Ihrer Kaiſerlichen Majeſtaͤt Katharina der Zweyten Selbſtherrſcherinn von ganz Rußland.
Allergnaͤdigſte Kaiſerinn! Ich habe es gewagt, das Gemaͤlde einer Reſidenz zu entwerfen, die Ew. Majeſtaͤt ihr zweytes verſchoͤnertes Daſeyn und ihre erhoͤhete buͤrgerliche Gluͤckſeligkeit verdankt. Ich habe das ſuͤße Vergnuͤgen gehabt, Thatſachen zu - ſammenzuſtellen, die den milden Glanz Mark Aurels verherrlichen, den Schim - mer des Weltbeherrſchers Auguſtus uͤber - ſtralen und Stoff fuͤr die Geſchichte eines Jahrhunderts hergeben koͤnnten. Meine Belohnung iſt das Bewußtſeyn, einzelne Zuͤge aus dem Bilde einer großen und guten Fuͤrſtinn fuͤr die[IV] Bewunderung meiner Zeitgenoſſen aus - geſtellt und der Nachahmung kommen - der Geſchlechter uͤberliefert zu haben.
Schuͤchtern lege ich Ew. Majeſtaͤt dieſe Erſtlinge einer von Vaterlands - liebe befruchteten Muſe zu Fuͤßen; gluͤcklich, wenn ich es wagen darf, bey dieſer Gelegenheit die ehrfurchtsvolle Bewunderung laut werden zu laſſen, mit welcher ich bin Ew. Kaiſerlichen Majeſtaͤt allerunterthaͤnigſter Heinrich Storch Kollegie[n]aſſeſſor beym Kabinett, in der Kanzelley S. E. des Grafen Besborodko.
Es ſcheint ein gewagtes Unternehmen, die Sittengeſchichte der Menſchen zu ſchreiben, in deren Mitte man lebt. So unzertrenn - auch immer Licht und Schatten in jedem Gemaͤlde ſind, ſo unausbleiblich gewiß macht doch jedes Publikum die Forderung, in ſei - nem Gemaͤlde keinen Schatten zu finden.
Der Verfaſſer dieſes Buchs ſah dieſe Schwierigkeit voraus, und — gieng ihr ge - troſt entgegen. Der ernſte Vorſatz, ſich keines, auch noch ſo verzeihlichen Muth - willens ſchuldig zu machen; das Ideal ſei - nes Gegenſtandes ſelbſt, der an ſchoͤnen, lichten und glaͤnzenden Zuͤgen ſo reich iſt;* 3VIendlich ein gewiſſes dunkles Gefuͤhl von der Billigkeit ſeines Publikums gaben ihm den Muth, ein ſo ſchweres, aber in ſich ſo be - lohnendes Geſchaͤft zu uͤbernehmen.
Thatſachen und Raiſonnements ſind der Stoff dieſes Gemaͤldes. Ueber beydes iſt der Verfaſſer dem Leſer einige Rechenſchaft ſchuldig.
Wenn ſich unter einer ſo großen, auf ſo wenige Bogen zuſammengedraͤngten An - zahl von Thatſachen einzelne Irrthuͤmer finden ſollten, ſo duͤrfte dies wol weniger der Traͤgheit oder Leichtglaͤubigkeit des Ver - faſſers, als dem allgemeinen Schickſal menſch - licher Unternehmungen zuzuſchreiben ſeyn. Nur hin und wieder war es moͤglich und ſchicklich ſich auf Quellen und Gewaͤhrs - maͤnner zu beziehen. Ein großer Theil der angefuͤhrten Thatſachen gruͤndet ſich auf eigne Beobachtung, und fuͤr dieſe giebt es keine andere Autoritaͤt, als die hiſtoriſche Glaubwuͤrdigkeit, oder das Zutrauen, wel - ches der Schriftſteller ſeinem Leſer in hoͤ -VII herm oder geringerm Grade einzufloͤßen weiß. Mehrere Angaben ſind aus hier gedruck - ten Anzeigen, Planen und fliegenden Blaͤt - tern genommen, die nicht leicht außer der Sphaͤre ihrer Beſtimmung bekannt werden, und deren Anfuͤhrung alſo dem deutſchen Leſer unnuͤtz geweſen ſeyn wuͤrde. Die Hauptquelle endlich, an welche der Verfaſ - ſer ſich uͤberall gehalten hat, wo die Huͤlfs - mittel ſeiner eigenen Nachforſchungen ihn verließen, die Beſchreibung des Herrn Aka - demikus Georgi*)[Versuch] einer Beſchreibung der Ruſſiſch-Kaiſerlichen Refidenzſtadt St. Petersburg und der Merkwuͤrdigkeiten der Gegend, von J. G. Georgi. St. Petersb. 1790. — Der Titel verſpricht nur eine Topographie, aber es finden ſich in dieſem Buche auch mehrere Kapitel uͤber Lebensart, Sit - ten, und dergleichen., iſt nur deswegen ſo ſelten genannt, weil ſie ſonſt zu oft haͤtte genannt werden muͤſſen, und weil von der Kritik ohnehin die Vergleichung zweyer, in einiger Hinſicht ſo aͤhnlichen Arbeiten* 4VIIIzu erwarten ſieht. In den mehreſten Zahl - angaben iſt der Verfaſſer dieſem ſeinem Vorgaͤnger ohne Abweichung gefolgt, theils weil ihm oft die Mittel zur Pruͤfung der - ſelben verſagt waren, theils auch weil er da, wo er pruͤfen und vergleichen konnte, eine Genauigkeit und Uebereinſtimmung fand, die ſein Zutrauen zu dieſem Schriftſteller um vieles erhoͤhten. Einzelne Abſchnitte haben durch die Kritik einſichtsvoller Maͤn - ner, deren Gewerbe und Aemter ihnen ei - ne richtigere Kenntniß der Dinge gewaͤh - ren, an Vollkommenheit und Beſtimmtheit gewonnen.
Alles was Raiſonnement in dieſem Bu - che iſt, gehoͤrt dem Verfaſſer; der Werth oder Unwerth dieſer Parthie darf alſo nur auf ſeine Rechnung geſchrieben werden. Seine Sorgfalt, ſich von keinem fremden Urtheil leiten zu laſſen, bewog ihn zu dem Entſchluß, uͤberall keins zu leſen; ein Ent - ſchluß, den er durch eine jahrelange Auf - merkſamkeit, und vielleicht durch eine klei -IX ne Gabe zu beobachten, aufzuwiegen ſuchte. So entſtand ein fruͤherer Verſuch, der auf ſeiner Reiſe zum Druckorte verloren gieng, und den die berichtigte Einſicht des Ver - faſſers ſeinem unbekannten Schickſale mit einer Gelaſſenheit uͤberließ, die ſich an den rege gewordnen Wunſch kettete, etwas beſ - ſers zu leiſten. Drey Jahre unausgeſetz - ter Beobachtung waren dem erſten Verſuch gewidmet geweſen; ein aͤhnlicher Zeitraum iſt jetzt uͤber der Vollendung des zweyten verſtrichen; und wenn die Horaziſche For - derung bey der Erſcheinung dieſes Werks noch nicht erfuͤllt wird, ſo iſt das Uebel weniger dem guten Willen des Verfaſſers, als dem Ueberdruß zuzuſchreiben, welcher ihm natuͤrlich aus einer ſo einfoͤrmigen Be - ſchaͤfftigung entſtehen mußte.
Der Verfaſſer koͤnnte hier ſchweigen und das Schickſal ſeines Buchs der alles richtenden Zeit uͤberlaſſen, die fruͤh oder ſpaͤt ihr immer gerechtes Urtheil faͤllt. Aber unter allen Vorwuͤrfen die man den* 5XBuͤchermachern auf den Hals werfen kann, ohne daß ſie daruͤber unwillig zu werden oder zu erroͤthen brauchen, giebt es den - noch einen, gegen den ſich das Gefuͤhl je - des ehrlichen Mannes empoͤrt. Dieſer Vorwurf, den der Verfaſſer von einer ge - wiſſen Klaſſe von Leſern ſchon bey der bloßen Anſicht des Titelblattes erwartet, iſt nichts geringers als — die goͤttliche Wahrheit in der geſchloßnen Hand behalten zuhaben.
Wahrheit und Unwahrheit ſtehen be - kanntlich ſehr weit auseinander. Gefliſ - ſentlich Unwahrheit verbreiten, iſt das ſchaͤnd - lichſte und fuͤr die Menſchheit ſchaͤdlichſte Geſchaͤfte, welchem ſich ein Schriftſteller preis geben kann; aber Wahrheit zuruͤckbe - halten wo es Noth thut (und daß es je - zuweilen Noth thut, darf hier wol nicht bewieſen werden) iſt ein Verdienſt, welches zwar nur undankbare Fruͤchte traͤgt, zu deſ - ſen Erwerbung aber ein ſehr aufgeklaͤrter und durch praktiſche Welt und Menſchen -XI kenntniß gelaͤuterter Kopf und ein ſehr ge - fuͤhlvolles, fuͤr Menſchengluͤck und Men - ſchenelend empfaͤngliches Herz gehoͤren. Ohne ſich eigenmaͤchtig in dieſe Kathegorie draͤngen zu wollen, uͤberlaͤßt es der Ver - faſſer der Leſewelt oder vielmehr den Op - timaten in derſelben, den Ausſpruch zu thun, in wie weit er, mit Ruͤckſicht auf ſei - ne buͤrgerlichen und moraliſchen Verhaͤlt - niſſe, die haarfeine Linie zwiſchen dem Zu - viel und Zuwenig gehalten, oder diſſeits und jenſeits uͤberſchritten habe.
Unter der großen Menge von Thatſa - chen die in dieſem Buche aufgefuͤhrt ſind, gehoͤrt ein betraͤchtlicher Theil zu der Gat - tung derer, welche die Nachwelt aufleſen und die Geſchichte dereinſt in einen Kranz flechten wird, um ihn im Tempel der Un - ſterblichkeit um Katharinens Denkmal zu winden. Selbſt ein Buͤrger Ihres Staats, ein Zeitgenoſſe dieſer Begebenhei - ten, iſt der Verfaſſer vielleicht durch ſeine allzuinnige Theilnahme hie und da aus derXII Bahn des kalten Beobachters in den ma - giſchen Kreis ſtaunender Bewunderung fort - gerißen worden; aber nie hat er wiſſent - lich die Wahrheit verkauft, um erborgten Enthuſiasmus dafuͤr einzutauſchen. Ein Mann, der ein Buch dieſer Art an den Fuß dieſes Thrones niederlegt, darf den Vorwurf der Schmeicheley nicht befuͤrchten, und wuͤrde ihn verachten, wenn er ihn zu befuͤrchten haͤtte. St. Petersburg im No - vember 1792.
Die Beſtimmung dieſes Buchs, welches ſein Publikum weniger unter eigentlichen Gelehrten, als in der großen Leſewelt ſuchen muß, macht folgende Erlaͤuterungen nothwendig. Wo uͤber - all von Maaßen und Gewichten die Rede iſt, da werden Ruſſiſche verſtanden, wenn nicht aus - druͤcklich das Gegentheil bemerkt iſt. Der ruſſi - ſche Fuß iſt dem engliſchen voͤllig gleich. Eine Klafter (Saſhen’) haͤlt 7 Fuß, und eine Werſt 500 Klafter. Auf eine geographiſche (deutſche) Meile gehen alſo ungefaͤhr 6 Werſt und 475 Klafter. Die Arſhin hat 28 engliſche Zoll. Ein Tſyetwe - rik (Getreidemaaß) haͤlt an getrocknetem Roggen 1 Pud. Das Pud hat 40 Pfund, 45 ſolcher ruſ - ſiſchen Pfunde ſind 38 hamburgiſchen gleich. — Es bedarf wol kaum der Anzeige, daß der Rubel aus hundert Kopeken beſteht, und daß im ganzen Reiche der Julianiſche Kalender oder der alte Stil gebraͤuchlich iſt.
Die Rechtſchreibung ruſſiſcher Wor - te im deutſchen iſt noch ſo unbeſtimmt, daß es jedem Schriftſteller verziehen werden kann, wenn er ſich ſeine eigne waͤhlt. Man hat ſich in dieſem Buche durchgehends ſo genau als moͤglich an dieXIV Ausſprache gehalten, ſo weit es ſich ohne Affek - tation thun ließ. Einzelne ruſſiſche Mitlauter, fuͤr die wir kein entſprechendes Zeichen haben, ſind auf eine willkuͤhrliche Art erſetzt. Dahin ge - hoͤrt das Shiwete, welches dem franzoͤſiſchen g vor e und i entſpricht, und durch ſh bezeichnet iſt, z. B. Saſhen’. Statt des kleinen Jev’s, welche den Sylben, hinter welche es geſetzt wird, eine eigenthuͤmliche Dehnung in der Ausſprache giebt, iſt uͤberall das Auslaſſungszeichen gebraucht, z. B. Sbiten’.
Die Kupfer, mit welchen der Herr Verleger dem Publikum hoffentlich ein eben ſo willkomm - nes als intereſſantes Geſchenk macht, erklaͤren ſich wahrſcheinlich jedem Leſer von ſelbſt. Nur uͤber die Suͤjets der Titelvignetten ſcheint eine kurze Erlaͤuterung nicht uͤberfluͤßig zu ſeyn. Um ihre Bedeutung zu fuͤhlen, muß man ſich an die Betrachtungen (Th. 1. S. 72. folg. ) erin - nern, zu welchen ſich der Verfaſſer bey dem Ue - berblick uͤber dieſe prachtvolle Reſidenz und von dem Gedanken an ihre wunderbar ſchnelle Ent - ſtehung und Vollendung hinreiſſen ließ. Dieſe beyden ſo nahen und durch die Geiſtesver - wandſchaft Peter’s und Katharinens ſo merkwuͤrdigen Epoken auf eine ſinnliche Art in Parallele zu bringen, iſt der Zweck des Kuͤnſtlers. Auf dem erſten Blatte ſehen wir den Stifter der Kaiſerſtadt mit dem Entwurf zu ihrer Erbauung beſchaͤftigt. Es war am 16 May 1703 als der Grund zur Feſtung gelegt wurde; in eben dieſem Jahr landete das erſte Schiff, vom Zufall gefuͤhrt,XV in der Neva. Peter hatte Anfangs dieſe Stelle nur zur Errichtung einer Schanze beſtimmt, um die Muͤndung des Fluſſes zu decken; das Schick - ſal ſchien ihm einen Wink uͤber die kuͤnftige hoͤ - here und nuͤtzlichere Beſtimmung derſelben zu ge - ben, und Peter verſtand dieſen Wink. Er eil - te den Fuͤhrer des Schiffs, einem Hollaͤnder, ent - gegen, bewillkommte ihn freundlich, kaufte ihm ſeine Ladung ab und ermunterte ihn, jaͤhrlich ein - mal wieder zu kommen, um ſich eine Belohnung zu holen, die ihm auch bis auf ſeine letzte Reiſe ausgezahlt ward.
Von dieſem Zeitpunkt bis zu der Epoke der glaͤnzendſten Vollendung durch Katharina die Zweyte iſt nur ein Zeitraum von achtzig Jahren, die Dauer eines Menſchenlebens, verfloſſen. Im Jahr 1782 errichtete dieſe Fuͤrſtinn ihrem Vor - gaͤnger das beruͤhmte Monument, deſſen Darſtel - lung wir auf dem Titelblatte des zweyten Theils erblicken. Alle die unzaͤhligen Denkmahle, mit welchen Katharina ſich und ihrem Ahnherrn die Unſterblichkeit ſicherte, auf einem ſo begrenz - ten Umfange auch nur ſymboliſch andeuten zu wollen, hieße die Kunſt und ihren Gegenſtand her - abwuͤrdigen; dieſes große Suͤjet faßt ſie alle. Der außerordentlichſte Mann ſeines Volks mußte auf eine außerordentliche Art verewigt werden. Ein ſeltner Kuͤnſtler, eine ſublime Idee, ungeheu - re Anſtrengungen und die Schaͤtze der freygebig - ſten Monarchinn vereinigten ſich zu dieſem End - zweck, ſelbſt die Natur ſchafte aus ihrer geheimen Werkſtatt eine rieſenmaͤßige Maſſe herbey. AmXVI 7 Auguſt 1782 ward das Denkmal in Gegenwart der Kaiſerinn, unter dem Donner der Kanonen und dem Jubelgeſchrey eines unermeßlichen Volks eroͤffnet. Dies iſt der Moment, welchen der Kuͤnſt - ler in der Darſtellung gefaßt hat. Die Kaiſerinn ſtand auf dem Balkon des Senatspallaſtes und unter den Zuſchauern befand ſich ein Greis der ſchon im Jahr 1715 bey der Flotte in Dienſt ge - treten und zehn Jahre hindurch ein Augenzeuge von Peters Thaten geweſen war. Das Anden - ken dieſes merkwuͤrdigen Tages ward nicht bloß durch koſtbare Medaillen geſichert. Eine Gnaden - ukaſe — durch welche alle mehr als zehnjaͤhrige Prozeſſe aufgehober, alle fuͤnf Jahr in Verhaft geweſene Schuldner frey gegeben, und alle Forde - rungen der Krone unter 500 Rubel erlaſſen wur - den — erhaͤlt die Ruͤckerinnerung an dieſen Tag noch in den Herzen aller gefuͤhlvollen Menſchen.
Berlin, gedruckt bei Johann Georg Langhoff.
Politiſche Lage von St. Petersburg. — Phyſikaliſche. Klima. Eigenthümlichkeiten jeder Jahrszeit. — Phy - ſiognomie der Stadt. Umfang. Situation. Begren - zung. Rigiſches Thor. — Die Newa, ihre Einfaſ - ſung, ihre Brücken und ihre Eisdecke im Winter. Ka - näle. — Anzahl und Beſchaffenheit der Häuſer. Gaſ - ſen. — Stadttheile. Lokale und Eigenthümlichkeiten derſelben. Erſter Admiralitätstheil. Winterpallaſt. Eremitage. Hoftheater. Marmorpallaſt. Amphithea - ter. Admiralität. Marmorne Iſaakskirche. Sommer - garten. Oeffentliche Plätze. Die newskiſche Perſpek - tivgaſſe. Karakteriſtik dieſes Stadttheils. — Zweyter Admiralitätstheil. Opernhaus. Kaſaniſche und Niko - laikirche. — Dritter Admiralitätstheil. Neue Bank. — Stückhof. Arſenal. Tauriſcher Pallaſt. — Roſ - heſtwenskiſcher Stadttheil. Woskreſenskiſches Nonnen - kloſter. Kloſter des h. Alexander Newski. — Mos - kowitiſcher Stadttheil. Jägerhof. — Waſſili-Oſtrow. Akademie der Künſte. Landkadettenkorps. Akademie der Wiſſenſchaften. Neue und alte Börſe. — Peters - burgiſcher Stadttheil. Ländliche Inſeln und Sommer - palläſte. Feſtung. — Wiburgiſcher Stadttheil. Land - häuſer. — Ruhepunkt und Rückblick auf das Ganze.
Die doppelte Beſtimmung, die Peter der Große ſeiner neuerbauten Stadt gab, als er ſie zum Handelsplatz und zur Reſidenz erſchuf, veranlaßt natuͤrlich bey der Betrachtung ihrer Lage eine doppelte Ruͤckſicht. Daß die Wahl des Kaiſers fuͤr die erſtere Beſtimmung gut ausgefallen ſey, iſt, ſo viel ich weiß, noch von keinem Schriftſteller bezweifelt worden, aber deſto mehr Stimmen haben ſich gegen die po - litiſche Lage von St. Petersburg, als Re - ſidenz, erhoben.
Peter der Große hatte unſtreitig ſehr viele Gruͤnde, ſeinen Wohnſitz hier zu waͤhlen. Außerdem, daß ſeine ſchwediſchen Kriege ihn noͤthigten, ſich in einer Gegend aufzuhalten, von welcher aus er alles leichter uͤberſehen, anordnen und zur Ausfuͤhrung bringen konnte: war es ihm weſentlich darum zu thun, ſeine neuen Beſitzungen ſo viel als moͤglich ſeinem Reich einzuverleiben, und die Nation ein ge - wiſſes Intereſſe fuͤr die eroberten Provinzen beyzubringen. Das erſtere ward durch man - cherley bekannte Einrichtungen und durch die perſoͤnliche Gegenwart des Monarchen erreicht;5 das letztere konnte nicht fuͤglicher geſchehen, als wenn er den Großen des Landes Beſitzungen in dieſen Gegenden gab und ſie veranlaßte ſich hier anzubauen.
Ein zweyter eben ſo wichtiger Grund war dieſer. Die Abſicht Peters des Großen, Fremde in ſeine Staaten zu ziehen, um durch ſie eine ſchnellere Verbreitung der Kultur zu befoͤrdern, wurde dadurch ungemein beguͤnſtigt, daß die Auslaͤnder, nach einer kurzen, nicht ſehr koſtbaren Seereiſe ſogleich in der Reſidenz eintreffen konnten, wo ſie natuͤrlich weit mehr Gelegenheit als irgendwo zu ihrem Fortkom - men hoffen durften. Waͤre Moskau die Reſi - denz geblieben, ſo wuͤrden unter hundert hier anſaͤſſigen Fremdlingen vielleicht nicht fuͤnfe Luſt und hinlaͤnglichen Geldvorrath gehabt ha - ben, die weite Landreiſe zu unternehmen, und der Staat wuͤrde des Gewinns von ſo viel neuen und arbeitſamen Buͤrgern verluſtig ge - gangen ſeyn. Der Einwurf, daß durch die eingewanderten Fremden von der Mitte des Reichs aus die Kultur ſchneller und allgemeiner haͤtte verbreitet werden koͤnnen, faͤllt hiedurch zum Theil von ſelbſt weg. Ueberdem lehrt dieA 36Erfahrung, daß die Auslaͤnder ſich von hier ſehr leicht im Lande vertheilen, wodurch der eben erwaͤhnte Vortheil eben ſo gut und viel - leicht noch zweckmaͤßiger erreicht wird.
Es war endlich dem Kaiſer daran gelegen, in naͤhere Verbindung mit den uͤbrigen euro - paͤiſchen Staaten zu treten, die Staatskorre - ſpondenz zu befoͤrdern, und den Kurierwechſel zu erleichtern. Man koͤnnte zwar einwenden, daß, unter den vorhandenen Umſtaͤnden, die Vertheilung der Befehle und Nachrichten im Reich deſto langſamer von Statten gehen muͤſ - ſe; aber eines Theils betraͤgt der Unterſchied der Entfernung immer nur ſehr wenig im Verhaͤltniß zu der Groͤße des Reichs: und andern Theils ſind im Lande ſelbſt die Rei - ſeanſtalten ſo gut und die auſſerordentliche Schnelligkeit etwas ſo gewoͤhnliches, daß hiebey kein Theil der Staatsverfaſſung lei - den kann.
Die Nachfolger Peters des Großen ſind wahrſcheinlich durch eben dieſe und andere Gruͤnde bewogen worden, ſeinen Plan nicht zu verlaſſen. Wenn man bedenkt, welche uner - meßliche Schaͤtze bis dahin zur Verſchoͤnerung7 dieſes Platzes und zur Abhelfung der natuͤrli - chen Unbequemlichkeiten ſeiner Lage aufgewen - det ſind; wenn man einen Blick auf die Waſ - ſerkommunikation wirft, welche Petersburg mit den innerſten und entlegenſten Provinzen des Reichs in Verbindung ſetzt; auf den Handel, der dieſe Reſidenz zur Stapelſtadt der ruſſiſchen Produkte macht; auf die Vortheile der Lage an der Muͤndung eines vielarmigen Fluſſes, der die ganze Stadt in ihren entfernteſten Thei - len mit reinem geſunden Waſſer verſorgt — ſo wird man den Entſchluß, dieſe Reſidenz beyzu - behalten, nicht minder weiſe finden, als die erſte Idee ihrer Erbauung.
Zu bedauren iſts, daß die phyſiſche La - ge und das Klima von St. Petersburg die - ſen großen Vorzuͤgen nicht entſprechen. Die Lage der Reſidenz an der Muͤndung und auf den Inſeln der Newa iſt niedrig und ſumpfig. Die Gegend umher iſt Moraſt und Wald, bis auf die einzelnen Stellen, welche Menſchenfleiß und Kunſt, trotz der kargen Natur, zu reizen - den Gefilden umgeſchaffen haben. Welch ein Abſtand von der gluͤcklichen Lage von Moskau! wo die Jahrhunderte durch einheimiſche KulturA 48Hand in Hand mit der ſchoͤnen Natur geht, wo der Segen des Landmanns dem Staͤdter aus dem Fenſter ſeines Hauſes entgegen lacht.
Nach der Berechnung des Akademikus Krafft hat St. Petersburg in einem Durch - ſchnitt von zehn Jahren nur 97 heitere, dage - gen aber 104 Regen - 72 Schnee - und 93 truͤ - be Tage. Jaͤhrlich entſtehen 12 bis 67 Stuͤr - me; die zum Theil, wenn ſie weſtlich ſind, Ueberſchwemmungen verurſachen. Nach einer Erfahrung von mehr als ſechzig Jahren bricht das Eis der Newa nie vor dem 25. Maͤrz, und nie nach dem 27. April; ſie friert am fruͤheſten den 20. Oktober und am ſpaͤteſten den 1. Dezember zu. Seit 1741 war die groͤßte Hitze 27 und die groͤßte Kaͤlte 33 Grad.
Dieſe Ueberſicht beweiſt, wie wenige Tage unter dieſen Himmelsſtrich in freyer Luft ge - nießbar, und wie eingeſchraͤnkt die Freuden unſers Sommers ſind. Der Winter iſt un - ſere beſte Jahrszeit und hat große Vorzuͤge vor ſeinen feuͤchten und neblichen Bruͤdern in ſuͤdlichen Laͤndern. Eine ausdaurende gleiche Kaͤlte ſtaͤrkt und erfriſcht den Koͤrper. Die vortreffliche Schlittenbahn erleichtert das Rei -9 ſen und macht es angenehm; eine Winterreiſe bey maͤßiger Kaͤlte in mondhellen Naͤchten iſt ein Genuß den man nur unter dieſen Himmels - ſtrich kennt. Das rußiſche Volk, an Ausdauer gewoͤhnt, lebt beym Einbruch des Winters gleichſam auf; ſelbſt Fremde ſind hier unem - pfindlicher gegen die Kaͤlte als in ihrem Vater - lande. Wahr iſt es aber auch, daß man ſich nirgends beſſer gegen ihre Wirkungen zu ſchuͤ - tzen weiß, als hier. Bey der Annaͤherung des Winters ſetzt man in allen Haͤuſern doppelte Fen - ſter ein, deren Zwiſchenraͤume mit Werg verſtopft und mit Papier uͤberklebt werden. Dieſe Vor - ſicht ſchuͤtzt nicht nur gegen Kaͤlte und Wind, ſondern gewaͤhrt auch mitten im Winter eine freye Ausſicht, da die Glasſcheiben auf dieſe Art nie mit Eiſe belegt werden. Die Auſſen - thuͤren, oft auch die Fußboͤden in den Zimmern, bekleidet man mit Filz. Unſere Oefen, deren Groͤße und Bauart freylich viel Holz erfordern, bewirken in den weitlaͤuftigſten Wohnungen und oͤffentlichen Saͤlen eine Temperatur, die das Andenken an den Winter vertilgt.
Wenn man die Stube verlaͤßt, bewaffnet man ſich noch ernſthafter gegen die Kaͤlte. A 510Muͤtze, Pelz, gefuͤtterte Ueberſtiefel und Muff gehoͤren zur Winterbekleidung. Ein luſtiger An - blick iſts, die koloſſaliſchen Huͤllen im Vorzim - mer zu ſehen, aus denen ſich nach wenigen Minuten die eleganteſten Stutzer entwickeln. Der gemeine Ruſſe ſorgt nur fuͤr warme Be - kleidung der Fuͤße. Mit einem einfachen Pelz verſehen, mit unbedecktem Halſe und einem zu Eiſe gefrornem Bart halten Fuhrleute und Kleinverkaͤufer den ganzen Tag auf offner Straße. Bey einer Kaͤlte von 25 Graden ſte - hen Weiber ſtundenlang auf den Kanaͤlen und ſpuͤlen Waͤſche.
Der Winter vermehrt die Lebensnothwen - digkeiten und der Luxus vergroͤßert ſie. Die Winterkleidung, das Holz und die Lichte gehoͤ - ren in dieſe Rubrik. Daß hier in Pelzen ein großer Aufwand herrſcht, iſt vorauszuſetzen; die Mode wechſelt oft ſo ſchnell, daß man mehr als wohlhabend ſeyn muß, um ihr allemal folgen zu koͤnnen. Der Holzverbrauch iſt unge - heuer. In den Kuͤchen, Baͤdern und Bedienten - zimmern, die wie Baͤder geheizt werden, geht eine unglaubliche Menge dieſes erſten Beduͤrfniſſes fuͤr unſer Klima verloren. Nach einem maͤßigen11 Anſchlage werden hier jaͤhrlich uͤber 200,000 Klafter verbraucht, deren Geldwerth gegen eine halbe Million Rubel betraͤgt. Dieſe fuͤrch - terliche Konſumtion und der ſteigende Preis des Holzes ſind der Aufmerkſamkeit des Patri - oten werth. Der Aufwand in Lichten und Wachskerzen iſt verhaͤltnißmaͤßig eben ſo groß. Den langen Winter hindurch lebt man beynah in einer ewigen Nacht, da unſer kuͤrzeſter Tag nur ſechstehalb Stunden waͤhrt. In Haͤuſern von gutem Ton werden die Kerzen angezuͤndet, ehe man ſich zur Mittagstafel ſetzt.
Der Fruͤhling iſt ſo kurz, daß er kaum unter die Jahrszeiten gerechnet werden darf. Der Maͤrz und April werden gewoͤhnlich durch heitere Tage angenehm, aber die Luft iſt noch rauh, und die Newa traͤgt oft noch ihren Eis - ruͤcken. Im May veraͤndert ſich ploͤtzlich die Scene: die Wintertracht verſchwindet ganz, aber den balſamduftenden Fruͤhling verjagen kalte noͤrdliche Winde. Durch einen raſchen Uebergang werden wir in den Sommer ver - ſetzt. Auch ſein Daſeyn iſt von kurzer Dauer; kaum erwacht, kaum genoſſen, eilt er voruͤber — er mox bruma recurrit iners.
12So kurz indeſſen unſer Sommer iſt, ſo fehlt es ihm doch nicht an Annehmlichkeiten, und vielleicht wird er hier um deſto beſſer ge - noſſen, weil er ſo kurz iſt. Bey dem erſten Laͤcheln der wiederkehrenden Sonne begiebt man ſich auf die nahe gelegenen Landſitze, wo die beſſere Jahrszeit im Genuß gaſtfreundſchaftli - cher Geſelligkeit nur allzubald verfließt. Zu den eigenthuͤmlichen Vorzuͤgen des hieſigen Som - mers gehoͤren die hellen und zum Theil war - men Naͤchte. Der ſanfte Schimmer der kaum untergetauchten Sonne roͤthet den Horizont und verſchoͤnert die Gegenſtaͤnde; die geraͤuſch - volle Thaͤtigkeit in den Gaſſen verliert ſich, aber nicht zu einer todten Stille, ſondern zu jener muͤßigen Geſchaͤftigkeit, die wolluͤſtiger als die Ruhe ſelbſt iſt; uͤberall trifft man auf Spaziergaͤnger, die ſich zuweilen von Muſik begleiten laſſen; auf der Newa und auf allen Kanaͤlen ſchwimmen Schaluppen, von denen der einfache melodiſche Volksgeſang der Matroſen ertoͤnt — durch die Neuheit der Scene und ihren Reiz verfuͤhrt und in der Erwartung der kommenden Nacht ſieht man ſich durch eine an - nehme Ueberraſchung um ſeinen Schlaf betro -13 gen, wenn die erſten Stralen der Sonne die Spitzen der Haͤuſer vergolden. Noch habe ich keinen Fremdling gekannt, der bey dem erſten Genuß einer ſolchen Sommernacht unempfindlich geblieben waͤre.
Aber ach zu welchen Scenen bereiten dieſe wolluͤſtigen Augenblicke vor! dem kurzen Som - mer folgt ein Herbſt, der durch ſeine tauſend - fachen Unannehmlichkeiten das Andenken an die wenigen ſchoͤnen Tage verloͤſcht. Um dieſe Jahrs - zeit verwandelt ſich Petersburg in den haͤßlichſten Winkel der Erde. Der Horizont bedeckt ſich auf mehrere Wochen mit dicken ſchwarzgrauen Wolken, durch die kein Stral der Sonne bricht; die ohnehin ſchon kurzen Tage werden zu einer melankoliſchen Daͤmmerung; der unaufhoͤrliche Regen macht die Gaſſen, trotz der koſtbaren un - terirrdiſchen Kanaͤle, ſo kothig, daß es jedem wohlgekleideten Menſchen unmoͤglich iſt, zu Fuße zu gehn; und um das haͤßliche Ideal eines Herbſtabends vollkommen zu machen, geſellen ſich haͤufige Stuͤrme dazu.
So iſt der Boden und der Himmel beſchaf - fen, auf und unter welchem St. Petersburg liegt. Jetzt wollen wir einen Blick auf die Stadt ſelbſt14 werfen, aber nur einen fluͤchtigen Blick: denn um alles auf einmal zu ſehen, wuͤrden wir wahr - ſcheinlich nichts ſehen.
Die Phyſiognomie der Reſidenz iſt la - chend. Gerade, breite und zum Theil ſehr lan - ge Straßen, die ſich haͤufig in ſtumpfen und ſpi - tzen Winkeln durchſchneiden — große freye Plaͤtze — Mannigfaltigkeit in der Bauart der Haͤuſer — endlich die vielen Kanaͤle und der ſchoͤne Newafluß mit ihren dauerhaften und ge - ſchmackvollen Einfaſſungen, machen den großen Anblick heiter und angenehm. In Anſehung der Regelmaͤßigkeit und Anlage zur Schoͤnheit laͤßt Petersburg ſich nur mit wenigen großen Staͤdten in Europa vergleichen. Paris, trotz der Menge ſeiner Pallaͤſte und der fortdaurenden Aufmerk - ſamkeit auf die Verbeſſerung ſeiner fehlerhaften Anlage, kann nie eine ſchoͤne Stadt werden, und London iſt es nur in ſeinen neuerbauten Theilen. Berlin wetteifert mit jeder andern Stadt in Ruͤck - ſicht auf ſchoͤne Regelmaͤßigkeit, aber Petersburg hat mehr große Anlagen. Dort ſtoͤßt das Auge ſeltner auf leere unbebaute Plaͤtze oder hoͤlzerne Huͤtten; hier findet man mehrere Palaͤſte und große Privatgebaͤude, breitere Straßen und eine15 Menge ſchoͤner Kanaͤle. Der Anblick von Pe - tersburg vergnuͤgt weniger durch das was da iſt, als durch die Idee des nach einer ſo großen und ſchoͤnen Anlage zu vollendenden Ganzen; eine Idee die ſehr natuͤrlich durch das ſtete auſſeror - dentlich ſchnelle Bauen erweckt wird. In kurzer Zeit ſieht man weitlaͤuftige wuͤſte Felder mit Haͤu - ſern bedeckt, und wer einige Jahre hindurch ge - wiſſe Gegenden nicht beſucht hat, wie dies in großen Staͤdten leicht der Fall iſt, findet ſich oft mit Ueberraſchung in unbekannte Gaſſen verſetzt. Der Admiralitaͤtstheil, jetzt die ſchoͤnſte Gegend der Stadt, war noch vor wenigen Jahren ſo wuͤſte, daß viele Einwohner ſchon itzt die Pallaͤſte bemerken, an deren Stelle ſie Moraſt oder Vieh - triften geſehen haben. Der Fontanka-Kanal, vor zehn Jahren noch ein ſumpfiger Bach, der die umliegende Gegend ungeſund machte und deſ - ſen Ufer mit hoͤlzernen Huͤtten bebaut waren, iſt itzt in ſeiner prachtvollen Einfaſſung die ſchoͤnſte Zierde der Reſidenz, ſo wie die Haͤuſerreihe zu beyden Seiten des Ufers in zwanzig Jahren eine der ſchoͤnſten Gaſſen in Europa ſeyn wird, wenn man fortfaͤhrt, ſo viel und ſo geſchmackvoll in derſelben zu bauen. — Indeſſen iſt nicht zu16 leugnen, daß die zum Theil ſchlecht, zum Theil gar nicht bebauten Plaͤtze, ſelbſt in den beſſern Gegenden der Stadt, oft einen widrigen Anblick erregen; ein Umſtand, dem, wegen der unge - heuren Ausdehnung der Reſidenz, ſelbſt durch die Bauwuth des hieſigen Publikums, nicht leicht abgeholfen werden kann.
Zur Phyſiognomie einer Stadt gehoͤrt das Leben, die Thaͤtigkeit, das Gewuͤhl das in ihren Gaſſen herrſcht. St. Petersburg gehoͤrt in die - ſer Ruͤckſicht unter die großen Staͤdte von der zweyten Klaſſe. Die Hauptſtraßen ausgenom - men, in denen es zum Theil von Wagen und Fußgaͤngern wimmelt, ſind die uͤbrigen faſt ohne Leben. Dies liegt ſowol an der großen Ausdeh - nung und Weitlaͤuftigkeit der Stadt, als an dem unguͤnſtigen Klima. Des Abends werden die Gaſſen fruͤh von Menſchen leer; die Thaͤtigkeit des gemeinen Mannes hoͤrt gewoͤhnlich mit dem Einbruch der Dunkelheit auf, und die Stille der Nacht wird nur zuweilen durch das Geraſſel einzelner Wagen geſtoͤrt.
Um ſich einen deutlichen Begriff von der Situation einer Stadt zu verſchaffen, giebt es freylich kein beſſeres Mittel, als Thuͤrme zubeſtei -17beſteigen, die eine große Ueberſicht des Ganzen gewaͤhren. Da uns dieſes Huͤlfsmittel fehlt, ſo wollen wir durch eine moͤglichſt anſchauliche Dar - ſtellung dieſe Luͤcke zu ergaͤnzen verſuchen.
St. Petersburg liegt an den Ufern und auf den Inſeln der Newa, die hier einen Winkel macht, weil ihr Lauf erſt nordlich und dann weſt - lich geht. In dieſem Winkel, und alſo auf der linken Seite der Newa, liegt in einer Form die einem Dreyeck nahe koͤmmt, der anſehnlich - ſte, bebauteſte und bewohnteſte Theil der Re - ſidenz. Das Kloſter des h. Alexander Newski macht bey der nordlichen Richtung des Fluſſes den Anfang der Stadt; folgt man dieſer Rich - tung, ſo gelangt man in das woskreſenskiſche Kloſter, bey welchem die Newa ihren Lauf aͤn - dert, der von hier bis zu ihrem Ausfluß in den kronſtaͤdtiſchen Buſen in weſtlicher Rich - tung die zweyte Seite des Dreyecks bildet, wodurch die dritte Seite oder die Ausdehnung von dem Ausfluß der Newa bis zum Alexan - der-Newski Kloſter theils von ſelbſt, theils auch durch einen Stadtgraben und durch den ligowiſchen Kanal beſtimmt wird. Man ver - geſſe nicht, daß wir bis hieher nur dem linkenErſter Theil. B18Newaufer gefolgt ſind, welches durch keine Arme unterbrochen iſt.
Nun beginnen wir unſere Reiſe laͤngs dem rechten Ufer des Fluſſes. Hier finden wir bey der Biegung deſſelben, dem woskreſenskiſchen Kloſter gegenuͤber, die Slobode Ochta, die thren Namen von dem kleinen Fluſſe Ochta hat, der hier in die Newa faͤllt. Von hier an wird, wie wir wiſſen, der Lauf der Newa weſtlich. In dieſer Richtung theilt ſie an ih - rem rechten Ufer zwey breite Arme ab; der erſtere heißt die Newka, und der folgende weſtlichere die kleine Newa. Alles was zwiſchen dem rechten Ufer der Newa und an der Oſtſeite der Newka liegt, wird der wi - burgiſche Stadttheil genannt. Jetzt bleiben uns natuͤrlich noch zwey große Inſeln uͤbrig. Die erſtere, die von der Newa, New - ka, und kleinen Newa eingeſchloſſen wird, heißt die Petersinſel, und macht nebſt mehreren kleinen Inſeln die durch die ferneren Theilun - gen der Newka gebildet werden, den peters - burgiſchen Stadttheil aus. Die zweyte Inſel, die durch die kleine Newa und den19 Hauptſtrom entſteht, heißt Waſſili-Oſtrow und iſt ein beſonderer Stadttheil.
Aus dieſer Darſtellung ergiebt ſich, daß der Umfang der Reſidenz ſehr groß ſeyn muß. Er betraͤgt, zufolge einer Angabe des Akademikus Georgi, vier und zwanzig Werſt, oder viertehalb deutſche Meilen. Nach eben dieſer Quelle nimmt der eigentlich bebaute Theil nur etwa das Viertheil dieſes Flaͤchen - raums ein.
In dieſer ungeheuren Ausdehnung liegt der Grund, warum St. Petersburg nicht ſo bald ſeiner Vollendung nahe gebracht werden kann. Noch immer trifft man in den beſten Gegenden der Stadt auf leere Plaͤtze, weil dieſe in den entfernteren Theilen wohlfeiler ſind und daher eher bebaut werden. An der Landſeite hat Petersburg nun zwar eine Gren - ze durch den Stadtgraben, aber auch die - ſer iſt ſo weit uͤber die bebaute Gegend hin - ausgeruͤckt, daß der große Zwiſchenraum fuͤr eine neue Stadt hinreichend waͤre.
Außer dieſem eben angefuͤhrten Graben hat die Reſidenz ſonſt keine Begrenzung und nur ein einziges Thor, durch welchesB 220die Heerſtraße nach Riga fuͤhrt. Es hat die Form eines Wuͤrfels, iſt durchaus von Granit und auf jeder Ecke mit einer großen Urne von Marmor geziert. Die koloſſaliſche Groͤße, die Simplicitaͤt und die Schoͤnheit des Steins ma - chen dieſes Monument ſeiner Beſtimmung werth, und ſtimmen den Reiſenden bey ſeinem Eintritt zu der Empfindung die der Anblick ſo vieler Pracht und Groͤße in dem Innern dieſer Re - ſidenz erregen muß.
Ehe ich meine Leſer in die Gaſſen und Pallaͤſte fuͤhren kann, die der vorzuͤgliche Ge - genſtand dieſes Abſchnitts ſind, muͤſſen wir noch einmal zu dem Terrain zuruͤckkehren. Die Newa und ihre Kanaͤle ſind ein ſo merkwuͤr - diger Theil des Lokale, daß meine Leſer nur einen ſehr unvollſtaͤndigen Begriff von dem Ganzen haben wuͤrden, wenn ſie von der Lage, der Beſchaffenheit und den Verbindungen der - ſelben nicht hinlaͤnglich unterrichtet waͤren.
Zuerſt alſo von der Newa. Dieſer Fluß, deſſen Vorzuͤge allein die Lage von St. Peters - burg unſchaͤtzbar machen, fließt in oben beſchrie - bener Richtung durch die Stadt in den kron - ſtaͤdtiſchen Buſen, und bildet durch zwey von21 ſeinem rechten Ufer ausgehende Arme und de - ren Theilungen die vorhin erwaͤhnten Inſeln. Der Hauptſtrom, der zum Unterſchiede die große Newa genannt wird, hat eine Breite von 150 bis 200 Klafter und traͤgt Schiffe von mittlerer Groͤße. Das linke Ufer deſſelben, welches, wie meine Leſer ſich erinnern werden, ununterbrochen fortlaͤuft, iſt vom Gießhauſe bis an die Ecke des Galeerenhofes (die Stelle aus - genommen, welche der Admiralitaͤtswerft ein - nimmt) alſo ungefaͤhr eine Strecke von 1650 Klaftern, mit einem Kay von Granitqua - dern verſehen. Dieſes große Monument, wel - ches in Ruͤckſicht auf Nutzbarkeit und Pracht ſeine Parallele nur unter den Ruinen des al - ten Roms ſuchen darf, iſt ſein Daſeyn der jetzigen Kaiſerinn ſchuldig. Die Hoͤhe des pi - lotirten Ufers uͤber der Waſſerflaͤche betraͤgt zehn Fuß; das Ufer ſelbſt iſt mit einem Trot - toir von der Breite eines Klafters verſehen, und hat eine Wand oder Lehne, die drittehalb Fuß hoch und fuͤnf viertel Fuß breit iſt. Dieſe Einfaſſung iſt ſtellenweiſe von Auffahrten und Ruhebaͤnken unterbrochen, die in regelmaͤßigen Entfernungen abwechſeln. Letztere haben dieB 322Form eines halben Zirkels und ſind von beyden Seiten mit Stiegen umgeben, die vom Kay herunter zu bequemen Landungsplaͤtzen fuͤhren. Alles was ich hier genannt und beſchrieben ha - be, iſt durchaus von gehauenem Granit.
Man kann ſich leicht vorſtellen, daß das linke Ufer der Newa durch dieſe Einfaſſung eine der glaͤnzendſten Gegenden der Stadt wer - den mußte. Und in der That, wenn der große Geiſt Katharinens hier ein Denkmal ge - meinnuͤtziger Pracht ſtiftete, ſo hat der Wett - eifer reicher Privatleute alles gethan, die Nach - barſchaft deſſelben zu einem Denkmal des ge - ſchmackvollſten Aufwands zu machen. Die Haͤu - ſerreihe laͤngs dem Kay darf keine Verglei - chung mit irgend einer Gaſſe in Europa ſcheu - en. — Ich wuͤrde meinem Plan vorgreifen, wenn ich meine Leſer auf die maleriſchen Schoͤn - heiten aufmerkſam machen wollte, die ein Spa - ziergang an dieſem Ufer darbietet. Genug, daß ſie den Standpunkt kennen, zu welchem ich ſie kuͤnftig einmal, aber nicht als trockner To - pograph, begleiten werde.
Jetzt gehen wir zu dem rechten Ufer der großen Newa uͤber, welches, wegen der ſchlech -23 ter bebauten Stadttheile, keine eigentlichen Merkwuͤrdigkeiten hat. Laͤngs der wiburgiſchen Seite iſt es mit keiner Einfaſſung verſehen; aber am Ufer der Petersinſel beſpuͤlen die Wellen der Newa die praͤchtigen mit Granitquadern beklei - deten Mauern der Feſtung. Das Ufer von Waſſili-Oſtrow hat zum Theil ein hoͤlzernes Bollwerk, das aber wahrſcheinlich mit einem Granitkay vertauſcht werden wird, da dieſe durchaus gut und zum Theil praͤchtig bebaute Gegend zu einer ſolchen Verſchoͤnerung reif iſt.
Die Ufer der großen Newa ſind durch zwey Schiffbruͤcken mit einander verbunden, deren eine den Stuͤckhof mit der wiburgiſchen Seite, und die andere den erſten Admiralitaͤtstheil mit Waſſili-Oſtrow verbindet. Da alle Bruͤk - ken, die uͤber die Newa und ihre Arme fuͤhren, einerley Einrichtung und Bauart haben, ſo will ich nur die letztere beſchreiben, die wegen ihrer Lage die merkwuͤrdigſte iſt, da ſie die Hauptver - bindung der volkreichſten und beſten Gegenden der Stadt bewirkt. Dieſe Bruͤcke hat eine Laͤnge von 130 Klafter und ruht auf ein und zwanzig Barken, die beſonders zu dieſem Zweck erbaut ſind, und durch zwey Anker auf ihrer Stelle er -B 424halten werden. Zum Behuf des Durchgangs der Schiffe ſind zwey Zugbruͤcken angebracht, die nur des Nachts geoͤfnet werden. Der Me - chanismus dieſer Bruͤcke iſt ſo einfach, daß ſie im Herbſt bey der Ankunft des Treibeiſes in we - niger als zwey Stunden aus einander genommen werden kann, daher das Publikum ihrer auch nur wenige Zeit vor dem Zufrieren der Newa entbehrt. Sobald das Eis ſteht, wird ſie wie - der aufgeſetzt und bleibt zur Sicherheit und Be - quemlichkeit der Einwohner bis in das Fruͤhjahr ſtehen. Wenn in dieſer Jahrszeit das Eis der Newa bricht, wird ſie zum zweytenmal aus ein - ander genommen und nicht eher wieder herge - ſtellt, als bis das Treibeis aus dem Ladogaſee voruͤber iſt, welches oft vier bis ſechs Wochen dauert.
Der Standpunkt auf dieſer Bruͤcke gewaͤhrt eine der intereſſanteſten Ausſichten. Die anſehn - liche Breite des Fluſſes, der praͤchtige Kay an dem linken Ufer deſſelben, die ſchoͤnen Haͤuſerrei - hen zu beyden Seiten, der Anblick der Feſtung, die vergoldeten Thuͤrme, das Denkmal Peters des Großen, die hin und wieder ſchwimmen - den, oder in Gruppen verſammelten, oder ſe -25 gelnden Schiffe — und dann wieder das Gewuͤhl von vorbeyrollenden Wagen, ſchwerbeladenen Karren, geſchaͤftigen und muͤßigen genießenden Fußgaͤngern — alle dieſe einzelnen Zuͤge verſam - meln ſich hier zu einem Ganzen, das wol geſe - hen und empfunden, aber nicht gemalt und be - ſchrieben werden kann.
Da wir uns einmal mit den Kommunika - tionen der Newa beſchaͤftigen, ſo duͤrfen wir auch der großen Eisdecke nicht vergeſſen, welche die Natur im Winter uͤber dieſen Fluß breitet, und wodurch ſie einen betraͤchtlichen Theil des Jahrs hindurch alle Bruͤcken entbehrlich macht. Der Zeitpunkt dieſer merkwuͤrdigen Veraͤnderung iſt oben ſchon angemerkt: hier etwas von den Erſcheinungen, die dieſelbe begleiten. Das Ge - frieren der Newa kuͤndigt ſich durch kleine Eis - ſchollen an, die einen oder mehrere Tage auf dem Waſſer treiben, ſich allmaͤlig vergroͤßern, dann ſtocken und zuſammenfrieren. Dieſe Ver - aͤnderungen erfolgen oft ſo ſchnell hinter einan - der, daß man zu Waſſer uͤber den Fluß und ei - nige Stunden nachher trocknen Fußes zuruͤckkom - men kann. Sobald das Eis ſteht, werden Fuß - ſteige und Fahrwege gebahnt und durch Tannen -B 526zweige bezeichnet. Dieſe ſonderbaren Straßen, die nur unter dieſem Himmelsſtrich ſo gefahrlos werden koͤnnen, daß man bey ihrer Benutzung auch ſogar den Gedanken an den ſchiffbaren Fluß verliert uͤber welchen ſie hinlaufen, werden dem Publikum wegen der Verkuͤrzung der Wege ſehr nuͤtzlich. Durch das Fahren und Gehen erhal - ten ſie eine ſolche Kondenſitaͤt, daß ſie auch dann noch ohne Gefahr ſind wenn uͤberall das Eis ſchon locker wird. Aber nicht bloß in der Stadt oder auf kleine Strecken bereitet man ſolche Win - terſtraßen. Der gewoͤhnliche Fahrweg von Pe - tersburg nach Kronſtadt geht aus der Newa in gerader Linie uͤber den Meerbuſen hin; er wird ebenfalls mit Geſtraͤuchen bezeichnet, und auf demſelben ſind mehrere Wachthaͤuſer und eine Schenke befindlich. — Wenn im Fruͤhjahr die Sonne ihre Wirkungen aͤußert, ſammelt ſich Schneewaſſer auf dem Eiſe. So lange dieſes ſichtbar bleibt, iſt keine Gefahr; aber wenn das Waſſer verſchwindet und die Oberflaͤche grau wird, iſt der Eisbruch nahe, der gewoͤhnlich bey einem weſtlichen Winde erfolgt. Die Wege hal - ten am laͤngſten; oft ſieht man noch Leute hinuͤ - ber gehn, wenn einige Schritte davon Schalup -27 pen fahren. Der gemeine Ruſſe achtet dieſe Gefahr wenig und begiebt ſich oft um der elen - deſten Kleinigkeit in dieſelbe. Die Polizey ſucht dieſen zweckloſen Muth durch Befehle und Stock - pruͤgel zu kuͤhlen, indeſſen die Englaͤnder ihn oft durch Wetten und Praͤmien ermuntern.
Die Arme der Newa ſind weiter durch nichts merkwuͤrdig, als daß ſie zum Theil Schiff - bruͤcken haben, die eine freye Kommunikation unter allen, auch den entfernteſten, Stadtthei - len erhalten. Wir kehren alſo zum linken Ufer der Newa zuruͤck, wo Gegenſtaͤnde hoͤherer Art unſere Aufmerkſamkeit beſchaͤftigen werden.
Das große Dreyeck von Haͤuſern, welches an dieſer Seite des Fluſſes liegt, wird von drey Hauptkanaͤlen durchſchnitten, die eben ſo viele, freylich nicht ſehr regelmaͤßige, Halbzirkel bilden, deren einer immer den andern einſchließt. Wenn man ſeinen Standpunkt ſo nimmt, daß man die Newa im Ruͤcken hat, und nun in eine der großen Perſpektivgaſſen hineingeht, ſo ſtoͤßt man zuerſt auf die Moika, die den kleinſten Halbzirkel macht, alsdann auf den Kathari - nenkanal, der die Moika einſchließt, und zu - letzt auf die Fontanka, die mit ihrem regel -28 maͤßigern Halbzirkel beyde umgiebt. Die Fon - tanka wird eigentlich von einem groͤßern Bogen eingeſchloſſen, den der Stadtgraben und der li - gowſche Kanal machen, aber dieſe letztere ſind von keiner Bedeutung.
Eine genaue Beſchreibung der Richtung und Verbindung dieſer Kanaͤle wuͤrde ſehr langweilig und unnoͤthig fuͤr den groͤßten Theil meiner Leſer ſeyn. Ich laſſe es bey der anſchaulichen Dar - ſtellung bewenden, die ich hievon habe geben koͤnnen, und will jetzt verſuchen, das Karakte - riſtiſche und Merkwuͤrdige derſelben zu zeichnen.
Die Moika war ehedem ein Moraſtbach und ward unter der vorigen Regierung ausgegra - ben. Ihr Bette iſt ſeicht und an vielen Orten ver - ſchlammt, ihre Einfaſſung von Holz und in ih - rem Lauf macht ſie viele Kruͤmmungen. Auch die Gaſſen zu beyden Seiten des Kanals ſind groͤßtentheils ſchmal; eine Unbequemlichkeit, die hier um ſo laͤſtiger wird, da man der geraden, breiten und mit Trottoirs verſehenen Straßen gewohnt iſt. Was aber dieſe Maͤngel in das uͤbelſte Licht ſtellt, iſt der Umſtand, daß dieſer Kanal gerade durch den Kern der Stadt, durch die bebauteſten und bewohnteſten Gegenden laͤuft. 29Doch, vielleicht iſt der Grund zu dieſen Klagen nicht mehr vorhanden, wenn das auswaͤrtige Publikum ſie lieſt. — Die Moika hat mehrere hoͤlzerne Bruͤcken, die nach den Farben genannt werden, mit welchen ſie beſtrichen ſind.
Der Katharinenkanal war ebenfalls ein Moraſtbach; Katharina die Zweyte gab ihm ſeine jetzige Geſtalt. Er iſt vier Werſte lang, ſieben bis acht Klafter breit und einen Klafter tief. Seine Ufer ſind mit Granitqua - dern bekleidet und bilden ein Trottoir, welches mit einer geſchmackvollen, eiſernen, durch Gra - nitpfeiler verbundenen Lehne verſehen iſt. In regelmaͤßigen Entfernungen ſind Abfahrten und Treppen angebracht, die immer mit einander ab - wechſeln. — Der Nikolaikanal, der den Katharinenkanal mit der Newa verbindet, iſt auf eben dieſe Art eingefaßt. — Die Bruͤcken ſind theils gewoͤlbt, theils niedlich geformte Zug - bruͤcken.
Die Fontanka gehoͤrt zu den groͤßten Merkwuͤrdigkeiten von Petersburg. Auch dieſer Kanal, der ehemals ein kleiner Bach war und die umliegende Gegend verpeſtete, hat ſeine glaͤnzen - de Regeneration der jetzigen Kaiſerinn zu danken. 30Seine Laͤnge betraͤgt dreytauſend Klafter oder ungefaͤhr ſechs Werſt, ſeine Breite zehn bis zwoͤlf, und die Tiefe ſeines Waſſerbettes uͤber eine Klafter. Er hat Ufer, Einfaſſung und Trot - toir wie der Katharinenkanal, nur daß letzteres hier breiter iſt. Dieſe Vorzuͤge, das vortreff - liche Waſſer und die Breite der Gaſſen zu bey - den Seiten ſind dem Baugeiſt der beguͤterten Einwohner ein maͤchtiger Sporn. Schon reihen ſich Pallaͤſte an geſchmackvolle Buͤrgerhaͤuſer, ganze Strecken ſind in wenigen Jahren bebaut, uͤberall ſieht man Materialien zu neuen Schoͤp - fungen liegen. Dieſe Gaſſe wird ſicherlich ſo einzig in ihrer Art, als die Idee ihrer Anlage kuͤhn und die Ausfuͤhrung groß war. *)Um von dieſer Idee und ihrer Ausfuͤhrung einen Maaßſtab zu geben, merke ich hier nur mit Georgi an: daß jede Klafter dieſes Granitufers, ohne das Aus - graben des Fluſſes, ohne das Pilotiren und ohne die koſt - baren Bruͤcken, anfangs 182 Rubel, nachher immer mehr und endlich 300 Rubel koſtete.— Die Fontanka hat fuͤnf Bruͤcken, ſaͤmtlich aus Gra - nit. Sie ruhen, eine ausgenommen, auf zwey Boͤgen, zwiſchen welchen Zugbruͤcken angebracht ſind. Jede derſelben iſt mit vier Granitthuͤr -31 men, welche die Gewinde enthalten, und mit eben ſo vielen zylinderfoͤrmigen Granitſaͤulen umgeben, deren jede auf eiſernen Armen zwey Kugellampen traͤgt.
