PRIMS Full-text transcription (HTML)
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William Lovell.
Zweyter Band.
Berlin und Leipzig,beyCarl Auguſt Nicolai.1796.
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Geſchichte des Herrn William Lovell. Erſtes Buch.

A 2[4][5]

1. Willy an ſeinen Bruder Thomas.

Gottes Seegen moͤge zu Dir kommen, lieber Bruder, ſo wie er mich nun ganz verlaſſen hat. Wenn Du in Deinem Herzen noch an den ar - men Willy denkſt, ſo bete fuͤr mich, daß ich bald unſer gutes Engliſches Ufer wiederſehe, und Dich mitten drinn im ſchoͤnen gottesfuͤrch - tigen Lande, wo alle Menſchen meinen frommen, einfaͤltigen Glauben haben, und die ganze Chri - ſtenheit einen ſtillen, eintraͤchtigen Wandel fuͤhrt. Hier ſcheint zwar die Sonne ſchoͤner und waͤrmer, weil es Gottes gnaͤdiger Wille iſt, daß ſie auch uͤber die Gottloſen ſcheinen ſoll: aber nach meiner Einſicht thut er daran gar nicht ganz recht.

6

Du biſt noch immer beim alten Lord[Burton], nicht wahr Thomas? Der Garten in Bon - ſtreet iſt noch ſchoͤn und friſch, und der Fiſcher Peter ſpielt noch jeden Abend auf der Schall - mey? Ach mir iſt, als koͤnnt ich Dich jetzt ſo mit Deinen uͤbereinandergeſchlagenen krum - men Beinen vor dem Thor des Hofes ſitzen ſehn, wo ich ſonſt immer ehemals ſaß und den luſtigen Schallmeyklang anhoͤrte, der alle Bau - ren und ſelbſt das liebe Vieh froͤhlich machte, wenn es von der Weide zuruͤck kam: hier ſitz ich jetzt in meinem kleinen dunkeln Kaͤm - merchen, und weine, daß ich nicht bei Dir bin. Nun, Gott wird alles zum Beſten lenken.

Du wirſt mir abmerken, daß ich in der Fremde gar nicht mehr ſo vergnuͤgt bin, wie ehemals; Lachen hat ſeine Zeit und Weinen hat ſeine Zeit. Freilich wohl! Aber es iſt doch nicht Recht, daß man einen alten Mann ſo zur Betruͤbniß zwingt, der ſich wegen der Seelen anderer Menſchen abhaͤrmt, daß ihm kein Biſſen Brod und kein Tropfen Wein mehr ſchmeckt. Wir ſind hier jetzt ſo luſtig, Bruder, daß wir ſogar auf dem Rande von Felſen tanzen und ſpringen; ich ſah einmal einen Jungen, der7 aus purem liebem Muthwillen in einen tiefen Brunnen fiel und elendiglich erſaufen mußte. Ich kann nicht ſchwimmen, Thomas, ich bin zu alt, um jemand wieder aus dem Waſſer ans Tageslicht zu ziehn. Was Herr William denkt, kann ich nicht wiſſen, aber Gott mag ihm bei - ſtehn, wenn er ganz verlaſſen iſt.

Du wirſt aus meinen Jammerliedern nicht recht klug werden koͤnnen, lieber Bruder! Ach, wohl dem Manne, dem das Elend eine Walliſiſche Mundart ſpricht, und der nicht ſitzet, wo die Spoͤtter ſitzen, noch wandelt den Weg der Gottloſen, den ich jetzt alle Tage mit mei - nem Herrn gehn muß. Er iſt nicht mehr derſelbe, er iſt voͤllig ausgetauſcht, er bringt ſein Geld durch, als wenn er die Schatzkammer haͤtte; aber das Geld iſt doch am Ende immer nur ein irdiſches Gut, an dem Gott keinen Wohlgefal - len hat, aber ſeine Seele, Tom, ſeine Seele, die er von Gott geliehen bekommen hat, und die er ihm dereinſt wieder bezahlen ſollte, ver - ſchwendet er auch, als wenn Seelen nur ſo auf allen Jahrmaͤrkten zum Kaufe ſtaͤnden. Wenn er ſich nicht bald wieder aͤndert, wird es mit ſeiner Rechnung an dem großen Wechſeltage8 uͤbel ausſehen. Doch richtet nicht, ſo werdet ihr auch nicht gerichtet.

Ja, Bruder, unſre heilige Schrift iſt jetzt noch mein einziger Troſt in meinen truͤben Jammerſtunden; Du glaubſt gar nicht, was fuͤr Kraft in dem Buche ſteckt. Ich packte es ſo ſorgfaͤltig mit in meinen Koffer ein, und ich ſitze nun oft ganze Stunden und leſe ſo andaͤch - tig, als wenn ich bald vor Gott gefuͤhrt und ein Engel aus mir gemacht werden ſollte. Man kann nicht wiſſen, wie ſchnell ſich manchmal etwas fuͤgt; es iſt noch nicht aller Tage Abend, und ſollte ich den großen Schritt thun muͤſſen, ſo denke ich in meinem Examen nicht ganz ſchlecht zu beſtehen.

Sage mir einmahl, lieber Bruder, warum manche Menſchen ſo dumm, und bei allem ih - ren eingebildeten Verſtande vor Dummheit or - dentlich wie vor den Kopf geſchlagen ſind? daß ſie die große breite Heerſtraße des goͤttlichen Worts durchaus nicht ſehn wollen, die ihnen vor den Fuͤßen ſteht, und ſich lieber durch ei - nen dichten wildverwachſenen Wald einen Weg hauen, ſich immer in dem Geſtraͤuche reiſſen, und ſtehen und ſich weiß machen, ſie haben die9 ſchoͤnſte Chauſſee von der Welt vor ſich! Mein Herr und Herr Roſa bilden ſich immer ein, ich verſtehe ihre hohen freigeiſteriſchen Reden gar nicht, die ſie manchmal fuͤhren, wenn ich dabey bin. Ach, ich verſtehe alles recht gut, wie ſie es gerne moͤgen wollen; wenn man in ſeinem dummen einfaͤltigen Herzen den Gedanken an Gott, und den Glauben an ihn ſo recht warm und kraͤftiglich fuͤhlt, ſo faßt man auch recht gut den Sinn von all den irdiſchen Irrlehrern, die in der Finſterniß wandeln, und da aus den Haͤnden ihre Augen machen muͤſſen. Aber wir ſind beſſer dran, Thomas, die wir vom Herrn erleuchtet ſind, wir ſehn mit unſern ei - genen Augen, wir fuͤhlen mit unſerm eigenen Herzen, die Gott uns mit auf die Welt gab und ſeinen Stempel drein ſetzte: ſie haben nach - gemachte Herzen, die im Sturm und Ungewit - ter nicht ausdauern, die in der Hitze zergehen und in der Kaͤlte zuſammenſchrumpfen. Gott hat mir einen Glauben gegeben, der fuͤr alle Tage in der Woche aushaͤlt, und des Sonntags ſchenkt er mir zuweilen noch eine fromme chriſt - liche Erleuchtung, daß es mir wie ein Magnet durch meine Seele geht und ſie wieder jung und10 friſch macht: nicht ſolche Erſcheinungen, Tho - mas, die bei uns manche naͤrriſche Leute haben; ſo eine ſanfte, ſtille Waͤrme, wie das erſte Thau - wetter im Fruͤhjahr. Darum koͤnnt ich mich auch immer noch troͤſten, wenn das ganze Un - gluͤck nicht grade meinen Herrn betraͤfe, den ich ſo auſſerordentlich von ganzer Seele lieb habe, daß ich fuͤr ihn ſterben koͤnnte, wenn es ſeyn muͤßte; aber er macht ſich aus dieſer Liebe gar nichts mehr: ich wuͤrde gegen einen Hund, der aus meiner Hand lieber, als von einem andern ſein Stuͤckchen Brod aͤße, mehr Andaͤchtigkeit haben. Die Maͤdchen und Weiber hier mit ih - rem gezierten und hochfahrenden Weſen ſind ihm lieber, ſo ein Herr Roſa, der nicht an Gott und Ewigkeit glaubt, iſt ſein Herzensfreund, ſolche Leute, die ihren Verſtand fuͤr thurmgroß halten, wenn ſie den Himmel mit allen ſeinen Sternen nicht ſehen wollen, und ſich einbilden, ſie koͤnnten dies alles auch ſo und noch beſſer machen, wenn ſie nur Zeit und Handwerkszeug haͤtten. Gott mag ihnen vergeben und ein Ein - ſehn in ihre Narrheit haben; die Hunde bellen den Mond an, und wenn der Mond ſo denkt wie ich, ſo nimmt er es ihnen gewiß nicht uͤbel.

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Ein Traum, ſagt man freilich wohl, iſt nur ein Schaum; aber ein Schiffer hat mir doch ein - mal erzaͤhlt, daß es auf dem Meere einen ge - wiſſen kurioſen Schaum gebe, der ordentlich Sturm und Schiffbruch voraus prophezeihe! Koͤnnt es denn nicht auch mit manchen Traͤu - men dieſelbe Bewandniß haben? So hatt ich ſchon in Frankreich einen gar bedenklichen Traum, damals, als der gute Herr Mortimer von uns wieder nach England zuruͤckreiſte. Wir alle ſtanden nehmlich unten an einem hohen, ho - hen Berge, ich, mein Herr, Herr Mortimer, Herr Balder und der Italiaͤner Roſa; oben wollten ſie alle gerne hinauf, aber Herr Mor - timer wurde muͤde und ſetzte ſich unten in einer ſchoͤnen gruͤnen Stelle nieder. Mit einemmale war ich weg und ich konnte gar nicht klug dar - aus werden, wo ich geblieben waͤre; die drei uͤbrigen gingen den Berg hinauf, und Herr Balder hatte einen ſehr wunderlichen Gang; als ſie faſt oben waren, fiel Herr Balder herunter, und aus dem Italiaͤner ward ein ganz fremder, unbekannter Menſch. Jetzt ging nun ein ſchwar - zer, alter Pudel dicht hinter meinem Herrn, hielt immer den Kopf dicht uͤber der Erde, und12 ging ſo recht aufmerkſam und liebreich; Du kennſt wohl die naͤrriſche Art an den Pudeln, Thomas, wenn ſie ſo zutraulich und geſetzt hin - ter einem hergehen. Oben ſtand Herr William und ſah ſo recht dreiſt in den tiefen fuͤrchterli - chen Abgrund hinein, als wenn er da in den Steinklippen zu Hauſe gehoͤrte: ich kann es nicht leiden, Thomas, wenn ein Menſch ſo recht oben auf einer Felſenklippe nicht etwas ſchwind - licht wird, denn es liegt in der Natur und es iſt eine Art von Frechheit, ſich nicht da oben ein bischen zu fuͤrchten. Nein, wie geſagt, Herr William that das gar nicht, ſondern gra - de umgekehrt, er buͤckte ſich noch ſo recht muth - willig uͤber. Der Hund, der mein Gemuͤth haben mußte, faßte ihn beim Rockſchooß, um ihn feſt zu halten; Herr William ſah ſich ſo mit ſeinen großen Augen um, und gab dem redlichen Pudel, einen tuͤchtigen Stoß mit dem Fuße, daß der Hund ſich zuſammenkruͤmmte, umkehrte und mit einem recht klaͤglichen Gewinſel den Berg hinunter trabte, ſo langſam, als wenn er zur Leiche ginge. In der Mitte ſah ſich der Hund noch einmal um, und ſo, wie ich es voraus ge - dacht hatte, fiel der Herr William jetzt ploͤtzlich in das Felſenthal hinunter.

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Nun, Thomas, moͤgt ich wohl ein groß Stuͤck Geld darauf wetten, daß Niemand anders als Ich der Pudel geweſen iſt? Herr Mortimer wollte auf dieſen Traum damals gar nicht ach - ten; aber er iſt mir heute wieder recht lebhaft eingefallen.

Wie geſagt, ich wollte, ich koͤnnte nach Eng - land zuruͤckreiſen; gebe Gott, daß ſich bald dazu eine Gelegenheit findet, denn es gefaͤllt mir nun in den fremden Laͤndern hier gar nicht mehr. Vielleicht geht aber noch alles wieder gut: lebe recht wohl, lieber Bruder, und bleibe Du mein guter Freund, ich bin gewiß zeitlebens

der Deinige.

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2. William Lovell an ſeinen Freund Eduard Burton.

Dein Brief, lieber Freund, der mich troͤſten, der mir den Zuſammenhang der Dinge im wah - ren Geſichtspunkte zeigen ſollte, iſt zu ſpaͤt ge - kommen. Ich war vielleicht ſchon ruhig, als Du die Feder anſetzteſt, um mich zu beruhigen. Es iſt ſo etwas Jaͤmmerliches in allen Bekuͤm - merniſſen dieſer Sterblichkeit, daß der Gram ſchon von ſelbſt verſchwindet, wenn man ihn nur genauer ins Auge faßt. Sollt ich jammern und klagen, weil nicht jeder meiner uͤbereilten Wuͤn - ſche in Erfuͤllung geht? Da muͤßt ich mein ganzes Leben verklagen und ich waͤre ein Thor. Das Flehen der Sterblichen ſchlaͤgt gegen die tauben Gewoͤlbe des Himmels, weil alles ſich in einem nichtigen ſchwindelnden Zirkeltanz dreht, nach Genuͤſſen greift, die nur der Wiederſchein von wuͤrklichen Guͤtern ſind, und ſo jeder fuͤhlt, wie ihm ſein getraͤumtes Gluͤck aus den Haͤnden entſchwindet. Wer aber vorher weiß, welche15 Gerichte er an dieſer Tafel findet, der waͤhlt klug aus und koſtet von jedem, wenn die Nach - barn hungrig vom Tiſche gehn, indem ſie auf ei - ne Lieblingsſpeiſe warteten, die nicht aufgetra - gen wurde. Und iſt es nicht ſo leicht, den Kuͤchenzettel von dieſem Leben zu erhalten?

Du wirſt mir ſchon nach dieſem Tone mei - nes Briefes glauben, daß ich voͤllig getroͤſtet bin, ich glaube jetzt, oder bilde mir es ein, alle Par - thien dieſes Lebens uͤberblicken zu koͤnnen, daß mich keine Anlage dieſes ſeltſam geordneten Parks uͤberraſcht, daß ich es weiß, wenn ich durch krumme Labyrinthe auf meine Fußſtapfen zuruͤckgekehrt bin, und den Zaun recht gut be - merke, der ſich hinter Gebuͤſche verſtecken ſoll. Ich bin ſogar ſeitdem in eine muthwillige Lau - ne gefallen, in einen gewiſſen humoriſtiſchen Rauſch, in welchem mir die Freuden und Leiden dieſes Lebens weder wuͤnſchenswuͤrdig noch ver - abſcheuungswerth erſcheinen, es iſt alles um mich her ein breiter, muͤhſam erfundener Scherz, der, wenn man ihn zu genau beobachtet und anato - mirt, nuͤchtern erſcheint: aber wenn man ſich auf dieſer Maskerade dem Lachen und der gu - ten Laune gutwillig hingiebt, ſo verfliegt der16 Spleen, und wir fuͤhlen es, daß wir auch im Lachen weiſe ſeyn koͤnnen.

