PRIMS Full-text transcription (HTML)
Franz Sternbald's Wanderungen.
Eine altdeutſche Geſchichte
Zweiter Theil.
Berlin,beiJohann Friedrich Unger.1798.
[1]

Erſtes Buch.

(2r Th.) A[2][3]

Erſtes Kapitel.

In einem alten Buche, das in meiner Sammlung ſich befindet, habe ich immer folgende Stelle mit vorzüglichem Wohlge¬ fallen geleſen:

» O Jugend! Du lieber Frühling, der Du ſo ſonnenbeſchienen vorn im Anfange des Lebens liegſt! wo mit zarten Äugelein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter, wie mit fröhlicher Stimme Dir winken, Dir zujauchzen! Du biſt das Pa¬ radies, das jeder der ſpätgebohrnen Men¬ ſchen betritt, und das für jeden immer wie¬ der von neuem verloren geht. «

» Gefilde voll Seligkeit! überhangend von Blüthen, durchirrt von Tönen! Sehn¬A 24ſucht weht und ſpielt in Deinen ſüßen Hai¬ nen. Vergangenheit ſo golden, Zukunft ſo wunderbar: wie mit dem Sirenenge¬ ſange der Nachtigall lockt es von dorther; mondliche Schimmer breiten ſich auf dem Wege aus, liebliche Düfte ziehen aus dem Thal herauf, vom Berge nieder den Sil¬ berquell. O Jüngling, in Dir glänzt Mor¬ genröthe, ſie rückt mit ihren Strahlen und wunderglänzenden Wolkenbildern herauf: dann folgt der Tag, bis auf die Spur ſo¬ gar verfließt die heimliche Sehnſucht; alle Liebesengel ziehen fort, und Du biſt mit Dir allein. War alles nur Dunſt und bun¬ ter Schatten, wornach Du brünſtig die Arme ſtreckteſt?

Aus Wolken winken Hände,
An jedem Finger rothe Roſen,
Sie winken Dir mit ſchmeichleriſchem Koſen,
Du ſtehſt und fragſt: wohin der Weg ſich wende?
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Da ſingen alle Frühlingslüfte,
Da duften und klingen die Blumendüfte,
Lieblich Rauſchen geht das Thal entlang:
» Sey muthig, nicht bang!
Siehſt Du des Mondes Schimmer,
Der Quellen hüpfendes Geflimmer?
In Wolken hoch die goldnen Hügel,
Der Morgenröthe himmelbreite Flügel?
Dir entgegen ziehn ſo Glück als Liebe,
Dich als Beute mit goldenen Netzen zu fahn,
So leiſe lieblich, daß keine Ausflucht bliebe
Umzingeln ſie Dich, bald iſt 'um Dich gethan. «
Was will das Glück mit mir beginnen?
O Frühlingsnachtigall, ſingſt Du drein?
Schon dringt die ſehnende Lieb 'auf mich ein,
Wie Mondglanz webt's um meine Sinnen.
Wie bang 'iſt mir's, gefangen mich zu geben,
Sie nah'n, die Schaaren der Wonne mit Heeres¬
macht!
Verloren, verträumt iſt das fliehende Leben,
Schon rüſtet ſich Lieb' und Glück zur Schlacht.
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Der Kampf iſt begonnen,
Ich fühle die Wonnen
Durchſtrömen die Bruſt:
O, ſel'ge Gefilde,
Ich komme, wie milde
Erquickt und ermattet des Lebens Luſt.
Es winket vom Himmel
Der Freuden Gewimmel,
Und lagert ſich hier:
Im Boden, ich fühle
Der Freuden Gewühle,
Sie ſtreben und drängen entgegen mir
Der Quellen Getöne,
Der Blümelein Schöne,
Ihr lieblicher Blick,
Sie winken ſo eigen,
Ich deute das Schweigen:
Sie wünſchen mir alle zum Leben Glück.
Nun geht das Kind auf grünen Wegen
Den goldglänzenden Strahlen entgegen,
Im bangen Harren geht es weit,
Es klopft das Herz, es flieht die Zeit.
7
Es iſt, als wenn die Quellen ſchwiegen,
Ihm dünkt, als dunkle Schatten ſtiegen,
Und löſchten des Waldes grüne Flammen,
Es falten die Blumen den Putz zuſammen.
Die freundlichen Blüthen ſind nun fort,
Und Früchte ſtehn an ſelbigem Ort;
Die Nachtigall verſteckt die Geſänge im Wald '
Nur Echo durch die Einſamkeit ſchallt.
» Morgenröthe biſt Du nach Haus gegangen?
Ruft das Kind, und ſtreckt die Händ 'und weint;
O komm', ich bin erlöſ't vom Bangen,
Du wollteſt mich mit goldnen Netzen fangen,
Du haſt es gewiß nicht böſe gemeint.
Ich will mich gerne drein ergeben,
Es kann und ſoll nicht anders ſeyn:
Ich opfre Dir mein junges Leben,
O, komm 'zurück, Du Himmelsſchein! «
Aber hoch und höher ſteigt das Licht,
Und beſcheint das thränende Geſicht;
Die Nachtigall flieht waldwärts weiter,
Quell wird zum Fluß und immer breiter.
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» Ach, und ich kann nicht hinüberfliegen!
Was mich erſt lockt, iſt nun ſo weit,
Der Morgenglanz, die Töne müſſen jenſeits liegen,
Ich ſtehe hier, und fühle nur mein Leid. «
Die Nachtigall ſinget aus weiter Fern:
» Wir locken, damit Du lebeſt gern,
» Daß Du Dich nach uns ſehnſt, und immer matter
ſehnſt,
» Iſt, was Du thöricht Dein Leben wähnſt. «

Ich wähle dieſes alte, kindlich redende Lied zum Eingange dieſes dritten Buchs meiner Geſchichte. Der unbekannte Verfaſ¬ ſer beweint in dieſen Worten ſeine weit ent¬ flohene Jugend, und ſeine Erinnerungen le¬ gen ſich als Töne und ſanfte Bilder vor ihm hin, die auch mich wieder anſprechen, und jeden, der dieſe Stelle lieſ't. Wie viele Zeit iſt indeß verfloſſen! Es mag kom¬ men, daß nach langer Zeit jemand, den ich nicht kenne, dieſes Buch aufſchlägt, und9 von dieſen Worten gerührt wird. Giebt es denn nun, geliebter Leſer, nicht eine ewige Jugend? Indem Du Dich der Vergangen¬ heit erinnerſt, iſt ſie nicht vergangen: Deine Ahndung des Künftigen macht die Zukunft zur Gegenwart, die Verwandelung der Na¬ tur außer Dir iſt nur ſcheinbar; wie flie¬ gende Wolken umhüllt die Wirklichkeit die innere Sonne. Sonnenblicke wechſeln mit Schatten; in ewiger Erneuerung giebt es kein Alter.

Darum fahre ich in meiner Geſchichte fort. Laß die vorige Zeit in Dein Gemüth zurückkommen, und glaube, daß die Geiſter der großen Künſtler, die damals lebten, Dich umgeben und kennen, wie ich es glaube. Dann wirſt Du an jenen Geſtalten Ergöz¬ zen finden, die ich Dir vorüberführe.

Franz Sternbald und ſein Freund Ru¬ dolf Floreſtan durchwanderten jetzt den El¬10 ſaß. Es war die Zeit im Jahre, wenn der Frühling in den Baumknospen ſchläft, und die Vögel ihn in den unbelebten Zweigen aufwecken wollen. Die Sonne ſchien blaß und gleichſam blöde auf die warme, dam¬ pfende Erde hernieder, die das erſte neue Gras aus ihrem Schooße gebahr. Stern¬ bald erinnerte ſich der Zeit, als er zuerſt ſeine Pflegeältern verließ, um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in ſolchem Wetter hatte er ſein friedliches Dorf verlaſſen. Sie gingen, indem Rudolf fröh¬ liche Geſchichten erzählte, durch die ſchöne Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch ſahen ſie den erhabenen Münſter; in der nächſten Stadt wollten ſie einen Mann er¬ warten, der auf der Rückreiſe von Italien begriffen war.

In Straßburg hatte Franz ſeinem Se¬ baſtian folgenden Brief geſchrieben:

11

» Jetzt, lieber Sebaſtian, iſt mir ſehr wohl, und Du wirſt Dich darüber freuen. Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe, die Gegenwart und Vergangenheit mit glei¬ cher Liebe, und alle Empfindungen trage ich ſorglich zu meiner Kunſt hinüber. War¬ um quäle ich mich ab, da ich mich doch am Ende überzeugen muß, daß jeder nur das leiſten wird, was er leiſten kann? Wie kurz iſt das Leben, und warum wollen wir es mit unſern Beängſtigungen noch mehr verkürzen? Jeder Künſtlergeiſt muß ſich ohne Druck und äußern Zwang, wie ein edler Baum mit ſeinen mancherlei Zweigen und Äſten ausbreiten; er ſtrebt von ſelbſt durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und ohne ſeine Mitwirkung erzeugt ſich die er¬ habene Pflanze, ſey es Eiche, Buche oder Cypreſſe, Myrthe oder Roſengeſträuch, je nachdem der Keim beſchaffen war, aus dem12 ſie zuerſt in die Höhe ſproßte. So muſicirt jedes Vögelein ſeine eigenthümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬ len einer dem andern nach - und zuvorthun; aber ſie verfehlen doch nie ſo ſehr ihren Weg, wie es dem Menſchen nur gar zu oft geſchieht.

So will ich mich denn der Zeit und mir ſelber überlaſſen. Soll ein Künſtler, kann ein edler Mahler aus mir werden, ſo ge¬ ſchieht es gewiß; mein Freund Rudolf lacht täglich über meine unſchlüſſige Ängſt¬ lichkeit, die ſich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne ſpiegeln ſich alle Empfin¬ dungen, und laſſen nachher eine Spur zu¬ rück, und ſelbſt was das Gemüth nicht auf¬ bewahrt, nährt heimlicherweiſe den Sinn der Kunſt und iſt nicht verloren. Das trö¬ ſtet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich ſonſt nur gar zu oft überwältigten.

13

Auf eine faſt magiſche Weiſe, zauberiſch oder himmliſch ([denn] ich weiß nicht, wie ich es nennen ſoll) iſt meine Phantaſie mit dem Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir ſchon ſo oft geſprochen habe. Es iſt wun¬ derbar. Die Geſtalt, die Blicke, der Zug des Mundes, alles ſteht deutlich vor mir und doch wieder nicht deutlich, denn es dämmert dann wie eine ungewiſſe, vorüber¬ ſchwebende Erſcheinung vor meiner Seele, daß ich es feſthalten möchte, und Sinnen und Erinnerung brünſtig ausſtrecke, um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu mei¬ nem Eigenthum zu machen So iſt es mir oft ſeitdem gegangen, wenn ich die Schönheit einer Landſchaft ſo recht innigſt[empfinden] wollte, oder die Größe eines Gedankens, oder den Glauben an Gott. Es kömmt und geht; bald Dämmerung, bald Mondſchein, nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht. 14Der Geiſt iſt in ewiger Arbeit, im raſtloſen Streben, ſich aus den Ketten aufzurichten, die ihn im Körper zu Boden halten.

O, mein Sebaſtian! wie wohl iſt mir, und wie lieblich fühl 'ich in mir die Re¬ gung der Lebenskraft und die heitere Ju¬ gend! Es iſt herrlich, was mir die Rhein¬ ufer, die Berge und die wunderbaren Krüm¬ mungen des Gewäſſers verkündigt haben. Von dem großen Münſter will ich Dir ein andermal reden, ich bin zu voll davon.

In Straßburg habe ich für einen rei¬ chen Mann eine heilige Familie gemahlt. Es war das erſtemal, daß ich meinen Kräf¬ ten in allen Stunden vertraute, und mich begeiſtert und doch ruhig fühlte. In der Madonna habe ich geſucht die Geſtalt hin¬ zuzeichnen, die mein Inneres erleuchtet, die geiſtige Flamme, bei der ich mich ſelbſt ſehe, und alles, was in mir iſt, und durch15 die alles von dem lieblichen Wiederſcheine ver¬ ſchönt und ſtrahlend iſt. Es war beim Mah¬ len unaufhörlich derſelbe Kampf zwiſchen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber iſt es mir vielleicht nur gelungen. Die Geſtalten, die wir wahrhaft anſchauen, ſind eben dadurch in uns ſchon zu irrdiſch und wirklich, ſie tragen zu viele Merkmale an ſich, und vergegenwärtigen ſich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬ theil auf's Erfinden aus, ſo bleiben die Ge¬ bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen ſich nicht aus ihrer ungewiſſen Ferne heraus. Es kann ſeyn, daß dieſe meine Ge¬ liebte (denn warum ſoll ich ſie nicht ſo nen¬ nen?) ſo das Ideal iſt, nach dem die gro¬ ßen Meiſter geſtrebt haben, und von dem in der Kunſt ſo viel die Rede iſt. Ja, ich ſage ſogar, Sebaſtian, daß ſie es ſeyn muß, und daß dieſe Unbekanntſchaft, dies Fern¬16 ſeyn von ihr, dies Streben meines Geiſtes, ſie gegenwärtig zu machen und zu beſitzen, meine Begeiſterung war, als ich das Bild mahlte. Darum gab ich es auch ſo ungern aus meinen Händen, und ſeitdem iſt meine Phantaſie noch ungewiſſer; denn manchmal ſteht nur die gemahlte Madonna vor mei¬ nen Augen, und ich denke dann, genau ſo müſſe die Unbekannte geſtaltet ſeyn. Wenn ich ſie einſt finden ſollte, würde dann viel¬ leicht mein Künſtlertalent ſeine Endſchaft erreicht haben? Nein, ich will es nicht glauben.

Feſten Muths wie ein Eroberer will ich in das Gebiet der Kunſt vorrücken; ich fühle es ja, wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt iſt, es iſt alſo mein Gebiet, mein Eigenthum, ich darf darin ſchalten und mich einheimiſch fühlen.

Wirf mir nicht Stolz vor, Sebaſtian;denn17denn Du thäteſt mir Unrecht. Ich bin und bleibe, wie ich war. Der Himmel ſchenke Dir Geſundheit. «

Nach einigen Tagen waren die Wälder, Felder und Berge grün geworden und die Obſtbäume blühten, der Himmel war heiter und blau, ſanfte Frühlingslüfte ſpielten zum erſtenmal durch den Sonnenſchein und über die fröhliche Natur hin. Sternbald und Rudolf waren entzückt, als ſie von einem Hügel hinab in die überſchwengliche Pracht hineinſchauten. Das Herz ward ihnen groß, und ſie fühlten ſich beide neugeboren, von Himmel und Erde mit Liebe magnetiſch an¬ gezogen.

O, mein Freund! rief Sternbald aus, wie liebreizend hat ſich der Frühling ſo plötzlich aufgeſchloſſen! Wie ein melodiſcher(2r Th.) B18Geſang, wie angeſchlagene Harfenſaiten ſind dieſe Blüthen, dieſe Blätter herausgequol¬ len, und ſtrecken ſich nun der liebkoſenden, warmen Luft entgegen. Der Winter iſt fort, wie eine Verfinſterung, die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben. Sieh, al¬ les keimt und ſproßt und blüht, die klein¬ ſten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen ſich hinzu; alle Vögel ſingen und jauchzen und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld iſt die ganze Schöpfung in Bewegung, und wir ſitzen hier als Kinder, und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächſten.

Rudolf nahm ſeine Flöte, und blies ein luſtiges Lied. Es ſchallte fröhlich den Berg hinunter, und Lämmer im Thal fingen an zu tanzen.

Wenn nur der Frühling nicht ſo ſchnell vorüberginge! ſagte Rudolf; er iſt eine19 Morgenbegeiſterung, die die Natur ſelbſt nicht lange aushält.

Oder daß es uns nur gegeben wäre, ſagte Sternbald, dieſe Fülle, dieſe Allmacht der Lieblichkeit in uns zu ſaugen, und im hellſten Bewußtſeyn dieſe Schätze aufzuſpa¬ ren. Ich wünſche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Geſängen den übrigen Men¬ ſchen dieſe Gefühle geben könnte; daß ich unter Muſik und Frühlingswehen dichtete, und die höchſten Lieder ſänge, die der Geiſt des Menſchen bisher noch ausgeſtrömt hat: Ich fühle es jedesmal, wie Muſik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬ gel mit himmliſcher Unſchuld alle irrdiſchen Begierden und Wünſche fern abhalten. Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, ſo iſt im Gegentheil dieB 220Muſik ein Vorhimmel, wo dieſe Läuterung durch wehmüthige Wonne geſchieht. Das iſt, ſagte Rudolf, wie Du die Mu¬ ſik empfindeſt; aber gewiß werden we¬ nige Menſchen darin mit Dir überein¬ ſtimmen.

Davon kann ich mich nicht überzeugen, rief Franz aus. Nein, Rudolf, ſieh 'alle lebendige Weſen, wie die Töne der Harfe, der Flöte, und jedes angeſchlagenen Inſtru¬ ments ſie ernſt machen: ſelbſt die Geſänge, die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern, gießen eine ſchmachtende Sehn¬ ſucht, eine unbekannte Wehmuth in das Gemüth. Der Jüngling und das Mädchen miſcht ſich dann in den Reigen; aber ſie ſu¬ chen mit den Gedanken jenſeit dem Tanze einen andern, geiſtigern Genuß.

O, über die Einbildungen! ſagte Ru¬ dolf lachend; eine augenblickliche Stimmung21 in Dir trägſt Du in die übrigen Menſchen hinüber. Wer denkt beim Tanze etwas an¬ ders, als daß er den Reigen durchführt, daß er ſich im hüpfenden Schwarm auf eine lebendige Art ergötzt, und in dieſem fröhli¬ chen Augenblick Vergangenheit und Zukunft durchaus vergißt. Der Tänzer ſieht nach dem blühenden Mädchen, ſie nach ihm; ihre Augen begegnen ſich glänzend, und wenn ſie eine Sehnſucht empfinden, ſo iſt es gewiß eine ganz andre, als Du geſchil¬ dert haſt.

Du biſt zu leichtſinnig, antwortete Franz, es iſt nicht das erſtemal, daß ich es bemerke, wie Du Dir vorſätzlich das ſchönere Gefühl abläugneſt, um einer ſinnlichern Schwär¬ merei nachzuhängen.

Nur nicht wieder dieſe grellen Unterſchie¬ de! rief Rudolf aus; denn das iſt der ewige Punkt unſres Streites.

22

Aber ich verſtehe Dich nicht.

Mag ſeyn! ſchloß Floreſtan, das Ge¬ ſpräch darüber iſt mir jetzt zu umſtändlich; wir reden wohl ein andermal davon.

Franz war ein wenig auf ſeinen Freund erzürnt; denn es war nicht das erſtemal, daß ſie ſo mit einander ſtritten. Floreſtan betrachtete alle Gegenſtände leichter und ſinnlicher; er war oft dieſelbe Empfindung, die Franz nur mit andern Worten ausdrück¬ te; es fügte ſich wohl, daß Sternbald nach einiger Zeit denſelben Gedanken äußerte, oft kam auch Rudolf ſpäter zu dem Gefühl, dem er kurz vorher an ſeinem Freunde wi¬ derſprochen hatte. Wenn die Menſchen Mei¬ nungen wechſeln, ſo entſteht nur gar zu oft ein blindes Spiel des Zufalls daraus, aus dem Wunſche, ſich mitzutheilen, entſteht die Sucht zu ſtreiten, und wir widerſprechen23 oft, ſtatt uns zu bemühen, die Worte des andern zu verſtehen.

Nachdem Franz eine Weile geſchwiegen hatte, fuhr er fort: O, mein Floreſtan, was ich mir wünſche, in meinem eigenthüm¬ lichen Handwerke das auszudrücken, was mir jetzt Geiſt und Herz bewegt, dieſe Fülle der Anmuth, dieſe ruhige, ſcherzende Hei¬ terkeit, die mich umgiebt. Mahlen möchte ich es, wie in dem Luftraume ſich edle Gei¬ ſter bewegen, und durch den Frühling ſchrei¬ ten, ſo daß aus dem Bilde ein ewiger Früh¬ ling mit unverwelklichen Blüten prangte, der jedem Auge auch nach meinem Tode neu aufginge und den[freundlichen] Willkommen entgegenbrächte. Meinſt du[nicht], daß es dem großen Künſtler möglich ſey, in einem Hiſtoriengemählde, oder auch auf andre Weiſe einem fremden Herzen das deutlich hinzugeben, was wir jetzt empfinden?

24

Ich glaube es wohl, antwortete Flo¬ reſtan, und vielleicht gelingt es manchem, ohne daß er es ſich gerade vorſetzt. Geh 'nach Rom, mein Freund, und dieſer ewige Frühling, nach dem Du Dich ſehnſt, blüht dort in dem Hauſe des Agoſtins Ghigi. Der göttliche Rafael hat ihn dort hingezaubert, und man nennt dieſe Bilder gewöhnlich die Geſchichte des Amor und der Pſyche. Dieſe Luftgeſtalten ſchweben dort, vom blauen Aether umgeben, und bedeutungsvoll von großen friſchen Blumenkränzen ſtatt der Rahmen eingeſchränkt und abgeſondert. Wenn Du dieſe Bildungen mit dem Auge durchwanderſt, ſo wird es Dir vielleicht ſo ſeyn, wie mir immer bei ihrer Betrachtung geweſen iſt. Die Geſchichte ſelbſt iſt ſo lieb¬ lich und zart, ein Bild der ewigen[Jugend], von dem Jünglingsgeiſte, dem prophetiſchen Sanzius, in ſeiner ſchönen Entzückung hin¬25 gemahlt, die Verkündigung der Liebe und der Blumenſchönheit, des erhabenen Reizes. Alles iſt, um mich ſo auszudrücken, eine poetiſche Offenbarung über die Natur der Lieblichkeit, und ſie iſt dem Menſchenherzen vertraulich nahe gerückt. Wie wenn der Frühling in ſeiner höchſten Blüthe ſteht, ſo ſchließt die Geſchichte in dieſen Bildern mit der hohen Pracht der Götterverſammlung, wo im ſchönſten Leben alle einzelnen Ge¬ ſtalten vereinigt ſind, und die Seligkeit des Olympus den ſterblichen Augen enthüllen. Gedulde Dich, mein Franz, bis Du in Rom biſt.

Ach, Rafael! ſagte Franz Sternbald, wie viel hab 'ich nun ſchon von Dir reden hören; wenn ich Dich doch noch im Leben anträfe!

Ich will Dir noch ein Lied vom Frühlinge ſingen, ſagte Rudolf.

26

Sie ſtanden beide auf, und Floreſtan ſang. Er präludirte auf ſeiner Flöte, und zwiſchen jeder Strofe ſpielte er einige Töne, die ſich wunderbar zum Liede paßten, und es dem Hörer gleichſam erläuterten.

Vöglein kommen hergezogen,
Setzen ſich auf dürre Äſte:
» Weit, ach weit ſind wir geflogen,
Angelockt vom Frühlingsreste. «
Alſo klagen ſie, die Kleinen:
» Schmetterlinge ſchwärmen ſchon,
Bienen ſumſen ihren Ton,
Suchen Honig, finden keinen.
Frühling! Frühling! komm 'hervor!
Höre doch auf unſre Lieder,
Gieb uns unſre Blätter wieder,
Horch, wir ſingen Dir in's Ohr.
Kommt noch nicht das grüne Laub?
Laß die kleinen Blätter ſpielen,
Daß ſie warme Sonne fühlen,
Keines wird dem Froſt zu Raub. «
27
» Was ſingt ſo lieblich leiſe?
Spricht drauf die Frühlingswelt:
Es iſt die alte Weiſe,
Sie kommen von der Reiſe,
Keine Furcht mich rückwärts hält. «
Auf thun ſich grüne Äugelein,
Die Knospen ſich erſchließen
Die Vögelein zu grüßen,
Zu koſten den Sonnenſchein.
Durch alle Bäume geht der Waldgeiſt
Und ſumſt: Auf, Kinder der Frühling iſt da:
Storch, Schwalbe, die ich ſchon oftmals ſah
Auch Lerch 'und Grasmückt' iſt hergereif't.
Streckt ihnen die grünen Arm entgegen,
Laßt ſie wohnen wie immer im ſchattigen Zelt,
Daß ſie von Zweig zu Zweig ſich regen,
Und jubeln und ſingen in friſcher Welt.
Nun regt ſich's und rauſcht in allen Zweigen,
Alle Quellen mit neuem Leben ſpielen,
In den Äſten Luſt und Kraft und Wühlen,
Jeder Baum will ſich vor dem andern zeigen.
28
Nun rauſcht's und alle ſtehn in grüner Pracht,
Die Abendwolken über Wäldern ziehn,
Und ſchöner durch die Wipfel glühn,
Der grüne Hain von goldnem Feuer angefacht.
Gebiert das Thal die Blumen an das Licht
Die die holde Liebe der Welt verkünden,
Es lächelt und winkt in ſtillen Gründen
Des ſanften Veilchens Angeſicht,
Das ſinnige Vergißmeinnicht.
Sie ſind die Winke, die ſüßen Blicke,
Die dem Geliebten das Mädchen reicht,
Vorboten vom zukünft'gen Glücke,
Ein Auge, das ſchmachtend entgegen neigt.
Sie bücken ſich mit ſchalkhaftem Sinn
Und grüßen, wer vorübergeht,
Wer ihren ſanften Blick verſchmäht
Dem reichen ſie die weißen Finger hin.
Doch nun erſcheint des Frühlings Frühlingszeit,
Wenn Liebe Gegenliebe findet
Und ſich zu einer Lieb 'entzündet,
Dann glänzt die Pracht der Blumen hell und weit.
29
Die Roſen nun am Stock in's Leben kommen,
Und brechen hervor mit liebreizendem Prangen,
Die ſüße Röthe iſt aufgeglommen
Daß ſie vereinter Schmuck dicht an einander hangen.
Dann iſt des Frühlings Frühlingszeit,
Mit Küſſen, mit Liebesküſſen der Buſch beſtreut,
Roſe, ſüße Blüthe, der Blumen Blum ',
Der Kuß iſt auf Deinen Lippen gemahlt,
O Roſ', auf Deinem Munde ſtrahlt
Der küſſenden Lieb 'Andacht und Heiligthum.
Höher kann das Jahr ſich nicht erſchwingen,
Schöner als Roſe der Frühling nichts bringen,
Nun läßt Nacht'gall Sehnſuchtslieder klingen
Bei Tage ſingt das ganze Vögelchor,
Bei Nacht ſchwillt ihr Geſang hervor.
Und wenn Roſe, ſüß 'Roſe die Blätter neigt,
Dem Sommer wohl das Vögelchor weicht,
Nachtigall mit allen Tönen ſchweigt.
Die Küſſe ſind im Thal verblüht,
Dichtkunſt nicht mehr durch Zweige zieht[. ]
30

Zweites Kapitel.

Noch im Felde begegnete ihnen der Mann, den ſie in der nächſten Stadt hatten auf¬ ſuchen wollen; ſie fingen zufälligerweiſe ein Geſpräch an, und erkannten ſich dadurch. Der Mann nannte ſich Bolz, und war ein Bildhauer, der jetzt nach Nürnberg, ſeinem Wohnorte, reiſ’te. Er kam aus Italien zu¬ rück, und hatte einen Gefährten bei ſich, der wie ein Mönch gekleidet war.

Franz war erfreut, wieder jemand vor ſich zu ſehn, der bald ſeine liebe Vaterſtadt erblicken, der ſeinen Dürer ſprechen ſollte; er ging daher dem Fremden mit aufrichti¬ ger Freude und Freundſchaft entgegen. Bolz und der Mönch ſchienen auf Sternbald nicht ſonderliche Rückſicht zu nehmen.

Man unterhielt ſich von der Kunſt, und Franz fragte begierig: was macht der31 edle Rafael von Urbin? Habt Ihr ihn noch geſehn?

Der Mönch nahm das Wort. Nein, ſagte er, leider hat dieſe ſchönſte Zier der edlen Mahlerkunſt die Erde verlaſſen; er iſt im vorigen Jahre geſtorben. Mit ihm iſt viel¬ leicht die Kunſt aus Italien entwichen.

Wie Ihr da ſprecht! rief der Bildhauer Bolz, und was wäre dann der unſterbliche Michel Angelo, der die höchſte Höhe der Kunſt erreicht hat, die Rafael niemals ge¬ kannt hat? Der uns gezeigt hat, was er¬ habener Reiz ſey, und die Ideale der Alten mit dem genauen Studium der wirklichen Natur verbunden? Dieſer lebt noch, mein junger Freund, und er ſteht lächelnd am Ziele der Sculptur und Mahlerei, als ein hoher Genius, der jedem Schüler ſein Stre¬ ben andeutet und erleichtert.

So iſt mir dieſer Wunſch meines Her¬32 zens verſagt? ſagte Franz, den Mann zu ſehn, der ein Freund meines Dürer war, den Dürer ſo bewunderte?

Nun freilich, rief Bolz aus, der alte gutherzige Dürer hat ihn auch wohl be¬ wundern dürfen, und für ihn iſt freilich Rafael noch viel zu gut. Er iſt aber auch nicht im Stande, etwas von Agnolo's Größe zu verſtehn, wenn er ein Kunſtwerk von die¬ ſem erhalten ſollte.

Erlaubt, ſagte Floreſtan, ich bin kein Kenner der Kunſt; aber doch habe ich von Tauſenden gehört, daß Rafael das Kleinod dieſer Erde zu nennen ſey, und wahrlich! wenn ich meinen Augen und meinem Ge¬ fühle trauen darf, ſo leuchtet eine erhabene Göttlichkeit aus ſeinen Werken.

Und wie Ihr alle von Dürer ſprecht! ſagte Franz, wahrlich! er weiß wohl das Eigne und Große an fremden Werken zu ſchätzen,wie33wie könnte er ſonſt ſelber ein ſo großer Künſtler ſeyn! Ihr liebt Euer deutſches Vaterland wenig, wenn Ihr von ſeinem er¬ ſten Künſtler geringe denkt.

Erzürnt Euch nicht, ſagte der Mönch; denn es iſt ſeine rauhe, wilde Art, daß er alles übertreibt. Ihm dünkt nur das Große, Gigantiſche ſchön, und der Sinn für alles übrige ſcheint ihm verſagt.

Nun, was iſt es denn auch mit Deutſch¬ land und mit unſrer einheimiſchen Kunſt? rief Bolz ergrimmt aus. Wie armſelig und handwerksmäßig wird ſie ausgeübt und ge¬ ſchätzt! Noch kein wahrer Künſtlergeiſt hat dieſen unfruchtbaren deutſchen Boden, die¬ ſen trüben Himmel beſucht. Was ſoll auch die Kunſt hier? Unter dieſen kalten gefühl¬ loſen Menſchen, die ſie in dürftiger Häus¬ lichkeit kaum als Zierrath achten? Darum ſtrebt auch keiner von den ſogenannten(2r TH.) C34Künſtlern, das Höchſte und Vollkommenſte zu erreichen, ſondern ſie begnügen ſich, der kalten dürftigen Natur nahe zu kommen, ihr hin und wieder einen Zug außer dem Zu¬ ſammenhange abzulauſchen, und glauben dann, wenn ſie ihr Machwerk in kahler Unbedeutſamkeit ſtehen laſſen, was Rechtes gethan zu haben. So iſt Euer geprieſe¬ ner Albert Dürer, Euer Lukas von Leyden, Schoorel, obgleich er in Italien geweſen iſt, ja kaum der Schweizer Holbein ver¬ dient zu den Mahlern gezählt zu werden.

Ihr kennt ſie nicht, rief Franz unwillig aus, oder verkennt ſie mit Vorſatz. Soll denn ein Mann allein die Kunſt und alle Trefflichkeit, erſchöpft und beendigt haben, ſo daß mit ihm, nach ihm kein andrer nach dem Kranze greifen darf? Wie beengt und klein müßte dann das himmliſche Gebiet ſeyn, wenn es ein einziger Geiſt durch¬35 ſchwärmte, und wie ein Herkules an den Gränzen ſeine Säulen ſetzte, um der Nach¬ welt zu ſagen, wie weit ſie gehen könne. Mir ſcheint es Barbarei und Hartherzig¬ keit, Entwürdigung des Künſtlers ſelbſt, den ich vergöttern möchte, wenn ich ihm ausſchließlich alle Kunſt beilegen will. Bis¬ her ſcheint mir Dürer der erſte Mahler der Welt; aber ich kann es mir vorſtellen, und er hat es ſelbſt oft genug geſagt, wie viele Herrlichkeiten es außerdem noch giebt. Mi¬ chael Angelo iſt wenig, wenn es nicht mög¬ lich ſeyn darf, daß es auch jenſeit ſeinem Wege Größe und Erhabenheit giebt.

Kommt nur nach Italien, ſagte Bolz, und Ihr werdet anders ſprechen.

Nein, Auguſtin, fiel ihm der Mönch ein. So reich die Kunſtwelt dort ſeyn mag, ſo wird dieſer junge Mann doch nachher ſchwerlich anders ſprechen. Ihr gefallt EuchC 236in Euren Übertreibungen, in Eurer erzwun¬ genen Einſeitigkeit, und glaubt, daß es keinen Enthuſiasmus ohne Verfolgungsgeiſt geben könne. Sternbald wird gewiß auch in Rom und Florenz ſeinem Dürer getreu bleiben, und er wird gewiß Angelo's Erha¬ benheit und Rafael's reizende Schöne mit gleicher Liebe umfaſſen.

Und das ſoll er, das muß er! rief Ru¬ dolf hier mit einem Ungeſtüm aus, den man ſonſt nicht an ihm ſah. Ihr, mein ungeſtümer Bruder Auguſtin, oder wie Ihr Euch nennt, habt wenig Ehre davon, daß Ihr ſolche Geſinnungen und Redensarten aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt; nach Norden, nach den Eisländern hättet Ihr reiſen müſſen. Ihr ſprecht von deut¬ ſcher Barbarei, und fühlt nicht, daß Ihr ſelbſt der größte Barbar ſeyd. Was habt Ihr in Italien gemacht, und wo hat Euch37 das Herz geſeſſen, als Ihr im Vatikan vor Rafael's Unſterblichkeit ſtandet?

Alle mußten über den Ungeſtüm des Jünglings lachen, und er ſelbſt lachte von Herzen mit, obgleich ihm eine Thräne im Auge ſtand, die ihm ſeine begeiſterte Rede hervorgebracht hatte. Ich bin ein Römer, ſagte er dann, und ich geſtehe, daß ich Rom unausſprechlich liebe; Rafael iſt es beſon¬ ders, der Rom ausgeſchmückt hat, und ſeine hauptſächlichſten Gemählde befinden ſich dort. Vergebt mir, und ſagt nun, was Ihr wollt; ich werde Euch gewiß nicht noch einmal ſo heftig widerſprechen.

So iſt denn dieſer Rafael geſtorben! fing Franz von neuem an, indem ſie wieder friedlich über das Feld gingen. Wie alt iſt er denn geworden?

Gerade neun und dreißig Jahre, ſagte der Mönch. Am Charfreitage, an dieſem38 heiligen Tage iſt er gebohren, und an die¬ ſem merkwürdigen Geburtstage iſt er auch wieder von der Erde hinweggegangen. Er war und blieb ſein Lebelang ein Jüngling, und aus allen ſeinen Werken ſpricht ein milder, kindlicher Geiſt. Sein letztes großes Gemählde war die Transfiguration, Chriſti Verklärung, worin er ſich ſeine eigne Apo¬ theoſe gemahlt hat. Oben die Herrlichkeit des Erlöſers, allgemeine Liebe in ſeinen Blicken, unter ihm der Glaube der Apoſtel, umgeben von dem übrigen Menſchenleben, mit allem Elende, das darin einheimiſch iſt, Unglückliche, die dem Erlöſer zur Heilung gebracht werden, und Zweifel, Hoffnung und Zutrauen in den Umſtehenden. Ra¬ fael's Sarg ſtand in der Mahlerſtube, und ſein letztes vollendetes Gemählde daneben, ſeine eigne Verklärung. Der Finger ruhte nun auf immer, der dieſe Bilder in Leben39 und Bewegung gezaubert hat; die bunte freundliche Welt, die aus ihm hervorgegan¬ gen war, ſtand nun neben der blaſſen Lei¬ che. Ganz Rom war in Bewegung, und keiner von denen, die es ſahen, konnte ſich der Thränen enthalten.

Nein, rief Franz aus, wer wollte ſich der Thränen bei ſolchem Anblick enthalten? Was können wir denn den großen Kunſt¬ geiſtern zum Dank anders widmen, als un¬ ſer volles, entzücktes Herz, unſre andächtige Verehrung? Für dieſe unbefangene, kind¬ liche Rührung, für dieſe völlige Hingebung unſres eigenthümlichen Selbſts, für dieſen vollen Glauben an ihre edle Trefflichkeit haben ſie gearbeitet; dies iſt ihr größter und ihr einziger Lohn. Kommen mir doch jetzt die Thränen in die Augen, wenn ich mir den Abgeſchiedenen da liegen denke, unter ſeinen Gemählden, ſeine letzte Schöpfung40 dicht neben ihm, die ſo kürzlich noch ſein Kunſtgeiſt belebte und bewegte. O, man ſollte denken, alle jene lebendigen Geſtalten hätten ſich verändern, und nur Schmerz und Verzweiflung über den entflohenen Ra¬ fael äußern müſſen.

Der Bildhauer ſagte: Nun, gewiß, Ihr habt eine lebhafte Imagination; am Ende meint Ihr gar, ſein gemahlter Chri¬ ſtus hätte ihn wieder vom Tode erwecken können!

Und iſt denn Rafael geſtorben? rief Sternbald in ſeiner Begeiſterung aus. Wird Albrecht Dürer jemals ſterben? Nein, kein großer Künſtler verläßt uns ganz; er kann es nicht, ſein Geiſt, ſeine Kunſt bleibt freund¬ lich unter uns wohnen. Der Nahme der Feldherren wird auch vom ſpäten Enkel noch genannt; aber größern Triumph ge¬ nießt der Künſtler. Rafael ruht neben ſei¬41 nen Kunſtwerken glänzender, als der Sie¬ ger in ſeinen ehernen Grabmählern; denn er läßt die Bewegungen ſeines edlen Her¬ zens, die großen Gedanken, die ihn begei¬ ſterten, in ſichtbaren Bildungen, in liebli¬ chen Klängen unter uns zurück, und jede Geſtalt bietet ſchon jetzt dem noch ungebohr¬ nen Enkel die Hand, um ihm zu bewill¬ kommen; jedes Gemählde drückt den entzück¬ ten Beſchauer an das Herz Rafaels, und er fühlt, wie ihn der Geiſt des Mahlers liebevoll umfängt und erwärmt, er glaubt den Athem wehen zu hören, die Stimme des Grußes zu vernehmen, und iſt durch dieſe Stunde für ſeine ganze Lebenszeit geſtärkt.

Bolz ſagte: Ihr werdet Euer Lebelang kein großer Mahler werden; Ihr erhitzt Euch über alles ohne Noth, und das wird Euch gerade von der Kunſt abführen.

42

Darin mögt Ihr nicht ganz Unrecht haben, ſagte der Mönch. Ich kenne in Italien einen alten Mann, der mir einmal ſeine Geſchichte erzählte, die mir ſehr merk¬ würdig dünkte. Aus dem Ganzen erhellte, beſonders nach der Meinung jenes Man¬ nes, daß die Kunſt einen ruhigen Geiſt fordre.

Das iſt wohl ausgemacht, fuhr Rudolf fort; aber warum muß Euch ein alter Mann, den wir alle nicht kennen, gerade auf dieſen Gedanken bringen, der doch ſo natürlich iſt?

Er fiel mir nur dabei ein, ſagte der Mönch, weil ſeine Geſchichte recht ſehr ſon¬ derbar iſt, und weil der junge Mahler dort ihm auf eine wunderbare Weiſe ähn¬ lich ſieht, ſo daß ich an jenen Alten denke, ſeitdem wir mit einander gegangen ſind.

43

Könnt Ihr uns nicht ſeine Geſchichte erzählen? fragte Franz.

Der Mönch wollte eben anfangen, als ſie Jagdhörner und Hundegebell hörten. Ein Trupp Reuter jagte bei ihnen vorüber, und in den benachbarten Wald hinein. Die Berge gaben die Töne zurück, und ein ſchö¬ nes muſikaliſches Gewirr lärmte durch die einſame Gegend.

Bolz ſtand ſtill, und ſagte: Laßt um des Himmels Willen Eure langweiligen Er¬ zählungen; freut Euch doch an dieſem Kon¬ zerte, das, nach meinem Gefühl, jede Bruſt erregen müßte! Ich kenne nichts Schöneres, als Jagdmuſik, den Hörnerklang, den Wie¬ derhall im Walde, das wiederholte Gebell der Hunde, und das hetzende Hallo der Jä¬ ger. Als ich jetzt Italien verließ, gelang es mir, bei Gelegenheit einer Jagd einem über¬ aus reizenden Mädchen das Leben zu ret¬44 ten. Das, Herr Mahler, war eine Scene, die der Darſtellung würdig war! Der grü¬ ne dunkelſchattige Wald, das Getümmel der Jagd, ein blondes geängſtigtes Mäd¬ chen, die, vor Schreck halb ohnmächtig, einen Baum hinanklettern will, der Buſen halb frei, die langen Haare aufgelöſ't, Fuß und Bein von der Stellung entblößt, ein Mann, der ihr Hülfe leiſtet. Ich habe nie wieder ſo etwas Reizendes geſehn, und unter allen Menſchen hat mir dies Mäd¬ chen den Abſchied aus Italien am meiſten erſchwert.

Franz dachte unwillkührlich an ſeine Unbekannte, und der Mönch ſagte: Ich kann den Gegenſtand ſo beſonders mahle¬ riſch nicht finden; er iſt alltäglich und be¬ deutungslos.

Nachdem ihn der Mahler nehmen dürf¬ te, fiel Franz ein; vielleicht iſt kein einziger Gegenſtand ohne Intereſſe.

45

Ihr könntet nun wohl Euer Gezänk abbrechen, ſagte Rudolf; denn Ihr werdet nie über irgend etwas einig werden.

Sie waren einen Berg hinangeſtiegen, und ſtanden nun ermüdet ſtill. Indem ſie ſich an der Ausſicht ergötzten, rief Franz aus: mich dünkt, ich ſehe noch ganz in der Ferne den Münſter!

Sie ſahen alle hin, und ein jeglicher glaubte, ihn zu entdecken. Der Münſter, ſagte Bolz, iſt noch ein Werk, das den Deutſchen Ehre macht!

Das aber doch gar nicht zu Euren Be¬ griffen vom Idealiſchen und Erhabenen paßt, antwortete Franz.

Was gehen mich meine Begriffe an? ſagte der Bildhauer; ich knie in Gedanken vor dem Geiſte nieder, der dieſen allmäch¬ tigen Bau entwarf und ausführte. Wahr¬ lich! es war ein ungemeiner Geiſt, der es46 wagte, dieſen Baum mit Äſten, Zweigen und Blättern ſo hinzuſtellen, immer höher den Wolken mit ſeinen Felsmaſſen entgegen zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das gleichſam ein Bild der Unendlichkeit iſt.

Sternbald ſagte: Ich ärgere mich jetzt nicht mehr, wenn ich von dieſem Rieſenge¬ bäude verächtlich ſprechen höre, wie es mir ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬ ler, jeden, der von griechiſcher und römi¬ ſcher Baukunſt ſpricht, nach Straßburg. Da ſteht er in voller Herrlichkeit, iſt fertig, iſt da, und bedarf keiner Vertheidigung in Worten und auf dem Papiere; er verſchmäht das Zeichnen mit Linien und Bögen, und all' den Wirrwarr von Geſchmack und edler Einfachheit. Das Erhabene dieſer Größe kann keine andre Erhabenheit darſtellen; die Vollendung der Symmetrie, die kühnſte47 allegoriſche Dichtung des menſchlichen Gei¬ ſtes, dieſe Ausdehnung nach allen Seiten, und über ſich in den Himmel hinein; das Endloſe und doch in ſich ſelbſt Geordnete; die Nothwendigkeit des Gegenüberſtehenden, welches die andre Hälfte erläutert und fertig macht, ſo daß eins immer um des andern willen, und alles um die gothiſche Größe und Herrlichkeit auszudrücken, da iſt. Es iſt kein Baum, kein Wald; nein, dieſe all¬ mächtigen, unendlich wiederholten Stein¬ maſſen drücken etwas Erhabeneres, ungleich Idealiſcheres aus. Es iſt der Geiſt des Menſchen ſelbſt, ſeine Mannigfaltigkeit zur ſichtbaren Einheit verbunden, ſein kühnes Rieſenſtreben nach dem Himmel, ſeine ko¬ loſſale Dauer und Unbegreiflichkeit: den Geiſt Erwins ſelbſt ſeh 'ich in einer furcht¬ bar ſinnlichen Anſchauung vor mir ſtehen. Es iſt zum Entſetzen, daß der Menſch aus48 den Felſen und Abgründen ſich einzeln die Steine hervorholt, und nicht raſtet und ruht, bis er dieſen ungeheuren Springbrun¬ nen von lauter Felſenmaſſen hingeſtellt hat, der ſich ewig, ewig ergießt, und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor Erwin, vor uns ſelbſt in unſre ſterblichen Gebeine hineinpredigt. Und nun klimmt unbemerkt und unkenntlich ein Weſen, gleich dem Baumeiſter, oben wie ein Wurm, an den Zinnen umher, und immer höher und höher, bis ihn der letzte Schwindel wieder zur flachen, ſichern Erde hinunternöthigt, wer da noch demonſtriren, und Erwin und das barbariſche Zeitalter bedauern kann, o wahrhaftig, der begeht, ein armer Sün¬ der, die Verläugnung Petri an der Herr¬ lichkeit des göttlichen Ebenbildes.

Hier gab der Bildhauer dem Mahler die Hand, und ſagte: ſo hör 'ich Euch gern.

Aber49

Aber wir müſſen uns trennen, fuhr er fort; hier an dieſem Scheidewege geht un¬ ſre Straße aus einander. Ihr kommt jetzt, junger Freund, nach Italien, indem es viel¬ leicht ſeine glänzendſte Epoche feiert. Ihr werdet viele große und verdiente Männer antreffen, und was an ihnen das Schönſte iſt, erkennen. Die meiſten arbeiten in der Stille. Vielleicht kommt bald, oder irgend einmal die Zeit, wo man viel Aufhebens von der Kunſt macht, viel davon ſpricht und ſchreibt, Schulen errichtet, und alles in's Geleiſe und gehörige Ordnung bringen will, und dann iſt es wahrſcheinlich mit der Kunſt ſelbſt zu Ende. Jetzt thut ein jeder, was er vermag, und nach ſeiner beſten Überzeugung; aber ich fürchte, bald ſtehen die falſchen Propheten auf, die eine erzwungene Ehrfurcht erheucheln. Jetzt ſchätzt man die Kunſt und ihre Künſtler(2r Th.) D50wirklich; dann entſteht vielleicht der After¬ enthuſiasmus, der das wahrhaft Edle her¬ abwürdigt. Lebt wohl!

Sie gingen aus einander, und Franz überdachte die letzten Worte, die ihm un¬ verſtändlich waren.

51

Drittes Kapitel.

Indem Rudolf und Franz ihren Weg fort¬ ſetzten, ſprachen ſie über ihre Begleiter, die ſie verlaſſen hatten. Franz ſagte: Ich kann es mir nicht erklären, vom erſten Augen¬ blicke an empfand ich einen unbeſchreiblichen Widerwillen gegen dieſen Bildhauer, der ſich mit jedem Worte, das er ſprach, ver¬ mehrte. Selbſt die freundſchaftliche Art, mit der er am Ende Abſchied nahm, war mir recht im Herzen zuwider.

Der Geiſtliche, antwortete Rudolf, hatte im Gegentheil etwas Anlockendes, das gleich mein Zutrauen gewann; er ſchien ein ſanfter, freundlicher Menſch, der jedem wohlwollte.

Er hätte uns, fuhr Sternbald fort, die Geſchichte des alten Mannes erzählen ſollen, von dem er ſprach. Vielleicht hätte ich dar¬ aus viel für mich ſelbſt gelernt.

D 252

Du biſt viel zu gewiſſenhaft, mein Freund, ſagte Rudolf weiter. Alles in der Welt beſtimmt Dich und hat Einfluß auf Dein Gemüth.

Ein Fußſteig führte ſie in einen dichten kühlen Wald hinein, und ſie bedachten ſich nicht lange, ihm nachzugehn. Eine erquik¬ kende Luft zog durch die Zweige, und das mannigfaltigſte, anmuthigſte Konzert der Vögel erſchallte. Es war ein lebendiges Gewimmel in den Gebüſchen; die buntgefie¬ derten Sänger ſprangen hier und dort hin; die Sonne flimmerte nur an einzelnen Stel¬ len durch das dichte Grün.

Beide Freunde gingen ſchweigend neben einander, indem ſie des ſchönen Anblicks genoſſen. Endlich ſtand Rudolf ſtill, und ſagte: Wenn ich ein Mahler wäre, Freund Sternbald, ſo würde ich vorzüglich Wald¬ ſcenen ſtudiren und darſtellen. Schon der53 Gedanke eines ſolchen Gemähldes kann mich entzücken. Wenn ich mir unter dieſen däm¬ mernden Schatten die Göttin Diana vor¬ übereilend denke, den Bogen geſpannt, das Gewand aufgeſchürzt, und die ſchönen Glie¬ der leicht umhüllt, hinter ihr die Nymphen und die muntern Jagdhunde: oder ſtelle Dir vor, daß dieſer Fußweg ſich immer dich¬ ter in's Gebüſch hineinwendet, die Bäume werden immer höher und wunderbarer, ein¬ zelne Laute klingen durch das verſchlungene Laub, plötzlich ſteht eine Grotte, eine küh¬ les Bad vor uns, und in ihm die Göttin, mit ihren Begleiterinnen, entkleidet.

Oder, ſagte Franz, hier im tiefen Walde ein Grabmahl, auf dem ein Freund ausge¬ ſtreckt liegt und den Todten beweint: dazu die dunkelgrünen Schatten, der friſche Ra¬ ſen, die einzelnen zerſpaltenen Sonnenſtrah¬ len von oben, alles dies zuſammen müßte54 ein vortreffliches Gemählde der Schwermuth ausbilden.

Fühlſt Du nicht oft, ſprach Rudolf wei¬ ter, einen wunderbaren Zug Deines Her¬ zens dem Wunderbaren und Seltſamen ent¬ gegen? Man kann ſich der Traumbilder dann nicht erwehren, man erwartet eine höchſt ſonderbare Fortſetzung unſers gewöhn¬ lichen Lebenslaufs. Oft iſt es, als wenn der Geiſt von Arioſts Dichtungen über uns hinwegfliegt, und uns in ſeinen kryſtallenen Wirbel mit faſſen wird; nun horchen wir auf und ſind auf die neue Zukunft begierig, auf die Erſcheinungen, die an uns mit bun¬ ten Zaubergewändern vorübergehn ſollen: dann iſt es, als wollte der Waldſtrom ſeine Melodie deutlicher ausſprechen, als würde den Bäumen die Zunge gelöſ't, damit ihr Rauſchen in verſtändlichern Geſang dahin¬ rinne. Nun fängt die Liebe an auf fernen55 Flötentönen heranzuſchreiten, das klopfende Herz will ihr entgegenfliegen, die Gegen¬ wart iſt wie durch einen mächtigen Bann¬ ſpruch feſtgezaubert, und die glänzenden Minuten wagen es nicht, zu entfliehen. Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit ma¬ giſchen Kräften eingeſchloſſen, und eine neue verklärtere Exiſtenz ſchimmert wie räthſel¬ haftes Mondlicht in unſer wirkliches Leben hinein.

