PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Die Verwaltungslehre.
Fünfter Theil.
Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.1868.
[III]
Die Innere Verwaltung.
Zweites Hauptgebiet. Das Bildungsweſen. Erſter Theil. Das Elementar - und das Berufsbildungsweſen in Deutſchland, England, Frankreich und andern Ländern.
Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’ſchen Buchhandlung.1868.
[IV][V]

Vorrede.

Ich muß mit dem Bekenntniß beginnen, daß ich bei keinem Theile des ganzen Verwaltungsrechts ſo klar wie bei dem vorliegen - den das Bewußtſein gehabt habe, daß es mir unmöglich ſein werde, das Material auch nur bis zu dem Grade zu bewältigen, den ich in den bisherigen Theilen meiner Arbeit erreicht habe. Je weiter man in dieß Gebiet dringt, je mehr muß man die Ueber - zeugung gewinnen, daß die vollſtändige Bearbeitung deſſelben das ganze Leben, die ganze Kraft eines Menſchen fordert und daß der - jenige ſehr viel und Hochwichtiges geleiſtet haben wird, dem es gelingt, hier auch nur den weſentlichen Anſprüchen nach allen Seiten hin zu genügen.

Ich verſtatte mir jedoch dieſes aufrichtige Bekenntniß nicht, um für die Mängel des Folgenden in gewöhnlicher Weiſe Entſchul - digung zu finden. Denn ich habe beim Beginn meiner Arbeit ge - wußt, wie viel ich nicht werde leiſten können. In dieſem Bewußt - ſein aber mußte ich mich fragen, worin denn eigentlich neben jenen Mängeln, die der Fachmann in jedem Theile finden wird, das Ziel und damit der Werth einer ſolchen Arbeit beſtehen könne und ſolle.

Ich will auch dieß mit ganzer Offenheit ſagen, auf die Gefahr hin, mißverſtanden zu werden.

In der großen, faſt täglich wachſenden Literatur über das Bildungsweſen ſowohl im Ganzen als über einzelne Theile fehlen drei Dinge, ohne welche ſie ſtets unvollkommen bleiben wird.

Zuerſt fehlt eine Arbeit, welche alle Gebiete des geſammten Bildungsweſens als ein Ganzes umfaßt und damit die GrundlageVI des organiſchen Bewußtſeins und Verſtändniſſes deſſelben liefert. So viel wir wiſſen, iſt die Aufſtellung eines ſolchen Syſtems über - haupt noch nie verſucht, geſchweige denn durchgeführt. Daß aber daſſelbe für die Wiſſenſchaft unabweisbar geworden iſt, nachdem das öffentliche Recht es im wirklichen Leben bereits hergeſtellt, iſt nicht fraglich.

Zweitens fehlt vielleicht wohl gerade aus dem obigen Grunde eine klare Beſtimmung der meiſten Einzelbegriffe und ihrer Grenzen gegen einander. Es iſt ziemlich vergeblich, nach einer wiſſenſchaftlichen und damit allgemein gültigen Beſtimmung des Weſens von Volks - und Bürgerſchule, von wiſſenſchaftlichen und wirthſchaftlichen Bildungsanſtalten, von Real - und Gewerbeſchule und hundert andern Erſcheinungen zu ſuchen, denn ſelbſt Wieſe’s Definitionen beziehen ſich nur auf preußiſche, nicht einmal gleich - artige Verhältniſſe. Die Wiſſenſchaft hat alle dieſe Dinge ſo ſehr der Praxis und dem Experimente überlaſſen, daß die letzteren ſich ſchon deſſen entwöhnt haben, bei der erſteren überhaupt darüber Rath zu ſuchen. Und doch iſt ein rechtes Verſtändniß des in jedem Lande wirklich vorhandenen, gültigen Syſtems des öffentlichen Bil - dungsweſens und ſeines Rechts ohne ſolche feſte Begriffsbeſtim - mungen, ja wenn man will ohne Schema, geradezu nicht möglich.

Drittens fehlt dieſem Theile der Wiſſenſchaft des öffentlichen Rechts, was ſo ziemlich auch allen andern fehlt, das Bewußtſein und die Erkenntniß der nationalen oder individuellen Geſtalt des Bildungsweſens in den Kulturländern. Wir haben namentlich in neueſter Zeit ſehr ſchöne Arbeiten über Englands und Frankreichs Bildungsweſen; aber wir haben keine Vergleichung derſelben, weil eben das feſte Syſtem, das tertium comparationis, mangelt.

Einer der Hauptgründe für dieſe Mängel beruht nun wohl auf der hiſtoriſchen Thatſache, daß bisher eine innere oder gar äußere Einheit, eine Gemeinſchaft des Bewußtſeins der Aufgaben und ihres organiſchen Ineinandergreifens für alle Theile des Bil - dungsweſens gefehlt hat und fehlt. Es exiſtiren noch ſehr wenig Berührungen zwiſchen den Lehrern in den Schulen, den Lehrern auf den Vorbildungsanſtalten und dem Profeſſorenthum an denVII Hochſchulen. Hier herrſcht noch das große hiſtoriſche Princip der ſtändiſchen Körperſchaften und ihrer Abgeſchloſſenheit. Es ſind noch ganz verſchiedene Welten, die Volksſchule, das Gymnaſium und die Univerſität. Und geht man gar hinüber in die Arbeit der allgemeinen Bildung, namentlich in die der Preſſe, wie weit iſt da die Erkenntniß entfernt, daß auch ſie den gleichen Beruf mit allen andern habe und daß ſie deßhalb mit jenen in innerer und äußerer Gemeinſchaft, in gegenſeitigem Heben und Tragen, wirken müßten.

Daß nun auch in dieſer Richtung ein unendlicher Fortſchritt geſchehen, iſt nicht zweifelhaft. Allein die Hauptſache bleibt zu thun. Es muß zu einem fundamentalen Princip des öffentlichen Lebens werden, daß alle Lehrer und alle Schriftſteller als Glieder Eines großen Organismus ſich in Einer und derſelben großen Ge - meinſchaft fühlen und wiſſen. Die erſte Bedingung für die Er - reichung dieſes Zieles iſt das wiſſenſchaftliche Syſtem, das ſie alle als Einheit auffaßt und in ihrem organiſchen Zuſammenwirken darſtellt. Und es iſt faſt wichtiger, daß überhaupt ein ſolches Syſtem aufgeſtellt werde, als daß es gerade ein unbedingt richtiges ſei. Die Wahrheit dieſes Satzes liegt in dem Obigen. So habe ich verſucht, das Syſtem aufzuſtellen, mit ſo viel Mitteln und Arbeits - kraft, als mir zu Gebote ſtanden. Und dabei gebe ich Eine Hoff - nung nicht auf.

Ein großer, nicht hoch genug anzuſchlagender Theil der gei - ſtigen Arbeit Deutſchlands liegt auf ſeinen Lehrſtühlen. Sie lehren nicht bloß, ſondern ſie zwingen den Lehrer zu lernen; viel mehr ſogar zu lernen, als er zu lehren vermag. Daher hat erſt der - jenige Theil des menſchlichen Wiſſens, der ſich ſeinen Platz auf einem Lehrſtuhle errungen, ſeine wahre Bedeutung gewonnen; denn der tägliche Vortrag iſt die Quelle der ewigen Jugend des Geiſtes. Nun haben wir allerdings Lehrſtühle der Pädagogik und Metho - dologie; allein wir haben gar keinen Lehrſtuhl für das Bildungs - weſen. Die ganze Arbeit unſerer Wiſſenſchaft beruht auf dem, was geſchehen ſoll für das geiſtige Leben; wie es geſchehen ſoll, das hat die Wiſſenſchaft bisher ganz der Praxis überlaſſen. Und doch iſt jenes ohne dieſes eine Seele ohne Körper; obwohl der StaatVIII Aemter und öffentliche Organe für die Verwaltung der Bildung ſeiner Angehörigen genug hat eine Verwaltungslehre für dieſe Organe beſitzt er nirgends. Das iſt ein großer Mangel. Und mit unſeren beſten Gefühlen ſprechen wir die herzliche Hoff - nung aus, daß auch das öffentliche Bildungsweſen recht bald ſeinen Lehrſtuhl an jeder Univerſität finden möge, wo ja doch die Geſundheitspflege und die Polizei, die Vor - mundſchaft und das Grundbuch, die Land - und die Forſtwirthſchaft und hundert andere Dinge ihren Platz, ihre Vertretung und ihre Koryphäen gefunden haben, wahrlich nicht zum Schaden des deut - ſchen Volkes!

Deßhalb nun, um auch dafür ein Subſtrat zu liefern, haben wir dieſe Arbeit unternommen. Wie allgemein und ernſt aber die Theilnahme an dieſen Fragen iſt, zeigt das lebendige Leben in Geſetzgebung und Literatur, die dieſen Gebieten angehören und die zum Theil erſchienen ſind, während unſere Arbeit gedruckt wurde. In der Geſetzgebung namentlich weiſen wir auf die entſtehende öſterreichiſchen und bayeriſchen neuen Schulgeſetze hin, die vom Geiſte des entſchiedenſten Fortſchrittes durchdrungen ſind. Die Lehrertage ihrerſeits arbeiten mit aller Kraft und wirken nach allen Richtungen. Namentlich aber ſchreitet unſere Zeit faſt mit Rieſenſchritten auf dem Felde der wirthſchaftlichen Vor - und Fachbildung fort, und jede Statiſtik wird hier von den Thatſachen überholt. Unſere Sache war es nicht, uns auf Statiſtik einzulaſſen. Es iſt ſehr noth - wendig, hier das große Princip der Arbeitstheilung aufrecht zu halten. Wir fordern das nicht für ſolche Arbeiten wie L. Wieſe’s höheres Schulweſen in Preußen, das einen ganz ſpeciellen amt - lichen Zweck hat, und das in ſeinem Anhang S. 622 ff. gewiſſe einſchlagende Inſtruktionen, Reglements und Statuten und der - gleichen mehr (!) zuſammenſtellt, ohne irgend einen Plan und ohne Ordnung, weil jene Verwaltung rein für ihre eigenen Zwecke arbeitet. Wohl aber fürchten wir geradezu, daß die meiſt ſehr bequeme Tendenz zur Sammlung von allerlei ſtatiſtiſchen Daten die eigentliche Arbeit der Wiſſenſchaft, das wahre organiſche Ver - ſtändniß des Ganzen, ein wenig verdränge. Was für die VerbindungIX der Statiſtik dieſes Gebietes mit der Staatenkunde überhaupt ge - ſchehen kann, dafür gibt Brachelli uns ein hochachtungswerthes Beiſpiel. Nur wenn wir uns die Arbeit theilen, werden wir des faſt übermächtigen Stoffes Herr werden. Und wir nun glauben unſrerſeits, daß dieß dadurch geſchehen wird, daß die Statiſtik ſich an das Syſtem der Wiſſenſchaft anſchließt denn dieſe ſoll das organiſche Weſen, jene die äußeren Grenzen der lebendigen That - ſachen geben. Können daher beide ein verſchiedenes Syſtem haben?

Wir können nicht ſchließen, ohne einer Arbeit zu erwähnen, die wir nicht mehr haben benützen können. Wir meinen A. Beer und F. Hochegger: Die Fortſchritte des Unterrichtsweſens in den Kulturſtaaten Europa’s 1867. Erſter Band. Die Arbeit ſcheint zunächſt aus einer Reihe von Journalartikeln entſtanden zu ſein und behält dieſen Charakter auch in ihrer gegenwärtigen Form. Wenn man einen ſyſtematiſchen Gedanken über das Bildungsweſen mitbringt, iſt vieles in dieſem Werke recht gut zu benutzen. Auf Vollſtändigkeit macht es wohl ſelbſt weder für Frankreich noch für Oeſterreich einen Anſpruch. Die Literatur iſt, wie es ſcheint, grund - ſätzlich nicht berückſichtigt; ebenſowenig iſt die pragmatiſche Geſchichte der Geſetzgebung gegeben. Was namentlich Frankreich betrifft, ſo iſt die eigentliche Bedeutung der Geſetze von 1833 und 1850 und 1852 kaum recht verſtanden, das Syſtem Duruy weit überſchätzt; die Zuſammenſtellung des Collège de France mit der Univerſität (namentlich S. 63) läßt einigen Zweifel darüber entſtehen, ob das Weſen der letzteren überhaupt richtig erfaßt iſt; die Behauptung, daß die École polytechnique an der Spitze des techniſchen Stu - dienweſens ſtehe, iſt uns unbegreiflich geblieben. Was Oeſterreich betrifft, ſo iſt Fickers Abhandlung bei Schmid an exactem Mate - rial weit reicher, wird aber gar nicht angeführt; auch auf Hel - fert wird keine weitere Rückſicht genommen. Wie es möglich war, in einer wiſſenſchaftlichen, für das ganze deutſche Publikum be - ſtimmten Arbeit die lokale und höchſt unfertige Kategorie der ſog. Mittelſchule, bei der man ſich ſtets zu viel oder zu wenig denken muß, beizubehalten, iſt uns unverſtändlich geblieben. Das WerkX liefert einen neuen Beweis dafür, daß ohne ſtrenge, wiſſenſchaft - liche Ordnung und ſpeciell ohne Unterſcheidung von gelehrter und wirthſchaftlicher, von Vor - und Fachbildung, die Behandlung auch ganz bekannter Stoffe kein recht faßbares Reſultat ergeben kann. Uebrigens wird ſelbſt der Fachkundigſte aus der geſchmackvollen Bearbeitung viel lernen. Fehlt das Inhaltsverzeichniß, weil das Syſtem fehlt? Wir ſind namentlich auf den Band geſpannt, der England behandeln wird. Das Verſtändniß des engliſchen Bil - dungsweſens wird von jetzt an der Prüfſtein für das Verſtändniß des Bildungsweſens überhaupt bleiben; erſt bei England erkennt man, daß ein Nebeneinanderſtellen noch ſehr weit von einer Vergleichung entfernt iſt.

Wir haben uns entſchloſſen, die Darſtellung des Allgemeinen Bildungsweſens äußerlich von der der Elementar - und Berufsbil - dung zu ſcheiden. Es wird das wohl der Einheit des Gedankens keinen Eintrag thun. Aber die Preſſe forderte ihre eigene Behand - lung und wir möchten viel lieber im Intereſſe der Sache wünſchen, daß unſere Leſer in dieſer äußeren Scheidung das Gefühl des in - neren Zuſammenhanges, als bei äußerer Verbindung das der in - neren Entfremdung beider Theile mit ſich nähmen.

Wien, Ende 1867.

Dr. L. Stein.

[XI]

Inhalt. Die Verwaltung und das geiſtige Leben.