Der kleine, mit Holz eingefaßte Krukow - kanal wird durch eine ſchoͤne Zugbruͤcke merk - wuͤrdig, die bey ſeiner Vereinigung mit der Ne - wa auf dem Galeerenhofe ſteht. Sie iſt mit vier einfachen Granitſaͤulen umgeben, die drittehalb Klafter hoch ſind und vier Fuß im Durchmeſſer haben. Jede derſelben ruht auf einem Granit - wuͤrfel von vier Kubikfuß. Die Saͤulen und ih - re Stuͤhle ſind ausgehoͤhlt und enthalten Win - den vermittelſt welcher die Zugbruͤcke, wie die Uhr, aufgezogen wird. —
Jetzt kennen wir das Terrain von St. Pe - tersburg. Wenn es mir gelungen iſt, der Ein - bildungskraft meiner Leſer bey dieſem trocknen Gegenſtande ein Bild unterzulegen, ſo werden ſie einen hinlaͤnglichen Begriff von den Vorthei - len und Eigenthuͤmlichkeiten deſſelben haben.
An und zwiſchen dieſen Fluͤſſen und Kanaͤlen alſo liegt die große Haͤuſermaſſe, mit deren naͤherer Betrachtung wir uns itzt beſchaͤftigen werden. Nach dem Kataſter von 1787 zaͤhlte32 man 3431 Haͤuſer, unter denen 1291 von Stein, die uͤbrigen aber von Holz waren. Dieſe Zahl iſt nur anſcheinend klein, weil die Haͤuſerplaͤtze, im Ganzen genommen, von außerordentlicher Groͤße ſind, und faſt jedes ſteinerne Haus ins Gevierte gebaut wird. Das Verhaͤltniß der ſtei - nernen Gebaͤude zu den hoͤlzernen ſcheint ebenfalls gering; da aber die erſtern durchgehends bey wei - tem groͤßer und hoͤher ſind, ſo kann man anneh - men, daß mehr als die Haͤlfte der Bevoͤlkerung von Petersburg in ſteinernen Haͤuſern wohnt, oder doch wohnen koͤnnte, wenn in denſelben nicht der Bequemlichkeit und Prachtliebe ſo vieler Wohnraum aufgeopfert wuͤrde. Das Nachthei - lige dieſes Verhaͤltniſſes mindert ſich von Jahr zu Jahr, theils durch die Verwuͤſtungen des Feu - ers, die immer vorzuͤglich die hoͤlzernen Gebaͤude treffen, theils durch die Wirkſamkeit des herr - ſchenden Baugeiſtes, und theils durch die obrig - keitliche Befehle und Verordnungen. Kein hoͤl - zernes Haus darf ausgebeſſert, oder wenn es abgebrannt iſt, von neuem aufgefuͤhrt werden; nur in den entfernteſten Stadttheilen wird hievon zuweilen eine Ausnahme gemacht. Der gute Erfolg dieſer Huͤlfsmittel zur Verſchoͤnerungbeweiſt33beweiſt ſich aus der Vergleichung zweyer Zeit - punkte der jetzigen Regierung. Im Jahr 1762 zaͤhlte man 460 ſteinerne und 4094 hoͤlzerne Haͤu - ſer; im Jahr 1787 hatten ſich die erſtern ſchon zu 1291 vermehrt, und die letztern zu 2140 ver - mindert. Dieſe wirklich erſtaunenswuͤrdige That - ſache iſt der Grund eines Sprichworts geworden: Katharina die Zweyte, ſagt man, hat Petersburg hoͤlzern empfangen, und wird es ſteinern zuruͤcklaſſen.
Die hoͤlzernen Haͤuſer werden gewoͤhn - lich aus runden uͤber einander gelegten Balken erbaut, deren Zwiſchenraͤume man mit Moos und Werg ausfuͤllt. Um ihnen ein beſſeres An - ſehn zu geben, bekleidet man ihre Auſſenſeite haͤufig mit Brettern und giebt dieſen eine belie - bige Farbe. Ein hoͤlzernes Haus hat gewoͤhnlich ein vier bis ſieben Fuß hohes Kellergeſchoß und ſelten mehr als Ein Stockwerk. Dieſe leichten, im Norden einheimiſchen Wohnungen haben mehrere nicht unbedeutende Vorzuͤge. Sie ſind im Winter ſehr warm; ihre Erbauung koſtet ſehr wenig; auf ſteinernem Fundament dauern ſie ſechzig und mehrere Jahre; ihre einfache Konſtruktion erlaubt alle nur erdenkliche Veraͤn -Erſter Theil. C34derungen der Form; ſie ſind endlich auch ſogar transportabel. In Moskau findet man auf ge - wiſſen Maͤrkten fertige Haͤuſer zum Verkauf; die nur zuſammengeſetzt werden duͤrfen. Ein Eigenthuͤmer, der ſich in einer andern Gegend der Stadt niederlaſſen will, fuͤhrt mit ſeinen Mobilien auch ſein Haus mit ſich, und laͤßt es auf ſeinem neuen Wohnplatz wieder aufſtellen. Dieſe und andere Vortheile rechtfertigen die Vor - liebe der Nation fuͤr hoͤlzerne Gebaͤude, die ſo weit geht, daß beguͤterte Leute, vorzuͤglich in Moskau, oft neben ihrem ſteinernen Hauſe ein hoͤlzernes Wohngebaͤude zu ihrer eignen Benuz - zung erbauen.
Die ſteinernen Haͤuſer in St. Peters - burg werden im Allgemeinen mit ſehr viel Ge - ſchmack und Bequemlichkeit, aber nicht mit eben ſo viel Soliditaͤt gebaut. Sie ſind durchgehends ganz von Stein, nie von Fachwerk und haben gewoͤhnlich uͤber dem Erdgeſchoß nur zwey, ſelten weniger, und noch ſeltner mehr Stockwerke. Es giebt zwar auch Haͤuſer von außerordentli - cher Hoͤhe, da man hier aber in Ruͤckſicht auf Wohnung mit mehr Luxus lebt, als an irgend einem Ort den ich kenne, ſo iſt die naͤmliche35 Hoͤhe, die z. B. in Paris zu fuͤnf Stockwerken hinreichen wuͤrde, hier nur zu zweyen benutzt. Die meiſten Haͤuſer haben nach italiaͤniſcher Bau - art ein Erdgeſchoß, deſſen Fenſter nur wenig uͤber dem Pflaſter hervorragen und welches zu Bedientenzimmern und Lawken (kleinen Kram - laͤden) eingerichtet iſt. Dieſer Erdgeſchoß wird jetzt haͤufig mit Granit bekleidet. Die Faſſaden der Haͤuſer ſind groͤßtentheils geſchmackvoll und in gutem Stil, zuweilen aber auch mit Zierra - then uͤberladen, die der Herrſchaft der Mode ſo gut unterworfen ſind als die Form der Kleider. Jetzt iſt der Geſchmack an Saͤulenverzierungen herrſchend, und ſo lange dieſer dauert, wird hierinn ſo gut uͤbertrieben wie in jeder andern Mode. Da man hier durchgehends von Back - ſteinen baut, ſo werden die aͤußern Mauern mit mancherley Farben uͤbertuͤncht, unter denen jetzt die gruͤne und café au lait die beliebteſten ſind. Die Daͤcher werden theils mit Ziegeln, theils mit Kupfer - und Eiſenblech gedeckt, welche letz - tere, außer ihrer Dauerhaftigkeit und Sicher - heit, einen angenehmen Anblick gewaͤhren, wenn ſie, wie jetzt haͤufig geſchieht, mit gruͤner oder rother Farbe uͤberzogen werden. Die Form derC 236Daͤcher, iſt nach den Regeln der ſchoͤnen Bau - kunſt, platt; daß hier nirgend ein Giebel zu ſe - hen iſt, verſteht ſich bey einer Stadt von ſo neu - er Anlage von ſelbſt.
In der innern Bauart und Einrichtung der Haͤuſer (ich ſpreche nicht von Pallaͤſten) iſt fuͤr die Bequemlichkeit und den Luxus ſo ſehr geſorgt als in irgend einer Stadt in Europa; eine Sorg - falt, die das unfreundliche Klima hier freylich nothwendiger macht als anderswo. Faſt alle gute Privathaͤuſer haben gewoͤlbte Thorwege, unter welchen man, fuͤr jede Witterung geſchuͤtzt, aus und in den Wagen ſteigen kann; geraͤumige Hofplaͤtze, die viele hundert Klafter Holz faſſen, und dennoch Raum genug fuͤr wartende Equipa - gen enthalten; breite ſteinerne Treppen, Vor - zimmer fuͤr die Bedienten der beſuchenden Herr - ſchaften, abgeſonderte Speiſeſaͤle, Balkons, u. ſ. w.. Eine naͤhere Beſchreibung der innern Be - ſchaffenheit der Haͤuſer werden wir in einem der folgenden Abſchnitte finden.
Die Anzahl der Gaſſen geht ſicherlich uͤber hundert und funfzig hinaus, wenn man alle Ver -37 bindungsgaſſen (Pereulki*)Perenlok heißt eine jede Gaſſe, die zwey oder mehrere Hauptſtraßen mit einander verbindet. Man denke ſich aber nur keine enge, krumme, finſtere Gäßchen oder impaſſes unter dieſer Benennung. Sie laufen ſämtlich eben ſo gerade als alle andere Gaſſen und manche derſelben haben die Breite der ſchönſten Straßen in Paris. und die Linien von Waſſili-Oſtrow mit in Anſchlag bringt. Ihre groͤßten Vorzuͤge ſind Regelmaͤßigkeit und Breite. Sie laufen faſt alle in geraden Linien hin und durchſchneiden ſich in rechten, ſtumpfen und ſpitzen Winkeln. Dieſe Abwechſelung und die Mannigfaltigkeit der Bauart gewaͤhrt dem Auge weit mehr Vergnuͤgen, als die monotoniſche Sym - metrie der Straßen, die man z. B. in Mann - heim findet. Waſſili-Oſtrow macht eine Aus - nahme von dieſer allgemeinen Bemerkung; drey lange Perſpektivſtraßen werden dort in rechten Winkeln von zwoͤlf Gaſſen durchſchnitten, die man Linien nennt und nach den Haͤuſerreihen nennt, ſo daß jede Gaſſe zwey Linien hat. Die Breite der petersburgiſchen Gaſſen iſt von ſechs bis funfzehn Klafter; aber die breiteſte unter al - len iſt die große Perſpektive auf Waſſili-Oſtrow:C 338ſie hat dreyßig Klafter. Auch durch ihre Laͤnge werden mehrere Gaſſen merkwuͤrdig, wie z. B. die newskiſche Perſpektive, die bey der Admira - litaͤt anfaͤngt und beym Alexander-Newski Klo - ſter, nach einem Lauf von mehr als vier Werſten endigt.
So wenig ich dieſen Abſchnitt zu einer trock - nen Topographie machen moͤchte, ſo nothwendig finde ich es doch, meine Leſer mit der buͤrgerli - chen Eintheilung der Reſidenz bekannt zu machen. Sie iſt, zufolge der Polizeyordnung vom Jahr 1782, in zehn Stadttheile getheilt, deren jedes mehrere Quartiere hat, die man hier, nach der ruſſiſchen Benennung, Quartale nennt. Die Lage dieſer Stadttheile wird groͤßtentheils durch die natuͤrlichen Grenzen beſtimmt, welche der Fluß und die Kanaͤle bilden, und es iſt mir daher leicht, meinen Leſern, auch ohne Plan, einen ſinnlichen Begriff von derſelben zu geben. Sie werden ſich erinnern, daß die Reſidenz zur Linken der Newa ein unregelmaͤßiges, von dieſem Fluß und dem Stadtgraben begrenztes, Drey - eck bildet, welches von drey Hauptkanaͤlen durch - ſchnitten wird. Der Raum zwiſchen dieſem Ufer der Newa und der Moika heißt der erſte Admi -39 ralitaͤtstheil — zwiſchen der Moika und dem Katharinenkanal, der zweyte — und zwiſchen dem Katharinenkanal und der Fontanka, der dritte Admiralitaͤtstheil. Was jenſeits der Fontanka an der Newa liegt, heißt der Stuͤckhof; unter dem Stuͤckhof, laͤngs der Fontanka, liegt der moskowiſche, und laͤngs dem ligowſchen Kanal, der roſheſtwenski - ſche, an welchen der Jaͤmskoi-Stadttheil ſtoͤßt. Den waſſilioſtrowſchen, peters - burgiſchen und wiburgiſchen kennen meine Leſer ſchon aus dem vorhin Geſagten. — Jeder dieſer Theile enthaͤlt, im Durchſchnitt gerechnet, uͤber zwanzigtauſend Menſchen, und kann daher, ſowohl in Ruͤckſicht ſeiner Bevoͤlkerung als auch ſeiner Lage und Eigenthuͤmlichkeiten, als eine beſondere Stadt angeſehen werden.
Der erſte Admiralitaͤtstheil liegt im Mittelpunkte der Reſidenz. Er iſt der kleinſte, aber auch der ſchoͤnſte und vollendeteſte unter al - len. Was das Quartier du palais royal fuͤr Paris iſt, das iſt dieſer Stadttheil fuͤr St. Pe - tersburg: der Kern der Stadt, in welchem Luxus und Reichthum zu Hauſe ſind, die ſich von hier aus mit immer abnehmender Kraft bis anC 440die aͤußerſten Grenzen der Reſidenz verbreiten; der Mittelpunkt des Gewuͤhls und der Geſchaͤfte; der glaͤnzendſte Sammelplatz aller Vergnuͤgungen von der hoͤhern Art. — In ſeinem Bezirk lie - gen drey und zwanzig der vorzuͤglichſten Pallaͤſte, unter welchen der kaiſerliche Winterpal - laſt der merkwuͤrdigſte iſt.
Die koloſſaliſche Groͤße dieſes Gebaͤudes,*)Er iſt 450 engliſche Fuß lang und 350 Fuß breit. die Pracht die in und um daſſelbe herrſcht, die Schaͤtze von Koſtbarkeiten und Seltenheiten die hier aufgeſammelt ſind, machen es allerdings zu einem der ſehenswertheſten Gegenſtaͤnde der Re - ſidenz. Unendlich intereſſanter aber wird es durch den Gedanken, daß in demſelben Katharina die Zweyte wohnt, daß dies der Schauplatz einer der laͤngſten, gluͤcklichſten und thatenreich - ſten Regierungen iſt, deren Wirkungen ſich uͤber dreyßig Millionen Menſchen, uͤber Europa und die Welt ergießen.
Das Aeußere dieſes Pallaſtes, welcher in Verbindung mit der Eremitage den Umfang einer kleinen Stadt begreift, iſt durch ſeine Groͤße im - poſant, aber ſonſt durch ſeine Bauart nicht ſehr41 merkwuͤrdig. Der Stil und die Ueberladung mit Verzierungen verrathen das Zeitalter in wel - chem er ſein Daſeyn erhielt. Die ganze Hoͤhe, welche 70 Fuß betraͤgt, hat nur ein Erdgeſchoß, ein Hauptſtockwerk und ein Entreſol. Die Lage dieſes Pallaſtes iſt herrlich. An die Vorderſeite ſchließt ſich der mit praͤchtigen und ſchoͤnen Ge - baͤuden umgebene Schloßplatz, der groͤßte den ich je geſehen habe, und an der Hinterſeite fließt die Newa in ihren mit Granit bekleideten Ufern vorbey. Der linke Fluͤgel, an welchen die Ere - mitage ſtoͤßt, gewaͤhrt durch einen Vorſprung die Ausſicht in die große Million, eine der ſchoͤn - ſten Gaſſen; zur Rechten liegt die Admiralitaͤt.
Der untere Stock wird durch eine Menge ſich durchkreuzender Gewoͤlbe und Saͤulenreihen dem Pallaſt des Daͤdalus aͤhnlich; man muß mehrere Male in demſelben geweſen ſeyn, um ſich ohne Fuͤhrer wieder hinaus zu finden. Eini - ge dieſer Gaͤnge ſind dunkel, und faſt alle geben, durch den Mangel zureichender Erleuchtung, ei - nen melankoliſchen Anblick. Unter den vielen Treppen, die aus dieſem Erdgeſchoß in das Hauptſtockwerk fuͤhren, iſt die marmorne Pa -C 542radetreppe durch ihre Pracht und ſchoͤne Bauart merkwuͤrdig.
Der zweyte Stock enthaͤlt die Hofkirche, den Audienzſaal, das Kleinodienzimmer, mehrere Maskeraden - und Geſellſchaftsſaͤle und die ſaͤmt - lichen Wohnzimmer der Kaiſerinn und der kaiſer - lichen Familie. So ſehr ſich die erſtern durch die ausgeſuchteſte Pracht und durch den uner - meßlichen Werth der darinn enthaltenen Koſtbar - keiten auszeichnen, ſo uͤberraſchend iſt die edle Simplicitaͤt, die in den eigentlichen Wohnzim - mern der Kaiſerinn herrſcht, wo die Verſchwen - dung nirgend, der Reichthum aber nur unter dem Gepraͤge der Nuͤtzlichkeit und des Geſchmacks eine Stelle behauptet. Den Geldwerth der Ge - maͤlde und Kunſtſachen abgerechnet, welche hier zur Befriedigung des geiſtigen Luxus aufgeſtellt ſind, iſt Katharina die Zweyte nicht beſſer mit Hausgeraͤthe verſehen, als ſo viele ihrer wohlhabenden und reichen Unterthanen. Ein un - willkuͤhrliches Gefuͤhl, die Huldigung die ſich moraliſche Groͤße immer zu erzwingen weiß, be - meiſtert ſich des Beobachters, wenn ihm der An - blick dieſer Gegenſtaͤnde das Bild der großen Fuͤrſtinn ſinnlicher und gegenwaͤrtiger macht, fuͤr43 deren Gebrauch ſie da ſind. — Doch was iſt merkwuͤrdig, wenn es an Sie erinnert! Wer kann ſeinen Blick auf die Gegenſtaͤnde heften, die Katharina umgeben, ohne Sie zu denken, und wer kann Sie denken, ohne zu fuͤhlen was ſie fuͤr ihr Volk und fuͤr die Unſterblichkeit that! —
An die linke oder oͤſtliche Seite des Win - terpallaſtes ſtoͤßt die Eremitage, ein aus zwey abgeſonderten, praͤchtigen Gebaͤuden beſtehendes Ganze, welche durch bedeckte Gaͤnge unter ſich und mit dem Winterpallaſt verbunden ſind. Dieſer Tempel, den Katharina der geſell - ſchaftlichen Erholung und dem zwangloſen Ver - gnuͤgen erbaute, iſt vielleicht unter allen, welche dieſem Zweck von Koͤnigen gewidmet worden ſind, einzig in ſeiner Art. Jeder geiſtige Genuß hat hier ſeinen Altar, auf welchem die erhabne Prie - ſterinn dieſes Tempels mit weiſer Wahl und Maͤßigung das heilige Feuer unterhaͤlt, um wel - ches ſich die Auserwaͤhlten ihres vertrauten Zir - kels verſammeln. Die Schaͤtze der Kunſt und des geſellſchaftlichen Fleißes gehoͤren zwar nicht in dieſes Kapitel, aber eine kurze Anzeige der einzelnen Merkwuͤrdigkeiten dieſes Pallaſts kann ich hier nicht uͤbergehen. Hier iſt die Privatbi -44 bliothek der Kaiſerinn, die Gemaͤldegallerie, die ſo - genannte Loge des Raphael (eine Kopie der vatika - niſchen) eine Kupferſtichſammlung, ein Medaillen - und Muͤnzkabinett, eine naturhiſtoriſche, vorzuͤg - lich mineralogiſche Sammlung, eine Kunſt - und Modellenſammlung, ein Kabinett von antiken und modernen Koſtbarkeiten befindlich, der ſchoͤ - nen Kunſtwerke nicht zu erwaͤhnen, die ſich dem Au - ge uͤberall darbieten. Hin und wieder ſind die Buͤ - ſten großer Menſchen, wie in einem Tempel des Verdienſtes, aufgeſtellt. Einige Zimmer ſind zu muſikaliſchen Beluſtigungen, andere zum Bil - liard oder zu anderen Spielen beſtimmt. In einem der Hoͤfe iſt ein Luſtgarten angebracht, deſſen gewoͤlbter Boden im Winter geheizt wird. Ein kleines mit Drath uͤberzogenes Geſtraͤuch dieſes Gartens iſt der Sammelplatz ſchoͤner und ſeltner Voͤgel, denen Katharina oft mit eigner Hand das Futter reicht. — Ein bedeck - ter Gang fuͤhrt aus dieſem Zaubertempel in das Hoftheater, in welchem ebenfalls bey den Vorſtellungen nur eine ſelbſtgewaͤhlte Ge - ſellſchaft erſcheint. Die Auſſenſeite dieſes pal - laſtartigen Gebaͤudes iſt mit Saͤulen und ko - loſſaliſchen Statuͤen griechiſcher, roͤmiſcher und45 ruſſiſcher Theaterdichter verziert; in der innern Einrichtung herrſcht eine geſchmackvolle Sim - plicitaͤt. Die Buͤhne iſt nur von maͤßigem Um - fange, daher die großen Opern, zu denen viel Maſchinenwerk gehoͤrt, hier nicht vollſtaͤndig vorgeſtellt werden koͤnnen. Der Saal fuͤr die Zuſchauer hat keine Logen, ſondern bildet in einem ſich immer verengernden Halbzirkel Stu - fen, die uͤberall mit Tuch bezogen und eine um die andere mit Polſtern belegt ſind, auf wel - che ſich die Zuſchauer ſetzen.
Die zweyte Merkwuͤrdigkeit dieſes Stadt - theils iſt der Marmorpallaſt. Dieſes, durch ſeine Pracht vielleicht einzige, Gebaͤude bildet ein laͤngliches Viereck, deſſen eine ſchmalere Seite durch zwey hervorſpringende Fluͤgel ei - nen Hofplatz erhaͤlt. Die beyden Fluͤgelſeiten ſtehen nach der Newa und nach der Million; die Hinterſeite iſt durch eine Quergaſſe von den daneben ſtehenden Haͤuſern getrennt, und die Vorderſeite hat einen zweyten geraͤu - migen Hof, der an den Fluͤgelſeiten mit einem eiſernen, zum Theil vergoldeten Gegitter ein - geſchloſſen iſt, vorne aber durch die Manege des Pallaſts begrenzt wird. So ſchoͤn die Lage46 deſſelben auch iſt, ſo ſehr iſt es doch zu be - dauren, daß die Hauptfaſſade nicht nach der Newa ſieht, wo ſie einen ungleich praͤchtigern Eindruck gemacht haben wuͤrde. Da die Fluͤ - gel, deren Breite nicht vollkommen gleich iſt, an der ſchmalen Seite des Gebaͤudes angebracht ſind, ſo iſt der innere Hofraum nur klein, und wegen der Farbe des Marmors auch weniger hell, als es fuͤr die Wirkung des Anblicks zu wuͤnſchen waͤre. Doch die ſolide Pracht, die uͤberall an dieſem Pallaſte blendet und in Er - ſtaunen ſetzt, laͤßt dem Zuſchauer keinen Blick fuͤr dieſe Maͤngel uͤbrig. Seine rieſenhafte Maſſe thuͤrmt ſich in drey Stockwerke empor, von denen die Auſſenſeite des untern mit Gra - nit, der obere aber mit grauem Marmor be - kleidet und mit Pfeilern von roͤthlichem Mar - mor verziert iſt. Alles was das Auge erblickt, iſt Stein und Metall. Die Fenſterrahmen ſind von gegoſſenem Meſſing und ſtark vergoldet, die Scheiben facettirtes Spiegelglas. Die Balkons an den Fluͤgelſeiten haben metallene vergoldete Gelaͤnder. Selbſt das Dach ruht auf eiſernen Sparren und iſt mit Kupfer ge - deckt. — Eine Beſchreibung des Innern wird47 hoffentlich keiner meiner Leſer erwarten. Die Wunder der Geiſterwelt, mit welchen die rei - che und uͤppige Fantaſie unſers Wielands uns bekannt gemacht hat, ſind hier zur Wirk - lichkeit hervorgerufen; ſeine Feentempel, die er dem geiſtigen Auge vorgezaubert, ſind das Gemaͤhlde des Marmorpallaſtes, der es wol werth iſt, — daß Zevs, wenn ihn der Sorgen Laſt vom Himmel treibt, hier ſeine Wohnung mache.
Das Kollegium der auswaͤrtigen Geſchaͤfte, die Poſtgebaͤude, der Se - nat, und die Leihbank gehoͤren zu den oͤf - fentlichen Gebaͤuden, die ihrer Pracht oder der Baukunſt wegen zu den groͤßten Merkwuͤrdig - keiten dieſes Stadttheils gerechnet zu werden verdienen, und deren Anzahl durch dreyzehn Privatpallaͤſte und eine Menge ſchoͤner und großer Haͤuſer vermehrt wird. Unter die - ſen zeichnet ſich das aus drey zuſammenhaͤn - genden Pallaͤſten beſtehende Amphitheater vorzuͤglich aus, welches die jetzige Kaiſerinn ihrem Wohnſitz gegen uͤber am Schloßplatz er - baute. Die Vorzuͤge deſſelben ſind die koloſſa - liſche Groͤße, der einfache edle Stil, der nur48 durch zwey ungeheure Marmorſaͤulen an jedem der drey Thore gehoben wird, und endlich die Lage dieſes Gebaͤudes, welches wechſelsweiſe den Schloßplatz verſchoͤnert und durch ihn ver - ſchoͤnert wird.
Einen ſehr wichtigen Rang in dem Lokale dieſes Stadttheils behauptet ferner die Admi - ralitaͤt, ob ſie gleich durch ihr Aeußeres der Nachbarſchaft unwerth ſcheint in welcher ſie ſteht. Rundum von Pallaͤſten und Tempeln umgeben, an denen Gold und Marmor prangt, muͤßte ſie ſich ihres Erdwalls ſchaͤmen, wenn ſie das verwoͤhnte Auge dafuͤr nicht durch ihren ſchoͤnen, hohen, die Perſpektive von drey mei - lenlangen Straßen bildenden, vergoldeten Thurm entſchaͤdigte. Das Gebaͤude ſelbſt iſt ein lan - ges Viereck, welches nur durch ſein haͤßliches Anſehen merkwuͤrdig wird. Die Newaſeite der Admiralitaͤt gewaͤhrt den Einwohnern der Re - ſidenz zuweilen eins der praͤchtigſten Schauſpie - le; hier iſt der Stapel, auf welchem Kriegs - ſchiffe von ſechzig bis hundert Kanonen erbaut werden und deren Ablaſſen eine der groͤßten Feyerlichkeiten iſt. Die Landſeiten ſind mit ei - nem Erdwall umgeben, der mit hundert Ka -nonen49nonen beſetzt iſt, die durch ihren Donner das Publikum von merkwuͤrdigen Begebenheiten unterrichten.
Die einzige oͤffentliche Kirche dieſes Stadt - theils, die Iſaakskirche, die zugleich die praͤchtigſte der Reſidenz werden wird, iſt noch nicht vollendet. Sie ruht, wie der Marmor - pallaſt, auf einer Grundlage von Granitqua - dern, und wird von außen und innen mit Marmor, Jaspis und Porphyr bekleidet. Der Bau, der nun ſchon vier und zwanzig Jahre waͤhrt, iſt bis unter das Dach vollfuͤhrt; itzt, da ich dies ſchreibe, wird der Anfang mit den Kuppeln gemacht.
Auch der erſte Sommergarten,*)Dieſen ſonderbaren Namen ſcheint er wol nicht, wie Georgi meynt, von ſeinen kühlen Gängen, oder im Gegenſatz der hier vorhandenen Wintergärten erhalten zu haben. Wahrſcheinlich ſoll es: der Garten des Sommerpallaſts heißen, woraus die obige Benen - nung durch Korruption entſtanden iſt. oder der vorzuͤglichſte oͤffentliche Spaziergang liegt innerhalb den Grenzen dieſes Admiralitaͤts - theils. Seiner eigentlichen Beſtimmung nach gehoͤrt er zum kaiſerlichen Sommerpallaſt, wel -Erſter Theil. D50ches ein weitlaͤuftiges hoͤlzernes Gebaͤude iſt, das ſeine Benennung nicht mehr verdient, und welchen die Kaiſerinn nur zuweilen auf einzelne Tage beſucht, wenn ſie von ihrem Sommer - aufenthalte in Zarskoje Selo nach der Reſidenz koͤmmt. Der Garten, der itzt gaͤnzlich dem Publikum gewidmet iſt, wird ſeine Schilde - rung in einem der folgenden Abſchnitte finden; nur der Balluͤſtrade muß ich hier erwaͤhnen, durch welche er ſeit kurzem eine der vorzuͤglich - ſten Zierden dieſes Stadttheils geworden iſt. Dieſes praͤchtige Kunſtwerk beſtimmt die Grenze des Sommergartens, indem es in der Haͤuſer - reihe laͤngs der Newa fortlaͤuft, und beſteht aus ſechs und dreyßig zylinderfoͤrmigen Granitſaͤulen, die durch ein eiſernes Gegitter verbunden ſind. Die Hoͤhe der Saͤulen betraͤgt zwey Klafter und ihr Durchmeſſer uͤber drey Fuß. Sie ruhen auf Granitwuͤrfeln von ſechs Kubikfuß und ſind oben in abwechſelnder Ordnung mit Urnen und Vaſen verziert. Die großen Steinmaſſen, die treffli - che Arbeit an dem Eiſengitter, deſſen Verzie - rungen ſtark vergoldet ſind, die Verbindung des Ganzen mit den praͤchtigen daneben ſtehenden Gebaͤuden und der Anblick der Newa und ihres51 Granitufers geben dieſer Stelle in der Reſidenz Vorzuͤge, die ihr vielleicht von keiner der Wunder - ſtaͤdte Europens ſtreitig gemacht werden koͤnnen.
Der erſte Admiralitaͤtstheil hat vier oͤf - fentliche Plaͤtze, die bey aller Vollkommen - heit einzelner Theile dennoch großer Verſchoͤne - rungen beduͤrfen, um ihres Ranges werth zu ſeyn. Eine Ausnahme von dieſer Bemerkung macht der Schloßplatz, der zwar durchaus gut, aber doch ſehr ungleich, bebaut iſt. Seine un - geheure Groͤße iſt der weſentlichſte aber auch nothwendigſte Vorzug, da ſich hier an Courta - gen und bey oͤffentlichen Gelegenheiten mehrere tauſend Equipagen verſammeln. Die Form die - ſes Platzes iſt ein etwas unregelmaͤßiger halber Zirkel, deſſen Grundlinie der Winterpallaſt bil - det. Zur Rechten dieſes Pallaſts liegt die Admi - ralitaͤt, gegen uͤber das Amphitheater, und zur Linken eine gerade fortlaufende auf das Amphi - theater zuſtoßende Reihe von Haͤuſern, die ſaͤmtlich gut ins Auge fallen, aber durch ihre ungleiche Hoͤhe mit den eben genannten Gebaͤu - den kontraſtiren. — Der Platz neben den Sommergaͤrten iſt durch nichts merkwuͤr - dig. Sein laͤndliches Anſehn (denn er iſt uͤber -D 252all mit Gras bewachſen und zum Theil von Baͤumen umgeben) wird durch die Nachbar - ſchaft des marmornen und anderer Pallaͤſte ge - hoben. — Der Iſaaksplatz, auf welchem die Kirche dieſes Namens erbaut wird, hat die Form eines verſchobenen Dreyecks; er iſt von ſchoͤnen Haͤuſern eingeſchloßen und wird einer der vorzuͤglichſten in ſeiner Gattung ſeyn, wenn die hoͤlzernen Huͤtten, die zum Behuf des Baus an der Iſaakskirche aufgeſchlagen ſind, ihn nicht mehr verunzieren werden. — Der Peters - platz endlich iſt durch ſeine Schoͤnheit ſowol als Haͤßlichkeit der merkwuͤrdigſte unter allen. Sei - ne Form iſt nicht zu beſchreiben, denn er hat wirklich noch keine; ſeine Grenzen ſind der Iſaaksplatz, die Admiralitaͤt, die Newa und der Senatspallaſt. Wenn man von dem Iſa - aksplatz ausgeht, ſo ſtoͤßt man zuerſt auf einen kleinen moraſtigen Kanal, deſſen hoͤlzerne Bruͤcke eben nicht auf den großen Anblick vorbereitet, welchem man entgegen geht: hier nimmt der Petersplatz ſeinen Anfang, indem er ſich allmaͤ - lig erweitert, bis er endlich mit ſeiner groͤßten Breite auf die Newa ſtoͤßt. Zur rechten hat man in dieſer Stellung die Admiralitaͤt, zur linken53 den Senat. So unangenehm der Eindruck iſt, welchen dieſe zum Theil haͤßlichen, verfallenen und durch Luͤcken unterbrochenen Begrenzungen machen, ſo leicht vergißt man ihn doch, wenn ſich das uͤberraſchte Auge in die Ferne ſtuͤrzt und auf dem großen lebendigen Gemaͤlde verweilt, welches hier der Fluß, die herumſchwimmenden Schiffe und Schaluppen, die gewuͤhlvolle Bruͤcke und das mit Pallaͤſten und ſchoͤnen Haͤuſern be - kraͤnzte Ufer von Waſſili-Oſtrow bilden. Auf dieſem Platz nun ſteht das mit Recht beruͤhmte Denkmal Peters des Großen, von wel - chem ich nichts ſagen werde, weil ſchon ſo viel daruͤber geſagt iſt. Das Gewuͤhl von Menſchen und Pferden reißt hier nie ab, da die Bruͤcke der Vereinigungspunkt mehrerer Stadttheile iſt. Man kann mit Zuverlaͤßigkeit behaupten, daß dieſer Platz ſchlechterdings einzig in ſeiner Art werden wird, wenn die Verſchoͤnerungen zu Stande kommen, von welchen man jetzt im Publikum ſpricht. *)Es heißt, daß die Admiralität nach Kronſtadt ver - legt, und an ihrer Stelle ein großer Pallaſt für die Gou -
D 354In dieſem Stadttheil nehmen drey gerade, lange und ſchoͤne Gaſſen ihren Anfang, die man Perſpektive nennt, weil ſie aus allen Stand - punkten die Ausſicht auf den vergoldeten Admi - ralitaͤtsthurm gewaͤhren. Die newskiſche Perſpektive iſt unter dieſen die vorzuͤglichſte. Ihre Laͤnge geht, eine kleine Beugung ausge - nommen, in gerader Richtung von der Admira - litaͤt bis zum Alexander-Newski Kloſter, ihre Breite wetteifert mit den praͤchtigſten Straßen in Europa. Die vielen Hotels und die Kramlaͤ - den, die hauptſaͤchlich in dieſe Gaſſe zuſammen - gedraͤngt ſind, verurſachen einen Zuſammenfluß von Menſchen und ein Gewuͤhl, wodurch ſie ein Intereſſe erhaͤlt, welches den meiſten Gegenden von St. Petersburg fehlt. So merkwuͤrdig die newskiſche Perſpektive durch alle dieſe Vorzuͤge wird, ſo iſt ſie es in den Augen des philoſophi - ſchen Beobachters doch unendlich mehr als Denk - mal einer weiſen und aufgeklaͤrten Toleranz*)vernementskollegien erbaut werden ſoll. Der Senat ſoll erweitert, die kleine hölzerne Brücke in eine marmorne verwandelt und durch eine Kolonnade von Granit mit dem Senat verbunden werden.55 Ein Tempel kettet ſich hier an den andern: Re - formirte, Katholiken, Armenier und Griechen haben in dieſer Gaſſe ihre Kirchen neben und ge - genuͤber einander.
Daß dieſer Stadttheil vorzuͤglich von Gro - ßen und Reichen bewohnt iſt, wird man aus dem Geſagten leicht einſehen. Der Kay des Galeerenhofes und der vom Winterpallaſt gehoͤ - ren zu den beſten und geſuchteſten Gegenden und ſind mit praͤchtigen Haͤuſern beſetzt, die den Gro - ßen des Hofes oder Kaufleuten gehoͤren. Die Miethe iſt in dieſen Gegenden um die Haͤlfte theurer als anderswo, und auch die Lebensmittel und uͤbrigen Beduͤrfniſſe werden durch die Bereit - willigkeit geſteigert, mit welcher der Luxus der Einwohner die ausſchweifendſten Preiſe derſel - ben bezahlt.
So wie man ſich weiter von dieſem Mit - telpunkte entfernt, erhaͤlt die Stadt ein ſtille - res, buͤrgerlicheres Anſehen, die laͤngſten und breiteſten Gaſſen ausgenommen, in welchen das Gewuͤhl ſich bis an die aͤußerſten Grenzen der Stadt erſtreckt. — Die vorzuͤglichſten oͤf - fentlichen Gebaͤude des zweyten Admirali - taͤtstheils ſind der neue Stallhof, dasD 456mediziniſche Kollegium und das Opern - haus. Dieſes letztere iſt ein großes maſſives Gebaͤude in edlem einfachem Stil, bey deſſen Erbauung auf alle Erforderniſſe ſeiner Beſtim - mung Ruͤckſicht genommen iſt. Es ſteht auf einem ſehr großen, freyen, gutumbauten und durch ſeine Regelmaͤßigkeit in die Augen fal - lenden Platz, der von dem Nikolaikanal durch - ſchnitten wird. Da dieſes Theater zunaͤchſt fuͤr große Opern beſtimmt iſt, ſo ſind die in - nern Einrichtungen dieſem Zweck entſprechend, und es iſt mit allen Maſchinerien hinlaͤnglich verſehen. Der Saal fuͤr die Zuſchauer hat vier Reihen Logen, die aber zum Theil nicht vortheilhaft angelegt ſind; das Parterre wird durch die kaiſerliche Loge in die Haͤlfte getheilt, wodurch ein zweytes uͤber derſelben befindliches Parterre entſteht. Der ganze Saal kann uͤber dreytauſend Menſchen faſſen. Fuͤr den moͤgli - chen Fall einer Feuersgefahr ſind acht Treppen und ſechzehn Ausgaͤnge vorhanden und unter dem Dach ſind vier große Waſſerbehaͤlter und mehrere Schlaͤuche und Pumpen angebracht.
In dem Bezirk dieſes Stadttheils liegen zwey der merkwuͤrdigſten griechiſchen Kirchen. 57In der Kirche der Kaſaniſchen Mut - ter Gottes, deren Marienbild in großer Achtung ſteht, werden gewoͤhnlich die feyerlichen Dankopfer fuͤr die gluͤckliche oͤffentliche Bege - benheiten verrichtet, bey welchen die Kaiſerinn zuweilen perſoͤnlich zugegen iſt. Die Niko - laikirche behauptet, ſo lange die Iſaakskir - che noch unvollendet iſt, den Rang als die ſchoͤnſte der Reſidenz. Sie beſteht aus zwey Stockwerken, von denen das untere im Win - ter geheizt werden kann. Ihre fuͤnf Kuppeln ſind ſchoͤn vergoldet.
Die groͤßte Merkwuͤrdigkeit des dritten Admiralitaͤtstheils iſt die neue Wech - ſelbank, vielleicht das ſchoͤnſte Gebaͤude in St. Petersburg. Es beſteht aus drey abge - ſonderten Pallaͤſten, von denen das mittlere, als das Hauptgebaͤude, zuruͤckſteht, wodurch ein Hofplatz gebildet wird, der an der Gaſſe von einem gut ins Auge fallenden Gegitter eingeſchloſſen iſt. Zwey bedeckte Kolonnaden verbinden das Hauptgebaͤude mit den Seiten - gebaͤuden. Jenes ſowol als dieſe haben zwey Stockwerke uͤber dem Erdgeſchoß und praͤchti - ge Periſtyle. Die edle Einfalt des Stils undD 558die impoſante Maſſe des Ganzen ſind von der trefflichſten Arbeit.
Unter den Kirchen dieſes Stadttheils verdienen nur die katholiſche und arme - niſche einer Erwaͤhnung; beyde zeichnen ſich mehr durch ihre geſchmackvolle Bauart als durch ihre Groͤße aus.
Der zweyte und dritte Admiralitaͤtstheil zaͤhlen acht zum Theil ſehr bemerkenswerthe Privatpallaͤſte. Im Ganzen gehoͤren die Einwohner dieſer Gegend mehr zu den gewerb - treibenden Klaſſen. Hier liegen die groͤßten und meiſten Handelshoͤfe und Kramlaͤden, die Banken und die Statthalterſchaftstribunale. Wenn man hier alſo weniger Pallaͤſte und glaͤnzende Equipagen ſieht, ſo iſt das Gewuͤhl beſchaͤftigter Menſchen um ſo groͤßer.
Der Stuͤckhof iſt weitlaͤuftiger bebaut und einſamer. Stiller Fleiß, eingeſchraͤnktere Verfaſſung und militairiſche Sloboden bevoͤl - kern dieſen Stadttheil hauptſaͤchlich mit arbeit - ſamen Kuͤnſtlern, ruhigen Verzehrern und Soldaten. Eine Ausnahme hievon machen zwey bis drey der groͤßern Gaſſen, in denen ſich ſchoͤne Haͤuſer und Pallaͤſte an einander59 reihen und das Gewuͤhl ſo groß als irgend wo iſt. Hieher gehoͤrt die große Stuͤckhofsgaſſe, welche durch die Nachbarſchaft der Garden vorzuͤglich lebhaft wird. Auch dies iſt karak - teriſtiſch, daß man in den ſchon genannten und mehreren andern Stadttheilen faſt gar keine militairiſche Aufzuͤge zu ſehen bekoͤmmt, welche auf dem Stuͤckhofe taͤglich vorfallen. — Un - ter den oͤffentlichen Gebaͤuden deſſelben iſt das Arſenal das merkwuͤrdigſte. Es bildet in drey Gaſſen ein freyſtehendes Viereck von drey Stockwerken, iſt in großer Manier gebaut und hat ein Anſehn von Wuͤrde, das ſeinem Zweck entſpricht. An der Stuͤckhofsſtraße hat es ein praͤchtiges Portal und das Dach iſt mit Ar - maturen und allegoriſchen Figuren von treffli - cher Bildhauerarbeit verziert. Gegenuͤber der Hauptfaſſade auf der andern Seite der Gaſſe iſt ein großer Platz mit Kugeln und Bomben angefuͤllt.
Merkwuͤrdig an ſich und durch ſeine jetzi - ge Beſtimmung iſt das ehemalige Pantheon des Fuͤrſten Potemkin, welches die Kaiſerinn gekauft und zu ihrer Herbſtwohnung beſtimmt hat. Dieſes praͤchtige Gebaͤude, welches jetzt60 der tauriſche Pallaſt heißt, beſteht ei - gentlich nur aus Einem Stockwerk; aber das Hauptgebaͤude, deſſen Fluͤgel bis an die Gaſſe reichen, hat uͤber dem von Saͤulen ge - tragenen Portal zwey Stockwerke, die oben mit einer großen Kuppel gedeckt ſind. Der linke Fluͤgel iſt in dieſem Jahr durch eine lan - ge Reihe neuer Gebaͤude verlaͤngert, welche eine ganze Gaſſe einnehmen, die zu Wohnhaͤu - ſern, Orangerien und dergl. eingerichtet wer - den. Auch das Innere des Hauptgebaͤudes iſt veraͤndert und mit einem Theater vermehrt. Ueber funfzehnhundert Menſchen waren mit dieſer Arbeit beſchaͤftigt, die auch des Nachts bey Fackeln fortgeſetzt wurde, weil die Kaiſe - rinn den vollendeten Pallaſt im Herbſt zu ſei - ner neuen Beſtimmung einweihen wollte. Da ich dieſe Veraͤnderungen noch nicht geſehen ha - be, ſo werde ich hier nur das anfuͤhren, was er nach ſeiner ehemaligen Einrichtung enthielt.
Bey dem Eintritt in das Hauptgebaͤude findet man ſich in einem offnen Gemach, an welches zu beyden Seiten die Wohnzimmer ſtoßen. Vor ſich hat man einen von Saͤulen umgebenen Eingang in ein Veſtibuͤle von auſ -61 ſerordentlicher Groͤße, welches die Form eines Vierecks hat, und von oben herab durch die Fenſter des zweyten Stocks erleuchtet wird. Ringsum iſt es in einer betraͤchtlichen Hoͤhe mit einer Gallerie umgeben, die fuͤr das Or - cheſter beſtimmt iſt und auf welcher ſich auch eine Orgel befindet. Aus dieſem Veſtibuͤle geht man mitten durch eine doppelte Saͤulenreihe hindurch in den Hauptſaal. Wenn es moͤglich iſt, den Eindruck den der Anblick dieſes archi - tektoniſchen Rieſentempels hervorbringt, durch Schriftmalerey fuͤr das geiſtige Auge zu bewir - ken, ſo kann dies nur durch die einfachſte und kunſtloſeſte Darſtellung geſchehen. Man denke ſich alſo einen uͤber hundert Schritte langen, verhaͤltnißmaͤßig breiten, von einer doppelten Kolonnade koloſſaliſcher Saͤulen getragenen Saal. Ungefaͤhr in der halben Hoͤhe ſind zwi - ſchen dieſen Saͤulen Logen befindlich, die mit ſeidenen Vorhaͤngen und Feſtons aufgeputzt ſind. In dem Gange den die doppelten Saͤu - lenreihen bilden, haͤngen in beſtimmten Ent - fernungen kryſtallene Glaskugeln, deren Er - leuchtung durch zwey an jedem Ende angebrach - te Spiegel von ſeltner Groͤße zuruͤckgeworfen62 wird. Der Saal ſelbſt hat ſonſt weder Ver - zierungen noch Moͤbeln, da er zu großen Fe - ſten beſtimmt iſt; aber in den beyden von Waͤnden umgebenen Halbzirkeln, in welche ſich die Kolonnaden verlieren, ſtehen zwey Vaſen von karrariſchem Marmor, die durch ihre auſ - ſerordentliche Groͤße und den Werth der Kunſt, der Groͤße und Pracht des Ganzen entſpre - chen. — Der Seite des Veſtibuͤle gegenuͤber liegt der Wintergarten, ein ungeheueres, zu einem Garten eingerichtetes Gebaͤude, welches nur durch die eben beſchriebene Kolonnade vom Saal getrennt iſt. Da die Groͤße deſſelben nicht ohne Pfeiler zu erhalten war, ſo hat man dieſe als Palmbaͤume maskirt. Die Waͤrme wird durch zahlreiche in den Waͤnden und Pfei - lern verborgene Oefen erhalten, und ſelbſt un - ter dem Boden ſind blecherne Roͤhren vorhan - den, die unaufhoͤrlich mit kochendem Waſſer angefuͤllt werden. Die Gaͤnge dieſes Gartens winden ſich zwiſchen bluͤhenden oder fruchttra - genden Hecken in Kruͤmmungen uͤber kleine Huͤ - gel hin und geben bey jedem Schritt Gelegen - heit zu einer neuen Ueberraſchung. Bald trifft das Auge, von dem uͤppigen Gemiſch der63 Pflanzenwelt ermuͤdet, auf die erleſenſten Pro - dukte der Kunſt; hier ladet ein griechiſcher Kopf zur Bewunderung ein, dort feſſelt eine bunte Sammlung ſeltner Fiſche in kryſtallenen Becken unſere Aufmerkſamkeit auf einen Mo - ment. Man reißt ſich von dieſen Gegenſtaͤnden los, um in eine Spiegelgrotte zu gehen, die alle dieſe Wunder vervielfacht zuruͤckwirft, oder in den Facetten eines Spiegelobelisks das ſelt - ſamſte Farbengemiſch anzuſtaunen. Die milde Waͤrme, der Bluͤthenduft edler Pflanzen, das wolluͤſtige Schweigen, die in dieſem Zauber - garten herrſchen, wiegen die Fantaſie in ſuͤße, romantiſche Traͤume; man glaubt ſich in den Haynen Italiens, indeſſen die erſtorbene Na - tur durch die Fenſtern dieſes Pavillons den herbſten Winter predigt. — Mitten unter dieſen kuͤhnen Schoͤpfungen ſteht auf einem ho - hen Piedeſtal das Bildniß Katharinens der Zweyten aus karrariſchem Marmor. —
Unter den Kirchen des Stuͤckhofs iſt die Lutheriſche Annenkirche durch ihre gute Bauartbemerkenswerth. — An der Fontanka, deren eine Seite dem dritten Admiralitaͤtstheil und die andere dem Stuͤckhof gehoͤrt, entſtehen64 jaͤhrlich immer ſchoͤnere Haͤuſer und Pallaͤſte. Da man jetzt mit mehr Geſchmack und Ele - ganz baut, als ehemals, ſo iſt es abzuſehen, daß die Haͤuſerreihe an dieſem Kanal in kurzer Zeit eine der glaͤnzendſten Parthien der Reſi - denz werden wird.
So klein und unbedeutend der roſheſt - wenskiſche Stadttheil auch iſt, ſo ent - haͤlt er doch zwey große Merkwuͤrdigkeiten, ein Moͤnchs - und ein Nonnenkloſter; beyde die einzigen die es in der Reſidenz giebt, und beyde durch ihre koſtbaren Depots beruͤhmt.
Das woskreſenskiſche Nonnenklo - ſter war urſpruͤnglich ein der Kaiſerinn Eli - ſabeth gehoͤriger und von ihr ehemals be - wohnter Pallaſt. Jetzt iſt die unter dem Na - men des Fraͤulein und Jungfernſtifts bekannte weibliche Erziehungsanſtalt mit jener frommen Stiftung verbunden, und die Gebaͤude ſind zu dieſer Abſicht verhaͤltnißmaͤßig vermehrt. Sie bilden ſaͤmtlich ein großes Viereck, das von ei - ner hohen Mauer umgeben iſt und in deſſen Mittelpunkt die Hauptkirche ſteht.
Das Kloſter des heiligen Alexan - der-Newski enthaͤlt in ſeinem großen Um -fange65fange den Wohnſitz des Mitropoliten, ein Klo - ſter fuͤr ſechzig Moͤnche, fuͤnf Kirchen, ein Seminarium, u. ſ. w. Das beruͤhmte Grab - mal des heiligen Alexanders, welches aus lau - ter geſchlagenem und getriebenem Silber beſteht, iſt unlaͤngſt in die zu dieſem Zweck neuerbau - te, aͤußerſt geſchmackvolle Kirche niedergelegt.
Unter den oͤffentlichen Gebaͤuden des mos - kowiſchen Stadttheils verdient der kai - ſerliche Jaͤgerhof vorzuͤglich eine Bemerkung. Er ſteht auf freyem Felde, auſſerhalb dem be - bauten Theil der Stadt, und wird nach ſeiner Vollendung einer der groͤßten und praͤchtigſten Pallaͤſte ſeyn. Seine Form iſt ein Viereck, deſſen Seiten nach innen zu halbe Zirkel bil - den, und durch Saͤulenverzierungen erhoben werden. — Auch das Stadthoſpital iſt durch ſeine edle Bauart bemerkenswerth.
Dieſe beyden Stadttheile ſind noch nicht uͤberall bebaut, haben viele Gartenplaͤtze, hin und wieder auch ungepflaſterte Gaſſen, und werden wenig von Auslaͤndern bewohnt. Eben dies gilt auch vom Jaͤmskoi Stadttheil, der keine Merkwuͤrdigkeiten enthaͤlt, die hier angefuͤhrt zu werden verdienten.
Erſter Theil. E66Waſſili-Oſtrow iſt der Sitz des Han - dels und des erſten Tribunals fuͤr die Gelehr - ſamkeit in Rußland. Die Boͤrſe und die Aka - demie der Wiſſenſchaften liegen auf dieſer In - ſel. Kaufleute und Gelehrte bewohnen hier, letztere nur zum Theil, die beſſern Gegenden, auch nimmt das Landkadettenkorps mit ſeiner anſehnlichen Bevoͤlkerung einen vorzuͤglichen Rang in der Karakteriſtik von Waſſili-Oſtrow ein. Die entferntern Linien ſind groͤßtentheils mit hoͤlzernen Haͤuſern bebaut, die um ſo ſchlech - ter und unanſehnlicher ſind, jemehr man ſich der Grenze des bebauten Theils der Inſel naͤhert. Hier lebt man wie auf dem Lande; in den gro - ßen Gaͤrten und bey den laͤndlichen Ausſichten wuͤrde man oft vergeſſen, daß man ſich in einer großen und praͤchtigen Reſidenz befindet, wenn das entfernte Raſſeln der Wagen und das Laͤu - ten der Glocken dieſe Taͤuſchung nicht ſtoͤrte. In der That giebt dieſe Inſel das lebendigſte Bild von dem ſchnellen Anwachs der Stadt. Hier iſt Wuͤſte und Moraſt, Dorf und Flecken, Stadt und Reſidenz. Das letztere iſt Waſſili-Oſtrow vorzuͤglich am Ufer der Newa, gegenuͤber dem Admiralitaͤtstheil.
67Hier liegt die Akademie der Kuͤnſte, einer der praͤchtigſten, und vielleicht der edelſte und geſchmackvollſte Pallaſt in St. Petersburg. Weiter hinauf iſt das Ufer mit den weitlaͤuftigen Gebaͤuden des Landkadettenkorps beſetzt und die oͤſtlichſte Spitze der Inſel wird durch drey große, gut ins Auge fallende und zum Theil mit Saͤulen verzierte Haͤuſer der Akademie der Wiſſenſchaften, und durch die neue Boͤrſe, verſchoͤnert. Dieſe letztere, deren Vollendung nahe iſt, wird, nach der Anlage und dem Modell zu urtheilen, eins der ſchoͤnſten Ge - baͤude ſeiner Art werden. Bis itzt verſammeln ſich die Kaufleute in der alten, von Holz erbau - ten Boͤrſe, die durch nichts merkwuͤrdig iſt. In dieſer Gegend iſt auch der Packhof, das uner - meßliche Waarenlager des petersburgiſchen Han - dels, befindlich. Laͤngs dem Ufer, welches mit Brettern belegt iſt, liegt ein Theil der hier an - kommenden Schiffe vor Anker, wodurch dieſe Stelle eine auſſerordentliche Lebhaftigkeit erhaͤlt und als eine angenehme Promenade benutzt wird. — Unter den vielen auf Waſſili-Oſtrow befind - lichen Kirchen zeichnet ſich die lutheriſche Katha - rinenkirche durch ihre gute Bauart aus.
E 268Der petersburgiſche Stadttheil beſteht aus mehreren Inſeln, die nur zum Theil zur Stadt gerechnet werden koͤnnen, weil viele derſelben wenig bebaut und mit Wald bedeckt ſind. — Die petersburgiſche Inſel hat zwar keine Pallaͤſte, aber ſie bewahrt die Mutter aller jetzt vorhandenen, das erſte hoͤl - zerne Haͤuschen Peters des Großen, in einem ſteinernen Schoppen. Dieſe Inſel iſt groͤßtentheils, doch nur von Holz bebaut; ihre Straßen ſind aber nicht alle gepflaſtert. — Pe - trowskoi Oſtrow hat auſſer einem kleinen hoͤlzernen Sommerhauſe des Großfuͤrſten keine Merkwuͤrdigkeit und iſt zum Theil mit Gehoͤlze bedeckt. — Von eben dieſer Beſchaffenheit iſt die Apothekerinſel, die ihren Namen von dem hier befindlichen Garten des mediziniſchen Kollegiums hat. Auf dieſen Inſeln ſind viele kleine Landhaͤuſer vorhanden, die den Einwoh - nern der Reſidenz zum Sommeraufenthalt die - nen. — Eine andere kleine Inſel, die keinen Namen hat, iſt mit Hanfmagazinen bebaut, wodurch ſie im Sommer ſtets eine Flotte von Barken und Schiffen um ſich her verſammelt. — Kammenoi Oſtrow, welches dem Groß -69 fuͤrſten gehoͤrt, hat einen geſchmackvollen Som - merpallaſt, ein Invalidenhaus und eine Menge allerliebſter Landhaͤuſer. — Die Inſel Jela - gin, welche nach ihrem Beſitzer ſo heißt, iſt durch Kunſt verſchoͤnert und einem großen engli - ſchen Garten aͤhnlich gemacht. Hier iſt ein Som - merpallaſt, ein kleiner Tempel, ein Wintergar - ten u. ſ. w. — Kreſtowskoi Oſtrow, die groͤßte dieſer Inſeln, welche dem Grafen Raſumowski gehoͤrt, iſt zwar weniger durch Kunſt veraͤndert, wird aber wegen der ſchoͤnen Anſichten, welche die herrlichen Alleen und die Ufer der umliegenden Inſeln gewaͤhren, ſehr haͤufig von den Stadteinwohnern beſucht. — Die letzte und groͤßte Merkwuͤrdigkeit dieſes Stadttheils iſt die Feſtung, welche in der Ne - wa, auf einer vierhundert Klafter langen und halb ſo breiten Inſel, neben der petersburgiſchen und kurz oberhalb Waſſili-Oſtrow, alſo unge - faͤhr dem Marmorpallaſt gegenuͤber, liegt. In der Geſchichte der Reſidenz iſt das Jahr ihrer Erbauung merkwuͤrdig, weil es zugleich das Entſtehungsiahr der Stadt ſelbſt iſt. Als Pe - ter der Große im Jahr 1703 hier einen Erdwall aufwerfen ließ, ahndete er wol, daßE 370dieſer Flecken, vor Ablauf eines Jahrhunderts, von marmornen Tempeln und Pallaͤſten umkraͤnzt ſeyn wuͤrde? Auch ſeinen Erdwall hat ein glaͤn - zendes Schickſal getroffen, er iſt an der Newa - ſeite mit Granitquadern bekleidet worden.
