PRIMS Full-text transcription (HTML)
Lovell
William Lovell.
We make ourselves fools, to disport ourselves; And spend our flatteries, to drink those men, Upon whose age we roid it up again, With poisonous spite, and envy. Who lives, that’s not Depraved, or depraves? who dies, that bears Not one spurn to their graves of their friend's gift?
Shakspeare
Erſter Band.
Berlin und Leipzig,beyCarl Auguſt Nicolai.1795.
[1]

Vorrede.

Ich will und kann hier nur wenig ſagen. Dieſe Geſchichte hat vielleicht fuͤr diejenigen Leſer einiges Intereſſe, die in einer Erzaͤh - lung die Karaktere und ihre beſtimmte Zeichnung fuͤr die Hauptſache halten: dieje - nigen, die ſich daran gewoͤhnt haben, nur abentheuerliche, unzuſammenhaͤngende Bege - benheiten anziehend zu finden, werden dieſes Buch verdruͤßlich aus der Hand werfen. Ich wende mich hier vorzuͤglich an alle die[2] Leſer, die irgend einen Beruf zum Recenſi - ren fuͤhlen, um ſie zu erſuchen, dieſer Ge - ſchichte, die in drey Theilen erſcheinen wird, nicht bloß nach dieſem erſten ein Ver - dammungsurtheil zu ſprechen.

[3]

Geſchichte des Herrn William Lovell.Erſtes Buch.

A 2[4][5]

1. Karl Wilmont an ſeinen Freund Mortimer in London.

Wie koͤmmt es denn in aller Welt, daß Du nicht ſchreibſt? Hundert Muthmaßungen ſind mir ſchon durch den Kopf geflogen, aber auch nicht eine hat eine bleibende Stelle finden koͤn - nen. Bald halt ich Dich fuͤr todt, bald fuͤr ver - reiſt, bald glaub ich Dich irgend wodurch er - zuͤrnt zu haben, bald Deine Briefe auf der Poſt verloren. Doch, wie geſagt, von allem kann ich nichts glauben. Oder biſt Du etwa auch ein Ueberlaͤufer geworden und haſt zur ſchwarzen Fahne der traurigen, langweiligen Ernſthaftigkeit geſchworen? Es ſollte mir leid um Dich thun; aber wenn Du mir nicht launige Briefe ſchrei - ben willſt, ſo ſchicke mir wenigſtens ernſthafte: doch, wie geſagt, ich will es nicht von Dir hof -6 fen, denn du biſt wie dazu geboren, aus Deinem ganzen Leben einen Scherz zu machen und in der Laune, wie in Deinem Elemente zu leben. Ich habe noch bei Niemand dieſe gluͤckliche Miſchung des Temperaments gefunden, die ihn mit vollen Seegeln uͤber die tanzenden Wellen hinfuͤhrt, indeß ihm die zeitlichen Sorgen ſchwer, unbeholfen und mit zerriſſenem Thauwerk nach - rudern, ohne ihn jemals einzuholen. Ich ſchreibe Dir dieſen Brief als eine[Bittſchrift], oder als eine Kriegserklaͤrung, antworte mir freundſchaftlich oder ergrimmt, nur ſchreib! Sei traurig, wehmuͤthig, großherzig, kriege - riſch, luſtig, ernſthaft; lobe, tadle, verachte, ſchimpfe mich, nur ſchreib!

Nach dieſer pathetiſchen Anrufung bleibt mir nun nichts weiter uͤbrig, als meinen eigentlichen Brief anzufangen, der Dir alſo vor’s Erſte ſagen mag, daß ich hier in dem angenehmen Bonſtreet noch geſund und wohl bin, daß ich an Dich denke, daß ich Dich zu ſehn wuͤnſche, daß Lon - don nicht Bonſtreet und Bonſtreet nicht London iſt, und daß, wenn ich dieſen Brief in dieſer Manier zu ſchreiben fortfahre, Du ihn ſchwer - lich zu Ende leſen wirſt.

7

Nicht wahr, Du ſiehſt mir das langweilige Leben hier auf dem Lande ſchon an? So ab - getrieben war mein Witz nicht, als ich in Euren luſtigen Geſellſchaften in London war, wo Wein,[Geſang], Tanz und Kuͤſſe von den reizendſten Lippen uns begeiſterten, wo unſre Laune mit ſechs muntern Pferden uͤber die ebne Chauſſee des Leichtſinns und der Vergeſſenheit aller Wich - tigkeiten und Armſeeligkeiten dieſes Lebens da - hinrollte, nun, wir werden uns wiederſehn! Hier komm ich mir vor wie eine Schnecke, die nur immer furchtſam mit halbem Leibe ihre Be - hauſung verlaͤßt und langſam und ſchwerfaͤllig von einem Grashalme zum andern kriecht; zwar iſt die Gegend ſehr ſchoͤn, der Garten an - genehm, auch veranſtaltet uns der Himmel man - chen praͤchtigen Sonnenuntergang, aber was iſt eine Gegend, ſei ſie noch ſo ſchoͤn, ohne Freunde, die unſre Freuden mit genießen? nichts als ein Rahm ohne Gemaͤhlde: wir ſehn nur die Veranlaſſung, die uns vergnuͤgen koͤnnte. So leb ich hier einen Tag fort, wie den andern, zuweilen bekommen wir[Beſuche] und erwiedern ſie, und ſo leben wir im Ganzen nicht unange - nehm. Wenn nur das ewige Einerlei nicht waͤre!

8

Mein beſtaͤndiger Geſellſchafter iſt William Lovell, der lebhafte, muntre Juͤngling, den Du im vorigen Jahre einigemahl in London ſahſt, er iſt zum Beſuche ſeines[Buſenfreundes] Eduard Burton hier. William iſt ein vortreflicher junger Mann, der mir noch viel theurer ſeyn wuͤrde, wenn er nur einmal erſt neben mir feſten Fuß faſſen wollte; aber er gedeiht in keinem Boden. Kein Adler ſteht mit dem Aether und allen himmliſchen Luͤften in ſo gutem Ver - nehmen, als er; oft fliegt er mir ſo weit aus den Augen, daß ich ganz im Ernſte an den armen Ikarus denke, mit einem Wort: er iſt ein Schwaͤrmer. Wenn ein ſolches Weſen einſt fuͤhlt, wie die Kraft ſeiner Fitti - ge erlahmt, wie die Luft unter ihm nach - giebt, der er ſich vertraute, ſo laͤßt er ſich blindlings herunterfallen, ſeine Fluͤgel werden zerknickt und er muß nachher in Ewigkeit kriechen.

Es mag an feuchten Abenden, beſonders fuͤr einen Mann im Amte, recht angenehm ſeyn, einen weiten warmen Mantel zu tragen, aber wenn man ihn nie ablegen ſollte, wenn man ihn zum Schlafrocke und zum Jagdkleide brauchen9 muͤßte, ſo moͤcht ich dafuͤr lieber beſtaͤndig in meinem ſchlichten Fracke gehn. Der Trank der Hippokrene mag ein ganz gutes Waſſer ſeyn, aber ſich den Magen damit zu erkaͤlten und ein Fieber zu bekommen, kann doch ſo etwas beſon - ders Angenehmes nicht ſeyn. Es giebt aber Leute, die ſich fuͤr die entgegengeſetzte Meinung todtſchießen ließen; und unter dieſen ſteht Wil - liam wahrhaftig nicht im letzten Gliede. Wir haben ſehr oft unſre kleinen Disputen daruͤber, und was das ſchlimmſte iſt, ſo werd ich jedes - mahl aus dem Felde geſchlagen; aber ganz na - tuͤrlich, denn wenn ich etwa nur Luſt habe, mit leichter[Reiterei] zu ſcharmuziren, ſo ſchießt er mir mit Vier und zwanzigpfuͤndern unter meine beſten Truppen: wenn ſich zuweilen nur ein paar Huſaren von witzigen Einfaͤllen an ihn machen wollen, ſo ſchleppt er mit einemmahle einen ganzen Train ſchwerer Allgemeinſaͤtze herbei, als: Lachen ſei nicht der Zweck des Lebens, unauf - hoͤrliche Luſtigkeit ſetze einen Mangel aller feinern Empfindung voraus, u. ſ. w. Oder er zieht ſich unter die Kanonen ſeiner Veſtung, ſeufzt und antwortet gar nicht.

Du wirſt gewiß fragen: was den unbefange -10 nem, leichtherzigen William zu einem ſo ſchwer - muͤthigen Traͤumer gemacht habe? Ich will Dir die Urſache entdecken, ob er gleich gegen ſich ſelbſt geheim damit thut, er iſt verliebt! Liebe, die den Menſchen froher, gluͤcklicher ma - chen, die ſeinen Ellenbogen einen Centner Kraft zuſetzen ſollte, um alle Sorgen aus dem Wege auf die Seite zu ſtoßen: die Liebe, o Himmel! was hat die Liebe nicht ſchon in der Welt Boͤſes gethan?

Wenn noch irgend ein Stuͤck von dem ehe - maligen Mortimer an Dir iſt, ſo wett ich, Du wirſt wiſſen wollen, wer denn die allmaͤchtige Sonne ſei, die mit ihren brennenden Strahlen das Herz des armen William, Niemand an - ders, als meine Schweſter. Sie hat ge - wiß ſeine Liebe bemerkt, aber er ſcheint es nicht bemerkt zu haben, daß ihr dieſe Bemer - kung nicht mißfallen hat, denn es fehlt nur we - nig, ſo liebt ſie ihn wieder. Es giebt die laͤ - cherlichſten Scenen, wie er ihr oft im Garten ausweicht und ſie aͤmſig in der naͤchſten Allee wieder ſucht, wie ſie Stunden lang mit einan - der zubringen, ohne faſt nur eine Sylbe zu ſpre - chen; wie er ſeufzt und ſich wunder wie un -11 gluͤcklich fuͤhlt, daß ſie ſich ihm nicht freiwillig in die Arme wirft; um kurz zu ſeyn: er iſt un - gluͤcklich, weil er gluͤcklich iſt, aber auch wie - der gluͤcklich, weil er an Ungluͤck Ueberfluß hat, denn glaube mir nur, er wuͤrde ſeine poetiſchen Leiden um vieles Geld nicht verkaufen.

Ploͤtzlich kam die Nachricht: meine Schwe - ſter ſolle von hier abreiſen. Ihr Beſuch bei mir und beim alten Burton war ſo immer ſchon von einer Woche zur andern verlaͤngert; der Barometer ſtieg um viele Grade und immer mehr, je naͤher es dem Tage der Abreiſe kam. Faſt Jedermann bemerkte ſeine Schwermuth, er behauptete aber jedem mit einer kecken verdroſ - ſenen Traurigkeit in’s Geſicht: er waͤre noch nie ſo aufgeraͤumt geweſen. Er machte ſich itzt zu - weilen an mich und ging auf den Spatziergaͤngen lange neben mir auf und ab; ich fuͤrchtete im - mer, ploͤtzlich in die Rolle eines Vertrauten ge - worfen zu werden, und unter Bedrohung des Todtſchlages, des Untergangs der Welt, oder einer aͤhnlichen Kleinigkeit, ein oͤffentliches Ge - heimniß zu erfahren; aber nein, ich hatte geirrt, dazu haͤtt ich wenigſtens vorher mein Probeſtuͤck in Seufzen und Weinen ablegen muͤſſen. Mit12 einer ſo erzwungenen Kaͤlte, daß ihm faſt die Thraͤnen in den Augen ſtanden, fragte er mich: ob ich meine Schweſter nicht zu Pferde beglei - ten wuͤrde? nun merkte ich, wo er hinaus wollte. Er wuͤnſchte, ich moͤchte meine Schwe - ſter einige Meilen begleiten, damit er einen Vor - wand haben koͤnnte, mitzureiten. Es hat mich wirklich geruͤhrt, daß ihm an dieſer Kleinigkeit ſo viel lag, er iſt ein ſehr guter Junge, ich ſagte ſogleich ja, und bat ihn ſelbſt, um ſeine Geſellſchaft. Morgen reiten wir alſo.

Sind die Menſchen nicht naͤrriſche Geſchoͤpfe? Wie manches Ungluͤck in der Welt wuͤrde ſich nicht ganz aus dem Staube machen und ſein Monument bis auf die letzte Spur vertilgt wer - den, wenn nicht jeder ſorgſam ſelbſt ein Stein - chen oder einen Stein auf die große Felſenmaſſe wuͤrfe, bloß um ſagen zu koͤnnen: er ſei doch auch nicht muͤßig geweſen, er habe doch das Seinige auch dazu beigetragen? Gingen wir ſtets mit uns ſelbſt gerade und ehrlich zu Werke, ließen wir uns nicht ſo gern von kraͤnklichen Einbildungen hintergehn, glaube mir, die Welt waͤre viel gluͤcklicher und ihre Bewohner viel13 beſſer. Aber denkſt Du, daß ich es wage, ihm ſo etwas zu ſagen? Nie. Sonderbar, daß ein Menſch vorſetzlich einſchlafen kann und ſich nachher nicht aus ſeinen Traͤumen will wek - ken laſſen, weil er ſich ſchon wachend glaubt, und ihn mit kaltem Waſſer zu begießen, halt ich fuͤr grauſam.

Du ſiehſt, wie mir die Landluft bekoͤmmt, ich, ich fange an zu moraliſiren, doch, auch das gehoͤrt unter die menſchlichen Schwaͤchen und irgend eine Abgabe zur allgemeinen Kaſſe der Menſchlichkeit muß doch jeder brave Erd - buͤrger einreichen.

Gott ſchenke Dir ein recht langes Leben, da - mit ich mir keinen Vorwurf daraus zu machen brauche, daß ich Dir durch einen langen Brief ſo viel von Deiner Zeit genommen habe; doch willſt Du mein Freund bleiben, ſo ſoll es mich eben nicht ſehr gereuen, noch hinzuzuſetzen, daß ich bin

der Deinige.

Nachſchrift. So eben leſe ich meinen Brief noch einmal durch und bemerke mit Schrek - ken, daß ich Dir einen Buͤndel Stroh ſchicken,14 in welchem Du, mit Shakſpear zu reden, auch nicht ein einziges Korn finden wirſt. Ich ſetzte mich nehmlich nieder, Dir zu ſchreiben, daß mei - ne Schweſter nach London zuruͤckgeht und daß Du ſie nun alſo kannſt kennen lernen; daß ich nicht nach London reiſe, weil es der alte Bur - ton eben ſo ungern als ſein Sohn ſehen wuͤrde, der alte Mann ſcheint an meiner Geſellſchaft Geſchmack zu finden, und wer weiß, ob ich es auch außerdem gethan haben wuͤrde.

Wie ſo? hoͤr ich dich fragen. Koͤnnt ich nun den Brief nicht ſchließen und Dich mit Deiner Frage im offnen Munde ſtehn laſſen und das Petſchaft beſehn? Haͤtteſt Du nicht Ge - legenheit, in einem Briefe an mich Deinen Scharf - ſinn zu zeigen und mir tauſend Erklaͤrungen zu ſchicken, ohne auch nur der wahren mit einer Sylbe zu erwaͤhnen?

Der junge Burton, (der wirklich ein vor - treflicher Juͤngling iſt; Schade, daß ich zeitlebens nicht ſo ſeyn werde) der junge Burton alſo hat eine Schweſter, die zugleich die Tochter des Alten iſt

Sei nur ruhig, ich werde nie in die Grube fallen, die ſich Lovell gegraben hat!

17[15]

Ich habe mir ernſthaft vorgenommen, daß es keine Liebe werden ſoll, denn, ſieh, wie ſchoͤn das zuſammenhaͤngt! denn mein Ver - moͤgen iſt gegen das ihrige viel zu geringe.

Du lachſt? Und wuͤrde die Welt nicht uͤber Dich lachen, wenn Du den Zuſammenhang hier vermißteſt?

Auch William Lovell koͤmmt naͤchſtens nach London, und darum bilde Dir ein, daß ich ſo - viel von ihm geſchrieben haben koͤnnte.

Ich bin noch einmahl, (denn ſo etwas kann man nicht zu oft ſeyn) Dein zaͤrtlichſter Freund.

Karl Wilmont.

Lovell, I. Bd. B18[16]

2. William Lovell an Eduard Burton.

Ich ſchreibe Dir, Eduard, aus einem Wirths - hauſe hinter York, es iſt Nacht und Karl ſchlaͤft im Nebenzimmer, alles umher iſt feier - lich und ſtill, die Klocke eines entfernten Dorfes toͤnt manchmal wie Grabgelaͤute zu mir her - uͤber.

Einſam ſitz ich hier, wie ein Elender, der aus einem goldenen Traume in ſeiner engen Huͤtte erwacht. Die ſchmelzenden Accorde der Symphonie ſind geſchloſſen, das Theater iſt zugefallen, ein Licht nach dem andern verloͤſcht. In dieſem Gefuͤhle ſchreib ich Dir, Freund, Bruder, meine Seele ſucht Theilnahme und fin - det ſie bei Dir am reinſten und waͤrmſten.

Ich bin nie ſo aufmerkſam als in dieſen Au - genblicken darauf geweſen, wie von einem kleinen Zufalle, von einer unbedeutenden Kleinigkeit oft die Wendung unſers Charakters abhaͤngt. Ein unmerklicher Schlag richtet und formt unſern Geiſt oft anders; wer kennt die Regeln, nach19[17] denen unſer ſchuͤtzender Genius umgewechſelt wird? Eduard, eine dunkle, ungewiſſe Ahn - dung hat mich befallen, als ſei hier, in dieſen Momenten eine der Epochen meines Lebens, mir iſt, als ſaͤh ich meinen guten Engel weinend von mir Abſchied nehmen, der mich nun unbe - wacht dem Spiel des Verhaͤngniſſes uͤberlaͤßt, als ſei ich in eine dunkle Wuͤſte hinausgeſtoßen, wo ich unter den daͤmmernden Schatten halb ungewiſſe feindſelige Daͤmonen entdecke.

Ja Eduard, ſpotte nicht meiner Schwaͤche, ich bin in dieſen Augenblicken aberglaͤubig wie ein Kind, Nacht und Einſamkeit haben meine Phantaſie geſpannt, ich blicke wie ein Seher in den tiefen Brunnen der Zukunft hinab, ich neh - me Geſtalten wahr, die zu mir emporſteigen, freundliche und ernſte, aber ein ganzes Heer furchtbarer Gebilde. Der ebne Faden meines Lebens faͤngt an, ſich in unaufloͤsliche Knoten zu verſchlingen, uͤber deren Aufloͤſung ich vielleicht vergebens meine Exiſtenz verliehre.

Bis itzt iſt mein Leben ein ununterbrochener Freudentanz geweſen, kindlich habe ich meine Jahre verſcherzt und mich lachend der fluͤchtigen Zeit uͤberlaſſen, in der hellen Gegenwart genoßB 220[18]ich und weidete mich an Traͤumen einer golde - nen Zukunft, in der gluͤcklichſten Beſchraͤnktheit liebt ich Gott wie einen Vater, die Menſchen wie Bruͤder und mich ſelbſt als den Mittelpunkt der Schoͤpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohlthaten ziele. Itzt ſteh ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernſter Grauſamkeit verwieſen wer - de, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden, und werd ich gluͤcklicher ſeyn, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zuruͤckkehre?

Und hab ich denn ein Recht uͤber mein Un - gluͤck zu klagen? und bin ich wirklich ungluͤck - lich? Liebt mich denn Amalie, iſt ſie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zaͤrtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich ſpre - che von Elend? Wozu dieſer Eigenſinn, daß ich mir einbilde, nur ſie ſei meine Seeligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwaͤche wider - ſtehn, aber Sehnſucht und Wuͤnſche ſind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schickſal rechten, aber Klagen ſind der Schwaͤche des Menſchen vergoͤnnt; wer noch nie ſeufzte, hat noch nie verlohren.

21[19]

Wie ein Gewicht druͤckt eine aͤngſtliche Be - klemmung meine Bruſt, wenn ich an die weni - gen gluͤcklichen Tage in Bonſtreet zuruͤckdenke und damit die lange, lange freudenleere Zukunft vergleiche. Die Liebe zog mich an’s Licht, das Morgenroth ſchwang durch den Himmel ſeine purpurrothe Fahne, alle Berge umher gluͤhten und flammten im freudenreichen Scheine, itzt iſt die Sonne wieder untergeſunken, eine oͤde Nacht umfaͤngt mich. Ich habe meinen lieben Gefaͤhrten verlohren und rufe durch den dunkeln Wald vergeblich ſeinen Nahmen, ein holes Echo wirft mir ihn ohne Troſt zuruͤck, die weite einſame Leere kuͤmmert ſich nicht um meinen Jammer. Ein ſchneidender Wind blaͤſt ſcha - denfroh uͤber mein Haupt dahin und ſchuͤttelt das letzte Laub von den Baͤumen.

Schwarz war die Nacht und dunkle Sterne brannten
Durch Wolkenſchleier matt und bleich,
Die Flur durchſtrich das Geiſterreich,
Als feindlich ſich die Parzen abwärts wandten
Und zornge Götter mich ins Leben ſandten.
Die Eule ſang mir grauſe Wiegenlieder
Und ſchrie mir durch die ſtille Ruh
Ein gräßliches: Willkommen! zu.
22[20]
Der bleiche Gram und Jammer ſanken nieder
Und grüßten mich als längſt gekannte Brüder.
Da ſprach der Gram in banger Geiſterſtunde:
Du biſt zu Quaalen eingeweiht,
Ein Ziel des Schickſals Grauſamkeit,
Die Bogen ſind geſpannt und jede Stunde
Schlägt grauſam dir ſtets eine neue Wunde.
Dich werden alle Menſchenfreuden fliehen,
Dich ſpricht kein Weſen freundlich an,
Du gehſt die wüſte Felſenbahn,
Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,
Und nimmer matt der Sonne Strahlen glühen,
Die Liebe, die in allen Weſen klingt,
Des Erdenglükkes ſchönſte Freuden,
Die Götter ſelbſt dem Menſchen neiden,
Durch die er ſich zum höchſten Äther ſchwingt,
Vermeſſen mit dem Glück des Himmels ringt
Die Liebe ſei auf ewig dir verſagt.
Das Thor iſt hinter dir geſchloſſen,
Auf der Verzweiflung wilden Roſſen
Wirſt du durch’s öde Leben hingejagt,
Wo keine Freude dir zu folgen wagt.
Dann ſinkſt du in die ewge Nacht zurück,
Sieh tauſend Elend auf dich zielen,
Im Schmerz dein Daſein nur zu fühlen!
Nur erſt im ausgelöſchten Todesblick
Begrüßt voll Mitleid dich das erſte Glück.
23[21]

Ich komme mir in vielen Momenten wie ein Kind vor, welches jammert, ohne ſelbſt zu wiſ - ſen, woruͤber. Ich komme ſo eben von einem kleinen Spatziergange aus dem Felde zuruͤck: der Mond zittert in wunderbaren Geſtalten durch die Baͤume, der Schatten flieht uͤber das Feld und jagt ſich hin und her mit dem Scheine des Mon - des; die naͤchtliche Einſamkeit hat meine Gefuͤhle in Ruhe gewiegt, ich ſehe mich und die Welt gemaͤßigter an und kann itzt mein Ungluͤck nur in mir ſelber finden. Ich ahnde eine Zeit, in welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie leere kindiſche Traͤume vorſchweben werden, wo ich mitleidig uͤber dieſen Drang des Herzens laͤchle, der itzt meine Quaal und Seeligkeit iſt, und ſoll ich es dir geſtehn, Eduard? Dieſe Ahndung macht mich traurig. Wenn dieſes gluͤhende Herz nach und nach erkaltet, dieſer Funke der Gottheit in mir zur Aſche ausbrennt und die Welt mich vielleicht verſtaͤndiger nennt, was wird mir die innige Liebe erſetzen, mit der ich die Welt umfangen moͤchte? Die Vernunft wird die Schoͤnheiten anatomiren, deren holder Einklang mich itzt berauſcht: ich werde die Welt und die Menſchen mehr kennen, aber ich werde24[22] ſie weniger lieben, ſobald man die Aufloͤſung zum ſinnreichſten Raͤthſel gefunden hat, erſcheint es abgeſchmackt.

Mein Brief ſcheint mir itzt uͤbertrieben, ich moͤchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich ſelbſt, aber nein, ich will mir meine Beſchaͤ - mung vor Dir nicht erſparen. Ich will Dir daher auch geſtehen, daß, indem ich ſchrieb, eine Art von Troſt fuͤr mich in dem Bewußtſeyn lag, daß ich auch Dich nun bald verlaſſen muͤſſe; dadurch ſchien mir meine Bitterkeit gegen mein Schickſal gerechtfertigt. Doch itzt ſind alle dieſe Traͤume verſchwunden, itzt fuͤhl ich es innig, daß Du meiner Exiſtenz unentbehrlich biſt, aber eben ſo tief empfind ich es auch, daß mir das Andenken an Amalien nie wie ein truͤber Traum erſcheinen wird, in einem Momente nur konnte mich dieſe Ahndung hintergehn, ihre Gegen - liebe wuͤrde mich zum Gott machen! Nie wer - de ich den Blick vergeſſen, mit dem ſie mich ſo oft betrachtet hat, die holdſeelige Guͤte, mit der ſie zu mir ſprach, alles, alles hat ſich ſo in alle meine Empfindungen verflochten, ſo innig bis an meine fruͤhſten Erinnerungen ge - reiht, daß ich nichts davon verliehren kann,25[23] ohne an Gluͤck zu verliehren. Ach, Eduard, wenn ſie mich liebte! Mein volles Herz will vor Wehmuth bei dem Gedanken zerſpringen, wenn ſie mich liebte, warum bin ich dann nicht an ihren Buſen geſunken, warum ſitz ich dann hier und ſchreibe nieder, was ich em - pfinde und empfinden koͤnnte? Als der freie Platz im Walde kam, wo wir Abſchied nehmen wollten, alle Baͤume und Huͤgel ſchwankten um mich her, eine unbeſchreibliche Angſt draͤngte und wuͤhlte in meinem Buſen, der Wagen wollte halten, ich ließ ihn weiter fahren und ſo immer in Gedanken von einem Baume zum an - dern fort, immer noch eine kurze Friſt gewon - nen, in der ich ſie ſah, in der ich den Klang ihrer Stimme hoͤrte, endlich ſtand der Wa - gen. Wir ſtiegen ab. Sie umarmte ihren Bruder lange Zeit, ich nahte mich zitternd, ich wuͤnſchte dieſen Augenblick im Innerſten mei - nes Herzens voruͤber, ſie neigte ſich mir ent - gegen, ich ſchwankte und ſahe ſie an, ich war im Begriffe in ihre Arme zu ſtuͤrzen, ich bog mich ihr entgegen und kuͤßte ihre Wan - ge, eine eiſige Kaͤlte uͤberflog mich, der Wagen rollte fort.

26[24]

Bei einer Waldecke ſah ſie noch einmahl mit dem holden goͤttlichen Blicke zuruͤck, o mir war’s, als wuͤrd ich in ein tiefes unterirrdiſches Gefaͤngniß geſchleppt.

Warum hab ich ihr nicht geſagt, wie viel ſie meiner Seele ſei? Wenn ich ihren letzten Blick nicht mißverſtand, war es nicht Schmerz, Traurigkeit, die daraus ſprachen? aber viel - leicht fuͤr ihren Bruder? Aber die Innigkeit, mit der ſie mich betrachtete? O, eine ſchreck - liche Unruhe jagt das[Blut] ungeſtuͤmer durch meine Adern!

Itzt ſchlaͤft ſie vielleicht. Ich muß ihr im Traume erſcheinen, da ich ſo innig nur ſie, nur ſie einzig und allein denken kann. Bald koͤmmt ſie nun in London an, macht Bekanntſchaften und erneuert alte, man ſchwatzt, man lobt, man vergoͤttert ſie, ſchmeichleriſche Luͤgner ſchleichen ſich in ihr Herz und ich bin vergeſſen! Kein freundlicher Blick wendet ſich zu mir in der nuͤchternen Einſamkeit zuruͤck, ich ſtehe dann da in der freudenleeren Welt, einer Uhr gleich, auf welcher der Schmerz unaufhoͤrlich denſelben langſamen einfoͤrmigen Kreis beſchreibt.

Karl laͤchelte als wir zuruͤckritten. Ich haͤtte27[25] weinen moͤgen. O, warum muͤſſen denn Men - ſchen ſo gern uͤber die Schmerzen ihrer Bruͤder ſpotten? Wenn es nun auch Leiden ſind, von denen ſie keine Vorſtellung haben, oder die ſie fuͤr unvernuͤnftig halten, o ſie druͤcken darum das Herz nicht minder ſchwer. Ich bedurfte Mitleid, ein empfindendes Herz, und ein ſpot - tendes Laͤcheln, eine kalte Verachtung, o Eduard, mir war als klopft ich im Walde ver - irrt an eine Huͤtte und nichts anwortete mir aus dem verlaſſenen Hauſe, als ein leiſer, oͤder Wiederhall.

Lebe wohl. Ich will itzt gleich auf einige Tage meine Tante Buttler in Waterhall beſuchen, gruͤße Deine liebe Schweſter und verzeih mir meine Schwaͤche; doch ich kenne ja Dein Herz, das alle Leiden der Menſchheit mit - empfindet, uͤber nichts ſpottet, was den Muth des ſchwaͤchern Bruders erſchuͤttert, der ſich mit den Froͤhlichen freut und mit den Weinenden weint. Lebe wohl.

28[26]

3. Der alte Willy an ſeinen Bruder Thomas, Gaͤrtner in Waterhall.

So wie ich’s vernommen, ſo haͤlt ſich ja jetzt mein lieber junger Herr auf deinem Gute auf. Bewirthe ihn recht ordentlich und ich will es anſehen, als waͤre es dem alten Willy geſchehn. Er iſt alſo, wie geſagt, entweder ſchon da, oder er wird noch hinkommen, zu Pferde ſaß er wenigſtens ſchon vorgeſtern und das ſo huͤbſch und geſchickt, als nur ein Menſch in den drei Koͤnigreichen zu Pferde ſitzen kann, der ein Frauenzimmer begleiten will, die in einer Chaiſe nach London fuhr. Wie geſagt, Fraͤulein Mal - chen iſt vorgeſtern alſo auch abgereiſt. So wirds nun nach und nach bei uns leer, aber der luſtige Herr Wilmont iſt geſtern ſchon mit ſeinem Schim - mel zuruͤckgekommen, er war ordentlich etwas muͤde und hatte nebenher ein Eiſen verlohren.

Der alte Toby hier im Dorfe iſt nun endlich wirklich geſtorben, von dem wir es immer ſchon vor 20 Jahren zuſammen prophezeihten, und29[27] ich dachte dabei an Dich, guter Tom, denn Du biſt faſt eben ſo alt, als er nun geweſen iſt, aber ich hoffe, Gott wird Dir noch einmal einen kleinen Vorſchuß thun, wie vor zehn Jahren, als Du die große Krankheit hatteſt, und ich immer des Nachts ſo viel fuͤr Dich beten muß - te. Dafuͤr rechne ich nun aber auch auf Dich, was das Beten anbetrifft, vollends da ich nun bald in fremde Laͤnder komme, wo man meine Sprache nicht mehr verſteht.

Ja, lieber Tom, Du kannſt Dich immer wundern, ging es mir doch um kein Haar beſſer und ich hatt es doch ſchon vorher gewußt. Ich ſoll mit meinen alten Augen noch fremde Laͤnder ſehn, Italien, Frankreich, je nun, wenn’s nur nicht in die Tuͤrkei iſt, ſo lange ich noch Religionsverwandte antreffe, denk ich im - mer noch unter guten Freunden zu ſeyn, wo aber die Tuͤrken angehn, da iſt es mit der Freund - ſchaft aus, denn wer nicht meinen Gott liebt, der kann auch mich nicht lieben, ſie ſollen a part einen Gott ganz fuͤr ſich haben, und des Brod ich eſſe, des Lied ich ſinge.

Wenn ich aber meinen lieben Bruder nicht wiederſehn ſollte? Denn der Herr William ſprach30[28] da ſo etwas von ein Paar Jahren, die die Reiſe koſten wuͤrde; (das Geld abgerechnet) Ja, wollt ich nur ſagen, wenn ich nun ſo wieder kaͤme und haͤtte die ganze Welt geſehn, was haͤlf es mir, wenn ich meinen[Bruder] Tom nicht mehr ſehen koͤnnte? Mir war ſchon immer, als ſaͤh ich ein ſchwarzes Kreuz auf einem gruͤnen Huͤgelchen da in der Ecke des Kirchhofs ſtehn, wo der große Nußbaum gewachſen iſt, und Deinen Nahmen Thomas, mit großen Buchſta - ben darauf, ſo recht als mir zur Kraͤnkung; o lieber Bruder, ich wuͤrde lieber wuͤnſchen mit Dir hinterm Ofen geſeſſen zu haben, um uns vom Schottiſchen Kriege zu erzaͤhlen. Da - rum beſuche mich, ich haͤtte geſtern faſt geweint, und das ſchickt ſich doch nicht, Thomas, fuͤr ſo einen alten Mann. Nicht wahr, darinn giebſt Du mir Recht?

Vom Gelde ſprich nicht wieder. Du biſt ja mein Bruder, wir ſind ja alte Maͤnner; koͤnnt ich Dir mit aller meiner Armſeeligkeit noch Le - ben ankaufen, frage nicht, ob ich’s thaͤte. Komm nach Bonſtreet, oder laß Dich herfahren, denn Deine Fuͤße ſind in dem Alter nicht mehr zum Gehn gebohren. Das Geld iſt Dein, Du31[29] biſt lange krank geweſen, und mein Herr giebt mir immer mehr als ich brauche. Wie kann ein Bruder dem andern etwas ſchuldig ſeyn? Gott ſind wir alles ſchuldig, und der behuͤte Dich deswegen.

Willy, Dein Bruder bis ewig.

4. Eduard Burton an William Lovell.

Ich vermuthe, daß Du einige Tage in Water - hall bleiben wirſt und darum ſchick ich Dir die - ſen Brief, der geſtern angekommen iſt. Sei mein Freund, mehr kann ich Dir nicht ſagen, und wenn Du es biſt, ſo ſei heitrer, kaͤlter. Ich fuͤge nichts mehr hinzu, denn Du biſt in einer Lage, in der Du mich faſt mißverſtehen mußt; koͤnnteſt Du mich ganz verſtehen, ſo waͤre uͤberdies alles uͤberfluͤßig, was ich Dir ſagen koͤnnte. Vergiß aber nie, daß Dein Wohl meinem Herzen naͤher liegt, als mein eigenes.

Eduard Burton.

32[30]

5. Der alte Lovell an ſeinen Sohn.(Einlage des vorigen.)

Du haſt lange nicht geſchrieben, lieber William, und daraus ſchließe ich und Deine Mutter, daß es Dir noch immer in den Armen Deines Freun - des und der ſchoͤnen Natur gefalle. Dieſe Jahre, in denen Du lebſt, ſind die Jahre des reizendſten Genuſſes, darum genieße, wenn Du auch etwas von dem vergeſſen ſollteſt, was Du ehemals wußteſt: wenn Dein Verſtand in der ſtillen Betrachtung der Natur und ihrer Schaͤtze bereichert wird, ſo kannſt Du gewiſſe Gedaͤcht - nißſachen indeß als ein Kapital irgendwo unter - bringen und Du bekoͤmmſt ſie nachher mit rei - chen Zinſen zuruͤck. Vielleicht wird dadurch auch Deine Geſundheit ſo ſehr befeſtigt, daß Du nicht, wie ich, von tauſend Unfaͤllen zu leiden haſt, ungehindert koͤnnen dann alle Deine Kraͤfte in der gluͤcklichſten Thaͤtigkeit wirken, wenn der Schwaͤchere erſt von tauſend umgebenden Klei - nigkeiten die Erlaubniß dazu erbitten muß.

Seit33[31]

Seit einigen Tagen bewohne ich ein Land - haus, ganz nahe bei London, daſſelbe, von dem ich Dir ſchon mehrmahls geſchrieben habe, daß ich es vielleicht kaufen wuͤrde. Es liegt ziem - lich angenehm, im Garten hat man eine ſchoͤne Ausſicht, das Haus iſt gut gebaut, ſimpel, aber mit Geſchmack, alles ohne Pracht, aber auch ohne unbequeme baͤuriſche Einfalt. Meine Unpaͤßlichkeiten ſcheinen zuruͤckgeblieben zu ſeyn, ich halte die Luft hier in der Ebene fuͤr reiner und geſunder, als dort auf den Bergen. Meine neuliche Krankheit hat mich aber wieder auf die Zerbrechlichkeit des Lebens aufmerkſam gemacht, ich komme in ein Alter, in welchem man ſich mehr von der Welt zuruͤckzuziehn wuͤnſcht, und einen kleinen lieben Zirkel zu bil - den, in dem ein jeder Gedanke und jedes Ge - fuͤhl bekannt iſt, o lieber William, ich hab es mir ſo ſchoͤn ausgemahlt, was fuͤr ein Leben ich fuͤhren will, wenn Du nun als gebildeter Mann von Deinen Reiſen zuruͤckgekehrt ſeyn wirſt, wie ich dann meine letzten Tage in vol - lem frohen unbefangenen Genuß verleben will; dann will ich von allen Stuͤrmen ausruhn, die ſo oft den Horizont meines Lebens truͤbten, Lovell, I. Bd. C34[32]nur muß ich mich huͤten, dieſen Genuß zu weit hinauszuſchieben, ich muß anfangen mit meinen Stunden zu ſparen, ein Jahr iſt ſchon eine ſehr große Summe fuͤr mich, das der ver - ſchwendende, im Ueberfluſſe frohlockende Juͤng - ling oft ſo gleichguͤltig anſieht. Ich ſah von ohngefaͤhr in den Spiegel, meine Haare fangen wirklich ſchon an grau zu werden, darum wuͤnſcht ich ſehnlich, daß Du Deine Reiſe ſobald als moͤg - lich antreten moͤgeſt, noch fruͤher, als wir neu - lich ausgemacht hatten, antworte mir doch hierauf ſogleich, oder beſuche uns lieber ſelbſt. Fuͤr einen aͤltern Freund zu Deiner Begleitung will ich indeſſen Sorge tragen. Lebe wohl, bis ich Dich wieder an mein Herz druͤcken kann.

Dein Vater, Walter Lovell.

35[33]

9. William Lovell an ſeinen Freund Eduard Burton.

In einigen Tagen komme ich zu Dir zuruͤck, um auf lange Abſchied zu nehmen. Mein Va - ter wuͤnſcht meine Abreiſe aus England fruͤher, er iſt faſt immer krank und ich fuͤrchte wirklich viel fuͤr ihn. Es iſt alſo Kindespflicht, es iſt die Pflicht des Menſchen, daß ich jedem ſeiner Wuͤnſche zuvorkomme, es koͤnnte ſonſt eine Zeit kommen, wo es mich ſehr reuen wuͤrde, nicht ganz ſeine Zaͤrtlichkeit gegen mich erwiedert zu haben. Mein Vater wohnt izt nahe bei Lon - don und Eduard, ich werde ſie wiederſehn! Meine traurigen Ahndungen ſind izt nichts als Traͤume geweſen, uͤber deren Schrecken man beim Aufgange der Sonne lacht. Hofnungen wachen in meinem Buſen auf, ich vertraue der Liebe meines Vaters; wenn ich es nun wagte, ihm ein Gemaͤhlde won dem Gluͤcke zu entwer - fen, wie ich es in ihren Armen genießen werde, wenn ich ihn in das innerſte Heiligthum mei -C 236[34]nes Herzens fuͤhrte und ihm jenes reine und ewige Feuer zeigte, welches der holden Gottheit lodert? Wuͤrde er ſo hart ſeyn, mich von dem Bilde zuruͤckzureiſſen, mir meine ſchoͤnſten Em - pfindungen zu nehmen, die Hallen des Tempels zu ſchleifen, um von den Ruinen eine armſeeli - ge Huͤtte zu erbauen? Aber ich fuͤrchte, mein Vater betrachtet mein Gluͤck aus einem ganz verſchiedenen Standpunkte, er iſt aͤlter und je - nes ſchoͤne Morgenroth der Phantaſie iſt von der Gegend verflogen, er mißt mit dem Maas - ſtabe der Vernunft die Verhaͤltniſſe des Palla - ſtes, wo der juͤngere Enthuſiaſt in einer trunke - nen Begeiſterung anſtaunt, ach Eduard, er berechnet vielleicht mein Gluͤck, indem ich wuͤnſche daß er es fuͤhlen moͤchte, er ſucht mir vielleicht eine frohe Zukunft vorzubereiten und ſchiebt mir ſeine Empfindungen unter; er knuͤpft Verbindungen, um mir Anſehn zu ver - ſchaffen, um mich in der großen Welt empor zu heben, ohne daran[zu] denken, daß ich den laͤnd - lichen Schatten des Waldes vorziehe und in jener großen Welt nur ein unendliches Chaos von Armſeeligkeiten erblicke.

Ich habe hier einige Tage in einer ſuͤßen37[35] Schwermuth verlebt, mir ſelbſt und meinen mannichfaltigen Empfindungen uͤberlaſſen, ich behorchte in mir leiſe die wehmuͤthige Melodie meiner wechſelnden Gefuͤhle, man entdeckt in der Einſamkeit eine Menge von Ideen und Em - pfindungen in ſich ſelbſt, die man vorher nicht wahrgenommen hat, man ſchließt mit ſeiner Seele eine vertrautere Bekanntſchaft: und man iſt auch nicht ganz einſam, es giebt in der Natur keine todte Wuͤſte, alles umher ſprach zu mir und meinem Schmerze. Der Wald ſprach mir mit ſeinem ernſten Rauſchen freund - lichen Troſt zu, die Quellen weinten mit mir. Man kann nirgend verlaſſen wandeln; ſo lange man kein Boͤſewicht iſt, tritt dem leidenden Her - zen die Natur muͤtterlich nach, Liebe und Wohl - wollen ſpricht uns in jedem Klange an, Freund - ſchaft ſtreckt uns aus jedem Zweige einen Arm entgegen.

Itzt lacht der Himmel mit mir in ſeinem hellſten Sonnenſcheine, die Blumen und Baͤume ſtehn friſcher und lieblicher da, das Gras nickt mir am See freundlich entgegen, die Wellen tanzen ans Ufer zu mir heran: ich zweifle itzt, ob mich je eine Empfindung bis zur Ver -38[36] zweiflung fuͤhren koͤnnte, ich glaube, daß dieſe tiefe Schmerz eine unedle Selbſtliebe vorausſetzt die jede Freundſchaft, jede entgegenkommende Liebe zuruͤckſtoͤßt. Ein edler Geiſt traͤgt die ſchwere Buͤrde ſtets mit Anſtand und ohne jene wilden Verzuckungen, die ihn ſich ſelber unaͤhn - lich machen.

Lebe wohl, ich ſehe Dich bald. Lovell.

39[37]

7. Eduard Burton an ſeinen Freund William Lovell.

Ich freue mich innig, daß Du heitrer biſt, ich habe Deinen zweiten Brief mit Vergnuͤgen gele - ſen, komm bald nach Bonſtreet und ich will noch einige frohe Tage mit Dir genießen: dann gehſt Du einer Menge von intereſſanten Gegen - ſtaͤnden entgegen, Du betritſt die heiligen Gegen - den, die die Heimath meiner lieblichſten Traͤu - me ſind, Du wirſt in den hohen Geiſt der Kuͤn - ſte eingeweiht, Du wirſt zu jenem Tempel des Genies hinzugelaſſen, den ich nur aus der Fer - ne anbeten darf.

O koͤnnt ich doch Dein Begleiter ſeyn! Duͤrft ich mit Dir zugleich in jene Heiligthuͤ - mer treten, jene Schoͤnheiten der Natur durch - wandeln! Aber ich habe dieſe, einſt meine lieb - ſte Hofnung, ſchon ſeit lange aufgegeben, mein Vater wuͤrde die Zeit, die ich auf dieſe Art anwendete, fuͤr verlehren anſehn, abtrotzen moͤchte ich ihm ſeine Einwilligung nicht. Er40[38] haßt die Begeiſterung, mit der ich zuweilen von den Heroen des Alterthums, oder der Goͤttlich - keit eines Kuͤnſtlers ſprach, er ſieht mit Verach - tung auf dieſe kindiſchen Aufwallungen des Bluts hinab, wie er jeden Enthuſiasmus nennt, daher hat ihm auch ſtets mein Umgang mit Dir mißfallen. Er liebt Menſchen, die ſich nie aus den Gegenſtaͤnden von denen ſie umgeben wer - den, verlieren koͤnnen, er ſpottet uͤber alles, was man Erhabenheit der Gedanken und Gefuͤhle nennt. Es giebt vielleicht wenig Menſchen, die Vorurtheile und Begriffe der Konvention ſo tief in ihr ganzes Daſeyn haben verwachſen laſſen, auch ich mißfalle ihm ſehr, er nennt mich zuweilen einen jugendlichen Schwaͤrmer, der die Welt nicht kennt und ſie aus armſeligen Buͤ - chern beurtheilen will. Iſt dies Menſchenkennt - niß, die aus ihm ſpricht, o ſo beneide ich ſie ihm nicht, aber er muß ſie theuer erkauft ha - ben, da er ſie fuͤr ſo richtig haͤlt. Kann es nicht aber auch das enge egoiſtiſche Gefuͤhl ſei - nes eigenen Herzens ſeyn? Iſt dieſer Glaube nicht auch vielleicht bloß aus Studium ſeiner ſelbſt entſtanden? Wir glauben ſo oft einen Blick in die Seele andrer gethan zu haben,41[39] wenn wir bloß das Fluͤſtern unſers eignen Gei - ſtes vernommen hatten.

Er verzeihe mir die kleine Bitterkeit, die zuweilen und itzt eben in mir aufſteigt, aber ich muß oft von ſeiner Kaͤlte leiden. Er iſt aͤlter als ich, er kann oft betrogen ſeyn, die ſchoͤn - ſten Gefuͤhle ſind vielleicht an ihm meineidig ge - worden, er hat vielleicht mit Muͤhe alles aus ſeinem Buſen vertilgt, was ehemals ſo ſchoͤn und herrlich bluͤhte; aber er wird nie ver - langen, daß ich ſeinen Erfahrungen ungepruͤft glaube, oder wenn ich ſie beſtaͤtigt finde, daß ich darum ein Hartherziger werde und den Glauben an jeden harmoniſchen Klang verliehre, weil alle Tangenten die ich anſchlage auf zer - ſprungene Saiten treffen, nein, er ſoll in mir einen Sohn erziehen, der einſt die Schuld bezahlt, die er mir zum Erbtheile laͤßt, es thut mir weh, denn er iſt mein Vater aber glaube mir, William, ich werde manchen Ar - men zu troͤſten und mancher Waiſe zu erſtatten haben.

Zu Dir und zu Niemand anders darf ich alſo ſprechen. Wie beneid ich Dich Gluͤcklichen! Du wirſt neue Gegenden und neue Menſchen42[40] ſehn! Du wirſt das Grabmal Virgils beſu - chen und den Ort, wo Brutus den Dolch der Freiheit ſchwang, indeß ich eingekerkert hier in Bonſtreet ſitze und mir in der Phantaſie die ſchoͤnen Scenen mahle, auf denen Du voll ho - hen Enthuſiasmus wandelſt. Ich darf mir den traurigen Gedanken nicht weiter ausden - ken. Lebe wohl.

43[41]

8. Amalie Wilmont an ihren Bruder Karl Wilmont.

Ich bin geſtern in London angekommen, das Gewuͤhl der Stadt, das Geraͤuſch der Wagen und die laͤrmende Munterkeit kontraſtirte ſehr mit der Ruhe des Landes, die ich ſo eben ver - ließ. Es war traurig, wieder in die Straßen hineinzufahren, die ich ſo freudig verlaſſen hatte, mir war es, als waͤren es die Mauern eines großen Gefaͤngniſſes.

Seitdem hab ich oft an Dich und an mei - nen ſchoͤnen Aufenthalt in Bonſtreet gedacht. Die Gegend war doch ſehr angenehm, die klei - ne Geſellſchaft ſo zutraulich, man war mit je - dem Gefuͤhle und Gedanken des andern vertraut, alle machten gleichſam nur eine Seele, und alles das im Glanze der Fruͤhlingsſonne, die ſo lieblich auf uns herabſchien, ach, ich bin vielleicht in ſehr langer Zeit nicht wieder ſo vergnuͤgt.

44[42]

Gruͤße Lovell und danke ihm fuͤr ſeine freund - liche Begleitung, ſuche ihn doch froͤhlicher zu machen, er ſchien immer ſo traurig.

London koͤmmt mir, ohngeachtet der vielen Menſchen, ſehr einſam vor, meine Zimmer ſind mir ganz fremd geworden, alles iſt ſo eng und duͤſter, man ſieht kein Feld, keinen Baum, wenn ich dagegen an den reizenden Wald denke, an den kleinen Waſſerfall neben der Wieſe, an den gruͤnen Huͤgel, von wo man die romantiſche Ausſicht uͤber den Fluß und die Felſenwaͤnde hat; wie ſchoͤn war es doch, wenn die Son - ne hinter den Felſen untergieng und der krumm - gewordene Strom in einen rothen Glanz er - gluͤhte, und dann jene Allee, wo die Nachti - gall am Morgen im Lindenbaume ſang, wo Lo - vell mir oft den Oßian vorlas, ich war nur ſo kurze Zeit von hier entfernt, aber ich habe mich ſchon ganz verwoͤhnt.

Meine Eltern ſind wohl, ſie freuten ſich recht herzlich, mich wieder zu ſehn, ich wollte, ich haͤtte mich ganz ſo freuen koͤnnen, wie ſie, ſie hatten aber auch unterdeß London nicht verlaſſen.

45[43]

Lieber Bruder, weiter haͤtt ich Dir nun nichts mehr zu ſagen, außer daß Du Lovell gruͤßen ſollſt, doch das hab ich ja ſchon einmahl geſagt, das fatale Laͤrmen auf den Straßen hat mich ſchon ganz verwirrt gemacht. Ich bin u. ſ. w.

46[44]

9. Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.

Warum ich Dir ſo lange nicht geſchrieben ha - be, willſt Du wiſſen? Du ſollteſt Dich doch ſchon daran gewoͤhnt haben, daß es in dieſer Sterblichkeit eine Menge von Vorfaͤllen, Wir - kungen, Handlungen, Unterlaſſungen ohne Ur - ſache giebt, andre die, wenn ſie Urſachen haben, oft ſchlimmer als gar keine Urſachen ſind. Es giebt Leute, die bei einem Allegro weinen koͤnnen, oder die beim ſchmelzendſten Adagio ei - nen unwiderſtehlichen Beruf zum Tanzen fuͤh - len, wer wird hier nach den Urſachen fra - gen? Dieſe Leute ſind nun einmahl ſo und nicht[anders]. Eben ſo habe ich zu gewiſſen Zei - ten Perioden von Traͤgheit, wo mir jede Feder zuwider iſt, wo mich ein Billet, was ich ſchrei - ben ſoll, in Schrecken ſetzen kann, ich bin aber noch nie darauf gefallen, tiefſinnige philoſophi - ſche Betrachtungen daruͤber anzuſtellen, ob die Seele oder der Koͤrper daran Schuld ſey, von welchen Mittelideen und Kombinationen die ganze Erſcheinung abhaͤnge.

47[45]

Wir wollen alſo ganz davon abbrechen, er - warte keine Entſchuldigungen, denn ich habe keine, ich kann Dich auch nicht um Verzeihung bitten, denn ich weiß, Du haſt es nicht uͤbel genommen; nur ſoviel will ich Dir zur[Entſchaͤ - digung] ſagen, daß dieſe Traͤgheit mit zu je - nen Eigenſchaften gehoͤrt, die ich mir mit der Zeit abgewoͤhnen will.

Deine Muthmaßung iſt uͤbrigens nicht ganz unrichtig, daß ich, wenn Du es durchaus ſo nennen willſt, ernſthafter geworden bin. Mit Dir verließ uns der Geiſt unſrer luſtigen Ge - ſellſchaften, und man darf nur etwas aufrichtig gegen ſich ſelbſt ſeyn, ſo liegt ſo etwas Ober - flaͤchliches in dieſer ſogenannten genußreichen Art zu leben, eine Nuͤchternheit, in der ich mir oft die Langeweile des Tantalus recht lebhaft habe denken koͤnnen. Ich habe mich itzt dar - um aus dieſer Geſellſchaft mehr zuruͤckgezogen, ich bin mehr allein und Du wirſt vielleicht lachen, ich habe oft wieder angefangen zu ſtudiren und mich deſſen zu erinnern, was ich auf meinen Reiſen gelernt habe.

Halte mich aber nicht fuͤr einen ſo ſchwa - chen Menſchen, der aus einer Anwandlung von48[46] Langeweile ſich gleich uͤber Hals und Kopf in eine ſo ſteinharte Ernſthaftigkeit wirft, daß ihn die Hunde auf der Straße anbellen; denke nur etwa nicht, daß ich itzt mit einem eßigherben Geſichte daſitze und wunder wie ſehr meinen Geiſt zu beſchaͤftigen glaube, indem mir die Kinnbacken vor Gaͤhnen zerſpringen moͤchten; halte mich nicht fuͤr ein Weſen, das ſich ſeine Zeit verdirbt, indem es ſich tauſend unnuͤtze Ge - ſchaͤfte macht und ſich ſelbſt zur Bewunderung uͤber die Menge ſeiner Arbeiten zwingt, nein Karl, ich bin noch immer der ſimple, unbefan - gene Mortimer, der noch eben ſo gern lacht, als zuvor, und der nichts ſehnlicher wuͤnſcht, als einmahl mit Dir ein herzliches Duett lachen zu koͤnnen. O ich moͤchte meine Dinte in ſchwar - ze Klagelieder ergießen, oder die erſte beſte Stelle aus Youngs Nachtgedanken abſchreiben, um es Dir recht fuͤhlbar zu machen, wie ſehr Du mir fehlſt.

