PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Staatengeſchichte der neueſten Zeit.
Sechsundzwanzigſter Band.
Deutſche Geſchichte im neunzehnten Jahrhundert
Dritter Theil.
LeipzigVerlag von S. Hirzel.1885.
[III]
Deutſche Geſchichte im Neunzehnten Jahrhundert
Dritter Theil. Bis zur Juli-Revolution.
LeipzigVerlag von S. Hirzel.1885.
[IV][V]

Vorwort.

Bei der Bearbeitung dieſes Bandes mußte ich fort und fort mit der erdrückenden Maſſe der handſchriftlichen Quellen ringen. Außer den unerſchöpflichen Schätzen des Berliner Geheimen Staatsarchivs waren mir von beſonderem Werthe die Denkſchriften und Berichte des badiſchen Bundesgeſandten Frhrn. v. Blittersdorff, der zuerſt der Politik der Mittel - ſtaaten, nachher dem Wiener Hofe als rühriger Parteigänger diente. Sie bieten eine erwünſchte Ergänzung zu dem Nachlaß von Metternich und Gentz. Alſo kann ich es zur Noth verſchmerzen, daß die öſterreichiſchen Archive für die Zeit nach 1815 bekanntlich noch unzugänglich ſind, und ich nicht zu den Glücklichen gehöre, zu deren Gunſten man in Wien eine Ausnahme macht. Ueber die deutſche Politik der kleinen Staaten habe ich in den Karlsruher Akten, in der Correſpondenz der Naſſauiſchen Staatsmänner Marſchall und Röntgen, ſowie in einigen Blättern der Denkwürdigkeiten des Miniſters du Thil, welche ich im Darmſtädter Archive einſehen durfte, manche neue Aufklärung gefunden. In den meiſten Fällen war ich daher im Stande, die politiſchen Pläne der drei großen Parteien des Deutſchen Bundes nach den eigenen Worten ihrer Urheber darzuſtellen.

Außerdem ſind mir aus allen Theilen des Vaterlandes von Be - kannten und Unbekannten mannichfache Nachrichten zugegangen, und ich kann nur herzlich bitten, daß meine Leſer mir dies Vertrauen, das mich oft tief ergriffen und beſchämt hat, auch bei den folgenden Bänden be - thätigen mögen. Selbſt die Angehörigen ſolcher Männer, die ich nicht rühmen konnte, ſelbſt die Neffen Karl Follen’s haben mich durch belehrende Mittheilungen zu Dank verpflichtet. Die reichſte Ausbeute gewährten mir die Papiere des Miniſters v. Motz, welche mir ſein Neffe, der inzwiſchenVIVorwort.verſtorbene Oberſtleutnant v. Motz in Weimar zur Einſicht überſendete. Durch ſie ward es mir erſt möglich, das Bild des hochſinnigen Staats - mannes, der in den Jahren nach Hardenberg’s Tode das Beſte für Deutſchlands Einheit gethan hat, in das rechte Licht zu rücken.

Die quellenmäßige Darſtellung einer nahen Vergangenheit, welche faſt Niemand recht kennt und doch Jedermann zu kennen glaubt, müßte ſehr geiſtlos ſein, wenn ſie nicht den Zorn politiſcher Gegner erregte. Halbkenner haben zu allen Zeiten die ungeſchminkte Wahrheit am ſchwerſten ertragen.

Auch für dieſen Band muß ich die Leſer um einige Geduld bitten, zumal für ſeine erſten Bogen. Aus dem Gewühl der oft ſo kleinlichen und abgeſchmackten Händel deutſcher Politik treten doch immer wieder be - deutende Männer, große Machtfragen, fruchtbare Gedanken heraus, deren Wirkſamkeit wir heute noch ſpüren. Ueber dem bunten Wirrſal waltet die Nothwendigkeit einer erhabenen Vernunft.

Noch deutlicher als ſein Vorgänger zeigt der vorliegende Band, daß die politiſche Geſchichte des Deutſchen Bundes nur vom preußiſchen Standpunkt aus betrachtet werden kann; denn nur wer ſelber feſt ſteht, vermag den Wandel der Dinge zu beurtheilen. Die Macht Preußens in unſerem neuen Reiche iſt von langer Hand her durch redliche ſtille Arbeit vorbereitet; darum wird ſie dauern.

Berlin, 5. December 1885.

Heinrich v. Treitſchke.

[VII]

Inhalt.

  • Drittes Buch.
  • Oeſterreichs Herrſchaft und Preußens Erſtarken 1819 1830.
  • Seite
  • 1. Die Wiener Conferenzen3
  • Die Schluß-Akte des Deutſchen Bundes3
  • Kampf um das preußiſche Zollgeſetz29
  • Das Manuſcript aus Süddeutſchland. Heſſiſche Verfaſſung47
  • 2. Die letzten Reformen Hardenberg’s68
  • Das Staatsſchulden-Edikt und die Steuergeſetze68
  • Entwürfe der Kreis - und Gemeindeordnung98
  • Reaction am Hofe. Der Kronprinz113
  • 3. Troppau und Laibach131
  • Die Revolution in den romaniſchen Ländern131
  • Congreß von Troppau151
  • Congreß von Laibach. Erhebung der Griechen173
  • 4. Der Ausgang des preußiſchen Verfaſſungskampfes198
  • Verhandlungen mit dem römiſchen Stuhle. Clericale Bewegung198
  • Die preußiſchen Provinzialſtände226
  • 5. Die Großmächte und die Trias254
  • Congreß von Verona254
  • Wangenheim und die Triaspolitik. Die Darmſtädter Zollconferenzen283
  • Demüthigung Württembergs. Epuration des Bundestags314
  • Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe. Reaction in Süddeutſchland. Verwicklung im Orient333
  • 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod361
  • Der Staatsrath und die Provinziallandtage361
  • Der Hof. Agendenſtreit. Gemiſchte Ehen390
  • Verwaltung und Heer. Berliner Leben418
  • Die Demagogen-Verfolgung433
  • Motz’s deutſche Handelspolitik453
  • 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland486
  • Königreich Sachſen487
  • Kurheſſen517
  • Die welfiſchen Lande. Georg IV. und Karl von Braunſchweig534
  • Mecklenburg. Oldenburg. Hanſeſtädte566
  • Erſtes Anklopfen der ſchleswig-holſteiniſchen Frage586
  • VIII
  • Seite
  • 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine603
  • König Ludwig von Baiern603
  • Die Stuttgarter Zollconferenzen623
  • Der preußiſch-heſſiſche und der bairiſch-württembergiſche Zollverein629
  • Der mitteldeutſche Handelsverein649
  • Preußens Sieg. Preußiſch-bairiſcher Handelsvertrag661
  • 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit682
  • Dichtung und Wiſſenſchaft682
  • Radicalismus und Judenthum701
  • Anfänge der Hegel’ſchen Philoſophie714
  • 10. Preußen und die orientaliſche Frage723
  • Auflockerung der großen Allianz. Navarin723
  • Ruſſiſch-türkiſcher Krieg. Friede von Adrianopel737
  • Beilagen. VI. Schmalz und ſein Rother Adlerorden751
  • VII. Die Burſchenſchaft und die Unbedingten754
  • VIII. Metternich und die preußiſche Verfaſſung756
  • IX. Baiern und die Karlsbader Beſchlüſſe761
  • X. Die Communalordnung vom Jahre 1820768
  • XI. Zur Geſchichte des preußiſchen Verfaſſungskampfes769
  • XII. Die Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe769
  • XIII. Schön’s Denkſchrift über die Provinzialminiſterien770
  • XIV. Motz an Kurfürſt Wilhelm I. 770
  • XV. Nebenius und der deutſche Zollverein773

Berichtigungen.

  • Seite 3, Zeile 1 v. u. lies: 28. Mai 1824.
  • 45, 21 v. o. lies: deutſchen Stämme.
  • 116, 7 v. o. lies: Großgrundbeſitzes.
  • 144, 18 v. o. lies: blendende Halbwahrheit.
  • 204, 3 v. u. lies: im Oſten.
  • 219, 3 v. o. lies: könne.
  • 225, 13 v. o. lies: Bisthum.
  • 328, 9 v. u. lies: ſeine Schriften.
  • 428, 16 v. u. lies: hiſtoriſch-philologiſchen.
  • 589, 14 v. u. lies: aus den Kirchſpielen.
[1]

Drittes Buch. Oeſterreichs Herrſchaft und Preußens Erſtarken. 1819 1830.

[2][3]

Erſter Abſchnitt. Die Wiener Conferenzen.

Die Macht der trägen alltäglichen Gewohnheit betrügt den Genius zuweilen um die Früchte ſeines Schaffens, aber ſie hemmt auch oft das Unrecht auf ſeiner vermeſſenen Bahn. Ein Staatsſtreich, wie er dem Fürſten Metternich zu Karlsbad und Frankfurt gelungen war, läßt ſich nicht ſogleich wiederholen, am wenigſten in der vielgetheilten deutſchen Welt. Die Angſt des Sommers 1819 war verflogen, die neuen Aus - nahmegeſetze genügten vorläufig um die wirklichen wie die eingebildeten Gefahren einer demagogiſchen Schilderhebung zu beſchwören, und je ſicherer man ſich wieder fühlte, um ſo mächtiger regte ſich an den kleinen Höfen wieder die Empfindung, welche in friedlichen Zeitläuften bei ihnen immer vorherrſchte: die Sorge um ihre Souveränität.

Wohl hatte Baiern ſeinem nachträglichen Widerſpruche gegen die Karlsbader Beſchlüſſe ſelber wieder die Spitze abgebrochen durch eine be - ſchwichtigende Erklärung an die beiden Großmächte, und dem König von Württemberg war die in Warſchau geſuchte Hilfe nicht zu theil geworden. Die Wirkſamkeit der Bundesbeſchlüſſe ward auch dadurch keineswegs beein - trächtigt, daß der Münchener Hof ſich bei ihrer Ausführung eine kleine Eigenmächtigkeit erlaubt, die Executionsordnung gar nicht veröffentlicht, die Cenſur nur für politiſche Zeitſchriften eingeführt hatte; denn die Exe - cutionsordnung, die ja nur dem Bunde, nicht den Einzelſtaaten neue Befugniſſe gewährte, beſtand unzweifelhaft zu Recht, ſeit der Bundestag ſie verkündigt hatte, und für das Wohlverhalten der bairiſchen Schrift - ſteller war durch die Amtsgewalt der Polizeibehörden ſo ausgiebig geſorgt, daß Zentner ſpäterhin, der Wahrheit gemäß, verſichern konnte: auf ſolche Weiſe werde der Zweck des Karlsbader Preßgeſetzes ebenſo gut und oft noch ſicherer erreicht als durch eine Cenſur . *)Zentner, Denkſchrift über die Verlängerung der Karlsbader Beſchlüſſe, Juni 1824.Gleichwohl fühlte Har - denberg, daß aus allen dieſen zaghaften Widerſtandsverſuchen ein ſtiller Groll ſprach, der leicht gefährlich werden konnte. Wer vermochte zu ſagen, ob nicht der bairiſche Kronprinz vielleicht bald am Hofe ſeines1*4III. 1. Die Wiener Conferenzen.gutherzigen Vaters obenauf kommen würde? Der junge Fürſt war ein entſchiedener Gegner der Karlsbader Beſchlüſſe; ſein ganzes Weſen em - pörte ſich dawider, die freiſinnige, volksthümliche, teutſche Geſinnung, deren er ſich ſo gern rühmte, und der Stolz auf die Souveränität des Hauſes Wittelsbach. Man wußte in Berlin, daß Baiern und Württem - berg fortan auf der Hut waren; beide Höfe hatten ihren Bevollmäch - tigten die Weiſung ertheilt, auf den bevorſtehenden Wiener Miniſterbe - rathungen nichts zu bewilligen, was der Landesverfaſſung zuwiderliefe. *)Zaſtrow’s Bericht, München 17. Nov.; Küſter’s Bericht, Stuttgart 29. Nov. 1819.Das rückſichtsloſe Gebahren der beiden Großmächte in Karlsbad hatte ſelbſt die hochconſervativen kleinen Höfe des Nordens verſtimmt; ſogar der greiſe, dem Hauſe Oeſterreich ſo treu ergebene König von Sachſen äußerte ſich unzufrieden über die geringſchätzige Behandlung des Bundestags. Das Alles mahnte zur Vorſicht, und obgleich Hardenberg die Angriffe des Grafen Kapodiſtrias glücklich abgeſchlagen hatte, ſo hielt er doch für rath - ſam, den Argwohn der ruſſiſchen Staatsmänner nicht noch mehr zu reizen, ihnen keinen Vorwand für geheime Zettelungen in Deutſchland zu bieten. Sobald General Schöler meldete, daß der Petersburger Hof den Wiener Miniſterberathungen mit lebhafter Beſorgniß entgegenſehe, ließ Bernſtorff ſogleich begütigend antworten, man beabſichtige in Wien durchaus keine Aenderung, ſondern nur die Ausführung und Entwicklung der Bundes - akte. **)Bernſtorff an Ancillon, 7. Dec. 1819.

Aber auch Preußens eigenes Intereſſe ſchien dem Staatskanzler nach den Erfahrungen der jüngſten Wochen ernſtlich gefährdet, wenn man den in Teplitz eingeſchlagenen Weg weiter verfolgte. Dort hatte Hardenberg die Hand geboten zu einer Erweiterung der Befugniſſe des Bundes, welche dem völkerrechtlichen Charakter der Bundesverfaſſung zuwiderlief und ohne eine ſelbſtändige Centralgewalt ſich kaum behaupten ließ. In - zwiſchen war er zu der Einſicht gelangt, daß er ſelbſt die nächſte und wichtigſte Aufgabe ſeiner deutſchen Politik, die Aufrechterhaltung des neuen Zollſyſtems nur durchführen konnte, wenn ihn die Bundesgewalt nicht durch willkürliche Eingriffe ſtörte. Beſonders ſo ſchrieb er, als er dem Grafen Bernſtorff mit Genehmigung des Königs ſeine Weiſungen für die Wiener Verſammlung ertheilte beſonders ſind es die kleinen Staaten, welche oft, von einem falſchen und anmaßlichen Gefühl ihrer Souveränität verleitet, in nothwendigen Einrichtungen der großen Staaten eine Verletzung ihrer Gerechtſame finden. Der erſte beſcheidene Verſuch das preußiſche Zollgebiet zu erweitern hatte die kleinen Nachbarn alle - ſammt in Harniſch gebracht; kein Zweifel, daß ſie in Wien verſuchen würden, durch einen Beſchluß der Bundesgeſammtheit das preußiſche Zoll - geſetz zu vernichten. Durfte Preußen dieſen Gegnern ſelber die Waffen5Veränderte Politik der beiden Großmächte.ſchleifen und jetzt noch für die Errichtung eines ſtehenden Bundesgerichts wirken, die Lebensfragen ſeines Verkehrs, die ganze Zukunft der deutſchen Handelspolitik den unberechenbaren Ausſprüchen eines Tribunals unter - werfen, bei dem die Kleinſtaaten den Ausſchlag gaben? Sobald Harden - berg eines der großen Probleme der praktiſchen deutſchen Einheit ernſtlich ins Auge faßte, führte ihn die Natur der Dinge zurück zu jener nüch - ternen Auffaſſung des Bundesrechts, welche ſich Humboldt ſchon bei der Eröffnung des Bundestags gebildet hatte;*)S. o. II. 144. er erkannte, daß die wirth - ſchaftlichen Intereſſen der Nation nur unabhängig vom Bunde, allein durch Verhandlungen zwiſchen den einzelnen Höfen gefördert werden konnten.

Eine ſtarke, das innere Leben der Einzelſtaaten meiſternde Bundes - gewalt, wie er ſie noch auf dem Wiener Congreſſe erſtrebt, erſchien ihm nunmehr weder möglich noch wünſchenswerth, nachdem der Bund eine andere Organiſation und Entwicklung als wir dabei vorausgeſetzt, er - halten hatte. Die Bundesverfaſſung, wie ſie war, beruhte auf der Sou - veränität der Einzelſtaaten; nur wenn man dieſen Grundſatz rückhaltlos anerkannte, verſprachen die Wiener Verhandlungen irgend ein Ergebniß. Daher wiederholte der Staatskanzler zwar nachdrücklich die alte Forde - rung Preußens, daß die Bundeskriegsverfaſſung endlich geregelt würde; er wollte auch die Karlsbader Beſchlüſſe als Nothgeſetze für wenige Jahre unverbrüchlich feſthalten, aber eine noch ſtärkere Einwirkung auf die inneren Angelegenheiten der Einzelſtaaten dachte er dem Bunde nicht einzuräumen. Alſo kein ſtändiges Bundesgericht, auch keine definitive Executionsordnung, ſo lange die proviſoriſche noch nicht erprobt ſei. Selbſt die verfaſſungs - mäßige Einſtimmigkeit bei allen Beſchlüſſen über organiſche Einrichtungen wollte Hardenberg jetzt nicht mehr beſeitigen, da die kleinen Staaten eine gerechtere Stimmenvertheilung am Bundestage doch niemals bewilligen würden. Ueber den Art. 13 der Bundesakte äußerte er nur einige un - maßgebliche Wünſche und meinte ſchließlich trocken: am rathſamſten viel - leicht, man ließe es ganz bei den allgemeinen Erinnerungen des Präſi - dialvortrags in der letzten Bundestagsſitzung bewenden. **)Inſtruktion für Bernſtorff, 10. Nov. 1819.

Auch Metternich begann bereits vorſichtig einzulenken. Prahleriſch genug ſchrieb er freilich kurz vor Eröffnung der Conferenzen an den ge - treuen Berſtett: Zählen Sie auf uns. Zählen Sie auf den feſten Gang Preußens, ich bürge Ihnen dafür. Zählen Sie endlich auf die ungeheure Mehrheit der deutſchen Regierungen und vor Allem auf Sich ſelbſt. Sie werden mich hier wieder finden, wie Sie mich am letzten Tage in Karlsbad verlaſſen haben, Sie werden außerdem den Kaiſer fin - den, ſicherlich eine ungeheure moraliſche Macht! ***)Metternich an Berſtett, 30. Okt. 1819.Indeß fühlte er wohl, daß er jetzt nicht wieder, wie in jenen böhmiſchen Siegestagen, als6III. 1. Die Wiener Conferenzen.Dictator auftreten durfte. Seine Abſicht, das Repräſentativſyſtem überall durch landſtändiſche Verfaſſungen zu verdrängen, war in Karlsbad ge - ſcheitert; um wie viel weniger konnte ſie hier in Wien durchdringen, auf umſtändlichen, förmlichen Miniſterconferenzen, wo die Künſte der Ein - ſchüchterung und der Ueberraſchung nichts ausrichteten. Er fügte ſich alſo klug in die Umſtände und gab ſchon dem Einladungsſchreiben, das am 16. Oktober an die kleinen Souveräne abging, eine beſcheidene, unver - fängliche Form: nur eine vorbereitende Rückſprache zwiſchen den deut - ſchen Regierungen ſei beabſichtigt, damit der Bundestag für die wichtigen Beſchlüſſe, welche Graf Buol am 20. September angekündigt, überein - ſtimmende Inſtruktionen erhalte. *)Metternich an Berſtett, 16. Okt. 1819, nebſt Einladungsſchreiben an die Groß - herzöge von Heſſen u. ſ. w.

Als nun in der zweiten Hälfte des Novembers die geladenen Be - vollmächtigten aller ſiebzehn Stimmen des engeren Rathes ſich bei ihm meldeten, da fand er die meiſten wohlgeſinnt, bereit zu Allem, was den Beſtand des monarchiſchen Princips irgend befeſtigen konnte, aber auch voll Furcht vor einer neuen Schmälerung ihrer Souveränität, und willig ging er auf die verſöhnlichen Rathſchläge ein, welche ihm Bernſtorff in vertraulichen Vorbeſprechungen ertheilte. Die Beiden wurden einig, von den September-Beſchlüſſen nicht um ein Haar abzuweichen, auch keine erneute Beſprechung des Geſchehenen zu geſtatten; fortan aber ſollte ſich die Karlsbader Politik in den Grenzen des Ausführbaren halten, auf dem Wege des Glimpfs und der Eintracht nach einer Ausgleichung mit den anders geſinnten Bundesgenoſſen ſtreben, bei der ſchwierigen Ausle - gung des Art. 13 zugleich das monarchiſche Princip und die Bundesein - heit ſichern und doch Schonung üben gegen die Staaten, welche bei ihrem Verfaſſungswerk jene doppelte Rückſicht großentheils ſchon aus den Augen verloren hatten . **)Bernſtorff’s Bericht, 24. Nov.; Bernſtorff an Ancillon, 23. Nov. 1819, an Goltz, 25. März 1820.Um den Argwohn der kleinen Höfe von vornherein zu beſchwichtigen, erging ſich Metternich in brünſtigen Betheuerungen ſeiner Bundestreue: die Bundesakte, ſo verſicherte er gleich in der erſten Sitzung, ſei für den Wiener Hof ſchlechthin heilig; ſelbſt wenn ſich ein Sprach - fehler darin nachweiſen ließe, würde Kaiſer Franz niemals ein Wort in dieſer heiligen Urkunde abändern laſſen. Damit war unzweideutig ange - kündigt, daß Oeſterreich eine willkürliche Verſtärkung der Bundesgewalt, wie ſie in Karlsbad beſchloſſen worden, für jetzt nicht wieder beabſichtigte.

Die Vertreter der beiden Großmächte erwarteten anfangs eine leb - hafte Oppoſition von Seiten Baierns und Württembergs, doch ſahen ſie ſich bald angenehm enttäuſcht. ***)Bernſtorff’s Berichte, 30. Nov., 7. Dec.; Bernſtorff an Ancillon, 30. Nov. 1819.Der bairiſche Bevollmächtigte, Zentner verſtand den Wünſchen beider Parteien des Münchener Cabinets zu ge -7Haltung Baierns und Württembergs.nügen und ſchlug eine mittlere Richtung ein, welche, wie die Dinge lagen, für ſeinen Staat die einzig richtige Politik war. Er bekannte unverhohlen ſeine Verfaſſungstreue und verfocht mit juriſtiſchem Scharfſinn jene ſtreng partikulariſtiſche Anſicht des Bundesrechts, welche das Haus Wittelsbach ſchon auf dem Wiener Congreſſe und ſeitdem am Bundestage beharrlich ver - treten hatte: nach der bairiſchen Doctrin war das Grundgeſetz des Bun - des allein in den elf erſten Artikeln der Bundesakte enthalten, die be - ſonderen Beſtimmungen der neun letzten Artikel über die inneren Ver - hältniſſe der Bundesſtaaten galten in München nur als eine freiwillige, nicht unbedingt verbindliche Verabredung zwiſchen ſouveränen Mächten. Aber man wußte ſtets woran man mit dem Baiern war. Von den libe - ralen Neigungen, die man ihm fälſchlich zugetraut, zeigte er gar nichts; er vermied jedes Wort, das ihn in dieſem Kreiſe verdächtigen konnte, um ſo vorſichtiger, da ihm ſeine Genoſſen nachdrücklich vorhielten, daß der Münchener Hof ſelber durch ſeine Hilferufe die Karlsbader Beſchlüſſe mit veranlaßt hatte. Blieb nur die Souveränität der Wittelsbacher und ihre Landesverfaſſung unangetaſtet, ſo bot er willig ſeine Hand zu jedem An - trage, der die Ordnung ſichern ſollte; und da er in den Verhandlungen ſich als ein ausgezeichneter Geſchäftsmann bewährte, immer gelaſſen und höflich, arbeitſam und unterrichtet, ganz frei von Argliſt, ſo kam er ſelbſt mit Metternich, wie Rechberg vorausgeſagt, auf einen guten Fuß. Mit Bernſtorff verband ihn bald eine vertrauensvolle Freundſchaft, und wie - der einmal erwies ſich die Verſtändigung zwiſchen den beiden größten rein deutſchen Staaten als naturgemäß und heilſam: ſie konnte zwar, wie hier die Parteien ſtanden, nur wenig Gutes ſchaffen, doch manche Thor - heit reaktionärer Parteipolitik verhindern.

Minder freundlich, aber faſt noch ungefährlicher erſchien die Haltung Württembergs. Ueber den Plänen des Stuttgarter Hofes lag noch immer jenes ſeltſame Zwielicht, das dem Charakter König Wilhelms zuſagte. Der preußiſche Geſandte vermochte ſchlechterdings nicht durchzuſehen; bald verſicherte ihm ein Miniſter, der Hof ſei im Grunde mit den Karlsbader Beſchlüſſen ganz einverſtanden, bald erging ſich der König vor dem ruſ - ſiſchen Geſandten in hochliberalen Aeußerungen. *)Küſter’s Berichte, 21. Sept., 23. Okt., 29. Nov. ff. 1819.Die nämliche Unſicher - heit verrieth ſich auch bei der Wahl der Bevollmächtigten für die Conferenz. Wintzingerode blieb in Stuttgart, aus denſelben Gründen, welche Rech - berg in München zurückhielten: er wollte ſeinen Monarchen nicht aus den Augen laſſen und in den Sitzungen des Geheimen Raths den Ausſchlag geben. **)Küſter’s Bericht, 26. Okt. 1819.Statt ſeiner wurde Graf Mandelsloh bevollmächtigt, ein gut - müthiger, bequemer, urtheilsloſer alter Herr, deſſen politiſche Unſchuld über jeder Anfechtung erhaben war. Doch ganz ohne Hintergedanken ver -8III. 1. Die Wiener Conferenzen.mochte die Stuttgarter Politik nie zu handeln. Als Gehilfe, ohne Stimm - recht, wurde dem harmloſen Geſandten der Freiherr v. Trott beigegeben, ein liberaler Rheinbundsbureaukrat, wie der Schwabenkönig ſie liebte, geſcheidt, thätig, ehrgeizig. Er galt ſeit einigen Monaten für den nächſten Vertrauten König Wilhelms; freilich wußte Niemand zu ſagen, wie lange dies Glück währen würde, da die Rollen am Stuttgarter Hofe ſehr raſch zu wechſeln pflegten. In Wien fand er von vornherein eine üble Auf - nahme, weil er als Bonapartiſt verrufen war und den Triasplänen Wan - genheim’s nahe ſtand; der kurheſſiſche Geſandte Münchhauſen weigerte ſich ſogar mit ihm gemeinſam zu berathen, der einſt als Präfekt unter König Jerome gedient hatte. Alſo von allen Seiten beargwöhnt, und über - dies mit ſeinem Vorgeſetzten perſönlich verfeindet, vermochte Trott auf den Conferenzen keine Rolle zu ſpielen; nur zuweilen, wenn von Stuttgart her ein kleines Ränkeſpiel eingeleitet wurde, trat er aus dem Dunkel heraus. *)Einiges Nähere bei Aegidi, die Schlußakte der Wiener Miniſterial-Conferenzen, II. 62.

Unter den übrigen Bevollmächtigten ragte der darmſtädtiſche Miniſter Freiherr du Thil hervor, ein ſcharfer ſtaatsmänniſcher Kopf, der als ſtreng conſervativer Monarchiſt verrufen, gleichwohl die praktiſchen Ziele der nationalen Politik und den deutſchen Beruf des preußiſchen Staates freier, richtiger beurtheilte als die Mehrzahl der Liberalen; er erwarb ſich hier bei den preußiſchen Staatsmännern ein Anſehen, das dereinſt noch für Deutſchlands Einheit ſeine Früchte tragen ſollte. **)Otterſtedt’s Bericht, Darmſtadt 10. Juni 1820 ff.Aber auch er zeigte ſich immer bedenklich, ſo oft von erweiterten Befugniſſen des Bun - des die Rede war. Aehnlich dachten die meiſten anderen Miniſter, bis herab zu dem wackeren Fritſch, der die erneſtiniſchen Höfe vertrat, und dem Senator Hach, dem Bevollmächtigten der freien Städte. Und dieſe Geſinnung der Staatsmänner entſprach unzweifelhaft der Meinung der Nation.

Es war der Fluch der Karlsbader Politik, daß jede Verſtärkung der Bundesgewalt nunmehr als eine Gefahr für die bürgerliche Freiheit be - trachtet wurde. In einem Volke, das den nationalen Stolz, den Gedanken des Vaterlandes kaum erſt wiederzufinden begann, mußte der Partikularis - mus unvermeidlich mit verjüngter Kraft erwachen, nachdem die Politik der Centraliſation ſich auf falſche Ziele gerichtet hatte. Eben in dieſen Tagen veröffentlichte der Führer der fränkiſchen Liberalen, W. J. Behr in Würz - burg eine Schrift über die Einwirkung des Bundes auf die Verfaſſung ſeiner Gliederſtaaten , die in der Preſſe warmen Beifall fand und die liberalen Durchſchnittsanſichten treulich wiedergab. Hier ward die partiku - lariſtiſche Doctrin des Münchener Hofes noch weit überboten. Kein Wort mehr von einer deutſchen Nation, von allen den großen Culturaufgaben,9Triumph des Partikularismus.die ſie nur mit geeinter Kraft löſen konnte. Durch die Auflöſung des heiligen Reichs und den Rheinbund iſt die Unhaltbarkeit eines deutſchen Völkerſtaates erwieſen. Der Deutſche Bund iſt lediglich ein freier geſell - ſchaftlicher Verein zwiſchen coexiſtirenden Völkern, die unter einander Frieden halten und ihre Sicherheit gegen das Ausland gemeinſam ver - theidigen, aber ſich der vollen Souveränität erfreuen wollen; er läßt das Innere ſeiner Gliederſtaaten ganz unberührt und darf gegen widerſetz - liche, da Souveränität und Unterordnung völlig unvereinbar ſind, nur das Mittel der Ausſchließung anwenden. Wehe uns, wenn unſeren deutſchen Staatenbund der Geiſt eines Völkerſtaates beſchliche, gelüſtend nach einer höchſten Staatsgewalt! Mit einem Lobgeſange auf Baierns freie Verfaſſung ſchloß die Abhandlung. So gänzlich hatte die neue Ver - faſſungsherrlichkeit die Erinnerungen einer tauſendjährigen Geſchichte ver - wiſcht: die Nation der Ottonen und der Staufer löſte ſich auf in coexi - ſtirende Völker.

Da Metternich und Bernſtorff Beide fühlten, daß man mit dieſer ſtarken partikulariſtiſchen Strömung rechnen mußte, ſo vollzog ſich bald nach der Eröffnung der Conferenzen eine unerwartete Verſchiebung der Parteien. Die Großmächte gingen mit Baiern Hand in Hand und er - langten in den meiſten Fällen die Zuſtimmung derſelben Kleinſtaaten, die man kurz zuvor mißtrauiſch von den Karlsbader Berathungen ausge - ſchloſſen hatte. Die zwei reaktionären Höfe dagegen, welche ſich in Karls - bad am dienſtfertigſten gezeigt hatten, Baden und Naſſau, bildeten in Wien die Oppoſition und ſpielten die Rolle der deutſchen Ultras, wie Bernſtorff zu ſagen pflegte. Für Berſtett’s beſchränkten Kopf waren die zwingenden Gründe, welche den Wiener Hof zur Behutſamkeit nöthigten, nicht vorhanden; er dachte nur an ſeine heimiſchen Verlegenheiten, an den Karlsruher Landtag, der binnen Kurzem wieder zuſammentreten mußte, an den zornigen Ausruf ſeines Großherzogs: beſſer von Löwen gefreſſen werden als von Schweinen! Er wollte, wie Bernſtorff ſchrieb, ſein eigenes Werk durch die Einmiſchung des Bundes zerſtört ſehen und wünſchte eine umfaſſende Neugeſtaltung der Bundesakte, um den Landes - verfaſſungen feſte Schranken zu ziehen, zum mindeſten aber ein neues Ausnahmegeſetz, das die Oeffentlichkeit der Kammerverhandlungen für die fünfjährige Dauer der Karlsbader Beſchlüſſe aufheben ſollte. *)Bernſtorff an Ancillon, 30. Nov., 25. Dec. 1819. Berſtett’s Berichte bei Weech, Correſpondenzen S. 34 f.Vergeblich lieh ihm ſein Begleiter, der raſtloſe junge Blittersdorff ſeine ſcharfe Feder. Nos Ultras wurden bald ihrem alten öſterreichiſchen Gönner ſelber läſtig. Berſtett mußte einen ſeiner Pläne nach dem andern ſcheitern ſehen und verſuchte endlich nur noch durch immer neue Anträge den Schluß der Conferenzen hinauszuſchieben, weil er dem badiſchen Landtage durch die10III. 1. Die Wiener Conferenzen.Dauer des hieſigen Vereins eine heilſame Scheu einzuflößen hoffte. *)Bernſtorff’s Bericht, 9. April; Bernſtorff an Ancillon, 9. April 1820.So wunderliche Blaſen ſtiegen aus dem Sumpfe der deutſchen Bundes - politik empor. Nicht nationale Geſinnung beſeelte den Staatsmann, der ſo nachdrücklich die Nothwendigkeit einer ſtarken Centralgewalt vertheidigte, ſondern die Furcht vor der Revolution und die naive Selbſtüberhebung des Partikularismus; er verwechſelte, wie Bernſtorff ihm vorwarf, be - ſtändig die beſonderen Verhältniſſe Badens mit den höheren und allge - meineren der Geſammtheit . Der Ausgang der Wiener Verhandlungen erfüllte dieſe reaktionären Centraliſten mit tiefem Unwillen. Oeſterreich, ſchrieb Blittersdorff zornig, ſicherte durch ſeine Halbheit den neuen Ideen den Sieg; in dieſer Beziehung kann die Wiener Schlußakte als die nach - theiligſte Friedensurkunde betrachtet werden, die von Oeſterreich ſeit langen Jahren unterzeichnet worden iſt. **)Blittersdorff, Bemerkungen über die gegenwärtige politiſche Kriſis, 5. Nov. 1820.

Noch leidenſchaftlicher gebärdete ſich Berſtett’s Freund, der Naſſauer Marſchall. Der hatte erwartet, daß in Wien ſofort der Vernichtungs - krieg gegen die neuen Verfaſſungen entbrennen würde, und ſchon vor Eröffnung der Conferenzen eine Denkſchrift entworfen, welche in glühenden Farben das Gemeinſchädliche und Rechtswidrige des württembergiſchen Grundgeſetzes ſchilderte. Weil dieſe Verfaſſung die Form eines Vertrages trug, ſo wurde ſie, trotz ihres wahrlich ſehr beſcheidenen Inhalts, von den Doktrinären beider Parteien für das Meiſterſtück des Liberalismus angeſehen. Der Naſſauer meinte die Sturmglocken des Aufruhrs läuten zu hören, als die Stuttgarter Bürger in einer Adreſſe ſagten: das gebildete Europa von den Ufern des Tajo bis an den Niemen iſt über den Grundſatz einig, daß ohne einen Unterwerfungsvertrag Regent und Volk nicht gedacht werden könne. Er betheuerte, ſchon durch ihren Ur - ſprung ſei dieſe Verfaſſung eine Huldigung, dem in Deutſchland gäh - renden demokratiſchen Princip dargebracht; an ihre öffentliche Mißbilli - gung knüpfe ſich die Erhaltung und Befeſtigung der inneren Ruhe von Deutſchland. Die ängſtlich beſchränkte Gemeindefreiheit der Schwaben erſchien dem Oberhaupte der allmächtigen naſſauiſchen Bureaukratie als ein Verſuch den Staat von unten auf zu republikaniſiren ; und da er ſelber mit ſeinem Landtage wegen der Domänen haderte, ſo fand er es empörend, daß König Wilhelm, nach dem Vorgange[ſeines] Vaters, dem Staate das Eigenthumsrecht an den königlichen Kammergütern zu - geſtanden hatte, und rief entrüſtet: ein deutſcher Fürſt hat ſein Fa - miliengut für Volksgut erklärt! ***)Marſchall, Bemerkungen über die württembergiſche Verfaſſung, Wien, 17. Nov. 1819, veröffentlicht von Aegidi in ſeiner Zeitſchrift für deutſches Staatsrecht I. 149.Bald mußte er lernen, wie un - günſtig die Wiener Luft jetzt ſolchen Plänen war. Als er ſodann das vertrauliche Einvernehmen zwiſchen Bernſtorff und Zentner bemerkte, da11Die deutſchen Ultras.fühlte er ſich von Neuem beſtärkt in ſeiner alten Meinung, daß von dieſer tödtlich gehaßten norddeutſchen Großmacht der politiſche Gährungsſtoff ausgehe , und polterte mit maßloſer Heftigkeit wider den preußiſchen Miniſter.

Die Vertreter der welfiſchen Häuſer, Münſter und Hardenberg, ſtanden, wie von der Gefolgſchaft der Hochtorys zu erwarten war, den Anſichten dieſer beiden reaktionären Heißſporne ſehr nahe, doch ſie trugen Bedenken ſich mit den Großmächten zu überwerfen. Wie anders als in Karlsbad war jetzt Metternich’s Lage. Wohl erſchien er noch immer vor der Welt als der bewunderte Führer der deutſchen Staatsmänner, und dem Meiſter zu Ehren ward das mühſelige Werk, das nach ſechsmo - natlichen Verhandlungen endlich zu Stande kam, vom 15. Mai, dem Geburtstage Metternich’s datirt. Aber während er in Karlsbad den Herrn geſpielt hatte, vereinbarte er in Wien faſt jeden wichtigen Schritt zuvor mit Bernſtorff, der hier zuerſt eine ganz ſelbſtändige Haltung zeigte und ſeinerſeits wieder insgeheim mit Zentner Rückſprache nahm. Der Oeſterreicher ließ ſich ſeine Enttäuſchung nicht anmerken und erzählte in ſeinen Briefen mit gewohnter Ruhmredigkeit von den ungetrübten Triumphen ſeines neuen diplomatiſchen Feldzugs. In Wahrheit entſprach die Politik der Compromiſſe, welche auf dieſen Conferenzen eingehalten wurde, wohl der gemäßigten Geſinnung des Berliner Cabinets, aber keineswegs den Herzenswünſchen der Hofburg; wußte doch Jedermann, daß die beiden Ultras Berſtett und Marſchall neben dem Mecklenburger Pleſſen die erklärten Lieblinge Metternich’s waren.

Unterſtützt von dem zweiten Bevollmächtigten Küſter, der die Sinnes - weiſe der kleinen Höfe noch von den Regensburger Zeiten her gründ - lich kannte, errang ſich Bernſtorff durch kluge Nachgiebigkeit und unge - heucheltes Wohlwollen raſch eine ſehr günſtige Stellung, ſo daß ihn Zentner die Seele der Conferenzen nannte. *)Zaſtrow’s Bericht, München 5. Juli 1820.Er vermied es in den Plenarver - ſammlungen allzuhäufig zu reden, da Preußen in acht von den zehn Ausſchüſſen, welche die Geſchäfte der Conferenzen vorbereiteten, den Vorſitz führte und in allen zehn vertreten war. Der Gewinn aus den langwierigen Berathungen konnte nur dürftig ſein; ihr Verlauf bewies für alle Zu - kunft, daß ein Bund, der ſeinen Gliederſtaaten die Souveränität zuge - ſteht, auf jede geſunde bündiſche Entwicklung verzichten muß. Immerhin einigte man ſich doch über die Auslegung mehrerer gar zu kümmerlichen Artikel der Bundesakte ſowie über einige gemeinſame Grundſätze für das Verfaſſungsleben der Einzelſtaaten; die Ergänzung des Bundesrechts, welche hier zu Stande kam, war mindeſtens etwas brauchbarer als die Bundesakte ſelbſt, und was das Beſte blieb, man unterließ jeden Schritt der Willkür, der die erbitterte Nation von Neuem aufregen konnte.

12III. 1. Die Wiener Conferenzen.

Der Rechtsboden, auf dem die Conferenzen ſelber fußten, war nach der Bundesverfaſſung keineswegs unanfechtbar. Ganz ſo beſcheiden wie in ſeinem Einladungsſchreiben erklärte Metternich bei Eröffnung der Con - ferenzen am 25. November: dieſe Verſammlung ſei kein Congreß und habe keine eigentlichen Beſchlüſſe zu faſſen, ſondern ſolle ſich nur auf eine vorbereitende, aber verbindliche Weiſe zu einer gemeinſamen Be - handlung der Bundesangelegenheiten vereinigen; ſie beabſichtige nicht den Wirkungskreis des Bundestags zu verengen, wohl aber den Umfang und die Grenzen dieſes Geſchäftskreiſes zu beſtimmen. Da der Bundestag bis - her noch keine der verheißenen organiſchen Einrichtungen zu Stande ge - bracht hatte, ſo lag allerdings der Gedanke nahe, ihm zu Hilfe zu kommen durch eine vertrauliche Berathung zwiſchen den leitenden Staatsmännern ſelber, welche weder durch den ſchleppenden Geſchäftsgang der Bundesver - ſammlung noch durch das Gaukelſpiel der Inſtruktionseinholung gelähmt wurde; hier in Wien war ja nicht, wie einſt in Karlsbad, nur eine Partei, ſondern die Geſammtheit der Bundesglieder vertreten. Aber der Art. 10 der Bundesakte hatte der Bundesverſammlung die Abfaſſung der Grund - geſetze ausdrücklich als ihr erſtes Geſchäft zugewieſen; nahm man ihr dieſe Aufgabe ab, ſo ward ihr Anſehen, das ohnehin ſeit den Septemberbe - ſchlüſſen tief geſunken war, vollends zerſtört und die hoffnungsloſe Nich - tigkeit der deutſchen Centralgewalt vor aller Welt eingeſtanden. Welch ein lächerlicher Anblick: während in Wien über den Ausbau der Bundes - verfaſſung verhandelt wurde, hielt die höchſte deutſche Behörde von Ende Septembers bis zum 20. Januar gemächlich ihre Ferien, und dann erſchien Graf Buol, der unterdeſſen die Befehle der Wiener Verſammlung ein - geholt hatte, um nochmals eine Vertagung bis zum 10. April zu bean - tragen. Umſonſt verſuchten halbamtliche Zeitungsartikel die öffentliche Meinung zu beſchwichtigen durch die Verſicherung, daß die Commiſſionen unabläſſig weiter arbeiteten; die Nation wußte ſo gut wie die Bundes - geſandten ſelber, daß die Maſchine in Frankfurt vollkommen ſtill ſtand. *)Goltz’s Berichte, 18., 25. Jan. 1820.Sieben Monate lang gab der Bundestag nur einmal ein nennenswerthes Lebenszeichen von ſich: als er den franzöſiſchen Hof erſuchte, den Elſaſſer Patrioten , ein gemeinſames Organ der Liberalen beider Rheinufer zu unterdrücken. **)Goltz’s Berichte 15. Febr., 27. April 1820.

Mittlerweile ſchwoll den Wiener Conferenzen der Stoff unter den Händen an; ihr erſter Ausſchuß, der die Competenz des Bundes feſtſtellen ſollte, ſah ſich genöthigt, faſt alle die ſchweren Principienfragen des Bun - desrechts zu erörtern, und ganz von ſelbſt erhob ſich die Frage, ob es nicht zweckmäßig ſei, die alſo vereinbarten Grundſätze in einem großen Bundes-Verfaſſungsgeſetze zuſammenzufaſſen. Nachdem die Mehrheit ſich13Die Conferenz und der Bundestag.in der Stille ſchon darüber geeinigt hatte, beantragte Metternich am 4. März, man möge aus den hier beſchloſſenen Sätzen eine Supplemen - tar-Akte zur Bundesakte zuſammenſtellen und dieſe ſodann unter Be - zugnahme auf den Art. 10 der Bundesakte dem Bundestage zur förm - lichen Bekanntmachung überſenden.

Alſo unter Bezugnahme auf den Art. 10 ſollte dieſer Artikel aufge - hoben und die dem Bundestage gebührende Abfaſſung der Grundgeſetze kurzweg einer Miniſterconferenz, von welcher die Bundesakte gar nichts wußte, übertragen werden! Kühner hatte ſelbſt Metternich die Vorſchriften des deutſchen Bundesrechts noch niemals ausgelegt. Was kümmerte es ihn, daß er noch im November verſichert hatte, man beabſichtige nur eine freundſchaftliche Rückſprache zwiſchen den verbündeten Regierungen? Jetzt behauptete er zuverſichtlich, dieſer Miniſterverſammlung ſtehe die höhere, dem Bundestage nur eine untergeordnete Gewalt zu. Aber ſo gewiß der öſterreichiſche Vorſchlag ſchweren rechtlichen Bedenken unterlag, ein ge - ſchickter diplomatiſcher Nothbehelf war er doch; er bot das einfachſte Mittel um aus den weitſchweifigen Verhandlungen ein geſichertes Ergebniß zu gewinnen und zugleich den Bundestag ganz zur Seite zu drängen. Dies letztere Ziel hielt Metternich beſtändig im Auge, denn das Durcheinander der Parteien in der Eſchenheimer Gaſſe beunruhigte ihn ſchwer. Weder Graf Buol noch ſein preußiſcher Genoſſe vermochte die kleinen Bundesge - ſandten im Zaume zu halten. Ueber die Abberufung des Grafen Goltz, der ſich ſehnſüchtig aus dem Frankfurter Gezänk hinwegwünſchte, ward ſchon ſeit Langem berathen; aber es fand ſich kein Nachfolger, denn Graf Solms - Laubach war dem Wiener Hofe verdächtig und den katholiſchen Fürſten Hatzfeldt fand der König für dieſen Poſten nicht geeignet, da Preußen am Bundestage als Führer der proteſtantiſchen Höfe auftreten ſollte. Die un - genügende Vertretung blieb alſo vorläufig unverändert und Goltz wurde nur angewieſen, über Fragen des Bundesrechts den Rath des gelehrten Klüber einzuholen. *)Bernſtorff an Hardenberg, 19. Febr., 3., 17. April; Hardenberg’s und Bern - ſtorff’s Eingaben an den König, 18. Juli, 2. Aug.; Hardenberg an den König, 5. Aug.; Cab. -Rath Albrecht an Bernſtorff, 27. Sept. 1820.Der führerloſe Bundestag ſchien ſchlechthin unberechenbar; ge - ſtattete man ihm über die Wiener Vereinbarungen nochmals zu berathen, ſo war leicht vorherzuſehen, daß Wangenheim und ſeine liberalen Freunde, mit oder ohne Erlaubniß ihrer Höfe, die Fahne der Oppoſition aufpflanzen, ihre Reden, durch die öffentlichen Protokolle weithin ins Land getragen, die öffentliche Meinung aufſtacheln würden. In der Anarchie dieſes Bun - des war Alles möglich, ſelbſt ein Kampf zwiſchen den Bundesgeſandten und ihren vorgeſetzten Miniſtern. Solches Aergerniß ließ ſich nur ver - meiden, wenn man in Wien Alles ins Reine brachte und den Bundes - tag wieder, wie im vorigen Herbſt, unter die Macht der vollendeten That -14III. 1. Die Wiener Conferenzen.ſachen beugte. Dahin war der Deutſche Bund in kurzen fünf Jahren gelangt: jede noch ſo beſcheidene Verbeſſerung ſeines Grundgeſetzes konnte nur durch die Umgehung und Demüthigung ſeiner höchſten Behörde er - reicht werden.

Die ſogenannte Schlußakte, welche nunmehr auf Metternich’s Antrag aus den gefaßten Beſchlüſſen zuſammengeſtellt wurde, enthielt in den 34 Artikeln ihres erſten Theils ausführliche Vorſchriften über Weſen und Wirkungskreis des Bundes. Faſt jeder Satz dieſer allgemeinen Beſtim - mungen war ein Triumph des Partikularismus. In der erſten Sitzung nannte Metternich den Bundestag noch die oberſte geſetzgebende Behörde des Bundes und verſprach, die Souveränität jedes einzelnen Staates ſolle nur inſofern beſchränkt werden, als es der Zweck der Einheit Deutſch - lands erfordere . Da legte Zentner ſogleich Verwahrung ein: das Wort deutſche Einheit gebe Anlaß zu Mißverſtändniſſen, eine oberſte geſetzgebende Gewalt ſei in einem Bunde unmöglich worauf denn Metternich als - bald einlenkte und begütigend erwiderte, natürlich habe er nur an eine vertragsmäßige Geſetzgebung gedacht. Den alſo angeſchlagenen Ton hielt die Mehrheit auch im weiteren Verlaufe der Verhandlungen ein; die Schlußakte erklärte den Deutſchen Bund für einen völkerrechtlichen Verein, eine Gemeinſchaft unabhängiger Staaten mit wechſelſeitigen gleichen Ver - tragsrechten eine Faſſung, welche dem württembergiſchen Hofe ſogar noch allzu unitariſch vorkam. Dem redlichen Fritſch ward doch zuweilen ſchwül ums Herz, da er das deutſche Gemeinweſen ſich dergeſtalt in ein lockeres Vertragsverhältniß verflüchtigen ſah; ſo ſuche man Deutſchland zu entnationaliſiren, ſchrieb er klagend, dieſe ſouveränen ſelbſtändigen Staaten würden ihre Unterthanen noch ſo unglücklich machen, daß der Ruf nach Einheit zur Volksſtimme und zur Volksrevolution wird. Trotz - dem ſchloß ſich der Geſandte der Erneſtiner zuletzt unbedenklich den Be - ſchlüſſen der Mehrheit an. Auch Bernſtorff trat der partikulariſtiſchen Auslegung des Bundesrechts nicht entgegen, da ſie unleugbar den Worten und dem Sinne der Bundesakte entſprach. Ihm genügte, daß ſich unter dieſen doktrinären allgemeinen Sätzen doch eine praktiſch werthvolle Be - ſtimmung befand: der Art. 6 geſtattete die Abtretung von Souveränitäts - rechten zu Gunſten eines Mitverbündeten, und damit erhielt Preußen, ohne daß die Mehrheit es gewahr ward, freie Hand für ſeine Zollan - ſchluß-Verträge.

Der Bundestag ſollte den Bund in ſeiner Geſammtheit vorſtellen ; ſeine Mitglieder blieben von ihren Souveränen unbedingt abhängig , ihnen allein für die Befolgung ihrer Inſtruktionen ſowie für ihre Ge - ſchäftsführung verantwortlich (Art. 8). Durch dieſe Vorſchrift dachte man zugleich jedem eigenmächtigen Verfahren der Bundesgeſandten vorzubeugen und den Landtagen jeden Eingriff in die Bundesverhandlungen zu unter - ſagen. Hier zeigte ſich aber, wie wenig ein Diplomatencongreß ſchweren15Berathung über die Rechte des Bundes.geſetzgeberiſchen Aufgaben genügen kann. Da außer Zentner, Hach und Berg kein erfahrener Juriſt den Conferenzen beiwohnte, ſo gerieth ihr Werk in der Form ebenſo mangelhaft wie einſt die Bundesakte, und auch der Wortlaut des Art. 8 verrieth die unſicheren Hände juriſtiſcher Dilet - tanten. Er verbot den Landſtänden nur, die Bundesgeſandten zur Ver - antwortung zu ziehen, doch er verbot ihnen nicht, ihre conſtitutionellen Miniſter wegen des Inhalts der nach Frankfurt geſendeten Inſtruktionen zur Rede zu ſtellen, und bald genug ſollte man erfahren, daß die Con - ferenz das Bundesrecht nur um ein neues unlösbares Räthſel bereichert hatte. Die ſchwierige Frage, ob den Landtagen eine mittelbare Einwir - kung auf den Gang der Bundespolitik zukomme, hat ſo lange dieſer Bund beſtand niemals eine klare Antwort gefunden.

Sehr heftig ſtießen die Parteien auf einander, als ſodann die verfaſ - ſungsmäßige Einſtimmigkeit der Bundesbeſchlüſſe zur Sprache kam. Da ent - falteten Berſtett und Marſchall ihre ganze Beredſamkeit; ſie verlangten Mehrheitsbeſchlüſſe für alle die Fragen, welche nicht über die weſentlichen Zwecke des Bundes hinauslägen, und gaben deutlich zu verſtehen, daß ſie der - einſt noch zu gelegener Zeit durch Stimmenmehrheit ein Bundeszollgeſetz und einen Bundesbeſchluß über die Rechte der Landtage durchzuſetzen hofften. *)Bernſtorff’s Bericht, 16. April 1820.Eben dieſe Hintergedanken der beiden ſeltſamen Unitarier nöthigten den preußiſchen Miniſter, auf den Beſtimmungen der Bundesakte zu beſtehen; er wollte ſein Zollgeſetz dem Belieben der Bundestagsmehrheit ebenſo wenig preisgeben wie Zentner ſeine bairiſche Verfaſſung. So lange die Kleinſtaaten, die kaum den ſechſten Theil der Nation umfaßten, die an - deren fünf Sechſtel überſtimmen durften, blieb das aberwitzige Recht des Liberum Veto eine unentbehrliche Nothwehr gerade für die lebenskräf - tigeren Staaten. Dies ſtand nach den traurigen Erfahrungen der letzten Jahre außer Zweifel; darum war auch Hardenberg, der noch in Teplitz die Rechte der Bundesmehrheit zu erweitern gedacht hatte, längſt wieder anderen Sinnes geworden. Selbſt Metternich erkannte jetzt die Unaus - führbarkeit jener Teplitzer Pläne; er warnte die Verſammlung, daß ſie den Staatenbund ja nicht in einen Bundesſtaat verwandle, und ver - wahrte ſich lebhaft wider den gehäſſigen Ausdruck Liberum Veto, da dies Recht des Einſpruchs von der Souveränität unzertrennlich ſei. Preußen unternahm noch einen Vermittlungsvorſchlag: falls eine organiſche Ein - richtung am Bundestage zwar die Zuſtimmung der Mehrheit, doch nicht einſtimmige Annahme fände, dann ſollten die Staaten der Majorität be - fugt ſein, unter ſich ein Abkommen, nach Art der altſchweizeriſchen Kon - kordate, zu ſchließen. Der Antrag fiel, weil man die Entſtehung gefähr - licher Sonderbünde befürchtete. So blieb es denn im Weſentlichen bei16III. 1. Die Wiener Conferenzen.der Vorſchrift jenes Art. 7 der Bundesakte, der für alle Grundgeſetze und organiſchen Einrichtungen Einſtimmigkeit verlangte, und der einzige Segen der langen Berathung war eine unklare Erläuterung des unklaren Aus - drucks organiſche Einrichtungen ; er ſollte bedeuten: bleibende Anſtalten als Mittel zur Erfüllung der ausgeſprochenen Bundeszwecke.

Ebenſo kümmerlich war das Ergebniß der mühſamen Verhandlungen über die ſogenannte permanente Inſtanz . Wie ſeltſam hatten doch die Rollen gewechſelt. Dies Preußen, das auf dem Wiener Congreſſe am eifrigſten für ein ſtehendes Bundesgericht geſtritten hatte, berief ſich nun - mehr ebenſo nachdrücklich wie der alte Gegner des Bundesgerichts, Baiern, auf den Wortlaut der Bundesakte und ſtellte den Antrag: da das Bun - desrecht nur ein Austrägalverfahren kenne, ſo möge jede Stimme des engeren Rathes einen namhaften Juriſten zum Austrägalrichter er - nennen; aus dieſen ſiebzehn ſollten darauf die ſtreitenden Parteien in jedem einzelnen Falle fünf Richter erwählen; dann ſei doch einige Gewähr für die Unparteilichkeit des Schiedsſpruchs gegeben. Metternich hingegen, der vor fünf Jahren das Bundesgericht bereitwillig dem Widerſpruche Baierns geopfert hatte, unterſtützte jetzt insgeheim die norddeutſchen Kleinſtaaten, die alleſammt mit verdächtigem Eifer nach einem ſtehenden Bundestribunale verlangten.

Alle Mitglieder der Conferenzen wußten, wo der Schlüſſel zu dieſem Räthſel lag. Der ganze Streit galt in Wahrheit nicht dem Bundesge - richte, ſondern dem preußiſchen Zollgeſetze, das wie eine drohende Wolke über den kleinen Nachbarn hing. Weil die regelmäßige Rechtspflege nicht zu den Befugniſſen des Bundes gehörte, ſo ſollte die geplante perma - nente Inſtanz auch nicht, wie Humboldt noch vor fünf Jahren gehofft, an die Stelle des alten Reichskammergerichts treten, ſondern lediglich die Streitigkeiten zwiſchen den Bundesſtaaten entſcheiden. Welch ein Glück nun für Kurheſſen, Naſſau, Mecklenburg, Anhalt und die thüringiſchen Staaten, wenn ſie ihre zahlloſen Beſchwerden wider das preußiſche Zoll - weſen vor ein ſtehendes Bundesgericht bringen konnten, das aus ſechzehn Nichtpreußen und einem Preußen beſtehen ſollte! So mochte vielleicht das gefürchtete preußiſche Enclavenſyſtem auf dem Wege des Civilproceſſes unblutig beſeitigt werden. Nicht ohne Ironie erwiderte Küſter: ein ſtän - diges Bundestribunal mit ſo beſchränktem Wirkungskreiſe würde die meiſte Zeit vergebens ſitzen und harren, vielleicht gar durch ſein Daſein eine Proceßſucht erwecken und nähren. Da Preußen und Baiern un - erſchütterlich blieben, ſo beruhigte man ſich endlich einſtweilen bei der beſtehenden Austrägalordnung von 1817, welche die Entſcheidung der Streitigkeiten dem oberſten Gerichtshofe eines von beiden Parteien ge - wählten Bundesſtaates anheimgab. Bernſtorff war mit ſeinem Erfolge nur halb zufrieden; er wußte wohl, wie wenig ſich ein gewöhnliches Ober - landesgericht zur Beurtheilung ſchwieriger ſtaatsrechtlicher Fragen eigne;17Die militäriſch-politiſchen Fragen.immerhin betrachtete er es als einen Gewinn, daß jenes von Haus aus parteiiſche Bundesgericht nicht zu Stande gekommen war. *)Bernſtorff an Goltz, 25. März 1820.

Auch die neue Executionsordnung, welche fortan ſtatt der Karlsbader proviſoriſchen Vorſchriften galt, war in demſelben Geiſte partikulariſtiſcher Behutſamkeit gehalten. Der Regel nach ſollte der Bundestag nur mit den Regierungen verkehren und nur gegen ſie Execution verhängen; nur wenn eine Bundesregierung ſelber ſeine Hilfe nachſuchte oder im Falle offenen Aufruhrs durfte er unmittelbar gegen die Unterthanen ein - ſchreiten.

Bei allen dieſen Berathungen war Bernſtorff mit Zentner Hand in Hand gegangen. Ganz anders geſtaltete ſich der Parteikampf bei dem zweiten Theile der Schlußakte, der in achtzehn Artikeln (Art. 35 52) über die auswärtige Politik und das Heerweſen des Bundes Vorſchriften gab. In dieſen militäriſch-politiſchen Fragen vertrat Preußen jetzt wie immer die Sache der Bundeseinheit; wirkſamer Schutz gegen das Aus - land blieb nach Hardenberg’s Anſicht der einzige Segen, welchen die im Innern ſo unfruchtbare Bundespolitik der Nation noch zu gewähren ver - mochte. König Friedrich Wilhelm konnte es noch immer nicht verwinden, daß er den Eintritt Poſens und Altpreußens in den Bund nicht hatte durchſetzen können. Um ſo ernſtlicher wünſchte er jetzt ein ewiges Ver - theidigungsbündniß zwiſchen dem Deutſchen Bunde und den Geſammt - ſtaaten Oeſterreich und Preußen abzuſchließen; vermöge man dies nicht zu erlangen, ſo verlangte er zum mindeſten eine bündige Antwort auf die noch immer offene Frage: was eigentlich ein Bundeskrieg ſei? Wenn eine der beiden Großmächte in ihren nichtdeutſchen Provinzen angegriffen würde, dann müſſe der Bund befugt ſein durch einfachen Mehrheitsbe - ſchluß den Krieg zu erklären, und käme ein ſolcher Beſchluß nicht zu Stande, ſo dürfe doch den Staaten der Minderheit nicht verwehrt wer - den ihrerſeits dem Angegriffenen Hilfe zu leiſten. Der König dachte dabei zunächſt an ſeine eigene ungeſicherte Oſtgrenze, aber auch an das öſter - reichiſche Italien: denn darüber war er mit dem Staatskanzler einig, daß jeder Angriff auf Oeſterreich auch ſeinen Staat bedrohe. Seine Abſichten fanden indeß auf allen Seiten heftigen Widerſtand. Die Mittel - ſtaaten trugen ſchon ihre Bundespflicht nur widerwillig und ſpürten keine Neigung die Laſt noch zu vermehren. Sogar Zentner zeigte ſich diesmal ſpröde, faſt feindſelig; ſein Benehmen verrieth, daß der Münchener Hof ſich im Stillen vorbehielt, unter Umſtänden als Haupt eines rein-deut - ſchen Bundes die Politik der bewaffneten Neutralität zu führen. **)Bernſtorff’s Bericht, 29. Jan. 1820.Auch das Ausland gerieth in Bewegung. Die fremden Geſandten am Bundes - tage ſchilderten alleſammt ihren Höfen in aufgeregten Berichten die drohende Gefahr eines großen mitteleuropäiſchen Völkerbundes; das PetersburgerTreitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 218III. 1. Die Wiener Conferenzen.Cabinet äußerte ſich ſehr gereizt über das Mißtrauen ſeiner deutſchen Bundesgenoſſen; ſelbſt das nahe befreundete England warnte den Wiener Hof vertraulich, man möge den Czaren nicht in Frankreichs Arme treiben. *)Bernſtorff’s Berichte, 7. Dec. 1819, 9. Jan. 1820; Bernſtorff an Ancillon, 4. März; Kruſemark’s Bericht, 5. März 1820.Nach alledem wollte ſich Metternich nicht zur unbedingten Unterſtützung des preußiſchen Antrags entſchließen; er fürchtete den Bund vor Europa zu compromittiren .

Nach einem hartnäckigen und kleinlichen Streite einigte ſich die Conferenz zunächſt dahin, daß Kriegserklärungen des Bundes nur durch Zweidrittel-Mehrheit im Plenum beſchloſſen werden dürften. Angriffs - kriege dagegen, welche ein Bundesſtaat mit außerdeutſchen Beſitzungen als europäiſche Macht begönne, ſollten dem Bunde ganz fremd bleiben. Auf Baierns und Württembergs ſtürmiſches Verlangen mußte dieſer letztere Satz, zur Erhöhung der Feierlichkeit, in einen beſonderen Artikel (46) geſtellt werden. **)Bernſtorff’s Bericht, 9. April 1820.Nun erſt folgte im Art. 47 die Vorſchrift für den Fall eines Angriffs wider die außerbündiſchen Provinzen deutſcher Bun - desſtaaten; in ſolchem Falle konnte der Bundestag mit einfacher Mehrheit im engeren Rathe beſchließen, daß Gefahr für das Bundesgebiet vor - handen ſei, und dann in der gewöhnlichen Weiſe den Bundeskrieg erklären. Daß einzelne Bundesſtaaten an den europäiſchen Kriegen der deutſchen Großmächte theilnähmen, wurde nicht förmlich unterſagt und blieb mithin erlaubt, da ihnen das Recht der Bündniſſe zuſtand. Der König von Preußen war von dem halben Erfolge ſeiner Unterhändler wenig erbaut, und Metternich vertröſtete ihn auf die Zukunft, die vielleicht noch einmal den Abſchluß eines ewigen Bundes zwiſchen Deutſchland, Oeſterreich, Preußen und den Niederlanden erlauben würde. ***)Hardenberg’s Weiſung an Bernſtorff, 22. Jan. 1820.Erſt in weit ſpäterer Zeit, als die Politik des friedlichen Dualismus in die Brüche ging, ſollte man in Berlin erkennen, welche Ruthe Preußen ſich ſelber mit dieſem Artikel 47 aufgebunden hatte, wie leicht er von der Bundestagsmehrheit mißbraucht werden konnte, um die norddeutſche Großmacht in die Kriege des Hauſes Oeſterreich hineinzureißen. In jenem Augenblicke hätte Nie - mand ſolche Befürchtungen auch nur verſtanden; alle Parteien hielten für ausgemacht, daß Oeſterreich und Preußen immer zuſammen gehen, die kleinen Staaten immer eine bequeme Neutralität vorziehen würden.

Das Bundesheerweſen gelangte auch in Wien noch nicht zum Ab - ſchluß, da Oeſterreich dieſe Angelegenheit mit gewohnter Läſſigkeit betrieb; man verabredete nur, daß die Contingente der kleinſten Bundesſtaaten ausſchließlich aus Infanterie beſtehen ſollten. Ueber die Bundesfeſtungen mußte der wackere Wolzogen wieder, wie früher in Frankfurt, mit ſeinem19Verhandlung über die Landſtände.Collegen Langenau endloſe Verhandlungen führen; aber obwohl der König ſich nach wie vor bereit erklärte, den früheren Wünſchen Oeſterreichs entſpre - chend für die Befeſtigung von Ulm zu ſtimmen, ſo zeigte Metternich doch keine Neigung, durch ſolche Vorſchläge die ſüddeutſchen Nachbarn zu kränken. Die kleinen Staaten verſuchten ſogar, den heiligen Grundſatz der unbe - dingten Gleichheit aller Bundesglieder auch auf die Garniſonen der Bundesfeſtungen anzuwenden, obgleich Preußen auf Grund der euro - päiſchen Verträge berechtigt war, Luxemburg gemeinſam mit den Nieder - landen, Mainz gemeinſam mit Oeſterreich zu beſetzen. Mit Mühe und Noth erreichte Preußen endlich den Beſchluß, daß dieſe Verträge aner - kannt, Mainz, Luxemburg und Landau vom Bunde übernommen werden ſollten. Ueber die vierte Bundesfeſtung hingegen vermochte man ſich wieder nicht zu einigen. Oberdeutſchland blieb noch immer ohne mili - täriſchen Schutz, und das Haus Rothſchild wucherte mit den deutſchen Feſtungsgeldern fröhlich weiter. *)Bernſtorff’s Berichte, 31. Jan., 12., 18. März, 30. April, 7., 15. Mai 1820.Wie richtig hatte doch Kronprinz Ludwig von Baiern dieſe grundſätzlich auf falſche Ziele gerichtete Bundespolitik geſchildert, als er in ſeinem wunderlichen Lapidarſtile ſagte: Zäumt man nicht das Pferd verkehrt, wo Einheit ſein ſoll, gegen außen, dawider iſt man, im Innern aber, zur Unterdrückung der Freiheit, dafür wird ſich eifrig bemühet! Er wußte freilich nicht, daß ſein geliebtes Baiern in den Fragen des Bundesheerweſens ſich ganz ebenſo ſtörriſch zeigte wie die übrigen Königreiche des Rheinbundes, und Preußen allein die Vertheidigung des Vaterlands mit redlichem Ernſt betrieb.

Der dritte Theil der Schlußakte (Art. 53 65) begann ſogleich mit dem Satze, daß die Unabhängigkeit der Bundesglieder im Allgemeinen jede Einwirkung des Bundes in die innere Staatseinrichtung ausſchließe . Nur über die Unterthanenrechte, welche bereits in der Bundesakte ver - ſprochen waren, gab die Schlußakte einige allgemeine Anordnungen , deren Anwendung aber ausdrücklich den Einzelſtaaten überlaſſen blieb. Hier ſtand denn natürlich der verhängnißvolle Art. 13 der Bundesakte obenan. Daß die Handhabung dieſes Artikels nur im ſtreng monarchi - ſchen Sinne erfolgen dürfe, war allen Mitgliedern der Conferenz unzwei - felhaft; außer Trott und Fritſch konnte Niemand unter ihnen liberaler Neigungen verdächtigt werden. Die Verſammlung fühlte ſich in ihrer hochconſervativen Geſinnung noch beſtärkt, als im Verlaufe des Winters erſchreckende Nachrichten aus Süd - und Weſt-Europa einliefen. Im Ja - nuar 1820 brach ein Aufſtand im ſpaniſchen Heere aus; im Februar wurde der Thronerbe der Bourbonen, der Herzog von Berry ermordet; das Gebäude der Legitimität krachte in allen Fugen, und wehmüthig ſtimmte der Bundestag dem Grafen Reinhard zu, als dieſer ihm die Pariſer Blutthat mit den Worten anzeigte: ein Ereigniß ſolcher Art wird2*20III. 1. Die Wiener Conferenzen.zu einem gemeinſamen Trauerfalle für das civiliſirte Europa. *)Reinhard, Note an den Bundespräſidialgeſandten, 18. Febr., Antwort des Bun - destags, 19. Febr. 1820.Gleich darauf ward in London eine unheimliche Verſchwörung entdeckt, der Auf - ruhr überfluthete ganz Spanien, riß auch Portugal in ſeine Wirbel hin - ein. An allen Ecken und Enden erhob die Revolution wieder ihr Haupt; um ſo feſter ſtand in Wien der Entſchluß, der Mitte Europas die Ruhe zu bewahren. Die Conſervativen aller Länder richteten ihre hoffenden Blicke auf die Verſammlung der deutſchen Staatsmänner; die Wiener Conferenzen ſind der Anker der Rettung , ſagte Richelieu zu einem Be - vollmächtigten des Kaiſers Franz, an ſie wird ſich mit Gottes Hilfe die Erhaltung der ſocialen Ordnung anſchließen . **)Kruſemark’s Bericht, 27. März 1820.

Trotzdem bewahrte auch die Verhandlung über die Landſtände das Gepräge jener vermittelnden Bedachtſamkeit, welche die Wiener Bera - thungen durchweg auszeichnete. Nur die beiden Ultras Berſtett und Mar - ſchall verlangten eine umfaſſende Auslegung des Art. 13 im Sinne des Abſolutismus. ***)Bernſtorff’s Bericht, 25. Dec. 1819.Bernſtorff dagegen gab zu erwägen, daß mehrere der deutſchen Fürſten bereits durch feierliche Verpflichtungen gebunden ſeien; Zentner wies jede Aenderung der bairiſchen Verfaſſung von vornherein zurück; auch der König von Dänemark, der ſchon längſt die altſtändiſchen Inſtitutionen Schleswigholſteins zu beſeitigen hoffte, ließ ſofort erklären, als ſouveräner Fürſt halte er ſich berechtigt die Form ſeiner Landſtände ſelber zu beſtimmen. So geſchah es, daß Metternich auf ſeine Karlsbader Stände-Doctrin nicht zurückzukommen wagte. Wir erneuern hier nicht , ſo tröſtete er einen Vertrauten, wir bauen auf, nous ne revenons pas sur nos pas. An Rechberg ſchrieb er ſchon im Januar: es ſei unmöglich, die Formen wieder umzuſtoßen, welche unglücklicherweiſe in den letzten drei Jahren nach Deutſchland verpflanzt worden; ſo möge denn meinte er mit einem Humor, der die üble Laune kaum verbarg Württemberg zur Strafe ſeine Verfaſſung behalten!

Die Verſammlung fühlte, daß man die Nation mindeſtens über die ehrliche Erfüllung des Art. 13 endlich beruhigen müſſe. Daher beantragte Preußen, der Bund ſolle eine allgemeine Gewährleiſtung für die land - ſtändiſchen Verfaſſungen übernehmen. Berſtett aber widerſprach; der eifrige Centraliſt fand diesmal die Erweiterung der Bundesgewalt bedenklich, weil ſie den Rechten der Nation zu gute kommen ſollte. Da auch die meiſten anderen Höfe die Mediatiſirung der Nation ſtreng aufrecht halten, jede unmittelbare Berührung zwiſchen dem Bunde und ihren Unterthanen ſorgſam verhindern wollten, ſo begnügte man ſich mit der unbeſtimmten Vor - ſchrift (Art. 54): der Bundestag habe darüber zu wachen, daß der Art. 13 in keinem Bundesſtaate unerfüllt bleibe; indeß ward jedem Bundesgliede21Das monarchiſche Princip.das Recht vorbehalten für ſeine Verfaſſung die Garantie des Bundes nach - zuſuchen. Daran ſchloß ſich der wohlgemeinte Vorſchlag, die beſtehenden Verfaſſungen dürften nur auf die durch die Verfaſſung ſelbſt beſtimmte Art abgeändert werden. Auch dieſen Antrag bekämpfte Berſtett als einen Verſtoß wider das monarchiſche Princip. Aber auch Bernſtorff hegte diesmal Bedenken, weil Niemand mit Sicherheit zu ſagen wußte, welche Verfaſſungen in Deutſchland noch wirklich beſtanden! Durfte Preußen ſich verpflichten, die ärmlichen Trümmer der Feudalſtände in ſeinen alten Territorien nur mit Zuſtimmung dieſer Stände ſelber aufzuheben? Dann war eine Ver - faſſung für den Geſammtſtaat unmöglich. Die neue Verfaſſung , ſchrieb der Staatskanzler an Bernſtorff, muß aus dem Willen, der Weisheit und Gerechtigkeit des Königs allein hervorgehen. Er forderte alſo volle Freiheit für die preußiſche Krone, und auf Bernſtorff’s Antrag gab die Con - ferenz dem Art. 56 die unverfängliche Faſſung: daß die in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden landſtändiſchen Verfaſſungen nur auf verfaſ - ſungsmäßigem Wege abgeändert werden ſollten. *)Weiſung des Staatskanzlers, 25. Dec.; Bernſtorff’s Bericht, 31. Dec. 1819.

Hierauf folgte der Hauptſatz des neuen deutſchen conſtitutionellen Staatsrechts. Das monarchiſche Princip , das ſchon in Karlsbad auf Württembergs Antrag allgemeine Anerkennung gefunden hatte und in der That für den Beſtand dieſes Fürſtenbundes unentbehrlich war, wurde förmlich als Regel für alle deutſchen Landesverfaſſungen anerkannt. Der Art. 57 beſtimmte: Die geſammte Staatsgewalt muß in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine land - ſtändiſche Verfaſſung nur in der Ausübung beſtimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden. Wie frohlockte Gentz, als der Ausſchuß der Conferenzen ſich über dieſen Satz geeinigt hatte. So lange ſchon führte er den Federkrieg wider Montesquieu’s Gewaltenthei - lung und Rotteck’s Volksſouveränität; nun ſah er alle dieſe anarchiſchen Doctrinen durch einen feierlichen Ausſpruch des deutſchen Areopags un - widerruflich geſtürzt , und da er nach Publiciſtenart die Bedeutung ſol - cher theoretiſchen Kämpfe überſchätzte, ſo ſchrieb er voll übermüthiger Freude am 14. December 1819 in ſein Tagebuch: eines der größten und wür - digſten Reſultate der Verhandlungen unſerer Zeit; ein Tag wichtiger als der bei Leipzig! Auch ſein getreuer Adam Müller wünſchte, daß der koſtbare Satz in den Codex des allgemeinen europäiſchen Staatsrechts übergehen möge, und drei Jahrzehnte hindurch ward der Art. 57 W. S. A. als das Motto des monarchiſchen Syſtems auf den deutſchen Kathedern leidenſchaftlich bald bekämpft bald geprieſen. Sein praktiſcher Werth war ungleich geringer als die Männer der Doctrin annahmen. Die juriſtiſchen Dilettanten der Conferenzen hatten wieder nicht verſtanden, für ihren richti - gen politiſchen Gedanken einen ſcharfen ſtaatsrechtlichen Ausdruck zu finden. 22III. 1. Die Wiener Conferenzen.Der Wortlaut des Artikels erſchien ſo dehnbar, daß ſich jede der beſtehen - den Verfaſſungen zur Noth damit vertrug und Baiern ebenſo unbedenk - lich wie Sachſen und Hannover zuſtimmen konnte. An den vorhandenen Zuſtänden änderte die Verkündigung des monarchiſchen Princips nichts; nur mit dem Syſtem der reinen Parlamentsherrſchaft, das in Deutſch - land erſt vereinzelte, machtloſe Anhänger fand, war ſie unvereinbar.

Die nämliche Unklarheit der ſtaatsrechtlichen Begriffe bekundete ſich wieder, als die Conferenz über das Geldbewilligungsrecht der Landtage verhandelte. Die Berathenden ahnten dunkel, daß jede geordnete Staats - verwaltung unmöglich wird, ſobald die Volksvertretung alle Poſten der Staatsausgaben nach Gutdünken ſtreichen kann. Aber die ſchwierige Frage des conſtitutionellen Budgetrechts war bisher weder von der Wiſſen - ſchaft noch in der Praxis gründlich erörtert worden. Noch hatte Nie - mand die einfache Frage aufgeworfen: ob denn wirklich das Etatgeſetz der Rechtstitel ſei, kraft deſſen der conſtitutionelle Staat ſeine Ausgaben leiſte? Niemand auf die unbeſtreitbare Thatſache hingewieſen, daß weitaus die meiſten Ausgaben der deutſchen Staaten, die regelmäßigen Beſoldungen, die Zinſen der Staatsſchulden u. ſ. f., auf älteren Geſetzen beruhten, und mithin den Volkskammern auch nicht das Recht zuſtehen konnte, dieſe Geſetze durch willkürliche Geldverweigerung einſeitig aufzuheben. Unſicher taſtend ſuchte die Conferenz nach einem Auswege. Marſchall ſchlug vor, die Landſtände ſollten keine Leiſtungen verweigern dürfen, die zur Erfül - lung der beſtehenden Verwaltungsgeſetze nothwendig ſeien. Doch die Be - ſonnenen fühlten, wie leicht ſich dieſer Antrag des Ultras zur Zerſtörung des Budgetrechtes der Landtage mißbrauchen ließ. Schließlich fand man rathſam, die heikle Streitfrage mit Stillſchweigen zu übergehen und ließ es bewenden bei der ſelbſtverſtändlichen Beſtimmung (Art. 58), daß die Souveräne durch keine landſtändiſche Verfaſſung in der Erfüllung ihrer bundesmäßigen Verpflichtungen beſchränkt werden dürften.