Die Feſtung hat zwey Thore: eins nach der petersburgiſchen Inſel, zu welcher eine Zug - bruͤcke fuͤhrt, und eins nach der Admiralitaͤtsſeite, an welchem man nur zu Waſſer landen kann. Die regelmaͤßigen Gebaͤude, die Alleen und die einſame Lage geben dem Innern der Feſtung ei - nige Aehnlichkeit mit einem Kloſter. Das merk - wuͤrdigſte Gebaͤude hier iſt die Peterpauls - kirche, die ihren Urſprung auch dem großen Kaiſer verdankt. Sie ſteht auf einem freyen Platz, faſt im Mittelpunkt der Feſtung; ihr Kirchendach hat nur Eine hohe Kuppel, und ei - nen funfzig Klafter hohen Thurm, der mit einem Glockenſpiel verſehen iſt, welches Peter der Große fuͤr 45,000 Rubel kaufte. Die Spitze deſſelben iſt, in einer Hoͤhe von zwoͤlf Klaftern, vergoldet, und giebt von mehreren Seiten einen ſchoͤnen Geſichtspunkt. Dieſe Kirche enthaͤlt die Koͤrperreſte ihres unvergeßlichen Erbauers und mehrerer ſeiner Nachfolger. — Zu den uͤbrigen71 Merkwuͤrdigkeiten der Feſtung gehoͤren vorzuͤg - lich die kaiſerlichen Gold - und Siberſcheidefabri - ken und der Muͤnzhof.
Der wiburgiſche Stadttheil endlich hat unter allen das laͤndlichſte Anſehn, denn außer der Ufergaſſe an der Newa iſt er nur mit Bauerhaͤuſern beſetzt; auch beſchaͤftigt ſich ſeine geringe Bevoͤlkerung vorzuͤglich mit laͤndlicher Induſtrie. Trotz dieſer Karakteriſtik zaͤhlt er zwey Pallaͤſte unter ſeinen Gebaͤuden. Einer derſelben gehoͤrt dem Grafen Besborodko, liegt an der Newa, iſt von beyden Seiten mit Kolonnaden umgeben, welche ein Amphiteater bilden, und hat einen ſchoͤnen engliſchen Garten. Ein zweyter durch ſeine ſonderbare Bauart auf - fallender Sommerpallaſt gehoͤrt dem Grafen Stroganow und iſt ebenfalls mit einem gro - ßen Garten verbunden. — Eine Merkwuͤrdig - keit dieſes Stadttheils, die wir hier doch wenig - ſtens nennen muͤſſen, iſt der Schiffswerft fuͤr Kauffartheyfahrer.
Hier iſt unſere fluͤchtige Muſterung geen - digt. Wir ſind die einzelnen Theile dieſes unge - heuren Ganzen nach einem ſehr eingeſchraͤnkten Beobachtungsplan durchlaufen; die Merkwuͤr -E 472digkeiten, die wir auf dieſem Wege fanden, ſind nur die Blumen eines großen Gartens, die man ohne Beſchwerde pfluͤckt und mit ſich nimmt. Die groͤßere und nuͤtzlichere Parthie deſſelben traͤgt einen unermeßlichen Vorrath von Fruͤchten, deren Reichthum und Fuͤlle wir aus der Ferne bewundern, weil unſere Scheuren, ſie aufzu - nehmen, zu klein ſind. Ein neues nicht minder ergoͤtzendes Feld zieht jetzt unſere Blicke an ſich; aber muͤde von der Reiſe die wir ſo eben vollen - det haben, ruhen wir einen Augenblick an den Marmorſaͤulen aus, unter welchen wir ſtehen.
Die Wunder der Kunſt, welche um uns her verſammelt ſind, koͤnnen aus der Phyſiognomie des Ganzen die Zuͤge der Kindheit nicht verwi - ſchen: uͤberall Luͤcken, uͤberall neue Entſtehun - gen. — Dieſe ungeheure Maſſe von Steinen, dieſe Tempel und Pallaͤſte, dieſe Kanaͤle, dieſe Bruͤcken ſind das Werk unſers Zeitalters, un - ſerer Generation, und zugleich der ſprechendſte Beweis der Allmacht menſchlicher Kraͤfte.
Auf der ſumpfigen Kuͤſte des finniſchen Meerbuſens, unter einem unfreundlichen Him - mel, in Nebel und Schnee vergraben, liegt ein armſeliges Dorf, von Fiſchern bewohnt, die73 ihren duͤrftigen Unterhalt dem Meere abgewin - nen. Das Machtwort eines Fuͤrſten erhebt den rauhen, wilden, von Natur und Menſchen ver - laſſenen Platz zur Werkſtaͤtte der Kuͤnſte, zum Wohnſitz ſeiner Groͤße, zur Wiege der Kultur ſei - nes ſich bildenden Volks. Menſchlicher Fleiß und menſchliche Kraͤfte trotzen der Natur ihre verwei - gerten Gaben ab, ſchaͤdliche Suͤmpfe verbluten ſich zu wohlthaͤtigen Kanaͤlen, die Felſen der nachbarlichen Wildniß thuͤrmen ſich zu Pallaͤſten und Denkmaͤlern auf, Schiffe aus den entle - genſten Laͤndern beſuchen das unbefahrne Meer, die Pflanzſtadt des beeiſten Nordens wird der Sitz des Luxus, die Quelle des Lichts, die Sta - pelſtadt des Handels fuͤr den Welttheil des ruſſi - ſchen Reichs, und — der Zeitraum Eines Menſchenlebens iſt hinreichend dieſe Wun - der zu Stande zu bringen. Mehr als Ein gluͤck - licher Greis war Zeitgenoſſe von Peters kuͤh - nem Entwurf und Katharinens großer Vol - lendung.
Freylich iſt dieſes koloſſaliſche Denkmal menſchlicher Kraft nicht ohne Beyſpiel. Adria - nopel, Palmyra und Stambul verewigen die Namen ihrer Stifter und ſind die AufſchriftenE 574ihrer Jahrhunderte. Aber von der Natur be - guͤnſtigt und unter dem gluͤcklichen Einfluß einer allgemein verbreiteten Kultur war es weniger erſtaunenswerth, dieſe ſtolze Fuͤrſtenſitze zu der Groͤße gelangen zu ſehn, die das Andenken der - ſelben in der Geſchichte unſterblich macht und die Kenner des Schoͤnen noch itzt zu ihren Ruinen lockt.
Ach, zu ihren Ruinen! Sie ſind dahin die ſtolzen Denkmaͤler der Vorwelt: duͤrfen wir ein beſſeres Schickſal erwarten? — Nach zehn Jahrhunderten ſchreibt vielleicht ein Irokeſe uͤber die Ruinen des nordiſchen Palmyra und citirt Autoritaͤten aus den Fragmenten meines Buchs.
Der peterhofſche Weg. Seine Beſchaffenheit. Reizen - de Anſichten von demſelben. — Strelna. Ruinen. — Peterhof. Lage. Waſſerkünſte. Bad. Prächtige Bauerhütte. — Oranienbaum. Einſiedeley. Rutſch - berg. Künſtlicher See. Kleine Feſiung. — Kronſtadt. Anblick des Hafens. Graniteinfaſſung. Peterskanal. Docken. Neuer Kanal. Magazine. Einwohner. — Der zarskojeſeloiſche Weg. — Jägerhof. — Tſchesme. Fürſtengallerie. — ZarskoieSelo. Gegend und Umfang. Anblick. Schloßplatz. Pallaſt. Garten. Denkmäler. — Pawlowsk. — Merienthal. —[Gatſchina]. — Der ſchlüſſelburgiſche Weg. Alexandrowsk. — Pella.
Wenn die Merkwuͤrdigkeiten der Stadt unſere Aufmerkſamkeit und Bewunderung in nicht ge - woͤhnlichem Grade geſpannt und unterhalten ha - ben, ſo duͤrfen wir uns bey der Reiſe in die um -76 liegende Gegend keine geringere Befriedigung ver - ſprechen. Immer die naͤmlichen Gruppen, aber immer auf veraͤndertem Grunde; eben dieſe Be - ſiegung natuͤrlicher Hinderniſſe, aber zu einem andern Zweck; eben dieſer erſtaunenswuͤrdige Aufwand menſchlicher Kraft, aber mit andern Reſultaten. Dort feſſelt unſern Blick der Sieg der Kunſt uͤber die Schwierigkeiten ihres Gebiets, hier uͤber die widerſtrebende Natur. Bey einem ſo ungleichartigen Kampf kann der Ausgang nicht einerley ſeyn; alle Forderungen ſind erfuͤllt, wenn die Kunſt, unuͤberwunden von der ſtaͤrkern Natur, mit ihr zugleich den Kampfplatz be - hauptet.
Mit dieſem Maaßſtabe in der Hand, wer - den wir dem Gegenſtande Gerechtigkeit wieder - fahren laſſen, deſſen Unterſuchung uns jetzt be - ſchaͤftigen ſoll. Was die Kunſt beſiegen konnte, hat ſie beſiegt: wo der Natur aufgeholfen wer - den konnte, iſt ihr aufgeholfen; aber freylich vermißt man unter dieſen erkuͤnſtelten Wundern jene Fuͤlle, jenes Streben und Draͤngen der or - ganiſirten Schoͤpfung, welche nur eine mildere Sonne zu erzeugen vermag. Immer fehlt den kaͤrglich ausgeſpendeten Gaben die friſche Farbe,77 das Leben, die Bluͤthe, der Stempel des Indi - genats; durch die Kunſt unter fremden Himmel und auf fremden Boden gefeſſelt, ſcheinen ſie nur ihr gluͤcklicheres Vaterland zu betrauren.
Unſer Reiſeplan fuͤr die Gegend um St. Petersburg iſt ſehr einfach. Die Merkwuͤrdig - keiten derſelben reihen ſich zu unſerer Bequem - lichkeit an drey große Heerſtraßen, die wir von der Reſidenz aus ſo lange verfolgen wollen, als ſie uns Gegenſtaͤnde darbieten werden, die unſe - rer Aufmerkſamkeit werth ſind.
Wir machen mit dem peterhofſchen Wege, oder der rigiſchen Heerſtraße, den An - fang; ehe wir aber einen Blick auf die umher - liegenden Gegenſtaͤnde werfen, wollen wir der Beſchaffenheit deſſelben eine kleine Unterſuchung widmen. Dieſer Weg hat eine Breite von acht Klaftern; zu beyden Seiten laufen erhoͤhete Fußſteige und neben dieſen tiefe, mit Steinen aus - gefutterte Graben hin, die durch gewoͤlbte und bedeckte Quergraben verbunden ſind. Ueberall wo er durch Kanaͤle oder Gewaͤſſer unterbrochen wird, iſt er mit gewoͤlbten ſteinernen Bruͤcken verſehen, deren Lehne aus Granitquadern zuſam - mengeſetzt ſind. Die Entfernung der Werſte78 wird durch geſchmackvolle Granitſaͤulen bezeich - net, die auf hohen marmornen Geſtellen ſtehn. Die Konſtruktion dieſes merkwuͤrdigen Weges ward durch den General Bauer auf folgende Weiſe zu Stande gebracht. Der zu dieſem Zweck uͤberall geebnete und erhoͤhete Boden erhielt eine dreyfache Grundlage: zuerſt von Griesſand, dann von Granitbrocken und endlich von Ziegel - ſteinen. Dieſe letzte wurde abermals mit Gries - ſand uͤberſchuͤttet, und hierauf mit Feldſteinen uͤberpflaſtert. Um den Weg ebner zu machen und das Fahren zu erleichtern, wurde auch dieſes Pflaſter mit Gries und zerklopften Steinen uͤber - deckt. — Die Koſten einer ſo auſſerordentlichen Unternehmung mußten natuͤrlich ſehr groß ſeyn; jede Werſt kam, ohne Saͤulen und Bruͤcken, auf 25,000 Rubel zu ſtehen.
Dieſer in ſeiner Art einzige Weg nimmt ſei - nen Anfang bey dem praͤchtigen rigiſchen Thor, welches wir ſchon aus dem vorigen Abſchnitte kennen. Von hier bis zur ſiebenten Werſt gleicht er eher einem Luſtgarten als einer Heerſtraße. Eine ununterbrochene Kette von Landhaͤuſern reiht ſich hier an einander. Pracht und Ge - ſchmack, Aufwand und Kunſt haben ſich hier79 vereinigt eine Wuͤſte zu einem Paradieſe umzu - ſchaffen, deſſen Reiz durch die abſtechende Man - nigfaltigktit der Anlagen und Ideen erhoͤht wird. Praͤchtige Landſitze, hollaͤndiſche Doͤrfer, Ein - ſiedeleyen, Teiche, Inſeln, laͤndliche Ausſichten wechſeln unaufhoͤrlich ab. Der uͤberraſchte Rei - ſende, der ſich aus den moraſtigen Waͤldern In - germannlands ploͤtzlich auf dieſe Heerſtraße ver - ſetzt ſieht, glaubt ſich in den Regionen einer Fe - enwelt, wo Natur und Kunſt einen zauberiſchen Reihentanz um ſeinen Wagen tanzen.
Von der ſiebenten Werſt behalten wir dieſe Kette von Landhaͤuſern nur zur Linken, da ſich hier der Weg dem Geſtade naͤhert, und dadurch auf der rechten Seite den Anblick des finniſchen Buſens gewaͤhrt. So langen wir unter den mannigfaltigſten Abwechslungen der Ausſicht, nach einer uͤberaus unterhaltenden Reiſe von ſie - benzehn Werſten, bey dem kaiſerlichen Luſtſchloß Strelna und auf der erſten Poſtſtation vor Petersburg an. Wir wuͤnſchen den Reiſenden, deren Weg hier ab nach Riga geht und von de - nen die Heerſtraße wimmelt, eine hinreichende Einbildungskraft, um ſich die bevorſtehenden Muͤhſeligkeiten ihrer Reiſe durch die Ruͤckerin -80 nerung dieſer zauberiſchen Scenen zu verſuͤßen — und verweilen hier noch ein wenig, um uns mit den praͤchtigen Truͤmmern bekannt zu machen, die wir in einer ſehr romantiſchen Gegend vor uns liegen ſehn.
Strelna verdankt ſeine Entſtehung dem Stifter der Reſidenz; was es unter ihm ward, iſt es noch bis auf dieſe Stunde, die Zerſtoͤrun - gen abgerechnet, die es durch die Zeit erlitten hat. Durch nichts merkwuͤrdig, als durch ſeine unerfuͤllte Beſtimmung, wollen wir uns nicht der Gefahr ausſetzen, unter ſeinen Truͤmmern begraben zu werden, ſo wahrſcheinlich es auch iſt, daß von der Zinne dieſes verfallenen Palla - ſtes eine herrliche Ausſicht unſere Wanderſchaft belohnen wuͤrde. Seine Lage an dem ſteilen Ufer des Meerbuſens, in einer durch Wald und Huͤgel romantiſchen Gegend, die Naͤhe eines großen wohlgebauten Dorfs und das Leben auf der dicht vorbeylaufenden Heerſtraße, waͤren immer Gruͤnde genug, dieſem in Vergeſſenheit gerathenen Landſitz einen Theil ſeines ehemaligen Glanzes wiederzugeben.
Von hier bis Peterhof haben wir einen an abwechſelnden Ausſichten reichen Weg vonacht81acht Werſten. Urſprung und Lage hat dieſes kaiſerliche Luſtſchloß mit Strelna gemein, aber das Schickſal dieſer beyden Schoͤpfungen Pe - ters des Großen war bis itzt ſehr verſchie - den. Unter jeder neuen Regierung mit neuen Verſchoͤnerungen bereichert, behauptet Peter - hof jetzt durch ſeine natuͤrlichen Vortheile den erſten, und durch ſeine kunſtmaͤßigen Anlagen den zweyten Rang unter allen kaͤiſerlichen Land - ſitzen.
Die Lage von Peterhof iſt vielleicht ein - zig. Ungefaͤhr fuͤnfhundert Klafter von dem Geſtade des Meers hat dieſe Gegend ein zwey - tes ſehr ſteiles, etwa zwoͤlf Klafter hohes Ufer. Hart an dieſem Abſprunge liegt das Schloß, welches dadurch eine gewiß ſeltne Ausſicht uͤber die Gaͤrten und den Meerbuſen, nach der ka - reliſchen Kuͤſte, nach Petersburg und Kron - ſtadt erhaͤlt. Es ward unter Peter dem Großen durch le Blond erbaut, hat aber unter den nachfolgenden Regierungen ſo man - nigfaltige Verſchoͤnerungen erhalten, daß es dadurch zu einer Muſterkarte des Geſchmacks jeder dieſer Epoken geworden iſt. Der Einfluß deſſelben zeigt ſich in der Menge architektoni -Erſter Theil. F82ſcher Verzierungen, die alle reichlich vergoldet ſind. Das Innere iſt der Beſtimmung dieſes Pallaſtes angemeſſen; uͤberall ſind die Spuren antiker Pracht ſichtbar, denen der beſſere Ge - ſchmack unſerer Zeit zur Vergleichung dient.
Intereſſanter durch ihre eigenthuͤmlichen Schoͤnheiten ſind die Gaͤrten. Der obere Theil derſelben, vor der Landſeite des Schloſſes, iſt in Gaͤnge, Waldparthieen und Blumenplaͤtze geformt, die durch die Nachbarſchaft eines großen, mit Waſſerkuͤnſten verſehenen Baſſins belebt und gehoben werden. Der Abſprung, vor der Hinterſeite des Schloſſes, nach der See zu, hat zwey praͤchtige Kaskaden, die ſich uͤber die Terraſſen hin in große Becken ſtuͤr - zen, und unter welchen man, wie unter einem Gewoͤlbe, in eine ſchoͤne Grotte geht. Der ganze Flaͤchenraum vor dieſem Abſprunge bis an das Meerufer iſt ein großer Prachtgarten in alter Manier, und durch ſeine auſſerordent - lichen Waſſerkuͤnſte beruͤhmt. Einige derſelben ſpruͤtzen Waſſerſaͤulen von anderthalb Fuß im Durchmeſſer in einer Hoͤhe von drittehalb bis drey Klafter. Ein ſchoͤn gefutterter, zehn Klaf - ter breiter Kanal, der von der Mitte des83 Schloſſes bis in den Meerbuſen geht, theilt dieſen Garten in zwey Haͤlften. In einer ein - ſamen Waldparthie deſſelben liegt das artige Gartenhaus Monplaiſir, welches unter andern durch eine praͤchtige Kuͤche merkwuͤrdig iſt, in welcher die Kaiſerinn Eliſabeth ſich zuwei - len das Vergnuͤgen gemacht haben ſoll, ſelbſt fuͤr ihre Tafel zu ſorgen. In einer andern Gegend des Gartens, hart am Ufer des Bu - ſens ſteht ein niedliches hoͤlzernes Gebaͤude, der ehemalige Lieblingsort Peters des Gro - ßen, weil er von hier aus Kronſtadt und die Flotte uͤberſehen konnte. Merkwuͤrdig iſt auch das Badehaus, welches in einer kleinen Wal - dung liegt. Man tritt in einen großen, ova - len, von einer hoͤlzernen Wand umgebenen Platz, der oben nicht bedeckt iſt, ſondern den Himmel uͤber ſich hat und von den umherſte - henden Baͤumen beſchattet wird. In dieſer Wand ſind Zimmer und Niſchen befindlich, die mit allem Hausgeraͤth verſorgt ſind, welche Luxus und Bequemlichkeit zu dieſem Zweck er - heiſchen. Mitten in dieſem Platz iſt ein großes Baſſin, von einer Gallerie umgeben und mit Treppen, Floͤſſen und Gondeln verſehen. DasF 284Waſſer wird durch Roͤhren hieher geleitet, die das Becken nur bis zu einer gewiſſen Hoͤhe fuͤllen. Der Thiergarten dieſes Luſtſchloſſes ent - haͤlt nichts was unſere Aufmerkſamkeit verdien - te; aber deſto intereſſanter iſt der noch nicht vollendete engliſche Garten. Wer dieſe Manier kennt, der bedarf keiner Beſchreibung, und fuͤr diejenigen welche ſie nicht kennen, wuͤrde jede Schilderung langweilig ſeyn. Daß es auch hier nicht an Pallaͤſten und Tempeln fehlt, wird Jeder leicht vermuthen; uͤberraſchender iſt eine kleine Bauerhuͤtte, welche von auſſen die Behauſung des Elends verkuͤndet und in - wendig auf das praͤchtigſte und geſchmackvollſte eingerichtet iſt. Das Erſtaunen, welches dieſer unerwartete Anblick hervorbringt, wird durch die ſcheinbare Groͤße und Entfernung der Ka - binette vermehrt, die ſich in kuͤnſtlich verborge - nen Spiegeln verdoppeln. — In der Naͤhe von Peterhof liegt eine Slobode von hoͤlzernen aber gut gebauten Haͤuſern, die einem artigen Flecken gleicht.
Jetzt ſetzen wir unſere Reiſe nach dem acht Werſt entfernten Luſtſchloß Oranien - baum fort. Dieſer Weg, der nun nicht mehr85 Chauſſee iſt, wird durch mancherley Abwechſe - lungen ſehr unterhaltend. Die Lage von Ora - nienbaum iſt im Ganzen der von Peterhof und Strelna aͤhnlich, aber die erſtere erhaͤlt durch den Reichthum pittoresker Anſichten und durch die angenehme laͤndliche Gegend den Vorzug. Der Boden, der bis Strelna flach, und von hier bis Peterhof wellig war, erhebt und ſenkt ſich hier in kleine romantiſche Huͤgel und Thaͤler.
Das Luſtſchloß Oranienbaum ſteht eben - falls auf einem hohen, in Terraſſen geformten Abhange des obern Geſtades, und bildet drey abgeſonderte Gebaͤude, von denen das mittlere durch Kolonnaden mit den zur Seite ſtehenden verbunden iſt. Ich uͤbergehe die innere, nicht ſehr praͤchtige aber geſchmackvolle Einrichtung, um Wiederholungen zu vermeiden. Dieſes Schloß iſt jetzt dem Seekadettenkorps uͤberge - ben, welches in dieſem Jahr von Kronſtadt hierher verſetzt worden iſt.
Der Garten theilt ſich hier, wie in Pe - terhof, in den obern und untern. Der letztere iſt nur durch den ſchoͤnen uͤber eine Werſt lan - gen Kanal merkwuͤrdig, durch welchen man in den Meerbuſen und nach Kronſtadt faͤhrt. DerF 386obere Garten iſt in hollaͤndiſcher Manier. Sei - ne groͤßte Sehenswuͤrdigkeit iſt die Einſiedeley, welche Katharina die Zweyte als Groß - fuͤrſtinn erbaute. Sie liegt mitten in einem, den Sonnenſtralen unzugaͤnglichen, melankoli - ſchen Waͤldchen, und beſteht etwa aus zwoͤlf Zimmern, die mit dem auserleſenſten Geſchmack eingerichtet und moͤblirt ſind. Eins derſelben iſt von Moſaik von Paſten und Glasfluͤſſen ausgelegt, in einem andern ſind die Waͤnde mit Schmelzwerk und Korallen bedeckt, einige ſind in griechiſcher, perſiſcher und chineſiſcher Manier aufgeſchmuͤckt, und mehrere dieſer Ver - zierungen ſollen von der Kaiſerinn mit eigner Hand verfertigt ſeyn. — Die zweyte Merk - wuͤrdigkeit dieſes Gartens iſt der Rutſchberg, wahrſcheinlich der groͤßte unter allen vorhande - nen. Er beſteht aus einer ſchiefliegenden Flaͤ - che, deren erhabenes Ende etwa zehn Klafter uͤber dem Boden durch ein Gewoͤlbe getragen wird, und welche durch mehrere kleine Huͤgel in abnehmender Groͤße unterbrochen iſt. Ueber dieſe Flaͤche gleitet man in kleinen Wagen hin, deren Raͤder in ihre Gleiſe paſſen, und die durch die Gewalt mit welcher ſie von jedem87 Huͤgel herunter rollen, Kraft genug bekommen uͤber den folgenden wegzulaufen, bis ſie endlich auf der horizontalen Flaͤche ſtille ſtehn. Laͤngs dieſer Bahn iſt an jeder Seite eine bedeckte Kolonnade von hundert Saͤulen befindlich, de - ren Enſemble einen unbeſchreiblich praͤchtigen Eindruck macht. — An den Garten ſtoͤßt ein kleiner ausgegrabener See, auf welchem eini - ge Fahrzeuge ſchwimmen, die als Kriegsſchiffe, Jagden und Galeeren gebaut ſind, und die Ausſicht aus den Fenſtern des Pallaſts ver - ſchoͤnern helfen. Neben dieſem See ſteht eine kleine regelmaͤßige Feſtung, deren Inneres or - dentliche Wohnungen enthaͤlt. — Der Flecken Oranienbaum, der ſeit einigen Jahren zur Kreisſtadt erklaͤrt iſt, giebt der umliegenden Gegend ein Leben, welches die natuͤrlichen Rei - ze derſelben erhoͤht. Peterhof ſowol als Ora - nienbaum werden, trotz der Vorzuͤge ihrer un - vergleichlichen Lage, nur ſelten vom Hofe be - ſucht, aber dennoch ſorgfaͤltig unterhalten. In dem erſtern dieſer Luſtſchloͤſſer pflegt die Kaiſe - rinn gewoͤhnlich das Feſt des Peterpaulstages durch eine Maskerade und Illumination zu feyern, an welchen das ganze Publikum TheilF 488nimmt. Eine Schilderung dieſes ſeltnen und außerordentlichen Feſtes werden wir unter der Rubrik der oͤffentlichen Vergnuͤgungen finden.
Die Naͤhe von Kronſtadt, welches wir vor uns liegen ſehn, iſt zu verfuͤhreriſch, als daß wir nicht die kleine Seereiſe dahin antreten ſollten. Eine Menge Fahrzeuge liegen zu die - ſem Behuf am Fuß des Luſtſchloſſes fertig. Von hier bis an das Meerufer machen wir eine Reiſe auf dem Kanal und unſer Boot wird von den Matroſen gezogen. Die Entfernung von Kron - ſtadt betraͤgt ſieben Werſt, die man bey ſtillem Wetter durch Rudern in einer Stunde zuruͤck - legt.
Die Inſel, auf welcher Kronſtadt liegt, hatte ehemals einen andern Namen, und wird jetzt nach dieſer Stadt benannt. Sie iſt etwa ſieben Werſt lang und eine Werſt breit; ihre einzige Merkwuͤrdigkeit iſt die Stadt, die auf dem oͤſtlichſten Ende derſelben erbaut iſt. Ganz in ihrer Nachbarſchaft liegen zwey kleinere In - ſeln, die durch ihre Verſchanzungen unter dem Namen Kronslot bekannt ſind.
Je mehr man ſich dem kronſtaͤdtiſchen Ha - fen naͤhert, deſto praͤchtiger wird ſein Anblick. 89Die Kriegsſchiffe, Fregatten und Kauffarthey - fahrer, deren Maſten einen undurchdringlichen Wald bilden — die mit Granitquadern bekleide - ten Verſchanzungen, deren kuͤhne Maſſen aus dem unruhigen Meer hervorragen — die hohen Magazine und Gebaͤude welche das entferntere Ufer bekraͤnzen — bilden ein großes und pitto - reskes Ganze, welches durch das Gewuͤhl be - ſchaͤftigter Seeleute und durch die ewige Bewe - gung ab - und zuſegelnder Schiffe belebt wird.
Der Eintritt in die Stadt entſpricht der ge - ſpannten Erwartung nicht, welche dieſer Anblick erregt. Die ungeheuren Magazine und Werke und die wenigen gut gebauten Haͤuſer ſtehen un - ter dem Schutt unvollendeter Unternehmungen wie die Denkmaͤler eines Rieſengeſchlechts unter den Ruinen eines Erdbebens da. Wirklich gehoͤ - ren alle Merkwuͤrdigkeiten dieſer ſonderbaren Stadt in die koloſſaliſche Gattung. Dieſe aus dem Meere ſteigenden Veſten, deren muͤhſam polirte Oberflaͤche den wuͤthenden Wellen trotzt, dieſe Kanaͤle, dieſe Maſchinen ſcheinen nicht das Werk unſerer kraftloſen Generationen zu ſeyn.
Der Peterskanal, der ſeinen Namen und Urſprung dem unſterblichen Stifter KronſtadtsF 590dankt, hat eine Laͤnge von 1050 Klafter, mit welcher er 358 Klafter weit ins Meer hinaus geht. Seine Breite betraͤgt oben 100, und unten 60, ſeine Tiefe 24 Klafter. Neben dieſem Kanal, deſſen Unternehmung und Ausfuͤhrung durch zwey Denkſaͤulen angezeigt wird, ſind die Docken befindlich, in welchen zehn und mehrere Schiffe zugleich ausgebeſſert werden koͤnnen. Sie wer - den durch Schleuſen eingelaſſen, und die Docken alsdann vom Waſſer befreyt, welches ein großes ausgemauertes Baſſin aufnimmt. Das Aus - pumpen wird jetzt durch die bekannte Feuerma - ſchine bewirkt, welche die Stempel vermittelſt der Elaſtizitaͤt der Daͤmpfe in Bewegung ſetzt.
Um ſich von der Beſchaffenheit des Kriegs - hafens einen deutlichen Begriff zu machen, iſt weder der wirkliche Anblick noch die vollſtaͤndigſte Beſchreibung hinreichend; die Ueberſicht uͤber ein ſo weitlaͤuftiges Ganze kann nur ein Plan geben.
Ein neues großes Unternehmen geht jetzt feiner Vollendung entgegen: ein Kanal, durch welchen die Schiffe in den Stand geſetzt werden, ihre Vorraͤthe fuͤr die Flotte ſogleich an den Ma - gazinen abzuladen. Auch dieſer Kanal wird,91 wie alle hier vorhandene, mit Werkſtuͤcken aus - gefuttert, und in eben dem Maaße in welchem die Arbeit an demſelben fortruͤckt, thuͤrmen ſich rieſenmaͤßige Waarenlager an ſeinen Ufern auf. Es iſt wol moͤglich die ſinnlichen Verhaͤltniſſe die - ſer außerordentlichen Unternehmung anzugeben, aber der Eindruck den das Reſultat menſchlicher Kraͤfte unter dieſen Beſtimmungen macht, kann nur durch das Auge in die Seele uͤbergehen.
Die Volksmenge von Kronſtadt laͤßt ſich we - gen der beſtaͤndig Ab - und Zureiſenden nicht ge - nau beſtimmen; im Durchſchnitt aber ſchaͤtzt man ſie auf 30,000 Menſchen, von denen ein ſehr betraͤchtlicher Theil zur Flotte gehoͤrt. Die ſonderbare Lage der Stadt, welche, iſolirt im Meerbuſen, den Sommer hindurch nur zu Waſ - ſer eine Verbindung mit den umliegenden Gegen - den hat; die daher entſtehende Abhaͤngigkeit von der Zufuhr der Lebensmittel; die Miſchung ſo mannigfaltiger Nationen und Menſchenklaſſen, unter welchen die roheſte die zahlreichſte iſt, der herrſchende Ton, der ſich, wenigſtens zum Theil nach dieſen Beſtimmungen modifizirt — alle die - ſe Umſtaͤnde zuſammengenommen, ſind hinrei - chend, die Erſcheinung zu erklaͤren, daß ſo we -92 nige Menſchen freywillig und gerne ihren Au - fenthalt in dieſer Inſelſtadt waͤhlen.
Wir eilen nach der Reſidenz zuruͤck, um von dort aus eine zweyte Wanderung zu beginnen. — Der Weg den wir vor uns haben heißt der zars - kojeſeloiſche. Er iſt in ſeiner Beſchaffenheit dem peterhofſchen voͤllig gleich und hat ebenfalls Werſtſaͤulen aus Marmor, Jaspis und Granit. An den Seiten dieſes Weges hin ſtehen eilfhun - dert Kugellampen, die bey oͤffentlichen Gelegen - heiten, wenn der Hof in Zarskoje Selo iſt, er - leuchtet werden. Auch hier hat man die Ausſicht auf einige Privatgaͤrten; die aber weder an An - zahl noch Schoͤnheit und Mannigfaltigkeit mit denen am peterhofſchen Wege verglichen werden koͤnnen.
Die erſte Merkwuͤrdigkeit, die ſich uns auf unſerer jetzigen Wanderung darbietet, iſt der kaiſerliche Jaͤgerhof, der zwar noch im mos - kowiſchen Stadttheil, aber im offnen Felde zur Linken der Heerſtraße liegt, und welchen wir ſchon aus dem vorigen Abſchnitte kennen. — Etwas weiter hin, zwiſchen der ſechsten und ſie - benten Werſt, ragen die Mauern von Tſches - me aus einer moraſtigen mit Geſtraͤuch bedeckten93 Flaͤche hervor. Das Luſtſchloß, welches eine dreyeckige Form hat, iſt durchaus in gothiſchem Geſchmack gebaut, mit alten gothiſchen Verzie - rungen, hohen Fenſtern, bemalten Scheiben, kleinen Thuͤrnen. Das Innere deſſelben wird durch eine aͤußerſt vortreffliche Gemaͤldeſamm - lung aller um das Jahr 1775 in Europa herr - ſchenden Fuͤrſtenfamilien merkwuͤrdig, die groͤß - tentheils von den Hoͤfen ſelbſt hieher geſchenkt iſt und unter welchen ſich Meiſterſtuͤcke vom erſten Range befinden. Der Schloßplatz iſt mit den Wohnungen der Schloßbedienten umgeben und hat eine kleine gothiſche Kirche. Die umliegende Gegend, ſo weit ſie zum Gebiet gehoͤrt, iſt großentheils wie ein engliſcher Garten einge - richtet.
Auf dem Verfolg unſers Weges kommen wir durch ein deutſches Dorf, welches, nach der Zahl ſeiner Haͤuſer, die Kolonie der Zwey und Zwanziger genannt wird; und nun ſetzen wir unſere Reiſe, ohne weiter auf einen intereſſanten Gegenſtand zu ſtoßen, zwey und zwanzig Werſte bis an das erſte aller kaiſerlichen Luſtſchloͤſſer fort.
94Zarskoje Selo, der beſtimmte Sommer - aufenthalt Katharinens der Zweyten, liegt in einer offnen, anmuthigen, durch kleine Huͤgel und Waldparthien abwechſelnden Gegend. Der Flaͤchenraum des ganzen Schloßgebiets be - traͤgt 420,000 Quadratklafter. Seine Entſte - hung iſt dieſer Fuͤrſtenſitz der Kaiſerinn Katha - rina der Erſten und ſeine Erweiterung und Verſchoͤnerung der Kaiſerinn Eliſabeth ſchul - dig; aber ſeine geſchmackvolle Vollendung und den groͤßten Theil ſeiner jetzigen Pracht verdankt er der ſchoͤpferiſchen Regierung Katharinens der Zweyten.
Wir befinden uns jetzt im Angeſicht dieſes Schloſſes, in einem kleinen Walde. Zur Linken haben wir die Mauer des Thiergartens und vor uns den Eingang von der petersburgiſchen Seite. Er beſteht aus zwey von Moostufſtein in der Form von Ruinen aufgefuͤhrten Portalen, deren eines ein chineſiſches Wachthaus hat. Wir tre - ten durch dieſen Eingang in den Schloßplatz und ſehen zur Rechten den Garten und zur Linken ein chineſiſches Dorf, durch welches der Weg uͤber eine chineſiſche Bruͤcke in den Thiergarten fuͤhrt. Vor uns haben wir die Straße nach der95 kleinen nachbarlichen Kreisſtadt Sophia, welche durch ein koloſſaliſches eiſernes Thor geht. Der Schloßplatz ſelbſt bildet ein Amphitheater von Gebaͤuden der Hauptfaſſade des Schloſſes gegen - uͤber, und wird durch zwey eiſerne Gitter an je - der Seite geſchloſſen. Laͤngs der Oſtſeite des Gartens liegt eine Slobode von zwey gut gebau - ten Haͤuſerreihen, die zu Wohn - und Wirth - ſchaftsgebaͤuden beſtimmt iſt.
Das Aeußere des Pallaſtes iſt durch ſeine Groͤße impoſant und durch ſeine zum Theil ver - goldeten Verzierungen blendend. Er hat drey Stockwerke und an beyden Seiten zuruͤckſprin - gende Fluͤgel, von denen der eine die Schloßka - pelle und der andere Badezimmer enthaͤlt. Der mittlere Theil iſt die Wohnung der Kaiſerinn. Eine marmorne Treppe fuͤhrt hier in den zwey - ten Stock, in welchem die Prachtzimmer nach der Seite des Schloßhofs und die eigentlichen Wohnzimmer nach dem Garten zu liegen. Unter den erſtern ſind die meiſten durch den ſeltenſten Reichthum an Koſtbarkeiten aller Art und durch die geſchmackvollſte Pracht ſo weit uͤber alles er - haben, was ich in dieſer Gattung in andern Laͤn - dern geſehen habe, daß es mir ſchlechterdings an96 Vergleichungen fehlt. Eine Muſterung dieſer Gegenſtaͤnde wird man hier nicht erwarten, da dieſe, wenn ſie ihrem Zweck entſprechen ſollte, ein eigenes Werk von mehreren Baͤnden anfuͤl - len wuͤrde. Nur dies kann hier nicht uͤbergangen werden, daß Katharina die Zweyte, mit - ten unter Schoͤpfungen ihres großen Geiſtes, dem einſamen Genuß und dem ruhigen Nachden - ken einen kleinen einfachen Tempel gewidmet hat, in welchem ſie, von Buͤchern und der ſchoͤnen Natur umgeben, zuweilen des unermeßlichen Kreiſes ihrer Wirkſamkeit vergißt, um ſich den ſtillen Freuden der Menſchheit zu ſchenken.
An den ſuͤdlichen Schloßfluͤgel ſtoͤßt eine funfzig Klafter lange Arkade, uͤber welcher eine bedeckte Kolonnade von Marmorſaͤulen ſteht. — Der Garten iſt in engliſcher Manier; ſeine Vollkommenheit laͤßt ſich nach der Groͤße ſeines Flaͤchenraums und nach dem Maaßſtabe leicht be - rechnen, den der Inhalt dieſes und des vorigen Abſchnittes geben.
Unter die beſchreibbaren Merkwuͤrdigkeiten dieſes Gartens gehoͤren vorzuͤglich folgende Ge - genſtaͤnde. Ein kleiner Tempel, der eine ausge - ſuchte Sammlung antiker und moderner Statuͤenenthaͤlt;97enthaͤlt; eine Einſiedeley zum Speiſen, wie die in der Eremitage; ein praͤchtiges Bad; ein Rutſchberg, wie der in Oranienbaum; maleri - ſche Ruinen; eine kleine Stadt, das Anden - ken der Beſitznehmung Tauriens, u. ſ. w. Zwey kuͤnſtliche Seen werden durch einen Bach ver - bunden, uͤber welchen eine gewoͤlbte Bruͤcke fuͤhrt, die mit marmornen Saͤulenreihen uͤber - baut iſt. Auf einer der Inſeln dieſer Seen iſt ein tuͤrkiſcher Tempel, auf einer andern ein großer Saal fuͤr muſikaliſche Beluſtigungen vorhanden. In einem Gebuͤſch ſtoͤßt man auf eine Pyramide in egyptiſcher Form, in deren Nachbarſchaft zwey Spitzſaͤulen ſtehen. —
Zarskoje Selo, das praͤchtigſte Heiligthum der Natur und der Kunſt, iſt zugleich der ſchoͤnſte Tempel des Verdienſtes. Aus den Grundgebirgen unſerer Erde geformt, thuͤrmen ſich hier die Denkmaͤler großer Thaten him - melan, ohne den zerſtoͤrenden Wechſel der Zeit zu befuͤrchten. Ein marmorner Obelisk erin - nert an den Sieg beym Kagul und an den Sieger Rumaͤnzow-Sadunaiskoi. Dem Tag bey Tſchesme und dem Helden Orlow - Tſchesmenskoi iſt eine marmorne SaͤuleErſter Theil. G98auf einem Fußgeſtelle von Granit gewidmet. Ein praͤchtiger Triumfbogen verkuͤndet den pa - triotiſchen Muth des Fuͤrſten Orlow, mit welchem er ſich dem Aufruhr und der Peſt in der Hauptſtadt entgegenwarf und beyde be - ſiegte. Den Sieg bey Morea und den Namen Feodor Orlow verewigt eine Schnabel - ſaͤule. — Einfach und rieſenhaft, wie die Ge - danken der Helden, deren Andenken in dieſen Felsmaſſen lebt, ſtehen ſie da, von der freund - lichen Natur umgeben, die ihre Majeſtaͤt durch den Schleyer kunſtloſer Grazie mildert. Die heilige Stille, welche in dem Bezirk dieſes Thatentempels wohnt, erhebt den Fluͤgelſchlag der Fantaſie, die ſich hier von den ſinnlichen Erinnerungen moraliſcher Groͤße zu dem Ideal der Vollkommenheit emporſchwingt.
Dies iſt der Eindruck, mit welchem man den Sommerſitz Katharinens verlaͤßt. — Ueberall ſind die hoͤchſten Beſtrebungen der Kunſt ſichtbar, denen ſich die ſproͤde Natur nach einer hartnaͤckigen Weigerung nur um ſo willfaͤhriger uͤberlaſſen zu haben ſcheint; uͤberall die Spuren dieſer idealen Gemeinſchaft, deren Zeugungen den Adel ihres Stammes verra -99 then. Dieſe ganze Schoͤpfung iſt Ein ſchoͤner Gedanke, der ſich in die Vollkommenheit ſei - ner einzelnen Beſtandtheile aufloͤſt. —
Der Weg von Zarskoje Selo bis Paw - lowsk, dem erſten großfuͤrſtlichen Luſtſchloſſe, betraͤgt fuͤnf Werſt, und geht durch anmuthige belebte Gefilde. Dem Wanderer, deſſen Seele fuͤr den Eindruck der Gegenſtaͤnde empfaͤnglich iſt, kann der Austauſch der Empfindungen nicht entgehen, welcher hier durch den Ueber - gang aus den Regionen der Pracht und der Groͤße in den Kreis des heitern Geſchmacks und der kunſtlosſchemenden Einfalt hervorge - bracht wird. Wenn die Fantaſie ſich dort von Weſen hoͤherer Art begleitet glaubte, ſo waͤhnt ſie hier unter den Goͤtterchen der Freude zu ſeyn, welche die nachbarlichen Fluren und Hayne bewohnen. Nichts ſtoͤrt den ſuͤßen Irrthum, nicht einmal der Anblick des Schloſſes. Mit - ten unter den Schoͤpfungen der Blumenkoͤni - ginn, in einem der reizendſten Standpunkte dieſer ſchoͤnen Wildniß, ſteht es in ſeiner edlen Einfalt, ein Denkmal des feinſten Geſchmacks, da, nicht um die Wirkung des Ganzen zu ſtoͤren, ſondern um ſie durch das Gefuͤhl zuG 2100erhoͤhen, daß Natur und Kunſt in dieſem Ely - ſium auf Einen Zweck berechnet ſind. Eben dieſe Uebereinſtimmung iſt in dem Innern des Pallaſtes ſichtbar. — Der Garten, deſſen kuͤhne Regelloſigkeit durch die groͤßere Mannigfaltig - keit der Natur unterſtuͤtzt wird, hat, außer einer Eremitenwohnung und einem verfallenen Tempel, keine kuͤnſtliche Anlage, die hier der ſchoͤnen Wirkung nur hinderlich waͤre. — In der Naͤhe von Pawlowsk hat die Großfuͤrſtinn ſich eine kleine Einſiedeley geſchaffen, wo die ruͤhrende Simplicitaͤt der Natur durch keinen Schleyer verhuͤllt wird. Das geſchmackvolle Wohnhaus iſt mit einer Meyerey umgeben, in welcher dieſe liebenswuͤrdige Fuͤrſtinn ſich an dem Anblick laͤndlicher Beſchaͤftigungen ver - gnuͤgt. Marienthal iſt der Name dieſer kleinen romantiſchen Schoͤpfung.
Zwanzig Werſte von Zarskoje Selo liegt Gatſchina, der Herbſtwohnſitz des Groß - fuͤrſten. Das Schloß, ein ſchoͤnes Gebaͤude in einfachem edlem Stil, iſt durch eine Arkade von Marmorſaͤulen mit einem Fluͤgel verbun - den. Rings umher ſind mehrere geſchmack - volle Haͤuſer befindlich, die den Anblick des101 Ganzen geſelliger machen. Auch hier iſt im Aeußern und Innern der ausgeſuchteſte Ge - ſchmack Karakter. Die reizende Gegend wird mit jedem Jahr durch neue Ideen verſchoͤnert, welche dieſes Luſtſchloß allmaͤlig zu dem Range eines der geſchmackvollſten Landſitze in Europa erheben. Die Wunder von Chantilly, die un - ter dem zerſtoͤrenden Einfluß der Zeitbegeben - heiten im Suͤden verloren gehen, werden hier im Norden erneuert.
Wir haben jezt die Muſterung der merk - wuͤrdigſten Gegenſtaͤnde beendigt, die ſich an den beyden großen Heerſtraßen finden. Es bleibt uns noch eine kleine Wanderung auf dem ſchluͤſſelburgiſchen Wege uͤbrig, wo eine neue praͤchtige Schoͤpfung ihr Daſeyn em - pfaͤngt.
Die Heerſtraße, die nach Schluͤſſelburg fuͤhrt, beginnt beym Alexander-Newski-Klo - ſter und laͤuft laͤngs dem linken Newaufer hinan. An Dauerhaftigkeit und Pracht ſteht ſie zwar bey weitem hinter den beyden Wegen, die wir ſchon aus dieſem Abſchnitte kennen; aber an Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit der Ausſichten giebt ſie, wenigſtens dem letztern,G 3102nichts nach. Eine Reihe wohlgebauter Haͤuſer, die ſich mit kleinen Unterbrechungen an dieſen Weg ſchließt, giebt ihm eine angenehme Leb - haftigkeit und ein gewiſſes ſtaͤdtiſches Anſehn. Hier ſind einige der beruͤhmteſten Werkſtaͤtten und Fabrikanlagen der Reſidenz befindlich. Wei - terhin, in einer ſehr romantiſchen Gegend, liegt der Landſitz des Fuͤrſten Waͤſemskoi, Alex - androwsk. Ein ſchoͤnes Dorf von ſteinernen Haͤuſern begrenzt hier zu beyden Seiten die Landſtraße, an welcher auch einige gutgebaute Fabriken und eine Kirche liegen, die durch ihre edle Form auffaͤllt. Der Anblick dieſer Ge - baͤude, des Pallaſts, des Schloßgartens und einer kleinen Meyerey bildet ein ſehr gefaͤlliges und pittoreskes Ganze. Wir eilen bey den ge - ringeren Merkwuͤrdigkeiten dieſes Weges vor - uͤber, um das Ziel unſerer Reiſe, das kaiſer - liche Luſtſchloß Pella, zu erreichen, welches fuͤnf und dreißig Werſt von der Reſidenz, zwi - ſchen dem linken Newaufer und der Muͤndung des kleinen Fluſſes Tosna liegt. Nichts iſt uͤberraſchender als der Anblick dieſer großen Haͤuſermaſſen, die durch die Wirkung der Bau - kunſt in der Ferne Ein großes Ganze ſcheinen. 103Mehrere Pallaͤſte und Pavillons reihen ſich hier in berechneter Unordnung an einander und ſind durch Arkaden und Saͤulenreihen verbun - den. Der Garten und die innere Einrichtung ſehen i[h]rer Vollendung entgegen; ein Zeitpunkt, der dieſer neuen Schoͤpfung ihren Rang unter den uͤbrigen Luſtſchloͤſſern anweiſen wird.
Volksmenge. — Urſprüngliche Einwohner, Ingrier und Finnen. Hauptſtamm der Bevölkerung, Ruſſen. Frem - de Einwohner. — Fruchtbarkeit, Sterblichkeit und Geſundheitszuſtand. Fortſchritt der Bevölkerung. — Phyſiſcher Karakter der Einwohner. — Bürgerliche Verfaſſung. Hof und Stadt. Bürgerbuch. Gilden. Stadtgemeine. — Kirchliche Verfaſſung.
Bis hierher habe ich verſucht, meinen Leſern eine Darſtellung des Aeußern dieſer Reſidenz zu geben. Wir ſind dem Plan eines Reiſen - den gefolgt, der bey ſeiner Ankunft in einer großen unbekannten Stadt zuerſt die Außen - linien der Gegenſtaͤnde zu faſſen ſucht, und waͤh - rend der erſten Tage ſeines Aufenthalts nur Gaſſen mißt, um Haͤuſer zu ſehen. Um ſo weit mit Petersburg bekannt zu werden, als105 wir es bis jezt ſind, bedurfte es nur geſunder Augen; von nun an naͤhern wir uns dem vorzuͤglichern Gegenſtande unſerer Betrachtung, dem Menſchen. Die Modifikationen ſeiner Exiſtenz, ſeine Beduͤrfniſſe, ſein Lebensgenuß, ſein Karakter und ſeine Individualitaͤt ſind die reichhaltigen Zuͤge, aus denen das Gemaͤlde ſeiner Gattung zuſammengeſetzt werden muß. — Wenn kein Studium groͤßeres Intereſſe fuͤr den Menſchen hat, als das Studium des Men - ſchen, ſo hat auch keins groͤßere Schwierig - keiten. Gluͤcklich, wem der Blick und die Ga - be ward, das Wahre vom Falſchen zu ſondern, allgemeine Zuͤge fallen zu laſſen, Eigenthuͤm - lichkeiten zu greifen, und aus tauſend einzelnen Bemerkungen ein großes, wahres und anzie - hendes Ganze zu bilden!
Die große Haͤuſermaſſe, mit deren Anblick wir uns bis jezt beſchaͤftigt haben, wird von einer ſo zahlreichen, und, in religioͤſer und po - litiſcher Hinſicht ſo verſchiedenartigen, Men - ſchenmenge bewohnt, daß ohne die naͤhere Kenntniß dieſer Verhaͤltniſſe ein großer Theil der nachfolgenden Unterſuchungen und Schil - derungen unzulaͤnglich und unverſtaͤndlich ſeynG 5106wuͤrde. Ehe wir uns mit dem geiſtigen Zu - ſtand der Menſchen beſchaͤftigen die hier leben, muͤſſen wir ihren koͤrperlichen Zuſtand ken - nen: ſo wie die Thatſachen, die wir hier und in der Folge uͤber die buͤrgerlichen Ver - haͤltniſſe derſelben einſammeln, uns den Weg zu der Darſtellung ihrer moraliſchen Ver - haͤltniſſe bahnen.
Die Volksmenge von St. Petersburg iſt nur erſt ſeit kurzem ein aufgeloͤſtes Pro - blem. Die Kenntniß dieſes Gegenſtandes dankt das Publikum der aufgeklaͤrten Vorſorge der jetzigen Regierung, waͤhrend welcher zuerſt zweckmaͤßige Liſten und Zaͤhlungen anbefohlen und ausgefuͤhrt wurden. Die Reſultate der - ſelben, welche zum Theil von einſichtsvollen Gelehrten kommentirt worden ſind, werden mich bey der Unterſuchung dieſer wichtigen That - ſache leiten.
Nach den Berechnungen und Schluͤſſen des Akademikus Krafft*)Nova acta Acad. ſcient. Imp. Petrop. p. a. 1782. pars prior. betrug in dem Zeitraum von 1764 bis 1780 die Mittelzahl107 aller Lebenden 164,000. Die letzten fuͤnf Jahre von 1775 bis 1780 allein genommen, laͤßt ſich die Menſchenmenge auf 174,778 ſchaͤtzen. Nach den letztern Zaͤhlungen belief ſie ſich im Jahr 1784 auf 192,846, und im Jahr 1789 auf 217,948. *)Georgi, Th. 1. S. 135.Es waren naͤmlich in dieſem Jahr
Da aber in dieſen Angaben noch der Hof - ſtaat, die Akademieen, das in Friedenszeiten hier liegende Militaire, (welches in zwey In - fanterie - und einem Kavallerieregimente beſteht) ferner alle Fremde, Reiſende, Schiffer, perio - diſche Arbeiter, fehlen; da endlich auch der Zu -108 wachs der Bevoͤlkerung, welcher, nach der Ana - logie der obigen Angaben zu ſchließen, ſehr be - traͤchtlich ſeyn muß, in Anſchlag gebracht wer - den darf*)St. Petersburg hat, nach dieſen Angaben, ſeit 1774 bis 1789 an Volkmenge zugenommen um 53,948 Menſchen, alſo jährlich um 3596. Wenn man dieſes Verhaͤltniß auch für die drey Jahre von 1789 bis 1792 annimmt, ſo giebt dies eine Zunahme von 10,788 Menſchen, welche, mit der Zählung von 1789, und mit Ausſchluß aller nicht regiſtrir - ten Einwohner, ſchon eine Summe von 228,736 Menſchen ausmacht., ſo glaube ich der Wahrheit am naͤchſten zu kommen, wenn ich fuͤr die izt (1792) beſtehende Volkmenge von St. Peters - burg 225,000 Menſchen annehme. In der Bevoͤlkerungsſtufe der großen europaͤiſchen Staͤdte nimmt dieſe Reſidenz alſo den ſechsten Rang ein, denn ſie ſteht in dieſer Ruͤckſicht nur unter Konſtantinopel, London, Paris, Neapel und Wien; am naͤchſten kommt ihr Amſterdam, welches, nach Peſtel und andern, ungefaͤhr 212,000 Einwohner zaͤhlt; dann folgen, nach der Groͤße ihrer Bevoͤlkerung, Rom, Venedig, Berlin, Madrit, Liſſabon.
109Der Hauptſtamm dieſer Bevoͤlkerung, die im Ganzen aus der mannigfaltigſten Miſchung aller Nationen beſteht, ſind die Ruſſen, welche jetzt den bey weitem uͤberwiegenden Theil der Volkmenge ausmachen, ob ſie gleich nicht die urſpruͤnglichen Bewohner der Gegend ſind, in welcher die Beherrſcher des ruſſiſchen Reichs jezt ihren Wohnſitz aufgeſchlagen haben. St. Petersburg iſt alſo eine Kolonialſtadt, und die ganze Bevoͤlkerung derſelben zerfaͤllt natuͤrlich in folgende, zum Theil wieder zuſammengeſetzte Beſtandtheile: urſpruͤngliche Einwohner, Haupt - ſtamm der Bevoͤlkerung, Fremde.
Die urſpruͤnglichen Bewohner der Gegend, und ſelbſt des Gebiets, auf welchem jezt die Reſidenz ſteht, ſind Ingrier und Finnen. Von ihren Ueberwindern verdraͤngt, und durch Nationalkarakter und Verfaſſung in dem Fortſchritt ihrer Kultur gehemmt, machen die ſparſamen Nachkoͤmmlinge der alten Ein - wohner dieſes Landes nur einen der unbetraͤcht - lichſten Theile der jetzigen Bevoͤlkerung. Sie leben theils in einiger Verbindung in den ſo - genannten finniſchen Doͤrfern in und um Pe - tersburg, theils, als Dienſtboten, zerſtreut und110 vermiſcht in der großen Menſchenmaſſe. Die Anzahl aller in der Reſidenz befindlichen Men - ſchen dieſer Nation betraͤgt gegen viertauſend.
Den Hauptſtamm der jetzigen Bevoͤlke - rung bilden die Ruſſen. Nach der Berech - nung des Akademikus Krafft, der das Ver - haͤltniß dieſer Nation zu den fremden Einwoh - nern wie ſieben zu eins annimmt, wuͤrde die Anzahl der Ruſſen, wenn wir der Zaͤhlung von 1789 folgen, 190,700 ſeyn. Da ich aber Gruͤn - de habe, dieſes Verhaͤltniß jezt fuͤr zu groß zu halten, und es eher auf ſechs Sieben - theile der ganzen Volkmenge zu berechnen*)Georgi berechnet es gar nur auf vier Fünftheilt oder fünf Sechstheile. Th. 1. S. 133., ſo nehme ich mit der uͤberwiegendſten Wahr - ſcheinlichkeit, und nach der oben ausgezeichne - ten Angabe, die Anzahl der Ruſſen in St. Pe - tersburg auf 193,000 an.
Die Menge der auf eine Zeitlang oder auf immer angeſeſſenen Fremden ergiebt ſich nach dieſen Beſtimmungen von ſelbſt. Sie machen den ſiebenten Theil der Bevoͤlke - rung aus und ihrer ſind alſo 32,000. Das111 Verhaͤltniß der einzelnen Nationen zu einan - der genau zu beſtimmen, iſt unmoͤglich; es faͤllt jedoch bey dem leichteſten Ueberblick in die Augen, daß die Deutſchen ohne allen Vergleich die zahlreichſten ſind, und daß, naͤchſt ihnen, die Franzoſen und Schwe - den den groͤßten Antheil an der exotiſchen Be - voͤlkerung haben. Um indeſſen zu einer etwas anſchaulicheren Kenntniß dieſer fuͤr auswaͤrtige Leſer ſo intereſſanten Verhaͤltniſſe zu gelangen, habe ich nach den Kirchenliſten der nicht grie - chiſchen Religionsverwandten die mittlern Sum - men der Getauften mit 31, als dem allgemei - nen Verhaͤltniß der hieſigen Fruchtbarkeit, mul - tiplicirt. Die Reſultate dieſer Berechnung ſind folgende. Es leben in St. Petersburg
Es fehlen alſo noch 3,000 Menſchen, unter denen die Letten und Eſthen wol den be - traͤchtlichſten Theil ausmachen. Der Arme - nier ſind etwa hundert, und eben ſo viele kann man fuͤr die Gruſiner und Tarta - ren annehmen. Der Reſt erklaͤrt ſich durch die Zunahme der Bevoͤlkerung, durch die pe - riodiſchen Fremdlinge und Reiſenden, und durch die hier angeſeſſenen Glaubensverwandten, die keine eigentliche Kirchenverfaſſung haben; der - gleichen ſind die Mohammedaner, Mohren, u. ſ. w.