Wenn das alles wahr iſt, was Du mir von William Lovell ſchreibſt, ſo ſteht es ſchlimm mit ihm, ſehr ſchlimm, es thut mir jedesmahl weh, wenn ich einen jungen Menſchen ſehe, der ſich ſelbſt um die Freuden ſeines Daſeynsbringt.49[47]bringt. Giebt es etwas abgeſchmackters, als zu ſeufzen, zu weinen und alle Freuden der Welt aus einer Metapher in die andre zu ja - gen, und zwar, wie aͤußerſt ſinnreich und vernuͤnftig! weil ein andres Weſen nicht auch jammert und klagt und zwar daruͤber, weil ich es thue. Denn wahrlich, ich habe ſchon Liebhaber geſehn, die ſo geliebt wurden, daß nur noch ein Gran gefehlt haͤtte und es waͤre ihnen ſelber zur Laſt gefallen, die aber beſtaͤndig die ungluͤcklichſten Geſchoͤpfe in der Welt waren; denn ihr Maͤdchen war ihnen la - chend entgegengekommen und ſie hatten ſie ſich gerade weinend gedacht, weil ſie einen Abſchied auf zwei ewig lange Stunden nehmen ſollten, um eine große Reiſe in die naͤchſte Gaſſe zu ih - rem Onkel zu thun, der ihnen einen Wechſel auszahlen wollte. Es ſind Schauſpieler, die ſich einen ellenhohen Kothurn angeſchnallt ha - ben, der nur dazu dient, ſie in jedem Augen - blicke fallen zu machen; ſie ſind unendlich uͤber alle fade Sinnlichkeit erhaben und ſitzen da und koͤnnen ſich tagelang von ihrer Geliebten uͤber die Farbe eines Bandes unterrichten laſſen; der Schooßhund ihres Maͤdchens iſt ihnen mehrLovell, I. Bd. D50[48]werth, als ein halbes Menſchengeſchlecht, ſie ſchwaͤrmen in allen Regionen der Phantaſie um - her, um endlich doch dahin zuruͤckzukommen, wo ſie ſich wieder in die Reihe der uͤbri - gen. ſterblichen Menſchen finden; denn, ich hoff es zur Ehre der Menſchheit, daß von dieſen Mondſuͤchtigen noch keiner die Anſpruͤche ge - macht hat, ſeine Geliebte ohne Augen zu ſehn und ohne Ohren zu hoͤren, wenn ſie auch ver - geſſen haben, daß die Sinnlichkeit zu dem Hau - ſe das ſie bewohnen die erſte Etage iſt, am Ende ſind ſie eben dem Winde ausgeſetzt, und ſie ziehen wieder herunter.

Merkutio hat Recht, wenn er ſagt, das fadeſte Geſpraͤch haͤtte mehr Sinn, als das Selbſtpeinigen dieſer verlohrnen Soͤhne der Na - tur, die ſich von Traͤbern naͤhren und dieſe in einem beklagenswuͤrdigen Wahnſinne fuͤr Ambro - ſia halten.

Deine Schweſter hab ich heut ſchon[beſucht], ſie iſt ſchoͤn und ſcheint eben ſo verſtaͤndig, au - ßer daß ſie traurig war und gewiß um Lo - vell, es thut mir leid um ſie.

Es waͤre uͤbrigens wohl moͤglich, daß Du Dich in Deiner Einſamkeit ganz ernſthaft ver -51[49] liebteſt. Dein Auge ſieht keinen andern Gegen - ſtand der Dich zerſtreuen koͤnnte, und die Ge - wohnheit iſt auch hierinn die zweite Natur. Dieſe allmaͤchtige Gottheit macht ja ſogar, daß ſo mancher mit ſeiner Frau zufrieden iſt, die er außerdem gegen einen Staar austauſchen wuͤrde. Die muͤßige Phantaſie naͤhrt ſich mit jeder rei - zenden Form; Regentropfen machen einen Stein hohl, und es waͤre nicht das erſte Beiſpiel, daß der groͤßte Antiplatoniker zum Regenbogenhin - anfliegendem Schwaͤrmer geworden waͤre.

Ich erwarte alſo naͤchſtens einen Brief vol - ler Seufzer und mit einer Thraͤne geſiegelt; bis dahin bin ich Dein treuer Freund

Mortimer.

D 252[50]

10. William Lovell an Eduard Burton.

Ich bin auf dem Landhauſe meines Vaters, nahe bei London, ich ſehe die Thuͤrme der Stadt, die Amalie bewohnt, ich hoͤre ihre Klocken aus der Ferne, o das Herz ſchlaͤgt mir aͤngſtlich und ungeſtuͤm daß ich ſie ſo nahe bei mir weiß und ſie noch nicht geſehen habe, ja, ich muß ſie heut noch ſehn.

Mein Vater war ungemein froͤhlich, da er mich wieder ſah, ſeine Freude hatte einen An - ſtrich von Melancholie, die mich geruͤhrt hat, er ſah bleich und krank aus, er umarmte mich mit einer Herzlichkeit, in der ich ihn noch nie geſehn habe, er findet uͤberhaupt ſein Gluͤck in dem meinigen und in der Zukunft die er mir ebnen will, er ſprach ſo manches von Verbin - dungen, die er meinetwegen ſuchen wuͤrde, er ſchien mir ankuͤndigen zu wollen, wie ſehr er einſt meine Verheirathung mit der Tochter der Lady B *** wuͤnſchen wuͤrde, wer weiß, wie viel Ungluͤck mir noch die truͤbe Zukunft auf -53[51] bewahrt. Ich uͤberlaſſe mich zuweilen mit einer unbegreiflichen Traͤgheit der Zeit, um den Knaͤuel auseinander zu wickeln, der mir zu ver - worren ſcheint.

Von Dir hab ich alſo nun auf lange Ab - ſchied genommen? Bald werden ſich Staͤdte und Meere zwiſchen uns werfen, bald wird ein Brief von Dir zu mir Wochen auf ſeiner Reiſe brauchen. Den Abend vor meiner Abreiſe von Bonſtreet ging ich noch einmahl durch die mir ſo bekannten Gaͤrten, ich nahm von jedem Orte Abſchied, der mir durch die Zeit, oder ir - gend eine Erinnerung werth geworden war, von der Linde, in die Amalie ihren Nahmen ge - ſchnitten hat und ich den meinigen ſo dicht da - neben eingrub, daß auch nicht der kleinſte Zug eines feindlichen andern Nahmens Raum zwi - ſchen uns findet. Ich ſtand lange und betrach - tete die Charaktere, dann zu der Allee, wo wir ſo oft den Oßian laſen, ach Eduard, manche Stellen daraus werd ich nie, nie ver - geſſen, die Seele des großen Barden ſprach oft ſo innig mit der meinigen und eine wehmuͤthige Freude zuckte durch alle Nerven, wie der erin - nernde Anhauch einer fruͤhern Bekanntſchaft. 54[52] Aus den Wipfeln fiel eine ſchwere Ahndung auf mich herab, daß ich nie dort wieder wandeln wuͤrde, oder im Verluſte aller dieſer großen Ge - fuͤhle, die den Geiſt in die Unendlichkeit draͤn - gen und uns aus unſrer eigenen Natur heraus - heben.

Wenn ich nun einſt wiederkehrte, den Buſen mit den ſchoͤnſten Gefuͤhlen angefuͤllt, mein Geiſt genaͤhrt mit den Erfahrungen der Vor - welt und eigenen Beobachtungen, wenn ich nun bemuͤht geweſen waͤre, die Schoͤnheiten der ganzen Natur in mich zu ſaugen, um dann ein fades, alltaͤgliches Leben zu fuͤhren, von der Langenweile gequaͤlt, von allen meinen großen Ahndungen verlaſſen: wie ein Gefangener der ſeinen Ketten entſpringt, im hohen Taumel durch den ſonnbeglaͤnzten Wald ſchwaͤrmt, und dann zuruͤckgefuͤhrt, von neuem an die kal - te gefuͤhlloſe Mauer geſchmiedet wird.

Doch, ich ſehe Dich laͤcheln, nun wohl, ich gebiete meiner Phantaſie, ſie winkt mit ih - rem Zauberſtabe, und dieſe ſchwarzen Geſtalten ſinken mit ihrem naͤchtlichen Dunkel vom Tuche herab, und ein liebliches Morgenroth daͤmmert empor, da hebt ſich nun die ganze Land -55[53] ſchaft majeſtaͤtiſch und ſchoͤn aus dem chaoti - ſchen Nebel empor, wie von der Hand eines Gottes angeruͤhrt ſteht die Natur in ihrer rei - zendſten Schoͤne da und die Phantaſie verliert ſich in den Gebirgen, den Graͤnzen des Hori - zontes. Schon iſt die Natur geſchaͤftig, in fernen Landen alle meine Ideale zu realiſiren, ſchon ſeh ich jede Landſchaft wirklich, die ich einſt als Gemaͤhlde bewunderte oder von der ich in einer Beſchreibung entzuͤckt ward, die Kunſtwerke des großen Menſchenalters ſtehn vor mir, die die grauſame Hand der unerbittlichen Zeit ſelbſt nicht zu zernichten wagte, um nicht die glaͤnzendſte Periode der Weltgeſchichte aus - zuloͤſchen, die heiligen Haine, in denen die Nymphen und Dryaden wohnten, meine Phantaſie ſchwaͤrmt ſchon in den ehrwuͤrdigen Gebieten Griechenlands umher und wandelt mit heiligem Schauer unter den Truͤmmern, die uns freundlich ernſt daran erinnern, was ſie vordem waren. Ich muß auf der Stelle ſtehen, wo Leonidas fiel, wo Miltiades die Feinde ſchlug, und freilich, wo Alexander mit einer kindiſchen Zerſtoͤrungsſucht die Bluͤthe vom Baume herab - ſchlug, ehe ſie zur Frucht gereift war.

56[54]

Meine Ausſicht wird heiterer, Italien und Griechenland liegen perſpektiviſch vor mir, hundert frohe Erwartungen erwaͤrmen mein Herz, wenn Amalie mich liebte! Eduard, ja, ich werde ſie heut noch ſehn!

57[55]

11. William Lovell an Eduard Burton.

Eduard, o freue Dich mit mir, Freund mit Deiner bruͤderlichen Seele, alle Zweifel ſind geho - ben, alle Raͤthſel aufgeloͤſt, Amalie liebt mich! Dieſes neue Bewußtſeyn hat mich aus allen kleinen armſeeligen Gefuͤhlen zum hohen Genuſſe eines Gottes emporgeriſſen, ich bin zu Empfindungen gereift, von denen mir auch kei - ne Ahndung etwas ſagte, ich ſtehe in einer Welt, wo der guͤtige Schoͤpfer Freude und Wonne an jeden Zweig gehaͤngt und uͤber jeden Huͤgel hingegoſſen hat, alles was ich ſehe, was ich hoͤre, alles was lebt iſt vom Hauche der Liebe, vom Hauche Gottes beſeelt.

Wie unter mir alles zuſammenſchrumpft, was ich einſt fuͤr groß und wichtig hielt! Ich nehme es mit der Zukunft und allen ihren Begebenheiten auf, ein Aetherglanz iſt auf mich herabgefallen, ein Gott hat meine Seele an - geruͤhrt.

Wie gleichguͤltig und oͤde kam noch geſtern58[56] die ganze Welt meinem Blicke entgegen, alles iſt heut mein Freund, alles laͤchelt mich liebe - voll an. Eduard, wie ſoll ich Dir die Empfindung beſchreiben, als ich nun die Straße betrat, in der ſie wohnt, als ich vor ihrem Hauſe ſtand, es war ſchon Abend, ein blaſ - ſer Schimmer des Mondes brach ſich durch graue Wolken, mein Herz klopfte hoͤrbar, als ich dem Bedienten meinen Nahmen ſagte und die Treppen hinaufging. Sie war allein, ich trat in das Zimmer. Himmel! war es nicht, als kaͤme mir ein Engel entgegen, um mich im Paradieſe zu bewillkommen, wie ein heiliger Duft wehte mich die Luft an, in der ſie ath - mete, ich weiß nicht, was ich ihr ſagte, ich weiß nicht was ſie antwortete, aber meinen Nahmen ſprach ſie einigemahl mit einer unaus - ſprechlichen Suͤßigkeit. Wir ſetzten uns, ich war in einer wehmuͤthigen freudigen Stim - mung, ſie ſprach von der gluͤcklichen Aus - ſicht einer ſo ſchoͤnen Reiſe, mir war, als haͤtt ich Muͤhe, meine Thraͤnen zuruͤckzuhalten, o Himmel, wie guͤtig ſie zu mir ſprach, wie jeder Ton im Innerſten meiner Seele wieder - klang, jede Silbe foderte mich auf, mich dieſer59[57] holdſeeligen Guͤte zu entdecken, ich ſank an ihren Buſen und ſtammelte ihr das Bekenntniß meiner Liebe.

Ich war auf alles gefaßt, auf Zorn und Verachtung, auf Verlegenheit und Schaam in ihrem Geſichte, auf die Bitte, ſie nie wiederzu - ſehn, aber Eduard, nicht auf dieſe Milde ei - nes glaͤnzenden Engels, mit der ſie mich ſchwei - gend noch feſter an ihren Buſen druͤckte. Ich zweifelte in dieſem Augenblicke an meinem Daſeyn, an meinem Bewußtſeyn, an allem. Meine Freude hatte mich einer Ohnmacht nahe gebracht.

Unſre Lippen begegneten ſich, ihr Mund brannte auf dem meinigen, mein Herz ging auf vom erſten Sonnenſtrahle getroffen, wie Blumen thaten ſich alle meine Sinne auf, den Glanz in ſich zu ſaugen, der ſo freundlich auf ſie herabſtrahlte. Ich druͤckte ſie inniger an mei - ne Bruſt, ich fuͤhlte das Klopfen ihres Herzens.

Eduard! ich ſoll ihr ſchreiben, ſie will mir antworten! O, ſie iſt ein Engel! Sie wuͤr - de ihr Leben opfern, mich gluͤcklich zu machen!

Was ſoll ich Dir noch ſagen? Du verſtehſt mein Herz. O Freund, welche Seeligkeiten bereitet uns dies Leben, welche Wonnen bluͤhen60[58] in der Liebe! ich beneide Dir Deine Kaͤlte nicht mehr.

Ich bleibe noch laͤnger als eine Woche bei meinen Eltern, o ich werde ſie noch oft ſehn, mir iſt ſeit geſtern, als duͤrfte nur dies das Ge - ſchaͤft meines Lebens ſeyn. Ich habe ſchon den Mann kennen lernen, der mich auf meinen Reiſen begleiten ſoll, er heißt Mortimer. Mein Freund wird er ſchwerlich werden koͤnnen, er hat eine gewiſſe kalte beiſſende Laune, die mich von ihm geſtoßen hat. Er ſoll viel wiſſen, beſonders Alterthumskenner ſeyn, er hat dieſe ganze Reiſe ſchon einmahl gemacht, er iſt aͤlter als ich; alles dies zuſammengenom - men hat meinen Vater bewogen, ihn zu mei - nem Begleiter auszuwaͤhlen. Er ſcheint ſehr unterhaltend zu ſeyn, aber ich liebe nicht dieſe Art von Charakteren, das Satyriſche in ihm gefaͤllt mir nicht, dieſe[Erhebung] uͤber die andern Menſchen, dieſe Bitterkeit fuͤhrt ſehr leicht zur Menſchenfeindſchaft, ich liebe die meiſten, moͤchte ſie gern alle lieben und mag uͤber keinen ſpotten, jeder bewache ſeine eig - ne Schwaͤche.

Dein William.

61[59]

12. Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.

Wenn ich gerade aufgelegt waͤre, uͤber die wunderbaren Wege der Vorſehung Betrachtun - gen anzuſtellen, ſo haͤtt ich heut dazu die ſchoͤn - ſte Gelegenheit. Denn wahrlich, nichts iſt ſo ſeltſam, keine Linie laͤuft in den wunderbarſten Verſchraͤnkungen ſo ſchief und krumm, um in ſich ſelbſt zuruͤckzukehren, als es ſo oft die Begebenheiten und Vorfaͤlle in dieſer Welt thun. Den Schilling, den ich heut meinem Bedienten gebe, erhalt ich morgen vielleicht vom Lord Parton zuruͤck um ihn einem Bettler zu ſchenken. Wie weit koͤnnte man dieſe Idee bis ganz jenſeit der Ideenwelt verfolgen! Du biſt begierig, welch Reſultat endlich aus dieſem Wirrwarr folgen ſoll; nun ſo hoͤre denn und erſtaune. (Erſtaunſt Du nicht, ſo ge - ſteh ich, daß Du ſelbſt ein erſtaunenswuͤrdiges Weſen biſt.)

Wer haͤtte Dir wohl damahls in’s Ohr ge -62[60] raunt, als Du Deinen neulichen Brief an mich ſchriebeſt, in welchem von William Lovell die Rede war, daß Du an den achtbaren Gou - verneur dieſes hofnungsvollen Eleven ſchrie - beſt? Und dennoch hat es dem Weſen ge - fallen, welches ſeine Sonne uͤber Hofmeiſter und Zoͤglinge, uͤber Mortimers und Lovells ſcheinen laͤßt, mich dazu zu machen. Um ernſt - haft zu ſprechen: ich reiſe mit William nach Italien und Frankreich und kehre dann als ein zweimahl gereiſter Mann in mein ſehnſuchtvolles Vaterland zuruͤck, um auch hier mein Licht glaͤnzen zu laſſen. Ich ſehe die Gegenden noch einmahl, die mich ſchon einſt ſo entzuͤckten. William iſt noch ſo ziemlich ein ertraͤglicher Menſch, und darum hab 'ich das Anerbieten des alten Lovell angenommen.

William iſt, ſoviel ich gleich bei unſrer er - ſten Zuſammenkunft bemerken konnte, nicht ganz mit mir zufrieden, ich bin ihm zu froh, zu we - nig das, was er ernſthaft nennt. Wer von uns beiden nun den andern aus ſeinen[Verſchanzun - gen] zuerſt treiben wird, iſt die große Frage. In einer Woche ohngefaͤhr reiſen wir. Ich will mir alle moͤgliche Muͤhe geben, meinen Freund aus ihm zu machen.

63[61]

Mein alter Onkel haͤtte beinahe geweint, als ich ihm die Nachricht meiner Abreiſe brachte; er iſt mir mehr gewogen. als ich dachte, er hat es mir ſo gut wie verſprochen, mich zum Erben einzuſetzen, wenn er waͤhrend meiner Abweſen - heit ſterben ſollte, wie der Himmel will! Einmahl muß er doch ſterben, ſo ſehr ich ihn auch wirklich liebe.

Koͤnnt ich uͤber Bonſtreet reiſen, ſo wuͤrde die Reiſe noch eine Annehmlichkeit mehr fuͤr mich haben, aber einige Leute, die Fait von der Geographie machen, wollen behaupten, es laͤge ganz auf der entgegengeſetzten Seite; und man muß ihnen doch wohl hierinn glauben.

Deine Schweſter iſt allerdings ein vortrefli - ches Maͤdchen, ausgenommen darinn, daß ſie gewiß Lovell liebt, doch vielleicht wird er unter der Anfuͤhrung eines geſcheuten Mannes anders, das heißt, nach meiner Ueberzeugung: beſſer.

Woruͤber ich mich verwundre, iſt, daß man mich fuͤr ſo gelehrt haͤlt um mit Nutzen der Begleiter eines jungen Mannes zu ſeyn, der nicht ohne Kenntniſſe iſt, der alte Lovell aber iſt ein vernuͤnftiger Mann, der weiß, was64[62] meiſtentheils hinter der gewoͤhnlichen Ernſthaf - tigkeit ſteckt; vielleicht hat auch eben meine Heiterkeit ſeine Wahl auf mich fallen laſſen, da er mit der zu reizbaren Empfindſamkeit und Schwaͤrmerei ſeines Sohnes nicht ganz zufrie - den iſt.

Und wenn nun auch bald viele Meilen zwi - ſchen uns liegen, ſo bin ich auch im waͤrmeren Klima, zwar nicht waͤrmer, aber eben ſo warm als itzt, Dein Freund, und wenn ich nicht auf dem Kanal untergehe, ſo erhaͤltſt Du aus Frank - reich einen Brief von

Deinem Mortimer.

13.65[63]

13. Der alte Willy an ſeinen Bruder Thomas in Waterhall.

Weiß nicht, lieber Bruder, von wo aus ich Dir ſchreiben ſoll, aber ohne daß die Schuld davon an mir liegt: denn ich bin hier ganz na - he bei London, aber doch nicht in London, ſo daß ich lieber gar kein Datum dabei ſchrei - ben will, um Dich nicht konfus zu machen, weil ich weiß, daß Du Dich nicht gut aus den Ortſchaften und Laͤndereien herausfinden kannſt, wenn ſie eine Meile von dem Garten in Wa - terhall liegen, und London, oder das Land - haus hier nahe bei London, iſt nicht ſo nahe an Waterhall, als Du glaubſt, ob es freilich wohl ganz nahe an London liegt, ſo daß man die Klocken kann ſchlagen hoͤren, wenn ſie gera - de nicht unrichtig gehn, wie denn das wohl in ſo einer großen Stadt bisweilen der Fall iſt, wo ſelten alles ganz richtig geht; es macht die Menge.

Der Herr William iſt ſo ein guter Herr, als nur ein Bedienter verlangen kann, wenn erLovell, I. Bd. E66[64]nicht ſelbſt der Herr werden will. Er ſagte, er haͤtte mich mehr aus alter Freundſchaft mit - genommen, als wie einen Bedienten, nun iſt er freilich nicht ganz ſo alt, als ich, aber ſo alt er auch immer ſeyn mag, ſo bin ich doch wuͤrk - lich von der Geburt an ſein Freund geweſen. Du weißt, Tom, was ich meinen will, daß ich ihn nehmlich ſchon vor der Geburt gekannt ha - be, als ich ſchon lange vorher beim alten Herrn Lovell als ein Bedienter geſtanden habe.

Du glaubſt uͤbrigens nicht, Thomas, wie viel Menſchen es auf der Welt giebt, den Mann wollt ich ſehn, der die Leute ſo zaͤhlen koͤnnte, die ich unterwegs alle Augenblicke ge - funden habe. Der Vikar Winter hat doch Recht, ſo wie in allen Sachen, die er in der Kirche ausruft, es ſind viele Menſchen auf der Welt. Dafuͤr iſt die Welt aber auch ſo ziem - lich groß, das hab ich nun auch geſehn, denn wie wollten ſie ſonſt auch alle Platz darauf fin - den, wenn nicht neue Einrichtungen gemacht wuͤrden. Bis dahin bin ich

Dein getreuer Bruder. Willy.

Weil ſich hier gerade das ſo vortreflich paß - te: bis dahin bin ich u. ſ. w. ſo hatte ich mich67[65] dadurch verfuͤhren laſſen, daß der Brief hier aufhoͤren ſollte, ich hatte Dir aber noch man - ches ſagen wollen, unter andern, daß wir naͤch - ſtens abreiſen; es komme, wie es geh, ich ſchrei - be Dir manchmal, der gute Herr William hat mir erlaubt, ſo oft ich Dir etwas zu ſagen ha - be, meine Sachen in ſeinen Brief mit einzule - gen; ſo koſtet es mir und Dir nichts und ich habe nicht die Muͤhe, Deine Aufſchrift zu ma - chen und Du brauchſt ſie auch nicht zu le - ſen, ſondern du weißt denn gleich auswendig, daß jeder Brief, den Du von mir geſchickt kriegſt, an dich gerichtet iſt. Ferner dein ewiger Bruder.

Willy.

E 268[66]

14. William Lovell an Eduard Burton.

London liegt hinter mir mit allem ſeinem Gluͤk - ke, Frankreich vor mir! Ich komme ſo eben von den erhabenen Klippen zuruͤck, deren Schil - derung wir beide ſo oft in dem[gigantesken] Werke des unſterblichen Shakeſpeare bewundert haben. Die Natur wirkt wunderbar auf die Seele, mir war’s, als koͤnnt ich in die Zukunft hineinſehn, als waͤren die Schleier eben im Be - griffe herunterzufallen, die ſonſt vor dieſem Schauplatze haͤngen, die See rauſchte tief unter mir und wogte und ſchlug ohnmaͤchtig an die unerſchuͤtterlichen Klippengeſtade, Wolken ſtanden aus dem Meere auf und ſchritten durch das ruhige Blau der unuͤberſehbaren Woͤlbung, ohne froͤhlich zu ſeyn, ohne Traurigkeit ſah ich in die unendliche Natur hinaus, der Wind blies uͤber die See hin, die Dornblumen am Felſen zitterten, ich ſtand ruhig. Das Wogen der Fluth rauſchte leiſe herauf, tauſend Sonnen tanzten in dem wiegenden Meeresſpie -69[67] gel, ja Freund, der Menſch haͤlt gewiß ſelbſt die Zuͤgel ſeines Schickſals, er regiere ſie weiſe und er iſt gluͤcklich; laͤßt er ſie aber muthlos fahren, ſo ergreift ſie ein ergrimmter Daͤmon und jagt ihn wuthfrohlockend in das furchtbare, ſchwarze Thal, wo das Elend wohnt. Dar - um wollen wir Maͤnner ſeyn, Eduard, und kalt und ohne Zagen unſer Schickſal regieren, auch wenn tauſendfaches Ungluͤck den Wagen in den Abgrund zu ſchleudern droht.

70[68]

15. William Lovell an Amalie Wilmont.

Mit Thraͤnen ſieht mein Auge ruͤckwaͤrts, das Ihrige blickt mir weinend nach. Aber nein, kein Zweifel, kein Zagen ſoll in unſrer Bruſt entſtehn, ich will muthig hoffen. O ja, Ama - lie, Ordnung, Harmonie iſt das große Grund - geſetz aller unendlichen Naturen, ſie iſt das We - ſen, der Urſtoff des Gluͤcks, die erſte bewegende Kraft, auch wir werden von den Speichen des großen Rades ergriffen, wir ſind Kinder der Natur und haben Anſpruch an ihre Geſetze und gaͤb es fuͤr mich ein Gluͤck ohne Amalien? Leben Sie wohl, die Segel ſchwellen, die Win - de rufen zur Abfahrt, leben Sie wohl. Ihr Bild ſoll der Schutzgeiſt ſeyn, der mich beglei - tet, in dem Augenblicke da Sie mich vergeſſen, bin ich allen Gefahren preiß gegeben, bis dahin fuͤhle ich die Staͤrke eines Gottes in meinem Herzen.

[69]

William Lovell.Zweites Buch.

[70][71]

1. Mortimer an ſeinen Freund Karl Wilmont.

Ich bin nun wieder in der Stadt, die die Franzoſen die Hauptſtadt von Europa nen - nen, wo man in einer beſtaͤndigen Verwir - rung von Beſuchen und Vergnuͤgungen lebt, wo man ſehr lange leben kann, ohne zu ſich ſelbſt zu kommen und wo man ſich, wie William Lovell taͤglich behauptet, zu Tode langeweilt und aͤr - gert, wenn die geſunde Vernunft nur auf einen einzigen Tag aus ihrer Betaͤubung erwacht. Sonſt ſind wir alle wohl und geſund, und die Reiſe hieher war recht angenehm; auch William gewoͤhnt ſich an meine Geſellſchaft, wir kommen uns naͤher, ſo wie ich es vorhergeſehn habe, ich muß mich nur huͤten, daß ich nicht auf einen gewiſſen Eigenſinn gerathe, ihm zuviel zu wi - derſprechen, ſo paradox er auch manchmal aus74[72] ſeinen dunkeln Gefuͤhlen philoſophiren will, dies wuͤrde uns von neuem entfernen und bei ihm die Sucht veranlaſſen, mir in keiner meiner Behauptungen Recht zu geben: ſo wuͤrden alle unſre Geſpraͤche Gezaͤnke werden und dies fuͤhrt zu einer Bitterkeit, die am Ende in eine voͤl - lige Unvertraͤglichkeit ausartet.

Ich will dir mit keinen politiſch ſtatiſtiſchen Nachrichten Langeweile machen, ſoviel ich bis itzt habe ſehn koͤnnen, iſt alles hier beim Alten geblieben und hoffentlich wird es dabei noch ei - ne geraume Zeit bleiben. So lange bitt ich Dich, die erſte beſte Geographie von Frankreich aufzuſchlagen, wenn Dir hin und wieder einige Zweifel aufſtoßen ſollten.

William lebt und traͤumt und raſ’t in der vollen Begeiſterung ſeiner erſten Liebe. O Karl, es iſt doch ein Genuß, den wir niemahls empfinden werden, ſein Blick, mit dem er die ſchoͤne Natur betrachtet, die Heftigkeit, mit der ſein Herz fuͤr alles Schoͤne ſchlaͤgt, in der ganzen Welt, in allem, was er denkt und empfindet, koͤmmt ihm ihre Geſtalt verſchleiert entgegen. Mit Enthuſiasmus kletterte er auf die Klippen bei Dover und las dort eine Stelle75[73] Shakſpeares, o vergieb mir meinen Alexan - derſtolz, wenn ich nicht Mortimer waͤre, moͤcht ich wohl William Lovell ſeyn. Es thut mir aber dennoch weh, ihn oft ſo tief in Traͤumen verlohren zu ſehn, er ſeegelt uͤber einen Strom, wo er eine goͤttliche Ausſicht hat, er fuͤhlt ſich ſeelig, indem er ſein Auge an die Schoͤnheit der Landſchaft weidet; aber das Faͤhr - geld hinuͤber iſt zu theuer und er wird es ge - wiß ſelbſt bemerken, wenn die Fahrt geendigt iſt und er den Fuß an’s Ufer ſetzt. Er ſchreibt ihr, ſo viel ich bemerkt habe, und ich moͤchte mit mir ſelber zanken, daß ich zuweilen eine Art von Eiferſucht empfinde.

Der alte Willy iſt gegen ihn der ſeltſamſte Kontraſt, er iſt ſchon itzt mehr unſer Freund, als Diener, und William hat ihn ſelbſt aus ei - ner gewiſſen Vorliebe mitgenommen. Es iſt eins von den geliebten Weſen Rouſſeau’s, von keinen Wiſſenſchaften veredelt und verdorben, von keiner Gelehrſamkeit kluͤger und dummer ge - macht, von Schuͤchternheit und Praͤtenſion gleich weit entfernt: ein Weſen, ſo natuͤrlich und un - gekuͤnſtelt, als wenn es die muͤtterliche Natur nur ſo eben haͤtte in die Welt hineinlaufen laſ -76[74] ſen. Er gafft und ſtaunt alles an und theilt mir dann oft in langen Geſpraͤchen ſeine Be - merkungen mit.

William will ſich mit dem Eigenſinne ſeiner Empfindung gar nicht in den reizenden, ſchnell wandelbaren Charakter des liebenswuͤrdigſten Volkes finden, auf den Gaſſen iſt er betaͤubt, in Geſellſchaft wird er zu Tode geſchwatzt, im Trauerſpiel aͤrgert er ſich, im Luſtſpiel gaͤhnt er, in der Oper, hat er einigemahl ſogar ge - ſchlafen. Er iſt unvorſichtig genug, ſeine Be - merkungen oft Franzoſen mitzutheilen und dieſe finden dann, daß er den Sonderling ſpielt, daß ſein Geſchmack noch nicht gebildet iſt, mit einem Worte: daß er kein Franzoſe iſt. Dieſe Diſputen ſind mir immer ſehr langweilig, ein jeder haͤlt die Gruͤnde des andern fuͤr trivial und keiner verſteht den andern ganz, und beide haben Recht und beide Unrecht. Mit einem Baron hat er ſich hier ganz ernſthaft entzweit, weil er den Corneille fuͤr keinen erhabenen Dichter hielt, und ich ſeh es voraus, daß er auch naͤchſtens mit einem Marquis brechen wird, weil er die Oper nicht magnifique, superbe und divine findet. Ach, der arme William findet77[75] itzt nichts als ſein Maͤdchen divine; wenn das die Leute wuͤſten, ſie wuͤrden ihn gewiß in Ru - he laſſen.

Unter der Menge von Bekanntſchaften ha - ben wir einige ſehr intereſſante gemacht, einige habe ich von meiner vorigen Reiſe aufgefriſcht. Es iſt oft unendlich leichter, in einer ganz fremden Familie zu einer Art von Vertraulich - keit zu kommen, als in einem Zirkel, in wel - chem man ehemahls ſehr bekannt war, wo aber die Zeit die Erinnerung ganz ausgebleicht hat. Alles iſt verwittert, die neu aufgettagenen Far - ben wollen nicht ſtehn, nichts iſt in einem ge - wiſſen nothwendigen Gleichmaaß: man fuͤrchtet in jedem Augenblicke zu ſehr den Vertrauten, oder den kalt gewordenen Fremden zu ſpielen, man hat die Fugen der Seele indeß vergeſſen und greift auf dem Inſtrumente unaufhoͤrlich falſch. Den alten Grafen Melun hab ich wieder aufgeſucht, ſeine Nichte, die damahls ein huͤbſches Kind war, iſt ein ſehe ſchoͤnes Weib geworden, ihr Verſtand hat ſich nicht we - niger ausgebildet. Sie hat im vorigen Jah - re einen gewiſſen Grafen Blainville geheira - thet, der itzt ſeit einigen Monathen geſtorben78[76] iſt, ſie hat als Witwe das Anſehn des liebens[-]wuͤrdigſten Maͤdchens und ſie wuͤrde noch ge - faͤhrlicher ſeyn, wenn ſich die Koquette in ihr nicht bald verriethe. Der alte Graf iſt noch ganz der Mann, der er ehedem war, er gehoͤrt zu denen Leuten, die wenn ſie ſich aͤndern ſollen, nothwendig verliehren muͤſſen, das heißt: ſie ſind auf einen gewiſſen Punkt der Ausbildung gekommen, uͤber den ſie ihre ganze Lebenszeit hindurch nicht wegſchreiten, ſie ſind mit ihrem Verſtande und allen ihren Begriffen gluͤcklich in den Hafen eingelaufen und wagen nun um Alles keine zweite Fahrt. Sein Haus iſt noch immer ſo angenehm, wie vormahls, er verſammelt gern witzige Koͤpfe, ſchoͤne Geiſter, Gelehrte und Po - litiker um ſich her; aus mehreren Strahlen wird doch endlich ein Schein und dadurch wuͤr - de ihn mancher von unſern Doktoren auf ein ganzes Vierteljahr fuͤr einen ſehr geſcheidten Mann halten. Dort hab ich auch einen Ita - liaͤner Roſa kennen[lernen], deſſen genauere Be - kanntſchaft ich ſuchen werde. Ich kenne wenige ſo feine Geſichter; ein ſprechendes Auge, das jede ſeiner Behauptungen begleitet und ſie gleich - ſam deutlicher macht; einen Mund, gleich ſchnell79[77] ſich in das freundlichſte Laͤcheln und die Falten des bitterſten Spotts zu legen, ich habe nur noch wenig mit ihm geſprochen, aber alles, was er ſagte, hat mich zu ihm gezogen, ohne es zu wollen hat er meine Aufmerkſamkeit ganz auf ſich geheftet; er iſt kein Enthuſiaſt, aber auch kein kalter, verſchloſſener Menſch, er iſt ſehr empfindlich fuͤr das Schoͤne, ohne zum Dekla - mator zu werden. Es freut mich, daß er ſich an William ſchließt, von ſolchen Menſchen kann dieſer viel lernen, wenn er erſt den geheimen Haß abgelegt hat, den er gegen Weſen fuͤhlt, die ihm uͤberlegen ſind.

Wir ſind mit einem jungen, aufbrauſenden, ſonderbaren Deutſchen bekannt geworden, dem ſich William ganz und gar hingiebt; er heißt Balder und iſt auch nur ſeit kurzem in Paris. Zwei harmonirende Toͤne koͤnnen nicht ſo leicht in einander ſchmelzen, als dieſe beiden Seelen: beide ſind Enthuſiaſten, beide poetiſch geſtimmt, beide begegnen ſich mit gleicher Liebe. Ich mag noch itzt nichts davon merken laſſen, daß eine ſolche Freundſchaft, von zweien ſo ganz gleichgeſtimmten Weſen geſchloſſen, ſich ſelbſt bald aufzehren muß: es iſt ein ſchnelles aufloderndes80[78] Feuer, das aber keine Hitze hat und ohne Dauer iſt, denn wo man nicht fremde Fehler und fremde Vorzuͤge entdeckt, da kann man nicht verehren und nicht lieben; aber William wuͤr - de mir doch davon nichts glauben und darum ſchweig ich lieber, und wenn er ſelbſt mit der Zeit[dieſe] Erfahrung macht, ſo bietet er gewiß ſeinem eigenen Gefuͤhle Trotz, um ſich dieſe un - vermuthete Erſcheinung abzulaͤugnen.

Wenn Dir dieſer Brief große Langeweile macht, ſo haſt Du die deutlichſte Vorſtellung davon, wie William hier lebt; uͤbrigens ant - worte mir, ich bin muͤde, es iſt ſchon ſpaͤt, lebe wohl, und ſollteſt Du gerade ſo ſchlaͤfrig ſeyn, wie ich, ſo wuͤnſcht Dir eine angenehme Ruhe

Dein Freund Mortimer.

2.81[79]

2. William Lovell an ſeinen Freund Eduard Burton.

Paris, liebſter Freund, mißfaͤllt mir hoͤchlich; ich denke oft an Dich und an das einſame Bon - ſtreet zutuͤck, wenn ich mich hier in den glaͤn - zenden Zirkeln herumtreibe; dort war mei - ne Seele in einer ſteten lieblichen Schwingung, hier bin ich verlaſſen in Felſenmauern eingeker - kert, ein wuͤſter Muͤßiggang iſt mein Geſchaͤft, vom Geſchwaͤtze betaͤubt, von keiner Seele ver - ſtanden. Doch nein, ich will mich nicht an das Schickſal verſuͤndigen, ich habe hier einen Menſchen gefunden, wie ihn mein Herz bedarf, ich habe auch hier einen Freund, der mich fuͤr ſo viele verlohrne Stunden entſchaͤdigt. Ich habe die Bekanntſchaft eines jungen Deutſchen gemacht, er heißt Balder, ein Juͤngling, deſ - ſen Seele faſt allen Forderungen entſpricht, die meine uͤbertreibende Empfindung an einen Freund macht; er iſt ſanft und gefuͤhlvoll, ſein Her; wird leicht von der Schoͤnheit und ErhabenheitLovell, I. Bd. F82[80]erwaͤrmt, faſt allenthalben treffen ſich unſre verwandten Geiſter in einem Mittelpunkte, ohne daß doch unſrer Natur jene Nuͤancen mangeln, die, wie man behauptet, in der Freundſchaft und Liebe unentbehrlich ſind, um beide dauer - haft zu machen. Ich habe nicht, wie er, die - ſen tiefen Hang zur duͤſtern Schwaͤrmerei, dieſe Kindlichkeit, mit der er ſich an jeden Charakter ſchmiegt, den er liebt; ich bin kaͤlter und zu - ruͤckgezogener, meine Phantaſie iſt mehr in ſuͤ - ßen, lieblichen Traͤumen zu Hauſe, er wohnt oft unter Miltonſchen Schatten und in der Unterwelt Daute’s; alles macht auf ihn einen tiefen blei - benden Eindruck, ſobald er nur eine ſchwermuͤ - thige Seite auffinden kann, die Freude kann ihn nur aus der Ferne beleuchten, wie ein ſanf - ter untergehender Abendſchimmer. Sein Aeuße - res hat daher beim erſten Anblicke etwas Zuruͤck - ſcheuchendes, aber kaum kam ich ihm einen Schritt entgegen, als er ſogleich die ganze zwi - ſchenſtehende Wand niederwarf, die ſo oft auch die innigſten Freunde noch in manchen Stunden trennt. Aber ſo ſehr er auch mein Freund iſt, ſo kann ich ihn doch nicht mit der Liebe umfangen, mit der ich Dich liebe, Dein Bild -83[81] niß haͤngt im Vordergrunde meiner Seele, wo ſich die hellſten Strahlen verſammeln; auch in Balders Geſellſchaft fehlſt Du mir, koͤnn - teſt Du doch bei mir ſeyn, Du wuͤrdeſt ihn ge - wiß lieben, dann reiſten wir, drei Freunde mit Einem Herzen durch die ſchoͤne Welt, o Eduard, ich moͤchte weinen, wenn ich mir dieſe Seeligkeit lebhaft traͤume, und dann neben dem ſpottenden, froͤhlichen Mortimer erwache, der nur Geſellſchaft und Menſchengeſichter ſucht, um ſich die langweiligen Stunden hinwegzu - ſchwatzen. Er kann kein feinempfindendes Herz haben, er lacht beſtaͤndig, oder laͤchelt in ſeiner Kaͤlte uͤber meinen Enthuſiasmus, auch Balder ſcheint ihm nicht zu gefallen. Ich zweifle nicht an ſeinem Edelmuthe, er ſpricht, ſo ſcheint es mir, oft mit vielem Verſtande, er iſt aͤlter als ich und kennt die Welt mehr, aber ich zweifle, daß er den holden Einklang jener zarten Gefuͤhle verſteht, die ſich nur den feinern Seelen offenbaren. Zuweilen quaͤlt er mich wirklich, wenn ich eben unter goldenen Traͤu - men der Zukunft und Vergangenheit wandle, von Deinem Bilde, und der holdſeeligen Ge - ſtalt Amalien’s angelaͤchelt; mit ihm zugleichF 284[82]ein andres feindſeeliges Weſen, das ſich zu mir hinandraͤngt, ein Italiaͤner, ein ſogenannter fei - ner und ausgebildeter Mann, mein Herz kann ihm nicht vertraulich entgegenſchlagen, mir iſt in ſeiner Gegenwart aͤngſtlich und beklemmt; ich mag lieber viele Stunden mit dem alten ehrlichen Willy zubringen, ſein gutmuͤthiges Geſchwaͤtz koͤmmt aus ſeinem Herzen, ich weiß, daß er nicht uͤber mich ſpottet, daß er mich nicht ſtudiert, um ſeine Menſchenkenntniß zu vermehren.

Du wirſt mir vielleicht wieder Bitterkeit und Uebertreibung vorwerfen, mags, aber ich wuͤnſche nichts ſo ſehnlich, als den Tag an wel - chem ich Paris verlaſſe. Ich finde hier nichts von allem, was mich intereſſirt; die Stadt iſt ein wuͤſter, unregelmaͤßiger[Steinhaufen], in ganz Paris hat man das Gefuͤhl eines Gefaͤngniſſes, die Pracht des Hofes und der Vornehmen kon - traſtirt auf eine widrige Art mit der Armſee - ligkeit der gemeineren Klaſſen; alles erinnert an Sklaverei und Unterdruͤckung. Die Gebaͤude ſind mit kleinlichen Zierrathen uͤberladen, man ſtoͤßt auf kein Kunſtwerk, in welchem ſich ein erhabener Geiſt abſpiegelte, die Goͤttinn der85[83] Laune und des lachenden Witzes hat alles Gro - ße zum Reizenden herabgewuͤrdigt und ſo ſind aus den maͤnnlichen, kraftvollen Urbildern Roms und Griechenlands gezierte und unnatuͤrliche Hermaphroditen geworden. Von dem großen Zwecke, von der erhabenen Beſtimmung der Kuͤn - ſte, von jenem Gefuͤhle, aus welchem die Grie - chen ihren Homer und Phidias an die Halb - goͤtter richten, davon iſt auch hier die letzte Ahndung verlohren gegangen, man lacht, man tanzt und hat gelebt. Ach, die goldenen Zeiten der Muſen ſind uͤberhaupt auf ewig ver - ſchwunden! Als ſich noch die Goͤtter voll Mil - de auf[die] Erde herabließen, als die Schoͤnheit und Fruchtbarkeit noch in gleichgefaͤlligen Ge - waͤndern auf den bunten Wieſen verſchlungen tanzten, als die Horen noch mit goldenem Schluͤſſel Auroren ihre Bahn aufſchloſſen und ſeegnende Gottheiten mit dem wohlthaͤtigen Fuͤll - horne durch ihre lachende Schoͤpfung wandelten, ach damahls war die Zeit, in der die Menſchheit in ihrer Bluͤthe ſtand. Verſinnlicht ſtand die erhabene Weisheit[unter] den fuͤhlen - den Menſchenkindern, an mitfuͤhlende Goͤtter - herzen gelangte das Gebet des Flehenden, Goͤt -86[84] ter hielten Wacht an dem Lager des ſchlafenden Elenden, keine Wuͤſte war unbewohnt, ſeine Goͤtter landeten mit dem Verirrten an fremde Geſtade, Sturmwinde und Quellen ſprachen in verſtaͤndlichen Toͤnen, in der ſchoͤnen Natur ſtand der Menſch unbefangen da, wie ein ge - liebtes Kind im Kreiſe ſeiner zaͤrtlichen Fa - milie, aber itzt, o Eduard, ſchon oft hab ich es gewuͤnſcht und ich ſag es Dir ungeſcheut, ich bedaure es, daß man den[entzuͤckten] Menſchen ſo nahe an das ſchoͤne Gemaͤhlde ge - fuͤhrt hat, daß die taͤuſchenden Perſpektive ver - fliegen: wir lachen itzt uͤber die, die ſich einſt von dieſen grobaufgetragenen Farben, von dieſen verwirrten Strichen und Schatten hintergehn ließen und Leben auf der todten Leinwand fan - den, wir haben den Betrug mit Einem drei - ſten Schritte entraͤthſelt, aber was haben wir damit gewonnen? Die Geſtalten ſind verſchwun - den, aber unſer Blick dringt doch nicht durch den Vorhang, und wenn er es koͤnnte, wuͤr - den wir mit dieſen koͤrperlichen Augen et - was wahrnehmen? Iſt der Menſch nicht zur Taͤuſchung mit ſeinen Sinnen geſchaffen, wie iſt es moͤglich, daß ſie jemahls aufhoͤre?

87[85]

Vergieb mir meine Ausſchweifung, aber ich liebe den Regenbogen, wenn man mir gleich be - weiſt, daß er nur in meinem Auge exiſtire, iſt mein Auge nicht ein wirkliches Weſen und darum fuͤr mich auch die Erſcheinung wirk - lich? Ich haſſe die Menſchen, die mit ihrer nachgemachten kleinen Sonne in jede trauliche Daͤmmerung hineinleuchten und die lieblichen Schattenphantome verjagen, die ſo ſicher unter der gewoͤlbten Laube wohnten. In unſerm Zeit - alter iſt es vielleicht Tag geworden, aber das romantiſche Mondlicht war ſchoͤner, als die - ſes graue Licht des wolkigen Himmels; den Durchbruch der Sonne und das reine Aether - blau muͤſſen wir erſt von der Zukunft erwar - ten.

Wie mich alles hier anekelt! Man ſpricht und ſchwatzt ganze Tage, ohne auch nur ein einzigmahl zu ſagen, was man denkt; man geht in’s Konzert, ohne die Abſicht zu haben, Muſik zu hoͤren; man umarmt und kuͤßt ſich, und wuͤnſcht dieſe Kuͤſſe vergiftet. Es iſt eine Welt voller Schauſpieler und wo man uͤberdies noch die meiſten Rollen armſeelig darſtellen ſieht, wo man die fremdartigen Maſchinerien88[86] der Eitelkeit, Nachahmungsſucht oder des Nei - des ſo deutlich durchblicken laͤßt, daß bei man - chen keine Taͤuſchung moͤglich iſt.

Ich bin aus Langeweile einigemahl in’s Theater gegangen. Tragoͤdien voller Epigram - men, ohne Handlung und Empfindung, Tira - den, die mir gerade ſo vorkommen, wie auf al - ten Gemaͤhlden Worte den Perſonen aus dem Munde gehn, um ſich deutlich zu machen, dieſe hertragirt, auf eine Art, daß man oft in Verſuchung koͤmmt zu lachen; je mehr ſich der Schauſpieler von der Natur entfernt, je mehr wird er fuͤr einen großen Kuͤnſtler gehalten, Koͤ - nige und Koͤniginnen, Helden und Liebhaber ſind mir noch nie in einem ſo armſeeligen Lich - te erſchienen, als auf der Pariſer Buͤhne, kein Herz wird geruͤhrt, keine Empfindung an - geſchlagen, genug, man hoͤrt Reime klingeln und der Vorhang ſagt einem am Ende doch, daß nun das Stuͤck geſchloſſen ſey, und ſo hat man, ohne zu wiſſen wie, ein chef d’oeuvre des groͤß - ten tragiſchen Genie’s geſehn. O Sopho - kles! und goͤttlicher Shakeſpear! Wenn man den Buſen mit euren Empfindungen ge -89[87] fuͤllt, von eurem Geiſte angeweht dieſe Mario - nettenſchauſpiele betrachtet!

Und dann die froſtigen langweiligen Luſt - ſpiele! wo ein ſogenannter witziger Einfall das ganze Parterre wie mit einem elektriſchen Schla - ge trifft, wo nicht Menſchen, ſondern ausgehoͤhl - te Bilder auftreten, in welche ſich der Dichter mit ſeinem Witze verkriecht! Ein ſchaales, leeres Wortgeſchwaͤtz, alles Ein Weſen, alles Eine wiederkehrende, alltaͤgliche Idee; doch iſt fuͤr dieſe Poſſen das Schellengeklingel ihrer Reime etwas angemeſſener.

In der großen, weltberuͤhmten Pariſer Oper bin ich eingeſchlafen. Arme und Fuͤße eines Giganten an den Koͤrper eines Zwerges geſetzt, machen doch wirklich ein vortreffliches Ganzes aus! Muſiker, Mahler, Taͤnzer, Dichter, ar - beiten ſich auſſer Athem, um ein armſeeliges Ungeheuer zu Stande zu bringen, das nicht ein - mahl das Verdienſt der Unterhaltung hat.

Doch hinweg von dieſen Kleinigkeiten! Seit ich Frankreich kennen lerne, fang ich an, mein Vaterland um ſo hoͤher zu achten, dort woh - nen Freundſchaft und Liebe, dort ſchaͤmen ſich90[88] die Menſchen nicht, ein Herz zu haben und ihre Gefuͤhle zu bekennen, o Amalie! unaufhoͤr - lich denk ich an dich! Ich[erwarte] nun bald ei - nen Brief von ihr, ich habe ihr ſchon geſchrie - ben. An dieſen Nahmen knuͤpfen ſich tau - ſend ſuͤſſe und bittre, ſchwermuͤthige und frohe Empfindungen: dieſe Hofnung iſt eine Sonne, die meine neblichten Tage vergoldet, in Ama - liens Buſen liegt der Schatz, der mich einſt gluͤcklich machen muß. Ohne ihre Liebe hab ich keinen[Begriff] von Gluͤck, und daß ich ſie einſt weniger lieben koͤnnte, iſt mir undenkbar.

Ich habe indeß ſchon manche ſchoͤnere Ge - ſtalt geſehn, als Amalie iſt, aber ich habe im - mer ſelbſt in meinem Herzen daruͤber triumphirt, wie ſie in meiner Phantaſie uͤber alle uͤbrigen hinwegragt. Sie gehoͤrt nicht zu jenen Schoͤn - heiten, die das Auge augenblicklich feſſeln und die Seele kalt und erſtorben laſſen; ſo iſt die Nichte eines Grafen Melun hier vielleicht das reizendſte weibliche Geſchoͤpf, das ich je geſe - hen habe, aber das imponirende ihrer feurigen Lebhaftigkeit iſt ſehr von jener holdſeeligen Herr - ſchaft verſchieden, die[aus] Amalien’s Augen91[89] uͤber die Sele gebietet. Alle Vergleichungen, die meine Gedanken vornehmen, dienen nur, ſie mit neuen unwiderſtehlichern Reizen als Siege - ri[n]n in meine Arme zu fuͤhren.

Schreibe mir bald, ſehr bald, ich bin

Dein ewiger Freund. William Lovell.

92[90]

3. Willy an ſeinen Bruder Thomas.

Da ich Dir nun einmahl ſchreibe, ſo weiß ich doch wahrhaftig nicht, wo ich anfangen ſoll, ſo voll iſt mir der Kopf von merkwuͤrdigen Schrei - bereien und ich moͤchte die Feder in beide Haͤn - de nehmen, um Dich nur recht viel erfahren zu laſſen, aber beſonders viel wuͤrde es nicht helfen. Daß der Herr William ein guter Mann iſt, das wirſt Du Dir wohl ſchon mit Deinem bißchen Verſtande zuſammenreimen koͤn - nen, aber daß er ſo gut mit mir umgeht, wie ein Vater mit ſeinem Kinde, das die Pocken hat, das wirſt du vielleicht nimmermehr glauben wollen; aber da kann ich Dir nun nicht helfen, denn es iſt wahr, und der Wahrheit muß man die Ehre geben.

Haſt Du wohl ſchon ein ordentliches Pup - penſpiel mit lebendigen Perſonen geſehn? Sol - che ſind hier viele und man hat beſondre Haͤu - ſer dazu fuͤr die Leute gebaut, die es auch mit anſehn wollen. Man ſollte nicht glauben, daß93[91] ſo viele Leute eine ſolche Neugier in ſich haͤt - ten. Es iſt immer ſehr hell bei ſolchen Gele - genheiten, von den vielen Lichtern nehmlich, Thomas, mußt Du verſtehn, die ringsum in dem ganzen Hauſe brennen, denn ſonſt wuͤrden die Leute, die es gern ſehn wollen, wenig ſehn, und bei Tage muͤſſen ſich doch wohl die Komoͤ - diantentruppen ſchaͤmen, ihre Sachen vorzuſpie - len, ich wenigſtens wuͤrde auch ebenfalls am Abende nicht mitſpielen, und wenn ſie mir auch die vornehmſte Rolle geben wollten. Eine Art von Stuͤcke giebt es, wo man immer wei - nen muß, ich habe es aber, bei aller Muͤhe, noch nicht dahinbringen koͤnnen; die vornehmen Da - men ſind darinn mehr geuͤbt, aber der gute Herr William nimmt mich manchmal doch wie - der mit: er hat auch noch kein einziges mahl darinn geweint, ich denke, es macht, weil wir hier nur Fremde ſind.

In einem andern großen[Hauſe] lachen die Leute immer aus vollem Halſe, es iſt doch wirk - lich viel, daß das die Komoͤdiantenleute nicht uͤbel nehmen, denn ich wenigſtens, ſo ein alter Mann ich auch ſonſt bin, ich wuͤrde grauſamlich anfangen zu ſchimpfen und zu fluchen. Ich94[92] kann darum hier den jungen Italiaͤner nicht lei - den, der meinen Herrn manchmal beſucht, er hat ein paarmal angefangen zu lachen, als ich mit meinem Herrn William eine ernſthafte Rede anfing; das Auslachen kann ich gar nicht lei - den, Thomas, Du weißt noch, daß wir uns ſchon in einigen der ehemaligen Jugendjahre tuͤchtig ausſchlugen, weil Du mich etlichemahl hatteſt auslachen wollen, doch, das iſt itzt vor - bei und ich hab es Dir vergeben.