Unter allen Vorſchriften der neuen Verfaſſungen erſchien keine der diplomatiſchen Seelenangſt ſo gefährlich wie die Oeffentlichkeit der Land - tagsverhandlungen. Ueber die Verwerflichkeit dieſes demagogiſchen Unfugs war man in Wien ebenſo einig wie vordem in Karlsbad. Die Miniſter der conſtitutionellen Staaten ergingen ſich in bitteren Klagen über die Zügelloſigkeit der parlamentariſchen Beredſamkeit;*)Bernſtorff’s Bericht, 12. Dec. 1819. Alle geſtanden zu, daß die unbeſchränkte Veröffentlichung ſolcher Reden den heilſamen Vor - ſchriften des neuen Preßgeſetzes widerſpreche, und Metternich meinte, durch dieſen Mißbrauch werde jeder Staat, der nicht mindeſtens 10 Mill. Ein - wohner zähle, unrettbar zu Grunde gerichtet. Gleichwohl trug Zentner Bedenken, ſich auf eine Abänderung der bairiſchen Verfaſſung einzulaſſen. Die Ultras unterlagen auch diesmal, und man gelangte wieder nur zu23Metternich und der Buchhandel.einer Halbheit. Der Art. 59 verfügte, die Geſchäftsordnung der Landtage müſſe dafür ſorgen, daß die geſetzlichen Grenzen der freien Aeußerung weder bei den Verhandlungen ſelbſt noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck überſchritten würden. Alſo lief die verſuchte Umgeſtaltung des deutſchen conſtitutionellen Staatsrechts ſchließlich faſt überall auf leere Worte hinaus.

Den Mediatiſirten gewährte die Schlußakte das Recht des Recurſes an den Bund. Alle die anderen Verheißungen des zweiten Theiles der Bundesakte dagegen wurden, nach einigen unfruchtbaren Verhandlungen, dem Bundestage zur ferneren Bearbeitung zugewieſen; dieſe humo - riſtiſche Vertröſtung auf die griechiſchen Kalenden blieb immer der letzte Nothbehelf, wenn man ſich nicht einigen konnte. Nur zu dem Abſatze der Bundesakte (Art. 18), welcher gemeinſame Maßregeln wider den Nachdruck verſprach, erlaubte ſich Metternich noch einen denkwürdigen Vorſchlag. Aus Preußen verdrängt, trieb der literariſche Raub in Oeſter - reich und den meiſten der Kleinſtaaten ſein Unweſen ungeſtört weiter; jeder Band des umfänglichen Brockhaus’ſchen Converſationslexikons wurde von einer Stuttgarter Firma ſofort nachgedruckt, und vergeblich ſetzte der rechtmäßige Verleger auf die Titelblätter der neuen Auflage das Calde - roniſche Motto: wie ſie der Verfaſſer ſchrieb, nicht wie ſie der Diebſtahl druckte. In den Kreiſen des altwürttembergiſchen Beamtenthums galt die Begünſtigung des Nachdrucks geradezu für eine landesväterliche Pflicht, weil er ſo viel Geld ins Land brachte; auch unter den Juriſten beſtand noch weit verbreitet die Anſicht, daß der Nachdruck ein natürliches Recht ſei, da ſich der Begriff des literariſchen Eigenthums allerdings nicht ju - riſtiſch conſtruiren ließ. Nach vergeblichen Beſchwerden beim Bundestage wendete ſich eine Anzahl angeſehener Buchhändler, Perthes und Brock - haus voran, bittend an die Wiener Conferenzen; Brockhaus empfahl die Errichtung einer Aufſichtsbehörde in Leipzig, nach Art der franzöſiſchen Direktion des Buchhandels.

Dieſer harmloſe Vorſchlag des ehrlichen Liberalen wurde nun in einer öſterreichiſchen Denkſchrift, welche Metternich der Conferenz über - reichte, für die Zwecke der höheren Polizei ausgebeutet. Die Denkſchrift ſtammte unverkennbar aus der Feder Adam Müller’s, der als k. k. Ge - neralconſul in Leipzig lebte. Sie ging von dem Grundſatze aus, daß die Cenſur und der Schutz des literariſchen Eigenthums unzertrennlich zu einander gehörten: in den Ländern der Preßfreiheit ſteht der Buch - handel ganz außerhalb des Civilrechts, während der Deutſche Bund durch die Cenſur die Druckſchriften gleich bei ihrer Entſtehung in den voll - ſtändigen Nexus des Civilrechts aufnimmt und keinen unabhängigen, neben dem wirklichen Staat herlaufenden Staat der Ideen anerkennt . Demnach muß die ſeit geraumer Zeit ſtillſchweigend geduldete Genoſſen - ſchaft der deutſchen Buchhändler als förmliche Corporation anerkannt24III. 1. Die Wiener Conferenzen.und der ſtrengen Aufſicht einer Bundesbehörde in Leipzig unterworfen werden. Nur die bei dieſer Generaldirektion eingetragenen Schriften er - freuen ſich des geſetzlichen Schutzes. Als Schutzverwandte können auch die deutſchen Buchhändler des Auslands der Corporation beitreten, aber nur wenn ſie einem Staate, der die Cenſur handhabt, angehören; denn offenbar wäre es ein Unrecht, die vogelfreien Verleger Englands und Frankreichs den legitimen Buchhändlern Deutſchlands und Rußlands gleichzuſtellen. So der Plan zur Organiſation des deutſchen Buchhan - dels . Sein Zweck ſprang in die Augen; die Cenſur, die bisher nur pro - viſoriſch auf fünf Jahre eingeführt war, ſollte ganz unter der Hand als eine bleibende Inſtitution des Bundesrechts, als die Vorbedingung des lite - rariſchen Eigenthums anerkannt werden. Aber zu einer Verſchärfung der Karlsbader Beſchlüſſe zeigte ſich die Conferenz nicht geneigt, der Un - terſchied zwiſchen den legitimen und den vogelfreien Buchhändlern war ihr zu fein. Adam Müller’s Vorſchlag blieb liegen, ein lehrreiches Prob - ſtück öſterreichiſcher Rechtsweisheit.

Die Conferenz arbeitete mit anhaltendem Fleiße, obgleich es in dem luſtigen Wien auch an Schmäuſen und Feſtlichkeiten nicht fehlte. Tag für Tag verſammelten ſich bald die Ausſchüſſe bald das Plenum um den langen Tiſch in Metternich’s Vorzimmer. Die Ernte ſchien bereits glück - lich unter Dach gebracht, als Württemberg plötzlich die Frucht der langen mühſamen Vermittlungsarbeit zu zerſtören ſuchte. Verdrießlich genug hatte König Wilhelm bisher ſeinen conſervativen Miniſter Wintzingerode gewähren laſſen, der mit unverhohlener Geringſchätzung von unſerer vortrefflichen Verfaſſung ſprach und das Vertrauen der beiden Großmächte wiederzu - gewinnen bemüht war. Von Zeit zu Zeit ſendete Metternich ein lehrhaftes Schreiben nach Stuttgart um den halbbekehrten Hof in ſeinen guten Vorſätzen zu beſtärken und ihn durch die Schreckbilder der Revolution in einer wohlthätigen Angſt zu erhalten. Deutſchland, ſo ſchrieb er dem Geſandten Trauttmansdorff, bedarf der Befeſtigung der Ordnung ſogar noch dringender als Frankreich; denn jenſeits des Rheines iſt die revo - lutionäre Umwälzung aller Beſitzverhältniſſe bereits vollendet, die Pläne der deutſchen Demagogen aber gehen zugleich auf die Republik und auf ein Ackergeſetz . Da verlautete im Januar, daß die Conferenz die Formen des Bundesrechts verletzen, ihre Beſchlüſſe dem Bundestage kurzweg auf - erlegen wolle.

Eine ſo köſtliche Gelegenheit, wieder einmal den Anwalt der Freiheit zu ſpielen und ſeinen durchlauchtigen Genoſſen ein Bein zu ſtellen, durfte König Wilhelm ſich doch nicht entgehen laſſen. Sofort wurde Graf Mandelsloh angewieſen, feierlich zu erklären, daß der König einem ſolchen Plane niemals zuſtimmen werde; den Bundestag zu umgehen dürfe man den beiden Großmächten nicht geſtatten. Eine harte Zumuthung an den friedfertigen Geſandten, der jeden Abend ſtillvergnügt in Metternich’s glän -25Württembergs Widerſpruch.zenden Salons verbrachte, der in ſeinen Berichten die Amönität des großen Staatsmannes nie genug zu preiſen wußte und gelegentlich ein - mal die tiefſinnige Sentenz einflocht: auch hier iſt, nach meiner Anſicht, der Sonnenuntergang ein ſehr intereſſanter Augenblick. Mandelsloh wagte nicht den Befehl auszuführen. Erſt als Metternich förmlich be - antragte die Beſchlüſſe der Conferenz in einer Bundes-Supplementarakte niederzulegen, erſt am 4. März erhob der Württemberger den ſchüchternen Einwand: dann würde wohl die Zuſtimmung der europäiſchen Mächte, welche die Wiener Congreßakte unterzeichnet, einzuholen ſein. Mit Ent - rüſtung verwahrten ſich alle Anweſenden wider dieſe Anſicht, ſo daß Man - delsloh ſeine Bemerkung zurücknehmen mußte. Unterdeſſen hatte er aus Stuttgart gemeſſenen Befehl erhalten, den Antrag Metternich’s entſchieden zurückzuweiſen, und am 29. März gab er endlich einen Proteſt zu Proto - koll, der ſich auf die verfaſſungsmäßigen Rechte des Bundestags berief und nochmals an den möglichen Einſpruch der Garanten der Congreß - akte erinnerte.

Der Streich war von langer Hand her vorbereitet. Während Man - delsloh unter ſeinen Wiener Genoſſen Anhänger zu werben verſuchte, hatte Wintzingerode nach München geſchrieben, wo Lerchenfeld eine Zeit lang das Unternehmen Württembergs zu unterſtützten verſuchte. In Frankfurt trug Wangenheim bei den Bundesgeſandten eine Denkſchrift um - her, welche eindringlich vor der Gefahr warnte, daß ein neues Organ in die Bundesverfaſſung eingeführt werde; der König ſelbſt reiſte nach Wei - mar um Karl Auguſt’s Hilfe zu gewinnen und durch ſeine Schwägerin, die Erbgroßherzogin Maria Paulowna auf den Czaren einzuwirken. *)Zaſtrow’s Bericht, 29. März; Goltz’s Bericht, 25. April; Bernſtorff’s Bericht, 9. April 1820.Der unerwartete Schlag rief in Wien zuerſt lebhafte Beſorgniß hervor; Manche hielten ſchon die ganze Arbeit für verloren, da die Schlußakte nur durch einſtimmigen Beſchluß angenommen werden konnte. Die beiden Großmächte aber beſchloſſen ſofort dem Württemberger mit Ernſt ent - gegenzutreten. Man muß , ſchrieb Bernſtorff, dieſem nach ſchlecht ver - ſteckten Abſichten handelnden Monarchen zeigen, daß er als der öffentlich erklärte Feind des ganzen übrigen Deutſchlands daſtehen würde; und nochmals: er verſucht unſeren Verein zu ſprengen, das wird zu ſeiner Schande endigen; wir laſſen ihm nur die Wahl beizutreten oder als Feind aus dem Bunde auszuſcheiden, ſonſt würde Kapodiſtrias trium - phiren! **)Bernſtorff’s Bericht, 27. März; Bernſtorff an Ancillon, 27. März, an Harden - berg, 27. März 1820.

Und wohl hatte der Preuße Grund zum Unwillen. Nach Allem was in dieſen Monaten unter Württembergs freiwilliger Mitwirkung26III. 1. Die Wiener Conferenzen.geſchehen, war der verſpätete Proteſt nur ein frivoles Spiel mit dem Buchſtaben der Bundesverfaſſung, und die wiederholte Hinweiſung auf den Einſpruch des Auslandes ließ das Verfahren des Stuttgarter Hofes nur noch zweideutiger erſcheinen. Sollte der Jammer der Wiener Ver - handlungen wirklich in Frankfurt von vorn beginnen? Sollten dieſelben Fürſten, die ſoeben durch ihre Miniſter den Grundzügen der Bundesver - faſſung die längſt verheißene Ausbildung gegeben und dabei die Stimm - ordnung des Bundestags gewiſſenhaft eingehalten hatten, nunmehr das vollendete Werk durch ihre eigenen Bundesgeſandten prüfen und vielleicht umgeſtalten laſſen? Gewiß litt die Würde des Bundestags, wenn man ihn nöthigte, die Wiener Beſchlüſſe unbeſehen anzunehmen; aber was ward aus der Würde der deutſchen Souveräne, wenn dieſer Geſandten - congreß, der doch allein von den Inſtruktionen ſeiner Auftraggeber abhing, wie eine höhere Inſtanz über eine freie Vereinbarung der ſämmtlichen deutſchen Regierungen entſcheiden ſollte? Welchen Erfolg verſprach eine erneute Berathung in Frankfurt? Doch nur den einen, daß Wangen - heim, vielleicht unterſtützt von den Rednern der ſüddeutſchen Kammern, die Beſchlüſſe der Conferenz einer boshaften Kritik unterwarf und ſchließlich, nach erreichtem Aergerniß, ſich wehmüthig der Mehrheit anſchloß. Met - ternich ſchaute ſeinem Gegner in Herz und Nieren, als er an Kaiſer Franz ſchrieb: die Sache ſoll zwar geſchehen, der König will aber den Schein tragen, als unterwerfe er ſich der Gewalt.

Alle Höfe ohne Ausnahme theilten dieſe Anſicht. In Weimar richtete König Wilhelm nichts aus; auch der bairiſche Miniſterrath verwarf die Vorſchläge Württembergs, nachdem Wrede, unzweifelhaft im Auftrage König Max Joſeph’s, ſich entſchieden für die Politik der Bundestreue ausgeſprochen hatte. Sämmtliche Mitglieder der Conferenz verpflichteten ſich ſchriftlich, nicht eher auseinanderzugehen, als bis die Schlußakte end - giltig feſtgeſtellt ſei, auch keine wiederholte Berathung am Bundestage zu dulden. Oeſterreich aber nahm es auf ſich, den widerſpänſtigen Hof an die Wand zu drücken, wie Bernſtorff ſich ausdrückte. *)Bernſtorff’s Berichte, 2., 3. April 1820.Kaiſer Franz und Metternich ſchrieben Beide nach Stuttgart und erklärten ſehr nachdrück - lich, eine Reviſion ihrer Vereinbarungen würde die Conferenz dem Bun - destage niemals geſtatten; auch ſei der Wiener Hof keineswegs geſonnen die Wiener Beſchlüſſe wieder wie die Karlsbader durch eine Präſidialpro - poſition an den Bund zu bringen, denn er wolle nicht als alleiniger Geſetz - geber erſcheinen, da alle Bundesglieder an dem Werke gleichen Theil ge - habt hätten. Dieſe Sprache wirkte. In einer geſchmeidigen Antwort (14. April) erklärte Wintzingerode ſeine Zuſtimmung zu den Anſichten der Conferenz und verſuchte den ganzen Streit als ein Mißverſtändniß dar - zuſtellen. Um dem geſchlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen,27Der Bundestag und die Schlußakte.wurde ſodann noch der den Württembergern anſtößige Name Supple - mentar-Akte geſtrichen, auch ſollte die Schlußakte in Wien nicht förmlich ratificirt, ſondern erſt in Frankfurt auf Grund einer gleichförmigen In - ſtruktion an die Bundesgeſandten zum Bundesgeſetze erhoben werden. König Wilhelm ſelbſt richtete an Kaiſer Franz ein unterwürfiges Antwort - ſchreiben, und da er den Unmuth über die erlittene Niederlage doch irgend - wie auslaſſen mußte, ſo überhäufte er Trott mit Auszeichnungen und be - rief bald nachher den unglücklichen Mandelsloh unter allen Zeichen der Ungnade von ſeinem Wiener Geſandtſchaftspoſten zurück, was die Hofburg als einen Beweis boshafter Geſinnung ſehr übel aufnahm. *)Kruſemark’s Bericht, 10., 21. Juni; Küſter’s Bericht, Stuttgart, 13. Juni, 4. Juli 1820.

Am 24. Mai wurden die Conferenzen geſchloſſen, und nachdem das Wiener Drama beendet war, mußten die Satyrn des Bundestags ihren Fackeltanz beginnen. Wie viel anzügliche Bemerkungen über ihre Unthä - tigkeit hatten dieſe Armen unterdeſſen von der liberalen Preſſe hinnehmen müſſen. Am 10. April, nach Ablauf ſeiner verlängerten Ferien, trat der Bundestag wieder vertraulich zuſammen und beſchloß, auf eine Weiſung Metternich’s, vorläufig nur vertrauliche Sitzungen zu halten, da die Wiener Conferenz noch nicht beendet ſei. Am 20. April verſammelte er ſich wie - der und faßte den Beſchluß, acht Tage darauf abermals vertraulich zu - ſammenzukommen. Goltz aber geſtand kummervoll, dies ſei nur geſchehen zur Beſchönigung der fortdauernden Unthätigkeit der Verſammlung in den Augen des Publikums ; der Zuſtand ſei drückend und compromittirend in den Augen der Welt; noch ſchlimmer freilich, wenn der Bundestag ergänzen müßte was in Wien unvollendet bliebe, dann würde ſicherlich gar nichts fertig werden! So ging es weiter, in unverbrüchlicher Ver - traulichkeit. Immer wieder klagte der preußiſche Geſandte über den gänz - lichen Mangel an Berathungsſtoff . **)Berichte von Goltz, 11., 25. April, von Leg. -Rath Küpfer, 16., 23. Mai 1820.Ein Votum Württembergs über die Exterritorialität der Mainzer Unterſuchungscommiſſion, eine Anzeige Dänemarks über die erfolgte Ernennung zweier Cenſoren für Holſtein ſolche Staatsgeheimniſſe bildeten den einzigen Inhalt dieſer vertraulichen Berathungen. Endlich am 8. Juni hielt der Bundestag, zum erſten male in dieſem Jahre, eine öffentliche Sitzung. Die Verſammlung bildete ſich zu einem Plenum , die Wiener Schlußakte ward verleſen. Nach einem kurzen Präſidialvortrage erklärten die beiden Großmächte ihre Zuſtim - mung, und dann erſchöpften die Vertreter der übrigen 61 Stimmen den ganzen Floskelreichthum der deutſchen Kanzleiſprache um in verſchiedenen Wendungen verabredetermaßen alle genau das Nämliche zu ſagen. Nur Württemberg konnte ſich’s nicht verſagen, ſeiner Zuſtimmung einige bos - hafte Bemerkungen über die Unregelmäßigkeit des Verfahrens voranzu -28III. 1. Die Wiener Conferenzen.ſchicken. Wintzingerode fühlte, daß dieſer halbe Widerſpruch gegen die gegebene Zuſage verſtieß, und betheuerte daher gleichzeitig dem öſterrei - chiſchen Cabinet: die Erklärung ſei dem Grafen Mandelsloh ſchon nach Wien zugeſendet worden, doch leider nicht rechtzeitig eingetroffen. Metter - nich aber ertheilte dem ewig hadernden kleinen Hofe einen ſcharfen Ver - weis; warum müſſe Württemberg in einem Falle, wo Alle daſſelbe wollten, wieder einmal die Eintracht ſtören? *)Wintzingerode an Metternich, 9. Juni; Metternich’s Antwort 19. Juni; Küſter’s Bericht, Stuttgart, 20. Juni, 3. Juli 1820.Alſo wurde am fünften Jahrestage der Bundesakte das zweite und letzte Grundgeſetz des Deut - ſchen Bundes angenommen.

Die beſte Kritik des Werkes lag in der ſeltſamen Thatſache, daß, mit Ausnahme des Stuttgarter Hofes ſowie der beiden Ultras Marſchall und Berſtett, die ſämmtlichen Betheiligten damit zufrieden waren oder ſchienen. Schwer beſorgt hatte Karl Auguſt von Weimar auf die Wiener Verhandlungen geblickt und ſeinen Fritſch ermächtigt, ſich nöthigenfalls unter Proteſt zurückzuziehen, wenn die Conferenz das innere Leben der Einzelſtaaten zu ſtören ſuche. Jetzt ſah er wohl, daß im Grunde Alles beim Alten blieb; er erkannte die Mäßigung der Großmächte dankbar an, reiſte im Frühjahr nach Prag zum Kaiſer Franz, der ihn ſehr freund - lich aufnahm und den alten Groll wider den Altburſchen ſcheinbar ganz vergeſſen hatte. **)Piquot’s Bericht, Wien 21. Juni 1820.Auch die am Wiener Hofe ſo übel angeſchriebenen Senate der freien Städte athmeten erleichtert auf, und die inbrünſtigen Dankesworte, welche Hach beim Schluſſe der Conferenzen an das Haus Oeſterreich richtete, kamen ſicherlich aus ehrlichem Herzen. In München wurde der heimkehrende Zentner von ſeinem Könige mit Gnaden über - ſchüttet und ſofort zum Staatsminiſter ernannt. ***)Zaſtrow’s Bericht, 7. Juni 1820.Kaum minder zu - frieden war das Berliner Cabinet. Bernſtorff’s ehrenhaftes und wohl - wollendes Verhalten hatte an den kleinen Höfen manche der Vorurtheile überwunden, welche dort noch von den Befreiungskriegen her gegen Preußen gehegt wurden. Das neubefeſtigte freundliche Verhältniß zu Baiern ſchien einen ruhigen Gang der Bundespolitik zu verbürgen, und glückſelig ſchrieb Ancillon nach München: die Schlußakte hat das Problem, die Sou - veränität eines jeden Staates mit der Kraft des Ganzen zu vereinbaren, ſo glücklich gelöſt, wie es unter den gegebenen Umſtänden nur immer möglich war. †)Weiſung an Zaſtrow, 7. Juni 1820.

Nicht ebenſo befriedigt mochte Metternich auf die Conferenzen zurück - blicken, die ſo manchen ſeiner Lieblingspläne in der Stille begraben hatten. Oft genug hatte er erfahren müſſen, welchem zähen, ſtillen Widerſtande jeder durchgreifende Entſchluß in dieſer bunten deutſchen Staatenwelt be -29Ergebniß der Conferenzen.gegnet; er wußte, daß er die Unwahrheit ſagte, als er ſeinem Kaiſer am 17. Mai ganz in dem hochmüthigen Karlsbader Tone ſchrieb: Ein Wort von Oeſterreich geſprochen wird in ganz Deutſchland unverbrüchliches Geſetz ſein. Nun erſt werden die Karlsbader Maßregeln in ihr wahres Leben treten. Immerhin hatte er Grund, ſeine Erfolge nicht völlig ungenügend zu finden. Wie dies alte Oeſterreich daſtand, ſcheinbar ſo mächtig und beneidenswerth, und doch faſt erliegend unter der unmöglichen Aufgabe Deutſchland, Italien, Ungarn zu beherrſchen, mußte die Hofburg ſchon zufrieden ſein, wenn der Deutſche Bund gemächlich in dem alten Geleiſe weiter fuhr. Durch ſein herriſches Gebahren in Karlsbad hatte Metter - nich die kleinen Höfe nur erſchreckt, ſeine zuvorkommende Verſöhnlichkeit in Wien gewann ihm ein Vertrauen, das ungleich werthvoller war; und eben jetzt, da die Revolution in Südeuropa ausbrach, mußte jeder Zwiſt in Deutſchland verhindert werden. Poſitive Pläne für unſere nationale Wohlfahrt konnte er, nach ſeiner Natur wie nach ſeiner Stellung als öſter - reichiſcher Staatsmann, niemals hegen. Genug alſo, daß das Frankfurter Mühlrad wie einſt das Regensburger mit regelmäßigem Geklapper fort arbeitete; ob dabei auch Korn gemahlen wurde, kam für ihn nicht in Be - tracht. Es war ihm Ernſt, als er einem Vertrauten ſchrieb, die Con - ferenz habe eine ungeheuere Arbeit in ſehr kurzer Zeit vollendet; hatte er doch wirklich mit raſtloſem Fleiße Vorträge gehalten und Artikel ge - ſchmiedet und ſelbſt durch den Tod einer Tochter, der ihn tief ergriff, ſich in ſeinem Eifer nicht ſtören laſſen. Die Nichtigkeit dieſes leeren Para - graphenwerks kam ihm gar nicht zum Bewußtſein.

Die Nation befand ſich nach den Conferenzen nicht beſſer und nicht ſchlechter denn zuvor und nahm die Schlußakte ſehr gleichgiltig entgegen. Der ſchon in der Anlage verfehlte Bau der Bundesverfaſſung war für den Abbruch reif; einige wohlgemeinte Nachbeſſerungen konnten ihn nicht feſtigen. Aber wie lange noch, bis dies wieder ganz im Partikularismus verſinkende Geſchlecht erkannte, daß die von Ancillon gerühmte Verein - barung zwiſchen der Kraft des Ganzen und der Souveränität eines jeden Staates nichts anderes war als die Quadratur des Cirkels!

Die Hauptverhandlung der Conferenzen endete mit einem farbloſen Compromiß, das ohne tiefe Nachwirkung blieb. Weit folgenreicher wurde eine Epiſode der Wiener Berathungen: der Kampf um das preußiſche Zollgeſetz. Als Hardenberg ſeine Weiſungen an Bernſtorff ertheilte, ſchärfte er ihm noch einmal ein, daß ein Bundeszollweſen bei dem gegen - wärtigen Zuſtande der deutſchen Staaten unmöglich ſei. Sodann wieder - holte er ihm wörtlich, was er gleichzeitig den Abgeſandten des Liſt’ſchen Handelsvereins antwortete und durch die Staatszeitung veröffentlichen30III. 1. Die Wiener Conferenzen.ließ: Man kann daher die Sache nur darauf zurückführen, daß einzelne Staaten, welche durch den jetzigen Zuſtand ſich beſchwert glauben, mit den - jenigen Bundesgliedern, woher nach ihrer Meinung die Beſchwerde kommt, ſich zu vereinigen ſuchen, und daß ſo übereinſtimmende Anordnungen von Grenze zu Grenze weiter geleitet werden, welche den Zweck haben, die inneren Scheidewände mehr und mehr fallen zu laſſen. *)Als K. L. Aegidi ſich im Jahre 1865 das Verdienſt erwarb, dieſe Stelle aus Bernſtorff’s Inſtruktionen (in ſeiner Schrift Aus der Vorzeit des Zollvereins ) zuerſt zu veröffentlichen, da war die wirkliche Geſchichte des Zollvereins durch Parteimärchen bereits gänzlich verdunkelt, und die Mittheilung wurde allgemein als eine überraſchende Enthüllung angeſehen. Und doch enthielt die Inſtruktion durchaus kein Geheimniß, ſon - dern lediglich die nämlichen Worte, welche, als amtliche Antwort Hardenberg’s an F. Liſt und Gen., bereits im Jahre 1819 in den meiſten deutſchen Zeitungen geſtanden hatten. Vergl. o. II. 622.So war das handelspolitiſche Programm der preußiſchen Regierung nochmals klar und unzweideutig ausgeſprochen. Indem ſie an ihrem Zollgeſetze feſthielt, er - klärte ſie ſich bereit, anderen Bundesſtaaten durch freie Verträge den Zoll - anſchluß oder Handelserleichterungen zu gewähren; aber ſie ſah auch ein und hierin lag ihre Ueberlegenheit daß alle Klagen wider die Binnen - mauthen müſſige Reden blieben, ſo lange die deutſchen Staaten ſich über ein gemeinſames Zollgeſetz nicht einigen konnten.

Auf lebhaften Widerſpruch war Bernſtorff von vornherein gefaßt; er wußte wohl, wie unfaßbar dieſe nüchternen handelspolitiſchen Gedanken, die heute Jedem geläufig ſind, der großen Mehrzahl der deutſchen Höfe noch erſchienen. Der leidenſchaftliche Ausbruch gehäſſiger Vorurtheile , den er in Wien erleben mußte, übertraf doch ſeine ſchlimmſten Erwar - tungen. Die naive volkswirthſchaftliche Unwiſſenheit der Epoche feierte auf den Conferenzen ihre Saturnalien; faſt die geſammte deutſche Diplo - matie lief Sturm wider das preußiſche Zollgeſetz. Sobald auf die Fragen des Handels die Rede kam, verſchob ſich die Stellung der Parteien voll - ſtändig. Der preußiſche Bevollmächtigte, der faſt in allen andern Fragen die Mehrheit der Verſammlung nach ſich zog, ſtand in den handelspoliti - ſchen Berathungen ebenſo vereinſamt wie in den militäriſchen, er erſchien wie der Störenfried der deutſchen Einigkeit. Dieſelben Höfe, die überall ſonſt den Wirkungskreis des Bundes ängſtlich zu beſchränken ſuchten, hofften durch einen rechtswidrigen Bundesbeſchluß jene ſegensreiche Re - form, welche dem preußiſchen Deutſchland den freien Verkehr geſchenkt hatte, wieder umzuſtoßen. Von Mund zu Munde ging die ſophiſtiſche Behauptung, das preußiſche Geſetz verſtoße wider den Art. 19 der Bun - desakte, der nichts weiter enthielt, als die Zuſage, daß der Bundestag wegen des Handels und Verkehrs in Berathung treten ſolle.

Preußens böſer Genius, ſo ließen ſich ſelbſt Wohlmeinende vernehmen, hat dies unglückliche Geſetz geſchaffen, das ihm überall Zutrauen und Zu -31Das preußiſche Zollgeſetz und die Kleinſtaaten.neigung verſcherzt; Preußen wird es dereinſt noch bereuen! Und ſeltſam, die Angriffe der entrüſteten Vorkämpfer deutſcher Handelsfreiheit richteten ſich ausſchließlich gegen Preußen, obgleich auch andere Bundesſtaaten des gleichen Frevels ſchuldig waren. Baiern hatte ſoeben (22. Juli 1819), wie Preußen, ein neues Zollgeſetz verkündigt, aber Niemand eiferte da - wider. Vollends das öſterreichiſche Prohibitivſyſtem belaſtete nicht nur alle Waaren ungleich härter als das preußiſche Geſetz, es verbot ſogar einzelne deutſche Erzeugniſſe gänzlich, namentlich die Franken - und Rheinweine. Keiner unter den deutſchen Miniſtern nahm daran Anſtoß. Metternich ſagte kurzweg zu Berſtett: ich betrachte Oeſterreich als gar nicht in der Handelsfrage befangen , und der badiſche Staatsmann nahm dieſe Er - klärung ohne Widerſpruch als ſelbſtverſtändlich hin. *)Berſtett’s Bericht an den Großherzog, 10. Jan. 1820.Alſo ward gerade durch den leidenſchaftlichen Eifer der Kleinen bewieſen, wie feſt ihre In - tereſſen mit Preußen verkettet waren, wie loſe mit Oeſterreich. Einige der kleinen Miniſter vertraten den Gedanken der Bundeszölle: ſo Fritſch, dem ſein Großherzog befohlen hatte die Verlegung aller Zolllinien an die Bundesgrenze zu fordern, ſo Berſtett, der noch immer der Meinung blieb, durch die Verkündigung allgemeiner Verkehrsfreiheit werde der Bund am ſicherſten die Unzufriedenheit der Nation beſchwichtigen. Andere wollten nur den Verkehr mit deutſchen Produkten frei laſſen, und dieſe ſo wenig wie jene wußten die Mittel zur Ausführung ihres Planes anzugeben: gegen das Ausland, meinte Berſtett gemüthlich, möge jeder Bundesſtaat ſeine Zölle nach Belieben anordnen, genug wenn im Innern Deutſchlands die Mauthen hinwegfielen. Zu dieſen ehrlichen Enthuſiaſten geſellten ſich einige Bundesgenoſſen, die ihre unlauteren Hintergedanken kaum ver - bargen. Der Herzog von Koburg erſchien ſelbſt in Wien um durch ſein Veto den Abſchluß der Bundeskriegsverfaſſung zu vereiteln, falls ihm nicht unbeſchränkte Verkehrsfreiheit gewährt würde; doch da die Conferenz das Bundesmilitärgeſetz nicht ins Reine brachte, ſo ward der feine Plan zu Schanden. Noch dreiſter trat Marſchall auf. Der witterte mit dem In - ſtinkt des Haſſes, daß die neue Zollgeſetzgebung, das Werk der demago - giſchen Subalternen in den Berliner Bureaus, dem preußiſchen Staate vielleicht dereinſt die Hegemonie im Norden verſchaffen könne; durch ihre Vernichtung dachte er zugleich dieſen Staat des Unheils zu demüthigen und der Schlange der Revolution das Haupt zu zertreten.

Aehnliche Geſinnungen hegte der Kaſſeler Hof, der bereits, ohne eine Verſtändigung mit dem Nachbarſtaate auch nur zu verſuchen, den Zoll - krieg gegen Preußen eröffnet hatte. Durch ein Geſetz vom 17. Sept. 1819 wurde die Ein - und Durchfuhr vieler preußiſcher Waaren verboten oder mit ſchweren Zöllen belegt. Der Mehrbetrag der erhöhten Abgaben ſollte verwendet werden zum Beſten der heſſiſchen Gewerbtreibenden, welche das32III. 1. Die Wiener Conferenzen.preußiſche Zollgeſetz an den Bettelſtab gebracht habe ein Verſprechen, das der geizige Kurfürſt ſelbſtverſtändlich niemals einlöſte. In Berlin dachte man anfangs an Retorſionen. Der König aber hielt ſich ſtreng an die Zuſage, daß die preußiſchen Zölle vornehmlich die außerdeutſchen Waaren treffen ſollten, und wollte feindſelige Schritte gegen deutſche Staaten wenn irgend möglich vermeiden. Auch ein Gutachten des Finanzminiſte - riums gelangte zu dem Schluſſe, die heſſiſchen Retorſionen ſeien für Heſſen überaus ſchädlich, für Preußen ungefährlich, alſo nur der Form wegen zu bekämpfen . Der Geſandte in Kaſſel ſprach ſich in dieſem Sinne vertraulich gegen den Kurfürſten aus. Unterdeſſen ließ Preußen die Köln - Berliner Kunſtſtraße über Höxter und Paderborn, mit Umgehung des heſſiſchen Gebiets, ausbauen. Der Verkehr des Nordoſtens mit dem Süden zog ſich von Hanau hinweg nach Würzburg, die heſſiſchen Straßen be - gannen zu veröden. Der Kurfürſt mußte ſeine Kampfzölle wieder herab - ſetzen und harrte nun um ſo ungeduldiger auf einen Bundesbeſchluß, der die Zolllinien des unangreifbaren Nachbarn zerſtören ſollte.

Unter den Widerſachern Preußens verſtand doch keiner eine ſo ur - wüchſig grobe Sprache zu führen, wie der Herzog Ferdinand von Köthen, ein eitler, nichtiger Menſch, der im Jahre 1806 wegen erwieſener Un - fähigkeit den preußiſchen Kriegsdienſt hatte verlaſſen müſſen und jetzt per - ſönlich an die Donau eilte um die Mediatiſirung des uralten Hauſes Anhalt abzuwenden. Die wirkliche Herrin ſeines Ländchens war ſeine Gemahlin Julia, eine geborene Gräfin Brandenburg, Halbſchweſter des Königs von Preußen, eine Dame von Geiſt und Bildung, unermeßlich ſtolz auf ihre fürſtliche Würde, den katholiſirenden Lehren der romanti - ſchen Schule eifrig zugethan. Da Metternich den Werth einer ſolchen Bundesgenoſſin wohl zu würdigen wußte, ſo hatte er Adam Müller be - auftragt, neben dem Leipziger Conſulate auch das Amt des öſterreichiſchen Geſchäftsträgers an den anhaltiſchen Höfen zu bekleiden, und der ge - feierte Publiciſt der ultramontanen Partei wurde der romantiſchen Her - zogin bald ein unentbehrlicher Rathgeber. Müller haßte ſeine preußiſche Heimath mit dem ganzen Ingrimm des Convertiten. Seinem erfinderi - ſchen Kopfe entſprang der Plan zu einem großen Gaunerſtücke kleinfürſt - licher Staatskunſt, das die preußiſche Zollgeſetzgebung von innen heraus durchlöchern und mindeſtens für die Provinz Sachſen unmöglich machen ſollte. Das Köthenſche Land wurde einige Stunden weit von der Elbe durchfloſſen, und die Elbe zählte zu den conventionellen Flüſſen, denen der Wiener Congreß die vollkommene Freiheit der Schifffahrt zugeſagt hatte. Welch eine glänzende Ausſicht eröffnete ſich alſo für die Macht - ſtellung Köthens, wenn die Conferenz ſich bewegen ließ, die Freiheit der Elbe ſofort und unbedingt von Bundeswegen einzuführen! Dann konnte der Herzog, obgleich ſein Land von preußiſchem Gebiete umſchloſſen war, eine ſelbſtändige europäiſche Handelspolitik beginnen, er konnte die Frei -33Köthen gegen Preußen.heit der Elbſchifffahrt mißbrauchen, um im Herzen des preußiſchen Staates dem Schleichhandel eine große Freiſtätte zu eröffnen, den gehaßten Nach - barſtaat mit geſchmuggelten Waaren zu überſchwemmen und ihn vielleicht zur Aenderung ſeines Zollſyſtems zu zwingen. Begierig ging der kleine Herr auf dieſe freundnachbarlichen Gedanken ein; Gewiſſensbedenken be - rührten ihn nicht, und den Unterſchied von Macht und Ohnmacht ver - mochte er nicht zu begreifen. Die wiederholten wohlwollenden Einladungen zum freiwilligen Anſchluß an das preußiſche Zollſyſtem hatte er ſämmtlich ſchroff abgefertigt, in jenem pöbelhaft ſchreienden Tone, der allen Schrift - ſtücken dieſes Hofes gemein war. Anhalt ſo erklärte er ſtolz kann ſeine Rettung nur ſuchen in dem allgemeinen europäiſchen völkerrechtlichen Staatenvereine und in den Hilfsmitteln, welche ihm ſeine geographiſche Lage an großen Strömen darbietet.

Mehr oder minder eifrig klagten auch die meiſten übrigen Bevoll - mächtigten wider die Selbſtſucht des Staates, der allein dem Ideale der deutſchen Handelseinheit im Wege ſtehe. Nur die Hanſeſtädte, befriedigt mit ihrer kosmopolitiſchen Handelsſtellung, wieſen jeden Verſuch gemein - ſamer deutſcher Handelspolitik kühl zurück. Auch Zentner zeichnete ſich wieder durch kluge Beſonnenheit aus; dem geſtaltloſen Traumbilde einer allgemeinen Verkehrsfreiheit, deren Bedingungen noch Niemand kannte, wollte er das neue bairiſche Zollgeſetz nicht opfern. Metternich aber ließ mit ſchlecht verhehlter Schadenfreude die Kleinen wider Preußen lärmen. Meiſterhaft verſtand der Wiener Hof, die Angſt vor dem preußiſchen Ehr - geiz, die allen Kleinſtaaten in den Gliedern lag, je nach Umſtänden für ſeine Zwecke auszubeuten. Im Oktober hatte Graf Bombelles auf aus - drücklichen Befehl des Kaiſers Franz dem Großherzog von Weimar ge - droht: wenn man die Karlsbader Beſchlüſſe nicht überall ſtreng ausführe, dann müßten die beiden Großmächte aus dem Bunde ausſcheiden, und dann würde der Kaiſer ſich genöthigt ſehen, ſeinen preußiſchen Alliirten in Deutſchland eine erweiterte Stellung zu verſchaffen . *)Dies erzählte Graf Bombelles ſelbſt ſeinem preußiſchen Amtsgenoſſen in Dres - den, dem Geſandten v. Jordan (Jordan’s Bericht, 18. Okt. 1819).Ebenſo un - bedenklich benutzte Metternich jetzt die Eiferſucht der Kleinen um Preußens Handelspolitik zu bekämpfen. Freilich durfte er nicht wagen, die Gegner ſeines unentbehrlichen Bundesgenoſſen offen zu unterſtützen, zumal da er ſelber an dem öſterreichiſchen Zollweſen nicht das Mindeſte ändern wollte. Unter der Hand jedoch ermuthigte er die Ergrimmten und flüſterte ihnen zu, das preußiſche Zollgeſetz ſei das Werk einer Partei, deren Zwecke mit treuem Bundesſinne nichts gemein hätten. **)An dieſe ſeine Aeußerungen wurde Metternich ſpäterhin durch Marſchall ge - mahnt. (Marſchall an Metternich, 10. Sept. 1820.)Als handelspolitiſchen Rathgeber hatte er ſich den Urheber der anhaltiſchen Schleichhandels - Pläne, Adam Müller, nach Wien kommen laſſen.

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 334III. 1. Die Wiener Conferenzen.

Die Nation war über das Problem der Zolleinheit noch ebenſo wenig ins Klare gekommen wie ihre Staatsmänner. Von dem politiſchen Er - gebniß der Conferenzen erwartete ſie, nach den Karlsbader Erfahrungen, nichts Erfreuliches; nur die Aufhebung der Binnenmauthen und nament - lich der preußiſchen Zolllinien erſchien allen Parteien als ein beſcheidener Wunſch, der bei einigem guten Willen der Regierungen leicht erfüllt werden konnte. Eine Flugſchrift Freimüthige Worte eines Deutſchen aus Anhalt ſprach mit draſtiſchen Worten aus, was nahezu alle Nichtpreußen über die Berliner Handelspolitik dachten. Der offenbar wohlmeinende Verfaſſer fand es ehrenrührig, daß man die von preußiſchem Gebiete um - ſchloſſenen Staaten als Enclaven bezeichne, und ſchlechthin rechtswidrig, daß Preußen von Fremden Steuern erhebe; das Strafurtheil der öffent - lichen Meinung müſſe der Sache der Wahrheit und des Rechts unfehl - bar zum Siege verhelfen.

Als Wortführer der Kaufleute und Gewerbtreibenden fand ſich F. Liſt mit ſeinen Getreuen J. J. Schnell und E. Weber auf den Conferenzen ein und legte eine Denkſchrift vor, deren hochgemuthes patriotiſches Pathos inmitten der engherzigen partikulariſtiſchen Intereſſenpolitik der Wiener Verſammlung wildfremd erſchien. Mit der Einheit der Nation ſo führte er in beredten Worten aus ſei die vollkommene Unabhängigkeit der Einzelſtaaten nicht vereinbar; der Bund müſſe den dreißig Millionen Deutſchen den Segen des freien Verkehrs ſchaffen und alſo in Wahrheit ein Bund der Deutſchen werden. Und was war der praktiſche Vorſchlag, der dieſen begeiſterten Worten folgte? Liſt verlangte, daß die deutſchen Staaten ihre Zölle an eine Aktiengeſellſchaft verpachten ſollten, und machte ſich anheiſchig die Aktien unterzubringen; dieſe Geſellſchaft würde das deutſche Bundeszollweſen begründen und den Regierungen alle Sorge um läſtige Einzelheiten abnehmen! Seltſam doch, in welche holden Selbſt - täuſchungen der feurige Patriot ſich einwiegte. Er behauptete, Preußen ſei geneigt ſein Zollgeſetz aufzugeben, obgleich man ihm ſoeben von Berlin aus amtlich das Gegentheil verſichert hatte. Er ſah ſich von der Wiener Polizei argwöhniſch beobachtet und ſchrieb in die Heimath: wir ſind von allen Seiten mit Spionen umgeben, bei einem Spion einquartiert, von einem Spion bedient; *)Liſt an ſeine Gattin, Wien, 18. Febr. 1820. er wußte, daß Metternich in der Conferenz er - klärt hatte, mit den Individuen, welche ſich für die Vertreter des deut - ſchen Handelsſtandes ausgäben, könne man ſich auf keine Verhandlungen einlaſſen, da der Bundestag bereits den Deutſchen Handelsverein als ein geſetzwidriges und unzuläſſiges Unternehmen verurtheilt habe. Das Alles beirrte ihn nicht in ſeiner rührenden Zuverſicht. Als nun gar Adam Müller eine Denkſchrift Liſt’s über deutſche Induſtrie-Ausſtellungen wohl - wollend begutachtete, und Kaiſer Franz in einer Audienz dem unverwüſt -35F. Liſt in Wien.lichen Agitator verſicherte, ſeine Regierung werde gern das Wohl des deutſchen Vaterlandes fördern, da wähnte er ſich ſchon faſt am Ziele: Aller Augen ſind nunmehr auf die kaiſerlich öſterreichiſche Regierung ge - richtet. Wie würde ſich nicht Oeſterreichs edelmüthiger menſchenfreund - licher Kaiſer die Völker deutſcher Zunge aufs Neue verbinden, wenn ihnen ſo große Wohlthat von ſeinen Händen käme! Als auch dieſe Täuſchung ſchwand, warf er ſeine Hoffnungen auf die ſüddeutſchen Höfe und meinte, ſeine Sache habe durch die Verzögerung nur gewonnen. *)Liſt an ſeine Gattin, 15. März 1820.So klammerte ſich der edle Patriot an jeden Strohhalm; nur das preußiſche Zollgeſetz, das dereinſt der Eckſtein unſerer wirthſchaftlichen Einheit werden ſollte, erſchien ihm, wie faſt der geſammten Nation, als der Quell des Verderbens.

In der Conferenz eröffnete Marſchall den Kampf durch eine Denk - ſchrift vom 8. Januar, welche den preußiſchen Staat mit ſo grobem Un - glimpf überhäufte, daß Berſtorff ſie dem Verfaſſer zurückgab. Durch die neuen Zolleinrichtungen, hieß es da, würden die Eigenthumsrechte von Hunderttauſenden angegriffen, das Eigenthum und der Beſitz vermindert. Dann forderte der Naſſauer getroſt: Aufhebung aller ſeit dem Jahre 1814 neu eingeführten Mauthen und ſofortige Vollziehung der Beſchlüſſe des Wiener Congreſſes über die Flußſchifffahrt; im Uebrigen volle Frei - heit für jeden deutſchen Staat, die Zölle gegen das Ausland willkürlich feſtzuſetzen, wenn er nur keine Binnenmauthen errichte. Daß der letz - tere Vorſchlag einen plumpen Widerſpruch enthielt, daß kein Einzelſtaat ſich gegen das Ausland ſchützen konnte, wenn ſeine deutſchen Binnen - grenzen unbewacht blieben dieſe handgreifliche Wahrheit war dem naſſauiſchen Staatsmanne ganz entgangen; er ſprach wie der Blinde von den Farben, da ſein Ländchen gar keine Grenzzölle beſaß.

Dann wiederholte Berſtett ſeine alten Klagen gegen die Binnen - mauthen und vertheilte unter den Genoſſen jene gedankenreiche Denk - ſchrift von Nebenius über die Bundeszölle; bei ruhiger Prüfung mußten jedoch Alle die Unmöglichkeit einer Bundeszollverwaltung zugeſtehen, und der badiſche Miniſter ſelbſt ließ den Plan ſeines geiſtvollen Untergebenen fallen. **)Bernſtorff’s Berichte, 16. Jan., 6. Febr. 1820.Darauf neue wüthende Ausfälle Marſchall’s, ſo grob und un - geſchlacht, daß Bernſtorff beim Schluß der Conferenzen dem Bundes - geſandten ſchrieb: es würde unter der Würde unſeres höchſten Hofes ſein, dieſem in keiner Hinſicht achtungswerthen Manne irgend eine gegen ſeine Perſon gerichtete Empfindlichkeit zu äußern, Goltz möge ſich alſo dem naſſauiſchen Collegen gleichgiltig fern halten. Nunmehr proteſtirte auch Fritſch im Namen der Thüringer wider Preußens Enclavenſyſtem und verlangte, jedem Producenten müſſe geſtattet werden, ſeine Erzeug - niſſe überall in Deutſchland frei abzuſetzen, jedem Conſumenten, ſeinen3*36III. 1. Die Wiener Conferenzen.Bedarf auf dem nächſten Wege zu beziehen. Dazwiſchen hinein fuhr der Köthener Herzog, deſſen anmaßendes Benehmen Bernſtorff nicht grell genug ſchildern konnte, mit wiederholten geharniſchten Verwahrungen. *)Bernſtorff’s Berichte, 22. April, 7. Mai 1820.Er klagte, man laſſe ihn alle Laſten des preußiſchen Zollweſens tragen, nicht die Vortheile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens Anerbietungen einzugehen und auch der Vortheile theilhaftig zu werden. Er drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze der über allem Angriff erhabenen Sache des uralten Hauſes Anhalt. Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte ſeine Unterſchrift, wenn ihm der Bund nicht die freie Communikation mit Europa ſicherſtelle: ſo lange die Herzöge von Anhalt ſich in einer drückenden unfreiwilligen Zins - barkeit gegen einen mächtigen Nachbarſtaat befinden, kann für dieſes alte Fürſtenhaus keine Bundesakte und alſo auch keine Schlußakte exiſtiren.

Inmitten dieſes Gezänks bewahrte Graf Bernſtorff vornehme Ruhe und aufrichtigen Freimuth. Er beklagte laut, daß die Bundesakte durch ihre allgemeinen Verſprechungen unerfüllbare Erwartungen geweckt habe. Feſt und ſtolz wies der preußiſche Miniſter jede ehrenrührige Zumuthung zurück: von der Aufhebung des neuen Geſetzes könne gar nicht die Rede ſein. Zugleich wiederholte er unermüdlich in immer neuen Umſchreibungen die in der Staatszeitung veröffentlichten Gedanken. Es ſei unmöglich, eine ſolche Einigung anders als durch allmähliche Vorbereitung und die mühſamſte Ausgleichung ſtreitender Intereſſen bewirkt zu ſehen . Nur Verträge zwiſchen den Einzelſtaaten könnten dem wirthſchaftlichen Elend ſteuern. Geſchieht dieſes im Süden wie im Norden von Deutſchland, und werden dieſe Verſuche unter der Mitwirkung und Pflege des Bundes gemacht, ſo läßt es ſich wohl denken, daß man auf dieſem freilich lang - ſamen, aber vielleicht einzig möglichen Wege dahin gelangen werde, die jetzt beſtehenden Scheidewände aus dem Wege zu räumen und in Be - ziehung auf Handel und Verkehr diejenige Einheit der Geſetzgebung und Verwaltung hervorzubringen, welche ein Verein neben einander be - ſtehender freier und beſonderer Staaten, wie ihn der Deutſche Bund bil - det, irgend zulaſſen kann. Auf die Schmähungen des Kötheners bemerkte er trocken, daß in Dresden bereits ſeit mehreren Monaten eine Conferenz der Elbuferſtaaten tage; dort allein ſei der Ort, die Frage der freien Elb - ſchifffahrt zum Austrage zu bringen.

Wahrlich, ein hiſtoriſcher Augenblick! Der große Kampf zweier Jahr - hunderte, der alte unverſöhnliche Gegenſatz öſterreichiſcher und preußiſch-deut - ſcher Politik erneuerte ſich in dieſen unſcheinbaren Händeln, noch ohne daß die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen. Wem ſollte ſich hier nicht die Erinnerung aufdrängen an den Frankfurter Fürſtentag von 1863? Dort das Haus Oeſterreich mit der dichten Schaar der Enthu - ſiaſten und der Partikulariſten, jubelnder Beifall der liberalen Welt, -37Preußens Sieg.nende Worte, die der Nation ein unbeſtimmtes Glück verheißen und nur an dem kleinen Fehler kranken, daß ſie hohle Phraſen ſind. Hier Preußen allein, verwünſcht von der Nation, ein kaltes Nein den hochfliegenden Plänen der Gegner entgegenſtellend. Und doch barg ſich hinter dieſer ablehnenden, ſcheinbar unfruchtbaren Haltung der einzige Gedanke, der uns retten konnte. Die ganze Zukunft deutſcher Politik hing daran, daß Preußens verſtändige Redlichkeit triumphirte über dies Bündniß der Un - klarheit und der Lüge. Und Preußen ſiegte.

Da die Gegner nur in ihrem Haſſe, nicht in irgend einem poſitiven Gedanken übereinſtimmten, ſo errang Bernſtorff bereits am 10. Februar einen durchſchlagenden Erfolg in dem handelspolitiſchen Ausſchuſſe der Conferenz; er bewog den Ausſchuß, ſeine Anträge auf einige mehr vor - bereitende als entſcheidende, keinen künftigen bundesförderlichen Beſchlüſſen vorgreifende Beſtimmungen zu beſchränken. *)Bernſtorff’s Bericht, 11. Febr. 1820.Der Ausſchuß bean - tragte demnach lediglich, daß der Bundestag, dem Art. 19 gemäß, die Be - förderung des Handels als einen der Hauptgegenſtände ſeiner Thätigkeit anſehen ſolle. Nur über die Freiheit des Getreidehandels, welche Preußen ſchon vor drei Jahren in Frankfurt befürwortet hatte, ſchienen jetzt alle Theile endlich einig, und der Ausſchuß ſchlug vor, die Frage durch ſchleu - nige Vereinbarung zu erledigen. Als dieſe Anträge am 4. März in der Conferenz zur Verleſung kamen, da brach, ſobald der Name des Bun - destags erklang, einer der Anweſenden in lautes Lachen aus, und die ganze Verſammlung ſtimmte fröhlich ein. Und dieſe Staatsmänner, die ihr Urtheil über die Leiſtungsfähigkeit des Bundestags ſo unzweideutig bekundeten, hatten ſich ſoeben noch vermeſſen, das preußiſche Zollgeſetz durch einen Bundesbeſchluß aufzuheben! Die Anträge des Ausſchuſſes wurden angenommen, und um auch den widerſpänſtigen Köthener zu gewinnen, fügte man noch ein Separatprotokoll hinzu, kraft deſſen die betheiligten Staaten ſich verpflichteten, die Beſchlüſſe des Wiener Con - greſſes über die Flußſchifffahrt unverbrüchlich zu halten, die Verhand - lungen deshalb thätig zu betreiben.

Ueber die Freiheit des Getreidehandels ſetzte man ebenfalls ein beſon - deres Protokoll auf, aber Metternich vereitelte ſchließlich auch dieſen einzigen heilſamen Plan, in dem ſich alle Parteien zuſammenfanden. Er ſchob die Entſcheidung immer wieder hinaus, und als die Conferenz endlich zum Beſchluſſe ſchreiten wollte, da war Kaiſer Franz, zum lebhaften Be - dauern ſeines Miniſters, bereits nach Prag abgereiſt. Arglos meldete Bernſtorff einige Tage ſpäter, die Erwiderung Sr. Majeſtät ſei noch immer nicht eingetroffen. **)Bernſtorff’s Bericht, 31. Mai 1820.Die Conferenz mußte auseinandergehen ohne das Protokoll abzuſchließen. Erſt gegen Mitte Juni lief die öſterreichiſche Antwort beim Bundestage ein. Der gute Kaiſer, der ſich gegen F. Liſt ſo38III. 1. Die Wiener Conferenzen.väterlich über das Wohl des deutſchen Vaterlandes geäußert hatte, meinte jetzt trocken: das Wiener Protokoll ſei eigentlich nur beſtimmt die Ver - anlaſſung zur weiteren Entwickelung der darin ausgeſprochenen Grund - ſätze zu geben ; man brauche alſo nicht förmlich darüber abzuſtimmen, ſondern ſolle nur ſogleich die vorbehaltene Berathung am Bundestage beginnen. Dies geſchah denn auch. In einem ſalbungsvollen Präſidial - vortrage feierte Buol die Reize des freien Getreidehandels; ſeine Worte waren aber ſo allgemein gehalten, daß ſelbſt der harmloſe Goltz ſofort bemerkte, Oeſterreich hege Hintergedanken. *)Goltz’s Bericht, 20., 27. Juni 1820.Darauf berieth der Bundes - tag mit gewohnter Emſigkeit weiter, und nach einem Vierteljahre (5. Okt.) beſchloß er, zunächſt Nachrichten über den Stand der Geſetzgebung in den Einzelſtaaten einzuholen. Der freie Getreidehandel verſchwand in jenem geheimnißvollen Schlunde, in deſſen Tiefen die ewig unvollendeten Bun - desbeſchlüſſe gebettet lagen. Das waren Oeſterreichs Liebesdienſte zum Beſten der deutſchen Verkehrsfreiheit.

Der Verlauf der Conferenzen ſelbſt beſtätigte durchweg was Bern - ſtorff vorhergeſagt: daß ein Bund ohne politiſche Einheit keine gemein - ſame Handelspolitik treiben könne. Angeſichts dieſer Erfahrungen begannen einige der ſüddeutſchen Staatsmänner ſich doch endlich mit den Rath - ſchlägen Bernſtorff’s zu befreunden. Eingepreßt zwiſchen den Mauthlinien Frankreichs, Oeſterreichs, Preußens vermochte die Volkswirthſchaft des Oberlandes kaum mehr zu athmen, zumal da noch keiner der ſüddeutſchen Staaten, außer Baiern, ein geordnetes Zollweſen beſaß. Die Frage ließ ſich nicht mehr abweiſen, ob man nicht zunächſt verſuchen ſolle, dieſe zer - ſtückelten Gebiete in einem handelspolitiſchen Sonderbunde zu vereinigen, alſo genau daſſelbe zu thun, was man ſoeben dem preußiſchen Staate als Bundesfriedensbruch vorgeworfen hatte. Den erſten Anſtoß zu ſol - chen Plänen gab der wackere du Thil; noch ſpäterhin pflegte der Darm - ſtädter Hof ſich dieſes Verdienſtes gern zu rühmen. **)Staats-Rath v. Hofmann an den Meininger Präſidenten Krafft, Darmſtadt, 20. März 1828.Aber erſt durch Berſtett’s rührige Thätigkeit gewann der Gedanke Leben. Der Badener hegte, wie du Thil, die ehrliche Hoffnung, daß aus dieſem Sonderbunde nach und nach ein Ganzes hervorgehen werde; indeß dachte er auch an Retorſionen gegen die preußiſchen Zölle und gab eine kurz abweiſende Antwort, als Bernſtorff ihm verſicherte, mit einem ſüddeutſchen Zollver - eine werde Preußen gern Handelsverträge abſchließen. Auch Marſchall ließ ſich auf den Plan nur ein, weil er erwartete, daß Süddeutſchland nunmehr mit vereinter Kraft den Zollkrieg gegen Preußen eröffnen werde. Württemberg endlich ſpielte mit Triasplänen und hoffte den politiſchen Bund des conſtitutionellen reinen Deutſchlands aus dem Handelsvereine hervorgehen zu ſehen ein Gedanke, der weder in München noch in Darmſtadt Anklang fand.

39Süddeutſche Zollvereinspläne.

Bei ſolcher Verſchiedenheit der politiſchen Abſichten konnte Berſtett nach langwierigen vertraulichen Berathungen nur einen beſcheidenen Erfolg erreichen. Am 19. Mai verpflichteten ſich die beiden ſüddeutſchen König - reiche, Baden, Darmſtadt, Naſſau und die thüringiſchen Staaten, noch im Laufe des Jahres Bevollmächtigte nach Darmſtadt zu ſenden, welche dort auf Grund einer unverbindlichen Punktation über die Bildung eines ſüddeutſchen Zollvereins verhandeln ſollten. Mehr wollte der vorſichtige Zentner, der ſein bairiſches Zollgeſetz behüten mußte, ſchlechterdings nicht verſprechen. Immerhin war jetzt doch ein Weg betreten, der aus dem Elend der Binnenmauthen vielleicht hinausführen konnte. Die liberale Preſſe begrüßte dankbar die patriotiſche That ihrer Lieblinge. Der alle - zeit vertrauensvolle Liſt ſah das Ideal der deutſchen Zolleinheit bereits nahezu verwirklicht, und als er bald darauf nach Frankfurt kam, fand er ſeinen Gönner Wangenheim in einem Rauſche des Entzückens: ſo trug das reine Deutſchland der geſammten Nation doch endlich die Fackel voran! *)Liſt an ſeine Gattin, Frankfurt 22. Aug. 1820.Minder hoffnungsvoll, aber durchaus wohlwollend beurtheilte Bernſtorff den Entſchluß der ſüddeutſchen Höfe. Er verſicherte Berſtett ſeiner Zu - ſtimmung; denn gelang es den Mittelſtaaten ihr zerrüttetes Verkehrsleben aus eigener Kraft zu ordnen, ſo blieb für die Zukunft eine Verſtändigung mit Preußen möglich. Seinem Könige ſchrieb er: trotz manchen feind - ſeligen politiſchen und ſtaatswirthſchaftlichen Hintergedanken beſtehe für Preußen kein Grund das Unternehmen zu mißbilligen, zumal da das Gelingen noch ſehr fraglich ſcheine. **)Bernſtorff’s Berichte, 29. Jan. 1820 ff.

Der Verſuch, das preußiſche Zollgeſetz durch ein Machtgebot des Bundes zu vernichten, war geſcheitert. Doch unterdeſſen führte der - thener Herzog ſeinen Schmuggelkrieg wider die preußiſchen Mauthen wohl - gemuth weiter und hemmte dadurch zugleich die Verhandlungen über die Elbſchifffahrt. Wie oft hatten einſt die Fremden geſpottet über die furiosa dementia der Deutſchen, die ſich ihre herrlichen Ströme durch ihre Zölle ſelber verſperrten! Erſt ſeit Frankreich das linke Rheinufer an ſich riß, ward dies ſprichwörtliche Leiden Deutſchlands etwas gelindert. Im Jahre 1804 wurde ſtatt der alten drückenden Rheinzölle das Rhein-Octroi ein - geführt, das im Weſentlichen nur beſtimmt war die Koſten der Strom - bauten und der Leinpfade zu decken, und dieſe neue Ordnung bewährte ſich ſo gut, daß der Wiener Congreß ſie auch für die anderen conventio - nellen Ströme Deutſchlands als Regel vorſchrieb. Seitdem war die Weſerſchifffahrt in der That frei geworden: nach einem langen Streite mit Bremen ließ ſich Oldenburg durch die Vermittlung des Bundestags bewegen, auf den widerrechtlichen Elsflether Zoll endlich zu verzichten (Aug. 1819). Schwieriger lagen die Verhältniſſe zwiſchen den zehn Ufer -40III. 1. Die Wiener Conferenzen.ſtaaten der Elbe. Die von W. Humboldt redigirten Art. 108 116 der Wiener Congreßakte ſtellten den Grundſatz auf, daß die Schifffahrt auf den conventionellen Strömen frei, das will ſagen: Niemandem verwehrt ſein ſollte, und verpflichteten die Uferſtaaten, binnen ſechs Monaten Ver - handlungen einzuleiten, damit die Schifffahrtsabgaben gleichmäßig und unabänderlich, ungefähr dem Betrage des Rhein-Octrois entſprechend, feſtgeſetzt würden.

Offenbar vermochten dieſe wohlthätigen Verheißungen nur dann ins Leben zu treten, wenn die Erhebung der Schifffahrtsabgaben, wie der Art. 115 ausdrücklich vorſchrieb, von dem Zollweſen der Uferſtaaten durch - aus getrennt blieb und alle Betheiligten durch eine ſtrenge Uferpolizei verhinderten, daß die freie Schifffahrt zum Schmuggel in die Nachbar - lande mißbraucht würde. Nur unter dieſer Bedingung konnte Preußen, das jene Artikel der Congreßakte als ſein eigenes Werk betrachtete, ſeine Hand zu ihrer Ausführung bieten; wie durfte man ſo fragte ſpäter - hin eine preußiſche Staatsſchrift einem mächtigen Staate zumuthen, in ſeinem Herzen einen Wurm zu dulden, der ſeine innere Lebenswurzel annagt? *)Inſtruktion an Nagler, 27. Febr. 1827.Nur wenn Anhalt, das von der Provinz Sachſen rings umſchloſſen war, dem preußiſchen Zollſyſteme beitrat, konnte die verheißene Freiheit der Elbſchifffahrt und der rechtmäßige Ertrag der preußiſchen Einfuhrzölle zugleich geſichert werden. Seit der alte Deſſauer einſt die ſämmtlichen Landgüter ſeiner Ritterſchaft aufgekauft, hatten ſich Landbau und Forſtwirthſchaft in den anhaltiſchen Ländchen unter der ſorgſamen Pflege ihrer Fürſten glücklich entwickelt; alle ſeine natürlichen Intereſſen verwieſen dies blühende Gartenland, das der Induſtrie noch gänzlich ent - behrte, auf den freien Verkehr mit den benachbarten gewerbreichen Be - zirken Preußens. Was der Vereinbarung im Wege ſtand, war allein der tolle Souveränitätsdünkel des Herzogs von Köthen und die weiter blickende Feindſeligkeit ſeines Rathgebers Adam Müller. Die Anſchlie - ßungs-Inſinuationen des Berliner Cabinets wies der Herzog empört zu - rück: ob man denn nicht einſehe, ſo fragte er einmal, wie ſchon die bloße Unnatur eines ſolchen Verhältniſſes, die Unterordnung eines ſou - veränen Fürſten unter die Zoll-Adminiſtration eines benachbarten Staates, dem Beſtande eines freundſchaftlichen Verhältniſſes mit der Regierung deſſelben durchaus ungünſtig ſei! **)Schreiben der herz. Regierung zu Köthen an Graf Bernſtorff, 27. März 1823.

Da mit Vernunftgründen bei dieſem Hofe nichts auszurichten war, ſo begnügte ſich Preußen vorläufig ſein Enclavenſyſtem gegen Anhalt auf - recht zu halten. Alle zu Lande nach Anhalt eingehenden Waaren wurden dem preußiſchen Eingangszolle unterworfen. Nur den Elbſchiffern er - laubte man Sicherheit zu ſtellen für die Zahlung der preußiſchen Ab -41Die. Elbſchifffahrts-Akte.gaben und erſtattete ihnen den Betrag zurück, falls der Verbleib der ein - geführten Waaren in Anhalt nachgewieſen wurde.

Schamloſer Unterſchleif war die Folge dieſer Erleichterung. Der an - haltiſche Schleichhandel wuchs von Monat zu Monat, und mit Ungeduld erwarteten die preußiſchen Finanzmänner die vertragsmäßige Regelung dieſer leidigen Zuſtände, als endlich im Juni 1819 viertehalb Jahre nach dem Zeitpunkte, welchen der Wiener Congreß vorgeſchrieben die Elbſchifffahrts-Conferenz in Dresden eröffnet wurde. Dort ſprachen Ham - burg und Oeſterreich eifrig für die Befreiung des Fluſſes, die ihnen frei - lich nur Vortheil bringen konnte, da die Hanſeſtadt gar keine Schifffahrts - abgaben erhob und die hohen böhmiſchen Elbzölle auf der wenig befahrenen oberſten Stromſtrecke nur geringen Ertrag brachten. Dänemark hingegen, Mecklenburg, Anhalt zeigten ſich ſchwierig. Am hartnäckigſten aber ver - theidigte Hannover ſeinen Beſitzſtand; denn das welfiſche Königreich über - ließ die Sorge wie die Koſten für das Fahrwaſſer der Nieder-Elbe groß - müthig dem Hamburger Senate und erhob dafür in Brunshauſen, nahe bei Stade, einige Meilen oberhalb der Mündung, ſeinerſeits einen hohen Zoll von allen eingehenden Seeſchiffen. Sein Bevollmächtigter verwahrte ſich feierlich gegen jeden Verſuch, dies Kleinod der Welfenkrone anzutaſten: das ſei ein Seezoll, der mit der Elbſchifffahrt nichts zu ſchaffen habe, und nimmermehr könne die Abſicht der Wiener Verheißungen dahin gehen, die Baſis alles volksthümlichen Glücks, den Rechtszuſtand zu erſchüttern. Kein Zureden half; die Conferenz mußte den Stader Zoll ganz aus dem Spiele laſſen und nur den Stromverkehr oberhalb Hamburgs zu erleich - tern ſuchen. Nach zweijährigen Verhandlungen, die den preußiſchen Be - vollmächtigten oft der Verzweiflung nahe brachten, kam endlich am 23. Juli 1821 die Elbſchifffahrtsakte zu Stande, ein dürftiger Vergleich, der in Form und Inhalt die Spuren mühſeliger Kämpfe verrieth; immerhin wurden die beſtehenden Schifffahrtsabgaben doch etwas herabgeſetzt, und der Verkehr auf dem Strome begann ſich bald zu heben.

Die preußiſche Regierung behauptete während dieſes unleidlichen Ge - zänks durchweg eine verſöhnliche Haltung. Sie gab für den Elbverkehr ihre Durchfuhrzölle auf, die einen ſo weſentlichen Beſtandtheil ihrer Handelspolitik bildeten, und war bereit die Schifffahrtsabgaben noch weiter herabzuſetzen als die kleinen Nachbarn zugeſtehen wollten; aber ſie erklärte auch von vornherein, daß ſie eine Schmugglerherberge im Innern ihres Staates nicht dulden werde und darum die Elbſchifffahrts - akte nur unterzeichnen könne, wenn Anhalt ſich ihrem Zollweſen an - ſchließe. Ihr Bevollmächtigter fügte warnend hinzu: das eigene Intereſſe der kleinen Regierungen gebiete ihnen das Zollſyſtem des großen Nach - barſtaates zu unterſtützen, weil dadurch die zu ihren Gunſten beſtehende Zerſtückelung Deutſchlands in ihren nachtheiligen Folgen gemildert werden würde. Wie flammte der kleine Köthener Herr auf, als er dieſe uner -42III. 1. Die Wiener Conferenzen.hörte Aeußerung preußiſchen Uebermuthes erfuhr und gleichzeitig Bern - ſtorff in einem neuen Mahnſchreiben an die Köthener Regierung offen ausſprach: die norddeutſchen Staaten haben den Schutz für ihre Exiſtenz, ihre Wohlfahrt und Selbſtändigkeit und ihre gemeinnützigen Anſtalten von Preußen zu erwarten. *)Bernſtorff an die herz. Landesregierung in Köthen, 30. Juni 1820.Der Herzog, der grade mit ſeinem könig - lichen Schwager zugleich in Karlsbad verweilte, berichtete ſofort Alles an Marſchall. Ich ſchmeichle mir, ſo ſchrieb er, daß alle Gutgeſinnten auf meiner Seite ſtehen und nicht zugeben, daß es Preußen erlaubt wird ſich Alles zu erlauben. Ob einem Cabinet, das durch einen ſolchen Mann repräſentirt iſt, zu trauen iſt, laſſe ich dahingeſtellt. Dann fuhr er höhniſch fort: das Spaßhafteſte iſt, daß der König mit uns ebenſo freund - lich als ſonſt iſt und bat den Naſſauer, auch fernerhin auf Wittgen - ſtein, der ganz im guten Geiſte iſt , wirken zu laſſen, damit die Partei, welche das Zollgeſetz halte, zu Falle komme. Im gleichen Tone antwortete Marſchall: Man hat zwar bisher ähnliche Phraſen in dem Munde deut - ſcher Revolutionäre gehört, nicht aber in dem eines Repräſentanten eines deutſchen Königs. Wenn Preußen das nördliche Deutſchland und ganz Deutſchland ſchützt, ſo ſchützt umgekehrt das nördliche Deutſchland und ganz Deutſchland Preußen. Rechte und Verbindlichkeiten ſind durchaus wechſelſeitig. Wer das Gegentheil behauptet, verletzt die erſte und Haupt - grundlage des Bundes und bewegt ſich außerhalb des Bundes. Na - mentlich hat der mächtigſte der deutſchen Bundesſtaaten, ſowohl im Bunde als in Europa, bei jeder Gelegenheit den entgegengeſetzten Grundſatz laut ausgeſprochen und bei jeder Veranlaſſung geltend gemacht. **)Herzog Ferdinand von Köthen an Marſchall, Karlsbad 22. Juli; Antwort Marſchall’s, 3. Aug. 1820.

Dieſer mächtigſte der Bundesſtaaten trieb unterdeſſen ſein doppeltes Spiel weiter. Metternich, der ebenfalls in Karlsbad anweſend war, hielt zwar, auf Preußens Wunſch, einige Unterredungen mit dem Herzog, an - geblich um den Streit beizulegen. ***)Fürſt Hatzfeldt an Metternich, Karlsbald 10. Juli, an Bernſtorff, 14. Juli 1820.Aber zur nämlichen Zeit reichte die Köthener Regierung eine Klage beim Bundestage ein und forderte die Herausgabe eines dem Köthener Kaufmann Friedheim gehörigen Elbſchiffes, das beim preußiſchen Zollamte Mühlberg an der Kette lag, weil der Schiffer für den Betrag der preußiſchen Zölle keine Sicherheit ſtellen wollte. Nachher ergab ſich der öſterreichiſche Bevollmächtigte Münch in Dres - den mußte es ſelber dem preußiſchen Geſandten eingeſtehen daß Adam Müller den Friedheim zu ſeiner Weigerung aufgeſtiftet hatte um den Streit vor den Bundestag zu bringen. †)Jordan’s Bericht, Dresden 12. Nov. 1821.

Da Preußen unerſchütterlich blieb, ſo bequemten ſich die drei anhalti - ſchen Herzoge ſchließlich doch zu einem Zugeſtändniß und verſprachen auf43A. Müller’s Schleichhandelspläne.der Dresdener Conferenz feierlich zu einem Vereine mit Preußen wegen Sicherſtellung ſeiner Landesabgaben auf möglichſt ausführbare Weiſe die Hand zu bieten . Auf dies Fürſtenwort vertrauend hielt König Friedrich Wilhelm den Hader nunmehr für abgethan; er ratificirte die Akte, ließ jenes unglückliche Köthener Schiff freigeben, alſo daß die Klage am Bun - destage ihren Gegenſtand verlor, und Bernſtorff lud die anhaltiſchen Höfe nochmals ein, in Berlin wegen der Bedingungen des Zollanſchluſſes zu verhandeln. Aber Monate vergingen, und kein anhaltiſcher Bevoll - mächtigter erſchien. Dem unaufhaltſamen Köthener war es gelungen, ſeine wohlmeinenden Vettern von Deſſau und Bernburg, die ihr Wort halten wollten, wieder umzuſtimmen; ſie hatten ihm verſprechen müſſen, nicht ohne ihn dem preußiſchen Zollſyſteme beizutreten, und er war in - zwiſchen mit ſeinem Adam Müller über einen neuen Betrug einig ge - worden.

Da die Elbſchifffahrtsakte im März 1822 in Kraft treten ſollte, ſo entſchloß ſich Miniſter Klewiz im Januar, das Enclavenſyſtem gegen An - halt vorläufig aufzuheben, was die Finanzpartei in Berlin ſchon längſt gefordert, Eichhorn aber, aus Wohlwollen gegen das Nachbarland, bis - her verhindert hatte. Man umringte demnach die drei Herzogthümer mit preußiſchen Zollſtellen; der Elbverkehr dagegen ward, gemäß der Akte, freigegeben und Preußen begnügte ſich die nach Anhalt beſtimmten Schiffe einer Durchſuchung zu unterwerfen. Eben auf dieſe Vertrags - treue Preußens hatte Adam Müller ſeinen ſauberen Plan berechnet. Die Durchſuchung der Elbſchiffe wurde natürlich zu leerem Scheine, ſobald man anhaltiſcherſeits unredlich verfuhr. Nun thaten ſich ſofort mehrere große engliſche Exportfirmen mit köthener Kaufleuten zuſammen, um den Schleichhandel unter dem Schutze des Herzogs in großem Stile zu pflegen. Das geſammte Ländchen ward ein Schwärzerwirthshaus, ein Stelldichein für die Gauner und Spitzbuben des deutſchen Nordens. Die große Mehr - zahl der treuen Köthener ſegnete dankbar den Landesherrn, der ihnen billige Waare und reichlichen Verdienſt beim ſchmutzigen Handel ver - ſchaffte. Wunderbar, wie ſich die Verzehrungskraft dieſes glücklichen Völk - chens mit einem male hob, als wäre ein Goldregen über das Land ge - kommen. Nicht lange, und der anhaltiſche Conſum von ausländiſchen Waaren verhielt ſich zu dem preußiſchen wie 64: 1000, der von baumwol - lenen Waaren, die in Preußen hoch verzollt wurden, wie 165: 1000, die Bevölkerung der beiden Lande ſtand wie 9: 1000. Für die Droguen da - gegen, welche das preußiſche Geſetz mit einem niedrigen Zolle belegte, zeigten die Anhalter geringere Neigung; hier ſtellte ſich das Verhältniß nur wie 13: 1000. Und bei dieſer übernatürlichen Conſumtion gingen die herzoglichen Zollbeamten dem Volke mit gutem Beiſpiele voran: der Zollinſpector Klickermann in Deſſau bezog, wie Preußen aus den Liſten ſeiner Elbzollämter nachwies, in dem einen Jahre 1825 für ſeinen Haus -44III. 1. Die Wiener Conferenzen.bedarf zollfrei auf dem Strome: 53 Oxhoft Wein, 4 Oxhoft Rum, 98 Säcke und 1 Faß Kaffee, 13 Säcke Pigment und Pfeffer, insgeſammt an 1000 Centner. Mehr denn eine halbe Million Thaler im Jahre wurden durch den anhaltiſchen Schleichhandel den preußiſchen Kaſſen vor - enthalten; der Zollertrag in den Provinzen Brandenburg und Sachſen ſtieg nachher, als Anhalt endlich ſich dem preußiſchen Syſtem unterworfen hatte, bald von 3,135 auf 4,128 Millionen.

