann hoffe ich ganz ſicher, daß ſie nicht ohne Abſchied ſcheiden, daß ſie durch eine neue, und groͤſſere Bitte mich in Stand ſetzen, ſie nicht mit dem Bewuſtſein entlaſſen zu muͤſſen, daß ich ihre groſſe Schuldnerin bleibe. Kommen ſie, wenn ſie wollen, unter uns findet keine Etikette ſtatt, wir haben beide am meiſten verlohren, uns muß es auch erlaubt ſein, ungehindert mit einander weinen zu koͤnnen.

L 2164

Alle Hofleute ſtaunten, als ſich kurz nachher die Graͤfin R bei der Fuͤrſtin mel - den ließ, aber alle ſtaunten noch weit mehr, als ſie ſogleich vorgelaſſen wurde, und nach einer kurzen Unterredung, die Fuͤrſtin mit ihr Hand in Hand aus dem Kabinete trat, ſie in aller Gegenwart Frenndin nannte; mit aͤchter Zaͤrtlichkeit umarmte, ihr die gluͤcklich - ſte Reiſe, und fuͤr die Zukunft die ruhigſten Tage wuͤnſchte. Dieſe auſſerordentliche Leut - ſeligkeit der Fuͤrſtin war nicht Verſtellung, war aͤchter Lohn, welchen ſie der Graͤfin zollte.

Als dieſe zu ihr ins Kabinet trat, dankte ſie ihr mit einer Waͤrme, die ihr Herz ruͤhrte, und bat nochmals, daß ſie das Land verlaſ - ſen duͤrfe. Die Fuͤrſtin gewaͤhrte ihr ſolches aufs neue, forderte aber ausdruͤcklich, daß ſie ſich eine groͤſſere Gefaͤlligkeit von ihr erbit - ten moͤge. Wohl dann, ſprach die Graͤfin,165 ich will ihre Gnade nutzen. (auf ihre Knie ſinkend) Izt, da meine eingebildete Groͤſſe ſinkt, fuͤhle ich es deutlich, daß ich den Tod meines Bruders zu hart raͤchte, daß ich den armen Grafen L zu hart verfolgte. Euer Durchlaucht ſind izt Regentin geworden, Euer Durchlaucht koͤnnen izt ſtrafen, aber auch vergeben und vergeſſen. Mir ward eine Bitte erlaubt, mir ward Gewaͤhrung derſelben zugeſichert, ich bitte, daß Euer Durchlaucht dem Grafen unbedingt vergeben, ſeine That vergeſſen, und ihm erlauben, ſeine uͤbrigen Tage ruhig in den Armen des ge - liebten Weibes zu durchleben. Ich bins von ihrem edlen Herzen uͤberzeugt, daß dieſe Verzeihung auch ohne meine Bitte erfolgen wuͤrde, aber ich achtete es fuͤr Pflicht, ſie daran zu erinnern, und aufs neue zu bitten, daß dieſe Gnade die erſte edle Handlung der kuͤnftigen Regentin ſein moͤge. Sie ſoll, ſie wirds ſein! rief die geruͤhrte Fuͤr -166 ſtin aus, aber ſie muͤſſen auch die Verſiche - rung mit ſich nehmen, daß ich ſie um dieſer Bitte willen ewig hochſchaͤtzen und lieben werde.

Die Trauer uͤber den Tod des Fuͤrſten erlaubte, gebot ſogar der Fuͤrſtin einige Zeit Entfernung aus der Reſidenz. Als ſie daher alle fuͤrſtliche Beamte in ihrem bisherigen Dienſte beſtaͤtigt hatte, heiſchte ihr Schmerz dieſe Linderung, ſie hofte ſie im Wohlthun zu finden, und reiſte zur Graͤfin L , um in ihrer Geſellſchaft und im ſtrengen Iukog - nito nach dem benachbarten Fuͤrſtenthum zu reiſen, dort den Grafen zu uͤberraſchen, und die namloſe Freude der erſten Umarmung, der Wiedervereinigung mit genuͤſſen zu koͤn - nen. Als ſie dieſen wohlthaͤtigen Vorſaz der Graͤfin entdeckte, da O wer iſt faͤhig die Simptomen einer ſolchen Freude, einer ſolchen Seligkeit zu ſchildern, ſie167 gleicht vollkommen der uͤberirdiſchen, die nicht einmal der Dollmetſcher Gottes zu ſchil - dern, die keines Sterblichen Mund auszu - ſprechen vermag. Die Uebergluͤckliche war ganz einem Kinde aͤhnlich, ſie taumelte won - nevoll umher, hob jeden Gegenſtand in die Hoͤhe, und legte ihn eben ſo ſchnell wieder von ſich, ſie traͤumte wachend, und ſprach nur immer von dem Gluͤcke, das ſelbſt ihrer erhitzten Einbildungskraft nur ein Traum ſchien.

O wie unendlich langſam floſſen ihr izt die Stunden voruͤber, die ſie von der Er - fuͤllung ihres heiſſen Wunſches trennten! Kein Schlaf erquickte das Auge der Hoffenden, immer ſtarrte es ſehnſuchtsvoll in die Zu - kunft, und ſah den geliebten Gatten mit ofnen Armen vor ſich ſtehen. Die Fuͤrſtin hatte beſchloſſen, einige Tage auf dem Land - gute der Graͤfin zu ruhen, als ſie aber168 ihre Sehnſucht ſah, da warf ſie ſich ſchon am andern Morgen mit ihrer Freundin in einen leichten Reiſewagen, und eilte mit ihr der unnennbaren Freude entgegen. Um ſchneller reiſen zu koͤnnen, hatte die Fuͤr - ſtin aller gewoͤhnlichen Begleitung eutſagt, nur eine Kammerfrau ſas mit den Kindern der Graͤfin in einem zweiten Wagen, nur zwei Bediente begleiteten ſie. Es ging raſch vorwaͤrts, aber es ging der Harrenden doch viel zu langſam, jede Schaafheerde, die oft auf den nahen oder fernen Bergen um - her kletterte, machte den ſtaͤrkſten Eindruck auf ihr Herz, ſie ſtrekte dann immer ihre Arme aus, und glaubte, in dem Hirten ihren Gatten zu erblicken.

Endlich lag die wuͤſte, oͤde Berggegend vor ihrem Blicke. Endlich ſahen ſie zwiſchen den hohen Buchen und Eichen die Schaͤferei vom Ferne glaͤnzen, endlich ſtand der Wa -169 gen am Hauſe des Vorſtehers derſelben. Der gute Alte kam mit der Muͤtze in der Hand den hohen, fremden Gaͤſten entgegen, er ſtannte mit Recht, als die Graͤfin haſtig fragte: Wie es ihrem Gatten, wie es dem Graf L gehe? Wo er ſei? Wo ſie ihn ſehen und ſprechen koͤnne? Er ſchuͤttelte be - daͤchtlich den Kopf, und wollte den Frem - den eben beweiſen, daß kein Graf hier woh - ne, als die ruhigere Fuͤrſtin den Irrthum bemerkte, und nach dem fremden Schaͤfer - knecht fragte, der ſeit einigen Jahren die fuͤrſtlichen Schaafe huͤte. Ach dieſer, rief der Alte aus, dieſer mag freilich mehr ſein, als er ſein will, aber kein Graf iſt er doch wohl nicht!

Fuͤrſtin. Daruͤber wollen wir nicht laͤn - ger ſtreiten. Sei er nur ſo gefaͤllig, uns zu ſagen, wo wir ihn treffen, dann wird ſich alles aufklaͤren.

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Der Alte war ſogleich bereit und willig, ſie nach dem Berge zu fuͤhren, wo er ſeine Schaafe weidete. Er ging voraus, und der Wagen folgte. Am Fuße des Bergs mußten ſie ausſteigen, weil ſich nur ein en - ger, von Schaafen getretner Pfad aufwaͤrts ſchlaͤngelte. Die Graͤfin ergrif die Hand ih - rer Kinder, und zog ſie haſtig hinter ſich her. Einzelne Schaafe, welche am Gipfel umher kletterten, beſchaͤftigten ihr Auge, zogen ihre ganze Aufmerkſamkeit magnetiſch an ſich, ſie konnte nicht denken, nicht ſpre - chen. Nahes Gefuͤhl der Wonne, des ent - zuͤkkenden Wiederſehens tobte ſtuͤrmend in al - len ihren Adern, Nerven und Fibern, es hemmte ihren Athem, ſie mußte oft ruhen, und blickte dann mit naſſem, ſehnſuchtsvol - lem Blicke in die Hoͤhe.

Die Fuͤrſtin folgte ſtillſchweigend, auch ihre hochgeregte Empfindung beſchaͤftigte Herz171 und Einbildungskraft gleich ſtark. Nur eini - gemal war ſie vermoͤgend, die Graͤfin fuͤr allzuhaſtiger Eile zu warnen, aber die Ent - zuͤckte war unfaͤhig die Warnung zu faſſen, das allzugroſſe, wonnevolle Ziel riß ſie mit Allmachtsſtaͤrke empor, weckte jede Lebens - kraft, ſpannte jede Sehne, um es nur bald, nur ſchneller erreichen zu koͤnnen. Endlich war der Gipfel erſtiegen, eine alte Eiche, deren Stamm der wuͤthende Sturm oft gebo - gen, aber nicht gebrochen hatte, ſtand un - fern von ihnen. Unter ihrem Schatten ruhte der verbannte Graf, er lag ausgeſtreckt am Boden, die Rechte unterſtuͤtzte ſein nach - denkendes Haupt, ſein Auge ſtarrte in die ferne Gegend. Der Alte wollte ihn aus ſei - nem Traume wecken, aber die Sehnſucht der liebenden Gattin uͤberfluͤgelte ſeine Schritte.

Mein Karl! Schrie ſie wonnetrunken, als ſie ſich nahte. Mein Vater! riefen die172 Knaben, welche ihr folgten. Der Denken - de ſchauderte empor. Mein Karl! wieder - holte die Gattin. Mein Vater! lallten die Kinder athemlos: Gleich dem Wetlaͤufer, der alle ſeine Kraͤfte verſchwendet hat, ſank izt die Graͤfin am Ziele ihrer Wuͤnſche kraft - los nieder, die Kinder umfaßten die Knie des Staunenden. Die Fuͤrſtin vermochte nicht zu ſprechen, Thraͤnen der Freude, der innigen Theilnahme hemmten ihre Sprache. Der Alte grif haſtig nach ſeiner Muͤzze, und blikte mit entbloͤßtem Haupte zu Himmel.

Lange dauerte die Szene der ſtummen Empfindung, des Sturmes der namloſen Gefuͤhle, als ſie aber endete, da wards O daß ich diesmal nur das freudenvolle Ge - fuͤhl meiner Leſer durch Dichtung taͤuſchen koͤnnte! Da wards allen nach und nach zur traurigen, zur ſchrecklichen Gewißheit, daß die ſchnelle Ueberraſchung, der jaͤhe173 Sprung der entfernteſten Hofnung zur uͤber - zeugenden Gewißheit dem armen Grafen ſeinen Verſtand geraubt, wenigſtens verwirrt hatte. Als der ſtrenge Richter ihm ohne Schonung das Todesurtheil verkuͤndigte, als zum letz - tenmal die Sonne ſeinem Auge entſchwand, als er, zwar gerettet vom ſichern Tode, aber immer verbannt vom geliebten Weibe, vom liebenden Kinde, fortwandern mußte, da blieb ſein Muth ſtandhaft und unerſchuͤt - tert, wie aber das unerbittliche Schickſaal ſeiner zu ſpotten, ihn durch Truggeſtalten zu taͤuſchen ſchien, da ſchwand Muth und Standhaftigkeit, da klagte er laut uͤber die ſtrenge Haͤrte des Barmherzigen, der ihn gleich einem Tantalus ſtrafen wolle, und war nicht zu bewegen, dasjenige fuͤr Wahrheit zu halten, was ſeine erhizte Einbildungs - kraft nur fuͤr Taͤuſchung, fuͤr Traum ach - tete.

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Es iſt ein Traum! Es iſt ſchreckliches Blendwerk! rief er ohne Unterlaß aus. Die Liebkoſungen der Gattin, die ſchmeichelnde Bitte der Kinder, die ermahnende Stimme der Fuͤrſtin war nicht vermoͤgend, die ein - mal gefaßte Idee zu vernichten, er waͤre entflohen, wenn ihn nicht auf den Wink der Fuͤrſtin die Bedienten ergriffen, und mit Gewalt nach der Schaͤferei gefuͤhrt haͤtten.

Anfangs hoften alle, daß Zeit und Ge - wohnheit ſeinen Irrwahn tilgen, ihn von der Gewißheit uͤberzeugen wuͤrde, aber kei - ne Zeit, keine Arzenei, keine Ueberzeugung war faͤhig, das ſtokkende Rad der Einbildungs - kraft zu wenden. Es ſtand, und in dieſem das Bild des Traumes und Truges. Nur ein aͤhnliches, noch weit ſchrecklicheres Bild geſellte ſich noch zu dieſem. Er glaubte in der Folge, daß ſein Weib, ſeine Kinder, ſelbſt die wohlthaͤtige Fuͤrſtin geſtorben waͤ -175 ren, ihm nun als Geiſter erſchienen. Dieſer Gedanke vermehrte den Wunſch des Todes in ſeinem Herzen, er wuͤnſchte ſehnlich mit den Geliebten vereinigt zu ſein, und nur die ſorgfaͤltigſte Aufmerkſamkeit ſeiner treuen Diener konnte es hindern, daß er nicht oft den Tod fand, den er ſo ſehnlich ſuchte.

Man denke ſich das Leiden der guten Gattin, es iſt keiner Beſchreibung faͤhig! Sie liebte heiß, zaͤrtlich und innig. Ihr ſchmachtendes Herz zog ſie ſtets hin zum Gatten, der ſie immer mit dem Ausrufe zuruͤck ſchreckte: Holder Geiſt! Warum kommſt du mich zu quaͤlen? Verjage die Waͤchter, und du ſollſt ſehen, wie ſchnell ich dir folge!

Die Zahl der Leiden des Menſchen iſt ungeheuer, iſt eben ſo wenig zu zaͤhlen, wie der Sand am Meere, aber jedes gefuͤhl -176 volle Herz wird beiſtimmen muͤſſen, daß das Leiden der Graͤfin unter der unzaͤhlbaren Zahl das groͤßte und ſtaͤrkſte war. Wer hier nicht die Gewißheit eines ewigen Lohns uͤber - zeugend fuͤhlt, der verdient zu leiden wie ſie, und ohne Ausſicht, ohne Hofnung eines Lohns verzweifelnd zu ſterben.

Ich muͤßte das Herz meiner Leſer nur mit groͤſſerer Trauer fuͤllen, wenn ich fortfahren wollte, ſo umſtaͤndlich zu erzaͤhlen, ich will mich daher ſo kurz als moͤglich faſſen: Da der Anblick der Graͤfin und ihrer Kinder dem wahn - ſinnigen Grafen nur Quaal und Pein verur - ſachte, ſo mußte man ihn im zweiten Wagen allein fahren laſſen. Immer hofte man da - mals noch auf Beſſerung, verſuchte ſtets neue Mittel zur Ueberzeugung, aber vergebens. Der Ungluͤckliche ließ ſich zwar willig nach ſei - nem Schloſſe fuͤhren, aber der Anblick deſſel - ben, der Willkomm ſeiner treuen Diener undBauern177Bauern machte keinen Eindruck auf ihn, er ſchien keinen zu kennen, aber wenn ſich ſeine Gattin, ſeine Kinder nahten, da bebte er ſtets erſchrocken empor, und rief aus: Seht ihr, ſeht ihr den Geiſt! Er winkt mir, ich ſoll fol - gen!

Sehnſuchtsvoll ſah die liebende Gattin in der Folge jedem Arzte, den ſie aus der Naͤhe und Ferne holen ließ, entgegen, wie aber viele derſelben ihre Kunſt fruchtlos an dem Pazien - ten verſchwendeten, und endlich alle einſtim - mig erklaͤrten, daß keine Huͤlfe mehr moͤglich ſei, da ward die Wunde ihres Herzens zum freſſenden Krebſe, unheilbare Abzehrung nagte an ihrem Koͤrper, nach drei langſam durch - ſchmachteten Jahren endete der Tod ihr nam - loſes Leiden. Als ſie begraben wurde, fuͤhrte man den ungluͤcklichen Wahnſinnigen nach dem Rathe des Arztes zu ihrem Sarge. Er hofte wahrſcheinlich, daß dieſer Anblick ihn erſchuͤt -Biogr. d. W. 4r Bd. M178tern ſolle, aber der Endzweck ward nicht er - reicht, er ſchien die Tode nicht mehr zu ken - nen, er blickte traurig nach dem Sarge, aber er war auch der Einzige unter den Anweſen - den, welcher der Verklaͤrten keine Thraͤne weihte. Wie ſeine Kinder im ſchwarzen Trau - erkleide ſich nahten, da floh er unaufhaltſam fort, und verſank wieder in ſeine gewoͤhnliche Schwermuth.

