Am fruͤhen Morgen begegnete Anton dem um - irrenden Friedrich in den Gaͤngen des Gartens. Wie iſt dir, mein Geliebter? fragte Anton be - ſorgt; ich hoͤrte dich in der Nacht dein Zimmer verlaſſen und dann im Garten auf und nie - der gehn; du ſcheinſt nicht geſchlafen zu haben: haſt du traurige Nachrichten erhalten, oder biſt du krank?
Geſund und froh, antwortete Friedrich, aber ſo bewegt, daß alles mich nur wie ein Traum umgiebt, daß ich nicht hoffen, oder mich freuen kann, am wenigſten Rath erſinnen. Adelheid hat mir durch den geſtrigen Boten geſchrieben, daß ihr Oheim in wenigen Tagen eine Reiſe unternehmen muͤſſe, dieſe Zeit will ſie benutzen, um in Geſellſchaft und durch Huͤlfe meines Freundes Ewald zu entfliehen, ich ſoll ihr ei - nen ſichern Ort vorſchlagen, wo ſie eine Zeit lang verborgen leben moͤge, und wo ich ſie tref - fen koͤnne. Alles dieſes war faſt ſeit einem Jahre unter uns beredet, aber nun es wirklich eintrift und geſchehen ſoll, uͤberſchuͤttet es mich ſo mit Verwirrung und Angſt, daß ich mir nicht4Zweite Abtheilung.zu helfen weiß, und einen Freund brauchte, der fuͤr mich zu handeln im Stande waͤre.
Geht es uns nicht mit jedem Gluͤcke ſo? ant - wortete Anton; es bemeiſtert ſich unſerer Sinne um ſo mehr, um ſo groͤſſer es iſt, und um ſo heftiger wir es gewuͤnſcht haben, im Ungluͤck wiſſen wir uns ſchon eher zu faſſen, es iſt bei - nah, als waͤre es uns in dieſem Leben mehr geeignet, das Gluͤck aber bleibt uns immer ein etwas fremder und ſeltſamer Gaſt.
Ich weiß es, fuhr Friedrich fort, daß ſie nur im Vertrauen auf meinen Muth handelt, und ſchaͤme mich darum, mich ſelbſt ſo weichlich und ſchwach anzutreffen: es iſt aber auch nicht Schwaͤche, ſondern nur der Mangel jener Ge - laſſenheit, einer gewiſſen Kaͤlte, die uns in allen Vorfaͤllen des Lebens zu Gebote ſtehen ſollte. Ich bin uͤber mein ſo nahes Gluͤck außer mir, alle meine Lebensgeiſter haben ſich meiner Dienſt - barkeit entzogen, und ſchwaͤrmen fuͤr ſich und kaͤmpfen gegen einander. Ich bin entzuͤckt, und im Schwindel duͤnkt mir die feſte Erde nur ein ſchwankendes Brett.
Manfred trat zu ihnen. Die Bewegung Friedrichs konnte ihm nicht verborgen bleiben, und dieſer vertraute ihm auch nach einigen Fra - gen geruͤhrt das Geheimniß. O vortreflich! rief Manfred aus; das fuͤgt ſich ja ſchoͤner, als wir es hatten hoffen koͤnnen! Gerade eine Perſon, wie deine ſchoͤne Adelheid, hat unſerm Zirkel5Zweite Abtheilung.noch gefehlt, um ihn recht intereſſant zu ma - chen! Denn wohin ſollte deine zukuͤnftige Ge - mahlin wohl fluͤchten, als in unſere Arme und in dieſen Garten? Kann ſie etwas Beſſeres thun, als uns alle insgeſammt kennen lernen, und unſre Werke anhoͤren und ebenfalls beurtheilen? Zugleich werden die uͤbrigen Weiber ſchuͤchterner werden, wenn ſie eine Schoͤnere neben ſich ſehn; unſere Clara wird ihr vorlautes Weſen etwas beſchraͤnken, die ſchnippiſche Auguſte wird ler - nen, daß hinter den Bergen auch Leute wohnen, und, o Himmel! meine ſanfte Roſalie wird viel - leicht ſogar eiferſuͤchtig! Denn ich will alle meine Aufmerkſamkeit auf die ſchoͤne Gefluͤchtete wenden, und mich als ihren Ritter und Ret - ter darſtellen, nur muß dich, meinen weinerlichen geruͤhrten Freund, der Teufel alsdann nicht mit Grillen plagen; doch auch das wird nicht ſchaͤd - lich ſeyn, ſondern nur die Verwirrung um ſo vollſtaͤndiger machen. Sagt, Freunde, iſt dieſe Ausſicht nicht entzuͤckend?
Aber die ernſthafte Emilie, wandte Friedrich ein, wird dieſen Plan nicht mit derſelben Be - geiſterung aufnehmen.
Laß mich nur ſorgen, ſagte Manfred, es muß ſich alles von ſelbſt zur Ordnung fuͤgen, wenn wir es nur wollen. Glaubt nur, ernſt - haft geſprochen, die meiſten Weiber haben mehr Hang zur Intrigue, als ſie ſich im gewoͤhnli - chen Leben duͤrfen merken laſſen, meldet ſich nun6Zweite Abtheilung.die Gelegenheit einmal, daß ſie es ohne ſonder - liche Gefahr koͤnnen, ſo greifen ſie mit beiden Haͤnden hinein, und ſo wird ſich auch Emilie fuͤr dieſe poetiſche Situation intereſſiren, das ro - mantiſche Gedicht fortſchieben helfen, und ſich ſelbſt Beifall zurufen, daß ſie eine Verwirrung ſanft und anſtaͤndig geloͤſt hat, die nach ihrer Meinung ohne ihre Huͤlfe leicht zu Ungluͤck, Miß - helligkeit und Verzweiflung haͤtte ausſchlagen koͤn - nen. Vergeßt auch nicht, meine Freunde, daß die Menſchen zwar, wenn ihnen etwas Außer - ordentliches als zukuͤnftig bevorſteht, ſich die Haare ausraufen und Himmel und Erde in Be - wegung ſetzen wollen, um es ſich abzuwehren, daß ſie ſich aber gelinde das Seltſamſte gefallen laſſen, ſo wie es nur einmal da iſt und nicht mehr abzuwenden ſteht. Daher werde ich Emi - lie von allem nichts wiſſen laſſen, bis Adelheid in unſerm Hauſe iſt, oder dieſe vielleicht ſogar einen Tag vor ihr verborgen halten, was in dem weitlaͤufigen Gebaͤude, und wenn wir uͤbrigen alle darum wiſſen, ſehr leicht geſchehn kann. Eben ſo wird ſich der belobte Onkel zurecht fin - den, wenn er erſt ſieht, daß das Abentheuer nicht mehr abzuaͤndern ſteht. Ich reiſe dann wohl nach einiger Zeit hin, um ihn zu ſondiren und zu verſoͤhnen, oder wir ſchicken unſern ehrbaren Ernſt zu ihm, um den Frieden mit ihm abzu - ſchließen.
Sie wurden durch die Ankunft von einigen7Zweite Abtheilung.Fremden unterbrochen, die auf einer Reiſe durch das Gebirge den Wirth des Hauſes aufſuchten, den ſie vor einigen Jahren hatten kennen lernen. Alle Freunde, ſo wie die Damen verſammelten ſich zu den Reiſenden um das Fruͤhſtuͤck; nach - her uͤbernahm es Manfred dieſe in den naͤch - ſten Bergen herum zu fuͤhren, um ihnen die Aus - ſichten, wie die Ruinen der Schloͤſſer, auch ei - nige merkwuͤrdige Hoͤlen zu zeigen, auf welcher Wanderung ſie Wilibald begleitete. Friedrich verſchloß ſich in ſeinem Zimmer, weil er ſeine Bewegung nicht bemeiſtern konnte, und Anton leiſtete ihm Geſellſchaft. Ernſt, Theodor und die Frauen beſchaͤftigten ſich mit Muſik, und Lo - thar ritt nach dem naͤchſten Staͤdtchen, um einige Comoͤdianten in Augenſchein zu nehmen, die ihre Kunſtvorſtellungen fuͤr die naͤchſten Tage ange - kuͤndigt hatten.
Zu Mittag war die ganze Geſellſchaft am Tiſche wieder vereinigt. Die Fremden aber eil - ten, um ihre Reiſe fortzuſetzen, und noch an demſelben Tage eine Stadt zu erreichen. Ich war ſchon beſorgt, fing Clara an, daß wir heute unſere Unterhaltung entbehren muͤßten, doch ſind zum Gluͤck die wißbegierigen Reiſenden weiter geflogen.
In dieſer Nacht, ſagte Emilie, habe ich noch oft an die geſtrige Tragoͤdie, und zwar mit einer gewiſſen Ruͤhrung denken muͤſſen, aber heut am Tage, ich geſteh es unverholen, und beſon -8Zweite Abtheilung.ders als die Herren zugegen waren, und ſo viel uͤber Politik und die neuſten Weltbegebenheiten ſprachen, erſchien ſie mir etwas zu kindiſch.
Es kann wohl nicht anders ſeyn, erwie - derte Anton, denn gerade das ganz Kindiſche des Gegenſtandes reizte mich, ihn zu bearbeiten. Es ſchien mir, daß die Parodie der Tragoͤdie hier mit der Tragoͤdie ſelbſt zuſammen fallen koͤnne.
Gozzi, ſagte Clara, hat einige Gegenſtaͤnde gewaͤhlt, die eben nicht erhabener ſind, aber er hat ſie pathetiſcher genommen; unmoͤglich war die Aufgabe dieſer Kinder-Erzaͤhlung auf die - ſem Wege zu loͤſen, und dennoch endigt ſie tra - giſcher, als eins der Gozziſchen Maͤhrchen: Wald, Morgen und Abend, frohes Lebensgefuͤhl und ſchauerliche Ahndung ſind die Beſtandtheile die - ſes Gedichts, und daß es ſich in lauter poeti - ſchen Kindheits-Vorſtellungen umtreibt, hat mir gerade gefallen.
In jener Zeit, ſagte Lothar, als ich den Gozzi am eifrigſten las, machte ich auch den Verſuch, ein Kindermaͤhrchen dramatiſch zu be - arbeiten, welches, wenn ich mich nicht taͤuſche, doch keine Nachahmung ſeiner Manier zu nen - nen iſt. Die Reihe hat mich getroffen, Ihnen dieſes heute vorzutragen. — Lothar fing an zu leſen. —
9Der Blaubart.Ein Maͤhrchen in fuͤnf Akten.
von Friedheim.
ihre Schweſtern.
von Wallenrod.
Sind wir nun alle verſammelt?
Ja, es fehlt, denk 'ich, Niemand - denn hier bin erſtlich ich, euer Vetter Martin von Felsberg, dann ſeyd ihr da, als das Haupt der Familie, der Ritter Heymon von Wallenrod, hier ſteht euer edler Bruder Conrad, auch ſtehn da herum unſre uͤbrige werthen Verwandten und wackern Freunde, ſo daß wir unſere Rathspflege wohlgemuth und mit aller Beſonnenheit veranſtal - ten koͤnnen.
So ſage ich denn noch einmal oͤffentlich, wie ich es ſchon jedem insbeſondere geſagt habe: Krieg! Fehde! — Wer iſt dieſer Hugo vom Wolfsbrunn, daß er unſer Gebiet brand -11Der Blaubart.ſchatzen darf? Sollen wir denn immer in Furcht und Sorgen leben vor einem Nichtswuͤrdigen?
Ja wohl, vor einem Kerl, der nicht leſen, nicht beten kann? Vor einem Men - ſchen, der einen blauen Bart hat? Vor einem Taugenichts, den Gott auf eine wunderbare Weiſe hat zeichnen wollen?
Wie ſagt Ihr? Er haͤtte einen blauen Bart?
Freilich, und der ſitzt ihm an einem verhenkerten Geſichte, an einer wahren Galgen - Phyſionomie.
Ordentlich blau? Was man ſo blau nennt?
Ihr wundert Euch mit Recht, Vetter, und mein Bruder da hat ihn ganz rich - tig beſchrieben. Er iſt ein wilder, unumgaͤnglicher Menſch, raubt, pluͤndert, ſchlaͤgt todt, wenn er dazu kommen kann, und ſieht dabei aus wie der Satan.
Wie ihn euch mein Bruder da eben ganz richtig beſchreibt, wie der leibhaftige Satan.
Gottes Werke ſind doch wunder - bar! — Hab 'ich mein Lebtage von einem blauen Barte gehoͤrt?
Aber, Herr Bruder, ehe wir un - ſern Zug unternehmen, ſollten wir doch vorerſt unſern Rathgeber befragen.
Wer iſt denn das?
Ein alter Mann und weitlaͤufi - ger Verwandter von uns, er iſt ſchon, wie geſagt,12Zweite Abtheilung.etwas ſtumpf und bei Jahren, und da hat er ſich in muͤſſigen Stunden aufs Rathgeben gelegt. Aber er giebt Euch treflichen Rath, das verſichre ich Euch.
Er hat ſchon manchen wackern Rath gegeben, von dem es wohl gut geweſen waͤre, wenn man ihn befolgt haͤtte.
Da koͤmmt er eben her.
Nun, ſetzt Euch, ſetzt Euch. — Jetzt alſo, meine verſammelten Freunde, ſind wir in der Abſicht zuſammen gekommen, ein vernuͤnf - tiges Wort mit einander zu reden. —
Wer klopft denn das Nur herein!
Ach! Es iſt unſer Narr.
Ihr habt ja eine recht vollſtaͤn - dige Haushaltung.
Gottlob! wir laſſen uns nichts abgehn. Ein kleiner Mann, der Narr, wie Ihr ihn da vor Euch ſeht, aber einen vortreflichen, dau - erhaften Witz hat er an ſich. Man kann einen ganzen Abend uͤber ihn lachen, wenn er auch kein Wort ſpricht. Aber ſonſt ein gutes Gemuͤth.
Iſt es erlaubt, Ihr Herren, daß ein Narr in eine vernuͤnftige Rathsverſammlung koͤmmt?
Du lieber Gott! er iſt ein Narr, man muß ihm doch auch ein kleines unſchuldiges13Der Blaubart.Vergnuͤgen goͤnnen, denn er ſaͤuft nicht und iſt uͤberhaupt ein ordentlicher Burſch. — Setz dich, Narr, und wir andern Verſtaͤndigen wollen uns auch ſetzen.
Nun ſo rathe ich alſo noch ein - mal zum Kriege, damit wir dieſes uͤberlaͤſtigen Hugo los werden moͤgen. Er ſteht jetzt eben im Felde gegen Hermann Worbſen, laßt uns ſchnell hinziehn, ſo ereilen wir ihn noch, ehe er nach ſei - nem feſten Schloſſe zuruͤck kehrt. — Was meint Ihr, Vetter Rathgeber?
Wenn ich Euch denn meinen guten Rath geben ſoll, — ſo meine ich unmaß - geblich, daß Ihr Recht habt, angeſehen Ihr ein verſtaͤndiger, vollkommen ausgewachſener Ritter ſeyd. — Ihr habt Recht, ich bin ganz Eurer Meinung.
Wenn wir ihn denn nun beſiegt haben, ſo beſtuͤrmen wir ſein Schloß und theilen uns in ſeine Reichthuͤmer?
Und wo bleibt denn der Blaubart?
Narr, der koͤmmt ja in der Schlacht um.
Und wenn er auch nicht umkoͤmmt, ſo wird er in ein Gefaͤngniß geſteckt.
Das wird er aber nicht zugeben; beſſer, er koͤmmt in der Schlacht um.
Richtig, weit beſſer iſt es, er koͤmmt in der Schlacht um, da habt Ihr, Ritter Heymon, ganz meinen Gedanken.
Aber wenn er nun doch nicht umkommt?
Ja ſo! — Eine gute Anmer - kung von Eurem Bruder, in der That. — Wenn er nun nicht umkoͤmmt! — Er thut beſſer, wenn er in der Schlacht umkoͤmmt, das iſt gewiß, — aber die Menſchen ſind oft wunderlich. Ja, was meint Ihr dann?
Ihr ſeid ja der Rathgeber.
Sehr richtig, — ja, dann iſt mein Rath, — daß man ſich nachher darauf be - ſinne, wenn wir erſt ſo weit ſind; Ihr habt ihn ja dann bei der Hand, und koͤnnt mit ihm machen was Euch gut duͤnkt.
Das iſt auch wahr; warum wol - len wir uns jetzt ſchon den Kopf zerbrechen?
Nun, ſo laßt uns denn nicht zaudern, ſondern haſtig aufbrechen.
Aber halt! haltet doch! — Habt Ihr ſo wenig Geduld, daß Ihr ins Schlachtfeld hinein laufen wollt, als ging 'es zum Fruͤhſtuͤck? Wer langſam geht, koͤmmt auch zu ſeinem Tode noch fruͤh genug.
Zum Tode?
Nun, wenn Ihr nicht ſiegt, ſondern beſiegt werdet? Und der Blaubart ſchneidet Euch den Ruͤckzug ab? — Wie dann? — Wenn Ihr nun beſiegt werdet, ſag 'ich! Denn das kann man doch ſo genau nicht wiſſen, man muß doch auf alle Faͤlle denken, ein guter Feldherr wird auch dafuͤr ſorgen.
Ein guter Feldherr, ſagt er? Zum Henker, er hat Recht, und es ſoll jetzt gleich daran gedacht werden. Nein, nur um Gottes Willen die Sachen nicht einſeitig betrachtet!
Nun alſo, ſo denkt! Rathgeber, denkt einmal recht tuͤchtig!
Ja, der Kleine hat Recht, ſo klein er auch iſt, und ſo rathe ich denn, nach reifli - chem Ueberlegen, daß Ihr noch fuͤrs erſte den ganzen Feldzug ſeyn laſſet.
Iſt das Euer Rath?
Wenn wirs beim Lichte be - ſehn, wirds ohngefaͤhr auf ſo etwas hinaus laufen.
Das iſt nichts, Rathgeber. Et - was Beſſeres.
Ihr glaubt wohl, daß man den guten Rath nur ſo aus den Ermeln ſchuͤttelt. Ich weiß nichts Beſſers.
Hm, — wenn man — nein!
Hm. — Koͤnnte man nicht, — bewahre!
Hm! — Ich daͤchte — Ich weiß nicht, was ich dachte.
Aber Herr Ritter, Ihr ver - gaßt ja ganz, daß Claus nur ein Narr iſt.
Richtig! Da ſteckt der Knoten! — Und wir ſtehn da alle und uͤberlegen!
Wir haben uns von dem Nar - ren alle in den April ſchicken laſſen.
Kuͤnftig ſchweig bis man dich fraͤgt.
Verzeiht, es geſchah nur, um mir16Zweite Abtheilung.mit dem Reden einen Zeitvertreib zu machen. Ihr wißt, ich plaudre gern, und da beſeh 'ich denn die Worte vorher nicht ſo genau; es iſt doch bald vor - bei, wenn man redet, und da lohnts der Muͤhe nicht, daß man es ſo genau nimmt.
So wollen wir denn aufbrechen!
Nehmt Ihr den Rathgeber nicht mit?
Ja das verdient Ueberlegung.
Laßt mich lieber zu Hauſe, hochgeſchaͤtzte Herren; ich bin alt, und ihr wißt ja wohl das Sprichwort: guter Rath koͤmmt im - mer hinter her. Ihr koͤnnt mich eilig holen laſſen, wenn Ihr mich noͤthig habt.
Das iſt wahr, Ihr ſeid doch ein kluger Mann. — Aber den Narren wollen wir mitnehmen.
Mich? — O ihr Herren, ich bin im Felde ganz unnuͤtz, ich kann keine Trommel hoͤren, ohne Colik zu bekommen, ich ſitze immer bei den Marketendern und mache nur die Lebens - mittel theuer; als Soldat bin ich gar nicht zu ge - brauchen, weil ich vor Angſt die Parole vergeſſe. Warum wollt Ihr mich denn mitnehmen?
Erſtlich zur Strafe, damit du ſiehſt, daß wir wohl ſiegen werden; zweitens, damit wir doch auch einen Narren unter uns haben. Drittens, um den Feind durch deine Perſon zu aͤrgern, — und viertens ſollſt du mitgehn!
Dieſer letzte Grund iſt ſo verdammt gruͤndlich, daß ſich nichts von Bedeutung dagegenein -17Der Blaubart.einwenden laͤßt. Nun, wenn es denn ſeyn muß, ſo will ich nur mein Buͤndel ſchnuͤren und mein Teſtament machen.
Dein Teſtament?
Aus meinem Narrenſtock laͤßt ſich ein herrlicher Commandoſtab machen, man darf nur oben den Eſelskopf herunter brechen; den ver - mach 'ich Euch! Meine Muͤtze Eurem Bruder Conrad, die Ohren ſind ſo ſchon ziemlich abgetra - gen; meinen Witz dem Rathgeber da, und meine Kruͤcke demjenigen, der nur mit einem Beine aus dem Felde zuruͤck hinkt.
Deinen Witz magſt Du ſelbſt behalten, er iſt ſo durchgeſcheuert, daß man die Faͤden zaͤhlen kann.
So koͤnnt Ihr immer noch euren vernuͤnftigen Rath damit flicken, denn ich glaube, daß Verſtand kein beſſeres Unterfutter finden kann, als Narrheit. Ich verſichere Euch, nichts haͤlt ſo warm und bewahrt vor Huſten und Schnupfen, Schwindel und dergleichen, ſo gut, als ein Bruſt - tuch von derber Narrheit. Truͤgt Ihr es nur un - ter Eurem Panzer, Herr Ritter, Ihr wuͤrdet Euch wohl dabei befinden, dann bliebet Ihr lieber zu Hauſe, und ergoͤtztet Euch hier buͤrgerlich mit mir, oder dem Rathgeber, oder ginget auf die Jagd. Warum muß es denn gerade Krieg ſeyn? Krieg iſt ein gefaͤhrliches Spiel; ich kann ſchon das bloße Wort nicht leiden; glaubt mir, es lieſt ſich beſſer davon in Buͤchern, als dort im Felde zu ſtehn und zu paſſen und zu paſſen, — undII. [2]18Zweite Abtheilung.wenn man nun in der Hinterhand ſitzt und der Feind bekoͤmmt die Matadore!
Der Narr ſchwazt und kann kein Ende finden. Du ſollſt uns den Marſch verkuͤr - zen durch deine Maͤhrlein.
Soll ich reiten oder gehn?
Gehn.
Nun, Gott ſegne Euch, ich werde ſo auf meine Art gehn muͤſſen.
Kommt, Vetter Martin, kommt Ritter, der Sieg winkt uns, wir wollen uns nicht ſaͤumig finden laſſen.
Wenn wir nur erſt die eroberten Fahnen aufhaͤngen!
O uͤber die lumpige Welt! — Wahr - haftig, ich ſchaͤme mich jetzt. Ich werde dafuͤr bezahlt, um ein rechter wahrer Narr zu ſeyn, und nun bin ich ein Pfuſcher geweſen, und war offenbar der verſtaͤndigſte von allen. Sie pfuſchen dafuͤr in mein Handwerk, und ſo iſt kein Menſch mit ſeinem Stande zufrieden. Wollte nur Gott, ich koͤnnte die Klugheit ſo wacker ſpielen, als ſie ſich in der Narrheit gut ausgenommen haben! — Nun, Schickſal, du Vormund der Unmuͤndigen, wirſt du dich ihrer ſo ſehr annehmen, als ſie feſt auf dir vertrauen, ſo werden ſie dieſen Feldzug bald geendigt haben. —
Er iſt aber doch zu Hauſe, der Junker Leopold von Friedheim? du mußt wiſſen, ich bin ſein Freund.
Wer, ſag 'ich, daß Ihr ſeid?
Ich nenne mich Winfred, ſage nur dieſen Namen, ſo kennt mich dein Junker ſchon daran.
Wie das Schickſal ſeine Gaben ungleich und verwunderlich austheilt! So kann ich es doch nun und nimmermehr dahin brin - gen, daß mir der Hut ſo angenehm ſchief von der Seite ſitzt, wie meinem Freunde Leopold, und Schuh und Struͤmpfe und alles, es iſt und wird nimmermehr der nachlaͤſſige liebenswuͤrdige Anſtand, ſo viel ich mich auch uͤbe, ſo ſehr ich mich auch von fruͤh Morgen darauf abarbeite. Freilich, meine Beine haben auch nicht den gehoͤrigen Schnitt, ſie ſind gar zu duͤnn. Und dann ſeine Art hinein zu kommen, und mir nichts dir nichts den erſten be - ſten Diskurs anzufangen, daß ihm die Worte nur ſo aus dem Munde ſtaͤuben. Mir erſtirbt die Rede auf der Zungenſpitze, und die beſten Einfaͤlle klam - mern ſich ſo feſt, daß ich ſie nicht losſchuͤtteln kann. Er gefaͤllt allen Menſchen, und auch den Weibern,20Zweite Abtheilung.aber wenn ſie auch manchmal uͤber mich lachen, ſo kann ich doch nicht ihre rechte Liebe erwecken. Die Sterne haben wohl bei meiner Geburt etwas in der Queere geſtanden, ſo deutet auch Hand und Fuß; ja wahrlich, wenn ich nicht ſo gar enge Schue truͤge, ſchauten die Fuͤße aus, wie die einer Gans; breit! breit!
Ihr ſeid ſchon da? Ei, wie auf - geputzt und praͤchtig! Das neue Wamms und die Federn habe ich noch nicht an euch geſehn.
Nicht wahr, zierlich und anmu - thig? Und wenn ich ſo mit den Armen ſchlenkre, und den Mantel etwas ſo von der Schulter werfe, ſo macht ſichs ſo ziemlich? Gelt! Seht, iſt es ſo recht?
Vortreflich! Ihr ſeid ſchon ein Meiſter, da Ihr vor kurzem nur als ein Schuͤler angefangen habt.
Ach, Lieber, weit, weit iſts noch zum Ziel. Nein, ich will mich nicht ſelber taͤu - ſchen. — Aber ſagt, wie ſtehts um unſer Aben - theuer? Wann lichten wir die Anker?
Es iſt noch zu fruͤh. Ich werde euch ſchon Nachricht geben, wenn es an der Zeit iſt.
O was mich das gluͤcklich machen wird, ſo in Eurer Geſellſchaft auszuziehn, hier uͤber die Berge, dort durch die Staͤdte und Luft und Gefahr mit Euch theilen, und Euch immer ſehn und bewundern, und von Euch lernen! Und21Der Blaubart.dann ſpricht man von uns, und beſingt uns wohl gar, und wenn uns dann die Leute kommen ſehn, ſo heißt es: da, da gehn ſie, da reiten ſie die beiden jungen Wagehaͤlſe! der da vorn iſt der Leo - pold, der da hinter drein folgt iſt Junker Win - fred, nicht ſo merkwuͤrdig wie jener, aber doch auch nicht uͤbel, er hats hinter den Ohren, hat Gruͤtz im Kopf, der Teufelskerl!
O Lieber, Beſter, Einziger, laßt uns doch bald, bald ausziehn!
Ich ſage Euch, noch iſt es zu zei - tig, der alte Hans von Marloff iſt zu ſehr auf ſeiner Hut, er bewacht ſeine Tochter wie der Drache den Schatz. Er iſt geizig, ich bin arm, unſre Familie iſt zahlreich, und darum muß ich zur Liſt meine Zuflucht nehmen, um gluͤcklich zu werden.
Wieder auf unſer altes Geſpraͤch zu kommen: nichts waͤrs mit Euren Schweſtern? O Himmel, das Gluͤck Euer Schwager zu ſeyn! Freundchen, nicht tauſcht 'ich dann mit dem Sul - tan von Babylon!
Schlagt Euch das aus dem Sinn, es geht ein fuͤr allemal nicht. Mein Bruder An - ton ſieht auf Geld und Gut, und da ſeid Ihr nicht reich genug: Anne haͤngt noch immer ihrer alten Liebe nach; ihr wißt ja, wie der Hans von Marloff lieber ſeinen Sohn aus dem Lande getrie - ben als ſeine Einwilligung gegeben hat, ſie will nun gar nicht heirathen und Euch wohl am wenigſten; Agnes muß durchaus einen reichen Mann haben.
Da waͤre der Blaubart fuͤr ſie, der ſchon ſo viele Weiber gehabt hat. Der Menſch iſt mit Weibern geſegnet.
Seine Frau lebt ja mit ihm und gluͤcklich.
Nein, ſie iſt auch ploͤtzlich wieder geſtorben. Er thut nichts als Krieg fuͤhren und Hochzeit machen. Gewiß ein merkwuͤrdiger Cha - rakter, ſo widerwaͤrtig er auch ſonſt ſeyn mag. Er ſoll unermeßliche Schaͤtze in ſeinen Schloͤſſern aufbewahren. Was macht denn euer zweiter Bru - der, der wunderliche Simon?
Wie immer, haͤngt ſeinen Grillen nach und gruͤbelt.
Hoͤchſt kurios! Ha ha ha! Ich muß lachen, ſo oft ich an ihn denke. Sagt, wie in aller Welt wird man nur zum Narren? So ſeinen Verſtand verlieren und unklug werden, es iſt doch unbegreiflich, wie es die Leute anfangen.
Freiwillig kommen wohl die we - nigſten dazu?
Hm, es iſt wunderlich, daruͤber nachzudenken: vielleicht, daß der Menſch, wenn er ſich auch recht was Beſonderes vorſetzt, und Gluͤck und Sterne laſſen es gelingen, und ſein Vorſatz paßt fuͤr ihn, daß er dann ein Held, ein Dichter, ein Weiſer, oder ein großer Luftſpringer wird; fuͤgt ſichs aber, daß die Sterne und die Schick - ſale nicht damit harmoniren, ſondern ſich zwiſchen ihn und ſeine Abſichten ſo recht mit breitem Ruͤk -23Der Blaubart.ken hinſtellen, ſo wird aus dem nemlichen Men - ſchen wohl ein ſimpler Narr.
Du wirſt weiſe, Junker, trefliche Einſichten ſtehn dir heut zu Gebot. Komm in den Hof, ich will dir mein neues Roß zeigen, den Schimmel.
Kommt, kommt, und laßt mich ihn nachher auch verſuchen!
Er hat geſiegt?
Ja. — Aber Ihr ſagtet ja, der Mann habe einen blauen Bart.
Nun, Ihr meint doch nicht, daß er ihn durchs Viſir wird haͤngen laſſen.
Euer Narr ſpricht immer mit, wenn die verſtaͤndigen Leute reden.
Das hat er ſich ſo angewoͤhnt, weil wir uns manchmal mit ihm eingelaſſen haben.
Aber, meine gnaͤdige Herrn, warum habt Ihr denn den Blaubart nicht angegriffen,24Zweite Abtheilung.als er ſich noch mit ſeinem Feinde in den Haaren lag? Der Vortheil war ja dann offenbar auf Eurer Seite.
Halt! das iſt wahr! — Daran hat keiner von uns gedacht! Haͤtten wir doch nur unſern Rathgeber bei uns gehabt!
Wirklich, wir haͤtten ihn angrei - fen ſollen, dann wuͤrde er doch wahrſcheinlich von zwei Feinden untergebracht worden ſeyn, jetzt hat er jenen beſiegt, und es kann uns nun eben ſo er - gehn. — Warum ſagteſt du das aber auch nicht fruͤher?
Eure Feldmuſik und Eure tapfern kriegeriſchen Reden ließen mich ja gar nicht zu Worte kommen. Wahrhaftig, ich wollte gewiß fuͤr Euch einen ganz guten Rathgeber abgeben.
Du? — Bleib du nur bei deinem Handwerk.
Das gebe Gott nicht, daß Narr - heit ein Handwerk ſey.
Was denn?
Eine freie Kunſt, wir ſind nicht zuͤnftig, ihr und jedermann darf ohne vorherge - gangene Pruͤfung darin arbeiten.
Fort! Wir zoͤgern zu lange!
Gelt? Das war ein gutes Stuͤck Arbeit?
So ziemlich, gnaͤdiger Herr, aber es waͤre Euch faſt uͤbel bekommen.
Ja, der Ritter, dem du den Reſt gabſt, ſetzte mir nicht uͤbel zu.
Es war Schade um das junge Blut, er hatte ganz goldgelbe Haare.
Was Schade? Waͤrs um mich we - niger Schade geweſen? Meinſt du ſo?
Ha ha ha! Herr Ritter, das kann wohl nur Euer Spaß ſeyn.
Jetzt kommt, nun wollen wir es uns auch wohl ſeyn laſſen, die Ruhe ſchmeckt nach ſolchem unruhigen Tage. — Aber ſeht, was iſt das fuͤr eine Erſcheinung dort? — Geh doch einer hin und frage, ob jene Menſchen uns etwas an - haben wollen.
Es waͤre mir gar recht, denn ich fuͤhle mich noch nicht matt. Seid Ihr muͤde?
Nein, gnaͤdiger Herr.
Nun?
Es ſind die Gebruͤder von Wallen - rod, ſie verlangen mit Euch handgemein zu werden.
So? deſto beſſer, ſo ſind es ja meine alten Feinde! — Laßt uns ſogleich anruͤcken. — Wie ſtark iſt ihre Mannſchaft?
Staͤrker als die unſrige.
Waͤren die uns vorher uͤber den Hals gekommen, ſo haͤtte ſich ein ſauberes Unge - witter uͤber uns zuſammen gezogen. Nun laßt die Trompeten ſchmettern und ihnen raſch entgegen!
Ob ich hier wohl ſicher bin? — Ach, wo iſt man im Felde wohl ſicher? Auf wie vielen, weiten und meilen - breiten Feldern thront jetzt die Sicherheit, und ich Unſeliger muß mich nun durch ein boͤſes Schick - ſal gerade hier an dieſem Ort der Unſicherheit be - finden! — Hu! was das fuͤr eine Art iſt, mit einander umzugehn! — Iſt es nicht laͤcherlich, daß die Menſchen im gewoͤhnlichen Leben ſo viele Um - ſtaͤnde mit einander machen, und wenn ſie nun einmal die rauhe Seite heraus kehren, daß ſie ſich mit denſelben Haͤnden todtſchlagen, mit denen ſie ſonſt ſo viele Hoͤflichkeitsgeberden veranſtalten. — Ach! das gewinnt fuͤr meine Herrſchaften ein ſchlimmes Anſehn! So gehts, wenn man ſich nicht von einem Narren will rathen laſſen. So - bald der Verſtand bei der Thorheit bettelt, erfolgt gewoͤhnlich ein gutes Almoſen, denn die Thorheit giebt, ohne die Muͤnzſorten zu beſehn; wer aber bei geſcheuten Leuten Huͤlfe ſucht, bekoͤmmt immer nur Scheidemuͤnze. — Ach! wie ſind hier die Sen - tenzen am rechten Ort! So lange der Menſch nur noch eine Pfeffernuß zu beißen hat, wird er keine Sentenzen ſprechen, wenn man aber ſo, wie ich jetzt, an Leib und Seele bankrott iſt, ſo ſind ſie das einzige Labſal. — Ich will mich hinter die - ſen Strauch verbergen. Aber meine Narrheit ſcheint ganz gewiß durch, wie ein Edelſtein: wenn nicht das lahme Bein waͤre, wuͤrde ich fort lau - fen. — O Himmel! ſie kommen ſchon zuruͤck. —
Seht, wie ſchnell wir mit Euch fer - tig geworden ſind; aber jetzt iſt mein Arm lahm, nun duͤrfte kein dritter kommen. — Ihr habt Euch nicht beſonders gehalten, das muß ich Euch ſagen.
Jeder thut, was er kann.
Und das haben wir, hoff 'ich, auch gethan.
Was unmoͤglich iſt, bleibt un - moͤglich.
Jetzt will ich uͤberlegen, was ich mit euch anzufangen habe.
Ich hab 'ihm doch nun endlich ins Geſicht geſehn, ich hab' Euch immer nicht glauben wollen, — aber ihr habt ganz Recht, er hat einen blauen, wahrhaft blauen Bart.
Nun, ſeht Ihr wohl, ich habs Euch ja vorher geſagt. Was ſollte mir das Luͤgen nuͤtzen?
Es giebt ihm ein recht grauſames, widerliches Anſehn, und dabei ſieht er doch etwas laͤcherlich aus.
Hat ſich was zu lachen, wir ſind jetzt in ſeiner Gewalt, und es koſtet ihn nichts, uns das Leben zu nehmen.
Das wird er gewiß nicht.
Ich traue ſeinem verwuͤnſchten blaubaͤrtigen Geſichte auch nicht.
Nun hatte der weiſe Mann, unſer Rathgeber, ja doch Recht, wenn er uns rieth, den ganzen Feldzug zu unterlaſſen; aber wer nicht hoͤren will, muß fuͤhlen, und das thun wir jetzt. Wir thun weit mehr, wir haben nicht nur den Krieg verloren, wir ſind noch dazu gefangen. Wenn wir nur unſern Rathgeber hier haͤtten!
Das wuͤnſch 'ich auch, denn ohne ihn wiſſen wir doch nicht recht, was wir anfan - gen ſollen.
Nun, was meint Ihr, meine Herren, daß ich mit Euch thun werde?
Wahrſcheinlich uns gegen Kan - zion frei laſſen.
Uns auf unſer Verſprechen nach Hauſe ziehn, dabei aber tuͤchtig bluten laſſen.
Wartet einmal! — Ihr werdet uns vielleicht noch vorher irgend einen Schimpf anthun, um Euch zu raͤchen.
Zum Beiſpiel, Euch haͤngen laſſen.
Ich muß geſtehn, das waͤre mir ſehr unerwuͤnſcht, denn es iſt in unſrer Familie bis jetzt noch keinem geſchehn.
Deſto beſſer. — Aber Ihr moͤchtet lieber begnadigt ſeyn? — Wagt nur eine recht tuͤch - tige Bitte daran, und ich laſſe mich vielleicht erwei - chen denn ich bin nicht ſo ganz unbarmherzig. Iſt kein rechter Redner unter Euch?
Ich bin immer noch der, der ſo am meiſten ſpricht.
Nach welchem Muſter habt Ihr Euch gebildet? Denn darauf kommt viel an.
Je nun, ich ſpreche ſo, was mir ohngefaͤhr in den Kopf kommt.
Das iſt nicht recht, ich haͤtte mich lieber nach Regeln ruͤhren laſſen.
Alſo, laßt Euch erbitten: ſeht, wir ſind zwar in Eurer Gewalt, aber es iſt gegen unſern Willen geſchehn, man kann nicht wiſſen, wie ſich das Blatt einmal wendet, und Ihr kennt ja wohl das Sprichwort: eine Hand waͤſcht die andere.
Iſt das Eure ganze Redekunſt?
Ihr koͤnnt auch einmal uͤbel weg kommen, denn es ſteht keinem an der Stirn ge - ſchrieben, wes Todes er ſterben ſoll; es iſt noch nicht aller Tage Abend, und Niemand, ſagte der weiſe Croͤſus zum Koͤnige Salomon, der ihn wollte verbrennen laſſen, kann ſich vor ſeinem Tode gluͤck - lich preiſen.
Ihr ruͤhrt mich immer noch nicht. — Kniet nieder.
Habt Mitleid mit uns.
Steht auf! ich lache leichter als ich weine; bringt mich zum Lachen, und ich ſchenke Euch unter dieſer Bedingung das Leben.
Ich wollte, wir haͤtten unſern Narren hier, es ſchickt ſich wenig fuͤr uns. —
Bin ich fuͤr Euren Witz zu ſchlecht?
Nein, das nicht, aber ich habe mich nie auf dergleichen Kuͤnſte gelegt.
Vielleicht hilft Euch das Naturell durch.
Herr Ritter, mein Naturell iſt ein gutes Naturell, und es waͤre manchen Leuten zu wuͤnſchen, daß ſie nur ſolch Naturell aufzuwei - ſen haͤtten.
Wie meint Ihr das?
Je nun, ich meine, daß ich ſonſt wohl ſchon von Rothbaͤrten, aber wahrhaftig noch von keinem Blaubart gehoͤrt habe.
Haha! wollt Ihr da hinaus? — Fort mit Euch! der Tod iſt Euch gewiß, ob ich gleich uͤber Eure dumme Ungeſchliffenheit von Her - zen lachen moͤchte.
Aber hoͤrt doch nur. —
Sprecht kein Wort weiter, oder ich ſpalte Euch mit meiner eignen Hand den Kopf. Nichtswuͤrdiges Geſindel! — Fuͤhrt ſie fort, ſag 'ich, bindet ſie, und nachher, wenn ichs Euch be - fehle, ſchlagt ihnen die Koͤpfe herunter. — Ihr ſeid ein ſchoͤner Redner, das muß ich geſtehn. —
Gnaͤdiger Herr, hier iſt noch einer von den Feinden, der ſich hinter jenen Buſch ver - ſteckt hatte.
Komm her, ich bin grade in der rechten Stimmung, dir dein Todesurtheil zu ſprechen.
Und ich ſage Euch, ich bin grade in der rechten Stimmung, daß ich nichts darnach frage.
Wer biſt du?
Ein Narr.
So mußt du den andern Geſell - ſchaft leiſten.
Mir recht.
Wie? Du haſt das Leben nicht lieb?
So wenig als einen ſauern Apfel.
Das waͤre faſt zu vernuͤnftig fuͤr einen Narren.
Ei, wenn es Thorheit iſt, das Leben lieb zu haben, ſo waͤre am Ende der Zweck eines jeden Philoſophen, ſich aufzuhaͤngen.
O ich habe nicht Luſt, mich mit dir in einen Streit einzulaſſen. Aber wenn du Gruͤnde haſt, ſo ſage ſie mir doch, warum du dein Leben nicht achteſt.
Herr! Gruͤnde, ſo groß und gewich - tig wie die Felſen, und doch ſind die Felſen ſelbſt nur kleine Kieſel, wenn man dabei an die ganze Erde denkt. Doch das nur im Vorbeigehn geſagt. Aber ſeht mich doch einmal an, und ſagt mir dann ſelbſt eine vernuͤnftige Urſach, aus welcher ich das Leben wohl lieb haben koͤnnte. Bin ich nicht ſo gezeichnet, daß jeder Menſch von mir ſagen wird: wenn der Kerl nicht zum Narren, oder zum Tau - genichts zu gebrauchen iſt, ſo iſt er voͤllig in der Welt uͤberfluͤßig? Bedenkt nur ſelbſt, gnaͤdiger Herr, unter einem ſolchen Titel durch das Leben32Zweite Abtheilung.zu hinken, zeitlebens auf keine hoͤhere Ehre An - ſpruͤche machen zu duͤrfen! Nicht wahr, es iſt gar zu erbaͤrmlich? Denn Reichthuͤmer beſitze ich nicht, und wenn ich ſie auch beſaͤße, was ſollte ich mit ihnen wohl anfangen? Kein Maͤdchen wird ſo wahnwitzig ſeyn, ſich in mich zu verlieben; Wohl - wollen, Freundſchaft, Ehre, Ruhm, alles iſt fuͤr dieſe arme verkruͤppelte widerwaͤrtige Geſtalt gar nicht in der Welt. Was iſt denn alſo das Leben fuͤr mich? Nichts als der große Fettſchweif des Indianiſchen Schaafs, es iſt mir nur zur Laſt: ich bin nicht froͤhlicher, als wenn ich vergeſſe, wer ich bin, ich diene dazu, andre zum Lachen zu brin - gen, und zwinge mich ſelbſt zum Lachen, ich bin eine Medizin fuͤr verdorbene Maͤgen, ein Verdau - ungsmittel, die Hunde ſelbſt ſehn mich von der Seite an, und ich habe es noch nie dahin ge - bracht, daß mich einer geliebt haͤtte. Aus welcher Urſache, meint Ihr nun wohl, ſollte ich das Le - ben lieben? Und was iſt denn das Leben ſelbſt? Eine beſtaͤndige Furcht vor dem Tode, wenn man an ihn denkt, und ein leerer, nuͤchterner, genußlo - ſer Rauſch, wenn man ihn vergißt, denn man verſchwendet dann einen Tag nach dem andern, und vergißt daruber, daß die Gegenwart ſo klein iſt, und daß jeder Augenblick vom naͤchſtfolgenden verſchlungen wird. Jeder Menſch wuͤnſcht alt zu werden, und wuͤnſcht damit nichts anders, als mit tauſend Gebrechen, mit tauſend Schmerzen in Bekanntſchaft zu treten. Da ſchleichen ſie denn ohne Zaͤhne und ohne Wuͤnſche, mit leerem zit -ternden33Der Blaubart.ternden Kopfe, mit Haͤnden und Armen, die ihnen ſchon laͤngſt die Dienſte aufgekuͤndiget haben, und die nur noch als abgeſchmackte Zierrathen von den Schultern verwelkt herunter haͤngen, ihrem Grabe keuchend und huſtend entgegen, dem ſie auf keine Weiſe entlaufen koͤnnen. — Und ich, wie muͤßte ich nun gar ſeyn, wenn ich alt wuͤrde? Wer wuͤrde ſich die Muͤhe nehmen, mich zu bedienen, mich zu troͤſten? Nein, gnaͤdiger Herr, laßt mich immer friſch haͤngen, Ihr habt ganz Recht, das wird wohl der beſte Rath ſeyn.
Kerl, du gefaͤllſt mir. Willſt du mein Narr werden?
Nein, ich bin des Dienſtes uͤber - druͤßig.
Aber ich ſage Ja, ich will dich zu meinem Narren haben, du ſollſt mir zuweilen dergleichen auferbauliche Reden halten, und mir in muͤßigen Stunden etwas vorſchwatzen; ich will fuͤr dich ſorgen, aber du mußt mir dienen.
Nun, es ſey, wenn es nicht anders ſeyn kann; aber dann, Herr Ritter, habe ich noch eine Bitte an Euch.
Nun?
Wir haben einen herrlichen Mann zu Hauſe ſitzen, der jetzt ohne Eure Huͤlfe noth - wendig verhungern muß. Er giebt andern Leuten vortreflichen Rath, und wie es ſolchen weiſen Maͤn - nern meiſtentheils geht, ſie wiſſen ſich ſelber nicht zu rathen; ohne ihn bin ich nichts, und wenn ichII. [3]34Zweite Abtheilung.in meiner Kunſt etwas geworden bin, ſo habe ich es nur ſeiner vortreflichen Geſellſchaft zu danken.
Wer iſt denn der?
Wir nennen ihn nur kurzweg den Rathgeber, Rath zu geben iſt auch ſein eigentli - ches Handwerk, und ich muß geſtehn, daß er es darin zu einer großen Fertigkeit gebracht hat. Je - der von uns beiden, einzeln genommen, iſt nur ein ſchwaches Rohr, ein faules Holz, das nur glaͤnzt, wenn kein anderer Schimmer in der Naͤhe iſt; aber wenn unſer Verſtand zuſammen gethan wird, ſo entſteht daraus eine Kompoſition, eine Art von Prinzmetall, das außerordentlich dauer - haft iſt.
Nun, ſo bringe ihn mir. Du magſt ihn ſelber abholen, ich vertraue dir. Weißt du mein Schloß?
O ja, gnaͤdiger Herr.
Ich mag mit andern Menſchen nicht gern umgehn, aber ſolche Eures Gelichters ſind mir lieb, bei Euch weiß man, woran man iſt, Ihr gebt Euch fuͤr nichts aus, Ihr heuchelt keinen Werth, keine Wuͤrde, die ich ſo oft die Wuͤrde des Menſchen nennen hoͤre: ich kenne nichts ſo Jaͤm - merliches. Wir bleiben beiſammen, und wenn mir dein Rathgeber gefaͤllt, ſo ſoll ers gut bei mir haben. — Du da! liegt Friedheim weit von hier?
Nur eine Tagereiſe.
Es ſollen zwei ſchoͤne Fraͤulein dort ſeyn, dahin will ich mit kleiner Begleitung; ihr uͤbri - gen zu meinen Schloͤſſern zuruͤck! — Jetzt will ich35Der Blaubart.jene Narren ſterben ſehn. —
Kann man mit einer ſo ge - ringen Verſtellung ſelbſt ſo liſtige Fuͤchſe hinter - gehn? Mit den wenigen Worten alſo hab ich mein Leben von dem blutduͤrſtigen grimmigen Menſchen zuruͤck kaufen koͤnnen? Aber, wenn ich es recht ernſthaft uͤberlege, iſt mein Leben auch nicht viel werth. Ho ho! das fehlte nur noch, das waͤre ein Hauptſpaß, daß ich mich ſelbſt aus Desperation aufknuͤpfte, nachdem er mich verſchont hat. Aber meine armen Herren! — Ich koͤnnte weinen. — Und warum ſoll ich nicht weinen? Es iſt eben ſo thoͤricht, als zu lachen, es liegt alſo nicht außer meinem Berufe. —
Sie ſind gewiß ſchon todt, — hier will ich um ſie trauern, denn kein anderes Auge geht doch ihret - wegen uͤber.
Nun hoͤre mir zu, liebe Schweſter, ob ich jetzt im Stande bin, das Lied recht zu ſpielen.
Du haſt kein Talent zur Muſik, es wird dir zeitlebens nicht gelingen.
Und warum denn nicht ſo gut, wie andern? — Hoͤre nur:
Beſſer, als ich gedacht haͤtte.
Aber ſage mir einmal, warum in allen dieſen Liedern immer ſo viel von Liebe die Rede iſt? Wiſſen dieſe Liedermacher denn keinen andern Gegenſtand?
Sie glauben, daß jedermann daran Theil nimmt.
Ich wahrlich nicht. Mir iſt nichts widerwaͤrtiger, als dieſe ewigen Klagen. Ich wuͤnſchte, es gaͤbe ſo Geſaͤnge fuͤr alle moͤgliche38Zweite Abtheilung.Sinnesarten, und alles froh und heiter. — Er - zaͤhle mir doch, wie iſt es denn eigentlich mit dei - ner Liebe, ich weiß faſt kein Wort davon.
O laß mich, liebe Schweſter.
Wie lange iſt er nun ſchon fort? — Drei Jahr?
Ach!
Siehſt du, du ſeufzeſt noch immer, aber du ſollteſt lieber einmal vernuͤnftig erzaͤhlen.
Ich bin eine ſchlechte Erzaͤhlerinn.
Aber im Ernſt, es muß mit der Liebe ein aͤußerſt wunderbares Ding ſeyn.
Du biſt gluͤcklich, daß du es nicht begreifſt.
Mir iſt immer leicht und heiter, aber du biſt die Schwerfaͤlligkeit ſelbſt, ohne Le - ben, ohne Theilnahme fuͤr die Welt und ihre Be - gebenheiten, du lebſt nur noch zum Schein, nur ein geringfuͤgiges aͤußerliches Leben, aber innerlich biſt du ſchon lange abgeſtorben.
Jeder Menſch hat ſeine eigene Weiſe, laß mir die meinige.
Daß man ſich ſelbſt ſo alle Freuden verderben kann! Die Welt iſt ſo ſchoͤn und freund - lich, alles ſo mannigfaltig durch einander, daß man nicht genug ſehen, nicht genug erfahren kann. Ich moͤchte immer auf Reiſen ſeyn, durch unbekannte Staͤdte gehn, fremde Berge beſteigen, andre Trach - ten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Pallaſte einſperren laſſen, und die Schluͤſſel zu jedem Gemach, zu39Der Blaubart.jedem Schranke in Haͤnden: dann wuͤrde eins nach dem andern aufgeſchloſſen, die Schraͤnke thaͤten ſich von einander, und ich holte von den ſchoͤnen und ſeltſamen Koſtbarkeiten eins nach dem andern her - vor, traͤte damit ans Fenſter und beſaͤhe es ganz eigen, bis ich ſeiner uͤberdruͤßig waͤre und zu einem andern eilte, und ſo immer fort, immer fort, ohne Ende.
Und ſo wollteſt du alt werden? dich durch ein truͤbes, unzuſammenhaͤngendes Leben ar - beiten?
Ich verſteh dich nicht. — Ich habe mir ſchon oft gedacht, wenn ich ploͤtzlich in ein fremdes Schloß geriethe, wo mir alles neu, alles merkwuͤrdig waͤre; wie ich aus einem Zimmer in das andre eilen wuͤrde, immer ungeduldig, immer neugierig, wie ich mich nach und nach mit den Sachen und Geraͤthſchaften bekannt machte. Hier weiß ich ja jeden Nagel auswendig.
Gieb mir einmal die Laute.
Das iſt eins von den Liedern, die ſich leichter ſingen, als verſtehn laſſen.
Das iſt hier eine wunderliche Haus - haltung; Geſang in allen Zimmern, Simon wan - delt umher und betrachtet die Waͤnde, Leopold will auf Abentheuer ziehn, — wahrlich, wenn ich nicht noch das Ganze etwas zuſammen hielte, es floͤge alles wie Spreu aus einander.
Dafuͤr biſt du auch der aͤlteſte von uns allen, du haſt den Verſtand fuͤr die ganze Familie.
Wißt Ihr denn, was Leopold ei - gentlich will?
Was will er denn?
Gewiß einen unbeſonnenen Streich ausfuͤhren.
Ihr nennt auch oft etwas unbeſon - nen, was nur nicht ſo iſt, wie ihr es alle Tage treibt.
Nun ſo lebt wohl auf einige Zeit, ich muß Euch auf ein Paar Tage verlaſſen.
Aber wo willſt du hin?
Recht weiß ichs ſelbſt noch nicht. 41Der Blaubart.Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der Menſch ſich jeden Schritt im Leben erſchwert, wenn er ihn recht genau uͤberlegt. Am Ende iſt doch alles nur einfaͤltig, wir moͤgen es auch an - fangen, wie wir wollen, und Gluͤck und Zufall machen unſre Plaͤne nur geſcheidt oder unbeſonnen.
Bruder, ſolche Reden ſind einem Manne ganz unanſtaͤndig.
Ja, was ihr euch immer ſo un - ter Mann denkt: ein altes, verjaͤhrtes Thier, das uͤber die Jugend weggekommen iſt, wie uͤber eine Bruͤcke, die zuſammen fallen will, und das ſich nun herzlich freut, daß es ein ſauer Geſicht ma - chen darf und Rath ertheilen, ſitzen und zuhoͤren wenn andre ſprechen, und alles links und unrich - tig finden. So ein Mann nach Eurer Vorſtellung darf ſogar den Kater tadeln, daß er die Maͤuſe nicht auf die rechte Art und nach ſeinem Sinne faͤngt. Es wird mir immer ſeltſam zu Muthe, wenn ich die Redensarten hoͤre: er handelt wie ein Mann, er iſt das Muſter eines Mannes; — meiſtentheils ſind es doch nur verdorbene ausge - wachſene Knaben, die durch die Welt auf allen Vieren kriechen, ſtatt aufrecht zu gehn, und die daher weit mehr Steine des Anſtoßes finden, — und dann rufen die Umherſtehenden: Um Gottes - willen! ſeht, wie viele Erfahrung der Mann hat!
Das waͤre alſo nach deiner Meinung auch das Bild von mir?
Ach nein, du biſt im Grunde ge -42Zweite Abtheilung.ſcheuter, aber du willſt es dir ſelber nicht geſtehn. So halten die meiſten Menſchen die langſame Einfalt fuͤr verſtaͤndiger, als die beruͤhrige Unachtſamkeit, und der Unterſchied liegt doch wahrhaftig nur im Gange.
Aber du wirſt doch zugeben, daß dem Unachtſamen manches mißlingt.
O ja, natuͤrlicher Weiſe, weil er viel unternimmt. Eurem bedaͤchtigen Manne kann nichts mißlingen, weil er immer nur rechnet, und mit allen ſeinen Gedanken, mit aller Beleſenheit wie mit Fuͤhlhoͤrnern voraus fuͤhlt. Ach, Bruder, wenn wir ſehn koͤnnten, wie vielleicht ſchon alles im Voraus beſtellt und in Richtigkeit gebracht iſt, wie laͤcherlich wuͤrden uns da wohl unſre tiefe an - gelegten Plaͤne vorkommen?
Eine ſchoͤne Philoſophie.
Doch wir wollen abbrechen, und ich will Abſchied von Euch nehmen, mir iſt ſo leicht, daß ich gewiß glaube, ich werde gluͤcklich ſeyn.
Du willſt verreiſen, Bruder?
Ja.
Mir ſcheinen die Umſtaͤnde nicht guͤnſtig.
Wie ſo?
Es iſt ſo ein Weſen, ſo ein Kla - gen, ſo ein Zittern in der Luft.
Wie meinſt du das, Bruder?
So wie er alles meint, — er weiß nicht warum, er meint es nur ſo.
Sieh, man kann eigentlich nicht ſagen, warum man Ungluͤck voraus ahndet, aber es iſt doch manchmal etwas im Herzen, — das —
Nun?
Ach! wer kann dir das deutlich machen.
Sollte man unter dieſen naͤrriſchen Geſchoͤpfen nicht ſelber naͤrriſch werden?
Nun, weil dus alſo nicht recht beſchreiben kannſt, ſo lebe wohl. Wenn ich wieder komme, will ich mir deinen Rath ausbitten.
Seine Wildheit wird ihn noch ein - mal ungluͤcklich machen.
Gewiß.
Wie geht es dir, Bruder?
Gut, — ich habe nur heut Mor - gen mancherlei gedacht, — es kann ſich bald man - cherlei aͤndern.
Wie ſo?
Frage ihn doch nicht, es iſt ja nur eine weggeworfene Muͤhe, er weiß es ſo wenig als du, und eben durch ſolche Aufmerkſamkeit wird ſeine Narrheit nur zum Wachſen gebracht, die ohne dieſe Nahrung ſchon laͤngſt abgeſtorben waͤre.
Aber ſo laß ihn doch reden, Bruder.
Nun, wie Ihr wollt, aber Ihr werdet mich nicht zwingen wollen, ſein Geſchwaͤtz mit anzuhoͤren.
Ich ſpreche viel lieber, wenn Bru - der Anton nicht dabei iſt. Er zuckt uͤber alles die Schultern, wenns nicht nach ſeinem Sinne iſt,44Zweite Abtheilung.und er hat doch nur einen ſehr engen Sinn, ſo wie die meiſten Menſchen, ſie wiſſen oft nicht, warum ſie etwas tadeln, es ſcheint ihnen bloß ver - werflich, weil ſie noch nicht darauf gekommen ſind.
Ja wohl.