Iſt denn uͤberhaupt nicht alles auf dieſer Erde ein und eben daſſelbe? Wir druͤcken uns ſelbſt die Augen feſt zu, um nur nicht dieſe Wahrheit zu bemerken, weil dadurch die Schran - ken einfallen, die Menſchen von Menſchen tren - nen. Ich koͤnnte hier viel wieder erzaͤhlen, was ich vordem meinem guten Mortimer nicht glau - ben wollte, denn bloß durch dieſen Eigenſinn unterſcheiden ſich die Charaktere der Menſchen; wir wuͤrden alle einen Glauben haben, wenn wir uns nicht von Jugend auf ein Schema machten, in das wir uns nach und nach muͤh - ſam hineintragen, das Geruͤſt und Sparrwerk eines Syſtems, und daraus unſere eingebildete Wahrheit herausſchreien, und dem Nachbar ge - genuͤber nicht glauben wollen, der in einem an - dern Kaͤfig ſteckt und eine andre Lehre predigt. Frei ſtehe der kuͤhnere Menſch, ohne Stangen und Latten die ihn umgeben, in der hohen Na - tur da, aus Baumwipfeln und Morgenroth zie - he er ſeine Philoſophie, und ſchreite wie ein Rieſe uͤber die Zwerge hinweg, die wie Ameiſen zwiſchen ſeinen Fuͤßen kriechen und ſich mit klaͤg -licher17licher Emſigkeit mit Sandkoͤrnern ſchleppen, um den gewaltigen Bau aufzufuͤhren, den ein einzi - ger Fußtritt aus ſeinen Wurzeln hebt.

Was wollt ich nun mit mir ſelber, als ich jene Briefe an Dich und an meinen Vater ſchrieb, in welchem ich ſo flehentlich um Ama - lien bat? Bin ich denn in dieſem Namen, in dieſem Laut eingekerkert, daß meine Seele nach ihrem Beſitz und nach Freiheit ſchmachtet? Denn was iſt unſre ſogenannte Liebe anders, als dieſe nichtswuͤrdige Einbildung, daß wir ein Weſen, das erſte beſte zu unſrer Gottheit ſtem - peln, und alle Gebete und Gedanken nach ihm hinrichten? Kannte ich denn Amaliens See - le hinglaͤnglich in den paar Wochen, in welchen ich ſie ſah, um ihre Freundſchaft zu wuͤn - ſchen? Und wenn ich nun auch ihr Freund bin, wenn mein Verſtand auch ihre Vorzuͤge er - kannt, welcher Unſinn, daß ich mit kindiſchen Gefuͤhlen dieſe Achtung zu ſinnlicher Liebe aus - dehne? daß ich verlange, Amalie ſoll meine Frau werden?

Ich muß uͤber mich und meinen Zuſtand la - chen, wenn ich laͤnger fortfahre, mir ihn deutlich zu entwickeln. Daß wir Sinnlichkeit haben,Lovell. 2r Bd. B18iſt keineswegs veraͤchtlich und kann es nicht ſeyn, und doch ſtreben wir unaufhoͤrlich, ſie uns ſelber abzuleugnen und ſie mit unſerer Ver - nunft in eins zu ſchmelzen, um nur in jedem der voruͤberfliegenden Gefuͤhle uns ſelbſt achten zu koͤnnen. Denn freilich iſt nichts als Sinnlich - keit das erſte bewegende Rad in unſerer Ma - ſchine, ſie waͤlzt unſer Daſeyn von der Stelle, und macht es froh und lebendig; ein Hebel, der in uns hineinreicht, und mit kleinen Gewich - ten große Laſten zieht. Alles, was wir als Schoͤn und Edel traͤumen, greift hier hinein, Sinnlichkeit und Wolluſt ſind der Geiſt der Muſik, der Mahlerei und aller Kuͤnſte, alle Wuͤnſche der Menſchen fliegen um dieſen Pol, wie Muͤcken um das brennende Licht. Schoͤn - heitsſinn und Kunſtgefuͤhl ſind nur andere Dia - lekte und Ausſprachen, ſie bezeichnen nichts wei - ter, als den Trieb des Menſchen zur Wolluſt; an jeder reizenden Form, an jedem Bilde des Dichters weidet ſich das trunkene Auge, die Gemaͤhlde, vor denen der Entzuͤckte niederkniet, ſind nichts als Einleitungen zum Sinnengenuß, jeder Klang, jedes ſchoͤngeworfene Gewand winkt ihn dorthin; daher ſind Boccaz und Arioſt19 die groͤßten Dichter, und Titian und der muth - willige Correggio ſtehen weit uͤber Domi - nichino und den frommen Raphael.

Ich halte ſelbſt die Andacht nur fuͤr einen abgeleiteten Kanal des rohen Sinnentriebes, der ſich in tauſend mannichfaltigen Farben bricht, und auf jede Stunde unſers Lebens Einen Funken wirft. Da mir die Augen nun dar - uͤber geoͤfnet ſind, will ich mich geduldig in mein Schickſal ergeben, ich darf kein Engel ſeyn, aber ungeſtoͤrt will ich als Menſch da - hin wandeln, ich will mich huͤten, mir ſelbſt um mein Daſeyn aͤngſtigende Schranken zu ziehn. So iſt mir der Name Amalie fremd geworden; war meine hohe, taumelnde, hingegebene Liebe, etwas anders, als das rohe Streben nach ih - rem Beſitze? ein Gefuͤhl, das wir uns von Ju - gend auf verkuͤnſteln, und uns das ſimple Ge - maͤhlde unſers Lebens mit unſinnigen Arabesken verderben. Darum eben verachtet der Greis dieſe jugendlichen Aufwallungen und wilden Spruͤnge des Gefuͤhls, weil er zu gut erfahren hat, wohin ſich alle dieſe glaͤnzende Meteore am Ende ſenken; ſie fallen wieder wie Raketen zur Erde und verloͤſchen. Aber dieſe GreiſeB 220ſind zugleich fuͤr Kuͤnſte und Enthuſiasmus todt, weil die Bluͤthe der Sinnlichkeit fuͤr ſie abge - bluͤht iſt, die Seele iſt in ihnen ausgeloſchen, und ſie ſind nur noch die matte Abbildung eines Lebendigen.

Ich will dem Pfade folgen, der ſich vor mir ausſtreckt, die Freuden begegnen uns, ſo lange die Spitzen in unſern Sinnen noch ſcharf ſind. Das ganze Leben iſt ein taumelnder Tanz; ſchwenkt wild den Reigen herum, und laßt alle Inſtrumente noch lauter durcheinander klingen! Laßt das bunte Gewuͤhl nicht ermuͤden, damit[uns] nicht die Nuͤchternheit entgegen koͤmmt, die hinter den Freuden lauert, und ſo immer wilder und wilder im jauchzenden Schwunge, bis uns Sinne und Athem ſtocken, die Welt ſich vor unſern Augen in Millionen flimmernde Regen - bogen zerſpaltet, und wir wie verbannte Geiſter auf ſie von einem fernen Planeten herunterblik - ken. Eine hohe bachantiſche Wuth entzuͤnde den frechen Geiſt, daß er nie wieder in den Armſe - ligkeiten der gewoͤhnlichen Welt einheimiſch werde!

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3. William Lovell an Roſa.

Warum ſchwaͤrmen Sie ſchon wieder in Nea - pel herum und verlaſſen Ihren Freund? Ich mag nicht Ihr Begleiter ſeyn, weil ich Baldern fuͤrchte, ſein Anblick und ſeine Art des Wahn - ſinns ſchneiden durch mein Herz. Ich fuͤhle mich hier in manchen Stunden auſſerordentlich einſam, ich gehe aus, um Sie zu ſehen und ver - geſſe, daß Sie nicht in Rom ſind. Ich habe ſo eben einen Brief an meinen Freund Eduard geſiegelt und die Thraͤnen ſtehen mir noch heiß in den Augen; alles, was ich je empfand, kam ungeſtuͤm, wie ein Waldſtrom in meine Seele zuruͤck, ich unterdruͤckte dis Gefuͤhl, das immer heftiger in mir emporquoll und ſchrieb endlich in einer Angſt, die zur Wuth ward, ich trotzte mir ſelber und ergab mich einer blinden Sucht zu uͤbertreiben, mußte aber den Brief ploͤtzlich abbrechen, weil die Thraͤnen endlich ihrer Feſ - ſeln ledig wurden und ich laut ſchluchzend und klagend in meinen Seſſel ſank. Wie aus den22 Wolken ſchwindelte ich herunter, alles, was mich aufrecht erhielt, verließ mich treulos; der Menſch iſt ein elendes Geſchoͤpf!

Ja das Blendwerk der jugendlichen Phanta - ſie iſt jetzt von meinen Augen genommen, ich habe mich uͤber meine Empfindungen belehrt, und verachte mich jetzt eben da, wo ich mir einſt als ein Gott erſchien, aber ach, Roſa, ich wuͤnſche mir jetzt in manchen Stunden dis kin - diſche Blendwerk zuruͤck. Was iſt aller Genuß der Welt am Ende, und warum wollen wir die Taͤuſchung nicht beibehalten, die uns auf jedem Felſen einen Garten finden laͤßt?

Und iſt denn meine jetzige Meinung nicht vielleicht eben ſo wohl Taͤuſchung, als meine vorhergehende? Mir faͤllt es erſt jetzt ein, daß beide Anſichten der Welt und ihrer Schaͤz - ze einſeitig ſind und es ſeyn muͤſſen, alles liegt dunkel und raͤthſelhaft vor unſern Fuͤßen, wer ſteht mir dafuͤr ein, daß ich nicht einen weit groͤßeren Irrthum gegen einen kleineren eingetauſcht habe?

Als ich mich ſo meiner vorigen Exiſtenz er - innerte, als ich alle Scenen, die mich ſonſt ent - zuͤckten, meinen Augen voruͤbergehen ließ, als23 ich an die[Ausſichten] des Lebens dachte, wie ſie damals vor mir lagen, o Roſa, wie eine unter - gehende Sonne beſchien mich der blaſſe Strahl, ohne mich zu erwaͤrmen; es fiel eine ſeltſame, raͤthſelhafte Ahndung meine ſchwankende Seele an, ich kann Ihnen meinen Zuſtand unmoͤg - lich deutlich machen. Mir war’s, als kaͤme es wie eine goͤttliche Offenbarung auf mich her - ab, es gingen die verſchloſſenen Thuͤren in mei - nem Innerſten auf, und ich ſchaute in die ſelt - ſame verworrene Werkſtatt meiner Seele. Wie wuͤſt und ungeordnet lag alles umher, was ich ſo ſchoͤn und zierlich aufgepackt glaubte, in al - len Gedanken fand ich ungeheure Kluͤfte, die ich aus trunknem Leichtſinn vorher uͤberſehen hatte, das ganze Gebaͤude meiner Ideen fiel zuſammen, und ich erſchrak vor der leeren Ebene, die ſich durch mein Gehirn ausſtreckte. Nun ſtiegen al - le Erinnerungen noch ſchoͤner und goldener in mir auf, die Vergangenheit ſtand noch friſcher und lebendiger vor mir, und ich ſah nur, wie viel ich verloren hatte und konnte keinen Ge - winn entdecken.

Iſt in jeglichem Lebenslaufe nicht vielleicht eine ſchoͤne blumenreiche Stelle, aus der ſich ein Bach24 ergießt, und dem Wanderer durch ſein ganzes Daſeyn friſch und erquickend nachfolgt? Hier muß er dann anfangen ſein Gluͤck zu gruͤnden; Liebe, Freundſchaft und Wohlwollen wandeln in dieſer ſchoͤnen Gegend, und warten nur darauf, daß er ihre Hand ergreife, um ihn zu begleiten. Wenn nun der Menſch hindurchgeht und nicht auf den Geſang der Voͤgel horcht, die ihn an - rufen, daß er hier verweilen ſolle, wenn er wie ein nuͤchterner Traͤumer einen oͤden Pfad ſucht, und der Quelle voruͤbergeht, wenn ihm Liebe und Freundſchaft, alle zarten Empfindun - gen vergebens nachwinken, und er lieber nach dem Gekraͤchze des heiſern Raben hinhorcht, ach, ſo verliert er ſich endlich in Wuͤſten von Sand, in verdorrte Gegenden des Waldes; alles hinter ihm iſt zugefallen und er kann den Ruͤckweg nicht entdecken; er erwacht endlich und fuͤhlt die Einſamkeit um ſich her.

Lieber Roſa, was ſagen Sie zu dieſem Brie - fe und zu Ihrem Freunde? ſo weit hatte ich geſchrieben, als ich unwillig die Feder nieder - warf, und im rothen Abendſchein durch die Straßen ging. Bald floß mein Blut ſchneller durch meine Adern, als mir ſo manche von den25 bekannten Geſichtern begegneten, als ich unſre Donna Bianka an ihrem Fenſter ſah. Die Einſamkeit, die engen Waͤnde ſind es, die uns verdruͤßlich und melancholiſch machen; mit der freieren Luft athmet der Menſch eine freiere Seele ein, und fuͤhlt ſich wie der Adler, der ſich mit regerem Fluͤgelſchlag uͤber die finſtern Wolken hinaushebt. Ich komme jetzt eben von der ſchoͤnen Bianka zuruͤck, und mein Brief iſt mir unverſtaͤndlich. Ich bin oft dar - auf gefallen, daß man nur immer ſuchen ſollte, recht viele Menſchen und ihre Gemuͤthsart und Anſicht der Dinge kennen zu lernen, wir verlie - ren uns ſonſt gar zu leicht in klaͤgliche Traͤume - reien: aber jedes neue Geſicht und jedes fremde Wort eroͤfnet uns die Augen uͤber unſre Irrthuͤmer. Ich kann oft einem ein - faͤltigen Menſchen wie einem Orakel zuhoͤ - ren, weil er mich durch ſeine Reden in einen ganz neuen Geſichtspunkt ſtellt, weil ich mich ſo in ihn hineindenken kann, und dabei zugleich meine eigene Gemuͤthsſtimmung vergleiche, daß ich ſelbſt in ſeinem einfaͤltigſten Geſchwaͤtz einen tiefen gedankenreichen Sinn entdecke. Bei Wei - bern vorzuͤglich habe ich aus jedem geſproche -26 nen Worte, ſelbſt aus dem unbedeutendſten etwas gelernt.

Bianka laͤßt gruͤßen; ſie iſt ein liebenswuͤr - diges Geſchoͤpf. Wir ſprachen heute lange dar - uͤber, wie ich ſie zuerſt durch Sie haͤtte kennen lernen; ich finde ſie jetzt noch ſchoͤner als da - mals, ihr großes feuriges Auge hat einen Strahl in ſeiner Gewalt, der bis ins Innerſte des Her - zens dringt, ſie hat alle meine Sinne in Auf - ruhr geſetzt, und ich habe ſie verlaſſen, auf die ſchoͤnſte gluͤcklichſte Art beruhigt.

Ich werde von ihr und von Ihnen traͤumen; antworten Sie mir bald.

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4. Roſa an William Lovell.

Ihr Brief hat mich ſehr amuͤſirt, lieber Freund; er macht ſo ein wahres Gemaͤhlde des Menſchen aus, daß ich ihn oft geleſen habe. Vorzuͤg - lich luſtig iſt die Schwermuth, mit der er an - hebt; und der Uebergang aus dieſem Adagio in das geſetzte und feſte Andante iſt ſo uͤberra - ſchend und doch ſo natuͤrlich, daß mir alles ſo deutlich war, als haͤtte ich es ſelbſt geſchrieben. Ich denke, Sie werden noch oͤfter aͤhnliche Er - fahrungen an ſich machen, und die Klagen wer - den ſich, wenn Sie ſonſt wollen, eben ſo kalt und philoſophiſch ſchließen, wie dieſer Brief es thut. Es iſt leider eben ſo demuͤthigend als wahr, daß bei Ihrer Melancholie nicht die phi - loſophiſche, ſondern die mediciniſche Unterſu - chung die richtigere war. Bianka hat ſie von ei - ner Krankheit geheilt, die kein Weiſer, kein Dichter, kein Spaziergang, kein Gemaͤhlde, kei - ne Muſik heilen konnte.