Er ward ſiebzig Jahre alt, er verließ ſein Zimmer aͤuſſerſt ſelten, und kannte in den lez - ten zehn Jahren ſeines Leidens ſeine Kinder nicht mehr. Man fand ihn an einem Morgen todt im Bette, ein Schlagfluß hatte ſein Le - ben, ſein Leiden geendet. Er ruht an der Seite ſeiner Gattin, und wird izt dort wo kein Zufall, kein Wahnſinn die Freude truͤbt den Lohn ſeiner Leiden in Fuͤlle genuͤſſen.

179

Hanns K , Bauer zu M .

Als noch finſtrer Aberglaube das ſche Land deckte, Aufklaͤrung nur auf den Zinnen und Anhoͤhen ſchwankend umherwandelte, lebte in einem Dorfe deſſelben ein junger, aber reicher Bauer. Er lebte ruhig und zufrieden, weil ihm Gott ein Weib beſchert hatte, das ihn innig liebte, alle Jahre ein geſundes Kind ge - bahr, und die groſſe Haushaltung emſig und klug fuͤhrte. Er ſah, und jeder ſeiner Nach - barn ſahs mit ihm, wie ſich jedes Jahr ſeineM 2180Einnahme durch den reichern Ertrag ſeiner Felder vermehrte, ſeine Ausgabe durch die kluge Wirthſchaft ſeiner Frau verminderte.

Selbſt, als in dem ungluͤcklichen ein und zwei und ſiebenzigſten Jahre unſers bei - nahe vollendeten Jahrhunderts allgemeiner Mißwachs die allgemeine Klage aller Landwir - the war, gaben ihm ſeine wohlgepflegten Fel - der doch eine mittelmaͤſſige Erndte, er konnte ſein Geſinde mit eignem Brode ſpeiſen, und uͤberdies noch einen maͤſſigen Ueberfluß verkau - fen. Wie im zweiten Hungerjahre die herr - lich gruͤnenden Aecker die reichſte Aerndte ver - ſprachen, lag wuͤrklich noch erſparter Vorrath auf ſeinem Boden. Er widerſtand hartnaͤckig dem immer hoͤher ſteigenden Anbote der Auf - kaͤufer, welche damals alle Doͤrfer durchzogen, um die noch kleinen Vorraͤthe aufzukaufen, und181 nach den Staͤdten zu fuͤhren, wo man aus Noth zahlte, was die heißhungrige Gewinn - ſucht forderte. Er hatte mit ſeinem Weibe beſchloſſen, all ſein Getraide in den Graͤn - zen des Dorfs an die armen Inſaſſen und Tagloͤhner um einen niedrigern Preiß zu ver - kaufen, er erfuͤllte ſein Geluͤbde, und beide Eheleute hoften, daß dies gute Werk der Al - lesbelohnende einſt reichlich vergelten werde. Wie die Erndte ſich ſchon nahte, und tauſend Hungrige den Tag der Reife mit banger Sehn - ſucht erwarteten, hatte auch Hanns ſeinen ganzen Vorrath auf dieſe Art verkauft, nur noch zwei Scheffel Waizen lagen auf ſeinem leeren Boden, welche die kluge Hausfrau nebſt dem noͤthigen Beduͤrfniſſe noch zuruͤckgelegt hatte, um in der Erndte die kraftloſen Lohn - arbeiter mit guter und nahrhafter Mehlſpeiſe ſtaͤrken zu koͤnnen.

Eben wollte Hanns aus dieſer Abſicht den Waizen nach der Muͤhle fuͤhren, als ein be - kanter Baͤcker bei ihm einſprach. Ich laufe182 nun, ſprach dieſer, ſchon drei Tage lang nach einigen Scheffeln Waizen umher, und kann keine Metze mehr auftreiben. Das Kloſter zu L , welches ich lange Jahre ſchon mit Sem - meln verſah, fordert mit Ungeſtuͤm die Erfuͤl - lung meines Kontrakts, ich habe dem Kloſter mein ganzes Vermoͤgen zu danken, ich ſehe izt nicht auf Gewinn, nur auf Erfuͤllung meines Wortes, und wuͤrde mir gerne jeden Preis gefallen laſſen, wenn ich nur einige Scheffel erkaufen koͤnnte. Lieber Hanns, koͤnnt ihr mir nicht helfen?

Hanns. Ich habe nur noch zwei Schef - fel.

Baͤcker. Genug indeß, weil ich in eini - gen Tagen Waizen aus H erwarte.

Die Frau. Aber dieſen Waizen koͤnnen wir nicht verkaufen, denn er iſt fuͤr unſre Schnitter beſtimmt.

183

Baͤcker. Ob dieſe weiſſe oder ſchwarze Kloͤſſe eſſen, ihnen gilts gleich, wenn ſie nur ſatt werden. Verkauft mir den Waizen, ich zahle euch zwanzig Thaler fuͤr den Scheffel.

Die Frau. Es kann nicht ſeyn. Der arme Tagloͤhner ißt auch gerne etwas Gutes. Wie ſoll man Arbeit von ihm fordern, wenn man ihn nicht mit nahrhaften Speiſen ſtaͤrkt?

Baͤcker. Ich zahle den Scheffel mit fuͤnf und zwanzig Thaler. Kauft den Schnittern Fleiſch dafuͤr, das ſtaͤrkt kraͤftiger und beſſer.

Die Frau. Das ſind ſie nicht gewohnt, das ſchadet mehr, als es nuͤzt.

Baͤcker. Laßt euch doch erbitten, ich ge - be dreiſig Thaler! Denkt, daß es fuͤr Gott - geweihte Menſchen gehoͤrt, die euer in ihrem Gebete gedenken werden.

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Der Preis, welchen der Baͤcker bot, war auſſerordentlich, und die Vermuthung gewiß, daß er in einigen Wochen zwanzig mal ſo viel kaum ſo theuer zahlen wuͤrde. Hanns ſah bei dem lezten Antrage des Baͤckers ſein Weib fragend an, ſie nickte mit dem Kopfe, und Hanns ging den Handel ein. Der Becker nahm den Waizen, zahlte ſechszig Thaler, und dank - te dem Verkaͤufer noch oft, daß er ihn aus ſeiner Verlegenheit gerettet habe.

Um aber dem Kloſter zu beweiſen, wie viel er aufofere, ihre Kundſchaft auf weitere Jahre zu erhalten, ermaugelte er nicht, dem Vorſteher deſſelben ſeinen Kauf zu erzaͤhlen, und zur mehrern Bekraͤftigung den Verkaͤufer zu nennen.

Hanns und ſein Weib lebten von jeher ſehr gottesfuͤrchtig; beide erfuͤllten, weil ſie in aͤchtet und wahrer Religion nicht unterrichtet185 waren, mit ſeltner Strenge alles auſſerordent - liche Zeremoniel derſelben. Sie gingen jeden Sonn - und Feiertag nach dem nahen Kloſter, um dort nicht allein das groſſe, hohe Amt, (eine geſungene Meſſe) ſondern auch die Predigt zu hoͤren. Gluͤhende Roͤthe verbreitete ſich auf ihrem Angeſichte, bleiche, angſtvolle Todten - blaͤſſe folgte derſelben, als am folgenden Sonn - tage der Prediger eben uͤber den Wucher ei - ferte, welcher bei itziger Theuerung und Hun - gersnoth die Herzen der Reichen fuͤlle, und zu Suͤnden verleite, welche der barmherzigſte und langmuͤthigſte Gott ſchrecklich ſtrafen muͤſſe.

Ein reicher Bauer, rief er aus, hat ſich erſt vorige Woche erfrecht, die hoͤchſt noͤthigen Beduͤrfniſſe unſers armen Kloͤſterleins auf die gottloſeſte Art zu benuͤtzen. Den Dienern Gottes, den Fuͤrbittern des Menſchen hat er einen Scheffel Waizen fuͤr dreiſig Thaler ver - kauft! Hat ſich durch die Vorſtellung, daß186 wir hungern, daß wir ſchmachten, nicht bewe - gen laſſen, nur einen einzigen Pfennig weni - ger anzunehmen! Der gottloſe Wucherer ver - diente, daß ich ſeinen Namen hier oͤffentlich nennte, daß ich ihn mit dem Banne der Kir - che belegte, daß ich ihn gleich einem Zoͤllner aus der Verſammlung der Glaͤubigen verjagte; aber ich will Gott nachahmen, ich will barm - herzig ſeyn, wie er, ich will vergeben und ver - geſſen; nur iſt es meine Pflicht, ihn zu war - nen, daß er verſoͤhne, daß er bereue, damit er einſt nicht in den Hoͤllenpfuhl geworfen wer - de, wo Heulen und Zaͤhnklappen ihn erwartet, aus dem keine Erloͤſung zu hoffen iſt.

Haͤtten Hannſens Nachbarn und Freunde nur irgend einen Verdacht des Wuchers gegen ihn in ihrem Herzen geheegt, waͤren ſie nicht vielmehr vom Gegentheile uͤberzeugt geweſen, ſie wuͤrden ſeine That, die der Prediger ſo hart ruͤgte, ſogleich in ſeinem Geſichte geleſen,187 aus ſeinem Betragen vermuthet haben. Er wankte troſtlos aus der Kirche, ſein Weib folgte eben ſo. Zu Hauſe weinten und beteten ſie den ganzen Tag, und beſchloſſen in der fol - genden ſchlafloſen Nacht ihre ſchreckliche Suͤnde zu beichten, und die fuͤr den Waizen erhaltnen ſechzig Thaler zur Verſoͤhnung dem Herrn zu opfern. Ihre Beichte ward am andern Tage im Kloſter angehoͤrt, des Suͤhnopfer angenommen, und beiden Vergebung zugeſichert, wenn ſie in der Folge auch durch neue Opfer beweiſen wuͤr - den, daß ihr Vorſatz, ſich zu beſſern, wahrer Ernſt ſei.

Noch immer aͤngſtigte Furcht und Angſt das Gewiſſen der Aermſten, als aber am fol - genden Sonntage der eigennuͤtzige Prediger bewies, daß die Freude im Himmel uͤber einen Suͤnder, der Buſſe thue, groͤſſer ſei, als uͤber neun und neunzig Gerechte, die der Buſſe nicht beduͤrfen, und nun die Reue, das Suͤhn -188 opfer des wucheriſchen Bauern oͤffentlich erzaͤhl - te, ihn wieder aufnahm in den Bund der Gna - de, in die Gemeinſchaft der allein ſelig machen - den Kirche, da wich Furcht und Angſt, da glaubte der arme Hanns zuverſichtlich, daß auch Gott vergeben und vergeſſen werde. Mit dieſer Ueberzeugung ging er wieder wohlgemu - thet an ſeine Arbeit, und die gute Hausfrau machte es ſich zur unverbruͤchlichen Regel, alle Erſtlinge der Fruͤchte und des Viehs im Klo - ſter dem Herrn zu opfern.

Im folgenden Winter bekamen Hannſens Kinder die Blattern, zwei Knaben ſtarben, die uͤbrigen entgingen dem Tode nur mit Muͤ - he. Eines ſeiner beſten Pferde brach kurz nachher den Fuß, und einen fetten Maſtochſen fand man am Morgen tod im Stalle. Der Tod der geliebten Kinder kraͤnkte das Herz des Vaters, der Verluſt des Viehes machte den ſonſt ſo gluͤcklichen Wirth aͤuſſerſt traurig. Er189 trug mit ſeinem Weibe haͤufigere Opfer nach dem Kloſter, er betete mit ihr emſiger und anhaltender in der Kirche deſſelben, und hofte dadurch Gottes Zorn zu verſoͤhnen, als aber im folgenden Sommer ein ſtarker Wolkenbruch ſeine grasreichen Wieſen uͤberſchwemte, hoch mit Stein und Sand bedeckte, da glaubte er feſt und ernſtlich, daß die Fuͤrbitte des belei - digten Kloſters nicht wuͤrken koͤnne, daß er ſtaͤrkere und kraͤftigere ſuchen, und Gottes Zorn durch ſtrengere Buſſe verſoͤhnen muͤſſe, wenn er Haus und Hof erhalten wolle.

Sein Beichtvater, ein einfaͤltiger, dum - mer Moͤnch, deſſen Rath er heiſchte, beſtaͤrk - te ihn in ſeinem falſchen Glauben, und er - theilte ihm den heilſamen Rath, nach einem zwar entfernten, aber um ſo beruͤhmtern Klo - ſter zu wallfahrten, wo man Macht und Ge - walt habe, die groͤßten Verbrechen zu verſoͤh - nen, und den ruchloſeſten Suͤnder ſo weiß zu190 waſchen, daß auch die ſtrenge Gerechtigkeit Gottes keinen Flecken an ihm entdecken koͤnne. Es wird euch, fuͤgte der fuͤrs Beſte ſeines Or - dens ſorgende Moͤnch, zwar einige Thaler ko - ſten, aber dafuͤr entgeht ihr auch ſtaͤrkerm Verluſte und groͤſſerer Gefahr.

Hans, der nur Rettung, ſey ſie auch noch ſo koſtbar, wuͤnſchte und ſuchte, gelobte ſogleich die Wallfahrt. Ehe ich ihm aber dahin folge, muß ich zuvor erzaͤhlen, durch welche Huͤlfsmittel ſich dieſes Kloſter den ſo großen Ruf erworben hatte, und wie die Moͤnche deſ - ſelben handelten, um die Buͤſſenden in dem ſchrecklichen Irrwahne zu beſtaͤrken, daß man durch ein oft wiederholtes Gebet und durch Opfer, welche man darbrachte, Mord und Todſchlag verſoͤhnen, und die ſcheuslichſten Verbrechen der ausgearteten Menſchheit ins Meer der Vergeſſenheit ſenken koͤnne. Ich werde mich bei dieſer Erzaͤhlung aͤuſſerſt beſ[er]〈…〉〈…〉-191 den, den unbefangenen Geſchichtſchreiber nach - zuahmen, der nur das erwieſene, hiſtoriſch richtige Faktum darſtellt, es mit keiner Schminke beſudelt, aber auch keine Schminke duldet. Groß ſind oft die Thaten des Aber - glaubens, aber auch eben ſo verheerend ſeine Wuͤrkungen! Wollte Gott, ich koͤnnte mit Gewißheit ſagen: Sie warens! Wollte Gott, ich muͤßte nicht mit geſenktem Blicke geſtehen: Sie ſinds noch!

In den angenehmen, ſo laut Gottes Groͤſ - ſe und Allmacht verkuͤndigenden Thaͤlern des T Landes, liegt ein groſſes, ſehr ſchoͤnes Kloſter. Es lehnt ſeine hohen und ſtolzen Mauern an einen Berg, deſſen Gipfel ewiger Schnee, ewiges Eis deckt, es blickt dem muͤ - den Pilger einladend durchs enge Thal entge - gen, es wuͤrde die Bewunderung eines jeden Wanderers erregen, wenn nicht eben ſeine Lage am deutlichſten bewieſe, daß des Men -192 ſchen groͤßtes Werk, die kleinſte Kleinigkeit ſey. Alle die weitlaͤufigen Gebaͤude, alle die hohen, glaͤnzenden Thuͤrme ſchwinden in einen unmerkbaren Punkt zuſammen, wenn man ſie mit der Allmachtsgroͤſſe des Schoͤpfers ver - gleicht, wenn man ſie mit den ungeheuern Bergen mißt, die ſeine ſtarke Hand hieher ſezte. Der dumpfe, durchdringende Ton der Glocken, welche des Kloſters Thuͤrme zieren, fliegt dem horchenden Ohre unhoͤrbar voruͤber, wenn der Donner zwiſchen den Felſen rollt, oder die groſſen Eisklumpen ins wilde Thal hinabſtuͤrzen, daß die Erde bebt, und der Schall in den Kluͤften umherbruͤllt.

Vor fuͤnfhundert Jahren baute hier ein Buͤſſender ſeine einſame Zelle, und ſtarb im Rufe der Heiligkeit. Im ſpaͤtern Jahrhunder - te gab dies einigen wandernden Moͤnchen Gele - genheit, hier ein Kloͤſterlein zu ſtiften, wel - ches nach und nach die ſterbenden Edeln desLandes193Landes reichlich begabten. Ehe die Haͤlfte ei - nes neuen Jahrhunderts verfloß, wandelte dieſe Vergrabung das hoͤlzerne Thuͤrmlein in einen hohen Thurm um, deſſen Quaderſteine weit ins Thal hinabglaͤnzten, die niedern Zel - len der Moͤnche erweiterten ſich in hohe, lufti - ge Gemaͤcher, die Raum genug hatten, ein Duzend Zecher und luſtige Trinker zu faſſen. Schon damals ging die Sage durchs Land, daß man ſich in dieſem Kloſter von allen ſeinen Suͤnden reinigen, die ſchwerſte Laſt von Herz und Gewiſſen wegbeten koͤnne, weil der erſte Stifter dieſes Kloſters, ein Erzgauner, ein verruchter Boͤſewicht, hier nicht allein Verge - bung erflehte, ſondern auch Kraft erhielt, Wunder zu wuͤrken, Kranke zu heilen und Teufel auszutreiben.