Der Beſitz einer ſouveränen Krone ohne Macht entſittlicht auf die Dauer ihren Träger. Wie gründlich mußte das Rechtsgefühl der kleinen Höfe, ſeit ſie keinen Richter mehr über ſich anerkannten, verwüſtet ſein, wenn dies rechtſchaffene askaniſche Haus, das von jeher einer wohlver - dienten allgemeinen Achtung genoß und ſo viele ſeiner tapferen Söhne in die Reihen des preußiſchen Heeres geſendet hatte, ſich jetzt unbedenklich erdreiſtete, die Geſetzgebung ſeines alten treuen Beſchützers durch groben Unfug zu untergraben! Ein Unglück, daß der ehrwürdige Senior des an - haltiſchen Geſammthauſes, der ſeinem Ländchen unvergeßliche Leopold Friedrich Franz von Deſſau vor Kurzem geſtorben war; er würde den zweifachen Vertragsbruch ſchwerlich geduldet haben, denn Anhalt hatte ſich auf dem Wiener Congreſſe zur Unterdrückung des Schleichhandels ver - pflichtet und nachher in Dresden feierlich eine Verſtändigung mit Preußen verſprochen.

Um dieſer letzteren Verpflichtung ſcheinbar zu genügen, ſendete Her - zog Ferdinand endlich im Januar 1822 ſeinen Hofmarſchall Sternegg nach Berlin, befahl ihm allein mit Hardenberg zu verhandeln; mit Bern - ſtorff zu ſprechen, ſei unter der Würde des Kötheners. Der Staats - kanzler aber zwang den Abgeſandten kurzweg, ſich an das Auswärtige Amt zu wenden, und dort ſtellte ſich heraus, daß Sternegg durchaus keine Anerbietungen wegen des Zollanſchluſſes zu bringen, ſondern lediglich eine Entſchädigungsforderung zu überreichen hatte. Der Schaden Köthens betrug, nach dem billigen Maßſtabe der Kopfzahl angeſchlagen, etwa 40,000 Thaler für drei Jahre. Der Herzog berechnete das Zehnfache und zeigte ſich hoch erſtaunt, da Preußen den Köthener Schmuggel in Gegenrechnung ſtellte. Nach langen, gereizten Erörterungen rückten die Herzöge ſchließ - lich mit dem Vorſchlage heraus: Preußen möge dem enclavirten Anhalt durch einen Gebiets-Austauſch auf ewige Zeiten freien Verkehr mit Sachſen verſchaffen, dann ſeien die drei Höfe bereit, ſich verſuchsweiſe auf einige Jahre dem preußiſchen Zollſyſteme anzuſchließen. Sofort wies Bernſtorff die unangemeſſene Zumuthung ſcharf zurück, der Unterhändler mußte abziehen, und Anhalt blieb mit preußiſchen Zolllinien umgeben.*)Bernſtorff, Miniſterialſchreiben an die anhaltiſchen Regierungen, 18. Febr. 1822. Berichte des badiſchen Geſchäftsträgers v. Meyern, Berlin 5., 19. Januar, 19. Februar, 18. Mai, 22. Okt. 1822. Aber45Anhaltiſcher Schleichhandel.der Schleichhandel blühte fröhlich fort, die Grenzwache Preußens war machtlos gegen den böſen Willen der herzoglichen Behörden. Obwohl der Berliner Hof über Adam Müller’s Ränke genau unterrichtet war, ſo wollte er doch ſchlechterdings nicht glauben, daß Fürſt Metternich das Treiben ſeines Generalconſuls billige. Jahrelang ertrug der preußiſche Adler langmüthig die Biſſe der anhaltiſchen Maus, immer in der Hoff - nung, daß die drei Herzoge endlich noch ihr Wort einlöſen würden.

Und in dieſem Streite, der alle Selbſtſucht, allen Dünkel, alle Thor - heit der Kleinſtaaterei an den Tag brachte, ſtand die deutſche Preſſe wie ein Mann zu den anhaltiſchen Schmugglern. Der Schmerzensſchrei des freien Kötheners war das Wiegenlied der deutſchen Handelseinheit, die erſt nach zwei Menſchenaltern auf demſelben Elbſtrome unter den Wehe - rufen des freien Hamburgers ihr letztes Ziel erreichen ſollte. Mit einer Verblendung ohne gleichen täuſchte ſich die Bevölkerung der kleinen Staaten, bei jeder Wendung dieſes wirrenreichen Kampfes, regelmäßig über ihr eigenes und des Vaterlandes Wohl, um jedesmal, ſobald der gefürchtete Anſchluß an Preußen endlich vollzogen war, die Nothwendigkeit der Aen - derung nachträglich dankbar anzuerkennen. Ebenſo regelmäßig verdeckte der Partikularismus ſeine Selbſtſucht hinter dem ſchönen Worte der Frei - heit; bald nahm er die Freiheit des Handels, bald das freie Selbſtbe - ſtimmungsrecht der deutſchen Ströme, bald auch Beides zugleich zum Vorwand, und jedesmal ließ ſich die vom Liberalismus beherrſchte öffent - liche Meinung durch ſolche hohle Kraftworte verführen.

Die unausrottbaren Vorurtheile wider das preußiſche Zollgeſetz wirkten zuſammen mit jener gedankenloſen Gemüthlichkeit, die es unbe - ſehen für unedel hält, bei einem Kampfe zwiſchen Macht und Ohnmacht die Partei des Stärkeren zu ergreifen. Und dazu der juriſtiſche Forma - lismus unſerer politiſchen Bildung, der gar nicht ahnte, daß im Staaten - verkehre das formelle Recht nichtig iſt, wenn es nicht durch die lebendige Macht getragen wird. War denn Köthen nicht ebenſo ſouverän wie Preußen? Wie durfte man dieſer ſouveränen Macht einen Zollanſchluß zumuthen, der ihr freilich nur Segen bringen konnte und ſich aus ihrer geographiſchen Lage mit unabwendbarer Nothwendigkeit ergab, aber ihrem freien Selbſtbeſtimmungsrechte widerſprach? Und wenn es ihr beliebte, die Freiheit der Elbe zur boshaften Schädigung des Nachbarlandes zu ge - brauchen in welchem Artikel der Bundesakte war dies denn verboten? Daß Anhalt ſich durch die Wiener Verträge zur Beſeitigung des Schleich - handels verbunden hatte, überging man mit Stillſchweigen. Bignon, der alte Anwalt der deutſchen Kleinſtaaten, trat ebenfalls auf den Kampfplatz mit einem offenen Briefe über den preußiſch-anhaltiſchen Streit. Er be - klagte ſchmerzlich, daß Frankreich nicht mehr wie ſonſt vom Niederrheine her des Richteramtes über Deutſchland warten könne; aber Frankreich iſt von der Natur beſtimmt immer zu herrſchen, und wenn es das Scepter46III. 1. Die Wiener Conferenzen.der Macht verloren hat, ſo hat es doch das Scepter der öffentlichen Mei - nung bewahrt. Vor dem Scepterträger der öffentlichen Meinung fand Preußen, wie billig, keine Gnade. Auf dieſem Wege der Uſurpationen, rief Bignon, iſt das Haus der Capetinger einſt ſchrittweis dahin gelangt, die großen Vaſallen Frankreichs zu vernichten. Treuherzig ſprach der deutſche Liberale die Warnung des Bonapartiſten nach.

Auch die Mehrheit am Bundestage kam der Klage des Köthener Hofes, die ſelbſt nach der Freigebung jenes Elbſchiffes nicht zurückgezogen wurde, bereitwillig entgegen. Umſonſt verwahrte ſich König Friedrich Wil - helm, als er im Sommer 1821 durch Frankfurt kam, mit ſcharfen Worten wider den Vorwurf, daß er Anhalt mediatiſiren wolle. Die kleinen Höfe ließen ſich’s nicht ausreden: Preußen wünſche, wie Berſtett ſich ausdrückte, ſeine geographiſche Dünnleibigkeit auf Koſten einiger Kleineren zu arron - diren . Der neu ernannte badiſche Bundesgeſandte Blittersdorff und die Klügeren ſeiner Genoſſen wußten wohl, wie wenig bei dem bekannten Charakter des Herzogs oder vielmehr der Frau Herzogin auf ein ver - ſtändiges Abkommen zu rechnen ſei; doch ſie meinten, dies ſei die Gelegen - heit für den Bundestag, ſeine Dauer und Lebenskraft zu erproben . *)Blittersdorff’s Berichte, Frankfurt 30. Jan., 27. Juni 1821.Es galt, Preußen zu demüthigen vor einem ohnmächtigen Nachbarn; es galt, der norddeutſchen Großmacht zu beweiſen, daß ſie, nach Marſchall’s Worten, ebenſo ſehr durch Köthen geſchützt werde, wie Köthen durch Preußen. Von den größeren Bundesſtaaten zeigte allein Baiern ein Ver - ſtändniß für die Machtverhältniſſe; nachdem die Münchener Regierung ſo - eben ſelber die Schwierigkeiten der Einführung eines neuen Zollſyſtems kennen gelernt hatte, meinte ſie doch, daß ein kleiner Unterſchied beſtehe zwiſchen einem Reiche und einer Enclave. Die anderen beurtheilten die Frage nach den Geſichtspunkten des Civilproceſſes, und da die Rechts - frage allerdings zweifelhaft lag, ſo entſpann ſich am Bundestage eine grimmige Fehde, die durch viele Jahre hingeſchleppt den liberalen Zei - tungen immer wieder den willkommenen Anlaß bot, Preußen als den Friedensbrecher Deutſchlands zu brandmarken.

Das alſo war für Preußen das Ergebniß der handelspolitiſchen Verhandlungen in Wien und Dresden. Das neue Zollgeſetz war gegen den Widerſtand faſt aller Bundesſtaaten unverändert aufrecht geblieben, auch die Freiheit der Elbe war nothdürftig ſicher geſtellt, und die alte Anſicht der preußiſchen Regierung, daß der Bund für den deutſchen Ver - kehr ſchlechterdings nichts zu leiſten vermöge, hatte ſich abermals beſtätigt. Aber ebenſo feſt ſtand auch die Erkenntniß, daß Verhandlungen mit den einzelnen Staaten, bei ihrer gegenwärtigen Stimmung, vorläufig ganz ausſichtslos waren. Welche unbelehrbare Gehäſſigkeit war dem Grafen Bernſtorff entgegengetreten, welche anmaßende Sprache hatte er anhören47Preußens zuwartende Haltung.müſſen, erſt in Wien, dann in Dresden! Nach ſo niederſchlagenden Er - fahrungen faßte man in Berlin den verſtändigen Entſchluß, fortan keine Einladungen mehr ergehen zu laſſen, ſondern gelaſſen zu warten, bis die Noth den kleinen Nachbarn die Augen öffne. In dieſem Sinne erging an ſämmtliche Geſandten in Deutſchland die gemeſſene Weiſung, ſich ſtreng zurückzuhalten und auf alle handelspolitiſchen Anfragen lediglich zu antworten: der König habe ſchon im Jahre 1818 ſich zu Verhand - lungen bereit erklärt, er hege noch immer den Wunſch, andere deutſche Staaten mit ſeinem Zollſyſteme zu verbinden, jetzt ſei es an den Nach - barn, dem guten Willen entgegen zu kommen. Eichhorn begründete dieſen Entſchluß mit der Erwägung, daß die Eiferſucht der Dynaſtien durch Einladungen erfahrungsmäßig nur gereizt würde: Solche Anträge konnten zugleich als Aufforderungen zur Aenderung ihrer inneren Staatsgeſetz - gebung und als ihre Selbſtändigkeit gefährdende Anmuthungen mißdeutet werden. *)Weiſungen an Otterſtedt, 2. Nov. 1822, 20. Febr. 1825 u. ſ. w. Eichhorn’s Gutachten, 21. April 1824. Weiſung an die Geſandtſchaften, 25. März 1828.Gegen das tief eingewurzelte Mißtrauen der kleinen Höfe wirkte nur eine Waffe: ruhiger Gleichmuth, der die Natur der Dinge für ſich wirken ließ. Was verſchlug es auch, wenn die Preſſe unabläſſig über Preußens ſelbſtſüchtige Sonderſtellung Wehe rief? Von der öffent - lichen Meinung, die ſich noch weit verblendeter zeigte als die Höfe, hatte die Handelseinheit des Vaterlandes nichts zu erwarten; Preußens beſter Bundesgenoſſe war die wachſende Finanznoth der kleinen Staaten.

Die Bevollmächtigten der conſtitutionellen Staaten trugen aus Wien die Gewißheit heim, daß ihre Verfaſſungen vorläufig vom Bunde nichts zu fürchten hatten. Während Zentner dies Ergebniß als einen Sieg be - trachtete, war Berſtett voll Unmuths. Er hatte ſo ſicher erwartet, daß die Wiener Verſammlung ſeinen unruhigen Karlsruher Landtag zu Paaren treiben würde, und mußte nun mit leeren Häuden heimkehren. Beim Schluß der Conferenzen richtete er noch einmal eine dringende Bitte an Metternich: jetzt da der politiſche Meuchelmord in Frankreich raſe, ſei es doch hohe Zeit, daß alle europäiſchen Mächte einander den Beſtand der monarchiſchen Principien feierlich verbürgten. Mit einer Declaration der Rechte der Völker hat der Turnus der Revolutionen begonnen. Könnte er nicht mit einer Declaration der Rechte der Throne beſchloſſen werden? Dem öſterreichiſchen Staatsmanne kam dieſe Aufforderung im Augenblicke ſehr ungelegen. Er brauchte für jetzt Ruhe in Deutſch - land, ſelbſt um den Preis eines Waffenſtillſtands mit den verabſcheuten48III. 1. Die Wiener Conferenzen.Liberalen, weil er vorausſah, daß Oeſterreich vielleicht bald alle ſeine Kraft wider die Revolution in Südeuropa werde verwenden müſſen, und hielt darum für nöthig, den reaktionären Eifer des Freundes zu be - ſänftigen.

In einer langen ſalbungsvollen Denkſchrift (4. Mai) wiederholte er dem Badener zunächſt ſeine alte Lieblingslehre, daß in ſo ſtürmiſchen Tagen die Erhaltung des Beſtehenden das Ziel aller Wohlgeſinnten ſei, und reihte daran den geiſtreichen Satz: in dieſem Punkte, mit welchem Alles gerettet, ja ſelbſt das Verlorene zum Theil noch wiedergewonnen werden kann, müſſen alle Anſtrengungen zuſammentreffen. Auf dieſe Axiome, welche der geſammten diplomatiſchen Welt ſchon längſt als eiſernes Inventar der k. k. Kanzleiſprache wohlbekannt waren, folgten jedoch die in Metternich’s Munde unerhörten Worte: Wir begreifen aber darunter nicht blos die alte, nur in wenig Staaten unberührt ge - bliebene Ordnung im engeren Sinne des Worts, ſondern auch neu ein - geführte Inſtitutionen, ſobald ſie einmal verfaſſungsmäßige Kraft haben. In Zeiten wie die jetzigen ſind, iſt der Uebergang vom Alten zum Neuen kaum mit größeren Gefahren verbunden, als die Rückkehr vom Neuen zu dem bereits erloſchenen Alten. Der eine Verſuch kann wie der an - dere materielle Unruhen herbeiführen, die heute um jeden Preis ver - mieden werden müſſen. Den Einwurf, daß es unter den in Deutſchland bisher eingeführten Verfaſſungen ſolche gebe, die gar keine Baſis und folglich auch keinen Anhaltspunkt gewährten, betrachten wir als unge - gründet. Jede einmal beſtehende Ordnung ſie müßte denn, wie etwa die Conſtitution der Cortes von 1812, das Werk reiner Willkür und unſinniger Verblendung ſein enthält Stoff zu einem beſſeren Syſtem. Darauf erinnert er die kleinen Höfe an die Eintracht der großen Mächte, an die ſoeben in Wien neu befeſtigte Vereinigung zwiſchen den deutſchen Bundesſtaaten, und ermahnt ſie ſchließlich zu einem ſtreng geſetzlichen, ver - faſſungsmäßigen Regimente. Im Nothfalle bleibe ihnen noch die Appellation an die Hilfe der Geſammtheit. Wenn Oeſterreich, in ſeinem Innern unbewegt, noch eine anſehnliche Maſſe moraliſcher Kräfte und materieller Mittel beſitzt, ſo wird es beide auch für ſeine Bundesgenoſſen zu verwenden bereit ſein. *)Der Abdruck der Note vom 4. Mai 1820 bei Welcker, wichtige Urkunden S. 335, ſtimmt bis auf mehrere, offenbar verleſene oder verſchriebene Wörter vollſtändig überein mit dem Originale, das ſich zu Karlsruhe im Archiv des Min. d. a. A. befindet. Die im Wortlaute ſtark abweichende Denkſchrift, welche in Metternich’s hinterlaſſenen Papieren III. 372 abgedruckt iſt, kann mithin, gleich vielen anderen Aktenſtücken dieſer Sammlung, nur ein Concept ſein.Alſo kein Wort mehr von der Wiederher - ſtellung der alten Landſtände; dieſelben ſüddeutſchen Verfaſſungen, welche Metternich in Karlsbad als demagogiſch verdammt hatte, erkannte er jetzt als einen unantaſtbaren Rechtsboden an.

49Metternich’s Ermahnungen an Berſtett.

Es war das Glück ſeines Lebens, daß alle Erzeugniſſe ſeiner Feder ihn ſelber mit aufrichtiger Bewunderung erfüllten. Dies ſein neueſtes Werk verſetzte ihn faſt in Verzückung, und er konnte ſich nicht enthalten in einem Begleitſchreiben an Berſtett hinzuzufügen: Es iſt kein Wort darin, das ich nicht aus den Tiefen meines Denkens geſchöpft hätte. Die Ruhe, welche Sie darin herrſchen ſehen, iſt die Ruhe meiner Seele. Ich werde ein ſehr theueres Ziel erreicht haben, wenn ich durch meine Worte und der Ausdruck Worte ſcheint mir ſehr ſchwach um den Werth meiner Arbeit zu bezeichnen*)Et le mot de paroles me semble bien faible pour exprimer la valeur de mon travail. Metternich an Berſtett, 4. Mai 1820. Ihrem vortrefflichen Herrn zu beweiſen ver - mag was wir wollen, glauben und hoffen! Als die Note bald nachher, wahrſcheinlich mit Vorwiſſen ihres Verfaſſers, in mehreren deutſchen und franzöſiſchen Zeitſchriften erſchien, da hoffte Metternich, daß alle irgend beſonnenen Politiker, nur die wildeſten Radikalen ausgenommen, ihm für die förmliche Anerkennung der neuen Verfaſſungen danken würden. Bald genug ſah er ſich enttäuſcht. Da das große Publikum jetzt zum erſten male eine geheime Denkſchrift des gefürchteten Staatsmannes kennen lernte und mit den eigenthümlichen Redeblumen des Metternich’ſchen Stiles noch nicht vertraut war, ſo wurde der verſöhnliche Sinn des Schreibens allgemein verkannt. Die Preſſe ſuchte den Kern der Note in jenen Phraſen über die Erhaltung des Beſtehenden und ſchenkte den Mahnungen zur Verfaſſungstreue, in denen doch der praktiſche Zweck des Schreibens lag, keine Beachtung. Die Note vom 4. Mai erlangte einen europäiſchen Ruf. Zwei Jahrzehnte hindurch hieß ſie bei der Oppoſition aller Länder das Programm der Stabilitätspolitik, der Aufruf zum Kampfe wider das Vorwärtsſchreiten der Zeit , während ſie in Wahr - heit beſtimmt war, den badiſchen Hof vor reaktionären Gewaltſtreichen zu warnen.

Berſtett ſelbſt verſtand die Abſichten ſeines Meiſters richtig und klagte dem treuen Marſchall bitterlich, daß unſere im reinſten deutſchen Stile redigirte Schlußakte den gut geſinnten Regierungen ſo wenig Hilfe biete; aber wenn man von außen keine Energie noch Unterſtützung zu erwarten hat, ſo muß man à tout prix den inneren Frieden zu erhalten ſuchen. **)Berſtett an Marſchall, 13. Okt. 1820.So war es denn, ſeltſam genug, zum Theil das Verdienſt von Metternich’s beſonnenen Rathſchlägen, daß ſich der badiſche Hof mit ſeinen kurz zuvor ſo ungnädig heimgeſchickten Landſtänden wieder ver - ſöhnte. Dieſe Mäßigung hinderte den öſterreichiſchen Staatsmann freilich nicht, die Demagogenverfolgung in Baden, wie überall in Deutſchland perſönlich zu überwachen. Er konnte es nicht laſſen ſeinen eigenen Büttel zu ſpielen. Selbſt der Heidelberger Scharfrichter, der die Reliquien Sand’sTreitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 450III. 1. Die Wiener Conferenzen.ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben. *)Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820.

So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech - nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver - weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch - händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli - tiſche Unterſuchung zu verwickeln. **)Berſtett an Marſchall, 10. Aug. 1820.Aber als der Landtag im Juni zu - ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng - ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück, Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun - mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit. Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord - nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge - ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld. ***)Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.Genug, ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende.

Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er - laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried - lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer - den könnten. Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin - cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer mehr bei. Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: durch die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch - thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab -51Baden. Württembergiſcher Landtag.geſonderte Eigenthümlichkeit aus . *)Marſchall an Berſtett, 18. Aug.; Berſtett an Metternich, 12. Sept. 1820.So fanden ſich die diesſeitigen und die deroſeitigen Anſichten, wie Marſchall zu ſagen pflegte, fröhlich zu - ſammen in dem beglückenden Gedanken, wie fern der Tag der deutſchen Einheit ſei.

Sogar der gefürchtete württembergiſche Verfaſſungsvertrag, deſſen Aufhebung Marſchall vor Kurzem noch gefordert hatte, erwies ſich unter König Wilhelms geſchickten Händen als ein Werk von untadelhafter Harm - loſigkeit. Im Januar 1820 wurde der erſte ordentliche Landtag des Königreichs eröffnet. Der aus Weimar vertriebene Lindner, der nach langem Aufenthalt im Elſaß nunmehr in der Stuttgarter Preſſe für König Wilhelms Ideen thätig war, hatte die Nation durch eine weihevolle Schrift auf die Größe dieſes hiſtoriſchen Augenblicks vorbereitet. Niebuhr’s Freund Graf Moltke kam eigens nach Württemberg, um hier im Muſterlande deutſcher Freiheit das conſtitutionelle Weſen an der Quelle kennen zu lernen;**)Wangenheim an Hartmann, 8. März 1820. und die Krone verſäumte nicht, ihren Freiſinn von Zeit zu Zeit durch ein wohllautendes Schlagwort der deutſchen Welt in Erinne - rung zu bringen. Wie jubelten die liberalen Zeitungen, als Miniſter Maucler den Ständen feierlich verſicherte, ſein König liebe die Oeffent - lichkeit! Im Lande ſelbſt ließ man ſich zwar dieſe Huldigungen der deut - ſchen Nachbarn wohl gefallen, aber die politiſche Ermattung, welche dem leidenſchaftlichen Kampfe um das alte gute Recht gefolgt war, hielt noch jahrelang an. Die Wahlen vollzogen ſich beinahe ohne Kampf, ſelbſt Wählerverſammlungen und Candidatenreden kamen kaum vor. Faſt über - all bezeichneten die Oberamtmänner den Wählern den Mann ihres Ver - trauens und ſie bedurften weder des Zwanges noch der Beſtechung, um die kleinen Bauern, die in den meiſten Wahlbezirken den Ausſchlag gaben, zum ſchuldigen Gehorſam zu bewegen. Der alte bürgerliche Herrenſtand, der das Herzogthum Württemberg ſo lange regiert, richtete ſich auch in dem conſtitutionellen Königreiche wieder behaglich ein. Die große Mehr - heit der zweiten Kammer beſtand aus Beamten und ließ ſich von ihrem klugen Präſidenten Weishaar ſo fügſam nach dem Willen des Miniſters Maucler leiten, daß ſelbſt Ancillon der Sanftmuth dieſer Stände warmen Beifall ſpenden mußte. ***)Ancillon, Miniſterial - ſchreiben an Leg. -Rath v. Schoultz-Aſcheraden, 10. März 1820.Eine Oppoſitionspartei fand ſich nicht wie - der zuſammen, ſeit die Führer der Altrechtler ihren Frieden mit der Krone geſchloſſen hatten; nur auf eigene Fauſt mahnten einzelne unabhängige Abgeordnete an die zahlreichen uneingelöſten Verheißungen der Verfaſſungs - urkunde, an alle die organiſchen Geſetze, welche ſie in Ausſicht ſtellte. Der liberale König war mit der Zahmheit des Landtags wohl zufrieden und äußerte gern vor den fremden Diplomaten: das Betragen ſeiner getreuen4*52III. 1. Die Wiener Conferenzen.Stände könne anderen Ländern zum Muſter dienen. *)Küſter’s Bericht, 27. Juni 1820.Er betrachtete ſein Reformwerk als vorläufig abgeſchloſſen, die Geſetzgebung gerieth ins Stocken, der Ausbau der Verfaſſung ward auf unbeſtimmte Zeit vertagt. Das ſo heiß erſehnte conſtitutionelle Regiment erwies ſich in ſeinen erſten Zeiten weit unfruchtbarer als vordem die königliche Diktatur.

An dieſem Stillſtande des öffentlichen Lebens trug der Adel des Landes eine ſchwere Mitſchuld. Wohl mochte es den ſtolzen reichsun - mittelbaren Geſchlechtern hart ankommen, daß ſie jetzt den Groll gegen eine Krone, die ihnen ſo viel Unrecht zugefügt, überwinden und als Un - terthanen an den unſcheinbaren Arbeiten eines kleinen Landtags theil - nehmen ſollten. Aber die Verfaſſung hatte ihnen doch endlich Alles ge - währt, was ſie nach den Wiener Verträgen fordern durften; wollten ſie in dieſem demokratiſchen Jahrhundert ihr Anſehen behaupten, ſo mußten ſie den neuen Rechtsboden ohne Hintergedanken anerkennen und min - deſtens verſuchen, ob es möglich ſei auf ſo enger Bühne die Rolle einer volksthümlichen, die Rechte des Landes muthig wahrenden Ariſtokratie zu ſpielen. Zu ſeinem und des Landes Schaden verſchmähte der hohe Adel Schwabens ſelbſt dieſen Verſuch. Die Kammer der Standesherren zeigte ſich unluſtig zu den Geſchäften, feindſelig gegen jede Reform, ſie ſchloß von vornherein alle Zuhörer von ihren Verhandlungen aus was ihr durch das Grundgeſetz nur freigeſtellt, nicht geboten war und ent - fremdete ſich dem Volke ſo gänzlich, daß ſie bald faſt ſo übel berufen war wie der bourboniſche Adel. Durch den Widerſtand der Privile - girten wurde die dringend nöthige und von König Wilhelm lebhaft ge - wünſchte Ablöſung der grundherrlichen Laſten während eines Menſchen - alters immer wieder hinausgeſchoben. Als der erſte Landtag im Winter 1820 nach mehrmonatlicher Vertagung abermals zuſammentrat, erſchienen die Standesherren nicht in beſchlußfähiger Anzahl ein ſeltſames Schau - ſpiel, das ſich in den nächſten acht Jahren noch zweimal wiederholte. Da die Verfaſſung für dieſen Fall bereits Vorkehrungen getroffen hatte, ſo tagte die zweite Kammer vorderhand allein, und das nicht erſchienene Haus ward als zuſtimmend angeſehen. Ein Jahr nach dem Abſchluſſe des Grundvertrags ſah man ſich alſo bereits zu dem Nothbehelfe eines unfreiwilligen Einkammerſyſtems gezwungen. Ein alſo verſtümmelter Landtag konnte nur wenig leiſten.

Da wurde der parlamentariſche Friede plötzlich geſtört durch den Ein - tritt Friedrich Liſt’s, im December 1820. Der unerſchrockene Gegner des Schreiberregiments hatte mittlerweile in ſeinem Volksfreund den alten Kampf raſtlos fortgeführt. Er allein im Lande wagte rundheraus zu ſagen, daß der alte Herrenſtand mit der neuen Bureaukratie ſich verſtändigt hatte. Leider fehlte ihm die ſchonende Klugheit, deren der Publiciſt in der53Ausſtoßung F. Liſt’s.Enge kleinſtaatlicher Zuſtände nicht entrathen kann; ſo grauſame Artikel, wie die Geſpräche zwiſchen Miniſter Großvezier und Gerichtsrath Frech - ſtirn wollte ihm Niemand vergeben. Schon zweimal war es der Bureau - kratie gelungen, ihren Todfeind dem Landtage fern zu halten; diesmal erſchien er rechtmäßig gewählt von den demokratiſchen Reutlingern und brachte ſofort Alles in Aufruhr durch die ſprudelnde Heftigkeit ſeiner ge - dankenreichen Reden. Aber auch diesmal fand ſich ein Mittel den Stö - renfried zu beſeitigen. Liſt hatte für ſeine Wähler den Entwurf einer Adreſſe ausgearbeitet, die ſich in ſcharfen Worten gegen die Allmacht des Beamtenthums wendete: Jammer und Noth überall; nirgends Ehre, nirgends Einkommen, nirgends Fröhlichkeit denn allein in dem Dienſt - rock! Alle die Forderungen, welche er einſt im Volksfreund ver - treten, kehrten darin wieder: er verlangte öffentliche Rechtspflege, unbe - ſchränkte Freiheit der Gemeinden, Verminderung des Beamtenheeres und dazu nach den neueſten Sätzen der national-ökonomiſchen Doctrin Verkauf der Domänen, Einführung einer einzigen direkten Steuer.

Ein wunderliches Gemiſch von guten Gedanken und unreifen Einfällen enthielt die Adreſſe doch ſicherlich nichts Strafbares; der Herrenſtand aber in und außerhalb der Kammer ſah die Grundlagen ſeiner Macht gefährdet. Sofort mußte das Gericht in Eßlingen eine Unterſuchung gegen Liſt be - ginnen wegen Beleidigung der geſammten Staatsdienerſchaft, und Maucler muthete den Ständen zu, den Angeklagten kurzerhand aus dem Land - tage auszuſchließen, da nach der Verfaſſung kein Abgeordneter in eine Criminal-Unterſuchung verflochten ſein dürfe. Vergeblich wies Liſt nach, daß er nur eines Vergehens, nicht eines Verbrechens bezichtigt ſei; ver - geblich warnten Uhland und einige ſeiner Freunde: bei ſolcher Aus - legung des Grundgeſetzes könne die Regierung nach Belieben jedes miß - liebige Mitglied aus der Kammer entfernen. Die Mehrheit fügte ſich willig dem mit allem Aufwand ſophiſtiſcher Künſte unterſtützten Anſinnen des Miniſters, ſie verfuhr dabei mit der ganzen Parteilichkeit einer in ihrer Herrſchaft bedrohten Kaſte; eine Adreſſe aus Heilbronn, die ſich mit reichsſtädtiſchem Freimuth des Bedrängten annahm, wurde aus den Akten entfernt unter ſtürmiſchen Zornreden wider Jakobinismus und Sansculotterie. Von dem Ausgeſtoßenen verlangten die Richter nun - mehr, daß er ſich auch wegen der Rede, die er im Landtage zu ſeiner Vertheidigung gehalten, rechtfertigen ſolle, und als er die Aufforderung zurückwies, bedrohten ſie ihn mit den geſetzlichen Zwangsmaßregeln, die bei andauernder Widerſpänſtigkeit bis zu fünfundzwanzig Stockſtreichen anſteigen konnten. Den erhebenden Anblick eines in den Bock geſpannten Volksvertreters wollte Liſt dem Herrenſtande doch nicht gewähren. Er ließ ſich verhören, wurde zur Feſtungshaft verurtheilt, nachdem das Ver - fahren über ein Jahr gewährt hatte, und entzog ſich ſodann der Strafe durch die Flucht.

54III. 1. Die Wiener Conferenzen.

Zwei Jahre verbrachte er darauf im Auslande, immer in der Hoff - nung, daß ſich daheim doch ein Gefühl der Scham regen würde; und in der That war ſelbſt Wintzingerode über die Rachſucht der Bureaukratie empört. Der König aber blieb unverſöhnlich und erwiderte auf ein Gnadengeſuch der Gattin des Flüchtlings in ſeiner hochmüthigen Weiſe: Liſt’s Unternehmen hätte hochgefährliche Folgen für den Staat herbei - führen können, gleichviel ob es aus Bosheit oder aus Unverſtand ent - ſprungen ſei. Endlich glaubte der Vertriebene doch die Rückkehr wagen zu dürfen, aber alsbald ward er auf den Hohenasperg abgeführt und dort zu literariſchen Zwangsarbeiten das will ſagen: zum Abſchreiben militäriſcher Bekleidungs-Akten angehalten. Erſt zu Anfang 1825 gab man ihn frei, unter der Bedingung, daß er auf ſein Bürgerrecht verzichtete und das Land ſofort verließ. Alſo ward der ideenreichſte politiſche Kopf, welchen Süddeutſchland zur Zeit beſaß, von ſeinen Landsleuten verbannt auch er, gleich ſo vielen anderen großen Schwaben, ein Opfer der kleinlichen Zuſtände ſeiner Heimath. Ein ſtrenges und doch gütiges Geſchick warf den ungeſtümen Agitator zur rechten Zeit in den mächtigen Weltverkehr Amerikas hinaus, ſo daß er ſpäterhin nach erfah - rungsreichen Wanderjahren heimkehrend die kleinſtädtiſche deutſche Welt mit einer Fülle neuer Gedanken befruchten konnte. Der ſchimpfliche Vor - fall fand in Deutſchland wenig Beachtung; denn Liſt hatte keine Partei hinter ſich, es lag im Weſen dieſes Feuergeiſtes, daß er immer nur kühne Pläne anregen, nur der Zukunft die Wege weiſen konnte; und die libe - rale Preſſe verweilte ungern bei der läſtigen Thatſache, daß der freiſin - nigſte deutſche Fürſt mit Genehmigung ſeines Landtags einen hochherzigen Patrioten mit einer Grauſamkeit peinigte, welche den Sünden der Ber - liner und der Mainzer Demagogenverfolger nichts nachgab.

Für die Entwicklung des württembergiſchen Verfaſſungslebens wurde die Ausſtoßung Liſt’s auf Jahre hinaus verhängnißvoll. Nichts kettet die Menſchen feſter an einander, als gemeinſam begangenes Unrecht. Durch die Mißhandlung ihres Genoſſen hatte die Mehrzahl der Abgeord - neten dem Miniſter ihre Seele verſchrieben; die Minderheit war entmu - thigt, die ſchwachen Regungen eigenen Willens, die ſich im Anfange der Seſſion noch gezeigt, verſtummten allmählich. Der Landtag verſank in ein gemächliches Stillleben, und im Volke nahm die Gleichgiltigkeit der - maßen überhand, daß die Regierung ſich bald genöthigt ſah, die Wähler durch Taggelder und Strafdrohungen zur Ausübung ihres Wahlrechts anzuhalten. Von den überſchwänglichen Freiheitswünſchen, welche einſt das Erſcheinen der Verfaſſung begrüßt hatten, ging wenig in Erfüllung. Aber für die materiellen Intereſſen ſorgte der König ſo einſichtig, daß ſelbſt der liberale Wangenheim und ſein Freund Geh. Rath Hartmann an dem geſcheidten und energiſchen Fürſten niemals ganz irr wurden; und min - deſtens eine der Segnungen, welche dies unſchuldige Zeitalter von dem55Das Manuſcript aus Süddeutſchland.conſtitutionellen Leben erhoffte, die Verringerung der Steuerlaſten wurde dem Lande zu theil. In den größeren Verhältniſſen Frankreichs und auch in einigen der deutſchen Mittelſtaaten machte man ſehr bald die Erfah - rung, daß die politiſche Freiheit mit der Wohlfeilheit der Verwaltung keineswegs Hand in Hand geht. Der conſtitutionelle Staat ſah ſich faſt überall gezwungen, den Umkreis ſeiner Thätigkeit beſtändig zu erweitern, weil er den zahlloſen Anſprüchen der bürgerlichen Geſellſchaft, die jetzt in den Kammern beredte Fürſprecher fanden, gerecht werden mußte; er leiſtete mehr als der alte Abſolutismus und war darum auch koſtſpieliger. Den Württembergern blieb dieſe Enttäuſchung vorläufig noch erſpart, da der unmäßige Aufwand des alten Hofes hinwegfiel und der König in allen Zweigen der Verwaltung auf genaue Ordnung hielt. Das Land war mit ſeinem geſtrengen bureaukratiſchen Regimente und der Leidſamkeit ſeines Landtags nicht unzufrieden.

Doch wie hätte der unſtete Ehrgeiz König Wilhelms in den beſcheidenen Pflichten des landesfürſtlichen Berufs ſeine Befriedigung finden können! Die Niederlage, die er auf den Wiener Conferenzen erlitten, wurmte ihn tief; eine Genugthuung mußte er ſich verſchaffen, und ſei es auch mit ver - ſchloſſenem Viſier. Vor Jahren, ſo lange Königin Katharina noch lebte, hatte er wohl zuweilen in begehrlichen Träumen an die deutſche Königskrone gedacht. So verwegene Hoffnungen bethörten ihn längſt nicht mehr. Aber jener Bund im Bunde, den ihm Wangenheim und Trott ſo verführeriſch zu ſchildern wußten, ſchien jetzt doch möglich, da ein Theil der Mittelſtaaten ſoeben mit dem römiſchen Stuhle gemeinſam verhandelte und die große Darmſtädter Berathung über den ſüddeutſchen Zollverein nahe bevorſtand.

Seit dem September 1820 wurde eine angeblich in London erſchienene Schrift Manuſcript aus Süddeutſchland von George Erichſon von Stuttgart aus geſchäftig verbreitet. Es war das Programm der Trias - politik. Alle die boshaften Schmähungen, mit denen einſt die Münchener Alemannia ihre bairiſchen Leſer gegen die Norddeutſchen aufgeſtachelt hatte, kehrten hier wieder, nur minder plump und darum gefährlicher: Berlin hat die beſten Schneider, Augsburg die beſten Silberarbeiter; der ſchlaue, unzuverläſſige Norddeutſche iſt im Felde nur als Huſar und Freibeuter zu verwenden, die ſtämmigen Bauern des Südens bilden den Kern der deutſchen Heere; eine politiſche Verbindung zwiſchen den beweglichen Han - delsleuten des Nordens und dem ſeßhaften Volke des Oberlandes mag in Jahrhunderten vielleicht möglich werden, heutzutage iſt ſie ebenſo un - haltbar wie die Vereinigung der Engländer und der Schotten zur Zeit Eduards I. Aber während Aretin und Hörmann ihre partikulariſtiſchen Abſichten nie verhehlt hatten, erhob dieſer neue Zwietrachtprediger den Anſpruch, der nationalen Politik die Bahnen zu weiſen. Eine polniſche Theilung, ſo führte er aus, hat ſich unbemerkt an Deutſchland vollzogen, von den neunundzwanzig Millionen Einwohnern des Deutſchen Bundes56III. 1. Die Wiener Conferenzen.gehören ihrer neunzehn den fremden Mächten Oeſterreich, Preußen, Eng - land, Dänemark, Holland; ſeine beſten Häfen ſind in der Hand der nor - diſchen Barbaresken, der Hanſeaten, ein hors d’oeuvre am deutſchen Körper, die Beute einer Kaufmannskaſte, die in Englands Solde ſteht. Den rein deutſchen Staaten bleibt mithin nur eine Rettung: ſie müſſen ſich losreißen von den Fremden und unter ſich den freien Bund ſelbſtändiger Stämme, der Deutſchlands urſprüngliche Verfaſſung war, erneuern. Die Führung des Bundes gebührt den Baiern und den Alemannen, den beiden Kernſtämmen, die ſich ſoeben unter ihren neuen Königskronen wieder zu - ſammengefunden haben. Die großen Staatsmänner des Südens erkannten zuerſt, daß Deutſchlands Wiedergeburt nur durch Frankreichs Hilfe mög - lich war, aus Liebe zu Deutſchland wurden ſie Frankreichs Freunde; als die Krieger Württembergs und Baierns vereint mit den Franzoſen unſterbliche Siege erfochten, dienten ſie dem Geiſte des Jahrhunderts und ſicherten die Unabhängigkeit des Vaterlandes für immer, darum tragen ſie noch mit Stolz das Kreuz der Ehrenlegion. So iſt auch heute wieder Württemberg das Aſyl deutſcher Freiheit und Selbſtändigkeit geworden, ſein König gab das große, unſterbliche Beiſpiel einer vertragsmäßigen Ver - faſſung; die beiden Könige des Südens haben das von Gott eingeſetzte demokratiſche Princip anerkannt, in Karlsbad und Wien die deutſche Frei - heit beſchützt, Deutſchland huldigt ihnen als den Garanten ſeiner Natio - nal-Unabhängigkeit. Zwiſchen den Zeilen ward darauf noch die Hoff - nung ausgeſprochen, Preußen möge ſeine weſtlichen Provinzen an den König von Sachſen abtreten, dann erſt werde der Bund des reinen Deutſchlands ſeinen natürlichen Beruf erfüllen, als ein Zwiſchenſtaat das Gleichgewicht zwiſchen Frankreich, Preußen und Oeſterreich wahren.

So lange der Deutſche Bund beſtand, war ein ſo dreiſter Angriff gegen die Grundlagen des Bundesrechts noch nie gewagt worden. Der Anwalt der deutſchen Trias ging der kaum geſchaffenen neuen Verfaſſung Deutſchlands ebenſo feindſelig zu Leibe wie einſt Hippolithus a Lapide dem altersſchwachen heiligen Reiche. Von dem Gedankenreichthum, von dem hinreißenden rhetoriſchen Ungeſtüm jenes leidenſchaftlichen Vor - kämpfers der ſchwediſch-franzöſiſchen Partei beſaß der gewandte Epigone freilich gar nichts; aber in der Willkür ſeiner Geſchichtsconſtruktionen, in der Gewiſſenloſigkeit ſeiner Staatsräſon that er es dem alten Publiciſten gleich. Der ganze ekle Bodenſatz der Fremdherrſchaft trat in dem Manu - ſcripte wieder zu Tage; Alles darin war bonapartiſtiſch, der Grundge - danke der troisième Allemagne ſo gut wie die demokratiſchen Schlag - worte, die Ausfälle auf die Hanſeſtädte und der Vorſchlag, Preußen in den Oſten zu ſchieben. Faſt mit den nämlichen Worten hatte Dalberg einſt den Rheinbund verherrlicht, und anders als durch Frankreichs Hilfe konnte offenbar auch dieſer neue Bund des reinen Deutſchlands niemals ins Leben treten.

57Urtheile über das Manuſcript.

Mit welchem Unwillen wäre zur Zeit des Pariſer Friedens ein ſolches Buch von der öffentlichen Meinung empfangen worden! Aber auf die großen Epochen unſerer neuen Geſchichte folgen mit unheimlicher Regel - mäßigkeit Zeiten des Verdruſſes, denen der nationale Stolz über dem kleinen Aerger des Parteiſtreits faſt abhanden kommt, und gerade die Männer und die Thaten, die über allen Dank erhaben ſind, verfallen dann am ſicherſten der Undankbarkeit der kurzlebigen Menſchen. Fünf Jahre nach den Befreiungskriegen durfte der Verfaſſer des Manuſcriptes zuverſichtlich behaupten Preußen gehört ſo wenig als Elſaß zu Deutſch - land , und überall in den kleinen Staaten fanden ſich ſchon einzelne wohlmeinende Patrioten, die ihm zuſtimmten; ihnen ſchien es nicht lächer - lich, wenn er im Namen der Beſiegten von Dennewitz und Wartenburg den Siegern ſogar die kriegeriſche Tüchtigkeit abſprach. Börne in Frankfurt hatte an dem Buche nur das Eine auszuſetzen, daß es noch nicht die ganze Wahrheit ſage. Der bairiſche Liberale F. v. Spaun, ein eifriger Vor - kämpfer des Illuminatenthums und des bajuvariſchen Machtdünkels, ver - ſicherte bald nachher in ſeinen Gloſſen über den Zeitlauf : Süddeutſch - land hat den Alliirten gute Dienſte geleiſtet, verdankt ihnen aber rein nichts; wir bedürfen des Deutſchen Bundes nicht; wenn unſer Max ruft, dann werden tauſende der Helden, die bei Leipzig ſiegten, den blau - weißen Fahnen zulaufen!

So weit gingen freilich nur einzelne Verblendete. Selbſt Wangen - heim wies die landesverrätheriſchen Hintergedanken des Manuſcripts weit von ſich. Er hielt zwar, wenn die Unabhängigkeit der Kleinſtaaten bedroht ſchien, ſogar die immerhin bedenkliche Anrufung der auswärtigen Ga - ranten der Bundesakte für erlaubt; doch an einen neuen Rheinbund dachte er niemals. Sein Bund der Mindermächtigen ſollte auf dem Boden der Bundesakte erwachſen, friedlich, allein durch die moraliſche Macht der ſüddeutſchen Kronen, durch die Anziehungskraft ihrer freien Verfaſſungen. In dieſer abgeſchwächten Faſſung erſchienen die Ideen des Manuſcripts auch vielen anderen Liberalen verführeriſch. Das ſophiſtiſche Buch wirkte im Stillen ſehr nachhaltig und nährte unter den ſüddeutſchen Liberalen einen Dünkel, der um ſo ſchädlicher war, weil er ſich nicht auf die wirk - lichen Vorzüge des oberdeutſchen Lebens, auf ſeine alte Cultur, ſeine un - verwüſtliche Poeſie, ſeine heiteren, natürlichen, demokratiſchen Sitten, ſon - dern auf eine eingebildete politiſche Ueberlegenheit berief. Aus der trüben Quelle dieſer Schrift entſprang auch die jahrzehntelang unabläſſig wieder - holte Parteilegende von den Karlsbader Conferenzen und dem heldenhaften Kampfe der treu verbündeten liberalen Kronen Baiern und Württem - berg wider die reaktionären Großmächte.

Den Preußen klang die Verherrlichung des Rheinbunds ſo unbegreiflich, daß ſich Niemand dort zu einer öffentlichen Antwort herbeilaſſen mochte, obgleich das Buch in den Berliner literariſchen Kreiſen mit lebhaftem Un -58III. 1. Die Wiener Conferenzen.willen beſprochen wurde. Nur der Hamburger J. L. v. Heß, derſelbe, der ſchon im Jahre 1814 für die Freiheit der Hanſeſtädte geſchrieben hatte, ſendete eine Erwiderung hinaus: Aus Norddeutſchland, kein Manuſcript . Der wackere Freiſtädter ſprach noch ganz im Geiſte des weitherzigen Patrio - tismus der Befreiungskriege, frei von partikulariſtiſcher Empfindlichkeit, obſchon er nach hanſeatiſchem Brauche die unbelaſtete Freiheit des Ham - burger Handels etwas überſchätzte; er hielt feſt an der Hoffnung, daß der Staat, der jenen nationalen Kampf begonnen, dereinſt noch der Eini - gungspunkt für Deutſchland werden müſſe, und beſchämte den Gegner durch den unwiderleglichen Vorwurf, daß noch niemals ein norddeutſcher Schriftſteller auch nicht in den Tagen, da die Baiern noch unter Frankreichs Fahnen fochten ebenſo boshaft und lieblos über ſeine ſüd - deutſchen Brüder geredet habe.

An den Höfen von Wien und Berlin erregte der offene Aufruf zum Bundesbruche lebhafte Beſorgniß. Man forſchte eifrig nach dem Ver - faſſer und rieth anfangs auf Hörmann oder Aretin, da der Pamphletiſt ſelber in der Einleitung auf Baiern als ſeine Heimath hindeutete; auch Wangenheim erklärte auf den Darmſtädter Conferenzen, das Buch könne nur von der Partei Montgelas herrühren. *)Nebenius Bericht an Berſtett, Darmſtadt 14. Nov. 1820.Nachher blieb ein drin - gender, unwiderlegter Verdacht auf Lindner haften, und nunmehr trat das Libell erſt in das rechte Licht. Die Läſterungen jener fanatiſchen Bajuvaren wider den Norden entſprangen doch zum Theil der Unkennt - niß; dieſer Kurländer aber, der mit dem niederdeutſchen Leben von Kin - desbeinen an vertraut war, konnte ſein widerliches Zerrbild vom nord - deutſchen Volksthum unmöglich in gutem Glauben entworfen haben, er mußte die Abſicht hegen den Süden gegen den Norden aufzuwiegeln, und in der That iſt dies ſchlechte Handwerk, von Lindner an bis herab auf die neueſten Zeiten, immer von norddeutſchen Ueberläufern mit be - ſonderem Eifer getrieben worden. Man wußte, daß Lindner von König Wilhelm zuweilen geheime literariſche Aufträge empfing; ſoeben erſt hatte er gegen den Liberalen Keßler, der durch freimüthige Beſprechung würt - tembergiſcher Zuſtände dem Hofe läſtig fiel, einen gehäſſigen Federkrieg geführt. **)Küſter’s Bericht, 12. Febr. 1820.Doch jede Mitſchuld des Königs an dem Manuſcript wurde von Wintzingerode, auf Befehl ſeines Herrn, entſchieden abgeleugnet, und ſie ſchien auch kaum denkbar. Wer hätte glauben mögen, daß der Held von Montereau jetzt den Rheinbund vertheidigen und ſeine eigenen Verdienſte mit ſo unziemlichem und unwahrem Selbſtlobe der Nation anpreiſen ſollte? Als aber Wintzingerode ſtrenges Einſchreiten gegen Lindner verlangte, weil das Treiben dieſer liberalen Tollhäusler die Großmächte un - fehlbar erbittern müſſe, da weigerte ſich der König beharrlich, und erſt59Baiern. Zentner.auf das erneute Drängen ſeines Miniſters geſtand er dem Ueberraſchten endlich: er ſelber ſei der Verfaſſer des Manuſcripts, er habe das Ge - rippe, Lindner nur die Füllung der Arbeit gegeben. *)Wintzingerode, Graf H. L. Wintzingerode, S. 69.Durch ſolche Mittel alſo hatte König Wilhelm ſich für ſeine Wiener Demüthigung zu rächen verſucht! Der Graf verhehlte ſeinem Herrn nicht, daß er die Koſten eines Auswärtigen Amtes für das kleine Württemberg nicht mehr zu rechtfertigen wiſſe, wenn man ſich ſo muthwillig das Vertrauen der großen Mächte verſcherze. Gleichwohl blieb er im Amte. Das Bewußtſein einer eigenen politiſchen Verantworlichkeit war den deutſchen Miniſtern damals noch fremd; ſie betrachteten ſich faſt alleſammt nur als Diener ihrer Fürſten. Wintzingerode hielt es für unritterlich den König in einem Augenblicke der Bedrängniß zu verlaſſen und mußte nun wohl oder über durch unwahre Betheuerungen den Argwohn der deutſchen Höfe zu be - ſchwichtigen ſuchen. Vergebliche Mühe. Der Scharfſinn F. Gentz’s, der in literariſchen Dingen faſt immer das Rechte traf, hatte den Urheber des Manuſcripts ſofort erkannt.

Die Nichtigkeit der württembergiſchen Triaspläne wurde nirgends ſchärfer verurtheilt als an dem Hofe, welchem Lindner die Führung ſeines Sonderbundes zugedacht hatte. In der bairiſchen Preſſe waren vor fünf Jahren die Triasgedanken zuerſt aufgetaucht; aber die Regierung blieb ihnen jetzt wie damals unzugänglich. Der bairiſche Staat war doch zu groß, ſeine Dynaſtie zu ſtolz um ſo luftigen Traumbildern nachzugehen. Wie glücklich fühlte ſich König Max Joſeph, da er nun wieder drei Jahre lang vor ſeinen getreuen Landſtänden Ruhe hatte. Die durch Zentner’s Klugheit herbeigeführte Verſöhnung mit den beiden Groß - mächten that dem Herzen des gutmüthigen Herrn wohl. Sein Miß - trauen gegen die Liberalen verſtärkte ſich noch, ſeit die Revolution in Südeuropa immer weiter um ſich griff und im Laufe des Sommers ſogar nach Italien hinüberſchlug. Als Gentz im Auguſt nach München kam, fand der König kaum Worte genug, um dem Wiener Hofe ſeine Anhänglichkeit zu betheuern. Er liebe, ſo geſtand er, die Conſtitutionen ebenſo wenig wie Kaiſer Franz, und ohne den unglücklichen Wiener Con - greß wäre er gewiß nie ſo weit gegangen; indeſſen ſei er Gottlob mit einem blauen Auge davongekommen, und nun ſolle ihn auch der Teufel keinen Schritt weiter führen. An dem gewohnten bureaukratiſchen Re - gimente ward durch die parlamentariſchen Inſtitutionen nichts geändert. Selbſt die den Kammern verſprochene Neugeſtaltung des Heerweſens unterblieb, obgleich zwei der tüchtigſten Generale, Raglovich und Baur ſchon ſeit Jahren die Einführung eines Landwehrſyſtems, nach der Art des preußiſchen, befürwortet hatten. Der liberale Lerchenfeld ſah ſich ganz auf ſein Finanzfach beſchränkt, und hier gelang es ſeiner ausdauern -60III. 1. Die Wiener Conferenzen.den umſichtigen Thätigkeit endlich Ordnung zu ſchaffen, ſo daß der Kurs der Staatspapiere in wenigen Jahren um mehr als 30 Procent ſtieg. Die deutſche Politik des Münchener Hofes wurde durch Rechberg und Zentner beſtimmt, und ſie ſtanden Beide, Jeder auf ſeine Weiſe, treu zu den Großmächten. Auf ihre Veranlaſſung*)Zaſtrow’s Bericht, 15. Nov. 1820. brachte die Augsburger Allgemeine Zeitung eine Kritik des Manuſcripts, welche alle Sonder - bundsgedanken mit bitterem Spotte abfertigte.

Mittlerweile trat auch der letzte der ſüddeutſchen Staaten, der bisher noch an der unbeſchränkten Monarchie feſtgehalten, zu den Formen des conſtitutionellen Staates über. Pünktlich wie er es verheißen, verlieh Großherzog Ludwig von Heſſen durch das Edikt vom 18. März 1820 ſeinem Lande eine Verfaſſung; er hoffte durch dieſe behutſame Gewäh - rung, wie er den großen Mächten ſagen ließ, allen Erwartungen der Wiener Conferenzen zu entſprechen, ſeine Zuſage zu erfüllen und zugleich die Kraft ſeiner Regierung zu ſichern . **)Note des großh. heſſ. Geſchäfts - trägers Frhr. v. Senden an Ancillon, 29. März 1820.Sein vertrauter Rath, der verdiente Strafrechtslehrer Grolmann hatte erſt vor Kurzem ſein aka - demiſches Amt in Gießen ſchweren Herzens mit dem Miniſterſeſſel ver - tauſcht, weil er ſich verpflichtet hielt der drohenden Anarchie entgegenzu - wirken; eine milde, verſöhnliche Natur, mehr Gelehrter als Staatsmann, meinte Grolmann den Landſtänden Alles gewährt zu haben, was ihnen ohne offenbare Gefahr einer Republikaniſirung gewährt werden könne. ***)Grolmann an Graf Solms-Laubach, 25. März 1820.Aber diesmal hatte ſich der ehrwürdige, in den Anſchauungen eines wohl - wollenden Abſolutismus ergraute Fürſt über die Stimmung ſeines Landes gründlich getäuſcht. Während der langen Zeit des Wartens war das Volk durch zahlreiche Petitionen und Verſammlungen aufgeregt worden; in den mediatiſirten Herrſchaften des Odenwalds hatten ſich die hart belaſteten Bauern den Truppen bei der Eintreibung der Steuern ſchon thätlich widerſetzt. Und nun brachte die erſehnte Verfaſſung, die aller Noth ein Ziel ſetzen ſollte, nicht viel mehr als einige Vorſchriften über den künftigen Landtag. Die gemüthliche patriarchaliſche Sprache des Edikts verfehlte ihren Zweck, da der Inhalt gar ſo dürftig war. Die Rechte der Landſtände waren ſehr eng bemeſſen und das Wahlrecht der - maßen beſchränkt, daß ſich im ganzen Staate außer den höheren Staats - beamten nur 985 Wählbare fanden. Zu allem Unheil erſchien dies Grundgeſetz in dem nämlichen Augenblicke, da die ſoeben wieder aus dem Grabe ſteigende ſpaniſche Cortesverfaſſung in den deutſchen Zeitungen veröffentlicht wurde und das Entzücken der liberalen Welt erregte. Eine Verfaſſung mit zwei Kammern iſt gar keine ſo hieß es jetzt häufig in den ſüddeutſchen Wirthshäuſern, wenn auf das Wohl der Cortes und61Das Darmſtädter März-Edikt.ihres Helden Riego angeſtoßen wurde; und F. v. Spaun meinte: unſer Max braucht nur mit dem Finger zu winken, um die Kammer der Reichsräthe hinwegzufegen. Wie kümmerlich erſchien die Freiheit der Heſſen neben dieſen ſpaniſchen Herrlichkeiten!

Das ganze Land gerieth in Bewegung. Einige in Stuttgart ge - druckte anonyme Flugſchriften, die von E. E. Hoffmann in Darmſtadt herrührten, unterwarfen das Edikt einer ſchonungsloſen, wohlberechtigten Kritik, und da die Bauern ſchon längſt über Steuerdruck klagten, ſo fiel die Mehrzahl der Wahlen zu Ungunſten der Regierung aus. Die Rheinheſſen wählten gar den franzöſiſchen General Eickemeyer, denſelben, der einſt bei der ſchmählichen Uebergabe von Mainz mitgewirkt hatte und darum am Hofe, mit Unrecht, für einen gefährlichen Jakobiner galt. Die größere Hälfte der Abgeordneten erklärte dem Großherzog ſo - fort in einer ehrerbietigen, aber ſehr nachdrücklichen Eingabe: ſie könnten in dem Edikte die verheißene umfaſſende Conſtitutions-Urkunde nicht erkennen und darum auch keinen Eid darauf leiſten. Umſonſt hatte Hans v. Gagern die Grollenden beſchworen, nicht alſo von Haus aus jede Ver - ſtändigung abzuweiſen. Dem wunderlichen Reichspatrioten erging es wie vielen anderen Diplomaten der Kleinſtaaten: ſo phantaſtiſch er ſich einſt in dem nebelhaften Bereiche der Bundespolitik gezeigt hatte, ebenſo be - ſonnen verfuhr er jetzt, da er feſten Boden unter ſeinen Füßen fühlte, in der praktiſchen Politik ſeines Heimathlandes. Von ihm geführt reichten ſeine Standesgenoſſen von der Ritterſchaft und die Minderheit der übrigen Abgeordneten eine Gegenerklärung ein: ſie waren unbedenklich zur Leiſtung des Eides bereit, aber nur unter der Vorausſetzung, daß der Großherzog ihnen noch andere Geſetze zur vollſtändigen Ausbildung der Verfaſſung vorlegen würde.

Die Lage des kleinen Staates begann recht unſicher zu werden. Der preußiſche Geſandte Frhr. v. Otterſtedt notre ami aux mille affaires hieß er in der diplomatiſchen Welt ein erklärter Gegner der Liberalen, der immer aufgeregt und geheimnißvoll zwiſchen den Höfen von Darm - ſtadt und Bieberich hin - und herreiſte, ſchilderte ſeinem Kabinet den wahrhaft teufliſchen Geiſt der heſſiſchen Demagogen in den dunkelſten Farben*)Otterſtedt’s Berichte, 10., 26. Juni, 4. Juli 1820.; und allerdings nahm die peſſimiſtiſche Verbitterung bedenklich überhand. Einzelne der Eidverweigerer hofften insgeheim auf einen Ge - waltſtreich von oben, damit dann der ausbrechende Volksunwille den Hof zu umfaſſenden Zugeſtändniſſen zwänge. Auch die mächtigen Mediatiſirten, denen faſt ein Viertel des Großherzogthums gehörte, zeigten ſich feindſelig. Vergeblich hatte ihnen die Regierung vor Kurzem alle die in der Bun - desakte verheißenen Rechte, und noch einige mehr, zugeſtanden, ſo daß fortan am Büdinger Schloßthore eine Iſenburgiſche Leibwache prunken62III. 1. Die Wiener Conferenzen.durfte. Die Fürſten und Grafen waren mit Alledem nicht befriedigt und blieben, bis auf Einen, ſämmtlich dem Landtage fern, obſchon ſie ſelbſt ſchon vor Jahren die Berufung der Stände ſtürmiſch verlangt hatten. *)Eingabe der Standesherren an den Großherzog, März 1816.Durch Grolmann’s Klugheit wurde die Gefahr noch zur rechten Zeit be - ſchworen. Nüchtern genug um die Stimmung des Landes richtig zu wür - digen und beſcheiden genug um den begangenen Mißgriff einzugeſtehen, bewog er den Großherzog zur Nachgiebigkeit. In einer gnädigen Antwort gewährte der alte Herr die Bitte der Gagern’ſchen Partei und verſprach, daß den Ständen einige organiſche Geſetze zur Ergänzung des März-Edikts vorgelegt werden ſollten. Nach dieſer Zuſage ließen auch mehrere Mit - glieder der entſchiedenen Oppoſition ihren Widerſpruch fallen, und am 27. Juni konnte der Landtag endlich eröffnet werden. Die unbelehrbaren Eidverweigerer wurden aus der Kammer ausgeſchloſſen, und die Neu - wahlen vollzogen ſich überall ohne Widerſtand. Der Landtag errang ſich ſogleich die Oeffentlichkeit ſeiner Sitzungen und damit ein großes Anſehen, da das geſammte Volk mit geſpannter Aufmerkſamkeit den Berathungen folgte; aber er mißbrauchte ſeine Macht nicht, die Miniſter kamen ihm willfährig entgegen, und unter der ſachkundigen Leitung des Präſidenten Eigenbrodt, des berühmten Forſtmannes, nahmen die Verhandlungen anfangs einen friedlichen Verlauf.

Alles ſchien auf dem beſten Wege. Sogar Marſchall, der bisher nach ſeiner Weiſe die Darmſtädter Demagogen bei allen Höfen verläſtert hatte, meinte jetzt beruhigt: die Regierung habe das Heft in der Hand behalten, das monarchiſche Princip ſei genugſam gewahrt. **)Marſchall an den Herzog von Naſſau, 30. Juni 1820.Grolmann aber mußte bald fühlen, wie ſchwer es hielt, ſelbſt mit dieſer beſonnenen Kammer zum Abſchluß zu gelangen. Er befand ſich in einer unhalt - baren Stellung; denn die Geſetzentwürfe über ſtaatsbürgerliche Rechte, über Miniſterverantwortlichkeit und Steuerbewilligungsrecht, welche er jetzt dem Landtage vorlegte, enthielten in Wahrheit nicht die Ergänzung, ſondern die Aufhebung des März-Edikts, und unter den Abgeordneten äußerte ſich immer vernehmlicher das Verlangen, daß auch Heſſen, wie die anderen ſüddeutſchen Staaten eine förmliche, das geſammte Staats - recht umfaſſende Verfaſſungsurkunde erhalten müſſe. Wie viel einfacher doch, wenn man den Ständen dieſen Herzenswunſch erfüllte! Der Mi - niſter berieth ſich insgeheim mit ſeinem Schwager, dem Kanzler der Uni - verſität Gießen, Arens, einem namhaften Juriſten, dann mit Staatsrath Hofmann, der das Finanzweſen ſehr geſchickt leitete, endlich auch mit einem jüngeren liberalen Beamten, Geh. Rath Jaup. Mit Ausnahme Jaup’s war keiner dieſer vier Männer conſtitutionell geſinnt, ſie Alle betrachteten eine Verfaſſung beſten Falles als ein nothwendiges Uebel, Arens gehörte63Nachgiebigkeit des Großherzogs.ſogar zu der hochconſervativen Partei und hatte ſich in Gießen als uner - bittlicher Verfolger der Demagogen einen ſchlimmen Leumund erworben. Gleichwohl vereinigten ſie ſich alleſammt in der Erkenntniß, daß die Gäh - rung im Lande allein durch eine Conſtitution beſchworen werden könne.

Der Großherzog ertheilte ſeine Genehmigung, und am 14. Oktober überraſchte Hofmann den Landtag durch die Aufforderung: die Stände möchten nur Alles was ſie noch zur Vervollſtändigung des März-Edikts wünſchten, der Regierung vorſchlagen; dann ſollten die vereinbarten Punkte in einer Verfaſſungsurkunde zuſammengeſtellt werden und mit deren Ver - kündigung das März-Edikt außer Wirkſamkeit treten. Der Erfolg bewies augenblicklich, wie richtig Grolmann gerechnet hatte. Das den Herzen dieſes Geſchlechts ſo unwiderſtehliche Wort Verfaſſung wirkte wie ein Zauberſchlag: nun waren die Heſſen doch ebenſo frei wie die Baiern, Badener und Württemberger! Der Saal erdröhnte von Freudenrufen. In tiefer Bewegung ſprach der Präſident Eigenbrodt: ſie iſt nun da, die Morgenröthe eines ſchönen Tages, der das Band der Liebe und des Zutrauens zwiſchen einem edlen Fürſten und einem biedern Volke be - feſtigen, noch feſter knüpfen wird. Dann ſchloß er die Sitzung, damit der große Tag nicht durch andere Geſchäfte entweiht würde. Welch ein Jubel ſodann, als der Großherzog Abends im Theater unter ſeinem ge - treuen Volke erſchien! Ueberall im Lande die gleiche Begeiſterung, überall, wie das Stichwort des Tages lautete, die gerührte Dankbarkeit glücklicher Kinder gegen den allgeliebten Vater.

An den Höfen fand der Freudenrauſch des heſſiſchen Volkes wenig Widerhall. Wie hart war ſchon der König von Württemberg getadelt worden, weil er ſeiner Verfaſſung die Form eines Vertrags gegeben hatte, und er konnte ſich doch auf das alte Recht ſeiner Schwaben be - rufen. Jetzt aber erbot ſich ein zweiter deutſcher Fürſt freiwillig zu einer Vereinbarung mit ſeinen Ständen, obgleich dieſen ein hiſtoriſcher Rechts - anſpruch unzweifelhaft nicht zur Seite ſtand. Cine ſolche Verletzung des monarchiſchen Princips ſchien hochgefährlich. Der Erbgroßherzog und ſein Bruder Prinz Emil hatten ihres Unmuths kein Hehl und beſchuldigten den Miniſter, daß er hinter ihrem Rücken die Gutherzigkeit ihres altern - den Vaters mißbraucht habe. Wenn Ihr Schwager ſeinen Frieden mit den Jakobinern ſchließen will ſagte Prinz Emil dem Kanzler Arens ins Geſicht dann will ich den Krieg mit ihm. Mag Grolmann in den Koth ſtürzen, das iſt mir ſehr gleichgiltig; aber daß er meinen Vater mit hineinreißt, das werde ich ihm nie verzeihen. *)Prinz Emil v. Heſſen an Otterſtedt, 14. Okt. 1820.Prinz Emil hatte neuer - dings die bonapartiſtiſchen Ideale ſeiner Jugendjahre allmählich aufge - geben und ſich auf dem Aachener Congreſſe perſönlich mit den neuen Gebietern Europas ausgeſöhnt. Ein ausgezeichneter Soldat, klug, unter -64III. 1. Die Wiener Conferenzen.richtet, energiſch, blieb er fortan durch viele Jahre eine Säule der hoch - conſervativen Partei in Süddeutſchland. Otterſtedt, der ſich ſeines be - ſonderen Vertrauens erfreute, urtheilte über ihn: er lebt nur in und mit dem monarchiſchen Princip, das er wie ein wahrer Chevalier zu ver - theidigen verſteht. Die Stimmung des Prinzen verdüſterte ſich noch mehr, da eben in dieſen Tagen auch die alte feſte Mannszucht des kleinen Heeres, dem er mit Leib und Seele angehörte, zu wanken ſchien. Leut - nant Schulz, jener Genoſſe der Unbedingten, der das revolutionäre Frag - und Antwortsbüchlein unter die Bauern geworfen hatte, wurde vom Kriegs - gerichte freigeſprochen. Ein ſo ungerechter Wahrſpruch Grolmann ſelbſt konnte das nicht in Abrede ſtellen wäre vor einem Jahre noch un - möglich geweſen; es ließ ſich nicht verkennen, daß die aufregenden Nach - richten von den ſpaniſchen und italieniſchen Soldatenmeutereien das mi - litäriſche Pflichtgefühl der Offiziere des Kriegsgerichts verwirrt hatten. *)Otterſtedt’s Bericht, 23. Okt.; Grolmann an Otterſtedt, 19. Okt. 1820.

Auch du Thil, der an dem entſcheidenden Beſchluſſe des Miniſte - riums keinen Antheil genommen, ſprach ſich ſehr beſorgt aus. Er gab wohl zu, daß der Beſtand einer Verfaſſung beruhigend wirken könne: denn wie die Welt vor dreihundert Jahren für und wider die Trans - ſubſtantiation kämpfte, ſo iſt Conſtitutionsſucht heute die Modekrank - heit . Dennoch hielt er es für eine unbegreifliche Unbeſonnenheit, das furchtbare Beiſpiel zu geben, daß die Volksvertretung mit der Regierung über die Verfaſſung unterhandelt. **)Du Thil an Otterſtedt, 23. Okt. 1820.Otterſtedt vollends, der ewig Auf - geregte, redete in ſeinen Berichten, als ob die Jakobiner obenauf wären; er beſchwor ſeine Regierung, in einem Miniſterialſchreiben ihre förmliche Mißbilligung auszuſprechen: auf keinen Fall dürfe Grolmann, nach ſolchen Beweiſen der Unzuverläſſigkeit, das Miniſterium des Auswärtigen be - halten.

Der alte Großherzog ſelber begann bereits wieder zu ſchwanken und verſprach ſeinem Sohne Emil im tiefſten Vertrauen, daß Grolmann das auswärtige Amt an du Thil abtreten ſolle, ſobald die großen Mächte es verlangten. ***)Otterſtedt’s Berichte, 18., 23., 29. Okt. Prinz Emil v. Heſſen an Otterſtedt, 29. Okt. 1820.Die Diplomaten der Nachbarſchaft blickten voll Angſt auf das Theater der Intrigue , das ſich in Darmſtadt aufgethan; Goltz in Frankfurt hielt für ausgemacht, daß der Unheilsmann Wangenheim auch hier wieder die Hand im Spiele gehabt, und Marſchall ſchalt: ſo laſſe ein ſchwacher Regent und ein unerfahrener unbeholfener Miniſter die Zügel aus der Hand gleiten. †)Goltz an Hardenberg, 21. Nov.; Marſchall an Berſtett, 16. Okt. 1820.Der preußiſche Hof aber bewahrte auch diesmal, wie noch bei allen Verfaſſungskämpfen des Südens, eine wohl - wollende Zurückhaltung. Der vielgeſchäftige Geſandte erhielt die ſtrenge65Verſtändigung über die Verfaſſung.Weiſung, ſich jeder Einmiſchung zu enthalten; auch den Austritt Grol - mann’s aus dem auswärtigen Amte hielt Bernſtorff nicht für wünſchens - werth, weil der Verdrängte dann auf die Meinung der großen Mächte noch weniger Rückſicht nehmen würde. *)Weiſungen an Otterſtedt: von Bernſtorff, Troppau, 11. Nov., von Ancillon, Berlin, 11. Nov. 1820.Bei ſolcher Geſinnung der preu - ßiſchen Staatsmänner wollte Metternich ebenfalls keinen entſcheidenden Schritt thun, obwohl er einmal eine ſehr unfreundliche Note nach Darm - ſtadt ſendete: ſo lange die Abwehr der italieniſchen Revolution ſeine ganze Kraft in Anſpruch nahm, ſollte in Deutſchland jede Verwicklung vermieden werden.

Unterdeſſen hatten ſich die Ultras in Darmſtadt von ihrem Schrecken erholt, da die Haltung der Kammern durchaus den Erwartungen des Miniſters entſprach. Beſchwichtigt durch die Zuſage der Verfaſſung, zeigten ſich die Abgeordneten fortan ſehr nachgiebig, und Grolmann konnte mit vollem Rechte dem preußiſchen Geſandten verſichern, der Entſchluß des Großherzogs habe der radikalen Partei eine Niederlage bereitet, auf das Vertrauen des Volks geſtützt ſtehe die Regierung jetzt mächtiger da denn zuvor. Auch Arens redete dem beſorgten Preußen zu: es ſei unmög - lich, den Strom der allgemeinen Opinion aufzuhalten, möge das für Preußen ein Fingerzeig ſein! und Gagern diktirte ihm eine Denk - ſchrift in die Feder, welche dem Berliner Hofe auseinanderſetzte, daß die Heſſen nimmermehr hinter ihren ſüddeutſchen Nachbarn zurückbleiben wollten, und mithin nur eine Verfaſſungsurkunde den Landtag zufrieden ſtellen könne. **)Grolmann an Otterſtedt, 17. Okt.; Arens an Otterſtedt, 15. Okt.; Mémoire du Baron de Gagern, 29. Okt. 1820.Das Zureden wirkte, und wohlmeinend wie er war, hielt es Otterſtedt nunmehr für ſeine Pflicht, den grollenden öſterreichi - ſchen Geſandten v. Handel zu beſchwichtigen und auch die noch immer ver - ſtimmten beiden Prinzen zur Beſonnenheit zu mahnen. Auf ſeine und du Thil’s Vorſtellungen ſahen die Prinzen ein, daß es ihnen nicht zieme, öffentlich wider ihren Vater aufzutreten; Beide gaben in der erſten Kammer verſöhnliche Erklärungen ab. Um ſeine Söhne vollends zu gewinnen, be - rief ſie der Großherzog ſodann in ſein Miniſterium; damit war, wie Prinz Emil befriedigt ſchrieb, von Neuem bewieſen, daß der alte Herr das monarchiſche Princip kräftig aufrechthalten wollte . ***)Prinz Emil von Heſſen an Otterſtedt, 29. Okt. 1820.

Im Miniſterrathe einigte man ſich hierauf über einen guten Ge - danken, der den Doktrinären des monarchiſchen Princips ihre letzten Formbedenken aus der Hand ſchlug. Man beſchloß, daß die Verfaſſungs - urkunde zwar genau nach den angenommenen Vorſchlägen der Stände abgefaßt, dann aber ohne nochmalige Befragung des Landtags, vom Throne herab als ein freies Geſchenk fürſtlicher Gnade dem Lande ver -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 566III. 1. Die Wiener Conferenzen.liehen werden ſolle. So erſchien das Grundgeſetz, obwohl es in Wahr - heit mit dem Landtage vereinbart war, der Form nach als eine gegebene Verfaſſung, und das den ſtrengen Monarchiſten ſo unheimliche Schreckbild eines politiſchen Grundvertrages war glücklich vermieden. Zur ſelben Zeit wurde Leutnant Schulz aus der Armee entlaſſen, nachdem Prinz Emil und die Offiziere ſeines Reiter-Regiments den Großherzog dringend um die Entfernung dieſes Unwürdigen gebeten hatten; und nun erſt ſöhnten ſich die Prinzen mit der neuen Ordnung der Dinge völlig aus. *)Eingabe des Prinzen Emil und der Offiziere des Chevauxlegers-Regiments an den Großherzog, Nov. 1820.Aus Ehrfurcht vor dem greiſen Landesherrn ließen ſich die Landſtände gleichfalls die Form der Verfaſſungsverleihung wohl gefallen, da ſie in der Sache doch faſt alle ihre Wünſche durchgeſetzt hatten; ſie widerſprachen auch nicht, als der Miniſter die fragwürdige Behauptung aufſtellte, daß die Weisheit des Großherzogs ſchon im März Alles genau ſo wie es ge - kommen ſei vorhergeſehen habe. Genug, Grolmann hatte, gewandt und feſt, zuerſt die Radikalen geſchlagen, dann die höfiſche Oppoſition, die bei der beginnenden Altersſchwäche des Großherzogs unberechenbaren Schaden ſtiften konnte, gänzlich entwaffnet. Am 17. December wurde das Grund - geſetz unterzeichnet und alsdann, unter neuen Ausbrüchen ſtürmiſcher Freude, von den Kammern entgegengenommen.

