In einem alten Buche, das in meiner Sammlung ſich befindet, habe ich immer folgende Stelle mit vorzüglichem Wohlge¬ fallen geleſen:
» O Jugend! Du lieber Frühling, der Du ſo ſonnenbeſchienen vorn im Anfange des Lebens liegſt! wo mit zarten Äugelein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter, wie mit fröhlicher Stimme Dir winken, Dir zujauchzen! Du biſt das Pa¬ radies, das jeder der ſpätgebohrnen Men¬ ſchen betritt, und das für jeden immer wie¬ der von neuem verloren geht. «
» Gefilde voll Seligkeit! überhangend von Blüthen, durchirrt von Tönen! Sehn¬A 24ſucht weht und ſpielt in Deinen ſüßen Hai¬ nen. Vergangenheit ſo golden, Zukunft ſo wunderbar: wie mit dem Sirenenge¬ ſange der Nachtigall lockt es von dorther; mondliche Schimmer breiten ſich auf dem Wege aus, liebliche Düfte ziehen aus dem Thal herauf, vom Berge nieder den Sil¬ berquell. O Jüngling, in Dir glänzt Mor¬ genröthe, ſie rückt mit ihren Strahlen und wunderglänzenden Wolkenbildern herauf: dann folgt der Tag, bis auf die Spur ſo¬ gar verfließt die heimliche Sehnſucht; alle Liebesengel ziehen fort, und Du biſt mit Dir allein. War alles nur Dunſt und bun¬ ter Schatten, wornach Du brünſtig die Arme ſtreckteſt? —
Ich wähle dieſes alte, kindlich redende Lied zum Eingange dieſes dritten Buchs meiner Geſchichte. Der unbekannte Verfaſ¬ ſer beweint in dieſen Worten ſeine weit ent¬ flohene Jugend, und ſeine Erinnerungen le¬ gen ſich als Töne und ſanfte Bilder vor ihm hin, die auch mich wieder anſprechen, und jeden, der dieſe Stelle lieſ't. — Wie viele Zeit iſt indeß verfloſſen! Es mag kom¬ men, daß nach langer Zeit jemand, den ich nicht kenne, dieſes Buch aufſchlägt, und9 von dieſen Worten gerührt wird. Giebt es denn nun, geliebter Leſer, nicht eine ewige Jugend? Indem Du Dich der Vergangen¬ heit erinnerſt, iſt ſie nicht vergangen: Deine Ahndung des Künftigen macht die Zukunft zur Gegenwart, die Verwandelung der Na¬ tur außer Dir iſt nur ſcheinbar; wie flie¬ gende Wolken umhüllt die Wirklichkeit die innere Sonne. Sonnenblicke wechſeln mit Schatten; in ewiger Erneuerung giebt es kein Alter.
Darum fahre ich in meiner Geſchichte fort. Laß die vorige Zeit in Dein Gemüth zurückkommen, und glaube, daß die Geiſter der großen Künſtler, die damals lebten, Dich umgeben und kennen, wie ich es glaube. Dann wirſt Du an jenen Geſtalten Ergöz¬ zen finden, die ich Dir vorüberführe.
Franz Sternbald und ſein Freund Ru¬ dolf Floreſtan durchwanderten jetzt den El¬10 ſaß. Es war die Zeit im Jahre, wenn der Frühling in den Baumknospen ſchläft, und die Vögel ihn in den unbelebten Zweigen aufwecken wollen. Die Sonne ſchien blaß und gleichſam blöde auf die warme, dam¬ pfende Erde hernieder, die das erſte neue Gras aus ihrem Schooße gebahr. Stern¬ bald erinnerte ſich der Zeit, als er zuerſt ſeine Pflegeältern verließ, um bei Albrecht Dürer in Nürnberg zu lernen, gerade in ſolchem Wetter hatte er ſein friedliches Dorf verlaſſen. Sie gingen, indem Rudolf fröh¬ liche Geſchichten erzählte, durch die ſchöne Gegend. Straßburg lag hinter ihnen, noch ſahen ſie den erhabenen Münſter; in der nächſten Stadt wollten ſie einen Mann er¬ warten, der auf der Rückreiſe von Italien begriffen war.
In Straßburg hatte Franz ſeinem Se¬ baſtian folgenden Brief geſchrieben:
11» Jetzt, lieber Sebaſtian, iſt mir ſehr wohl, und Du wirſt Dich darüber freuen. Meine Seele ergreift das Ferne und Nahe, die Gegenwart und Vergangenheit mit glei¬ cher Liebe, und alle Empfindungen trage ich ſorglich zu meiner Kunſt hinüber. War¬ um quäle ich mich ab, da ich mich doch am Ende überzeugen muß, daß jeder nur das leiſten wird, was er leiſten kann? Wie kurz iſt das Leben, und warum wollen wir es mit unſern Beängſtigungen noch mehr verkürzen? Jeder Künſtlergeiſt muß ſich ohne Druck und äußern Zwang, wie ein edler Baum mit ſeinen mancherlei Zweigen und Äſten ausbreiten; er ſtrebt von ſelbſt durch eigne Kraft nach den Wolken zu, und ohne ſeine Mitwirkung erzeugt ſich die er¬ habene Pflanze, ſey es Eiche, Buche oder Cypreſſe, Myrthe oder Roſengeſträuch, je nachdem der Keim beſchaffen war, aus dem12 ſie zuerſt in die Höhe ſproßte. So muſicirt jedes Vögelein ſeine eigenthümlichen Lieder. Freilich will es unter ihnen auch je zuwei¬ len einer dem andern nach - und zuvorthun; aber ſie verfehlen doch nie ſo ſehr ihren Weg, wie es dem Menſchen nur gar zu oft geſchieht.
So will ich mich denn der Zeit und mir ſelber überlaſſen. Soll ein Künſtler, kann ein edler Mahler aus mir werden, ſo ge¬ ſchieht es gewiß; mein Freund Rudolf lacht täglich über meine unſchlüſſige Ängſt¬ lichkeit, die ſich auch nach und nach verliert. Im reinen Sinne ſpiegeln ſich alle Empfin¬ dungen, und laſſen nachher eine Spur zu¬ rück, und ſelbſt was das Gemüth nicht auf¬ bewahrt, nährt heimlicherweiſe den Sinn der Kunſt und iſt nicht verloren. Das trö¬ ſtet mich und hemmt die Beklemmungen, die mich ſonſt nur gar zu oft überwältigten.
13Auf eine faſt magiſche Weiſe, zauberiſch oder himmliſch ([denn] ich weiß nicht, wie ich es nennen ſoll) iſt meine Phantaſie mit dem Engelsbilde angefüllt, von dem ich Dir ſchon ſo oft geſprochen habe. Es iſt wun¬ derbar. Die Geſtalt, die Blicke, der Zug des Mundes, alles ſteht deutlich vor mir und doch wieder nicht deutlich, denn es dämmert dann wie eine ungewiſſe, vorüber¬ ſchwebende Erſcheinung vor meiner Seele, daß ich es feſthalten möchte, und Sinnen und Erinnerung brünſtig ausſtrecke, um es wirklich und wahrlich zu gewahren und zu mei¬ nem Eigenthum zu machen So iſt es mir oft ſeitdem gegangen, wenn ich die Schönheit einer Landſchaft ſo recht innigſt[empfinden] wollte, oder die Größe eines Gedankens, oder den Glauben an Gott. Es kömmt und geht; bald Dämmerung, bald Mondſchein, nur auf Augenblicke wie helles Tageslicht. 14Der Geiſt iſt in ewiger Arbeit, im raſtloſen Streben, ſich aus den Ketten aufzurichten, die ihn im Körper zu Boden halten.
O, mein Sebaſtian! wie wohl iſt mir, und wie lieblich fühl 'ich in mir die Re¬ gung der Lebenskraft und die heitere Ju¬ gend! Es iſt herrlich, was mir die Rhein¬ ufer, die Berge und die wunderbaren Krüm¬ mungen des Gewäſſers verkündigt haben. Von dem großen Münſter will ich Dir ein andermal reden, ich bin zu voll davon.
In Straßburg habe ich für einen rei¬ chen Mann eine heilige Familie gemahlt. Es war das erſtemal, daß ich meinen Kräf¬ ten in allen Stunden vertraute, und mich begeiſtert und doch ruhig fühlte. In der Madonna habe ich geſucht die Geſtalt hin¬ zuzeichnen, die mein Inneres erleuchtet, die geiſtige Flamme, bei der ich mich ſelbſt ſehe, und alles, was in mir iſt, und durch15 die alles von dem lieblichen Wiederſcheine ver¬ ſchönt und ſtrahlend iſt. Es war beim Mah¬ len unaufhörlich derſelbe Kampf zwiſchen Deutlichkeit und Ungewißheit in mir, und darüber iſt es mir vielleicht nur gelungen. Die Geſtalten, die wir wahrhaft anſchauen, ſind eben dadurch in uns ſchon zu irrdiſch und wirklich, ſie tragen zu viele Merkmale an ſich, und vergegenwärtigen ſich darum zu körperlich. Geht man aber im Gegen¬ theil auf's Erfinden aus, ſo bleiben die Ge¬ bilde gewöhnlich luftig und allgemein, und wagen ſich nicht aus ihrer ungewiſſen Ferne heraus. Es kann ſeyn, daß dieſe meine Ge¬ liebte (denn warum ſoll ich ſie nicht ſo nen¬ nen?) ſo das Ideal iſt, nach dem die gro¬ ßen Meiſter geſtrebt haben, und von dem in der Kunſt ſo viel die Rede iſt. Ja, ich ſage ſogar, Sebaſtian, daß ſie es ſeyn muß, und daß dieſe Unbekanntſchaft, dies Fern¬16 ſeyn von ihr, dies Streben meines Geiſtes, ſie gegenwärtig zu machen und zu beſitzen, meine Begeiſterung war, als ich das Bild mahlte. Darum gab ich es auch ſo ungern aus meinen Händen, und ſeitdem iſt meine Phantaſie noch ungewiſſer; denn manchmal ſteht nur die gemahlte Madonna vor mei¬ nen Augen, und ich denke dann, genau ſo müſſe die Unbekannte geſtaltet ſeyn. Wenn ich ſie einſt finden ſollte, würde dann viel¬ leicht mein Künſtlertalent ſeine Endſchaft erreicht haben? — Nein, ich will es nicht glauben.
Feſten Muths wie ein Eroberer will ich in das Gebiet der Kunſt vorrücken; ich fühle es ja, wie mein Herz für das Edle und Schöne entzückt iſt, es iſt alſo mein Gebiet, mein Eigenthum, ich darf darin ſchalten und mich einheimiſch fühlen.
Wirf mir nicht Stolz vor, Sebaſtian;denn17denn Du thäteſt mir Unrecht. Ich bin und bleibe, wie ich war. Der Himmel ſchenke Dir Geſundheit. «
Nach einigen Tagen waren die Wälder, Felder und Berge grün geworden und die Obſtbäume blühten, der Himmel war heiter und blau, ſanfte Frühlingslüfte ſpielten zum erſtenmal durch den Sonnenſchein und über die fröhliche Natur hin. Sternbald und Rudolf waren entzückt, als ſie von einem Hügel hinab in die überſchwengliche Pracht hineinſchauten. Das Herz ward ihnen groß, und ſie fühlten ſich beide neugeboren, von Himmel und Erde mit Liebe magnetiſch an¬ gezogen.
O, mein Freund! rief Sternbald aus, wie liebreizend hat ſich der Frühling ſo plötzlich aufgeſchloſſen! Wie ein melodiſcher(2r Th.) B18Geſang, wie angeſchlagene Harfenſaiten ſind dieſe Blüthen, dieſe Blätter herausgequol¬ len, und ſtrecken ſich nun der liebkoſenden, warmen Luft entgegen. Der Winter iſt fort, wie eine Verfinſterung, die ein Sonnenblick von der Natur hinweggehoben. Sieh, al¬ les keimt und ſproßt und blüht, die klein¬ ſten Blumen, unbemerkte Kräuter drängen ſich hinzu; alle Vögel ſingen und jauchzen und flattern umher, in fröhlicher Ungeduld iſt die ganze Schöpfung in Bewegung, und wir ſitzen hier als Kinder, und fühlen uns dem großen Herzen der mütterlichen Natur am nächſten.
Rudolf nahm ſeine Flöte, und blies ein luſtiges Lied. Es ſchallte fröhlich den Berg hinunter, und Lämmer im Thal fingen an zu tanzen.
Wenn nur der Frühling nicht ſo ſchnell vorüberginge! ſagte Rudolf; er iſt eine19 Morgenbegeiſterung, die die Natur ſelbſt nicht lange aushält.