Es iſt dem aufgeklaͤrten Welt - und Staats - buͤrger nicht genug, die wirklich vorhandene Bevoͤlkerung zu wiſſen: er will auch ihre Ten - denz zur Vergroͤßerung oder Verringerung, und die Urſachen kennen, durch welche die Ver - mehrung derſelben befoͤrdert oder gehemmt wird. Dieſe Kenntniß, zu welcher man durch die Anwendung der Grundſaͤtze der politiſchen Arithmetik gelangt, gruͤndet ſich auf die Un - terſuchung der Fruchtbarkeit, der Sterblichkeit und des Geſundheitszuſtandes der Menſchen. Um dieſe ſo nothwendigen und intereſſanten Verhaͤltniſſe, in Ruͤckſicht auf die Menſchen,die113die in St. Petersburg leben, durch eine leichte Ueberſicht anſchaulich zu machen, wird folgen - der Auszug aus der angefuͤhrten vortrefflichen Abhandlung des Akademikus Krafft hinlaͤng - lich ſeyn*)Alle hier angeführte Reſultate ſind Mittelzahlen aus der Vergleichung eines vierzehnjährigen Zeitraums zwi - ſchen 1764 und 1780. Wenn von Perioden die Rede iſt, ſo verſteht man unter der erſten den Zeitraum von 1764 bis 1770, unter der zweyten den von 1770 bis 1775, und unter der dritten den von 1775 bis 1780..
Um die Fruchtbarkeit der Einwohner dieſer Reſidenz zu erfahren, muͤſſen wir wiſſen: wie viel Ehen geſchloſſen werden — wie viel Kinder jede Ehe giebt — und wie viel Men - ſchen im Verhaͤltniß zu allen Lebenden geboren werden.
Die Reſultate der Kirchenliſten unſers Zeit - raums beweiſen, daß hier jaͤhrlich unter 126 Menſchen Eine Ehe geſchloſſen wird, oder daß von 63 Menſchen Einer heyrathet. Dieſes Verhaͤltniß, welches in Vergleichung mit andern großen Staͤdten nur mittelmaͤßig iſt, beweiſ’t, daß es hier ſehr viele freywillige Celibataires geben muͤſſe. Sonderbar iſt es, daß gegenErſter Theil. H114ſieben Wittwen nur fuͤnf Wittwer zur zweyten Heyrath uͤbergehen.
Auf 100 Ehen rechnet man 408 Kinder. Dieſes Verhaͤltniß, welches im Allgemeinen ſehr vortheilhaft iſt, war in der dritten Pe - riode noch guͤnſtiger, denn in dieſer gaben 100 Ehen 420 Kinder, welches ſehr viel iſt, da man ſonſt in großen Staͤdten gewoͤhnlich nur 330 bis 380 annehmen darf. Auch hier beſtaͤ - tigt ſich das, in allen Laͤndern zutreffende, Ver - haͤltniß des maͤnnlichen Geſchlechts zu dem weib - lichen. Es werden 105 Knaben gegen 100 Maͤdchen geboren.
Nun bleibt uns, um alle Verhaͤltniſſe der Fruchtbarkeit zu kennen, nur noch zu wiſſen uͤbrig, wie viele Menſchen jaͤhrlich in Verglei - chung mit allen Lebenden geboren werden. Die Reſultate unſers Zeitraums ergeben, daß man auf 31 Menſchen Einen Gebornen rechnen kann. Eben dieſes Verhaͤltniß trifft faſt in allen gro - ßen Staͤdten zu.
Jetzt wollen wir die Sterblichkeit muſtern. — Im Allgemeinen ſtirbt jaͤhrlich von 35 Menſchen Einer; wenn alſo die Bevoͤlke - rung der Reſidenz mit jedem Jahrswechſel einen115 Zuwachs von einem Einunddreißigtheil ſeiner Volkmenge erhaͤlt, ſo verliert ſie auch jaͤhrlich ein Fuͤnfunddreißigtheil derſelben. Dieſe Sterb - lichkeit iſt indeſſen außerordentlich gering; ge - woͤhnlich ſterben in großen Staͤdten von tau - ſend Menſchen 42, in mittlern 36, in kleinern 31; hier aber nur 28.
Das Verhaͤltniß der Gebornen zu den Ge - ſtorbenen ergiebt ſich hieraus von ſelbſt; es iſt wie 114 zu 100. In der letzten Periode war es wie 130 zu 100. Die Bevoͤlkerung gewann alſo in dieſem Zeitraum bey dem Tauſch zwi - ſchen Lebenden und Todten. Indeſſen aͤußert ſich hier eine ſonderbare Erſcheinung. Der Ueberſchuß der Gebornen uͤber die Geſtorbenen ruͤhrt beynahe gaͤnzlich vom weiblichen Ge - ſchlechte her; ein auf jeden Fall ſehr nachthei - liger Umſtand, der ſich jedoch in der letzten Periode ſchon betraͤchtlich gemindert hatte. Aus dem ganzen Zeitraum ergiebt ſich die Anzahl der maͤnnlichen Geſtorbenen zu den weiblichen wie 184 zu 100.
Wichtiger noch fuͤr den Forſcher iſt die Unterſuchung der Sterblichkeit eines jeden Al - ters. Hier werden wir Abweichungen von derH 2116allgemeinen Regel der Natur finden, die ihre Quelle theils in der feſtern Organiſation, oder mit einem Kunſtausdruck, in der ſtaͤrkern Vi - talitaͤt, theils auch in der Lebensart und in den Sitten haben.
Die Bevoͤlkerung aller Staͤdte und Laͤnder leidet dadurch einen großen Verluſt, daß viele zur Exiſtenz beſtimmte Menſchen ſchon bey ih - rer Geburt fuͤr dieſen Zweck und den Staat verloren gehn. Die Reſultate unſers ganzen Zeitraums ergeben, daß hier unter tauſend neu - gebornen Kindern 7 todt zur Welt gebracht werden. Dieſe Anzahl, die in Vergleichung mit andern Arten aͤußerſt gering iſt, (ſelbſt unter den fremden Einwohnern von St. Pe - tersburg werden unter tauſend Kindern 25 todt - geboren) hat dennoch in den auf einander fol - genden Perioden immer mehr abgenommen. In der erſten finden ſich unter tauſend Gebor - nen 10, in der zweyten 7 und in der dritten 3 Todtgeborne. Dieſes unerhoͤrt kleine Ver - haͤltniß hat ſeinen Grund in dem ſtarken und abgehaͤrteten Koͤrperbau der ruſſiſchen Muͤtter. Unter tauſend Ruſſinnen ſterben nur 7 im Wo - chenbette; unter eben ſo vielen hieſigen Aus -117 laͤnderinnen 15. — Von tauſend neugeborneu Knaben werden 9, von eben ſo vielen Maͤd - chen 5 todt zur Welt gebracht.
In dem erſten Lebensjahr ſterben von tau - ſend Kindern 279. Dieſes Verhaͤltniß iſt zwar ſtaͤrker, als es nach dem gewoͤhnlichen unge - ſtoͤrten Gange der Natur ſeyn ſollte, aber doch immer noch ſchwaͤcher, als in andern großen Staͤdten und ſelbſt unter den fremden Einwoh - nern von St. Petersburg, unter welchen 309 Kinder von tauſend im erſten Jahre ſterben. In dieſem Zeitraum des Lebens gehen mehr Knaben als Maͤdchen verloren. Von den er - ſtern ſterben 370 und von den letztern nur 227 von tauſend.
Vom erſten bis zum funfzehnten Jahre ſterben von tauſend Kindern 215. Die Sterb - lichkeit in dieſem Zeitraum von vierzehn Jah - ren iſt alſo geringer als die in dem einzigen erſten Jahre. Auch dieſes Verhaͤltniß zeigt, wie muͤtterlich die Natur fuͤr die Bewohner Rußlands geſorgt hat. Von tauſend Kindern ſterben bis zum funfzehnten Jahr in Schwe - den 279, in Stockholm 258, in London 435, und unter den hieſigen Auslaͤndern 346. —H 3118Die Sterblichkeit, die in dem erſten Lebens - jahr fuͤr die Maͤdchen groͤßer war als fuͤr die Knaben, iſt es auch hier. Unter tauſend Kna - ben ſterben in dieſem Alter 174, unter eben ſo vielen Maͤdchen aber 305. Hieraus folgt, daß unter tauſend Kindern von funfzehn Jahren, die in St. Petersburg leben, 602 Knaben und 398 Maͤdchen ſeyn muͤſſen.
Vom zwanzigſten bis zum ſechzigſten Jahr endlich ſterben von tauſend Menſchen 813. Bis zum zwanzigſten Jahr iſt die Sterblich - keit in Petersburg geringer als in allen großen Staͤdten; nach dieſem Zeitpunkt aber nimmt ſie in ſo außerordentlichem Maaße zu, daß man die Quelle dieſer traurigen Erfahrung nur in einer der wohlthaͤtigen Natur entgegenſtreben - den Wirkung ſuchen kann. Weder durch die koͤrperliche Beſchaffenheit noch das Klima laͤßt ſich dieſe große Sterblichkeit erklaͤren: beyde ſind der Lebensdauer guͤnſtig, wie die Perioden bis zum funfzehnten Jahre beweiſen. Nichts als die Lebensart kann alſo an dieſem Staats - uͤbel ſchuld ſeyn, und da auch hier die allge - meinen Nachtheile derſelben allen großen Staͤd - ten eigen ſind, ſo bleibt keine Urſache uͤbrig,119 die wir dieſer ſchrecklichen Wirkung wegen an - klagen koͤnnten, als — der Brantewein. Naͤ - here Gruͤnde zu dieſer Vermuthung wird die unten folgende Bemerkung uͤber die herrſchen - den Krankheiten geben. Um die Groͤße des Verluſts anſchaulich zu machen, den die Be - voͤlkerung der Reſidenz in dieſem Zeitraum leidet, wollen wir nur noch anfuͤhren, daß von tauſend Menſchen in eben dieſer Lebensperiode in Schweden nur 516, in Stockholm 712, in London 720, und in Petersburg ſelbſt, unter den Auslaͤndern, nur 764 weggerafft werden. — Die Sterblichkeit, die bis zum zwanzigſten Jahr das weibliche Geſchlecht immer ſtaͤrker als das maͤnnliche getroffen hatte, aͤndert hier ploͤtzlich ihren Gang. Von tauſend Maͤnnern ſterben 856, von eben ſo vielen Weibern nur 702.
Aus dieſer Berechnung folgt, daß es nur wenige ſehr alte Leute in St. Petersburg ge - ben koͤnne. Von 332 Gebornen erreicht nur Einer das neunzigſte Jahr, da nach dem ge - woͤhnlichen Lauf der Natur mehr als drey zu dieſem ehrwuͤrdigen Lebensalter gelangen ſoll - ten. In dem Zeitraum von ſiebzehn Jahren,H 4120den unſer Kalkul umfaßt, finden ſich dennoch 39 Menſchen, die uͤber hundert Jahre alt ge - worden ſind; drey unter dieſen hatten es bis zu einem Alter von 120 bis 130 Jahren ge - bracht.
Jezt iſt uns noch die Unterſuchung des oͤffentlichen Geſundheitszuſtandes und der Staͤrke der Krankheiten uͤbrig. Ein langes Regiſter aller Gattungen derſelben wuͤrde fuͤr unſern Zweck unnoͤthig ſeyn; wich - tig aber iſt die Bemerkung, daß mehr als drey Fuͤnftheile aller Geſtorbenen bloß durch folgen - de Krankheiten weggerafft wurden. Die Mit - telzahl aller Geſtorbenen war 4616, und es ſtarben jaͤhrlich 1348 Menſchen an der Pleu - reſie, 1007 an der Auszehrung, und 671 an hitzigen Fiebern. — Die natuͤrlichen Pocken, die uͤberall von 14 Gebornen Einen toͤdten, nehmen hier nur von 31, und, ſeit der Ein - fuͤhrung der Inokulation, nur von 35 Einen weg.
Das Maaß fuͤr den Fortſchritt der Bevoͤlkerung iſt das endliche Reſultat aller dieſer Verhaͤltniſſe. Es erhellt aus dem Ueber - ſchuß der Gebornen uͤber die Geſtorbenen, wel -121 cher, um ein Beyſpiel zu geben, in der erſten Periode unſers Zeitraums 445, in der zweyten 194, und in der dritten 1327 betrug. Die Bevoͤlkerung ſelbſt hatte ſich in dieſer letzten Periode wahrſcheinlich nur um ein Zehntheil vermehrt, aber ihre Staͤrke, ihre Tendenz zur Vergroͤßerung war in der dritten Periode mehr als dreymal ſtaͤrker wie in der erſten und bey - nahe ſiebenmal ſtaͤrker als in der zweyten. Wie ſehr uͤbrigens die Volkmenge von St. Peters - burg ſeit dem Jahr 1775 wirklich zugenom - men hat, iſt aus der Vergleichung der oben angefuͤhrten Berechnungen und Zaͤhlungen ſicht - bar. Wenn dieſe Zunahme bis zu Ende des Jahrhunderts gleichen Schritt haͤlt, ſo wird die Reſidenz im Jahr 1800 mehr als 250,000 Einwohner haben. —
Der phyſiſche Karakter dieſer Men - ſchenmaſſe iſt ſo verſchieden, als die Miſchung ihrer einzelnen Beſtandtheile. Von der koͤr - perlichen Beſchaffenheit des Ruſſen bis zu der des aſiatiſchen Fremdlings — und hinwie - derum von der durch Nationalſitte abgehaͤrte - ten Konſtitution des gemeinen Ruſſen bis zu dem durch auslaͤndiſche Verfeinerung ge -H 5122ſchwaͤchten Koͤrperbau des vornehmen, welch ein Abſtand! So mannigfaltig aber auch die Schattirungen ſind, welche hier durch Erzie - hung, Lebensart und Sitten verurſacht werden, ſo koͤnnen ſie es doch nie ſo ſehr ſeyn, daß die großen Umriſſe und Grundzuͤge gaͤnzlich ver - loren giengen, aus welchen die Individualitaͤt einer zahlreichen, auf einen Fleck zuſammen - gedraͤngten Menſchenmenge hervorſpringt. We - ſentlicher ſind die Verſchiedenheiten die aus der Abſtammung fließen. So ſehr ſich auch zu - weilen das Gepraͤge des geiſtigen Karakters verwiſcht, ſo bleibend ſind die unterſcheidenden Eigenthuͤmlichkeiten des koͤrperlichen; und wenn der hieſige Deutſche, um ein Beyſpiel zu ge - ben, in Sprache, Denkungsart und Sitten dem Ruſſen gleicht, ſo kann er doch den Stamm - baum nicht verleugnen, den die Natur in ſeine koͤrperliche Bildung verwebt hat.
Die Petersburger ſind im Ganzen (ſo weit eine ſo allgemeine Karakteriſtik Wahrheit haben kann) ein großer, derber, fleiſchiger Schlag von Leuten. Der Einfluß des Him - melsſtrichs auf Umriß und Organiſation, der, wie feinere Beobachter ſchon bemerkt haben,123 im ganzen Norden ſtatt haben ſoll, laͤßt ſich auch hier ohne phyſiognomiſche Seherey wahr - nehmen. So ſchoͤn die Formen auch ſeyn moͤgen, in welche die hieſigen Menſchengeſtal - ten gegoſſen ſind, ſo fehlt ihnen doch jener ſcharfe beſtimmte Kontour, welchen die bilden - de Natur nur unter mildern Himmelsſtrichen mit ſo ſichrer Hand zu zeichnen ſcheint. Auch die edelſten Grundlinien daͤmmern nur aus uͤp - pigen Fleiſchmaſſen hervor, in deren elaſtiſchen Woͤlbungen ſich die feinern Umriſſe und das ſanfte Spiel der Muskeln verlieren. Wenn dieſe Vorzuͤge fuͤr dieſe Maͤngel entſchaͤdi - gen koͤnnen, ſo ſind wir entſchaͤdigt: denn ſchoͤneres Fleiſch, blendendere Haut und ver - fuͤhreriſcheres Inkarnat ſieht man wol nirgend. Auch der Geſchmack, der hier, wie uͤberall, die Geſetze des Schoͤnen von den Modellen ſeiner Natur abſtrahirt, ſcheint dieſe Eigen - ſchaften als die weſentlichſten Erforderniſſe der Schoͤnheit anzuerkennen, und wahrſcheinlich wuͤrde das vollkommenſte griechiſche Ideal in unſern Zirkeln kein Gluͤck machen, wenn es ungluͤcklicher Weiſe keine rothe Backen haͤtte, und ſich gerade nicht getrauen duͤrfte, gewiſſer124 Vorzuͤge wegen, einen Wettſtreit mit den He - ben des Alterthums zu beginnen. Dieſer Ge - ſchmack iſt ſo feſtgeſetzt und ſo allgemein, daß in der ruſſiſchen Sprache die Begriffe roth, ſchoͤn und Farbe nur Eine Bezeichnung ha - ben, und es iſt daher auch unſern Damen von hohem und niederm Range nicht zu ver - uͤbeln, wenn ſie der Natur nachzuhelfen ſu - chen, wo ſie etwa in der Austheilung dieſer Gaben kaͤrglich gegen ſie verfahren ſeyn ſollte. In allen großen Staͤdten, die ich kenne, ge - hoͤrt die Schminke zum guten Ton; hier aber iſt ſie mehr, denn hier ſchminkt ſich das Bau - ernmaͤdchen ſo gut als die Graͤfinn, nicht um die Mode mitzumachen, ſondern um ſchoͤn zu ſeyn. Wer ſie ſo malen koͤnnte die ruſſiſchen Kaufmannsweiber, wie ſie die Laſt ihrer wohl - gepflegten, blendendweißen und getuſchten Fleiſch - maſſen langſam fortwaͤlzen —! doch
Das maͤnnliche Geſchlecht iſt nicht nur im Ganzen ſchoͤner als das weibliche, ſondern je - nes naͤhert ſich in einzelnen Bildungen mehr dem Ideal der ſchoͤnen Menſchenform. Unter den Offizieren der Garden,[haͤuſiger] aber noch unter dem Landvolk, welches aus den Provin - zen hierher koͤmmt, giebt es manchen Kopf, der das Gegenſtuͤck zum Antinous machen koͤnnte. In Deutſchland, wo das allgemeine Urtheil uͤber koͤrperliche Schoͤnheit nicht ſehr von dem hieſigen abweicht, bin ich oft Zeuge von dem Beyfall geweſen, welchen die Damen reiſenden Ruſſen in dieſer Hinſicht bewilligten. Ueberhaupt aber verlieren ſich die ſchoͤnen Um - riſſe hier ſehr fruͤh, weil Maͤnner ſowol als Weiber aus mehreren Urſachen zum Fettwer - den geneigt ſind. — Bemerkungen uͤber die Phyſiognomie werden meine Leſer hier nicht erwarten; denn wenn es ausgezeichnete eigenthuͤmliche Zuͤge in der menſchlichen Ge - ſichtsbildung giebt, ſo ſind die allgemeinen Uebereinſtimmungen derſelben doch wol nur bey ganzen Nationen zu ſuchen, und es wuͤrde zum mindeſten pedantiſch ſeyn, unter einer ſo klei - nen und ſo aͤußerſt vermiſchten Menſchenge -126 ſellſchaft eine Lokalphyſiognomie ausſpuͤren zu wollen.
So waͤre denn die Darſtellung der phyſi - ſchen Exiſtenz dieſer Menſchengeſellſchaft geen - digt. Wir gehen jezt zur Schilderung ihrer moraliſchen Verhaͤltniſſe uͤber, unter welchen uns die politiſchen und religioͤſen auf dem Wege unſerer Unterſuchung am naͤchſten liegen.
Um uns von der buͤrgerlichen Ver - faſſung der Reſidenz einen richtigen Begriff zu machen, duͤrfen wir nie vergeſſen, daß St. Petersburg als eine große gewerbtreibende Stadt und als der Sitz des Hofes aus zwey ſehr verſchiedenartigen Theilen beſteht. Als Stadt betrachtet iſt ſie der naͤmlichen Norm unterworfen, die jezt alle Staͤdte dieſes Reichs haben; als Reſidenz iſt ſie eines theils der Wohnſitz des Monarchen und des Hofes, und andern theils der periodiſche Aufenthalt der Großen und einer Menge reicher und armer, gluͤcklicher und gluͤckſuchender, beſchaͤftigter und muͤßiger Menſchen, die groͤßtentheils ohne Ver - bindung, ohne beſtimmte Thaͤtigkeit, oft ſelbſt127 ohne Zweck fuͤr ihr politiſches Daſeyn, ſich in dem allgemeinen Wirbel dieſer zahlreichen Men - ſchenmaſſe herumdrehen. Wenn man zu dieſer zweyten Haͤlfte auch noch das Militaire hinzu - rechnet, ſo iſt ſie die bey weitem ſtaͤrkere an Zahl, wie ſie es ohnehin an Wichtigkeit und Einfluß iſt.
Der Hof, oder die zahlreiche und in Ruͤck - ſicht auf ihre buͤrgerliche Rangordnung ſo un - endlich verſchiedene Menſchenklaſſe, die dieſes Wort begreift, ragt zwar in dem zuſammen - geſetzten Begriff, den wir mit dem Gedanken an die Reſidenz verbinden, eben ſo ſehr her - vor, als er in der That einen der weſentlich - ſten Theile der Bevoͤlkerung ausmacht; aber ſeine Verfaſſung iſt zu allgemein, und auch zu ſehr gekannt und beſchrieben, als daß ſie ein Gegenſtand dieſer Schilderung ſeyn koͤnnte. Die Organiſation des Militaire liegt gaͤnzlich außerhalb den Grenzen derſelben, und der große Haufe der Einwohner, der eigentlich keine Ru - brik hat, ſchmiegt ſich an die oͤffentliche Ver - faſſung wo er muß und entbehrt ihrer gern wo er kann. Es bleibt uns alſo nur noch die gewerbtreibende Klaſſe uͤbrig, welche die einzig128 beſtaͤndige, von der Reſidenz unabhaͤngige, aber mit der Stadtverfaſſung innig verbun - dene Bevoͤlkerung ausmacht.
Der Vereinigungspunkt aller Einwohner, die zu den gewerbtreibenden Klaſſen gehoͤren, iſt der Stand als Buͤrger, und das ſicht - bare Dokument deſſelben iſt das Buͤrger - buch, oder das unter oͤffentlicher Autoritaͤt ge - fuͤhrte Verzeichniß aller Stadteinwohner, die Grundeigenthum beſitzen oder buͤrgerliche Ge - werbe treiben. Die Rechte dieſes Standes beſtehen (außer mehreren allgemeinen, welche die bekannte kaiſerliche Stadtordnung namhaft macht) in einer gaͤnzlichen uneingeſchraͤnkten Gewerbfreyheit; die Pflichten deſſelben in der Unterwuͤrfigkeit gegen die Landesgeſetze, und in der Leiſtung beſtimmter Abgaben und der Rekrutenlieferung; ſeine Organiſation endlich beruht im Weſentlichen auf folgenden Einrichtungen.
Alle im Buͤrgerbuch verzeichnete Menſchen ſind entweder bloße Stadteinwohner, die nur wegen ihrer Beſitzungen im Stadtgebiet hierher gerechnet werden, oder Gildever - wandte, oder endlich Zunftgenoſſen.
Es129Es giebt drey Gilden. Zu der erſten gehoͤren alle Menſchen von jedem Alter, Stan - de und Geſchlecht, welche ein Kapital von zehn - tauſend bis funfzigtauſend Rubeln zu beſitzen angeben. Dieſe Klaſſe iſt zum Seehandel und zur Anlage von Huͤtten und Fabriken berech - tigt, darf Seeſchiffe beſitzen, iſt keiner Leibes - ſtrafe unterworfen, und kann in der Stadt in einem mit zwey Pferden beſpannten Wagen fahren. — Zur zweyten Gilde werden alle diejenigen gerechnet, welche ſich zu einem Ka - pital von fuͤnf bis zehntauſend Rubeln beken - nen. Sie ſind auf den innlaͤndiſchen Handel eingeſchraͤnkt, duͤrfen Huͤttenwerke und Fabri - ken anlegen, Flußſchiffe beſitzen, innerhalb der Stadt in einem Halbwagen mit zwey Pferden fahren, und ſind von Leibesſtrafen befreyt. — Das Kapital der dritten Gilde iſt tauſend bis fuͤnſtauſend Rubel. Sie iſt fuͤr Kraͤmerey und den Kleinhandel beſtimmt, darf nur Werk - ſtuͤhle und Manufakturen anlegen, Gaſthoͤfe und Badeſtuben halten, und in der Stadt nur mit Einem Pferde fahren.
Die Abgabe dieſer Gilden beſteht in Eins vom Hundert des angegebenen Kapitals. Erſter Theil. J130Die Angabe deſſelben „ iſt dem Gewiſſen eines „ jeden uͤberlaſſen, weshalb auch nirgend und „ unter keinem Vorwand, wegen Verheimlichung „ eines Kapitals irgend ein Angeber gehoͤrt, „ noch eine Unterſuchung angeſtellt werden „ ſoll. “ *)Stadtordnung. 97.Die Rekrutenlieferung wird nicht in natura gefordert, ſondern kann, nach einem von der Regierung bekannt gemachten Anſchlage, durch eine Geldſumme geleiſtet wer - den. Wenn aber ein Buͤrger oder der Sohn eines Buͤrgers freywillig in den Dienſt treten will, ſo ſteht ihm dieſes frey, und ſein Ein - tritt wird der Stadt bey der naͤchſten Aushe - bung angerechnet.
Noch gehoͤren zu den Gildeverwandten die namhaften Buͤrger und die Gaͤſte. — Zu den erſtern werden alle diejenigen gerechnet, welche ein Kapital uͤber funfzigtauſend Rubel, oder Bankiers, die zu ihren Wechſelgeſchaͤften hundert bis zweymalhunderttauſend Rubel an - geben; ferner Gelehrte und Kuͤnſtler, die mit Diplomen verſehen ſind; Buͤrger, die mehr - mals Stadtdienſten vorgeſtanden haben, u. ſ. w. 131Die Rechte dieſer Klaſſe ſind ungefaͤhr gleich mit denen der erſten Gilde; außerdem duͤrfen ſie mir vier Pferden fahren. — Unter der Benennung: Gaͤſte, verſteht man ſolche Leute aus andern Staͤdten und Provinzen oder aus fremden Laͤndern, die ſich ihrer buͤrgerlichen Geſchaͤfte wegen in das Stadtbuch einſchrei - ben laſſen.
Zu den Zunftgenoſſen gehoͤren alle Handwerker, die in dem Buͤrgerbuch verzeich - net ſind. — Alle uͤbrige Einwohner der Stadt, die zu keiner dieſer Abtheilungen gerechnet wer - den, ſind unter der Rubrik Beyſaſſen be - griffen.
Das geſammte Perſonale aller dieſer Klaſ - ſen bildet die Stadtgemeine, welche ein fuͤr ſich beſtehendes, reſpektables und mit kai - ſerlichen Verordnungen und Privilegien ver - ſehenes Korps iſt. Sie verſammelt ſich alle drey Jahre im Winter in ihren oͤffentlichen Angelegenheiten, und um die Aemter und Stel - len, die der Buͤrgerſchaft anvertraut ſind, durch Wahlen zu beſetzen. In dieſen Verſammlun - gen haben alle Buͤrger Sitz und Stimme und alle ſind wahlfaͤhig, diejenigen ausgenommen,J 2132welche noch nicht fuͤnfundzwanzig Jahre er - reicht haben, oder weniger als funfzig Rubel von ihrem Kapital entrichten. Die Aemter welche durch Buͤrger beſetzt werden, ſind vor - zuͤglich folgende. Das Haupt der Buͤrger - ſchaft, die Buͤrgermeiſter und Rathmaͤnner, werden alle drey Jahre, die Stadtaͤlteſten und Richter des muͤndlichen Gerichts aber jaͤhrlich gewaͤhlt. Da die Reſidenz zugleich die Gou - vernementsſtadt der St. Petersburgiſchen Stadt - halterſchaft iſt, ſo geſchehen aus der hieſigen Stadtgemeine auch die Wahlen fuͤr den Gou - vernementsmagiſtrat und das Gewiſſensgericht, zu welchen ſie Beyſitzer hergiebt. Auch fuͤr das Polizeyamt waͤhlt ſie zwey Rathmaͤnner, und das Waiſengericht wird aus ihrem Mittel be - ſetzt. — Bey allgemeinen Angelegenheiten oder Beduͤrfniſſen wendet ſie ſich an den Gouver - neur, und bey gerichtlichen Vorfaͤllen wird ſie durch einen Anwald vertreten*)Wenn es Leſer geben ſollte, denen dieſes Detail langweilig ſchiene, ſo erſuche ich ſie, zu bedenken, daß in dieſem Detail die buͤrgerliche Verfaſſung und das buͤrger - liche Glück einer Klaſſe von Einwohnern auseinander ge -.
133Die Regiſter vom Jahr 1789 fuͤhren nur 1747 Gildeverwandte an, unter denen ſich 12 namhafte und 169 Buͤrger und Gaͤſte der erſten Gilde befanden. In eben dieſem Jahr waren 3583 Meiſter bey den Zunftgenoſſen verzeich - net. Dieſe geringen Angaben beweiſen, daß der bey weitem groͤßere Theil der gewerbtrei - benden Einwohner außer dieſen Verbindungen lebt, und ſind ein auffallendes Beyſpiel von der ſeltnen politiſchen Toleranz der Regierung.
So billig und ſogar unbetraͤchtlich die Ab - gaben in Vergleichung mit den Hauptſtaͤdten anderer Laͤnder ſind, ſo wichtig ſind dennoch die Einkuͤnfte, welche der Staat aus den Gewerben der Reſidenz erhebt. Im Jahr 1790 betrug die Vermoͤgenſteuer der Gilden 43,104 R. — Im Jahr 1787 belief ſich dieJ 3*)ſetzt iſt, die ſchon im Jahr 1784 über hunderttauſend Men - ſchen begriff; und ſich bis auf die folgenden Abſchnitte zu gedulden, in denen die nähere Karakteriſtik einiger der hier angeführten Tribunäte ihnen wahrſcheinlich durch ein größeres Intereſſe die Trockenheit dieſer kurzen und zur Vollſtändigkeit des Ganzen nothwendigen Darſtellung ver - güten wird.134Einnahme des Zolls auf 3,910,006 R. — Der Betrag der Prozente fuͤr die Schulen und der Strafgelder fuͤr Zollbetrug war in eben dieſem Jahr 84,955 R. — Dieſe drey Zweige der oͤffentlichen Einkuͤnfte geben alſo allein ſchon eine Summe von 4,038,065 Rubel. Wenn man die Abgabe vom Verkauf der Haͤuſer, die Verpachtungen, u. ſ. w. nur nach dem kleinſten wahrſcheinlichen Ertrage hinzu rechnen wollte, ſo ließe ſich dieſe Summe vielleicht um die Haͤlfte verdoppeln. — So groß ſind die Huͤlfs - quellen dieſes maͤchtigen Staats, daß blos das Gewerbe ſeiner Reſidenz, ohne die mindeſte Bedruͤckung und bey einer Finanznachgiebigkeit, die in allen Laͤndern ohne Beyſpiel iſt, eine Einnahme hergiebt, deren ſich manche europaͤi - ſche Koͤnigreiche nicht erfreuen*)Polen hatte von 1782 bis 1784 im Durchſchnitt nicht mehr als etwas über 3 Millionen Thaler. Neapel hat 4 bis 5, und der Kirchenſtaat etwa 2 Mill..
Wenn die buͤrgerliche Verfaſſung der Re - ſidenz mit einer der Aufklaͤrung unſers Zeit - alters angemeſſenen Weisheit auf das Gluͤck und das Wohlſeyn ihrer Einwohner berechnet135 iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der - ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh - men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt — Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung; die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede deſſelben.
Das Haupt der griechiſchen Kirchen - verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch - lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil - derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel - che die Nachtheile deſſelben vermieden werden, ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier vom Throne herab durch alle Zweige der Staats - verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie - chiſche Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un - eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den man noch vor kurzem in den Annalen allerJ 4136Religionspartheyen vergeblich ſuchte. — Die Reſidenz hat in ihrem Umfange ſechs und funf - zig griechiſche Kirchen, aber nur Ein Moͤnchs - und Ein Nonnenkloſter.
Unter den geduldeten Religionsver - wandten ſind die Proteſtanten die zahl - reichſten, und unter dieſen ſind es die Luthe - raner. Sie bilden acht Gemeinen, unter de - nen fuͤnf deutſche, eine ſchwediſche, eine finni - ſche und eine lettiſche ſind, und beſitzen in den verſchiedenen Theilen der Stadt ſieben zum Theil ſchoͤn gebaute Kircheu, von denen zwey der Krone gehoͤren. Die Reformirten thei - len ſich in die deutſche, franzoͤſiſche, engliſche und hollaͤndiſche Gemeine, von denen die er - ſtern beyden eine gemeinſchaftliche Kirche, aber beſondere Prediger, die beyden letztern aber jede einen eigenen Betſaal haben. Die evan - geliſchmaͤhriſchen Bruͤder ſind nur in geringer Anzahl; ſie haben indeſſen ſonntaͤgli - chen Gottesdienſt in ihrem Betſaal. — Saͤmmt - liche proteſtantiſche Gemeinen beſtreiten die Ko - ſten ihres Gottesdienſtes aus den Einkuͤnften der Kirchen, von Kollekten und durch eine Ab - gabe von fuͤnf Rubel, die jedes an einen aus -137 laͤndiſchen Kaufmann adreſſirte Schiff entrich - tet. Hievon ſind jedoch die beyden lutheriſchen Gemeinen ausgenommen, welche mit dem Land - und Artilleriekadettenkorps verbunden ſind und deren oͤffentliche Koſten von der Krone beſtrit - ten werden. Die oͤkonomiſchen Angelegenhei - ten jeder Gemeine werden von einem Konvent beſorgt, die Prediger aber von der Gemeine erwaͤhlt und berufen. Ihre aͤußere Verfaſſung iſt uͤbrigens der Aufſicht des ſogenannten Ju - ſtizkollegiums untergeordnet, welches ſeit der Errichtung der Statthalterſchaften auf dieſen Wirkungskreis begrenzt iſt, nun aber, wie man glaubt, in ein eigentliches Konſiſtorium um - geaͤndert werden ſoll. Die große Religions - freyheit dieſer Gemeinen iſt nur durch das Verbot eingeſchraͤnkt, daß ſie keine Glocken auf den Thuͤrmen haben, und keine Proſelyten aus der griechiſchen Kirche machen duͤrfen. — Die katholiſche Gemeine iſt aus den mehreſten Nationen zuſammengeſetzt; ſie hat aber nur Eine, jedoch vorzuͤglich ſchoͤne, Kirche. Sie genießt der naͤmlichen geſetzmaͤßigen Freyheit, deren ſich die Proteſtanten erfreuen, und ſteht in Kirchenſachen unter dem Erzbiſchof von Mo -J 5138hilow, der bekanntlich das Oberhaupt der ka - tholiſchen Hierarchie in Rußland iſt. — Die armeniſche Gemeine iſt klein; beſitzt aber eine geſchmackvolle Kirche. — Die Moham - medaner haben Geiſtliche unter den Ge - werbleuten ihres Glaubens. — Der oͤffentli - che Gottesdienſt in St. Petersburg wird unter acht verſchiedenen Formen und in vier - zehn Sprachen verrichtet.
Einheimiſche Bedürfniſſe der Reſidenz. Brod; öffentliches Mehlmagazin. Waſſer. Salz. Fleiſch. Fiſche. Ve - getabilien. Getränke. — Brennholz; Holzmagazin. — Lebensart und Bedürfniſſe der unterſten Volks - klaſſe. — Märkte für Lebensmittel. Rasnoſchtſchicki.
Alle große und volkreiche Staͤdte erhalten ihre Lebensbeduͤrfniſſe mehr oder weniger aus der Ferne; auch die reichſte und ergiebigſte Pro - vinz iſt nicht hinreichend, Produkte in ſolcher Menge und Mannigfaltigkeit zu liefern, als die Bevoͤlkerung und der Luxus dieſer unge - heuren Steinmaſſen erheiſchen: aber ihre ge - meinern Konſumtionsartikel pflegen ſie doch aus der Nachbarſchaft zu beziehen. Die Gegend um St. Petersburg iſt ſo weit in Anbau und140 Kultur zuruͤck, daß ſie ihr ganzes Beduͤrf - niß aus der Ferne herbeyholen muß. Nicht nur die Gegenſtaͤnde der Schwelgerey, ſondern ſogar die einfachſten Lebensnothwendigkeiten von mehr als zweymalhunderttauſend Menſchen, werden unter fremden, zum Theil ſehr ent - fernten, Himmelsſtrichen erzeugt. Ohne die großen und unſchaͤtzbaren Waſſerverbindungen wuͤrde die einheimiſche Verſorgung von St. Petersburg unmoͤglich ſeyn; in ihrer jetzigen Beſchaffenheit wird ſie eine Quelle der Indu - ſtrie fuͤr eine zahlreiche Klaſſe von Menſchen, deren einziges Gewerbe ſie iſt; und der Um - tauſch der Produkte gegen Geld und verarbei - tete Waaren vertheilt den aufgeſammelten Reichthum der Reſidenz durch tauſend kleine Kanaͤle in die entlegenſten Statthalterſchaften.
Das Brod, dieſes erſte und allgemeinſte Beduͤrfniß, erhaͤlt St. Petersburg aus den Provinzen an der Wolga. Man ißt hier Rog - gen - und Weizenbrod: das letztere iſt ſelbſt un - ter den niedrigſten und aͤrmſten Volksklaſſen eine gewoͤhnliche Speiſe. Die Guͤte deſſelben haͤngt natuͤrlich großentheils von der Art der Zubereitung ab, und iſt alſo ſehr verſchieden. 141Im Ganzen baͤckt man hier ſehr gut und zum Theil vortrefflich; ich habe nirgend, ſelbſt in Paris nicht, beſſeres Brod gegeſſen, als hier. An den Tafeln der Großen und in den ſoge - nannten guten Haͤuſern ißt man nur Weizen - brod; wie betraͤchtlich dieſer Artikel zuweilen werden kann, iſt aus der Haushaltung des Grafen Raſumowski erweislich, in welcher, bey viel wohlfeileren Zeiten, jaͤhrlich fuͤr mehr als tauſend Rubel dieſer einzigen Brodgattung verbraucht wurde. Das Roggenbrod iſt ſchmack - haft und giebt mehr Nahrung. Es wird all - gemein, und ſelbſt in den Haͤuſern wohlha - bender Leute gegeſſen, wo man jedoch immer die Wahl zwiſchen dieſer und der eben genann - ten Gattung hat. Aermere Leute eſſen das ſogenannte ſchwarze Brod, welches aus unge - beuteltem Roggenmehl bereitet wird und unge - mein nahrhaft iſt. Der ruſſiſche gemeine Mann ißt neben dieſem ſchwarzen Brode auch haͤufig Semmel von groͤberm Weizen, die man Ka - latſch nennt und die auf allen Gaſſen feilge - boten werden.
Die Konſumtion dieſes Beduͤrfniſſes laͤßt ſich nach der Angabe der Barken ziemlich ge -142 nau beſtimmen. Es werden jaͤhrlich an Mehl, Gerſten, u. ſ. w. uͤber 4,800,000 Pud hierher gebracht. Der Preis des gebeutelten Weizen - mehls iſt jezt 2 Rubel 20 Kopeken fuͤr das Pud. Ein Pfund Roggenbrod koſtet jezt bei den Baͤckern 4 Kopeken; ein Pfund ſchwarzes Brod anderthalb Kopeken.
Da die Mehlpreiſe durch zufaͤllige Um - ſtaͤnde und die ſtaͤrkere oder geringere Zufuhre oft wechſeln und zuweilen lange in der Hoͤhe erhalten werden, ſo hat die menſchenfreundliche Kaiſerinn, um den minder beguͤterten Theil der Einwohner ihrer Reſidenz dem Druck der Ge - treidehaͤndler zu entziehen, im Jahr 1780 ein großes Mehlmagazin errichtet, in welchem ſich jedermann zu einem billigen Mittelpreiſe mit dieſem unentbehrlichen Beduͤrfniß, jedoch nur in kleinen Quantitaͤten, verſorgen kann.
Mit Waſſer iſt wol nicht leicht eine Stadt von dem Umfange ſo gut verſorgt, als dieſe Reſidenz. Die vielarmige Newa und ihre Kanaͤle vertheilen dieſes weſentlichſte aller Beduͤrfniſſe durch die ganze Stadt, ſo daß kein Theil ganz davon entbloͤßt iſt, oder es aus der Ferne herbey holen muͤßte. Die Haͤuſer,143 welche an den Kanaͤlen liegen, laſſen ſich durch ihre Traͤger mit Waſſer verſehen; weiter ent - legene aber muͤſſen es in großen Tonnen durch Pferde herbeyfuͤhren laſſen, in einigen derſel - ben uͤbernimmt der Eigenthuͤmer die Verſor - gung des ganzen Hauſes. Die Beſchaffenheit des hieſigen Flußwaſſers iſt vortrefflich, man wird es ſelten ſo hell und rein finden, als hier. Nach Georgi’s chemiſcher Unterſuchung ent - hielten funfzig Pfund deſſelben, welche inner - halb der Stadt geſchoͤpft waren, nur 40 Gran Kalkerde und 5 Gran vegetabiliſchen Extrakt. Die kleinen Unbequemlichkeiten, welchen ſich Fremde kurz nach ihrer Ankunft ausgeſetzt ſe - hen, und die man gewoͤhnlich dem hieſigen Waſſer Schuld giebt, ſcheinen alſo von der ver - aͤnderten Lebensart oder von andern Urſachen herzuruͤhren. Nicht uͤberall iſt jedoch das Waſ - ſer der Newa von gleicher Guͤte; an den Ufern, welche nicht mit Granitquadern eingefaßt ſind, iſt es truͤbe und mit fremdartigen Theilen ver - miſcht, weshalb auch mehrere Einwohner die - ſer Gegenden es aus der Mitte der Newa ſchoͤpfen laſſen. Das Waſſer der Fontanka iſt eben ſo gut als das der Newa, ſchlechter iſt144 es ſchon im Katharinenkanal, und beynahe nicht trinkbar in der Moika. Aus dieſer und andern Urſachen iſt es ſehr zu wuͤnſchen, daß der letztere Kanal auch eine ſteinerne Einfaſſung erhalten und ausgetieft werden moͤchte.
Das Salz iſt hier kein ſo theurer Kon - ſumtionsartikel als in andern großen Staͤdten. Es wird aus Solikamsk und vom Jeltonſee hierher gebracht: das erſtere iſt geſottenes Kuͤ - chenſalz. Von beyden Gattungen erhaͤlt die Reſidenz jaͤhrlich gegen 600,000 Pud, die gro - ßentheils hier verbraucht werden. Das Pud Salz wird uͤberall im Reiche zu 35 Kopeken verkauft; das Pfund deſſelben kommt alſo nicht einmal einen Kopek zu ſtehen.
Eine uͤberaus wichtige Rubrik unter den hieſigen Lebensnothwendigkeiten macht das Fleiſch. Nirgend wird vielleicht, London aus - genommen, außer den Faſtenzeiten mehr Fleiſch gegeſſen, als hier. In einer Entfernung von mehr als zweytauſend Werſten ſorgt der Ukrai - ner und der Kalmuͤcke fuͤr dieſes Beduͤrfniß der petersburgiſchen Tafeln; aber dieſe Muͤhe und dieſer weite Weg bezahlen ſich gut. Das Rindfleiſch war noch vor kurzem ein theurerArtikel;145Artikel; ein Pfund deſſelben von der beſten Gattung galt 10 bis 12 Kopeken. Jezt iſt der Preis wieder gefallen, und man kauft fuͤr 4 Kopeken ſehr gutes Fleiſch. Die Beſchaffen - heit deſſelben iſt natuͤrlich im Allgemeinen ſehr verſchieden, aber es iſt nicht zuviel geſagt, wenn man behauptet, daß es hier von der vortrefflichſten Art und in der groͤßten Voll - kommenheit zu erhalten iſt. — Kaͤlber werden aus einigen Gegenden der Wolga hierher ge - bracht, aber die groͤßten und wohlſchmeckend - ſten kommen aus Archangel. Schaafe, Schwei - ne, zahmes und wildes Gefluͤgel und Wildpret erhaͤlt man gewoͤhnlich im Winter gefroren. Die Guͤte, die Zufuhre und der Preis dieſer Artikel werden großentheils durch die Witte - urng und die Beſchaffenheit der Schlittenbahn beſtimmt.
Die Fiſche gehoͤren, wegen der vielen Faſten zu den Beduͤrfniſſen, wegen ihrer Man - nigfaltigkeit und des Wohlgeſchmacks einiger Gattungen, zu den Leckereyen, und wegen der Wohlfeilheit mehrerer derſelben zu den gemein - ſten Konſumtionsartikeln. Eine der koͤſtlichſtenErſter Theil. K146und theuerſten Fiſcharten iſt der Sterlet, von welchen St. Petersburg jaͤhrlich gegen 25,000 Stuͤck lebendig aus der Wolga erhaͤlt, die uͤber - dem von andern Fiſchgattungen uͤber eine Mil - lion Stuͤck hierher liefert. Der Ladogaſee ver - ſorgt die Reſidenz mit den gewoͤhnlichſten Gat - tungen lebendiger Fiſche; unter den geſalzenen ſind der Hauſen (Beluga) und der Stoͤr (Oſetr) die wohlſchmeckendſten und theuerſten. Die gefrornen und an der Luft getrockneten Fiſche ſind groͤßtentheils die Speiſe der aͤrmern Volks - klaſſen; zu einer Schuͤſſel, die Einen Mann ſaͤttigen ſoll, werden tauſende ſolcher kleinen getrockneten Fiſche genommen, die man Snetki nennt. Die Newa iſt reich an Laͤchſen, die aber an Wohlgeſchmack den rigiſchen weichen. Krebſe werden auch in der Newa gefangen; außerdem liefert die Wolga deren jaͤhrlich ge - gen eine Million.
Die Vegetabilien ſind der einzige Kon - ſumtionsartikel, den die Reſidenz zum großen Theil aus ihrer Naͤhe bezieht. Die Kultur der Gartengewaͤchſe iſt hier ſo weit getrieben, daß man die feinſten exotiſchen Produkte faſt147 zu allen Jahrzeiten und in ſeltner Vollkom - menheit erhalten kann. Mehrere derſelben, z. B. Blumenkohl, Spargel, waren hier noch vor zwanzig Jahren ſo unbekannt, daß man ſie nur durch Schiffe aus dem Auslande er - hielt, und ſind jezt eine allgemeine und eben nicht ſehr theure Speiſe. Unter den Kuͤchen - gewaͤchſen ſind Kohl und Gurken eine vorzuͤg - lich beliebte und ſo allgemeine Nahrung, daß ſie hier als ſolche angefuͤhrt zu werden verdie - nen. Der Sauerkohl, den die Ruſſen Schtſchi nennen und deſſen heilſame antiſkorbutiſche Kraͤfte ihm auch in andern Laͤndern eine gute Aufnahme verſchafft haben, iſt die taͤgliche Schuͤſſel des gemeinen Mannes. Die ruſſiſche Zubereitung weicht jedoch von der auslaͤndiſchen ein wenig ab; ſelbſt an großen Tafeln wird er oft als Nationalgericht und Leckerey aufgetra - gen. Die Gurken werden eben ſo haͤufig ge - geſſen; in allen Gaſſen und auf oͤffentlichen Plaͤtzen bietet man ſie feil. Der Poͤbel genießt ſie roh; in den Haͤuſern werden ſie mit eini - ger Zubereitung, als ein ſchmackhafter Sallat, gegeſſen.
K 2148Das Obſt, welches in den Gaͤrten und Treibhaͤuſern in und um Petersburg gezogen wird, iſt bey weitem nicht hinreichend die For - derungen der Liebhaberey und des Luxus zu befriedigen. Einheimiſches Obſt kommt aus der Ukraine und von der Wolga und Ocka; fremdes jaͤhrlich fuͤr etwa 100,000 Rubel aus Roſtock und Stettin. Die erſten Schiffe, die im Fruͤhjahr hier ankommen, bringen Aepfel - ſinen, Zitronen und Pomeranzen in ſolcher Menge mit, daß der Verkauf dieſer Waare oft kaum die Fracht derſelben bezahlt. Ein Kaſten, der 400 Stuͤck Zitronen enthaͤlt, wird um dieſe Zeit gewoͤhnlich fuͤr zwey bis drey Rubel gekauft. Dieſe wohlſchmeckenden und heilſamen Fruͤchte koͤnnen alſo an den Ufern der Newa haͤufiger und wohlfeiler genoſſen werden, als an den Ufern der Seine, Dank ſey es der Schiffahrt und dem Handel, die entfernte Welttheile mit einander verbinden und die Produkte der ungleichartigſten Klimate uͤberall verſammeln, wo Verzehrer bezahlen.
Von den hier uͤblichen Getraͤnken nenne ich zuerſt den Quas, weil ſein Verbrauch der149 allgemeinſte und ſeine Erfindung durchaus na - tional iſt. Es iſt ein ſaͤuerliches, kuͤhlendes und geſundes Getraͤnk, deſſen Zubereitung man in allen Reiſebeſchreibungen finden kann, und wel - ches an den Ecken der Gaſſen in großen Faͤſ - ſern feil geboten wird. Im Sommer pflegen die Verkaͤufer es mit Eis zu kuͤhlen. Der aus - gepreßte Saft der Moosbeeren giebt ein vor - treffliches Getraͤnk, welches unter dem Namen Kljukwa ſehr haͤufig genoſſen wird und hier die Stelle der Zitronen erſetzt. Man verbeſſert durch die Kljukwa nicht nur den Quas und andere Getraͤnke, ſondern man bedient ſich ihrer, ſelbſt in guten Haͤuſern, zum Punſch, wenn die Zitronen theuer oder nicht zu haben ſind. Der Sbiten’ wird aus Honig und Pfef - fer mit Waſſer gekocht, und von Leuten, die ſich von deſſen Verkaufe naͤhren und Sbiten’ - ſchicki heißen, auf den Gaſſen feil geboten. In den Trinkhaͤuſern ſind mehrere Gattungen Bier, Meth und Brantewein zu haben.
Zu den feinern einheimiſchen Getraͤnken gehoͤrt die Wiſhnewka und Malinowka, ein aus Kirſchenſaft bereiteter und durch ZuckerK 3150und Wein in Gaͤhrung geſetzter Fruchtwein; der Kisliſchtſchi, eine Art Quas von beſſerer Zubereitung, und dergl. Ihr Verbrauch iſt indeſſen ſehr eingeſchraͤnkt im Verhaͤltniß zu der ſtarken Konſumtion auslaͤndiſcher Getraͤnke. Man trinkt uͤberall Wein, Porter, engliſches Bier. Von dem erſtern werden jaͤhrlich uͤber 250,000 Oxhoft, und von dem letztern fuͤr mehr als 260,000 Rubel zur See eingefuͤhrt, von denen ein ſehr betraͤchtlicher Theil hier ver - braucht wird. Seit einigen Jahren braut man ein vortreffliches und wohlfeiles engliſches Halb - bier. Ein großer Theil des Porters, der un - ter dieſem Namen verkauft wird, iſt ebenfalls hier gebraut.
Ich beſchließe dieſe kurze Rubrik mit einem der wichtigſten Lebensbeduͤrfniſſe fuͤr unſer Kli - ma. Das Brennholz, welches die Gegend um Petersburg liefert, iſt fuͤr die ungeheure Konſumtion nicht zureichend; jaͤhrlich werden gegen 150,000 Klafter, groͤßtentheils Birken - holz, hierher gebracht. Man kennt noch kein anderes Material zur Feurung, und mit die - ſem geht man, trotz der zunehmenden Theu -151 rung (eine Klafter Birkenholz gilt izt zwey bis drittehalb Rubel) unglaublich verſchwende - riſch um. Die hieſige oͤkonomiſche Geſellſchaft hat zwar verſchiedene Preisſchriften uͤber die beſſere Struktur der Oefen und uͤber die Mit - tel Holz zu ſparen, bekannt gemacht: aber vor - laͤufig iſt es mit dieſem Gegenſtande noch beym Alten geblieben. Die Barken, welche aus dem Innern des Reichs kommen, gehen nicht wie - der zuruͤck, ſondern werden hier verkauft und theils zum Aufbau hoͤlzerner Haͤuſer, theils zum Verbrennen von armen Leuten verbraucht. — Auch fuͤr dieſes Beduͤrfniß iſt ein oͤffentli - ches Magazin vorhanden, aus welchem ſich das aͤrmere Publikum unter eben den Bedingun - gen mit Holz verſorgen kann, die wir vorhin bey dem Mehlmagazin angegeben haben.
Da in dieſem Abſchnitt einmal von Be - duͤrfniſſen die Rede iſt, ſo gehoͤrt eine kleine Schilderung der Lebensart des gemeinen Mannes hierher, weil dieſe in keinem Stuͤck uͤber die erſten Lebensnothwendigkeiten hinaus geht. Selbſt ſein Brantewein iſt nur, im Ue - bermaaß genoſſen, Luxus; denn die vielen ſtren -K 4152gen Faſten und die Beſchaffenheit ſeiner Spei - ſen machen ihm ſtarke Getraͤnke unentbehrlich. Die Klaſſe von Menſchen, die ich hier meyne, beſteht gaͤnzlich aus Ruſſen, denn auch der aͤrmſte hieſige Deutſche oder Franzoſe genießt eine beſſere Nahrung; aber ſelbſt unter den gemeinen Ruſſen iſt es nur der niedrigſte Poͤ - bel, der ſich an dieſe Tafel haͤlt, periodiſch hierher kommende Arbeiter, Tagloͤhner, Fuhr - leute, u. ſ. w.
Ihre taͤglichen Gerichte ſind der Schtſchi oder die Kohlſuppe, deren vorhin ſchon erwaͤhnt worden iſt; Kaſcha, ein dicker Gruͤtzbrey; Botwinja, eine kalte Schaale von Quas, mit Fiſchen oder Fleiſch und Gurken; Snetki, klei - ne an der Luft getrocknete Fiſche; Piroghi, Kuchen mit Fleiſch oder Eyern und rothen Ruͤ - ben gefuͤllt und in Butter oder Lein - und Hanfoͤl gebacken; Twarock, gekaͤſete Milch; gebratene Schwaͤmme, u. ſ. w. Alle dieſe Spei - ſen ſind ruſſiſcher Erfindung und ſeit langer Zeit bey der Nation gebraͤuchlich. Sie wer - den auch in den groͤßten ruſſiſchen und vielen auslaͤndiſchen Haͤuſern, aber freylich mit einer153 feinern Zubereitung und in einer ziemlich ver - aͤnderten Geſtalt aufgetragen, und mehrere der - ſelben gewinnen den Beyfall der verwoͤhnteſten Gaumen.
Alles zuſammengenommen, iſt die Nah - rung des Poͤbels in Petersburg nicht einmal ſo armſelig als die des Poͤbels in Paris. Dieſer kann hoͤchſtens nur Brod, Salz und Kaͤſe kaufen; jener hat die Wahl unter vielen Speiſen, die ihm durch Gewohnheit und An - haͤnglichkeit an vaterlaͤndiſche Sitten wohl - ſchmeckend werden. Der geringſte Tagelohn eines Arbeiters in St. Petersburg iſt 15 bis 20 Kopeken*)Im Durchſchnitt kann man 75 bis 80 Kop. als den Mittelpreis des Arbeitslohns annehmen.. Um auf die ſchlechteſte Art ſatt zu werden, koſtet es ihn nur 5 bis 7 Ko - peken. Er behaͤlt alſo einen Ueberſchuß, und den hat der Pariſer Tageloͤhner nicht. — Auch iſt es nur die armſeligſte, nicht ſehr zahlreiche Klaſſe des Poͤbels, die ſo wenig gewinnt; alle Arbeiter, deren Beſchaͤftigung einige Kunſtfer -K 5154tigkeit erfordert, Maurer, Steinmetzen, Zim - merleute, Bediente, Friſeurs, u. dergl. werden beſſer und zum Theil uͤbermaͤßig bezahlt. Dieſe Leute ſammeln ſich in der Reſidenz gewoͤhnlich ein kleines Kapital, und ziehen nach einigen Jahren damit in ihre Heimath.