Die heſſiſche Verfaſſung war der badiſchen ſehr ähnlich; jedoch be - ſtand die erſte Kammer, nach dem Vorbilde Württembergs, nur aus den Standesherren und einigen vom Landesherrn Ernannten. Die Mitglieder der Ritterſchaft erhielten ihren Platz in der zweiten Kammer neben den Abgeordneten der großen Städte und der gemiſchten Wahlbezirke, damit das ariſtokratiſche Princip nicht zu ſehr die Oberhand gewinne ; und nach - dem man während des Verfaſſungskampfes genugſam erfahren hatte, wie niedrig die alten reichsunmittelbaren Geſchlechter den Werth einer darm - ſtädtiſchen Pairie ſchätzten, ſo half man ſich, gleich den Württembergern, durch die wunderliche Vorſchrift, daß eine nicht vollzählig erſchienene Kammer als einwilligend angeſehen werden ſolle. Ueber die Beſchluß - fähigkeit der zweiten Kammer enthielt die heſſiſche Verfaſſung, wie alle die anderen neuen Grundgeſetze des Südens, ſehr kleinliche Beſtimmungen. Da die Bureaukratie den geſetzgebenden Körper wie ein Regierungscolle - gium, das ſeine Amtsſtunden abſitzen muß, betrachtete, und die Volksver - treter überdies Tagegelder bezogen, ſo forderten die ſüddeutſchen Ver - faſſungen alleſammt, daß mindeſtens die größere Hälfte, in Baiern und Württemberg ſogar zwei Drittel der Abgeordneten immer anweſend ſein müßten eine pedantiſche Kleinmeiſterei, welche ſeitdem eine traurige Eigenthümlichkeit des deutſchen Parlamentarismus geblieben iſt und ſein Anſehen im Volke ſchwer geſchädigt hat.

67Die heſſiſche Verfaſſung.

Im Ganzen entſprach das heſſiſche Grundgeſetz den Bedürfniſſen des Landes. Auch die preußiſche Regierung erkannte dies an und ſprach dem Großherzog und ſeinem treuen Volke ihren warmen Glückwunſch aus. Durch die glückliche Wendung, welche dieſe große Angelegenheit genommen ſchrieb Ancillon iſt das monarchiſche Princip, das Grundprincip aller deutſchen ſtändiſchen Verfaſſungen, recht erhalten worden, indem S. K. Hoheit dieſes Staatsgrundgeſetz Höchſtſelbſt Ihren Ständen gegeben haben und die Freiheit Ihres ſouveränen Willens und die hohe Weisheit Ihrer Beſchlüſſe durch das was ſie den Wünſchen der Kammern zugeſtan - den wie durch das was ſie denſelben vorenthielten gleich bewährt haben. *)Aucillon an Senden, 10. Jan. 1821.Der Geiſt der Eintracht, der dieſen Landtag beſeelte, blieb ungeſchwächt bis zum Schluſſe der Seſſion, im Sommer 1821; die Honigmonde des conſtitutionellen Lebens verliefen nirgends ſo ungetrübt wie in Darm - ſtadt. Man vereinbarte noch einige wichtige Geſetze über die Ablöſung der bäuerlichen Laſten, und ſeitdem ward die Entlaſtung des Bodens ſo eifrig gefördert, daß Heſſen früher als alle anderen deutſchen Staaten zur vollſtändigen wirthſchaftlichen Befreiung des Landvolkes gelangte. Mit mächtigem Selbſtgefühle blickte der Darmſtädter von der Höhe ſeiner modernen Lebensverhältniſſe auf die kurheſſiſchen Nachbarn hernieder und meinte: wenn die Welt untergeht, dann wandern wir nach Kur - heſſen aus, denn dort iſt man immer fünfzig Jahre hinter der Zeit zurück.

Dergeſtalt war in ganz Süddeutſchland die conſtitutionelle Staats - form zur Herrſchaft gelangt, und ſo gewiß dieſe Wendung der Dinge nothwendig und heilſam war, ebenſo gewiß bereitete ſie der Einigung der Nation ernſte Gefahren. Erſt durch Napoleon und die Siege des Rheinbunds war in den zerſtückelten Gebieten des Südens ein Gemein - gefühl, ein Bewußtſein oberdeutſcher Eigenart, das im achtzehnten Jahr - hundert noch geſchlummert hatte, erweckt worden. Jetzt verſchärfte ſich dieſer Sondergeiſt, ſeit man anfing die ſchöne Heimath als das claſſiſche Land deutſcher Freiheit zu preiſen und die großen nationalen Erinne - rungen des waffenſtarken Nordens zu mißachten. Die Kluft zwiſchen Nord und Süd verbreiterte ſich während der nächſten Jahre, und erſt nach ſchmerzlichen Enttäuſchungen erkannten die Oberdeutſchen, daß nur die Einheit Deutſchlands ihnen die politiſche Freiheit ſichern konnte.

5*[68]

Zweiter Abſchnitt. Die letzten Reformen Hardenbergs.

Derweil die Wiener Conferenzen den Siſyphus-Stein der Bundes - verfaſſung auf und nieder wälzten, gelangte in Berlin eine Arbeit zum Abſchluß, die außerhalb Preußens wenig beachtet für Deutſchlands Zu - kunft ungleich folgenreicher werden ſollte als alle Verhandlungen der Bundespolitik. Der greiſe Staatskanzler legte die letzte Hand an das Werk der inneren Reformen. Wie zuverſichtlich blickte er wieder ins Leben ſeit er den verhaßten Humboldt in den Sand geworfen hatte. Er fühlte ſich wie verjüngt, alle die ſtolzen Hoffnungen der erſten Jahre ſeiner Kanz - lerſchaft wurden ihm wieder lebendig. Wie er damals als ein Dictator den Staat zweimal mit einem ganzen Füllhorn neuer Geſetze überſchüttet hatte, ſo dachte er jetzt die Neuordnung des Staatshaushaltes mit einem Schlage zu beendigen. Eine Commiſſion des Staatsraths unter dem Vorſitz von Klewiz und Bülow hatte mittlerweile die Entwürfe der neuen Steuergeſetze vollendet, eine andere unter der eigenen Leitung des Staats - kanzlers den Stand des Staatshaushaltes und des Schuldenweſens ge - prüft. In jener war J. G. Hoffmann, in dieſer C. Rother der leitende Kopf, beide Männer zählten zu Hardenberg’s nächſten Vertrauten, und er betrachtete ihre Arbeiten als ſein perſönliches Werk.

In drei langen Vorträgen entwickelte er dem Könige ſeinen Finanz - plan, und ſobald er am 12. Januar den Monarchen im Weſentlichen überzeugt hatte, ſtellte er ſofort den Antrag, daß die ſämmtlichen neuen Geſetze über das Steuer - und Schuldenweſen unverzüglich veröffentlicht würden*)Hardenberg’s Tagebuch, 10., 11., 12. Jan. 1820.; dann ſollten noch im Laufe dieſes Jahres die Gemeinde -, Kreis - und Provinzialordnung und ſchließlich die Reichsverfaſſung folgen. Er überſah in ſeiner Ungeduld, daß er ſich inzwiſchen der diktatoriſchen69Kanzler und Staatsrath.Gewalt, welche ihm der König einſt beim Antritt des Kanzleramtes zuge - ſtanden, längſt ſelber entkleidet hatte. Schon ſeit Jahren beſtanden das neue Staatsminiſterium und der Staatsrath, und die Verordnung über die Bildung der letzteren Behörde beſtimmte unzweideutig, daß ſämmtliche Vorſchläge zu neuen oder zur Abänderung von beſtehenden Geſetzen durch den Staatsrath an den König gelangen müßten. Ergraut im Genuſſe der Macht hatte Hardenberg dieſe Vorſchrift freilich nicht lange einge - halten; ihm ſchien es widerſinnig, daß ein abſoluter Monarch ſeinen eigenen Beamten gegenüber an Formen gebunden ſein ſollte. Während die ſech - zehn neuen Geſetze des Jahres 1818 alleſammt erſt nach Berathung des Staatsraths die königliche Sanktion erhielten, wurden ſchon im folgenden Jahre von ſiebenundzwanzig neuen Geſetzen nur ſechzehn dem Staats - rathe vorgelegt. *)Nach der Berechnung, welche Herzog Karl von Mecklenburg im Jahre 1827 als Präſident des Staatsraths aufſtellte (Denkſchrift über den Staatsrath, 8. März 1827).

So gewöhnte ſich der Kanzler bereits daran den Staatsrath zu um - gehen, und am wenigſten bei den höchſt unpopulären Finanzgeſetzen wollte er auf dies kurz angebundene Verfahren verzichten. Seit Humboldt’s Sturz hatte ſich die Stimmung in den Beamtenkreiſen noch mehr ver - bittert. Die Erbſünde der Hauptſtädte, die Luſt am Skandal trat wieder faſt ebenſo dreiſt auf, wie einſt vor der Jenaer Schlacht; Jeder ſchalt und klagte, um ſo heftiger je höher er ſtand. Welche ungeheuerlichen Lügen konnte Varnhagen allabendlich ſchadenfroh in den Moderſumpf ſeines Tagesbuchs abladen! Der war nach ſeiner Abberufung mit einem reichlichen Wartegelde ausgeſtattet worden, weil man ihn zufrieden ſtellen und ſeine ſcharfe Feder unſchädlich machen wollte. **)Miniſterialſchreiben an Küſter, 7. Aug. 1819.Oeffentlich wagte er auch nicht gegen die Regierung aufzutreten. Dafür trieb er ſich jetzt, als Wirklicher Geheimer Ober-Literat, wie der treffende Witz der Berliner ihn nannte, ziſchelnd, ſchleichend, horchend zwiſchen den hohen Beamten und den Schriftſtellern der Reſidenz umher, und hier erfuhr er aus ſicherſter Quelle, wie ſündlich General Kneſebeck, ein Mann von unantaſtbarer Recht - ſchaffenheit, mit den militäriſchen Geldern umgehe und dabei ſich ſelber nicht vergeſſe; auch der nicht minder ehrenhafte Rother, der ſich ſoeben in Schleſien ein Gut gekauft, konnte das Geld natürlich nur frechem Unterſchleif verdanken; keinen Treſorſchein hieß es in dieſen Kreiſen dürfe man die Nacht über im Hauſe behalten, denn einer ſolchen Regie - rung ſei nicht vierundzwanzig Stunden lang zu trauen. Bei dieſem Fieber der Tadelſucht ſchien es in der That bedenklich, den Geſetzentwurf über die Staatsſchulden mit allen den unerfreulichen Geheimniſſen, die er aufdeckte, jetzt dem Staatsrathe vorzulegen. Ein leidenſchaftlicher Streit um jeden einzelnen Poſten der Rechnung ſtand dann unausbleiblich be -70III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.vor, und dieſer Hader konnte nicht geheim bleiben; denn da die politiſchen Parteien noch keinen anderen Kampfplatz beſaßen, ſo waren bisher faſt alle wichtigen Verhandlungen des Staatsraths in gehäſſig übertreibender Darſtellung der vornehmen Geſellſchaft Berlins bald bekannt geworden, und ſchon mehrmals hatte der König die Mitglieder an die Pflicht amt - licher Verſchwiegenheit erinnern müſſen.

Solche düſtere Gerüchte mußten jetzt den gebrechlichen Credit des Staates geradezu vernichten. Mit unſäglicher Mühe hielt der Miniſter Klewiz den Kurs der Staatsſchuldſcheine auf 70 71; im nächſten Februar aber wurden mehr als drei Millionen Thaler Wechſel der Seehandlung fällig, auch das Deficit aus den Jahren 1817 19, deſſen Daſein Hum - boldt und ſeine Freunde ſo lange abgeleugnet hatten, lag jetzt klar am Tage und ſollte ſofort gedeckt werden. Man bedurfte der Baarmittel, unverzüglich, und was ward aus den Anleiheverhandlungen, welche Rother bereits mit einigen Bankhäuſern eingeleitet hatte, wenn die ſo oft ver - heißene Regelung des Schuldenweſens nochmals um Monate hinausge - ſchoben, wenn das ohnehin ſchwarzſichtige Publicum im Voraus durch halbwahre Berichte aus dem Staatsrathe beunruhigt wurde? Die Geld - verlegenheit war ſo dringend, daß der Kanzler auch die unverweilte Ver - öffentlichung der Steuergeſetze für nöthig hielt. Mochten das Miniſterium und der Staatsrath nachträglich die Geſetze prüfen und einzelne Verbeſ - ſerungen vorſchlagen, der Staat durfte der neuen Einnahmen keinen Monat länger entbehren. Was würden, ſchrieb Hardenberg dem Könige, Höchſt - dieſelben von dem Vorſteher einer großen Stadt ſagen, der bei einer Feuersbrunſt, welche ihr den Untergang droht, wiſſend, daß die Feueran - ſtalten bisher mangelhaft waren, ſtatt ſogleich alle Mittel zur Rettung anzuwenden, erſt eine Deliberation im Magiſtrat über die Verbeſſerung jener Anſtalten veranlaſſen wollte?

Die Rechtlichkeit des Königs konnte ſich indeß zu einem ſo eigen - mächtigen Vorgehen nicht entſchließen. Friedrich Wilhelm befürchtete, daß die Verletzung der Formen den unvermeidlichen üblen Eindruck der Steuer - geſetze noch verſchlimmern würde, er beſtand auf der ordnungsmäßigen Befragung des Staatsraths und ſendete aus Potsdam ſeinen Witzleben hinüber, der ſchriftlich und mündlich dem ungeduldigen Kanzler ins Ge - wiſſen reden mußte. *)Albrecht an Hardenberg, 13., 16. Januar 1820.Jetzt gelte es, ſo ließ ſich der Vertraute des - nigs vernehmen, die Finanzen eines Staates zu ordnen, der einem Schiffe ohne Segel und Maſten gleich, das auf den Wellen der bewegten Zeit umhertreibt, nur durch die weiſe Führung eines großen Staats - mannes nicht allein erhalten wurde, ſondern wie ein Phönix neu erſtand. Bei einem ſo umfaſſenden Unternehmen dürften die Fundamentalgeſetze des Staates nicht mißachtet werden, und zu dieſen zählten die Verord -71Staatsſchulden-Geſetz.nungen über den Staatsrath und das Staatsminiſterium, welche bis etwas Anderes an die Stelle tritt, als die Charte des Reichs zu gelten hätten. Der Ausfall in den Staatseinnahmen, welchen die Verzögerung der Steuergeſetze bewirken würde, könne äußerſten Falles, wie im Jahre 1808, durch Abzüge von den Gehältern der Beamten gedeckt werden. Kein an - deres Motiv leitet mich ſo betheuerte Witzleben ſchließlich als meine Ueberzeugung von der Wichtigkeit der Sache und die Beſorgniß, den in den Annalen des Vaterlandes glänzenden Namen eines Mannes durch die Verletzung von ihm ſelbſt gegebener Geſetze befleckt zu ſehen. *)Witzleben, unterthäniges Promemoria, 16. Jan. 1820. C. Dieterici, zur Ge - ſchichte der Steuer-Reform in Preußen, Berlin 1875, theilt (S. 235) Einiges aus dieſer Denkſchrift mit, bezeichnet ſie aber irrthümlich als eine dem Staatskanzler zugegangene königliche Inſtruktion.

Hardenberg ließ ſich ſelbſt durch dieſe herzlichen Mahnungen keines - wegs überzeugen, doch durfte er dem erklärten Willen des Monarchen nicht zuwiderhandeln. Aber auch der König hatte inzwiſchen eingeſehen, daß die Regelung des Schuldenweſens nur bei unverbrüchlicher Verſchwiegen - heit möglich war, und ſo einigte man ſich denn auf Rother’s Vorſchlag über einen Mittelweg. Man beſchloß, die Rechte der beiden höchſten Be - hörden, ſo weit es noch anging, zu wahren, alſo die ſämmtlichen Steuer - geſetze, die in der That auch ſachlich noch einer erneuten Prüfung be - durften, dem Miniſterium und dem Staatsrath zu überweiſen, aber die Edikte über die Staatsſchuld ſofort zu verkündigen. **)Rother an Hardenberg, 16. Jan.; Hardenberg an Rother, 16. Jan.; Harden - berg’s Tagebuch, 16., 17. Jan. 1820.

Am 17. Januar 1820 erſchien demnach die Verordnung wegen der Behandlung des Staatsſchuldenweſens, welche den Staatsſchuldenetat feſtſtellte und auf immer für geſchloſſen erklärte. Vier volle Jahre nach dem Friedensſchluß lernten die Preußen endlich das traurige Vermächtniß der napoleoniſchen Tage kennen. Am Ende des Jahres 1806 hatte die Schuld nicht ganz 54½ Mill. Thlr. betragen; jetzt belief ſie ſich auf 180,091,720 Thlr. verzinsliche Staatsſchulden, dazu noch 11,24 Mill. unverzinsliches Papiergeld und 25,9 Mill. vom Staate übernommene Pro - vinzialſchulden, insgeſammt 217,248,762 Thlr., etwa ſo viel wie die Staatseinnahmen von Jahren. Den Hauptpoſten der verzinslichen Schuld bildeten 119,5 Mill. Staatsſchuldſcheine. Dies im Jahre 1810 durch Hardenberg eingeführte Papier wurde ſeit dem 1. Juli 1814 wieder regelmäßig mit vier von Hundert verzinſt, und es lag im Plane, nach und nach alle Schuldverſchreibungen des Staates in Staatsſchuldſcheine umzuwandeln. Bereits waren vierundzwanzig verſchiedene Arten von Schuldſcheinen, wie ſie die wilde Zeit dem Staate aufgebürdet hatte ruſſiſche Bons und polniſche Reconnaiſſancen, rückſtändige Gehaltbons72III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.und Lieferungsſcheine, Kalkreuth’ſche Danziger Obligationen u. ſ. w. in Staatsſchuldſcheine umgeſchrieben. Man verfuhr dabei mit einer Ehr - lichkeit, die in der europäiſchen Finanzgeſchichte kaum ihres Gleichen findet. So hatte König Jerome die mit ſeinen altpreußiſchen Provinzen übernom - menen Landesſchuldverſchreibungen auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgeſetzt. Als die Lande dann zu ihrem alten Herrſcher zurückkehrten, war der Gewaltſtreich längſt verſchmerzt, und Preußen nach Völkerrecht unzweifelhaft nur verpflichtet, ſeinen Antheil an der weſtphäliſchen Schuld, wie ſie lag, zu übernehmen; der König aber wollte keinen Makel auf dem preußiſchen Namen dulden und ließ trotz der Noth der Finanzen die Schuld wieder nach ihrem vollen Werthe (7,2 Mill.) anerkennen, auch den über - raſchten Gläubigern die Zinſen für 1814 und 1815 nachzahlen. Und ſelbſt dieſe That peinlicher Rechtſchaffenheit ward von der verſtimmten vornehmen Geſellſchaft mit übler Nachrede belohnt; Marwitz polterte, da habe der Staatskanzler ſeinen Lieblingen, den Wucherern, wieder einmal ein Geſchenk in den Rachen geworfen.

Der Schulden-Etat geſtand zu, daß nur ein Theil der Staatsſchuld - ſcheine bereits im Umlaufe, ein anderer für die außerordentlichen Bedürf - niſſe der nächſten Zukunft noch zurückbehalten ſei, jedoch er verſchwieg die Höhe dieſer letzteren Summe und er mußte ſie verſchweigen. Denn im Januar 1820 hatte der Staat von den 119,5 Millionen Staatsſchuld - ſcheinen erſt 59,685 Mill. ausgegeben, wovon 4 Mill. bereits wieder ein - gelöſt waren, er behielt alſo die volle Hälfte, an 60 Mill. noch in der Hand um die Straßen - und Feſtungsbauten der nächſten Jahre zu be - ſtreiten und vornehmlich um ſeine ihm ſelber noch unbekannten Schuld - poſten zu decken. Der veröffentlichte Etat gab nicht eine Ueberſicht über die wirkliche Schuldenlaſt, ſondern lediglich einen Voranſchlag, wie ihn Rother mit erſtaunlichem Geſchick, annähernd richtig, aber großentheils nur nach Vermuthungen aufgeſtellt hatte. Der unbeſchreibliche Wirrwarr der aus ſo vielen Territorien zuſammengeronnenen Schuldenmaſſe ließ ſich noch immer nicht ſicher überſehen, und ſo tief lag der Unter - nehmungsgeiſt in dieſem verarmten und entmuthigten Geſchlechte darnieder ſelbſt die Gläubiger zeigten bei der Abwicklung des Schuldenweſens eine unbegreifliche Saumſeligkeit; umſonſt ſetzte der Staat wiederholt Präcluſivtermine für die Anmeldung alter Schuldforderungen, die An - zeigen liefen niemals vollſtändig ein. Welch eine Arbeit, bis man nur die Gewißheit erlangte, daß die Staatsſchuld des Herzogthums Sachſen ſich auf 11,29 Mill. belief; da galt es zunächſt mit der Krone Sachſen, die ſich begreiflicherweiſe ſehr ungefällig benahm, peinliche Verhand - lungen zu führen, und dann mußte man noch mit ſieben ſtändiſchen Körperſchaften abrechnen, denn jeder der ſieben kurſächſiſchen Landestheile beſaß ſeine eigene Staatsſchuld und außerdem noch einen Antheil an den Centralſchulden des kleinen Königreichs. Was Preußen von den Central -73Die Staatsſchuldſcheine.ſchulden des Königreichs Weſtphalen zu übernehmen habe, war noch im Jahre 1827 nicht genau feſtgeſtellt, da Hannover, Braunſchweig und na - mentlich der geizige Kurfürſt von Heſſen bei den Unterhandlungen immer neue Schwierigkeiten erhoben.

In ſolcher Lage mußte die Krone darauf beſtehen, daß ihr noch einige Jahre lang für die Ausgabe neuer Staatsſchuldſcheine die Hände frei blieben, wenn die Regelung des Schuldenweſens nicht ins Unab - ſehbare vertagt werden ſollte; und hierin lag auch der Grund, warum Hardenberg die Berathung im Plenum des Staatsraths ſo ängſtlich zu vermeiden ſtrebte. In Nationen von ſtarkem Staatsgefühl und gereifter volkswirthſchaftlicher Einſicht wird der öffentliche Credit durch die rückhalt - loſe Aufrichtigkeit der Schuldenverwaltung am beſten geſichert; dies Volk aber, das an ſeinen neu erſtehenden Staat noch nicht recht glaubte und jedem abenteuerlichen Gerüchte ſein Ohr lieh, konnte die ganze Wahrheit noch nicht ertragen. Die volle Hälfte der Staatsſchuldſcheine noch nicht ausgegeben! wenn dieſe unerhörte Nachricht durch die Verhandlungen des Staatsraths auf den Markt hinausgedrungen wäre, dann hätte un - zweifelhaft ein paniſcher Schrecken die Geſchäftswelt ergriffen, die Kurſe unaufhaltſam gedrückt und das ganze Reformwerk vereitelt. Tiefe Ver - ſchwiegenheit war vorderhand unerläßlich, und nachdem man ſich einmal an die Heimlichkeit gewöhnt hatte, verblieb man leider auch dabei als ſie längſt nicht mehr nöthig war. Der Nationalökonom Leopold Krug, der einſt den Freiherrn vom Stein zur Gründung des ſtatiſtiſchen Bureaus veranlaßt hatte und jetzt unter Hoffmann’s Leitung in dieſer Behörde thätig war, konnte noch im Jahre 1824 die Erlaubniß zum Drucke ſeiner Geſchichte der preußiſchen Staatsſchulden nicht erlangen. Erſt zehn Jahre ſpäter, 1834, wagte die Staatsſchuldenverwaltung zum erſten male einen Auszug aus ihrem Verwaltungsberichte zu veröffentlichen.

Für die alſo ermittelte Schuldenmaſſe leiſtete der Staat die Gewähr mit ſeinem geſammten Vermögen, insbeſondere mit den Domänen und Forſten. Auch für die Verzinſung der Schuld ſowie für die Ausgaben des Tilgungsfonds, dem der König jährlich ein Procent der gegenwärtigen Schuldenſumme zuwies, wurden zunächſt die Einkünfte aus den Domänen und Forſten, der Erlös der Domänenverkäufe und, ſoweit nöthig, der Er - trag des Salzverkaufes beſtimmt. Die Finanzverwaltung ging jedoch mit der Veräußerung der Domänen ſehr behutſam vor, obwohl die herrſchen - den volkswirthſchaftlichen Theorien allen Staatsgrundbeſitz verwarfen. Sie wußte wohl zu würdigen, welche Erleichterung dem ſo ſchwer beſteuerten Volke aus dem reichen Grundvermögen der Monarchie erwuchs, und ver - äußerte in der Regel nur kleine Parzellen, welche vom Staate unverhält - nißmäßig theuer verwaltet wurden, beim Verkaufe aber, wegen des ſtarken Wettbewerbes, hohe Preiſe erzielten. Solche Verkäufe und Rentenablö - ſungen brachten in den Jahren 1821 27 mehr als 13½ Mill. Thlr.,74III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.einen jährlichen Zinſengewinn von 354,000 Thlr.; und doch blieb die Haupt - maſſe des Domanialbeſitzes erhalten, ſein Geſammtertrag ungeſchmälert. *)Motz, Verwaltungsbericht des Finanzminiſteriums für die Jahre 1825 1827, 30. Mai 1828.

Die geſammte Verwaltung des Schuldenweſens wurde einer beſon - deren Centralbehörde übertragen. Welch ein Aufſehen am Hofe und in den Kreiſen der alten Bureaukratie, als der König in dieſe Hauptver - waltung der Staatsſchulden außer dem Präſidenten Rother und drei an - deren höheren Beamten auch einen titelloſen Kaufmann, David Schickler, den Chef des großen Berliner Bankhauſes berief; nun war der Staat doch unzweifelhaft, wie Marwitz immer vorausgeſagt, mit Haut und Haar den Wucherern verfallen! Die neue Behörde war vollkommen ſelbſtändig und bezog die ihr gebührenden Einkünfte unmittelbar aus den Provinzial - kaſſen; unbekümmert um den Finanzminiſter, der noch immer das Deficit nicht zu bewältigen wußte, konnte Rother die Verzinſung und Tilgung ſo - fort ſtreng nach dem Plane ins Werk ſetzen. Aber mit dieſem neuen Rade ließ ſich die ohnehin ſchwerfällige Maſchine der Finanzverwaltung kaum noch handhaben; die Zerſplitterung der Geſchäfte zwiſchen ſo vielen coor - dinirten Behörden erinnerte ſchon lebhaft an die chaotiſchen Zuſtände von 1806. Neben dem Finanzminiſter ſtand bereits der Miniſter des Schatzes Graf Lottum, der ſoeben den Auftrag erhielt alle Erſparniſſe und Mehr - Einnahmen der laufenden Verwaltung zur Wiederherſtellung des längſt verſchwundenen fridericianiſchen Staatsſchatzes anzuſammeln; unter dieſem wieder, doch in Wahrheit ganz ſelbſtändig ſtand Ladenberg mit ſeiner General-Controle, der unerbittliche Richter über die Staatsausgaben, und nun nahm die neue Schuldenverwaltung dem unglücklichen Finanzminiſter auch noch die Domanialeinkünfte vorweg.

Kein Wunder, daß Klewiz für das Gleichgewicht des Etats nicht ein - zuſtehen, der Staatskanzler die alte Sünde ſeines Beamtenthums, den Streit der Departements kaum noch zu bändigen vermochte. Und leicht war es wahrlich nicht, mit Rother’s unaufhaltſamem Amtseifer ſich zu ver - tragen. Wie der böſe Feind war er dahinter her, wenn irgendwo in einem Winkel der Monarchie eine fiscaliſche Servitut abgelöſt wurde; jeden Thaler aus ſolchem Erlös verlangte er für ſeine Verwaltung, da ja das geſammte Staatsvermögen für die Staatsſchuld hafte; für jeden Gehaltsbon der alten ſüdpreußiſchen Beamten forderte er erſt weitere Be - lege. Einmal wendete ſich das geſammte Staatsminiſterium klagend an den Kanzler: das Ehrgefühl der Regierungen werde verletzt, wenn ſie den Befehlen der Staatsſchuldenverwaltung untergeordnet blieben. Harden - berg aber entſchied: nicht die Perſonen ſind zu ehren, ſondern das Ver - trauen des Monarchen, der vor den Augen der ganzen Nation einen wichtigen Theil der Verwaltung in ihre Hände gelegt hat. So in be -75Schließung der Staatsſchuld.ſtändigem Kampfe mit den anderen Behörden richtete ſich Rother ſeinen Wirkungskreis ein, und er erreichte, daß die Schuldenverwaltung ihren Verpflichtungen mit höchſter Pünktlichkeit nachkam, während in den Jahres - budgets des Finanzminiſters die Unordnung noch lange fortwährte. *)Hardenberg an das Staatsminiſterium, 26. Juni 1821, an Rother, Februar 1821, an den Schatzminiſter, Februar 1821 u. ſ. w.

Die Börſe nahm den Schulden-Etat wider Verhoffen freundlich auf; die Kurſe hielten ſich auf ihrem alten Stande, da man in der Geſchäfts - welt nach allen den giftigen Gerüchten der letzten Wochen noch ſchlimmere Enthüllungen erwartet hatte. Gleichwohl blieb der Credit des Staates noch immer ſehr unſicher und empfindlich. Als im Sommer 1820 dreißig Millionen von den zurückbehaltenen Staatsſchuldſcheinen ausgegeben werden ſollten, durfte Rother nicht wagen die Papiere einfach an der Börſe zu verkaufen; die Kurſe wären ſonſt zu tief geſunken. Er veranſtaltete viel - mehr mit Hilfe einiger deutſchen Bankhäuſer eine Prämienlotterie und brachte alſo, die Kursdifferenzen geſchickt benutzend, unter günſtigen Be - dingungen 27 Millionen Staatsſchuldſcheine im Publicum unter. Noch im Jahre 1822 konnte eine neue Ausgabe von 24,5 Millionen Staatsſchuld - ſcheinen nur dadurch bewirkt werden, daß man die Scheine durch Ver - mittlung der Seehandlung bei Rothſchild in London verpfändete und der König perſönlich einen Schuldſchein über 3,5 Mill. £ unterſchrieb. Im Ganzen ſind nie mehr als 115 Mill. Staatsſchuldſcheine ausgefertigt wor - den, und dieſe waren niemals ſämmtlich im Umlauf. Es währte noch lange bis die verrufenen preußiſchen Papiere ſich wieder einiges Anſehen errangen. Seit 1820 wurden die Staatsſchuldſcheine in Leipzig, ſeit 1824 auch in Hamburg und Frankfurt regelmäßig gehandelt und im Börſen - Kurszettel notirt. Im Jahre 1821 ging der Kurs wieder bis auf 66 herab; dann begann die Beſſerung, 1825 hielt er ſich längere Zeit auf 90 91; aber gleich darauf trat in Folge der Handelskriſis abermals ein Sinken ein, erſt 1828 wurde der frühere Stand wieder erreicht, und im De - cember 1829 konnte Rother dem Könige triumphirend melden, daß die Noth überſtanden und der Pari-Kurs geſichert ſei.

Durch die Schließung der Staatsſchuld ward auch die ſeit Jahren leidenſchaftlich erörterte ſogenannte Peräquationsfrage endlich entſchieden. Das verheißungsreiche Finanzedikt von 1810 hatte auch die Ausgleichung aller Kriegsſchulden der Provinzen verſprochen, indeß ergab ſich bald die Unausführbarkeit dieſer Zuſage. Im Drange der Noth hatte jeder Lan - destheil ſeine Kriegsſchäden nach ſeiner eigenen Weiſe, oft ſehr willkürlich, abgeſchätzt; wo fand ſich ein Maßſtab um dieſe Rechnungen in Einklang zu bringen? Und durfte man die Rheinländer, die Polen, die Kurſachſen, die ſich noch nicht als Preußen fühlten und ſchon die allgemeine Staatsſchuld wie eine aufgedrungene fremde Laſt betrachteten, aufs Neue erbittern, da76III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.die Ausgleichung doch allein den ſchwer heimgeſuchten alten Landen zu gute gekommen wäre? Es blieb nichts übrig als das unbedachte Ver - ſprechen zurückzunehmen und alle eigentlichen Communalſchulden, mit ein - ziger Ausnahme der franzöſiſchen Contributionsgelder, den Provinzen und Gemeinden zu überlaſſen. *)Protokolle des Staatsraths, 20., 27. März 1821 ff.Den Communen der weſtlichen Provinzen wurde im Jahre 1822 die planmäßige Tilgung ihrer Schulden und die Nachzahlung der Rückſtände geſetzlich anbefohlen. Nur ausnahmsweiſe, aus Billigkeitsgründen übernahm der Staat noch 7,9 Mill. Thlr. ſolcher Kriegsſchulden für einige gänzlich hilfloſe Landestheile: die Kur - und Neu - mark, Oſtpreußen und Litthauen; davon entfiel 1,1 Mill. auf das un - glückliche Königsberg ein Tropfen auf einen heißen Stein. Ganz eigene Schwierigkeiten bot die Ordnung des Danziger Schuldenweſens. Die Stadt hatte in den ſieben Jahren ihrer republikaniſchen Selbſtändigkeit eine Schuld von beinahe 12 Mill. Thlr. aufnehmen müſſen, ihre Obli - gationen ſtanden auf 33⅓, und Niemand wußte zu ſagen, wie viel von jener Summe als Staatsſchuld, wie viel als Communalſchuld zu be - trachten ſei. Die Gemeinde war gänzlich verarmt, der preußiſche Staat aber konnte unmöglich zum Beſten einer einzigen Stadt ſeine Staats - ſchuld um den zwanzigſten Theil vermehren. So entſchloß man ſich denn, in dieſem einen Falle von dem Grundſatze der unbedingten Anerkennung aller Staatsſchulden abzugehen. Die Danziger Schuld wurde, dem Bör - ſenkurſe entſprechend, auf ein Drittel ihres Nennwerthes herabgeſetzt; für die Verzinſung und Tilgung zahlte das Gebiet des ehemaligen Freiſtaats 30,000 Thlr., der preußiſche Staat aber den ganzen Ueberſchuß, den er aus dieſem Gebiete bezog, 115,000 Thlr. jährlich.

Alles in Allem betrug die Staatsſchuld im Jahre 1822 etwa 20 Thlr., ihre Verzinſung etwa 25 Sgr. auf den Kopf der Bevölkerung, wahrlich keine leichte Laſt für ein armes Volk. Aber ſie ward ertragen. Bis zum Jahre 1848 wurden 173½ Mill. Zinſen gezahlt, 80½ Mill. vom Ka - pital getilgt und daneben noch der neue Staatsſchatz angeſammelt, der im Jahre 1835 über 40 Mill. enthielt.

Faſt noch wichtiger als der finanzielle war der politiſche Inhalt des Staatsſchuldengeſetzes, das nach Hardenberg’s Anſicht nicht blos die Ord - nung im Staatshaushalte wieder herſtellen, ſondern auch den Abſchluß des Verfaſſungskampfes ſichern ſollte. Im dritten Artikel der Verord - nung ſtand hinter der Beſtimmung, daß der Staat mit allen ſeinen Do - mänen für die Schuld Gewähr leiſte, der unſcheinbare Zuſatz: mit Aus - nahme der Domänen, welche zur Aufbringung des jährlichen Bedarfs von 2,5 Mill. für den Unterhalt der königlichen Familie erforderlich ſind. Mit dieſem beiläufigen Satze vollzog ſich eine folgenreiche Veränderung des preußiſchen Staatsrechts. Die Krone hatte bisher die Bedürfniſſe77Die Staatsſchuld und die Reichsſtände.des Hofhalts nach freiem Ermeſſen aus den Domanialeinkünften beſtritten; jetzt ſchrieb ſie ſich ſelber ein unüberſchreitbares Jahreseinkommen vor, eine beſcheiden bemeſſene Summe, die nur bei knapper Wirthſchaft aus - reichte, da die Ausgaben des Hofes durch die Erwerbung der neuen Pro - vinzen beträchtlich geſtiegen waren. Der abſolute König bezog alſo fortan, gleich den conſtitutionellen Fürſten, eine geſetzliche Civilliſte; indeß wurde der verrufene moderne Name vermieden und das königliche Einkommen nicht wie in mehreren der ſüddeutſchen Staaten blos für die Lebenszeit des Landesherrn, ſondern ein - für allemal feſtgeſtellt, was der Würde des Thrones beſſer entſprach. Die Prinzen erhielten auch keine Apanagen vom Staate, ſondern der König blieb, den Traditionen der Hohenzollern ge - mäß, das unbeſchränkte Oberhaupt des königlichen Hauſes, er beſtimmte den Mitgliedern der Dynaſtie ihr Einkommen nach alten Vorſchriften und Teſtamenten, die als Familiengeheimniß behandelt wurden. Damit ward ein ſchweres Hinderniß der Verfaſſung aus dem Wege geräumt, da Fried - rich Wilhelm ſo unziemliche Verhandlungen, wie ſie der badiſche Landtag über das Einkommen des Fürſtenhauſes geführt, nie ertragen hätte, und zugleich den künftigen Reichsſtänden ein wirkſames Recht gewährt; denn ohne deren Genehmigung durfte die Krone fortan die zur Verzinſung und Tilgung der Staatsſchuld beſtimmten Domanialeinkünfte nicht mehr ſchmälern.

Das ganze Schuldenweſen ſollte künftighin den Reichsſtänden unter - geordnet werden; nur unter ihrer Mitgarantie, ſo verſprach der Artikel 2, konnte der König neue Anleihen aufnehmen. Bis ins Einzelne wurden die Rechte der reichsſtändiſchen Verſammlung im Voraus beſtimmt. Die Schuldenverwaltung erhielt den Auftrag, den Reichsſtänden jährlich Rechen - ſchaft abzulegen; ſchied eines ihrer Mitglieder aus, ſo hatten die Reichs - ſtände dem Könige drei Candidaten zu bezeichnen. Einſtweilen ſollte der Staatsrath dieſe ſtändiſchen Rechte ausüben; zur Aufbewahrung der ein - gezogenen Obligationen aber wurde vorläufig, bis zur Einberufung des allgemeinen Landtags, eine Deputation des Berliner Magiſtrats hinzu - gezogen eine Vorſchrift, die, ſeltſam und willkürlich wie ſie war, offen - bar nur als Nothbehelf für kurze Zeit dienen ſollte. Alle dieſe Zuſagen hatte der König unbedenklich genehmigt. Der Staatskanzler glaubte ſich ſchon faſt am Ziele ſeiner Wünſche. Nach allen dieſen neuen Verhei - ßungen ſchien die Vollendung der Verfaſſung unausbleiblich, und mit ſchwerem Herzeleid betrachtete der Badener Berſtett, der Getreue Metter - nich’s, dies unglückliche Edikt, das ſo ſchlimme Mißdeutungen veranlaſſen müſſe. *)Berſtett an General Stockhorn, Januar 1820.Wohl war es ein gefährliches Wagniß, daß Hardenberg wieder wie ſo oft ſchon das königliche Wort für eine unbekannte Größe verpfändete, die Rechte der Krone zu Gunſten eines Reichstags, der noch gar nicht78III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.beſtand, im Voraus beſchränkte. Indeß er hoffte jetzt beſtimmt den allge - meinen Landtag ſchon in Jahresfriſt zu eröffnen, und bis dahin konnte man eine neue Anleihe ſicher vermeiden; ſelbſt wenn ein Krieg über Nacht hereinbrach, beſaß der Staat noch einen Nothpfennig an den zurückbe - haltenen Staatsſchuldſcheinen. Die Zuſage der ſtändiſchen Mitwirkung war auch durch finanzielle Rückſichten geboten; denn nur darum fand das Schulden-Edikt bei der Geſchäftswelt eine ſo günſtige Aufnahme. Selbſt Rother, der keineswegs zu den liberalen Parteimännern gehörte, erklärte offen, ohne Reichsſtände könne der öffentliche Credit nicht mehr auf die Dauer geſichert werden.

Die Hoffnungen der Verfaſſungsfreunde begannen ſich wieder zu be - leben. Marwitz aber meinte, durch die neue Civilliſte und den Verkauf der Domänen verliere der König ſeine Wurzel im Staate, während um - gekehrt der liberale Schön klagte, ſeit der Errichtung des Kronfideicommiſſes ſei der Monarch nur noch der erſte der Landjunker. Nach der Anſicht des Führers der brandenburgiſchen Adelspartei hätte man einfach die Staatsſchuld auf ein Drittel oder ein Zehntel ihres Nennwerthes herab - ſetzen ſollen, da die Zinſen doch nur den Wucherern den Beutel füllten. Und zu allem Unheil vollzog der Staatskanzler gleichzeitig mit dem Schul - den-Edikte den längſt vorbereiteten nothwendigen Eingriff in die ſtändi - ſchen Inſtitutionen Brandenburgs. Da der Staat mit der geſammten Staatsſchuldenmaſſe auch die alte bisher von den Ständen der Kurmark verwaltete brandenburgiſche Staatsſchuld wieder ſelbſt übernahm, ſo wurde die kurmärkiſche Landſchaft mitſammt ihren Biergelds -, Hufen - und Gie - belſchoßkaſſen von Rechtswegen aufgehoben. Die ſonſtigen ſtändiſchen Verhältniſſe , erklärte der König, ſollten dadurch nicht berührt, ſondern ſpäter auf Grund der Verordnung vom 22. Mai neu geregelt werden. Als die Ritterſchaft in einer höchſt unehrerbietigen Vorſtellung ihre an - geblich verletzten Rechte verwahrte, ertheilte ihr der Monarch eine ſcharfe Rüge. Der Oberpräſident nahm das Berliner Landhaus in Beſitz; die Führer der Ritterſchaft verweigerten jede Mitwirkung, Allen voran der alte Miniſter Voß-Buch. Alſo erſchien Hardenberg wieder, wie vor neun Jahren, als der rückſichtslos entſchloſſene Bändiger des märkiſchen Adels. Friedrich Buchholz aber, der früher die Herrlichkeit märkiſcher Stände - freiheit geprieſen, hielt nunmehr für zeitgemäß, in der Neuen Monats - ſchrift für Deutſchland zu beweiſen, daß die Wiederherſtellung der alten Zuſtände unmöglich ſei; nur eine wirkliche Volksvertretung könne der neuen Zeit genügen.

Auch der ſtändiſche Partikularismus der rheiniſch-weſtphäliſchen Edel - leute begegnete kalter Ablehnung. Sie waren vor Kurzem von dem Juſtizminiſter abgewieſen worden, als ſie um Wiederherſtellung des privi - legirten Gerichtsſtandes baten. Jetzt beſchwerten ſich die Stände der Grafſchaft Mark, an ihrer Spitze abermals der raſtloſe Bodelſchwingh -79Die Seehandlung.Plettenberg, über die neuen Steuern und verlangten Fixation der Steuern für die Grafſchaft Mark, um dadurch den unſeligen Immoralitäten, dem Untergange ſo vieler Familien und des Bodenbaues, ja dem Verfall der ganzen Provinz vorzubeugen . Den Einwand, daß die Fixation der Branntweinſteuer ohne Abſperrung der Provinz ſich nicht durchführen laſſe, beſeitigten ſie mit der einfachen Verſicherung, bei den hohen Ge - treidepreiſen der Grafſchaft ſei Branntweinausfuhr dort nie gedenkbar . Der König erwiderte, er könne nicht eingehen auf den Antrag, den Sie in Gemeinſchaft mit einigen andern Gutsbeſitzern und Städtebewohnern der Grafſchaft Mark an Mich haben gelangen laſſen , und ermahnte, die Opfer darzubringen, welche die Nothwendigkeit und das Wohl des gemeinſamen Vaterlandes erfordern . Darauf eine neue Eingabe: ſchmerz - haft war es, hier zum erſten Male unſere Eigenſchaft als Stände beſeitigt zu ſehen. Der Staatskanzler blieb unerſchütterlich und ſtellte endlich, wie früher erzählt, am 10. Mai den allgemeinen Grundſatz auf: der Staat er - kenne die von der Fremdherrſchaft aufgehobenen Stände nicht mehr an. *)Eingaben der Stände der Grafſchaft Mark, 31. Jan., 30. April; Antwort des Königs, 27. Febr. 1820.

So ſchien denn der altſtändiſchen Bewegung wieder der feſte Wille der Majeſtät des Staats entgegenzutreten. Auch das unſelige Mißtrauen, das Metternich’s und Wittgenſtein’s Einflüſterungen in der Seele des Monarchen erweckt, verſchwand zu Zeiten. Als die Berliner Stadtver - ordneten einen großen Verein zu bilden dachten, der durch freiwillige Bei - träge die Staatsſchuld abtragen ſollte, lehnte der König (2. März) das naive Anerbieten als unnöthig ab und dankte gerührt: ich weiß, daß ich auf die ſtandhafte Ergebenheit meiner treuen Unterthanen, wie ſie ſolche in der jüngſt verfloſſenen Zeit zum unſterblichen Ruhme des preußiſchen Namens gegen mich und das Vaterland bewieſen haben, mit Vertrauen und Zuverſicht zählen kann. Die hellen herzbewegenden Klänge aus dem Jahre 1813 tönten wieder in die verſtimmte und verbitterte Zeit hinein.

An dem nämlichen Tage, da die Staatsſchuld geſchloſſen wurde, erhielt die ganz verfallene fridericianiſche Seehandlung eine neue Ver - faſſung. Sie ſollte fortan als ein unabhängiges Bankhaus, unter Ge - währleiſtung der Krone, die Geldgeſchäfte des Staates beſorgen und ihn bei ſeinen Credit-Operationen unterſtützen. Da Rother an ihre Spitze geſtellt wurde, ſo leiſtete ſie, mit der Staatsſchuldenverwaltung zuſammen - wirkend, erſprießliche Dienſte bei der Aufnahme der ausländiſchen An - leihen. Die überſeeiſchen Handelsgeſchäfte, welche ſie bald nachher wieder begann, erwieſen ſich ebenfalls als vortheilhaft, ſo lange die Rheder und Kaufleute ihren Unternehmungsgeiſt noch nicht wiedergefunden hatten. Ihre Schiffe waren die erſten, welche die preußiſche Flagge um die Erde80III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.trugen, während vordem die Fahrzeuge der deutſchen Oſtſeehäfen nur ſelten einmal über Bordeaux und Liſſabon hinausgelangten; ſie eröffnete den Webern des Rieſengebirges zuerſt den wichtigen Markt der ſüdameri - kaniſchen Kolonien, und da ihre Matroſen der Militärfreiheit genoſſen, ſo erhielt ſie dem Lande einen Stamm von erprobten einheimiſchen See - leuten. Die Schattenſeiten dieſes Staatsbetriebs zeigten ſich erſt in einer ſpäteren Zeit, als Rother, ſeiner Erfolge froh, eine ganze Reihe ver - ſchiedenartiger landwirthſchaftlicher und induſtrieller Unternehmungen für die Seehandlung erworben hatte.

Während alſo für die Herſtellung des Staatscredits geſorgt wurde, begann auch die Preußiſche Bank ſich von ihrer Zerrüttung langſam zu erholen. Wie glänzend hatte dieſe Schöpfung Friedrich’s des Großen einſt dageſtanden in dem behaglichen Jahrzehnt nach dem Baſeler Frieden. Aber ihre Blüthe war immer nur ſcheinbar. Unter der gedankenloſen Leitung Schulenburg-Kehnert’s hatte die Bank ihren eigentlichen Zweck, die Unter - ſtützung des Handels durch Vorſchüſſe und die Beförderung des Geldum - laufs, ganz aus den Augen verloren und ſich in eine große Sparkaſſe verwandelt, welche die Kapitalien der Waiſen und milden Stiftungen auf - nahm, um ſie an die Grundbeſitzer, vornehmlich in den polniſchen Landes - theilen auszuleihen. Als Stein kurz vor dem Kriege von 1806 das Finanzminiſterium übernahm, erkannte er ſofort die Gefahr und verbot der Bank, ihr Kapital hypothekariſch feſtzulegen. Zu ſpät. Der Krieg brach aus, die polniſchen Provinzen ſtanden auf und mit einem Schlage fiel der Credit der Bank zuſammen. Dann folgte noch der ruchloſe Ge - waltſtreich der Bayonner Convention: Napoleon raubte dem Art. 25 des Tilſiter Friedens offenbar zuwider die auf den polniſchen Gütern haftenden Schuldforderungen der öffentlichen Anſtalten Preußens und ver - kaufte ſie der ſächſiſch-polniſchen Regierung. Die Bank verlor an 10 Mil - lionen, volle zwei Fünftel ihrer geſammten Activmaſſe, namenloſes Elend brach über ihre Gläubiger herein. Jahrelang mußte ſie ihre Zinszah - lungen einſtellen und ward überdies von der bedrängten Staatsgewalt noch nach 1815 mehrmals zu Vorſchüſſen genöthigt. Erſt am 3. Nov. 1817 wurde die Bank, auf Rother’s Rath und gegen Bülow’s Wider - ſpruch, von der Finanzverwaltung abgetrennt und als eine ſelbſtändige Creditanſtalt unter der Aufſicht des Staatskanzlers und eines Curatoriums neu geordnet. Aber wie hoffnungslos ſchien die Lage. Die ſeit der Kata - ſtrophe überaus nachläſſig geführten Bücher wieſen einen Ueberſchuß von 920,000 Thlr. nach. In Wirklichkeit beſtand ein Deficit von 7,192 Mill.; denn die Bank hatte über 26 Mill. Schulden zu verzinſen, und von reichlich 27 Mill. Forderungen mußten, wie ſich nach und nach heraus - ſtellte, 8 Mill. als völlig werthlos abgeſchrieben werden, im Augenblicke trugen ſogar 15¼ Mill. keinen Zins. Alle Welt erwartete, die nächſten Jahre würden nur zu einer anſtändigen Liquidation benutzt werden.

81Preußiſche Bank. Frieſe.

Nur der neue Bankpräſident Frieſe verzweifelte nicht. Einer der freieſten Köpfe aus Schrötter’s oſtpreußiſcher Beamtenſchule, hatte Frieſe einſt unter Stein, unter Dohna, unter Hardenberg faſt bei allen Ver - waltungsreformen mitgewirkt, nachher als Mitglied von Stein’s Central - verwaltung die deutſchen Kleinſtaaten genau kennen gelernt, dann wäh - rend der Occupation das verwickelte Finanzweſen des Königreichs Sachſen geleitet und ſoeben endlich die ſchwierige Auseinanderſetzung mit dem Dresdener Hofe zu Stande gebracht. Obwohl er nicht zu Hardenberg’s engerem Kreiſe gehörte, ſtand er doch den conſtitutionellen Plänen des Kanzlers unter allen hohen Beamten am nächſten; er hoffte mit Zuver - ſicht auf das politiſche und wirthſchaftliche Erſtarken des Bürgerthums, das er als den Kern der Nation betrachtete, und wollte an ſeinem Theile bei dieſem großen Umſchwung mitwirken; er traute ſich’s zu, dieſe ver - kommene Bank ihrem urſprünglichen volkswirthſchaftlichen Berufe zurück - zugeben. Bei einiger Kühnheit hätte der Staat wohl wagen können, die Bank mit einem Stammkapitale, das ihr immer gefehlt hatte, auszuſtatten, aber das Mißtrauen gegen ihre Lebenskraft war noch unüberwindlich, und eine Erhöhung der Staatsſchuld ſchien nicht rathſam. Die Bank wurde alſo vollſtändig von dem Finanzminiſterium abgeſondert, zwar durch Staats - beamte verwaltet, doch ausſchließlich auf ihre eigenen Mittel angewieſen; und nun galt es, ein Menſchenalter hindurch ohne eigenes Vermögen zu wirthſchaften, mit einem Deficit, das dem Publikum ſtreng verborgen bleiben mußte, denn die Enthüllung des wirklichen Zuſtandes ihrer ſoge - nannten Activa wäre, in dieſen erſten Jahren mindeſtens, ihr ſicherer Untergang geweſen.

Frieſe ließ ſofort das geſchloſſene Lombardgeſchäft wieder eröffnen, knüpfte mit der neuen Corporation der Berliner Kaufmannſchaft, die ſo - eben (1820) an der Stelle der beiden altväteriſchen Kaufmannsgilden entſtanden war, Geſchäftsverbindungen an, ließ in den Provinzen nach und nach neun Bankcontore und Commanditen errichten; er beſchränkte ſich weſentlich auf bankmäßige Geſchäfte, Depoſiten, Lombards, Wechſel - discontirung, ſo daß die Bank ihre Forderungen jederzeit leicht realiſiren konnte, und wahrte ihr ſtreng den Charakter einer Handelsanſtalt. Da die Seehandlung die Creditgeſchäfte des Staates zu beſorgen hatte, ſo verweigerte die Bank dem Finanzminiſter grundſätzlich jeden Vorſchuß und ſtand mit ihm nur dadurch in Verbindung, daß ſie zur Verſtärkung ihrer Baarvorräthe die Einziehung der Ueberſchüſſe aus den Staatskaſſen über - nahm. Der Erfolg dieſes neuen, klug und gewiſſenhaft geleiteten kauf - männiſchen Verkehrs übertraf alle Erwartungen. Der Geſchäftsumſatz der Bank, der im Jahre 1818 noch nicht 44 Millionen betragen hatte, überſtieg im Jahre 1829 bereits 232 Millionen; in derſelben Zeit hob ſich ihr Baarvorrath von 938,000 Thlr. auf 5,3 Millionen und die Ge - ſammtſumme ihrer leicht realiſirbaren Activa von etwas über 1 Mill. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 682III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.auf nahezu 13 Millionen. Die Unfertigkeit der verkommenen volkswirth - ſchaftlichen Zuſtände ward ihr freilich oft fühlbar. Ueberall in dem ver - armten Europa ſtand der Disconto ſehr hoch, bis auf 10 Procent, und kaum irgendwo ſprang er ſo plötzlich auf und nieder wie in Berlin, da die Bank durch die Armſeligkeit ihrer Mittel gezwungen wurde, ſich vor - ſichtig geſchloſſen zu halten. Im Jahre 1821 ſchwankte ihr Discont zwi - ſchen 3 und 8, zuweilen in wenigen Tagen um 2 bis 3 Procent; erſt ſechs Jahre ſpäter war ſie ſo weit erſtarkt, daß ſie ſich ſelber einen un - überſchreitbaren höchſten Discontoſatz vorſchreiben konnte.

Noch im Jahre 1824 erboten ſich die Rothſchilds und einige andere große Firmen unter ſehr verlockenden Bedingungen, ein Actienunternehmen an der Stelle der preußiſchen Bank zu gründen; der König aber wurde durch Niebuhr über die Hintergedanken der Bankiers aufgeklärt und ver - warf den Plan, obgleich Wittgenſtein und Bülow ſich lebhaft dafür ver - wendeten. Nach und nach begann auch die Meinung der kaufmänniſchen Welt dem verrufenen Inſtitute günſtiger zu werden, da ſich ſein neuer Geſchäftskreis zum Segen des Handels beſtändig erweiterte, und man hielt die Bank bereits für gerettet. In Wahrheit ſtand Alles anders. Derweil der neue Verkehr ſo günſtigen Fortgang nahm, mußte Frieſe in aller Stille die verworrene Schuldenmaſſe aus dem alten Verkehr der napoleoniſchen Zeiten abtragen eine verzweifelte Arbeit, die jeden Ge - winn des neuen kaufmänniſchen Geſchäfts unerbittlich verſchlang und die Bank aus einer Bedrängniß in die andere ſtürzte. Zwar die Bayonner Convention war auf dem Wiener Congreſſe durch einen preußiſch-ruſſiſchen Vertrag förmlich aufgehoben worden. Aber wie nun die 10 Millionen Schulden eintreiben von den Grundherren des vormaligen Herzogthums Warſchau, die faſt alleſammt weder zahlen konnten noch wollten? Schon in Poſen und Weſtpreußen konnte Frieſe ſeine Forderungen nur unter ſchweren Verluſten durchſetzen, ſelbſt die Zwangsverſteigerung fruchtete nichts; da ſich in den armen Landſchaften keine Käufer fanden, ſo blieb nichts übrig, als einen Theil der verſchuldeten Güter für die Bank ſelbſt zu übernehmen und ſie zu gelegener Zeit zu veräußern. Nun gar im Königreich Polen: welch ein endloſer Streit mit feindſeligen Schuldnern, feilen Gerichten und betrügeriſchen Anwälten! Die neue polniſche Regie - rung zeigte ſich dabei faſt ebenſo böswillig wie einſt die ſächſiſch-war - ſchauiſche. Auch hier mußte Frieſe große Gütercomplexe für die Bank ankaufen und ſchließlich noch froh ſein, als er im Mai 1830 den unwill - kommenen, koſtſpieligen Beſitz um einen lächerlichen Preis an die polniſche Regierung wieder verkauft hatte; denn unmittelbar nachher ward das unglückliche Polen durch einen neuen Aufſtand abermals zerrüttet.

Unter ſolchen Umſtänden gelang es zwar mit der äußerſten Anſtren - gung bis zum Jahre 1828, die Schulden aus dem alten Verkehr bis auf 2 Mill. gänzlich abzutragen, aber das wirkliche Deficit der Bank betrug,83Der neue Etat.als Frieſe ſtarb, zu Anfang 1837 noch immer reichlich Mill., war mithin erſt um kaum Mill. vermindert. Auch an Mißgriffen hatte es nicht gefehlt, da die Bank um jeden Preis Gewinn erzielen mußte und darum eine Zeit lang einen Metall - und Papierhandel betrieb, der ihrer Beſtimmung nicht entſprach. Immerhin waren die Dinge in gutem Gange, ſeit ſie ſich der unglücklichen polniſchen Güter entledigt hatte, und es bleibt Frieſe’s Verdienſt, daß dieſe Bank, die älteſte in Europa nach der engliſchen und der Hamburger, allein durch ihre eigene Kraft ſich aus hoffnungsloſem Verfalle wieder emporhob, während ſo viele andere rings umher ſchwächeren Stürmen erlagen.

Nunmehr begann der zweite ſchwierigere Act der Reformarbeit. Har - denberg hatte den Jahresbedarf durch Rother und andere Finanzmänner wiederholt prüfen laſſen und nach mehrfachen Streichungen ſchließlich die Ueberzeugung gewonnen, daß der Staat mit weniger als 56 Millionen ſeine regelmäßigen Ausgaben nicht decken könne; dies ergab ein wahr - ſcheinliches Deficit von 12 oder, wie Rother annahm, von 9 Mill. *)Rother, freimüthige Aeußerungen den Staatshaushalt betreffend, 12. Decbr. ; Witzleben, Denkſchrift über den Zuſtand der Finanzen, December 1819.Eine ſolche Belaſtung ſeines armen Volkes wollte der König jedoch nimmermehr dulden; er berief daher im December 1819 auf Witzleben’s Vorſchlag eine neue Commiſſion, der auch der geſtrenge Ladenberg angehörte, und dieſe ſtrich dann unbarmherzig Alles, was nur irgend entbehrlich ſchien. Die Geſammtkoſten des auswärtigen Amtes wurden auf 600,000 Thlr. beſchränkt. Die Repräſentationsgelder der Diplomatie ſanken bis unter die Grenzen des Anſtandes herab, und viele Jahre hindurch geſchah es nur ganz ſelten, daß einmal ein preußiſcher Geſandter einen Kurier ab - zuſenden wagte; alle eiligen Briefſchaften wurden regelmäßig durch die Kabinetskuriere befreundeter Mächte oder durch zuverläſſige Reiſende be - fördert. Die Heeresausgaben bis auf 23 Mill. herabzuſetzen, übernahm der König ſelbſt; er beſeitigte nicht nur eine Reihe überflüſſiger Poſten ſo auf den eigenen Antrag des Gouverneurs Gneiſenau den Aufwand für das Berliner Gouvernement , er ließ ſich auch durch ſeine landes - väterliche Gewiſſenhaftigkeit zu manchen Abſtrichen verleiten, welche die Schlagfertigkeit des Heeres ſchädigen mußten. Vergeblich warnte der treue Witzleben. **)Hardenberg’s Tagebuch, 28. Jan., 3. Febr., 9. Nov. 1820.Der Kriegsminiſter Hacke blieb für ſolche Mahnungen taub; geſchmeidig fügte er ſich in die Herabſetzung des Servis und der Rationen und verſprach ſogar die Rekruten künftighin etwas ſpäter ein - ſtellen zu laſſen. Alſo ward einer der Pfeiler der neuen Heeresverfaſſung, die dreijährige Dienſtzeit ſchon unmerklich erſchüttert, und man näherte ſich wieder jenem Syſteme falſcher Sparſamkeit, das ſich einſt bei Jena ſo furchtbar beſtraft hatte. Während in den neuen Provinzen alle Welt6*84III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.über Friedrich Wilhelm’s unſinnige militäriſche Verſchwendung klagte, wurde im königlichen Cabinet das knapp bemeſſene Budget durch neue Strei - chungen, die zur vollen Hälfte auf die Heeresausgaben fielen, nochmals um 5 Mill. herabgebracht und der Ausgabeetat gleichzeitig mit dem Schuldenetat für geſchloſſen erklärt.

Eine Cabinetsordre vom 17. Januar zeigte dem Staatsminiſterium an, daß die Ausgaben für 1820 die Summe von 50,863,150 Thlr. nicht überſchreiten dürften; durch Verminderung der Beamtenſchaar an den Centralſtellen hoffte der König noch weitere Erſparniſſe zu bewirken. Nach Abzug von reichlich 10 Mill. für die Staatsſchuld betrugen mithin die Jahresausgaben für die eigentliche Staatsverwaltung 40,7 Mill., gegen 26 Mill. im Jahre 1805. Rechnete man aber zu den 51 Mill. die im Voraus abgezogenen Sporteln und Steuererhebungskoſten hinzu, des - gleichen die Rente für das königliche Haus ſowie die Beiträge der Pro - vinzen und Communen für Staatszwecke, ſo ergab ſich ein Geſammt - Aufwand von faſt 70 Mill., das will ſagen: 5 Thlr. 25 Sgr. für den Kopf der mittlerweile auf 12 Mill. gewachſenen Bevölkerung. Der Druck war hart; denn wie tief war der Volkswohlſtand in dieſen fünfzehn Jahren herabgekommen! Aber wie mächtig hatte ſich auch die Thätigkeit des Staates ſeitdem erweitert; was that er jetzt allein für die ſonſt ſo küm - merlich behandelten Unterrichtsanſtalten! Mit dieſen Leiſtungen verglichen erſchien die Summe der Ausgaben ſehr beſcheiden und nur bei ſtrengſter Sparſamkeit genügend. Zugleich befahl der König den Etat fortan alle drei Jahre zu veröffentlichen, damit Jedermann ſich ſelber von der Noth - wendigkeit der Abgabenlaſt überzeugen könne. Damit wurde, zur Freude der Verfaſſungspartei, wieder eine der weſentlichen Inſtitutionen des con - ſtitutionellen Staatsrechts eingeführt. Endlich erhielt das Miniſterium den Auftrag, auf Grund des Etats die Steuergeſetz-Entwürfe binnen vier - zehn Tagen zu begutachten; dann ſollte die Schlußberathung im Staats - rathe ſtattfinden.

Das Staatsminiſterium war ſeit Humboldt’s Sturz ſehr kleinlaut geworden und wagte keinen entſchiedenen Widerſpruch; der einzige grund - ſätzliche Gegner der Steuergeſetze, Bülow ſtand hier wie ſchon in der Steuercommiſſion ganz vereinſamt. Dagegen erhob ſich im Staatsrathe eine erbitterte Oppoſition, die ihre Angriffe nicht blos wider die anfecht - baren Stellen der Entwürfe richtete, ſondern die Nothwendigkeit des ganzen Reformwerks bezweifelte. Seit nunmehr ſieben Jahren wurde die Finanz - verwaltung ohne einen genauen Etat geführt. Dies in Preußen uner - hörte Schauſpiel hatte manchen wackeren Beamten tief verſtimmt, die unſinnigen Märchen, die im Volke umliefen, bis in die Reihen des Staats - rathes hinein verbreitet. Zudem fühlte ſich die höchſte berathende Behörde der Monarchie in ihrer Amtsehre beleidigt. Sie ſollte, nach dem recht - lich unanfechtbaren Befehle des Königs, lediglich über die Steuergeſetze85J. G. Hoffmann.ihr Gutachten abgeben, nicht aber das Jahresbudget nochmals prüfen. Die Frage alſo, ob die Steuererhöhung unumgänglich ſei, dieſe Frage, die alle Gemüther leidenſchaftlich bewegte, durfte der Staatsrath gar nicht erörtern. Seine Verhandlungen wurden daher bald ſehr gereizt, und vergeblich ſuchte Hardenberg durch wiederholte Unterredungen mit dem Kronprinzen den nahenden Sturm zu beſchwören. *)Hardenberg’s Tagebuch, 22., 23. Jan. 1820.

Jene ſiegreiche Macht des Genius, welche einſt aus Stein’s Geſetzen ſo überzeugend geredet hatte, war in den neuen Entwürfen allerdings nicht zu ſpüren. Ueberreich an glücklichen Einfällen hatte Hardenberg in ſeiner vornehmen Läſſigkeit ſich doch um die trockenen Details dieſer Steuergeſetze wenig gekümmert; ihr eigentlicher Urheber, J. G. Hoffmann aber beſaß bei unbeſtreitbarem Talent nicht den ſchöpferiſchen Geiſt des Reformators. Der kleine, von ſeinem eigenen Werthe lebhaft überzeugte Mann, ein geborener Schleſier, rühmte ſich gern der praktiſchen Er - fahrungen, die er nach gründlichen gelehrten Studien in verſchiedenen Fabriken geſammelt hatte; dann erſt, mehr als vierzigjährig, war er, als Kraus Nachfolger auf dem Königsberger Lehrſtuhl, für kurze Zeit in die akademiſche Laufbahn eingetreten. Nach den Kriegen begleitete er den Kanzler zu allen Congreſſen und erwarb ſich durch ſein erſtaunliches Gedächtniß und ſeinen raſtloſen Fleiß bei der geſammten europäiſchen Diplomatie den Ruf eines ſtatiſtiſchen Orakels. Das Berliner ſtatiſtiſche Bureau erhob ſich unter ſeiner Leitung zu einer Muſteranſtalt, deren Arbeiten den Gelehrten und den Praktikern gleich unentbehrlich wurden. Auch er war gleich den meiſten ſeiner Amtsgenoſſen bei Adam Smith in die Schule gegangen und hatte ſchon vor 1806 eine Lanze für die Ge - werbefreiheit gebrochen. Indeß bewahrte ihn ſeine Welt - und Geſchäfts - kenntniß vor manchen Uebertreibungen der Theoretiker. Er ließ es ſich nicht nehmen, daß der Zweck der Volkwirthſchaftspolitik nicht in der höchſtmöglichen Gütermaſſe, ſondern in der Wohlfahrt der Menſchen zu ſuchen ſei und mithin der Staat den Arbeiter gegen die Uebermacht des Un - ternehmers ſchützen müſſe, und zum Entſetzen aller rechtgläubigen Bekenner der engliſchen Doktrinen ſprach er aus, daß die preußiſchen Inſtitutionen der Wehrpflicht und der Schulpflicht auch der Volkswirthſchaft unmittelbar zum Vortheil gereichten. In dieſem Preußen ging all ſein Denken und Trachten auf; ganz und gar ein preußiſcher Beamter, ſchrieb er alle ſeine wiſſenſchaftlichen Werke mit beſonderer Beziehung auf den preußi - ſchen Staat , die Beleuchtung der heimiſchen Geſetze und Zuſtände gelang ihm ſtets glücklicher als die Entwicklung der theoretiſchen Grundgedanken. Dies lebendige Verſtändniß für die Wirklichkeit der vaterländiſchen Dinge war freilich nicht frei von einer ſtillvergnügten Ruheſeligkeit, die ſo weit es irgend anging, das Beſtehende zu entſchuldigen ſuchte. Die alte86III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.Wahrheit, daß jede Steuer von einem Theile der Pflichtigen auf die Schultern Anderer abgewälzt wird und jede gewohnte Abgabe in ihrem Beſtande ſelbſt einen gewiſſen Vorzug beſitzt, war ſo recht nach ſeinem Herzen. Er wußte, daß jede Steuer, wirthſchaftlich betrachtet, ein Uebel iſt, und nichts ſchien ihm vorwitziger als der Verſuch, einer unerreichbaren Gerechtigkeit zu Liebe allzu tief in hergebrachte Lebensverhältniſſe einzu - greifen. In dieſem Geiſte behutſamer Vermittelung waren auch ſeine Geſetzentwürfe gehalten.

Das neue Budget ſchloß mit einem Deficit von mehr als 4 Millionen, und da Hardenberg außerdem noch reichlich 6 Millionen unhaltbarer alter Abgaben in den einzelnen Landestheilen aufzuheben dachte, ſo mußten 10½ Mill. Thlr. durch neue Steuern aufgebracht werden. Um dieſen Ausfall zu decken, erneuerte Hoffmann den Vorſchlag einer allgemeinen, nach Klaſſen abgeſtuften Perſonenſteuer, den er ſchon 1817, im Anſchluß an die Wünſche der Notablenverſammlungen, aufgeſtellt hatte. *)S. o. II. 208.Aber er wagte nicht die Einführung dieſer Steuer für das ganze Staatsgebiet zu beantragen. Seit den Tagen des großen Kurfürſten war das Abgaben - weſen des flachen Landes von dem der Städte immer getrennt geblieben, indem dort die Grundſteuer, hier die Acciſe als Hauptſteuer erhoben wurde; erſt in dem Jahre der großen Hardenbergiſchen Verſprechungen 1810 hatte man gewagt, dieſen tief eingewurzelten Dualismus aufzuheben, aber den verfrühten Verſuch ſchon nach einem Jahre wieder fallen laſſen, und ſeit 1811 beſtanden in den Städten der alten Provinzen wieder mehrere Conſumtionsſteuern, auf dem Lande eine rohe Kopfſteuer. **)S. o. I. 35, 371, 375. (3. Aufl.)An dieſen gewohnten Zuſtänden wollte Hoffmann ſo wenig wie möglich ändern und ſchlug daher vor, die neue Klaſſenſteuer auf das flache Land und die kleinen Städte zu beſchränken, in den größeren Städten dagegen eine un - gleich ergiebigere Mahl - und Schlachtſteuer einzuführen. Zur Ergänzung der beiden Hauptſteuern ſollte eine mäßig bemeſſene Gewerbeſteuer auf einige der einträglichſten Gewerbe gelegt werden.

Das ſchwerſte Hinderniß der Reform lag in der allgemein beklagten Ungleichheit der alten Grundſteuern; ſie zeigte ſich beſonders gehäſſig in Poſen, wo noch von den Tagen der ſarmatiſchen Adelsherrſchaft her die Podymna beſtand, eine nach der Zahl der Rauchfänge erhobene Abgabe, die den kleinen Beſitzer ganz unverhältnißmäßig drückte. Indeß die Aus - gleichung der Grundſteuer war unmöglich ohne die Kataſtrirung des ge - ſammten Gebietes, und ſo lange konnte der erſchöpfte Staat auf ſeine neuen Einnahmen nicht warten. In ſolcher Verlegenheit kam Hoffmann wieder auf den unglücklichen Gedanken der Quotiſirung zurück, der im Staatsrath ſchon vor drei Jahren verworfen, gleichwohl unter den unzu - friedenen Rheinländern und Weſtphalen noch immer warme Vertheidiger87Verwerfung der Quotiſation.fand. Er wollte die Geſammtſumme der Staatsſteuern, mit Ausnahme der Zölle, nach der Kopfzahl auf die Provinzen vertheilen, dann jeder ein - zelnen Provinz ihre Grundſteuern ſowie ihre Staatsſteuern von Wein, Branntwein und Tabak anrechnen und nur den Reſt durch die neuen Steuern aufbringen.

Dies ſchwächliche Zugeſtändniß an die mißleitete öffentliche Meinung ward im Staatsrath ſofort und mit guten Gründen bekämpft. Welche Unbilligkeit, die ausgeſogenen alten Provinzen mit einer höheren Klaſſen - ſteuer zu belaſten als das wohlhabende Rheinland; in Schleſien lagen die wirthſchaftlichen Verhältniſſe ſo verzweifelt, daß auf dem rechten Oder - ufer viele Rittergüter, deren Inventar im Kriege zerſtört war, noch jahre - lang herrenlos blieben, weil ſich kein Käufer finden wollte. Und war es denn ſicher, daß die Rheinländer wirklich eine ſo unbillige Laſt trugen, wie ſie behaupteten? Bei dem kläglichen Zuſtande der Kataſter konnte Niemand dieſe Frage beſtimmt beantworten. Legte man den Maßſtab der Bevölkerung an, der in den preußiſchen Büreaus als der immerhin ſicherſte Werthmeſſer für das Volksvermögen galt und auch bei den Zoll - verhandlungen mit den Nachbarſtaaten regelmäßig angewendet wurde, ſo ergab ſich unzweifelhaft, daß der Kopf der Bevölkerung in der Provinz Sachſen reichlich um die Hälfte mehr Grundſteuern trug als am Rhein, und als vierzig Jahre ſpäter die Ausgleichung der Grundſteuer endlich gelang, da ſtellte ſich heraus, daß bisher nicht die Rheinländer, ſondern die Schleſier, nach dieſen die Weſtphalen und die Sachſen die höchſten Procente vom Reinertrage des Bodens gezahlt hatten. Solche Durch - ſchnittsberechnungen nach der Geſammtbelaſtung der Provinzen gaben über - haupt kein treues Bild von der wirklichen Lage; denn die ärgſten Un - gleichheiten des alten Grundſteuerweſens zeigten ſich innerhalb der ein - zelnen Provinzen. Durfte man den märkiſchen und pommerſchen Bauer, der bereits ſchwere Grundſteuern zahlte, darum noch mit einer erhöhten Klaſſenſteuer beladen, weil in ſeiner Nachbarſchaft zahlreiche ſteuerfreie Ritterhufen lagen? Noch ernſter als alle dieſe berechtigten Bedenken ſchien die Gefahr, welche der Staatseinheit drohte. Wurden die Steuern quoti - ſirt, ſo konnten ſie fortan nur nach Anhörung von acht oder zehn Pro - vinziallandtagen erhöht werden, der Staatshaushalt gerieth abermals, wie vor 1806, unter den lähmenden Einfluß des ſtändiſchen Partikularismus und verfiel wieder in jene hilfloſe Unbeweglichkeit, die zur Zeit der Re - volutionskriege ſo viel Unheil angerichtet hatte. Dieſe Erwägungen, von Bülow nachdrücklich hervorgehoben, gaben den Ausſchlag, der Staatsrath verwarf die Quotiſation mit 36 gegen 13 Stimmen, und der Kanzler ſelber mußte jetzt zugeſtehen, daß die Vorſchläge ſeiner Commiſſion die vorhandene Ungleichheit nicht aufheben, ſondern vielleicht noch verſtärken würden. *)Hardenberg’s Votum über die Quotiſation, 19. April 1820.Alſo wurde das ſchlimmſte Gebrechen der neuen Entwürfe88III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.glücklich beſeitigt, und mit Genugthuung bemerkte der König, daß er doch nicht ohne Grund, unbeirrt durch Hardenberg’s Widerſpruch, auf der noch - maligen Befragung des Staatsraths beſtanden hatte.