  • Seite
  • EinleitungXVII
  • Allgemeiner Theil.
  • I. Begriff und Weſen der Bildung an und für ſich.
  • I. Begriff der Bildung1
  • II. Die drei Grundformen der Bildung: Weſen der Elementar -, der Be - rufs - und der allgemeinen Bildung, und ihr organiſches Verhältniß zu einander3
  • III. Das Bildungsweſen und ſein Syſtem8
  • II. Das öffentliche Bildungsweſen.
  • I. Begriff des Bildungsrechts12
  • II. Princip und Syſtem des öffentlichen Bildungsrechts13
  • III. Geſchichte der verwaltungsrechtlichen Auffaſſung im Ganzen16
  • IV. Geſchichtliche Entwicklung20
  • 1) Das geſellſchaftliche und das ſtaatliche Princip des Bildungsrechts20
  • 2) Die Stadien des öffentlichen Bildungsweſens in der Geſchichte22
  • V. Der Charakter des Bildungsweſens in den Hauptſtaaten Europas39
  • England43
  • Frankreich45
  • Deutſchland52
  • Belgien53
  • Holland55
  • Italien56
  • Die Schweiz59
  • Schweden62
  • Rußland63
  • Serbien64
  • Rumänien65
  • XII
  • Beſonderer Theil.
  • Seite
  • Syſtem67
  • Erſter Theil. Das Volksſchulweſen.
  • Allgemeiner Theil.
  • I. Der Elementarunterricht an ſich71
  • II. Das Volksſchulweſen. Die Principien ſeines Rechts und ſeiner Verwaltung73
  • III. Das Volksſchulweſen der großen Kulturvölker78
  • 1) Was man als Charakter des Volksſchulweſens zu bezeichnen hat78
  • 2) Deutſchlands Volksſchulweſen und die Elemente ſeiner Geſchichte81
  • 3) Die Nachbildungen des deutſchen Volksſchulweſens in Holland und Dänemark92
  • 4) Englands Volksſchulweſen und das Syſtem der Staatsunterſtützung93
  • 5) Frankreichs Volksſchulweſen und die Instrnction primaire100
  • 6) Die franzöſiſchen Nachbildungen im Volksſchulweſen von Belgien, Italien und der Schweiz109
  • Beſonderer Theil.
  • Das Syſtem des Volksſchulrechts113
  • Erſte Gruppe. Oeffentliche Volksſchule114
  • A. Organismus der Verwaltung114
  • B. Das Schulrecht (Schulpflicht und Schullaſt) 121
  • C. Das Lehrerrecht128
  • D. Die Lehrordnung (das Schulenſyſtem, das Klaſſenſyſtem und die Bürgerſchule) 136
  • Zweite Gruppe. Privatſchulen145
  • Weſen und Recht derſelben145
  • Zweiter Theil. Berufsbildungsweſen.
  • Allgemeiner Theil.
  • I. Der Beruf und die Berufsbildung an ſich149
  • II. Das öffentliche Berufsbildungsweſen, ſein Recht und ſein Syſtem159
  • 1) Begriff und Princip159
  • 2) Das Rechtsſyſtem des öffentlichen Berufsbildungsweſens an ſich161
  • III. Charakter des öffentlichen Rechts der Berufsbildung bei den großen Kulturvölkern165
  • 1) Charakter dieſes Bildungsweſens nach dem Standpunkte Englands, Frankreichs und Deutſchlands165
  • XIII
  • Seite
  • 2) Charakter und Recht des Prüfungsweſens in dieſen Ländern170
  • a) Princip, Syſtem und Recht an ſich170
  • b) Elemente der Geſchichte des Prüfungsweſens171
  • c) Prüfungsweſen der Gegenwart176
  • d) Charakter und Recht des Prüfungsweſens in den Hauptſtaaten Europas181
  • Beſonderer Theil.
  • Die öffentlich rechtliche Organiſation der Berufsbildungsſyſteme bei den Hauptvölkern Europas190
  • Deutſchlands Berufsbildungsſyſtem.
  • Charakter191
  • Erſtes Gebiet. Das gelehrte Berufsbildungsſyſtem193
  • A. Das gelehrte Vorbildungsſyſtem (die gelehrten und hohen Schulen, Gymnaſien, Lyceen, Athenäen, Collegien) 193
  • I. Begriff und Formen der gelehrten Schulen193
  • II. Elemente der Entwicklung des hohen Schulweſens zum Gym - naſialweſen der Gegenwart (die Gymnaſialfragen) 196
  • III. Die Elemente des Gymnaſialweſens der Gegenwart209
  • B. Das gelehrte Fachbildungsſyſtem (das Univerſitätsweſen) 218
  • Zweites Gebiet. Das wirthſchaftliche Berufsbildungsſyſtem233
  • Weſen deſſelben233
  • Die Elemente der hiſtoriſchen Entwicklung des gegenwärtigen Syſtems238
  • A. Wirthſchaftliches Vorbildungsſyſtem248
  • I. Weſen deſſelben248
  • II. Das Syſtem der gewerblichen und wirthſchaftlichen Bildungs - anſtalten (die Fortbildungs - und die Vorbildungsſchulen) 250
  • III. Das öffentliche Recht des wirthſchaftlichen Vorbildungsſyſtems253
  • B. Das wirthſchaftliche Fachbildungsſyſtem261
  • I. Allgemeiner Charakter261
  • II. Begriff und Elemente der geſchichtlichen Geſtaltung der wirth - ſchaftlichen Fachbildung262
  • III. Das öffentliche Recht und die Organiſation des wirthſchaft - lichen Fachbildungsſyſtems (Herſtellung der Anſtalten, Lehrſyſtem, Prüfungsweſen) 268
  • Drittes Gebiet. Das künſtleriſche Berufsbildungsweſen282
  • Frankreichs Berufsbildungsſyſtem.
  • I. Charakter und hiſtoriſche Entwicklung bis zur Gegenwart286
  • II. Das Syſtem296
  • Charakter deſſelben296
  • A. Gelehrte Berufsbildung in Verbindung mit der wirthſchaftlichen (Bifurcationsſyſtem in lettres und sciences) 299
  • XIV
  • Seite
  • I. Vorbildungsweſen: gelehrt und wirthſchaftlich (Instruction se - condaire) 299
  • II. Gelehrte und wirthſchaftliche Fachbildung (die Instruction supérieure oder das Syſtem der Facultés. Das Collège de France und die Specialinſtitute) 307
  • A. Das Syſtem der Facultés308
  • B. Das Collège de France311
  • C. Specialinſtitute312
  • B. Die ſelbſtändige wirthſchaftliche Berufsbildung in Frankreich. (Außerhalb der Université) 313
  • A. Conservatoire des arts et métiers315
  • B. Specialſchulen316
  • C. Künſtleriſche Fachbildung318
  • Englands Berufsbildungsweſen.
  • I. Allgemeiner Charakter319
  • II. Grundzüge deſſelben324
  • III. Die Colleges und die Universities. (Das ſtändiſche Vor - und Fach - bildungsweſen der wiſſenſchaftlichen Bildung) 326
  • V. Das ſtaatsbürgerliche Bildungsweſen331
[XV]

Die Verwaltung und das geiſtige Leben.

(Das Bildungsweſen.)

[XVI][XVII]

Die Verwaltung und das geiſtige Leben. (Das Bildungsweſen.)

Einleitung.

I.

Die Verwaltungslehre hat nun in ihrem erſten Haupttheile das phyſiſche Leben der Perſon in denjenigen Verhältniſſen dar - gelegt, in denen es theils die Bedingungen ſeiner Entwicklung von der Gemeinſchaft empfängt, theils ſelbſt eine dieſer Bedingungen der letzteren wird. Die Verwaltung dieſes phyſiſchen Lebens ent - hält die Geſammtheit der Aufgaben und Thätigkeiten, vermöge deren der Staat als perſönliche Geſtalt der Gemeinſchaft für jenes phy - ſiſche Leben der Perſon dieſe Bedingungen herſtellt. So entſtand das, was wir den Erſten Theil der Innern Verwaltung genannt haben.

Das zweite große Gebiet des menſchlichen Daſeins nun iſt das geiſtige Leben. Die Welt des Geiſtes iſt zwar untrennbar mit der des Leibes verbunden; allein dennoch iſt ſie in Weſen, Ent - wicklung und Ziel eine ſelbſtändige. Es iſt nicht nothwendig, ihre hohe Bedeutung hier hervorzuheben. Daß in ihr die Grundlage und der letzte Ausgangspunkt alles menſchlichen Daſeins gegeben iſt, iſt gewiß. Ebenſo gewiß iſt aber auch, daß dieſe geiſtige Welt der phyſiſchen in denjenigen Grundverhältniſſen, mit denen ſie ſich der Geſammtheit und der Gegenſeitigkeit des Lebens, Werdens undStein, die Verwaltungslehre. V. 11XVIIIVergehens zuwendet, gleichartig organiſirt iſt. Auch ſie hat Be - dingungen, welche ſie durch ſich ſelber nicht herzuſtellen vermag; auch ſie iſt eine der großen, vielleicht die größte Bedingung der geſammten Entwicklung der Menſchheit. Auch ſie bildet daher eine Aufgabe der Thätigkeit der Innern Verwaltung. Und die Geſammt - heit der Grundſätze, Geſetze, Thätigkeiten und Anſtalten, vermöge deren die Innere Verwaltung die, den Einzelnen unerreichbaren Bedingungen ſeiner individuellen geiſtigen Entwicklung und damit des geiſtigen Lebens der Völker herſtellt, nennen wir das Bil - dungsweſen.

Von allen Theilen der Verwaltungslehre iſt nun das Bildungs - weſen nicht bloß ſeinem Umfang, ſondern auch ſeinem Inhalt nach das ſchwierigſte. Das geiſtige Leben überhaupt iſt nicht allein un - endlich groß und vielgeſtaltig, ſondern die Beziehungen deſſelben ſind ſo mannigfach, daß ſie ſchwer eine feſte Geſtalt gewinnen und daher ſchwer eine feſte Darſtellung annehmen. Es iſt ſeinem in - nerſten Weſen nach frei und beſtändig geneigt, ſich einer äußern, beſtimmten Ordnung zu entziehen. Es wechſelt in ſeinen Formen am meiſten, weil eben in dieſen ſeinen Formen der Wechſel des ganzen Lebens zum höchſten geiſtigen Ausdruck gelangt. Es hat daher, wie das Folgende es zeigen wird, auch noch bei vielfach tiefgehender Erörterung des Einzelnen, im Ganzen und in ſeiner vollen organiſchen Einheit keine Bearbeitung gefunden. Und es iſt daher nothwendig vielleicht am nothwendigſten in der ganzen Verwaltungslehre ſich über die leitenden Grundbegriffe und ebenſo über ihre Namen einig zu ſein, ehe man in das Ein - zelne eingeht.

II.

Die erſte Vorausſetzung an ſich und beſonders im Hinblick auf die bisherigen Bearbeitungen iſt nun dafür wohl die, das Ver - hältniß der Verwaltungslehre zur Lehre vom geiſtigen Leben und ſeinen Grundformen feſtzuſtellen.

Wir nennen das geiſtige Leben, inſofern es aus einzelnen Kenntniſſen und Fähigkeiten beſteht, die ihrerſeits durch ArbeitXIX erworben und wieder durch Arbeit verwerthet werden, die geiſtige Güterwelt. Die einzelne Kenntniß und Fähigkeit, als Produkt geiſtiger Arbeit und wirthſchaftlicher Verwendung, und als Moment an der Produktion neuer Güter, iſt das geiſtige Gut, das neben ſeinem ſittlichen auch einen ſehr beſtimmten wirthſchaftlichen Werth hat und daher ſogar täglicher Gegenſtand des Verkehrs ſein kann. Die Grundſätze und Geſetze, nach welchen dieſe geiſtigen Güter dem Einzelnen durch die Mitarbeit Anderer erworben werden, bilden die Pädagogik. Die formalen Regeln der Lehre ſind in der Methodologie enthalten. Der Proceß dieſer Produktion des geiſtigen Güterlebens iſt die Bildung. Das ſind lauter Begriffe, welche noch im reinen Weſen der geiſtigen Perſönlichkeit liegen.

So bald nun alle dieſe Verhältniſſe und Aufgaben nicht mehr durch Willkür und Neigung des Einzelnen, ſondern durch den be - wußten Willen der Gemeinſchaft der Menſchen beſtimmt werden, entſteht auch hier der Begriff und die Thätigkeit der Verwaltung oder das Bildungsweſen. Das Bildungsweſen hat daher die Päda - gogik, die Methodologie und den Begriff der Bildung voraus - zuſetzen. Das Bildungsweſen als Inhalt der Verwaltungslehre hat ſeinerſeits zur Aufgabe, die Geſtalt der bildenden Arbeit als beſtimmten Inhalt des Willens des Staats und damit als Bil - dungsrecht das öffentliche Recht der Ordnung für dieſe Bil - dung aufzuſtellen. Das öffentliche Bildungsweſen als Inhalt der Verwaltungslehre muß daher in jenen an ſich ganz freien und oft rein willkürlichen Proceß der bildenden Arbeit und der Pro - duktion der geiſtigen Güter eines Volkes feſte Kategorien hinein - bringen und beſtimmte Gränzen und Grundbegriffe in dem Fluß des geiſtigen Lebens[aufſtellen]. Wenn daher die Pädagogik und Methodologie lehren, wie die Bildung im Ganzen oder in ihren einzelnen Gebieten erworben werden ſoll den, durch das Weſen der Wiſſenſchaft geforderten Proceß der Produktion der geiſtigen Güter ſo lehrt das Verwaltungsrecht des Bildungsweſens, wie die Bildung durch die[organiſirte] Thätigkeit der Gemeinſchaft er - worben wird. Während für Pädagogik und Methodologie die Bildung als ein Werden und eine Arbeit erſcheint, erſcheint dieſelbeXX für die Verwaltungslehre als die beſtimmte äußere Geſtalt und Ordnung der Bildungszweige, Organe und Anſtalten, vermöge deren eben die Verwaltung und nicht mehr der Einzelne, jene bil - dende Thätigkeit als eine Aufgabe der Gemeinſchaft gegen ſich ſelbſt vollzieht. Erſt in der Verwaltungslehre gewinnt mithin die Bildung ihre feſte Geſtalt; und in dieſer objektiven Kriſtalliſirung des Bil - dungsweſens durch das Verwaltungsrecht liegt eigentlich der Werth und die formell höchſt wichtige Aufgabe der Verwaltungslehre gegen - über der abſtracten Wiſſenſchaft der Bildung.

Es hat nun einen großen Werth, ſich über dieß Verhältniß klar zu ſein. Denn es ergibt ſich daraus, daß das Bildungsweſen auf dieſe Weiſe erſt durch die Verwaltungslehre und ihr Recht eine praktiſche Wiſſenſchaft wird. Die Thätigkeiten und Anſtalten des Staats ſind am Ende der große Organismus, der die allgemeinen Principien der Bildungslehre verwirklichen ſoll; und dieſer Orga - nismus bringt nun ſeine Grenzen, ſeine Forderungen, ſeine Natur in die abſtrakten Wünſche und Beſtrebungen der Pädagogik und Methodologie hinein; alles Gute und Schlimme, Fortſchritt und Rückſchritt werden erſt wirklich durch das, was der Staat zum geltenden Bildungsrecht erhebt; was für die Bildung wirklich ge - ſchieht, geſchieht erſt durch die Verwaltung. Ohne eine ſelbſtändige Verwaltungslehre des Bildungsweſens wird daher jede Bearbeitung des letzteren entweder unpraktiſch oder werthlos.

Nun iſt es bis auf die neueſte Zeit ſo geweſen, daß die päda - gogiſchen Arbeiten eben dieſe praktiſche Seite des Bildungsweſens, ſein öffentliches Recht, entweder gar nicht, oder in ganz unter - geordneter Weiſe behandelt haben. Sie ſind daher auch zu keinem feſten Syſtem gekommen und eine wahre ſyſtematiſche Vergleichung iſt dadurch unthunlich geworden. Die Aufgabe des Folgenden iſt es nun, womöglich die feſten Elemente des öffentlichen Rechts und damit der Vergleichung des wirklich vorhandenen Bildungsweſens in der Weiſe aufzuſtellen, daß die beiden Zwecke, welche die Ver - waltungslehre hat, dadurch angebahnt werden; einerſeits, daß die Natur der großen öffentlich rechtlichen Inſtitutionen für das Bil - dungsweſen und ſein Recht in ihrem innern Zuſammenhange mitXXI dem poſitiv Geltenden erſcheinen, andererſeits, daß die Verſchieden - heit dieſes Rechts auf ihre wahre Quelle, die geſellſchaftliche und ſtaatliche Individualität der einzelnen Völker zurückgeführt werde.

Wird nun das erreicht, ſo iſt damit auch die Grundlage für ein Weiteres gegeben. Es iſt zwar unmöglich, den ganzen Stoff zu bewältigen und ebenſo unmöglich, die weitere Entwicklung des Rechts der Bildung beſtändig zu verfolgen. Aber Eins iſt mög - lich und darum auch nothwendig. Es müſſen die großen Grund - formen des Bildungsweſens, die in allem Wechſel des Rechts die - ſelben bleiben, feſtgeſtellt und es muß damit der Weg dafür ge - funden werden, daß jeder, dem die organiſche Grundgeſtalt des Ganzen klar iſt, nunmehr ohne Schwierigkeit die Stelle und die innere Bedeutung neuer Rechte, Anſtalten und Geſetze beſtimmen und meſſen könne. Das iſt das Streben der ſyſtematiſchen, or - ganiſchen Seite des Folgenden. Und gelänge das, ſo wäre es möglich, das Bildungsweſen und ſein Recht als ſelbſtändige Doctrin neben der Lehre von demjenigen hinzuſtellen, was jene Anſtalten lehren ſollen.

III.

Um dieſer Aufgabe auf allen Punkten zu entſprechen, haben wir unſere Arbeit nach folgenden Geſichtspunkten eingetheilt.

Der Allgemeine Theil geht davon aus, daß das Bil - dungsweſen ein Ganzes iſt, deſſen drei Gebiete ihrem Weſen und ihren Bedingungen nach nicht von einander getrennt ſind. Das Bildungsweſen als Verwaltungsaufgabe hat daher in allen ſeinen Theilen zunächſt ein gemeinſames Princip und für alle ſeine Thätig - keiten einen gemeinſamen Geiſt und Charakter, der ſich am Ende jedes ſpecielle Gebiet unterordnet. Und dieſen behandelt der All - gemeine Theil.