Faſt jeder Stadttheil hat einen oder meh - rere Maͤrkte fuͤr Lebensmittel; ſie ſind faſt durchgehends von Stein in großen Vierecken, mit Arkaden, erbaut. Aber ein eigenthuͤmli - cher Vorzug von Petersburg iſt dieſer, daß man alle Lebensnothwendigkeiten in den Haͤu - ſern ſelbſt kaufen kann, weil ſie von Leuten umhergetragen werden, die den Einzelverkauf zu ihrem Gewerbe machen. Man nennt dieſe Leute Rasnoſchtſchiki; ſie gewoͤhnen ſich an die Haͤuſer, bringen taͤglich alle Beduͤrf - niſſe, die man fordert, und in ſolcher Menge und Guͤte als man ſie beſtellt. Sie halten auch monatliche oder halbjaͤhrige Rechnung mit Leuten, die ſie einmal kennen, wobey ſie zuweilen ihre Forderung verlieren, wenn der Hausherr ſtirbt, oder die Familie verarmt oder verwaiſ’t. — Ich erinnere mich bey dieſer155 Gelegenheit der ſeltnen Großmuth eines Men - ſchen dieſer Art, welcher einer Familie, deren Fiſchlieferant er in ihrem ehemaligen Wohl - ſtande geweſen war, auch nach mehreren Un - gluͤcksfaͤllen, die ſie außer Stand ſetzten, ihn zu bezahlen, noch immer mit dem Gegenſtande ſeines Handels verſorgte und ſchlechterdings nicht eher Geld annehmen wollte, als bis er erfuhr, daß der Herr des Hauſes wieder eine eintraͤgliche Stelle erhalten hatte. — Zuͤge dieſer Art, aus dieſer Klaſſe von Men - ſchen, verdienen in einem Sittengemaͤlde doch wol ihr Plaͤtzchen.
Polizey. Wichtigkeit dieſes Gegenſtandes. Perſönliche Si - cherheit, durch Katharina die Zweyte geſetzmäßig kon - ſtituirt. Das Gewiſſensgericht, ein für die perſönliche Sicherheit errichtetes Tribunal. — Oeffentliche Si - cherheit, zum Theil aus dem Volkskarakter entſprin - gend. Anekdote hierüber. Organiſation der Polizey. Aufſicht auf Ankommende, Abreiſende und verdächtige Leute. Beyſpiele der Wachſamkeit und Mäßigung der Regierung bey Staatsverbrechern und Abentheurern. Aufſicht auf geheime Geſellſchaften. Spielhäuſer. An - ſtalten gegen Unfugmacher und Händelſüchtige. Das mündliche Gericht. Bettler. Geſindemäkler. Das Ar - beitshaus. Das Zuchthaus. Das Stadtgefängniß, eine nach Howard’s Vorſchlägen eingerichtete Anſtalt. Das Polizeygefängniß; Schilderung deſſelben. Edel - müthige Aufopferung eines Luſtmädchens für ihren gefangenen Liebhaber. — Liſt und Vetrug im Han - del und Wandel. Erzählung einzelner Vorfälle dieſer Art. — Anſtalten gegen natürliche und zufällige Verletzungen der öffentlichen Sicherheit. Verminderte Feuer - und Waſſergefahr. Schnelles Fahren, unſchäd - lich gemacht durch Volksſitten. Wachſamkeit der Po -157 lizey bey großen Verſammlungen, bey Volksfeſten, beym Eisgange der Newa. Vorſicht bey der Verſen - dung der Arzneyen. — Merkwürdige Form bey der Bekanntmachung der Geſetze.
Unter allen politiſchen Einrichtungen und Ver - faſſungen hat keine naͤhern Bezug auf das Wohlſeyn und die Zufriedenheit jedes Einzel - nen, als die Polizey. Die ehrwuͤrdigen Zwecke dieſes Theils der Staatsverwaltung: Sicherheit und Bequemlichkeit, vereinigen ſich in dem großen Begriff von buͤrgerlicher Gluͤck - ſeligkeit, ohne welche ſich keine Staatsgluͤckſe - ligkeit denken laͤßt. Die Verhaͤltniſſe der aus - waͤrtigen Macht, des Staatsreichthums, ja ſelbſt der politiſchen Freyheit haben einen weit entferntern Bezug auf die Gluͤckſeligkeit der In - dividuen, weil ſie mehr die ganze Maſſe der Nation treffen, da die Ausuͤbung der Polizey es gerade mit ſolchen Pflichten zu thun hat, die den Menſchen in ſeinen feinſten und zarte - ſten Verhaͤltniſſen, als Buͤrger, Geſchaͤftsmann, Gatten und Vater, beruͤhren. Es giebt Laͤn - der, in denen der Buͤrger bey der groͤßten158 Schwaͤche und Nullitaͤt des Staatskoͤrpers, zu welchem er gehoͤrt, oder bey den auffallend - ſten Kraͤnkungen der politiſchen Freyheit deſ - ſelben, gluͤcklich iſt, weil ſeine buͤrgerliche Si - cherheit und Freyheit geſchuͤtzt ſind; ſo wie es Staaten giebt, in denen die groͤßte oͤffentliche Macht und die vollkommenſte politiſche Orga - niſation den einzelnen Buͤrger nicht fuͤr den Mangel oder den Verluſt einer wohlgeordne - ten Polizey ſchadlos halten koͤnnen.
Buͤrgerliche Sicherheit ſetzt buͤrgerliche Freyheit voraus. Ohne dieſe wuͤrde jene frey - lich eine Ruhe bewirken, die aber der Ruhe im Grabe aͤhnlich waͤre, deren Folgen Faͤulniß und Verweſung ſind. Jene iſt das Reſultat ſehr zuſammengeſetzter und kuͤnſtlich verbunde - ner Zwecke: dieſe hingegen die Wirkung Eines einfachen Grundſatzes. Mit einem Wort: Si - cherheit muß von der machthabenden Gewalt erzwungen, Freyheit vergoͤnnt werden.
Der Zuſtand der buͤrgerlichen Sicherheit in jedem Staat iſt ein aufgeloͤſtes Problem; die Geſetze und die Mittel zur Handhabung derſelben ſind Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Kennt - niß. Der Zuſtand der buͤrgerlichen Freyheit159 kann, in ſolchen Laͤndern, die keine eigentliche Konſtitution haben, nur aus der Zuſammen - ſtellung einer großen Menge einzelner Thatſa - chen, aus dem Geiſt der Regierungen, aus der Stimmung des Volks erkannt werden. Jene iſt eine beſtimmte Rubrik der Statiſtik: dieſe gehoͤrt in das Kapitel der Denkungsart, Meynungen und Sitten. —
In einem Lande, welches keinen Schatten von Verfaſſung hatte, in welchem alle die verwickelten Verhaͤltniſſe einer großen buͤrger - lichen Geſellſchaft durch einzelne, deutungsfaͤ - hige, ſich oft widerſprechende Verordnungen beſtimmt, und dieſe der willkuͤhrlichen Ausle - gung einzelner Gerichtsſtellen uͤberlaſſen waren, in einem ſolchen Lande konnte die perſoͤnliche und buͤrgerliche Sicherheit ſich weder einer rechtmaͤßig begruͤndeten noch geſicherten Exiſtenz erfreuen. In dieſem Fall befand ſich Rußland vor Peter dem Großen. Die mannigfal - tigen Anordnungen dieſes weit uͤber ſein Zeit - alter erhabenen Fuͤrſten beweiſen, daß er den Mangel einer buͤrgerlichen Verfaſſung und die Nothwendigkeit einer feſten Beſtimmung der geſetzmaͤßigen perſoͤnlichen Sicherheit fuͤhlte. 160So viel er auch fuͤr dieſen großen Gegenſtand gethan hatte, ſo viel blieb ihm noch zu thun uͤbrig; „ ein fruͤhzeitiger Tod noͤthigte ihn, dieſe „ wohlthaͤtigen Einrichtungen, als ein kaum an - „ gefangenes Werk zu verlaſſen. Die hierauf „ erfolgten haͤufigen Veraͤnderungen, die Ver - „ ſchiedenheit der Grundſaͤtze und der Denkungs - „ art, und die oͤftern Kriege ſchwaͤchten zwar „ keinesweges die Macht und das Anſehn des „ Reichs; ſie veranlaßten aber in den Anord - „ nungen dieſes großen Kaiſers entweder Ver - „ aͤnderungen, oder ſie entfernten den Gedan - „ ken von der Fortſetzung ſeines angefangenen „ Werks, oder fuͤhrten andere Regeln ein, die „ ſich theils nach den von der Sache gefaßten „ Begriffen, theils nach den veraͤnderten Um - „ ſtaͤnden und dem natuͤrlichen Lauf der Dinge „ richteten. “*)Worte Katharinens der Zweyten. S. die Ukaſe vom 12. Nov. 1775. die den Verordnungen zur Ver - waltung der Gouvernements zur Einleitung dient.
Endlich uͤbergab der Genius Rußlands das Schickſal dieſes großen Reichs in die HaͤndeKa -161Katharina der Zweyten. Der weitum - faſſende Geiſt dieſer Monarchinn, der ſich ſchon mit der Erweiterung und Befeſtigung der aus - waͤrtigen Macht, mit der Gruͤndung einer phi - loſophiſchen Geſetzgebung, mit der Verbeſſe - rung der Erziehung, mit der Verbreitung der Aufklaͤrung und des Geſchmacks, und mit der Abſtellung unzaͤhliger Mißbraͤuche beſchaͤftigt, und an dieſen großen Gegenſtaͤnden ſeine Kraft geuͤbt aber nicht erſchoͤpft hatte — ſchuf nun auch eine Verfaſſung fuͤr Rußland*)Die auf einander folgenden Konſtitutionen, durch welche Rußland eine gleiche und zweckmäßige Eintheilung in Statthalterſchaften, eine gleiche bürgerliche Form - gleiche Gerichtsſtellen und Tribunale, eine Polizey, eine Stadtordnung, beſtimmte Rechte und Verhältniſſe des Mittelſtandes und Adels — mit einem Wort, eine Ver - faſſung erhielt, ſind namentlich folgende: Verordnun - gen zur Verwaltung des Gouvernements des ruſſiſchen Reichs. — Ruſſiſch-kaiſerliche Ordnung der Handels - ſchiffahrt auf Flüſſen, Seen und Meeren. — Vom Adel. — Stadtordnung. — Polizeyordnung. Sie ſind ſämmt - lich vom Hofrath Arndt ins Deutſche überſetzt..
Die Sammlung von Verordnungen, aus welchen dieſe Verfaſſung entſtand, athmet uͤberall den freyen philoſophiſchen Geiſt, die AchtungErſter Theil. L162fuͤr die Menſchen und ihre Rechte, und den milden, gleichweit von Strenge und Nachgie - bigkeit entfernten Karakter, womit die Indivi - dualitaͤt des Geſetzgebers ſie ſtempelte, und der ihre ehrwuͤrdigſte Sanktion iſt.
Die Erhaltung und Befoͤrderung der per - ſoͤnlichen Sicherheit konnte in einem Ge - ſetzbuche dieſer Art nicht der letzte Gegenſtand ſeyn. Sie erhielt ein eigenes Tribunal in dem Gewiſſensgericht, oder dem Gericht der Billigkeit, welches in jeder Statthalterſchaft errichtet wurde, und deſſen Zweck, nach den eignen Worten der Verordnung, die Erhaltung der perſoͤnlichen Sicherheit, die Milderung des Schickſals ungluͤcklicher Verbrecher, und die guͤtliche Beylegung buͤrgerlicher Streitigkeiten iſt. Die Verfaſſung dieſes hoͤchſt merkwuͤrdi - gen Inſtituts iſt zu neu, zu wohlthaͤtig und zu wenig bekannt, als daß ich meinen Leſern nicht einen kurzen Auszug aus der Stiftungsakte deſſelben mittheilen ſollte*)Verordnungen u. ſ. w. Hauptſt. 26 — 395. folg..
Das Gewiſſensgericht beſteht aus einem Richter, der den Vorſitz fuͤhrt, und aus ſechs163 Gliedern, von denen, alle drey Jahre, zwey aus der Buͤrgerſchaft und eben ſo viele aus dem Bauerſtande gewaͤhlt werden. Jeder Stand hat es nur mit den Klaͤgern und Beklagten ſeines Standes zu thun. Das Gewiſſensge - richt richtet uͤberhaupt, wie alle andere Tribu - nale, nach den Geſetzen; da es aber zu einer Schutzwehre der beſondern oder perſoͤnlichen Sicherheit angeordnet wird, ſo ſollen ſeine Re - geln in allen Faͤllen folgende ſeyn: allgemeine Menſchenliebe, Achtung fuͤr den Menſchen als ſolchen, und Abneigung von aller Bedraͤngniß und Kraͤnkung der Menſchheit. Aus dieſer Urſache ſoll das Gewiſſensgericht nie das Schick - ſal irgend eines Menſchen erſchweren, ſondern vielmehr die ihm anvertraute gewiſſenhafte Er - oͤrterung und mitleidige Beendigung der ihm uͤbertragenen Sachen ſich angelegen ſeyn laſ - ſen. Es miſcht ſich nie aus eigener Bewegung in irgend eine Sache, ſondern nimmt ſich der - ſelben nur auf Befehl der Regierung, auf Kom - munikation eines andern Gerichtshofes oder auf Bitte und Klage an. Die Sachen ſolcher Verbrecher, die durch einen ungluͤcklichen Zu - fall oder durch den Lauf verſchiedener UmſtaͤndeL 2164in Verſchuldungen gefallen ſind, die ihr Schick - ſal weit uͤber das Verhaͤngniß ihrer Thaten erſchweren, die Verbrechen der Unſinnigen oder Minderjaͤhrigen, und alle Zaubergeſchichten, mit denen Dummheit, Betrug und Unwiſſen - heit verknuͤpft ſind, gehoͤren fuͤr dieſes Tribu - nal. Die Pflicht deſſelben in buͤrgerlichen Rechts - ſachen iſt, diejenigen ſtreitenden Parteien zu vergleichen, die bey demſelben deswegen Anſu - chung thun. Der Vergleich geſchieht entweder durch das Gericht allein, oder gemeinſchaftlich mit Schiedsrichtern, die von beyden Parteien gewaͤhlt werden. Wenn die Schiedsrichter un - ter ſich nicht einig werden koͤnnen, ſo legt das Gericht ihnen ſein Gutachten vor, wie der Klaͤger und Beklagte, ohne ihren Ruin, ohne Prozeß, Streit, gegenſeitige Vorwuͤrfe und Chikane zu vergleichen ſind. Wenn die Schieds - maͤnner ſich dennoch nicht vergleichen koͤnnen, ſo laͤßt das Gericht den Klaͤger und Beklagten vor ſich kommen, und legt ihnen die Mittel zum Vergleich vor. Nehmen ſie ſolche an, ſo beſtaͤtigt es ihren Vergleich durch das Gerichts - ſiegel; im gegenſeitigen Fall deutet es beyden an, daß es mit ihrem Streit weiter nichts zu165 thun habe, und daß ſie ſich deshalb an die in den Geſetzen beſtimmten Gerichte wenden moͤgen.
Die wichtigſte Befugniß des Gewiſſensge - richts aber, wodurch es auf gewiſſe Weiſe das ehrwuͤrdigſte Tribunal der Nation, und im ei - gentlichſten Verſtande das Palladium der per - ſoͤnlichen Sicherheit wird, beſteht in folgendem. Wenn jemand eine Bittſchrift ins Gewiſſens - gericht einſchickt, daß er uͤber drey Tage im Gefaͤngniß gehalten werde, und daß man ihm in dieſen drey Tagen nicht angezeigt habe, warum er im Gefaͤngniß gehalten werde, oder daß er in dieſen drey Tagen nicht befragt wor - den, ſo iſt das Gewiſſensgericht verpflichtet, ſobald es eine ſolche Bittſchrift erhalten und ehe die Verſammlung auseinander geht, Be - fehl zu ertheilen, daß dieſer im Gefaͤngniß ſitzende Menſch (wenn er nicht wegen Beleidi - gung der Perſon Kaiſerlicher Majeſtaͤt, nicht wegen Verrath, Mord, Diebſtahl oder Raub gefangen ſitzt) an das Gewiſſensgericht abge - ſchickt und ſelbigem vorgeſtellt werde, mit Bey - fuͤgung der Urſachen, warum er unter Arreſt gehalten werde, oder warum er nicht befragt worden. Die Befehle des GewiſſensgerichtsL 3166ſollen in dieſem Fall an dem Ort, an welchem ſie anlangen, ohne eine Stunde zu ſaͤumen, vollzogen werden; wenn aber der Befehl inner - halb vierundzwanzig Stunden nicht in Erfuͤl - lung gebracht worden, ſo ſollen die Vorſitzer des Gerichts in eine Geldſtrafe von fuͤnfhun - dert, die Beyſitzer aber in eine Geldſtrafe von hundert Rubeln verfallen ſeyn. In Abſicht des Weges werden 25 Werſt auf einen Tag gerechnet. — Wenn dann das Gewiſſensge - richt findet, daß der Arreſtant wegen keines der vorhin bezeichneten Verbrechen in Verhaft gehalten wird, ſo befiehlt es, ihn, auf erhaltene Buͤrgſchaft ſowol fuͤr ſeine Auffuͤhrung als auch fuͤr ſeine Stellung vor dasjenige Gericht der Statthalterſchaft, welches er ſelbſt waͤhlt und wohin alsdann ſeine Sache abgeſchickt wird, auf freyen Fuß zu ſtellen. Es ſoll ſich darauf niemand unterſtehen, einen ſolchen, durch die Befugniß des Gewiſſensgerichts aus dem Gefaͤngniß befreyten Menſchen, derſelben Sache wegen, vor deren Entſcheidung, wieder ins Ge - faͤngniß zu ſetzen; ſeine Sache aber ſoll nach der Vorſchrift der Geſetze entſchieden werden. In den Faͤllen aber, wenn der Supplikant we -167 gen der oben bezeichneten Verbrechen ſitzt, oder das Gewiſſensgericht hintergangen hat, oder keine Buͤrgſchaft ſtellt, ſoll ihn das Gewiſſens - gericht wieder in das Gefaͤngniß abliefern, um daſelbſt haͤrter als vorhin gehalten zu werden.
Die oͤffentliche Sicherheit unter - ſcheidet ſich von der perſoͤnlichen durch einen allgemeinern Zweck. Jene iſt der eigentliche Gegenſtand der Polizey; dieſe iſt in den meh - reſten Laͤndern der Juſtizverwaltung uͤbertragen.
Nach dem Verhaͤltniß der Groͤße, Weit - laͤuftigkeit und Bevoͤlkerung iſt die oͤffentliche Sicherheit hier ſo groß als irgendwo. Man hoͤrt ſo ſelten von Beraubungen oder Mord - thaten, daß der Gedanke an Gefahren dieſer Art fremd iſt. Daher ſieht man taͤglich ein - zelne Leute, ohne Stock und ohne Begleitung, zu allen Stunden der Nacht, uͤber die Straße und ſelbſt in die entlegenſten und unbebaute - ſten Gegenden gehn. Dieſe, unter ſolchen Um - ſtaͤnden, ſeltne Erſcheinung iſt weniger das Werk der wohlorganiſirten, wachſamen Polizey, als die Wirkung des gutmuͤthigen Volkskarak - ters. Der gemeine Ruſſe, wenn er nicht durch langen Aufenthalt in der Reſidenz verderbt,L 4168durch den Hang zur Voͤllerey verfuͤhrt, oder durch den aͤußerſten Mangel gedruͤckt wird, iſt ſelten zu Ausſchweifungen dieſer Art geneigt. Hiezu kommt eine gewiſſe Ehrfurcht gegen die hoͤhern Staͤnde, die dem Volk durch das Ge - fuͤhl der Leibeigenſchaft und durch die Art ſei - ner Erziehung (wenn man dies uͤberall Erzie - hung nennen darf) eigenthuͤmlich wird, und die — ſollte man es glauben! — auch bey einem naͤchtlichen Tete a Tete auf offner Straße ihre Wirkungen aͤußert. Die Erfahrung hie - von iſt ſo allgemein, daß man eine Offizier - ſchleife am Hut als ein ſicheres Mittel ge - braucht, ſich zu ſolchen Zeiten gegen Angriffe zu ſchuͤtzen, in welchen das Volk ſich zur Voͤl - lerey privilegirt glaubt, und folglich zu Aus - ſchweifungen vorzuͤglich geneigt iſt. Ein gebie - tendes Wort, im Ton des Herrn geſprochen, wirkt oft mehr als die beherzteſte Gegenwehr. Um dieſe Mittel mit Nachdruck gebrauchen zu koͤnnen, muß man freylich die Landesſprache mit einiger Fertigkeit ſprechen; wer aber die - ſen Vortheil beſitzt, und mit den Sitten und dem Karakter der Nation vertraut iſt, kann zuweilen durch eine kuͤnſtliche Wendung die na -169 tuͤrliche Gutmuͤthigkeit des Poͤbels erwecken, und ſeinen Beutel oder ſein Leben vor den An - griffen deſſelben ſichern. Unter mehreren auf - fallenden Beyſpielen, welche dieſe Verfahrungs - art bewaͤhren, nur eins zur Probe.
Eine Dame von meiner Bekanntſchaft reiſte vor einigen Jahren im Innern des Reichs. Ihr Weg gieng durch ein Dorf, das ſich ſeit kurzem durch Raͤubereyen und Mordthaten in der ganzen Gegend furchtbar gemacht hatte. Durch unvorhergeſehene Umſtaͤnde verzoͤgert ſich ihre Ankunft bis in die Nacht, und da die Poſtbauern ſich ſchlechterdings weigern, ſie wei - ter zu fuͤhren, ſieht ſie ſich genoͤthigt, in einer Huͤtte abzuſteigen. Eine Unterredung ihres Fuͤhrers mit einigen Leuten des Dorfs, der ſie unter der Beguͤnſtigung der Dunkelheit bey - wohnt, floͤßt ihr die gerechteſten und ſchreck - lichſten Beſorgniſſe ein. Bey ihrem Eintritt in die Huͤtte wird ſie mehrere Kerle gewahr, die ſich nach Landesſitte auf dem Ofen gela - gert haben. Ein altes Weib, deren Phyſio - gnomie eben nicht geſchickt war, Zutrauen ein - zufloͤßen, beginnt ihren Empfang mit der Frage: warum ſie ſich geweigert habe, die Nacht imL 5170Dorfe zu verweilen, ob ſie etwa glaube, daß es in ihrem Hauſe nicht ſicher ſey? und be - theuert zugleich, daß ſich keine Mannsperſon in demſelben befinde. Die Reiſende, mit dem Karakter der Nation aus langen Erfahrungen bekannt, huͤtet ſich wohl, dieſe Luͤge zu wider - legen; ſie aͤußert im Gegentheil das vollkom - menſte Zutrauen, ſetzt ſich mit der groͤßten Ruhe zu ihrem Abendeſſen, langt eine Brant - weinsbouteille aus ihrem Flaſchenfutter hervor, noͤthigt die auf dem Ofen gelagerten Kerle herunter und theilt ihren Vorrath unter ſie aus. Dieſes Betragen, die Branteweinsflaſche und die freundliche Mine der Geberinn thun ihre Wirkung; das eingeſchlummerte aber nicht erſtickte Gefuͤhl der Menſchlichkeit erwacht, und die originelle gutmuͤthige, ſorgenloſe und froͤli - che Laune, die dem gemeinen Ruſſen ſo eigen - thuͤmlich iſt, ergießt ſich bald in lermende Ge - ſaͤnge. Als die Reiſende ſieht, daß ſie ihren Zweck erreicht hat, legt ſie ſich in einem dar - anſtoßenden Zimmer, dem Anſchein nach ohne Unruhe, zu Bette, verbietet ihrem Bedienten Gepaͤck und Gewehr in die Stube zu bringen, und loͤſcht endlich ſogar das Licht aus. Beym171 Anbruch des Tages findet ſie ein ruſſiſches Fruͤhſtuͤck bereit, und ihren Wagen zur Abreiſe fertig. Ihr Abſchied von dieſem Raͤubervolk war eine der ſonderbarſten moraliſchen Karri - katuren. Mit dem Eingeſtaͤndniß ihrer ſtraf - baren Handlung erhaͤlt ſie von dieſen Menſchen zugleich die Verſicherung, daß ſie und alle Durchreiſende, die ihren Namen nennen wuͤr - den, gut aufgenommen und mit Sicherheit be - herbergt werden ſollten; ein Verſprechen, wel - ches mit den rohen aber unverſtellten Beweiſen einer herzlichen Zuneigung vergeſellſchaftet war.
Die Polizey von St. Petersburg hat eine ſehr einfache und zweckmaͤßige Organiſa - tion. Außer dem Gouverneur, deſſen Wirk - ſamkeit ſich natuͤrlich auch in Ruͤckſicht der Re - ſidenz auf alle Gegenſtaͤnde des oͤffentlichen Wohls erſtreckt, iſt der Oberpolizeymei - ſter der eigentliche Chef der ganzen Polizey - verfaſſung. Seine Thaͤtigkeit iſt, bey dem gro - ßen Umfange dieſer Beſtimmung, doch nur auf die allgemeinen Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Sicherheit und Ordnung begrenzt. Er iſt hier nicht, wie in andern großen Staͤdten, der fuͤrch - terliche Mitwiſſer der Familiengeheimniſſe und172 der ungeſehene Zeuge der Handlungen des Pri - vatmannes. Wir haben hier keine Spione, und muͤſſen keine haben, wenn Montesquieu Recht hat*)Faut-il des espions dans la monarchie? — Cen’est pas la pratique des bons princes. Esprit des loix. I. XII. Ch. 25. .
Unter dem Oberpolizeymeiſter ſteht das Polizeyamt, in welchem ein Polizeymeiſter, zwey Vorſteher, einer fuͤr peinliche, der an - dere fuͤr buͤrgerliche Sachen, und zwey aus der Buͤrgerſchaft gewaͤhlte Rathmaͤnner ſitzen. Dieſer Stelle iſt die Sorge fuͤr Wohlanſtaͤn - digkeit, gute Ordnung und Sitten; die Auf - ſicht uͤber die Beobachtung der Geſetze, und die Vollſtreckung der Befehle der Regierung und der Entſcheidungen der Gerichtshoͤfe uͤber - tragen**)Polizeyordnung. 30.. Die Ausfuͤhrung dieſer Zwecke wird durch folgenden Mechanismus bewirkt.
Die Reſidenz iſt, wie ſchon oben bemerkt worden, in zehn Stadttheile getheilt. Jeder derſelben hat einen Vorſteher, der zum Waͤchter der Geſetze, der Sicherheit und der Ordnung in ſeinem Bezirke beſtellt iſt. 173Die Pflichten und Rechte dieſes Poſtens ſind ſo ausgedehnt als wichtig. Ein Vorſteher muß genaue Kenntniß von den Einwohnern ſeines Stadttheils haben, uͤber welche ihm eine Art von vaͤterlichrichterlicher Gewalt vertraut iſt; er iſt der Sittenaufſeher ſeines Stadttheils; ſein Haus darf weder bey Tage noch bey Nacht verſchloſſen werden, ſondern ſoll ein beſtaͤndiger Zufluchtsort’ fuͤr jeden Gefahr - und Nothlei - denden ſeyn; er ſelbſt darf ſich nicht auf zwey Stunden aus der Stadt entfernen, ohne ſeinen Dienſt einem andern zu uͤbertragen. Das Po - lizeykommando und die Wachtpoſten des Stadt - theils ſtehen unter ſeinem Befehl, und er wird, in Geſchaͤften ſeines Dienſtes, von zwey Ser - geanten begleitet. Ueber ein widerrechtliches Verfahren des Vorſtehers kann man ſich beym Polizeyamt beſchweren*)Polizeyordnung. 85 bis 131..
Jeder Stadttheil iſt wieder in drey bis fuͤnf Quartiere abgetheilt, deren in der Re - ſidenz in allem zwey und vierzig ſind. Jedes derſelben hat einen Quartieraufſeher, dem ein Quartierlieutenant untergeord -174 net iſt. Die Pflichten dieſer Polizeybeamten ſtimmen mit denen der Vorſteher uͤberein, nur daß ſie in ihrer Wirkſamkeit auf einen kleine - ren Bezirk eingeſchraͤnkt ſind. Sie ſchlichten geringe Haͤndel und Streitigkeiten auf der Stelle und haben uͤberall ein wachſames Auge. Die Nachtwaͤchter eines jeden Quartiers ſtehen unter dem Aufſeher deſſelben, und ſind auf jeden Wink zu ſeinem Befehle bereit.
Die Anzahl der Nachtwaͤchter in der Stadt belaͤuft ſich auf fuͤnfhundert. Sie ha - ben ihre angewieſenen Plaͤtze in kleinen, an den Ecken der Gaſſen erbauten Wachthaͤuſern, und dienen, außer ihrer eigentlichen Beſtimmung, auch zum Verhaftnehmen und zu jedem Dienſt, der ihnen bey Tage oder bey Nacht von ihren Befehlshabern aufgelegt wird. Außerdem iſt zur Ausfuͤhrung der Polizeybefehle und zum Patroulliren noch ein Kommando von 120 Mann vorhanden, welches in vorkommenden Faͤllen von einem Kaſackenpulk oder Huſaren - regiment unterſtuͤtzt wird.
Dieſe aus ſo vielen untergeordneten Thei - len beſtehende Maſchine erhaͤlt in ihrem regel - maͤßigen Gange jene Sicherheit und Ruhe, die175 die Bewunderung aller Fremden erregt. Die Thaͤtigkeit jedes einzelnen Gliedes loͤſ’t ſich auf in die Thaͤtigkeit des Ganzen, und nur durch dieſe Vertheilung wird die Erreichung eines ſo vielſeitigen Zwecks moͤglich. — Alle Quartier - aufſeher eines Stadttheils finden ſich des Mor - gens um ſieben Uhr bey ihrem Vorſteher ein, um ihm den Rapport von allem abzuſtatten, was innerhalb vierundzwanzig Stunden in ih - ren Quartieren vorgefallen iſt, und um acht Uhr bringen ſaͤmmtliche Stadttheilsvorſteher dieſe geſammelten Berichte ins Polizeyamt, worauf dieſes ſogleich und zuerſt die Sachen der uͤber Nacht Verhafteten unterſuchen muß. In dringenden Faͤllen verſammelt ſich das Po - lizeyamt zu jeder Stunde.
Dieſe Organiſation und die außerordentliche Wachſamkeit der Polizey, die auch fuͤr ein zahl - reicheres und unruhigeres Volk hinreichen wuͤrde, machen die geheimen Kundſchafter entbehrlich Die Polizey hat Kenntniß von allen in der Re - ſidenz vorhandenen Menſchen; Ankommende und Abreiſende ſind gewiſſen Formalitaͤten unterwor - fen, die eine Verheimlichung des Aufenthalts oder Entweichung erſchweren. Zu dieſem End -176 zweck iſt jeder Hausbeſitzer und Gaſtwirth ver - pflichtet, der Polizey anzuzeigen, wer bey ihm wohnt, oder welche Fremde bey ihm eingekehrt ſind. Wenn ein Fremder oder Miethsmann uͤber Nacht aus dem Hauſe bleibt, ſo muß der Wirth die Polizey hievon ſpaͤtſtens am dritten Tage des Außenbleibens benachrichtigen. Stren - ger noch ſind die Vorſichtsmaaßregeln bey Ab - reiſenden. Dieſe muͤſſen ihren Namen, ihren Stand und ihre Wohnung dreymal in die hie - ſigen Zeitungen ſetzen laſſen, und dieſe Blaͤtter als eine Beglaubigung im Gouvernement vor - zeigen, worauf ſie alsdann ihren Paß erhal - ten, ohne welchen es beynah unmoͤglich iſt, aus dem Reiche zu kommen. Dieſe Einrich - tung ſichert nicht nur die Glaͤubiger der Ab - reiſenden, ſondern macht der Polizey auch eine naͤhere Aufſicht uͤber alle verdaͤchtige Einwoh - ner moͤglich.
Die große Miſchung von fremden Einwoh - nern aller Nationen macht dieſe Aufſicht jeder - zeit, beſonders aber in gewiſſen kritiſchen Zeit - punkten, nothwendig. Immer finden ſich in großen volkreichen Staͤdten unruhige Leute, Gluͤcksritter und Betruͤger, die durch kuͤhnePro -177Projekte, durch eine ſchaͤndliche Induſtrie, oder durch ſtraͤfliche Gaukeleyen die Ruhe der buͤr - gerlichen Geſellſchaft zu ſtoͤren, oder den Beutel des Publikums zu pluͤndern ſuchen. Die Milde der Regierung, die gaſtfreye Aufnahme die jeder rechtliche Fremde hier genießt, die leichten und vielfaͤltigen Mittel zum Erwerb und die unein - geſchraͤnkte in allen Laͤndern ſo ſehr erſchwerte Erlaubniß, dieſe ohne Unterſchied der Nation und des Glaubensbekenntniſſes auf eine recht - maͤßige Art zu benutzen — alle dieſe und andere Vortheile ſind dennoch nicht zureichend, ſelbſt ſolche Leute, denen das Gluͤck einen betraͤchtli - chen Theil derſelben zuwarf, von der Undank - barkeit gegen das Land zuruͤckzuhalten, in wel - chem ſie dieſe Vortheile fanden. — Der Zeit - punkt des letzten ſchwediſchen Krieges hat meh - rere Beyſpiele dieſer traurigen Wahrheit aufzu - weiſen. Unter den zahlreichen hier angeſellenen Schweden, die entweder als Gewerbleute oder auch im Dienſt des Staats ein ruhiges Loos und eine gute Verſorgung hatten, ließen ſich manche durch einen mißverſtandenen Patriotis - mus, durch Intriguengeiſt, oder durch die Hof - nung ihr Gluͤck zu machen, zur ſchaͤndlichſtenErſter Theil. M178Undankbarkeit gegen ihr zweytes Vaterland ver - leiten; gegen ein Land, das ihnen Brod und Anſehn gab, und ſie, beym Ausbruch und waͤh - rend der ganzen Fortſetzung eines ſo unrechtmaͤ - ßig angefangenen als mit Erbitterung gefuͤhr - ten Krieges, in dem vollen und ungeſtoͤrten Genuß ihrer hier erworbenen buͤrgerlichen Vor - theile ſchuͤtzte. Die Wachſamkeit, die ſchnelle Entdeckung, und mehr als dieß, die Maͤßigung und Großmuth, mit welcher die Regierung ge - gen dieſe Staatsverbrecher verfuhr, ſind eine allzuauffallende und merkwuͤrdige Widerlegung des auswaͤrtigen Vorurtheils und der partheyi - ſchen Stimmen einzelner Schriftſteller, als daß ich den Raum bedauern ſollte, den eine unge - ſchmuͤckte und wahre Erzaͤhlung eines der inter - eſſanteſten Vorfaͤlle dieſer Art hier einnehmen duͤrfte.
Die Eilfertigkeit, mit welcher die hier be - findlich geweſene ſchwediſche Geſandtſchaft ſich beym Ausbruch des Krieges aus dieſer Reſidenz entfernte, hatte die Folge, daß ein Theil des Geſandtſchaftsarchivs in guter Verwahrung zu - ruͤckbleiben mußte. Ein beherzter und verſchla - gener Menſch, der bey dem ſchwediſchen Lega -179 tionsſekretair als Kammerdiener geſtanden hat - te, uͤbernahm einige Zeit nachher den gefaͤhrli - chen Auftrag, nicht nur dieſe Papiere nach Schweden hinuͤber zu bringen, ſondern auch Er - kundigungen uͤber gewiſſe Dinge einzuziehen, die in allen Laͤndern als Staatsgeheimniſſe betrachtet werden, und es zur Zeit des Krieges wirklich in mehr als Einer Ruͤckſicht ſeyn muͤſſen. Mit Geld und allen Talenten zu einer ſolchen Unter - nehmung hinlaͤnglich verſehen, erſchien er hier in Petersburg unter dem Namen eines Kauf - manns und dem Vorwande Getreide einzuhan - deln, und hatte das Gluͤck, nicht nur ſeinen Endzweck zum Theil zu erreichen, ſondern auch mit ſeinen geretteten Papieren und Briefſchaften bis Riga zu kommen. Hier, auf der Grenze des Reichs, ereilte ihn die Wachſamkeit der pe - tersburgiſchen Polizey; er ward in Verhaft ge - nommen, nach der Reſidenz zuruͤckgebracht, und in dem Hauſe des Generalprokureurs in Ver - wahrung geſetzt. Sein Prozeß war kurz, da die Beweiſe ſeiner Unternehmung jede Entſchul - digung unmoͤglich machten; er hielt es daher fuͤr das zutraͤglichſte, unter dieſen Umſtaͤnden alles freymuͤthig zu geſtehen. Nach einigen VerhoͤrenM 2180ward ihm ſein Urtheil mit folgenden Worten an - gekuͤndigt: „ Sie haben ein Verbrechen began - gen, fuͤr welches Sie in jedem andern Lande mit dem Leben wuͤrden buͤßen muͤſſen; die Gnade der Kaiſerinn ſchenkt Ihnen, in Ruͤckſicht auf Ihr offenherziges Geſtaͤndniß, nicht nur dieſes, ſondern mildert Ihre Strafe in eine Entfernung nach einem abgelegenen Grenzort, wo Sie ſo lange bleiben werden, bis der Krieg geendigt ſeyn wird. Alsdann ſteht es Ihnen frey, dieſes Land zu verlaſſen. “ Der uͤberraſchte und be - taͤubte Inquiſit hatte noch nicht Zeit, ſich von ſeiner angenehmen Beſtuͤrzung zu erholen, als ihm eine Banknote von hundert Rubeln mit der Aeußerung eingehaͤndigt wurde, daß er dieſes Geſchenk einem erhabenen Wohlthaͤter zu danken habe, der ſein Schickſal durch dieſe Kleinigkeit zu erleichtern wuͤnſche. Der Verbannungsort des Gefangenen lag im aͤußerſten Sibirien. Er ſollte hier taͤglich eine beſtimmte Summe zu ſei - nem Unterhalt empfangen, die ihm aber durch zufaͤllige Umſtaͤnde nicht ausgezahlt ward; doch fand er unter den dortigen Einwohnern gutmuͤ - thige Menſchen, die ſichs recht herzlich angelegen ſeyn ließen, fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe zu ſorgen. —181 Kaum war der Friede geſchloſſen, als mit der Nachricht deſſelben auch der Befehl an dem Orte ſeiner Verbannung ankam, ihm die Freyheit wiederzugeben. Er kehrte nach St. Petersburg zuruͤck, meldete ſich hier bey der Behoͤrde, er - hielt die ganze Summe ſeiner Tagegelder bis auf den Tag ſeiner Befreyung ausgezahlt, legte mit dieſem kleinen Kapital einen Handel an, heyra - thete eine Ruſſinn, und lebt jetzt hier, zufrieden und gluͤcklich, als ein merkwuͤrdiger Beweis der politiſchen Toleranz unter der Regierung Ka - tharinens der Zweyten.
Dieſes Beyſpiel, ſo auffallend es iſt, iſt nicht das einzige ſeiner Art. Alle diejenigen, die ſich waͤhrend des ſchwediſchen Krieges verdaͤchtig gemacht hatten und ihres Verbrechens uͤberfuͤhrt waren, ſind auf eine aͤhnliche glimpfliche Art be - handelt worden. Die mehreſten unter ihnen wurden in die Provinzen verſchickt, wo ſie ent - weder ein geringes Jahrgeld bekamen, oder nach Maaßgabe ihrer Brauchbarkeit angeſtellt wur - den. Einer derſelben, der als Lehrer beym Land - kadettenkorps geſtanden hatte, ward Schuldirek - tor in der Provinz mit Beybehaltung ſeines voͤl - ligen Gehalts. Die gewoͤhnliche Strafe fremderM 3182Gluͤcksritter die ſich durch unerlaubte Wege fort - zuhelfen ſuchen, iſt dieſe, daß ſie ſchleunigſt uͤber die Grenze gebracht werden, wobey ſie oft noch etwas an Gelde erhalten. Ein Beyſpiel dieſer Gattung war der ſogenannte Graf Palatin, der die Geſchichte ſeiner Abentheuer ſelbſt be - kannt gemacht hat*)Schlözers Staatsanzeigen. Heft 1. S. 109.. Dieſer Gluͤcksritter ließ ſichs einfallen, einen Vorſchlag zur Ver - beſſerung Rußlands auf der Poſt an die Kaiſerinn zu ſenden und eine perſoͤnliche Unterre - dung mit dieſer Monarchinn zu verlangen, bey welcher, außer dem Großfuͤrſten, niemand zu - gegen ſeyn duͤrfte. Als er hierauf keine Ant - wort erhielt, ſchrieb er einen Brief voll Grob - heiten an den Staatsrath Kusmin, und hatte ſogar die Unverſchaͤmtheit, dem Feldmarſchall, Fuͤrſten Gallizin, bey ſeiner Unterredung mit demſelben zu ſagen, ſeine Abſicht ſey, die Kaiſe - rinn die Kunſt zu lehren, ihre Hofleute kennen zu lernen. Ein Benehmen dieſer Art ließ keinen Zweifel uͤber die Perſon und die Abſichten dieſes Menſchen; er ward uͤber die Grenze gebracht,183 nachdem er zuvor, waͤhrend eines kurzen Ver - hafts, ſeinen fuͤr die Verbeſſerung Rußlands er - ſonnenen Plan aufgegeben hatte, erhielt hundert Rubel und eine Winterkleidung, und mußte eine ſchriftliche Verſicherung geben, daß er ſich nie mehr wolle auf ruſſiſchem Gebiet be - treffen laſſen. „ Eine Verſicherung, ſetzt der Abentheurer hinzu, die ich mit Freuden gab, weil ich das fand, was ich eigentlich ſuchte. “
Wenn einzelne Menſchen dem Staate ver - daͤchtig ſeyn muͤſſen, deren Lebensart, Umgang, Erwerb und Thaͤtigkeit unbekannt ſind, ſo koͤn - nen ganze Geſellſchaften demſelben um ſo weniger gleichguͤltig ſeyn, wenn dieſe die Zwecke ihrer Verbindung oder gar ihre Exiſtenz ſelbſt den Augen des Publikums entziehen. Die Po - lizey wacht hier mit einer lobenswuͤrdigen Sorg - falt uͤber geheime Geſellſchaften aller Art, und ſo oft ſich auch der Schwindelgeiſt religioͤſer und politiſcher Sektirer oder die Schwaͤrmerey vor - geblicher Myſtagogen hier einzuniſten verſucht haben, ſo iſt es ihnen dennoch niemals oder nur auf eine kurze Zeit gelungen. Magnetismus, Martinismus, Roſenkreuzerey und wie die Na -M 4184men aller aͤhnlichen Verirrungen des menſchlichen Verſtandes heißen moͤgen, haben ihr Gluͤck mit einerley ſchlechtem Erfolg auf dieſer Buͤhne ver - ſucht.
Mit gleicher Sorgfalt iſt die Polizey be - muͤht, die dunkeln Schlupfwinkel zu zerſtoͤren, in welche die Begierde zum Gewinn arbeitſcheue Muͤßiggaͤnger verſammelt. Wenn die Grenzen der buͤrgerlichen Freyheit der Polizey die Anwen - dung der aͤußerſten Mittel zur Vertilgung der Spielwuth verwehren, ſo iſt die Fortpflan - zung und Ausbreitung dieſes ſchrecklichen politi - ſchen Uebels doch wenigſtens erſchwert und ge - hindert. Nach der Polizeyordnung*)Polizeyordnung. 67. ſind nur ſolche Spiele erlaubt, die ſich auf Staͤrke und Gewandheit des Koͤrpers oder auf erlaubten Zu - fall und Geſchicklichkeit gruͤnden. Die naͤhere Erklaͤrung dieſer Beſtimmungen iſt dem Geſetz vorbehalten. Bey verbotnem Spiel ſoll das Polizeyamt auf die Abſicht der Spielenden ſe - hen. Alle Klagen und Forderungen wegen Spielſchulden und deren Bezahlung ſind fuͤr nichtig erklaͤrt. Daß hier, wie im ganzen185 ruſſiſchen Reiche, kein Lotto geduldet wird, iſt bekannt.
Nach dieſer Schilderung wird man leicht erwarten, daß die Zahl der Unfugmacher und Stoͤrer der oͤffentlichen Ruhe nicht ſehr groß ſeyn kann. Zank und Schlaͤgereyen auf der Straße oder in den Schenken ſieht man ſelten. Der Angreifende ruft dem naͤchſt - ſtehenden Wachtkerl, und im Augenblick ſind Klaͤger und Beklagter verhaftet und werden in die naͤchſte Sjeſha (Polizeywachthaus) gefuͤhrt, wo die Urſache ihres Streits unterſucht und beſtraft wird. — Fuͤr Haͤndel von einiger Bedeutung beſteht ein eigenes Tribunal unter der Benennung des muͤndlichen Gerichts, welches wegen ſeiner Individualitaͤt eine kleine Schilderung verdient.
In jedem Stadttheil ſind ein oder meh - rere Richter des muͤndlichen Gerichts verord - net, die aus der Buͤrgerſchaft erwaͤhlt und denen einige Geſchworne zugegeben werden. Dieſes Gericht verſammelt ſich taͤglich Vormit - tags, und ſchlichtet alle ihm vorgetragene Streitigkeiten muͤndlich, wobey jedoch ein Ta - gebuch uͤber die Klagen und EntſcheidungenM 5186gefuͤhrt wird, welches woͤchentlich dem Ma - giſtrat vorgelegt werden muß. Sobald eine Klage angebracht wird, zeigt das Gericht es dem Vorſteher des Stadttheils muͤndlich an, worauf der Beklagte nicht ſpaͤter als den Tag nach geſchehener Ladung vor der Polizey er - ſcheinen darf. Jede Sache muß in Einem, oder wenn Erkundigungen einzuziehen ſind, in dreyen Tagen entſchieden werden. Die Ent - ſcheidung theilt das muͤndliche Gericht dem Vorſteher des Stadttheils vermittelſt ſeines Tagebuchs mit, um ſie in Erfuͤllung zu ſetzen. Wer mit dem geſprochenen Urtheil nicht zufrie - den iſt, kann ſich an die in den Verordnun - gen beſtimmten Gerichtshoͤfe wenden. *)Polizeyordnung. 161 bis 178.
Die unermeßliche Cirkulation welche der Luxus und die Beduͤrfniſſe der Reſidenz veran - laſſen, wuͤrde einer groͤßern Volksmenge die Mittel zu ihrer Exiſtenz hergeben koͤnnen. Der zunehmende Anwachs der Stadt und die gro - ßen Unternehmungen der Regierung, die ſich hier wie in einem großen Mittelpunkt vereini -187 gen, beſchaͤftigen ſo viele Haͤnde als zur Ar - beit vorhanden ſind, und wuͤrden mehr be - ſchaͤftigen koͤnnen; die leichten Erwerbmittel und der hohe Arbeitslohn laſſen daher der Faulheit und dem Muͤßiggange keine Entſchul - digung uͤbrig. Wirklich ſieht man hier keinen Bettler, wenn man nicht etwa die kleinen Kinder hierher rechnen wollte, die den Vor - uͤbergehenden zuweilen um eine Gabe anſpre - chen. Alten, mit Krankheiten behafteten Men - ſchen, Kruͤppeln und andern ſolchen Gegen - ſtaͤnden des Ekels wird das Betteln ſchlechter - dings nicht geſtattet. Fuͤr die wirklich Armen und zu jeder Art des Erwerbs unfaͤhigen Per - ſonen iſt ein wohleingerichtetes Armenhaus vor - handen, deſſen naͤhere Anzeige einer der fol - genden Abſchnitte enthaͤlt; fuͤr arbeitſuchen - de Fleißige und arbeitsfaͤhige Muͤßiggaͤnger aber beſtehen folgende nuͤtzliche und heilſame Anſtalten.
Zufolge der Polizeyordnung vom Jahr 1782 ſind in der Reſidenz Geſindemaͤkler angeordnet, bey welchen ſich taͤglich zu gewiſ - ſen Stunden ſowohl dienſt - und arbeitſuchende Leute, als auch Herrſchaften melden koͤnnen,188 denen es an Geſinde fehlt. Der Maͤkler iſt gehalten, den Namen, die Zeit und die For - derungen oder Antraͤge eines jeden der ſich bey ihm meldet, in ſein Maͤklerbuch einzutragen, in welchem auch die Dienſtkontrakte aufgezeich - net werden und welches bey vorfallenden Strei - tigkeiten zum Beweiſe dient. Um das Publi - kum zur Benutzung dieſer gemeinnuͤtzigen An - ſtalt aufzumuntern; iſt zugleich verordnet, daß das muͤndliche Gericht und das Polizeyamt keine Klage zwiſchen Dienſthalter und Geſinde annehmen ſollen, wenn der Kontrakt nicht durch durch das Maͤklerbuch beſcheinigt werden kann; Dienſt - und Arbeitsleute aber, welche ſich beym Maͤkler zu melden unterlaſſen, wer - den aus der Stadt und dem Kreiſe verwieſen.
Das Arbeitshaus der Reſidenz nimmt nicht nur ſolche Leute auf, welche gerne arbei - ten wollen, aber keine Beſchaͤftigung finden, ſondern iſt zum groͤßten Theil mit aufgegriffe - nen Muͤßiggaͤngern, Unfugmachern, geſunden Bettlern und Dieben angefuͤllt, welche nicht uͤber den Werth von zwanzig Rubeln geſtohlen haben. Da eine ſolche Vereinigung der Ver -189 brechen mit huͤlfloſer Arbeitſamkeit gegen die Grundſaͤtze einer aufgeklaͤrten Polizey iſt, ſo war dies Inſtitut, ſeiner urſpruͤnglichen Be - ſtimmung nach, nur der letztern gewidmet. *)Verordnungen. Hauptſt. 25. — 390.Weil ſich aber von dieſer Klaſſe, entweder aus Vorurtheil gegen die Anſtalt, oder weil es, wie ich glaube, einen Ueberfluß von Er - werbmitteln giebt, nur ſehr wenige Menſchen einfanden, ſo ward dies Inſtitut beynahe gaͤnzlich fuͤr Zwangarbeiter beſtimmt. Die Oberaufſicht uͤber daſſelbe fuͤhrt das Kollegium der allgemeinen Fuͤrſorge, welches daher auch die Art und das Maaß der Beſchaͤftigung nach den Beſtimmungen des Geſchlechts, des Al - ters und der koͤrperlichen Beſchaffenheit aus - theilt. Es iſt auch Privatleuten erlaubt, ihr Geſinde zur Beſtrafung in dieſe Anſtalt zu ſchicken; doch muͤſſen ſie fuͤr jeden Menſchen taͤglich drey Kopeken Koſtgeld entrichten, wo - bey der Vortheil der Arbeit der Anſtalt zu - faͤllt. Im Durchſchnitt werden hier jaͤhrlich gegen achthundert Menſchen aufbehalten. Ein kleines Hospital, welches mit dieſem Hauſe190 verbunden iſt, hatte am erſten Januar 1790, 107 Kranke beyder Geſchlechter.
Fuͤr Verbrecher, die nach den Geſetzen zur Arbeit verurtheilt ſind, iſt das Zucht - haus. Auch dieſes ſteht unter dem Kollegi - um der allgemeinen Fuͤrſorge, welches die Strafarbeit dieſer Leute dem Staat, beſonders in Ruͤckſicht auf Fabriken, nuͤtzlich zu machen ſucht. Den Gouvernementsverordnungen zu - folge*)Hptſtck. 25, — 391. iſt das Zuchthaus fuͤr folgende Gat - tungen von buͤrgerlichen und ſittlichen Verbre - chern beſtimmt; fuͤr Kinder, die ihren Eltern ungehorſam ſind oder ein anhaltendes boͤſes Leben fuͤhren, fuͤr Leute die ihr Vermoͤgen durchbringen, doppelt ſo viel Schulden auf - haͤufen als ihr Vermoͤgen betraͤgt, oder ſchaͤnd - licher Vergehungen gegen die Ehrbarkeit ſchul - dig ſind, fuͤr Menſchen die offenbar eine Auf - fuͤhrung annehmen welche guten Sitten und guter Polizey zuwider iſt, fuͤr unnuͤtze und faule Knechte und Landſtreicher, fuͤr vorſetzli - che und muthwillige Muͤßiggaͤnger und Bettler, endlich fuͤr Weibsperſonen die ein ſchaͤndliches,191 freches und aͤrgerliches Leben fuͤhren. — Ver - brecher dieſer Art werden entweder auf das Urtheil eines Gerichtshofes, oder auf die Bit - te der Eltern, Vorgeſetzten oder Hausherren, wiewol nicht ohne Zeugniß, warum? ins Zuchthaus geſetzt. Auch hier muͤſſen Privat - leute, wie im Arbeitshauſe, ein geringes Koſtgeld bezahlen. Das maͤnnliche Geſchlecht iſt vom weiblichen abgeſondert und jeder Zuͤcht - ling darf nur bey ſeinem Taufnamen genannt werden. Die Widerſpenſtigen kann der Ober - aufſeher zur Zeit mit Ruthen, oder mit Ein - ſperrung auf Waſſer und Brod beſtrafen. Die jaͤhrliche Anzahl der Zuͤchtlinge iſt zwiſchen ſie - ben und neunhundert.
Dieſe Anſtalten, in welchen ſich die Re - ſidenz, wie in einem Behaͤlter, aller faulen, unreinen und anſteckenden Theile entledigt, ſte - hen in ſo genauer Verbindung mit den Ver - wahrungsoͤrtern der Gerechtigkeit, daß ich es am ſchicklichſten finde, ihrer hier ſogleich zu erwaͤhnen.
Das neue Stadtgefaͤngniß, welches, ſo viel es thunlich war, nach Howard’s192 Vorſchlaͤgen erbaut und eingerichtet iſt, beſteht aus einem großen, maſſivgebauten, zwey Stock hohen, fuͤnfeckigen Gebaͤude. Von außen hat es keine Fenſter und nur Eine eiſerne Pforte; das Dach iſt auf jeder der fuͤnf Ecken mit ei - ner hohen großen Kuppel verſehen, die zu Magazinen beſtimmt ſind. Jeder Stock hat nur Eine Reihe Zimmer, und vor derſelben einen Gang. Die Zimmer ſind ungleich an Groͤße, aber haben voͤllig einerley Einrichtung. Ueberall ſind die Fenſter hoch; jeder Kerker hat einen kubiſchen Ofen, einen kleinen ge - mauerten Tiſch und Seſſel, eine eiſerne Au - ßenthuͤre, und in der Thuͤrwand die Bequem - lichkeit. Auf dem freyen Platz den dies Ge - baͤude einſchließt, ſteht ein gleichfoͤrmiges klei - neres Gefaͤngniß, welches nebſt aͤhnlich einge - richteten Kerkern, auch eine Kapelle, ein Komtoir, eine Wachtſtube und ein Zuͤchtigungs - zimmer enthaͤlt. — Der uͤbrigbleibende Hof - raum, deſſen Breite etwa ſechs Klafter iſt, hat die Beſtimmung den Gefangenen den Ge - nuß der freyen Luft zu verſchaffen. Bis itzt ſteht dies Gebaͤude noch voͤllig leer.
Unter193Unter den uͤbrigen Gefaͤngniſſen, deren uͤber - haupt nur drey ſind, iſt das Polizeygefaͤng - niß das merkwuͤrdigſte. Dieſes Haus, welches man gewoͤhnlich die Polizey nennt, weil hier ehe - mals die Kanzelley derſelben war, iſt ſeiner jetzigen Beſtimmung nach, der vorzuͤglichſte Verwahrungsort fuͤr alle Straffaͤllige mit de - nen es die Polizey zu thun hat. Man findet hier alſo ungerichtete Verbrecher aller Art, boͤ - ſe Schuldner, Bankerotteurs, falſche Spie - ler, Haͤndelmacher, Betruͤger, Diebe, Nacht - ſchwaͤrmer von allen Glaubensſekten und von allen Nationen in bunter Mannigfaltigkeit un - ter einander. Dieſes Beyſammenſeyn einer ſo ſonderbaren Menſchengattung iſt die Quelle ſehr ſonderbarer Wirkungen. Der Reichere erkauft ſich Bequemlichkeiten vom Aermern; der Verſchmitzte uͤberliſtet den Einfaͤltigen; ausge - ſondert von der menſchlichen Geſellſchaft bildet ſich innerhalb dieſer Mauern eine kleine Repu - blik, in welcher die beyden großen Hebel der menſchlichen Thaͤtigkeit, Beduͤrfniß und Lei - denſchaft, ihre Rolle ſo gut als auſſerhalb ſpielen. So wucherte vor einigen Jahren ein Bewohner dieſes Hauſes mit den GeheimniſſenErſter Theil. N194eines bekannten Ordens, deſſen Mitglied er war, er machte gegen ſehr geringe Rezepti - onsgebuͤhren eine Menge wuͤrdiger Proſelyten. Ein anderer hatte die Verguͤnſtigung erhalten, ſeine Schlafſtaͤtte durch eine Scheidewand ab - zuſondern, wo er in Geſellſchaft ſeines Be - dienten lebte, der durch die Leibeigenſchaft ge - zwungen war, ihm in dieſen Aufenthalt zu folgen. Hier nahm er die Ankoͤmmlinge, de - ren Mine und Anzug etwas zu verſprechen ſchienen, freundlich auf, und lockte ihnen ihre Baarſchaft entweder im Spiel oder bey einem Glaſe Punſch mit ſolcher Schlauigkeit ab, daß ſelten einer ohne Verluſt ſeiner Habſeligkeiten den gefaͤhrlichen Schutzwinkel verließ. — Die - ſes Haus, deſſen Mauern nur Laſter und Verbrechen zu beherbergen ſcheinen, wird zu - weilen auch der Schauplatz einer ſchoͤnen menſch - lichen Handlung, wie ſich einzelne Lichtſtralen in die dunkeln Farben eines Nachtgemaͤldes mi - ſchen. Nicht um die Schatten zu heben, ſon - dern als ein kleines Denkmal fuͤr eine unbe - kannte edle That, mag folgende Anekdote hier ihren Platz finden.