O Du Dichter! rief Franz aus, wenn Du nicht ſo leichtſinnig wärſt, ſollteſt Du ein großes Wundergedicht erſchaffen, voll von gaukelnden Glanz und irrenden Klän¬ gen, voll Irrlichter und Mondſchimmer; ich höre Dir mit Freuden zu, und mein Herz iſt ſchon wunderbar von dieſen Wor¬ ten ergriffen.

Nun hörten ſie eine rührende Waldmu¬ ſik von durch einander ſpielenden Hörnern56 aus der Ferne; ſie ſtanden ſtill und horch¬ ten, ob es Einbildung oder Wirklichkeit ſey; aber ein melodiſcher Geſang quoll durch die Bäume ihnen wie ein rieſelnder Bach entgegen, und Franz glaubte, die Geiſter¬ welt habe ſich plötzlich aufgeſchloſſen, weil ſie vielleicht, ohne es zu wiſſen, das große zaubernde Wort gefunden hätten, als habe nun der geheimnißvolle unſichtbare Strom den Weg nach ihnen gelenkt, und ſie in ſeinen Fluthen aufgenommen. Sie gin¬ gen näher, die Waldhörner ſchwiegen, aber eine ſüße melodiſche Stimme ſang nun fol¬ gendes Lied:

Waldnacht! Jagdluſt!
Leiſ 'und ferner
Klingen Hörner,
Hebt ſich, jauchzt die freie Bruſt
Töne, töne nieder zum Thal
Freun ſich, freun ſich allzumal
Baum und Strauch beim muntern Schall.
57
Klinge Bergquell,
Epheuranken
Dich umſchwanken,
Rieſle durch die Klüfte ſchnell,
Fliehet, flieht das Leben ſo fort,
Wandelt hier, dann iſt es dort,
Hallt, zerſchmilzt ein luftig Wort.
Waldnacht! Jagdluſt!
Daß die Liebe
Bei uns bliebe,
Wohnen blieb 'in treuer Bruſt.
Wandelt, wandelt ſich allzumal,
Fliehet gleich dem Hörnerſchall,
Einſam, einſam grünes Thal.
Klinge Bergquell!
Ach betrogen
Waſſerwogen
Rauſchen abwärts nicht ſo ſchnell.
Liebe, Leben ſie eilen hin,
Keins von beiden trägt Gewinn,
Ach, daß ich geboren bin!

Die Stimme ſchwieg, und die Hörner fielen nun wieder mit ſchmelzenden Akkor¬58 den darein; dann verhallten ſie, und eine andre Stimme ſang von einem entfernteren Orte:

Treulieb 'iſt nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb' und Freud ',
Dann kehrt der holde Gruß,
Händedrücken,
Zärtlich Blicken,
Liebeskuß.
Treulieb 'iſt nimmer weit,
Ihr Gang durch Einſamkeit
Iſt Dir, nur Dir geweiht.
Bald kömmt der Morgen ſchön,
Ihn begrüßet
Wie er küſſet
Freudenthrän'.

Die Hörner ſchloſſen auch dieſen Geſang mit einigen überaus zärtlichen Tönen.

Franz und Rudolf waren indeß näher geſchritten, und ſtanden jetzt ſtill, an einen59 alten Baum gelehnt, der ſie faſt ganz be¬ ſchattete. Sie ſahen eine Geſellſchaft von Jägern auf einem kleinen grünen Hügel ge¬ lagert, einige darunter waren diejenigen, die ihnen vorher begegnet waren. Ein ſchö¬ ner Jüngling, den Franz für ein verkleide¬ tes Mädchen hielt, ſaß in ihrer Mitte; er hatte das erſte Lied geſungen, in der Ferne ſaß ein junger Mann, der mit ſchöner vol¬ ler Bruſt die Antwort ſang, die übrigen Jäger waren zerſtreut, und am Fuße des Hügels lagen die ermüdeten Hunde ſchnau¬ fend. Franz war wie bezaubert; das Mäd¬ chen erhob ſich jetzt, es war eine ſchöne ſchlanke Geſtalt, ſie trug einen Helm mit grüner Feder auf dem Kopfe, ihr Anzug war mit vielen Bändern geſchmückt; ſie glich, von der Jagd erhitzt, einer Göttin. Jetzt ward ſie die beiden Reiſenden gewahr, und ging freundlich auf ſie zu, indem ſie60 ſich erkundigte, auf welche Weiſe ſie dort¬ hin gekommen wären. Rudolf merkte nun, daß ſie ſich verirrt haben müßten, denn ſie ſahen jetzt keinen Weg, keinen Fußſteig vor ſich. Auf den Befehl der Jägerin reichte man ihnen Wein in Bechern zur Erfriſchung; dann erzählten ſie unverholen von ihrer Wan¬ derſchaft. Da die ſchöne Jägerin hörte, daß Sternbald ein Mahler ſey, bat ſie beide Freunde, dem Zuge auf ihr nahe gelegenes Schloß zu folgen, Sternbald ſolle ausru¬ hen, und wenn er nachher wolle, etwas für ſie mahlen.

Franz war wie begeiſtert, er wünſchte jetzt nichts ſo ſehr, als in der Nähe dieſes wundervollen Weſens zu bleiben, wie ſie ihm erſchien. Die Jäger ſtiegen alſo wieder auf ihre Pferde, und zwei von ihnen boten Franz und Rudolf ihre Hengſte an. Sie ſtiegen auf, und Rudolf war immer der61 vorderſte im Zuge, wobei ſich ſeine auslän¬ diſche Tracht, ſeine vom Hute flatternden Bänder gut ausnahmen: Sternbald aber, der noch kein Pferd beſtiegen hatte, war ängſtlich und blieb hinten; er wünſchte, man hätte ihn zu Fuß folgen laſſen.

Jetzt eröffnete ſich der Wald, eine ſchöne Ebene mit Gebüſchen und krauſen Hügeln in der Ferne lag vor ihnen. Die Pferde wieherten laut und fröhlich, als ſie die Rück¬ kehr zur Heimath merkten; das Schloß der Gräfin lag mit glänzenden Fenſtern und Zinnen zur Rechten auf einer lieblichen An¬ höhe. Ein Jäger, der mit Rudolf den Zug angeführt hatte, bot dieſem an, einen Wett¬ lauf bis zum Schloſſe anzuſtellen: Rudolf war willig, beide ſpornten ihre Roſſe und flogen mit gleicher Eile über die Ebene, Rudolf jauchzte und triumphirte, als er ſei¬ nem Mitkämpfer den Vorſprung abgewann,62 die übrigen folgten langſam unter einer fröhlichen Muſik der Hörner.

Es war um die Mittagszeit, als der Zug im Schloſſe ankam, und die ganze Ge¬ ſellſchaft ſetzte ſich bald darauf zur Tafel; die ſchöne Jägerin war aber nicht zugegen. Die Tiſchgeſellſchaft war deſto luſtiger, Ru¬ dolf war vom Reiten erhitzt, und da er überdies noch vielen Wein trank, war er beinahe ausgelaſſen. Deſto mehr aber be¬ luſtigte er die Geſellſchaft, die es nicht müde wurde, ſeine Einfälle zu belachen; Franz fühlte ſich gegen ſeine Leichtigkeit unbehol¬ fen und ohne alle Fähigkeit zum Umgange. Ein ältlicher Mann, der im Hauſe aufbe¬ wahrt wurde, galt für einen Dichter; er ſagte Verſe her, die ungemein gefielen, und noch mehr deswegen, weil er ſie ohne alle Vorbereitung deklamirte. Unter dem lauten Beifall der Geſellſchaft ſang er folgendes Trinklied:

63
Die Gläſer ſind nun angefüllt,
Auf, Freunde! ſtoßet an,
Der edle Traubenſaft entquillt
Für jeden braven Mann.
Es geht von Mund zu Mund
Das volle Glas in die Rund,
Wer krank iſt, trinke ſich geſund.
Es kommt vom Himmel Sonnenſchein
Und ſchenkt uns Freud 'und Troſt,
Dann wächſt der liebe ſüße Wein,
Es rauſchet uns der Moſt.
Es geht von Mund zu Mund
Das volle Glas in die Rund,
Wer krank iſt, trinke ſich geſund.

Da alle das Talent des Mannes be¬ wunderten, ſagte Rudolf im Unwillen: Es geſchieht dem Wein keine ſonderliche Ehre, daß Ihr ihn auf ſolche Art lobt, denn es klingt beinahe, als wenn Ihr aus Noth ein Dichter wäret, der den lieben Wein nur be¬ ſingt, weil er ſich dieſen Gegenſtand einmal64 vorgeſetzt hat; es iſt wie ein Gelübde, das jemand mit Widerwillen bezahlt. Warum quält Ihr Euch damit, Verſe zu machen? Ihr könnt den Wein ſo durch funfzig Stro¬ fen verfolgen, von ſeiner Herkunft anfan¬ gen und ſeine ganze Erziehung durchgehn. Ich will Euch auf dieſe Art auch ein Ge¬ dicht über den Flachsbau durchſingen, und über jedes Manufakturprodukt.

Das hören wir ſehr ungern! rief einer von den Jägern.

Wir haben den Mann immer für einen großen Dichter gehalten, ſagte ein andrer, warum macht Ihr uns in unſerm Glau¬ ben irre?

Es iſt leichter tadeln, als beſſer machen! rief ein dritter.

Der Poet ſelber war ſehr aufgebracht, daß ihm ein fremder Ankömmling ſeinen Lorbeer ſtreitig machen wollte. Er bot demberauſch¬65berauſchten Floreſtan einen dichteriſchen Zwei¬ kampf an, den die Geſellſchaft nachher ent¬ ſcheiden ſollte. Floreſtan gab ſeine Zuſtim¬ mung, und der alte Sänger begann ſo¬ gleich ein ſchönes Lied auf den Wein, das alle Gemüther ſo entzückte, daß Franz für ſeinen Freund wegen des Ausganges des Krieges in billige Beſorgniß gerieth.

Während dem Liede war die Tafel auf¬ gehoben, und Floreſtan beſtieg nun den Tiſch, indem er ſeinen Hut aufſetzte, der mit grünem Laube geputzt war; vorher trank er noch ein großes Glas Wein, dann nahm er eine Zitter in die Hand, auf die er artig ſpielte und dazu ſang:

Erwacht ihr Melodien
Und tanzt auf den Saiten dahin,
Ha! meine Augen glühen
Alle Sorgen erdwärts fliehen,
Himmelwärts entflattert der jauchzende Sinn.
(2r Th.) E66
In goldenen Pokalen
Verbirget die Freude ſich gern,
Es funkeln in den Schaalen
Ha! des Weines liebe Strahlen,
Es regt ſich die Welle ein ſchimmernder Stern.
In tiefen Bergesklüften
Wo Gold und der Edelſtein keimt,
In Meeres fernen Schlüften
In Adlers hohen Lüften,
Nirgend Wein wie auf glücklicher Erde ſchäumt.
Gern mancher ſucht 'in Schlünden
Wo ſelber dem Bergmann graut,
In felſigen Gewinden,
Könnt' er die Wonne finden
Die ſo freundlich uns aus dem Becher beſchaut.

Rudolf hielt inne. Iſt es mir, Herr Poet, fragte er beſcheiden, nun wohl ver¬ gönnt, das Silbenmaas ein wenig zu ver¬ ändern?

Der Dichter beſann ſich ein Weilchen, dann nickte er mit dem Kopfe, um ihm67 dieſe Freiheit zuzugeſtehn. Rudolf fuhr mit erhöhter Stimme fort:

Als das Glück von der Erde ſich wandte,
Das Geſchick alle Götter verbannte,
Da ſtanden die Felſen ſo kahl,
Es verſtummten der Liebenden Lieder,
Sah der Mond auf Betrübte hernieder,
Vergingen die Blumen im Thal.
Sorg 'und Angſt und Gram ohne Ende
Nur zur Arbeit bewegten ſich Hände,
Trüb' und thränend der feurige Blick,
Sehnſucht ſelber war nun entſchwunden
Keiner dachte der vorigen Stunden,
Keiner wünſchte ſie heimlich zurück.

Nicht wahr, unterbrach ſich Rudolf ſel¬ ber, das war für die arme Menſchheit eine traurige Lage, die ſo plötzlich das goldene Zeitalter verloren hatte? Aber hört nur weiter:

Alle Götter ohn 'Erbarmen
Sahn hinunter auf die Armen,
Ihr Verderben ihr Entſchluß.
E 268
O, wer wäre Menſch verblieben,
Ohne Götter, ohne Lieben,
Ohne Sehnſucht, ohne Kuß?
Bacchus ſah, ein junger Gott
Lächelnder Wang 'mit Blicken munter,
Zur verlaßnen Erd' hinunter
Ihn bewegt 'der Menſchheit Noth.
Und es ſpricht die Silberſtimme:
Meine Freunde ſind zu wild,
Ihrem eigenſinn'gen Grimme
Unterliegt das Menſchenbild.
Weil kein Tod den Gott betaſtet
Höhnen ſie die Sterblichkeit,
Die, von ihrem Zorn belaſtet,
Leben fühlt im bittern Leid.

Aber, meine Freunde, ich bin des Sin¬ gens und Trinkens überdrüſſig. Und mit dieſen Worten ſprang er vom Tiſche her¬ unter.

Unter der berauſchten[Geſellſchaft] entſtand ein Gemurmel, weil ſie ſtritten, welcher von69 den beiden Poeten den Preis verdiene. Die meiſten Stimmen ſchienen für den alten Sänger; einige aber, die durch ihre Vor¬ liebe für das Neue einen beſſern Verſtand anzudeuten glaubten, nahmen ſich des Flo¬ reſtan mit vielem Eifer an, unter dieſen war auch Sternbald.

Man weiß nicht recht, was der junge Menſch mit ſeinem Geſange oder Liede will, ſagte einer von den älteſten. Ein gutes Weinlied muß ſeinen ſtillen Gang für ſich fortgehn, damit man brav Luſt bekömmt, mitzuſingen, deshalb auch oft blinkt, klingt und ſingt darin angebracht ſeyn muß, wie ich es auch noch allenthalben gefunden habe. Allein was ſollen mir dergleichen Geſchichten?

Freilich, ſagte Floreſtan, kann es nichts ſollen; aber, lieben Freunde, was ſoll Euch denn der Wein ſelber? Wenn Ihr70 Waſſer trinkt, bleibt Ihr noch um vieles mäßiger.

Nein, ſchrie ein andrer, auch im Weine kann und muß man mäßig ſeyn; der Ge¬ nuß iſt dazu da, daß man ihn genießt, aber nicht ſo gänzlich ohne Verſtand.

Rudolf lachte und gab ihm Recht, wo¬ durch viele ausgeſöhnt wurden und zu ſei¬ ner Parthei übergingen. Ich habe nur den Tadel, ſagte Sternbald, daß Dein Gedicht durchaus keinen Schluß hat.

Und warum muß denn alles eben einen Schluß haben? rief Floreſtan, und nun gar in der entzückenden Poeſie! Fangt Ihr nur an zu ſpielen, um aufzuhören? Denkt Ihr Euch bei jedem Spaziergange gleich das Zu¬ rückgehn? Es iſt ja ſchöner, wenn ein Ton leiſe nach und nach verhallt, wenn ein Waſ¬ ſerfall immer fortbrauſ't, wenn die Nachti¬ gall nicht verſtummt. Müßt Ihr denn71 Winter haben, um den Frühling zu ge¬ nießen?

Es kann ſeyn, daß Ihr Recht habt, antworteten einige, ein Weinlied nun gar, das nichts als die reinſte Fröhlichkeit ath¬ men ſoll, kann eines Schluſſes am erſten entbehren.

Wie Ihr nun wieder ſprecht! rief Flo¬ reſtan im tollen Muthe, indem er ſich ha¬ ſtig rund herumdrehte. Ohne Schluß, ohne Endſchaft iſt kein Genuß, kein Ergötzen durchaus nicht möglich. Wenn ich einen Baumgang hinuntergehe, ſey er noch ſo ſchön, ſo muß ich doch an den letzten Baum kommen können, um ſtillzuſtehen und zu denken: dort bin ich gegangen. Im Leben wären Liebe, Freude und Entzücken Quaa¬ len, wenn ſie unaufhörlich wären; daß ſie Vergangenheit ſeyn können, macht das zu¬ künftige Glück wieder möglich, ja, zu je¬72 dem großen Manne mit allen ſeinen bewun¬ dernswerthen Thaten gehört der Tod als unentbehrlich zu ſeiner Größe, damit ich nur im Stande bin, die ordentliche Summe ſeiner Vortrefflichkeit zu ziehn, und ihn mit Ruhe zu bewundern. In der Kunſt gar iſt ja der Schluß nichts weiter, als eine Er¬ gänzung des Anfangs.

Ihr ſeyd ein wunderlicher Menſch, ſag¬ te der alte Poet; ſo ſingt uns alſo Euren Schluß, wenn er denn ſo unentbehrlich iſt.

Ihr werdet aber damit noch viel weni¬ ger zufrieden ſeyn, ſagte Floreſtan. Doch, es ſoll Euch ein Genüge geſchehn. Er nahm die Zitter wieder in die Hand, und ſpielte und ſang:

Bacchus läßt die Rebe ſprießen,
Saft durch ihre Blätter fließen,
Läßt ſie weiche Lüfte fächeln.
Sonnet ſie mit ſeinem Lächeln,
73
Um die Ulme hingeſchlungen
Steht die neue Pflanz 'im Licht,
Herrlich iſt es ihm gelungen,
Ihn gereut die Arbeit nicht.
Läßt die Blüthen röthlich ſchwillen
Und die Beeren ſaftig quillen,
Fürchtend die Götter und das Geſchick
Kömmt er in Trauben verkleidet zur Welt zurück.
Nun kommen die Menſchlein hergegangen
Und koſten mit ſüßem Verlangen
Die neue Frucht, den glühenden Moſt,
Und finden den Gott, den himmliſchen Troſt.
In der Kelter ſpringt der muthwillige Götter¬
knabe
Der Menſchen allerliebſte Haabe,
Sie trinken den Wein, ſie koſten das Glück,
Es ſchleicht ſich die goldene Zeit zurück.
Der ſchöne Rauſch erheitert ihr Geſicht
Sie genießen froh das neue Sonnenlicht,
Sie ſpüren ſelber Götter - und Zauberkraft
Die ihnen die neue Gabe ſchafft.
74
Die Blicke feurig angeglommen
Zwingen ſie die Venus zurückzukommen,
Die Göttin iſt da und darf nicht fliehn
Weil ſie ſie mächtig rückwärts ziehn.
Die Götterſchaar wird zum Erſtaunen bewogen,
Sie kommen alle zurückgezogen:
Wir wollen wieder bei Euch wohnen,
Ihr Menſchen bauet unſre Thronen.
Was brauchen wir Euch und Euer Geſchick?
So tönt von der Erde die Antwort zurück,
Wir können Euch ohne Gram entbehren
Wenn Wein und Liebe bei uns gewähren.

Nun ſchwieg er ſtill, und legte mit ei¬ ner anſtändigen Verbeugung die Zitter weg. Das iſt nun gar gottlos! riefen viele von den Zuhörern, Euer Schluß iſt das Uner¬ laubteſte von allem, was Ihr uns[vorge¬ ſungen] habt.

Der Streit über den Werth der beiden Dichter fing von neuem an. Sternbald75 ward hitzig für ſeinen Freund, und da er ihn einigemal bei ſeinem Namen Floreſtan nannte, ſo ward der andre Poet dadurch aufmerkſam gemacht; er fragte, er erkun¬ digte ſich, das Geſpräch nahm eine andre Wendung. Es fand ſich, daß die beiden Streitenden Verwandte waren; ſie umarm¬ ten ſich, ſie freuten ſich beide, einander ſo unverhofft anzutreffen, und es wurde nun weiter an keine Vergleichung ihrer Talente gedacht.

76

Viertes Kapitel.

Die Geſellſchaft zerſtreute ſich hierauf, und Franz verließ nach dem Getümmel gern das Haus, um ſich in den Schloßgarten zu be¬ geben. Eine geſchmückte Dame, die er an¬ fangs nicht erkannte, begegnete ihm im Gange; es war niemand, als die Jägerin. Sie grüßten ſich freundlich, aber nach einem kurzen Geſpräch trennten ſie ſich wieder. Franz betrachtete ſinnend einen künſtlichen Springbrunnen, der mit ſeinen kryſtallenen Strahlen die Luft lieblich abkühlte, und ein ſanftes Geräuſch ertönen ließ, zu dem die nahen Vögel williger und angenehmer ſangen. Er hörte auf den mannichfaltigen Wohllaut, auf den Wechſelgeſang, den die Fontaine gleichſam mit den Waldbewohnern führte, und ſein Geiſt verlor ſich dann wieder in eine entfernte wunderbare Zaubergegend.

77

Bin ich getäuſcht, oder iſt es wirklich? ſagte er zu ſich ſelber; ich werde ungewiß, ob mir allenthalben ihr ſüßes Bild begegnet, oder ſie meine Phantaſie nur in allen Ge¬ ſtalten wieder erkennt. Dieſe Gräfin gleicht ihr, die ich nicht zu nennen weiß, die ich ſuche und doch raſte, für die ich nur lebe und ſie doch gewiß verliere.

Eine Flöte ertönte aus dem Gebüſch, und Franz ſetzte ſich auf eine ſchattige Ra¬ ſenbank, um den Tönen ruhiger zuzuhören. Als der Spielende eine Weile muſicirt hat¬ te, ſang eine wohlbekannte Stimme folgen¬

Holdes, holdes Sehnſuchtrufen,
Aus dem Wald, vom Thale her:
Klimm 'herab die Felſenſtufen,
Folg' der Oreade Rufen
Und vertrau dem weiten Meer.
78
Wohl ſeh ich Geſtalten wanken
Die bewegten Zweige ſchwanken,
Sie entſchimmern wie Gedanken,
Die der Schlaf hinweggefacht.
Komm 'Erinnrung, liebe Treue,
Die mir oft im Arm geruht,
Nahe flüſternd mir und weihe
Dieſe Bruſt, dann fühlt der Scheue
Neue Kraft und Lebensmuth.
Kinder lieben da die Scherze
Und ich bin ein thöricht Kind,
Treu verblieb Dir doch mein Herze,
Leichtſinn nur im frohen Scherze,
Bin noch ſo wie ſonſt geſinnt.
Wald und Thal und grüne Hügel
Kennt die Wünſche meiner Bruſt,
Wie ich gern mit goldnem Flügel
Von der Abendröthe Hügel
Möchte ziehn zu meiner Luſt.
79
Erd 'und Himmel nun in Küſſen
Wie mit Liebesſchaam entbrennt,
Ach! ich muß den Frevel büßen,
Lange noch die Holde miſſen
Die mein ganzes Herze nennt.
Morgenröthe kommt gegangen,
Macht den Tag von Banden frei,
Erd 'und Himmel bräutlich prangen,
Aber ach! ich bin gefangen,
Einſam hier im ſüßen Mai.
Lieb 'und Mailuſt iſt verſchwunden,
Iſt nur Mai in ihrem Blick,
Keine Roſe wird erfunden,
Flieht und eilt ihr trägen Stunden,
Bringt die Braut mir bald zurück.

Es war Rudolf, der nun hervortrat, und ſich zu Sternbald an dem Rande des Springbrunnens niederſetzte. Ich erkannte Dich wohl, ſagte Franz, aber ich wollte Dich in Deinem zärtlichen Geſange nicht80 ſtören; doch ſiehſt Du munterer aus, als ich Dich erwartet hätte.

Ich bin recht vergnügt, ſagte Floreſtan, der heutige Tag iſt einer meiner heiterſten; denn ich kenne nichts Schöneres, als ſo recht viel und mancherlei durch einander zu empfinden, und deutlich zu fühlen, wie durch Kopf und Herz gleichſam goldene Sterne ziehn, und den ſchweren Menſchen wie mit einer lieben wohlthätigen Flamme durchſchimmern. Wir ſollten täglich recht viele Stimmungen und friſche Anklänge zu erleben ſuchen ſtatt uns aus Trägheit in uns ſelbſt und die alltägliche Gewöhnlichkeit zu verlieren.

Der Schluß Deines heutigen Trinklie¬ des, antwortete Franz, hat mir nicht gefal¬ len; es iſt doch immer unerlaubt, auf dieſe Art mit dem Leichtſinn zu ſcherzen.

O, mein Freund, rief Rudolf aus, wiebiſt81biſt Du denn heute ſo gar ſchwerfällig ge¬ worden, daß Du es mit einer augenblickli¬ chen Begeiſterung ſo ernſt und ſtrenge nimmſt. Laß doch der unſchuldigen Poeſie ihren Gang, wenn der klare Bach ſich einmal ergießt, der Scherz ſoll ja nichts weiter als Scherz be¬ deuten; willſt Du ihn aber für eine Entwei¬ hung des Feierlichen und Erhabenen neh¬ men, ſo thuſt Du Dir ſelbſt zu nahe. Sing dafür lieber mit mir dies Lied.

Franz mußte das vorige Lied wiederho¬ len, und Floreſtan begleitete ihn mit ſeiner Flöte; als es geendigt war, ſagte Rudolf: ich habe dieſen Geſang heute Nachmittag aufgeſchrieben, als die Abendröthe anfing heraufzurücken, ich hörte eine Flöte anſpie¬ len, und der Ton des Inſtruments gab mir dieſe Verſe ein.

Das iſt ein Beitrag zu jenen Liedern, ſagte Sternbald, die Du mir vor Antwerpen(2r Th.) F82einmal ſangeſt. Ich habe ſie mir aufge¬ ſchrieben, und kann manchmal nicht finden, daß ſie ſich zu den Überſchriften paſſen.

Es thut nichts, ſagte Floreſtan, ſie mö¬ gen auch wohl unpaſſend ſeyn, aber mir kam es ſo vor, als ich ſie machte; wer es nicht mitfühlt, dem iſt es auch nicht zu be¬ weiſen. Sie ſollten gleichſam die Akzente ſeyn, in die dieſe Inſtrumente freiwillig übergingen, wie ſie als lebendige Weſen ſprechen und ſich ausdrücken würden. Man könnte ſich, wenn man ſonſt Luſt hätte, ein ganzes Geſprächſtück von mancherlei Tönen[ausſinnen].

Es kann ſeyn, antwortete Franz, von Blumen kann ich es mir gewiſſermaßen vor¬ ſtellen. Es iſt freilich immer nur ein Cha¬ rakter in allen dieſen Dingen, wie wir ihn als Menſchen wahrzunehmen vermögen.

So geſchieht alle Kunſt, antwortete83 Floreſtan; die Thiere können wir ſchon rich¬ tiger fühlen, weil ſie uns etwas näher ſtehn. Ich hatte einmal Luſt, aus Lämmern, ei¬ nigen Vögeln und andern Thieren eine Ko¬ mödie zu formiren, aus Blumen ein Liebes¬ ſtück und aus den Tönen der Inſtrumente ein Trauer -, oder, wir ich es lieber nennen möchte, ein Geiſterſpiel.

Die meiſten Leute würden es zu fan¬ taſtiſch finden, ſagte Sternbald.

Das würde gerade meine Abſicht ſeyn, antwortete Rudolf, wenn ich mir Mühe geben wollte, es niederzuſchreiben. Es iſt indeß ſchon Abend geworden. Kennſt Du Dante's großes Gedicht?

Nein, ſagte Franz.

Auf eine ähnliche ganz allegoriſche Weiſe ließe ſich vielleicht eine Offenbarung über die Natur ſchreiben, voller Begeiſterung und mit prophetiſchem Geiſte durchdrungen. Ich habeF 284Dir einigemal von den ſeltſamen Arten der ſpaniſchen Poeſie[geſprochen], getrauſt Du Dir nun mit mir ein ſolches Wechſellied zu ſingen, wie ich es Dir beſchrieben habe?

Wir könnten es verſuchen, ſagte Franz, aber Du mußt das Silbenmaas ſetzen.

Rudolf fing an:

Wer hat den lieben Frühling aufgeſchlagen
Gleich wie ein Zelt
In blühn'der Welt?
Die Wolken ſich nun abwärts jagen;
Das Thal voll Sonne,
Der Wald mit Wonne
Und Lied durchklungen:
Der Liebe iſt das ſchöne Werk gelungen.

Franz.

Der Liebe iſt das ſchöne Werk gelungen
Der Winter kalt
Entwich ihr bald,
Holdſel'ge Macht hat ihn bezwungen.
85
Die Blumen ſüße
Der Quell, die Flüſſe,
Befreit von Banden
Sind aus des Winters hartem Schlaf erſtanden.

Rudolf.

Sind aus des Winters hartem Schlaf erſtanden
Der Wechſelſang
Der Echoklang,
Die ſich durch Waldgezweige fanden.
Die Nachtigallen -
Geſänge ſchallen,
Die Lindendüfte
Liebkoſen liebevoll die Frühlingslüfte.

Franz.

Liebkoſen liebevoll die Frühlingslüfte.
Die Blumenſchaar
Sie beut ſich dar
Von Roſen glühn die Felſenklüfte,
Um Lauben ſchwanken
Die Geisblattranken,
Des Himmels Ferne
Erhellen tauſend goldne kleine Sterne.
86

Rudolf.

Erhellen tauſend goldne kleine Sterne
So golden klein
Der Flimmerſchein
Erleuchtet unſre Erde gerne.
Mit Liebesblicken,
Uns zu beglücken
Schaut grüßend nieder
Die Lieb 'und freut' ſich unſrer Grüße wieder.

Franz.

Die Lieb 'und freut ſich unſrer Grüße wieder,
Die Blumenwelt
Uns zugeſellt,
Geſandt von ihr des Waldes Lieder:
Sie ſchickt die Roſe
Daß ſie uns koſe
Daß wir ihr danken
Streckt ſie entgegen uns die Geisblattsranken.

Rudolf.

Streckt ſie entgegen uns die Geisblattsranken
Die Lilienpracht
Grüßt uns mit Macht
Daß wir nicht fern von Lieb 'erkranken
87
Und leiſe drücken
Wir Dank in Blicken
Der Lilie Wange
Damit die Lieb 'von uns den Dank empfange.

Franz.

Damit die Lieb 'von uns den Dank empfange
Wird Mädchenmund
Geküßt zur Stund',
Und Nacht'gall plaudert's im Geſange.
Die Liebe höret
Was jeder ſchwöret,
Sie wacht dem Eide
Verfolgt den Frevelnden mit bittern Leiden.

Rudolf.

Verfolgt den Frevelnden mit bittern Leiden,
Das Mädchen flieht
Wenn ſie ihn ſieht
Ach! jede mag ihn gerne meiden.
In Händen welken
Ihm Roſ 'und Nelken,
Die Himmelslichter
Erblaſſen und er iſt ein ſchlechter Dichter.
88

Und darum wollen wir lieber aufhören, ſagte Rudolf, indem er aufſtand; denn ich gehöre ſeibſt nicht zu den reinſten.

Die beiden Freunde gingen nun zurück; der Abend hatte ſich ſchon mit ſeinen dichte¬ ſten Schatten über den Garten ausgeſtreckt, und der Mond ging eben auf. Franz ſtand ſinnend am Fenſter ſeines Zimmers, und ſah nach dem gegenüberliegenden Berge, der mit Tannen und Eichen bewachſen war, zu ihm hinauf ſchwebte der Mond, als wenn er ihn erklimmen wollte, das Thal glänzte im erſten funkelndgelben Lichte, der Strom ging brauſend dem Berge und dem Schloſſe vorüber, eine Mühle klapperte und ſauſ'te in der Ferne, und nun aus einem entlege¬ nen Fenſter wieder die nächtlichen Hörner¬ töne, die dem Monde entgegengrüßten, und drüben in der Einſamkeit des Bergwaldes verhallten.

89

Müſſen mich dieſe Töne durch mein ganzes Leben verfolgen? ſeufzte Franz; wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin, dann dringen ſie wie eine feind¬ liche Schaar in mein innerſtes Gemüth, und wecken die kranken Kinder, Erinnerung und unbekannte Sehnſucht wieder auf. Dann drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen ſollte, höher über die Wolken hinaus, und von oben herab meine Bruſt mit neuem, ſchöneren Klange anfüllen und meinen ſchmachtenden Geiſt mit dem höchſten, letzten Wohllaut erſättigen. Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgeſang durchſtrömen, den Mondſchimmer und die Morgenröthe anrühren, daß ſie mein Leid und Glück wiederklingen, daß die Melodie Bäume, Zweige, Blätter und Gräſer er¬ greife, damit alle ſpielend meinen Geſang wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten.

90

Er war am folgenden Morgen ſehr früh aufgeſtanden und hatte das Schloß durch¬ wandert. In einem Zimmer hing ein Bruſt¬ bild eines Mannes, mit einem koſtbaren Hute und einer blauen Feder geſchmückt; die Miene zog ihn an, und als er es ge¬ nauer betrachtete, glaubte er in dieſem Kopfe das Geſicht des Mönchs zu entdek¬ ken, der den Bildhauer Bolz begleitet hatte. Je mehr er das Bild unterſuchte, je über¬ zeugender fand er die Ähnlichkeit. Jetzt trat Rudolf zu ihm, dem er ſeine Entdek¬ kung mittheilte; Floreſtan fand ſie nach ſei¬ ner leichtſinnigen Art nicht ſonderlich wich¬ tig, ſondern brach das Geſpräch darüber bald ab, indem er ſagte: Ich habe geſtern noch, lieber Franz, ein andres Gedicht ge¬ ſchrieben, in dem ich verſucht habe, eine Stimmung auszudrücken und darzuſtellen, die ſchon oft meine Seele erfüllt hat. Er las:91 Mondſcheinlied.

Träuft vom Himmel der kühle Thau
Thun die Blumen die Kelche zu,
Spätroth ſieht ſcheidend nach der Au,
Flüſtern die Pappeln, ſinkt nieder die nächt'ge Ruh '.
Kommen und gehn die Schatten
Wolken bleiben noch ſpät auf
Und ziehn mit ſchwerem, unbeholfnem Lauf
Über die erfriſchten Matten.
Kommen die Sterne und ſchwinden wieder
Bllcken winkend und flüchtig nieder,
Wohnt im Wald die Dunkelheit
Dehnt ſich Finſter weit und breit.
Hinter'm Waſſer wie flimmende Flammen,
Berggipfel oben mit Gold beſchienen,
Neigen rauſchend und ernſt die grünen
Gebüſche die blinkenden Häupter zuſammen.
Welle, rollſt Du herauf den Schein
Des Mondes rund freundlich Angeſicht?
Es merkt's und freudig bewegt ſich der Hain
Streckt die Zweig 'entgegen dem Zauberlicht.
92
Fangen die Geiſter auf den Fluthen zu ſpringen,
Thun ſich die Nachtblumen auf mit Klingen,
Wacht die Nachtigall im dickſten Baum
Verkündet dichteriſch ihren Traum,
Wie helle, blendende Strahlen die Töne niederfließen
Am Bergeshang den Wiederhall zu grüßen.
Flimmern die Wellen,
Funkeln die wandernden Quellen,
Streifen durch's Geſträuch
Die Feuerwürmchen bleich.
Wie die Wolken wandelt mein Sehnen,
Mein Gedanke bald dunkel bald hell,
Hüpfen Wünſche um mich wie der Quell,
Kenne nicht die brennenden Thränen.
Biſt Du nah, biſt Du weit,
Glück das nur für mich erblühte?
Ach! daß es die Hände biete
In des Mondes Einſamkeit.
Kömmt's aus dem Walde? ſchleicht's vom Thal,
Steigt es den Berg vielleicht hernieder?
Kommen alte Schmerzen wieder?
Aus Wolken ab die entfloh’ne Quaal?
93
Und Zukunft wird Vergangenheit,
Bleibt der Strom nie ruhig ſtehn,
Ach! iſt Dein Glück auch noch ſo weit
Magſt Du entgegen gehn,
Auch Liebesglück wird einſt Vergangenheit.
Wolken ſchwinden,
Den Morgen finden
Die Blumen wieder;
Doch iſt die Jugend einſt entſchwunden,
Ach! der Frühlingsliebe Stunden,
Steigen keiner Sehnſucht nieder.
94

Fünftes Kapitel.

Es waren indeß einige Tage verfloſſen; Sternbald hatte die Gräfin zu mahlen an¬ gefangen, neben ihr mußte er den Ritter zeichnen, der dem Mönche ſo ähnlich ſah. Sein Geiſt war mit der Schönheit ſeines Gegenſtandes beſchäftigt, er wußte nicht mehr, ob er ſich in Gegenwart der Jägerin ſeiner Unbekannten erinnere, oder dieſe Bil¬ dung ſelber liebgewann. Sie ließ ſich als Jägerin darſtellen, faſt eben ſo, wie er ſie zum erſtenmale geſehn hatte.

Er ließ oft Muſik in den Saal brin¬ gen, und ihm war dann, als wäre ſeine Hand ſicherer und geläufiger, als würde dann ſein Geiſt zur Kunſt lieblicher ange¬ trieben. Er zitterte oft, wenn er die zarten Umriſſe des Buſens anblickte und abzeich¬95 nete, wenn er den Glanz der ſchalkhaft feurigen Augen ausdrücken wollte.

Floreſtan hatte das Schloß verlaſſen, und ſchwärmte wieder in den benachbarten Gegenden umher, weil er niemals lange an einem Orte verweilen mochte. Franz wollte dieſe Zeit benutzen, um ſeinem Dürer und Sebaſtian einen weitläuftigen Brief zu ſchrei¬ ben, allein er verſchob es von einem Tage zum andern. An manchen Tagen ſprach die Gräfin viel, indem er ſie mahlte, und ſeine Aufmerkſamkeit wurde gewöhnlich dann ganz zerſtreut.

Die Gräfin war an jedem Tage in ei¬ ner andern Laune, ja ſie konnte ſogar in derſelben Stunde die Stimmung ihres Ge¬ müths auffallend verändern. Franz fühlte einige Theilnahme, wenn ſie traurig war, aber er war in einer quälenden Verlegen¬ heit, wenn ſie ihm mit vertraulicher Luſtig¬96 keit näher kam. Dann konnte ihn Muſik tröſten und beruhigen, es war, als wenn ihn die angeſchlagenen Akkorde dreiſter und kühner machten, die Töne waren ſein Bei¬ ſtand und ihm wie zärtliche Freunde nahe, ſeine Hand arbeitete ſchneller und williger, und ſein Gemüth war durchſichtig und rein wie ein heller Bach. Die Gräfin ſchien ihn mit jedem Tage lieber zu gewinnen, Franz war gewöhnlich ſtumm, aber ſie ſprach deſto mehr: ihre lebhafte Beweglichkeit ertrug nicht den Stillſtand einer Minute, ſie machte ſich immer etwas zu ſchaffen, ſie erzählte hundert kleine Geſchichten, und Sternbald wurde nicht ſelten durch ihre Munterkeit geſtört.

So erfuhr er unter vielen andern Er¬ zählungen, daß ſie einige Verwandten in Italien und zwar in Rom habe, an die ſie ihm auch Briefe mitzugeben verſprach. Sieſchil¬97ſchilderte die Lebensart der ganzen Familie und die Eigenheiten eines jeden Charakters bis auf den kleinſten Umſtand, ſie ging ſo weit, daß ſie Stellungen und Mienen nach¬ ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im Mahlen aufgehalten wurde, ja ſie unterließ nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬ brechen, um mit ihm durch den Garten zu ſpazieren. Oft verlor ſie ſich dann ſo plötz¬ lich in ein trübſeliges Nachſinnen, in weh¬ müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬ ſtrengung das Amt eines tröſtenden Freun¬ des bei ihr übernehmen mußte.

Als Sternbald ihren Kopf faſt vollendet hatte, und er nun an die Abſchilderung des Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch mehr erhöht. Ihr müßt wiſſen, lieber Freund, ſagte ſie, daß jenes Bild von ei¬ nem wahren Stümper in der edlen Kunſt herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬(2r Th.) G98ſtand, das Holdſelige und Angenehme eines Antlitzes zu fühlen und auszudrücken, ihm war es nur darum zu thun, einen Kopf mit den gewöhnlichen Sinnen fertig zu machen, der dem Originale im Groben ähnlich ſähe. Ihr müßt Euch die Klarheit der Augen, das ſüße Lächeln der freundlichen Lippen nur vorſtellen, denn das Bild ſelbſt giebt Euch keine Anweiſung zu dergleichen. O, wenn er doch hier wäre! wenn er ſo vor Euch ſtände, und ich ihm den Arm um den ſchö¬ nen Nacken ſchlänge! Unmöglich könnt Ihr es Euch vorſtellen, und das Gemählde muß nothwendig kalt werden. Aber freilich ſieht es ihm dann um ſo ähnlicher, denn er iſt jetzt auch kalt und fühllos. Wo mag er umher¬ irren, und wann kommt er zu mir zurück?

Sie ſtand auf, Franz mußte die Mah¬ lerei bei Seite legen, ſie gingen in ein be¬ nachbartes Gehölz. Hier ſah ich ihn zum99 letztemale, fuhr die Gräfin fort, hier ſtieg er auf ſein Roß, und ſagte mir ſein heuch¬ leriſches Lebewohl, er wolle noch am Abend wiederkommen; aber es iſt ſchon in meiner Seele Abend geworden, und er iſt noch nicht wieder da. Könnt 'ich den Undankbaren ver¬ geſſen, dies Andenken, ſein Bild aus mei¬ nem Herzen verſtoßen, und wieder ſo glück¬ lich und zufrieden werden, als ich vormals war! Dies thörichte Herz will ihm nach, ihn in weiter Welt aufſuchen, und weiß doch nicht, wohin? Ich finde ihn niemals wieder!

Sie ſetzten ſich im Schatten nieder, und nach einem kleinen Stillſchweigen fuhr die Dame fort: Ich will Euch kürzlich meine ganze Geſchichte erzählen; ſie iſt unbedeu¬ tend und kurz, aber Ihr habt etwas in Eu¬ rem Weſen, einen Blick Eurer Augen, das alles mir mein Zutrauen abgewinnt. WennG 2100man recht unglücklich iſt, und ſich durchaus verlaſſen fühlt, ſo ſehnt man ſich nach dem Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬ ner herrlichen Gabe, und darum will ich Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬ her, als mich der Tod meines Vaters in den Beſitz meiner Güter ſetzte, erſchien in der Nachbarſchaft hier ein junger Ritter, der vorgab, er komme aus Franken. Er war ſo jung, ſchön und liebenswürdig, daß man ihn allenthalben gern ſah: es verging nur wenige Zeit, und es ſchien, daß er ſich in meiner Gegenwart am meiſten gefalle, daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬ gen Bezug habe. Mir ſchmeichelte dieſer Vorzug, ich kam ihm eben ſo entgegen, wie er mir, ich ſchenkte ihm mein reinſtes Wohl¬ wollen; denn es iſt einmal der Fehler un¬ ſeres Geſchlechts, an Liſt und Verſtellung nicht zu glauben, ſondern ſich von dem Irr¬101 thume blenden zu laſſen, als könne jede von uns durch einen Betrüger niemals betrogen werden.

Was ſoll ich weitläuftig ſeyn? Ihr kennt mein Herz nicht, und gehört ſelbſt zu dieſer hinterliſtigen Rotte. Er geſtand mir ſeine Liebe, ich ihm meine Zuneigung; er nannte mir ſeinen Namen, und bekannte, daß er ein armer Edelmann ſey, der mir kein Glück anbieten könne; ich wollte ihn zum Herrn aller meiner Beſitzthümer machen, ich fand mich ſo groß darin, ihm mein Ei¬ genthum, mich ſelbſt ihm zu ſchenken. Schon war unſre Verlobung, ſchon der Tag unſrer Vermählung beſtimmt, als er mich plötzlich nach einer Jagd hier auf dieſer Stelle ver¬ ließ. Er wolle einen Freund in der Nach¬ barſchaft beſuchen, war ſein Vorgeben; er lächelte noch, als er fortritt, und ſeitdem habe ich ihn nicht wieder geſehn.

102

Franz konnte nach ihrer Erzählung nichts antworten, er blieb in ſich gekehrt, und wünſchte ſeinen Freund Floreſtan zurück, der ſich in jede Lage des Lebens mit Leichtigkeit fand. Es war indeß Abend geworden, und die Jäger kamen mit einer Jagdmuſik aus dem Walde zurück, dadurch wurde das Ge¬ ſpräch beendigt. Sternbald war verdrüßlich, daß alle Gegenſtände und Geſpräche ſo hart auf ſein Gemüth fielen, ſo daß ihn der Ein¬ druck davon bemeiſterte und ſein Lebenslauf dadurch geſtört wurde.

Schon ſeit langer Zeit hatte er viel von einem wunderbaren Menſchen ſprechen hören, der ſich in den benachbarten Bergen aufhielt, halb wahnſinnig ſeyn ſollte, in der Einſam¬ keit lebte, und niemals ſeinen öden Aufent¬ halt verließ. Was Franz beſonders anzog, war, daß dieſer abentheuerliche Eremit auch ein Mahler war, und gewöhnlich denen,103 die ihn beſuchten, Bildniſſe oder andre Mah¬ lereien zeigte, ſie auch um einen billigen Preis verkaufte. Man erzählte ſo viel Wunder¬ bares von dieſem Manne, daß Franz der Begier unmöglich widerſtehn konnte, ihn ſelber auzuſuchen. Da Floreſtan immer noch nicht zurückkam, und die Gräfin wieder eine Jagd, ihre Lieblingsergötzung anſtellte, mach¬ te er ſich an einem ſchönen Morgen auf den Weg, um den bezeichneten Aufenthalt zu ſuchen.

Unterwegs überdachte er nach langer Zeit wieder die Veränderungen ſeines Lebens, es ſchien ihm alles ſo ſonderbar und doch ſo gewöhnlich, er wünſchte die Fortſetzung ſei¬ ner Schickſale und fürchtete ſie, er erſtaunte über ſich ſelber, daß ihn der Enthuſiasmus, der ihn zur Reiſe angetrieben, ſeitdem nur ſelten wieder beſucht habe.

Er ſtand oben auf dem Hügel, und ſah104 im Thale die verſammelte Jagd, die vom Schloſſe ausritt, und ſich durch die Ebene verbreitete. Es klangen wieder die muſika¬ liſchen Töne zu ihm hinauf, die durch den friſchen Morgen in den Bergen wiederſchall¬ ten, die Eichen und Tannen rührten ſich be¬ deutungsvoll. Bald verlor er die Jagd aus dem Geſichte, die Muſik der Hörner ver¬ ſchwand, und er wandte ſich tiefer in's Ge¬ birge hinein, wo die Gegend plötzlich ihren anmuthigen Charakter verlor, und wilder und verworrener ward, die Ausſicht in das ebene Land ſchloß ſich, man verlor den vol¬ len herrlichen Strom aus dem Geſichte, die Berge und Felſen wurden kahl und un¬ fruchtbar.

Der Weg wand ſich enge und ſchmal zwiſchen Felſen hindurch, Tannengebüſch wechſelte auf dem kahlen Boden, und nach einigen Stunden ſtand Franz auf dem hö¬ heren Gipfel des Gebirges.

105

Nun war es wieder wie ein Vorhang niedergefallen, ſeinem Blicke öffnete ſich die Ebene wieder, die kahlen Felſen unter ihm verloren ſich lieblich in dem grünen Gemiſch der Wälder und Wieſen, die unfreundliche Natur war verſchwunden, ſie war mit der lieblichen Ausſicht eins, von dem übrigen verſchönert, diente ſie ſelber die andern Ge¬ genſtände zu verſchönern. Da lag die Herr¬ lichkeit der Ströme vor ihm ausgebreitet, er glaubte vor den plötzlichen Anblick der weiten, unendlichen, mannigfaltigen Natur zu vergehn, denn es war, als wenn ſie mit herzdurchdringende Stimme zu ihm hinauf¬ ſprach, als wenn ſie mit feurigen Augen vom Himmel und aus dem glänzenden Strom heraus nach ihm blickte, mit ihren Rieſen¬ gliedern nach ihm hindeutete. Franz ſtreckte die Arme aus, als wenn er etwas Unſicht¬ bares an ſein ungeduldiges Herz drücken106 wollte, als möchte er nun erfaſſen und feſt¬ halten, wonach ihm die Sehnſucht ſo lange gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬ rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬ derſcheine und die Schatten ſtreckten ſich auf den Wieſen aus, und wechſelten mit ihren Farben, fremde Wundertöne gingen den Berg hinab, und Franz fühlte ſich wie feſt¬ gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬ bernde Gewalt ſtehen heißt, und der ſich dem unſichtbaren Kreiſe, trotz alles Beſtre¬ bens, nicht entreißen kann.

O, unmächtige Kunſt! rief er aus, und ſetzte ſich auf eine grüne Felſenbank nieder; wie lallend und kindiſch ſind Deine Töne, gegen den vollen harmoniſchen Orgelgeſang, der aus den innerſten Tiefen, aus Berg und Thal und Wald und Stromesglanz in ſchwellenden, ſteigenden Akkorden herauf¬ quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der107 ewige Weltgeiſt mit meiſterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigſten Gebilde ſich ſeinem Spiel erzeugen, und umher und über die ganze Natur ſich mit geiſtigen Flügeln ausbreiten. Die Begeiſterung meines klei¬ nen Menſchenherzens will hineingreifen, und ringt ſich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen, der die Natur leiſe lieblich re¬ giert, und mein Hindrängen zu ihm, mein Winken nach Hülfe in dieſer Allmacht der Schönheit vielleicht nicht gewahrt. Die un¬ ſterbliche Melodie jauchzt, jubelt und ſtürmt über mich hinweg, zu Boden geworfen ſchwin¬ delt mein Blick und ſtarren meine Sinnen. O, ihr Thörichten! die ihr der Meinung ſeyd, die allgewaltige Natur laſſe ſich ver¬ ſchönen, wenn ihr nur mit Kunſtgriffen und kleinlicher Hinterliſt eurer Ohnmacht zu Hülfe eilt, was könnt ihr anders, als uns die108 Natur nur ahnden laſſen, wenn die Natur uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬ pfindung ſelbſt, ſichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬ ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchſte, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in thätiger Wirkſamkeit, in Arbeit, ſich ſelber aufzulöſen und auszuſprechen, ich fühle die Bewegung, das Räthſel im Be¬ griff zu ſchwinden, und fühle meine Menſchheit. Die höchſte Kunſt kann ſich nur ſelbſt erklären, ſie iſt ein Geſang, de¬ ren Inhalt nur ſie ſelbſt zu ſeyn vermag.

Ungern verließ Sternbald ſeine Begei¬ ſterung, und die Gegend, die ihn entzückt hatte, ja er trauerte über dieſe Worte, über dieſe Gedanken, die er ausgeſprochen, daß er ſie nicht immer in friſcher Kraft aufbe¬109 wahren könne, daß neue Eindrücke und neue Ideen dieſe Empfindungen vertilgen oder überſchütten würden.