Die klemmende unbekannte Sehnſucht, die ſo oft den Buſen des Juͤnglings und des auf -28 keimenden Maͤdchens zuſammenzieht, was iſt ſie anders, als das Vorgefuͤhl der Liebe? Und was iſt die Liebe mit allen ihren froͤhlichen Qualen und ihren peinigenden Freuden weiter, als das Draͤngen nach dem Genuſſe, dem Ziele, nach wel - chem jeder rennt, ohne es zu glauben? Meinen Sie nicht, daß wenn man den Petrarka in ſei - ne Mutterſprache uͤberſetzte, ſeine langweiligen Gedichte die luſtigſte Lektuͤr von der Welt ſeyn muͤßten?

Gruͤßen Sie Bianka von mir und weihen Sie ihr eine Ihrer feurigſten Oden, denn ſie hat es um Sie verdient. Dieſe Maͤdchen ver - dienen nicht nur mit dem Roſenkranze der Liebe, ſondern auch mit der eichenlaubigen Buͤrgerkro - ne geſchmuͤckt zu werden. Dante war gewiß eben ſo enthaltſam, als Sie, ſonſt haͤtte er ſein finſteres Gedicht nicht geſchrieben, an deſſen Exiſtenz wir nichts gewonnen haben: folgen Sie meinem Rathe, denn nur der Phlegmatiſche wird nicht bei einer aͤhnlichen Art zu leben duͤ - ſter und melancholiſch.

Ich ſehe die Gegenden um Neapel und die Maͤdchen der Stadt mehr, als den finſtern Bal - der, der wie eine Mumie in einer Katakombe29 in ſeinem Zimmer liegt, und ſelbſt das Licht der Sonne verachtet, weil es ihm ein Bild der Froͤhlichkeit iſt. Ich moͤchte, wenn ich ein Dichter waͤre, nichts als lachende Satyren ſchrei - ben, ohne Bitterkeit und ſchiefe Spitzen; wenn man die Menſchen genauer anſieht, ſo giebt es keinen, den man bemitleiden kann, ſie erſchuͤttern nur das Zwergfell und die Thraͤnen ſind bei den Menſchen nur eine andre Art zu lachen, eben ſo wolluͤſtig, ohne traurig zu machen. Beides Schwaͤche, aber liebenswuͤrdige Schwaͤche der Muskeln, ein Krampf, ohne den die Geſichter ganz ihre Mannichfaltigkeit verlieren wuͤrden. Ihr Shakſpear hat nie ſo etwas wahres ge - ſagt, als wenn er den Puck zum Oberon ſagen laͤßt: Lord, what fools these mortals be! Leſen Sie die Stelle und den ganzen Zuſam - menhang im[Mid] summer nights dream, ſie iſt der beſte Kommentar uͤber meine Meinung.

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5. Balder an William Lovell.

Ich will Worte ſchreiben, William, Worte, das, was die Menſchen ſagen und denken, Freund - ſchaft und Haß, Unſterblichkeit und Tod ſind auch nur Worte. Wir leben jeder einſam fuͤr ſich, und keiner vernimmt den an - dern, antwortet aber wieder Zeichen aus ſich heraus, die der Fragende eben ſo wenig ver - ſteht; aber ſo wie unſer ganzes Leben ein un - nuͤtzes Treiben und Draͤngen iſt, das elendeſte und veraͤchtlichſte Poſſenſpiel, ohne Sinn und Bedeutung, ſo will ich Dir in einer ſchwermuͤ - thig luſtigen Stimmung einen Brief ſchreiben, uͤber den Du lachen ſollſt.

Ich weiß ſelbſt nicht, warum ich ſchreibe, aber eben ſo wenig weiß ich, warum ich Athem ſchoͤpfe. Es iſt alles nur um die Zeit aus - zufuͤllen und etwas zu thun, die elende Sucht das Leben mit ſogenannten Geſchaͤften auszufuͤl - len, Laͤnder erobern, Menſchen bekehren, oder Seifenblaſen machen, eine Sucht, die bei31 der Geburt unſerer Seele eingeimpft iſt, denn ſonſt wuͤrde ſchon der Knabe die Augen zu - machen, ſich vom langweiligen Schauſpiel ent - fernen und ſterben; dieſe Wuth alſo etwas zu thun macht, daß ich Papier und Feder nehme und Gedanken ſchreiben will, das un - ſinnigſte, was der Menſch ſich vorſetzen kann.

Ich wette Du lachſt ſchon jetzt, ſo wie ich uͤber den Anfang meines Briefes gelacht habe, daß mich die Bruſt ſchmerzt. Du lieſeſt den ganzen Brief nehmlich nur aus Dir heraus und ich ſchreibe Dir im Grunde keinen Buchſtaben. Aber mags ſeyn. Bin ich doch auch wohl ehe - dem ein Thor geweſen, ganze Buͤcher mit Ver - gnuͤgen durchzuleſen, und mir einzubilden, daß ich den Geiſt des Verfaſſers dicht vor meinen Augen habe. Mein Bedienter iſt gutwillig ge - nug und ſo geſchaͤftig, mir Papier, Dinte, Fe - der und alles uͤbrige zu beſorgen, als wenn von dieſem meinem Schreiben das Heil ganzer Laͤn - der abhinge. Daß es noch Menſchen giebt, die das, was man Geſchaͤfte nennt, ernſthaft treiben koͤnnen, iſt das wunderbarſte in der Welt: oder, ob ſie noch gar nicht darauf gefallen ſind, ſich ſelbſt und andre naͤher zu betrachten, wie32 laͤcherlich, poſſenhaft und weinerlich alles, alles, ſelbſt Sterben und Verweſen iſt?

Manche von den Menſchen, die mich beſu - chen, geben ſich viele Muͤhe ſich zu meinem kran - ken Verſtande herabzulaſſen, wenn ſie von ihren wichtigen Armſeligkeiten ſprechen. Sie glau - ben, ich verſtehe ſie nicht, wenn ich uͤber dem duͤſtern Abgrunde meiner Seele bruͤte, und ſetzen mir dann auf eine ekelhafte Art ihre Zwergge - danken auseinander. Ich hoͤre ſie in meiner Spannung zuweilen wie aus einer tiefen Ferne in meine Seele hineinreden, wie ein unartiku - lirter Waſſerfall, der gegen die Ufer ſchlaͤgt, ich antworte ihnen mit Worten, ohne ſie zu uͤberle - gen, und ſie verlaſſen mich mit tiefem Bedauern und halten mich fuͤr hoͤchſt ungluͤckſelig, weil ich ihre tiefen Ideen nicht verſtehe, wie ſie meinen.

Neulich war ich in einer Geſellſchaft von ei - nigen Menſchen, die ſich untereinander Freunde nannten. Es waren Kuͤnſtler, und zwei darun - ter hielten ſich fuͤr Dichter. Man hatte mich aus Mitleid gebeten, um mich zu zerſtreuen und meinen truͤben Geiſt aufzuheitern. Ich ſaß wie eine Statuͤe unter ihnen, und hoͤrte dabei jedes Wort, das ſie ſprachen. Man machte ſichgegen -33gegenſeitige Komplimente, einer ſprach von den ungeheuern Talenten des andern, ließ aber da - bei doch ſeinen Neid ziemlich deutlich hervor - blicken. Der eine ſprach von ſeinen Idyllen, die einer ſeiner Feinde in einer gelehrten Schrift heruntergeſetzt habe, weil er ihm ſeinen großen Ruhm beneide, er bat die andern Dichter eine Satyre auf dieſe Zuruͤckſetzung zu ſchreiben, und man ſprach mit einem Eifer und Feuer von der ganzen Kinderei, als wenn das Wohl der Welt darauf beruhe. Der Dichter ſprach immer lang - ſam und accentuirte jedes Wort hart und feier - lich; der andere bildete ſich wieder ein lebhafter zu ſeyn, und ſchrie und ſprach ſchneller, jeder hielt es fuͤr nothwendig, irgend etwas Charak - teriſtiſches an ſich zu haben, damit nicht die großen Seelen ſo leicht miteinander verwechſelt wuͤrden. Ach das Brauſen von Muͤhlraͤdern iſt verſtaͤndiger und angenehmer als das Klappern der menſchlichen Kinnbacken, der Menſch ſteht unter den Affen, eben deswegen, weil er die Sprache hat, denn ſie iſt die klaͤglichſte und un - ſinnigſte Spielerei; mir gingen hundert wil - de Gedanken mit harten Tritten durch den Kopf, alle dieſe Menſchen wurden ploͤtzlich ſoLovell. 2. Bd. C34weit von mir weggeruͤckt, daß ich ſie nur noch wie Larven in einem fernen Nebel daͤmmern ſah, daß ich ihr Gekreiſch wie Sumſen von Grillen hoͤrte, ich ſtand in einer fernen Welt und gebot herrſchend uͤber die niedrigen Schwatz - thiere, tief unter mir. Ich ward begeiſtert und ſtand prophetiſch auf und rief den Fleiſch - maſſen zu: O ihr Armſeligen! ihr Ver - blendeten! Merkt ihr denn nicht auf eure Nichtigkeit und bedenkt nicht, was ihr ſeyd? Klumpen von todter Erde, die uͤber kurzem wie - der in Staub verwehen; deren Andenken wie Schatten von Wolken voruͤberfliegen, euer Leben faͤhrt wie ein Rauch dahin und euer Ruhm iſt eine halbe Stunde, in der ein muͤſſiger Schwaͤtzer von euch ſpricht und euch verachtet. Und ihr ſteht, als[wenn] ihr Erde und Himmel beherrſchtet, du haͤltſt dich fuͤr Gott und beteſt dich ſelber an, weil du jaͤmmerliche Verſe ge - zimmert haſt! Ihr werdet ſterben, ſter - ben: die Verweſung empfaͤngt euch und fragt nicht nach eurem uͤberirdiſchen Genie! Die Hunde wuͤhlen einſt eure Gebeine aus, und fragen nicht darnach, ob daß derſelbe Kopf war, der einſt Stanzen ſchrieb! O Eitelkeit, du35 nichtswuͤrdigſter Theil des Menſchen! Thie - re und Baͤume ſind in ihrer Unſchuld vereh - rungswuͤrdiger, als die veraͤchtliche Sammlung von Staub, die wir Menſch nennen!

Ich kann mich nicht erinnern, was ich ohn - gefaͤhr weiter geſagt haben mag: aber ich ver - achtete ſie ſo tief, daß ich ſie mit den Fuͤßen haͤtte zertreten koͤnnen, daß ich es fuͤr eine Wohlthat an ihnen ſelbſt hielt, ſie zu vernich - ten. Als ich zum gewoͤhnlichen Leben zu - ruͤckkehrte, fand ich mich von ihren Armen feſt gehalten, man hatte meine Wuth gefuͤrchtet und man ſchafte den uͤberlaͤſtigen Redner nach Hauſe.

Koͤnnt ich nur Worte finden, um die Ver - achtung zu bezeichnen, in der mir alles erſcheint, was Menſch heißt! Mein Arzt iſt ſehr fuͤr meine Geſundheit beſorgt, weil es ſein Gewerbe mit ſich bringt. Wenn ich nicht gern vom Wet - ter mit ihm ſpreche, findet er meine Umſtaͤnde bedenklicher, will es mich aber nie merken laſ - ſen, daß er mich fuͤr wahnſinnig erklaͤrt. Er giebt mir viele kuͤhlende Mittel[und] behandelt mich wie eine todte Maſchine, ob er mir gleich ſelber ſo erſcheint. Er ſchuͤttelt zu allen mei - nen verwirrten Gedanken den Kopf, weil er ſieC 236nicht in ſeinen Buͤchern gefunden hat, und im Grunde bin ich wahnſinnig, weil ich nicht dumm und phlegmatiſch bin. Daß Gewohnheit und Dummheit die Menſchen ſo wie ein dicker Ne - bel umgeben kann, aus dem ſie nie herauszu - ſchreiten vermoͤgen! Lag er nicht von Jugend auf wie eine Gewitterwolke in mir, die ich mir ſelbſt mit Armſeligkeiten verdeckte und mir log, ich ſei froh? Kuͤndigte ſich nicht oft der innerſte dunkle Genius durch einen Ton an, dem ich ei - genſinnig mein Ohr verſtopfte? Ich verſtel - le mich nicht mehr und bin wahnſinnig! Wie vernuͤnftig die Menſchen doch ſind!

O ich muß fort, fort, ich will in wilden Waͤldern die Seelen ſuchen, die mich mehr ver - ſtehn, ich will Kinder erziehn, die mit mir ſym - pathiſiren: es iſt nur nicht Mode ſo zu denken, wie ich, weil es nicht eintraͤglich iſt.

Ich ſpiele mit den Menſchen, die zu mir kommen wie mit bunten Bildern. Ich gab mir neulich die Muͤhe, mich zu dem dummen Ge - ſchwaͤtze meines Arztes herunter zu laſſen; wir ſprachen uͤber Stadtneuigkeiten, uͤber Anekdo - ten, die er ungemein laͤcherlich fand; ich lieh ihm meine Zunge zum Dreinklingen und er37 fand, daß ich mich ungemein beſſere. Mit Selbſt - zufriedenheit verließ er mich und ich konnt es nicht unterlaſſen, ihm nach unſrer feierlichen Unterhaltung ein ſo lautes Gelaͤchter nachzu - ſchicken, daß er ſich erblaſſend umſah und wie - der alle Hofnung verloren gab.

Ich habe ehedem einen Menſchen gekannt, der taub, ſtumm und blind war. Keine Seele ſchien ſich in ihm zu offenbaren, und er war vielleicht der Weiſeſte unter den Sterblichen.

Roſa haͤlt ſich fuͤr ſehr klug und ſieht mich immer mit Mitleid an, und ich moͤchte nicht er ſeyn; ein Narr, den jeder Blick eines Maͤd - chens entzuͤckt, der immer, wenn er ſpricht, Epi - gramme drechſelt und ſeine Worte nur fuͤr ein dankbares Laͤcheln verkauft; deſſen Lebenslauf kleine Zirkel ſind, die er unaufhoͤrlich von neuem durchlaͤuft. Wenn er ſtirbt, wird ihm die Schaam gewiß am meiſten weh thun, daß er ordentlich verweſen muß.

Ich wohne jetzt in meinem Garten vor dem Thore. Wie auf der See treiben meine Ge - danken ungeſtuͤm hin und wieder, ich fuͤrchte mich vor dem blauen gewoͤlbten Himmel uͤber mir, der dort gebogen wie ein Schild uͤber der38 Erde ſteht, unter welchem wir Gewuͤrme wie gefangene Muͤcken ſumſen und nichts ſehen und nichts kennen und fuͤhlen. Ich mag auch gar nichts mehr denken und erſinnen. Es geht ein Sturm durch die Woͤlbung und die fernen Waͤlder zittern rauſchend, die See fuͤrch - tet ſich und murmelt leiſe und verdroſſen, es donnert fern ab im Himmel, als wenn ein Ge - witter zurecht gelegt wird, und der Werkmeiſter unachtſam den Donner zu fruͤh aus der Hand fallen laͤßt.

Ich ſchreibe beim heftigſten Gewitter. Es brauſt mit Hagel und Regenguͤſſen und der Sturmwind und Donner ſtimmen ſich, und einer ſingt dem andern den tobenden Wechſelgeſang nach. Wie fliehende Heere jagen Wolken Wol - ken, und die Sonne flimmert bleich auf fernen Bergen, die ganz weit weg wie goldene Kinder - jahre in der Sturmfinſterniß daſtehen; das Meer ſchlaͤgt hohe Wogen und donnert in ſeinem ei - genthuͤmlichen Ton. Ich lache und wuͤnſche das Wetter immer lauter und lauter, und ſchreie dazwiſchen und ſchelte den Donner furchtſam brauſe und ſtuͤrme wirbelnd, und[reiße] die Er - de und ihre Gebilde zuſammen, damit ein an - dres Geſchlecht aus ihren Ruinen hervorgehe!!