Oder daß es uns nur gegeben wäre, ſagte Sternbald, dieſe Fülle, dieſe Allmacht der Lieblichkeit in uns zu ſaugen, und im hellſten Bewußtſeyn dieſe Schätze aufzuſpa¬ ren. Ich wünſche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Geſängen den übrigen Men¬ ſchen dieſe Gefühle geben könnte; daß ich unter Muſik und Frühlingswehen dichtete, und die höchſten Lieder ſänge, die der Geiſt des Menſchen bisher noch ausgeſtrömt hat: Ich fühle es jedesmal, wie Muſik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬ gel mit himmliſcher Unſchuld alle irrdiſchen Begierden und Wünſche fern abhalten. Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, ſo iſt im Gegentheil dieB 220Muſik ein Vorhimmel, wo dieſe Läuterung durch wehmüthige Wonne geſchieht. Das iſt, ſagte Rudolf, wie Du die Mu¬ ſik empfindeſt; aber gewiß werden we¬ nige Menſchen darin mit Dir überein¬ ſtimmen.
Davon kann ich mich nicht überzeugen, rief Franz aus. Nein, Rudolf, ſieh 'alle lebendige Weſen, wie die Töne der Harfe, der Flöte, und jedes angeſchlagenen Inſtru¬ ments ſie ernſt machen: ſelbſt die Geſänge, die den Fuß mit lebendiger Kraft zum Tanz ermuntern, gießen eine ſchmachtende Sehn¬ ſucht, eine unbekannte Wehmuth in das Gemüth. Der Jüngling und das Mädchen miſcht ſich dann in den Reigen; aber ſie ſu¬ chen mit den Gedanken jenſeit dem Tanze einen andern, geiſtigern Genuß.
O, über die Einbildungen! ſagte Ru¬ dolf lachend; eine augenblickliche Stimmung21 in Dir trägſt Du in die übrigen Menſchen hinüber. Wer denkt beim Tanze etwas an¬ ders, als daß er den Reigen durchführt, daß er ſich im hüpfenden Schwarm auf eine lebendige Art ergötzt, und in dieſem fröhli¬ chen Augenblick Vergangenheit und Zukunft durchaus vergißt. Der Tänzer ſieht nach dem blühenden Mädchen, ſie nach ihm; ihre Augen begegnen ſich glänzend, und wenn ſie eine Sehnſucht empfinden, ſo iſt es gewiß eine ganz andre, als Du geſchil¬ dert haſt.
Du biſt zu leichtſinnig, antwortete Franz, es iſt nicht das erſtemal, daß ich es bemerke, wie Du Dir vorſätzlich das ſchönere Gefühl abläugneſt, um einer ſinnlichern Schwär¬ merei nachzuhängen.
Nur nicht wieder dieſe grellen Unterſchie¬ de! rief Rudolf aus; denn das iſt der ewige Punkt unſres Streites.
22Aber ich verſtehe Dich nicht.
Mag ſeyn! ſchloß Floreſtan, das Ge¬ ſpräch darüber iſt mir jetzt zu umſtändlich; wir reden wohl ein andermal davon.
Franz war ein wenig auf ſeinen Freund erzürnt; denn es war nicht das erſtemal, daß ſie ſo mit einander ſtritten. Floreſtan betrachtete alle Gegenſtände leichter und ſinnlicher; er war oft dieſelbe Empfindung, die Franz nur mit andern Worten ausdrück¬ te; es fügte ſich wohl, daß Sternbald nach einiger Zeit denſelben Gedanken äußerte, oft kam auch Rudolf ſpäter zu dem Gefühl, dem er kurz vorher an ſeinem Freunde wi¬ derſprochen hatte. Wenn die Menſchen Mei¬ nungen wechſeln, ſo entſteht nur gar zu oft ein blindes Spiel des Zufalls daraus, aus dem Wunſche, ſich mitzutheilen, entſteht die Sucht zu ſtreiten, und wir widerſprechen23 oft, ſtatt uns zu bemühen, die Worte des andern zu verſtehen.
Nachdem Franz eine Weile geſchwiegen hatte, fuhr er fort: O, mein Floreſtan, was ich mir wünſche, in meinem eigenthüm¬ lichen Handwerke das auszudrücken, was mir jetzt Geiſt und Herz bewegt, dieſe Fülle der Anmuth, dieſe ruhige, ſcherzende Hei¬ terkeit, die mich umgiebt. Mahlen möchte ich es, wie in dem Luftraume ſich edle Gei¬ ſter bewegen, und durch den Frühling ſchrei¬ ten, ſo daß aus dem Bilde ein ewiger Früh¬ ling mit unverwelklichen Blüten prangte, der jedem Auge auch nach meinem Tode neu aufginge und den[freundlichen] Willkommen entgegenbrächte. Meinſt du[nicht], daß es dem großen Künſtler möglich ſey, in einem Hiſtoriengemählde, oder auch auf andre Weiſe einem fremden Herzen das deutlich hinzugeben, was wir jetzt empfinden?
24Ich glaube es wohl, antwortete Flo¬ reſtan, und vielleicht gelingt es manchem, ohne daß er es ſich gerade vorſetzt. Geh 'nach Rom, mein Freund, und dieſer ewige Frühling, nach dem Du Dich ſehnſt, blüht dort in dem Hauſe des Agoſtins Ghigi. Der göttliche Rafael hat ihn dort hingezaubert, und man nennt dieſe Bilder gewöhnlich die Geſchichte des Amor und der Pſyche. Dieſe Luftgeſtalten ſchweben dort, vom blauen Aether umgeben, und bedeutungsvoll von großen friſchen Blumenkränzen ſtatt der Rahmen eingeſchränkt und abgeſondert. — Wenn Du dieſe Bildungen mit dem Auge durchwanderſt, ſo wird es Dir vielleicht ſo ſeyn, wie mir immer bei ihrer Betrachtung geweſen iſt. Die Geſchichte ſelbſt iſt ſo lieb¬ lich und zart, ein Bild der ewigen[Jugend], von dem Jünglingsgeiſte, dem prophetiſchen Sanzius, in ſeiner ſchönen Entzückung hin¬25 gemahlt, die Verkündigung der Liebe und der Blumenſchönheit, des erhabenen Reizes. Alles iſt, um mich ſo auszudrücken, eine poetiſche Offenbarung über die Natur der Lieblichkeit, und ſie iſt dem Menſchenherzen vertraulich nahe gerückt. Wie wenn der Frühling in ſeiner höchſten Blüthe ſteht, ſo ſchließt die Geſchichte in dieſen Bildern mit der hohen Pracht der Götterverſammlung, wo im ſchönſten Leben alle einzelnen Ge¬ ſtalten vereinigt ſind, und die Seligkeit des Olympus den ſterblichen Augen enthüllen. Gedulde Dich, mein Franz, bis Du in Rom biſt.
Ach, Rafael! ſagte Franz Sternbald, wie viel hab 'ich nun ſchon von Dir reden hören; wenn ich Dich doch noch im Leben anträfe!
Ich will Dir noch ein Lied vom Frühlinge ſingen, ſagte Rudolf.
26Sie ſtanden beide auf, und Floreſtan ſang. Er präludirte auf ſeiner Flöte, und zwiſchen jeder Strofe ſpielte er einige Töne, die ſich wunderbar zum Liede paßten, und es dem Hörer gleichſam erläuterten.
Noch im Felde begegnete ihnen der Mann, den ſie in der nächſten Stadt hatten auf¬ ſuchen wollen; ſie fingen zufälligerweiſe ein Geſpräch an, und erkannten ſich dadurch. Der Mann nannte ſich Bolz, und war ein Bildhauer, der jetzt nach Nürnberg, ſeinem Wohnorte, reiſ’te. Er kam aus Italien zu¬ rück, und hatte einen Gefährten bei ſich, der wie ein Mönch gekleidet war.
Franz war erfreut, wieder jemand vor ſich zu ſehn, der bald ſeine liebe Vaterſtadt erblicken, der ſeinen Dürer ſprechen ſollte; er ging daher dem Fremden mit aufrichti¬ ger Freude und Freundſchaft entgegen. Bolz und der Mönch ſchienen auf Sternbald nicht ſonderliche Rückſicht zu nehmen.
Man unterhielt ſich von der Kunſt, und Franz fragte begierig: was macht der31 edle Rafael von Urbin? Habt Ihr ihn noch geſehn?
Der Mönch nahm das Wort. Nein, ſagte er, leider hat dieſe ſchönſte Zier der edlen Mahlerkunſt die Erde verlaſſen; er iſt im vorigen Jahre geſtorben. Mit ihm iſt viel¬ leicht die Kunſt aus Italien entwichen.
Wie Ihr da ſprecht! rief der Bildhauer Bolz, und was wäre dann der unſterbliche Michel Angelo, der die höchſte Höhe der Kunſt erreicht hat, die Rafael niemals ge¬ kannt hat? Der uns gezeigt hat, was er¬ habener Reiz ſey, und die Ideale der Alten mit dem genauen Studium der wirklichen Natur verbunden? Dieſer lebt noch, mein junger Freund, und er ſteht lächelnd am Ziele der Sculptur und Mahlerei, als ein hoher Genius, der jedem Schüler ſein Stre¬ ben andeutet und erleichtert.
So iſt mir dieſer Wunſch meines Her¬32 zens verſagt? ſagte Franz, den Mann zu ſehn, der ein Freund meines Dürer war, den Dürer ſo bewunderte?
Nun freilich, rief Bolz aus, der alte gutherzige Dürer hat ihn auch wohl be¬ wundern dürfen, und für ihn iſt freilich Rafael noch viel zu gut. Er iſt aber auch nicht im Stande, etwas von Agnolo's Größe zu verſtehn, wenn er ein Kunſtwerk von die¬ ſem erhalten ſollte.
Erlaubt, ſagte Floreſtan, ich bin kein Kenner der Kunſt; aber doch habe ich von Tauſenden gehört, daß Rafael das Kleinod dieſer Erde zu nennen ſey, und wahrlich! wenn ich meinen Augen und meinem Ge¬ fühle trauen darf, ſo leuchtet eine erhabene Göttlichkeit aus ſeinen Werken.
Und wie Ihr alle von Dürer ſprecht! ſagte Franz, wahrlich! er weiß wohl das Eigne und Große an fremden Werken zu ſchätzen,wie33wie könnte er ſonſt ſelber ein ſo großer Künſtler ſeyn! Ihr liebt Euer deutſches Vaterland wenig, wenn Ihr von ſeinem er¬ ſten Künſtler geringe denkt.
Erzürnt Euch nicht, ſagte der Mönch; denn es iſt ſeine rauhe, wilde Art, daß er alles übertreibt. Ihm dünkt nur das Große, Gigantiſche ſchön, und der Sinn für alles übrige ſcheint ihm verſagt.
Nun, was iſt es denn auch mit Deutſch¬ land und mit unſrer einheimiſchen Kunſt? rief Bolz ergrimmt aus. Wie armſelig und handwerksmäßig wird ſie ausgeübt und ge¬ ſchätzt! Noch kein wahrer Künſtlergeiſt hat dieſen unfruchtbaren deutſchen Boden, die¬ ſen trüben Himmel beſucht. Was ſoll auch die Kunſt hier? Unter dieſen kalten gefühl¬ loſen Menſchen, die ſie in dürftiger Häus¬ lichkeit kaum als Zierrath achten? Darum ſtrebt auch keiner von den ſogenannten(2r TH.) C34Künſtlern, das Höchſte und Vollkommenſte zu erreichen, ſondern ſie begnügen ſich, der kalten dürftigen Natur nahe zu kommen, ihr hin und wieder einen Zug außer dem Zu¬ ſammenhange abzulauſchen, und glauben dann, wenn ſie ihr Machwerk in kahler Unbedeutſamkeit ſtehen laſſen, was Rechtes gethan zu haben. So iſt Euer geprieſe¬ ner Albert Dürer, Euer Lukas von Leyden, Schoorel, obgleich er in Italien geweſen iſt, ja kaum der Schweizer Holbein ver¬ dient zu den Mahlern gezählt zu werden.
Ihr kennt ſie nicht, rief Franz unwillig aus, oder verkennt ſie mit Vorſatz. Soll denn ein Mann allein die Kunſt und alle Trefflichkeit, erſchöpft und beendigt haben, ſo daß mit ihm, nach ihm kein andrer nach dem Kranze greifen darf? Wie beengt und klein müßte dann das himmliſche Gebiet ſeyn, wenn es ein einziger Geiſt durch¬35 ſchwärmte, und wie ein Herkules an den Gränzen ſeine Säulen ſetzte, um der Nach¬ welt zu ſagen, wie weit ſie gehen könne. Mir ſcheint es Barbarei und Hartherzig¬ keit, Entwürdigung des Künſtlers ſelbſt, den ich vergöttern möchte, wenn ich ihm ausſchließlich alle Kunſt beilegen will. Bis¬ her ſcheint mir Dürer der erſte Mahler der Welt; aber ich kann es mir vorſtellen, und er hat es ſelbſt oft genug geſagt, wie viele Herrlichkeiten es außerdem noch giebt. Mi¬ chael Angelo iſt wenig, wenn es nicht mög¬ lich ſeyn darf, daß es auch jenſeit ſeinem Wege Größe und Erhabenheit giebt.