Ein dichter Wald empfing ihn auf der Höhe, er warf oft den Blick zurück, und ſchied ungern, als wenn er das Leben ver¬ ließe. Der einſame Schatten erregte ihm gegen die freie Landſchaft eine ſeltſame Em¬ pfindung, ſeine Bruſt ward beklemmt und von Ängſtlichkeit zuſammengezogen. Als er kaum eine halbe Stunde gegangen war, ſtand er vor einer kleinen Hütte, die offen war, in der er aber niemand antraf. Er¬ müdet warf er ſich unter einen Baum, und betrachtete die beſchränkte Wohnung, das dürftige Geräth, mit vieler Rührung eine alte Laute, die an der Wand hing, und auf der eine Saite fehlte. Palletten und Farben lagen und ſtanden umher, einige Kleidungs¬ ſtücke; Sternbald war wie in die uralte Zeit110 verſetzt, von der wir ſo gern erzählen hö¬ ren, wo die Thür noch keinen Riegel kennt, wo noch kein Frevler des andern Gut be¬ taſtet hat.

Nach einiger Zeit kam der alte Mahler zurück; er wunderte ſich gar nicht, einen Fremdling vor ſeiner Schwelle anzutreffen, ſondern ging in ſeine Hütte, räumte auf, und ſpielte dann auf der Zitter, als wenn niemand zugegen wäre. Franz betrachtete den Alten mit Verwunderung, der indeſſen wie ein Kind in ſeinem Hauſe ſaß, und zu erkennen gab, wie wohl ihm ſey in ſeiner kleinen Heimath, unter den befreundeten, wohlbekannten Tönen ſeines Inſtrumentes. Als er ſein Spiel geendigt, packte er Kräu¬ ter, Moos und Steine aus ſeinen Taſchen, und legte ſie ſorgfältig in kleine Schachteln zurecht, indem er jedes aufmerkſam betrach¬ tete. Über manches lächelte er, anderes111 ſchien er mit einiger Verwunderung anzu¬ ſchauen, indem er die Hände zuſammen¬ ſchlug, oder ernſthaft den Kopf ſchüttelte. Immer noch ſah er nach Sternbald nicht hin, bis dieſer endlich in das kleine Haus hineintrat, und ihm ſeinen Gruß anbot. Der alte Mann gab ihm die Hand, und nöthigte ihn ſchweigend, ſich niederzuſetzen, indem er ſich weder verwunderte, noch ihn als einen Fremden genau beachtete.

Die Hütte war mit mannigfaltigen Stei¬ nen aufgeputzt, Muſcheln ſtanden umher, durchmengt von ſeltſamen Kräutern, ausge¬ ſtopften Thieren und Fiſchen, ſo daß das Ganze ein höchſt abentheuerliches Anſehn erhielt. Stillſchweigend holte der Alte un¬ ſerm Freunde einige Früchte, die er ihn ebenfalls mit ſtummer Gebehrde vorſetzte. Als Franz einige davon gegeſſen hatte, in¬ dem er immer den wunderbaren Menſchen112 beobachtete, fing er mit dieſen Worten das Geſpräch an: Ich habe mich ſchon ſeit lan¬ ger Zeit darauf gefreut, Euch zu ſehn, ich hoffe nun, Ihr zeigt mir auch einige von Euren Mahlereien, denn auf dieſe bin ich vorzüglich begierig, da ich mich ſelbſt zur edlen Kunſt bekenne.

Seyd Ihr ein Mahler? rief der Alte aus, nun wahrlich, ſo freut es mich, Euch hier zu ſehn, ſeit lange iſt mir keiner be¬ gegnet. Aber Ihr ſeyd noch ſehr jung, Ihr habt wohl ſchwerlich ſchon den rechten Sinn für die große Kunſt.

Ich thue mein mögliches, antwortete Franz, und will immer das Beſte, aber ich fühle freilich wohl, daß das nicht zureicht.

Es iſt immer ſchon genug, rief jener aus; freilich iſt es nur Wenigen gegeben, das Wahrſte und Höchſte auszudrücken, ei¬ gentlich können wir uns alle ihm nur nähern,aber113aber wir haben unſern Zweck gewißlich ſchon erreicht, wenn wir nur das wollen und er¬ kennen, was der Allmächtige in uns hinein¬ gelegt hat. Wir können in dieſer Welt nur wollen, nur in Vorſätzen leben, das ei¬ gentliche Handeln liegt jenſeits, und beſteht gewiß aus den eigentlichſten, wirklichſten Gedanken, da in dieſer bunten Welt alles in allem liegt. So hat ſich der großmäch¬ tige Schöpfer heimlich - und kindlicherweiſe durch ſeine Natur unſern ſchwachen Sinnen offenbart, er iſt es nicht ſelbſt, der zu uns ſpricht, weil wir dermalen zu ſchwach ſind, ihn zu verſtehn; aber er winkt uns zu ſich, und in jedem Mooſe, in jeglichem Geſtein iſt eine geheime Ziffer verborgen, die ſich nie hinſchreiben, nie völlig errathen läßt, die wir aber beſtändig wahrzunehmen glau¬ ben. Faſt eben ſo macht es der Künſtler: wunderliche, fremde, unbekannte Lichter ſchei¬(2r Th.) H114nen aus ihm heraus, und er läßt die zau¬ beriſchen Strahlen durch die Kryſtalle der Kunſt den übrigen Menſchen entgegenſpie¬ len, damit ſie nicht vor ihm erſchrecken, ſondern ihn auf ihre Weiſe verſtehn und begreifen. Nun vollendet ſich das Werk, und dem Geoffenbarten liegt ein weites Land, eine unabſehliche Ausſicht da, mit allem Menſchenleben, mit himmliſchen Glanz überleuchtet, und heimlich ſind Blumen hin¬ eingewachſen, von denen der Künſtler ſelber nicht weiß, die Gottes Finger hineinwirkte, und die uns mit ätheriſchem Zauber anduf¬ ten und uns unmerkbar den Künſtler als ei¬ nen Liebling Gottes verkündigen. Seht, ſo denke ich über die Natur und über die Kunſt.

Franz war vor Erſtaunen wie gefeſſelt, denn dermaßen hatten ihn bis dahin noch keine Worte angeredet; er erſchrak über ſich115 ſelber, daß er aus dem Munde eines Man¬ nes, den die übrigen Leute wahnſinnig nann¬ ten, ſeine eigenſten Gedanken deutlich aus¬ geſprochen hörte, ſo daß wie mit Bannſprü¬ chen ſeine Seele aus ihrem fernen Hinter¬ halt hervorgezaubert ward, und ſeine un¬ kenntlichen Ahndungen in anſchaulichen Bil¬ dern vor ihm ſchwebten.

Wie willkommen iſt mir dieſer Ton! rief er aus, ſo habe ich mich denn nicht ge¬ irrt, wenn ich mit dem ſtillen Glauben hier anlangte, daß Ihr mir vielleicht behülflich ſeyn würdet, mich aus der Irre zurecht zu finden.

Wir irren alle, ſagte der Alte, wir müſſen irren, und jenſeit dem Irrthum liegt auch gewiß keine Wahrheit, beide ſtehn ſich auch gewiß nicht entgegen, ſondern ſind nur Worte, die der Menſch in ſeiner Unbehülf¬ lichkeit dichtete, um etwas zu bezeichnen. H 2116was er gar nicht meinte. Verſteht Ihr mich?

Nicht ſo ganz, ſagte Sternbald.

Der Alte fuhr fort: Wenn ich nur mah¬ len, ſprechen oder ſingen könnte, was mein eigentlichſtes Selbſt bewegt, dann wäre mir und auch den übrigen geholfen; aber mein Geiſt verſchmäht die Worte und Zeichen, die ſich ihm aufdrängen, und da er mit ihnen nicht handthieren kann, gebraucht er ſie nur zum Spiel. So entſteht die Kunſt, ſo iſt das eigentliche Denken beſchaffen.

Franz erinnerte ſich, daß Dürer einſt dieſen Gedanken faſt mit den nämlichen Wor¬ ten ausgedrückt habe. Er fragte: was hal¬ tet Ihr denn nun für das Höchſte, wohin der Menſch gelangen könne?

Mit ſich zufrieden zu ſeyn, rief der Alte, mit allen Dingen zufrieden zu ſeyn, denn dann verwandelt er ſich und alles um ſich117 her in ein himmliſches Kunſtwerk, er läu¬ tert ſich ſelbſt mit dem Feuer der Gottheit.

Können wir es dahin bringen? fragte Franz.

Wir ſollen es wollen, fuhr jener fort, und wir wollen es auch alle, nur daß vie¬ len, ja den meiſten, ihr eigner Geiſt auf dieſer ſeltſamen Welt zu ſehr verkümmert wird. Daraus entſteht, daß man ſo ſelten den andern, noch ſeltener ſich ſelber inne wird.

Ich ſuche nach Euren Gemählden, ſagte Sternbald, aber ich finde ſie nicht; nach Eu¬ ren Geſprächen über die Kunſt darf ich et¬ was Großes erwarten.

Das dürft Ihr nicht, ſagte der Alte mit einigem Verdruß, denn ich bin nicht für die Kunſt gebohren, ich bin ein verunglückter Künſtler, der ſeinen eigentlichen Beruf nicht angetroffen hat. Es ergreift manchen das118 Gelüſte, und er macht ſein Leben elend. Von Kindheit auf war es mein Beſtreben, nur für die Kunſt zu leben, aber ſie hat ſich unwillig von mir abgewendet, ſie hat mich niemals für ihren Sohn erkannt, und wenn ich dennoch arbeitete, ſo geſchah es gleich¬ ſam hinter ihrem Rücken.

Er öffnete eine Thür, und führte den Mahler in eine andre kleine Stube, die vol¬ ler Gemählde hing. Die meiſten waren Köpfe, nur wenige Landſchaften, noch we¬ niger Hiſtorien. Franz betrachtete ſie mit vieler Aufmerkſamkeit, indeß der alte Mann ſchweigend einen verfallenen Vogelbauer aus¬ beſſerte. In allen Bildern ſpiegelte ſich ein ſtrenges, ernſtes Gemüth, die Züge waren beſtimmt, die Zeichnung ſcharf, auf Neben¬ dinge gar kein Fleiß gewendet, aber auf den Geſichtern ſchwebte ein Etwas, das den Blick zugleich anzog und zurückſtieß, bei vie¬119 len ſprach aus den Augen eine Heiterkeit, die man wohl grauſam hätte nennen kön¬ nen, andre waren ſeltſamlich entzückt, und erſchreckten durch ihre furchtbare Miene. Franz fühlte ſich unbeſchreiblich einſam, vol¬ lends wenn er aus dem kleinen Fenſter über die Berge und Wälder hinüberſah, wo er auf der fernen Ebene keinen Menſchen, kein Haus unterſcheiden konnte.

Als Franz ſeine Betrachtung geendigt hatte, ſagte der Alte: Ich glaube, daß Ihr etwas Beſondres an meinen Bildern finden mögt, denn ich habe ſie alle in einer ſeltſa¬ men Stimmung verfertigt. Ich mag nicht mahlen, wenn ich nicht deutlich und beſtimmt vor mir ſehe, was ich eigentlich darſtellen will. Wenn ich nun manchmal im Schein der Abendſonne vor meiner Hütte ſitze, oder im friſchen Morgen, der die Berge herab, über die Fluren hingeht, dann rauſchen oft120 die Bildniſſe der Apoſtel, der heiligen Mär¬ tyrer hoch oben in den Bäumen, ſie ſehen mich mit allen ihren Mienen an, wenn ich zu ihnen bete, und fordern mich auf, ſie abzuzeichnen. Dann greife ich nach Pinſel und Pallette, und mein bewegtes Gemüth, von der Inbrunſt zu den hohen Männern, von der Liebe zur verfloſſenen Zeit ergriffen, ſchattirt die Trefflichkeiten mit irrdiſchen Far¬ ben hin, die in meinem Sinn, vor meinen Augen erglänzen.

So ſeyd Ihr ein glücklicher Mann, ſagte Franz, der über dieſe Rede erſtaunte.

Wie Ihr es wollt, ſagte der Alte, der Künſtler ſollte nach meinem Urtheile niemals anders arbeiten, und was iſt ſeine Begeiſte¬ rung denn anders? Dem Mahler muß al¬ les wirklich ſeyn, denn was iſt es ſonſt, das er darſtellen will? Sein Gemüth muß wie ein Strom bewegt ſeyn, ſo daß ſich ſeine121 innere Welt bis auf den tiefſten Grund er¬ ſchüttert, dann ordnen ſich aus der bunten Verwirrung die großen Geſtalten, die er ſeinen Brüdern offenbart. Glaube mir, noch nie iſt ein Künſtler auf eine andre Art be¬ geiſtert geweſen; man ſpricht von dieſer Be¬ geiſterung ſo oft, als von einem natürlichen Dinge, aber ſie iſt durchaus unerklärlich, ſie kömmt, ſie geht, gleich dem erſten Früh¬ lingslichte, das unvermuthet aus den Wol¬ ken niederkömmt, und oft, ehe Du es ge¬ nießeſt, zurückgeflohen iſt.

Franz war verlegen, was er antworten ſollte; er war ungewiß, ob der alte Mahler wirklich vom Wahnſinn befallen ſey, oder ob er nur die Sprache der Künſtler rede.

Zuweilen, fuhr der Alte fort, redet mir auch die umgebende Natur zu, und erregt mich, daß ich mich in der Kunſt üben muß. Es iſt mir aber bei allen meinen Verſuchen122 niemals um die Natur zu thun, ſondern ich ſuche den Charakter oder die Phyſiognomie herauszufühlen, und irgend einen frommen Gedanken hineinzulegen, der die Landſchaft wieder in eine ſchöne Hiſtorie verwandelt.

Er machte hierauf den jungen Mahler auf eine Landſchaft aufmerkſam, die etwas abſeits hing. Es war eine Nachtſcene, Wald, Berg und Thal lag in unkenntlichen Maſſen durch einander, ſchwarze Wolken tief vom Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch die Nacht, an ſeinem Stabe, an ſeinen Mu¬ ſcheln am Hute kennbar: um ihn zog ſich das dichteſte Dunkel, er ſelber nur von ver¬ ſtohlenen Mondſtrahlen erſchimmert; ein fin¬ ſterer Hohlweg deutete ſich an, oben auf ei¬ nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬ fix, um das ſich die Wolken theilten; ein Strahlenregen vom Monde ergoß ſich, und ſpielte um das heilige Zeichen.

123

Seht, rief der Alte, hier habe ich das zeitliche Leben und die überirrdiſche, himm¬ liſche Hoffnung mahlen wollen: ſeht den Fingerzeig, der uns aus dem finſtern Thal herauf zur mondigen Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter, als wandernde, verirrte Pilgrimme? Kann etwas unſern Weg er¬ hellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der uns belebt, der unſre Kräfte aufrecht hält. Seht, hier habe ich geſucht, die Natur wieder zu verwan¬ deln, und das auf meine menſchliche künſt¬ leriſche Weiſe zu ſagen, was die Natur ſel¬ ber zu uns redet; ich habe hier ein ſanftes Räthſel niedergelegt, das ſich nicht jedem entfeſſelt, das aber doch leichter zu errathen ſteht, als jenes erhabene, das die Natur als Bedeckung um ſich ſchlägt.

124

Man könnte, antwortete Franz, dieſes Gemählde ein allegoriſches nennen.

Alle Kunſt iſt allegoriſch, ſagte der Mah¬ ler, wie Ihr es nehmt. Was kann der Menſch darſtellen, einzig und für ſich beſte¬ hend, abgeſondert und ewig geſchieden von der übrigen Welt, wie wir die Gegenſtände vor uns ſehn? Die Kunſt ſoll es auch nicht: wir fügen zuſammen, wir ſuchen dem Ein¬ zelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften, und ſo entſteht die Allegorie. Das Wort bezeichnet nichts anders als die wahrhafte Poeſie, die das Hohe und Edle ſucht, und es nur auf dieſem Wege finden kann.

Unter dieſen Geſprächen war ein Hänf¬ ling unvermerkt aus ſeinem Käfig entwiſcht, der Alte hatte die Thür in der Zerſtreuung offen gelaſſen. Er ſchrie erſchreckend auf, als er ſeinen Verluſt bemerkte, er ſuchte umher, er öffnete das Fenſter, und lockte125 pfeifend und liebkoſend den Flüchtigen, der nicht wiederkam. Er konnte ſich auf keine Weiſe zufrieden geben, er hörte auf Stern¬ balds Worte nicht, der ihn zu tröſten ſuchte.

Sternbald ſagte, um ihn zu zerſtreuen: Ich glaube es einzuſehn, wie Ihr über die Landſchaften denkt, und mich dünkt, Ihr habt Recht. Denn was ſoll ich mit allen Zweigen und Blättern? mit dieſer genauen Kopie der Gräſer und Blumen? Nicht dieſe Pflanzen, nicht die Berge will ich abſchrei¬ ben, ſondern mein Gemüth, meine Stim¬ mung, die mich gerade in dieſem Momente regiert, dieſe will ich mir ſelber feſthalten, und den übrigen Verſtändigen mittheilen.

Ganz gut, rief der Alte aus, aber was kümmert mich das jetzt, da mein Hänfling auf und davon iſt?

War er Euch denn ſo lieb? fragte Franz

Der Alte ſagte verdrießlich: ſo lieb wie126 mir alles iſt, was ich liebe. Ich mache da eben nicht ſonderliche Unterſchiede. Ich denke an ſeinen ſchönen Geſang, an ſeine Liebe, die er immer zu mir bewies, und darum hätte ich mir dieſe Treuloſigkeit um ſo we¬ niger vermuthet. Nun iſt ſein Geſang nicht mehr für mich, ſondern er durchfliegt den Wald, und dieſer einzelne, mir ſo bekannte Vogel vermiſcht ſich mit den übrigen ſeines Geſchlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn, und ſehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, ſondern halte ihn für eine ganz fremde Perſon. So haben mich ſchon ſo viele Freunde verlaſſen. Ein Freund, der ſtirbt, thut auch nichts weiter, als daß er ſich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermiſcht, und mir unkenntlich wird. So ſind ſie auch in den Wald hineingeflo¬ gen, die ich ſonſt wohl kannte, ſo daß ich ſie nun nicht wieder herausfinden kann. 127Wir ſind Thoren, wenn wir ſie verloren wähnen: Kinder, die ſchreien und jammern, wenn die Eltern mit ihnen Verſtecken's ſpielen, denn das thun die Geſtorbenen nur mit uns, der kurze Augenblick zwiſchen Jetzt und dem Wiederfinden iſt nicht zu rechnen. Und daß ich das Gleichniß vollende: ſo iſt Freundſchaft auch wohl einem Käfige gleich, ich trenne den Vogel von den übrigen, um ihn zu kennen und zu lieben, ich um¬ gebe ihn mit einem Gefängniſſe, um ihn mir ſo recht eigentlich abzuſondern. Der Freund ſondert den Freund von der ganzen übrigen Welt, und hält ihn in ſeinen ängſt¬ lichen Armen eingeſchloſſen; er läßt ihn nicht zurück, er ſoll nur für ihn ſo gut, ſo zärt¬ lich, ſo liebevoll ſeyn, die Eiferſucht bewacht ihn vor jeder fremden Liebe, verlöre jener ſich im Strudel der allgemeinen Welt, ſo wäre er auch dem Freunde verloren und ab¬128 geſtorben. Sieh her, mein Sohn, er hat ſein Futter nicht einmal verzehrt, ſo lieb iſt es ihm geweſen, mich zu verlaſſen. Ich habe ihn ſo ſorgfältig gepflegt, und doch iſt ihm die Freiheit lieber.

Ihr habt die Menſchen gewißlich recht von Herzen geliebt! rief Sternbald aus.

Nicht immer, ſagte jener, die Thiere ſtehn uns näher, denn ſie ſind wie kindiſche Kinder, deren Liebe immer unterhalten ſeyn will, weil ſie ungewiß und unbegreiflich iſt, mit dem Menſchen rechnen wir gern, und wenn wir Bezahlung wahrnehmen, vermiſ¬ ſen wir ſchon die Liebe; gegen Thiere ſind wir duldend, weil ſie unſre Trefflichkeiten nicht bemerken können, und wir ihnen da¬ durch immer wieder gleich ſtehn; indem wir aber ihre dumpfe Exiſtenz fühlen und ein¬ ſehn, entſteht eine magiſche Freundſchaft, aus Mitleiden, Zuneigung, ja ich möchteſagen129ſagen aus Furcht, gemiſcht, die ſich durch¬ aus nicht erklären läßt. Ich will Euch kürz¬ lich meine Geſchichte im Auszuge erzählen, damit Ihr begreifen könnt, wie ich hierher gerathen bin.

Sie verließen die Hütte, und ſetzten ſich in den Schatten eines alten Baumes, ſie ſchwiegen eine Weile, dann fing der alte Mahler folgende Erzählung an:

Ich bin in Italien gebohren und heiße Anſelm. Weiter kann ich Euch eben von meiner Jugend nichts ſagen. Meine Eltern ſtarben früh, und hinterließen mir ein klei¬ nes Vermögen, das mir zufiel, als ich mün¬ dig war. Meine Jugend war wie ein leich¬ ter Traum verflogen, keine Erinnerung war in meinem Gedächtniſſe gehaftet, ich hatte nicht eine Erfahrung gemacht. Aber ich hatte die entflohene Zeit auf meine Art ge¬(2r Th.) J130noſſen, ich war immer zufrieden und ver¬ gnügt geweſen.

Jetzt nahm ich mir vor, in's Leben ein¬ zutreten, und auch, wie andre, einen Platz anzufüllen, damit von mir die Rede ſey, daß ich geachtet würde. Schon von meiner Kindheit hatte ich in mir einen großen Trieb zur Kunſt geſpürt, die Mahlerei war es, die meine Seele angezogen hatte, der Ruhm der damaligen Künſtler begeiſterte mich. Ich ging nach Perugia, wo damals Pietro in beſonderm Rufe ſtand, ihm wollte ich mich in die Lehre geben. Aber bald ermüdete meine Geduld, ich lernte junge Leute ken¬ nen, deren ähnliche Gemüthsart mich zu ihrem vertrauten Freunde machte. Wir waren luſtig mit einander, wir ſangen, wir tanzten und ſcherzten, an die Kunſt ward wenig gedacht.

Franz fiel ihm in die Rede, indem er131 fragte: Könnt Ihr Euch vielleicht erinnern, ob damals bei dieſem Meiſter Pietro noch Rafael in der Lehre ſtand? Rafael Sanzio?

O ja, ſagte der Alte, es war ein klei¬ ner unbedeutender Knabe, auf den Niemand ſonderliche Rückſicht nahm. Ich erſtaune, daß Ihr den Namen ſo eigentlich wißt.

Und ich erſtaune über das, was Ihr mir ſagt, rief Sternbald aus. So wißt Ihr es denn gar nicht, daß dieſer Knabe ſeitdem der erſte von allen Mahlern geworden iſt? daß jedermann ihn im Munde führt, jeder ihn anbetet? Er iſt ſeit einem Jahre geſtor¬ ben, und ganz Europa trauert über ſeinen Verluſt, wo Menſchen wohnen, die die Kunſt kennen, da iſt auch er gekannt, noch keiner hat die Göttlichkeit der Mahlerei ſo tief er¬ gründet.

Anſelm ſtand eine Weile in ſich gekehrt, dann brach er aus: O, wunderbare Ver¬I 2132gangenheit! Wo iſt all' mein Beſtreben ge¬ blieben, wie iſt es gekommen, daß dieſer mir Unbekannte meine innigſten Wünſche ergriffen und zu ſeinem Eigenthume gemacht hat? Ja, ich habe wahrlich umſonſt gelebt. Aber ich will meine Erzählung beendigen.

Damals ſchien die ganze Welt glänzend in mein junges Leben hinein, ich erblickte auf allen Wegen Freundſchaft und Liebe. Unter den Mädchen, die ich kennen lernte, zog eine beſonders meine ganze Aufmerkſam¬ keit auf ſich, ich liebte ſie innig, nach eini¬ gen Wochen war ſie meine Gattin. Ich hemmte meine Freude und meine Entzückun¬ gen durch nichts, ein blendender, ungeſtör¬ ter Strom war mein Lebenslauf. In der Geſellſchaft der Freunde und der Liebe, vom Wein erhitzt, war es mir oft, als wenn ſich wunderbare Kräfte in meinem Innerſten ent¬ wickelten, als beginne mit mir die Welt eine133 neue Epoche. In den Stunden, die mir die Freude übrig ließ, legte ich mich wieder auf die Kunſt, und es war zuweilen, als wenn vom Himmel herab goldene Strahlen in mein Herz hineinſchienen, und alle meine Lebensgeiſter erläuterten und erfriſchten. Dann drohte ich mir gleichſam mit ungebohrnen und unſterblichen Werken, die meine Hand noch ausführen ſollte, ich ſah auf die übrige Kunſt, wie auf etwas Gemeines und Alltägliches hinab, ich wartete ſelber mit Sehnſucht auf die Mahlereien, durch die ſich mein hoher Genius ankündigen würde. Dieſe Zeit war die glücklichſte meines Lebens.

Indeſſen war mein kleines Vermögen aufgegangen. Meine Freunde wurden käl¬ ter, meine Freude erloſch, meine Gattin war krank, denn ihre Entbindung war nahe, und ich fing an, an meinem Kunſttalent zu zwei¬ feln. Wie ein dürrer Herbſtwind wehte es134 durch alle meine Empfindungen hindurch, wie ein Traum wurde mein friſcher Geiſt von mir entrückt. Meine Noth ward grö¬ ßer, ich ſuchte Hülfe bei meinen Freunden, die mich verließen, die ſich bald ganz von mir entfremdeten. Ich hatte geglaubt, ihr Enthuſiasmus würde nie erlöſchen, es könne mir an Glück niemals mangeln, und nun ſah ich mich plötzlich einſam. Ich erſchrak, daß mir mein Streben als etwas Thörichtes erſchien, ja daß ich in meinem Innerſten ahndete, ich habe die Kunſt niemals geliebt.

O, wenn ich an jene drückenden Mo¬ nate zurückdenke! Wie ſich nun in meinem Herzen alles entwickelte, wie grauſam ſich die Wirklichkeit von meinen Phantaſien los¬ arbeitete und trennte! Ich ſuchte allenthal¬ ben Hülfe, ich verſuchte die ſchmählichſten Mittel, und kaum friſtete ich mich dadurch von einem Tage zum andern hin. Nun135 fühlte ich das Treiben der Welt, nun lernte ich die Noth kennen, die meine armen Brü¬ der mit mir theilten. Vorher hatte ich die menſchliche Thätigkeit, dieſe mitleidswürdige Arbeitſeligkeit verachtet, mit Thränen in den Augen verehrte ich ſie jetzt, ich ſchämte mich vor dem zerlumpten Tagelöhner, der im Schweiße ſeines Angeſichts ſein tägliches Brod erwirbt, und nicht höher hinausdenkt, als wie er morgen von neuem beginnen will. Vorher hatte ich in der Welt die ſchö¬ nen Formen mit lachenden Augen aufgeſucht und mir eingeprägt, jetzt ſah ich im ange¬ ſpannten Pferde und Ochſen nur die Skla¬ verei, die Dienſtbarkeit, die den Landmann ernährte, ich ſah neidiſch in die kleinen ſchmutzigen Fenſter der Hütten hinein, nicht mehr um ſeltſame poetiſche Ideen anzutref¬ fen, ſondern um den Hausſtand und das Glück dieſer Familien zu berechnen. O, ich136 erröthete, wenn man das Wort Kunſt aus¬ ſprach, ich fühlte mich unwürdig, und das, was mir vorher als das Göttlichſte erſchien, kam mir nun als ein müßiges, zeitverder¬ bendes Spielwerk vor, als eine Anmaßung über die leidende und arbeitende Menſch¬ heit. Ich war meines Daſeyns überdrüßig.

Einer meiner Freunde, der mir vielleicht geholfen hätte, war verreiſ't. Ich überließ mich der Verzweiflung. Meine Gattin ſtarb im Wochenbette, das Kind war todt. Ich lag in der Kammer neben an, und alles erloſch vor meinen Augen. Alles, was mich geliebt hatte, trat in einer fürchterlichen Gleichgültigkeit auf mich zu: alles, was ich für mein gehalten hatte, nahm wie Fremd¬ ling von mir auf immer Abſchied.

Alle Geſtalten der Welt, alles, was ſich je in meinem Innern bewegt hatte, verwirrte ſich verwildert durch einander. Es137 war, als wenn ich mich verlor, und das Fremdeſte, mir bis dahin Verhaßteſte mein Selbſt wurde. So rang ich im Kampfe, und konnte nicht ſterben, ſondern verlor nur meine Vernunft. Ich wurde wahnſinnig. Ich weiß nicht wo ich mich herumtrieb, was ich damals erlebt habe. In einer klei¬ nen Kapelle einige Meilen von hier fand ich zuerſt mich und meine Beſinnung wieder. Wie man aus einem Traume erwacht, und einen längſt vergeſſenen Freund vor ſich ſte¬ hen ſieht, ſo ſeltſam überraſcht, ſo durch mich erſchreckt, war ich ſelber.

Seitdem wohne ich hier. Mein Gemüth iſt dem Himmel gewidmet. Ich habe alles vergeſſen. Ich brauche wenig, und dies Wenige beſitze ich durch die Gutheit einiger Menſchen.

Seitdem, fuhr er nach einigem Still¬ ſchweigen fort, iſt die Natur mein vorzüg¬138 lichſtes Studium. Ich finde allenthalben wunderbare Bedeutſamkeit und räthſelhafte Winke. Jede Blume, jede Muſchel erzählt mir eine Geſchichte, ſo wie ich Euch eine er¬ zählt habe. Seht dieſe wunderbaren Mooſe. Ich weiß nicht, was alle dergleichenin der Welt ſoll, und doch beſteht daraus die Welt. So tröſte ich mich über mich und die übri¬ gen Menſchen. Die unendliche Mannigfal¬ tigkeit der Geſtalten, die ſich bewegen, die gleichſam mehr ein Leben erſtreben und an¬ deuten, als wirklich leben, beruhigt mich, daß auch ich vielleicht ſo ſeyn mußte, und mich von meiner Bahn niemals ſo ſehr ver¬ irrt habe, als ich wohl ehemals wähnte.

Es war indeſſen ſpät geworden. Franz wollte gehen, ihm aber gern vorher etwas abkaufen, damit er ihm auf eine leichtere Art ein Geſchenk machen könne. Er ſah noch einmal umher, und begriff es ſelber139 nicht, wie ihm ein kleines Bild habe ent¬ gehn können, das er nun jetzt erſt bemerkte. Es war das genaue Bildniß ſeiner Unbe¬ kannten, jeder Zug, jede Miene, ſo viel er ſich erinnern konnte. Er nahm es haſtig herab, und verſchlang es mit den Augen, ſein Herz klopfte ungeſtüm. Als er darnach fragte, erzählte der Alte, daß es ein junges Frauenzimmer ſey, die er vor einem Jahre gemahlt habe: ſie habe ihn beſucht, und ihr holdſeliges Geſicht habe ſich ſeinem Ge¬ dächtniſſe dermaßen eingeprägt, daß er es nachher mit Leichtigkeit habe zeichnen kön¬ nen. Weitere Nachricht konnte er von dem Mädchen nicht geben.

Franz bat um das Bild, das ihm der Alte gern bewilligte: Franz drückte ihm hier¬ auf ein größeres Geſchenk in die Hand, als er ihm anfangs zugedacht hatte. Der Alte ſteckte es ein, ohne die Goldſtücke nur zu140 beſehn, dann umarmte er ihn und ſagte: Bleibe immer herzlich und treu geſinnt, mein Sohn, liebe Deine Kunſt und Dich, dann wird es Dir immer wohl gehn. Der Künſtler muß ſich ſelber lieben, ja verehren, er darf keiner nachtheiligen Verachtung den Zugang zu ſich verſtatten. Sey in allen Dingen glücklich!

Franz drückte ihn an ſeine Bruſt, und ging dann den Berg hinunter.

Er war durch die Erzählung des alten Mahlers wehmüthig geworden, es leuchtete ihm ein, daß es ihm möglich ſey, ſich auch über ſeine Beſtimmung zu irren, dabei war mit friſcher Kraft das Andenken und das Bild ſeiner Geliebten in ſeine Seele zurück¬ gekommen. Er kam zum Schloſſe, indem er den Weg kaum bemerkt hatte, von der Gräfin war er ſchon vermißt, ſie war auf ihr Bildniß begierig, und er mußte gleich141 am folgenden Morgen weiter mahlen. Franz fand ſie an dieſem Tage ungemein liebens¬ würdig, ja er war auch in ihrer Geſellſchaft weniger verlegen; er erzählte ihr von ſeiner Wallfahrt zum alten Mahler, deſſen Ge¬ ſchichte er ihr kürzlich wiederholte. Die Grä¬ fin ſagte: Nun wahrlich, der alte Einſiedler muß Euch auf eine ungemeine Art liebge¬ wonnen haben, da er ſo viel mit Euch ge¬ ſprochen hat, denn es iſt ſonſt ſchon eine große Gefälligkeit, wenn er dem Fragenden nur ein einziges Wort antwortet, ſo viel ich aber weiß, hat er bisher noch keinem Einzigen ſeine Geſchichte erzählt.

Franz zeigte ihr hierauf das Gemählde, das er gekauft hatte, ohne den Zuſammen¬ hang zu erwähnen, den dieſes Bild mit ſei¬ nem Leben hatte. Die Gräfin erſtaunte. Ja, ſie iſt es! rief ſie aus, es iſt meine arme, unglückliche Schweſter!

142

Eure Schweſter? ſagte Franz erſchrok¬ ken, und Ihr nennt ſie unglücklich?

Und mit Recht, antwortete die Gräfin; jetzt iſt ſie ſeit neun Monaten todt.

Franz verlor die Sprache, ſeine Hand zitterte, es war ihm unmöglich, weiter zu mahlen. Jene fuhr fort: Sie trug und quälte ſich mit einer unglücklichen Liebe, die ihr Leben wegzehrte; vor einem Jahre machte ſie eine Reiſe durch Deutſchland, um ſich zu zerſtreuen und geſunder zu werden, aber ſie kam zurück und ſtarb. Der Alte hat ſie da¬ mals noch geſehen, und wie ich jetzt er¬ fahre, nachher gemahlt.

Franz war durch und durch erſchüttert. Er ſtand auf und verließ den Saal. Er irrte umher, und warf ſich endlich weinend an der dichteſten Stelle des Gehölzes nieder: die Worte, die ihn betäubt hatten, ſchallten noch immer in ſeinen Ohren. So iſt ſie143 denn auf ewig mir verloren, die niemals mein war! rief er aus. O, wie hart iſt die Weiſe, mit der mich das Schickſal von mei¬ nem Wahnſinne heilen will! O, Ihr Blu¬ men, Ihr ſüßen Worte, die Ihr mir ſo er¬ freulich war't, du holdſelige Schreibtafel, die ich ſeitdem immer bei mir trage, ach! nun iſt alles vorüber! Von dieſem Tage, von heute iſt meine Jugend beſchloſſen, alle jungen Wünſche, alle liebreizenden Hoffnun¬ gen verlaſſen mich nun, alles ruht tief im Grabe. Nun iſt mein Leben mir kein Leben mehr, mein Ziel, nach dem ich ſtrebte, iſt hinweggenommen, ich bin einſam. Das Haupt, das meine Sonne war, nach dem ich mich wie die Blume wandte, liegt nun im Grabe und iſt unkenntlich. Ja, Anſelm, ſie iſt nun auch in den großen weiten Wald wieder hineingeflogen, meine liebſte Sänge¬ rin, die ich ſo gern an dieſem Herzen be¬144 herbergt hätte, aller Geſang erinnert mich nur an ſie, die fließenden Waldbäche hier ermuntern mich, immer fort zu weinen, ſo wie ſie ſelber thun. Was ſoll mir Kunſt, was Ruhm, wenn ſie nicht mehr iſt, der ich alles zu Füßen legen wollte?

Am folgenden Tage kam Rudolf zurück, vor dem Franz ſein Geheimniß nun noch gefliſſentlicher verbarg; er fürchtete den hei¬ tern Muthwillen ſeines Freundes, und moch¬ te dieſe Schmerzen nicht ſeinen Spöttereien Preis geben. Rudolf erzählte ihm mit kur¬ zen Worten die Geſchichte ſeiner Wander¬ ſchaft, wo er ſich herumgetrieben, was er in dieſen Tagen erlebt. Franz hörte kaum dar¬ auf hin, weil er mit ſeinem Verluſte zu in¬ nig beſchäftigt war.

Du haſt ja hier einen Verwandten gefun¬ den, ſagte Sternbald endlich, aber mich dünkt, Du freuſt Dich darüber nicht ſonderlich.

Meine145

Meine Familie, ſagte jener, iſt ziemlich ausgebreitet, ich bin noch niemals lange an einem Orte geblieben, ohne einen Vetter oder eine Muhme anzutreffen. Darum iſt mir dergleichen nichts Ungewöhnliches. Die¬ ſer da iſt ein guter langweiliger Mann, mit dem ich nun ſchon alles geſprochen habe, was er zu ſagen weiß. Ihr führt aber übri¬ gens hier ein recht langweiliges Leben, und Du, mein lieber Sternbald, wirſt darüber ganz traurig und verdrüßlich, ſo wie es ſich auch ziemt. Ich habe alſo dafür geſorgt, daß wir einige Beſchäftigung haben, womit wir uns die Zeit vertreiben können.

Er hatte alle Diener des Schloſſes auf ſeine Seite gebracht und beredet, auch ei¬ nige andre, beſonders Mädchen aus der Nachbarſchaft eingeladen, um am folgenden Tage ein luſtiges Feſt im Walde zu begehn. Franz entſchuldigte ſich, daß er ihm nicht(2r Th.) K146Geſellſchaft leiſten könne, aber Floreſtan hörte nicht darauf. Ich werde nie wieder vergnügt ſeyn, ſagte Franz, als er ſich al¬ lein ſah, meine Jugend iſt vorüber, ich kann auch nicht mehr arbeiten, wenn ich in der Zukunft vielleicht auch geſchäftig bin.

Der folgende Tag erſchien. Floreſtan hatte alles angeordnet. Man verſammelte ſich Nachmittags im Walde, die Gräfin hatte allen die Erlaubniß ertheilt, der kühl¬ ſte, ſchattigſte Platz wurde ausgeſucht, wo die dickſten Eichen ſtanden, wo der Raſen am grünſten war. Rudolf empfing jeden Ankömmling mit einem fröhlichen Schall¬ meiliede, die Mädchen waren zierlich ge¬ putzt, die Jäger und Diener mit Bändern und bunten Zierrathen geſchmückt. Nun kamen auch die Spielleute, die luſtig auf¬ ſpielten, wobei Wein und verſchiedene Ku¬ chen in die Runde gingen. Die Hitze des147 Tages konnte an dieſen Ort nicht dringen, die Bäche und fernen Gewäſſer ſpielten wie eine liebliche Waldorgel dazu, alle Gemü¬ ther waren fröhlich.

Im grünen Graſe gelagert, wurden Lie¬ der geſungen, die alle Fröhlichkeit athmeten: da war von Liebe und Kuß die Rede, da wurde des ſchönen Buſens erwähnt, und die Mädchen lachten fröhlich dazu. Franz wehrte ſich anfangs gegen die Freude, die alle beſeelte, er ſuchte ſeine Traurigkeit, aber der helle, liebliche Strom ergriff auch ihn mit ſeinen kryſtallenen plätſchernden Wellen, er genoß die Gegenwart und ver¬ gaß, was er verloren hatte. Er ſaß neben einem blonden Mädchen, mit der er bald ein freundliches Geſpräch begonn, und den runden friſchen Mund, die lieblichen Au¬ gen, den hebenden Buſen ununterbrochen betrachtete.

K 2148

Als es noch kühler ward, ordnete man auf dem runden Raſenplatze einen luſtigen Tanz an. Rudolf hatte ſich auf ſeine Art fantaſtiſch geſchmückt, und glich einer ſchö¬ nen idealiſchen Figur auf einem Gemählde. Er war der Ausgelaſſenſte, aber in ihm ſpiegelte ſich die Fröhlichkeit am lieblichſten. Franz tanzte mit ſeiner blonden Emma, die manchen Händedruck erwiederte, wenn ſie den Reigen herunter ihm entgegen kam.

Da aber der Platz für den Tanz faſt ein wenig zu eng war, ſo ſonderten ſich ei¬ nige ab, um auszuruhen; unter dieſen wa¬ ren Floreſtan, Sternbald und die Blonde. Abſeits befeſtigten Franz und Rudolf ein Seil zwiſchen zwei dicken, naheſtehenden Ei¬ chen, ein Brett war bald gefunden und die Schaukel fertig. Emma ſetzte ſich furchtſam hinein, und flog nun nach dem Takte und Schwunge der Muſik im Waldſchatten auf149 und ab. Es war lieblich, wie ſie bald hin¬ auf in den Wipfel ſchwankte, bald wieder wie eine Göttin herabkam, und mit leichter Bewegung einen ſchönen Cirkel beſchrieb. Franz fand ſie immer ſchöner; der Buſen war verrätheriſch halb bloß, die Bewe¬ gung der Schaukel entblößte eine zierliche Wade und ein ſchönes rundes Knie, wenn der Schwung ſie etwas höher trieb, ent¬ deckte das lüſterne Auge den runden, weißen Schenkel, ſie aber ſaß ängſtlich und unbe¬ fangen oben, und dachte nicht daran, vor¬ ſichtiger zu ſeyn, weil ſie zu vorſichtig war und nur den Fall befürchtete.

Nun, mein Freund, rief Rudolf öfter, biſt Du nun nicht vergnügt? Laß alle Gril¬ len ſchwinden! Franz ſah nur die reizende Geſtalt, die ſich in der Luft bewegte.

Als man des Tanzes überdrüßig war, ſetzte man ſich wieder nieder, und ergötzte150 ſich an Liedern und aufgegebenen Räthſeln. Jetzt ertrug Sternbald den Muthwillen der Poeſie, die in alten Reimen die Reize der Liebſten lobpries: er ſtimmte mit ein, und verließ die blonde Emma niemals, wenig¬ ſtens mit den Augen.

Der Abend brach ein, in geſpaltenen Schimmern floß das Abendroth durch den Wald, die lieblichſte, ſtillſte Luft umgab die Natur, und bewegte auch nicht die Blätter am Baume. Rudolf, deſſen Phantaſie im¬ mer geſchäftig war, ließ nun eine lange Tafel bereiten, auf die eben ſo viele Blu¬ men als Speiſen geſetzt wurden, dazwiſchen die Lichter, die kein Wind verlöſchte, ſon¬ dern die ruhig fortbrannten, und einen zau¬ beriſchen, berauſchenden Anblick gewährten. Man unter ſchallender Muſik, dann wur¬ den die Tiſche aus einander geſchoben, und umher zwiſchen den Bäumen vertheilt, die151 Wachskerzen brannten auch hier. Nun kam ein muthwilliges Pfänderſpiel in den Gang, bei dem Sternbald manchen herzlichen Kuß von ſeiner Blonden empfing, wobei ihm je¬ desmal das Blut in die Wangen ſtieg.

Jetzt war es Nacht, man mußte ſich trennen. Die Leute aus dem Dorfe und der kleinen Stadt gingen zurück, Rudolf und Sternbald begleiteten den Zug, Later¬ nen gingen voran, dann folgten die Spiel¬ leute, die faſt beſtändig ihre Muſik erſchal¬ len ließen, und dadurch den Zug im Takte erhielten; Franz führte ſeine Emma, er ſchlang ſeinen Arm um ihren Leib, ſeine Hand fiel auf ihre ſchöne Bruſt, er wagte es, von der Dunkelheit, von der Muſik be¬ rauſcht, das Gewand zurückzuſchieben, ſie widerſetzte ſich nur ſchwach. Er drückte die ſchöne volle Bruſt mit zitternden Fingern, die ihm muthwillig entgegenquoll. Jetzt152 ſtanden ſie vor dem Dorfe, er nahm mit einem herzlichen Kuſſe Abſchied; Emma war ſtumm, er konnte kein Wort hervorbringen.

Schweigend ging er mit Rudolf durch den Wald zurück: als ſie heraustraten, glänzte ihnen über die Ebene herüber der aufgehende Mond entgegen: das Schloß brannte in ſanften goldenen Flammen.

153

Sechstes Kapitel.

Das Bildniß der Gräfin und des fremden Ritters war beendigt, ſie war ſehr zufrieden, und belohnte den Mahler reichlicher, als es beide Freunde erwartet hatten. Franz und Emma ſahen ſich oft, und Franzens Wün¬ ſche und Bitten wurden immer ungeſtümer und ungeduldiger; er dachte auch dieſer Be¬ kanntſchaft wegen ungern an die Abreiſe, an die ihn Rudolf oft erinnerte, um ihn zu ängſtigen.

Franz erſtaunte oft in einſamen Stun¬ den über ſich ſelber, über die Ungenügſam¬ keit, die ihn peinigte. Er betrachtete dann mit wehmüthiger Ungeduld das Bild ſeiner ehemaligen Geliebten, er wollte ſie ſeiner Phantaſie in aller vorigen Klarheit zurück¬ zaubern, aber ſein Geiſt und ſeine Sinne waren wie mit ehernen Banden in der Ge¬ genwart feſtgehalten.

154

Bravo! ſagte an einem Morgen Rudolf zu ſeinem Freunde, Du gefällſt mir, denn ich ſehe, Du lernſt von mir. Du ahmſt mir nach, daß Du auch eine Liebſchaft haſt, die Deine Lebensgeiſter in Thätigkeit erhält 'glaube mir, man kann im Leben durchaus nicht anders zurecht kommen. So aber ver¬ ſchönert ſich uns jede Gegend, der Name der Dörfer und Städte wird uns theuer und bedeutend, unſre Einbildung wird mit lieb¬ lichen Bildern angefüllt, ſo daß wir uns al¬ lenthalben wie in einer erſehnten Heimath fühlen.

Aber wohin führt uns dieſer Leichtſinn? fragte Franz.

Wohin? rief Rudolf aus, o mein Freund, verbittere Dir nicht mit dergleichen Fragen Deinen ſchönſten Lebensgenuß, denn wohin führt Dich das Leben endlich?

Aber die Sinnlichkeit, ſagte Franz,155 hörſt Du nicht jeden rechtlichen Menſchen ſchlecht davon ſprechen?

O, über die rechtlichen Menſchen! ſagte Floreſtan lachend, ſie wiſſen ſelbſt nicht, was ſie wollen. Der Himmel giebt ſich die Mühe, uns die Sinnen anzuſchaffen, nun, ſo wollen wir uns deren auch nicht ſchämen, nach unſerm löblichen Tode wollen wir uns dann mit des Himmels Beiſtand zur Freude beſſer gebehrden.

Was war das für ein Mädchen, fragte Franz, das Du in der Gegend von Ant¬ werpen beſuchteſt?

O, das iſt eine Geſchichte, antwortete jener, die ich Dir ſchon lange einmal habe erzählen wollen. Ich war vor einem Jahre auf der Reiſe, und ritt über's Feld, um ſchneller fortzukommen. Ich war müde, mein Pferd fing an zu hinken, die Meile kam uns unendlich lang vor. Ich ſang156 ein Liedchen, ich beſann mich auf hun¬ dert Schwänke, die mich in vielen an¬ dern Stunden erquickt hätten, aber alles war vergebens. Indem ich mich noch ab¬ quäle, ſehe ich eine hübſche niederländiſche Bäuerin am Wege ſitzen, die ſich die Augen abtrocknet. Ich frage, was ihr fehlt, und ſie erzählt mir mit der liebenswürdigſten Unbefangenheit, daß ſie ſchon ſo weit ge¬ gangen ſey, ſich nun zu müde fühle, noch zu ihren Eltern nach Hauſe zu kommen, und darum weine ſie, wie billig. Die Däm¬ merung war indeß ſchon eingebrochen, mein Entſchluß war bald gefaßt: weiter um Rath zu fragen, bot ich ihr das müde Pferd an, um bequemer fortzukommen. Sie ließ ſich eine Weile zureden, dann ſtieg ſie hin¬ auf, und ſetzte ſich vor mich: ich hielt ſie mit den Armen feſt. Nun fing ich an, die Meile noch länger zu wünſchen, der nied¬157 lichſte Fuß ſchwebte vor mir, von der Bewe¬ gung entblößt, die friſche rothe Wange dicht an der meinigen, die freundlichen Augen mir nahe gegenüber. So zogen wir über das Feld, indem ſie mir ihre Herkunft und Er¬ ziehung erzählte: wir wurden bald vertrau¬ ter, und ſie ſträubte ſich gegen meine Küſſe nicht mehr.

Nun wurde es Nacht, und die Bangig¬ keit, die ſie erfüllte, erlaubte mir, dreiſter zu ſeyn. Endlich kamen wir in der Nähe ihrer Behauſung, ſie ſtieg behende herunter, wir hatten ſchon unſre Abrede genommen. Sie eilte voraus, ich blieb eine Weile zu¬ rück, dann zwang ich mein Pferd, in einer Art von Gallopp mit mir vor das Haus zu ſprengen. Es war ein altes, weitläuftiges Gebäude, das abſeits vom übrigen Dorfe lag; das Mädchen kam mir entgegen, ich trat als ein verirrter Fremdling ein, und158 bat demüthig um ein Nachtlager. Die El¬ tern bewilligten es mir gern, die Kleine ſpielte ihre Aufgabe gut durch, ſie zeigte mir verſtohlen, daß ſie neben der Kammer ſchlafen würde, die man mir einräumte; ſie wollte die Thür offen laſſen. Das Abend¬ eſſen, die umſtändlichen Geſpräche wurden mir ſehr lang, endlich ging alles ſchlafen, meine Freundin aber hatte in der Wirth¬ ſchaft noch allerhand zu beſorgen. Ich be¬ trachtete indeſſen meine Kammer, ſie führte auf der einen Seite nach dem Schlafzimmer des Mädchens, auf der andern in einen langen Gang, deſſen äußerſte Thür geöffnet war. Freundlich ſchien durch dieſe die runde Scheibe des Mondes, das ſchöne Licht lockt mich hinaus, ein Garten empfängt mich. Ich durchwandere auch dieſen, gehe durch ein Gatterthor, und verliere mich voller Er¬ wartungen im Felde.

159

Man iſt indeſſen ſorgſam geweſen, alle Thüren zu verſchließen, es war das letzte Geſchäft des[Vaters], nach allen Riegeln im Hauſe zu ſehn. Beſtürzt komme ich zurück, die Gartenthür iſt verſchloſſen; ich rufe, ich klopfe, Niemand hört mich, ich verſuche überzuſteigen, aber meine Mühe war ver¬ gebens. Ich verwünſche den Mond und die Schönheiten der Natur, ich ſehe die Freundliche vor mir, die mich erwartet und mein Zögern nicht begreifen kann.