39

Die Alltaͤglichkeit koͤmmt wieder und das Wetter fliegt weiter. Wie eine reiſende Komoͤ - diantentruppe ſpielen die Wolken in einer an - dern Gegend nun daſſelbe Schauſpiel, dort zit - tern andre Menſchen jetzt, wie vor kurzem hier viele bebten, und alles verfliegt und ver - ſchwindet und kehrt wieder, ohne Abſicht und Zuſammenhang.

Ich fuͤrchte mich des Nachts nicht mehr. Als ich neulich allein um Mitternacht in mei - nem Zimmer ſtand und aus dem Fenſter den Zug der truͤben Wolken ſah, und mir alles wie Menſchengedanken und Empfindungen am Him - mel dahinzog, als ich ſichtbarlich in Dunſtgeſtalt manche Erinnerung vor mir fliegen ſah, und ich zu ruhen und zu ſterben wuͤnſchte, da drehte ich mich ploͤtzlich leiſe um, wie wenn mich ein Wind anders ſtellte. Und alle meine Vor - fahren ſaßen, ſtill und in Maͤnteln eingehuͤllt an meinem Tiſche, ſie bemerkten mich nicht und aßen mit den nackten Gebiſſen von den Speiſen, heimlich reckten ſie die duͤrren Todtenarme aus den ſchwarzen Gewaͤndern hervor, um kein Ge - raͤuſch zu machen und nickten gegenſeitig mit den Schaͤdeln. Ich kannte ſie alle, aber ich weiß40 nicht woran. Als ich meinen Vater bemerkte und daran dachte, wie vielen Kummer, wie vie - len Verdruß ich ihm gemacht haͤtte, mußte ich weinen, daß er jetzt ſo abgehaͤrmt und jaͤmmer - lich ausſah, und verſchaͤmt das nackte Gerippe mehr verdeckte als die andern. Sie hoͤrten mich ſchluchzen und gingen ſtill wie mit boͤſem Ge - wiſſen zur Thuͤr hinaus, aber doch ſo langſam und geſetzt, daß ſie glauben mußten, ich haͤtte ſie nicht bemerkt. Wenn wir ohne Schau - der unter unſern Moͤbeln ſitzen, warum wollen wir uns denn vor Todtengerippen fuͤrchten? Aus dem Gebeine der Thiere arbeiten ſich die Menſchen Putz heraus, und entſetzen ſich vor den naͤher verwandten Knochen.

Ich durchſtrich noch in derſelben Mitternacht das todte Gefilde, und rief alle Geſpenſter her - bei und gab ihnen Gewalt uͤber mich. Ich rief es in alle Winde, aber ich ward nicht gehoͤrt. Die Klocken ſchlugen aus der Ferne und ſpra - chen ſo langſam und feierlich wie betende Prie - ſter, Waͤlder und Winde ſangen Grabgeſang, und prophezeiten allem, was da lebt, den unaus - bleiblichen Tod, aber alle Geſchoͤpfe ſchliefen feſt und hoͤrten nichts davon, der Mond ſah weinend41 in die verſchleierte Welt hinein; es giebt nichts mehr, das mich entſetzt; und das macht mich betruͤbt. Der menſchliche Geiſt kann alle Ideen ſehr ſchnell erſchoͤpfen, weil er nur weni - ge faſſen kann. Er hat wie ein Monochord nur ſehr wenige Toͤne.

Lebe wohl, wenn es in dieſer Welt moͤglich iſt; ſei recht gluͤcklich, mag ich nicht hinzufuͤgen, weil es kein Gluͤck giebt, als zu ſterben, und ich weiß, daß Du den Tod fuͤrchteſt. Ich habe ſchon oft heimliche Verwuͤnſchungen ausgeſtoßen und graͤßliche Spruͤche verſucht, um die Gegen - ſtaͤnde um mich her in andre zu verwandeln. Aber noch hat ſich mir kein Geheimniß enthuͤllt, noch hat die Natur nicht meinen Bezauberun - gen geantwortet: es iſt graͤßlich, nichts mehr zu lernen und keine neue Erfahrung zu machen, ich muß fort, in die Wildniſſe der Appenninen und Pyrenaͤen hinein, oder einen noch kuͤr - zern Weg in das kalte wuͤrmervolle Grab.

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6. William Lovell an Roſa.

Die kleinen Bitterkeiten in Ihrem Briefe ha - be ich recht gut verſtanden, und ich gebe zu, daß Sie im Ganzen Recht haben moͤgen. Der Scherz eines Freundes kann auf keine Weiſe beleidigen.

Balder hat mitten in den Ausbruͤchen ſeines Wahnſinns einen Brief an mich geſchrieben, in dem mir manche Ideen dunkel ſind, er iſt ent - weder ſeiner Heilung nahe, oder gefaͤhrlicher krank, als je. Was ich in ſeinem Briefe ver - ſtanden habe, hat mich betruͤbt. Laſſen Sie doch ja etwas Acht auf ihn geben, er ſcheint die Idee zu haben, ſich von Neapel zu entfernen. Er gewinnt freilich wenig, wenn man ihm das Leben erhaͤlt, aber es ſollte mir leid um ihn thun, wenn er ganz zu Grunde ginge.

43

7. Roſa an William Lovell.

Ihr Rath, lieber Freund, iſt zu ſpaͤt gekom - men, Balder iſt fort, Niemand weiß wohin. Ob er entflohen iſt, ob er ſich ermordet hat, al - les iſt ungewiß. Ich weiß nicht, ob Sie ſich noch ſo wie ehemals fuͤr ihn intereſſiren; wenn dis der Fall waͤre, ſo wuͤrde mir dieſe Entfernung Ihrentwegen ſehr ſchmerzhaft ſeyn. Er iſt in den letzten Tagen zuweilen bis auf die hoͤchſte Stufe der Raſerei gekommen, in einer Geſellſchaft von Fremden hat er neulich alle mit den veraͤchtlichſten Reden beſchimpft, ge - ſchaͤndet und endlich bewußtlos mit dem Meſſer nach ihnen geſtochen. Er iſt zu beklagen, ſein Tod waͤre Gewinn fuͤr ihn. Gruͤßen Sie Bianka und Ihre uͤbrigen ſchoͤnen Freundinnen von mir, nur keine von den ſproͤden Tugendhaf - ten, die uns ſo oft zur Laſt gefallen ſind. Le - ben Sie recht wohl und vergeſſen Sie Balder.

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8. Karl Willmont an ſeinen Freund Mortimer.

Du wunderſt Dich gewiß uͤber dieſen Brief, beſonders wenn Du bemerkſt, von wo aus er datirt iſt. Wundre ich mich doch ſelbſt daruͤ - ber, ich kann es Dir alſo nicht uͤbel nehmen. Du haſt mich nun gewiß ſpaͤteſtens in dieſen Tagen in London vermuthet, und ich ſelbſt war feſt uͤberzeugt, daß ich morgen dort ſeyn wuͤrde, und nun ſitz ich ploͤtzlich hier auf Burtons Gut und fange einen Brief an Dich an, der eine Entſchuldigung, Erzaͤhlung, wie es gekom - men, und das Verſprechen, daß Du mich nun eheſtens ſehen wirſt, enthalten ſoll.

Die Entſchuldigung, Mortimer, magſt Du mir erlaſſen. In Glasgow ſaß ich wochen - lang in dem Hauſe eines alten Onkels, ohne zu wiſſen, wie ich die Zeit hinbringen ſollte. Wie wir uns gewundert haben! Ich dachte un - aufhoͤrlich an Emilien und an die Zukunft. Man wollte mich gern luſtig haben, aber ich hatte al -45 le Elektricitaͤt verlohren, und war dumm und gefuͤhllos; ſelbſt der Wein konnte nur auf einzelne Minuten meine frohe Laune zuruͤck - bringen.

Langeweile iſt gewiß die Qual der Hoͤlle, denn bis jetzt habe ich keine groͤßere kennen ge - lernt; die Schmerzen des Koͤrpers und der See - le beſchaͤftigen doch den Geiſt, der Ungluͤckliche bringt doch die Zeit mit Klagen hinweg, und unter dem Gewuͤhl ſtuͤrmender Ideen verfliegen die Stunden ſchnell und unbemerkt: aber ſo wie ich daſitzen und die Naͤgel betrachten, im Zim - mer auf und niedergehn, um ſich wieder hinzu - ſetzen, die Augenbraunen reiben, um ſich auf ir - gend etwas zu beſinnen, man weiß ſelbſt nicht worauf; dann wieder einmal aus dem Fenſter zu ſehen, um ſich nachher zur Abwechſelung aufs Sopha werfen zu koͤnnen, ach Mortimer, nenne mir eine Pein, die dieſem Krebſe gleich kaͤme, der nach und nach die Zeit verzehrt, und wo man Minute vor Minute mißt, wo die Ta - ge ſo lang und der Stunden ſo viel ſind, und man dann doch nach einem Monate uͤberraſcht ausruft: Mein Gott, wie fluͤchtig iſt die Zeit! Wo ſind denn dieſe vier Wochen geblieben?

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Oft aͤrgerte ich mich, daß ich noch in Schott - land war, und machte doch nicht die kleinſten Anſtalten zur Abreiſe, ich fuͤhrte mit meinen Verwandten das elendeſte und platteſte Leben von der Welt; ein Viehverkaͤufer genießt es auf eine geſundere Art, ja ein Menſch, der mit einem armſeligen Schattenſpiel von einem Dor - fe zum andern wandert und in jedem ſeine elen - den Spaͤße wiederholt, beſchaͤftigt ſich geiſtrei - cher, als ich in dieſer ganzen unermeßlichen lan - gen Zeit gethan habe. Mein Blut war ſo traͤ - ge und phlegmatiſch, daß ich manchmal meine Finger gegen die Tiſchecke ſchlug, um mir nur Schmerz zu machen, mich zu aͤrgern und zu er - hitzen, denn nichts iſt niedriger, als wenn in der Sanduhr unſers Koͤrpers ſo recht gemach ein Tropfen nach dem andern langſam und zoͤgernd unſer Leben abmißt, je mehr die Stroͤme des Bluts durcheinander rauſchen, und freilich die Maſchine etwas mehr abnutzen, um ſo heller und deutlicher lebt der Menſch. Ich wuͤnſche oft in Glasgow mit Sehnſucht, daß ein Gezaͤnk oder Schlaͤgerei auf der Gaſſe vorfallen moͤgte, damit ich nur etwas haͤtte, wofuͤr ich mich in - tereſſiren koͤnnte, es ward mir am Ende wichtig,47 wenn der dicke Mann im benachbarten Hauſe einen andern Rock als gewoͤhnlich trug. Ich ſchaͤme mich noch jetzt dieſes Lebens, ſo qualvoll und langſam, ſo ſchleichend und doch ſo ohne Ruhe, wie eine Schnecke leben muß, die bei ih - ren Wanderungen ihr Schaalenhaus verlohren hat, und es im heißen Sonnenſchein wiederſucht.

Endlich dacht ich an Dich und an London, an die Zerſtreuungen dort, an alle die philoſophi - ſchen Geſpraͤche, die wir miteinander fuͤhren koͤnnten: ich unterdruͤckte es gewaltſam, wenn mir auch dieſe Ausſicht manchmal langweilig vorkommen wollte. Ich entſchloß mich kurz, nahm von allen meinen Freunden und Bekann - ten zaͤrtlichen Abſchied, ſetzte mich zu Pferde, und ritt mit friſchem Leben erfuͤllt davon.

Mein Herz ſchlug immer gewaltiger, je mehr Meilen ich auf Engliſchem Boden zuruͤcklegte. Ei! dacht ich, ein paar Tage mehr oder weni - ger! und beſchloß dicht vor Bonſtreet voruͤber - zureiten, aber ja niemand da zu beſuchen, es koͤnne doch von ohngefaͤhr ſeyn, daß ich Emilien durch das Gartenthor erblickte. Ich machte gar keinen Plan, wie ich mich nehmen wuͤrde, wenn dis der Fall ſeyn wuͤrde, denn ich handle ſehr48 gern aus dem Stegereif und habe mich von je - her beſſer dabei befunden, denn meine duͤmmſte[n]Streiche waren immer die, die aus einem weit - laͤuftigen recht vernuͤnftigen Plan entſtanden.

Ich ritt ſo in Gedanken vertieft hin und naͤ - herte mich dem Landhauſe Burtons fruͤher als ich geglaubt hatte. Ein junger Menſch zu Fuß fragt mich ploͤtzlich, wo der Weg nach Bon - ſtreet gehe, er ſei bis zur naͤchſten Stadt ge - fahren und habe ſich nun verirrt. Ich fuͤhrte ihn auf den Weg und ritt gedankenvoll neben ihm hin. Warum ſollt ich nicht den jungen Burton auf einen halben Tag beſuchen duͤrfen? ſagt ich zu mir ſelbſt. Am Ende ſieht mich ſelbſt der Vater gern. Und koͤnnte mich nicht jemand von ohngefaͤhr durch das Dorf reiten ſehn, Emilie es erfahren und fuͤr die groͤßte Gleichguͤltigkeit auslegen? Ich koͤnnte uͤber - dis zum Lord ſagen, daß ich deßwegen einen klei - nen Umweg genommen haͤtte, um den Bothen, der ihn ſprechen wollte, gewiß und ſicher nach Bonſtreet zu bringen. Ach ich hatte noch hundert andre Vorſtellungen, tauſend Stimmen in mir, die alle laut riefen: ich ſolle und muͤſſe im Schloſſe abſteigen! Ich gehorchte, dennwas49was thut man nicht alles, um nur eines ſolchen Laͤrmens los zu werden?

Ich ſprach den jungen Burton, den Vater und Emilien. Sie iſt doch ſehr ſchoͤn, und ſo gut, ſo liebenswuͤrdig! Iſt es hier Suͤnde, wenn man wuͤnſcht? Alle Federn meines Weſens haben neue Spannkraft erhalten, ich denke mit Schrecken an meinen Aufenthalt in Schottland. Hier leb ich doch, noch hab ich nicht ein einzigmal gegaͤhnt; die Stunden verfliegen mir wie Minuten, und ich erobre ein Laͤcheln, einen freundlichen Blick nach dem an - dern von Emilien! O heiliger Lovell, ſtehe mir in meiner Liebe bei! Eduard hat mir ſeltſame Sachen von ihm erzaͤhlt, er muß ſich ſehr geaͤndert haben; indeß ich gebe auf dieſe Aenderungen nicht viel, je mehr er auf der an - dern Seite uͤbertreibt, um ſo eher kann er zu derſelben Narrheit zuruͤck kommen, in der er ehmals zu Hauſe war. Ich kann mir aber jetzt ſeinen ehmaligen Zuſtand recht lebhaft den - ken, ich habe ihm damals doch etwas Unrecht gethan.

Emilie ſcheint ſehr auf ſich Acht zu geben; ich kann manchmal nicht klug daraus werden,Lovell. 2r Bd. D50ob dieſe Kaͤlte und Zuruͤckgezogenheit erzwungen oder natuͤrlich iſt.

Schreibe mir ja, denn ſonſt habe ich noch einen Vorwand laͤnger hier zu bleiben, als ich ſollte, weil ich dann noch auf Deinen Brief warten wuͤrde. [Eduard] laͤßt Dich gruͤßen; er iſt ein vortrefflicher, herzensguter Menſch, und der Vater iſt wieder ganz freundlich gegen mich und dann wieder ploͤtzlich fremde, abwechſelnd wie Herbſtwetter; ich habe ſchon dieſe Geſichter bei mehreren reichen Leuten gefunden, ſie ſetzen mich leicht in Verlegenheit. Lebe wohl und antworte bald.