Wie ich Dir ſagen wollte, ſo gefaͤllt mir das Ding am beſten, was ſie hier zu Lande die Oper nennen, da braucht man nicht zu thun, als wenn man es verſtuͤnde, denn da wird ei - nem jeden alles weitlaͤuftig vorgeſungen und es iſt ein recht vernuͤnftiger Gedanke, daß wenn ſie uͤberdruͤſſig ſind zu ſingen, ſo ſpringen ſie etli - che Saͤtze herum, nur wuͤrde ich dieſe Taͤnze nicht mitmachen koͤnnen, es iſt mir zu kuͤnſtlich. Aber ſonſt gefaͤllt mir die ganze Sache ſo ziem - lich, die Muſik iſt Dir immer unter ſehr viel Inſtrumente abgetheilt, damit der Laͤrmen deſto groͤßer wird und die Komoͤdiantenſaͤnger nicht die Herzhaftigkeit verliehren, denn das iſt nicht ein ſchlechter Spaß, wenn auf etliche darunter95[93] immer geſchoſſen wird, oder manchmahl werden ſie auch ordentlich geſtochen und ſterben, ſo einen Mann moͤchte ich wenigſtens nicht vorſtel - len. Herrlich ſind dabei die Bilder, welche Haͤu - ſer, oder Gaͤrten, oder ſo etwas vorſtellen, man moͤchte manchmahl hineingehn, ſo natuͤrlich ſcheint es in der Ferne auszuſehn. Neulich war eine große Pruͤgelei hier, ich glaube, es war eine Schlacht, die der beruͤhmte Alexander mach - te. Sie war gut.

Es giebt in Paris erſtaunlich viele Menſchen, der Koͤnig muß doch einen großen Kopf haben, der ſo das ganze Volk regiert. In Paris giebt es auch ſehr viel arme Leute; ach Thomas, ich denke doch immer, daß die armen Franzoſen auch meine Bruͤder ſind, wenn ich auch im Grunde ein Englaͤnder bin, ich habe manchem ſchon etwas von meinem Ueberfluſſe gegeben und die bedanken ſich denn immer ſo ſehr, als wenn ich wunder was! gethan haͤtte, manche ſa - gen immer, daß ſie ſo ſehr hungern. Wozu doch der liebe Gott wohl die ſo ganz armen Menſchen in der Welt geſchaffen haben mag? Wenn ich erſt einem etwas gebe, ſo kommen gleich eine Menge um mich herum, die mich ſo96[94] mit barmherzigen Augen anſehn, daß ich es gar nicht laſſen kann, ihnen auch was zu geben; der eine druͤckt mir dann die Hand, der andre ſieht nach dem Himmel, der dritte weint, o da hab ich oft mitgeweint und mich nicht dazu gezwungen, es kamen mir die Thraͤnen ganz unverhofft, ach, es ſind recht gute Leute, wenn ſie nur ihr gehoͤriges Brod in der Welt haͤtten.

Die vornehmen Leute fahren hier in der Stadt ſehr geſchwinde, viel zu geſchwinde, wie ein Jagdpferd. Es werden oft Leute uͤberge - fahren und da machen ſie ſich nicht viel draus, ſie fahren uͤber die Menſchen ganz geruhig weg, Thomas, auch daruͤber hab ich neulich geweint, wie ſie ſo einen armen alten Mann uͤbergefahren hatten, der eben ſeinen Kindern Brodt eingekauft hatte, es war gerade ein Feſt und er hatte ſich weiß Brod gekauft, um ſich doch auch eine Freude zu machen, und nun fuh - ren ſie ihn gerade ſo unbarmherzig uͤber, daß er ſchon am Abende ſtarb. Es iſt nicht recht, Thomas, ich koͤnnte nicht wieder recht ruhig ſchlafen, aber das iſt hier nicht anders, wir97[95] war beide haben noch Niemand uͤbergefahren, denn wir ſind immer zu Fuße gegangen, auſſer ſeit ich mit meinem Herrn auf Reiſen bin, da wuͤrd ich nicht ſehr gut mit kommen. Uebri - gens bleibe mein Bruder, ſo wie ich bin

Dein guter Bruder. Willy.

Lovell, I. Bd. G98[96]

4. Thomas an ſeinen Bruder Willy.

Ich habe Deinen Brief bekommen, Willy, und es freut mich, daß Du auch immer noch in der großen weiten Welt an Deinen Bruder denkſt, das iſt ſehr brav von Dir. Ich habe ſchon von ſolchem naͤrriſchen Zeuge und auch von ſolchen Greuelthaten gehoͤrt, wie Du mir da ſchreiben willſt, es iſt in der Welt einmahl nicht anders. Ich weiß nicht, ob Du ſchon da - von gehoͤrt haſt, daß ich itzt in Bonſtreet woh - ne und in Dienſten beim alten Lord Burton bin. Die Lady Buttler iſt geſtorben und da bin ich nun hierhergekommen. Der alte Lord iſt bei weitem nicht der Mann, der er ſeyn koͤnnte, wenn er ein recht guter Chriſt waͤre, nun, Du wirſt ihn ja kennen, aber der junge Herr iſt auch ein deſto lieberer Herr, wenn der erſt einmahl die Herrſchaft kriegen wird, da werden ſich die Unterthanen recht freuen, zu de - nen ich doch itzt auch gehoͤre. Ich wuͤnſchte wohl, daß ich’s noch erlebte, und daß Du, Wil -99[97] ly, mich dann in Bonſtreet beſuchteſt, oder gar hier bliebeſt, der junge Herr Burton naͤhme Dich gewiß gleich in Dienſte, dann wollten wir unſre letzten Tage noch recht vergnuͤgt zuſam - men leben. Gruͤße doch Deinen Herrn von mir und ſage ihm, er moͤchte mein guter Freund bleiben, ſo wie ich

der Seinige. Thomas.

Nachſchrift. Schreibe mir ſo oft Du kannſt, Willy, nur muß ich Dir noch ſa - gen, daß Deine Art zu ſchreiben gerade nicht die ſchoͤnſte iſt, alles iſt immer ſo dunkel, wenn man nicht ſelbſt etwas Verſtand haͤtte, ſo wuͤr - de man Dich nimmermehr verſtehn. Dem - ohnerachtet bin ich

Dein zaͤrtlicher Bruder, Thomas.

G 2100[98]

5. Eduard Burton[an] William Lovell.

Es thut mir ſehr leid, William, Dich in ei - ner ſo menſchenfeindlichen Stimmung zu wiſſen, denn von dieſer zeugt Dein ganzer neulicher Brief. Ich mag Dir es nicht auseinander - ſetzen, wie ich glaube, daß Du die Sachen an - ſehn muͤßteſt, Du wuͤrdeſt mich zum Theil[nicht] recht verſtehn und theils wuͤrdeſt Du das an Deinem Freunde fuͤr Kaͤlte halten, was gerade die waͤrmſte Freundſchaft aus ihm ſpraͤche: dar - um ſchweig ich und troͤſte mich mit dem Ge - danken, daß Deine Empfindung ſelbſt, die Dich itzt noch in ſo vielen Stuͤcken ungluͤcklich macht, Dich endlich zu jenem Standpunkte fuͤhren wird, von wo Du jede Geſtalt in ihrem wahren Ver - haͤltniſſe zum Ganzen ſiehſt. Waͤr ich doch bei Dir! von den Lippen des Freundes faßt man jede Idee leichter und williger, alles ſieht dann freundlich aus, was in der Ferne kalt und verdruͤßlich ſcheint.

In Deiner Anwandelung von Schwermuth101[99] klagſt Du uͤber die Verſchwindung jener liebli - chen Phantome, an die einſt die Menſchheit ſo feſt hing, Du glaubſt, die ganze Menſchheit ha - be ſoviel dadurch verlohren, als Du in einer elegiſchen Stimmung zu verliehren glaubſt. Sollten aber die Menſchen ſeit ſo vielen Jahr - hunderten gar nichts gewonnen haben? Sie ſind aus ſuͤßen Traͤumen geweckt und die erſten Empfindungen des Erwachens koͤnnen freilich nuͤchtern und unangenehm ſeyn, aber willſt Du Dir darum einen Schlaf zuruͤckwuͤnſchen, der doch nur Schlaf, nur Mittel war, Dich zur Thaͤtigkeit vorzubereiten? Im Kindesalter der Welt unterwieſen Weiſere ſpielend die Menſch - heit, mit der Phantaſie im Bunde traten auf ihr Geheiß neugeſchaffene Traumwelten hervor, Dichter und Kuͤnſtler bauten das Gebaͤude aus und verſchoͤnerten es mit verehrender Liebe. Das Kind aber ward zum Juͤnglinge, der Juͤng - ling naͤherte ſich dem Manne, die Zeit ſtuͤrzte die Grundfeſten des ſchoͤnen Pallaſtes, deſſen Truͤmmern Du bedauerſt: man dachte ohne Bil - der, man liebte die Tugend ohne Furcht der Strafe, ohne Hofnung der Belohnung; waͤren die Jahrhunderte ſeitdem gleichmaͤßig fortge -102[100] ſchritten, o ſo koͤnnten wir freilich jenem glaͤn - zenden Ziele ſchon ungleich naͤher ſeyn, das uns nur noch an der Graͤnze des Horizontes ſchim - mert und deſſen Daſeyn daher der Kurzſichtige laͤugnet.

Und glaubſt Du denn nicht, daß uns jene Truͤmmern nicht vielleicht einen ſchoͤnern Tem - pel verſprechen, als wirklich auf jener Stelle ſtand? Es iſt ſchwer die Vergangenheit nicht in einem falſchen Lichte zu ſehn, denn die Phan - taſie hat zum Idealiſiren ganz freien Spiel - raum, unſre Lieblingstraͤume pflanzen wir in Zeiten, bei denen wir eine Vorliebe empfinden und ſo bluͤht nach und nach ein Garten auf, der die haͤßlichen Theile der Landſchaft mit ſei - nen angenehmen Schatten verdeckt, aber laß Dir die Wahrheit lieber ſeyn, als dieſen magiſchen Betrug. Es gab in allen Zeiten große Menſchen, es gab von jeher veraͤchtliche Weſen: die Schlange ſaugt auch aus Blumen Gift; einige Menſchen verſtehn ewig nicht die Groͤße ihrer Beſtimmung, dieſe kriechen ſtets im Staube, ſie kennen die Sonnenſtrahlen nicht. Laß die Menſchheit nicht die Veraͤchtlichkeit dieſer buͤßen, oder Du biſt in Deinem Eifer ungerecht.

103[101]

Aber Du magſt ſelbſt Recht behalten; mag ſelbſt der Fruͤhlingsgeiſt entwichen ſeyn, der jene fruͤheren Jahre beſeelte, laß die Welt in eine truͤbe Dumpfheit geſunken ſeyn, den Himmel mit Wolken verhuͤllt, die uns den Verluſt des Morgenrothes bereuen laſſen, aber Du wirſt nicht laͤugnen wollen, daß ſchoͤnere Jahre kom - men werden, daß ſie kommen muͤſſen, daß ſie nicht mehr ſo fern ſind, als uns itzt jenes Zeit - alter holder Traͤume entfernt liegt, ſcheuſt Du Dich in dieſer Ueberzeugung der hoͤheren Veredlung ein kleines Opfer zu bringen? Laß es auch die ſchoͤnſten Blumen der Flur ſeyn, ſie werden der ſchoͤnſten Gottheit gebracht.

Was kuͤmmern Dich auch die Weſen umher? Fuͤhlſt Du in Deinen Adern die Kraft des Al - ciden, o ſo beſteige kuͤhn den Felſen, der Dir der hoͤchſte ſcheint. Spuͤrſt Du in Deinem Bu - ſen Raum fuͤr Gottergefuͤhle, ſammle ſie ſorg - faͤltig ein, verbinde im Wachsthume Deiner Seele alles, was Du ſchoͤn und edel nennſt und laß es bluͤhen und reifen. Gegruͤßt ſeyſt Du mir dann mit dieſen Schaͤtzen, mit neuer Liebe will ich Dich dann an meinen Buſen druͤcken und demuͤthig den Geiſt in Dir verehren, der hoch erhaben uͤber dem meinigen flammt.

104[102]

Vielleicht ſind die Schatten dieſer Melan - cholie indeß ſchon voruͤbergezogen und ein heite - rer Brief von Dir iſt auf dem Wege hierher: auch in dieſem Falle wird mein William ſeinem Eduard verzeihen. Ich glaube aber, daß Du dem guten Mortimer ſehr Unrecht thuſt, ein falſcher Blick in die Seele eines Menſchen bei der erſten Bekanntſchaft kann uns ihn auf lan - ge unverſtaͤndlich machen, und ich glaube, daß dies hier der Fall iſt, ich habe ihn von Leuten, die ich ſehr ſchaͤtze, loben hoͤren, auch Dein Va - ter achtet ihn ſehr.

Traͤume, lieber William, und berauſche Dich in Enthuſiasmus und Begeiſterung, nur glaube mir, daß zum Handeln eine Art von Kaͤlte nothwendig iſt, glaube mir, daß jener Taumel ſehr leicht zur Erſchlaffung fuͤhrt. Ich fuͤrchte, daß Dein neuer Freund Dir ſchon itzt ſeine finſtre Laune mitgetheilt hat, die eben ſo gut, wie die Heiterkeit, anſteckend iſt, vorzuͤg - lich bei Deinen reizbaren Empfindungen, bei Deiner feurigen Phantaſie. Zuͤrne aber nicht auf mich, wenn ich ſo oft den Philoſophen ſpie - le, waͤr ich weniger Dein Freund, ſo wuͤrd ich mehr ſchuͤchtern ſeyn.

105[103]

Ich lebe hier im einſamen Bonſtreet, in ei - ner Unthaͤtigkeit, die mich ungluͤcklich macht. Mir fehlt alles, denn mir fehlt ein Freund. Auch mein Vater macht mich oft betruͤbt, ich kann mich oft nur gezwungen mit dem Ge - danken troͤſten, das wieder aufzubauen, was er taͤglich einreißt, ich mag es mir nicht leb - haft denken, daß er ein ſchlechter Menſch ſey, ich kann es nicht glauben, ſo allgemein und feſt es auch die ganze Welt glaubt, er iſt ſchwach, er handelt nach Prinzipien, die ge - wiß falſch ſind, er iſt durch einſeitige und trau - rige Menſchenkenntniß gegen Mitleid und Theil - nahme abgehaͤrtet, aber er macht mir vielen Kummer, und wenn er auch mit mir vaͤterlicher umginge, ich wuͤrde doch ſeinetwegen trauern.

Deine Tante in Waterhall iſt geſtorben, ihr Gut iſt an Dich gefallen, William, darf ich mir eine ſchoͤne Zukunft denken, in welcher Du dort wohnſt, ſo nahe bei mir, wo wir uns dann oft die Hand druͤcken und in die Arme ſchließen koͤnnen? Ich verweiſe alle mei - ne Wuͤnſche in jene Zeit, aber eine boshafte Ahndung will es mir manchmal ablaͤugnen, daß ſie ſich je dort erfuͤllen werden. Nicht wahr,106[104] William, dieſe Ahndung hat Unrecht? Sie ent - ſteht gewiß nur aus dem Gefuͤhle meiner itzigen Einſamkeit.

Ich bemerke eben, daß mein Brief nun ſelbſt melancholiſch geworden iſt, indem ich noch dem Deinigen einen Vorwurf daraus machte. Du ſiehſt, wie viel leichter es iſt, zu tadeln, als beſſer zu machen; doch laß Dich auch dieſe Wahrheit nicht abhalten, einen recht frohen Brief zu ſchicken Deinem zaͤrtlichen

Eduard.

107[105]

6. William Lovell an Amalie Wilmont.

O Amalie, duͤrft ich mit dieſem Briefe zu - gleich nach meinem Vaterlande eilen, in Ihre Arme fliegen, o koͤnnt ich Tage zuruͤckzaubern und alle Seeligkeiten von der Vergangenheit wieder fodern! Ich ſitze nun hier und wuͤn - ſche und ſinne, und fuͤhle ſo innig die Schmer - zen der Trennung, o wie dank ich dir, gluͤck - licher Genius, der du zuerſt das Mittel erfan - deſt, Gedanken und Gefuͤhle einer todten Maſſe mitzutheilen und ſo bis in ferne Laͤnder zu ſpre - chen, o Amalie! gewiß war es ein Lieben - der, ein Geliebter, der zuerſt dieſe kuͤnſtlichen Zeichen zuſammenſetzte und ſo die Trennung hin - terging. Aber doch, was kann ich Ihnen ſa - gen? daß nur Sie mein Gedanke im Wachen, meine Traumgeſtalt im Schlafe ſind? Daß ſich meine Phantaſie oft ſo ſehr taͤuſcht, daß ich Sie in fremden Geſtalten wahrzunehmen glaube? daß ich zittre, wenn auch das fremdeſte Weſen von ohngefaͤhr den Nahmen: » Amalie »,108[106] nennt? Mit welchen Worten ſoll ich die Ge - fuͤhle ausdruͤcken, die mein Herz erweitern und zuſammenziehn? Kein Zeichen entſpricht der lebendigen Gluth in meinem Innern, o der hat nur halb empfunden, der noch Worte ſuchte und Worte fand, ich kann, ich mag Ihnen nichts vorſchwatzen, nur ein Wunſch, nur eine Bitte, vergeſſen Sie nicht Ihren aufrich - tigen, zaͤrtlichen William, der Sie ewig nicht vergeſſen kann.

109[107]

7. Amalie Wilmont an William Lovell

Mit einer innigen Wehmuth ſetz ich mich nieder, um Ihnen zu ſchreiben; ich haͤtte Ih - nen ſo manches zu ſagen, ſo manche Antwort von Ihnen zu erbitten und doch bin ich in Verlegenheit, wie ich es Ihnen ſagen ſoll. So unerwartet ich Sie in London wiederſah, eben ſo ploͤtzlich ſind ſie nun wieder abgereiſt, alle meine Empfindungen, frohe und traurige, wiegen mich in einen Traum, in welchem ich keinen Begriff, kein Gefuͤhl feſſeln, nachdenken und empfinden kann. Ach William, in der kurzen Zeit, in welcher ich Sie kannte, hatt ich mich ſo frei, ſo kuͤhn, und (ich weiß nicht, wie ich es nennen ſoll) ſo groß gefuͤhlt, daß ich der Zukunft froh und ohne Scheu entgegenſah, aber itzt beklemmt eine unnennbare Bangigkeit meine Bruſt, mein Muth verlaͤßt mich, ich fuͤhle mich einſam und verlaſſen, ich bin wie -110[108] der ein Kind, wie ich vorher war. Ach, ich weiß ſelbſt nicht, was ich von mir will, die Zu - kunft und die ganze Welt liegt in einer finſtern Ausdehnung vor mir, ich ahnde, daß die Freu - den dieſes Lebens vielleicht die zarteſten Blu - men ſind; wehe dem Herzen, in welchem der Fruͤhling zu fruͤh aufgeht, ein einziger wieder - kehrender Wintertag laͤßt alle Bluͤthen erſter - ben, dann ruft ſie kein Sonnenſchein in’s Le - ben zuruͤck, keine herabfallende Thraͤne erquickt ſie wieder. William, wenn dieſer ewige Win - ter meiner wartete? Doch, laſſen Sie uns abbrechen, wir koͤnnen dem Schickſale nicht ge - biethen, aber Wuͤnſche ſind doch verzeihlich.

Ihr Vater iſt von neuem unpaͤßlich gewor - den, er ſieht ſehr bleich aus, ich habe ihn neu - lich in London geſehn; doch ſeyn Sie nicht be - truͤbt daruͤber, etwas iſt er indeß ſchon beſſer geworden. Mit welcher Freude ſprach er von Ihnen! O wie liebt ich ihn um dieſer Lie - be willen! Ich fuͤhlte mich in Ihrem Lobe ſo geehrt, und, ich weiß nicht, ob ich wei - ter ſchreiben ſoll, ach William, und da ſprach er von ſeinen Planen mit Ihnen, von gewiſſen Verbindungen, die ſo gut wie geſchloſ -111[109] ſen waͤren, er nannte mehrmahls den Nahmen der Lady B. ***, ich konnt ihn nicht mehr lieben, alle Freundlichkeit ſeines Geſichts ward fuͤr mich ploͤtzlich ein furchtbarer Ernſt.

Leben Sie wohl. Welches Recht hab ich denn auch, Ihr Gluͤck, das Gluͤck Ihrer Fami - lie nicht zu wuͤnſchen? Leben Sie wohl.

Amalie Wilmont.

112[110]

8. Der alte Lovell an ſeinen Sohn William.

Ich ſchreibe Dir, indem ich mich eben von einer neuen[Krankheit] erholt habe, die nicht ohne Gefahren war. Itzt iſt mir beſſer, nur leid ich von einer Art von Schwermuth, in welcher ich oft den truͤben Gedanken nicht los werden kann, daß ich Dich bei Deiner Abreiſe zum letztenmahle geſehen habe. Ich rufe mir dann lebhaft Dein Bild zuruͤck und gaͤbe alles hin, um Dich in einem ſolchen Augenblicke zu ſehn, ich bin ſchon oft im Begriffe geweſen, Dir zu ſchreiben, daß Du in der moͤglichſten Eile zuruͤckkommen moͤchteſt; aber nein, bleib dort, wo Du Dich vergnuͤgſt und unterrichteſt lerne Menſchen kennen und bilde Deinen Ver - ſtand aus, ich will meine ganze Kraft aufbieten, dem Tode zu trotzen, dann will ich den gelieb - ten Sohn deſto inniger an mein Herz druͤcken, dann will ich mich am Anblicke ſeines Gluͤckes laben und ruhig ſterben. Alle Freuden ſindmir113[111]mir abtruͤnnig geworden, aber die Vaterfreuden werden bei mir aushalten. Dein Gluͤck iſt itzt die einzige Hofnung, die mich an dieſe Welt feſſelt, in ihrer Erfuͤllung will ich am Abende meiner Tage von allen Beſchwerden und Muͤh - ſeeligkeiten der Reiſe ruhen. Ich habe viel erlitten, o William; lerne die Menſchen kennen, wenn ſie Dich nicht elend machen ſollen: begeg - ne nicht jedem mit Deiner heißeſten Liebe, um nicht einſt das ganze Geſchlecht zu haſſen; ſey ſparſam mit Deinem Vertrauen, um nicht einſt in einem ewigen Mißtrauen zu verſchmachten. Sollteſt Du in der itzigen Glut Deiner Phan - taſie die Erfahrungen machen, die ich aushalten mußte, wo wollteſt Du itzt die Staͤrke her - nehmen, um Deine Moralitaͤt, Deine Menſch - heit nicht untergehn zu laſſen? Das Auflodern - de in Deinen Gefuͤhlen hat mich oft um Dich beſorgt gemacht; ohne zu unterſuchen, trauſt Du jedem Weſen, das Dir nicht mißfaͤllt, alle Dei - ne Gefuͤhle zu und findeſt ſie auch in fremden Seelen wieder; aber wenn Du Dich nun in drei Freunden irrſt, ſo wirſt Du allen Glauben an Freundſchaft verlieren; den edelſten Men - ſchen kannſt Du leicht mißverſtehn, wenn jeneLovell, I. Bd. H114[112]aufleuchtende Flamme, an welcher Du itzt den fuͤhlenden Menſchen vom kalten, den Guten vom Unwuͤrdigen unterſcheiden willſt, zu einer ſtillen innern Glut zuruͤckgeſunken iſt: unbeſonnen vertrauſt Du Dich dem nichtigen Enthuſiasmus eines andern, und findeſt Dich endlich in einer dunkeln, einſamen Gruft verirrt, in der Du aͤngſtlich nach der Oeffnung tappſt. Charaktere wie Du koͤnnen am leichteſten um die Freuden ihres Lebens betrogen werden, ſie ſind Maſchi - nen in der Hand eines jeden Menſchenkenners. In meiner Krankheit hab ich mich in man - che Scenen meines Lebens zuruͤckgetraͤumt; viel - leicht ſchick ich Dir naͤchſtens kleine Bruchſtuͤcke aus meiner Geſchichte, vielleicht lernſt Du aus Beiſpielen mehr, als aus den bloß hingeſtellten Reſultaten meiner theuer erkauften Erfahrun - gen. Ich war oft einem allgemeinen Menſchen - haſſe nahe, allenthalben ward meine Liebe verra - then; Menſchen, die ich fuͤr Pythias und Euryalus gehalten hatte, eroͤffneten mir ploͤtz - lich einen Blick in ihr Innres, und ich ſahe mit Schrecken elenden, veraͤchtlichen Eigennutz auf demſelben Throne ſitzen, auf welchem ich Wohlwollen und Liebe erwartete: ich war ſchon115[113] im Begriffe, an meinem eignen Werthe zu ver - zweifeln, aber ich rettete noch die Verehrung der Menſchheit und die Achtung meiner ſelbſt.

Was mir itzt noch mehr als meine Krank - heit unangenehm wird, iſt, daß ich in einen weitlaͤuftigen Prozeß mit dem Lord Burton gerathen werde. Du weißt, daß einer meiner Vorfahren die Guͤter von einem Ahnen Bur - ton’s kaufte, er zweifelt itzt, daß die Summen ausgezahlt und die Kontrakte vollzogen ſind, ſo wie ſie damahls geſchloſſen wurden; der Prozeß iſt ſchon eingeleitet und er wird mir vielleicht viele Sorge, wenigſtens viele Muͤhe machen. Ich habe ſchon Advokaten angenommen, welche be - haupten, kein vernuͤnftiger Menſch koͤnne an der Rechtmaͤßigkeit meiner Sache zweifeln; ich bin itzt noch unbekuͤmmert daruͤber, denn es wird Burton unmoͤglich fallen, ſeine Anſpruͤche zu beweiſen. Es thut mir aber weh, mich auch noch itzt von ihm verfolgt zu ſehn, da er einſt, in den gluͤcklichſten Tagen meiner Jugend, mein Freund war; es iſt eine traurige Erinnerung, wenn ich mit meinem Gedaͤchtniſſe jene Zeiten zuruͤckrufe, und ſie mit den gegenwaͤrtigen ver - gleiche. Die Ausſicht Deiner kuͤnftigen, gewißH 2116[114]feſten Freundſchaft mit Eduard Burton troͤſtet mich etwas. Eduard iſt ein edler Juͤngling, er haͤngt feſt an Dir, ihm darfſt Du Dich un - geſcheut vertrauen, oder ich kenne auch noch itzt die Menſchen nicht. Lebe wohl und ant - worte mir bald.

117[115]

9. Louiſe Blainville an Roſa.

Welche Urſache in der Welt kann es geben, daß ich Sie ſo lange nicht geſehn habe? Sie fangen ja an, ſo kalt gegen mich zu wer - den, wie es ſich mein verſtorbener Mann kaum erlaubte; wenn ich nun zur Strafe meine Nei - gung auf den jungen reizenden Englaͤnder wuͤrfe und Sie voͤllig verabſchiedete? oder ſind Sie vielleicht gar ſchon eiferſuͤchtig auf ihn? Wenn dies der Fall waͤre, ſo wuͤrden Sie ſich unnoͤthige Muͤhe machen, denn es ſcheint mir, als hielte eine langweilige Duegna von erſter Liebe unerbittliche Wache vor ſeinem Herzen.

Der alte Graf Melun ſcheint irgend ei - nen Anſchlag im Schilde zu fuͤhren, er hat vielleicht gar die Idee, mich von neuem zu einer Heyrath zu bereden, und zwar, ſo glaub ich wenigſtens, und Sie werden ge -118[116] wiß mit mir lachen, zu einer Verbindung mit ihm ſelbſt! Doch davon muͤndlich, nur machen Sie, daß ich Sie bald ſehe, ſonſt ſollen Sie zur Strafe von dieſen Vorfaͤllen nichts er - fahren. Adieu.

119[117]

10. Roſa an die Comteſſe Blainville.

Wenn ich einen Hang zur Eiferſucht haͤtte, ſo wuͤrde ihn Ihr Brief wahrlich nicht ver - mindern; ich bemerkte ſchon neulich, daß Ih - nen Lovell nicht mißfiel. Doch, warum ich Sie ſo lange nicht beſucht habe? Eine Unpaͤßlichkeit, eine angenehmere Bekannt - ſchaft, ſehn Sie, wie ich mich zu raͤchen verſtehe, doch, auch davon muͤndlich.

Wenn Sie den ſeltſamen Lovell bekehren koͤnnen, ſo wuͤnſch ich Ihnen und ihm Gluͤck; mir ſcheint es faſt unmoͤglich, denn ſeine Vor - urtheile ſind ſo tief mit ihm verwachſen, doch, was iſt den Weibern unmoͤglich? Sie loͤſen die ſchwerſten Probleme, und auf die leichteſte und einfachſte Art von der Welt. Ich werde mich freuen, mit dem jungen Eng - laͤnder an einem Siegeswagen zu ziehen; dul - den Sie es nicht, daß er ein ſo ſchwerer Ver - brecher an Ihrer Schoͤnheit wird, ſtrafen Sie120[118] ſeine Kaͤlte, ſie mag nun erzwungen oder na - tuͤrlich ſeyn, auf eine exemplariſche Art, und ich werde noch mehr ſeyn

Der innige Verehrer Ihres Verſtandes und Ihrer Reize. Roſa.

121[119]

11. William Lovell an Eduard Burton.

Ja Eduard, auch in meiner Seele haben ſich nun ſchon ſo manche Traͤume entwickelt, wie ich einſt gluͤcklich, mit Dir gluͤcklich leben will. Meine Tante Buttler iſt alſo todt? Wenn ich einſt in Waterhall wohnen werde, ſo nahe bei Dir, vielleicht an Amaliens Seite, im Schooße einer laͤndlichen Einſamkeit, ich verliere mich ſeit Deinem lieben Briefe ſo oft in dieſen Traum und tauſend Vorſaͤtze und Ideen ſpinnen ſich dann leiſe in meiner Seele aus. Mit einem kindiſchen Wohlbehagen verweil ich oft bei meinen Planen und wuͤn - ſche die Zukunft ſchon herbei, um ſie wirklich zu machen.

Es aͤngſtigt mich, Eduard, mein Vater iſt krank und hat mir einen ſehr melancholiſchen Brief geſchrieben, er liebt mich gewiß mit der innigſten Zaͤrtlichkeit, aber ich kann nicht an Amalien denken, ohne mich mit Wehmuth mei - nes Vaters zu erinnern: ſo oft mir ſein Bild122[120] voruͤberſchwebt, werf ich einen ſchwermuͤthigen Blick auf Amaliens ſchnell nachfolgendes; dieſe nebeneinander geſtellten Ideen zerſchneiden mei - ne Seele. Ich haſſe mich, Eduard, wenn ich daran denke, daß mich durch Amaliens Beſitz meines Vaters Tod weniger ſchmerzen koͤnnte, aber ich ſchwoͤre Dir, es ſoll, es wird nicht ſeyn. Zu dieſem unedlen Eigennutze wird Dein Freund nie hinabſinken.

Ein boͤſer Daͤmon verfolgt mich in der Ge - ſtalt eines Engels, um Amaliens Bild aus mei - nem Herzen zu reißen; aber dieſer Verſuch wird in Ewigkeit nicht gelingen, ich bleibe ihr und meinen erſten, meinen ſchoͤnern Gefuͤhlen treu. Ich ſpreche von der Comteſſe Blainville, der Nichte des Grafen Melun; ſie iſt das Modell einer griechiſchen Grazie, ein Zauberreiz beglei - tet jede ihrer Be〈…〉〈…〉 wegungen, ſie darf nur laͤ - cheln, um die Goͤttinn der Liebe zu ſeyn, ein ſanfter Blick ihres Auges, und ſie iſt das ſchoͤnſte Bild der Schwermuth. Ich kann ſie nicht betrachten, ohne zu erroͤthen und ſo oft ihr Blick dem meinigen begegnet, ſchlaͤgt ſie ihn ſogleich furchtſam nieder, ſie ſucht meine123[121] Geſellſchaft und ſcheint ſie doch vermeiden zu wollen; ſo viel Herzensguͤte, Sanftmuth und Verſtand hab ich noch bei keinem Maͤd - chen gefunden. Sie iſt vielleicht kluͤger und wirklich ſchoͤner als Amalie, aber ſie ſoll nicht jenes Bild verdunkeln, welches bis itzt immer ſo hell in meiner Seele geſtanden hat. Aber darum kann ich mir ja doch geſtehn, daß ſie liebenswuͤrdig iſt, daß ſie zu den Erſten ihres Geſchlechts gehoͤrt; warum ſollt ich ihr Unrecht thun, bloß um gegen Amalien gerecht zu ſeyn? Und ſie empfindet wirklich tief, ihre zarte Seele iſt nicht durch jenen witzigen Weltton der Franzoſen verdorben, ſie iſt ein ein - faches Kind der Natur, ohne alle Praͤtenſion und Verſtellung, ich habe ſie beim Anblicke des Elends geruͤhrt geſehn, ſie iſt ein himmli - ſches Geſchoͤpf!

Ich ſchaͤme mich meiner Begeiſterung; doch mag ich Dir auch den leiſeſten Klang meiner Seele nicht verheimlichen, und eben darum will ich Dir auch geſtehn, daß mich Deine Gedan - ken in Deinem letzten Briefe nicht ganz befrie - digen. Der Verſtand kann gewiß an jedem124[122] Dinge eine Menge von Seiten auffinden, die in den verſchiedenen Geſichtspunkten der Sa - che ſelbſt eine ganz andre Geſtalt geben, wie leicht kann man aber dadurch verleitet werden, gerade die unnatuͤrlichere Anſicht fuͤr die beſſere zu halten, weil es dem Geiſte groͤße - re Muͤhe koſtete, zu dieſer zu gelangen? Fuͤhrt das Gefuͤhl hier nicht vielleicht auf einem kuͤrzern und richtigern Wege zum Ziele? Ich habe oft daruͤber gedacht, ob dieſer Hang des Geiſtes, den Du zu den erſten Vorzuͤgen des Menſchen rechneſt, nicht im Grunde an jenen ungluͤcklichen Hang der Griechiſchen Sophiſten graͤnze, ob er nicht mit dieſem faſt zuſam - menfalle. Es iſt ſo leicht und wieder ſo ſchwierig, ſeinen Charakter durch Grundſaͤtze zu bilden; es giebt eine Menge kalter Thoren, die eben dadurch laͤcherliche Pedanten gewor - den ſind; das Gefuͤhl wohnt in jeder Bruſt, dieſer Wegweiſer verlaͤßt den Menſchen nie, mir ſcheint es natuͤrlicher, ihm zu folgen.

Ich ſchließe; Mortimer bringt mir ſo eben einen Brief. O Eduard, er iſt von Ama - lien! Nein, ich bin ein Elender, wenn125[123] ich ſie vergeſſen koͤnnte! Welche Freude hat dann noch der Garten aufzuweiſen, wenn dieſer ſchoͤnſte Baum in mir verdorrt? Ich bleibe ewig der Ihrige, ſo wie der Deinige.

William Lovell.

126[124]

12. Karl Wilmont an Mortimer.

Ich muß Dir endlich ſchreiben und ſollte auch mein ganzer Brief nichts als die Wiederholung der Phraſe enthalten, daß ich Dir nichts zu ſchreiben wuͤßte; ein Kunſtgriff, der zuweilen von den gelehrten Alterthumsforſchern auf die gluͤck - lichſte Art benutzt wird. Ich ſchaͤme mich meiner Nachlaͤſſigkeit und meine ungelenkigen Finger haben das Schreiben indeß verlernt;[ora - toriſche] Wendungen, Tropen, Metaphern und alle Arten von Figuren hab ich rein vergeſſen, und ich ſelber ſpiele hier an meinem Schreib - pulte eine hoͤchſt armſeelige Figur, indem ich die Feder beiße und mir mit der linken Hand in den Kopf kratze, um mich zu beſinnen, was ich Dir wohl zu ſagen haben koͤnnte. Ich moͤchte den Brief gar gern ins Feuer werfen, aber es reut mich dann, daß ich ihn einmahl angefan - gen habe, und einen Brief mußt Du doch ir - gend einmahl von mir bekommen, daher will ich nur einen dreiſten Trott fortreiten, ohne mich127[125] um die Kuͤnſte eines Schulpferdes zu bekuͤm - mern; ich will Zeug durch einander ſchwatzen, daß Du glauben ſollſt, ein Fragment aus einem unſrer neuſten Romane zu leſen. Wenn es nur Worte ſind, ſo hab ich die Rechnung bezahlt, und ich habe mir einmahl vorgenommen, daß das, was ich hier angefangen habe, ein Brief werden ſoll, und nun ſoll er auch wahrhaftig zu Stande kommen, und ſollt ich mich genoͤthigt ſehn, einige ruͤhrende Betrachtungen uͤber die Entfernung zweier Freunde mit einfließen zu laſſen.

Ich fange an, mir hier in Bonſtreet zum Theile weniger, zum Theile beſſer als ehedem zu gefallen. Der gaͤnzliche Muͤßiggang behagt mir nicht recht, und doch wuͤrd es mir ſchwer wer - den, ihn aufzugeben. Der Menſch iſt ein wah - res Kind, er weiß nie recht, was er eigentlich will, er ſchreit und heult, und eine blecherne Klapper kann ihn zufrieden und gluͤcklich ma - chen; im folgenden Augenblicke wird ſie wieder weggeworfen, und er ſieht ſich um, was er denn nun wohl wuͤnſchen koͤnne. Gluͤcklich iſt dabei noch immer der, der einer Klapper oder einer Roſine habhaft werden kann: miſcht ſich aber128[126] die liebe Langeweile in’s Spiel und ein gewiſſes nuͤchternes Gefuͤhl, das einem im Leben ſo oft zur Laſt faͤllt, kann man keine Hofnung und keinen Wunſch in ſeinem Gedaͤchtniſſe auftreiben; iſt das Steckenpferd lahm, oder gar zu Tode gerit - ten, o wehe dir[dann], armer Sterblicher! entweder mußt du dann ein Philoſoph werden, oder dich aufhaͤngen. Dieſe Langeweile hat ſchon mehr Ungluͤck in die Welt gebracht, als alle Leidenſchaften zuſammengenommen. Die Seele ſchrumpft dabei wie eine gedoͤrrte Pflau - me zuſammen, der Verſtand waͤchſt nach und nach zu und iſt ſo unbrauchbar wie eine verna - gelte Kanone, alles Spirituoͤſe verfliegt, da ſitzt man denn nun hinter dem Ofen und zaͤhlt an den Fingern ab, wenn das Abendeſſen er - ſcheinen wird; die Stunden ſind einem ſolchen Manne laͤnger, als dem, den man am Pranger mit Aepfeln wirft; man mag nichts denken, denn man weiß vorher, daß nur dummes Zeug daraus wird, man mag nicht aufſtehn, man weiß, daß man ſich gleich wieder niederſetzt, das druͤckende Gefuͤhl geht mit, wie das Haus mit der Schnecke. O Mortimer, Linſen durch ein Nadeloͤhr zu werfen, iſt dagegen eine geiſt -reiche129[127]reiche Beſchaͤftigung und wie viele Men - ſchen vergaͤhnen auf dieſer Erde nicht ſo ihr Le - ben? Die magnetiſche Anziehungskraft er - lahmt ohne Uebung, ungeſchlagen ſpringt kein Funken aus dem Stahle, ungerieben zeigt ſich kei - ne Elektricitaͤt an der Glasſcheibe, kein Ver - ſtand, kein Gefuͤhl am Menſchen ohne Thaͤtig - keit, Mittheilung und Freunde. Dieſe ſind der Konduktor, welche einen Funken nach dem an - dern in die Flaſche leiten, bis dann endlich ein großer leuchtender Funken ſchreiend heraus - ſpringt, dann kommt eine Ilias oder ein ver - lohrnes Paradies zum Vorſchein, u. ſ. w. ad[lnbitum],

Weil ich aber in ſo klaͤglichen Toͤnen wim - mere, ſo glaube darum von mir noch nicht,[daß] ich ſchmachtend und hungernd in einer ſol - chen Loͤwengrube ſitze, oder daß ich ganz und gar an Freunden banquerott gemacht habe, daß ich zu jenen dumm unbefangenen Menſchen gehoͤre, die es ſelber nicht ergruͤnden koͤnnen, wie ihnen zu Muthe iſt, oder die ſo uͤber und uͤber mit einer bleiernen Unbehaglichkeit behan - gen ſind, daß man ſie auf den erſten Blick nicht vom Rhinoceros unterſcheiden kann; die ſichLovell, I. Bd. J130[128]mit dem kaͤlteſten Blute erſaͤufen koͤnnten, weil es gerade Donnerſtag iſt: nein, lieber Mortimer, halt mich meines Geſchwaͤtzes ohn - geachtet immer noch fuͤr einen Kerl, der ſeine fuͤnf Sinne, im Ganzen genommen, behalten hat; der zur Noth, wenn ihn die Langeweile plagt, auf die Jagd geht, oder nach der naͤch - ſten Stadt reitet, oder Whiſt ſpielt oder Ro - mane lieſt, oder Dir einen Brief ſchreibt, wie das zum Beiſpiele itzt eben der Fall iſt; denn freilich bin ich etwas verdruͤßlich und uͤbelge - launt.

Ach, lieber Freund, was fuͤr herrliche Sa - chen ließen ſich nicht uͤber die Allmacht der Liebe ſagen, uͤber jenen kleinen Jungen, der mit verbundenen Augen durch die Welt ſtolpert und mit ſeinen goldenen Pfeilen alle Leute wie Ha - ſen zuſammenſchießt. Ja Freund, hier oder nirgends in meinem Leben iſt es angebracht, Dir zu zeigen, daß ich meinen Ovid und Ho - raz mit Nutzen geleſen habe; hier waͤr es die ſchoͤnſte Gelegenheit, mich durch ein hoch lyri - ſches Gedicht bei Dir in eine Art von Achtung zu ſetzen. Aber, Mortimer, genau betrachtet wuͤrde nichts weiter herauskommen, als daß ich131[129] ein Narr bin, und da ich Dir das in Proſa faſt eben ſo deutlich machen kann, ſo wollen wir’s auch dabei nur bewenden laſſen.

Du lachſt ſchon im voraus. Du freuſt Dich, daß Deine neuliche Prophezeiung ſo genau ein - getroffen iſt; aber doch nicht ſo ſehr, als Du nun vielleicht glaubſt. Ja, die Einſamkeit, der Mangel an Beſchaͤftigung, o hundert Urſa - chen, nach denen man gar nicht fragen ſollte, denn die Erſcheinung iſt ſo natuͤrlich, als der Tag wenn die Sonne am Himmel ſteht, alle dieſe machen es, daß ich itzt nach und nach verliebt werde. Ich bemerke es recht gut, und das eben kraͤnkt mich, und doch kann ich’s nicht aͤndern. Meine Luſtigkeit hat abge - nommen und ſteht itzt ſogar im letzten Viertel; ich fange an ſo geſetzt zu werden, wie ein Mann, der zum Parlamentsgliede gewaͤhlt iſt; ich werde ſo empfindſam, wie ein Maͤdchen das den erſten Roman mit Verſtand lieſt. Wenn man nun alle dieſe herrlichen Progreſſen an ſich ſelber bemerkt, ſollen einem da nicht die Haare zu Berge ſtehn? Doch, man muß ſich in den Willen des Schickſals ergeben, und ich binJ 2132[130]itzt uͤberzeugt, daß man das Verlieben mit vollem Rechte ineluctabile fatum nennen kann.

Ich muß ihr oft vorleſen (nehmlich der Emilie[Burton], das iſt unter uns Liebha - bern nun einmahl Sprachgebrauch, daß wir die Nahmen weglaſſen) und das Vorleſen, beſon - ders empfindſamer und ruͤhrender Sachen, iſt ge - wiß die gefaͤhrlichſte Angel, die nach einem Menſchen ausgeworfen werden kann. Ich ha - be dabei einigemahl mit einem Pathos dekla - mirt, daß ich nachher ſelber erſchrocken bin. Daß ich aber zur Fahne jener ſeufzeraushauchen - der und thraͤneneinrrinkender Thoren ſchwoͤren werde, die nur zu leben ſcheinen, um uͤber ihr Leben zu klagen, das wirſt Du nicht von mir glauben. Ich werde mich nie auf lange aus dem gemaͤßigten Klima entfernen. Emi - lie ſelbſt iſt ein liebes, ſanftes Geſchoͤpf, die mit ungekuͤnſteltem Gefuͤhle ſich freut und trauert, ſo wie es gerade die Umſtaͤnde fordern; ich mag weder eine Arria, noch eine Ninon, noch eine Clementine lieben. Doch, damit ich Dir nicht ein Gemaͤhlde von ihr entwerfe, muß ich nur von etwas anderm ſprechen; denn ich merke,133[131] daß ich eben in Verſuchung war, Dir damit Langeweile zu machen.

Ich werde alſo vielleicht meine Liebe bald aufgeben muͤſſen; hintergehn mag ich den Vater nicht; ſie von ihm geſchenkt haben, eben ſo wenig, ja, ich wuͤrde mich ſelbſt be - denken, ſie von ihm auf irgend eine Art zu ver - dienen. Er iſt ein gemeiner Menſch. Ich mache mir oft einen Vorwurf daraus, daß ich noch hier und noch ſo oft in ſeiner Geſellſchaft bin. Manche Menſchen, die alles entweder aus einem guten oder ſchlechten Geſichtspunkte anſehn muͤſſen, koͤnnten es gar fuͤr die niedrig - ſte, ſchleichendſte Art von Schmeichelei halten; doch, dieſe Inſekten muͤſſen einem im Leben nie viel bekuͤmmern, am wenigſten muß man ſich ihrentwegen geniren. Der Sohn, der der edel - ſte junge Mann iſt, kennt mich, er iſt mein inni - ger Freund geworden und er iſt itzt die groͤßte von allen Urſachen, die mich noch hier in Bon - ſtreet zuruͤckhalten. Ich glaube, daß Emilie mich nicht haßt, wenn einſt nach dem Tode doch pfui! wie leicht man doch in der Schwaͤ - che von unedeln Gedanken uͤberraſcht wird! Genug, ich traue mir Staͤrke genug zu, mei -134[132] ne Leidenſchaft aufzugeben, wenn es noͤthig ſeyn ſollte.

Du wirſt vielleicht ſchon wiſſen, daß der alte Lord Burton auch mit dem Vater Deines jungen Freundes einen Prozeß angefangen hat; es thut mir weh, die Sachen ſcheinen nicht zum Beſten zu ſtehn. Sein Sohn iſt ſelbſt dar - uͤber ſehr betruͤbt.

In Anſehung Deines alten Onkels wuͤnſch ich Dir Gluͤck. Er liebt Dich alſo wirklich? Man kann doch oft gar nicht wiſſen, was in ſolchen alten Leuten ſteckt, ſie laſſen manchmal von ihrem eigentlichen Weſen gar nichts mer - ken. Itzt lebe wohl, denn in der Eil wuͤßt ich Dir nun nichts mehr zu ſagen, ſo wenig ich Dir auch uͤberhaupt geſagt haben mag.

135[133]

13. William Lovell an ſeinen Vater.

Ihr Brief hat mich ſehr betruͤbt, zaͤrtlichſter Va - ter o ich moͤchte zuruͤckeilen, um Sie zu ſehn, wenn ich nicht Ihr Verbot und Ihren Unwillen fuͤrchtete. Sie ſind krank, und ich ſoll Sie nicht verpflegen? Traurig, und ich ſoll Sie nicht troͤſten? Sie ſelbſt verlangen, daß ich die Pflichten des Sohnes nicht erfuͤllen ſoll? Sie wuͤnſchen mir Gluͤck, und ich kann mir itzt kein anderes Gluͤck denken. Sie in Gefahr und ich fern von Ihnen! o jedes Vergnuͤgen, das ſich mir darbietet, wird mich wie eine Gewiſ - ſensangſt druͤcken, ich werde bei den Schoͤnhei - ten der Natur nicht zu laͤcheln wagen, denn einen jeden Augenblick, in welchem ich Sie itzt vergeſ - ſen koͤnnte, wuͤrd ich mir als ein Verbrechen anrechnen. O ſprechen Sie wenigſtens bald wieder in einem Briefe zu mir, da ich Sie nicht ſelber ſehen kann.

Neuigkeiten werden Sie von mir nicht er - warten; ich bin wohl, ſoweit man es beim Be -136[134] wußtſeyn ſeyn kann, daß ein geliebter Vater leidet. In einigen Wochen werd ich Paris verlaſſen; ſollt ich bis dahin keine Briefe von Ihnen erhalten, ſo treffen mich dieſe in Lyon. Ich habe hier einen Freund[gefunden], einen Juͤngling von vortrefflichem Herzen, Balder, einen Deutſchen. Er wird mit mir die Reiſe nach Italien machen. Seyn Sie unbeſorgt, dieſem darf ich trauen, auch Mortimer ſchaͤtzt ihn. Ein Italiaͤner, Roſa, wird uns auch be - gleiten; ſeine Bekanntſchaft wird mir in Ita - lien manche Vortheile verſchaffen, er hat viel Verſtand und feine Welt, aber mein Freund wird er nicht leicht werden koͤnnen. Ich hof - fe in Ihrem naͤchſten Briefe zu erfahren, daß Sie gaͤnzlich wieder hergeſtellt ſind; bis dahin werd ich in beſtaͤndiger Furcht leben.

Nachſchrift: Der alte Willy iſt uͤber Ihre Krankheit ſehr traurig, er hat durchaus ein Blatt an Sie einlegen wollen und ich hab es dem ehrlichen alten Manne nicht abſchlagen moͤgen.

137[135]

14. Willy an den Herrn Walter Lovell.

D Sie noch auf Ihre alten Tage Krank - heiten auszuſtehn haben, hat mich wahrlich herzlich gejammert; doch freilich kommen ſie dann am liebſten, denn dann hat der Menſch nicht mehr ſo viele Kraͤfte ſich geſund zu ma - chen. Ich moͤchte Sie gar gerne troͤſten und Ih - nen noch viel lieber helfen; aber wenn Gott bei ſolchen Gelegenheiten nicht das Beſte thut, ſo will die menſchliche Huͤlfe wenig ſagen. Es iſt aber Schade, daß ein ſo guter chriſtlicher Herr, wie Ihre Gnaden doch in dem vollſten Maaße ſind, was auch Ihre Feinde nicht von Ihnen ablaͤugnen koͤnnen, ſo viel Ungluͤck und Leiden in dieſer Welt erdulden ſoll; wenn das nicht nachher, wenn das Leben hier ausgegangen iſt, wieder gut gemacht wird, ſo iſt das nicht ganz recht und billig. Ich wollte, ich koͤnnte Ihnen nur etwas von meiner uͤberfluͤſſigen Geſundheit abgeben, denn ich bin hier immer, ſeit ich auf die Reiſen gehe, ganz friſch und geſund, und das iſt mein Herr William, Ihren Sohn138[136] mein ich, auch immer. Troͤſten Sie ſich aber nur, es wird gewiß bald beſſer werden; ſo alt ich bin, ſo moͤcht ich doch zu Fuße bis nach London gehn um ſie einmahl wieder zu ſehn; nur ſind mir die Fuͤße ſchwach, und es iſt der See dazwiſchen, den die Franzoſen aus Spaß, (wie ſie denn bei allen Sachen dummes Zeug machen) einen Kanal[nennen]; wenn viel ſolche Kanaͤle bei uns in England waͤren, ſo wuͤrde von dem Lande eben nicht auſſerordentlich viel uͤbrig bleiben. Bleiben Sie ja geſund, mein liebſter gnaͤdiger Herr, daß ich Sie mit meinen alten ſchwachen Augen noch einmahl wiederſehn kann. Ich wuͤrde viel weinen, wenn ich ein - mahl wieder die Thuͤrme von London ſaͤhe und Sie waͤren dann in der ganzen weiten Gegend umher nicht zu finden, als auf dem Kirchhofe und auch da nur todt, es waͤre ein Jammer fuͤr mich und jeden andern ehrlichen Mann, be - ſonders aber auch auſſerdem fuͤr meinen Herrn; wenn Sie koͤnnen, ſo bleiben Sie geſund, wie Ich.

Ihr Willy.

139[137]

15. Die Comteſſe Blainville an Roſa.

Da Sie mich itzt nur ſo ſelten beſuchen, ſo ſeh ich mich genoͤthigt, mich ſchriftlich mit Ih - nen zu unterhalten, ſo ungern ich es auch thue, denn ganz Ihrem Umgange zu entſagen, waͤre eine zu harte Buße fuͤr mich.

Seit Ihrem neulichen Beſuche haben ſich ei - nige nicht unwichtige Vorfaͤlle ereignet. Der Graf wird immer freundlicher und hoͤflicher, er iſt ſchon zehnmal im Begriffe geweſen, mir durch Umwege einen Heirathsvorſchlag zu thun, aber immer iſt ihm noch ſein boͤſer Genius wieder in den Zuͤgel gefallen. Solche Leute werden ſehr langweilig, wenn ſie nachher in einer Art von Verlegenheit einen andern Weg einlenken; ſie ſind geſtolpert und haben im Schrecke die Steigbuͤgel verlohren.

Doch Sie kennen ja den Grafen, daß er ſich piquirt, gerade dann am geiſtreichſten zu ſeyn, wenn er die Gegenwart des Geiſtes am meiſten vermißt. Ein Hinkender wird aber erſt am mei -140[138] ſten laͤcherlich, wenn er ſeinen Fehler verbergen will; dies Stottern, dies Jagen nach Wortſpie - len und Verdrehungen des Sinnes, o es giebt nichts Haͤßlichers, wenn man ſo eben etwas Vernuͤnftiges geſprochen hat.