Kommt nur nach Italien, ſagte Bolz, und Ihr werdet anders ſprechen.
Nein, Auguſtin, fiel ihm der Mönch ein. So reich die Kunſtwelt dort ſeyn mag, ſo wird dieſer junge Mann doch nachher ſchwerlich anders ſprechen. Ihr gefallt EuchC 236in Euren Übertreibungen, in Eurer erzwun¬ genen Einſeitigkeit, und glaubt, daß es keinen Enthuſiasmus ohne Verfolgungsgeiſt geben könne. Sternbald wird gewiß auch in Rom und Florenz ſeinem Dürer getreu bleiben, und er wird gewiß Angelo's Erha¬ benheit und Rafael's reizende Schöne mit gleicher Liebe umfaſſen.
Und das ſoll er, das muß er! rief Ru¬ dolf hier mit einem Ungeſtüm aus, den man ſonſt nicht an ihm ſah. Ihr, mein ungeſtümer Bruder Auguſtin, oder wie Ihr Euch nennt, habt wenig Ehre davon, daß Ihr ſolche Geſinnungen und Redensarten aus dem lieblichen Italien mit Euch bringt; nach Norden, nach den Eisländern hättet Ihr reiſen müſſen. Ihr ſprecht von deut¬ ſcher Barbarei, und fühlt nicht, daß Ihr ſelbſt der größte Barbar ſeyd. Was habt Ihr in Italien gemacht, und wo hat Euch37 das Herz geſeſſen, als Ihr im Vatikan vor Rafael's Unſterblichkeit ſtandet?
Alle mußten über den Ungeſtüm des Jünglings lachen, und er ſelbſt lachte von Herzen mit, obgleich ihm eine Thräne im Auge ſtand, die ihm ſeine begeiſterte Rede hervorgebracht hatte. Ich bin ein Römer, ſagte er dann, und ich geſtehe, daß ich Rom unausſprechlich liebe; Rafael iſt es beſon¬ ders, der Rom ausgeſchmückt hat, und ſeine hauptſächlichſten Gemählde befinden ſich dort. Vergebt mir, und ſagt nun, was Ihr wollt; ich werde Euch gewiß nicht noch einmal ſo heftig widerſprechen.
So iſt denn dieſer Rafael geſtorben! fing Franz von neuem an, indem ſie wieder friedlich über das Feld gingen. Wie alt iſt er denn geworden?
Gerade neun und dreißig Jahre, ſagte der Mönch. Am Charfreitage, an dieſem38 heiligen Tage iſt er gebohren, und an die¬ ſem merkwürdigen Geburtstage iſt er auch wieder von der Erde hinweggegangen. Er war und blieb ſein Lebelang ein Jüngling, und aus allen ſeinen Werken ſpricht ein milder, kindlicher Geiſt. Sein letztes großes Gemählde war die Transfiguration, Chriſti Verklärung, worin er ſich ſeine eigne Apo¬ theoſe gemahlt hat. Oben die Herrlichkeit des Erlöſers, allgemeine Liebe in ſeinen Blicken, unter ihm der Glaube der Apoſtel, umgeben von dem übrigen Menſchenleben, mit allem Elende, das darin einheimiſch iſt, Unglückliche, die dem Erlöſer zur Heilung gebracht werden, und Zweifel, Hoffnung und Zutrauen in den Umſtehenden. Ra¬ fael's Sarg ſtand in der Mahlerſtube, und ſein letztes vollendetes Gemählde daneben, ſeine eigne Verklärung. Der Finger ruhte nun auf immer, der dieſe Bilder in Leben39 und Bewegung gezaubert hat; die bunte freundliche Welt, die aus ihm hervorgegan¬ gen war, ſtand nun neben der blaſſen Lei¬ che. Ganz Rom war in Bewegung, und keiner von denen, die es ſahen, konnte ſich der Thränen enthalten.
Nein, rief Franz aus, wer wollte ſich der Thränen bei ſolchem Anblick enthalten? Was können wir denn den großen Kunſt¬ geiſtern zum Dank anders widmen, als un¬ ſer volles, entzücktes Herz, unſre andächtige Verehrung? Für dieſe unbefangene, kind¬ liche Rührung, für dieſe völlige Hingebung unſres eigenthümlichen Selbſts, für dieſen vollen Glauben an ihre edle Trefflichkeit haben ſie gearbeitet; dies iſt ihr größter und ihr einziger Lohn. Kommen mir doch jetzt die Thränen in die Augen, wenn ich mir den Abgeſchiedenen da liegen denke, unter ſeinen Gemählden, ſeine letzte Schöpfung40 dicht neben ihm, die ſo kürzlich noch ſein Kunſtgeiſt belebte und bewegte. O, man ſollte denken, alle jene lebendigen Geſtalten hätten ſich verändern, und nur Schmerz und Verzweiflung über den entflohenen Ra¬ fael äußern müſſen.
Der Bildhauer ſagte: Nun, gewiß, Ihr habt eine lebhafte Imagination; am Ende meint Ihr gar, ſein gemahlter Chri¬ ſtus hätte ihn wieder vom Tode erwecken können!
Und iſt denn Rafael geſtorben? rief Sternbald in ſeiner Begeiſterung aus. Wird Albrecht Dürer jemals ſterben? Nein, kein großer Künſtler verläßt uns ganz; er kann es nicht, ſein Geiſt, ſeine Kunſt bleibt freund¬ lich unter uns wohnen. Der Nahme der Feldherren wird auch vom ſpäten Enkel noch genannt; aber größern Triumph ge¬ nießt der Künſtler. Rafael ruht neben ſei¬41 nen Kunſtwerken glänzender, als der Sie¬ ger in ſeinen ehernen Grabmählern; denn er läßt die Bewegungen ſeines edlen Her¬ zens, die großen Gedanken, die ihn begei¬ ſterten, in ſichtbaren Bildungen, in liebli¬ chen Klängen unter uns zurück, und jede Geſtalt bietet ſchon jetzt dem noch ungebohr¬ nen Enkel die Hand, um ihm zu bewill¬ kommen; jedes Gemählde drückt den entzück¬ ten Beſchauer an das Herz Rafaels, und er fühlt, wie ihn der Geiſt des Mahlers liebevoll umfängt und erwärmt, er glaubt den Athem wehen zu hören, die Stimme des Grußes zu vernehmen, und iſt durch dieſe Stunde für ſeine ganze Lebenszeit geſtärkt.
Bolz ſagte: Ihr werdet Euer Lebelang kein großer Mahler werden; Ihr erhitzt Euch über alles ohne Noth, und das wird Euch gerade von der Kunſt abführen.
42Darin mögt Ihr nicht ganz Unrecht haben, ſagte der Mönch. Ich kenne in Italien einen alten Mann, der mir einmal ſeine Geſchichte erzählte, die mir ſehr merk¬ würdig dünkte. Aus dem Ganzen erhellte, beſonders nach der Meinung jenes Man¬ nes, daß die Kunſt einen ruhigen Geiſt fordre.
Das iſt wohl ausgemacht, fuhr Rudolf fort; aber warum muß Euch ein alter Mann, den wir alle nicht kennen, gerade auf dieſen Gedanken bringen, der doch ſo natürlich iſt?
Er fiel mir nur dabei ein, ſagte der Mönch, weil ſeine Geſchichte recht ſehr ſon¬ derbar iſt, und weil der junge Mahler dort ihm auf eine wunderbare Weiſe ähn¬ lich ſieht, ſo daß ich an jenen Alten denke, ſeitdem wir mit einander gegangen ſind.
43Könnt Ihr uns nicht ſeine Geſchichte erzählen? fragte Franz.
Der Mönch wollte eben anfangen, als ſie Jagdhörner und Hundegebell hörten. Ein Trupp Reuter jagte bei ihnen vorüber, und in den benachbarten Wald hinein. Die Berge gaben die Töne zurück, und ein ſchö¬ nes muſikaliſches Gewirr lärmte durch die einſame Gegend.
Bolz ſtand ſtill, und ſagte: Laßt um des Himmels Willen Eure langweiligen Er¬ zählungen; freut Euch doch an dieſem Kon¬ zerte, das, nach meinem Gefühl, jede Bruſt erregen müßte! Ich kenne nichts Schöneres, als Jagdmuſik, den Hörnerklang, den Wie¬ derhall im Walde, das wiederholte Gebell der Hunde, und das hetzende Hallo der Jä¬ ger. Als ich jetzt Italien verließ, gelang es mir, bei Gelegenheit einer Jagd einem über¬ aus reizenden Mädchen das Leben zu ret¬44 ten. Das, Herr Mahler, war eine Scene, die der Darſtellung würdig war! Der grü¬ ne dunkelſchattige Wald, das Getümmel der Jagd, ein blondes geängſtigtes Mäd¬ chen, die, vor Schreck halb ohnmächtig, einen Baum hinanklettern will, der Buſen halb frei, die langen Haare aufgelöſ't, Fuß und Bein von der Stellung entblößt, ein Mann, der ihr Hülfe leiſtet. — Ich habe nie wieder ſo etwas Reizendes geſehn, und unter allen Menſchen hat mir dies Mäd¬ chen den Abſchied aus Italien am meiſten erſchwert.
Franz dachte unwillkührlich an ſeine Unbekannte, und der Mönch ſagte: Ich kann den Gegenſtand ſo beſonders mahle¬ riſch nicht finden; er iſt alltäglich und be¬ deutungslos.
Nachdem ihn der Mahler nehmen dürf¬ te, fiel Franz ein; vielleicht iſt kein einziger Gegenſtand ohne Intereſſe.
45Ihr könntet nun wohl Euer Gezänk abbrechen, ſagte Rudolf; denn Ihr werdet nie über irgend etwas einig werden.
Sie waren einen Berg hinangeſtiegen, und ſtanden nun ermüdet ſtill. Indem ſie ſich an der Ausſicht ergötzten, rief Franz aus: mich dünkt, ich ſehe noch ganz in der Ferne den Münſter!
Sie ſahen alle hin, und ein jeglicher glaubte, ihn zu entdecken. Der Münſter, ſagte Bolz, iſt noch ein Werk, das den Deutſchen Ehre macht!
Das aber doch gar nicht zu Euren Be¬ griffen vom Idealiſchen und Erhabenen paßt, antwortete Franz.
Was gehen mich meine Begriffe an? ſagte der Bildhauer; ich knie in Gedanken vor dem Geiſte nieder, der dieſen allmäch¬ tigen Bau entwarf und ausführte. Wahr¬ lich! es war ein ungemeiner Geiſt, der es46 wagte, dieſen Baum mit Äſten, Zweigen und Blättern ſo hinzuſtellen, immer höher den Wolken mit ſeinen Felsmaſſen entgegen zu gehn, und ein Werk hinzuzaubern, das gleichſam ein Bild der Unendlichkeit iſt.
Sternbald ſagte: Ich ärgere mich jetzt nicht mehr, wenn ich von dieſem Rieſenge¬ bäude verächtlich ſprechen höre, wie es mir ehemals wohl begegnete, da ich es nur noch aus Zeichnungen kannte. Führt jeden Tad¬ ler, jeden, der von griechiſcher und römi¬ ſcher Baukunſt ſpricht, nach Straßburg. Da ſteht er in voller Herrlichkeit, iſt fertig, iſt da, und bedarf keiner Vertheidigung in Worten und auf dem Papiere; er verſchmäht das Zeichnen mit Linien und Bögen, und all' den Wirrwarr von Geſchmack und edler Einfachheit. Das Erhabene dieſer Größe kann keine andre Erhabenheit darſtellen; die Vollendung der Symmetrie, die kühnſte47 allegoriſche Dichtung des menſchlichen Gei¬ ſtes, dieſe Ausdehnung nach allen Seiten, und über ſich in den Himmel hinein; das Endloſe und doch in ſich ſelbſt Geordnete; die Nothwendigkeit des Gegenüberſtehenden, welches die andre Hälfte erläutert und fertig macht, ſo daß eins immer um des andern willen, und alles um die gothiſche Größe und Herrlichkeit auszudrücken, da iſt. Es iſt kein Baum, kein Wald; nein, dieſe all¬ mächtigen, unendlich wiederholten Stein¬ maſſen drücken etwas Erhabeneres, ungleich Idealiſcheres aus. Es iſt der Geiſt des Menſchen ſelbſt, ſeine Mannigfaltigkeit zur ſichtbaren Einheit verbunden, ſein kühnes Rieſenſtreben nach dem Himmel, ſeine ko¬ loſſale Dauer und Unbegreiflichkeit: den Geiſt Erwins ſelbſt ſeh 'ich in einer furcht¬ bar ſinnlichen Anſchauung vor mir ſtehen. Es iſt zum Entſetzen, daß der Menſch aus48 den Felſen und Abgründen ſich einzeln die Steine hervorholt, und nicht raſtet und ruht, bis er dieſen ungeheuren Springbrun¬ nen von lauter Felſenmaſſen hingeſtellt hat, der ſich ewig, ewig ergießt, und wie mit der Stimme des Donners Anbetung vor Erwin, vor uns ſelbſt in unſre ſterblichen Gebeine hineinpredigt. Und nun klimmt unbemerkt und unkenntlich ein Weſen, gleich dem Baumeiſter, oben wie ein Wurm, an den Zinnen umher, und immer höher und höher, bis ihn der letzte Schwindel wieder zur flachen, ſichern Erde hinunternöthigt, — wer da noch demonſtriren, und Erwin und das barbariſche Zeitalter bedauern kann, — o wahrhaftig, der begeht, ein armer Sün¬ der, die Verläugnung Petri an der Herr¬ lichkeit des göttlichen Ebenbildes.