51

9. Mortimer an ſeinen Freund Karl Willmont.

Wenn du noch nicht bald des ſeltſamen Her - umtreibens uͤberdruͤßig biſt, ſo weiß ich nicht, was ich von Dir denken ſoll. Ich habe Dich ſchon ſehnlich erwartet, ſo ſehr, daß ich es erſt jetzt erfahren habe, wie ſehr Du mein Freund biſt. Ich kann nichts rechts thun und denken, weil ich noch immer Deine Ankunft als einen Abſchnitt anſehe, hinter welchem mein Leben von neuem beginnen ſoll. Oft iſt es mir ſelt - ſam, daß Du nach einer ſo langen Entfernung nun wieder da ſeyn ſollſt; ich bin Dir ſchon vor dem Thore entgegen gegangen; ich laufe ans Fenſter, wenn ich den Trab eines Pferdes hoͤre. Tauſend Ideen moͤcht ich Dir gern mittheilen und Deine Meinung erfahren.

William Lovell iſt ſich ſelbſt kaum mehr aͤhn - lich, und es iſt wuͤrklich ſeltſam, wenn man be - denkt, daß ein Menſch nichts Fremdartiges in ſich hineinnehmen kann, und daß dieſer Leicht -D 252ſinn, dieſe epikuriſche Freigeiſterei ſchon damals in ihm unentwickelt lagen, als wir ihn kann - ten.

Manches ſtimmt mich oft recht melancholiſch, ſo unrecht es auch ſeyn mag, wenn man es iſt: der alte Melun iſt in Paris an einer Auszeh - rung geſtorben, die Comteſſe mit ihrem Liebha - ber entlaufen, niemand weiß wohin. Daß ſo viele von den Leuten, die ich gekannt habe, ſchon begraben ſind! daß ſich ſchon ſo manche dem Ver - derben in die Arme geworfen haben!

Was iſt es uͤberhaupt fuͤr ein armſeeliges Ding um das, was man gewoͤhnlich Ausbil - dung nennt. In den meiſten Faͤllen iſt es nur Veraͤnderung. Wie weiſe habe ich mich ſo oft in meinem zwanzigſten Jahre gefuͤhlt, daß ich mich uͤber manche Narrheiten des Menſchen - geſchlechts erhaben fuͤhlte: und jetzt ruͤcken mir manche der Thorheiten ſo nahe, daß ſie ſich, wenn das Verhaͤltniß ſo fortſchreitet, bald mit meinem innerſten Selbſt vereinigen werden.

Du wirſt bemerken, daß ich hier vorzuͤglich von meiner Liebe zu Amalien ſpreche. Eine Liebe, die vielleicht noch gluͤhender iſt, als die, mit der Lovell ſie einſt begluͤckte. Er hat ſie53 vergeſſen, und fuͤhlt ſich groͤßer; ich habe meine Unempfindlichkeit abgelegt, und fuͤhle mich edler. Sie iſt mir weit ergebener als ehemals, aber es thut mir ſehr leid, daß ſie fuͤr meinen Verſtand Achtung, eine viel zu uͤbertriebene Achtung em - pfindet. Alle Gefuͤhle, die ich ihr zeige, haͤlt ſie nur fuͤr Spiele meines Witzes, und ſie behaͤlt ſich daher beſtaͤndig in ihrer Gewalt. Auch ſie hat den leichtſinnigen William etwas mehr vergeſſen; nur ſeh ich, wie zuweilen die alten Erinnerungen in ihrer Seele wieder aufwachen, und ſie dann meinen Umgang ploͤtzlich fade und abgeſchmackt findet.

Die Seelen ſind viel werth, die ſich noch nicht ganz der Mode und der ſogenannten Le - bensart zum Opfer gebracht haben. Sie ſind ſehr ſelten, und man ſollte ſie darum koͤſtlich achten.

Gruͤße Eduard Burton und komme bald nach London.

54

10. Der Lord Burton an den Advokaten Jackſon.

Ich bin Ew. Wohledlen fuͤr die Nachrichten, die mir Dieſelben durch den jungen Fenton ha - ben zukommen laſſen, außerordentlich verbunden. Ich freue mich uͤber den Eifer und uͤber die Thaͤ - tigkeit, mit welchem Sie unaufhoͤrlich zu mei - nem Beſten beſchaͤftigt ſind, ich gebe Ihnen von neuem die Verſicherung meiner ewigen unveraͤn - derlichen Dankbarkeit. Ich bin uͤberzeugt, daß Ihre Bemuͤhungen nun bald ſichtbarere Folgen haben werden, die bis jetzt ein unguͤnſtiger Zu - fall immer noch zuruͤckgehalten hat. Eilen Sie aber, damit meine Hoffnungen nicht immer nur Hoffnungen bleiben, damit ich endlich aufhoͤre, mit jedem Tage wieder meinen Genuß auf viele Tage aufzuſchieben. Ich bin alt, und nicht mehr ſo fuͤr Hoffnungen gemacht, wie der juͤn - gere Mann, die Unentſchiedenheit aͤngſtigt mich, und je gewiſſer ich meiner Sache zu ſeyn glau - be, um ſo mehr Einwuͤrfe und Zweifel fallen55 mir wieder ein: alles dies beſchaͤftigt meine Seele zu ſehr, und macht ſie unruhig. Das Alter kann dieſe Wogen nicht ſo leicht in Ruhe legen, als es der Juͤngling kann. Vor zwanzig Jahren wuͤrde mich dieſer Prozeß beſchaͤftigt und zugleich unterhalten haben; aber jetzt kann ich nur in dem entſcheidenden Moment einen freu - digen Moment erblicken. Sie ſehen, wie feſt ich darauf vertraue, daß ſich alles zu meinem Vortheile entſcheiden wird, aber Sie ſehn auch zugleich, wie noͤthig es iſt, daß Sie meinen Beſorgniſſen ſo fruͤh als moͤglich ein Ziel ſetzen. Denn ich finde es ſehr natuͤrlich und billig, daß Sie in Ihrer Lage durch Aufſchub und Verlaͤn - gerung meine Dankbarkeit verlaͤngern und meine Verbindlichkeit vermehren wollen. Sie glauben, daß ich jetzt in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit von Ihnen exiſtire, bey der Sie unvermerkt einen Theil meiner Schwaͤchen nach dem andern fuͤr ſich erobern koͤnnen. Ich finde an dieſer Klug - heit nichts zu tadeln, ſondern ſie iſt lobenswuͤr - dig, und der iſt ein Thor, der in dem verwor - renen Wechſel des Lebens nicht die wiederkeh - rende Fluth geſchickt benutzt, um ſein Fahrzeug flott zu machen. Sie ſehen, wie ſehr ich Ih -56 ren Verſtand ſchaͤtze; nur muß ich Ihnen ſagen, daß Ihre Klugheit bey mir unnuͤtz iſt, der ich mich Ihnen außerordentlich verbunden erkenne, wenn der Prozeß auch morgen geendigt iſt, und der ich Sie grade eben ſo belohnen wuͤrde, als wenn das Endurtheil noch einige Jahre hindurch von einem Tage zum andern aufgeſchoben wuͤrde. Sie koͤnnen auf die Art alle Intereſſen, die Sie gewinnen wollen, auf eine weit ſchnellere und entſchiedenere Art zuſammenziehn, als wenn Sie auf ein langweiliges Sparen ausgingen das am Ende denn doch ungewiß ſeyn duͤrfte. Fuͤr Ihre Sorgfalt mir den jungen Fenton zu ſchicken, muß ich Ihnen Dank ſagen; nur geſtehe ich Ihnen zugleich, daß ich die Nothwendigkeit die - ſer Abgeſandſchaft nicht eingeſehen habe. Durf - ten Sie alle dieſe nicht außerordentlich bedeu - tende Nachrichten keiner Poſt vertrauen? In dieſem Falle treiben Sie die Beſorglichkeit zu weit, und kein Mann handelt gut und richtig, wenn er aͤngſtlich handelt. Sie duͤrfen alſo nur kuͤnftig dreiſter verfahren, und nicht einen Mit - wiſſer unſers Geheimniſſes erſchaffen, der uns beiden auf jeden Fall zur Laſt faͤllt. Wenigſtens kommt es meinem Verſtande ſo vor, und ich57 denke, auch Sie werden mir darin vollkommen recht geben, denn jeder andre, als ich, wuͤrde dadurch in Ihrer Hand ſtehn, und einem ſo billigen Manne, wie Sie, muß es weh thun, wenn man auch nur auf einen Augenblick einen ſolchen Gedanken von ihm hegen koͤnnte. Ich wuͤrde mich aber auf keinen Fall abhalten laſ - ſen, ſo zu handeln, wie ich mir zu handeln vorgeſetzt habe. Ich habe ſchon oft mit meinen Freunden uͤber den Satz geſtritten, daß es ſo gut wie unmoͤglich ſey, einem Manne, dem ſeine Plane ernſt ſind, das Kleinſte oder das Groͤßte in den Weg zu legen, das er nicht wieder fort - ſchaffen, oder ſelbſt zu ſeinem Vortheile brauchen koͤnnte. Ich habe ſchon manchen meiner Ver - folger mit ſeinen eigenen Waffen geſchlagen, denn nichts iſt dem Manne von Kopf unertraͤg - licher, als zu ſehn, wie jeder nach den Faͤden greifen will, an denen er regiert wird, ich halte es nicht fuͤr unmoͤglich, ſie alle durchzuſchnei - den, ſo daß dann der Menſch frey und unge - hindert ſeinen Weg fortgeht. Ew. Wohledlen ſind mir auch noch den letzten meiner Briefe ſchuldig, den Sie mir nach unſerm Ueberein - kommen ſogleich haͤtten zuruͤckſchicken ſollen. Sie58 verzeihen, daß ich Sie an dieſe Zerſtreuung er - innert habe, eben ſo, daß ich Ihnen mit ei - nem ſo weitlaͤuftigen Briefe zur Laſt gefallen bin. Die Zeit eines jeden Geſchaͤfftmannes iſt edel und faſt unbezahlbar, ich bitte um Vergebung, wenn ich Ihre beſſere Gedanken mit meinen ſchlech - tern unterbrochen habe; ſollte ich aber ſo gluͤck - lich geweſen ſeyn, Ihren Eifer von neuem zur Beſchleunigung des Prozeſſes etwas anzufeuren, ſo haben wir beide bei dieſem kleinen Stillſtan - de gewonnen, und in dieſer Hoffnung bin ich

Ihr Goͤnner und Freund Lord Burton.

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11. Roſa an Andrea Coſimo.

Deine Meinung iſt auch vollkommen die mei - nige. So ſonderbar das klingen mag, wenn ein junger Menſch dies einem alten Manne ſagt, ſo iſt es mir doch wahrſcheinlich, daß ich hierin recht habe. Es iſt ſchwer, ſich in den Stand - punkt zu ſtellen, aus welchem ein Greis die Welt anſieht, allein gewiß nicht unmoͤglich. Ich finde es ſo wahr, was Du in Deinem neulichen Brief ſagſt, es iſt ſo ſchwer und wieder ſo leicht, die Seelen der Menſchen zu beherrſchen, wenn man nur etwas die Faͤhigkeit beſitzt, ſich in die Geſinnungen anderer zu verſetzen, ihre Verſchiedenheiten zu bemerken, und dann Faſ - ſung und Gleichmuͤthigkeit genug zu behalten, um in keinem Augenblicke ihnen ſein eignes Selbſt darzuſtellen. So wie die Sprache nur in konventionellen Zeichen beſteht, und jeder - mann doch mit dem andern ſpricht, ob er gleich recht gut weiß, daß jener durch ſeine Worte vielleicht keinen Begriff ſo bekoͤmmt, wie er60 es wuͤnſche: eben ſo ſollte aller unſer Umgang beſchaffen ſeyn. Ich ſpreche mit dem Franzoſen franzoͤſiſch und mit dem Italiaͤner ſeine Mutter - ſprache; eben ſo rede ich mit jedermann nur die Meinungen, die er verſteht, das heißt, die ich ihm zutraue, ich ſuche mich ſelbſt ihm niemahls aufzudraͤngen, ſondern ich locke ſeine Seele all - gemach uͤber ſeine Lippen, und gebe ihm ſeine eigne Worte anders gewandt in’s Ohr zuruͤck. Welche Geſinnungen ſtehen dann in uns ſo feſt und hell, um ſie fremden Gemuͤthern aufzudraͤn - gen? Und wenn es der Fall ſeyn koͤnnte, wo finde ich Bruͤcken, um ſie nach fremden Ufern hinuͤberzuſchlagen? welchen Haken ſoll der Geiſt auswerfen, um mit einer fremden Seele zu en - tern?

So ging ich lange Zeit mit Lovell um, ohne daß er es wußte, ich ſprach mich ganz in ihn hinuͤber, und er erſtaunte nicht wenig uͤber die Sympathie unſrer Seelen, und traute mir nun jeden ſeiner fluͤchtigſten Gedanken, jede ſeiner ſeltſamen Empfindungen zu. Diejenigen, die er nicht bey mir wahrzunehmen glaubte, hielt er bald von ſelbſt fuͤr unreif und thoͤrigt, dagegen fing er emſig einen hingeworfenen Wink von61 mir auf, und dachte lange uͤber den darin lie - genden Sinn. In kurzer Zeit taͤuſchte er ſich ſelbſt ſo, daß er unſre Seelen fuͤr verſchwiſtert hielt, nur daß ihm die meinige einige Jahre voraus ſey.

Nichts iſt dem Menſchen ſo natuͤrlich, als Nachahmungsſucht. Lovell ward in einigen Mo - nathen eine bloße Kopie nach mir. Jeder Aus - ſpruch, jedes Wort, das wir fuͤr klug nehmen, ruͤckt an der Form unſrer Seele, und ſo hat ſich Lovell ganz von ſelbſt die Philoſophie er - ſchaffen, die ich gern fuͤr ihn bilden wollte. Er iſt feurig und lebhaft, daher iſt es ihm nicht moͤglich, ſo wie viele Menſchen thun, unent - ſchieden zwiſchen zwey Meinungen zu ſtehn, und ſich im Schwanken fuͤr keine zu intereſſiren. Was er fuͤr Wahrheit nimmt, ergreift er mit einem Eifer, wie der andaͤchtige Enthuſiaſt die Bildſaͤule der Madonne umfaͤngt. Er verachtet jetzt tief alle Meinungen, die ſeinen jetzigen wi - derſprechen, und die beſte Art allen Ruͤckfaͤllen vorzubeugen, ſcheint mir die, ihn mit allen moͤg - lichen Einwuͤrfen ſelber bekannt zu machen; nur ſtelle ich immer die guten und ſchlechten Ideen ganz neben einander, und indem er dieſe uͤber -62 ſieht, erſcheinen ihm auch jene geringfuͤgiger: oder wenn wir zuweilen uͤber Gedanken und Charaktere unintereſſanter oder ſtupider Men - ſchen ſprechen, lege ich dieſen alles in den Mund, was ihn vielleicht in manchen einſamen Stun - den beunruhigen moͤchte. So kann ihn keine Idee uͤberraſchen, und ſeine fruͤhern Gefuͤhle ſtehn in einer zu großen Entfernung, als daß ſie ihn wieder erreichen koͤnnten.

Die Eitelkeit iſt gewiß das Seil, an wel - chem die Menſchen am leichteſten zu regieren ſind; ſobald man es nur dahin bringen kann, daß ſie ſich ihrer geſtrigen Empfindung ſchaͤmen, handeln ſie morgen gewiß anders; ein Freund oder Bekannter darf ihnen nur zu verſtehen ge - ben, was er fuͤr groß haͤlt, und morgen ſuchen ſie ſich ihm in dieſer Groͤße unvermerkt zu praͤ - ſentiren. Die Sucht ſich auszubilden, iſt im Grunde nur die Sucht zu gefallen, und zu erſt denen, die uns umgeben; ſo formt ſich der Menſch wider ſeinen Willen, und ſteht am Ende ſeiner Wanderſchaft ſchwer behangen mit einem Troͤdelkram erlogner Meinungen und Gefuͤhle.