Unter Verwünſchungen und unnützen Bemühungen ſah ich mich genöthigt, den Morgen auf dem freien Felde abzuwarten: alle Hunde wurden wach, aber kein Menſch hörte mich, der mich eingelaſſen hätte. O, wie ſegnete ich die erſten Strahlen des Frühroths! Die Alten bedauerten mein Un¬ glück, das Mädchen war ſo verdrüßlich, daß ſie anfangs nicht mit mir ſprechen160 wollte, ich verſöhnte ſie aber endlich, ich mußte fort, und verſprach ihr, auf meiner Rückreiſe von England ſie gewiß wieder zu beſuchen. Und Du ſahſt damals, daß ich ihr auch Wort hielt.

Ich kam an: ſchon ſah ich mit Verdruß und klopfendem Herzen den Garten mit der mir ſo wohl bekannten Mauer, ſchon ſuchte mein Auge das Mädchen, aber die Sachen hatten ſich indeſſen ſehr verändert. Sie war verheirathet, ſie wohnte in einem andern Hauſe, und was das Schlimmſte war, ſie liebte ſogar ihren Mann; als ich ſie beſuch¬ te, bat ſie mich mit der höchſten Angſt, doch ja je eher je lieber wieder fortzugehn. Ich gehorchte ihr, um ihr Glück nicht zu ſtören, Siehſt Du, mein Freund, das iſt die unbedeutende Geſchichte einer Bekanntſchaft, die ſich ganz anders endigte, als ich er¬ wartet hatte.

Dir161

Dir geſchieht ſchon Recht, ſagte Franz, wenn Du manchmal für Deinen übertriebe¬ nen Muthwillen beſtraft wirſt.

O, daß Ihr allenthalben Übertreibungen findet! rief Floreſtan aus, Ihr ſeyd immer beſorgt, Euch in allen Gedanken und Ge¬ fühlen zu mäßigen. Aber es gelingt nie¬ mals und iſt unmöglich, in einem Gebiete zu meſſen und zu wägen, wo kein Maas und Gewicht anerkannt wird. Es freut mich, Dich auch einmal verliebt zu ſehn.

Franz ſagte: Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin, aber Du ängſtigeſt mich mit Deinen Reden; wozu wäre es auch, da wir ſo bald abreiſen müſſen?

Floreſtan lachte, und gab ihm gar keine Antwort. Nun, wie haben Dir die neu¬ lichen Lieder gefallen? ſagte er, und die Lich¬ ter, der Wald? Nicht wahr, es war der Mühe werth, fröhlich zu ſeyn?

(2r Th.) L162

Er ſtellte ſich vor Sternbald hin, und ſang ihm einen von jenen altfränkiſchen Geſängen:

Wann ich durch die Gaſſen ſchwärme
Suche dort und ſuche hier
Bei der ſanften Frühlingswärme,
Steht die Liebſte vor der Thür.
Wen erwart'ſt Du auf dem Platz?
Ach! ich ſuche meinen Schatz.
Komm ', ich will Dein Schatz Dir werden,
Findeſt keinen Treuern nicht.
Nein, er iſt der Schönſt' auf Erden,
Meiner Augen liebſtes Licht.
Nimm mich an zu dieſer Friſt,
Allzutreu nicht löblich iſt.
Willſt Du wohl das Küſſen laſſen?
Nein bin ja nicht Dein Kind,
Geh ', ich fange an zu haſſen,
Keiner ſo bei mir gewinnt.
Wider Willen küßt mein Mund,
Macht mit Frevlern keinen Bund.
163
Aber ſchön ſind Deine Küſſe,
Deine Lippen kirſchenroth,
Ihr Berühren honigſüße,
Hier vergeß 'ich meine Noth.
Mädchen, ach, wie klopft Dein Herz!
Iſt es Freude, iſt es Schmerz?
Laß das Herz, es iſt im Schelten
Über Deine freche Hand,
Nein, bei mir darf das nicht gelten,
Aufzulöſen jedes Band.
Erſt ſuchſt Du das Herz mit Liſt,
Nun Dein Mund den Buſen küßt.
O, je freier von Gewändern
Du nur um ſo ſchöner prangſt,
Häßlich putze ſich mit Bändern,
Du gewandlos Ruhm erlangſt,
Dich verdunkelt nur Dein Kleid,
Überſchattet Dich mit Neid.
Herrlich iſt es, wenn die Hülle
Sich von jedem Gliede neigt,
Und des zarten Buſens Fülle
Unſerm Blick entgegenſteigt,
L 2164
Wenn das Knie ſich uns entblößt,
Gürtel von den Hüften löſ’t.

Du marterſt mich nur, ſagte Sternbald, als Rudolf geendigt hatte, ſprich wie Du willſt, ich werde niemals Deiner Meinung ſeyn. Man kann ſich in einem leichtſinni¬ gen Augenblicke vergeſſen, aber wenn man freiwillig den Sinnen den Sieg über ſich ſelbſt einräumt, ſo erniedrigt man ſich da¬ durch unter ſich ſelbſt.

Du willſt ein Mahler ſeyn, und ſprichſt ſo? rief Rudolf aus, o, laß ja die Kunſt fahren, wenn Dir Deine Sinnen nicht lie¬ ber ſind, denn durch dieſe allein vermagſt Du die Rührungen hervorzubringen. Was wollt Ihr mit allen Euren Farben darſtel¬ len und ausrichten, als die Sinnen auf die ſchönſte Weiſe ergötzen? Durch nichts kann der Künſtler unſre Phantaſie ſo gefangen nehmen, als durch den Reiz der vollendeten165 Schönheit, das iſt es, was wir in allen Formen entdecken wollen, wonach unſer gie¬ riges Auge allenthalben ſucht. Wenn wir ſie finden, ſo ſind es auch nicht die Sinne allein, die in Bewegung ſind, ſondern alle unſre Entzückungen erſchüttern uns auf ein¬ mal auf die lieblichſte Weiſe. Der freie un¬ verhüllte Körper iſt der höchſte Triumph der Kunſt, denn was ſollen mir jene beſchleier¬ ten Geſtalten? Warum treten ſie nicht aus ihren Gewändern heraus, die ſie ängſtigen und ſind ſie ſelbſt? Gewand iſt höchſtens nur Zugabe, Nebenſchönheit. Das griechiſche Alterthum verkündigt ſich in ſeinen nackten Figuren am göttlichſten und menſchlichſten. Die Decenz unſers gemeinen proſaiſchen Lebens iſt in der Kunſt unerlaubt, dort in den heitern, reinen Regionen iſt ſie unge¬ ziemlich, ſie iſt unter uns ſelbſt das Doku¬ ment unſrer Gemeinheit und Unſittlichkeit. 166Der Künſtler darf ſeine Bekanntſchaft mit ihr nicht verrathen, oder er giebt zu erken¬ nen, daß ihm die Kunſt nicht das Liebſte und Beſte iſt, er geſteht, daß er ſich nicht ganz ausſprechen darf, und doch iſt ſein verſchloſſenes Innerſtes gerade das, was wir von ihm begehren.

In einigen Tagen war ihre Abreiſe be¬ ſchloſſen; die Gräfin hatte den verſproche¬ nen Brief an die italieniſche Familie geſchrie¬ ben, den Sternbald mit großer Gleichgül¬ tigkeit in ſeine Brieftaſche legte; er zeigte ihn auch ſeinem Freunde nicht, ſondern war ſogar ungewiß, ob er ihn abgeben ſolle.

Es war einer der heißeſten Tage gewe¬ ſen, als Sternbald gegen Abend das Ge¬ hölz beſuchte, um ſich ſeinen Gedanken zu überlaſſen. Im Walde erreichte der durch¬ fließende Bach an der ſchönſten Stelle eine eine ziemliche Breite und Tiefe, der Ort167 war abgelegen, dichtes Gebüſch wuchs um¬ her, und machte hier die Kühlung noch ſchöner. Franz entkleidete ſich, und warf ſich in die kühlen Wellen des kleinen Fluſ¬ ſes. Sein Gemüth ward heiterer, als er ſich rings vom friſchen Elemente umgeben ſpürte, die Gebüſche rauſchten um ihn, ſein Auge verlor ſich in die ſchöne Dunkelheit des dichten Waldes, und ihm fielen aller¬ hand Gemählde ein, auf denen er ähnliche Darſtellungen angetroffen hatte.

Indem er ſo nach dem Walde hinein¬ ſchaute, ſah er Emma aus der Dunkelheit hervorkommen. Erſt traute er ſeinen eige¬ nen Augen nicht, aber ſie war es wirklich. Er verbarg ſich in das dichte Gebüſch: ſie kam näher, und ſchien von der Hitze des Tages und des Weges ermattet, ſie ſank auf den Raſen hin, der mit friſchem Grün den Bach umkränzte, dann löſ'te ſie die168 Schuhe ab, und erprobte mit dem nackten Füße und Beine die Kälte des Waſſers. Sternbald fand ſie ſchöner als je, er wand¬ te ſeine Augen in keinem Momente von ihr; ſie ſah ſchüchtern und vorſichtig umher, dann machte ſie den Buſen frei, und löſ'te die ſchönen goldgelben Haare auf. Jetzt war ſie nur noch mit einem dünnen Gewande bekleidet, das die ſchönen, vollen Formen ihres Körpers verrieth, im Augenblicke ſtand ſie nackt, verſchämt und erröthend da, und ſtieg ſo in das Bad. Franz konnte ſich in ſeiner Verborgenheit nicht länger zurückhal¬ ten, er ſtürzte hervor, ſie erſchrak, der grü¬ ne Raſen, die dichten Gebüſche waren Zeu¬ gen ihrer Verſöhnung und ihres Glücks. Als ſie das Schloß verlaſſen hatten, als beide Freunde ſich auf der weiten Heer¬ ſtraße befanden, geſtand Franz ſeinem Ver¬ trauten dieſen Vorfall, er erzählte ihm, wie169 Emma bei ihrem Abſchiede geweint, wie ſie gewünſcht, ihn wiederzuſehn. Rudolf blieb bei dieſer Erzählung nachdenklich, er war weniger fröhlich und leichtſinnig, als man ihn ſonſt ſah, er ſchien Erinnerungen zu be¬ kämpfen, die ihn beinahe ſchwermüthig machten.

Kein Menſch, rief er endlich aus, kann ſeine frohe Laune verbürgen, es kommen Augenblicke und Empfindungen, die ihn wie in einem Kerker verſchließen, und ihn nicht wieder frei geben wollen. Ich denke eben daran, wie ohne Noth und ohne Zweck ich mich hier herumtreibe, und indeſſen das ver¬ nachläſſige, was doch das einzige Glück in der Welt iſt. Wahrlich, ich könnte in man¬ chen Augenblicken ſo ſchwermüthig ſeyn, daß ich weinte, oder tiefſinnige Elegien nieder¬ ſchriebe, daß ich auf meinen Inſtrumenten Töne hervorſuchte, die in Steine und Felſen170 Mitleiden hineinzwängen. O, mein Freund, wir wollen uns nicht mit unnützem Gram den gegenwärtigen Augenblick verkümmern, dieſe Gegenwart, in der wir jetzt ſind, kömmt nicht zum zweitenmale wieder, mag doch ein jeder Tag für das Seine ſorgen.

Auf, mein Freund, durch die Welt
Über Feld
Berg und Thal
Blum 'und Blümlein ohne Zahl.
Heute hier, morgen dort
Jeder Ort
Freuden hegt
Wenn nur froh Dein Herze ſchlägt.

Darum, mein Frennd, entſchlage Dich al¬ ler Deiner trübſeligen Gedanken, keine ſchlech¬ tere Frucht hat die menſchliche Seele in ih¬ rer Verderbtheit hervorgebracht, als die Reue: man ſey friſch und froh ein andrer Menſch, wenn es ſeyn muß, nur quäle man171 ſich nicht mit vergeblichen Wünſchen, daß man die Vergangenheit zurückruft, und dar¬ über ſein Herz mit einer fürchterlichen Leere anfüllt; oder man begehe unbekümmert die¬ ſelbe Thorheit wieder, wenn es die Um¬ ſtände ſo mit ſich bringen.

Es wurde Abend, ein ſchöner Himmel erglänzte mit ſeinen wunderbaren, buntge¬ färbten Wolkenbildern über ihnen. Sieh 'fuhr Rudolf fort, wenn Ihr Mahler mir dergleichen darſtellen könntet, ſo wollte ich Euch oft Eure beweglichen Hiſtorien, Eure leidenſchaftlichen und verwirrten Darſtellun¬ gen mit allen unzähligen Figuren erlaſſen. Meine Seele ſollte ſich an dieſen grellen Farben ohne Zuſammenhang, an dieſen mit Gold ausgelegten Luftbildern ergötzen und genügen, ich würde Handlung, Leiden¬ ſchaft, Compoſition und alles gern vermiſ¬ ſen, wenn Ihr mir, wie die gütige Natur172 heute thut, ſo mit roſenrothem Schlüſſel die Heimath aufſchließen könntet, wo die Ahndungen der Kindheit wohnen, das glän¬ zende Land, wo in dem grünen, azurnen Meere die goldenſten Träume ſchwimmen, wo Lichtgeſtalten zwiſchen feurigen Blumen gehn und uns die Hände reichen, die wir an unſer Herz drücken möchten. O, mein Freund, wenn Ihr doch dieſe wunderliche Muſik, die der Himmel heute dichtet, in Eure Mahlerei hineinlocken könntet! Aber Euch fehlen Farben, und Bedeutung im gewöhn¬ lichen Sinne iſt leider eine Bedingung Eu¬ rer Kunſt.

Ich verſtehe, wie Du es meinſt, ſagte Sternbald, und die freundlichen Himmels¬ lichter entwanken und entfliehen, indem wir ſprechen. Wenn Du auf der Harfe muſi¬ cirſt, und mit den Fingern die Töne ſuchſt, die mit Deinen Phantaſien verbrüdert ſind,173 ſo daß beide ſich gegenſeitig erkennen, und nun Töne und Phantaſie in der Umarmung gleichſam entzückt immer höher, immer mehr himmelwärts jauchzen, ſo haſt Du mir ſchon oft geſagt, daß die Muſik die erſte, die un¬ mittelbarſte, die kühnſte von allen Künſten ſey, daß ſie einzig das Herz habe, das aus¬ zuſprechen, was man ihr anvertraut, da die übrigen ihren Auftrag immer nur halb ausrichten, und das beſte verſchweigen: ich habe Dir ſo oft Recht geben müſſen, aber, mein Freund, ich glaube darum doch, daß ſich Muſik, Poeſie und Mahlerei oft die Hand bieten, ja daß ſie oft ein und daſſelbe auf ihren Wegen ausrichten können. Frei¬ lich iſt es nicht nöthig, daß immer nur Hand¬ lung, Begebenheit mein Gemüth entzücke, ja es ſcheint mir ſogar ſchwer zu beſtimmen, ob in dieſem Gebiete unſre Kunſt ihre ſchön¬ ſten Lorbeern antreffe: allein erinnere Dich174 nur ſelbſt der ſchönen, ſtillen, heiligen Fa¬ milien, die wir angetroffen haben; liegt nicht in einigen unendlich viele Muſik, wie Du es nennen willſt. Iſt in ihnen die Religion, das Heil der Welt, die Anbetung des Höch¬ ſten nicht wie in einem Kindergeſpräche of¬ fenbart und ausgedrückt? Ich habe bei den Figuren nicht bloß an die Figuren gedacht, die Gruppirung war mir nur Nebenſache, ja auch der Ausdruck der Mienen, in ſo fern ich ihn auf die gegenwärtige Geſchichte, auf den wirklichen Zuſammenhang bezog. Der Mahler hat hier Gelegenheit, die Ein¬ bildung in ſich ſelbſt zu erregen, ohne ſie durch Geſchichte, durch Beziehung vorzube¬ reiten. Die Gemählde von Landſchaften ſcheinen mir aber beſonders dazu Veranlaſ¬ ſung zu geben.

Biſt Du denn auch der Meinung, fragte Rudolf, daß jede Landſchaft mit Figuren175 ausſtaffirt ſeyn muß, damit dadurch Leben und Intereſſe in das Bild hineinkomme?

So viel ich darüber habe einſehen kön¬ nen, antwortete Franz, ſcheint es mir un¬ nöthig. Eine gute Landſchaft kann etwas Wunderbarers ausdrücken, ſo daß die Ein¬ ſamkeit gerade eine vortreffliche Wirkung thut: auch können ſo mancherlei Empfin¬ dungen erregt werden, daß ſich eine Vor¬ ſchrift darüber wohl ſchwerlich in ſo allge¬ meine Worte faſſen läßt. Es können nur ſelten die Figuren ſeyn, die die Theilnahme erregen, die es beleben, wer ſie bloß dazu braucht, ſcheint mir von ſeiner Kunſt wenig begriffen zu haben, aber ſie können vielleicht jenes Spiel der Ideen, jene Muſik mit er¬ regen helfen, die alle Kunſtwerke zu geheim¬ nißvollen Wunderwerken macht. Aber denke Dir eine Waldgegend, die ſich im Hinter¬ grunde öffnet, und die Durchſicht in eine176 Wieſe läßt, die Sonne ſteigt herauf, und ganz in der Ferne wirſt Du ein kleines ländliches Haus gewahr, mit rothem freund¬ lichen Dache, das gegen das Grün der Bü¬ ſche und der Wieſe lebhaft abſticht, ſo er¬ regt ſchon dieſe Einſamkeit ohne alle leben¬ dige Geſtalten eine wehmüthige, unbegreif¬ fliche Empfindung in Dir.

Am meiſten iſt mir das, was ich ſo oft von der Mahlerei wünſche, bei allegoriſchen Gemählden einleuchtend, ſagte Rudolf.

Gut, daß Du mich daran erinnerſt! rief Franz aus, hier iſt recht der Ort, wo der Mahler ſeine große Imagination, ſei¬ nen Sinn für die Magie der Kunſt offen¬ baren kann: hier kann er gleichſam über die Gränzen ſeiner Kunſt hinausſchreiten, und mit dem Dichter wetteifern. Die Begeben¬ heit, die Figuren ſind ihm nur Nebenſache, und doch machen ſie das Bild, es iſt Ruheund177und Lebendigkeit, Fülle und Leere, und die Kühnheit der Gedanken, der Zuſammenſez¬ zung findet erſt hier ihren rechten Platz. Ich habe es ungern gehört, daß man dieſen Gedichten ſo oft den Mangel an Zierlichkeit vorrückt, daß man hier thätige Bewegung und ſchnellen Reiz einer Handlung fordert, wenn ſie ſtatt eines einzelnen Menſchen die Menſchheit ausdrücken, ſtatt eines Vorfalls eine erhabene Ruhe. Gerade dieſe anſchei¬ nende Kälte, die Unbiegſamkeit im Stoffe iſt das, was mir ſo oft einen wehmüthigen Schauder bei der Betrachtung erregte: daß hier allgemeine Begriffe in ſinnlichen Geſtal¬ ten mit ſo ernſter Bedeutung aufgeſtellt ſind, Kind und Greis in ihren Empfindungen ver¬ einigt, daß das Ganze unzuſammenhängend erſcheint, wie das menſchliche Leben, und doch eins um des andern nothwendig iſt, wie man auch im Leben nichts aus ſeiner(2r Th.) M178Verkettung reißen darf, alles dies iſt mir immer ungemein erhaben erſchienen.

Ich erinnere mich, antwortete Rudolf, eines alten Bildes in Piſa, das ſchon über hundert Jahr alt wurde, und das Dir auch vielleicht gefallen wird; wenn ich nicht irre, iſt von Andrea Orgagna gemahlt. Dieſer Künſtler hat den Dante mit beſondrer Vor¬ liebe ſtudirt, und in ſeiner Kunſt auch et¬ was ähnliches dichten wollen. Auf ſeinem großen Bilde iſt in der That das ganze menſchliche Leben auf eine recht wehmüthige Art abgebildet. Ein Feld prangt mit ſchö¬ nen Blumen von friſchen und glänzenden Farben, geſchmückte Herren und Damen ge¬ hen umher, und ergötzen ſich an der Pracht. Tanzende Mädchen ziehen mit ihrer muntern Bewegung den Blick auf ſich, in den Bäu¬ men, die von Orangen glühn, erblickt man Liebesgötter, die ſchalkhaft mit ihren Ge¬179 ſchoſſen herunterzielen, über den Mädchen ſchweben andre Amorinen, die nach den ge¬ ſchmückten Spaziergängern zur Vergeltung zielen. Spielleute blaſen auf Inſtrumenten zum Tanz, eine bedeckte Tafel ſteht in der Ferne. Gegenüber ſieht man ſteile Fel¬ ſen, auf denen Einſiedler Buße thun und in andächtiger Stellung beten, einige leſen, einer melkt eine Ziege. Hier iſt die Dürf¬ tigkeit des armuthſeligen Lebens dem üppigen glückſeligen recht herzhaft gegenüber geſtellt. Unten ſieht man drei Könige, die mit ihren Gemahlinnen auf die Jagd reiten, denen ein heiliger Mann eröffnete Gräber zeigt, in denen man von Königen verweſ'te Leichnahme ſieht. Durch die Luft fliegt der Tod, mit ſchwarzem Gewand, die Senſe in der Hand, unter ihm Leichen aus allen Ständen, auf die er hindeutet. Dieſes Bild mit ſeinen treuherzigen Reimen, dieM 2180vielen Perſonen aus dem Munde gehn, hat immer in mir das Bild des großen menſch¬ lichen Lebens hervorgebracht, in welchem ei¬ ner vom andern weiß, und ſich alle blind und taub durch einander bewegen.

Unter dieſen Geſprächen waren ſie an eine dichte Stelle im Walde gekommen, ab¬ ſeits an einer Eiche gelehnt lag ein Ritters¬ mann, mit dem ſich ein Pilgrim beſchäftigte, und ihm eine Wunde zu verbinden ſuchte. Die beiden Wanderer eilten ſogleich hinzu, ſie erkannten den Ritter, Franz zuerſt, es war derſelbe, den ſie vor einiger Zeit als Mönch geſehn hatten, und den Sternbald im Schloſſe gemahlt hatte. Der Ritter war in Ohnmacht geſunken, er hatte viel Blut verloren, aber durch die vereinigte Hülfe kam er bald wieder zu ſich. Der Pilgrim dankte den beiden Freunden herzlich, daß ſie ihm geholfen, den armen Verwundeten181 zu pflegen, ſie machten in der Eile eine Trage von Zweigen und Blättern, worauf ſie ihn legten und ſo abwechſelnd trugen. Der Ritter erholte ſich bald, ſo daß er bat, ſie möchten dieſe Mühe unterlaſſen; er ver¬ ſuchte es, auf die Füße zu kommen, und es gelang ihm, daß er ſich mit einiger Beſchwer¬ lichkeit und langſam fortbewegen konnte, die übrigen führten und unterſtützten ihn. Der Ritter erkannte Franz und Rudolf ebenfalls, er geſtand, daß er derſelbe ſey, den ſie neu¬ lich in einer Verkleidung getroffen. Der Pil¬ grim erzählte, daß er nach Loretto wall¬ fahrte, um ein Gelübde zu bezahlen, das er in einem Sturm auf der See gethan.

Es wurde dunkel, als ſie immer tiefer in den Wald hineingeriethen und kaum noch den Weg bemerken konnten. Franz und Rudolf riefen laut, um jemand herbei¬ zulocken, der ihnen rathen, der ſie aus der182 Irre führen könne, aber vergebens, ſie hör¬ ten nichts als das Echo ihrer eignen Stim¬ me. Endlich war es, als wenn ſie durch die Verworrenheit der Gebüſche ein fernes Glöcklein vernähmen, und ſogleich richteten ſie nach dieſem Schalle ihre Schritte. Der Pilger inſonderheit war ſehr ermüdet, und wünſchte einen Ruheplatz anzutreffen, er geſtand es ungern, daß ihn ſein übereiltes Gelübde ſchon oft gereut habe, daß er es aber nun ſchuldig ſey zu bezahlen, um Gott nicht zu irren. Er ſeufzte faſt bei jedem Schritte, und der Ritter konnte es nicht unterlaſſen, ſo ermüdet er ſelber war, bis¬ weilen über ihn zu ſpotten. Franz und Ru¬ dolf ſangen Lieder, um die Ermüdeten zu tröſten und anzufriſchen, ſehnten ſich aber auch herzlich nach einer ruhigen Herberge.

Jetzt ſahen ſie ein Licht ungewiß durch die Zweige ſchimmern, und die Hoffnung183 von allen wurde geſtärkt, das Glöcklein ließ ſich von Zeit zu Zeit wieder hören, und viel vernehmlicher. Sie glaubten ſich in der Nähe eines Dorfs zu befinden, als ſie aber noch eine Weile gegangen waren, ſtanden ſie vor einer kleinen Hütte, in der ein Licht brannte, das ihnen entgegenglänzte, ein Mann ſaß darin, und las mit vieler Auf¬ merkſamkeit in einem Buche, ein großer Ro¬ ſenkranz hing an ſeiner Seite, über der Hütte war eine Glocke angebracht, die er abwechſelnd anzog, und die den Schall ver¬ urſacht hatte.

Er erſtaunte, als er von der Geſellſchaft in ſeinen Betrachtungen geſtört wurde, doch nahm er alle ſehr freundlich auf. Er berei¬ tete ſchnell aus Kräutern einen Saft, mit dem er die Wunde des Ritters verband, wonach dieſer ſogleich Linderung ſpürte, und zum Schlafe geneigt war. Auch Franz war184 müde, der Pilgrim war ſchon in einem Win¬ kel des Hauſes eingeſchlafen, nur Rudolf blieb munter, und verzehrte einiges von den Früchten, Brod und Honig, das der Ein¬ ſiedler aufgetragen hatte. Ihr ſeyd in mei¬ ner Einſamkeit willkommen, ſagte dieſer zu Floreſtan, und es iſt mein tägliches Gebet zu Gott, daß er mir Gelegenheit geben möge, zuweilen einiges Gute zu thun, und ſo iſt ſie mir denn heute wider Erwarten gekom¬ men. Sonſt bringe ich meine Zeit mit An¬ dacht und Beten zu, auch laſſe ich nach ge¬ wiſſen Gebeten immer mein Glöcklein erſchal¬ len, damit die Hirten und Bauern im Walde, oder die Leute im nächſten Dorfe wiſſen mö¬ gen, daß ich munter bin und für ſie den Herrn danke, das einzige, was ich zur Ver¬ geltung für ihre Wohlthaten zu thun im Stande bin.

Rudolf blieb mit dem Einſiedler noch185 lange munter, ſie ſprachen allerhand, doch ließ ſich der Alte nicht zu lange von ſeinen vorgeſetzten Gebeten abwendig machen, ſon¬ dern wiederholte ſie während ihrer Erzäh¬ lung; Franz hörte im Schlummer die bei¬ den mit einander ſprechen, dann zuweilen das Glöcklein klingen, den Geſang des Al¬ ten, und es dünkte ihm unter ſeinen Träu¬ men alles höchſt wunderbar.

Gegen Morgen ſchlief Rudolf auch ein, ſo viele Mühe er ſich auch gab, wach zu bleiben, der Alte ſang indeß:

Bald kommt des Morgens früher Strahl
Und funkelt tief in's ferne Thal
Und macht die Leutlein munter:
Dann regt zur Arbeit alles ſich
Und preiſ't den Schöpfer feſtiglich,
Weicht Nacht und Schlaf hinunter,
Weil 'nicht
Süß' Licht,
186
Morgenröthe
Magſt die Öde,
Hell entzünden
Gottes Lieb 'zu uns verkünden.

Das Morgenroth brach liebreich herauf, und ſchimmerte erſt an den Baumwipfeln, an den hellen Wolken, dann ſah man die erſten Strahlen der Sonne durch den Wald leuchten. Die Vögel wurden rege, die Lerchen jubelten aus den Wolken herab, der Morgenwind ſchüttelte die Zweige. Die Schläfer wurden nach und nach wieder wach: der Ritter fühlte ſich geſtärkt und munter, der Einſiedel verſicherte, daß ſeine Wunde nichts zu bedeuten habe. Franz und Ru¬ dolf machten einen Spaziergang durch den Wald, wo ſie eine Anhöhe erſtiegen und ſich niederſetzten.

Sind die Menſchen nicht wunderlich? fing Floreſtan an, dieſer Pilgrim kreuzt187 durch die Welt, verläßt ſein geliebtes Weib, wie er uns ſelber erzählt hat, um Gott zu Gefallen die Capelle zu Loretto zu beſuchen. Der Einſiedler hat mir in der Nacht ſeine ganze Geſchichte erzählt: er hat die Welt auf immer verlaſſen, weil er unglücklich ge¬ liebt hat, das Mädchen, das ihn entzückte, hat ſich einem andern ergeben, und darum will er nun ſein Leben in der Einſamkeit beſchließen, mit ſeinem Roſenkranze, Buche und Glocke beſchäftigt.

Franz dachte an das Bildniß, an den Tod ſeiner Geliebten, und ſagte ſeufzend: O, laß ihn, denn ihm iſt wohl, tadle nicht zu ſtrenge die Glückſeligkeit andrer Men¬ ſchen, weil ſie nicht die Deinige iſt. Wenn er wirklich geliebt hat, was kann er nun noch in der Welt wollen? In ſeiner Ge¬ liebten iſt ihm die ganze Welt abgeſtorben, nun iſt ſein ganzes Leben ein ununterbroche¬188 nes[Andenken] an ſie, ein immerwährendes Opfer, das er der Schönſten bringt. Ja, ſeine Andacht vermiſcht ſich mit ſeiner Liebe, ſeine Liebe iſt ſeine Religion, und ſein Herz bleibt rein und geläutert. Sie ſtrahlt ihm wie Morgenſonne in ſein Gedächtniß, kein gewöhnliches Leben hat ihr Bild ent¬ weiht, und ſo iſt ſie ihm Madonna, Ge¬ fährtin und Lehrerin im Gebet. O, mein Freund, in manchen Stunden möchte ich mich ſo, wie er, der Einſamkeit ergeben, und von Vergangenheit und Zukunft Ab¬ ſchied nehmen. Wie wohl würde mir das Rauſchen des Waldes thun, die Wieder¬ kehr der gleichförmigen Tage, der ununter¬ brochene leiſe Fluß der Zeit, der mich ſo un¬ vermerkt in's Alter hineintrüge, jedes Rau¬ ſchen ein andächtiger Gedanke, ein Lobge¬ ſang. Müſſen wir uns denn nicht doch einſt von allem irrdiſchen Glücke trennen? Was189 iſt dann Reichthum und Liebe und Kunſt? Die edelſten Geiſter haben müſſen Abſchied nehmen, warum ſollen es die ſchwächern nicht ſchon früher thun, um ſich einzu¬ lernen?

Floreſtan verwunderte ſich über ſeinen Freund, doch bezwang er diesmal ſeinen Muthwillen, und antwortete mit keinem Scherze, weil Franz zu ernſtlich geſprochen hatte. Er vermuthete im Herzen Stern¬ balds einen geheimen Kummer, er gab ihn daher ſchweigend die Hand, und Arm in Arm gingen ſie herzlich zur Hütte des ar¬ men Klausners zurück.

Der Ritter ſtand angekleidet vor der Thür. Die Röthe war auf ſeine Wangen zurückgekommen und ſein Geſicht glänzte im Sonnenſchein, ſeine Augen funkelten freund¬ lich, er war ein ſchöner Mann. Der Pil¬ grim und der Einſiedler hatten ſich zu einer190 Andachtsübung vereinigt, und ſaßen in tief¬ ſinnigen Gebeten im kleinen Hauſe.

Die drei ſetzten ſich im Graſe nieder, und Rudolf faßte die Hand des Fremden und ſagte mit lachendem Geſicht: Herr Rit¬ ter, Ihr dürft es mir wahrlich nicht verar¬ gen, wenn ich nun meine Neugier nicht mehr bezähmen kann, Ihr ſeyd überdies auch ziemlich wieder hergeſtellt, ſo daß Ihr wohl die Mühe des Erzählens über Euch nehmen könnt. Ich und mein Freund haben Euer Bildniß in dem Schloſſe einer ſchönen Dame angetroffen, ſie hat uns vertraut, wie ſie mit Euch verbunden iſt, Ihr könnt kein andrer ſeyn, Ihr dürft alſo gegen uns nicht weiter rückhalten.

Ich will es auch nicht, ſagte der junge Ritter, ſchon neulich, als ich Euch ſah, fa߬ te ich ein recht herzliches Vertrauen zu Euch und Eurem Freunde Sternbald, daher will191 ich Euch recht gern erzählen, was ich ſelber von mir weiß, denn noch nie habe ich mich in ſolcher Verwirrung befunden. Ich be¬ dinge es mir aber aus, daß Ihr Niemand von dem etwas ſagt, was ich jetzt erzählen werde; Ihr dürft darum keine ſeltſame Ge¬ heimniſſe erwarten, ſondern ich bitte Euch bloß darum, weil ich nicht weiß, in welche Verlegenheiten mich etwa künftig Euer Man¬ gel an Verſchwiegenheit ſetzen dürfte.

Wißt alſo, daß ich kein Deutſcher bin, ſondern ich bin aus einer edlen italieniſchen Familie entſproſſen, mein Name iſt Rode rigo. Meine Eltern gaben mir eine ſehr freie Erziehung, mein Vater, der mich über¬ mäßig liebte, ſah mir in allen Wildheiten nach, und als ich daher älter wurde und er mit ſeinem guten Rathe nachkommen wollte, war es natürlich, daß ich auf ſeine Worte gar nicht achtete. Seine Liebe zu mir er¬192 laubte ihm aber nicht, zu ſtrengern Mitteln als gelinden Verweiſen ſeine Zuflucht zu nehmen, und darüber wurde ich mit jedem Tage wilder und ausgelaſſener. Er konnte es nicht verbergen, daß er über meine un¬ beſonnenen Streiche mehr Vergnügen und Zufriedenheit als Kummer empfand, und das machte mich in meinem ſeltſamen Le¬ benslaufe nur deſto ſicherer. Er war ſelbſt in ſeiner Jugend ein wilder Burſche gewe¬ ſen, und dadurch hatte er eine Vorliebe für ſolche Lebensweiſe behalten, ja er ſah in mir nur ſeine Jugend glänzend wieder auf¬ leben.

Was mich aber mehr als alles übrige beſtimmte und begeiſterte, war ein junger Menſch von meinem Alter, der ſich Ludo¬ viko nannte, und bald mein vertrauteſter Freund wurde. Wir waren unzertrennlich, wir ſtreiften in Romanien, Calabrien undOber¬193Oberitalien umher, denn die Reiſeſucht, das Verlangen, fremde Gegenden zu ſehn, das in uns beiden faſt gleich ſtark war, hatte uns zuerſt an einander geknüpft. Ich habe nie wieder einen ſo wunderbaren Menſchen geſehn, als dieſen Lodoviko, ja ich kann wohl ſagen, daß mir ein ſolcher Charakter auch vorher in der Imagination nicht als möglich vorgekommen war. Immer eben ſo heiter als unbeſonnen, auch in der verdrie߬ lichſten Lage fröhlich und voll Muth: jede Gelegenheit ergriff er, die ihn in Verwir¬ rung bringen konnte, und ſeine größte Freude beſtand darin, mich in Noth oder Gefahr zu verwickeln, und mich nachher ſtecken zu laſ¬ ſen. Dabei war er ſo unbeſchreiblich gutmü¬ thig, daß ich niemals auf ihn zürnen konnte. So vertraut wir mit einander waren, hat er mir doch niemals entdeckt, wer er eigent¬ lich ſey, welcher Familie er angehöre, ſo oft(2r Th.) N194ich ihn darum fragte, wies er mich mit der Antwort zurück: daß mir dergleichen völlig gleichgültig bleiben müſſe, wenn ich ſein wirklicher Freund ſey. Oft verließ er mich wieder auf einige Wochen, und ſchwärmte für ſich allein umher, dann erzählten wir uns unſre Abentheuer, wenn wir uns wie¬ derfanden.

So giebt es doch noch ſo vernünftige Menſchen in der Welt! rief Rudolf heftig aus, wahrlich, das macht mir ganz neue Luſt, in meinem Leben auf meine Art weiter zu leben! O, wie freut es mich, daß ich Euch habe kennen lernen, fahrt um Gottes Willen in Eurer vortrefflichen Erzählung fort!

Der Ritter lächelte über dieſe Unterbre¬ chung, und fuhr mit folgenden Worten fort: Es war faſt kein Stand, keine Verkleidung zu erdenken, in der wir nicht das Land195 durchſtreift hätten, als Bauern, als Bett¬ ler, als Künſtler, oder wieder als Grafen zogen wir umher, als Spielleute muſicirten wir auf Hochzeiten und Jahrmärkten, ja der muthwillige Lodoviko verſchmähte es nicht, zuweilen als eine artige Zigeunerin herumzuwandern, und den Leuten, beſonders den hübſchen Mädchen, ihr Glück zu ver¬ kündigen. Von den lächerlichen Drangſalen, die wir oft überſtehen mußten, ſo wie von den verliebten Abentheuern, die uns ergötz¬ ten, laßt mich ſchweigen, denn ich würde Euch in der That ermüden.

Gewiß nicht, ſagte Rudolf, aber macht es, wie es Euch gefällt, denn ich glaube ſelbſt, Ihr würdet über die Mannigfaltig¬ keit Eurer Erzählungen müde werden.

Vielleicht, ſagte der Ritter. Von mei¬ nem Freunde glaubte ich heimlich, daß er ſeinen Eltern entlaufen ſey, und ſich nunN 2196auf gut Glück in der Welt herumtreibe. Aber dann konnte ich wieder nicht begreifen, daß es ihm faſt niemals an Gelde fehle, mit dem er verſchwenderiſch und unbeſchreib¬ lich großmüthig umging. Faſt ſo oft er mich verließ, kam er mit einer reichen Börſe zu¬ rück. Unſre größte Aufmerkſamkeit war auf die ſchönen Mädchen aus allen Ständen ge¬ richtet; in kurzer Zeit war unſre Bekannt¬ ſchaft unter dieſen außerordentlich ausgebrei¬ tet, wo wir uns aufhielten, wurden wir von den Eltern ungern geſehn, nicht ſelten wur¬ den wir verfolgt, oft entgingen wir nur mit genauer Noth der Rache der beleidigten Liebhaber, den Nachſtellungen der Mädchen, wenn wir ſie einer neuen Schönheit aufop¬ ferten. Aber dieſe Gefährlichkeiten waren eben die Würze unſres Lebens, wir vermie¬ den mit gutem Willen keine.

Die Reiſeluſt ergriff meinen Freund oft197 auf eine ſo gewaltſame Weiſe, daß er we¬ der auf die Vernunft, noch ſelber auf meine Einwürfe hörte, der ich doch Thor gern ge¬ nug war. Nachdem wir Italien genug zu kennen glaubten, wollte er plötzlich nach Afrika überſetzen. Die See war von den Corſaren ſo beunruhigt, daß kein Schiff gern überfuhr, aber er lachte, als ich ihm davon erzählte, er zwang mich beinahe, ſein Begleiter zu ſeyn, und wir ſchifften mit glücklichem Winde fort. Er ſtand auf dem Verdecke und ſang verliebte Lieder, alle Ma¬ troſen waren ihm gut, jedermann drängte ſich zu ihm, die afrikaniſche Küſte lag ſchon vor uns. Plötzlich entdeckten wir ein Schiff, das auf uns zuſeegelte, es waren Seeräu¬ ber. Nach einem hartnäckigen Gefechte, in welchem mein Freund Wunder der Tapfer¬ keit that, wurden wir erobert und gefangen fortgeführt. Lodoviko verlor ſeine Munter¬198 keit nicht, er verſpottete meinen Kleinmuth, und die Corſaren betheuerten, daß ſie noch nie einen ſo tollkühnen Wagehals geſehen hätten. Was ſoll mir das Leben? ſagte er dagegen in ihrer Sprache, die wir beide ge¬ lernt hatten, heute iſt es da, morgen wieder fort; jedermann ſey froh, ſo hat er ſeine Pflicht gethan, keiner weiß, was morgen iſt, keiner hat das Angeſicht der zukünftigen Stunde geſehn. Spotte über die Falten, über das Zürnen, das uns Saturn oft im Vorüberfliegen vorhält, der Alte wird ſchon wieder gut, er iſt wacker, und lächelt end¬ lich über ſeine eigne Verſpottung, er bittet Euch, wie Alte Kindern thun, nachher ſeine Unfreundlichkeit ab. Heute mir, morgen Dir: wer Glück liebt, muß auch ſein Un¬ glück willkommen heißen. Das ganze Leben iſt nicht der Sorge werth.

So ſtand er mit ſeinen Ketten unter199 ihnen, und wahrlich! ich vergaß über ſeinen Heldenmuth mein eignes Elend. Wir wurden an's Land geſetzt und als Sklaven verkauft: noch als wir getrennt wurden, nickte Lodoviko mir ein freundliches Lebe¬ wohl zu.

Wir arbeiteten in zwei benachbarten Gärten, ich verlor in meiner Dürftigkeit, in dieſer Unterjochung allen Muth, aber ich hörte ihn aus der Ferne ſeine gewöhnlichen Lieder ſingen, und wenn ich ihn einmal ſah, war er ſo freundlich und vergnügt, wie im¬ mer. Er that gar nicht, als wäre etwas Beſondres vorgefallen. Ich konnte innerlich über ſeinen Leichtſinn recht von Herzen böſe ſeyn, und wenn ich dann wieder ſein lächeln¬ des Geſicht vor mir ſah, war aller Zorn ver¬ ſchwunden, alles vergeſſen.

Nach acht Wochen ſteckte er mir ein Briefchen zu, er hatte andre Chriſtenſklaven200 auf ſeine Seite gebracht, ſie wollten ſich ei¬ nes Fahrzeugs bemächtigen und darauf ent¬ fliehen: er meldete mir, daß er mich mit¬ nehmen wolle, wenn dieſer Vorſatz gleich ſeine Flucht um vieles erſchwere; ich ſolle den Muth nicht verlieren.

Ich verließ mich auf ſein gutes Glück, daß uns der Vorſatz gelingen werde. Wir kamen in einer Nacht am Ufer der See zu¬ ſammen, wir bemächtigten uns des kleinen Schiffs, der Wind war uns anfangs gün¬ ſtig. Wir waren ſchon tief in's Meer hin¬ ein, wir glaubten uns bald der italieniſchen Küſte zu nähern, als ſich mit dem Anbruche des Morgens ein Sturm erhob, der immer ſtärker wurde. Ich rieth, an's nächſte Land zurückzufahren, und uns dort zu verbergen, bis ſich der Sturm gelegt hätte, aber mein Freund war andrer Meinung, er glaubte, wir könnten dann von unſern Feinden ent¬201 deckt werden, er ſchlug vor, daß wir auf der See bleiben, und uns lieber der Gnade des Sturms überlaſſen ſollten. Seine Überredung drang durch, wir zogen alle See¬ gel ein, und ſuchten uns ſo viel als möglich zu erhalten, denn wir konnten überzeugt ſeyn, daß bei dieſem Ungewitter uns Nie¬ mand verfolgen würde. Der Wind drehte ſich, Sturm und Donner nahmen zu, das empörte Meer warf uns bald bis in die Wolken, bald verſchlang uns der Abgrund. Alle verließ der Muth, ich brach in Klagen aus, in Vorwürfe gegen meinen Freund. Lodoviko, der bis dahin unabläſſig gearbei¬ tet und mit allen Elementen gerungen hatte, wurde nun zum erſtenmale in ſeinem Leben zornig, er ergriff mich und warf mich im Schiffe zu Boden. Biſt Du, Elender, rief er aus mein Freund, und unterſtehſt Dich zu klagen, wie die Sklaven dort? Rode¬202 rigo, ſey munter und fröhlich, das rath 'ich Dir, wenn ich Dir gewogen bleiben ſoll, denn wir können in's Teufels Namen nicht mehr als ſterben! Und unter dieſen Wor¬ ten ſetzte er mir mit derben Fauſtſchlägen dermaßen zu, daß ich bald alle Beſinnung verlor, und den Donner, die See und den Sturm nicht mehr vernahm.

Als ich wieder zu mir kam, ſah ich Land vor mir, der Sturm hatte ſich gelegt, ich lag in den Armen meines Freundes. Ver¬ gieb mir, ſagte er leutſelig, wir ſind geret¬ tet, dort iſt Italien, Du hätteſt den Muth nicht verlieren ſollen. Ich gab ihm die Hand, und nahm mir im Herzen vor, den Menſchen künftig zu vermeiden, der meinem Glücke und Leben gleichſam auf alle Weiſe nachſtellte; aber ich hatte meinen Vorſatz ſchon vergeſſen, noch ehe wir an's Land ge¬ ſtiegen waren, denn ich ſah ein, daß er mein eigentliches Glück ſey.

203

Rudolf, der mit der geſpannteſten Auf¬ merkſamkeit zugehört hatte, konnte ſich nun nicht länger halten, er ſprang heftig auf, und rief: Nun, bei allen Heiligen, Euer Freund iſt ein wahrer Teufelskerl! Wie lumpig iſt alles, was ich erlebt habe, und worauf ich mir wohl manchmal etwas zu Gute that, gegen dieſen Menſchen! Ich muß ihn kennen lernen, wahrhaftig, und ſollte ich nach dieſer Seltenheit bis an's Ende der Welt laufen!

Wenn er nur noch lebt, antwortete Ro¬ derigo, denn nun iſt es ſchon länger als ein Jahr, daß ich ihn nicht geſehen habe. Ich habe Euch dieſen Vorfall nur darum weit¬ läuftiger erzählt, um Euch einigermaßen ei¬ nen Begriff von ſeinem Charakter zu geben. Meine Eltern prieſen ſich glücklich, als ſie mich wiederſahen, aber Lodoviko hatte mich bald wieder in neue Abentheuer verwickelt. 204Ich wollte die Schweiz und Deutſchland be¬ ſuchen, er wollte ohne meine Geſellſchaft eine andre Reiſe unternehmen, es war nichts ge¬ ringeres, als daß er nach Aegypten gehen wollte, die ſeltſamen uralten Pyramiden, das wunderbare rothe Meer, die Sandwü¬ ſten mit ihren Sphinxen, der fruchtbare Nil, dieſe Gegenſtände, von denen man ſchon in der Kindheit ſo viel hört, waren es, die ihn dorthin riefen. Unſer Abſchied war überaus zärtlich, er verſprach mir, in einem Jahre nach Italien zurückzukommen; ich nahm auf eben ſo lange von meinen Eltern Urlaub, und trat meine Reiſe nach Deutſchland an.

Ich fühlte mich ohne meinen Gefährten recht einſam und verlaſſen, der Muth wollte ſich anfangs gar nicht einſtellen, der mich ſonſt aufrecht gehalten hatte. Die hohen Gebirge der Schweiz und in Tyrol, die furchtbare Majeſtät der Natur, alles ſtimmte205 mich auf lange Zeit traurig, ich bereute es oft, ihm nicht wider ſeinen Willen gefolgt zu ſeyn und an ſeinem Wahnſinne Theil zu nehmen. Einigemal war ich im Begriff, zu meiner Familie zurückzukehren, aber die Sucht, ein fernes Land, fremde Menſchen zu ſehn, trieb mich wieder vorwärts, auch die Schaam, einer Lebensart untreu zu wer¬ den, die bis dahin mein höchſtes Glück aus¬ gemacht hatte. Ich will Euch die einzelnen Vorfälle verſchweigen, und mich zu der Be¬ gebenheit wenden, die Urſache iſt, daß Ihr mich hier angetroffen.

Nach manchen luſtigen Abentheuern, nach manchen angenehmen Bekanntſchaf¬ ten langte ich in der Gegend des Schloſſes an, wo Ihr gekannt ſeyd. Ich ſaß auf ei¬ ner Anhöhe und überdachte die Mannigfal¬ tigkeiten meines Lebenslaufs, als eine fröh¬ liche Jagdmuſik mich aufmerkſam machte. 206Ein Zug von Jägern kam näher, in ihrer Mitte eine ſchöne Dame, die einen Falken auf der Hand trug; die Einſamkeit, ihr ſchimmernder Anzug, alles trug dazu bei, ſie ungemein reizend darzuſtellen. Meine Sinne waren gefangen genommen, ich konn¬ te die Augen nicht von ihr abwenden: alle Schönheiten, die ich ſonſt geſehn hatte, ſchienen mir gegen dieſe alltäglich, es war nicht dieſer und jener Zug, der mich an ihr entzückte, nicht der Wuchs, nicht die Farbe der Wan¬ gen oder der Blick der Augen, ſondern auf geheimnißvolle Weiſe alles dies zuſammen. Es war ein Gefühl in meinem Buſen, das ich bis dahin noch nicht empfunden hatte, es durchdrang mich ganz, nur ſie allein ſah ich in der weiten Welt, jenſeit ihres Beſiz¬ zes lag kein Wunſch mehr in der Welt.

Ich ſuchte ihre Bekanntſchaft, ich ver¬ ſchwieg ihr meinen Namen. Ich fand ſie207 meinen Wünſchen geneigt, ich war auf dem höchſten Gipfel meiner Seligkeit. Wie arm kam mir mein Leben bis dahin vor, wie entſagte ich allen meinen Schwärmereien! Der Tag unſrer Hochzeit war feſtgeſetzt.

O, meine Freunde, ich kann Euch nicht beſchreiben, ich kann ſie ſelber nicht begrei¬ fen, die wunderbare Veränderung, die nun mit mir vorging! Ich ſah ein beſtimmtes Glück vor mir liegen, aber ich war an die¬ ſem Glücke feſtgeſchmiedet: wie wenn ich in Meeresſtille vor Anker läge, und nun ſähe, wie Maſt und Seegel vom Schiffe herunter¬ geſchlagen würden, um mich hier, nur hier ewig feſtzuhalten.

O, ſüße Reiſeluſt! ſagte ich zu mir ſel¬ ber, geheimnißreiche Ferne, ich werde nun von Euch Abſchied nehmen und eine Hei¬ math dafür beſitzen! Lockt mich nicht mehr weit weg, denn alle Eure Töne ſind vergeb¬208 lich, ihr ziehenden Vögel, du Schwalbe mit deinen lieblichen Geſängen, du Lerche mit deinen Reiſeliedern! Keine Städte, keine Dörfer werden mir mehr mit ihren glänzenden Fenſtern entgegenblicken, und ich werde nun nicht mehr denken: Welche weib¬ liche Geſtalt ſteht dort hinter den Vorhän¬ gen, und ſieht mir den Berg herauf entge¬ gen? Bei keinem fremden liebreizenden Ge¬ ſichte darf mir nun mehr einfallen: Wir werden bekannter mit einander werden, die¬ ſer Buſen wird vielleicht am meinigen ruhn, dieſe Lippen werden mit meinen Küſſen ver¬ traut ſeyn.

Mein Gemüth ward hin - und zurück¬ gezogen, häusliche Heimath, räthſelhafte Fremde; ich ſtand in der Mitte, und wußte nicht, wohin. Ich wünſchte, die Gräfin möchte mich weniger lieben, ein Anderer möchte mich aus ihrer Gunſt verdrängen,dann209dann hätte ich ſie zürnend und verzweifelt verlaſſen, um wieder umherzuſtreifen, und in den Bergen, im Thalſchatten, den friſchen, lebendigen Geiſt wiederzuſuchen, der mich ver¬ laſſen hatte. Aber ſie hing an mir mit al¬ lem Feuer der erſten Liebe, ſie zählte die Minuten, die ich nicht bei ihr zugebracht: ſie haderte mit meiner Kälte. Noch nie war ich ſo geliebt, und die Fülle meines Glücks übertäubte mich. Sehnſüchtig ſah ich jedem Wandersmann nach, der auf der Landſtraße vorüberzog; wie wohl iſt Dir, ſagte ich, daß Du Dein ungewiſſes Glück noch ſuchſt! ich habe es gefunden!