Lovell iſt mit ſeiner Naivitaͤt allerliebſt, der Galimathias, den er zuweilen ſpricht, kleidet ihn recht gut, und ich habe itzt die Manier ge - funden, ihn zu attachiren. Er iſt eigenſinnig genug, nicht durch gewoͤhnliche Aufmerkſamkeit gefeſſelt zu werden; ein Franzoſe wuͤrde uͤber die Art der Rolle lachen, die ich itzt ſpiele. Freilich ſind die Frauenzimmer verdammt immer nur Rollen auswendig herzuſagen, vielleicht auch viele Maͤnner; aber meine itzige liegt mir ſo entfernt, daß ich auf meine Merkworte ſehr aufmerkſam ſeyn muß, wenn ich nicht zuweilen das ganze Stuͤck verderben will. Ich bin ſo empfindſam, wie Rouſſeaus Julie, ein wenig melancholiſch, eine kleine Teinture aus Young und eine ſo langweilige Vernunft - und Moral - ſchwaͤtzerinn, als die Heldinnen der Engliſchen Romane. Sie wuͤrden mich haſſen, wenn Sie mich in dieſer Tragoͤdienlaune ſaͤhen; aber Lovell iſt davon bezaubert; er haͤlt mich in Gedanken141[139] fuͤr ein Ideal Richardſon’s, fuͤr ein himmliſches und uͤberirrdiſches Geſchoͤpf. Wir empfinden ſo ſehr in’s Feine hinein, daß mir ſchon oft ein Gaͤhnen angewandelt iſt, das ich nur mit Muͤhe verbiſſen habe; durch hundert Vorfaͤlle iſt es nun endlich dahingekommen, daß er wirklich verliebt iſt; er will ſich zwar dies Gefuͤhl ſelbſt nicht geſtehn, aber ich mache mich jeden Tag auf eine ſehr pathetiſche Erklaͤrung gefaßt; er iſt ſchon oft auf dem Wege geweſen, aber je - desmahl muß ihn noch das Bild ſeiner Gelieb - ten zuruͤckgehalten haben.

Geſtern ging er melancholiſch im Garten auf und nieder, ich begegnete ihm, wie von ohnge - faͤhr. Er freute ſich und erſchrack zu gleicher Zeit, meine Gegenwart war ihm lieb, aber es war ihm unangenehm, ſelbſt durch mich in ſei - nen Traͤumen geſtoͤrt zu werden; er gerieth in eine Art von Verlegenheit. Es war ein ſchoͤner Abend, wir waren von ohngefaͤhr allein, ich hoͤr - te wenig von dem was er ſagte, ſeine Bildung, ſein ſchoͤner Wuchs, ſein feuriges Auge zerſtreu - ten meine Aufmerkſamkeit: er iſt einer der ſchoͤnſten Maͤnner, die ich bis itzt geſehen habe. Wir kamen zu einer Laube und ſetzten uns. 142[140]Der Abend und die Einſamkeit luden zu man - cherlei Traͤumen ein; ich ſah es, wie Lovell ſchwer ſeufzte und ein Geheimniß auf dem Her - zen hatte.

» An dieſe Abende, fing er endlich an, ich ahnde es itzt, werd ich in der Zukunft oft mit Schmerzen zuruͤckdenken. »

Mit Schmerzen? Sie verlaſſen uns alſo ungern?

» Und Sie koͤnnen noch fragen? »

Sie werden neue Freunde und ſchoͤnere Ge - genden finden, und uͤber die letztern die erſtern vergeſſen.

» Sie quaͤlen mich! » rief er nach einer klei - nen Pauſe etwas unwillig.

Ich habe Urſache zu klagen; fuhr ich leiſe fort, um nicht in eine Art von Zank zu fallen, der ſo leicht langweilig und widrig, ſelbſt fuͤr beide Partheien, werden kann, wenn man einer ſehr zaͤrtlichen Ausſoͤhnung nicht aͤußerſt gewiß iſt; und dies war hier nicht der Fall: Ich habe Urſache zu klagen, ſagt ich, denn ich bleibe hier in dieſer oͤden langweiligen Welt zuruͤck, ich verliehre einen Freund, der mir in ſo kurzer Zeit ſehr viel werth geworden iſt.

143[141]

Er kuͤßte mir ſehr feurig die Hand. » Comteſſe! » rief er aus, » wollten Sie mich nicht vergeſſen! »

Vergeſſen? ſeufzt ich ganz leiſe. Meine Rolle ward mir hier aͤußerſt natuͤrlich und ich ſpielte ſie mit einer taͤuſchenden Leichtigkeit. Er ruͤhrte mich etwas, denn er liebt mich wirklich. Meine Hand lag von ohngefaͤhr in der ſeini - gen, ich druͤckte ſie ganz leiſe, er erwiederte es mit Heftigkeit, unſre Lippen begegneten ſich.

Ich ſtand auf wie erzuͤrnt, er ſuchte mich zu verſoͤhnen. Wir fingen bald wieder ein melan - choliſch empfindſames Geſpraͤch an, und ſo ward der Streit daruͤber vergeſſen. Als wir zur Geſellſchaft zuruͤckkamen, ſtand er oft in Ge - danken.

Beim Abſchiede druͤckte er auf meine Hand einen ſehr feurigen Kuß. Itzt iſt in ſeinem Herzen die entſcheidende Epoche; indeß verſprech ich mir uͤber meine unbekannte Nebenbuhlerinn den Sieg.

Leben Sie wohl.

144[142]

16. William Lovell an Balder.

Ich bin die ganze Stadt[durchſstrichen], ohne Dich zu finden, der Abend iſt ſo goͤttlich, ich haͤtte Dir ſo gern alles geſagt, was ich auf dem Herzen habe; ich ſchreibe Dir daher, weil ich Dich doch wahrſcheinlich heut nicht mehr ſehn werde. Antworte mir noch heut, wenig - ſtens morgen fruͤh, wenn Du mich nicht ſelbſt beſuchen ſollteſt.

O Balder, koͤnnte doch meine Seele ohne Worte zu der Deinigen reden, und ſo alles, alles Dir ganz gluͤhend hingeben, was in mei - nem Buſen brennt und mich mit Martern und Seeligkeiten quaͤlt.

Ja Freund, itzt fuͤhl ich es, wie ſehr Roſa Recht behaͤlt, wenn er ſagt: der Buſen des fuͤh - lenden Menſchen hat fuͤr tauſend Empfindun - gen Raum, warum will der Menſch ſeiner eige - nen Wonne zu enge Schranken ſetzen? Des Thoren, der da ſchwoͤrt, daß er nie wiederlieben145[143]lieben wolle! Kann er ſeine Seele zuruͤck - laſſen?

Du kennſt Amalien, ich habe Dir ſo oft von ihr geſprochen: ich bin ihr trenlos, meineidig, nenne Du es, wie Du willſt, ich brauche kei - nen Nahmen dafuͤr, denn ich habe nicht noͤthig, mir es zur Tugend, oder zum Verbrechen anzu - rechnen, ich kann der Allmacht meiner Gefuͤhle nicht widerſtehn. Louiſe Blainville iſt ein Engel, ſie nicht lieben, heißt die Liebe ſelbſt verhoͤhnen; ich wuͤrde Amalien nie geliebt ha - ben, wenn ich ſie nicht lieben muͤßte; ich waͤre taub und blind fuͤr ſo viel Schoͤnheit und Edel - muth; kein fuͤhlendes Geſchoͤpf darf ſich ihr naͤhern, ohne der freundlichen Gottheit zu hul - digen, die aus jedem Blicke, aus jeder Geber - de ſpricht.

Es war ein ſchoͤner Abend, ich war mit ihr im Garten des Grafen Melun, wir gingen lange einſam auf und ab. Balder, ſie iſt das edelſte weibliche Geſchoͤpf, das ich bis itzt ge - kannt habe! ſo viel Natur und Herzensguͤte! Ich ſaß im ſtummen Entzuͤcken in einer daͤm - mernden Laube neben ihr; die Blumen duftetenLovell, I. Bd. K146[144]Liebe, die Voͤgel ſangen der Goͤttinn Lieder, ſie wandelte im Hauche des Zephyrs durch den Garten und gaukelte in den Lindenbluͤthen: mir war’s, als koͤnnt ich unter den goldenen Schimmern des Firmaments den roſengekraͤnz - ten Engel ſehn, der den tauſendfachen Seegen uͤber die Natur ausgießt; wie ſich die ganze le - bende und lebloſe Natur kindlich zu ihm draͤngt um zu empfangen und ſich zu freuen, o es war eine der wonnevollſten Stunden meines Lebens.

Ich war hundertmahl im Begriffe, ihr mei - ne Empfindungen zu geſtehn, ſie in einer blin - den Begeiſterung an mein Herz zu druͤcken, mich kuͤhn zu ihrer Hoheit emporzureiſſen, aber Amaliens Andenken hielt mich grauſam ernſt zuruͤck. Aber ich will, ich muß ihr geſtehn, was ich empfinde, ohne Mittheilung zerſprengt dies Gefuͤhl meinen Buſen.

Begeh ich dadurch eine Suͤnde an Ama - lien? Antworte mir hierauf, ich glaub es nicht, ich liebe ſie, ich werde ſie lieben, aber ſoll mir dieſe Liebe ein Geſetz ſeyn, ge -147[145] gen jede Vortreflichkeit unempfindlich zu ſeyn? Liebe erhoͤht die Empfindungen, veredelt ſie, ſonſt wuͤrd ich wuͤnſchen, nie geliebt zu ha - ben. Antworte mir, oder komm zu

Deinem William.

K 2148[146]

17. Balder an William Lovell.

William, ich moͤchte Dir ſo gern nicht ant - worten, da komm ich mit hundert ſchwermuͤ - thigen Traͤumen, mit tauſend laͤſtigen Gefuͤhlen aus der nuͤchternen Welt nach Hauſe, und finde nun noch Dein Billet; ich will noch ei - nige Zeit anwenden, Dir zu antworten, beſuchen mag ich Dich in meiner itzigen Stimmung nicht, wir wuͤrden nur disputiren und morgen hab ich eine Menge laͤſtiger Geſchaͤfte: kurz, ich will Dir ſchreiben, nur laß mich nachher nicht oͤfter da[r]uͤber ſprechen, denn wir werden nie einig werden.

Die ganze Welt erſcheint mir oft als ein nichtswuͤrdiges, fades Marionettenſpiel, der Haufe taͤuſcht ſich beim anſcheinenden Leben und freut ſich; ſieht man aber den Drath, der die hoͤlzernen Figuren in Bewegung ſetzt, ſo wird man oft ſo betruͤbt, daß man uͤber die Menge, die hintergangen wird und ſich gern hintergehn laͤßt, weinen moͤchte. Wir adeln149[147] aus einem thoͤrichten Stolze alle unſre Gefuͤhle, wir bewundern die Seele und den erhabenen Geiſt unſrer Empfindungen und wollen durch - aus nicht hinter den Vorhang ſehn, wo uns ein fluͤchtiger Blick das veraͤchtliche Spiel der Ma - ſchinen entraͤthſeln wuͤrde. Ich ſehe in Deiner neuen Liebe nichts, als eine feinere Sinnlichkeit, Deine Phantaſie bedarf beſtaͤndig eines reizen - den Spiels und Du wirſt es auch[allen[t]halben] ſehr bald finden; jenes hohe einzige Gefuͤhl der Liebe, das ſich weder beſchreiben noch zum zwei - tenmahle empfinden laͤßt, hat Deine irrdiſche Bruſt nie beſucht, bei Dir ſtirbt die Liebe mit der Gegenwart der Geliebten.

Ich erinnere mich lebhaft aus den wenigen goldenen Tagen meines Lebens, wie meine gan - ze Seele nur ein einziges Gefuͤhl der Liebe ward, wie jeder andre Gedanke, jede andre Em - pfindung fuͤr mich in der Welt abgeſtorben war; in die finſtern Gewoͤlbe eines romantiſchen Hai - nes war ich ſo tief verirrt, daß nur noch Daͤmm - rung mich umſchwebte, daß kein Ton der uͤbri - gen Welt an mein Ohr gelangte. Die ganze Na - tur wies auf meine Liebe hin, aus jedem Klange ſprang mir der Geliebten holder Gruß entge -150[148] gen. Sie ſtarb, und wie Meteore gingen alle meine Seeligkeiten auf ewig unter, ſie ver - ſanken wie hinter einem finſtern fernen Walde, kein Schimmer aus jener Zeit hat mir ſeitdem zuruͤckgeleuchtet.

Und auch nie wird ein Strahl zu mir zu - ruͤckkehren! Ich ſitze auf dem Grabmahle mei - ner Freuden und mag ſelbſt kein Almoſen aus der Hand des Voruͤbergehenden nehmen, mein Elend iſt mein Troſt.

Ich fuͤrchte, William, Du verſtehſt mich nicht, unſer Gefuͤhl widerſpricht ſich hier. Aber wenn Amalie Dich liebt, ſo iſt ſie durch Deine Liebe elend, denn Du wirſt ihr dann nie zuruͤck - geben, was ſie Dir im vollen Maaße ihrer Em - pfindungen ſchenkt. Sie ſeufzt um Dich und Du vergiſſeſt ſie, ſie leidet, und Dich bewill - kommen neue Freuden, taufe Deine Sinn - lichkeit nicht mit dem Nahmen Liebe, Du be - leidigſt dieſe hohe Gottheit: denn iſt nicht Lie - be eben dadurch Liebe, daß ſie gaͤnzlich unſern Buſen fuͤllt? Unſre Seele iſt zu eng, um zwei Weſen mit einem Gefuͤhle zu umfangen, und wer es kann, der iſt am Herzensgefuͤhl arm ge - worden.

151[149]

Haͤtt ich doch Deinen Brief zerriſſen, eh ich ihn las. Schwachheit an jedem Menſchen macht uns traurig, am Freunde ſchmerzt ſie doppelt. Warum verſiegelt der Menſch ſeine Treue durch Schwuͤre? Beim Feuer der er - ſten Sonne ſchmilzt das Wachs und er wird zum Verraͤther an ſeinem Verſprechen; ich will um Amaliens Gluͤck hoffen, daß ſie Dich eben ſo wenig ernſthaft liebt.

Ertrage uͤbrigens die Launen des Freundes, ſo wie ich die Deinigen ertragen will und ge - wiß noch oft ertragen werde. Lebe wohl.

152[150]

18. Die Comteſſe Blainville an Roſa.

Seit meinem neulichen Briefe hat ſich man - che ſehr wichtige Begebenheit ereignet, und ge - ſtern hielt mich Lovell ſo belagert, daß ich Ih - nen unmoͤglich etwas davon ſagen konnte, ich muß daher wieder zum Schreiben meine Zu - flucht nehmen.

Mit meinem theuerſten Onkel bin ich ſo gut wie verſprochen, endlich iſt das Geſtaͤndniß uͤber ſeine Lippen gekommen.

Der Graf beſuchte mich neulich, ſo wie er oft thut. Ich war gerade mit einer Stickerei beſchaͤftigt. Naturlich bewunderte er, was gar nicht zu bewundern war, und lobte, wo nur ir - gend ein Faden lag; man wird an ſo etwas ge - woͤhnt und ich gab daher gar nicht beſonders darauf Acht. Das Kammermaͤdchen ging von ohngefaͤhr hinaus und nun nahm das Geſpraͤch eine andere Wendung.

» Sie ſind ſo oft allein, liebe Nichte, wird Ihnen denn nicht zuweilen die Zeit lang?

153[151]

Nie, da Sie mir uͤberdies den Gebrauch Ihrer Bibliothek erlaubt haben.

Er nahm einige Viſitenkarten in die Hand, die auf dem Tiſche lagen und ſah ſie ganz gleichguͤltig durch.

» Roſa? fing er an, wie koͤmmt’s, daß ich ihn ſo lange nicht geſehn habe?

Ich weiß nicht, welche Geſchaͤfte ihn abhal - ten muͤſſen

» Wenn er ſeine Unart nicht wieder gut macht, ſo wird er ſich Ihren Unwillen zuziehn.

Er hat uͤber ſeine Zeit zu gebieten.

» Ich glaube gar, Sie ſind ſchon itzt boͤſe auf ihn, fuhr er lachend fort.

Wie kommen Sie zu dieſer Meinung?

» Je nun, er legte die Karten wieder auf den Tiſch und that als betrachtete er die Stik - kerei, indem er mich verſtohlen aufmerkſam und feſt beobachtete. Sie haben ihn von je aus - gezeichnet und er erwiedert ihre Hoͤflichkeit mit Undank

Ausgezeichnet? indem ich mit der groͤßten Kaͤlte etwas ausbeſſerte. Sie wollen ſagen, daß er mich oft auszuzeichnen ſchien und oft zu meinem groͤßten Verdruß.

» Verdruß?

154[152]

Bin ich denn nicht ſeitdem auf einem hohen Tone mit meiner kleinen Freundinn Caͤcilie? hat denn der naͤrriſche Belfort nicht ſeitdem gaͤnz - lich mit mir gebrochen, der mich ſo oft zu la - chen machte? Ich bin froh, daß dieſer Roſa mir nicht mehr ſo viel Langeweile macht.

» Wenn Roſa Ihnen Langeweile macht, ſo muß dies mit Ihren uͤbrigen Geſellſchaftern noch mehr der Fall ſeyn.

Leider!

» Und Sie nehmen gar keinen aus? Er ſah mich mit einem leichten Laͤcheln an.

Ein Beſuch iſt mir jederzeit angenehm.

Ein ploͤtzlicher Schreck zuckte wie ein Blitz durch ſeine laͤchelnden Lippen, er ſah mit ei - nemmahle ſehr ernſthaft aus. » Und dieſer eine? fragte er, indem er ſich in ein Lachen auf’s Gerathewohl hineinwarf, das noch ſo ziemlich natuͤrlich ward, darf ich ihn nicht wiſſen?

O ja, antwortete ich ihm munter. Sollten Sie im Ernſte nicht gemerkt haben, daß ich Sie meine?

» Mich? auf dieſes Kompliment war ich frei - lich nicht vorbereitet.

155[153]

Es ſoll auch kein Kompliment ſeyn,

» Alſo Ernſt?

Was ſonſt?

» Sie wuͤrden dieſe Verſicherung vielleicht bald bereuen, wenn ich in Verſuchung kaͤme, Sie oͤfter zu ſehn?

Sie werden ſehn, wie groß mein Vergnuͤ - gen ſeyn wird.

» Wenn ich Ihnen ganz glauben duͤrfte?

Und warum wollen Sie zweifeln?

» Louiſe, liegt Ihnen wirklich nichts an je - nen jungen, witzigen, artigen Geſellſchaftern?

Sie ſind mir laͤſtig.

» Sie lieben uͤberhaupt nicht die große Welt und ihre Freuden.

Sie macht mir Langeweile.

» Sie ſind fuͤr ein ſtilles, haͤusliches Gluͤck geboren.

Ich wuͤnſche mir kein andres und werde nichts darin entbehren.

» Gluͤcklich iſt der Mann, den Sie einſt Ih - ren Gatten nennen. Er ſtand auf und ging ſchweigend auf und ab, ich war ſtumm und ar - beitete an der Stickerei weiter.

» Man gewinnt nichts in jener ſogenannten156[154] großen Welt, fuhr er endlich ernſthaft fort, man verliert ſein Leben in einem langweiligen Spiele, man lernt keine Freude des Herzens kennen, man findet im Entbehren ſeinen Stolz und ein eingebildetes konventionelles Gluͤck. Ich habe nun lange in dieſer Welt gelebt, Louiſe, und kein Gluͤck gekannt.

Weil Sie es vielleicht nicht ſuchten.

» Eine elende Eitelkeit hintergeht uns mit betruͤgeriſchen Verſprechungen, wir ſchaͤmen uns taͤglich, beſſer als andre zu ſeyn; wir vergehn alle[in] Einer Langenweile, weil es die ſtrenge Mode ſo fordert, aber ich will mich itzt von dieſem Vorurtheile losmachen. Wenn ich ein Herz faͤnde, das ſo wie das meinige fuͤhlte, das eine Ahndung vom wahren Gluͤcke haͤtte und an einem langweiligen Traume nichts ver - loͤhre

Sollten dieſe Herzen ſo ſelten ſeyn?

» Sie ſind es, Louiſe. Man wagt es nicht, der Natur und ihrer Lockung zu folgen, wenn ich eine Seele faͤnde, die mich liebte, der es nicht ſchwer wuͤrde, fade Vorurtheile von ſich zuruͤckzuweiſen, o Louiſe, wenn Sie die - ſe waͤren!

157[155]

Ich konnte nicht antworten.

» Wenn Sie dieſe waͤren! fuhr er feuriger, aber immer ſehr ernſthaft fort. Antworten Sie mir.

Und wenn

» Ich will Sie nicht uͤbereilen, ich will Sie nicht uͤberreden, fragen Sie Ihr Herz und ant - worten Sie mir nach einigen Tagen. Ich bin der Art zu leben uͤberdruͤßig. Ich habe Sie erzogen, ich kenne Sie, Sie haben mir ſchon viele Freuden gewaͤhrt, meine Vorſorge hat die ſchoͤnſten Fruͤchte hervorgebracht, ich ge - falle mir in Ihnen, wie in einem verſchoͤnern - den Spiegel.

So weit ſchreib ich Ihnen ungeſcheut alle dieſe Lobeserhebungen, weil mehr als die Haͤlf - te auf ihn ſelber zuruͤckfiel, aber die uͤbrigen verſchweig ich, weil ſie mich nur allein trafen. Er verließ mich endlich.

Soll ich Ihnen geſtehn, Roſa, daß ich in einer Art von ſonderbarer Stimmung war, als er mich verlaſſen hatte? Er war ſo ernſthaft geweſen, wie ich ihn noch nie geſehen hatte, er hatte mit Ruͤhrung geſprochen. Sein itzi - ges ganzes Leben iſt ihm flach und unintereſſant158[156] erſchienen, ein Herbſtwind hat die Blaͤtter von den Baͤumen geſchuͤttelt, die Gegend iſt duͤrr und oͤde geworden und er uͤberſieht mit einem Durchblicke die lichten Stellen des Gartens, wo einſt die verſteckten Parthieen den hoͤchſten Reiz ausmachten. Er will ein genußreiche - res Daſeyn ſuchen, er appellirt an mein Herz und will ſich von mir eine neue, freudenreichere Exiſtenz erkaufen, und ſoll ich ihn hinter - gehn?

Ich war wirklich weichherzig geworden, mei - ne Schwaͤche hatte mich ſo ſehr uͤberraſcht, daß ich mir vornahm, (Roſa, ich ſchaͤme mich, es niederzuſchreiben,) zu jenen kindiſchen Gefuͤhlen und Ideen meiner fruͤhſten Jahre meine Zuflucht zu nehmen, mir ſelbſt alle meine Erfahrungen und reiferen Gedanken abzulaͤugnen und ſie Luͤg - ner zu ſchelten. Kurz, ich war auf dem We - ge, eine vortrefliche Matrone aus der Provinz zu werden, die ihren Toͤchtern einen gruͤndlichen Unterricht im Katechismus giebt oder uͤber eine Stelle in der Bibel ihre frommen Thraͤnen ver - gießt; o die Schwachheit iſt der weiblichen Natur ſo eigen, daß wir ohne dieſe vielleicht aufhoͤren wuͤrden, Weiber zu ſeyn: der eine159[157] Liebhaber ruͤhrt uns durch ſeine Schoͤnheit, der andre durch Geſchenke, der dritte durch Zaͤrt - lichkeit, ein vierter durch Aufwand von morali - ſchen Maximen und beweglichen Bitten, und ſollt er ſelbſt unſer Onkel ſeyn.

Ich kam wieder aus meiner Zerſtreuung zu - ruͤck, meine Eitelkeit, mein Stolz erwachte; ich ſchaͤmte mich vor mir ſelber. So leicht, ſagt ich zu mir, bin ich alſo zu bewegen, dem ange - nehmſten Liebhaber den unangenehmern vorzu - ziehn? Wie wenig Werth muß mein Verſtand haben, da es ſo wenig koſtet, mich dahin zu bringen, die Gedanken eines glaͤnzenden Lebens ſo leicht aufzuopfern? Es fiel mir ein, wie es vielleicht mehr Eitelkeit als Liebe ſei, die den Grafen zu dieſem Schritte triebe.

Der letzte Gedanke that meiner eigenen Ei - telkeit wehe, es ſchien mir am Ende doch, daß er mich wirklich liebe. Ich wuͤrde vielleicht noch einmahl den Kampf mit mir ſelber ange - fangen haben, als ſich Mortimer und Lovell melden lieſſen: da ich alſo jetzt keine Zeit hat - te, ſchob ich mein Nachdenken und alle Em - pfindungen daruͤber bis zu einer bequemern Zeit auf.

160[158]

Lovell war ſehr ernſthaft und zuruͤckhaltend, ich weiß nicht welche Gedanken ihn mit ganz neuer Kraft uͤberraſcht haben mußten, er war ſtill und ſelbſt kalt. Wir waren auf einige Au - genblicke allein, und dieſe benutzte ich ſo, daß ich ihn aus allen ſeinen Verſchanzungen trieb; er wurde verwirrt, wollte ſprechen und konnte nicht, bald nachher verließ er mich ſehr unruhig.

Schon geſtern am Morgen ließ er ſich an - melden; gleich beim Eintritte bemerkt ich, daß er heut einen großen Coup machen wolle, und ich hatte mich nicht geirrt. Er war in einer beſtaͤndigen Verlegenheit, er hatte mir immer etwas zu ſagen und wagte es doch nicht, er ward roth und blaß.

Endlich als er mich verließ, faßte er den großen Entſchluß, er kuͤßte mir außerordentlich feurig die Hand, gab mir ein Papier und eilte aus dem Zimmer. Dieſes Blatt will ich Ih - nen beilegen.

Zwei ſolche auf einander folgende Triumphe muͤſ - ſen meiner Eitelkeit ſchmeicheln, nicht wahr?

Ich ſehe daß mein Brief ſehr lang geworden iſt, das Schreiben faͤngt an mich zu ennuyiren; leben Sie wohl.

19.161[159]

19. William Lovell an die Comteſſe Blainville.

(Einlage.)

Ich kann den Kampf meiner Seele nicht laͤn - ger ertragen, ohne zu vergehen, ich wage auf jede Gefahr das Geſtaͤndniß: daß ich Sie liebe! Eine unerbittliche Nothwendigkeit zwingt mich, vor dieſer Gottheit niederzuknien, mag der Erfolg ſeyn, welcher er will, ich kann mich nicht dagegen ſtraͤuben. Aber weiß ich nicht, zu wem ich ſpreche? Ich kenne ja dieſe Her - zensguͤte, die allenthalben Mitleiden empfindet, die von jedem Elende geruͤhrt wird, ſie wird ja gegen mich allein nicht Grauſamkeit werden. Itzt entſcheiden Sie uͤber mich, ich habe den Richterſpruch ganz Ihren Haͤnden uͤbergeben, machen Sie mich zum Ungluͤcklichſten, oder er - heben Sie mich zu unausſprechlicher Wonne; aber nie werden Sie mir verbieten koͤnnen, daß ich Sie ewig, ewig liebe.

Lovell, I. Bd. L162[160]

20. Andrea Coſimo an Roſa.

Wie koͤmmt es, daß Du uns gar keine Nach - richten von Dir und Deinem Auftrage giebſt? Haſt Du mich und Deine uͤbrigen Freunde vergeſſen? Lege unſern Entwuͤrfen nicht ſelbſt durch Verzoͤgerung Hinderniſſe in den Weg und vergiß nie, daß bei uns vom Argwohne zur Ver - folgung und Strafe nur Ein Schritt iſt.

163[161]

20. Willy an ſeinen Bruder Thomas.

Ich glaube Dir darinn, lieber Bruder, was Du mir von wegen meiner Briefe ſagſt, ich weiß es auch, daß ſie bei weitem nicht die ſchoͤnſten ſind, die einem der Brieftraͤger brin - gen kann; aber das kannſt Du mir doch auf mein Wort glauben, daß ſie aus dem allerbe - ſten Herzen kommen. Und dann weiß ich ja auch, daß Du Deinen guten redlichen Verſtand haſt, der immer gleich weiß, was man ſagen will, ſonſt wuͤrd ich wahrhaftig mit meinem Briefſchreiben uͤbel ankommen; aber einem Ge - lehrten iſt gut[predigen]. Was ich Dir in dem naͤchſten Briefe geſchrieben hatte, iſt hier immer noch wahr und ich kann Dir keine andern be - ſondern Neuigkeiten ſchreiben, auſſer daß wir nun bald von Paris abreiſen werden. Der Ita - liaͤner, von dem ich Dir neulich ein Paar Wor - te ſchrieb, reiſt mit uns, und das iſt mir gar nicht ganz lieb, der Mann iſt mir ſehr fatal, aber ich weiß ſelber nicht, warum. Du wirſtL 2164[162]es auch wohl wiſſen, Thomas, daß einem manch - mal Menſchen zuwider ſind, aber man kann es nicht herauskriegen, wie es in aller Welt zu - geht; ſo geht es mir mit dem Herrn Roſe, der aus Italien gebuͤrtig iſt. Wir haben noch eine neue Geſellſchaft an dem Herrn Balder, der aus der Gegend von Deutſchland iſt, den mag ich viel lieber leiden: wenn er auch oft etwas verdruͤßlich ausſieht, ſo iſt ihm doch immer recht freundſchaftlich zu Muthe, er iſt ein ſehr guter Freund von meinem Herrn William, der Dich auch bei der Gelegenheit herzlich wieder gruͤßen laͤßt. Wir bedauern beide die gute Tante, die in Waterhall geſtorben iſt, aus allen Kraͤften, aber es kann ihr doch nichts mehr hel - fen; allein es iſt unſre Schuldigkeit und Deine auch, Thomas, und ich traue Dir auch ſo viel chriſtliche Naͤchſtenliebe zu, daß Du im Stillen dies Bedauern fuͤr Dich treibſt, wenn Du mir auch in Deinem Briefe nichts davon geſchrie - ben haſt.

Was mich wundern ſoll, iſt, wie das Ita - lien ausſehn wird, die Landkarte davon kommt mir naͤrriſch genug vor, an einigen Orten iſt es ſo enge, daß ſich ſchwerlich zwei Wagen aus -165[163] weichen koͤnnen; ich will Dir doch manches daruͤber ſchreiben, ſo weißt[Du] es doch von einem Manne, der alles mit Augen ge - ſehn hat und noch dazu von einem Bruder, der Dir alſo nichts vorluͤgen wird. Viel Kuͤnſte ſollen ſie in Italien[koͤnnen], aber ich glaube doch, daß nichts uͤber das Engliſche Wettrennen geht, wenigſtens hab ich bis jezt gar nichts ſchoͤneres gefunden.

Mir iſt hier in Paris die Zeit oft herzlich lang geworden; die Leute, die Pariſer, und die Franzoſen uͤberhaupt, wollen mir nicht ganz ge - fallen, ſie koͤnnten beſſer ſeyn. In England ſehn die Leute viel geſunder und ſtaͤrker aus; wir haben auch Kruͤppel, die ſich gewiß gegen jeden franzoͤſiſchen duͤrfen ſehen laſſen, aber ſie ſind nicht ſo ausgehungert und demuͤthig.

Antworte mir, wenn Du Zeit haſt; wenig - ſtens bleibe

mein treuer Bruder. Willy.

166[164]

22. Die Comteſſe Blainville an Roſa.

Sie zweifelten neulich an meinem Siege, ich ſchreibe Ihnen, nachdem er errungen iſt.

Ich hatte Lovell geſtern Abends zu einem Tete-a-tete zu mir beſtellt. Er ſtellte ſich puͤnktlich ein, der Graf iſt auf mehrere Tage[] verreiſt, mein Kammermaͤdchen hatte ihre gemeſſene Ordre. Sein Geſicht hatte ſehr et - was anziehend Schwermuͤthiges, worunter eine ſanfte Freude hervorleuchtete, er hatte mir ſo viel zu ſagen, aber wir ſprachen nur wenig, Kuͤſſe, Umarmungen, zaͤrtliche Seufzer erſetzten die Sprache. Ich mußte ihm mehrere Sachen auf dem Fortepiano ſpielen, der Mond goß durch die rothen Vorhaͤnge[ein] romantiſches Licht um uns her, die Toͤne zerſchmolzen im Zimmer in leiſen Accenten. Sie kennen ja das Gefuͤhl, wo die hochgeſpannte Empfindung uns in aͤtheriſche und uͤberirrdiſche Entzuͤckungen verſetzt, die doch ſo nahe mit der Sinnlichkeit verwandt ſind; der erhabenſte Menſch glaubt167[165] ſich zu veredeln, indem er ſinkt, und knieet won - netrunken vor dem Altare der irrdiſchen Venus nieder. Durch alle jene geheimen Nuancen der Wolluſt ging Lovell; auf jenem Ruhebette, das Sie kennen, ſchwur er endlich in meinen Armen ſeine Kaͤlte und Unempfindlichkeit ab; ich freue mich, ihn bekehrt zu haben.

Leben ſie wohl, ich bin muͤde und ſchlaͤfrig. Louiſe Blainville.

Nachſchrift. Apropos! Was macht die klei - ne Blondine, von der Sie mir neulich erzaͤhl - ten? Sind Sie noch geſonnen, ſie als Jockey mit auf die Reiſe zu nehmen?

168[166]

23. William Lovell an Balder.

Balder, ich ſchreibe Dir noch einmahl, ich darf Dir ſchreiben, denn Du ſelber wirſt mei - nen Gefuͤhlen Recht geben. O Freund, ich bin aus einer duͤſtern Grabnacht entſtanden, ein flammendes Morgenroth zieht am Himmel her - auf und ſpiegelt mir feurig in’s Angeſicht. Louiſe iſt mein, ewig mein, ſie hat ſich mir mit dem heißeſten Kuſſe der Liebe verſichert. Ich trotze Deiner Verachtung, der Verachtung einer Welt; unaufloͤslich mit glaͤnzenden Feſſeln an die Liebe gekettet, wagt ſich kein kleinliches Gefuͤhl der Sterblichkeit in den Umkreis mei - nes Paradieſes; mit einem flammenden Schwerd - te ſteht mein Schutzgeiſt an der Graͤnze und geiſſelt jede unheilige Empfindung hinweg; der ſiegjauchzende Geſang der Liebe uͤbertoͤnt im ho - hen Rauſchen des Triumphs jeden Klang des irrdiſchen Getuͤmmels.

Ich fuͤrchte, daß ich Dir Wahnſinn ſpreche, aber ich muß mein Gefuͤhl mittheilen; ſei blo -169[167] ßer Freund, wenn Du mir zuhoͤrſt, nachher magſt Du mich tadeln: aber ich bedaure den, der mich tadelt, ohne mich zu beneiden. Ich bedaure die Thoren, die ewig von der Veraͤcht - lichkeit der Sinnlichkeit ſchwatzen; in einer klaͤglichen Blindheit opfern ſie einer ohnmaͤchti - gen Gottheit, deren Gaben kein Herz befriedi - gen; ſie klettern muͤhſam uͤber duͤrre Felſen, um Blumen zu ſuchen und gehen bethoͤrt der bluͤhenden Wieſe voruͤber. Nein, ich habe zum Dienſte jener hoͤheren Gottheit geſchworen, vor der ſich ehrerbietig die ganze lebende Natur neigt, die in ſich jene abgeſonderte Empfindung des Herzens vereinigt, die alles iſt, Wolluſt, Liebe, fuͤr die die Sprache keine Worte, die Zunge keine Toͤne findet. Erſt in Loui - ſens Armen hab ich die Liebe kennen lernen, die Erinnerung an Amalien erſcheint mir wie in einer naͤchtlichen neblichten Ferne; ich habe ſie nie geliebt.

Ich hatt ihr Liebe zugeſchworen,
Ich Thor, mit Liebe unbekannt!
Zu keiner Seeligkeit erkohren,
In irrd’ſcher Nichtigkeit verlohren,
Am ſchwarzgebrannten Felſenſtrand.
170[168]
In ſchwerer Dumpfheit tief verſunken
Lag um mich her die leere Nacht:
Da grüßte mich ein goldner Funken,
Ha! rief ich thöricht wonnetrunken,
Dort flammt mir Phöbus Götterpracht!
Doch alle Ketten ſind geſprungen,
Aus Oſten ſprüht ein Feuerglanz.
Der große Kampf iſt ausgerungen,
Mir iſt der größte Sieg gelungen,
Herakles trägt den Götterkranz!
Ha, mögen nun mit Feuerſchwingen
Sich Blitze dicht an Blitze reihn,
Mag Donner hinter Donner ſpringen,
Ich will mit Tod und Schickſal ringen,
Bleibt ſie, bleibt ſie nur ewig mein!

Am folgenden Morgen.

Ich erwache, und erſchrecke, Balder, in - dem ich dies noch einmahl uͤberleſe. Wie ein Schwindel befaͤllt mich die Erinnerung an geſtern, Amaliens Andenken koͤmmt in der ganzen Heiligkeit der Unſchuld auf mich zu, mit herzdurchſchneidender Wehmuth, o Bal - der, ich moͤchte vor mir ſelber entfliehen. Was iſt die Staͤrke des Menſchen? Ich bin ein Elender. Troͤſte mich, wenn Du kannſt.

171[169]

O ich muß fort, fort von Paris, ich muß! Mir iſt, als wollten die Haͤuſer uͤber mich zuſammenſtuͤrzen, der Himmel haͤngt tief und truͤbe auf mich herab. Wir wollen auf - brechen und nicht mehr ſaͤumen. O Balder, Du haſt Recht, ich bin ein Nichtswuͤrdiger, mein Herz iſt zu klein fuͤr jene Goͤtterempfin - dungen, verachte, verlaß mich nicht, und zerreiß dies Papier nicht, bewahr es und wenn Du mich im Begriffe ſiehſt, Amglien und mei - ne Schwuͤre zu vergeſſen, dann reiche mir es heimlich und ſchweigend, und mir wird ſeyn, als wenn ein Donnerkeil vor mir niederfiele.

172[170]

24. Amalie Wilmont an William Lovell.

Warum hab ich ſeit ſo langer Zeit keinen Brief von Ihnen erhalten? Ich bin darinn wie ein Kind, daß mir immer gleich tauſend Uebel beifallen, die Ihnen zugeſtoßen ſeyn koͤnn - ten; reißen Sie mich bald aus meiner Unruhe. Ich bin oft einſam und beſchaͤftige mich in meinen Traͤumereien mit Ihrem Andenken, oft durchbohrt der Gedanke mein Herz: er hat dich vielleicht ſchon vergeſſen! und dann wein ich und jammere, und werfe mir dann wieder das Unrecht vor, das ich Ihnen thue, und bit - te Ihrem kleinen Gemaͤhlde, das Sie mir hier - gelaſſen haben, meine Uebereilung ab. O ſchreiben Sie mir, ſelbſt wenn Sie krank ſeyn ſollten; ſeitdem ich keinen Brief von Ihnen er - halten habe, ſeh ich nichts als Raͤuber und Banditen, die Sie uͤberfallen und ermorden, ich ſehe Sie ohnmaͤchtig gegen die Wellen kaͤm - pfen, oder hoͤre Sie in einem brennenden Hauſe vergebens nach Rettung rufen, o ſchrei -173[171] ben Sie mir ja ſogleich, mir treten oft kalte Thraͤnen des Entſetzens in die Augen. Ihr Vater iſt itzt wieder beſſer, aber er iſt mit dem Lord Burton in einen Prozeß verwickelt, der ihm viel Zeit und Verdruß koſtet. Es thut mir ſehr weh, daß ich Burton von einer ſol - chen Seite kennen lerne, mein kindiſches Herz iſt bis itzt noch wenig argwoͤhniſch geweſen, ich hielt alle Leute fuͤr ſo gut, wie ich ſelbſt zu ſeyn glaubte; ich war oft zu Burton ſo zutrau - lich, wie zu einem Vater, und itzt muß ich ihn haſſen. Ich fuͤrchte, es giebt mehr Bosheit in der Welt, als ich je werde glauben koͤnnen, es iſt ſehr betruͤbt, wenn man ſo gern alle Men - ſchen lieben moͤchte. Leben Sie wohl und antworten Sie mir, ſobald als moͤglich.

174[172]

25. William Lovell an Amalie Wilmont.

Wie wohl und wehe Ihre zaͤrtlichen Beſorg - niſſe meinem Herzen thun! ich ſollte Sie vergeſſen? Nimmermehr! Nein, halten Sie mein Herz nicht fuͤr ſo armſeelig, daß es je die Gefuͤhle verlieren koͤnnte, die es Ihnen zu danken hat; nein, im Innerſten meiner Seele liegen ſie aufbewahrt, als ein Unterpfand mei - nes Werthes. O Amalie, ich hoffe mit Sehn - ſucht auf die Zeit meiner Ruͤckkehr, mit Sehn - ſucht auf den Augenblick, in dem ich Sie wie - derſehe; dies Gluͤck nach einer ſo langen Tren - nung wird mich berauſchen, der lange leere Zwiſchenraum wird mich dann dieſe Freude de - ſto lebhafter empfinden laſſen. Ich denke oft mit Traurigkeit an meinen grauſam zaͤrtlichen Vater, o, die Liebe mag mir dieſen Frevel verzeihen, Ihrentwegen wuͤnſch ich oft, daß er mich weniger liebte, dann haͤtt ich ein groͤ - ßeres Recht, ein ungehorſamer Sohn zu ſeyn. Aber itzt! doch wer weiß, welche Freuden175[173] mir noch die karge Zukunft aufbewahrt, um mich durch ihre allmaͤhligen Wohlthaten gluͤck - lich zu machen! Die Hofnung ſoll meine Freun - dinn ſeyn, eben die Liebe meines Vaters iſt mein Troſt, er goͤnnt mir jede Freude des Le - bens, er wird mir die nicht mißgoͤnnen, die die Grundlage meiner Exiſtenz iſt, an die ſich jedes andre Gluͤck nur reihen kann; ſehn Sie, wie ich mir aus meinen Leiden ſelbſt eine Freude herausſuche, denn bei der Gewißheit meines Gluͤcks, ohne dieſe Hofnung, wuͤrde mich die Trennung noch laͤnger duͤnken. Seyn Sie heiter, auch ich will es ſeyn, verzeihen Sie dem Freunde eine Nachlaͤſſigkeit, durch die er Ih - ren Zorn verdient hat, ich wollte ſtets meine ſchoͤnſten Stunden waͤhlen, Ihnen zu ſchreiben, bald machte mir dieſe, bald eine andre Urſache boͤſe Laune und ſo ward das Ganze aufgeſcho - ben. O theuerſte, theuerſte Amalie, es gereuen mich die Worte, die ich niedergeſchrie - ben habe; todte Zeichen koͤnnen nie die Em - pfindungen meines Herzens ausdruͤcken, alles iſt kalt und ohne Sinn, laſſen Sie die Liebe die - ſen Brief leſen, leſen Sie ihn mit der Sehn - ſucht, mit der truͤben froͤhlichen Melancholie,176[174] mit der ich ihn ſchrieb, dann werden Sie fuͤh - len, wie Ihr Herz klopft, wie eine unerklaͤrba - re Bangigkeit Ihren Buſen zuſammenpreßt, wie die Pulſe raſcher ſchlagen, wie der Geiſt die Huͤlle des Koͤrpers zu durchbrechen ſtrebt, um in die Umarmung des verwandten Genius zu fliegen, o dann werden ſie empfinden, wie ich, dann zerreiſſen Sie das Papier und un - ſre Geiſter beſprechen ſich unmittelbar in einer hohen entzuͤckenden Begeiſterung.

26.177[175]

26. William Lovell an Eduard Burton.

Wir haben endlich Paris verlaſſen und mir iſt beſſer. Die Reiſe hieher hat mich wieder heiter gemacht, die ſchoͤne Natur hat die fin - ſtern Phantaſien verſcheucht, die mich marter - ten, ich denke wieder freudig an Dich und an Amalien, ich habe mit meiner Seele einen Frie - den geſchloſſen. Ach, Eduard, es iſt eine traurige Bemerkung fuͤr mich, daß die geprieſe - ne Staͤrke des Menſchen ſo wenig Konſiſtenz hat; ohne Verſuchung traut man ſich die Kraͤfte eines Herkules zu, aber wie bald erliegt der Held im Kampfe. In Louiſens Armen vergaß ich Dich und Amalien; erroͤthend ſchreibt es der Freund dem Freunde nieder, ja ich ſchaͤmte mich des Andenkens an euch, weil es mich pei - nigte, ich ſuchte ihm zu entfliehen; aber ver - gebens. Doch kamen meine ſchoͤnern Gefuͤhle bald zu mir zuruͤck, ich ſoͤhnte mich bald mit meinen theuerſten Schaͤtzen aus, der Rauſch der Sinnlichkeit ſank itzt zu jener VeraͤchtlichkeitLovell, I. Bd. M178[176]hinab, in welche er meine reinern Empfindun - gen des[Herzens] warf. Und ſo, Eduard, reich ich Dir nun, wie zu einem neuen Bunde, die Hand; vergieb mir, vergiß meine Schwaͤ - che, itzt ſoll mich der aͤuſſere Schein und eine elende Heuchelei nicht wieder ſo leicht hinter - gehn; in Louiſe Blainville hab ich mich geirrt, aber mir wird kein zweiter Irthum begegnen, es lebt nur eine Amalie, es giebt nur ein Gluͤck fuͤr mich. Ich muß der Auſſenſeite der Men - ſchen weniger trauen, ihr Betrug wird ihnen ſonſt zu leicht gemacht, ich will Vorſicht ler - nen, ohne ſie wieder zu erkaufen.

Balder und Roſa, von denen ich Dir ge - ſchrieben habe, begleiten mich nach Italien. Roſa iſt mir itzt ſchon viel lieber als vorher, man muß manche Menſchen nur erſt ſo genau kennen lernen, daß das Fremde bei ihnen ver - ſchwindet, und man findet ſie ganz anders, als anfangs; eben dieſe Erfahrung hab ich auch bei Mortimer gemacht, deſſen Laune mich itzt ſehr oft unterhaͤlt. Ja, Eduard, ich verſpreche Dir kluͤger zu werden, mich nicht ſo oft von dunkeln Gefuͤhlen uͤberraſchen zu laſſen, ſondern mehr zu denken und mit freiem Willen zu han -179[177] deln. Balder iſt ein ſehr liebenswuͤrdiger Juͤngling; nur macht ihn ſeine Melancholie ſehr ungluͤcklich. Lebe wohl, Du erhaͤltſt naͤchſtens noch einen Brief von mir, ehe ich von Dir eine Antwort haben kann.

M 2180[178]

27. Roſa an Andrea Coſimo.

Dein Mißtrauen, Deine Beſchuldigung der Nachlaͤßigkeit iſt ungerecht, ich habe meinen Auftrag unterdeß nicht vergeſſen. Das Unter - nehmen gehoͤrt freilich nicht zu den ſchwerſten, aber es iſt auch nicht ganz ſo leicht, als Du zu glauben ſcheinſt. Recidive ſind hier mehr zu fuͤrchten, als irgendwo. Wir haben Pa - ris verlaſſen und werden uns auch in Lyon nicht lange aufhalten; ich hoffe, Dich bald in Rom wieder zu ſehn, da magſt Du dann ſelbſt beurtheilen, wie wenig, oder wie viel ich ge - than habe. Lebe wohl.

181[179]

28. Fragmore an ſeinen Neffen Mortimer.

Ich fange dieſen Brief mit zitternder Hand an, kaum in der Hofnung, ihn zu vollenden, ſo ſehr haben ploͤtzlich ein Fieber, und alle Anfaͤlle des Alters meine Kraͤfte erſchoͤpft. Alle an - genehmen Empfindungen haben ſchon von mir Abſchied genommen und unaufhoͤrliche Schmer - zen machen mir mein Grab wuͤnſchenswerth. Die einzige Freude, die mir noch nicht gleich - guͤltig geworden iſt, waͤre, Dich noch einmahl zu ſehn: doch ich will es nicht hoffen, denn es iſt faſt unmoͤglich; wuͤnſcheſt Du aber, lieber Mortimer, mich noch vor meinem Tode zu ſehn, ſo eile. Itzt auf meinem Bette wuͤnſche ich, daß die franzoͤſiſchen Chauſſeen noch beſſer waͤ - ren, als ſie ſind; ich habe eine ſo innige Sehn - ſucht, das Weſen noch einmahl zu ſehn, welches ich einzig liebe, daß ich mich oft aͤrgre, daß Du nicht ſchon vor mir ſtehſt, daß Du uͤber - haupt aus England gereiſet biſt und daß ich Dich ſo in die Welt habe hineinreiſen laſſen. 182[180]Ich wuͤnſchte uͤberhaupt, daß Du kaͤmeſt, nicht allein meinetwegen, ſondern noch mehr zu Dei - nem Beſten, denn ich fuͤrchte faſt, daß meine Anverwandten Dir manche Schwierigkeiten in Anſehung der Erbſchaft machen werden. Lebe wohl, meine Schwachheit nimmt zu, ich bin ſo aberglaͤubig, daß ich manchmal glaube, ich wuͤr - de wieder geſund werden, wenn ich Dich noch einmahl ſaͤhe; eile daher, Deinen alten Onkel noch lebendig zu finden, der es von jeher ſo gut mit Dir gemeint hat.

Fragmore.

183[181]

29. Walter Lovell an ſeinen Sohn William.

Der Onkel Deines Freundes Mortimer liegt auf dem Sterbebette und wuͤnſcht nichts ſehnli - cher, als ſeinen Neffen vor ſeinem Tode zu ſehn: Du wirſt Dich alſo wahrſcheinlich von ihm trennen muͤſſen und Deine Reiſe ohne ihn fort - ſetzen. Ich weiß, daß Du keinen Aufſeher brauchſt, und da Dich zwei andere Freunde nach Italien begleiten werden, ſo wirſt Du ihn weniger vermiſſen. Ich wuͤnſche nicht, daß er ſich durch Gewiſſenhaftigkeit, oder eine Idee von Verbindlichkeit gegen Dich zuruͤckhalten ließe, denn ihn ſcheint hier in London ein Pro - zeß zu erwarten, der ihm vielleicht, wenn er nicht ſelbſt gegenwaͤrtig waͤre, in Anſehung der Erbſchaft manche Schwierigkeit machen koͤnnte; darum ſage ihm nur, daß er ſich ſelbſt keine eingebildeten Hinderniſſe in den Weg legen ſoll, abzureiſen.

Meine Geſundheit ſcheint itzt feſter zu ſtehn, als jemahls, aber mein Prozeß mit Lord Bur -184[182] ton macht mir viele Unruhe. Er laͤugnet, daß die Summe fuͤr die beiden Guͤter Orfield und Bosworth jemahls bezahlt ſey, er producirt Schriften ſeines Großvaters, die es zu beweiſen ſcheinen: mein ungluͤckliches Gedaͤchtniß, die Reiſe hierher und meine neuen Einrichtungen machen, daß ich jene Dokumente nicht finden kann, die ihn des Gegentheils uͤberfuͤhren wuͤr - den; ſein Advokat iſt der verſchlagenſte in Lon - don. Ich hoffe aber, daß ich dennoch die Sache gut durchfuͤhren werde, denn viele Um - ſtaͤnde vereinigen ſich gegen Burton.

Um alle Bedenklichkeiten Mortimers zu he - ben, hab ich dieſen Brief an ihn beigelegt. Lebe wohl.

185[183]

30. Walter Lovell an Mortimer.(Einlage des Vorigen.)

Ihr ſterbender Onkel hat ſich auch an mich ge - wandt, um ſeine Bitten zu unterſtuͤtzen, daß Sie nach England zuruͤckkommen moͤchten, ich erfuͤlle ſein Erſuchen itzt, indem ich Ihnen Ihr Verſprechen, meinen Sohn nach Italien und zuruͤck zu begleiten, voͤllig erlaſſe. Nicht al - lein Ihr Onkel wuͤnſcht Ihre Gegenwart, ſon - dern die Umſtaͤnde ſcheinen ſie nothwendig zu machen, denn eine Menge von Verwandten er - warten nur den Augenblick, in welchem das Te - ſtament Fragmore’s eroͤffnet wird, um einen Prozeß anzufangen, da ſie ſein Vermoͤgen ſchon immer als ihr Eigenthum betrachtet haben. Ich fuͤrchte nicht, daß fuͤr meinen Sohn etwas zu beſorgen ſey, wenn er ſich allein uͤberlaſſen bleibt, in Ihrer Geſellſchaft wird er gewiß ſchon beſſer gelernt haben, Menſchen zu beur - theilen, da er uͤberdies von Roſa begleitet186[184] wird, den Sie ſelber fuͤr einen der ausgebilde - teſten und verſtaͤndigſten Maͤnner erklaͤren.

Ich hoffe Sie alſo naͤchſtens in London zu ſehn, um Ihnen muͤndlich ſagen zu koͤnnen, wie viel Dank ich Ihnen in Anſehung meines Soh - nes ſchuldig bin.

187[185]

31. Mortimer an Karl Wilmont.

Mein Onkel will durchaus ſterben und ich ſoll durchaus nach England zuruͤckkommen. Der arme alte Mann hat mich in einem Briefe ſehr geruͤhrt, er wuͤnſcht mich noch zu ſehen, er kann durchaus nicht eher ruhig ſeyn. Itzt reut mich der Leichtſinn ſehr, mich welchem ich ihn oft behandelt habe, er ließ mir aber auch nie von ſeiner Liebe gegen mich etwas merken, wenig - ſtens nicht mehr, als man von jedem, nur mittel - maͤßigem Onkel mit Recht verlangen kann. Ich gruͤße alſo bald wieder meinen vaterlaͤndi - ſchen Boden, und dann, Karl, will ich ganz das wilde, unſtaͤte Leben aufgeben, das ich bis itzt gefuͤhrt habe. Ich habe mit ſchon einen ſehr ſchoͤnen Plan ausgedacht, ich will mich in einer reizenden Gegend anbauen, da mir ſelber und meiner Phantaſie leben, Du bleibſt dann bei mir, ſo lange es Dir in meiner Geſellſchaft ge - faͤllt; wir leſen, ſchwatzen, reiten, jagen mitein - ander. Die Einſamkeit hat ſehr viel Rei -188[186] zendes, wenn man vorher die Welt geſehn und genoſſen hat, man zieht ſich dann einen en - gen Kreis um die Exiſtenz, den man immer ganz mit Einem Blicke uͤberſehn kann, man lernt alles umher in ſeinen genauſten Verhaͤlt - niſſen kennen. Um mich in dieſer Lebensart einzurichten, muß ich aber erſt vorher ein Maͤd - chen finden, das dieſen Genuß mit mir theilen will. Ob ich ſie finden werde, iſt die große Frage, denn bis itzt hab ich noch keine kennen lernen, bei der mir nicht jeder Gedanke an Ver - heirathung einen Schrecken verurſacht haͤtte.