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Ich habe Dir meine Auslegung uͤber Deine Ideen zu geben geſucht, und uͤberreiche Dir er - roͤthend meine Uebung; eine Verbeſſerung von Dir wird mehr werth ſeyn, als mein ganzer Brief, nur laß mich es wiſſen, wo ich Dich vielleicht mißverſtanden habe.

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12. Andrea Coſimo an Roſa.

Dein Brief hat mir gefallen, weiter kann ich Dir gar nichts daruͤber ſagen. Nicht eben des - wegen, weil ich ſo ganz Deiner Meinung bey - trete, oder weil ich glaubte, daß Du alles, was ich Dir neulich ſchrieb, ganz ſo, wie ich es wuͤnſchte, gefaßt habeſt, ſondern weil ich in dieſem Briefe Dich ſo ganz wieder finde. O ihr Menſchenkenner! die ihr aus der Seele der Menſchen ein Exempel macht, und dann mit euren armſeeligen fuͤnf Specien hineinaddirt und dividirt! Ihr wollt einen Aufriß von einem Gebaͤude machen, das Ihr nicht kennt. Ich habe von je die freche Hand bewundert, die mit dem Raͤthſelhafteſten und Unbegreiflichſten gewoͤhnlich ſo umgeht, wie ein Bildhauer mit ſeinem Marmor; er wird geſchlagen und ge - ſchliffen, als wenn alle die heruntergeriſſenen Stuͤcke nun wirklich von dem Weſen getrennt waͤren, und am Ende ein Bild daraus entſtuͤn - de, wie man es zu ſeinem Wohlgefallen, oderzu65zu ſeiner Bequemlichkeit haben wollte. Wenn nun ploͤtzlich eine lange zuruͤckgehaltene Empfin - dung wie ein Waldſtrom in die Seele zuruͤck - ſchießt? O biete denn einmahl im Moment der Ueberraſchung deine Rednerkuͤnſte auf, ſuche die Schleuſe, die ihn wieder zuruͤckdraͤngt! Dankt Gott, daß der Menſch die Konſequenz nicht hat, auf die ihr eure Berechnungen gruͤndet, denn dadurch allein trifft er oft zufaͤlliger Weiſe mit euren Exempeln zuſammen.

Du ſprichſt uͤber die Eitelkeit gut und rich - tig, weil Du uͤber Dich ſelbſt ſprichſt. Es iſt gar nicht noͤthig, daß die Menſchen aufrichtig ſind, man findet ihre Meinung doch unter dem Wuſt von Luͤgen heraus. Aber glaube mir, daß bey Dir nur ein Paar Zufaͤlle noͤthig waͤren, um Dich aus Deiner Philoſophie, oder Ueber - zeugung, oder Stimmung (nenn es wie Du willſt) herauszuwerfen. Die meiſten Menſchen gehoͤren gern zu irgend einer Schule, alle Vor - zuͤge und Vortrefflichkeiten ihrer Vorgaͤnger ziehn ſie dann ſtillſchweigend auf ſich, weil ſie den Nahmen ihrer Anhaͤnger tragen: ſie haben es gern, wenn ſie alle Meinungen und Empfindun - gen wie in einem Schema vor Augen haben,Lovell. 2r Bd. E66daß ſie in vorkommenden Faͤllen nur unter den gemachten Linien und Eintheilungen nachſuchen duͤrfen, um nicht im Zweifel zu bleiben; daher ſind ſie aber auch meiſtentheils ſo leicht aus ih - ren Ueberzeugungen herauszuſchrecken.

Bey Lovell magſt Du uͤbrigens im Ganzen Recht haben, aber er iſt auch unter den Men - ſchen einer von denen, die ich die Scheidemuͤnze nennen moͤchte. Er gehoͤrt nicht zu den freyen Geiſtern, die jede Einſchraͤnkung der Seele verachten, er verachtet nur die, die ihm grade unbequem iſt, und ſeine Verachtung iſt dann Haß. Er findet ſich und alles was er denkt, viel zu wichtig, als daß es nicht ſehr leicht ſeyn ſollte, auch ſeine innerſten Gedanken von ihrem Throne zu ſtoßen. Wenn er die Menſchen aber wie voruͤbergehende Bilder, und ihre Ge - ſinnungen, wie das zufaͤllige Kolorit anſaͤhe, dann ſollte es dir gewiß unmoͤglich werden, ir - gend etwas auf ihn zu wirken.

Jeder Menſch iſt im Grunde geſcheidter wie der andere, nur will dies keiner von ihnen glau - ben. Die Ecke des einen greift in die Fuge des andern, und ſo entſteht die ſeltſame Ma - ſchinerie, die wir das menſchliche Leben nennen. 67Verachtung und Verehrung, Stolz und Eitel - keit, Demuth und Eigenſinn: alles eine blinde, von Nothwendigkeiten umgetriebene Muͤhle, de - ren Geſauſe in der Ferne wie artikulirte Toͤne klingt. Vielleicht iſt es keinem Menſchen gege - ben, alles aus dem wahren Standpunkte zu be - trachten, weil er ſelbſt irgendwo als umgetrie - benes und treibendes Rad ſteckt.

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13. Amalie Wilmont an ihre Freundinn Emilie Burton.

Sie ſind es ſchon gewohnt, liebe Emilie, mei - ne unintereſſanten Briefe zu leſen, ich habe alſo nicht viel zu beſorgen, wenn ich Ihnen noch einmal ſchreibe. Es iſt gewiß nicht Eitelkeit oder Stolz, wenn ich niemals von Neuigkeiten oder wichtigen Vorfaͤllen, ſondern immer nur von mir ſpreche, und von dem, was mir zu - ſtoͤßt. Ich habe mich leider von Jugend auf daran gewoͤhnt, mich nur mit mir ſelbſt und mit dem kleinen Zirkel zu beſchaͤfftigen, der mich umgiebt. Wenn mir eine Krankheit meiner Eltern, eine Reiſe meines Bruders, oder das Ungluͤck eines Freundes wichtig iſt; ſo vergeſſe ich daruͤber die ganze uͤbrige Welt, und weine oder freue mich, ganz fuͤr mich, wenn indeß auch in einem entfernten Erdtheile vielleicht eine ganze Nation untergeht.

Ach, liebe Freundinn, wenn ich doch bey Ihnen waͤre, oder Sie bey mir ſeyn koͤnnten! 69Das iſt die wiederholte Klage in allen meinen Briefen; ich ſehne mich, wenn ich allein bin, mit einem unbeſchreiblichen Gefuͤhle nach Ihrem Garten hin, ich gehe in Gedanken durch alle Gaͤnge ſpatzieren, und hoͤre Ihr angenehmes und unterrichtendes Geſpraͤch. Ach, in Ihrer Ge - ſellſchaft wuͤrde ich gewiß froͤhlicher ſeyn, denn Sie wuͤrden mir zeigen, wie ungereimt mein Schmerz iſt, es wuͤrde mir manches gleichguͤlti - ger werden, was mir jetzt ſo außerordentlich wichtig vorkoͤmmt: an Ihrer Seite habe ich im vorigen Jahre ſo viel gelernt; ach, ich wuͤrde gewiß ruhig werden, und Sie wuͤrden viele mei - ner Zweifel aufloͤſen, die mich jetzt aͤngſtigen.

Lovell hat mich vergeſſen, ich muß es mit jedem Tage mehr glauben, und alle Nachrich - ten von ihm beſtaͤtigen es. Ach und es iſt auch recht gut, daß ich nicht eine Urſache mehr wer - de, ſeinem kranken Vater Kummer zu machen. Er koͤmmt mir jetzt nur vor, wie ein Bild aus einem Traume der Kindheit, ſchoͤn und glaͤn - zend, aber entfernt und unkenntlich.

Mortimer ſpricht oft uͤber alle dieſe Gegen - ſtaͤnde ſehr klug, und uͤberredet mich manchmal auf ganze Tage; nur ſagt er denn zuweilen wie -70 der etwas, das meiner Seele ganz fremd und zuwider iſt. In den recht verſtaͤndigen Men - ſchen liegt zuweilen eine zuruͤckſtoßende Kaͤlte, man ſchaͤmt ſich oft etwas zu ſagen, was man fuͤr wahr haͤlt, weil man nicht gleich die paſ - ſendſten Worte dazu findet. Ich glaube, daß Mortimer mir nur in manchen Sachen recht giebt, um mir nicht zu widerſprechen, weil er mich fuͤr zu einfaͤltig haͤlt, ihn ganz zu verſtehen. Sein Herz iſt nicht warm genug, er hat zu ſehr die Welt und die Menſchen kennen gelernet. Und doch fuͤhl ich mich ihm zuweilen ſo geneigt, er koͤmmt mir oft wieder beſſer und edler als Lovell vor, deſſen Enthuſiasmus ſo unſtaͤt und ohne Ausdauer war; ich denke denn daruͤber nach, wie ich mit Mortimer leben wuͤrde, und gewoͤhne mich ordentlich an dieſe Vorſtellung. Es kann auch ſeyn, daß er ſich ſehr nach mir bequemte, wenigſtens thut er es jetzt auffallend, und wir lebten ſo vielleicht recht gluͤcklich mit einander. Wenn mir nur nicht immer wieder ſo manches von meinen vorigen Empfindungen zuruͤckkaͤme! dann iſt mir, wie wenn man von großen Schaͤtzen traͤumt, und ploͤtzlich in der ſtillen duͤrftigen Nacht aufwacht: man ſucht71 mit den Haͤnden nach den Perlen und Diaman - ten, und ſtoͤßt ſich an der harten Wand.

Bin ich nicht thoͤrigt? Was ſagen Sie da - zu, liebe, nachſichtige Freundinn? Ich bin ein Kind, nicht wahr, das iſt Ihre ganze Mei - nung?

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14. Emilie Burton an Amalie Willmont.

Ihre Briefe, theuerſte Freundinn! ſind mir um ſo lieber, je mehr Sie darin von ſich ſpre - chen. Ich wollte, ich koͤnnte bey Ihnen ſeyn, oder Ihnen in Ihrer Lage Rath ertheilen, aber leider iſt mir beides unmoͤglich. Das Herz des Menſchen liegt mit dem Verſtande ſo oft im Kampfe, heute ſcheint uns das thoͤricht, was uns geſtern edel vorkam, daß ich eben ſo wenig ſagen mag: Handeln Sie nach Ihrem Herzen als: ziehn Sie die Vernunft zu Rathe.

Ihr Bruder iſt jetzt hier, und will morgen abreiſen, ich wuͤnſchte ich koͤnnte ihn begleiten, ſtatt daß ich ihm jetzt nur dieſen unbedeutenden Brief mitgeben kann. Er hat mir viel von Ih - nen erzaͤhlen muͤſſen, viel von Ihren Kinderjah - ren und Ihren fruͤhern Spielwerken; es giebt nichts Reitzenders, als die Kleinigkeiten genau kennen zu lernen, an denen ſich ſchoͤne Seelen hinaufranken, um ſchoͤn zu wachſen. Mit Wohl - gefallen denke ich oft daran, welche Kindereyen73 ich mit meinem Bruder trieb, und welchen wich - tigen Einfluß dieſe auf uns beide gehabt haben. Schon in der Kindheit hatte mein Bruder den ernſten feſten Blick, mit dem er jetzt in’s Leben ſieht; ſchon als Kind war Ihr Karl ſo muth - willig und liebenswuͤrdig, und Sie eben ſo weich, als Sie beide jetzt ſind. Ich hoffe, Ihr Bruder wird auch ſo gut ſeyn, Ihnen von mir vieles zu wiederholen, was ich mit ihm geſpro - chen habe, und ſo kann ich mich eines weitlaͤuf - tigen und ermuͤdenden Briefes uͤberheben, in den ich doch nichts von der Herzlichkeit legen kann, mit der ich Sie umarmen wuͤrde.

Mein Bruder laͤßt herzlich gruͤßen; o wir ſehn uns gewiß und bald einmahl wieder!

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15. William Lovell an Roſa.

Mir ſcheint es, als zoͤgen Sie ſich jetzt, wenn Sie hier ſind, mehr von mir zuruͤck. Die Ur - ſache davon kann ich nicht auffinden, und ich wuͤnſche ſehr, daß es nur Schein ſeyn moͤge.

Ich lebe hier in einem Taumel von einem Tage zum andern, ohne Ruhepunkt oder Still - ſtand fort. Mein Gemuͤth iſt in einer ewigen Empoͤrung, und alles vor meinen Augen hat eine tanzende Bewegung. Durchſchwaͤrmte Naͤch - te und wiederholte Trunkenheit machen, daß mir die Welt ganz anders erſcheint, nicht froͤh - licher oder betruͤbter, aber weit ſeltſamer und unwichtiger. Man urtheilt nur denn uͤber das Leben am richtigſten, wenn man im eigentlichen Sinne recht viel lebt, nicht nur den Becher ei - ner jeden Freude koſtet, ſondern ihn bis auf die Hefen leert, und ſo durch alle Empfindungen geht, deren der Menſch faͤhig iſt. Mein Blut fließt unbegreiflich leicht, und meine Ima - gination iſt angefriſcht, und erſtreckt ſich auf alle Ideen des menſchlichen Geiſtes.

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Mit der erſten Gelegenheit denke ich meinen Willy nach England zuruͤckzuſchicken; mit ſei - nem altvaͤterſchen Weſen und ſeiner gutgemein - ten Ueberklugheit faͤllt er mir zur Laſt. Er will mit aller Gewalt mein Freund ſeyn, und es moͤchte hingehn, wenn er nur nicht den Bedien - ten ganz daruͤber vergaͤße. Als ich neulich ſpaͤt in der Nacht, oder vielmehr[ſchon] gegen Mor - gen mit dem froͤhlichſten Rauſche nach Hauſe kam, hielt er mir eine pathetiſche Rede, und verdarb mir meine Laune. Er will gern fort, und ſein Wille ſoll geſchehn.

Sie munterten mich ehedem auf, das Leben zu genießen, und jetzt ſind Sie zuruͤckgezogener als ich. Kommen Sie her, damit ich den ver - worrenen Rauſch in Ihrer Geſellſchaft genieße, und meine Sinne noch trunkener werden. Ich bin eben bey unſrer Signora Bianca geweſen, die das Muſter der Zaͤrtlichkeit iſt, ſie kann den theuren Roſa immer noch nicht vergeſſen, und ſpricht mit Enthuſiasmus von ihm; Sie thun unrecht, das zaͤrtliche Geſchoͤpf ſo ganz zu vernachlaͤſſigen, Ich habe noch viele andre Gruͤße zu beſtellen, die Sie mir erlaſſen moͤgen, genug, Sie ſtehn bey allen unſern ſchoͤnen Bekanntſchaf -76 ten im beſten Angedenken. Ich bin auf heut Abend zur ſchwarzaͤugigen wolluͤſtigen Laura hin - beſtellt, die jetzt ſchon meine ganze Phantaſie beſchaͤfftigt.

Wer kann[die] unbegreiflichen Launen zaͤhlen und beſchreiben, die im Menſchen wohnen? Die ſeit einigen Wochen in mir erwacht ſind, und aus meinem Leben das bunteſte und wunder - lichſte Gemaͤhlde bilden? Frohſinn und Melan - cholie, ſeltſame Ideen in der ungeheuerſten Ver - bindung, ſchweben und gaukeln vor meinen Au - gen, ohne ſich meinem Kopfe oder Herzen zu naͤhern. Man nenne doch die ſchoͤne Erweckung der innerſten Gefuͤhle nicht Rauſch! Man ſehe nicht mit Verachtung auf den Menſchen hinab, dem ſich ploͤtzlich in der gluͤcklichſten Er - hitzung neue Thore der Erfahrungen aufthun, dem neue Gedanken und Gefuͤhle wie ſchießende Sterne durch die Seele fliegen, und einen blau - goldnen Pfad hinter ſich machen.