Der beſondere Theil faßt dagegen die einzelnen großen Gebiete des Bildungsweſens in ihrem Charakter und Recht für ſich auf und läßt die Thätigkeit und die Anſtalten der Verwaltung für jeden dieſer Theile wieder als ſelbſtſtändiges Ganze für ſich er - ſcheinen. Die drei Theile, in welche derſelbe zerfällt, enthaltenXXII daher zunächſt drei Aufgaben für ſich, eine jede nach den ihrem Weſen entſprechenden ſyſtematiſchen Elementen und wiederum nach derjenigen Geſtalt dargeſtellt, die ſie in jedem der großen Kultur - völker durch Geſchichte und Nationalität empfangen haben.

Das Kriterium des Werthes und der Richtigkeit dieſes ver - waltungsrechtlichen Syſtems wird dann in der Erfüllung der oben angegebenen Forderung durch daſſelbe beſtehen, daß jede auf die geſammte Verwaltung der geiſtigen Welt bezügliche Frage und jedes dazu gehörende Material ſowohl an neuen Geſetzen als auch an Statiſtik in demſelben ſeinen natürlichen Platz, und vielleicht auch einige für die Beurtheilung maßgebende Geſichtspunkte findet.

Das Kriterium des Werthes und der Richtigkeit[unſrer] Ge - ſammtauffaſſung aber wird darauf beruhen, ob es uns gelingt, die Ueberzeugung zu ſchaffen, daß alles wahre öffentliche Bildungs - weſen mit ſeinem machtvollen und nie ruhenden Organismus, mit ſeinen Grundſätzen und Anſtalten, mit ſeinen objektiv geltenden Beſtimmungen und mit ſeiner freien Thätigkeit das zum öffent - lichen Recht erhobene Bewußtſein des Staats von der auf pädagogiſcher Grundlage beruhenden Aufgabe ſeiner gei - ſtigen Verwaltung, und damit die organiſch gewordene und als ſolche erkannte Arbeit des Geiſtes für den Geiſt iſt.

[1]

Allgemeiner Theil.

I. Begriff und Weſen der Bildung an und für ſich.

I. Begriff der Bildung.

Um das weite Gebiet, welches vor uns liegt, klar zu überſehen, wird es nothwendig, zuerſt die einfachſten Grundbegriffe aufzuſtellen, und daran erſt die weitere Entwicklung derſelben anzuſchließen.

Die Grundlage aller Bildung iſt das, was wir das geiſtige Gut nennen. Es ſcheint nicht nothwendig, hier dieſen Begriff weiter zu erklären. Das organiſche Weſen des menſchlichen Geiſtes macht es nun zwar möglich, ein einzelnes geiſtiges Gut, eine einzelne Kenntniß oder Fähigkeit zu erwerben; aber es iſt unmöglich, bei dieſem Einzelnen ſtehen zu bleiben. Wie daſſelbe einerſeits aus der Anſtrengung des ganzen geiſtigen Lebens hervorgeht, ſo wirkt das erworbene andrerſeits auch auf das ganze geiſtige Leben wieder ein. Es gibt keine einzelne Kennt - niß oder Fähigkeit, kein einzelnes geiſtiges Gut für ſich. Sie ſtehen alle unter einander in lebendigem, ſich gegenſeitig erzeugenden Zuſam - menhang. Bei welchem einzelnen Gute der Menſch auch beginnen mag, immer ergibt ſich für ihn ein geiſtiges inneres Leben, in welchem er die äußere Welt in ſeinem Geiſte in ſich trägt, und das geiſtige Daſein der Dinge, eine unſichtbare Welt der Begriffe und Kräfte entwickelt, vermöge deren er die wirkliche ſich zum Verſtändniß bringt und ſie ſeinen Zwecken unterwerfen kann. Dieſen Zuſtand des Einzelnen nennen wir ſeine Bildung.

Allein ſo wenig es ein für ſich allein beſtehendes einzelnes geiſtiges Gut gibt, ſo wenig iſt auch das geiſtige Leben des Einzelnen etwas für ſich allein beſtehendes. Wie das geiſtige Element ſeinem Weſen nach allgemein iſt, ſo iſt auch das Ergebniß daſſelbe. Es geht ſtets über die Gränze des Einzellebens hinaus. Es theilt ſich von dem EinenStein, die Verwaltungslehre. V. 12dem Andern mit. Es erzeugt ſich bei dem Einen durch den Andern. Der Einzelne wird mit dem, was er geiſtig beſitzt, zum Maß und Vorbild, mit dem was er dadurch gilt, zum Sporn, mit dem was er dadurch thut, zum Lehrer und Erzieher des Andern. Die Bildung iſt daher an und für ſich keine ruhende Thatſache, ſondern ſie iſt ihrem höheren Weſen nach ein beſtändig wirkender, lebendiger Proceß, vermöge deſſen und in welchem die menſchliche Gemeinſchaft die geiſtigen Güter für jeden Einzelnen durch organiſche, mehr oder weniger bewußte Thätigkeit, hervorbringt, und jede Bildung wird dadurch zu einem geiſtigen Zuſtand der Vertheilung und des Umfangs dieſer geiſtigen Güter durch jenen Proceß, den ich in einem gegebenen Momente als Thatſache auffaſſen kann. Wir nennen einen ſolchen Zuſtand, inſofern er zugleich einen hohen ſittlichen Inhalt hat, die Geſittung oder Civiliſation. Die Elemente der Geſchichte der Geſittung ſind daher vor allen Dingen in dem Bildungsweſen einer Zeit und eines Volkes gegeben. Das Syſtem des letzteren wird zur Baſis der erſteren; ohne jenes bleibt das Urtheil über dieſes ſtets in der Sphäre des ſubjek - tiven Eindrucks, und wenn die tiefer eingehende Geſchichtſchreibung überhaupt das Studium der Verwaltungslehre und des Verwaltungs - rechts künftig vorausſetzen wird, ſo wird die Geſchichte des menſchlichen Geiſtes ohne das Studium des Bildungsweſens ewig eine unfertige bleiben.

Indeß iſt es unſre Aufgabe nicht, dieß ſpeziell zu verfolgen. Wir haben vielmehr das Verhältniß der Bildung zum Staate und zur Verwaltung auf ſeine letzten Grundlagen zurückzuführen.

Iſt nämlich die Bildung und Geſittung ein ſo gewaltiger Faktor des Lebens, ſo wird ſie ſo wenig ſich dem Einfluſſe des Staats ent - ziehen, wie der Staat es vermag, ſich gegen ſie gleichgültig zu verhalten. Allein der Ausdruck Bildung bedeutet etwas ſo Allgemeines und Unbeſtimmtes, daß ein Verſtändniß dieſes Verhältniſſes erſt da beginnen kann, wo die Bildung durch Auflöſung in ihre elementaren Grund - formen ſelbſt eine feſte Geſtalt gewinnt. Es iſt kein Zweifel, daß es Sache der Pädagogik iſt, dieſe Auflöſung zu vollziehen. Allein wir können dieſelbe dennoch nicht als bekannt oder anerkannt vorausſetzen. Der Mangel des verwaltungsrechtlichen Elements in der Pädagogik hat hier eine umfaſſende, ausreichende Auffaſſung nicht entſtehen laſſen. Nicht daher um neue Begriffe aufzuſtellen, ſondern um die bekannten ſo zu ordnen, daß ſie der Verwaltungslehre genügen, müſſen wir den oben bezeichneten abſtrakten Begriff der Bildung genauer betrachten, ehe wir zu dem Inhalt des öffentlichen Bildungsrechts gelangen können.

Jener Begriff der Bildung nämlich, wie wir ihn aufgeſtellt, enthält ſchon den Punkt, von welchem die Wiſſenſchaft allein zu dem Begriff3 und Verſtändniß dieſes öffentlichen Bildungsrechts gelangen kann. In der That nämlich gibt es darnach überhaupt keine Bildung eines Einzelnen. Jeder Einzelne iſt vielmehr im Leben des Geiſtes zugleich ein Reſultat und ein mitwirkender Faktor der Bildung; jede Bildung des Einzelnen, jeder geiſtige Beſitz ſteht in der Mitte der großen Kette, welche die geiſtige Welt aller unter einander verbindet. In jeder individuellen Bildung ſpiegelt ſich die geiſtige Arbeit der ganzen geiſtigen Welt wieder, wie das Licht der Sonne in dem Thau - tropfen; jede individuelle Bildung gibt wieder das Ihrige für die Ge - ſammtbildung her, wie der Thautropfen die Wolke und den Strom bildet. Nichts iſt großartiger, nichts iſt lebendiger, ja nichts iſt ergrei - fender als dieſe tiefe, niemals ruhende, ewig ſich ſelbſt erzeugende Gegenſeitigkeit des geiſtigen Lebens aller Einzelnen und des Ganzen; nichts bringt ſo ernſte Beſcheidenheit in den Verſtand und ſo lebens - friſchen Muth in das Bewußtſein auch der höchſten Arbeit des Geiſtes, als dieß Bild, das ſich uns entrollt, wenn wir das was wir die Bil - dung nennen, als einen der wichtigſten, ja den allergewaltigſten Proceß der Weltgeſchichte anſchauen. Und wenn es die Aufgabe der Pädagogik iſt, nun ihrerſeits zu verſtehen, wie dieſer große Proceß im einzelnen Menſchen lebt und wirkt, ſo iſt es andrerſeits die Aufgabe der Verwaltungslehre, den zweiten Faktor derſelben, die menſchliche Gemeinſchaft in ihrer großen, den Volksgeiſt umfaſſenden Thätigkeit des Gebens und Empfangens der geiſtigen Güter zur Anſchauung zu bringen. Das iſt es, wornach wir zu ſtreben haben, und das iſt es, weßhalb die Pädagogik niemals ausreichen kann, wo es ſich um jene geiſtige Welt der Menſchheit handelt. Erſt wo ſich Pädagogik im höchſten Sinne des Wortes und Verwaltungslehre die Hände reichen, kann die Menſchheit ihr eigenes geiſtiges Leben und Werden erkennen, und durch das was ſie darin lernt, für Lernen und Lehre ſelbſt weiter gelangen.

Dieß zu verſuchen iſt die ſchwierige Aufgabe unſrer folgenden Arbeit. Um ſie zu erfüllen, müſſen wir aber zuerſt, wie geſagt, die Bildung ſelbſt in ihre drei Grundformen auflöſen. Erſt an ſie kann ſich in ver - ſtändlicher und zugleich praktiſcher Weiſe das anſchließen, was wir die Verwaltung des geiſtigen Lebens des Volkes zu nennen haben.

II. Die drei Grundformen der Bildung: Weſen der Elementar -, der Berufs - und der allgemeinen Bildung, und ihr organiſches Verhältniß zu einander.

Offenbar nämlich umfaßt das, was wir Bildung im weiteſten Sinne nennen, den ganzen einzelnen Menſchen und das ganze Volk. Der4 Proceß dieſer Bildung, ſei es nun, daß wir dabei von dem Ein - zelnen zum Ganzen oder vom Ganzen zum Einzelnen übergehen, wird daher in Form und Inhalt ein verſchiedener, nach den großen geiſtigen Momenten, welche das innere Weſen der Perſönlichkeit überhaupt beſtimmen.

Dieſe entſcheidenden Momente nun ſind die pſychologiſchen Geſetze der geiſtigen Bildung ſelbſt, dann der beſtimmte einzelne Lebenszweck, welcher der in der Bildung enthaltenen Güter des Geiſtes bedarf, und endlich das an ſich freie und unendliche Weſen der Perſönlichkeit, welches das geiſtige Gut an und für ſich, ohne Beziehung und Be - ſchränkung auf den beſtimmten Zweck fordert. Aus dem erſten Momente geht die Elementarbildung hervor, aus dem zweiten die Berufs - bildung, aus dem dritten die allgemeine Bildung.

Die Elementarbildung nämlich iſt ihrem Begriffe nach der Erwerb derjenigen geiſtigen Güter und Fähigkeiten, welche ſelbſt wieder nur die Vorausſetzung für die Berufs - und allgemeine Bildung ausmachen. Man hat daher mit gutem Recht geſagt, daß jede ſpezielle Bildung wieder ihre eigene Elementarbildung vorausſetzt und enthält; jede Berufs - und Fachbildung hat ihre Elemente, ohne welche ſie ſelbſt nicht gewonnen werden kann, aber mit denen ſie ſelbſt allerdings noch keineswegs gegeben iſt. Nun reden wir aber hier nicht in dieſem Sinne von dem Syſtem der Elementarbildung. Wir haben als ſolche vielmehr nur diejenige Bildung zu betrachten, welche die Elemente des Gebildet - werdens überhaupt enthält. Dieſe aber beſtimmen ſich wiſſenſchaftlich einfach durch den Begriff der Bildung ſelbſt. Indem nämlich jede Bil - dung das Ergebniß gegenſeitiger und gemeinſchaftlicher geiſtiger Arbeit iſt, iſt die Elementarbildung ſelbſt der Erwerb derjenigen Kenntniſſe und Fähigkeiten, welche die Vorausſetzung für die gegenſeitige geiſtige Mittheilung und damit für die Bildung eines jeden durch ſich ſelbſt und durch die geiſtige Arbeit anderer bilden. Das Weſen der Elementarbildung beſteht daher darin, an und für ſich keinen Werth in ſich ſelbſt, und keine abgeſchloſſene Beſtimmung zu haben, ſondern ihren Werth und ihre Beſtimmung erſt dadurch zu empfangen, daß durch ſie der Erwerb der Berufs - und allgemeinen Bildung möglich wird. Die Entwicklung der Elementarbildung für ſich iſt daher nicht denkbar ohne gleichmäßige Entwicklung der andern Bildungsgebiete; aber wenn ihr unmittelbarer Werth dadurch geringer wird, wird natürlich ihr mittelbarer, der dann auf jenem Verhältniß zu den übrigen Bildungs - gebieten beruht, ein um ſo größerer, und der Maßſtab dieſes Werthes iſt dann eben die Größe des Bedürfniſſes nach dem Inhalt und der Allgemeinheit derſelben.

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Die Berufsbildung iſt zweitens ihrem formalen Begriffe nach der Erwerb und Beſitz derjenigen geiſtigen Güter und Fähigkeiten, welche die geiſtigen Bedingungen der Verwirklichung eines beſtimmten einzelnen Lebenszweckes enthalten. Wir haben den Begriff des Berufes, aus dem ſich langſam aber ſicher das große und eigenthümliche Syſtem des Bildungsweſens entwickelt, ſpäter darzulegen. Klar iſt aber ſchon hier, daß jede Berufsbildung ſtets eine beſondere und weſentlich begränzte iſt, daß ſie daher nicht wie die Elementarbildung eine für alle Lebens - verhältniſſe gleichartige, und nicht eine von allen gleichmäßig geforderte ſein kann. Klar ſcheint es ferner, daß die Entwicklung der Berufs - bildung nicht von einer abſtrakten Wiſſenſchaft, ſondern von der der Berufe ſelbſt und damit vor allem von der geſellſchaftlichen Entwicklung der Gemeinſchaft abhängt. Klar iſt es endlich, daß dieſe Berufsbildung an Tiefe mit der allgemeinen Weltanſchauung einer Zeit und eines Volkes, an praktiſchem Werthe und techniſcher Breite dagegen mit der wirthſchaftlichen Entwicklung zuſammenhängt. Die Berufsbildung, ihrem Begriff nach ein allgemeines Bildungsſyſtem, iſt daher dasjenige Gebiet der Bildung oder des geiſtigen Lebens überhaupt, welches am meiſten zu einſeitiger und höchſt verſchiedener Entwicklung ſeiner einzelnen Theile Raum gibt. Nirgends ſind die Unterſchiede der Bildung ſogar in den einzelnen Epochen der Geſchichte größer und ſchlagender als hier; nirgends iſt es ſchwieriger ein allgemeines Bild zu gewinnen; aber nirgends iſt auch die eigentliche Arbeit größer, denn ſie geſchieht hier für einen beſtimmten Zweck und mit meßbarem Erfolge. Und deßhalb iſt die Darſtellung der Berufsbildung ſtets der ſchwierigſte Theil der Darſtellung geweſen und wird es bleiben.