Auch der Plan der Klaſſenſteuer erſchien, wie er vorlag, noch ſehr unfertig, faſt roh. Hoffmann war und blieb ein Gegner der Einkommen - ſteuer; da man ſie im Jahre 1812, in der Zeit der äußerſten wirthſchaft - lichen Zerrüttung, nicht hatte durchſetzen können, ſo hielt er kurzweg für ausgemacht, daß ſie eine gehäſſige und unpraktiſche Abgabe ſei. In der That war der Zuſtand der Volkswirthſchaft für dieſe Form der Beſteue - rung noch nicht reif. Wohl neun Zehntel der Bauern, die noch in den Gewohnheiten altväteriſcher Naturalwirthſchaft dahinlebten, wußten ihr eigenes Einkommen nicht in Geld abzuſchätzen; die höheren Stände aber mußten erſt an die direkte Steuer gewöhnt werden, nimmermehr hätten ſie ertragen, daß der Staat ihnen genaue Rechenſchaft über ihr Einkom - men abforderte. Daher begnügte ſich Hoffmann, die geſammte Bevöl - kerung nach den durchſchnittlichen Lebensgewohnheiten in vier große Klaſſen einzutheilen, die er mit doktrinärer Zuverſicht für die vier natürlichen Stände der deutſchen Geſellſchaft ausgab: in der erſten Klaſſe ſollten jähr - lich 24 Thaler von jeder Haushaltung, in der vierten ein halber Thaler von jeder erwachſenen Perſon erhoben werden. Ohne es zu ahnen, betrat der gelehrte Statiſtiker damit einen Weg, der ſchließlich zu der verab - ſcheuten Einkommenſteuer führen mußte. Beſchwerden wider die Ein - ſchätzung in jene willkürlich angenommenen vier Klaſſen konnten gar nicht ausbleiben; wollte man ihnen gerecht werden, ſo blieb zuletzt doch nichts übrig, als eine ſchärfere Prüfung des Einkommens der Pflichtigen.

Der Gedanke der Einkommenſteuer hatte während der letzten Jahre in der Stille ſeinen Weg gemacht und wirkte noch mit dem ganzen Reize der Neuheit; erſt die Erfahrung ſollte lehren, daß auch das Einkommen, ſo lange man ſeine verſchiedenen Quellen nicht unterſcheidet, nur einen ſehr unſichern Maßſtab für die Leiſtungsfähigkeit der Steuerzahler ab - giebt. Die Einkommenſteuer galt bereits in weiten Kreiſen des gebildeten Bürgerthums, zumal unter den Rheinländern, als das Steuerideal und fand auch im Staatsrathe manchen eifrigen Vertheidiger. Zu dieſen ge - ſellten ſich ſodann einige Männer der alten Schule, wie Ancillon, die an der Klaſſenſteuer nur die Mängel bemerkten, weil ſie an dem überlieferten Syſtem der indirekten Abgaben feſthalten wollten. Und wie hart wurden doch die niederen Stände durch Hoffmann’s Vierklaſſentheilung getroffen! Wohl war die Zahl der Wohlhabenden noch verſchwindend klein; der Staatsrath berechnete, daß im ganzen Staate nur etwa 8000 Familien jährlich 24 Thaler zu ſteuern vermöchten, aber unter dieſen befanden ſich doch ſicherlich Tauſend, die eine weit höhere Laſt tragen konnten, und ſie ſollten begünſtigt werden, zum Schaden der Armen! Die königlichen Prinzen rügten dieſen Uebelſtand mit ſcharfen Worten: ſie zeigten ſich alle89Ancillon und die Prinzen.durchdrungen von der volksfreundlichen Geſinnung ihres Hauſes, von den guten alten Ueberlieferungen des Königthums der Bettler. Um die öffentliche Meinung zu verſöhnen ſchien es namentlich rathſam, die oberſten Staatsdiener ſchärfer zu beſteuern; denn überall in Deutſchland glaubte das Volk, der hohe Beamte führe ein beneidenswerthes Wohl - leben: hatte er doch ſein geſichertes Auskommen, und wie Wenige aus dieſem verarmten Geſchlechte waren in der gleichen Lage! Auf den Antrag des Prinzen Auguſt beſchloß der Staatsrath am 24. April, zu den vor - geſchlagenen vier Klaſſen noch eine oberſte, mit einem Steuerſatze von 48 Thaler, hinzuzufügen.*)Protokolle des Staatsraths, 22., 24. April 1820.

Mit dieſen Einzelverhandlungen verkettete ſich ein Streit, der alle Finanzpläne Hardenberg’s wieder in Frage zu ſtellen drohte. Die reak - tionäre Partei am Hofe betrachtete dies ganze Reformwerk, das ja offen - bar die Einführung der Verfaſſung vorbereiten ſollte, von vornherein mit ſcheelen Augen. Vor Kurzem erſt hatte ſie dem Staatskanzler zum Sturze Humboldt’s und Boyen’s die Hand geboten, jetzt ſchien ihr die Zeit ge - kommen, auch gegen ihn ſelber, der in Wien trotz aller ſeiner Nachgiebig - keit als das Haupt der preußiſchen Jakobiner galt, den Kampf zu er - öffnen. An ihre Spitze trat Ancillon mit ſeinen alten Genoſſen Karl von Mecklenburg, Wittgenſtein, Kneſebeck. Auch der vormalige Miniſter Brockhauſen ſchloß ſich an, ein greiſer Herr, der noch ganz in den Ge - danken der neunziger Jahre lebte, desgleichen der ſtreng conſervative Ober - präſident Bülow. Sogar Vincke näherte ſich jetzt dieſem Kreiſe, deſſen politiſche Ziele ihm ſo fern lagen. Der treffliche Mann war ſeit den Karlsbader Beſchlüſſen tief verſtimmt. Es wird ja immer toller, ſchrieb er verzweifelt ſeinem Freunde Solms-Laubach, an landſtändiſche Verfaſ - ſungen, andere als die verabſcheuungswürdige öſterreichiſche, iſt gar nicht zu denken. Mehrmals war er nahe daran ſein Amt niederzulegen; nur das Pflichtgefühl hielt ihn zurück: man muß ſich kaſteien und bleiben. Die hohen Ausgaben für das Heer betrachtete er als eine unverantwort - liche Verſchleuderung. Zudem fühlte er ſich in ſeinem altpreußiſchen Ordnungsſinne tief verletzt, da er in der Verwaltung Weſtphalens ſo manche arge Nachläſſigkeit des Hardenberg’ſchen Regiments kennen gelernt hatte, und ſchloß daraus, die Steuererhöhung ſei vielleicht nur durch die Verſchwendung des Staatskanzlers nöthig geworden. **)Vincke an Solms-Laubach, 12. Okt. 1819, 12. Jan., 14. Febr., 18. Mai 1820.

Aehnliche Bedenken hegten auch die fünf königlichen Prinzen, die im Staatsrathe ſaßen, nicht blos der romantiſch aufgeregte Kronprinz, der auf das Lob der guten alten Zeit, wenn es aus dem Munde ſeines alten Lehrers erklang, ſo bereitwillig hörte, daß Hardenberg ärgerlich in ſein Tagebuch ſchrieb: des Kronprinzen Kleben am Alten per Ancillon ***)Hardenberg’s Tagebuch, 28. Jan. 1820. 90III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.ſondern auch die ungleich freier geſinnten beiden Prinzen Wilhelm, der Bruder und der Sohn des Königs. Seit der große Kurfürſt einſt die Grundlagen des preußiſchen Abgabenweſens mit eiſerner Hand feſtgeſtellt, waren die Hohenzollern in ihrer Steuerpolitik ſtets conſervativ verfahren, und wenn Einer von dieſer Tradition des Hauſes abgewichen war, wie Friedrich der Große bei Einführung ſeiner Regie, ſo hatte ſich regelmäßig ein ſtarker Unwille im Volke gezeigt. Die Erhebung von mehr als 10 Mill. neuer Steuern ſtand in Preußens Geſchichte ohne Beiſpiel da, und ſie ſollte erfolgen unmittelbar nachdem das neue Zollgeſetz die Abgaben vom auswärtigen Verkehr völlig umgeſtaltet hatte.

Wie behutſam auch Hoffmann die Gedanken des Meiſters ausführte was Hardenberg plante, war doch eine Reform an Haupt und Glie - dern. Drang er mit ſeinen Abſichten durch, ſo blieb von den althiſtori - ſchen Steuern der Monarchie mit Ausnahme der Grundſteuer keine ein - zige unverändert. Die Einheit des Marktgebiets, welche das Zollgeſetz als Grundſatz ausſprach, verwirklichte ſich erſt durch die Aufhebung aller der alten Acciſen und Octrois; der innere Verkehr ward endlich vollkommen frei, bis auf die wenig läſtige Thorſperre an den Mauern der mahl - und ſchlachtſteuerpflichtigen Städte, und an die Stelle der alten Finanz - politik, welche die weithin zerſtreuten Provinzen als halb ſelbſtändige Ter - ritorien von einander abgeſondert hatte, trat ein völlig neues Syſtem, eine Politik der Staatseinheit, die im Laufe der Zeit unvermeidlich dahin trachten mußte, auch die zwiſchenliegenden Kleinſtaaten ſich zu unterwerfen. Es war ein Wagniß, kaum minder kühn als die Reformen von 1808 und 1810. Eine ſo radikale Neuerung mußte dem Nichtfachmanne wohl befremdlich und, bei der Mißſtimmung in den neuen Provinzen, gefähr - lich erſcheinen. Und dazu die unleugbaren Mängel der Klaſſenſteuer. Selbſt nachdem der Staatsrath noch eine höchſte Steuerklaſſe für die Wohlhabenden hinzugefügt hatte, blieb die Begünſtigung der Reichen noch ſehr auffällig: kein Haushalt ſollte mehr als 48 Thlr. zahlen, lediglich weil Hoffmann Bedenken trug, den Klaſſenſtolz der höheren Stände auf - zuregen!

So geſchah es denn, daß eine aus ehrenwerthen und zweifelhaften Elementen ſeltſam gemiſche Partei ſich um Ancillon zuſammenfand. Ihr Führer aber entbehrte gänzlich der Sachkenntniß, er verſuchte nicht ein - mal einen Gegenvorſchlag aufzuſtellen und verfiel in jene hohlen Phraſen, welche niemals ausbleiben, wenn Dilettanten über Finanzfragen reden. Gleich in der erſten Plenarſitzung (20. April) vertheidigte er den klein - müthigen privatwirthſchaftlichen Grundſatz, der ſchon in der alten Mon - archie ſo viele Mißgriffe veranlaßt hatte, jetzt aber, am Vorabend einer umfaſſenden Finanzreform, gradezu wie Hohn klang: den Grundſatz, daß ſich die Ausgabe immer nach der vorhandenen Einnahme richten müſſe. Darauf beantragte er, den Monarchen zu bitten, daß nochmals unterſucht91Die Oppoſition im Staatsrathe.werde, ob ſich die Steuererhöhung nicht durch Erſparniſſe vermeiden laſſe. Wie dieſe Erſparniſſe möglich werden ſollten, das wußte er freilich nicht einmal anzudeuten. Die ungewohnte Lebhaftigkeit des ſanftmüthigen Theo - logen bewies genugſam, daß ſeine Pfeile ſich nicht gegen die Steuergeſetze, ſondern gegen den Staatskanzler ſelber richteten. Eine verſtändige Ent - gegnung des Finanzminiſters verfehlte ihren Zweck, da Klewiz im Eifer der Rede die ganz unhaltbare Behauptung aufſtellte, das Budget ſei jetzt nicht höher als im Jahre 1803. *)Protokolle des Staatsraths, 20. April; Hardenberg’s Tagebuch, 20. April 1820.Der ängſtliche Altenſtein, der den Vorſitz führte, wußte ſich endlich nur dadurch zu helfen, daß er den An - trag Ancillon’s als unzuläſſig zurückwies. Gegen dieſe Erklärung ließ ſich rechtlich nichts einwenden; denn der Etat war nach dem alten Staats - rechte kein Geſetz, ſondern ein Voranſchlag der Finanzverwaltung, und der Staatsrath mithin nicht befugt, deſſen Abänderung zu beantragen. Aber welch eine widerwärtige Zumuthung an ſeine Mitglieder, daß ſie den Etat als eine gegebene Größe hinnehmen ſollten, während doch mehrere von ihnen hofften, nach Verminderung des Budgets könne die Erhöhung der Abgaben vielleicht überflüſſig werden. Die Verſammlung vermochte ihren Unmuth nicht zu verhehlen; der Antrag Ancillon’s ward vor den Sitzungen in erregter Unterhaltung beſprochen, und da das Amtsgeheimniß wieder ſchlecht gewahrt wurde, ſo erzählten ſich bald alle böſen Zungen Berlins, wie jämmerlich die verſchwenderiſche Verwaltung vor dem Rich - terſtuhle des Staatsraths beſtehe.

Dem Staatskanzler aber gingen endlich die Augen auf: das alſo war der treue Freund, den er vor fünf Monaten gegen Humboldt zu Hilfe gerufen hatte! Er glaubte zu wiſſen, daß Ancillon die Prinzen zu einer Kabale verleite, und ſendete am 27. April, mit Genehmigung des Königs**)Hardenberg’s Tagebuch, 27. April 1820., dem Präſidenten des Staatsraths ein Schreiben, das dem ſalbungsvollen Gegner die ganze Ueberlegenheit des praktiſchen Staats - mannes zu fühlen gab. Ironiſch wies er auf Ancillon’s erbauliche Ge - meinplätze hin: wohl ſei es leicht ausgeſprochen: man muß nicht mehr ausgeben als man einnimmt, Geben iſt ſeliger als Nehmen. Aber Preu - ßens Schuldenlaſt rühre her von den großen Unglücksfällen ſeit 1806 und von dem rühmlichen Kampfe um die Freiheit. Jetzt gelte es den Verpflichtungen des Staates vollſtändig zu genügen und außer den lau - fenden auch die außerordentlichen Ausgaben, welche die Wiederherſtellung der Monarchie erheiſche, zu decken. Nach dem neuen Abſtrich von 5 Mill. ſei eine weitere Herabſetzung des Etats unmöglich. Es liegt in der That ein höchſt ungerechter Tadel der Verwaltung darin, wenn man den Satz: keine Auflagen, Erſparen, mit den Einnahmen auskommen! im ver - ſammelten Staatsrath ohne gründliche Sachkenntniß ausſpricht und Be -92III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.ſorgniſſe wegen entſtehender Unzufriedenheit durch die neuen Laſten äußert. Ich fordere Den auf, der es vermag, noch fünf Millionen Erſparniſſe zu bewirken, aufzutreten und ſie nachzuweiſen, ohne den Staat in die größten Gefahren der Zerrüttung zu verſetzen. An einer ſolchen Adminiſtration, wie die wäre, welcher jene Maximen zum Grunde lägen, möchte ich nicht theilnehmen, ich würde eilen mich davon loszumachen. Als Ancillon in der Schlußſitzung am 29. ſeinen Antrag erneuerte, erklärte Altenſtein noch - mals, daß er keine Berathung zulaſſen dürfe, und ſtellte jedem Mitgliede frei, ſeine Wünſche dem Könige in einer Beilage zum Protokolle vorzu - tragen. Um ſeinen Worten Nachdruck zu geben verlas er alsdann das Schreiben des Staatskanzlers.

Da brauſte der Kronprinz in hellem Zorne auf: ſagen Sie dem Staatskanzler, rief er dem Vorſitzenden zu, in der ſo hart angegriffenen Verſammlung ſäßen die königlichen Prinzen! Hardenberg erwiderte dem Prinzen brieflich (3. Mai) in jenem herzgewinnenden Tone, der ihm ſo wohl anſtand: ſeine Vorwürfe gegen den Staatsrath hielt er aufrecht, doch zugleich erklärte er ſich bereit zu jeder Aufklärung über den Etat, auch zu jeder Erſparniß, wenn man ihm nur ausführbare, mit Zahlen belegte Vorſchläge einreiche. Der reizbare junge Fürſt war raſch verſöhnt, wieder - holte aber in ſeiner freundlichen Antwort nachdrücklich die Bitte um noch - malige Prüfung des Etats: Wir leben, ſo dachte ich, nicht in Zeiten, denen man Alles bieten kann, und 5 Mill. neuer Abgaben ſchien und ſcheint mir noch jetzt ſehr bedenklich. Ich bezwecke nur ein vor - theilhaftes Einwirken auf die öffentliche Meinung, die deſſen ſehr be - darf. Eine nochmalige Prüfung nun führt entweder wirklich Er - ſparniſſe herbei oder beweiſt doch dem Volk im ſchlimmſten Fall, daß Alles geſchehen. Der Staatskanzler fühlte nun doch, daß er den Bogen nicht überſpannen dürfe, obwohl die neue Verzögerung den Staatskaſſen ſchwere Einbußen bringen mußte; er wollte den Prinzen die Gelegenheit, ſich über den Ungrund ihrer Bedenken zu belehren, nicht abſchneiden und verſprach, dem Könige den Wunſch des Kronprinzen vorzutragen, ſo vollſtändig auch dieſe Prüfung mehrmals geſchehen iſt. *)Hardenberg an den Kronprinzen, 3., 5. Mai; Antwort des Kronprinzen 4. Mai; Hardenberg’s Tagebuch 29. April ff. 1820.

Mittlerweile hatte der Staatsrath ſeine Berathungen beendigt. Elf Mitglieder baten in Sonderabſtimmungen um nochmalige Prüfung des Budgets: die königlichen Prinzen mit Ausnahme des Thronfolgers, der jetzt durch Hardenberg’s Zuſage beſchwichtigt war, ſodann Vincke, endlich Ancillon und ſeine fünf hochconſervativen Genoſſen. Wittgenſtein’s Votum erging ſich in ſo allgemeinen Ausdrücken, daß Jedermann bemerken mußte, wie wenig dem Hofmanne an dieſen Steuerfragen ſelber lag. Ancillon ſchilderte beweglich die Nachtheile der Klaſſenſteuer, ohne irgend anzugeben,93Die neuen Steuergeſetze.wie dieſe Abgabe zu erſetzen ſei. Vincke verwahrte dem Staatsrathe das Recht, nicht blos über die Zweckmäßigkeit, ſondern auch über die Noth - wendigkeit der neuen Steuern zu berathen. Am Klarſten lautete das Votum des jungen Prinzen Wilhelm, der mit militäriſcher Kürze den wunden Fleck der Entwürfe bezeichnete und ſeinem königlichen Vater ehr - erbietig anheimſtellte, ob nicht die reicheren Klaſſen der Nation und die höher beſoldeten Beamten zur Erleichterung des ärmeren Volkes mehr anzuziehen ſeien. *)Votum Wittgenſtein’s, 7. Mai 1820. Einige der anderen Vota bei Dieterici a. a. O. S. 432 f.

Da die große Mehrheit des Staatsraths 28 Stimmen und dar - unter die erſten Finanzmänner der Monarchie die Pläne des Staats - kanzlers im Weſentlichen gebilligt hatte, ſo vollzog der König nunmehr die Geſetze. Auf Ancillon’s weitſchweifige Phraſen gab er nichts. Nur um ſeine Prinzen über die wahre Lage der Sache aufzuklären befahl er, daß eine neue Commiſſion mit den Mitgliedern der Minderheit den Etat Poſten für Poſten noch einmal durchgehen ſolle. Das Ergebniß war, wie Hardenberg dem Kronprinzen vorausgeſagt: die Zweifelnden mußten zugeben, nicht nur, daß jede weitere Ermäßigung der Ausgaben vorderhand unmöglich war, ſondern auch daß mehrere der bereits angeordneten Er - ſparniſſe erſt nach Verlauf längerer Zeit in Wirkſamkeit treten konnten. **)Cabinetsordres an Altenſtein, 30. Mai, an Hardenberg, 12. Juni; Hardenberg an den Kronprinzen 8. Juni, Bericht an den König 12. Juni 1820.Darüber vergingen wieder zwei Monate, und die bereits am 30. Mai unterzeichneten Geſetze konnten erſt am 7. Auguſt veröffentlicht werden. Wie ſchwer auch die Staatseinnahmen unter dieſem Aufſchub litten, der Staatskanzler durfte ſich doch eines wichtigen Erfolges rühmen: er hatte die königlichen Prinzen von der Nothwendigkeit der Reform überzeugt, Ancillon und deſſen reaktionären Anhang vorläufig zum Schweigen ge - bracht.

Unter ſolchen Zweifeln und Gewiſſensbedenken entſchloß ſich dieſe abſolute Krone, deren Härte in der liberalen Welt verrufen war, zu einer Steuererhöhung von 5 Millionen Thlr. Das Geſetz vom 30. Mai über die Einrichtung des Abgabenweſens ſtellte die Grundlagen des Steuer - ſyſtems auf ein Menſchenalter hinaus feſt. Außer den Zöllen von 1818 und den im folgenden Jahre eingeführten Abgaben von Branntwein, Malz, Wein, Tabak ſollte fortan erhoben werden: die Salzſteuer, die ſoeben an jenem fruchtbaren 17. Januar durch Gleichſtellung des Salzpreiſes neu geregelt worden war, ſodann die Grundſteuer, die Klaſſenſteuer, die Mahl - und Schlachtſteuer, endlich zur Aushilfe die Gewerbeſteuer und eine ſpäter - hin noch zu ordnende Stempelgebühr. Was von alten Octrois, Verbrauchs - abgaben, Perſonen - und Gewerbeſteuern in den einzelnen Landestheilen94III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.noch übrig war, fiel mit einem Schlage dahin. Alles in dieſem Steuer - ſyſtem war neu. Auch die Grundſteuer, deren Ausgleichung der Bera - thung mit den Provinzialſtänden vorbehalten blieb, erlitt in den vormals franzöſiſchen und bergiſchen Landſchaften ſofort eine weſentliche Aenderung; ſie war dort von der Fremdherrſchaft ſehr willkürlich aufgelegt worden und ſollte fortan nie mehr als ein Fünftel des Reinertrags betragen. Da die Rheinländer gar ſo ungebärdig klagten, ſo wurde am Rhein die Kataſtrirung zuerſt begonnen und im Jahre 1833 beendet.

Die Klaſſenſteuer ſollte ſich nach den Beſchlüſſen des Staatsraths in fünf Klaſſen gliedern: eine für die vorzüglich wohlhabenden und reichen Einwohner, zwei für die Wohlhabenden, eine vierte für den geringeren Bürger - und Bauernſtand, eine fünfte für Lohnarbeiter, Tagelöhner und Geſinde. Aber ſogleich mußte man erfahren, wie richtig Prinz Wilhelm die Stimmung des Landes beurtheilt hatte. Allgemein erklang die Klage über die Begünſtigung der Reichen, und ſchon am 5. September 1821 wurden zwei neue oberſte Steuerſätze und mehrere Zwiſchenſätze für die unteren Klaſſen eingeführt, ſo daß fortan zwölf Stufen von 144 bis zu einem halben Thaler herab beſtanden. Auch dies genügte den Rhein - ländern noch nicht; ſie murrten ſo lange, bis man ihnen im Jahre 1830 achtzehn Klaſſen zugeſtand. Die Natur der Dinge drängte den Staat Schritt für Schritt der Einkommenſteuer zu; ganz wider Willen hatte Hoffmann, wie ſeine Bewunderer ihm ſpäterhin nachrühmten, den kom - menden Geſchlechtern in der Klaſſenſteuer ein Vermächtniß hinterlaſſen. Die neue Abgabe fand Anfangs faſt überall Widerſacher; im Kampfe mit ihnen mußte ſich der ſoeben in die Generalſteuerdirection berufene ſtreit - bare junge Ludwig Kühne ſeine Sporen verdienen. Es war, ſo erzählt er ſelbſt, für die Aufrechterhaltung dieſer Steuer ein wahres Glück, daß ich damals noch gewiſſermaßen mit dem erſten Schwerte focht und ge - waltig um mich hieb und keinen Ausfall, er mochte von der Seite oder von oben herab oder von unten herauf kommen, ohne eine tüchtige, viel - leicht der Form nach ſelbſt zu derbe Erwiderung ließ. Die Leute wurden, wenn ſie ein paarmal derb etwas auf die Finger bekommen hatten, doch einigermaßen vorſichtiger und mußten nothgedrungen etwas näher auf die Sache eingehen; aber ich bin überzeugt, daß bei einer ſchwächlichen Be - arbeitung die Klaſſenſteuer ſich nicht ein Jahr gehalten haben würde. Nachdem der erſte ſtürmiſche Ausbruch des Unwillens ſich gelegt, ging die Abgabe, unfertig wie ſie war, über alle Erwartung leicht ein, ſo daß nur etwa 2⅓ Procent Rückſtände blieben; denn die Sätze waren mäßig, der Geſammtertrag im Durchſchnitt der nächſten zwölf Jahre nur 6,8 Mill., während die Grundſteuer 10 Mill. abwarf, und die gehäſſige Arbeit der Einſchätzung beſorgten die Gemeinden ſelber, da das alte Beamtenthum bei all ſeinem Selbſtgefühle wohl wußte, daß die Bureaukratie aus eigener Kraft ſolche Aufgaben nicht zu löſen vermag.

95Klaſſenſteuer. Mahl - und Schlachtſteuer.

Die Klaſſenſteuer trugen nur ſechs Siebentel der Bevölkerung. 132 Städte zahlten die einträglichere Mahl - und Schlachtſteuer, darunter alle großen Communen, aber auch einige verkommene polniſche Judenſtädtchen, wie Schneidemühl, die ſich der Klaſſenſteuer vielleicht ganz entzogen hätten; ſo ängſtlich mußte der Finanzminiſter darüber wachen, daß ihm keine mögliche Einnahme entging! Auch dieſe Abgabe erregte lebhaften Wider - ſpruch; mancher bibelfeſte Steuerzahler erinnerte den frommen König an jene Sprüche des Alten Teſtaments, welche die Beſteuerung des Brotes verbieten. Indeß bemerkte man doch bald, daß ein Theil der Steuer durch die Erhöhung der Löhne von den Arbeitern abgewälzt wurde und die niederen Stände nicht ſo ſchwer darunter litten wie die herrſchende Doktrin behauptete. Die neue Gewerbeſteuer endlich ließ die kleinen, ohne Ge - hilfen arbeitenden Handwerker frei, doch ſie bewirkte keineswegs, wie der ängſtliche Ancillon befürchtet hatte, eine übermäßige Vermehrung der kleinen Geſchäfte. Die Zuſtände des Kleingewerbs blieben vielmehr in dieſen ſtillen Jahren der Entſagung faſt unwandelbar, trotz der Gewerbefreiheit, trotz der gewaltigen Umwälzungen des politiſchen Lebens: um das Jahr 1830 arbeitete faſt genau wie im Jahre 1800 ein Schneidermeiſter für etwa 240 Einwohner, ein Schuſter für 200, und auf kaum zwei Hand - werksmeiſter kam ein Gehilfe, ſo daß jeder noch hoffen konnte ſelber Meiſter zu werden.

Zum Abſchluß der Steuerreform wurden dann noch im Jahre 1822 einige Stempelabgaben eingeführt, darunter auch ein Zeitungsſtempel, der freilich in einer Epoche politiſcher und wirthſchaftlicher Ermattung nur einen ſehr beſcheidenen Ertrag bringen konnte. Selbſt die Bücher pflegten aus der Hand des unglücklichen Beſitzers von einem Entleiher zum andern zu wandern; vollends die Zeitungen las der gebildete Mann auf dem Caſino oder in der Conditorei, und wer ein Uebriges thun wollte hielt ſich ein Blatt mit einem Dutzend Nachbarn gemeinſam. Noch im Jahre 1835 wurden in ganz Preußen von inländiſchen Zeitungen und Zeit - ſchriften kaum 43,000 Exemplare verkauft, von nichtpreußiſchen etwa 3700, insgeſammt weniger als heutzutage eine einzige große Zeitung abzuſetzen vermag.

Dieſe Dürftigkeit aller Lebensverhältniſſe übte auch ihren Einfluß auf das neue Münzgeſetz, das von Hardenberg als eine unentbehrliche Er - gänzung der Finanzreform angeſehen wurde und am 5. September 1821, namentlich durch Hoffmann’s Verdienſt, zu Stande kam. Geſtützt auf die natürliche Macht ſeines großen Marktgebietes hatte der preußiſche Thaler ſchon längſt weit über die Grenze des Staates hinaus ſeinen Siegeszug durch Deutſchland angetreten, obgleich die Oſtpreußen im täglichen Ver - kehr noch gern nach den gewohnten Gulden und Düttchen rechneten und die neuen Provinzen an ihrem alten Gelde mit jener Beharrlichkeit feſt - hielten, welche ſich nirgends zäher zeigt als im Münzweſen. Die Regie -96III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.rung war von vornherein entſchloſſen dieſe erprobte Hauptmünze, auf Grund des Vierzehn-Thalerfußes, beizubehalten; ſchwerer war die Ent - ſcheidung über die Stückelung des Thalers, da die wiſſenſchaftlichen Vor - züge des neufranzöſiſchen Decimalſyſtems in den Kreiſen der preußiſchen Finanzwelt bereits zahlreiche Fürſprecher fanden. Zuletzt beſchloß man doch, den Thaler in dreißig Silbergroſchen zu theilen, weil dieſe Zahl den Monatstagen entſprach und der geringe Mann mithin nach ſeiner Mo - natseinnahme ſich leicht berechnen konnte, wie viel er an jedem Tage aus - zugeben hatte; dieſer Staat bedurfte eines ſparſamen Volkes, wie er ſelber jeden Groſchen ängſtlich zu Rathe hielt, und in der That hat die Silber - groſchenrechnung den haushälteriſchen Sinn unter den kleinen Leuten ge - fördert. Für den neuen Silbergroſchen wurde die Zwölftheilung des alten Gutengroſchens beibehalten, nicht blos wegen der bequemen Halbirung, Drittelung und Viertelung, ſondern vornehmlich weil man die Armen nicht ſchädigen durfte, die ihre kleinen Einkäufe zumeiſt mit Dreiern be - ſtritten.

Ein folgenreicher, von keinem der Zeitgenoſſen bemerkter Fehler der neuen Steuergeſetzgebung lag in den Vorſchriften über die Gemeindeab - gaben. Das Communalſteuerweſen war für Theorie und Praxis jener Tage noch ein unbekanntes Gebiet, da die Koſtſpieligkeit der neuen Selbſt - verwaltung erſt im Laufe der Jahre bemerkbar wurde. Stein’s Städteord - nung hatte den Communen in Steuerſachen faſt unbeſchränkte Freiheit gelaſſen; nur ſelten einmal, bei groben Mißgriffen, waren bisher die Auf - ſichtsbehörden dazwiſchengetreten. Jetzt beſtimmte das neue Abgabengeſetz (§ 13), daß die Gemeinden mit Zuſtimmung der Bezirksregierungen Zu - ſchläge zur Klaſſenſteuer, ſowie zur Mahl - und Schlachtſteuer ausſchreiben dürften, andere Abgaben jedoch nur, wenn ſie bereits beſtänden oder der König ſie ausdrücklich genehmigte. Die Zuſchläge zu jenen beiden Haupt - ſteuern des Staates wurden alſo geradezu als Regel vorgeſchrieben. Die Regierungen verweigerten ihre Zuſtimmung niemals, da ſie hofften, daß die neuen Abgaben ſich alſo am ſicherſten einbürgern würden. Die Ge - meindebehörden, die großentheils aus Hausherren beſtanden, folgten der Einladung mit dem ſicheren Inſtinkte der Klaſſenſelbſtſucht. Denn die bequemen Zuſchläge erſparten ihnen jedes weitere Nachdenken über eine billige Vertheilung der Communalabgaben und laſteten unverhältnißmäßig ſchwer auf den Miethern und Einliegern; die Grundbeſitzer aber, denen die Communalanſtalten unmittelbar den größten Gewinn brachten, meinten durch die hohe Staatsgrundſteuer bereits genugſam bedrückt zu ſein. Da - mit begann eine gefährliche Verbildung des Gemeindeſteuerweſens: der Staat verſtopfte den Communen ihre natürliche Einnahmequelle, indem er die Grundſteuer großentheils für ſich nahm, und die Magiſtrate ſchoben den ſchwerſten Theil der Communallaſten auf die Schultern der Unbe - mittelten, die von den Leiſtungen der Gemeinden den geringſten Vortheil97Die Communalſteuern.zogen. Hielt dieſe Entwicklung an, ſtiegen die Zuſchläge allgemach bis zur Höhe der Staatsabgaben oder gar darüber hinaus, dann mochte der Staat leicht dahin gelangen, daß er die Klaſſenſteuer, ſeinen einzigen ſicheren Nothbehelf in Kriegszeiten, nicht mehr erhöhen konnte. Vorder - hand hielten ſich die Communalzuſchläge noch in beſcheidenen Grenzen, und Niemand ahnte, welchen abſchüſſigen Weg man betreten hatte.

Nur der Hauptſtadt, die unter ſchweren Einquartierungslaſten litt, hatte der Staat noch eine eigenthümliche Einnahmequelle eröffnet. Berlin erhob ſeit 1815 eine Liegenſchaftsſteuer, die von den Hausbeſitzern mit 4 Procent, von den Miethern mit Procent bezahlt wurde. Auch als ſieben Jahre ſpäter die Abgabe der Miether auf 6⅔ Procent des Mieth - zinſes herabgeſetzt wurde, blieb dieſer Vertheilungsmaßſtab noch immer höchſt unbillig, jedoch er beruhte auf einem alten ſchlechten Berliner Her - kommen, und von dem heiligen Gewohnheitsrechte ging keine preußiſche Commune freiwillig ab. Zum Glück war der Geſammtbetrag noch ſehr niedrig, denn von den 41,047 Miethern der Hauptſtadt entrichtete die größere Hälfte (20,743) im Jahre 1824 nur 50 Thlr. Miethe oder we - niger, und nur für 115 Wohnungen wurden 1000 Thlr. und darüber gezahlt. Wenn aber dereinſt die großſtädtiſche Wohnungsnoth, die ſchon in Paris ihre Opfer forderte, auch über Berlin hereinbrach, dann mußte die Miethſteuer zum Fluche der Armen werden. Alſo ward damals arg - los der Grund gelegt für jene argen Mißſtände des preußiſchen Commu - nalabgabenweſens, welche heute zu der Milde und Billigkeit unſerer Staats - beſteuerung einen ſo grellen Gegenſatz bilden.

Die Finanzreform war beendet, und ſie war mit allen ihren Mängeln ein gutes und tüchtiges Werk, wenngleich ſie die blinden Verehrer der altpreußiſchen Ordnung ebenſo wenig befriedigte wie die doktrinären Ver - theidiger eines wiſſenſchaftlich vollkommenen Abgabenſyſtems. Dieſe Groß - macht, die unter den Schlägen des Krieges am ſchwerſten gelitten, hatte mit tapferem Entſchluß ihren Eredit wiederhergeſtellt, während das reichere, beſſer geſchonte Oeſterreich noch jahrelang vor dem Abgrunde des Bank - rotts ſtand; ſie hatte, obwohl ſie noch immer das Königreich der langen Grenzen war, ſich ein zugleich freies und ſchützendes Zollweſen gebildet, das alle die wohlabgerundeten anderen Mächte beſchämte; ſie hatte endlich ein völlig neues Abgabenſyſtem geſchaffen, das die Steuerkraft des ver - armten Volkes an allen faßbaren Stellen packte ohne doch in die unmä - ßige Zerſplitterung der alten Acciſe zu verfallen, das dem Staate ſein Daſein, ſeine Wehrbarkeit ſicherte, ohne die Volkswirthſchaft in ihrem ge - ſunden Wachsthum zu hemmen, und ſchon nach wenigen Jahren ſelbſt von den grollenden Sachſen und Rheinländern als erträglich anerkannt wurde. Und das Alles dankte Preußen zunächſt dem greiſen Kanzler, den die unfruchtbare Wiener Staatsweisheit ſo tief verachtete. Am Rande des Grabes, von aller Welt als altersſchwach verſpottet, war HardenbergTreitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 798III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.noch einmal mit jugendlicher Schnellkraft aufgeſtanden, um ſich einzuleben in einen Gedankenkreis, der ſeiner Bildung fern lag, um ſicheren Blicks die rechten Männer, Maaſſen, Rother, Frieſe, Hoffmann, an die rechte Stelle zu ſetzen und ſchließlich bald ſchmeichelnd bald ſchlagend alle die Gegner von rechts und links zu überwinden, die nur er mit ſeiner ſchmieg - ſamen Findigkeit beſiegen konnte. Es war nicht das ſchlechteſte Blatt in dem vollen Kranze ſeines Ruhmes.

Nach ſolchen Erfolgen durfte Hardenberg ſich’s wohl zutrauen, daß er auch das letzte Ziel aller ſeiner Reformen noch erreichen und ſein Tage - werk mit der Berufung des erſten preußiſchen Landtags abſchließen werde. Durch die neuen Finanzgeſetze war das Verſprechen von 1815 förmlich erneuert und bekräftigt, die Staatsſchuld unter die Obhut der Reichsſtände geſtellt, den Provinzialſtänden die Mitwirkung bei der Ausgleichung der Grundſteuer zugeſagt. Von ſo feierlichen Verheißungen wieder abzugehen ſchien unmöglich. Der König hatte nicht nur dieſe Geſetze von freien Stücken gebilligt, ſondern auch während der Verhandlungen der jüngſten Monate faſt immer im Sinne des Kanzlers ſich entſchieden und ihn ſelbſt gegen die königlichen Prinzen nachdrücklich in Schutz genommen. Alles ſchien auf gutem Wege. In einem Privatbriefe, der bald die Runde durch die Zeitungen machte, mahnte Hardenberg, dem langſamen aber folge - rechten Gange der Regierung beſſeres Zutrauen zu ſchenken: unzweifel - haft werde die Verfaſſung noch zu Stande kommen. Er hoffte um ſo ſicherer, über die Flüſterer und Warner, die am Hofe umherſchlichen, noch den Sieg davonzutragen, da der König alle Eingaben der altſtändiſchen Partikulariſten ſcharf abgewieſen hatte, und außer dem wenig einfluß - reichen Klewiz bisher noch kein namhafter Staatsmann, auch Metternich nicht, dem Verfaſſungsplane offen entgegengetreten war.

Allerdings hatten die Finanzverhandlungen abermals bewieſen, daß nicht blos Vorurtheile, ſondern auch berechtigte, ernſte Bedenken der Be - rufung der Reichsſtände entgegenſtanden. Wie ſollte das nothwendige Geheimniß, das über der Bank und der Staatsſchuld lag, gewahrt bleiben, wenn die allgemeinen Landſtände zuſammentraten? Und war es nicht leicht möglich, daß der Landtag die zur Sicherung des neuen Abgaben - ſyſtems unentbehrlichen Zollverhandlungen mit den deutſchen Nachbar - ſtaaten durch partikulariſtiſche Kleinmeiſterei erſchweren würde? Weit überwiegende Gründe ſprachen jedoch für die entſchloſſene Durchführung der Pläne Hardenberg’s. Wie ſchwer mußte die monarchiſche Geſinnung in dieſem mit ſeiner Krone ſo feſt verwachſenen Volke erſchüttert werden, wenn zum erſten male in Preußens Geſchichte die zornige Frage erklang:99Verfaſſungspläne.ob man an einem Königsworte drehen und deuteln dürfe? Und wie konnte eine Großmacht mit geſetzlich geſchloſſener Staatsſchuld der unbe - rechenbaren Zukunft ſicher entgegengehen? In ruhiger Zeit mochte ihr Credit ſich halten; brachen wieder Stürme herein, dann war, nach ſo be - ſtimmten öffentlichen Verheißungen, keine Anleihe mehr möglich ohne Reichsſtände. Ein gefährlicher Angriff der Landſtände wider die Einheit des Staates ſtand jetzt ſchwerlich mehr zu befürchten, da die Krone dieſe letzten fünf Jahre ihrer Vollgewalt weislich benutzt hatte um faſt auf allen Gebieten der Geſetzgebung eine Reform durchzuſetzen, die nur ein diktatoriſcher Wille vollenden konnte. Die Heeresverfaſſung war nunmehr geſichert, desgleichen die Eintheilung der Provinzen und die neuen Formen ihrer Verwaltung, das Syſtem der Abgaben und Zölle, das Staatsſchul - denweſen und der Unterhalt für das königliche Haus; auch von den Ver - handlungen über die Rechte der katholiſchen Kirche, welche Niebuhr in Rom führte, ſah Hardenberg mit ſeinem feinen diplomatiſchen Blicke vor - voraus, daß ſie bald ein leidliches Ergebniß bringen würden, obwohl der ſchwarzſichtige Geſandte beſtändig das Schlimmſte fürchtete. *)Hardenberg’s Tagebuch, 19. Dec. 1820.Kam dies Werk noch unter Dach, wurde auch die Gemeinde - und Kreis-Ordnung nach Hardenberg’s Plan durch die Krone allein neu geſtaltet und endlich auch die Verfaſſung ſelbſt allein durch den König verliehen, dann waren in den nächſten Jahren ſchwere politiſche Kämpfe kaum zu erwarten.

Nach menſchlichem Ermeſſen ging Preußen zunächſt einer jener ſtillen Epochen entgegen, welche ſich nach den großen Zeiten der Reform überall einſtellen. Sein erſter Landtag, dem ja nur berathende Befugniſſe zu - ſtehen ſollten, hätte vermuthlich ein unſcheinbares Daſein geführt und ſich begnügen müſſen einzelne Mißgriffe der neuen Reformgeſetze zu rügen und zu verbeſſern; ſo konnte er vielleicht eine ſtille Lehrzeit durchlaufen, wie ſie dieſem unerfahrenen Volke gerade noth that, Oſtpreußen und Rhein - länder, Märker und Weſtphalen in gemeinſamer nüchterner Arbeit an ein - ander gewöhnen, aus dem verbiſſenen Partikularismus der Stände und der Provinzen allmählich eine kräftige Staatsgeſinnung herausbilden und durch ſein Daſein ſchon die verſtimmte öffentliche Meinung in Deutſch - land beſchwichtigen. In ſolchem Lichte ſah der Staatskanzler die nächſte Zukunft Preußens. Wer darf heute mit Sicherheit ſagen, ob die Dinge wirklich ſo harmlos verlaufen, ob die abſtrakten, ſtaatsfeindlichen Gedanken des neufranzöſiſchen Liberalismus nicht auch in den preußiſchen Landtag eingedrungen wären? Eine hohe Wahrſcheinlichkeit ſpricht doch dafür, daß Hardenberg das Rechte traf. Was den ſüddeutſchen Staaten leidlich ge - lang war für Preußen nicht unmöglich; ein preußiſcher Landtag zur rechten Zeit berufen konnte der Krone die Schmach des Jahres 1848 erſparen.

Auch der König ſchien des langen Zauderns müde. Nachdem er7*100III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.ſchon durch die Cabinetsordre vom 17. Januar das Staatsminiſterium an die ſchleunige Ausarbeitung der Communalordnung erinnert hatte, be - fahl er am 12. Februar die Bildung einer beſonderen Commiſſion, welche die geſammte erſte Hälfte des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes, Ge - meinde - und Kreisordnung, binnen vier Wochen ins Reine bringen und ſodann ihre Arbeit wegen des innigen Zuſammenhanges mit der allge - meinen ſtändiſchen Verfaſſung dem Ausſchuſſe für die ſtändiſchen Ange - legenheiten vorlegen ſollte. Die Commiſſion beſtand durchweg aus treff - lichen Beamten: Frieſe führte den Vorſitz, zu Mitgliedern wurden Daniels, Eichhorn, Bernuth, Streckfuß, nachher auch Köhler und Vincke berufen. *)Cabinetsordre vom 12. Febr. 1820.Aber ihr Werk mißrieth, und dies Mißlingen ward verhängnißvoll: ſo - bald der Unterbau der Verfaſſung ſich als morſch erwies, ſtürzte das ganze Gebäude. An die feudale Verwaltung des flachen Landes war ſelbſt der reformatoriſche Wille der großen Könige des achtzehnten Jahrhunderts immer nur behutſam herangetreten; hier in den breiten Niederungen des Staats hatte die unzähmbare Luſt der Deutſchen an örtlichem Sonder - brauche von jeher freies Spiel, hier lag das letzte und ſtärkſte Bollwerk der altſtändiſchen Macht, hier herrſchte noch ungebrochen ein uraltes Her - kommen, und es war kein Zufall, daß an der zähen Kraft dieſes örtlichen Kleinlebens, das dem alten abſoluten Königthum ſo lange getrotzt hatte, auch der erſte Verſuch conſtitutioneller Reformpolitik zerſchellte.

Noch einmal mußte Preußen die verderblichen Folgen von Stein’s frühem Sturze ſchwer empfinden. Der große Reformer hatte, als er fiel, den Entwurf einer Landgemeindeordnung faſt vollendet hinterlaſſen. Wäre dies Werk damals ins Leben getreten, was nur Stein’s eiſernem Willen gelingen konnte, ſo hätte die Geſetzgebung jetzt das Communalleben der alten Provinzen in leidlicher Ordnung und damit einen feſten Anhalt für weitere Reformen vorgefunden. Wie nun die Dinge lagen ſtand die Commiſſion rathlos einer unüberſehbaren Mannichfaltigkeit örtlicher Son - derrechte und Sonderbräuche, einem ſchlechthin chaotiſchen Zuſtande gegen - über. In den öſtlichen Provinzen beſtanden etwa 25,000 Landgemeinden und 15,000 Rittergutsbezirke. Unter dieſer ungeheueren Zahl befanden ſich zwar manche ſtarkbevölkerte, halbſtädtiſche Ortſchaften, wie Langen - bielau und die anderen gewerbreichen Dörfer, die ſich ſtundenweit in den Thälern des Rieſengebirges hinaufzogen; doch die große Mehrzahl der Landgemeinden des Nordoſtens war über die einfachen Zuſtände der erſten Zeiten deutſcher Anſiedelung noch kaum hinausgekommen. Das kleine, um den Herrenhof planmäßig angeſiedelte Koloniſtendorf bildete noch immer die Regel; Gemeinden von hundert, ja fünfzig Köpfen waren nicht ſelten, eine Ortſchaft von vierhundert Einwohnern galt ſchon für ein großes Dorf. Dies Kleingemeindethum hatte den Bedürfniſſen des Landvolks101Die Grundherrſchaft im Oſten.genügt, ſo lange die Landgemeinde weſentlich den wirthſchaftlichen Zweck des gemeinſamen Feldbaus verfolgte und die Kirche für Armenpflege und Unterricht nothdürftig ſorgte. Seit aber die Reformation das Armen - und Schulweſen ſeculariſirt und die Landgemeinde ſich nach und nach aus einer wirthſchaftlichen Genoſſenſchaft in eine politiſche Gemeinde ver - wandelt hatte, zeigten ſich die zwerghaften Communalgebilde des Nord - oſtens völlig hilflos. Wie konnten ſie mit ihren dürftigen Mitteln Wege bauen, Schulen unterhalten und alle die andern Leiſtungen für das ge - meine Wohl aufbringen, welche der erſtarkte Staat jetzt von ihnen heiſchte? Zumal in Altpreußen und Poſen, wo das Dorf durchſchnittlich kaum zwei - hundert Köpfe zählte, war von modernen Communalanſtalten noch faſt gar nichts vorhanden.

Einige Beihilfe leiſtete freilich der Grundherr, dem hier im Oſten noch faſt überall die Patrimonialgerichtsbarkeit, die niedere Polizei und das Kirchenpatronat zuſtanden: er war in ſeinem Gutsbezirke ſelber der Gemeindevorſtand und ernannte den Schulzen für ſein Dorf. Dies pa - triarchaliſche Verhältniß, das noch im Allgemeinen Landrecht als die nor - male Dorfverfaſſung betrachtet wurde, begann ſich indeß ſeit der neuen Agrargeſetzgebung gänzlich zu verſchieben. Durch die Ablöſung der bäuer - lichen Laſten und Dienſte wurde das Dorf von dem Rittergutsbeſitzer wirthſchaftlich unabhängig; die Grundherrſchaft war jetzt nur noch ein Privatbeſitz, der in einer freien Nachbargemeinde den größten Theil der Communallaſten zu tragen und die Rechte der Ortsobrigkeit auszuüben hatte. Wie oft hatte der König ſeit dem Jahre 1808 ausgeſprochen, daß dieſe Trümmer der altſtändiſchen Staatsordnung baldigſt fallen müßten. Die Verbindung obrigkeitlicher Rechte mit dem Beſitz der Scholle wider - ſprach nicht nur den erſten Grundſätzen moderner Rechtsgleichheit; die Grundherrſchaft vermochte auch ihren polizeilichen Pflichten nicht mehr zu genügen ſeit die Fabriken auf das flache Land drangen und die Freizügig - keit viele Heimathloſe in die Dörfer warf; ohne die Hilfe der Gensdarmerie des Staates hätten ſich die Ortsobrigkeiten nicht einmal der Vagabunden erwehren können. Und während der wachſende Verkehr ſeine Anſprüche an die ländliche Polizei täglich ſteigerte, ging der Grundherr ganz in den Sorgen ſeiner eigenen Wirthſchaft auf. Wer ſich jetzt noch auf dem ver - ſchuldeten und verwüſteten väterlichen Gute behaupten wollte, mußte hart arbeiten und die neue Lehre der rationellen Landwirthſchaft gründlich kennen. Das alte Sprichwort, daß auf dem Lande Jeder mit einer Hand - voll Glück und Verſtand auskomme, galt längſt nicht mehr; das Ritter - gut verlangte einen ganzen Mann, zumal ſeit die Brennerei, Dank der neuen Branntweinſteuer, bei geſchicktem Betriebe reichen Ertrag bringen konnte, und mancher Edelmann, der auf den Krämergeiſt der Städte ſtolz herabſah, wurde, ohne es zu merken, ſelber ein eifriger Induſtrieller. Wo blieb da noch Zeit und Kraft für die Pflichten der Ortsobrigkeit?

102III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.

Und wie ſelten hegte der Bauer jetzt noch zu ſeinem Grundherrn das herzliche Zutrauen, das allein die Macht der Ortsobrigkeit erträglich machen konnte! Schon früherhin hatte ſich der arme Adel des Nordoſtens bei den ewig wiederkehrenden Kriegsnöthen nur ſelten lange in ſeinem Beſitz behauptet, und es galt ſchon als Merkwürdigkeit, daß noch einzelne alte Geſchlechter, wie die Bredow’s im Havellande, die Brandt’s von Lin - dau in dem kurſächſiſchen Brandtswinkel, ſeit Jahrhunderten auf ihren Stammgütern hauſten. Neuerdings, ſeit die Rittergüter frei veräußert werden durften, ward der Beſitzwechſel noch häufiger und die Ueberlegen - heit des bürgerlichen Kapitals auch auf dem Lande bald bemerkbar. Zu - erſt die Amtmänner der Domänen, dann auch andere Bürgerliche ſiedelten ſich in den alten Ritterſitzen an; in Oſtpreußen war ſchon jetzt die Mehr - zahl der großen Güter in bürgerlichen Händen, hier und da regte ſich auch ſchon die gewerbmäßige Güterſpekulation. Mancher der neuen Be - ſitzer blieb ſeinen Bauern ganz fremd, und war er hartherzig, ſo ver - ſuchte er ſich der Ortsarmen mit jedem Mittel zu entledigen, auch wohl die kleinen Nachbarn, die ihm zur Laſt fallen konnten, auszukaufen.

Trotzdem waren dieſe verſchrobenen Zuſtände im Volke keineswegs unbeliebt. Der Bauer haftete zäh am alten Herkommen und fand es bequem, Gericht und Polizei ſo nahe vor der Thür zu haben; er blickte über manche grobe Mängel der gutsherrlichen Verwaltung gleichgiltig hin - weg, da die Grundherrſchaft jetzt nichts mehr von ihm zu fordern, ſon - dern nur für ihn Laſten zu tragen hatte. Noch in den vierziger Jahren dankten die Bauern des brandenburgiſchen Provinziallandtags ihrem - nige aus vollem Herzen, weil er ihnen ihre alte Gemeindeverfaſſung un - angetaſtet gelaſſen habe. Der Adel andererſeits betrachtete die Grund - herrſchaft als ein theueres Ehrenrecht ſeines Standes, und es war nicht blos Junkerhochmuth, was aus ſolchen Anſichten ſprach. Die Grundherren durften ſich rühmen, daß ſie ſich ihre Machtſtellung auf dem flachen Lande durch ſchwere Opfer täglich neu erwarben; viele von ihnen empfanden wirklich den Drang nach freier gemeinnütziger Thätigkeit, der in der Ariſto - kratie geſunder Völker immer lebendig iſt. Mit Entrüſtung hatten ſich ſchon im Jahre 1809 die Stände des Mohrunger Kreiſes, voran die Grafen Dohna und Dönhoff, wider die geplante Aufhebung der gutsherr - lichen Polizei verwahrt, weil ſie es für eine unwürdige Zumuthung hielten, daß der Grundherr fortan unthätig von ſeinen Einkünften leben ſolle. Wenn der Geſetzgeber dieſe ehrenhafte Geſinnung auf ein richtiges Ziel zu lenken verſtand, wenn er die Privilegien des Landadels entſchloſſen be - ſeitigte und ihm dafür auf dem Boden des gemeinen Rechtes einen neuen fruchtbaren Wirkungskreis eröffnete, dann konnte das vorurtheilsvolle Jun - kerthum des Nordoſtens dereinſt noch zu einer feſten Stütze der länd - lichen Selbſtverwaltung werden.

Wie anders die Landgemeinden der weſtlichen Provinzen! Hier hatte103Die Landgemeinden im Weſten.die Geſetzgebung Frankreichs und ſeiner Vaſallenſtaaten jeden rechtlichen Unterſchied zwiſchen Stadt und Land, Rittergut und Bauerngut beſeitigt. Am Rhein waren die großen Güter faſt alleſammt zerſchlagen; in Weſt - phalen beſtanden zwar noch einige ritterſchaftliche Gutsbezirke, doch ſie waren Gemeinden wie die anderen auch, nur daß dem Grundherrn das Amt des Gemeindevorſtandes zuſtand, und übten kein Herrenrecht über die Nachbardörfer. Die Einebnung aller ſocialen Ungleichheiten entſprach den wirthſchaftlichen Zuſtänden dieſer dichtbevölkerten Landſchaften, wo der ſtädtiſche Gewerbfleiß ſich ſchon längſt auf den Dörfern eingebürgert hatte. Der abſtrakte Begriff der franzöſiſchen Municipalité war hier tief ins Volk gedrungen; wenn ein Weſtdeutſcher über die deutſche Gemeinde - verfaſſung ſchrieb, wie der Naſſauer Pagenſtecher 1818, ſo ſprach er ſtets nur von der Gemeinde ſchlechthin, ohne nach der Eigenart von Dorf und Stadt zu fragen.

Die Landgemeinden des Weſtens waren aus den mächtigen Mark - genoſſenſchaften der Germanen hervorgegangen, an ſich ſchon größer als die Kolonialdörfer des Oſtens, durchſchnittlich 5 700 Köpfe ſtark und überdies durch die Fremdherrſchaft zu Sammtgemeinden zuſammenge - ſchlagen worden. Als Rudler einſt mit ſeinen Genoſſen die franzöſiſche Verwaltung auf dem linken Rheinufer einrichtete, hatte er nicht genug Maires, die franzöſiſch ſprachen, auftreiben können und daher nach Gut - dünken oft mehrere Gemeinden unter einen Bürgermeiſter geſtellt. Dies Verfahren, das dem Geſetze widerſprach und erſt nachträglich die Billi - gung der Conſuln fand, war dann von den kaiſerlichen Präfekten fortge - ſetzt worden, weil die Bureaukratie mit einer kleinen Zahl von Bürger - meiſtern ſo viel leichter auskommen konnte. Auch in Berg waren ſeit 1808 Sammtgemeinden, ähnlich den Amtsverbänden der guten alten Zeit, entſtanden. So traten denn den zahlloſen winzigen Gemeinden des Oſtens in den weſtlichen Provinzen nur an fünftehalbtauſend Landgemeinden gegenüber, die zu etwa tauſend Bürgermeiſtereien und Aemtern vereinigt waren. Der rheiniſche Bürgermeiſter ſammt ſeinen Beigeordneten wurde durch den Staat ernannt und regierte nach jenem oberſten Grundſatze des napoleoniſchen Verwaltungsrechts, kraft deſſen die Verwaltungsthätigkeit ausſchließlich den Staatsbeamten, den Regierten nur ein unmaßgeblicher Beirath zuſtand; ſeine bureaukratiſche Gewalt war oft härter als das patriarchaliſche Regiment des pommerſchen Gutsherrn.

Gleichwohl hatte auch dieſe undeutſche Einrichtung raſch feſte Wurzeln im rheiniſchen Lande geſchlagen. Den neuen preußiſchen Landräthen er - ſchien ſie ebenſo bequem wie einſt den Unterpräfekten. Zudem war der ernannte Bürgermeiſter den Einflüſterungen des Clerus, den Launen der öffentlichen Meinung weniger zugänglich als ein gewählter Dorfſchulze; begreiflich alſo, daß die Regierungen der weſtlichen Provinzen alleſammt, bis auf drei, ſich für den Fortbeſtand der Bürgermeiſtereien ausſprachen. 104III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.Auch das Volk hielt ſeine Gemeindeverfaſſung hoch, ſchon weil ſie rheiniſch war. Wir wolle bleibe was wir ſin hieß es kurzab, ſobald man ver - nahm, daß der Preuß eine Aenderung beabſichtige. Der kleine rheiniſche Landmann, der mit der Gartenwirthſchaft und dem Glücksſpiele des Wein - baues ſchon ſeine liebe Noth hatte, ſah es keineswegs ungern, daß ihm der geſtrenge Bürgermeiſter die Arbeit und Sorge für das Gemeindeweſen abnahm; auch konnten die großen Bürgermeiſtereien für die Zwecke der Wohlfahrtspolizei ungleich mehr leiſten als die Zwerggemeinden der alten Provinzen. Dieſer praktiſche Vortheil war ſo unleugbar, und die Volks - meinung ſo entſchieden, daß ſelbſt die abgeſagten Feinde der franzöſiſchen Geſetzgebung, Stein und Vincke, die Bürgermeiſtereien und Aemter nicht antaſten wollten.

Ebenſo ſchroffe Unterſchiede zeigten ſich im Städteweſen. In den alten Provinzen war Stein’s Städteordnung, nachdem ſie die ſchwere Prü - fungszeit des Befreiungskrieges glücklich überſtanden, den Bürgern all - mählich feſt ans Herz gewachſen, und Stein hoffte, ſein erprobtes Werk mit einigen unweſentlichen Aenderungen bald auch in den neuen Provinzen eingeführt zu ſehen, weil die Selbſtverwaltung die beſte Schule preußiſcher Staatsgeſinnung ſei. Die Rheinländer aber ließen ſich’s nicht träumen, wie viel freier die Städteverfaſſung des verachteten Oſtens war. Die formale Gleichheit der franzöſiſchen Municipalitäten genügte ihnen; bei uns, ſagte man ſtolz, gehen alle Klaſſen der Geſellſchaft in dem einen Begriffe des Bürgers auf. Der ernannte Bürgermeiſter mit ſeinen Bei - geordneten war nach rheiniſcher Anſchauung den deutſchen Magiſtraten des Oſtens ebenſo überlegen wie der napoleoniſche Präfekt den preußiſchen Regierungscollegien. Der rheinländiſche Bürger freute ſich, daß ihm die vielen läſtigen Ehrenämter der Stein’ſchen Städteordnung erſpart blieben, und Niemand bemerkte, daß ein Gemeinderath, der nicht ſelbſt verwaltete, auch keine wirkſame Controle über den allmächtigen Bürgermeiſter aus - üben konnte. Gewählte Magiſtrate wünſchte man ſchon darum nicht, weil man die Wiederkehr des Kölniſchen Klüngels und ſeiner Vetternherrſchaft befürchtete. Die tiefſinnige Auffaſſung vom Staate und ſeinen Pflichten, welche der Städteordnung Stein’s zu Grunde lag, erſchien hier im Weſten, wo Alles für die Ideen von 89 ſchwärmte, ganz unverſtändlich. Noch im Jahre 1845 behauptete L. Buhl in einer Schrift über die Gemeinde - verfaſſung der preußiſchen Rheinprovinz: das Beiſpiel des Muſterlandes Frankreich beweiſe genugſam, daß Freiheit des Staates und Freiheit der Gemeinden einander ausſchlöſſen; vor dieſe Wahl geſtellt müſſe das libe - rale Rheinland die Freiheit des Staates vorziehen. Der wackere Publiciſt, einer der klügſten Liberalen der Rheinpfalz, hatte damit faſt allen Be - wohnern des linken Rheinufers aus der Seele geſprochen. Ein Volk, das in ſolchen Anſchauungen lebte und ſich dabei noch ſeines Freiſinns rühmte, war für die harten Pflichten deutſcher Selbſtverwaltung offenbar noch105Städte und Kreiſe.ſchwerer zu gewinnen, als vormals das verſchüchterte Kleinbürgerthum der Städte des Oſtens.

Auch in der Kreisverwaltung verrieth ſich überall der Gegenſatz von Oſt und Weſt. Gleichzeitig mit den Provinzen und den Regierungsbe - zirken war auch die altbewährte brandenburgiſche Kreiseintheilung mit - ſammt dem Landrathsamte in die neuen Gebiete eingeführt worden, und im Jahre 1816 hatte der König den Kreisſtänden wieder geſtattet, für die erledigten Landrathsſtellen drei Candidaten aus den Grundbeſitzern des Kreiſes vorzuſchlagen. Nach dem Buchſtaben des Geſetzes war der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter, und Hardenberg erklärte ausdrücklich: wenn der Landrath aus den Kreiseingeſeſſenen ernannt würde, ſo liege dem keineswegs die Vorſtellung von einem repräſenta - tiven Verhältniß zu Grunde, ſondern nur die Idee, daß ein Solcher mit ſeinem Grundeigenthum für die Vermuthung bürge, daß er kennen und befördern werde, was zum Wohl der Kreisinſaſſen gereicht. *)So erwiderte Rother im Auftrage des Staatskanzlers auf eine Anfrage des Reg. -Präſ. Wißmann vom 28. Nov. 1815.That - ſächlich blieb der Landrath im Oſten doch wie von Alters her zugleich Organ der Regierung und Vertrauensmann ſeines Kreiſes. Dieſe eigen - thümliche Doppelſtellung, die dem Hauptamte der alten Provinzen ſeinen Charakter gab, ließ ſich leider auf die weſtlichen Landestheile nicht kurz - weg übertragen. Hier war die Zahl der gebildeten Grundbeſitzer ſo gering, daß man auch andere geeignete Perſonen , namentlich Offiziere, an die Spitze der Kreisverwaltung ſtellen mußte. Solche Beamten-Landräthe konnten nicht viel mehr ſein als Nachfolger der napoleoniſchen Unter - präfekten. Einzelne von ihnen wurden zwar allmählich in dem neuen Neſte warm: ſo der wackere Bärſch, der Genoſſe Schill’s, der in dem armen Eifelkreiſe Prüm ein ſtrenges Regiment führte und bald durch ſeine Schriften über die Landeskunde der Eifel bewies, daß er in dem rauhen Gebirge beſſer Beſcheid wußte als die Eingebornen ſelber. Viele aber blieben ihrem Kreiſe fremd und betrachteten ihr Amt als einen Durchgangspoſten zu höheren Stellen. Die radikale Zerſtörung aller ari - ſtokratiſchen Kräfte führte hier wie in Frankreich zu einer rein bureau - kratiſchen Verwaltung. Ueber die Kreisverſammlungen war noch nichts beſtimmt, ſeit der König das unglückliche Gensdarmerie-Edikt außer Kraft geſetzt hatte; doch Jedermann fühlte, daß die Kreisſtände in dem bürger - lichen Weſten eine andere Form erhalten mußten als in den ariſtokrati - ſchen alten Provinzen.

Wie wenig mußten der König und ſein Kanzler dieſe verwickelten Verhältniſſe kennen, wenn ſie die Vollendung der Communalordnungs - Entwürfe binnen vier Wochen erwarteten. Erſt nach einem halben Jahre hatte die Commiſſion den ungeheuren Stoff nothdürftig, und nicht ohne106III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.Ueberſtürzung bewältigt, und am 7. Auguſt konnte ſie ihre Pläne für die Verfaſſung der Kreiſe, Städte und Landgemeinden vorlegen. *)Entwürfe der Landgemeinde -, Städte - und Kreisordnung, nebſt Erläuterungen; Begleitſchreiben vom 7. Aug. 1820. S. Beilage 10.Die Arbeit war weſentlich das Werk des Vorſitzenden Frieſe; manche ſeiner Vor - ſchläge von 1811 kehrten in den neuen Entwürfen faſt wörtlich wieder. Schon damals hatte er ſich gegen die Ortsobrigkeit der Gutsherren aus - geſprochen. Liberal durch und durch, erkannte er in dem ſchroffen Gegen - ſatze der Stände einen Hauptgrund des Unglücks von 1806, in der Be - ſeitigung aller wirthſchaftlichen und politiſchen Privilegien des Grund - adels die Vorbedingung eines freien Gemeindeweſens.

In der That hatte der Staatsrath mittlerweile die Agrargeſetzgebung von 1811 rüſtig weiter geführt. Am 25. Sept. 1820 erſchien ein in ein - zelnen Beſtimmungen faſt allzu radikales Edikt, das die Ablöſung der bäuerlichen Laſten für die Länder zwiſchen Elbe und Rhein regelte. Darauf folgte am 7. Juni 1821 nach langen und ſchwierigen Berathungen**)Protokolle des Staatsraths, 22. Mai 1821. das tief einſchneidende Geſetz über die Gemeinheitstheilungen, die letzte große Reform der Hardenbergiſchen Epoche. Seit Friedrich der Große die Aufhebung der Gemeinheiten begonnen hatte, waren ſchon über Mill. Morgen Gemeindeländereien aufgetheilt; jetzt wurden die Ausein - anderſetzungen in größerem Umfang weiter geführt und unter die Auf - ſicht der Generalcommiſſionen geſtellt, die bereits ſeit 1811 mit der Lei - tung der Ablöſungen betraut waren. Die neue Geſetzgebung ging von dem verwegenen Satze aus, daß jede Gemeinheitstheilung bis auf er - brachten Gegenbeweis als förderlich für die Landescultur angeſehen wer - den müſſe, andererſeits bot ſie volle Gewähr für ein ſtreng rechtliches Verfahren, da die Generalcommiſſionen richterliche Beiſaſſen erhielten und mit den Befugniſſen der Gerichtscollegien ausgeſtattet wurden. Es war ein kühner Gewaltſtreich, doch er ergab ſich ſo nothwendig aus den Be - dürfniſſen des Landbaus, daß nach und nach faſt alle deutſche Staaten, Württemberg erſt im Jahre 1854, dem Beiſpiele Preußens folgten. Und auch diesmal ward offenbar, wie hoch das Beamtenthum noch über der wirthſchaftlichen Bildung des Volkes ſtand.

Von allen Seiten regte ſich der Unwille. Nicht blos Marwitz und ſeine Freunde wetterten wider die buchgelehrten Generalcommiſſionen und beſchuldigten den Staat der Volksverführung, wenn einmal ein ſchlaues Bäuerlein, das ſeinen Acker weit vom Dorfe angewieſen erhielt, ſich den Segen der neuen Feuerverſicherung zu nutze machte und ſein Haus an - zündete. Auch die Bauern ſelbſt, die früher ſo oft geklagt hatten, viel Hirten, übel gehütet! , widerſetzten ſich häufig der Auftheilung der Ge - meindeweiden und erſchwerten den Behörden die Arbeit durch mißtrauiſchen107Gemeinheitstheilung.Zank. Die Staatsgewalt aber ſchritt unbekümmert vorwärts, und bis zum Jahre 1848 wurden noch faſt 43 Mill. Morgen Gemeindeland auf - getheilt oder von Servituten befreit. Faſt überall ſchämten ſich die Bauern ihres Widerſtandes, ſobald das Werk gelungen war, und die verhaßten Generalcommiſſionen gelangten nach und nach zu hohem Anſehen. Das Landvolk begann einzuſehen, daß die Gemeinheitstheilung ein unentbehr - liches Glied war in der langen Kette jener Reformen, welche den frohnen - den Scharwerker zum freien Eigenthümer erheben ſollten. Mit den Ge - meinheiten fiel auch der Flurzwang. Nun erſt ward auf den Dorffluren ein leidliches Bewäſſerungs - und Wegenetz möglich, deſſen gerade Linien allerdings die Schönheit der Landſchaft oft beeinträchtigten. Nun erſt konnte der Bauer die altväteriſche Dreifelderwirthſchaft aufgeben und auf ſeinem abgerundeten Gute einen intenſiveren Anbau verſuchen. Er war jetzt ſeines Beſitzthums völlig Herr und durfte bei Fleiß und gutem Glück auf ſteigenden Wohlſtand zählen. Im Mißgeſchick bekam er freilich die Härten des Syſtems der freien Concurrenz ſchwer zu fühlen; dann fehlte ihm der Nothpfennig der Gemeindenutzung, und da die landwirthſchaft - lichen Creditinſtitute nur den großen Grundbeſitzern zu gute kamen, ſo lief er leicht Gefahr von den benachbarten Grundherren ausgekauft zu werden. Die Gemeinheitstheilung verſtopfte einen Quell ewigen Haders zwiſchen den Grundherren und den Bauerſchaften, wie andererſeits die meiſten der Grenzſtreitigkeiten, welche die proceßluſtigen Bauern unter einander verfeindet hatten, durch die Zuſammenlegung der Güter beſeitigt wurden. Sie wirkte auf das Communalleben des flachen Landes in ähn - licher Weiſe wie einſt die Aufhebung der Zunft - und Bannrechte auf die Städte. Der Gemeinheiten entledigt konnte das Dorf nunmehr in Wahr - heit zu einer politiſchen Gemeinde werden.

Auf dieſen großen Umſchwung der ländlichen Verhältniſſe hatte die Commiſſion ihre Entwürfe berechnet. Es war ihr ganzer Ernſt mit dem Fundamentalſatze des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes: wir haben lauter freie Eigenthümer. Und ohne den redlichen Eifer für das ge - meine Recht konnte die Reform allerdings nicht gelingen. Aber auch Scho - nung für das hiſtoriſch Gegebene, für die unendliche Mannichfaltigkeit des communalen Lebens war unentbehrlich, und von ſolchem Verſtändniß beſaß das liberale Beamtenthum, das die Mehrheit der Commiſſion bildete, nur wenig. Frieſe vornehmlich war ſehr geneigt den berechtigten Gedanken der Staatseinheit auf die Spitze zu treiben; hatte er doch vor neun Jahren geradezu die Aufhebung der Provinzen befürwortet, weil der Pro - vinzialgeiſt die Staatsgeſinnung ertöde. Gleich zu Beginn der Berathung ward die unabweisbare Frage aufgeworfen, ob eine Communalordnung für den ganzen Staat, wie Hardenberg ſie verlangt hatte, überhaupt mög - lich ſei. Vincke erklärte nach ſeiner Kenntniß von Land und Leuten, daß der Weſten ſeiner Bürgermeiſtereien und Aemter nicht entbehren108III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.könne. *)Vincke, Separatvotum zur Landgemeindeordnung (Beilage zu den Entwürfen).Hiſtoriſcher Sinn und bureaukratiſche Schablone geriethen hart an einander. Die Mehrheit aber half ſich über alle Bedenken hinweg mit dem doktrinären, ſelbſt theoretiſch anfechtbaren Satze: die Gemeinde ſei der Mikrokosmus des Staates und könne darum wie dieſer nur eine gleich - mäßige Verfaſſung erhalten. Ebenſo doktrinär war die weitere Behaup - tung, daß der Unterſchied der Bildung zwiſchen den einzelnen Provinzen gar nicht ſo groß ſei als ob die Gemeindeverfaſſung durch die Bil - dung und nicht vielmehr durch die wirthſchaftlichen Machtverhältniſſe be - dingt würde. Darum beſchloß die Mehrheit, eine einzige Landgemeinde - ordnung für den ganzen Staat auszuarbeiten, obgleich ſie ſelber einge - ſtehen mußte, daß dies allgemeine Geſetz unvollſtändig ſei und der Er - gänzung durch Provinzialgeſetze bedürfe. Durch dieſen ſchweren Mißgriff ward die Grundlage des Hardenbergiſchen Verfaſſungsplanes unrettbar verdorben, außer dem Kaſtengeiſte der Privilegirten auch der berechtigte Partikularismus der Provinzen zu erbittertem Kampfe herausgefordert.

Im Einzelnen enthielten die Entwürfe, wie von ſo tüchtigen Beamten zu erwarten war, manchen trefflichen Gedanken. Die Commiſſion erkannte den im deutſchen Leben ſo tief begründeten Gegenſatz von Stadt und Land als eine gegebene Thatſache an, ſie wollte dem Bauern Alles was ihn angehe in einem Geſetze handlich beiſammen bieten und verwarf daher den Vorſchlag, Dorf und Stadt nach franzöſiſcher Weiſe in einen Rahmen zu zwängen, obgleich mehrere Regierungen der weſtlichen Provinzen ſich lebhaft dafür verwendet hatten. Der Entwurf der Landgemeindeordnung nahm den Fortbeſtand der vorhandenen Einzelgemeinden als Regel an, geſtattete jedoch benachbarten kleinen Ortſchaften ſich durch freie Ueberein - kunft zu einer größeren Gemeinde zuſammenzuthun und ſprach die naive Erwartung aus, dieſe Erlaubniß werde häufig benutzt werden, ſobald nur erſt die allgemeine Repräſentation des Staates den Gemeingeiſt geweckt habe. Vor dem Frühlingshauche des conſtitutionellen Staatslebens ſollte alſo das dicke Eis des bäuerlichen Partikularismus von ſelbſt zerſchmelzen! Die rheiniſchen Bürgermeiſtereien fielen damit hinweg; indeß ward den Regierungen geſtattet für die beſonderen Zwecke des Wegebaus, des Schul - weſens, der Armenpflege u. ſ. w. Sammtgemeinden zu bilden und hierzu auch die Bürgermeiſtereien zu benutzen. In jeder Gemeinde ein freige - wählter, vom Landrathe beſtätigter Schulze mit Schöppen und eine Ge - meindeverſammlung, die aus allen Gemeindebürgern, in größeren Ort - ſchaften aus Repräſentanten beſtehen ſoll; das Gemeindebürgerrecht ſehr weit ausgedehnt, ſo daß es der Regel nach keinem ſelbſtändigen Hausvater, wenn er nicht Knecht oder Tagelöhner iſt, verſagt werden darf.

Behutſamer lauteten die Vorſchläge über die Grundherrſchaft. Die Commiſſion wagte nicht, die Aufhebung der gutsherrlichen Polizei grades -109Landgemeinde - und Städte-Ordnung.wegs zu verlangen, über die Patrimonalgerichte hatte ſie ohnehin nichts zu entſcheiden; ſie ſah auch ein, daß man den Grundherrn zum Eintritt in die Dorfgemeinde, die ihm vor Kurzem noch unterthänig geweſen, nicht ohne Weiteres zwingen durfte. Auf der anderen Seite war die Wiederein - führung der Gutsherrſchaft in den weſtlichen Provinzen unmöglich und die Ernennung des Schulzen durch den Grundherrn jetzt eine offenbare Un - gerechtigkeit, da die Intereſſen des Dorfes und des Ritterguts bei der noch unvollendeten Auseinanderſetzung oft genug feindlich auf einander ſtießen. Daher ward ein Mittelweg eingeſchlagen. Der Grundherr ſollte einſtweilen behalten was ihm von Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt noch zuſtand, aber der Landrath war befugt in Polizeiſachen dem Dorfſchulzen unmittelbar zu befehlen. Der Gutsherr durfte ferner beim Landrath Ein - ſpruch erheben gegen die Schulzenwahl und zur Wahrung ſeiner Rechte ſich das Gemeindebuch vorlegen laſſen; er konnte endlich verlangen, daß ſein Gut, wenn es bisher dem Dorfverbande noch nicht angehört hatte, auch fernerhin einen beſonderen Gutsbezirk unter ſeiner perſönlichen Lei - tung bilden ſolle. Die ausgeſprochene Abſicht dieſer Vorſchläge ging da - hin, den Dörfern und den Gutsbezirken in Zukunft die gänzliche Ver - einigung zu erleichtern . Aber wie gründlich täuſchte man ſich doch am grünen Tiſche über die Geſinnung des Landadels, wenn die Commiſſion hoffen konnte, die Grundherren würden ihre Polizeigewalt bald ſelber als eine unnütze Laſt betrachten .

Minder tief griffen die Vorſchläge der Commiſſion in die Städte - ordnung ein. Hier galt es nur einige Mängel des Stein’ſchen Geſetzes zu beſeitigen, welche ſich in der Erfahrung erwieſen hatten und von Stein ſelbſt nicht abgeleugnet wurden. Jedermann gab zu, daß die Städteord - nung die grundverſchiedenen Verhältniſſe der einzelnen Communen allzu gleichmäßig regelte; darum forderte die Commiſſion für jede Stadt die Befugniß, mit Genehmigung des Staates ein Ortsſtatut zu vereinbaren. Sodann hatte das Bürgerrecht ſeit der Einführung der Gewerbefreiheit ſeine wirthſchaftliche Bedeutung verloren; Gewerbe zu treiben, ſtädtiſche Grundſtücke zu erwerben ſtand jetzt einem Jeden frei. Das einzige we - ſentliche Recht des Bürgers blieb fortan die Theilnahme an der Gemeinde - verwaltung. Demgemäß verlangte die Commiſſion, daß fortan den ſoge - nannten Notabeln, den Staatsdienern, Geiſtlichen, Gelehrten, die bisher zumeiſt Schutzverwandte geblieben waren, die Erwerbung des Bürgerrechts erleichtert würde; von dem hohen Cenſus aber, deſſen Einführung die Hochconſervativen forderten, wollte ſie nichts hören.