O Wein! du herrliche Gabe des Himmels! fließt nicht mit dir ein Goͤttergefuͤhl durch alle unſre Adern? Flieht nicht dann alles zuruͤck, was uns in ſo manchen unſrer kalten Stunden demuͤthigt? Nie ſtehn wir in uns ſelbſt auf77 einer ſo hoch erhabnen Stufe, als wenn die Augen wie Sterne funkeln, und der Geiſt, wie eine Maͤnade wild durch alle Regionen der frechſten und wildeſten Gedanken ſchwaͤrmt. Dann pochen wir auf unſre Groͤße, und ſind unſer Seele und Unſterblichkeit gewiß, kein lahm - kriechender Zweifel holt den fliegenden Geiſt ein; wir durchſchauen wie mit Seherblicken die Welt, wir bemerken die Kluͤfte in unſern Gedanken und Meinungen, und fuͤhlen mit lachendem Wohlbehagen, wie Denken und Fuͤhlen, Traͤu - men und Philoſophiren, wie alle unſre Kraͤfte und Neigungen, alle Triebe, Wuͤnſche und Ge - nuͤſſe nur Eine, Eine glaͤnzende Sonne ausma - chen, die nur in uns ſelbſt zuweilen ſo tief hin - unterſinkt, daß wir ihre verſchiedene Strah - lenbrechung fuͤr unterſchiedene getrennte Weſen halten.

Spotten Sie nicht, Roſa, wenn ich Ihnen ſage, daß jetzt eben dieſe Gluth des Weins aus mir ſpricht: oder ſpotten Sie vielmehr, ſo viel Sie wollen, denn auch das gehoͤrt zu den Vor - trefflichkeiten des Menſchen. Ich fuͤhle es jetzt lebhaft, wie alles, alles was mich umgiebt, in Einem Range ſteht. Der Wein laͤßt mich78 ſo fuͤhlen und ſprechen, ein andres Nahrungs - mittel, das dem Menſchen die ſogenannte Nuͤch - ternheit laͤßt, aͤußert ſich in andern Ideen, und der quaͤlende Hunger legt dem Menſchen wieder andere Geſinnungen in den Mund. Wer von allen hat nun Recht?

Ha! welche Weſen ſind es, die das Thor
Der dunkeln Ahndungen entriegeln?
Was hebt den Geiſt auf goldbeſchwingten Flügeln
Zum ſternbeſäten Himmelplan empor?
Es ſchlägt der ſchwarze Vorhang ſich zurücke,
Und wundervolle Scenen thun ſich auf,
Seltſame Gruppen meinem ſtarren Blicke:
Wie Traumerinnrung ſtehn ſie da! mit friſchem
Glücke
Beginn ich froh den neuen Lebenslauf!
Ich fühle mich von jeder Schmach entbunden,
Die uns vom ſchönen Taumel rückwärts hält,
Die jämmerlichen Ketten ſind[verſchwunden],
Mit Freudejauchzen ſtürzen goldne Stunden
Raſch auf mich ein, und ziehn mich tanzend
durch die Welt.
Es ſammlen ſich aus den verborgnen Klüften
Die Freuden, wie Mänaden um mich her,
Es klingen ungeſehne Lieder in den Lüften,
Es wogt um mich ein ungeſtümes Meer,
Und Töne, Jauchzen, Wonne ſchwebt auf Blu -
mendüften,
Und alles ſtürmt um mich, ſo wie ein wildes Heer.
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Ich ſteh im glanzgewebten Feenlande,
Und ſehe nicht zur dürren Welt zurück,
Es feſſeln mich nicht irrdiſchſchwere Bande,
Entſprungen bin ich kühn dem meiſternden Ver -
ſtande,
Und taumelnd von dem neugefundnen Glück!
Hinweg mit allen leeren Idealen,
Mit Kunſtgefühl und Schönheitsſinn,
Die Stümper quälen ſich zumahlen,
Und nagen an den dürren Schaalen
Und ſtolpern über alle Freuden hin.
Hinweg mit Kunſtgeſchwätz und allen Muſen,
Mit Bilderwerk, lebloſen Puppentand,
Hinweg! ich greife nach der warmen Lebenshand,
Mich labt der ſchön geformte lebensvolle Buſen.
Ach, alles flieht wie trübe Nebelſchatten
Was ihr mit kargem Sinne ſchenken wollt;
Nur der beſucht Elyſiums ſchöne Matten,
Nur dem iſt jede Gottheit hold,
Der keinem Sinnentrug ſein Leben zollt.
Der nicht in Luſtgefilden ſchweift,
Und ſich an Dunſtphantomen weidet,
Durch kranke Wehmuth und Begeiſtrung ſtreift,
Nein, der die ſchlanke Nymphe raſch ergreift,
Die ſich zum kühlen Bad entkleidet.
Ihm iſt’s vergönnt zum Himmel ſich zu ſchwingen.
Es ſinkt auf ihn der Götter Flammenſchein,
Er hört das Chor von tauſend Sphären klingen,
Er wagt es zum Olymp hinauf zu dringen,
Und wagt es nur, ein Menſch zu ſeyn.
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Sie haben ſchon oft uͤber meine Verſe ge - ſpottet, und hier gebe ich Ihnen eine neue und noch beſſere Gelegenheit, denn ich habe die Syl - ben und ihre Laͤngen und Kuͤrzen nicht nachzaͤh - len moͤgen; ein ſo korrekter Kritiker, wie Sie, findet alſo fuͤr ſeine Bemerkungen Stoff genug.

Ich durchſchweife oft in meinen abentheuer - lichen Stimmungen die Stadt, und labe mich in der magiſchen Nacht an den wunderbaren und raͤthſelhaften Bildern der aͤußern Gegenſtaͤnde. Oft ſchwebt die Welt mit ihren Menſchen und Zufaͤlligkeiten wie ein beſtandloſes Schattenſpiel vor meinen Augen. Oft erſchein ich mir dann ſelbſt, wie ein mitſpielender Schatten, der koͤmmt und geht, und ſich wunderlich geberdet, ohne zu wiſſen warum. Die Straßen kommen mir dann nur vor, wie Reihen von nachgemach - ten Haͤuſern mit ihren naͤrriſchen Bewohnern, die Menſchen vorſtellen; und der Mondſchein, der ſich mit ſeinem wehmuͤthigen Schimmer uͤber die Gaſſen ausſtreckt, iſt wie ein Licht, das fuͤr andere Gegenſtaͤnde glaͤnzt, und durch einen Zufall auch in dieſe elende laͤcherliche Welt hineinfaͤllt.

Denn81

Dann ſchweif ich im wundervollſten Genuß der Phantaſie auf den freyen Plaͤtzen und zwi - ſchen den Ruinen umher, und ergoͤtze mich an den Geſtalten, die voruͤbergehn und mein Ge - fuͤhl nicht kennen, und von mir nichts wiſſen. Am liebſten aber begleite ich irgend eines der voruͤberſtreifenden Maͤdchen, oder beſuche eine meiner Bekantinnen, und traͤume mir, wenn mich ihre wolluͤſtigen Arme umfangen, ich liege und ſchwelge an Amaliens Buſen. Nichts macht mir dann meine eingebildete, alte ſchwaͤr - meriſche Liebe ſo abgeſchmackt und laͤcherlich, als dieſer vorſaͤtzliche Betrug.

Wie ſeltſam wird mir oft, wenn ich einem Maͤdchen nachfolge, die mich in ihre finſtre enge Wohnung fuͤhrt, wo ein Krucifix uͤber dem Bette haͤngt, und die Bilder der Madonne und von Maͤrtyrern neben Schminktoͤpfen und ſchmutzi - gen Glaͤſern mit Schoͤnheitswaſſern; oder wenn ich im Gedraͤnge von Lazaroni’s und Handar - beitern in einer Herberge hinter einer andern ſtehe, und mit eben ſo vieler Andacht den poͤ - belhaften Spaͤßen eines Pulicinello zuhoͤre, mit der ich ehedem den Shakſpear ſah. Das Leben iſt nichts, wenn man es nicht auf dieLovell. 2r Bd. F82ſinnlichroheſte Art genießt; der Widerſchein der Wolluſt faͤllt auf alle Gegenſtaͤnde, und faͤrbt auch die unintereſſanteſten mit einem goldenen Schimmer. Amalie iſt auch nur einer von den wandelnden Schatten, die Zeit ergreift ſie eben ſo, wie mich, und wirft das abgenutzte, veraltete Bild in ihre dunkeln Tiefen, in die kein Auge dringt, und wo die Marionetten von tauſend Jahrhunderten in bunter Vermiſchung aufgehaͤuft uͤbereinander liegen.

Leben Sie wohl, und kommen Sie nach Rom, es iſt endlich Zeit, kommen Sie gleich nach Empfang dieſes Briefes; ein wiederkehrender Freund erregt eben die Empfindung in uns, wie dem Kinde der wiederkehrende Fruͤhling.

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16. Willy an ſeinen Bruder Thoma’s.

Jetzt muß ich fort, Thomas, ich muß nach England, oder der Gram macht, daß ich mich hier in dem fremden, fatalen Lande muß begra - ben[laſſen]. Ach, wer haͤtte das wohl noch vor einem Jahre gedacht! Wer mir es geſagt haͤtte, den haͤtte ich fuͤr einen Luͤgner geſcholten, oder ihn wohl gar geſchlagen, wenn es ſich ſonſt haͤtte thun laſſen. Aber kein Menſch kann auf ſolche Sachen fallen, das iſt gewiß, weil bey der ganzen Geſchichte der boͤſe Feind ſein Spiel haben muß, das glaube ich nunmehr gewiß und ganz feſtiglich. Ach Thomas, wenn man jetzt noch nach Dir ſchlagen und ſtoßen wollte, Leu - te, die Du haſt groß werden ſehn, es wuͤrde mir wie kalt Waſſer durch die ganze Seele gehn, ja, und ſo muß Dir nun auch als einem red - lichen Bruder zu Muthe werden, wenn Du ſo was von mir hoͤrſt, da ich noch aͤlter bin, als Du biſt. Mein Herr, ach, denke Dir, letzt kam er ganz betrunken nach Hauſe, wie erF 284faſt alle Tage oder Naͤchte thut, und ich hatte die ganze lange kalte Nacht auf ihn wachen muͤſ - ſen, ich dachte an ſeinen alten kranken Vater, und die Thraͤnen kamen mir daruͤber in meine beiden Augen. Ich ſtellte ihm alſo ſeinen gan - zen Lebenswandel vor, und daß er ſich beſſern und aͤndern ſolle, ich ſagte ihm alles ſo recht aus meinem alten ehrlichen Herzen heraus, und da, Thomas, lachte er mich aus, wie ein wah - rer Heide. Da wurde ich denn auch hitzig, denn ich bin auch nur ein Menſch, lieber Bru - der, und jetzt ſchon alt und ſchwaͤchlich, gebrech - lich und baufaͤllig, ich fuhr ſo mit etlichen gott - ſeeligen Redensarten und Kernſpruͤchen heraus, und da lieber Bruder, ſeit der Zeit iſt mir, wie einem armen Suͤnder zu Muthe, da ſchlug er mit dem kleinen Stocke nach mir, den er noch aus unſerm lieben England mitgenommen hat, mit demſelben Stocke, den ich ihm noch in London gekauft habe; haͤtt ich das wohl da - mahls denken koͤnnen!

Nun laͤßt es mir hier keine Ruhe mehr, ich habe viel geweint, denn ich bin einmahl etwas weibiſch, ich kann es immer nicht vergeſſen, und der junge Lovell kommt mir nun ganz an -85 ders vor; ich kann ihn nicht mehr mit derſel - ben Liebe anſehn, ich bin ſo kleinmuͤthig und ſo gedemuͤthigt, als wenn ich Jemand ermordet haͤtte, welches Gott Zeit meines Lebens verhuͤ - ten moͤge.

Und ſollt ich zu Fuße nach England gehn, ſo muß ich jetzt fort, und ſollt ich heimlich wie ein Schelm fortlaufen, ſo kann ich nicht hier bleiben. Ach Bruder, ſtirb mir ja nicht vor - her, denn ſonſt haͤtt ich ja gar keine Freunde auf dieſer Erde mehr, ſondern lebe im Gegen - theil recht wohl, bis Dich muͤndlich wiederſieht

Dein armer Bruder Willy.

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17. Andrea Coſimo an Roſa.

Du haͤtteſt immer noch hier bleiben koͤnnen, und nicht mit der Eile die Bitte Deines Lovell zu erfuͤllen noͤthig gehabt. Ich melde Dir nur, daß ſich der junge Valois in England erſchoſ - ſen hat. Man ſollte ſich mit ſolchen armſeeli - gen Seelen gar nicht einlaſſen, die am Ende nicht einmal Muth genug haben, ihr Daſeyn zu ertragen. Das iſt wieder der Ausgang eines Deiner klugen und fein erſonnenen Projekte; entſchuldige Dich nun, oder geſtehe Deine Be - ſchaͤmung, je nachdem Du es am natuͤrlichſten findeſt.

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18. Eduard Burton an William Lovell.

Deine Briefe, ſo wie der Gedanke an Dich betruͤben mich ſeit einiger Zeit außerordentlich. Ach William, ich moͤchte Dir alles ſchicken, was Du mir ehemahls geſchrieben haſt, dann ſollteſt Du Dich ſelbſt wie in einem Gemaͤhlde betrachten, und Dich fragen: bin ich dieſem Bilde noch aͤhnlich? Aber ich fuͤrchte, Du wirfſt alles ungeleſen ins Feuer, obgleich die That wahrlich, wenigſtens halb ſo ſtrafbar waͤre, als wenn Du einen lebenden Zeugen Deiner Thorheiten vernichteteſt.

Koͤnnt ich doch eben ſo warm ſprechen, und die Feder mit eben der[Kunſt] der Ueberredung fuͤhren, wie Du! Aber alle Talente, die auch ehedem vielleicht in mir lagen, ſind jetzt durch Deine Abtruͤnn[i]gkeit von unſerm Bunde gede - muͤthigt, ich fuͤhle mich wie verſtoßen und ent - erbt, und ſeh, indem ich ſchreibe, uͤber die Wieſe nach der mittaͤgigen fernen Gegend, als wenn Du dort vom Huͤgel herunter kommen88 muͤßteſt, als wenn dann die ganze ehemalige Zeit wieder da waͤre. Ich traͤume und phan - taſire wie ein Kind, und weiß nicht, was ich mit meiner uͤbeln Laune anfangen ſoll.

Sollten wir denn nun wirklich ganz von ein - ander geriſſen ſeyn? Ach ja, es iſt, denn ich erkenne in Deinem Briefe den Lovell nicht wie - der, den ich ehemals liebte. Damals war Dein Leben und Deine Art zu fuͤhlen, wie ein ſanfter, leiſe murmelnder Bach, den meine Wel - len mit einer ſtillern und unmuſikaliſchern Melo - die begleiteten jetzt erſcheinſt Du wie ein Waſ - ſerſturz, dem ich erſchrocken aus dem Wege trete. Ach, William, ich gebe Dir ja zu, daß Du in manchen Ruͤckſichten jetzt kluͤger ſeyn magſt, als vordem, aber ich beſchwoͤre Dich, kehre, wenn es moͤglich iſt, zu jener kindlichen Einfalt zuruͤck. Ach ja wohl, wenn es moͤg - lich iſt!

Eine ſchwarze Ahndung geht mir durch die Seele, daß Du vielleicht den altvaͤteriſchen lah - men Ton in meinem Briefe belachſt, und mir mit einer neuen, noch frechern Dithyrambe ant - worteſt. Aber wenn Du es nun deutlich be - merkt haſt, wie vieles, was man wahr und89 groß nennt, in ſich ſelbſt zuſammen faͤllt, wenn man den Grund des Gebaͤudes unterſuchen will; ſo wage es nun auch, Dich ſelbſt wie ein Mann anzuruͤhren, und den Stoff Deiner eigenen Ge - danken naͤher zu betrachten. Sey aufrichtig ge - gen Dich ſelbſt, und Du findeſt denn vielleicht, daß Du in denſelben Fehler gefallen biſt, den Du ſo hitzig vermeiden wollteſt, daß Du ein eifriger Syſtematiker biſt, indem Du auf alle Syſteme ſchimpfſt.