Hier gab der Bildhauer dem Mahler die Hand, und ſagte: ſo hör 'ich Euch gern.
Aber49Aber wir müſſen uns trennen, fuhr er fort; hier an dieſem Scheidewege geht un¬ ſre Straße aus einander. Ihr kommt jetzt, junger Freund, nach Italien, indem es viel¬ leicht ſeine glänzendſte Epoche feiert. Ihr werdet viele große und verdiente Männer antreffen, und was an ihnen das Schönſte iſt, erkennen. Die meiſten arbeiten in der Stille. Vielleicht kommt bald, oder irgend einmal die Zeit, wo man viel Aufhebens von der Kunſt macht, viel davon ſpricht und ſchreibt, Schulen errichtet, und alles in's Geleiſe und gehörige Ordnung bringen will, und dann iſt es wahrſcheinlich mit der Kunſt ſelbſt zu Ende. Jetzt thut ein jeder, was er vermag, und nach ſeiner beſten Überzeugung; aber ich fürchte, bald ſtehen die falſchen Propheten auf, die eine erzwungene Ehrfurcht erheucheln. Jetzt ſchätzt man die Kunſt und ihre Künſtler(2r Th.) D50wirklich; dann entſteht vielleicht der After¬ enthuſiasmus, der das wahrhaft Edle her¬ abwürdigt. — Lebt wohl!
Sie gingen aus einander, und Franz überdachte die letzten Worte, die ihm un¬ verſtändlich waren.
51Indem Rudolf und Franz ihren Weg fort¬ ſetzten, ſprachen ſie über ihre Begleiter, die ſie verlaſſen hatten. Franz ſagte: Ich kann es mir nicht erklären, vom erſten Augen¬ blicke an empfand ich einen unbeſchreiblichen Widerwillen gegen dieſen Bildhauer, der ſich mit jedem Worte, das er ſprach, ver¬ mehrte. Selbſt die freundſchaftliche Art, mit der er am Ende Abſchied nahm, war mir recht im Herzen zuwider.
Der Geiſtliche, antwortete Rudolf, hatte im Gegentheil etwas Anlockendes, das gleich mein Zutrauen gewann; er ſchien ein ſanfter, freundlicher Menſch, der jedem wohlwollte.
Er hätte uns, fuhr Sternbald fort, die Geſchichte des alten Mannes erzählen ſollen, von dem er ſprach. Vielleicht hätte ich dar¬ aus viel für mich ſelbſt gelernt.
D 252Du biſt viel zu gewiſſenhaft, mein Freund, ſagte Rudolf weiter. Alles in der Welt beſtimmt Dich und hat Einfluß auf Dein Gemüth.
Ein Fußſteig führte ſie in einen dichten kühlen Wald hinein, und ſie bedachten ſich nicht lange, ihm nachzugehn. Eine erquik¬ kende Luft zog durch die Zweige, und das mannigfaltigſte, anmuthigſte Konzert der Vögel erſchallte. Es war ein lebendiges Gewimmel in den Gebüſchen; die buntgefie¬ derten Sänger ſprangen hier und dort hin; die Sonne flimmerte nur an einzelnen Stel¬ len durch das dichte Grün.
Beide Freunde gingen ſchweigend neben einander, indem ſie des ſchönen Anblicks genoſſen. Endlich ſtand Rudolf ſtill, und ſagte: Wenn ich ein Mahler wäre, Freund Sternbald, ſo würde ich vorzüglich Wald¬ ſcenen ſtudiren und darſtellen. Schon der53 Gedanke eines ſolchen Gemähldes kann mich entzücken. Wenn ich mir unter dieſen däm¬ mernden Schatten die Göttin Diana vor¬ übereilend denke, den Bogen geſpannt, das Gewand aufgeſchürzt, und die ſchönen Glie¬ der leicht umhüllt, hinter ihr die Nymphen und die muntern Jagdhunde: oder ſtelle Dir vor, daß dieſer Fußweg ſich immer dich¬ ter in's Gebüſch hineinwendet, die Bäume werden immer höher und wunderbarer, ein¬ zelne Laute klingen durch das verſchlungene Laub, plötzlich ſteht eine Grotte, eine küh¬ les Bad vor uns, und in ihm die Göttin, mit ihren Begleiterinnen, entkleidet.
Oder, ſagte Franz, hier im tiefen Walde ein Grabmahl, auf dem ein Freund ausge¬ ſtreckt liegt und den Todten beweint: dazu die dunkelgrünen Schatten, der friſche Ra¬ ſen, die einzelnen zerſpaltenen Sonnenſtrah¬ len von oben, alles dies zuſammen müßte54 ein vortreffliches Gemählde der Schwermuth ausbilden.
Fühlſt Du nicht oft, ſprach Rudolf wei¬ ter, einen wunderbaren Zug Deines Her¬ zens dem Wunderbaren und Seltſamen ent¬ gegen? Man kann ſich der Traumbilder dann nicht erwehren, man erwartet eine höchſt ſonderbare Fortſetzung unſers gewöhn¬ lichen Lebenslaufs. Oft iſt es, als wenn der Geiſt von Arioſts Dichtungen über uns hinwegfliegt, und uns in ſeinen kryſtallenen Wirbel mit faſſen wird; nun horchen wir auf und ſind auf die neue Zukunft begierig, auf die Erſcheinungen, die an uns mit bun¬ ten Zaubergewändern vorübergehn ſollen: dann iſt es, als wollte der Waldſtrom ſeine Melodie deutlicher ausſprechen, als würde den Bäumen die Zunge gelöſ't, damit ihr Rauſchen in verſtändlichern Geſang dahin¬ rinne. Nun fängt die Liebe an auf fernen55 Flötentönen heranzuſchreiten, das klopfende Herz will ihr entgegenfliegen, die Gegen¬ wart iſt wie durch einen mächtigen Bann¬ ſpruch feſtgezaubert, und die glänzenden Minuten wagen es nicht, zu entfliehen. Ein Zirkel von Wohllaut hält uns mit ma¬ giſchen Kräften eingeſchloſſen, und eine neue verklärtere Exiſtenz ſchimmert wie räthſel¬ haftes Mondlicht in unſer wirkliches Leben hinein.
O Du Dichter! rief Franz aus, wenn Du nicht ſo leichtſinnig wärſt, ſollteſt Du ein großes Wundergedicht erſchaffen, voll von gaukelnden Glanz und irrenden Klän¬ gen, voll Irrlichter und Mondſchimmer; ich höre Dir mit Freuden zu, und mein Herz iſt ſchon wunderbar von dieſen Wor¬ ten ergriffen.
Nun hörten ſie eine rührende Waldmu¬ ſik von durch einander ſpielenden Hörnern56 aus der Ferne; ſie ſtanden ſtill und horch¬ ten, ob es Einbildung oder Wirklichkeit ſey; aber ein melodiſcher Geſang quoll durch die Bäume ihnen wie ein rieſelnder Bach entgegen, und Franz glaubte, die Geiſter¬ welt habe ſich plötzlich aufgeſchloſſen, weil ſie vielleicht, ohne es zu wiſſen, das große zaubernde Wort gefunden hätten, als habe nun der geheimnißvolle unſichtbare Strom den Weg nach ihnen gelenkt, und ſie in ſeinen Fluthen aufgenommen. — Sie gin¬ gen näher, die Waldhörner ſchwiegen, aber eine ſüße melodiſche Stimme ſang nun fol¬ gendes Lied:
Die Stimme ſchwieg, und die Hörner fielen nun wieder mit ſchmelzenden Akkor¬58 den darein; dann verhallten ſie, und eine andre Stimme ſang von einem entfernteren Orte:
Die Hörner ſchloſſen auch dieſen Geſang mit einigen überaus zärtlichen Tönen.
Franz und Rudolf waren indeß näher geſchritten, und ſtanden jetzt ſtill, an einen59 alten Baum gelehnt, der ſie faſt ganz be¬ ſchattete. Sie ſahen eine Geſellſchaft von Jägern auf einem kleinen grünen Hügel ge¬ lagert, einige darunter waren diejenigen, die ihnen vorher begegnet waren. Ein ſchö¬ ner Jüngling, den Franz für ein verkleide¬ tes Mädchen hielt, ſaß in ihrer Mitte; er hatte das erſte Lied geſungen, in der Ferne ſaß ein junger Mann, der mit ſchöner vol¬ ler Bruſt die Antwort ſang, die übrigen Jäger waren zerſtreut, und am Fuße des Hügels lagen die ermüdeten Hunde ſchnau¬ fend. Franz war wie bezaubert; das Mäd¬ chen erhob ſich jetzt, es war eine ſchöne ſchlanke Geſtalt, ſie trug einen Helm mit grüner Feder auf dem Kopfe, ihr Anzug war mit vielen Bändern geſchmückt; ſie glich, von der Jagd erhitzt, einer Göttin. Jetzt ward ſie die beiden Reiſenden gewahr, und ging freundlich auf ſie zu, indem ſie60 ſich erkundigte, auf welche Weiſe ſie dort¬ hin gekommen wären. Rudolf merkte nun, daß ſie ſich verirrt haben müßten, denn ſie ſahen jetzt keinen Weg, keinen Fußſteig vor ſich. Auf den Befehl der Jägerin reichte man ihnen Wein in Bechern zur Erfriſchung; dann erzählten ſie unverholen von ihrer Wan¬ derſchaft. Da die ſchöne Jägerin hörte, daß Sternbald ein Mahler ſey, bat ſie beide Freunde, dem Zuge auf ihr nahe gelegenes Schloß zu folgen, Sternbald ſolle ausru¬ hen, und wenn er nachher wolle, etwas für ſie mahlen.
Franz war wie begeiſtert, er wünſchte jetzt nichts ſo ſehr, als in der Nähe dieſes wundervollen Weſens zu bleiben, wie ſie ihm erſchien. Die Jäger ſtiegen alſo wieder auf ihre Pferde, und zwei von ihnen boten Franz und Rudolf ihre Hengſte an. Sie ſtiegen auf, und Rudolf war immer der61 vorderſte im Zuge, wobei ſich ſeine auslän¬ diſche Tracht, ſeine vom Hute flatternden Bänder gut ausnahmen: Sternbald aber, der noch kein Pferd beſtiegen hatte, war ängſtlich und blieb hinten; er wünſchte, man hätte ihn zu Fuß folgen laſſen.
Jetzt eröffnete ſich der Wald, eine ſchöne Ebene mit Gebüſchen und krauſen Hügeln in der Ferne lag vor ihnen. Die Pferde wieherten laut und fröhlich, als ſie die Rück¬ kehr zur Heimath merkten; das Schloß der Gräfin lag mit glänzenden Fenſtern und Zinnen zur Rechten auf einer lieblichen An¬ höhe. Ein Jäger, der mit Rudolf den Zug angeführt hatte, bot dieſem an, einen Wett¬ lauf bis zum Schloſſe anzuſtellen: Rudolf war willig, beide ſpornten ihre Roſſe und flogen mit gleicher Eile über die Ebene, Rudolf jauchzte und triumphirte, als er ſei¬ nem Mitkämpfer den Vorſprung abgewann,62 die übrigen folgten langſam unter einer fröhlichen Muſik der Hörner.
Es war um die Mittagszeit, als der Zug im Schloſſe ankam, und die ganze Ge¬ ſellſchaft ſetzte ſich bald darauf zur Tafel; die ſchöne Jägerin war aber nicht zugegen. Die Tiſchgeſellſchaft war deſto luſtiger, Ru¬ dolf war vom Reiten erhitzt, und da er überdies noch vielen Wein trank, war er beinahe ausgelaſſen. Deſto mehr aber be¬ luſtigte er die Geſellſchaft, die es nicht müde wurde, ſeine Einfälle zu belachen; Franz fühlte ſich gegen ſeine Leichtigkeit unbehol¬ fen und ohne alle Fähigkeit zum Umgange. Ein ältlicher Mann, der im Hauſe aufbe¬ wahrt wurde, galt für einen Dichter; er ſagte Verſe her, die ungemein gefielen, und noch mehr deswegen, weil er ſie ohne alle Vorbereitung deklamirte. Unter dem lauten Beifall der Geſellſchaft ſang er folgendes Trinklied:
63Da alle das Talent des Mannes be¬ wunderten, ſagte Rudolf im Unwillen: Es geſchieht dem Wein keine ſonderliche Ehre, daß Ihr ihn auf ſolche Art lobt, denn es klingt beinahe, als wenn Ihr aus Noth ein Dichter wäret, der den lieben Wein nur be¬ ſingt, weil er ſich dieſen Gegenſtand einmal64 vorgeſetzt hat; es iſt wie ein Gelübde, das jemand mit Widerwillen bezahlt. Warum quält Ihr Euch damit, Verſe zu machen? Ihr könnt den Wein ſo durch funfzig Stro¬ fen verfolgen, von ſeiner Herkunft anfan¬ gen und ſeine ganze Erziehung durchgehn. Ich will Euch auf dieſe Art auch ein Ge¬ dicht über den Flachsbau durchſingen, und über jedes Manufakturprodukt.