Während ſomit der Beruf ſtets für einen ſpeziellen Zweck beſtimmt iſt, und die Berufsbildung daher auch nur die für dieſen ſpeziellen Zweck nothwendigen geiſtigen Güter umfaßt und gibt, bleibt die höhere Beſtimmung des Menſchen dennoch eine allgemeine, die ganze Fülle des geiſtigen Daſeins umfaſſende. Erſt darin, daß ihm dieſes nicht verſchloſſen bleibe, erfüllt ſich das Weſen der Perſönlichkeit. Ewig ſtrebt daher der Menſch darnach, mit ſeinen Gedanken und Anſchauungen über den engen Kreis ſeiner Einzelaufgabe hinauszutreten. Wie das Daſein der geſammten Welt, der geiſtigen wie der räumlichen, ſich in ihm wieder ſpiegelt, ſo ſucht und arbeitet er ewig darnach, dieſe Unend - lichkeit des Daſeins in beſtimmte Form zu faſſen, und ſich damit über ſeine begränzte Beſtimmung zu erheben. Er thut das in dem Gebiete wo das erkennende Wiſſen und die Wahrheit durch die Begründung aufhört, im Gebiete der reinen Weltanſchauung durch den Glauben in der Form der Religion; er thut es aber auch in dem Gebiete deſſen,6 was durch Sein oder Begriff, durch Bild oder Kenntniß ſich als be - ſtimmtes geiſtiges Gut formuliren läßt als Streben nach der allge - meinen Bildung. Die allgemeine Bildung hat keinen beſtimmten Inhalt; ſie umfaßt ihrer formalen Definition nach alles, was menſch - liche That in Wiſſenſchaft und Kunſt hervorgebracht; ſie erſcheint aber praktiſch in der Kenntniß deſſen, was jeden einzelnen Lebensberuf mit allen andern innerlich und organiſch verbindet, und enthält daher das Geſammtbild des geiſtigen Lebens der Menſchheit, im Einzel - bewußtſein ausgedrückt und geſtaltet. Nach einer ſolchen allgemeinen Bildung ſtrebt jede Zeit und jedes Volk; aber die Höhe aller Geſittung bleibt immer dadurch ausgedrückt und gemeſſen, daß die Erzeugung dieſer allgemeinen Bildung ſelbſt wieder als eine organiſche Aufgabe der Gemeinſchaft gegenüber dem Einzelnen, als eine Pflicht und ge - ordnete Thätigkeit derſelben erſcheint. Und dieſe geordnete Thätigkeit für dieſen Zweck nennen wir das allgemeine Bildungsweſen.

So erſcheinen dieſe drei Grundbegriffe aller Bildung: Elementar -, Berufs - und allgemeine Bildung, als die drei großen Functionen, in denen der Proceß der Bildung überhaupt beſteht. Allein ſowohl ihrer innern Natur nach, als auch für das richtige Verſtändniß des Zuſtandes und der Aufgabe der Verwaltung iſt es nothwendig, ſie nicht bloß als neben einander ſtehende und geſonderte Thätigkeiten, ſondern zugleich in ihrem innern Verhalten zu einander aufzufaſſen.

Ihr innerer Unterſchied und ihre äußern Gränzen liegen nämlich nicht in ihrem Weſen, ſondern in dem Bedürfniß und der Natur der Perſönlichkeit. Sie ſind innerlich Eins. Sie laſſen ſich daher auch äußerlich nie ganz trennen. Jeder Theil vermag von dem andern etwas in ſich aufzunehmen, und in dem Sinne des andern zu wirken, ſowohl der Form als dem Inhalt nach. Sie ſtehen daher, mögen ſie ſonſt äußerlich geſchieden und benannt ſein wie ſie wollen, ſtets im lebendigen Wechſelverkehr unter einander, und dieſer Wechſelverkehr iſt theils durch ihre Natur ſelbſt gegeben, theils tritt er in der bildenden Arbeit der Gemeinſchaft mehr oder weniger klar hervor, und wird zuletzt in derſelben für ihren höchſten und letzten Erfolg auch im Ein - zelnen entſcheidend.

Das Weſen der Elementarbildung fordert nämlich, daß ſie zunächſt der Form nach die gleiche für alle ſei; aber ſelbſt in dieſer Form hat ſie die Fähigkeit, gewiſſe Elemente des Berufs und der allgemeinen Bildung in ſich aufzunehmen und mitzutheilen. Das iſt es, was ihr ihre höhere Bedeutung gibt, und die Art und das Maß in welcher dieß in der Elementarbildung wirklich geſchieht, iſt das erſte charakteri - ſtiſche Kennzeichen für die Höhe des Bildungsweſens überhaupt. Die7 Berufsbildung muß nun allerdings zunächſt eine beſondere ſein; allein ihr gegenüber, oder in ihr, iſt es die allgemeine Bildung, welche wieder die Einzelnen über die in der Berufsbildung geſetzten Verſchie - denheiten erhebt. Ihre große Function iſt es, die geiſtige Begränzung des innern Lebens, die in der letztern unabweisbar ſich zu erzeugen ſtrebt, wieder aufzuheben, und durch ſich die Idee der Perſönlichkeit, oder mit gleicher geiſtiger Beſtimmung begabter Weſen, zu erfüllen. Sie verleiht daher, indem ſie über jeden Beruf hinausgeht, und jedem jedes geiſtig zugänglich macht, dem geiſtigen Leben ſeinen Umfang im Ganzen, während die Berufsbildung, indem ſie den individuellen Lebenszweck auf die geiſtigen Elemente, Begriffe und Geſetze zurückführt, welche denſelben beherrſchen, der Bildung ihre Tiefe im Einzelnen gibt. Die allgemeine Bildung iſt daher der Proceß, der den Einzelnen ihre freie Entwicklung ſichert, die Berufsbildung diejenige, die ihnen die Bedingungen einer tüchtigen, individuell befriedigten Erfüllung ihrer Lebensaufgabe gibt. Die letztere ohne die erſtere iſt beſchränkt und erzeugt beſchränkte Menſchen; aber die erſtere ohne die letztere macht ſie flach, und nimmt ihnen den wahren Kern der Individualität, das geiſtige Bewußtſein, im Einzelnen ein Vollendetes zu erreichen. Die Elementarbildung aber, als Vorausſetzung für beide, gilt für alle in gleicher Weiſe.

In dieſer Weiſe zuſammenwirkend, ſtellt der Begriff der Bildung die höhere, im Geiſte ſelbſt liegende Einheit der geiſtigen Faktoren und Thatſachen wieder her, welche durch die drei Stadien oder Theile des erſteren äußerlich, räumlich und zeitlich geſchieden auftreten. Und daraus ergibt ſich, daß der wahre und höhere Charakter der Bildung ſein zweites Kriterium durch das Streben empfängt, ſchon innerhalb der einzelnen und beſchränkten Berufsbildung den Geiſt über die Gränze derſelben zu erheben, und die allgemeine Bildung nicht etwa objectiv neben ſie zu ſtellen, ſondern ſie zu einem inwohnenden Theile derſelben zu erheben. Denn in dieſer Verſchmelzung drückt ſich zuletzt doch das Bewußtſein nicht bloß von der höchſten gemeinſamen Beſtimmung aller Perſönlichkeit, ſondern auch die Erkenntniß des großen Lebens - geſetzes alles Geiſtes aus, daß der ewig lebendige Keim der Freiheit und der Vollendung für jedes Einzelne in dem liegt, was ſelbſt über das Einzelne hinausgehend, das Ganze bedeutet und iſt.

Dieß nun ſind die drei Stadien oder Gebiete, in denen die Bildung ſich vollzieht, und ihr inneres Verhältniß zu einander. Niemals ganz in der Wirklichkeit getrennt oder innerlich geſchieden, und dennoch ſelbſtändig, ſollte auch jede Darſtellung des Bildungsweſens ſie ſtets alle gleichmäßig umfaſſen.

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III. Das Bildungsweſen und ſein Syſtem.

Neben dieſem Begriff der Bildung und ſeinem Inhalt iſt jedoch der des Bildungsweſens ein ſpecifiſcher, von jenem nothwendig zu trennen - der, wenn man überhaupt zu einem Begriffe und Bilde der Verwaltung der geiſtigen Welt gelangen will.

Das Bildungsweſen beruht nämlich zunächſt darauf, daß jede Bildung eines Einzelnen ſtets das Ergebniß der bildenden Arbeit aller andern iſt. Daß niemand ganz die Quelle und der Urheber ſeiner Bildung iſt und ſein kann, ſteht feſt. Allein der Proceß, durch welchen die Gemeinſchaft dieſe Bildung des Einzelnen erzeugt, iſt nun eben da - durch kein einfacher und gleichartiger, daß die Bildung ſelbſt in den oben bezeichneten drei Grundformen auftritt. Jede dieſer Grundformen hat ihre Bedingungen, ihre Geſetze, ihren Inhalt und ihren Zweck. Jede derſelben fordert daher auch ihre ſpecifiſche Arbeit. Wie der Be - griff der Bildung, ſo theilt ſich mithin auch der Proceß, durch den ſie erworben wird, in ſeine ſelbſtändigen Gebiete; jedes dieſer Gebiete ſucht und findet die Kräfte, welche die in ihm liegenden Aufgaben zu löſen im Stande und bereit iſt; und die damit gegebene Geſtalt der bildenden Thätigkeit, in der auf dieſe Weiſe das große Geſetz der Theilung der Arbeit auch hier zur Geltung gelangt, nennen wir das Bildungsweſen.

Im Anfange aller Geſchichte werden nun allerdings ſtets jene Ge - biete ſo eng zuſammenfallen, daß man ſie äußerlich gar nicht zu trennen vermag. Mit der fortſchreitenden Geſittung jedoch ſcheiden ſie ſich. In - dem ſie ſich ſcheiden, wird jede einzelne ihrer Aufgaben ſo bedeutſam, daß ſie allmählig eigene Organe erzeugt und fordert, welche den Bildungs - proceß ihres eigenthümlichen Gebietes zu ihrer beſondern Aufgabe machen. So entſteht das, was wir das Syſtem des Bildungsweſens nennen. Dieß Syſtem des Bildungsweſens iſt ſeinerſeits der Ausdruck und das Ziel der Geſittung. Daſſelbe wird nicht etwa erſt vom Staate geſetzt und gebildet, ſondern es erzeugt ſich vielmehr durch die inwohnende Kraft des geiſtigen Lebens und ſeiner Bedürfniſſe wie die obigen elementaren Grundbegriffe, durch das Weſen der Bildung ſelbſt. Es iſt nicht ſo ſehr das Erzeugniß, ſondern vielmehr das ſich ſelbſt erzeugende Object der Ver - waltung der geiſtigen Welt. Erſt an ihm wird das, was der Staat ſeiner - ſeits für die Bildung leiſtet, gleichſam ſein Maß erhalten. Denn alle Höhe des wirklichen Bildungsweſens wird ſich ſtets beſtimmen nach dem Grade, in welchem die wirkliche Bildungsthätigkeit einer Zeit und eines Volkes alle dieſe verſchiedenen Formen zur Entwicklung gebracht hat.

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Man kann nun dieſen Proceß der Entwicklung eines ſelbſtändigen Syſtemes des Bildungsweſens in obigem Sinne in drei Momente theilen.

Die erſte Grundlage derſelben iſt das Auftreten eines außerhalb der Familie beſtehenden ſelbſtändigen Bildungsweſens. In allen Formen und Stadien des letzteren bedeutet dieſe Scheidung des Bildungs - weſens von der Familie die Erkenntniß des Volkes, daß die Bildung auch für die Gemeinſchaft des letzteren einen zu hohen Werth hat, um dem Zufall und der freien Willkür, die nothwendig in der Familie herrſcht, überlaſſen zu bleiben. Alle wahre Geſchichte des Bildungs - weſens beginnt mit dieſer äußern Selbſtändigkeit des Bildungsweſens; ſie iſt die formelle Bedingung einer wirklichen Entwicklung deſſelben, aber ebenſo die einer ſtaatlichen Thätigkeit. Dieſe Selbſtändigkeit er - ſcheint wie natürlich in einzelnen Anſtalten für die Bildung, die keines - wegs vom Staate begründet ſein müſſen, ſondern ihm im Gegentheil zum Theil ſtets fremd bleiben. Aber ſie ſind es, an welche das äußere Bild der großen Arbeit des Bildungsweſens eines jeden Volkes ſich anſchließt.

Die zweite Grundlage iſt nun die, durch dieſe äußere Scheidung ſchon begründete Theilung der bildenden Arbeit in dieſen Bildungs - anſtalten, die wieder die Einheit des Ganzen als inneres Syſtem zu - ſammenfaßt. Mit der höheren geiſtigen Entwicklung empfängt jeder Theil der Bildung ſein eigenes Gebiet an den durch daſſelbe geforder - ten Kenntniſſen und Fähigkeiten und zugleich, wenn auch langſam und unter vielfachen Kämpfen und Verſuchen, für jedes einzelne Gebiet ſeine eigene Methodologie. So entſteht die innere Selbſtändigkeit der Gebiete des Bildungsweſens. Je höher die Geſittung ſteht, um ſo beſtimmter treten dieſe einzelnen Gebiete hervor, empfangen eigene Namen, eigenen Umfang, eigene Bildungsordnung. Und da nun alle Bildung weſentlich auf der Verwerthung der gewonnenen Kenntniſſe im wirklichen Leben beruht, ſo ergiebt ſich allmählig das wichtige Reſultat, daß die Ordnung der großen Lebensverhältniſſe eines Volkes und einer Zeit ſich in dem Syſtem der Bildung und mithin ihrer ſelb - ſtändigen Anſtalten abſpiegelt. Das Syſtem des Bildungs - weſens jeder Epoche ganz gleichgültig zunächſt ob es vom Volke oder vom Staate ausgeht bedeutet daher die Antwort auf die große Frage, ob und wie weit eine Zeit die geiſtigen Elemente als Grundlage und Erhaltung ſeiner eigenſten Lebensverhältniſſe anſieht. Es iſt daſſelbe in der That der formale Ausdruck ſeiner Geſit - tung. Zugleich aber erſcheint in ihm das Verſtändniß jenes Ge - ſetzes, das wir bereits erwähnt, und nach welchem alle Theile der Bildung dennoch nur Ein Ganzes ſind. Das Bewußtſein und Be - dürfniß dieſer höheren Einheit alles geiſtigen Lebens erſcheint formell10 ſtets darin, daß die Uebergänge von einem Bildungsgebiete zum andern ſelbſt wieder als ſelbſtändige Bildungsgebiete und Anſtalten auf - treten, während das Bewußtſein von dem praktiſchen Werthe der Wiſſen - ſchaft die Specialbildungsanſtalten erzeugt. Auf dieſe Weiſe entwickelt ſich das vollſtändige Syſtem des Bildungsweſens, deſſen Grundformen ſich bei aller Verſchiedenheit dennoch auf die obigen drei zurückführen laſſen. Und es gewinnt jetzt einen großen Werth, ſich dieſes Ganze in einem, auf der Natur der Sache beruhenden Schema darzuſtellen. Doch muß dazu das letzte Moment hinzugefügt werden.

Während die Selbſtändigkeit der Bildungsanſtalten den Werth be - zeichnet, den eine Epoche auf die Bildung überhaupt legt, das Syſtem derſelben die Tiefe und den Umfang des Bedürfniſſes nach Bildung für die einzelnen Lebensverhältniſſe, wird nun die Dauer und Gleich - mäßigkeit des Bildungsgenuſſes dadurch bedingt, daß ſich für den letzteren in der Gemeinſchaft ein eigener Stand bildet, der die Bildung zu ſeinem Lebensberufe macht. Dieſer Stand ſchließt ſich dann natur - gemäß an das Syſtem der Anſtalten, verbindet ſeine geſammte Thätig - keit mit denſelben, erhebt die Bildung an ſich zu einer ſyſtematiſchen Wiſſenſchaft, und erfüllt das Bildungsweſen einer Nation mit dem perſönlichen Elemente, dem Geiſte und der Thätigkeit der Berufsge - noſſen. Erſt durch ihn wird daſſelbe zu einem fertigen, nunmehr mit eignem Bewußtſein handelnden und vorwärtsarbeitenden Ganzen; und der Ausgangspunkt für die höchſte Stufe des Bildungsweſens beſteht dann darin, daß dieſer Stand des Bildungsberufes ſelbſt wieder eine eigene berufsmäßige Bildung für ſeine bildende Thätigkeit erzeugt. Erſt wo das geſchieht, ſind die großen organiſchen Elemente des Bildungsweſens ein in ſich ruhendes und geſchloſſenes Ganzes, und in der That kann erſt hier das öffentliche Bildungsrecht, indem es an dieſem Syſtem ſein rechtes Objekt findet, zum reellen Verſtändniß gelangen.

Demgemäß ergibt ſich aus dem Weſen des Bildungsproceſſes ein Bild deſſen, was wir den ſelbſtändigen Bildungsorganismus nennen, der als Ausdruck und Maß des Bildungszuſtandes einer jeden Epoche gelten kann. Dieſer Bildungsorganismus iſt jedoch hier zunächſt nur im Weſen der Perſönlichkeit und im Begriffe der Bildung ſelbſt gegeben. Der wirkliche Bildungsorganismus aber, die concrete Ge - ſtalt der bildenden Arbeit Aller für jeden Einzelnen und jedes Einzelnen für Alle entſteht erſt da, wo der Bildungsproceß ſelbſt im Ganzen wie im Einzelnen Gegenſtand des öffentlichen Wollens, und damit ein Theil des Verwaltungsrechts wird. Damit ergibt ſich nun eine Reihe von Begriffen und Erſcheinungen, die nunmehr ſelbſtändig darzulegen ſind.