Eine andere Beſchwerde der Conſervativen richtete ſich wider die mangelhafte Staatsaufſicht; unſere Städte ſind zu kleinen Republiken ge - worden , hieß es im Lager der altſtändiſchen Partei. In der That ließ der Staat die großen Communen ganz frei gewähren und den Magiſtraten ſelbſt grobe Geſetzesverletzungen hingehen; es kam vor, daß eine Stadt110III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.zwanzig Jahre lang gar keine Erneuerungswahlen für die Stadtverord - netenverſammlung ausſchrieb. Aber auch in dieſer Frage blieb die Mehr - heit der Commiſſion den Wünſchen der Conſervativen unzugänglich. Bei ihren Berathungen über die Städteordnung pflegte Geh. Rath Streckfuß das entſcheidende Wort zu ſprechen, ein aus Sachſen herübergekommener ausgezeichneter Beamter, der einſt daheim ein in Heimlichkeit und Nepo - tismus verkommenes Städteweſen verachten gelernt hatte und nun das kräftige bürgerliche Leben der preußiſchen Städte als ein Ideal bewunderte. Wie war er ſtolz auf dieſe preußiſche Freiheit ; ſehr wunderlich er - ſchien ihm dagegen die Freiheit Frankreichs, die der Nation zwar geſtatte, die Miniſter abzuſetzen, aber ihr jede Mitwirkung bei ihren nächſten An - legenheiten verſage. Ein warmer Vertheidiger der Städteordnung Stein’s führte er acht Jahre ſpäter einen lebhaften Federkrieg gegen F. v. Raumer. Auf ſeinen Rath beſchloß die Commiſſion, das Aufſichtsrecht des Staates ſcharf zu beſchränken: beſſer immerhin, daß die Communen einige Miß - griffe begehen, als daß die Regierung verhaßte Willkür übe; nur die Lan - desgeſetze und die Grundgedanken des neuen Steuerſyſtems durfte die Communalverwaltung nicht antaſten. Erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſollte er - fahren, daß dieſe allgemeinen Sätze keineswegs genügten um die Grenzen zwiſchen Staat und Gemeinde abzuſtecken. Das Beſteuerungsrecht der Communen bedurfte einer genauen geſetzlichen Regelung, ſonſt konnte der Staat auf die Dauer ſein eigenes Steuerſyſtem nicht zugleich ſicher und beweglich erhalten. Aber ſolche Erwägungen lagen noch ganz außerhalb des Geſichtskreiſes der Zeit.

Sehr heftig wurden die Verhandlungen, als eine ſchon längſt von allen Seiten beklagte Lücke der Städteordnung zur Sprache kam. Stein hatte in ſeinem Geſetze nicht geſagt, wie die Streitigkeiten zwiſchen Ma - giſtrat und Stadtverordneten auszugleichen ſeien; jetzt wünſchte er leb - haft, daß in ſolchen Fällen der Schiedsſpruch von Obmännern eingeholt werden ſolle. Streckfuß aber betrachtete den Stadtrath nur als den Diener der Bürgerſchaft und erkannte die Gefahr, daß ſich aus den be - ſoldeten Berufsbeamten der Magiſtrate eine neue Communal-Bureaukratie herausbilde. In dieſen Kreiſen, ſo erklärten die hohen Beamten der Commiſſion mit ſeltener Unbefangenheit, entſtehe leicht der Beamtengeiſt, der nur zu oft theils zu gänzlicher Schlaffheit, theils zur Aufopferung des Weſens um der Form, der Sache um des Amtes willen verleite . Darum beantragten ſie, daß der Magiſtrat der Regel nach nur die Be - ſchlüſſe der Stadtverordneten auszuführen habe und lediglich bei Anleihen, bei Veräußerung der Gemeindegüter ſowie bei ungeſetzlichen Zumuthungen ſeine Beiſtimmung verweigern dürfe. Der Antrag ſchoß weit über das Ziel hinaus, und vergeblich warnte Geh. Rath Köhler: das heiße die Magiſtrate jeder Kraft berauben, die Gemeinden demokratiſiren.*)Köhler, Separatvotum zur Städteordnung. Von111Kreis-Ordnung.ſo radikalen Abſichten war die Mehrheit allerdings weit entfernt; ſie gab vielmehr zu, daß die kurze Amtsdauer der ſtädtiſchen Aemter viele tüchtige Kräfte von der Communalverwaltung fern halte, die ſtädtiſchen Beamten allzuſehr der Volksgunſt unterwerfe, und beantragte daher lebenslängliche Anſtellung der beſoldeten Stadträthe.

Unter allen Sätzen der Städteordnung ward keiner ſo leidenſchaftlich angefeindet wie die Eintheilung der Städte in Ortsbezirke. Die modiſche Vorliebe für deutſchrechtliche Stände und Corporationen wollte in dieſer Vorſchrift nichts als mechaniſche Willkür ſehen. Ancillon hatte ſchon 1819 in ſeiner Verfaſſungsdenkſchrift bitter getadelt, daß die Städteordnung alle Bürger ohne Unterſchied in eine Kategorie werfe . Aber auch Hum - boldt, J. G. Hoffmann und ſogar die Liberalen Dahlmann und F. v. Raumer wünſchten, die alten Corporationen der Gewerbsgenoſſen in freieren Formen wieder zu beleben und dieſen das ſtädtiſche Wahlrecht anzuvertrauen. Die Lehre Niebuhr’s: ohne Einungen und Corporationen kann keine ſtädtiſche Wahl und keine Bürgerverſammlung gedeihen ent - ſprach den Durchſchnittsanſichten dieſer romantiſchen Epoche. Stein ſelber neigte ſich zu Zeiten der Meinung Niebuhr’s zu, obwohl ihm ſein ſtaats - männiſcher Inſtinkt ſagte, wie ſchwierig die Ausführung ſei. Die Com - miſſion dagegen hielt die nachbarſchaftlichen Stadtbezirke des Stein’ſchen Geſetzes aufrecht; ſie wußte, daß die Gemeindeverwaltung die Bürger als Bürger vereinigen, nicht als Gewerbsgenoſſen trennen ſoll. In der That hatte ſich die Städteordnung gerade in den großen Städten, wo die Nach - barſchaft ſo wenig bedeutet, am beſten bewährt; und auch ſpäterhin iſt jeder Verſuch, die Communal-Verfaſſung auf gewerbliche Corporationen zu ſtützen, an der bunten Mannichfaltigkeit des modernen ſtädtiſchen Ge - werbslebens regelmäßig zu Schanden geworden.

Aus allen dieſen Vorſchlägen ſprach ein lebendiges Verſtändniß für deutſche Selbſtverwaltung. In auffälligem Gegenſatze dazu ſtand der bureaukratiſche Geiſt des Kreisordnungs-Entwurfes, der lebhaft an das unſelige Gensdarmerie-Edikt erinnerte. Als nach dem Jahre 1807 die Reform der Kreisordnung zuerſt erwogen wurde, da begegneten ſich Stein Vincke, Schrötter und Frieſe ſelbſt in der Einſicht, daß die Kreiseinge - ſeſſenen bei der Verwaltung des Kreiſes ſelber Hand anlegen müßten. Sie Alle wollten den Kreis in kleinere Bezirke gliedern, da ein Gebiet von durchſchnittlich 35,000 Einwohnern für die Wirkſamkeit von Selbſt - verwaltungsbeamten offenbar zu groß war, und in dieſen Bezirken einen Theil der Verwaltungsgeſchäfte an Kreiseingeſeſſene übertragen. Dieſer fruchtbare Gedanke, der allein weiter führen konnte, wurde jetzt leider auf - gegeben. Wie wunderbar nachhaltig iſt doch die Wirkſamkeit des Genius. Dem Städteweſen hatte Stein’s gewaltiger Wille den Grundſatz Selbſt - verwaltung iſt Selbſthandeln ſo unvertilgbar eingeprägt, daß keiner ſeiner Nachfolger daran noch viel ändern konnte. Die Kreisverwaltung112III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.aber, die er nicht mehr hatte neugeſtalten können, blieb noch während eines halben Jahrhunderts der Spielball wechſelnder geſetzgeberiſcher Ver - ſuche; nichts ſtand hier feſt, nicht einmal die leitenden Grundſätze.

Durch das Gensdarmerie-Edikt hatte Hardenberg die Selbſtverwaltung der Kreiſe faſt gänzlich zu zerſtören verſucht; und nunmehr, nachdem dieſer Mißgriff zurückgenommen war, begnügten ſich Frieſe und ſeine Commiſſion, die Bildung von Kreisverſammlungen vorzuſchlagen, welche über Kreis - angelegenheiten berathen, Mißbräuche und Mängel rügen, die Landesab - gaben vertheilen und über gemeinnützige Anſtalten beſchließen, aber ſich jeder Einmiſchung in die Kreisverwaltung unbedingt enthalten ſollten. Ein ſolcher Kreistag ohne eigene verantwortliche Thätigkeit ſtand neben dem allein handelnden Landrath ebenſo machtlos wie der franzöſiſche Generalrath neben dem Präfekten. Und ganz nach franzöſiſcher Weiſe ſollte auch der Landrath fortan nur noch ein Staatsbeamter ſein. Bis - her, ſo führte die Commiſſion aus, habe Preußen noch keine wirklichen Volksvertreter gekannt und daher den Landräthen etwas von den Rechten einer Volksvertretung eingeräumt; jetzt aber, da die Regierung durch die Verfaſſung einen Theil der ihr bisher zugeſtandenen Geſammtgewalt weggiebt , muß ſie, nach dem Vorbilde aller anderen Verfaſſungsſtaaten, ihre Beamten allein ernennen. Demnach darf der Landrath auch nicht mehr den Vorſitz im Kreistage führen, ſondern nur ohne Stimmrecht den Verhandlungen beiwohnen. Die ſcharfe Trennung von Aktion und Be - rathung, der Grundgedanke des napoleoniſchen Verwaltungsrechts, ſollte alſo mit allen ihren Conſequenzen nach Preußen hinübergenommen werden; der Landrath war Alles, der Kreisverſammlung blieb nur die Berathung.

Damit ward die lebendige Selbſtverwaltung aufgegeben, und was frommte es noch, daß die Zuſammenſetzung dieſer ohnmächtigen Kreistage allen Wünſchen des Liberalismus entſprach? Neben der Grundherrſchaft hielt der Adel des Oſtens keines ſeiner Standesrechte ſo hoch wie die alte Kreisſtandſchaft. Er hatte es ſchon ſchwer genug verwunden, daß jetzt auch Bürgerliche in die Ritterſchaft eintraten; ſeine Virilſtimmen auf den Kreistagen wollte er ſich aber nimmermehr nehmen laſſen, darüber waren alle Grundherren einig, in den alten Provinzen, in Sachſen und Vor - pommern. Gegen dies alte Recht der Ritterſchaft führte nun die Com - miſſion einen verwegenen Schlag. Sie beſeitigte die Virilſtimmen der Ritterſchaft und gewährte den Großgrundbeſitzern nur das Recht, ein Drittel der Kreisverordneten zu wählen. Die übrigen zwei Drittel ſollten von ſämmtlichen Gemeinden des Kreiſes nach der Kopfzahl erwählt werden. Wählbar waren außer den Grundherren, den Staats - und Communal - beamten alle Kreisinſaſſen von 500 Thlr. Einkommen, und da die Wähler nicht verpflichtet wurden, Männer ihres Standes zu wählen, ſo konnten auch die dem Adel beſonders verhaßten Bauern-Advokaten leicht in den Kreistag gelangen. Der Vorſchlag war ebenſo kühn als ſchlecht vor -113Mängel der Kreisordnung.bereitet; denn wollte man die Ritterſchaft, die bisher die Kreistage allein beherrſcht hatte, mit einem male in die Minderzahl hinabſtoßen, ſo for - derten die Klugheit und die Gerechtigkeit, daß man den großen Grund - beſitzern die Möglichkeit gewährte, ſich durch die Ehrenämter der Kreis - verwaltung ihren wohlberechtigten Einfluß auf dem flachen Lande zu ſichern. Doch für die Lebensbedingungen der ländlichen Selbſtverwal - tung, die überall ariſtokratiſch iſt, beſaß die liberale Bureaukratie keinen Sinn. Und durfte man den Gegenſatz von Stadt und Land, der in der großen Mehrzahl der Kreiſe unverkennbar noch beſtand, durch einen Befehl des Geſetzgebers einfach auslöſchen?

Wie ſchablonenhaft vollends war der Verſuch, den Großgrundbeſitzern überall, trotz der ungeheuren Verſchiedenheit der ſocialen Verhältniſſe, daſſelbe Drittel der Stimmen zu gewähren. Um dieſen künſtlichen Ge - danken auch nur auf dem Papier durchzuführen, mußte die Commiſſion alle Eigenthümer, die 100 Thlr. Grundſteuer zahlten, zu den großen Grundbeſitzern rechnen, ſonſt konnte ſie in vielen Kreiſen der weſtlichen Provinzen gar keinen Großgrundbeſitzer auftreiben. Das verfehlte Un - ternehmen bewies unwiderleglich, daß eine gemeinſame Kreisordnung für den Oſten und den Weſten ebenſo unmöglich war wie eine Landgemeinde - ordnung für das ganze Staatsgebiet. Am Ende ihrer Arbeiten ſprach die Commiſſion noch freimüthig die Befürchtung aus, daß man im Volke vielleicht glauben werde, hiermit ſolle nun die ganze ſtändiſche Angelegen - heit abgethan, das Wort Sr. Majeſtät gelöſt und von einer Verfaſſung für die Monarchie nicht mehr die Rede ſein . Um ſolche Zweifel abzu - ſchneiden, ſchlug ſie einen Schlußartikel vor, worin der König erklärte, das Verhältniß der Kreistage zu den künftigen Ständen der Monarchie würde in der Urkunde über die Verfaſſung näher beſtimmt werden.

Die Arbeit der Commiſſion war verunglückt. Ein Werk aus einem Guſſe, einen haltbaren Unterbau für Preußens Verfaſſung hatte ſie nicht geſchaffen. Grade die beiden wichtigſten Entwürfe, Landgemeinde - und Kreisordnung beruhten auf falſchen Grundgedanken, während die minder erheblichen Vorſchläge zur Reform der Städteordnung auch minder an - fechtbar waren. Und Angeſichts der mächtigen Feinde, welche das ganze Verfaſſungswerk bekämpften, ließ ſich der begangene Fehler ſchwerlich noch zur rechten Zeit ſühnen. Stein in ſeiner Verſtimmung hielt ſich von vornherein überzeugt, daß die Gehilfen Hardenberg’s nur ein Werk des Buralismus und Liberalismus ſchaffen könnten. Und ſchon im Februar, als die Commiſſion ihre Arbeit noch kaum begonnen, hatte das Comité der oſtpreußiſchen Stände, voran der Miniſter Alexander Dohna, an den König eine Adreſſe gerichtet, welche ſich heftig gegen die Karlsbader Be -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 8114III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.ſchlüſſe ausſprach, aber zugleich verlangte, daß bei der Reform des Ge - meindeweſens Alles, was geſchichtlich edel und tief im Leben des Volkes be - ſteht, ſchonend behandelt, und zu der Verfaſſungsberathung Eingeborene aus den Provinzen zugezogen würden. Dieſen Angriff hatte Hardenberg noch durch einen ſcharfen Verweis abgeſchlagen, da das Comité unzweifel - haft über ſeine Befugniß hinausgegangen war. *)S. die Aktenſtücke in Schön’s Papieren, VI. 624 f.Als aber jetzt die Ent - würfe vollendet vorlagen, da erhob ſich ein allgemeiner Sturm am Hofe, unter dem Adel, im Miniſterium ſelbſt. Ein Mitglied des Staatsraths ſagte zu Varnhagen, dies Geſetz ſei ein Feuerbrand zur Revolution . Die Aufhebung der Kreisſtandſchaft, die Schmälerung der gutsherrlichen Rechte, die ſcharfen Eingriffe in das Sonderleben der Provinzen, der wiederholte Gebrauch des verbotenen Wortes Volksvertreter das Alles bot neben den unleugbaren Mängeln der Entwürfe überreichen Stoff zu leidenſchaftlichen Anklagen. Die Hauptbedenken der hochconſervativen Partei wurden ſpäterhin in zwei Sätzen zuſammengefaßt. Die Ent - würfe, ſo hieß es, werfen alle Klaſſen der Einwohner in einander und können daher nicht die Grundlage einer ſtändiſchen Verfaſſung, ſondern nur die einer allgemeinen Volksrepräſentation ſein ; ſodann: ſie wollen den Gemeinden eine geſetzgebende Gewalt geben und ſie zu conſtituirenden Verſammlungen machen. **)So ein von Schuckmann durchgeſehenes Concept: Gründe, weshalb die Com - munalordnungs-Entwürfe nicht zu vollziehen ſind (Mai 1821).

In dieſem gefährlichen Augenblicke ſpielte Benzenberg, der treue Ver - ehrer des Staatskanzlers, ſeinem Gönner einen Streich, wie ihn der ſchlimmſte Feind nicht ärger hätte erſinnen können. Er ließ in Brock - haus Zeitgenoſſen eine anonyme Schrift über die Verwaltung des Staatskanzlers erſcheinen, einen geiſtreichen Panegyricus, der, im Weſent - lichen richtig, nachwies, daß Hardenberg bei allen Wendungen ſeiner Po - litik immer nur die Verfaſſung als letztes Ziel im Auge gehabt. Eine neue Gemeindeordnung, meinte er hoffnungsvoll, iſt ſo gut wie vollendet; mit den Fundamenten der Verfaſſung ſind wir ſchon aus der Erde heraus. Scharfſinnig ſagte er die friedliche ſociale Umwälzung voraus, welche den Hardenbergiſchen Geſetzen folgen müſſe: bis zum Jahre 1850 werde über - all in Preußen ein freier Bauernſtand entſtanden und die Bevölkerung auf 16 Millionen angewachſen ſein. Der warmherzige Publiciſt, den der große Haufe der Liberalen ſchon ſo oft mißverſtanden hatte, war auch jetzt noch keineswegs gemeint, das landläufige Glaubensbekenntniß des Liberalismus nachzuſprechen; vielmehr wollte er die unbedächtigen Libe - ralen warnen, daß ſie nicht durch unzeitigen Eifer den alten welterfah - renen Fabius Cunctator in ſeinen tiefdurchdachten Plänen ſtören möchten. Da die Conſtitutionellen wirklich einigermaßen dumm ſind, ſagte er in115Benzenberg. Bülow-Cummerow.einem vertraulichen Briefe, ſo halte ich es für ein verdienſtliches Werk, wenn man ihnen einmal erklärt, was dieſer ſiebzigjährige Mann für den König und für das Gemeinweſen Alles gethan hat. *)Benzenberg an Graf Solms-Laubach, 10. Aug. 1820.Darum ward er auch von der liberalen Preſſe hart angelaſſen, und Grävell erwiderte ihm in einem Anti B z b g : nicht jeder Zauderer ſei ein Fabius, wie viel ſchneller habe man doch einſt in dem aufgeklärten Königreiche Weſtphalen die Steuerreform beendigt! Ja der Verleger der Zeitgenoſſen, Brockhaus ſelbſt verlegte auch den Anti B z b g und kündigte nachher dem Bewunderer Hardenberg’s als einem verdächtigen Conſer - vativen die Freundſchaft auf, da meine Zeitſchriften pure dem Liberalis - mus und ſeiner Verbreitung gewidmet ſind . Gleichwohl hatte Benzen - berg ſich’s nicht verſagen können, einige halbwahre Schlagwörter des Tages auf ſeinen Gönner anzuwenden: er nannte die Städte-Ordnung und die Agrargeſetze demokratiſch, ſchilderte den Staatskanzler als einen entſchiedenen Liberalen, der die Grundſätze von 89 in Preußen verwirk - licht und neuerdings blos zum Schein dem Strome der Reaction nach - gegeben habe; er behauptete gar was der Meinung Hardenberg’s ſchnurſtracks zuwiderlief die am 22. Mai verheißene Repräſentation des Volks ſchließe ihrem Begriffe nach die ſtändiſche Vertretung aus. In der Geſchichte, ſo weiſſagte er, wird man die Regierung des Königs die bürgerliche nennen; um ſeiner Verfaſſung willen darf Preußen ſelbſt den Krieg mit Oeſterreich nicht ſcheuen, der wird ihm die Herrſchaft über Deutſchland ſichern!

Mit lauter Schadenfreude begrüßten die Feinde der Verfaſſung die ungeſchickte Lobſchrift. Der tiefe, bis zum heutigen Tage noch unverſöhnte Groll des brandenburgiſchen Adels wider den Staatskanzler fand jetzt neue Nahrung. Nun war doch klar erwieſen, daß Hardenberg ſich ſelber als einen Jacobiner verherrlichen ließ, daß er das demokratiſche Reprä - ſentativſyſtem, nicht eine ſtändiſche Verfaſſung erſtrebte. Der Staats - kanzler fühlte, wie ſehr ihn ſein Bewunderer bloßgeſtellt. Er erklärte ſofort in den Zeitungen mit Namensunterſchrift, daß er keinen Antheil an der Schrift habe, ihren Verfaſſer nicht kenne, und ließ durch ſeinen getreuen Scharnweber eine Erwiderungsſchrift ausarbeiten, die aber ſo unglücklich ausfiel, daß man ſie in den Acten vergraben mußte. **)Hardenberg’s Tagebuch, 1. Nov. 1820. Das Manuſkript Scharnweber’s be - findet ſich noch im G. St. Archiv.Seine Verſicherungen fanden nirgends Glauben; konnte er ſich doch in ſeiner Herzensgüte nicht einmal entſchließen, den gewohnten brieflichen Verkehr mit ſeinem Lobredner abzubrechen.

Gegen Benzenberg ſchrieb E. v. Bülow-Cummerow ſeinen Punkt auf’s i ein in Pommern angeſiedelter Mecklenburger von ſcharfem8*116III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.praktiſchem Verſtande, der in Wahrheit keiner Partei angehörte, aber die agrariſchen Intereſſen eifrig vertrat und darum bei den Liberalen bald in den Geruch junkerhafter Geſinnung kam, während ihn ſeine Standes - genoſſen als unruhigen Kopf beargwöhnten. Er war kein unbedingter Gegner des Staatskanzlers und billigte mindeſtens einen Theil der neuen Reformgeſetze. Jetzt aber meinte er die legitime Machtſtellung des Groß - grundbeſitzers bedroht; er verwahrte ſich gegen eine bureaukratiſche Politik, welche dem Adel die Mehrheit auf den Kreistagen rauben wolle, und ge - langte zu dem Schluß: Benzenberg’s Buch beweiſe, wie weit die preu - ßiſche Revolution, gefördert durch die Staatsverwaltung ſelbſt, ſchon fort - geſchritten ſei.

Alle dieſe Feinde ließen ſich überwinden, ſo lange der König ſeinen Kanzler hielt. Schon oft war Friedrich Wilhelm wegen der Folgen der übereilten Verfaſſungszuſage beſorgt geweſen; zuletzt hatte er ſich doch immer wieder mit der Politik Hardenberg’s ausgeſöhnt, ja ſoeben erſt das alte Verſprechen feierlich erneuert und durch neue Verheißungen verſtärkt, die den Staatscredit, wenn man ſie nicht ausführte, ſchwer zu erſchüttern drohten. Der Staatskanzler fühlte ſich ganz ſicher und ließ noch zu Ende Auguſt in der Staatszeitung das Gerücht, daß man ſich mit Provinzial - ſtänden begnügen wolle, als eine böswillige Erfindung ſcharf zurückweiſen. Doch faſt im nämlichen Augenblicke erhielt der König die unglücklichen Entwürfe der Communalordnungs-Commiſſion. Er ſah ſofort, daß die preußiſche Verfaſſung auf ſo ſchwankem Boden unmöglich aufgeführt wer - den konnte, und von Stund an begann er ſich von Hardenberg wieder abzuwenden. Diesmal für immer.

Die Schrift Benzenberg’s verſtimmte ihn tief; er las ſie ſorgfältig und ſchrieb mißbilligende Bemerkungen an den Rand, die dem Kanzler nachher durch Wittgenſtein zugetragen wurden. *)Hardenberg’s Tagebuch, 9., 10. Nov. 1820.Je näher ihm das Schreckbild der Reichsſtände jetzt auf den Leib rückte, um ſo heftiger ſträubte ſich ſein innerſtes Weſen dawider: glückverheißende Thronreden und dank - erfüllte Kammeradreſſen, die dem luſtigen Max Joſeph von Baiern ſo viel Vergnügen bereiteten, waren dem ſchüchternen Friedrich Wilhelm furchtbar. Sein Argwohn gegen die Demagogen hatte ſich noch nicht ge - legt. Da er den Grafen Gröben, der als Bekannter von Görres unge - recht verdächtigt worden war, ſeines unveränderten Wohlwollens verſicherte, konnte er doch die Bemerkung nicht unterdrücken: ſelbſt die frühere Ver - bindung mit einem Manne von weniger bewährten Geſinnungen wird mein Vertrauen gegen Sie nicht verringern. **)König Friedrich Wilhelm an Gröben, 15. Febr. 1820.Und dem badiſchen Ge - ſandten General Stockhorn, der ihm von der wohlthätigen Wirkung der Karlsbader Beſchlüſſe ſprach, gab er zur Antwort: Iſt wohl wahr, aber117Verſtimmung des Königs.damit noch nicht Alles geſchehen. Die Sache iſt ſchon tief eingewurzelt, durch Irrlehren die Jugend ſchon ſehr angeſteckt. In vielen Staaten, meine nicht ausgenommen, viele Staatsdiener aller Klaſſen, ſelbſt Miniſter davon angeſteckt gefunden, werde mich nun aber ernſtlich damit beſchäf - tigen. *)Stockhorn’s Bericht, 25. April 1821.Nun brachte faſt jede neue Poſt ſchlimme Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Spanien und Italien, und überall hatte das Zauberwort Verfaſſung die bewaffnete Macht zum Bruche des Fahneneides verführt: durften ſolche Gräuel unter den ſchwarzundweißen Fahnen möglich werden? Ohne nähere Kenntniß von allen den Sünden des bourboniſchen Regiments, welche die Thorheiten der Revolution nur zu leicht erklärten, ſah der König in dieſer wilden Bewegung eines ver - zweifelnden Volkes nur eine wüſte Empörung und fand es ganz in der Ordnung, daß Oeſterreich die Ruhe in Italien wiederherſtellen wollte. Eine neue Zuſammenkunft der Monarchen in Troppau war bereits ver - abredet. Noch häufiger als ſonſt in den freudloſen Tagen ſeiner Witt - wereinſamkeit ward er jetzt von Anfällen verzagten Trübſinns überwältigt. Er fühlte ſich müde und mit fünfzig Jahren ſchon alt wie viele ſchwere Schickungen hatte er auch in dem Vierteljahrhundert ſeiner Regierung ertragen müſſen! und zuweilen, wie ſchon in früheren Jahren, dachte er ernſtlich daran, die Bürde dieſer Krone niederzulegen, den Abend ſeines Lebens in ländlicher Stille, ſeinen Neigungen gemäß, zu verbringen. **)Hardenberg’s Tagebuch, 11. Nov. 1820.Die Geſchäfte ekelten ihn oft an, und es koſtete Mühe, ihn nur zur Ab - reiſe nach Troppau zu bewegen. ***)Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820.

In ſolcher Stimmung, verdrießlich und muthlos, richtete der König, kurz bevor Hardenberg nach Troppau abreiſte, ein eigenhändiges Schreiben an den Staatskanzler und forderte ihn auf, ſich nochmals über die Ver - faſſungsſache auszuſprechen. †)Hardenberg’s Tagebuch, 5. Nov. 1820.Damit erhielt Hardenberg das erſte be - ſtimmte Anzeichen, daß der König an dem Verfaſſungswerke bereits zu verzweifeln begann; denn mit der Communalordnung fielen auch die Reichsſtände, wenn nicht ein entſchloſſener Wille die ganze Arbeit von vorn begann. Der Kanzler ſah, was auf dem Spiele ſtand und ſendete zur Antwort eine ausführliche Denkſchrift. Er ſchrieb franzöſiſch, ohne Zweifel, weil er vorausſah, daß der König in Troppau die Frage mit den beiden Kaiſern erörtern würde. ††)Das Original dieſer Denkſchrift iſt bisher noch nicht aufgefunden. Ihr weſent - licher Inhalt aber iſt bekannt, da Hardenberg die Hauptſätze derſelben, deutſch überſetzt, in ſeinem Berichte vom 2. Mai 1821 wörtlich wieder anführte.Noch einmal entwickelte er hier den Plan ſeines Zweikammerſyſtems: eine erſte Kammer, gebildet aus den Standesherren, der hohen Geiſtlichkeit, einigen Abgeordneten des Adels und einer beſtimmten Anzahl von Männern des königlichen Vertrauens;118III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.eine zweite Kammer für die drei Stände, gegliedert in drei Bänke, die für ſich berathen und nur bei den Hauptabſtimmungen ſich vereinigen. Um die Bedenken der Altſtändiſchen zu beſchwichtigen, ſchlug er ferner vor, daß ſich die Provinziallandtage ſo nahe als möglich an die alten Territorien anſchließen ſollten. Mit adminiſtrativen Gegenſtänden ſo ſchloß er würde die allgemeine ſtändiſche Verſammlung gar nichts zu thun haben, ſondern ſich blos mit allgemeinen, ihr von Ew. K. Maj. zugeſandten Geſetzen und Sachen beſchäftigen. Ihr von Höchſtdenſelben ernannter Präſident hätte in allen Dingen die Initiative. Die Verſamm - lung wäre nicht öffentlich, nur die Reſultate würden öffentlich bekannt ge - macht. Rein militäriſche Angelegenheiten, Polizei und auswärtige Ange - legenheiten gehören nicht für ſie. Die königlichen Miniſter und Staats - beamte könnten blos vor dem Throne Ew. K. Maj. angeklagt und zur Verantwortung gezogen werden. So dürfte eine allgemeine reichsſtändiſche Verſammlung wohl Nutzen, aber auf keinen Fall Nachtheil bringen. Eine Antwort auf dies Schreiben erfolgte vorläufig nicht, Friedrich Wil - helm ſtand mit ſeinem Kanzler kaum noch im Verkehr.

Je ſchweigſamer der König ſich abſchloß, um ſo ſtärker verſpürte Har - denberg den Einfluß des jungen Kronprinzen, der jetzt zum erſten male in die Geſchicke des Staates einzugreifen begann. Der natürliche, in kräftigen Herrſcherhäuſern immer wiederkehrende Gegenſatz von Fürſt und Thronfolger bewahrt die beharrende Macht der dynaſtiſchen Ueberlieferung vor geiſtloſer Erſtarrung; ihm dankt die Monarchie die Kraft der Ver - jüngung. Auf den Höhen des Lebens iſt kein Amt ſo freudlos, ſo von Verſuchungen bedroht, wie die Stellung des Kronprinzen in einem mäch - tigen Staate; nirgends wird der Geiſt des Widerſpruchs ſtärker gereizt, nirgends der nothwendige Unterſchied der Generationen, die einander nie - mals ganz verſtehen können, ſchmerzlicher empfunden. Im Hauſe der Hohenzollern war ſeit den Tagen Georg Wilhelms und des großen Kur - fürſten noch nie ein Thronfolger mit dem Herrſcher ganz eines Sinnes geweſen; und wie weit erſchien jetzt wieder der Abſtand zwiſchen alter und neuer Zeit: dort der unſcheinbare nüchterne König, der trotz ſeiner innigen Frömmigkeit doch mit ſeiner ganzen Weltanſchauung in der Verſtandes - aufklärung des alten Jahrhunderts wurzelte, hier ſprühend von Geiſt und Witz der enthuſiaſtiſche Jünger der Romantik.

Unter den ritterlichen Königsſöhnen, deren Lebensfülle, Muth und Hoheit der junge Heinrich Heine in ſeinen Berliner Briefen nicht genug bewundern konnte, ſchien dieſer älteſte doch den Preis zu verdienen. Alle Welt nannte ihn den geiſtreichſten Prinzen Europas, und ſein Lehrer Niebuhr hoffte, mit ihm werde eine ſchönere Zeit über Deutſchland kommen und die Vollendung alles deſſen, was heute noch unfertig und unvoll - kommen ſei. Blendend, unwiderſtehlich erſchien er in der Unterhaltung, zumal in dieſen Jugendtagen, da er noch unverbittert, dankbar und em -119Kronprinz Friedrich Wilhelm.pfänglich Alles in ſich aufnahm was nur die Erde an Schönem und Gutem trug; kein Gebiet des Wiſſens war ihm fremd, alle Höhen und Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geiſtvoll, immer eigenthümlich. Wenn er in öffentlicher Verſammlung ſprach, dann be - zauberte er Alles, ein geborener Redner, durch den Wohllaut ſeiner hellen Stimme, durch den Schwung ſeiner Gedanken und den Adel einer form - vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte ſich im bitteren Sarkasmus ebenſo frei wie im harmloſen Spaße, und ſchon damals pflegten die Ber - liner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen zu - zuſchreiben. Bei den Sommerfeſten auf der Pfaueninſel konnte er noch ganz ſo unbändig, in kindlichem Frohſinn mit den Geſchwiſtern tollen und toben wie einſt da er ſich in dem kleinen Garten zu Memel mit dem jungen Argelander gerauft hatte. Vor Fremden zeigte er ein ſtarkes per - ſönliches Selbſtgefühl, ein lebendiges Bewußtſein ſeiner königlichen Würde, weiche Naturen wie Steffens fühlten ſich ganz bewältigt von der kühnen Sicherheit ſeines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgeſtimmten Seele ſein Herz erſchloß, dann rauſchten ihm die Bekenntniſſe von den Lippen, ein mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Begeiſterung. Wie jubelte Bunſen über den Reichthum dieſes königlichen und kindlichen Ge - müths , da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein durch Italien gereiſt war. Als Graf Gröben, der neu ernannte Generalſtabschef des Kronprinzen, ſeinen Dienſt antrat, ſetzte ſich der Prinz mit ihm an einem ſchönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen, und als man früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das Geſpräch noch nicht einen Augenblick geſtockt, und der neue Begleiter war ſeinem jungen Herrn für das ganze Leben gewonnen. *)Nach Graf Gröben’s Aufzeichnungen (1824).

Und doch mangelte dieſem glänzenden Geiſte, der ſo viele bedeutende Männer dämoniſch anzog, das urſprüngliche ſchöpferiſche Vermögen und damit das Geheimniß aller Menſchengröße, die innere Einheit. In der reichen Fülle ſeiner Gaben war keine von wahrhaft genialer Mächtigkeit, keine welche die anderen alle beherrſcht und dem ganzen Leben eine gerade Bahn gewieſen hätte. Nicht wie ein Erzbild, aus vielen Metallen in eines verſchmolzen, erſcheint ſein Charakter in dem Spiegel der Geſchichte, ſondern wie ein kunſtvoll zuſammengefügtes Moſaikgemälde. Darin lag die Herrſchergröße der Hohenzollern ſeit dem großen Kurfürſten, daß ſie alle, die großen wie die kleinen, einfache Menſchen waren, die in dem Wirrwarr der deutſchen Dinge ein klar erkanntes Ziel mit zäher Aus - dauer verfolgten: denn auch in Friedrichs des Großen zwiegetheiltem Geiſte war doch der deutſche Staatsmann unvergleichlich ſtärker als der franzöſiſche Schöngeiſt. Jetzt zum erſten male erſchien auch in dieſem Fürſtenhauſe ein widerſpruchsvoller problematiſcher Charakter, dem das120III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.tragiſche Schickſal beſchieden war, ſich ſelber und der Welt ein Räthſel zu bleiben, ſeine Zeit zu verkennen und von ihr verkannt zu werden, eine echt deutſche Natur, leider, der die Ueberfülle der Gedanken die Schnell - kraft des Entſchluſſes lähmte, ein Fürſt, fähig die höchſten Erwartungen zu erregen und doch keiner ganz zu genügen.

Für ſeine wiſſenſchaftliche Bildung war mit Umſicht geſorgt worden; Niebuhr hatte ihn in die Staatswiſſenſchaft, Wolzogen in die Kriegsge - ſchichte eingeführt. Doch keiner ſeiner beiden Erzieher, weder der milde Theolog Delbrück noch ſpäterhin der höfiſche Ancillon, hatte vermocht den eigenwilligen Sinn des Prinzen durch ſtrenge Zucht zur Selbſtbeherr - ſchung zu zwingen. Nicht als ob er den gemeinen Verſuchungen der Höfe je erlegen wäre: er blieb ſein Lebelang nicht nur ſittenſtreng, ſondern auch innerlich rein, durch und durch ein Idealiſt, mit allen ſeinen Sinnen den ewigen Gütern des Lebens zugewendet. Was ihm fehlte war die Samm - lung des Geiſtes, die dem Reichbegabten am ſchwerſten erreichbar, doch auch für ihn die Vorbedingung alles großen Schaffens bleibt. Wie ein Schmetterling flog ſein Geiſt von Blume zu Blume über die weiten Auen des idealen Genuſſes. Nie war er glücklicher, als wenn ihn ein gött - licher Sommernachtstraum umfing, wenn er von Hellas träumte oder von der ewigen Stadt oder von der Einheit der allgemeinen evangeliſchen Kirche; dann malte er ſich die Bilder ſeiner Sehnſucht in glühenden Farben aus, bis er Traum und Wirklichkeit kaum noch unterſcheiden konnte. Als er zum erſten male nach Rom kam, fühlte er ſich alsbald wie daheim: ſo leibhaftig hatte er die Amphitheater, die Obelisken und die Dome ſchon in ſeinen Träumen geſehen. Einem ſo vielſeitigen, ſo unſtet in die Weite ſchweifenden Geiſte lag die Gefahr des Dilettantismus ſehr nahe, und wie ſo viele Dichter der romantiſchen Schule mehr geiſtreiche Kenner waren als ſchöpferiſche Künſtler, ſo fand auch dieſer Staatsmann der Romantik ſeinen Beruf mehr im Anregen neuer Gedanken als im Ge - ſtalten und Vollbringen.

Die ſtärkſte Kraft ſeiner Seele war das religiöſe Gefühl. Wohl vertraut mit der Dogmatik und der Kirchengeſchichte, beugte er ſich in Demuth vor der chriſtlichen Offenbarung. Ohne den perſönlichen Verkehr mit ſeinem Herrn und Heiland ſchien ihm das Leben des Lebens nicht werth; wenn ihn die heilige Andacht durchſchauerte, dann war es zu - weilen, als ob der Geiſt ſeines Lieblingsbuches, des Pſalters aus ihm redete, und ein Klang von Davids Harfe tönte durch ſeine begeiſterten Worte. Er hoffte auf die Zeit, da der chriſtliche Glaube die weite Erde bezwingen und überall die eine Kirche herrſchen würde, evangeliſch, ohne ſichtbares Oberhaupt, aber frei und weit genug um verſchiedene Bekenntniſſe zu ertragen; dann ſollten die Biſchöfe wieder alle auf ihren alten Sitzen thronen und auch das altbibliſche Amt der Diakonen wieder aufleben. Nichts ſchien ihm haſſenswürdiger als Gewiſſenszwang oder die Ver -121Religiöſe Geſinnung des Kronprinzen.miſchung geiſtlicher und weltlicher Dinge; er dachte die Tage noch zu er - leben, da er die oberſtbiſchöfliche Gewalt in die Hand der Kirche ſelbſt würde zurückgeben können, und verhehlte nicht, daß er die gegenwärtige Verfaſſung der evangeliſchen Landeskirche nur als einen Uebergangszuſtand anſah. Seit König Friedrich II., ſo ſchrieb er in dieſen Tagen, hat man ſich bemüht, in den Geiſtlichen nichts als Staatsdiener zu ſehen, und dieſer unglücklichen Verkehrtheit ſchreibe ich großentheils das ungeiſt - liche Leben ſo vieler! unſerer Geiſtlichen zu. *)Separatvotum des Kronprinzen, 14. Febr. 1820.Das Idealbild der Kirchenfreiheit beſchäftigte den Kronprinzen in ſeinen beſten Stunden; die Frage, wie ſich der ſouveräne Staat neben dieſer freien Kirche behaupten ſolle, ſtand ihm erſt in zweiter Reihe.

Unzertrennlich war dieſe Kraft des religiöſen Gefühls mit der reichen künſtleriſchen Begabung Friedrich Wilhelms verbunden. Manche hielten ihn ſchlechtweg für eine Künſtlernatur. Aber wie hätte die höfiſche Er - ziehung ihm bieten können was dem Künſtler die Luft des Lebens iſt: Natur und Freiheit! Er hatte des Schönen überviel, und mit ſeligem Entzücken, geſehen; doch den goldenen Boden des Handwerks, dem die ge - ſunde Kunſt entſprießt, kannte er nicht, und die rechte Künſtlerwonne, das fröhliche Wandern mit dem Ränzel auf dem Rücken, blieb dem Königs - ſohne verſagt. So zeigten ſich doch bald in ſeinen künſtleriſchen Verſuchen die Spuren eines überbildeten Sinnes; ſeine Baupläne und Zeichnungen waren alleſammt eigenthümlich, manche überaus geſchmackvoll, aber auch manche ſchrullenhaft, überladen mit geiſtreichen Motiven, die keinen Ge - ſammteindruck aufkommen ließen. Auch ſein äſthetiſches Urtheil blieb nicht frei von dieſer Neigung zum Abſonderlichen. Er bezeigte jedem Talente, das neu auftauchte, freudige Theilnahme und ging auf Schinkel’s Pläne mit einem Verſtändniß ein, das den Meiſter in Erſtaunen ſetzte; er be - trieb mit enthuſiaſtiſchem Eifer den Wiederaufbau der Marienburg, und das ſollte ihm ein Feſt ſein, wenn er dereinſt ſeinen Niebuhr nach Griechen - land ſenden könnte um die Wunderwerke der helleniſchen Kunſt, die dort noch im Boden ſchlummerten, ausgraben zu laſſen. Seine Lieblinge unter den Kunſtwerken aller Zeiten blieben gleichwohl die Baſiliken von Ravenna, jene ernſten Bauten, die an der Grenze zweier Weltalter aufgerichtet, dem ſchlichten Sinne wohl ehrwürdig und geſchichtlich lehrreich, doch nimmer - mehr einfach ſchön erſcheinen können. Dort fühlte er ſich glücklich, in der einſamen Apollinariskirche, wo die heiligen Bilder altchriſtlicher Kunſt ſteif und feierlich von dem Goldgrund der Wände niederſchauen; in dieſer Dämmerwelt ſah er Heidenthum und Chriſtenthum, Morgenland und Abendland, Gothen, Byzantiner und Römer vor ſeinen ahnenden Blicken phantaſtiſch durcheinander ſpielen.

Seine politiſchen Anſichten hatte er ſich erlebt in den Leidensjahren122III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.ſeiner Jugend, darum waren ſie mit ſeinem ganzen Weſen feſt verwachſen. Niemals vergaß er, wie ſeine Mutter, die unausſprechlich geliebte, einſt auf der Treppe des Schloſſes von Schwedt den Söhnen die Schreckens - nachricht aus Jena mitgetheilt und wie ſie nachher ihnen ans Herz gelegt hatte den preußiſchen Degen zu führen um ihre unglücklichen Brüder, die Oeſterreicher zu rächen. Alle die Demüthigungen, welche ſein Vater von dem übermüthigen Sieger erlitten, blieben dem Sohne unauslöſchlich ins Herz gegraben; ganz vergeblich hatte der Imperator auf der Dresdener Zuſammenkunft 1812 den gütigen Oheim geſpielt und dem Prinzen geſagt, wie ähnlich er Friedrich dem Großen ſehe. Napoleon galt dem Erben der preußiſchen Krone als der Held der Revolution, als der Vertreter jenes Lügengeiſtes , der, Glauben und Recht verneinend, die alte glückliche Ordnung Europas in einem Meere von Blut und Thränen ertränkt hatte, und es bedurfte kaum der Lehren Ancillon’s um den Prinzen in dieſem Urtheil zu beſtärken. In ſolcher Geſinnung nahm er theil an dem Be - freiungskriege und bemerkte nicht, daß die erwachenden Nationen in Bona - parte den Despoten haßten, daß ſie von dem Siege nicht die Wiederkehr der alten Zuſtände, ſondern das unbeſtimmte Glück der Völkerfreiheit er - warteten. Nun ſtand es wieder aufrecht, das alte Königthum von Gottes Gnaden, und der Drache der Revolution lag gebändigt vor dem blanken Schilde der chriſtlichen, legitimen Monarchie. Nimmer wieder durfte ein Uſurpator den Thron des heiligen Ludwig beſteigen, und noch auf lange hinaus mußte der Bund der vier Mächte aufrecht bleiben, unter der weiſen Führung Metternich’s, dem der Kronprinz eine unbegrenzte Verehrung widmete. So konnte vielleicht nach dem großen Schiffbruch der letzten Jahre doch etwas wiederhergeſtellt werden von den alten Formen der chriſtlich-germaniſchen Welt.

Von dem alten heiligen Reiche hatte ſich der Prinz ein Bild ent - worfen, das ebenſo geiſtvoll und farbenprächtig, aber auch ebenſo willkür - lich war wie jene bezaubernde Schilderung des romantiſchen Schwärmers Novalis von den ſchönen, glänzenden Zeiten, wo Europa ein chriſtliches Land war, wo eine Chriſtenheit dieſen menſchlich geſtalteten Welttheil be - wohnte . Er dachte ſich einen Kaiſer aus dem alten Erzhauſe, frei ge - wählt durch die durchlauchtigen Genoſſen, und begriff nicht, warum der Kurfürſt-Kämmerer von Brandenburg nicht auch jetzt noch, trotz ſeines königlichen Titels, Kaiſerlicher Majeſtät das ſilberne Becken reichen ſollte. Unter dem Kaiſer ſodann freie Fürſten über freien Völkern ; überall ein mächtiger Adel, der ſeine Bauern väterlich regierte und auf den Tagen der getreuen Landſtände den Ausſchlag gab; die Bürgerſchaft endlich in Innungen gegliedert und ihres alten Zunftbrauchs froh. An ſolchen Träumen hing ſein Herz. Er lebte in Zeiten, die geweſen. Er ſah den Lauſitzer Stier und den Löwen von Jülich, das cleviſche Kleerad und alle die weißen, rothen und grünen Greifen der pommerſchen Herzogthümer,123Hiſtoriſche Romantik des Kronprinzen.ein glänzendes Gewimmel althiſtoriſcher Landſchaften unter den Flügeln des ſchwarzen Adlers vereinigt und gedachte dieſe Fülle geſchichtlichen Lebens wieder herzuſtellen, in jeder Landſchaft des Reiches die Gliederung der Stände neu zu beleben. Er ward nicht müde, überall in der Heimath die Stätten großer Erinnerungen oder die Spuren alten Volksbrauchs aufzuſuchen. Bald beſuchte er in den Marken die Gräber der Ascanier oder in Quedlinburg die Wiege der Sachſenkönige, bald nahm er fürlieb am Tiſche eines weſtphäliſchen Hofſchulzen und freute ſich der alten un - verſtümmelten Cheruskerſitte; mit beſonderer Vorliebe verweilte er am Rhein und in Altpreußen, in den grandioſen Hallen der gothiſchen Dome und der Ordensburgen.

Neben ſolchen Bildern alter deutſcher Herrlichkeit blieb in ſeinem Herzen nur wenig Raum für die lebendige preußiſche Staatsgeſinnung. König Friedrich’s thatenfroher Genius hatte ſich den Werdegang der deut - ſchen Geſchichte ſo zurechtgelegt, als ob die zwei letzten Jahrhunderte immer nur in vergeblichen Anläufen nach einem Ziele geſtrebt hätten, das jetzt endlich, durch die ſchleſiſchen Kriege, erreicht werden ſollte. Vor dem Künſtlerauge dieſes jungen Prinzen dagegen geſtaltete ſich das Bild der vaterländiſchen Vorzeit ſo wunderreich und prächtig, daß der Staat der Gegenwart und die ſtolzen Hoffnungen der preußiſchen Zukunft daneben faſt verſchwanden. Der Kronprinz war zuerſt ein legitimer, chriſtlicher Fürſt, dann ein Deutſcher und zuletzt ein Preuße. Wohl beglückte ihn der Gedanke, daß er dereinſt als der Siebzehnte an die erlauchte Reihe von ſechzehn Kurfürſten und Königen ſich anſchließen ſollte. Aber außer den Befreiungskriegen hatten Preußens Annalen doch nur wenige Blätter aufzuweiſen, die er mit ungemiſchter Freude betrachten konnte. Im Kampfe mit dem Erzhauſe Oeſterreich und den verlogenen Formen der Reichsver - faſſung, im Kampfe mit der Herrſchſucht zeternder Theologen, im Kampfe mit dem Sondergeiſt der Landſchaften und der Zuchtloſigkeit der ſtändi - ſchen Libertät war dies ganz moderne, weltliche Königthum emporgeſtiegen. Keiner ſeiner großen Ahnen ſtand dem Herzen dieſes Enkels recht nahe. Die Rauheit Friedrich Wilhelm’s I. ſtieß ihn ab, und wie aufrichtig er auch Friedrich’s perſönliche Größe verehrte, mit den Ideen des königlichen Freigeiſtes, der zuerſt den deutſchen Dualismus zu löſen gewagt, hatte der Nachkomme doch wenig gemein, der ſeiner Nation nichts Schöneres zu wünſchen wußte, als die friedliche Zweiherrſchaft.

Auch die beiden kräftigſten Stützen des preußiſchen Königthums ver - ſtand er nicht ganz zu würdigen. Das Beamtenthum mit ſeiner gleich - mäßigen Ordnung war ihm langweilig, den Verkehr mit den alten Ge - heimen Räthen liebte er wenig; er urtheilte über den Formalismus des grünen Tiſches mit einer Schärfe, die er gegen die Sünden des Adels - hochmuths nicht anwendete, und von allen Wiſſenſchaften war ihm wohl keine innerlich ſo fremd wie die Rechtswiſſenſchaft, obwohl er den geiſt -124III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.vollen rechtshiſtoriſchen Forſchungen ſeines Freundes Savigny mit Theil - nahme folgte. Von der Armee aber ward er durch ſeine unmilitäriſchen Neigungen getrennt. Wohl ſprach er mit Stolz von dieſem Heere, dem erſten der Welt , und verſicherte oft: ich fühle mich ganz als preußiſcher Offizier. Auch auf dem Schlachtfelde hatte er ſich unerſchrocken gezeigt und einmal im Kugelregen den Offizieren, die ihn zur Vorſicht mahnten, gleichmüthig erwidert: Was wär es denn weiter? Dann würde mein Bruder Wilhelm Kronprinz. Nach dem Kriege führte er den Oberbe - fehl über das pommerſche Armeecorps und lernte viel von ſeinem geiſt - reichen militäriſchen Begleiter, Oberſt Schack, dem allzu früh verſtorbenen Liebling York’s. Gleichwohl bemerkte man bald, daß die Pünktlichkeit und das Einerlei des Dienſtes dem Prinzen läſtig waren. Offenherzige Ge - nerale geſtanden, er verſtehe mit alten Soldaten nicht recht umzugehen, und die ihn näher kannten, wußten wohl, daß er den Krieg verabſcheute, daß die Friedensliebe der Hohenzollern dieſen Sohn des Hauſes nur allzu ſtark beherrſchte. Mit den Offizieren, die er bevorzugte, mit C. v. Röder, Gröben, Williſen, L. v. Gerlach verband ihn mehr die gemeinſame kirch - lich-politiſche Geſinnung als die militäriſche Kameradſchaft.

Der Kronprinz verachtete den bureaukratiſchen Zwang, und da er über die Aengſte der Polizei, über die Mißgriffe der Verwaltung ſich ſehr freimüthig äußerte, ſo gerieth er bei Halbkundigen leicht in den Ruf des Liberalismus; ſein Oheim, der ſtarre Hochtory Ernſt Auguſt von Cum - berland beſchuldigte ihn gar jakobiniſcher Neigungen. Er ſelber war auch keineswegs gemeint, den Strom der Zeit einfach abzudämmen; vielmehr glaubte er ſich berufen, zwiſchen den beiden extremen Parteien, welche die Welt erſchütterten, weiſe zu vermitteln und bezeichnete ſeine Stellung gern mit dem Ausſpruch de Maiſtre’s: wir wollen weder die Revolution, noch die Gegenrevolution, ſondern das Gegentheil der Revolution. Gneiſenau aber ſchrieb dem Staatskanzler: der Kronprinz möchte lieber die Gewäſſer wieder gegen ihre Quellen leiten als ihren Lauf in die Ebene regeln. *)Gneiſenau an Hardenberg, 6. Febr. 1821.Und ſein Feldherrnblick ſah ſchärfer als die Selbſterkenntniß Friedrich Wilhelm’s. Die politiſchen Ideen Niebuhr’s und Savigny’s wurden von dem Prinzen gelehrig aufgenommen, aber durch die hiſtoriſche Sehnſucht ſeines erregten Gemüths ſo lange umgebildet, bis er ſchließlich der libe - ralen Welt weit ferner ſtand, als ſein ſchlichter Vater. Der König hatte ſich nicht geſcheut, jene Revolution im guten Sinne zu wagen, jene ſociale Umwälzung, die mit den verrufenen Ideen von 89 doch Vieles gemein hatte, und auch jetzt hielt er die Grundgedanken moderner Staats - einheit und Rechtsgleichheit feſt, wenngleich ihn manche Erſcheinungen der Zeit mit Beſorgniß erfüllten. Der Thronfolger dagegen haßte die Revo - lution ſchlechthin, er ſah in ihr eine Macht der Finſterniß, die aus der125Der Kronprinz und die Revolution.Geſchichte verſchwinden müſſe, obwohl ſie ſchon längſt ihren Namen mit ehernem Griffel in die Annalen Europas eingetragen hatte.

Mehr und mehr näherte er ſich den Anſchauungen Haller’s und ſeiner Schüler, der Brüder Gerlach. Alſo gerieth er in einen ebenſo tra - giſchen Widerſpruch mit den vorwärts drängenden Gedanken des Jahr - hunderts, wie weiland ſein Vorfahr Joachim I., dem er auch in den Ge - ſichtszügen auffallend ähnelte. So grundverſchieden auf den erſten Blick die beiden Charaktere erſcheinen mögen, der harte, praktiſch nüchterne, eng - herzige Joachim und ſein begeiſterter, liebevoller, unerſchöpflich wohlthätiger Nachkomme: der geiſtige Hochmuth, die Geringſchätzung der lebendigen Kräfte einer ringenden und gährenden Zeit war Beiden gemeinſam. Wie Joachim aus der feſten Burg ſeiner canoniſchen Gelehrſamkeit hoffärtig herabſah auf den plumpen Wittenberger Mönch, der ſich erdreiſtete, den kunſtvollen Bau ſo vieler Jahrhunderte zu zerſtören, ſo wollte Friedrich Wilhelm in den mächtig hereinfluthenden liberalen Ideen nichts ſehen als Dummheit und Bosheit. Gewiß war ſeine Geſammtanſicht vom Staate tiefſinniger und im Grunde auch freier als die platte Doktrin des libe - ralen Vernunftrechts, und auch über viele einzelne politiſche Fragen ur - theilte er richtiger als die Gegner: er erkannte die Gebrechlichkeit einer auf Meinungen, nicht auf reale Intereſſen geſtützten Parteibildung und täuſchte ſich niemals über den Werth der vielbewunderten conſtitutionellen Freiheit Frankreichs. Doch er ſah nicht, daß hinter den oft ſo geiſtloſen Reden der liberalen Kammerredner und Publiciſten eine lebensvolle, zu - kunftsreiche ſociale Kraft ſtand, der Mittelſtand der Nation, deſſen Reich - thum und Bildung mit jedem neuen Friedensjahre ſtetig wuchs. Ihm entging, daß dieſelbe Macht der Geſchichte, welche einſt die alte ſtändiſche Gliederung geſchaffen, ſchon vor dreihundert Jahren den erſten Stand, den Clerus aus ſeiner Herrenſtellung verdrängt hatte und ſeitdem un - aufhaltſam daran arbeitete, auch die anderen ſtändiſchen Gegenſätze zu mildern. Und wie einſt jener Joachim mit aller ſeiner Klugheit und Strenge nicht verhindern konnte, daß gleich nach ſeinem Tode die evan - geliſche Lehre in die Marken einzog, ſo ſollte dieſem Enkel noch das härtere Schickſal werden, daß er ſelber den ſo tief verachteten conſtitutionellen Ideen die Thore ſeines Staates öffnen mußte.

Wer könnte ohne ſchmerzliche Bewegung das Bild dieſes zum Mar - tyrium auserſehenen Fürſten betrachten? Zu allem Herrlichen ſchien er geboren, verſchwenderiſch hatte ihm die Natur Kopf und Herz ausgerüſtet; nur jene einfachen, maſſiven Gaben, die den Staatsmann machen, blieben ihm verſagt. Ihm fehlte der Sinn für das Wirkliche, der die Dinge ſieht wie ſie ſind, und der geradaus das Weſentliche treffende ſchlichte Menſchenverſtand. Wie ſchwer fiel es doch dieſem Künſtler der Rede, deſſen geſprochenes Wort ſo Viele beſtach, in ſeinen Denkſchriften und Briefen beſtimmt zu ſagen, was er eigentlich wollte. Durch gehäufte Aus -126III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.rufungszeichen und zwei - und dreifache Unterſtreichungen ſuchte er zu er - gänzen, was er trotz ſeiner ſeltenen Sprachgewalt nicht ausdrücken konnte; der klare Geiſt bedarf ſolcher Krücken nicht, weil er durch den Bau ſeiner Sätze den Leſer zwingt, die Worte richtig zu betonen. Ihm fehlte auch die friſche Kraft des Wollens. Die Offiziere bemerkten bald, daß er nicht zu befehlen verſtand und ſeinen Geboten ſchlecht gehorcht wurde. Seine Stimmung ſprang jählings um von gütiger Hingebung zu aufbrauſender Heftigkeit, und ſein blendender Witz gemahnte oftmals an den thatloſen Humor Hamlet’s. Solche Bedenken wurden ſchon damals laut; General Wolzogen faßte ſie höflich umſchreibend dahin zuſammen: gewiß, er iſt ein Genie, aber ich zweifle, ob Preußen ein Genie ertragen kann. Für uns Nachlebende fällt noch ein räthſelhaftes pathologiſches Moment ins Ge - wicht, das der freimüthige Hiſtoriker zwar nur erwähnen, aber nicht ver - ſchweigen darf. Es iſt möglich, daß die unheimliche Krankheit, welche dieſen reichen Geiſt am Abend ſeines Lebens mit ihrem nächtigen Schleier bedeckte, ſchon in früheren Jahren ſich auf Augenblicke angekündigt hat, und unzweifelhaft erwieſen, daß ſpäteſtens ſeit dem Jahre 1848 im Leben Friedrich Wilhelm’s Wendungen eintraten, welche ſich kaum anders als aus augenblicklicher Geiſtesabweſenheit erklären laſſen. Die erſten Spuren dieſer ſchrecklichen Heimſuchung werden wohl immer in Dunkel gehüllt bleiben.

Um dieſe Zeit machten zwei neue politiſche Schriften in den hoch - conſervativen Kreiſen Preußens die Runde. Der Reſtaurator der Staats - wiſſenſchaft gab jetzt den allgemeinen Grundſätzen ſeines großen Werkes die Nutzanwendung und ſagte in ſeiner Schrift über die Conſtitution der ſpaniſchen Cortes allen conſtitutionellen Beſtrebungen ſo ſchonungslos den Frieden auf, daß die Behörden ſeiner Heimath für gerathen hielten, das Buch zu verbieten. Metternich aber gab dem ſpaniſchen Geſchäfts - träger, als dieſer für Oeſterreich das gleiche Verbot forderte, die gelaſſene Antwort: erſt möge man der ſpaniſchen Preſſe die Angriffe auf Oeſter - reich unterſagen. *)Kruſemark’s Bericht, 27. Sept. 1820.Und wohl hatte er Grund, den Berner zu beſchützen. Denn grauſamer war das Ideal der liberalen Doktrinäre noch nie miß - handelt worden. Wenn ſich nur mit dieſer wohlfeilen Kritik der radikalen Thorheiten einige hiſtoriſche Gerechtigkeit gepaart hätte! Kein Wort davon, daß dieſe monarchiſche Verfaſſung ohne monarchiſche Gewalt entſtanden war in einer Zeit, da König Ferdinand ſein Land treulos verlaſſen hatte; kein Wort von den himmelſchreienden Schandthaten des reſtaurirten Des - potismus, welche das königstreue Volk zur Wuth geſtachelt hatten. Nur die Sophiſtenzunft, die mächtige Sekte, die in Frankreich den Thronfolger er - morden läßt , hatte dies Grundgeſetz zu Stande gebracht, und nicht um ſeinetwillen, ſondern um ihre eigene Souveränität zu gründen die -127Haller. De Maiſtre.ſelben Literatori, die auch in Deutſchland ſchreiend und ſchreibend an den Thronen rütteln. Haller ſcheute ſich nicht, den Eidbruch offen zu pre - digen: ein Eid, der den König zur Verachtung aller göttlichen und menſch - lichen Geſetze verpflichtet, iſt ein Scandal, eine Läſterung Gottes und mit - hin unverbindlich. Zugleich ſprach er nochmals aus, daß ſein gottge - wollter Staat nur eine privatrechtliche Geſellſchaft ſein und auf alle Kulturzwecke verzichten ſolle; er verwarf die allgemeine Beſteuerung, die Conſcription, die Staatsſchule und klagte: ſo nimmt die Sekte uns zu - gleich Eigenthum, Körper und Seele! Zum Schluß wendete er ſich an Europas Könige, die deutſchen zumal: Fliehet das Wort Conſtitution; es iſt Gift in Monarchien, darum, weil es eine demokratiſche Grundlage vorausſetzt, den inneren Krieg organiſirt und zwei auf Leben und Tod gegen einander kämpfende Elemente ſchafft. Nur Land - oder Provin - zialſtände, wie die Natur ſie ſchuf , ziemen der Monarchie, auf daß die Idee der Macht durch die freie und freudige Zuſtimmung der unmittel - baren Getreuen verherrlicht werde. Auch ein Hieb gegen das preußiſche Kronfideicommiß ward mit angebracht: veräußert jene urſprünglichen Stammgüter, die Zierden Eures Hauſes nicht. Vor Allem aber: Krieg, heiligen Krieg gegen die Sophiſten, die ſich ſelbſt durch ihre Grundſätze und ihre Verbindung von Eurem Volke geſondert haben! Jeder Satz ſchien darauf berechnet, die Kluft zwiſchen den deutſchen Parteien gewalt - ſam zu erweitern, und in der That hat Haller zur Vergiftung unſeres politiſchen Lebens mehr als irgend ein anderer Publiciſt beigetragen.

So fanatiſche Grundſätze konnte der feine Sinn des Kronprinzen ſich nicht ohne Vorbehalt aneignen; die freche Anpreiſung des Eidbruchs mußte ihn abſtoßen. Trotzdem erkannte er nicht, daß dieſer Reſtaurator, der die drei großen preußiſchen Bürgerpflichten, Wehrpflicht, Steuerpflicht, Schulpflicht, gänzlich verwarf, auch von den Lebensbedingungen des preu - ßiſchen Staates nichts ahnen konnte. Die Unterſcheidung der naturge - mäßen Landſtände und der demokratiſchen Conſtitutionen ſagte ihm zu, und an das Daſein der über Europa verzweigten Sophiſtenverſchwörung glaubte er alles Ernſtes. Der Name Haller’s ſtand eben jetzt, da er dies wüthende Libell herausgegeben hatte, im kronprinzlichen Palaſte hoch in Ehren, und es ſcheint ſicher, daß man in den Hofkreiſen ernſtlich daran dachte, den großen Berner Patricier nach Berlin zu rufen. Da wurde zum Glück Haller’s Abfall von der proteſtantiſchen Kirche ruchbar, und nunmehr wagte Niemand, dem Könige von der Berufung zu ſprechen. Auch der Kronprinz hätte den Reſtaurator jetzt nicht mehr in ſeiner Um - gebung geduldet, denn die evangeliſche Kirche blieb ihm heilig, obſchon er manchen Gedanken des Katholicismus ſehr weit entgegenkam.

Noch weiter ab von der Gedankenwelt des proteſtantiſchen Nordens lag die Schrift des Grafen de Maiſtre vom Papſte , ein Buch, das ſchon acht Jahre früher, vermuthlich zur Bekehrung des Czaren Alexander,128III. 2. Die letzten Reformen Hardenbergs.verfaßt war, aber erſt 1819 in Paris veröffentlicht und erſt jetzt in Deutſchland bekannt wurde wohl das ſchönſte Werk der neueren ultra - montanen Publiciſtik, meiſterhaft geſchrieben, unerbittlich folgerecht in ſeinen Schlüſſen und durchglüht von einer Wärme der Ueberzeugung, die auch den Gegner zur Achtung zwang. Rund und nett ward hier die furchtbare Lehre der päpſtlichen Unfehlbarkeit aufgeſtellt eine Doktrin, die ſich aus dem Werdegang der römiſchen Kirche mit logiſcher Nothwendigkeit er - gab, aber inmitten der nationalkirchlichen Gebilde des achtzehnten Jahr - hunderts ſich noch nicht recht offen herausgewagt hatte. Da jedes menſch - liche Geſetz unvollkommen iſt und der Ausnahmen bedarf, ſo muß eine unfehlbare höchſte Gewalt beſtehen, ausgeſtattet mit dem Rechte zu binden und zu löſen. Den unmittelbar von Gott eingeſetzten weltlichen Souveränen wird dieſe Unfehlbarkeit menſchlicherweiſe beigelegt, wirklich vorhanden iſt ſie nur in dem Statthalter Chriſti. Darum verkettet ein Band des Ge - horſams alle legitimen Souveräne mit dem heiligen Stuhle, dem Schieds - richter der Staatenwelt, und nur auf dem Boden der katholiſchen Glau - benseinheit iſt ein geſundes politiſches Leben denkbar. Was kümmerte dieſen Schwärmer die unbeſtreitbare Thatſache, daß die politiſche Ent - wicklung der proteſtantiſchen Völker bisher in leidlichem Frieden verlaufen war, während die Revolution, in dem katholiſchen Frankreich geboren, die katholiſchen Staaten, und ſoeben wieder die beiden Halbinſeln Südeuro - pas, mit krampfhaften Zuckungen heimſuchte? Er hatte für ſich die dia - lektiſche Kraft des Wortes: wer Autorität ſagt, der ſagt Papſt oder er ſagt gar nichts.

Die Angſt vor der Revolution beherrſchte aber die deutſchen Höfe ſo gänzlich, daß mancher geiſtreiche Proteſtant auf die Weisheit des clericalen Savoyarden ſchwur, ohne zu bemerken, wie feſt jeder Satz dieſes wohlge - fügten Lehrgebäudes mit der päpſtlichen Unfehlbarkeit zuſammenhing. Gentz, der im Kerne ſeines Weſens doch immer ein Kantianer blieb, er - klärte de Maiſtre’s Schrift für das erſte Buch des Jahrhunderts und rief entzückt: das iſt mein Mann! Einzelne blendende Paradoxen des geiſt - reichen Ultramontanen wurden in der vornehmen Welt mit Frohlocken umhergetragen, ſo das berühmte Schlagwort, das faſt wörtlich mit Haller übereinſtimmte: die Fürſten verdanken den Völkern nur leeren Glanz, die Völker verdanken den Fürſten ihr Alles, ihr ſociales Daſein. Auch der preußiſche Kronprinz berauſchte ſich an dem Weihrauchduft dieſer legitimiſtiſchen Halbwahrheiten.

Monarchen von ſtarkem Selbſtgefühl pflegen ihren Thronfolger mit einer gewiſſen Härte von den Geſchäften fern zu halten. König Friedrich Wilhelm aber ſchaute mit väterlichem Stolz auf ſeinen vielverheißenden Erben, der dem Vater ſtets mit kindlicher Pietät begegnete. Das Miß - trauen, das ihn vor genialen Naturen ſo häufig überkam, verleugnete ſich ganz gegenüber dieſem Sohne, in deſſen Weſen doch Vieles lag was im129Der Kronprinz und Hardenberg.tadelnden Sinne genialiſch heißen konnte. Auf Hardenberg’s Rath wurde der Kronprinz ſchon gleich nach dem Kriege in das Staatsminiſterium eingeführt*)Hardenberg’s Tagebuch, 28. Dec. 1815., und da er es dort wie nachher im Staatsrathe nicht an feinen Bemerkungen fehlen ließ, ſo glaubte der beſcheidene König bald in ſeinem Fritz ein überlegenes ſtaatmänniſches Talent zu entdecken, während er in Wahrheit ſelber einen ungleich ſchärferen politiſchen Blick beſaß als der Thronfolger. Mit dem geiſtreichen alten Staatskanzler unterhielt ſich der Kronprinz gern, wie er denn im geſelligen Verkehr das ſchöne Vorrecht der königlichen Unparteilichkeit immer ausübte und mit Staatsmännern jeder Richtung, mit W. Humboldt, Schön, Niebuhr wenn ſie nur Geiſt hatten freundſchaftlich umging. Während des Kampfes um die Steuerreform ſchrieb er dem Staatskanzler einmal: Und das Eine müſſen Sie mir glauben, daß die Worte: Freundſchaft, Vertrauen, Verehrung keine leeren Laute in meinem Munde ſind und wahrlich weiß ich keine anderen zu gebrauchen, wenn ich von meinem Verhältniß zu Ihnen rede. Im Augenblicke des Niederſchreibens mochte er, leicht erregbar wie er war, ſolche Gefühle auch wirklich hegen. Ein feſtes, dauerndes Zutrauen zu dem alten Herrn, der ſo ganz ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts war, vermochte er doch nie zu faſſen. Der bureaukratiſch-liberale Zug der Hardenbergiſchen Politik blieb ihm verdächtig, und über das anſtößige häusliche Leben des Kanzlers äußerte er ſich ſehr bitter.

Die Zuſage der landſtändiſchen Verfaſſung erfüllte den Kronprinzen mit frohen Hoffnungen, da er den geſtrengen alten Abſolutismus immer nur als einen Nothbehelf betrachtet hatte. Aber daran war ihm kein Zweifel auf den wiedererweckten, ſtändiſch gegliederten alten Landtagen mußte der Adel eine mächtige Stellung behaupten, ein Stand, deſſen Zukunft den Prinzen überhaupt lebhaft beſchäftigte. In einer der wenigen Denkſchriften, die ſich von ihm aus dieſen Jahren vorfinden, er - örtert er ſehr ausführlich die Frage, ob den Häuptern der reichsunmittel - baren Geſchlechter der Titel regierender Fürſt gebühre was er be - jahr und verwirft für dieſe Häuſer den unhiſtoriſchen Namen der Standesherren, der nur für die privilegirten Baronate Schleſiens und der Lauſitz gelten könne: jetzt vorzüglich, da das ſtändiſche Weſen im Werke iſt, darf keine Verwirrung in dem Charakter der großen Familien des Landes erzeugt werden. **)Separatvotum des Kronprinzen, 11. Mai 1822.Nicht minder feſt ſtand ihm die Meinung, daß die neuen Provinzialſtände ſich an die althiſtoriſchen Territorien an - ſchließen müßten; darum hieß er die altſtändiſche Bewegung der jülich - cleve-märkiſchen Edelleute willkommen und dankte ihnen, daß ſie ihr Augenmerk dahin richteten dem Neuen ein bewährtes Fundament unter -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 9130III. 2 Die letzten Reformen Hardenbergs.zulegen . Die ſchwierige Frage, wie ſich dieſe alten Territorialſtände mit der neuen Provinzialeintheilung vertragen ſollten, erregte ihm wenig Bedenken. Im Uebrigen wollte er den Unterthanen durchaus kein vor - lautes Dreinreden in die Verfaſſungsfrage geſtatten, wie er auch in ſeinen ſpäteren Jahren der Krone gern die Stelle der Vorſehung vorbehielt; das Volk hatte ſchweigend abzuwarten, was der König über die Landſtände verfügen würde. Darum wies er jene allerdings ungeſtüme Schrift von Görres, der doch auch gut altſtändiſch geſinnt war, ſo ſchroff zurück. Die Einberufung der Reichsſtände wünſchte der Kronprinz damals noch auf - richtig; nur ſollten ſie ſich, gemäß der Verordnung von 1815, organiſch aus den Provinzialſtänden herausbilden. Als grundſätzlicher Gegner des Kanzlers war der Thronfolger bisher noch niemals aufgetreten; denn der Streit über die Steuerreform bewegte ſich doch nur um die thatſäch - liche Frage, ob wirklich ein Bedürfniß für die neuen Abgaben vor - handen ſei.

Da ward der Kronprinz mit einem male durch die Entwürfe der Communalordnungs-Commiſſion aus ſeiner zuwartenden Haltung hinaus - gedrängt. Wie hätten dieſe Entwürfe ihm nicht ganz unannehmbar er - ſcheinen ſollen, die ſo ſcharf mit dem bureaukratiſchen Beſen über die Sonderart der Landſchaften dahinfegten, die den Landadel in den Grund - feſten ſeiner alten Machtſtellung bedrohten, ohne doch eine kräftige Selbſt - verwaltung für die Kreiſe zu begründen? Er konnte fortan dem Kanzler nicht mehr folgen, und es lag in der Natur der Dinge, daß er nunmehr mit der altſtändiſchen Partei, die ohnehin ſeinen Neigungen nahe ſtand, ſich zu verſtändigen ſuchte. Sein Lehrer Ancillon, Wittgenſtein, Schuck - mann ſprachen im gleichen Sinne, und hatte der Communal-Ausſchuß durch den Verſuch übermäßiger Centraliſation ſchwer gefehlt, ſo tauchte jetzt im gegneriſchen Lager der ebenſo bedenkliche Vorſchlag auf: ob man nicht lieber die Gemeinde - und Kreisordnung der einzelnen Provinzen ganz in die Hände der künftigen Provinzialſtände legen ſolle? Dergeſtalt ſchaarte ſich aus alten und neuen Gegnern eine mächtige Oppoſition wider den Kanzler zuſammen. Der Wind war ihr günſtig, und leicht konnte ſie bewirken, daß dieſe letzten, ſo erfolgreich begonnenen Reformen des greiſen Staatsmannes ein Stückwerk blieben.

So bedenklich ſtanden die preußiſchen Dinge, als Hardenberg ſich ge - nöthigt ſah, ſeine Thätigkeit wieder den europäiſchen Fragen zuzuwenden.

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Dritter Abſchnitt. Troppau und Laibach.

Die neue Geſchichte verdankt ihren eigenthümlichen Reichthum nicht dem Adel einer überlegenen Cultur, ſondern der Weite ihres Geſichts - kreiſes, dem regen Verkehre ihrer freien Völkergeſellſchaft. Volksthum und Weltbürgerthum, nationale und allgemein menſchliche Ideen be - kämpfen, ergänzen und verbinden ſich ſeit den Tagen der Reformation in ſo mannichfachem Wechſel, daß die harte nationale Einſeitigkeit des Alterthums und die theokratiſche Gebundenheit des Mittelalters daneben faſt eintönig erſcheinen. Bald ſcheidet ein neuer religiöſer oder politiſcher Gedanke die moderne Staatenwelt in zwei große Lager, ſo daß die nationalen Gegenſätze faſt zu verſchwinden ſcheinen, bald verſuchen ſich die Völker in ſchroffer Selbſtgenügſamkeit von einander abzuſchließen; bald verjüngen ſich die modernen Nationen durch die Aufnahme fremder Ideen, bald ſtählen ſie ihre Kraft im Kampfe wider ausheimiſche Gewalten.