Das hören wir ſehr ungern! rief einer von den Jägern.
Wir haben den Mann immer für einen großen Dichter gehalten, ſagte ein andrer, warum macht Ihr uns in unſerm Glau¬ ben irre?
Es iſt leichter tadeln, als beſſer machen! rief ein dritter.
Der Poet ſelber war ſehr aufgebracht, daß ihm ein fremder Ankömmling ſeinen Lorbeer ſtreitig machen wollte. Er bot demberauſch¬65berauſchten Floreſtan einen dichteriſchen Zwei¬ kampf an, den die Geſellſchaft nachher ent¬ ſcheiden ſollte. Floreſtan gab ſeine Zuſtim¬ mung, und der alte Sänger begann ſo¬ gleich ein ſchönes Lied auf den Wein, das alle Gemüther ſo entzückte, daß Franz für ſeinen Freund wegen des Ausganges des Krieges in billige Beſorgniß gerieth.
Während dem Liede war die Tafel auf¬ gehoben, und Floreſtan beſtieg nun den Tiſch, indem er ſeinen Hut aufſetzte, der mit grünem Laube geputzt war; vorher trank er noch ein großes Glas Wein, dann nahm er eine Zitter in die Hand, auf die er artig ſpielte und dazu ſang:
Rudolf hielt inne. Iſt es mir, Herr Poet, fragte er beſcheiden, nun wohl ver¬ gönnt, das Silbenmaas ein wenig zu ver¬ ändern?
Der Dichter beſann ſich ein Weilchen, dann nickte er mit dem Kopfe, um ihm67 dieſe Freiheit zuzugeſtehn. Rudolf fuhr mit erhöhter Stimme fort:
Nicht wahr, unterbrach ſich Rudolf ſel¬ ber, das war für die arme Menſchheit eine traurige Lage, die ſo plötzlich das goldene Zeitalter verloren hatte? Aber hört nur weiter:
Aber, meine Freunde, ich bin des Sin¬ gens und Trinkens überdrüſſig. Und mit dieſen Worten ſprang er vom Tiſche her¬ unter.
Unter der berauſchten[Geſellſchaft] entſtand ein Gemurmel, weil ſie ſtritten, welcher von69 den beiden Poeten den Preis verdiene. Die meiſten Stimmen ſchienen für den alten Sänger; einige aber, die durch ihre Vor¬ liebe für das Neue einen beſſern Verſtand anzudeuten glaubten, nahmen ſich des Flo¬ reſtan mit vielem Eifer an, unter dieſen war auch Sternbald.
Man weiß nicht recht, was der junge Menſch mit ſeinem Geſange oder Liede will, ſagte einer von den älteſten. Ein gutes Weinlied muß ſeinen ſtillen Gang für ſich fortgehn, damit man brav Luſt bekömmt, mitzuſingen, deshalb auch oft blinkt, klingt und ſingt darin angebracht ſeyn muß, wie ich es auch noch allenthalben gefunden habe. Allein was ſollen mir dergleichen Geſchichten?
Freilich, ſagte Floreſtan, kann es nichts ſollen; aber, lieben Freunde, was ſoll Euch denn der Wein ſelber? Wenn Ihr70 Waſſer trinkt, bleibt Ihr noch um vieles mäßiger.
Nein, ſchrie ein andrer, auch im Weine kann und muß man mäßig ſeyn; der Ge¬ nuß iſt dazu da, daß man ihn genießt, aber nicht ſo gänzlich ohne Verſtand.
Rudolf lachte und gab ihm Recht, wo¬ durch viele ausgeſöhnt wurden und zu ſei¬ ner Parthei übergingen. Ich habe nur den Tadel, ſagte Sternbald, daß Dein Gedicht durchaus keinen Schluß hat.
Und warum muß denn alles eben einen Schluß haben? rief Floreſtan, und nun gar in der entzückenden Poeſie! Fangt Ihr nur an zu ſpielen, um aufzuhören? Denkt Ihr Euch bei jedem Spaziergange gleich das Zu¬ rückgehn? Es iſt ja ſchöner, wenn ein Ton leiſe nach und nach verhallt, wenn ein Waſ¬ ſerfall immer fortbrauſ't, wenn die Nachti¬ gall nicht verſtummt. Müßt Ihr denn71 Winter haben, um den Frühling zu ge¬ nießen?
Es kann ſeyn, daß Ihr Recht habt, antworteten einige, ein Weinlied nun gar, das nichts als die reinſte Fröhlichkeit ath¬ men ſoll, kann eines Schluſſes am erſten entbehren.
Wie Ihr nun wieder ſprecht! rief Flo¬ reſtan im tollen Muthe, indem er ſich ha¬ ſtig rund herumdrehte. Ohne Schluß, ohne Endſchaft iſt kein Genuß, kein Ergötzen durchaus nicht möglich. Wenn ich einen Baumgang hinuntergehe, ſey er noch ſo ſchön, ſo muß ich doch an den letzten Baum kommen können, um ſtillzuſtehen und zu denken: dort bin ich gegangen. Im Leben wären Liebe, Freude und Entzücken Quaa¬ len, wenn ſie unaufhörlich wären; daß ſie Vergangenheit ſeyn können, macht das zu¬ künftige Glück wieder möglich, ja, zu je¬72 dem großen Manne mit allen ſeinen bewun¬ dernswerthen Thaten gehört der Tod als unentbehrlich zu ſeiner Größe, damit ich nur im Stande bin, die ordentliche Summe ſeiner Vortrefflichkeit zu ziehn, und ihn mit Ruhe zu bewundern. In der Kunſt gar iſt ja der Schluß nichts weiter, als eine Er¬ gänzung des Anfangs.
Ihr ſeyd ein wunderlicher Menſch, ſag¬ te der alte Poet; ſo ſingt uns alſo Euren Schluß, wenn er denn ſo unentbehrlich iſt.
Ihr werdet aber damit noch viel weni¬ ger zufrieden ſeyn, ſagte Floreſtan. Doch, es ſoll Euch ein Genüge geſchehn. — Er nahm die Zitter wieder in die Hand, und ſpielte und ſang:
Nun ſchwieg er ſtill, und legte mit ei¬ ner anſtändigen Verbeugung die Zitter weg. Das iſt nun gar gottlos! riefen viele von den Zuhörern, Euer Schluß iſt das Uner¬ laubteſte von allem, was Ihr uns[vorge¬ ſungen] habt.
Der Streit über den Werth der beiden Dichter fing von neuem an. Sternbald75 ward hitzig für ſeinen Freund, und da er ihn einigemal bei ſeinem Namen Floreſtan nannte, ſo ward der andre Poet dadurch aufmerkſam gemacht; er fragte, er erkun¬ digte ſich, das Geſpräch nahm eine andre Wendung. Es fand ſich, daß die beiden Streitenden Verwandte waren; ſie umarm¬ ten ſich, ſie freuten ſich beide, einander ſo unverhofft anzutreffen, und es wurde nun weiter an keine Vergleichung ihrer Talente gedacht.
76Die Geſellſchaft zerſtreute ſich hierauf, und Franz verließ nach dem Getümmel gern das Haus, um ſich in den Schloßgarten zu be¬ geben. Eine geſchmückte Dame, die er an¬ fangs nicht erkannte, begegnete ihm im Gange; es war niemand, als die Jägerin. Sie grüßten ſich freundlich, aber nach einem kurzen Geſpräch trennten ſie ſich wieder. Franz betrachtete ſinnend einen künſtlichen Springbrunnen, der mit ſeinen kryſtallenen Strahlen die Luft lieblich abkühlte, und ein ſanftes Geräuſch ertönen ließ, zu dem die nahen Vögel williger und angenehmer ſangen. Er hörte auf den mannichfaltigen Wohllaut, auf den Wechſelgeſang, den die Fontaine gleichſam mit den Waldbewohnern führte, und ſein Geiſt verlor ſich dann wieder in eine entfernte wunderbare Zaubergegend.
77Bin ich getäuſcht, oder iſt es wirklich? ſagte er zu ſich ſelber; ich werde ungewiß, ob mir allenthalben ihr ſüßes Bild begegnet, oder ſie meine Phantaſie nur in allen Ge¬ ſtalten wieder erkennt. Dieſe Gräfin gleicht ihr, die ich nicht zu nennen weiß, die ich ſuche und doch raſte, für die ich nur lebe und ſie doch gewiß verliere.
Eine Flöte ertönte aus dem Gebüſch, und Franz ſetzte ſich auf eine ſchattige Ra¬ ſenbank, um den Tönen ruhiger zuzuhören. Als der Spielende eine Weile muſicirt hat¬ te, ſang eine wohlbekannte Stimme folgen¬
Es war Rudolf, der nun hervortrat, und ſich zu Sternbald an dem Rande des Springbrunnens niederſetzte. Ich erkannte Dich wohl, ſagte Franz, aber ich wollte Dich in Deinem zärtlichen Geſange nicht80 ſtören; doch ſiehſt Du munterer aus, als ich Dich erwartet hätte.
Ich bin recht vergnügt, ſagte Floreſtan, der heutige Tag iſt einer meiner heiterſten; denn ich kenne nichts Schöneres, als ſo recht viel und mancherlei durch einander zu empfinden, und deutlich zu fühlen, wie durch Kopf und Herz gleichſam goldene Sterne ziehn, und den ſchweren Menſchen wie mit einer lieben wohlthätigen Flamme durchſchimmern. Wir ſollten täglich recht viele Stimmungen und friſche Anklänge zu erleben ſuchen ſtatt uns aus Trägheit in uns ſelbſt und die alltägliche Gewöhnlichkeit zu verlieren.
Der Schluß Deines heutigen Trinklie¬ des, antwortete Franz, hat mir nicht gefal¬ len; es iſt doch immer unerlaubt, auf dieſe Art mit dem Leichtſinn zu ſcherzen.
O, mein Freund, rief Rudolf aus, wiebiſt81biſt Du denn heute ſo gar ſchwerfällig ge¬ worden, daß Du es mit einer augenblickli¬ chen Begeiſterung ſo ernſt und ſtrenge nimmſt. Laß doch der unſchuldigen Poeſie ihren Gang, wenn der klare Bach ſich einmal ergießt, der Scherz ſoll ja nichts weiter als Scherz be¬ deuten; willſt Du ihn aber für eine Entwei¬ hung des Feierlichen und Erhabenen neh¬ men, ſo thuſt Du Dir ſelbſt zu nahe. Sing dafür lieber mit mir dies Lied.
Franz mußte das vorige Lied wiederho¬ len, und Floreſtan begleitete ihn mit ſeiner Flöte; als es geendigt war, ſagte Rudolf: ich habe dieſen Geſang heute Nachmittag aufgeſchrieben, als die Abendröthe anfing heraufzurücken, ich hörte eine Flöte anſpie¬ len, und der Ton des Inſtruments gab mir dieſe Verſe ein.
Das iſt ein Beitrag zu jenen Liedern, ſagte Sternbald, die Du mir vor Antwerpen(2r Th.) F82einmal ſangeſt. Ich habe ſie mir aufge¬ ſchrieben, und kann manchmal nicht finden, daß ſie ſich zu den Überſchriften paſſen.
Es thut nichts, ſagte Floreſtan, ſie mö¬ gen auch wohl unpaſſend ſeyn, aber mir kam es ſo vor, als ich ſie machte; wer es nicht mitfühlt, dem iſt es auch nicht zu be¬ weiſen. Sie ſollten gleichſam die Akzente ſeyn, in die dieſe Inſtrumente freiwillig übergingen, wie ſie als lebendige Weſen ſprechen und ſich ausdrücken würden. Man könnte ſich, wenn man ſonſt Luſt hätte, ein ganzes Geſprächſtück von mancherlei Tönen[ausſinnen].
Es kann ſeyn, antwortete Franz, von Blumen kann ich es mir gewiſſermaßen vor¬ ſtellen. Es iſt freilich immer nur ein Cha¬ rakter in allen dieſen Dingen, wie wir ihn als Menſchen wahrzunehmen vermögen.