Suche es doch ſo zu veranſtalten, daß ich Dich in London treffe, auch Deine Eltern wuͤr - den ſich ſehr freuen, Dich wiederzuſehn. Wenn Dich alſo nicht Burton’s Schweſter zuruͤckhaͤlt, ſo eile nach London; biſt Du aber verliebt, ſo will ich Dich nicht einladen, denn das hieße ei - nen Kirchenraub begehn.

William Lovell laſſe ich nun in der Geſell - ſchaft Roſa’s und Balders weiter reiſen. Er iſt weit munterer und menſchlicher als ehedem, er faͤngt etwas mehr an, aus den unnatuͤrlichen Regionen der Phantaſie heraus zu treten und ſich zu den Menſchen herabzulaſſen, ich hoffe189[187] ihn einſt als einen recht geſcheuten Mann in England wieder zu ſehn, und Roſa iſt gerade der Geſellſchafter, der ihn dazu machen kann.

Der alte Willy iſt ſehr betruͤbt daruͤber, daß ich abreiſe; woran dieſer alte Mann ſich haͤngt, das liebt er wie ein Kind, er hat bei - nahe geweint und hat mir einen großen Brief gegeben, den ich an ſeinen Bruder Thomas nach Bonſtreet ſchicken ſoll; er iſt unzufrieden mit mir, daß ich William nicht weiter begleiten will; er hat mir aus einem Traume beweiſen wollen, daß es fuͤr mich und Lovell ein Ungluͤck ſeyn wuͤrde.

Lebe wohl, entweder ich ſehe Dich in Lou - don, oder Du erhaͤltſt von dort einen Brief von mir.

Mortimer.

190[188]

32. Andrea Coſimo an Roſa.

Ich erwarte den Augenblick ſehnlichſt, in wel - chem Du wieder in Rom ſeyn wirſt; ich habe Dir ſoviel zu ſagen, ſo manches von Dir zu hoͤ - ren; zoͤgre alſo auf Deiner Reiſe nicht unnoͤthig und vergiß nicht unſre Plane. Die Rache fluͤſtert mir in’s Ohr und macht mich oft unge - duldig, daß ich dann auf Deine Langſamkeit ſchelte: aber ich weiß, ich thue Dir Unrecht. Die Uhr muß endlich zu Ende laufen, und die Zeit kommen, auf die ich warte; mit dieſem Gedanken beruhige ich mich, bis ich Dich wie - derſehe. Lebe wohl.

191[189]

33. William Lovell an Eduard Burton.

Ich gehe itzt ſchon den Oertern entgegen, wo ich ſo hohe Entzuͤckungen erwarte. Mortimer hat mich in Lyon verlaſſen und iſt nach England zuruͤckgegangen, ſein Onkel ruft ihn dahin, Roſa und Balder ſind meine Gefaͤhrten. So ungleich ſich auch ihre Charaktere ſind, ſo liebe ich ſie doch itzt beide faſt gleich ſtark; ich fange an, mich mit Empfindungen und ihren Aeuſſerungen zu verſoͤhnen, die ich ſonſt haßte, ich ſchaͤtze am Menſchen die Talente, ohne ſeine Fehler zu uͤber - ſehn, es uͤberraſcht mich nur ſelten mein ehe - maliges Vorurtheil, daß ein einziger Fehler mir einen Menſchen durchaus verhaßt macht.

Die Reiſe bis hieher hat mir außerordent - lich viel Vergnuͤgen gemacht, ſo viele frohe Ge - ſichter, ſo viele Feſte in den Doͤrfern, ich habe mit Innigkeit an die Jahre meiner Kindheit bei manchen laͤndlichen Spielen der Dorfjugend zu - ruͤckgedacht. Allenthalben die ſchoͤnſte Natur die keine truͤbe oder menſchenfeindliche Empfin -192[190] dung duldet; ſchoͤnes Klima, Sonnenſchein, alles hatte mich in eine wolluͤſtige Trunkenheit verſetzt, in der ich mich oft ganz vergaß und wie ein Kind der Natur bloß die frohe Empfin - dung eines erquickenden Daſeyns fuͤhlte.

Wie oft hab ich Dich an meine Seite ge - wuͤnſcht! Allein zu genießen und einſam zu trauern iſt gleich laͤſtig; Balder iſt zu melancho - liſch, zu ſtumpf fuͤr den Eindruck der Freude, Roſa’s Empfindung zu fluͤchtig und keiner eigent - lichen Begeiſterung faͤhig; o Eduard, Du fehlſt mir noch ſehr oft, dieſe bruͤderliche Seele hat mich noch nirgends wieder begruͤßt, ich werde ſie vergebens ſuchen. Koͤnnt ich doch Dich und Amalien an mein ſchlagendes Herz druͤcken; in einer unaufhoͤrlichen Erinnerung an eure Liebe habe ich mein Verbrechen gegen Ama - lien abgebuͤßt, ich bin itzt wieder ihrer wuͤrdig.

Dein naͤchſter Brief wird mich in Genua treffen. Lebe wohl.

William

[191]

William Lovell.Drittes Buch.

Lovell, I. Bd. N[192][193]

1. Mortimer an Karl Wilmont.

Ich habe Dich nicht in London getroffen, ich ſchließe daraus, daß Du noch in Bonſtreet biſt.

Ich bin ſo ſchnell hiehergereiſt, als es nur moͤglich war, aber dennoch vergebens, er war ſchon todt, ſchon begraben als ich in das Haus trat. Ich habe nur ſein Grab beſuchen koͤnnen. Bis itzt hat mich noch kein Vorfall in meinem Leben ſo tief geſchmerzt, als daß ich dem guten Manne nicht ſeine letzte Freude, ſeine letzte Hofnung habe erfuͤllen koͤnnen; er hat vielleicht in ſeinem Bette ſo oft nach mir ge - ſeufzt, ſo oft nach der Thuͤre geſehn, in die ich hereintreten ſollte, und immer iſt ſein Erwarten umſonſt geweſen. Karl, wir fuͤhlen es nie ſo lebhaft, wie viel uns ein Menſch iſt, als von dem Augenblicke ſeines Todes an. Wenn wir auch ein Weſen nicht ganz mit unſrer innigſtenN 2196[194]Liebe umfangen, ſo erregt doch der Gedanke nach ſeinem Tode, er war und iſt nicht mehr, einen bangen Schauder in unſrer Seele, eine ſeltſame truͤbe Empfindung, die unſer Herz zu - ſammenzieht.

Doch, genug davon, ſo viel ich Dir auch noch uͤber dieſes Thema ſagen koͤnnte, nur hat mir dieſer Tod auf einige Wochen alle Freuden verbittert. Ich haͤtte gegen Fragmore von Ju - gend auf dankbarer ſeyn koͤnnen, erſt itzt fallen mir die mannichfaltigen Beweiſe ſeiner Liebe gegen mich ein, ich nahm ſeine muͤrriſche Laune ſtets von einer zu ernſthaften Seite, mit einer kindiſchen Empfindlichkeit ſucht ich oft muͤhſam manchen ſeiner Aeuſſerungen die ſchlimmſte Be - deutung zu geben: ach Karl, der Menſch iſt ein ſchwaches Geſchoͤpf, wie manche Streiche ſpielt ihm ſeine Eitelkeit und ſeine Selbſtliebe, trotz allen philoſophiſchen Vorſaͤtzen!

Meine und Fragmore’s Verwandten ſcheinen durch meine Ankunft in eine Art von Schrecken verſetzt, wir ſtehn auf einem faſt freundſchaftli - chen Fuße miteinander, und da er ihnen gewiß Legate ausgeſetzt hat, ſo hoff ich, daß ſich bei197[195] der Eroͤffnung des Teſtamentes alles ohne Pro - zeß entwickeln werde.

Wenn meine Bitten etwas uͤber Dich ver - moͤgen, ſo komm nach London und leiſte mir wenigſtens einige Wochen uͤber Geſellſchaft. Ich bin ſo truͤbſinnig, daß Du mich kaum wieder - erkennen wirſt, meine gute Laune kann nur durch einen Freund wieder geweckt werden, der mich ſo genau kennt, wie Du. Verlaß einmahl Bonſtreet und erbarme Dich einer armen, ver - laſſenen Seele die Deiner ſo ſehr bedarf, ich moͤchte oft zu Lovell zuruͤckreiſen, um mich in Italien zu zerſtreuen: aber ich bin auch des Herumwanderns ſo muͤde, daß es mir ordent - lich wohl thut, die Thuͤrme und Haͤuſer meiner Geburtsſtadt einmahl wieder ſo dicht vor mir zu haben.

Der alte Lovell, den ich itzt mehrmahls be - ſucht habe, gehoͤrt zu den ſchaͤtzbarſten Leuten, die ich je habe kennen lernen. Ohne die Praͤ - tenſion, die bei vielen Gelehrten von Profeſſion eben ſo laͤſtig als laͤcherlich iſt, verbindet er eine große Menge von Kenntniſſen mit eben ſo vielen Erfahrungen und einem ſehr ausgebilde - ten Verſtande. Er empfindet eben ſo fein als198[196] tief und ſteht von den kalten Menſchen eben ſo weit als von denen mit gluͤhenden Gefuͤhlen entfernt, er verehrt die Philoſophie und liebt die Kuͤnſte, ohne an ihnen mit Enthuſiasmus zu[haͤngen]: aber vorzuͤglich werth iſt er mir durch dieſe innige Menſchenliebe geworden, mit der er jedem Ungluͤcklichen entgegenkommt, durch dieſe Bereitwilligkeit, mit der ſein Mitleid ſo ſchnell als ſeine Huͤlfe dem Elenden zugeſichert wird. Fuͤr ſich ſelbſt empfindet er weniger, als fuͤr andre, denn er verbirgt gaͤnzlich den Gram, den ihm der Prozeß mit dem Lord Bur - ton nothwendig machen muß, beſonders da die Umſtaͤnde fuͤr ihn nichts weniger als guͤnſtig ſeyn ſollen. Ich nehme, ſeit ich ihn mehr ken - ne, den waͤrmſten Antheil an allem, was ihn betrifft: ſo wie ich, ſind alle ſeine Bekannte ſei - ne Freunde.

Auch Deine Schweſter habe ich mehrmals geſehn, ſie graͤmt ſich uͤber Lovell’s Abweſenheit, der ſie wahrſcheinlich oͤfter vergißt, als ſie ihn, wie es denn uͤberhaupt wohl gewiß iſt, daß das Herz eines zarten weiblichen Geſchoͤpfs feſter und inniger an dem Gegenſtande ihrer Liebe haͤngt, ihm mit weit ſchoͤnern und bleibendern199[197] Gefuͤhlen entgegenkoͤmmt, als ihr der Mann je - mahls zuruͤckgeben kann. Er iſt mir hundert - mahl, ihr gegenuͤber eingefallen, daß ich gluͤck - lich ſeyn wuͤrde, wenn ſie dieſe Anhaͤnglichkeit und Liebe zu mir heruͤbertragen koͤnnte; ich habe oft lange und aufmerkſam die zarte und geiſt - reiche Bildung ihres Geſichtes ſtudiert. Die Phyſiognomie Deiner Schweſter gehoͤrt zu den intereſſanteſten, zu denen, die im fluͤchtigen Vor - uͤberſtreifen das Auge nicht feſſeln, die aber im Stillen den Blick auf ſich locken, unver - merkt das Herz in Bewegung ſetzen und ein bleibendes Bild in der Phantaſie zuruͤcklaſſen. Ich habe hundertmahl getraͤumt doch, lebe wohl, wer wird alle ſeine Traͤume erzaͤhlen? Ich bin jedesmahl aufgewacht, und wenn ich auch niemahls Dein Schwager ſeyn werde, ſo ſey doch uͤberzeugt, daß ich unaufhoͤrlich bleibe

Dein Freund Mortimer.

200[198]

2. Karl Wilmont an Mortimer.

Ja Freund, bald, vielleicht in wenigen Tagen ſeh ich Dich wieder, es iſt endlich Zeit, daß ich Bonſtreet verlaſſe. Oder ich haͤtte es viel - mehr fruͤher verlaſſen ſollen, denn um meine ganze Ruhe wieder mitzubringen, iſt es itzt zu ſpaͤt. Wie viele Laͤcherlichkeiten und Wider - ſpruͤche im menſchlichen Leben! Seit[Mona - then] trag ich mich nun mit einer Wunde her - um, deren Verſchlimmerung ich recht gut wahr - nahm, die ich aber nicht zu heilen ſuchte, außer itzt, wo ſie vielleicht unheilbar iſt. Manche Moraliſten moͤgen dagegen ſagen, was ſie wol - len, ich wenigſtens finde gerade darinn einen Troſt, daß ich an meinem Schaden ſelber Schuld bin, ich weiß, wie er nach und nach durch mei - ne eigene Nachlaͤßigkeit entſtanden iſt, und in - dem ich der Geſchichte dieſer Entſtehung nach - gehe, und fuͤr jede Wirkung eine hinreichende Urſache entdecke, falle ich unvermerkt in eine Art von Philoſophie, und gebe mich ſo uͤber201[199] das Unabaͤnderliche zufrieden. Ein Ungluͤck wuͤrde mich im Gegentheile toll machen koͤnnen, das ſo mit einemmahle, wie aus den Wolken auf mich herabfiele, wo unſer Verſtand ſich lahm raiſonnirt, die Urſache davon aufzufinden, ein Rippenſtoß den mir eine unſichtbare Hand bei - bringt: nein, dieſe Ergebung in das Schick - ſal, Vorſehung, Zufall, oder Nothwendigkeit, wie man es nennen mag, iſt mir voͤllig undenk - bar. Ich fuͤhle gar keine Anlage in mir zu die - ſer Art von chriſtlicher Geduld. Der Himmel gebe daher nur, daß ich ſo, wie bis itzt ge - ſchehn iſt, an allem, was ich leide, ſelber Schuld ſeyn moͤge, weil ich ſonſt wahrſcheinlich ein großes Laͤrmen und Geſchrei anfangen wuͤrde, um mich wenigſtens ſelbſt zu betaͤuben.

Ich weiß nicht, ob ich es ein Gluͤck oder Ungluͤck nennen ſoll, daß Emilie gegen meine Liebe (denn ich will das Ding nur un - geſcheut bei ſeinem rechten Nahmen nennen) nicht gleichguͤltig iſt. Mich wundert, daß noch kein Franzoſe dieſe Idee zum Sujet einer Tra - goͤdie gewaͤhlt hat, denn ſie iſt wirklich ſo tra - giſch, als nur irgend eine in einem franzoͤſiſchen Trauerſpiele ſeyn kann. Es iſt eine Tantalus -202[200] quaal, die zu den[ausgeſuchteſten] und raffinirte - ſten gehoͤrt, etwas recht lebhaft zu wuͤnſchen, und doch die Erfuͤllung ſeines Wunſches nicht gern ſehn zu duͤrfen. Denn wenn Emilie mich liebt, muß ſie ſich nothwendig ungluͤcklich fuͤh - len, ich reiſe bald fort, ihr Vater projektirt wahrſcheinlich eine reiche Heirath, ach, was weiß ich alles, wie viele hundert Umſtaͤnde ſich miteinander verſchwoͤren koͤnnen, um einem gu - ten frohen Menſchen die Freuden ſeines Lebens zu verbittern? Ich mag gar nicht lebhaft daran denken, ſo wenig wie an meine Abreiſe; und doch hab ich ſie in wenigen Tagen feſt - geſetzt.

Wenn man etwas mit ſich ſelber vertraut iſt, ſo muß man ſehr oft uͤber ſich laͤcheln. Man nimmt ſich manchmahl ſehr ernſthaft zu - ſammen; mit aller Gravitaͤt ſetzt ſich der Ver - ſtand in ſeinen Großvaterſtuhl und verſammelt alle Leidenſchaften und Launen um ſich her und haͤlt ihnen eine geſetzte und ernſthafte Rede als - denn folgendermaaßen: » Hoͤrt, meine Kin - » der, ihr werdet es wahrſcheinlich alle wiſſen, » wie das Weſen, welches Menſch heißt, von » uns in Geſellſchaft bewohnt und abwechſelnd203[201] » regiert wird: ihr werdet es ebenfalls wiſſen, » (oder wenn es nicht der Fall ſeyn ſollte, ſo » bitt ich euch inſtaͤndig, dieſen Umſtand wohl » in Ueberlegung zu ziehn,) wie mir, als dem » geſcheidteſten unter euch allen, die Oberherr - » ſchaft unter euch anvertraut worden iſt. Ei - » nige unter euch aber ſind widerſpaͤnſtig und » ungehorſam, du zum Beiſpiele » (er wendet ſich hier an einen von ihnen, an die Liebe, oder den Zorn, oder die Eiferſucht, u. ſ. w.) » drohſt » mir beſtaͤndig uͤber den Kopf zu wachſen. Aber » lieben Freunde, alles dies erzeugt nichts als » innerliche Zerruͤttung und Verderben, bedenkt, » daß ihr den ſogenannten Menſchen dadurch » in’s Ungluͤck ſtuͤrzt, der euch am Ende ſelbſt » deswegen verwuͤnſchen wird, wie man denn » davon mehrere Beiſpiele hat. Um das innere » Gluͤck und die Ruhe zu erhalten, muͤßt ihr » alſo nothwendig meine Oberherrſchaft anerken - » nen und euch willig unter meinem Seepter » ſchmiegen, denn ſonſt ſcheine ich hier ganz ent - » behrlich zu ſeyn. Wir wollen darum von nun » an ein neues Regiment anfangen, und ich lebe » der Zuverſicht, daß ihr in Zukunft artiger und » beſcheidener ſeyn werdet. Nicht wahr? » 204[202] Dann neigen ſich alle, und[ſagen] ein demuͤthi - ges » Ja, » obgleich einige heimlich unter der Hand lachen, oder nur etwas in den Bart brummen, was eben ſo gut » Nein, » als » Ja » heißen kann. Sie treten nun in aller De - muth ab, und der Verſtand faͤngt an in ſeinem Großvaterſtuhle zu uͤberlegen, was er doch ei - gentlich fuͤr ein herrlicher Mann ſey, der alles ſo huͤbſch unter dem Pantoffel halte; er macht Entwuͤrfe, wie er kuͤnftig immer mehr ſeine Herrſchaft ausbreiten wolle, daß auch am Ende nicht die kleinſte Neigung, der leiſeſte Wunſch, ohne ſeine Einwilligung aus ihren Schlupfwin - keln hervortreten ſollten. Seine großen Plane wiegen ihn nach und nach in einen ſuͤßen Mit - tagsſchlummer, bis ihn ein taubes Gelaͤrme, Ge - tobe, Gekreiſche, gar unſanft wieder erweckt? » Was iſt denn ſchon wieder vorgefallen? » faͤhrt er auf. » Ach! da hat die verdammte Liebe » wieder tauſend Streiche gemacht, da hat » ſich die Eiferſucht den Kopf blutig geſtoßen » und in drei andre Koͤpfe gar Loͤcher geſchla - » gen, da iſt der Zorn mit einem durch - » gegangen, ach, es laͤßt ſich nicht erzaͤhlen, » wie viele Ungluͤcksfaͤlle ſich indeß ereignet ha -205[203] » ben. » Der Verſtand ſchlaͤgt die Haͤnde uͤber den Kopf zuſammen und muß nun muͤhſam wie - der alles ins Geleiſe bringen; oft aber legt er, wie ein Regent, der kein Mittel ſich zu helfen ſieht, ploͤtzlich die Regierung nieder, entwiſcht aus ſeinem eigenen Lande und dann iſt alles verlohren, in einer ewigen Anarchie zerruͤttet ſich der Staat ſelbſt. Der letzte Fall wird hoffentlich nie bei mir eintreten, aber der erſte wahrſcheinlich noch oft.

So hatt ich mir geſtern feſt vorgenommen, gegen Emilien kaͤlter und zuruͤckgezogener zu ſeyn, ich hatte mir alle Gruͤnde dazu ſo dicht vor die Augen geſtellt, daß es mir nicht anders moͤglich war, ſie nicht zu ſehn, als geradezu die Augen dicht zuzudruͤcken. Ich hatte mir ein ordentliches Schema gemacht, wonach ich handeln wollte, und mir beſtimmt alle Linien vorgezeichnet, um in keinem Umſtande zu fehlen. Aber mir geht es oft wie einem ungeſchick - ten Billardſpieler, der der Kugel ſeines Gegners eine ganz andre Richtung giebt, als er wollte, oder ſich gar ſelber verlaͤuft. Denn kaum hatte ich meinem feſten, unwandelbaren Vorſatze noch die letzte Kraft gegeben, als mir Emilie im206[204] Garten. als geſchaͤhe es mir zum Poſſen, begeg - nete. Nun haſt Du ja die ſchoͤnſte Gelegen - heit, dacht ich bei mir, zu zeigen, wie viel dei - ne Vernunft uͤber Dich vermag, widerſtehe der Verſuchung wie ein Mann. Ich wich ihr daher nicht aus, ſondern wir gingen unter gleich - guͤltigen Geſpraͤchen auf und ab. Meine Kaͤlte ſchien Emilien ſelbſt zu befremden, ſie aͤußerte dies einigemahl im Geſpraͤche; aber ich hielt mich ſtandhaft und freute mich ordentlich inner - lich uͤber meine wundergroße Seelenſtaͤrke. Von ohngefaͤhr gingen wir an einem Roſen - ſtrauche vorbei und Emilie brach mit der un - nachahmlichen liebenswuͤrdigen Unſchuld eine Knoſpe ab, die ſo eben ihren Buſen entfaltet hatte und reichte ſie mir mit jener zaͤrtlichen Unbefangenheit, die ſich durch keine Worte aus - druͤcken laͤßt. Ich kam mir in dieſem Augen - blicke mit meinen Vorſaͤtzen ſo albern und ab - geſchmackt vor, ſo nuͤchtern und armſeelig, daß daß ich ihr haͤtte zu Fuͤßen ſinken und Ab - bitte thun moͤgen. Ich weiß nicht, wie es geſchah, aber ploͤtzlich kam der Geiſt Lovell’s uͤber mich, ich druͤckte mit Entzuͤcken die Roſe an meine Lippen. Unſer Geſpraͤch nahm207[205] itzt eine andre und empfindſamere Wendung, ich hatte Abreiſe und alles vergeſſen und ſprach mich mit der groͤßten Unbeſonnenheit in eine Waͤrme und Vertraulichkeit hinein, die ſich nachher mit einer voͤlligen Erklaͤrung meiner Liebe endigte.

Emilie ſtand verwirrt, erfreut und betruͤbt zugleich, wie mir es ſchien, ſie wagte es nicht, mir zu antworten, ſie hatte meine Hand ge - faßt und druͤckte ſie ſchweigend, aber herzlich, o lieber Mortimer, ich haͤtte einige Jahre mei - nes Lebens darum gegeben, wenn ich dieſen Moment der Seeligkeit haͤtte feſſeln, und nur auf einige Stunden feſthalten koͤnnen. Be - daure meine Umwandelung, denn aus dieſem einzigen Zuge kannſt Du ſehen, wie weit es mit mir gekommen iſt. Der Vater traf uns in dieſer Stellung; wir waren beide etwas ver - legen und Burton warf einen Blick auf mich, o koͤnnt ich Dir doch dieſe toͤdtende Kaͤlte, dieſen Argwohn, Menſchenhaß und dieſe Bit - terkeit beſchreiben, die in dieſem einzigen ſtrei - fenden Blicke lagen. Dies hat mich vollends beſtimmt; ich reiſe, ich komme zu Dir.

Emilie iſt indeß in meiner Gegenwart in ei -208[206] ner beſtaͤndigen liebenswuͤrdigen Verwirrung ge - weſen, ſo heimlich vertraulich und dann wieder ſo ploͤtzlich zuruͤckgezogen, ſo entgegenkommend und freundlich, aber ich reiſe dennoch, ich reiſe eben deswegen. Arme Emilie! und armer Karl!

Doch, was helfen alle Klagen? Die Welt wird darum doch nicht anders, unſre Verhaͤlt - niſſe werden von dem Wehen unſrer Seufzer nicht umgeworfen. So wenig Laune mir auch uͤbrig geblieben ſeyn mag, ſo wollen wir doch beide verſuchen, uns gegenſeitig zu troͤſten; die Freundſchaft hat uͤber das Gemuͤth eine ſehr große Gewalt, in Geſpraͤchen, in hundert klei - nen Zerſtreuungen verlieren ſich endlich jene truͤben Empfindungen, eine Freude waͤſcht nach der andern den Gram aus unſerm Herzen, ja, wir wollen dennoch froh mit einander ſeyn. Man kann ſich gegenſeitig tauſendfaches Ver - gnuͤgen erſchaffen und die gewoͤhnlichen Freuden erhoͤhen; in des Freundes Geſellſchaft ſprießen auch Blumen aus dem duͤrrſten Boden, man lacht und freut ſich uͤber tauſend Kleinigkeiten, die man in der Einſamkeit kaum bemerken wuͤr - de. O, ich fange wieder an, aufzuleben, wennich209[207]ich mir alles dies in einem ſchoͤnen Lichte und recht lebendig denke. Vielleicht machen wir auch beide eine kleine Reiſe nach Schottland, ein Verwandter hat mich ſchon ſeit langer Zeit dorthin eingeladen.

Ich wundre mich, daß ich mir die Muͤhe gebe, Dir ſo vieles zu ſchreiben, da wir uns nun bald muͤndlich ſprechen koͤnnen, darum werfe ich die langſame und langweilige Feder aus der Hand und druͤcke Dich dafuͤr um einige Minuten eher in meine Arme. Lebe wohl.

Lovell, I. Bd. O210[208]

3. Karl Wilmont an Eduard Burton.

Gott weiß, wie ungern ich Sie verlaſſen habe, um London wiederzuſehn; zwar hab ich hier meine Eltern, meine Schweſter und meinen Freund Mortimer gefunden, aber Ihre Geſell - ſchaft und die ſchoͤne Gegend bei Bonſtreet fehlt mir doch in jeder Stunde. Aber wie we - nig Augenblicke giebt es auch im Leben, wo man nicht irgend etwas zu entbehren glaubt? ich will mich alſo troͤſten, ſo gut ich kann.

In London ſteht alles noch ziemlich ſo, wie ich es verließ, ob ich gleich nach meiner ziem - lich langen Abweſenheit tauſend Dinge anders zu finden glaubte. Aber man beklatſcht noch die elenden Stuͤcke und ſchlaͤft bei den guten ein, man glaubt noch eben ſo gern jede erdichtete Neuigkeit, man leidet noch eben ſo viel von der Langenweile, als ehedem.

Ich habe große Luſt eine Reiſe nach Schott - land zu machen; man hat mich ſehr freundſchaft - lich dorthin eingeladen, und in London wird mir211[209] die Zeit etwas lang, ich weiß ſelbſt nicht, wor - an es liegt, aber jeder Tag gaͤhnt mich hier an, ich wuͤnſche Veraͤnderung, neue Gegenſtaͤnde, Mortimer iſt zwar mit dieſem Vorſatze ſehr un - zufrieden, allein er wird ſich doch am Ende darinn finden muͤſſen. Wie leben Sie itzt und Ihre liebenswuͤrdige Schweſter in Bon - ſtreet? Aber warum frag ich denn? Noth - wendig angenehm, da es vielleicht nur wenig Menſchen ſo wie Sie verſtehn, allenthalben Ge - nuß und Freude um ſich anzupflanzen, Sie koͤn - nen auf keine oͤde Stelle in Ihrem Lebenslaufe treffen, ohne ſie urbar zu machen. Gluͤcklich, wer ſo wenig von den Dingen außer ſich abzu - haͤngen braucht!

Mortimer faͤngt an, ſich fuͤr meine Schwe - ſter ſehr zu intereſſiren, und mir ſelber koͤmmt ſie kluͤger vor, als jemahls; aber mich wundert es dennoch, wie ſie der verſtaͤndige Mortimer ſo uͤberaus liebenswuͤrdig finden kann; vielleicht ruͤhrt mein Erſtaunen aber auch nur daher, daß ich indeß eine Emilie naͤher habe kennen lernen.

Glauben Sie um alles in der Welt nicht, daß ich die Abſicht habe, zu ſchmeicheln, ichO 2212[210]haſſe nichts mehr als jene leeren Komplimente, womit ſich manche Leute die Zeit vertreiben; ich wuͤnſche nichts mehr, als daß es einmahl wieder in der Welt Mode wuͤrde, ſo zu reden, wie man denkt; darum glauben Sie mir auch, wenn ich Ihnen endlich noch ſage, daß ich mit inniger Hochachtung bin

Ihr aufrichtiger Freund. Karl Wilmont.

213[211]

4. Der Lord Burton an den Advokaten Jackſon.

Sie werden ſich vielleicht wundern, hochge - lehrter Herr, von einem Manne einen Brief zu erhalten, gegen den Sie itzt fuͤr Mylord Lovell arbeiten. Da mir Ihre Gelehrſamkeit und gluͤckliche Praxis ſchon ſeit lange bekannt war, ſo hatt ich den Entſchluß gefaßt, Sie um Ihre Bemuͤhungen zu meinem Beſten zu erſuchen: als mir Lovell hierinn zu meiner groͤßten Unzu - friedenheit zuvorkam. Ich bin uͤberzeugt, daß er durch dieſen einzigen Schritt den groͤßten Vortheil uͤber mich gewonnen hat, da es mir zu gleicher Zeit leid thut, die Summen, die ich Ihnen beſtimmt hatte, an geringere Talente zu verſchleudern, und ich uͤberdies weiß, daß My - lord Lovell nie Ihren Fleiß und Ihre Verdien - ſte hoch genug anſchlagen wird. Da Sie Ihr Genie nun gar fuͤr eine ungerechte Sache auf - wenden, ſo geht Ihre Bemuͤhung in jeder Ruͤck - ſicht verlohren. Da Sie mir ſelbſt nun zwar214[212] nicht mehr dienen koͤnnen, wollte ich Sie we - nigſtens darum bitten, ſich von Ihrem Eifer nicht zu einer eigentlichen Erbitterung gegen mich verleiten zu laſſen. Indem Sie auf die Seite der einen Parthei treten, muͤſſen Sie zwar der Widerſacher, aber darum doch nicht der Feind der andern werden: dieſe Erinnerung entſteht bloß aus der Achtung, die ich fuͤr Ihre uͤberwiegenden Faͤhigkeiten habe, die ſelbſt einer ungerechten Sache den Schein des Rechts ge - ben koͤnnten. Sie wuͤrden mich ſehr verbin - den, wenn Sie mir in einer kleinen Antwort deutlich machten, wie wenig meine Beſorgniſſe gegruͤndet oder ungegruͤndet ſind.

215[213]

5. Der Advokat Jackſon an den Lord Burton.

Hochgebohrner Herr,

Meine Bemuͤhungen gegen Ew. Gnaden auf - zuwenden, ward mir ſchon ſeit einigen Wochen eine unangenehme Pflicht, da ich von der Rech[t]maͤßigkeit der Sache, fuͤr die ich ſtreite, nicht uͤberzeugt werden kann; ſeit ich aber durch Ew. Gnaden Neuliches mit der Vor - treflichkeit und dem Edelmuthe der Geſinnun - gen meines hochgebohrnen Herrn bekannt bin, ſo fuͤhlt Ihr unterthaͤnigſter Diener ſeitdem die Laſt ſeines Geſchaͤftes doppelt. Es wird daher ſtets unmoͤglich ſeyn, niedrig genug zu denken, gegen eine nicht unrechtmaͤßige Sa - che mit Erbitterung zu ſtreiten, oder einen Herrn zu beleidigen, fuͤr den ich die tiefſte und innigſte Verehrung empfinde, und Ew. Gna - den koͤnnen verſichert ſeyn, daß ich nichts216[214] eifriger wuͤnſche, als daß meine itzigen Verhaͤlt - niſſe mich nicht zuruͤckhielten, um ganz zu zei - gen, wie ſehr ich bin

Meines Hochgebohrnen Herrn Ergebenſter und unterthaͤnigſter Knecht. Jackſon.

217[215]

6. Burton an den Advokaten Jackſon.

Ihre Antwort hat mir viele Freude gemacht, denn ich ſehe daraus, daß ich nun vielleicht et - was ruhiger ſeyn kann. Ich wuͤnſchte nur, daß Sie zu meiner Freundſchaft ein eben ſo großes Vertrauen haͤtten, als ich zu Ihren Talenten habe, dann koͤnnte ich noch um vieles unbeſorgter ſeyn; dann koͤnnte ich glauben, daß die Abſicht meiner Feinde gewiß nicht gelingen werde. Ich kann und darf Sie itzt auf keine Weiſe uͤberreden, Lovell zu verlaſſen und auf meine Seite uͤberzutreten; aber da Sie von der Unrechtmaͤßigkeit der Sache, fuͤr die Sie ſtreiten, uͤberzeugt zu ſeyn ſcheinen, und da ich ſehe, daß ich mit einem braven und verſtaͤndi - gen Manne ſpreche, ſo haͤtte ich Ihnen vielleicht einen andern Vorſchlag zu thun. Wenn es unſre Pflicht iſt, nach unſrer Ueberzeugung zu handeln, und das Gute zu befoͤrdern, ſo viel wir koͤnnen: warum wollen wir uns denn aͤngſt - lich an die aͤußere Form der Sache halten und218[216] nicht mehr auf unſern Endzweck ſelber ſehn? Wer kann es mir verbieten, Ihre Talente und Ihre Freundſchaft fuͤr mich auf das reichlichſte zu belohnen, ſelbſt wenn ſie auch in einem Pro - zeſſe mein Gegner ſind, und welche vernuͤnftige Urſache kann Sie zuruͤckhalten, zu meinem Vor - theile zu handeln, da dieſer mit Ihrer Ueber - zeugung zuſammentrifft? Warum ſollte man hier den guͤnſtigen Zufall unbenutzt laſſen, der Sie gerade an einen Ort geſtellt hat, wo ſie mehr fuͤr mich thun koͤnnen, als mein eigner Advokat? Etwa[darum], weil es nur Zufall iſt? Als wenn der Lebenslauf des Weiſen und des Thoren ſich nicht eben dadurch am meiſten unterſchiede, daß dieſer hin und her ſchweift, hier die guͤnſtige Gelegenheit rechts, dort eine andre links liegen laͤßt; der Verſtaͤndigere aber jede Kleinigkeit in ſeinen Plan und Nutzen verbindet und es eben dadurch bewirkt, daß es fuͤr ihn keinen Zufall giebt! Ich bin uͤber - zeugt, daß ein ſo vernuͤnftiger Mann, wie Sie, hier nicht lange voller unnuͤtzen Zweifel waͤhlen wird. In dieſer Hofnung bin ich

Ihr Freund und Beſchuͤtzer. Lord Burton.

219[217]

Nachſchrift: Ich mache es, weil dies allenthalben meine Gewohnheit iſt, zur Bedin - gung unſrer Korreſpondenz, daß Sie mir die - ſen, wie meinen erſten Brief und alle etwani - gen kuͤnftigen Briefe zuruͤckſchicken; wenn Sie es verlangen, will ich mit den Ihrigen eben ſo verfahren.

220[218]

7. Willy an ſeinen Bruder Thomas.

Wir ſind nun, lieber Bruder, ſchon mitten in dem ſogenannten Italien, wo mir alles hier herum ſo ziemlich gut gefaͤllt. Was mir immer naͤrriſch vorkoͤmmt, iſt, daß in jedem Lande ſo eine eigne Sprache Mode iſt, ſo daß mein gu - tes Engliſch hier kein Menſch verſteht, und ich verſtehe wieder oft gar nicht, was die Leute von mir wollen. Wir ſind uͤber Sawogen und Genua gereiſt, aber allenthalben wird Italiaͤniſch geſprochen, ob wohl gleich die naͤrriſchen Sa - wegarden nicht zu gut dazu waͤren, auch ein - mahl Engliſch zu reden; aber es iſt, als wenn ſich alle Leute hier meiner Mutterſprache ſchaͤmten.

Wir ſind uͤber hohe Gebirggegenden einige - mahl weggegangen; wie einem doch von da Gottes Welt ſo groß und herrlich ausſieht! Ich kann Dir nicht ſagen, Thomas, wie ſehr ich mich manchmahl gefreut habe, aber die Thraͤnen traten mir doch oft in die Augen, wie221[219] ich denn uͤberhaupt manchmahl etwas wie ein altes Weib bin, wie Du wohl auch ehemahls zu ſagen pflegteſt. Aber ich kann’s nicht aͤndern, wenn ſich mir das Herz umkehrt, wenn ich ſo von einem Steinfelſenberge ſo viele Meilen in’s Land hineinſehe, Aecker, Wie - ſen und Fluͤſſe und Berge gegenuͤber und die Sonne mit den rothen Strahlen dazwiſchen, und dabei geſund und froh! O Thomas, es iſt um’s Reiſen eine herrliche Sache, ich wollt es Dir zeitlebens nicht abrathen, wenn Du je - mahls zu einer Reiſe Gelegenheit haſt. Was mir ganz ein Raͤthſel werden koͤnnte, iſt, wie man unter Gottes ſchoͤnem Himmel ſo betruͤbt und verdruͤßlich ſeyn koͤnnte, als mir der Herr Balder zu ſeyn ſcheint. Er thut wahrhaftig Unrecht daran. Aber er ſieht manchmahl aus, wie ein armer Suͤnder, der am folgenden Mor - gen gehaͤngt werden ſoll, ſo verloren und kuͤm - merlich; dem guten Manne muß doch irgend etwas fehlen, denn ſonſt, Thomas, wuͤrde ich ihn fuͤr eine Art von Narren halten, wie es wohl zuweilen etliche bei uns in England giebt, die ſich freventlich und vorwiſſentlich todt - ſchießen koͤnnen, ohne daß ſie ſelber eigentlich222[220] wiſſen, was ſie wollen. Beim Todtſchießen faͤllt mir doch auch etwas ein, was ich Dir noch zu erzaͤhlen vergeſſen hatte, denn das Ge - daͤchtniß faͤngt bei mir an in Verfall zu gera - then und man ſieht und erlebt ſo viele Dinge und mancherlei, Bruder, daß mir manchmahl iſt, als wenn ich in einem Traume laͤge und alle Sachen umher gar nicht da waͤren. Wir fuhren einmahl ſehr langſam einen ſteilen Berg herunter, mein Herr William aber ritt zu Pfer - de, um die Gegend etwas genauer ſehn zu koͤn - nen und neben ihm ritt ein gewiſſer kleiner Bedienter des Herrn Roſe, den er ſich noch aus Frankreich mitgenommen hat, weil er ihn ſo gern leiden mag, wie es denn auch wirklich ein ſehr artiger und flinker junger Burſche iſt. Wir alle bekuͤmmerten uns nicht viel um den Herrn William und er blieb eine gute Strecke hinter uns zuruͤck, dieſer Ferdinand, von dem ich eben geredet habe, ritt auch zu Pferde ne - ben ihm her. Mit einemmahle hoͤrten wir hin - ter uns etliche Schuͤſſe, und nun, Thomas, haͤtteſt Du ſehen ſollen, wie alles ſo geſchwind aus dem Wagen ſprang und wie ſchnell ich von meinem Bocke herunter war, es war, als223[221] haͤtten wir alle auf Pulver geſeſſen, das eben anbrennen wollte. Wer geſchoſſen hatte, das war Niemand anders als mein Herr William, fuͤnf Spitzbuben und der junge Ferdinand geweſen; einer lag ſchon davon todt auf dem Boden, das war aber zum Gluͤcke nichts weiter, als einer von den Spitzbuben. Der Herr William ſagte uns, er waͤre in großer Gefahr geweſen, aber Ferdinand haͤtte ihm meiſtentheils durch ſeine Courage ſein Leben errettet, woruͤber wir uns denn alle gar gewaltig wunderten, beſonders aber der Herr Roſe, denn man ſieht es wirk - lich dem jungen Burſchen gar nicht an; aber ſo geht es oft in der Welt, Thomas, der Schein betruͤgt und aus einem Kalbe kann mit Gottes Huͤlfe bald ein Ochs werden, und darauf hoffen wir auch alle itzt bei dem jungen Ferdinand, aus dem gewiß noch mit der Zeit ein ganzer Kerl wird, da er ſchon ſo fruͤh anfaͤngt, ſich ta - pfer zu halten. Er eben hatte den einen Spitzbuben todtgeſchoſſen und war einem andern mit ſeinem Hirſchfaͤnger nachgejagt, als ſich mein Herr indeß mit den andern beiden herum - balgte. So waren ſie endlich Sieger geworden. Mir thut es leid, daß ich dabei nichts weiter224[222] habe thun koͤnnen, als zuſehn, und auch das nicht einmahl recht, denn wir kamen erſt hin, als alles ſchon vorbei war. Ich haͤtte mich mit Herzensluſt auf meine alten Tage noch gern einmahl mit jemand durchgeſchlagen und waͤr’s auch nur ein Spitzbube geweſen, denn ſie ſind im Grunde doch auch Menſchen, und wenn ſie anfangen zu ſchießen und zu ſtechen, ſo treffen ihre Kugeln oft beſſer, als die von ehrlichen Leuten; wie[denn] die ehrlichen Leute uͤberhaupt ſelten ſo[ viel] Gluͤck haben, als die Spitzbuben; ich denke immer, daß es eine kleine Genug - thuung fuͤr ſie ſeyn ſoll, daß ſie nicht ehrlich ſind; doch, das weiß Gott allein am beſten, und darum will ich mir den Kopf daruͤber[nicht] zerbrechen.

Wir ſind itzt in Florenz, aber Schade, daß wir etwas zu ſpaͤt angekommen ſind. Da hab ich nehmlich mit Wunder und Erſtaunen ge - hoͤrt, wie hier mitten im Sommer viele Pferde ein großes Wettrennen halten muͤſſen, ganz al - lein nehmlich und nach ihrem eignen Kopfe; ich meine nehmlich, daß keiner darauf reitet. Das muß herrlich anzuſehen ſeyn, und es ſollen auch dann immer eine große Menge von Menſchen hie -her -225[223]herkommen, um es zu ſehn. Das iſt nun auch gewiß der Muͤhe werth. Was das luſtigſte dabei iſt, iſt, daß den Pferden bei der Gelegen - heit eiſerne Kugeln mit Sporen uͤber den Bu - ckel gelegt werden, wenn ſie nun anfangen zu laufen, ſo ſtechen ſie ſich damit ſelbſt und ganz freiwillig, weil die Kugeln immer hin und her - gehn. Wenn die Pferde nur etwas mehr Ver - ſtand haͤtten, ſo koͤnnte man ſie ſo auf die herr - lichſte Art ganz allein Courier reiten laſſen, aber dazu fehlt ihnen noch bis jezt die Einſicht; ob ich freilich wohl in England ein Paar Pfer - de geſehn habe, die ſoviele Kunſtſtuͤcke machten, daß ſie gewiß mehr Verſtand haben muͤſſen, als etliche von meinen beſten Freunden; ja manches darunter haͤtte ich ſelber nicht nachmachen koͤn - nen. Aber die Gaben ſind oft wunderlich vertheilt.

Von den Gemaͤhlden, und vielen andern Sa - chen, die wir hier alle Tage beſehen, kann ich nicht viel halten, ich weiß freilich nicht warum, aber ſie gefallen mir doch nicht recht. Mitun - ter ſind einige freilich wohl recht ſchoͤn, manch - mahl iſt das Obſt ſo natuͤrlich, daß man es eſ - ſen moͤchte, von dieſen haͤlt mein Herr und HerrLovell, I. Bd. P226[224]Roſe aber gar nicht viel. Aber wenn ein Ge - maͤhlde gut ſeyn ſoll, ſo muß es doch die Sa - che, die es nachmachen will, ſo natuͤrlich nach - machen, daß man ſie ſelber zu ſehn glaubt; aber das iſt bei den uͤbrigen großen Gemaͤhlden gar nicht moͤglich. So glaub ich immer, daß die Mahler aus der roͤmiſchen Schule, (ſo heißen die Gemaͤhlde die mir nicht gefallen wollen) kei - nen recht guten Schulmeiſter gehabt haben, der nicht ſtrenge genug mit ihnen umgegangen iſt, oder er hat ſelber ſeine Sachen nicht recht ver - ſtanden, denn ſonſt wuͤrden ſie wohl vieles beſ - ſer und natuͤrlicher gemacht haben. Herr William haͤlt aber dieſe Gemaͤhlde gerade fuͤr die ſchoͤnſten, ich glaube aber, daß Herr Roſe daran ſchuld iſt, weil der aus Rom gebuͤr - tig iſt.

An den Statuͤen finde ich auch nichts beſon - ders; die, welche ſich als Antiken ausgeben, wollen mir gar nicht gefallen, dieſe ſollen viele tauſend Jahre alt ſeyn, aber das Alter iſt viel - leicht das beſte an ihnen; manche ſehn auch ſchon ganz verfallen und ungeſund aus. An allen dieſen Arten von Kuͤnſten iſt nicht viel, es ſind mit einem Worte brodloſe Kuͤnſte.

227[225]

Lebe wohl, lieber Bruder Thomas, und den - ke oft an mich; ich denke ſehr oft an Dich, und wuͤnſche Dich oft her, beſonders wenn mir die Zeit lang wird, und das iſt doch manchmahl der Fall. Bleibe mein Freund, wie ich

Dein Bruder. Willy.

P 2228[226]

8. William Lovell an Eduard Burton.

Ich ſchreibe Dir, mein Eduard, in einer gro - ßen Begeiſterung, in die mich die Reiſe, die ſchoͤne Natur umher, verſetzt. So bin ich denn nun in dem Lande, nach welchem ſchon in meiner Kindheit alle meine Wuͤnſche flogen, wo meine Phantaſie ſich anbaute und einheimiſch ward? Es macht mir ein ſeltſames Gefuͤhl, wenn ich daran denke, daß ich die Gegenden, die Dinge nun wirklich vor mir ſehe, nach de - nen mein Auge ſo lange ſchmachtete, die ich nur im Traume ſah. Vieles entſpricht meinen Erwartungen, vieles uͤbertrifft ſie, aber ſo man - ches bleibt auch hinter ihnen zuruͤck, wie es denn natuͤrlich bei ſolchen Gegenſtaͤnden immer der Fall ſeyn muß, die wir ſeit Jahren mit unſrer erhitzten Phantaſie beſuchen, und alles aus - ſchmuͤcken und in das reizendſte Licht ſtellen. Die Kunſtwerke der groͤßten Genies ſind um mich her verſammelt, ich beſpreche mich im ſtil - len Anſchaun mit den erhabenen Geiſtern der229[227] Kuͤnſtler, die Natur erquickt meine Seele mit ihren unendlichen Schoͤnheiten. Ich fuͤhle mein Herz oft hoch anſchwellen, wenn mich die tau - ſendfaͤltigen Reize der Natur und Kunſt begei - ſtern; o wie ſehr wuͤnſche ich Dich dann an meine Seite, um mit Dir zu genießen, um in Deinen trunkenen Augen den Spiegel meiner eigenen Freude zu ſehn. Ich vermiſſe Dich ſo oft und gerade dann am meiſten, wenn ich die uͤbrige Welt umher vergeſſe; dieſer Wunſch erreicht oft einen ſo hohen Grad der Sehnſucht, daß ich deswegen meine Ruͤckreiſe wuͤnſche, meinen ru - higen Aufenthalt in England, an einem einge - ſchraͤnkten, kleinen Platze, voͤllig eingerichtet, in einer ſtillen Haͤuslichkeit, mit Dir und Amalien die einheimiſchen Freuden genießend. Der Menſch iſt ein ſeltſames Weſen; im folgenden Moment fuͤhle ich dann wieder ſo ganz voll und innig das Gluͤck einer unaufhoͤrlichen Veraͤnde - rung, wo ein neuer Gegenſtand den andern draͤngt, wo mir die unendlichen Schoͤnheiten der reizendſten Natur voruͤbergehn. Mein Geiſt ſchwelgt in der Menge von Genuͤſſen, unaufhalt - ſam draͤngt ſich meine Phantaſie zu tauſend Schoͤnheiten, um alle Bilder aufzufaſſen und ſie230[228] feſtzuhalten. So iſt meine Reiſe eine ununter - brochene Trunkenheit, alle meine Sinne ſind be - ſtaͤndig berauſcht, o dies raſche Wandeln durch die ſchoͤne Welt gewaͤhrt einen hohen Ge - nuß, man lebt hier in einem Tage oft mehr als in der engen, haͤuslichen Eingeſchraͤnktheit in einem Monathe. Schon als Kind, wenn ich vor dem Landhauſe meines Vaters ſtand und uͤber die fernen Berge hinwegſah und ganz am Ende des blauen Horizontes eine Windmuͤhle entdeckte: ſo war mir’s, als wenn ſie mich mit ihrer Bewegung zu ſich winkte, das Blut ſtroͤmte mir ſchneller zum Herzen, mein Geiſt flog zur fernen Gegend hin, eine fremde Sehn - ſucht fuͤllte oft mein Auge mit Thraͤnen. Wie ſchlug mir dann das Herz, wenn ein Poſt - horn uͤber den Wald ertoͤnte und ein Wagen vom Abhange des Berges fuhr! Am Abend ging ich traurig und mit truͤber Seele in mein Zimmer zuruͤck; meine Gedanken kehrten ungern aus den fernen, fremden Gegenden wieder, die bekannte Heimath umher druͤckte meinen Geiſt zu Boden. Wenn ich an jene Empfindungen meiner Kindheit zuruͤckdenke, ſo empfind ich meine itzige gluͤckliche Lage um ſo lebhafter; ich231[229] muß oft lachen, wenn ich mich jener Erwartun - gen erinnere, die ich von einem ſo fernen Lan - de, wie Italien, hatte; wie ich damahls alles hier von einer fremdartigen Natur verlangte, gleichſam aus einem andern Stoffe zuſammen - geſetzt; welche Vorſtellungen ich von manchen Gegenden, ſo wie von manchen Kunſtwerken hatte, doch verzeih mir mein Geſchwaͤtz, was Dich nur wenig intereſſiren[kann], ſo na - tuͤrlich mir auch dieſe Ruͤckerinnerungen ſind.

Ich will Dir dafuͤr einen kleinen Vorfall erzaͤhlen, der wenigſtens in meiner Reiſe, die bisher an Begebenheiten ſo leer geweſen iſt, ei - nem Abentheuer noch am meiſten aͤhnlich ſieht. Roſa hat aus Paris einen kleinen Bedienten mitgenommen, einen jungen Burſchen, der ſich faſt vom erſten Tage unſrer Reiſe an mich vor - zuͤglich attachirt hat; er iſt ſehr freundlich, wil - lig und gutgeartet, ſo daß ich ihn ſehr gern um mich leiden mag. Von Chambery habe ich den groͤßten Theil der Reiſe zu Pferde ge - macht und der muntere Ferdinand war ſehr oft mein Begleiter, vorzuͤglich, als wir die pie - monteſiſchen Alpen paſſirten, wo ihm die rauhe Gegend, und die ſo ploͤtzlich abwechſelnden Aus -232[230] ſichten eben ſo ſehr als mir gefielen. Wir verließen an einem truͤben neblichten Morgen ein Dorf, das tief im Grunde lag, Roſa und Balder fuhren langſam die Anhoͤhe hinauf, und ich und Ferdinand folgten zu Pferde. Oben auf dem Berge gab uns die Natur einen wun - derbaren Anblick. Wie ein Chaos lag die Ge - gend, ſo weit wir ſie erkennen konnten, vor uns, ein dichter Nebel hatte ſich um die Ber - ge gewickelt, und durch die Thaͤler ſchlich ein finſtrer Dampf; Wolken und Felſen, die das Auge nicht von einander unterſcheiden konnte, ſtanden in verworrenen Haufen durcheinander; ein finſtrer Himmel bruͤtete uͤber den grauen, ineinanderfließenden Geſtalten. Itzt brach vom Morgen her durch die daͤmmernde Verwirrung ein ſchraͤger, rother Strahl, hundertfarbige Scheine zuckten durch die Nebel und flimmerten in mannigfaltigen Regenbogen, die Berge er - hielten Umriſſe und wie Feuerkugeln ſtanden ihre Gipfel uͤber dem ſinkenden Nebel. Ich hielt und betrachtete lange die wunderbaren Veraͤnderungen der Natur, die hier ſchnell auf einander folgten; ich hatte es nicht bemerkt, daß der Wagen indeß vorangefahren war: als233[231] ich wieder aufſahe, erblickte ich fuͤnf Menſchen, die aus dem nahen Walde auf uns zueilten. Ferdinand machte mich zuerſt auf ihr zweideu - tiges Aeußeres aufmerkſam, und als wir noch daruͤber ſprachen und eben im Begriffe waren, unſre Freunde wieder einzuholen, ergriff der eine von dieſen Kerln ploͤtzlich den Zuͤgel mei - nes Pferdes, indem ein andrer in eben dem Au - genblicke nach Ferdinand ſchoß, ihn aber gluͤckli - cherweiſe verfehlte. Ich fuͤhlte mich kalt und wenig verlegen, aber meine beiden Piſtolen ver - ſagten; Ferdinand aber erſchoß ſogleich den ei - nen dieſer Raͤuber und ſtuͤrzte auf die beiden andern mit einem Muthe mit ſeinem Hirſchfaͤn - ger zu, den ich ihm nie zugetraut haͤtte. Ich verwundete itzt einen zweiten, der ſogleich die Flucht ergriff; kaum ſahen die beiden uͤbrigen, daß die Kaͤmpfenden nun gleich und wir ihnen zu Pferde ſelbſt uͤberlegen waren, als ſie ſich auch ſehr ſchnell in den Wald zuruͤckzogen. Roſa und Balder, die die Schuͤſſe hatten fallen hoͤren, kamen itzt herbeigeeilt und bewunderten den Muth Ferdinands, vorzuͤglich Roſa; Ferdi - nand ſchien ſich darinn ſehr gluͤcklich zu fuͤhlen, daß er mich gerettet habe; er ſagte, fuͤr ſich234[232] ſelbſt ſei er gar nicht beſorgt geweſen, aber die Gefahr, in welcher er mich geſehn haͤtte, habe ihn anfangs ſehr erſchreckt. Auch der alte Willy keuchte itzt den Berg wieder herauf und bedauerte nichts herzlicher, als daß die Spitz - buben ſchon davon gelaufen waͤren, er haͤtte ſich ſonſt mit ihnen herumſchlagen wollen. Der Todte ward in das Dorf geſchafft, das wir erſt kuͤrzlich verlaſſen hatten; und ſo endigte ſich dieſer Unfall mit einer allgemeinen Freude uͤber unſre Rettung.