Haſt Du wohl den wahren Geſichtspunkt, wenn Du jetzt mit ſo vielem Muthwillen, mit ſolcher verachtenden Ereiferung uͤber Dein vori - ges Weſen ſprichſt? Wir ſollten doch immer daran denken,[daß] jede unſrer jetzigen Meinun - gen mit einer fruͤheren zuſammenhaͤngen muß, daß die vorhergehende die ſpaͤtere erzeugt, und daß aus unſern jetzigen Ideen wieder neue her - vorgehen werden und muͤſſen, und daß wir uns ſo durch unmerkliche Abſtufungen endlich wieder einer laͤngſt veralteten Vorſtellungsart naͤhern koͤnnen: alles dies ſollte uns bewegen, nicht immer aus den vorigen Wohnungen unſrer See - len Ruinen zu ſchlagen, um aus dem jetzigen Pallaſte mit lachendem Spotte auf ſie hindeuten90 zu koͤnnen. Wie den Aufenthalt meiner Kind - heit, wie meine alten Bilderbuͤcher liebe ich al - les, was ich einſt dachte und empfand, und oft draͤngt ſich eine Vorſtellung aus den fruͤhſten Knabenjahren auf mich ein, und belehrt mich uͤber meine jetzigen Ideen. Der Menſch iſt ſo ſtolz, ſich fuͤr vollendet zu halten, wenn er ſein ganzes voriges Leben fuͤr verworfen an - ſieht, und wie ungluͤckſeelig muͤßte der ſeyn, der nicht mit jedem Tage etwas Neues an ſich auszubeſſern faͤnde, der das ſchoͤnſte und intereſ - ſanteſte Kunſtwerk gaͤnzlich aufgeben muͤßte, mit dem ſich die menſchliche Seele nur immer be - ſchaͤfftigen kann: die allmaͤhlige hoͤchſtmoͤgliche Vollendung ihrer ſelbſt.

Was ſoll ich Dir ſagen, William? Ich fuͤhl es, daß alle Worte vergebens ſind, wenn ſich der Gegner einer eigenſinnigen, rechthaberiſchen Sophiſterey ergeben hat, die am Ende doch nur einſeitig iſt. Dieſe mit der Leidenſchaft verbun - den iſt der Syrenengeſang, dem vielleicht kein Sterblicher widerſtehen kann, wenn er nicht wie der griechiſche Held von der Unmoͤglichkeit zu - ruͤckgehalten wird. Und es kann ſeyn, daß auch dann die giftigen Toͤne durch das ganze91 Leben nachklingen, daß die Seele beſtaͤndig wie eine verſengte Aehre, ſelbſt im Wachsthume, die Spur davon behaͤlt. Dein Vater iſt ſehr krank, und ich fuͤhle, daß ich es auch werden kann, wenn ich recht lebhaft an Dich denke; wir gewoͤhnen uns ſo leicht daran, das Ungluͤck, das wir nicht wuͤrklich vor uns ſehen, als eine poetiſche Fiktion zu betrachten, daß alle Jam - mertoͤne gleichſam unbefiedert in uns anſchlagen. Aber wenn ich mich dann zu Dir hinverſetze, wenn mir die Buͤcher in die Hand fallen, die wir ehemals zuſammen laſen, und ich noch ein - zelne Papierzeichen finde, oder angeſtrichne Stel - len von Dir entdecke. O komm zuruͤck, komm zuruͤck, William! Gedenke der ſuͤßen Har - monien, die Dich ſonſt umſchwebten, ein from - mer kindlicher Sinn wohnte Dir im Buſen, Du machteſt Dir das Kleinſte groß, und vergaßeſt daruͤber das Große; eine Blume war fuͤr Dich bedeutend, und ihr Verwelken merkwuͤrdig, in - dem Dich politiſche Streitigkeiten und Parthey - kaͤmpfe nicht kuͤmmerten: ach vergieb, daß ich Dich damals ſo oft dieſes zarten Kunſtſinns wegen ſchalt, ich ſehe jetzt mit Bedauern ein, daß die Seelen feinere Fuͤhlfaͤden haben, die92 ſich um Thautropfen und Lilien mit Wohlbeha - gen legen, als die ſich an Felſen anſaugen muͤſ - ſen, um mit einer ungeheuren Maſſe Ein We - ſen zu werden, damit ſie ſich ſelber intereſſiren. Ich dachte Dich dahin zu lenken, wo ich zu ſtehen glaubte, und Du biſt nun, wie mit zu ſtark gewachſenen Fluͤgeln unwiſſend uͤber das Ziel hinausgeflogen, das ich Dir ſetzen wollte.

Wenn Dir jetzt Amalie und ihre Liebe ſo abgeſchmackt erſcheint, in welchem Lichte muß dann unſre Freundſchaft vor Dir ſtehn? War ſie nicht auch ein Werk jugendlicher Begeiſte - rung, das Beduͤrfniß einer ſchoͤnen Eingeſchraͤnkt - heit des Gemuͤthes? War ich nicht etwas ei - ferſuͤchtig, als ich zuerſt Deine Neigung zu Amalien bemerkte? Betruͤbte ich mich nicht[in - nerlich], daß Deine Liebe zu einem andern We - ſen ſich nun unendlich hoͤher hob, als zu mir? Ach Lieber, unterſuche doch ums Himmelswillen nicht die kleinen Widerſpruͤche, die Kindereyen und Albernheiten, die ſo oft in unſern edelſten Neigungen und Gefuͤhlen liegen. Es iſt der gruͤne duftloſe Stengel der Blume, aber beide koͤnnen nur zuſammen exiſtiren. Was iſt der Menſch nach Deinen Ideen, die ſich doch93 in ſich ſelber widerſprechen? Die nichtswuͤrdigſte Verbindung ſeelenloſer Glieder, was giebt Dir denn nun dieſen feurigen Enthuſiasmus fuͤr Deine Meinung, wenn Du nichts mehr, als dieſe verworfene Maſchine biſt? Und koͤnnteſt Du ihn ohne jene edlere Gefuͤhle haben; ſo waͤrſt Du eben durch dieſe trunkene Schwaͤr - merey das veraͤchtlichſte unter allen denkbaren Weſen.

Ueberlege, daß das Leben eines ſo reizbaren Geiſtes, als der Deinige iſt, nur einer magi - ſchen Laterne gleicht, die an der Wand die bun - ten Gegenſtaͤnde abſpiegelt, die ihr vorgehalten werden: daß es nur Sinnenreiz iſt, was aus Dir ſpricht, nicht die innere, durch Gefuͤhl und Nachdenken gereifte Ueberzeugung. Gieb mir wenigſtens zu, daß dies moͤglich ſeyn kann, und unterſuche Dich genauer, und kehre zuruͤck, wenn Du es ſo findeſt. Ach es ſind viel - leicht nur die wiederholten Spruͤche eines kal - ten, verſchloſſenen Freundes, der mich aus Deinem Herzen verdraͤngt hat, deſſen Philoſo - phie nichts als ein blendendes Feuerwerk ſeyn ſoll, das ſeine Eitelkeit ſeinen Freunden giebt, und die Du, thoͤrichter Juͤngling, aus uͤbel -94 verſtandener Anhaͤnglichkeit in Dein Herz auf - nimmſt. O, vergieb mir, William, es iſt wahrlich nicht Haͤrte, die aus mir ſpricht, nur mein herzliches Gefuͤhl, das ich mir und Dir unmoͤglich verbergen kann.

Gieb Deiner Seele einmahl das traurige Feſt, laß die wehmuͤthigen tragiſchen Empfin - dungen ungehindert zu Dir kommen, und denke recht lebhaft mich, Deinen Vater und Ama - lien! denke ſie mit der Fruͤhlingsempfindung wieder, wenn Du jemals fuͤr ſie empfunden haſt, und Deine ganze Liebe nicht Affektation war. Mir ſchien es, als wuͤrde Dir in einem Deiner letzten Briefe die Entſagung Amaliens gar zu leicht, weil Du nun um ſo erlaubter Deine neue Lebensbahn antreten konnteſt. Wie komme ich zu dieſem Argwohn gegen mei - nen William? Ach, in manchen Augenblicken tritt es, wie der boͤſe Feind, zwiſchen uns, und will mein Herz ganz dem Deinigen abwendig machen; aber es ſoll gewiß nicht geſchehn.

Waͤreſt Du mir nicht zu wichtig; ſo koͤnnte ich Dir noch von meinem und Deinem Vater manche Umſtaͤnde ſchreiben, Dich auf manches vorbereiten, Dir zeigen, wie oft mit dem Un -95 gluͤcke das Gluͤck des Menſchen zuſammenhaͤngen koͤnne; aber ich will lieber ſchließen. Findeſt Du noch einiges Intereſſe fuͤr Deine ehemali - gen Wuͤnſche; ſo ſoll Dich der naͤchſte Brief von mir weitlaͤuftig daruͤber unterrichten.

Lebe wohl, lebe wohl, theurer William! ant - worte mir bald, und zeige mir, daß Du noch etwas von Deinem ehemaligen Gefuͤhle fuͤr Dei - nen Eduard uͤbrig haſt. Es iſt mir aͤngſt - lich den Brief zu ſchließen, weil ich nicht weiß, ob ich Dich im mindeſten uͤberzeugt habe, aber ich kann kein Wort mehr hinzuſetzen. In man - chen Rechtshaͤndeln des Lebens kann nur das Gefuͤhl allein das Wort fuͤhren, ein Haͤndedruck, eine Thraͤne erſetzt eine ganze Abhandlung, ach und meine Thraͤnen kannſt Du ja nicht ſehn, die Seufzer hab ich nicht niedergeſchrieben. Lebe wohl.

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19. William Lovell an Eduard Burtou.

Ja, Freund, Geliebter, Einziger, ich will, ich muß Dir antworten. Welchen Eindruck hat Dein Brief auf mich gemacht! O wie ein Gewitter iſt jedes Wort durch meinen Buſen gegangen, und die Fruͤhlingsſonne iſt auf ein - zelne Momente zwiſchen den Regenſchauern zu - ruͤckgekehrt. Ich wollte Dir ſo vieles ſagen, und weiß nun keine Worte zu finden. Ich bin beklemmt, die Angſt draͤngt mein Blut nach der Kehle, ach, ein Blutſturz wuͤrde mir Lin - derung ſchaffen, und meinem Herzen ein Lab - ſal ſeyn. Und doch koͤnnt ich nicht froh ſeyn, ich moͤchte mein ganzes Daſeyn in ſtuͤrzenden Thraͤnenguͤſſen dahin weinen, um nur der druͤcken - den Buͤrde des Lebens los zu werden. Wenn ich an mein voriges Gluͤck denke, und der ge - ſtrige Taumel noch wie ein Dampf voll unge - heurer Geſtalten vor meinen truͤben Augen zit - tert, Du haſt gewaltig an die Kette geriſſen, die unſre Seelen an einander bindet, die Wunde,die97die ſich geſpaltet hat, iſt ſchmerzhafter, als jene, die Du haſt heilen wollen.

Ach Eduard, wenn ich nicht meinen Vater fuͤrchtete, ſo floͤg ich jetzt nach England zuruͤck, und ſtuͤrzte als reuiger und beſchaͤmter Suͤnder vor Amaliens Fuͤßen nieder, daß ſie mir ver - gaͤbe, oder ich den Tod von ihrer Hand em - pfinge.

Es iſt wie Wetterleuchten am Horizont mei - nes Lebens, wie Klocken, die aus der Ferne den Goͤtterlaͤſterer zur Kirche und zur Strafe ru - fen. Vergieb Du mir zuerſt, mein Eduard, ach, weiß ich denn nicht, daß, wenn mein Schickſal in Deiner Hand ſtaͤnde, ich der Gluͤcklichſte der Menſchen waͤre!

Moͤcht ich wenigſtens nicht wieder von die - ſem Taumel der Angſt erwachen, die mich all - maͤchtig ergriffen hat, ach ich fuͤhle ſchon jetzt die duͤſtere entſetzliche Leere, die ihr folgen wird. Lebe wohl, Theureſter meiner Seele, und erquicke mich durch Deine Briefe, ſo wie Du mir durch dieſen den letzten Muth entriſſen haſt.

Ich kann nicht weiter.

Lovell. 2r Bd. G98

20. Der Advokat Jackſon an den Lord Burton.

Hochwohlgebohrner Herr,

Ich bin den Befehlen, die mir Ew. Gnaden neulich zukommen ließen, auf das[treulichſte] ge - folgt. So viel es von mir abhaͤngen konnte, habe ich den Gang des Prozeſſes beſchleunigt, und ich bin feſt uͤberzeuget, daß ich jetzt ſo viel gethan habe, als nur in meinen Kraͤften ſtand. Dieſelben werden auch Ihre neulichen Briefe allbereits zuruͤck erhalten haben, ſo daß ich den Befehlen, die Sie mir ertheilten, die genauſte Folge geleiſtet habe.

Jetzt hat ſich nun ein Vorfall ereignet, der den ganzen Prozeß in kurzer Zeit voͤllig beendi - gen koͤnnte, aber leider zu Ew. Gnaden Nach - theil. Neulich ſaß ich noch ſpaͤt in der Nacht in einem Zimmer auf dem Lovellſchen Landgute, das mir der Lord eingeraͤumt hat, um dort zu99 arbeiten. Man hat mir die Erlaubniß gegeben, alles zu durchſuchen, wo ich irgend nur Belege und Papiere zur Aufklaͤrung der Sache zu fin - den hoffte. Ich hatte ſchon ganz, ſo wie der Lord, die Hoffnung aufgegeben, die bewußten Dokumente, die die Beſcheinigung der Bezah - lung enthalten, jemahls aufzufinden, ich hatte ſchon alles durchforſcht, was mir zu meinem Endzwecke nur irgend merkwuͤrdig ſchien. Jetzt gerieth ich in der Nacht uͤber eine Schublade, die ich ſchon oft aufgezogen habe, und entdecke in dieſer einen verborgenen Kaſten, ich oͤffne ihn mit zitternder Hand, und finde, daß mich meine Ahndung nicht betrogen hatte. Die be - wußten wichtigen Dokumente ſind nunmehr in meiner Hand.

Ich wuͤrde es fuͤr Ungerechtigkeit halten, wenn ich nunmehr ſogleich den Prozeß zu Lo - vells Vortheil beendigte, wie es jetzt allerdings nur eine Kleinigkeit waͤre. Ich glaubte, ich ſey es Ew. Hochwohlgebohrn ſchuldig, Denen - ſelben zuvor wenigſtens von dieſer Begebenheit Nachricht zu ertheilen, um zu erfahren, ob SieG 2100nicht noch vielleicht neue und wichtige Gruͤnde vorzubringen haͤtten, die nachher etwas von ih - rer Kraft verlieren moͤchten; oder ob Dieſelben nicht uͤberhaupt zuvor die Dokumente in Au - genſchein nehmen wollten, um ihre Rechtmaͤßig - keit zu pruͤfen. Ich darf ſie aber auf keinen Fall der Poſt anvertrauen, und Ew. Gnaden haben mir, einen Bothen zu ſenden, ausdruͤck - lich unterſagt: es bleibt mir alſo kein andrer Weg uͤbrig, als Ew. Gnaden zu erſuchen, die Reiſe hieher ſelber zu machen, oder mich nach Bonſtreet kommen zu laſſen; oder ich koͤnnte Ihnen auch auf dem halben Wege bis Not - tingham entgegen kommen. Ganz, wie Sie es befehlen.

Bis ich das Gluͤck gehabt habe, Ew. Gna