195Ein junger Deutſcher Edelmann, der ſich in dieſer Reſidenz eine Zeitlang den gewoͤhnli - chen Ausſchweifungen ſeines Alters mit dem groͤßten Leichtſinn preis gegeben hatte, war endlich ſo ungluͤcklich, von ſeinen Glaͤubigern in die Polizey geſetzt zu werden. In dieſer ſchrecklichen Lage, von allen ſeinen ehemaligen Bekannten verlaſſen, bleibt ihm ein Maͤdchen von der feilen Klaſſe treu, das einſt in guten Tagen einen Antheil an ſeiner Boͤrſe gehabt hatte. Sie folgt ihm in das Gefaͤngniß, wird bey einer ſchweren Krankheit ſeine unermuͤdete Pflegerinn, ſorgt fuͤr alle ſeine Beduͤrfniſſe, verkauft, da ihre Baarſchaft nicht zureichend iſt, alle ihre Habſeligkeiten, und bettelt end - lich fuͤr ihren ungluͤcklichen Freund. Als dieſen nach eilf Monaten der Tod aus ſeiner trauri - gen Lage befreyte, ließ ihn das Maͤdchen von ihrem erbettelten Gelde anſtaͤndig begraben und — willigte nun erſt in den laͤngſt geſchehenen Antrag eines wohlhabenden Mannes, durch welchen ſie ſich Bequemlichkeit und Vergnuͤgen verſchaffen konnte, und den ſie bis dahin aus dem Grunde ausgeſchlagen hatte, weil ſie esN 2196ſchaͤndlich fand, ihren erſten Liebhaber in ſei - nem Ungluͤck zu verlaſſen. —
So groß die Sicherheit in Ruͤckſicht auf oͤffentliche Gewaltthaͤtigkeiten iſt, ſo ſehr muß man gegen liſtige Betruͤgereyen und feine Streiche auf ſeiner Hut ſeyn. Die haͤufigen Beyſpiele dieſer Art machen jeden Ruſſen ge - gen den andern wachſam, und es gelingt ih - nen daher nicht ſo leicht ein Betrug gegen ih - re eigene Landsleute; aber deſto mehr halten ſie ſich an Fremden und Auslaͤndern ſchadlos, beſonders wenn ſie die Landesſprache nicht ver - ſtehen. Die Kraͤmer und Kaufleute fordern ge - woͤhnlich drey und zuweilen auch fuͤnfmal ſo viel als die Waare werth iſt; der Unkundige bietet die Haͤlfte, und glaubt einen guten Kauf gethan zu haben, da er doch betrogen iſt. Schlechter Waare ein gutes Anſehen zu geben, im Maaß und Gewicht auf eine un - merkliche Weiſe zu uͤbervortheilen, die ſchlech - tere Waare der gekauften beſſeren unterzuſchie - ben, alle dieſe und eine Menge anderer Kuͤn - ſte verſteht kein Kaufmann beſſer als der ruſ - ſiſche. Da die Ruſſen im Ganzen viel Witz und einen lebhaften Verſtand haben, ſo ſind197 ſie zu dieſer Art von Induſtrie vorzuͤglich auf - gelegt, und die Pickpockets von Petersburg und Moskau koͤnnen ſicherlich jeden Wettſtreit mit denen zu London und Paris eingehen.
Vor einiger Zeit trug ſich in Moskau fol - gende Geſchichte zu, die dort ſowol als hier Aufſehen erregte und ihrer Originalitaͤt wegen in dieſer Rubrik eine Stelle verdient. Ein reicher Edelmann, der wegen ſeiner Liebhaberey fuͤr koſtbare Steine bekannt war, trifft zufaͤlli - ger Weiſe in einer Geſellſchaft einen Unbe - kannten an, der einen Ring von ſehr großer Schoͤnheit und hohem Werth am Finger trug. Nach einer langen Unterredung uͤber den ei - gentlichen Werth deſſelben, bietet der Edelmann dem Beſitzer eine anſehnliche Summe dafuͤr, die dieſer anfangs aus dem Grunde ausſchlaͤgt, weil er keine Luſt habe, den Ring zu verkau - ſen, endlich aber, um den fortgeſetzten Zu - dringlichkeiten des Edelmanns auszuweichen, erklaͤrt, daß er ihn nicht verkaufen koͤnne, weil — die Steine nicht aͤcht ſeyen. Dieſe Erklaͤ - rung ſetzt alle Anweſende, unter denen ſich Kenner befanden, in Erſtaunen. Der Edel - mann, um ſeiner Sache gewiß zu werden,N 3198bittet ſich den Ring auf einige Tage gegen Sicherheit aus, erhaͤlt ihn, und eilt damit zu allen Juwelirern, die ihn ſaͤmmtlich fuͤr aͤcht und von großem Werth erklaͤren. Mit dieſer Gewißheit und der Hofnung eines guten Kaufs bringt er den Ring ſeinem Beſitzer zuruͤck, der ihn, beym Empfange, gleichguͤltig in ſeine Weſttaſche ſteckt. Man faͤngt von neuem an zu handeln; der Unbekannte beharrt auf ſei - nem Entſchluß, bis endlich der Edelmann eine Summe bietet, die dem eigentlichen Werth ziemlich nahe kam. „ Dieſer Ring, erwiedert der Unbekannte, iſt ein Geſchenk der Freund - ſchaft, aber ich bin nicht reich genug, eine ſo große Summe auszuſchlagen, als Sie dafuͤr bieten. Doch eben dieſes hohe Gebot iſt die Urſache meiner Unentſchluͤſſigkeit. Wie koͤnnen Sie, wenn Sie Sich deſſen voͤllig bewußt ſind, was Sie thun, ſo viel Geld fuͤr einen Ring geben, von welchem der Beſitzer ſelbſt eingeſteht, daß er unaͤcht ſey? “— Wenn Ihr Entſchluß nur davon abhaͤngt, verſetzt der Kaͤufer, ſo empfangen Sie hier ſogleich die Summe (er legte ſie in Banknoten auf den Tiſch) und ich nehme die Herren, die hier199 zugegen ſind, zu Zeugen, daß ich ſie freywil - lig und mit Ueberlegung zahle. — Der Ver - kaͤufer nahm das Geld und uͤbergab dem Edel - mann den Ring, mit der abermaligen Erklaͤ - rung, daß er unaͤcht ſey, und daß es noch Zeit waͤre, den Handel unguͤltig zu machen. Die - ſer beharrte auf ſeinem Entſchluß, eilte voller Freude nach Hauſe, und fand — was meine Leſer ſchon errathen haben — daß der Unbe - kannte nur zu wahr geſagt hatte. Statt des aͤchten Ringes hatte er einen falſchen von der hoͤchſten Aehnlichkeit mit jenem erhalten. Die Sache ward gerichtlich; da aber der Verkaͤu - fer bewies, daß in dem ganzen Handel von aͤchten Steinen gar nicht die Rede geweſen ſey; daß der Kaͤufer ausdruͤcklich nur auf einen fal - ſchen Ring geboten, und er hinwiederum auch nur einen falſchen Ring verkauft habe: ſo muß - ten die Richter zum Vortheil des letztern ſprechen.
Man verſteht ſich hier ſo gut wie in Pa - ris darauf, Lebensmittel zu verfaͤlſchen und ihnen ein beſſeres Anſehn zu geben. Alltaͤgli - che Betruͤgereyen dieſer Art tragen ſich uͤberall zu; aber wenn man Huͤhner ſieht, die wohl -N 4200gemaͤſtet ſcheinen, weil ſie mit Luft angefuͤllt ſind, oder Spargel, die ihres eßbaren Theils beraubt, zugeſpitzt und gefaͤrbt ſind; ſo wird man dies doch nicht alltaͤglich nennen.
Eine Dame, die erſt ſeit kurzem aus Deutſch - land gekommen war, und von ihren hieſigen Bekannten vieles von dergleichen liſtigen Be - truͤgereyen gehoͤrt hatte, faßte den Vorſatz, bey jedem Handel die aͤußerſte Vorſicht zu ge - brauchen, um die allgemeine Meynung zu wi - derlegen, daß jeder Fremde ein kleines Lehr - geld bezahlen muͤſſe. Mehrere Tage gieng es gut; einsmals aber tritt ein Rasnoſchtſchick ins Zimmer, und bietet ihr ein Pfund Thee, den letzten Reſt ſeines Verkaufs, an. Sie waͤgt die Waare, und findet das Gewicht rich - tig; ſie verſucht eine Probe, der Thee war unverfaͤlſcht und wohlſchmeckend; ſie ſchuͤttet den ganzen Vorrath aus, auch hier war kein Betrug zu merken. Sie fraͤgt nach dem Preiſe, und bietet ein Drittheil des Geforderten; der Verkaͤufer iſt natuͤrlich mit dieſem Gebot nicht zufrieden, ſchuͤttet ſeinen Thee wieder in die Buͤchſe, wickelt ein Tuch um dieſelbe, und ſteckt ſie in den Buſen. Endlich wird der Han -201 del geſchloſſen und die Waare ausgeliefert. Tuch und Buͤchſe waren die naͤmlichen; indeſ - ſen, Vorſicht ſchadet nicht; die Dame oͤffnet die Buͤchſe und findet den gekauften Thee. Sie ſchließt ihn ein, zur großen Beluſtigung des Verkaͤufers, der unterdeſſen uͤber ihre aͤngſt - liche Behutſamkeit gelacht und ſie gefragt hatte, woher ſie denn eine ſo gar uͤble Meynung von ſeiner Ehrlichkeit habe. Das Geld wird be - zahlt, der Rasnoſchtſchik entfernt ſich — und Tags darauf findet man die Buͤchſe voll Sand und Graus, die Oberflaͤche ausgenommen, die freylich mit Thee bedeckt war.
Dinge dieſer Art ſind uͤbrigens in allen großen Staͤdten zu Hauſe, wo die ſtarke Be - voͤlkerung jede Entdeckung ſchwieriger macht, und der Abſtand und die Verſchiedenheit der Gluͤcksumſtaͤnde die Leidenſchaften weckt und den menſchlichen Geiſt zur Induſtrie aller Art reizt. Die hoͤchſte Kultur und Verfeinerung ſo wie die hoͤchſte Sittenloſigkeit und Verderb - niß, muß man nur in Stadten vom erſten Range ſuchen. Die Mittel gegen dieſe Uebel ſind nicht in den Haͤnden der Polizey; keine menſchliche Erfindung wird eine Wirkung ver -N 5202hindern koͤnnen, wo eine natuͤrliche Urſache iſt; und dieſe zu heben, muͤßten wir dem Vorſchlage der Philoſophen folgen, die das Menſchenge - ſchlecht in Waͤlder und Gebirge verweiſen, wo die hoͤchſte Unverdorbenheit neben der hoͤchſten Brutalitaͤt wohnt. —
Die oͤffentliche Sicherheit wird nicht nur durch Gewalt und Betrug der Menſchen be - faͤhrdet; auch die Natur ſcheint ſich zuweilen gegen dieſelbe verſchworen zu haben. Die Re - ſultate der großen, ewigen und wohlthaͤtigen Geſetze, nach welchen ſie auf das Ganze wirkt, ſind nichts deſtoweniger ſehr oft zerſtoͤrend fuͤr das Einzelne; und der Menſch iſt, ſeiner un - entraͤthſelten Beſtimmung nach, gezwungen, ſich gegen eben die Natur wie gegen einen Meuchelmoͤrder zu bewaffnen, aus deren Haͤn - den er ſein Daſeyn, ſeine Erhaltung und ſei - nen Genuß empfaͤngt. Die natuͤrlichen und zufaͤlligen Verletzungen der oͤf - fentlichen Sicherheit ſind daher nicht minder ein wichtiger Gegenſtand der Polizey. Ein genaues Detail aller einzelnen Anſtalten zu dieſem Zweck wuͤrde außerhalb den Grenzen dieſes Buches liegen; folgende aus dem Gan -203 zen herausgehobene Zuͤge werden zur Karakte - riſtik dieſes Theils der hieſigen Polizeyverfaſ - ſung hinlaͤnglich ſeyn.
St. Petersburg iſt wegen ſeiner Lage an der Muͤndung eines großen ſchiffbaren Stro - mes ſehr oft Ueberſchwemmungen aus - geſetzt. Bey anhaltendem Weſtwinde ſteigt das Waſſer bis und uͤber zehn Fuß uͤber die Mit - telhoͤhe deſſelben. Mit fuͤnf Fuß uͤberſchwemmt es nur die weſtlichſten Gegenden der Stadt, an den Stellen, wo die Newa kein Bollwerk hat; aber bey einer Waſſerhoͤhe von zehn Fuß bleibt nur der oͤſtlichſte Theil von einer allge - meinen Ueberſchwemmung verſchont. Im Jahr 1777 am 10. September, Vormittags 10 Uhr war das Waſſer bis auf 10 Fuß 7 Zoll uͤber ſeinen Mittelſtand geſtiegen, und ob es gleich zwey Stunden nachher ſchon wieder in ſeinen Ufern war, ſo hatte dieſe kurze Ueberſchwem - mung doch außerordentliche Wirkungen. Ein luͤbeckiſches Schiff ward in den Wald von Waſſili Oſtrow getrieben, viele hoͤlzerne Haͤuſer waren verſchoben und mehrere Menſchen hat - ten waͤhrend der Dunkelheit der Nacht ihr Leben verloren.
204Seit dieſer merkwuͤrdigen Ueberſchwem - mung hat man Vorſichts - und Warnungsan - ſtalten gegen aͤhnliche Faͤlle getroffen. Schon viele Jahre hindurch war der Waſſerſtand an der Feſtung bemerkt worden. Jezt verordnete die Admiralitaͤt Signale zur Wachſamkeit bey ſteigendem Waſſer. Wenn dieſes in der Muͤn - dung der großen Newa uͤber ſeine Ufer hin - austritt, ſo geſchehen daſelbſt drey Schuͤſſe, die bey ſteigender Gefahr wiederholt werden. Innerhalb der Stadt werden in dieſem Fall fuͤnf Kanonen von dem Admiralitaͤtswall ge - loͤſet, und auf dem Thurm derſelben bey Tage vier weiſſe Fahnen, bey Nacht aber vier La - ternen ausgehaͤngt; zugleich werden die Glo - cken langſam gelaͤutet. An den Stellen, die der Ueberſchwemmung am meiſten ausgeſetzt ſind, werden Fahrzeuge zur Rettung der Men - ſchen in Bereitſchaft gehalten. — Dieſe An - ſtalten, der zunehmende Anbau und die Erhoͤ - hung der meiſten Gegenden, die Einfaſſungen und Bollwerke der Newa, und die Vergroͤße - rung des Waſſerſpiegels durch die Kanaͤle ma - chen den Cinwohnern von Petersburg die weſt - lichen Stuͤrme immer weniger fuͤrchterlich, ſo205 daß man bey einem Anwachs von fuͤnf Fuß uͤber die Mittelhoͤhe wenig oder gar keine Be - ſorgniß aͤußert.
Auch die Gefahr der Fenerverwuͤſtun - gen iſt nicht mehr ſo groß als ehedem, da die Zahl der hoͤlzernen Haͤuſer ſich vermindert und die Einrichtungen zur Loͤſchung und Rettung beſſer und vollkommner ſind. Die Polizey be - ſoldet zu dieſem Behuf zehn Brandmeiſter und 1622 Menſchen, die bloß zu dieſer Abſicht ge - braucht werden. Man hoͤrt jezt uͤberhaupt ſelten von Ungluͤcksfaͤllen dieſer Art; am haͤu - figſten tragen ſie ſich noch in den entlegenen, mit Holz bebauten Stadttheilen zu. Waͤhrend der letzten ſechs Jahre iſt in den beſſern Ge - genden nie mehr als Ein Haus niedergebrannt, aber auch dieſe waren groͤßtentheils von Holz. Bey einem der letztern Vorfaͤlle, dem ich ſelbſt beywohnte, ward ein dicht daneben ſtehendes kleines hoͤlzernes Haͤus ſo vollkommen gerettet, daß es auch nicht die mindeſte Beſchaͤdigung erlitt. — Mit der kaiſerlichen Leihbank iſt eine Aſſekuranzanſtalt fuͤr Feuerſchaͤden verbun - den, in welcher man von drey Vierteln des206 taxirten Werths der Haͤuſer und Fabriken jaͤhr - lich anderthalb vom Hundert bezahlt.
Das ſchnelle Fahren auf den Gaſſen iſt zwar verboten, allein wegen unzaͤhliger Schwierigkeiten iſt es nicht gut moͤglich, dem - ſelben voͤllig Einhalt zu thun; auch iſt es, aus folgenden Urſachen, nirgend weniger gefaͤhrlich als hier. Alle Straßen in Petersburg haben durchgehends eine betraͤchtliche Breite; ihre gerade Richtung ſetzt die Kutſcher in den Stand, jedes Hinderniß in großer Entfernung zu ſehen; in vielen Gaſſen ſichern die bequemen Trot - toirs die Fußgaͤnger fuͤr jede Gefahr. Ueber - dem ſind die Ruſſen uͤberaus gute Kutſcher, und da ſie fuͤr jedes durch ihre Schuld verur - ſachte Ungluͤck verantwortlich werden, ſo rufen ſie den Fußgaͤngern nicht nur in der Entfer - nung zu, ſondern beugen ihnen ſogar im Noth - fall aus. Die Art dieſes Zurufs iſt faſt jedes - mal bezeichnend, z. B. „ Alter! Muͤtterchen! Soldat! Fiſchtraͤger! “ Nicht nur hier, ſon - dern in ganz Rußland iſt die Sitte allgemein, im Fahren beſtaͤndig die rechte Hand zu hal - ten, daher das unaufhoͤrliche Geſchrey auf den Gaſſen: „ na prawa! “d. i. rechts. Wer ge -207 gen dieſe Sitte fehlt, iſt in Gefahr, auf der Stelle uͤbel behandelt, oder wenigſtens tuͤchtig ausgeſchimpft zu werden.
Bey allen Gelegenheiten, wo viele Men - ſchen oder Equipagen ſich verſammeln, ſind Polizeybeamte gegenwaͤrtig, die mit Huͤlfe rei - tender Soldaten oder Kaſacken eine ſolche Ord - nung erhalten, daß man ſelten oder niemals von Ungluͤcksfaͤllen und Beſchaͤdigungen hoͤrt. Bey den Schauſpielhaͤuſern, bey Hofe, bey den Klubben, vorzuͤglich aber bey Hofsbeluſti - gungen und bey den Promenaden, die das Publikum an gewiſſen Tagen nach den nahe - gelegenen Vergnuͤgungsoͤrtern macht, finden ſich oft mehrere tauſend Wagen und eine unzaͤhlige Menge Fußgaͤnger ein, wobey die erſtern in ihrer vorgeſchriebenen, genau bewachten Ord - nung fortfahren, und die letztern ohne die mindeſte Gefahr, ſelbſt fuͤr den berauſchten Poͤbel gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnen. Man muͤßte wirklich aͤußerſt partheyiſch ſeyn, wenn man dieſe, von jedem Fremden bewunderte Vorſicht und Wachſamkeit nicht anerkennen wollte. Bey jedem Gaſtmal in der Stadt, bey jeder Ge - legenheit, wo die Zahl der Equipagen einiger -208 maͤßen anwaͤchſt, finden ſich ſogleich Polizey - bediente ein, um Ordnung zu halten und Un - gluͤck zu verhuͤten. Auf den Bruͤcken uͤber die Newa ſind ſtets einige derſelben gegenwaͤrtig, weil hier das Gedraͤnge vorzuͤglich groß iſt. Eben dieſe Sorgfalt wird auch bey gefaͤhrlichen Geruͤſten, beym Bauen und bey Volksvergnuͤ - gungen angewendet. Die Eisberge, die Schau - keln und andere Nationalſpiele wuͤrden gewiß jedesmal das Leben mehrerer Menſchen koſten, wenn dieſe guten Anſtalten nicht waͤren, durch welche dennoch nicht allemal Ungluͤck verhuͤtet werden kann, daher die Regierung ſie auch allmaͤlig einzuſchraͤnken und abzuſchaffen ſucht. Da das Zufrieren und Aufgehen der Newa der oͤffentlichen Sicherheit gefaͤhrlich werden kann, ſo ſind auch hier die noͤthigen War - nungsanſtalten nicht vergeſſen. Die Auf - und Abfahrten werden, ſobald das Eis locker wird, abgebrochen, und das Publikum durch an den Ufern angeſchlagene Zettel gewarnt. Ueberdem ſind um dieſe Zeit beſtaͤndig Polizeyſoldaten gegenwaͤrtig, welche den tollkuͤhnen, oft um eine Kleinigkeit ſein Leben wagenden Poͤbel zu - ruͤckhalten muͤſſen. Ich war einsmals Zeuge,wie209wie ein ſolcher Menſch mit der aͤußerſten Ge - fahr uͤber das lockere, ſchwarzgraue, zum Theil ſchon losgebrochene Eis gieng, indem er ein bey ſich habendes Brett uͤber ſeinen Weg legte, und wenn er bis zum Ende deſſelben gekom - men war, behutſam auf das Eis trat, und ſich alsdann aufs neue ein Stuͤckchen ſichern Weges bahnte. Auf dieſe Weiſe war er bis nahe an das gegenuͤber ſtehende Ufer gelangt, als er auf demſelben einen Polizeybeamten anſichtig ward, der ihn mit ſeinem Stock zu bewillkom - men drohte. Die Furcht fuͤr dieſe kleine Zuͤch - tigung uͤberwog die Furcht fuͤr ſein Leben; er vergaß ſeine ebengebrauchte Vorſicht, ſein Brett und ſeine Gefahr; eilte ſo ſchnell er konnte, zuruͤck, und kam gluͤcklich am andern Ufer an.
Die Austheilung der Arzney in den Apo - theken, und die Verſendung derſelben durch unvorſichtige oder boshafte Bediente kann ſo leicht zu den ſchrecklichſten Ungluͤcksfaͤllen oder Verbrechen Anlaß geben, daß man hier des - wegen beſondere Vorſichtsanſtalten eingefuͤhrt hat. Jedes Rezept muß nicht nur mit dem Namen des Arztes, ſondern auch des Kranken fuͤr welchen es verſchrieben wird, und mit derErſter Theil. O210Angabe des Tages verſehen ſeyn. Der Medi - zin wird eine Etikette beygefuͤgt, auf welcher, außer dieſen Angaben, auch der Preis und der Name des Apothekers und der Apotheke ange - zeigt ſind. Die beſte Einrichtung aber iſt dieſe, daß jede, auch die gleichguͤltigſte Arzney ver - ſiegelt ſeyn muß. — Alle Aerzte, Wundaͤrzte und Hebammen, die im ruſſiſchen Reich ihre Wiſſenſchaft oder Kunſt ausuͤben wollen, ſind der Pruͤfung des mediziniſchen Kollegiums un - terworfen, welches ihnen, auf vorhergegangene Unterſuchung, dieſe Erlaubniß ertheilt, und alsdann durch die Zeitungen bekannt machen laͤßt.
Die Anſtalten und Geſetze zur Verhuͤ - tung gefaͤhrlicher und anſteckender Krankheiten, die Aufſicht uͤber verdorbene Lebensmittel und eine Menge Anordnungen dieſer Art, treffen mit denen in andern Laͤndern ſo ſehr zuſam - men, daß ich fuͤrchten muͤßte, bekannte oder alltaͤgliche Dinge zu ſagen, wenn ich den gan - zen Vorrath von Nachrichten und Bemerkun - gen erſchoͤpfen wollte, der mir uͤber dieſe Ge - genſtaͤnde zur Hand liegt. — Ich beſchließe daher dieſe Rubrik mit der Anzeige einer der211 wichtigſten und intereſſanteſten, zur allgemeinen Polizeyverfaſſung gehoͤrigen Einrichtungen.
Meine Leſer werden ſich erinnern, daß die Bekanntmachung und Vollſtreckung der obrig - keitlichen Befehle, nach der oben mitgetheilten Inſtruktion, eine der weſentlichſten Pflichten des Polizeyamts iſt. Die Ausuͤbung derſelben hat durch die jetztregierende Kaiſerinn folgende merkwuͤrdige Form bekommen*)Polizeyordnung. 51. 52.. Wenn ein von der Alleinherrſchenden Macht ausgegebe - nes und von Kaiſerlicher Majeſtaͤt eigenhaͤndig unterſchriebenes Geſetz, oder eine von den dazu befugten Stellen gegebene Verordnung dem Polizeyamt zugeſandt wird, ſo ſoll dieſes in beſonders dazu beſtimmte Buͤcher einzeichnen, wann, woher und wie es dieſes Geſetz erhal - ten habe. Iſt es zur Bekanntmachung zuge - ſandt, ſo ſoll man den Kronsanwald des Po - lizeyamts rufen und ſeine Rechtsmeynung ver - langen; zeigt ſich alsdann irgend ein Zweifel, ſo ſoll man deshalb gehoͤrigen Orts Vorſtel - lung thun; findet ſich aber kein Zweifel, ſoO 2212wird ein Schluß wegen der Publikation ge - macht, das Geſetz erſt in der Verſammlung der Glieder des Polizeyamts, dann bey offnen Thuͤren den Vorſtehern der Stadttheile und den Quartieraufſehern vorgeleſen, und hierauf die Bekanntmachung verrichtet. — Die oben beſchriebene Organiſation der Polizey macht die groͤßte Schnelligkeit der Verbreitung moͤglich. Alle Befehle und Verordnungen werden in den verſchiedenen Quartieren an den Wacht - haͤuſern angeſchlagen.
Die in dieſem Abſchnitt angefuͤhrten That - ſachen werden wahrſcheinlich hinreichend ſeyn, ein Bild von dem Zuſtande der hieſigen Poli - zeyverfaſſung zu geben, und den Geiſt zu be - zeichnen, der in den Stiftungen lebt, die ihr Daſeyn Katharina der Zweyten zu danken ha - ben. Wenn die Schilderung der Beduͤrfniſſe einer großen und merkwuͤrdigen Stadt meinen Leſern keine Langeweile gemacht hat, ſo darf ich ihnen bey dem Gemaͤlde der Bequemlich - keiten und des Luxus derſelben um ſo eher einige Unterhaltung verſprechen.
Pflaſter. Unterirdiſche Reinigungskanäle. Trottoirs. Er - leuchtung. Straßenöfen. Droſchken und Schlitten, ſtatt der Fiakres. Waſſerkommunikationen. Diligen - cen für die umliegende Gegend. — Bequemlichkeiten für Fremde. Mängel der Gaſthöfe, durch die Gaſt - freyheit aufgewogen. Bedürfniſſe und Koſten eines beſtimmten Aufenthalts für Fremde. Möblirte Zim - mer. — Garküchen. Trakteurs. Chartſchewni. Speiſetiſche auf den Gaſſen für den Pöbel. — Märkte für Bedürfniß und Luxus. Goſtinnoi Dwor. Engliſche, franzöſiſche und andre Magazine. Markt in der Jämskoi für fertige Equipagen. Markt in Newski für gemeine Bedürfniſſe. Kramläden, Law - ken. — Privateinrichtungen für die öffentliche Be - quemlichkeit. Podrjätſchiki, Unternehmer. Artels, geſchloſſene Geſellſchaften von Arbeitern. Dworniki, Thorhüter.
Fuͤr die Gegenſtaͤnde der oͤffentlichen Be - quemlichkeit iſt nach Verhaͤltniß aller Lokalum - ſtaͤnde ſo gut geſorgt, daß St. Petersburg inO 3214dieſer Ruͤckſicht bey der Vergleichung mit den mehreſten großen Staͤdten in Europa eher ge - winnen als verlieren wird. Das Studium der Polizey, und dieſer Rubrik insbeſondere, iſt noch ſo neu, und die Ausfuͤhrung ihrer Grundſaͤtze ſo abhaͤngig von der Erfahrung und von dem lokalen und individuellen Zuſtan - de eines Orts, daß uͤberhaupt noch ſehr wenig Großes und nichts durchaus Vollkommnes in dieſer Gattung menſchlicher Beſtrebungen ge - leiſtet iſt. Der raiſonnirende Beobachter, der den ganzen Umfang dieſes Gegenſtandes kennt, und die Ausfuͤhrung deſſelben nicht nur nach der Groͤße des Ideals, ſondern auch nach den Schwierigkeiten mißt, die der Wirklichkeit im Wege ſtehen, wird im Ganzen und Einzelnen mehr Vollendetes finden, als er nach dieſem Maaßſtabe zu erwarten berechtiget war.
Das Pflaſter der Reſidenz iſt, aus mehreren Urſachen, nicht ſo gut, als es fuͤr den Glanz einer praͤchtigen Kaiſerſtadt und fuͤr die Bequemlichkeit des Publikums zu wuͤnſchen waͤre. Wenn es uͤberall in den Plan dieſes Werks paßte, nicht nur das wie? ſondern auch das warum? jedes einzelnen Dinges zu unter -215 ſuchen, ſo wuͤrde ich den weichen moraſtigen Boden als eine Haupturſache dieſes Uebelſtan - des anfuͤhren. Das unaufhoͤrliche und ſchnelle Fahren in den beſſern Gegenden, und die Nach - laͤſſigkeit der Pflaſterer ſind freylich auch Schuld; aber dem erſtern Umſtande iſt auf keine ſchick - liche Weiſe abzuhelfen, und der Nachtheil des letztern faͤllt auf die Hauseigenthuͤmer zuruͤck, weil ſie gezwungen ſind, ihr ſchlechtes Pflaſter deſto oͤfter verbeſſern zu laſſen. Die Methode des hieſigen Pflaſterns iſt dieſe. Man legt gewoͤhnlich die groͤßern Steine in die Form eines Vierecks, fuͤllt dieſes mit kleinern Stei - nen aus und ſtampft ſie nur leicht in den Bo - den. In die Zwiſchenraͤume ſtopft man Zie - gelſcherben, und das Ganze wird ſo ſtark mit Gries uͤberſchuͤttet, daß es eher einer Chauſſee, als einem Gaſſenpflaſter aͤhnlich ſieht. So lange es neu iſt, faͤhrt ſichs ſehr ſanft darauf; aber der Regen und das unaufhoͤrliche Rollen der Wagen und Karren verdirbt es ſehr bald. Der viele Sand macht die Gaſſen im Fruͤh - jahr und Herbſt ſo kothig, daß es Fußgaͤngern ſchlechterdings unmoͤglich iſt, gut gekleidet zu gehn, und verurſacht im Sommer einen un -O 4216ausſtehlichen, und wegen der Ziegelſcherben, der Geſundheit nachtheiligen Staub. Selten werden die Gaſſen gereinigt; denn nur im Fruͤhjahr, wenn der Schnee ſchmilzt, laͤßt man den Koth in große Haufen zuſammenkehren, die aber, wie ich bemerkt habe, nicht allemal weggefuͤhrt werden, und den Staub bey trock - ner Witterung vermehren helfen. — Eine Aus - nahme von dieſer Schilderung machen die oͤf - fentlichen Plaͤtze, die zum Theil vortrefflich gepflaſtert ſind.
Unter der jetzigen Regierung hat man eine große und koſtbare Unternehmung ange - fangen, um die Reinigung der Straßen zu erleichtern. In den beſten Gegenden der Stadt ſind die Gaſſen mit gemauerten Kanaͤ - len verſehen, die etwa zwey Fuß unter dem Pflaſter mit einer ſanften Neigung in die Ne - wa fuͤhren. Der Koth fließt durch Oefnungen ab, die mit eiſernen Roſten belegt ſind. We - gen des ſanften Abhangs der Kanaͤle bleibt der Schlamm in denſelben zuruͤck, daher ſie ein Jahr um das andere gereinigt werden muͤſſen. Im Newaufer ſind Gitter angebracht, die den groͤbern Unrath zuruͤckhalten. Dieſe217 gemeinnuͤtzige Anſtalt leiſtet auch bey Ueber - ſchwemmungen Nutzen, da das Waſſer ſchnel - ler ablaufen kann.
Es giebt viele Gaſſen, in denen Trot - toirs vorhanden ſind; aber nur ſehr wenige erreichen ihre Beſtimmung, den Fußgaͤngern einen trocknen und gefahrloſen Weg zu ſichern. Faſt jedes Haus hat einen Thorweg (porte cochere) wodurch das Trottoir unterbrochen wird, und Kellerbuden (Lawken) die gewoͤhnlich mit Treppen verſehen ſind. In der Newski - ſchen Perſpektivgaſſe iſt dieſe Unbequemlichkeit dadurch vermieden, daß die Trottoirs zu bey - den Seiten in einiger Entfernung von den Haͤu - ſern angebracht ſind, welches hier wegen der außerordentlichen Breite der Gaſſe moͤglich war; aber der Fußweg iſt nur ſo wenig uͤber dem Pflaſter erhoͤht, daß er bey kothigem Wetter keinen Vortheil gewaͤhrt. So wenig indeſſen dieſe Anſtalten ihrer Beſtimmung ent - ſprechen, ſo ganz vorzuͤglich erfuͤllen ſie die Trottoirs an der Newa und den Kanaͤlen, deren Beſchreibung im erſten Abſchnitt vorge - kommen iſt. — Trotz aller dieſer Vortheile haben es die Fußgaͤnger doch immer ſehr uͤbel;O 5218ein Nachtheil, der, London ausgenommen, allen großen Staͤdten eigen iſt.
Die Erleuchtung der Gaſſen iſt in den beſſern Gegenden gut, in den entferntern Stadt - theilen aber nur mittelmaͤßig. Dies beweiſ’t ſchon die geringe Anzahl der Laternen, deren uͤberall nur 3500 ſind. Sie haben eine kugel - runde Form und werden von hoͤlzernen Saͤu - len getragen. Die Erleuchtung koſtet der Stadt - kaſſe jaͤhrlich 17,000 Rubel.
Eine ganz beſondere und hoͤchſt eigenthuͤm - liche Einrichtung in dieſer Reſidenz ſind die Straßenoͤfen, die hier nicht nur wegen dieſer Eigenthuͤmlichkeit, ſondern auch wegen ihres menſchenfreundlichen, auf das Beduͤrfniß der aͤrmſten und niedrigſten Volksklaſſe berech - neten Zwecks, eine kurze Schilderung verdie - nen. Ein ſolcher Ofen beſteht eigentlich aus einem mit Granitgelaͤndern umgebenen Platz, der zuweilen mit Baͤnken, jederzeit aber mit einem auf eiſernen Stangen ruhendem Dach verſehen iſt, und in deſſen Mitte ein großes Feuer angezuͤndet wird, an welchem ſich zwan - zig bis dreyßig Menſchen bequem waͤrmen koͤn - nen. Auf allen großen Plaͤtzen, wo ſich viele219 Equipagen verſammeln und die Kutſcher und Bedienten mehrere Stunden hindurch der Kaͤlte ausgeſetzt ſind, hat man ſolche Feuerbehaͤlter angebracht. Da ſie ſaͤmmtlich aus Granit er - baut ſind und eiſerne bemalte Daͤcher haben, ſo dienen ſie auch zur Verſchoͤnerung der Plaͤtze auf welchen ſie ſtehen.
In allen großen Staͤdten von Europa giebt es Fiakres oder Lehnkutſchen, die be - ſtaͤndig auf den Straßen halten und fuͤr ein - zelne Wege gemiethet werden koͤnnen. Hier, wo die Weitlaͤuftigkeit der Stadt, das Klima und das Pflaſter eine ſolche Einrichtung dop - pelt nothwendig machen, fehlt ſie bis izt. Statt bedeckter zwey - oder vierſitziger Wagen halten Iswoſchtſchiki (die allgemeine Benennung fuͤr Fuhrleute, Kutſcher, Fiakres, Poſtillions, Kaͤrrner) auf den Straßen, die im Sommer mit Droſchken, und im Winter mit Schlitten fahren. Die Droſchka beſteht aus einer ge - polſterten Bank auf vier Raͤdern, und hat, nach den Launen eines jeden, ſehr mannigfal - tige Formen. So ſieht man z. B. einige mit Lehnen, die entweder nur auf einer Seite oder auf beyden dergeſtalt angebracht ſind, daß Eine220 der darauf ſitzenden Perſonen rechts und die Andere links ſieht; mehrere haben Fußtritte und Kothfluͤgel; noch andere ſind mit einem Himmel bedeckt, u. ſ. w. Die oͤffentlichen, zum Dienſt des Publikums beſtimmten Droſchken haben die oben beſchriebene einfachſte Form; ſind aber großentheils ſehr ſauber und leicht gearbeitet und uͤberaus bunt bemalt. Auf einer ſolchen koͤnnen hoͤchſtens zwey Perſonen, außer dem Iswoſchtſchik, ziemlich unbequem ſitzen. Ihr groͤßter Vortheil iſt die außerordentliche Leichtigkeit des Fuhrwerks, aber dieſer wiegt die Maͤngel und Unbequemlichkeiten nicht auf. Da ſie keine Bedeckung und oft auch keine Kothfluͤgel haben, ſo iſt man der Witterung und dem Gaſſenkoth voͤllig preis gegeben. Der Mangel einer Lehne, und die Erſchuͤtterung die man im Fahren empfindet, und die den Droſchken ihren Namen gegeben hat, kann eine Spazierfahrt auf denſelben ſehr zutraͤglich fuͤr die Geſundheit machen; aber fuͤr Leute, die dies Fuhrwerk nicht als Kur benutzen wol - len, iſt die Bewegung peinlich. Zu allen die - ſen Unannehmlichkeiten geſellt ſich die haͤßliche Nachbarſchaft des Iswoſchtſchiks, die, beſon -221 ders in Faſtenzeiten, der Naſe ſehr beſchwer - lich wird. — Die Lehnſchlitten ſind nicht viel bequemer; aber die Schnelligkeit mit wel - cher man die weiteſten Wege zuruͤcklegen kann, und der geringe Preis dieſes Fuhrwerks, ſind uͤberwiegende Vorzuͤge. Um die Zeit der erſten Schlittenbahn finden ſich eine große Menge Bauern aus den umliegenden Gegenden ein, die den Winter uͤber als Iswoſchtſchiks Geld verdienen, und wegen der ſchlechtern Beſchaf - fenheit ihrer Pferde und Schlitten unter dem Zunamen Iwannuſchka (Johannchen) be - kannt ſind. Die Anzahl aller Lehnſchlitten, die in der Stadt auf den Gaſſen halten, ſoll uͤber 3,000 betragen. — In den beſuchtern Ge - genden findet man ſchoͤne Rennſchlitten mit ſtarken Laͤufern; es giebt unter dieſen welche die vierzehn bis funfzehnhundert Rubel koſten. Das ſchnelle Fahren gehoͤrt zu den vorzuͤglich - ſten Winterbeluſtigungen der Ruſſen. Faſt taͤg - lich ſieht man in den laͤngſten und breiteſten Gaſſen Wettrennen von zwey bis ſechs und mehreren Schlitten. Wer nicht Augenzeuge geweſen iſt, kann ſich ſchwerlich einen Begriff von der Schnelligkeit machen, mit welcher man222 hier uͤber den ſpiegelblanken, gefrornen Schnee hingleitet. Auch die Geſchicklichkeit der Is - woſchtſchiks ſetzt jeden Fremden in Erſtaunen. In den lebhafteſten Gaſſen durchkreuzen ſich eine ungeheure Menge Schlitten, faſt alle fah - ren ſehr ſchnell, und doch geſchieht ſeiten ein Ungluͤck. Jeder muß im Fahren die rechte Seite halten, da die meiſten Gaſſen aber ſehr breit ſind, ſo hindert dies niemand, ſo geſchwinde zu fahren, als es ihm beliebt. Der Preis dieſer Lehnſchlitten iſt ſehr verſchieden, da ſie keiner Taxe unterworfen ſind; der naͤmliche Weg, den man einem Iwannuſchka mit fuͤnf Kopeken bezahlt, wuͤrde mit einem Rennſchlit - ten anderthalb bis zwey Rubel koſten. Jeder Iswoſchtſchik traͤgt ein Stuͤck Blech auf dem Ruͤcken, worauf der Stadttheil in welchem er ſteht und ſeine Nummer bezeichnet ſind.
Da die Bruͤcken uͤber die Newa und die Kanaͤle fuͤr die Kommunikation der verſchiede - denen Stadttheile nicht hinreichen, ſo hat man an mehreren Orten Ueberfahrten errichtet, bey welchen beſtaͤndig Schaluppen in Bereitſchaft ſind, die einen einzelnen Menſchen fuͤr einen bis zwey Kopeken aufnehmen. Im Herbſt und223 Fruͤhlinge, wenn die Schiffbruͤcken auseinander genommen werden, wimmelt es auf der Rewa von kleinern und groͤßern Fahrzeugen. Um mit einigem Anſtande zu fahren, miethet man eine Schaluppe fuͤr ſich oder ſeine Geſellſchaft; wer aber darauf ausgeht, Beobachtungen zu machen, und hin und wieder Zuͤge aus dem Karakter der untern Volksklaſſen zu ſammeln, kann zuweilen in der gemiſchten und zahlreichen Geſellſchaft einer großen Schaluppe reichhalti - gen Stoff dazu finden.
Die außerordentliche Weitlaͤuftigkeit der Stadt macht alle dieſe Kommunikationen noth - wendig. Da nicht leicht ein Ort in Europa mehr große Plaͤtze, breitere Gaſſen und zahl - reichere Luͤcken enthaͤlt, ſo iſt es natuͤrlich, daß man hier zerſtreuter wohnt, als anderswo. Es iſt etwas ſehr alltaͤgliches, daß man einen Freund beſucht, deſſen Wohnung uͤber eine deutſche Meile entfernt iſt; und es traͤgt ſich daher auch nicht ſelten zu, daß man dieſe Reiſen auf eine ſehr abwechſelnde Art zuruͤcklegt. So geht man zuweilen eine Strecke zu Fuß, bis man an den Fluß koͤmmt; hier kann man ſich den Weg ſehr verkuͤrzen, wenn man eine Scha -224 luppe miethet, und den Reſt der Reiſe ſetzt man ſich vielleicht auf eine Droſchka. Alle dieſe Huͤlfsmittel ſind jedoch, wie ſichs von ſelbſt ver - ſteht, nicht im bon Ton; Leute die zu dieſer Klaſſe gehoͤren, halten Equipage, und ihnen ſind daher alle hier genannten oͤffentlichen Be - quemlichkeiten entbehrlich.
Um auf eine wohlfeile Art in die umliegen - den Gegenden zu kommen, giebt es mehrere Anſtalten. Nach Kronſtadt, Peterhof und Zarskoje Selo gehen taͤglich Poſten und Dili - gencen, wenn der Hof an den beyden letztern Orten iſt. Man fuͤhlt hier uͤbrigens das Be - duͤrfniß fahrender Poſten nicht ſehr, da das Poſtgeld ſehr geringe iſt (jedes Pferd koſtet auf die Werſt zwey Kopeken) und da man faſt nicht anders als auf Vorſpannpaͤße, oder mit Extra - poſt, reiſ[ſ]t.
Die Lage von St. Petersburg, in einem der noͤrdlichſten Theile von Europa, iſt die na - tuͤrliche Urſache, daß ſich hier nicht ein ſolcher Zuſammenfluß von Reiſenden findet, als in den großen Staͤdten in Deutſchland, Frankreich und andern Laͤndern. Durchreiſende ſieht man faſt gar nicht; wer hierher koͤmmt, hat hier faſtimmer225immer den Beſtimmungsort ſeiner Reiſe. Fuͤr die bloße Befriedigung der Wißbegierde liegt Petersburg mit allen ſeinen Merkwuͤrdigkeiten zu weit von dem Mittelpunkt des kultivirten Europa. Die mehreſten Reiſenden haben die Abſicht, dieſe Reſidenz zu ihrem Aufenthalt zu waͤhlen, und halten ſich daher nur kurze Zeit in Gaſthoͤfen auf. Eigentliche Fremde wenden ſich an ihre Adreſſen oder Bekannt - ſchaften, und miethen ſich auch oft in Buͤr - gerhaͤuſer ein. Hierinn liegt der Grund, wes - wegen die hieſigen Gaſthoͤfe in Einrichtung, Bequemlichkeit und Vollkommeit noch ſo weit hinter denen in andern Laͤndern zuruͤckſtehen.
In den beſſern[Stadttheilen] giebt es zwar einige große Hotels, in welchen man geraͤu - mige moͤblirte Zimmer, eine Table d’ Hote und andere Bequemlichkeiten, z. B. Mieth - equipage, Lohnlakeyen, und dergleichen, fin - det; aber ſie halten dennoch keinen Vergleich mit den Gaſthoͤfen der zweyten Klaſſe in Pa - ris, Berlin, und Frankfurt aus. Die Zim - mer und Moͤbels ſind hoͤchſtens mittelmaͤßig; der Tiſch einfach, und an der Table d’ Hote oft nicht zureichend; Aufwaͤrter fuͤr die Bedie -Erſter Theil. P226nung der Fremden findet man nirgend; Jeder - mann ſieht ſich gezwungen, ſogleich einen Lohn - lakay zu miethen, weil er ohne dieſen kein Glas Waſſer erhalten wuͤrde, und ſeine Schu - he ſelbſt putzen muͤßte.
Um billig zu ſeyn, muß man, außer den angefuͤhrten Urſachen, noch zur Entſchuldi - gung der ſchlechten Tafel bemerken, daß hier die Gaſthoͤfe nicht, wie in Deutſchland und Frankreich, von den Eingebornen zugleich als Speiſehaͤuſer benutzt werden. Faſt jeder Pe - tersburger der keine eigne Kuͤche haͤlt, iſt Mitglied von einer oder mehreren Klubben, wo er fuͤr ſehr maͤßige Bezahlung einen aus - geſuchten Tiſch findet und in einem ſelbſtge - waͤhlten Zirkel ſpeiſt. Auch Fremde eſſen ſel - ten im Gaſthofe; ihre Adreſſen oder Geſchaͤfte oder auch der Zufall verſchaffen ihnen bald Be - kanntſchaften, bey denen ſie, nach dem Ton und den Regeln der hieſigen Gaſtfreyheit, zu Mittage und zu Abend eingeladen werden, und einige Tage nach ihrer Ankunft ſind ſie der Sorge fuͤr dieſes Beduͤrfniß uͤberhoben. Um dieſe gefaͤllige und in Petersburg einheimiſche Tugend mit Anſtand benutzen zu koͤnnen, iſt227 die Equipage faſt unentbehrlich; wenigſtens wuͤrde der Fremde, wenn er, beſonders bey kothigem Wetter, zu Fuß kaͤme, ſich dem Vorwurf der Knauſerey, oder des Mangels an Welt, oder — der Armuth ausſetzen muͤſ - ſen. Daß das letzte beynah noch ſchimpflicher iſt, als das erſte, brauche ich meinen Leſern aus der feinen und großen Welt wol nicht erſt zu ſagen.
Die Fremden haben alſo die Wahl, ent - weder in ihrem Gaſthofe einſam, oder in un - bekannter, gemiſchter Geſellſchaft, und ſchlecht zu ſpeiſen; oder in vertraulichen, angenehmen und glaͤnzenden Zirkeln an dem Wohlleben der ſogenannten guten Haͤuſer Theil zu nehmen. Doch die Equipage iſt nicht das einzige Erfor - derniß, hier zugelaſſen und — gerne geſehen zu werden. Iſt es dem Fremden auch um das letztere zu thun, ſo muß er ſpielen, und nicht erſchrecken, wenn ihm ein Spielchen angeboten wird, wie er es in Deutſchland ſeinen Herzog ſpielen ſah. Das Gluͤck kann er freylich fuͤr und wider ſich haben, aber den Vortheil hat er wahrſcheinlich widerP 2228ſich: denn alle Fremde geſtehen ein, daß man hier uͤberaus gut ſpiele.
Um alles zuſammenzunehmen was zu die - ſer Rubrik gehoͤrt, wollen wir nach obigen Angaben berechnen, wie hoch ſich die Koſten eines monatlichen Aufenthalts fuͤr einen Fremden belaufen, der mit einigem Anſtande in Geſellſchaften erſcheinen, und die Gegenſtaͤnde der Wißbegierde nicht unbenutzt laſſen will, die ſich ihm, innerhalb der Re - ſidenz, darbieten.
Man glaube ja nicht, daß dieſer Anſchlag uͤbertrieben iſt; im Gegentheil iſt alles auf die maͤßigſte Summe und die groͤßte Erſparniß berechnet, wie man aus folgenden Anmerkun - gen uͤber dieſe Liſte ſehen kann. — Wenn man nur Ein Zimmer miethet, muß man ſich die Geſellſchaft des Bedienten gefallen laſſen, oder ſich der Unbequemlichkeit ausſetzen, ihn uͤber den Hof in dem allgemeinen Bedienten -P 3230zimmer zu ſuchen, wenn man ſeiner bedarf. Der angegebene Preis iſt nur in einigen deut - ſchen Gaſthoͤfen gebraͤuchlich; in den franzoͤſi - ſchen iſt er hoͤher. — Der Lohnlakay erhaͤlt taͤglich einen Rubel; monatlich bedungen iſt er etwas wohlfeiler. — Der Preis der Equi - page iſt nach den Jahrszeiten und andern Um - ſtaͤnden verſchieden, und ſteigt zuweilen auf 80 bis 85 Rubel. Dieſer Artikel iſt dem Frem - den, auch außer den angefuͤhrten Urſachen, unentbehrlich, weil er bey der großen Weit - laͤuftigkeit der Stadt und der Veraͤnderlichkeit der Witterung weder ſeine Bekanntſchaften be - nutzen noch die Abſicht ſeines Reiſeplans ver - folgen koͤnnte, dieſer letztere mag nun buͤrger - liche Geſchaͤfte oder bloße Befriedigung der Wißbegierde zum Gegenſtande haben. — Der ganze Anſchlag iſt auf die berechneteſte Spar - ſamkeit eingerichtet, und noch fehlt eine große Rubrik, die wol ſchwerlich ein Fremder von einiger Kultur ganz außer ſeinem Geſichtskreiſe laſſen duͤrfte: der Beſuch der umliegenden Ge - genden und der kaiſerlichen Luſtſchloͤſſer. Wer ſich zu dieſen kleinen Reiſen ſeiner einmal ge - mietheten Equipage bedienen will, muß fuͤr231 die Zeit ſeiner Abweſenheit einen neuen Kon - trakt mit dem Iswoſchtſchik machen und ein oder zwey Pferde mehr miethen; die Koſten der Zehrung, der Trinkgelder, u. ſ. w. laſſen ſich nie genau beſtimmen und haͤngen von Um - ſtaͤnden ab. Je groͤßer die Geſellſchaft fuͤr eine ſolche Tour iſt, deſto maͤßiger wird der Beytrag eines Jeden.
Die moͤblirten Zimmer oder ſogenann - ten chambres garnies, die man faſt in allen großen Staͤdten findet, ſind eine vortrefliche Einrichtung fuͤr Fremde, die die Zeit ihres Aufenthalts nicht beſtimmen koͤnnen und die Ausgaben im Gaſthofe zu vermeiden ſuchen. Noch vor wenigen Jahren fehlte es gaͤnzlich an dieſer oͤffentlichen Bequemlichkeit. Jeder Frem - de der fuͤr ſich Zimmer in einem Privathauſe miethete, ſah ſich auch gezwungen, ſie auf ſeine Koſten zu moͤbliren. Seit kurzem aber ſind einzelne Haͤuſer zu dieſem Behuf einge - richtet, wie z. B. das Haus der Generalinn von Borosdin, (newsk. Perſpekt. gegen - uͤber der Buden) in welchem man ſehr nied - lich moͤblirte Zimmer, und bey einem daſelbſtP 4232wohnenden Kaffeſchenken, auch die gewoͤhnli - chen Getraͤnke erhalten kann.
Die Garkuͤchen, deren es eine ſehr große Menge in und außerhalb der Reſidenz giebt, ſind von zweyerley Art. Die beſſern und anſtaͤndigern, die faſt darchgehends von Deutſchen oder doch von Auslaͤndern gehalten werden, heißen Trakteurs. In dieſen Haͤu - ſern kann man, oft um einen ziemlich billigen Preis, ſpeiſen, oder auch einzelne Portionen nebſt Getraͤnke abholen laſſen. Die Geſellſchaft und der Ton in denſelben iſt aber ſo gemiſcht, daß ſie faſt gar nicht von Leuten aus den fei - nern Klaſſen beſucht werden, die ſich lieber auf den Klubbs oder in den großen Gaſthoͤfen verſammeln, wo der hoͤhere Preis Gaͤſte ſol - cher Art verſcheucht. Faſt in allen Trakteurs ſind auch Billiards zu finden. — Die zwey - te Gattung von Speiſehaͤuſern ſind die Chart - ſchewni oder rusiſche Garkuͤchen, in welchen den ganzen Tag uͤber fuͤr den gemeinen Mann der Tiſch gedeckt iſt. Hier findet man alle rußiſche Nationalgerichte und Faſtenſpeiſen, oft ſchmackhaft genug zubereitet, in ſolchen Por - tionen zum Verkauf, daß auch der Aermſte,233 nach dem Verhaͤltniß ſeiner Baarſchaft, etwas erhalten kann.
Doch, der gemeine Ruſſe darf nicht erſt eine Chartſchewna aufſuchen, um ſatt zu wer - den. Ueberall, in jeder Gegend der Stadt und zu jeder Jahrszeit kann er ſeine Mahlzeit unter freyem Himmel halten. An den Ecken der Straßen ſind Tiſche und Huͤtten aufgeſchla - gen, in welchen Quas und Sbiten’ verkauft wird. Neben denſelben ſitzen gewoͤhnlich Wei - ber, die mit Brod, Kalatſch, u. dergl. han - deln. Die Piroghi werden von Kerlen umher - getragen, die uͤberall wo ſie Kaͤufer finden, einen bey ſich habenden Feldtiſch aufſchlagen und ihre Waare ausbieten. — Dieſe Ein - richtung iſt ſehr nothwendig, da man wegen der weiten Entfernungen, ſeinen Wagen und Bedienten gewoͤhnlich bey ſich behaͤlt, wenn man irgend wohin faͤhrt.
Das ungeheure Beduͤrfniß einer ſo volk - reichen und luxurioͤſen Stadt, fordert unge - heure Vorraͤthe. Daher die große Menge von Magazinen, Buden und Waarenlagern aller Art, die ſich hauptſaͤchlich in den Mittelpunkt der Reſidenz zuſammendraͤngen. Nach der ruſ -P 5234ſiſchen Sitte werden die Kramlaͤden alle in Ei - nem großen Gebaͤude neben einander angelegt; ein ſolcher Handelshof, deren es in allen ruſ - ſiſchen Staͤdten giebt, heißt Goſtinnoi Dwor. Dieſer Gebrauch, den die neuere Polizey auch in andern Laͤndern einzufuͤhren ſucht, gewaͤhrt den Vortheil, daß die Kaͤufer nicht nur ſogleich wiſſen wo ſie die Gegenſtaͤn - de ihrer Beduͤrfniſſe zu ſuchen haben, ſondern dieſe auch in der groͤßten Mannigfaltigkeit vor - finden, und durch die Konkurrenz und den Wetteifer der Kaufleute, auch gewoͤhnlich wohl - feiler einkaufen. — Einer der groͤßten Han - delshoͤfe dieſer Art iſt der in der newskiſchen Perſpektive, durch ſeine treffliche Lage und den Reichthum ſeines Vorraths der beſuchteſte und merkwuͤrdigſte. Die Laͤnge des ganzen Ge - baͤudes betraͤgt hundert und funfzig Klafter; in der großen Perſpektive iſt es hundert und an der entgegengeſetzten Seite funfzig Klafter breit. Es hat die Geſtalt eines unregelmaͤßigen Vierecks und iſt von allen Seiten mit breiten Gaſſen umgeben. Die Buden, deren Anzahl ſich auf dreyhundert und vierzig belaͤuft, ſind in zwey uͤbereinander ſtehenden Reihen ange -
235 bracht, und vor denſelben laufen Arkaden hin, unter welchen man bey jeder Witterung trocken und angenehm gehen kann. Alle Kramlaͤden, in denen einerley Waare verkauft wird, ſind nebeneinander. Der große Umfang und das Gewuͤhl von Menſchen und Wagen giebt die - ſem Handelshofe das Anſehen einer kleinen Stadt. Aus dem ganzen Gebiet der Noth - durft und der Bequemlichkeit, zum Theil auch des Luxus, wird man hier nicht leicht verge - bens nach einem Artikel fragen. Ohne durch eine genaue Herzaͤhlung aller Gegenſtaͤnde die hier fuͤr Geld zu haben ſind, meinen Leſern Langeweile zu verurſachen, wollen wir die vor - zuͤglichſten und auffallendſten derſelben nur mit einem fluͤchtigen Blicke muſtern. — Die Laͤ - den fuͤr die Kleidung und den Putz beyder Ge - ſchlechter nehmen den erſten Rang ein. Auf dieſe folgen die Moͤbelbuden, in welchen man alle die mannigfaltigen Artikel dieſer Gattung in den abwechſelndſten und modigſten Formen findet. Dann die Linnenbuden; dann eine Reihe von Laͤden, mit allem verſehen was zum Tiſchgeraͤthe gehoͤrt; dann die Eiſenbuden, die wieder theils nur Kuͤchengeraͤthe, theils Meſ -236 ſingwaaren, theils andere[Verarbeitungen] ent - halten; Pelzbuden; Laͤden in welchen fertige Kleidungsſtuͤcke aller Art verkauft werden; andere in denen nur Schuhe, oder Schnallen und Knoͤpfe, oder Huͤte zu finden ſind — ich uͤberlaſſe es der Einbildungskraft und dem Ge - daͤchtniß meiner Leſer, dieſes Regiſter vollſtaͤn - dig zu machen, und ſchließe mit den Lumpen - buden, als dem letzten und geringfuͤgigſten Gegenſtande dieſes bunten Gemaͤhldes.
Die Gegend von Goſtinnoi Dwor ſcheint der eigentliche Sitz alles Handels und Wandels zu ſeyn. Rund um daſſelbe ſind nach und nach ſo viele neue aber kleinere Kaufhoͤfe entſtanden, daß dieſer Bezirk dadurch Ein großer Markt geworden iſt.