Ich ritt aus, um mich zu ſammeln. Ich hielt mir in der Einſamkeit meinen Undank vor. Was willſt Du in der Welt als Liebe? ſo redete ich mich ſelber an; ſiehe, ſie iſt Dir geworden, ſey zufrieden, begnüge Dich, Du kannſt nicht mehr erobern: was Du in ein¬(2r Th.) O210ſamen Abenden mit aller Sehnſucht des Herzens erwünſchteſt, wonach Du in Wäl¬ dern jagteſt, was die Bergſtröme Dir entge¬ genſangen, dies unnennbare Glück iſt Dir geworden, iſt wirklich Dein, die Seele, die Du weit umher geſucht, iſt Dir entgegen gekommen.

Wie kam es, daß die Dörfer mit ihren kleinen Häuſern ſo ſeltſamlich vor mir la¬ gen? daß mir jede Heimath zu enge und beſchränkt dünkte? Das Abendroth ſchien in die Welt hinein, da ritt ich vor einem nie¬ drigen Bauernhauſe vorbei, auf dem Hofe ſtand ein Brunnen, davor war ein Mägd¬ lein, das ſich bückte, den ſchweren gefüllten Eimer heraufzuziehen. Sie ſah zu mir her¬ auf, indem ich ſtillhielt, der Abendſchein lag auf ihren Wangen, ein knappes Mieder ſchloß ſich traulich um den ſchönen vollen Buſen, deſſen genaue Umriſſe ſich nicht ver¬211 bergen ließen. Wer iſt ſie? ſagte ich zu mir, warum hat ſie Dich betrachtet? Ich grüßte, ſie dankte und lächelte. Ich ritt fort, und rettete mich in die Dämmerung des Waldes hinein: mein Herz klopfte, als wenn ich dem Tode entgegen ginge, als mir die Lichter aus dem Schloſſe entgegenglänzten. Sie wartet auf Dich, ſagte ich zu mir, freundlich hat ſie das Abendeſſen bereitet, ſie ſorgt, daß Du müde biſt, ſie trocknet Dir die Stirn. Nein, ich liebe ſie, rief ich aus, wie ſie mich liebt.

In der Nacht tönte der Lauf der Berg¬ quellen in mein Ohr, die Winde rauſchten durch die Bäume, der Mond ſtieg herauf und ging wieder unter: alles, die ganze Natur in freier, willkührlicher Bewegung, nur ich war gefeſſelt. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich wieder durch das Dorf ritt, es traf ſich, daß das Mädchen wieder am Brunnen ſtand: ich war meinerO 2212nicht mehr mächtig. Ich ſtieg vom Pferde, ſie war ganz allein, ſie antwortete ſo freund¬ lich auf alle meine Fragen, ich war in mei¬ nem Leben zum erſtenmal mit einem Weibe verlegen, ich machte mir Vorwürfe, ich wußte nicht, was ich ſprach. Neben der Thür des Hauſes war eine dichte Laube, wir ſetzten uns nieder; die ſchönſten blauen Augen ſa¬ hen mich an, ich konnte den friſchen Lippen nicht widerſtehen, die zum Kuß einluden, ſie war nicht ſtrenge gegen mich, ich vergaß die Stunde. Nachdenkend ritt ich zurück, ich wußte nun beſtimmt, daß ich in dieſer Einſchränkung, in der Ehe mit der ſchönen Gräfin nicht glücklich ſeyn würde. Ich hatte es ſonſt oft belacht, daß man mit dem ge¬ wechſelten Ringe die Freiheit fortſchenkte, jetzt erſt verſtand ich den Sinn dieſer Re¬ densart. Ich vermied die Gräfin, ihre Schönheit lockte mich wieder an, ich ver¬213 achtete mich, daß ich zu keinem Entſchluſſe kommen konnte. Der Hochzeitstag war in¬ deß ganz nahe herangerückt, meine Braut machte alle Anſtalten, ich hörte immer ſchon von den künftigen Einrichtungen ſprechen; mein Herz ſchlug mir bei jedem Worte.

Man erzählt, daß man vor dem letzten Unglück des Markus Antonius wunderbare Töne wie von Inſtrumenten gehört habe, wodurch ſein Schutzgott Herkules von ihm Ab¬ ſchied genommen: ſo hört ich in jedem Lerchen¬ geſange, in jedem Klang einer Trompete, jegli¬ chen Inſtruments das Glück, das mir ſeinen Ab¬ ſchied wehmüthig zurief. Immer lag mir die gründämmernde Laube im Sinne, das blaue Auge, der volle Buſen. Ich war entſchloſſen. Nein, Lodoviko, rief ich aus, ich will Dir nicht untreu werden. Du ſollſt mich nicht als Sklav wiederfinden, nachdem Du mich von der erſten Kette losgemacht haſt. Soll ich ein Ehemann werden, weil ich liebte? Seltſame Folge!

214

Ich nahm Abſchied von ihr, ich ver¬ ſteckte mich in die Kleidung eines Mönchs, ſo ſtreifte ich umher, und ſo traf ich auf je¬ nen Bildhauer Bolz, der eben aus Italien zurückkam.

Ich glaubte in ihm einige Züge von meinem Freunde anzutreffen, und entdeckte ihm meine ſeltſame Leidenſchaft. Er ward mein Begleiter. Wie genau lernte ich nun Laube, Haus und Garten meiner Geliebten kennen! Wie oft ſaßen wir da in den Nacht¬ ſtunden Arm in Arm geſchlungen, indem uns der Vollmond in's Geſicht ſchien! In der Kleidung eines gemeinen Bauern machte ich auch mit den Eltern Bekanntſchaft, und ſchmeckte nun nach langer Zeit wieder die Süßigkeiten meiner ſonſtigen Lebensweiſe.

Dann brach ich plötzlich wieder auf; nicht weit von hier wohnt ein ſchönes Mäd¬ chen, die die Eltern dem Kloſter beſtimmt215 haben, ſie beweint ihr Schickſal. Ich war bereit, ſie in dieſer Nacht zu entführen; ich vertraute dem Gefährten meinen Plan, die¬ ſer Tückiſche, der ſie anbetet, lockt mich hier¬ her in den dichten Wald, und verſetzt mir heimlich dieſe Wunde. Darauf verließ er mich ſchnell. Seht, das iſt meine Geſchichte.

Unaufhörlich ſchwebt das Bild der Grä¬ fin nun vor meinen Augen. Soll ich ſie laſſen? kann ich ſie wiederfinden? ſoll ich einem Weſen mein ganzes Leben opfern?

Franz ſagte: Eure Geſchichte iſt ſelt¬ ſam, die Liebe heilt Euch vielleicht einmal, daß Ihr Euch in der Beſchränkung durch¬ aus glücklich fühlt, denn noch habt Ihr die Liebe nicht gekannt.

Du biſt zu voreilig, mein Freund, ſagte Floreſtan, nicht alle Menſchen ſind wie Du, und genau genommen, weißt Du auch noch nicht einmal, wie Du beſchaffen biſt.

216

Der Einſiedler kam, um nach der Wunde des Ritters zu ſehn, die ſich ſehr gebeſſert hatte. Rudolf nahm ſeine Schreibtafel und ſchrieb etwas hinein, Franz ging ſinnend im Walde hin und her.

Nach einer halben Stunde ſuchte Flore¬ ſtan ſeinen Freund, und las ihm folgendes Gedicht vor, das Sternbald ſehr bewegte.

Das Kind.

Ach! wie ſchön die Welt!
Ruht der freundliche Glanz auf den grünen Bergen,
Winkt mir der goldne Strahl durch die Bäume,
Durch den dichten Wald.
Welch 'ein ſchönes Land mag hinter den Bergen an¬
fangen,
Hör' ich wie bunte Hähne von dorther krähen,
Hör 'ich Hündchen bellen, mich locken,
Aber ich darf nicht folgen.
Über Wieſen kommen mir vielleicht mit vielen
Blumen
Schöne Kinder entgegen,
217
Goldne Haare hängen über die Stirne,
Herrliches, wunderbares Spielzeug halten ſie in den
kleinen Händen,
Alles wollen ſie mir gern und freundlich geben.
Meine Lippen würden ſie küſſen,
Gingen dann mit einander
Über die bunte, blumenglänzende Wieſe.
Ach! und einſam muß ich nun hier ſtehn,
Die Kinder, die ich kenne, gefallen mir nicht,
Sie ſpielen mit mir und ich muß weinen
Daß ich die Herrlichkeiten in der Ferne nicht ſuchen
darf.
O, wär 'ich groß und ſtark, und dürfte der Vater
Nicht mehr ſchelten, die Mutter nicht mehr ſorgen,
Wie wollt' ich eilen hinein in die Welt, und alles
ſuchen,
Was ich mir wünſche.

Der Jüngling.

Raſtlos irrt 'ich hin und her
Durch die Länder, über's Meer,
Weiter drängte mich der Muth,
Suchte unbekanntes Gut,
218
Immer weiter lockten die Sterne,
Zimmer ferner die zauberiſche Ferne,
Suchte immer in Meer und Land
Was mir gebrach, was ich doch nicht fand.
Schmachtend kam ich ſtets zurück,
Nirgend auf weiter Erde mein Glück.
O Thor, und haſt es nicht gefunden,
Wonach alle Sehnſucht rang,
Dem Dein Herz entgegen drang
In den bitterſüßen Stunden?
Zu ihr, zu ihr mein Herz geriſſen
Entgegen ihren Wonneküſſen!
Dieſe Trauer beengte die Bruſt,
Vergällte jede Lebensluſt,
Daß keiner dies mein Herz verſtand,
Jedweder Sinn mir abgewandt;
Das trieb mich her, das trieb mich hin,
Und nirgend war mein Leben mir Gewinn.
Die Schweſterſeele mein Geiſt gefunden,
Und Seele mit Seele feſt verbunden,
Das halbe Wort, der Blick, der Ton,
Mir mehr als Rede verſtändlich ſchon:
Seh 'ich des Auges Holdſeligkeit,
Ihr Geiſt den ſüßen Gruß mir brut,
219
Die Lippe nicht allein, die küßt,
Im Küſſen ein Geiſt im andern iſt,
Himmelsothem umweht mich mit Engelsſchwingen,
Alle Pulſe Wonn 'und Entzücken klingen.
Keine Sehnſucht weckt des Waldes Ton,
Blickt mich an der holde Augenſtern,
Fliegt mein Geiſt nach Strömen nicht davon,
Lockt mich keine zauberreiche Fern,
Bleibe in der Heimath gern.

Der Mann.

Irrte der Menſch in der ſchönſten Zeit des Le¬
bens nicht raſtlos
über Klippen und Fels, glücklich wäre der Menſch,
Aber er ſucht in Bergen, im Thal das befreundete
Weſen,
Jenes bleibt ihm fremd, er nur ſich ſelber getreu,
Könnte Vernunft durch's Leben den raſchen Jüng¬
ling geleiten,
Daß er das Leben nicht ſelbſt wie ein Verſchwender
verlör ',
Suchend, was niemals noch vor ihm ein Einz'ger
gefunden,
Daß er doch glaubte, was ihn Mutter Erfahrung
belehrt.
220
Lernte zum Nutzen für ſich und andre die Kräfte
beherrſchen,
Die zur Zerſtörung nur leider die Jugend gebraucht.
Hoben Muth und Geiſterkraft empfind 'ich im Innern,
Aber noch iſt nichts Würdiges durch mich geſchehn,
Doch, zu Thalen ſoll mich die ſchönſte Hoffnung be¬
geiſtern,
Alles, was ich bin, Wohlthat für jeglichen ſey,
Heiter ſeh' ich dann am Abend in's Leben zurücke,
Mich beruhigt es dann, daß ich gewirkt und genützt,
Daß ich gethan, ſo viel das Geſchick mir immer er¬
laubte
Und von meinem Platz niemals den Beſſern ver¬
drängt.

Der Greis.

Von der langen Lebensreiſe müde,
Bin ich an des Todes Thor gekommen,
Sitze da und ſchau auf meinen Weg.
Viele mühevolle Schritte, wie vergeblich,
Aber mich gereut nicht einer.
Unerfüllt dem Jüngling des Kindes Sehnſucht,
Ward die Hoffnung des Manne betrogen,
Aber ich traute nicht darob.
221
Hier im Baumſchatten ruhend ſchau ich
Wohlgemuth nach meinen gepflanzten Blumen,
Die mit ſüßen Düften mich erquicken;
Denke bei den kleinen Blumen jeder Gegend,
Die ich ſonſt wohl ſah, die mir jetzt fern liegt,
Aber nun lockt mich die Ferne nicht mehr.
Raſche Jünglinge nennen meine Blumenſorge
Spiel des Alters, was gewinnen ſie mit
Ihrer ſtürmenden Kraft?
Dieſe Blumen wachſen, blühn und duften,
Alle meine Wünſche ſind erfüllt.
In des Lebens harten Felſen ſtecken ſie
Ach! manche Hoffnung und wünſchen ihr Gedeihn,
Wie ſelten, daß der Saame grün emporſchießt,
Wie ſeltner, daß er Blüthen trägt!
Um mich ſammeln ſich die Kinder
Und es freut mich, Spielwerk für ſie zu ſchnitzen,
Dann ſeh 'ich den ernſten Mann wohl lächeln,
Der den Geſchäften ſein Leben weiht.
Nennt mein Beginnen kindiſch, und weiß nicht
Daß er mit unzufried'nen Kindern nur zu thun hat,
Denen er das Spielzeug nimmer recht macht,
222
Thöricht iſt es, auf - und abzutreiben,
Der Seele Heimath hier auf Erden ſuchend,
Sie kann auf dieſer Erde nirgend ſeyn.
Auf meinen Blumen zittert das Abendroth
Und verſinkt dann hinter Bergen.
O, daß ich ſo in die kühle grüne Erde ſänke,
Dann ſuchte die freie Seele durch den Luftraum
Die ſchön're Heimath unter den Geſtirnen,
Dann fänd 'ich den geliebten Bruder,
Den ich vergeblich mit Schmerzen hier geſucht,
Dann träf' ich die wirkende Kraft und Dauer,
Da ich mich hier in vergeblicher Arbeit abgequält.

Franz Sternbald ſuchte den Ritter wie¬ der auf, nachdem Floreſtan ihn verlaſſen hatte, und ſagte: Ihr ſeyd vorher gegen meinen Freund ſo willfährig geweſen, daß Ihr mich dreiſt gemacht habt, Euch um die Geſchichte jenes alten Mannes zu bitten, deſſen Ihr an dem Morgen erwähntet, als wir uns hinter Straßburg trafen.

223

So viel ich mich erinnern kann, ſagte der Ritter, will ich Euch erzählen. Auf einer meiner einſamen Wanderungen kam ich in ein Gehölz, das mich bald zu zwei einſamen Felſen führte, die ſich wie zwei Thore gegenüberſtanden. Ich bewunderte die ſeltſame Symmetrie der Natur, als ich auf einen ſchönen Baumgang aufmerkſam wurde, der ſich hinter den Felſen eröffnete. Ich ging hindurch, und fand einen weiten Platz, durch den die Allee von Bäumen gezogen war, ein ſchöner heller Bach floß auf der Seite, Nachtigallen ſangen, und eine ſchöne Ruhe lud mich ein, mich nieder¬ zuſetzen und auf das Plätſchern einer Fon¬ taine zu hören, die aus dichtem Gebüſche herausplauderte.

Ich ſaß eine Weile, als mich der lieb¬ liche Ton einer Harfe aufmerkſam machte, und als ich mich umſah, ward ich die Büſte224 Arioſt's gewahr, die über einem kleinen Al¬ tar erhaben ſtand, unter dieſer ſpielte ein ſchöner Jüngling auf dem Inſtrumente.

Hier wurde die Erzählung des Ritters durch einen ſonderbaren Vorfall unterbrochen.

Zweites
[225]

Zweites Buch.

(2r Th.) P[226][227]

Erſtes Kapitel.

In der Klauſe entſtand ein Geräuſch und Gezänk, gleich darauf ſah man den Eremi¬ ten und Pilgrim beide erhitzt heraustreten, aus dem Walde kam ein großer anſehnli¬ cher Mann, auf den Roderigo ſogleich hin¬ zueilte, und ihn in ſeine Arme ſchloß. O, mein Ludoviko! rief er aus, biſt Du wieder da? Wie kömmſt Du hierher? geht es Dir wohl? biſt Du noch wie ſonſt mein Freund?

Jener konnte vor dem Entzücken Rode¬ rigo's immer noch nicht zu Worte kommen, indeſſen die heiligen Männer in ihrem eifri¬ gen Gezänk fortfuhren. Da Floreſtan den Namen Ludoviko nennen hörte, verließ er auch Sternbald, und eilte zu den beiden,P 2228indem er aufrief: Gott ſey gedankt, wenn Ihr Ludoviko ſeyd! Ihr ſeyd uns hier in der Einſamkeit unausſprechlich willkommen!

Ludoviko umarmte ſeinen Freund, in¬ dem Sternbald voller Erſtaunen verlaſſen da ſtand, dann ſagte er luſtig: Mich freut es, Dich zu ſehn, aber wir müſſen doch dort die ſtreitenden Partheyen aus einander bringen.

Als ſie den fremden ſchönen Mann auf ſich zukommen ſahen, der ganz ſo that, als wenn es ſeine Sache ſeyn müßte, ihren Zwiſt zu ſchlichten, ließen ſie freiwillig von einan¬ der ab. Sie waren von der edlen Geſtalt wie bezaubert, Roderigo war vor Freude trunken, ſeinen Freund wieder zu beſitzen, und Floreſtan konnte kein Auge von ihm verwenden. Was haben die beiden heiligen Männer gehabt? fragte Ludoviko.

Der Eremit fing an, ſeinen Unſtern zu erzählen. Der Pilger ſey derſelbe, der ſeine229 Geliebte geheirathet habe, dieſe Entdeckung habe ſich unvermuthet während ihrer Gebe¬ ter hervorgethan, er ſey darüber erbittert worden, daß er nun noch zum Überfluß ſei¬ nem ärgſten Feinde Herberge geben müßte.

Der Pilgrim verantwortete ſich dagegen: daß es ſeine Schuld nicht ſey, daß jener ge¬ gen die Gaſtfreiheit gehandelt und ihn mit Schimpfreden überhäuft habe.

Ludoviko ſagte: Mein lieber Pilger, wenn Dir die Großmuth recht an die Seele geheftet iſt, ſo überlaß jenem eifrigen Lieb¬ haber Deine bisherige Frau, und bewohne Du ſeine Klauſe. Vielleicht, daß er ſich bald hierher zurückſehnt, und Du dann gewiß nicht zum zweitenmale den Tauſch eingehn wirſt.

Rudolf lachte laut über den wunderli¬ chen Zank und über dieſe luſtige Entſcheidung, Franz aber erſtaunte, daß Einſiedler, heilige Männer ſo unheiligen und gemeinen Leiden¬230 ſchaften, als dem Zorne, Raum verſtatten könnten. Der Pilgrim war gar nicht Wil¬ lens, ſeine Frau zu verlaſſen, um ein Wald¬ bruder zu werden, der Eremit ſchämte ſich ſeiner Heftigkeit.

Alle Partheyen waren ausgeſöhnt, und ſie ſetzten ſich mit friedlichen Gemüthern an das kleine Mittagsmahl.

Du haſt Dich gar nicht verändert, ſagte Roderigo.

Und muß man ſich denn immer verän¬ dern? rief Ludoviko aus; nein, auch Ae¬ gypten mit ſeinen Pyramiden und ſeiner hei¬ ßen Sonne kann mir nichts anhaben. Nichts iſt lächerlicher, als die Menſchen, die mit ernſthaftern Geſichtern zurückkommen, weil ſie etwa entfernte Gegenden geſehn haben, alte Gebäude und wunderliche Sitten. Was iſt es denn nun mehr? Nein, mein Rode¬ rigo, hüte Dich vor dem Anderswerden,231 denn an den meiſten Menſchen iſt die Ju¬ gend noch das Beſte, und was ich habe, iſt mir auf jeden Fall lieber, als was ich erſt bekommen ſoll. Eine Wahrheit, die nur bei einer Frau eine Ausnahme leidet. Nicht wahr, mein lieber Pilgrim? Du ſelbſt kömmſt mir aber etwas anders vor.

Und wie ſteht es denn in Aegypten? fragte Floreſtan, der gern mit dem ſeltſa¬ men Fremden bekannter werden wollte.

Die alten Sachen ſtehn noch immer am alten Fleck, ſagte jener, und wenn man dort iſt, vergißt man, daß man ſich vorher dar¬ über verwundert hat. Man iſt dann ſo eben und gewöhnlich mit ſich und allem außer ſich, wie mir hier im Walde iſt. Der Menſch weiß nicht, was er will, wenn er Sehnſucht nach der Fremde fühlt, und wenn er dort iſt, hat er nichts. Das Lächerlichſte an mir iſt, daß ich nicht immer an demſelben Orte bleibe

232

Habt Ihr die ſeltſamen Kunſtſachen in Augenſchein genommen? fragte Franz be¬ ſcheiden.

Was mir vor die Augen getreten iſt, ſagte Ludoviko, habe ich ziemlich genau be¬ trachtet. Die Sphinxe ſehn unſer eins mit gar wunderlichen Augen an, ſie ſtehn aus dem fernen Alterthum gleichſam ſpöttiſch da, und fragen: Wo biſt Du her? was willſt Du hier? Ich habe in ihrer Gegenwart meiner Tollkühnheit mich mehr geſchämt, als wenn vernünftige Leute mich tadelten, oder andre mittlern Alters mich lobten.

O, wie gern möchte ich Euer Gefährte geweſen ſeyn! rief Franz aus, die Gegenden wirklich und wahrhaftig zu ſehn, die ſchon in der Imagination unſrer Kindheit vor uns ſtehn, die Örter zu beſuchen, die gleichſam die Wiege der Menſchheit ſind. Nun dem wunderbaren Laufe des alten Nils zu fol¬233 gen, von Ruinen in fremder, ſchauerlicher, halbverſtändlicher Sprache angeredet zu wer¬ den, Sphinxe im Sande, die hohen Pyrami¬ den, Memnons wunderſame Bildſäule, und immer das Gefühl der alten Geſchichten mit ſich herumzutragen, noch einzelne lebende Laute aus der längſt entflohenen Heldenzeit, zu vernehmen, über's Meer nach Griechen¬ land hinüberzublicken, zu träumen, wie die Vorwelt aus dem Staube ſich wieder empor¬ gearbeitet, wie wieder griechiſche Flotten lan¬ den, o, alles das in unbegreiflicher Ge¬ genwart nun vor ſich zu haben, könnt Ihr gegen Euer Glück wirklich ſo undankbar ſeyn?

Ich bin es nicht, ſagte Ludoviko, und mir ſind dieſe Empfindungen auch oft auf den Bergen, an der Seeküſte durch die Bruſt gegangen. Oft faßte ich aber auch eine Handvoll Sand, und dachte: Warum234 biſt Du nun ſo mühſam, mit ſo mancher Ge¬ fahr, ſo weit gereiſ't, um dies Theilchen Erde zu ſehn, das Sage und Geſchichte Dir nun ſo lange nennt? Iſt denn die übrige Erde jünger? Darfſt Du Dich in Deiner Heimath nicht verwundern? Sieh die ewi¬ gen Felſen dort an, den Aetna in Sicilien, den alten Schlund des Charybdis. Und mußt Du Dich verwundern, um glücklich zu ſeyn? Ich ſagte dann zu mir ſelber: Thor! Thor! und wahrlich, ich verachtete in eben dem Augenblicke den Menſchen, der dieſe Thorheit nicht mit mir hätte begehn können.

Unter mancherlei Erzählungen verſtrich auch dieſer Tag, der Einſiedel ſagte oft: Ich begreife nicht, wie ich in Eurer Geſell¬ ſchaft bin, ich bin wohl und ſogar luſtig, ja meine Lebensweiſe iſt mir weniger ange¬ nehm, als bisher. Ihr ſteckt uns alle mit der Reiſeſucht an; ich glaubte über alle235 Thorheiten des Lebens hinüber zu ſeyn, und Ihr weckt eine neue Luſt dazu in mir auf.

Am folgenden Morgen nahmen ſie Ab¬ ſchied; der Pilgrim hatte ſich mit dem Ein¬ ſiedel völlig verſöhnt, ſie ſchieden als gute Freunde, Ludoviko führte den Zug an, die übrigen folgten ihm.

Auf dem Wege erkundigte ſich Ludoviko nach Sternbald und ſeinem Gefährten Flo¬ reſtan, er lachte über dieſen oft, der ſich alle Mühe gab, von ihm bemerkt zu werden, Sternbald war ſtill, und begleitete ſie in tiefen Gedanken. Ludoviko ſagte zu Franz, als er hörte, dieſer ſey ein Mahler: Nun, mein Freund, wie treibt Ihr es mit Eurer Kunſt? Ich bin gern in der Geſellſchaft von Künſtlern, denn gewöhnlich ſind es die wun¬ derlichſten Menſchen, auch fallen wegen ih¬ rer ſeltſamen Beſchäftigung alle ihre Launen mehr in die Augen, als bei andern Leuten. 236Ihr Stolz macht einen wunderlichen Con¬ traſt mit ihrem übrigen Verhältniß im Le¬ ben, ihre poetiſchen Begeiſterungen tragen ſie nur zu oft in alle Stunden über, auch unterlaſſen ſie es ſelten, die Gemeinheit ih¬ res Lebens in ihre Kunſtbeſchäftigungen hin¬ einzunehmen Sie ſind ſchmeichelnde Skla¬ ven gegen die Großen, und doch verachten ſie alles in ihrem Stolze, was nicht Künſt¬ ler iſt. Aus allen dieſen Mißhelligkeiten entſtehen gewöhnlich Charaktere, die luſtig genug in's Auge fallen.

Franz ſagte beſchämt: Ihr ſeyd ein ſehr ſtrenger Ritter, Herr Ritter.

Ludoviko fuhr fort: Ich habe noch we¬ nige Künſtler geſehen, bei denen man es nicht in den erſten Augenblicken bemerkt hät¬ te, daß man mit keinen gewöhnlichen Men¬ ſchen zu thun habe. Faſt alle ſind unnöthig verſchloſſen und zudringlich offenherzig. Ich237 habe mich ſelbſt zuweilen geübt, dergleichen Leute darzuſtellen, und es niemals unterlaſ¬ ſen, dieſe Seltſamkeiten in das hellſte Licht zu ſtellen. Es fällt gewiß ſchwer, Menſch wie die übrigen zu bleiben, wenn man ſein Leben damit zubringt, etwas zu thun und zu treiben, wovon ein jeder glaubt, daß es übermenſchlich ſey: in jedem Augenblicke zu fühlen, daß man mit dem übrigen Menſchen¬ geſchlechte eben nicht weiter zuſammenhänge. Dieſe Sterblichen leben nur in Tönen, in Zeichen, gleichſam in einem Luftreviere wie Feen und Kobolde, es iſt nur ſcheinbar, wenn man ſie glaubt die Erde betreten zu ſehen.

Ihr mögt in einiger Hinſicht nicht Un¬ recht haben, ſagte Franz.

Wer ſich der Kunſt ergiebt, ſagte jener weiter, muß das, was er als Menſch iſt und ſeyn könnte, aufopfern. Was aber das238 ſchlimmſte iſt, ſo ſuchen jene Leute, die ſich für Künſtler wollen halten laſſen, noch al¬ lerhand Seltſamkeiten und auffallenden Thor¬ heiten zuſammen, um ſie recht eigentlich zur Schau zu tragen, als Orden oder Ordens¬ kreuz, in Ermangelung deſſen, damit man ſie in der Ferne gleich erkennen ſoll, ja ſie halten darauf mehr, als auf ihre wirkliche Kunſt. Hütet Euch davor, Herr Mahler.

Man erzählt doch von manchem großen Manne, ſagte Franz, der von dergleichen Thorheiten frei geblieben iſt.

Nennt mir einige, rief Ludoviko.

Sternbald ſagte: Zum Beiſpiel der edle Mahlergeiſt Rafael Sanzio von Urbin.

Ihr habt Recht, ſagte der heftige Rit¬ ter, und überhaupt, fuhr er nach einem klei¬ nen Nachdenken fort, laßt Euch meine Rede nicht ſo ſehr auffallen, denn ſie braucht gar nicht ſo ganz wahr zu ſeyn. Ihr habt mich239 mit dem einzigen Namen beſchämt und in die Flucht geſchlagen, und alle meine Worte erſcheinen mir nun wie eine Läſterung auf die menſchliche Größe. Ich bin ſelbſt ein Thor, das wollen wir für ausgemacht gel¬ ten laſſen.

Roderigo ſagte: Du haſt manche Sei¬ ten von Dir ſelbſt geſchildert.

Mag ſeyn, ſagte ſein Freund, man kann nichts beſſers und nichts ſchlechters thun. Laßt uns lieber von der Kunſt ſelber ſprechen. Ich habe mir in vielen Stunden gewünſcht, ein Mahler zu ſeyn.

Sternbald fragte: Wie ſeyd Ihr dar¬ auf gekommen?

Erſtlich, antwortete der junge Ritter, weil es mir ein großes Vergnügen ſeyn würde, manche von den Mädchen ſo mit Farben vor mich hinzuſtellen, die ich wohl ehemals gekannt habe, dann mir andre noch ſchönere240 abzuzeichnen, die ich manchmal in glückli¬ chen Stunden in meinem Gemüthe gewahr werde. Dann erleide ich auch zuweilen recht ſonderbare Begeiſterung, ſo daß mein Geiſt ſehr heftig bewegt iſt, dann glaube ich, wenn mir die Geſchicklichkeit zu Gebote ſtände, ich würde recht wunderbare und merkwür¬ dige Sachen ausarbeiten können. Seht, mein Freund, dann würde ich einſame, ſchauer¬ liche Gegenden abſchildern, morſche zerbro¬ chene Brücken über zwei ſchroffen Felſen, ei¬ nem Abgrunde hinüber, durch den ſich ein Waldſtrom ſchäumend drängt: verirrte Wan¬ dersleute, deren Gewänder im feuchten Winde flattern, furchtbare Räubergeſtalten aus dem Hohlwege heraus, angefallene und geplün¬ derte Wägen, Kampf mit den Reiſenden. Dann wieder eine Gemſenjagd in einſamen, furchtbaren Felſenklippen, die kletternden Jä¬ ger, die ſpringenden, gejagten Thiere vonoben241herab, die ſchwindelnden Abſtürze. Figuren, die oben auf ſchmalen überragenden Stei¬ nen Schwindel ausdrücken, und ſich eben in ihren Fall ergeben wollen, der Freund, der jenen zu Hülfe eilt, in der Ferne das ruhige Thal. Einzelne Bäume und Geſträuche, die die Einſamkeit nur noch beſſer ausdrücken, auf die Verlaſſenheit noch aufmerkſamer ma¬ chen. Oder dann wieder den Bach und Waſſerſturz, mit dem Fiſcher, der angelt, mit der Mühle, die ſich dreht, vom Monde beſchienen. Ein Kahn auf dem Waſſer, ausgeworfene Netze. Zuweilen kämpft meine Imagination, und ruht nicht und giebt ſich nicht zufrieden, um etwas durch¬ aus Unerhörtes zu erſinnen und zu Stande zu bringen. Äußerſt ſeltſame Geſtalten würde ich dann hinmahlen, in einer verworrenen, faſt unverſtändlichen Verbindung, Figuren, die ſich aus allen Thierarten zuſammenfän¬(2r Th.) Q242den und unten wieder in Pflanzen endigten: Inſekten und Gewürme, denen ich eine wun¬ derſame Ähnlichkeit mit menſchlichen Charakte¬ ren aufdrücken wollte, ſo daß ſie Geſinnun¬ gen und Leidenſchaften poſſierlich und doch furchtbar äußerten; ich würde die ganze ſicht¬ bare Welt aufbieten, aus jedem das Selt¬ ſamſte wählen, um ein Gemählde zu machen, das Herz und Sinnen ergriffe, das Erſtau¬ nen und Schauder erregte, und wovon man noch nie etwas Ähnliches geſehn und gehört hätte. Denn ich finde das an unſrer Kunſt zu tadeln, daß alle Meiſter ohngefähr nach einem Ziele hinarbeiten, es iſt alles gut und löblich, aber es iſt immer mit wenigen Ab¬ änderungen das Alte.

Franz war einen Augenblick ſtumm, dann ſagte er: Ihr würdet auf eine eigene Weiſe das Gebiet unſrer Kunſt erweitern, mit wun¬ derbaren Mitteln das Wunderbarſte errin¬243 gen, oder in Euren Bemühungen erliegen. Eure Einbildung iſt ſo lebhaft und lebendig, ſo zahlreich an Geſtalt und Erfindung, daß ihr das Unmöglichſte nur ein leichtes Spiel dünkt. O, wie viel billigere Forderungen muß der Künſtler aufgeben, wenn er zur wirklichen Arbeit ſchreitet!

Hier ſtimmte der Pilgrim plötzlich ein geiſtliches Lied an, denn es war nun die Tageszeit gekommen, an welcher er es nach ſeinem Gelübde abſingen mußte. Das Ge¬ ſpräch wurde unterbrochen, weil alle auf¬ merkſam zuhörten, ohne daß eigentlich einer von ihnen wußte, warum er es that.

Mit dem Schluſſe des Geſanges traten ſie in ein anmuthiges Thal, in dem eine Heerde weidete, eine Schallmey tönte her¬ über, und Sternbalds Gemüth ward ſo hei¬ ter und muthig geſtimmt, daß er von freienQ 2244Stücken Floreſtan's Schallmeylied zum Er¬ götzen der übrigen wiederholte; als er geen¬ digt hatte, ſtieg der muthwillige Ludoviko auf einen Baum, und ſang von oben in den Tönen einer Wachtel, eines Kuckuks und ei¬ ner Nachtigall herunter. Nun haben wir alle unſre Pflicht gethan, ſagte er, jetzt ha¬ ben wir es wohl verdient, daß wir uns aus¬ ruhen dürfen, wobei uns der junge Floreſtan mit einem Liede erquicken ſoll.

Sie ſetzten ſich auf den Raſen nieder, und Floreſtan fragte: welcher Inhalt ſoll denn in meinem Liede ſeyn?

Welcher Du willſt, antwortete Ludoviko, wenn es Dir recht iſt, gar keiner; wir ſind mit allem zufrieden, wenn es Dir nur ge¬ müthlich iſt, warum ſoll eben Inhalt den Inhalt eines Gedichts ausmachen?

Rudolf ſang:

245
Durch den Himmel zieht der Vögel Zug,
Sie ſind auf Wanderſchaft begriffen,
Da hört man gezwitſchert und gepfiffen
Von Groß und Klein der Melodien genug.
Der Kleine ſingt mit feiner Stimm ',
Der Große krächzt gleich wie im Grimm
Und ein'ge ſtottern, andre ſchnarren,
Und Droſſel, Gimpel, Schwalbe, Staaren,
Sie wiſſen alle nicht, was ſie meinen,
Sie wiſſen's wohl und ſagen's nicht,
Und wenn ſie auch zu reden ſcheinen,
Iſt ihr Gerede nicht von Gewicht.
« Holla! warum ſeyd Ihr auf der Reiſe? «
Das iſt nun einmal unſre Weiſe.
» Warum bleibt Ihr nicht zu jeglicher Stund? «
Die Erd 'iſt allenthalben rund.
Auf die armen Lerchen wird Jagd gemacht,
Die Schnepfen gar in Dohnen gefangen,
Dort ſind die Vöglein aufgehangen,
An keine Rückfahrt mehr gedacht.
Iſt das die Art mit uns zu ſprechen?
Uns armen Vögeln den Hals zu brechen?
246
» Verſtändlich iſt doch dieſe Sprache,
So ruft der Menſch, ſie dient zur Sache,
In allen Natur die Sprache regiert,
Das eins mit dem andern Kriege führt,
Man dann am beſten raiſonnirt und beweiſ't,
Wenn eins vom andern wird aufgeſpeiſ't:
Die Ströme ſind im Meere verſchlungen,
Vom Schickſal wieder der Menſch bezwungen,
Den tapferſten Magen hat die Zeit,
Ihr nimmermehr ein Eſſen gereut,
Doch wie von der Zeit eine alte Fabel beſagt
Macht auf ſie das jüngſte Gericht einſt Jagd.
Ein 'andre Speiſe giebt's nachher nicht,
Heißt wohl mit Recht das letzte Gericht.

Rudolf ſang dieſe tollen Verſe mit ſo lächerlichen Bewegungen, daß ſich keiner des Lachens enthalten konnte. Als der Pilgrim wieder ernſthaft war, ſagte er ſehr feierlich: Verzeiht mir, man wird unter Euch wie ein Trunkener, wenn Ihr mich noch lange be¬ gleitet, ſo wird aus meiner Pilgerſchaft gleichſam eine Narrenreiſe.

247

Man verzehrte auf der Wieſe ein Mit¬ tagsmahl, das ſie mitgenommen hatten, und Ludoviko wurde nicht müde, ſich bei Rode¬ rigo nach allerhand Neuigkeiten zu erkundi gen. Roderigo verſchwieg, ob aus einer Art von Schaam, oder weil er vor den beiden die Erzählung nicht wiederholen mochte, ſeine eigne Geſchichte. Er kam durch einen Zufall auf Luthern und die Reformation zu ſprechen.

O, ſchweig mir davon, rief Ludoviko aus, denn es iſt mir ein Verdruß zu hören. Jedweder, der ſich für klug hält, nimmt in unſern Tagen die Parthey dieſes Mannes, der es gewiß gut und redlich meint, der aber doch immer mit ſeinen Ideen nicht recht weiß, wo er hinaus will.

Ihr erſtaunt mich! ſagte Franz.

Ihr ſeyd ein Deutſcher, fuhr Ludoviko fort, ein Nürnberger, es nimmt mich nicht Wunder, wenn Ihr Euch der guten Sache248 annehmt, wie ſie Euch wohl erſcheinen muß. Ich glaube auch, daß Luther einen wahr¬ haft großen Geiſt hat, aber ich bin ihm darum doch nicht gewogen. Es iſt ſchlimm, daß die Menſchen nichts einreißen können, nicht die Wand eines Hofs, ohne gleich dar¬ auf Luſt zu kriegen, ein neues Gebäude auf¬ zuführen. Wir haben eingeſehn, daß Irren möglich ſey, nun irren wir lieber noch jen¬ ſeits, als in der geraden lieblichen Straße zu bleiben. Ich ſehe ſchon im Voraus die Zeit kommen, die die gegenwärtige Zeit faſt nothwendig hervorbringen muß, wo ein Mann ſich ſchon für ein Wunder ſeines Jahrhunderts hält, wenn er eigentlich nichts iſt. Ihr fangt an zu unterſuchen, wo nichts zu unterſuchen iſt, Ihr taſtet die Göttlich¬ keit unſrer Religion an, die wie ein wunder¬ bares Gedicht vor uns da liegt, und nun einmal keinem andern verſtändlich iſt, als249 der ſie verſteht: hier wollt Ihr ergrübeln und widerlegen, und könnt mit allem Trach¬ ten nicht weiter vorwärts dringen, als es dem Blödſinne auch gelingen würde, da im Gegentheil die höhere Vernunft ſich in der Unterſuchung wie in Netzen würde gefan¬ gen fühlen, und lieber die edle Poeſie glauben, als ſie den Unmündigen erklären wollen.

O, Martin Luther! ſeufzte Franz, Ihr habt da ein kühnes Wort über ihn geſprochen.

Ludoviko ſagte: Es geht eigentlich nicht ihn an, auch will ich die Mißbräuche des Zeitalters nicht in Schutz nehmen, gegen die er vornehmlich eifert, aber mich dünkt doch, daß dieſe ihn zu weit führen, daß er nun zu ängſtlich ſtrebt, das Gemeine zu ſondern, und darüber das Edelſte mit ergreift. Wie es den Menſchen geht, ſeine Nachfolger mö¬ gen leicht ihn ſelber nicht verſtehn, und ſo250 erzeugt ſich ſtatt der Fülle einer göttlichen Religion eine dürre vernünftige Leerheit, die alle Herzen ſchmachtend zurückläßt, der ewige Strom voll großer Bilder und koloſſaler Lichtgeſtalten trocknet aus, die dürre gleich¬ gültige Welt bleibt zurück und einzeln, zer¬ ſtückt, und mit ohnmächtigen Kämpfen muß das wieder erobert werden, was verloren iſt, das Reich der Geiſter iſt entflohen, und nur einzelne Engel kehren zurück.

Du biſt ein Prophet geworden, ſagte Roderigo, ſeht, meine Freunde, er hat die ägyptiſche Weisheit heimgebracht.

Wie könnt Ihr nur, ſagte der Pilgrim, ſo weiſe und ſo thörichte Dinge in einem Athem ſprechen und verrichten? Sollte man Euch dieſe frommen Gemüthsbewegungen zu¬ trauen?

Rudolf ſtand auf und gab dem Ludo¬ viko die Hand, und ſagte: Wollt Ihr mein251 Freund ſeyn, oder mich für's Erſte nur um Euch dulden, ſo will ich Euch begleiten, wo¬ hin Ihr auch geht, ſeyd Ihr mein Meiſter, ich will Euer Schüler werden. Ich opfere Euch jetzt alles auf, Braut und Vater und Geſchwiſter.

Habt Ihr Geſchwiſter? fragte Ludoviko.

Zwei Brüder, antwortete Rudolf, wir lieben uns von Kindesbeinen, aber ſeitdem ich Euch geſehn habe, fühle ich gar keine Sehnſucht mehr, Italien wiederzuſehn.

Ludoviko ſagte: Wenn ich über irgend etwas in der Welt traurig werden könnte, ſo wäre es darüber, daß ich nie eine Schwe¬ ſter, einen Bruder gekannt habe. Mir iſt das Glück verſagt, in die Welt zu treten, und Geſchwiſter anzutreffen, die gleich dem Herzen am nächſten zugehören. Wie wollte ich einen Bruder lieben, wie hätte ich ihm mit voller Freude begegnen, meine Seele in252 die ſeinige feſt hineinwachſen wollen, wenn er ſchon meine Kinderſpiele getheilt hätte! Aber ich habe mich immer einſam gefunden, mein tolles Glück, mein wunderliches Land¬ ſchwärmen ſind mir nur ein geringer Erſatz für die Bruderliebe, die ich immer geſucht habe. Zürne mir nicht, Roderigo, denn Du biſt mein beſter Freund. Aber wenn ich ein Weſen fände, in dem ich den Vater, ſein Temperament, ſeine Launen wahrnähme, mit welchem Erſchrecken der Freude und des Entzückens würde ich darauf zueilen und es in meine brüderlichen Arme ſchließen! Mich ſelbſt, im wahrſten Sinn, fände ich in einem ſolchen wieder. Aber ich habe eine ein¬ ſame Kindheit verlebt, ich habe niemand weiter gekannt, der ſich um mein Herz be¬ worben hätte, und darum kann es wohl ſeyn, daß ich keinen Menſchen auf die wahre Art zu lieben verſtehe, denn durch253 Geſchwiſter lernen wir die Liebe, und in der Kindheit liebt das Herz am ſchönſten. So bin ich hartherzig geworden, und muß mich nun ſelber dem Zufalle verſpielen, um die Zeit nur hinzubringen. Die ſchönſte Sehnſucht iſt mir unbekannt geblieben, kein brüderliches Herz weiß von mir und ſchmach¬ tet nach mir, ich darf meine Arme nicht in die weite Welt hineinſtrecken, denn es kommt doch keiner meinem ſchlagenden Herzen ent¬ gegen.

Franz trocknete ſich die Thränen ab, er unterdrückte ſein Schluchzen. Es war ihm, als drängte ihn eine unſichtbare Gewalt auf¬ zuſtehn, die Hand des Unbekannten zu faſ¬ ſen, ihm in die Arme zu ſtürzen und auszu¬ rufen: Nimm mich zu Deinem Bruder an! Er fühlte die Einſamkeit, die Leere in ſei¬ nem eignen Herzen, Ludoviko ſprach die Wünſche aus, die ihn ſo oft in ſtillen Stun¬254 den geängſtigt hatten, er wollte ſeinen Kla¬ gen, ſeinem Jammer den freien Lauf laſſen, als er wieder innerlich fühlte: Nein, alle dieſe Menſchen ſind mir doch fremd, er kann ja doch nicht mein Bruder werden, und viel¬ leicht würde er nur meine Liebe verſpotten.

Unter allerhand Liedern, gegen die der andächtige Geſang des Pilgers wunderlich abſtach, gingen ſie weiter. Roderigo ſagte: mein Freund, Du haſt nun ein paarmal Deines Vaters erwähnt, willſt Du mir nicht endlich einmal ſeinen Namen ſagen?

Und wißt Ihr denn nicht, fiel Rudolf haſtig ein, daß Euer Freund dergleichen Fragen nicht liebt? Wie könnt Ihr ihn nur damit quälen?

Du kennſt mich ſchon beſſer, als jener, ſagte Ludoviko, ich denke, wir ſollen gute Kameraden werden. Aber warum iſt Dein Freund Sternbald ſo betrübt?

255

Sternbald ſagte: Soll ich darüber nicht trauern, daß der Menſch mich nun verläßt, mit dem ich ſo lange gelebt habe? Denn ich muß nun doch meine Reiſe fortſetzen, ich habe mich nur zu lange aufhalten laſſen. Ich weiß ſelbſt nicht, wie es kömmt, daß ich meinen Zweck faſt ganz und gar vergeſſe.

Man kann ſeinen Zweck nicht vergeſſen, fiel Ludoviko ein, weil der vernünftige Menſch ſich ſchon ſo einrichtet, daß er gar keinen Zweck hat. Ich muß nur lachen, wenn ich Leute ſo große Anſtalten machen ſehe, um ein Leben zu führen, das Leben iſt dahin, noch ehe ſie mit den Vorbereitun¬ gen fertig ſind.

Unter ſolchen Geſprächen zogen ſie wie auf einem Marſche über Feld. Rudolf ging voran, indem er auf ſeiner Pfeife ein mun¬ teres Lied blies, ſeine Bänder flogen vom Hute in der ſpielenden Luft, in ſeiner Schärpe256 trug er einen kleinen Säbel. Ludoviko war noch ſeltſamer gekleidet; ſein Gewand war hellblau, ein ſchönes Schwerdt hing an ei¬ nem zierlich gewirkten Bandelier über ſeine Schulter, eine goldene Kette trug er um den Hals, ſein braunes Haar war lockig. Roderigo folgte in Rittertracht, neben dem der Pilgrim mit ſeinem Stabe und einfachen Anzuge gut kontraſtirte. Sternbald glaubte oft einen ſeltſamen Zug auf einem alten Ge¬ mählde anzuſehn.

Es war gegen Abend, als ſie alle ſehr ermüdet waren, und noch ließ ſich keine Stadt, kein Dorf antreffen. Sie wünſchten wieder einen gutmüthigen ſtillen Einſiedel zu finden, der ſie bewirthete, ſie horchten, ob ſie nicht Glockenſchall vernähmen, aber ihre Bemühung war ohne Erfolg. Ludo¬ viko ſchlug vor, im Walde das Nachtlager aufzuſchlagen, aber alle, außer Floreſtan,waren257waren dagegen, der die größte Luſt bezeigte, ſein Handwerk als Abentheurer recht ſonder¬ bar und auffallend anzufangen. Der Pil¬ grim glaubte, daß ſie ſich verirrt hätten, und daß alles vergebens ſeyn würde, bis ſie den rechten Weg wieder angetroffen hät¬ ten. Rudolf wollte den längern Streit nicht mit anhören, ſondern blies mit ſeiner Pfeife dazwiſchen: alle waren in Verwirrung, und ſprachen durch einander, jeder that Vor¬ ſchläge, und keiner ward gehört. Während des Streites zogen ſie in der größten Eile fort, als wenn ſie vor jemand flöhen, ſo daß ſie in weniger Zeit eine große Strecke Weges zurücklegten. Der Pilgrim ſank end¬ lich faſt athemlos nieder, und nöthigte ſie auf dieſe Weiſe, ſtille zu halten.

Als ſie ſich ein wenig erholt hatten, glänzten die Wolken ſchon vom Abendroth; ſie gingen langſam weiter. Sie zogen(2r Th.) R258durch ein kleines, angenehmes Gehölz, und fanden ſich auf einem runden, grünen Raſenplatz, vor ihnen lag ein Garten, mit einem Stakete umgeben, durch deſſen Stäbe und Verzierungen man hindurchblicken konnte. Alles war artig eingerichtet, das Geländer war allenthalben durchbrochen ge¬ arbeitet, eiſerne Thüren zeigten ſich an etli¬ chen Stellen, kein Pallaſt war ſichtbar. Dichte Baumgänge lagen vor ihnen, kühle Felſengrotten, Springbrunnen hörte man aus der Ferne plätſchern. Alle ſtanden ſtill, in dem zauberiſchen Anblicke verloren, den niemand erwartet hatte: ſpäte Roſen glüh¬ ten ihnen von ſchlanken, erhabenen Stäm¬ men entgegen, weiter ab ſtanden dunkel¬ rothe Malven, die wie krauſe gewundene Säulen die dämmerndgrünen Gänge zu ſtützen ſchienen. Alles umher war ſtill, keine Men¬ ſchenſtimme war zu vernehmen.

259

Iſt dieſer Feengarten, rief Roderigo aus, nicht wie durch Zauberei hierher gekommen? Wenn wir mit dem Beſitzer des Hauſes be¬ kannt wären, wie erquicklich müßte es ſeyn, in dieſen anmuthigen Grotten auszuruhen, in dieſen dunkeln Gängen zu ſpazieren, und ſich mit ſüßen Früchten abzukühlen? Wenn wir nur einen Menſchen wahrnähmen, der uns die Erlaubniß ertheilen könnte!

Indem wurde Ludoviko einige Bäume mit ſehr ſchönen Früchten gewahr, die im Garten ſtanden, große ſaftige Birnen und hochrothe Pflaumen. Er hatte einen ſchnel¬ len Entſchluß gefaßt. Laßt uns, meine gu¬ ten Freunde, rief er aus, ohne Zeremonien über das Spalier dieſes Gartens ſteigen, uns in jener Grotte ausruhen, mit Früchten ſättigen, und dann den Mondſchein abwar¬ ten, um unſre Reiſe fortzuſetzen.

Alle waren über ſeine Verwegenheit inR 2260Verwunderung geſetzt, aber Rudolf ging ſo¬ gleich zu ſeiner Meinung über. Sternbald und der Pilgrim widerſetzten ſich am läng¬ ſten, aber indem ſie noch ſprachen, war Lu¬ doviko, ohne danach hinzuhören, ſchon in den Garten geklettert und geſprungen, er half Floreſtan nach, Roderigo rief den Rück¬ bleibenden ebenfalls zu, Sternbald bequemte ſich, und der Pilgrim, den auch nach dem Obſte gelüſtete, fand es bedenklich, ganz ohne Geſellſchaft ſeine Reiſe fortzuſetzen. Er machte nachher noch viele Einwendungen, auf die niemand hörte, denn Ludoviko fing an aus allen Kräften die Bäume zu ſchüt¬ teln, die auch reichlich Obſt hergaben, das die übrigen mit vieler Ämſigkeit aufſammelten.