Und doch ſollte das grade der Grund ſeyn, eine ſolche Sache ihrer naͤheren Aufmerkſam - keit zu wuͤrdigen; denn wenn wir nichts Neues zulernen wollen, ſo verſchimmeln am Ende auch die alten Kenntniſſe in uns.
Bruder Simon ſpricht heute mit ungemeiner Weisheit.
Ihr verſteht mich nur ſo ſelten; dies ſcheint dir nur deswegen klug, weil du auch ſchon etwas Aehnliches gedacht haſt.
Was iſt denn aber am Ende der menſchliche Verſtand?
Ja, das koͤnnen wir mit unſerm eigenen Verſtande nicht leicht begreifen; aber er hat gewiß, wie eine Zwiebel, eine Menge von Haͤuten; jede dieſer Haͤute wird auch Verſtand ge - nannt, und der letzte, inwendige Kern iſt der ei - gentliche beſte Verſtand. Recht verſtaͤndig ſind nun alſo die Menſchen, die ihren zwiebelartigen Ver - ſtand durch lange Uebung ſo abgerichtet haben, daß ſie jeden Gedanken, nicht nur mit den aͤußern Haͤu - ten, ſondern auch mit dem innern Kerne denken. Bei den meiſten Leuten aber, wenn ſie auch die Haͤnde vor den Kopf halten, iſt nur die oberſte Haut in einiger Bewegung, und ſie wiſſen es gar45Der Blaubart.nicht einmal, daß ſie noch mehrere Arten von Ver - ſtand haben, und ſo iſt Bruder Anton.
Ha ha ha! das iſt luſtig! Zwiebel und Verſtand, das iſt eine artige Vorſtellung. — Und wie denkt denn Bruder Leopold?
Gar nicht! er denkt nur mit der Zunge; wie andre Menſchen eſſen, um zu leben, ſo ſpricht er unaufhoͤrlich, damit er nur etwas zu denken hat, und was er geſprochen hat, hat er auch in demſelben Augenblick wieder vergeſſen, in - dem er es von der Zunge geſchuͤttelt hat; ſeine Gedanken ſind wie der Spargel, der abgeſchnitten wird, ſo wie man nur die gruͤne Spitze aus der Erde bemerkt, er ſchießt noch bis im Sommer, dann laͤßt man ihn Saamen treiben; um die Zeit wird Bruder Leopold nicht viel mehr ſprechen und denken, und die Leute werden von ihm ſagen: das iſt ein vortreflicher Hausvater!
Aber wie denkſt du denn?
Ich? — das iſt eben die Schwie - rigkeit und meine Unruhe, — ſeht, es iſt ſchwer zu denken, auf welche Art man denkt: denn, ver - ſteht das, was gedacht wird, ſoll denken; ein Ca - ſus, der einen ſonſt ganz vernuͤnftigen Menſchen wohl toll machen koͤnnte.
Wie ſo?
Siehſt du, jetzt verſtehſt du mich gar nicht, weil du auf dieſen Gedanken noch gar nicht gekommen biſt. — Suche zu begreifen: ich denke, und mit dem Zeuge, womit ich denke, ſoll ich denken, wie dieſes Zeug ſelbſt beſchaffen ſei. 46Zweite Abtheilung.Es iſt pur unmoͤglich. Denn das, was denkt, kann nicht durch ſich ſelbſt gedacht werden.
Es iſt wahr, daruͤber koͤnnte man wirklich toll werden.
Nun ſeht Ihr, und doch fragt Ihr immer noch, warum ich melankoliſch bin.
Verzeiht, meine Fraͤulein, ich ritt eben vorbei — wie geht es Euch, Junker!
Gut in ſo weit, ich habe Eure Sachen gebraucht, es hilft fuͤr den Magen, aber nicht fuͤr den Verſtand.
Wie kommt Ihr darauf, daß die Me - dizin fuͤr den Verſtand ſeyn koͤnnte?
Aber je beſſer mein Magen wird, je ſchwaͤcher wird mein Verſtand.
Das iſt nicht anders.
So werd ich ja aber auf der einen Seite nur krank, wenn auf der andern die Geſund - heit anſchießt.
Freilich wohl.
So iſt man am Ende in der ſchoͤn - ſten Bluͤte der Geſundheit, wenn man ſchon in den letzten Zuͤgen liegt.
Das kann wohl ſeyn.
Nun, ſeht Ihr, und man ſoll nicht melankoliſch werden.
Der Magen iſt nichts als ein Gegen - bild zum Kopfe, ja ich moͤchte ſagen, ein Vater des Kopfes. Wenn der Magen tuͤchtig denkt, und47Der Blaubart.ſich an den Speiſen uͤbt, und immer neue fordert, und dieſes wiederholten Studiums nicht uͤberdruͤ - ßig werden kann, ſo ſteht der Kopf unter der Vor - mundſchaft, und iſt gleichſam nur ein Bedienter ſeines Herrn Vaters; wird er muͤndig geſprochen und die Herrſchaft faͤllt ihm zu, ſo macht er ſich gierig uͤber die Nahrung her, die ihm gefaͤllt, er denkt unermuͤdet und ſucht immer nach neuen Ideen, indeß ſein armer alter Vater unter ihm zuſammen ſchrumpft, und es am Ende ſehr uͤbel nimmt, wenn man ihm nur irgend eine Speiſe zumuthet.
Noch nie habe ich eine ſo luſtige Philoſophie gehoͤrt, — der Magen ein Vater, — der Verſtand eine Zwiebel.
Ich habt nicht gut geſchlafen.
Ach nein, — es liegt mir beſtaͤn - dig etwas im Kopfe, —
Was denn?
Seht, der Menſch kann alle An - lagen entwickeln, die in ihm liegen, alle ſeine dun - keln Empfindungen aufklaͤren, — ob man es denn gar nicht bis zum Prophezeien ſollte bringen koͤnnen!
Ja, lieber Ritter —
Es hat aber doch ſchon Propheten gegeben, und vielleicht hat man ihrer noch jetzt, und vielleicht kann man einer werden, wenn man nur auf den richtigen Weg geraͤth.
Das iſt nur Schimaͤre.
Und dann aͤngſtigts mich ſo oft, warum eine Sache gerade ſo und nicht anders iſt.
Wie meint Ihr?
Seht, dieſe Thuͤr geht nach außen hinaus, wenn man ſie aufmacht; warum koͤnnte ſie nicht eben ſo gut ins Zimmer herein gehn?
Da habt Ihr Recht; — aber auf ir - gend eine Art muß ſie doch beſchaffen ſeyn.
Wer laͤugnet das? — Und manch - mal iſt mir, als muͤßt ich durchaus auf meine Puls - ſchlaͤge Acht geben, und als wuͤrde bei dem einen ploͤtzlich eine ſchmerzhafte Krankheit ausbrechen.
Ihr muͤßt die Pulver nehmen.
Manchmal muß ich einen halben Tag hinter einander funfzehn zaͤhlen.
Und den Trank. —
Manchmal, als waͤret Ihr mit al - len Euren Arzneien nur ein Narr.
Ja, da muß ich Euch nur noch Pillen verſchreiben. —
Und nun lebt wohl, ich beſuche Euch bald wieder.
Es iſt nichts mit ihm anzufangen.
So eben iſt ein Bote bei uns ein - geritten, der uns einen Beſuch meldet, den Rit - ter Hugo vom Wolfsbrunn.
Ei! da kriegen wir ja auch einmal den Blaubart zu ſehn!
Wie ungezogen! Geht in Euer Zim - mer und ſchmuͤckt Euch ſo gut Ihr koͤnnt, dennwir49Der Blaubart.wir muͤſſen ihn hoͤflich und anſtaͤndig empfangen. Ich will ihm entgegen.
Komm, Schweſterchen, ſo faͤllt doch Gottlob einmal etwas Neues vor. Komm, hilf mir beim Putz, du biſt gar geſchickt und verſtaͤn - dig.
Aber Ihr kehrt doch bald zuruͤck, lieber Vater?
Sobald es das Ceremoniel, der Wohlſtand, die Ehre erlaubt, Kind. Es iſt keine Kleinigkeit, meine Tochter; Agnes iſt meine Pathe und Hugo vom Wolfsbrunn, ein angeſehener rei - cher Rittersmann will um ſie werben, und das muß ich jetzt, verſtehſt du mich, vollends zu Stande bringen. Der Ritter hat ſich noch nicht voͤllig erklaͤrt, aber mir ein Sendſchreiben zugeſandt, worinnen er um mein Fuͤrwort bei dem Fraͤulein und den Gebruͤdern hoͤflichſt anſucht.
Mir iſt bange, da Ihr mich ſo allein laßt.
Dir ſollte nicht bange ſeyn, meine Tochter, denn mein Seegen bleibt bei dir zuruͤck. II. [4]50Zweite Abtheilung.Bleib nur fein fleißig in deinen Zimmern, ich habe auch dem alten Caspar ſchon Auftraͤge daruͤber gegeben, er iſt ein alter und ein uͤberaus verſtaͤn - diger Mann. Geh alſo nicht aus, mein Kind, denn man kann manchmal nicht wiſſen, wie Un - gluͤck entſteht, es iſt oft fruͤher da, als wir es gewahr werden, und indem wir es gewahr werden, iſt es gewoͤhnlich zu ſpaͤt, es zu vermeiden: ſiehe, ſo lauten meine Grundſaͤtze daruͤber.
Aber in den Burggarten darf ich doch kommen?
Das wird dir immer unverwehrt bleiben, meine Tochter, denn dort biſt du voͤllig geſichert, dort kann dir Niemand etwas anhaben. Ich bin ſonſt ſchon alt und ſchwach, aber ich habe denn doch die Vorſicht eines Vaters, und eine ſolche Vorſicht ſieht weit, wenn ich aber abweſend bin, mußt du ſelbſt huͤbſch vorſichtig ſeyn.
Ich will es gewiß.
Der Leopold von Friedheim, er hat dir ſchon einigemal nachgeſtellt, huͤte dich beſonders vor ihm.
Warum? Ich ſollte meinen, daß ich mich vor dem nicht zu huͤten brauchte.
Du liebe Einfalt! Gerade am mei - ſten, Kind. Ja, was ſag ich, am meiſten? Am allermeiſten! — Du liebſt ihn doch nicht? Du haſt ihm doch nicht dein Herz gegeben? Denn du weißt, daß ich dieſe Heirath niemals zugeben wuͤrde.
Ach, lieber Vater, wie ſollt 'ich jemand anders lieben, als Euch?
Ich will dir glauben, denn du haſt mich noch nie betrogen. — Nun, ſo lebe denn wohl, meine Tochter, ich weiß nichts mehr, was ich dir noch ſagen koͤnnte. — Bleibe immer gehor - ſam, folgſam deinem Vater, und es wird dir im - mer wohl auf Erden gehn.
Lebt wohl.
Caspar!
Caspar, iſt mein Pferd nunmehr be - reit? Iſt alles im gehoͤrigen Zuſtande?
Ja, Herr.
Und ſind alle die noͤthigen Sachen eingepackt? Und daß nichts verſehrt wird, wenn es etwa regnen ſollte? Die goldnen Strumpfbaͤnder, die ſeidenen Baͤnder? Die Gedichte?
Hab alles ſelbſt beſorgt, Herr.
Nun, dann iſt es gut. — Du haſt die Schluͤſſel zu der ganzen Burg, Caspar?
Ja, Herr.
Und du haſt verſprochen, auf meine Tochter ein wachſames Auge zu haben?
Das hab ich, Herr.
Nun, ſo kann ich denn in Gottes Namen abreiſen. — Das Abreiſen wird mir doch ſauer, Caspar.
Ihr ſeyd lange nicht aus eurem Schloſſe gekommen, Herr.
Sollts das wohl ſeyn, Caspar? Mir iſt ſo truͤbe vor den Augen.
Da ſind wir immer denſelben Weg vom Thurm um den Wall gegangen, da haben wir mal im Forſt einem Haaſen aufgelauert, da hat Euch das Fraͤulein von den Roͤmiſchen Bur - gemeiſtern und von Troja vorgeleſen, und ſo einen Tag wie alle Tage, und damit ſeid Ihr gleichſam hier ganz eingeroſtet, Herr.
Und du glaubſt an keine boͤſen Ahn - dungen, Caspar?
Man kann eben nicht wiſſen, wie es damit iſt, und darum glaub ich halt nicht daran, Herr: ſeht, das iſt ſo mein Grundſatz daruͤber.
Haſt recht, Caspar, wenn man es ſich genau uͤberlegt. — Nun, ſo lebt wohl! — Ade, meine Tochter, denk fleißig an meine Leh - ren. — Komm, Caspar, hilf mir zu Pferd.
Vor Leopold ſoll ich mich huͤten? — Dann muß man ſich gewiß vor allen Menſchen huͤten, auch vor den allerbeſten, denn er iſt doch die Liebe und Unſchuld ſelbſt. Aber das Alter ſieht alles mit andern Augen an, und die Jugend weiß daruͤber nicht, was ſie denken ſoll.
Ihr ſeid ſehr dringend, Herr Ritter.
Wie ſoll ich es anders anfangen, Eure Liebe zu gewinnen?
Liebt Ihr mich denn, wie Ihr ſagt?
Von Herzen, mein Fraͤulein.
Was nennt Ihr aber Liebe?
Wenn Ihr es nicht empfindet, ſo laͤßt ſichs unmoͤglich beſchreiben.
Das hoͤr ich von allen, die ſich fuͤr verliebt ausgeben.
Weil es die Wahrheit iſt; oder zweifelt Ihr an meiner Aufrichtigkeit?
Das nun eben nicht, — allein —
Ich mache ſchlechtes Gluͤck mit mei - ner Bewerbung, Herr Ritter.
Wie das?
Eure ſchoͤne Schweſter glaubt mei - nen Worten nicht.
Wie Ihr es auch ausdeutet.
Seht, ich bin kein Redner, ein recht - licher, ſchlichter Mann, unter Waffen und Getuͤm - mel aufgewachſen, darum ſtehn mir ſchoͤne und54Zweite Abtheilung.ſuͤße Reden nicht zu Gebot; ich kann nur ſagen: ich liebe! und damit iſt meine ganze Redekunſt zu Ende. Aber man ſollte auf die Worte ſolcher Leute, die nicht viel zu ſprechen verſtehn, mehr achten, als auf die Reden derjenigen, welche taͤg - lich mit ſchoͤngewandten Phraſen handeln und be - truͤgen. Wenn ich mich nicht zierlich auszudruͤcken weiß, ſo bin ich doch wenigſtens in der Kunſt der Luͤgen unerfahren, und das iſt nach meiner Mei - nung ſchon immer einiges Verdienſt. Darum muͤßt Ihr mir auf mein Wort glauben, wenn ich Euch ſage, daß ich Euch recht von Herzen liebe.
Und wenn ich Euch glaube?
Seltſame Frage! dann muͤßt Ihr mich von Herzen wieder lieben. — Oder, iſt Euch vielleicht, — wie ſoll ich mich ausdruͤcken? — meine Geſtalt, mein Weſen nicht angenehm genug, oder vielmehr widerwaͤrtig? Es iſt wahr, ich kann etwas Seltſames an mir haben, das den Leuten auffaͤllt, ehe ſie mich naͤher kennen, aber das ſollte doch nicht die Urſach ſeyn, einen Mann zu ver - ſtoßen, der es ſonſt redlich meint. Ihr werdet zugeben, daß Redlichkeit mehr werth iſt, als eine ſchoͤne Außenſeite. Wenn ich alſo auch, wie die Leute von mir ſagen wollen, einen blaͤulichen, oder blauen Bart habe, ſo iſt das doch immer noch beſſer, als wenn ich ganz ohne Bart auf die Freye - rei ginge.
Nun, Schweſter!
Ihr glaubt vielleicht — das iſt aber ein menſchenfeindlicher Aberglaube — ich muͤſſe des -55Der Blaubart.wegen auch innerlich anders ſeyn, wie die uͤbrigen Menſchen, und geringer, weil, wie geſagt, mein Bart nicht von der beſten Farbe iſt. Die Damen wiſſen ja die Farbe ihrer Haare zu verbeſſern, und Euch zu Gefallen will ich mich auch auf derglei - chen Kuͤnſte legen. Zeigt mir den Mann, der mehr fuͤr Euch zu thun geſonnen waͤre!
Ihr legt mein Zoͤgern unrecht aus.
Ihr koͤnnt nur Ja oder Nein ſagen, das Uebrige, was dazwiſchen liegt, iſt nur zu die - ſen Worten eine Vorbereitung. — Ich habe ſchon mehr Weiber gehabt, und ich ſollte es freilich ge - wohnt ſein, daß ſie ihre Meinung vor der Hoch - zeit immer nur durch einen Umweg zu erkennen geben, nachher iſt ihre Art zu ſprechen deſto kuͤr - zer und verſtaͤndlicher. — Nun, mein Fraͤulein?
Ihr muͤßt mir noch Zeit laſſen — Auch vor der Einſamkeit auf Eurem Schloſſe fuͤrchte ich mich etwas.
Dem laͤßt ſich bald abhelfen; wenn ich Euch nicht genug bin, ſo wollen wir Geſell - ſchaft bitten, Menſchen von aller Art, Ihr wer - det ihrer bald uͤberdruͤßig werden. Aber Euch ſoll die Zeit nicht lang waͤhren. Wenn Ihr Neuig - keiten, oder ſeltſame Koſtbarkeiten liebt, ſo findet Ihr auf meinem Schloſſe mancherlei, das wohl der Betrachtung wuͤrdig iſt, und mit dem Ihr nicht ſo bald zu Ende kommt. Auf meinen Rei - ſen und in vielen Fehden habe ich mancherlei er - beutet, das mich ſelbſt in manchen Stunden noch ergoͤtzt.
Duͤrfte ich meine Schweſter Anne wohl mit mir nehmen?
Wenn ſie Euch folgen will, mit vie - len Freuden.
Ihr ſeid alſo ſo gut als richtig?
Es ſieht faſt ſo aus. — Nun habt Ihr mir das Herz leicht gemacht. Man muß nur nicht verzagen, ſo ſiegt man am Ende doch.
Du biſt heut ungemein mißvergnuͤgt, Bruder.
Was ſoll man anders ſeyn? Ich finde keine Ruhe in mir ſelber; alles iſt mir zu - wider, und wenn es mir manchmal vorkoͤmmt, als wuͤrde ſich jetzt ein Raͤthſel aufloͤſen, ſo verfliegt alles im Augenblicke wieder.
Aber warum hefteſt du auch deinen Geiſt immer ſo auf einen Gedanken?
Frage doch, warum er ſich ſelbſt ſo heftet? Ich kann dabei nichts thun und laſſen. — Ich moͤchte lachen, denn dieſer ſogenannte Geiſt iſt ja Niemand anders, als ich ſelbſt.
Es iſt mit Dir nicht zu ſprechen, — man hat doch Gewalt uͤber ſich.
Das ſagt der Arzt auch immer, und bei Euch andern, die Ihr in einer unbegreif - lichen Traͤgheit fortlebt, mags auch wohl wahr ſeyn, denn Euch liegt nichts ernſthaft am Herzen;57Der Blaubart.Ihr koͤnnt euch leicht zwingen, weil Ihr im Grunde gar nichts wollt. Der Geiſt iſt nur ein Diener Eures Koͤrpers, eine faſt unnoͤthige Zugabe zu dem Dinge, das da ißt und trinkt, folglich, wenn Ihr von Euch ſelbſt ſprecht, ſo meint Ihr immer je - mand anders, im Grunde Eure Launen, Euren Appetit; dieſem thut Ihr alles zu Gefallen, ihm zu Gefallen denkt und ſorgt Ihr nicht, ihn auf - recht zu erhalten zerſtreut Ihr Euch, wie Ihr es nennt. Wenn Ihr alſo von Eurem Ich ſprecht, ſo meint Ihr nur Euren Magen, Ihr koͤnnt nicht ernſthaft an Euch ſelbſt denken, ohne daß Ihr ſo - gleich mit einem Seufzer dazwiſchen rennt: ach! heute Mittag wird mir gewiß das Eſſen nicht ſchmecken! und ſo Euren Sinn gewaltſam wieder von Euch abwendet.
Ach, Bruder, ich verſtehe dich recht gut, und das Schlimmſte iſt, daß Du Recht haſt.
Wann haͤtte ich denn wohl Unrecht? Ihr gebt Euch nur niemals die Muͤhe, mich zu verſtehn. Alle Gedanken, die Euch nicht gefallen, moͤchtet Ihr gar zu gern fuͤr Unſinn ausgeben, damit Ihr nur behaupten koͤnnet, das Leben ſei doch etwas werth. Alle Menſchen wuͤrden melan - koliſch ſeyn, wenn ſie ſich nur vor ihren Nichts - wuͤrdigkeiten die Zeit dazu ließen. — Da koͤmmt der Arzt ſchon wieder, und meint, wenn ich nur ſeine Pulver nehmen wollte, wuͤrde es ſchon beſſer mit mir werden.
58Zweite Abtheilung.Ich freue mich, Euch wohl zu ſehn, mein Fraͤulein. Und wie geht es Euch?
Soll ich wieder klagen? Soll ich Euch weitlaͤufig meine Empfindungen ſchildern? Ihr verſteht mich nicht, und koͤnnt alſo auch nicht daran glauben. Wozu ſoll ich immer in den Wind reden!
Daß jeder Kranke doch immer glaubt, er ſei nur der einzige auf der Welt, der ſolche Art zu empfinden habe!
Nun, koͤnnt Ihr mir zu dem ver - helfen, was ich wuͤnſche? — Koͤnnt Ihr machen, daß ich die Zukunft ergruͤnde, wie ein Exempel, das ich berechne? Wohlan, dann will ich das Le - ben und Eure Kunſt fuͤr etwas halten.
Ihr muͤßt Euch dergleichen Gedanken aus dem Sinn ſchlagen.
Nun, ſeht Ihr wohl? Dieſer Wunſch koͤmmt Euch als etwas ganz Abgeſchmack - tes vor, folglich iſt Euch dieſe Empfindung noch niemals nahe getreten, denn ſonſt wuͤrdet Ihr mir nicht ſo antworten, folglich verſteht Ihr mich nicht, folglich koͤnnt Ihr mich auch nicht heilen.
Wenn ich Euch auch das Uebrige zu - gebe, warum ſollte ich Euch nicht heilen koͤnnen?
Ach, Ihr ſeid — ein Arzt! — Es iſt gut, daß Ihr mich ſelbſt durch dergleichen Re - den nicht aufbringen koͤnnt, weil es mir immer gar zu gegenwaͤrtig iſt, wie Ihr meinen Zuſtand anſeht. Ich will naͤchſtens eine Reiſe antreten,59Der Blaubart.vielleicht finde ich Leute, die mich beſſer verſtehn.
Wie Ihr wollt.
Mein Fraͤulein, Eure Schweſter wuͤnſcht Euch zu ſprechen. Sie hat eine Bitte an Euch.
Ich gehe, ſie aufzuſuchen.
Und Ihr ſeid noch immer ſo finſter, Junker? — Ihr ſolltet heirathen, die Liebe wuͤrde Euch wie eine Sonne aufgehn, und Ihr wuͤrdet dann die Welt nicht mehr ſo dunkel finden.
Er ſollte nur Arznei nehmen, ſo wuͤrde er ſchon beſſer werden. Koͤnnt ich ihn nur von der Verachtung gegen meine Wiſſenſchaft heilen, ſo waͤre ſchon das meiſt. geſchehn.
Vielleicht iſt eine ungluͤckliche Liebe an Eurem Zuſtande Schuld.
Ach nein! Er hat gewiß ſchon ſeit mehreren Jahren keine Diaͤt gehalten, und da raͤcht ſich die Natur nachher.
Sucht Euch ein ſchoͤnes Maͤdchen aus.
Es ſind nur Unordnungen im Un - terleibe.
Ihr ſcheint ein verſtaͤndiger Mann, nehmt Euch meines Freundes an.
Er laͤßt ſich nicht rathen.
Es wird noch mit ihm beſſer werden, wenn er nur erſt heirathet.
Ihr ſeid ein ſchlechter Prophet, Herr Ritter. — Seht, Doktor, alle Leute geben60Zweite Abtheilung.ſich mit Prophezeien ab, ſie thun nichts lieber als die Zukunft vorher ſagen, und doch findet Ihr es bei mir ſo ſonderbar, daß ich auf dieſen Wunſch verfallen bin. Sie meinen alle, ſie haben Recht, und meine Krankheit beſteht bloß in einer zu gro - ßen Beſcheidenheit, daß ich ſelbſt an meine Pro - phezeiungen nicht glaube, ich darf nur mehr Ver - trauen haben, und ich bin ſo geſund wie die uͤbri - gen Menſchen.
Ein ſeltſamer Charakter!
Er hat ſich, moͤcht ich ſagen, in dem Hang zum Wunderbaren, den jeder Menſch in ſich ſpuͤrt, uͤbergeſſen, und dadurch ſind ihm dieſe Unverdaulichkeiten entſtanden.
Was koͤnnte aber dagegen helfen?
Ein tuͤchtiges Vomitiv, irgend eine ge - waltſame Veraͤnderung ſeiner Lebensart, viel Thaͤ - tigkeit, Umgang mit vielen vernuͤnftigen Leuten. Jede Tollheit iſt nichts, als ein Roſtfleck im Ei - ſen, er muß wieder herunter geſchliffen werden. Allen unverſtaͤndigen Leuten fehlt es nur an gutem Willen, um wieder verſtaͤndig zu werden.
Giebt es keine Arzenei, keine zuſam - menziehende Mittel, um dieſen ſchlaff gewordenen Willen wieder anzuſpannen?
Bis jetzt iſt noch nichts entdeckt, die Philoſophie geht auf Praͤparate aus, aber es iſt ihr nur auch noch wenig gelungen.
Sagt mir einmal, Eure Kunſt iſt ein weites Gebiet, — Ihr wißt gewiß manches61Der Blaubart.Geheimniß, — ich wollte Euch in einer Sache um Rath fragen.
Ich ſtehe zu Eurem Befehl.
Ich weiß nicht, — ich mag ungern davon ſprechen, — und es macht mich boͤſe. —
Herr Ritter —
Nun, ſeid nur ſtill, ſeid ruhig, ich will mich in Acht nehmen, daß ich nicht zornig werde, aber hoͤrt mir ruhig zu: — die Leute ſa - gen, ich haͤtte einen blauen Bart, — ich weiß nicht, ich ſehe eben nicht viel in den Spiegel, — betrachtet mich einmal genau, und ſagt mir die aufrichtige Wahrheit.
Ich koͤnnte eben nicht ſagen, — ich muß Euch geſtehn, es koͤmmt viel auf die Beleuch - tung an, — blau eben nicht, das nun wohl nicht, — aber ſo gleichſam blaͤulich, — aber es verſtellt Euer Anſehn gar nicht, im Gegentheil, es giebt Euch ein gewiſſes maͤnnliches Weſen.
Man ſagt mir doch, es waͤre wi - derlich.
Nicht im mindeſten, und gewiß, wenn Ihr im Schatten ſteht, ſieht Euer Bart aus, wie jeder andre Bart, — und wer nicht ein recht ſchar - fes Geſicht hat, findet auch in der Sonne keinen Unterſchied.
Nun mags ſeyn, wies will; wißt Ihr kein Mittel dagegen?
Die Arbeiter in den Kupferwerken kriegen gruͤnes Haar; aber Ihr habt den Scha - den von Natur? Nicht wahr?
Ja doch.
Nun, gruͤn koͤnnten wir ihn bald kriegen, aber damit waͤre Euch auch nicht gedient, eine Fruͤhlingskur, oder ein Eiſenbad koͤnnten ihn gar ſcheckig machen, halb roth, halb blau, — die Kunſt iſt hier ſehr beſchraͤnkt, — aber ſeid nur getroſt, mit dem Alter, ſo wie das Haar etwas ergraut, wird Euer Bart binnen wenigen Jahren noch lichter oder himmelblau werden, dann in das Muͤllerblau fallen, und ſo unvermerkt in die ehr - wuͤrdige und unanſtoͤßige weiße Farbe.
Himmelblau! Muͤllerblau! —
Luͤmmel von Arzt!
Es giebt wunderliche Menſchen!
Du weißt nie recht, was du willſt.
Sei geduldig, Bruder, ich kann doch nicht dafuͤr, daß ich ſo bin.
Das kann jeder Narr fuͤr ſich ſagen.
Was wuͤrde daraus werden, wenn ich eben ſo hitzig waͤre, als du?
Waͤreſt du das, ſo waͤreſt du auch nicht ein ſolcher Traͤumer.
Man kann nicht wiſſen, wie ich in dem Falle gebaut waͤre. — Aber, wie geſagt, ich traue ihm nicht, ich glaube, daß unſre Schwe - ſter mit ihm ungluͤcklich ſeyn wird.
Und was haſt du denn fuͤr Gruͤnde?
Sieh nur fuͤrs erſte ſein Geſicht63Der Blaubart.an. — Faͤllt dir wirklich nichts dabei ein? Kriegſt du kein Mißtrauen gegen ihn? Wendet ſich dir das Herz nicht um?
Poſſen.
Und dann hat er mehrere Frauen ge - habt, und ſie ſind immer ſehr ſchnell wieder geſtorben.
Aber Agnes kann ihn uͤberleben; er iſt reich, er hat mehrere Schloͤſſer, viel Gold und Juwelen, ſie iſt gut bei ihm verſorgt.
Nun, wenn ſie ſelber will, ſo mags darum ſeyn. — Aber ich habe in dieſer Nacht einen wunderbaren Traum gehabt; wenn du gedul - dig ſeyn willſt, ſo will ich ihn Dir erzaͤhlen.
Sprich nur.
Wie es geſchah, weiß ich nicht, aber ich ward im Schlafe ſehr bedraͤngt und ge - aͤngſtigt, daruͤber griff ich endlich nach meinem Schwerdte, um mir Ruhe zu verſchaffen. Ich lief wuͤthend herum, und traf auf den Ritter Hugo; er war mir noch mehr zuwider als ſonſt, und ohne daß ich mir bewußt war, wie es ſo weit kam, hatt ich ihn bei der Schulter ergriffen, und ſtieß ihm mit großer Herzensangſt das Schwerdt durch die Bruſt, er fiel auf den Boden und ich war ruhig. — Das Seltſamſte iſt, daß ich nun ſeit dem Erwachen unaufhoͤrlich an dieſen Traum denke, und ich muß es dir geſtehn, Bruder, ſo wie ich den Ritter vor mir ſehe, wandelt mich eine unbeſchreibliche Luſt an, ihm mit dem Schwerdte eins zu verſetzen; ich kann mich dann kaum halten, ich denke es mir ſogleich als das groͤßte Vergnuͤ -64Zweite Abtheilung.gen, zu fuͤhlen, wie ihm der Degen im Leibe um - gekehrt wird. — Mir iſt ſchon ein Grauſen daruͤ - ber angekommen. — Iſt das nicht ſonderbar?
Toll iſt es! Dumm iſt es!
Hier bringe ich Euch, edler Ritter, meinen lieben Freiwerber, der fuͤr mich ſprechen will.
Ich freue mich, Euch einmal wieder zu ſehn. Ich bin des Reitens nicht mehr gewohnt, und ordentlich ganz muͤde. — Ihr ſeid wohl?
Vollkommen.
Und meine liebe Pathe? Ihr wißt doch, ich bin bei Eurer Schweſter Agnes Gevat - ter geſtanden?
Sie wird ſich freuen, Euch zu ſehn.
Ach ſie war ſchon damals ein gar liebes Kind.
Wie ich dir vorher ſagte, Bruder.
Ich rathe Dir Gutes! —
Aber kommt hinein, in den Saal, da wollen wir uns niederſetzen, und da will ich Euch dann meine Rede, wie es ſich ſchickt und gebuͤhrt, vorbringen, denn ich nehme keine Notiz davon, daß Ihr ſchon ſo gut wie richtig ſeid; Ordnung muß walten.
Du koͤnnteſt mich faſt mit melanko - liſch machen, liebe Schweſter.
Anne.O ſein Vater, der eben angekommen iſt, hat alles in mir erneut und ſein Bild wieder lebhaft vor meine Seele gerufen. — O, Reinhold, Geliebteſter, ſoll ich dich nie wieder ſehn? — Ja, liebe Schweſter, ich will mit Dir ziehn, aber wir muͤſſen in der Einſamkeit recht viel von ihm, von Reinhold ſprechen.
Wie du willſt, Schweſter.
Ich freue mich darauf, denn unſer Bruder Anton iſt hart und unfreundlich, er ver - ſteht die Empfindungen des Herzens nicht, ſeine Gegenwart bedraͤngt mich, und ich wage es nicht, ſo zu ſeyn, wie ich meiner Natur nach bin. Aber komm, liebe Agnes, wir muͤſſen hinein gehn, denn alle werden uns erwarten.
Der alte Ritter Hans will uns al - len eine feierliche Rede halten und um mich anwer - ben. Was man ſich immer zwingen muß, bei ſo vielen Dingen ernſthaft zu bleiben!
Hier wollen wir eine Weile ruhn; wir kommen immer noch fruͤh genug. Setzt Euch, hier iſt Schatten. — Das Botenlaufen will mir und meiner Kruͤcke gleich wenig bekommen. Ja, ſo iſt das menſchliche Schickſal, es koͤmmt wohl vor, daß man die Dienſte wechſeln muß.
Was ſprichſt Du von Dienſt? Ich habe nie gedient.
Nun, nennt es, wie Ihr wollt. Unſre Herren ſind todt, und es iſt doch gut, daß ſich der Blaubart unſrer annehmen will, ſo duͤr - fen doch unſre Talente nicht betteln gehn. — Da, hier, trinkt eins auf des Blaubarts Geſundheit; eßt, wir haben ja noch Vorrath; dieſer Raſen ſey unſer Tiſch und Stuhl.
Ich hatte mich da in dem Schloſſe ſo eingewohnt. —
Die Zeiten ſind vorbei. — Aber ich67Der Blaubart.bin doch neugierig, — ſagt mir einmal, ſo lange ich Euch kenne und weiß, habe ich Euch immer den Rathgeber nennen hoͤren, wie heißt Ihr denn eigentlich? Oder habt Ihr etwa keinen andern Namen?
Narr, ich keinen andern Na - men? — Ich hatte ſonſt einmal einen ganz vor - treflichen Namen, aber ich muß dir geſtehn, durch die Laͤnge der Zeit hab ich ihn faſt vergeſſen, ich kann mich nur noch dunkel daran erinnern. — So gehts dem menſchlichen Geiſte. Ich habe mich an - gewoͤhnt, immer nach dem Titel Rathgeber zu hoͤ - ren und mich ſelbſt ſo zu denken, — wart! — Ferdinand von Eckſtein hieß ich ehemals. — Ja. — Aber die Zeiten ſind freilich voruͤber. Die Ge - wohnheit, ſagt man wohl mit Recht, iſt unſre zweite Natnr; wenn ich jetzt nur von Rath reden hoͤre, oder ſo im Sprichwort: hier iſt guter Rath theuer, — guter Rath koͤmmt hinten nach, — ſo denk ich immer dabei an mich.
Geht es mir denn anders? Man darf nur von irgend einem Narren in Afrika ſpre - chen, ſo iſt mir gleich, als wenn nothwendig von mir die Rede ſeyn muͤſte. So hat man gar keine rechte Ruhe im Leben. Sagt mir nur, wozu man getauft wird, wenn der Taufname gar nicht ge - braucht werden ſoll?
Es iſt unrecht.
Seht Euch nur etwas vor, ich glaube, der Blaubart wird ein ſcharfes Examen mit Euch anſtellen.
Lieber Gott, was kann er fra - gen, worauf ich nicht eine Antwort zu geben wuͤßte!
Da muͤßt Ihr in Eurem Berufe gut beſchlagen ſeyn.
Ein Narr, wie Du, kann ſo etwas freilich nicht begreifen. — Es aͤrgert mich nur, daß ich ſo mit Dir in Geſellſchaft reiſen muß, mit dieſer armſeligen Gelegenheit; was wer - den die Leute denken?
Sie werden Euch fuͤr einen blinden Paſſagier halten, der grade nicht Weisheit genug bei ſich hat, um auf eine beſſere Art fortzukommen.
Wir ſollten wenigſtens die große Landſtraße meiden.
Narrheit geht nie anders. — Narr - heit mit Weisheit, das iſt die beſte Geſellſchaft.
Ja, fuͤr den Narren, aber der weiſe Mann koͤmmt ſehr dabei zu kurz.
Ihr duͤrft ja nur an mir ein Bei - ſpiel nehmen, um immer noch mehr Abſcheu vor der Narrheit zu bekommen. — Nun, eßt, eßt und trinkt und laßt es Euch wohl ſchmecken.
Das iſt ein verdammter Auftrag, den mir mein Herr gegeben hat, zu lauern, zu ſpaͤhen, Geruͤchte einzuziehen, mit einem Worte zu ſpionieren, was niemals meines Thuns geweſen iſt. Da will er im Gebirge auf mich warten, bis ich ihm Nachricht bringen kann, ob ſein Vater69Der Blaubart.auf Marloff noch lebt, wie es in Friedheim ſteht, und doch ſoll ich den Orten nicht zu nahe kommen, daß man nichts merkt. Und, weiß der Satan, allenthalben, ſtatt daß ich die Leute ausfrage, fra - gen ſie mich aus, man ſieht mirs an der Naſe an, daß ich aus der Fremde komme, und ehe ichs mir verſehe, ſitze ich bis uͤber die Ohren im Erzaͤhlen anſtatt zuzuhoͤren. Ei ſieh, da iſt ja Geſellſchaft. Guten Tag, Landsleute.
Schoͤn Dank. Woher des Wegs!
Weit her, kleines freundliches Maͤnnel.
Das ſieht man, Ihr ſeid von der Sonne verbrannt, kommt vielleicht gar aus dem Orient.
Richtig, aus dem gelobten Lande, da haben wir die Heiden ein biſſel gejagt, daß ſies geſpuͤrt haben, und mein Herr —
Schau, ſchau, alter Schwaͤtzer, biſt wieder auf dem graden Wege alles auszuplaudern.
Wer iſt Euer Herr?
Das bleibt noch fuͤrs erſte ein Ge - heimniß. — Aber ſagt, wißt Ihr, wo Marloff oder Friedheim zu liegt?
Wir ſind hier auch fremd; ſetzt Euch doch zu uns, und nehmt mit unſrer laͤndli - chen Mahlzeit vorlieb.
Herzlich gern. Da komm ich ja unverſehens in eine beſondre Compagnie. Wer ſeid Ihr denn?
Wir ſind Reiſende, die auf der Land -70Zweite Abtheilung.ſtraße fortzukommen ſuchen, bis ſie den Ort ihrer Beſtimmung erreicht haben.
Ach ſo!
Das iſt ein luſtiges Leben. Er hat ſich als Meiſterſaͤnger verkleidet, und ich bin ſein Jongleur, und ſo haben wir ſchon Kirmſen und Jahrmaͤrkte beſucht, Haͤndel gehabt, Spaß gemacht und tauſend Narrheiten getrieben. Es wollen ſich aber immer noch nicht die rechten Aben - theuer finden laſſen, die großen, gefaͤhrlichen, die Ruhm eintragen. — Hier iſt ja doch der Ort, wo ich ihn erwarten ſollte. Ja, richtig, bei der Eiche auf dieſem Huͤgel. — Was iſt denn das fuͤr eine ehrbare Geſellſchaft dort? Nichts mag ich lieber, als die Leute ſchrauben; man glaubt nicht, wie ſelten der Witz in der Welt iſt, die wenigſten mer - ken es nur.
So iſt es. Nun hab ich Euch alles geſagt, denn Ihr ſeid ehrbare Leute, die den Fremden nicht ausforſchen wollen: wer mir nun aber wieder mit einer naſeweiſen Frage angeſto - chen kommt, der ſoll es mit mir zu thun haben.
Guten Tag, Freunde. Wuͤnſche guten Appetit.
Danken.
Ha ha ha! Eine poſſierliche Fi - gur, der kleine pucklichte Zwerg! Und der Alte ſieht aus wie die Zeit mit ſeinem ehrwuͤrdigen71Der Blaubart.Bart, wie Saturn, der eben einige Kinder gefreſ - ſen hat, oder dem ſie Steine untergeſchoben haben, die er nur ſchwer verdauen kann.
Wer ſeid Ihr denn, luſtiger Camerad?
Ich bin nicht dein Camerad, wenn ich auch dies buntfarbige Kleid trage; ich diene beim groͤßten Saͤnger im Deutſchen Reich als Jongleur.
Was iſt das fuͤr ein Amt?
Das bedeutet den, der ſeine Ge - dichte abſingt und deklamirt, und mit den Haͤnden dazu arbeitet, bald die Leute ruͤhrt und zum Wei - nen bringt, dann wieder Lachen erregt, allerhand Spruͤnge und Taͤnze verſteht, und ſich ſo im Lande von ſeiner Kunſt und durch ſeinen Herrn ernaͤhrt.
Alſo ein Hanswurſt? Habs gleich gedacht.
Toͤlpel, ich will dich lehren, Un - terſchiede machen.
Nicht ſo grob, Hanswurſt, du haſt erſt ſchon uͤber das kleine Maͤnnel gelacht und ge - ſpottet, huͤte dich, daß du es nicht mit mir zu thun kriegſt.
Wer biſt du, Großſprecher denn? Wohl einer von den Paladinen, Roland, oder Reinald von Mantalban, daß du das Maul ſo aufreißen darfſt?
Halunk du! Alſo wer ich bin, willſt du wiſſen? Und kennſt ſchon meinen Herren Rein - hold, und ſchimpfſt ihn mit Ekelnamen? Gleich mach dich fort!
Hier iſt ein Schwerdt, das deinen Trotz verachtet, Bauer du!
Kommt, Gevatter Rathgeber, hier iſt nicht gut weilen.
Friede ernaͤhrt, Unfriede ver - zehrt.
Vor dir fuͤrcht ich mich nicht.
Siehſt? Ich habs dir wohl voraus geſagt, naſeweiſer Burſche.
O weh! o weh! da fließt mein theures Blut! das war ein Hieb, als wenn er mir den Kof herunter ſchluͤge. O uͤber das verfluchte Abentheuerſuchen! O verflucht ſei die Stunde, in der ich ausgegangen bin! O weh, um mein Leben iſt es gethan. Ich bin dahin.
Hier ſoll er ſeyn, ich verſaͤume die Zeit mit Poſſen, und erfahre eben erſt, daß die Alte jetzt nicht zu Hauſe iſt, und das bei uns großes Hochzeitsfeſt war. — Wer winſelt dort? Seid Ihr es, Junker? Was ſoll das?
Sterbend trefft Ihr mich an, in eurem Dienſte bin ich umgekommen, laßt uns hier zaͤrtlichen Abſchied nehmen.
Die Wunde ſcheint nicht gefaͤhrlich, rafft Euch nur auf, Marloff iſt nicht weit, es iſt die hoͤchſte Zeit, daß wir hinkommen. Nun gerade haͤtt ich Eure Dienſte noͤthig.
Helft mir auf. So, ſo. Ach,73Der Blaubart.mein lieber Leopold, ich habe allen Muth verlo - ren. Das war ein rieſenhafter Kerl, der mich ſo zugerichtet hat. Sacht! Sacht!
Lehnt Euch auf mich. Kommt, daß wir wo eintreten koͤnnen und ihr euch erquickt. Verdammter Streich! Was habt Ihr denn gehabt?
O weh! o ſacht! o ſacht! — Das Gaukeln, der Uebermuth ſind mir ſchlecht bekommen. Ich will Euch alles erzaͤhlen, wenn wir unter Dach und Fach ſind.
So weit haben wir Euch mit Got - tes Huͤlfe begleitet, und nun werden wir unter ſeinem Schutze wohl zuruͤck reiten muͤſſen.
Ich danke Euch fuͤr die Ehre, die Ihr mir dadurch erzeigt habt.
Daß Euer Bruder Leopold nicht zu Hauſe war, daß er ſogar die Hochzeit ſeiner Schweſter verſaͤumt hat, faͤllt mir aus mehr als einer Urſach ſchwer aufs Herz. Meine Tochter iſt allein zu Hauſe; Herr Ritter ich habe boͤſe Ahndungen.
Ahndungen muß man nicht trauen, ſie hintergehn uns faſt immer.
Du biſt vergnuͤgt, Schweſter?
Recht ſehr, wenn ich Euch nur nicht verlaſſen duͤrfte.
Ja, das iſt nicht anders im menſch - lichen Leben, die Zeit bringt die Abwechſelungen herbei.
Ja wohl.
Die Zeit nun wohl nicht, denn, genau genommen, macht ja eben die Folge dieſer Abwechſelungen das aus, was wir Zeit nennen.
Das iſt mir zu ſpitzfindig.
Aber noch einmal Muſik! —
Hoͤrt Ihr Spielleute! Noch eins, der jungen Frau zu Ehren! Huͤbſch luſtig mit Trompeten und Pauken — das Jaͤgerlied.
Nun lebt wohl, meine werthen Freunde. Ich habe Euch ſo viel Ehre angethan, als mir in meinen alten Tagen moͤglich war; wenn mein Sohn waͤre hier geweſen, haͤtte alles ſollen beſſer eingerichtet ſeyn. — Aber der iſt vielleicht ſchon lange todt und begraben. — Nun, lebt wohl, ich habe noch weiten Weg vor mir.
Adieu, liebe Schweſtern: ſchreibt manchmal, bleibt geſund.
Gluͤck auf den Weg!
Lebt wohl, lieben Bruͤder.
Du haſt kein Wort geſprochen, Agnes?
Ich muß Euch geſtehn, daß mir die Thraͤnen ſo in die Augen kamen, daß ich un - moͤglich ein Wort ſagen konnte.
Woruͤber weinſt du?
Meine Bruͤder, — ſie gehn fort, wer weiß, wann ich ſie wieder ſehe.
Ach! wenn man ſeinen Mann recht lieb hat, muß man Bruͤder und Schweſtern dar - uͤber vergeſſen koͤnnen. — Nun ſind wir beide allein: gieb mir einen Kuß, Agnes.
Aber, ich bitte Euch, wenn wir weiter reiſen, ſo jagt nicht ſo mit Eurem Pferde,76Zweite Abtheilung.das arme Thier waͤre faſt unter Euch zuſammen geſunken.
Deſto mehr wird es ſich auf den Stall freuen. Nur, wenn wir recht viel Beſchwer - lichkeiten uͤberſtanden haben, koͤmmt uns die Ruhe wie Ruhe vor. Laß das, mein Kind.
Ihr koͤnntet ſtuͤrzen.
Ich bin ſchon oft geſtuͤrzt, das thut nichts.
Ihr macht mir aber ſolche Angſt.
Das iſt gut, es iſt ein Beweis dei - ner Liebe.
Wahrlich ', da ich jetzt mit Euch allein bin, koͤnnt ich mich vor Euch fuͤrchten.
Wirklich? — Nun, das iſt mir lieb, ſo etwas hab ich gern. Aber du wirſt dich ſchon noch ganz an mich gewoͤhnen, Kind.
Die Gegend hier herum iſt doch recht wuͤſte. Die Muͤhle dort unten ſauſt ſo ſchauerlich durch die Einſamkeit. — Seht, da rei - ten meine Bruͤder ſchon den Fels hinauf.
Meine Augen tragen nicht ſo weit.
Als ich von dort herunterritt, dacht ich nicht, daß der Ort ſchon ſo nahe ſei, wo wir Abſchied nehmen ſollten.
Schlage dir das aus dem Sinn.
Als ich noch nie gereiſt war, wuͤnſcht ich nichts ſo ſehnlich, als eine recht weite Reiſe; ich dachte mir in meiner Vorſtellung immer nur ſchoͤne unbegreiflich ſchoͤne Gegenden, Burgen und Thuͤrme mit wunderbaren Zinnen, mit Gold77Der Blaubart.ausgelegte Daͤcher im Schein der Morgenſonne funkelnd: ſteile Berge und weite Ausſichten von oben, immer neue Menſchengeſichter, dichte Waͤl - der, und einſame verſchlungene Fußpfade durch das dunkelgruͤne Labyrinth im Widerklang der Nachtigallen: — und nun iſt alles ſo anders, und mir wird immer baͤnger und baͤnger, je mehr ich mich von der gewohnten Heimath entferne.
Wir treffen unterwegs noch auf merk - wuͤrdige Gegenden.
Seht, wie das Feld wuͤſt iſt dort - hin, die ſandigen, kahlen Huͤgel, uͤber denen die dunkeln Regenwolken ſtehn.
Mein Schloß liegt angenehmer.
Es regnet ſchon, und der Himmel wird immer finſterer.
Wir muͤſſen wohl aufbrechen, es wird ſonſt zu ſpaͤt. Wo iſt denn deine Schweſter? Rufe ſie und hoͤre auf zu wimmern. Komm, unſre Pferde ſind auch abgefuͤttert.
Nichts! Zimmer und Garten ſind genug fuͤr Euch, Fraͤulein; was braucht Ihr da78Zweite Abtheilung.auf dem Wall umher zu laufen und zu gaffen? Was giebt es da zu gaffen? Euer Vater hat mir nicht umſonſt die Aufſicht uͤber Euch anvertraut, ich will in meiner Rechenſchaft, die ich abzulegen habe, Rede ſtehen koͤnnen.
Aber was kann es denn ſchaden, Griesgram?
Und was kann es denn nutzen?
Da wird ans Thor gepocht, geht, geht ſchleunig in Euer Gemach, daß Euch kein Fremder hier findet.
Da iſt ein junger Mann, der Euch zu ſprechen begehrt.
Laßt ihn ein.
Wer kann denn das ſeyn? Wir halten ja doch nicht ſo viel Geſellſchaft und Umgang, daß uns die Leute ſo unverſehens beſuchen ſollten.
Verzeiht einem armen Manne, der ſeinen Weg verloren hat, und Euch um Obdach anſpricht, da kein Kloſter, oder die Burg eines Freundes in der Naͤhe iſt.
Wer ſeid Ihr denn?
Wie Ihr ſeht, ein umſtreifender Saͤnger, der mit ſeinen Liedern ſchon vielen das Herz erfreut, und die Gunſt manches Fuͤrſten und vornehmen Ritters gewonnen hat.
Mein Herr iſt nicht daheim, — ich weiß nicht —
Am meiſten hat mich ein Ungluͤck dazu getrieben, Eure guͤtige Huͤlfe zu ſuchen, denn79Der Blaubart.mein armer Diener, der meine Lieder zu ſingen pflegt, und ſonſt ein aufgeweckter luſtiger Burſche iſt, und vielfache Gaukeleien anzuſtellen weiß, lei - det an einer Wunde, die ihm toͤdlich wird, wenn er nicht einiger Pflege genießt.
So? So? Alſo einen Gaukler und Poſſenreißer fuͤhrt Ihr auch mit Euch? So ſeid Ihr doch nicht von den ganz gemeinen Muſikan - ten? Ich habe immer dergleichen Volk geliebt, ab - ſonderlich in meiner Jugend, jetzt hab ich lange keinen mit Augen geſehn. Man muß doch auch chriſtlich denken. Laßt ihn nur herein, euren Fraz - zenmacher, und nehmt dann ſo vorlieb, wie Ihr es findet, dafuͤr werdet Ihr uns aber auch von Euren Spaͤßen etwas zum Beſten geben.
Herzlich gern, ſobald der arme Narr nur erſt etwas wieder bei Kraͤften iſt. —
Nur herein hier, mein Winfred, der gute liebe freund - liche Alte will uns nicht von ſeiner Thuͤre weiſen.
Der da iſt der Spaßvogel? der ſieht ja eher zum Erbarmen aus.
Laßt ihn nur erſt etwas erquickt ſeyn, ſo ſollt Ihr Wunder ſehn.
O ein Bett, — ein weniges Wein, — eine chriſtliche Huͤlfe und mitleidige Pflege.
Da, geht nur da oben hinauf, Gaukler, und Ihr auch, Freund Meiſterſaͤnger; da oben kann ich Euch ein Zimmer anweiſen, mein ei - genes. Kommt.
Ja, liebe gnaͤdige Frau, Ihr ſeid nun gerade die ſiebente, der ich gedient habe.
Die ſiebente?
Euch faͤllt vielleicht dabei ein, daß das keine gute Zahl ſeyn ſoll, weil Ihr ſo fragt.
Nein, ich dachte daran nicht.
Ihr werdets hier gut haben, denn ich kenne das Gemuͤth des Herrn Ritters nun ſchon ſeit lange, aber ich kann nichts als alles Gute von ihm ſagen, wenn ich die Wahr - heit ſagen ſoll.
Das Schloß hat eine ſchoͤne Lage.
Die ſchoͤnſte Gegend iſt hier, weit und breit umher, man hat beſonders oben auf dem Dache eine ſehr freie Ausſicht. — Seid Ihr ſchon oben geweſen?
O ja. — Doch hoͤrt, der Ritter ſagte mir von vielen Koſtbarkeiten; habt Ihr ſie auch geſehn?
Mech -O ja, ganze Zimmer voll; die haͤlt er immer verſchloſſen. Ich muß Euch ſagen, meine ſchoͤne gnaͤdige Frau, er iſt ein gar reicher Herr, ich glaube, er weiß ſelber nicht, wie reich er iſt. Ich ſchwoͤre, daß Euch alle Damen hier herum, weit und breit, arm und reich, beneiden werden.
Ich moͤchte wohl einmal dieſe Sel - tenheiten ſehen.
Die Gelegenheit dazu trifft ſich wohl.
Ihr ſeid wohl ſchon ſehr alt?
Wie ſo?
Ihr geht ſo gebuͤckt, der Kopf zit - tert Euch ſo.
Ich habe auch ſchon ſiebenzig Jahre auf dem Ruͤcken; das will ſchon ſehr viel ſagen, wenn man das an ſeinem Koͤrper ableben ſoll. — Ihr werdets nicht glauben wollen, aber ich war auch einmal huͤbſch, und die Leute ſagten, ich ſey außerordentlich ſchoͤn. Ach Gott, das ver - ſchwindet alles, als wenn es nimmermehr da ge - weſen waͤre, und es kraͤht kein Hahn darnach. Die ganzen ſiebenzig Jahre ſind hin, ich weiß nicht wie. — Nun, man kann nicht immer jung blei - ben, es muß auch alte Leute geben: das iſt mein Troſt. Es wird Euch auch ſo gehn.
Mir?
Ja, das will das junge Blut immer nicht glauben, ſie denken gewoͤhnlich: das bleibt beſtaͤndig ſo wie heute? Ja, heute, undII. [6]82Zweite Abtheilung.morgen iſt wieder ein Heute, und uͤbermorgen auch, und ſo nimmt ein Tag nach dem andern Abſchied, und man denkt in der jugendlichen Vergeßlichkeit nicht daran, daß daraus die Zeit beſteht. Eh wir es uns dann verſehn, heißt es hinter uns: ſeht die alte Frau, die dahin geht! Die erſten Male wollt 'ichs ordentlich nicht glauben, daß das mir gaͤlte, ich bin es aber nachher wohl inne geworden.
Siebenzig Jahr ſind aber doch eine lange Zeit.
Wenn man ſie vor ſich hat. In meiner Jugend dachte ich grade ſo, und — wollt Ihrs wohl glauben — des Nachts traͤumt mir manch - mal noch, ich waͤre jung; dann iſt mir, als waͤre das Wahre, Wirkliche, nur ein Traum geweſen, in welchem ich mir naͤrriſcher Weiſe eingebildet haͤtte, ich ſey eine alte, krumme, pucklichte Frau. Ich habe ſchon oft daruͤber lachen muͤſſen. — Un - ſer Ritter wird ſogleich wieder abreiſen.
Schon wieder abreiſen?
Ja, er hat immer viel Geſchaͤfte, er iſt aber noch immer aus allen Fehden und Haͤn - deln gluͤcklich zuruͤck gekommen.
Wie neu mir hier alles iſt! Ich kann mich immer noch nicht gewoͤhnen, und an ſeine Geſtalt am wenigſten; ich weiß manchmal nicht, ſoll ich lachen, oder mich vor ihm fuͤrchten. — Meine Schweſter iſt noch nicht aufgeſtanden; ſie iſt nicht wohl: ihr ganzes Leben iſt nur mit einem einzigen Gedanken ausgefuͤllt; ich kann mir nicht denken, wie es moͤglich iſt.
83Der Blaubart.Du wirſt ſchon gehoͤrt haben, liebe Agnes, daß ich Dich verlaſſen muß.
Ja.
Es giebt kein ſo zaͤnkiſches, unbaͤn - diges Thier, als den Menſchen, Agnes. Sie ſehn nun, daß ſie mich nicht uͤberwaͤltigen koͤnnen, und doch iſt es ihnen nicht moͤglich, Ruhe zu halten. Aber ſie ſollen auch dafuͤr gezuͤchtiget werden! Die - ſelben wenigſtens ſollen nicht wieder kommen.
Lieber Mann! —
Sei ruhig, ich habe noch nie etwas gefuͤrchtet. — So eben ſind zwei Narren ange - kommen, die noch zu meinen Dienern gehoͤren. Ich denke, ſie werden Dir Spaß machen.
Ihr kommt ziemlich ſpaͤt, noch ge - rade zur rechten Zeit, um mich abreiſen zu ſehn.
Wir ſind beide nicht gut zu Fuß, Herr Ritter, und das hat uns unterwegs ein we - nig aufgehalten.
Ihr ſeid der ſogenannte Rathgeber? — Nehmts nicht uͤbel, wenn ich uͤber den naͤrri - ſchen Titel lachen muß.
Ich bin derſelbe.
Unterwegs gab er immer den Rath, in jede Herberge, die ſich finden ließ, einzukehren. Ich hoffe, Ihr ſollt noch bis Dato die Spuren davon an ihm gewahr werden.
Ihr ſprecht ja gar nicht.
Der Narr laͤßt mich nicht zu Worte kommen.