So geſchieht alle Kunſt, antwortete83 Floreſtan; die Thiere können wir ſchon rich¬ tiger fühlen, weil ſie uns etwas näher ſtehn. Ich hatte einmal Luſt, aus Lämmern, ei¬ nigen Vögeln und andern Thieren eine Ko¬ mödie zu formiren, aus Blumen ein Liebes¬ ſtück und aus den Tönen der Inſtrumente ein Trauer -, oder, wir ich es lieber nennen möchte, ein Geiſterſpiel.
Die meiſten Leute würden es zu fan¬ taſtiſch finden, ſagte Sternbald.
Das würde gerade meine Abſicht ſeyn, antwortete Rudolf, wenn ich mir Mühe geben wollte, es niederzuſchreiben. Es iſt indeß ſchon Abend geworden. Kennſt Du Dante's großes Gedicht?
Nein, ſagte Franz.
Auf eine ähnliche ganz allegoriſche Weiſe ließe ſich vielleicht eine Offenbarung über die Natur ſchreiben, voller Begeiſterung und mit prophetiſchem Geiſte durchdrungen. Ich habeF 284Dir einigemal von den ſeltſamen Arten der ſpaniſchen Poeſie[geſprochen], getrauſt Du Dir nun mit mir ein ſolches Wechſellied zu ſingen, wie ich es Dir beſchrieben habe?
Wir könnten es verſuchen, ſagte Franz, aber Du mußt das Silbenmaas ſetzen.
Rudolf fing an:
Franz.
Rudolf.
Franz.
Rudolf.
Franz.
Rudolf.
Franz.
Rudolf.
Und darum wollen wir lieber aufhören, ſagte Rudolf, indem er aufſtand; denn ich gehöre ſeibſt nicht zu den reinſten.
Die beiden Freunde gingen nun zurück; der Abend hatte ſich ſchon mit ſeinen dichte¬ ſten Schatten über den Garten ausgeſtreckt, und der Mond ging eben auf. Franz ſtand ſinnend am Fenſter ſeines Zimmers, und ſah nach dem gegenüberliegenden Berge, der mit Tannen und Eichen bewachſen war, zu ihm hinauf ſchwebte der Mond, als wenn er ihn erklimmen wollte, das Thal glänzte im erſten funkelndgelben Lichte, der Strom ging brauſend dem Berge und dem Schloſſe vorüber, eine Mühle klapperte und ſauſ'te in der Ferne, und nun aus einem entlege¬ nen Fenſter wieder die nächtlichen Hörner¬ töne, die dem Monde entgegengrüßten, und drüben in der Einſamkeit des Bergwaldes verhallten.
89Müſſen mich dieſe Töne durch mein ganzes Leben verfolgen? ſeufzte Franz; wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin, dann dringen ſie wie eine feind¬ liche Schaar in mein innerſtes Gemüth, und wecken die kranken Kinder, Erinnerung und unbekannte Sehnſucht wieder auf. Dann drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen ſollte, höher über die Wolken hinaus, und von oben herab meine Bruſt mit neuem, ſchöneren Klange anfüllen und meinen ſchmachtenden Geiſt mit dem höchſten, letzten Wohllaut erſättigen. Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgeſang durchſtrömen, den Mondſchimmer und die Morgenröthe anrühren, daß ſie mein Leid und Glück wiederklingen, daß die Melodie Bäume, Zweige, Blätter und Gräſer er¬ greife, damit alle ſpielend meinen Geſang wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten. — —
90Er war am folgenden Morgen ſehr früh aufgeſtanden und hatte das Schloß durch¬ wandert. In einem Zimmer hing ein Bruſt¬ bild eines Mannes, mit einem koſtbaren Hute und einer blauen Feder geſchmückt; die Miene zog ihn an, und als er es ge¬ nauer betrachtete, glaubte er in dieſem Kopfe das Geſicht des Mönchs zu entdek¬ ken, der den Bildhauer Bolz begleitet hatte. Je mehr er das Bild unterſuchte, je über¬ zeugender fand er die Ähnlichkeit. — Jetzt trat Rudolf zu ihm, dem er ſeine Entdek¬ kung mittheilte; Floreſtan fand ſie nach ſei¬ ner leichtſinnigen Art nicht ſonderlich wich¬ tig, ſondern brach das Geſpräch darüber bald ab, indem er ſagte: Ich habe geſtern noch, lieber Franz, ein andres Gedicht ge¬ ſchrieben, in dem ich verſucht habe, eine Stimmung auszudrücken und darzuſtellen, die ſchon oft meine Seele erfüllt hat. Er las:91 Mondſcheinlied.
Es waren indeß einige Tage verfloſſen; Sternbald hatte die Gräfin zu mahlen an¬ gefangen, neben ihr mußte er den Ritter zeichnen, der dem Mönche ſo ähnlich ſah. Sein Geiſt war mit der Schönheit ſeines Gegenſtandes beſchäftigt, er wußte nicht mehr, ob er ſich in Gegenwart der Jägerin ſeiner Unbekannten erinnere, oder dieſe Bil¬ dung ſelber liebgewann. Sie ließ ſich als Jägerin darſtellen, faſt eben ſo, wie er ſie zum erſtenmale geſehn hatte.
Er ließ oft Muſik in den Saal brin¬ gen, und ihm war dann, als wäre ſeine Hand ſicherer und geläufiger, als würde dann ſein Geiſt zur Kunſt lieblicher ange¬ trieben. Er zitterte oft, wenn er die zarten Umriſſe des Buſens anblickte und abzeich¬95 nete, wenn er den Glanz der ſchalkhaft feurigen Augen ausdrücken wollte.
Floreſtan hatte das Schloß verlaſſen, und ſchwärmte wieder in den benachbarten Gegenden umher, weil er niemals lange an einem Orte verweilen mochte. Franz wollte dieſe Zeit benutzen, um ſeinem Dürer und Sebaſtian einen weitläuftigen Brief zu ſchrei¬ ben, allein er verſchob es von einem Tage zum andern. An manchen Tagen ſprach die Gräfin viel, indem er ſie mahlte, und ſeine Aufmerkſamkeit wurde gewöhnlich dann ganz zerſtreut.
Die Gräfin war an jedem Tage in ei¬ ner andern Laune, ja ſie konnte ſogar in derſelben Stunde die Stimmung ihres Ge¬ müths auffallend verändern. Franz fühlte einige Theilnahme, wenn ſie traurig war, aber er war in einer quälenden Verlegen¬ heit, wenn ſie ihm mit vertraulicher Luſtig¬96 keit näher kam. Dann konnte ihn Muſik tröſten und beruhigen, es war, als wenn ihn die angeſchlagenen Akkorde dreiſter und kühner machten, die Töne waren ſein Bei¬ ſtand und ihm wie zärtliche Freunde nahe, ſeine Hand arbeitete ſchneller und williger, und ſein Gemüth war durchſichtig und rein wie ein heller Bach. Die Gräfin ſchien ihn mit jedem Tage lieber zu gewinnen, Franz war gewöhnlich ſtumm, aber ſie ſprach deſto mehr: ihre lebhafte Beweglichkeit ertrug nicht den Stillſtand einer Minute, ſie machte ſich immer etwas zu ſchaffen, ſie erzählte hundert kleine Geſchichten, und Sternbald wurde nicht ſelten durch ihre Munterkeit geſtört.
So erfuhr er unter vielen andern Er¬ zählungen, daß ſie einige Verwandten in Italien und zwar in Rom habe, an die ſie ihm auch Briefe mitzugeben verſprach. Sieſchil¬97ſchilderte die Lebensart der ganzen Familie und die Eigenheiten eines jeden Charakters bis auf den kleinſten Umſtand, ſie ging ſo weit, daß ſie Stellungen und Mienen nach¬ ahmte, wodurch denn Franz zuweilen im Mahlen aufgehalten wurde, ja ſie unterließ nicht, die Arbeit nach ihrer Laune zu unter¬ brechen, um mit ihm durch den Garten zu ſpazieren. Oft verlor ſie ſich dann ſo plötz¬ lich in ein trübſeliges Nachſinnen, in weh¬ müthige Klagen, daß Franz mit vieler An¬ ſtrengung das Amt eines tröſtenden Freun¬ des bei ihr übernehmen mußte.
Als Sternbald ihren Kopf faſt vollendet hatte, und er nun an die Abſchilderung des Ritters ging, war ihre Lebhaftigkeit noch mehr erhöht. Ihr müßt wiſſen, lieber Freund, ſagte ſie, daß jenes Bild von ei¬ nem wahren Stümper in der edlen Kunſt herrührt, der es noch gar nicht einmal ver¬(2r Th.) G98ſtand, das Holdſelige und Angenehme eines Antlitzes zu fühlen und auszudrücken, ihm war es nur darum zu thun, einen Kopf mit den gewöhnlichen Sinnen fertig zu machen, der dem Originale im Groben ähnlich ſähe. Ihr müßt Euch die Klarheit der Augen, das ſüße Lächeln der freundlichen Lippen nur vorſtellen, denn das Bild ſelbſt giebt Euch keine Anweiſung zu dergleichen. O, wenn er doch hier wäre! wenn er ſo vor Euch ſtände, und ich ihm den Arm um den ſchö¬ nen Nacken ſchlänge! Unmöglich könnt Ihr es Euch vorſtellen, und das Gemählde muß nothwendig kalt werden. Aber freilich ſieht es ihm dann um ſo ähnlicher, denn er iſt jetzt auch kalt und fühllos. Wo mag er umher¬ irren, und wann kommt er zu mir zurück?
Sie ſtand auf, Franz mußte die Mah¬ lerei bei Seite legen, ſie gingen in ein be¬ nachbartes Gehölz. Hier ſah ich ihn zum99 letztemale, fuhr die Gräfin fort, hier ſtieg er auf ſein Roß, und ſagte mir ſein heuch¬ leriſches Lebewohl, er wolle noch am Abend wiederkommen; aber es iſt ſchon in meiner Seele Abend geworden, und er iſt noch nicht wieder da. Könnt 'ich den Undankbaren ver¬ geſſen, dies Andenken, ſein Bild aus mei¬ nem Herzen verſtoßen, und wieder ſo glück¬ lich und zufrieden werden, als ich vormals war! Dies thörichte Herz will ihm nach, ihn in weiter Welt aufſuchen, und weiß doch nicht, wohin? Ich finde ihn niemals wieder! ‒ ‒
Sie ſetzten ſich im Schatten nieder, und nach einem kleinen Stillſchweigen fuhr die Dame fort: Ich will Euch kürzlich meine ganze Geſchichte erzählen; ſie iſt unbedeu¬ tend und kurz, aber Ihr habt etwas in Eu¬ rem Weſen, einen Blick Eurer Augen, das alles mir mein Zutrauen abgewinnt. WennG 2100man recht unglücklich iſt, und ſich durchaus verlaſſen fühlt, ſo ſehnt man ſich nach dem Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬ ner herrlichen Gabe, und darum will ich Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬ her, als mich der Tod meines Vaters in den Beſitz meiner Güter ſetzte, erſchien in der Nachbarſchaft hier ein junger Ritter, der vorgab, er komme aus Franken. Er war ſo jung, ſchön und liebenswürdig, daß man ihn allenthalben gern ſah: es verging nur wenige Zeit, und es ſchien, daß er ſich in meiner Gegenwart am meiſten gefalle, daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬ gen Bezug habe. Mir ſchmeichelte dieſer Vorzug, ich kam ihm eben ſo entgegen, wie er mir, ich ſchenkte ihm mein reinſtes Wohl¬ wollen; denn es iſt einmal der Fehler un¬ ſeres Geſchlechts, an Liſt und Verſtellung nicht zu glauben, ſondern ſich von dem Irr¬101 thume blenden zu laſſen, als könne jede von uns durch einen Betrüger niemals betrogen werden.
Was ſoll ich weitläuftig ſeyn? Ihr kennt mein Herz nicht, und gehört ſelbſt zu dieſer hinterliſtigen Rotte. Er geſtand mir ſeine Liebe, ich ihm meine Zuneigung; er nannte mir ſeinen Namen, und bekannte, daß er ein armer Edelmann ſey, der mir kein Glück anbieten könne; ich wollte ihn zum Herrn aller meiner Beſitzthümer machen, ich fand mich ſo groß darin, ihm mein Ei¬ genthum, mich ſelbſt ihm zu ſchenken. Schon war unſre Verlobung, ſchon der Tag unſrer Vermählung beſtimmt, als er mich plötzlich nach einer Jagd hier auf dieſer Stelle ver¬ ließ. Er wolle einen Freund in der Nach¬ barſchaft beſuchen, war ſein Vorgeben; er lächelte noch, als er fortritt, und ſeitdem habe ich ihn nicht wieder geſehn.