Dann ſetzten ſie ſich in der kühlen Grotte zum Eſſen nieder und Ludoviko ſagte: Wenn uns nun auch jemand antrifft, was iſt es denn mehr? Er müßte ſehr ungeſittet ſeyn,261 wenn er auf unſre Bitte um Verzeihung nicht hören wollte, und ſehr ſtark, wenn wir ihm nicht vereinigt widerſtehn ſollten.

Als der Pilger eine Weile gegeſſen hat¬ te, fing er an, große Reue zu fühlen, aber Floreſtan ſagte im luſtigen Muthe: Seht, Freunde, ſo leben wir im eigentlichen Stande der Unſchuld, im goldenen Zeitalter, das wir ſo oft zurückwünſchen, und das wir uns ei¬ genmächtig, wenigſtens auf einige Stunden erſchaffen haben. O wahrlich, das freie Le¬ ben, das ein Räuber führt, der jeden Tag erobert, iſt nicht ſo gänzlich zu verachten: wir verwöhnen uns in unſrer Sicherheit und Ruhe zu ſehr. Was kann es geben, als höchſtens einen kleinen Kampf? Wir ſind gut bewaffnet, wir fürchten uns nicht, wir ſind durch uns ſelbſt geſichert.

Sie horchten auf, es war, als wenn ſie ganz in der Ferne Töne von Waldhörnern262 vernähmen, aber der Klang verſtummte wie¬ der. Seyd unverzagt, rief Ludoviko aus, und thut, als wenn Ihr hier zu Hauſe wä¬ ret, ich ſtehe Euch für alles.

Der Pilgrim mußte nach dem Spring¬ brunnen, um ſeine Flaſche mit Waſſer zu füllen, ſie tranken alle nach der Reihe mit großem Wohlbehagen. Der Abend ward immer kühler, die Blumen dufteten ſüßer, alle Erinnerungen wurden im Herzen ge¬ weckt. Du weißt nicht, mein lieber Roderi¬ go, fing Ludoviko von neuem an, daß ich jetzt in Italien, in Rom wieder eine Liebe habe, die mir mehr iſt, als mir je eine geweſen war. Ich verließ das ſchöne Land mit ei¬ nem gewiſſen Widerſtreben, ich ſah mit un¬ ausſprechlicher Sehnſucht nach der Stadt zu¬ rück, weil Marie dort zurückblieb. Ich habe ſie erſt ſeit Kurzem kennen gelernt, und ich möchte Dir faſt vorſchlagen, gleich263 mit mir zurückzureiſen, dann blieben wir alle, ſo wie wir hier ſind, in Einer Geſell¬ ſchaft. O Roderigo, Du haſt die Vollen¬ dung des Weibes noch nicht geſehn, denn Du haſt ſie nicht geſehn! all' der ſüße, ge¬ heime Zauber, der die Geſtalt umſchwebt, das Heilige, das Dir aus blauen verklärten Augen entgegenblickt: die Unſchuld, der lok¬ kende Muthwille, der ſich auf Wange, in den liebreizenden Lippen abbildet; ich kann es Dir nicht ſchildern. In ihrer Ge¬ genwart empfand ich die erſten Jugendge¬ fühle wieder, es war mir wieder, als wenn ich mit dem erſten Mädchen ſpräche, da mir die andern alle als meines Gleichen vorkom¬ men. Es iſt ein Zug zwiſchen den glatten ſchönen Augenbraunen, der die Phantaſie in Ehrfurcht hält, und doch ſtehn die Brau¬ nen, die langen Wimpern wie goldene Netze des Liebesgottes da, um alle Seele, alle264 Wünſche, alle fremde Augen wegzufangen. Hat man ſie einmal geſehn, ſo ſieht man keinem andern Mädchen mehr nach, kein Blick, kein verſtohlenes Lächeln lockt Dich mehr, ſie wohnt mit aller ihrer Holdſeligkeit in Deiner Bruſt, Dein Herz iſt wie eine treibende Feder, die Dich ihr, nur ihr durch alle Gaſſen, durch alle Gärten nachdrängt; und wenn dann ihr himmelſüßer Blick Dich nur im Vorübergehen ſtreift, ſo zittert die Seele in Dir, ſo ſchwindelt Dein Auge von dem Blick in das rothe Lächeln der Lippen hinunter, in die Lieblichkeit der Wangen ver¬ irrt, gern und ungern auf dem ſchönſten Bu¬ ſen feſtgehalten, den Du nur errathen darfſt. O Himmel, gieb mir nur dies Mädchen in meine Arme, und ich will Deine ganze übrige Welt, mit allem, allem was ſie Köſtliches hat, ohne Neid jedem andern überlaſſen!

Du ſchwärmſt, ſagte Roderigo, in dieſer265 Sprache habe ich Dich noch niemals ſpre¬ chen hören.

Ich habe die Sprache noch nicht ge¬ kannt, fuhr Ludoviko fort, ich habe noch nichts gekannt, ich bin bis dahin taub und blind geweſen. Was fehlt uns hier, als daß Rudolf nur noch ein Lied ſänge? Eins von jenen leichten, ſcherzenden Liedern, die die Erde nicht berühren, die mit luftigem Schritt über den goldenen Fußboden des Abendroths gehn, und von dort in die Welt hineingrüßen. Laß einmal alle Liebe, die Du je empfandeſt, in Deinem Herzen auf¬ zittern, und dann ſprich die Räthſelſprache, die nur der Eingeweihte verſteht.

So gut ich kann, will ich Euch dienen, ſagte Rudolf, mir fällt ſo eben ein Lied von der Sehnſucht ein, das Euch viel¬ leicht gefallen wird.

266
Warum die Blume das Köpfchen ſenkt,
Warum die Roſen ſo blaß?
Ach! die Thräne am Blatt der Lilie hängt,
Vergangen das ſchön friſche Gras.
Die Blumen erbleichen,
Die Farben entweichen,
Denn ſie, denn ſie iſt weit
Die allerholdſeligſte Maid.
Keine Anmuth auf dem Feld,
Keine ſüße Blüthe am Baume mehr,
Die Farben, die Töne durchſtreifen die Welt
Und ſuchen die Schönſte weit umher.
Unſer Thal iſt leer
Bis zur Wiederkehr,
Ach! bringt ſie gefeſſelt in Schöne
Zurücke ihr Farben, ihr Töne.
Regenbogen leuchtet voran
Und Blumen folgen ihm nach,
Nacht'gall ſingt auf der Bahn,
Rieſelt der ſilberne Bach:
267
Thun als wäre der Frühling vergangen,
Doch bringen ſie ſie nur gefangen,
Wird Frühling aus dem Herbſt alsbald,
Herrſcht über uns kein Winter kalt.
Ach! ihr findet ſie nicht, ihr findet ſie nicht,
Habt kein Auge, die Schönſte zu ſuchen,
Euch mangelt der Liebe Augenlicht,
Ihr ermüdet über dem Suchen.
Treibt wie Blumen die Sache als fröhlichen Scherz,
Ach! nehmet mein Herz,
Damit nach dem holden Engelskinde
Der Frühling den Weg gewißlich finde.
Und habt Ihr Kinder entdeckt die Spur,
O, ſo hört, o, ſo hört mein ängſtlich Flehn,
Müßt nicht zu tief in die Augen ihr ſehn,
Ihre Blicke bezaubern, verblenden Euch nur.
Kein Weſen vor ihr beſteht,
All's in Liebe vergeht,
Mag nichts anders mehr ſeyn
Als ihre Lieb 'allein.
268
Bedenkt, daß Frühling und Blumenglanz
Wo ihr Fuß wandelt, immer ſchon iſt,
Kommt zu mir zurück mit leichtem Tanz,
Daß Frühling und Nacht'gall doch um mich iſt;
Muß dann ſpät und früh
Mich behelfen ohne ſie,
Mit bitterſüßen Liebesthränen
Mich einſam nach der Schönſten ſehnen.
Aber bleibt, aber bleibt nur wo ihr ſeyd,
Mag euch auch ohne ſie nicht wiederſehn,
Blumen und Frühlingston wird Herzeleid,
Will indeß hier im bitterſten Tode vergehn.
Mich ſelber zu ſtrafen,
Im Grabe tief ſchlafen,
Fern von Lied, fern von Sonnenſchein
Lieber gar ein Todter ſeyn.
Ach! es bricht in der Sehnſucht ſchon
Heimlich mein Herz in der treuſten Bruſt,
Hat die Treu 'ſo ſchwer bittern Lohn?
Bin keiner Sünde mir innig bewußt.
269
Muß die Liebſte alles erfreun,
Mir nur die quälendſte Pein?
Treuloſe Hoffnung, Du lächelſt mich an:
Nein, ich bin ein verlorner Mann!

Es war lieblich, wie die Gebüſche um¬ her von dieſen Tönen gleichſam erregt wur¬ den, einige verſpäteten Vögel erinnerten ſich ihrer Frühlingslieder, und wiederholten ſie jetzt wie in einer ſchönen Schläfrigkeit. Ro¬ derigo war durch ſeinen Freund beherzt ge¬ worden, er erzählte nun auch ſein Aben¬ theuer mit der ſchönen Gräfin, und ſeine Freunde hörten ihn die Geſchichte gern noch einmal erzählen. Und nun, was ſoll ich Euch ſagen? ſo ſchloß Roderigo, ich habe ſie verlaſſen, und denke jetzt nichts, als ſie; immer ſehe ich ſie vor meinen Augen ſchwe¬ ben, und ich weiß mich in mancher Stunde vor peinigender Angſt nicht zu laſſen. Ihr270 edler Anſtand, ihr munteres Auge, ihr brau¬ nes Haar, alles, alle ihre Züge ſah ich in meiner Einbildung. So oft bin ich in den Nächten unter dem hellgeſtirnten Himmel ge¬ wandelt, von meinem Glücke voll, zauberte ich mir dann ihre Geſtalt vor meine Augen, und es war mir dann, als wenn die Sterne noch heller funkelten, als wenn das Dach des Himmels nur mit Freude ausgelegt ſey. Ich ſage Dir, Freund Ludoviko, alle Sinne werden ihr wie dienſtbare Sklaven nachge¬ zogen, wenn das Auge ſie nur erblickt hat: jede ihrer ſanften, reizenden Bewegungen be¬ ſchreibt in Linien eine ſchöne Muſik, wenn ſie durch den Wald geht, und das leichte Ge¬ wand ſich dem Fuße, der Lende geſchmeidig anlegt, wenn ſie zu Pferde ſteigt und im Gallopp die Kleider auf - und niederwo¬ gen, oder wenn ſie im Tanz wie eine Göt¬ tin ſchwebt, alles iſt Wohllaut in ihr, wie271 man ſie ſieht, mag man ſie nie anders ſehn, und doch vergißt man in jeder neuen Bewe¬ gung die vorige. Es iſt mehr Wolluſt, ſie mit den Augen zu verfolgen, als in den Ar¬ men einer andern zu ruhn.

Nur Wein fehlt uns, rief Floreſtan aus, die Liebe iſt wenigſtens im Bilde zugegen.

Wenn ich mir denke, ſprach Roderigo er¬ hitzt weiter, daß ſich ein andrer jetzt um ihre Liebe bewirbt, daß ſie ihn mit freundlichen Augen anblickt, ich könnte unſinnig werden. Ich bin auf jedermann böſe, der ihr nur vorübergeht: ich beneide das Gewand, das ihren zarten Körper berührt und umſchließt. Ich bin lauter Eiferſucht, und dennoch habe ich ſie verlaſſen können.

Ludoviko ſagte: Du darfſt Dich darüber nicht verwundern. Ich bin nicht nur bei je¬ dem Mädchen, das ich liebte, eiferſüchtig geweſen, ſondern auch bei jeder andern.272 wenn ſie nur hübſch war. Hatte ich ein ar¬ tiges Mädchen bemerkt, das ich weiter gar nicht kannte, das von mir gar nichts wußte, ſo ſtand meine Begier vor ihrem Bilde gleich¬ ſam Wache, ich war auf jedermann neidiſch und böſe, der nur durch den Zufall zu ihr in's Haus ging, der ſie grüßte und dem ſie höflich dankte. Sprach einer freundlich mit ihr, ſo konnte ich mir dieſen Unbekann¬ ten auf mehrere Tage auszeichnen und mer¬ ken, um ihn zu haſſen. O, dieſe Eiferſucht iſt noch viel unbegreiflicher als unſre Liebe, denn wir können doch nicht alle Weiber und Mädchen zu unſerm Eigenthum machen; aber das lüſterne Auge läßt ſich keine Schranken ſetzen, unſre Phantaſie iſt wie das Faß der Danaiden, unſer Sehnen umfängt und um¬ armt jeglichen Buſen.

Indem war es ganz finſter geworden, der müde Pilgrim war eingeſchlafen, einigeHörner¬273Hörnertöne erſchallten, aber faſt ganz nahe an den Sprechenden, dann ſang eine ange¬ nehme Stimme:

Treulieb 'iſt nimmer weit,
Nach Kummer und nach Leid
Kehrt wieder Lieb' und Freud ',
Dann kehrt der holde Gruß,
Händedrücken,
Zärtlich Blicken,
Liebeskuß.

Nun werden die Obſtdiebe ertappt wer¬ den, rief Ludoviko aus.

Ich kenne dieſe Melodie, ich kenne dieſe Worte, ſagte Sternbald, und wenn ich mich recht erinnere

Wieder einige Töne, dann fuhr die Stimme fort zu ſingen:

Treulieb 'iſt nimmer weit,
Ihr Gang durch Einſamkeit
Iſt Dir, nur Dir geweiht.
(2r Th.) S274
Bald kömmt der Morgen ſchön,
Ihn begrüßet
Wie er küſſet
Freudenthrän '.

Jetzt kamen durch's Gebüſch Geſtalten, zwei Damen gingen voran, mehrere Diener folgten. Die fremde Geſellſchaft war indeß aufgeſtanden, Roderigo trat vor, und mit einem Ausruf des Entzückens lag er in den Armen der Unbekannten. Die Gräfin war es, die vor Freude erſt nicht die Sprache wiederfinden konnte. Ich habe Dich wieder! rief ſie dann aus, o gütiges Schickſal, ſey gedankt!

Man konnte ſich anfangs wenig erzäh¬ len. Sie hatte, um ſich zu zerſtreuen, eine Freundin ihrer Jugend beſucht, dieſer gehörte Schloß und Garten. Von dem Unerlaubten des Überſteigens war gar die Rede nicht.

Die Abendmahlzeit ſtand bereit, der275 Pilgrim ließ ſich nach ſeiner mühſeligen Wan¬ derſchaft ſehr wohl ſeyn, Franz ward von der Freundin Adelheid's (dies war der Na¬ me der Gräfin) ſehr vorgezogen, da ſie die Kunſt vorzüglich liebte. Auch ihr Gemahl ſprach viel über Mahlerei, und lobte den Albert Dürer vorzüglich, von dem er ſelbſt einige ſchöne Stücke beſaß.

Alle waren wie berauſcht, ſie legten ſich früh ſchlafen, nur Roderigo und die Gräfin blieben länger munter.

Franz konnte nicht bemerken, ob Rode¬ rigo und die Gräfin ſich ſo völlig ausge¬ ſöhnt hatten, um ſich zu vermählen, er wollte nicht länger als noch einen Tag zö¬ gern, um ſeine Reiſe fortzuſetzen, er machte ſich Vorwürfe, daß er ſchon zu lange ge¬ ſäumt habe. Er hätte gern von Roderigo ſich die Erzählung fortſetzen laſſen, die beim Eremiten in ihrem Anfange abgebrochenS 2276wurde, aber es fand ſich keine Gelegenheit dazu. Der Herr des Schloſſes nöthigte ihn zu bleiben, aber Franz fürchtete, daß das Jahr zu Ende laufen, und er noch immer nicht in Italien ſeyn möchte.

Nach zweien Tagen nahm er von allen Abſchied, Ludoviko wollte bei ſeinem Freunde bleiben, auch Floreſtan blieb bei den beiden zurück. Jetzt fühlte Sternbald erſt, wie lieb ihm Rudolf ſey, auch ergriff ihn eine un¬ erklärliche Wehmuth, als er dem Ludoviko die Hand zum Abſchiede reichte. Floreſtan war auf ſeine Weiſe recht gerührt, er ver¬ ſprach unſerm Freunde, ihm bald nach Ita¬ lien zu folgen, ihn binnen kurzem gewiß in Rom anzutreffen. Sternbald konnte ſeine Thränen nicht zurückhalten, als er zur Thür hinausging, den Garten noch einmal mit einem flüchtigen Blicke durchirrte. Der Pil¬ grim war ſein Gefährte.

277

Draußen in der freien Landſchaft, als er nach und nach das Schloß verſchwinden ſah, fühlte er ſich erſt recht einſam. Der Morgen war friſch, er ging ſtumm neben dem Pilger hin, erinnerte ſich aller Geſprä¬ che, die ſie mit einander geführt, aller klei¬ nen Begebenheiten, die er in Rudolfs Ge¬ ſellſchaft erlebt hatte. Sein Kopf wurde wüſt, ihm war, als habe er die Freude ſei¬ nes Lebens verloren. Der Pilgrim verrich¬ tete ſeine Gebete, ohne ſich ſonderlich um Sternbald zu kümmern.

Nachher geriethen ſie in ein Geſpräch, worin der Pilger ihm den genauen Zuſtand ſeiner Haushaltung erzählte. Sternbald er¬ fuhr alle die Armſeligkeiten des gewöhnli¬ chen Lebens, wie jener ein Kaufmann von mittelmäßigen Glücksumſtänden ſey, wie er darnach trachte, mehr zu gewinnen und ſeine Lage zu verbeſſern. Franz, dem die Empfin¬278 dung drückend war, aus ſeinem leichten poe¬ tiſchen Leben ſo in das wirkliche zurückge¬ führt zu werden, antwortete nicht, und gab ſich Mühe, gar nicht darnach hinzuhören. Jeder Schritt ſeines Weges ward ihm ſauer, er kam ſich ganz einſam vor, es war ihm wieder, als wenn ihn ſeine Freunde verlaſ¬ ſen hätten und ſich nicht um ihn kümmerten.

Sie kamen in eine Stadt, wo Franz einen Brief von ſeinem Sebaſtian zu finden hoffte, von dem er ſeit lange nichts gehört hatte. Er trennte ſich hier von dem Pil¬ grim und eilte nach dem bezeichneten Mann. Es war wirklich ein Brief für ihn da, er erbrach ihn begierig, und las:

Liebſter Franz!

Wie Du glücklich biſt, daß Du in freier, ſchöner Welt herumwanderſt, daß Dir nun das alles in Erfüllung geht, was Du ſonſt nur in Entfernung dachteſt, dieſes Dein279 großes Glück ſehe ich nun erſt vollkommen ein. Ach, lieber Bruder, es will mir manch¬ mal vorkommen, als ſey mein Lebenslauf durchaus verloren: aller Muth entgeht mir, ſo in der Kunſt, als im Leben fortzufahren. Jetzt iſt es dahin gekommen, daß Du mich tröſten könnteſt, wie ich Dir ſonſt wohl oft gethan habe.

Unſer Meiſter fängt an, oft zu krän¬ keln, er kam damals ſo geſund von ſeiner Reiſe zurück, aber dieſe ſchöne Zeit hat ſich nun ſchon verloren. Er iſt in manchen Stun¬ den recht melancholiſch: dann wird er es nicht müde, von Dir zu ſprechen, und Dir das beſte Schickſal zu wünſchen.

Ich bin fleißig, aber meine Arbeit will nicht auf die wahre Art aus der Stelle rük¬ ken, mir fehlt der Muth, der die Hand be¬ leben muß, ein wehmüthiges Gefühl zieht mich von der Staffelei zurück. Du ſchreibſt280 mir von Deiner ſeltſamen Liebe, von Deiner fröhligen Geſellſchaft: ach, Franz, ich bin hier verlaſſen, arm, vergeſſen oder verach¬ tet, ich habe die Kühnheit nicht, Liebe in mein trauriges Leben hineinzuwünſchen. Ich ſpreche zur Freude: was machſt Du? und zum Lachen: Du biſt toll! Ich kann es mir nicht vorſtellen, daß mich einſt ein We¬ ſen liebte, daß ich es lieben dürfte. Ich gehe oft im trüben Wetter durch die Stadt, und betrachte Gebäude und Thürme, die mühſelige Arbeit, das künſtliche Schnitzwerk, die gemahlten Wände, und frage dann: Wo¬ zu ſoll es? Der Anblick eines Armen kann mich ſo betrübt machen, daß ich die Augen nicht wieder aufheben mag.

Meine Mutter iſt geſtorben, mein Va¬ ter liegt in der Vorſtadt krank. Sein Hand¬ werk kann ihn jetzt nicht nähren, ich kann nur wenig für ihn thun. Meiſter Dürer iſt281 gut, er hilft ihm und auf die beſte Art, ſo daß er mich nichts davon fühlen läßt, ich werde es ihm zeitlebens nicht vergeſſen. Aber warum kann ich nicht mehr für ihn thun? Warum fiel es mir noch im ſechs¬ zehnten Jahre ein, ein Mahler zu werden? Wenn ich ein ordentliches Handwerk ergrif¬ fen hätte, ſo könnte ich vielleicht jetzt ſelber meinen Vater ernähren. Es dünkt mir thö¬ richt, daß ich an der Ausarbeitung einer Ge¬ ſchichte arbeite, und indeſſen alles wirkliche Leben um mich her vergeſſe.

Lebe wohl, bleibe geſund. Sey in allen Dingen glücklich. Liebe immer noch

Deinen Sebaſtian.

Franz ließ das Blatt ſinken und ſah den Himmel an. Sein Freund, Dürer, Nürnberg und alle ehemaligen bekannten Gegenſtände kamen mit friſcher Kraft in ſein Gedächtniß. Ja, ich bin glücklich, rief282 er aus, ich fühle es jetzt, wie glücklich ich bin! Mein Leben ſpinnt ſich wie ein golde¬ ner Faden aus einander: ich bin auf der Reiſe, ich finde Freunde, die ſich meiner an¬ nehmen, die mich lieben, meine Kunſt hat mich wider Erwarten fortgeholfen, was will ich denn mehr? Und vielleicht lebt ſie doch noch, vielleicht hat ſich die Gräfin geirrt, und wenn ſie todt iſt, bin ich nicht von Emma geliebt? Habe ich in ihren Armen nicht mein ſchönſtes Glück genoſſen? Leben nicht Rudolf und Sebaſtian noch? Wer weiß, wo ich meine Eltern finde. O Seba¬ ſtian, wärſt Du zugegen, daß ich Dir die Hälfte meines Muthes geben könnte!

283

Zweites Kapitel.

Als Sternbald durch die Stadt ſtreifte, glaubte er einmal in der Ferne den Bild¬ hauer Bolz zu bemerken, aber die Perſon, die er dafür hielt, verlor ſich wieder aus den Augen. Franz ergötzte ſich, wieder in einem Gewühl von unbekannten Menſchen herumirren. Es war Jahrmarkt, und aus den benachbarten kleinen Städten und Dör¬ fern hatten ſich Menſchen aller Art verſam¬ melt, um hier zu verkaufen und einzukau¬ fen. Sternbald freute ſich an der allgemei¬ nen Fröhlichkeit, die alle Geſichter beherrſch¬ te, die ſo viele verworrene Töne laut durch einander erregte.

Er ſtellte ſich etwas abſeits, und ſah nun die Ankommenden, oder die ſchon mit ihren eingekauften Waaren zurückgingen. Alle Fenſter am Markte waren mit Men¬284 ſchen angefüllt, die auf das verworrene Ge¬ tümmel herunterſahen. Franz ſagte zu ſich ſelbſt: Welch 'ein ſchönes Gemählde! und wie wäre es möglich, es darzuſtellen? Wel¬ che angenehme Unordnung, die ſich aber auf keinem Bilde nachahmen läßt! Dieſer ewige Wechſel der Geſtalten, dies mannichfaltige, ſich durchkreuzende Intereſſe, daß dieſe Fi¬ guren nie auch nur auf einen Augenblick in Stillſtand gerathen, iſt es gerade, was es ſo wunderbar ſchön macht. Alle Arten von Kleidungen und Farben verirren ſich durch einander, alle Geſchlechter und Alter, Men¬ ſchen, dicht zuſammengedrängt, von denen keiner am nächſtſtehenden Theil nimmt, ſon¬ dern nur für ſich ſelber ſorgt. Jeder ſucht und holt das Gut, das er ſich wünſcht, mit lachendem Muthe, als wenn die Götter plötz¬ lich ein großes Füllhorn aus den Boden ausgeſchüttet hätten, und ämſig nun dieſe285 Tauſende herausraffen, was ein jeder be¬ darf.

Leute zogen mit Bildern umher, die ſie erklärten, und zu denen ſich eine Menge Volks verſammelte. Es waren ſchlechte, grobe Figuren auf Leinwand gemahlt. Das eine war die Geſchichte eines Handwerkers, der auf ſeiner Wanderſchaft den Seeräubern in die Hände gerathen war, und in Algier ſchmähliche Sklavendienſte hatte thun müſ¬ ſen. Er war dargeſtellt, wie er mit andern Chriſten im Garten den Pflug ziehen mußte, und ſein Aufſeher ihn mit einer[fürchterlichen] Geißel dazu antrieb. Eine zweite Vorſtel¬ lung war das Bild eines ſeltſamlichen Un¬ geheuers, von dem der Erklärer behauptete, daß es jüngſt in der mittelländiſchen See gefangen ſey. Es hatte einen Menſchenkopf und einen Panzer auf der Bruſt, ſeine Füße waren wie Hände gebildet und große Flo߬286 federn hingen herunter, hinten war es Pferd.

Alles Volk war erſtaunt. Dies iſt es, ſagte Franz zu ſich, was die Menge will, was einem jeden gefällt. Ein wunderbares Schickſal, wovon ein jeder glaubt, es hätte auch ihn ergreifen können, weil es einen Menſchen trifft, deſſen Stand der ſeinige iſt. Oder eine lächerliche Unmöglichkeit. Seht, dies muß der Künſtler erfüllen, dieſe abge¬ ſchmackten Neigungen muß er befriedigen, wenn er gefallen will.

Ein Arzt hatte auf der andern Seite des Marktes ſein Gerüſt aufgeſchlagen, und bot mit kreiſchender Stimme ſeine Arzneien aus. Er erzählte die ungeheuerſten Wunder, die er vermittelſt ſeiner Medikamente verrichtet hatte. Auch er hatte großen Zulauf, die Leute verwunderten ſich und kauften.

Er verließ das Gewühl, und ging vor's287 Thor, um recht lebhaft die ruhige Einſam¬ keit gegen das lärmende Geräuſch zu empfin¬ den. Als er unter den Bäumen auf - und abging, begegnete ihm wirklich Bolz, der Bildhauer. Jener erkannte ihn ſogleich, ſie gingen mit einander und erzählten ſich ihre Begebenheiten. Franz ſagte: ich hätte nie¬ mals geglaubt, daß Ihr im Stande wäret, einen Mann zu verletzen, der Euch für ſei¬ nen Freund hielt. Wie könnt Ihr die That entſchuldigen?

O, junger Mann, rief Auguſtin aus, Ihr ſeyd entweder noch niemals beleidigt, oder habt ſehr wenig Galle in Euch. Ro¬ derigo ruhte mit ſeinen Schmähworten nicht eher, bis ich ihm den Stoß verſetzt hatte, es war ſeine eigne Schuld. Er reizte mich ſo lange, bis ich mich nicht mehr zurück¬ halten konnte.

Franz, der keinen Streit anfangen wollte,288 ließ die Entſchuldigung gelten, und Bolz fragte ihn: wie lange er ſich in der Stadt aufzuhalten gedächte? Ich will morgen ab¬ reiſen, antwortete Sternbald. Ich rathe Euch, etwas zu bleiben, ſagte der Bild¬ hauer, und wenn Ihr denn geneigt ſeyd, kann ich Euch eine einträgliche Arbeit nach¬ weiſen. Hier vor der Stadt liegt ein Non¬ nenkloſter, in dem Ihr, wenn Ihr wollt, ein Gemählde mit Öl auf der Wand er¬ neuern könnt. Man hat ſchon nach einem ungeſchickten Mahler ſenden wollen, ich will Euch lieber dazu vorſchlagen.

Franz nahm den Antrag an, er hatte ſchon lange gewünſcht, ſeinen Pinſel einmal an größern Figuren zu üben. Bolz verließ ihn mit dem Verſprechen, ihn noch am Abend wiederzuſehn.

Bolz kam zurück, als die Sonne ſchon untergegangen war. Er hatte den Vertragmit289mit der Äbtiſſin des Kloſters gemacht, Stern¬ bald war damit zufrieden. Sie gingen wie¬ der vor die Stadt hinaus, Bolz ſchien un¬ ruhig, und etwas zu haben, das er dem jungen Mahler gern mittheilen möchte; er brach aber immer wieder ab, und Stern¬ bald, der im Geiſte ſchon mit ſeiner Mah¬ lerei beſchäftigt war, achtete nicht darauf.

Es wurde finſter. Sie hatten ſich in die benachbarten Berge hineingewendet, ihr Geſpräch fiel auf die Kunſt. Ihr habt mich, ſagte Sternbald, auf die unſterblichen Werke des großen Michael Angelo ſehr begierig ge¬ macht, Ihr haltet ſie für das Höchſte, was die Kunſt bisher hervorgebracht hat.

Und hervorbringen kann! rief Bolz aus, es iſt bei ihnen nicht von der oder der Vor¬ trefflichkeit, von dieſer oder jener Schönheit die Rede, ſondern ſie ſind durchaus ſchön, durchaus vortrefflich. Alle übrigen Künſtler(2r Th.) T290ſind gleichſam als die Vorbereitung, als die Ahndung zu dieſem einzig großen Manne anzuſehn: vor ihm hat noch keiner die Kunſt verſtanden, noch gewußt, was er mit ihr ausrichten ſoll.

Aber wie kömmt es denn, ſagte Stern¬ bald, daß auch noch andre außer ihm ver¬ ehrt werden, und daß noch niemand nach dieſer Vollkommenheit geſtrebt hat?

Das iſt leicht einzuſehn, ſagte der Bild¬ hauer. Die Menge will nicht die Kunſt, ſie will nicht das Ideal, ſie will unterhalten und gereizt ſeyn, und es verſteht ſich, daß die niedrigern Geiſter dies weit beſſer in's Werk zu richten wiſſen, weil ſie ſelber mit den Geiſtesbedürfniſſen der Menge, der Lieb¬ haber und Unkenner vertraut ſind. Sie er¬ blicken wohl gar beim ächten Künſtler Man¬ gel, und glauben über ſeine Fehler und Schwächen urtheilen zu können, weil er291 vorſätzlich das verſchmäht hat, was ihnen an ihren Lieblingen gefällt. Warum kein Künſtler noch dieſe Größe erſtrebt hat? Wer hat denn richtigen Begriff von ſeiner Kunſt, um das Beſte zu wollen? Ja, wer von den Künſtlern will denn überhaupt irgend was? Sie können ſich ja nie von ihrem Talente Rechenſchaft geben, das ſie blind¬ lings ausüben, ſie ſind ja zufrieden, wenn ſie den leichteſten Wohlgefallen erregen, auf welchem Wege es auch ſey. Sie wiſſen ja gar nicht, daß es eine Kunſt giebt, woher ſollen ſie denn erfahren, daß dieſe Kunſt eine höchſte, letzte Spitze habe. Mit Mi¬ chael Angelo iſt die Kunſt erſt gebohren wor¬ den, und von ihm wird eine Schule aus¬ gehn, die die erſte iſt und bald die einzige ſeyn wird.

Und wie meint Ihr, fragte Franz, daß dann die Kunſt beſchaffen ſeyn wird?

T 2292

Man wird, ſagte Bolz, die unnützen Beſtrebungen, die ſchlechten Manieren ganz niederlegen, und nur dem allmächtigen Buo¬ narotti folgen. Es iſt in jeder ausgeübten Kunſt natürlich, daß ſie ſich vollendet, wenn nur ein erhabener Geiſt aufgeſtanden iſt, der den Irrenden hat zurufen können: dort¬ hin, meine Freunde, geht der Weg! Das hat Buonarotti gethan, und man wird nach¬ her nicht mehr zweifeln und fragen, was Kunſt ſey. In jeglicher Darſtellung wird dann ein großer Sinn liegen, und man wird die gewöhnlichen Mittel verſchmähen, um zu gefallen. Jetzt nehmen faſt alle Künſtler die Sinnen in Anſpruch, um nur ein In¬ tereſſe zu erregen, dann wird das Ideal verſtanden werden.

Indem war es ganz dunkel geworden. Der Mond ſtieg eben unten am Horizont herauf, ſie hatten ſchon fernher Hammer¬293[ſ]chläge gehört, jetzt ſtanden ſie vor einer Eiſenhütte, in der gearbeitet wurde. Der An¬ blick war ſchön; die Felſen ſtanden ſchwarz umher, Schlacken lagen aufgehäuft, dazwi¬ ſchen einzelne grüne Geſträuche, faſt un¬ kenntlich in der Finſterniß. Vom Feuer und dem funkenden Eiſen war die offene Hütte erhellt, die hämmernden Arbeiter, ihre Be¬ wegungen, alles glich bewegten Schatten, die von dem hellglühenden Erzklumpen an¬ geſchienen wurden. Hinten war der wildbe¬ wachſene Berg ſo eben ſichtbar, auf dem alte Ruinen auf der Spitze vom aufgehen¬ den Monde ſchon beſchimmert waren: gegen¬ über waren noch einige leichte Streifen des Abendroths am Himmel.

Bolz rief aus: Seht den ſchönen, be¬ zaubernden Anblick!

Auch Sternbald war überraſcht, er ſtand eine Weile in Gedanken und ſchwieg, dann294 rief er aus: Nun, mein Freund, was könn¬ tet Ihr ſagen, wenn Euch ein Künſtler auf einem Gemählde dieſe wunderbare Scene darſtellte? Hier iſt keine Handlung, kein Ideal, nur Schimmer und verworrene Geſtalten, die ſich wie faſt unkenntliche Schatten bewegen. Aber wenn Ihr dies Gemählde ſähet, würdet Ihr Euch nicht mit mächtiger Empfindung in den Gegenſtand hineinſehnen? Würde er die übrige Kunſt und Natur nicht auf eine Zeitlang aus Eu¬ rem Gedächtniſſe hinwegrücken, und was wollt Ihr mehr? Dieſe Stimmung würde dann ſo wie jetzt Euer ganzes Inneres durch¬ aus ausfüllen, Euch bliebe nichts zu wün¬ ſchen übrig, und doch wäre es nichts wei¬ ter, als ein künſtliches, faſt tändelndes Spiel der Farben. Und doch iſt es Hand¬ lung, Ideal, Vollendung, weil es das im höchſten Sinne iſt, was es ſeyn kann, und295 ſo kann jeder Künſtler an ſich der Trefflichſte ſeyn, wenn er ſich kennt und nichts Fremd¬ artiges in ſich hineinnimmt. Wahrlich! es iſt, als hätte die alte Welt ſich mit ihren Wundern aufgethan, als ſtänden dort die fabelhaften Cyklopen vor uns, die für Mars oder Achilles die Waffen ſchmieden. Die ganze Götterwelt kömmt dabei in mein Ge¬ dächtniß zurück: ich ſehe nicht nur, was vor mir iſt, ſondern die ſchönſten Erinnerungen entwickeln ſich im Innern meiner Seele, al¬ les wird lebendig und wach, was ſeit lange ſchlief. Nein, mein Freund, ich bin innigſt überzeugt, die Kunſt iſt wie die Natur, ſie hat mehr als Eine Schönheit.

Bolz war ſtill, beide Künſtler ergötzten ſich lange an dem Anblick, dann ſuchten ſie den Rückweg nach der Stadt. Der Mond war indeß heraufgekommen und glänzte ih¬ nen im vollen Lichte entgegen, durch die296 Hohlwege, die ſie durchkreuzten, über die feuchte Wieſe herüber, von den Bergen in zauberiſchen Widerſcheinen. Die ganze Ge¬ gend war in Eine Maſſe verſchmolzen, und doch waren die verſchiedenen Gründe leicht geſondert, mehr angedeutet, als ausgezeich¬ net; keine Wolke war am Himmel, es war, als wenn ſich ein Meer mit unendlichen gol¬ denen Glanzwogen ſanft über Wieſe und Wald ausſtrömte und herüber nach den Fel¬ ſen bewegte.

Könnten wir nur die Natur genau nach¬ ahmen, ſagte Sternbald, oder begleitete uns dieſe Stimmung nur ſo lange, als wir an einem Werke arbeiten, um in friſcher Kraft, in voller Neuheit das hinzuſtellen, was wir jetzt empfinden, damit auch andre ſo davon ergriffen würden, wahrlich, wir könnten oft Handlung und Compoſition ent¬ behren, und doch eine große, herrliche Wir¬ kung hervorbringen!

297

Bolz wußte nicht recht, was er antwor¬ ten ſollte, er mochte nicht gern nachgeben, und doch konnte er Franz jetzt nicht wider¬ legen, ſie ſtritten hin und her, und verwun¬ derten ſich endlich, daß ſie die Stadt nicht erſcheinen ſahen. Bolz ſuchte nach dem We¬ ge, und ward endlich inne, daß er ſich ver¬ irrt habe. Beide Wanderer wurden verdrü߬ lich, denn ſie waren müde und ſehnten ſich nach dem Abendeſſen, aber es ſchoben ſich immer mehr Gebüſche zwiſchen ſie, immer neue Hügel, und der blendende Schimmer des Mondes erlaubte ihnen keine Ausſicht. Der Streit über die Kunſt hörte auf, ſie dachten nur darauf, wie ſie ſich wieder zu¬ recht finden wollten. Bolz ſagte: Seht, mein Freund, über die Kunſt haben wir die Natur vernachläſſigt; wollt Ihr Euch noch ſo in eine Gegend hineinſehnen, aus der wir uns ſo gern wieder herauswickeln möch¬298 ten? Jetzt gäbt Ihr alle Ideale und Kunſt¬ wörter für eine gute Ruheſtelle hin.

Wie Ihr auch ſprecht! ſagte Sternbald, davon kann ja gar nicht die Rede ſeyn. Wir haben uns durch Eure Schuld verirrt, und es ſteht Euch nicht zu, nun noch zu ſpotten.

Sie ſetzten ſich ermüdet auf den Stumpf eines abgehauenen Baumes nieder. Franz ſagte: Wir werden hier wohl übernachten müſſen, denn ich ſehe noch keinen möglichen Ausweg.

Gut denn! rief Bolz aus, wenn es die Noth ſo haben will, ſo wollen wir uns auch in die Noth finden. Wir wollen ſprechen, Lieder ſingen, und ſchlafen, ſo gut es ſich thun läßt. Mit dem Aufgange der Sonne ſind wir dann wieder munter, und kehren zur Stadt zurück. Fangt Ihr an zu ſingen.

Sternbald ſagte: Da wir nichts Beſ¬ ſers zu thun wiſſen, will ich Euch ein Lied299 von der Einſamkeit ſingen, ſchickt ſich gut zu unſerm Zuſtande.

Über mir das hellgeſtirnte Himmelsdach,
Alle Menſchen dem Schlaf ergeben,
Ruhend von dem mühevollen Leben,
Ich allein, allein im Hauſe wach.
Trübe brennt das Licht herunter;
Soll ich aus dem Fenſter ſchauen,
'nüber nach den fernen Auen?
Meine Augen bleiben munter.
Soll ich mich im Strahl ergehen
Und des Mondes Aufgang ſuchen?
Sieh ', er flimmert durch die Buchen,
Weiden am Bach im Walde ſtehen.
Iſt es nicht, als käme aus den Weiden
Ach ein Freund, den ich lange nicht geſehn,
Ach, wie viel iſt ſchon ſeither geſchehn,
Seit dem quaalenvollen, bittern Scheiden!
An den Buſen will ich ihn mächtig drücken,
Sagen, was ſo ofte mir gebangt,
Wie mich inniglich nach ihn verlangt,
Und ihm in die ſüßen Augen blicken.
300
Aber der Schatten bleibt dort unter den Zweigen,
Iſt nur Mondenſchein,
Kömmt nicht zu mir herein,
Sich als Freund zu zeigen.
Iſt[auch] ſchon geſtorben und begraben,
Und vergeſſ 'es jeden Tag,
Weil ich's ſo übergerne vergeſſen mag;
Wie kann ich ihn denn in den Armen haben?
Geht der Fluß murmelnd durch die Klüfte,
Sucht die Ferne nach eigner Melodie,
Unermüdet ſprechend ſpat und früh:
Wehn vom Berge ſchon Septemberlüfte.
Töne fallen von oben in die Welt,
Luſt'ge Pfeifen, fröhliche Schallmey'n,
Ach! ſollten es Bekannte ſeyn?
Sie wandern zu mir über's Feld.
Fernab ertönen ſie, keiner weiß von mir,
Alle meine Freunde mich verlaſſen,
Die mich liebten, jetzt mich haſſen,
Kümmert ſich keiner, daß ich wohne hier.
Ziehn mit Netzen oft luſtig am See,
Höre oft das ferne Gelach;
Seufze mein kümmerlich Ach!
Thut mir der Buſen ſo weh.
301
Ach! wo biſt du Bild geblieben,
Engelsbild vom ſchönſten Kind?
Keine Freuden übrig ſind,
Unterſtund mich, Dich zu lieben.
Haſt den Gatten längſt gefunden,
Wie der fernſte Schimmerſchein,
Fällt mein Name Dir wohl ein,
Nie in Deinen guten Stunden.
Und das Licht iſt ausgegangen,
Sitze in der Dunkelheit,
Denke, was mich ſonſt gefreut,
Als noch Nachtigallen ſangen.
Ach! und warſt nicht einſam immer?
Keiner, der Dein Herz verſtand,
Keiner ſich zu Dir verband.
Geh auch unter Mondesſchimmer!
Löſche, löſche letztes Licht!
Auch wenn Freunde mich umgeben,
Führ ich doch einſames Leben:
Löſche, löſche letztes Licht,
Der Unglückliche braucht Dich nicht!

Indem hörten ſie nicht weit von ſich eine Stimm[e]ſingen:

302
Wer luſt'gen Muth zur Arbeit trägt
Und raſch die Arme ſtets bewegt,
Sich durch die Welt noch immer ſchlägt.
Der Träge ſitzt, weiß nicht wo aus
Und über ihm ſtürzt ein das Haus,
Mit vollen Seegeln munter
Fährt der Frohe das Leben hinunter.

Der Singende war ein Kohlenbrenner, der jetzt näher kam. Bolz und Sternbald gingen auf ihn zu, ſie ſtanden ſeiner Hütte ganz nahe, ohne daß ſie es bemerkt hatten. Er war freundlich, und bot ihnen von freien Stücken ſein kleines Haus zum Nachtlager an. Die beiden Ermüdeten folgten ihm gern.

Drinnen war ein kleines Abendeſſen zu¬ recht gemacht, kein Licht brannte, aber ei¬ nige Späne, die auf dem Heerde unterhal¬ ten wurden, erleuchteten die Hütte. Eine junge Frau war geſchäftig, den Fremden ei¬ nen Sitz auf einer Bank zu bereiten, die ſie an den Tiſch ſchob. Alle ſetzten ſich nieder,303 und aßen aus derſelben Schüſſel; Franz ſaß neben der Frau des Köhlers, die ihn mit luſtigen Augen zum Eſſen nöthigte. Er fand ſie artig, und bewunderte die Wirkung des Lichtes auf die Figuren.

Der Köhler erzählte viel vom nahen Eiſenhammer, für den er die meiſten Kohlen lieferte, er hatte noch ſo ſpät einen Weiler beſucht. Ein kleiner Hund geſellte ſich zu ihnen und war äußerſt freundlich, die Frau, die lebhaft war, ſpielte und ſprach mit ihm, wie mit einem Kinde. Sternbald fühlte in der Hütte wieder die ruhigen, frommen Em¬ pfindungen, die ihn ſchon ſo oft beglückt hat¬ ten: er prägte ſich die Figuren und Erleuch¬ tung ſeinem Gedächtniſſe ein, um einmal ein ſolches Gemählde darzuſtellen.

Als ſie mit dem Eſſen beinahe fertig waren, klopfte noch jemand an die Thür, und eine klägliche Stimme flehte um nächt¬304 liche Herberge. Alle verwunderten ſich, der Köhler öffnete die Hütte, und Sternbald er¬ ſtaunte, als er den Pilgrim hereintreten ſah. Der Köhler war gegen den Wallfahrter ſehr ehrerbietig, es wurde Speiſe herbeigeſchafft, die Stube heller gemacht. Der Pilgrim er¬ ſchrack, als er hörte, daß er der Stadt ſo nahe ſey, er hatte ſie ſchon ſeit zwei Tagen verlaſſen, ſich auf eine unbegreifliche Art verirrt, und bei allen Zurechtweiſungen im¬ mer den unrechten Weg ergriffen, ſo daß er jetzt kaum eine halbe Meile von dem Orte entfernt war, von dem er ausging.

Der Wirth erzählte noch allerhand, die junge Frau war geſchäftig, der Hund war gegen Sternbald ſehr zuthunlich. Nach der Mahlzeit wurde für die Fremden eine Streu zubereitet, auf der ſich der Wallfahrter und Bolz ſogleich ausſtreckten. Franz war gegen ſein Erwarten munter. Der Köhler und ſeineFrau305Frau gingen nun auch zu Bette, der Hund ward nach ſeiner Behauſung auf den kleinen Hof gebracht, Sternbald blieb bei den Schla¬ fenden allein.

Der Mond ſah durch das Fenſter, in der Einſamkeit fiel des Bildhauers Geſicht dem Wachenden auf, es war eine Phyſio¬ gnomie, die Heftigkeit und Ungeſtüm aus¬ drückte. Franz begriff es nicht, wie er ſei¬ nen anfänglichen Widerwillen gegen dieſen Menſchen ſo habe überwinden können, daß er jetzt mit ihm umgehe, daß er ſich ihm ſo¬ gar vertraue.

Bolz ſchien unruhig zu ſchlafen, er warf ſich oft umher, ein Traum ängſtigte ihn. Franz vergaß beinahe, wo er war, denn alles umher erhielt eine ſonderbare Be¬ deutung. Seine Phantaſie ward erhitzt, und es währte nicht lange, ſo glaubte er ſich un¬ ter Räubern zu befinden, die es auf ſein(2r Th.) U306Leben angeſehn hätten, jedes Wort des Koh¬ lenbrenners, deſſen er ſich nur erinnerte, war ihm verdächtig, er erwartete es ängſtlich, wie er mit ſeinen Spiesgeſellen wieder aus der Thür herauskommen würde, um ſie im Schlafe umzubringen und zu plündern. Über dieſe Betrachtungen ſchlief er ein, aber ein fürchterlicher Traum ängſtigte ihn noch mehr, er ſah die entſetzlichſten Geſtalten, die ſelt¬ ſamſten Wunder, er erwachte unter drücken¬ den Beklemmungen.

Am Himmel ſammelten ſich Wolken, auf die die Strahlen des Mondes fielen, die Bäume vor der Hütte bewegten ſich. Um ſich zu zerſtreuen, ſchrieb er folgendes in ſeiner Schreibtafel nieder:

Die Phantaſie.