Kommt zu Worte, kommt immerhin zu Worte! Es wird ſich zeigen, ob Ihr was Ge - ſcheidtes zu Markte zu bringen wißt. — Da ſeid Ihr der erſte Menſch auf der Welt, welcher be - hauptet, ich ließe ihn nicht zu Worte kommen. — Ei, das verletzt meine Ehre und Reputation, wer mich nicht naͤher kennte, ſollte mich nach ſolcher Behauptung wohl gar fuͤr einen ziemlichen Schwaͤ - tzer halten. Ihr ſeht, Herr Ritter, wie leicht man in dieſer boͤſen Welt um ſeinen guten Na - men kommen kann.
Herr Ritter, Ihr ſeht ſelbſt, er kann unmoͤglich ſchweigen. — Wenn ich Euch uͤbrigens manchmal mit meinem Rathe dienen kann —
Wenn er nur gut iſt.
Es ſchickt ſich nicht, daß ich ihn herausſtreiche, denn jede Waare ſollte ſich ei - gentlich ſelber loben; aber fragt nur den Narren.
Sein Rath iſt immer uͤberaus ſchoͤn geweſen, und das Beſte iſt, er giebt beſtaͤndig zu - gleich mehrere Sorten aus, ſo daß, wenn man den einen nicht befolgen will, man immer noch zum zweiten ſeine Zuflucht nehmen kann, der dem erſten gewoͤhnlich gerade zu entgegen ſteht.
Nun wohl! ich ziehe jetzt ins Feld, mein Feind iſt ſtaͤrker als ich: ſoll ich ihn angreifen?
Wartet einen Augenblick. —85Der Blaubart.Wenn Ihr ihn zu bezwingen gedenkt, ſo rathe ich Euch ſelbſt, ihn anzugreifen.
Aber wenn ich nun geſchlagen werde?
Nehmt ums Himmels Willen Euren ganzen Verſtand zuſam - men, ſonſt iſt es um unſre Verſorgung geſchehn.
Wenn Ihr geſchlagen wer - det? — Ja, da ſeid Ihr denn wahrhaftig in einer uͤblen Lage.
Was iſt aber dabei zu thun?
Wenn man das Ding von allen Seiten uͤberlegt, ſo wird es noch immer das Beſte ſeyn, Euch alsdann zuruͤck zu ziehn.
Wenn mir aber der Ruͤckzug abge - ſchnitten wird?
Dann, — haltet, — dann, — Das iſt ein ſchwieriger Fall!
dann, — nun hab ichs! — dann, — nur einen Augenblick Geduld! — das iſt mir in meiner Pra - xis noch nicht vorgekommen. — Hm! hm! — Aber wie kommt Ihr denn auf ſo naͤrriſche Ideen? — Das nenn 'ich einem auf den Zahn fuͤhlen!
Nun?
Gleich! gleich! — Koͤnntet Ihr denn nicht entwiſchen?
Wenn mir der Ruͤckzug abgeſchnit - ten iſt, unmoͤglich.
Ja, da mag Euch der Henker Rath geben! — Ich glaube, ich koͤnnte eine Reihe von Jahren hinter einander denken, und braͤchte86Zweite Abtheilung.nichts Kluges heraus. — Ein Narr kann in einem Tage, — Ihr kennt wohl das Sprichwort.
Um Gottes Willen, Herr, thut ihm nichts, Ihr ſeht ja, wie er ſich angreift.
Wenn ich dich nun zum Fenſter hinaus aufhaͤngen ließe? — Ich habe jetzt nur keine Zeit, ſonſt wuͤrde ich dich wenigſtens noch etwas aͤngſtigen.
Ach, er iſt ſchon geaͤngſtigt genug, ſeht nur, wie ihm der Schweiß auf der Stirne ſteht. — Ich ſagts Euch wohl, Rathgeber, daß Ihr einen harten Stand haben wuͤrdet. — Er hat bis jetzt nur nach ſeiner Bequemlichkeit Rath gegeben, nun iſt es ihm etwas Neues, daß er mehr ins Große gehn ſoll, und da fehlt dem Manne freilich die Uebung.
Nun, geht nur, ich ſehe ſchon, wozu ihr zu brauchen ſeid. Laßt euch zu eſſen geben. Der Rath griff euch tuͤchtig an.
Er wird uͤberhaupt wohl bald muͤſ - ſen auf Penſion geſetzt werden, und dann krieg ich vielleicht ſeine Stelle.
Du? Wann haſt du denn ſchon einen Rath gegeben?
Ich muß es von Euch lernen, Ihr muͤßt mir Stunden geben.
Damit werd ich mich nicht einlaſſen.
Kommt nur, wir wollen jetzt erſt mitſammen ſpeiſen.
Wie gefallen ſie dir?
So ziemlich! ſie haben mich an die Puppen meiner Kindheit erinnert.
Das Leben von uns allen iſt wohl nur ein albernes Puppenſpiel. — Agnes, ich will dir waͤhrend meiner Abweſenheit alle meine Schluͤſ - ſel in Verwahrung geben. Hier. Ich denke in einigen Tagen zuruͤck zu kommen. Du magſt dir die Zwiſchenzeit damit verkuͤrzen, daß du die Ge - maͤcher betrachteſt, in die ich dich noch nicht gefuͤhrt habe. Sechs Zimmer ſtehn dir gaͤnzlich offen, aber das ſiebente, welches dieſer goldene Schluͤſſel oͤffnet, bleibt dir verſchloſſen. — Haſt du mich verſtanden?
Vollkommen.
Agnes! laß dich nicht geluͤſten, das ſiebente Zimmer zu oͤffnen!
Gewiß nicht.
Ich koͤnnte den Schluͤſſel mit mir nehmen und es waͤre dir unmoͤglich; aber ich will dir trauen, du wirſt nicht ſo thoͤricht ſeyn. — Nun, lebe wohl!
Lebe wohl!
Wenn ich wieder komme, und du biſt in dem verbotenen Zimmer geweſen —
Erhitze dich nicht ſo umſonſt, ich will nicht hinein gehn, und damit gut.
Ob es gut iſt, zeigt ſich erſt, wenn ich zuruͤck komme. —
Nun ſteht es endlich in meiner Ge - walt, die laͤngſt gewuͤnſchten Koſtbarkeiten zu be - trachten. — Laͤcherlich, daß wenn uns ſechs große88Zweite Abtheilung.Zimmer mit ihren Kleinodien offen ſtehen, wir noch nach dem ſiebenten ſollten luͤſtern ſeyn: das waͤre ja eine mehr als kindiſche Neugier. — Wie er uͤber alles wild wird. Ich moͤchte ihn nicht vor mir ſehn, wenn ich einmal etwas gegen ſeinen Willen gethan haben ſollte.
Wie gehts dir, Schweſter? Iſt dir beſſer?
Etwas.
Ich habe jetzt die Schluͤſſel zu den Zimmern. Der Ritter iſt abgereiſt.
So?
In eins duͤrfen wir nicht hinein. — In das ſiebente kann ich dich unmoͤglich hinein laſſen, Anne.
Mir gleich.
Er hat es ſehr ſtrenge verboten.
Ich bin nicht luͤſtern darnach.
Freuſt du dich denn aber gar nicht?
Woruͤber denn?
Daß ich die Schluͤſſel habe.
Wenn du dich daruͤber freuſt, — o ja.
Da reitet er fort mit ſeinem Gefolge. —
Viel Gluͤck! — Kehre bald wieder heim!
Wie munter ſie fort ziehn! Gebe der Himmel nur, daß ſie eben ſo froͤhlich wieder kommen.
Sollten ſie nicht?
Nicht immer iſt der Fortgang ſo munter und friſch wie der Anfang. Die neuen Kleider tragen ſich ab, der friſche Baum wird entlaubt, und der Abend ſieht oft ganz anders aus, als es der Morgen verſprach. Wie froͤlich beginnt der Juͤngling oft, was die ſpaͤtern Jahre ihm ernſthaft verweiſen, und zuweilen iſt ein an - ſcheinendes Gluͤck nur die Vorbereitung zum Elend.
Du machſt mich bange, Schweſter.
Ich bin heut ſchwermuͤthig geſtimmt.
Komm, zerſtreue dich, hier ſind ja die Schluͤſſel, ſei wieder froͤhlich.
Gutes Kind.
Wir wollen die Alte rufen, ſie ſoll mit uns gehn, denn ſie kennt wohl alles.
Wie du willſt, aber ſie iſt mir recht im Herzen zuwider.
Ja, ſie iſt haͤßlich genug und ihre kraͤchzende Stimme hoͤchſt widerwaͤrtig, indeſſen ſind das die Gebrechlichkeiten des Alters, fuͤr die ſie nicht kann. — Komm! komm! ich bin unend - lich begierig, was wir alles ſehn werden.
Gelag von trunkenen Knechten. Einige ſchlafen, andere ſind halb wach; Caspar iſt noch am munterſten, Leopold ſitzt oben am Tiſch und ſpielt, Winfred ſitzt mit verbundenem Kopf im Lehnſeſſel und trinkt.
Das heiß ich Wein! — ſolchen Wein, ich habe ſchon viel Wein getrunken, aber ſolchen Wein, — wenn von Wein die Rede iſt, — als was. —
Ich verſtehe ſchon, was Ihr ſa - gen wollt. Trinkt nur immer, er iſt Euch gern gegoͤnnt, hab ich ihn doch ganz eigen fuͤr Euch kommen laſſen.
Nun, wenn Ihr ſo meint. — Aber Euer luſtiger Menſch, der die vielen Spruͤnge ma - chen ſollte, — da ſitzt er im Stuhl mit ſeinem verbundenen Kopf, — ſieht aus wie die Reue und Buße ſelber, und ſaͤuft einen Becher nach dem an - dern. Er ruͤhrt ſich ja nicht.
Auf, Winfred, Muſenliebling, ſei begeiſtert und tummle Dich etwas.
Ich kann wahrhaftig nicht, ich bin am ganzen Leibe wie zerſchlagen.
Deine Zunge lallt, ruͤhr Dich, jetzt gilts.
Nur etwas, ein weni - ges nur, lieber Junker, mach mich vor den Leu - ten nicht zu Schanden, greif Dich mir zu Liebe etwas an.
Guten Wein habt Ihr hergeſchaft, Gott weiß woher, aber Euer Tandmann, Euer Pickelhering iſt ein erbaͤrmlicher Kerl, den muͤſtet Ihr ins alte Eiſen ſchmeißen, den Lumpenhund, der iſt abgenutzt, und verdient keinen Trunk Wein mehr.
Ich komme ja ſchon. Wollt Ihr nun eine tragiſche Pantomime, edle Stellung und Schwung der Geberde, ein Bein im rechten Winkel vom Leibe weit weg geſtreckt, und dann auf dem andern Fuße umgedreht, im großen Styl?
Macht, was ihr machen koͤnnt.
Nun ſeht, das iſt was fuͤr den Kenner.
Das iſt nichts, nichts, wahre Lumperei.
Fuͤr die Deklamation edler Ge - dichte ſeid Ihr auch nicht?
Nichts da, — Katzenſpruͤnge, Bock - ſpruͤnge, das iſt unſer Geſchmack.
Seht Freunde, das ſind Kuͤnſte, Gelt?
Recht ſo! Was er die duͤnnen Beine kann durch einander werfen!
O weh! o weh! mein Kopf! mein Arm! Ungluͤck uͤber Ungluͤck!
Komm! hilf dir auf.
Ade, ich gehe wieder auf mein Zimmer, ich bin fuͤr dergleichen nicht gemacht. Ich lege mich wieder zu Bett und will ſchlafen.
Ich kann kaum noch die Augen offen halten, — und die Beine liegen ſchon ſeit einer Stunde ſtockſtill unter dem Tiſche. — Wo iſt denn unſer Gaukler? — Wahrlich, in die Erde hinein geſchlagen, und verſchwunden. — Je nun, eben ſo gut. —
Leopold.
Liebſte Brigitte.
Ich habe Euch ſchon lange an Eurer Stimme erkannt. Was wollt Ihr hier?
Du kannſt noch fragen? Folge mir, wenn Du mich liebſt. Zwei Pferde ſtehn drau - ßen geſattelt, alle ſchlafen, es iſt Nacht; Dein Vater kehrt zuruͤck, dort auf dem Tiſche liegen die Schluͤſſel der Burg.
Ich ſollte meinen alten Vater verlaſſen?
Er wird nachher unſre Ehe ſeg - nen, aber vorerſt muͤſſen wir in Sicherheit ſeyn. Folgſt du mir nicht, ſo lebe wohl, dann ſeh ich, daß du mich nie geliebt haſt.
Ich bin Dein.
Eilen wir, ehe man uns uͤbereilt.
Was war denn das? — War das nicht der Thuͤrmer? — Aber ich glaube, es hat mir nur getraͤumt. Was ſagt Ihr, Spielmann? — Hanswurſt, Ihr habt ganz Recht, ja, Ihr ſeid ein ſolider Mann. — Wie? — Richtig, ganz recht, das iſt auch meine Mei - nung.
Nein, das iſt kein Traum, — ſo lebhaft hat mir noch zeitlebens nichts getraͤumt. — Dar - nach muß ich ſehen. — Wenn nur die Beine — Wie? Was iſt das?
Gott im Himmel! was iſt denn das? Die Thore der Burg, alle Thuͤren ſind offen! — Und hier! Wie ſieht es hier aus! Caspar!
Ja, Herr!
Liegſt du auch unter dem tollen Haufen?
Ja, Herr!
Caspar, ich bitte dich, — mach mich nicht toll, — mir ſchwindelt ſchon der alte Kopf, — ſteh auf! ich bitte dich.
Herr, das wird ſo geſchwinde nicht gehn.
Laß mich nicht das Aergſte fuͤrch - ten, — Caspar, — meine Tochter —
Ich habe immer ein Auge auf ſie gehabt. Streng! ſtreng!
Aber wie kommt Ihr denn dazu —
Herr, da war ein Spielmann hier, und der hatte einen ſo koͤſtlichen Wein bei ſich, — den Wein bracht er ins Haus, — und er hatte einen kranken Narren bei ſich, — und da weiß ich nicht, wie es kam, aber kurz und gut —
Es mag fuͤr diesmal gut ſeyn, aber ich muß nach meiner Tochter ſehn.
Wo iſt denn der Spielmann geblie -95Der Blaubart.ben? — Ermuntert Euch, Kerl, ſag ich, ſteht auf!
Der Spiel - mann — Caspar, Caspar! mir faͤngt an der Ver - ſtand wieder zu kommen, und ich merke Unrath, — ach! der arme Herr, wenn es wahr ſeyn ſollte!
Du Schurke! — du ſchlechter Kerl! Liebſt du deinen Herren ſo? — O meine Tochter!
Herr, — maͤßigt Euch, Herr —
Nein, ich will jetzt vor Zorn und Gram ſterben! Ich will mich nicht maͤßigen, damit ich nur das Ungluͤck, die Schande nicht uͤber - lebe. — Meine Tochter, ſie iſt fort!
Nimmermehr!
Muß mir das begegnen, der ich mein Kind ſo liebte? — Schaff ſie mir wieder, Caspar! — Fort! Geh mir aus den Augen, du Niedertraͤchtiger!
Herr, ſo habt Ihr mich noch nie geſcholten, — aber ich verdiene, ganz verdien ich das. — O ich Dummkopf! O vergebt mir, mein Herr, faßt euch wieder; — ach nein! Ihr koͤnnt mir nicht vergeben.
Caspar, iſt das deine Vernunft? Sind das deine Grundſaͤtze, von denen du ſo viel ſprechen konnteſt? — Wenn nur meine Brigitte da waͤre! — Und wie konnte ſich mein Kind ſo vergeſſen? — Mit dem Spielmann, mit einem Nichtswuͤrdigen iſt ſie davon gelaufen?
Es muß ſo ſeyn, Herr, denn ich96Zweite Abtheilung.ſehe ihn nirgends. — Ach Gott! wie wird mir, da nun mein Verſtand wieder kommt! Ich ſchaͤme mich vor Euch und vor mir, — ich moͤchte in Verzweiflung fallen, — o daß ich an dem Ungluͤck Schuld bin! Ja mit dem Kopf moͤcht ich gegen die Mauer laufen! Und meinen lieben, guten, alten Herrn! O Sapperment!
Maͤßige dich, Caspar, faſſe deine Vernunft zuſammen, bleib bei dir.
Giebt es denn keinen Troſt, keine Huͤlfe?
Ach nein! nein! O das wird mich noch wahnſinnig machen. — Es iſt zu viel, zu viel, Caspar, wenn ich von neuem daran denke. Es iſt mein Tod, ich fuͤhls.
Lieber gnaͤdiger Herr, bedenkt Euer Alter.
Ich mag nichts bedenken, du haſt keine Tochter verloren, du haſt gut ſprechen. Und du biſt Schuld daran! Einzig du! Du alter Spitz - bube! Saͤuft ſich voll in ſeinen alten Tagen, laͤßt ſich zum Narren machen, der Eſel!
Soll ich ins Waſſer laufen? Soll ich vom Thurm herunter ſpringen? Befehlt doch nur, wie ich mich abſtrafen ſoll, und ich wills ja von Herzen gerne thun, nur daß ich wieder Ruhe habe, daß ich Eure Vorwuͤrfe nicht mehr hoͤre. Nehmt doch auch Vernunft an, Herr, beſter Herr, Ihr ſeyd ja auch ſchon in den Jahren und habt die Kinderſchuhe vertreten. Ach du lieber Him - mel! Wo renne ich nur hin? Wo bleib ich? OSap -97Der Blaubart.Sapperment! das ganze Gehirn iſt mir durch ein - ander geworfen!
Caspar! Caspar! ich merks, wir werden uns beide toll machen. — Meine Tochter, meine Brigitte, ſie haͤtte auch vorſichtiger ſeyn ſol - len, du biſt ja nicht allein Schuld. Komm, laß uns beide unſre Vernunft zuſammen faſſen, — aus dem Raſen kann doch nichts heraus kom - men, — faſſe dich nur, Caspar, und ſteh mir bei.
Von Herzen gern, mein lieber gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mir nur wieder gut ſeid.
Komm, wir wollen uns gleich zu Pferde ſetzen, wir muͤſſen ſie wieder finden, wir wollen eher kein Auge zuthun.
Aber Euer Alter, Eure Schwach - heit —
Es kommt ja hier auf meine Toch - ter an, Caspar!
Nun, wie Ihr wollt. Aber Ihr haltet mich doch fuͤr keinen Spitzbuben? Ein Dummkopf bin ich, ein rechter Eſel, ja, darin habt Ihr Recht, aber doch kein Spitzbube.
Vergiß es, Caspar, ich wußte grade nicht, was ich ſagte; ich mußte mir ja mit Schim - pfen Luft machen, ſieh, das iſt in der menſchlichen Natur. Du haſt mir dreißig Jahr redlich gedient, das kann wohl einen Fehler mit eindienen. — Komm! aus der Burg mag indeß werden, was will; wenn ich mein Kind nicht wieder finde, komm ich ſo nicht zuruͤck. — Ihr Knechte! Heda! Knechte!
Das hoͤren ſie nicht, ſie ſind all im Schlaf.
Nimm da, blas die Trompete, blaſe, daß ſie kommen!
Nehmt Ihr das Horn, ſo werden ſie ſchon munter werden.
Nehmt Pferde! Jeder ſetze ſich zu Pferde: Jagt, rennt, ſucht, alle Landſtraßen, alle Fußſtege, alle Thaͤler durch, — du rechts! — du links! — du hinuͤber nach dem Gebirge! — du in den Wald hinein! — Fort! bringt mir meine Toch - ter wieder, und wer ſie findet, den will ich ſo be - lohnen, daß er mir danken ſoll. —
Komm Caspar.
Das iſt ein Laͤrmen! — Herr Ritter.
Wer iſt der?
Unſer Poſſenreißer, das kranke Gaukelmaͤnnlein.
O du Haſenfuß! O du Hansnarr!
Hoͤrt doch nur einen armen be - trunknen Menſchen an —
Schweig, Dummkopf!
Nur zwei elende Worte, die euch vielleicht nuͤtzlich —
Komm, Caspar, reiten wir, was die Pferde und wir ertragen moͤgen. — Komm, ſieh dich nicht um nach der Vogelſcheuche dort!
Alle fort! Mein Freund Leo - pold, ſo hoͤr ich, mit der Tochter, der Alte ihr nach, laͤßt ſich nicht von mir bedeuten, die Knechte auf allen Landſtraßen, und ich Armſeliger bleibe ohne Huͤlfe hier wie in einem verzauberten Schloſſe allein zuruͤck. — O haͤtte ich dergleichen Unfaͤlle vorher ſehn koͤnnen, wie ſauber waͤr ich zu Hauſe geblieben. Mein hochſtrebender Sinn hat mir ſehr, ſehr zu nahe gethan. — Und der Leopold handelt auch nicht freundlich an mir: wenn nur ein altes Weib, ein zahnloſes Muͤtterchen hier im Hauſe waͤre! Aber keine Seele! Ich muß ſehn, wie ich mir Beiſtand anſchaffe.
Ich bin von allen den herrlichen Sa - chen, die ich heut geſehn habe, ganz ſchwindlicht. Mir iſt jetzt, als haͤtte mir alles nur getraͤumt.
Die Sinne ermuͤden am Ende, und ſelbſt das Mannigfaltigſte wird einfoͤrmig.
Die Mutter Mechtilde iſt ſchon ganz ſchlaͤfrig.
Ja, Kinder, ich gehe gewoͤhn - lich um die Zeit zu Bette, und da meldet ſich denn der Schlaf bei mir ganz von ſelbſt
Geht immer zu Bette, ich bleibe noch ein wenig auf; der Mond ſcheint ſo hell, ich trete nachher noch etwas auf den Altan hin - aus, um friſche Luft zu ſchoͤpfen.
Nehmt Euch vor den Fleder - maͤuſen in Acht, ſie pflegen um dieſe Jahrszeit umher zu ſchwaͤrmen.
Es iſt uns doch nicht einmal einge - fallen, das ſiebente Zimmer zu beſehen, und der Ritter war ſo beſorgt: am Ende iſt auch gar nicht einmal etwas Merkwuͤrdiges darin.
Das iſt wohl moͤglich.
Wie? Ihr ſeid auch niemals hin - ein gekommen?
Niemals.
Das iſt doch wunderbar. — Wollt Ihr jetzt, Mutter, die Schluͤſſel zu Euch nehmen? Wir brauchen ſie doch nicht mehr.
Recht gern.
Die Maͤnner haben, wie ich ſehe, eben ſo gerne Geheimniſſe, als die Frauenzimmer.
Noch lieber, ſie wollen es nur nicht zugeben.
Gebt mir doch die Schluͤſſel wie - der zuruͤck.
Hier ſind ſie.
Der Ritter moͤchte ungehalten wer -101Der Blaubart.den, da er ſie doch in meine eigene Haͤnde uͤber - liefert hat.
Nun gute Nacht, ich gehe zu Bett.
Ich wuͤnſche Euch eine gluͤck - ſelige Nacht.
Welche herrliche Nacht! — Man ſpricht ſo viel von der Neugier der Weiber, und jetzt ſtaͤnde es doch gerade zu nur in meiner Ge - walt, in das verbotene Zimmer hinein zu gehen. — Ich habe mir zum Theil den Schluͤſſel wieder geben laſſen, weil ſonſt mein Mann haͤtte denken koͤnnen, ich traue mir nicht Staͤrke genug zu. — Nun, wenn ich denn auch der Verſuchung nach - gaͤbe, ſo erfuͤhre kein Menſch, daß ich in dem Zimmer geweſen waͤre, und kein andres Ungluͤck koͤnnte doch daraus entſtehn; meine Schweſter, die Sittenpredigerin ſchlaͤft jetzt, — o ich wollte, ich haͤtte dem alten garſtigen Weibe die Schluͤſſel ge - laſſen! — Am Ende iſt das Ganze nur darauf angeſehn, daß mein Mann mich auf die Probe ſtellen will, und ich will mich gewiß nicht ſo leicht fangen laſſen. —
Die Alte iſt ſelbſt noch nicht einmal in dem Zimmer geweſen, der Ritter muß doch alſo etwas Beſondres dabei haben. — Ich will nicht weiter daran denken. —
Wenn ich nur wuͤßte, warum er es mir verboten hat? — Der Schluͤſſel iſt gol - den, die uͤbrigen ſind es nicht; es iſt gewiß das koſtbarſte Gemach von allen, und er will mich naͤchſtens einmal damit uͤberraſchen. — Narrheit, daß ich es nicht gleich jetzt ſehn ſollte! Mir iſt102Zweite Abtheilung.uͤberhaupt nichts ſo verhaßt, als wenn ein Menſch dem andern eine heimliche Freude machen will, je - ner kann ſich in der Ueberraſchung niemals freuen, beſonders wenn er die einfaͤltigen Anſtalten vorher ſchon gewahr wird. — Agnes! Agnes! huͤte Dich! das was Dich jetzt peinigt, iſt wohl jene beruͤch - tigte weibliche Neugier. — Und warum ſollte ich nicht ein Weib ſeyn duͤrfen, ſo gut wie andre? — Die bloße Neugier iſt noch keine Suͤnde. — Ich moͤchte den Menſchen ſeyn, der an meiner Stelle nicht neugierig waͤre. — Meine Schweſter wuͤrde eben ſo ſeyn wie ich, wenn ſie nicht ihre Liebe unaufhoͤrlich im Kopfe haͤtte, wenn ſie aber darauf fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer ſtecken koͤnne, ſo wuͤrde ſie mich auf den Knieen um den Schluͤſſel bitten. Die Menſchen ſind immer nur nachſichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. — Und es iſt am Ende nicht einmal eine Schwach - heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim - niß verborgen liegen, von welchem mein Gluͤck ab - haͤngt; ich ahnde faſt ſo etwas: — und ich will nur ſo eben hinein ſehn, — wovon ſoll er denn nachher wiſſen, daß ich drinne geweſen bin? — Es muß doch irgend einen Grund haben, warum er es mir ſo ſtrenge verboten hat, und den Grund haͤtte er mir ſagen ſollen, dann waͤre meine Folg - ſamkeit ein vernuͤnftiger Gehorſam, aber ſo han - dle ich nur aus einer blinden Unterwuͤrfigkeit, eine Art zu leben, wogegen ſich mein ganzes Herz em - poͤrt. — Ei! bin ich nicht eine Naͤrrin, daß ich ſo viel uͤberlege? Am Ende iſt es eine Narrheit103Der Blaubart.und gar nicht der Muͤhe werth. —
Nun, warum geh ich denn nicht? — Wenn er aber zuruͤck kaͤme, indem ich in dem Ge - mach ſtecke? — Es iſt Nacht, und ehe er die Trep - pen herauf kaͤme, waͤre ich ſchon laͤngſt in meinem Zimmer; in einigen Tagen will er ja auch erſt wieder kommen. — Er haͤtte ſeinen Schluͤſſel be - halten muͤſſen, wenn ich nicht hinein gehn ſollte.
Nun, wie gefaͤllt es Euch hier?
Ich weiß noch nicht, ich habe bis jetzt geſchlafen, ſo muͤde bin ich geweſen. — Wie hell die Sterne ſcheinen!
Koͤnnt Ihr in den Sternen leſen?
Ich wollte, daß ich es gelernt haͤtte. Es muß des Nachts doch immer eine ange - nehme Beſchaͤftigung ſeyn.
Man kann auch ſein Schickſal dar - aus wiſſen.
Jezuweilen.
Glaubt Ihr an Geſpenſter?
O ja.
Jetzt iſt grade die ſchauerliche Stunde.
Wer umgehn will, fuͤr den iſt eben jetzt die wahre Zeit. — Darum will ich mich auch nur wieder zu Bette legen.
Ich denke, Ihr habt nun ausge - ſchlafen?
Bloß der Geſpenſter wegen,104Zweite Abtheilung.— es iſt nicht gut, wenn man ſich jetzt wach fin - den laͤßt.
Nun ſo geht.
Hoͤrſt du wohl?
Was iſt Euch, gnaͤdige Frau? —
Nichts, nichts, — ſchaff mir doch ein Glas friſches Waſſer. —
Leb ich noch? — Wo bin ich? — Gott im Himmel! wie ſchlaͤgt mir das Herz, — bis zum Halſe hinauf.
Stell es nur dorthin, — ich kann jetzt noch nicht trinken, — geh, geh, — mir fehlt nichts, gar nichts. — Geh!
Ich weiß nicht, wie ich wieder hieher gekommen bin, —
jetzt wird mir beſſer. — Es iſt tiefe Nacht, die uͤbrigen ſchlafen ſchon. —
Hier iſt ein blutiger dunkelrother Fleck, — war der ſchon vorher da? — Ach nein, ich ließ ihn fallen, — alles um mich her riecht noch nach Blut. —
Er will nicht fort, das iſt doch wunder - bar. — O Neugier, verdammte, ſchaͤndliche Neu - gier! ich glaube, es giebt keine groͤßere Suͤnde als die Neugier! — O und mein Mann, wie kommt der mir jetzt vor? — Mein Mann konnt 'ich ſa - gen? Mein Mann? Das ſchaͤndlichſte, mir frem -105Der Blaubart.deſte Ungeheuer, — wildfremd und entſetzlich, wie ein ſchuppiger Drache, von dem ſich das Auge ſcheu zuruͤck reißt. — Ach ich muß zu Bette, mein armer Kopf iſt ganz wuͤſt: — aber die Schluͤſſel darf ich hier nicht ſo liegen laſſen. — Gott ſei Dank, daß der Flecken fort iſt! — Ach nein! ich armes Kind! auf dieſer Seite, hier iſt er. Ich weiß nicht, was ich anfangen ſoll, ich will ſehn, ob ich ſchlafen kann. Ach ja, ſchlafen, ſchlafen, und andre, ganz andre Dinge traͤumen, alles ver - geſſen, ja, ja das wird ſchoͤn, das wird lieblich ſeyn.
Er muß aufſtehn, er mag wollen oder nicht, denn ich weiß es nun gewiß. Er kann mir nun nichts mehr einwenden
Anton! Anton! ermuntre dich!
Wer iſt da?
Ich, Simon, dein Bruder, ſteh ſchnell auf, ich habe etwas Nothwendiges mit Dir zu ſprechen.
Stoͤrt Dein Wahnſinn jetzt ſogar die Ruhe der Mitternacht?
Sprich nicht ſo, Bruder, es wird Dich gereuen. — Ich glaube, er iſt wieder einge - ſchlafen. — Auf! auf! ermuntre Dich!
Wirſt du des Raſens nicht muͤde werden?
Schimpfe, ſo viel du willſt, nur ſteh auf. — Steh auf! ich laſſe Dir doch nicht eher Ruhe, Bruder.
Sage mir nur, was Du willſt.
Bruder, ich habe die ganze Nacht nicht ſchlafen koͤnnen. —
So? — Ich ſchlief deſto beſſer.
Du ſiehſt, daß jetzt meine Prophe - zeiungen, oder Ahndungen, Du magſt es nennen, wie Du willſt, etwas mehr eintreffen als ſonſt.
Deine Narrheit anzuhoͤren hab ich alſo aufſtehn muͤſſen?
Ich habs vorher geſagt, daß un - ſer Bruder die Tochter des Ritters Hans von Marloff entfuͤhrt habe, und geſtern Abend war der alte Mann auch deswegen hier.
Das konnte jedermann errathen.
Und in dieſer Nacht hab ich unſre Schweſter unaufhoͤrlich weinen ſehn, und ich habe mich beſtaͤndig mit dem Blaubart herum geſtochen.
Und was folgt daraus?
Sie iſt in Lebensgefahr, ich ver - ſichre es Dir, Bruder, der Blaubart iſt ein Boͤ - ſewicht, das Naͤhere kann ich nicht wiſſen, aber genug, daß er es iſt. Wenn aber nur die Moͤg - lichkeit nicht zu laͤugnen ſteht, ſo mußt du mich anhoͤren; dieſe aber kannſt du unmoͤglich laͤugnen, oder Du biſt der Unſinnige.
Gute Nacht, Bruder, deine Art zu raͤſonniren iſt mir zu buͤndig.
Bruder, iſt es nicht genug, daß Du Deine Schweſter an einen ſolchen Verworfnen verſchleudert haſt? Willſt Du ſie nun auch noch ſchaͤndlicherweiſe in der hoͤchſten Noth ihres Lebens verlaſſen? Biſt du bloß deswegen ihr Bruder,108Zweite Abtheilung.um ihr Verraͤther zu ſeyn? — Anton, erweiche einmal Dein bruͤderliches Herz; ſie ſieht jetzt viel - leicht mit Sehnſucht aus dem Fenſter des Schloſ - ſes nach der Gegend hieher, ſie wuͤnſcht vielleicht, daß ihre tiefen Seufzer uns beide allgewaltig hin - ziehn koͤnnten, ſie klagt uͤber uns, — nachher fin - den wir ſie wohl todt, blaß auf der Bahre aus - geſtreckt.
Aber wie kommſt Du nur darauf?
Meine ganze Phantaſie iſt von die - ſen betruͤbten Vorſtellungen angefuͤllt; ich kann nichts Frohes denken und traͤumen, ich ſinne nur Tod. Ich habe keine Ruhe, bis ich dieſen Hugo mit dem Schwerdt unter mich gebracht habe. — Komm, mich duͤnkt, ich hoͤre unſre Schweſter, ſo weit es auch iſt. Wie bald ſind unſre Pferde ge - ſattelt, wie bald koͤnnen wir dort ſeyn!
Das Tollſte bei der Tollheit iſt, daß ſie vernuͤnftige Menſchen anſteckt.
Du wirſt ſeyn, daß ich mich nicht irre.
Ich begreife ſelbſt nicht, warum ich dir nachgebe.
Zieh dich an, ich ſattle indeß die Pferde, dieſe Fackel leuchtet uns, bis die Sonne aufgeht.
Immer will der Fleck noch nicht fort, ich habe ſchon den ganzen Tag gerieben, auf alle Art gewaſchen, aber er bleibt. — Wenn ich ſo ſtarr darauf hinblicke, ſo iſt es, als wollte er ſich verlieren, aber wenn ich die Augen nach andern Gegenſtaͤnden richte, und dann zu ihm zuruͤck kehre, ſo iſt er immer wieder da, und wie mich duͤnkt, dunkler als zuvor. Ich koͤnnte ſagen, ich haͤtte ihn verloren, aber das wuͤrde ſeinen Argwohn nur im hoͤchſten Grade reizen: — vielleicht fordert er mir den Schluͤſſel nicht gleich ab, — vielleicht be - merkt ers auch nicht; — wenn ich ihn abgebe, will ich ihm ſo die reine Seite hinreichen; wird er wohl darauf fallen, ihn ſo genau zu betrachten? — Es kann ja auch ſeyn, daß der Flecken ausgeht, noch ehe er zuruͤck koͤmmt. — Ach! wenn mir der guͤtige Himmel doch ſo gnaͤdig ſeyn wollte!
Was iſt dir, liebe Schweſter?
Und wenn es nun nicht geſchieht? — Es fehlt nicht viel, ſo bilde ich mir ein, der110Zweite Abtheilung.Schluͤſſel weiß um alles, und will zu meinem Un - gluͤcke nicht wieder rein werden.
Schweſter!
Gott im Himmel! — wer iſt da?
Wie du erſchrickſt! Ich bin es.
Dachte ich nicht —
Wie haſt du dich ſeit wenigen Tagen veraͤndert, Agnes. Sprich doch zu mir, deiner Schweſter, die dich ſo herzlich liebt: Du biſt in einer Fieberhitze, — wie du gluͤhſt! — Sage doch, fehlt dir etwas?
Nein, Schweſter; komm, wir wol - len wieder zu Bette gehn.
Es iſt etwas mit dir vorgegangen, das wirſt du mir nicht ausreden. Warum willſt du mir aber nicht trauen? Hab ich dich ſchon je hintergangen? Haſt du mich ſchon ſonſt einmal heimtuͤckiſch und ohne ſchweſterliche Liebe gefunden?
Niemals, niemals, du biſt immer ſo gut, — o viel, viel beſſer als ich.
Nein, das nicht; ach! Du haſt oft von meinen Launen leiden muͤſſen: vergieb mir das. Kannſt du?
Wie du ſprichſt!
Ich habe dich nun ſeit zweien Ta - gen beobachtet, — du ſprichſt nicht, du ſchleichſt am Tage umher und verbirgſt dich in einem Win - kel, des Nachts ſchlaͤfſt du nicht, ſondern ſeufzeſt ſo ſchwer, — theile mir deinen Kummer mit, wenn111Der Blaubart.ich dich auch nicht troͤſten kann, ſo kann ich doch wohl mit dir deine Leiden tragen.
Nun, ſo hoͤre: — aber du wirſt auf mich ſchelten —
Nur, wenn du kein Zutrauen zu mir haſt.
Du haͤtteſt es auch vielleicht ge - than. — Du weißt, daß ich von Jugend auf gern etwas Neues ſah und hoͤrte, — dieſe unſee - lige Sucht macht mich jetzt ungluͤcklich, koſtet mich gewiß mein Leben.
Du erſchreckſt mich.
Ich habe es nicht unterlaſſen koͤn - nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn, das mir der Ritter zu ſehn verboten hatte.
Und?
O waͤr ich doch zuruͤck geblieben! Warum iſt der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet, daß ein ſolches Verbot nur ſeinen Vorwitz ſchaͤrft? — Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umſtaͤnde erzaͤh - len ſoll, denn ſo oft ich nur daran denke, uͤberlaͤuf mich immer noch ein kalter Schauer. — Ich ſchloß behutſam auf, und hatte ein Licht in der Hand, ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu ſehn, und dann ſogleich wieder umzukehren, — als ich alſo die Thuͤr aufmachte, ſah ich nichts als ein leeres Gemach, im Hintergrunde einen gruͤnen Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem Schlafzimmer. — Ich konnte unmoͤglich wieder umkehren, der Vorhang ſah ſo geheimnißvoll aus,112Zweite Abtheilung.es war mir, als wenn er ſich bewegte — es war von dem Zugwinde, durch die offen gelaſſene Thuͤr. Im Gemach war ein druͤckender ſeltſamer Dunſt. — Um recht vorſichtig zu ſeyn, zog ich den Schluͤſſel ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte eine heimliche Furcht, daß die Thuͤr hinter mir zufallen koͤnnte. — Nun naͤherte ich mich dem Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich verſichern, nicht mehr aus Neugier. Ich ſchlug ihn mit der Hand zuruͤck und ſah immer noch nichts, denn das Licht warf nur einen ſchwachen ungewiſſen Schein hinein. — Nun trat ich hinter den Vorhang, — und nun, Schweſter! denke, fuͤhle mein Entſetzen, — an den Waͤnden ſtanden ſechs Knochengerippe umher, — Blut faͤrbte die Waͤnde, Blut bedeckte den Boden, — ich hoͤrte einen lauten Aufſchrei im Fenſter klingen — ich war es gewiß, die ſo ſchrie; der Schluͤſſel fiel mir aus der Hand, ich war betaͤubt, es klang, als wenn das Schloß zuſammen braͤche, — uͤber den Gerip - pen ſtanden Zettel, mit dem Namen der Geſchlach - teten, ſeine ſechs vorigen Weiber, und an welchem Tage ſie fuͤr ihre Neugier beſtraft worden ſind, — oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe, denn ich weiß nicht, wie ich zuruͤck gekommen bin. — O mit welchen Bildern iſt ſeitdem meine Phantaſie angefuͤllt! — Ich hatte den Schluͤſſel aufgenommen, er war in Blut gefallen, — nun war ich in der groͤßten Angſt, die Thuͤr moͤchte ſich zugeſchloſſen haben. Ich ſtuͤrzte gegen denVor -113Der Blaubart.Vorhang mit einer Gewalt, als wenn ich einen Rieſen umwerfen wollte, und nun ſtand ich wieder in dem leeren Gemach. — O denke dir, Schweſter, wenn ich die Nacht uͤber in der Behauſung des Jammers haͤtte bleiben muͤſſen! — Nun haͤtte der Mond in die Blutkammer hinein geſchienen, — die Gerippe haͤtten ſich wohl bewegt, oder meine erhitzte Einbildung haͤtte es mir ſo vorgeſtellt, — ich waͤre mit dem Kopf gegen die Mauer gerannt, ich haͤtte meine wuͤthenden Arme in die Knochen - gebaͤude verwickelt, — ich haͤtte mich mit dem Tode und Entſetzen wild herum getummelt, — denke dir, denke dir nur, Schweſter, — o uͤber ſolche Vorſtellungen kann man wahnſinnig werden.
Faſſe dich, Agnes, ich halte dich ja hier in meinen Armen.
Was macht das? — die Entſetzlich - keit iſt doch nicht weit von uns. Du darfſt nur zu jener Thuͤr hinaus treten, ſo liegt die andre vor dir, — o Schweſter! welch ein Schloß iſt dies! ein Schlachthaus!
Kind, wir muͤſſen fort, unſre Bruͤ - der muͤſſen uns ſchuͤtzen. — Wenn nur die Alte nicht waͤre.
Sie hilft uns vielleicht.
Armes Kind! ſie iſt gewiß mit dem Boͤſewicht einverſtanden.
Gott, und ſie iſt ſo alt!
Ungluͤckliche Schweſter! —
Aber er koͤmmt vielleicht nicht wie - der! du machteſt mich neulich noch mit dieſem Ge -II. [8]114Zweite Abtheilung.danken traurig, — o jetzt iſt er faſt mein einzi - ger Troſt. —
Und wenn er nun zuruͤck koͤmmt —
Ach, Schweſter, ich glaube, ich bin verloren! — Und die Alte ſollte um alles wiſſen! Wie muͤßte ihr dabei zu Muthe ſeyn, — ach! aber ſie hat ein entſetzliches Weſen. — Wenn ſie nun an alles denkt, wenn ihr die Blutkammer immer gegenwaͤrtig iſt, wie kann ſie eſſen, trinken und ſchlafen; und er, — er, — ſage mir, wie kann ein ſolches Ungeheuer aus dem Menſchen werden! — Es iſt alles wie ein fremdes Maͤhr - chen, wenn ich es aus der Ferne anſehe, — und dann, — daß ich im Mittelpunkte dieſes entſetzli - chen Gemaͤhldes ſtehe! —
Faſſe dich nur, damit wenigſtens deine Rettung noch moͤglich iſt, damit nur dein Verſtand nicht leidet.
Er hat vielleicht ſchon gelitten. — Ach, Anne, es waͤre ſchrecklich, wenn ich mir nur einbildete, daß du mich ſo ſchweſterlich troͤſteteſt, wenn die Alte es waͤre, die mir jetzt gegenuͤber ſaͤße. —
Aber du biſt es, nicht wahr?
Agnes! Agnes! thue dir ſelbſt Ge - walt an, laß den Wahnſinn fahren.
Nein, du biſt es ſelbſt. — Sieh dieſen verraͤtheriſchen Schluͤſſel, Tag und Nacht habe ich daran gearbeitet dieſen ſchrecklichen Flek - ken zu vertilgen, aber alles iſt umſonſt.
Erhitze dich nicht noch mehr, ſei gelaſſen.
115Der Blaubart.Seid Ihr auch ſchon ſo fruͤh auf?
Ja, ich bin ſchon das ganze Haus durchkrochen, denn ich habe eine Ahndung, daß unſer Herr heut wieder kommt.
Der Herr?
Erſchreckt Ihr doch ordentlich vor Freuden. — Aber wie kommt Ihr beide ſchon ſo fruͤh aus den Federn?
Meine Schweſter iſt nicht wohl —
Nicht wohl? Ihr ſeid auch ganz blaß; ei, das wird dem Ritter nicht lieb ſeyn. — Ich will mich zu Euch ſetzen, denn mit dem Schlafen iſt es jetzt doch vorbei: wenn es einmal ſo fruͤh geworden iſt, ſchlaͤft man nicht leicht wieder ein.
Setzt Euch. —
Wir wollen uns Maͤhrchen zur Kurzweil erzaͤhlen, das haͤlt die Augen huͤbſch offen, beſonders wenn ſie etwas fuͤrchterlich ſind.
Ich weiß keine, erzaͤhlt Ihr uns etwas.
Seht, da geht der liebe Mond unter, nun wird der Himmel recht ſchwarz und finſter. — Eure Lampe geht ja auch aus, ich will meine Laterne auf den Tiſch ſtellen. — Freilich weiß ich auch nicht viel, und Erzaͤhlen iſt ſonſt nicht meine Sache; doch ich wills verſuchen. — Es wohnte einmal ein Foͤrſter in einem dicken, dicken Wald; der Wald war ſo dick, daß der116Zweite Abtheilung.Sonnenſchein nur in gebrochenen Schimmern her - unter fallen konnte; wenn das Jagdhorn gebla - ſen ward, ſo klang es fuͤrchterlich in der gruͤnen Einſamkeit. In der dichteſten Gegend des Forſtes lag nun grade das Haus des Jaͤgers. — Die Kinder wuchſen in der Wildniß auf, und ſahen gar keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war ſchon ſeit lange geſtorben.
Um eine gewiſſe Jahrszeit traf ſichs immer, daß der Vater ſich den ganzen Tag im Hauſe eingeſchloſſen hielt, und dann hoͤrten die Kinder ein ſeltſames Rumoren um das Haus herum, ein Winſeln und Jauchzen, ein Laufen und Schreien, in Summa, ein Gelaͤrm, wie vom leibhaftigen Satanas. Man brachte dann die Zeit in der Huͤtte mit Singen und Beten zu, und der Vater warnte die Kinder, ja nicht hinaus zu gehn.
Es traf ſich aber, daß er einſt in der Woche, in welche dieſer Tag fiel, verreiſen mußte. Er gab die ſtrengſten Befehle, aber das Maͤdchen, theils aus Neugier, theils weil ſie den Tag aus Un - achtſamkeit vergeſſen hatte, geht aus der Huͤtte. — Nicht weit vom Hauſe lag ein grauer ſtillſtehender See, um den uralte verwitterte Weiden ſtanden. Das Maͤdchen ſetzt ſich an den See, und, indem ſie hinein ſieht, iſt es ihr, als wenn ihr fremde baͤrtige Geſichter entgegen ſchauen; da fangen die Baͤume an zu rauſchen, da iſt es, als wenn es in der Ferne geht, da kocht das Waſſer und wird ſchwarz und immer ſchwaͤrzer; — mit einem male, ſieh, ſpringt es in der truͤben Woge wie Fiſch -117Der Blaubart.lein oder Froͤſche, und drei blutige, ganz blutige Haͤnde tauchen ſich hervor, und weiſen mit dem rothen Zeigefinger nach dem Maͤdchen hin —
Blutig? — Schweſter! um Gottes willen ſieh die alte Hexe! wie ſie ihr Geſicht ver - zogen hat! ſieh, Schweſter!
Kind, was iſt dir?
Blutig, ſagſt du? — Ja, blutig, du wildes Scheuſal! — Blutig iſt Euer Leben, ihr Schlaͤchter, ihr graͤßlichen Moͤrder! Fort! Ich mag dein grinſendes Antlitz mir nicht gegenuͤber! fort! — So lange ich noch hier zu befehlen habe, ſollſt du mir gehorchen!
Das ſind ja ganz beſondre Einfaͤlle.
Schweſter, maͤßige dich doch.
Du haſt es nicht geſehn, wie ſie ſich unter der Erzaͤhlung verwandelte.
Du biſt erhitzt, das ſind Einbildungen.
Nun, warum ſpricht ſie auch von Blut? — Ich kann das Wort nicht hoͤren, ohne toll zu werden.
Du mußt dich nothwendig noch zu Bette legen, Schlaf muß dich abkuͤhlen. Komm!
Schlaf? O nein, nicht ſchlafen, ich kann nicht ſchlafen, aber ruhen will ich neben dir, und deine liebe Hand faſſen, indem du mir Troſt einſprichſt.
Wie ewig lange waͤhrt dieſe Nacht! Wird der Tag nicht bald grauen?
Beruhige dich, geliebtes Kind, wir finden wohl aus dem Walde, auch kann der Tag nicht lange mehr ausbleiben: die Finſterniß brach mit dem untergehenden Monde zu ploͤtzlich herein: wir muͤſſen der Waldhuͤtte ganz nahe ſeyn, von der man uns ſagte, daß wir ſie nicht verfeh - len koͤnnten. Nun haben wir ſie doch verfehlt.
Wohin denkſt du jetzt?
Ich bin verdruͤßlich, geſteh ich Dir, recht durch und durch boͤſe auf die Menſchen, die ſich meine Freunde nannten, und da ich nun in dieſer Verlegenheit anfrage und aushorche, ſo ver - ſagt mir dieſer ſeinen Schutz unter der armſelig - ſten Ausflucht, jener ſeine Huͤlfe mit einer mora - liſchen Ausbeugung, ſo daß ich die gewiſſenhaften Eſel alle nach der Reihe zum Kampf fodern moͤchte.
Das haͤtten wir vorher beden - ken ſollen.
Laß uns zu meiner Schweſter und meinem Schwager, dem Blaubart hin, der Menſch iſt eine gute, ehrliche Haut, und ſteht uns gewiß bei. Sind wir erſt vermaͤhlt und haben ſolchen119Der Blaubart.maͤchtigen Fuͤrſprecher, ſo verſoͤhnt ſich auch Dein Vater leicht. Sei nur getroſt, mein Herz, alles wird noch gut.
Ach, Leopold, ich verberge Dir alle meine Thraͤnen und Seufzer.
Verlier den Muth nicht, morgen hat nun das Herumziehn im Lande ein Ende, ich ſage Dir, es muß alles gut werden, es mag wol - len oder nicht, und dann ſind wir gluͤcklich. Hier ſcheint eine lichtere Stelle. Wir wollen hindurch, vielleicht finden wir noch die vermaledeite Huͤtte, daß uns Feuer und Speiſe etwas erquickt. Gieb mir die Hand und folge mir.
Hoͤrteſt Du hier nicht Stimmen, Caspar?
Es klang mir auch ſo vor den Ohren; wer weiß, was es geweſen iſt.
Wie ſo, Caspar?
Nun, man ſpricht nicht gern da - von und nennts noch weniger bei ſeinen Namen. Den wilden Jaͤger muͤßt Ihr ja ſo gut gehoͤrt haben, wie ich. Saht Ihr nicht vor einiger Zeit das Feuer in der Ferne laufen? das iſt der Drache geweſen.
Du biſt aberglaͤubiſch, Caspar? das iſt ja gegen alle vernuͤnftige Grundſaͤtze.
Herr, am Tage hab ich Grund - ſaͤtze trotz einem, aber in der Nacht, verirrt, im finſtern Wald, wo die Baͤume ſo ſauſen, wie hier,120Zweite Abtheilung.wo es aus der Dunkelheit aͤchzt und ſtoͤhnt, und ſich alles in mir und außer mir ſo ſeltſam gebehr - det, da, beſter Herr, laſſen mich meine Grundſaͤtze im Stich.
Haſt Recht, Caspar, Schauder uͤber Schauder laufen einem den Ruͤcken hinab, und griſſeln in den Haaren, und die Vernunft duckt tief, tief unter, und thut, als wenn ſie gar nicht zu Hauſe waͤre.
Ich irre mich nicht, es ſprach hier jemand. Er iſt gewiß zuruͤck gekommen, und kann in der Finſterniß das Haus nicht wieder fin - den. Ulrich!
Hier!
Was machſt du, Caspar? Keiner von uns heißt Ulrich.
Wenn ſolche richtige, offenbare Men - ſchenſtimme ruft, ſo heiß ich in der Finſterniß wie man will.
Wo biſt du? Warum kommſt du nicht naͤher?
Sieht man doch keinen Stich vor den Augen.
Das iſt nicht ſeine Stimme. Wer ſpricht da?
Freund, wer Ihr auch ſeyn moͤgt, helft uns zur Landſtraße, wenn Ihr ſie wißt.
Die Sprache iſt mir bekannt. Erlaubt die Frage, Herr wer ſeid Ihr?
Ich bin der Ritter Hans von Marloff.
Himmel! mein Vater! ſo un - verhoft! O laßt Euch in meine Arme druͤcken. Wie bin ich ſo gluͤcklich, Euch ſo unvermuthet zu finden?
Biſt du mein Sohn? biſt du Rein - hold? laß Dich anfuͤhlen, laß Dich druͤcken und umarmen, herzen und kuͤſſen! Ei du lieber Gott! Caspar, liegen wir nicht etwa im Traume? Iſt es denn wahr? So gehts in der Welt: ein Kind verloren, eins gefunden.
Iſt meine Schweſter todt?
Ach nein, zu lebendig, auf und da - von, mit einem Spielmann — ich vertroͤſte mich noch, es wird der Leopold von Friedheim ſeyn — und ſo reite ich alter Narr ihr nach, und wollte nun zum Ritter Hugo vom Wolfsbrunn, und an - fragen, denn der hat kuͤrzlich die Agnes, meine Pathe, des Leopolds Schweſter geheirathet.
Und was macht Anne?
Auf dem Wege will ich dir alles er - zaͤhlen, ſie iſt der Schweſter gefolgt, harrt und hofft immer noch auf Dich, wie ich mir habe ſa - gen laſſen. Aber wo finden wir nur den Weg?
Es iſt nur drei Schritt von hier.
Und ſeit drei Stunden ſuchen wir ihn mit Haͤnden und Fuͤßen. Zweifelt Ihr nun noch, Herr, daß wir verhext geweſen ſind? — Nun, lieber junger Herr, gebt mir doch auch die Hand. Ha, der Tag koͤmmt auch ſchon herauf. Seht, Herr, er iſt noch ſchoͤner und groͤßer geworden.
Sei mir gegruͤßt, Caspar. Va - ter kommt mit mir, nur hundert Schritt von hier findet Ihr eine Huͤtte und Erquickung; mit dem Tage begleite ich Euch. Mein Knappe muß auch ſogleich eintreffen, den ich ausgeſandt habe. Hier geht der Weg.
Wie ſchoͤn die Sonne aufgegangen iſt!
Das kann mich nicht troͤſten.
Sieh, wie der friſche rothe Strahl zwiſchen den fernen Bergen liegt, wie die Gegend nach und nach in den Morgenglanz hinein tritt.
Ach, Anne!
Was iſt, Schweſter?
Vielleicht kehrt er nicht zuruͤck. — Du haſt mich ſeit der Nacht ſo verwoͤhnt, daß ich zuſammen fahre, wenn du nur nicht im allerzaͤrt - lichſten Tone mit mir ſprichſt. In der Krankheit ſo wie im Ungluͤck werden wir gar zu leicht ver - zogene Kinder.
Ich meine es gewiß gut mit Dir.
Das weiß ich, und das haͤlt mich auch noch aufrecht. — Hoͤrſt du nicht Muſik?
Nein.
Es kommt von der Waldecke dort.
Du biſt uͤberwacht, und davon klingt es Dir wohl im Ohr.
Nein, ich hoͤre die Trompeten gar zu deutlich.
Jetzt hoͤre ich es auch.
O mein Herz klopft gar zu unge - ſtuͤm, — ſie ſinds gewiß. — Indeſſen will ich mich faſſen; es wird vielleicht nicht ſo boͤſe wer - den, als ich fuͤrchte, in der Angſt uͤbertreiben wir nur gar zu leicht vor uns ſelber, — nicht wahr Schweſter?
Gewiß.
Es koͤmmt immer naͤher — es iſt mein Mann, — ich kann ſchon die Fahnen erkennen.
Sie ſinds.
Sieh da, meine Gemahlin! — Gu - ten Morgen Agnes!
Guten Morgen.
Bleib oben, ich komme hinauf. — Laßt die Thore offen, die uͤbrigen kommen ſogleich mit der Beute.
Er koͤmmt herauf! Er war es wirk - lich!
Nimm dich zuſammen, liebe Schwe - ſter, es kann noch alles gut werden.
Das Leben iſt mir zuwider, und doch kann ich vor nichts anderm, als dem Tode zittern. Ich begreife mich ſelber nicht.
Und ſchon ſo fruͤh biſt Du wach?
Ich hatte eine Ahnung, daß du kommen wuͤrdeſt.
Ich komme eher zuruͤck, als ich ver - muthen konnte, der Feind iſt geſchlagen, und viele Reichthuͤmer ſind in meine Gewalt gekommen.
Das Gluͤck begleitet Dich allent - halben.
Meinſt du? — Und wie haſt du ge - lebt unterdeſſen?
Ganz wohl.
Mich duͤnkt Du ſiehſt blaß aus.
Weil wir heute ſo fruͤh aufgeſtan - den ſind.
Koͤmmſt du auch heraufgekrochen, al - ter Hausdrache?
Ich muß Euch doch wohl Gluͤck wuͤnſchen, Herr Ritter.
Ich danke Dir.
Das Fruͤhſtuͤck iſt auch fertig.
Schon gut. — Es iſt eine ſchoͤne Ausſicht von hier oben; wenn man aber ſo hoch125Der Blaubart.ſteht, muß man ſich in Acht nehmen, daß man nicht die Luſt bekoͤmmt hinunter zu ſpringen; die Hoͤhe des Abſturzes lockt das Gemuͤth.
Eine Frau denkt an ſo etwas nicht, aber mein Bruder Simon konnte ſtundenlang da - ruͤber ſprechen.
Hier ſind auch die Schluͤſſel, — doch, ich will ſie Dir lieber nachher geben.
Schon gut. — Und Du haſt alles beſehn?
Mit vielen Freuden; ich habe mich recht an den Koſtbarkeiten ergoͤtzt.
Gieb ſie mir doch lieber jetzt.
Hier. — Den goldnen behalte ich noch zuruͤck.
Wozu denn?
Zum Angedenken.
Naͤrrchen.
Nein, ich gebe ihn Dir im Ernſt noch nicht zuruͤck, ich will Deine Ungeduld einmal auf die Probe ſtellen.
Ich werde leicht ungeduldig.
Und doch iſt unſre Ehe noch zu jung, als daß wir uns jetzt ſchon zanken ſollten.
Nach dem Zank folgt eine deſto an - genehmere Verſoͤhnung.
Du trauſt mir gewiß nicht recht, und, ſiehſt du, lieber Mann, darum will ich, Dir zum Poſſen, den Schluͤſſel noch zuruͤck behalten.
Meinetwegen. — Aber du giebſt ihn mir doch, wenn ich recht ernſtlich darum bitte.
Wenn ich es Dir nun abſchlage?
Je nun, ſo magſt Du ihn ganz behalten.
Ich habe Dich noch nicht bei ſo gu - ter Laune geſehn.