Kaum fünf Jahre nach dem Sturze des napoleoniſchen Weltreichs erhob ſich die kosmopolitiſche Macht der Revolution von Neuem mit un - geahnter Stärke. Aus Südamerika, wo eine junge Völkerwelt ums Da - ſein rang, ſchlug der Aufruhr zu Anfang 1820 in das ſpaniſche Mutter - land, bald auch nach Portugal hinüber, alle die alten Schlagworte der Revolutionen Nordamerikas und Frankreichs übten wieder ihre berückende Gewalt. Nach einem halben Jahre ſtand auch Italien in Flammen. Wieder ein Jahr darauf erhob Griechenland die Waffen gegen ſeine tür - kiſchen Herren, und auch in dieſen nationalen Kampf klangen die welt - erobernden Ideen von 89 hinein: das Hellenenlied Δεῦτε παῖδες τῶν Ἑλλήνων war der letzte ſtürmiſche Nachklang der Marſeillaiſe. In den Hauptländern Europas unterdrückt, brach die Revolution plötzlich, wie die räthſelhafte Naturgewalt eines unterirdiſchen Brandes, an allen Außen - poſten der Culturwelt aus dem Boden hervor. Der Zauber der unge - meſſenen Ferne, der Glanz des ſüdlichen Himmels, die flackernde Leiden - ſchaft heißblütiger, halbgeſitteter Völker erhöhten noch den romantiſchen Reiz des grandioſen Schauſpiels.

9*132III. 3. Troppau und Laibach.

Mit dem ganzen Ungeſtüm ihres Haſſes und ihrer Begeiſterung ſtürzten ſich die beiden größten politiſchen Dichter der Zeit, Byron und Moore, die Wortführer des weltbürgerlichen Radikalismus, in den Strudel der wilden Bewegung und begrüßten freudetrunken das erſte Jahr des zweiten Freiheitsmorgens . Thomas Moore ſah den Eispalaſt, den ſich die heilige Allianz auf den winterlichen Schollen der Newa aufgebaut, vor dem Sonnenſtrahl aus Süden zuſammenſchmelzen, er ſah die Völker im Fackelreigen die Leuchte der Freiheit von Hand zu Hand geben und hoffte den Tag noch zu erleben, da dies heilige Feuer auf allen Altären der Erde lodern, da der Bund der Fürſten der Brüderſchaft freier Na - tionen weichen würde. Byron aber ließ im Don Juan den ſchmetternden Weckruf erſchallen: die Revolution allein kann von der Hölle Koth die Welt befrei’n! und bald kam die Zeit, da er triumphirend verkünden konnte:

Auf Athos Höh’n, am Stillen Oceane,
In beiden Welten weht dieſelbe Fahne!

Wie hätten die Deutſchen, denen die äſthetiſche Weltanſchauung noch im Blute lag, den abenteuerlichen Anblick dieſer vulkaniſchen Erſchütterung nicht mit Entzücken genießen ſollen? Entmuthigt durch die traurigen Enttäuſchungen ihrer erſten politiſchen Lehrjahre ſtand die Nation ſchon im Begriff, ſich wieder gänzlich von den Fragen des Staatslebens ab - zuwenden; nur der romanhafte Zauber, der jene entlegenen Kämpfe um - ſpielte, vermochte ſie aus ihrer Schlummerſucht aufzurütteln. Echte Ideale, geſunde politiſche Gedanken konnte ſie aus den Revolutionen des Südens freilich nicht gewinnen. Raſch nach einander war eine Glanzzeit des litera - riſchen Schaffens und dann wieder eine Epoche kriegeriſchen Ruhmes über Deutſchland dahingegangen. Nach all dem Wunderbaren, was man erlebt, erſchienen die ſtillen Friedensjahre ſchal und leer, und in dem tapferen Geſchlechte, das die Schlachten des Befreiungskrieges geſchlagen, erklang jetzt ſchon häufig die verzweifelte Klage, man lebe in einer Zeit des Epigonenthums, die mit dem Fluche der Unfruchtbarkeit beladen ſei. Welch eine Freude daher, als endlich wieder große Kämpfe und große Leidenſchaften das Einerlei des Daſeins zu unterbrechen ſchienen. Mit nervöſer Neugierde verſchlangen die deutſchen Zeitungsleſer alle die wun - derbaren Nachrichten aus dem Süden und begeiſterten ſich für das oft ſehr zweifelhafte Heldenthum der romaniſchen Volksführer, derweil Stein und Gneiſenau noch unter den Lebenden weilten; ſelbſt der nüchterne Nieder - ſachſe Rehberg meinte, die ſpaniſchen Ereigniſſe ſeien vielleicht das Größte, was die Welt ſeit dreißig Jahren geſehen. Die chriſtlich-germaniſchen Ideale der Studenten, die ſtolzen Erinnerungen von Leipzig und Belle Alliance verblaßten mehr und mehr. Die kosmopolitiſche Schwärmerei für die Ideen von 89 kam wieder obenauf, und dies Weltbürgerthum trug franzöſiſche Farben, denn von dem Glorienſcheine, der die ſüdländiſchen133Erhebung Südamerikas.Freiheitskämpfer umſchwebte, fiel ein heller Abglanz zurück auf das Ge - burtsland der Menſchenrechte. Durch die Erhebung der Völker des Nor - dens war das napoleoniſche Weltreich zertrümmert worden; ſeit den Re - volutionen von 1820 machten die politiſchen Gedanken der romaniſch - katholiſchen Völker abermals die Runde durch die Welt.

Unterdrückung und Verfolgung hatten unſere Preſſe heimgeſucht, als ſie zum erſten male das heimiſche Staatsleben zu beurtheilen gewagt; nun wendete ſie ſich ganz dem Auslande zu und füllte faſt alle ihre Spalten mit Berichten aus Spanien und Italien, die ſie den reicheren Zeitungen der Engländer und Franzoſen entlehnte. So gewöhnten ſich die Leſer mit ihren Gedanken unſtet in die Ferne zu ſchweifen und über un - verſtandene Dinge abzuurtheilen. Mit dem Namen Revolution ward wieder ein Cultus getrieben, wie vor Zeiten als Klopſtock die Morgen - röthe der galliſchen Freiheit beſang. Nur ein plötzliches Erwachen der freien Volkskraft ſchien dem deutſchen Elend ein Ziel ſetzen zu können, und ſchon ſchalt mancher radikale Heißſporn zornig: alle Völker haben ihre Revolution gehabt, nur nicht die langſamen Deutſchen! Daß die kühnſte und fruchtbarſte aller modernen Revolutionen aus dem Vater - lande Martin Luther’s hervorgegangen war, kam den Bewunderern der neufranzöſiſchen Freiheit nicht zum Bewußtſein; und noch weniger hätten ſie eingeſehen, daß die revolutionären Erhebungen des Südens nicht der überlegenen Heldenkraft ſeiner Völker entſprangen, ſondern den Freveln eines gewaltthätigen Despotismus, der auf den Maſſen ungleich härter laſtete als die Nichtigkeit des Deutſchen Bundes. Dergeſtalt begannen die Revolutionslehren der Beſiegten in das Land der Sieger wieder einzu - dringen, und nach und nach ward ein Zündſtoff angeſammelt, der in den Erſchütterungen von 1830 und 1848 ſich entladen ſollte. Noch war die Mißſtimmung ſchwach und ungefährlich, ſie beſchränkte ſich auf einige Kreiſe der gebildeten Klaſſen, denen die revolutionäre Willenskraft völlig abging; doch ſie mußte mit den Jahren wachſen, da der Nation jede geſetzliche Mitwirkung bei der Bundespolitik verboten war und der Groll über die Mißgriffe der Regierungen durch das beſchämende Bewußtſein der deut - ſchen Zerſplitterung beſtändig verſchärft wurde.

Mehr denn zweihundert Jahre lang war das bunte Raſſengemiſch des ſpaniſchen Amerikas den Europäern eine unbekannte Welt geblieben, argwöhniſch abgeſperrt durch ein ſchläfriges kirchlich-politiſches Regiment, das die Kolonien nicht eigentlich drückte, aber ſie im Zuſtande ewiger Kindheit zu erhalten ſuchte. Erſt ſeit der Abfall Nordamerikas dem jungen Welttheil den Anbruch eines neuen Tages verkündet und zugleich die Reformen König Karl’s III. dem Mutterlande wie den Kolonien einige Erleichterung des Handels, einige Freiheit des geiſtigen Lebens gewährt hatten, begann ſich in dieſen werdenden Völkern ein amerikaniſches Selbſt - gefühl zu regen. Als darauf die Spanier wider die franzöſiſchen Er -134III. 3. Troppau und Laibach.oberer kämpften, erhoben auch die Kolonien das Banner des Aufſtandes, ſie verjagten die Statthalter Joſeph Napoleon’s und bildeten Junten nach ſpaniſchem Muſter. Aber aus dem gemeinſamen Kampfe um natio - nale Selbſtändigkeit entwickelte ſich nach und nach der Widerſtand gegen Spanien ſelber, da das vom Kriege zerrüttete Mutterland die Kolonien ſich ſelber überlaſſen mußte und die Cortes von Cadiz ſich gleichwohl be - rechtigt glaubten den Spaniern beider Hemiſphären Geſetze zu geben. Schon im Jahre 1810 ertönte aus Mexico der Grito de dolores, eine gräßliche Empörung brachte die ſpaniſche Herrſchaft in Mittelamerika dem Untergange nahe. Ein Jahr darauf verwahrte ſich die Erſtgeborene der amerikaniſchen Freiheit Venezuela, faſt mit den Worten der nordameri - kaniſchen Unabhängigkeitserklärung, das natürliche Recht der Völker, jeden Bund aufzulöſen, der dem urſprünglichen Zwecke des Staatsvertrages nicht entſpreche.

Jener Schmerzensſchrei der Mexicaner, der ſpäterhin in das Wör - terbuch der revolutionären Propaganda aufgenommen wurde, fand, als er zuerſt erklang, in Europa wenig Beachtung; ſo lange die Spanier ſelbſt den Verzweiflungskampf wider Napoleon führten, konnte ein Aufruhr wider dies bewunderte Volk in der alten Welt nur wenig Theilnahme erwecken. Als König Ferdinand nach Madrid zurückkehrte, lag es in ſeiner Hand, die offenbar verfrühte Bewegung durch einige kluge Zuge - ſtändniſſe zu unterdrücken. Der verblendete Hochmuth des Bourbonen fachte das ſchon erlöſchende Feuer wieder zu hellen Flammen an. Im Jahre 1817 ſtanden die Chilenen auf, das thatkräftigſte Volk des ſüd - lichen Continents. Seitdem ſchritt die Revolution gewaltig vor und ſie bekannte jetzt offen ihr letztes Ziel, die Trennung vom Mutterlande. Die völkerbildende Macht des Krieges gab dem Leben dieſer jungen Völker zuerſt einen großen Inhalt, ſie erweckte ihnen gemeinſamen Haß und Stolz, gemeinſame ernſte Erinnerungen und damit das Bewußtſein ihrer Eigenart. Das glänzende Vorbild der benachbarten Vereinigten Staaten wirkte unwiderſtehlich auf ein geſchichtsloſes Geſchlecht, das noch nie ſelbſt - thätig für den Staat gelebt und ſoeben erſt die Gleichheitslehren der Fran - zoſen wie eine neue Offenbarung empfangen hatte; und ſchon ließ ſich vorausſehen, daß aus dem Mordbrand des gräuelvollen Krieges ein ganzes Bündel von Republiken hervorgehen und die Republik in Amerika auf lange hinaus die Staatsform der Regel bleiben würde, wie die Mon - archie in Europa, die Theokratie im Orient.

Die Bürger Nordamerikas harrten ungeduldig des Tages, da ihr junger Welttheil der Vormundſchaft Europas endlich ganz entwachſen ſollte. Die engliſche Handelspolitik hatte ihren ſpaniſchen Bundesge - noſſen, nachdem er gegen Napoleon ſeine Dienſte gethan, gleichgiltig fallen laſſen und betrachtete mit offenbarem Wohlgefallen den Fortgang einer Bewegung, die ihr ein unendliches Marktgebiet zu erſchließen ver -135Revolution in Spanien.ſprach. Obgleich beide Mächte ihre Neutralität noch nicht förmlich auf - gaben, ſo genügte doch ihre wohlwollende Haltung um den Plan einer euro - päiſchen Einmiſchung, der in Petersburg mehrmals auftauchte, zu vereiteln. Zahlreiche engliſche Freiwillige traten in die Heere der Rebellen ein, getrieben von jenem ſicheren nationalen Inſtinkt, der die Briten überall auszeichnet; auch der tapfere Hannoveraner Uslar und manche andere Offiziere der Deutſchen Legion, die daheim mit ihrem guten Degen nichts mehr anzufangen wußten, erwarben ſich hier neuen Kriegsruhm im Kampfe wider dieſelben Spanier, mit denen ſie einſt Schulter an Schulter gefochten hatten. Und nun, im Jahre 1819 kam die wunderbare Kunde von Bo - livar’s verwegenem Zuge über das Hochgebirge der Cordilleren und von der Gründung der Republik Columbia; wetteifernd verherrlichte die Preſſe beider Welttheile den Befreier Bolivar, den anderen Waſhington, den Hannibal der Anden. Von der Seelenruhe und der ſtaatsmänniſchen Klarheit des großen Virginiers lag freilich gar nichts in dem widerſpruchs - vollen Charakter dieſes creoliſchen Helden, der zwiſchen Tollkühnheit und Kleinmuth, zwiſchen patriotiſcher Hingebung und ſchauſpielernder Eitelkeit, zwiſchen radikalen Meinungen und despotiſchen Gelüſten unſtet ſchwankte. Jedoch das kriegeriſche Ungeſtüm dieſer unfertigen Völker, ihre zähe Ausdauer in Roth und Entbehrung übertraf bei Weitem Alles was die Nordamerikaner einſt für die Unabhängigkeit ihres Landes geleiſtet hatten, ſie verdienten ſich die Freiheit durch ſchwere Opfer; und wie wüſt auch die Zuſtände in den neuen Republiken vorerſt noch erſchienen, wer über den nächſten Tag hinausblickte durfte doch nicht mehr verkennen, daß die Weltgeſchichte dort eines ihrer großen Gerichte hielt und wieder ein - mal den grauſamen Wahrſpruch fällte: Sic vos non vobis! Das Werk der Conquiſtadoren, die Entdeckung der neuen Welt konnte ſich erſt voll - enden, als ihr Kolonialreich in Trümmer fiel, denn jetzt erſt begann die europäiſche Geſittung in vollerem Strome über den jungen Welttheil hereinzufluthen.

Eine ſeltſame Gunſt des Schickſals fügte es nun, daß dieſelben revolutionären Ideen, welche den Führern der aufſtändiſchen Creolen den Muth entflammten, die Widerſtandskraft des Mutterlandes lähmten. Von Kaiſer Alexander unterſtützt, hatte König Ferdinand eine Flotte ge - bildet und um Cadix ein Heer verſammelt, das den Aufruhr der Ame - rikaner bändigen ſollte. Als dies Heer am Neujahrstag 1820 zu meu - tern begann, da war entſchieden, daß Spanien nicht mehr die Macht beſaß ſeine Kolonien zur Unterwerfung zu zwingen. In dem Soldaten - aufſtande entlud ſich nur der Unmuth einer arg verwahrloſten Truppe; als der Urheber der Bewegung, Oberſt Riego, die Cortesverfaſſung von 1812 ausrief, fand er anfangs im Heere ſelbſt nur getheilte Zuſtimmung. Erſt durch die rathloſe Schwäche König Ferdinand’s, der wie vom böſen Gewiſſen geſchüttelt die Gegner gewähren ließ, errang die ſchwächliche136III. 3. Troppau und Laibach.Bewegung ungeahnte Erfolge. Ihr Sieg war geſichert, ſobald ſie im Norden, unter den zähen Galicianern feſten Fuß gefaßt hatte. Am 9. März beſchwor der König vor dem revolutionären Stadtrath der Mad - rider Commune die Verfaſſung von 1812. Dies Grundgeſetz, das der - ſelbe Fürſt ſechs Jahre zuvor unter dem Jubelgeſchrei der Maſſen be - ſeitigt hatte, galt dem trunkenen Volke mit einem male als die Offen - barung der Freiheit. Der heilige Codex ward durch die Straßen ge - tragen und mit Kniebeugungen verehrt wie ſonſt das Allerheiligſte; die Kinder in den Volksſchulen lernten den Katechismus des göttlichen Ge - ſetzbuchs. In den neu berufenen Cortes entfaltete ſich die ganze Pracht der melodiſchen ſpaniſchen Beredſamkeit; ſtürmiſcher noch erklangen die großen Worte in dem radikalen Klub des Cafe Lorencini, der bald in der Hauptſtadt ebenſo mächtig ſchaltete, wie einſt der Jakobinerklub in Paris. Maſſenhaft wurden die Werke Voltaire’s, Diderot’s, Rouſſeau’s über die befreite Grenze eingeführt um das Volk mit den Heilslehren der Revolution zu tränken. Einige Monate hindurch badete ſich das Land in einem Meere der Glückſeligkeit. Was andere Völker in jahre - langen Kämpfen nicht erreichen konnten ſo triumphirte die Madrider Preſſe das hat Spanien errungen durch ſechs Jahre der Geduld, einen Tag der Erfüllung und zwei Tage der Freude; bald werden die Fremden zu uns kommen um wahre Freiheit und Menſchenwürde kennen zu lernen; Nationen, bewundert Spanien! Heere, ahmet unſerer Tapfer - keit nach!

Es klang wie ein Märchen aus der verkehrten Welt, daß dieſe ſelbſt - genügſame Nation, die ſich von den anderen Völkern ſtets am ſprödeſten abgeſchloſſen hatte und darum unter allen am wenigſten die Kraft der Propaganda beſaß, jetzt den Anſpruch erhob den Europäern das Geſetz der Freiheit zu geben. Und doch wurde dies unbekannteſte Land Europas eine Zeit lang wirklich von der Preſſe aller Völker als die Heimſtätte der politiſchen Weisheit geprieſen. Lichter Ruhm umſtrahlte den ſpaniſchen Namen noch von den napoleoniſchen Zeiten her; wie dies Heldenvolk ſich einſt zuerſt gegen den Imperator erhoben hatte, ſo ſchien es jetzt wieder der ſchlummernden Welt das Zeichen zu geben zum Kampfe um die conſtitutionelle Freiheit. Der vollſtändige und faſt überall unblutige Erfolg täuſchte auch Beſonnene über die Kraftloſigkeit dieſer Revolu - tion, alle ihre Sünden erſchienen unſchuldig neben der grauſamen Miß - regierung der letzten Jahre. Selbſt das entſetzliche Schauſpiel der Mili - tärverſchwörungen erregte wenig Aergerniß, denn die liberale Welt war beherrſcht von Widerwillen gegen die ſtehenden Heere und ſah in eid - brüchigen Soldaten nur Unglückliche, die ihr Menſchenrecht zurückforderten.

Der Führer des aufſtändiſchen Heeres, ein nichtiger, prahleriſcher Demagog, wurde zum Helden des Tages; in Paris und London, in Wien und Berlin trug man Cravatten à la Riego. Und wie der ſpa -137Die Cortes-Verfaſſung von 1812.niſche Parteiname der Liberalen in alle Culturſprachen überging, ſo fan - den ſich auch überall in der Welt gläubige Bewunderer, welche in dem heiligen Codex der Spanier das allgemeingiltige conſtitutionelle Vernunft - recht entdeckten, obgleich keine andere Verfaſſung jener Zeit ſo unverkenn - bar den Stempel eines ganz eigenartigen Urſprungs trug. Mitten im Sturme des Krieges, ohne jede Mitwirkung des landflüchtigen Königs, und doch beſtändig in Angſt vor der Heimtücke des rückkehrenden Bour - bonen, hatten einſt die Cortes von Cadix im Namen des ſouveränen Volks dies neue Grundgeſetz berathen und Alles darin angeſammelt was jenem aufgeregten, unerfahrenen Geſchlechte groß und ehrwürdig erſchien: die radikalen Sätze der neufranzöſiſchen Doktrin und allerhand unklare Er - innerungen aus den altſtändiſchen Fueros des ſpaniſchen Mittelalters. Nur dieſe verwickelten, dem Ausländer kaum verſtändlichen Verhältniſſe erklärten das Räthſel, wie die königstreuen Spanier dahin gelangt waren ihr altes Königthum ſo arg zu verſtümmeln. Die Souveränität ſtand den Cortes zu, die ohne Zuthun der Krone aller zwei Jahre neu ge - wählt wurden und niemals aufgelöſt werden konnten; vertagten ſie ſich, ſo ließen ſie einen Ausſchuß zur Beaufſichtigung der Krone zurück; ſo - bald ſie einen Beſchluß zum dritten male wiederholten, durfte der König nicht mehr widerſprechen, und ſogar das Recht, unfähige oder unwürdige Perſonen von der Thronfolge auszuſchließen blieb den Cortes allein vor - behalten. Die Vertreter des ſouveränen Volks beſaßen in der That alle Rechte eines Convents; ihre Allgewalt war nur beſchränkt durch die naive Vorſchrift: Das ſpaniſche Volk iſt verpflichtet die Freiheit mittels weiſer und gerechter Geſetze zu erhalten und zu beſchützen.

Daß Spanien unter einer ſolchen Verfaſſung, mit einem nichtswür - digen König, einer fanatiſchen Cleriſei und einem eidbrüchigen Heere, end - loſen Wirren entgegentrieb, konnte den Staatsmännern der großen Mächte nicht entgehen. Beſonders gefährlich erſchien den Kabinetten die Macht der zahlreichen geheimen Vereine, die bei dieſer Revolution unverkennbar mitgewirkt hatten. In ſeinen germaniſch-proteſtantiſchen Heimathlanden war der Freimaurerorden von ſeinen humanen Zwecken niemals abge - wichen und ſtets ein freier Bund verbrüderter Vereine geblieben, weil er von der Staatsgewalt geduldet, in Preußen und einigen der deutſchen Klein - ſtaaten ſogar begünſtigt wurde. Die deutſchen Logen ſtanden allen poli - tiſchen Parteikämpfen fern, obwohl ſie natürlich einzelne Radikale zu ihren Mitgliedern zählten und zuweilen wohl auch ein gewiſſenloſer Abenteurer, wie Wit v. Dörring, ſeine Kenntniß der maureriſchen Symbole mißbrauchte um Zutritt zu den Geheimbünden des Auslandes zu erlangen. In der katholiſchen Welt dagegen war der Orden, ſeit Papſt Clemens XII. ihn verdammt hatte, oft von kirchlicher und politiſcher Verfolgung heimgeſucht und dadurch, ſeinem urſprünglichen Charakter zuwider, in die Reihen der Oppoſition gedrängt worden. Die hierarchiſche, in Staat und Geſell -138III. 3. Troppan und Laibach.ſchaft nach ſtraffer Organiſation verlangende Geſinnung der romaniſchen Völker und das ſchlimme Beiſpiel der Jeſuiten beförderten das Wachs - thum der revolutionären Geheimbünde, die auf dem Sumpfboden des Despotismus immer ihre natürliche Nahrung finden. Ein Netz von ge - heimen politiſchen Vereinen überſpannte die Mittelmeerlande, und manche von ihnen ſtanden mit den Maurern in Verbindung oder benutzten doch maureriſche Zeichen. Daß die ſpaniſchen Logen bei der Schilderhebung des Heeres die Hände mit im Spiele gehabt, ſtand außer Zweifel. Wie ein Blitzſtrahl traf dieſe Nachricht den Wiener Hof: jetzt war ſie entlarvt, die im Finſteren ſchleichende weltumſpannende Verſchwörung, vor deren Umtrieben Fürſt Metternich die blinden Regierungen ſo oft gewarnt hatte. Kaiſer Franz beeilte ſich, das Verbot des Freimaurer-Ordens, das in ſeinen übrigen Kronländern längſt beſtand, auch dem lombardiſch-vene - tianiſchen Königreiche drohend einzuſchärfen. Wie frohlockte Haller, da er nun endlich beweiſen konnte, woher die revolutionäre Sophiſtenzunft ihre räthſelhafte Macht ſchöpfe; bis an ſein Lebensende wurde er nicht müde, in leidenſchaftlichen Schriften immer wieder zu verſichern, daß die Wühlerei der Freimaurer alle die ungeheueren Erſchütterungen der letzten Jahrzehnte verſchuldet habe: war doch einſt Philipp Egalité von Orleans der Großmeiſter des Ordens in Frankreich geweſen, und viele Girondiſten hatten ihm angehört! So armſelige Märchen konnten den König von Preußen, der ſelber wie einſt Friedrich der Große in die Loge eingetreten war, freilich nicht überzeugen; gleichwohl blieb an allen Höfen der Eindruck, daß dort im Süden eine geheimnißvolle, dämoniſche Macht des Verderbens ſich rege.

Die Beſorgniß wuchs, als in Portugal ein anderer Riego, General Sepulveda auftrat. Auch hier meuterte das Heer, auch hier wurde, trotz der alten Feindſchaft wider das Nachbarland, der heilige Codex der Spa - nier mit einigen radikalen Verſchönerungen als Grundgeſetz ausgerufen und die Bewegung zeigte hier eine unwiderſtehliche, naturwüchſige Kraft, weil ſie einen berechtigten nationalen Zweck verfolgte. Die Fremdherrſchaft der Engländer, die bisher das politiſche Leben des unglücklichen Volkes unterbunden, ſeine wirthſchaftlichen Kräfte ſchonungslos ausgebeutet hatte, brach zuſammen, ihr brutaler Vertreter Lord Beresford ward des Landes verwieſen.

Mittlerweile war die Revolution ſchon in das Machtgebiet des Wiener Hofes ſelber erobernd eingezogen. Wie ſelbſtgefällig hatte Metternich noch im vorigen Jahre die Huldigungen der italieniſchen Höfe entgegengenommen. Wie zuverſichtlich baute er damals auf die Thatenſcheu dieſer furcht - ſamen Nation, wie prahleriſch ſchrieb er an Conſalvi: die Pforten der Hölle werden nichts vermögen wider die Eintracht des Papſtes und des Kaiſers! Soeben noch war über dem Thore des Palaſtes Albergotti zu Arezzo die unterthänige Inſchrift angebracht worden, welche der Welt139Portugal. Neapel.verkündigte, daß hier vor’m Jahre der ruhmvolle Kaiſer Franz gewohnt habe. Und jetzt kam die Schreckenskunde, daß am 2. Juli auch das nea - politaniſche Heer aufgeſtanden war. Die Demüthigung des Neffen in Madrid erſchütterte durch einen natürlichen Rückſchlag auch den Thron des Oheims in Neapel. So grauſam wie ſein ſpaniſcher Verwandter war König Ferdinand von Neapel nach ſeiner letzten Rückkehr allerdings nicht aufgetreten. Aber nachdem das mißhandelte Volk unter König Mu - rat zum erſten male den Segen einer ſtreng geordneten bureaukratiſchen Verwaltung kennen gelernt hatte, vermochte der geiſtloſe, zwiſchen Schlaff - heit und Willkür ſchwankende Abſolutismus der Bourbonen, der um des lieben Friedens willen ſogar mit den Räuberbanden Verträge ſchloß, ſein altes Anſehen nicht wieder zu gewinnen.

Ein finſterer Geiſt des Mißtrauens, das arge Vermächtniß langer Jahrhunderte der Fremdherrſchaft, lag wie ein Fluch über dem Lande. Die Sicilianer verziehen dem Bourbonen nicht, daß er zum Dank für ihre bewährte Treue die uralte Selbſtändigkeit ihrer ruhmreichen Krone vernichtet, ihre kaum begründete neue Verfaſſung wieder aufgehoben und die Inſel widerrechtlich mit den verhaßten Continentalen zu einem König - reiche beider Sicilien zuſammengeſchweißt hatte. Die gebildeten Klaſſen der Hauptſtadt dachten noch immer mit unverſöhnlicher Rachſucht an das gräßliche Jahr 1799, an den Verrath und den Maſſenmord, welche da - mals die erſte Rückkehr der Bourbonen geſchändet hatten, und rechneten die ganze Blutſchuld jener Frevel dem königlichen Hauſe zu, denn ihr eigentlicher Urheber, Nelſon, war vergeſſen. An den Perſonen des Hofes bekundete ſich hier wie in Madrid ſchon jene ſtumpfſinnige Nichtigkeit, welche die ſpäteren Geſchlechter uralter Fürſtenhäuſer ſo häufig auszeichnet, nur daß der Angler Ferdinand von Neapel immerhin noch etwas männ - licher erſchien als der Sticker Ferdinand von Spanien. Von allen den conſtitutionellen Verheißungen, die der Bourbone einſt aus Palermo ſeinen Neapolitanern zugeſendet, verlautete jetzt kein Wort mehr. Das Heer hatte unter Napoleon’s Fahnen zuerſt den dieſem Volke ganz unbekannten Feuertrank kriegeriſchen Ruhmes gekoſtet und ſah ſich jetzt mißachtet und ver - nachläſſigt, ſeine ſchönſten Erinnerungen verhöhnt, ſeine bewährten Führer durch die Günſtlinge des Hofes angefeindet oder verdrängt. Geſetzlicher Sinn war unmöglich in einem Lande, das binnen weniger Jahre ſo viele Herren hatte kommen und gehen ſehen. Das Sektenweſen der geheimen Geſellſchaften ſtand in üppiger Blüthe. Die aus Frankreich eingedrungene maureriſche Geſellſchaft der Carbonari, die in Italien bald den Charakter eines revolutionären Geheimbundes angenommen hatte, wetteiferte mit der reaktionären Verſchwörung der Keßler in ſchlechten demagogiſchen Künſten.

Alſo von allen Seiten her unterhöhlt brach die Selbſtherrlichkeit der Bourbonen jählings zuſammen, als die Dragoner in Nola den Aufſtand140III. 3. Troppau und Laibach.begannen. Unter den jauchzenden Zurufen des Volks zog die heilige Schwadron der Empörer ſodann in der Hauptſtadt ein, und ſofort ward die ſpaniſche Cortesverfaſſung ausgerufen, obgleich ſich ein vollſtändiger Abdruck des heiligen Codex im ganzen Lande nicht auftreiben ließ; denn überall verlangt die Maſſe, auch wenn ſie meutert, nach einer unzweifel - haften Autorität, nach einem Panier, um das ſie ſich ſchaaren kann, und jenes unbekannte Grundgeſetz galt nun einmal für das Evangelium der Freiheit. Der König unterwarf ſich dem triumphirenden Aufruhr ebenſo würdelos wie ſein Neffe in Spanien. Als er die Verfaſſung be - ſchwor bat er den Himmel ſeinen Blitz auf ihn herabzuſchleudern, falls er je den Eid bräche; insgeheim aber lauerte er wie der Spanier auf den geſegneten Tag der Rache.

Die Aufſtändiſchen ſiegten ohne jeden Widerſtand und ſchonten ſorgſam die Sicherheit von Hab und Leben. Die deutſchen Zeitungen konnten nicht genug der Wunder berichten von der Weisheit dieſes ſo plötzlich zu ſeinen Jahren gekommenen Volkes; zum dritten male in wenigen Wochen triumphirte die Revolution ohne Blutvergießen. Liberale Kaufleute in Lon - don und Paris erboten ſich zu Anleihen, napoleoniſche Generale entwarfen Kriegspläne für die Sache der Freiheit. Die Revolution hatte ihren Sitz im Heere und den gebildeten Klaſſen, nicht mehr, wie einſt zur Zeit der parthenopäiſchen Republik, blos unter einer Handvoll unzufrie - dener Edelleute und Gelehrten; ſelbſt der rohe Hafenpöbel der Haupt - ſtadt, den die Bourbonen ſo oft ſchon gegen die höheren Stände gehetzt hatten, zeigte ſich diesmal der Sache der Signoren nicht feindſelig. Trotz - dem war dieſe unwiderſtehliche Bewegung nur der feſtliche Rauſch eines Kindervolks, faſt noch ſchwächlicher als ihr ſpaniſches Vorbild. Die Maſſen frohlockten, wie ſonſt bei dem Wunder des heiligen Januarius, als die neugewählten Volksvertreter durch die fahnengeſchmückten Straßen zur Kirche zogen und plötzlich Schwärme befreiter Vögel über den Gaffenden aufſtiegen; das Parlament hallte wider von den Kraftworten revolutio - närer Redekunſt, aber ſeine Beſchlüſſe bekundeten weder Einſicht noch Ent - ſchloſſenheit. Das lärmende neue Nationalheer der Samniter, Marſen und Hirpiner krankte an allen Gebrechen einer improviſirten Volksbe - waffnung; und von Haus ward die Revolution geſchwächt durch den grim - migen Haß der Inſel wider das Feſtland. Auch die Sicilianer waren aufgeſtanden, auch ſie hatten ſo unwiderſtehlich wirkte die Macht des radikalen Götzenbildes in dieſer Zeit des Taumels nicht ihr eigenes Werk, die wohldurchdachte ſicilianiſche Verfaſſung vom Jahre 1812 wieder - hergeſtellt, ſondern den unbekannten heiligen Codex der Spanier ange - nommen; doch da ſie zugleich ein ſelbſtändiges Parlament für ihre Inſel forderten und die Mordbanden der Galeeren in Palermo den Plünderungs - krieg begannen, ſo entſpann ſich zwiſchen den beiden Hälften des Staates ein verworrener, blutiger Kampf, deſſen Sinn und Zweck faſt im Dunkel lag.

141Italien und Oeſterreich.

Der Gedanke der italieniſchen Einheit war dieſem Süden der Halb - inſel, der ſeit Jahrhunderten ein ſelbſtgenügſames Sonderleben führte, noch faſt fremd; nicht die nationale Tricolore des Königreichs Italien, ſondern die ſchwarzblaurothe Parteifahne der Carbonari wehte jetzt von den Wällen von S. Elmo. Nur die beiden hochherzigen Brüder Pepe und vielleicht noch einige andere napoleoniſche Veteranen hofften im Stillen auf den Bundesſtaat Auſonien, das alte Traumbild der patrio - tiſchen Schwärmer. Gleichwohl konnte ein ſcharfer Beobachter wie Graf Adam Moltke aus dem phantaſtiſchen Treiben ſchon den erſten Wiegen - ſchrei einer erwachenden großen Nation heraushören; er wollte die Wäl - ſchen nicht tadeln, weil ſie jetzt um dieſelben Güter kämpften wie einſt die Deutſchen in den Jahren 1806 1815. Ueberall auf der Halbinſel trieben die Geheimbünde ihre unterirdiſche Arbeit. Noch war die Zahl ihrer Genoſſen gering; aber ſie wirkten mit der ganzen fieberiſchen Raſt - loſigkeit ſüdländiſcher Verſchwörer, und das feine Machtgefühl, das dieſem Volke ſelbſt in den Zeiten ſeiner politiſchen Verſunkenheit immer eigen blieb, hatte längſt errathen, wo der Thränenquell Italiens floß. Die Fremdherrſchaft laſtete auf dem zerriſſenen Lande; auf Oeſterreichs Waffen ſtützten ſich alle ſeine kleinen Despoten. Das ſchwarzgelbe Banner war der unglücklichen Nation das Symbol ihrer Knechtſchaft, obgleich Oeſterreich in Italien nicht willkürlicher ſchaltete als die einheimiſchen Fürſten; unum - wunden erklärte der conſervative Piemonteſe d’Aglié jetzt ſchon den franzö - ſiſchen Staatsmännern: der Sitz des Aufruhrs in Oberitalien ſind die öſter - reichiſchen Provinzen. In der Hofburg ſelbſt ward dies dunkel empfunden. Bald nach dem Ausbruch des neapolitaniſchen Aufruhrs ließ Kaiſer Franz in der Lombardei eine Treibjagd auf wirkliche und vermeintliche Verſchwörer veranſtalten. Giorgio Pallavicino, der Dichter Silvio Pellico und viele andere treue Patrioten wurden aufgegriffen um dann jahrelang im Sonnenbrande der Bleidächer Venedigs oder in den ſcheußlichen Kerkern des Spielbergs über die Menſchenfreundlichkeit ihres guten Kaiſers nachzu - denken. Wollte die Fremdherrſchaft ſich behaupten, ſo durfte ſie den bleiernen Schlummer, der einſt unter der Herrſchaft der ſpaniſchen Vicekönige auf der Halbinſel gelegen hatte, nicht ſtören laſſen; der Wiener Hof konnte in ſeinen Vaſallenſtaaten niemals conſtitutionelle Formen dulden, die in Mai - land und Venedig unmöglich waren. Jede revolutionäre Bewegung in Italien war eine Kriegserklärung gegen Oeſterreich, auch wenn ſie ſelber ihre nationalen Ziele noch nicht klar erkannte.

Die Gefahr ſchien um ſo ernſter, da es auch auf dem alten Heerde der europäiſchen Revolution wieder zu ſchwälen begann. In Frankreich war das Jahr 1819 leidlich ruhig verlaufen. Als der Miniſter Decazes den König bewogen hatte, ſechzig neue Pairs, zumeiſt Würdenträger des Kaiſerreichs, in das Oberhaus zu berufen, da konnte man einen Augen - blick hoffen, daß die alte mit der neuen Zeit ſich endlich vertragen und142III. 3. Troppau und Laibach.der Parteikampf mildere Formen annehmen würde. Damals erregten die Betrachtungen der Frau von Staël über die franzöſiſche Revolution allgemeine Bewunderung das politiſche Teſtament der Tochter Necker’s, das noch einmal mit der ganzen Selbſtgerechtigkeit des franzöſiſchen Doktri - narismus die alten, dem Herzen der Verſtorbenen ſo theueren conſtitu - tionellen Heilswahrheiten verkündigte: nur wenn Frankreich unbedingt die engliſchen Inſtitutionen annehme, könne die Nation wieder geſunden und eine neue Blüthezeit der Künſte und Wiſſenſchaft erleben; dann würden auch die Frauen wieder tugendhafter werden und der Ehrgeiz der Männer nicht mehr nach dem Mammon, ſondern nach den edleren Kränzen des patriotiſchen Ruhmes trachten; wählet, ſo ſchloß ſie, zwiſchen der Ruhmſucht und der Geldgier! Dieſe Weiſſagungen der edlen Frau, die ſich von der wachſenden Macht der Börſe und ihrem Einfluß auf die Abgeordneten offenbar nichts träumen ließ, fanden noch begeiſterte Gläubige; die ganze mächtige Partei der Doktrinäre, der weitaus die meiſten literariſchen Talente der Nation angehörten, gab ſich der ehrlichen Hoffnung hin, daß die parlamentariſchen Formen den Franzoſen einen neuen Idealismus erwecken würden.

Und doch fehlte dieſem Volke die erſte Vorbedingung conſtitutioneller Freiheit, die Achtung vor dem Rechte. Es war Frankreichs Schickſal, alle die großen Kämpfe, welche Europa erſchütterten, mit höchſter Leidenſchaft durchzufechten. Tödlich verfeindet wie einſt Ligiſten und Hugenotten ſtan - den Legitimiſten und Radikale einander gegenüber, Beide zu ſchwach zur Herrſchaft, Beide ſtark genug um den verfaſſungstreuen Mittelparteien die Maſſen des Volks zu entfremden. Während das Comité directeur der revolutionären Vereine an ſeinen Verſchwörungsplänen weiter ſpann, führten die Ultras des Pavillons Marſan ebenſo unbelehrbar den ge - heimen Krieg gegen die Charte fort. Noch immer waren die Emigranten für ihre Verluſte nicht entſchädigt, und ſo lange der Raub der Revolu - tion ganz ungeſühnt blieb, konnte die Partei, die ſich ſo gern für die Stütze des Thrones ausgab, die neue Ordnung der Dinge nicht ehrlich anerkennen. Von Altersher war ſie an verrätheriſche Zettelungen mit dem Auslande gewöhnt; auch jetzt wieder beſtürmten Chateaubriand und andere Ultras die großen Mächte mit Bitten und Rathſchlägen. Im Oktober 1819 kam in tiefem Geheimniß ein Anhänger des Grafen von Artois nach Berlin und überreichte hier wie in Wien eine Denkſchrift, welche die Höfe der großen Allianz beſchwor, mit Hilfe des Thronfolgers dem verblendeten Könige die Augen zu öffnen und ihn zu einem Staats - ſtreiche zu bewegen; im Nothfalle würde der verſtändige Theil der Nation ſogar eine Intervention des Auslands zu Gunſten der königlichen Voll - gewalt willkommen heißen. *)Mémoire sur la situation de la France et sur les moyens de sauver cette monarchie, Okt. 1819. Observations dazu, aus Oeſterreich geſendet, Okt. 1819. Rc -

143Ermordung des Herzogs von Berry.

Beide deutſche Mächte wieſen den unſinnigen Vorſchlag weit von ſich. Aber die Parteiwuth der Ultras blieb unbeſänftigt und ſie entlud ſich endlich in raſendem Toben, als am 13. Febr. 1820 der einzige noch jugend - kräftige Sohn des königlichen Hauſes, der Herzog von Berry durch einen radikalen Fanatiker, den Schloſſer Louvel ermordet wurde. Es ergab ſich ſogleich, daß der Mörder ohne Mitwiſſer war, doch ſtatt zu beruhigen erhöhte dieſe Entdeckung nur den unheimlichen Eindruck der Blutthat. Welch ein tödlicher Haß gegen die Bourbonen mußte die hauptſtädtiſchen Maſſen beſeelen, wenn ein ſchlichter Handwerker, der nur mit ſeines - gleichen verkehrte und radikale Zeitungen las, auf den Gedanken verfallen konnte durch die Vernichtung des Tyrannengeſchlechtes das Vaterland zu erretten! Das königliche Haus ſchien dem Ausſterben nahe, die Ultras ſchnaubten Rache und ziehen das gemäßigte Miniſterium der Mitſchuld. Schon nach fünf Tagen mußte der König den Bitten des Thronfolgers und der Prinzeſſinnen nachgeben und ſeinen Liebling Decazes entlaſſen. Chateaubriand rief dem Geſtürzten die gräßliche Anklage nach: ſeine Füße ſind im Blute ausgeglitten, er iſt gefallen! Nunmehr übernahm Richelieu wieder die Leitung des Cabinets, in der ehrlichen Abſicht, zugleich die radi - kalen Verſchwörer zu ſchrecken und den Grimm der Ultras zu mäßigen. Das Wahlgeſetz ward geändert, ſo daß die Höchſtbeſteuerten den gehäſſigen Vorzug eines doppelten Stimmrechts erhielten, die Freiheit der Preſſe und der Perſonen ſcharf beſchränkt. Der alternde König hatte inzwiſchen an der Gräfin du Cayla einen neuen Günſtling gefunden und näherte ſich ſeitdem den Ultras.

Die großen Mächte verfolgten dieſen Umſchwung mit banger Be - ſorgniß, ſie hielten den wohlmeinenden Miniſter nicht für ſtark genug um den Sturm zu beſchwören. *)Kruſemark’s Berichte, Wien 21. Febr., 5. März 1820.In der That beförderten ſeine Maß - regeln nur die Erbitterung der Parteien. In Paris und anderen Städten rotteten ſich die Maſſen zu wilden Aufläufen zuſammen, und mehrmals floß Blut auf den Straßen. Im Auguſt ward in mehreren Garniſonen eine gefährliche Soldatenverſchwörung entdeckt; ihre Fäden reichten, wie Jedermann fühlte, ſehr weit hinauf in die Kreiſe der napoleoniſchen Offi - ziere und hinab bis zu dem geheimnißvollen Comité directeur, jedoch es gelang nicht ſie ganz bloßzulegen. Und wieder wendeten ſich leidenſchaft - liche Ultras wie Soſthène de la Rochefoucauld hilfeflehend an die frem - den Mächte. Bergaſſe, derſelbe unſelige Mann, der, ſchon vor der Re - volution in Beaumarchais Luſtſpielen gebrandmarkt, dann im Jahre 89 bei allen Staatsſtreichsplänen des Hofes mitgeſchlichen war, ſendete jetzt (1. Sept.) dem Czaren Alexander eine Denkſchrift, die an die ſchlimmſten*)plik des Verfaſſers der Denkſchrift, Berlin 8. Nov. 1819. Den Namen des Verfaſſers, der unzweifelhaft dem Pavillon Marſan nahe ſtand, vermag ich nicht anzugeben.144III. 3. Troppau und Laibach.Ergüſſe der alten Emigrantenthorheit erinnerte. Sie forderte feierlich den gemeinſamen Krieg der Großmächte wider die hölliſche Sekte, die von jeher in Frankreich ihr Neſt gehabt; einen ſolchen Krieg beginnen heiße nicht ein Volk knechten, ſondern ein geknechtetes Volk dem Joche entreißen. Was ſei die Charte denn andres als die Verfaſſung von Sieyes? Zum Schluß ward noch die ganze Fabelwelt der reaktionären Geſpenſterſeher heraufbeſchworen und mit grellen Farben geſchildert, wie der Vater aller revolutionären Sekten, der Freimaurerorden ſtets die Bour - bonen als das älteſte aller Fürſtenhäuſer am bitterſten gehaßt, und ſchon Caglioſtro auf ſeinem Maurer-Taſchenbuche die Buchſtaben L. P. C. Lilia pedibus calca geführt habe. *)Bergaſſe, Denkſchrift für Kaiſer Alexander, Paris 1. Sept. 1820.

So fanatiſchen Feinden gegenüber konnten auch die gemäßigten Par - teien ihr Blut nicht mehr bändigen. Die geſammte Preſſe der Oppoſi - tion hallte wider von ſchadenfrohem Gelächter, als Aug. Thierry und Guizot eben jetzt in zwei geiſtreichen Schriften zu erweiſen verſuchten, daß die franzöſiſche Nation ſeit dreizehn Jahrhunderten in zwei tief verfeindete Stämme, den fränkiſchen Adel und den gallo-römiſchen Tiers-état zer - ſpalten ſei eine geiſtreiche Halbwahrheit, welche allerdings der hiſtoriſchen Forſchung einen neuen Gedankenkreis erſchloß, aber in den Parteikämpfen des Tages faſt wie ein Aufruf zum Bürgerkriege klang. Der inſtinktive Haß der bürgerlichen Klaſſen gegen die Reſtauration, die ihnen als Herrſchaft des Auslands galt, ſah ſich wiſſenſchaftlich gerechtfertigt ſeit alſo das Köſt - lichſte was Frankreich beſaß, ſeine unzerſtörbare nationale Einheit in Frage geſtellt wurde. Den tiefſten Grund der Unwahrheit des franzöſiſchen Par - lamentarismus erkannten die beiden geiſtvollen Hiſtoriker ebenſo wenig wie die anderen Liberalen. Beide fühlten zwar, wie mächtig der Bonapartis - mus noch in allen Anſchauungen der Franzoſen fortwirkte, und Thierry ſprach ſogar mit warmen Woxten von der Gemeindefreiheit, aber er ge - langte nicht zu der Einſicht, daß die bureaukratiſche Verwaltungsordnung Napoleons, die doch unzweifelhaft national war und mit den Lebensge - wohnheiten des Volkes immer feſter verwuchs, ſich mit conſtitutionellen Verfaſſungsformen niemals ehrlich vertragen konnte.

In dieſen Hader der Parteien hinein fiel nun plötzlich die erſtaunliche Nachricht, daß die Wittwe des ermordeten Herzogs am 29. Sept. einen Sohn geboren hatte. Durch ein Wunder des Himmels war noch einmal aus dem alten Bourbonenſtamme ein friſches Reis ausgeſchlagen. Die Ultras ſahen den Finger Gottes aus den Wolken herniederwinken und begrüßten das Kind Frankreichs, das Kind Europas mit denſelben über - ſchwänglichen Schmeichelreden, welche zehn Jahre zuvor an der Wiege des Königs von Rom erklungen waren. Ihr Ch. Nodier ſchrieb: das erſte Lächeln, das ſeine Lippen am Tage der Taufe verklärt, wird eine145Steigende Macht der Ultras.ungeheure Erlöſung ankündigen! Die Blätter der Oppoſition verriethen ihre üble Laune indem ſie verſtohlen die Echtheit des jungen Bourbonen anzweifelten oder boshaft an die Stuarts erinnerten, denen das Schick - ſal auch noch kurz vor ihrer Entthronung einen unerwarteten Stamm - halter beſcheert hatte. In Wahrheit glaubte ganz Europa, daß ein un - erhörtes Glück den franzöſiſchen Thron von Neuem befeſtigt habe. Erſt die Zukunft ſollte lernen, wie wenig der befangene Blick der Mitleben - den die Bedeutung der Ereigniſſe des Tages zu überſehen vermag. Jener wunderbare Glücksfall war ein ſchweres Mißgeſchick für Frankreich und die Sache der Monarchie. Wäre die alte Dynaſtie damals ausgeſtorben, ſo hätte das Haus Orleans, das den Ideen des neuen Jahrhunderts näher ſtand, kraft ſeines Erbrechts den Thron beſtiegen, und dann konnte viel - leicht ein nationales, von allen Parteien anerkanntes Königthum wieder Wurzeln ſchlagen und die zerriſſene Kette der Zeiten endlich ſchließen. Die Geburt dieſes Thronerben aber weckte auf’s Neue den alten Haß der demokratiſirten Geſellſchaft wider das königliche Haus und ſtachelte den lauernden Ehrgeiz der Orleans zu unheimlichen Plänen auf.

Für den Augenblick freilich waren die Ultras im Vortheil, und da in Frankreich Niemand gern lange in den Reihen einer ausſichtsloſen Minder - heit verharrt, ſo errangen die Parteien der Rechten bei den Neuwahlen einen großen Erfolg. Noch ehe das Jahr zu Ende ging ſah Richelieu ſich ge - nöthigt zwei Führer der Ultras, Villele und Corbiere in das Miniſterium aufzunehmen. Dies uneinige Cabinet behauptete ſich nur mühſam in dem Gewoge der parlamentariſchen Kämpfe. Während die deutſchen Zei - tungsleſer ſich bewunderungsvoll an der glänzenden Beredſamkeit der Pa - riſer Kammern weideten, war der franzöſiſche Staat durch die Gehäſ - ſigkeit ſeiner Parteien dermaßen geſchwächt, daß ſeine Stimme im Rathe der großen Mächte wenig mehr galt.

Kaum minder bedenklich erſchien zur Stunde die Lage Englands. Die Erbſünde des britiſchen Parlamentarismus, die Vernachläſſigung der niederen Stände trug endlich ihre Früchte. Die hungernden Maſſen, denen der erſehnte Friede nur neues Elend gebracht, knirſchten in die Zügel, blutige Straßenkämpfe verkündeten das Nahen einer ernſten ſo - cialen Bewegung, und ſtatt die Gefahr durch die Herabſetzung der drücken - den Kornzölle und andere dringend nöthige wirthſchaftliche Reformen zu beſchwören griff das Tory-Cabinet mit rückſichtsloſer Härte durch. Faſt gleichzeitig mit den Karlsbader Beſchlüſſen erſchienen die ſechs Knebelbills gegen die Preſſe und die öffentlichen Verſammlungen. Während die Na - tion über dieſe letzte ſchwere Verletzung ihres Verfaſſungsrechts noch murrte, begann ſie auch ſchon wahrzunehmen, wie tief Englands Macht in der Staatengeſellſchaft geſunken war. Gedeckt durch den Silbenwall ihrer Meere war die engliſche Handelspolitik von Altersher gewohnt, die jedem Staate eingeborene Selbſtſucht mit einer cyniſchen Unbefangenheit, dieTreitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 10146III. 3. Troppau und Laibach.ſich keine Regierung des Feſtlandes erlauben durfte, zur Schau zu tragen, und längſt betrachtete es die Welt als ein politiſches Naturgeſetz, daß alle Bundesgenoſſen des treuloſen Albion unfehlbar betrogen wurden. Schließlich kam doch ſelbſt für dieſe unangreifbare Inſel der Tag, da ſie erfahren mußte, daß auch im Völkerverkehr ſittliche Mächte wirken und jeder Staat durch das Uebermaß der Untreue ſein eigenes Anſehen zer - ſtört. In Spanien, in Portugal, in Sicilien, in Preußen, überall hatte England ſeine treuen Waffengefährten preisgegeben oder übervortheilt. Der engliſche Name, der in den napoleoniſchen Tagen weithin durch die Welt geleuchtet hatte, war jetzt allgemein verhaßt; Lord Caſtlereagh galt auf dem Continente nur noch für den dienſtwilligen Schleppträger Met - ternich’s, und nicht mit Unrecht ſchleuderte Brougham den unfähigen Miniſtern den Vorwurf zu: unter ihrer Leitung ſei Großbritannien nur eine Macht zweiten Ranges.

In dieſem Augenblicke allgemeiner Unzufriedenheit, im Januar 1820 ſtarb der geiſteskranke greiſe König. Der letzte und nichtigſte der nichtigen vier George beſtieg den Thron und bewährte ſofort, daß er wirklich, wie Lord Byron ſchon dem Prinzregenten zugerufen hatte, aus dem blutigen Staube des kopfloſen Karl I. und des herzloſen Heinrich VIII. geformt war. Sein Dichten und Trachten ging auf die Vernichtung der unglücklichen Königin Karoline. Der Treuloſe, deſſen ganzes häusliches Leben nur ein fortge - ſetzter Ehebruch geweſen, hatte die Stirn, ſeine Gemahlin öffentlich der Untreue anzuklagen. Auch die gefährliche Verſchwörung des Radikalen Thiſtlewood gegen das Leben der Miniſter, die im Februar entdeckt wurde, brachte den König nicht auf ernſtere politiſche Gedanken. Seine eigenen Miniſter und alle befreundeten Höfe ſahen mit Schrecken einen europäiſchen Skandal voraus und riethen dringend ab; man erwog bereits, ob nicht Metternich ſelbſt nach London gehen ſollte, um den ärgerlichen Handel beizulegen. *)Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820.Sobald ſich aber zeigte, daß Georg IV. von ſeinem längſt gehegten Entſchluſſe nicht abzubringen war, lieh der öſterreichiſche Staats - mann dem alten Bundesgenoſſen unbedenklich ſeinen Beiſtand. Seit Jah - ren waren die Diplomaten des Prinzregenten der verfolgten Fürſtin auf ihren Reiſen nachgegangen, erlauchte Namen aus dem engliſchen und han - noverſchen Adel hatten ſich nicht geſcheut die Bettmädchen in den Gaſthöfen auszuhorchen. Jetzt legte ſich auch die bewährte k. k. Polizei ins Zeug und trieb in Mailand ein ganzes Gelichter von Lakaien, Kurieren und Zofen zuſammen, das in London wider die Königin ausſagen ſollte, und der Kurfürſt von Heſſen ſendete dienſtbefliſſen ſeinen Hofbereiter als Zeugen hinüber. **)Piquot’s Bericht, Wien 17. April, Hänlein’s Bericht, Kaſſel 28. Auguſt 1820 u. ſ. w. u. ſ. w.

147Prozeß der Königin Karoline.

So begann denn im Auguſt der Prozeß der Königin vor dem Ober - hauſe, und faſt ebenſo erregt wie die Engländer folgten die Deutſchen den beiſpielloſen Auftritten dieſer königlichen Bordellkomödie . Denn es war ein Fürſt des Deutſchen Bundes, der alſo jede Scham verleug - nete, und eine deutſche Fürſtentochter, der ſolche Schmach bereitet wurde. Was war dieſer braunſchweigiſchen Prinzeſſin nicht Alles geboten worden, ſeit ſie zuerſt den Fuß an den Strand der ungaſtlichen Inſel geſetzt hatte, ein unerzogenes junges Geſchöpf, vorlaut, taktlos, launiſch, und bei Alledem doch ein ehrliches deutſches Naturkind, aufrecht und tapfer, unter Menſchen menſchlicher Liebe fähig, zu wahrhaftig für die Schein - heiligkeit dieſes Hofes. Von dem Gatten gleich im erſten Augenblicke roh beleidigt, dann gleichmüthig verlaſſen, verrathen, mißhandelt; gewalt - ſam getrennt von ihrer Tochter Charlotte, die doch immer mit dem ſiche - ren Gefühle des edlen Weibes nach der Mutter zurückverlangte; gemieden, verleumdet, mit Koth beworfen von der vornehmen Geſellſchaft ſo mußte ſie leben viele Jahre lang. Als ſie dann endlich den Staub dieſes Landes von den Schuhen ſchüttelte, mit ähnlichen Empfindungen wie Lord Byron, da fand ſie wie er eine boshafte Freude daran, den Abſcheu der engliſchen Splitterrichter trotzig herauszufordern. Ungeduldig heiſchte ſie vom Schickſal Erſatz für alle die vertrauerten Jahre und leerte auf ihren abenteuerlichen Wanderfahrten den Becher der Luſt mit lechzenden Lippen bis zu ſeiner eklen Hefe. Zuweilen brach die unverwüſtliche gute Natur wieder hervor, im Oriente ſpendete ſie den Peſtkranken uner - ſchrocken Troſt und Pflege; zuletzt verwilderte ſie doch in dem wüſten Treiben. Nach der Thronbeſteigung ihres Gemahls kehrte ſie heim um ihr königliches Recht zu wahren; und nun ſtand ſie vor den Unterthanen, die ſie richten ſollten, gewiß ein ſchuldiges Weib, nicht mehr würdig einer Krone, aber was wogen alle ihre Sünden gegen die Frevel deſſen, der ihr Leben vergiftet?

Es war doch nicht blos der Haß gegen den verächtlichen Fürſten, ſondern ein ehrenwerthes menſchliches Gefühl, was die Maſſen der Hauptſtadt ſo günſtig für die Königin ſtimmte. Selbſt der Wittwer der Prinzeſſin Charlotte, der kluge Prinz Leopold von Koburg hielt es für Ritterpflicht ſeine Schwiegermutter zu beſuchen, wofür er denn freilich in Gentz’s Briefen den Ehrentitel einer Haupt-Canaille erhielt. Tag für Tag zog das Volk in dichten Schaaren den Hyde-Park entlang, um der Königin zu huldigen und vor den Thoren des Oberhauſes den Lord Caſtlereagh zu bedrohen, der gemächlich mit unbewegtem Geſicht mitten durch die Tobenden ſeines Weges ſchritt. Wüthende Libelle überſchütteten den König mit Verwünſchungen; ein Zerrbild zeigte ihn, wie er im Karren zum Schindanger hinausgefahren wurde, darunter die Inſchrift: Katzenfreſſen. Drei Monate hindurch wurde aller Schmutz des Hofes vor den Augen Europas mit der umſtändlichen Gründlichkeit des engliſchen10*148III. 3. Troppau und Laibach.Gerichtsverfahrens zuſammengekehrt, und ſein Brodem ſtank zum Himmel. In Brougham’s beredtem Munde geſtaltete ſich die Vertheidigung der Königin zu einer erdrückenden Anklage wider ihren Gemahl, der in der Einſamkeit des Parks von Windſor ſeinen Grimm und ſeine Schande verbergen mußte. Im November fiel endlich die Entſcheidung; nur mit neun Stimmen Mehrheit ſprachen ſich die Lords für die Trennung der königlichen Ehe aus. Der König gab ſein Spiel verloren, er ließ die Bill zurückziehen, weil ſie nunmehr im Hauſe der Gemeinen unmöglich durchgehen konnte.

Einen monarchiſchen Staat hätte eine ſolche Entehrung der Krone bis in ſeine Grundfeſten zerrüttet. Der gewaltige Bau dieſer parla - mentariſchen Ariſtokratie blieb unerſchüttert, denn ſein Schwerpunkt lag nicht mehr bei der Krone. Der Prozeß der Königin Karoline ſetzte nur das Siegel unter die längſt vollzogene Vernichtung der alten unab - hängigen monarchiſchen Gewalt und bekundete vor aller Welt, daß der König von England kaum noch die Macht eines venetianiſchen Dogen beſaß. Für die Herrſchaft der Torys aber ward dieſe Niederlage ver - hängnißvoll. Sie hatten einſt die Nation mit hartnäckigem Muthe zum Kampfe gegen das napoleoniſche Weltreich geführt; doch ſeitdem war die Zeit über ſie hinweggeſchritten, alle ihre früheren Verdienſte verſchwanden neben der völlig unfruchtbaren, gedankenloſen Politik der letzten fünf Jahre. Der allgemeine Unwille über das Syſtem der Erſtarrung ſtei - gerte ſich jetzt bis zur Verachtung; die verhaßte Regierung hielt ſich nur noch aufrecht, weil vorderhand Niemand bereit war ihre traurige Erb - ſchaft anzutreten. Die ſeit Langem entmuthigten und zerſtreuten Whigs begannen wieder zu erſtarken und ſammelten ſich in der Stille um das Programm der Parlamentsreform. In ſolcher Lage durfte Caſtlereagh nicht mehr wagen ſeinen reaktionären Herzensneigungen die Zügel ſchießen zu laſſen und der europäiſchen Politik ſeines Freundes Metternich ohne Vorbehalt zu folgen. Erſchüttert durch innere Kämpfe ſahen die beiden con - ſtitutionellen Weſtmächte den Revolutionen des Südens gleich rathlos zu.

Die moderne Wiſſenſchaft ſucht die Größe der Monarchie nicht mehr, wie die politiſche Doctrin des Alterthums, in der perſönlichen Ueberlegen - heit eines gottgeſendeten Herrſchergeſchlechts, ſondern in der Selbſtän - digkeit einer auf eigenem Rechte ruhenden und darum unparteiiſchen, der ſocialen Begehrlichkeit entrückten Staatsgewalt. Für das Gefühl der Völker aber gewinnen die politiſchen Inſtitutionen nur durch die han - delnden Menſchen Sinn und Leben. Eine ſo ſchmachvolle Selbſtent - würdigung des Königthums, wie ſie dies Geſchlecht gleichzeitig in Spanien, Italien und England erlebte, mußte in weiten Kreiſen die monarchiſche Geſinnung untergraben. Solchen Fürſten gegenüber erſchienen die Lehren der Legitimität wie ein grauſamer Spott; und da die Völker ſtets über den Leiden der Gegenwart die ſchwereren Nöthe der Vergangenheit zu149Der Bonapartismus.vergeſſen pflegen, ſo wendeten ſich bereits viele Blicke ſehnſüchtig rück - wärts nach jenem Gewaltigen, der einſt die legitimen Fürſtenhäuſer ſo unvergeßlich gedemüthigt hatte. Ganz ohne Wirkung war die emſige geheime Thätigkeit der Sendboten von St. Helena nicht geblieben. In den letzten Jahren ſeiner Herrſchaft hatte ſich der Erbe der Revolution nur noch als ein Despot gezeigt; jetzt im Elend kehrte der Bonapartis - mus der Welt wieder das demokratiſche Geſicht ſeines Januskopfes zu.

Alle die Briefe und Denkwürdigkeiten, mit denen der Verbannte den europäiſchen Büchermarkt überſchwemmen ließ, erzählten rührſam, wie er ſein Lebelang nur das eine Ziel verfolgt habe, den Franzoſen nach der Wiederherſtellung der Ordnung auch die Freiheit zu ſchenken; auf ſeine alten Tage hatte er ſich mit einem Kreiſe aufgeklärter Menſchen - freunde umgeben und dieſe als espions de vertu im Gefolge der Kai - ſerin in die Provinzen ſenden wollen, um überall die Klagen der Armen und Bedrängten entgegenzunehmen; lediglich durch die Kriegsluſt ſeiner neidiſchen Nachbarn war der Friedensfürſt immer wieder gezwungen wor - den das Schwert zu ziehen und die Ausführung ſeiner Lieblingspläne zu vertagen. Die lächerlichen Märchen fanden doch ſchon manches wil - lige Ohr. In Frankreich und Polen wiederholten Tauſende die zornige Klage Beranger’s: adieu donc pauvre gloire; in allen Vaſallenlanden des Imperators wurden die napoleoniſchen Erinnerungen wieder lebendig. Selbſt in England gab es Unzufriedene, die in Napoleon’s Sturz nur noch den Triumph der rohen Macht über den Genius ſehen wollten, und Byron ſcheute ſich nicht, die Ehrenlegion und die Tricolore als den Stern der Tapferen und den Regenbogen der Freien zu verherrlichen.

Mittlerweile unterhielten Eugen Beauharnais und ſeine Schweſter Hortenſe von Baiern aus einen regen Verkehr mit Napoleon’s Abge - ſandten. Frau v. Abel und die Wittwe des Marſchalls Ney vermittelten die Verbindung mit Frankreich; und ungeachtet der wiederholten Mahnun - gen der Großmächte konnte ſich der gute König Max Joſeph nicht ent - ſchließen, ſeinem Liebling Eugen das Handwerk zu legen. *)Weiſung an Zaſtrow, 12. Aug. 1818. Deſſen Berichte, 29. Nov. 1818, 28. Sept. 1819, 1. Mai 1822 u. ſ. w.Eine bona - partiſtiſche Partei, welche geradeswegs die Herſtellung des Kaiſerreichs erſtrebt hätte, beſtand freilich nirgends mehr außerhalb dieſes engen Krei - ſes der Napoleoniden. Im Gefühl ſeiner Schwäche verband ſich der Bonapartismus mit den radikalen Parteien; überall ſäte er Unfrieden und nährte den Groll wider das Beſtehende; in allen revolutionären Geheimbünden Frankreichs, Italiens, Polens waren napoleoniſche Vete - ranen thätig. Die Preſſe war der Zornreden wider den Corſen endlich müde geworden; ſie brachte jetzt häufig gefühlvolle Klagen über das harte Loos des Gefangenen der Millionen , denn aus den Lügenberichten150III. 3. Troppau und Laibach.von St. Helena konnte ſie unmöglich errathen, wie unwürdig dieſer Mann des Mitleids war oder ſie verglich boshaft anſpielend das Genie des Entthronten mit den Erben ſeiner Weltherrſchaft. Ein Spottbild, das in Süddeutſchland umlief, ſtellte die drei Monarchen der Oſtmächte dar, neben ihnen ein Thier mit drei Leibern und einem Kopfe; über dem Ungethüm erhob ſich die Geſtalt Napoleon’s; dazu die Frage: nun rathe, welchem von uns Dreien der eine Kopf gehört. Als endlich im Sommer 1821 die Nachricht von dem Ableben des Verbannten nach Europa kam, da übte der Tod ſeinen verklärenden Zauber, und Viele, die dem Lebenden geflucht, fühlten ſich erſchüttert von der Tragik ſeines Schickſals. Sogar Papſt Pius VII., der unter der Roheit des Impe - rators ſo ſchwer gelitten, richtete an die greiſe Lätitia Buonaparte einen warmen Troſtbrief und bekundete mit rührenden Worten, wie unaus - löſchlich das Bild des großen Landsmanns in die Herzen der Italiener eingegraben war.

Unwillkürlich entſann ſich die Welt wieder des kaiſerlichen Knaben, der in Oeſterreich aufwuchs, ſeinem Hauſe, ſeinem Vaterlande abſichtlich entfremdet. Auf dem zweiten Pariſer Friedenscongreſſe hatten die Staats - männer der fünf Mächte ſich in dem Wunſche vereinigt, daß der Erbe Napoleon’s, zur Beruhigung der Zukunft Europas, für den geiſtlichen Beruf erzogen werden möge. Nun da die Begabung des frühreifen Kindes ſich entfaltete, mußte der Wiener Hof bald einſehen, wie wenig dieſer Feuergeiſt zum Prieſter taugte. Jedoch die Abſicht, den Stamm des Imperators ausſterben zu laſſen, wurde feſtgehalten, am zäheſten von dem Berliner Cabinet, das ſich gegen die Napoleoniden ſtets ganz unverſöhnlich zeigte. Als Kaiſer Franz ſeinen Enkel zum Herzog von Reichſtadt ernannte, verlieh er die Würde, auf Preußens dringende Vor - ſtellungen, ausdrücklich nur dem Prinzen perſönlich, nicht ſeinen Nach - kommen. *)Weiſung an Kruſemark, 24. Jan. Deſſen Berichte, 4., 11. Febr. 1818.So reifte der Sohn des Weltherrſchers zum Manne heran, mißtrauiſch überwacht von den Todfeinden ſeines Geſchlechts. Und welch eine Rolle ſpielte in der furchtbaren Tragödie dieſes Hauſes das flache Weib, das einſt in den vier Jahren cäſariſcher Herrlichkeit alle heimiſchen Erinnerungen verleugnet und ſelbſt die Mutterſprache faſt verlernt hatte! Als wäre nichts geſchehen führte Marie Luiſe in Parma noch bei Leb - zeiten ihres Gemahls ihr leichtfertiges Wittwenleben, und empört über die Herzloſigkeit der Oeſterreicherin fragte Byron: warum ſollen die Fürſten das Gefühl der Völker ſchonen, wenn ihre eigenen Gefühle Poſſen ſind?

Die neue Ordnung der Staatengeſellſchaft begann ſchon überall zu ſchwanken; der Wiener Congreß hatte den Zweck ſeiner großen Friedens - arbeit nur halb erreicht, das Zeitalter der Revolutionen war noch nicht151Radikale Stimmungen.geſchloſſen. Ein radikaler Zug ging durch die Welt; die Sünden der hergeſtellten alten Gewalten hatten den Schlauch des Aeolus wieder ge - öffnet. Darum zog Haller ſofort die Sturmglocke und forderte, in jener grimmigen Schrift über die ſpaniſche Verfaſſung, den Vernichtungskrieg wider die Revolution. Sein Schweizer Landsmann Troxler antwortete ihm, indem er Buchanan’s und Milton’s Schriften über das Recht des Widerſtandes in deutſcher Bearbeitung herausgab (1821) und in einem ge - harniſchten Vorwort der Partei Haller’s vorwarf, ihr Ultraismus ent - ſpringe nicht der Ueberzeugung, ſondern dem Eigennutz und der Begehr - lichkeit. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß dieſe Schrift Fürſt und Volk ſogleich in zwei ſtarken Auflagen vergriffen wurde, obgleich der ab - ſtrakte Tyrannenhaß jener beiden kühnen Monarchomachen doch einer längſt überwundenen Weltanſchauung, dem kirchlich-politiſchen Radikalismus des Jahrhunderts der Religionskriege angehörte. Und gleich als gälte es die Lehren Buchanan’s und Milton’s feierlich zu rechtfertigen, verjagte der clericale Tägliche Rath von Luzern ſodann den Ueberſetzer aus ſeinem Lehramt. Schroff und ſtarr traten faſt überall die revolutionäre Doctrin und das legitime Recht einander entgegen. Der Kampf mußte kommen, und noch auf lange hinaus ſchien jede Verſöhnung unmöglich.

Schon die erſten Nachrichten von den Unruhen im Südweſten er - füllten alle Höfe der großen Allianz mit ſchwerer Sorge. Der Libera - lismus geht ſeine Wege , ſchrieb Metternich nach der Ermordung des Herzogs von Berry, es regnet Mörder, da haben wir ſchon den vierten Sand ſeit neun Monaten! Einige Wochen ſchmeichelte man ſich noch mit der Hoffnung, daß die Fluth der Revolution wieder ebben würde; erſt ſeit der König von Spanien ſich der Cortesverfaſſung unterworfen hatte, erkannte man den ganzen Umfang der Gefahr. Ueber die Ver - werflichkeit dieſes Grundgeſetzes waren alle fünf Mächte einig. Bern - ſtorff und Ancillon ſprachen das allgemeine Urtheil aus, als ſie er - klärten, König Ferdinand habe ſeine Schande unterſchrieben, aus einer ſolchen durch Aufruhr ertrotzten Verfaſſung könne nur eine ſchlechte Re - publik mit einem Schattenkönige hervorgehen. Beſonders verſtimmt zeigte ſich König Friedrich Wilhelm ſelbſt. Hardenberg wollte den Geſandten Frhrn. v. Werther, einen klugen Diplomaten, der ſchon ſeit längerer Zeit beurlaubt, in Madrid durch einen Geſchäftsträger vertreten wurde, jetzt ſofort auf den wichtigen Poſten zurückſenden; der König aber weigerte ſich entſchieden*)Hardenberg’s Tagebuch, 28. März, 1. April 1820., offenbar weil er dieſer revolutionären Regierung keine Höflichkeit gönnte.

152III. 3. Troppau und Laibach.

Weder in Berlin noch in Wien wurde irgend bezweifelt, daß der in Aachen erneuerte Bund wider die franzöſiſchen Revolutionsparteien mittelbar auch gegen andere Länder gelte und die großen Mächte mithin berechtigt ſeien, wie vor fünf Jahren in Frankreich, ſo jetzt in Spanien das Haus Bourbon zu beſchützen. Aber war es rathſam, war es auch nur möglich, dies vermeinte Recht ſogleich zu gebrauchen? Von allen Höfen wagte allein der Petersburger dieſe Frage rundweg zu bejahen. Da Czar Alexander das Madrider Cabinet, freilich mit geringem Erfolg, beharrlich bevormundet und die Verſammlung der Truppen um Cadiz ſelber mit veranlaßt hatte, ſo empfand er den Aufruhr des ſpaniſchen Heeres wie einen Schlag in’s eigene Angeſicht. Schon am 3. März, noch bevor der Sieg der Revolution entſchieden war, bat er die Mächte, daß ihre Geſandten zu Paris wegen der ſpaniſchen Angelegenheiten in Berathung treten möchten, und nachdem er ſie ſodann noch mehrmals vertraulich zu gemeinſamen Schritten ermahnt hatte, rückte er endlich am 2. Mai mit dem Vorſchlage heraus: die verbündeten Höfe ſollten von den ſpaniſchen Cortes die förmliche Verleugnung der Revolution und die Einführung einer gemäßigten Verfaſſung fordern.

Auf einen ſolchen Antrag, der den reizbaren Nationalſtolz der Spanier ſchwer verletzen mußte, konnten die deutſchen Großmächte ſich nicht einlaſſen. Selbſt Napoleon hatte in Spanien die Grenzen ſeiner Macht gefunden; jetzt vollends ſchien ein Krieg wider die Halbinſel ganz ausſichtslos, da König Ludwig XVIII. inmitten der Wirren ſeiner hei - miſchen Parteikämpfe weder ſelber eine bewaffnete Einmiſchung wagen noch etwa deutſchen oder ruſſiſchen Truppen den Durchmarſch gewähren konnte. Und hätte auch das Tuileriencabinet ſich zu einem ſo tollkühnen Entſchluſſe aufgerafft, ſo durfte ihn doch die engliſche Handelspolitik, nach ihren alten Traditionen, nimmermehr erlauben; die Tory-Regierung war im Parlamente unrettbar verloren, ſobald ſie einem ruſſiſch-franzö - ſiſchen Kreuzzuge gegen Englands alten Bundesgenoſſen zuſtimmte. Lord Caſtlereagh fühlte dies ſofort und trat den Einmiſchungsgelüſten des Czaren von Haus aus ſchroff entgegen. Die wahren Grundſätze der großen Allianz ſo erklärte er ſeinem Monarchen am 30. April dürfe man nicht dergeſtalt verallgemeinern, daß ſie zu einer Verlegenheit für eine conſtitutionelle Regierung würden. Zugleich erinnerte Welling - ton die Verbündeten an ſeine eigenen ſpaniſchen Erfahrungen und warnte ſie vor dem Fremdenhaſſe dieſes unnahbaren Volks. Der alte Söldner - führer konnte ſich’s dabei nicht verſagen, ſeinen ſtillen Groll gegen das preußiſche Volksheer wieder einmal durch einen Vergleich, der wie die Fauſt auf das Auge paßte, zu bekunden; er nannte in einem Briefe an Richelieu die Meuterei der ſpaniſchen Truppen ein ſchreckliches Beiſpiel für die deutſchen Staaten, welche ähnlich gebildete Heere beſäßen!

Angeſichts dieſer Haltung der Weſtmächte mußten auch die beiden153Spanien und die Großmächte.deutſchen Höfe den Gedanken einer europäiſchen Intervention von ſich weiſen, obwohl Hardenberg gegen eine gemeinſame Berathung der Pariſer Geſandten nichts einzuwenden fand. Beide betrachteten Spanien für jetzt als einen verlorenen Poſten; die Ruhe Frankreichs galt ihnen mehr als jene entlegenen Händel. Die Thatenluſt des Czaren hatte in Wien von Neuem das alte Mißtrauen gegen Rußland erweckt; auch die zweideutige Haltung des Petersburger Cabinets nach den Karlsbader Beſchlüſſen blieb in der Hofburg unvergeſſen, und ſoeben waren aus der Balkanhalbinſel wieder beunruhigende Nachrichten über die Umtriebe ruſſiſcher Agenten eingelaufen. *)Kruſemark’s Berichte, 16. Jan., 10. April, 15., 22. Mai 1820.Darum empfahl Metternich jetzt abermals, wie vor zwei Jahren**)S. o. II. 123., den Abſchluß eines geheimen Sonderbündniſſes zwiſchen den deut - ſchen Mächten, das ſeine Spitze nöthigenfalls wider Rußland kehren ſollte. Aber auch diesmal lehnte Preußen die Zumuthung ab; denn der König blieb unerſchütterlich des Glaubens, daß nur der Bund der drei Oſtmächte den Weltfrieden ſichern könne, und auch Bernſtorff fand den Vorſchlag Met - ternich’s weder klug noch redlich. Wir müſſen, ſchrieb er an Ancillon, Rußland gegenüber durchaus aufrichtig bleiben und wollen vor ihm weder ein Unrecht zu verbergen noch ein Unrecht zu geſtehen haben. Unſere Freundſchaft mit Oeſterreich kann nie zu eng und nie zu ſtark werden, aber ſie muß vollkommen frei und ein reines Vertrauensverhältniß bleiben. Der Vortheil, den wir uns davon verſprechen, würde vernichtet werden durch den erſten geſchriebenen Buchſtaben, der uns einer förmlichen und beſtimmten Verpflichtung unterwürfe. ***)Bernſtorff an Ancillon, 16. April 1820.