Der fruchtbare und heitre Herbſt giebt den Gegenden hier eine eigenthuͤmliche Schoͤnheit; die uͤppige Natur prangt in dieſen Ebenen mit allen ihren Schaͤtzen; das friſche Gruͤn, der blaue Himmel uͤber den lachenden Wieſen, er - quicken das Auge und die Seele, und dann am Abend die purpurne Gluth uͤber dies Para - dies hinſchweben zu ſehn, das Feuer das in dem geſchlaͤngelten Strome noch ſchoͤner wie - derglaͤnzt, o Eduard, welche Seele, wenn ſie nicht von Verbrechen gedruͤckt wird, fuͤhlt ſich in der ſchoͤnen Natur nicht gluͤcklich, groß und erhaben?

Aber was iſt es, (o koͤnnteſt Du es mir er -235[233] klaͤren!) daß ein Genuß nie unſer Herz ganz ausfuͤllt? Welche unnennbare, wehmuͤthige Sehnſucht iſt es, die mich zu neuen ungekann - ten Freuden draͤngt? Im vollen Gefuͤhle mei - nes Gluͤcks, auf der hoͤchſten Stufe meiner Be - geiſterung ergreift mich kalt und gewaltſam eine Nuͤchternheit, eine dunkle Ahndung, wie ſoll ich es Dir beſchreiben? Wie ein feuch - ter nuͤchterner Morgenwind auf der Spitze des Berges nach einer durchwachten Nacht, wie das Auffahren aus einem ſchoͤnen Traume in einem engen truͤben Zimmer. Ehedem glaubt ich, dieſes beklemmende Gefuͤhl ſey Sehnſucht nach Liebe, Drang der Seele, ſich in Gegenlie - be zu verjuͤngen, aber es iſt nicht das, auch neben Amalien quaͤlt mich dieſe tyranniſche Empfindung, die, wenn ſie Herrſcherinn in mei - ner Seele wuͤrde, mich in einer ewigen Her - zensleerheit von Pol zu Pol jagen koͤnnte. Ein ſolches Weſen muͤßte das elendeſte unter Got - tes Himmel ſeyn: jede Freude flieht heimtuͤckiſch zuruͤck indem er darnach greift, er ſteht, wie ein vom Schickſale verhoͤhnter Tantalus in der Natur da, wie Ixion wird er in einem unauf - hoͤrlichen martervollen Wirbel herumgejagt: auf236[234] einen ſolchen kann man den orientaliſchen Aus - druck anwenden, daß er vom boͤſen Feinde ver - folgt wird. Man fuͤhlt ſich gewiſſermaaßen in eine ſolche Lage verſetzt, wenn man ſeiner Phantaſie erlaubt, zu weit auszuſchweifen, wenn man alle Regionen der ſchwaͤrmenden Begeiſte - rung durchfliegt, wir gerarhen endlich in ein Gebiet ſo excentriſcher Gefuͤhle, indem wir gleichſam an die letzte Grenze alles Empfindba - ren gekommen ſind, und die Phantaſie ſich durch hundertmahlige Exaltationen erſchoͤpft hat, daß die Seele endlich ermuͤdet zuruͤckfaͤllt: alles umher erſcheint uns nun in einer ſchaalen Truͤb - heit, unſre ſchoͤnſten Hofnungen und Wuͤnſche ſtehn da, von einem Nebel dunkel und verwor - ren gemacht, wir ſuchen mißvergnuͤgt den Ruͤck - weg nach jenen Extremen, aber die Bahn iſt zu - gefallen, und ſo befaͤllt uns endlich jene Leer - heit der Seele, jene dumpfe Traͤgheit, die alle Federn unſers Weſens lahm macht. Man huͤte ſich daher vor jener Trunkenheit des Geiſtes, die uns zu lange von der Erde entruͤckt; wir kommen endlich als Fremdlinge wieder herab, die ſich in eine unbekannte Welt verſetzt glau - ben, und die doch die Schwingkraft verlohren237[235] haben, ſich wieder uͤber die Wolken hinauszuhe - ben. Auch bei den poetiſchen Genuͤſſen ſcheint mir eine gewiſſe Haͤuslichkeit nothwendig; man muß nicht verſchwenden, um nachher nicht zu darben, ſonderbar! daß ich alles dies vor wenigen Monathen von Mortimer ſchon hoͤrte und es doch damahls nicht glauben wollte! Seit ich es aber ſelbſt erfunden zu haben glau - be, bin ich vollkommen davon uͤberzeugt. Iſt dies nicht ein ziemlich kleinlicher Eigenſinn?

Doch ich vermeide itzt jene hohen Spannun - gen der Einbildungskraft, und ſie ſind auch nicht immer die Urſache, die jenes niederſchlagende Gefuͤhl in mlr erzeugen, das mich zuweilen wi - der meinen Willen verfolgt. Keiner, als Du Eduard, kennt ſo gut den ſeltſamen Hang mei - ner Seele, bei froͤhlichen Gegenſtaͤnden irgend ei - nen traurigen, melancholiſchen Zug aufzuſuchen und ihn unvermerkt in das lachende Gemaͤhlde zu ſchieben; dies wuͤrzt die Wolluſt durch den Kontraſt noch feiner, die Freude wird gemildert, aber ihre Waͤrme durchdringt uns um ſo inni - ger; es ſind die Ruinen, die der Mahler in ſei - ne muntre Landſchaft wirft, um den Effekt zu erhoͤhen. Dieſer Art von feinſtem Epikuraͤismus238[236] habe ich manche Stunden zu danken, die zu den ſchoͤnſten meines Lebens gehoͤren, aber itzt ge - winnen die traurigen Vorſtellungen zuweilen ſo ſehr die Uebermacht in meiner Seele, daß ſich ein duͤſtrer Flor uͤber alle andere Gegenſtaͤnde verbreitet. Die Reiſe von Lyon durch Frank - reich war die reizendſte, allenthalben frohe und ſingende Winzer, die ihre Schaͤtze einſammel - ten, aber viele Meilen beſchaͤftigte meine Phantaſie ein weinender Bettler, den ich am Wege hatte ſitzen ſehn und dem ich im ſchnellen Voruͤberfahren nichts hatte geben koͤnnen. Mit welchen Gefuͤhlen muß er den Frohſinn ſeiner gluͤcklichen Bruͤder angeſehn haben, da er gera - de ſein Elend ſo tief empfand! Mit welchem Herzen muß er dem ſchnellen rollenden Wagen nachgeſeufzt haben! Dann ſo manche kleine Scenen der Feindſchaft und Verfolgung, einer klaͤglichen Eitelkeit, in der ſo viele Menſchen den kleinen Winkel, in dem ſie vegetiren, fuͤr den Mittelpunkt der Welt halten, ach, hun - dert ſo unbedeutende Sachen, die den meiſten Reiſenden gar nicht in die Augen fallen, haben mir in ſehr vielen Stunden meine frohe Laune geraubt.

239[237]

Ich gebe Dir recht, wenn Du behaupteſt, dies ſey nichts als eine uͤbertriebene Reizbar - keit der Empfindung, ein Gefuͤhl, das im Grun - de eine Art von Hypochondrie ſey, aber die - ſe Art zu fuͤhlen hat mir von je ſo nahe gele - gen und bemeiſtert ſich itzt meiner zuweilen ſo ſehr, daß ich ihr nothwendig nachgeben muß. Ich kann mir itzt einen Karakter recht lebhaft denken, der alles traurig und melancholiſch empfindet, und fuͤhle es innig, wie elend er ſeyn muß. Dieſer Gedanke und eine ſeltſame Art von Schwaͤrmerei haben mich faſt auf der ganzen Reiſe begleitet. Es war mir nehmlich oft, als haͤtte ich eine Gegend oder eine Stadt ſchon einmahl und zwar mit ganz andern Em - pfindungen und unter ganz verſchiedenen Um - ſtaͤnden geſehn; ich uͤberließ mich dann dieſer naͤrriſchen Traͤumerei und ſuchte die Erinnerun - gen dentlicher und haltbarer zu machen und mir jene Gefuͤhle zuruͤckzurufen, die ich ehemals in denſelben Gegenden gehabt haͤtte. So reiht ſich dann ein Traum an den andern, ein Spiel - werk der Phantaſie draͤngt das andere und man iſt endlich ganz aus der Gegenwart herausgeriſ -240[238] ſen. Oft wehte mich dann[aus] einem ſtillen Walde, oder aus einem Thale herauf das ſchreck - liche Gefuͤhl an: » daß ich eben hier wieder wandeln wuͤrde, aber elend und von der ganzen Welt verlaſſen, das Abendroth wuͤrde uͤber die Berge ziehn, ohne daß ich auf die Umarmung eines Freundes hoffen duͤrfte, das Morgen - roth wuͤrde wieder aufdaͤmmern, ohne daß mei - ne Thraͤnen getrocknet wuͤrden. « Ich betrach - tete dann die Gegend genauer, um ſie in dieſem ungluͤcklichen Zuſtande wiederzuerkennen und oft trat mir unwillkuͤhrlich eine Zaͤhre in’s Auge.

Aber wie komme ich zu dieſen kindiſchen Vorſtellungen? Unvermerkt iſt mein froher Brief auf die ſeltſamſte Art traurig und aben - theuerlich geworden. Du haſt Recht, die Me - lancholie iſt ein anſteckendes Uebel und ich glau - be, daß ſie bei mir nur eine fremdartige Krank - heit ſey, die mir Balder mitgetheilt hat. Er macht mich itzt ſehr beſorgt, denn er iſt ver - ſchloſſener und trauriger als je; zuweilen be - gegne ich einem ſeiner verirrten Blicke und ich erſchrecke vor ihm. Ich habe ſchon einigemahl in ihn gedrungen, mir deutlicher von der Ur -ſache241[239]ſache ſeines tiefen Grams zu ſprechen, aber ver - gebens. Sollte die Freundſchaft keinen Troſt fuͤr ſeine Leiden haben? Ich aͤngſtige mich ſeinetwegen und wuͤnſche ſehnlich, ihm helfen zu koͤnnen.

Lebe wohl, Du erhaͤltſt vielleicht ſchon mei - nen naͤchſten Brief aus Rom.

Lovell, I. Bd. Q242[240]

9. William Lovell an Eduard Burton.

Lieber Eduard, ich bin heut noch zu voll von den mannichfaltigen Eindruͤcken, die alles um - her auf mich macht, um Dir einen langen Brief ſchreiben zu koͤnnen. Die Aſche eines Heldenalters liegt unter meinen Fuͤßen, mit ernſter Groͤße ſprechen mich die erhabenen Rui - nen der Vorzeit an, die Kunſtwerke der neuern Welt[erzwingen] meine Anbetung. Ich lebe hier wie in einem unendlich großen Tempel, der hei - lige Schauer auf mich herabgießt; bei jedem Schritte betret ich eine Stelle, wo einſt ein verehrungswuͤrdiger Roͤmer ging, oder wo eine große Handlung vorfiel. Ein Drang zu Thaten weht mich aus jeder Bildſaͤule an, begeiſternde Schauder wohnen in den Truͤmmern aus der großen Heroenzeit, in der Abenddaͤmmerung denk ich oft auf den einſamen Plaͤtzen hinter einer eingefallenen Mauer den Geiſt eines alten Roͤmers zu ſehn und fahre dann vor meinem ei - genen Gedanken zuruͤck.

243[241]

Als ich in’s Thor hineinfuhr, o wie mich tauſend erhabene Gedanken und Gefuͤhle em - pfingen! Und dann die zerlumpten Bettler auf den Straßen, die Menge der nichtsſa - genden Moͤnchsgeſichter o ich haͤtte weinen moͤgen, daß von dem Roͤmergeiſte nicht mehr uͤbrig iſt. Wie iſt die Menſchheit hier ge - ſunken!

Wie kann man ſich in Rom allen ſeinen truͤben und kraͤnkelnden Empfindungen ſo uͤber - laſſen, wie Balder thut? Wie iſt es moͤg - lich, daß nicht ein verzehrend Feuer durch alle Adern brennt und den Lebensgeiſtern zehnfache Kraft giebt? Roſa iſt ein vortreflicher Menſch, er iſt ein geborner Roͤmer und ſtolz auf ſeine Vaterſtadt; erſt ſeit wir hier ſind, faͤngt ſich an, ſeine Seele in ihrer ganzen Herrlichkeit zu entwickeln, er iſt hier wie neubelebt, ich entdecke in ihm taͤglich neue Vorzuͤge und Talente, die ich vorher nicht erwartet hatte. Er ſcheint mir ganz ein Muſter zu ſeyn, nach dem man ſich bilden kann; dieſer allesumfangende Geiſt mit dieſem zarten Gefuͤhle und dieſem richtigen Ver - ſtande, verbunden mit einem großen Reichthume von Kenntniſſen, alles dies kann gewiß nurQ 2244[242]das Eigenthum einer großen Seele werden. Ferdinand, von dem ich Dir neulich ſchrieb, ſcheint mir gewogener, als ſeinem Herrn, ich wuͤrde auch Roſa erſuchen, ihn mir ganz zu uͤberlaſſen, wenn ich nicht ſchon bemerkt haͤtte, daß ihm ein ſolcher Antrag unangenehm ſeyn wuͤrde.

Lebe wohl, die Sonne geht unter, ich will in’s Freie, um den majeſtaͤtiſchen Anblick in ſei - ner ganzen Erhabenheit zu genießen.

245[243]

10. Walter Lovell an ſeinen Sohn William.

Meine Zeit wird itzt durch mancherlei Ge - ſchaͤfte, beſonders durch den unangenehmen Pro - zeß mit Burton beſchraͤnkt, ich kann Dir da - her nicht ſo oft ſchreiben, als ich wuͤnſche. Deine Briefe ſind ein Beweis, daß Du froh und gluͤcklich lebſt, ich bin alſo Deinetwegen nur wenig beſorgt, vorzuͤglich, da ich weiß, wel - chen Gefaͤhrten Du an Roſa haſt. Morti - mer beſucht mich oft und wir ſprechen jedes - mahl von Dir; ich hoffe ſchon mit Sehnſucht auf Deine Ruͤckkehr. Die Gluth Deiner ju - gendlichen Phantaſie kuͤhlt ſich itzt vielleicht etwas ab, Deine Sucht zu uͤbertreiben verliehrt ſich vielleicht, es iſt mir wahrſcheinlich, daß ſich Deine Menſchenkenntniß erweitert und Du itzt uͤber Charaktere, die Dir aufſtoßen, ein richtige - res Urtheil faͤllſt; aber ich will darum doch, ſoviel es meine Zeit erlaubt, ein Verſprechen erfuͤllen, das ich Dir in einem neulichen Briefe that, Dir nehmlich kurz einige Scenen meines Lebens246[244] zu erzaͤhlen, wo meine Standhaftigkeit auf eine harte Probe geſetzt ward und wo ich Mißtrauen und Menſchenkenntniß zu einem ziemlich hohen Preiſe einkaufen mußte.

Mein Vater wohnte in Yorkſhire; ſein Landgut lag in der Naͤhe von Bonſtreet. Ich war ſein einziger Sohn, nachdem ihm zwei Toͤchter und ein Knabe geſtorben waren und er erzog mich daher mit der zaͤrtlichſten Sorgfalt; er verſaͤumte nichts in der Ausbildung meiner Faͤhigkeiten und ſuchte mir ſchon fruͤh ein zar - tes und bleibendes Gefuͤhl fuͤr alles Edle und Schoͤne einzupflanzen. Da er aber einen uͤber - triebenen Hang fuͤr die laͤndliche Einſamkeit hatte, ſo waren wir beide ſelten in Geſellſchaft andrer Menſchen; Bonſtreet ward von uns noch am haͤufigſten beſucht. So wuchs ich gleichſam in ſeinen Armen auf und lernte nur aus eini - gen[meiner] Lieblingsſchriftſteller die Welt und die Menſchen kennen, ich war mehr in der kind - lichen, unbefangenen Zeit Homers zu Hauſe, als in der gegenwaͤrtigen; alle Menſchen maaß ich nach meinen eigenen Empfindungen, alles was auſſer mir lag, war mir ein unbekanntes Land. Auf dieſe Art war es aͤuſſerſt natuͤrlich, daß247[245] tauſend Vorurtheile in mir aufwuchſen und fe - ſte Wurzel ſchlugen, die ganze Welt umher war nur ein Spiegel, in dem ich meine eigene Ge - ſtalt wiederfand. Unter allen meinen Bekann - ten zog mich keiner ſo an, als der junge Bur - ton, der damahls zwanzig Jahr alt war, nur wenig aͤlter als ich ſelbſt, unſre Bekanntſchaft ward bald die vertrauteſte Freundſchaft: eine Freundſchaft, wie gewoͤhnlich die erſte unter fuͤhlenden Juͤnglingen geknuͤpft zu werden pflegt, nach meiner Meinung fuͤr die Ewigkeit. Damon und Pylades waren mir noch zu geringe Ideale, meine erhitzte Phantaſie verſprach fuͤr den Freund alles zu thun, ſo wie ſie jedes Opfer von ihm verlangte. In dieſen Jahren giebt man ſich nicht die Muͤhe, den Charakter des Freundes zu beobachten, oder man hat vielmehr nicht die Faͤhigkeit, dies zu thun; man glaubt ſich ſelbſt zu kennen und folglich auch den Freund, man traͤgt alles aus ſich in ihn hin - uͤber und das geblendete Auge findet auch in den beiden Charakteren die taͤuſchendſte Aehn - lichkeit. Eine ſolche Freundſchaft dauert ſel - ten uͤber die erſten Juͤnglingsjahre hinaus; es kommt bei den meiſten Menſchen doch bald eine248[246] Zeit, wo ſie durch tauſend Umſtaͤnde gezwungen werden, aus ihrem poetiſchen Traume zu erwa - chen, dann finden ſich beide, wenigſtens einer von ihnen getaͤuſcht; dieſer Moment, wo die ro - ſichte Daͤmmerung der betrogenen Phantaſie nach und nach verſchwindet, gehoͤrt zu den un - gluͤcklichſten des Lebens.

Mein Vater, ſo wie jeder andere Unbefan - gene ſah auf den erſten Augenblick, daß Bur - ton mir voͤllig unaͤhnlich ſey; er war kalt und verſchloſſen, verſchlagen und liſtig: ich offenher - zig, mit einer erhitzten Phantaſie, mit einer uͤbertriebenen Empfindſamkeit kam ich ihm ent - gegen. Aber ich glaubte, Burton beſſer zu kennen, als ihn jeder andre kannte, ich war uͤberzeugt, daß die Augen der uͤbrigen Menſchen fuͤr ſeine Vorzuͤge blind waͤren und ſo hielt ich meine Menſchenkenntniß fuͤr richtiger und uͤber der meines Vaters erhaben. So wie der Barbar einen ſinnlich dargeſtellten Gott braucht, und ſich irgend einen Klotz dazu behaut, ſo braucht der ſchwaͤrmende Juͤngling ein Weſen, dem er ſich mittheilt; er druͤckt das erſte das ihm begegnet an ſeine Bruſt, unbekuͤmmert, ob ihn jener willkommen heiße, oder nicht.

249[247]

So lebt ich manches Jahr hindurch, ohne daß mein Geiſt eine andere Wendung nahm; die faſt ununterbrochene Einſamkeit mochte wohl die vorzuͤglichſte Urſache davon ſeyn. Als ich kaum muͤndig geworden war, ſtarb mein Vater und ich war mir nun ganz ſelber uͤberlaſſen, mein Schmerz uͤber meines Vaters Verluſt war heftig und anhaltend, aber Burtons Liebe troͤ - ſtete mich. Um dieſe Zeit lernt ich in der Nachbarſchaft ein Maͤdchen kennen, die mich an - fangs intereſſirte, und nach und nach mein ganzes Herz gewann, bis ich endlich von ihr bezaubert die Bedeutung des Wortes Liebe in ſeinem vol - leſten Umfange verſtand: da ich bis jezt in der Hitze meiner Freundſchaft die Liebe nur fuͤr eine Erfindung der Romandichter gehalten hatte. Maria Milford war aus der reichſten Fami - lie in der Nachbarſchaft, und obgleich mein Vermoͤgen ſelbſt ſehr anſehnlich war, ſo war ich doch zu furchtſam, ihrem rauhen Vater einen Antrag zu thun; meine Erziehung hatte mir eine Menſchenſcheu eingefloͤßt, die ich nur erſt ſehr ſpaͤt abgelegt habe, ich wollte uͤberdies erſt ihre perſoͤnliche Neigung zu gewinnen ſuchen; ein Unternehmen, das mir auch in kurzer Zeit250[248] gelang. Burton ward bald der Vertraute mei - ner Liebe, er wußte um jeden Schritt, den ich in der Bekanntſchaft und Zuneigung der Lady Milford weiter that, er war mein Rathgeber und zuweilen auch der Theilnehmer meines Kummers. Ich zoͤgerte noch immer mich dem Vater meiner Geliebten zu entdecken, als ein Oheim meines Freundes, Waterloo, von ſei - nen Reiſen aus Italien zuruͤckkam. Er war ein Mann von ohngefaͤhr vierzig Jahren, ſeine Rei - ſen hatten ſeinen Verſtand ausgebildet und ſeine Sitten verfeinert, er war hoͤflich und zuvor - kommend ohne fade, und gegen jedermann freund - ſchaftlich, ohne abgeſchmackt zu ſeyn; ſein Ge - ſicht und vorzuͤglich ſein Blick hatten etwas Imponirendes, das anfangs zuruͤckſchreckte, bei einer naͤhern Bekanntſchaft ſich aber in Liebens - wuͤrdigkeit verwandelte, kurz, er ſchien mir das vollendete Ideal eines Mannes, der mich bald voͤllig bezauberte. Er intereſſirte ſich vorzuͤglich fuͤr mich und ich uͤbergab mich ihm bald gaͤnz - lich mit einer vollkommen kindlichen Reſigna - tion, ich glaubte in ihm einen zweiten Vater gewonnen zu haben, er leitete alle meine Schrit - te, er ward bald der Mitwiſſer aller meiner251[249] Geheimniſſe, der Vertraute meiner Liebe, die ich ganz ſeiner Leitung uͤberließ.

Waterloo’s Witz, ſo wie ſeine uͤbrigen Ta - lente machten ihn nach kurzer Zeit zu einem geſuchten Geſellſchafter in der Nachbarſchaft umher, er ward allenthalben eingeladen und war nach dem erſten Beſuche jedermanns Freund; ſo gewann er auch bald das naͤhere Vertrauen des Lords Milford, den er vorzuͤglich oft be - ſuchte. Er ward in wenigen Wochen dort der Freund des Hauſes und er kam mir ſelbſt mit dem Antrag entgegen, den Lord Milford auf eine Verbindung zwiſchen mir und ſeiner Toch - ter vorzubereiten. Ich umarmte ihn tauſend - mahl, ich dankte ihm fuͤr ſeine Freundſchaft, ich ſah dreiſter einer gluͤcklichen Zukunft entgegen. Als ich nach einiger Zeit Milford und ſeine Tochter beſuchte, bemerkte ich mit Vergnuͤgen, daß Waterloo ſchon ſein Verſprechen gehalten haben muͤſſe; man empfing mich freundſch[a]ftli - cher als je, Marie war weniger zuruͤckgezogen und als man uns im Garten von ohngefaͤhr ei - nige Minuten allein ließ, ſagte ſie mir, daß mein Freund zuerſt ihren Vater auf mich auf - merkſamer gemacht habe, und ſehr oft von mir252[250] mit vielen Lobeserhebungen ſpreche. Ich glaubte meines Gluͤcks ſchon gewiß zu ſeyn, ich machte hundert Entwuͤrfe, ich dankte Waterloo wie ein entzuͤckter Liebhaber, ich ſchwur, daß ich ihn mehr als meinen Vater, oder jeden andern Menſchen liebe. Meine Zuneigung fuͤr Lady Milford fing ſich itzt an oͤffentlicher zu zeigen, ich war weniger ſcheu und zuruͤckhaltend, meine Liebe ward erwiedert, ich war der gluͤcklichſte Menſch unter der Sonne.

Ploͤtzlich ward meine Freude durch einen Schlag unterbrochen, der fuͤr mich deſto ſchreck - licher war, je weniger ich ihn erwartet hatte. Ich erhielt an einem Morgen ein Billet vom Lord Milford, worinn er mich in wenigen Wor - ten bat, ich moͤchte kuͤnftig aus Urſachen, die er mir itzt nicht deutlich machen koͤnne, ſein Haus vermeiden. Ich ſtand lange wie be - taͤubt, ich konnte mich kaum von der Wirklich - keit deſſen, was ich las, uͤberzeugen. Ich ſuch - te hundert Urſachen zu[entdecken], die dieſen Schritt hervorgebracht haͤtten, aber keine war befriedigend; ich ritt eiligſt nach dem Landgute Milfords, um mit ihm ſelber zu ſprechen, um mir dies Raͤthſel erklaͤren zu laſſen, aber ich253[251] ward nicht vorgelaſſen. Zornig ritt ich nach Hauſe und uͤberließ mich meinen truͤbſinnigen Unterſuchungen von neuem, aber meine Gedan - ken fanden keinen Ausweg aus dieſem Labyrin - the, ich entdeckte Waterlao meine ſeltſame La - ge, der mich auf jede Art zu troͤſten ſuchte; er verſprach mir zu unterſuchen, was dieſen Vor - fall veranlaßt habe. Er hatte es durch die Kunſt ſeiner Ueberredung, und durch die freund - ſchaftliche Art, mit der er mich zu zerſtreuen ſuchte, dahin gebracht, daß ich etwas zufriede - ner von ihm ging. Meine peinliche Lage dauerte einige Wochen hindurch, in welcher Zeit mir Waterloo bald troͤſtende, bald nieder - ſchlagende Nachrichten brachte; ich ritt einige - mahl vor Milford’s Hauſe vorbei und ſah Ma - ria weinend am Fenſter ſtehn. Waterloo that alles, meinen Schmerz zu erleichtern, er war itzt mein einziger Freund, denn Burton war ſchon ſeit einigen Wochen nach London gereiſt. Wir machten mannichfaltige Plane, die wir alle wieder verwarfen. Endlich ſchlug mir Waterloo eine Reiſe nach London vor, die mich zerſtreuen ſollte, er wollte indeß als mein Anwald meine Sache unermuͤdet beim Lord Milford fortfuͤhren,254[252] einige Verlaͤumdungen und[Mißverſtaͤndniſſe] muͤßten mir bei dieſem Schaden gethan haben, die er aber gewiß alle hoͤchſtens in einem Mo - nathe widerlegen und aufklaͤren wolle. Nach langem Streiten hin und her ließ ich mich endlich uͤberreden. Wir nahmen zaͤrtlich Abſchied, das Herz blutete mir, mich auch von meinem Freun - de zu trennen; doch troͤſtete mich der Gedanke etwas, daß ich Burton in London antreffen wuͤrde.

Ich reiſte zu Pferde und ohne Begleitung; Niemand ſollte mich in meinen Traͤumen ſtoͤ - ren. Meine Reiſe ging nur langſam fort. Weil ich mich ganz meinem Grame uͤberließ und mich dann wieder durch die ſchoͤne Natur zu erhei - tern ſuchte; ſo kam ich erſt ſpaͤt in London an. Burton empfing mich mit großer Freude, er zog mich wider meinen Willen zu tauſend Er - goͤtzlichkeiten; Briefe von Waterloo naͤhrten mich indeß mit Hofnung und beſaͤnftigten oft meinen wieder aufwachenden Schmerz. So ging nach und nach eine laͤngere Zeit voruͤber, als ich anfangs fuͤr meine Abweſenheit beſtimmt hatte, ich war itzt ſchon beinahe zwei Monathe in London geweſen. In einer Nacht, als ich255[253] nicht ſchlafen konnte, trat mir Mariens Bild recht lebhaft vor die Seele, ich erinnerte mich der frohen Stunden, die ſie mir geſchenkt, der goldenen Ausſichten, die mir ihre Liebe eroͤffnet hatte; das Benehmen ihres Vaters war mir noch immer unerklaͤrbar. Was konnte er von mir wollen? Was hatte er mir vorzuwerfen? Ich bereuete es, daß ich entfernt von ihr die Zeit vertraͤumte und kaum den Gang mei - nes Schickſals kannte. London war mir mit ſeinem laͤrmenden Getuͤmmel verhaßt, alle Freu - den dieſer großen Stadt abgeſchmackt; es fiel mir ploͤtzlich der Wunſch ein, daß ich wieder in Mariens Naͤhe leben wollte, auf meinem einſa - men Landſitze, daß es mir itzt vielleicht gelaͤn - ge, ihren Vater mit mir auszuſoͤhnen. Tauſend Vorſtellungen und Bilder wechſelten in meiner Seele, meine Phantaſie war erhitzt, ich warf mich ungeduldig hin und her, ohne ſchlafen zu koͤnnen und wuͤnſchte ſehnlichſt den Tag, um meine Ruͤckreiſe, die ich ſchon feſt beſchloſſen hatte, anzutreten.

Als ich aufſtand, war ich wie berauſcht, es war als wenn mich mein Genius aus London forttriebe, ich ließ mir nicht Zeit einzupacken,256[254] nicht einmahl Burton meine Reiſe zu melden, ich nahm mit dem Anbruche des Tages die Poſt und fuhr im ſchnellſten Trabe meiner Heimath wieder zu. Ich ließ mir unterweges keine Zeit, bei irgend einem Gegenſtande zu verweilen, die groͤßte Eil war mir noch zu langſam, ich fuhr auch in der Nacht, um deſto fruͤher mein Land - haus wieder zu ſehn. Ich mochte etwa nur noch wenige Meilen von dem Schloſſe Mil - ford’s entfernt ſeyn, als mir ein Zug geputzter und froͤhlicher Baͤuerinnen in die Augen fiel. Ich weiß nicht, warum mich dieſer Anblick an - zog, genug, ich fragte ſie, welches Feſt ſie heu - te feyerten. Die Aelteſte unter ihnen trat hervor und ſagte mir mit einem naiven Laͤcheln, ſie wollten dort nach dem Schloſſe, (indem ſie auf den Landſitz Milford’s in der Ferne zeigte) um die Verlobung der Lady Milford und des Herrn Waterloo feiern zu helfen. Ich verſtummte, ich war wie vom Blitze getroffen, ich ließ mir dieſe Nachricht wohl zehnmahl wiederholen, ohne ſie zu hoͤren, ich glaubte, alles dies ſey ein Traum, der mich noch in London aͤngſtige, ich verlohr alle Beſinnung und ließ endlich mitder257[255]der groͤßten Geſchwindigkeit vor das Schloß Milfords fahren.

Schon in einer Entfernung weckten mich Trompeten und laͤrmende Muſik aus meiner Be - taͤubung. Ich ſprang aus dem Wagen, die be - ſchaͤftigten Bedienten bemerkten mich kaum; ich ſtuͤrze wie wahnſinnig die Treppen hinauf, reiße die Thuͤr auf und ſtehe im Saale, unter einer Menge von bekannten und unbekannten Men - ſchen; Marie ſtoͤßt einen Schrei aus und fliegt unwillkuͤhrlich in meine Arme.

Alle waren erſtaunt, Waterloo und der alte Milford warfen ſich zwiſchen uns, ſie trennen uns mit Gewalt. Marie wird faſt ohnmaͤchtig auf ihr Zimmer gefuͤhrt, Waterloo folgt ihr, endlich bin ich mit dem Vater allein.

Sie wagen es, faͤhrt er auf, hier zu erſchei - nen? So zu erſcheinen? Haben Sie mein ſtrenges Verbot vergeſſen?

Ja, ich wage es, rief ich aus, ich wage dies und noch mehr. Waterloo iſt ein Verraͤther, er ſoll mir ſeine Niedertraͤchtigkeit mit ſeinem Leben buͤßen!

Ich weiß nicht mehr, was ich alles ſagte, aber eine heftige Wuth hatte ſich meiner be -Lovell, I. Bd. R258[256]meiſtert, ich fuͤhlte Konvulſionen durch meinen Koͤrper zucken, mein Blut ſiedete und meine Zaͤhne knirſchten. Milford war gelaſſen genug, mich austoben zu laſſen; dann nahm er das Wort:

Sie ſehn, ſagte er kalt, wie ich Ihren wahn - ſinnigen Ungeſtuͤm erdulde, und meine Nachgie - giebigkeit macht ſie vielleicht ſo frech. Sie ſind mir uͤberhaupt ein Raͤthſel. Welches Recht haben Sie auf meine Tochter? Sie lieben ſie, wie Sie ſagen, aber dieſer Ausdruck reicht nicht hin, meine Einwilligung zu erzwin - gen: und dennoch kommen Sie mit der Wild - heit eines Verruͤckten zuruͤck, ob Sie gleich recht gut wiſſen, daß Sie ſich durch hundert Nieder - traͤchtigkeiten einer Verbindung mit meiner Fa - milie unwuͤrdig gemacht haben.

Niedertraͤchtigkeiten? ſchrie ich auf und riß den Degen aus der Scheide.

Nicht alſo! rief Milford mit einem kalten Grimme, laſſen wir dieſe Spiegelfechterei, ich kann Ihnen Beweiſe geben.

Und nun fing er an, mir ein Regiſter von Bosheiten, die ich veruͤbt haben ſollte, vorzule - gen. Das meiſte war gaͤnzlich erdichtet, oder259[257] einige ganz unbedeutende Kleinigkeiten und Zu - faͤlle in ein verhaßtes Licht geſtellt; alles zeug - te von der ſchaͤndlichſten Erfindungsgabe, ich er - roͤthete oft uͤber die Frevel, die man mir zur Laſt legen wollte. Ich war nach dieſem Be - richte heimtuͤckiſch, boshaft, unverſoͤhnlich; kei - ner meiner Freunde oder Feinde war vor mei - nen Nachſtellungen ſicher; nach dieſer Erzaͤhlung war ich der groͤßte Schurke, der es nie haͤtte wagen duͤrfen, einem ehrlichen Manne ins Ge - ſicht zu ſehn. Und dieſem, ſchloß Milford endlich, ſoll ich mein Kind, die einzige Freude meines Lebens, uͤberantworten? Sie lieber hinrichten!

Ich zwang mich gemaͤßigt zu ſeyn. Wer, fragt ich kalt, iſt der Erfinder dieſer, wenig - ſtens ſinnreichen Luͤge?

Einer, den Ihr Charakter am meiſten kraͤnkt, Ihr Freund Waterloo! Ihr ehemaliger Lob - redner.

Izt wunderte ich mich, daß ich nicht laͤngſt das ganze Gewebe der Bosheit durchgeſehn hat - te; der Schleier fiel izt ganz von meinen Au - gen. Große Thraͤnen ſtuͤrzten uͤber meine Wan - gen herab, ich verlohr in dieſem Augenblicke ei -R 2260[258]nen Freund, den ich unausſprechlich geliebt hatte; mein Herz wollte zerſpringen. Ich warf mich in einen Seſſel um die mannichfaltigen Empfindungen, die in meinem Innern wuͤhlten, erſt austoben zu laſſen, Milford ſah kalt und gelaſſen auf mich herab, er war ungewiß, ob er dieſen Schmerz fuͤr Reue, oder fuͤr tiefe Kraͤn - kung halten ſollte. Endlich gewann ich die Sprache wieder, und nachdem ich mich voͤllig ge - ſammelt hatte, war es mir ein Leichtes, den Lord vom Ungrunde aller Beſchuldigungen zu uͤberzeugen. Er wuͤthete izt gegen Waterloo der ihn auf die boshafteſte und ſchaͤndlichſte Art hintergangen, der ihn durch alle Kuͤnſte der Verſtellung zu ſeinem warmen Freunde gemacht hatte. Er hatte anfangs meinen Freund und Bewunderer geſpielt, und auf eine Verbindung zwiſchen mir und Marien eingelenkt, nach und nach war er zuruͤckhaltender, endlich kalt gewor - den. Man hatte um den Grund dazu in ihn ge - drungen; nach langen Umſchweifen, nach vielen Klagen war er endlich mit der Entdeckung vor - geruͤckt, daß er ſich gaͤnzlich in mir geirrt habe, daß er ſo einen werthen Freund in mir verlie - re, und ſo weiter. Izt war eine Erdichtung261[259] nach der andern ausgeſponnen, und als er mich bei Milford verhaßt genug gemacht, ſuchte er in eben dem Verhaͤltniſſe deſſen Liebe auf ſich zu lenken. Dies gelang ihm auch endlich; aber Ma - rie haßte ihn beſtaͤndig, ſie hatte immer ſeinen Worten nur halb geglaubt. Unſre Ausſoͤh - nung von allen Seiten war bald gemacht, die Verlobung mit Marien nach einigen Tagen ge - feiert, ich foderte Waterloo, der aber nicht er - ſchien, ſondern dafuͤr ein ſichereres Mittel fand, ſich an mir zu raͤchen.

Ich ward bald nachher krank, ein anhalten - der Schwindel mit Kraͤmpfen und Ohnmachten verbunden, peinigte mich, der Arzt entdeckte noch zur rechten Zeit, daß ich Gift bekommen hatte, und nur die groͤßte Aufmerkſamkeit konn - te mein Leben retten; ich entging aber darum nicht einer langen und quaalvollen Krankheit, die auch die Urſache aller meiner nachherigen Anfaͤlle geweſen iſt. Alles dies that ein Menſch, der mein Freund war, den ich mit der groͤßten Zaͤrtlichkeit liebte, um mit Marien eine anſehnliche Ausſteuer zu erhalten.

Waterloo hatte ſich ſchon vorher entfernt, man wußte nicht, wo er geblieben war, nach einigen Monathen kam die Nachricht ſeines To -262[260] des, ich ward, als ich genas, mit Marien ver - bunden, die mir aber ſchon wieder entriſſen ward, indem Du mir geſchenkt wurdeſt. Ich weinte meinen Schmerz am Buſen meines Freundes Burton aus, der uͤber meinen Kum - mer Thraͤnen vergoß; bald nachher fiel mir ein Brief in die Haͤnde, woraus ich ſah, daß Burton mit Waterloo einverſtanden geweſen war, daß er mit ihm fuͤr einige hundert Pfund an meinem Ungluͤcke gearbeitet hatte!

Seit der Zeit hat er mich unablaͤſſig ver - folgt; ſo wurde mein offnes Herz hintergangen, auf dieſe Art meine zaͤrtliche Freundſchaft belohnt!

Dies iſt aber nur Eine Scene meines Le - bens, ich habe mehrere Stuͤrme ausgehalten, wo meine Liebe auf eine aͤhnliche Art verrathen ward, ich ſuchte Dich darum ſchon fruͤh mit Menſchen bekannt zu machen und jenen jugend - lichen Enthuſiasmus zu mildern; bis izt iſt die - ſe Bemuͤhung vergebens geweſen, aber Du ſiehſt wenigſtens aus meiner Geſchichte, wie nothwen - dig es iſt. Lebe wohl, ich hoffe, daß Du die Anwendung auf Dich ſelbſt am beſten daraus wirſt machen koͤnnen.

263[261]

11. William Lovell an Eduard Burton.

Der Italiaͤniſche Winter kuͤndigt ſich ſchon durch haͤufige Regenſchauer an. Ich kann Dir unmoͤglich von allen Kunſtwerken ſprechen, die ich taͤglich ſehe, und auſſerdem iſt mein Leben hier ſo arm an Begebenheiten, daß ich wirklich verlegen bin, was ich Dir ſchreiben ſoll. Doch den Freund intereſſiren ja die kleinen Veraͤn - derungen mehr, die nach und nach in der See - le vorgehn, als manche wunderbare Abentheuer, die oft nicht den mindeſten Einfluß haben, als daß ſie die Zeit ausfuͤllen. Roſa intereſſirt mich mit jedem Tage mehr; ohne daß er es ſelbſt will, macht er mich auf manche Luͤcken in meinem Verſtande aufmerkſam, auf ſo viele Dinge, uͤber die ich bisher nie nachgedacht ha - be und die doch vielleicht des Denkens am wuͤr - digſten ſind, aber mein Verſtand hatte ſich bis izt nie uͤber eine gewiſſe Graͤnze hinausgewagt. Roſa ermuntert mich, meine Schuͤchternheit fahren zu laſſen, und er ſelber iſt mein Steuer -264[262] mann in manchen dunkeln Regionen. Balder zieht ſich oft ganz von uns zuruͤck, er traͤumt gern fuͤr ſich in der Einſamkeit, meine Beſorg - niß fuͤr ihn nimmt mit jedem Tage zu, denn er iſt ſich oft ſelbſt nicht aͤhnlich, ſo zerſtreut, ſo einem Wahnſinnigen aͤhnlich wird er zuweilen. Neulich war das Wetter ſchoͤner, als es ge - woͤhnlich um dieſe Jahrszeit zu ſeyn pflegt, wir gingen im Felde ſpatzieren und ich ſuchte ihn auf die Schoͤnheiten der Natur aufmerkſam zu machen, aber er bruͤtete duͤſter in ſich ſelber ge - kehrt. Woruͤber denkſt du, fragte ich ihn dringend; du biſt ſeit einiger Zeit verſchloſſen, du haſt Geheimniſſe vor deinem Freunde, gegen den du ſonſt immer ſo offenherzig warſt. Was fehlt Dir?

Nichts, antwortete er kalt und ging in ſei - nem Tiefſinne weiter.

Sieh die reizende Schoͤpfung umher, redete ich ihn wieder an, ſieh wie ſich die ganze Na - tur freut und gluͤcklich iſt!

Balder. Und alles ſtirbt und verweſ’t; vergiſſeſt du, daß wir uͤber die Leichen von Millionen mannichfaltiger Geſchoͤpfe gehn, daß die Pracht der Natur ihren Stoff aus dem265[263] Moder nimmt, daß ſie nichts als eine ver - kleidete Verweſung iſt?

Du haſt eine ſchreckliche Faͤhigkeit, allenthal - ben unter den lachendſten Farben ein truͤbes Bild zu finden.

Balder. Nimm mir jenes Grauen aus der Natur hinweg, das mir allenthalben durch ihre Freuden entgegengrinſt, und ich will froͤh - lich ſeyn.

Es liegt nur in deiner Seele, Balder, dei - ne Augen ſind finſter und die ganze Welt er - ſcheint dir ſchwarz. Ueberlaß dich der Hei - terkeit, daß dein Blut ſchneller durch die Adern fließt, daß deine Lebensgeiſter wieder lebendiger werden, dann wird der Flor niederfallen und du wirſt die Welt in ihrer urſpruͤnglichen Ge - ſtalt erblicken.

Balder. Das heißt, ich werde ſie ſehn, ſo wie Du ſie ſiehſt, aber auch wirklich in ihrer wahren urſpruͤnglichen Geſtalt? Jeder ſieht mit ſeinen Augen und jeder glaubt recht zu ſehn, und am Ende werden wir alle be - trogen.

Mag es ſeyn, aber ſo laß uns doch wenig -266[264] ſtens den Betrug fuͤr wahr anerkennen, der uns gluͤcklich macht.

Balder. Deine Taͤuſchung macht mich nicht gluͤcklich, die Farben ſind fuͤr mich ver - bleicht, das verhuͤllende Gewand von der Natur abgefallen, ich ſehe das weiße Gerippe in ſeiner fuͤrchterlichen Nacktheit. Was nennſt du Freude, was nennſt du Genuß? Sieh umher, was dich entzuͤckt iſt ein gemodelter Staub, koͤnnten wir durch die Formen mit unſerm Au - ge blicken und erſpaͤhen, wie jener Wald aus tauſend widrigen Stoffen nach und nach zuſam - mengeſetzt ward, der dich izt entzuͤckt, koͤnn - ten wir der Natur ihre Verkleidung wieder ab - reißen, o wir wuͤrden vielleicht weinen, ſtatt uns zu freuen.

Und warum weinen? Laß uns zwiſchen Raͤthſel und Unbegreiflichkeiten einhergehn, ich will die frohe Empfindung meines Daſeyns ge - nießen, dann wieder verſchwinden, wie ich ent - ſtand, genug, im Leben liegt meine Freude. Deine Gedanken koͤnnen dich zum Wahnſinn fuͤhren.

Balder. Vielleicht.

267[265]

Vielleicht? Und das ſagſt du mit dieſer ſchrecklichen Kaͤlte?

Balder. Warum nicht? Der Menſch und ſein Weſen ſind mir in ſich ſelbſt ſo unbe - greiflich, daß mir jene Zufaͤlligkeiten, unter wel - chen er ſo, oder anders erſcheint, ſehr gleich - guͤltig ſind.

Gleichguͤltig? Du biſt mir fuͤrchterlich, Balder.

Balder. Dieſes Gedankens wegen? Es iſt immer noch die Frage, ob ich beim Wahnſinne gewinnen oder verlieren wuͤrde.

Dieſe dumpfe Unempfindlichkeit, jenes Da - ſeyn, das unter der Exiſtenz des Wurmes ſteht, dieſe wilde Zwittergattung zwiſchen Leben und Nichtſeyn wirſt du doch fuͤr kein Gluͤck ausge - ben wollen?

Balder. Wenn du dich gluͤcklich fuͤhlſt, warum ſoll es der Wahnſinnige nicht ſeyn duͤr - fen? Er empfindet eben ſo wenig die Leiden der Natur, ſein Sinn iſt eben ſo fuͤr das, was mich betruͤbt, verſchloſſen, als der deinige: war - um ſoll er elend ſeyn? und ſein Verſtand

Und dieſes goͤttliche Kennzeichen des Men -268[266] ſchen iſt in ihm ausgeloͤſcht? Oder findeſt du auch in der Sinnloſigkeit ſeine Wolluſt?

Balder. Seine Vernunft! O William, was nennen wir Vernunft? Schon viele wurden wahnſinnig, weil ſie ihre Vernunft an - beteten und ſich unermuͤdet ihren Forſchungen uͤberließen. Unſre Vernunft, die vom Himmel ſtammt, darf nur auf der Erde wandeln, noch keinem iſt es gelungen uͤber Ewigkeit, Gott und Beſtimmung der Welt eine feſte Wahrheit auf - zufinden, wir irren in einem großen Gefaͤngniſſe umher, wir winſeln nach Freiheit und ſchreien nach Tageslicht, unſre Hand klopft an hundert eherne Thore, aber alle ſind verſchloſſen und ein holer Wiederhall antwortet uns. Wie wenn nun der, den wir wahnſinnig nennen

Ich verſtehe dich, Balder: weil unſre Ver - nunft nicht jene entfernte Graͤnze erreichen kann, ſo ſollen wir ſie darum ganz ungebraucht und in dumpfer Traͤgheit verweſen laſſen.

Balder. Nein, William, du verſtehſt mich nicht. Statt einer weitlaͤuftigen Auseinan - derſetzung meiner Meinung will ich dir eine kurze Geſchichte erzaͤhlen. Ich hatte einen Freund in Deutſchland, einen Offizier, einen269[267] Mann von geſetzten Jahren und kaltbluͤtigem Temperamente; er hatte nie viel geleſen oder viel gedacht, ſondern hatte vierzig Jahre ſo ver - lebt, wie ſie die meiſten Menſchen verleben; die wenigen Buͤcher die er kannte, hatten ſeinen Verſtand gerade ſo weit ausgebildet, daß er eine große Abneigung gegen jede Art des Aber - glaubens hatte; er ſprach oft mit Hitze gegen die Geſpenſterfurcht und andre aͤhnliche Schwach - heiten des Menſchen. Dieſe Aufklaͤrungsſucht ward nach und nach ſein herrſchender Fehler, und ſeine Kameraden, die ihn von dieſer Seite[kannten], neckten ihn oft mit einem verſtellten Wunderglauben, und ſo entſtanden oft hitzige und hartnaͤckige Streitigkeiten; in dieſen zeichnete ſich gewoͤhnlich der Herr von F *** durch ſei - nen Widerſpruch am meiſten aus; er war ein Freund von Wildberg, (ſo hieß der andre Offizier) aber er ſuchte ihm auf dieſe Art ſei - nen laͤcherlichen Fehler am auffallendſten zu ma - chen. Ein Fall der oft bei Dispuͤten eintritt, die gewoͤhnlich mit einem Gelaͤchter endigen, er - eignete ſich auch hier. F *** ſagte einſt nach vielen Debatten, und wenn ſeinem Freunde auch kein andrer Geiſt erſchiene, ſo wuͤnſche er ſelbſt270[268] bald zu ſterben, um bei ihm die Rolle eines Ge - ſpenſtes zu ſpielen. Das Gelaͤchter ward allge - mein und der Streit in eben dem Augenblicke hitziger und empfindlicher. Wildberg fuͤhlte ſich bald aufs heftigſte beleidigt, F *** war zornig geworden, die Geſellſchaft trennte ſich und F *** ward von dem erhitzten Wildberg gefordert. Die Sache ward ſehr in der Stille getrieben, ich war der Sekundant Wildbergs, ein andrer Freund begleitete F ***, wir thaten alles, um eine Ausſoͤhnung zu bewirken, aber die beleidig - te Ehre machte unſre Verſuche vergebens. Der Platz ward ausgemeſſen, die Piſtolen geladen, F *** fehlte, Wildberg ſchoß, F *** fiel nie - der, eine Kugel durch den Kopf hatte ihm das Leben geraubt. Mehrere guͤnſtige Umſtaͤnde trafen zuſammen, ſo daß der Vorfall halb ver - heimlicht blieb; Wildberg hatte nicht noͤthig zu entfliehen. Alle ſeine Freunde waren uͤber die gluͤckliche Wendung ſeines Schickſals ver - gnuͤgt, nur er ſelber verſank in eine tiefe Me - lancholie. Alle ſchoben dies natuͤrlich auf den Tod ſeines Freundes, den er ſelber auf eine ge - waltſame Art verurſacht hatte; da ſich aber ſein Gram nicht wieder zerſtreute, da jeder Ver -271[269] ſuch, ihn wieder froͤhlich zu machen, vergeblich war, da er endlich manche unverſtaͤndliche Win - ke fallen ließ, ſo drang man in ihn, die Urſache ſeines Tiefſinns zu entdecken. Izt geſtand er nun, erſt einem, dann mehreren, daß ſein Freund F *** allerdings Wort halte, ihn nach ſeinem Tode zu beſuchen; er komme zwar nicht ſelbſt, aber in jeder Mitternacht rolle ein Todtenkopf, von einer Kugel durchbohrt, durch die Mitte ſeines Schlafzimmers, ſtehe vor ſeinem Bette ſtille, als wenn er ihn mahnend mit den leeren Augenhoͤhlen anſehen wolle, und verſchwinde dann wieder; dieſe ſchreckliche Erſcheinung rau - be ihm den Schlaf und die Munterkeit, er koͤn - ne ſeitdem keinen frohen Gedanken faſſen. Von den meiſten ward dieſe Erzaͤhlung fuͤr eine ungluͤckliche Phantaſie, von wenigen nur und gerade von den einfaͤltigſten fuͤr Wahrheit ge - halten. Wildbergs Krankheit aber nahm in - deſſen zu; er fing izt an, haͤufiger und oͤffentli - cher ſeine Viſion zu erzaͤhlen, er beſtritt den Aberglauben nicht mehr, ſondern ließ ſich im Gegentheile gern von Geſpenſtern vorſprechen, und ſo kam es bald dahin, daß man ihm den272[270] Nahmen eines Geiſterſehers beilegte und ihn fuͤr einen ſonſt ziemlich vernuͤnftigen Mann hielt, der nur eine ungluͤckliche Verruͤckung habe. Wildberg bat izt zuweilen einige ſeiner[Freunde] zu ſich, um in der Nacht mit ihm zu wachen, weil ſeine Angſt und ſein Schauder bei jeder Erſcheinung hoͤher ſtieg; auch ich leiſtete ihm einigemahl Geſellſchaft. Gegen Mitternacht ward er jedesmahl unruhig, wenn es zwoͤlfe ſchlug, fuhr er auf und rief: horch! izt raſſelt es an der Thuͤr! Wir hoͤrten nichts. Dann richtete Wildberg ſeine Augen ſtarr auf den Bo - den: ſieh, ſprach er leiſe, wie er zu mir heran - ſchleicht! O vergieb, vergieb mir, mein lieber Freund, aͤngſtige mich nicht oͤfter, ich habe ge - nug gelitten. Nachher ward er ruhiger und ſagte uns, der Kopf ſey verſchwunden; wir hat - ten nichts geſehn. Es ward allen ſeinen Freunden ſtets wahrſcheinlicher, daß alles dies nichts weiter, als eine ungluͤckliche hypochondri - ſche Einbildung ſey, heftige Reue uͤber den Tod ſeines Freundes, die in eine Art von Wahnſinn ausgeartet ſey: wir ſuchten ein Mittel, ihn von der Nichtigkeit ſeiner Vorſtellung zu uͤberfuͤhren und ihm ſo ſeine Ruhe wieder zu geben. VieleHypo -273[271]Hypochondriſten[ſind] ſchon dadurch hergeſtellt, daß man ihre Einbildung ihnen wirklich darge - ſtellt und ſie nachher auf irgend eine Art vom Betruge unterrichtet hat; auf eben dieſe Art beſchloſſen wir, ſollte Wildberg geheilt werden. Wir verſchafften uns alſo einen Todtenkopf, durch deſſen Stirn wir ein Loch bohrten, wo den ungluͤcklichen F *** die Kugel ſeines Freun - des getroffen hatte, wir befeſtigten ihn an ei - nem Faden, um ihn in der Mitternacht durch das Zimmer zu ſchleifen, Wildberg dann zu beobachten und ihn nachher zu unterrichten, wie er von uns hintergangen ſey. Wir verſpra - chen uns von dieſem Betruge die gluͤcklichſte Wirkung, alle Anſtalten waren getroffen und wir erwarteten mit Ungeduld den Augenblick, in welchem es vom Kirchthurme zwoͤlf Uhr ſchla - gen wuͤrde. Izt verhallte der letzte Schlag und Wildberg rief wieder: horch! da raſſelt er an der Thuͤr! In eben dem Augenblicke ward von einem in der Geſellſchaft unſer Todtenkopf hin - eingezogen und bis in die Mitte des Zimmers geſchleift. Wildberg hatte bis izt die Augen ge - ſchloſſen, er ſchlug ſie auf und bleich, zit - ternd und faſt in ein Geſpenſt verwandeltLovell, I. Bd. S274[272]ſprang er aus dem Bette; mit einem entſetzli - chen Tone rief er aus: Heiliger Gott, Zwei Todtenkoͤpfe! Was wollt ihr von mir?