Mir iſt heut wohl, es geht mir alles nach Wunſch. — Nun, kindiſche Frau, gieb mir den Schluͤſſel.
Hier. —
Gut, wir wollen hinunter gehn und fruͤhſtuͤcken.
Kommt, gnaͤdiger Herr.
Was fehlt Dir denn?
Nichts; — wollen wir gehn?
Was iſt denn das hier fuͤr ein Fleck?
Ein Fleck? — Iſt der vielleicht jetzt darauf gekommen?
Jetzt? — Heuchleriſche Schlange! O Agnes, ich dachte nicht, Dich ſo ſchnell wieder zu verlieren. So geſchwind hat mich noch keins meiner Weiber verlaſſen, denn mein Befehl galt ihnen immer doch in den erſten Wochen etwas, und Du —
Erzuͤrnt Euch nicht!
Verfluchte Neugier! —
Durch Dich kam die erſte Suͤnde in die unſchuldige Welt, und immer noch lenkſt du den Menſchen zu ungeheuren Verbrechen, die oft zu ſchwarz und greulich ſind, um nur ge - nannt zu werden. Die Suͤnde der erſten Mutter127Der Blaubart.des Menſchengeſchlechts hat alle ihre nichtswuͤrdi - gen Toͤchter vergiftet, und wehe dem betrogenen Manne, der Eurer falſchen Zaͤrtlichkeit, Euren un - ſchuldigen Augen, Eurem Laͤcheln und Haͤndedruck vertraut! Betrug iſt Euer Handwerk, und um bequemer betruͤgen zu koͤnnen, ſeid Ihr ſchoͤn. Man ſollte Euer ganzes Geſchlecht von der Erde vertilgen. Dieſe ſchaͤndliche Neugier, dieſe Bos - heit des Herzens, dieſe veraͤchtliche Schwachheit Eures Gemuͤthes iſt es, was Euch alle Bande zerreißen, die Treue, die Ihr gelobt, brechen laͤßt, die Euch dann, mit Feigheit geſellt, zu den ver - ruchteſten Mordthaten reißt. Ja zur Hoͤlle, in die Umarmung der Teufel werdet Ihr gelockt, um dieſe Luſt zu buͤßen. — Gut, Du haſt Dir ſelbſt Dein Schickſal gewaͤhlt.
Ihr ſeid mir fuͤrchterlich, erbarmt Euch meiner.
Alte, nimm den Schluͤſſel auf.
Ich ſoll wohl das Kabinet auf - ſchließen? — Gut. — Seht Ihr, nun kommt Ihr ja immer noch fruͤh genug in die Kammer.
Habt Mitleid! vergebt mir meinen Fuͤrwitz, es ſoll Euch nicht gereuen; ich will Euch mit aller meiner Liebe dafuͤr lohnen.
Wenn ich Euch nicht kennte! Ihr verabſcheut mich jetzt, Ihr wuͤrdet entfliehn ſobald ſich nur eine Gelegenheit zeigte.
So jung, und ich ſoll ſchon eines ſo ſchrecklichen Todes ſterben? — O verſtoßt mich128Zweite Abtheilung.als Eure Gattin, und laßt mich als eine Magd hier dienen; laßt mich der Alten unterthaͤnig ſeyn, nur ſchenkt mir das Leben.
Alle deine Bitten ſind vergebens, es iſt gegen mein Geluͤbde.
Seid meiner Schweſter gnaͤdig, laßt Euer Herz ſich erweichen, wie es dem Menſchen geziemt, ertheilt Gnade um Gnade erwarten zu duͤrfen; o ſeht die Angſt des armen Maͤdchens, laßt meine Thraͤnen Euch zu Herzen gehn; ich will nicht ſagen, ihr Fehler iſt gering, aber um ſo groͤßer er iſt, um ſo preiswuͤrdiger iſt Eure Milde.
Lieber, Theurer, ſieh aus guͤtigen Augen, nicht ſo; o laß mich dein Knie flehend beruͤhren, wende dich nicht ſo kalt von mir ab, gedenke der Liebe, die du mir verheißen haſt. Ach, nicht ſo ſchrecklich, ſo ſchrecklich nicht laß mich enden, ſchleppe mich nicht in die Blutkammer, ver - treibe mich in den Wald, zu Hirſchen und Woͤl - fen, nur hier nicht, — nur heut nicht enden!
Alles iſt umſonſt.
Jede Bitte, jede Thraͤne iſt vergebens?
Beim Himmel!
Nun ſo ſteh auf, Schweſter, entweihe deine Knie nicht laͤnger! So hoͤre mich denn zuletzt, du kaltbluͤtiges, blutduͤrſti - ges Ungeheuer, hoͤre, daß ich dich verabſcheue, daß jeder Menſch dich verabſcheuen muß, daß du dei - ner Strafe nicht entrinnen wirſt!
Waͤren nur noch zwei Maͤdchen hier,ſo129Der Blaubart.ſo wollten wir dir mit unſern Naͤgeln die kleinen blinzelnden grauen Augen auskratzen.
Widerliches Unthier! kein Menſch, ſondern eine Mißgeburt! Als deine Mutter dich geboren hatte, haͤtte ſie dich wie einen jungen Hund erſaͤufen ſollen, damit du nicht Ungluͤck in die Welt gebracht haͤtteſt.
Ho ho! was haͤlt mich denn ab, Euch beide von hier hinunter zu ſtuͤrzen? Beſinnt Euch doch, Ihr ſeid ja toll! — Iſt das eine Sprache fuͤr Maͤdchen? — Nun komm, Agnes, unten iſt aufgeſchloſſen.
Und es iſt alſo dein Ernſt? — O weh! ich kann nicht mehr, meine Kraͤfte ſind erſchoͤpft.
Komm!
Ein Gebet zum Himmel zu ſen - den, — ſo viele Zeit wirſt du mir doch noch uͤbrig laſſen?
Aber mach ſchnell, ich warte unten auf dich. —
Ach, Schweſter, waͤre es nicht eben ſo gut, wenn ich jetzt gleich hier hinunter ſpraͤnge? — Aber mir fehlt der Muth. —
Ich will beten. — O wenn doch jetzt meine Bruͤder kaͤmen! — Schweſter, ſieh doch einmal ins Feld hinaus; es waͤre ja doch moͤglich. — Ach! kein Gedanke zum Himmel! — Siehſt du nichts?
Agnes!
Sogleich.
Ich ſehe nichts als Feld und WaldII. [9]130Zweite Abtheilung.und Berg, alles ruhig, kein Wind regt ſich; — die Baͤume hindern hier die Ausſicht.
Wenn du nicht ſchwindelteſt, wollte ich dich wohl bitten, auf den Thurm zu ſteigen, — aber falle ja nicht. — Siehſt du noch nichts?
Agnes!
Den Augenblick!
Nichts, Baͤume, Felder und Berge, und die Luft ſchlaͤgt auf dem Boden kleine Wel - len, ſo warm ſcheint die Sonne.
Ach, und ich kann nicht beten, im - mer ruf ich innerlich wider meinen Willen: Si - mon! Anton! als wenn mir dadurch geholfen wuͤrde.
Agnes, du machſt mich un - geduldig.
Nur noch ein klein Gebet. — Siehſt du noch nichts?
Ich ſehe Staub aufſteigen!
Wohl! wohl!
Weh! weh! es iſt eine Herde Schaafe.
Bin ich aber auch nicht eine Thoͤ - rinn, auf etwas Unmoͤgliches zu hoffen? Ich will mich in mein Schickſal ergeben, und der Tod ſoll mir jetzt lieb ſeyn. Komm herunter, Schweſter, du ſiehſt ja doch nichts, ich will Abſchied von dir nehmen.
Ich ſehe einen Reuter, — zwei. —
Wie? Sollt 'es moͤglich ſeyn?
Sie ſtuͤrzen wie Blitze den Berg her - unter, — einer hinter dem andern. —
O Gott!
Der eine voran, — weit voran. —
Agnes, jetzt komm ich hinauf!
Ich bin ſchon auf dem Wege zu Euch, meine Schweſter umarmt mich nur noch einmal.
Er koͤmmt immer naͤher und naͤher.
Kennſt Du ihn nicht?
Nein, — doch — es iſt Simon. —
O weh! — Da ſtuͤrzt er mit dem Pferde den Huͤgel hinunter, — er rennt zu Fuß. —
Wie iſt mir? — Ich weiß nicht mehr, ob ich lebe oder todt bin.
Er iſt ſchon ganz nahe!
Welch ein ſeltſamer Traum! — Wenn ich doch erſt erwacht waͤre!
Ins Teufels Namen! wo bleibſt du? — Wie? todt? ohnmaͤchtig? — Bei den Haaren ſchleif ich Dich hinunter zur Stelle, wo du blu - ten ſollſt!
Halt! halt! Moͤrder! Boͤ - ſewicht!
Huͤlfe! Huͤlfe!
Welche Stimme? — Welcher Ton, der ſo kreiſchend herauf drang?
Hinunter mit dir! Allen Engeln, allen Teufeln zum Trotz!
Steh, Boͤ - ſewicht!
Wie? Du wagſt es?
Nicht ſprich! das Schwerdt ſoll hier entſcheiden! —
Nun iſt mir wohl! Nun bin ich beruhigt. — Agnes! Gott im Him - mel, ſie iſt todt!
Agnes! liebſte Schweſter! — O Bruder, Dank dir! — Agnes, alle Gefahr iſt voruͤber. — Sie ſchlaͤgt die Augen auf.
Wo bin ich? — Ach Gott, Simon! Du biſt wirklich da? — Wo biſt du hergekom - men? — Und der Moͤrder —
Da liegt er todt zu deinen Fuͤßen. — O ich weiß kaum, wie ich hergekommen bin, wie Sturmwinde trug es mich her, und als ich erſt der Burg anſichtig ward, dein Tuch flattern ſahe — Alles iſt jetzt gut. — Komm hinunter, der Anblick dieſes Scheuſals ſoll dich nicht mehr aͤngſtigen.
Unſre Pferde geſtuͤrzt, — und hier iſt alles jetzt ruhig. — Die Schweſter winkte, mich duͤnkt, Hugo und Simon kaͤmpften, — ich geh hinein, um dem Bruder zu helfen.
Was ſeh ich? Mir entgegen kommt Ihr ſo dreiſt?
O mein Vater, der Zufall fuͤhrt mich wieder zu Euren Fuͤßen; um ſo un - erwarteter, um ſo guͤtiger ſei Eure Vergebung.
Biſt du noch mein Kind? Kennſt du noch deinen alten Vater? Nein, ein Kind kraͤnkt den Vater nicht, haͤuft nicht Schmach auf ſein greiſes Haupt.
Verzeihung.
Vergebt uns.
Alſo der Leopold hat mir ſo loſen Streich geſpielt?
Alles vergeſſen und vergeben. Nicht wahr, mein lieber Vater?
Vater! Ziemlich vorlaut. Indeſſen es ſei, mein wiedergefundener Sohn Reinhold hat ſchon fuͤr euch gebeten; Brigitte, du kannſt dich bei deinem Bruder bedanken. Ich muß ja froh ſein, daß der junge Wildfang nur kein Spiel - mann iſt.
Hier unter dieſen Baum ſetz dich, —
Kleiner, gieb den Becher Wein134Zweite Abtheilung.her. So, trink, erhole dich und faſſe deine Ver - nunft wieder zuſammen. Die Alte hat ſich auch verzweifelnd aus dem Fenſter geſtuͤrzt. — Nun, Bruder Anton, gelt, du wirſt mich nicht mehr fuͤr einen Narren halten?
Nein, Bruder, wir alle haben dir unſer Gluͤck zu danken. Dieſe Knechte haben mich fuͤr ihren Herrn erkannt, wir theilen uns die Schaͤtze des Gefallenen und Agnes kehrt wie - der nach Friedheim zuruͤck.
Euern Seegen mein Vater, dann ſind wir alle gluͤcklich.
Der Himmel ſeegne euch, meine geliebten Kinder.
Was iſt denn das?
Das iſt der Schatz des Blaubarts, den er noch erwartet hat.
Was ſich in dieſer Saͤnfte befindet, ſei Euch, Ihr Knappen und Knechte, uͤbergeben, ich verlange keinen Theil daran.
Es lebe der edle Ritter Anton von Friedheim!
Zu viel Huͤlfe, wie erſt zu wenig, laßt gut ſein, Leute, ich komme ſchon. — Ach, da iſt ja auch der Leopold! Iſt das recht, ſeinen Bundesgenoſſen ſo in Stich zu laſſen? Wie hab ich mich fuͤr Euch aufgeopfert!
Seid nicht ungeduldig, ich bin Euch dankbar fuͤr Eure Freundſchaft.
Meine Freunde, laßt uns in den Saal gehn und beim froͤhlichen Mahl, in welchem der Becher kreiſet, alle Sorgen und die Erinne - rungen der Leiden nieder trinken, auch den Knap - pen und Knechten ſoll Wein und Speiſe geſpendet werden, ſo wie ihnen allen der Theil am Reich - thum des erſchlagenen Hugo nicht entgehn wird, den ich ihnen beſtimmt hatte.
Wir danken, wir danken, edler Herr.
Wie? und die ſchoͤne Agnes iſt wieder Wittwe? — Hoͤrt doch, Freund Leopold, nicht wahr, da koͤnnte ich mich doch nun wieder praͤſentiren, ſeht, ich wollte ein Ehemann wie ein Lamm, wie ein Engel ſeyn, das muͤſte ihr denn doch nach dem Wuͤthrich gut ankommen. Nicht?
Fallt nur nicht mit der Thuͤr ins Haus, verſucht uͤber Jahr und Tag euer Gluͤck.
Tretet hinein, meine Freunde.
O mein Hut, mein ſchoͤner Hut, der liegt noch in der Saͤnfte. Schnell! Wie konnte ich das nur vergeſſen? Mit dem verbunde - nen Kopf und mit dieſer Muͤtze ſehe ich zu er - baͤrmlich aus. — So, nun ſind die Spuren aller Leiden vertilgt, nun koͤnnen wir wieder froͤhlich ſein.
Die Damen bezeigten ihren Beifall; nach - dem man eine Weile uͤber das Schauſpiel ge - ſprochen hatte, fragte Clara, woher nur dieſe Angewoͤhnung, ja dieſes Geſetz, die dramatiſchen Gedichte in fuͤnf Akte abzufaſſen?
Es iſt ſchwer zu ſagen, antwortete Lothar, warum dieſer Gebrauch uns ſo durchaus noth - wendig duͤnkt; bloße Gewohnheit und Conven - tion iſt wohl dieſe ſcheinbare Zufaͤlligkeit nicht, ſondern dieſe Sitte entſpringt wohl auch, wie ſo manches andre, von dem wir keine Rechen - ſchaft geben koͤnnen, aus einer innern verhuͤllten Nothwendigkeit. Ein dramatiſches Gedicht von groͤßerem Umfange muß ſeine Pauſen und Ru - hepunkte haben, das fuͤhlen und wuͤnſchen wir alle, denn wir wollen die einzelnen Theile be - merken, aus welchen das Ganze zuſammen ge - ſetzt iſt, um in ihnen das Ganze leichter zu faſ - ſen und lebendiger uns vorzuſtellen. Die Ge - wohnheit, ein dramatiſches Gedicht in fuͤnf Theile zu zerwerfen, iſt ſchon ſehr alt, die Neuern ha - ben ebenfalls dieſe Zahl angenommen, außer die Spanier, welche drei Abſchnitte feſt geſezt ha - ben, die man in den meiſten ihrer Dramen fin - det. Shakſpear ſpielte ſeine Schauſpiele wohl faſt alle ohne bedeutende Unterbrechung, doch laͤßt ſich die Eintheilung in fuͤnf Akte auch bei ihm nachweiſen, und es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Pauſen, wenn ſie gleich in ſeinem Theater137Zweite Abtheilung.nicht mit Muſik ausgefuͤllt, doch wenigſtens an - gedeutet wurden.
Laͤßt ſich denn aber gar kein Grund fuͤr oder wieder gewiſſe Zahlen angeben? fragte Clara.
Es muß wohl, antwortete Lothar, ein Ge - fuͤhl fuͤr Schoͤnheit, Proportion und Harmonie ſeyn, welches uns hierin beſtimmt. Hans Sachs theilt die meiſten ſeiner Schauſpiele in ſieben Akte, und er hat dies, glaub ich, mit andern alten Dichtern jener Zeit gemein. Dieſe Zahl empfiehlt ſich durch den groͤßern Umfang, den ſie zulaͤßt, da in den vielfachen Pauſen die Ge - ſchichte außerordentlich fortruͤcken kann, ſie haͤngt wohl mit der Anzahl der Planeten und der Le - bensſtufen zuſammen, und noch Shakſpear ſagt: „ das Schauſpiel des Lebens beſteht aus ſieben Akten; “dieſe Eintheilung waͤre mit Vortheil in Gedichten, die nicht fuͤr die Buͤhne geeignet ſind, anzuwenden, um ein großes, mannichfaltiges Ge - webe zuſammen zu halten, und die Ueberſicht zu erleichtern, denn die Eintheilung in ſechs Akte, wie im Zarbino, iſt gerade hin zu verwerfen, da ſich bei dieſer das Gedaͤchtniß verwirrt, oder das Ganze wieder in drei Abtheilungen aufloͤſt. Sechs iſt in aller Kunſt eine ungeſchickte Zahl. Eben ſo unerlaubt iſt es, ein Nachſpiel in zwei Akten zu ſchreiben, (viele Opern ſind zu meinem Mißvergnuͤgen ſo eingetheilt) denn wir wollen Anfang, Mittel und Ende in allen Dingen, nicht bloß zwei Haͤlften. Der Dichter, welcher ein138Zweite Abtheilung.kleines Stuͤck nicht in einen Akt zu bringen ver - mag, iſt ſeines Gegenſtandes entweder noch nicht maͤchtig geworden, oder er hat ein groͤßeres Ge - dicht zu ſehr zuſammengedraͤngt, und es an ei - nem Akte fehlen laſſen.
So muͤſſen alſo die Spanier wohl, ſagte Clara, die vollkommenſte Eintheilung ihrer Schau - ſpiele getroffen haben.
Fuͤr die ſymmetriſche Bearbeitung ihrer Ge - genſtaͤnde ohne Zweifel, antwortete Lothar, doch ſcheint die Zahl Fuͤnf nur eine kuͤnſtlich erwei - terte und verhuͤllte Drei; ich meine nehmlich, daß ſich hier die Symmetrie, Theſis, Antithe - ſis und Syntheſis mehr verbirgt und weniger in die Augen faͤllt; die Regel iſt hier beſcheide - ner und die Aufgabe einer richtigen Abtheilung daher um ſo ſchwieriger. Drei iſt mehr mathe - matiſch, Fuͤnf organiſch, Sieben myſtiſch; durch die Einfachheit neigt ſich die Drei mehr zur Alle - gorie, die Fuͤnf iſt leichtſinniger und verſtaͤndiger, wenn gleich weniger philoſophiſch.
Gewiß, warf Manfred ein, iſt in dieſen anſcheinenden Zufaͤlligkeiten, die ſeltſam klingen, wenn man ſie motiviren will, doch Grund und Urſach anzutreffen, denn ein Schauſpiel in fuͤnf Akten ſoll gleich von innen heraus anders ge - arbeitet ſeyn, als dasjenige, welches in drei Theile zerfaͤllt. Die Franzoͤſiſche Buͤhne haͤtte in allen ihren Tragoͤdien nicht die vielen Luͤcken - buͤßer und leeren Epiſoden erhalten, wenn der139Zweite Abtheilung.Eid in drei ſtatt in fuͤnf Akten waͤre geſchrieben worden (ſo wie er wohl im Spaniſchen Ori - ginal war, welches ich nie geſehn habe), und wenn dieſes Beiſpiel ſogleich Autoritaͤt genug erhalten haͤtte, um nachgeahmt zu werden.
Im erſten Entwurf, fuhr Lothar fort, zer - faͤllt dem Dichter, zumal demjenigen, der eine ſogenannte regelmaͤßige Tragoͤdie ſchreiben will, die Materie gewiß in vier Theile; die naͤchſte, natuͤrlichſte, aber auch unkuͤnſtlichſte Anordnung eines Schauſpiels. Die Begebenheit kuͤndigt ſich an, verwirrt ſich, erreicht ihr hoͤchſtes Intereſſe und wird beſchloſſen. In dieſer Anordnung bleibt aber unſer Gemuͤth voͤllig unbefriedigt, weil wir fuͤhlen, daß ſie keine iſt, ſondern daß Willkuͤr und Anarchie in ſolchem Werke herrſchen, oder jene Bequemlichkeit, die mit der Kunſt ganz un - vereinbar iſt. Fruͤhere Spaniſche Theaterſtuͤcke waren ſo abgefaßt, und Cervantes ſagt, die Kunſt ſey damals auf allen Vieren gegangen.
Es iſt ſehr wahr, fuͤgte Ernſt hinzu, daß in vielen dieſer regelmaͤßigen einfachern Werke der vierte Akt nur eine Vorbereitung zum fuͤnf - ten iſt, oft ſcheint auch mit dem vierten Akte ein neues Schauſpiel zu beginnen, weil das Hauptintereſſe mit dem dritten beſchloſſen wurde. Alfieri klagt in den Bemerkungen uͤber ſeine Tra - goͤdien mehr als einmal, wie ſchwer ihm der vierte Akt geworden, und wie unnuͤtz er ſey. So iſt in unſerer vortreflichen Iphigenia nach140Zweite Abtheilung.dem dritten Aufzuge ein Stillſtand, wir ſehn nur eine Vorbereitung des Schluſſes; im Taſſo iſt der vierte Akt vielleicht der ſchoͤnſte, aber der dritte enthaͤlt dafuͤr dieſe Vorbereitungen zum vierten; die Eugenie, moͤchte ich ſagen, beſteht faſt nur aus fuͤnf erſten Akten.
Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den Schluß fuͤr die ſchwierigſte Aufgabe der Kunſt gehalten, gewiß aber iſt der vierte Akt die Klip - pe, an welcher ſo manches, ſonſt auch gute Stuͤck, ſcheitert. Jeder von uns wird die Er - fahrung gemacht haben, wie friſch unſre Auf - merkſamkeit beim Anfang des Schauſpiels iſt, wie ſchnell uns der erſte Akt verſchwindet: die - ſelbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf den dritten, der uns gewiß noch unterhaͤlt, nach dieſem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer - ſtreutheit bei allen Zuſchauern, durch welche man - cher Dichter wohl ſchon zu dem Wunſch mag gebracht worden ſeyn, daß nach dem dritten Akt ſogleich der fuͤnfte folgen koͤnnte. Es iſt daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung ſich im zweiten Akt neben der Handlung eine ſcheinbare Epiſode etwas ausbreitet, im dritten Akt die Verwirrung und die Leidenſchaften noch nicht auf das hoͤchſte geſpannt ſind, damit er - greifende Scenen dem vierten uͤbrig bleiben, und ſo die Cataſtrophe etwas Ueberraſchendes ent - haͤlt, und immer noch fruͤh genug zu kommen141Zweite Abtheilung.ſcheint, indem ſie aufgehalten wird. Shakſpear iſt auch hierin Meiſter.
Außer im Hamlet, ſagte Ernſt, denn man mag den vierten Akt anheben, wo man will, ſo erſcheint er gegen die vorhergehenden Scenen kalt und leer: es iſt, als wenn ein neues Schau - ſpiel beginnen wollte.
Wie haben Sie denn, um etwas anders zu ſprechen, im Staͤdtchen die Schauſpielergeſell - ſchaft gefunden? fragte Auguſte, gegen Lothar gewendet.
Merkwuͤrdig genug, antwortete dieſer, und ich fuͤrchte nur, zu weitlaͤufig zu werden, da es ſchon ſpaͤt iſt, ſonſt wollte ich Ihnen noch heut meinen Bericht daruͤber abſtatten. Und wie haben Sie Ihren Morgen angewendet, indeß die Reiſenden die Gegenden betrachteten?
Wir waren mit Muſik beſchaͤftigt, antwor - tete Auguſte, hauptſaͤchlich mit den Pſalmen des Marcello.
Kann man auch nicht umhin, ſagte Ernſt, dieſen Muſiker einen Manieriſten zu nennen, denn man erkennt ihn ſogleich in den erſten Takten eines jeden Singeſtuͤckes, ſo hat ſeine Phantaſie doch einen großartigen Schwung, und alle ſeine Werke ſind wahrhaft enthuſiaſtiſch. Wie herr - lich iſt ſein Pſalm: Qual anelante, oder Grand 'Iddio, ſo wie O d'immensa pieta, nicht min - der Signor quanto etc., — und ſelbſt dann, wenn er ſich in das Gewoͤhnliche verliert, ha -142Zweite Abtheilung.ben ſeine Werke noch einzelne wunderbar ſchoͤne Stellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen folgendes herzuſagen, bevor wir uns trennen. Alle waren begierig, und Ernſt deklamirte fol - gende Verſe:
Als die Geſellſchaft ſich am folgenden Mor - gen verſammelte, waren alle etwas verſtimmt, denn ein truͤber Himmel lag auf der ſchoͤnen Landſchaft, und ein Regen troͤpfelte herab, deſſen ruhiger und langſamer Fall fortdauerndes ſchlech - tes Wetter anzukuͤndigen ſchien. Da kein un - terhaltendes Geſpraͤch in den Gang kommen wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu - flucht, und Clara kramte in den Muſikalien, um Stuͤcke auszuſuchen, die man vorzuͤglich liebte, und die ſeit lange nicht waren geſungen wor -144Zweite Abtheilung.den. So vergingen die Stunden. Nach Tiſche ſagte Clara: in dieſem kalten, herbſtaͤhnlichen Wetter, koͤnnte man melankoliſch werden; Frie - drich ſitzt tiefſinnig auf ſeinem Zimmer und ſchreibt, Lothar hat ſich in ſeiner Leidenſchaft fuͤrs Theater zu Pferde aufgemacht, um im Staͤdt - chen ein Schauſpiel auffuͤhren zu ſehn; was fan - gen wir uͤbrigen nur heut an? Heut ſollten uns die Herren etwas recht Luſtiges, Seltſames vor - tragen, dergleichen Zeug, wie ich immer mit Wohlgefallen in Gherardis Italiaͤniſchem Thea - ter geleſen habe, das in ſeinen Poſſen die ganze Welt nach meiner Meinung anmuthig parodirt.
Eben ſo, ſagte Theodor, iſt mir der Ulyſ - ſes von Ithaka von Holberg erſchienen. Ich biete Ihnen heut an, ſo viel ich von dieſer Art beſitze, eine luſtige Compoſition, die ganz Schaum und leichter Scherz iſt, und die Sie nicht ernſthafter nehmen muͤſſen, als ſie gemeint iſt; doch kann man wohl nicht leicht uͤber das Theater ſcherzen, ohne zugleich uͤber die Welt zu ſcherzen, denn beides fließt, vorzuͤglich in un - ſern Tagen, ſehr in einander. Unſer Manfred wird an dieſes Gewebe, welches ich Ihnen vor - lege, und das ehemals meinen Freunden unter - haltend duͤnkte, ein aͤhnliches fuͤgen, denn heut, ſo ſcheint es, behalten wir fuͤr unſre Vorleſun - gen Zeit genug uͤbrig.
Er nahm ſein Manuſkript und fing an:
Ein Kindermaͤhrchen in drei Akten, mit Zwiſchenſpielen, einem Prologe und Epiloge.
ſeine Tochter.
Hofgelehrter.
Hofnarr.
Bruͤder und Bauern.
Bruͤder und Bauern.
ein Kater.
Bauern.
ein Popanz.
Zuſchauer.
Aber ich bin doch in der That neugierig. — Lie - ber Herr Muͤller, was ſagen Sie zu dem heuti - gen Stuͤcke?
Ich haͤtte mir eher des Himmels Einfall vermuthet, als ein ſolches Stuͤck auf un - ſerm großen Theater zu ſehn — auf unſerm Na - tional-Theater! Ei! ei! nach allen den Wochen - ſchriften, den koſtbaren Kleidungen, und den vie - len, vielen Ausgaben!
Kennen Sie das Stuͤck ſchon?
Nicht im mindeſten. — Einen wunderlichen Titel fuͤhrt es: Der geſtiefelte Kater. — Ich hoffe doch nimmermehr, daß man die Kinderpoſſen wird aufs Theater bringen.
Iſt es denn vielleicht eine Oper?
Nichts weniger, auf dem Komoͤ - dienzettel ſteht: ein Kindermaͤhrchen.
Ein Kindermaͤhrchen? Aber ums Himmels Willen, ſind wir denn Kinder, daß man uns ſolche Stuͤcke auffuͤhren will? Es wird doch wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen?
Wie ich es mir zuſammen reime, ſo iſt es eine Nachahmung der neuen Arkadier, und es kommt ein verruchter Boͤſewicht, ein kater - artiges Ungeheuer vor, mit dem es faſt ſolche Be - wandniß, wie mit dem Tarkaleon hat, nur daß er etwa ſtatt roth ums Maul, ſchwaͤrzlich gefaͤrbt iſt.
Das waͤre nun nicht uͤbel, denn ich habe ſchon laͤngſt gewuͤnſcht, eine ſolche recht wunderbare Oper einmal ohne Muſik zu ſehn.
Wie? Ohne Muſik? Ohne Muſik, Freund, iſt dergleichen abgeſchmackt, denn ich ver - ſichre Sie, Liebſter, Beſter, nur durch dieſe himm - liſche Kunſt bringen wir alle die Dummheiten hin - unter. Ei was, genau genommen ſind wir uͤber Fratzen und Aberglauben weg; die Aufklaͤrung hat ihre Fruͤchte getragen, wie ſichs gehoͤrt.
So iſt es wohl ein ordentliches Familiengemaͤhlde, und nur ein Spaß, gleichſam ein einladender Scherz mit dem Kater, nur eine Veranlaſſung, wenn ich ſo ſagen darf, oder ein bizarrer Titel, Zuſchauer anzulocken.
Wenn ich meine rechte Mei - nung ſagen ſoll, ſo halte ich das Ganze fuͤr einen149Der geſtiefelte Kater.Pfiff, Geſinnungen, Winke unter die Leute zu bringen. Ihr werdet ſehen, ob ich nicht Recht habe. Ein Revolutionsſtuͤck, ſo viel ich begreife, mit abſcheulichen Fuͤrſten und Miniſtern, und dann ein hoͤchſt myſtiſcher Mann, der ſich mit einer geheimen Geſellſchaft tief, tief unten in einem Keller verſammelt, wo er als Praͤſident etwa verlarvt geht, damit ihn der gemeine Haufe fuͤr einen Kater haͤlt. Nun da kriegen wir auf jeden Fall tiefſinnige und religioͤſe Philoſophie und Frei - maurerei. Endlich faͤllt er als das Opfer der guten Sache. O du Edler! Freilich mußt du geſtiefelt ſeyn, um allen den Schurken die vielen Tritte in dem gefuͤhlloſen Hintern geben zu koͤnnen!
Sie haben gewiß die richtige Ein - ſicht, denn ſonſt wuͤrde ja der Geſchmack abſcheu - lich vor den Kopf geſtoßen. Ich muß wenigſtens geſtehn, daß ich nie an Hexen oder Geſpenſter habe glauben koͤnnen, viel weniger an den geſtie - felten Kater.
Es iſt das Zeitalter fuͤr dieſe Phantome nicht mehr.
Doch, nach Umſtaͤnden. Koͤnnte nicht in recht bedraͤngter Lage ein großer Abge - ſchiedener unerkannt als Hauskater im Pallaſt wan - deln, und ſich zur rechten Zeit wunderthaͤtig zu erkennen geben? Das begreift ſich ja mit der Ver - nunft, wenn es hoͤheren und myſtiſchen Endzwecken dient. — Da koͤmmt ja Leutner, der wird uns vielleicht mehr ſagen koͤnnen.
150Zweite Abtheilung.Guten Abend, guten Abend! Nun, wie gehts?
Sagen Sie uns nur, wie es mit dem heutigen Stuͤcke beſchaffen iſt.
Schon ſo ſpaͤt? Da komm ich ja grade zur rechten Zeit. — Mit dem Stuͤcke? Ich habe ſo eben den Dichter geſprochen, er iſt auf dem Theater und hilft den Kater anziehn.
Hilft? — der Dichter? — den Kater? — Alſo kommt doch ein Kater vor?
Ja freilich, und er ſteht ja auch auf dem Zettel.
Wer ſpielt ihn denn?
Ja, der fremde Akteur, der große Mann.
Da werden wir einen Goͤtter - genuß haben. Ei, wie doch dieſer Genius, der alle Charaktere ſo innig fuͤhlt und fein nuancirt, dieſes Individuum eines Katers heraus arbeiten wird! Ohne Zweifel Ideal, im Sinn der Alten, nicht unaͤhnlich dem Pygmalion, nur Soccus hier, wie dort Cothurn. Doch ſind Stiefeln freilich Cothurne, und keine Sokken. Ich ſchwebe noch im Dilemma des Zweifels. — O, meine Herren, nur ein wenig Raum fuͤr meine Schreibtafel und Bemerkungen.
Aber wie kann man denn ſolches Zeug ſpielen?
Der Dichter meint, zur Abwech - ſelung, —
Eine ſchoͤne Abwechſelung! Warum nicht auch den Blaubart, und Rothkaͤppchen oder Daͤumchen? Ei! der vortrefflichen Sujets fuͤrs Drama!
Wie werden ſie aber den Kater an - ziehn? — Und ob er denn wirkliche Stiefeln traͤgt?
Ich bin eben ſo begierig wie Sie alle.
Aber wollen wir uns denn wirk - lich ſolch Zeug vorſpielen laſſen? Wir ſind zwar aus Neugier hergekommen, aber wir haben doch Geſchmack.
Ich habe große Luſt zu pochen.
Es iſt uͤberdies etwas kalt. Ich mache den Anfang.
Weswegen wird denn gepocht?
Den guten Geſchmack zu retten.
Nun, da will ich auch nicht der Letzte ſeyn.
Still! Man kann ja die Muſik nicht hoͤren.
Aber man ſollte doch das Stuͤck auf jeden Fall erſt zu Ende ſpielen laſſen, denn man hat doch ſein Geld ausgegeben, und in der Comoͤdie wollen wir doch einmal ſeyn, aber her - nach wollen wir pochen, daß man es vor der Thuͤr hoͤrt.
Nein, jetzt, jetzt, — der Geſchmack, — die Regeln, — die Kunſt, — alles geht ſonſt zu Grunde.
Meine Herren ſoll man die Wache herein ſchicken?
Wir haben bezahlt, wir machen das Publikum aus, und darum wollen wir auch un - ſern eignen guten Geſchmack haben und keine Poſſen.
Aber das Pochen iſt un - gezogen und beweiſt, daß ſie keinen Geſchmack haben. Hier bei uns wird nur geklatſcht und be - wundert, denn ſolch honettes Theater, wie das unſere hier, waͤchſt nicht auf den Baͤumen, muͤſſen Sie wiſſen.
Das Stuͤck wird ſogleich ſeinen Anfang nehmen.
Kein Stuͤck, — wir wollen kein Stuͤck, — wir wollen guten Geſchmack, —
Geſchmack! Geſchmack!
Ich bin in Verlegenheit; — was meinen Sie, wenn ich fragen darf!
Geſchmack! — Sind Sie ein Dichter, und wiſſen nicht einmal, was Ge - ſchmack iſt?
Bedenken Sie einen jungen An - faͤnger —
Wir wollen nichts von Anfaͤn - ger wiſſen, — wir wollen ein ordentliches Stuͤck ſehn, — ein geſchmackvolles Stuͤck!
Von welcher Sorte? Von welcher Farbe?
Familiengeſchichten.
Lebensrettungen.
Sittlichkeit und deutſche Geſinnung.
Religioͤs erhebende, wohlthu - ende geheime Geſellſchaften!
Huſſiten und Kinder!
Recht ſo, und Kirſchen dazu, und Viertelsmeiſter!
Meine Herren —
Iſt der der Dichter?
Er ſieht wenig wie ein Dichter aus.
Naſeweis.
Meine Herren, — verzeihen Sie meiner Keckheit —
Wie koͤnnen Sie ſolche Stuͤcke ſchreiben? Warum haben ſie ſich nicht gebildet?
Vergoͤnnen Sie mir nur eine Mi - nute Gehoͤr, ehe Sie mich verdammen. Ich weiß, daß ein verehrungswuͤrdiges Publikum den Dich - ter richten muß, daß von Ihnen keine Appellation ſtatt findet, aber ich kenne auch die Gerechtigkeits - liebe eines verehrungswuͤrdigen Publikums, daß es mich nicht von einer Bahn zuruͤck ſchrecken wird, auf welcher ich ſeiner guͤtigen Leitung und ſeiner Einſichten ſo ſehr bedarf.
Er ſpricht nicht uͤbel.
Er iſt hoͤflicher, als ich dachte.
Er hat doch Reſpekt vor dem Publikum.
Ich ſchaͤme mich, die Eingebung154Zweite Abtheilung.meiner Muſe ſo erleuchteten Richtern vorzufuͤhren, und nur die Kunſt unſrer Schauſpieler troͤſtet mich noch einigermaßen, ſonſt wuͤrde ich ohne weitere Umſtaͤnde in Verzweiflung verſinken.
Er dauert mich.
Ein guter Kerl!
Als ich dero guͤtiges Pochen ver - nahm, — noch nie hat mich etwas dermaßen er - ſchreckt, ich bin noch bleich und zittre, und begreife ſelbſt nicht, wie ich zu der Kuͤhnheit komme, ſo vor Ihnen zu erſcheinen.
So klatſcht doch!
Ich wollte einen Verſuch machen, durch Laune, wenn ſie mir gelungen iſt, durch Hei - terkeit, ja, wenn ich es ſagen darf, durch Poſſen zu beluſtigen, da uns unſre neuſten Stuͤcke ſo ſel - ten zum Lachen Gelegenheit geben.
Das iſt auch wahr.
Er hat Recht, — der Mann.
Bravo! bravo!
Bravo! bravo!
Moͤgen Sie, Verehrungswuͤrdi - ge, jetzt entſcheiden, ob mein Verſuch nicht ganz zu verwerfen ſei. Mit Zittern zieh ich mich zu - ruͤck, und das Stuͤck wird ſeinen Anfang nehmen.
Bravo! bravo!
Da Capo! —
Ich glaube, daß nach dem Ableben unſers Vaters unſer kleines Vermoͤgen ſich bald wird eintheilen laſſen. Ihr wißt, daß der ſeelige Mann nur drei Stuͤck von Belang zuruͤck gelaſſen hat: ein Pferd, einen Ochſen und jenen Kater dort. Ich, als der aͤlteſte, nehme das Pferd, Barthel, der naͤchſte nach mir, bekoͤmmt den Ochſen, und ſo bleibt denn natuͤrlicherweiſe fuͤr unſern juͤngſten Bruder Gottlieb der Kater uͤbrig.
Um Gottes Willen! hat man ſchon eine ſolche Expoſition geſehn! Man ſehe doch, wie tief die dramatiſche Kunſt geſun - ken iſt!
Aber ich habe doch alles recht gut verſtanden.
Das iſt ja eben der Fehler, man muß es dem Zuſchauer ſo verſtohlener Weiſe un -156Zweite Abtheilung.ter den Fuß geben, ihm aber nicht ſo geradezu in den Bart werfen.
Aber man weiß doch nun, woran man iſt.
Das muß man ja durchaus nicht ſo geſchwind wiſſen; daß man ſo nach und nach hinein koͤmmt, iſt ja eben der beſte Spaß.
Die Illuſion leidet darunter, das iſt ausgemacht.
Ich glaube, Bruder Gottlieb, du wirſt auch mit der Eintheilung zufrieden ſeyn, du biſt leider der juͤngſte, und da mußt du uns einige Vorrechte laſſen.
Freilich wohl.
Aber warum miſcht ſich denn das Pupillenkollegium nicht in die Erbſchaft? das ſind ja Unwahrſcheinlichkeiten, die unbegreiflich bleiben!
So wollen wir denn nur gehn, lie - ber Gottlieb, lebe wohl, laß dir die Zeit nicht lang werden.
Adieu.
Sie gehn fort — und ich bin allein. — Wir haben alle drei unſre Huͤtten; Lorenz kann mit ſeinem Pferde doch den Acker bebauen, Barthel kann ſeinen Ochſen ſchlachten und einſalzen, und eine Zeitlang davon leben, — aber was ſoll ich armer Ungluͤckſeeliger mit meinem Kater anfangen? — Hoͤchſtens kann ich mir aus ſeinem Felle fuͤr den Winter einen Muff machen laſſen, aber ich glaube, er iſt jetzt noch dazu in der Mauße. —157Der geſtiefelte Kater.Da liegt er und ſchlaͤft ganz ruhig. — Armer Hinze! Wir werden uns bald trennen muͤſſen. Es thut mir leid, ich habe ihn auferzogen, ich kenne ihn, wie mich ſelber, — aber er wird daran glau - ben muͤſſen, ich kann mir nicht helfen, ich muß ihn wahrhaftig verkaufen. — Er ſieht mich an, als wenn er mich verſtaͤnde, es fehlt wenig, ſo fang ich an zu weinen.
Nun, ſeht Ihr wohl, daß es ein ruͤhrendes Familiengemaͤhlde wird? Der Bauer iſt arm und ohne Geld, er wird nun in der aͤußer - ſten Noth ſein treues Hausthier verkaufen, an irgend ein empfindſames Fraͤulein, und dadurch wird am Ende ſein Gluͤck gegruͤndet werden. Sie verliebt ſich in ihn und heirathet ihn. Es iſt eine Nachahmung vom Papagey von Kotzebue, aus dem Vogel iſt hier eine Katze gemacht, und das Stuͤck findet ſich von ſelbſt.
Nun es ſo koͤmmt, bin ich auch zufrieden.
Mein lieber Gottlieb, — ich habe ein ordent - liches Mitleiden mit Euch.
Wie, Kater, du ſprichſt?
Der Kater ſpricht? — Was iſt denn das?
Unmoͤglich kann ich da in eine ver - nuͤnftige Illuſion hinein kommen.
Eh ich mich ſo taͤuſchen laſſe, will ich lieber zeitlebens kein Stuͤck wieder ſehn.
Warum ſoll ich nicht ſprechen koͤn - nen, Gottlieb?
Ich haͤtt es nicht vermuthet, ich habe zeitlebens noch keine Katze ſprechen hoͤren.
Ihr meint, weil wir nicht immer in alles mitreden, waͤren wir gar Hunde.
Ich denke, Ihr ſeid bloß dazu da, Maͤuſe zu fangen.
Wenn wir nicht im Umgange mit den Menſchen eine gewiſſe Verachtung gegen die Sprache bekaͤmen, ſo koͤnnten wir alle ſprechen.
Nun, das geſteh ich! — Aber warum laßt Ihr euch denn ſo gar nichts merken?
Um uns keine Verantwortung zuzu - ziehen, denn wenn uns ſogenannten Thieren noch erſt die Sprache angepruͤgelt wuͤrde, ſo waͤre gar keine Freude mehr auf der Welt. Was muß der Hund nicht alles thun und lernen! Wie wird das Pferd gemartert! Es ſind dumme Thiere, daß ſie ſich ihren Verſtand merken laſſen, ſie muͤſſen ihrer Eitelkeit durchaus nachgeben; aber wir Katzen ſind noch immer das freieſte Geſchlecht, weil wir uns bei aller unſrer Geſchicklichkeit ſo ungeſchickt anzu - ſtellen wiſſen, daß es der Menſch ganz aufgiebt, uns zu erziehen.
Aber warum entdeckſt Du mir das alles?
Weil Ihr ein guter, ein edler Mann ſeid, einer von den wenigen, die keinen Gefallen159Der geſtiefelte Kater.an Dienſtbarkeit und Sklaverei finden, ſeht, dar - um entdecke ich mich Euch ganz und gar.
Braver Freund!
Die Menſchen ſtehn in dem Irr - thume, daß an uns jenes ſeltſame Murren, das aus einem gewiſſen Wohlbehagen entſteht, das ein - zige Merkwuͤrdige ſey, ſie ſtreicheln uns daher oft auf eine ungeſchickte Weiſe, und wir ſpinnen dann gewoͤhnlich nur, um uns vor Schlaͤgen zu ſichern. Wuͤßten ſie aber mit uns auf die wahre Art um - zugehn, glaube mir, ſie wuͤrden unſre gute Natur zu allem gewoͤhnen, und Michel, der Kater bei Eurem Nachbar, laͤßt es ſich ja auch zuweilen gefallen, fuͤr den Koͤnig durch einen Tonnenband zu ſpringen.
Da haſt Du Recht.
Ich liebe Euch, Gottlieb, ganz vor - zuͤglich. Ihr habt mich nie gegen den Strich ge - ſtreichelt, Ihr habt mich ſchlafen laſſen, wenn es mir recht war, Ihr habt Euch widerſetzt, wenn Eure Bruͤder mich manchmal aufnehmen wollten, um mit mir ins Dunkle zu gehn, und die ſoge - nannten elektriſchen Funken zu beobachten, — fuͤr alles dieſes will ich nun dankbar ſeyn.
Edelmuͤthiger Hinze! Ha, mit welchem Unrecht wird von Euch ſchlecht und ver - aͤchtlich geſprochen, Eure Treue und Anhaͤnglich - keit bezweifelt! Die Augen gehn mir auf; welchen Zuwachs von Menſchenkenntniß bekomme ich ſo unerwartet!
Freunde, wo iſt unſre Hofnung auf ein Familiengemaͤhlde geblieben?
Es iſt doch faſt zu toll.
Ich bin wie im Traum.
Ihr ſeid ein braver Mann, Gott - lieb, aber, — nehmts mir nicht uͤbel, — Ihr ſeid etwas eingeſchraͤnkt, bornirt, keiner der beſten Koͤpfe, wenn ich frei heraus ſprechen ſoll.
Ach Gott nein.
Ihr wißt zum Beiſpiel jetzt nicht, was Ihr anfangen wollt.
Du haſt ganz meine Gedanken.
Wenn Ihr euch auch einen Muff aus meinem Pelze machen ließet. —
Nimms nicht uͤbel, Kamerad, daß mir das vorher durch den Kopf fuhr.
Ach nein, es war ein ganz menſch - licher Gedanke. — Wißt Ihr kein Mittel, Euch durchzubringen?
Kein einziges.
Ihr koͤnntet mit mir herumziehn und mich fuͤr Geld ſehen laſſen, — aber das iſt immer keine ſichre Lebensart.
Nein.
Ihr koͤnntet vielleicht ein Naturdich - ter werden, aber dazu ſeid Ihr zu gebildet, Ihr koͤnntet an aͤſthetiſchen Journalen mitarbeiten, aber, wie geſagt, Ihr ſeid keiner der beſten Koͤpfe, die dazu immer verlangt werden, da muͤßtet Ihr noch Jahr und Tag abwarten, weil es nachher nicht mehr ſo genau genommen wird, denn nurdie161Der geſtiefelte Kater.die neuen Beſen kehren ſcharf, — aber das Ding iſt uͤberhaupt zu umſtaͤndlich.
Ja wohl.
Nun, ich will ſchon noch beſſer fuͤr Euch ſorgen; verlaßt Euch drauf, daß Ihr durch mich noch ganz gluͤcklich werden ſollt.
O beſter, edelmuͤthigſter Mann!
Aber Ihr muͤßt mir auch trauen.
Vollkommen, ich kenne ja jetzt Dein redliches Gemuͤth.
Nun ſo thut mir den Gefallen und holt mir ſogleich den Schuhmacher, daß er mir ein Paar Stiefeln anmeſſe.
Den Schuhmacher? — Stiefeln?
Ihr wundert Euch, aber bei dem, was ich fuͤr Euch zu thun geſonnen bin, habe ich ſo viel zu gehn und zu laufen, daß ich nothwendig Stiefeln tragen muß.
Aber warum nicht Schuh?
Gottlieb, Ihr verſteht das Ding nicht, ich muß dadurch ein Anſehn bekommen, ein imponirendes Weſen, kurz, eine gewiſſe Maͤnn - lichkeit, die man in Schuhen zeitlebens nicht hat.
Nun, wie Du meinſt, — aber der Schuſter wird ſich wundern.
Gar nicht, man muß nur nicht thun, als wenn es etwas Beſondres waͤre, daß ich Stie - feln tragen will; man gewoͤhnt ſich an alles.
Ja wohl, iſt mir doch der Dis - kurs mit Dir ordentlich ganz gelaͤufig geworden.
II. [11]162Zweite Abtheilung.— Aber noch eins, da wir jetzt ſo gute Freunde geworden ſind, ſo nenne mich doch auch Du; wa - rum wollen wir noch Komplimente mit einander machen; macht die Liebe nicht alle Staͤnde gleich?
Wie Du willſt.
Da geht gerade der Schuhma - cher vorbei. — He! pſt! Herr Gevatter Leich - dorn! Will er wohl einen Augenblick bei mir ein - ſprechen?
Proſit! — Was giebts Neues?
Ich habe lange keine Arbeit bei ihm beſtellt. —
Nein, Herr Gevatter, ich habe jetzt uͤberhaupt gar wenig zu thun.
Ich moͤchte mir wohl wieder ein Paar Stiefeln machen laſſen. —
Setz Er ſich nur nieder, das Maaß hab ich bei mir.
Nicht fuͤr mich, ſondern fuͤr mei - nen jungen Freund da.
Fuͤr den da? — Gut.
Wie beliebt Er denn Musje?
Erſtlich, gute Sohlen, dann braune Klappen, und vor allen Dingen ſteif.
Gut. —
— Will er nicht ſo gut ſeyn, — die Krallen, —163Der geſtiefelte Kater.oder Naͤgel etwas einzuziehen? Ich habe mich ſchon geriſſen.
Und ſchnell muͤſſen ſie fertig werden.
Der Musje iſt recht vergnuͤgt.
Ja, er iſt ein aufgeraͤumter Kopf, er iſt erſt von der Schule gekommen, was man ſo einen Vokativus nennt.
Na, Adjes.
Willſt Du dir nicht etwa auch den Bart ſcheeren laſſen.
Bei Leibe nicht, ich ſehe ſo weit ehr - wuͤrdiger aus, und Du weißt ja wohl, daß wir Katzen dadurch unmaͤnnlich und veraͤchtlich werden. Ein Kater ohne Bart iſt nur ein jaͤmmerliches Geſchoͤpf.
Wenn ich nur wuͤßte, was Du vor haſt?
Du wirſt es ſchon gewahr werden. — Jetzt will ich noch ein wenig auf den Daͤchern ſpatzieren gehn, es iſt da oben eine huͤbſche freie Ausſicht, und man erwiſcht auch wohl eine Taube.
Als guter Freund will ich Dich warnen, daß ſie Dich nicht dabei ertappen, die Men - ſchen denken meiſt in dieſem Punkt ſehr unbillig.
Sei unbeſorgt, ich bin kein Neuling. — Adieu unterdeſſen.
In der Naturgeſchichte ſteht, daß man den Katzen nicht trauen koͤnne, und daß ſie zum Loͤwengeſchlechte gehoͤren, und ich164Zweite Abtheilung.habe vor einem Loͤwen eine gar erbaͤrmliche Furcht; auch ſagt man im Sprichwort: falſch wie eine Katze; wenn alſo nun der Kater kein Gewiſſen haͤtte, ſo koͤnnte er mir mit den Stiefeln nachher davon laufen, fuͤr die ich mein letztes Geld hin - geben muß, und ſie irgendwo vertroͤdeln, oder er koͤnnte ſich beim Schuhmacher dadurch beliebt ma - chen wollen, und nachher bei ihm in Dienſte tre - ten. — Aber der hat ja ſchon einen Kater. — Nein, Hinz, meine Bruͤder haben mich betrogen, und deswegen will ich es mit deinem Herzen ver - ſuchen. — Er ſprach ſo edel, er war ſo geruͤhrt, — da ſitzt er druͤben auf dem Dache und putzt ſich den Bart, — vergieb mir, erhabener Freund, daß ich an deinem Großſinn nur einen Augenblick zweifeln konnte.
Welcher Unſinn!
Warum der Kater nur die Stie - feln braucht, um beſſer gehn zu koͤnnen! — dum - mes Zeug!
Es iſt aber, als wenn ich einen Kater vor mir ſaͤhe!
Stille! Es wird verwandelt!
Schon tauſend ſchoͤne Prinzen, werth - geſchaͤtzte Tochter, haben ſich um Dich beworben und dir ihre Koͤnigreiche zu Fuͤßen gelegt, aber Du haſt ihrer immer nicht geachtet; ſage uns die Urſach davon, mein Kleinod.
Mein allergnaͤdigſter Herr Va - ter, ich habe immer geglaubt, daß mein Herz erſt einige Empfindungen zeigen muͤſſe, ehe ich meinen Nacken in das Joch des Eheſtandes beugte. Denn eine Ehe ohne Liebe, ſagt man, iſt die wahre Hoͤlle auf Erden.
Recht ſo, meine liebe Tochter. Ach, wohl, wohl haſt Du da ein wahres Wort ge - ſagt: eine Hoͤlle auf Erden! Ach, wenn ich doch nicht daruͤber mit ſprechen koͤnnte! Waͤr ich doch lieber unwiſſend geblieben! Aber ſo, theures Klei - nod, kann ich ein Liedchen davon ſingen, wie man zu ſagen pflegt. Deine Mutter, meine hoͤchſt ſee - lige Gemahlin, — ach, Prinzeſſin, ſieh, die Thraͤ - nen ſtehn mir noch auf meinen alten Tagen in den Augen, — ſie war eine gute Fuͤrſtin, ſie trug die Krone mit einer unglaublichen Majeſtaͤt, — aber mir hat ſie gar wenige Ruhe gelaſſen. —166Zweite Abtheilung.Nun, ſanft ruhe ihre Aſche neben ihren fuͤrſtlichen Anverwandten!
Ihro Majeſtaͤt erhitzen ſich zu ſehr.
Wenn mir die Erinnerung davon zuruͤck koͤmmt, — o mein Kind, auf meinen Knieen moͤcht ich Dich beſchwoͤren, — nimm Dich beim Verheirathen ja in Acht. — Es iſt eine große Wahrheit, daß man Leinewand und einen Braͤu - tigam nicht bei Lichte kaufen muͤſſe; eine erhabene Wahrheit, die jedes Maͤdchen mit goldenen Buch - ſtaben in ihr Schlafzimmer ſollte ſchreiben laſſen. — Was hab ich gelitten! Kein Tag verging ohne Zank, ich konnte nicht in Ruhe ſchlafen, ich konnte die Reichsgeſchaͤfte nicht mit Bequemlichkeit ver - walten, ich konnte uͤber nichts denken, ich konnte mit Verſtand keine Zeitung leſen, — bei Tiſche, beim beſten Braten, beim geſundeſten Appetit, im - mer mußte ich alles nur mit Verdruß hinunter wuͤr - gen, ſo wurde gezankt, geſcholten, gegraͤmelt, ge - brummt, gemault, gegrollt, geſchmollt, gekeift, ge - biſſen, gemurrt, geknurrt und geſchnurrt, daß ich mir oft an der Tafel mitten unter den Gerichten den Tod gewuͤnſcht habe. — Und doch ſehnt ſich mein Geiſt, verewigte Klotilde, jezuweilen nach Dir zuruͤck. — Es beißt mir in den Augen, — ich bin ein rechter alter Narr.
Mein Vater.
Ich zittre, wenn ich uͤberhaupt an alle die Gefahren denke, die Dir bevorſtehn, denn wenn Du dich nun auch wirklich verlieben ſollteſt,167Der geſtiefelte Kater.meine Tochter, wenn Dir auch die zaͤrtlichſte Ge - genliebe zu Theil wuͤrde, — ach, Kind, ſieh, ſo dicke Buͤcher haben weiſe Maͤnner voll geſchrieben, oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar - zuſtellen, — eben Liebe und Gegenliebe koͤnnen ſich doch elend machen: das gluͤcklichſte, das ſeeligſte Gefuͤhl kann uns zu Grunde richten; die Liebe iſt gleichſam ein kuͤnſtlicher Vexierbecher, ſtatt Nektar trinken wir oft Gift, dann iſt unſer Lager von Thraͤnen naß, alle Hofnung, aller Troſt iſt dahin. —
Es iſt doch noch nicht Tiſch - zeit? — Gewiß wieder ein neuer Prinz, der ſich in Dich verlieben will. — Huͤte Dich, meine Tochter, Du biſt mein einziges Kind, und Du glaubſt nicht, wie ſehr mir Dein Gluͤck am Herzen liegt.
Das iſt doch einmal eine Scene, in der geſunder Menſchenverſtand anzutreffen iſt.
Ich bin auch geruͤhrt.
Es iſt ein treflicher Fuͤrſt.
Mit der Krone brauchte er nun gerade nicht aufzutreten.
Es ſtoͤrt die Theilnahme ganz, die man fuͤr ihn als zaͤrtlicher Vater hat.
Ich begreife gar nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein Herz mit Liebe geruͤhrt hat. Die Warnungen mei - nes Vaters liegen mir immer im Gedaͤchtniß, er iſt ein großer Fuͤrſt, und dabei doch ein guter Va - ter, mein Gluͤck ſteht ihm beſtaͤndig vor Augen; er iſt vom Volk geliebt, er hat Talente und Reich -168Zweite Abtheilung.thuͤmer, er iſt ſanft wie ein Lamm, aber ploͤtzlich kann ihn der wildeſte Zorn uͤbereilen, daß er ſich und ſeine Beſtimmung vergißt. Ja, ſo iſt Gluͤck immer mit Ungluͤck gepaart. Meine Freude ſind die Wiſſenſchaften und die Kuͤnſte, Buͤcher machen all mein Gluͤck aus.
Sie kommen gerade recht, Herr Hofgelehrter.
Ich bin zu den Befehlen Eurer Koͤniglichen Hoheit.
Hier iſt mein Verſuch, ich hab ihn Nachtgedanken uͤberſchrieben.
Treflich! Geiſtreich! — Ach! mir iſt, als hoͤr ich die mitternaͤchtliche Stunde Zwoͤlfe ſchlagen. Wann haben Sie das geſchrieben?
Geſtern Mittag, nach dem Eſſen.