Dieſe Sage, welche manchen am Rande des Lebens ſchaudernden Suͤnder zur neuen Vergabung reizte, war ganz gewiß die Urſache,Biogr. d. W. 4r Bd. N194daß die immer ſich mehrenden, immer uͤppiger lebenden Moͤnche ſich nach und nach in den Au - gen der unwiſſenden Laien zu Heiligen erhoben, die jedes Andenken der ruchloſeſten Miſſethat tilgen, jedes Verbrechen verſoͤhnen koͤnnten. Lange herrſchte dieſer blinde Glaube im Lande, und naͤhrte die Moͤnche reichlich, als aber an - dere Kloͤſter erbaut wurden, und ſich des nem - lichen Vorzugs ruͤhmten, da ſuchte der Reuen - de nicht mehr in der Ferne, was er in der Naͤ - he fand, und die Einnahme des ſonſt ſo be - ruͤhmten Kloſters verringerte ſich um ein groſſes.

Damals theilten ſich bruͤderlich, in den ſo - genannten Spekulationshandel, Moͤnche und Juden. Beide betrogen wakker, nur mit dem Unterſchiede, daß der Erſtere ſeinen treuherzi - gen Kaͤufer immer nur kuͤnftiges Gut verkauf - te, da der Leztere doch immer, wenn er auch noch ſo viel gewann, etwas Reelles liefern195 muſte. Hoch geehrt wurde in jedem Kloſter derjenige Moͤnch, welcher den Mechanismus dieſes eintraͤglichen Handels vollkommen ver - ſtand, und ſich in der lezten Lebensſtunde, wo man ſo gerne fuͤr allen irrdiſchen Tand jenſeiti - ge Gewißheit kaufen moͤchte, als ein geiſtlicher Wucherer bewies. Dieſe Maͤkler konnten dann ſicher auf Ehrenſtellen rechnen, aus ihnen ward immer der geſchickteſte zum Abte erwaͤhlt.

Eben wie man aus Mangel des geiſtlichen Wechſelnegozes im Kloſter zu T taͤglich eine Speiſe weniger auf die Tafel ſetzen muſte, nur vier, ſtatt ſechs Becher Wein leeren konnte, ſtarb der alte, unthaͤtige Abt, und einer der geſchickteſten Maͤkler behauptete ſeinen Plaz. Er unterſuchte mit Forſcherblick den Verfall der kloͤſterlichen Einkuͤnfte, er blickte durchs lange Thal hinab, ins tiefe Deutſchland hinein und uͤberzeugte ſich deutlich, daß im fetten Boden des Aberglaubens die Kloͤſter wie Pilze emporN 2196gewachſen, in jedem derſelben Wechſelbanken errichtet waren, die von der paͤpſtlichen Kam - mer gegen aͤuſſerſt billige Prozente privilegirt wurden, unter eigner Firma Anweiſungen auf den unerſchoͤpflichen Gnadenfond des ewigen Jenſeits auszuſtellen. Er ſann nach, wie er allen dieſen Nebenbuhlern den Rang abgewin - nen, wie er den idealiſchen Gewinn des Kaͤu - fers verſinnlichen, anſchauend darſtellen, und dadurch die Kaufluſtigen aus der Naͤhe und Fer - ne herbeylokken koͤnne.

Und ſieh da, ſein Wunſch gelang vollkom - men, ſein Projekt uͤbertraf ſelbſt die kuͤhne Erwartung eines jeden Moͤnches. Er baute, um ſeinen Entzweck zu erreichen, in der Kir - che des Kloſters ein neues Hochaltar,*)So wird in jeder katholiſchen Kirche dasjenige Altar genannt, welches in der Mitte des Hin - tergrundes der Kirche ſteht, und in deſſen Ta - bernakel die geweihten Hoſtien (das Hochwuͤr - digſte) aufbewahrt werden.197 hinter dem Tabernakel deſſelben, ließ er eine große, viereckichte Oefnung woͤlben, in welche er nichts mehr und nichts weniger, als eine ſimple Laterna magika ſtellte, deren Bilder man nach Gefallen, ohne von dem Poͤbel geſe - hen zu werden, in dem Innern des Altars verwechſeln konnte. Ein Bild, welches den ofnen Hoͤllenrachen mit allen ſeinen Attributen à la Kochem vorſtellte, ein anderes, welches den Heiland der Menſchen, wie er eben blu - tend am Kreuze verſchied, und ein drittes, welches die Seligkeiten des Himmels nach irr - diſchen Ideen ſehr reizend abbildete, waren die drei weſentlichſten Vorſtellungen, mit welchen er dieſe Laterna magika auszierte.

Wenn nun in der Folge ein Suͤnder im Beichtſtuhle erſchien, ſo war ſein Beichtvater ſchon unterrichtet. Iſt deine Reue, ſprach er dann zum Beichtenden, aͤcht und rein, ſo iſt mir Gewalt gegeben, dich der Suͤnde und198 Strafe zu entbinden. Doch vorher will ich dir Gelegenheit goͤnnen, dich von deinem jetzigen Zuſtande zu uͤberzeugen. Geh hinter den ho - hen Altar, ſteige fuͤnf Stufen in die Hoͤhe, blicke ins Allerheiligſte, und bringe mir Nach - richt: Was du ſahſt! Zitternd und be - bend kehrte dann immer der Suͤnder zuruͤck, denn es war ſchon feſt geſezt, daß er zum er - ſtenmale den ofnen Hoͤllenrachen ſehen muſte, in welchen eben einige feuerſpruͤende Teufel eine arme Seele einfuͤhrten. Ja, ja! verlohren, verdammt biſt du, entgegnete dann immer der Beichtvater dem zagenden Buͤßer, muſt ſtracks zur Hoͤlle wandern, wenn du nicht aͤchte Buße thuſt, nicht eifrige Fuͤrbitter waͤhlſt!

Welcher Nothleidende und Huͤlfsbeduͤrfige haſcht nicht gerne nach den Leztern, er heiſchte ſie ſtets dringend, und da man ſich hienieden nicht gerne vergebens bemuͤht, ſo ward allemal der Vermoͤgensſtand des Bußfertigen ſorgfaͤltig199 gepruͤft, und dann das Opfer feſtgeſezt, wel - ches er dem Kloſter darbringen muſte, wenn es dagegen ſein eifriger Fuͤrbitter werden ſollte. Der Buͤſſende ward, wenn er dies erlegte, auf drei, ſechs, auch zehn und zwanzig Tage zur Geduld verwieſen, muſte dieſe Zeit hin - durch fleiſſig in der Herberge des Kloſters zeh - ren, emſig in der Kirche deſſelben beten, und genoß dabei die ſuͤſſe Hofnung, daß alle Gebe - te, alle Meſſen, welche unter dieſer Zeit von den Moͤnchen geſprochen und geleſen worden, zu ſeiner Verſoͤhnung kraͤftiglich wuͤrken wuͤr - den.

War nun die Pruͤfungszeit vollendet, ſo erſchien der Suͤnder wieder im Beichtſtuhle, und ward ſogleich zum zweiten Blicke ins Aller - heilige verwieſen. Er ſah dann gemeiniglich den ſterbenden Heiland am Kreuze. Frohlok - kend rief alsdann der Moͤnch dem ruͤckgekehrten Erzaͤhler zu: Gluͤcklicher Sterblicher, dein200 Heiland will dein Vermittler werden, will mit ſeinem koſtbaren Blute deine Suͤnden abwa - ſchen, will dich mit dem ſtrengen, vaͤterlichen Richter verſoͤhnen. Halte an, im Gebete, opfere noch mehr, und du wirſt gereinigt von deinen Miſſethaten von hinnen ziehen!

Der Suͤnder befolgte den Auftrag puͤnkt - lich, kehrte zur beſtimmten Zeit zuruͤck, ſah zum leztenmale ins Allerheilige, und ſah dann gemeiniglich den ofnen Himmel, zu wel - chem eine weiſſe Taube empor flog, die viele Engel mit ofnen Armen erwarteten. Die weiſ - ſe Taube, ſprach nun der Beichtvater, iſt deine von allen Suͤnden und Verbrechen gerei - nigte Seele, ſo wird ſie ſchnur ſtracks gen Himmel fahren, wenn du izt ſtirbſt, oder in der Folge nicht mehr ſuͤndigſt! Gehe in Frie - den, deine Suͤnden ſind vergeben und ver - ſoͤhnt. Du biſt nun ein ſicherer und kuͤnftiger Bewohner des Himmels!

201

Man ſetze ſich nun in die Lage des armen Suͤnders, man denke ſich nun den feſten Glau - ben deſſelben, und fuͤhle Freude und Wonne mit ihm! Kein Gewiſſensbiß nagt mehr an ſeinem Herzen, keine Laſt aͤngſtigt und quaͤlt es mehr, er hat ſich mit eignen Augen uͤber - zeugt, daß er gereinigt ſey von allen ſeinen Suͤnden, daß er im Himmel mit ofnen Armen erwartet werde. Ganz natuͤrlich wars nun, daß er aus Dankbarkeit der Verkuͤndiger der groſſen Wunder wurde, welche die Moͤnche zu T taͤglich uͤbten, daß er jeden, den ſein Gewiſſen aͤngſtigte, zur vollkomnen Verſoͤh - nung dahin verwies.

Ehe zwei Jahre verfloſſen, ſprach ſchon halb Deutſchland von der wunderthaͤtigen Macht des Kloſters, ehe das dritte endigte, wallfahrteten ſchon alle, die mit ſchweren Suͤn - den beladen waren, dahin, um gereinigt und verſoͤhnt ruͤckkehren zu koͤnnen. Ueberfluß und202 Genuß aller Delikateſſen herrſchte bald in dieſem Kloſter, und da der Abt klug genug war, die Brodſamen, welche vom Tiſche ſei - ner ſchwelgenden Moͤnche herabfielen, unter die nahen und entfernten Kloͤſter ſeines Ordens bruͤderlich zu vertheilen, ſo wurden dieſe aus Dankbarkeit die Lobredner des unerſchoͤpflichen Gnadenquells, welcher im Kloſter zu T zum Troſte und zur Erquickung der bußfertigen Suͤnder entſprungen ſey, und ſtets reichlich hervorſtroͤme. Das elende Kunſt - und Trug - ſtuͤck des Abts ward mit dem Teiche Bethſaida verglichen, und jenem der Vorzug noch uͤber den lezten eingeraͤumt, weil man dort nicht Jahre nur Tagelang harren mußte, um ge - heilt und geſund heim zu gehen.

Da die Erfindung des Abts ſo herrliche Fruͤchte brachte, ſo ward ſie in der Folge weit ſtaͤrker vermehrt und verfeinert. Man ſtellte203 in dieſe Laterna magika noch viele andere Bilder, welche, je nachdem der Spaͤhende reich oder arm war, die Verſoͤhnung verzoͤgerten oder befoͤrderten. Oft, wenn er vor dem ofnen Hoͤl - lenrachen zuruͤckbebte, und wieder hinzutrat, ſah er erſt die Quaalen des Fegfeuers, und wenn er ſich durch neue Opfer aus dieſem erret - tet hatte, fand er einen betenden Heiligen, der fuͤr ihn mit erhabnen Armen zum Himmel flehte. Neue Opfer brachten ihn dann endlich dem Himmel naͤher.

Um Ordnung unter der Menge der Beich - tenden zu erhalten, ward in der Folge der ſo wunderthaͤtige Kaſten verſperrt, und der Suͤn - der, welchem ein Blick darein vergoͤnnt wurde, erhielt erſt aus der Hand ſeines Beichtvaters den Schluͤſſel dazu. Aufmerkſame Beobachter wollen[wahrgenommen] haben, daß ein gehei - mer Glockenzug dann immer den Direktor der204 Maſchine unterrichtete: Welches Bild er dem Kommenden darſtellen ſollte.

Wahr und gewiß iſt es uͤbrigens, daß ſich dieſe Taͤuſchung bis in unſer Jahrhundert erhielt, daß ſie noch vor einigen Jahren, oh - ne Hinderniß, ohne Entdeckung zu befuͤrchten, fortwuͤrkte!!! Der denkende Reiſende erſtaunt mit vollem Rechte, wenn er dies Kinderſpiel beherzigt, ſeine groſſe, oft auch ſchreckliche Wuͤrkung uͤberdenkt. Die Pracht der Kirche iſt groß, die Schazkammer derſelben, der Werth der goldnen und ſilbernen Opfer uͤberſteigt alle Erwartung. Pilger aller Nazionen verſam - meln ſich dort, und finden in den haͤufigen Beichtſtuͤhlen ihrer Sprache kundige Moͤnche, die noch immer ungeſcheut das Spiel des finſter - ſten Aberglaubens forttreiben. Es iſt unglaub - lich, aber es iſt noch weit unglaublicher, daß es wahr iſt!

205

Zu dieſem Kloſter wallfahrtete nun der arme, geaͤngſtigte Hanns. Um fruͤher Verge - bung ſeiner Suͤnde zu erlangen, um groͤſſere Strafe von ſeinem Hauſe und Hofe abzuwen - den, ſattelte er ſein beſtes Pferd, und trabte anhaltend fort. Leicht und wohl wards ihm ums Herz, als er von Ferne die Zinnen des Kloſters erblickte, zagend und hoffend, fuͤrch - tend und zweifelnd wankte er zum Hochaltar, als ſein Beichtvater ihm den Schluͤſſel reichte. Er oͤfnete zitternd die Thuͤre, blickte hinein, ſah den ofnen Hoͤllenrachen, und die feuer - ſpruͤhenden Teufel, welche ſeine Seele ohne Barmherzigkeit in den Feuerpfuhl verſenkten. Dieſer ſchreckliche, unerwartete Anblick raubte dem Ungluͤcklichen auf der Stelle ſeinen Ver - ſtand, er war mit der feſten Ueberzeugung hie - her gereiſt, daß er nur hier Vergebung ſeiner ſchweren Suͤnde erlangen koͤnne, er hatte mit vollem Rechte Troſt, wenigſtens Hofnung er - wartet. Der ſchreckliche Anblick raubte ihm206 beides. Du biſt ewig verdammt! ſchallte es in ſein Ohr und drang durch alle Nerven. Ich bin ewig verdammt! lallte ſein Mund, er eilte aus der Kirche, und wie ſein Beichtva - ter nach ihm fragte, war er ſchon aus der Ge - gend verſchwunden.

Erſt nach ſechs langen Wochen, kehrte er zur harrenden Gattin heim. Sein armes Pferd, das matt unter ihm wankte, auf zwei Fuͤſſen hinkte, und aͤuſſerſt mager war, er - kannte wahrſcheinlich die nahe Heimath, durch welche der arme Wahnſinnige eben ziehen woll - te, und trug ihn zum Stalle, in welchem es beſſere Pflege kannte. Hier fand es am Abende der Knecht, und ſeinen Herrn auf dieſem, er mußte ſich muͤhen, ihn fuͤr dieſen zu achten, weil die wilden, ſtarren Blicke den Ungluͤckli - chen aͤuſſerſt verſtellten. Sein Geſchrei: Der Hauswirth iſt heimgekehrt! erregte anfangs Freude im ganzen Hauſe, alle eilten ihm mit207 ofnen Armen entgegen, aber alle ſchauderten zuruͤck, als er ſie mit fuͤrchterlichen Blicken an - grinzte, als er ihnen zurief: Ich bin ver - dammt, und ihr alle ſeyd verdammt!

Nur mit Gewalt konnte man ihn nach der Stube ſchleppen, man mußte an ſeinem Lager wachen, weil er immer entfliehen wollte. Schon am dritten Tage raßte er fuͤrchterlich, und die trauernde Gattin konnte es nicht hin - dern, als man ihn mit Ketten feſſelte, weil ſie fuͤr das Leben ihrer Kinder zagte, die er einigemal erwuͤrgen wollte, um den hungrigen Teufel damit zu fuͤttern, welcher ſeiner Ein - bildung nach, ſtets mit ofnen Krallen vor ihm ſtand. Das Bild der Hoͤlle ſtand feſt vor ſei - ner Seele, ſein Weib und ſeine Kinder konn - ten es nicht wegbeten, kein Arzt die Quaalen lindern, welche der immer dauernde Anblick ihm verurſachte. Ich bin verdammt! Dies waren die einzigen Worte, welche er ſtets und208 endlich ſo ſchrecklich, ſo fuͤrchterlich ausſprach, daß niemand ſich ihm mehr nahen, keiner ihn pflegen wollte.

Vergebeus verſuchten es die Moͤnche, die Wunde zu heilen, welche ſie ſelbſt geſchlagen hatten. Wenn ſich einer ans ihnen dem Un - gluͤcklichen nahte, ſo raßte er ſchrecklich, und klammerte ſich feſt an ſein Lager an, weil er wahrſcheinlich den Moͤnch fuͤr den Teufel nahm, und waͤhnte, daß er ihn zur Hoͤlle ſchleppen wolle. Dies gab in der Folge Gelegenheit, den armen Wahnſinnigen fuͤr einen Beſeſſenen zu achten, den kein Prieſter retten und erloͤ - ſen koͤnne, weil er ſich durch ſtraͤflichen Wucher zu ſchwer an ihnen verſuͤudigt habe. So fand der Aberglaube ſelbſt in ſeiner ſchrecklichen Wuͤr - kung neue Nahrung, und errichtete ſich einen Thron auf dem Ruͤcken des Elenden, den er vorher zu Boden getreten hatte.

Die209

Die Anverwandten des Ungluͤcklichen er - fuhren nie die eigentliche Urſache ſeines Wahn - ſinnes, ſie waͤhnten nur, daß ſein Verbre - chen ihm ſchon fruͤher den Verſtand verwirrt habe, ehe er ſeine Wallfahrt vollendete, und den Gnadenort erreichte. Die Moͤnche be - ſtaͤrkten ſie in dieſer Meinung, und nahmen ohne Scheu die haͤufigen Opfer an, welche ihnen die arme Gattin darbrachte, um das Leiden ihres Mannes zu mildern.