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Es iſt hier zwar nicht der Ort, auf die pädagogiſche Literatur ein - zugehen, allein es muß uns doch ſchon im Hinblick auf das Folgende eine Anmerkung geſtattet werden. Ganz abgeſehen nämlich von der Literatur des öffentlichen Bildungsrechtes, die wir unten im Allgemeinen und im Beſondern charakteriſiren, beſteht nämlich ein großer Unterſchied zwiſchen dieſer rein pädagogiſchen Literatur in unſerem und dem vergangenen Jahrhundert. Die frühere Zeit hat, allerdings namentlich auf Grund - lage der claſſiſchen Literatur, das Bildungsweſen ſtets als ein Ganzes aufgefaßt und dargeſtellt; Pädagogik bedeutet die Geſammtheit der lehrenden und erziehenden Thätigkeit. In dieſer Allgemeinheit war dieſe Literatur fähig, auch die allgemeine Bildung als integrirenden Theil mit aufzunehmen. Die Richtung der Zeit bewirkte dabei, daß als Hauptaufgabe und zugleich als Hauptinhalt der letzteren die politiſche, die Erziehung für das und zum Staatsbürgerthum, angeſehen wurde, wodurch dann die eigentliche pädagogiſche Frage von der politi - ſchen ſich trennte, der Aufnahme in die ſtaatsrechtliche Behandlung weſentlich auch aus den unten anzuführenden ſpeziellen Gründen ſich entfremdete, rein pädagogiſch ward, ſich namentlich dem Volksunter - richt zuwendete, und ſich dadurch mehr und mehr ſpecialiſirte, indem für jeden einzelnen Zweig eine eigene Literatur entſtand. Weſentlich an dieß Moment knüpfte ſich die Aufnahme des Erziehungsweſens in die ſtaatsrechtlichen Bearbeitungen. Sie iſt allerdings dadurch das ge - worden, was wir, im Gegenſatz zur rein claſſiſchen Behandlung, eine Fachwiſſenſchaft nennen, und hat die einzelnen Gebiete des Bildungs - weſens, namentlich den Elementarunterricht, bei weitem gründlicher be - handelt als früher, dafür inſofern aber die Geſammtauffaſſung verloren, als die über das Fachbildungsweſen hinausgehende allge - meine Bildung in der Pädagogik keine rechte Stelle mehr findet, was ſich namentlich in dem Mangel einer pädagogiſchen Berückſichtigung der Preſſe und ihrer ſteigenden Wichtigkeit zeigt; eben ſo derjenige Theil derſelben, der auf einem öffentlichen Recht und Leben beruht.

In gleicher Weiſe hat die Kunſt in der heutigen Pädagogik nur geringe Berückſichtigung gefunden. Es iſt das nun zwar hiſtoriſch ſehr gut zu erklären; allein gerade die Verwaltungslehre kann dieſen be - ſtimmten, wenn auch durch den Gang der Dinge recht wohl verſtänd - lichen Standpunkt nicht anerkennen, obwohl gerade ſie es ſein mag, die ihn durch den eigenen Mangel begründet hat, wie wir es unten andeuten werden. Sie muß ihrerſeits alle Gebiete der Bildung gleich - mäßig umfaſſen, und bedarf daher einer ſyſtematiſchen, ſich über alle Theile des Bildungsweſens ausdehnenden Auffaſſung; dieſe zu geben, war die Aufgabe des Vorhergehenden. Die höhere Pädagogik ſelbſt aber12 wird, wie wir hoffen, ſich dadurch in der Lage finden, auch ihrerſeits wieder eine ſolche Geſammtauffaſſung für ihre Beſtrebungen wieder zur Geltung zu bringen, um nicht bloß an Tiefe im Einzelnen, ſondern auch an Beherrſchung des Ganzen die frühere Literatur zu übertreffen. Vielleicht nun, daß dieſe Anſicht durch die ſtrenge Unterſcheidung des öffentlichen Rechts der Bildung von ſeinem Gegenſtande, der Bildung ſelbſt, die wir im Folgenden durchzuführen haben, ſeine nähere Be - gründung und Begränzung auf ihr richtiges Maß auch in den Augen pädagogiſcher Fachmänner finden dürfte.

II. Das öffentliche Bildungsweſen.

I. Begriff des Bildungsrechts.

Indem wir nun das öffentliche Bildungsweſen und ſein Recht dem Bildungsweſen an ſich gegenüberſtellen, oder das Verwaltungsrecht der Pädagogik und ihrem Syſtem, wird es nothwendig, dem erſteren ſein eigenthümliches Gebiet, ſeinen Inhalt und ſein Ziel in möglichſt klarer Weiſe zu überweiſen; denn nur durch dieſe Trennung iſt eine ſelbſtändige Verwaltungslehre des Bildungsweſens denkbar.

Zu dem Ende muß davon ausgegangen werden, daß wie geſagt das Bildungsweſen nicht erſt durch den Staat entſteht, ſondern daß es ſich auch ohne alles Zuthun deſſelben im Leben des Volkes von ſelber erzeugt. Denn das iſt ſeine Natur, als ein organiſches Element des Geſammtlebens, ſich durch ſeine eigene Kraft Daſein und Geltung zu ver - ſchaffen. Das was wir das öffentliche Bildungsweſen nennen, ent - ſteht deßhalb erſt dadurch, daß der Staat zu dem Bildungsweſen über - haupt hinzutritt, und die in ſeiner Natur liegenden Principien, Forderungen und Kräfte auf das Bildungsweſen anwendet. Während daher das Bildungsweſen an ſich durch die Natur der Bildung ſich er - klärt, wird das öffentliche Recht deſſelben nur durch das Weſen des Staats verſtändlich. Ohne den Begriff des letzteren kann man daher ſehr wohl die Pädagogik und das Bildungsweſen eines Volkes, wenn es ſich von ſelbſt erzeugt, nicht aber dasjenige kennen lernen, was wir die Verwaltung des geiſtigen Lebens nennen. Dieſe Ver - waltung des geiſtigen Lebens eines Volkes oder das öffentliche Bildungs - weſen iſt demnach die in aller Verwaltung thätige Staatsidee, in ſofern ſie in das ſelbſtthätige Bildungsweſen des Volkes13 eingreift. Und die öffentlich geltenden Beſtimmungen über die Form, den Inhalt und die Gränze dieſes Eingreifens der Staatsgewalt in das geiſtige Leben des Einzelnen und des Ganzen, wie dieſelben durch den Geſammtwillen in Geſetz und Verordnung beſtimmt werden, bilden das öffentliche Recht des Bildungsweſens, oder das Verwaltungs - recht des geiſtigen Lebens eines Volkes.

Auf der Grundlage dieſes Begriffes ergibt ſich nun die Darſtellung ſeines Inhalts von ſelbſt. Das Princip und Syſtem des öffentlichen Bildungsweſens folgt nämlich aus dem Weſen des Staats, das poſitive Recht dagegen beruht auf dem geſammten inneren Rechtsleben der ein - zelnen Staaten, und erſcheint zuerſt als hiſtoriſche Entwicklung im Allgemeinen, dann aber in ſeiner gegenwärtigen concreten Geſtalt als das Bildungsweſen der einzelnen großen Staaten Europas. Erſt wenn dieſe Grundlagen feſtſtehen, kann der beſondere Theil zu dem Bildungsweſen und der Kunſt der einzelnen Bildungsformen übergehen.

II. Princip und Syſtem des öffentlichen Bildungsrechts.

Der Begriff und Inhalt des öffentlichen Bildungsweſens entſteht, wie geſagt, indem die Geſammtheit deſſen, was für die Bildung des Volkes geſchieht, als ein nothwendiger organiſcher Theil, als Aufgabe der Gemeinſchaft gegen die Einzelnen, oder als ein organiſches Gebiet der Verwaltung anerkannt wird. Seinem formellen Begriffe nach um - faßt es die Geſammtheit der öffentlich rechtlichen Beſtim - mungen und Thätigkeiten, welche ſich auf den Bildungsproceß in ſeinem ganzen Umfange beziehen. Seinem Umfange nach beſteht es theils aus Geſetzen und Verordnungen, theils aus ſelbſtändigen An - ſtalten, theils aus ſpeziellen Funktionen der Verwaltung. Seinem In - halte nach ſchließt es ſich naturgemäß an das, im Weſen des Bildungs - proceſſes liegende Syſtem deſſelben, theils daſſelbe im Ganzen organiſch verbindend, theils es im Einzelnen ausfüllend, fördernd und erhebend. Seinem Weſen nach aber iſt und bezeichnet es das, als Geſetz und Verwaltung des Staats ausgedrückte Bewußtſein des Volkes als Ganzen von dem Werthe des geiſtigen Lebens und ſeiner Funktion im menſchlichen Geſammtleben, während derjenige Theil des Bildungs - proceſſes, der durch die Einzelnen ſich vollzieht, nur das individuelle Bewußtſein von dieſem Werthe ausdrückt.

Dieſe Aufgabe des Staats, welche auf dieſe Weiſe die Geſammt - heit des geiſtigen Lebens und ſeines Werdens umfaßt, fordert für ihre unendlich vielſeitige und an ſich faſt unbegränzte Erfüllung eine Ein - heit in Auffaſſung und Durchführung, welche die erſte und allgemeinſte14 Bedingung ihres Erfolges iſt. Dieſe innere Einheit aller auf das öffent - liche Bildungsweſen bezüglichen Maßregeln und Thätigkeiten nennen wir das Princip des öffentlichen Bildungsrechts.

Dieſes Princip, für den Staat geltend, wird daher auch durch das Weſen des Staats gegeben. Er ſelber iſt, der Verwaltung ange - hörend, im Grunde nur die Anwendung des höchſten und allgemeinſten Verwaltungsprincips auf das geiſtige Leben des Staats.

Das höhere Weſen aller menſchlichen Gemeinſchaft beruht darauf, daß das Maß der Entwicklung des Einzelnen die Grundlage und Be - dingung des Maßes der Entwicklung Aller wird. Der Staat nun, als dieſe zur individuellen Perſönlichkeit erhobene Gemeinſchaft, bringt dieſes gegenſeitige Bedingtſein Aller durch jeden und jedes durch Alle zum Be - wußtſein, und muß daher mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln allerdings für die Bildung ſorgen. Allein das Weſen der geiſtigen Güter fordert, daß ſie durch denjenigen ſelbſt erworben ſein müſſen, für den ſie gelten ſollen. Der Staat kann daher ſo wenig die Bildung als die wirth - ſchaftlichen Güter geben, ſondern das leitende Princip der Verwaltung iſt, daß der Staat auch für die Bildung nur diejenigen Bedingungen herzugeben hat, welche der Einzelne ſich nicht ſelbſt zu ſchaffen vermag; während die Benützung dieſer Bedingungen oder die wirkliche Bildung Sache des Einzelnen und ſeiner individuellen Thätigkeit iſt.

So einfach und faſt negativ nun dieß Princip an ſich erſcheint, ſo bleibt doch hier, wo ſich das Syſtem der Verwaltung zu entwickeln beginnt, der Inhalt deſſelben kein einfacher mehr. Das worauf es ankommt iſt nämlich die Frage, was denn als Bedingung der gegen - ſeitigen geiſtigen Entwicklung der Geſammtheit anzuſehen ſei. Und hier nun erſcheinen die drei großen Gebiete des Bildungsweſens in einem ſehr verſchiedenen Verhältniß.

Was zuerſt die Elementarbildung betrifft, ſo iſt ſie auf den erſten Blick nur die Bedingung für die Bildung des Einzelnen. Allein ſie iſt zugleich die abſolute Vorausſetzung des ganzen geiſtigen Verkehrs, der ganzen gegenſeitigen Bewegung des geiſtigen Fortſchrittes; denn die in ihr gegebene Möglichkeit der Weiterbildung des Einzelnen iſt die Be - dingung für die lebendige geiſtige Thätigkeit Aller. Die Elementar - bildung verliert dadurch ihren Charakter als freie Bildung; ſie wird allmälig zu einer Pflicht des Einzelnen gegen die Geſammtheit, und der Staat iſt es, der dieſe im Weſen der Sache liegende Pflicht zum objectiv geltenden Recht macht. So entſteht das Princip des Ele - mentarbildungsrechts, das wir als die Schulpflicht bezeichnen, und das aus den obigen Gründen erſt in den vorgeſchrittenen Staaten zur öffentlich rechtlichen Geltung kommt.

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Die Berufsbildung dagegen iſt an ſich freier. Allein der Beruf iſt in ſeiner Ausübung ein weſentlicher und organiſcher Theil des Ge - ſammtlebens, und ſeine tüchtige Erfüllung iſt daher ſelbſt wieder eine Bedingung für die Verwirklichung des geiſtigen und materiellen Fort - ſchrittes. Fehlt dem Berufe ſeine Vorausſetzung und das Maß von geiſtigen Elementen, die er ſelbſt zur öffentlichen Verwerthung bringt, ſo macht eben die in der perſönlichen Freiheit liegende Scheidung der Berufe eine tüchtige Berufserfüllung unmöglich. Der Staat, indem er daher Wahl und Bildung des Berufes für Alle frei macht, muß demnach im höchſten Geſammtintereſſe dafür ſorgen, daß ein gewiſſes Minimum der Berufsbildung vorhanden ſei, bevor derſelbe ausgeübt wird. Daraus folgen zwei leitende Grundſätze für das öffentliche Berufsbildungs - weſen. Zuerſt muß der Staat der Berufsbildung die ihren Forderungen ge - nügenden Anſtalten bieten, die daher ihrem Syſtem nach der ethiſchen und praktiſchen Entwicklung des Berufsſyſtemes entſprechen müſſen; zweitens muß er die Gewähr geben, daß bei ſolchen Berufen, gegenüber welchem es dem Einzelnen nicht mehr möglich iſt ein freies Urtheil zu haben oder es zur Geltung zu bringen (Beamte, Aerzte, Lehrer ꝛc. ) wenigſtens das Minimum der Berufsbildung wirklich vorhanden ſei. Dieſe Berufe nun nennen wir die öffentlichen Berufe; ihre Funk - tion bildet ſtets im weiteren Sinne einen Theil der Verwaltungsthätig - keit ſelbſt, und unterſcheidet ſich dadurch von dem freien Beruf, deſſen Erfüllung nur das Einzelleben umfaßt (wirthſchaftlicher Erwerb, Kunſt ꝛc.). Jene Garantie wird gegeben durch die öffentlich rechtliche Prüfung; und ſomit ergibt ſich als Inhalt des Princips dieſes Theiles des Verwaltungs - rechts, daß das öffentliche Recht des Berufsbildungsweſens auf der ſyſte - matiſchen Herſtellung von Berufsbildungsanſtalten, und auf dem Syſteme der Prüfungen für die öffentlichen Berufe beruhen muß.

In der allgemeinen Bildung endlich muß der Grundſatz der vollen Freiheit und Selbſtthätigkeit der Einzelnen gelten. Allein trotzdem kann der Staat nicht gleichgültig neben derſelben ſtehen. Er hat hier wie immer die Gefährdungen derſelben in der Culturpolizei zu be - kämpfen; er hat zweitens die großen Bedingungen der allgemeinen geiſtigen Entwicklung in öffentlichen Bildungsanſtalten herzuſtellen oder zu unterſtützen; und er hat endlich durch ſein öffentliches Recht dafür zu ſorgen, daß das große Element des bei weitem wichtigſten allgemeinen Bildungsmittels, der Preſſe, das in der Verbindung ihrer rechtlichen Verantwortlichkeit mit ihrer Freiheit der Bewegung beſteht, zur rechtlichen Geltung und Durchführung gelange.

In der Geſammtheit dieſer Momente iſt nun die Entwicklung des Princips des öffentlichen Bildungsrechts zu einem Syſteme gegeben;16 und mit dieſem Syſtem erſt iſt auch eine Wiſſenſchaft dieſes Gebietes der Verwaltung möglich. Die Wiſſenſchaft des öffentlichen Bildungs - weſens iſt demnach nicht etwa die Theorie der Bildung an ſich, ſondern die wiſſenſchaftliche Auffaſſung und Verarbeitung des öffentlichen Rechts derſelben. Sie ſchließt ſich daher an die Elemente dieſes Syſtemes an, die Harmonie der großen Idee der perſönlichen geiſtigen Freiheit mit der nicht minder mächtigen des perſönlichen Staates und ſeiner organi - ſchen und rechtlichen Thätigkeit ausſprechend und vertretend, eine nicht immer leichte oder dankbare Aufgabe. Wie aber die Wiſſenſchaft das rein geiſtige Band der höheren Einheit in dieſer Entwicklung des ein - fachen Princips zum organiſchen Syſtem ſucht und findet, ſo muß der Staat ſelbſt das materielle Element der Einheit in dem Organismus der für dieſe geiſtige Verwaltung beſtimmten Organe aufſtellen, das, wie die Idee des Staats alle Theile und Funktionen des Bildungs - weſens durchdringt und zum Theil geſtaltet, ſeinerſeits alle Gebiete der wirklichen Thätigkeit deſſelben äußerlich umfaßt, um in ihnen eben jenes Syſtem von Principien und Forderungen gleichmäßig und allgemein zur Geltung und Verwirklichung zu bringen. So entſteht als formaler Ausdruck und Träger jenes Syſtems der Verwaltungsorganismus der öffentlichen Bildung, den wir in ſeiner ſelbſtändigſten Form das Unterrichtsminiſterium nennen, und das in Recht und Organiſation wieder in jedem einzelnen Staate verſchieden iſt.