Schoͤn gedacht! Wahrlich ſchoͤn gedacht! — Aber, mit gnaͤdigſter Erlaubniß: — „ Der Mond ſcheint betruͤbt in der Welt herein, “— wenn Sie es nicht ungnaͤdig vermerken wollen, ſo muß es heißen: in die Welt.
Schon gut, ich will es mir fuͤr die Zukunft merken. Es iſt einfaͤltig, daß ei - nem das Dichten ſo ſchwer gemacht wird, man kann keine Zeile ſchreiben, ohne einen Sprachfeh - ler zu machen.
Das iſt der Eigenſinn unſrer Sprache.
Sind die Gefuͤhle nicht zart und fein gehalten?
Unbeſchreiblich, o ſo, — wie ſoll ich ſagen? — ſo zart und lieblich ausgezaſelt, ſo fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thraͤnenwei - den, und der goldene Mondenſchein hinein wei - nend, und dann das murmelnde Gemurmel des murmelnden Gießbachs, — man begreift kaum, wie ein ſanfter weiblicher Geiſt den großen Ge - danken nicht hat unterliegen muͤſſen, ohne ſich vor dem Kirchhofe und den blaß verwaſchenen Geiſtern der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entſetzen.
Jetzt will ich mich nun in die griechiſchen und antiken Versmaße werfen; ich moͤchte einmal die romantiſche Unbeſtimmtheit ver - laſſen, und mich an der plaſtiſchen Natur verſuchen.
Sie kommen nothwendig immer weiter, Sie ſteigen immer hoͤher.
Ich habe auch ein Stuͤck an - gefangen: Der ungluͤckliche Menſchenhaſ - ſer; oder: verlorne Ruhe und wiederer - worbne Unſchuld.
Schon der bloße Titel iſt be - zaubernd.
Und dann fuͤhle ich einen un - begreiflichen Drang in mir, irgend eine graͤßliche Geiſtergeſchichte zu ſchreiben. — Wie geſagt, wenn nur die Sprachfehler nicht waͤren!
Kehren Sie ſich daran nicht, Un - vergleichliche, die laſſen ſich leicht herausſtreichen.
170Zweite Abtheilung.Der Prinz von Malſinki, der eben angekommen iſt, will Ew. Koͤniglichen Hoheit ſeine Aufwartung machen.
So empfehle ich mich unterthaͤ - nigſt.
Hier, Prinz, iſt meine Tochter, ein junges einfaͤltiges Ding, wie Sie ſie da vor ſich ſehn. —
Artig, meine Tochter, hoͤflich, er iſt ein angeſehener Prinz, weit her, ſein Land ſteht gar nicht einmal auf meiner Landkarte, ich habe ſchon nachgeſehn: ich habe einen erſtaunlichen Reſpekt vor ihm.
Ich freue mich, daß ich das Vergnuͤgen habe, Sie kennen zu lernen.
Schoͤne Prinzeſſin, der Ruf Ihrer Schoͤnheit hat ſo ſehr die ganze Welt durchdrungen, daß ich aus einem weit entlegenen Winkel hieher komme, Sie von Angeſicht zu An - geſicht zu ſehn.
Es iſt doch erſtaunlich, wie viele Laͤnder und Koͤnigreiche es giebt! Sie glauben nicht, wie viel tauſend Kronprinzen ſchon hier geweſen ſind, ſich um meine Tochter zu bewerben, zu Dutzenden kommen ſie oft an, beſonders wenn das Wetter ſchoͤn iſt, — und Sie kommen nun gar, — verzeihen Sie, die Topographie iſt eine171Der geſtiefelte Kater.gar weitlaͤufige Wiſſenſchaft, — in welcher Ge - gend liegt Ihr Land?
Maͤchtiger Koͤnig, wenn Sie von hier ausreiſen, erſt die große Chaußee hinun - ter, dann ſchlagen Sie ſich rechts und immer fort ſo, wenn ſie aber an einen Berg kommen, dann wieder links, dann geht man zur See und faͤhrt immer noͤrdlich (wenn es der Wind nemlich zu - giebt), und ſo koͤmmt man, wenn die Reiſe gluͤcklich geht, in anderthalb Jahren in meinem Reiche an.
Der Tauſend! das muß ich mir von meinem Hofgelehrten deutlich machen laſſen. — Sie ſind wohl vielleicht ein Nachbar vom Nord - pol, oder Zodiakus, oder dergleichen?
Daß ich nicht wuͤßte.
Vielleicht ſo nach den Wilden zu?
Ich bitte um Verzeihung, alle meine Unterthanen ſind ſehr zahm.
Aber ſie muͤſſen doch verhenkert weit wohnen. Ich kann mich immer noch nicht daraus finden.
Man hat noch keine genaue Geographie von meinem Lande, ich hoffe taͤglich mehr zu entdecken, und ſo kann es leicht kommen, daß wir am Ende noch Nachbarn werden.
Das waͤre vortreflich! Und wenn uns am Ende ein Paar Laͤnder noch im Wege ſtehen, ſo helfe ich Ihnen mit entdecken. Mein Nachbar iſt ſo nicht mein guter Freund und er hat ein vortrefliches Land, alle Roſinen kommen172Zweite Abtheilung.von dort her, das moͤcht ich gar zu gerne haben. — Aber noch eins, ſagen Sie mir nur, da Sie ſo weit weg wohnen, wie Sie unſre Sprache ſo gelaͤufig ſprechen koͤnnen?
Still!
Wie?
Still! Still!
Ich verſteh nicht.
Seyn Sie doch ja damit ruhig, denn ſonſt merkt es ja am Ende das Publikum da unten, daß das eben ſehr unna - tuͤrlich iſt.
Schadet nicht, es hat vorher ge - klatſcht und da kann ich ihm ſchon etwas bieten.
Sehn Sie, es geſchieht ja bloß dem Drama zu Gefallen, daß ich Ihre Sprache rede, denn ſonſt iſt es allerdings unbegreiflich.
Ach ſo! Ja freilich, den Damen und den Dramen thut man manches zu gefallen, und muß oft Fuͤnfe gerade ſeyn laſſen. — Nun kommen Sie, Prinz, der Tiſch iſt gedeckt!
Verfluchte Unnatuͤrlichkeiten ſind da in dem Stuͤck!
Und der Koͤnig bleibt ſeinem Charakter gar nicht getreu.
Am meiſten erboßen mich immer Widerſpruͤche und Unnatuͤrlichkeiten. Warum kann denn nur der Prinz nicht ein Bischen eine fremde Sprache reden, die ſein Dolmetſcher verdeutſchte, warum macht denn die Prinzeſſin nicht zuweilen173Der geſtiefelte Kater.einen Sprachfehler, da ſie ſelber geſteht, daß ſie unrichtig ſchreibt?
Freilich! freilich! — das Ganze iſt ausgemacht dummes Zeug, der Dichter vergißt immer ſelber, was er den Augenblick vorher ge - ſagt hat.
Ich werde wohl gehn muͤſſen, denn ich habe noch einen weiten Weg bis nach Hauſe.
Ihr ſeid ein Unterthan des Koͤnigs.
Ja wohl. — Wie nennt Ihr Eu - ren Fuͤrſten?
Man nennt ihn nur Popanz.
Das iſt ein naͤrriſcher Titel. Hat er denn ſonſt keinen Namen?
Wenn er die Edikte ausgehn laͤßt, ſo heißt es immer: zum Beſten des Publikums verlangt das Geſetz. — Ich glaube daher, das iſt ſein eigentlicher Name: alle Bittſchriften wer - den auch immer beim Geſetz eingereicht. Es iſt ein furchtbarer Mann.
Ich ſtehe doch lieber unter einem174Zweite Abtheilung.Koͤnige, ein Koͤnig iſt doch vornehmer. Man ſagt, der Popanz ſei ein ſehr ungnaͤdiger Herr.
Gnaͤdig iſt er nicht beſonders, das iſt nun wohl wahr, dafuͤr iſt er aber auch die Ge - rechtigkeit ſelbſt; von auswaͤrts ſogar werden ihm oft die Prozeſſe zugeſchickt, und er muß ſie ſchlichten.
Man erzaͤhlt wunderliche Sachen von ihm, er ſoll ſich in alle Thiere verwandeln koͤnnen.
Das iſt wahr, und ſo geht er oft inkognito umher, und erforſcht die Geſinnungen ſeiner Unterthanen; wir trauen daher auch keiner fremden Katze, keinem unbekannten Hunde, weil wir immer denken, unſer Herr koͤnnte wohl da - hinter ſtecken.
Da ſind wir doch auch beſſer dran, unſer Koͤnig geht nie aus, ohne Krone, Mantel und Zepter anzuziehn, man kennt ihn daher auch auf tauſend Schritt. — Nun, gehabt Euch wohl.
Nun iſt er ſchon in ſeinem Lande.
Iſt die Graͤnze ſo nah?
Freilich, jener Baum gehoͤrt ſchon dem Koͤnig, man kann von hier alles ſehn, was im Lande dort vorfaͤllt. Die Graͤnze hier macht noch mein Gluͤck, ich waͤre ſchon laͤngſt bankerott geworden, wenn mich nicht noch die Deſerteurs von druͤben erhalten haͤtten; faſt taͤglich kommen etliche.
Iſt der Dienſt ſo ſchwer?
Das nicht, aber das Weglaufen iſt175Der geſtiefelte Katerſo leicht, und bloß weil es ſo ſehr ſcharf verbo - ten iſt, kriegen die Kerle die erſtaunliche Luſt zum deſertiren. — Seht, ich wette, daß da wieder einer koͤmmt!
Eine Kanne Bier. Herr Wirth! geſchwind!
Wer ſeid Ihr?
Ein Deſerteur.
Vielleicht gar aus Kindesliebe; der arme Menſch, nehmt Euch doch ſeiner an, Herr Wirth.
Je, wenn er Geld hat, ſolls am Bier nicht fehlen
Nu, Gottlob, daß wir ſo weit ſind. — Proſit, Nachbar.
Hier iſt die Graͤnze.
Ja, dem Himmel ſei Dank! — Haben wir des Kerls wegen nicht rei - ten muͤſſen — Bier, Herr Wirth!
Hier, meine Herren, ein ſchoͤner friſcher Trunk, Sie ſind alle drei recht warm.
Hier, Holunke! auf deine Geſundheit!
Danke ſchoͤnſtens, ich will Euch die Pferde unterweilen halten.
Der Kerl kann laufen! Es176Zweite Abtheilung.iſt nur gut, daß die Graͤnze nicht ſo gar weit iſt, denn ſonſt waͤre das ein Hundedienſt.
Nun, wir muͤſſen wohl wie - der zuruͤck. Adieu, Deſerteur! viel Gluͤck auf den Weg! —
Werdet Ihr hier bleiben?
Nein, ich will fort, ich muß mich ja beim benachbarten Herzog wieder anwerben laſſen.
Sprecht doch wieder zu, wenn Ihr wieder deſertirt.
Gewiß. — Lebt wohl. —
Es wird doch immer toller und tol - ler. — Wozu war denn nun wohl die letzte Scene?
Zu gar nichts, ſie iſt voͤllig uͤber - fluͤßig; bloß um einen neuen Unſinn hinein zu bringen. Den Kater verliert man ganz aus den Augen und man behaͤlt gar keinen feſten Standpunkt.
Mir iſt voͤllig ſo, als wenn ich betrunken waͤre.
In welchem Zeitalter mag denn das Stuͤck ſpielen ſollen. Die Huſaren ſind doch offenbar eine neuere Erfindung.
Wir ſolltens nur nicht leiden und derbe trommeln. Man weiß durchaus jetzt gar nicht, woran man mit dem Stuͤcke iſt.
Fiſcher.Und auch keine Liebe! Nichts fuͤrs Herz darin, fuͤr die Phantaſie!
Sobald wieder ſo etwas Tolles vorkoͤmmt, fang ich fuͤr meine Perſon wenigſtens an zu pochen und zu ziſchen.
Mir gefaͤllt jetzt das Stuͤck.
Sehr huͤbſch, in der That huͤbſch; ein großer Mann, der Dichter, — hat die Zau - berfloͤte gut nachgeahmt.
Die Huſaren gefielen mir beſon - ders, es ſind die Leute ſelten ſo dreiſt, Pferde aufs Theater zu bringen, — und warum nicht? Sie haben oft mehr Verſtand als die Menſchen. Ich mag lieber ein gutes Pferd ſehn, als ſo man - chen Menſchen in den neueren Stuͤcken.
Im Kotzebue die Mohren, — ein Pferd iſt am Ende nichts, als eine andere Art von Mohren.
Wiſſen Sie nicht, von welchem Regiment die Huſaren waren?
Ich habe ſie nicht einmal genau betrachtet. — Schade, daß ſie ſo bald wieder weg - gingen, ich moͤchte wohl ein ganzes Stuͤck von lau - ter Huſaren ſehn, — ich mag die Kavallerie ſo gern.
Was ſagen Sie zu dem allen?
Ich habe nur immer noch das vortrefliche Spiel des Mannes im Kopfe, welcher den Kater darſtellt. Welches Studium! Welche Feinheit! Welche Beobachtung! Welcher Anzug!
Das iſt wahr, er ſieht natuͤr - lich aus, wie ein großer Kater.
Und bemerken Sie nur ſeine ganze Maske, wie ich ſeinen Anzug lieber nennen moͤchte, denn da er ſo ganz ſein natuͤrliches Aus - ſehn verſtellt hat, ſo iſt dieſer Ausdruck weit paſ - ſender. Gott ſegne mir doch auch bei der Gele - genheit die Alten! Sie wiſſen wahrſcheinlich nicht, daß dieſe Alten alle Rollen ohne Ausnahme in Masken ſpielen, wie Sie im Athenaͤus, Pollux und andern finden werden. Es iſt ſchwer, ſehn Sie, das alles ſo genau zu wiſſen, weil man mit unter dieſe Buͤcher deswegen ſelber nachſchlagen muß, doch hat man freilich nachher auch den Vor - theil, daß man ſie anfuͤhren kann. Es iſt eine ſchwierige Stelle im Pauſanias. —
Sie wollten ſo gut ſeyn, von dem Kater zu ſprechen.
Ja ſo. — Ich will auch alles Vorhergehende nur ſo nebenher geſagt haben, ich bitte Sie daher alle inſtaͤndigſt, es als eine Note anzuſehn, und — um wieder auf den Kater zu kommen, — haben Sie wohl bemerkt, daß er nicht einer von den ſchwarzen Katern iſt? Nein, im Ge - gentheil, er iſt faſt ganz weiß und hat nur einige ſchwarze Flecke; das druͤckt ſeine Gutmuͤthigkeit ganz vortreflich aus, man ſieht gleichſam den Gang des ganzen Stuͤckes, alle Empfindungen, die es er - regen ſoll, ſchon im Voraus in dieſem Pelze.
Der Vorhang geht wieder auf!
Hats Dir geſchmeckt?
Recht gut, recht ſchoͤn.
Nun muß ſich aber mein Schick - ſal bald entſcheiden, weil ich ſonſt nicht weiß, was ich anfangen ſoll.
Habe nur noch ein Paar Tage Ge - duld, daß Gluͤck muß doch auch einige Zeit haben, um zu wachſen; wer wird denn ſo aus dem Steg - reif gluͤcklich ſeyn wollen! Mein guter Mann, das kommt nur in Buͤchern vor, in der wirklichen Welt geht das nicht ſo geſchwinde.
Nun hoͤrt nur, der Kater unter - ſteht ſich, von der wirklichen Welt zu ſprechen! — Ich moͤchte faſt nach Hauſe gehn, denn ich fuͤrchte toll zu werden.
Es iſt beinahe, als wenn es der Verfaſſer darauf angelegt haͤtte.
Ein exzellenter Kunſtgenuß, toll zu ſeyn, das muß ich geſtehn!
Es iſt zu arg. Statt daß er froh ſeyn ſollte, daß er nur, wenn auch in ima - ginaͤrer Welt, wenigſtens exiſtieren darf, will er den andern von phantaſtiſchen Hofnungen abbrin - gen, und behandelt ihn als Schwaͤrmer, der doch wenigſtens als Bauer nicht den Geſetzen unſerer gewoͤhnlichen Welt widerſpricht!
Wenn ich nur wuͤßte, lieber Hinze, wo Du die viele Erfahrung, den Verſtand herbe - kommen haſt.
Glaubſt Du denn, daß man Tage - lang umſonſt unterm Ofen liegt und die Augen feſt zumacht? Ich habe dort immer im Stillen fortſtudirt. Heimlich und unbemerkt waͤchſt die Kraft des Verſtandes, daher hat man dann am wenigſten Fortſchritte gemacht, wenn man manch - mal Luſt kriegt, ſich mit einem recht langen Halſe nach der zuruͤckgelegten Bahn umzuſehn. — Uebri - gens ſei doch ſo gut und binde mir die Serviette ab.
Geſegnete Mahlzeit! —
Nimm ſo vorlieb.
Ich danke von ganzen Herzen.
Die Stiefeln ſitzen recht huͤbſch, und Du haſt einen ſcharmanten kleinen Fuß.
Das macht bloß, weil unſer eins im - mer auf den Zehen geht, wie Du auch wirſt in der Naturgeſchichte geleſen haben.
Ich habe einen großen Reſpekt vor Dir, — von wegen der Stiefeln.
Ich will nun gehn. — Sieh, ich habe mir auch einen Sack mit einer Schnurre gemacht.
Wozu das alles?
Laß mich nur, ich will einen Jaͤger vorſtellen. — Wo iſt denn mein Stock?
Hier.
Nun ſo lebe wohl.
Einen Jaͤger? — Ich kann aus dem Manne nicht klug werden.
Herrliches Wetter! — Es iſt ein ſchoͤner war - mer Tag, ich will mich auch hernach ein wenig in die Sonne legen. —
Nun, Gluͤck, ſtehe mir bei! — Wenn ich freilich bedenke, daß dieſe eigenſinnige Goͤttin ſo ſelten die klug an - gelegten Plane beguͤnſtigt, daß ſie immer darauf ausgeht, den Verſtand der Sterblichen zu Schan - den zu machen, ſo moͤcht ich allen Muth verlieren. Doch, ſei ruhig, mein Herz, ein Koͤnigreich iſt ſchon der Muͤhe werth, etwas dafuͤr zu arbeiten und zu ſchwitzen! — Wenn nur keine Hunde hier in der Naͤhe ſind. Ich kann dieſe Geſchoͤpfe gar182Zweite Abtheilung.nicht vor Augen leiden; ſie ſind ein Geſchlecht, das ich verachte, weil ſie ſich ſo gutwillig unter der niedrigſten Knechtſchaft der Menſchen bequemen; ſie koͤnnen nichts als ſchmeicheln und beißen, ſie haben gar nichts von dem Ton, welcher im Um - gange ſo nothwendig iſt. — Es will ſich nichts fangen. —
Sie ſingt treflich, die Saͤngerin der Haine, — wie delikat muß ſie erſt ſchmecken! — Die Großen der Erde ſind doch darin recht gluͤcklich, daß ſie Nachtigallen und Ler - chen eſſen koͤnnen, ſo viel ſie nur wollen, — wir armen gemeinen Leute muͤſſen uns mit dem Ge - ſange zufrieden ſtellen, mit der ſchoͤnen Natur, mit der unbegreiflich ſuͤßen Harmonie. — Es iſt fatal, daß ich nichts kann ſingen hoͤren, ohne Luſt zu kriegen, es zu freſſen. — Natur! Natur! Warum ſtoͤrſt du mich dadurch immer in meinen allerzarteſten Empfindungen, daß du meinen Geſchmack fuͤr Mu - ſik ſo poͤbelhaft eingerichtet haſt? — Faſt krieg ich Luſt, mir die Stiefeln auszuziehn und ſacht den Baum dort hinauf zu klettern! ſie muß dort ſitzen. —
Die Nachtigall hat eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben wollen, daß ſie am liebſten bei Sturm und Unge - witter ſinge, aber jetzt erleb ich die Wahrheit die - ſer Behauptung. — Ei! ſo ſinge und ſchmettre, daß dir der Athem vergeht! — Delikat muß ſie ſchmecken. Ich vergeſſe meine Jagd uͤber dieſe183Der geſtiefelte Kater.ſuͤßen Traͤume. — Es faͤngt ſich wahrhaftig nichts. — Wer koͤmmt denn da?
Hoͤrſt du wohl die Nachtigall, mein ſuͤ - ßes Leben?
Ich bin nicht taub, mein Guter.
Wie wallt mein Herz vor Entzuͤcken uͤber, wenn ich die ganze harmoniſche Natur ſo um mich her verſammelt ſehe, wenn jeder Ton nur das Geſtaͤndniß meiner Liebe wiederholt, wenn ſich der ganze Himmel nieder beugt, um Aether auf mich auszuſchuͤtten.
Du ſchwaͤrmſt, mein Lieber.
Nenne die natuͤrlichſten Gefuͤhle meines Herzens nicht Schwaͤrmerei.
Sieh, ich ſchwoͤre Dir hier vor dem Angeſicht des heitern Himmels —
Verzeihen Sie guͤ - tigſt, — wollen Sie ſich nicht gefaͤlligſt anders wohin bemuͤhn? Sie ſtoͤren hier mit Ihrer hold - ſeligen Eintracht eine Jagd.
Die Sonne ſei mein Zeuge, die Erde, — und was ſonſt noch: Du ſelbſt, mir theurer als Erde, Sonne und alle Planeten. — Was will Er, guter Freund?
Die Jagd, — ich bitte demuͤthigſt.
Barbar, wer biſt Du, daß Du es wagſt, die Schwuͤre der Liebe zu unterbrechen? Dich hat kein Weib geboren, Du gehoͤrſt jenſeits der Menſchheit zu Hauſe.
Wenn ſie nur bedenken wollten —
So wart Er doch nur einen Augen - blick, Er ſieht ja wohl, daß der Geliebte, in Trun - kenheit verloren, auf ſeinen Knieen liegt.
Glaubſt Du mir nun?
Ach! hab ich Dir nicht ſchon geglaubt, noch ehe Du ein Wort geſprochen hatteſt? —
Theurer! — ich — liebe Dich! — o unausſprechlich.
Bin ich unſinnig? — O und wenn ich es nicht bin, warum werd 'ich Elender, Veraͤcht - licher, es nicht urploͤtzlich vor uͤbergroßer Freude? — Ich bin nicht mehr auf der Erde, ſieh mich doch recht genau an, o Theuerſte, und ſage mir, ob ich nicht vielleicht im Mittelpunkte jener un - ſterblichen Sonne dort oben wandle.
In meinen Armen biſt du, und die ſollen dich auch nicht wieder laſſen.
O komm, dieſes freie Feld iſt meinen Empfindungen zu enge, wir muͤſſen den hoͤchſten Berg erklettern, um der ganzen Natur zu ſagen, wie gluͤcklich wir ſind! —
Der Liebhaber griff ſich tuͤchtig an. — O weh! da hab ich mir ſelber einen Schlag in die Hand gegeben, daß ſie ganz aufge - laufen iſt.
Sie wiſſen ſich in der Freude nicht zu maͤßigen.
Ja, ſo bin ich immer.
Ah! — das war doch etwas fuͤrs Herz! — Das thut einem wieder einmal wohl!
Eine wirklich ſchoͤne Diktion in der Scene.
Ob ſie aber zum Ganzen wird nothwendig ſeyn?
Ich kuͤmmere mich nie ums Ganze; wenn ich weine, ſo wein 'ich, und damit gut; es war eine goͤttliche Stelle.
O Liebe, wie groß iſt deine Macht, daß deine Stimme die Ungewitter beſaͤnftigt, ein pochendes Publikum beſchwichtigt, und das Herz kritiſcher Zuſchauer ſo umwendet, daß ſie ihren Zorn und alle ihre Bildung vergeſſen. — Es laͤßt ſich nichts fangen. —
Sieh da, guter Freund! Ein Wildprett, das eine Art von Geſchwiſterkind mit mir iſt; ja, das iſt der Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Ver - wandte, Bruder gegen Bruder; wenn man ſelbſt durch die Welt will, muß man andre aus dem Wege ſtoßen. —
Halt! Halt! — Ich muß mich wahrhaftig in Acht nehmen, daß ich das Wildprett nicht ſelber auffreſſe. Ich muß nur geſchwinde den Torniſter zubinden, damit ich meine Affekten bezaͤhme. — Pfui! ſchaͤme dich Hinz! — Iſt es nicht die Pflicht des Edlen, ſich und ſeine Neigungen dem Gluͤck ſeiner Meitgeſchoͤpfe aufzu - opfern? Dies iſt der Entzweck, zu welchen wir ge - ſchaffen worden, und wer das nicht kann, — o ihm186Zweite Abtheilung.waͤre beſſer, daß ſeine Mutter ihn nie geboren haͤtte. —
O welcher edle Mann!
Welche ſchoͤne menſchliche Geſin - nung!
Durch ſo etwas kann man ſich doch noch beſſern, — aber wenn ich Narrenpoſſen ſehe, moͤcht ich gleich drein ſchlagen.
Mir iſt auch ganz wehmuͤthig ge - worden, — die Nachtigall, — die Liebenden, — die letzte Tirade, — das Stuͤck hat denn doch wahrhaftig ſchoͤne Stellen!
Hieher, Koch, jetzt iſt es Zeit, Rede und Antwort zu geben, ich will die Sache ſelbſt unterſuchen.
Ihro Maje - ſtaͤt geruhen, Ihre Befehle uͤber Dero getreuſten Diener auszuſprechen.
Man kann nicht genug dahin arbei - ten, meine Freunde, daß ein Koͤnig, dem das Wohl eines ganzen Landes und unzaͤhliger Unter - thanen auf dem Halſe liegt, immer bei guter Laune bleibe; denn wenn er in eine uͤble Laune geraͤth, ſo wird er gar leicht ein Tirann, ein Unmenſch; denn gute Laune befoͤrdert die Froͤhlichkeit, und Froͤhlichkeit macht nach den Beobachtungen aller Philoſophen den Menſchen gut, dahingegen die Melankolie deswegen fuͤr ein Laſter zu achten iſt, weil ſie alle Laſter befoͤrdert. Wem, frag ich nun, liegt es ſo nahe, in weſſen Gewalt ſteht es wohl ſo ſehr, die Laune eines Monarchen zu befoͤrdern, als eben in den Haͤnden eines Kochs? — Sind Kaninchen nicht ſehr unſchuldige Thiere? Wer an - ders denken oder ſprechen koͤnnte, von dem muͤßte ich fuͤrchten, daß er ſelbſt den reinſten Schmuck ſeiner Seele, ſeine Unſchuld ver[l]oren haͤtte. — Durch dieſe ſanften Thierchen koͤnnte ich dahin kommen, es gar nicht uͤberdruͤßig zu werden, mein Land gluͤcklich zu machen, — und an dieſen Ka - ninchen laͤßt Er es mangeln! — Spanferkeln und alle Tage Spanferkeln, — Boͤſewicht, das bin ich endlich uͤberdruͤßig.
Verdamme mich mein Koͤnig nicht un - gehoͤrt. Der Himmel iſt mein Zeuge, daß ich mir alle Muͤhe nach jenen niedlichen weißen Thierchen gegeben habe, ich habe ſie zu allen Preiſen ein - kaufen wollen, aber durchaus ſind keine zu haben. — Sollten Sie an der Liebe Ihrer Unterthanen188Zweite Abtheilung.zweifeln koͤnnen, wenn man nur irgend dieſer Ka - ninchen habhaft werden koͤnnte?
Laß die ſchelmiſchen Worte, ſchier Dich fort in die Kuͤche und beweiſe durch die That, daß Du deinen Koͤnig liebſt. —
— Jetzt wend ich mich zu Ihnen, mein Prinz, — und zu Dir, meine Tochter. — Ich habe er - fahren, werther Prinz, daß meine Tochter Sie nicht liebt, daß ſie Sie nicht lieben kann; ſie iſt ein unbeſonnenes unvernuͤnftiges Maͤdchen, aber ich traue ihr doch ſo viel Verſtand zu, daß ſie einige Urſachen haben wird. — Sie macht mir Sorgen und Gram, Kummer und Nachdenken, und meine alten Augen fließen von haͤufigen Thraͤ - nen uͤber, wenn ich daran denke, wie es nach mei - nem Tode mit ihr werden ſoll. — Du wirſt ſitzen bleiben! hab ich ihr tauſendmal geſagt; greif zu, ſo lange es Dir geboten wird! Aber ſie will nicht hoͤren, nun ſo wird ſie ſich gefallen laſſen muͤſſen, zu fuͤhlen.
Mein Vater, —
Geh, Undank - bare, Ungehorſame, — Du bereiteſt meinem grauen Kopfe durch Dein Weigern, ein, ach! nur allzu - fruͤhzeitiges, Grab! —
Der Koͤnig bleibt ſeinem Charakter doch nicht einen Augenblick getreu.
Ihro Majeſtaͤt, ein frem -189Der geſtiefelte Kater.der Mann iſt draußen und bittet vor Ihro Ma - jeſtaͤt gelaſſen zu werden.
Wer iſts.
Verzeihung, mein Koͤnig, daß ich dieſe Frage nicht beantworten kann. Sei - nem langen weißen Barte nach ſollte er ein Greis ſeyn, und ſein ganz mit Haaren bedecktes Geſicht ſollte einen faſt in dieſer Vermuthung beſtaͤrken, aber dann hat er wieder ſo muntre jugendliche Augen, einen ſo dienſtfertigen geſchmeidigen Ruͤk - ken, daß man an ihm irre wird. Er ſcheint ein wohlhabender Mann, denn er traͤgt ein Paar vor - trefliche Stiefeln, und ſo viel ich irgend aus ſei - nem Aeußern abnehmen kann, moͤcht ich ihn fuͤr einen Jaͤger halten.
Fuͤhrt ihn herein, ich bin neugierig ihn zu ſehn.
Mit Ihrer Majeſtaͤt gnaͤdigſter Er - laubniß iſt der Graf von Carabas ſo frei, Ih - nen ein Kaninchen zu uͤberſenden.
Ein Kaninchen? — Hoͤrt ihrs wohl, Leute? — O das Schickſal hat ſich wieder mit mir ausgeſoͤhnt! — Ein Kaninchen?
Hier großer Monarch.
Da, — halten Sie mal das Scep - ter einen Augenblick Prinz, —
fett! huͤbſch fett! — Vom Grafen von —
Carabas.
Ei, das muß ein vortreflicher Mann ſeyn, den Mann muß ich naͤher kennen lernen. — Wer iſt der Mann? Wer kennt ihn von Euch? — Warum haͤlt er ſich verborgen? Wenn ſolche Koͤpfe feiern, wie viel Verluſt fuͤr meinen Staat! Ich moͤchte vor Freuden weinen; ſchickt mir ein Kaninchen! Kammerdiener, gebt es gleich dem Koch.
Mein Koͤnig, ich nehme mei - nen demuͤthigſten Abſchied.
Ja ſo, das haͤtt ich uͤber die Freude bald vergeſſen. — Leben Sie wohl, Prinz. Ja, Sie muͤſſen andern Freiwerbern Platz machen, das iſt nicht anders. — Adieu! Ich wollte, Sie haͤt - ten Chauſſee bis nach Hauſe.
Leute! — Mein Hiſtorio - graph ſoll kommen!
Hier, Freund, kommt, hier giebts Materie fuͤr unſre Weltgeſchichte. — Ihr habt doch Euer Buch bei Euch?
Ja, mein Koͤnig.
Schreibt gleich hinein, daß mir an dem und dem Tage, (welch Datum wir nun heut ſchreiben) der Graf von Carabas ein ſehr delikates Kaninchen zum Praͤſent uͤberſchickt hat.
Vergeßt nicht, anno currentis. —191Der geſtiefelte Kater.Ich muß an alles denken, ſonſt wirds doch immer ſchief ausgerichtet.
— Ah, das Eſſen iſt fertig. — Komm, meine Tochter, weine nicht, iſts nicht der Prinz, ſo iſts ein andrer. — Jaͤger, wir danken fuͤr Deine Muͤhe; willſt Du uns nach dem Speiſeſaal begleiten?
Bald halt ichs nicht mehr aus! Wo iſt denn nun der Vater geblieben, der erſt gegen ſeine Tochter ſo zaͤrtlich war, und uns alle ſo ruͤhrte?
Was mich nur aͤrgert, iſt, daß ſich kein Menſch im Stuͤck uͤber den Kater wundert; der Koͤnig und alle thun, als muͤßte es ſo ſeyn.
Mir geht der ganze Kopf von dem wunderlichen Zeuge herum.
Setzen wir uns, die Suppe wird ſonſt kalt. — Iſt fuͤr den Jaͤger geſorgt?
Ja, Ihro Majeſtaͤt, er wird mit dem Hofnarren hier am kleinen Tiſch - chen eſſen.
Setzen wir uns, die Suppe wird ſonſt kalt.
Mit wem hab ich die Ehre zu ſpeiſen?
Der Menſch iſt, was er iſt, Herr Jaͤger, wir koͤnnen nicht alle dasſelbe treiben. Ich bin ein armer verbannter Fluͤchtling, ein Mann, der vor langer Zeit einmal ſpaßhaft war, den man nachher fuͤr dumm, abgeſchmackt und unanſtaͤndig hielt, und der nun in einem fremden Lande wie - der in Dienſte getreten iſt, wo man ihn von neuem auf einige Zeit fuͤr unterhaltend anſieht.
So? — Was ſeid Ihr fuͤr ein Landsmann?
Leider nur ein Deutſcher. Meine Landsleute wurden um eine gewiſſe Zeit ſo klug, daß ſie allen Spaß bei Strafe verboten, wo man mich nur gewahr ward gab man mir un - ausſtehliche Ekelnamen, als: gemein, poͤbelhaft, niedertraͤchtig, ja mein guter ehrlicher Name Hans - wurſt ward zu einem Schimpfworte herab gewuͤr - digt. O edle Seele, die Thraͤnen ſtehn dir in den Augen, und du knurrſt vor Schmerz, oder macht es der Geruch des Bratens, der dir in die Naſe zieht? Ja, lieber Empfindſamer, wer ſich damals nur unterſtand, uͤber mich zu lachen, der wurde eben ſo verfolgt, wie ich, und ſo mußt ich denn wohl in die Verbannung wandern.
Hinze.Armer Mann!
Es giebt wunderliche Hand - thierungen in der Welt, Herr Jaͤger; Koͤche leben vom Appetit, Schneider von der Eitelkeit, ich vom Lachen der Menſchen, wenn ſie nicht mehr lachen, ſo iſt meine Nahrung verloren.
Das Gemuͤſe eß ich nicht.
Warum? Seid nicht bloͤde, greift zu.
Ich ſage Euch, ich kann den weißen Kohl nicht vertragen.
Mir wird er deſto beſſer ſchmek - ken. — Gebt mir Eure Hand, ich muß Euch naͤ - her kennen lernen, Jaͤger.
Hier.
Empfangt hier die Hand eines deutſchen Biedermannes, ich ſchaͤme mich nicht, wie ſo viele meiner Landsleute, ein Deutſcher zu ſeyn.
Au! au! —
O weh! Jaͤger! plagt Euch der Teufel? —
Ihro Majeſtaͤt, der Jaͤger iſt ein treuloſer Mann, ſeht nur, wie er mir ein Andenken von ſeinen fuͤnf Fingern hinterlaſſen hat.
Wunderlich, — nun, ſetz Dich nur wieder hin, trage kuͤnftig Handſchuh, wenn Du mit ihm gut Freund ſeyn willſt. Es giebt vielerlei Arten von Freunden, man muß jedes Ge -II. [13]194Zweite Abtheilung.richt zu eſſen, und jeden Freund zu behandeln ver - ſtehn. Halt! Ich habe gleich gedacht, daß hinter dem Jaͤger was beſonderes ſteckt: ſieh! ſieh! er iſt ein Freimaurer, und hat Dir nur das Zeichen in die Hand ſchreiben wollen, um zu ſehn, ob Du auch von der Bruͤderſchaft biſt.
Man muß ſich vor Euch huͤten.
Warum kneift Ihr mich ſo? Hole der Henker Euer biederes Weſen!
Ihr krazt ja wie eine Katze.
Aber was iſt denn das heute? Wa - rum wird denn kein vernuͤnftiges Tiſchgeſpraͤch ge - fuͤhrt? Mir ſchmeckt kein Biſſen, wenn nicht auch der Geiſt einige Nahrung hat. — Hofgelehrter, ſeid Ihr denn heut auf den Kopf gefallen?
Ihro Majeſtaͤt geruhn —
Wie weit iſt die Sonne von der Erde?
Zweimal hundert tauſend, fuͤnf und ſiebenzig und eine Viertel Meile, funfzehn auf einen Grad gerechnet.
Und der Umkreis, den die Planeten ſo insgeſamt durchlaufen?
Wenn man rechnet, was jeder ein - zelne laufen muß, ſo kommen in der Total-Summa etwas mehr als tauſend Millionen Meilen heraus.
Tauſend Millionen! — Man ſagt ſchon, um ſich zu verwundern: ei der Tauſend! und nun gar tauſend Millionen! Ich mag auf der Welt nichts lieber hoͤren, als ſo große Nummern, — Millionen, Trillionen, — da hat man doch195Der geſtiefelte Kater.dran zu denken. — Es iſt doch meiner Seel ein Bischen viel, ſo tauſend Millionen.
Der menſchliche Geiſt waͤchſt mit den Zahlen.
Sagt mal, wie groß iſt wohl ſo die ganze Welt im Umfange, Fixſterne, Milch - ſtraßen, Nebelkappen und allen Plunder mitge - rechnet.
Das laͤßt ſich gar nicht ausſprechen.
Du ſollſt es aber ausſprechen, oder —
Wenn wir eine Million wieder als Eins anſehn, dann ohngefaͤhr zehn mal hundert tauſend Trillionen ſolcher Einheiten, die jede an ſich ſchon eine Million Meilen ausmachen.
Denkt nur, Kinder denkt! — Sollte man meinen, daß das Ding von Welt ſo groß ſein koͤnnte? Aber wie das den Geiſt beſchaͤftigt!
Ihro Majeſtaͤt, das iſt eine kurioſe Erhabenheit, davon krieg ich noch weniger in den Kopf als in den Magen; mir kommt die Schuͤſſel mit Reiß hier viel erhabener vor.
Wie ſo, Narr?
Bei ſolchen ungeheuren Zahlen kann man gar nichts denken, denn die hoͤchſte Zahl wird ja am Ende wieder die kleinſte. Man darf ſich ja nur alle Zahlen denken, die es geben kann. Wir koͤnnen nicht leicht, ohne uns zu verirren, bis fuͤnfe zaͤhlen.
Aber da iſt was Wahres drinn. 196Zweite Abtheilung.Der Narr hat ſeine Einfaͤlle. — Gelehrter, wie viel Zahlen giebt es denn?
Unendlich viel.
Sagt mal geſchwind die hoͤchſte Zahl.
Es giebt gar keine hoͤchſte, weil man zur hoͤchſten noch immer wieder eine neue hinzufuͤgen kann; der menſchliche Geiſt kennt hier gar keine Einſchraͤnkung.
Es iſt doch aber wahrhaftig ein wunderliches Ding um dieſen menſchlichen Geiſt.
Es muß Dir hier ſauer werden, ein Narr zu ſeyn.
Man kann gar nichts Neues aufbringen, es arbeiten zu viele in dem Fache.
Und du ſagſt alſo auch, daß die Erde immer rundum, immer rundum geht, bald ſo, bald ſo, wie ein beſoffener Menſch?
Nicht eigentlich auf dieſe Weiſe, ſondern mehr einem Walzenden aͤhnlich.
Und ſie iſt, wie Ihr meint, eine Kugel?
Allerdings, ſo daß unter uns Menſchen wohnen, die ihre Fuͤße gegen die un - ſrigen richten, oder unſre Antipoden ſind, ſo wie wir wiederum die Antipoden von ihnen ſind.
Wir? Ich auch?
Allerdings.
Ich verbitte mir aber dergleichen; meint Er, daß ich mich ſo wegwerfen werde? Er und ſeines gleichen moͤgen Antipoden ſeyn, ſo viel ſie wollen, aber ich halte mich zu gut, jeman -197Der geſtiefelte Kater.des Antipode zu ſeyn, und wenn es ſelbſt der große Mogul waͤre. Er denkt wohl, weil ich mich manch - mal herab laſſe, mit ihm zu disputiren, ſo werde ich mir auch alles bieten laſſen. Ja, ja, ich ſehe, wer ſich zum Schaaf macht, den freſſen die Woͤlfe; man darf ſolche Gelehrte nur ein weniges um ſich greifen laſſen, ſo mengen ſie nach ihren Syſtemen Kraut und Ruͤben durcheinander, und entbloͤden ſich nicht, den regierenden Herren ſelbſt unter die Antipoden zu werfen. Das dergleichen niemals wieder geſchieht!
Wie Ihro Majeſtaͤt befehlen.
Doch um nicht einſeitig bei einem Gegenſtande zu verweilen, ſo bringt mir nun ein - mal mein Mikroskop herein!
Ich muß Ihnen ſagen, meine Herren, daß ich es als eine Andacht treibe, in das kleine Ding hinein zu kuk - ken, und daß es mich in der That erbaut, und mein Herz erhebt, wenn ich ſehe, wie ein Wurm ſo ungeheuer vergroͤßert wird, wie eine Made und Fliege ſo ſeltſamlich konſtruirt ſind, und wie ſie in ihrer Pracht mit einem Koͤnige wetteifern koͤn - nen. —
Gebt her! Iſt nicht eine Muͤcke bei der Hand, ein Gewuͤrm, ſei es, was es ſei, um es zu beobachten?
Sonſt findet ſich dergleichen oft, ohne daß mans wuͤnſcht, und nun es zur Geiſtesbildung dienen ſoll, laͤßt ſich nichts betref - fen: aber ich ſchlage Ihrer Majeſtaͤt unmaßgeblich vor, eins von den ſeltſamen Barthaaren des frem -198Zweite Abtheilung.den Jaͤgers zu obſerviren, was ſich gewiß der Muͤhe verlohnt.
Seht, der Narr hat heut ſeinen lu - minoͤſen Tag. Ein treflicher Gedanke! Damit der Jaͤger ſich aber nicht uͤber Gewalt zu beſchweren hat, ſoll ihm das anſehnlichſte Haar durch Nie - mand anders als durch zwei Kammerherren aus - gerauft werden. Macht Euch dran, Leute.
Das ſcheint mir ein Eingriff in das Voͤlkerrecht. —
Au! Mau! Miau! Prrrſt!
Hoͤrt, er maut faſt wie eine Katze.
O ja, auch hat er eben ſo ge - pruſtet; er ſcheint uͤberhaupt eine merkwuͤrdige Or - ganiſation zu beſitzen.
Ei! ei! wie hoͤchſt wunderbar! Da iſt doch auch kein Riß, keine un - ebene Stelle, keine Rauhigkeit wahrzunehmen. Ja, das ſollen mir einmal die engliſchen Fabriken nach - ahmen! Ei! ei! wo der Jaͤger nur dieſe koſtbaren Barthaare hergenommen hat!
Sie ſind ein Werk der Natur, mein Koͤnig. Dieſer fremde Mann hat noch eine andre große Naturmerkwuͤrdigkeit an ſich, die ge - wiß eben ſo unterhaltend als nachdenklich iſt. Ich nahm vorhin wahr, als die Braten herein gebracht wurden, und der angenehme Duft den ganzen Saal erfuͤllte, daß ſich in ſeinem Koͤrper ein ge - wiſſes Orgelwerk in Bewegung zu ſetzen anfing, das mit luſtigen Paſſagen auf und nieder ſchnurrte, wobei er die Augen aus Wohlgefallen eindruͤckte199Der geſtiefelte Kater.und ihm die Naſe lebhaft zitterte. Ich fuͤhlte ihn zu der Zeit an, und der Tremulant war in ſeinem ganzen Koͤrper, unter Nacken und Ruͤcken fuͤhlbar.
Iſt es moͤglich? Kommt mal her, tretet zu mir, Jaͤger.
An dieſen Mittag werd ich gedenken.
Kommt, edler Freund.
Nicht wahr? Ihr werdet wieder kratzen?
Hier tretet her. — Nun? —
Ich hoͤre nichts, es iſt ja maͤus - chenſtill in ſeinem Leibe.
Er hat es verloren, ſeit ihm das Haar ausgeriſſen wurde, es ſcheint nur zu or - geln, wenn ihm wohl iſt. Jaͤger, denkt einmal recht was wohlgefaͤlliges, ſtellt Euch doch was An - muthiges vor, ſonſt glaubt man, es iſt nur Tuͤcke, daß es jetzt nicht in Euch ſpielt.
Haltet ihm den Braten vor die Naſe. — So. — Seht, Jaͤger, davon ſollt Ihr ſogleich bekommen. Nun? — Ich will ihm indeß etwas den Kopf und die Ohren ſtreicheln, hoffent - lich wirkt dieſe Gnade auf ſein Zufriedenheits-Or - gan. — Richtig! Hoͤrt, hoͤrt, Leute, wie er ſchnurrt, auf und ab, ab und auf, in recht huͤb - ſchen Laͤufen! Und in ſeinem ganzen Koͤrper fuͤhl ich die Erſchuͤtterung. — Hm! hm! aͤußerſt ſon - derbar! — Wie ein ſolcher Menſch inwendig muß beſchaffen ſeyn! Ob es eine Walze ſeyn mag, die ſich umdreht, oder ob es nach Art der Claviere eingerichtet iſt? Wie nur die Daͤmpfung angebracht wird, daß augenblicks das ganze Werk ſtill ſteht? 200Zweite Abtheilung.— Sagt mal, Jaͤger: (Euch acht 'ich und bin wohlwollend gegen Euch geſinnt) aber habt Ihr nicht vielleicht in der Familie einen Vetter, oder weitlaͤuftigen Anverwandten, an dem nichts iſt, an dem die Welt nichts verloͤre, und den man ſo ein weniges aufſchneiden koͤnnte, um ein Ein - ſehn in die Maſchienerie zu bekommen?
Nein, Ihro Majeſtaͤt, ich bin der einzige meines Geſchlechts.
Schade! — Hofgelehrter, denkt ein - mal nach, wie der Menſch innerlich gebaut ſeyn mag, und leſ't es uns alsdann in der Akademie vor.
Kommt, Jaͤger, ſetzen wir uns wieder und ſpeiſen.
Ich ſehe, mit Dir muß ich Freund - ſchaft halten.
Es wird mir eine Ehre ſeyn, mein Koͤnig; ich habe auch ſchon eine Hypotheſe im Kopf, die mir von der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit iſt; ich vermuthe nemlich, daß der Jaͤger ein unwillkuͤhr - licher Bauchredner iſt, der wahrſcheinlich bei ſtren - ger Erziehung ſich fruͤh angewoͤhnt hat, ſein Wohl - gefallen und ſeine Freude, die er nicht aͤußern durfte, in ſeinem Innern zu verſchließen, dorten aber, weil ſein ſtarkes Naturell zu maͤchtig war, hat es in den Eingeweiden fuͤr ſich ſelbſt den Ausdruck der Freude getrieben, und ſich ſo dieſe innerliche Spra - che gebildet, die wir jetzt als eine ſeltſame Erſchei - nung an ihm bewundern.
Laͤßt ſich hoͤren.
Nun klingt es deshalb in ihm201Der geſtiefelte Kater.mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein Ausdruck der Luſt. Ihrer Natur nach ſteigt die Freude nach oben, oͤffnet den Mund weit und ſpricht in den offenſten Vokalen, am liebſten in A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Schoͤp - fung, an Kindern, Schaafen, Eſeln, Stieren und Betrunkenen wahrnehmen koͤnnen; er aber, bei ſeinen tyranniſchen Eltern und Vormuͤndern, wo er nichts durfte laut werden laſſen, mußte inner - lich nur ein O und U brummen, und ſo angeſehn muß dieſe Erſcheinung alles Wunderbare verlie - ren, und ich glaube aus dieſen Gruͤnden nicht, daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in ſei - nem Leibe beſitze.
Wenn es nun einmal dem Herrn Leander verboten wuͤrde, laut zu philoſo - phiren, und ſeine tiefſinnigen Gedanken muͤßten ſich auch, ſtatt oben, in der Tiefe ausſprechen, welche Sorte von Knarrwerk ſich wohl in ſeinem Bauch etabliren wuͤrde?
Der Narr, mein Koͤnig, kann vernuͤnftige Gedanken nie begreifen; mich wundert uͤberhaupt, daß ſich Ihro Majeſtaͤt noch von ſei - nen geſchmackloſen Einfaͤllen beluſtigen laſſen. Man ſollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih - ren Geſchmack nur in einen uͤblen Ruf.
Herr Naſeweis von Gelehrter! was unterſteht er ſich denn? In ihn iſt ja heut ein ſataniſcher Rebel - lionsgeiſt gefahren! Der Narr gefaͤllt mir, mir, ſeinem Koͤnige, und wenn ich Geſchmack an ihm202Zweite Abtheilung.finde, wie kann Er ſich unterſtehn zu ſagen, daß der Mann abgeſchmackt ſey? Er iſt Hofgelehrter und der andre Hofnarr, Ihr ſteht beide in einem Gehalte, der einzige Unterſchied iſt, daß er an dem kleinen Tiſchgen mit dem fremden Jaͤger ſpeiſt. Der Narr macht dummes Zeug bei Tiſche und Er fuͤhrt einen vernuͤnftigen Diskurs bei Tiſche, beides ſoll mir nur die Zeit vertreiben und machen, daß mir das Eſſen gut ſchmeckt; wo iſt denn alſo der große Unterſchied? — Und dann thuts einem Herrn, wie mir, auch wohl, einen Narren zu ſehn, der dummer iſt, der die Gaben und die Bil - dung nicht hat, man fuͤhlt ſich mehr und iſt dank - bar gegen den Himmel. Schon deswegen iſt mir ein Dummkopf ein angenehmer Umgang. — Wenn Er aber meint, daß der Narr in Religion und Philoſophie zuruͤck iſt, daß er zu ſehr in der Irre wandelt, kann er ſich denn nicht (da der Dumme doch gewiß ſein Naͤchſter iſt) menſchenfreundlich zu ihm ſetzen und liebreich ſagen: ſieh, Schatz, das iſt ſo, und jenes ſo, Du biſt hierinn zuruͤck, ich will Dich mit Liebe auf den Weg des Lichtes bringen und dann etwas gruͤndliche Logik, Meta - phyſik und Hydroſtatik ihm vorſprechen, daß der Dumme in ſich ſchlaͤgt und ſich bekehrt? So muͤßte einer handeln, der ein Weltweiſer heißen will.
Das Kaninchen! — Ich weiß nicht, — die andern Herren eſſen es wohl nicht gerne? —
203Der geſtiefelte Kater.Nun, ſo will ich es denn mit Ihrer Erlaubniß fuͤr mich allein behalten. —
Mich duͤnkt, der Koͤnig zieht Geſichter, als wenn er ſeine Zufaͤlle wieder be - kaͤme.
Das Kaninchen iſt verbrannt! — O Herr des Himmels! Erde? — Was noch ſonſt? Nenn 'ich die Hoͤlle mir? —
Mein Vater —
Wer iſt das? Durch welchen Mißverſtand hat dieſer Fremdling Zu Menſchen ſich verirrt? — Sein Aug iſt trocken!
Gieb dieſen Todten mir heraus. Ich muß Ihn wieder haben!
Hole doch einer ſchnell den Beſaͤnftiger.
Der Koch Philipp ſei das Jubel - geſchrei der Hoͤlle, wenn ein Undankbarer ver - brannt wird!
Wo nur der Muſikus bleibt.
Die Todten ſtehen nicht mehr auf. Wer darf Mir ſagen, daß ich gluͤcklich bin? O waͤr er mir geſtorben! Ich hab ihn lieb gehabt, ſehr lieb.
204Zweite Abtheilung.Wie iſt mir? —
Ach, ich habe ſchon wieder meinen Zufall gehabt. — Schafft mir den Anblick des Kaninchens aus den Augen. —
Seine Majeſtaͤt leiden viel.
Meine Herren, — verehrungswuͤr - digſtes Publikum, — nur einige Worte.
Still! ſtill! der Narr will ſprechen.
Ums Himmelswillen, machen Sie mir die Schande nicht, der Akt iſt ja gleich zu Ende. — Sehn Sie doch nur, der Koͤnig iſt ja auch wieder zur Ruhe, nehmen Sie an dieſer gro - ßen Seele ein Beiſpiel, die gewiß mehr Urſache hatte, außer ſich zu ſeyn, als Sie.
Mehr als wir?
Aber warum trom - meln Sie denn? Uns beiden gefaͤllt ja das Stuͤck.
Iſt auch wahr, — in Gedanken, weil es alle thun.
Einige Stimmen ſind mir doch noch guͤnſtig, laſſen Sie ſich aus Mitleid mein armes Stuͤck gefallen, ein Schelm giebts beſſer, als ers hat; es iſt auch bald zu Ende. — Ich bin ſo verwirrt und erſchrocken, daß ich Ihnen nichts anders zu ſagen weiß.
Wir wollen nichts hoͤren, nichts wiſſen.
Der Koͤnig iſt beſaͤnftigt, beſaͤnftige nun auch dieſe tobende Fluth, wenn Du es kannſt!
Das klinget ſo herrlich, —
Das klinget ſo ſchoͤn, —
Nie hab ich ſo etwas gehoͤrt noch geſehn.
Herrlich! herrlich!
Das heiß ich mir noch ein he - roiſch Ballet.
Und ſo ſchoͤn in die Haupthand - lung eingeflochten!
Schoͤne Muſik!
Goͤttlich!
Das Ballet hat das Stuͤck noch gerettet.
Ich bewundere nur immer das Spiel des Katers. — An ſolchen Kleinigkeiten er - kennt man den großen und geuͤbten Schauſpieler; ſo oft er zum Beiſpiel das Kaninchen aus der Ta - ſche nahm, hob er es jederzeit bei den Ohren, — es ſtand ihm nicht vorgeſchrieben; haben ſie wohl bemerkt, wie es der Koͤnig ſogleich an den Leib207Der geſtiefelte Kater.packte? Aber man haͤlt dieſe Thiere bei den Oh - ren, weil ſie es dort am beſten vertragen koͤnnen. Das nenn ich den Meiſter!
Das iſt ſehr ſchoͤn auseinander geſetzt.
Man ſollte ihn ſelbſt da - fuͤr bei den Ohren nehmen.
Und die Angſt, als ihm der Adler auf dem Kopfe ſaß! Wie er ſich aus Furcht ſo gar nicht bewegte, ſich weder ruͤhrte noch regte, — nein, eine ſolche vollendete Kunſt kann keine Beſchreibung ausdruͤcken.
Sie gehen ſehr gruͤndlich.
Ich ſchmeichle mir, nur ein klein wenig Kenner zu ſeyn, das iſt freilich mit Ihnen allen nicht der Fall, und darum muß man es Ihnen ein wenig entwickeln.
Sie geben ſich viele Muͤhe.
Wenn man die Kunſt ſo liebt, wie ich, iſt das eine angenehme Muͤhe. — Mir iſt auch jetzt uͤber die Stiefeln des Katers ein ſehr ſcharfſinniger Gedanke eingefallen, und ich bewun - dre darin das Genie des Schauſpielers. — Sehn Sie, er iſt anfangs Kater, deshalb muß er ſeine natuͤrliche Kleidung ablegen, um die paſſende Maske einer Katze zu nehmen; jetzt ſoll er nun wieder ganz als Jaͤger erſcheinen (dies ſchließe ich dar - aus, daß ihn jeder ſo nennt, ſich auch kein Menſch uͤber ihn verwundert), ein ungeſchickter Schauſpie - ler wuͤrde ſich auch gewiß in einen Jagdhabit ge - worfen haben: — aber — wie wuͤrde es um un -208Zweite Abtheilung.ſre Illuſion ausſehn? Wir haͤtten vielleicht daruͤber vergeſſen, daß er doch im Grunde ein Kater iſt, und wie unbequem muͤßte dem Schauſpieler eine neue Kleidung uͤber dem ſchon vorhandenen Pelze ſeyn? Durch die Stiefeln aber deutet er ſehr ge - ſchickt die Jaͤgeruniform nur an, und daß ſolche Andeutungen vollkommen kunſtgemaͤß ſind, bewei - ſen uns ganz vorzuͤglich die Alten, die oft —
Schon wieder die Alten!
Verzeihen Sie, es iſt eine an - genehme, ſonſt loͤbliche Gewohnheit, die ich mir zugelegt habe, vertraͤgt ſich auch mit aller moͤgli - chen modernen Eleganz. Ich bin uͤbrigens geſon - nen, meine Herren, ein eignes Buch uͤber die dar - geſtellte Rolle des Katers herauszugeben (wozu ich mir auch nachher von Ihnen allerſeits einige ſcharfſinnige Bemerkungen ausbitten werde), und darum wuͤnſchte ich wohl, daß das Stuͤck nicht ſo oft unterbrochen wuͤrde. Die Scene, in welcher er dem Koͤnige das Kaninchen mit ſo großer Kunſt uͤberliefert, ſchien mir faſt ſein Triumph, wenn ich die letzte ausnehme, in welcher ſich ſein Genie noch glaͤnzender zeigte; denn jene ſpielte er ganz und gar mit dem linken Zeigefinger und einer ge - ringen Bewegung des rechten Fußes. Was wuͤrde da mancher Schauſpieler ſich heftig bewegt und laut geſchrieen haben? Aber Er, er ſteht ruhig auf ſich ſelber da, ſich kennend, ſeiner Groͤße ver - trauend, wohl wiſſend, daß das Kaninchen im Torniſter ſteckt, den er nur aufknoͤpfen darf, um ſein Gluͤck zu machen.
Schloſ -Uns duͤnkt der Menſch aber ſehr langweilig.