Er ſtarb erſt nach funfzehn Jahren, er duldete hienieden noch ſchreckliche Pein, er ſtarb in einem heftigen Anfalle von Raſerei, und ging in eine beſſere Welt hinuͤber, wo kein Moͤnchstrug das hellſehende Auge blendet, wo er den gerechten, aber auch barmherzig - ſten Richter fand, den haabſuͤchtige Prieſter oft als den groͤßten Tirannen ſchildern.

Biogr. d. W. 4r Bd. O210

O die Wuͤrkungen des Aberglaubens und ſeines taͤuſchenden Trugs ſind ſchrecklicher, ſind verheerender, als der Philoſoph glaubt, und der Menſchenfreund waͤhnt. Wollte ich nur die Biographien der Ungluͤcklichen liefern, welche in der Hand eines harten Beichtvaters, eines fanatiſchen Predigers ihren Verſtand verlohren, mein Werk wuͤrde zu einer Groͤſſe anwachſen, die ſelbſt der weite Arm der ſanf - ten Duldung nicht umfaſſen koͤnnte. Ich ver - ehre die Religion mit innigſter Ehrfurcht, ich verehre die wuͤrdigen Diener derſelben, aber ich haſſe den Hirten, welcher ſeine Heerde mit Fantomen und Geſpenſtern ſchreckt, und ſie hindert, die Weide zu genuͤßen, welche Gott zu ihrem Genuſſe erſchaffen hat.

Wenn man zur Zinne der Wahrheit em - por klimmt, und hinab blickt ins Thal, in die Werkſtaͤtte des Aberglaubens, ſo muß man uͤber ſeine Thaten erſtaunen. Hier baut211 er ſchwankende Bruͤcken uͤber die fuͤrchterlich - ſten Abgruͤnde, dort ſtellt er warnende Zei - chen am Graͤbchen aus, das der ſechsjaͤhrige Knabe ohne Gefahr uͤberſchreiten kann. Er laͤßt ſeine Diener am ſchroffen Felſen umher - klettern, und ſpottet des Klugen, der auf der breiten, gebahnten Heerſtraſſe wandelt. Er entreißt der weinenden Witwe den ſchir - menden Schild, und deckt damit den Moͤrder ihres Gatten. Er reicht der frohen Buhldirne ſeine Hand, und ſtoͤßt die tugendhafte Jung - frau vom Pfade hinab, auf welchem er jene leiten will. Er wirft Feuer in die friedliche Huͤtte des Weiſen, und baut der Dummheit vergoldete Pallaͤſte. Er ſtiehlt dem hungrigen Armen ſein Brod, und maͤſtet damit die Hunde der Reichen. Er handelt mit Fetzen und Lumpen, und laͤßt ſich ſolche gleich Dia - manten bezahlen. Er mißt die ewige Selig - keit mit der Elle, und verkauft die Laͤnge ei - nes Jahrtauſends fuͤr einen Pfennig! Er be -O 2212weiſt mit unumſtoͤßlichen Gruͤnden, daß der Geizhals, Trunkenbold, Wolluͤſtling und Moͤrder nicht in das Reich Gottes eingehen koͤnne, und gibt jedem aus dieſen einen Frei - brief, damit er auf einem Seitenwege hinein - ſchleichen koͤnne. Er verflucht den Judas Iſchariot, der ſeinen Meiſter um dreiſig Sil - berlinge verrieth, und bietet im folgenden Augenblicke um einen derſelben dem Unwuͤr - digſten der Menſchen das Verdienſt des goͤtt - lichen Heilandes zum Kaufe an. Er wuchert mit Himmel und Hoͤlle, und ſchachert gleich einem Juden mit dem Fegfeuer.

213

Das ſteinerne Brautbett; oder Hugo und Kleta. (Fortſetzung.)

Wie Hugo am andern Morgen zu Edel - drud eilte, um uͤber das, was ſie ihm am vorigen Tag nicht entdecken wollte, Auf - ſchluß zu erhalten, fand er dieſelbe tod. Die trauernde Kleta ſank ſchluchzend in ſeine Arme, und ohne zu ſprechen, rannen haͤu - fige Thraͤnen ihre Wangen herab. Nichts214 war im Stande, die Traurende zu beruhi - gen. Hugo mußte, nach damaliger Sitte, ſich entfernen, und durfte nur erſt, als Edeldrud beerdiget war, zu Kleta wieder kehren. Ihm duͤnkten dieſe wenigen Tage eine Ewigkeit. Endlich verfloſſen auch dieſe, und er ſah ſeine Kleta wieder.

Mein Hugo, ſprach ſie, der Fluch mei - ner Mutter ruht auf mir, wenn ich dich liebe! und doch und doch! hier ver - barg ſie ſich an ſeinen Buſen; nur der Grund des Verbots von Eldruden blieb ihnen ein Geheimnis. Endlich erinnerte ſich Kleta des Schmuckkaͤſtchens, wovon ihre Mutter ihr geſagt hatte, und worinnen die Papiere der - ſelben verwahrt lagen; allein ein Zeddel, welcher daran befeſtiget war, mit dem Be - fehle: Solches nicht eher als einen Monden nach Kleta's Heirath zu eroͤfnen; vernich - tete auch dieſe Hofnung.

215

Man dachte endlich an den Moͤnch, und an den Eindruck, den derſelbe auf Edeldrud, und dieſe auf ihn gemacht hatte: aber bei der Kunde nach dieſem ward ihnen zur Ant - wort, daß er an einem hitzigen Fieber dar - nieder liege, und daß man an ſeinem Leben zweifle. Alſo war auch hier keine Auskunft zu erwarten.

Hugo, der dem Gluͤck ſeiner Liebe ſich ſo nahe glaubte, ſah ſich immer weiter da - von entfernt. Der Kaiſer Ludwig, den Re - gierungsgeſchaͤfte nach Muͤnchen riefen, ließ Zubereitungen treffen, um dahin aufzubre - chen. Hugo war genoͤthiget, demſelben zu folgen, allein Kleta unbeſchuͤtzt zuruͤck zu laſſen, ſchien ihm unmoͤglich. Er verſuchte alles, ſeine Kleta zu einer Verbindung mit ihm zu bereden. Sie war es zufrieden, wenn ein Prieſter den ſchrecklichen Fluch ih - rer Mutter loͤſen wuͤrde. Sehr bald fand216 ſich ein dienſtfertiger Prieſter, der denſelben aufhob; und Kleta eilte mit ihrem Gelieb - ten nach Muͤnchen, wo nach Verlauf eini - ger Monate die Hand eines Prieſters ſie auf immer verband.

Indeß Hugo und Kleta im Genuß ihrer Liebe ſich gluͤcklich fuͤhlen, kehren wir nach Regensburg zuruͤck. Nach einigen Monden erholte ſich der Moͤnch, der bei dem Anblick Edeldruds ſo betroffen war, von ſeiner Krankheit. Er erkundigte ſich ſogleich nach Edeldrud und Kleta, man berichtete ihm den Tod der erſtern, und auch, daß Kleta mit Hugo nach Muͤnchen gereiſet, und wahrſchein - lich nun mit ihm vermaͤhlt ſei.

Haͤtte Edeldrud ihrer Tochter erlaubt, ihre Lebensgeſchicke fruͤher zu eroͤfnen, ſo wuͤrde ſie ihr einziges Kind nicht in graͤn - zenloſes Elend geſtuͤrzt haben. Um dieſes217 zu verhindern, eilte der alte Moͤnch, der niemand anders als Otto von Fahrwangen war, nach Muͤnchen; Kleta aber war be - reits mit Hugo nach ihrer muͤtterlichen Burg in Boͤhmen abgereiſt, wohin auch er in ſchnel - ler Eile folgte. Er fand dieſelben bei ſeiner Ankunft in ihrem Garten. Sein fuͤrchter - licher Blick ſchreckte beide, und ſie argwoͤhn - ten den Sturm, der ihnen drohte.

Moͤnch. Ihr ſeid verheirathet?

Hugo. Seit einem Monden.

Moͤnch. Ungluͤckliche! und ihr ahndet nichts Kleta iſt deine Schweſter, du, Hugo, biſt ihr Bruder.

Bei dieſen Worten war der Greis einer Ohnmacht nahe Hugo wollte ihn zu einer Raſenbank leiten

218

Moͤnch. (auf Kleta zeigend) Ste - he erſt dieſer bei, dann will ich weiter mit dir ſprechen. Meine Nachricht war ihrem Ohre zu ſchrecklich, ſie ſinkt, ſtehe ihr bei, ich vermags nicht!

Erſt als Kleta wirklich ſank, eilte Hu - go zu ihrer Huͤlfe herbei, die er ſelbſt noͤ - thig hatte, weil die Schreckensworte des Unbekannten all ſein Gluͤck, alle ſeine fro - hen Ausſichten mit einmal vernichteten. Er ſchlepte die Ohnmaͤchtige nach ihrem Ge - mache, und eilte in den Garten zuruͤck,[um]die ſchreckliche Nachricht beſſer zu pruͤ - fen, ſie mit allen moͤglichen Gegengruͤnden zu beſtreiten. Aber bald ward ihm volle Gewißheit ſeines Ungluͤcks.

Sein ehemaliger Pflegvater, der Edle von Immenthal, hatte ihn lange Zeit als ſeinen eignen Sohn erzogen, wie er aber219 alt und ſiech wurde, da entdeckte er ihm, daß er nicht ſein Kind, ſondern der Sohn des Ungluͤcklichen Otto von Farwangen ſei, den er einſt als Freund liebte, und der ihm ſolchen, wie er noch nicht lallen konnte, bei Nachtzeit uͤberbracht, und als das ein - zige Pfand einer hoͤchſt ungluͤcklichen, aber namloſen Liebe anvertraut habe. Ich weiß nicht, ſprach der Greis damals zu Hugo, ob dein Vater noch hienieden wallt, damit du ihn aber, wenn dich Gott in ſeine Ar - me fuͤhren ſollte, ſicher und gewiß erkennſt, ſo verwahre dieſes Stuͤck eines zerbrochnen Ringes mit moͤglichſter Sorgfalt. Derje - nige, welcher dir die andre Haͤlfte zeigt, iſt dein Vater, ehre ihn als dieſen, denn er iſt hoͤchſt ungluͤcklich, leider aber auch hoͤchſt unſchuldig. Sage ihm, daß ich alles gethan habe, um Freundespflicht an dir zu erfuͤllen. Sein Name iſt ausgeloͤſcht unter den Namen der Edlen des Landes, ich habe220 es durch dringende Bitte beim Kaiſer erhal - ten, daß du den Meinigen fuͤhren darfſt. Wollte Gott, ich koͤnnte dir auch meine Veſte zum Erbtheile hinterlaſſen, aber, ehe ich dieſe zweite Bitte an den Kaiſer wagte, war mit dieſer ſchon ein verdienter Krieger be - lehnt worden, ich kann dir nichts als mein Schwerdt hinterlaſſen, welches dir, wenn du es gut fuͤhrſt, erſt eine aͤhnliche Beloh - nung erwerben muß.

Hugo erinnerte ſich izt dieſer Worte. Er trug die Haͤlfte des goldnen Rings ſtets auf ſeiner Bruſt, er war ſtolz auf ſeinen ungluͤcklichen Vater, dem der izt regierende Kaiſer ſchon laͤngſt zu verzeihen geneigt war; er wuͤnſchte oft ſehnlich, ihn zu ſehen und zu umarmen, aber er waͤhnte nicht, daß die Erfuͤllung dieſes Wunſches ihn hoͤchſt un - gluͤcklich machen wuͤrde. Izt nahte er ſich,221 mit dem Ringe in der Hand, zitternd dem Moͤnche.

Ha, ich verſtehe, ſprach dieſer, du willſt pruͤfen: Ob ich dein Vater bin? Da nimm (indem er ihm die andre Haͤlfte reichte) und ſieh zu, ob ſie nicht eins aus - machen. Hugo fuͤgte die Stuͤcke zitternd zu - ſammen, und ſank uͤberzeugend zu des Moͤnchs Fuͤſſen nieder. Wenn du mir auch den Todesbecher reichſt, ſo ſoll dieſe Grau - ſamkeit mich doch nicht hindern, dich als Vater zu gruͤſſen und zu ehren. Der Moͤnch ſank geruͤhrt an ſeine Bruſt hinab, ſie fuͤhl - ten noch lange, ehe Hugo es wagte den wie - dergefundenen Vater zu fragen: Ob ſein ge - liebtes Weib wuͤrklich ſeine Schweſter ſei? Ob Trennung von ihr ihn wuͤrklich graͤnzen - los elend machen muͤſſe?

Moͤnch. Wollte Gott, ich koͤnnte dich troͤſten! Wollte Gott, ich haͤtte deine un -222 gluͤckliche Heirath nie erfahren. Der Un - wiſſende kann nicht ſuͤndigen, ihm wird da - her ſichere Verzeihung, aber izt izt muß ich reden, ich kann, ich darf meine Suͤndenſchale nicht noch mehr belaſten, ſie iſt ohnehin tief geſunken. Nur Vertrauen auf die unendliche Barmherzigkeit des Ewi - gen laͤßt mich hoffen, daß meine Reue ſie heben wird. Um dich zu uͤberzeugen, muß ich dir meine ganze Lebensgeſchichte erzaͤhlen. Verachte mich nicht, wenn dein Vater dir offen geſteht, daß er einſt ein ruchloſer Boͤ - ſewicht war.

Ich diente, als ich vier und zwanzig Jahr alt war, an Kaiſer Albrechts Hofe, Rudolph von Palm war mein vertrauteſter Freund, er verbuͤndete ſich mit Herzog Jo - hann gegen das Leben des Kaiſers, und fuͤhrte in ſeiner Geſellſchaft das Bubenſtuͤck aus. Ich hatte keinen Theil an der That,223 ich muthmaßte ſie nur aus ſeinen zweideuti - gen Reden, und war zu ſehr Freund, um ihn durch Verrath ungluͤcklich zu machen. Ich blieb, als die Thaͤter flohen. Wie aber Albrechts Kinder das Rachſchwerdt er - griffen, jeden, der mit den Thaͤtern ehe - mals Gemeinſchaft pflog, vor ihr Gericht fuͤhrten, und oft allzu ſtreng richteten, da trieb auch mich Angſt und Furcht in die Flucht.

Ich ward dadurch verdaͤchtig, uͤberall geſucht und verfolgt. Ich floh bis an Boͤh - mens Graͤnzen, irrte in ſeinen Waͤldern umher, und machte endlich mit einer Raͤu - berhorde Bekantſchaft, welche in den Hoͤh - len des Forſtes ungeſtoͤhrt wohnte, und mich in ihren Bund aufzunehmen verſprach. Ich ſah nirgends Sicherheit, nirgends Hof - nung fuͤr mich, und ergriff dieſe einzige, um mein Leben zu friſten, nicht Hunger224 zu ſterben. Ich bekenne es dir offen, daß ich in ihrer Geſellſchaft raubte, und mir bald durch meine Tapferkeit Anſehen und Hochachtung erwarb.

Um ihren maͤchtigen Bund fuͤr Entdek - kung, und moͤglichem Verrath zu ſichern, hatten ſie manche grauſame Geſetze unter ſich errichtet. Eines der grauſamſten war, daß zwar jedes Glied berechtigt war, ſich unter den Toͤchtern des Landes eine Dirne zu rau - ben, und ſie als ſein Weib heimzufuͤhren, aber er mußte vorher ſchwoͤren, daß er es nicht hindern wolle, wenn man der Ungluͤck - lichen die Zunge abſchneide, damit ſie bei moͤglicher Flucht oder Entdeckung nichts ver - rathen koͤnne. Ich ſchauderte, als ich ſehr viele ſolcher ungluͤcklichen Geſchoͤpfe in den Hoͤhlen umherwandeln ſah, ich ſtaunte aber noch mehr, als ich mich uͤberzeugte, daß viele dieſer ſprachloſen Dirnen ihren Gattenoffen225offen und innig liebten, ihre Kinder ſorg - faͤltig, und als treue Muͤtter pflegten.

Nach einem Jahre ſtarb der Anfuͤhrer der Horde, welche izt uͤber dreihundert Glieder ſtark war. Alle erkannten mich als den Tapferſten, und waͤhlten mich zu ihrem Hauptmanne; ich mußte ſchwoͤren, daß ich ihren Bund aufrecht erhalten, und jedes Ge - ſetz mit Strenge ſchuͤtzen wollte. Wie ich einſt mit einigen meiner Untergebnen von ei - nem gluͤcklichen Raube zuruͤck nach unſerm Forſte kehrte, begegnete mir die ſchoͤne Edel - drud, ſie hatte wahrſcheinlich iu einer na - hen Kapelle gebetet, ihr Schleier wallte frei umher, ſie deckte erſt ihr Angeſicht damit, als wir uns ganz nahten. Ihr Engelge - ſicht, ihre reizende Geſtalt weckte Liebe in mir, mein Herz flog ihr entgegen, und folgte unwillkuͤrlich, als ſie nach der vaͤter - lichen Veſte zog. Ich waͤlzte mich ſchlaflosBiogr. d. W. 4r Bd. P226auf meinem Lager umher, ich ſah nur ihre Ge - ſtalt, innige Liebe zu ihr wallte durch mein heiſſes Blut, durchdrang jede meiner Nerven, und machte ſie kraftlos, ich glich einem Traͤn - menden, einem Kinde, das emporſtrebt und wieder zuruͤckſinkt.