In der großen Gartenſtraße, an der weſt - lichen Seite von Goſtinnoi Dwor ſind ebenfalls Buden mit Arkaden erbaut worden. In den untern Stockwerken der Haͤuſer in dieſer Gaſ - ſe ſind die Laͤden fuͤr Troͤdelwaaren. Der ſchmalſten Seite gegenuͤber ſind hoͤlzerne Buden fuͤr Zwirn, Struͤmpfe, und ſolche Kleinigkei - ten. Der dritten Seite gegenuͤber ſteht eine Linie von hundert Gewoͤlben, mit Waaren man -237 cherley Art. Hier kann man fertige Betten, Decken, Matratzen, mit allem was dazu gehoͤrt, bekommen. Neben Goſtinnoi Dwor in der Perſpektive, ſind vierzehn Silberlaͤden, und dieſen gegenuͤber haben einige Nuͤrnberger und Schweizer ihre Gewoͤlbe mit Arkaden in den Haͤuſern der katholiſchen Kirche. Auch der Vogel - und Troͤdelmarkt ſind hier in der Naͤhe und vermehren das Leben und Gewuͤhl dieſer Gegend. Wer die untern Volksklaſſen ſtudiren will, der ſuche ſie hier auf ihrem großen Theater.
Bey der Aufzaͤhlung der Einrichtungen fuͤr die oͤffentliche Bequemlichkeit darf ich der ſogenannten engliſchen, franzoͤſiſchen und anderer Magazine nicht vergeſſen. — Bekanntlich giebt es hier, wie im ganzen ruſ - ſiſchen Reiche, keinen Gewerbzwang. Jeder Auslaͤnder, der St. Petersburgiſcher Buͤrger wird und ſich nach dem Verhaͤltniß ſeines Ver - moͤgens in eine der Gilden einſchreiben laͤßt, kann alle Zweige der Induſtrie kultiviren; und folglich auch Gewoͤlbe anlegen und Waaren im Detail verkaufen. Dies haben viele derſelben, beſonders Englaͤnder und Franzoſen, gethan;238 und daher ſind eine große Menge Laͤden fuͤr fremde Luxuswaaren entſtanden, die man Ma - gazine nennt. Dieſe Gewoͤlbe ſind gewoͤhnlich nur mit den Kunſtprodukten derjenigen Natio - nen verſehen, von welchen ſie den Namen fuͤhren, und ſo findet man z. B. in einem engliſchen Magazin groͤßtentheils nur engliſche Waaren, aber von der mannigfaltigſten Art und Beſtimmung. Einer der merkwuͤrdigſten Laͤden dieſer Gattung iſt der Hawksford’ſche, der an Vorrath, Reichthum und Werth ſelbſt in London nur wenige ſeines Gleichen haben ſoll. Alles was die Moͤbelwuth des reichſten, uͤppigſten und erfinderiſchſten Volks ſeltnes, ſchoͤnes und koſtbares aufzuweiſen hat, kann man hier in verfuͤhreriſch ausgelegten Proben anſtaunen und bewundern. Glas, Kryſtall, Stahl, mit Silberplatten belegte Metallwaa - ren, Moͤbeln aus den feinſten Holzarten, mu - ſikaliſche Inſtrumente, Tuͤcher, Zeuge, u. ſ. w. ſind in zwoͤlf großen Saͤlen in der bunteſten und anziehendſten Mannigfaltigkeit vertheilt und geordnet. Ein Einkauf von zwanzig und mehreren tauſend Rubeln macht keine große Luͤcke in dieſem koſtbaren Vorrath, wie ich239 ſelbſt Zeuge davon geweſen bin. — In den uͤbrigen engliſchen Magazinen findet man zum Theil eben dieſe und andere Waaren, z. B. engliſche Tuͤcher, Zeuge, Linnen, Huͤte, Stiefeln und Schuhe, Fußteppiche, mathe - matiſche und chirurgiſche Inſtrumente, Ka - mine von der ſchoͤnſten Stahlarbeit, Pferde - geſchirr, Reitzeug, u. ſ. w. alles im auser - leſenſten Geſchmack, von der trefflichſten Ar - beit und in den modigſten Formen.
Die franzoͤſiſchen Magazine ſind nicht voͤl - lig ſo gut verſehen, weil der Geſchmack an engliſchen Waaren der herrſchende iſt. Unter - deſſen giebt es einige vorzuͤgliche Laͤden, in de - nen Seidenwaaren, Huͤte, Struͤmpfe, ge - ſtickte Weſten; andern, in denen bloß Papier - tapeten, aber von der ſchoͤnſten Erfindung und Arbeit zu haben ſind. Geſuchter und eintraͤg - licher ſind die franzoͤſiſchen Mode - und Putz - haͤndlergewoͤlbe, die ebenfalls Magazine ge - nannt werden. Seit wenigen Jahren hat ſich ihre Anzahl ſo ſehr vermehrt, daß man in der newskiſchen Perſpektive und andern Gaſſen faſt bey jedem Schritt auf ein magazin de modes oder de nouveautés ſtoͤßt. Es beſteht auch240 ein deutſches Moͤbelmagazin, das zwar nicht Waaren von dem Werth wie das vorhin ge - nannte engliſche, aber doch in großen Vorraͤ - then von der beſten Arbeit und nach den neu - eſten Erfindungen enthaͤlt. Dieſes Gewoͤlbe iſt unter allen das unſchaͤdlichſte fuͤr den Reich - thum des Landes; denn alles was hier feil ge - boten wird, iſt in Petersburg verfertigt.
Dieſe Vorrathshaͤuſer des Luxus und der Beduͤrfniſſe ſind keiner der geringſten Vorzuͤge der Reſidenz. Es iſt ein nothwendiger Karak - ter einer großen und praͤchtigen Stadt, daß jedermann in derſelben ohne Muͤhe und Weit - laͤuftigkeit ſeine Launen befriedigen und fuͤr ſein Geld alles haben koͤnne, wofuͤr er es wegzu - geben fuͤr gut findet. Durch die eben beſchrie - benen Einrichtungen iſt ein Fremder im Stan - de, ſich gleich am erſten Tage ſeiner Ankunft auf das praͤchtigſte und geſchmackvollſte zu meu - bliren und zu kleiden, und ſein Haus und ſeine Kuͤche mit allen Nothwendigkeiten zu ver - ſorgen. Nichts wuͤrde der vollſtaͤndigſten haͤus - lichen Einrichtung fehlen, als Equipage. Doch auch fuͤr dieſe iſt ein eigener Marktplatz vorhanden. In dem Jaͤmskoi Stadttheil iſtein241ein großes Revier mit Remiſen bebaut, in welchen fertige Wagen, Halbwagen, Droſchken und Schlitten von der mannigfaltigſten Gat - tung zum Verkauf ſtehen.
Wir ſind jetzt die Vorrathshaͤuſer und Maͤrkte der Reſidenz nach allen Klaſſen und Abſtuffungen des Luxus und der Beduͤrfniſſe durchgegangen. Die Schilderung dieſer reichen und bunten Gallerie mag ſich hier mit der Karakteriſtik eines armſeligen, aber fuͤr die Be - duͤrfniſſe des groͤßten Theils der Einwohner, hoͤchſtnothwendigen Marktplatzes ſchließen.
Nicht weit vom Kloſter des heiligen Alex - ander Newski, und alſo nahe an der Grenze der Stadt, hat die newskiſche Perſpektivſtraße einen ſeltſamen Markt, auf welchem Waaren von der mannigfaltigſten Art feil geboten wer - den. In zwanzig großen freyſtehenden Haͤu - ſerrn findet man hier alles fuͤr Kuͤche und Wirthſchaft noͤthige Holzgeraͤthe, Frachtwagen, Schlitten, Pferdegeſchirre, Seile, Toͤpfer - waaren, und eine Menge kleiner Nothwendig - keiten, deren Namen man zuweilen nicht kennt, und an deren Gebrauch man nicht denkt. Es giebt, wie geſagt, kein Beduͤrfniß der haͤus -Erſter Theil. Q242lichen Einrichtung, welches in Petersburg nicht ſogleich fertig zu haben waͤre. Hier braucht man kein langes Regiſter der unzaͤhligen klei - nen Geraͤthſchaften fuͤr die Kuͤche und das Haus; man darf nur vor einer Bude ſtehen bleiben, und in wenigen Minuten iſt die halbe Gaſſe mit den groͤßten und kleinſten Beduͤrfniſſen die - ſer Art beſetzt, unter denen man die Wahl hat. — Auch dieſer Markt iſt ein Verſamm - lungsort des Volks, von welchem es an ge - wiſſen Tagszeiten wimmelt.
Trotz aller der großen Marktplaͤtze und Waarenlager, deren Muſterung wir eben ge - endigt haben, wuͤrde dem Publikum, und beſonders dem aͤrmern Theile deſſelben, doch eine große Bequemlichkeit fehlen, wenn es keine Kramlaͤden gaͤbe, in denen man die nothwendigſten und allgemeinſten Lebens - und Hausbeduͤrfniſſe im kleinſten Detail zu Kauf haben koͤnnte. Solcher Kramlaͤden giebt es eine außerordentliche Menge in St. Peters - burg; ſie heißen Lawken*)Die allgemeine Benennung für Buden. und werden ge - woͤnlich in den Kellergeſchoſſen der Haͤuſer an -243 gelegt. In einer ſolchen Lawka iſt alles zu haben: Kaffee, Thee, Zucker, Eſſig, Zwirn, Siegellack, Naͤgel, Papier, Lichte, und alles wird in den kleinſten Quantitaͤten verkauft. Dieſer Umſtand, der das arme und geringe Publikum an die Lawken bindet, der große Vortheil den die Verkaͤufer nehmen, der Be - trug in Maaß und Gewicht und das Agio beym Geldwechſeln, machen dieſe Kraͤmer, die groͤßtentheils aus dem Poͤbel ſind, in kur - zer Zeit reich. —
So gewiß die Sorge fuͤr die oͤffentliche Bequemlichkeit hier kein vernachlaͤßigter Zweig der Staatsverwaltung iſt, ſo wahr iſt es auch, daß es ſelbſt der weiſeſten und thaͤtig - ſten Regierung nicht gelingen kann, demſelben ohne Mitwirken des Volks einen hohen Grad von Vollkommenheit zu verſchaffen. Sehr oft laſſen ſich gewiſſe Einrichtungen weder durch Befehle noch Zwangsmittel, ſondern bloß durch den eigenen Trieb der Nation zur Verfeinerung und Verbeſſerung ihres geſellſchaftlichen Zuſtan - des erhalten. Unter gebildeten und aufgeklaͤr - ten Voͤlkern wird der Erfindungsgeiſt bald die Mittel zu dieſem Zweck aufſuchen, und wennQ 2244dieſe einmal bekannt ſind, fuͤhrt das Intereſ - ſe immer Leute herbey, die ſich der Ausfuͤh - rung unterziehen. — Folgende Einrichtungen die ich fuͤr den Plan dieſes Werks aus vielen ihrer Gattung heraushebe, gehoͤren zu dieſer Rubrik.
Es giebt hier Leute, welche jede oͤffentli - che oder Privatunternehmung, die von eini - gem Umfange oder mit einigen Schwierigkei - ten verknuͤpft iſt, gegen eine verhaͤltnißmaͤßige Summe, uͤbernehmen und ausfuͤhren. Dieſe Leute werden Podrjaͤdſchiki, und ein ſol - cher Kontrakt Podrjaͤd genannt. Wenn Je - mand ein Haus bauen, ſich aber nicht den Verdruͤßlichkeiten und Beſchwerden unterziehen will, die hier vorzuͤglich groß ſind, wenn man die Sprache nicht verſteht, ſo laͤßt er mehrere Podrjaͤdſchiki kommen, denen er ſei - nen Plan und die Idee ſeiner Ausfuͤhrung vorlegt. Man wird mit dem billigſten einig, und hat nun weiter keine Sorge, als die be - ſtimmten Termine zu halten. Da die Unternehmer ſich mit allen Materialien in der gelegenſten Zeit verſehen, alles im Großen einkaufen und je - den Vortheil kennen und benutzen, ſo ſind ſie245 im Stande wohlfeiler und geſchwinder zu bau - en, als es andern moͤglich iſt. Daß ſie ſchlech - tere Arbeit liefern, als man bey eigner Auf - ſicht erhalten wuͤrde, liegt in der Natur der Sache. — Auf dieſe oder aͤhnliche Weiſe werden faſt alle große und ſchwierige Unter - nehmungen in Rußland ausgefuͤhrt, als weit - laͤuftige Transporte, große und koſtſpielige Lieferungen, oͤffentliche Bauten, Ausbeſſe - rungen des Pflaſters und der Bruͤcken, ſogar zuweilen Schiffbau, und dergleichen.
Eine andere Einrichtung, die zwar nur den Kaufleuten nuͤtzlich wird, aber hier doch nicht uͤbergangen werden kann, ſind die Ar - tels oder geſchloſſenen Geſellſchaften von Ar - beitsleuten, zum Behuf der Handarbeiten an der Boͤrſe, in den Magazinen, Gewoͤlben und Kellern. Ein Artel beſteht aus vierzig bis ſechzig ſtarken, gewandten und ehrlichen Leu - ten, die unter ſich einen Aelteſten waͤhlen, nach welchem die Geſellſchaft gewoͤhnlich benannt wird. Jeder Artelſchtſchik muß zu ſeiner Auf - nahme von den uͤbrigen vorgeſchlagen und ge - waͤhlt ſeyn, und eine hinlaͤngliche Sicherheit fuͤr fuͤnf bis ſiebenhundert Rubel ſtellen, wo -Q 3246gegen der Artel fuͤr alle Verwahrloſungen und Veruntreuungen ſeiner Glieder ſteht. Durch dieſe Einrichtung ſehen ſich die Kaufleute im Stande, dieſen Leuten nicht nur Arbeiten die bloß Staͤrke und Gewandheit erfordern, ſon - dern auch Geldgeſchaͤfte und andere Dinge von Wichtigkeit anzuvertrauen. Ich habe mehrmals Artelſchtſchiki geſehen, die viele tauſend Rubel in Bankaſſignationen in dem Buſen trugen, wo ſie gewoͤhnlich Sachen von Werth aufbe - wahren. Ihrer Gewandheit gebuͤhrt eben ſo viel Lob als ihrer Ehrlichkeit. Sie wiſſen mit den feinſten, zerbrechlichſten und koſtbarſten Waaren, trotz den beruͤhmten porte-faix in Paris, umzugehen, die man aus Merciers intereſſanter Schilderung kennt.
Ein jedes Haus in Petersburg (die klei - nen Huͤtten in den aͤußerſten Theilen der Stadt ausgenommen) haͤlt einen Dwornik oder Thuͤrhuͤter, der ein Mittelding zwiſchen dem deutſchen Hausknecht und dem franzoͤſiſchen Portier iſt, ſich aber ſehr vom eigentlichen Schweizer unterſcheidet, deren es hier auch in allen großen und vornehmen Haͤuſern giebt. Ein ſolcher Dwornik iſt der allgemeine Bediente247 des Hauſes, er ſorgt fuͤr die Reinigung des Ho - fes, ſchafft Waſſer herbey, und oͤffnet das Haus - thor zu jeder Stunde des Nachts, ſobald ge - klingelt wird; denn jedes ordentliche Haus iſt hier mit einer Klingel verſehen, die in der Stu - be des Dworniks angebracht iſt, und außerhalb dem Hauſe durch einen an der Mauer befeſtigten Drath in Bewegung geſetzt wird. Dieſes muͤh - ſelige Amt, bey welchem keine Nacht auf eine Stunde ununterbrochnen Schlafs zu rechnen iſt, findet doch ſeine Liebhaber, weil es zuweilen ſehr eintraͤglich wird. — Vor einiger Zeit fand man bey dem ploͤtzlich verſtorbenen Dwornik ei - nes großen Hauſes, in welchem auch oͤffentliche Maͤdchen wohnten, eine Baarſchaft von mehre - ren tauſend Rubeln in kleinen Silbermuͤnzen, die er ſich durch ſeine Dienſtfertigkeit bey Nacht er - worben hatte. Kaum ward dies ruchbar, als ſich eine Menge Kompetenten um den Platz des Ver - ſtorbenen bewarben, und dieſer Dienſt, der ſonſt dem Eigenthuͤmer des Hauſes eine Ausgabe von hundert Rubeln verurſacht hatte, ward nun an den Meiſtbietenden verpachtet.
Allgemeine Vortheile und Nachtheile derſelben, in der Lo - kalverfaſſung begründet. Das Kollegium der allgemei - nen Fürſorge, ein Tribunal zur Minderung des menſchlichen Elends. Merkwürdige Theilnahme des Publikums an der Stiftung deſſelben. — Oeffent - liche Krankenhäuſer. Hospitäler für Land und See - truppen. Stadthospital. Irrhaus. Geheime Anſtalt für veneriſche Kranke. Kliniſches Hospital und Ent - bindungshaus des mediziniſchchirurgiſchen Inſtituts. Pockenhaus. Entbindungsanſtalt des Findelhauſes. Wohlthätige Krankenanſtalt, ein Privatunternehmen. — Armenanſtalten. Findelhaus. Erziehungsanſtalt für Waiſen und unetzeliche Kinder. Armenhaus. In - validenhaus des Großfürſten. Wittwenkaſſe. Privat - ſterbekaſſen. — Oeffentliche Anſtalten zur Unterſtü - tzung des Publikums. Lombard. Leihebank für den Adel und die Städte.
Ich fuͤhre jetzt meine Leſer von den Gegenſtaͤn - den der Pracht und der Bequemlichkeit in die249 Anſtalten fuͤr die kranke und leidende Menſchheit. Wem dieſer Uebergang auffaͤllt, der kennt die Verkettung der Extreme und die wunderbare Miſchung von Licht und Schatten in der mora - liſchen Welt nicht. Kein gewiſſeres Kennzei - chen der Armuth — als Luxus; beyde ſind durch unaufloͤsliche Bande verbunden. Die Verfeinerung und zunehmende Kultur unſerer Zeiten treibt alle Voͤlker zu beyden Extremen hinan, und die goldne Mittelſtraße iſt das Problem der Staatswirthe, wie die Quadra - tur des Zirkels das Problem der Mathemati - ker iſt; beyde werden immer geſucht und nie - mals gefunden.
So gewiß ohne raͤſonnirte Theorie keine zweckmaͤßige Ausuͤbung ſtatt findet, ſo wahr iſt es auch, daß Theorien Ideale ſind, und daß kein Ideal, als ſolches, Wirklichkeit er - halten kann. Der Umriß des Ideals iſt die Grenzlinie der Vollkommenheit; in der wirk - lichen Welt iſt es die Linie auf welcher ſich Maͤngel und Vollkommenheiten im Gleichge - wichte begegnen, und das Reſultat der voll - kommenſten dieſer Kombinationen iſt — ein leidlicher Zuſtand.
Q 5250Um den Maaßſtab fuͤr die Vollkommen - heit buͤrgerlicher Einrichtungen zu finden und ſich gegen ein allzuſtrenges oder glimpfliches Urtheil zu verwahren, iſt es ſchlechterdings nothwendig, die Individual - und Lokalver - haͤltniſſe jedes Landes zu kennen, weil dieſe allen auf das Ganze gehenden Anſtalten eine entſcheidende, eigenthuͤmliche Richtung geben. 251Ein und derſelbe politiſche Zweck, nach einer ley Grundſaͤtzen und durch einerley Mittel zur Ausfuͤhrung gebracht, wird in zwey verſchiede - nen Laͤndern einen ſehr ungleichen Ausgang ge - winnen, und der unterrichtete Beobachter wird im Stande ſeyn, die Modifikationen des Er - folgs mit der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit zu be - rechnen. — Folgende kurze Einleitung mag dazu dienen, meine Leſer in den rechten Ge - ſichtspunkt zu ſtellen, um die unter dieſer Rubrik aufgefuͤhrten Thatſachen wuͤrdigen zu koͤnnen.
Der uneingeſchraͤnkte Wille eines weiſen und fuͤr das Wohl ſeines Volks thaͤtigen Fuͤr - ſten kann hier Dinge moͤglich machen, die in vielen Laͤndern unausfuͤhrbar bleiben wuͤrden. Der Wille des Souverains iſt Geſetz; ſein Befehl laͤhmt jeden Widerſtand, den Vorurtheil, Aber - glauben oder Privatintereſſe ſeinen gemeinnuͤtzi - gen Abſichten entgegen ſetzen moͤchten. Dieſer Vortheil, deſſen Wichtigkeit in einem Lande, wo Licht und Finſterniß noch in regem Streite, wo Anhaͤnglichkeit an das Alte, Gewohnte, und Furcht und Abneigung fuͤr Neuerungen wenigſtens beym niedern Volk noch herrſchend252 ſind — unglaublich groß iſt, verdient mit Recht die erſte Stelle der guten Seite. Die Abneigung oder die Kaͤlte, mit welcher faſt alle große und gemeinnuͤtzige Unternehmungen bey ihrem Anfange aufgenommen ſind, iſt der zuverlaͤßigſte Beweis, daß ſie, ohne dieſen wohlthaͤtigen Despotismus, nie zu Stande gekommen ſeyn wuͤrden. Jetzt iſt das Vorur - theil verſchwunden; die Zeitgenoſſen laſſen der Weisheit ihrer Beherrſcherinn Gerechtigkeit wiederfahren; die Nachwelt wird ihr Altaͤre bauen.
Aber wie eingeſchraͤnkt wuͤrde dieſe Macht in ihren Wirkungen ſeyn, wenn die Mittel zur Ausfuͤhrung ihrer Plane nicht der Groͤße derſelben entſpraͤchen. Die Reſſourcen welche ein von der Natur ſo freygebig ausgeſteuerter Welttheil und eine Bevoͤlkerung von dreyßig Millionen Menſchen darbieten, geben die Moͤglichkeit zu den kuͤhnſten und auſſerordent - lichſten Entwuͤrfen her. Die leidige Frage: „ woher der Fonds? “die in allen Laͤndern, England ausgenommen, der Wirklichkeit der nuͤtzlichſten Vorſchlaͤge Schwierigkeiten erregt, iſt hier voͤllig unbekannt.
253Mit dieſem gluͤcklichen Umſtande vereinigt ſich die allgemeine Stimmung des hoͤhern und reichen Publikums zur Theilnahme an großen auffallenden Unternehmungen. Dieſe Stim - mung, die bey einigen aus Gemeingeiſt und Patriotismus, bey vielen aus dem eigenthuͤm - lichen, nationalen Hang zur Freygebigkeit, und bey den meiſten aus Nachahmungsſucht und Ehrgeiz entſpringt, wird, bey ſo verſchiedenen Quellen die Mutter Einer großen und wohl - thaͤtigen Wirkung fuͤr den Staat. Die Bey - ſpiele, die das Zeitalter Katharinens hie - von gegeben hat, werden in den Annalen der ruſſiſchen Geſchichte nicht verloren gehn.
Der denkende Beobachter, der dieſe gute Seite des Gegenſtandes kennt, wird das Land gluͤcklich preiſen, in welchem ſich ſo viele und wichtige Vorzuͤge zum Vortheil oͤffentlicher An - ſtalten vereinigen; aber ſeine Forderungen an daſſelbe werden auch um deſto ſtrenger ſeyn. Doch jedes Ding unter dem Monde hat zwey Seiten. Die natuͤrlichen, unausweichlichen Schwierigkeiten und Hinderniſſe abgerechnet, die in dem Weſen ſolcher Einrichtungen liegen, iſt es hauptſaͤchlich das praktiſche Detail, wel -254 ches hier die dunkle Seite macht. Wenn das ſchoͤne Ideal, welches der Seele des Erfin - ders vorſchwebt, ſchon bey ſeinem Entwurf zur Ausfuͤhrung ſo viel von ſeiner urſpruͤngli - chen Vollkommenheit verliert, wie unendlich mehr muß es nicht bey der Ausfuͤhrung ſelbſt leiden, wenn dieſe zum Theil der Sorgfalt ungeuͤbter oder gar widriggeſinnter Menſchen uͤberlaſſen iſt. Das Loos einer kleinen einfa - chen Anſtalt iſt bald entſchieden: der Kopf und das Herz des Mannes der ihr vorgeſetzt iſt, geben den Ausſchlag. Bey großen, zuſam - mengeſetzten Maſchinen haͤngt der Erfolg von der Summe der Kraͤfte und Anſtrengungen aller Einzelnen ab. Dieſe Maͤngel, deren groͤßerer oder geringerer Einfluß der wachſa - men Regierung nicht entgangen iſt, werden durch mehrere treffliche Anſtalten gemindert, die dieſen oͤffentlich bekannt gemachten Zweck haben. — Es waͤre laͤcherlich, in buͤrgerli - chen Einrichtungen uͤberall nur Vollkommenheit finden zu wollen, da ſelbſt die Natur ihre Anomalien nicht verleugnet. Es fraͤgt ſich nur, ob die gute Seite das Uebergewicht hat. Dies iſt, wie jeder unpartheyiſche Beobachter einge -255 ſtehen wird und muß, bey den hier anzufuͤh - renden Anſtalten ſo gewiß der Fall, daß die Nation, ohne dieſelben, einen großen Theil ihrer Staatsgluͤckſeligkeit entbehren wuͤrde. — Unabhaͤngig von den Maͤngeln der Ausfuͤhrung aber bleibt der Plan des Stifters; und die - ſer wird dem großen und erleuchteten Geiſt und dem mutterliebenden Herzen, aus welchen dieſe patriotiſchen und wohlthaͤtigen Ideen ent - ſprangen, nach Jahrhunderten noch ein dau - erndes Denkmal ſeyn.
In jeder Statthalterſchaft des ruſſiſchen Reichs iſt ein Tribunal, unter dem Namen des Kollegiums der allgemeinen Fuͤr - ſorge, errichtet, welchem die Sorge fuͤr alle Anſtalten uͤbergeben iſt, welche die Min - derung des menſchlichen Elends zum Zweck ha - ben, diejenigen ausgenommen, die mit beſon - dern Privilegien oder Gnadenbriefen verſehen, oder einer beſondern Direktion anvertraut ſind. Zu dieſen Anſtalten gehoͤren, nach dem Stif - tungsbefehl, namentlich folgende: Volksſchu - len, Waiſenhaͤuſer, Hospitaͤler und Kranken - haͤuſer, Armenanſtalten, Haͤuſer fuͤr unheil - bare Kranke, Irrenhaͤuſer, Arbeitshaͤuſer und256 Zuchthaͤuſer*)Verordnungen. 25 Hauptſt. 380.. Das Kollegium eines jeden Gouvernements erhielt bey ſeiner Stiftung von der Kaiſerinn 15,000 Rubel, welche nebſt den angewieſenen Einkuͤnften und den Beyſteuern patriotiſcher Menſchenfreunde, auf Zinſen aus - gethan werden, um eine fortdauernde Quelle fuͤr die Errichtung neuer, oder fuͤr die Ver - beſſerung ſchon vorhandener Anſtalten zu ſichern. Die Bereitwilligkeit, mit welcher das Publi - kum zur Befoͤrderung dieſer wohlthaͤtigen und gemeinnuͤtzigen Abſichten mitwirkte, war ſo allgemein, und die Freygebigkeit einzelner Glie - der deſſelben ſo ausgezeichnet, daß man wol nicht leicht ein Land anfuͤhren koͤnnte, in wel - chem einzelne Privatperſonen aͤhnliche Sum - men zu einem aͤhnlichen Zweck hergegeben haͤt - ten. Außer den 15,000 Rubeln welche die Kai - ſerinn jedem Gouvernement zur Errichtung ei - nes Kollegiums der allgemeinen Fuͤrſorge gab, ſchenkte ſie dem St. Petersburgiſchen insbe - ſondere eine Summe von 52,659 Rubeln, wel - che der Adel der Statthalterſchaft und die Buͤr -ger -257gerſchaft der Reſidenz zu einem Monument Katharinens der Zweyten beſtimmt hatten. Der ſchoͤne Gedanke, dieſer mit Recht bewunderten Fuͤrſtinn, das Denkmal ihrer Thaten lieber in den Herzen ihrer duͤrftigen und leidenden Unterthanen als auf dem Pfla - ſter von Petersburg errichtet zu ſehen, hat zwar die Exiſtenz eines großen Kunſtwerks ver - hindert; aber dafuͤr eine nuͤtzliche Anſtalt erzeugt; und an der Stelle, wo ſich vielleicht die Be - wunderung der Kenner in Worte ergoſſen haͤt - te, ergießt ſich jetzt der Dank geretteter Un - gluͤcklichen in ſtille Gebete fuͤr das Wohl einer Monarchinn, deren Herz Gefuͤhl fuͤr die edelſte und ſuͤßeſte Pflicht ihrer erhabenen Beſtimmung hat.
Dieſe großen Beyſpiele waren das Sig - nal zum Wetteifer des Publikums. Der Staats - rath Demidow gab 20,000 Rubel, der Aſ - ſeſſor Twerdiſchew 14,000, der Geheime - rath Betzkoi 5,000, der Aſſeſſor Saiva Jakowlew eben ſo viel, der Kaufmann Wolodimerow 4,000; eine Menge Privat - leute, der Adel, die Kaufmannſchaft und mehrere Unbekannte kamen mit groͤßern oder kleinern Summen ein, und der ganze BetragErſter Theil. R258aller Beytraͤge, die angewieſenen Einkuͤnfte mitgerechnet, belief ſich in den erſten zwey Jahren nach der Stiftung auf 303,173 Rubel.
Jetzt wollen wir uns mit den vorzuͤglich - ſten hier beſtehenden Anſtalten bekannt machen. Nicht alle von denen die in dieſem Abſchnitte angefuͤhrt werden, ſind der Auſſicht des Kol - legiums der allgemeinen Fuͤrſorge unterworfen, und nur die wenigſten haben demſelben ihre Entſtehung, viele aber eine beſſere, ihrem Zweck angemeßnere Verfaſſung zu danken.
Wir machen mit den oͤffentlichen Kran - kenhaͤuſern den Anfang. — Die beyden großen Hospitaͤler fuͤr die Land - und Seetruppen beduͤrfen hier nur einer blo - ßen Anzeige, da ſie nicht fuͤr das ganze Pu - blikum, ſondern zum Behuf eines einzelnen Standes eingerichtet ſind. Das Hospital fuͤr Landtruppen hat gewoͤhnlich tauſend, zuweilen aber auch mehr und bis auf zweytauſend Bet - ten. Die Koſten deſſelben betragen, die Un - terhaltung der Kranken abgerechnet, im Durch - ſchnitt gegen 10,000 Rubel. Das Hospital fuͤr Seetruppen koſtet ebenfalls, ohne Unter - haltung der Kranken und ohne Arzneyen, ge -259 gen 7,000 Rubel. In den Jahren 1788 und 1789 hatte es 16,733 Kranke, von welchen 13,998 genaſen.
Das Stadthospital verdient ſowol wegen ſeines allgemeinern Zwecks, als ſeiner trefflichen Einrichtung eine naͤhere Anzeige. Die Lage deſſelben, an der Fontanka, in einer nicht ſehr bewohnten Gegend, iſt zweckmaͤßig gewaͤhlt. Das Gebaͤude ſelbſt iſt freyſtehend und hat zwey Stockwerke; an die Mitte der Hinterſeite ſtoͤßt ein Fluͤgel, in welchem ein Haus fuͤr Wahnſinnige angelegt iſt. Zu bey - den Seiten des Hauptgebaͤudes ſind zwey Wohnhaͤuſer fuͤr die Aerzte und Bedienten des Inſtituts, welche noch durch drey Fluͤgel ver - groͤßert werden ſollen. Die Faſſade des Haupt - gebaͤudes iſt mit Saͤulen verziert, welche, nebſt der einfachen und geſchmackvollen Archi - tektur und der Groͤße des Ganzen, dieſer wohlthaͤtigen Stiftung einen Rang unter den ſchoͤnern Gebaͤuden der Reſidenz geben. Auf dem ſehr geraͤumigen Hofplatz ſind ſechs hoͤl - zerne Haͤuſer auf ſteinernen Grundlagen fuͤr den Sommeraufenthalt der Kranken erbaut; ein Garten, der zum Spazierengehn fuͤr Ge -R 2260neſende beſtimmt werden ſoll, iſt noch in der Anlage.
Der untere Stock dieſes großen und ſchoͤ - nen Gebaͤudes iſt fuͤr die Haushaltung, und der obere fuͤr die Kranken eingerichtet, deſſen eine Haͤlfte den Mannsperſonen und die an - dere den Weibern gewidmet iſt. Die Kranken - ſtuben ſind hoch und geraͤumig; die Winter - waͤrme darf nie uͤber 10 bis 12 R. Grade ſeyn. Reinlichkeit und geſunde Luft ſind hier in ſol - chem Maaße vorhanden, als ich ſie nur bey aͤußerſt wenigen Anſtalten dieſer Art in Deutſch - land und Frankreich gefunden habe. Selbſt in den Zimmern der Kranken, deren Ausduͤn - ſtungen die Luft verpeſten, iſt die Veraͤnde - rung derſelben beynah unmerklich. Die Bet - ten ſind ringsum, aber nicht oben, mit Vor - haͤngen verſehen und ſtehen in geraͤumiger Ent - fernung von einander. In den Baͤdern, Kuͤ - chen und Vorzimmern herrſcht uͤberall die naͤm - liche Sorgfalt fuͤr Reinlichkeit, die man in den Krankenſtuben bewundert. Die Geneſen - den haben einen großen und zweckmaͤßig einge - richteten Saal zum Spazieren.
261Dieſes Hospital enthaͤlt dreyhundert Bet - ten, die in vorkommenden Faͤllen bis auf vier - hundert vermehrt werden koͤnnen. Es werden in demſelben Kranke aller Art, nur veneriſche nicht, aufgenommen, die Armen unentgeld - lich, herrſchaftliche Leute, Handwerker, und dergleichen aber gegen eine monatliche Bezah - lung von vier Rubeln. Die ankommenden Kranken werden ſogleich geſchoren und geba - det, und erhalten eine reinliche Kleidung.
Eine eigenthuͤmliche Einrichtung dieſes In - ſtituts iſt die Anſtellung eines Profeſſors der Elektrizitaͤt fuͤr die Heilung ſolcher Krankhei - ten die durch die Wirkung derſelben gehoben werden koͤnnen.
In fuͤnf Jahren, von 1785 bis 1789 wurden hier 9895 Kranke aufgenommen, von welchen 2075 ſtarben, und 237 am Ende des letzten Jahrs noch im Hospital waren. Daß die Sterblichkeit, trotz der anerkannten Vor - zuͤge dieſes Inſtituts, dennoch ſo groß iſt, ruͤhrt wol mehr von dem Umſtande her, daß ſehr viele Kranke ſich nur im aͤußerſten Noth - fall hieher bringen laſſen, wenn es zu ſpaͤt iſt, ihnen wirkſame Huͤlfe zu leiſten.
R 3262Das Haus fuͤr Wahnſinnige beſteht aus vier und vierzig Kammern in zwey gegenuͤber - ſtehenden Reihen, deren eine fuͤr maͤnnliche und die andere fuͤr weibliche Ungluͤckliche dieſer Art beſtimmt iſt. Auch hier herrſcht die moͤg - lichſte Reinlichkeit; hierdurch und durch die ſanfte Behandlung der Kranken werden viele der menſchlichen Geſellſchaft wieder geſchenkt. Die Wuͤthenden ſind nicht mit Ketten, ſondern mit Riemen an ihre Betten gefeſſelt, und man bedient ſich uͤberhaupt nur gelinder Mit - tel, einer ſtrengen Diaͤt, u. ſ. w. Das Ver - haͤltniß der Ruſſen zu den Auslaͤndern iſt hier nur gering; die Zahl der Mannsperſonen iſt faſt um ein Viertel ſtaͤrker als die des weibli - chen Geſchlechts; Schwermuth, Liebe und Stolz ſind hier wie uͤberall die gewoͤhnlichen Quellen des Wahnſinns, aber die Trunken - heit iſt hier die ergiebigſte. Von 229 Kranken, die in drey Jahren in dieſes Haus aufgenom - men wurden, ſind 161 geneſen, 11 als Un - heilbare ins Armenhaus geſchickt, und 47 ge - ſtorben. Das Stadthospital ſteht unter dem Kollegium der allgemeinen Fuͤrſorge.
263Von eben ſo allgemeiner Beſtimmung als dies vortreffliche Inſtitut iſt das veneriſche Hospital, welches dreyßig Betten fuͤr Maͤn - ner, und eben ſo viele fuͤr Weiber hat, und jeden ſich Meldenden unentgeldlich aufnimmt, aber nicht eher als nach der voͤlligen Wieder - herſtellung entlaͤßt. Kein Ankoͤmmling darf um ſeinen Namen befragt werden und Jeder erhaͤlt bey ſeinem Eintritt eine reinliche Klei - dung und eine Muͤtze, auf welcher das Wort „ Verſchwiegenheit “ſteht.
Auch die mediciniſchchirurgiſche Schule*)S. den folgenden Abſchnitt. wird durch ihre kliniſchen An - ſtalten duͤrftigen und huͤlfloſen Kranken nuͤtz - lich. In dem kleinen aus zwanzig Betten be - ſtehenden Hospital, welches zur praktiſchen Bildung junger Wundaͤrzte beſtimmt iſt, werden jaͤhrlich mehr als hundert Arme unentgeldlich verpflegt und geheilt. — Das mit eben dieſem Inſtitut verbundene Entbindungshaus, welches acht bis zehn Schwangere zu gleicher Zeit aufnehmen kann, verpflegt und beſorgtR 4264die ſich Einfindenden mit der groͤßten Ver - ſchwiegenheit und ohne irgend eine Bezahlung. Es ſteht den jungen Muͤttern frey, ob ſie ihre Kinder mit ſich nehmen, oder fuͤr das Findel - haus hinterlaſſen wollen. Die Lehrlinge der Entbindungskunſt ſind zugleich Krankenwaͤrte - rinnen und koͤnnen ſich zu dieſem Behuf auch in der Stadt vermiethen.
Das Pockenhaus, welches die Kaiſe - rinn 1768 zur wirkſamern Verbreitung der Einimpfung ſtiftete, ſteht unter dem Kollegi - um der allgemeinen Fuͤrſorge, und nimmt jaͤhrlich zweymal Kinder unentgeldlich auf. Im Jahr 1789 wurden 135 Knaben und 55 Maͤd - chen die Pocken eingeimpft. Dieſe gemeinnuͤ - tzige Anſtalt koſtet jaͤhrlich etwa 6000 Rubel.
Das mit dem Findelhauſe verbundene Entbindungshaus nimmt alle Schwangere die ſich melden ohne Ausnahme, ohne Unter - ſachung und Bezahlung auf. Bey dieſem In - ſtitut iſt ein Geburtshelfer angeſtellt, der zu - gleich Lehrer der Entbindungskunſt iſt.
Außer dieſen oͤffentlichen Einrichtungen be - ſteht ſeit dem Jahr 1788 eine Privatanſtalt zur Verpflegung und Heilung duͤrftiger Kran -265 ken in ihren Haͤuſern, die unter dem Namen der wohlthaͤtigen Krankenanſtalt be - kannt iſt. Die Koſten derſelben werden durch geſammelte Beytraͤge des Publikums beſtritten; die Aerzte und Wundaͤrzte, die dieſer Anſtalt beygetreten ſind, leiſten den in ihrer Gegend wohnenden Kranken unentgeldlichen Beyſtand, und die Apotheker nehmen ihre Waaren mit einem Abzug von zwanzig vom Hundert be - zahlt. Ganz Arme erhalten aus der Kaſſe des Inſtituts von Zeit zu Zeit eine kleine Geldſum - me zu ihrer Erquickung, in noͤthigen Faͤllen werden auch Krankenwaͤrter angeſtellt. Die Beſorgung des Ganzen hat der Prediger der lutheriſchen Petrigemeine, Lampe, uͤber - nommen, dem auch das Verdienſt gehoͤrt, dieſe gemeinnuͤtzige Anſtalt zu Stande gebracht zu haben.
Unter den oͤffentlichen Armenanſtalten ſteht das Findelhaus mit Recht oben an. Es wurde im Jahr 1770 als eine Abtheilung des großen moskowiſchen errichtet, und iſt, auſ - ſer ſeiner eigentlichen Beſtimmung, zugleich ein Entbindungs - und Erziehungshaus, daher es im Rußiſchen nur mit dieſer letztern Benen -R 5266nung belegt wird. Die Einrichtung dieſer An - ſtalt iſt die uͤberall gewoͤhnliche. Auf das Zei - chen mit der Klingel wird ſogleich ein Korb herunter gelaſſen, welcher die gebrachten Kin - der aufnimmt; findet ſich kein Zettel bey den - ſelben, ſo wird bloß angefragt, ob das Kind getauft ſey und wie es heiße. Die Kinder werden zum Theil an Ammen und Bauerwei - ber außer der Stadt abgegeben. Ihre Erzie - hung wird nach den verſchiedenen Beſtimmun - gen eingerichtet, die ſie ſich, bey reiferm Al - ter, waͤhlen; diejenigen, welche vorzuͤgliche Anlagen zeigen, werden in die Akademie der Kuͤnſte, in die Theaterſchule, ins Gymnaſi - um der Akademie der Wiſſenſchaften, u. ſ. w. abgegeben; der groͤßere Theil aber wird zu Handwerkern und fuͤr Gewerbe erzogen. Rein - lichkeit und Ordnung ſind uͤberall herrſchend, und es iſt Jedermann erlaubt, dieſes Haus zu jeder Zeit zu beſuchen. Die Knaben wer - den mit dem vier und zwanzigſten, und die Maͤdchen im zwanzigſten Jahr, ohne alle Ver - pflichtungen gegen das Inſtitut entlaſſen. Ueber die Mortalitaͤt des Hauſes ſind keine Liſten267 bekannt geworden; im Jahr 1788 befanden ſich 300 Kinder in demſelben.
Die oͤffentliche Erziehungsanſtalt fuͤr Waiſen und uneheliche Kinder ſteht unter dem Kollegium der allgemeinen Fuͤrſorge, und gehoͤrt nicht nur der Reſidenz ſondern auch dem Kreiſe an. Sie nimmt ge - gen hundert Kinder beyder Geſchlechter auf, die nach vollendeter Erziehung als freye unab - haͤngige Leute entlaſſen werden. — Ein klei - nes Waiſenhaus fuͤr acht Knaben, welches ein wohlhabender Buͤrger vor einigen Jahren ſtif - tete (der ehrwuͤrdige Mann heißt Keſtner und iſt ein Deutſcher) iſt mit der Schule der lutheriſchen Annenkirche auf dem Stuͤckhofe verbunden. Die Kinder werden in allem gaͤnz - lich frey gehalten, zu Handwerkern erzogen, und hernach an Meiſter abgegeben, wobey dieſes Inſtitut ſie noch waͤhrend der Lehrlings - jahre unterſtuͤtzt.
Seit dem Jahr 1781 hat die Reſidenz ein großes Armenhaus, welches unter der Aufſicht des Kollegiums der allgemeinen Fuͤr - ſorge ſieht, alle Armen beyder Geſchlechter aufnimmt und ſie mit allen Lebensnothwendig -268 keiten verſorgt. Sie werden in drey Klaſſen getheilt. Die erſte enthaͤlt ſolche, die unheil - bare Krankheiten oder Schaͤden haben; im Jahr 1789 waren deren 149 maͤnnliche und 328 weibliche vorhanden. Zur zweyten Klaſſe gehoͤren die voͤllig Unvermoͤgenden, und zu der dritten ſolche, die noch einige Arbeit ver - richten koͤnnen; dieſe letztern muͤſſen der zwey - ten Klaſſe Handreichungen leiſten, wofuͤr ſie aber eine Verguͤtung erhalten. Im Jahr 1789 waren von dieſen beyden Klaſſen 227 maͤnnli - che und 759 weibliche vorhanden; im ganzen Armenhauſe alſo 1463 Perſonen beyder Ge - ſchlechter. — Reinlichkeit, Pflege und Sorg - falt ſind in dieſem Hauſe ſo gut, als es den Umſtaͤnden nach moͤglich iſt; alle Bewohner deſſelben ſind in einheimiſches, weiſſes Tuch gekleidet und tragen auf dem Arm die An - fangsbuchſtaben der ruſſiſchen Worte: „ St. Petersburgiſche Armenhaͤusler. “
Kleiner in ſeiner Anlage, aber merkwuͤr - dig durch ſeine zweckmaͤßige Einrichtung iſt das Invalidenhaus, welches der Großfuͤrſt Paul Petrowitſch neben ſeinem Sommer - pallaſt auf Kammenoi Oſtrow angelegt hat. 269Die Idee, in der Naͤhe ſeines Wohnſitzes ei - nen Zufluchtsort fuͤr alte und duͤrftige Krieger zu erbauen, macht dem Herzen dieſes menſch - lichen und liebenswuͤrdigen Fuͤrſten unendliche Ehre, und die Ausfuͤhrung derſelben entſpricht der Vorſtellung, die man ſich nach dieſer Vor - ausſetzung macht. Achtzig alte Matroſen wer - den hier aufgenommen und bis zur Vollendung ihrer Laufbahn verpflegt.
Unter den hier anzufuͤhrenden Armenan - ſtalten verdient auch die Wittwenkaſſe be - merkt zu werden, die mit dem Findelhauſe verbunden iſt und im Jahr 1772 kaiſerliche Sanktion erhielt. Sie hat vier Klaſſen, in welchen nach Verhaͤltniß des Alters jaͤhrlich ei - ne Summe entrichtet wird, welche die Witt - wen nach dem Tode ihrer Maͤnner ebenfalls jaͤhrlich erhalten. In dem entgegengeſetzten Fall bekoͤmmt der Mann drey Viertheile ſeines Einſatzes zuruͤck. — Unter den mehreren Privatſterbekaſſen zeichnet ſich die vor - zuͤglich aus, welche der Paſtor Grot bey der lutheriſchen Katharinenkirche auf Waſſili Oſtrow geſtiftet hat. Sie beſteht aus 550 Gliedern, die zum Einſatz 10 Rubel und bey270 jedem Sterbefall 2 Rubel zahlen, wogegen die Erben eine Summe von 1000 Rubeln er - halten.
Ich beſchließe dieſe Rubrik mit der An - zeige zweyer der wichtigſten Anſtalten zur Unterſtuͤtzung und Bequemlchkeit des Publikums. Dieſe ſind der Lombard und die Leihebank fuͤr den Adel und die Staͤdte.
Der Lombard iſt eine mit dem Findel - hauſe verbundene und von der Kaiſerinn ga - rantirte Einrichtung, deren Verfaſſung im Weſentlichen mit denen in andern Laͤndern uͤber - einkommt. Dieſe Anſtalt leiht auf Gold und Silber drey Viertheile des Werths, auf un - edle Metalle die Haͤlfte, und auf aͤchte Stei - ne, Kleider, Pelzereyen, u. ſ. w. ſo viel als nach Maaßgabe der Umſtaͤnde gut gefunden wird, doch nie unter zehn und uͤber tauſend Rubel. Der Werth der eingebrachten Sachen wird durch beeidigte Taxatoren beſtimmt. Die Gelder werden auf drey, ſechs oder neun Mo - nate, hoͤchſtens auf ein Jahr, aber nie auf eine laͤngere Zeit ausgegeben. Den Verpfaͤn - dern wird zur Einloͤſung nur eine dreywoͤchent -271 liche Friſt nach Verlauf des Termins, gegen Er - legung der Zinſen fuͤr einen ganzen Monat zuge - ſtanden. Nach dieſer Zeit werden ſie durch oͤf - fentlichen Ausruf verkauft, wobey die Eigenthuͤ - mer alles, was uͤber die Anleihe, Zinſen und Unkoſten einkoͤmmt, gewiſſenhaft zuruͤckerhalten. Die Zinſen betragen, fuͤr jeden auf drey Mona - te laufenden Schein, einen halben Kopeken fuͤr jeden Rubel, einen ganzen Kopeken aber, wenn Diamanten oder aͤhnliche Koſtbarkeiten verpfaͤn - det werden. — Der Lombard gewaͤhrt dem Publikum auch die Bequemlichkeit, daß man Gelder in demſelben auf eine unbeſtimmte Zeit niederlegen, oder auch jahrweiſe auf Zinſen geben kann. Im letztern Fall erhaͤlt man die geſetzmaͤßigen Zinſen in der Muͤnze des Kapi - tals*)Die vollſtändige Einrichtung des Findelhauſes und der Entbindungsanſtalt, wie auch des Lombards und der Wittwen - und Depoſitokaſſe finden Deutſche Leſer in dem erſten Vande der Denkwürdigkeiten der Regierung Katha - rina der Zweyten, daher hier nur das Weſentlichſte der - ſelben kurz angezeigt iſt..
Von ausgedehnterer Beſtimmung und groͤ - ßerer Wichtigkeit iſt die Leihebank fuͤr den272 Adel und die Staͤdte. Dieſes ſehr merkwuͤrdige Inſtitut erhielt ſein Daſeyn durch eine ebenfalls ſehr merkwuͤrdige Ukaſe, die ſo reichhaltig an ſtatiſtiſchen Factis, und ſo unterſcheidend durch ihren Zweck und durch die Behandlung deſſelben iſt, daß ein fruchtbarer Auszug dem groͤßten Theil meiner Leſer hier gewiß willkommen ſeyn wuͤrde, wenn der Gegenſtand und der Plan dieſer Blaͤtter eine Abweichung von dem Umſang ge - ſtattete. Wir werden uns alſo, um unſerm Zweck getreu zu bleiben, nur auf die Kenntniß der weſentlichſten Einrichtungen der Leihbank be - ſchraͤnken.
Katharina die Zweyte legte im Jahr 1786 zwey und zwanzig Millionen Rubel zu Darlehnen fuͤr den Adel, eilf Millionen fuͤr die Staͤdte, und drey Millionen fuͤr die tauriſche Provinz nieder, die zur Befoͤrderung der Land - wirthſchaft, der ſtaͤdtiſchen Induſtrie und der Kultur uͤberhaupt ausgeliehen werden ſollten. Die Bedingungen, unter welchen dies geſchieht, ſind im Weſentlichen folgende*)Ukaſe vom 2ten Juli 1786..
Die273Die Bank leiht nur auf unbewegliche Guͤ - ter. Da der Werth eines ruſſiſchen Landguts nach der Anzahl der Bauern beſtimmt wird, ſo ſetzt die Bank die letzte Reviſion als Richt - ſchnur feſt, und nimmt den Bauer zu vierzig Rubel an; ſo daß ein Gutsbeſitzer, der tau - ſend Rubel verlangt, fuͤnf und zwanzig Bau - ern als Unterpfand ſtellen muß. Das Darlehn wird auf zwanzig Jahre gegeben; der Ver - pfaͤnder zahlt naͤmlich alle Jahre fuͤnf vom Hundert Zinſen, und drey vom Hundert vom Kapital ab, ſo daß er nach zwanzig Jahren ſein ganzes Darlehn zuruͤckbezahlt hat.
Die Anlehne werden fuͤr Niemand und durch nichts, als durch den Werth und die Zuverlaͤßigkeit des Unterpfandes beſchraͤnkt; Jeder kann daher ſo viel Geld verlangen und erhalten, als er dafuͤr geſetzliches Unterpfand zu geben im Stande iſt. Doch leiht die Bank nicht unter tauſend, und nur zu tauſend Ru - beln, letzteres um den Verwirrungen einer weitlaͤuftigen und ſchwierigen Berechnung zu entgehn. Man kann alſo nur 25, oder 75, oder 100 u. ſ. w. Bauern verpfaͤnden.
Erſter Theil. S274Das verpfaͤndete Vermoͤgen iſt keinem Be - ſchlage, keiner Konfiskation, keiner Krons - oder Privatforderung unterworfen. — Alle vier Jahre wird ein, dem ſchon bezahlten Theile des Kapitals, an Werthe gleicher, Theil des Pfandes freygegeben. — Die Bank kann anderwaͤrts verpfaͤndete oder zur Bezahlung der Schulden angewieſene Guͤter einloͤſen; auch verpfaͤndete Guͤter koͤnnen ver - kauft werden, aber alsdann uͤbernimmt der Kaͤufer alle Verpflichtungen des Verkaͤufers gegen die Bank.
Den Werth des Pfandes beſcheinigt der buͤrgerliche Gerichtshof des Gouvernements und muß dafuͤr haften. Die Zinſen werden nach Verlauf eines Jahres entrichtet. Die Bank giebt zehn Tage Friſt; wer einen Monat ſaͤumt, zahlt ein Prozent Strafe; eben dies gilt auch vom zweyten und dritten Monat. Wenn aber Jemand uͤber drey Monate zoͤgert, ſo nimmt das adliche Vormundſchaftsamt das verpfaͤndete Gut in Verwaltung. Von den Einkuͤnften werden die Zinſen und Strafgelder abbezahlt und der Reſt wird dem Gutsherrn zugeſtellt.
275Die Einwohner der Staͤdte erhalten Dar - lehen auf ihr unbewegliches Vermoͤgen, und zahlen jaͤhrlich vier vom Hundert Zinſen und drey vom Hundert Kapital; ſind alſo in zwey und zwanzig Jahren von ihrer Schuld befreyt.
Mit der Bank iſt eine Depoſitokaſſe verbunden, welche Gelder zu vier und ein hal - bes vom Hundert annimmt. Die niedergeleg - ten Summen koͤnnen zu jeder Zeit zuruͤckgefor - dert werden. Bey ſehr großen Summen iſt eine vorhergehende Aufkuͤndigung noͤthig.
Die Verſicherungsanſtalt fuͤr ſtei - nerne Gebaͤude, die zu dieſer Bank gehoͤrt, kennen wir ſchon aus dem fuͤnften Abſchnitt. —
Alle die Thatſachen, welche dieſe und die vorhergehende Rubriken enthalten, ſind eben ſo viele Beweiſe fuͤr das große Wort, welches Katharina die Zweyte in der Stiftungs - ukaſe der Leihebank ſagt: „ Das Wohl der Menſchheit, beſonders aber Unſerer Unterthanen, iſt Geſetz fuͤr Unſere Gedanken und fuͤr die Empfindun - gen Unſers Herzens. “
Militairiſche Erziehungshaͤuſer. Das Landkadettenkorps. Phyſiſche, moraliſche, wiſſenſchaftliche und militai - riſche Bildung in demſelben. Seekadettenkorps. In - genieur - und Artilleriekadettenkorps. Griechiſches Korps. Pagenkorps. — Wiſſenſchaftliche Lehran - ſtalten. Mediziniſchchirurgiſche Schule. Schulen beym Land - und Seehospital. Bergkadettenkorps. Prie - ſterſeminarium. Gymnaſium der Akademie der[Wiſ - ſenſchaften]. — Bildungsanſtalten fuͤr Kuͤnſtler. Erziehungsanſtalt der Akademie der Kuͤnſte. Theater - ſchule. — Gewerbſchule fuͤr Navigation. — Weib - liche Erziehungsanſtalt im Fraͤulein - und Jungfernſtift des woskreſenskiſchen Kloſters. — Normal und Volksſchulen. — Allgemeine Ueberſicht. Anzahl der Zoͤglinge und Einkuͤnfte aller dieſer Inſtitute. — Privaterziehung. Penſionsanſtalten. Utſchitel.
So wie St. Petersburg der Mittelpunkt der verfeinerten Induſtrie und der Aufklaͤrung iſt, ſo iſt es auch der vorzuͤglichſte Sitz der277 großen oͤffentlichen Anſtalten fuͤr Nationalbil - dung. Wenn dieſe gleich nicht auf den Vor - theil und die Beduͤrfniſſe de[r]Reſidenz allein berechnet ſind, ſo werden ihre naͤhern und entferntern Wirkungen doch nirgend merklicher als hier, und ſie verdienen daher mit Recht ihren Platz in dieſem Gemaͤhlde.
Seit der Regeneration die Peter der Große mit ſeinem Volke begann, war Na - tionalbildung ein Gegenſtand der oͤffentlichen Sorge. Dieſer große Fuͤrſt machte ſelbſt den Anfang zu einem, des Schoͤpfers der ruſſi - ſchen Nation ſo wuͤrdigen Unternehmen: ihm verdanken das akademiſche Gymnaſium und das Seekadettenkorps ihren Urſprung. Unter ſei - nen Nachfolgern zeichneten ſich die Kaiſerinnen Anna und Eliſabeth durch die Befolgung dieſes ſeines wichtigſten Planes aus. Unter der Regierung der erſtern ward der Grund zu der groͤßten Erziehungsanſtalt des ruſſiſchen Reichs, zum Landkadettenkorps, gelegt; und Eliſabeth gab der Akademie der Kuͤnſte ihr Daſeyn, und dem von Petern geſtifteten See - kadettenkorps eine neue, erweiterte Verfaſ - ſung.