Sie ſind vielleicht nur verwoͤhnt, meine Herren. Waren Sie denn nicht tief erſchuͤt - tert, in jener einzigen, unnachahmlichen Scene, als dem Wuͤrdigſten ſeines Geſchlechtes auf Be - fehl des Tyrannen ſein ehrwuͤrdiger Bart ausge - rauft ward? Nicht wahr, hier haͤtten Sie Ge - ſchrei, Fußſtampfen, Zaͤhneknirſchen erwartet? Wie mancher Schreier unſrer Buͤhnen, der in Helden - rollen geruͤhmt wird, haͤtte hier die ganze Kraft ſeines Organs aufgeboten, um ſich den Beifall des Haufens zu ertoben? Nicht ſo unſer großer origineller Kuͤnſtler. Da ſtand er, ſtill, in ſich gezogen, ſeinen Schmerz zuruͤck zwaͤngend; waͤh - rend die rechte Hand in der aufgeknoͤpften Weſte unter dem Jabot ruhig ſteckt, iſt die linke mit der ausgeſtreckten Flaͤche nach oben gewandt, ſie druͤckte ſeinen Unwillen aus, und forderte gleichſam des Himmels Unterſtuͤtzung; ſein Geſicht war ruhig, faſt laͤchelnd, in Verachtung gegen die Diener des Tyrannen, nur eine zwinkelnde Bebung zuckte im aufwaͤrtsrollenden Auge, in der man ſein ganzes Gefuͤhl erkannte, und nun ertoͤnt aus gehobener Bruſt das herzdurchſchneidende Au, Mau, Miau, ſo gedacht, ſo gezogen, ſo wimmernd klagend, daß uns allen der Athem verging; doch das Gefuͤhl des Unwillens laͤßt ſich nicht ganz zuruͤckhalten, und nun der ploͤtzlich kuͤhne Uebergang in jenen Ausruf des Zornes, den der Narr ein Pruſten nannte, und vor dem ſelbſt die ſchamloſen Des -II. [14]210Zweite Abtheilung.potenknechte zuruͤckfuhren. Wahrlich, dies war der Gipfel aller Kunſt. Ja in dieſen marrenden, quar - renden, pruſtigen Tone moͤcht ich von dieſem ein - zigen Manne einmal den Koͤnig Lear, oder den Wallenſtein ſpielen ſehn, ich bin uͤberzeugt, dieſe Darſtellungen waͤren etwas Unerhoͤrtes, und wuͤr - den gegen jene Schreier grell abſtechen, die die tra - giſchen Rollen immer nur mit ſogenannter Kraft und mit Nachdruck zu ſpielen ſuchen.
Das fehlt uns noch! Es iſt aber unausſtehlich, wenn es da oben einmal ſtill iſt, ſo martert uns der Kenner hier faſt eben ſo ſehr. — Der Vorhang geht auf!
Meinen Sie denn wirklich, daß das etwas hel - fen wird?
O mein verehrteſter Herr Maſchi - niſt, ich bitte Sie, ich beſchwoͤre Sie, ſchlagen Sie mir meine Bitte nicht ab, meine letzte Hof - nung, meine Rettung beruht nur darauf.
Was iſt denn das wieder? — Wie kommen denn dieſe Menſchen in Gottliebs Stube?
Ich zerbreche mir uͤber nichts mehr den Kopf.
Aber, lieber Freund, Sie ver - langen auch wahrhaftig zu viel, daß das alles ſo in der Eil, ganz aus dem Stegereife zu Stande kommen ſoll.
Sie verfolgen mich auch, einver - ſtanden mit meinen Feinden drunten, erfreuen Sie ſich meines Ungluͤcks.
Nicht im mindeſten.
Nun ſo bewei - ſen Sie es mir dadurch, daß Sie meinen Bitten nachgeben; wenn das Mißfallen des Publikums bei irgend einer Stelle wieder ſo laut ausbricht,212Zweite Abtheilung.ſo laſſen Sie auf einen Wink von mir alle Ma - ſchinen ſpielen! Der zweite Akt iſt ſo ſchon ganz anders geſchloſſen, als er in meinem Ma - nuſcripte ſteht.
Was iſt denn das? — Wer hat denn die Gardine aufgezogen?
Alles Ungluͤck ſtroͤmt auf mich ein, ich bin verloren! —
Solche Verwirrung iſt noch an keinem Abende geweſen.
Gehoͤrt denn das zum Stuͤck?
Natuͤrlich, das motivirt ja die nachherigen Verwandlungen.
Den heutigen Abend ſollte man doch wirklich im Theater-Calender beſchreiben.
Nein, ich geh nicht vor, durchaus nicht, ich kann es nicht vertragen, wenn ich ausgelacht werde.
Aber Sie, — theuerſter Freund, — es iſt doch einmal nicht zu aͤndern.
Nun, ich will mein Gluͤck ver - ſuchen.
Wie koͤmmt denn der Hanswurſt nun in die Bauerſtube?
Er wird gewiß einen abgeſchmack - ten Monolog halten wollen.
Verzeihen Sie, wenn ich mich erkuͤhne, ein Paar Worte vorzutragen, die eigent - lich nicht zum Stuͤcke gehoͤren.
O Sie ſollten nur ganz ſtille ſchwei -213Der geſtiefelte Kater.gen, Sie ſind uns ſchon im Stuͤcke zuwider, viel - mehr nun gar ſo —
Ein Hanswurſt unterſteht ſich mit uns zu reden?
Warum denn nicht? denn, wenn ich ausgelacht werde, ſo thut mir das nichts, ſondern es iſt im Gegentheil mein heißeſter Wunſch, daß Sie geruhen moͤchten, uͤber mich zu lachen. Nein, nein, ich bitte, geniren Sie ſich nur gar nicht, wir ſind hier unter uns.
Das iſt ziemlich poſſirlich.
Was dem Koͤnige freilich we - nig anſteht, ſchickt ſich deſto beſſer fuͤr mich, er wollte daher auch gar nicht vorkommen, ſondern uͤberließ mir dieſe wichtige Ankuͤndigung.
Wir wollen aber nichts hoͤren.
Meine lieben deutſchen Lands - leute —
Ich denke das Stuͤck ſpielt drau - ßen in Aſien?
Kann ſeyn, ich weiß nicht, jetzt aber, verſtehn Sie mich, jetzt rede ich ja zu Ihnen als bloßer Schauſpieler zu den Zuſchauern, nicht als Hanswurſt, ſondern als Menſch, zu ei - nem Publikum, das nicht in der Illuſion begrif - fen iſt, ſondern ſich außerhalb derſelben befindet, kuͤhl, vernuͤnftig, bei ſich, vom Wahnſinn der Kunſt unberuͤhrt. Capiren Sie mich? Koͤnnen Sie mir folgen? Diſtinguiren Sie?
Adieu! Nun gehts fort mit mir,214Zweite Abtheilung.ich ſchnappe uͤber. Richtig, wie ich immer vorher geſagt habe.
Wir verſtehn Sie gar nicht.
Sagen Sie doch nicht zu einem Hanswurſte Sie.
Er ſagt ja aber, daß er jetzt nur einen Menſchen vorſtellt.
Geruhen Sie doch zu verneh - men (und das iſt die Urſach, weshalb ich komme), daß die vorige Scene, die Sie eben ſahen, gar nicht zum Stuͤcke gehoͤrt.
Nicht zum Stuͤcke? Wie koͤmmt ſie denn aber hinein?
Der Vorhang war zu fruͤh aufgezogen. Es war eine Privatunterredung, die gar nicht auf dem Theater vorgefallen waͤre, wenn man zwiſchen den Couliſſen nur etwas mehr Raum haͤtte. Sind Sie alſo illudirt geweſen, ſo iſt es wahrlich um ſo ſchlimmer, und es hilft nichts, Sie muͤſſen dann ſo guͤtig ſeyn und die Muͤhe da - ran ſetzen, dieſe Taͤuſchung aus ſich wieder aus - zurotten; denn von jetzt an, verſtehn Sie mich, von dem Augenblicke, daß ich werde abgegangen ſeyn, nimmt der dritte Akt erſt ſeinen Anfang. Unter uns: alles Vorhergehende gehoͤrt gar nicht zur Sache; es iſt eine Zugabe, die wir uns jetzt wieder von Ihnen zuruͤck erbitten. Aber Sie ſol - len entſchaͤdigt werden, es wird im Gegentheil bald manches kommen, das ziemlich zur Sache gehoͤrt, denn ich habe den Dichter ſelber geſprochen und er hats mir zugeſchworen.
Ja, Euer Dichter iſt der rechte Kerl.
Nicht wahr, er iſt nichts werth?
Gar nichts, Hanswurſt, es iſt mir lieb, daß Sie die Einſicht haben.
Nun, das freut mich von Her - zen, daß noch jemand anders meinen Geſchmack hat.
O wir alle, wir alle, kei - ner denkt anders.
Gehorſamer Diener, gar zu viele Ehre. — Ja, es iſt, weiß Gott, ein elender Dichter, — nur, um ein ſchlechtes Beiſpiel zu ge - ben: welche armſelige Rolle hat er mir zugetheilt? Wo bin ich denn witzig und ſpaßhaft? Ich komme in ſo wenigen Scenen vor, und ich glaube, wenn ich nicht noch jetzt durch einen gluͤcklichen Zufall heraus getreten waͤre, ich erſchiene gar nicht wieder.
Unverſchaͤmter Menſch —
Sehn Sie? Sogar auf die kleine Rolle, die ich jetzt ſpiele, iſt er neidiſch.
Verehrungswuͤrdige! ich haͤtte es nie wagen duͤrfen, dieſem Manne eine groͤßere Rolle zu geben, da ich Ihren Geſchmack kenne —
Ihren Ge - ſchmack! — Nun ſehn Sie den Neid. — Und ſo eben haben Sie erklaͤrt, daß mein Geſchmack und der Ihrige in Einer Form gegoſſen ſeyen.
Ich wollte Sie durch gegenwaͤrti - ges Stuͤck nur vorerſt zu noch ausſchweifenderen Geburten der Phantaſie vorbereiten.
Wie? — Was?
Denn ſtufenweiſe nur kann die Ausbildung geſchehn, die den Geiſt das Phantaſti - ſche und Humoriſtiſche lieben lehrt.
Humoriſtiſche! Was er die Backen voll nimmt, und es iſt doch lauter Wind. Aber Geduld, er hat gut Rollen-Schreiben, wir machen im Spielen doch ganz andre daraus.
Ich empfehle mich indeß, um den Gang des Stuͤckes nicht laͤnger zu unterbrechen, und bitte der vorigen Stoͤrung wegen noch einmal um Verzeihung.
Adieu, meine Theuren, bis auf Wiederſehn. —
Apropos! noch eins! — Auch was jetzt unter uns vorgefallen iſt, gehoͤrt, genau genommen, nicht zum Stuͤck.
Laſſen Sie uns heut das miſerable Stuͤck zu Ende ſpielen, thun Sie, als merken Sie gar nicht, wie ſchlecht es iſt, und ſo wie ich nach Hauſe komme, ſetze ich mich hin und ſchreibe eins fuͤr Sie nieder, das Ihnen gewiß gefallen ſoll.
Lieber Hinze, es iſt wahr, Du thuſt ſehr viel fuͤr mich, aber ich kann immer noch nicht einſehn, was es mir helfen ſoll.
Auf mein Wort, ich will dich gluͤck - lich machen, und ich ſcheue keine Muͤhe und Ar - beit, keine Schmerzen, keine Aufopferungen, um dieſen Endzweck durchzuſetzen.
Bald, ſehr bald muß es geſchehn, ſonſt iſt es zu ſpaͤt, — es iſt ſchon halb acht, und um acht iſt die Comoͤdie aus.
Was Teufel iſt denn das?
Ach, ich war in Gedanken! ſonſt, wollt ich ſagen, verſchmachten wir beide. Aber ſieh, wie ſchoͤn die Sonne aufgegangen iſt. — Der verdammte Soufleur ſpricht ſo undeutlich, und wenn man denn manchmal extemporiren will, gehts immer ſchief.
Nehmen Sie ſich doch zuſam - men, das ganze Stuͤck bricht ſonſt in tauſend Stuͤcke.
Was ſprach der von Comoͤdie und von halb acht?
Ich weiß nicht, mir daͤucht, wir ſollten Acht geben, es wuͤrde bald aus ſeyn.
Ja wohl, Acht! gottlob, um218Zweite Abtheilung.Acht werden wir erloͤſt, wenn wir Acht geben, ſo wird es um Acht fuͤr uns ein Losgeben, bis Neun, nein, koͤnnt es keiner aushalten, um Zehn wuͤrd ich mit Zaͤhnen um mich beißen.
Beſter, Sie phantaſiren ſchon in der Manier des Stuͤcks.
Ja, ich bin auf lange ruinirt.
Alſo heut noch ſoll ſich mein Gluͤck entſcheiden?
Ja, lieber Gottlieb, noch ehe die Sonne untergeht. — Sieh, ich liebe Dich ſo ſehr, daß ich fuͤr Dich durchs Feuer laufen moͤchte, — und Du zweifelſt an meiner Freundſchaft?
Haben Sies wohl gehoͤrt? — Er wird durchs Feuer laufen. — Schoͤn! da be - kommen wir noch die Dekoration aus der Zauber - floͤte, mit dem Waſſer und Feuer.
Katzen gehn aber nicht ins Waſſer.
Deſto groͤßer iſt ja des Katers Liebe fuͤr ſeinen Herrn, merken Sie, das will uns ja der Dichter eben dadurch zu verſtehn geben.
Was haſt Du denn wohl Luſt zu werden in der Welt?
Das iſt ſchwer zu ſagen.
Moͤchteſt Du wohl Prinz oder Koͤ - nig werden?
Das noch am erſten.
Fuͤhlſt Du auch die Kraft in Dir, ein Volk gluͤcklich zu machen?
Warum nicht? Wenn ich nur erſt gluͤcklich bin.
Nun ſo ſei zufrieden, ich ſchwoͤre Dir, Du ſollſt den Thron beſteigen.
Wunderlich muͤßt es zugehn. — Doch kommt ja in der Welt ſo manches unerwartet.
Bemerken Sie doch die unend - liche Feinheit, mit der der Kater ſeinen Stock haͤlt, ſo zart, ſo leutſeelig.
Sie ſind uns mit Ihren Feinheiten ſchon laͤngſt zur Laſt, Sie ſind noch langweiliger als das Stuͤck.
Ja es iſt recht verdruͤßlich, immer dieſe Entwicklungen und Lobpreiſungen anhoͤren zu muͤſſen.
Aber der Kunſt-Enthuſiasmus ſucht ſich doch auszuſprechen.
O es ſoll nun gleich zu Ende ſein! Faſſen Sie an, beſter Herr Leutner, Herr Muͤller, halten Sie ihm den Kopf, ich habe hier eine Maſchine, die ihm den Mund ſchließen und das Sprechen unterſagen wird.
Sie werden doch nimmermehr —
So, nun ſteckt ihm der Knebel ſchon im Munde; Herr Fiſcher, laſſen Sie die Feder zuſchnappen, ſo iſt die Sache gemacht.
Das iſt doch himmelſchreiend, daß ein Kunſtke — —
Kunſtkenner will er ſagen. So, jetzt wird doch von der Seite Ruhe ſeyn. Nun ſehn Sie huͤbſch ſtill und bedaͤchtlich zu.
Ich bin der Jagd ganz gewohnt worden, alle Tage fang ich Rebhuͤner, Kaninchen und derglei - chen, und die lieben Thierchen kommen auch im - mer mehr in die Uebung, ſich fangen zu laſſen. —
Die Zeit mit den Nachti - gallen iſt nun vorbei, ich hoͤre keine einzige ſingen.
Geh, Du biſt mir zur Laſt.
Du biſt mir zuwider.
Eine ſchoͤne Liebe!
Jaͤmmerlicher Heuchler, wie haſt Du mich betrogen!
Wo iſt denn Deine unendliche Zaͤrtlich - keit geblieben?
Und deine Treue?
Deine Wonnetrunkenheit?
Deine Entzuͤckungen?
Der Teufel hats geholt! das kommt vom Heirathen!
So iſt die Jagd noch nie geſtoͤrt wor - den. — Wenn Sie doch geruhen wollten, zu bemer - ken, daß dieſes freie Feld fuͤr Ihre Schmerzen offen - bar zu enge iſt, und irgend einen Berg beſteigen.
Schlingel!
Flegel!
Ich daͤchte, wir ließen uns wieder ſcheiden.
Ich ſtehe zu Befehl.
Niedliches Volk, die ſogenannten Menſchen. — Sieh da, zwei Rebhuͤner, ich will ſie ſchnell hintragen. — Nun, Gluͤck, tummle dich, denn faſt wird mir die Zeit auch zu lang. — Jetzt hab ich gar keine Luſt mehr, die Rebhuͤner zu freſ - ſen. So gewiß iſt es, daß wir durch bloße Ge - wohnheit unſerer Natur alle moͤglichen Tugenden einimpfen koͤnnen.
Himm — himm — li — ſch!
Strengen Sie ſich nicht ſo an, es iſt doch vergeblich.
Noch nie hat ſich ein Menſch um das Vaterland ſo verdient gemacht, als dieſer lie - benswuͤrdige Graf von Carabas. Einen dicken Folianten hat unſer Hiſtoriograph ſchon voll ge - ſchrieben, ſo oft hat er mir durch ſeinen Jaͤger niedliche und wohlſchmeckende Praͤſente uͤbermacht, manchmal ſogar an einem Tage zweimal. Meine Erkenntlichkeit gegen ihn iſt ohne Graͤnzen, und ich wuͤnſche nichts ſo ſehnlich, als irgend einmal eine Gelegenheit zu finden, etwas von meiner gro - ßen Schuld gegen ihn abzutragen.
Liebſter Herr Vater, wollten Dieſelben nicht gnaͤdigſt erlauben, daß jetzt die gelehrte Disputation ihren Anfang nehmen koͤnn - te? Mein Herz ſchmachtet nach dieſer Geiſtesbe - ſchaͤftigung.
Ja, es mag jetzt ſeinen Anfang223Der geſtiefelte Kater.nehmen. — Hofgelehrter, — Hofnarr, — Ihr wißt beide, daß demjenigen von Euch, der in die - ſer Disputation den Sieg davon traͤgt, jener koſt - bare Hut beſchieden iſt; ich habe ihn auch deswegen hier aufrichten laſſen, damit Ihr ihn immer vor Augen habt und es Euch nie an Witz gebricht.
Das Thema meiner Behauptung iſt, daß ein neuerlich erſchienenes Stuͤck: der ge - ſtiefelte Kater, ein gutes Stuͤck ſei.
Das iſt gerade das, was ich laͤugne.
Beweiſe, daß es ſchlecht ſei.
Beweiſe, daß es gut ſei.
Was iſt denn das wieder? — die Rede iſt ja wohl von demſelben Stuͤcke, das hier geſpielt wird, wenn ich nicht irre.
Freilich von demſelben.
Das Stuͤck iſt, wenn nicht ganz vortreflich, doch in einigen Ruͤckſichten zu loben.
In gar keiner Ruͤckſicht.
Ich behaupte, es iſt Witz darinn.
Ich behaupte, es iſt keiner drinn.
Du biſt ein Narr, wie willſt Du uͤber Witz urtheilen?
Und Du biſt ein Gelehrter, was willſt Du von Witz verſtehn?
Manche Charaktere ſind gut durch - gefuͤhrt.
Kein einziger.
So iſt, wenn ich auch alles uͤbrige fallen laſſe, das Publikum gut darin gezeichnet.
Ein Publikum hat nie einen Charakter.
Ueber dieſe Frechheit moͤcht ich faſt erſtaunen.
Iſt es nicht ein naͤrriſcher Menſch? Ich und das verehrungs - wuͤrdige Publikum ſtehn nun beide gleichſam auf Du und Du, und ſympathiſiren in Anſehung des Geſchmacks, und doch will er gegen meine Mei - nung behaupten, das Publikum im geſtiefelten Ka - ter ſei gut gezeichnet.
Das Publikum? Es kommt ja kein Publikum in dem Stuͤcke vor.
Noch beſſer! Alſo koͤmmt gar kein Publikum darin vor?
Je bewahre! Wir muͤßten ja doch auch darum wiſſen.
Natuͤrlich. Nun, ſiehſt Du, Gelehrter? Was die Herren da unten ſagen, muß doch wohl wahr ſeyn.
Ich werde konfus, — aber ich laſſe Dir noch nicht den Sieg.
Herr Jaͤger, ein Wort! —
Wenn es weiter nichts iſt. —
Sieg! Sieg!
Der Tauſend! Wie iſt der Jaͤger geſchickt!
Es betruͤbt mich nur, daß ich von einem Narren uͤberwunden bin, daß Gelehrſamkeit vor Thorheit die Seegel ſtreichen muß.
Sei ruhig, Du wollteſt den Hut ha - ben, er wollte den Hut haben, da ſeh ich nun wieder keinen Unterſchied. — Aber was bringſt Du, Jaͤger?
Der Graf von Carabas laͤßt ſich Eurer Majeſtaͤt demuͤthigſt empfehlen, und nimmt ſich die Freiheit, Ihnen dieſe beiden Rebhuͤner zu uͤberſchicken.
Zu viel! zu viel! Ich erliege unter der Laſt der Dankbarkeit. Schon lange haͤtte ich meine Pflicht beobachten ſollen, ihn zu beſuchen, heute will ich es nun nicht laͤnger auf - ſchieben. — Laßt geſchwind meine Staatskaroſſe in Ordnung bringen, acht Pferde vor, ich will mit meiner Tochter ausfahren! — Du, Jaͤger, ſollſt uns den Weg nach dem Schloſſe des Grafen zeigen.
Woruͤber war denn Eure Dispu - tation?
Ich behauptete, ein gewiſſes Stuͤck, das ich uͤbrigens gar nicht kenne: der ge - ſtiefelte Kater, ſei ein erbaͤrmliches Stuͤck.
So?
Adieu, Herr Jaͤger, viel Dank.
Ich bin ganz melankoliſch. — Ich habe ſelbſt dem Narren zu einem Siege ver - holfen, ein Stuͤck herabzuſetzen, in welchem ich die Hauptrolle ſpiele! — Schickſal! Schickſal! In welche Verwirrungen fuͤhrſt Du ſo oft den Sterb - lichen? Doch mag es hingehn, wenn ich es nur dahin bringe, meinen geliebten Gottlieb auf den Thron zu ſetzen, ſo will ich herzlich gern alles Ungemach vergeſſen, will vergeſſen, daß ich mir und meiner Exiſtenz zu nahe trete; indem ich die beſſere Kritik entwaffnete und der Narrheit Waf - fen gegen mich ſelbſt in die Haͤnde gegeben, will vergeſſen, daß man mir den Bart ausgerauft und faſt den Leib aufgeſchnitten haͤtte, ja ich will nur im Freunde leben und der Nachwelt das hoͤchſte Muſter uneigennuͤtziger Freundſchaft zur Bewun - derung zuruͤck laſſen. — Der Koͤnig will den Gra - fen beſuchen? das iſt noch ein ſchlimmer Umſtand, den ich ins Reine bringen muß. — In ſeinem Schloſſe, das bis jetzt noch nirgend in der Welt liegt? — Nun iſt der große wichtige Tag erſchie - nen, an dem ich Euch, ihr Stiefeln, ganz vorzuͤg - lich brauche! Verlaßt mich heut nicht, zerreißt nur heut nicht, zeigt nun, von welchem Leder ihr ſeid, von welchen Sohlen! Auf denn! Fuͤß 'und Stie - feln an das große Werk, denn noch heut muß ſich alles entſcheiden?
Was wuͤrgen Sie denn ſo?
G — Gr — Großß!!
Sagt mir nur, wie das iſt, — das Stuͤck ſelbſt, — das koͤmmt wieder als Stuͤck im Stuͤcke vor?
Ich habe jetzt keinen mehr, an dem ich meinen Zorn, in welchen mich das Stuͤck verſetzt hat, auslaſſen koͤnnte; da ſteht Er, ein ſtummes Denkmal meiner eignen Verzweiflung.
Das iſt eine ſchwere Arbeit! — Je nun, die Leute koͤnnen auch nicht alle Tage deſertiren; an den guten Kindern liegts gewiß nicht, ſie haben den beſten Willen, es geht aber halt nicht immer an. Das Leben beſteht doch aus lauter Arbeit: bald Bier zapfen, bald Glaͤſer rein machen, bald einſchenken, nun gar maͤhen. Leben heißt arbeiten. Es kam mal ein Gelehrter hier durch, der ſagte, um recht zu leben, muͤſſe ſich der Menſch den Schlaf abgewoͤhnen, weil er im Schlaf ſeine Be - ſtimmung verfehle und nicht arbeite; der Kerl muß gewiß noch niemals muͤde geweſen ſeyn, und noch keinen guten Schlaf gethan haben, denn ich kenne doch nichts herrlichers und ausbuͤndigers als den228Zweite Abtheilung.Schlaf. Ich wollte, es waͤre erſt ſo weit, daß ich mich niederlegen koͤnnte.
Wer etwas Wunderbares hoͤren will, der hoͤre mir jetzt zu. Wie ich gelaufen bin! Erſt - lich von dem koͤniglichen Pallaſt zu Gottlieb, zwei - tens mit Gottlieb nach dem Pallaſt des Popanzes, wo ich ihn draußen im Walde gelaſſen habe, drit - tens von da wieder zum Koͤnige, viertens lauf ich nun vor dem Wagen des Koͤniges wie ein Laufer her und zeige ihm den Weg. O Beine, o Fuͤße, o Stiefeln, wie viel muͤßt ihr heut verrichten! — He! guter Freund!
Wer iſt da? — Landsmann Ihr muͤßt wohl fremde ſeyn, denn die hieſigen Leute wiſ - ſens ſchon, daß ich um die Zeit kein Bier ver - kaufe, ich brauchs fuͤr mich ſelber; wer ſolche Ar - beit thut, wie ich, der muß ſich auch ſtaͤrken; es thut mir leid, aber ich kann Euch nicht helfen.
Ich will kein Bier, ich trinke gar kein Bier, ich will Euch nur ein Paar Worte ſagen.
Ihr muͤßt wohl ein rechter Tage - dieb ſeyn, daß Ihr die fleißigen Leute in ihrem Beruf zu ſtoͤren ſucht.
Ich will Euch nicht ſtoͤren. Hoͤrt nur: der benachbarte Koͤnig wird hier vorbeifah - ren, er ſteigt vielleicht aus und erkundigt ſich, wem dieſe Doͤrfer hier gehoͤren; wenn Euch Euer Leben lieb iſt, wenn Ihr nicht gehaͤngt, oder verbrannt229Der geſtiefelte Kater.ſeyn wollt, ſo antwortet ja: dem Grafen von Ca - rabas.
Aber Herr, wir ſind ja dem Ge - ſetz unterthan.
Das weiß ich wohl, aber, wie ge - ſagt, wenn Ihr nicht umkommen wollt, ſo gehoͤrt dieſe Gegend hier dem Grafen von Carabas.
Schoͤn Dank! — das waͤre nun die ſchoͤnſte Gelegenheit, von aller Arbeit loszu - kommen, ich duͤrfte nur dem Koͤnige ſagen, das Land gehoͤre dem Popanz. Aber nein. Muͤßig - gang iſt aller Laſter Anfang. Ora et labora iſt mein Wahlſpruch.
Ich fuͤhle eine gewiſſe Neugier den Grafen zu ſeyn.
Ich auch meine Tochter. — Guten Tag, mein Freund; wem gehoͤren dieſe Doͤrfer hier?
Er fraͤgt, als wenn er mich gleich wollte haͤngen laſſen. — Dem Grafen von Carabas, Ihro Majeſtaͤt.
Ein ſchoͤnes Land. — Ich habe im - mer gedacht, daß das Land ganz anders ausſehn muͤßte, wenn ich uͤber die Graͤnze kaͤme, ſo wie es auf der Landkarte iſt. — Helft mir doch einmal.
Was machen Sie, mein koͤnig - licher Vater?
Ich liebe in der ſchoͤnen Natur die freien Ausſichten.
Sieht man weit?
O ja, und wenn mir die fatalen Berge hier nicht vor der Naſe ſtaͤnden, ſo wuͤrde ich noch weiter ſehn. — O weh! der Baum iſt voller Raupen.
Das macht, es iſt eine Na - tur, die noch nicht idealiſirt iſt, die Phantaſie muß ſie erſt veredeln.
Ich wollte, du koͤnnteſt mir mit der Phantaſie die Raupen abnehmen. — Aber ſteig 'ein, wir wollen weiter fahren.
Lebe wohl, guter unſchuldiger Landmann.
Wie die Welt ſich umgekehrt hat! — Wenn man ſo in alten Buͤchern lieſt, oder alte Leute erzaͤhlen hoͤrt, ſo kriegte man immer Gold - ſtuͤcke, oder herrliche Koſtbarkeiten, wenn man mit einem Koͤnige oder Prinzen ſprach. Aber jetzt! — Wie ſoll man noch ſein Gluͤck unverhoffter Weiſe machen, wenn es ſogar mit den Koͤnigen nichts mehr iſt? Wenn ich ein Koͤnig waͤre, ich unter - ſtaͤnde mir nicht, den Mund aufzuthun, wenn ich den Leuten nicht erſt Geld in die Hand geſteckt haͤtte. — Unſchuldiger Landmann! Wollte Gott, ich waͤre nichts ſchuldig. — Aber das machen die neuen empfindſamen Schilderungen vom Landleben. So ein Koͤnig iſt kapabel und beneidet unſer einen noch. — Ich muß nur Gott danken, daß er mich nicht gehaͤngt hat. Der fremde Jaͤger war am231Der geſtiefelte Kater.Ende unſer Popanz ſelber. — Wenigſtens koͤmmt es nun doch in die Zeitung, daß der Koͤnig gnaͤdig mit mir geſprochen hat.
Saure Arbeit! Und wenn ichs noch fuͤr mich thaͤte, aber der Hofedienſt! Da muß man fuͤr den Popanz ſchwitzen, und er dankt es einem nicht ein - mal. — Es heißt wohl immer in der Welt, die Geſetze ſind nothwendig, um die Leute in Ordnung zu halten, aber warum da unſer Geſetz noth - wendig iſt, der uns alle auffrißt, kann ich nicht einſehn.
Nun hab 'ich ſchon Blaſen unter den Fuͤßen! — Nun, es thut nichts, Gottlieb, Gott - lieb muß dafuͤr auf den Thron! — He! guter Freund!
Was iſt denn das fuͤr ein Kerl?
Hier wird ſogleich der Koͤnig vor - beifahren, wenn er Euch fraͤgt, wem dies alles ge - hoͤrt, ſo muͤßt ihr antworten, dem Grafen von Carabas, ſonſt werdet Ihr in tauſend Millionen232Zweite Abtheilung.Stuͤckchen gehackt. Zum Beſten des Publikums will es ſo das Geſetz.
Wie? zum Beſten des Publikums?
Natuͤrlich, weil ſonſt das Stuͤck gar kein Ende haͤtte.
Euer Leben wird Euch lieb ſeyn!
Das iſt ſo, wie die Edikte immer klingen. Nun, mir kanns recht ſeyn, wenn nur keine neue Auflagen daraus entſtehen, daß ich das ſagen ſoll. Man darf keiner Neuerung trauen.
Auch eine huͤbſche Gegend. Wir haben doch ſchon eine Menge recht huͤbſcher Gegen - den geſehn. — Wem gehoͤrt das Land hier?
Dem Grafen von Carabas.
Er hat herrliche Laͤnder, das muß wahr ſeyn, — und ſo nahe an den meinigen. Toch - ter, das waͤre ſo eine Parthie fuͤr Dich. Was meinſt Du?
Sie beſchaͤmen mich, Herr Vater. — Aber was man doch auf Reiſen Neues ſieht. Sagt mir doch einmal, guter Bauer, war - um haut Ihr denn das Stroh ſo um?
Das iſt ja die Ernte, Mam - ſell Koͤniginn, das Getraide.
Das Getraide? — Wozu braucht Ihr denn das?
Daraus wird ja das Brodt gebacken.
Bitt 'ich Dich ums Himmelswillen, Tochter! — daraus wird Brodt gebacken! — Wer ſollte wohl auf ſolche Streiche kommen? — Die Natur iſt doch etwas Wunderbares. — Hier, gu - ter Freund, habt Ihr ein klein Trinkgeld, es iſt heute warm. —
Kennt kein Getraide! Alle Tage er - faͤhrt man doch mehr Neues. — Wenn er mir nicht ein blankes Goldſtuͤck gegeben haͤtte, und wenn er kein Koͤnig waͤre, ſo ſollte man denken, er waͤre ein ganz einfaͤltiger Menſch. — Ich will mir nur gleich eine Kanne gutes Bier holen. Kennt kein Getraide!
Da ſteh ich nun hier ſchon ſeit zwei Stunden und warte auf meinen Freund Hinze. — Er koͤmmt immer noch nicht. — Da iſt er! Aber wie er laͤuft! Er ſcheint ganz außer Athem.
Nun, Freund Gottlieb, zieh Dir ge - ſchwind die Kleider aus.
Die Kleider?
Und dann ſpringe hier ins Waſſer. —
Ins Waſſer?
Und dann werf ich die Kleider in den Buſch, —
In den Buſch?
Und dann biſt du verſorgt!
Das glaub ich ſelber, wenn ich erſoffen bin, und die Kleider weg ſind, bin ich ver - ſorgt genug.
Es iſt nicht Zeit zum ſpaßen, —
Ich ſpaße gar nicht. Hab 'ich darum hier warten muͤſſen?
Zieh Dich aus!
Nun, ich will Dir alles zu Ge - fallen thun.
Komm, Du ſollſt Dich nur ein we - nig baden.
— Huͤlfe! Huͤl - fe! Huͤlfe!
Was giebts denn, Jaͤger? Warum ſchreiſt Du ſo?
Huͤlfe, Ihro Majeſtaͤt, der Graf von Carabas iſt ertrunken!
Ertrunken!
Carabas!
Meine Tochter in Ohnmacht! — Der Graf ertrunken!
Er iſt vielleicht noch zu retten, er liegt dort im Waſſer.
Bediente! wendet alles, alles an, den edlen Mann zu erhalten.
Wir haben ihn gerettet, Ihro Majeſtaͤt.
Ungluͤck uͤber Ungluͤck, mein Koͤnig. — Der Graf hatte ſich hier in dem klaren Fluſſe ge - badet, und ein Spitzbube hat ihm die Kleider ge - ſtohlen.
Schnall gleich meinen Koffer ab! Gebt ihm von meinen Kleidern! — Ermuntre Dich, Tochter, der Graf iſt gerettet.
Ich muß eilen.
Ihro Majeſtaͤt. —
Das iſt der Graf! Ich kenne ihn an meinen Kleidern! — Steigen Sie ein, mein Beſter, — was machen Sie? — Wo kriegen Sie all die Kaninchen her? — Ich weiß mich vor Freude nicht zu laſſen! — Zugefahren, Kutſcher! —
Da mag der Henker ſo ſchnell hinauf kommen, — nun hab ich das Ver - gnuͤgen zu Fuße nachzulaufen, und naß bin ich uͤberdies noch wie eine Katze.
Wie oft wird denn der Wagen noch vorkommen? — Dieſe Situation wiederholt ſich auch gar zu oft.
Herr Nachbar! — Sie ſchla - fen ja.
Nicht doch, — ein ſchoͤnes Stuͤck.
Geruhn Ihr Gnaden Popanz —
Gerechtigkeit muß ſeyn, mein Freund.
Ich kann jetzt noch nicht zahlen —
Aber Er hat doch den Prozeß ver - loren, das Geſetz fordert Geld und ſeine Strafe; ſein Gut muß alſo verkauft werden, es iſt nicht anders und das von Rechtswegen!
Die Leute wuͤrden allen Reſpekt ver - lieren, wenn man ſie nicht ſo zur Furcht zwaͤnge.
Geruhen Sie, — gnaͤdiger Herr — ich —
Was iſt ihm, mein Freund?
Mit Ihrer guͤtigſten Erlaubniß, ich zittre und bebe vor Dero furchtbaren Anblick.
O, das iſt noch lange nicht meine entſetzlichſte Geſtalt.
Ich kam eigentlich, — in Sa - chen, — um Sie zu bitten, ſich meiner gegen237Der geſtiefelte Kater.meinen Nachbar anzunehmen, — ich hatte auch dieſen Beutel mitgebracht, — aber der Anblick des Herren Geſetzes iſt mir zu ſchrecklich.
Wo iſt denn der Popanz ge - blieben?
Legen Sie nur das Geld auf den Tiſch dort hin, ich ſitze hier, um Sie nicht zu erſchrecken.
Hier. —
O das iſt eine herrliche Sache mit der Gerechtigkeit[.]— Wie kann man ſich vor einer ſolchen Maus fuͤrchten?
Ein ziemlicher Beutel, — man muß auch mit den menſchlichen Schwachheiten Mitleid haben.
Mit Ihrer Erlaubniß, —
Hinze, du mußt dir ein Herz faſſen, — Ihro Excellenz —
Was wollt Ihr?
Ich bin ein durchreiſender Gelehr - ter, und wollte mir nur die Freiheit nehmen, Ihro Excellenz kennen zu lernen.
Gut, ſo lern Er mich kennen.
Sie ſind ein maͤchtiger Fuͤrſt, Ihre Gerechtigkeitsliebe iſt in der ganzen Welt bekannt.
Ja, das glaub ich wohl. — Setz Er ſich doch.
Man erzaͤhlt viel Wunderbares von Ihro Hoheit. —
Die Leute wollen immer was zu reden haben, und da muͤſſen denn die regierenden Haͤupter zuerſt dran.
Aber eins kann ich doch nicht glau - ben, daß dieſelben ſich nehmlich in Elephanten und Tieger verwandeln koͤnnen.
Ich will Ihm gleich ein Exempel davon geben.
Erlau - ben Sie mir, daß ich mir dieſe Merkwuͤrdigkeit notire. — Aber nun geruhen Sie auch, Ihre na - tuͤrliche anmuthige Geſtalt wieder anzunehmen, weil ich ſonſt vor Angſt vergehe.
Gelt, Freund, das ſind Kunſtſtuͤcke?
Erſtaunliche. Aber, noch eins: man ſagt auch, Sie koͤnnten ſich in ganz kleine Thiere verwandeln, das iſt mir mit Ihrer Erlaubniß noch weit unbegreiflicher; denn, ſagen Sie mir nur, wo bleibt dann Dero anſehnlicher Koͤrper?
Auch das will ich machen.
Freiheit und Gleich - heit! — Das Geſetz iſt aufgefreſſen! Nun wird ja wohl der Tiers état Gottlieb zur Regierung kommen.
Halt! Ein Revolutionsſtuͤck! Ich wittre Allegorie und Myſtik in jedem Wort! Halt! halt! Zuruͤck moͤcht ich nun alles denken und em - pfinden, um all die großen Winke, die tiefen An - deutungen zu faſſen, die religioͤſe Tiefe zu ergruͤn - den! Halt! Nur nicht gepocht! Es ſollte lieber von vorn geſpielt werden! Nur nicht weltlich ge - trommelt!
Ich — muß —
Halten Sie ſich nur ruhig.
Muß — muß —
Was er druͤckt! Wie er ſich aufblaͤſt!
Ich fuͤrchte, er platzt in der An - ſtrengung.
Muß — muß —
Ums Himmels Willen, Sie gehn zu Grunde.
Lo — lo —
loben!! —
O weh! o weh! ſie werfen mit Stei - nen nach mir! Ich bin toͤdtlich am Kopf bleßirt!
Muß loben, preiſen, vergoͤttern und auseinander ſetzen das himmliſche, das einzige Talent dieſes unvergleichlichen Mannes, dem aͤhn - lich nichts in unſerm Vaterlande noch den uͤbrigen Reichen anzutreffen iſt. Und, o Jammer! er muß nun glauben, daß meine Anſtrengung ihn zu erhe -240Zweite Abtheilung.ben ihn hat beſchaͤdigen wollen, weil dieſer verruchte Knebel ihm an ſein ehrwuͤrdiges, lorbeerumkraͤnz - tes Haupt geflogen iſt.
Es war wie ein Kanonenſchuß.
Laſſen Sie ihn nur ſchwatzen und loben, und halten Sie den Herren Schloſſer, wel - cher auch wuͤthig geworden iſt.
O Tiefe, Tiefe der myſtiſchen Anſchauungen! O gewiß, gewiß wird der ſoge - nannte Kater nun in der letzten Scene auf dem Berge im Aufgang der Sonne knien, daß ihm das Morgenroth durch ſeinen transparenten Koͤrper ſcheint! O weh! o weh! und darum kommen wir nun. Horcht! das Pochen waͤhrt immer fort. Nein, Kerle, laßt mich los, — weg da!
Hier, Herr Fiſcher, habe ich zum Gluͤck einen ſtarken Bindfaden im Orcheſter gefun - den, da, binden Sie ihm die Haͤnde.
Die Fuͤße auch, er ſtoͤßt wie ein Raſender um ſich.
Wie wohl, wie leicht iſt mir, nun du Knebel fort, fort flogeſt, weit in die Welt hin - ein, und die Lobpreiſungen, einem Strome aͤhnlich, der ſeinen Damm zerreißt, wieder ergiebig, wort - uͤberfluͤßig, mit Anſpielungen und Citaten ſpielend, Stellen aus alten Autoren waͤlzend, dahin fluten kann. O welchen Anſtand hat dieſer Mann! Wie druͤckte er die Ermuͤdung ſo ſinnreich aus, daß er ein weniges mit den Knieen knickte und knackte, wenn er zum Stillſtehn kam; nichts da vom Schweiß - abtrocknen, wie ein ordinaͤrer Kuͤnſtler gethan ha -ben241Der geſtiefelte Kater.ben wuͤrde; nein, dazu hatte er keine Zeit, der Er - ſte, Einzige, Uebermenſchliche, Rieſenhafte, Tita - nenmaͤßige!
Er faͤllt ordentlich in den Hymnus, nun das Sperrwerk fort iſt.
Laſſen Sie ihn, mit dem Herrn Schloſſer ſteht es viel ſchlimmer.
Ach! nun wuͤrde die geheime Geſellſchaft kommen, die fuͤr das Wohl der Menſch - heit thaͤtig iſt; die Freiheit wird nun proklamirt, und ich bin hier gebunden.
Das iſt ja ein hoͤlliſcher Spekta - kul, als wenn das ganze Haus einbrechen wollte.
Ei was! laßt mich zufrieden, — wohin ſoll ich mich retten? —
Was fang ich an, ich Elendeſter? — das Stuͤck iſt ſogleich zu Ende — alles waͤre vielleicht gut gegangen — ich hatte nun gerade von dieſer moraliſchen Scene ſo vielen Beifall erwartet. — Wenn es nur nicht ſo weit von hier — nach dem Pallaſt des Koͤnigs waͤre, — ſo holt ich den Beſaͤnftiger, — er hat mir ſchon am Schluß des zweiten Aktes — alle Fabeln vom Orpheus glaublich gemacht. — Doch, bin ich nicht Thor? — Ich bin ja voͤllig konfuſe; — auf dem Theater ſteh 'ich, — und der Beſaͤnftiger muß ir - gendwo — zwiſchen den Couliſſen ſtecken. — Ich will ihn ſuchen, — ich muß ihn finden, — er ſoll mich retten! —
Dort iſt er nicht. — Herr Beſaͤnftiger! — Ein hohlesII. [16]242Zweite Abtheilung.Echo ſpottet meiner. — Kommen Euer Wohlge - boren! — Nur ein weniges vermittelnde Kritik, — und das ganze Reich, — das jetzt empoͤrt iſt, — koͤmmt zur Ruhe wieder. — Wir meinen es ja alle gut, — wir haben ja nur den Mittelpunkt ver - fehlt, — Publikum wie ich! — Herr Vermittler! Herr Beſaͤnftiger! — Etwas beſſere Kritik, die Anar - chie zu enden! — — O weh, er hat mich verlaſſen. — Ha!! — dort ſeh ich ihn, — er muß hervor!
Nein, ich gehe nicht vor.
Kommen Sie, ſeyn Sie nur dreiſt, Sie werden gewiß Gluͤck machen.
Der Laͤrm iſt zu ungeheuer.
Die Welt wartet auf Sie! Hinaus! Vermitteln Sie! Be - ſaͤnftigen Sie!
Ich will mein Heil verſuchen. —
Nun muß der Kater noch durch Feuer und Waſſer gehn, und das Stuͤck iſt fertig.
Dies iſt der Pallaſt des Grafen von Carabas. — Wie Henker, hat ſichs denn hier veraͤndert?
Ein ſchoͤn Palais.
Weils denn doch einmal ſo weit iſt,
ſo muͤſſen Sie erſt hier durch das Feuer, und dann durch das Waſſer gehn.
Sie haben die Pruͤfung uͤberſtanden; nun, mein Prinz, ſind Sie ganz der Regierung wuͤrdig.
Das Regieren, Hinze, iſt eine kurioſe Sache. Mir iſt heiß und kalt dabei ge - worden.
Empfangen Sie nun die Hand mei - ner Tochter.
Wie gluͤcklich bin ich!
Ich ebenfalls. — Mein Koͤnig ich wuͤnſchte nun auch meinen Diener zu belohnen.
Allerdings, ich erhebe ihn hiermit in den Adelſtand.
Wie heißt er eigentlich?
Hinze; ſeiner Geburt nach iſt er nur aus einer geringen Familie, aber ſeine Verdienſte erheben ihn.
Platz! Platz!
Ich bin mit Extrapoſt nachgereiſet, um meiner anbetungswuͤrdigen Prinzeſſin und ihrem Herrn Gemahl Gluͤck zu wuͤnſchen.
Morgen werden wir die Ehre haben, die heu - tige Vorſtellung zu wiederholen.
Welche Unverſchaͤmtheit!
Morgen: — Allzuſcharf macht ſchartig.
Ja wohl! ja wohl! —
Die letzte Dekoration! Die letzte Dekoration!
Wahrhaftig! Da wird die Dekoration hervor gerufen!
Verzeihen Sie, daß ich ſo frei bin, mich im Namen der Dekoration zu bedanken, es iſt nicht mehr als Schuldigkeit, wenn die De -246Zweite Abtheilung.koration nur halbweg hoͤflich iſt. Sie wird ſich bemuͤhen, auch kuͤnftig den Beifall eines erleuchte - ten Publikums zu verdienen, daher wird ſie es gewiß weder an Lampen noch an den noͤthigen Verzierungen fehlen laſſen, denn der Beifall einer ſolchen Verſammlung wird ſie ſo — ſo — ſo an - feuern, — o Sie ſehn ja, ſie iſt vor Thraͤnen ſo geruͤhrt, daß ſie nicht weiter ſprechen kann. —
Ich bin noch einmal ſo frei —
Sind Sie auch noch da?
Sie ſollten doch ja nach Hauſe ge - gangen ſeyn.
Nur noch ein Paar Worte mit Ihrer guͤtigen Erlaubniß! Mein Stuͤck iſt durch - gefallen —
Wem ſagen Sie denn das?
Wir habens bemerkt.
Die Schuld liegt vielleicht nicht ganz an mir —
An wem denn ſonſt, daß wir hier einen wuͤrdigen jungen Mann gebunden halten muͤſ - ſen, der ſonſt wie ein Raſender um ſich ſchlaͤgt? Wer hat denn ſonſt wohl Schuld, als Sie, daß wir alle konfuſe im Kopfe ſind?
Erleuchteter Mann! nicht wahr,247Der geſtiefelte Kater.Ihr hohes Schauſpiel iſt eine myſtiſche Theorie und Offenbarung uͤber die Natur der Liebe?
Daß ich nicht wuͤßte, ich wollte nur den Verſuch machen, Sie alle in die entfern - ten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zuruͤck zu verſetzen, daß ſie dadurch das dargeſtellte Maͤhr - chen empfunden haͤtten, ohne es doch fuͤr etwas Wichtigeres zu halten, als es ſeyn ſollte.
Das geht nicht ſo leicht, mein guter Mann.
Sie haͤtten dann freilich Ihre ganze Ausbildung auf zwei Stunden beiſeit le - gen muͤſſen, —
Wie iſt denn das moͤglich?
Ihre Kenntniſſe vergeſſen, —
Warum nicht gar!
Eben ſo, was ſie in Journalen gethan haben.
Seht nur die Foderungen!
Kurz, Sie haͤtten wieder zu Kin - dern werden muͤſſen.
Aber wir danken Gott, daß wir es nicht mehr ſind.
Unſere Ausbildung hat uns Muͤhe und Angſtſchweiß genug gekoſtet.
Verſuchen Sie ein Paar Verſe zu machen, Herr Dichter, vielleicht bekommen Sie dann mehr Reſpekt vor Ihnen.
Vielleicht faͤllt mir eine Xenie ein.
Was iſt das?
Eine neuerfundene Dichtungsart, die ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben laͤßt.
Publikum, ſoll mich Dein Urtheil nur einigerma - ßen belehren, Zeig erſt, daß Du mich nur einigermaßen verſtehſt.
Die Herren da unten ſind mir in dieſer Dichtungsart zu ſtark.
Kommen Sie, Herr Fiſcher und Herr Leutner, daß wir den Herrn Schloſſer als ein Opfer der Kunſt nach ſeinem Hauſe ſchleppen.
Zieht nur, wie Ihr wollt, Ihr gemeinen Seelen, das Licht der Liebe und der Wahrheit wird dennoch die Welt durchdringen.
Ich gehe auch nach Hauſe.
St! St! Herr Poet!
Was iſt Ihnen gefaͤllig?
Ich bin nicht unter Ihren Geg - nern geweſen, aber das hinreißende Spiel des ein - zigen Mannes, welcher den tugendhaften Hinze dargeſtellt, hat mich etwas gehindert, die Kunſt der dramatiſchen Compoſition ganz zu faſſen, der ich aber auch ohne das gern ihr Recht widerfah - ren laſſe; jetzt wollte ich nur fragen, ob dieſer große Menſch noch auf dem Theater verweilt?
Nein. Was wollten Sie aber mit ihm?
Nichts als ihn ein weniges an -249Der geſtiefelte Kater.beten und ſeine Groͤße erlaͤutern. — Reichen Sie mir doch gefaͤlligſt den Knebel dort her, den ich als ein Denkmal von der Barbarei meines Zeit - alters und unſrer Landsleute aufbewahren will.
Hier.
Ich werde mich Ihrer Gefaͤllig - keit immer mit Dankbarkeit erinnern.
O du undankbares Jahrhundert!
Clara und Auguſte hatten ſich an dieſer Vorleſung ergoͤtzt, Roſalie hatte weniger gelacht und Emilie war faſt ernſthaft geblieben, welche es tadelte, daß das Theater das Theater paro - diren wolle, und man alſo ein Spiel mit dem Spiele treibe.
Es iſt ein Zirkel, ſagte Wilibald, der in ſich ſelbſt zuruͤckkehrt, wo der Leſer am Schluß grade eben ſo weit iſt, als am Anfange.
Und was iſt hieran auszuſetzen? fragte Manfred: mit der Entſtehung des Theaters ent - ſteht auch der Scherz uͤber das Theater, wie wir ſchon im Ariſtophanes ſehn, er kann es kaum unterlaſſen, ſich ſelbſt zu ironiſiren, was der uͤbri - gen Poeſie ferner liegt, und noch mehr der250Zweite Abtheilung.Kunſt, weil auf der Zweiheit, der Doppelheit des menſchlichen Geiſtes, dem wunderbaren Wi - derſpruch in uns, ſeine Baſis ruht. Die wun - derliche Abſicht des Theaters, eine Geſchichte in groͤßter Lebendigkeit vor uns hinzuſtellen, hat Schakſpear mehr als einmal in der Tragoͤdie ironiſirt, wo er in dieſem Augenblick ſein Schau - ſpiel fuͤr Wahrheit ausgiebt, und im Gegengenſatze dieſer vom Theater das Theater ſelbſt als Luͤge und ſchwache Nachahmung herabſetzt. Er mußte ſeiner Sache ſehr gewiß ſeyn, daß er jene Stoͤ - rung der Illuſion nicht befuͤrchtete, die faſt alle neueren Lehrbuͤcher der Kunſt prophezeien, wenn im Theater das Theater erwaͤhnt wird.
Wilibald, ſagte Auguſte, hat ſich dieſe ganze Zeit uͤber gegen uns und die Vorleſer unartig betragen, und ich erklaͤre ihm hiermit meine voͤl - lige Ungnade, wenn er ſein Vergehen nicht durch ein aͤhnliches Luſtſpiel wieder gut macht, das, wo moͤglich noch kindiſcher und thoͤrichter ſeyn ſoll.
Wilibald verneigte ſich ſtillſchweigend, und Emilie fuhr fort: auch kann ich den Scherz nicht billigen, welcher Perſonen nahmhaft macht, und ſie komiſch darſtellt; denn warum ſoll eine heitere Stimmung Menſchen gegen einander empoͤren?
Wenn das geſchieht, ſagte Manfred, ſo iſt die Stimmung wohl keine heitre, doch hat das Luſtſpiel und die Kuſt nicht leicht der Perſoͤnlich -251Zweite Abtheilung.keit entbehren koͤnnen, und wenn die Darſtellung nur keine feindſelige gehaͤſſige Anklage iſt, ſo ſehe ich nichts darin, was der Unſchuld der Freude in den Weg treten koͤnnte. Daß die Phantaſie in der Luſt uͤbertreibt, verſteht ſich von ſelbſt, denn ſonſt waͤre ihre Darſtellung keine poetiſche, oder uͤberhaupt keine Darſtellung, und darum erfreuen wir uns beim Ariſtofanes der Carikatur des Sokrates: ich glaube auch, daß, wenn wir uns eine wahrhafte Vorſtellung dieſes beruͤhm - ten Mannes machen wollen, wir uns neben den Schilderungen des Xenophon und Plato die des komiſchen Dichters in die Wirklichkeit uͤberſetzen muͤſſen, um mehr als ein ehrwuͤrdiges Schatten - bild von ihm zu erblicken; die Kunſt hat keine Kraft hinzureißen, wenn nicht aus der Carikatur die Wahrheit des Bildes hervor ſchaut. Doch, ich breche ab, um zu meiner Vorleſung zu kommen; ich hoffe daß die Humanitaͤt unſerer Emilie meinem Schauſpiel obigen Vorwurf nicht wird machen koͤnnen, wenn mein Freund auch jene getadelte Zirkellinie, die zu nichts, als zu ſich ſelber zuruͤck fuͤhrt, hier wieder finden moͤchte.
Ein hiſtoriſches Schauſpiel in fuͤnf Aufzuͤgen.
Will man ſich ergoͤtzen, ſo koͤmmt es nicht ſo - wohl darauf an, auf welche Art es geſchieht, als vielmehr darauf, daß man ſich in der That ergoͤtzt. Der Ernſt ſucht endlich den Scherz, und wieder ermuͤdet der Scherz, und ſucht den Ernſt, doch be - obachtet man zu ſich genau, traͤgt man in beides zu viel Abſicht und Vorſatz hinein, ſo iſt es gar leicht um den wahren Ernſt, ſo wie um die wahre Lu - ſtigkeit geſchehen.
Gehoͤren aber wohl dergleichen Betrachtungen in eine Symphonie? Warum ſoll es denn ſo ge - ſetzt anfangen? Ei nein! wahrhaftig nein, ich will lieber ſogleich alle Inſtrumente durch einander klingen laſſen!
Ich darf ja nur wollen, doch freilich mit Ver - ſtand, denn nicht ſogleich, urploͤtzlich, erhebt ſich der Sturm, er meldet ſich, er waͤchſt, dann erregt er Theilnahme, Angſt, Furcht und Luſt, da er ſonſt nur leeres Erſtaunen und Erſchrecken veranlaſſen wuͤrde. Iſt es ſchwer vom Blatte zu ſpielen, ſo iſt es noch ſchwerer, vom Blatte ſogleich zu hoͤren. Aber nun ſind wir ſchon tief im Getuͤmmel; Pau - ken, ſchlagt! Trommeten, klingt!
Ha! das Getuͤmmel, die Attaken, das Schlacht - gewuͤhl von Toͤnen? Wohin rennt ihr? Woher kommt ihr? die ſtuͤrzen ſich wie Sieger durch das lauteſte Gedraͤnge, jene fallen, verſcheiden; die dort kommen verwundet, matt zuruͤck, und ſuchen Troſt und Freundſchaft. Da trabts heran, wie Roſſes - ſchnauben; da orgelts tief, wie Donner im Ge - birg; da rauſcht es, tobt es, wie ein Waſſerſturz, der verzweifelnd, ſich vernichten wollend, uͤber die nackten Klippen ſtuͤrzt, und tiefer, immer tiefer hinunter wuͤthet, und keinen Stillſtand, keine Ruhe findet.
Und nun? — Was war es nun, daß ich die - ſem Geluͤſte folgte? Da liegt nun hinter mir, ver - ſunken, das erſt bewegte, lebendige Gefilde, und nichts davon bleibt zuruͤck, und eben ſo eilt auch254Zweite Abtheilung.dieſer Ton, der gegenwaͤrtige, ſchon ſeinem Unter - gang entgegen.
Doch die Erinnrung bleibt, und ſie wird wie - der Gegenwart: muß ich doch dieſe auch beleben und mit meinem Bewußtſein durchdringen, darum kann ich das was War und Iſt und ſeyn Wird in Einem Zauber binden.
Wie? Es waͤre nicht erlaubt und moͤglich, in Toͤnen zu denken und in Worten und Gedanken zu muſiziren? O wie ſchlecht waͤre es dann mit uns Kuͤnſtlern beſtellt! Wie arme Sprache, wie aͤrmere Muſik! Denkt Ihr nicht ſo manche Ge - danken ſo fein und geiſtig, daß dieſe ſich in Ver - zweiflung in Muſik hineinretten, um nur Ruhe endlich zu finden? Wie oft, daß ein zergruͤbelter Tag nur ein Summen und Brummen zuruͤck laͤßt, das ſich erſt ſpaͤter wieder zur Melodie belebt? Was redet uns in Toͤnen oft ſo licht und uͤber - zeugend an? Ach ihr lieben Leute, (die Zuhoͤrer mein ich) das meiſte in der Welt graͤnzt weit mehr an einander, als Ihr es meint, darum ſeid billig ſeid nachſichtig, und nicht gleich vor den Kopf ge - ſchlagen, wenn Ihr einmal ein paradoxen Satz antrefft; denn vielleicht iſt, was Euch ſo unbehag - lich verwundert, nur das Gefuͤhl, daß Ihr dem Magnetberge nahe kommt, der in Euch alle eiſernen Fugen und Klammern los zieht: das Schiff, welches255Die verkehrte Welt.Euch traͤgt, zerbricht freilich, aber hofft, vertraut, ihr kommt an Land, wo Ihr kein Eiſen weiter braucht.