Die Raͤuber achteten mich fuͤr krank, und goͤnnten mir Ruhe, ich nuͤzte ſie, und verbarg mich taͤglich nahe bei der Kapelle, um die holde Dirne noch einmal zu ſehen. Sie kam oft dahin, und meine Liebe mehrte ſich immer, ſie heiſchte ſtuͤrmiſch Troſt und Rettung, ich wallte verzweiflungsvoll umher, und wuͤrde untergelegen ſeyn, wenn einige Raͤuber nicht meinen Zuſtand geahndet, mir Ausſichten ge - oͤfnet haͤtten, die ich vorher nie zu denken wagte.

Sie riethen mir einſtimmig, daß ich die Dirne entfuͤhren, und zu meinem Weibe ma -227 chen ſolle. Ich ergrif dieſen Rath mit ungeſtuͤ - mer Freude, aber ich ſchauderte zuruͤck, als ich uͤberlegte, daß ich ſie huͤlflos ungluͤcklich ma - chen wuͤrde, wenn man das grauſame Geſetz an ihr uͤben, ihr die Zunge abſchneiden werde, die izt immer ſo andaͤchtig betete. Laßt mich ſterben, ſprach ich zu den Raͤubern, ich liebe nicht gleich euch, ich kann den Gegenſtand mei - ner innigſten Liebe nicht verunſtaltet ſehen. Die Raͤuber ſchienen mein Leid zu fuͤhlen, ſie ſahen nebenbei ein, daß ich unthaͤtig verſchmach - ten wuͤrde, ſie traten an mein Lager, und ver - ſprachen mir, des Geſetzes Vollſtreckung nicht zu fordern, aus aͤchter Neigung zu ihrem Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und meines kuͤnftigen Weibes Zunge nicht zu beruͤh - ren. Dieſes Geluͤbde machte mich wieder froh und thaͤtig, ich zog bald hernach mit den Ta - pferſten meiner Gefaͤhrten auf Spaͤhe, lauerte drei Tage lang bei der Kapelle, und raubteP 2228die Inniggeliebte gluͤcklich am Abende des drit - ten Tages.

Wir trugen ſie ohnmaͤchtig in unſre Hoͤh - len; als ſie erwachte, kaͤmpfte Verzweiflung mit ihr, ſie haßte und verachtete mich als den Urheber ihres Ungluͤcks, und fluchte mir, wenn ich flehend Liebe von ihr heiſchte. Ihre Ge - genwart mehrte dieſe bis zur Wuth, die ruch - loſen Raͤuber weckten ſie noch mehr durch Spott und Hohn, ſie lachten uͤber den ſo tapfern Hauptmann, der ein ſchwaches Weib nicht zwingen koͤnne. Verachte, verabſcheue deinen Vater nicht, wenn er dir offen geſteht, daß die Macht der heftigſten Leidenſchaft endlich ſiegte, daß er mit Gewalt raubte, was man ſeiner Bitte nicht gewaͤhrte. Gluͤcklicher Erfolg kroͤn - te dies ſchaͤndliche Unternehmen; die kuͤhne, oft raſende Dirne ward bald ein duldendes, ſchmachtendes Weib, ſie ſchien ihr Ungluͤck tief zu fuͤhlen, aber ſie raͤchte es nicht durch Schimpf -229 worte, nur durch Thraͤnen. Schon im erſten Jahre gebahr ſie mir einen Sohn. Dieſer warſt du! O ich hob dich dankend und frohlok - kend in die Hoͤhe, als ich dich zum erſtenmale in ihren Armen erblickte, ſie ſchien meine Liebe zu fuͤhlen, und lohnte ſie zum erſtenmale mit einem freiwilligen Kuſſe.

Als du erſt ein halbes Jahr alt warſt, ward uns Nachricht, daß der boͤhmiſche Koͤnig Johann ſeine Braut Eliſabeth als Weib nach Prag gefuͤhrt habe, und dieſer in einigen Ta - gen der koſtbare Schatz folgen wuͤrde, welchen ſie von ihrem Vater Wenzel ererbt, und bisher auf einer Veſte bewahrt hatte, die nur eine Tagereiſe weit von unſern Hoͤhlen entfernt lag. Meine Gefaͤhrden hatten ausgekundſchaf - tet, daß nur zweihundert Lanzenknechte ihn geleiten wuͤrden, und achteten den Raub deſ - ſelben fuͤr leicht und moͤglich.

230

Ich ſtellte ihnen vergebens vor, daß der kriegeriſche Koͤnig dieſen Raub wenn er auch gelinge durch die ſtrengſte Spaͤhe und ſtaͤrkſte Rache ahnden wuͤrde, aber die Verblen - deten behaupteten, daß dieſer Schatz hinreiche, jeden der Verbuͤndeten auf Lebenszeit gluͤcklich zu machen. Wir weilen, ſprachen ſie, nur ſo lange in unſern Hoͤhlen, bis wir ihn getheilt haben, vernichten dann unſern Bund, und zer - ſtreuen uns in der weiten Welt, um die Fruͤchte unſrer Tapferkeit ruhig und ohne Ge - fahr zu genuͤſſen. Dir ſoll vierfacher Theil werden, du wirſt dann leicht auch einen Winkel der Erde finden, wo du ihn mit deinem ge - liebten Weibe eben ſo ruhig genuͤſſen kannſt.

Dies Verſprechen reizte mich, ich hatte erfahren, daß der neuerwaͤhlte Kaiſer Heinrich von Luxemburg die allzu ſtrenge Rache der al - brechtiſchen Familie tadle, und zu hindern ſuche. Ich hofte unter erborgtem Namen wie -231 der in der Welt mit dem noch immer innig ge - liebten Weibe leben zu duͤrfen, und zog mit allen Raͤubern aus, um mein Gluͤck zu foͤrdern. Der Kampf war leicht, der Raub gluͤcklich, die ſichern Lanzenknechte wurden in einem Thale uͤberfallen, und meiſtens getoͤdtet. Wie wir aber die groſſe Menge der Saumroſſe ſeitwaͤrts leiten wollten, zog ein bairiſcher junger Her - zog, ein Sohn des itzigen Kaiſers Ludewig mit ſechshundert Reitern die Straſſe herauf, um in Prag das Hochzeitfeſt des Koͤnigs feiern zu helfen. Einige der entflohnen Lanzenknechte hatten ihm vom Raube benachrichtigt, und um Huͤlfe gebeten. Er ſtuͤrmte mit Uebermacht auf uns ein, wir mußten fliehen, und die Beute den Siegern uͤberlaſſen. Viele der Raͤuber blieben verwundet auf dem Schlacht - felde liegen, aus dieſen hatte er wahrſcheinlich das Bekenntniß unſers Aufenthaltes erzwun - gen, denn, wie ich am andern Tage mit we - niger als zweihundert den Eingang des For -232 ſtes erreichte, ſah ich ihn mit ſeiner ganzen Macht gegen uns anziehen. Ich gedachte mei - ner Edeldrud und ihres Kindes, und ſandte ſogleich dreiſig Reiter ab, damit ſie aufs eilig - ſte Weiber, Kinder, und die in den Hoͤhlen verborgnen Schaͤtze retten moͤchten. Ich be - ſchied ſie nach einem andern,[uns] wohlbekann - ten Forſte, und verſprach gegen die Sieger wenigſtens ſo lange zu kaͤmpfen, bis ich alles gerettet, und in Sicherheit zu ſeyn achten wuͤrde.

Der Herzog naͤherte ſich wuͤrklich, er hatte neuen Widerſtand nicht vermuthet, ſeine Reiter wichen anfangs zuruͤck, wie wir uns, beſchuͤzt von den Baͤumen, tapfer gegen ſie wehrten. Bald faßten ſie aber neuen Muth, und kaͤmpften mit Vortheil, ich mußte wei - chen, aber ich leitete ſie abſeits, und erneuerte immer den Kampf, um meinen Abgeſandten Zeit zur Rettung zu goͤnnen. Wie ich alles in233 Sicherheit glaubte, und die Zahl meiner Kaͤm - pfer ſich immer minderte, ſammlete ich ſie ſchnell, und entſchwand bald mit ihnen dem Auge des Siegers. Wir jagten raſtlos nach dem beſtimmten Forſte, und harrten unter ſeinen Felſen der geretteten Weiber, Kinder und Schaͤtze.

Erſt am andern Tage meldeten die Spaͤher auf den Felſenſpitzen, daß die Geretteten eben im Thale heraufzoͤgen, ich eilte ihnen entge - gen, ſuchte meine Edeldrud unter ihnen, und fand ſie nicht. Wie ich angſtvoll nach ihr frag - te, uͤberreichte mir ein Weib meinen Sohn, dich, geliebter Hugo. Ich ſchloß dich dankend in meine Arme, und forſchte aufs neue nach Edeldrud. Ein Raͤuber trat zu mir. Haupt - mann, ſprach er, ich rufe alle Gegenwaͤrtige zu Zeugen auf, daß ich alles anwandte, um deine Geliebte gleich dieſen zu retten, aber ſie achte - te weder Ernſt noch Bitte, ſie wollte nicht234 weichen aus ihrer Hoͤhle, und widerſezte ſich jeder Gewalt. Die Zeit war dringend, die Horchenden hoͤrten ſchon von ferne Huftritte. Du wirſts nicht ahnden und raͤchen, wenn ich an unſre Sicherheit dachte, die Widerſtrebende zuruͤckließ, ihr aber, nach dem einſtimmigen Rath aller, die Zunge abſchnitt, damit ſie nicht deine, nicht unſere Verraͤtherin werden koͤnne.

Ich wills nicht wagen, dir meinen Zuſtand zu ſchildern, er war unnennbar wie mein Schmerz. Ich durchbohrte die Bruſt des ruch - loſen Thaͤters, ich raßte, und man war ge - zwungen, mich zu binden, um neue Mord - that zu verhuͤten. Erſt am dritten Tage konn - te ich wieder fuͤhlen und denken, ich war matt und kraftlos, bat und flehte, daß man mir erlauben moͤge, bei den verlaßnen Hoͤhlen zu kundſchaften, und wenigſtens meine arme Edel - drud zu retten, wenn Rettung noch moͤglich ſei.

235

Viele der Raͤuber liebten und ehrten mich, ſie fuͤhlten Mitleid mit meinem Zuſtande, und begleiteten mich nach den Hoͤhlen. Mein Jam - mer, deſſen Groͤſſe ins Unendliche reichte, fand dennoch Stof zur Vermehrung. Die Sieger hatten unſte ſo verborgnen Hoͤhlen wuͤrklich ge - funden, ſie im Zorne und Iugrimme mit Holz und Reiſſern dicht angefuͤllt,[und] Feuer darein geworfen. Noch glimmten Kohlen darinne, und die ſchreckliche Hitze verwehrte uns den Eingang. Ich konute nichts anders vermu - then, als daß die ſo ſchwer verwundete, von niemanden gepflegte Edeldrud, als ſie huͤlflos auf ihrem Lager ſchmachtete, ein Raub der Flammen geworden ſei. Ich raßte von neuen, und haͤtten es meine Gefaͤhrden nicht gehin - dert, ich wuͤrde mich in die gluͤhenden Hoͤhlen geſtuͤrzt, und dort geendet haben.

Mein Gram, der raſtlos an meinem Her - zen nagte, machte mich unfaͤhig, der Raͤuber236 Hauptmann zu bleiben, ſie hatten ſich neue Hoͤhlen gewaͤhlt, und niſteten wieder, wie ehe, unter den Felſen. Als ſie einſt auf Raub auszogen, und ich wieder Kraͤfte in mir fuͤhlte, nahm ich dich in meine Arme, und verließ die Hoͤhlen mit dem feſten Vorſatze, nie mehr ruͤckzukeh - ren, und all mein Lebelang in ſtrenger Aus - uͤbung meine Verbrechen zu bereuen. Ich ge - langte gluͤcklich bis zur Veſte meines ehemaligen Freundes Immenthal, entdeckte mich ihm, und ward wohl aufgenommen. Er verſprach, dein Vater zu werden, mehr forderte und heiſchte ich nicht. Im Pilgerkleide wanderte ich nach Avig - non, beichtete meine Suͤnden, erhielt Verzei - hung, ward endlich in ein Kloſter aufgenom - men, und da ich mich mit Eifer den erforder - lichen Wiſſenſchaften widmete, in der Folge zum Prieſter geweiht.

Mein Ordensgeneral ſandte mich vor Jah - resfriſt mit Auftraͤgen nach Deutſchland, ich237 erfuͤllte ſie gerne, weil ich mich nach meinem Vaterlande ſehnte, und vorzuͤglich zu wiſſen wuͤnſchte: wie es dir ergehe? Ich ſprach in Immenthals Veſte ein, und erfuhr, daß er todt, ſein geliebter Pflegſohn aber an des Kai - ſers Hofe lebe, und ſein Liebling ſei. Eilend floh ich nach Regensburg, ſah dich, in dir mein Auge, mein ganzes Geſicht, und fuͤhlte zum erſtenmale wieder reine Freude. Niemand kannte mich, ich lebte einſam in meinem Klo - ſter, ging nur aus, wenn ich dich ſehen konnte, und ſaͤttigte mich mit der Ueberzeugung, daß du ein edler, guter Sohn ſeiſt. Oft wollte ich mich dir nahen, oft dir es zufluͤſtern, daß dein Va - ter noch dulde und leide, aber ich zoͤgerte im - mer und bald aus Vorſatz, weil ich dir die Freuden des nahen Turniers nicht verbittern wollte. Ich ſah dich oft im Kampfe, und war auch zugegen, als die ſchoͤnſte, aber mir unbe - kannte Jungfrau, dir den Preiß reichte, und deine Wange kuͤßte. Damals ahndete ich noch238 nicht, daß dieſe Jungfrau dein Weib werden, deine Schweſter ſeyn koͤnne.

Einige Tage nachher ward meine Sehn - ſucht, dich zu umarmen, groͤſſer, ich wollte am andern Tage dich beſuchen, und las aus dieſer Abſicht ſchon ſehr fruͤh die Meſſe. Wie ich ſchon geendet hatte, und das Volk ſegnen woll - te, erblickte ich am Fuſſe des Altars deine Mut - ter, meine noch immer unvergeßliche Edeldrud. Sie ſtarrte fuͤrchterlich zu mir empor, und ich ſtaunend zu ihr hinab, meine Fuͤſſe zitter - ten, meine Sinne wichen, ich ſank ohnmaͤchtig zu Boden, und lag auf dem Lager meiner Zelle, als ich wieder denken und empfinden konnte. Ihr Bild ſchwebte vor mir, Fieberhitze gluͤhte in meinen Adern,[und] raubte mir bald wieder den Verſtand. Zwei Monden kaͤmpfte ich mit dem Tode, im dritten erholte ich mich erſt langſam. Ich hatte keinen Freund, dem ich mein Anliegen entdecken konnte, und harrte239 mit Ungeduld der Zeit, in welcher mir meine Kraͤfte einen Ausgang geſtatteten.

Ich erfuhr ſogleich, daß du mit dem Kai - ſer gen Muͤnchen gezogen ſeiſt, und die Tochter einer edlen, aber ſtummen Boͤhmin heurathen wuͤrdeſt. Ich zitterte und bebte, forſchte nach ihrer Wohnung, und erfuhr dort, daß die Tochter nach Muͤnchen gereiſt, die Mutter aber an eben dem Tage geſtorben ſei, an welchem ich ſie, und wahrſcheinlich ſie mich, erkannte. Ich vergaß Pflicht und Geluͤbde meines Ordens, eilte nach Muͤnchen, und hoͤrte, daß mein Un - gluͤck vollendet ſei, der Bruder ſeine Schweſter wuͤrklich geheurathet habe.

Die Schilderung des edlen Paares, welche noch aller Zungen beſchaͤftigte, die Beſchreibung der reinen, aͤchten Liebe deſſelben quaͤlte mein Herz und reizte es zum Mitleid. Ich zoͤgerte, ſo groſſes Gluͤck zu ſtoͤhren, achtete es fuͤr un -240 gerecht und grauſam, zwei der ſchuldloſeſten Menſchen graͤnzenlos ungluͤcklich zu machen, als aber mein Gewiſſen dieſem Mitleide laut widerſprach, ich Rath und Troſt bei den gelehr - teſten und wuͤrdigſten Prieſtern ſuchte, und dieſe mir ſonnenklar bewieſen, daß ich abſicht - lich Blutſchande foͤrdere, mich ganz der ſchreck - lichen Folgen dieſes Verbrechens theilhaftig mache, da mußte mein Mitleid weichen. Ich ſtehe nahe am Grabe, ich wills ſo ſchuldlos, als moͤglich, beſteigen. Meine Anklaͤgerin harret meiner ſchon dort, ich zittre vor der Verantwortung, ich darf ihre Anklage nicht vergroͤſſern, ich muß Gott danken, daß er mir Kraͤfte verlieh, euch bis hieher zu folgen, und das Verbrechen zu enden. Folgt meinem vaͤ - terlichen Rathe, weiht euch beide dem Himmel, und verſoͤhnt Gott durch euer Gebet.