Balder hielt hier inne. Ich muß geſtehn, der unerwartete Schluß der Erzaͤhlung hatte mich frappirt, und beſchaͤftigte izt meine Phan - taſie, ich war nur noch begierig, welche Anwen - dung er daraus auf ſeine vorigen Ideen ziehen wollte; nach einigem Stillſchweigen fuhr er fort:

Jeder Denker, der uͤber jene großen Gegen - ſtaͤnde forſchen will, die ihm am wichtigſten ſind, uͤber Unſterblichkeit, Gott und Ewigkeit, uͤber Geiſter und den Stoff und Endzweck der Welt, fuͤhlt ſich wie mit eiſernen Banden von ſeinem Ziele zuruͤckgeriſſen, die menſchliche See - le zittert ſcheu vor der ſchwarzen Tafel zuruͤck, auf der die ewigen Wahrheiten daruͤber geſchrie - ben ſtehn. Wenn die Vernunft alle ihre Kraͤf - te aufbietet, ſo fuͤhlt ſie endlich, wie ſie fuͤrch - terlich auf einer ſchmalen Spitze ſchwankt und im Begriffe iſt, in das Gebiet des Wahnſinns zu ſtuͤrzen. Um ſich zu retten wirft ſich der er - ſchrockene Menſch wieder zur Erde, aber we -275[273] nige haben den raſchen, frechen Schritt vor - waͤrts gethan, mit einem lauten Klang zerſprin - gen die Ketten hinter ihnen, ſie ſtuͤrzen unauf - haltſam vorwaͤrts, ſie ſind dem Blicke der Sterb - lichen entruͤckt. Das Geiſterreich thut ſich ih - nen auf, ſie durchſchauen die geheimen Geſetze der Natur, ihr Sinn faßt das Ungedachte, in flammenden Oceanen wuͤhlt ihr nimmermuͤder Geiſt, ſie ſtehn jenſeit der ſterblichen Natur, ſie ſind im Menſchengeſchlechte untergegangen, ſie ſind der Gottheit naͤher geruͤckt, ſie ver - geſſen der Ruͤckkehr zur Erde und der ver - ſchloſſene Sinn brandmarkt mit kuͤhner Will - kuͤhr ihre Weisheit Wahnſinn, ihre Entzuͤk - kung Raſerei!

Balder ſahe mich hier mit einem verwege - nen Blicke an. Er fuhr fort:

Mein Freund Wildberg ſah, trotz aller Taͤu - ſchung, etwas was wir nicht ſahen, koͤnnen wir wiſſen, was ſie erblicken? Die Geſchichte iſt wahr, aber waͤre ſie auch nichts als ein guter - fundenes Maͤhrchen, ſo wuͤrde ſie mir doch ſehr werth ſeyn, da ſie fuͤr mich einen ſo tiefen Sinn enthaͤlt.

S 2276[274]

Und wo ſteht dann, fragte ich, bei dir die Graͤnze zwiſchen Wahrheit und Irrthum?

Laß das, indem er abbrach; ich bin heut wider meinen Willen ein Schwaͤtzer geweſen, da wir aber einmahl davon ſprachen wollt ich dir dieſe ſeltſame Idee nicht zuruͤckhalten.

Wir gingen izt wieder zur Stadt zuruͤck und Balder war wieder tief in ſich gekehrt.

Ich habe Dir, mein Eduard, dies Geſpraͤch, ſo gut ich konnte, niedergeſchrieben, Du kannſt daraus die wunderbare Wendung kennen lernen, die der Geiſt meines Freundes genommen hat. Ich will izt ſchließen, lebe wohl.

Und doch, lieber Freund, ergreif ich die Feder noch einmahl, um Dir einen Vorfall zu melden, der ſeltſam genug iſt, ſo geringfuͤgig er auch ſeyn mag. Vielleicht daß mich heut das oben niedergeſchriebene Geſpraͤch ſonderbar ge - ſtimmt hat, oder daß es eine Schwachheit iſt, weil ich ſeit einigen Naͤchten faſt nicht geſchla - fen habe, genug, ich will Dir die Sache erzaͤh - len, wie ſie iſt, Du wirſt uͤber Deinen Freund laͤcheln, aber, was iſt es denn mehr? der Fall wird noch oft vorkommen. Damit Du277[275] mich aber ganz verſtehſt, muß ich etwas weit ausholen.

Mein Vater hat eine kleine Gemaͤhldeſamm - lung, die nur ſehr wenige hiſtoriſche Stuͤcke und Landſchaften enthaͤlt, ſondern meiſtentheils aus Portraiten ſeiner Verwandten, oder andern, ihm merkwuͤrdigen Perſonen beſteht. Ich ging als Knabe nie gern in dieſes Zimmer, weil mir immer war, als wenn die Menge von fremden Geſichtern mit einemmahle lebendig wuͤrde: vor - zuͤglich aber fiel mir ein Bild darunter ſtets auf eine unangenehme Art auf. Der Kamin des Zimmers war etwas in einem Winkel ange - bracht, wo ein ſtarker Schatten fiel und ein Ge - maͤhlde, das daruͤber hing, faſt ganz verdunkelte. Es war ein Kopf, Eduard, ich weiß nicht, wie ich ihn Dir beſchreiben ſoll, ich moͤchte ſa - gen, mit eiſernen Zuͤgen. Ein Mann von ei - nigen vierzig Jahren, blaß und hager, ſein Auge vorwaͤrts ſtierend, indem das eine in einer klei - nen Richtung nach dem andern ſchielt, ein Mund der zu laͤcheln ſcheint, der aber, wenn man ihn genauer betrachtet, ſo eben die Zaͤhne fletſchen will; eine beſtaͤndige Daͤmmerung ſchwebte um dieſes Gemaͤhlde und ein heimli -278[276] ches Grauen befiel mich, ſo oft ich es betrach - tete, und doch heftete ſich mein Blick jedesmahl unwillkuͤhrlich darauf, ſo oft ich durch dies Zimmer ging, daher hat meine Phantaſie bis izt dies Bild ſo treu und feſt aufbewahrt. Ich habe auch nie jene kindiſche Furcht vor dieſem Kopfe ganz ablegen koͤnnen: mein Vater ſagte mir, es waͤre kein Portrait, ſondern nur die Idee eines ſehr geſchickten Mahlers.

Ich hatte den Brief an Dich geendigt, ich gehe durch die Stadt, die Sonne war ſchon untergegangen und ein rother Daͤmmerſchein flimmerte nur noch um die Daͤcher und auf den freien Plaͤtzen. Ich gehe zur Pyramide, der ganze Platz war einſam, nur in der Ferne wan - delte mir ein Weſen naͤher; als es etwas mehr auf mich zukam zweifelte ich, ob es ein Menſch ſey, ich hielt es fuͤr einen Geiſt, ſo alt, zerfal - len, bleich und unkenntlich ſchlich es einher, izt ſtand es mir gegenuͤber und Eduard, Du erraͤthſt es vielleicht, es war jenes grauenhafte Bild meines Vaters! Alle Gefuͤhle meiner fruͤheſten Kindheit kamen mir ploͤtzlich zuruͤck, ich glaubte in Ohnmacht zu ſinken. Es war ganz derſelbe, nur izt um279[277] dreißig Jahre aͤlter, aber alle jene ſchrecklichen Grundlinien, jenes unerklaͤrliche Furchtbare, je - nes verdammnißvolle Schreckliche. Er hatte mein Erſchrecken bemerkt, er ſah mich an, und laͤchelte, und ging fort! Eduard, ich kann keine Worte finden, Dir dieſen Blick und dieſes Laͤcheln zu beſchreiben. [Mir] war’s, als ſtaͤnde mein boͤſer Engel in ſichtbarlicher Ge - ſtalt vor mir, als hoͤrt ich in dieſem Augenblicke alle gluͤcklichen Blaͤtter aus dem Buche meines Lebens reißen, wie ein Prolog zu einem lan - gen ungluͤckſeeligen Lebenslaufe fiel dieſer Blick, dieſes Laͤcheln auf mich, o Eduard, es hat mich erſchuͤttert, darum verzeih mir, wenn ich zu ernſthaft davon ſpreche.

Wer mag es ſeyn? frag ich mich izt unauf - hoͤrlich, und wie hat mein Vater ein ihm ſo aͤhnliches Bild erhalten?

Ich ſollte mich lieber fragen, wie mich ein bloßer, nicht einmahl ganz ungewoͤhnlicher Zu - fall ſo tief und innig bewegen koͤnnen. Lebe wohl.

280[278]

12. Karl Wilmont an Mortimer.

Ich bin nun ganz Schottland durchſtrichen und ich glaube ich koͤnnte eben ſo gut noch nach Irr - land und Abyſſinien reiſen, ohne geſcheidter zu - ruͤckzukommen. Ich habe den Ort geſehn, wo Fingal mit ſeinen Helden geſtanden hat; es thut mir ſehr leid um die guten alten Maͤnner, aber ich habe dabei wahrhaftig mehr an Emilien, als an ſie gedacht. Und wobei haͤtte ich denn wohl nicht an ſie gedacht? War mir’s doch gar, als wenn mir die rauhen Raben immer den Nahmen Emilie ausriefen, tauſendmahl habe ich fremde Maͤdchen ſo hoͤflich und ruͤhrend gegruͤßt, daß ſie roth daruͤber wurden, weil ich ſie fuͤr Emilien anſahe. Nun, ich will auch nicht aus der Art ſchlagen, denn ſeit die Welt ſteht, iſt es unter den Liebhabern eine herge - brachte Sitte, daß ſie entweder gar nichts, oder zu viel ſehen. Alle meine Onkeln, Vettern, Baſen, Muhmen, Tanten und Geſchwiſterkinder haben mich gar nicht wiedergekannt, ſie haͤtten281[279] darauf geſchworen, ich waͤre ausgetauſcht, ſo uͤbel hat mir die Liebe mitgeſpielt; ich fange an, in der ganzen Welt meinen Ruf als Luſtig - macher zu verlieren, die Empfindſamkeit hat alle meine Spaͤße gar armſeelig zugerichtet. Ach, Freund, izt bin ich in der niedlichſten und ſchar - manteſten Stadt, die ich bis izt auf dem wei - ten Erdboden habe kennen lernen, die Schotten ſind ſo herrliche und gaſtfreye Leute, aber ihr Gaſt taugt wirklich gar zu wenig und da - rum werd ich wohl mit der Zeit wieder zuruͤck - reiſen muͤſſen. Haſt Du mir aber irgend etwas zu ſchreiben, ſo thue es ja, denn einige Wochen denk ich noch hier zu bleiben.

Mortimer, mir iſt eingefallen, daß wir uns beide den Spaß machen koͤnnen, einander Ele - gien zu dediciren, und ſo unſre Nahmen auf die Nachwelt zu bringen, in der Poeſie ſoll ja uͤber - dies ein Troſt fuͤr alle moͤglichen Leiden liegen; ſtatt uns die Haare auszuraufen, wollen wir dann Federn zerkaͤuen, ſtatt an unſre Bruſt zu ſchlagen und zu ſeufzen, Verſe an den Fingern abzaͤhlen, ich habe ſchon einige herrliche Gedan - ken dazu im Kopfe, wenn mir nicht ein Hagel -282[280] ſchlag darunter geraͤth, kann das eine vortrefli - che Erndte werden.

Meine Briefe und diejenigen, die ich vom alten Willy geſehen habe, ſind ſich im Weſent - lichen auſſerordentlich aͤhnlich, wir nehmen beide irgend einen Gedanken in die Feder und ſchrei - ben dann immer friſch darauf los, wie manche unſrer neuen beliebten Romanenſchreiber. Man muß geſtehen, daß das Papier doch wirklich am Ende voll wird und Worte daſtehn, die jeder nach ſeinem eignen Belieben leſen und beherzi - gen kann.

Sonſt bin ich geſund, aber das Wetter wird unangenehm, ich wollte es waͤre Fruͤhling und ich ſaͤhe Emilien wieder. Sieh doch! und waͤre mit ihr verheirathet und Vater von zehn Kindern, und, und Ich verſichere Dich, daß ich jeden Satz, den ich anfange, mit Emilien endigen moͤchte, das weiß Gott, wie das mit mir werden ſoll. Mit dem neuen Jahre hoff ich, ſoll es beſſer mit[mir] werden, das haben wir ja nun bald, und ich wuͤnſche Dir und mir und allen Menſchen, die vom neuen Jahre etwas wiſſen, alles moͤgliche Gute.

Ob ſie wohl zuweilen an mich denkt? 283[281] Ich hoffe wohl. Wie lebſt Du in London, und faͤhrſt Du noch immer mehr fort, Dich in meine Schweſter zu verlieben? Ich moͤchte oft herzlich uͤber uns Beide lachen, ich fange auch wohl zuweilen an, aber ich weiß nicht, es will nicht recht gelingen. Bald komm ich zu Dir zuruͤck, dann wollen wir wechſelſeitig un - ſerm kranken Herzen Erleichterung ſchaffen.

284[282]

13. Mortimer an Karl Wilmont.

Mich freut es, daß der Ton in Deinem Brie - ſe noch ſo ziemlich munter iſt, dies beweiſt, daß Deine Lage noch nicht ſo gefaͤhrlich iſt, als Du ſie gerne machen moͤchteſt. Ich bin heute in großer Verſuchung, ſehr ernſthaft mit Dir zu ſprechen, ſollteſt Du alſo vielleicht bei gar zu froͤhlicher Laune ſeyn, ſo lege meinen Brief ſo lange beiſeite, bis ſie voruͤber iſt. Doch ich weiß, daß bei Dir Lachen und Ernſt ſeine Zeit hat, daß Du nicht zu jenen Humoriſten gehoͤrſt, die nichts lieber, als den Ton ihrer eigenen Zunge hoͤren und ſich mit ihrem eigenen Ge - ſchwaͤtze betaͤuben. Das Wetter wird ſehr ſtuͤrmiſch, mir ſcheint es daher am vernuͤnftig - ſten, Du koͤmmſt bald nach London zuruͤck, denn welches Vergnuͤgen kannſt Du izt bei Deinem Herumſtreifen haben?

Lovell faͤngt an ein nachlaͤßiger Briefſchrei - ber zu werden, er hat ſehr lange nicht an Ama - lien geſchrieben. Sie hat mir ihren Kummer285[283] daruͤber mit ihrer liebenswuͤrdigen Offenherzig - keit geklagt, und iſt es Leichtſinn, der Lovell ab - haͤlt, ſo verdient er wirklich nicht die Betruͤb - niß dieſer ſchoͤnen Seele.

Karl, ich mache mir unendlich oft Vorwuͤrfe, daß ich ſie ſo oft ſehe, ich mache mir einen Vorwurf daraus, daß ich durch meine Zunei - gung Lovell beleidige, und dann wieder darf er je die Einwilligung ſeines Vaters zu dieſer Verbindung hoffen? und liebt er ſie auch wirk - lich? Hat er ſie nicht vielleicht ſchon vergeſ - ſen? Wenn dies der Fall waͤre, vielleicht daß ſie dann ihre Liebe nach und nach zu mir uͤbertruͤge. Dann, Karl, hab ich mir einen ſchoͤnen Plan ausgedacht, glaube mir, daß man erſt als Hausvater ein eigentlicher Buͤrger die - ſer Erde wird; ſie wuͤrde dann mein Weib, ich habe mir ſchon einen ſtillen reizenden Ort aus - geſucht, wo ich mich dann anbauen will. Ich habe mir keinen poetiſchen und empfindſamen Plan entworfen, ich habe alles genau gegenein - ander berechnet, ich weiß ſo ziemlich, welche Freuden man von dieſer Welt zu erwarten hat, und meine Foderungen ſind alſo nicht zu hoch geſpannt; ich habe mir das Vergnuͤgen gemacht,286[284] mir meine Einrichtung bis auf die kleinſten Um - ſtaͤnde auszudenken, nur Schade, daß ich noch auf die Hauptſache ſo wenig rechnen darf. Die Freuden des Herzens ſind gewiß die reinſten und edelſten in dieſer Welt, und jeder kann ſie ge - nießen, wenn er ſie nur nicht ſelbſt verachtet. Ich erwarte Dich alſo naͤchſtens wieder in Lon - don. Lebe wohl.

287[285]

14. Der Graf Melun an Mortimer.

Sie verließen, lieber Freund, Paris, als ich eben Anſtalten zur Hochzeit mit der Comteſſe Blainville traf; da Sie ſich ſtets fuͤr mein Schickſal intereſſirt haben, ſo halte ich es fuͤr meine Pflicht, Ihnen einige naͤhere Nachrichten von dem Erfolge dieſer Narrheit zu geben.

Sie wuͤrden izt mein Haus in Paris nicht wiederkennen, ſo ſehr iſt alles durch einander geworfen und veraͤndert und moderniſirt; ich bin ſo eingeſchraͤnkt, daß ich weniger Freihei - ten habe, als meine Bedienten; alle meine vor - maligen Freunde fliehen mein Haus und eine Schaar von Zuͤgvoͤgeln gewoͤhnt ſich nach und nach herein, die von der Freigebigkeit, oder vielmehr von der Verſchwendung meiner Gebie - terinn leben; ach Mortimer, ich ſehe noch in meinem Alter einer druͤckenden Armuth ent - gegen. So hart iſt die Thorheit eines alten Mannes beſtraft, der nach ſo vielen Jahren von Erfahrung noch die naͤrriſche Foderung machte,288[286] ein Herz zu finden, das ihn um ſein ſelbſtwillen liebte. Ich wollte die letzte Periode meines Le - bens recht ſchoͤn beſchließen, ich wollte mir gleich - ſam ſo manches verlohrne Jahr zuruͤckerkaufen, und ich habe eine Hoͤlle um mich her verſam - melt. Die Comteſſe hat mich durch ihre Ver - ſtellung betrogen, ich traute ihr ein empfinden - des Herz zu, aber ſie lacht uͤber dieſen altfraͤn - kiſchen Galimathias, ſie freut ſich meines Kum - mers und wuͤnſcht meinen Untergang. Dies iſt nun der truͤbe Beſchluß eines meiſt langweili - gen Lebens, das ich faſt ganz einer albernen Konvenienz zum Opfer brachte. Bedauern Sie Ihren Freund und gerathen Sie nie in ein Ungluͤck, das dem meinigen aͤhnlich iſt.

15.289[287]

15. Mortimer an den Grafen Melun.

Ihr Brief, lieber Graf, hat mich ſehr betruͤbt; Sie gehoͤren zu jenen Leuten, die es ganz ver - dienen, in der volleſten Bedeutung des Worts gluͤcklich zu ſeyn; daß Sie es aber ſo wenig ſind, ſchmerzt mich innig. Es iſt aber moͤg - lich, und ich wuͤnſche, daß es ſo ſeyn moͤge, daß Ihre Phantaſie einen großen Theil Ih - rer Leiden ausmacht. Sie hatten ſich vielleicht einen Plan entworfen, der zu ſchoͤn war, um realiſirt werden zu koͤnnen: da Sie ſich nun in Ihrer Hofnung getaͤuſcht ſehn, ſo erſcheint Ihnen jedes Ding truͤbe und finſter. Viel - leicht iſt alles anders und beſſer, wenn Sie die Sache anſehn, ſo wie ſie iſt; der Menſch iſt ſo eneigt, ſich allenthalben ſein Ungluͤck zu ver - groͤßern, daß man nur ſelten dem Berichte des Erzaͤhlers ganz vertrauen kann. Ich wuͤnſchte, ich waͤre in Paris, um Sie aufzuheitern. DurchLovell, I. Bd. T290[288]einen Brief kann der Freund nur wenig thun, denn man kann ihm nicht die Beredſamkeit und Herzlichkeit mittheilen, mit der man des Freundes Hand ergreift und ihm ſeine Sorgen wegſchwatzt, oder wegdemonſtrirt. Leben Sie recht wohl und ſeyn Sie gluͤcklich.

291[289]

16. Der Graf Melun an Mortimer.

Wollte der Himmel, Mortimer, es waͤre ſo, wie Sie vermuthen! Der Menſch mag elend genug ſeyn, wenn er ſich hundertfaches Ungluͤck fingirt und jedes kleine Leiden durch ein truͤbes Vergroͤßerungsglas ſieht: aber er kann doch hoffen, von ſeiner Krankheit geheilt zu werden, ſein ſchwerer Traum wird ihn doch endlich ver - laſſen. Der aber, der wirklich an der Quelle der Truͤbſale ſitzt, iſt unheilbar, er iſt verloren, wenn er nicht das Gluͤck einer voͤlligen Unem - pfindlichkeit genießt; dieſe aber iſt mir nicht zu Theil geworden. Ich mochte Ihnen in meinem Briefe nicht mit einer weitlaͤuftigen Schilde - derung meiner Leiden laͤſtig werden, aber ſie ſind wirklich ſo, daß ſie wohl ſtandhaftere Schul - tern zuſammendruͤcken koͤnnten. Schon nach ei - nigen Wochen meiner Heirath reſignirte ich auf eine voͤllig gluͤckliche Ehe, ſo gut ſich auch die Comteſſe noch anfangs verſtellte; aber ich dachte nicht, ſo vielen Kraͤnkungen und Widerwaͤrtig -T 2292[290]keiten ausgeſetzt zu werden. Keine Beleidigung, keine Art von Kraͤnkung ſucht man mir zu er - ſparen, meine Frau verfaͤhrt nicht einmahl mit jener Delikateſſe mit mir, die man ſonſt doch ſelbſt gegen Feinde zu beobachten ſucht. Mein Vermoͤgen wird auf die unſinnigſte Art ver - ſchwendet, ſie hat ihren erklaͤrten Liebhaber, ei - nen elenden Fanfaron, den ſie bereichert, ein Menſch, der nicht einmahl Witz und Ton ge - nug hat, um zu gefallen. Eine annaͤhernde Auszehrung ſcheint meinem taͤglichen Verdruſſe ein Ende machen zu wollen; ſchon ſeit einigen Wochen fuͤhl ich mich ſehr matt, und indem ich Ihnen ſchreibe, bin ich ſehr ſchwach und uͤbel. Wenn Sie in Paris waͤren, haͤtt ich doch noch einen Freund, der mir manchmal meine truͤben Stunden etwas erheiterte; darauf darf ich aber nicht hoffen, alſo leben Sie wohl.

293[291]

17. Walter Lovell an Eduard Burton.

Ich ſchreibe Ihnen in einer großen Verlegen - heit, ſelbſt Traurigkeit, in welche mich das lan - ge Stillſchweigen meines Sohnes verſetzt. Ich kann mir die Urſache nicht erklaͤren, wenn er nicht gefaͤhrlich krank iſt, und dieſe Erklaͤrung vermehrt nur meinen Kummer. Sollte er Ih - nen etwa in dieſe: Zeit Nachricht von ſich ge - geben haben, ſo erſuche ich Sie um die Gefaͤl - ligkeit mir dieſe mitzutheilen; Sie werden da - durch den Kummer eines Vaters lindern, dem tauſend Bilder, eins truͤber und ſchrecklicher als das vorige, vor der Seele ſchweben. Ich bitte Sie alſo, mir bald zu antworten, denn ich weiß, daß Sie ſtets mit meinem Sohne korreſpondirt haben; er hat vielleicht den Freund weniger als den Vater vernachlaͤſſigt.

294[292]

18. Amalie Wilmont an Emilie Burton.

Was ich mache, meine liebſte Freundinn? Ich weiß es ſelbſt nicht genau, ich bin nicht krank und doch auch nicht wohl. Wenn ich zu Ih - nen nach Bonſtreet kommen koͤnnte, wuͤrde ich einmahl wieder recht vergnuͤgt ſeyn, ſo vergnuͤgt, wie damahls, als Lovell bei Ihnen war. Ich weiß nicht, wie der boͤſe Menſch ſeinen Vater und uns alle ſo aͤngſtigen kann, er hat ſeit lan - ger Zeit nicht geſchrieben, und man fuͤrchtet nun, er ſei tod. Sollte es bloße Nachlaͤßigkeit ſeyn, ſo waͤre ſie unverzeihlich. Sagen Sie mir, was Sie denken, ich wollte lieber, wir koͤnnten ſo freundſchaftlich und vertraut wie ehemals daruͤber ſprechen. Sie waren immer ſo guͤtig gegen mich, wir waren immer ſo froh mit einander, vielleicht koͤnnten Sie mich izt etwas erheitern; die Munterkeit iſt mir wirk - lich noͤthig, ich fuͤhle es, wie ein beſtaͤndiger Schmerz an meinem Herzen nagt. Mortimer thut alles moͤgliche, um mich vergnuͤgt zu ma -295[293] chen, aber wenn ich auch zuweilen lache, ſo denke ich doch indeß an Lovell und weine in - nerlich, und Lovell, Gott! wenn er todt waͤ - re, oder, o meine Emilie, was ſagen Sie? Iſt es moͤglich? Warum ſollten mir vom Schickſale ſo große Leiden zugedacht ſeyn, da ich nichts verbrochen habe? oder war mein Gluͤck, waren meine Hofnungen Suͤnde?

296[294]

19. William Lovell an Roſa.

Sie haben Recht, Roſa, ich fange erſt izt an, Sie zu verſtehen. Was mir ſeit unſrer Be - kanntſchaft dunkel und raͤthſelhaft war, tritt nun wie aus einem Nebel allgemach hervor, die Thaͤler, die zwiſchen den Bergen liegen, werden ſichtbar, mein Blick umfaͤngt die ganze Land - ſchaft. Ihr Geiſt zieht den meinigen zu ſich hinuͤber; eben da, wo ich mich einſt mit einer zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen nun wohl geſtehn) uͤber Ihnen erhaben fuͤhlte, ſeh ich mich izt um ſo mehr gedemuͤthigt.

Was machen Sie und Balder in Neapel? Seit Ihrer Abreiſe fuͤhl ich mich hier einſam und verlaſſen, es ſcheint, als wenn mir ſtets ein Freund zur Unterſtuͤtzung nothwendig waͤre. Kommen Sie bald zuruͤck!

Aber dennoch hab ich Ihnen, nur Ihnen allein jene Selbſtſtaͤndigkeit zu danken, die mir noch vor kurzem ſo fremd war. Sie haben mich aus jenen Weſen hervorgehoben, die in ei -297[295] ner bejammernswuͤrdigen Feigheit ihr Leben nicht zu genießen wagen, die ſich von unaufhoͤr - lichen Zweifeln tyranniſiren laſſen und wie Tan - talus mitten im Ueberfluſſe ſchmachten; oder die ſich von den Schaͤtzen der lebendigen Natur mit Verachtung hinwegwenden, um eine duͤrre Klippe zu beſteigen, wo ſie ſich dem Himmel naͤher duͤnken. Aber dort oben ſtehn ſie verlaſ - ſen; Felſenwaͤnde, die kein ſterblicher Arm hin - wegruͤcken wird, begraͤnzen ihre Ausſicht; um den Goͤttern aͤhnlich zu werden ſterben ſie, ohne gelebt zu haben. Nein Roſa, hinweg mit dieſem troſtloſen Stolze! Ich begnuͤge mich mit der Empfindung, ein Menſch zu ſeyn; raſch entflieht das Leben, wehe dem, der vom irrdiſchen Schlafe erwacht, ohne angenehm ge - traͤumt zu haben, denn wuͤſte und dunkel iſt die Zukunft.

Seit ich an dieſem Glauben hange, lacht mir der Himmel freundlicher, jede Blume duf - tet mir ſuͤßer, jeder Ton klingt melodiſcher; die ganze Welt betrachte ich als mein Eigenthum, jede Schoͤnheit gehoͤrt mir, indem ich ſie verſte - he. So muß der freie Menſch durch die Natur wandeln, ein Koͤnig der Schoͤpfung, das edelſte298[296] geſchaffene Weſen, indem er am edelſten zu ge - nießen weiß. Ich hoͤre auf, nach Weisheit zu ringen, der ſich kein Sterblicher naͤhern kann, warum laͤßt Siſyphus ſeinen boshaften Stein nicht endlich liegen? Warum werden die Danaiden ihrer ungluͤckſeeligen Arbeit nicht uͤberdruͤſſig? Warum ſchaffen ſich Tauſende aus dieſer ſchoͤnen Welt freiwillig eine Hoͤlle?

Goͤnnen Sie mir dieſen poetiſchen Enthu - ſiasmus, denn in einer ſchoͤnen Stunde ſchreibe ich Ihnen in dem Garten, der ſchon oft die Scene unſrer Freuden war. Die Luft iſt durch ein Gewitter abgekuͤhlt, und die ſchwarzen Wol - ken ziehn izt hinweg, ein ſchmaler Strahl bricht aus der Dunkelheit hervor und wirft ei - nen rothen Streif uͤber die gruͤne Wieſe, gol - den ſtehn die Spitzen der Huͤgel da, wie elyſaͤi - ſche Inſeln in einem truͤben Ocean, in der Fer - ne wandelt ein Regenbogen durch den gruͤnen Wald, die Natur iſt wieder friſch, die Wieſen duften; nur Ihre Freundſchaft fehlt dem gluͤck - lichen Lovell.

299[297]

20. Roſa an William Lovell.

Seitdem ich Ihren Brief[erhalten] habe, thut es mir mehr leid als je, daß ich mit dem me - lancholiſchen Balder hiehergereiſt bin: ich werde ſo ſchnell als moͤglich zuruͤckkommen. Er wird mit jedem Tage finſtrer und verſchloſſener, eine ſeltſame Art von Schwaͤrmerei ſcheint ſeinen Geiſt in einer unaufhoͤrlichen Spannung zu er - halten. Sie werden wiſſen, daß bei ihm die gewoͤhnlichen Zerſtreuungen und Freuden des Lebens uͤbel angebracht ſind, ſie dienen nur, ſei - ner Laune einen noch finſtrern Anſtrich zu ge - ben. Iſt es nicht kindiſch, ſich ſelbſt und der ganzen Natur deswegen zu fluchen, weil nicht alles ſo iſt, wie wir es mit unſern be - ſchraͤnkten Sinnen fordern? Aber ich kenne auch die Reize, die dieſe Schwaͤrmerei uns an - fangs gewaͤhrt; wir ahnden eine Vertraulichkeit mit Geiſtern, die uns entzuͤckt, die Seele ba - det ſich im reinſten Glanze des Aethers und ver -300[298] gißt zur Erde zuruͤckzukehren; aber die Kraft, die die Welt nach dem innern Bilde der erhitz - ten Phantaſie umwandelt, ſtirbt bald, die Sinn - lichkeit, (denn was iſt ein ſolcher Zuſtand an - dern) iſt auf einen ſo hohen Grad exaltirt, daß ſie die wirkliche Welt leer und nuͤchtern findet; je weniger Nahrung ſie von auſſen erhaͤlt, je mehr ergluͤht ſie in ſich ſelbſt; ſie erſchafft ſich neue Welten und laͤßt ſie wieder untergehn: bis endlich der zu ſehr geſpannte Bogen bricht und eine voͤllige Schlaffheit den Geiſt laͤhmt und uns fuͤr alle Freuden unempfaͤnglich macht; alles verdorrt, ein ewiger Winter umgiebt uns. Welche Gottheit ſoll dann den Fruͤhling zuruͤck - bringen?

Wohl Ihnen, daß Sie dieſem Zuſtande entflohen ſind! Sie wiſſen es izt, welche Forderungen Sie an das Leben zu machen ha - ben. Der Schwaͤrmer kennt ſich ſelbſt und ſeine dunkeln Wuͤnſche nicht, er verlangt Genuͤſſe aus einer fremden Welt, Gefuͤhle, fuͤr die er keine Sinne hat, Sonne und Mond ſind ihm zu ir - diſch: wir, William, wollen hier unten blei - ben, nicht nach Wolken und Nebelduͤnſten ha - ſchen, Mond und Sterne hoch uͤber uns ſollen301[299] uns nicht kuͤmmern, und ſo raſch mit dem Wagen in’s Leben hinein, fort uͤber die Berge und durch die Thaͤler mit den unermuͤdeten Roſſen, bis wir endlich angehalten werden und ausſteigen muͤſſen. Bald hin ich wieder in Rom; leben Sie wohl.

Roſa.

302[300]

21. Balder an William Lovell.

Ich verſprach mir manche Freuden von dieſer Reiſe und izt bin ich verdruͤßlich, daß ich Rom verlaſſen habe: ja faſt bin ich unzufrieden, daß ich mich je uͤber den kleinen unbekannten Win - kel meines Vaterlandes hinauswuͤnſchte. Der Geiſt duͤrſtet nach Neuem, ein Gegenſtand ſoll den andern draͤngen, wie ſuͤß traͤumt man ſich die Reiſe durch das ſchoͤne Italien, ach und was iſt es nun am Ende weiter, als das langweilige Wiederholen einer und eben der Sache? was war es nun, daß ich zwiſchen Rom und Neapel Wolken und blauen Himmel ſah, Saatfelder und Berge? Alles gleitet vor meiner Seele kalt und freudenleer voruͤber.

Warum iſt doch der Menſch dazu beſtimmt, keine Ruhe in ſich ſelber zu finden? Izt denke ich es mir ſo erquickend, in einer kleinen Huͤtte am Saume eines einſamen Waldes zu leben, die ganze Welt vergeſſend und auf ewig von ihr vergeſſen, nur mit der Erde bekannt, ſo303[301] weit mein Auge ſieht, von keinem Menſchen aufgefunden, nur vom Morgenwinde und dem Saͤuſeln der Geſtraͤuche begruͤßt, eine kleine Heerde, ein kleines Feld, was braucht der Menſch zu ſeinem Gluͤcke weiter? Und doch, wenn mich eine Gottheit nun ploͤtzlich dorthin verſetzte, wuͤrd ich nicht wieder nach der Ferne jammern? Wuͤrde ſich mein Blick nicht wieder wie ehemals an des Abends goldenes Gewoͤlk haͤngen, um mit ihm unterzuſinken und zauber - reiche, mir unbekannte Fluren zu beſuchen? Wuͤrd ich nicht unter der Laſt einer dumpfen Einſamkeit erliegen und nach Mittheilung, nach Liebe, nach dem Haͤndedruck eines Freundes ſchmachten? Das Leben liegt wie ein langer verwickelter Faden vor mir, den auseinander zu knuͤpfen mich ein boshaftes Schickſal zwingt; hundertmahl werf ich die laͤſtige Arbeit aus der Hand, hundertmahl beginn ich ſie von neuem, ohne weiter zu kommen, o wenn mich doch ein mitleidiger Schlaf uͤberraſchte!

Ein Fieber hat mir die Reiſe hieher voͤllig verdorben, Roſa iſt mir zur Laſt, ich ſelber bin mir unertraͤglich. In der Einſamkeit, unter abentheuerlichen Phantomen, ſchrecklichen304[302] Gemaͤhlden meiner Phantaſie und truͤbſeeligen Ideen iſt mir noch am beſten, aber wenn ich an einen Ort komme, wo Menſchen ſtehn und ſich freuen! wo vielleicht Muſik iſt und ge - tanzt wird! o William, es will mir die Seele zerſchneiden. Ich darf nur einen verlor - nen Blick unter den jauchzenden Haufen fallen laſſen, und er findet in allen ſogleich die nack - ten Gerippe heraus, die Beute der Vernich - tung. Ich komme mir vor wie ein verlarv - tes Geſpenſt, das ungekannt und duͤſter, ſtill und verſchloſſen durch die Menſchen hingeht: ſie ſind mir ein fremdes Geſchlecht.

Antworte mir, wenn du mich noch nicht ganz vergeſſen haſt, wenn Du nicht zu jenen Menſchen gehoͤrſt, die ſich wie die Schnecke ganz in ſich ſelber zuruͤckziehn, unbekuͤmmert um das Wohl oder Weh ihres Bruders. Doch weiß ich nicht, daß ihr alle Egoiſten ſeyd und ſeyn muͤßt?

22.305[303]

22. William Lovell an Balder.

Der Schluß Deines Briefes zwingt mich zu dieſer Antwort, ob ich Dir gleich dadurch un - moͤglich beweiſen kann, daß ich nicht zu jenen Egoiſten gehoͤre, von denen Du ſprichſt. Dieſer Beweis duͤrfte bei Dir ſchwer zu fuͤhren ſeyn, ſo wie der, daß Du alles in der Welt aus ei - nem unrichtigen Geſichtspunkte betrachteſt und daher nichts als Elend und Jammer findeſt. Deinetwegen wuͤnſcht ich ein tiefſinniger Phi - loſoph zu ſeyn, um Dich zu uͤberzeugen. Ich kann Dir freilich nichts ſagen, was Du nicht ſchon eben ſo gut wuͤßteſt, aber lieber Bal - der, laß doch jene Gruͤbeleien fahren, die Dei - nen Koͤrper und Geiſt verderben; genieße und ſey froh. Das heißt, wirſt Du antworten, ſo viel, als wenn Du zum Blinden ſagen woll - teſt: thue die Augen auf und ſieh! Aber Du haſt mich noch nie uͤberfuͤhrt, daß der Wil - le uͤber dieſen Zuſtand nicht alles vermoͤchte; ich halte ihn fuͤr keine phyſiſche Krankheit al -Lovell, I. Bd. U306[304]lein, und ſelbſt dieſe waͤre gewiß zu heilen. Wenn Du aufrichtig ſeyn willſt, ſo wirſt Du eingeſtehn, daß es jene unbegreifliche heimliche Wolluſt iſt, die Dich unter Schaudern und Grauſen ſo freundlich gruͤßt; jene wilde Freude, jene Entzuͤckungen des Wahnſinns, die Dich in Deinen unterirrdiſchen Wohnungen ſo feſt hal ten. Wenn Du dies zugiebſt, ſo ſind wir beide wenigſtens gleich große Egoiſten. Aber laß dieſe Genuͤſſe der abentheuerlichen Phanta - ſie fahren, die Dich zu Grunde richten, kehre zur Welt und zu den Menſchen zuruͤck, vereini - ge Dich mit dem bruͤderlichen Kreiſe und nimm die Blumen, die Dir die muͤtterliche Natur mit freundlichem Laͤcheln hinreicht. O koͤnnt ich den boͤſen Geiſt beſchwoͤren, der in Dir wohnt, damit nach wenigen Wochen der gluͤck - liche Lovell den gluͤcklichen Balder wie - der in ſeine Arme ſchließen koͤnnte.

307[305]

23. Balder an William Lovell.

Meine Lage hat ſich ſeit meinem neulichen Briefe ſehr geaͤndert. Mein Fieber nimmt mit jedem Tage zu, ſo wie mein Widerwille gegen die ganze Welt. Unter allen Menſchen, die ich bisher habe kennen lernen, hat noch keiner meine Erwartungen befriedigt; auch uͤber Dich, William, kann ich mich mit Recht beklagen, aber doch entſprichſt Du noch dem, was ich von einem Menſchen und meinem Freunde fordre, am meiſten: darum hoͤre izt die Bitte Deines kranken Freundes, und erfuͤlle Dein halb im Scherze gegebenes Verſprechen, mich hier in Neapel zu beſuchen. Auf eine wunderbare Wei - ſe fuͤhl ich mich einſam, ein Schatten, ein Laut kann mich erſchrecken, die Fibern meines Koͤr - pers erzittern bei jedem Anſtoße auf eine ſchmerz - hafte Art; ich weiß nicht, welches ſeltſame Grauſen mich umgiebt, meine Bruſt iſt be - klemmt, wie von fremden unſichtbaren Weſen umgeben fuͤhl ich mich fuͤrchterlich beſchraͤnkt:U 2308[306]komm, vielleicht kannſt Du mich troͤſten. Wenn ich nach und nach der Welt wie ein ver - dorrter Baum abſterbe, ſo moͤcht ich gern in den Armen eines Freundes verſcheiden; wenn Du der biſt, ſo laß mich nicht zu lange nach Deiner Gegenwart ſchmachten.

Shakeſpears Hamlet iſt meine taͤgliche Lek - tuͤre; es iſt eine Art von Erquickung, die treue Schilderung meines Seelenzuſtandes von dieſem großen Geiſte dargeſtellt zu leſen; jedes Wort, jede Idee iſt aus meiner Seele hervorgeholt; wer dieſen Charakter je unnatuͤrlich oder inkon - ſequent fand, hat den Menſchen wahrlich wenig gekannt. Es iſt die Ausgabe, William, die Du mir in Paris ſchenkteſt, und die von Dir ange - ſtrichenen Stellen kann ich faſt alle auswendig. Ich werde dies Meiſterſtuͤck aber doch auf einige Zeit beiſeite legen muͤſſen, denn meine Phantaſie wird dadurch zu ſehr geſpannt.

Oder war es mehr als Phantaſie, was mich in der geſtrigen Mitternacht ſo ſehr erſchreckte? Wenn es etwas mehr waͤre! Und doch kann es nicht ſeyn. Wer will aber gegen die Moͤglichkeit ſtreiten? Welcher Sterbliche wagt es, die Graͤnze zu ziehn, wo die Wirk309[307] lichkeit aufhoͤren ſoll? Wir vertrauen unſerm aus Staube gebildeten Gehirne zu viel, wenn wir nach eben den Maßen, die wir hier unten gebrauchen, auch eine Welt meſſen wollen, die mit der hieſigen keine Aehnlichkeit hat, voll Schaam uͤber ſeine Anmaaßung ſinkt einſt der Geiſt vielleicht zu Boden, wenn die koͤrperliche Huͤlle von ihm genommen wird.

Das Fieber hatte mich verlaſſen, als ich ge - ſtern die Scene zwiſchen Bernardo und Marcel - lus las, die das Stuͤck eroͤffnet. Es war ge - gen Mitternacht, mein Bedienter ſchlief und das Nachtlicht warf nur matte Strahlen durch das Zimmer; alles war ſtill, eine Grille zirpte im Kamine ihre einfoͤrmige Melodie ununterbro - chen fort. Ein wunderbares Ideenſpiel be - gann in meinem Kopfe bei der Stelle: Ber. Laſt night of all, When you same star, that’s westward from the pole, Had made his course to illume that part of heaven Where now it burns, Marcellus, and myself, The bell then beating one, und nun Marcellus erſchreckend einfaͤllt Peace, break thee off; look, where it comes again!

Ich ſah die abentheuerliche Nacht, den Stern oben, der durch den Wipfel eines Bau -310[308] mes flimmerte, groſſe Schatten vom Pallaſte her und Lichter in der Ferne, Horatio in der hoͤchſten Spannung, der der ſeltſamen Erzaͤh - lung ſeines Freundes zuhoͤrt, und nun tritt ploͤtzlich der Geiſt auf, langſam und leiſe ſchwebt er her, ein ſchwarzer Schatten, um den ein bleicher Schimmer fließt, matt wie das blaue Licht einer ausloͤſchenden Lampe. Ich fuͤhlte, wie mir ein Grauen mit kalter Hand uͤber den Nacken hinab zum Ruͤcken fuhr, die Stille um mich her ward immer todter, ich ſelber ging immer weiter in meinem Innern zu - ruͤck, und betrachtete in meiner innerſten Phan - taſie mit grauendem Wohlbehagen die Erſchei - nung, aus der umgebenden Welt verlohren.

Ploͤtzlich hoͤrt ich einen langen, leiſe gezo - genen Schritt durch das Zimmer, ich blickte wieder auf, und ein Mann ging hinter mir, nach der Thuͤr meines Schlafzimmers zu, ſein Auge begegnete mir, als ich mich umſah; ein unwillkuͤhrlicher Ausruf entfuhr mir, er gieng unbefangen in mein Schlafzimmer, ich ſah ganz deutlich die weiſſen Haare auf ſeinem Kopfe; der Schatten an der Wand folgte ihm nach, auf eine fuͤrchterliche Art verzogen.

311[309]

Es iſt mir ſelber unbegreiflich, warum ich im Ganzen ſo kalt und faſt ruhig blieb, da ich doch einen Schauder in meinen innerſten Gebei - nen fuͤhlte; in dem Entſetzen lag eine Art von wuͤthender Freude, ein Genuß der vielleicht auſ - ſerhalb den Grenzen des Menſchen liegt. Ich kann mir nichts Fuͤrchterlicheres denken, als dieſe Erſcheinung zum zweitenmahle zu ſehn; und doch wiederhol ich mir vorſaͤtzlich den Schreck, das ſtarrende Grauſen dieſes Augen - blicks.

Ich rief meinen Bedienten, er hatte nichts gehoͤrt, in der Kammer war keine Spur, ich hatte ſogar den Schluͤſſel noch auf dem Tiſche liegen und ſie war zugeſchloſſen. Ich ließ Roſa kommen, er kannte mich nicht wieder, er blieb bei mir, ich habe die ganze Nacht nicht ge - ſchlafen, ſtets ſah ich den fremden Mann mit dem leiſen bedaͤchtlichen Schritte durch das Zim - mer ſchleichen.

Wenn es nicht Phantaſie war, und mein Bewußtſeyn kaͤmpft gegen dieſe Meinung, was war es denn? War dies keine Wirk - lichkeit, ſo ſteh ich im Begriffe, alle Erſcheinun - gen der Dinge auſſer mir fuͤr Taͤuſchung mei -312[310] ner Sinne zu erklaͤren; und faͤllt dann nicht alles zuſammen? Wunder und Alltaͤglichkeit? und wer bin ich dann?

Dann ſitz ich hier in einer weiten wilden ausgeſtorbenen Leere, bilde mir ein, einen Brief zu ſchreiben, an ein Weſen, das ſich nur meine Phantaſie erſchaffen hat, o ich muß aufhoͤ - ren, auf dieſem Wege kann man wahnſinnig werden; und wenn ich es wuͤrde? Vielleicht waͤre dann die Schranke durchbrochen, die mei - nen Geiſt izt noch von allem trennt, was ihm unbegreiflich iſt.

313[311]

24. William Lovell an Roſa.

Balder hat mir geſchrieben und ein merkwuͤr - diges Beiſpiel gegeben, wie weit ein Menſch ſich verirren koͤnne, wenn er einer kranken Phan - taſie die Zuͤgel ſeiner ſelbſt uͤberlaͤßt. Von Phantomen ſeiner Einbildungskraft erſchreckt, von einer Krankheit gelaͤhmt, iſt er izt im Be - griffe, an ſeiner eigenen Exiſtenz zu zweifeln; der ſonderbarſte und widerſinnigſte Widerſpruch, den ſich ein moraliſches Weſen nur erlauben darf.

Aber ich kenne den Gang, den die Phanta - ſie bei Balder genommen hat; auch ich war einſt dieſer ungluͤckſeeligen Stimmung nahe. Wenn es noch irgend moͤglich iſt, Roſa, ſo ſu - chen Sie ihn zu heilen, ſoͤhnen Sie ihn mit dem Leben wieder aus und ſchieben Sie ihm ſtatt des ernſten Schakſpear den jugendlichen Petrarcha, oder den muthwilligen Boccaz un - ter; die Farben ſind von dem Gemaͤhlde abge -314[312] ſprungen, darum ſieht es ſo finſter und widrig aus, machen Sie die Probe, neue aufzutragen, und es wird ſo hell und friſch werden, wie ehedem. Wenn er erwacht iſt, wird er die Zeit bedauern, die er ſo unangenehm ver - traͤumt hat.

Freilich kann ich mich nicht verbuͤrgen, ob die aͤuſſern Dinge wirklich ſo ſind, wie ſie mei - nen Augen erſcheinen: aber genug, daß ich ſelbſt bin; mag alles umher da ſeyn, auf welche Art es will, tauſend Schaͤtze ſind uͤber die Natur ausgeſtreut uns zu vergnuͤgen, wir koͤnnen nicht die wahre Geſtalt der Dinge er - kennen, oder koͤnnten wir es, ſo ginge vielleicht das Vergnuͤgen der Sinne daruͤber verlohren, ich gebe alſo dieſe Wahrheit auf, denn die Taͤuſchung iſt mir erfreulicher. Was ich ſelbſt fuͤr ein Weſen ſey, kann und will ich nicht unterſuchen, meine Exiſtenz iſt die ein - zige Ueberzeugung, die mir nothwendig iſt, und dieſe kann mir durch nichts genommen wer - den. An dies Leben haͤnge ich alle meine Freuden und[Hofnungen], jenſeits, mag es ſeyn, wie es will, ich mag fuͤr keinen Traum gewiſſe Guͤter verloren geben.

315[313]

Sagen Sie ihm doch dies, denn ich mag heute nicht an ihn ſchreiben; oder ſagen Sie ihm lieber Ihre eigenen Ideen, denn im Grun - de ſind dieſe hier doch nur ein Widerſchein der Ihrigen; mir ſelber ſoll in dieſem ganzen Brie - fe nichts gehoͤren, als die aufrichtige Verſiche - rung, daß ich bin und bleiben werde

Ihr zaͤrtlicher Freund. William Lovell.

316[314]

25. Roſa an William Lovell.

Wie ſehr haben Sie in Ihrem Briefe aus meinem Herzen geſprochen! Ach Freund, wie wenig Menſchen verſtehen es zu leben, ſie ziehn an ihrem Daſeyn wie an einer Kette, und zaͤh - len muͤhſam und gaͤhnend die Ringe bis zum letzten. Wir, William, wollen an Blumen ziehen und auch noch bei der letzten laͤcheln und uns von ihrem Dufte erquicken laſſen.

Moͤgen die Dinge außer mir ſeyn, wie ſie wollen; ein buntes Gewuͤhl wird mir voruͤber - gezogen, ich greife mit dreiſter Hand hinein und behalte mir, was mir gefaͤllt, ehe der gluͤckliche Augenblick voruͤber iſt.

Ja, Lovell, laſſen Sie uns das Leben ſo ge - nießen, wie man die letzten ſchoͤnen Tage des Herbſtes genießt; keiner koͤmmt zuruͤck, man darf keinem folgenden vertrauen. Iſt der nicht ein Thor, der in ſeinem dunkeln Zimmer ſitzen bleibt und Wahrſcheinlichkeit und Moͤg - lichkeit berechnet? Der Sonnenſchein ſpielt317[315] muthwillig vor ſeinem Fenſter, die Lerche ſingt durch den blauen Himmel, aber er hoͤrt nur ſeine Philoſophie, er ſieht nur die kahlen Waͤn - de ſeiner engen Behauſung.

Wer iſt die Geſtalt, die in dem frohen Tau - mel uns in die Zuͤgel des fliehenden Roſſes faͤllt? die Wahrheit, die Tugend; ein Schatten, ein Nebelphantom, deſſen Schimmer mit der Sonne untergehn. Aus dem Wege mit dem jaͤmmerlichen Bilde! Es gehoͤrt keine Kraft, nur ein geſunder Blick gehoͤrt dazu, um dieſes Maͤhrchen zu verachten.

Ja, Lovell, ich folge dieſem Gedanken wei - ter nach. Wohin wird er mich fuͤhren? Zur groͤßten, ſchoͤnſten Freiheit, zur uneinge - ſchraͤnkten Willkuͤhr eines Gottes.

Alle unſre Gedanken und Vorſtellungen ha - ben einen gemeinſchaftlichen Quell, die Er - fahrung. In den Wahrnehmungen der Sinnen - welt liegen zugleich die Regeln meines Verſtan - des und die Geſetze des moraliſchen Menſchen, die er ſich durch die Vernunft giebt. Alles aber, was die Sprache des Menſchen Ordnung und Harmonie, den Widerſchein des ewigen Geiſtes nennt: alles was ſie von der lebloſen Natur318[316] auf den geiſtigen Menſchen uͤbertraͤgt; was ſind dieſe Worte mehr als Worte? Unſer Verſtand findet allenthalben in der Natur die Spuren des goͤttlichen Fingers, allenthalben Ordnung, und die Elemente freundlich nebenein - ander, er verſuche es doch einmahl, die Un - ordnung und das Chaos zu denken, oder in der Zerſtoͤrung nur den Ruin zu finden! Es iſt ihm unmoͤglich. Unſer Geiſt iſt an dieſe Be - dingung geknuͤpft; in unſerm Gehirne regiert der Gedanke der Ordnung, und wir finden ſie auch außer uns allenthalben; ein Licht, das durch die Laterne den Kerzenſchimmer in die finſtere Nacht hineinwirft.

Es iſt Mitternacht und vom Thurme her ſchlaͤgt es zwoͤlfe. Wenn ich mir dieſe Uhr beſeelt und verſtaͤndig vorſtelle, ſo muͤßte ſie nothwendig in der Zeit, die ſie nach willkuͤhr - lichen Abtheilungen mißt, dieſe Abtheilungen wiederfinden und nicht ahnden, daß es Ein gro - ßer, goͤttlicher, ungemeſſener Strohm iſt, der voruͤberſauſt, kuͤhn und herrlich und auch nicht Eine Spur der klaͤglichen Eintheilung traͤgt.

Willkommen denn wuͤſtes, wildes, erfreuliches Chaos! Du machſt mich groß und frei,319[317] wenn ich in der geordneten Welt nur als ein Sklave einherſchreite.

Sie ſehn, Lovell, ich fange an, mit Ihnen zu phantaſiren: ich hoffe aber nicht, daß meine Phantaſieen ſo wild und ungeordnet ſind, daß ſie der Freund nicht verſtehen ſollte. O wenn mich nur Balder verſtaͤnde oder verſte - hen wollte!

320[318]

26. William Lovell an Roſa.

Nein, Roſa, Ihre Ideen ſind dem Freunde nicht unverſtaͤndlich. Iſt es nicht endlich ein - mahl Zeit, daß ich Sie und Ihre Meinung ganz faſſe?

Freilich kann alles, was ich außer mir wahr - zunehmen glaube, nur in mir ſelber exiſtiren. Meine aͤuſſern Sinne modificiren die Erſchei - nungen, und mein innerer Sinn ordnet ſie und giebt ihnen Zuſammenhang. Dieſer innere Sinn gleicht einem kuͤnſtlich geſchliffenen Spiegel, der zerſtreute und unkenntliche Formen in ein geordnetes Gemaͤhlde zuſammenzieht.