Die paradoxen Saͤtze ſind uͤbrigens fuͤr ver - ſtaͤndige Leute weit ſeltener, als man denken ſollte. Die verſtaͤndigen Leute ſind aber noch viel ſeltener.
Es iſt gar kein Zweifel, daß nicht die Ver - ſammlung der verehrten Zuſchauer und Zuhoͤrer aus dergleichen beſtehen ſollte, und darum freut ſich ſo Theater als Orcheſter, vor einem ſo er - lauchten oder erleuchteten Publikum zu ſpielen. Nur muͤſſen alle die Geduld behalten, die Haupt - tugend des Lebens, ohne welche das Leben ſelber nicht zu tragen iſt.
Alles iſt fertig, die Dekoration aufgeſtellt, der Soufleur zugegen; mehr Zuſchauer kommen auch nicht. Die Erwartung iſt rege, die Neugier ge - ſpannt; nur wenige denken jetzt ſchon an das En - de, und daß ſie alsdann fragen werden: nun, war es denn etwas Beſonderes? — Gebt Acht! denn das muͤßt Ihr, um nicht alles auf den Kopf zu ſtellen. — Gebt aber auch nicht zu ſehr Acht, um nicht mehr zu ſehn und zu hoͤren, als man euch hat zeigen wollen. — Gebt Acht! gebt aber ja256Zweite Abtheilung.auf die rechte Art Acht! hoͤrt zu! hoͤrt zu! zu! zu!! zu!!!
Nun, meine Herrn, wie hat Euch unſer Schauſpiel gefallen? Es war freilich nicht viel, indeſſen da Ihr alles zu nehmen ge - wohnt ſeid, ſo war es doch immer des Annehmens werth. Man kann nicht alle Tage neu ſeyn, und wenn man es ſeyn koͤnnte, wuͤrde man doch nicht alle Tage vortreflich ſeyn, ja ſollten wir es ſelbſt dahin bringen, alle Tage vortreflich zu ſeyn, ſo wuͤrden wir dann gewiß die Alltaͤglichkeit nicht mehr vortreflich finden, ſondern das Armſeelige kaͤme dann gewiß zu der Ehre, fuͤr vortreflich zu gelten.
Ihr muͤßt Euch uͤbrigens daruͤber nicht ver - wundern, daß Ihr das Stuͤck noch gar nicht ge - ſehn habt, denn hoffentlich ſeid Ihr doch in ſo weit gebildet, daß das bei Euch nichts zur Sache thut, um daruͤber zu urtheilen. Ei! wer haͤtte die Zeit, alles das zu leſen, was wir verwerfen, oder erheben! Wer wollte nur das beurtheilen, was man kennt! Wahrlich, der meiſten Urtheil wuͤrde dann noch kleiner ausfallen, als ein Lace - daͤmoniſcher Brief: Ihr ſeid hoffentlich ſchon ge -uͤbt257Die verkehrte Welt.uͤbt, und habt im Urtheilen etwas gethan, daß Ihr alſo unſre Comoͤdie gar nicht zu ſehen braucht, um zu wiſſen, was an ihr iſt. Der Name des Verfaſſers, wenn er beruͤhmt iſt, das Urtheil eines guten Freundes, dem Ihr Verſtand zutraut, ſind ja gewoͤhnlich die Wegweiſer, die Euch leiten. Oder Ihr ſagt mit jener huͤbſchen Kaltbluͤtigkeit, die einen gebildeten, uͤberfuͤllten, von gelehrten Zei - tungen aufgepaͤppelten Menſchen charakteriſirt: ei! es iſt ſo uͤbel nicht; gut genug fuͤr jene Zeit, — leidlich fuͤr die bornirte Abſicht, — nur, freilich, fehlt es am Beſten. Wie denn? Wo denn? fragt ein Wißbegieriger. O Freund, iſt die Antwort, das waͤre gar zu weitlaͤufig, Sie ſind zuruͤck, wie viele Zeit waͤre noͤthig, Ihnen die Sache klar zu machen, ich will Ihnen die vorigen Jahrgaͤnge ſchicken, wenn Sie nachgekommen ſind, ſprechen wir uns wieder.
Es wird aber Zeit ſeyn, daß ich abtrete. Hin - ter den Couliſſen herrſcht große Verwirrung, und es iſt am beſten, ich gehe, damit ich nicht von dem Strome fortgeriſſen werde.
Nein, Herr Poet, ſagt, was Ihr wollt, redet, was Ihr moͤgt, denkt und wendet ein, ſo viel es Euch nur moͤglich iſt, ſo bin ich doch feſt entſchloſ - ſen, auf nichts zu hoͤren, nichts zu uͤberlegen, ſon - dern auf meinem Willen zu beſtehn, und damit Punktum!
Lieber Skaramuz —
Ich hoͤre nichts. Da, mein Herr Poet, ſeht, wie ich mir die Ohren zuhalte.
Aber das Stuͤck, —
Was Stuͤck! Ich bin auch ein Stuͤck, und ich habe auch das Recht, mit zu ſpre - chen. Oder denkt Ihr, daß ich keinen Willen habe? Meint Ihr Poeten, die Herren Schau - ſpieler waͤren immer gezwungen, das zu thun, was Ihr ihnen befehlt? O mein Herr, die Zeiten aͤndern ſich manchmal ploͤtzlich.
Aber die Zuſchauer —
Alſo, weil es Zuſchauer in der Welt giebt, ſoll ich ungluͤcklich ſeyn? Ei, welcher ſchoͤne Schluß!
Freund, Ihr muͤßt mich nothwendig anhoͤren.
Wenn ich muß: gut. Hier ſitz 'ich; nun redet einmal wie ein verſtaͤndiger Menſch, wenn Euch das moͤglich iſt.
Werthgeſchaͤtzter Herr Skaramuz! Dieſelben ſind beim hieſigen Theater zu einem ge - wiſſen beſtimmten Rollenfach engagirt, Sie ſind mit einem Worte, um mich kurz auszudruͤcken, der Skaramuz. Es iſt auch nimmermehr zu laͤug - nen, daß Sie es in dieſem Fache ſo ziemlich weit gebracht haben, und kein Menſch auf der Welt iſt mehr geneigt als ich, Ihren Talenten Gerech - tigkeit widerfahren zu laſſen; aber, mein Theuer - ſter, deswegen ſind Sie noch nimmermehr ein tra - giſcher Schauſpieler, Sie ſind deswegen noch nicht im Stande, einen edlen Charakter darzuſtellen.
Sapperlot! das waͤr ich nicht im Stande? Mein Seel, ſo edel, wie Sie ihn nimmermehr ſollen ſchreiben koͤnnen. Wenn es ausgemacht iſt (wie es denn in unſern Tagen ausgemacht iſt), daß eine edle Rolle einen ur - ſpruͤnglich edlen Menſchen, Mann oder Herrn zur Darſtellung erfordert, ſo halte ich Ihre Aeuße - rung fuͤr eine perſoͤnliche Beleidigung, und ich fo - dre hiemit die ganze Welt auf, groß und klein, mich an Edelmuth zu uͤbertreffen.
O, Herr Skaramuz, mit Ihnen nimmt man es noch auf.
Wie ſo? Ei, wie das? Ich muß geſtehn, ich erſtaune uͤber dieſe Unverſchaͤmtheit.
Nein, mein Herr, das haben260Zweite Abtheilung.Sie gar nicht Urſach. Ich bin fuͤr mein Geld hier, Herr Skaramuz, und da kann ich hier den - ken, was ich will.
Die Gedankenfreiheit iſt Ih - nen unbenommen, aber das Sprechen iſt Ihnen unterſagt.
Wenn Sie ſprechen duͤrfen, wird es mir auch noch immer erlaubt ſeyn.
Und was haben Sie denn Ed - les gethan?
Ich habe vorgeſtern fuͤr meinen liederlichen Neffen Schulden bezahlt.
Und ich habe geſtern den Sou - fleur geſchont, indem ich eine ganze Scene ausließ.
Ich war vorige Woche bei Tiſch bei guter Laune, und verſchenkte einen ganzen Tha - ler an Almoſen.
Ich zankte mich vorgeſtern mit dem Schneider, der mich mahnte, und behielt das letzte Wort.
Vor acht Tagen habe ich einen beſoffenen Menſchen nach Hauſe gebracht.
Dieſer Beſoffene war ich, mein Herr, aber ich hatte mich auf das Wohl unſres Landesherrn betrunken.
Ich bekenne mich fuͤr uͤberwunden.
Und dafuͤr ſind Sie nun ſo undankbar, und kommen her, und wollen mir meinen Edelmuth ſchmaͤlern?
Ich bitte um Verzeihung, Herr Skaramuz.
261Die verkehrte Welt.Was willſt Du, Pierrot?
Was ich will? Ich will heute nicht ſpielen, durchaus nicht!
Aber warum nicht?
Warum? Weil ich auch endlich einmal einen Zuſchauer abgeben will; ich bin lange genug Comoͤdiant gewegen.
Gut, daß Sie kommen, Herr Direk - teur, hier iſt alles in der groͤßten Verwirrung.
Wie ſo?
Pierrot will heute nicht ſpielen, ſon - dern Zuſchauer ſeyn, und Herr Skaramuz will in meinem Stuͤcke durchaus nichts anders, als den Apollo agiren.
Und mit Recht, Herr Direk - teur, ich habe die Narren lange genug geſpielt, ſo daß ich es nun wohl auch einmal mit den Klugen verſuchen kann.
Sie ſind zu ſtrenge, Herr Poet, Sie muͤſſen den armen Leuten etwas mehr Freiheit laſſen; man muß ihnen ein Bischen durch die Finger ſehn.
Doch das Schauſpiel, die Kunſt —
Je, das fuͤgt ſich ja doch. Sehn Sie, ich denke ſo: bezahlt haben die Zuſchauer nun einmal, und damit iſt das Wichtigſte geſchehn.
Adieu, Herr Poet, ich miſche mich262Zweite Abtheilung.unter die verehrungswuͤrdigen Zuſchauer. Ich will einmal uͤber die Lampen hinweg den beruͤhmten Sprung vom Felſen Leukate in das Parterre hin - einthun, um zu ſehen, ob ich entweder ſterbe, oder von einem Narren zu einem Zuſchauer kurirt werde.
Herr Pierrot iſt zum Zuſchauer aufgenommen! 263Die verkehrte Welt.Zuſchauer Pierrot ſey willkommen! Sey gegruͤßt, du großer Mann!
Meint Ihr mich, Ihr Wohlgebohrnen? Nehmt Ihr mich zum Bruder an? O mein Dank ſoll nicht ermuͤden Weil mein Buſen athmen kann.
Herrlich! herrlich! bei meiner Seele herrlich! Aber, um nicht eins ins andre zu reden, ſo moͤchte ich zur Abwechſelung gern einmal mitſpielen, das wuͤrde mir in der Seele wohlthun.
Und ſomit, Herr Skara - muz, uͤberlaßt mir nur gutwillig Eure komiſche Rolle, und Ihr moͤgt dann, wie geſagt, den Apollo uͤbernehmen.
Ich ſtehe zu Befehl; wenn ich Ihnen mit meiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit auf - warten kann, ſo haben Sie zu gebieten.
Allzuguͤtig, allzuguͤtig, nur ganz gehorſamſt zu bitten.
Aber was ſoll denn aus meinem vor - treflichen Schauſpiele werden?
Meine Herren, unterſtuͤtzen Sie des Skaramuz Geſuch, ich verſichre Sie, ich ſchwoͤre es Ihnen zu, er wird den Apollo herrlich machen.
Skaramuz ſoll den Apollo ſpie - len, und zwar auf lautes Begehren.
Nun gut, ich waſche meine Haͤnde, ob ſie mir gleich gebunden ſind; das Publikum mag alles zu verantworten haben.
Wir getrauen es uns zu ver - antworten.
Ich bin im groͤßten Elende, — ach freilich, iſt es die Beſtimmung unſerer Kunſt, gaͤnz - lich mißverſtanden und traveſtirt zu werden, und leider gefallen wir dann am meiſten. Das Urtheil das an dem Marſyas vollzogen wurde, wird zur Vergeltung jetzt nur zur oft an der Poeſie aus - geuͤbt. Ich weiß mich vor Schmerzen nicht zu laſſen. Herr Gruͤnhelm Sie uͤbernehmen alſo das Luſtigmachen?
Allerdings, mein Herr Poet, und ich will ganz gewiß meinen Mann ſtehn.
Wie wollen Sies denn anfangen?
Herr, ich habe ſelber lange als ein Mann gedient, der ſich damit abgiebt, ſich amuͤ - ſiren zu laſſen, ich meine als Zuſchauer, darum weiß ich auch genau, was gefaͤllt. Die Leute da unten wollen naͤmlich unterhalten ſeyn, das iſt im Grunde der einzige Grund, warum ſie ſo ſtill und ruhig da ſtehn.
Gut! aber wie wollen Sie es denn machen?
Sehn Sie, auf den guten Wil - len der Zuſchauer koͤmmt freilich das meiſte an, das weiß ich ſo gut, wie Sie, die wahre Kunſt iſt265Die verkehrte Welt.daher die, dieſen guten Willen ſo recht empor zu bringen, ich meine nemlich, daß die Gutherzigkeit oben bleibt.
Nun freilich, aber eben die Mittel —
Nun, das iſt ja meine Sorge, Herr Poet, darum haben Sie ſich ja gar nicht zu kuͤmmern.
Der Vogelfaͤnger bin ich ja, u. ſ. w.
Bravo! Bravo!
Nun? Sehn Sie, mein Herr das iſt nur eins von meinen Mitteln. — Sind Sie nicht ziemlich gut amuͤſirt, meine Herren?
Excellent! o ganz uͤberaus vor - treflich!
Haben Sie eine Sehnſucht nach etwas Verſtaͤndigem?
Nein, nein, aber nachher wollen wir ein wenig geruͤhrt ſeyn.
Nur Geduld, es kann ja nicht alles in einem Haufen kommen. Vermiſſen Sie alſo wohl den ordentlichen Apollo?
Nicht im mindeſten.
Nun Herr Poet, was haben Sie alſo gegen den liebwertheſten Skaramuz?
Nicht das mindeſte mehr, ich bin uͤberfuͤhrt.
Wir wollen aber auch nicht lauter Poſſen haben.
Je behuͤt uns Gott vor ſolcher Suͤnde! Was waͤre ich fuͤr ein Apollo, wenn ich das litte oder zugaͤbe? Nein meine Herrn, ernſt -266Zweite Abtheilung.hafte Sachen die Fuͤlle, Sachen zum Nachdenken, damit doch auch der Verſtand in einige Uebung koͤmmt.
Was giebts?
Dort mag er bleiben, und ſich alſo auf die Idylle appliciren, daß er ſich aber nur nimmermehr innerhalb der Graͤnzen dieſes Theaters betreffen laͤßt, ſonſt ſoll er mit ſeinem Kopfe dieſen Frevel buͤßen. — zum Ueberfluß mag noch ein Steckbrief in die Zeitungen geruͤckt werden.
Dein Wille ſoll vollzogen werden.
Ob es wohl eine Tragoͤdie wird?
Nein, meine Herren, wir Schau - ſpieler haben uns alle die Hand darauf gegeben, daß keiner von uns ſterben will, folglich gehts nimmermehr durch, wenn es auch der Dichter im Sinn haben ſollte.
Es iſt auch beſſer ſo, denn ich bin mit einem gar zu zaͤrtlichen Gemuͤth behaftet.
Zum Henker, Herr, unſer eins iſt auch nicht von Stahl und Eiſen. Ich habe die Ehre, Ihnen zu verſichern, daß ich ungemein fein empfinde; hol doch der Teufel das ungebil - dete Weſen!
Das ſag ich auch immer, denn warum ſind wir wohl ſonſt Menſchen?
Und ſogar Zuſchauer?
Ei freilich hat das Ding ſehr viel auf ſich; ſo ein Zuſchauer iſt gleichſam das Hoͤchſte, was man werden kann.
Freilich! Sind wir denn nicht mehr, als alle die Kaiſer und Fuͤrſten, die dort nur vorgeſtellt werden?
Eben darum muͤſſen wir uns auch ganz gewaltig in der Bildung erhalten.
Hochmuth will Zwang haben.
Aber tauſend Element! wo bleibt denn, ins Henkers Namen, mein Parnaß?
Es iſt auch wahr, ich will ihn den Augenblick ſchicken.
Nun iſt ja wohl alles in Ord - nung. Adieu, Herr Skaramuz.
Ergebenſter, bitte der Frau Ge - mahlin meine gehorſamſte Empfehlung zu machen.
Nur da hingeſtellt, — ſo, — etwas hier weiter her, damit ich den Soufleur beſſer hoͤren kann.
Recht ſchoͤn ſitzt es ſich hier. — Wie viel traͤgt mir aber der Berg ein? Wer weiß mir das zu ſagen? — Der Schatzmeiſter ſoll kommen.
Was traͤgt mir der Berg jaͤhr - lich?
Unter Dero Vorweſer war der Caſtaliſche Quell die einzige Einnahme.
Was war das fuͤr ein Quell? Ein Geſundbrunnen etwa? ein Sauer - oder Schwe - felbrunnen? Wurde er viel verſchickt? Wie theuer verkaufte man die Flaſche?
Er wurde ſelten verſchickt, und das wenige wurde verſchenkt. Faſt Niemand wollte das Waſſer gut finden; Ihr Vorweſer, der ç devant Appollon mochte es gern.
Und weiter nichts? Haͤngt kein Vorwerk mit dem Berge zuſammen, kein Wieſen - wachs? Was hab ich an Vieh, an Gaͤnſen Huͤ - nern und dergleichen einzunehmen?
Von allen dieſem weiß ich nichts.
O ſo muß ich nothwendig meine Grundſtuͤcke verbeſſern; da mag der Henker Euer Apoll ſeyn, wenn ſo ein magres Einkommen bei der Stelle iſt. — Und auch keine Zehnden?
Nichts von dieſer Art.
Es ſind doch etwa nicht noch gar Schulden auf dem Berg?
Nein, Ihro Majeſtaͤt.
Nun, das iſt gut. So muͤßt Ihr, Schatzmeiſter, aber gleich Geld aufnehmen, der Creditor hat die erſte Hypothek. — Steht der Parnaß in der Feuerkaſſe?
O ja.
So ſind wir alſo vor Ungluͤck geſichert. — Eine Brauerei und ein Backhaus ſoll da unten zu meinen Fuͤßen angelegt werden.
Ganz wohl.
Die Gemein-Weiden werden abgeſtellt; mit dem Pegaſus und allem uͤbrigen Vieh, das mir gehoͤrt, wird die Stallfuͤtterung eingefuͤhrt.
Ganz wohl.
Ihr werdet die Buͤcher daruͤ - ber geleſen haben, es iſt von ausgemachtem Nutzen. — Die Zuſchauer haben doch die Comoͤdie bezahlt?
Ja Ihro Excellenz.
Ich erlaſſe ein ſtrenges Ver - bot, daß alle Freibillets aufhoͤren ſollen.
Das ſind aber alles ganz270Zweite Abtheilung.neue Einrichtungen, mein Koͤnig, von denen Grie - chenland nichts wußte.
Was Griechenland! Wir leben jetzt gottlob in beſſern Zeiten. — Apropos, gut, daß ich daran denke. Du ſagteſt mir vorher vom Caſtaliſchen Brunnen, aus dem Dinge muß ein Geſundbrunnen gemacht werden.
Wie iſt das moͤglich?
Die Moͤglichkeit iſt meine Sor - ge; genug, daß ich viel Geld dafuͤr einnehmen werde, denn ich will den Leuten weiß machen laſ - ſen, daß ſie ſich alle Gebrechen der Seele und des Leibes mit dieſem Waſſer heilen koͤnnen, — aber — umſonſt iſt der Tod.
Ihr Vorgaͤnger kannte keine einzige Muͤnzſorte.
Das war auch ein Narr, und ein Menſch, der, wenn man ihn beim Lichte be - ſieht, in die fabelhaften Zeiten faͤllt. Jetzt aber hat die Aufklaͤrung um ſich gegriffen und ich re - giere. — Laßt mir einmal die Muſen kommen.
Freut mich, die werthgeſchaͤtzten Mademoiſells kennen zu ler - nen. Hoffe, wir ſollen uns immer gut vertragen. Sie wohnen nun bei mir auf dem Parnaß zur Miethe, wenn Sie ausziehn wollen, muͤſſen Sie mir ein Vierteljahr vorher aufkuͤndigen. — Wie heißen Sie denn, mein ſchoͤnes Kind.
Ich bin Melpomene.
Sie ſehn ſo bekuͤmmert aus.
Ach, Herr Apollo! ich bin aus einem ſehr guten Hauſe. Mein Vater war Hofrath, und der Edle ließ mir eine unvergleich - liche Erziehung zukommen. Ach! wie war ich in meiner guten Eltern Hauſe gluͤcklich, und wie be - ſtrebte ich mich, eine gute zaͤrtliche Tochter zu ſeyn! Ich hatte auch einen Geliebten, aber dieſer verließ mich aus Stolz, weil er ſich hatte adeln laſſen, meine Eltern ſtarben nachher vor Kummer. Ein guter Menſch, unſer Hausdoktor, nahm ſich zwar meiner an, aber er war zu arm, als daß er mich haͤtte heirathen koͤnnen, und ſo bin ich denn aus Desperation unter die Muſen gegangen. Hab ich nun nicht ein Recht, traurig zu ſeyn?
Ja wohl, mein Kind, aber ich will als ein Vater fuͤr Sie ſorgen.
Nun ſeht doch um Gottes Willen, wie mir da ſchon die Thraͤnen aus den Augen laufen.
Ei Gevatter, ſo ſchont Euch doch zum fuͤnften Akt.
Und wer ſind Sie, ſchoͤnes Kind?
Danke der guͤtigen Nachfrage, mein Herr, mit meinem Taufnamen heiße ich Thalia, ich habe lange bei den werthgeſchaͤtzten Eltern die - ſer guten Perſon gedient, und da will ich auch jetzt nicht von ihr laſſen, ſondern bin ihr ſogar bis unter die Muſen gefolgt.
Warte den letzten Akt ab, ſo272Zweite Abtheilung.kann Deine Treue unmoͤglich unbelohnt bleiben. — Wo iſt mein Stallmeiſter?
Den Pegaſus, ich will ſpazie - ren reiten. —
Hilf mir.
In welchem Sylbenmaße wollen ſich Ihre Gnaden heut erluſtigen?
O Narr, ich will eine ſchlichte vernuͤnftige Proſa reiten. Denkſt Du, daß ich mich vom Alcaͤiſchen Vers will zerſtoßen laſſen, oder gar in den verfluchten Proceleusmatikern den Hals brechen? Nein, ich liebe Vernunft und Ordnung.
Ihr Vorfahr flog immer in der Luft.
Redet mir von dem Kerl nicht mehr, das muß ja ein rechter Hans Narr, ein rechter excentriſcher Eſel geweſen ſeyn. In der Luft zu fliegen! Nein, die Luft hat keine Balken, ich lobe mir die Erde. — Adieu, meine Freunde! ich will nur eine kleine Abhandlung uͤber den Nuz - zen der Familiengemaͤhlde reiten, und bin gleich wieder da.
Das war nun nemlich die Ein - leitung.
So ein erſter Akt iſt immer zum Verſtaͤndniß nothwendig.
In dem Stuͤck liegt viel Moral.
Gewiß, ich fange ſchon an, beſ - ſer zu werden.
Die Muſik!
Wie alles fort eilt! Wie in dieſer Sterblich - keit ſo gar nichts Stand haͤlt! Womit willſt du das Leben des Menſchen vergleichen? Mit dem Schatten? Mit der Wolke? Ach! beide ſind im - mer noch zuverlaͤßiger, als dieſer Hauch, der uns jetzt beſeelt, und im naͤchſten Augenblicke ver - ſchwunden iſt.
So erfuͤllt jetzt der ſchmeichelnde Ton der Mu - ſik die Luft, und jede Luftwelle erzittert vor Freu - de, und doch darf nur der Finger inne halten, ſo verſtummen alle dieſe beredten Geiſter, ſo faͤllt das glaͤnzende Gebaͤude zuſammen, und keine Spur aller der Kryſtalle und funkelnden Regenbogen bleibt zuruͤck, die ſich jetzt ſo majeſtaͤtiſch auf und nieder bewegen. Wenn nicht alles vergaͤnglich waͤre, o was faͤnden wir dann noch zu klagen Urſach?
II. [18]274Zweite Abtheilung.Das Lachen ſchweigt, die Begebenheiten des Stuͤcks laufen zu Ende, der Vorhang faͤllt endlich zum letztenmal, die Zuſchauer gehn nach Hauſe. Einmal kommen ſie dann nicht wieder, ſie ſind fortgegangen, Niemand kann ſagen, wohin; Nie - mand kann ſie erfragen, keiner betritt die ſchreck - liche, grauenvolle Wuͤſte, der jemals wieder kaͤme. Ach du ſchwaches, leichtzerbrechliches Menſchenle - ben! Ich will dich immer als ein Kunſtwerk be - trachten, das mich ergoͤtzt und das einen Schluß haben muß, damit es ein Kunſtwerk ſeyn und mich ergoͤtzen koͤnne. Dann bin ich ſtets zufrieden, dann bin ich von gemeiner Freude und von dem laſten - den Truͤbſinne gleich weit entfernt. O daß nur alle Freude mit mir bleiben, bis ich ſelber nicht mehr bin, daß ſie kein Seufzer und keine Thraͤne vergebens ſuchen darf.
Wie freundlich laͤchelt mir die ſtille Gegend, Die gern und liebevoll den Gott empfaͤngt. Hier hoͤr ich fruͤh der Lerche muntres Lied, Die ſich mit hellen Toͤnen aufwaͤrts ſchwingt, Die Nachtigall aus dichtbelaubten Buͤſchen, Den ſtillen Gang der Waſſer, die melodiſch Durch Felſen unter Epheuranken irren; Wie ſpielende Weſte durch meine Locken flattern, Und mich der holde Geiſt der Einſamkeit Mit ſeinen ſuͤßen Fluͤgeln lieblich faͤchelt; Das Rohr des Fluſſes girrt in leiſen Toͤnen, Die Eiche brauſt und ſpricht mit ernſter Stimme, Aufmerkſam horcht der junge kleine Wald Und haͤlt die zarten Blaͤtter unbewegt. Ob mir ein laͤndlich Lied gelingen mag Will ich nach Hirtenweiſe jetzt verſuchen.
Wie lieblich klingt dein Lied holdſelger Schaͤfer, Es lockte uns vom Wald ins freie Thal.
Ich hoͤrte niemals noch ſo ſuͤße Stimme.
Sollt Ihr den Saͤnger nicht begeiſtern? Kuͤhn Fliegt von der Lippe der Geſang, das Bild Von Euch macht jeden Ton melodiſch ſuͤß.
Willſt Du mit uns das Wechſelliedchen ſingen, Das Du uns geſtern lehrteſt?
Fang nur an.
Warum in der Bruſt dies Schmachten? Will kein Gott denn meiner achten?
Ach, ſo ſuͤße herbe Thraͤnen, Ach, ein wunderbares Sehnen —
Liebe, Liebe uͤberwindet, Wo ſie zarte Herzen findet.
Was iſt Liebe? Was iſt Sehnen?
Warum dieſe ew'gen Thraͤnen?
Liebe glaͤnzt im naſſen Blick, Thraͤn und Glanz ſpricht nur ihr Gluͤck.
Wunden ſollen Dich nicht ſchmerzen, Die die Bruſt mit Wonne fuͤllen, Und den Blick in Thraͤnen huͤllen, Denn in dieſen ſchoͤnen Schmerzen Lernen lieben unſre Herzen.
Singt Ihr ſchon wieder Eure ab - geſchmackten Geſaͤnge? Schaͤfer, Ihr macht uns alle unſre Maͤdchen abſpaͤnſtig, und das ſoll Euch am Ende uͤbel gerathen.
Lauter Geſang und Klang und Klang und Geſang erfuͤllt jetzt unſre Felder, das iſt nicht auszuhalten. Die Schaͤferinnen ſprechen von nichts als Lied und Liebe, und Liebe und Lied, und Lied und Liebe, und ſo immer fort; ich fuͤr meine Perſon ſage: das iſt dumm!
Freilich iſts dumm, das iſt gar keine Frage.
Aber was habt Ihr uns denn zu befehlen?
Ihr ſeid in uns verliebt, und da haben wir Euch ſehr viel zu befehlen.
Nun ja, da ſteht Ihr hier, wie die Narren, und der Wolf macht ſich unterdeß in Euren Heerden luſtig.
Der Wolf? Nun wahrhaftig, der Kerl ſoll zum laͤngſten ein Wolf geweſen ſeyn. Kommt! der ſoll davon zu ſagen haben, wie viel Wolle er laſſen muß.
Es iſt ſchwer, ſeht Ihr, auf lange Zeit einen Luſtigmacher abzugeben, und die Rolle des Apollo iſt bei weitem leichter. Das hat Herr Skaramuz auch recht wohl gewußt, und da - rum iſt er ſo erpicht darauf geweſen. Man kann nicht zwei zu zwei addiren, ohne in die Gefahr zu kommen, ſich zu verrechnen, und manches Zeug ſieht in der Ferne recht witzig aus, was in der279Die verkehrte Welt.Naͤhe nur eine abſolute Dummheit iſt. Indeß wer noch nie einen Canarienvogel geſehen hat, mag vielleicht einen Sperling dafuͤr halten, und wie man ſich die Sachen will ſchmecken laſſen, ſo ſchmecken ſie einem faſt immer. Da koͤmmt ja die Muſe.
Nun, meine ſchoͤnſte Liſette —
Herr Gruͤnhelm!
Oder hoͤren Sie ſich lieber Co - lombine nennen?
Das iſt mir nun faſt ganz einerlei, denn Name iſt Name. Sind Sie wohl im Stande zu lieben, Herr Gruͤnhelm?
Ei warum das nicht? Ihre ſchoͤne Phyſiognomie hat mich ſchon ſeit lange ent - zuͤckt.
Ach, wenn wir nur erſt mit einan - der verheirathet waͤren!
Ja wohl, mein Schaͤtzchen, das iſt ja Tag und Nacht mein Wunſch.
Wir lieben uns doch gewiß recht innig.
Das wollte ich wohl beſchwoͤren.
Ob wohl ein Gewitter in dem Stuͤck vorkoͤmmt?
Wenn wirs begehren, bequemen ſie ſich ſchon darnach.
Gevatter, ja, wir wollen ihnen das Gewitter nicht ſchenken.
Meine Herren, ein Gewitter iſt ein ganz gutes Ding, aber es paßt da in unſer Stuͤck gar nicht hinein.
Ach was, paſſen! Es ſoll paſſen und muß paſſen!
Es muß biegen oder brechen, wir wollen ein Gewitter haben.
So komm nun, meine Geliebte, und laß uns unter Dach und Fach kommen, da das grauſame Publikum nach dem Donnerwetter verlangt.
Unter Dach und Fach ſind wir leicht, ich wollte, ich waͤre eben ſo geſchwind unter die Haube gebracht.
Wo, Henker, kommt denn das Gewitter her? davon ſteht ja kein einziges Wort in meiner Rolle. Was ſind das fuͤr Dummheiten! Und ich und mein Eſel werden daruͤber pudelnaß. Ei das ſteht mir gar nicht an. — Maſchiniſt! Maſchiniſt! So halt er doch ins Teufels Namen inne! —
Hoͤre mich Schlin - gel von einem Maſchiniſten! Wie kannſt Du Dich unterſtehen, Donner und Blitz ſo zu verſchwenden? Das ſollſt Du mir gewiß theuer bezahlen. — Ich ſage halt mit dem Donnern inne!
Herr Skaramuz, ich kann nicht dafuͤr, denn es muß ſeyn.
Muß ſeyn? Ich ſage aber, es muß durchaus nicht ſeyn! Wer hat hier zu befeh - len?
Das Publikum hat es ſo ge - wollt.
Iſt das wahr, meine Herren?
Ja, wir haben es ihm ſo be - fohlen.
Aber, meine Herren, ich werde naß.
Wir wollen uns eben an derglei - chen Leiden ergoͤtzen, denn Lucrez ſagt wie bekannt: quave mari magno etc.
Lukrez ſagt mir das zum Poſ - ſen. — Meine Herren, laſſen ſie das Gewitter aufhoͤren.
Nein, es ſoll bleiben.
In einem ſtillen, ſanften hiſto - riſchen Schauſpiel —
Es ſoll eben etwas fuͤrchterlich werden.
Muͤſſen denn auch die Goͤtter von der Wuth der Elemente leiden? Ja, ja, jetzt, erfahr ich es in der That, daß auch uͤber uns ein dunkles, unausweichbares Fatum waltet. — O Ihr undankbaren Zuſchauer! Habe ich Euch darum den Apollo vertrieben, habe ich Euch darum von der Poeſie erloͤſt, daß Ihr es mir nun ſo ſchnoͤde ver - gelten muͤßt?
Ich leide von Eurer Wuth, aber ich will es Euch gewiß gedenken. Wenn mir vom Regen der Eſel da verdorben wird, ſo koͤnnt Ihr Euch nur nach einem neuen fuͤr mich umſehn. Daß Ihrs nur wißt, meine Herrn, es iſt der Pegaſus, er iſt mehrmals in Kupfer geſtochen, und nun muß er ſo im Regenwetter daſtehn, und hat nicht einmal einen Mantel umzuhaͤngen. — O mein Kopf faͤngt an zu ſchwaͤrmen.
Herr Skaramuz, ich glaube es wird bald vorbei ſeyn.
Im Grunde iſt er doch meines Gleichen, und die Menſchenliebe gebietet mir, ihn zu bemitleiden, — Da, hier will ich Dich mit mei - nem Mantel bekleiden, ich will mich in meine Ver - nunft und Philoſophie einhuͤllen, die Dir gaͤnzlich mangeln. — Wenn ichs recht bedenke, ſo kann es gar nicht anders ſeyn, als daß einen der Regen naß macht.
Gehn Sie bald ab, Herr Ska - ramuz?
Warum, mein Geehrteſter?
Die Scene greift mich zu ſehr an, das alles iſt fuͤr mich ein bischen zu erhaben.
Ha ha, wie thuts? Im Regen ſtehn, iſt noch ſchlimmer. Ja, mein Beſter, bei uns geht es manchmal verteufelt hoch her.
Gehn Sie doch lieber ab, beſter Mann, denn wenn ich zu ſehr angegriffen werde, ſo haben Sie nachher fuͤr den Schaden zu ſtehn.
Laßt mich noch erſt mit dieſen gelehrten Thebaner ſprechen. — Worauf legſt Du Dich?
Donner und Blitz zu machen, auch zieh ich die Loͤwen und Woͤlfe an, der Eſel da iſt auch von meiner Erfindung; wer ſollte wohl in ihm einen von unſern Schauſpielern wieder er - kennen?
So biſt Du alſo im Stande, aus einem ſchlechten Schauſpieler einen guten Eſel zu machen? Und das nennt Ihr Maſchinerie, was284Zweite Abtheilung.ſich von ſelber macht? — Wie entſteht der Don - ner?
Ich habe hier geſtoßenen Co - lophonium, den blaſe ich durch ein Licht, ſo wird daraus der Blitz, in demſelben Augenblick wird oben eine eiſerne Kugel gerollt, und das bedeutet dann den Donner.
Gut, folge mir. — Meine Herren da unten! ich hoffe Sie alle geſund wieder nach Hauſe zu liefern, aber weiter hab ich Sie dann nicht zu verantworten.
Iſts erlaubt, das Donnerwet - ter zu beendigen?
O ja, nun muß wieder was Haͤus - liches kommen.
Rekommandire mich; ich wohne hier gegenuͤber in dem großen Eckhauſe, wenn etwa Nachfrage nach mir ſeyn ſollte. Ich verſtehe es auch vortrefflich, Feuerwerke zu arrangiren, und mit Geſchmack eine Illumination einzurichten.
Das war eine ſogenannte große Scene.
Ja, Gevatter, da herrſcht ſchon mehr der engliſche Schwung drinn. Ihr werdet die engliſche Literatur geleſen haben.
Ja freilich! Hab ich doch in mei - ner Jugend ſogar die engliſche Krankheit gehabt.
Wenige Gaͤſte kehren jetzt bei mir ein, und wenn das ſo fort waͤhrt, ſo werde ich am Ende das Schild noch gar einziehen muͤſſen. — Ja ſonſt waren noch gute Zeiten, da wurde kaum ein Stuͤck gegeben, in welchem nicht ein Wirthhaus mit ſeinem Wirthe vorkam. Ich weiß es noch, in wie vielen hundert Stuͤcken bei mir in dieſer Stube hier die ſchoͤnſte Entwickelung vorbereitet wurde. Bald war es ein verkleideter Fuͤrſt, der hier ſein Geld verzehrte, bald ein Miniſter, oder wenigſtens ein reicher Graf. Ja ſogar in allen Sachen, die aus dem engliſchen uͤberſetzt wurden, hatte ich meinen Thaler Geld zu verdienen. Manch - mal mußte man freilich auch in einen ſauern Ap - fel beißen, und verſtelltes Mitglied einer Spitzbu - benbande ſeyn, wofuͤr man dann von den morali - ſchen Perſonen rechtſchaffen ausgehunzt wurde; in - deſſen war man doch in Thaͤtigkeit. — Aber jetzt! — Wenn auch jetzt ein fremder reicher Mann von der Reiſe kommt, ſo quartirt er ſich origineller - weiſe bei einem Verwandten ein, und giebt ſich erſt im fuͤnften Akt zu erkennen, andere kriegt man nur auf der Straße zu ſehn, als wenn ſie in gar keinem honetten Hauſe wohnten; — dergleichen dient zwar, die Zuſchuer in einer wunderbaren286Zweite Abtheilung.Neugier zu erhalten, aber es bringt doch unſer eins um alle Nahrung.
Ihr ſeid ſo verdruͤßlich, Vater.
Ja, mein Kind, ich bin mit meinem Stande ſehr unzufrieden.
Wuͤnſcht Ihr denn etwas Vornehme - res zu ſeyn?
Das gerade nicht, aber es aͤrgert mich unbeſchreiblich, daß nach meinem Stande nicht die mindeſte Nachfrage geſchieht.
Ihr werdet gewiß mit der Zeit in die vorige Achtung kommen.
Nein, liebe Tochter, denn die Zeiten laſſen ſich ſehr ſchlecht dazu an. O daß ich nicht ein Hofrath geworden bin! Sieh faſt alle jetzigen Comoͤdienzettel nach, und immer ſteht unten: die Scene iſt im Hauſe des Hofraths. — Wenn es laͤnger ſo fortgeht, laſſe ich mich zum Kerkermeiſter machen, denn die Gefaͤngniſſe kommen doch noch in vaterlaͤndiſchen und Ritterſtuͤcken vor. — Aber mein Sohn ſoll durchaus nichts anders als Hof - rath werden.
Troͤſtet Euch lieber Vater, und haͤngt Eurer Melankolie nicht ſo nach. — Wie war es doch damals, als der Waltron erſchien? Wißt Ihr noch, wie zu jener Zeit manche Schauſpiele faſt nur aus Gewehr-Praͤſentiren, Salutiren, Trom - melſchlag, Reveille und Schießen beſtanden? Ei - nen andern Menſchen als Soldaten wurde man287Die verkehrte Welt.gar nicht gewahr. Und wie iſt dieſer Stand jetzt auch vernachlaͤſſigt, ſo daß kaum noch hie und da ein einzelner Obriſt ſich in den gangbaren Stuͤcken blicken laͤßt?
Was gilts, ich arbeite mich noch ſel - ber zum Poeten um, und erfinde eine neue Dicht - art, die die Hofrathsſtuͤcke verdraͤngen ſoll, und in denen die Scene immer im Wirthshauſe ſpielt.
Thut das, lieber Vater, ich will die Liebesſcenen auf mich nehmen.
Still! — Es faͤhrt wahrhaftig ein Wagen vor. — Sogar eine Extrapoſt! lieber Him - mel, wo muß der unwiſſende Menſch herkommen; daß er bei mir einkehrt?
Guten Morgen, Herr Wirth.
Diener, Diener von Ihnen, gnaͤ - diger Herr. — Wer in aller Welt ſind Sie, daß Sie inkognito reiſen und bei mir einkehren? Sie ſind gewiß noch aus der alten Schule; gelt, ſo ein Mann vom alten Schlage, vielleicht aus dem Engliſchen uͤberſetzt?
Ich bin weder gnaͤdiger Herr, noch reiſe ich incognito. — Kann ich dieſen Tag und die Nacht hier logiren?
Mein ganzes Haus ſteht Ihnen zu Befehl. — Aber, im Ernſt, wollen Sie hier in der Gegend keine Familie unvermutheterweiſe gluͤck - lich machen? oder ploͤtzlich heirathen? oder eine Schweſter aufſuchen?
Nein, mein Freund.
Sie reiſen alſo bloß ſo ſimpel, als ein ordinaͤrer Reiſender?
Ja.
Da werden Sie wenig Beifall finden.
Ich glaube, der Kerl iſt raſend.
Hier iſt ihr Koffer, gnaͤdiger Herr.
Und hier iſt dein Trinkgeld.
O das iſt wohl zu wenig. — Ich bin den Berg herunter ſo herrlich gefahren —
Nun da!
Großen Dank.
Ob ich ſie noch wieder finde? — O wie ſich alle meine Gedanken nach der geliebten Heimath wenden! Wie ſoll ich den Anblick ertra - gen, wenn ſie mir wieder gegenuͤber ſteht? Wenn die Vergangenheit mit allen Freuden und Schmer - zen an mir voruͤber zieht? O du armer Menſch! was nennſt du Vergangenheit? Giebt es denn eine Gegenwart fuͤr dich? Zwiſchen der verfloſſenen Zeit und der Zukunft haͤngſt du an einem kleinen Augenblick mitten inne, und jede Freude geht nur ſchnell vorbei, und vermag gar nicht in dein Herz zu dringen.
Wenns zu fragen erlaubt iſt, ſo vermuthe ich, Dieſelben ſind aus einem alten ver - legenen Stuͤck, das ein unbekannter Verfaſſer ſo etwas neu aufgeſtutzt hat?
Frem -Was?
Wenn Sie nur Beifall finden! — Geld muͤſſen ſie doch wenigſtens haben; oder dient es etwa in Ihrem Kram, daß Sie ſich arm ſtellen?
Sie ſind ſehr neugierig, Herr Wirth.
Das muß ich ſeyn, mein Herr, da koͤnnen Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter muß alt ſeyn, Telephus muß als Bettler erſchei - nen, der Sclave muß ſeinem Stande gemaͤß ſpre - chen. Sie duͤrfen nur die ars poetica nachſchla - gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen.
Ich danke Ihnen fuͤr die ſchoͤne Raſerei; von dieſer aͤchten Raritaͤt hab ich bis jetzt noch keine angetroffen. — Haben Sie die neuſten Zeitungen?
Hier! ein merkwuͤrdiger Steckbrief iſt darin abgefaßt.
„ Es iſt aus gefaͤnglichem Gewahrſam ein Landſtreicher gebrochen, der ſich fuͤr den Apollo auszugeben pflegt. Er iſt an einem ſilbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju - gendlichen Angeſichts und pflegt viel zu ſingen, auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten, daß er ſich als Schaͤfer ſoll verdungen haben. Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da an dieſem Verbrecher viel gelegen iſt. Die etwa - nigen Unkoſten ſollen erſetzt werden. “
Man ſoll dem Spitzbuben ſchon auf der Spur ſeyn.
Ich habe ihn ſonſt recht gut ge -II. [19]290Zweite Abtheilung.kannt, und es ihm oft vorher geſagt, daß es ſo weit mit ihm kommen wuͤrde, da er ſich durchaus auf keine ernſthafte Studien legen wollte. Das koͤmmt von der Belletriſterei, wenn man ſie nicht zum Nutzen der Menſchheit anwendet. — Weiß man nicht, was er verbrochen hat?
Er ſoll ſich unterſtanden haben, die Phantaſterei einzufuͤhren, hat Tragoͤdien geſchrie - ben, und darin auf das Schickſal und die Goͤtter geflucht, hat die moraliſche Tendenz durchaus ver - nachlaͤſſigt, in Summa, er hat der ganzen kulti - virten Welt ein großes Aergerniß gegeben.
Es ſollte an ihm ein Exempel ſtatuirt werden.
Wenn ſie ſeiner habhaft werden, wird es gewiß daran nicht ermangeln.
Fuͤhren Sie mich auf mein Zim - mer.
Nun koͤnnen wir doch erſt ſagen, Meiſter Brauer, daß wir im Lande einen reellen Parnaß haben.
Und das Getraͤnk, was ich da fa -291Die verkehrte Welt.brizire, mein lieber Baͤcker, wahrlich, das iſt ein andres Geſoͤff, als die alte Hippokrene.
Ich mag gern bei Euch trinken, das iſt gewiß, aber das Zeugs ſteigt einem ſogleich ſo in den Kopf, daß man nicht weiß, wo einem der Kopf ſteht.
Darum bekuͤmmere ich mich in meinem Leben nicht, wenn ich nur fuͤr meine Per - ſon weiß, wo das Maul ſitzt.
Aber liegen nicht die Gebaͤude nied - lich da unten am Berge?
O die Ausſicht hat etwas Vor - trefliches.
Und unſer gnaͤdigſter Apoll —
Seines Gleichen muß gar nicht gefunden werden. — Da kommen meine Gaͤſte.
Gevatter, ich bin ganz begei - ſtert, daß iſt Euch ein Trunk wie hoͤlliſches Feuer.
Nachdems faͤllt, nachdems faͤllt, — la, la, — ja, wies faͤllt.
Er wird〈…〉〈…〉 bſt fallen, und dann kommts darauf an, nachdem er faͤllt, ob er ſich nicht ein Loch in den Kopf faͤllt.
Tragt den Beſoffenen, — ſo — ſoffenen nach Hauſe.
Kommt, ich fuͤr meine Per - ſchon, ſeht Ihr, als wenn ich ſagen wollte Ich, als zum Exempel Ich, ſo wie ich Euch da vor mir ſehe und vor mir ſtehe, ich kann keine beſof -292Zweite Abtheilung.ſene Perſchon, wenigſtens fuͤr meine Perſchon, aus - ſtehn. So viel davon, aber kein Wort weiter, denn, wie man zu ſagen pflegt, es ſind doch nur unnuͤtze Reden, und da ſogar der große Nebukad - nezar hat auf allen Vieren gehen muͤſſen, nun — warum wollen wir uns denn ſchaͤmen? So pfleg ich nur immer zu ſagen.
Ganz recht, und du pflegſt auch immer ein Flegel zu ſeyn.
Was? hab ich deswegen mit Dir Gleichheit und Bruͤderſchaft und Men - ſchenwerth getrunken, daß Du mich ſo oͤffentlich verſchimpfiren thuſt? Vor all den ehrbaren Herren? Heraus, wenn Du Herz haſt!
Herz? — Aber wo iſt Dein Verſtand? der iſt im Bierkruge haͤngen geblieben.
So haͤngt er doch noch ir - gend wo, aber wenn man Dich auch an den Gal - gen hinge, ſo wuͤrde Dein Verſtand doch nirgends haͤngen, denn ſolchen Schimpf wird ſich, was nur einen Funken Verſtand hat, doch wohl nimmermehr ſelber anthun, daß es in Deinem Dummkopf eine Herberge ſuchte.
Lieben Leute, vertragt Euch doch friedlich, da Ihr alle von einem Biere getrunken habt, ſolltet Ihr billig alle auch einerlei Geſinnung hegen.
Nimmermehr will ich mir einen ſolchen Schimpf anthun laſſen, vollends wenn ich aus der Tabagie komme.
Lieber moͤcht ich ohne wei - tre Umſtaͤnde ein Eſel ſeyn.
Oben an und nirgend hin - aus, ſo iſt es mit dem Brauer, und drum ſucht er auch immer den Hopfen zu ſparen.
Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ſollten wir gleich wacker auf ihn zu ſchlagen.
Schon deswegen weil er ein Brauer iſt.
Wie lange quaͤlt er nicht die arme Gerſte, bis ſie ſich von ihm zu Bier machen laͤßt.
Das hatt ich vergeſſen! Gut, daß Ihr mich zur rechten Zeit erinnert. Er ſoll nicht leben bleiben.
Es waͤre uͤbel gethan, wenn wir irgend einen Brauer leben ließen. —
Schuͤtzt die Braugerechtigkeit! — Huͤlfe von wegen der Obrigkeit!
Was giebts hier, Leute? — Ins Teufels und in der Obrigkeit Namen, haltet Friede! — he! Wache!
Bringt die Leute aus einander. — Was hats denn gegeben?
Mein Koͤnig, ich bin ein ruhiger294Zweite Abtheilung.Zuſchauer geweſen, und kann alſo am beſten da - von urtheilen. Der Brauer iſt ganz unſchuldig, aber in der poetiſchen Begeiſterung ſuchten die Gaͤſte Haͤndel.
Er muß das Bier nicht ſo ſtark brauen, ſonſt gerathen mir meine Untertha - nen doch noch auf die Dithyrambe, und das ſoll nicht ſeyn. — Geht nach Hauſe, lieben Leute, und beruhigt Euch, aus dergleichen Haͤndeln kann doch nichts herauskommen.
Warum nicht? Ich frage immer gern, warum?
Daß ich ihn nicht mit ſeinen anſtoͤßigen Reden der Hauptwache anvertraue, da ſoll ihm die Begeiſterung bald verrauchen.
Die Muſen ſollen auftreten.
Ich will nur nach Hauſe gehn.
Ich ebenfalls, denn ich muß mei - nen Ofen heitzen.
Seid Ihr alle vollzaͤhlig? Es muß immer genaue Anfrage geſchehen, daß mir keine Muſe unverſehens entwiſcht, denn die Wiſ - ſenſchaften muͤſſen in ihrer Bluͤthe bei Leibe nicht geſtoͤrt werden. — Jetzt ſingt mir ein Lied.
Unſer allergnaͤdigſter Monarch iſt heut in eigener Perſon auf ſeinem Eſel zuruͤck gekommen, und hat ſich ſogleich auf295Die verkehrte Welt.die Spitze des Parnaſſes verfuͤgt, allwo er geruhte, das koͤnigliche Scepter in ſeine Haͤnde zu nehmen, und damit ſein begluͤcktes Land zu regieren. Ihm haben die Unterthanen die neue Brauerei zu ver - danken, er hat uns einen loͤblichen Baͤcker einge - ſetzt, und der Staat verſpricht ſich außerdem noch von ſeiner Weisheit die allervollkommenſten Einrich - tungen. Die Unſterblichkeit iſt ihm ſo gewiß, als die Liebe ſeiner Unterthanen, als die Bewunderung einer ſtaunenden Nachwelt. Kuͤnſte und Wiſſenſchaften ſtehn unter ſeinem unmittelbaren Schutze, er lebe lange und begluͤcke ſein Land noch hundert Jahre mit ſeiner preiswuͤrdigen Regierung. — Hiebei unent - geltlich eine Beilage.
Ich bin aus weiten Landen ge - kommen, um ſo gluͤcklich zu ſeyn, Ew. Majeſtaͤt von Angeſicht zu Angeſicht kennen zu lernen.
Ja, es iſt immer ſchon der Muͤhe werth, und wenn ichs nicht durch einen gluͤcklichen Zufall ſelber waͤre, wuͤrde ich mich auch genoͤthigt ſehen, Reiſen nach mir anzuſtellen.
Sie machen eine Epoche in der Weltgeſchichte.
O ja, das iſt noch meine ge - ringſte Kunſt. — Von mir ſchreibt ſich eigentlich die Bluͤte der Wiſſenſchaften her, denn ich bin der erſte, der den Parnaß urbar gemacht hat.
In der That?
Und welche Vorurtheile ich dabei296Zweite Abtheilung.habe bekaͤmpfen muͤſſen! — Ich habe auch die Braue - rei da unten angelegt. O, mein Freund, Sie ha - ben gewiß in der ganzen Fremde dergleichen nicht geſehn. Was ſind Sie Ihres Handwerks nach?
Ein Arzt.
Alſo doch nuͤtzlich? Ich mag die nuͤtzlichen Leute ungemein gern; denn warum? ſie ſind nuͤtzlich, und das Nuͤtzlichſeyn ſelbſt iſt un - gemein nuͤtzlich, folglich zwingt mich meine Ver - nunft zu dieſer gegruͤndeten Hochachtung.
Aber was ſeh ich?
Ja, ja, eine Baͤckerei iſt auch am Parnaß angebracht.
Darf ich meinen Augen trauen?
Es hat ſich ſchon mancher dar - uͤber gewundert.
Seh ich nicht meine geliebte Ka - roline?
O Friedrich, biſt Du wieder da? Wo haſt Du Trauter ſo lange geſteckt?
O welche unvermuthete Zuſam - menkunft!
Du findeſt mich als Muſe, aber mein Herz iſt Dir noch immer getreu.
O ſo ſei meine Gattin. Mein On - kel iſt geſtorben, die reiche Erbſchaft iſt mir zu - gefallen, ich habe genug fuͤr uns beide, ja weit mehr, als wir brauchen, wenn mir nur Deine Liebe gewiß iſt.
Und Du kannſt zweifeln? — Ich will gleich mit Dir gehn.
Halt! halt! was will mir das werden? Nein, meine Freunde, das geht ſo geſchwinde nicht, die Muſenkompagnie darf nicht inkomplett werden. Wo ſollten wir denn hernach, die tragiſchen Scenen in unſerm Stuͤcke herkriegen, wenn ſich Melpomene aus dem Stuͤcke heraus ver - heirathen wollte? Das geht nimmermehr!
Grauſames Schickſal!
Tyranniſcher Gott!
Hat ſich da was tyranniſch und grauſam zu ſeyn. Ich gebe Euch meine Gruͤnde an, denn ich ſage: es ſoll nicht ſeyn! und darum kanns nicht ſeyn. Und außerdem bin ich ſelbſt ſo halb und halb in die Melpomene verliebt, und denke ſie vielleicht mit der Zeit zu heirathen. Alſo, Ihr fremder Kerl, ſteht nur von Euren un - ſinnigen Bewerbungen ab, denn ſonſt moͤcht es Euch gar zu leicht den Hals koſten.
So ſoll ich Dich laſſen?
So muß ich ſcheiden?
Verlieren Sie den Muth nicht, mein fremder Herr Verliebter, das muß ſich alles noch einrichten laſſen, wenn uns der Verſtand auf dem rechten Fleck ſitzt.
Aber wie?
Kommen Sie nur, wir wollen das ordentlich berathſchlagen. Ich biete Ihnen meine Huͤlfe und Klugheit an.
Brav, Liſette! es wird uns ganz gewiß gelingen.
Haͤtt ich doch den Skaramuz in meinem Leben fuͤr keinen ſolchen Tyrannen gehalten.
Ich bin Ihnen unendlich ver - bunden, Herr Schaͤfer, Sie haben mit Ihrer vor - trefflichen Kunſt ſo lange an mir gezaͤhmt, bis es Ihnen doch gelungen iſt, etwas Bildung in mich hinein zu bringen.
Ich bin auch geſittet und ſpuͤre ein ordentliches Verlangen nach den Kuͤnſten in mir, ſo wie nach guter Geſellſchaft.
Wenn man mir jetzt eine Penſion gaͤbe, wuͤrde ich mich nur wenig mit Wuͤrgen be - ſchaͤftigen.
Ich freue mich, wenn ich Ihnen habe nuͤtzlich ſeyn koͤnnen.
Herr Schaͤfer, Ihr habt da viele Laſterhafte gebeſſert, wollt Ihr nicht auch an uns den Verſuch machen?
An meinem Beiſtande ſolls nicht fehlen.
Dauert die Operation aber lange? denn ich habe nicht viel Zeit uͤbrig.
Nachdem Eure Herzen verhaͤrtet ſind.
Nun, nur immer friſch dran, wir muͤſſen doch wohl von der Cultur etwas abbekom - men. Ich will mich nicht von ſolchem Rhinozeros beſchaͤmen laſſen.
Kommt denn und hoͤrt meine Lieder.
Auf dieſe Lieder waͤr 'ich wohl begierig.
Sie wuͤrden uns gar zu weich machen, und darum iſt es wohl beſſer, daß wir ſie nicht hoͤren.
Je nun, es iſt ein ganz guter Kniff, ſich aus der Affaire zu ziehn, daß man ſie hinter der Scene ſpielen laͤßt.
In welcher Trunkenheit jauchzt unſer Geiſt, wenn es ihm einſt vergoͤnnt iſt, tauſend wechſelnde, bunte, ſchwebende, tanzende Geſtalten zu erblicken,300Zweite Abtheilung.die ſtets erneut und verjuͤngt in ihm aufſteigen. Angeruͤhrt, angelacht von tauſendfaͤltiger Liebe wickelt die Seele ſich in Lieder von allen Farben und jubelt himmelan, daß das traͤge alltaͤgliche Leben ſie lange nicht wieder findet.
Wie ein goldner Funke ein Feuerwerk anzuͤndet, daß ſich alle Raͤder gluͤhend drehn, und alle Sterne in ihren Kreiſen funkeln, die Flamme freiwillig die verſchlungenen Linien durchlaͤuft, und alles in bunt - flammende Bewegung treibt, daß das trunkene Auge ſtaunend ſich ergoͤtzt, und den Strudel der wechſelnden farbigen Flammen mit Entzuͤcken be - trachtet: ſo iſt es mit den wankenden, glaͤnzenden Bildern, die die Freude uns vorfuͤhrt. Ach! was war es, wenn es voruͤber iſt? Oder wenn Du es mit kunſtrichterlichem Auge ſiehſt? Laß dem magi - ſchen Feuer ſeinen Lauf, die wunderliche Stickerei nimmt ſich nur auf einem dunkeln Nachtgrunde aus, beim hellen Tageslicht wuͤrde ſie nuͤchtern und verlegen mit allen ihren Farben kokettiren.