Hugo.241

Hugo. (troſtlos jammernd) Gott und Vater, ſteh mir, ſteh meiner Kleta bei! Allmaͤchtiger, du gabſt uns namloſes Gluͤck, aber du vergaͤllſt es durch noch groͤſſeres Ungluͤck! Laß es wenigſtens eben ſo kurz, wie dein Gluͤck, dauern! (ſich faſſend) Aber noch daͤmmert Licht in der grauſen Finſterniß, noch leuchtet in der Ferne Hofnungsſchimmer. Du gedachteſt in deiner ganzen Geſchichte nicht Kletas Geburt. Wie ward ſie deine Tochter und meine Schweſter?

Moͤnch. Kleta iſt nicht meine Toch - ter

Hugo. (frohlockend) Heil mir!

Moͤnch. Aber doch die Tochter deiner Mutter, und folglich immer deine Schweſter!

Hugo. Weh! Weh mir!

Biogr. d. W. 4r Bd. Q242

Moͤnch. Wahrſcheinlich rettete ſich die Ungluͤckliche noch zur rechten Zeit aus den Hoͤhlen, und wurde gluͤcklich geheilt! Wahr - ſcheinlich heurathete ſie in der Folge einen ed - len Gatten, dem ſie dieſe Tochter gebahr. Ich achtete ſie fuͤr todt, und kenne die weitere Ge - ſchichte ihres Lebens nicht. Nur ſo viel hat mir die allgemeine Sage verkuͤndigt, daß Kleta ihre Tochter ſei.

Hugo. Ha! O Dank dir, Allmaͤchtiger! (ſeinem Vater in die Arme ſinkend) Dank auch dir, theurer Vater, die lezte dei - ner Nachrichten laͤßt mich noch hoffen! Ah, wie die wohlthaͤtige Hofnung alle meine Adern durchſtroͤmt, die kalten Nerven erwaͤrmt, und zur Wiederempfindung reizt! Vater! Vater, ich hoffe! Ach Vater, ich habe der Gruͤnde vie - le Ja, ja! es wird wahrſcheinlich und gewiß, daß Kleta nicht die Tochter meiner243 Mutter, nur ihr angenommenes, nur ihr Pflegkind war!

Hoͤre und urtheile. (haſtig und ſchnell)

Als Kleta mir es erlaubte, den Tag zu unſrer Hochzeit ſelbſt zu beſtimmen, und ich wonnetrunken zum Wappenherold und zum Prieſter eilte, jenem gebot, daß er ihr Wappen zu dem meinen ſtellen, dieſen erſuchte, daß er mich in drei Tagen mit ihr verbinden ſolle, da forderte der erſtere ihres edlen Vaters Stamm - baum, und der leztere das Zeugniß ihrer Ge - burt, ich eilte zu ihr, aber ſie geſtand mir mit ofner Unſchuld, daß ſie ihres Vaters Namen nicht kenne, kein Zeugniß ihrer Geburt beſitze. Ich verbarg ihr meinen Kummer, und irrte eben trauernd und nachdenkend im Burggarten umher, als der Kaiſer mir begegnete, und nach der Urſache meines Kummers forſchte, ich er - zaͤhlte ihm alles, er laͤchelte ſanft, und ſprach:Q 2244Sei ruhig, ich kenne ihren Vater, kein Edlerer, als er, ſteht an meinem Throne, ich kenne den Ort ihrer Geburt, und will mit dem Herold und Prieſter ſprechen, damit ſie keine weitere Hinderniß erregen. Ich dankte, und am zwei - ten Morgen ſtand ein ſchoͤnes, aber mir unbe - kanntes Wappen dem meinen zur Seite, und der Prieſter forſchte nicht mehr nach dem Zeug - niß ihrer Geburt. Komm, wir wollen zu ihr eilen, wir wollen ſie mit dieſer Hofnung troͤſten, und dann eilend dem Kaiſer nachzie - hen, um Aufklaͤrung zu erhalten.

Der Moͤnch. Gebe Gott, daß deine Hofnung zur Gewißheit wird! O es wuͤrde mich kraͤftig troͤſten und ſtaͤrken, ich wuͤrde dann dein Gluͤck nicht zerſtoͤrt haben, in deinen Armen enden koͤnnen, und deinen Segen mit in mein Grab nehmen. Noch einmal! Gott gebe Erfuͤllung, ich hoffe mit dir!

245

Sie eilten nun beide zur ungluͤcklichen Kleta, ſie war erwacht zum Gefuͤhle des Jammers und Elends, ſie lag weinend und Haͤnde ringend auf ihrem Lager. Ach, rief ſie Hugo entgegen, meiner Mutter Fluch geht in Erfuͤllung, ſchon druͤcken mich die Pfuͤhle meines Lagers gleich Stein! Der Prieſter log, als er den ſchrecklichen Fluch loͤſte, er ruht noch ſchwer auf mir!

Hugo, dem dies alles unbekannt war, verſtand den Sinn ihrer Worte nicht, und forſchte auch nicht darnach, weil er ſie troͤ - ſten und erquicken wollte. Er erzaͤhlte ihr ſeines Vaters Geſchichte in Kuͤrze, und fuͤgte am Ende ſeine Muthmaſſung hinzu, um auch in ihrem Herzen Hofnung zur moͤg - lichen Rettung zu wecken. Aber Kleta wi - derſprach dieſer Hofnung laut. Ob ich gleich, ſprach ſie, meinen Vater nicht kenne, ſo weiß ich doch gewiß, daß Edeldrud mich246 gebahr, daß folglich deine Mutter auch die meine ſei. Ich erinnere mich ja noch der Zeit, in welcher ſie mit dem unbekannten Vater auf einer ſchoͤnen Veſte lebte Doch was bedarfs der Erinnerung, wo Ge - wißheit entſcheiden kann? Reiche mir mein Schmuckkaͤſtchen (haſtig) Reiche mirs nicht, ich will nicht neuen Fluch auf mich laden, will vorher wiſſen: Wie lange ich dich ſchon als meinen Gatten erkenne?

Hugo. Geſtern endete der erſten Mon - den

Kleta. Dann gieb, ich will ich muß mich von meinem Ungluͤcke uͤberzeugen. Ah dies alſo die Urſache ihrer Weigerung! Es war Ahndung! Es war Erkenntniß der Zuͤ - ge des Vaters im Geſichte des Sohnes! O nun wirds helle, aber zu ſpaͤt O All -247 maͤchtiger zu ſpaͤt! Mir bleibt nur das ſchreckliche Loos der Verzweiflung!

Hugo hatte indes das Schmuckkaͤſtchen uͤberbracht, Kleta oͤfnete es mit zitternder Hand, und nahm das verſiegelte Schreiben heraus. Sie war kaum faͤhig es zu oͤfnen. Weiche! ſprach ſie, als ſie die Siegel ab - riß, weiche von mir, du ſchrecklicher Mutter - fluch! Dich habe ich wenigſtens nicht ver - dient, ich habe redlich einen Mondenlang geharrt!

Sie wollte nun leſen, aber ſie ver - mochte es nicht, und reichte es mit zit - ternder Hand dem Moͤnche. Ihr ſeid, ſprach ſie, bekannt mit ihrer Geſchichte, dieſe Blaͤtter enthalten ſie, leßt laut, damit wir heute noch unſers Ungluͤcks gewiß wer - den, und nicht an falſcher Hofnung nagen. Der Moͤnch weigerte ſich deſſen, aber der248 immer noch hoffende Hugo bat dringend, der Vater vermochte dem wiedergefundenen Soh - ne die erſte Bitte nicht laͤnger zu weigern, und gelobte endlich Gewaͤhrung.

Gerechter Gott! rief er aus, ich ehre deinen Willen, und achte es fuͤr eine ver - diente Strafe, daß ich im Angeſichte mei - nes Sohnes die ſchrecklichſte Anklage gegen mich laut verkuͤndigen muß. Ich will ſie ſtandhaft ertragen, und nicht murren, wenn ſie im gerechten Zorne mir flucht.

Es wuͤrde ermuͤdend ſeyn, wenn ich wiederholen wollte, was der Moͤnch ſchon vorher ausfuͤhrlich erzaͤhlte, nur ſo viel muß ich erwaͤhnen, daß ſie in ihrer Erzaͤh - lung ſeiner ſehr ſchonend gedachte, ihren namloſen Schmerz mit kraͤftigen Worten ſchil - derte, aber auch offen geſtand, daß ſie die graͤnzenloſe Liebe des Urhebers ihres Ungluͤcks249 einſah, am Ende Mitleid und ſogar das Beginnen der Gegenliebe zu ihm fuͤhlte. Der Moͤnch ſank dankend auf ſeine Knie, als er dies Bekenntniß las, O nun ſterbe ich zufrieden und vergnuͤgt, rief er aus, nun kann ich Verzeihung von dir hoffen! Er zitterte aufs neue, als er zu der ſchreck - lichen Szene kam, in welcher die Raͤuber ihr die Zunge raubten, er glaubte mit Recht, daß ſie vielleicht ihn als den Urheber dieſer grauſamen That anklagen wuͤrde, aber die Folge uͤberzeugte ihn eines andern.

Der Ritter, ſchrieb ſie, war eben mit allen ſeinen Gefaͤhrten ausgezogen, ich ſas mit meinem Sohne auf dem Lager, fuͤhlte Freuden der Mutter, und gedachte lebhaft des Schmerzes der meinigen, die wahrſchein - lich ihr Kind auf immer entbehren wuͤrde. Dumpfes Geraͤuſch und jammerndes Wehkla - gen ſchreckte mich aus meinen Gedanken em -250 por, zwei Raͤuber traten eilfertig in mein Gemach, einer derſelben ergrif meinen Sohn, der andere riß mich vom Lager auf, und gebot mir ſchnelle Folge. Ich kannte die aͤuſſerſte Bosheit dieſer rohen Leute, ich waͤhnte, daß ſie ſich gegen den Ritter em - poͤret, ihn vielleicht gar ermordet haͤtten, und mich izt mit ſich fortſchleppen wollten, ich widerſtrebte, klammerte mich ans Lager, und ſchrie nach Huͤlfe. Andere Raͤuber ſprangen herbei; Eilt mit ihr, ſchrien ſie, ſonſt ſind wir verlohren! Dieſer Ruf ver - mehrte meinen Argwohn, ich widerſtand mit allen meinen Kraͤften, ſie wichen nicht, mehrere ſprangen herbei, marterten, quaͤl - ten mich ſchrecklich, und ſchnitten mir end - lich den groͤßten Theil der Zunge ab.

Ich lag blutend und ohnmaͤchtig am Bo - den. Wie ich wieder erwachte, ſtand ein fremder, junger Ritter neben mir, er blickte251 huldvoll und mitleidig auf mich herab, kniete neben mir nieder, und wiſchte das ſtroͤmende Blut von meinem Angeſichte. Man hatte mich ins Freie getragen, viele Reiter ſchlep - ten Holz und Aeſte nach den Hoͤhlen, und ſteckten das letztere in Brand. Ich hob fle - hend meine Haͤnde zu dem Ritter empor, er troͤſtete mich mit den liebreichſten Worten, die Stimme des Mitleids drang lieblich in mein Ohr, ich dankte mit Geberden, da ichs mit Worten nicht vermochte. Verge - bens forſchte er: Wer ich ſei? Wie ich hieher gekommen? Ich konnte nicht antwor - ten. Endlich gebot er vierzig ſeiner Leute, daß ſie mich mit moͤglichſter Sorgfalt nach Baiern zu einem Arzt, welchen er nannte, geleiten ſollten. Er bat mich herzlich und, innig, mein theures Leben zu ſchonen, mich ſeiner Vorſchrift zu fuͤgen, und ſeines fer - nern Schutzes verſichert zu bleiben. Ich ge - lobte es, und dankte von neuen, in ſei -252 nen Augen glaͤnzten Thraͤnen, er ſchied ſehr geruͤhrt, und verſprach, mich bald zu beſuchen.

Seine Reiſige begegneten mir mit groſ - ſer Ehrfurcht, die Schmerzen meiner Wunde mehrten ſich, ich konnte des Roſſes Tritt nicht ertragen, ſie legten mich auf eine breite Decke, und trugen mich abwechſelnd raſtlos fort. Ohnmacht und Bewußtſein wechſelte in meiner Seele, die erſtere ſchien den Sieg zu erringen, und dauerte oft lange. Wenn ich erwachte, ſtand das Bild des Ritters vor mir, ſeine mitleidige, huldvolle Mine erweckte den Wunſch des Lebens in mir, ich hatte ihm ganz mein Leben zu danken, oh - ne ſeine Huͤlfe wuͤrde ich elend verſchmachtet ſein. Der Verluſt meines Sohnes aͤngſtigte mein Herz, ſeines Vaters gedachte ich izt nur mit Schaudern, weil er der Urheber all meines Ungluͤcks war.

253

Am andern Mittage brachte man mich gluͤcklich in die Wohnung des Arztes. Ich ſtaunte, als man mich im Namen des jungen Herzogs ſeiner aͤuſſerſten Sorgfalt empfahl, aber ich ſahs auch deutlich, daß er an meiner Rettung verzweifelte; mich duͤrſtete ſchrecklich, ich konnte keinen Labe - trunk genieſſen, die geſchwollne Wunde drohte mich zu erſtikken. Wie er mir Linderung ſchafte, kann ich nicht ſagen, ich lag acht Tage in einem betaͤubenden Fieber, das mir alles Bewuſtſein raubte, aber bald beſ - ſerte es ſich mit mir, ehe ein Monden ver - floß, war ich der Gefahr entriſſen, und ehe der zweite endete, fuͤhlte ich nur den Ver - luſt meiner Zunge, aber nicht mehr die Schmerzen deſſelben.

Des Arztes Tochter war meine treue Waͤrterin, ſie pflegte mich mit einer Sorg - falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich254 ſah und hoͤrte es mit vielem Vergnuͤgen, daß oft einige Reiter im Gemache des Arz - tes erſchienen, und genau nach meinem Zu - ſtande, nach meiner Beſſerung forſchten. Sie brachten mir Kleider und Leinenzeug in Menge, einige derſelben traten oft an mein Lager, um ihrer Ausſage nach, ſich durch den Augenſchein von meiner Beſſerung zu uͤberzeugen, ſie forſchten: Ob ich ſchrei - ben und leſen koͤnne? und bedauerten es im Namen ihres Herrn, wenn ich dies vernei - nen mußte.

Als ich ſchon mein Lager verlaſſen konnte, im Gemache umher wandelte, und der Ver - ſicherung meiner Waͤrterin gemaͤß, gleich einer Roſe bluͤhte, hoͤrte ich an einem Mor - gen groſſes Getuͤmmel vor dem Hauſe des Arztes. Ich blickte hinab, und ſah mei - nen Retter vom Roſſe ſteigen, er eilte nach meinem Gemache, und blieb voll Ver -255 wunderung ob meiner wenigen Schoͤnheit an der Thuͤre ſtehen. Euer herrliches Bild, ſprach er, ſtand immer vor meinen Augen, ich ſahs ſchlafend und wachend, aber eure Gegenwart uͤberzeugt mich deutlich, daß mei - ne Einbildungskraft ein armſeliges Ding war, mir nur Daͤmmerung zeigte, wo helles Licht herrſchte.

Meine Verwirrung war groß, haͤtte ich auch ſprechen koͤnnen, ich wuͤrde doch nicht geantwortet haben. Seine Freude uͤber mei - ne gluͤckliche Rettung, uͤber meine bluͤhende Geſundheit war aͤcht und rein, mein Dank fuͤr ſeine Huͤlfe lebhaft und warm. Ich hatte bisher noch nie geliebt, dem Ritter Otto, der mich ſo ſchrecklich raubte, nur aus Mit - leid geduldet, izt uͤberwaͤltigte dieſe gefaͤhr - liche, aber auch ſuͤſſe Leidenſchaft mein Herz mit einmal. Ich ſah, ich hoͤrte nur ihn, den geliebten Retter, vergaß Vater, Mut -256 ter und Sohn, als er mir bald nachher ge - ſtand, daß er zum Lohne ſeiner edlen That nur Mitleid von mir forderte, und offen geſtand, daß er ohne meine Liebe der Un - gluͤcklichſte der Sterblichen ſein wuͤrde.

Er erzaͤhlte mir, daß er Kaiſer Ludwigs zwar unaͤchter, aber zaͤrtlich geliebter und anerkannter Sohn ſei, von ihm, als er mich im Forſte fand, an den boͤhmiſchen Koͤ - nig Johann geſandt wurde, um ihm zu ſei - ner Vermaͤhlung Gluͤck zu wuͤnſchen, daß er auf dieſem Zuge die Schaͤtze der Braut ret - tete, als ſie ſchon in der Raͤuber Haͤnden waren. Dieſe tapfere That, welche er ſeg - nete, weil er mich fand, hatte ihm die Liebe des Koͤnigs erworben, er mußte wi - der ſeinen Willen laͤngere Zeit am Hofe deſ - ſelben weilen, kam izt von Landshut, wo er ſeinem Vater Bericht erſtattete, und wollte nun nach ſeiner Veſte ziehen, die nahe anTirols257Tirols Graͤnzen lag, und ihm vom Vater als Erbtheil geſchenkt wurde. Er flehte, daß ich mit ihm ziehen, die ſchoͤne Gegend in ein Paradies wandeln ſollte; ich verſprachs, und er frohlockte ſehr. Er forſchte emſig nach meiner Geſchichte, nach meinem, nach meines Vaters Stand und Namen, mit aller Muͤhe, die ich anwande, konnte ich ihm doch nur be - greiflich machen, daß mein Vater ein edler Rit - ter ſei, daß die Raͤuber mich mit Liſt geraubt hatten. Mehr forderte er nicht, und ich zog, willig mit ihm.