Wer iſt dort der alte Mann,
In einer Ecke feſt gebunden,
Daß er ſich nicht rührt und regt?
307
Vernunft hält über ihn Wache,
Sieht und erkundet jene Miene.
Der Alte iſt verdrüßlich,
Um ihn in tauſend Falten
Ein weiter Mantel geſchlagen.
Es iſt der launige Phantaſus,
Ein wunderlicher Alter,
Folgt ſtets ſeiner närriſchen Laune,
Sie haben ihn jetzt feſtgebunden,
Daß er nur ſeine Poſſen läßt,
Vernunft im Denken nicht ſtört,
Den armen Menſchen nicht irrt,
Daß er ſein Tagesgeſchäft
In Ruhe vollbringe,
Mit dem Nachbar verſtändig ſpreche
Und nicht wie ein Thor erſcheine.
Denn der Alte hat nie was Kluges im Sinn,
Immer tändelt er mit dem Spielzeug
Und kramt es aus, und lärmt damit
So wie nur nicht nach ihm geſehn wird.
Der alte Mann ſchweigt und runzelt die Stirn,
Als wenn er die Rede ungern vernähme,
Schilt gern alles langweilig,
U 2308
Was in ſeinen Kram nicht taugt.
Der Menſch handelt, denkt, die Pflicht
Wird indeß ſtets von ihm gethan;
Fällt in die Augen das Abendroth hinein,
Stehn Schlummer und Schlaf aus ihrem Winkel auf
Da ſie den Schimmer merken.
Vernunft muß ruhn und wird zu Bett gebracht,
Schlummer ſingt ihr ein Wiegenlied:
Schlaf ruhig, mein Kind, morgen iſt auch noch
ein Tag.
Mußt nicht alles auf einmal denken,
Biſt unermüdet und das iſt ſchön,
Wirſt auch immer weiter kommen,
Wirſt Deinem lieben Menſchen Ehre bringen,
Er ſchätzt Dich auch über alles,
Schlaf ruhig, ſchlaf ein.
Wo iſt meine Vernunft geblieben? ſagt der Menſch,
Geh 'Erinnrung, und ſuch' ſie auf.
Erinnrung geht und trifft ſie ſchlafend,
Gefällt ihr die Ruhe auch,
Nickt über der Gefährtin ein.
» Nun werden ſie gewiß dem Alten die Hände
frei machen,
309
Denkt der Menſch, und fürchtet ſich ſchon.
Da kömmt der Schlaf zum Alten geſchlichen,
Und ſagt: mein Beſter, Du mußt erlahmen,
Wenn Dir die Glieder nicht frei gemacht werden,
Pflicht, Vernunft und Verſtand bringen Dich ganz herunter,
Und Du biſt gutwillig, wie ein Kind.
Indem macht der Schlaf ihm ſchon die Hände los,
Und der Alte ſchmunzelt: ſie haben mir viel zu danken,
Mühſam hab 'ich ſie erzogen,
Aber nun verachten ſie mich alten Mann,
Meinen ich würde kindiſch,
Sey zu gar nichts zu gebrauchen.
Du, mein Liebſter, nimmſt Dich mein noch an,
Wir beiden bleiben immer gute Kameraden.
Der Alte ſieht auf und iſt der Banden frei,
Er ſchüttelt ſich vor Freude:
Er breitet den weiten Mantel aus,
Und aus allen Falten ſtürzen wunderbare Sachen
Die er mit Wohlgefallen anſieht.
Er kehrt den Mantel um und ſpreitet ihn weit umher,
310
Eine bunte Tapete iſt die untre Seite.
Nun handthiert Phantaſus in ſeinem Zelte
Und weiß ſich vor Freuden nicht zu laſſen.
Aus Glas und Kryſtallen baut er Schlöſſer,
Läßt oben aus den Zinnen Zwerge kucken,
Die mit dem großen Kopfe wackeln.
Unten gehn Fontainen im Garten ſpazieren,
Aus Röhren ſprudeln Blumen in die Luft,
Dazu ſingt der Alte ein ſeltſam Lied
Und klimpert mit aller Gewalt auf der Harfe.
Der Menſch ſieht ſeinen Spielen zu
Und freut ſich, vergißt, daß Vernunft
Ihn vor allen Weſen herrlich macht.
Spricht: fahre fort, mein lieber Alter.
Und der Alte läßt ſich nicht lange bitten,
Schreiten Geiſtergeſtalten heran,
Zieht die kleinen Marionetten an Fäden
Und läßt ſie aus der Ferne größer ſcheinen.
Tummeln ſich Reuter und Fußvolk,
Hängen Engel in Wolken oben,
Abendröthen und Mondſchein gehn durch einander.
Verſchämte Schönen ſitzen in Lauben,
Die Wangen roth, der Buſen weiß,
311
Das Gewand aus blinkenden Strahlen gewebt.
Ein Heer von Kobolden lärmt und tanzt,
Alte Helden kommen von Troja wieder,
Achilles, der greiſe Neſtor, verſammeln ſich zum
Spiel
Und entzweien ſich wie die Knaben.
Ja, der Alte hat daran noch nicht genug,
Er ſpricht und ſingt: Laß Deine Thaten fahren,
Dein Streben, Menſch, Deine Grübelei'n,
Sieh, ich will Dir goldne Kegel ſchenken,
Ein ganzes Spiel, und ſilberne Kugeln dazu,
Männerchen, die von ſelbſt immer auf den Bei¬
nen ſtehn,
Warum willſt Du Dich des Lebens nicht freun?
Dann bleiben wir beiſammen,
Vertreiben mit Geſpräch die Zeit,
Ich lehre Dich tauſend Dinge,
Von denen Du noch nichts weißt.
Das blinkende Spielwerk ſticht dem Menſchen
in die Augen,
Er reckt die Hände gierig aus,
Indem erwacht mit dem Morgen die Vernunft.
Reibt die Augen und gähnt und dehnt ſich:
312
Wo iſt mein lieber Menſch?
Iſt er zu neuen Thaten geſtärkt? ſo ruft ſie
Der Alte hört die Stimme und fängt an zu zittern,
Der Menſch ſchämt ſich, läßt Kegel und Kugel fallen,
Vernunft tritt in's Gemach.
Iſt der alte Wirrwarr ſchon wieder los geworden
Ruft Vernunft aus, läßt Du Dich immer wieder locken
Von dem kind'ſchen[Geiſte], der ſelber nicht weiß
Was er beginnt?
Der Alte fängt an zu weinen,
Der Mantel wieder umgekehrt
Ihm um die Schultern gehängt,
Arm 'und Beine feſtgebunden.
Sitzt wieder grämlich da.
Sein Spielzeug eingepackt,
Ihm alles wieder in's Kleid geſteckt
Und Vernunft macht' ne drohende Miene.
Der Menſch muß an die Geſchäfte gehn,
Sieht den Alten nur von der Seite an
Und zuckt die Schultern über ihn.
Warum verführt ihr mir den lieben Menſchen!
313
Grämelt der alte Phantaſus,
Ihr werdet ihn matt und todt noch machen,
Wird vor der Zeit kindiſch werden,
Sein Leben nicht genießen.
Sein beſter Freund ſitzt hier gebunden,
Der es gut mit ihm meint.
Er verzehrt ſich und möcht 'es gern mit mir halten,
Aber ihr Überklugen
Hat ihm meinen Umgang verleidet
Und wißt nicht, was ihr mit ihm wollt.
Schlaf iſt weg und keiner ſteht mir bei.

Der Morgen brach indeſſen an, die übri¬ gen im Hauſe wurden munter, und Franz las dem Bildhauer ſeine Verſe vor, der dar¬ über lachte und ſagte: Auch dies Gedicht, mein Freund, rührt vom Phantaſus her, man ſieht es ihm wohl an, daß es in der Nacht geſchrieben iſt; dieſer Mann hat, wie es ſcheint, Spott und Ernſt gleich lieb.

314

Das dunkle Gemach wurde erhellt, der Köhler trat mit ſeiner Frau herein. Franz lächelte über ſeine nächtliche Einbildung, er ſah nun die Thür, die er immer gefürchtet hatte, deutlich vor ſich ſtehn, nichts Furcht¬ bares war an ihr ſichtbar. Die Geſellſchaft frühſtückte, wobei der muntere Köhler noch allerhand erzählte. Er ſagte, daß in eini¬ gen Tagen eine Nonne im benachbarten Klo¬ ſter ihr Gelübde ablegen würde, und daß ſich dann zu dieſer Feierlichkeit alle Leute aus der umliegenden Gegend verſammelten. Er beſchrieb die Zeremonien, die dabei vor¬ fielen, er freute ſich auf das Feſt, Stern¬ bald ſchied von ihm und dem Pilgrim, und ging mit dem Bildhauer zur Stadt zurück.

Sternbald ließ ſich im Kloſter melden, er ward der Äbtiſſin vorgeſtellt, er betrach¬ tete das alte Gemählde, das er auffriſchen ſollte. Es war die Geſchichte der heiligen315 Genovefa, wie ſie mit ihrem Sohne unter einſamen Felſen in der Wildniß ſitzt, und von freundlichen, liebkoſenden Thieren um¬ geben iſt. Das Bild ſchien alt, er konnte nicht das Zeichen eines ihm bekannten Künſt¬ lers entdecken. Denkſprüche gingen aus dem Munde der Heiligen, ihres Sohnes und der Thiere, die Compoſition war einfach und ohne Künſtlichkeit, das Gemählde ſollte nichts als den Gegenſtand auf die einfältigſte Weiſe ausdrücken. Sternbald war Willens, die Buchſtaben zu verlöſchen und den Ausdruck der Figur zu erhöhen, aber die Äbtiſſin ſag¬ te: Nein, Herr Mahler, Ihr müßt das Bild im Ganzen ſo laſſen, wie es iſt, und um alles ja die Worte ſtehen laſſen. Ich mag es durchaus nicht, wenn ein Gemählde zu zierlich iſt.

F[r]anz machte ihr deutlich, wie dieſe weißen Zettul alle Täuſchung aufhöben und316 unnatürlich wären, ja wie ſie gewiſſermaßen das ganze Gemählde vernichteten, aber die Äbtiſſin antwortete: Dies alles iſt mir ſehr gleich, aber eine geiſtliche, bewegliche Hi¬ ſtorie muß durchaus nicht auf eine ganz weltliche Art ausgedrückt werden, Reiz, und was Ihr Mahler Schönheit nennt, ge¬ hört gar nicht in ein Bild, das zur Er¬ bauung dienen und heilige Gedanken erwek¬ ken ſoll. Mir iſt hier das Steife, Altfrän¬ kiſche viel erwünſchter, dies ſchon trägt zu einer gewiſſen Erhebung bei. Die Worte ſind aber eigentlich die Erklärung des Ge¬ mähldes, und dieſe gottſeligen Betrachtun¬ gen könnt Ihr nimmermehr durch den Aus¬ druck der Mienen erſetzen. An der ſoge¬ nannten Wahrheit und Täuſchung liegt mir ſehr wenig: wenn ich mich einmal davon überzeugen kann, daß ich hier in der Kirche dieſe Wildniß mit Thieren und Felſen an¬317 treffe, ſo iſt es mir ein kleines, auch anzu¬ nehmen, daß dieſe Thiere ſprechen, und daß ihre Worte hingeſchrieben ſind, wie ſie ſelbſt nur gemahlt ſind. Es entſteht dadurch et¬ was Geheimnißvolles, wovon ich nicht gut ſa¬ gen kann, worin es liegt. Die übertriebenen Mienen und Gebehrden aber ſind mir zuwi¬ der. Wenn die Mahler immer bei dieſer alten Methode bleiben, ſo werden ſie ſich auch ſtets in den Schranken der guten Sit¬ ten halten, denn dieſer Ausdruck mit Wor¬ ten führt gleichſam eine Aufſicht über ihr Werk. Ein Gemählde iſt und bleibt eine gutgemeinte Spielerei, und darum muß man ſie auch niemals zu ernſthaft treiben.

Franz ging betrübt hinweg, er wollte am folgenden Morgen anfangen. Das Ge¬ rüſt wurde eingerichtet, die Farben waren zubereitet; als er in der Kirche oben allein ſtand, und in die trüben Gitter hineinſah,318 fühlte er ſich unbeſchreiblich einſam, er lä¬ chelte über ſich ſelber, daß er den Pinſel in der Hand führe. Er fühlte, daß er nur als Handwerker gedungen ſey, etwas zu machen, wobei ihm ſeine Kunſtliebe, ja ſein Talent völlig überflüſſig war. Was iſt bis jetzt von mir geſchehen? ſagte er zu ſich ſelber, in Antwerpen habe ich einige Conterfeye ohne ſonderliche Liebe gemacht, die Gräfin und Roderigo nachher gemahlt, weil ſie in ihn verliebt war, und nun ſtehe ich hier, um Denkſprüche, ſchlecht geworfene Gewänder, Hirſche und Wölfe neu anzuſtreichen.

Indem hatten ſich die Nonnen zur Hora verſammelt, und ihr feiner, wohlklingender Geſang ſchwung ſich wunderſam hinüber, die erloſchene Genovefa ſchien darnach hin¬ zuhören, die gemahlten Kirchenfenſter ertön¬ ten. Eine neue Luſt erwachte in Franz, er nahm Pallette und Pinſel mit friſchen Muth319 und färbte Genovefens dunkles Gewand. Warum ſollte ein Mahler, ſagte er zu ſich, nicht allenthalben, auch am unwürdigen Orte, Spuren ſeines Daſeyns laſſen? Er kann allenthalben ein Monument ſeiner ſchönen Exiſtenz ſchaffen, vielleicht daß doch ein ſel¬ tener zarter Geiſt ergriffen und gerührt wird, ihm dankt, und aus den Trübſeligkeiten ſich eine ſchöne Stunde hervorſucht. Er nahm ſich nehmlich vor, in dem Geſichte der Ge¬ novefa das Bildniß ſeiner theuren Unbekann¬ ten abzuſchildern, ſo viel es ihm möglich war. Die Figuren wurden ihm durch die¬ ſen Gedanken theurer, die Arbeit lieber.

Er ſuchte in ſeiner Wohnung das Bild¬ niß hervor, das ihm der alte Mahler gege¬ ben hatte, er ſah es an, und Emma ſtand unwillkührlich vor ſeinen Augen. Sein Ge¬ müth war wunderbar beängſtigt, er wußte nicht, wofür er ſich entſcheiden ſolle. Dieſer320 Liebreiz, dieſe Heiterkeit ſeiner Phantaſie bei Emma's Angedenken, die lüſternen Bil¬ der und Erinnerungen, die ſich ihn offen¬ barten, und dann das Zauberlicht, das ihm aus dem Bildniſſe des theuren Angeſichts aus herrlicher Ferne entgegenleuchtete, die Geſänge von Engeln, die ihn dorthin rie¬ fen, die ſchuldloſe Kindheit, die wehmüthige Sehnſucht, das Goldenſte, Fernſte und Schönſte, was er erwünſchen und erlan¬ gen konnte, daneben Sebaſtian's Freude und Erſtaunen, dazwiſchen das Grab.

Die Verworrenheit aller dieſer Vorſtel¬ lungen bemächtigte ſich ſeiner ſo ſehr, daß er zu weinen anfing, und keinen Gedanken erhaſchte, der ihn tröſten konnte. Ihm war, als wenn ſeine innerſte Seele in den bren¬ nenden Thränen ſich aus ſeinen Augen hin¬ ausweinte, als wenn er nachher nichts wün¬ ſchen und hoffen dürfte, und nur ungewiſſe,irrende321irrende Reue ihn verfolgen könne. Seine Kunſt, ſein Streben, ein edler Künſtler zu werden, ſein Wirken und Werden auf der Erde erſchien ihm als etwas Armſeliges, Kaltes und jämmerlich Dürftiges. In Däm¬ merung gingen die Geſtalten der großen Meiſter an ihm vorüber, er mochte nach keinem mehr die Arme ausſtrecken; alles war ſchon vorüber und geendigt, wovon er noch erſt den Anfang erwartete.

Er ſchweifte durch die Stadt, und die bunten Häuſer, die Brücken, die Kirchen mit ihrer künſtlichen Steinarbeit, nichts reizte ihn, es genau zu betrachten, es ſich einzu¬ prägen, wie er ſonſt ſo gern that, in jedem Werke ſchaute ihn Vergänglichkeit und zweck¬ loſes Spiel mit trüben Augen, mit ſpötti¬ ſcher Miene an. Die Mühſeligkeit des Hand¬ werkers, die Ämſigkeit des Kaufmanns, das troſtloſe Leben des Bettlers daneben ſchien(2r Th.) X322ihm nun nicht mehr, wie immer, durch große Klüfte getrennt: ſie waren Figuren und Ver¬ zierungen von einem großen Gemählde, Wald, Bergſtrom, Gebirge, Sonnenauf¬ gang waren Anhang zur trüben, dunkeln Hiſtorie, die Dichtkunſt, die Muſik machten die Worte und Denkſprüche, die mit unge¬ ſchickter Hand hineingeſchrieben wurden. Jetzt weiß ich, rief er im Unmuthe aus, wie Dir zu Muthe iſt, mein vielgeliebter Sebaſtian, erſt jetzt leſe ich aus mir ſelber Deinen Brief, erſt jetzt entſetze ich mich darüber, daß Du Recht haſt. So kann keiner dem andern ſa¬ gen und ſprechen, was er denkt; wenn wir ſelbſt wie todte Inſtrumente, die ſich nicht beherrſchen können, ſo angeſchlagen werden, daß wir dieſelben Töne angeben, dann glau¬ ben wir den andern zu vernehmen.

Die Melodie des Liedes von der Ein¬ ſamkeit kam ihm in's Gedächtniß, er konnte323 es nicht unterlaſſen, das Gedicht leiſe vor ſich hinzuſingen, wobei er immer durch die Straßen lief, und ſich endlich in das Ge¬ tümmel des Marktes verlor.

Er ſtand im Gedränge ſtill, und ihm fiel bei, daß vielleicht keiner von den hier bewegten unzähligen Menſchen ſeine Gedan¬ ken und ſeine Empfindungen kenne, daß er ſchon oft ſelbſt ohne Arg herumgewandert ſey, daß er auch vielleicht in wenigen Ta¬ gen alles vergeſſen habe, was ihn jetzt er¬ ſchüttre, und er ſich dann wohl wieder klü¬ ger und beſſer als jetzt vorkomme. Wenn er ſo in ſein bewegtes Gemüth ſah, ſo war es, als wenn er in einen unergründlichen Strudel hinabſchaute, wo Woge Woge drängt und ſchäumt, und man doch keine Welle ſon¬ dern kann, wo alle Fluthen ſich verwirren und trennen, und immer wieder durch ein¬ ander wirbeln, ohne Stillſtand, ohne Ruhe,X 2324wo dieſelbe Melodie ſich immer wiederholt, und doch immer neue Abwechſelung ertönt: kein Stillſtand, keine Bewegung, ein rau¬ ſchendes, toſendes Räthſel, eine endloſe, end¬ loſe Wuth des erzürnten, ſtürzenden Elements.

Kaufer und Verkäufer ſchrien und lärm¬ ten durch einander, Fremde, die ſich zurecht¬ fragten, Wagen, die ſich gewaltſam Platz machten. Alle Arten von Eßwaaren umher gelagert, Kinder und Greiſe im Gewühl, alle Stimmen und Zungen zum verwirrten Uniſono vereinigt. Nach der andern Seite drängte ſich das Volk voll Neugier, und Franz ward von dem ungeſtümen Strome mit ergriffen und fortgezogen, er bemerkte es kaum, daß er von der Stelle kam.

Als er näher ſtand, hörte er durch das Geräuſch der Stimmen, durch die öftere Un¬ terbrechung, Fragen, Antworten und Ver¬ wunderung folgendes Lied ſingen:

325
Wie über Matten
Die Wolke zieht,
So auch der Schatten
Vom Leben flieht.
Die Jahre eilen
Kein Stilleſtand,
Und kein Verweilen,
Sie hält kein Band.
Nur Freude kettet
Das Leben hier,
Der Frohe rettet
Die Zeiten ſchier.
Ihm ſind die Stunden
Was Jahre ſind,
Sind nicht verſchwunden
Wer ſo geſinnt.
Ihm ſind die Küſſe
Der goldne Wein
Noch 'mal ſo ſüße
Im Sonnenſchein.
326
Ihm naht kein Schatten
Vergänglichkeit,
Für ihn begatten
Sich Freud 'und Zeit.
Drum nehmt die Freude
Und ſperrt ſie ein.
Dann müßt ihr beide
Unſterblich ſeyn.

Es war ein Mädchen, die dieſes Lied abſang, indem kam Franz durch eine unver¬ muthete Wendung dicht an die Sängerin zu ſtehn, das Gedränge preßte ihn an ſie, und indem er ſie genau betrachtete, glaubte er Ludoviko zu erkennen. Jetzt hatte ihn der Strom von Menſchen wieder entfernt, und er konnte daher ſeiner Sache nicht gewiß ſeyn, ein Leyerkaſten fiel ihm mit ſeinen ſchwerfälligen Tönen in die Ohren, und eine andre Stimme ſang:

327
Aus Wolken kommt die frohe Stunde,
O Menſch geſunde,
Laß Leiden ſeyn und Bangigkeit
Wenn Liebchens Kuß Dein Herz erfreut.
In Küſſen webt ein Zauberſegen,
Drum ſey verwegen,
Was ſchadet's, wenn der Donner rollt,
Wenn nur der rothe Mund nicht ſchmollt.

Franz war erſtaunt, denn er glaubte in dieſem begleitenden Sänger Floreſtan zu er¬ kennen. Er war wie ein alter Mann ge¬ ſtaltet, und verſtellte, wie Sternbald glaub¬ te, auch ſeine Stimme; doch war er noch zweifelhaft. In kurzer Zeit hatte er beide aus den Augen verloren, ſo ſehr er ſich auch bemühte, ſich durch die Menſchen hindurchzudrängen.

Die beiden Geſtalten lagen ihm immer im Sinne, er ging zum Kloſter zurück, aber er konnte ſie nicht vergeſſen, er wollte ſie328 wieder aufſuchen, aber es war vergebens. Indem er mahlte, kam die Äbtiſſin mit ei¬ nigen Nonnen hinzu, um ihm bei der Arbeit zuzuſehn, die größte von ihnen ſchlug den Schleier zurück, und Franz erſchrack über die Schönheit, über die Majeſtät eines An¬ geſichts, die ihm plötzlich in die Augen fie¬ len. Dieſe reine Stirn, dieſe großen dun¬ keln Augen, das ſchwermüthige, unausſprech¬ lich ſüße Lächeln der Lippen nahm ſein Auge gleichſam mit Gewalt gefangen, ſein Ge¬ mählde, jede andre Geſtalt kam ihm gegen dieſe Herrlichkeit trübe und unſcheinbar vor. Er glaubte auch noch nie einen ſo ſchlanken Wuchs geſehen zu haben, ihm fielen ein paar Stellen aus alten Gedichten ein, wo der Dichter von der ſiegenden Gewalt der Allerholdſeligſten ſprach, von der unüber¬ windlichen Waffenrüſtung ihrer Schöne. Ein altes Lied ſagte:

329
Laß mich los, um Gotteswillen
Gieb mich armen Sklaven frei,
Laß die Augen Dir verhüllen,
Daß ihr Glanz nicht tödtlich ſey.
Mußt Du mich in Ketten ſchleifen
Stärker als von Demantſtein?
Muß das Schickſal mich ergreifen,
Ich ihr Kriegsgefangner ſeyn?

Wie, dachte Sternbild, muß dem Man¬ ne ſeyn, dem ſich dieſe Arme freundlich öff¬ nen? dem dieſer heilige Mund den Kuß ent¬ gegenbringt? Die Grazie dieſer übermenſch¬ lichen Engelsgeſtalt ganz ſein Eigenthum!

Die Nonne betrachtete das Gemählde und den Mahler in einer nachdenklichen Stellung, keine ihrer Bewegungen war leb¬ haft, aber wider Willen ward das Auge nachgerufen, wenn ſie ging, wenn ſie die Hand erhob, das Auge war entzückt, in den Linien mitzugehn, die ſie beſchrieb. Franz330 gedachte an Roderigo's Worte, der von der Gräfin geſagt hatte, daß ſie in Bewegun¬ gen Muſik ſchriebe, daß jede Biegung der Gelenke ein Wohllaut ſey.

Sie gingen fort, der Geſang der Non¬ nen erklang wieder. Franz fühlte ſich ver¬ laſſen, daß er nicht neben der ſchönen Heili¬ gen knien konnte, ganz in Andacht hinge¬ goſſen, die Augen dahin gerichtet, wohin die ihrigen blickten, er glaubte, daß das al¬ lein ſchon ein höchſt ſeliges Gefühl ſeyn müſſe, nur mit ihr dieſelben Worte zu ſingen, zu denken. Wie widerlich waren ihm die Far¬ ben, die er auftragen, die Figuren, die er neu beleben ſollte!

Auf den Abend ſprach er den Bildhauer. Er ſchilderte ihm die Schönheit, die er ge¬ ſehn hatte, Auguſtin ſchien beinahe eiferſüch¬ tig. Er erzählte, wie es daſſelbe Mädchen ſey, das in Kurzem das Gelübde ablegen331 werde, von der der Köhler geſprochen habe, ſie ſey mit ihrem Stande unzufrieden, müſſe ſich aber dem Willen der Eltern fügen. Ihr habt Recht, fuhr er gegen Franz fort, wenn Ihr ſie eine Heilige nennt, ich habe noch nie eine Geſtalt geſehn, die etwas ſo Hohes, ſo Überirrdiſches ausgedrückt hätte. Und nun denkt Euch dieſen züchtigen Buſen entfeſſelt, dieſe Wangen mit Schaam und Liebe käm¬ pfend, dieſe Lippen in Küſſen entbrannt, das große Auge der Trunkenheit dahin gegeben, dies Himmliſche des Weibes im Widerſpruch mit ſich ſelbſt und doch ihre ſchönſte Beſtim¬ mung erfüllend, o, wer auf weiter Erde iſt denn glückſeliger und gebenedeiter, als dieſer ihr Geliebter? Höhere Wonne wird auf dieſer magern Erde nicht reif, und wem dieſe beſcheret iſt, vergißt die Erde und ſich, und alles!

Er ſchien noch weiter ſprechen zu wol¬332 len, aber plötzlich brach er ab, und verließ Sternbald im unnützen Nachſinnen verloren.

Franz hatte noch keine ſeiner Arbeiten mit dieſer Unentſchloſſenheit und Beklem¬ mung gemacht, er ſchämte ſich eigentlich ſei¬ nes Mahlens an dieſem Orte, beſonders in Gegenwart der majeſtätiſchen Geſtalt. Sie beſuchte ihn regelmäßig und betrachtete ihn genau. Ihre Geſtalt prägte ſich jedesmal tiefer in ſeine Phantaſie, er ſchied immer ungerner.

Die Mahlerei ging raſcher fort, als er ſich gedacht hatte. Die Genovefa machte er ſeiner theuren Unbekannten ähnlich, er ſuch¬ te den Ausdruck ihrer Phyſiognomie zu er¬ höhen, und den geiſtreichen Schmerz gut ge¬ gen die unſchuldigen Geſichter der Thierge¬ ſtalten abſtechen zu laſſen. Wenn die Orgel zuweilen ertönte, fühlte er ſich wohl ſelbſt in ſchauerliche Einſamkeit entrückt, dann333 fühlte er Mitleid mit der Geſchichte, die er darſtellte, ihn erſchreckte dann der wehmü¬ thige Blick, den die Unbekannte von der Wand herab auf ihn warf, die Thiere mit ihren Denkſprüchen rührten ihn innerlich. Aber faſt immer ſehnte er ſich zu einer an¬ dern Arbeit hin.

Manchmal glaubte er, daß die ſchöne Nonne ihn mit Theilnahme und Rührung betrachte, denn es ſchien zuweilen, als wenn ſie jeden ſeiner Blicke aufzuhaſchen ſuchte, ſo oft er die Augen auf ſie wandte, begeg¬ nete er ihrem bedeutenden Blicke. Er wurde roth, der Glanz ihrer Augen traf ihn wie ein Blitz. Die Äbtiſſin hatte ſich an einem Morgen auf eine Weile entfernt, die übri¬ gen Nonnen waren nicht zugegen, und Stern¬ bald war gerade unten am Gemählde be¬ ſchäftigt, als das ſchöne Mädchen ihm plötz¬[l]ich ein Papier in die Hand drückte. Er334 wußte nicht, wie ihm geſchah, er verbarg es ſchnell. Die wunderbarſte Zeit des Alter¬ thums mit allen ihren ungeheuren Mähr¬ chen, dünkte ihm, wäre ihm nahe getreten, hätte ihn berührt, und ſein gewöhnliches Le¬ ben ſey auf ewig völlig entſchwunden. Seine Hand zitterte, ſein Geſicht glühte, ſeine Au¬ gen irrten umher, und ſcheuten ſich, den ih¬ rigen zu begegnen. Er ſchwur ihr im Her¬ zen Treue und feſte Kühnheit, er unternahm jegliche Gefahr, ihm ſchien es Kleinigkeit, das Gräßlichſte um ihrentwillen zu unter¬ nehmen. Er ſah im Geiſte Entführung und Verfolgung vor ſich, er flüchtete ſich ſchon in Gedanken zu ſeiner Genovefa in die un¬ zugängliche Wüſte.

Wer hätte das gedacht, ſagte er zu ſich, als ich zuerſt den ſteinernen Fußboden dieſes Kloſters betrat, daß hier mein Leben einen neuen Anfang nehmen würde? daß335 mir das gelingen könne, was ich für das Unmöglichſte hielt?

Indem verſammelten ſich die Nonnen auf dem Chor, die Glocke ſchlug ihre Töne, die ihm in's Herz redeten, man ließ ihn al¬ lein, und der herzdurchdringende, einfache Geſang hob wieder an. Er konnte kaum athmen, ſo ſchienen ihn die Töne wie mit mächtigen Armen zu umfaſſen und ſich dicht an ſeine entzückte Bruſt zu drücken.

Als alles wieder ruhig war, als er ſich allein befand, nahm er den Brief wieder hervor, ſeine Hand zitterte, als er ihn er¬ brechen wollte, aber wie erſtaunte er, als er die Aufſchrift: An Ludoviko, las! Er ſchämte ſich vor ſich ſelber, er ſtand eine Weile tief nachſinnend, dann arbeitete er mit neuer Inbrunſt am Antlitz ſeiner Heili¬ gen weiter, er konnte den Zuſammenhang nicht begreifen, alle ſeine Sinne verwirrten336 ſich. Das Gemählde ſchien ihn mit ſeinen alten Verſen anzureden, Genovefa ihm ſeine Untreue, ſeinen Wankelmuth vorzuwerfen.

Es war Abend geworden, als er das Kloſter verließ. Er ging über den Kirchhof nach dem Felde zu, als ihm wieder die dumpfen Leyertöne auffielen. Der Alte kam auf ihn zu und nannte ihn bei Namen. Es war niemand anders als Floreſtan.

Sternbald konnte ſich vor Erſtaunen nicht finden, aber jener ſagte: Sieh, mein Freund, dies iſt das menſchliche Leben, wir nahmen vor kurzem ſo wehmüthig Abſchied von einander, und nun triffſt Du mich ſo unerwartet und bald wieder, und zwar als alten Mann, Sey künftig niemals traurig, wenn Du einen Freund verläſſeſt. Aber haſt Du nichts an Ludoviko abzugeben?

Sternbald ahndete nun den Zuſammen¬ hang, mit zitternder Hand gab er ihm denBrief,337Brief, den er von der Nonne empfangen hatte. Floreſtan empfing ihn freudig. Als Franz ihn weiter befragte, antwortete er luſtig: Sieh, mein Freund, wir ſind jetzt auf Abentheuer, Ludoviko liebt ſie, ſie ihn, in wenigen Tagen will er ſie entführen, alle Anſtalten dazu ſind getroffen, ich führe bei ihm ein Leben wie im Himmel, alle Tage neue Ge¬ fahren, die wir glücklich überſtehn, neue Ge¬ genden, neue Lieder und neue Geſinnungen.

Franz wurde empfindlich. Wie? ſagte er im Eifer, ſoll auch ſie ein Schlachtopfer ſeiner Verführungskunſt, ſeiner Treuloſigkeit werden? Nimmermehr!

Rudolf hörte darauf nicht, ſondern bat ihn, nur einen Augenblick zu verweilen, er müſſe Ludoviko ſprechen, würde aber ſogleich zurückkommen. Vor allen Dingen aber ſolle er dem Bildhauer Bolz nicht ein Wort da¬ von entdecken.

(2r Th.) Y338

Franz blieb allein und konnte ſich über ſich ſelbſt nicht zufrieden geben, er wußte nicht, was er zu allem ſagen ſolle. Er ſetz¬ te ſich unter einem Baume nieder, und Ru¬ dolf kam nach kurzer Zeit zurück. Hier, mein liebſter Freund, ſagte dieſer, dieſen Zet¬ tul mußt Du morgen Deiner ſchönen Heili¬ gen übergeben, er entſcheidet ihr Schickſal.

Wie? rief Franz bewegt aus, ſoll ich mich dazu erniedrigen, das herrlichſte Ge¬ ſchöpf vernichten zu helfen? Und Du Ru¬ dolf kannſt mit dieſem Gleichmuthe ein ſol¬ ches Unternehmen beginnen? Nein, mein Freund, ich werde ſie vor dem Verführer warnen, ich werde ihr rathen, ihn zu ver¬ geſſen wenn ſie ihn liebt, ich werde ihr er¬ zählen, wie er geſinnt iſt.

Sey nicht unbeſonnen, ſagte Floreſtan, denn Du ſchadeſt dadurch Dir und allen. Sie liebt ihn, ſie zittert vor dem Tage ih¬339 rer Einkleidung, die Flucht iſt ihr freier Ent¬ ſchluß, was geht Dich das übrige an? Und Ludoviko wird und kann ihr nicht niedrig be¬ gegnen. Seit er ſie kennt, iſt er, möch¬ te ich ſagen, durchaus verändert. Er betet ſie an, wie ein himmliſches, überirrdiſches Weſen, er will ſie zu ſeiner Gattin machen, und ihr die Treue ſeines Lebens widmen. Aber lebe wohl, ich habe keine Zeit zu ver¬ lieren, ſprich zum Bildhauer kein Wort, ich laſſe Dir den Brief, denn Du biſt mein und Ludoviko's Freund, und wir trauen Dir beide keine Schändlichkeit zu.

Mit dieſen Worten eilte Floreſtan fort, und Sternbald ging zur Stadt zurück. Er wich dem Bildhauer aus, um ſich nicht zu verrathen. Am folgenden Morgen erwartete er mit Herzklopfen die Gelegenheit, mit der er der ſchönen Nonne das Billet zuſtecken könne. Sie nahm es mit Erröthen, undD 2340verbarg es im Buſen. Über ihr lilienweißes Geſicht legte ſich ein ſo holdes Schaamroth, ihre geſenkten Augen glänzten ſo hell, daß Franz ein vom Himmel verklärtes Weſen vor ſich zu ſehn glaubte. Sie ſchien nun ein Vertrauen zu Franz zu haben und doch ſeine Augen zu fürchten, ihre Majeſtät war ſanfter und um ſo lieblicher. Franz war im innerſten Herzen bewegt.

Die Zeit verging, die Arbeit am Ge¬ mählde nahte ſich ihrer Vollendung. Bolz ſchien mit einem großen Unternehmen ſchwan¬ ger zu gehen, ſeinem Freunde Sternbald ſich aber nicht ganz vertrauen zu wollen. An einem Morgen, als er wieder zum Mahlen ging, es war der letzte Tag ſeiner Arbeit, fand er das ganze Kloſter in der größten Bewegung. Alle liefen unruhig durch ein¬ ander, man ſuchte, man fragte, man erkun¬ digte ſich, die ſchöne Novize ward vermißt,341 der Tag ihrer Einkleidung war ganz nahe. Sternbald ging ſchnell an ſeine Arbeit, ſein Herz war unruhig er war ungewiß, ob er ſich etwas vorzuwerfen habe.

Wie freute er ſich, als er nun das Ge¬ mählde vollendet hatte, als er wußte, daß er das Kloſter nicht mehr zu beſuchen brau¬ che, in welchem die Schönheit nicht mehr war, die ſeine Augen nur zu gern aufge¬ ſucht hatten. Er erhielt von der Äbtiſſin ſeine Bezahlung, betrachtete das Gemählde noch einmal, und ging dann über's Feld nach der Stadt zurück.

Er zitterte für ſeine Freunde, für die ſchöne Nonne; er ſuchte den Bildhauer auf, der aber nirgends anzutreffen war. Er ver¬ ließ ſchon am folgenden Morgen die Stadt, um ſich endlich Italien zu nähern, und Rom den erwünſchten Ort zu ſehn.

Gegen Mittag fand er am Wege den342 Bildhauer Bolz liegen, der ganz entkräftet war. Franz erſtaunte nicht wenig, ihn dort zu finden. Mit Hülfe einiger Vorüberwan¬ dernden brachte er ihn in's nahe Städtchen, er war verwundet, entkräftet und verblutet, aber ohne Gefahr.

Franz ſorgte für ihn, und als ſie allein waren, ſagte Auguſtin: Ihr trefft mich hier, mein Freund, gewiß gegen Eure Erwartung an, ich hätte Euch mehr vertrauen, und mich früher Eurer Hülfe bedienen ſollen, ſo wäre mir dies Unglück nicht begegnet. Ich wollte die Nonne, die man in wenigen Ta¬ gen einkleiden wollte, entführen, ich beredete Euch deshalb, Euch im Kloſter dort zu ver¬ dingen. Aber man iſt mir zuvorgekommen. In der verwichenen Nacht traf ich ſie in Ge¬ ſellſchaft von zwei unbekannten Männern, ich fiel ſie an und ward überwältigt. Ich zweifle nicht, daß es ein Streich von Rode¬343 rigo iſt, der ſie kannte, und ſie ſchon vor einiger Zeit rauben wollte.

Franz blieb einige Tage bei ihm, bis er ſich gebeſſert hatte, dann nahm er Ab¬ ſchied, und ließ ihm einen Theil ſeines Gel¬ des zur Pflege des Bildhauers zurück.

344

Drittes Kapitel.

Aus Florenz antwortete Franz ſeinem Freun¬ de Sebaſtian folgendermaßen:

Liebſter Sebaſtian!

Ich möchte zu Dir ſagen: ſey gutes Muths! wenn Du jetzt im Stande wäreſt, auf meine Worte zu hören. Aber leider iſt es ſo beſchaffen, daß wenn der andre uns zu tröſten vermöchte, wir uns auch ſelber ohne weiteres tröſten könnten. Darum will ich lieber ſchweigen, liebſter Freund, weil über¬ dies wohl bei Dir die trüben Tage vorüber¬ gegangen ſeyn mögen.

In jedem Falle, lieber Bruder, verliere nicht den Muth zum Leben, bedenke, daß die traurigen Tage eben ſo gewiß als die fröhlichen vorübergehen, daß auf dieſer ver¬ änderlichen Welt nichts eine dauernde Stelle345 hat. Das ſollte uns im Unglück tröſten und unſre übermüthige Fröhlichkeit dämpfen.

Wenn ich Dich doch, mein Liebſter, auf meiner Reiſe bei mir hätte! Wie ich da al¬ les mehr und inniger genießen würde! Wenn ich Dir nur alles ſagen könnte, was ich lerne und erfahre, und wie viel Neues ich ſehe und ſchon geſehn habe! Es überſchüttet und überwältigt mich oft ſo, daß ich mich äng¬ ſtige, wie ich alles im Gedächtniß, in mei¬ nen Sinnen aufbewahren will. Die Welt und die Kunſt iſt viel reicher, als ich vor¬ her glauben konnte. Fahre nur eifrig fort zu mahlen, Sebaſtian, damit Dein Name auch einmal unter den würdigen Künſtlern genannt werde, Dir gelingt es gewiß eher und beſſer, als mir. Mein Geiſt iſt zu un¬ ſtät, zu wankelmüthig, zu ſchnell von jeder Neuheit ergriffen; ich möchte gern alles lei¬ ſten, und darüber werde ich am Ende gar nichts thun können.

346

So iſt mein Gemüth auf's heftigſte von zwei neuen großen Meiſtern bewegt, vom venetianiſchen Titian, und von dem aller¬ lieblichſten Antonio Allegri von Cor¬ reggio. Ich habe, möcht 'ich ſagen, alle übrige Kunſt vergeſſen, indem dieſe edlen Künſtler mein Gemüth erfüllen, doch hat der letztere auch beinahe den erſtern ver¬ drängt. Ich weiß mir in meinen Gedanken nichts Holdſeligers vorzuſtellen, als er uns vor die Augen bringt, die Welt hat keine ſo liebliche, ſo vollreizende Geſtalten, als er zu mahlen verſteht. Es iſt, als hätte der Gott der Liebe ſelber in ſeiner Behauſung gearbeitet und ihm die Hand geführt. We¬ nigſtens ſollte ſich nach ihm keiner unterfan¬ gen, Liebe und Wolluſt darzuſtellen, denn keinem andern Geiſte hat ſich ſo das Glor¬ reiche der Sinnenwelt offenbart.

Es iſt etwas Köſtliches, Unbezahlbares,347 Göttliches, daß ein Mahler, was er in der Natur nur Reizendes findet, was ſeine Ima¬ gination nur veredeln und vollenden kann, uns nicht in Gleichniſſen, in Tönen, in Er¬ innerungen oder Nachahmungen aufbewahrt, ſondern es auf die kräftigſte und fertigſte Weiſe ſelber hinſtellt und giebt. Darum iſt auch in dieſer Hinſicht die Mahlerei die erſte und vollendeteſte Kunſt, das Geheimniß der Farben iſt anbetungswürdig. Der Reiche, der Correggio's Gemählde, ſeine Leda, ſeine badenden ſchönſten Nymphen beſitzt hat ſie wirklich, ſie blühen in ſeinem Pallaſt in ewi¬ ger Jugend, der allerhöchſte Reiz iſt bei ihm einheimiſch, wonach andre mit glühender Phantaſie ſuchen, was ſtumpfere mit ihren Sinnen ſich nicht vorſtellen können, lebt und webt bei ihm wirklich, iſt ſeine Göttin, ſeine Geliebte, ſie lächelt ihn an, ſie iſt gern in ſeiner Gegenwart.

348

Wie iſt es möglich, wenn man dieſe Bilder geſehn hat, daß man noch vom Co¬ lorit geringſchätzend ſprechen kann? Wer würde nicht von der Allmacht der Schön¬ heit beſiegt werden, wenn ſie ſich ihm nackt und unverhüllt, ganz in Liebe hingegeben, zu zeigen wagte? Das Studium dieſer himmliſchen Jugendgeiſter hat die große Zau¬ berei erfunden, dies und noch mehr unſern Augen möglich zu machen.

Was die Geſänge des liebenden Petrarka wie aus der Ferne herüberwehen, Schatten¬ bilder im Waſſer, die mit den Wogen wie¬ der wegfließen, was Arioſt's feuriger Ge¬ nius nur lüſtern und in der Ferne zeigen kann, wonach wir ſehen und es doch nicht entdecken können, im Walde fernab die un¬ gewiſſeſten Spuren, die dunkeln Gebüſche verhüllen es, ſo ſehr wir darnach irren und ſuchen; alles das ſteht in der allerholdſelig¬349 ſten Gegenwart dicht vor uns. Es iſt mehr, als wenn Venus uns mit ihrem Knaben ſel¬ ber beſuchte, der Genuß an dieſen Bildern iſt die hohe Schule der Liebe, die Einwei¬ hung in die höchſten Myſterien, wer dieſe Gemählde nicht verehrt, verſteht und ſich an ihnen ergötzt, der kann auch nicht lieben, der muß nur gleich ſein Leben an irgend eine unnütze, mühſelige Beſchäftigung weg¬ werfen, denn ihm iſt es verborgen, was er damit anfangen kann.

Eine Zeichnung mag noch ſo edel ſeyn, die Farbe bringt erſt die Lebenswärme, und iſt mehr und inniger, als der körperliche Umfang der Bildſäule.

Ich hätte mich glücklich geſchätzt, wenn ich dieſen Allegri noch im Leben angetroffen hätte, aber er iſt geſtorben. Er ſoll ein dürftiges, unbekanntes Leben geführt haben. Seine Phantaſie, die immer in Liebe ent¬350 brannt war, hat ihn gewiß dafür entſchä¬ digt. Auch in ſeinen geiſtlichen Compoſitio¬ nen ſpiegelt ſich eine liebende Seele, der Gürtel der Venus iſt auch hier verborgen, und man weiß immer nicht, welche ſeiner Figuren ihn heimlich trägt. Auge und Herz bleiben gern verweilend zurückgezogen; der Menſch fühlt ſich bei ihm in der Heimath der glücklichſten Poeſie, er denkt: ja, das war es, was ich ſuchte, was ich wollte und es immer zu finden verzweifelte. Vulkan's künſtliches Netz zieht ſich unzerreißbar um uns her, und ſchließt uns eng und enger an Venus, die vollendete Schönheit an.

Es herrſcht in ſeinen Bildern nicht halbe Lüſternheit, die ſich verſtohlen und ungern zu erkennen giebt, die der Mahler errathen läßt, der ſich gleich darauf gern wieder zu¬ rückzöge, um viel zu verantworten zu ha¬ ben, ſich aber auch wirklich zu verantwor¬351 ten; es iſt auch nicht gemeine Sinnlichkeit, die ſich gegen den edlern Geiſt empört, um ſich nur bloßzuſtellen, um in frecher Schande zu triumphiren, ſondern die reinſte und hellſte Menſchheit, die ſich nicht ſchämt, weil ſie ſich nicht zu ſchämen braucht, die in ſich ſelbſt durchaus glückſelig iſt. Es iſt, ſo möcht 'ich ſagen, der Frühling, die Blüthe der Menſchheit: alles im vollen, ſchwelgen¬ den Genuß, alle Schönheit emporgehoben in vollſter Herrlichkeit, alle Kräfte ſpielend und ſich übend im neuen Leben, im friſchen Daſeyn. Herbſt iſt weit ab, Winter iſt ver¬ geſſen, und unter den Blumen, unter den Düften und grünglänzenden Blättern wie ein Mährchen, von Kindern erfunden.

Es iſt, als wenn ich mit der weichen, ermattenden und doch erfriſchenden Luft Ita¬ liens eine andre Seele einzöge, als wenn mein inneres Gemüth auch einen ewigen352 Frühling hervortriebe, wie er von außen um mich glänzt und ſchwillt und ſich trei¬ bend blüht. Der Himmel hier iſt faſt im¬ mer heiter, alle Wolken ziehn nach Norden, ſo auch die Sorgen, die Unzufriedenheit. O, liebſter Bruder, Du ſollteſt hier ſeyn, die Harfenſtimmen der Geiſter, die Blumen¬ hände der unſichtbaren Engel würden auch Dich berühren und heilen.

In wenigen Tagen reiſe ich nach Rom. Ein verſtändiger Mann, der die Kunſt über alles liebt, iſt mein Begleiter, er und ſeine junge ſchöne Frau reiſen ebenfalls nach Rom. Er heißt Caſtellani.

Ich habe mancherlei unterdeſſen gear¬ beitet, womit ich aber nicht ſonderlich zu¬ frieden bin: doch erleichtert mir mein Ver¬ dienſt die Reiſe. Laß es mir doch niemals an Nachrichten von Dir mangeln. Lebe wohl, liebe immer wie ſonſt

Deinen Franz Sternbald.

353

Als Franz dieſen Brief geendigt hatte, nahm er ſeine Zitter und ſpielte darauf, wodurch er bewegt ward, folgende Verſe niederzuſchreiben:

Der Frühling.

Die liebe Erde hat ihr Winterkleid abgelegt,
Die Hügel ihrer Bruſt ſind ſchon durch Liebe bewegt,
Die Finſterniß, die Wolken ſind dahin,
Sie hat nun einer Braut, oder jungen Witwen Sinn.
Ihr ſchöner Leib iſt um und um geſchmückt,
Mit tauſend Blumen ſchön auf ihrem Gewande
geſtickt,
Ihr bunter Rock iſt vom kunſtreichen April gewebt,
Der durch und durch mit hellen, glänzenden Farben
lebt.
Hier Lilien weiß, dort Roſen röthlich ſeyn,
Und goldne Blumen machen blanken Schein,
Und flimmern unter ſilberne hinein,
Als ſollt 'die Erd' ein Sternenhimmel ſeyn.
Wie Augen ſehen blaue Blumen her,
Wie Lippen rufen rothe Blüthen dort,
(2r Th.) Z354
Ich wandle durch ein duftend, farbend Meer,
Die Herrlichkeit winkt mir von Ort zu Ort.
Ich höre Voglein um mich ſingen,
Die mit dem Stimmlein klar der Liebſten Grüße
bringen.
So ſchwingt Geſang ſich durch den ſüßen Duft,
Im Wohllaut zittert warme Frühlingsluft,
Vom Berge her die Winde leutſelig ſpielen
Und ſcherzend in den Blumenbeeten wühlen.
O ſüße Frühlingszeit!
Der Blumen Bringerin,
Der Liebe Führerin,
Der Erde Schmückerin,
Wie herrlich Deine Hallen weit und breit!
[Du] pflegſt das Blumenkind,
Haſt Liebe an der Hand,
Geſchmückt mit Roſenband,
Sie wird von uns erkannt
Und jeder liebend nur auf Küſſe ſinnt.
355

Viertes Kapitel.

Franz blieb länger in Florenz, als er ſich vorgenommen hatte, ſein neuer Freund Ca¬ ſtellani ward krank, und Sternbald war gut¬ herzig genug, ihm Geſellſchaft zu leiſten, da jener zu Florenz faſt ganz fremde war. Er konnte den Bitten ſeiner jungen Frau, der freundlichen Lenore, ſich nicht widerſetzen, und da er in Florenz für ſeine Kunſt noch genug zu lernen fand, ſo gereute ihn auch dieſer Abſchub nicht.

Es ereignete ſich außerdem noch ein ſonderbarer Vorfall. Es fügte ſich oft, daß er bei ſeinen Beſuchen ſeinen Freund nicht ſprechen konnte, Lenore war dann allein, und noch ehe er es bemerken konnte, war er an ſie gefeſſelt. Er kam bald nur, um ſie zu ſehn. Lenore ſchien gegen Franz ſehr gefällig, ihre ſchalkhaften Augen ſahen ihnZ 2356immer luſtig an, ihr muthwilliges Geſpräch war immer belebt. An einem Morgen ent¬ deckte ſie ihm unverholen, daß Caſtellani nicht mit ihr verheirathet ſey, ſie reiſe, ſie lebe nur mit ihm, in Turin habe ſie ihn kennen gelernt, und er ſey ihr damals lie¬ benswürdig vorgekommen. Franz war ſehr verlegen, was er antworten ſolle; ihn ent¬ zückte der leichte, flatterhafte Sinn dieſes Weibes, obgleich er ihn verdammen mußte, ihre Geſtalt, ihre Freundlichkeit gegen ihn. Sie ſahen ſich öfter und waren bald einver¬ ſtanden; Franz machte ſich Vorwürfe, aber er war zu ſchwach, dies Band wieder zu zerreißen.

Es gelang ihm, mit einem Mahler in Florenz in Bekanntſchaft zu gerathen, der niemand anders war, als Franz Ruſtici, der damals in dieſer Stadt und Italien in großem Anſehn ſtand. Dieſer verſchaffte ihm357 ein Bild zu mahlen, und ſchien an Stern¬ bald Antheil zu nehmen. Sie ſahen ſich öf¬ ter, und Franz ward in Ruſtici's Freund¬ ſchaft aufgenommen.

Dieſer Mahler war ein luſtiger, offener Mann, der ernſt ſeyn konnte, wenn er woll¬ te, aber immer für leichten Scherz Zeit ge¬ nug übrig behielt. Franz beſuchte ihn oft, um von ihm zu lernen und ſich an ſeinen ſinnreichen Geſprächen zu ergötzen. Ruſtici war ein angeſehener Mann in Florenz, aus einer guten Familie, der bei Andrea Verocchio und dem berühmten Leonard da Vinci ſeine Kunſt erlernt hatte. Franz bewunderte den großen Ausdruck an ſeinen Bildern, die wohl überdachte Compoſition.

Nachdem ſich beide oft geſehn hatten, ſagte Ruſtici an einem Tage zu Stern¬ bald: Mein lieber deutſcher Freund, be¬ ſucht mich am künftigen Sonnabend in mei¬358 nem Garten vor dem Thore, wir wollen dort luſtig mit einander ſeyn, wie es ſich für Künſtler ziemt. Wir machen oft eine fröh¬ liche Geſellſchaft zuſammen, zu der der Mahler Andrea gehört, den Ihr kennt, und den man immer del Sarto von ſei¬ nem Vater her zu nennen pflegt; dieſer wird auch dort ſeyn. Die Reihe, einen Schmaus zu geben, iſt nun an mich gekom¬ men, Ihr mögt auch Eure Geliebte mitbrin¬ gen, denn wir wollen tanzen, lachen und ſcherzen.

Wenn ich nun keine habe, die ich mit¬ bringen kann, antwortete Franz.

O, mein Freund, ſagte der Florentiner, ich würde Euch für keinen guten Künſtler halten, wenn es Euch daran fehlen ſollte. Die Liebe iſt die halbe Mahlerei, ſie gehört mit zu den Lehrmeiſtern in der Kunſt. Ver¬ geßt mich nicht, und ſeyd in meiner Geſell¬ ſchaft recht fröhlich.

359

Franz verließ ihn. Caſtellani war nach Genua gereiſt, um dort einen Arzt, ſeinen Freund, zu ſehn, ſeine Geliebte war in Flo¬ renz zurückgeblieben. Franz bat um ihre Geſellſchaft auf den kommenden Schmaus, die ſie ihm auch zuſagte, da ſie ſich wenig um die Reden der Leute kümmerte.

Der Tag des Feſtes war gekommen. Lenore hatte ihren ſchönſten Putz angelegt, und war liebenswürdiger, als gewöhnlich. Franz war zufrieden, daß ſie Aufmerkſam¬ keit und Flüſtern erregte, als er ſie durch die Straßen der Stadt führte. Sie ſchien ſich auch an ſeiner Seite zu gefallen, denn Franz war jetzt in der blühendſten Periode ſeines Lebens, ſein Anſehn war munter, ſein Auge feurig, ſeine Wangen roth, ſein Schritt und Gang edel, beinahe ſtolz. Er hatte die Demuth und Schüchternheit faſt ganz abge¬ legt, die ihn bis dahin immer noch als einen360 Fremden kennbar machte. Er gerieth nun nicht mehr ſo, wie ſonſt, in Verlegenheit, wenn ein Mahler ſeine Arbeiten lobte, weil er ſich auch daran mehr gewöhnt hatte.