S 3278Aber ſo glaͤnzend auch dieſe wohlthaͤtigen Stiftungen in den Annalen des Jahrhunderts hervorſchimmern, ſo ſehr werden ſie doch von den ſpaͤtern Entſtehungen verdunkelt, wenn wir die Geſchichte der ruſſiſchen Volksbildung bis in die Zeiten Katharinens der Zwey - ten verfolgen. Dieſe Fuͤrſtinn, unſterblich in den Jahrbuͤchern der Welt durch alles was ſie gethan hat, aber unvergeßlich in den Her - zen aller Menſchenfreunde und Philoſophen durch Geſetzgebung und Schulen, hat den Plan ihres großen Vorgaͤngers zur Aufklaͤrung und Bildung der Nation nach ſolchen Grund - ſaͤtzen und in einem ſolchen Umfange vollendet, als Er ſelbſt, bey aller Rieſengroͤße ſeines Geiſtes, in einem ſo nahen Zeitalter nicht ge - ahndet haben kann. Von ihrer wohlthaͤtigen Hand geleitet, hat ſich die Maſſe gemeinnuͤ - tziger Aufklaͤrung, die bisher in den Haupt - ſtaͤdten, wie in einem Behaͤlter, mehr zum Prunk als zum Nutzen, zuſammengehalten war, in viele tauſend kleine Kanaͤle vertheilt, die ſich uͤber das ganze Land verbreiten und den Boden uͤberall fuͤr den Saamen einer hoͤheren Kultur empfaͤnglich machen. Ihr weiht der279 Patriot und der Weltbuͤrger ſeinen Dank, wenn er jetzt in den oͤffentlichen Blaͤttern lieſt, wie der Geiſt der Aufklaͤrung und nuͤtzlicher Kenntniſſe neue Gebiete erobert, deren Be - wohner bisher dem eiſernen Himmel glichen, unter welchem ſie ihr pflanzenaͤhnliches Daſeyn vertraͤumten.
Die oͤffentlichen Anſtalten fuͤr National - bildung, die jetzt in der Reſidenz bluͤhen, ſind ihre Entſtehung zum groͤßern Theil — ihre Erweiterung und zweckmaͤßige Verbeſſerung aber alle ohne Ausnahme der jetzigen Kaiſerinn ſchuldig. Um dieſe fuͤr das Reich ſo wichtigen und fuͤr den Philoſophen ſo intereſſanten Ge - genſtaͤnde in einer gewiſſen nicht ganz willkuͤhr - lichen Ordnung zur Muſterung aufzufuͤhren, wollen wir ſie, nach ihren weſentlichſten Zwe - cken, in ſechs Klaſſen theilen.
Die erſte begreift fuͤnf der militairi - ſchen Bildung vorzuͤglich gewidmete Anſtalten, und unter dieſen behauptet das Landkadet - tenkorps, wegen ſeines allgemeinern Zwecks und ſeiner Groͤße und Wichtigkeit, den erſten Rang. Aus dieſer Urſache, und weil die Ein - richtung dieſes Inſtituts faſt bey allen militai -S 4280riſchen Erziehungskorps zum Grunde liegt, wer - de ich bey der Schilderung deſſelben ſo aus - fuͤhrlich ſeyn, als es der Plan dieſes Ge - maͤhldes geſtattet.
Zuerſt alſo von dem Lokale dieſer merk - wuͤrdigen Anſtalt. Der Umfang ihres Gebiets, welcher drittehalb Werſt betraͤgt, iſt theils mit den noͤthigen Gebaͤuden beſetzt, und theils zu einem großen Garten und Lagerplatz einge - richtet. Die vorzuͤglichſten Gebaͤude des Korps ſind der ehemalige Mentſchikowiſche Pal - laſt, in welchem es geſtiftet ward, und das eigentliche Hauptgebaͤude, welches, außer dem Erdſchoß, nur zwey Stockwerke hat, und in einer Linie von 366 Klaftern fortlaͤuft. Die aͤußere und innere Einrichtung dieſes letztern iſt, ſeinem Zweck gemaͤß, ſehr einfach; uͤber - all iſt der Prunk der Bequemlichkeit aufge - opfert. Es enthaͤlt, außer den noͤthigen Woh - nungen, Schlafgemaͤchern, Lehr - und Kran - kenzimmern, auch drey große, fuͤr ihre Ab - ſicht gut ausgeſchmuͤckte Erholungsſaͤle. In dem erſtgenannten Pallaſt ſind die mit mehr Aufwand eingerichteten Saͤle fuͤr die Aſſem - bleen befindlich. Dieſe und die uͤbrigen Ge -281 baͤude enthalten ferner die Kanzelley, eine Reitbahn, eine Schriftgießerey und Druckerey, ein naturhiſtoriſches und phyſikaliſches Kabinett, eine Bibliothek, einen Schauſpielſaal, eine ruſſiſche Kirche, und eine lutheriſche und ka - tholiſche Kapelle. — So viel von dem Lokale dieſes großen und vielumfaſſenden Inſtituts, das in vieler Ruͤckſicht das einzige ſeiner Art iſt; und nun einige Zuͤge, um die Organi - ſation deſſelben zu karakteriſiren.
Das Landkadettenkorps iſt, wenigſtens ſei - nem Hauptzweck nach, eine Militairſchule; das Syſtem der Erziehung, und folglich auch die Leitung und Aufſicht derſelben, ſind mili - tairiſch. Die Direktion der ganzen Anſtalt wurde bey ihrer erneuerten Stiftung im Jahr 1766, einem Generaldirektor uͤbertragen, wel - chem ein Adminiſtrationsrath zugeordnet war, der aus vier, von der Kaiſerinn ernannten Perſonen beſtand. Itzt iſt dieſer Rath einge - gangen, und der Graf zu Anhalt bekleidet die Stelle eines Oberaufſehers ohne alle Ein - ſchraͤnkung. In der allgemeinen Sorge fuͤr das Ganze iſt der Obriſtlieutenant des KorpsS 5282ſein Gehuͤlfe; das ſaͤmmtliche uͤbrige Perſo - nale iſt zu untergeordneten Zwecken beſtimmt.
Immer um das dritte Jahr nimmt das Korps hundert und zwanzig, fuͤnf - bis ſechs - jaͤhrige Knaben auf. Zu den Erforderniſſen der Aufnahme gehoͤrt, daß die Vaͤter von Adel ſeyn, d. h. in buͤrgerlichen oder Kriegs - dienſten den Rang als Stabsoffiziere haben, und daß die Kinder vollkommen geſund ſeyn muͤſſen, weshalb ſie auch der Beſichtigung des Arztes unterworfen werden. Vorzuͤgliche Anſpruͤche an die Aufnahme haben die Kinder, deren Vaͤter arm ſind, oder in Schlachten fuͤr das Vaterland ihr Leben verloren haben, oder die aus ſehr entfernten Provinzen hierher geſchickt ſind. Alle einmal Aufgenommene koͤnnen unter keinerley Vorwand wieder weggenommen wer - den, ſondern muͤſſen, bis zur Vollendung ihrer Erziehung im Inſtitute bleiben. Außer dieſen hundert und zwanzig Knaben, werden, nach einer Stiftung des wirklichen Geheimen - raths Bezkoi, noch fuͤnfe unter eben dieſen Bedingungen aufgenommen; und im Jahr 1772 legte die Kaiſerinn eine Summe von 100,000 Rubeln nieder, deren Zinſen dazu283 beſtimmt ſind, bey jeder Aufnahme funfzehn und mehrere Knaben, deren Vaͤter nicht in dem Range eines Stabsoffiziers ſtehen, die Erziehung im Korps genießen zu laſſen. Die Summe aller Aufzunehmenden iſt alſo 140 und druͤber, und die Anzahl aller Kadets uͤber 700.
Bey ihrer Aufnahme treten die Kadets in das erſte Alter, tragen eine braune Ma - troſenkleidung mit blauen Guͤrteln, und ſte - hen unter weiblicher Aufſicht, zu welchem Be - huf eine Direktrice, nebſt zehn Gouvernanten und mehreren Aufwaͤrterinnen angeſtellt ſind. Nach drey Jahren ruͤcken ſie in das zweyte Alter, wo ſie eine der vorigen aͤhnliche Klei - dung von blauer Farbe bekommen, und der Aufſicht von acht Gouverneurs anvertraut wer - den, denen ein Inſpektor vorgeſetzt iſt. Der Bedienten ſind hier ſchon wenigere, als im erſten Alter. Nach Verlauf eines ebenmaͤßigen Zeitraums von drey Jahren gehen die Zoͤglin - ge in das dritte Alter uͤber, welches eine graue Kleidung hat, und in welchem die Auf - ſicht Feldoffizieren uͤbergeben iſt. Wenn die Kadets hier ebenfalls drey Jahre zugebracht284 haben, welches auch bey den folgenden Altern der beſtimmte Zeitraum iſt, ſo treten ſie in das vierte, oder erſte militairiſche Alter, in welchem ſie ihre bisherige Kleidung gegen eine einfache und zweckmaͤßige Uniform vertauſchen. In dieſem und dem fuͤnften Alter ſtehen ſie unter der Aufſicht der Offi - ziere des Korps, welche im Rang eine Stufe vor die Feldarmee voraus haben. Der Etat derſelben beſteht, außer dem Obriſtlieutenant, in zwey Majors, ſechs Kapitains, zwoͤlf Lieutenants und ſechs Faͤhnrichs. — Zu dem uͤbrigen Perſonale des Korps gehoͤren: ein Polizeymeiſter, ein Stallmeiſter, (izt) fuͤnf und ſechzig Lehrer, von denen einige das Praͤ - dikat als Profeſſoren haben, mehrere Zeichen - Fecht - und Tanzmeiſter, ein Arzt, ein Staab - und zwey Unterwundaͤrzte, ein Apotheker, ein Ober - und zwey Unteroͤkonomen, und, auſ - ſer den Kanzelleybedienten und allen zur innern Wirthſchaft des Korps gehoͤrigen Leuten, auch ein griechiſcher, ein lutheriſcher und ein katho - liſcher Geiſtlicher.
Der allgemeine Zweck dieſer Anſtalt zer - faͤllt, ſeiner Natur nach, in folgende unter -285 geordnete Zwecke: phyſiſche, moraliſche, wiſ - ſenſchaftliche und militairiſche Bildung. Die Wichtigkeit eines Inſtituts, in welchem ein großer, maͤchtiger, zur Kultur hinanſtreben - der Staat, ein fuͤr das Wohl des Ganzen ſo wichtiges Ziel, an einer ſolchen Anzahl junger Buͤrger aus den erſten Staͤnden des Volks zu erreichen ſucht, iſt ein allzumerkwuͤrdiger Ge - genſtand der Unterſuchung, als daß eine un - partheyiſche Schilderung deſſelben hier an der unrechten Stelle ſeyn koͤnnte.
Wenn die einzelnen Theile dieſes großen Ganzen hin und wieder gerechtem Tadel aus - geſetzt ſind, (und welche menſchliche Anſtalt iſt das nicht?) ſo kann dieſer die phyſiſche Erziehung am wenigſten treffen. Das Sy - ſtem derſelben iſt Abhaͤrtung; aber ohne in Barbarey auszuarten, oder das Leben der jungen Zoͤglinge paͤdagogiſchen Verſuchen preis zu geben. Die wichtigſte Grundlage der phyſi - ſchen Bildung in großen Inſtituten, Reinlich - keit, iſt durchaus und uͤberall in ſo hohem Grade vorhanden, als ſie ſelten in aͤhnlichen Anſtalten ſtatt finden wird. Die Kleidung iſt zu - reichend und bequem; aber ſelbſt im haͤrteſten286 Winter wird weder Pelz noch Mantel geſtat - tet. Die Nahrung der Kadets iſt einfach und gut zubereitet; Mittags erhalten ſie Fleiſch, des Abends nur gekochte Fruͤchte, und dergl. Ihr Fruͤhſtuͤck iſt eine Semmel, ihre Vesper - koſt eine Schnitte ſchwarzes Brod, ihr Ge - traͤnk Waſſer. Jedes Alter hat einen großen Schlafſaal, der des Winters nur ſehr wenig geheizt wird, und jeder Kadet ſein eigenes reinliches Bette. Die Tageordnung, in Ruͤck - ſicht auf koͤrperliche Erziehung iſt dieſe. Mor - gens, nach fuͤnf Uhr ſtehen ſie auf; die Zeit bis ſieben iſt der Reinlichkeit, dem Fruͤhſtuͤck, u. ſ. w. gewidmet. Von ſieben bis eilf genie - ßen ſie den Unterricht, wobey jedoch eine kleine Pauſe einfaͤllt, waͤhrend welcher ſie die Lehr - ſaͤle verlaſſen duͤrfen. Die letzte Stunde des Vormittags iſt koͤrperlichen Uebungen beſtimmt. Um zwoͤlf wird gegeſſen; bis zwey Uhr iſt Erholungszeit. Von zwey bis ſechs ſind Lehr - ſtunden; dann wieder eine Pauſe zur Erho - lung. Um ſieben Uhr Abendtafel; der Reſt des Tages iſt der Vorbereitung, Wiederho - lung, u. ſ. w. gewidmet. Nach neun Uhr iſt alles zu Bette. — Die Zeit von einem Ta -287 ge zum andern iſt alſo in drey gleiche Theile getheilt: acht Stunden Schlaf, acht Stun - den ſitzende Beſchaͤftigung, und acht Stunden Bewegung und Erholung; ein Verhaͤltniß welches fuͤr den menſchlichen Koͤrper das zu - traͤglichſte iſt. Die Art, wie dieſer letzte Zeit - raum ausgefuͤllt wird, iſt nicht weniger zweck - maͤßig. Drey große Rekreationsſaͤle ſind haupt - ſaͤchlich zu dieſer Abſicht beſtimmt. Hier koͤn - nen ſich die Kadets im Fechten, Voltigiren und andern koͤrperlichen Geſchicklichkeiten uͤben, und fuͤr Unterhaltungen edlerer Art iſt auch geſorgt. Buͤcher, Zeitungen, Journale, Erd - und Himmelskugeln bieten ihnen den mannig - faltigſten Zeitvertreib dar; ſelbſt die Verzie - rungen, mit denen dieſe Saͤle geſchmuͤckt ſind, laden zum Unterricht ein, indem ſie nur zu vergnuͤgen ſcheinen. In dem Saal des vierten und fuͤnften Alters ſind die Buͤſten großer Maͤnner des Alterthums und die Bildniſſe merkwuͤrdiger Menſchen unſerer Zeit aufgeſtellt; die Erholungsſaͤle der uͤbrigen Alter ſind ſtatt der Wandtapeten mit den Abbildungen der ver - ſchiedenen Nationen des ruſſiſchen Reichs in ihren eigenthuͤmlichen Trachten bemalt. Im288 Sommer, waͤhrend welchem die militairiſchen Alter einige Wochen hindurch im Lager ſtehen, wird der Garten des Korps eine Quelle man - nigfaltiger Unterhaltung fuͤr die juͤngern Zoͤg - linge. Hier ſind kleine Felder und Gaͤrten von ihrer eigenen Anlage, wo ſie die Arbeiten des Feldbaus in kleinen praktiſchen Verſuchen ken - nen lernen. Bey allen dieſen Erholungen wer - den ſie von den Aufſehern begleitet, die uͤber ihre koͤrperlichen und geiſtigen Beſchaͤftigungen wachen muͤſſen. —
Das Syſtem der phyſiſchen Erziehung iſt Strenge: das der moraliſchen, Gelin - digkeit. Man ſucht die Unſittlichkeit zu verhuͤ - ten, um ſie nicht beſtrafen zu duͤrfen. Das erſte und wichtigſte Mittel, deſſen man ſich zu dieſem Endzweck bedient, iſt ununter - brochene Aufſicht. Dieſe, und folglich auch die ganze moraliſche Ausbildung, iſt den Gou - verneuren und Offizieren uͤbergeben. Jeder derſelben hat eine beſtimmte Anzahl Kadets unter ſeiner beſondern Aufſicht, fuͤr deren Auffuͤhrung er haften muß. Selbſt in den Lehrſtunden ſind beſtaͤndig welche zugegen, weil die Lehrer es bloß mit dem Unterricht zu thunhaben;289haben; eben ſo in den Rekreationsſaͤlen und Schlafzimmern. Da der ſittliche Karakter des Aufſehers hier alles entſcheidet, ſo iſt man natuͤrlich in der Auswahl der Leute zu dieſen Stellen ſehr behutſam; und nie vielleicht hat das Kadettenkorps mehr Sorgfalt in dieſer Ruͤckſicht bewieſen, als unter der Direktion des Grafen zu Anhalt. Ehre und Schan - de ſind die einzigen Motive, welche der vorge - ſchriebene Plan zu gebrauchen erlaubt. Koͤr - perliche Strafen ſind durchaus verbannt; bey wichtigen Fehltritten werden kleine militairiſche Zuͤchtigungen und Ehrenſtrafen angewandt; man ſetzt die Kadets auf Waſſer und Brod, man nimmt ihnen die Erlaubniß, ihre Eltern oder Verwandte zu beſuchen, u. ſ. w. Das Gefuͤhl der Ehre wird durch Auszeichnungen und Belohnungen erweckt, die in kleinen Ge - ſchenken und Preisaustheilungen von Buͤchern, Inſtrumenten, oder in goldenen und ſilbernen Medaillen, auf den Rock geſtickten Marken, u. ſ. w. beſtehen. Dieſe ſanfte Erziehungsart, welche bey gutartigen Kindern vortreffliche Wirkung thut, ſcheint dennoch ein wenig zu allgemein berechnet zu ſeyn; denn nach dieſenErſter Theil. T290Grundſaͤtzen, die ſehr genau befolgt werden, giebt es faſt kein Mittel, die Faulen, Wider - ſpenſtigen, Unempfindlichen zur Beſſerung zu zwingen, deren doch unter einer ſo großen An - zahl nicht wenige ſeyn koͤnnen. Da die Auf - ſeher, wie geſagt, ſaͤmmtlich Leute von gutem moraliſchen Karakter und einer gewiſſen Aus - bildung ſind, ſo bleibt den Kadets faſt keine Gelegenheit zur Verfuͤhrung uͤbrig. Sie wer - den nur ſelten, auf die beſondere Erlaubniß des Chefs, nie ohne Begleitung, und nur auf wenige Stunden des Sonntags aus dem Hau - ſe gelaſſen, um ihre Eltern und Verwandten zu beſuchen, die ſie jedoch im Korps ſelbſt zu ſehen und zu ſprechen oͤftere Gelegenheit haben. Den Winter hindurch iſt monatlich an einem Sonntage oͤffentliche Aſſemblee, wobey das ganze anſtaͤndige Publikum zugelaſſen wird. Die Kadets treten nach der Ordnung der Al - ter paarweiſe unter kriegeriſcher Muſik in den Saal, wo ſie durch Schranken von den Zu - ſchauern abgeſondert ſind, mit welchen ſie ſich zwar unterhalten duͤrfen, aber ohne Geld oder Geſchenke anzunehmen. Um ihnen eine anſtaͤndige Dreiſtigkeit einzufloͤßen, werden ſie291 hier zum Tanzen aufgefordert, und in eben dieſer Abſicht iſt es ihnen auch erlaubt, jaͤhr - lich einmal auf ihrem ſehr ſchoͤn eingerichteten Theater zu ſpielen. Zuweilen, aber ſehr ſel - ten, wird ein oͤffentlicher Ball gegeben, wobey die Kinder aus dem Fraͤuleinſtift zugegen ſind. — So lange die Kadets im Korps erzogen werden, duͤrfen ſie weder Geld noch irgend etwas beſitzen, was ihnen nicht nach dem Plan zugeſtanden iſt; es wird daher dem Sohn des reichſten Fuͤrſten nicht erlaubt, fei - nere Waͤſche oder Kleider, als der aͤrmſte ſei - ner Mitzoͤglinge zu tragen.
Das Reſultat dieſer Erziehungsart iſt, nach allen vorhandenen Umſtaͤnden, immer ſehr vortheilhaft. Bosheit, Intrigue, Unſittlich - keit, und alle die Laſter, die gewoͤhnlich in großen Erziehungsanſtalten zu Hauſe ſind, werden hier nicht gefunden; im Gegentheil iſt eine gewiſſe Gutmuͤthigkeit und Lenkſam - keit, wenigſtens bey dem groͤßern Theile, herr - ſchend. Nach denen ſeit kurzen entlaſſenen Zoͤglingen zu urtheilen, iſt kein hervorſtechen - der Karakter ſichtbar, den man der Erziehungs - methode zuzuſchreiben Grund haͤtte; im Gegen -T 2292theil fallen die Proben, nach den mannigfal - tigen Anlagen und innern Beſtimmungen, auch ſehr mannigfaltig aus. Immer genug, und mehr als genug, wenn die zufaͤlligen Kombina - tionen einer funfzehnjaͤhrigen, ſehr zuſammen - geſetzten, auf ſiebenhundert Koͤpfe und Herzen gerichteten, und dennoch auf Einen Plan be - rechneten Erziehung die Gegenſtaͤnde ihrer Ver - arbeitung nicht ſchlechter an Gehalt und beſſer an Form zuruͤckliefern, als ſie ſie aus den Haͤn - den der ſchaffenden Natur empfingen.
So wie die ſittliche Bildung den Aufſe - hern allein uͤbergeben iſt, ſo haben die Lehrer es nur mit der wiſſenſchaftlichen zu thun; man ſieht alſo, daß dieſe Gegenſtaͤnde voͤllig von einander abgeſondert ſind. Der Unterricht theilt ſich in den militairiſchen und buͤrgerli - chen; jener iſt nur fuͤr das vierte und fuͤnfte Alter und fuͤr die adlichen Zoͤglinge, die ſich dem Kriegsdienſte widmen, beſtimmt. Die geſammten Gegenſtaͤnde des Unterrichts, die gegenwaͤrtig gelehrt werden, ſind, außer den allgemeinen Elementarkenntniſſen und der Reli - gion: die ruſſiſche, deutſche und franzoͤſiſche Sprache, Erdbeſchreibung, Statiſtik, Ge -293 ſchichte, Phyſik und Naturgeſchichte, ſchoͤne Wiſſenſchaften, Logik, buͤrgerliche und Kriegs - baukunſt, Geometrie und Algebra. Auſſerdem werden die Zoͤglinge des Korps, nach ihrem Alter, im Zeichnen, Tanzen, Reiten, Fechten, Voltigiren, Drechſeln, Recitiren und Dekla - miren, Ausmeſſen und Aufnehmen eines Ter - rains, u. ſ. w. unterwieſen. Jedes Alter iſt in Ruͤckſicht auf den wiſſenſchaftlichen Unter - richt in fuͤnf Klaſſen getheilt, ſo daß alſo in Einer nicht mehr als etwa acht und zwanzig Zoͤglinge im Durchſchnitt zugegen ſind. Die Kenntniſſe die in jeder Klaſſe gelehrt werden, ſind dem Alter vollkommen angemeſſen, und uͤberhaupt iſt dieſe Einrichtung ohne Tadel. Einem ſtrengern Urtheil aber iſt die Methode des Unterrichts ſelbſt ausgeſetzt, denn hier wird ſicherlich nicht alles geleiſtet, was doch nach allen Verhaͤltniſſen noch immer fuͤglich geleiſtet werden koͤnnte. Es iſt nicht zu leugnen, daß, mit Ausnahme mehrerer ſehr gebildeter und kenntnißreicher junger Maͤnner die das Korps dem Staate geſchenkt hat, der groͤßere Theil den Erwartungen nicht vollkommen entſpricht, zu welchem das Publikum, nach der GroͤßeT 3294der angewendeten Mittel, berechtiget iſt. Der Fehler liegt weder in der Vernachlaͤßigung der Direktion — denn wer kennt nicht die uner - muͤdete Thaͤtigkeit und den redlichen Eifer des Grafen zu Anhalt? — noch in dem Mangel an geſchickten Leuten, denn das Korps beſoldet deren fuͤnf und ſechzig, unter welchen ſich Maͤnner von Talent, Ruf und paͤdago - giſcher Erfahrung befinden: ſondern in dem Plan und der Methode des Unterrichts ſelbſt. Einmal iſt die gaͤnzliche Abſonderung der wiſ - ſenſchaftlichen und moraliſchen Erziehung, und der daraus folgende Mangel aller Autoritaͤt bey den Lehrern, eines der weſentlichſten Ge - brechen. Wenn der Lehrer, beſonders in den untern Altern, nicht die Macht hat, Unacht - ſamkeit, Faulheit und Ungehorſam auf der Stelle und durch ſich ſelbſt zu beſtrafen, ſon - dern ſich bey jedem einzelnen Fall an den, ge - rade nicht immer anweſenden Gouverneur oder Offizier wenden muß, der auch nicht ſtrafen darf, ſondern erſt an ſeinen Obern, und ſo hinauf an den hoͤchſten Chef rapportiren muß: ſo iſt es unausbleiblich gewiß, daß unter hun - dert Faͤllen kaum Einmal geklagt werden wird,295 und daß alſo der muthwillige Verbrecher die Wahrſcheinlichkeit vor ſich hat, in neun und neunzig Faͤllen unbeſtraft zu bleiben. Wenn ferner in jenem Einen Fall der Chef, ſeiner Inſtruktion und des Geiſts der Statuten ein - gedenk, und durch die ſcheinbare Seltenheit ſolcher Vorfaͤlle getaͤuſcht, immer geneigt iſt, ſo gelinde als moͤglich zu verfahren, ſo iſt leicht zu ermeſſen, wie ſehr hierdurch der Geiſt der Inſubordination uͤberhand nehmen muß, und wie wenig dem Lehrer, auch bey dem beſten Willen, zu leiſten moͤglich iſt. — Ein zweytes Gebrechen liegt in dem Mangel eines zweck - und folgemaͤßigen Plans fuͤr den Unterricht. Das Korps hat, vorzuͤglich durch die Vorſorge ſeines itzigen Chefs, viele, und zum Theil vortreffliche Lehrbuͤcher; aber es fehlt an einem ſyſtematiſchen Zuſammenhange derſelben. Die Lehrer haben keine Inſtruktion, keine Beſtimmung des Umfangs fuͤr ihren Vor - trag. Es iſt daher ſehr moͤglich, daß, um ein Beyſpiel zu geben, in drey oder vier auf einander folgenden Klaſſen, in einer Wiſſen - ſchaft immer daſſelbe gelehrt, oder daß es in der untern Klaſſe ſehr weitlaͤuftig und in derT 4296obern ſehr kurz vorgetragen wird. — Das wichtigſte Hinderniß liegt endlich darinn, daß nur ſehr wenige Wiſſenſchaften und Kenntniſſe ruſſiſch vorgetragen werden. Die Folgen die - ſes Mangels ſind ſo in die Augen ſpringend, daß es uͤberfluͤßig waͤre, weiter etwas hieruͤ - ber zu ſagen, da ſelbſt der von der Kaiſerinn unterſchriebene Generalplan dieſes Uebel mit ei - ner ſehr treffenden Bemerkung ruͤgt. — Ich uͤbergehe mehrere kleine Maͤngel mit Still - ſchweigen, weil ſie von geringerm Einfluß ſind und leicht gehoben werden koͤnnten, wenn dieſen weſentlichern Gebrechen abgeholfen waͤre.
Die Reſultate der wiſſenſchaftlichen Erzie - hung laſſen ſich nach dieſer Schilderung leicht berechnen. Das Talent ſchlaͤgt ſich auch durch die groͤßten Hinderniſſe durch, und fuͤr den gutgearteten, wißbegierigen Juͤngling ſind der Quellen des Unterrichts immer genug. Wenn hie und da ein Kadet entlaſſen wird, der nach einem funfzehnjaͤhrigen Unterricht die franzoͤſi - ſche Sprache, in welcher ihm die mehreſten Wiſſenſchaften vorgetragen wurden, kaum lal - len kann: ſo giebt es dagegen auch welche, die ſchon als Zoͤglinge ihre Mutterſprache durch297 gutgerathene Ueberſetzungen aus fremden Spra - chen bereichern, und dieſe ſowol als jene in einer Vollkommenheit ſprechen und ſchreiben, die ihrem Kopf und Fleiß Ehre macht und die Lehrer des Inſtituts gegen einen Tadel ret - tet, der nicht ſie, ondern die zufaͤllige Ver - bindung der Dinge treffen muß, unter deren Einfluß ſie wirken.
Die militairiſche Bildung ſoll, nach dem Urtheil der Kenner, fuͤr den Zweck des Inſtituts zureichend ſeyn. Der weſentlichere Theil derſelben, der theoretiſche Unterricht in den einzelnen Faͤchern die zur Kriegswiſſenſchaft gehoͤren, wird durch geſchickte Lehrer und er - fahrne Offiziere beſorgt. Im Sommer ſtehen die Kadets etwa ſechs bis acht Wochen im La - ger, wo ſie den Dienſt praktiſch kennen ler - nen, und in den Manoͤvres und Evolutionen unterwieſen werden. Ehe ſie das Lager verlaſ - ſen, wird eine oͤffentliche Revuͤe gegeben, bey welcher natuͤrlich ein Theil des Publikums als Zuſchauer ſehr intereſſirt iſt, und die daher vorzuͤglich gefaͤllt.
Nach einem Zeitraum von funfzehn Jah - ren, waͤhrend welchem der Staat zweyhun -T 5298dert vierzig junge Buͤrger ernaͤhrt, gekleidet, und zu ihrer allgemeinen und beſondern Be - ſtimmung vorbereitet hat, werden dieſe als Lieutenants (wenn ſie vorzuͤglich gute oder ſchlechte Zeugniſſe erhalten, als Kapitains oder Faͤhnrichs) oder wenn ſie ſich dem Civilſtande widmen wollen, in gleichem buͤrgerlichen Ran - ge, ohne alle Verpflichtung gegen das Inſti - tut, entlaſſen. So groß die Wohlthat iſt, die der Staat durch dieſe Erziehung dem aͤr - mern Theil ſeiner Buͤrger zuwendet, ſo wich - tig iſt auch der Vortheil, den er hinwiederum aus derſelben erhaͤlt; denn wenn auch die Bi - lanz fuͤr den Staat guͤnſtiger ſeyn koͤnnte, ſo iſt es doch unwiderſprechlich gewiß, daß ſie guͤnſtig iſt. — Die ganze Erziehung eines Kadets, von der Aufnahme bis zur Entlaſ - ſung, koſtet 4410 Rubel.
Nach dieſer Darſtellung glaube ich die Ausfuͤhrlichkeit derſelben nicht rechtfertigen zu duͤrfen. Durch ſie werde ich in den Stand geſetzt, die hier folgenden Gegenſtaͤnde um ſo kuͤrzer zu behandeln, da ſie ſaͤmmtlich auf den naͤmlichen Grundſaͤtzen beruhen.
299Das Seekadettenkorps nimmt 600 Zoͤglinge, unter den naͤmlichen Bedingungen wie das Landkadettenkorps auf, die in fuͤnf Kompagnien von 120 getheilt ſind, und fuͤr den Seedienſt erzogen werden. Der Unterricht erſtreckt ſich, außer den allgemeinen Kenntniſ - ſen, vorzuͤglich auf die beſondern Erforderniſſe dieſer Beſtimmung; es wird daher nautiſche Geographie, Aſtronomie, Steuer - und Schiff - baukunſt, engliſche Sprache; ſo wie unter andern koͤrperlichen Uebungen, Klettern, Schwim - men, und dergleichen gelehrt. Die Kadets der erſten Kompagnie, welche Uniform tragen und Mariniers heißen, werden in dem prak - tiſchen Seedienſt unterwieſen und kreuzen jaͤhr - lich auf dem baltiſchen Meer. Sie muͤſſen wenigſtens drey ſolcher Seereiſen gemacht ha - ben, ehe ſie aus dem Korps entlaſſen werden, und alsdann treten ſie als Midſchipsmaͤnner bey der Flotte in Dienſt. Dieſes Inſtitut, welches ſeither in Kronſtadt befindlich war, izt aber nach Oranienbaum verlegt iſt, ſteht un - ter der Direktion eines Admirals; die Aufſe - her ſind Offiziere von der Flotte.
300Das Ingenieur - und Artillerieka - dettenkorps nimmt 360 adliche und 85 Soldatenknaben auf. Die Benennung dieſes Inſtituts zeigt die Beſtimmung deſſelben an. Die Kadets ſind in Kompagnien vertheilt, von denen die juͤngſten Jaͤgerkleidung und die aͤlte - ſten Artillerieuniform tragen. Die Soldaten - knaben bilden eine eigene Kompagnie. Die Direktion des Ganzen iſt einem General von der Artillerie uͤbergeben, und die Stellen der Aufſeher ſind mit Artillerieoffizieren beſetzt. Un - terricht und Erziehung ſind hier vorzuͤglich mi - litairiſch. Der erſtere erſtreckt ſich, außer den drey gewoͤhnlichen Sprachen, hauptſaͤchlich auf Phyſik, Mathematik, Artillerie, Fortifika - tion, Taktik und militairiſche Zeichnungen, und wird durch acht und funfzig Lehrer beſorgt, denen ein Studiendirektor vorgeſetzt iſt. Die - ſes Korps hat den Ruhm, daß der praktiſche Unterricht in den Theilen der Kriegswiſſenſchaft, die fuͤr den Zweck deſſelben gehoͤren, vortreff - lich ſeyn ſoll. Die militairiſchen Uebungen im Lager verſammeln hier im Sommer ein großes Publikum, welches ſich vorzuͤglich an der Ge - wandheit der kleinen Jaͤger und an der Fer -301 tigkeit der Ausfuͤhrung ergoͤtzt. — Bey ihrer Entlaſſung werden die Kadets als Stuͤckjunker bey der Artillerie, oder als Kondukteurs beym Ingenieurkorps; die Soldatenknaben aber als Unteroffiziere angeſtellt.
Das griechiſche Korps iſt ſeiner Stif - tung nach zur Erziehung und Ausbildung ge - borner Griechen, Albaner, u. ſ. w. beſtimmt, und fuͤr 200 Zoͤglinge eingerichtet, von denen aber ein großer Theil Einheimiſche ſind. Die Knaben werden in einem Alter von zwoͤlf bis ſechzehn Jahren angenommen, und duͤrfen nur bey den ruſſiſchen Konſuls abgegeben wer - den, die ſie auf Koſten der Kaiſerinn nach St. Petersburg ſenden. Der Zweck dieſer An - ſtalt iſt weniger militairiſch als der vorherge - henden; doch wird die Direktion und Aufſicht durch Offiziere beſorgt, und die Kadets tragen Uniform. Der Unterricht, fuͤr welchen fuͤnf und zwanzig Lehrer angeſtellt ſind, iſt dieſer allgemeinen Beſtimmung angemeſſen; auch werden hier die italiaͤniſche und andere Spra - chen gelehrt. Wenn die Erziehung vollendet iſt, haben die Kadets die Wahl, ob ſie als Offiziere oder Translateurs in ruſſiſche Dienſte302 treten, oder nach ihrem Vaterlande entlaſſen ſeyn wollen.
In dem Pagenkorps werden 60 bis 70 junge Edelleute, die zugleich bey Hofe den ge - woͤhnlichen Dienſt verſehen, zu buͤrgerlichen und militairiſchen Beſtimmungen gebildet. Bey ihrer Entlaſſung erhalten ſie den Rang als Lieu - tenants oder Kapitains.
Zu der zweyten Klaſſe der oͤffentlichen Er - ziehungsanſtalten rechne ich ſolche, deren Haupt - zweck wiſſenſchaftlich iſt.
Der Arzney - und Wundarzneykunde ſind drey derſelben gewidmet. Die mediziniſch - chirurgiſche Schule nimmt 30 Zoͤglinge auf, die durch Alter und Vorkenntniſſe in den Stand geſetzt werden, den hoͤhern Unterricht zu benutzen. Außer dieſer Anzahl, die gaͤnzlich auf kaiſerliche Koſten unterhalten wird, ſteht der Eintritt noch funfzig Juͤnglingen, gegen eine maͤßige Bezahlung, offen. Sieben Profeſſoren ertheilen hier den noͤthigen Unterricht, der ſich auf die vorzuͤglichſten Zweige der mediziniſchen Wiſſenſchaften erſtreckt. In dem kliniſchen Hospital, deſſen im vorigen Abſchnitt erwaͤhnt iſt, werden die aͤltern Zoͤglinge zur Praxis an -303 gefuͤhrt. Mit dieſem Inſtitut iſt zugleich eine praktiſche Lehranſtalt fuͤr die Entbindungskunſt verbunden. — Aehnliche Schulen ſind in den beyden großen Hospitaͤlern fuͤr die Land - und Seetruppen vorhanden; in jeder derſelben werden 50 Zoͤglinge auf kaiſerliche Koſten ernaͤhrt und unterwieſen. Beyde Inſtitute ſollen izt vereinigt und nach einem ausgebreitetern und verbeſſerten Plan eingerichtet werden.
Das Bergkadettenkorps nimmt 60 Zoͤglinge auf, die in allen Kenntniſſen des Berg - baus Unterricht erhalten, und hernach als Bergoffiziere angeſtellt werden. Zehn Knaben aus den niedern Staͤnden werden nach vollende - tem Kurſus mit einer jaͤhrlichen Unterſtuͤtzung von 50 Rubel in fremde Laͤnder verſchickt, wo ſie bis zu Unterſteigern dienen muͤſſen, um in ih - rem Vaterlande als Oberſchichtmeiſter anzukom - men. Dieſes Inſtitut, deſſen große Nutzbar - keit allgemein anerkannt iſt, nimmt auch Pen - ſionairs auf.
In dem Seminarium des Alexander Newski Kloſters, welches unter der Aufſicht des Mitropoliten ſteht, werden Prieſterſoͤhne zu kuͤnftigen Geiſtlichen gebildet.
304Das Gymnaſium der Akademie der Wiſſenſchaften endlich, bereitet 60 bis 70 Kna - ben zu allen Beſtimmungen vor. Sie haben freyen Unterhalt, und die faͤhigſten und ge - ſchickteſten unter ihnen werden auf kaiſerliche Koſten nach auswaͤrtigen Univerſitaͤten verſendet. Dieſe Anſtalt, die auch Koſtgaͤnger zulaͤßt, hat dem Staat viele brauchbare und gelehrte Maͤn - ner geliefert.
Auch die ſchoͤnen Kuͤnſte haben zwey ih - rer Fortpflanzung und Ausbreitung gewidmete Inſtitute. Das wichtigſte und vielumfaſſendſte iſt die Akademie der Kuͤnſte, die den doppelten Zweck einer eigentlichen Akademie und einer Lehranſtalt hat. In jener Ruͤckſicht ver - ſparen wir ihre Schilderung auf einen der fol - genden Abſchnitte; als Schule iſt ihre Einrich - tung dieſe. Die Anzahl der Lehrlinge, welche aus den ſechsjaͤhrigen Knaben freyer Eltern der untern Volksklaſſen genommen werden, iſt 325, von denen 25 durch eine Stiftung des Gehei - menraths Bezkoi unterhalten werden. Außer dieſen nimmt das Inſtitut auch Penſionairs ge - gen ein geringes Jahrgeld an. Saͤmmtliche Zoͤglinge ſind in fuͤnf Klaſſen getheilt, undwerden305werden bis ins vierzehnte Jahr in allen einem jungen Kuͤnſtler nothwendigen Vorkenntniſſen unterrichtet; alsdann aber muͤſſen ſie ſich fuͤr eins der Faͤcher beſtimmen, welche in der Aka - demie gelehrt werden. Dieſe ſind: die Male - rey, die Kupferſtecherkunſt, die Bildhauer - kunſt, die Muſik, die Baukunſt, und die Verfertigung kuͤnſtlicher mechaniſcher Arbeiten. Jaͤhrlich werden Pruͤfungen und oͤffentliche Ausſtellungen veranſtaltet, welchen das Pu - blikum beywohnt. Die talentvolleſten und flei - ßigſten Zoͤglinge, welche viermal den Preis er - halten haben, werden ſechs Jahre hindurch auf Koſten der Akademie nach England, Ita - lien und Frankreich auf Reiſen geſchickt. Wenn ihre Ausbildung vollendet iſt, ſind ſie von aller Verbindlichkeit gegen das Inſtitut entlaſ - ſen. — Die Akademie hat ſchon manches große Talent zur Vollkommenheit gefuͤhrt und man - ches ſchlafende Genie erweckt, welches ohne dies fuͤr die Kunſt verlohren gegangen waͤre; daß dies bey allen der Fall ſeyn ſollte, wird nie - mand erwarten. Aber zu bedauren iſts, daß ſelbſt unter den gelungenen Zoͤglingen dieſer Schule nur wenige in ihrem Vaterlande einErſter Theil. U306Gluͤck machen. In den Hauptſtaͤdten, wo die Kunſt geſchaͤtzt und belohnt wird, unterdruͤckt der Geſchmack und das Vorurtheil fuͤr aus - waͤrtige Produkte die Strebſamkeit und den Muth des ruſſiſchen Kuͤnſtlers, und in den Provinzen ſuchen Talente dieſer Gattung ver - gebens ihr Brod. Es iſt daher das gewoͤhn - liche Schickſal junger Kuͤnſtler, daß ſie ge - zwungen ſind, den Zweck ihrer Erziehung, der oft zugleich der Gegenſtand ihrer feurigſten Lei - denſchaft iſt, zu verlaſſen, um ſich durch das erſte beſte Gewerbe Unterhalt zu verſchaffen — gluͤcklich, wenn der Mangel anderer Kennt - niſſe ſie nicht zwingt, in die niedere Abhaͤn - gigkeit zuruͤckzukehren, die groͤßtentheils bey der Geburt ihre Beſtimmung zu ſeyn ſchien, und aus welcher die großmuͤthige Stiftung Katharinens ſie geriſſen hatte.
Eine zweyte Lehranſtalt dieſer Gattung ſchraͤnkt ſich einzig auf die Ausbildung zur the - atraliſchen Kunſt ein. Die Zoͤglinge ſind von beyden Geſchlechtern und werden ebenfalls aus den untern Volksklaſſen, aus den Findel - haͤuſern, u. ſ. w. genommen. Der Unterricht umfaßt alle Gegenſtaͤnde des Theaters: Mu -307 ſik, Tanz, Mimik, Schauſpielkunſt, und findet hier einen empfaͤnglichen Boden, da die große na - tuͤrliche Anlage der Nation zur Erreichung einer fruͤhen Vollkommenheit mitwirkt. Mehrere Zoͤg - linge dieſer Schule haben ſchon das Theater der Reſidenz betreten, und einige derſelben den Bey - fall des Publikums auf immer erobert.
Die buͤrgerlichen Gewerbe ſind bis izt nur der Gegenſtand Einer Lehranſtalt, die ſich auf eine beſtimmte Gattung derſelben einſchraͤnkt. Die Navigationsſchule, eine Stiftung der jetzigen Kaiſerinn, erhielt zugleich mit der Anlage des petersburgiſchen Kauffartheywerfts ihr Daſeyn. In derſelben werden die engliſche Sprache, die Schiffbaukunſt, Aſtronomie, Steuermannskunſt, u. ſ. w. gelehrt. Dieſe Anſtalt hat 65 Zoͤglinge, die auf Koſten der Kaiſerinn unterrichtet werden, und nimmt fremde Lehrlinge gegen Erlegung eines gerin - gen Schulgeldes an.
Auch die Erziehung des weiblichen Ge - ſchlechts iſt in dem großen Plan fuͤr die Nationalbildung nicht vergeſſen, mit deſſen einzelnen Theilen wir uns bisher beſchaͤftigt haben. Eine der koſtbarſten und wichtigſtenU 2308Anſtalten iſt dieſem Gegenſtande gewidmet: das Fraͤulein - und Jungfernſtift im woskreſenskiſchen Kloſter. Dieſe Benennung ſtammt noch von der ehemaligen, durch die Kaiſerinn Eliſabeth verordneten Beſtim - mung her, welche Katharina die Zwey - te in die jetzige wohlthaͤtigere und gemeinnuͤtzi - gere umgewandelt hat.
Die ganze innere Einrichtung des Stifts beruht, mit einigen Modifikationen, auf den naͤmlichen Grundſaͤtzen, nach welchen das Land - kadettenkorps organiſirt iſt. Die Anzahl der Zoͤglinge, die in einem Alter von ſechs Jah - ren aufgenommen werden, iſt 480, deren eine Haͤlfte von Adel, die andere buͤrgerlich iſt. Die Direktion iſt einem Konvent, zunaͤchſt aber einer Direktrice uͤbergeben; die Aufſicht wird durch acht Inſpektricen und vierzig Klaſ - ſendamen beſorgt. Das Perſonale aller ange - ſtellten Leute iſt, in einem gewiſſen Verhaͤlt - niß, dem des Landkadettenkorps gleich.
Die adlichen ſowol als buͤrgerlichen Maͤd - chen ſind in vier Klaſſen vertheilt, die ſich durch die Farbe ihrer Kleidung unterſcheiden. In jeder derſelben bleiben ſie drey Jahre, und309 nach dieſer zwoͤlfjaͤhrigen Erziehung werden ſie in einem Alter von achtzehn bis neunzehn Jah - ren entlaſſen. — Die Grundſaͤtze der phyſi - ſchen Erziehung ſind im allgemeinen eben die, welche man bey dem Plan des Landkadetten - korps zum Grunde gelegt hat. Ihre Guͤte erweiſt ſich aus der geringen Sterblichkeit im Inſtitute ſelbſt, und aus dem geſunden, bluͤ - henden Zuſtande der entlaſſenen Maͤdchen. Mehrere Jahre nach einander iſt keine derſel - ben im Kloſter geſtorben, und die Sterblich - keit der nachtheiligſten Jahre war nie uͤber ſie - ben. — Das Urtheil, welches einige ſchlecht - unterrichtete und leichtglaͤubige Reiſende uͤber die moraliſche Erziehung im Stift gefaͤllt ha - ben, iſt keiner Widerlegung werth, weil es ſich taͤglich und ſtuͤndlich durch das allgemeine Zutrauen widerlegt, in welchem dieſe Anſtalt beym hoͤhern und niedern Publikum ſteht, und wodurch die angeſehenſten und reichſten Fami - lien bewogen werden, derſelben ihre Kinder zu uͤbergeben. Die Erholungen und Zerſtreu - ungen die man den Zoͤglingen erlaubt, beſte - hen auch hier in anſtaͤndigen Ergoͤtzlichkeiten, Aſſembleen, Tanz, und zuweilen in theatra -U 3310liſchen Vorſtellungen. Der Geiſt der Erzie - hung iſt auch hier Gelindigkeit, auch hier ſind Belohnungen, als das wirkſamſte Mittel be - nutzt. Sie beſtehen vorzuͤglich in oͤffentlichen Auszeichnungen durch Bandſchleifen und Medail - lons, die im Stift getragen werden; bey der Ent - laſſung aber erhalten ſechs von den Fraͤuleins, die ihrer Sitten und Ausbildung wegen von der Direktrice dazu vorgeſtellt ſind, den Chiffre der Kaiſerinn in Golde, welchen ſie, ſo lange ſie leben, auf der Bruſt tragen. Auch hier findet noch eine Auszeichnung ſtatt, denn die zwey vorzuͤglichſt Empfohlenen erhalten einen durch ſeine Groͤße unterſchiedenen Chiffre. Fuͤr die zwoͤlf, nach dieſem Maaßſtabe folgenden Fraͤuleins, ſind ſechs goldene und eben ſo viele ſilberne Medaillen beſtimmt. — Die Kenntniſſe, die man den Zoͤglingen beyzubrin - gen ſucht, ſind ihren kuͤnftigen Verhaͤltniſſen angemeſſen. Sie erhalten Unterricht in meh - reren Sprachen, vorzuͤglich in der franzoͤſiſchen in der Religion, Erdbeſchreibung, Geſchichte, Naturlehre, im Briefſchreiben, in der Mu - ſik, im Tanz, im Deklamiren und in der Schauſpielkunſt. Die buͤrgerlichen Maͤdchen,311 welche an dieſem Unterricht Theil nehmen, werden auch beſonders zur Handarbeit ange - fuͤhrt. Die entlaſſenen Zoͤglinge aus dieſer Klaſſe werden der Verbreitung einer geſitteten Lebensart in den untern Staͤnden ſehr nuͤtzlich; ſie verdraͤngen auch hier und da ſchon die Aus - laͤnderinnen, welche bisher einzig und allein zur Erziehung in großen Haͤuſern herbeygeru - fen wurden; aber ihr Schickſal iſt ihnen nicht allemal guͤnſtig. Einer feinen Lebensart gewohnt, und durch ihre Ausbildung weit uͤber ihre Angehoͤrigen erhaben, koͤnnen ſie ſich in dem Zirkel derſelben nicht allemal gluͤcklich fuͤhlen; ein Umſtand, der jedoch dadurch gemildert wird, daß ſie, eben dieſer Erziehung wegen, leichter verheyrathet werden. In dieſem Fall erhalten ſie von dem wohlthaͤtigen Inſtitut, welchem ſie ihr moraliſches Daſeyn zu danken haben, eine Mitgabe von 100 Rubeln.
Die ſechſte und letzte Klaſſe der oͤffentli - chen Erziehungsanſtalten begreift die Normal - und Volksſchulen, deren Beſtimmung durchaus allgemein iſt. Die Reſidenz hatte im Jahr 1790 eine Oberſchule, in wel - cher Phyſik, Naturgeſchichte, Geometrie,U 4312Sprachen, u. ſ. w. gelehrt werden; und in allen Stadttheilen dreyzehn mittlere und niedere Schulen, in denen das Volk im Leſen, Schreiben, Rechnen, in der ruſſi - ſchen Geſchichte und Erdbeſchreibung, u. ſ. w. unterrichtet wird, und welche zuſammen uͤber 3200 Schuͤler (unter dieſen etwa 550 Maͤd - chen) hatten, die bey weitem zum groͤßeſten Theil auf Koſten des Staats ihren Unterricht und ſogar die noͤthigen Buͤcher erhielten. Die Deutſche Schule bey St. Petri, das Haupt der Deutſchen Normalſchulen im Reich, iſt eine ſehr gemeinnuͤtzige und vortrefflich einge - richtete Anſtalt, deren Zweck mehr darauf geht, brauchbare Geſchaͤftsmaͤnner als eigent - liche Gelehrte zu bilden.
Welcher unter meinen Leſern, die dieſe Gegenſtaͤnde mit mir durchgegangen ſind, er - ſtaunt nicht uͤber das, was geleiſtet iſt, wer unter ihnen ſegnet nicht eine Fuͤrſtinn, die in dem ungeheuren Plan fuͤr die Schoͤpfung ihres unermeßlichen Reichs, einem einzelnen und in den Augen der meiſten Fuͤrſten unbetraͤchtlichen Theil deſſelben, eine ſo zaͤrtliche und beſtimm - te Vorſorge zugewandt hat? Das Gold, wel -313 ches ſie mit freygebiger Hand zur Stiftung dieſer Anſtalten hergab, die Summen, wel - che ſie der Erhaltung derſelben zufließen laͤßt, ſind zwar nur Eine Rubrik des großen ver - dienſtvollen Unternehmens, wodurch Katha - rina die Zweyte das Gluͤck ihres Volks auf immer gruͤndete — aber auch dieſe Eine Rubrik iſt ein Maaßſtab fuͤr die Berechnung des Ganzen. Folgende Liſte zeigt die Einkuͤnf - te der oͤffentlichen Erziehungsanſtalten und die Anzahl der in denſelben auf kaiſerliche Koſten ernaͤhrten, gekleideten und unterwieſenen Zoͤg - linge.
Nach dieſer unvollſtaͤndigen Ueberſicht wer - den alſo in den 31 hier benannten Erziehungs - anſtalten und Schulen gegen 6,800 Kinder beyder Geſchlechter in der Reſidenz auf Koſten des Staats erzogen. Die hier angefuͤhrten Summen betragen 754,335 Rubel.
Ungeachtet dieſer großen Anzahl oͤffentlicher Erziehungshaͤuſer gedeihen hier dennoch eine Menge Penſionsanſtalten. Sie ſtehen ſaͤmmtlich unter dem Kollegium der allgemeinen Fuͤrſorge, welches ſie alle halbe Jahre unter - ſuchen laͤßt und den oͤffentlichen Pruͤfungen durch einen Abgeordneten beywohnt. Alle Leh - rer die in Penſionen Unterricht geben wollen, muͤſſen ſich vorher bey der Deutſchen Ober - ſchule einem Examen unterwerfen. Die inne - re Einrichtung und die Guͤte dieſer Inſtitute iſt ſehr verſchieden; in den mehreſten wird deutſche, franzoͤſiſche und ruſſiſche Sprache,315 Religion, Geſchichte, Geographie, Muſik, Zeichnen, Tanzen, gelehrt.
Doch auch dieſe Anſtalten reichen nicht fuͤr das Beduͤrfniß des Publikums hin. Noch giebt es eine zahlreiche Klaſſe von Menſchen, die ſich mit dem Unterricht und der Erziehung beſchaͤftigen, die Hofmeiſter und Privatlehrer. Da der groͤßte Theil derſelben jetzt aus Deut - ſchen beſteht, da viele junge Gelehrte dieſer Nation einzig in der Abſicht nach St. Peters - burg kommen, ſich auf dieſem Wege fortzu - helfen, und da dieſe Einwanderungen von Jahr zu Jahr betraͤchtlicher werden: ſo glau - be ich, in einem Buche welches fuͤr Deutſche Leſer beſtimmt iſt, eine kurze Schilderung des Zuſtandes und der Verhaͤltniſſe nicht uͤberge - hen zu duͤrfen, in welchen ſich dieſe Klaſſe von Leuten befindet.
Der groͤßte Theil der fremden Ankoͤmm - linge von denen dieſe Reſidenz jaͤhrlich uͤber - ſtroͤmt wird, iſt in der feſten Ueberzeugung, daß nirgend in der Welt leichter Gluͤck zu machen ſey, als hier. Ein Aufenthalt von316 wenigen Wochen oͤffnet ihnen, und oft auf eine fuͤr ſie ſehr traurige Art, die Augen. Ohne Geld und ohne Empfehlung ſehen ſie ſich dem ſchrecklichſten Schickſal preis gegeben. Der Handwerker meldet ſich bey ſeinen Zunft - genoſſen und findet Brod; der Homme de lettres, der bankerottirte Kaufmann, der Projekteur — wird Utſchitel.
Utſchitel heißt zu deutſch: Paͤdagog, aber der Deutſche Paͤdagog iſt nicht Utſchitel Der Ruſſe verbindet mit dieſem Wort einen unbe - ſchreiblich erniedrigenden Begriff. Die Armuth des groͤßern Theils der Auslaͤnder die ſich als Paͤdagogen ankuͤndigen, die Unwiſſenheit, das ſchlechte Betragen und die gaͤnzliche Un - brauchbarkeit ſo vieler unter ihnen; der Um - ſtand, daß dies das letzte Mittel iſt, zu wel - chem Jeder greift, um den Hunger zu ſtillen, haben ein Geſchaͤft in den Augen der Nation veraͤchtlich gemacht, welches an ſich eins der edelſten, und in Ruͤckſicht auf die Menſch - heit eins der wohlthaͤtigſten und unbelohnbar - ſten iſt.
317Den groͤßten Theil dieſer Schuld tragen die Franzoſen. Koͤche, Friſeurs und Kammer[-]diener kamen hierher, um — Erzieher zu werden; und wenn Beyſpiele dieſer Art jetzt nicht mehr geſehen werden, ſo gebuͤhrt das Verdienſt den Deutſchen. — Ein Franzoſe der ſich zum Utſchitel anbietet, iſt der Inbe - griff aller Wiſſenſchaften und Kuͤnſte. Juris - prudenz, Mathematik, Geſchichte, Heral - dik, Muſik, Fechten und jede ritterliche Uebung gehoͤrt in ſein Fach, und in allen iſt er Meiſter. Nicht ſelten beſitzt er Thaͤtigkeit und Geſchicklichkeit genug, nebenher das Amt eines Rechnungsfuͤhrers oder Haushofmeiſters zu verwalten. Wenn ſich noch obendrein Ge - legenheit findet, als Vorleſer bey der Frau vom Hauſe in Dienſte zu kommen, ſo ſchlaͤgt es dem Utſchitel ſelten fehl, ſein Gluͤck fuͤr die Zukunft zu gruͤnden.
Das allgemeiner werdende Beduͤrfniß der Erziehung, und der Mangel an Leuten von Talent und Bildung die ſich unter den vorhan - denen Umſtaͤnden zu Hofmeiſterſtellen entſchlie - ßen, bringen eine große Menge untauglicher318 Leute zu dieſem Geſchaͤft. Der reichere und aufgeklaͤrte Theil des Adels ſieht ſich daher ge - noͤthigt, außerordentliche Bedingungen zu ma - chen, um Maͤnner von Verdienſt zur Erzie - hung ſeiner Kinder zu bekommen. Nirgend vielleicht werden geſchickte Hofmeiſter freygebi - ger belohnt als in Rußland. Tauſend bis zwoͤlfhundert Rubel iſt ein ſehr gewoͤhnlicher Gehalt; daß hiezu freye Lieferung aller Le - bensbeduͤrfniſſe, Bedienung, Equipage, und dies alles auf herrſchaftlichem Fuß, gehoͤre, verſteht ſich von ſelbſt. Gemeiniglich iſt eine Reiſe durch die merkwuͤrdigſten Laͤnder von Eu - ropa in dem Erziehungsplan begriffen, und wenn dieſer mehrere Jahre erfordert, erhaͤlt der Hofmeiſter ein beſtimmtes Kapital oder lebenslaͤngliche Renten*)Ich kenne zwey Männer, die als Hofmeiſter in gro - ßen Häuſern ſtehen, und von welchem der eine 25,000, und der andere 30,000 Rubel für die Erziehung erhält. Dieſe Beyſpiele ſind allgemein bekannt, und, obgleich ſelten, doch nicht die einzigen.. Die haͤufigen Bey - ſpiele dieſer Art moͤgen vielleicht ein Bewe - gungsgrund fuͤr viele Auslaͤnder ſeyn, auf die319 Hofnung eines aͤhnlichen Schickſals nach Ruß - land zu reiſen; da aber nur Maͤnner von an - erkannter Brauchbarkeit, Weltkenntniß und feiner Bildung einer ſolchen Beſtimmung ge - wachſen ſind, und man mit ſolchen Anſpruͤ - chen uͤberall in der Welt ſein Fortkommen fin - den kann, ſo hebt ſich der anſcheinende Vor - theil von ſelbſt: denn Leute von wenigem oder keinem Verdienſt zu einem betraͤchtlichen Gluͤck zu verhelfen, bedarf es hier ſo gut als irgend - wo eines freundſchaftlichen Daͤmons.
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