Faßt man nun das Ganze, was über Begriff, Princip und Syſtem des öffentlichen Bildungsweſens geſagt iſt, zuſammen, ſo wird man ſagen, das es ſich dabei nicht um die Bildung und den ſie erzeugenden Proceß an ſich, ſondern um das Verhalten des Staats zu dem - ſelben handelt, und daß das öffentliche Recht des geiſtigen Lebens hier wie immer aus dem Zuſammenwirken der Natur der Sache und des Weſens und der Idee des Staats beſteht. Und es iſt das Feſt - halten dieſes Momentes, welches uns die Geſchichte dieſes öffentlichen Bildungsweſens in ſeinem tieferen Inhalt klar macht.

III. Geſchichte der verwaltungsrechtlichen Auffaſſung im Ganzen.

Auch der Begriff des öffentlichen Bildungsrechts hat ſeine Ge - ſchichte, die durch ihren Zuſammenhang mit der ganzen Staatsauffaſſung von hohem Intereſſe iſt, und jedenfalls einen Theil der ſog. Geſchichte der Rechtsphiloſophie bilden ſollte. Man wird in derſelben drei ziemlich beſtimmte Entwicklungsſtadien unterſcheiden. Sie beginnt mit der Auf - nahme einzelner Sätze aus dem öffentlichen Bildungsweſen in die Polizeiwiſſenſchaft, die ſich weſentlich auf die bekannten Grundſätze der17 Sittenpolizei, und daneben auf fragmentariſche Aeußerungen über die Volksbildung beſchränken, während das Berufsbildungsrecht noch gar nicht in die Staatswiſſenſchaft aufgenommen wird, eben ſo wenig die Preſſe; die Hauptvertreter dieſes Stadiums ſind auch hier Juſti und Sonnenfels. Das zweite Stadium hat bereits einen viel beſtimmtern Charakter; daſſelbe entwickelt nämlich zwei Richtungen zu gleicher Zeit. Die erſte gehört der mit dem Ende des vorigen Jahrhunderts entſtehen - den neuen Geſtalt des Staatsrechts an, welches allmählig, nachdem auch hier J. H. Berg in ſeinem Deutſchen Polizeirecht Bahn gebrochen (ſ. Bd. II. Recht der Unterrichtspolizei, als Theil des Rechts der Wohl - fahrtspolizei Hauptſtück VI, S. 299 365) ſich über die, noch von Pütter im Jus publicum ausſchließlich vertretene Anſicht erhebt, die nur da von dem öffentlichen Recht des Bildungsweſens ſpricht, wo es ſich darum handelt, wer das Recht habe Academias, Universitates, ac gymnasia, scholas et societates literarias zu gründen, von denen ſchon das alte Jus publicum anerkennt, daß status eos in suo cujus - que territorio instituere possunt. Pütter, Inst. Juris Publ. L. VIII, §. 359 (Auffaſſung des geſammten Bildungsweſens als Regalität). Hat doch Pütter nicht einmal in ſeiner Literatur des deutſchen Staats - rechts eine andere als die der Univerſitäten aufgenommen.

Erſt ſpäter wird daſſelbe in die Darſtellung des poſitiven Ver - waltungsrechts aufgenommen, freilich noch immer mit enger Beſchränkung auf die corporativen Ordnungen der Univerſitäten und ihres Rechts. Den Uebergang von dem Pütterſchen Standpunkt zur Berückſichtigung des geſammten Unterrichtsweſens im poſitiven deutſchen Staatsrecht bildet Gönner in ſeinem überhaupt ſehr beachtenswerthen Teutſchen Staatsrecht 1805, §. 370, der ſchon ein vollſtändiges Syſtem an - deutet. Ihm folgen, ohne über ihn hinaus zu gelangen, Mauren - brecher, Deutſches Staatsrecht, §. 197 (nur ganz beiläufig von der Bildungspolizei, ſonſt mehrfach von Univerſitäten), Zachariä, Deut - ſches Staats - und Bundesrecht II. §. 178 (Schulen und Univerſitäten unter Polizeihoheit ). Dieſe Richtung war allerdings weſentlich dadurch bedingt, daß es noch kein öffentliches Bildungsrecht für Deutſch - land gab, außer den Univerſitäten und der Preſſe, und daß der In - halt dieſes Rechts gar nichts anderes blieb, als eine Bildungspolizei. Die deutſchen Staatsrechtslehrer hatten daher materiell gar keinen andern Gegenſtand, als eben jenes höchſt beſchränkte Bundesrecht des deutſchen Bildungsweſens. Erſt mit der Reichsverfaſſung von 1849 gewann daſſelbe auch in den Territorialverfaſſungen einigen Raum, und was hier geſammelt werden konnte, hat Zöpfl in ſeiner fleißigen, aber ſyſtemloſen Weiſe geſammelt. (Deutſches Strafrecht, Bd. II. mehrfach.) Stein, die Verwaltungslehre. V. 218Das Bewußtſein von der hohen Bedeutung der Sache, gegenſtands - los im deutſchen Staatsrecht, bricht ſich dann Bahn in den Bearbei - tungen der Territorialverwaltungslehren, und wird zu ſehr vollſtän - digen Darſtellungen, wie bei Rönne, Stubenrauch, Pözl, natürlich aber auch ohne einen, dieſelben verbindenden Standpunkt. Der tiefe Mangel, der in dieſer Richtung lag, verbunden mit der wachſenden Erkenntniß von der entſcheidenden Wichtigkeit des Bildungsweſens, er - zeugte daneben die zweite Richtung, welche das letztere nunmehr grund - ſätzlich in die ſyſtematiſche Verwaltungslehre aufnahm, wobei freilich der traditionelle Name der Polizeiwiſſenſchaft den Autoren eben ſo ſehr in der freien Behandlung, als ihrem Wirken im Publikum ſchadete. Dieſe zweite Richtung wird eingeleitet durch eine Reihe ausgezeichneter Monographien über die Erziehung des Volkes, vorwiegend noch im ethiſchen und pädagogiſchen Sinne abgefaßt, von Zachariä, Weſſenberg, Niemeyer und Andern, die zwar keine Syſteme ſind oder ſein wollen, wohl aber das Bewußtſein feſthalten, daß die Staatswiſſenſchaft unter allen Formen das Bildungsweſen nicht mehr übergehen könne. Daſſelbe wird daher in die neue, organiſche und freie Geſtalt derſelben auf - genommen. Bei einigen wird daraus ein förmliches Polizeiſyſtem wie bei Lotz (Ueber den Begriff der Polizei, S. 379 ff. ), der den Gedanken vertritt, daß der Staat das Recht und die Pflicht habe, die Auf - klärung durch Zwangsmaßregeln durchzuſetzen, wobei er nur die Ele - mentarbildung von der allgemeinen Bildung nicht gehörig ſchied. Bei andern dagegen bleibt die Theorie meiſtens auf einem etwas allgemeinen und unklaren Standpunkt ſtehen, und berückſichtigt viel zu wenig das poſitive Recht neben den allgemeinen Grundſätzen, die ohnehin niemanden mehr zweifelhaft waren. So Jacob (Polizeiwiſſenſchaft I, §. 146); Pölitz (Staatswiſſenſchaft. Erziehungspolizei II, 19), der in ſeiner Staatswiſſenſchaft II, 339 den Satz durchführt, daß der Zwang falſch und der Staat nur verpflichtet ſein ſolle, die Hinderniſſe der Bildung aus dem Wege zu ſchaffen. Soden (Staats-Nationalbildung, Bd. 8 der Nationalökonomie) war der erſte, der eine ſyſtematiſche Dar - ſtellung verſucht; Aretin (Staatsrecht der conſtitutionellen Monarchie, II. Bd. 1. Abth., S. 35 ff. ), der zugleich an freien Grundſätzen und gelehrter Kenntniß ſo reich iſt, daß man ſeiner mit großem Unrecht vergißt; zuletzt Mohl (Polizeiwiſſenſchaft, Bd. I, Buch II, Kap. 2). Daneben lag es in der dialektiſchen Natur der rein philoſophiſch ge - wordenen Rechtsphiloſophie, mit der Verwaltung auch das Bildungs - weſen ſo gut als ganz zu übergehen. Während Kant, Fichte, Her - bart, Kraus ſich mit demſelben gar nicht beſchäftigen, ſo wenig wie in neuerer Zeit Rößler (Allgemeine Staatslehre) hat Hegel es nur19 als eine allgemeine unklare Kategorie des Staatsbegriffs angedeutet (Rechtspiloſophie §. 173), Fichte d. J. (Syſtem der Ethik II, 2. §. 166) es als eine ethiſche Forderung behandelt, Stahl in ſeiner Philoſophie des Rechts unter der nämlichen Abtheilung Verwaltung des Staats Bd. II, Abth. II. IV. Abſchn. geradezu vergeſſen. Was Bluntſchli und Helm ſagen, enthält an Gedanken nicht mehr, an Stoff und Syſtem aber weit weniger, als was bereits Pölitz und namentlich Zachariä und Aretin kürzer und energiſcher geſagt haben. Unter dieſen Um - ſtänden war es natürlich, daß die große und mit dem höchſten ſittlichen, der beſten öffentlichen Anerkennung werthen Eifer arbeitende päda - gogiſche Literatur dieſe ganze ſtaatsrechtlich-philoſophiſche durchaus nicht benützen konnte. Es iſt höchſt bezeichnend, daß die erſtere unſeres Wiſſens ſich auf die letztere auch an keinem einzigen Orte bezieht. Dadurch nun ward dieſe pädagogiſche Literatur bei aller Tiefe und Gründlichkeit im Einzelnen einſeitig. Das Bild des Ganzen, der innere organiſche Zuſammenhang der Theile und Gebiete, iſt ihr eigentlich niemals recht geworden. Sie beruht auf der Kategorie der Schulmänner , und es charakteriſirt ſie, daß ſie faſt nie die Univerſitäten, nur in Andeutungen die Kunſt und ihre Bildungsanſtalten, und gar nie die Preſſe in ſich aufnimmt und verarbeitet, ſo wichtig auch die letztere iſt. Eine Wiſſen - ſchaft des Bildungsweſens gibt es daher noch nicht; aber mit Aus - nahme vielleicht der Medicinalpolizei gibt es keinen Theil der Staats - wiſſenſchaft, der ſo ausgezeichnete Arbeiten im Einzelnen darböte. Aus dieſen Elementen hat ſich nun das gegenwärtige Stadium ge - bildet. Die Wiſſenſchaft hat die organiſche Geſammtauffaſſung, die ihr in der deutſchen Literatur fehlte, in dem fremden Bildungsweſen geſucht, und namentlich iſt es das Engliſche, das beſtimmt ſcheint einen neuen Anſtoß zu geben, während andererſeits in höchſt beachtenswerther Weiſe die Schulmänner auch das poſitive Recht der Bildungsanſtalten ernſt - haft zu berückſichtigen beginnen. Als die bedeutendſte Erſcheinung auf dieſem Gebiete muß man Schmids Encyclopädie begrüßen. Wenn es zwar nicht möglich iſt, bei dem, was in ihr geleiſtet iſt, ſtehen zu bleiben, ſo iſt es eben ſo wenig möglich, ohne ſie zu arbeiten. Sie ent - hält unſchätzbare Beiträge zur Lehre vom öffentlichen Bildungsrecht bei dem vielfach vollſtändigen Mangel anderer territorialen Bearbeitungen.

In hohem Grade charakteriſtiſch für dieſe geſammte Entwicklung iſt nun das abſolute Hinweglaſſen der Preſſe aus allen Auffaſſungen des öffentlichen Bildungsweſens. Die Urſachen dafür liegen zwar nahe; aber es iſt wohl an der Zeit, ein Leben und eine Gewalt, die in ſich ſelber ſchon ein großartiges Syſtem geworden ſind, nicht mehr von der ſyſtematiſchen Wiſſenſchaft aus - zuſchließen, und ſie nur als Gegenſtände der Polizei zu berückſichtigen.

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IV. Geſchichtliche Entwicklung.

1) Das geſellſchaftliche und das ſtaatliche Princip des Bildungsrechts.

Niemand wohl wird es für nöthig erachten, hier den Satz weiter auszuführen, daß das poſitive Recht auf allen Gebieten des Lebens, alſo auch der Verwaltung im Allgemeinen und das der Bildung im Beſonderen nicht etwa zufällig und willkürlich entſteht, ſondern ſich in ſeiner Bildung nach den großen Elementen richtet, welche das geſammte Leben beherrſchen. Und ſo ſteht es feſt, daß die Wiſſenſchaft alles und ſo auch dieſes Rechts nicht bloß in der Sammlung der betreffenden Beſtimmungen, ſondern in dem Verſtändniß der großen Faktoren und ihrer Geſetze beſteht, aus welchem das poſitive Recht hervorgeht.

Dieſe beiden Faktoren nun ſind hier wie immer die menſchliche Ge - ſellſchaft und die Staatsidee. Beide ſind in der Wirklichkeit untrennbar verſchmolzen; nur die Wiſſenſchaft vermag ſie zu ſcheiden. Wo ſie es aber thut, entſteht ein eigenthümliches Bild, das die bewegenden Kräfte der Weltgeſchichte ſelbſtändig darlegt, uns in die große Werkſtatt aller Rechtsbildung, und ſo auch die des Bildungsrechts aller Völker und Zeiten hineinführt, und uns das Werden desjenigen zeigt, was wir das poſitive Recht nennen.

Es mag uns daher wohl geſtattet werden, hier den Charakter der Geſellſchaft einerſeits und des Staats andererſeits zu bezeichnen, um anſchauen zu können, wie ſie in lebendiger Wechſelwirkung das Bildungs - weſen der Staaten erzeugt haben.

Es iſt an einem andern Orte gezeigt, daß die Geſammtordnung der geiſtigen und wirthſchaftlichen Güter in der Menſchheit, als Ord - nung des Lebens derſelben erſcheinend, die Geſellſchaft iſt, und daß dieſe Geſellſchaft drei große Grundformen bis jetzt entwickelt hat, die Ge - ſchlechter -, die ſtändiſche und die ſtaatsbürgerliche Ordnung. Es iſt ferner gezeigt, daß jede dieſer Ordnungen nicht bloß ihre Verfaſſung, ſondern auch ihre Verwaltung erzeugt. Der Verwaltung im weiteſten Sinne gehört auch das Bildungsweſen. Jede Geſellſchaftsordnung hat daher ihre Geſtalt und ihr Recht des Bildungsweſens. Dieſes Bildungs - weſen der Geſellſchaftsordnung im Gegenſatze zu dem des Staats hat nun einen zweifachen Inhalt, auf dem ſein Einfluß und ſeine Geſchichte beruhen.

Einerſeits nämlich ruft das Weſen der Geſellſchaftsordnung noth - wendig dasjenige hervor, wodurch ſie ſich von der Idee des Staates ſcheidet, das iſt der Unterſchied der Klaſſen, und damit ihren Gegenſatz. 21Jede Geſellſchaft hat ihre herrſchende und ihre beherrſchte Klaſſe, und ihre eigenthümlichen Gegenſätze und Bewegungen, welche den Inhalt des innern Lebens der Völker bilden. Der Charakter dieſes innern Lebens iſt ſtets das Streben der herrſchenden Klaſſe, ihre eigenen In - tereſſen zu erhalten und zu fördern. Dieſer Charakter gilt nun auch für die in ihr gegebene Geſtalt des Bildungsweſens. Jedes aus der Geſellſchaft hervorgehende Bildungsweſen geht dahin, dieſe Bildung in der Weiſe zu ordnen, zu erzeugen und vertheilen, daß die beſondere Stellung, die Herrſchaft und das Intereſſe der einzelnen Klaſſen mit all ihren Unterſchieden in der durch die Bildung gegebenen geiſtigen Welt einerſeits wiedergegeben werde, andererſeits ſich erhalte. Jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen iſt daher ein Bild, aber auch ein Grund und eine mächtige Stütze der geſellſchaftlichen Unterſchiede zwiſchen den Menſchen. Jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen enthält daher einerſeits eine möglichſt hohe, ſtark entwickelte, meiſt auf die tiefſten Grundlagen des geiſtigen Lebens zurückgeführte Bildung der herrſchenden Berufsarten; aber neben dieſer Bildung zugleich die Ausſchließung der niederen Klaſſe von der Berufsbildung der höheren. In dieſen beiden, für alle Stadien der Geſchichte gültigen Sätzen gipfelt der Charakter des eigentlich geſellſchaftlichen Bildungsweſens.