Geh ich nicht wie ein Nachtwandler, der mit offenen Augen blind iſt, durch dies Leben? Alles, was mir entgegen kommt, iſt nur ein Phantom meiner innern Einbildung, meines inner - ſten Geiſtes, der durch undurchdringliche Schran - ken von der aͤußern Welt zuruͤckgehalten wird. Wuͤſt und chaotiſch liegt alles umher, unkennt - lich und ohne Form fuͤr ein Weſen, deſſen Koͤr -per321[319]per und Seele anders, als die meinigen organi - ſirt waͤren: aber mein Verſtand, deſſen erſtes Prinzip der Gedanke von Ordnung, Urſach und Wirkung iſt, findet alles im genauſten Zuſam - menhange, weil er ſeinem Weſen nach das Chaos nicht bemerken kann. Wie mit einem Zauberſtabe ſchlaͤgt der Menſch in die Wuͤſte hinein und ploͤtzlich ſpringen die feindſeeligen Elemente zuſammen, alles fließt zu einem hellen Bilde in einander, er geht hindurch und ſein Blick, der nicht zuruͤcke kann, nimmt nicht wahr, wie ſich hinter ihm alles von neuem trennt und aus einander fliegt.

Willkommen, gröſſeſter Gedanke,
Der hoch zum Gotte mich erhebt!
Es öffnet ſich die düſtre Schranke,
Vom Tod geneſt der matte Kranke
Und ſieht, da er zum erſtenmahle lebt,
Was das Gewebe ſeines Schickſals webt.
Die Weſen ſind, weil wir ſie dachten
In trüber Ferne liegt die Welt,
Es fällt in ihre dunkeln Schachten
Ein Schimmer, den wir mit uns brachten:
Warum ſie nicht in wilde Trümmer fällt?
Wir ſind das Schickſal, das ſie aufrecht hält!
Lovell, I. Bd. X
322[320]
Ich komme mir nur ſelbſt entgegen
In einer leeren Wüſteney,
Ich laſſe Welten ſich bewegen,
Die Element in Ordnung legen,
Der Wechſel kömmt auf meinen Ruf herbei
Und wandelt ſtets die alten Dinge neu.
Den bangen Ketten froh entronnen
Geh ich nun kühn durch’s Leben hin,
Den harten Pflichten abgewonnen
Von feigen Thoren nur erſonnen.
Die Tugend iſt nur, weil ich ſelber bin,
Ein Widerſchein in meinem innern Sinn.
Was kümmern mich Geſtalten, deren matten
Lichtglanz ich ſelbſt hervorgebracht?
Mag Tugend ſich und Laſter gatten!
Sie ſind nur Dunſt und Nebelſchatten!
Das Licht aus mir fällt in die finſtre Nacht,
Die Tugend iſt nur, weil ich ſie gedacht.

So beherrſcht mein aͤußrer Sinn die phy - ſiſche, mein innerer Sinn die moraliſche Welt. Alles unterwirft ſich meiner Willkuͤhr, jede Erſcheinung, jede Handlung kann ich nennen, wie es mir gefaͤllt; die lebendige und lebloſe Welt haͤngt an den Ketten, die mein Geiſt323[321] regiert, mein ganzes Leben iſt nur ein Traum, deſſen mancherlei Geſtalten ſich nach meinem Wil - len formen. Ich ſelbſt bin das einzige Ge - ſetz in der ganzen Natur, dieſem Geſetze ge - horcht alles. Ich verliehre mich in eine weite, unendliche Wuͤſte, ich breche ab.

X 2324[322]

27. Roſa an William Lovell.

Ich danke fuͤr Ihren Brief, lieber William; ich bitte Sie izt, mich auf ein paar Tage in Neapel zu beſuchen, dann muß ich Balder ver - laſſen, leiſten Sie ihm an meiner Stelle auf ei - nige Zeit Geſellſchaft.

Ich reiche Ihnen die Hand zur ſchoͤnen freyen Wallfahrt durch das Leben; alles um uns her, was die gewoͤhnlichen Menſchen im hieſi - gen Traume aͤngſtigt, tritt vor unſern dreiſten Blicken ſcheu aus dem Wege. Eine ebne, blumenreiche Bahn ſtreckt ſich vor uns aus, laſ - ſen Sie uns Arm in Arm hinuntergehn.

325[323]

28. Willy an ſeinen Bruder Thomas.

Du haſt lange keinen Brief von mir bekom - men, lieber Bruder, und das macht, weil ich Dir gar nichts zu ſchreiben hatte. Neues iſt unterdeß eben nichts vorgefallen und daß Du mein guter Bruder biſt, daß ich oft an Dich denke und Dich noch oͤfter hier wuͤnſche, iſt ſchon ſo etwas Altes, daß ich es Dir kein ein - zigesmahl mehr ſagen will. Uns allen hier, ich meyne, mir, meinem Herrn und ſeinen Freunden, uns allen geht es hier recht wohl, außer dem Herrn Balder, der in Neapel krank liegt, weil er einen Anſtoß vom Fieber bekommen hat. Man erzaͤhlt ſich allerhand von ihm; ſo ſagt man unter andern, er habe in manchen Stun - den den Verſtand ganz verlohren und ſey gar nicht bey ſich, da rede er denn wunderlich Zeug durcheinander. Wenn ich ſo etwas hoͤre, Thomas, ſo danke ich Gott oft recht herzinnig - lich, daß mir ſo etwas noch nicht begegnet iſt: vielleicht aber auch, Thomas, daß, um verruͤckt326[324] zu werden, mehr Verſtand dazu gehoͤrt, als wir beide haben; ich meyne nehmlich, wenn man nur immer ſo viel Verſtand hat, als man zur hoͤchſten Nothdurft braucht, ſo kann man ihn ohne ſonderliche Muͤhe in Ordnung halten. Wer aber zuviel hat, dem wird das Regiment ſaurer und da geht dann manchmal alles bunt uͤber Eck. Ich denke, es muß ohngefaͤhr ſo ſeyn, wie mit dem Gelde: wer ſeine Einkuͤnfte immer in der Taſche bey ſich traͤgt, iſt meiſten - theils ein guter Wirth; wer aber ſo viel Geld hat, daß er es nicht gleich im Kopfe zuſammen - rechnen kann, der giebt oft ſo viel aus, daß er noch Schulden obendrein macht.

Der Herr Roſa will mir immer noch nicht gefallen. Er koͤmmt mir vor, wie ein Reli - gionsſpoͤtter, von denen ich ſchon manchmal in unſerm Vaterlande habe erzaͤhlen hoͤren; ſol - che Leute koͤnnen kein gutes Herz haben, weil ſie nicht auf die Seeligkeit hoffen, und wer darauf nicht hofft, Thomas, der hat keinen feſten Grund, worauf er ſeinen Fuß ſetzen kann, und das hieſige Leben kommt mir doch immer nur als eine Probearbeit vom kuͤnf - tigen vor; ſie machen alſo ihre Probe ſehr fluͤch - tig und nachlaͤſſig, und thun Gott und allen327[325] Menſchen ſo vielen Schabernack, als ſie nur immer koͤnnen. Ich weiß nicht, Thomas, wie es dieſen Leuten kuͤnftig ergehn wird; im Him - mel wuͤrden ſie doch nur die Ruhe und Einig - keit ſtoͤren; mags ſeyn, wie es will, ich will nichts mit ihnen zu thun haben.

Aber der Herr William laͤßt ſich izt viel mit dieſem gefaͤhrlichen Menſchen ein. Sie ſind izt recht vertraut und der Herr William kommt mir manchmal ganz kurioſe vor, es iſt manchmal gar nicht mehr derſelbe gute Herr, der er wohl vor Zeiten war. Wenn der Ita - liaͤner ihn nur nicht verfuͤhrt! Ich koͤnnte mich daruͤber zu Tode graͤmen. Der ganze Himmel mit aller ſeiner Seeligkeit wuͤrde mir kuͤnftig nicht gefallen, wenn ich meinen lieben Herrn anderswo (Du weißt wohl, Thomas, wo ich meyne) wiſſen ſollte.

Du ſiehſt, lieber Bruder, daß ich izt viel an den Tod und uͤber die Unſterblichkeit der Seele denke, das macht, weil ich izt faſt beſtaͤn - dig ſo betruͤbte Gedanken habe, daß ich mich nicht zu laſſen weiß. An allem iſt mein Herr William Schuld; er iſt nicht mehr ſo freund - lich gegen mich, wie ſonſt, er bekuͤmmert ſich328[326] wenig um mich, ja, Thomas, er lacht mich ſo - gar manchmal aus, ob ich doch gleich um viele Jahre aͤlter bin, als er. Du wirſt gewiß nicht ſagen koͤnnen, daß er daran recht thut. Neu - lich kam mir das Weinen in die Augen, daß ich es nicht verſtecken konnte, und da lachte er noch weit mehr. Mag ihm das Gott vergeben, ſo wie ich es ihm vergeben habe.

Ich will nur zu ſchreiben aufhoͤren, um Dir nur nicht noch mehr vorzuklagen. Aber ich wuͤnſchte, ich ſaͤße bei Dir in unſerm frommen, rechtglaͤubigen England; wenn es angienge, moͤch - te ich wohl zuruͤckreiſen, wie froh wollt ich Dich in meine alten Arme nehmen und mit einer Freude, wie ein kleines Kind ausrufen: Gott - lob, daß ich wieder da bin, daß ich Dich wieder habe! Nun ſo lebe wohl, gebe der Himmel nur, daß wir uns noch einmahl wieder ſehn!

329[327]

29. Balder an William Lovell.

Roſa will nach Rom zuruͤckreiſen; wenn Du noch einiges Mitleids faͤhig biſt, ſo leiſte mir einige Tage uͤber Geſellſchaft. Ich bin in einer fuͤrchterlichen Lage, meine Krankheit (wenn ich es ſo nennen kann) nimmt mit jedem Tage zu, alle Freuden und Hofnungen verlaſſen mich, in einem kalten Truͤbſinne ſehe ich der Leere jedes folgenden Tages entgegen. Mein Gehirn iſt wuͤſt, eine heiße Trockenheit brennt in meinem Kopfe, alles flieht, ich kann keinen Gedanken feſthalten: alles ſauſt mir voruͤber, kein Ton dringt mehr in meine Seele.

Mir iſt zuweilen, als ſtehe ich auf dem Scheidewege, um vom Leben Abſchied zu neh - men, oft iſt mir ſogar zu Muthe, als wenn ſchon alles in einer weiten, weiten Ferne laͤge, wie von der Spitze eines Thurmes ſeh ich mit truͤbem Auge in die Welt hinunter und ver - mag keinen Gegenſtand deutlich zu unterſchei -330[328] den. Zuweilen aber werde ich wieder zuruͤckge - riſſen, meine Sinne thun ſich den Eindruͤcken wieder auf und die Seele koͤmmt zu ihrem Koͤrper zuruͤck. Komm doch zu mir, Wil - liam, in Deiner Gegenwart gewinne ich viel - leicht eine beſtimmtere Exiſtenz, entweder ich komme ganz wieder zu den Menſchen hinuͤber, oder ich werde jenſeit in ein dunkles, chaoti - ſches Gebiet geſchleudert, das ſich dann vielleicht meinem Geiſte entwickelt: daß ich dann mit der Seele einheimiſch bin, wohin mir kein Gedan - ke der uͤbrigen Sterblichen folgt.

Ja, Lovell, ich bin immer noch in Zweifel daruͤber, was aus mir werden wuͤrde, wenn die Leute mich wahnſinnig nennen; o ich fuͤhl es, daß ich in vielen Augenblicken dieſem Zu - ſtande ſo nahe bin, daß ich nur noch einen ein - zigen kleinen Schritt vorwaͤrts zu thun brau - che, um nicht wieder zuruͤckzukehren. Ich bruͤte oft mit anhaltendem Nachdenken uͤber mir ſel - ber, zuweilen iſts, als riſſe ſich eine Spalte auf, daß ich mit meinem Blicke in mein inner - ſtes Weſen und in die Zukunft dringen koͤnnte; aber ſie faͤllt wieder zu, und alles, was ich feſ - ſeln wollte, entflieht treulos meinen Haͤnden. 331[329] Als Kind ſtand ich oft mit Ehrfurcht und ahn - dender Seele vor dem Klavier meiner Eltern und betrachtete ſtumm und unverwandt den kuͤnſtlich ausgeſchnitzten Stern des Reſonanzbo - dens; ich ſahe ſcheu durch ihn in die Dunkel - heit hinein, weil ich waͤhnte, dort unten wohne der Genius des Geſanges, der leiſe mit den Fluͤgeln rauſche, wenn die Taſten angeſchlagen wuͤrden. Ich ſah ihn oft in meinen Gedanken emporſteigen, wie er leiſe ſchwebend von ſeinen ſuͤßen Toͤnen getragen wird und immer hoͤher und hoͤher ſteigt und ein glaͤnzendes Gewimmel von Harmonien ſich um ihn verſammelt, dann wieder ſtill und langſam in ſeine Tiefe hinab - ſinkt und ſchweigend unten wohnt. Als ich aͤlter ward, dachte ich oft mit Laͤcheln an dieſe ſeltſame Idee meiner Kindheit und fuͤhlte mich, wunder wie klug! Aber verſtand ich darum die Entſtehung und ſeltſame Wirkung der Toͤne?

So kommen mir izt mehr Ideen aus mei - nen fruͤheſten Jahren wieder; ich ſehe ein, daß ich izt eben ſo mit ahndender, ungewiſſer Seele vor dem Raͤthſel meiner Beſtimmung und der Beſchaffenheit meines Weſens ſtehe. Viel - leicht, daß das Kind, das im erſten Augenblicke332[330] den Lichtſtrahl des Tages erblickte, kluͤger iſt als wir alle. Die Seele weiß noch nicht die ihr aufgeladenen Sinne und Organe zu gebrau - chen, die Erinnerung ihres vorigen Zuſtandes ſteht ihr noch ganz nahe, ſie tritt in eine Welt die ſie nicht kennt und die ihrer Kenntniß un - wuͤrdig iſt; ſie muß ihren hoͤhern eigenthuͤmli - chen Verſtand vergeſſen, um ſich muͤhſam in vielen Jahren in die bunte Vermiſchung von Irrthuͤmern einzulernen, die die Menſchen Ver - nunft nennen. Vielleicht, daß ich wieder da - hin zuruͤckkommen kann, wo ich war, als ich geboren ward.

Vergieb mir mein Geſchwaͤtz, das Dir viel - leicht uͤberdies unverſtaͤndlich iſt; aber komm zu mir, komm! o laß mich nicht vergebens bitten.

Ich habe ſchreckliche Traͤume, die mir alle Kraͤfte rauben, und fuͤrchterlich iſt es, daß ich auch im Wachen traͤume. Heere von Unge - heuern ziehn mir voruͤber und grinſen mich an, wie ein heulender Waſſerſturz fallen Graͤslich - keiten auf mich herab und zermalmen mich. Ich ſchlafe nicht und kann nicht wachen: wenn ich ſchlafe, aͤngſtigt mich meine boshafte Phantaſie, ich wache dann auf und kann nicht erwachen,333[331] ſondern ſetze meine Traͤume fort. Heulende Orkane jagen hinter mir her und betaͤuben mich mit ihrem Brauſen; ich fahre erbleichend zu - ſammen, wenn ich meine Hand aufhebe: wer iſt der Fremdling, frag ich erſchrocken, der mir den Arm zum Gruße entgegenſtreckt? Ich greife aͤngſtlich darnach und ergreife ſchaudernd meine eigne, leichenkalte Hand, wie ein fremd - artiges Stuͤck, das mir nicht zugehoͤrt. Phan - tome jagen ſich mir voruͤber, die alle mein Blut in Eis verwandeln. Fuͤrchterliche Geſichter draͤngen ſich aus der Mauer, und wenn ich hin - ter mich ſehe, ſtreckt ſich mir ein ſchneebleiches Antlitz entgegen und begruͤßt mich mit wehmuͤ - thig entſetzlichem Laͤcheln. Komm William und rette mich, je nun, ſo komm, komm doch! hoͤrſt Du nicht das aͤngſtliche Geſchrei Deines armen Freundes? Du lachſt? O wehe Dir und mir, wenn du mich verſpotteſt; dann ſchicke ich Dir einſt alle Geſpenſter zu, daß ſie Dir auch den Schlaf und die Ruhe wegquaͤlen. Vergieb mir, aber komm.

Eine blinde Wuth koͤnnte mich ergreifen, wenn ich das armſeelige Geſchwaͤtz der Aerzte von Fieberhitze und Paroxismus hoͤre. Die334[332] Narren! weil ihre Sinnen erblindet und betaͤubt ſind, ſo halten ſie den fuͤr thoͤricht, der mehr ſieht, als ſie. O ich hoͤre recht gut das leiſe ſchauerliche Rauſchen von den Fluͤgeln meines Schutzgeiſtes, ich ſehe recht gut die Hand, die mich ernſt hinuͤberwinkt. Lebe wohl, Wil - liam, ich folge und werde nie zu Dir zuruͤck - kehren.

335[333]

30. William Lovell an ſeinen Freund Eduard Burton.

Du klagſt daruͤber, daß ich Dir und meinem Vater in ſo langer Zeit nicht geſchrieben habe? Du ſiehſt, daß ich in dieſem Briefe meinen Fehler wieder gut zu machen ſuche; beſorge die Einlage an meinen Vater.

O ja, theurer Freund, ich fuͤrchte ſelbſt es iſt ſchon lange, daß ich Dir nicht geſchrieben habe. Alles hier hat mich verwickelt und ver - ſtrickt, eine Geſellſchaft, eine Zerſtreuung hat mich der andern aus dem Arme genommen; ich bin in ein Labyrinth hineingerathen, in welchem ich nur an Deiner Hand, durch Deine Huͤlfe, lieber Eduard, wieder an’s Tageslicht finden kann. O mir iſt, als ſaͤß ich in eiſernen Banden und traͤumte vergebens von Befreiung, alles umher, was ich anſehe, wird mir zu einem Ge - heimniſſe, ganz Italien kommt mir wie ein Kerker vor, in welchem mich ein boͤſer Daͤmon336[334] gefangen haͤlt: darum will ich zu Dir, zu Dir und Amalien zuruͤck.

Amalie! o daß ich dieſen ſuͤßen Namen wie - der nennen kann! Wie geht es ihr? Denkt ſie noch an mich? Erinnerſt Du Dich noch ſo oft, wie ſonſt, Deines Freundes William? O ich muß hier auf einen Augenblick die Feder niederlegen; meine Seele iſt zu voll, meine Hand zittert.

Ich fange wieder an zu ſchreiben, nur muß Dir bis hieher dieſer Brief wie ein Raͤthſel vorkommen. Ach Eduard, Deiner Freundſchaft muß ich ſchon wieder das Bekenntniß meiner Schwaͤche ablegen, verzeihe mir wieder, denn nach jeder Probe komme ich mit erneuerter Liebe zu Dir zuruͤck.

Seit Mortimer’s Abreiſe ward Roſa mein vertrauter Freund, dieſe Freundſchaft wuchs mit jedem Tage. Unſre Seelen wurden immer inniger an einander geſeſſelt, hundert neue Gedanken und Vorſtellungen gingen aus ihm in meinen Geiſt uͤber; in kurzer Zeit war ich ſein Schuͤler, der Schuͤler einer egoiſtiſchen, ſinnlichen Philoſophie, deren Knoten ich freilich noch immer nicht aufzuloͤſen vermag, die aberdoch337[335]doch meinem Herzen immer fremd bleiben wird. Aber die Freundſchaft fuͤr Roſa that mehr, als mein innres Gefuͤhl; alles ſchien mir ſo wahr und heilig; in allem was er ſagte und that, ein ſo großer Sinn verborgen! Er war izt mei - ne liebſte und haͤufigſte Geſellſchaft, allenthal - ben wo ich war, traf ich auch ihn, und allent - halben wuͤnſchte ich ihn zu treffen.

Balder iſt indeß in Neapel krank gewor - den; ſeine Melancholie, die durch ein Fieber verſtaͤrkt worden iſt, artet zuweilen in voͤllige Verruͤckung aus. In dringenden Briefen hat er mich, ihn zu beſuchen; ich reiſte endlich ab.

Ich fand ihn entſtellt, bleich, mit tiefeinge - ſunknen Augen, einem irren Blicke und allen Spuren einer gefaͤhrlichen Seelenkrankheit. Als ich in ſein Zimmer trat, war ſein Geiſt abwe - ſend und er erkannte mich nicht, er kaͤmpfte mit Phantomen ſeiner Einbildungskraft, die ihn aͤngſtigten, er ſah Geſpenſter um ſein Bette ſtehn, ſeine ſcheuen Augen funkelten auf eine entſetzliche Art, er ſprach einen zuſammenhaͤn - genden Unſinn, deſſen ſeltſame und fuͤrchterliche Bilder mich oft erſchreckten. Eduard, er be - ſchrieb in ſeiner Phantaſie einen Alten, der vorLovell, I. Bd. Y338[336]ſeinem Bette ſtehe, und v denke Dir mein Entſetzen! ſeine Beſchreibung paßte Zug fuͤr Zug auf den fuͤrchterlichen Greis, von dem ich Dir neulich erzaͤhlt habe, der einem Portrait meines Vaters ſo aͤhnlich iſt. Ich ſah mich aͤngſtlich im Zimmer um, es war Niemand wei - ter da, aber er muß ihn kennen, Eduard, o wer weiß, wie wunderbar ſich die Faͤden meines Schickſals in einander fuͤgen!

Laͤchle nicht uͤber mich, Eduard; noch ehe Du dieſen Brief zu Ende geleſen haſt, wirſt Du einſehn, daß Du keine Urſache dazu haſt. Du wirſt mir Recht geben und das Grauen des Freundes mit empfinden.

Balder erregte mein tiefes Mitleid; ich betrachtete ihn, wie einen, der ohne es zu wiſ - ſen, mit meinen innerſten Gedanken zuſammen - hinge; ich konnte in der Nacht nicht ſchlafen, ſeine Beſchreibung hatte das Bild jenes ſeltſa - men ſchrecklichen Greiſes wieder gar zu lebhaft in meiner Phantaſie erweckt.

Ich fuͤhlte, daß Balders Krankheit fuͤr mich anſteckend ſeyn koͤnnte; ich reiſte alſo ſchon ge - ſtern nach Rom zuruͤck. Es war gegen Abend als ich in die Naͤhe der Stadt kam, die Son -339[337] ne ging ſehr ſchoͤn unter und ich ließ den Wa - gen fahren, um durch einen Umweg nach dem Thore zu kommen. Ich gehe ſeitwaͤrts und ent - ferne mich immer mehr von der großen Straße; ploͤtzlich ſeh ich in einiger Entfernung von mir zwey Geſtalten in einem tiefen Geſpraͤche vor - uͤbergehn, o Eduard! und ich wuͤnſchte, der Boden moͤchte unter mir brechen, es war Roſa, Roſa am Arme jenes fuͤrchterlichen Un - geheuers! jenes entſetzlichen Geſpenſtes, das hohl und leiſe hinter mir geht und ſich der Faͤden bemeiſtert hat, an denen es mein Schickſal lenkt. Es iſt kein Menſch, Eduard, denn ſo hat noch nie ein Menſch ausgeſehn, und Roſa, Roſa der Vertraute meines Herzens, dem ich meine Seele aufzubewahren gegeben hatte, an ſeinem Arme! Im vertrauten freund - lichen Geſpraͤche mit ihm! Meine Liebe und mein Abſcheu gehn mir Arm in Arm voruͤber und die Zukunft oͤffnet ſich mir, wie mit einem gewal - tigen Riſſe und ich ſehe tief, tief hinunter nichts als Ungluͤck und Graͤßlichkeiten.

O Eduard! wer koͤnnte dabei kalt und ge - laſſen bleiben? Von dieſem Augenblicke iſt mir Roſa ein fremdes Weſen geworden, Rom iſtY 2340[338]mir ſeitdem verhaßt, der Himmel uͤber Italien truͤbe und verderbenſchwanger; wie ein verirrtes Kind ſehn ich mich nach meiner Heimath zuruͤck.

Ja, Eduard, nun will ich, nun muß ich nach meinem lieben Englande zuruͤckkehren! Ich muß mich von den Feſſeln losmachen, die man mir anlegte, indeß ich ſchlief. O wie ſchmachte ich nach der Freude des Wiederſehens an Dei - ner Bruſt! Eine wehmuͤthige Wonne macht meine Hand erzittern, wenn ich an Amalien und ihre Liebe denke. Mit einem friſchen Glan - ze uͤbergoſſen koͤmmt mir mein kuͤnftiges Leben entgegen, ich athme froh und frey und mein Herz fuͤhlt ſich leicht bei dieſer Ausſicht. Schicke die Einlage an meinen Vater und ſchrei - be ihm ſelbſt einige Worte, denn er hat viel Vertrauen zu Dir; er muß mir ſeine Einwilli - gung zu meinem Gluͤcke geben, er muß Ama - liens Hand in die meinige legen, ach und er thut es gewiß. Bange ſeh ich der Antwort entgegen, furchtſam ſchleicht bis dahin die Zeit: oͤde und finſter, verworren und laͤſtig iſt mir die Gegenwart. Wenn aber jener Sonnenſtrahl, auf den ich hoffe, durch die Verwuͤſtung bricht, wenn ich nun das Siegel von dem erwuͤnſch -341[339] ten Briefe loͤſe, wenn ich keinen Freund hier habe, dem ich mein Entzuͤcken mittheilen kann, o ſo will ich weinend auf die Knie fallen, und jenem unbekannten fernen Freunde meine kindiſche Freude, meine Wonnethraͤnen zum Opfer bringen, daß er es verſtattet, daß ich wie - der zu meinen fruͤhern frommen Empfindungen zuruͤckwandeln darf. Beneide mich, Freund, um dieſen gluͤckſeeligen Augenblick meines Le - bens!

Und wenn er nicht koͤmmt! Wenn kalte Worte meine Verzweiflung und mein Entzuͤcken gleich ſtark zu Boden ſchlagen. Kalte Thraͤ - nen treten mir bei dem Gedanken in die Au - gen. Ach, Freund, es mag immerhin etwas Kindiſches ſeyn, manche abentheuerliche Ge - ſpenſtergeſchichten, die man mir in meiner Ju - gend erzaͤhlte, fallen mir izt taͤglich ein und ich finde immer Anwendungen darinn auf mich. Kennſt Du das Maͤhrchen, in welchem ein Kna - be unaufhoͤrlich von einem graͤßlichen Unholde verfolgt wird? ihm immer entflieht und von neuem in die Arme laͤuft? Ein anders, wo ein Menſch an das unſichtbare Joch eines unbe - kannten, furchtbaren Schickſals geſpannt iſt; er342[340] geht mit unverwandtem Schritte und in ge - bahntem Wege ſeinem Verderben entgegen. O der Glaube an Vorbedeutungen, an Winke des Schickſals iſt wahrlich nicht unnatuͤrlich.

Du haſt kein Gefuͤhl dafuͤr, wie ſeltſam mir alles vorkoͤmmt; ſeit geſtern betrachte ich jeden Gegenſtand mit ſtarren Augen, als wenn ich al - lenthalben ein Wunder erwartete: mir iſt izt nichts unwahrſcheinlich. Ich bin eingeſchloſſen, um nicht von Roſa uͤberraſcht zu werden, ich koͤnnte bei ſeinem Eintritte, wie beim Anblicke eines Baſilisken erſchrecken.

Ich denke jezt daran, wie Ferdinand, Ro - ſa’s Bedienter, ſeit einiger Zeit ein ſo geheim - nißreiches Weſen hat, daß ich ſchon oft uͤber ihn nachgedacht habe. Er draͤngt ſich bei allen Gelegenheiten an mich, es ſcheint, als wollte er mir etwas eroͤffnen, wobei er doch ſeinen Herrn fuͤrchte. Wohin ich ſehe, reckt ſich mir aus der Dunkelheit etwas entgegen: ich ſtehe vor einem Raͤthſel, deſſen Sinn ſich mir gewiß mit Schrecken aufthun wird.

Es klopft jemand Es iſt gewiß Roſa. Ich kann nicht aufmachen, ich denke recht leb - haft an Dich, um des Grauens los zu werden,343[341] das ſich zu mir hinanſchleicht. O Freund, er ging an ſeinem Arme!

Er iſt fortgegangen und ich bin wieder frei. O wenn ich doch erſt wieder die Kuͤ - ſte meines Vaterlandes begruͤßte! Ich hoffe bald; lebe wohl!

344[342]

31. William Lovell an ſeinen Vater.Einlage des vorigen Briefes.

Das lange Stillſchweigen des Sohnes hat dem zaͤrtlichſten Vater Kummer gemacht? das muͤſſe nicht oͤfter kommen; ihr Sohn muß nicht neuen Gram zu jenen Sorgen hinzufuͤgen, von denen Sie gedruͤckt werden. Sie haben gefuͤrchtet, ich haͤtte irgend ein Ungluͤck erlitten? O lieber Vater, laſſen Sie ſich von dieſem Briefe beruhigen und beruhigen Sie dafuͤr Ih - ren Sohn, der Ihnen eine Bitte vorzutragen hat, an deren Erfuͤllung das Gluͤck ſeines Le - bens haͤngt.

Der Gedanke, daß mein Wohl Sie unaufhoͤr - lich bekuͤmmert, macht mich heute zu einem Ge - ſtaͤndniſſe dreiſt genug, das ich bis izt nie ge - wagt habe: aber ihr zaͤrtlicher Brief hat mein Herz ganz eroͤffnet; auch keinen Wunſch, nicht einen Gedanken will ich vor Ihnen verborgen halten.

Ich wuͤnſche nach England zuruͤckzukommen345[343] und Sie wieder in meine Arme zu ſchließen: ich wuͤnſche meine Reiſe geendigt, von Ihren theuren Lippen wuͤnſche ich die Einwilligung zu meinem Gluͤcke zu holen.

Ich liebe, mein Vater! O wenn ich es doch vermoͤchte, Ihnen alles das zu ſagen, was ich Ihnen ſagen muͤßte, um Sie von meiner Liebe zu uͤberzeugen! Laſſen Sie Ihr Herz fuͤr mich ſprechen und erſparen Sie mir Worte, die doch nur Dunſt und Nebel gegen das Feuer ſind, das rein und hell in meiner Seele brennt. Amalie Wilmont heißt meine Geliebte, izt beruht mein Gluͤck auf dem Ausſpruche Ih - res Mundes. O laſſen Sie ihn gluͤcklich werden!

Mein Genius aͤngſtigt mich fort aus Ita - lien, er treibt mich nach meiner Heimath zu - ruͤck; o um aller vaͤterlichen Liebe willen, neh - men Sie mich guͤtig auf! Ich weiß alles, was Sie gegen dieſe Verbindung ſagen koͤnnten, ich habe alles lange und reiflich uͤberlegt. Sie wuͤnſchen und ſuchen vielleicht mein Gluͤck auf einem andern, auf einem glaͤnzenderen Wege; aber kehren Sie zuruͤck, wenn Sie Ihren einzi - gen Sohn lieben.

346[344]

O Gott, mein Vater, welch ein armſeeliges, duͤrftiges Gewebe iſt unſer Leben! Grob und unge - ſchickt ſind alle Farben aufgetragen: alle Freuden ſind nur Langeweile, die etwas weniger druͤckt, wenn wir alle Freuden in gewiſſen Stunden betrachten; alles verrinnt und verfliegt; wie Bettler ſtehn wir am Ende unſrer Wanderſchaft, die unterwegs ſchon alle die duͤrftigen Almoſen verzehrt haben, die ſie geſammelt hatten, ſie ſind eben ſo arm, als da ſie ihren Weg antra - ten. Ach nur ein Gluͤck geleitet uns uͤber den duͤrren Pfad und beſtreut ihn mit Blumen; alle Erſcheinungen, die uns entgegenkommen, gruͤßen uns und gehn fluͤchtig voruͤber; nur die Liebe allein ergreift herzlich unſre Hand und begleitet uns treulich durch das Leben. Um dieſer Liebe willen, um der Liebe willen, mit der Sie einſt meine Mutter liebten, geben Sie Ihre vaͤterliche Einwilligung in mein Gluͤck. Glauben Sie nicht, daß es eine voruͤbergehende Thorheit iſt, die mich zu dieſer Bitte bewegt; an Amaliens Seele iſt die Kette meines Lebens und meiner Tugend befeſtigt, das fuͤhle ich un - widerſprechlich im Innerſten meines Herzens; wenn Sie uns auseinanderreißen, ſo zerſchneiden347[345] Sie mein Gluͤck, mein Leben, meine Tugend. Nur in dieſem Kreiſe ſind alle meine Wuͤnſche und Gluͤckſeeligkeiten gelagert, o mein Vater, erwaͤrmen Sie Ihr vaͤterliches Herz ſo, daß es die Vortheile der Welt und ihre Gluͤcksguͤter vergißt〈…〉〈…〉 ich beſchwoͤre Sie, ſchlagen Sie mir meine Bitte nicht ab. Koͤnnten Sie ſich in meinen Geiſt verſetzen, wahrlich, Sie wuͤrden mit zitternder Hand eilen, den Brief zu ſchrei - ben, der mich meiner Seeligkeit verſichert; Sie wuͤrden keinen Augenblick anſtehn und ſich be - denken denn raſch rennen die Stunden voruͤber, die Bluͤthen der Freude verwelken ſchnell. O nein, mein Vater, ich fuͤrchte Ihre Antwort nicht, ich habe keine Urſache, ſie zu fuͤrchten. Sie ſind bekuͤmmert und haben ſchlafloſe Naͤch - te, weil ſie mich krank glauben, o Sie werden nicht mit Einem harten Federzuge mein Ungluͤck entſcheiden. Leben Sie wohl und gluͤcklich! Ich wuͤnſche dieſem Briefe Fluͤgel und dem Ih - rigen die Schnelligkeit des Windes.

348[346]

32. Walter Lovell an ſeinen Sohn William.

Ich habe Deinen Brief, William, zugleich mit einem andern Deines Freundes Burton erhal - ten. Ich bin froh daruͤber, daß ich ohne Ur - ſache bekuͤmmert geweſen bin; doch, was ſag ich ohne Urſach? Soll der Leichtſinn eines Sohnes dem Vater nicht eben ſo viel Gram machen, als es eine Krankheit thun wuͤrde? Und Leichtſinn, William, war es denn doch wohl, was Dich ſo lange vom Schreiben zu - ruͤckhielt, und Leichtſinn, jugendlicher Leichtſinn, was Dich Deinen letzten Brief ſchreiben hieß. Ich kann mir denken, daß Du izt den Erſtaun - ten ſpielſt, daß Du Dich in Deiner Leiden - ſchaft ſo weit vergiſſeſt, Deinen Vater, deſſen zaͤrtliche Liebe gegen Dich ohne Graͤnzen iſt, herabzuſetzen und ſeine Liebe Eigennutz zu ſchim - pfen: aber ich vergebe Dir im Voraus, William, eben weil ich Dich liebe. Aber meine Liebe macht mich nicht blind fuͤr Dein wahres Gluͤck,349[347] darum ſchreib ich mit vaͤterlichem wohlwollen - dem Herzen eine abſchlaͤgige Antwort nieder.

Wenn Du Dir nur nicht anmaßen wollteſt, zu behaupten, daß Du alles reiflich erwogen haſt, was ich ohngefaͤhr gegen Deinen Antrag einzuwenden haben moͤchte. Daß ihr jungen Leute doch ſo gar leicht glaubt, die Ideen eines alten erfahrnen Mannes zu erſchoͤpfen: ihr ſeht nur mit einem Blicke der Phantaſie in die Ver - haͤltniſſe der Welt hinein, wenn ihr glaubt, mit dem Verſtande alles reiflich und von allen Sei - ten uͤberlegt zu haben. Du weißt nicht, was ich fuͤr dich thun will und zum Theil ſchon ge - than habe; Du ſiehſt nicht die Umſtaͤnde, die ſich guͤnſtig vereinigen, um Dir die Bahn zum Gluͤcke zu ebnen: was Dein Vater ſeit Jahren muͤhſam zuſammentraͤgt, darfſt Du nicht wie ein muthwilliger Knabe mit einem einzigen Steinwurfe vernichten. Nein, mein Sohn, ich kann Dir zu Deiner[vorgeſchlagenen] Ver - bindung nie meine Einwilligung geben. Glau - be nicht durch eine Menge von Briefen uͤber dieſen Gegenſtand meine Einwilligung zu erbit - ten, oder zu ertrotzen, ich duͤrfte hierinn mehr350[348] Standhaftigkeit beſitzen, als Du mir vielleicht zutrauſt.

Fuͤhre nicht meine Liebe zu Deiner Mutter an; ich liebte nicht thoͤricht, wie Du; unſre Familien waren ſich gleich, an Anſehn und Ver - moͤgen; moͤgen dieſe Hinderniſſe Zufall ſeyn, meinetwegen, aber der weiſe Mann geht dem undurchdringlichen Zufalle aus dem Wege, da im Gegentheile das Leben des Thoren nichts als ein raſtloſer ohnmaͤchtiger Kampf gegen Zufall und Nothwendigkeit iſt. Glaube mir, daß ich meine Liebe wuͤrde zu bekaͤmpfen gewußt haben, wenn ſich dieſe Schwierigkeiten unſrer Ver - bindung in den Weg geſtellt haͤtten. Darum folge dem Rathe und dem Beiſpiele Deines Vaters.

Es ſcheint mir uͤberhaupt, als duͤrfteſt Du etwas die Vergleichung mit mir, in Anſehung unſrer Liebe ſcheuen. Deine Mutter war die verehrungswuͤrdigſte Frau, ſanft und verſtaͤndig, gefuͤhlvoll ohne Empfindelei, ein Herz ſchlug in ihrer Bruſt, wie ſie nur ſelten auf dieſer Erde gefunden werden: und du wagſt es, mit ihr Amalie Wilmont zu vergleichen? Ein We - ſen, deſſen Gutmuͤthigkeit und Weichheit ſie351[349] vielleicht etwas aus den ganz gewoͤhnlichen Frauenzimmern herausheben. Und dann liebſt Du ſie auch nicht einmahl wirklich! Dieſe ſogenannte Liebe iſt eine leichte Nahrung Dei - ner Phantaſie, eine ſanfte Empfindſamkeit, die ſich Deines Herzens bemeiſtert hat und deren Urſprung Du nun in einer Liebe gegen dieſes Maͤdchen ſuchſt. Glaubſt Du denn wirklich, daß Du mit einem Herzen voll Liebe haͤtteſt nach Italien reiſen koͤnnen? bis izt froh und unbefangen leben und die Luft da einziehn, wo ſie nicht athmet? Du ſiehſt wenigſtens, daß ich nicht die Kaͤlte von Dir verlange, die un - beſonnene Juͤnglinge gewoͤhnlich ihren Vaͤtern vorwerfen; um deſtomehr aber uͤberzeuge Dich auch, daß ich in dieſem Verhaͤltniſſe richtiger und weiter ſehe, als Du. Schon im erſten Monathe eurer Ehe wuͤrdet Ihr euch beide ge - taͤuſcht finden; man wuͤrde erſtaunen, daß die Waͤrme ſo ſchnell verflogen waͤre; es wuͤrde eine von den gewoͤhnlichen Ehen werden, deren trau - riges Gemaͤhlde ich nur zu oft ſehe, um zu wuͤnſchen, daß es durch meinen Sohn noch ein - mahl wiederholt wuͤrde.

Willſt Du nach England zuruͤckkommen, ſo352[350] wirſt Du mir viel Freude machen: ich ſtrecke Dir die Arme entgegen, meine Kraft nimmt mit jedem Tage ab, ich werde dem Grabe zu - gebeugt, laß mich in Deinen Armen ſterben! Viele neuen Freunde erwarten Dich ſehnſuchts - voll in London, du ſollſt die Lady B ken - nen lernen, ein Frauenzimmer, deren Vortreff - lichkeit allen Foderungen eines Mannes von Kopf und Herz entſpricht, in ihrer Geſellſchaft wirſt Du die Bedeutung des Wortes Liebe verſtehen lernen.

Ich traue Deinem guten, edlen Herzen zu, daß Du dieſes Briefes wegen nicht lange auf Deinen Vater zuͤrnen wirſt. Lebe wohl!

33.353[351]

33. William Lovell an Amalie Wilmont.

Es iſt entſchieden, und ich kann nun nichts weiter ſagen, als: leben Sie wohl! leben Sie ewig wohl! Im Vertrauen zu der Liebe mei - nes Vaters hab ich um ſeine Einwilligung ge - beten, aber, o ich moͤchte ſeiner ſcharf - ſinnigen, uͤberweiſen Antwort lachen, aber, o nicht wahr, Sie rathen es gewiß ſchon, was er geantwortet hat? O Amalie, ich will nicht mehr von meiner Liebe, meinen Hofnungen mit Ihnen ſprechen, alle dieſe Traͤume ſind nun ausgetraͤumt und erwacht ſtehn wir nun da, und laͤcheln uͤber die verflogenen, bunten Gemaͤhlde. Vergeſſen Sie mich, denn ich ſelbſt arbeite ſchon daran, mich zu vergeſſen. Ich bin ausge - rottet aus der Reihe der Gluͤcklichen, aus dem Paradieſe mit dem Worte der Willkuͤhr hin - ausgeſtoßen, und nun will ich auch das Maaß meines Elendes bis oben an fuͤllen! Wenn wir dem Verhaͤngniſſe zum grauſamen Spiele dienen, nun ſo wollen wir dem ZuchtmeiſterLovell, I. Bd. Z354[352]der uns in das eherne Joch ſpannt, wenigſtens ein veraͤchtliches Laͤcheln entgegengrinſen. Le - ben Sie wohl!

Warum machen wir denn auch die laͤcherliche Forderung, gluͤcklich zu ſeyn? Wunderbar! Gaͤhnend durchs Leben hinzuſchlendern, mit ei - ner Gefaͤhrtinn, deren Vater genau ſoviele Gold - ſtuͤcke aufweiſen kann, als der meinige, ſo recht gleich und gleich geſellt, dem Tode entgegenzu - kriechen, dies iſt unſre große, ehrenvolle Be - ſtimmung! Sie denken, ich bin erhitzt und bitter. O ich bin ſo kalt, daß ich meinem Va - ter eine Abhandlung ſchreiben koͤnnte, um zu be - weiſen, wie ſehr er Recht hat. O Amalie! Soll ich denn ganz ihren Nahmen aus meinem armen, blutenden Herzen reiſſen? Soll ich auch die Wurzel meiner Seeligkeit ausrotten, damit mich nie der gruͤne Schimmer einer jun - gen Pflanze wieder erquickt? Ich kann es nicht und will es nicht.

Ueber die weite Entfernung hinuͤber reiche ich Ihnen meine zitternde Hand zum ewigen, ſchrecklichen Abſchiede. Mein Vater mag es mir verzeihen, o ſeine Furcht iſt unnuͤtz, daß ich ihn mit bettelnden Briefen belagern werde, kein355[353] Wort mehr ſoll er daruͤber hoͤren, wie ein Die - ner ſeinem Herrn will ich ihm ſchreiben: ich ſchwoͤre, daß er dann meine Briefe vernuͤnf - tig findet.

Raſen moͤcht ich dann wieder, wenn ich mir Ihr Bild recht lebhaft in die Seele zuruͤckru - fe! Nun gut, gut, er mag es haben! Schon ſeh ich die wilden Pferde die Zuͤgel zerreiſſen, raſſelnd ſpringen ſie mit dem Wagen den ſchrof - fen Felſenweg hinunter, an den Klippen zer - ſchmettert liegt das Fuhrwerk da, und er ſteht und beweint den Verluſt. Er hat es befoh - len, es ſey!

Lebe wohl, theure Seele, unſre Wege neh - men von izt eine verſchiedene Richtung: der meinige in das wildverwachſene Dickicht des Waldes hinein, wo der Wind aus unterirrdi - ſchen Kluͤften pfeift, und der Deine? Ich wuͤnſche Dir Gluͤck, mag er fuͤhren wohin er will!

Z 2356[354]

34. Amalie Wilmont an ihre Freundinn Emilie Burton.

Mein Schickſal iſt entſchieden! William hat dem Vater ſeine Liebe entdeckt, und ach, Emilie, Thraͤnen ſind auf dieſe Stelle hinabge - fallen, die deutlich genug ſprechen. Ein kal - ter Schauder uͤberfaͤllt mich, wenn ich daran denke, daß es nun entſchieden iſt; ent - ſchieden was ich immer fuͤrchtete, aber das Endurtheil immer noch weit, weit, von einem Monathe zum andern hinausſchob. Nun iſt endlich ſo ploͤtzlich die Stunde hereingebrochen, die unbarmherzig alles zu Boden ſchlaͤgt und auch keiner einzigen Hofnung Raum zum Wach - ſen uͤbrig laͤßt. Ach Emilie, Freundinn! Keinen Troſt, denn ich verſtehe ihn nicht, da Sie nicht meinen Schmerz verſtehn, ſchenken Sie mir eine Thraͤne und mehr will ich nicht. Sehn Sie, daß Sie Unrecht thaten, mir zuweilen meine ſchwarzen Ahndungen abzulaͤug - nen! O meine Liebe ſah uͤber die Zukunft hin -357[355] weg und zitterte ſchon im Voraus vor dem fuͤrchterlichen Schlage. Mortimer will mich troͤſten, ich ſehe ſein gutes Herz und ſeinen guten Willen, aber ich muß doch weinen, wenn es mir einfaͤllt, daß nun alles entſchieden iſt. Ich habe die ganze Nacht geweint; aber was iſt denn da mehr? Fordre ich denn Ihr Mitleid fuͤr meine Thraͤnen? Ach mein wundes Herz, wie es langſam und krampfhaft em - porzuckt, wenn ich daran denke! Ach, was kann mir Mitleid helfen?

358[356]

35. William Lovell an Roſa.

Ich bin kaͤlter geworden, ſeit einiger Zeit? Wahrlich, lieber Freund, wenn es war, ſo war es nur um deſto gluͤhender zu Ihnen zuruͤckzu - kommen. Nein, Ihre Freundſchaft iſt mir noch immer eben ſo theuer, ja theurer als ehemals, laſſen Sie uns nicht den Bund zerreiſſen, den wir geſchloſſen hatten.

Hoch triumphirend ſteh ich oben, uͤber dem Leben und ſeinen Freuden und Leiden erhaben, ich ſehe mit ſtolzer Verachtung in das Gewuͤhl der Welt hinab. Wer ſind jene armſeeligen Geſchoͤpfe die ſo ſchwer und keichend an den Buͤrden der Pflichten und der Tugenden tra - gen? Meine Bruͤder? Nimmermehr! Die Willkuͤhr ſtempelt den freyen Menſchen; von allen Banden losgelaſſen rauſch ich wie ein Sturmwind dahin, Waͤlder niederreiſſend und mit lautem und wildem Geheul uͤber die ſteilen Gebirge hinfahrend. Mag’s hinter mir ſtuͤrzen und vor mir wanken, was ſind mir359[357] die Ruinen die mich in meinem Laufe aufhal - ten ſollten?

Fliege mit mir, Ikarus, durch die Wolken, bruͤderlich wollen wir in die Zerſtoͤrung jauch - zen, wenn unſer Verlangen nach Genuß nur er - ſaͤttigt wird! Wir ſind unſre Geſetzgeber und unſre Unterthanen: im jugendlichen Rauſche wol - len wir der Abendroͤthe entgegentaumeln und in ihrem Schimmer unterſinken.

360[358]

36. Roſa an Andrea Coſimo.

Er iſt unſer, Andrea! Er iſt unſer! Die Leidenſchaft hat auch hier wieder in Einer Stun - de mehr gewirkt, als es die gruͤbelnde Vernunft in einem Jahre gekonnt hat. Unwiderſtehlich iſt er unſer!

361[359]

37. William Lovell an Roſa.

Warum kommen Sie nicht nach Rom zuruͤck? Ich fuͤhle mich einſam ohne Ihre Geſell - ſchaft. Laſſen Sie uns doch zuſammen den Anfang zu dem ſchoͤnen Leben machen, deſſen Plan wir entworfen hatten.

Kaum kenn ich mich noch, ſo ſehr fuͤhl ich mich ſeit einiger Zeit veraͤndert. Sonſt ſtand ich vor der Welt und ihren Genuͤſſen mit ahn - dendem Herzen wie vor einem verſchloſſenen Buche: izt ſchlage ich es auf mit verwegener Hand, um es muthig durchzublaͤttern und mei - ne Freuden auszuſuchen. Ich betrachte die Na - tur als meine Sklavinn, die mir und meinem Vergnuͤgen demuͤthig dient. Die Freude iſt mein Gott, die Beſtimmung meines Lebens, dieſe Gottheit aufzuſuchen: o und ſie iſt zu fin - den, wenn man aͤmſig ſucht.

Was iſt unſer Geiſt anders, als das letzte Glas im optiſchen Kaſten? Unſre Genuͤſſe ſol - len ſich dort am reinſten und hellſten ſpiegeln. 362[360] Ich verachte die Sklaven, die als Thoren ſich Geſetze erſinnen, die an ſich ſelbſt Unſinn ſind, und die dieſem Unſinne ihre Exiſtenz zum Opfer bringen.

Verlaſſen Sie Neapel, wo Balder in be - jammernswuͤrdigen Traͤumen liegt, und kommen Sie nach Rom, wo der wachende Lovell mit Sehnſucht Ihrer wartet.

38.363[361]

38. William Lovell an Eduard Burton.

Ich muß Dir ſchreiben, Eduard, und waͤr es auch nur der lieben Gewohnheit wegen. Sollte man doch faſt ſchwoͤren, das Leben waͤre bei den meiſten Menſchen nichts weiter, als eine Gewohnheit, ſo nuͤchtern unbefangen, ſo jaͤmmerlich und phlegmatiſch ſchleppen ſie ſich durch die ſpannenlange Zeit, die ihnen vom kargen Verhaͤngniſſe gegoͤnnt iſt.

Daß mein Vater mir meine Bitte abgeſchla - gen hat, wirſt Du wiſſen; eine Sache, die mir jezt ganz gleichguͤltig iſt. Es kommt mir manch - mal vor, als wuͤrde mir uͤberhaupt das ſehr gleichguͤltig werden, was man im gemeinen Le - ben Ungluͤck nennt. Da ich auf dieſer Seite nicht mein Gluͤck habe finden koͤnnen, muß ich es natuͤrlicherweiſe auf der andern ſuchen. Ich will von Stufe zu Stufe klettern, um die ober - ſte und ſchoͤnſte Spitze der Freude zu finden und hoch herab auf alle Truͤbſale und Demuͤ - thigungen blicken, womit die Sterblichen inLovell, I. Bd. A a364[362]dieſem Leben verfolgt werden. Stuͤrz ich ſchwindelnd von oben hinunter, was iſt es denn mehr?

Ich ſtehe izt an einem Scheidewege, der man - ches Gehirn zum Schwindeln bringen koͤnnte, aber ich bin faſt gleichguͤltig geblieben. Ich fange uͤberhaupt an, wie es mein Vater will, kalt und vernuͤnftig zu werden, ich hoffe es am Ende wohl noch dahin zu bringen, den En - thuſiasmus in meiner Bruſt auszuloͤſchen, den er und auch Du ſo oft an mir getadelt habt. Doch, ich wollte Dir einen ſonderbaren Vor - fall erzaͤhlen, der ſich ſeltſam genug an die uͤbri - gen reiht.

Vorgeſtern erhielt ich von einem Unbekann - ten folgendes Billet: Folgen Sie dem Ueberbringer, wenn Sie etwas erfahren wollen, was Ihnen außerordentlich wichtig ſeyn muß.

Ich ging mit dem Unbekannten, der mich vor’s Thor hinaus in einen entlegenen Garten fuͤhrte. Ich ging in’s Haus; alles war ſtill und einſam; ich oͤffne die Thuͤr eines Zimmers und ein Maͤdchen koͤmmt mir entgegen. Ich365[363] dachte ein luſtiges Abentheuer zu finden und erſchrak etwas, als ich in dem Maͤdchen den blonden Ferdinand, den Bedienten Ro - ſa’s erkannte.

Wir ſetzten uns, ich war betreten und in Verlegenheit.

Um Gotteswillen, fing ſie an ſehr aͤngſtlich zu ſprechen, ich kann es Ihnen nicht laͤnger ber - gen, es druͤckt mir ſonſt das Herz ab: ſeit dem erſten Tage, da ich Sie kennen lernte, ward ich unwillkuͤhrlich zu Ihnen hingezogen; ich weiß manches, was Sie nahe angeht huͤten Sie ſich vor Roſa!

Sie ſagte die letzten Worte mit einer ſon - derbaren Bedeutung; der fuͤrchterliche Alte ging meiner Seele wieder voruͤber, ein kalter Schauer ſchlich uͤber meinen Ruͤcken hinab. In demſelben Augenblicke trat Roſa herein, der eben von Neapel kam. Er war anfangs ver - legen, mich hier zu finden, und entdeckte mir endlich das Geheimniß, das er mir ſchon lange habe eroͤffnen wollen, daß nehmlich ſein Bedien - ter Ferdinand ein artiges Maͤdchen ſey, das er ſchon aus Paris mitgenommen habe.

Seitdem habe ich das Maͤdchen nicht wiederA a 2366[364]geſehn; die Scene hat meiner Vertraulichkeit gegen ihn Schaden gethan und er bemerkt es recht gut. Wir ſuchen oft beide zu einer Er - klaͤrung zu kommen und brechen beide wie - der ab.

Huͤten Sie ſich vor Roſa! Was hat man mit mir vor? Dieſe Frage wuͤrde Man - chen an meiner Stelle ſehr beſchaͤftigen. Je nun, es iſt ja das Spielwerk des Lebens, daß ſich die Menſchen betruͤgen, alles iſt maskirt, um die uͤbrige Welt zu hintergehn, wer ohne Maske erſcheint, wird ausgeziſcht: was iſt es denn nun mehr? Lebe wohl.

Ende des erſten Theils.

About this transcription

TextWilliam Lovell
Author Ludwig Tieck
Extent377 images; 51880 tokens; 8361 types; 350795 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationWilliam Lovell Erster Band Ludwig Tieck. . 366 S. NicolaiBerlinLeipzig1795.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yw 3891-1<a> Rhttp://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=450922480

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; china

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:35:17Z
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ShelfmarkSBB-PK, Yw 3891-1<a> R
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