Wißt Ihr denn, was Ihr wollt, die Ihr in allen Dingen den Zuſammenhang ſucht? Wenn der goldne Wein im Glaſe blinkt, und der gute Geiſt von dort in Euch hineinſteigt, wenn Ihr Leben und Seele in doppelter Wirkung empfindet, und alle Schleuſen Eures Weſens geoͤffnet ſind, durch die das zuruͤckgehaltene Entzuͤcken maͤchtiglich hinbrauſt, wenn dann die lezten Tiefen, in die noch kein Ton drang, wiederklingen, wenn alles ſich in Eine Me - lodie geſellt, und in der Luft verwandte Geiſter unſichtbare Taͤnze feiern, — was denkt Ihr da,301Die verkehrte Welt.und was vermoͤgt Ihr da zu ordnen? Ihr genießt Euch ſelbſt und die harmoniſche Verwirrung.
Ja, koͤnnten wir in dieſer Fuͤlle nur immer ſchwelgen, muͤßten wir nicht auch im Wahnſinn nuͤchtern und maͤßig ſeyn, um das Holdſeligſte, Thoͤrichtſte, Weiſeſte in uns ſelbſt nicht zu vernich - ten durch Ueberfaͤlle. Doch heilig ſeyen mir jene Stunden, in denen ich von der Ambroſia nippen durfte, nie will ich ſie in der Erinnerung ſchmaͤhn, um ihrer werth zu bleiben.
Aufs freie Feld muß ich zu Dir mich fluͤchten, Um ungeſtoͤrt ein frohes Lied zu dichten, Ich will mich auf den Raſen zu Dir ſetzen, Nach langer Zeit poetiſch mich ergoͤtzen.
Was fehlt Dir denn mein allertreuſter Freund? Man hat auch dich vertrieben, wie es ſcheint.
Vertrieben nicht, doch mocht 'ich dort nicht bleiben, Das wilde Volk hat Deinen Dienſt zerſtoͤrt, Nichts darf ich mehr im kuͤhnen Schwunge ſchreiben, Und wenn der holde Wahnſinn mich bethoͤrt, Wenn durch die Adern ſich Dein Feuer gießet, Und hoher Klang von meiner Lippe toͤnt, Durch alle Worte lautre Gottheit fließet, Und ſelber das Gemeinſte ſich verſchoͤnt, So ſtehn ſie da und ihre Augen ſtarren, Und kurz: ſie halten mich fuͤr einen Narren.
Mein Freund, willſt Du Dich meinem Dienſte weihen,
So mußt Du derlei Mißverſtand verzeihen; Wer faßt es, was entzuͤckt der Saͤnger ſpricht? Zur Finſterniß wird Bloͤden helles Licht. Das Feuer was Du willſt in ihnen zuͤnden, Mußt Du doch ſchon in ihrer Aſche finden, Und ach! die meiſten ſind ſchon ausgebrannt, Noch eh ſie Licht und Feuer je gekannt. Ich wundre mich, daß dies den Mißmuth weckt, Und Dich aus Deiner heitern Laune neckt; Nein, ſollteſt Du durch boͤſe Schickung allen An einem ſchlimmen Tage einſt gefallen, Dann komm zu dieſer Flur zuruͤck und ſage Mir Deine große, hoͤchſt gerechte Klage.
Beſchaͤmt und ſtolz geh 'ich zur Stadt zuruͤck, Getroͤſtet hat mich dieſer Augenblick.
Es muß, mein Freund in dieſem ird'ſchen Leben Auch hin und wieder truͤbe Stunden geben, Sonſt geht es Euch, ihr Menſchen, gar zu gut, Und das verdirbt den allerkuͤhnſten Muth. Seht, Herr Poet, ich bin ja ſelbſt ein Gott, Und diene meinen Feinden doch zum Spott, Geſchieht das mir zur Strafe meiner Suͤnden, Moͤgt Ihr Euch um ſo eh'r zurechte finden.
Giebts heute was Neues?
Nichts eben, als daß mehrere Studenten von der Univerſitaͤt gekommen ſind, die den Wunſch hegen, ſich examiniren zu laſſen, um brauchbar zu werden.
Laßt ſie vorkommen.
So ein Student hat doch immer ein munteres Weſen.
Das macht die freie Lebensart, und ſie wiſſen von keinen Sorgen, dieſe Muſenſoͤhne.
Muſenſoͤhne? — Was muß ich denn da von Euch hoͤren, Ihr Geſindel von Muſen?
O gnaͤdigſter Apollo, das iſt nur ſo eine hergebrachte Redensart, womit weder den Muſen noch den Studenten zu nahe geſchieht, ſo wie man ja auch den Kirchhof, Gottesacker, und die Advokaten, Diener der Gerechtigkeit zu nennen pflegt. An ſo etwas muͤßt Ihr Euch nicht ſtoßen, denn unſre Sprache hat außerordentlich viele Sy - nonimen.
Skara -Es ſoll eine Grammatik dar - uͤber abgefaßt werden, damit ſich die Fremden zu - recht zu finden wiſſen. — Ihr Herren wollt alſo nuͤtzlich ſein?
Ja, mein Koͤnig, wir ſpuͤren eine unendliche Begierde nach einer guten Beſoldung.
Nun das iſt brav, ſo werdet Ihr hoffentlich bald brauchbare Staatsbuͤrger wer - den. — Geht und laßt Euch die langen Haare et - was verſchneiden, dann ſollt Ihr ſogleich exami - nirt werden.
Wißt Ihr, Leute, daß heute mein Geburtstag iſt?
Ja, mein Koͤnig, ich habe auch deswegen ſchon die Kanonen auffuͤhren laſſen.
Nun ſo ſchießt ſie mir zu Ehren ab.
Ungemein gern mag ich die Kanonen ſprechen hoͤren, er iſt der buͤndigſte Vor - trag, er uͤberſtimmt jeden andern, man kann we - der ein eigenes noch ein fremdes Wort dabei hoͤren. — Muſen, habt Ihr Euch zur Feyer meines Ge - burtstages ausgeruͤſtet?
Allerdings, erhabner Apollo, wir werden an dieſem wichtigen Tage ein Schau - ſpiel auffuͤhren, welches wir einſtudirt haben.
So iſt es recht, ich will mich einmal heut Abend recht von meinen Geſchaͤften erholen.
So ſind wir denn gezwungen fort zu wandern, Die ſuͤße Heimath zu verlaſſen, alles Was mein war, iſt mir grauſam nun entriſſen; Durch fremdes Elend zieht ſich unſre Bahn, Und daß Du, theure Gattin, mit mir leideſt, Iſt meiner ſchweren Leiden groͤßre Haͤlfte.
Dem Manne muß die treue Gattin folgen, Nicht bloß zur Luſt ward ich Dir zugeſellt, Denn mir gehoͤrt wie Dir Dein Leid und Gluͤck.
Wie hold das Abendroth den Thurm beglaͤnzt, Daß alle Zinnen purpurroth erfunkeln, Und ſieh, ein praͤchtiger Regenbogen kraͤnzt Den Pallaſt, und er leuchtet hell im Dunkeln, Die Bienen ſumſen nun der Heimath zu, Die Nachtigall laͤßt ihre Lieder klingen, Nur wir, wir Armen, finden keine Ruh; Das Gluͤck entfloh auf blitzesſchnellen Schwingen, Das falſche, tuͤckiſche, erboßte Gluͤck, Und ließ als Beute uns dem Feind zuruͤck.
307Die verkehrte Welt.Gehſt Du noch ſo ſpaͤt ſpazieren, mein Koͤnig?
Hat ſich was ſpazieren zu gehn. Du verſtehſt Dich ſehr ſchlecht auf die Menſchen - kenntniß, mein Freund. Sieht man wohl ſo aus, wenn man ſpazieren geht?
Was beginnt Ihr alſo?
Vertrieben ſind wir, arme Fluͤcht - linge ſind wir, unſer Haab und Gut hat man uns genommen, nichts als dieſen Wanderſtab hat man uns gelaſſen; elende Emigranten ſind wir.
Aber wie iſt denn das ſo ſchnell ge - kommen?
Du fragſt noch? Seit ich Dich, ruchloſen Schaͤfer aufgenommen habe, iſt mir nichts als Ungluͤck begegnet. Wer weiß, was fuͤr Bos - heiten hinter Dir ſtecken. Der maͤchtige Apollo hat mich vertrieben.
Du Schaͤndlicher, kamſt als ein Landſtreicher zu uns, und wir vertrauten Dir un - ſre Heerden an, iſt das nun Dein Dank?
Aber welche Schuld kann man mir denn geben?
Einer muß doch Schuld ſeyn, und da duͤnkt es mir am wahrſcheinlichſten, daß alles an Dir liegt, denn ſonſt wuͤßt ich mich auf gar Niemand zu beſinnen.
Ich ſchwoͤre Euch —
Schwoͤre nur nicht, Du Meineidiger!
Eure Leidenſchaft ſpricht noch aus Euch, und deshalb ſeid Ihr unbillig gegen mich; lebt wohl, wir ſprechen uns wohl ein andermal wie - der, denn jetzt ſeid Ihr nicht aufgelegt.
Nicht aufgelegt? Was kann er da - mit meinen? Ich fuͤrchte, das da iſt ein boͤſer Bube, ein Satiriker, der immer Perſonalitaͤten mit einmengt. — Nicht aufgelegt? Ei, ich bin noch in meinem Leben nicht aufgelegt geweſen. — Sage mir, theuerſte Gattin, warum habe ich ihm nicht gleich den Kopf entzwei geſchlagen?
Er war ſo klug, ſehr eilig zu entweichen, Drum konnte deine Hand ihn nicht erreichen, Doch troͤſte Dich, mein Gatte, nimm die Schmerzen Nicht ohne Noth zu heftig Dir zu Herzen, Nach Winter koͤmmt der Lenz, und gluͤcklich wenden Die Maͤchte, was ſie jetzt als Jammer ſenden.
Ja, beſte Gattin, ich will mich bequemen, Und, was ich ſonſt nicht thu, Vernunft annehmen. Wir wollen unſer Elend ſtandhaft dulden, Es ſei uns Troſt, daß wir es nicht verſchulden. Du biſt jetzt, Theure, Hofnung mir und Labe, Drum ließ mir ja das Gluͤck die ſchoͤnſte Gabe, Wir ſteigen willig von des Thrones Stufen, Zur Buͤrgertugend werden wir gerufen, Und ſchmerzlos ſeh ich auf den Glanz zuruͤck, Er wandelt ſich in ein Familienſtuͤck,309Die verkehrte Welt.Wir duͤrfen auf den Beifall ſichrer zaͤhlen. Als wenn wir uns mit Kron und Scepter quaͤlen.
O große Menſchheit!
Ich bitt Euch, Leute, — es ſind da Sachen in dem Stuͤck, — ich ſage Euch nur ſo viel, — ſie ſind ganz ungemein.
Was man doch jetzt immer zur großen Denkungsart angefuͤhrt wird! — Ja, das klingt anders, als ehemals.
Es muß morgen wie - der ſeyn, und dann bringe ich alle meine Kinder her.
Herrlich! herrlich!
Jetzt hat es der Gruͤnhelm gut, der ſich dem Theater gewidmet hat, er kann das alles recht in der Naͤhe beſehn.
Wenn es nicht des Aufſehens wegen waͤre, ſo ſtieg ich auch hinauf.
Was iſt das da fuͤr ein Name?
Der Ihrige, mein Koͤnig.
Laßt mir einmal den Maſchi - niſten kommen, der das Zeug eingerichtet hat.
Ich bin Ew. Majeſtaͤt unwuͤr - diger Diener.
Ich ſehe, Er kann mehr als donnern und blitzen, es iſt mir lieb, daß Er ſich auf mancherlei applicirt hat. Fahre Er ſo fort, und es wird ihm nicht fehlen, ſich großen Glanz zu veranſtalten.
Die ganze Er - leuchtung iſt im Grunde zum Vergnuͤgen eines ver - ehrungswuͤrdigen Publikums eingerichtet, und der einfaͤltige Skaramuz bildet ſich ein, es ſey ſeinet - wegen geſchehn; aber wir wollen ihm davon nichts merken laſſen, ſonſt iſt ihn die ganze Freude mit ſeinem Geburtstage verdorben.
Es iſt auch wahr, es iſt bloß un - ſertwegen, aber ich waͤre in meinem Leben nicht darauf gekommen.
Sieh, Gevatter, das nenn ich mir eine Illumination.
Ja, etwas anders kann es auch durchaus nicht vorſtellen.
Warum nicht?
Je, Mann, das ſind ja lauter311Die verkehrte Welt.Lampen, und wo Lampen ſind, da iſt auch die Illumination nicht weit.
Koͤnnt Ihr darauf ſchwoͤren?
Das nun wohl nicht, aber alle Leute ſagen es doch ſo.
Ja, wenn man alles glauben wollte, was die Leute ſagen, da waͤre einem uͤbel gerathen,
Das iſt wohl wahr, aber das ſcheint mir noch immer eine Illumination zu ſeyn.
Lieben Leute, ich ſuche ſchon die ganze Stadt durch; koͤnnt Ihr mir nicht ſagen, wo das Feuerwerk iſt?
Je, da haͤngt es ja.
Ach, das hab ich ſchon lange geſehn. — Aber, das iſt wahr, es iſt praͤchtig.
Es iſt ja kein Feuerwerk.
Seht, das koͤmmt ſo auf eine Manier heraus, und darum kann mans auch ſo nennen.
Alſo iſt es doch noch ungewiß, ob ich recht bin?
Ins Teufels Namen, nein, das iſt es ja.
Aber ich muß es doch gewiß wiſſen, ſonſt kann ichs ja nicht mit Seelenruhe genießen.
Seht, da kommt eine große Mas - kerade.
Gott ſteh 'uns bei, das war ſchoͤn!
Praͤchtig, und Philoſophie liegt drinn, ich verſichre Euch, Salz.
Und der Satan war mitten drunter.
Alles unſerm Koͤnige zu Ehren.
Munter! munter! das heiß 'ich einen froͤhlichen Abend!
So luſtig ſind wir lange nicht geweſen.
Und werdens lange nicht wieder ſeyn.
Kommt! kommt! wir wollen weiter, wir muͤſſen auch die Maskerade ſehn!
Aber glaubſt Du, daß es gelingen wird?
Ich gebe Ihnen mein Ehren - wort. Machen Sie ſich nur keine unnoͤthige Be - denklichkeiten.
Wird er dadurch geruͤhrt werden?
Er muß.
Meine Hofnung beruht immer noch auf einem ſehr unſichern Grunde.
Der Grund iſt ſicher genug, wenn Sie nur ſichrer waͤren.
Ich verlaſſe mich ganz auf Dich.
Nun, meine Freunde, ſeyd Ihr zur Comoͤdie ganz eingerichtet?
Ich bin immer dazu fertig, aber der erſte Liebhaber da hat noch Zweifel.
Das iſt unrecht, Sie werden ſehn, daß alles ſehr ſchoͤn ablaufen wird.
Ich zittre.
Das macht die Entwicklung um ſo intereſſanter.
Die Zuſchauer kommen ſchon.
Wir wollen uns ſetzen, jeder nach ſeinem Stande. Ich werde auf dieſe Art wohl der Vornehmſte hier ſeyn.
Das war gut. Man hat mich lange nicht ſo zweckmaͤßig gelobt. — Wer hat das gemacht?
315Die verkehrte Welt.Ihro Majeſtaͤt, ich habe nur im Namen aller Ihrer getreuen Unterthanen geſprochen.
Denken ſo alle meine Unter - thanen von mir?
Wer es anders meint, iſt ein Hochverraͤther.
Das iſt Recht. Da habt Ihr Geld, fahrt ſo fort. Gebt Acht auf alles Große, was ich thue, beſonders wenn ich mit jedem Tage immer vortrefflicher werde. Ich ſage Euch, laßt mich nicht aus den Augen, denn es iſt ſehr viel an mir zu beobachten.
Wenn es Ihro Majeſtaͤt erlauben, ſo werde ich es nicht unterlaſſen.
Mein lieber junger Menſch, ich habe Dich, wie du weißt, an Kindes Statt angenommen, da Deine armen Eltern ſchon in Deiner Jugend ſtarben; ich habe Dich erzogen, ich habe Dich in allen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften unterrichten laſſen, dafuͤr mußt Du huͤbſch dankbar ſeyn: nun ſage mir alſo, warum biſt du ſeit einiger Zeit immer ſo traurig?
Man hat ſich nicht immer in ſeiner Gewalt, Verehrungswuͤrdiger.
Wer iſt der junge Menſch? Er koͤmmt mir ſo bekannt vor.
Es iſt der fremde Doktor, der kuͤrzlich nur angekommen iſt.
Und der ſpielt nun ſchon in der Stadt Comoͤdie? — Das geht geſchwinde, ihm wird es an einer guten Praxis niemals fehlen.
Sey heute wenigſtens froͤlich, ſieh, meine Tochter und meine uͤbrigen Verwandten ſind es ſo ſehr. Heute iſt mein Geburtstag, da moͤcht 'ich gern lauter froͤhliche Geſichter ſehn.
Des Menſchen Geburtstag iſt heute auch? Das trifft ſich ja wunderbar.
Vermuthlich nur eine ruͤh - rende und witzige Anſpielung, mein Koͤnig, denn was da vorgeſtellt wird, iſt nichts Wirkliches, es iſt nur ein Schauſpiel.
Es iſt wahr, das hatt 'ich ganz vergeſſen.
Leute, bedenkt einmal, wie wun - derbar! Wir ſind hier die Zuſchauer, und dorten ſitzen die Leute nun auch als Zuſchauer.
Es ſteckt immer ſo ein Stuͤck im andern.
Ja, ich will an dieſem ſchoͤnen Tage froͤhlich ſeyn, Sie ſollen kein trauriges Geſicht zu ſehn bekommen.
Meine Tochter hat mir geſagt, daß Ihr mir ein kleines Stuͤck auffuͤhren wollt: haſt Du denn auch eine Rolle darinu?
O ja.
Woruͤber ſeufzeſt Du wieder? Du haſt mir ſo eben angelobt, daß Du froͤlich ſeyn317Die verkehrte Welt.wollteſt. Was fehlt Dir? Entdecke Dich mir, ich will Dir helfen, wenn ich kann.
Ach, mein Vater!
Sprich.
Ich kann nicht.
Du ſollteſt Vertrauen zu mir haben. Jetzt muß ich Dich verlaſſen, meine Gaͤſte werden gleich kommen.
Fuͤr welches Schauſpiel ſoll man ſich nun intereſſiren? Fuͤr das vorige, oder fuͤr das, das jetzt aufgefuͤhrt wird?
Eine verflucht ſpitzfindige Frage. Am beſten iſt es, man intereſſirt ſich nur ſo in den Tag hinein, oder fuͤr keins von beiden.
Nein, ich kann ihm meine Liebe nicht entdecken. Er wuͤrde mir niemals ſeine Tochter bewilligen, und eine abſchlaͤgige Antwort koͤnnte ich nicht uͤberleben. Und doch muß es ſich heut noch entſcheiden!
Find 'ich Dich wieder in Thraͤnen?
Und wie anders, theuerſte Emilie? So eben habe ich Deinen Vater geſprochen.
Nun?
Er war wie immer, ſehr guͤtig gegen mich, das Bekenntniß meiner Liebe ſchwebte ſchon auf meinen Lippen, aber die Beſon - nenheit hinderte mich noch, unvorſichtig zu ſeyn.
Ich denke, daß wir ihn durch unſer318Zweite Abtheilung.kleines Stuͤck uͤberraſchen und ruͤhren wollen, und uns ſo den Weg zu unſerm Geſtaͤndniſſe bahnen.
O liebe Emilie, das quaͤlt mich eben. Iſt unſer Projekt, ja ich mag es wohl ſo nennen, unſer Hinterhalt, nicht eine Entweihung dieſes Tages? Wir wollen ihm durch ein Schauſpiel Freude machen, und wir benutzen dieſes Schauſpiel uns und unſre Situation darzuſtellen. Gerade an dem heutigen Tage ſollten wir am wenigſten fuͤr uns zu handeln ſuchen, und ich brauche grade dieſen Tag als ein Mittel, um mich gluͤcklich zu machen.
Du haſt eine eigene Gabe, die Sachen zu ernſthaft, und eben darum unrecht zu nehmen. Unſre Verbindung wird ihn auch gluͤck - lich machen, auch hat er uns noch keine Veranlaſ - ſung gegeben, zu glauben, daß er unſre Liebe miß - billigen wuͤrde, wenn er ſie kennte.
Wie beneid 'ich Dich um dieſen maͤnnlichen Muth.
Wenn er maͤnnlich iſt, ſo ſchaͤme Dich, daß Du ihn nicht haſt.
Die Fremden ſind ſchon angekommen, Ihr Herr Vater komplimentirt ſich mit ihnen ſehr weitlaͤufig.
Wer ſind ſie denn.
Erſtlich iſt da, die dicke Frau, die Sie aus der Taufe gehoben hat, eine Frau, die alles verachtet, was nicht ſo dick und reich iſt, als ſie ſelbſt; dann der Graf Sternheim, der bei jedem319Die verkehrte Welt.dritten Worte inne haͤlt, um ſich auf den Zuſam - menhang zu beſinnen und deſto gewiſſer aus dem Zuſammenhange zu kommen, dieſer hat alle ſeine Bedienten und ſogar ſeinen Narren mitgebracht; dann der Baron Fuchsheim, der mehr huſtet als ſpricht, und mehr ſpricht als denkt. Die uͤbrigen kenne ich nicht, ſie ſcheinen aber von keiner ſonder - lichen Bedeutung zu ſeyn.
So wollen wir nur gehen, um unſer Theater einzurichten. — Komm, mein Freund.
Ich folge mit Zittern.
Seyn mir nochmals von ganzem Herzen willkommen, und nehmen Sie mit dieſem herzlichen Willkommen vorlieb, denn er iſt das Beſte, was ich Ihnen geben kann.
Gehorſamſter — bitte, — wiſſen ſchon, — bitte —
Uns iſt Ihre Galanterie ſchon aus alten Zeiten bekannt, und Sie haben darin gewiß noch mehr Fortſchritte gemacht.
Gut Obſt ſcheinen's hier be - ſitzen zu thun, — ſchoͤnen Blumenkohl, — aller - liebſte Aprikoſen, — aber einen Narren hab 'ich doch ſelber mitgebracht, — den den trifft man hier nicht an.
Ich habe Sie mitgenommen, Herr Graf, und das will ich beſchwoͤren.
Iſt es nicht ein guter Eſels - kopf? — Er ſagt mir immer praͤchtige Grobheiten.
Und der Graf ſagt mir herrliche Wahr - heiten, denn er ſagt mir nichts, und es iſt eine Wahrheit, daß er nichts iſt und daß er nichts zu ſagen weiß.
Confuſe, ein ungeordneter Ver - ſtand, — aber gute Anlagen.
Gute Anlagen zu einem Narren, — ja, ja, — dafuͤr ſind ſeine Anlagen gut genug.
Wiſſen Sie denn, was ein vollkom - mener Narr zu bedeuten hat?
Dazu halt 'ich Dich ja, Narr, damit ich das beſtaͤndig wiſſen moͤge.
Der Geſchmack iſt verſchieden, ich halte mir lieber einen Grafen.
Er darf mir alles bieten, weil er nemlich nur ein Narr iſt.
Ich muß mir auch einen an - ſchaffen. Wo hat man die beſte Sorte?
Sie gerathen nicht in jedem Jahre gleich gut, manchmal iſt ein ordentlicher Mißwachs, — ich habe ſie auf meinen Guͤtern als ein Landesprodukt ziehn wollen, — aber ſie ſind nicht eingeſchlagen, — das Klima muß nicht taugen.
Wenn man ſo manchmal ſeiner Vernunft uͤberdruͤßig wird, ſo muß ein ſolcher Narr ein wahrer Leckerbiſſen ſeyn.
Stern -Dieſen da hab 'ich geerbt, und ich weiß ſein Vaterland nicht.
Hat er keinen Taufſchein?
Narren werden gar nicht getauft.
Zu welcher Kirche bekennen ſie ſich denn aber?
Sie ſind damit zufrieden, daß ſie in der Irre wandeln.
Sie ſollten ihn bekehren laſſen.
Ei, bei Leibe nicht, da wuͤrde ja ein ordinaͤrer vernuͤnftiger Menſch aus ihm.
Sie verkaufen ihn wohl nicht?
Nimmermehr, ich will ihn mit ins Grab nehmen.
Ei, ganz gehorſamſter Diener! das iſt eine verfluchte Redensart, um ſeine Liebe aus - zudruͤcken.
Meine Herren, und meine gnaͤdige Frau, iſt es Ihnen nicht gefaͤllig, in mein Haus zu treten?
Wer ſind Sie eigentlich, mein Freund?
Aufzuwarten, ein Narr.
Das heißt, ein Mann. Aber dies weiß ich ſchon, ich fragte nur nach Ihrem eigent - lichen Stande.
Ich bleibe leider in allen Poſitionen ein Narr, und wenn Sie mich auch ſo oft um - wenden, als einen gut gebratnen Krammetsvogel.
Haben Sie ſich auf ſonſt nichts gelegt?
Das iſt genug, mein ſchoͤnes Kind, und mehr als genug. O man hat ſein ganzes Le - ben zu ſtudiren, um es darin zu einer gewiſſen Vollkommenheit zu bringen.
Es iſt doch Schade um Ihre huͤb - ſche Perſon.
Ich war ſchon vor meiner Geburt ein Narr, ſonſt haͤtte ſich meine unſterbliche Seele gewiß nicht bereden laſſen, in dieſen ſterblichen Koͤrper zu kriechen, und darin ein ſo kauderwel - ſches Leben zu fuͤhren.
Sie druͤcken ſich ſehr angenehm aus.
Ich ſchuͤttle die Worte zwiſchen den Zaͤhnen herum, und werfe ſie dann dreiſt und gleichguͤltig wie Wuͤrfel heraus. Glauben Sie mir, es geraͤth dem Menſchen ſelten, alle Sechſe zu werfen, er mag nun beſonnen oder unbeſon - nen ſpielen.
Sie ſprechen kluͤger, als Ihr Herr.
Und Sie gefallen mir mehr als Ihre Gebieterin.
Ich glaube, Sie muͤßten ſich noch beſſern koͤnnen.
Ich glaube, ich wuͤrde Sie lieben lernen.
Sie ſind ſchon auf dem beſſern Wege.
Und doch fang ich nur an, ein noch groͤßerer Narr zu werden; o wenn Sie mich in meiner allerhoͤchſten Raſerei ſehen ſollten, Sie wuͤr - den entzuͤckt ſeyn.
Ich moͤchte es ſchon darauf wagen.
Was meinen Sie, zum Exempel, von der Anbetung?
Wen wollen Sie anbeten?
Sie, meine Goͤttin.
O mein Herr, fuͤr eine Goͤttin bin ich wohl etwas zu ſchlecht.
Im Gegentheil, Allerglorreichſte, viel zu gut, man kann in unſern Tagen faſt nichts Er - baͤrmlichers ſeyn, als eine Goͤttin.
Wie iſt das gekommen?
Das muͤſſen Sie die weiſen Leute fragen, ich darf das Geheimniß nicht verrathen; Weiſe und Thoren, thoͤrichte Weiſe, und weiſe Narren haben die Weiber mit vieler Muͤhe zu Goͤttinnen erhoben, um ſie recht bequem ſchlecht zu machen, denn ſeitdem ſind ſie keine taube Nuß mehr werth.
Sie lieben mich alſo vielleicht?
O dies himmliſche Vielleicht laͤßt mir noch einige Hofnung uͤbrig, daß Sie noch nicht ſo ganz in mich vernarrt ſind —
Und wenn ich es nun waͤre?
So ſaͤh ich mich ja genoͤthigt, vor Entzuͤcken zu Ihren Fuͤßen zu ſterben.
Das will ich mir verbitten.
Welches Opfer befehlen Sie denn alſo, das ich Ihnen zum Zeichen meiner aufrich - tigen Liebe bringen ſoll?
Heirathen Sie mich.
Heirathen! — Ich weiß nicht, ob ich recht gehoͤrt habe. — Heirathen, ſagten Sie?
Nun freilich, kein andres Wort, wenn ich bei Verſtande bin.
Sie wollten alſo einen Ehemann aus mir machen? — Das iſt ſchrecklich!
Wie denn ſo?
Weil Sie mich dann in eine Art von Narrheit einweihen, gegen die meine jetzige kaum fuͤr einen Anfangsgrund zu rechnen iſt.
Kommen Sie hinein.
Ich bin der Ihrige.
Ich halte Sie beim Wort.
Iſt das Zeug da witzig?
Es wird wenigſtens dafuͤr ausgegeben, und man muß alſo den guten Willen ſchaͤtzen.
Es iſt von einem Unterthanen, das Stuͤck da?
Allerdings.
So iſt es doch wenigſtens keine Contrebande, ſondern ein einheimiſches Fabrikat.
Setzen Sie ſich allerſeits, man hat uns hier ein kleines Schauſpiel veranſtaltet, ich denke, daß der Vorhang ſogleich aufgehen wird.
325Die verkehrte Welt.Willſt Du nimmer mich erhoͤren?
Nein, Du willſt mein Herz bethoͤren.
Nein, ich will Dich lieben lehren.
Lieb 'iſt Thorheit, will ich ſchwoͤren.
Das war wenig, aber gut, und ſo lieb ichs.
Ich ſah Fernando bleich in meinen Traͤumen, Und o, wie ſehnt ſich nun mein ſchlagend Herz,
327Die verkehrte Welt.Du biſt ſchon fruͤh im Garten, meine Liebe.
Ich habe meine Liebe hier erwartet.
O Du beſchaͤmſt die muntre Morgenroͤthe.
Und ſelber Dich, Fernando, lieber Freund.
Und biſt fuͤr meinen Gruß und Kuß erwacht.
Und bleich und krank iſt nun mein Traumgeſicht.
Fernando! liebſt Du mich aus treuem Herzen?
O koͤnnt ich ohne Treue, Liebſte, lieben?
Wie Boͤſewicht?
Mein Vater!
Undankbare!
O Kinder, macht der Comoͤdie ein Ende, der Vater iſt gar zu grauſam, ich wuͤrde gleich meine Einwilligung geben.
Ich auch, denn mich faͤngt an zu hungern.
Ihren Seegen alſo, mein Vater.
Nein, Emilie, dorthin.
Wie? Was? Was iſt denn?
Ihre Einwilligung, mein Apol - lo, geben Sie mich frei, ich mag nicht laͤnger Muſe ſeyn.
Alſo war das Ganze nur eine eigentliche Comoͤdie?
Ja, Ihro Majeſtaͤt.
Nun, weil Ihr mich geruͤhrt habt, und weil ich gerade bei guter Laune bin, ſo moͤgt Ihr einander heirathen. Es iſt aber eine wunderliche Sache, die Melpomene verlaͤßt das Theater, dort werden wir alſo keine Leichen mehr330Zweite Abtheilung.ſehn; aber ſie heirathet dafuͤr einen Doktor — ich weiß nicht was ſchlimmer iſt.
Herr Koͤnig, ich wollte auch gern heirathen.
Wen denn?
Da iſt ſo eine Art Narr, im ge - meinen Leben Gruͤnhelm genannt.
Ja, Ihro Majeſtaͤt, ich bin des ledigen Standes uͤberdruͤßig.
In Gottes Namen. Aber ſo faͤllt ja auch unſer Luſtſpiel uͤber den Haufen. — Nehmt einander, und quaͤlt Euch recht.
Ei! ei! wie iſt denn ein ſolches Ding zu begreifen? Es thaͤte Noth, daß man ſich einen eiſernen Reifen um den Kopf legen ließe, um es auszuhalten.
Es iſt gar zu toll. Seht, Leute, wir ſitzen hier als Zuſchauer und ſehn ein Stuͤck; in jenem Stuͤck ſitzen wieder Zuſchauer und ſehn ein Stuͤck, und in jenem dritten Stuͤck wird jenen dritten Akteurs wieder ein Stuͤck vorgeſpielt.
Ich habe nichts geſagt, aber um nur zur Ruhe zu kommen, haͤtt 'ich mich gern aus meinem jetzigen Zuſchauerſtande in die letzte verſi - ficirte Comoͤdie als Akteur hineingefluͤchtet. Je weiter ab vom Zuſchauer, je beſſer.
Nun denkt Euch, Leute, wie331Die verkehrte Welt.es moͤglich iſt, daß wir wieder Akteurs in irgend einem Stuͤcke waͤren, und einer ſaͤhe nun das Zeug ſo alles durch einander! Das waͤre doch die Con - fuſion aller Confuſionen. Wir ſind noch gluͤcklich, daß wir nicht in dieſer bedauernswuͤrdigen Lage ſind, denn es waͤre nachher kaum moͤglich, ſich auf gelinde Weiſe wieder in ſeinen allererſten vernuͤnfti - gen Zuſtand zuruͤck bringen zu laſſen, ich fuͤrchte, man muͤßte mit Pulver wieder hinein geſprengt werden.
Man traͤumt oft auf aͤhnliche Weiſe, und es iſt erſchrecklich; auch manche Gedan - ken ſpinnen und ſpinnen ſich auf ſolche Art immer weiter und weiter ins Innere hinein. Beides iſt auch, um toll zu werden.
Wie ſagte doch jener Bauer, als er die Pflau - men ſchon zur Suppe eſſen ſollte? ja: darinn iſt kein Verſtand!
So oft ſich der Philoſoph verwundern muß, ſo oft er ein Ding nicht begreift, (und das geſchieht meiſt, weil es zu ſeinem Syſteme nicht paßt, denn außerdem wuͤrde ihm die Sache nicht ſo fremd ſeyn, vielleicht waͤre ihm der Gedanke ganz natuͤrlich) ſo ruft er aus: darinn iſt kein Verſtand!
332Zweite Abtheilung.Ja der Verſtand, wenn er ſich recht auf den Grund kommen will, wenn er ſein eignes Weſen bis ins Innerſte erforſcht, und ſich nun ſelbſt be - obachtet und beobachtend vor ſich liegen hat, ſagt: darinn iſt kein Verſtand.
Nicht wahr, es iſt am bequemſten, das Denken ganz aufzugeben? das thun auch die meiſten, ohne es zu wiſſen. Doch wer mit Vernunft die Ver - nunft vernichtet, iſt dadurch wieder vernuͤnftig. Daß nur keiner ſagt: darinn iſt kein Verſtand.
Manche Verſe ſind toll gewordene Proſe, manche Proſe iſt gichtlahmer Vers, was zwiſchen Poeſie und Proſa liegt, iſt auch nicht das Beſte, — o Muſik! wohin willſt du? Nicht wahr, du geſtehſt es zu: in Dir iſt kein Verſtand.
Wozu ſollen dieſe Gedanken? Wozu ſoll der - gleichen Muſik? Wozu ſollen dergleichen hiſtoriſche Schauſpiele? Wozu ſoll am Ende die ganze Welt? Wozu ſollen aber auch ſolche Fragen? In ihnen ſteckt kein Verſtand.
Von der Muͤcke bis zum Elephanten iſt alles zunaͤchſt um ſein Selbſtwillen da, des Menſchen zu geſchweigen; ſo ſollte es nicht auch mit Gedanken ſeyn, die fruͤher ſind als ihre Anwendung? Nicht ebenfalls mit Laune und Kunſt und Lachen aus einer verkehrten Welt? Verkehrt ſie nur noch ein - mal, ſo kehrt ihr die rechte Seite heraus, und Ihr ſagt dann nicht: darinn iſt kein Verſtand.
Meine Herren, Sie ſind doch noch immer uͤberzeugt, daß ich mein Land gluͤcklich mache?
Durchaus, Ihro Majeſtaͤt koͤnnen gar nicht anders.
Wir muͤſſen unermuͤdet fort - fahren, die Sitten des Landes umzuarbeiten. Alle ehemalige Barbarei muß man mit Stumpf und Stiel ausrotten, daß auch kein Gebein davon uͤbrig bleibt.
Allerdings, man muß nicht nur das auf - geſchoſſene Unkraut ausjaͤten, ſondern auch nach dem kleinen ſehn, damit nichts zur Saat ſtehn bleibe.
So iſt auch mein Wille. Das Verfeinern und Cultiviren der Leute kommt doch ſo ziemlich in den Gang. — Jetzt laßt die Parteien vortreten.
Was wollt Ihr?
Herr Koͤnig, ich habe eine große und gegruͤndete Klage uͤber den Mann da zu fuͤhren. 334Zweite Abtheilung.Er iſt nemlich eine Perſon, die Buͤcher in den Druck giebt, und ich bin derjenige, der ſie nachher leſen muß. Nun find 'ich es ſehr natuͤrlich, daß ich zu ihm ſagen kann: ſeht, mein Herr, ſo und ſo muͤßt Ihr die Buͤcher einrichten, dann gefallen ſie mir beim Leſen. Und das will er nicht.
Aber, Kerl, warum nicht?
Ihro Majeſtaͤt geruhen nur zu bemerken, daß der Menſch keinen Geſchmack hat, und daß er ſchlechte Buͤcher von mir verlangt; darin kann ich ihm doch unmoͤglich willfahren.
Aber warum nicht, da es ihn doch am Ende trifft, daß er Dein Geſchreibe leſen muß? Du ſollſt alſo den Geſchmack haben, den er von Dir verlangt. Ich ſehe wohl, du biſt ein eigenſinniger Burſche, gehe hin und beſſere Dich. —
Ich danke fuͤr guͤtige Reſolution.
Aber, Ihr Narr, braucht ja nur gar nicht zu leſen, ſo iſt ja der Handel mit einem male aus.
Nein, gnaͤdigſter Koͤnig, das kann ich nicht laſſen, weit eher das Tabackrauchen. Leſen iſt mein einziges Vergnuͤgen und bildet mich und klaͤrt mich auf.
Verſteht Ihr auch alles, was Ihr leſ't?
Ich denke wohl, und wenn ich einmal den Weg unter meinen Fuͤßen verliere, ſo denke ich immer, des Himmels Guͤte wird auch das wol zu meinem Beſten lenken.
Geht und fahrt ſo fort, denn Ihr habt einen guten Glauben.
— Habt Ihr die Wiſſenſchaften wohl ſchon in ſolchem Flore geſehn?
Niemalen.
Was giebts? Redet!
Mein Koͤnig, wir ſind Schaͤfer, was man ſo ſchlechtweg Schaͤfer zu nennen pflegt, aber Schaͤfer im weiteſten Sinn des Worts, denn wir halten uns auch etliche Kuͤhe.
Iſt das Eure Klage?
Nimmermehr. Je da muͤßten wir ja wohl rechte Erzſtuͤmper ſeyn, wenn wir daruͤber klagen wollten. Nein, im Gegentheil, wollte der Himmel, wir haͤtten nur mehr.
Kommt zur Sache.
Gevatter, laßt mich das Wort fuͤhren, ſonſt kann ja der Koͤnig nimmermehr klug werden. Verſteht mich, Herr Koͤnig, und wenn Ihr den Mann da bis uͤbermorgen reden ließet, ſo wuͤrde er doch nicht zur Sache kommen. Er iſt mein Gevatter, und ſonſt ein guter Mann, aber das muͤſſen ihm ſelbſt ſeine Feinde im Grabe nach - ſagen, daß er das Maul immer vorn weg hat. Es iſt ein Erbſchaden an ihm.
Was wollt Ihr denn, Leute? Ich verliere die Geduld.
Nimmermehr, Herr Koͤnig, denn wir haben ſie auch ſchon verloren. Wißt Ihr was Scheeren iſt?
Dumme Frage! Wie ſollt 'ich denn das nicht wiſſen?
Nun, ſo haben wir den Proceß bei - nahe ſchon gewonnen. Die Schaafe werden nem - lich von uns geſchoren, und das iſt gut und loͤblich, denn dazu ſind ſie da; wir haben das auch immer bis jetzt redlich beobachtet, aber nun ſoll ſich das Ding umkehren, denn die Schaafe haben gegen uns rebellirt.
Wie ſo?
Es iſt ſo weit gekommen, daß ſie verlangen, wir ſollen uns zur Abwechſelung auch einmal ſcheeren laſſen.
Was haben ſie fuͤr Gruͤnde?
Sie haben ordentlich einen Anwald angenommen, ihre Sache in Schutz zu nehmen.
Laßt ihn kommen.
Sieh da, Gruͤnhelm! biſt Du derjenige, der da behauptet, die Schaͤfer muͤßten ſich von ihren Schafen raſiren laſſen?
Allerdings, durchlauchtiger Apollo.
Aus welchen Gruͤnden?
Erſtlich haben ſie es den Scha - fen ſo oft gethan, daß es nun zur Abwechſelung wohl einmal mag umgekehrt werden. Sie haben von den Schafen ſo viele Wohlthaten genoſſen, daß es ja nur ein unbedeutendes don gratuit iſt, was die armen Thiere jetzt von dieſen hartherzigen Schaͤfern verlangen; wahrlich, ich wollte mich nichtum337Die verkehrte Welt.um eine ſolche Kleinigkeit ſchlachten und ſcheeren und hudeln laſſen. Dann ſeht nur zweitens, die ſchoͤnen Baͤrte um Kinn und Maul, nicht wahr, jedermann muß Luſt zum Scheeren bekommen, der dieſen reichen Seegen ſieht? Welche Gedanken ſollen wohl die guten geduldigen Schaafe faſſen, wenn ſie dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som - mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln ſehn? Es waͤre ihnen ja wahrlich nicht zu ver - argen, wenn ſie auf die Meinung geriethen, daß alles Scheeren nur unnuͤtze Scheererei waͤre. Dann werden dieſe Schaͤfer es auch drittens viel beſſer nachher einſehn, was es auf ſich habe, geſchoren zu werden, ſie werden dadurch gegen die Schafe mitleidiger und dankbarer werden. Ich will ſie bloß zur Tugend anfuͤhren.
Du haſt recht. Schaͤfer, Ihr habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft Euch dem Willen Eurer Untergebenen.
— Sie werden zum allgemeinen Beſten geſchoren, die Spitzbuben, und wollen ſich noch beklagen!
Der Egoismus, Herr Apollo, iſt ſehr ſchwer aus dem Menſchen zu vertreiben.
Sieh, mein trauter Mann, Adelaide lernt ſchon ſpielen.
O welche vaͤterliche Geſinnungen, wel - che liebevolle Empfindungen bei mir erregt werden, wenn ich ſo die Fortſchritte meiner verehrungswuͤr - digen Kinder gewahr werde.
Mit Recht nennſt du ſie verehrungs - wuͤrdig, denn ich verehre ſie auch, ja ich bete ſie an.
Lieber Vater, wozu iſt aber das Buchſtabiren nuͤtze?
Hoͤre doch, liebe Gattin, die philo - ſophiſche Frage des allerliebſten Kindes! — Komm her, Junge, dafuͤr muß ich dich tuͤchtig kuͤſſen. — O Kind, du wirſt gewiß ein großes Genie wer - den. Zweifelſt du ſchon jetzt an dem Nutzen des Buchſtabirens, was wirſt du erſt in deinem dreißig - ſten Jahre thun?
Er iſt gar zu klug fuͤr ſein Alter. Wenn es ihn nur nicht angreift.
Geh, mein Kind, mach dir jetzt ein Spiel zurecht, du haſt nun heut ſchon zu viel ge - arbeitet. Hoͤrſt du? du mußt dich nicht zu ſehr anſtrengen, ſonſt wirſt du krank?
Du bleibſt dann auch nicht ſo huͤbſch, wie du biſt, du wirſt dann ganz haͤßlich.
Ich muß den Jungen doch wohl in die neumodiſche Schule ſchicken, ſo hart es mir auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick von mir zu laſſen. Ich war neulich bei der Pruͤ - fung der Kinder zugegen, o theuerſte Eliſa, als ſie ſo wunderbar mauzten und prauzten (denn ſie buchſtabiren dort nicht) mit pf, ſt, rt, br, und dergleichen, halb nieſend, halb huſtend und gur - gelnd, ich war in Entzuͤcken verloren. Wie be - dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf dieſen edleren Wege konnte leſen lernen!
Spiele mit mir, Vater! da ſind die Karten, nun baue mir ein Haus.
Ich habe zu thun, mein Sohn.
Du ſollſt aber.
Nimm vernuͤnftige Gruͤnde an, mein Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geſchaͤft iſt dringend.
Ich will es aber.
Mein Sohn, wenn ich nicht beſchaͤf - tigt waͤre und ich wollte dann nicht mit dir ſpie - len, ſo koͤnnteſt du mir gegruͤndete Vorwuͤrfe ma - chen, aber ſo —
So ſpiele doch nur mit ihm, du ſiehſt ja, daß er weint.
Nun ſo komm, Wilhelm, weine nicht. Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und kann warten. Aber ſei auch huͤbſch artig nun, du ſiehſt ja, daß ich dir deinen Willen thue.
Ich laſſe ja auch die Wirthſchaft liegen, um meine Adelaide auszubilden.
Haſt du ſchon die neuſte Schrift fuͤr Muͤtter geleſen, Eliſa?
Nein, mein Kind.
Das mußt du ja nicht verſaͤumen, das Buch enthaͤlt ganz unvergleichliche Beobach - tungen, zum Beiſpiel, daß eine Magd die Kinder nie nehmen duͤrfe, oder nur mit ihnen ſprechen.
Ich dulde es niemals, immer hab ich geſchaudert, wenn unſere Katharine, ſonſt eine gute Perſon, das himmliſche Kind nur anblickte. Ja, ſchon die Blicke koͤnnen meinen Engel entweihen.
Wenn du was bauen willſt, Va - ter, ſo mußt du auch die Gedanken dabei haben und nicht andre Sachen reden.
Ein allerliebſter Junge. — Sieh, Adelaide, ſo wirft man in die Hoͤhe. Das heißt werfen, mein Kind.
Wie ſich doch ſeit der Regierung des jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie ſchlecht wurden wir erzogen, Eliſa!
Ja wohl, ſo rauh und barbariſch, wir mußten vor unſern Eltern Reſpekt haben! — Aber ſage, was war es doch fuͤr ein ſchrecklicher Menſch, der unſerm zarten Wilhelm geſtern einen Hanswurſt zum Spielen brachte?
Fuͤrchterlich! Was ſollte das idealiſch ge - ſtimmte Weſen doch mit dieſer gothiſchen Fratze? Aber ich habe es dem Gevatter Bruſebart eingetraͤnkt, und er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich beſtellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen klei - nen belvederiſchen Apoll, damit der Liebliche hohe341Die verkehrte Welt.Geſtalten, Goͤtterphyſiognomieen zu ſeinen Geſpie - len habe, und ſich ſo der Sinn fuͤr die hohe Kunſt in ihm ſo leichter erſchließe.
Der Eindruck, den die barbariſche Figur auf mich gemacht hat, war ſo ſtark, daß ich die ganze Nacht von dieſem fuͤrchterlichen Hans - wurſt getraͤumt habe. Am Ende warſt du ſelbſt der Graͤßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit Entſetzen.
Koͤnnte man die guten Kinder nur ganz vom uͤbrigen Menſchengeſchlecht abſondern, ſo wuͤrde ihre Heiligkeit um ſo weniger geſtoͤrt; Denk, — am vorigen Sonntag betreff ich unſern Wilhelm in der Roſenlaube, indem er fuͤr ſich: „ Ach du mein lieber Auguſtin! “ſingt.
Schaudervoll, o ſchaudervoll, hoͤchſt ſchaudervoll!
Da er Trieb zur Kunſt hat, ſo habe ich den herrlichen Chorgeſang aus dem Sophokles uͤber das Schickſal zu der Melodie: „ Bluͤhe lie - bes Veilchen, “bearbeitet, und das ſoll er einſtu - diren; kann er den lieben Auguſtin aber gar nicht vergeſſen, ſo akkommodire ich ein Matthiſſonſches Mondſcheingedicht zu dieſer Weiſe, damit ihm die Gemeinheit des Liedes nur verſchwinde.
Die Kinderſchriften haben doch eine vortheilhafte Revolution zuwege gebracht.
O was werden unſre Kinder auch fuͤr goͤttliche Menſchen werden!
Man wird ſie ohne Zweifel in Kup - fer ſtechen.
Wir werden uns vor Freude, die wir an ihnen erleben, gar nicht zu laſſen wiſſen. — Lange regiere unſer Apoll!
Komm mit ihnen in den Garten, daß ſie die Natur empfinden, und ſich von der Holdſeligkeit der Roſen anlachen laſſen.
Liebe Frau, wie lange ſind wir nun ſchon mit einander verheirathet?
Vier Wochen.
Iſt es noch nicht laͤnger?
Waͤhrt Dir die Zeit ſo lang?
Das grade nicht; aber ich meinte, es ſey laͤnger.
Soll ich nun daruͤber nicht weinen?
Du weinſt viel zu viel; wir zanken uns alle Tage und haben in den vier Wochen we - nigſtens dreißig Ausſoͤhnungen gefeiert.
Du betruͤbſt mich recht von Herzen; Du biſt ein leichtſinniger Menſch, ein Menſch, der an meinem Jammer ein Vergnuͤgen findet.
O ſo hoͤre doch auf.
Einen, der ungeruͤhrt meine Thraͤnen ſehn kann.
Hol 'doch der Teufel den Apollo! Warum hat er Dich nicht auf dem Theater behalten?
Ja, ich wollte, ich haͤtte Dich nie mit Augen geſehn.
Waͤr 'ich doch nie hieher gekommen!
Wir muͤſſen Euch doch auch einmal beſuchen, Freunde.
Wie gehts, liebe Melpomene?
O mein Mann —
Nun, Doktor, wie ſtehts?
O meine Frau —
Ihr ſeid beſtaͤndig entzweit und das iſt durchaus nicht recht. In Eurem Hauſe regiert immer ein buͤrgerliches Trauerſpiel, und das iſt mir etwas Verhaßtes.
Iſt es zu aͤndern?
Ihr muͤßt Euch wieder vertragen. Melpomene, Du mußt nachgeben.
Eher ſterben.
Daraus wird ja doch nichts, das darf ja ſchon des frohen Ausgangs wegen nicht geſchehn. Warum lebe ich denn mit meinem Manne gluͤcklich?
Weil Du eine Naͤrrinn biſt.
Gehorſamer Diener! Alſo ver -344Zweite Abtheilung.lohnte es ſich wohl gar nicht der Muͤhe mit mir gluͤcklich zu ſeyn?
Schwerlich.
Nun, Frau, da iſt meine Hand, ſei wieder gut. Die Scene darf ja doch nicht zu tragiſch werden.
Du giebſt alſo zu, daß Du Unrecht haſt?
Nimmermehr!
Nun, Thalia, da ſiehſt Du.
Auf die Art koͤnnt Ihr nimmermehr zuſammen kommen. Der hat offenbar Unrecht, der jetzt nicht zur Verſoͤhnung die Hand bietet, wer dem andern zuerſt vergiebt, der hat das meiſte Recht.
O wie ich Dich nun wieder liebe! — Wie mein Herz nur fuͤr Dich ſchlaͤgt!
Ebenfalls.
Ich begreife nicht, wie ich Dich ſo verkennen mochte.
Ich auch nicht, Geliebter.
Im Grunde hatten wir beide Unrecht.
Ich geb 'es zu.
Nun ſo ſey dieſer Tag der Ver - ſoͤhnung, ein Tag der Freude fuͤr uns. — Bleibt bei uns, lieben Freunde, und helft uns ein ſo ſchoͤ - nes haͤusliches Feſt der Liebe begehn.
Ihr meine lieben Soldaten, heut muß das Seegefecht nothwendig vorgenommen werden, denn der Wind iſt uns uͤberaus guͤnſtig. Auch koͤnnen wir uns nicht laͤnger halten, weil uns der Proviant ausgeht.
Soll es ein ſcharfes See - gefecht werden?
Wir fechten bis auf den letzten Mann. Und daß nur keiner zu deſertiren gedenkt!
Davor ſoll uns Gott behuͤten.
Der fremde Admiral kann un - moͤglich Stand halten, denn ſeine Flotte iſt viel ſchwaͤcher, er wird ſich ergeben muͤſſen, und dann fahren wir im Triumph nach Hauſe.
Wenn nur keiner von uns dabei umkoͤmmt!
Da muß man ſchon die Augen zudruͤcken und Fuͤnfe gerade ſeyn laſſen, denn das ſteht nicht zu aͤndern.
Aber wens trifft, der hat doch den Schaden.
Sprich beherzter, ſonſt biſt Du ein erbaͤrmlicher Soldat.
Soll heut die Bataille vorgenommen werden?
Wenn Ihr es meint, Leute, ſo wollen wir dran, einmal muß es ja doch ſeyn, und ſo iſt es immer beſſer heute als morgen.
Wir haben ſchon alle Flinten ge - laden.
Das iſt Recht, Kinder; und im Gefecht nur nicht den Muth verloren! Bedenkt, daß Ihr doch irgend einmal ſterben muͤßt, und daß Ihr hier auf der See fuͤrs Grab nichts zu bezah - len braucht.
Ganz gut, ich wollte der Feind waͤre erſt da.
Iſt die ganze Flotte beiſammen?
Ja, Herr Admiral!
Nun ſtellt Euch in Schlachtord - nung. Marſch! links um! — So! — wir muͤſſen dem Feinde den Wind abgewinnen, wir muͤſſen nicht ſaumſelig ſeyn, denn auf unſere Behendigkeit koͤmmt alles an.
Sieh, da iſt ja die feindliche Flotte. Das iſt mir recht lieb, ſo brauchen wir nicht laͤnger die Haͤnde in den Schooß zu legen. Schießt nur brav nach den Matroſen, lieben Leute, wenn ſie oben in den Maſten herum klettern.
Macht den Angriff!
Es iſt ein heißes Gefecht.
Nun wollen wir das Admiral - ſchiff entern.
Was iſt das? — Ei, den Teufel, das gilt nicht! das gilt nicht! — das iſt gegen alle Kriegsmanier! — Harlekin, das gilt nicht! das gilt nicht!
Warum ſolls nicht gelten? Ich habe nun den Krieg gewonnen.
Das iſt ganz was Neues, das iſt gegen alle Abrede.
Ei was, im Kriege gelten alle Vortheile.
Nein, Herr Narr, das ſoll nimmermehr ſeyn. Ich will die alte Manier be - haupten.
Huͤlfe! Huͤlfe!
Nun haben wir den glorreichſten Sieg davon getragen.
Wer macht auf meinem Schau - platz ſolch Getoͤſe?
Da bin ich ins Waſſer gefallen, Herr Wagemann, und habe die Seeſchlacht ver - loren.
Hier ſchwimmt ja alles voll Soldaten. Kerls, ſtellt Euch doch auf Eure Beine, was ſchwimmt Ihr denn?
Helft Ihr mir denn nicht, Herr Direkteur?
Steige unverzagt hier in mei - nen Wagen hinein, wir wollen nachher Deine Kleider trocknen.
Das war ein grauſames Meer - treffen.
Wir koͤnnen nun auch ausſteigen, denn der Triumph iſt unſer.
Herr Neptun! ich habe in der Hitze der Schlacht meine koſtbare Admiralskappe verloren; wie ſoll das werden?
Ich will in den Grund des Meers hinunterfahren und ſie ſuchen.
Soldaten, ſteigt ans Land!
Zwei von meinen Schiffen ſind in den Grund gebohrt, der Schade iſt ganz un - erſetzlich.
Hier iſt die Muͤtze, Pantalon, nehmt ſie kuͤnftig beſſer in Acht. Ihr ſeid uͤberhaupt liederliches Geſindel, es liegen da noch ſehr viele Theaterrequiſite herum, wer hat am Ende den Schaden davon, als ich?
Bei einer Bataille kann man nicht ſo haarſcharf auf alles Acht geben.
349Die verkehrte Welt.Ich habe lange keinen ſo an - genehmen Spaziergang gemacht. — Was iſt das da?
Das Meer, mein Koͤnig.
Das Meer? — Sieh, ich habe ein Meer in meinem Lande, und weiß kein Wort davon. — Und wer ſeid Ihr?
Euer getreuſter Unterthan, der Admiral Harlekin, der ſo eben den großen feindli - chen Admiral Pantalon uͤberwunden hat.
Ich weiß von Euch allen nichts. Alſo hat meine Flotte den Sieg davon getragen?
Allerdings.
Aber, Kerle, warum ſagt Ihr mir nichts davon, daß dergleichen in meinen Staa - ten vorgeht?
Es waͤre ſchaͤdlich, wenn Ew. Majeſtaͤt fuͤr alles ſorgen wollten.
Nun das hat ſeine Richtigkeit. Und Du biſt alſo mein Feind?
Ihnen aufzuwarten, mein Koͤnig.
Bei welchem Koͤnige dienſt Du denn?
Ihro Majeſtaͤt, ich habe den Namen vergeſſen, und der thut ja doch auch nichts zur Sache. Jeder Menſch hat ſeine Feinde, und ſo geht es Ihnen auch. Genug, wir ſind beſiegt, und die Ruhe in Ihrem Reiche iſt wieder hergeſtellt.
Was iſt denn das fuͤr ein Kerl da in der See?
Das iſt der Meergott, Neptun.
Herr Skaramuz, Sie vergeſſen ſich zu ſehr, das muß ich Ihnen ſagen. Ihr Hoch - muth uͤberſteigt beinah alle Graͤnzen. Kennen Sie mich, Ihren Direkteur Wagemann nicht mehr?
Ich erinnere mich ganz dun - kel eines ſolchen Namens.
Ich habe Ihnen zu befehlen, mein Herr.
Mir zu befehlen?
Nun, warten Sie nur den letzten Akt ab, ſo ſollen Sie es ſchon gewahr werden; ich mag jetzt das Schauſpiel nicht ſtoͤren, aber ich bin im Stande, und gebe Ihnen den Abſchied.
Mir den Abſchied? Einem Koͤ - nige den Abſchied? Nun, hoͤrt nur, Leute, welche revolutionaire Geſinnungen der Waſſernix da von ſich giebt. Mein Herr Neptun, oder wer Sie ſeyn moͤgen, ich verſpreche Ihnen, daß Sie gar keinen letzten Akt erleben ſollen.
Wir ſprechen uns ſchon wieder.
Wo iſt der Kerl geblieben?
Es iſt verſunken.
Wie