In dieſe durch die Geſellſchaftsordnungen geſetzte Geſtalt deſſelben tritt nun der Staat mit ſeinem ſpecifiſchen Weſen hinein. Seiner unabänderlichen Natur nach vertritt er ſtets das allgemeine Intereſſe gegenüber dem beſondern, und keine geſellſchaftliche Verfaſſung kann ihm dieſes ſein Lebensprincip ganz rauben. Das Gebiet aber, in welchem er dieß ſein eigenſtens Lebensprincip zur Verwirklichung bringt, iſt eben die Verwaltung überhaupt; denn die Verwaltung iſt ja der thätige Staat. In allen einzelnen Gebieten der Verwaltung aber erſcheint das ſpecifiſche Lebensprincip der Staatsidee gegenüber dem der geſell - ſchaftlichen Ordnungen wieder als die beſtändige Arbeit des Staats, die niedere und beherrſchte Klaſſe zu heben, und ihr die Lebens - bedingungen der Entwicklung zur möglichſten Gleichheit mit der herrſchenden zu geben. Dieß iſt der Kern aller Verwaltung des Staats gegenüber der Geſellſchaft, alſo auch ſeiner Verwaltung des geiſtigen Lebens.

Das große Princip der Staatsgewalt im Bildungsweſen erſcheint nun abgeſehen von jeder Bethätigung in den einzelnen Formen, Ein - richtungen und Geſetzen in doppelter Weiſe. Einerſeits tritt es negativ auf in dem Streben, die in den geſellſchaftlichen Kräften und Zuſtänden liegenden Unterſcheidungen im Volksbildungsweſen zu bekämpfen und zu beſeitigen, poſitiv aber in dem organiſirten Verſuch, allen Klaſſen der22 Geſellſchaft, und zwar ohne Rückſicht ſowohl auf Stand als auf Beſitz, jede Art und jeden Grad der Bildung zugänglich zu machen. Die Art und Weiſe wie er dabei zu verfahren hat, zeigt ihm die Er - ziehungslehre; die Gebiete und Formen zeigt ihm das Bildungsweſen; aber das öffentliche, aus dem obigen Weſen des Staats hervorgehende, und es zum Ausdruck bringende Recht des Bildungsweſens geht natür - lich hervor eben aus demjenigen Zuſtande der Geſellſchaftsordnung, mit welchem die Staatsgewalt es zu thun hat. Und ſo entſteht der eigent - liche Inhalt des Begriffs des poſitiven Bildungsrechts. Daſſelbe enthält demgemäß nicht eben bloß die wirklich geltenden Beſtimmungen für das Verwaltungsrecht der Bildung, ſondern es iſt vielmehr der Ausdruck für den Grad und die Art, in welcher das Princip des Staats mit ſeiner freien und allgemeinen Bildung gegenüber der Geſellſchaft und ihrem Klaſſenbildungsweſen zur Geltung gelangt iſt.

Denn dieſe Geltung wird keineswegs mit einemmale gewonnen. Wie jede große, die Menſchheit beherrſchende Idee erſt langſam und ſchrittweiſe zum Siege gelangt, ſo gewinnt auch der Staat mit ſeinen Forderungen nur langſam und nicht immer gleichmäßig den Sieg über die widerſtrebenden Elemente der Geſellſchaft. Und dieſe Bewegung, dieſer Kampf und Sieg der Staatsidee als Trägerin des Princips der freien und gleichen Beſtimmung aller Perſönlichkeit in der geiſtigen Welt, die Entwicklung der Geſetze, Maßregeln und Anſtalten, welche dieſen Gedanken verwirklichen, dieſe allmählige Erhebung des Bildungs - weſens aus dem geſellſchaftlichen zu einem rein menſchlichen, conſolidirt, gefeſtigt und zu einer öffentlich rechtlichen Thatſache gemacht, iſt die Ge - ſchichte des öffentlichen Bildungsweſens. Sie iſt daher ein Stück Welt - geſchichte, und auch der gegenwärtige Zuſtand muß, wie alle bisherigen, in dieſem Sinne als ein Zuſtand des Werdens und des Ueberganges betrachtet werden.

Die großen Grundformen dieſer Geſchichte aber ſind die folgenden.

2) Die Stadien des öffentlichen Bildungsweſens in der Geſchichte.

Es iſt natürlich unmöglich, dieſe hiſtoriſche Entwicklung nunmehr anders als im Großen und Ganzen zu charakteriſiren, indem wir dabei das Bild der Weltgeſchichte überhaupt in ſeinen Grundzügen als bekannt vorausſetzen. Wir können daher hier nicht mehr geben als den Rahmen, in welchem alle einzelnen Thatſachen und hiſtoriſchen Entwicklungen ihren Platz finden; das gegenwärtige Recht aber iſt ſeinerſeits in dieſem23 Sinne die Ausfüllung deſſelben mit dem, was die Gegenwart bietet. Aber dabei iſt es gewiß, daß jedes tiefere Eindringen in dieſen hiſto - riſchen Proceß erſt dann zu einem abgeſchloſſenen Reſultat führt und dadurch aus einer Zuſammenſtellung eine wahre Vergleichung möglich macht, wenn man alle einzelnen Angaben und Thatſachen des Bildungs - weſens auf die drei großen Kategorien der Elementar -, der Berufs - und der allgemeinen Bildung zurückführt. Denn die ethiſche Natur des Staats bringt es mit ſich, daß er der natürliche Vertreter nicht etwa Einer, ſondern aller dieſer drei Kategorien zugleich iſt, während jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen ſtets nur Eines dieſer Ge - biete zur Entwicklung bringt. Das öffentliche Bildungsweſen erfüllt daher nicht die Aufgabe, die Wiſſenſchaft als ſolche zu heben und zu veredeln; das iſt und bleibt Sache des lebendigen und arbeitenden Geiſtes der Menſchen, ſondern vielmehr die, das von der Wiſſenſchaft je nach ihrem Standpunkt Errungene zum Gemeingut zu machen. Und es iſt gar kein Zweifel, daß gerade in dieſem Sinne unſere Zeit weit höher über der ganzen Vergangenheit ſteht, als in den Ergebniſſen irgend einer einzelnen Wiſſenſchaft und Kunſt.

Von dieſem Standpunkt erſcheinen nun folgende Hauptſtadien der Geſchichte des öffentlichen Bildungsweſens.

I. Im Orient iſt die ſtaatliche Gewalt ganz in den Händen der geſellſchaftlichen Gewalten. Das Princip der erſteren geht daher voll - ſtändig in dem des letzteren unter. Es gibt nicht bloß keine allgemeine Bildung, und daher auch nicht ihre Bedingung, die Elementar - bildung, ſondern es darf auch keine geben. Die Geſammtbildung iſt eine, aber grundſätzlich unfreie Berufsbildung und das Sonderintereſſe der herrſchenden Kaſten macht dieſe Sonderbildung jeder einzelnen heilig, ſo daß der Erwerb derſelben für andere Kaſten ſelbſt zu einem geſell - ſchaftlichen Verbrechen wird. Damit jeder in ſeiner Kaſte bleibe, darf er gar nicht lernen, was die Bildung der andern ausmacht. Die Staatsgewalt im Dienſte der geſellſchaftlichen Herrſchaft verliert dabei ihr höheres ethiſches Weſen und wird zu einer dienſtbaren Vollzieherin der geſellſchaftlichen Forderungen. Die Bildung ſelbſt wird dabei eine zwar große, aber einſeitige; die Bildung durch das freie Element der thätigen Individualität fehlt, und mit der geiſtigen Stagnation geht das Leben des Staats ſelbſt zu Grunde.

II. Die alte Welt und zwar Griechenland ſowohl als Rom, be - ruht faſt ausſchließlich auf der Geſchlechterordnung. Sie will daher die Erhaltung der herrſchenden Geſchlechter, mithin in ihrer Bildung die Entwicklung desjenigen Theiles der geiſtigen Güter, welche dieſe Herrſchaft enthalten. Dieſe ſind nun die möglichſte Entwicklung der24 freien und kräftigen Perſönlichkeit, ſo weit ſie den herrſchenden Klaſſen angehört. So entſteht das Bildungsweſen der Geſchlechter, ge - richtet auf Tapferkeit, Sitte und Dienſt der Geſchlechtergötter. Die Unterſcheidung der Elementar - und Berufsbildung fehlt dabei, weil die Geſchlechterordnung nur Einen Beruf kennt, den des Dienſtes in Waffen. Die Geſchlechter ſelbſt aber ſind gleichberechtigte Glieder der Gemeinſchaft, und fordern und erhalten alle gleiche Bildung, und dieſe Bildung iſt die Baſis des auf ihrer Herrſchaft ruhenden, oder vielmehr aus ihr ſelbſt beſtehenden Staats. Wo daher ein Geſchlechterſtaat theoretiſch zum Bewußtſein gelangt, wird er dieſe Bildung als all - gemeine Nothwendigkeit, als gleiche Pflicht jedes Einzelnen gegen das Ganze fordern, weil ſie ſeine Herrſchaft begründet. Dadurch erſcheint dann die Erziehung und Bildung als eine öffentliche Angelegenheit, aber nur innerhalb der individuellen Tüchtigkeit in Waffen und Staats - dienſt. Auf dieſe Weiſe beſteht der Charakter des öffentlichen Bildungs - weſens der Geſchlechterordnung darin, daß der Staat (als die Organi - ſation der Geſchlechterherrſchaft) die Bildung von den Einzelnen fordert, aber ſie ihnen weder gibt noch erleichtert. Die Geſchlechter ſelbſt ſind die Träger der Bildung; in ihnen die Familie. In dieſem Stadium der Geſchichte iſt es daher, wo die Familie als Grundlage der Bildung erkannt wird; allein damit iſt auch die beſtändige, bis auf unſere Zeit reichende Verſchmelzung von Erziehung und Bildung begründet, die das Verſtändniß des öffentlichen Rechts der letzteren ſo ſchwer macht. Die wirkliche Bildung der Geſchlechter erſcheint daher eben ſo ſehr als eine ſociale, denn als eine ſtaatliche Pflicht; in den einheitlichen Formen des Geſchlechterſtaats verſchmilzt beides. Die öffentliche Formen werden dann die Spiele, Waffen - und Turnſpiele; aber nur die Geſchlechter ſind zu ihnen berechtigt. So war es in der alten Welt, ſo iſt es in der germaniſchen geweſen, und ſo iſt es in den Reſten der alten Ge - ſchlechter noch jetzt, denn das Uebergehen der Söhne des Adels in den Waffenſtand iſt nur eine andere Form derſelben Thatſache.

III. Daneben aber geht in der alten Welt ein zweiter Bildungs - proceß her, der eine nicht minder hohe weltgeſchichtliche Bedeutung ge - habt hat. Jene Geſchlechterbildung enthält zuletzt in ihrem Ergebniß eine Berufsbildung; denn die Waffe iſt der Beruf des freien Mannes. Die Idee der Freiheit aber, einmal lebendig in dem Menſchen und ihn er - hebend und veredelnd, erzeugt dagegen eine Form der allgemeinen Bildung, in welcher zuerſt in der Weltgeſchichte die einzelne Perſönlichkeit, von Beſitz und Geſchlecht unabhängig, ſich durch geiſtige Güter eine Stellung gewinnt. Dieſe allgemeine Bildung iſt in der griechiſchen Welt die Poeſie im weiteſten Sinne, die Philoſophie und Redekunſt inbegriffen:25 in der römiſchen dagegen die Rechtswiſſenſchaft und die Stellung und Aufgabe der Anwälte. Beide vertreten die Preſſe unſerer Zeit. Beide erwecken die Ueberzeugung von dem hohen Werth der geiſtigen Bildung; damit das Streben nach ihr; damit das Inſtitut von Schulen, Privatlehrern, ſelbſt öffentlichen Vorträgen; damit ein Schriftſtellerthum, in Griechenland ein weſentlich dichteriſch-philoſophiſches, in Rom ein juriſtiſches; und damit endlich die Ueberzeugung, daß das Bildungs - weſen Gegenſtand einer eigenen Wiſſenſchaft ſein könne und müſſe. So entſteht die Παιδεια, die Pädagogik. Allein ſie bleibt eigentlich bei der ethiſchen Erziehung ſtehen, denn die geiſtige Erziehung bleibt in aller Geſchlechterordnung doch nur Sache des Einzelnen; ſie wird nie Sache des Staats; der Begriff des beſtimmten Berufes und ſeiner Bildung, die Unterſcheidung der Elementarlehre fehlt, und das iſt der Grund, weßhalb ſie in der germaniſchen Zeit anſtatt eine Pädagogik zu werden, vielmehr nur die ethiſchen Motive der letzteren abgibt. Darauf beruht die Stellung der griechiſchen Philoſophie zur germani - ſchen Pädagogik als Wiſſenſchaft; jene hat gewiß unendlich ſegensreich gewirkt, aber nicht da, wo man es nur zu oft annimmt. Sie hat uns keine Bildungslehre, ſondern ſie hat uns die Erziehungslehre gegeben. Wir verdanken ihr viel; aber nicht alles. Für das, was wir brauchen, gibt ſie nicht einmal eine Anleitung. Das dringendſte Bedürfniß unſerer Zeit war und iſt eben die Bildungslehre, und dieſe hat ſich aus eigener Kraft bilden müſſen. Ihre hiſtoriſche Grundlage aber iſt die folgende.

IV. Alles Weſen der germaniſchen Staatsbildung beruht auf der Selbſtändigkeit des Staats gegenüber der Geſellſchaft; dieſelbe aber er - ſcheint darin, daß in ihr die ſpecifiſche Funktion des erſteren der ge - ſellſchaftlichen Ordnung in ihren Intereſſen entgegentritt, in allen Dingen und ſo auch im Bildungsweſen. Die Geſchichte des öffentlichen Bildungs - weſens beſteht daher hier in dem Zuſammenwirken beider Faktoren, die man in Natur und Einfluß ſehr genau verfolgen kann. Der Charakter dieſer beiden Elemente aber läßt ſich durch die ganze Geſchichte hin - durch wohl am beſten in folgende Sätze zuſammenfaſſen. Die geſell - ſchaftlichen Elemente der germaniſchen Welt erzeugen, vertreten und ordnen weſentlich alles dasjenige, was der Berufsbildung angehört; auf die Elementarbildung hat dagegen der Staat den größten Einfluß, und die allgemeine Bildung entwickelt ſich von ſelbſt aus dem, der germaniſchen Welt eigenthümlichen regen Leben der Geiſter. Allein dieſe Momente ſtehen im Bildungsweſen ſo wenig bloß neben einander als im übrigen öffentlichen Leben; ſie greifen vielmehr auf allen Punkten nicht nur ethiſch, ſondern auch rechtsbildend in einander, und das iſt26 es weſentlich, was der inneren Lebensgeſchichte aller dieſer Völker ſo viel Kraft und Mannigfaltigkeit verleiht. Für die Elementarbildung nämlich wird zwar das öffentlich-rechtliche Princip der Bildungspflicht zum allgemeinen Geſetze erhoben, allein indirekt wird dieſelbe auch für alle öffentlichen Berufe gültig; andererſeits wird aus der Elementar - lehre wieder allmählig ein Beruf, und damit ein Stand, wie auch die Preſſe ihren Stand erzeugt. Die Verwaltung der Berufsbildung iſt zwar urſprünglich eine geſellſchaftliche, das iſt eine Form der Selbſt - verwaltung von geiſtigen Körperſchaften, allein derſelbe Grundſatz freier Selbſtbeſtimmung greift auch in die Elementarſchulen über; das Ver - einsweſen bricht ſich Bahn in allen drei Gebieten und ſchafft ſich ſelber Elementar -, Berufs - und allgemeine Bildungsanſtalten, und zu gleicher Zeit macht der ſteigende Werth der Bildung tauſende der verſchiedenſten Privatunternehmungen dafür möglich, ſo daß hier die freieſte Bewegung in der Produktion geiſtiger Güter vorwaltet; und dennoch vermag es die lebendige Staatsidee wieder, das Ganze als Einheit zu erfaſſen, das Bewußtſein dieſer Einheit, durch die Wiſſenſchaft unterſtützt, zur poſitiven Geltung zu bringen, trotz der faſt vollkommenen Freiheit einheit - liche Geſetzgebungen und ſogar eine einheitliche Verwaltung aufzuſtellen, und ſo das geiſtige Element des gemeinſamen Strebens auch praktiſch in der größten Verſchiedenheit aufrecht zu halten. Auf dieſe Weiſe ent - ſteht hier eine lebensvolle Geſchichte in dieſem, nur der germaniſchen Welt eigenthümlichen Zuſammenwirken, und mit derſelben ein großartiges Syſtem von Anſtalten, Thätigkeiten, Körperſchaften, Rechten und Or - ganen, welches die großen Träger des geiſtigen Lebens uns in ihren mächtigen Funktionen zeigt, deren jede wieder ihre eigene, und in jedem Lande wieder beſonders geſtaltete Geſchichte hat. Wohl wird es bei dieſer größeren faktiſchen Einheit immer ſchwerer, dieſelbe in wiſſenſchaft - licher Form einfach darzuſtellen, dafür aber hat das machtvolle Ganze die Kraft, jeden zu begeiſtern, der für die Arbeit deſſelben ſeine edelſten Kräfte hingibt.