102Franz konnte nach ihrer Erzählung nichts antworten, er blieb in ſich gekehrt, und wünſchte ſeinen Freund Floreſtan zurück, der ſich in jede Lage des Lebens mit Leichtigkeit fand. Es war indeß Abend geworden, und die Jäger kamen mit einer Jagdmuſik aus dem Walde zurück, dadurch wurde das Ge¬ ſpräch beendigt. Sternbald war verdrüßlich, daß alle Gegenſtände und Geſpräche ſo hart auf ſein Gemüth fielen, ſo daß ihn der Ein¬ druck davon bemeiſterte und ſein Lebenslauf dadurch geſtört wurde.
Schon ſeit langer Zeit hatte er viel von einem wunderbaren Menſchen ſprechen hören, der ſich in den benachbarten Bergen aufhielt, halb wahnſinnig ſeyn ſollte, in der Einſam¬ keit lebte, und niemals ſeinen öden Aufent¬ halt verließ. Was Franz beſonders anzog, war, daß dieſer abentheuerliche Eremit auch ein Mahler war, und gewöhnlich denen,103 die ihn beſuchten, Bildniſſe oder andre Mah¬ lereien zeigte, ſie auch um einen billigen Preis verkaufte. Man erzählte ſo viel Wunder¬ bares von dieſem Manne, daß Franz der Begier unmöglich widerſtehn konnte, ihn ſelber auzuſuchen. Da Floreſtan immer noch nicht zurückkam, und die Gräfin wieder eine Jagd, ihre Lieblingsergötzung anſtellte, mach¬ te er ſich an einem ſchönen Morgen auf den Weg, um den bezeichneten Aufenthalt zu ſuchen.
Unterwegs überdachte er nach langer Zeit wieder die Veränderungen ſeines Lebens, es ſchien ihm alles ſo ſonderbar und doch ſo gewöhnlich, er wünſchte die Fortſetzung ſei¬ ner Schickſale und fürchtete ſie, er erſtaunte über ſich ſelber, daß ihn der Enthuſiasmus, der ihn zur Reiſe angetrieben, ſeitdem nur ſelten wieder beſucht habe.
Er ſtand oben auf dem Hügel, und ſah104 im Thale die verſammelte Jagd, die vom Schloſſe ausritt, und ſich durch die Ebene verbreitete. Es klangen wieder die muſika¬ liſchen Töne zu ihm hinauf, die durch den friſchen Morgen in den Bergen wiederſchall¬ ten, die Eichen und Tannen rührten ſich be¬ deutungsvoll. Bald verlor er die Jagd aus dem Geſichte, die Muſik der Hörner ver¬ ſchwand, und er wandte ſich tiefer in's Ge¬ birge hinein, wo die Gegend plötzlich ihren anmuthigen Charakter verlor, und wilder und verworrener ward, die Ausſicht in das ebene Land ſchloß ſich, man verlor den vol¬ len herrlichen Strom aus dem Geſichte, die Berge und Felſen wurden kahl und un¬ fruchtbar.
Der Weg wand ſich enge und ſchmal zwiſchen Felſen hindurch, Tannengebüſch wechſelte auf dem kahlen Boden, und nach einigen Stunden ſtand Franz auf dem hö¬ heren Gipfel des Gebirges.
105Nun war es wieder wie ein Vorhang niedergefallen, ſeinem Blicke öffnete ſich die Ebene wieder, die kahlen Felſen unter ihm verloren ſich lieblich in dem grünen Gemiſch der Wälder und Wieſen, die unfreundliche Natur war verſchwunden, ſie war mit der lieblichen Ausſicht eins, von dem übrigen verſchönert, diente ſie ſelber die andern Ge¬ genſtände zu verſchönern. Da lag die Herr¬ lichkeit der Ströme vor ihm ausgebreitet, er glaubte vor den plötzlichen Anblick der weiten, unendlichen, mannigfaltigen Natur zu vergehn, denn es war, als wenn ſie mit herzdurchdringende Stimme zu ihm hinauf¬ ſprach, als wenn ſie mit feurigen Augen vom Himmel und aus dem glänzenden Strom heraus nach ihm blickte, mit ihren Rieſen¬ gliedern nach ihm hindeutete. Franz ſtreckte die Arme aus, als wenn er etwas Unſicht¬ bares an ſein ungeduldiges Herz drücken106 wollte, als möchte er nun erfaſſen und feſt¬ halten, wonach ihm die Sehnſucht ſo lange gedrängt: die Wolken zogen unten am Ho¬ rizont durch den blauen Himmel, die Wie¬ derſcheine und die Schatten ſtreckten ſich auf den Wieſen aus, und wechſelten mit ihren Farben, fremde Wundertöne gingen den Berg hinab, und Franz fühlte ſich wie feſt¬ gezaubert, wie ein Gebannter, den die zau¬ bernde Gewalt ſtehen heißt, und der ſich dem unſichtbaren Kreiſe, trotz alles Beſtre¬ bens, nicht entreißen kann.
O, unmächtige Kunſt! rief er aus, und ſetzte ſich auf eine grüne Felſenbank nieder; wie lallend und kindiſch ſind Deine Töne, gegen den vollen harmoniſchen Orgelgeſang, der aus den innerſten Tiefen, aus Berg und Thal und Wald und Stromesglanz in ſchwellenden, ſteigenden Akkorden herauf¬ quillt. Ich höre, ich vernehme, wie der107 ewige Weltgeiſt mit meiſterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigſten Gebilde ſich ſeinem Spiel erzeugen, und umher und über die ganze Natur ſich mit geiſtigen Flügeln ausbreiten. Die Begeiſterung meines klei¬ nen Menſchenherzens will hineingreifen, und ringt ſich müde und matt im Kampfe mit dem Hohen, der die Natur leiſe lieblich re¬ giert, und mein Hindrängen zu ihm, mein Winken nach Hülfe in dieſer Allmacht der Schönheit vielleicht nicht gewahrt. Die un¬ ſterbliche Melodie jauchzt, jubelt und ſtürmt über mich hinweg, zu Boden geworfen ſchwin¬ delt mein Blick und ſtarren meine Sinnen. O, ihr Thörichten! die ihr der Meinung ſeyd, die allgewaltige Natur laſſe ſich ver¬ ſchönen, wenn ihr nur mit Kunſtgriffen und kleinlicher Hinterliſt eurer Ohnmacht zu Hülfe eilt, was könnt ihr anders, als uns die108 Natur nur ahnden laſſen, wenn die Natur uns die Ahndung der Gottheit giebt? Nicht Ahndung, nicht Vorgefühl, urkräftige Em¬ pfindung ſelbſt, ſichtbar wandelt hier auf Höhen und Tiefen die Religion, empfängt und trägt mit gütigem Erbarmen auch mei¬ ne Anbetung. Die Hieroglyphe, die das Höchſte, die Gott bezeichnet, liegt da vor mir in thätiger Wirkſamkeit, in Arbeit, ſich ſelber aufzulöſen und auszuſprechen, ich fühle die Bewegung, das Räthſel im Be¬ griff zu ſchwinden, — und fühle meine Menſchheit. — Die höchſte Kunſt kann ſich nur ſelbſt erklären, ſie iſt ein Geſang, de¬ ren Inhalt nur ſie ſelbſt zu ſeyn vermag.
Ungern verließ Sternbald ſeine Begei¬ ſterung, und die Gegend, die ihn entzückt hatte, ja er trauerte über dieſe Worte, über dieſe Gedanken, die er ausgeſprochen, daß er ſie nicht immer in friſcher Kraft aufbe¬109 wahren könne, daß neue Eindrücke und neue Ideen dieſe Empfindungen vertilgen oder überſchütten würden.
Ein dichter Wald empfing ihn auf der Höhe, er warf oft den Blick zurück, und ſchied ungern, als wenn er das Leben ver¬ ließe. Der einſame Schatten erregte ihm gegen die freie Landſchaft eine ſeltſame Em¬ pfindung, ſeine Bruſt ward beklemmt und von Ängſtlichkeit zuſammengezogen. Als er kaum eine halbe Stunde gegangen war, ſtand er vor einer kleinen Hütte, die offen war, in der er aber niemand antraf. Er¬ müdet warf er ſich unter einen Baum, und betrachtete die beſchränkte Wohnung, das dürftige Geräth, mit vieler Rührung eine alte Laute, die an der Wand hing, und auf der eine Saite fehlte. Palletten und Farben lagen und ſtanden umher, einige Kleidungs¬ ſtücke; Sternbald war wie in die uralte Zeit110 verſetzt, von der wir ſo gern erzählen hö¬ ren, wo die Thür noch keinen Riegel kennt, wo noch kein Frevler des andern Gut be¬ taſtet hat.
Nach einiger Zeit kam der alte Mahler zurück; er wunderte ſich gar nicht, einen Fremdling vor ſeiner Schwelle anzutreffen, ſondern ging in ſeine Hütte, räumte auf, und ſpielte dann auf der Zitter, als wenn niemand zugegen wäre. Franz betrachtete den Alten mit Verwunderung, der indeſſen wie ein Kind in ſeinem Hauſe ſaß, und zu erkennen gab, wie wohl ihm ſey in ſeiner kleinen Heimath, unter den befreundeten, wohlbekannten Tönen ſeines Inſtrumentes. Als er ſein Spiel geendigt, packte er Kräu¬ ter, Moos und Steine aus ſeinen Taſchen, und legte ſie ſorgfältig in kleine Schachteln zurecht, indem er jedes aufmerkſam betrach¬ tete. Über manches lächelte er, anderes111 ſchien er mit einiger Verwunderung anzu¬ ſchauen, indem er die Hände zuſammen¬ ſchlug, oder ernſthaft den Kopf ſchüttelte. Immer noch ſah er nach Sternbald nicht hin, bis dieſer endlich in das kleine Haus hineintrat, und ihm ſeinen Gruß anbot. Der alte Mann gab ihm die Hand, und nöthigte ihn ſchweigend, ſich niederzuſetzen, indem er ſich weder verwunderte, noch ihn als einen Fremden genau beachtete.
Die Hütte war mit mannigfaltigen Stei¬ nen aufgeputzt, Muſcheln ſtanden umher, durchmengt von ſeltſamen Kräutern, ausge¬ ſtopften Thieren und Fiſchen, ſo daß das Ganze ein höchſt abentheuerliches Anſehn erhielt. Stillſchweigend holte der Alte un¬ ſerm Freunde einige Früchte, die er ihn ebenfalls mit ſtummer Gebehrde vorſetzte. Als Franz einige davon gegeſſen hatte, in¬ dem er immer den wunderbaren Menſchen112 beobachtete, fing er mit dieſen Worten das Geſpräch an: Ich habe mich ſchon ſeit lan¬ ger Zeit darauf gefreut, Euch zu ſehn, ich hoffe nun, Ihr zeigt mir auch einige von Euren Mahlereien, denn auf dieſe bin ich vorzüglich begierig, da ich mich ſelbſt zur edlen Kunſt bekenne.
Seyd Ihr ein Mahler? rief der Alte aus, nun wahrlich, ſo freut es mich, Euch hier zu ſehn, ſeit lange iſt mir keiner be¬ gegnet. Aber Ihr ſeyd noch ſehr jung, Ihr habt wohl ſchwerlich ſchon den rechten Sinn für die große Kunſt.
Ich thue mein mögliches, antwortete Franz, und will immer das Beſte, aber ich fühle freilich wohl, daß das nicht zureicht.
Es iſt immer ſchon genug, rief jener aus; freilich iſt es nur Wenigen gegeben, das Wahrſte und Höchſte auszudrücken, ei¬ gentlich können wir uns alle ihm nur nähern,aber113aber wir haben unſern Zweck gewißlich ſchon erreicht, wenn wir nur das wollen und er¬ kennen, was der Allmächtige in uns hinein¬ gelegt hat. Wir können in dieſer Welt nur wollen, nur in Vorſätzen leben, das ei¬ gentliche Handeln liegt jenſeits, und beſteht gewiß aus den eigentlichſten, wirklichſten Gedanken, da in dieſer bunten Welt alles in allem liegt. So hat ſich der großmäch¬ tige Schöpfer heimlich - und kindlicherweiſe durch ſeine Natur unſern ſchwachen Sinnen offenbart, er iſt es nicht ſelbſt, der zu uns ſpricht, weil wir dermalen zu ſchwach ſind, ihn zu verſtehn; aber er winkt uns zu ſich, und in jedem Mooſe, in jeglichem Geſtein iſt eine geheime Ziffer verborgen, die ſich nie hinſchreiben, nie völlig errathen läßt, die wir aber beſtändig wahrzunehmen glau¬ ben. Faſt eben ſo macht es der Künſtler: wunderliche, fremde, unbekannte Lichter ſchei¬(2r Th.) H114nen aus ihm heraus, und er läßt die zau¬ beriſchen Strahlen durch die Kryſtalle der Kunſt den übrigen Menſchen entgegenſpie¬ len, damit ſie nicht vor ihm erſchrecken, ſondern ihn auf ihre Weiſe verſtehn und begreifen. Nun vollendet ſich das Werk, und dem Geoffenbarten liegt ein weites Land, eine unabſehliche Ausſicht da, mit allem Menſchenleben, mit himmliſchen Glanz überleuchtet, und heimlich ſind Blumen hin¬ eingewachſen, von denen der Künſtler ſelber nicht weiß, die Gottes Finger hineinwirkte, und die uns mit ätheriſchem Zauber anduf¬ ten und uns unmerkbar den Künſtler als ei¬ nen Liebling Gottes verkündigen. Seht, ſo denke ich über die Natur und über die Kunſt.