Ehe wir noch die Veſte erreichten, hatte ich ihn, und er mir ſchon innige Liebe ge - ſtanden, als wir einige Tage dort angelangt waren, trat er mit einem ehrwuͤrdigen Moͤnch in mein Gemach, und heiſchte Erklaͤrung: Ob ich ihm in Gegenwart dieſes Prieſters meine Hand reichen, und ſein Weib werden wolle? Ich gedachte zum erſtenmale derBiogr. d. W. 4r Bd. R258Verbindung mit dem Raͤuberhauptmanne, die freilich kein Prieſter geſegnet hatte, die ich ihm aber doch zu entdecken wuͤnſchte. Ich kaͤmpfte anhaltend, Schaam und Gefuͤhl wi - derſprach dem Bekenntniſſe, das ich ohnehin nicht leiſten konnte, ich liebte ſtark und hef - tig, ich widerſtand nicht laͤnger, und reichte ihm am dritten Tage in der Burgkapelle mei - ne Hand.

Er liebte mich als Gatte immer zaͤrt - licher, ſtets inniger, und verließ mich nur, wenn aͤuſſerſte Nothwendigkeit ihn zwang, am Hofe ſeines Vaters zu erſcheinen. Mit ver - mehrter Zaͤrtlichkeit und groͤßter Sehnſucht kehrte er dann in meine Arme zuruͤck, und genoß in meinen Armen das ſchoͤnſte Gluͤck der reinen Liebe. Oft weinte ich, wenn ich ſeine zaͤrtlichen Worte nur durch ſtumme Blicke erwiedern konnte, oft wuͤnſchte ich ſehnlich ſie durch deutlichere Zeichen ausdruͤcken259 zu koͤnnen, und wundere mich izt ſehr, daß weder ich noch er der ſo edlen Schreibekunſt, die mir izt ſtatt Worte dient, nicht gedachten, da er ſie aber wahrſcheinlich auch nicht verſtand, ſo erinnerte er ſich dieſes Huͤlfsmittels nie, und behauptete immer, daß eben mein ſtum - mer und doch ſo beredter Blick ſein Herz ſo feſt und ſtark feßle. Erſt ein halbes Jahr nach unſrer Ehe geſtand er mir, daß ſein Va - ter von dieſer keine Kenntniß habe, daß er aber hoffe, er werde ſie einſt billigen, und ihm erlauben, mich im Triumphe nach Hofe zu fuͤhren. Wie ein Jahr verfloſſen war, ge - bahr ich ihm eine Tochter. Dies warſt du, geliebte Kleta.

Der Moͤnch hielte hier inne, er ſtarrte nach Hugo und Kleta hin, die vereint laut auf - ſchrien, und voll Verzweiflung ihre Haͤnde rangen. So ſchwindet endlich die lezte mei - ner Hofnungen, jammerte Hugo. Habe ichsR 2260nicht geweiſſagt! wimmerte Kleta, und verhuͤllte ihr Geſicht. Der Moͤnch rang nach Troſt fuͤr die Ungluͤcklichen, und fand keinen. Endlich heiſchte Kleta den weitern Erfolg der Geſchichte, er wiſchte die Thraͤnen aus ſeinen Augen, und las weiter:

Ich bin unfaͤhig, dir die Wonne deines Vaters zu ſchildern, als er von der Jagd ruͤckkehrte, und meine Waͤrterinnen dich in ſeine Arme legten. Er ſegnete dich kraͤftig, er gelobte vor Gott und mir, dir Vater zu ſeyn, ſo lange er lebe, dein Gluͤck auch nach ſeinem Tode zu befoͤrdern und zu befeſti - gen.

Gott ſchenkte mir in der Folge keine Kin - der mehr, du warſt das einzige Pfand unſrer Liebe, dein guter Vater liebte dich gleich ſei - nem Augapfel, und eben ſo zaͤrtlich wie mich, oft ward dir jeder Kuß, den ich von ihm er -261 hielt, doppelt. Vier Jahre ach die gluͤcklichſten meines Lebens! verfloſſen nun in ſtiller, genußreicher Ruhe. Wohl zehnmal zog er unter dieſer Zeit aus der Ab - ſicht nach ſeines Vaters Hofe, um ihm ſeine Heurath zu entdecken, aber immer verſchwieg er ſie, weil er den moͤglichen, boͤſen Ausgang fuͤrchtete, und ſich keine Freude, kein Leben ohne mich denken konnte.

Als ſein Vater den Zug nach Italien be - ſchloſſen hatte, und ihn mit ſich nehmen woll - te, da zwang ihn aͤuſſerſte Noth endlich zur Entdeckung. Anfangs zuͤrnte der ſonſt ſo gnaͤdige Vater heftig, wie er ihm aber alles erzaͤhlte, ihn mein ehemaliges Schickſal aufs lebhafteſte ſchilderte, meine Schoͤnheit, meine Geiſtesgaben allzu reichlich lobpreißte, und ihm ſein groſſes Gluͤck mit den ruͤhrendſten Worten erzaͤhlte, da neigte ſich ſein Herz zur Verzeihung, er vergab ihm den voreiligen262 Schritt, und verſprach auf ſeinem Heerzuge in ſeines Sohnes Veſte einzukehren, und ſich von ſeinem Gluͤcke zu uͤberzeugen; auch ent - ließ er ihn des Zuges nach Italien. Ich habe, ſprach er liebreich, auch einſt innig geliebt, du warſt die Frucht dieſer Liebe, ich erinnere mich noch wohl, daß gewaltſame Trennung mir beinahe das Leben koſtete, ich will nicht ſo hart, wie mein Vater ſeyn, will dich nicht trennen von der geliebten Gattin, ſie nur ſe - hen, und ſegnen.

Reichlicher Schweiß der haſtigſten Eile triefte von ſeinen Wangen, als er mir dieſe Bothſchaft brachte, ich genoß die goldnen Fruͤchte derſelben mit ihm, und traͤumte mir ſchon die heiterſte, gluͤcklichſte Zukunft. Mein feſter Vorſatz wars, nach vollendeter Verſoh - nung meinen Gatten zu bewegen, nach Boͤh - men zu reiſen. Ich kannte die Gegend, in welcher meines Vaters Veſte lag, hofte ſie263 zu finden, und durch den Seegen der theuern Eltern mein Gluͤck zu vergroͤſſern. Ich hatte in einſamen Stunden mir ſchon oft ihren Jam - mer, und die Wonne des Wiederſehens ge - dacht, aber ich konnte und durfte dieſe Bitte nicht wagen, weil dem Vater meines Gatten die Heurath nicht bekannt war, der Zug nach Boͤhmen ſie ruchtbar gemacht haͤtte.

Acht lange Tage harrten wir der Ankunft des Kaiſers entgegen, endlich langte ein Eil - bote auf der Veſte an, und brachte die frohe Nachricht, daß er vielleicht in der Nacht des folgenden Tages, waͤre aber dies nicht moͤg - lich, am andern Morgen ſicher anlangen wuͤrde. Mein Gatte hatte mich ehe ſchon mit praͤchtigen Kleidern, und den herrlichſten Kleinodien beſchenkt, er forderte, daß ich mich mit den ſchoͤnſten zieren ſollte, ich ver - wande den folgenden Tag zu meinem Putze, und harrte am Abende hoffend und ahndend264 der Ankunft des Kaiſers. Auch du, meine Kleta, warſt ſchoͤn geputzt, und glichſt einem Engel der Unſchuld. Vielleicht erinnerſt du dich noch: Wie dein Vater dir einen ſchoͤnen Willkommen lehrte, dirs emſig vormachte, wie du dem vornehmen Gaſte entgegeneilen, deine Arme gegen ihn ausſtrecken, und ſeine Knie umfaſſen ſollteſt.

Als finſtere Nacht die Gegend ſchon lange deckte, ſchwand unſre Hofnung, aber bald weckte ſie des Waͤchters Ruf aufs neue, er meldete kurz nachher, daß viele Reiſige im Thal herauf zoͤgen. Dein Vater ließ Fackeln anzuͤnden, und die Thore oͤfnen. Ich eilte an ſeinem Arme die Treppe hinab, und vergaß deiner in der Eile, weil du ſchon im Arme der Waͤrterin ſchlummerteſt. Wie wir hinab kamen, fuͤllten ſchon viele Reiter den Vorhof, ich zitterte und bebte, als ich Schwerdtklang und Jammergeſchrei der Diener hoͤrte. Mein265 Gatte drang vorwaͤrts, ich ſah Schwerdter uͤber ſeinem Haupte glaͤnzen, und ſah ihn nie mehr, denn ich ſank ohnmaͤchtig zu Boden. Wie ich wieder erwachte, ſtand die Veſte ſchon in hellen Flammen, verwundete Knech - te und Diener winſelten unfern von mir. Viele Reiter umgaben mich, bedeckten mich mit einem Mantel, und hoben mich auf ein Roß. Ich jammerte ſchrecklich, einer derſel - ben war ſo barmherzig mir dich, meine Kle - ta, aufs Roß zu reichen, du klammerteſt deine Haͤnde um meinen Nakken, und ich hiel - te mich mit aller Gewalt aufrecht, um dich nicht ſinken zu laſſen. Der Zug begann nun eilend und ſchnell, ich mußte in ihrer Mitte traben. Meine Augen ſuchten in der Finſter - niß meinen geliebten Gatten, und[fanden] ihn nicht. Ich glaubte, daß dies Rache des nur verſtellten aber nicht verſoͤhnten Vaters ſey, und waͤhnte, daß man mich aus ſeinen Ar - men geriſſen habe, um mich ewig einzuker -266 kern. Mein Leid war groß, aber es mehrte ſich bis zur Rieſengroͤſſe, wie der Morgen an - brach, und mir es nach und nach zur vollen Gewißheit ward, daß ich mich in der Geſell - ſchaft der Raͤuber befand, mit denen ich eini - ge Jahre in den Hoͤhlen des Forſtes gewohnt hatte. Viele gruͤßten mich hoͤniſch, nur we - nige blickten mich mitleidig an.

Ich ahndete nun ſchreckliche Dinge, ich waͤhnte, daß ihr Hauptmann, deſſen heftige Liebe ich kannte, meinen Aufenthalt entdeckt, mich meinem Gatten entriſſen habe, und nun wieder zu ſeiner Buhlerin machen wolle. Ich bin nicht faͤhig, dir das ſchaudervolle Ent - ſetzen uͤber dieſen Gedanken zu ſchildern, er erregte in mir den Vorſatz zum Selbſtmorde, welchen ich gewiß ſchnell ausgefuͤhrt haͤtte, wenn dein Anblick mich nicht abgehalten haͤtte. Ich war noch ungewiß: Ob ich dich mit mir267 vernichten, oder in den Haͤnden ruchloſer Raͤuber zuruͤcklaſſen ſollte?

Am Mittage raſteten wir in einem dun - keln Forſte. Die Raͤuber lagerten ſich am Bo - den, und ruhten bald ſanft, nur zwei der Aelteſten ſetzten ſich wachend zu mir, und bo - ten mir Trank und Speiſe, welche ſie mit ſich fuͤhrten. Ich gedachte deiner nicht, und ver - ſchmaͤhte alles, aber die Alten waren ſo barmherzig, Mutterſtelle an dir zu vertreten, und deinen Hunger zu ſtillen. Meine Augen hatten mich nun uͤberzeugt, daß mein ehema - liger Geliebter nicht in unſrer Mitte ziehe, ich haͤtte ſo gerne nach ihm gefragt, um mei - nes ſchrecklichen Schickſals gewiß zu werden, aber der Verluſt meiner Zunge hinderte mich daran. Der Aelteſte mochte wahrſcheinlich meine Sehnſucht nach Aufklaͤrung in meinem Geſichte leſen, er blickte mich mitleidsvoll an.

268

Arme Frau, ſprach er, euch war die Ra - che nicht vorbereitet, euch traf ſie allerdings unſchuldig! Ich war ſo gluͤcklich, ihm durch Zeichen begreiflich zu machen, daß ich Erzaͤhlung der ganzen Begebenheit zu hoͤren wuͤnſche, ihm ſolche mit dem waͤrmſten Danke lohnen wuͤrde.

Er achtete meine Bitte, und erzaͤhlte mir, daß ſie nach dem ungluͤcklichen Raube, welchen ſie an dem Schatze der koͤniglichen Braut uͤben wollten, ihr Hauptmann, welcher mich einſt liebte und raubte, verlaſſen habe. Es geſchah, ſagte er, aus gerechtem Schmerze uͤber die grauſame That, welche einer aus unſrer Ge - ſellſchaft wider ſeinen Willen und Befehl an euch geuͤbt hatte. Er vergalts ihm mit dem Tode, ſuchte euch bei den Hoͤlen, fand euch nicht, und verließ uns, um vielleicht in einer Einoͤde eueren Tod zu betrauern. Wir waͤhlten uns einen andern, und bereiteten uns in ei -269 nem andern Forſte neue Wohnungen, damit wir aber die Boͤhmen nicht zur neuen Rache ge - gen uns reitzen, ſie zur Entdeckung unſers Aufenthalts zwingen moͤchten, ſo ward feſt beſchloſſen, daß wir in dieſem Lande keinen Raub mehr uͤben, ſondern in benachbarten Laͤndern umherſtreifen, dort unſern Raub und Unterhalt ſuchen wollten. Dieſe kluge Vorſicht ſchuͤzte uns herrlich, uͤberall ſuchte man den Aufenthalt der maͤchtigen Raͤuber auszufor - ſchen, nur in Boͤhmen nicht, weil dort nie - mand uͤber Raub klagte, keinen Raͤuber in der Naͤhe waͤhnte.

Vor einem Monden vernahmen wir, daß izt viele Edle mit reichen Koſtbarkeiten beladen nach Italien zogen, um dort die Kroͤnung des Kaiſers feiern zu helfen. Wir eilten in ge - theilten Haufen nach Bayern, verlegten die verſchiednen Straſſen, welche nach Italien fuͤhrten, und ſuchten Beute zu machen. Wie270 unſer Hauſe im Forſte, der nahe an eurer Ve - ſte liegt, lauerte, erfuhren wir durch einige Bauern, daß des Kaiſers Sohn, welcher uns einſt ſo ſchrecklich zuͤchtigte, dort hauſe, und in den Armen einer Stummen ſchwelge, die er einſt aus Boͤhmen mit ſich gebracht habe.

Begierde nach Rache ward im ganzen Hau - ſe rege, die meiſten gelobten, das ehemalige Unbild wo moͤglich an ihm zu raͤchen, ihm we - nigſtens die geliebte Stumme zu entfuͤhren, welche wir ſogleich fuͤr euch erkannten. Um zu erfahren: Ob eure Veſte wohl bemannt und bewacht ſey? zogen verſchiedne von uns auf Spaͤhe aus, ſie brachten troͤſtende Nachrichten, hatten als gewiß erfahren, daß nur wenige Reiſige, meiſtens unbewafnete Maͤgde und Diener dort wohnten. Schon war ein Sturm auf die Veſte beſchloſſen, als uns Kundſchaft ward, daß der Kaiſer mit einem ſtarken Zuge ſich nahe.

271

Ihn anzutaſten, war unſer Wille nicht, reichte unſre Kraft nicht, wir wollten uns da - her eben von der Straſſe ab, tiefer in den Forſt ziehen, als einige der Unſern die Nach - richt brachten, daß der Kaiſer dieſe Nacht in der Burg erwartet, aber dort ganz gewiß nicht anlangen werde, weil er in einem nahen Staͤdtchen in ihrer Gegenwart nur mit wenigen ſeines Gefolgs Nachtherberge genommen, ſei - ne Reiter und Reiſige aber auf einer andern Straſſe gen Tirol vorwaͤrts geſandt habe. Bei dieſem gluͤcklichen Umſtande, fuhren ſie fort, kann ſchnelle Liſt unſre Rache foͤrdern. Des Kaiſers Sohn erwartet noch immer den Vater, dies erfuhren wir izt erſt von einigen Dienern, welche auf der Straſſe ſpaͤhten, und bei uns nach ihm forſchten; wir benuzten die Gelegenheit, und verſicherten ſie, daß er im Anzuge begriffen ſey. Kommt, Bruͤder, kommt, laßt uns, wenns ganz dunkel iſt, nach der Veſte ziehen, man wird ſicher glau -272 ben, der Kaiſer nahe, und uns die Thore oͤf - nen. Wir haben dann volle Gelegenheit, Ra - che an dem Sichern zu uͤben, und ihn zu uͤber - zeugen, daß man uns nicht ungeahndet belei - dige.