V. Was nun die hiſtoriſchen Epochen dieſer Entwicklung betrifft, ſo ſehen wir hier den Staat ſich erſt allmälig aus der Herrſchaft der geſellſchaftlichen Elemente ſich erheben, und auch für das Bildungs - weſen ſeine Funktion übernehmen. Allein einerſeits hat er es nie ver - ſucht oder vermocht, daſſelbe ausſchließlich in ſeine Hand zu bekommen, anderſeits zeigt uns das Leben aller germaniſchen Reiche, daß dem Volke mitten in den beſchränkteſten Ordnungen der Geſchlechter und der Stände das Element der freien Beſtimmung und des Rechts auf gleiche Entwicklung Aller nie ganz verloren geht. Es iſt keine Frage, daß urſprünglich der ethiſche Träger dieſer Idee die Kirche geweſen,27 die überhaupt dazu beſtimmt war, die Freiheit da zu vertreten, wo die ganze übrige Geſellſchaft ſie aufgegeben, während ſie ſie ſtets da be - kämpfte, wo die letztere ſie forderte. Dieſe große hiſtoriſche Thatſache tritt uns nun nirgends deutlicher entgegen, als in der Geſchichte des Bildungsweſens.

Dieſe Geſchichte läßt ſich nun auf ihre einfachſten Grundlagen zurückführen.

VI. In der Epoche der Geſchlechterordnung, welche bis zum Mittel - alter herrſcht, finden wir das Weſen der alten Geſchlechterbildung ein - fach wieder, ſogar mit den Anklängen der allgemeinen Bildung in Dicht - kunſt und Wiſſenſchaft aus der griechiſchen Welt (Troubadours, Volks - dichter, Sängerkämpfe) und der römiſchen (Rechtspflege durch die Herren und Freien.) Selbſt die Waffen, die Waffenſpiele und die Waffen - pflicht ordnen ſich nach den Geſchlechterklaſſen. Allein das, was wir das öffentliche Bildungsweſen genannt haben, gibt es hier ſo wenig als in der Geſchlechterordnung Griechenlands und Roms. Der Staat iſt noch nicht ſelbſtändig gegenüber der Geſellſchaft; er hat zwar eine Verfaſſung, aber er hat noch keine Verwaltung. Er beſteht nur noch als Organiſation der Heeresmacht und als Würde des Königthums. Die Pflege und Bildung bleibt daher Sache der Geſchlechter und der Einzelnen; eine Verwaltung, ein öffentliches Recht derſelben gibt es nicht, und ihre öffentliche Geltung beſteht nur in der bevorrechteten Ausübung der Waffen nach den Geſchlechterbegriffen der Freien und Unfreien.

Eine ganz andere Geſtalt tritt ein in der ſtändiſchen Welt. Dieſe aber iſt bei den germaniſchen Völkern weſentlich von den orientaliſchen verſchieden; während bei den letzteren nur die geſellſchaftlichen Stände herrſchen, bildet ſich bei jenen die ſelbſtändige Staatsgewalt gleich an - fangs mit einem feſten, aber noch undefinirten Bewußtſein ihrer wahren Aufgabe heraus, und der tiefe Gegenſatz, der darin liegt, erſcheint nun im Bildungsweſen ſo gut als in allen andern Gebieten des Staats - lebens.

Darum muß man zwei große Geſtaltungen des letzteren neben - einander, und zum Theil einander gegenüberſtellen.

Die erſte iſt die des ſtändiſchen Bildungsweſens. Ihr erſtes Princip iſt, daß der ſpezielle Beruf Grundlage, Organ und Ziel der Bildung ſein ſoll. Dieſes Prinzip gewinnt ſeine Geſtalt durch die Kirche, welche zuerſt das geiſtige Leben von dem äußern ſcheidet, und ſeine Förderung zu einem ſittlichen Berufe macht. Einmal ſelbſtändig daſtehend und als Stand anerkannt und mächtig, entwickelt dieſe geiſtige Welt die Wiſſenſchaft. Zu dem Berufe des Glaubens tritt der des28 Wiſſens. Die Wiſſenſchaft iſt nun wohl an ſich frei und allgemein: aber in der herrſchenden ſtändiſchen Ordnung erſcheint ſie doch that - ſächlich nur als ſtändiſche Aufgabe und erzeugt einen Stand. Für dieſen Stand fordert ſie ihr eigenes Bildungsweſen. Das große Organ dieſer ſtändiſchen Wiſſenſchaft iſt die Univerſität. Die Univerſität er - ſcheint ſomit urſprünglich als etwas ganz verſchiedenes von dem was ſie ſpäter geworden. Sie iſt erſt in zweiter Linie eine Bildungsanſtalt; ſie iſt in erſter das Haupt eines neuen, ſocialen Standes. Sie nimmt daher das Recht eines jeden Standes in Anſpruch, ſich ſelbſt zu ver - walten. So entſteht der erſte große Selbſtverwaltungskörper des Bil - dungsweſens, zwar eine rein ſtändiſche, aber auch eine geiſtige Geſtalt. Mit dem erſten dieſer Elemente wirkt ſie allerdings excluſiv, indem ihr nur das als Wiſſenſchaft gilt, was ſie lehrt und anerkennt; mit dem zweiten aber zieht ſie das geiſtige Leben der Völker überhaupt an ſich, erzeugt ein eigenes Syſtem der Vorbildung in den gelehrten Schulen, eine eigene Ordnung für den Erwerb der Bildung in den Studien - ordnungen, ein eigenes Recht der Erklärung über die gewonnene in den Univerſitätswürden; ſie iſt eine Welt für ſich, aber ihre Bildung wird allmählig ein Faktor des praktiſchen öffentlichen Lebens, ja der Verwaltung, und die in dieſer Beziehung zum wirklichen Leben liegenden Keime einer allgemeineren Stellung überwuchern allmählig das ſtändiſch excluſive Element; der Staat kommt zum Bewußtſein, daß er ihrer und ihrer Funktion bedarf, und kaum ſcheidet er ſich klar von der Stände - ordnung, als er auch ſchon die ganze Univerſitätsordnung mit ihrer Vorbildung in dem Gymnaſium, mit ihrer Lehrordnung und ihren Prüfungen dem ſtaatlichen Recht unterwirft und ſo aus dieſem urſprüng - lich ſocialen Bildungsweſen ein ſtaatliches macht. Einen ganz ähnlichen Weg geht das zweite Element der ſtändiſchen Geſellſchaft der germani - ſchen Welt.

VII. Dieß zweite Element iſt das, was neben den Univerſitäten die germaniſche Welt des Geiſtes charakteriſirt, die Schule. Sie iſt zuerſt und zunächſt eine rein ſtändiſche Anſtalt. Sie geht hervor aus der Kirche, aber ſie iſt urſprünglich auch nur für die Kirche beſtimmt. Da ſie ſelbſt ihre Glieder aus dem Volke nahm, mußte ſie demſelben Volke wenigſtens die Elemente aller Bildung allmählig zugänglich machen. Allein das allgemeine Weſen der Schule, die elaſtiſche Fähigkeit derſelben, die Bildung ohne Rückſicht auf die geſellſchaftlichen Unterſchiede zu erzeugen, verläugnet ſich ſelbſt in ihrer anfänglichen Geſtalt nicht. Sie iſt ihrem Weſen nach gleich bei ihrem Urſprung eine allgemeine Bildungsanſtalt, deren Herſtellung und Verwaltung aber anfänglich noch eine rein ſtän - diſche Aufgabe der Kirche iſt. Weder der Orient noch das Alterthum29 kennt die germaniſche Schule. Das Weſen der Schule beſteht nicht etwa darin, daß in ihr die Elemente der Bildung gelehrt werden; ſchon die germaniſchen Sprachen unterſcheiden ganz beſtimmt, ohne eine durch - greifende Verſchmelzung zuzulaſſen, den Unterricht und auch die Er - ziehung von der Schule. Die Schule iſt vielmehr ein öffentliches Inſtitut für die Geſammtbildung; ſie kennt ihrem Weſen nach keinen Unterſchied der Geſellſchaft; ſie bietet, was ſie zu geben hat, für alle; ſie bedeutet die große Aufgabe der Menſchheit, allen die gleichen Be - dingungen der perſönlichen geiſtigen Entwicklung zu geben; ſie iſt nicht ein Privatinſtitut, nicht eine zufällige Unternehmung, die man haben kann und auch nicht haben kann, nicht eine Unterrichtsordnung, die je nach ſubjektivem Ermeſſen bald da iſt, bald nicht, bald dieß, bald jenes bietet; ſie iſt vielmehr, ſo wie ſie auftritt, ein organiſcher Theil des Geſammtlebens, eine durch ſich ſelbſt geltende öffentliche Anſtalt; ſie enthält eine allenthalben gleichartige, gleichſam ſich durch ſich ſelbſt voll - ziehende Funktion; ſie iſt die allenthalben geforderte, allenthalben thätige Vorbildung aller für die höchſt mögliche Bildung aller. Sie geht daher zwar aus der ſtändiſchen Geſellſchaft hervor, aber ihrem höheren Weſen nach gehört ſie ihr nicht. Sie iſt das erſte, zugleich bewußte Auftreten des großen Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft; ſie iſt das ewig wirkende Element der allgemeinen und geiſtigen Frei - heit. Allein, wie geſagt, bei ihrem Urſprung ſind dieſe Keime noch nicht entwickelt. Sie iſt ihrem innerſten Princip nach eine ſtaatsbürgerliche, ihrer Entſtehung nach eine ſtändiſche Anſtalt der Kirche. Daher iſt ſie noch keine Volksſchule, ſondern ſie tritt vielmehr zuerſt in inniger Ver - bindung mit der ſtändiſchen Bildung, als Vorbildungsanſtalt der ge - lehrten Schule auf. Jede schola iſt urſprünglich ein Gymnaſium. Erſt das Entſtehen des Bürgerthums greift entſcheidend in dieſe Orga - niſation hinein, ſcheidet die reine Elementarbildung von der Vorbildung vor dem Berufe, und begründet die Bildungsordnung der folgenden Epoche. Die urſprünglichen scholae ſind deßhalb als Keime anzuſehen, in denen eigentlich das geſammte Syſtem der Bildung noch ungeſchieden enthalten iſt, die Elementarſchule, die Vorbildungsſchule, und zugleich die einzige Form des allgemeinen Bildungsweſens. In dieſem Sinne iſt die Geſchichte der scholae noch zu ſchreiben. Erſt mit dem Auf - treten der folgenden Epoche ändert ſich dieß, jene Elemente treten ſelb - ſtändig hervor, und eine neue Ordnung beginnt.

VIII. Dieſe neue Epoche iſt nun die, in welcher das zweite Ele - ment der germaniſch-ſtändiſchen Epoche, die ſtaatliche Bildung, all - mählig ſich aus dem ſtändiſchen heraus ſcheidet und ſelbſtändig wird. Denn in ihr, etwa mit dem ſechzehnten Jahrhundert, ſcheidet ſich die30 Staatsgewalt von der Geſellſchaft, und tritt derſelben zum Theil feind - lich entgegen. Auch hier liegt dieſem ſtaatlichen Proceß allerdings ein ſocialer zum Grunde. Es iſt ein Geſetz der Entwicklung, daß die Macht der ſelbſtändigen Staatsgewalt, bis zur Höhe der Diktatur, ſtets in dem Grade wächst, in welchem die geſellſchaftlichen Elemente mit einander im Kampfe ſind. Wo immer die Staatsgewalt mächtig iſt, bedeutet ſie eine große ſociale Bewegung. Die polizeiliche Epoche nun ihrerſeits bedeutet demgemäß die Zeit, wo die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft ſich allgewaltig aus der ſtändiſchen und den Reſten der Geſchlechterordnung herausarbeitet, welche bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Europa ausſchließlich herrſchen. Die polizeiliche Epoche, ethiſch getragen durch den Begriff der Obrigkeit, rechtlich vertreten in den großen Prin - cipien des Römiſchen Rechts, faßt jedoch zunächſt den Staat als etwas ſelbſtändiges auf, das eigene Intereſſen, eigene Aufgaben, eigene Or - gane habe, und daher, um zu ſein und zu wirken, Macht haben müſſe. Ein weſentlicher Theil dieſer Macht iſt der Reichthum, eine der großen Bedingungen des Reichthums iſt die Bildung; der Staat fängt an die Bildung zu brauchen, wie er Geld braucht, Militär braucht, Straßen braucht, Handel und Gewerbe braucht, und anderes. Was er braucht, will, muß, darf und kann er ſich ſchaffen Er erfaßt daher jetzt das Bildungsweſen, das bis dahin in den Händen der Selbſtver - waltung gelegen, als ein ſelbſtändiges Objekt ſeiner Thätigkeit, als einen Gegenſtand ſeiner Verwaltung. Und damit beginnt eine neue Epoche.

Man muß nun, um den Inhalt dieſer neuen Zeit klar zu machen, das formelle Element des neuen ſtaatlichen Bildungsweſens von dem geiſtigen ſcheiden, obwohl ſie in der Wirklichkeit enge zuſammengehen.

IX. Der formelle, öffentlich rechtliche Charakter dieſer Epoche liegt darin, daß nunmehr, etwa ſeit dem Anfange des ſechzehnten Jahr - hunderts, der Staat, allmählig fortſchreitend, alle drei Grundformen des Bildungsweſens, die Elementar -, Berufs - und allgemeine Bildung zuerſt einer eigenen Geſetzgebung unterwirft, dann ſie in ihren Funktionen der eigenen Oberaufſicht unterſtellt, dann eigene eigentliche Staats - anſtalten für einzelne Zweige der Bildung errichtet, zuerſt meiſt die - jenigen, welche einen geiſtigen Ausdruck des Glanzes und der Macht des Staates geben, wie Sammlungen, Muſeen, Gallerien, Akademien, dann aber auch diejenigen, welche er wirthſchaftlich für ſeine Cameralver - hältniſſe beruht, Bergwerks - und andere Fachſchulen: endlich indem er das ganze Bildungsweſen zuerſt als ein Ganzes auffaßt, und dafür die noch freilich ſehr unvollkommenen Grundlagen eines höchſten ſtaat - lichen Verwaltungsorganismus entwirft. So entſteht allmählig31 eine ſtaatliche Thätigkeit für das Bildungsweſen; jedoch iſt dieſelbe ſehr verſchieden und vielfach unfertig; denn theils will ſie die geiſtigen Selbſtverwaltungskörper in ihrer Funktion und ihren Rechten um ſo weniger beſchränken, als ſie am Ende erkennt, daß dieſelben im Weſent - lichen genügen und eine Aenderung ihrer Rechte keine Beſſerung ihrer Thätigkeit enthält; theils aber erhält ſich aus der ſtändiſchen Zeit noch das Princip der Grundherrlichkeit, nach welchem der Grundherr die örtlich vollziehende Gewalt iſt, und ſich daher mit ſeinem Recht noch immer zwiſchen das Geſetz des Staats und ſeine Ausführung ſtellt; namentlich im Gebiete des Volkſchulweſens.

Die neue Staatsgewalt hat daher, wie überhaupt, auch noch nicht recht die Form der Verwaltung für das Bildungsweſen gefunden, und ihre Geſetze ſind in den meiſten Fällen beſſer als ihre Vollziehung. Wohl aber hat dieſe Geſetzgebung Einen großen Erfolg. Sie ſcheidet nämlich zuerſt objektiv die drei Grundformen, indem ſie für die Elementarbildung ſpezielle Geſetze der Volksſchulen gibt, in den Univerſitäten mit Studienordnungen und Prüfungsreglements aufzu - treten beginnt, und für die allgemeine