Franz war vor Erſtaunen wie gefeſſelt, denn dermaßen hatten ihn bis dahin noch keine Worte angeredet; er erſchrak über ſich115 ſelber, daß er aus dem Munde eines Man¬ nes, den die übrigen Leute wahnſinnig nann¬ ten, ſeine eigenſten Gedanken deutlich aus¬ geſprochen hörte, ſo daß wie mit Bannſprü¬ chen ſeine Seele aus ihrem fernen Hinter¬ halt hervorgezaubert ward, und ſeine un¬ kenntlichen Ahndungen in anſchaulichen Bil¬ dern vor ihm ſchwebten.
Wie willkommen iſt mir dieſer Ton! rief er aus, ſo habe ich mich denn nicht ge¬ irrt, wenn ich mit dem ſtillen Glauben hier anlangte, daß Ihr mir vielleicht behülflich ſeyn würdet, mich aus der Irre zurecht zu finden.
Wir irren alle, ſagte der Alte, wir müſſen irren, und jenſeit dem Irrthum liegt auch gewiß keine Wahrheit, beide ſtehn ſich auch gewiß nicht entgegen, ſondern ſind nur Worte, die der Menſch in ſeiner Unbehülf¬ lichkeit dichtete, um etwas zu bezeichnen. H 2116was er gar nicht meinte. Verſteht Ihr mich?
Nicht ſo ganz, ſagte Sternbald.
Der Alte fuhr fort: Wenn ich nur mah¬ len, ſprechen oder ſingen könnte, was mein eigentlichſtes Selbſt bewegt, dann wäre mir und auch den übrigen geholfen; aber mein Geiſt verſchmäht die Worte und Zeichen, die ſich ihm aufdrängen, und da er mit ihnen nicht handthieren kann, gebraucht er ſie nur zum Spiel. So entſteht die Kunſt, ſo iſt das eigentliche Denken beſchaffen.
Franz erinnerte ſich, daß Dürer einſt dieſen Gedanken faſt mit den nämlichen Wor¬ ten ausgedrückt habe. Er fragte: was hal¬ tet Ihr denn nun für das Höchſte, wohin der Menſch gelangen könne?
Mit ſich zufrieden zu ſeyn, rief der Alte, mit allen Dingen zufrieden zu ſeyn, denn dann verwandelt er ſich und alles um ſich117 her in ein himmliſches Kunſtwerk, er läu¬ tert ſich ſelbſt mit dem Feuer der Gottheit.
Können wir es dahin bringen? fragte Franz.
Wir ſollen es wollen, fuhr jener fort, und wir wollen es auch alle, nur daß vie¬ len, ja den meiſten, ihr eigner Geiſt auf dieſer ſeltſamen Welt zu ſehr verkümmert wird. Daraus entſteht, daß man ſo ſelten den andern, noch ſeltener ſich ſelber inne wird.
Ich ſuche nach Euren Gemählden, ſagte Sternbald, aber ich finde ſie nicht; nach Eu¬ ren Geſprächen über die Kunſt darf ich et¬ was Großes erwarten.
Das dürft Ihr nicht, ſagte der Alte mit einigem Verdruß, denn ich bin nicht für die Kunſt gebohren, ich bin ein verunglückter Künſtler, der ſeinen eigentlichen Beruf nicht angetroffen hat. Es ergreift manchen das118 Gelüſte, und er macht ſein Leben elend. Von Kindheit auf war es mein Beſtreben, nur für die Kunſt zu leben, aber ſie hat ſich unwillig von mir abgewendet, ſie hat mich niemals für ihren Sohn erkannt, und wenn ich dennoch arbeitete, ſo geſchah es gleich¬ ſam hinter ihrem Rücken.
Er öffnete eine Thür, und führte den Mahler in eine andre kleine Stube, die vol¬ ler Gemählde hing. Die meiſten waren Köpfe, nur wenige Landſchaften, noch we¬ niger Hiſtorien. Franz betrachtete ſie mit vieler Aufmerkſamkeit, indeß der alte Mann ſchweigend einen verfallenen Vogelbauer aus¬ beſſerte. In allen Bildern ſpiegelte ſich ein ſtrenges, ernſtes Gemüth, die Züge waren beſtimmt, die Zeichnung ſcharf, auf Neben¬ dinge gar kein Fleiß gewendet, aber auf den Geſichtern ſchwebte ein Etwas, das den Blick zugleich anzog und zurückſtieß, bei vie¬119 len ſprach aus den Augen eine Heiterkeit, die man wohl grauſam hätte nennen kön¬ nen, andre waren ſeltſamlich entzückt, und erſchreckten durch ihre furchtbare Miene. Franz fühlte ſich unbeſchreiblich einſam, vol¬ lends wenn er aus dem kleinen Fenſter über die Berge und Wälder hinüberſah, wo er auf der fernen Ebene keinen Menſchen, kein Haus unterſcheiden konnte.
Als Franz ſeine Betrachtung geendigt hatte, ſagte der Alte: Ich glaube, daß Ihr etwas Beſondres an meinen Bildern finden mögt, denn ich habe ſie alle in einer ſeltſa¬ men Stimmung verfertigt. Ich mag nicht mahlen, wenn ich nicht deutlich und beſtimmt vor mir ſehe, was ich eigentlich darſtellen will. Wenn ich nun manchmal im Schein der Abendſonne vor meiner Hütte ſitze, oder im friſchen Morgen, der die Berge herab, über die Fluren hingeht, dann rauſchen oft120 die Bildniſſe der Apoſtel, der heiligen Mär¬ tyrer hoch oben in den Bäumen, ſie ſehen mich mit allen ihren Mienen an, wenn ich zu ihnen bete, und fordern mich auf, ſie abzuzeichnen. Dann greife ich nach Pinſel und Pallette, und mein bewegtes Gemüth, von der Inbrunſt zu den hohen Männern, von der Liebe zur verfloſſenen Zeit ergriffen, ſchattirt die Trefflichkeiten mit irrdiſchen Far¬ ben hin, die in meinem Sinn, vor meinen Augen erglänzen.
So ſeyd Ihr ein glücklicher Mann, ſagte Franz, der über dieſe Rede erſtaunte.
Wie Ihr es wollt, ſagte der Alte, der Künſtler ſollte nach meinem Urtheile niemals anders arbeiten, und was iſt ſeine Begeiſte¬ rung denn anders? Dem Mahler muß al¬ les wirklich ſeyn, denn was iſt es ſonſt, das er darſtellen will? Sein Gemüth muß wie ein Strom bewegt ſeyn, ſo daß ſich ſeine121 innere Welt bis auf den tiefſten Grund er¬ ſchüttert, dann ordnen ſich aus der bunten Verwirrung die großen Geſtalten, die er ſeinen Brüdern offenbart. Glaube mir, noch nie iſt ein Künſtler auf eine andre Art be¬ geiſtert geweſen; man ſpricht von dieſer Be¬ geiſterung ſo oft, als von einem natürlichen Dinge, aber ſie iſt durchaus unerklärlich, ſie kömmt, ſie geht, gleich dem erſten Früh¬ lingslichte, das unvermuthet aus den Wol¬ ken niederkömmt, und oft, ehe Du es ge¬ nießeſt, zurückgeflohen iſt.
Franz war verlegen, was er antworten ſollte; er war ungewiß, ob der alte Mahler wirklich vom Wahnſinn befallen ſey, oder ob er nur die Sprache der Künſtler rede.
Zuweilen, fuhr der Alte fort, redet mir auch die umgebende Natur zu, und erregt mich, daß ich mich in der Kunſt üben muß. Es iſt mir aber bei allen meinen Verſuchen122 niemals um die Natur zu thun, ſondern ich ſuche den Charakter oder die Phyſiognomie herauszufühlen, und irgend einen frommen Gedanken hineinzulegen, der die Landſchaft wieder in eine ſchöne Hiſtorie verwandelt.
Er machte hierauf den jungen Mahler auf eine Landſchaft aufmerkſam, die etwas abſeits hing. Es war eine Nachtſcene, Wald, Berg und Thal lag in unkenntlichen Maſſen durch einander, ſchwarze Wolken tief vom Himmel hinunter. Ein Pilgram ging durch die Nacht, an ſeinem Stabe, an ſeinen Mu¬ ſcheln am Hute kennbar: um ihn zog ſich das dichteſte Dunkel, er ſelber nur von ver¬ ſtohlenen Mondſtrahlen erſchimmert; ein fin¬ ſterer Hohlweg deutete ſich an, oben auf ei¬ nem Hügel von fern her glänzte ein Cruci¬ fix, um das ſich die Wolken theilten; ein Strahlenregen vom Monde ergoß ſich, und ſpielte um das heilige Zeichen.
123Seht, rief der Alte, hier habe ich das zeitliche Leben und die überirrdiſche, himm¬ liſche Hoffnung mahlen wollen: ſeht den Fingerzeig, der uns aus dem finſtern Thal herauf zur mondigen Anhöhe ruft. Sind wir etwas weiter, als wandernde, verirrte Pilgrimme? Kann etwas unſern Weg er¬ hellen, als das Licht von oben? Vom Kreuze her dringt mit lieblicher Gewalt der Strahl in die Welt hinein, der uns belebt, der unſre Kräfte aufrecht hält. Seht, hier habe ich geſucht, die Natur wieder zu verwan¬ deln, und das auf meine menſchliche künſt¬ leriſche Weiſe zu ſagen, was die Natur ſel¬ ber zu uns redet; ich habe hier ein ſanftes Räthſel niedergelegt, das ſich nicht jedem entfeſſelt, das aber doch leichter zu errathen ſteht, als jenes erhabene, das die Natur als Bedeckung um ſich ſchlägt.
124Man könnte, antwortete Franz, dieſes Gemählde ein allegoriſches nennen.
Alle Kunſt iſt allegoriſch, ſagte der Mah¬ ler, wie Ihr es nehmt. Was kann der Menſch darſtellen, einzig und für ſich beſte¬ hend, abgeſondert und ewig geſchieden von der übrigen Welt, wie wir die Gegenſtände vor uns ſehn? Die Kunſt ſoll es auch nicht: wir fügen zuſammen, wir ſuchen dem Ein¬ zelnen einen allgemeinen Sinn aufzuheften, und ſo entſteht die Allegorie. Das Wort bezeichnet nichts anders als die wahrhafte Poeſie, die das Hohe und Edle ſucht, und es nur auf dieſem Wege finden kann.
Unter dieſen Geſprächen war ein Hänf¬ ling unvermerkt aus ſeinem Käfig entwiſcht, der Alte hatte die Thür in der Zerſtreuung offen gelaſſen. Er ſchrie erſchreckend auf, als er ſeinen Verluſt bemerkte, er ſuchte umher, er öffnete das Fenſter, und lockte125 pfeifend und liebkoſend den Flüchtigen, der nicht wiederkam. Er konnte ſich auf keine Weiſe zufrieden geben, er hörte auf Stern¬ balds Worte nicht, der ihn zu tröſten ſuchte.
Sternbald ſagte, um ihn zu zerſtreuen: Ich glaube es einzuſehn, wie Ihr über die Landſchaften denkt, und mich dünkt, Ihr habt Recht. Denn was ſoll ich mit allen Zweigen und Blättern? mit dieſer genauen Kopie der Gräſer und Blumen? Nicht dieſe Pflanzen, nicht die Berge will ich abſchrei¬ ben, ſondern mein Gemüth, meine Stim¬ mung, die mich gerade in dieſem Momente regiert, dieſe will ich mir ſelber feſthalten, und den übrigen Verſtändigen mittheilen.
Ganz gut, rief der Alte aus, aber was kümmert mich das jetzt, da mein Hänfling auf und davon iſt?
War er Euch denn ſo lieb? fragte Franz
Der Alte ſagte verdrießlich: ſo lieb wie126 mir alles iſt, was ich liebe. Ich mache da eben nicht ſonderliche Unterſchiede. Ich denke an ſeinen ſchönen Geſang, an ſeine Liebe, die er immer zu mir bewies, und darum hätte ich mir dieſe Treuloſigkeit um ſo we¬ niger vermuthet. Nun iſt ſein Geſang nicht mehr für mich, ſondern er durchfliegt den Wald, und dieſer einzelne, mir ſo bekannte Vogel vermiſcht ſich mit den übrigen ſeines Geſchlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn, und ſehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, ſondern halte ihn für eine ganz fremde Perſon. So haben mich ſchon ſo viele Freunde verlaſſen. Ein Freund, der ſtirbt, thut auch nichts weiter, als daß er ſich wieder