Das Wagſtuͤck war groß, aber eben des - wegen auch Reiz fuͤr alle. Nur uns zweien (auf ſeinen Gefaͤhrten deutend) behagte es nicht, aber wir mußten dem Stro - me folgen. Die Liſt gelang, und die Rache ward vollendet. Dein Gatte oder Buhle, wel - cher einſt viele der Unſern ermordet, und unſe - re Hoͤlen zerſtoͤrt hatte, mußte mit der Ue - berzeugung ſterben, daß wir Rache an ihm uͤbten. Auch uͤber dich war Tod beſchloſſen aber dein koſtbarer Anzug, deine Schoͤnheit, blendete das Auge der meiſten, ſie wurden andern Sinnes. Unſer neuer Hauptmann hat noch keine Geliebte, ſie beſtimmten dich fuͤr ihn, ich ſah dein Verlangen nach dem Kinde,ich273ich reichte es dir, um dich zu troͤſten. Schicke dich in dein Schickſal, du warſt es ehe ſchon gewohnt. Der Hauptmann iſt jung und ſchoͤn, er erzaͤhlte uns oft, daß er dich ſchon ehemals liebte, und ehrte; dies bewog uns vorzuͤglich zum Entſchluſſe. Sey daher weiſe, es wird dir bei uns wohlergehen.

Noch begreife ichs immer nicht, wo ich Muth und Entſchloſſenheit ſammlete, um dieſe ſchrecklichen Nachrichten mit Standhaftigkeit anzuhoͤren. Die Gewißheit, daß der ſo innig geliebte Gatte wuͤrklich ermordet ſei, drohte mein Herz zu zerreiſſen, und doch verrieth mein Geſicht dieſe ſchmerzhafte Empfindung nicht. Ich laͤchelte aus Verzweiflung, aber die Raͤuber nahmens fuͤr Empfindung der Freude, und machten es den Uebrigen kund, als ſie erwachten. Flucht oder Tod war izt der einzige Gedanke, welchen meine Seele dachte und faßte.

Biogr. d. W. 4r Bd. S274

Um beides nach Gefallen auszuuͤben, muß - te ich wenigſtens einige Freiheit genuͤſſen, um dieſe zu genuͤſſen, wandte ich alle Mittel an, die Raͤuber zu uͤberzeugen, daß ich gerne in ihrer Mitte zoͤge, mich willig dem beſtimmten Schickſale fuͤgen wuͤrde. Meine Liſt gelang, ſie bewachten mich nicht mehr ſo ſorgfaͤltig, achte - ten mich verwahrt genug, wenn ſie ſich rings um mich lagerten und ruhig ſchliefen. Der Zug ging ſtets durch Einoͤden und Waͤlder, ging langſam, weil die Roſſe ſchwer mit Beute beladen waren. Ich konnte oft entfliehen, aber ich wagte die Flucht nicht, weil ich den Hun - gertod ahndete, ihn um deinetwillen nur fuͤrch - tete.

Nach einer weiten Reiſe lagerten wir uns im Thale eines Forſtes, ich ſtaunte, ich konnte kaum Thraͤnen der wehmuͤthigen Freude ver - bergen, als ich hinter den Felſen die Kapelle erblickte, in welcher ich ſo oft betete. Mein Herz ſchlug aͤngſtlich und hoffend, wie mein Auge endlich gar den Wartthurm der vaͤterli -275 chen Veſte gewahrte. Ich verſtellte mich mehr als je, ſuchte zuerſt mein Lager, und ruhte, wie die Raͤuber noch tranken. Ich hoͤrte es deutlich, wie ſie ſich wunderten, daß ich die Ge - gend nicht erkannt hatte, und frohlockte inge - heim, als ſie ſich treuherzig verſicherten, daß ich willig in den Armen ihres Hauptmanns ru - hen, gerne in ihren Hoͤhlen wohnen wuͤrde. Die gewiſſe Hofnung, ſchon am andern Tage in ihren Hoͤhlen einzutreffen, ihre Weiber wie - der zu umarmen, machte ſie ungewoͤhnlich hei - ter, ſie tranken viel und ruhten feſt, wie ich meine Flucht mit dir wagte und gluͤcklich vollen - dete.

Nun folgten viele Lehren und mancherlei Auftraͤge, welche die Mutter ans Herz ihrer Tochter legte. Sollte, ſprach ſie, Otto von Farwangen noch hienieden wallen, und du ihn einſt finden, ſo verkuͤndige ihm meine volle Verzeihung. Er hat mich einſt graͤnzenlos un - gluͤcklich gemacht, aber ihm verdanke ichs doch,S 2276daß ich durch vier Jahre unbeſchreiblich gluͤck - lich im Arme meines Gatten lebte, ich will da - her nicht mit ihm hadern, und nicht ſeine An - klaͤgerin bei Gott werden. Ruͤckerinnerung an den ungluͤcklichen, unſchuldigen Sohn, den ich mit ihm gebahr, quaͤlt noch immer mein muͤt - terliches Herz. Ich konnte es nie erforſchen: Ob er noch, und wie er lebe? Dein ſei izt die Pflicht, dies Nachforſchen fortzuſetzen, ihn reichlich zu unterſtuͤtzen, der Mutter Haabe mit ihm zu theilen, wenn du ihn arm, ihn als Bruder zu lieben, wenn du ihn reich und wohlhabend findeſt.

Oft wollte ich mich dem Kaiſer nahen, und ihm entdecken, daß ich die Leidende ſei, welche ſein ermordeter Liebling einſt ſo gluͤcklich mach - te, aber immer zitterte ich zuruͤck, wenn ich dieſen Schritt wagen wollte, der dann nur erſt zur Nothwendigkeit wird, wenn man Zweifel wider deine edle Geburt erregen ſollte. Voll - bringe du dies Vorhaben, wenn deine Mutter ſtarb, ehe ſies vollbrachte, nahe dich mit dei -277 nem kuͤnftigen Gatten ſeinem Throne, beweiſe ihm, daß du ſeine rechtmaͤſſige Enkelin ſeiſt, und er wird dirs und deinen Kindern wahrſcheinlich mit groſſen Wohlthaten lohnen.

Lange ſaſſen die Ungluͤcklichen noch ſtumm und trauernd, als der Moͤnch ſchon mit ſeiner Vorleſung geendet hatte. Jeder hofte Stof zur Ueberlegung in Fuͤlle. Hugo ſuchte noch immer und emſig Rettung aus dem ſchrecklichen Abgrunde, in welchen er ſich geſtuͤrzt fand. Kleta ſah nun in vollem Lichte die Urſache, warum ihre Mutter bei Hugos Anblick ſo er - ſchrak, bei ſeiner Anwerbung zuruͤckbebte, und ihr Erhoͤrung ſeiner Wuͤnſche unter dem ſchreck - lichſten Fluche verbot. Ruͤckerinnerung an ihr voriges Leiden, und allzu heftige Gemuͤthsbe - wegung verhinderten ſie wahrſcheinlich an ſchneller Entdeckung. Sie wollte erſt wieder Kraͤfte ſammlen, und beſchied deswegen den wiedergefundnen Sohn auf den andern Tag, an deſſen Morgen neues Schrecken ihr Leben endete. Kleta bereute izt innig, daß ſie der278 Mutter Fluch nicht geachtet hatte. Erfuͤllung des ſchrecklichen Gebots, rief ſie laut aus, haͤt - te mich aͤuſſerſt ungluͤcklich, aber doch nicht nam - los elend gemacht!

Der Moͤnch, deſſen Herz vaͤterliches Ge - fuͤhl fuͤllte, wuͤnſchte zu helfen und zu retten. Es ſah als gewiß voraus, daß Trennung ihm ſeinen wiedergefundnen Sohn rauben und toͤd - ten wuͤrde, und ſuchte daher ſein Leben durch wahrſcheinlichen, moͤglichen Troſt zu friſten. Komm, mein Schmerzensſohn, ſprach er, komm, und folge mir, ich will dich zu den Fuͤſſen des heiligſten Vaters nach Avignon fuͤh - ren, er allein kann vergeben, und eure fernere Ehe, wenn er die Umſtaͤnde erwaͤgt, beſtaͤtigen und billigen. Ihm ward Gewalt, zu loͤſen und zu binden, er wird mich hoͤren, deinen Jammer ſehen, und das Verbrechen loͤſen, welches auf eurer Ehe ruht, das ihr nicht vor - ſaͤtzlich uͤbtet, das ihr gerne vernichten wolltet, wenns in eurer Macht ſtuͤnde.

279

Hugo ergriff dieſen Vorſchlag mit heftiger Begierde, er hofte gluͤcklichen Erfolg, und troͤſtete ſeine Kleta ſchon im voraus mit dieſer, aber Verzweiflung hatte das Herz der Un - gluͤcklichen ſchon vergiftet, ſein Troſt wuͤrkte nicht, ſie widerrieth die Reiſe nicht, weil Tren - nung doch unvermeidlich war, aber ſie verzwei - felte ganz am gluͤcklichen Erfolge.

Wie Hugo am andern Morgen mit ſeinem Vater reiſefertig an ihr Lager trat, glaͤnzte keine Thraͤne in ihrem Auge, es ſtarrte ihn angſtvoll an, ihre Seele fand keine Worte, den Schmerz auszudruͤcken, der ihr Herz preßte. Sie gelobte nur dem Gatten und Bruder durch Minen, daß ſie nicht Hand an ſich legen, nicht an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln, und ſeine Ruͤckkehr in Geduld abwarten wolle.

Sie verließ einen halben Monden lang ihr Gemach nicht, ſprach aͤuſſerſt wenig, betete an - haltend und lange. Oft fand man ſie haͤnde - ringend und weinend. Der Mutter Fluch druͤckt mich ſchwer! antwortete ſie dann immer,280 wenn ihre treue Waͤrterin nach der Urſache die - ſer Thraͤnen forſchte. Einſt aͤuſſerte ſie hefti - ges Verlangen, in der Kapelle zu beten, aus welcher man ihre Mutter geraubt hatte. Der Vogt, dem ſtrenge Obhut uͤber ſie geboten war, begleitete ſie mit vielen Reiſigen dahin, ſie betete lange, und ging ruhig und heiter von dannen. In der folgenden Nacht entſtand ſchrecklicher Gewitterſturm; ein heftiges Erd - beben begleitete ihn, drohte die Veſte einzu - ſtuͤrzen, und durch die Waſſerfluthen, welche ſich in Stroͤmen vom Himmel herab waͤlzten, alle lebende Geſchoͤpfe zu erſaͤufen. Auch der Muthvollſte bebte, aber unter allen am meiſten Kleta; jeder Blitz warf ſie auf ihr Lager zu - ruͤck. Gottes Gericht iſt ſchrecklich, rief ſie im - mer, die Wuͤrkung des muͤtterlichen Fluchs ver - heerend; ich muͤhe mich vergebens, ich kann ſie nicht wegbeten!

Schon am Morgen verlangte ſie wieder nach der Kapelle, man erfuͤllte ihr Gebot, und leitete ſie durch Umwege dahin, weil Erdbeben281 und Waſſerſtroͤme den gewoͤhnlichen Pfad ver - nichtet hatten. Wie der Zug dort anlangte, ſah man erſt, daß das Erdbeben auch ſeine Macht an der Kapelle bewieſen habe; ſie ſtand auf einer Felſenſpitze, die ihren Schatten von der ſenkrechten Hoͤhe herab ins tiefe Thal warf, von der andern Seite aber gemaͤchlich beſtiegen werden konnte, weil des Felſens breiter Ruͤk - ken ſich hier nur langſam erhob. Das Erdbe - ben hatte die Grundveſte der Kapelle erſchuͤt - tert, und der wuͤthende Sturm ſie ins Thal hinab geſchleudert. Die Felſenſpitze, die man wahrſcheinlich einſt durchgehauen hatte, theilte ſich izt in zwei gleiche Theile, und bildete eine Hoͤhlung, welche eine gereizte Einbildungskraft fuͤr ein abſichtlich gemachtes Lager halten konn - te. Kleta ſtarrte lange nach dieſer Oefnung hin, endlich ſprang ſie raſch hinzu, und legte ſich darein. Der Mutter Fluch, ſchrie ſie mit wildem Gelaͤchter, iſt nun erfuͤllt! Mein Braut - bette hat ſich in Stein verwandelt, bald wer - den Schwefelflammen uͤber mich empor lodern! Betet, betet, daß ich gluͤcklich ende!

Keine Worte des Troſtes fanden Eingang in ihrem Herzen, keine Vorſtellung vermochte282 ſie, den Ort zu verlaſſen. Man mußte Gewalt brauchen, und reizte ſie dadurch zur aͤchten Ra - ſerei des Wahnſinns, die nur dann endete, wenn man ihr verſprach, ſie bald wieder in ihr Brautbette zu fuͤhren. Sie ſprach nur von dieſem, alle ihre Ideen und Gedanken beſchaͤf - tigten ſich einzig damit, man mußte ſie jeden Tag dahin leiten, wenn man nicht toͤdliche Ra - ſerei in ihrem Herzen erregen wollte. Sie ver - gaß bald ganz ihres Hugos, gedachte ſeiner nie mehr, und ſchien auch alle andere Begebenhei - ten ihres Lebens vergeſſen zu haben.

Nach fuͤnf Monden kehrte Hugo mit ſeinem Vater zuruͤck. Freude und Wonne glaͤnzte in ſeinem Geſichte, der Pabſt hatte ſein Flehen er - hoͤrt, ihm fernere Ehe mit ſeiner Stiefſchweſter geſtattet, wenn er dagegen eine Kirche baue, und eines ſeiner Kinder dem Herrn widme. Freude und Wonne wandelte ſich aber bald in Leid und Jammer, als er ſich uͤberzeugte, daß ſeine Kleta ihn nicht mehr kenne, und ein Raub des Wahnſinnes geworden ſey. Er hofte ver - gebens daß ſeine Gegenwart, die Verſicherung ihres Gluͤcks ſie heilen wuͤrde, ſie ſchien ſeine Troſtgruͤnde nicht zu hoͤren, und war nie zu be -283 wegen, ihm nur die Hand zum Willkomm zu reichen. Sie eilte, wie ehe und zuvor, jeden Tag wenigſtens einmal nach ihrem Brautbette, und duͤnkte ſich nur dann gluͤcklich, wenn ſie ei - nige Stunden darinne ruhen konnte.

Hugo war immer ihr Begleiter, einſt folgte er ihr auch dahin, und ſah traurend zu, wie die arme Wahnſinnige, voll Ver - gnuͤgen nach ihrem ſteinernen Brautbette ſprang, aber auch voll Angſt den Ausbruch der Schwefelflammen erwartete. Er nahte ſich ihr troͤſtend, ſie ſchien diesmal ſeine Worte zu hoͤren, und blickte ihn laͤchelnd an. Mit einem Ausbruch der Freude rief ſie end - lich aus: Biſt du nicht Hugo? Nicht mein Braͤutigam? O ſo komm! lagere dich hie - her! Das Brautbette iſt ſchon bereit! Wie ſie dieſe Worte ausgeſprochen hatte, wollte ſie den Erwarteten Platz machen, draͤng - te ſich mit ihrem Koͤrper allzu weit vorwaͤrts, und ſtuͤrzte durch die Oefnung des Felſens ins tiefe Thal hinab. Ihr Koͤrper lag zer - ſchmettert am Boden, ſie hatte ſchrecklich und grauſam geendet. Hugo wuͤrde Nach - folger geworden ſein, wenn ſeine Getreuen284 ihn nicht abgehalten haͤtten, er folgte bald nachher ſeinem Vater ins Kloſter, weihte ſich und ſein Haabe dem Herrn, und ſtarb freudig, um von dieſem den Lohn ſeines namloſen Jammers zu erhalten.

Wahrſcheinlich ſprach er vorher noch ein - mal mit dem Kaiſer, und entdeckte ihm, daß die Raͤuber, welche einſt ſeinen Sohn mordeten, noch in Boͤhmens Forſten niſte - ten; denn jener durchzog bald nachher in Geſellſchaft des Konigs Johann die ganze Gegend, fand die Raͤuber, ließ Feuer in ihre Hoͤhlen werfen, und verbrannte alles, was lebte. Noch ſieht man dieſe Hoͤhlen, deren Waͤnde ganz ſchwarz gefaͤrbt, und hie und da ganz ausgebrannt ſind.

Kleta ward an der Staͤtte, wo ſie en - dete, begraben, Ein gothiſcher Leichenſtein bezeichnete lange ihr Grab, izt iſt keine Spur mehr davon vorhanden. Nahe dabei ent - ſpringt aber ein Brunnen, welchen man all - gemein das Fluchbruͤnnlein nennt, deſſen Waſſer niemand trinkt, weil es Ausſatz ver - urſacht, und ſtark nach Schwefel ſchmeckt. Wenns daͤmmert, ſolls dort, nach Verſiche - rung aller alten Muͤtterchen, nicht ſicher zu wandeln ſein, und haͤufige Irrwiſche den Wanderer irre fuͤhren.

About this transcription

TextBiographien der Wahnsinnigen
Author Christian Heinrich Spiess
Extent297 images; 35922 tokens; 6875 types; 248695 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBiographien der Wahnsinnigen Viertes Bändchen Christian Heinrich Spiess. . [2] Bl., 284 S. VoßLeipzig1796.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 19 ZZ 8817-4http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=029693535

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; mts

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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