Sternbald fand ſchon einen Theil der Geſellſchaft verſammelt, die ganz aus jun¬ gen Männern und Mädchen oder ſchönen Weibern beſtand. Er grüßte den Meiſter Andrea freundlich, der ihn ſchon kannte, und der ihm mit ſeiner gewöhnlichen leicht¬ ſinnigen und doch blöden Art dankte. Man erwartete den Wirth, von dem ſein Schüler Bandinelli erzählte, daß er nur noch ein fertiges Gemählde in der Stadt nach dem Eigenthümer gebracht habe, und eine an¬ ſehnliche Summe dafür empfangen werde.

Der Garten war annmuthig mit Blu¬ mengängen geſchmückt, mit ſchönen grünen Raſenplätzen dazwiſchen und dunkeln, ſchat¬ tigen Gängen. Das Wetter war ſchön, ein361 erfriſchender Wind ſpielte durch die laue Luft, und erregte ein ſtetes Flüſtern in den bewegten Bäumen. Die großen Blumen dufteten, alle Geſichter waren fröhlich.

Francesko Ruſtici kam endlich, nach¬ dem man ihn lange erwartet hatte, er nä¬ herte ſich der Geſellſchaft freundlich, und hatte das kleine Körbchen in der Hand, in dem er immer ſeine Baarſchaft zu tragen pflegte. Er grüßte alle höflich, und bewill¬ kommte Franz vorzüglich freundſchaftlich. Andrea ging aufgeräumt auf ihn zu, und ſagte: Nun, Freund, Du haſt noch vorher ein anſehnliches Geſchäft abgemacht, lege Deinen Schatz ab, der Dir zur Laſt fällt, vergiß Deine Mahlereien, und ſey nun ganz mit uns fröhlich.

Francesko warf lachend den leeren Korb in's Gebüſch, und rief aus: O, mein Freund, heute fallen mir keine Geldſummen zur Laſt, ich habe nichts mehr.

362

Du biſt nicht bezahlt worden? rief An¬ drea aus, ja, ich kenne die vornehmen und reichen Leute, die es gar nicht wiſſen und nicht zu begreifen ſcheinen, in welche Noth ein armer Künſtler gerathen kann, der ihnen nun endlich ſeine fertige Arbeit bringt, und doch mit leeren Händen wieder zurückgehn muß. Ich bin manchmal ſchon ſo böſe ge¬ worden, daß ich Pinſel[und] Pallette nach¬ her in den Winkel warf und die ganze Mah¬ lereikunſt verfluchte. Sey nicht böſe dar¬ über, Francesko, Du mußt Dich ein Paar unnütze Gänge nicht verdrießen laſſen.

Er iſt bezahlt, ſagte ein junger Mann, der mit dem Mahler gekommen war.

Und wo hat er denn ſein Geld gelaſ¬ ſen? fragte Andrea verwundert.

Ihr kennt ja ſeine Art, fuhr jener fort, wie er keinen Armen vor ſich ſehn kann, ohne ihn zu beſchenken, wenn er Geld bei363 ſich hat. Kaum ſahen ſie ihn daher heute aus dem Pallaſt kommen und ſeinen bekann¬ ten Korb an ſeinem Arm, als ihm auch alle Bettler folgen, die mit ſeiner Gutherzigkeit bekannt ſind. Er gab jedem reichlich, und nahm es nicht übel, daß einige darunter waren, denen er erſt geſtern gegeben hatte; als ich es ihm heimlich ſagte, antwortete er lachend: mein Freund, ſie wollen aber heute wieder eſſen. Ein alter Mann ſtand von der Seite und ſah dem Austheilen zu, er heftete die Augen aufmerkſam auf den Korb, und ſeufzte für ſich: Ach Gott, wenn ich doch nur das Geld hätte, das in dieſem Korbe iſt! Francesko hatte es unvermuthe¬ terweiſe gehört. Er geht auf den Alten zu, und frägt, ob es ihn glücklich machen würde? O, mich und meine Familie, ruft jener, aber ſeyd nicht böſe, ich dachte nicht, das Ihr es hören würdet. Sogleich kehrt mein lau¬364 niger Francesko den ganzen Korb um, und ſchüttet ihm dem alten Bettler in ſeine le¬ derne Mütze, geht davon, ohne auch nur den Dank abzuwarten.

Ihr ſeyd ein edler Mann! rief Stern¬ bald aus.

O, Ihr irrt, ſagte der Mahler, es iſt gar nichts Beſondres, ich kann den Armen nicht ſehn, er jammert mich, und ſo gebe ich ihm wenigſtens, da ich nicht mehr thun kann. Bei dieſem Alten fiel mir ein, wie manche unnütze Ausgaben ich in meinem Leben ſchon gemacht hätte, wie wenig ich aufopfre, wenn ich mir eine Tapete oder ein koſtbares Haus¬ geräth verſage. Ich dachte: wenn Du nun kein Geld bekommen, wenn Du das Ge¬ mählde gar nicht gemahlt hätteſt? Ich ſah Kinder und ſeine alte zerlumpte Gattin in Gedanken vor mir, die mit ſo heißer Sehn¬ ſucht ſeine Rückkehr erwarteten.

365

Aber wenn Du ſo handeln willſt, ſagte Andrea, ſo kannſt Du Deinem Geben gar keinen Einhalt thun.

Das iſt es eben, was mich betrübt, fuhr Ruſtici fort, daß ich meine Gutherzigkeit einſchränken muß, daß alles, was wir an Wohlthaten thun können, nichts iſt, weil wir nicht immer, weil wir nicht alles geben können. Es iſt eine ſonderbare Fügung des Schickſals, daß Überfluß und Pracht und drückender Mangel dicht neben einander be¬ ſtehn müſſen, die Armuth auf Erden kann niemals aufgehoben werden, und wenn alle Menſchen gleich wären, müßten ſie alle bet¬ teln, und keiner könnte geben. Das allein tröſtet mich auch oft darüber, wenn mir ein¬ fällt, daß ich mich bei meiner Kunſt wohl befinde, indeſſen andre, die weit härtere Ar¬ beiten thun, die weit fleißiger ſind, Mangel leiden müſſen. Hier iſt auf Erden See und366 Weltmeer, hier ſtrömen große Flüſſe, dort leiden die heißen Ebenen, die wenigen Pflan¬ zen erſterben aus Mangel am nöthigen Waſ¬ ſer. Einer ſoll gar nicht dem andern nützen, jedes Weſen in der Natur iſt um ſein ſelbſt willen da. Doch, wir müſſen über das Geſpräch nicht unſers Gaſtmahls vergeſſen.

Er verſammelte hierauf die Geſellſchaft. Ein ſchöner Knabe ging mit einem Korbe voll großer Blumenkränze herum, jeder mußte einen davon nehmen und ihn ſich auf die Stirn drücken. Nun ſetzte man ſich um einen runden Tiſch, der auf einem ſchat¬ tigen kühlen Platze im Garten gedeckt war, an allen Orten ſtanden ſchöne Blumen, die Speiſen wurden aufgetragen. Die Geſell¬ ſchaft nahm ſich ſehr mahleriſch aus, mit den großen, vollen, bunten Kränzen, jeder ſaß bei ſeiner Geliebten, Wein ward herumgegeben, aus den Gebüſchen erſchall¬367 ten Inſtrumente von unſichtbaren Mu¬ ſikanten.

Ruſtici ſtand auf, und nahm ein vol¬ les Glas: Nun zuerſt, rief er aus, dem Stolze von Toskana, dem größten Manne, den das florentiniſche Vaterland hervorge¬ bracht hat, dem großen Michael Agnolo Buonarotti! Alle ſtießen an, alle lie¬ ßen ihr » Er lebe! « ertönen.

Schade, ſagte Andrea, daß unſer wahn¬ ſinnige Camillo uns verlaſſen hat, und jetzt in Rom herumwandert, er würde uns eine Rede halten, die ſich gut zu dieſer Ge¬ legenheit ſchickt.

Muntre Trompeten ertönten zu den Ge¬ ſundheiten, und Flöten mit Waldhörnern gemiſcht klangen, wenn ſie ſchwiegen, vom entfernten Ende des Gartens. Die Schönen wurden erheitert, ſie legten nun auch den Schleier ab, ſie löſ'ten die Locken aus ihren368 Feſſeln, der Buſen war bloß. Franz ſagte: Nur ein Künſtler kann die Welt und ihre Freuden auf die wahre und edelſte Art ge¬ nießen, er hat das große Geheimniß erfun¬ den, alles in Gold zu verwandeln. In Ita¬ lien iſt es, wo die Wolluſt die Vögel zum Singen antreibt, wo jeder kühle Baumſchat¬ ten Liebe duftet, wo es dem Bache in den Mund gelegt iſt, von Wonne zu rieſeln und zu ſcherzen. In der Fremde, im Norden iſt die Freude ſelbſt eine Klage, man wagt dort nicht, den vorüberſchwebenden Engel bei ſei¬ nen großen goldenen Flügel herunterzuziehn.

Ein Mädchen gegenüber nahm den Blu¬ menſtraus von der weißen Bruſt, und warf ihn Franzen nach den Augen, indem ſie aus¬ rief: Ihr ſolltet ein Dichter ſeyn, Freund, und kein Mahler, dann ſolltet Ihr lieben, und Euch täglich in einem neuen Sonnette hören laſſen.

Nehmt369

Nehmt mich zu Eurem Geliebten an, rief Sternbald aus, ſo mögt Ihr mich viel¬ leicht begeiſtern. Dieſe Blumen will ich als ein Andenken an Eure Schönheit aufbe¬ wahren.

Sie welken, ſagte jene, der liebliche Brunnquell, aus dem ihr Duft emporſteigt, verſiegt, ſie fallen zuſammen, ſie laſſen die Häupter ſinken, und freilich vergeht alles ſo, was ſchön genannt wird.

Franz war von der wundervollen Ver¬ ſammlung, von den Blumen, den ſchönen Mädchen, Muſik und Wein begeiſtert, er ſtand auf und ſang:

Warum Klagen, daß die Blume ſinkt
Und in Aſche bald zerfällt:
Daß mir heut ein lüſtern Auge winkt
Und das Alter dieſen Glanz entſtellt.
Ihm mit allen Kräften nachzuringen,
Feſt zu halten unſrer Schönen Hand,
2r Th.) A a370
Ja, die Liebe leiht die mächt'gen Schwingen
Von Vergänglichkeit, ſie knüpft das Band.
Sagt, was wäre Glück, was Liebe?
Keiner betete zu ihr
Wenn ſie ewig bei uns bliebe,
Schönheit angefeſſelt hier.
Aber wenn auch keine Trennung droht,
Eiferſucht und Ungetreue ſchweigen,
Alle ſich der Liebe neigen,
Fürchten gleich Geliebte keinen Tod
Ach! Vergänglichkeit knüpft ſchon die Ketten,
Denen kein Entrinnen möglich bleibt,
Lieb 'und Treue können hier nicht retten,
Wenn die harte Zeit Geſetze ſchreibt.
Darum geizen wir nach Küſſen,
Beugen Schönen unſer Knie,
Winke, Lippen, Lächeln grüßen
Allzuoft zur Freude nie.

Als er geendigt hatte, ſchämte er ſich ſeines Rauſches, und Ruſtici rief aus: Seht, meine Landsleute, da einen Deut¬371 ſchen, der uns Italiener beſchämt! Er wird uns alle unſre Schönen abtrünnig machen.

Andrea ſagte: Ein Glück, daß ich noch Bräutigam bin, für meine Frau würd 'ich ſehr beſorgt ſeyn. Aber ſeht ihn nur an, jetzt ſitzt er ſo ernſthaft da, als wenn er auf eine Leichenrede dächte. Mir fällt dabei mein Lehrer Piero di Coſimo ein, der immer von ſo vielen recht trübſeligen Gedanken beun¬ ruhigt wurde, der ſich vor dem Tode über alle Maaßen fürchtete, der ſich unter ſon¬ derbaren Phantomen abängſtigte, und ſich doch wieder an recht reizenden, ja ich möch¬ te beinahe ſagen, leichtfertigen Phantaſieen ergötzte.

Ruſtici ſagte: Er war gewiß eins der ſeltſamſten Gemüther, die noch auf Erden gelebt haben, ſeine Bilder ſind zart und vom Geiſte der Wolluſt und Lieblichkeit be¬ ſeelt, und er ſaß, gleich einem Gefan¬A a 2372genen, in ſich ſelber eingeſchloſſen, ſeine Hand nur ragte aus dem Kerker hervor, und hatte keinen Theil an ſeinem übrigen Menſchen. Seine Kunſt luſtwandelte auf grüner Wieſe, indem ſeine Phantaſie den Tod herbeirief,[und] tolle, ſchwermüthige Maskeraden erfand.

Das Geſpräch der Mahler ward hier unterbrochen, denn die Mädchen und jungen Leute ſprachen von allerhand luſtigen Neuig¬ keiten aus der Stadt, wodurch die Sprechen¬ den überſtimmt wurden. Das lebhafte Mäd¬ chen, das Laura hieß, erzählte von einigen Nachbarinnen aus der Stadt überaus fröh¬ liche Geſchichten, die keiner als Franz an¬ ſtößig fand. Er ſaß ihren ſchwarzen Augen gegenüber, die ihn unabläſſig verfolgten, bei jeder lebhaften Bewegung, wenn ſie ſich vorüberbog, machte ſie den ſchönſten Buſen ſichtbarer, ihre Arme wurden ganz frei,373 und zeigten die weißeſte Rundung. Le¬ nore ward etwas eiferſüchtig, und entblößte ihre Arme, um ſie mit denen ihrer Gegne¬ rin zu vergleichen, die übrigen Mädchen lachten.

Mit jeder Minute ward das Geſpräch munterer. Man ſchlug einen Geſang vor, die ſanftern Inſtrumente ſollten ihn beglei¬ ten, und Lenore und Laura recitirten ein damals bekanntes Wechſelliedche n.

Lenore.

Von mir will der Geliebte ziehen,
Deine ſüßen Augen haben die Treu gefangen,
Die treuſte Treu und ſein Verlangen
Will Deiner Schönheit nur entglühen.
Was blühen
Mir Blumen nun, ein läſt'ger Schwarm,
Ich bin im innerſten Herzen arm.

Laura.

Sein Blick ſchweift durch die leere Weite,
Von Sehnſucht wird er fortgeführet,
374
Er will gewinnen und verlieret,
Ich Arme bin zu geringe Beute,
Ach leite
Die treuſte Treu, den holden Blick
In Dein holdſelig's Reich zurück.

Lenore.

Wenn erſt der Fuß zum Tanz ſich hebet,
Wenn ſchöne Knie mit Bändern prangen,
Sich leicht die vollen Hüften ſchwangen,
Das Mädchen leicht wie Welle ſchwebet,
Dann lebet
Die treuſte Treu für Dich allein,
Zieht fort und läßt mir meine Pein.

Laura.

Er ſieht nach Deines Buſens Glänzen,
Der lockend ihm entgegen reget,
Sein innerſtes Gemüth beweget,
Vergiſſet mich mit allen Tänzen,
Mit Kränzen
Aus meiner Lieb 'kommt er zurück,
Die treuſte Treu zu Deinem Glück.
375

Beide.

Was neiden
Wir beiden
Die Freuden
Der andern?
Es wandern
Die Triebe
Bald ferne,
Die Sterne
Der Liebe
Bald nahe.
Wer ſahe
Der Liebe Kronen
Bei Treue wohnen?
Wir wollen uns beide des Glückes freun,
In Zwietracht nimmer uns entzwei'n,
Durch Neid die Wonne nicht entweihn.
Die Küſſe
So ſüße
Umarmen,
Erwarmen
Am Herzen,
Das Scherzen
Die Eide, die Grüße,
376
Das Winken, die Küſſe,
Ich gönne ſie Dir,
Wir lieben ihn beide,
Es brennt die Freude
Nur heller allhier,
Damit er nicht ſcheide
Und beide
Mit Zürnen vermeide
Beglücken mit Eintracht den Lieblichſten wir.

Die Mädchen ſangen dieſen lebhaften Wettgeſang mit einer unausſprechlichen An¬ muth, jede Bewegung ihrer Mienen, jedes Winken ihrer Augen war lüſtern und ver¬ führeriſch: die ganze Tafel klatſchte, als ſie geendigt hatten, der junge Mann, der Laura zum Feſte geführt hatte, wurde verdrüßlich und einſilbig. Der Strom der Freude nahm ihn aber bald wieder mit.

Andrea und Francesko hatten ſich ab¬ ſeits unter einen Baum geſetzt, und führten ein ernſthaftes Geſpräch; beide waren von377 Wein begeiſtert. Du verſtehſt mich nicht, ſagte Ruſtici mit vielem Eifer, der Sinn dafür iſt Dir verſchloſſen, ich gebe aber dar¬ um doch meine Bemühungen nicht auf. Glaube nur, mein Beſter, daß zu allen großen Dingen eine Offenbarung gehört, wenn ſie ſich unſern Sinnen mittheilen ſollen, ein Geiſt muß plötzlich herabſteigen, der un¬ ſern Geiſt mit ſeinem fremden Einfluß durch¬ dringt. So iſt es auch mit der erhabenen Kunſt der Alchymie beſchaffen.

Es iſt und bleibt immer unbegreiflich, ſagte der langſamere Andrea, daß Du durch Zeichen und wunderbare, unverſtändliche Ver¬ bindungen ſo viel ausrichten willſt.

Laß mich nur erſt zum Ende kommen, eiferte Francesko, ſo ſind dieſe Verbindun¬ gen nicht mehr wunderbar, ſo erſcheint alles einfach und klar vor unſern Augen. Die anſcheinende Verwirrung muß uns nur nicht378 abſchrecken, es iſt die Ordnung ſelbſt, die in dieſen Buchſtaben, in dieſen unverſtändlichen Hieroglyphen uns gleichſam ſtammelnd oder wie aus der Ferne anredet. Treten wir nur dreiſt näher hinzu, ſo wird jede Sylbe deut¬ licher, und wir verwundern uns denn nur darüber, daß wir uns vorher verwundern konnten. Ein guter Geiſt hat dem Stern¬ bald eingegeben, zu ſagen, daß ſich alles unter der Hand des Künſtlers in Gold ver¬ wandle. Wie ſchwierig iſt der Anfang zu jeglicher Kunſt! Und wird nicht alles in die¬ ſer Welt verwandelt und aus unkenntlichen Maſſen zu fremdartigen Maſſen erzogen? Warum ſoll es mit den Metallen anders ſeyn? Schweben nicht über die ganze Na¬ tur wohlthätige Geiſter, die nur Seltſam¬ keiten aushauchen, nur in einer Atmosſphäre von Unbegreiflichkeiten leben, und ſo wie der Menſch alles ſich gleich oder ähnlich379 macht, ſie eben ſo alle Elemente umher, wenn ſie noch ſo feindſelig ſind, noch ſo träge in der Alltäglichkeit ſich herumbewegen, anrüh¬ ren und in Wunder umſchaffen. An dieſe Geiſter müſſen wir glauben, um auf ſie zu wirken; Du mußt der Begeiſterung beim Mahlen vertrauen, und Du weißt nicht, was ſie iſt, woher ſie kömmt, die Geiſter¬ atmosſphäre umweht Dich und es geſchieht: mit unſerm innerlichen Seelenothem müſ¬ ſen wir jene Geiſterwelt herbeiſaugen, unſer Herz muß ſie magnetiſch an ſich reißen, und ſiehe, ſie muß ihrer Natur nach, durch ihre bloße Gegenwart das unbegreifliche Wunder wirken.

Andrea wollte etwas antworten, als die Trompeten laut ertönten, und ihr ſon¬ derbares Geſpräch unterbrachen. Ihr ſeyd, ſagte die ſchalkhafte Laura, nach unſerm Geſange ſehr ernſthaft geworden, das war nicht unſre Abſicht.

380

Verzeiht, antwortete der freundliche Ruſtici, ich kann meine Natur nicht im¬ mer ganz beherrſchen, und alle ſüßen Töne der Inſtrumente und der Sängerin ziehen ſie zur Melancholie. Ich habe mich oft gefragt: woher? warum? aber ich kann mir ſelber keine Rechenſchaft geben.

Ihr werdet vielleicht dadurch an trübſe¬ lige Gegenſtände erinnert, ſagte Laura.

Nein, das iſt es nicht, fuhr der Mah¬ ler fort, ſondern mir iſt im Gegentheil in¬ nerlich dann ſehr wohl, meine Freude, die wie ein gefangener Adler in Ketten geſeſſen hat, ſchlägt nun mit einemmale die muntern, tapfern Schwingen aus einander. Ich fühle, wie die Kette zerreißt, die mich noch an der Erde hielt, über die Wolken hinaus, über die Bergſpitzen hinüber, der Sonne entgegen mein Flug gewendet. Aber nun verlieren ſich unter mir die Farben, und die Abwech¬381 ſelungen und Abſonderungen der bunten Welt. Ich bin frei, aber die Freiheit ge¬ nügt mir nicht, ich kehre zurück und reiße mich von neuem empor. Es iſt, als wenn Stimmen mich erinnerten, daß ich ſchon einſt viel glücklicher geweſen ſey, und daß ich aus dieſes Glück von neuem hoffen müſſe. Die Muſik iſt es nicht ſelbſt, die ſo zu mir ſpricht, aber ich höre ſie wie abgebrochene Laute aus einer ehemaligen verlornen Welt, die ganz und durchaus nur Muſik war, die nicht Theile, Abgeſonderheit hatte, ſondern wie ein einziger Wohllaut, lauter Biegſamkeit und Glück dahinſchwebte, und meinen Geiſt auf ihren weichen Schwanen¬ federn trug, ſtatt daß er auch jetzt noch auf den ſüßeſten Tönen wie auf Steinen liegt, und ſein Unglück fühlt und beklagt.

So iſt Euch nicht zu helfen, phantaſti¬ ſcher lieber Mahler und Freund, ſagte Laura382 lachend, indem ſie ihm die weiße Hand reichte, die er ehrerbietig küßte. Dann drehte ſie ſich von ihm, und ſprach im Getümmel der übrigen Mädchen umher, ſie hatten beſchloſ¬ ſen, daß ſie nun, da es kühl geworden war, einen muntern Tanz aufführen wollten, wie ihn die fröhlichen Landleute in Italien zu tanzen pflegen.

Der Tanz ging vor ſich, aber Stern¬ bald und Lenore blieben zurück, weil er es nicht wagen mochte, dieſe leichten, ſchnellen und ihm ungewöhnlichen Bewegungen mit¬ zumachen, um die übrigen nicht durch ſeine Ungeſchicklichkeit zu verwirren. Laura tanzte von allen am zierlichſten, ohne alle Bemü¬ hung gelangen ihr die ſchwierigſten Stellun¬ gen und die ſchnellſten Veränderungen. Franz ergötzte ſich an den leichten, flatternden Ge¬ wändern, an den ſchön verſchlungenen Figu¬ ren. Die zierlichſten Füße ſchwebten, trip¬383 pelten und ſprangen auf und ab, im Schwunge des Rocks ward das leichte, wohl¬ geformte Bein ſichtbar, weiße Arme und Bu¬ ſen, üppige Hüften, die das Gewand deckte und verrieth, zogen das Auge nach ſich, und ver¬ wirrten es in dem fröhlichen Tumult. Laura und einige andre junge Mädchen waren aus¬ gelaſſen, wenn ſie im Sprunge in den Arm ihres Tänzers flogen, hob dieſer ſie im Schwunge hoch, und in der Luft ſchwebend ſangen ſie Stellen aus Liebesliedern in die Muſik hinein.

Der wilde bacchantiſche Taumel war be¬ ſchloſſen, ein andrer Tanz, der Zärtlichkeit ausdrückte, wurde angeordnet, auch Lenore und Sternbald ſchloſſen ſich dem Reihen an. Eine ſanfte Muſik erklang, die Paare umſchlangen ſich und ſchwebten hin¬ auf und hinab, die Hände und Arme be¬ gegneten ſich wieder, und Buſen an Buſen384 an Buſen geſchmiegt, begonn eine neue Wen¬ dung. Da ſah man die verführeriſchſten Stel¬ lungen knüpfen, alle Gelenke wurden bieg¬ ſamer, Franz war wie in Trunkenheit ver¬ loren. Die Luft duftete ihnen Wonne und Freude entgegen, wie auf den Wellen der Muſik ſchwebte er an Laura's oder Leno¬ rens Arm einher, in jedem tanzenden Ge¬ ſicht kam ihm ein ſchalkhafter Engel ent¬ gegen, der ihm Entzücken predigte. Er drückte Laura's Hand, die ſeine Zärtlichkeit erwiederte.

Man ruhte im Schatten der Bäume aus. Knaben gaben gaben kühlende, wohl¬ ſchmeckende Früchte herum, die Schönen la¬ gerten ſich im Graſe. Andrea war vom Tanz erhitzt und ſagte: Seht, mein Freund Sternbald, ſo müßt Ihr Deutſche erſt nach Italien kommen, um zu lernen, was ſchön ſey, hier erſt offenbart ſich Euch Natur undKunſt. 385Kunſt. In Eurem trüben Norden iſt es der Imagination unmöglich, ihre Flügel auszu¬ dehnen und das Edle zu empfinden.

Mein Lehrmeiſter, Albrecht Dürer, ſagte Franz, den Ihr doch für einen großen Mann erkennen müßt, iſt nicht hier geweſen.

Andrea ſagte: Wie ſehr wünſchen aber auch alle Kunſtfreunde, daß er ſich möchte hierher bemüht haben, um erſt einzuſehn, wie viel er iſt, und dann zu lernen, was er mit ſeinem großen Talente ausrichten könne. So aber, wie er iſt, iſt er merkwürdig ge¬ nug, doch ohne Bedeutung für die Kunſt, der Italiener mit weit geringerem Talente wird doch immer den Sieg über ihn davon tragen.

Ihr ſeyd unbillig, fuhr Sternbald auf, ja undankbar, denn ohne ihn, ohne ſeine Erfindungen würden ſich manche Eurer Ge¬ mählde ohne Figuren behelfen müſſen.

(2r Th.) B 6386

Ihr müßt nicht heftig werden, ſagte der lindernde Fransesko, wahr iſt es, Dürer iſt Andrea's hülfreicher Freund, und vielleicht verläſtert er ihn eben darum, weil er ſich der Dienſte zu gut bewußt iſt, die jener ihm geleiſtet hat. Aber wir wollen lieber ein Geſpräch abbrechen, das Euch nur erhitzt.

Die Muſik lärmte dazwiſchen, Andrea, der wenig ſtreitſüchtig war, gab ſeine Mei¬ nung auf, die Tänze fingen von neuem an. Es wurde Abend: manche von der Geſell¬ ſchaft gingen nach Hauſe, einigen wurden von ihren Dienern Pferde gebracht. Ruſtici ließ eins der ſchönſten Pferde in den Garten kommen, und ſetzte ſich hinauf, indem er durch die Baumgänge ritt, die muthwillige Laura ließ ſich zu ihm hinaufheben, und in einem leichten Gallopp ritt ſie hin und her, indem ſie vor dem Mahler ſaß, der ſie mit ſeinen Armen feſthielt. Franz bewunderte387 das ſchöne Gemählde, er glaubte den Raub der Dejanire vor ſich zu ſehn, der Kranz in ihren Haaren ſchwankte und drohte herab¬ zufallen, leicht ſaß ſie oben, und doch von einer kleinen Ängſtlichkeit beunruhigt, die ſie noch ſchöner machte: das Pferd hob ſich majeſtätiſch, auf ſeine Beute ſtolz. Zwei Trompeten blieſen einen muthigen Marſch, die prächtigen Töne begleiteten die Bewe¬ gungen des Roſſes und der gewandte und ſtarke Ruſtici ſaß wie ein Gott oben.

Die zurückgebliebenen Freunde führte Francesko nun nach einem andern Theile ſeines Gartens. Hier war ein runder Zirkel von Bäumen, und Feſtons und Guirlanden von allerhand Blumen hingen in den Zwei¬ gen und ſchaukelten im Abendwinde, farbige Lampen brannten dazwiſchen, dämmernde Lau¬ ben waren in den Baumniſchen angelegt. Wein und Früchte wurden genoſſen: die zärtlichenB b 2388Paare ſaßen neben einander, Muſik ermun¬ terte ſie, ihr Liebesgeſpräch zu führen, Lau¬ ra's Tänzer hatte Abſchied genommen, Franz umſchlang das Mädchen und Lenore mit ſei¬ nen Armen.

Spät trennte man ſich, Laura und Le¬ nore gingen mit einander, die Dirne blieb in der Nacht bei ihr, und Franz gab freu¬ dig der Einladung nach, auch dort zu ver¬ weilen.

389

Fünftes Kapitel.

Caſtellani war zurückgekommen, Franz hatte in ſeiner und Lenorens Geſellſchaft Florenz verlaſſen. Jetzt waren ſie vor Rom, die Sonne ging unter, alle ſtiegen aus dem Wagen, um den erhabenen Anblick zu ge¬ nießen. Eine mächtige Gluth hing über der Stadt, das Rieſengebäude, die Peterskirche, ragte über allen Häuſern hervor, alle Ge¬ bäude ſahen dagegen nur wie Hütten aus. Sternbald's Herz klopfte, er hat¬ te nun das, was er von Jugend auf im¬ mer mit ſo vieler Inbrunſt gewünſcht hat¬ te, er ſtand nun an der Stelle, die ihm ſo oft ahndungsvoll vorgeſchwebt war, die er ſchon in ſeinen Träumen geſehn hatte.

Sie fuhren durch's Thor, ſie ſtiegen in ihrem Quartiere ab. Sternbald fühlte ſich immer begeiſtert, die Straßen, die Häuſer,390 alles redete ihn an. Noch ſpät ſah er dem Mondſchein nach, er verwunderte ſich über ſich ſelbſt, als er nach Lenorens Gemach ging, die ihn erwartete.

Caſtellani war ein großer Freund der Kunſt, er ſtudirte ſie unabläſſig, und ſchrieb darüber, ſprach auch viel mit ſeinen Freun¬ den. Sternbald war ſein Liebling, dem er gern alle ſeine Gedanken mittheilte, dem er nichts verbarg. Er hatte in Rom viele Be¬ kannte, meiſtens junge Leute, die ſich an ihn ſchloſſen, ihn oft beſuchten und gewiſſer¬ maßen eine Schule oder Akademie um ihn bildeten. Auch ein gewiſſer Camillo, deſſen Andrea del Sarto ſchon erwähnt hatte, be¬ ſuchte ihn. Dieſer Camillo war ein Greis, lang und ſtark, der Ausdruck ſeiner Mienen hatte etwas Seltſames, ſeine großen feuri¬ gen Augen konnten erſchrecken, wenn er ſie plötzlich herumrollte. Seine Art zu ſprechen391 war eben ſo auffallend, er galt bei allen ſeinen Bekannten für wahnſinnig, ſie behan¬ delten ihn als einen Unverſtändigen, den man ſchonen müſſe, weil er der Schwächere ſey. Er ſprach wenig, und hörte nur zu, Caſtellani war freundlich gegen ihn, nahm aber ſonſt mit ihm wenige Rückſicht.

Sternbald beſuchte die Kirchen, die Ge¬ mähldeſammlungen, die Mahler. Er konnte nicht zur Ruhe kommen, er ſah und erfuhr ſo viel, daß er nicht Zeit hatte, ſeine Vor¬ ſtellungen zu ordnen. Dabei gab er ſich Mühe, mit jedem Tage in ſeinen Begriffen weiter zu kommen, und in das eigentliche Weſen und die Natur der Kunſt einzudrin¬ gen. Er fühlte ſich zu Caſtellani freund¬ ſchaftlich hingezogen, weil er durch dieſen am meiſten in ſeiner Ausbildung, in der Er¬ kenntniß gewann; er beſuchte die Geſellſchaf¬ ten fleißig, und beſtrebte ſich, kein Wort,392 nichts, was er dort lernte, wieder zu ver¬ lieren

Caſtellani's Begriffe von der Kunſt wa¬ ren ſo erhaben, daß er keinen der lebenden oder geſtorbenen Künſtler für ein Muſterbild, für vollendet wollte gelten laſſen. Er belä¬ chelte oft Sternbald's Heftigkeit, der ihm Rafael, Buonarotti, oder gar Albrecht Dü¬ rer nannte, der ſich ungern in Vergleichun¬ gen einließ, und meinte, jeder ſey für ſich der Höchſte und Trefflichſte. Ihr ſeyd noch jung, ſagte dann ſein älterer Freund, wenn Ihr weiter kommt, werdet Ihr ſtatt der Künſtler die Kunſt verehren, und ein¬ ſehn, wie viel noch einem jeden gebricht.

Sternbald gewöhnte ſich mit einiger Über¬ windung an ſeine Art zu denken, er zwang ſich, nicht heftig zu ſeyn, nicht ſeine Ge¬ fühle ſprechen zu laſſen, wenn ſein Verſtand und Urtheil in Anſpruch genommen wurden. 393Er ſah jetzt mehr als jemals ein, wie weit er in der Kunſt zurück ſey, ja wie wenig die Künſtler ſelbſt von ihrer Beſchäftigung Rechenſchaft geben könnten.

Es ward ſo eingerichtet, daß ſich die Geſellſchaft zweimal in der Woche verſam¬ melte, und jedesmal wurde über die Kunſt disputirt, wobei ſich Caſtellani beſonders mit ſeinen Reden hervorthat. Sie waren an ei¬ nem Nachmittage wieder verſammelt, auch Camillo war zugegen, der abſeits in einer Ecke ſtand und kaum hinzuhören ſchien.

Ihr weicht, ſagte Sternbald zu ſeinem Freunde Caſtellani, darin von den meiſten Eurer Zeitgenoſſen ab, daß Ihr Buonarot¬ ti's jüngſtes Gericht nicht für den Triumph der Kunſt haltet.

Die Nachwelt, ſagte Caſtellani, wird gewiß meiner Meinung ſeyn, wenn erſt mehr Menſchen die Frage unterſuchen werden:394 Was ſoll Kunſt ſeyn? was kann ſie ſeyn? Ich bin gar nicht in Abrede, und es wäre thöricht von mir, dergleichen zu läugnen, daß Michael Angelo ein ausgezeichneter Geiſt iſt, nur iſt es wohl Übereilung des Zeitalters, ihn und Rafael über alle übri¬ gen Sterblichen hinüberzuheben, und zu ſa¬ gen: ſeht, ſie haben die Kunſt erfüllt!

Jegliche Kunſt hat ihr eigenthümliches Gebiet, ihre Gränzen, über die ſie nicht hinausſchreiten darf, ohne ſich zu verſündi¬ gen. So die Poeſie, Muſik, Sculptur und Mahlerei. Keiner muß in das Gebiet des andern ſtreifen, jeder Künſtler muß ſeine Heimath kennen. Dann muß jeglicher die Frage genau unterſuchen: was er mit ſei¬ nen Mitteln für vernünftige Menſchen zu leiſten im Stande iſt. Er wird ſeine Hiſto¬ rie wählen, er wird den Gegenſtand über¬ denken, um ſich keine Unwahrſcheinlichkeiten395 zu Schulden kommen zu laſſen, um nicht durch Einwürfe des kalten, richtenden Ver¬ ſtandes ſeinen Zauber der Compoſition wie¬ der zu zerſtören. Den Gegenſtand gut zu wählen iſt aber nicht genug, auch den Au¬ genblick ſeiner Handlung muß er fleißig über¬ denken, damit er den größten, intereſſante¬ ſten heraushebe, und nicht am Ende mahle, was ſich nicht darſtellen läßt. Dazu muß er die Menſchen kennen, er muß ſein Ge¬ müth und fremde Geſinnungen beobachtet haben, um den Eindruck hervorzubringen, dann wird er mit gereinigtem Geſchmacke das Bizarre vermeiden, er wird nur täu¬ ſchen und hinreißen, rühren aber nicht er¬ ſtaunen wollen. Nach meinem wohlüber¬ dachten Urtheil hat noch keiner unſrer Mah¬ ler alle dieſe Forderungen erfüllt, und wie könnte es irgend einer, da ſich noch keiner der erſt genannten Studien befliſſen hat? Dieſe396 müſſen erſt in einem hohen Grade ausgebil¬ det ſeyn, ehe die Künſtler nur dieſe Forde¬ rungen anerkennen werden.

Um namentlich von Buonarotti zu ſpre¬ chen, ſo glaube ich, daß er durch ſein Bei¬ ſpiel die Kunſt um viele wichtige Schritte wieder zurückgebracht hat, ſtatt ihr weiter zu helfen, denn er hat gegen alle Erforder¬ niſſe eines guten Kunſtwerks geſündigt. Was will die richtige Zeichnung ſeiner einzelnen Figuren, ſeine Gelehrſamkeit im Bau des menſchlichen Körpers, wenn ſeine Gemählde ſelbſt ſo gar nichts ſind? Sein jüngſtes Ge¬ richt iſt eine ungeheure Wand voller Figu¬ ren in mannichfaltigen Stellungen, aber ohne alle Verbindung, ohne Wirkung. Der Zweck ſeiner Darſtellung iſt ohne Schönheit, eine Handlung, die keine iſt, die ſich nicht an¬ ſchauen, nicht darſtellen läßt, die ſich ſelbſt nicht in der Erzählung vortragen läßt: es397 ſind tauſend Begebenheiten, die ſich durch¬ aus nicht zu einer einzigen verbinden laſſen. Schwebende Geſtalten, ruhende Selige und Verdammte, Engel und die Madonna. Das Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt: was ſoll ich hier ſehn? Mythologie der Al¬ ten mit chriſtlicher Idee vermiſcht, Verzer¬ rung der Verzweiflung. Der Augenblick im Gemählde ſelbſt iſt unentſchieden, die Engel oben mit Zubereitungen beſchäftigt, ein all¬ gemeiner Moment des Entſetzens, und unten ſchon die Verdammung Vieler entſchieden. Es ſcheint, das jüngſte Gericht iſt noch nicht fertig, und darin hat der Mahler beſonders ſeine wenige Überlegung bewieſen. Was ſoll ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬ führung auch gar keinen Tadel verdiente?

Nichts! rief Camillo aus, indem er mit dem höchſten Unwillen hervortrat. Glaubt Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬398 rotti daran gedacht hat, Euch zu entzücken, als er ſein mächtiges Werk entwarf? O, Ihr Kurzſichtigen, die Ihr das Meer in Bechern erſchöpfen wollt, die Ihr dem Stro¬ me der Herrlichkeit ſeine Ufer macht, welcher unſelige Geiſt iſt über Euch gekommen, daß Ihr alſo verwegen ſeyn dürft? Ihr glaubt die Kunſt zu ergründen, und ergründet nur Eure Engherzigkeit, nach dieſer ſoll ſich der Geiſt Gottes richten, der jene erhabene Ebenbilder des Schöpfers beſeelt. Ihr lä¬ ſtert die Kunſt, wenn Ihr ſie erhebt, ſie iſt nur ein Spiel Eurer nichtigen Eitelkeit. Wie der Allmächtige den Sünder duldet, ſo er¬ laubt auch Angelo's Größe, ſeine unſterbli¬ chen Werke, ſeine Rieſengeſtalten dulden es, daß Ihr ſo von ihnen ſprechen dürft, und beides iſt wunderbar.

Er verließ im Zorne den Saal, und alle erhuben ein lautes Lachen. Was er399 nicht verſteht, ſagte Sternbald's Nachbar, hält er für Unſinn. Sternbald aber war von den Worten und den Gebehrden des Greiſes tief ergriffen, dieſer enthuſiaſtiſche Unwille hatte ihn mit angefaßt, er verließ ſchnell die Geſellſchaft, ohne ſich zu entſchul¬ digen, ohne Abſchied zu nehmen.

Er ging dem Alten durch die Straßen nach, und traf ihn in der Nähe des Vati¬ kans. Verzeiht, ſagte Sternbald, daß ich Euch anrede, ich gehöre nicht zu jenen, meine Meinung iſt nicht die ihrige, immer hat ſich mein Herz dagegen empört, ſo mit dem Ehrwürdigſten der Welt umzugehn.

Ich war ein Thor, ſagte der Greis, daß ich mich wieder, wie mir oft geſchieht, von meiner Hitze übereilen ließ. Wozu Worte? Wer verſteht die Rede des andern?

Er nahm Franz bei der Hand, ſie gin¬ gen durch das große Vatikan, der Alte eilte400 nach der Capelle des Sixtus. Schon fiel der Abend und ſeine Dämmerung herein, die großen Säle waren nur ungewiß er¬ leuchtet. Er ſtellte ihn vor das jüngſte Ge¬ richt, und ging ſchweigend wieder fort.

In der ruhigen Einſamkeit ſchaute Stern¬ bald das erhabene Gedicht mit demüthigen Augen an. Die großen Geſtalten ſchienen ſich von oben herab zu bewegen, das ge¬ waltige Entſetzen des Augenblick's bemächtigte ſich auch ſeiner. Er ſtand da, und bat den Figuren, dem Geiſte Michael Angelo's ſeine Verirrung ab.

Die großen Apoſtel an der Decke ſahen ihn ernſt mit ihren ewigen Zügen und Mie¬ nen an, die Schöpfungsgeſchichte lag wun¬ derbar da, der Allmächtige auf dem Sturm¬ winde herfahrend. Aber wie ein donnerndes Gewitter ſtand vorzüglich das jüngſte Ge¬ richt vor ſeinen Augen; er fühlte ſich inner¬lich401lich neu verändert, neu geſchaffen, noch nie war die Kunſt ſo mit Heeresmacht auf ihn zugekommen.

Hier haſt Du Dich verklärt, Buona¬ rotti, großer Eingeweihter, ſagte Franz, hier ſchweben Deine furchtbaren Räthſel, Du kümmerſt Dich nicht darum, wer ſie verſteht.

(2r Th.) C c402

Sechstes Kapitel.

Franz fand den bisherigen Leichtſinn ſeiner Lebensweiſe nüchtern und ungenügend, er bereute manche Stunde, er nahm ſich vor, ſich inniger der Kunſt zu widmen. Er brach den Umgang mit der ſchönen Lenore ab, er fühlte es innig, daß er ſie nicht liebe. Sein Freund Caſtellani verſpottete ihn, und be¬ dauerte ſeine Anlagen, die nun nothwendig verderben müßten, aber Franz empfand die Leerheit dieſes Menſchen, und achtete jetzt nicht darauf.

Eine neue Liebe zur Kunſt erwachte in ihm, ſein Jugendleben in Nürnberg, ſein Freund Sebaſtian traten mit friſcher Lieb¬ lichkeit vor ſeine Seele. Er machte ſich Vor¬ würfe, daß er bisher ſo oft Dürer und Se¬ baſtian aus ſeinem Gedächtniſſe verloren. Er nahm ſeine geliebte Schreibtafel hervor,403 und küßte ſie, die verwelkten Blumen rühr¬ ten ihn zu Thränen: ach, Du biſt nun auch verwelkt und dahin! ſeufzte er. Auch das Bildniß, das er vom Berge mitgenommen hatte, ſtellte er vor ſich. Ihm fiel der Brief der Gräfin in die Hände, den er bis dahin ganz vergeſſen hatte.

Er beſchloß, die Familie noch an die¬ ſem Tage aufzuſuchen, er fühlte ein Bedürf¬ niß nach neuen Freunden. Franz nahm den Brief und erkundigte ſich nach der Woh¬ nung, ſie ward ihm bezeichnet. Die Leute, die er ſuchte, lebten vor der Stadt in einem Garten. Ein Diener empfing ihn, und lei¬ tete ihn durch angenehme Baumgänge, der Garten war nicht groß, aber voller Obſt und Gemüſe. In einem kleinem niedlichen Gartenhauſe, ſagte der Diener, würde er die Tochter finden, die Mutter ſey ausge¬ gangen, der Vater ſchon ſeit ſechszehn Jah¬404 ren todt. Franz bemerkte durch das Fenſter einen weißen runden Arm, eine ſchöne Hand, die auf einer Zitter ſpielte. Indem begeg¬ nete ihm ein alter Mann, der faſt achtzig Jahre alt zu ſeyn ſchien, er verließ das Gartenhaus, und ging durch den Garten nach dem Wohnhauſe zurück. Franz trat in das Zimmer. Das Mädchen legte die Zitter weg, als ſie ihn bemerkte, ſie ging ihm entgegen.

Beide ſtanden ſich gegenüber und erſtaun¬ ten, beide erkannten ſich im Augenblicke. Franz zitterte, er konnte die Sprache nicht wiederfinden, die Stunde, die er ſo oft als die ſeligſte ſeines Lebens herbeigewünſcht hatte, überraſchte ihn zu unerwartet. Es war das Weſen, dem er nachgeeilt war, die er in ſeinem Geburtsdorfe geſprochen, die er mit aller Seele liebte, die er verlo¬ ren glaubte. Sie ſchien faſt eben ſo be¬405 wegt, er gab ihr den Brief der Gräfin, ſie durchflog ihn ſchnell, ſie ſprach nur von dem Orte, wo ſie ihn vor anderthalb Jahren ge¬ ſehn und geſprochen. Er nahm die theure Brieftaſche, er reichte ſie ihr hin, und in¬ dem hörte man durch den Garten ein Wald¬ horn ſpielen. Nun konnte ſich Franz nicht länger aufrecht halten, er ſank vor der ſchö¬ nen bewegten Geſtalt in die Knie, weinend küßte er ihre Hände. Die wunderbare Stim¬ mung hatte auch ſie ergriffen, ſie hielt die vertrockneten Blumen ſchweigend und ſtau¬ nend in Händen, ſie beugte ſich zu ihm hin¬ ab. O, daß ich Euch wiederſehe! ſagte ſie ſtammelnd; allenthalben iſt mir Euer Bild gefolgt. Und dieſe Blumen, rief Sternbald aus, erinnert Ihr Euch des Knaben, der ſie Euch gab? Ich war es; ich weiß mich nicht zu faſſen. Er ſank mit dem Kopfe in ihren Schooß, ihr holdes Geſicht war auf406 ihn herabgebeugt, das Waldhorn phanta¬ ſirte mit herzdurchdringenden Tönen, er drückte ſie an ſich und küßte ſie, ſie ſchloß ſich feſter an ihn, beide verloren ſich im ſtaunenden Entzücken.

Franz wußte immer noch nicht, ob er träume, ob alles nicht Einbildung ſey. Das Waldhorn verſtummte, er ſammelte ſich wie¬ der. Ohne daß ſie es gewollt hatten, faſt oh¬ ne daß ſie es wußten, hatten beide ſich ihre Liebe geſtanden. Was denkt Ihr von mir? ſagte Marie mit einem holdſeligen Erröthen. Ich begreife es ewig nicht, aber Ihr ſeyd mir wie ein längſtgekannter Freund, Ihr ſeyd mir nicht fremde.

Iſt unſre eigne Seele, iſt unſer Herz uns fremd? rief Sternbald aus. Nein, von dieſem Augenblicke an erſt beginnt mein Le¬ ben, o, es iſt ſo wunderbar und doch ſo wahr. Warum wollen wir's begreifen? 407 Seyd Ihr glücklich? Biſt Du meine ſüße Geliebte? Bin ich der, den Du ſuch¬ teſt? Findeſt Du mich gern wieder?

Sie gab ihm beſchämt die Hand und drückte ſie. Der alte Mann kam zurück, und meldete, daß er ausgehn müſſe, Franz betrachtete ihn mit Erſtaunen, er errieth, daß es derſelbe ſeyn müſſe, der muſicirt habe, den er ſchon in der Kindheit auf dem grünen Raſenplatze geſehn. Die Bäume rauſchten draußen ſo wunderbar, er hörte aus der Ferne das Geräuſch auf der Land¬ ſtraße, jedes andre Leben erſchien ihm trau¬ rig, nur ſein Daſeyn war das freudigſte und glorreichſte.

Er ging, weil er die Rückkehr der Mut¬ ter nicht erwarten wollte, er verſprach, ſeine Geliebte am folgenden Tage zu beſuchen.

Durch's Feld ſchweifte er umher, er ſah noch immer ſie, den Garten, ihr Zim¬408 mer vor ſich. Er war in der Stadt, und konnte ſich nicht beſinnen, welchen Weg er gekommen war. In ſeiner Stube nahm er ſeine Zitter und küßte ſie, er griff in die Töne hinein, und Liebe und Entzücken ant¬ wortete ihm in der Sprache der Muſik. In der ganzen Natur vernahm er Gruß und Glückwunſch. Er wollte ſeinem Se¬ baſtian ſchreiben, aber er konnte nicht zur Ruhe kommen. Er fing an, aber ſeine Ge¬ danken verließen ihn, er ſchrieb folgendes nieder:

Sanft umfangen
Vom Verlangen,
Abendwolken ziehn,
O, gegrüßt ſey holdes Glücke,
Endlich, endlich meinem Blicke,
Längſt gepflanzte Blumen blühn.
Abendröthe winkt herunter:
Hoffe auf den Morgen munter;
409
Winde eilen, verkünden's der Ferne,
Blicken auf mich nieder die freundlichen Sterne.
Keiner, der nicht grüßend niederſchaute:
Iſt es, ſingen ſie, Dir gelungen?
Welche Töne rühren ſich in der Laute,
Von unſichtbarer Geiſterhand durchklungen?
Von ſelbſt erregt ſie ſich zum Spiele,
Will ihre Worte gern verkünden,
Kennſt Du, Vertraute, die Gefühle,
Die quälend, beglückend mein Herz entzünden?
O töne, ich kann das Lied nicht finden,
Das Leid, das Glück, das mich bewegt,
Und Klang und Luſt in mir erregt.
Will ich von Glück, von Freude ſingen,
Von alten, wonnevollen Stunden?
Es iſt nicht da und fern verſchwunden,
Mein Geiſt von Entzücken feſtgebunden,
Beengt, beſchränkt die goldnen Schwingen.
Geht die Liebe wohl auf Deinem Klange
Iſt ſie's, die Deine Töne rührt?
410
Und dieſes Herz mit ſtrebendem Drange
Auf Deinen Melodien entführt?
Mit Zitterklang kam ſie mir entgegen,
Mein Geiſt in Netzen von Tönen gefangen,
Ich fühlte ſchon dies Beben, dies Bangen,
Entzücken überſtrömte, ein goldner Regen.
Sie ſaß im Zimmer, wartete mein,
Die Liebe führte mich hinein,
Erklang das alte Waldhorn drein.
Dein voller Klang
Mein Herz ſchon oft durchdrang,
Meiner Liebe vertraut,
Von Deinem Ton mein Herz durchſchaut.
Nun verſtummen nie die Töne,
Lautenklang mein ganzes Leben,
Herz verklärt in ſchönſter Schöne,
Wundervollem Glanz und Weben
Hingegeben.

Ende des zweiten Theils.

About this transcription

TextFranz Sternbald's Wanderungen
Author Ludwig Tieck
Extent423 images; 49909 tokens; 8746 types; 335154 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationFranz Sternbald's Wanderungen Eine altdeutsche Geschichte Zweiter Theil Ludwig Tieck. . 410 S. UngerBerlin1798.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yw 3951-2<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=54902638X

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

Editorial statement

Editorial principles

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-10T09:32:48Z
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Holding LibraryStaatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
ShelfmarkSBB-PK, Yw 3951-2<a> R
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