Nach dieſem Mißerfolge in Berlin verſuchte Metternich ſein Glück bei dem Czaren ſelber und ſendete im Mai dem Geſandten Lebzeltern eine lange, für den Kaiſer perſönlich beſtimmte Denkſchrift. Bernſtorff nannte dieſe Arbeit ſeines Wiener Freundes ganz unklar, ſchwach, verworren, und in der That war kaum jemals ein armſeligeres Schriftſtück aus Metternich’s fruchtbarer Feder gefloſſen; denn da er mit ſeinen liberalen Gegnern die Vorliebe für doktrinäre Sätze theilte, ſo hatte er auch jetzt ſeinen Widerſpruch gegen eine europäiſche Intervention, der ſich doch nur aus der augenblicklichen Lage der Großmächte ergab, in die Form allge - meiner politiſcher Maximen eingekleidet und war alſo, ohne es zu merken, zu einer Theorie der Nicht-Intervention gelangt, welche den ſo oft wieder - holten Grundſätzen der Stabilitätspolitik ſchnurſtracks zuwiderlief. †)Metternich’s Denkſchrift über die ſpaniſche Revolution (an Lebzeltern, Mai 1820). Bernſtorff an Ancillon, 20. Mai 1820.

Metternich’s Phantaſie hatte nur fünf Metaphern in ihrem Vermögen, welche ſich alleſammt auf die Revolutionsgefahr bezogen und der diploma - tiſchen Welt bereits geläufig waren: den Vulkan, die Peſt, den Krebs -154III. 3. Troppau und Laibach.ſchaden, die Waſſerfluth und die Feuersbrunſt. Diesmal eröffnete der Vulkan den Reigen. Europa ruht auf einem Vulkan, begann die Denkſchrift wehmüthig, die Lavamaſſen der erſten Revolution bedecken noch Frankreichs Umgebungen, und ſchon iſt der kaum wiederhergeſtellte Grundſatz der Legitimität aufs Neue erſchüttert. Die Aufgabe ſcheint für die Menſchen zu ſchwer geweſen zu ſein; Gott allein ſteht es zu, die Welt zu regieren und durch eine einzige Willensthat feſte und un - wandelbare Geſetze zu begründen. Von den revolutionären Staaten Frankreich, Italien, Spanien, Deutſchland, galt Italien dem Oeſterreicher immerhin noch als das glücklichſte Land wenige Wochen bevor die Re - volution in Neapel ausbrach: dort herrſche leidliche Ruhe, Dank der Klugheit der Regierungen. Unter den conſervativen Mächten ſtellte er natürlich ſein Oeſterreich am höchſten; denn dieſer Staat bewahrt vor ſeinen Nachbarn den Vorzug ſeiner alten Geſetze, die Kraft ſeiner bunten Zuſammenſetzung (la force de ses subdivisions) und die Macht der Ge - wohnheiten. Mit Hilfe der Feuersbrunſt zog er ſodann aus dieſer - ſteren Schilderung des Beſtehenden einige noch traurigere Schlüſſe: Bei Feuersbrünſten wird es oft unmöglich, die brennenden Gebäude zu retten und die Vorſicht ſieht ſich darauf beſchränkt, die noch nicht vom Feuer ergriffenen zu retten. Darauf folgte gar die in dieſem Munde unbe - greifliche Verſicherung: die Geſchichte aller Völker lehrt daß fremde Ein - miſchung die Erfolge einer Revolution niemals aufgehalten oder geregelt hat, es ſei denn in Ländern von mäßiger Ausdehnung. Und ſo bleibe denn für jetzt nur übrig: feſte moraliſche Verbindung und lebendiger Gedanken - austauſch zwiſchen den großen Höfen, gemeinſames Vorgehen gegen die falſchen Doktrinen u. ſ. w. Eine Fülle von Schmeicheleien für Kaiſer Alexander bildete den Schluß. Sie konnte den Czaren nicht darüber täuſchen, daß Oeſterreich in die ſpaniſchen Händel bis auf Weiteres nicht eingreifen wollte. Da der Wiener Hof dies überdies am 5. Juni förm - lich erklärte und auch Preußen zu Anfang Juli in ähnlichem Sinne ant - wortete, ſo mußte der Czar ſeine Pläne aufgeben. Spanien war durch die Gunſt ſeiner geographiſchen Lage und durch Frankreichs Schwäche vor - läufig vor jedem Angriff geſichert.

Die friedfertige Stimmung des Wiener Hofes ſchlug aber ſofort und vollſtändig um, als am 22. Juli die Nachricht von dem Beginn der italie - niſchen Revolution einlief, eine Schreckensbotſchaft, die um ſo peinlicher überraſchte, weil der Geſandte in Neapel ſoeben erſt gemeldet hatte, dort ſei alle Welt über die Thorheit der ſpaniſchen Rebellen empört. *)Kruſemark’s Bericht, 8. Mai 1820.Da waren alle die ſalbungsvollen Verſicherungen, daß Gott allein die Welt regiere und fremde Einmiſchung niemals eine Revolution zu hemmen ver - möge, augenblicklich vergeſſen. In einem donnernden Artikel verkündete155Italien und die Großmächte.der Oeſterreichiſche Beobachter den getreuen Unterthanen, der Geiſt des Verderbens habe ſich eines glücklichen, weiſe verwalteten Landes bemäch - tigt, und alsbald erklärte Metternich dem preußiſchen Geſandten ſeinen feſten Entſchluß, dieſen Aufruhr um jeden Preis niederzuwerfen. *)Kruſemark’s Bericht, 2. Aug. 1820.Er ſah nicht nur die Machtſtellung Oeſterreichs in dem einen ihrer beiden mitteleuropäiſchen Bollwerke bedroht, er durfte ſich auch über Verletzung der Verträge beſchweren, da die italieniſchen Bourbonen ihm in dem ge - heimen Wiener Vertrage vom 12. Juni 1815 verſprochen hatten, ihre alten monarchiſchen Inſtitutionen nicht zu verändern. Mit raſtloſem Eifer bereitete er ſeinen Gegenſchlag vor. Selbſt der Verluſt einer zweiten Tochter, der ihn in dieſem Frühjahr getroffen hatte, lähmte ihm die Thatkraft nicht, obgleich er im häuslichen Leben nicht ohne Gemüth war und die zweifache Heimſuchung ſchwer empfand. Bei dem kläglichen Zuſtande des Heeres und des Staatshaushalts ſchritten die Rüſtungen freilich ſehr lang - ſam vorwärts; es währte viele Wochen, bis die Garniſonen in dem un - ruhigen Oberitalien genügend verſtärkt waren, und dann noch mehrere Monate, bis man den Kreuzzug nach Unteritalien wagen konnte. Metter - nich mußte dies wiſſen; die Unwahrheit war ihm aber ſchon ſo zur an - dern Natur geworden, daß er ſich nicht enthalten konnte, ſelbſt in einem Privatbriefe, wo die Lüge gar keinen Zweck hatte, mit dem ruhigen und doch raſchen Vorſchreiten der Rüſtungen Oeſterreichs zu prahlen. Auch bei Leipzig, fuhr er fort, habe dies beſcheidene alte Oeſterreich zwei Drittel des geſammten verbündeten Heeres auf das Schlachtfeld geſtellt, während ſich in Wahrheit unter den 255,000 Mann der Verbündeten nur etwa 100,000 Oeſterreicher befunden hatten. Zum würdigen Abſchluß ſeines Selbſtlobes fügte er noch hinzu: wir ſind recht ſchlechte Marktſchreier!

Doch was verſchlug es, wenn die Rüſtung ſich etwas verſpätete? Der Ausgang eines Krieges gegen Neapel war um ſo weniger zweifelhaft, da die Stimmung der großen Mächte den Plänen der Hofburg zu ſtatten kam. Die italieniſche Revolution wurde an allen Höfen von Haus aus ungleich härter verurtheilt als die ſpaniſche Erhebung, ſchon weil die Re - gierung von Neapel bei Weitem nicht ſo übel berufen war wie die allgemein mißachtete Madrider Camarilla. Inmitten der ſtreitenden Intereſſen und der wechſelſeitigen Eiferſucht unſerer Staatengeſellſchaft kann jede Nation nur durch die vollendete That das Recht ihres Daſeins erweiſen und ſich die Achtung der Nachbarn erzwingen. Da der Bau der Wiener Ver - träge auf der politiſchen Nichtigkeit der beiden Culturvölker Mitteleuropas ruhte, ſo galt es unter den Staatsmännern dieſes Zeitalters jahrzehnte - lang als ein Glaubensſatz, daß die Italiener zu nationaler Selbſtändig - keit gänzlich unfähig ſeien. Und leider thaten auch die preußiſchen Diplo - maten das Ihre um dies allgemeine Vorurtheil zu nähren; ſie ahnten156III. 3. Troppau und Laibach.nicht, daß alle Ausländer, aus dem nämlichen Grunde, ganz ebenſo lieb - los und ungerecht über die politiſche Fähigkeit der Deutſchen ſprachen. Der engliſche Geſandte A Court ſchilderte die Bewegung, die doch von den beſitzenden Klaſſen ausging, als eine Erhebung des Pöbels wider das Eigenthum. Niebuhr in Rom fühlte ſich von den demagogiſchen Künſten der Carbonari dermaßen angeekelt, daß er den Aufſtand mit einer Neger - Rebellion verglich und über die Hundiſchkeit dieſer Wälſchen nicht genug Arges zu ſagen wußte; auch ſein junger Sekretär Bunſen meinte, an eigentliche Freiheit ſei in dieſem verſunkenen Volke gar nicht zu denken.

Großes Aergerniß erregte insbeſondere die Haltung des Kronprinzen Franz von Neapel, den der greiſe Ferdinand, um ſich ſelber für die Stunde der Vergeltung aufzuſparen, zum Statthalter ernannt hatte. Der Sohn war ſeines Vaters würdig; er trug die Carbonarifarben und ſpielte die Rolle des volksfreundlichen Fürſten nur um die Liberalen deſto ſicherer zu ver - derben. Im Auslande aber durchſchaute man das Doppelſpiel des bour - boniſchen Thronfolgers noch nicht; er galt für einen Freund des liberalen bairiſchen Kronprinzen, und ein an den Höfen umlaufendes Schreiben des geiſtreichen Prinzen Chriſtian von Dänemark, der den Aufruhr in Neapel mit angeſehen hatte und den Charakter König Ferdinands ganz richtig beurtheilte, verſicherte beſtimmt, der Sohn ſei ernſtlich conſtitutionell und handle nicht aus Schwachheit. *)Schreiben des Prinzen Chriſtian v. Dänemark, Neapel, 11. Juli 1820. Adreſſat war wahrſcheinlich der König von Dänemark.Welche Ausſicht, wenn ein liberaler junger König ſich an die Spitze einer nationalen Bewegung der Italiener ſtellte! Die unheimlichſte Erſcheinung in dieſer Revolution blieb doch die Macht der geheimen Vereine, die ſich hier ſo überraſchend ſtark zeigte; nichts ſchien gewiſſer als daß dieſe furchtbare Verſchwörung ſich bis nach Frank - reich, Deutſchland und England verzweige. **)So äußert ſich u. A. das für die Höfe von Paris und London beſtimmte - moire de la Cour de Prusse, 7. Okt. 1820.Darum hielten die fünf Mächte alleſammt ein ſtrenges Einſchreiten für nöthig; und Niemand be - ſtritt, daß dem zunächſt bedrohten Oeſterreich dabei die Vorhand gebühre.

Die Geſandten der neuen neapolitaniſchen Regierung wurden von keinem der fünf Höfe zugelaſſen. Der König von Preußen und gleich ihm Kaiſer Franz ließ ein Schreiben König Ferdinand’s, das ihm den erfolgten Umſchwung anzeigen ſollte, uneröffnet liegen, und Bern - ſtorff erklärte, dereinſt werde Seine Sicilianiſche Majeſtät dem Könige dafür Dank wiſſen. Um die Höfe in ihrem Abſcheu zu beſtärken, ſen - dete ihnen Metternich den Bericht über ſeine vertrauliche Unterredung mit dem revolutionären Geſandten, dem Fürſten Cimitille. Wie furchtbar hatte er da den Unglücksmann angeherrſcht, wie kunſtvoll ſeine dritte Lieblingsmetapher, die Peſt verwerthet: gegen ein ſo von der Peſt ver -157Oeſterreich und Neapel.wüſtetes Land müßten alle Nachbarn ſich durch eine ſtrenge Quarantäne decken; nur eine Rettung bleibe noch, wenn die ehrlichen Leute in Neapel ihren König bäten: nehmen Sie die Zügel der Regierung wieder, be - rufen Sie ein Kriegsgericht über General Pepe, dann können Sie auf den Beiſtand von 100,000 Oeſterreichern zählen. *)Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 9. Sept. Geſpräch des Fürſten Metternich mit Fürſt Cimitille, für die verbündeten Mächte lithographirt, Sept. 1820.

Den kleinen deutſchen Regierungen wurde am 25. Juli mitgetheilt, daß Kaiſer Franz, durch die Verträge zur[Ueberwachung] Italiens ver - pflichtet, im äußerſten Falle entſchloſſen ſei, die bewaffnete Rebellion mit Gewalt niederzuſchlagen, und inzwiſchen auf unverbrüchliche Ruhe in Deutſchland zähle. Es bedurfte der Mahnung kaum. Die Kleinen hielten ſich alle untadelhaft gehorſam, die meiſten aus Angſt vor der Revolution, einige aus Furcht vor den Großmächten. Der König von Baiern ſprach ſeine Entrüſtung über die Jakobiner des Südens ganz ebenſo heftig aus wie der Kurfürſt von Heſſen, der ſich mehrmals erbot, ſeine Truppen wider die wälſchen Rebellen marſchiren zu laſſen. Auf den Stuttgarter Hof hatten die Carbonari große Hoffnungen geſetzt, weil die Wundermähr von der ſchwäbiſchen Freiheit bis in den fernen Süden gedrungen war. Zwei Agenten aus Neapel kamen nach Stuttgart um mit dem freien Württemberg Freundſchaft zu ſchließen und ſeine Inſtitutionen kennen zu lernen. Wintzingerode aber wies ſie aus und bemerkte ihnen trocken: wir haben von Neapel nichts, von den Großmächten viel zu erwarten. Die neue neapolitaniſche Regierung war von der Staatengeſellſchaft ge - ächtet, ſie fand in ganz Europa nur bei zwei Mächten Anerkennung: bei dem unberechenbaren Brüſſeler Hofe, der dafür von Kaiſer Alexan - der ſcharf zurechtgewieſen wurde, und bei ihren Geſinnungsgenoſſen in Madrid; dort hatte der Triumphzug der Cortesverfaſſung einen Freuden - ſturm erregt, der ſpaniſche Stolz wallte hoch auf und die radikalen Parteien ſchöpften friſchen Muth. **)Hänlein’s Bericht, Kaſſel 17. Dec.; Küſter’s Berichte, Stuttgart 23. September, 25. Nov. Kapodiſtrias an den ruſſiſchen Geſandten v. Phull in Brüſſel, Okt. 1820.

Ueber die Mittel und Wege aber, die zur Vernichtung der Revo - lution führen ſollten, gingen die Anſichten der Großmächte noch weit auseinander. Oeſterreich wünſchte freie Hand für ſeine Unterhändler und für ſeine Waffen, um in Neapel, den Verträgen gemäß, den alten Zuſtand wieder herzuſtellen; am beſten alſo, wenn ſich die Mitwirkung Europas, die man doch nicht ganz umgehen konnte, auf einen mora - liſchen Beiſtand beſchränkte, wenn die Geſandten der großen Mächte in Wien, wie früher in Paris, zu einer ſtändigen Conferenz zuſammen - träten und das allein handelnde Oeſterreich mit ihren unmaßgeblichen Rathſchlägen unterſtützten. Derſelben Meinung war der preußiſche Hof,158III. 3. Troppau und Laibach.der von vornherein die italieniſche Frage durch die Wiener Gläſer be - trachtete. Mehr denn jemals iſt die Sache Oeſterreichs jetzt die Sache von ganz Europa , ſchrieb Bernſtorff ſchon am 12. Auguſt, und Niebuhr ward ſofort angewieſen, mit dem öſterreichiſchen Geſandten in Rom ſich zu verſtändigen. Alles ſollte vermieden werden was den rächenden Arm der Hofburg in Italien irgend aufhalten konnte. *)Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 12., 19., 30. Aug., 9. Sept. 1820.Freilich ward dieſe Haltung Preußens nicht blos durch die Freundſchaft beſtimmt, ſondern auch durch eine nüchterne realpolitiſche Erwägung, welche dem Wiener Hofe noch monatelang verborgen blieb. Der König wollte ſeinen er - ſchöpften Staat unter keinen Umſtänden mit neuen Verpflichtungen be - laſten; keinen Mann und keinen Thaler dachte er für dieſe ſüdländiſchen Wirren zu opfern. Behielt Oeſterreich in Italien volle Freiheit, ſo blieb Preußen am ſicherſten aus dem Spiele. Auch die engliſche Regierung hätte für jetzt gern jede förmliche Verabredung zwiſchen den großen Mächten ver - hindert; denn lebhafter als Lord Caſtlereagh konnte ſelbſt Metternich die Bändigung der Revolution nicht wünſchen, und da eine europäiſche Inter - vention ſich vor dem ſchwierigen Parlamente nicht verantworten ließ, ſo dachte das Tory-Cabinet die Züchtigung der Carbonari wo möglich der Hofburg allein zu überlaſſen. Daß Oeſterreichs Machtſtellung auf der Halbinſel ſich dadurch von Neuem befeſtigen mußte, war dem alten Bun - desgenoſſen des Hauſes Lothringen nur willkommen.

Um ſo bedenklicher erſchien dieſe Gefahr dem Tuilerienhofe. Auch Richelieu verabſcheute die Revolution, die ſich ja gegen die Vettern des Allerchriſtlichſten Königs richtete, jedoch das Uebergewicht Oeſterreichs im Süden durfte kein franzöſiſcher Miniſter noch verſtärken helfen, und wer ſtand dafür, daß nicht England die italieniſchen Wirren benutzen würde um ſich abermals auf Sicilien einzuniſten? Daher beantragte Richelieu ſchon in den erſten Tagen des Auguſt bei der Hofburg die Einberufung einer europäiſchen Reunion nach dem Muſter des Aachener Congreſſes. **)Kruſemark’s Bericht, Wien 5. Aug. 1820.In einem Rundſchreiben an die großen Mächte lehnte Oeſterreich den Vorſchlag ab, weil er nur Zeitverluſt bewirken und den engliſchen Hof abſchrecken würde (28. Auguſt). Das Petersburger Cabinet dagegen er - griff den Gedanken Richelieu’s mit Feuereifer. Der Czar lebte und webte noch in dem Traume ſeines großen chriſtlichen Bundes. Er hoffte: wenn das hohe Tribunal Europas zuſammenträte, dann könnte vielleicht die Revolution auf beiden Halbinſeln überwunden, aber auch Oeſterreichs Eigenmacht gezügelt und in Neapel wie in Madrid unter der Aufſicht der großen Mächte ein gemäßigtes Regiment begründet werden. Ganz hatte Alexander die liberalen Ideale frührer Jahre noch nicht überwunden; ſeine weiche Natur ſträubte ſich wieder die Einſicht, daß der Radikalismus159Verabredung eines neuen Congreſſes.des Krieges, wenn es einmal zum Schlagen kam, über beide Halbinſeln faſt unvermeidlich eine harte Reaktion heraufführen wußte. Da die Hof - burg bei ihrer Weigerung verblieb, ſo griff der Czar endlich zu einem oft erprobten Mittel und beſchwor ſeinen königlichen Freund in einem zärtlichen Briefe, ihm dieſen Herzenswunſch nicht zu verſagen. Der Sprache des Gemüths vermochte Friedrich Wilhelm ſelten zu widerſtehen, ſofern es ſich nicht um Gewiſſensfragen handelte. Er willigte in die Berufung einer Reunion ſehr ungern freilich und ohne ſeine Meinung über die ita - lieniſche Frage zu ändern. *)Bernſtorff’s Weiſung an Kruſemark, 17. Sept. 1820.Nunmehr mußte auch Metternich nachgeben, wenn er den Czaren nicht beleidigen wollte, und die drei Monarchen ver - abredeten, da der Czar des Reichstags halber in Warſchau weilte, um Mitte Oktober in dem nahen Troppau zuſammenzutreffen. Wie einſt die Niederlande unter Wilhelm III., ſo bildete jetzt Oeſterreich den Mittel - punkt der Staatengeſellſchaft, und wie man damals alle großen Congreſſe, vom Nymwegener bis zum Utrechter Frieden, auf niederländiſchem Ge - biete abzuhalten pflegte, ſo ward es jetzt zur Regel, daß die Beherrſcher Europas ſich um Kaiſer Franz, in ſeinen Kronländern zuſammenfanden.

Den Weſtmächten kam die Abrede der drei Monarchen ſehr unge - legen. Richelieu erſchrak über die Folgen ſeines eigenen Vorſchlags, er begann zu ahnen, welche peinliche Rolle die beiden conſtitutionellen Höfe des Weſtens in Troppau neben den drei Oſtmächten ſpielen würden; doch es war zu ſpät zur Umkehr. In ſeiner Verſtimmung verfiel er dann auf eine unglückliche Halbheit und beſchloß, mindeſtens nicht ſelber auf dem Congreſſe zu erſcheinen. Caſtlereagh aber wurde durch den Prozeß der Königin in London feſtgehalten und beauftragte ſeinen Bruder, den Ge - ſandten in Wien, Lord Charles Stewart, dem Kaiſer Franz nach Troppau zu folgen. Das ließ ſich zur Noth vor dem Parlament entſchuldigen; über die Herzensmeinung ſeiner britiſchen Freunde konnte Metternich doch nicht in Zweifel ſein, da ſie eben jetzt zum Schutze der königlichen Fa - milie eine Flotte nach Neapel ſendeten. Während alſo die drei Monar - chen des Oſtens mit ihren leitenden Miniſtern perſönlich in Troppau er - ſchienen, war England nur durch einen Staatsmann zweiten Ranges, einen unbedeutenden, launiſchen Sonderling vertreten. Faſt noch deut - licher ſpiegelte ſich die Rathloſigkeit des franzöſiſchen Hofes in den Per - ſonen ſeiner Vertreter wieder. Was vermochte der kluge, aufrichtig con - ſtitutionell geſinnte Graf La Ferronays zu leiſten, da ihm als erſter Be - vollmächtigter der Marquis von Caraman vorgeſetzt war, ein erklärter politiſcher Gegner, der den Ultras nahe ſtand? So traten die Weſtmächte von Haus aus unſicher und ſchwächlich auf. Nur die beiden deutſchen Höfe wußten genau was ſie wollten: die Vernichtung der Revolution durch Oeſterreich allein.

160III. 3. Troppau und Laibach.

Dieſe Ueberlegenheit des klaren Willens mußte auch Kaiſer Alexan - der bald genug empfinden. Der Czar wollte den Zweck ohne die Mittel, er ſchwankte wieder zwiſchen den Rathſchlägen Neſſelrode’s und Kapodi - ſtrias, und die Erfahrungen, die er ſoeben auf ſeinem zweiten polniſchen Reichstage geſammelt, konnten ihm wahrlich nicht die Kraft des Entſchluſſes ſtählen. Welch ein widerwärtiges Bild politiſcher Thorheit war ihm dort entgegengetreten! Eine ganze Reihe verſtändiger Geſetze unter tollen Reden ſammt und ſonders verworfen; auf den Gallerien lärmende und drohende Studenten; dazu im Lande überall das unfaßbare und doch Jedermann fühlbare Treiben der nationalen Freimaurer, und in dem neuen natio - nalen Heere nur eine große Verſchwörung. Unaufhaltſam trieb das ver - blendete Volk einer neuen Revolution entgegen. Trotz alledem wollte Alexander die Hoffnung nicht aufgeben, daß die Freiheit unter den Fitti - chen des weißen Adlers eine Heimſtätte finden werde. Er ſchloß den un - fruchtbaren Reichstag mit einigen ſchmerzlichen, aber liebevollen Vorwürfen. Ihr habt, ſo rief er den Landboten zu, das Gute für das Böſe erhalten, Polen iſt in die Reihe der Staaten wieder eingetreten. Ich werde bei meinen Abſichten beharren. Fraget Euer Gewiſſen und Ihr werdet wiſſen, ob Ihr dem Lande alle die Dienſte geleiſtet habt, die es von Eurer Weis - heit erwartet. Dieſe Thronrede verſchickte er ſodann an die Geſandt - ſchaften, nebſt einem eigenhändigen Rundſchreiben, worin er nochmals die conſtitutionellen Inſtitutionen pries, welche der faſt einſtimmige Wunſch der Völker fordere. Immerhin ließen die widerwärtigen Vorgänge einen Stachel in der Seele des Czaren zurück. Obgleich Alexander dem Wiener Hofe noch keineswegs völlig traute, ſo empfing er doch den Geſandten Lebzeltern, der mit vertraulichen Aufträgen des Kaiſers Franz nach War - ſchau kam, ſehr herzlich, und ließ durch Kapodiſtrias der Hofburg aus - ſprechen, wie viel Segen er ſich von der Eintracht der großen Mächte ver - ſpreche: zweimal haben die Völker und die Fürſten den Bund der mäch - tigſten Monarchen geſegnet; ſie werden es auch diesmal thun. Zugleich bat er die engliſche Regierung, mit vollem Vertrauen an der Reunion theilzunehmen. *)Kapodiſtrias an Metternich, Warſchau 〈…〉 ; an Fürſt Lieven in London. 〈…〉 1820.An eine Intervention in Spanien wagte er für jetzt nicht mehr zu denken; er ſah ein, daß die Thätigkeit des Congreſſes ſich zunächſt auf Italien beſchränken mußte.

So war die Lage am 20. Oktober, als die Vertreter der Mächte nach und nach in der ſtillen Hauptſtadt des öſterreichiſchen Schleſiens eintrafen. Hier im abgelegenen Wieſenthale der Oppa konnte man ganz den Ge - ſchäften leben, hier war man ſicher vor allen den Neugierigen und Bitt -161Eröffnung des Troppauer Congreſſes.ſtellern, die ſich einſt in Aachen an die Monarchen herangedrängt hatten. Mit dem Regenwetter des Herbſtes ſtellte ſich freilich auch die kleinſtädtiſche Langeweile ein. Außer der Freundin Gentz’s, der geiſtreichen Gräfin Ur - ban ließ ſich kaum jemals eine Dame in den Salons blicken, und die meiſten der verſammelten Staatsmänner glaubten wirklich einer großen Sache ein ſchweres Opfer zu bringen, indem ſie wochenlang in der Ein - tönigkeit dieſes diplomatiſchen Mönchslebens aushielten. Die Vertreter der Weſtmächte befleißigten ſich einer ſo ängſtlichen Zurückhaltung, daß ein gemeinſames Vorgehen der fünf Höfe von vornherein faſt unmöglich ſchien. Lord Stewart war von ſeinem Bruder angewieſen, alle Beſchlüſſe womöglich nur zum Bericht zu nehmen, weil die engliſche Regierung nicht glaube, daß die Beſtimmungen des großen Bundesvertrags ſich auf die italieniſche Frage anwenden ließen. Er weigerte ſich gleich in der erſten Sitzung am 27. Okt., ein Protokoll zu unterzeichnen, und man mußte ſich mit einem von Gentz geführten Journale behelfen. *)Caſtlereagh, Weiſung an Stewart, 15. Okt.; Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 27. Okt. 1820.Darum fanden auch nur wenige förmliche Sitzungen ſtatt.

Die Entſcheidung erfolgte durch vertrauliche Unterredungen, und dieſen ſteckte Metternich ſicheren Blicks ſogleich ein greifbares Ziel, indem er bald nach Eröffnung des Congreſſes dem preußiſchen Staatskanzler ſagte: Wir, die Oſtmächte ſollten vorangehen, da in den Grundſätzen Alles einig iſt, und keine Zeit mit Verhandlungen verlieren, die weder in London noch in Paris zum Ziele führen können. **)Hardenberg’s Tagebuch, 25. Okt. 1820.Es galt alſo, zunächſt den Czaren ganz für die öſterreichiſche Anſicht zu gewinnen und einen einmüthigen Beſchluß der drei freieſten und geſündeſten Staaten wie Metternich die Oſtmächte nannte herbeizuführen; dann ſchien mindeſtens die ſtill - ſchweigende Zuſtimmung der beiden unfreien, durch parlamentariſche Rück - ſichten gebundenen Cabinette möglich. Preußen begnügte ſich dabei mit der beſcheidenen Rolle des Vermittlers zwiſchen den beiden Kaiſermächten. Dem Könige erſchien in der düſtern Laune, die ihn jetzt beherrſchte, der Zwang der höfiſchen Geſellſchaft noch unleidlicher als ſonſt; ſichtlich un - luſtig, traf er erſt am 7. Nov. in Troppau ein und ſchützte bald ein Un - wohlſein vor, um den Congreß ſchon nach vierzehn Tagen wieder zu ver - laſſen. Bernſtorff wurde durch einen Gichtanfall an das Bett gefeſſelt; dem Staatskanzler aber lagen ſeine preußiſchen Sorgen näher am Herzen als die wälſchen Streitigkeiten, er überließ die Leitung der Verhandlungen vertrauensvoll ſeinem öſterreichiſchen Freunde, ohne zu errathen, wie arg - wöhniſch dieſer ihn ſelber betrachtete.

Für Metternich war jetzt die Stunde gekommen, ſeine ganze diplo - matiſche Gewandtheit zu entfalten; es koſtete ihn einige Tage heißer Ar -Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 11162III. 3. Troppau und Laibach.beit, bis er endlich durch wiederholte vertraute Geſpräche die Vorliebe des Czaren für den liberaliſirenden Kapodiſtrias etwas erſchüttert hatte. In dieſem Griechen ſah der Oeſterreicher nur noch einen gründlichen, vollſtändigen Narren ; der wechſelſeitige Haß der beiden Staatsmänner ließ die ſachliche Meinungsverſchiedenheit zwiſchen den Kaiſermächten größer erſcheinen als ſie im Grunde war. Um dem Czaren ſeine Ergebenheit zu beweiſen, ging Metternich alsbald auf jenen alten Lieblingsplan der Petersburger Politik ein, welchen die ruſſiſchen Staatsmänner ſchon in Aachen und dann noch oftmals den verbündeten Mächten empfohlen hatten: er erbot ſich zur Unterzeichnung eines europäiſchen Garantie-Vertrages, kraft deſſen alle Souveräne einander wechſelſeitig ihren Beſitzſtand gegen jede gewaltſame Störung von innen wie von außen verbürgen und alſo der traumhafte Heilige Bund endlich einen greifbaren Inhalt erhalten ſollte. *)Bernſtorff’s Bericht, 21. Okt. 1820. Vrgl. o. II. 474.Aber der nüchterne Oeſterreicher wollte vorher die praktiſche Frage des Augenblicks, die Intervention in Neapel, entſchieden ſehen, während der phantaſiereiche Czar zuerſt den Ausbau ſeiner Heiligen Allianz zu vollenden und dann erſt dieſe neuen Grundſätze des Völkerrechts auf Italien anzuwenden dachte.

In der erſten Conferenz verlas Metternich mehrere Briefe, in denen König Ferdinand von Neapel mit grellen Farben ſeine Nothlage ſchilderte und ſich feierlich gegen den ihm angethanen Zwang verwahrte; derſelbe Fürſt, der ſoeben die neue Verfaſſung beſchworen und dabei den Blitz des Himmels auf ſich herabgerufen, erklärte jetzt, daß er mit dem Meſſer an der Kehle ſein Parlament habe eröffnen müſſen. Eine ſo ſchamloſe Zweizüngigkeit erregte ſelbſt bei dieſen voreingenommenen Hörern allge - meinen Unwillen, und die Conferenz beſchloß, die Briefe aus dem Journal hinwegzulaſſen um den unglücklichen König nicht noch mehr zu compro - mittiren . Daran ſchloß ſich die Verleſung einer langen öſterreichiſchen Denkſchrift, die ſich auf den geheimen Wiener Vertrag von 1815 berief. Metternich’s Abſicht war, mit Zuſtimmung der verbündeten Mächte dem Könige, der ſeine Unfreiheit ſoeben eingeſtanden, zu Hilfe zu kommen, Neapel alsbald zu beſetzen und dann den Bourbonen unter dem Schutze öſterreichiſcher Waffen die Ordnung herſtellen zu laſſen. Was galt es ihm auch, daß der neapolitaniſche Miniſter Herzog von Campo-Chiaro ſchon vor vier Wochen dem k. k. Geſchäftsträger v. Menz verſichert hatte, ſeine Regierung werde ſich freuen, die Frechheit der radikalen Sekten durch die Großmächte gezähmt zu ſehen? In Metternich’s Augen war dieſe muratiſtiſch-conſtitutionelle Sekte, die im Cabinet zu Neapel ſaß, um nichts beſſer als die Carbonari. **)Oeſterreichiſche Denkſchrift, 23. Okt.; Bericht des k. k. Geſchäftsträgers v. Menz, Neapel 28. Sept. 1820.Der Eindruck ſeiner Eröffnungen war ſehr163Verſtändigung der drei Oſtmächte.peinlich. Nur die Preußen ſtimmten dem Oeſterreicher zu. Die übrigen Bevollmächtigten beobachteten ein verlegenes Stillſchweigen; denn der ge - heime Wiener Vertrag war bisher dem franzöſiſchen, wahrſcheinlich auch dem ruſſiſchen Hofe ganz unbekannt geblieben, und indem die Hofburg ſich darauf berief, gab ſie unzweideutig zu verſtehen, daß ſie Neapel als ihr Vaſallenland anſah, daß ſie dort nicht eine gemäßigte Regierung, ſondern die alten monarchiſchen Inſtitutionen , den Abſolutismus wieder - herſtellen wollte. Am 2. November ließ der Czar die öſterreichiſche Denk - ſchrift beantworten; er fand es anſtößig, daß die großen Mächte ſich auf die Klagen des meineidigen Bourbonen berufen ſollten, und wünſchte durch einen Aufruf die Neapolitaner über ihre politiſche Unabhängigkeit zu beruhigen; jedenfalls müſſe man den Schein vermeiden, als ob die Intervention nicht um Europas willen, ſondern zum Beſten einer ein - zigen Macht erfolge.

Die preußiſchen Staatsmänner erriethen ſogleich, wie wenig Wider - ſtandskraft aus dieſen wohlgemeinten Bedenken ſprach; ſie ſetzten ihre vermittelnde Thätigkeit eifrig fort, und am 6. Nov. erlebte der kranke Bernſtorff die Genugthuung, daß ſich die Staatsmänner der Kaiſerhöfe vor ſeinem Bett leidlich ausſöhnten. Am folgenden Tage erklärte Ruß - land im Weſentlichen ſeine Zuſtimmung zu den Plänen Metternich’s, und fortan hielten die Vertreter der drei Oſtmächte unter ſich vertrauliche Confe - renzen, ohne die Weſtmächte einer Mittheilung zu würdigen. Noch waren ſie nicht völlig handelseins. Der Czar erbot ſich noch einmal, in Neapel zunächſt eine Vermittlung zu verſuchen, jedoch die beiden deutſchen Mächte verwarfen den Vorſchlag, weil Rußland mit ſeinen Verbündeten durchaus auf einer Linie bleiben müſſe (10. Nov.). Als die Ruſſen das Zimmer verlaſſen hatten, überraſchte Metternich ſeine preußiſchen Freunde durch einen neuen Einfall, der dem Czaren eine goldene Brücke bauen ſollte. *)Preußiſche Denkſchrift, 28. Okt.; ruſſiſche Denkſchrift, 2. Nov.; Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 4. Nov.; Bernſtorff an Ancillon, 8. Nov.; Hardenberg’s Tage - buch, 7., 10. Nov. 1820.Wie nun, wenn man den König Ferdinand einlud, perſönlich vor dem Congreſſe zu erſcheinen? Ließen ihn ſeine Miniſter nicht ziehen, dann war ſeine Unfreiheit erwieſen und das Einſchreiten des öſterreichiſchen Heeres vor aller Welt gerechtfertigt; folgte er der Ladung, ſo konnte er ſein unglückliches Land mit den europäiſchen Mächten verſöhnen.

Welch ein Gedanke! Dieſer meineidige Bourbone, der von allen Mit - gliedern des Congreſſes gleichmäßig verachtet wurde, der ſoeben ſein eigenes Volk vor den Großmächten leidenſchaftlich verklagt hatte, er ſollte den Ver - mittler ſpielen zwiſchen Europa und ſeinem Lande! Aber der ſchlaue Plan ſchmeichelte ſich ein durch den Schein des Wohlwollens. Es klang gar ſo menſchenfreundlich und entſprach auch buchſtäblich den Aachener Ver -11*164III. 3. Troppau und Laibach.abredungen, wenn man über Neapels Zukunft nur unter Mitwirkung des betheiligten Souveräns entſchied. *)S. o. II. 470 f.Völlig verblendet durch ihren Ab - ſcheu vor der Revolution, bemerkten die Höfe kaum noch, daß Metter - nich’s unparteiiſcher Vorſchlag in Wahrheit darauf hinauslief, nur eine Partei anzuhören. Für die ſchauſpieleriſchen Neigungen des Stifters der Heiligen Allianz war es ein verlockender Gedanke, daß der hohe Ge - richtshof Europas einen König feierlich vor ſeine Schranken rufen ſollte. Aber auch König Friedrich Wilhelm und ſeine Räthe boten unbedenklich ihre Hand zu dem Poſſenſpiele eines völkergerichtlichen Scheinverfahrens, deſſen gleichen ſie in Preußen ſelbſt ſicherlich nie geduldet hätten. Es iſt der Fluch großer politiſcher Verſammlungen, daß ſie das Rechtsgefühl abſtumpfen, weil ſich die Verantwortung auf viele Köpfe vertheilt; Par - lamente und Diplomatencongreſſe handeln leichter gewiſſenlos als einzelne Staatsmänner. Da der preußiſche Hof ſich an der Intervention in Neapel keinenfalls unmittelbar betheiligen wollte, ſo hielt er auch nicht für nöthig die Lauterkeit der vorgeſchlagenen Mittel ſtreng zu prüfen.

Genug, zuerſt die Preußen, dann die Ruſſen genehmigten den öſter - reichiſchen Antrag, und nunmehr ward die gemeinſame diplomatiſche Action der Oſtmächte in guter Eintracht rüſtig vorbereitet. Da erhielt der Czar am 15. Nov. aus Petersburg die Kunde, das berühmte Seme - now’ſche Garderegiment habe ſeinem verhaßten Oberſten den Gehorſam verweigert. Die Meuterei war ohne jeden politiſchen Hintergrund, und General Witzleben gab daher dem Kaiſer mit ſeiner gewohnten Gradheit den guten Rath, er möge, um die Wiederkehr ſolcher Zuchtloſigkeit zu verhindern, für eine menſchlichere Behandlung der Mannſchaften ſorgen, die Unredlichkeit der Heeresverwaltung beſeitigen. Doch da das Ereigniß in den Zeitungen als eine gefährliche Verſchwörung dargeſtellt wurde und der Czar ſelbſt ſchon ſeit zwei Jahren aus guten Gründen dem Geiſte ſeines Heeres mißtraute, ſo ward er durch die peinliche Nachricht leb - haft erregt und in ſeiner antirevolutionären Geſinnung von Neuem be - ſtärkt. **)Eine oft wiederholte und mit manchen romanhaften Zügen ausgeſchmückte Le - gende behauptet, Metternich hätte die Nachricht aus Petersburg zuerſt erhalten und als - dann durch gewandte Benutzung derſelben den überraſchten Czaren für die Pläne Oeſter - reichs gewonnen. Seit Metternich’s hinterlaſſene Papiere erſchienen ſind, muß dieſe Erzählung als märchenhaft angeſehen werden. Denn Metternich erzählt ſelbſt (III, 355), daß Kaiſer Alexander ihm den Vorfall zuerſt mitgetheilt habe, und legt auf die ganze Sache wenig Werth. Ueberdies war die Verſtändigung zwiſchen den Kaiſerhöfen im Weſentlichen ſchon vorher, am 6. und 7. Nov. erfolgt.

Am 19. einigten ſich die Oſtmächte über ein vorläufiges Protokoll, an deſſen Spitze der verhängnißvolle Satz ſtand: die Staaten, welche eine durch Aufruhr bewirkte Regierungs-Veränderung erlitten haben, deren165Das Troppauer Protokoll.Folgen für andere Staaten bedrohlich ſind, hören dadurch von ſelbſt auf, an der europäiſchen Allianz theilzunehmen und bleiben davon ausgeſchloſſen, bis ihre Lage Bürgſchaften geſetzlicher Ordnung und Beſtändigkeit bietet. Entſtehen durch ſolche Aenderungen ſo fuhr das Protokoll fort unmittelbar Gefahren für andere Staaten, dann verpflichten ſich die Mächte, durch friedliche Mittel oder nöthigenfalls durch die Waffen den ſchuldigen Staat in den Schooß der großen Allianz zurückzuführen . So weit war man alſo in zwei Jahren ſchon hinabgeglitten auf den abſchüſ - ſigen Bahnen der Reaktion! Welches Befremden hatte dieſe legitimiſtiſche Parteidoktrin noch auf dem Aachener Congreſſe erregt, als ſie dort in Ancillon’s Denkſchrift zuerſt ausgeſprochen wurde. Jetzt nahm man ſie willig auf. Die Oſtmächte verkündeten geradezu, daß die große Allianz nicht das Recht gegen Jedermann wahren, ſondern nur die Throne gegen den Aufruhr vertheidigen wolle; und wie furchtbar mußte die radikale Verbitterung zunehmen, ſobald die Welt zu dem Glauben gelangte, daß aus dem großen europäiſchen Friedensbunde ein Bund der Fürſten wider die Völker geworden ſei. Auf jene doktrinären Vorderſätze folgte ſodann der praktiſche Schluß, daß ein öſterreichiſches Heer im Namen der Mächte in Neapel einrücken ſolle, aber zu dem einzigen Zwecke, dem Könige und der Nation die Freiheit wiederzugeben. Am folgenden Tage wurde König Ferdinand durch gleichlautende Schreiben der drei Monarchen eingeladen, vor ihnen in Laibach zu erſcheinen; dorthin wollte der Congreß, um dem Schauplatz der Revolution näher zu ſein, mittlerweile überſiedeln. Die Oeſterreicher bezweifelten kaum, daß der Bourbone der Ladung Folge leiſten würde; ſchlimmſten Falls ſollten jedoch die Geſchäftsträger in Neapel erklären, die Monarchen machten jeden einzelnen Neapolitaner für die Sicherheit der königlichen Familie verantwortlich. *)Protocole préliminaire, 19. November. Drei Weiſungen Bernſtorff’s an Ramdohr in Neapel, 22. Nov.; Hardenberg’s Tagebuch, 19. Nov. 1820.

Und das Alles geſchah ohne die Mitwirkung der Weſtmächte. Man ſpeiſte ſie ab mit dem Troſte, dies raſche Vorgehen werde ihnen den nach - träglichen Beitritt erleichtern. Die Lage der engliſchen und franzöſiſchen Bevollmächtigten wurde mit jedem Tage peinlicher; ſie glichen wirklich, wie Tierney in einer Parlamentsrede höhnend bemerkte, den Zuhörern im Unterhauſe, die ſich bei der Abſtimmung entfernen müſſen. Für Eng - land war das Protokoll vom 19. Nov. geradezu beleidigend; denn auch die moderne engliſche Verfaſſung war aus einem Aufruhr hervorge - gangen, und das Thronrecht des Hauſes Hannover beruhte auf dem revo - lutionären Grundſatze, daß der legitime König Jakob II. den urſprüng - lichen Vertrag zwiſchen Fürſt und Volk gebrochen habe. Unbekümmert um den Groll der conſtitutionellen Höfe ſchritten die Oſtmächte vorwärts. Sie nannten ſich ſelber les puissances délibérantes und verkündeten166III. 3. Troppau und Laibach.durch ein ſtolzes Rundſchreiben, das bald in die Zeitungen kam, den kleinen Höfen die bisherigen Ergebniſſe des Congreſſes; ſie erklärten darin jede durch Aufruhr bewirkte Regierungsveränderung für einen Bruch der europäiſchen Verträge und ſprachen die zuverſichtliche Erwartung aus, daß die Weſtmächte ſich ihnen noch anſchließen würden. In der That begann der franzöſiſche Hof zögernd ihren Spuren zu folgen; König Ludwig ent - ſchloß ſich nachträglich, ſeinen italieniſchen Verwandten ebenfalls zur Reiſe nach Laibach aufzufordern. Dieſer aber nahm die Einladung freudig an, und die überſtrömende Dankbarkeit ſeiner Antwortſchreiben verrieth deut - lich, was in ſeinem Herzen kochte.

Noch gab es manche ſchwere Bedenken zu überwinden, ſelbſt im Schooße des engeren Bundes der drei Höfe. Der Czar wünſchte Blut - vergießen durchaus zu vermeiden; er fühlte Mitleid für das neapolitaniſche Volk, das gleich ſeinem Könige durch die despotiſche Gewalt der Revolution geknechtet ſei, und ſchlug daher vor, die Verirrten noch einmal durch den Papſt warnen zu laſſen, da die Großmächte ſelber mit dieſer revolutio - nären Regierung nicht verhandeln könnten. Getreu den Traditionen der ruſſiſchen Politik, die ſich den italieniſchen Kleinſtaaten immer freundlich gezeigt hatte, verlangte er ferner, daß auch Bevollmächtigte Piemonts, Toscanas und des Papſtes nach Laibach geladen würden. Auf beide Vorſchläge mußte Metternich wohl oder übel eingehen, ſchon weil Oeſter - reich die guten Dienſte des Tuilerienhofes, der ebenfalls ſeine Vermitt - lung anbot, unmöglich annehmen konnte. Die zwei Kaiſer ſchrieben alſo (12. Decbr. ) perſönlich an den Papſt denn der König von Preußen war mittlerweile heimgereiſt und die Faſſung ihrer Briefe ließ den Gegenſatz der Meinungen erkennbar durchſchimmern. Kaiſer Franz ſprach die Erwartung aus, der geiſtliche Arm werde den weltlichen bei der Be - ſtrafung der Revolution unterſtützen; Czar Alexander hoffte durch die geiſtlichen Ermahnungen des Kirchenfürſten die Neapolitaner mit den Groß - mächten zu verſöhnen. Metternich aber und ſeine preußiſchen Freunde ſahen voraus, wie kläglich dieſer ſeltſame Vermittlungsverſuch enden mußte, und die Thorheit der Radikalen des Südens gab ihnen Recht. *)Opinion des ruſſiſchen Hofes über die Mittel zur Verſöhnung, 〈…〉 Caraman, Erklärung zum Protokoll, 7. Dec. Briefe der beiden Kaiſer an Papſt Pius, 12. Dec.; Bernſtorff an Niebuhr, 13. Dec. an Graf Truchſeß in Turin, 24. Dec.; Har - denberg’s und Bernſtorff’s Berichte, 1., 6. Dec. 1820.

Die Sache der Liberalen in Neapel ſtand noch nicht ganz verzweifelt; denn außer Oeſterreich wünſchten alle Großmächte, ſogar Preußen, die Durch - führung einiger Reformen in dem zerrütteten Staate; auch an den italie - niſchen Höfen glaubte man allgemein, daß mindeſtens einzelne Trümmer der neuen Inſtitutionen den Neapolitanern erhalten bleiben müßten. **)Truchſeß’s Bericht, Turin 4. Dec. 1820.167Vorladung König Ferdinands.Entſchloß ſich das Parlament in Neapel rechtzeitig, ſtatt der unbrauchbaren, von den Großmächten verworfenen ſpaniſchen Verfaſſung ein verſtändiges Grundgeſetz anzunehmen, ſo war eine Verſöhnung vielleicht noch möglich. Aber auf die Nachrichten aus Troppau flammten die revolutionären Lei - denſchaften wird auf; eingeſchüchtert durch die Drohungen der Carbonari beſchloß die Kammer an ihrem heiligen Codex unverbrüchlich feſtzuhalten und zwang die muratiſtiſchen Miniſter einem radikalen Cabinet den Platz zu räumen. Indem ſie alſo die großen Mächte tödlich reizte, drückte ſie ihnen zugleich eine furchtbare Waffe in die Hand: ſie erlaubte dem - nige, der ohne ihre Genehmigung das Land nicht verlaſſen durfte, nach Laibach zu reiſen, nur ſollte er zuvor die ſchon zweimal beſchworene Ver - faſſung zum dritten male eidlich bekräftigen. So ſtand dies Herrſcher - haus zu ſeinem Volke! Bereitwillig kam König Ferdinand der ſchimpf - lichen Zumuthung nach, und die Redner des Parlaments ſtellten ſich an, als ob ſie ihm glaubten; ſie wähnten durch ihre zur Schau getragene Sicherheit die großen Mächte abzuſchrecken. Die öſterreichiſchen Staats - männer aber ahnten, daß dieſe Ueberſchlauheit, die den Südländern ſo oft verderblich wird, an der eiſernen Stirn des Bourbonen ihren Meiſter finden ſollte; ſie wußten, wie dieſer dreifach Meineidige in Laibach reden würde, und ſahen ihr Spiel ſchon halb gewonnen.

Minder glücklich fuhr Metternich mit ſeinen Vorſchlägen für den europäiſchen Garantie-Vertrag. In einer langen Denkſchrift vom 28. Nov. führte er zunächſt ſeine vierte Metapher, die große Waſſerfluth, vor und zeigte die Nothwendigkeit, um jeden Preis wirkſame Dämme zu errichten gegen dieſen revolutionären Strom, der, wenn er nicht in ſeinen Ueberfluthungen aufgehalten wird, ſchließlich Alles zu verſchlingen droht. Darum muß die legitime Souveränität durch einen allgemeinen Vertrag unter die Bürg - ſchaft der europäiſchen Mächte geſtellt werden, ſo zwar, daß jede durch eine angemaßte Gewalt bewirkte Revolution die Mächte ohne Weiteres zum Einſchreiten berechtigt; wird der Umſturz hingegen durch den legi - timen Souverän ſelber vollzogen, dann dürfen die Mächte nur einſchreiten falls er die Nachbarſtaaten gefährdet. *)Oeſterreichiſche Denkſchrift Sur quelques mesures générales etc., 28. Nov. 1820. Viele dieſer Troppauer und Laibacher Aktenſtücke ſind ſchon von Gervinus (Geſch. des neunzehnten Jahrh. VII. 783 f.) benutzt.Die Arbeit führte im Grunde nur ſchärfer aus, was in dem Protokoll vom 19. Nov. ſchon vorläufig angedeutet war. Der Czar aber war inzwiſchen über die Folgen ſeiner eigenen Vorſchläge beſorgt geworden; er konnte ſich nicht verhehlen, daß weder die Weſtmächte noch ſelbſt die conſtitutionellen Kleinſtaaten Deutſch - lands einen Vertrag unterzeichnen durften, der ihre Verfaſſungen der oberſtrichterlichen Gewalt europäiſcher Congreſſe förmlich unterworfen hätte.

Alexander zeigte ſich ſo bedenklich, daß Metternich für nöthig hielt, ſein ſchweres Geſchütz aufzufahren. Im tiefſten Vertrauen überreichte er dem168III. 3. Troppau und Laibach.Czaren, mit Genehmigung des Kaiſers Franz, ſein politiſches Glaubens - bekenntniß , eine weitſchweifige geſchichtsphiloſophiſche Betrachtung über das Zeitalter der Revolution. Wie geiſtvoll und gerecht ſchilderte um dieſelbe Zeit General Clauſewitz, auch ein conſervativer Gegner der Re - volution, in ſeiner claſſiſchen Abhandlung über die politiſchen Umtriebe alle die gewaltigen Wandlungen des wirthſchaftlichen und des geiſtigen Lebens, welche den Schwerpunkt der bürgerlichen Geſellſchaft allmählich nach unten hin verſchoben hatten. Und wie armſelig erſchien daneben die Geſchichtsweisheit Metternich’s, der diesmal ſeine fünfte Metapher, den Krebs, mit einer Ausdauer anwendete, als wäre er ein Specialarzt für Krebskrankheiten. Natürlich hatte der moraliſche Krebs ſeinen eigent - lichen Sitz in den Mittelklaſſen; nur aus den philoſophiſchen Irrlehren des alten Jahrhunderts, aus den unbedachten Reformen ſeiner aufge - klärten Monarchen, aus der Ueberhebung ehrgeiziger Frevler und aus dem Krebsſchaden der geheimen Geſellſchaften war die Revolution hervor - gegangen. Während der Sturm der nationalen Ideen in Italien wie in Deutſchland längſt vernehmlich an den ſchwachen Pfeilern der Wiener Verträge rüttelte, behauptete Metternich alles Ernſtes, das Gefühl der Nationalität ſei aus dem Katechismus der liberalen Partei bereits ge - ſtrichen, die Partei erſtrebe die Vernichtung aller politiſchen und religiöſen Unterſchiede, die völlige Entfeſſelung jedes einzelnen Menſchen, und ihre beiden Fractionen, die Niveleurs und die Doktrinäre fänden ſich am Tage des Umſturzes ſtets zuſammen. Inmitten ſolcher Leidenſchaften könne man nicht an Reformen denken, ſondern nur das Beſtehende aufrecht halten; la stabilité n’est pas l’immobilité. So verzerrt ſpiegelte ſich die Welt in den Augen des Mannes, der eben damals prahlte: Man ſtelle mich auf die Tribüne des Capitols, und man wird mich ganz anders reden hören als ich in Troppau es vermag. Ich brauche weiten Raum und kann mich in kleinem und engem nicht zurecht finden. Ein gütiges Geſchick hatte ihn in eine der fruchtbarſten Epochen der Weltgeſchichte ge - führt; er aber fand die Zeit klein, weil er ſelbſt zu klein war ihre Zeichen zu deuten, und klagte: Heute bringe ich mein Leben zu, die morſchen Gebäude zu ſtützen. Ich hätte im Jahre 1900 geboren werden und das zwanzigſte Jahrhundert vor mir haben ſollen!

Auf das erregbare Gemüth des Czaren waren die ſchauerlichen Ge - ſchichtsbilder des Glaubensbekenntniſſes gut berechnet. Gleichwohl über - zeugten ſie ihn nicht gänzlich. Er blieb dabei, daß ein allgemeiner Ga - rantievertrag nur Mißtrauen erregen und nimmermehr auf den Beitritt aller Mächte rechnen könne. Auf ſeinen Wunſch wurde der unglückliche Gedanke, den er einſt ſelber zuerſt angeregt, endlich aufgegeben.*)Ruſſiſche Denkſchrift, 〈…〉 December. Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 20. Dec. 1820.

169Ergebniſſe des Troppauer Congreſſes.

Nicht ohne Beſorgniß ſchaute der Wiener Hof auf die Ergebniſſe dieſes zweiten großen Fürſtenvereins zurück. Wie anders konnte er jetzt vor der Welt daſtehen, wenn die Kühnheit ſtatt der Schlauheit ſein Ruder geführt, wenn er ſchon im Herbſt auf eigene Fauſt die Revolution in Neapel niederge - ſchlagen und dann, bei einiger Mäßigung, unzweifelhaft die nachträgliche Zuſtimmung der großen Mächte erhalten hätte! Der klägliche Zuſtand ſeines Heeres hatte ihn gezwungen, die Entſcheidung zu vertagen. Wohl durfte er jetzt hoffen, in einigen Monaten das Verſäumte nachzuholen, aber um welchen Preis waren Metternich’s diplomatiſche Siege erkauft. Die alte Eintracht der großen Allianz beſtand nicht mehr unerſchüttert. Von Aachen aus hatten noch alle fünf Mächte gemeinſam zu Europa ge - ſprochen, das Troppauer Rundſchreiben vom 8. Dec. war nur von den Oſtmächten unterzeichnet, und die laute Schadenfreude der liberalen Preſſe zeigte, daß die Welt dieſe Wendung der Dinge verſtand. Der franzöſiſche Hof ſchwankte freilich noch immer rathlos zwiſchen den Parteien. Wäh - rend die Ultras die Wiederherſtellung der bourboniſchen Macht in Neapel verlangten, predigten die Blätter der Oppoſition den Krieg wider Oeſter - reich, und die neueſte Haartour der Pariſer Damen führte den unzweideu - tigen Namen Chemin de Mayence. Zu Weihnachten gaben die franzö - ſiſchen Bevollmächtigten eine ſchüchterne Erklärung zu Protokoll, welche wie eine halbe Zuſtimmung zu den Schritten der Oſtmächte klang, aber dem Allerchriſtlichſten Könige die Freiheit der Entſchließung vorbehielt. *)Erklärung der franzöſiſchen Bevollmächtigten, 24. Dec. 1820.Gleich - zeitig war indeß eine weit unfreundlicher gehaltene geheime Weiſung aus Paris eingelaufen; Marquis Caraman theilte dieſe Depeſche eigenmächtig dem Fürſten Metternich mit, und nun konnte der Oeſterreicher dem Czaren ſchwarz auf weiß beweiſen, wie wenig auf die Meinung dieſes doppel - züngigen Cabinets zu geben ſei.

England dagegen bekannte endlich Farbe. Am 19. Dec. verlas Lord Stewart eine Note Lord Caſtlereagh’s, die in aller Freundſchaft, aber ſehr nachdrücklich erklärte, England könne ſich nicht im Voraus auf die Grund - ſätze einer europäiſchen Interventionspolitik verpflichten, ſondern halte feſt an ſeiner alten Meinung, daß die Mächte bei jeder Gefährdung des allge - meinen Friedens ſich von Fall zu Fall frei verſtändigen müßten. Harden - berg bemerkte in ſeinem Tagebuche zu dieſer britiſchen Erklärung kurzab: Eigentlich erbärmlich! **)Engliſche Erklärung zum Protokoll, 19. Dec., Hardenberg’s Tagebuch, 19. Dec. 1820.Der Czar ließ der engliſchen Regierung hoch - müthig antworten, ihre Note ſei zu den Akten genommen und werde keine anderen Folgen haben. In Wahrheit fühlten ſich die Oſtmächte lebhaft beunruhigt; ſie erkannten, daß Caſtlereagh’s behutſamer Widerſpruch zum erſten male einen Keil in das feſte Gefüge der großen Allianz getrieben170III. 3. Troppau und Laibach.hatte. Noch war der Riß ſchmal, aber ein Miniſterwechſel in London konnte ihn nur erweitern; denn offenbar hatte das Tory-Cabinet allein dem unwiderſtehlichen Drucke der öffentlichen Meinung nachgegeben, alle Parteien des Landes verdammten wie ein Mann das Troppauer Rund - ſchreiben, die Whigs nannten den Bund der Oſtmächte ein dreiköpfiges Ungeheuer und fragten, ob dieſe apokalyptiſche Politik etwa die fünfte Monarchie der Puritaner ins Leben rufen wolle.

Auch in den kleinen deutſchen Staaten wurde das diktatoriſche Auf - treten der drei Mächte mit Bangen betrachtet. Mit der Preſſe dieſer Länder wußte man freilich in Troppau raſch fertig zu werden. Kaum hatte das Weimariſche Oppoſitionsblatt ſich einige anzügliche Bemerkungen über den Bund der meiſtbeerbten Monarchen erlaubt, ſo beſchwerten ſich die beiden deutſchen Großmächte, auf Oeſterreichs Wunſch gab der Czar dem Schwager in Weimar ebenfalls einen Wink, und das unglückliche Blatt, das ſich ſeit den Karlsbader Beſchlüſſen ſehr zahm gehalten, wurde ſofort unterdrückt. *)Ruſſiſches Miniſterialſchreiben an den Geſchäftsträger Canicoff in Weimar, Okt. 1820.Bedenklicher war die Verſtimmung der kleinen Höfe ſelbſt. Daß der königliche Verfaſſer des Manuſcripts aus Süddeutſchland die Troppauer Nachrichten mit Unmuth aufnehmen würde, ließ ſich vorher - ſehen. Der hatte ſchon zur Zeit des Aachener Congreſſes unter der Hand verſucht, den Brüſſeler Hof und einige kleine deutſche Cabinette zu einem gemeinſamen Proteſt zu bewegen; jetzt ergötzte man ſich in den Stutt - garter Hofkreiſen an dem Traumbilde eines Gegencongreſſes der Minder - mächtigen, der etwa nach Würzburg berufen werden ſollte, jedoch das luf - tige Projekt gelangte nicht über erregte Geſpräche hinaus. Der treue Kämpe der Kleinſtaaterei, Bignon trat auch wieder auf den Plan; er ſchilderte in einer Flugſchrift über den Troppauer Congreß, welch ein heller Tag über Baiern, Württemberg, Baden aufgegangen ſei und wie ſchwarz daneben die Oſtmächte erſchienen.

Sogar an dem getreuen Karlsruher Hofe regte ſich das Mißtrauen gegen die Großmächte. Der neue Bundesgeſandte Blittersdorff, der auf den Wiener Conferenzen ſo eifrig für die Verſtärkung der deutſchen Bundesgewalt gewirkt, hatte in Frankfurt mit dem ruſſiſchen Geſandten Anſtett, dem Freunde Kapodiſtrias, einen vertraulichen Verkehr ange - knüpft; er meinte jetzt das Daſein der kleinen deutſchen Staaten ſelbſt bedroht und empfahl ſeinem Hofe in zahlreichen, drängenden Denkſchriften die Bildung eines Sonderbundes. Er dachte zu nüchtern, um auf die begehrlichen Träume des Manuſcripts aus Süddeutſchland einzugehen und beurtheilte das Zwitterdaſein der Mittelſtaaten mit einer Beſcheiden - heit, die in dieſen Kreiſen ſelten war. An und für ſich, ſo geſtand er, enthält es eine Art von Widerſpruch, wenn man von der Politik eines171Beſorgniſſe der kleinen Höfe.Staates redet wie Württemberg. Man fühlt dies in Stuttgart und iſt daher bemüht das Partikularintereſſe Württembergs bis zur eigentlichen Politik zu ſteigern. Doch eine Vereinigung der kleinen Staaten, min - deſtens der ſüddeutſchen, zu einem gemeinſamen politiſchen Syſteme ohne förmlichen Bundesvertrag hielt auch er für geboten; die fünf Mächte be - fänden ſich nicht mehr auf einer Linie , dies ermögliche den Kleinen die relative Selbſtändigkeit , die ihnen gebühre, zu wahren und der Ciment des Staatenſyſtems zu werden. *)Blittersdorff’s Denkſchriften: an Frhr. v. Fahnenberg in München, 16. Novbr. Ueber die wahrſcheinlichen Ergebniſſe des Congreſſes von Troppau, 24. Nov. 1820. Einige Bemerkungen über die gegenwärtige Politik Württembergs (ohne Datum, aber unverkennbar aus derſelben Zeit). Betrachtungen über den gegenwärtigen politiſchen Zuſtand Europas, 27. Febr. 1821.Wenn ein hochconſervativer Centraliſt alſo redete, was mochten die partikulariſtiſchen Liberalen empfin - den! Für den Augenblick war dieſe Verſtimmung der kleinen Höfe un - ſchädlich, aber ſie konnte gefährlich werden, wenn der Zwieſpalt im Schooße der großen Allianz fortwährte. Als die Troppauer Conferenz zu Weih - nachten geſchloſſen wurde, trennte man ſich nicht in heiterer Stimmung. Die Politik der Legitimität verlangte ſtarke Nerven. Mitten in der fröh - lichen Feſtzeit, bei grimmiger Kälte unternahmen die beiden Kaiſer und ihr diplomatiſches Gefolge die beſchwerliche Reiſe nach Wien um nach kurzer Raſt das mühſelige Friedenswerk in Laibach abzuſchließen.

Zwei beglückende Gedanken nahm Metternich doch von dem Congreſſe mit hinweg: er durfte beſtimmt auf eine glückliche Löſung der neapoli - taniſchen Verwicklung rechnen, und er wußte jetzt nahezu ſicher, daß die gefürchtete preußiſche Verfaſſung in einer abſehbaren Zukunft nicht zu Stande kommen würde. Als König Friedrich Wilhelm in Troppau ein - traf, befand er ſich in einer Verſtimmung, welche der Oeſterreicher jetzt ebenſo leicht wie einſt in Teplitz für ſeine Zwecke ausbeuten konnte; er war unzufrieden mit den mißrathenen Communalordnungs-Entwürfen und ſeit dem Erſcheinen der Benzenbergiſchen Schrift dermaßen aufgebracht gegen ſeinen Kanzler, daß dieſer ihn während des Congreſſes kaum zu Ge - ſicht bekam. Hardenberg hielt zwar mehrere ernſte Unterredungen mit General Witzleben, dem treuen Förderer der Verfaſſungsarbeit, und be - ſprach mit ihm die Zuſammenſetzung der künftigen Reichsſtände, die ge - heime Reaktion am Hofe, alle die verſteckten Hemmniſſe, die ſich ſeinen Plänen in den Weg ſtellten. Der König aber ließ dem Staatskanzler trocken ſagen, er wolle über die Verfaſſungsſache erſt in Berlin mit ihm verhandeln. **)Hardenberg’s Tagebuch, 9., 13., 20. Nov. 1820.Unterdeſſen blieb der liebe Heimliche der Hofburg, Fürſt Wittgenſtein, des Monarchen täglicher Begleiter, und noch einen zweiten ergebenen Freund erwarb ſich Metternich an dem Kronprinzen. Dieſer junge Herr war ſchon mehrere Wochen vor ſeinem Vater nach Troppau172III. 3. Troppau und Laibach.gekommen um ſich hier in die hohe Schule der europäiſchen Politik ein - führen zu laſſen. Die Oeſterreicher hatten ihn ſogleich in Beſchlag ge - nommen und er gefiel den Wiener Diplomaten ungemein durch ſeine geiſtreiche Munterkeit wie durch ſeine korrekten Grundſätze. Er ſelber war ganz entzückt von allen den Wundern chriſtlich-legitimer Staatskunſt, die ihm hier aufgingen, und billigte jeden Schritt des großen Wiener Zauberers, ſogar die Vorladung des Königs von Neapel. Hardenberg verſuchte auch ſich mit ſeinem künftigen Herrn zu verſtändigen, ſchickte ihm die Akten über die Verfaſſungsſache, bat um ſein Urtheil, doch der Prinz vertröſtete ihn wie ſein Vater auf die Zeit der Heimkehr. *)Hardenberg’s Tagebuch, 5., 8., 11. Nov. 1820.

Trotz dieſer verlockenden Gunſt der Umſtände ließ ſich Metternich zu keinem unbedachten Schritte verleiten. Er unterſchätzte zwar den Cha - rakter des Königs, wie er alles Preußiſche mißachtete; immerhin kannte er die einfache Natur Friedrich Wilhelm’s genugſam um zu wiſſen, daß er dieſem Fürſten nicht kurzweg rathen durfte das Verſprechen von 1815 förmlich zu brechen. Darum hatte er weder auf dem Aachener Congreſſe noch in dem verhängnißvollen Teplitzer Geſpräche den Plan einer preu - ßiſchen Verfaſſung ſchlechthin bekämpft, ſondern ſich begnügt das Reprä - ſentativſyſtem zu widerrathen. Auch hier in Troppau deckte er ſeine Karten nicht vor der Zeit auf, ſondern übergab dem Grafen Bernſtorff eine vor - ſichtig gehaltene Denkſchrift, die er dem Könige ſelbſt wahrſcheinlich ſchon vor’m Jahre in Teplitz mitgetheilt hatte. **)Mitgetheilt von P. Baillen in der Hiſtoriſchen Zeitſchrift 1883. (L. 190.) Näheres über die Entſtehungszeit dieſer Denkſchrift ſ. in Beilage 8.Dieſe zweite öſterreichiſche Denkſchrift über Preußens Verfaſſung berief ſich auf das Aachener Me - moire und wiederholte im Weſentlichen die damals gegebenen Rathſchläge, nur in beſſerer Faſſung und mit Weglaſſung aller der Schnitzer und Gedankenloſigkeiten, welche in Aachen der Feder Metternich’s entſchlüpft waren. Sie verlangte ſtändiſche Landtage für die Provinzen und einen aus den Provinzialſtänden hervorgehenden Allgemeinen Landtag alſo genau das Nämliche, was Hardenberg ſeit fünf Jahren erſtrebte. An dem Tone ließ ſich freilich errathen, daß der Verfaſſer die Einberufung des Allgemeinen Landtags zu vertagen oder auch ganz zu verhindern hoffte. Wie unbeſtimmt lautete doch der Satz: Erfordert das allgemeine Intereſſe des Staates und der Landesverwaltung eine mit der Regierung unmittelbar berathſchlagende Central-Repräſentation, ſo kann dieſelbe nur aus Deputirten der Provinzialſtände gebildet werden. Der argloſe Staats - kanzler aber fand nichts Verfängliches darin. ***)Hardenberg’s Tagebuch, 31. Dec. 1820.Er wußte nicht, welch ein gefährliches Spiel hinter ſeinem Rücken getrieben wurde.

Ueber die vertrauten Unterredungen, welche der König in Troppau mit den beiden Kaiſern und mit Metternich gehalten hat, iſt nichts Näheres173Neue Gemeinde-Commiſſion in Berlin.bekannt; aber der Erfolg zeigte, daß der Oeſterreicher richtig berechnete, wo diesmal der Hebel einzuſetzen ſei. Sein Plan war, die preußiſche Ver - faſſung in weite Ferne hinauszuſchieben, bis das ſo lange verſchleppte Unternehmen zuletzt gänzlich einſchlief. Und wie leicht, faſt ſpielend, ließ ſich dieſer Zweck jetzt erreichen, da der König und ſein Thronfolger Beide über die Communalordnungs-Entwürfe ſcharf aburtheilten; wie nahe lag der Gedanke, dieſen verfehlten erſten Theil des Verfaſſungsplanes noch einmal ernſtlich prüfen zu laſſen. In ſolchem Sinne wird Metternich ſich auf dem Congreſſe ausgeſprochen haben; er brauchte nur den König zu beſtärken in einem Entſchluſſe, der im Stillen wahrſcheinlich ſchon ge - faßt war.

Am 19. December, bald nach ſeiner Heimkehr aus Troppau, befahl der König die Berufung einer neuen Commiſſion zur Durchſicht jener Entwürfe. *)Cabinetsordre vom 19. Dec. 1820. Für die obige Vermuthung ſpricht u. A. ein Brief Witzleben’s an Hardenberg aus dem Jahre 1821, worin es heißt: Nament - lich ſind Sie in Troppau bei mir geweſen, gerade zu der Zeit, wo der Entwurf der Communalordnung eingerichtet war und ſich die Idee einer beſonderen Commiſſion für das ſtändiſche Weſen vielleicht zuerſt entwickelte. (Abgedruckt bei Dorow, Erlebtes III. 303).Unzweifelhaft bedurften die Entwürfe einer gründlichen Umge - ſtaltung, aber die Zuſammenſetzung des neuen Ausſchuſſes bewies, daß die Prüfung nicht im Sinne des Staatskanzlers erfolgen ſollte. Es war be - reits die vierte Commiſſion, die in dieſem unglücklichen Verfaſſungskampfe gebildet wurde, ohne daß man die älteren auflöſte. Den Vorſitz erhielt der Kronprinz, Mitglieder waren: Wittgenſtein, Schuckmann, Ancillon, Oberpräſident Bülow, Cabinetsrath Albrecht, ſammt und ſonders altſtän - diſche oder abſolutiſtiſche Gegner Hardenberg’s. Unter der Führung des Thronfolgers hatten die beiden Parteien der conſervativen Oppoſition ihren erſten Sieg über den Kanzler erfochten. Der König aber hielt nicht ein - mal für nöthig, dem alten Herrn, der noch in Troppau weilte, das Ge - ſchehene amtlich mitzutheilen; er hatte ihm ſein Vertrauen gänzlich ent - zogen und duldete ihn nur noch im Amte, weil er den Hochverdienten nicht allzu bitter kränken wollte. Was weiter geſchehen mußte, ließ ſich errathen. Das Schickſal der Communalordnung war entſchieden; lag dieſe erſt in Trümmern, ſo war wieder eine lange Friſt gewonnen, und dann konnten vielleicht dieſelben Hände, welche den Unterbau der Harden - bergiſchen Verfaſſung zerſtörten, nach neuem Plane ein altſtändiſches Ge - bäude aufrichten.

Wie anders als das vergangene begrüßte der greiſe Staatskanzler dies neue Jahr. Damals hatte er ſich voll jugendlicher Zuverſicht ver - meſſen, ſein Lebenswerk mit der preußiſchen Verfaſſung abzuſchließen; jetzt174III. 3. Troppau und Laibach.fühlte er ſchon, wie die tragiſche Vergeltung ihn ereilte. Humboldt, Boyen und Beyme, die einzigen aufrichtigen Freunde ſeines Verfaſſungsplanes, waren aus dem Miniſterium ausgeſchieden, und nun wuchs die reaktio - näre Partei, die ihm dieſe Männer zu ſtürzen geholfen, bereits ihm ſelber über den Kopf. Zu Neujahr erhielt er in Wien durch Wittgenſtein den Befehl, mit Bernſtorff nach Laibach zu gehen; der König, dem der be - ſchäftigte Müßiggang des Congreßlebens je länger je mehr widerſtand, wollte Berlin nicht verlaſſen. Die Abſicht dieſer Weiſung konnte dem Staats - kanzler nicht verborgen bleiben, um ſo weniger, da er durch Bernſtorff erfuhr, daß Ancillon den Entſchluß des Monarchen veranlaßt hatte: die Partei des Kronprinzen wünſchte offenbar, den Urheber der Verfaſſungs - pläne von dem Monarchen und von der Hauptſtadt fern zu halten, ſo lange die entſcheidende Berathung über die Gemeindeordnung noch ſchwebte. Sichtlich gekränkt erwiderte Hardenberg am 5. Januar: das Ausbleiben des Monarchen werde allerdings Mißdeutungen hervorrufen; doch wenn der König nicht ſelbſt erſcheinen wolle, dann ſei die Anweſenheit des Kanz - lers wirklich unnütz, ſowohl für die Opinion, als für die Sache ſelbſt ; der inzwiſchen wiedergeneſene Graf Bernſtorff könne die Geſchäfte des Con - greſſes, welche das preußiſche Intereſſe doch nur mittelbar berührten, ſehr wohl erledigen. Mit warmen Worten erbat er ſodann die Erlaubniß zur Rückkehr nach Berlin um Ew. K. Maj. die geringen Dienſte zu widmen, die ich Ihnen nach meinen Kräften noch zu leiſten vermögend bin. Dort harrten ſeiner die Verfaſſung, die Communalordnung und viele andere wichtige Entwürfe, deren Ausführung ich zwar wohl erwogen, aber nicht mehreren Händen außer meiner Direktion anvertraut zu ſehen wünſchte, ſo lange Ew. K. Maj. mich Ihres höchſten Vertrauens würdigen. *)Hardenberg an den König, Wien 5. Januar. Hardenberg’s Tagebuch, 1., 3., 4. Jan. 1821.

Trotzdem unterwarf er ſich dem Befehle des Monarchen, und wagte nicht, nach einem ſolchen Zeichen königlicher Ungnade den Abſchied zu fordern. Statt ſein Amt einzuſetzen für ſeine Verfaſſungspläne, ließ er ſich zur Seite ſchieben in eine Winkelſtellung, die einem leitenden Staatsmanne übel anſtand, und tröſtete ſich mit der Hoffnung, ſeine Gegner durch zähes Hinhalten zu ermüden. Das letzte fröhliche Aufflackern alter Rüſtigkeit im vergangenen Frühjahr hatte ſeine Willenskraft erſchöpft. Die Alters - ſchwäche kam über ihn, aber von dem Amte, das mit ſeinem Leben ver - wachſen war, von dem Scheine der Macht vermochte er ſich nicht zu trennen. Gehorſam reiſte er nach Laibach und fand dort für die preu - ßiſche Politik ſo wenig zu thun, daß er nach vier Wochen heimſchreiben konnte, auch die Anweſenheit des Königs ſei nunmehr gänzlich überflüſſig. **)Der König an Hardenberg, 31. Jan.; Witzleben an Hardenberg, 31. Jan.; Hardenberg an den König, 6., 8. Febr. 1821.

175Hardenberg in Laibach.

In den erſten Tagen des Januar trafen die Mitglieder des Con - greſſes in Laibach wieder zuſammen. Die liebliche Stadt mitten im Kranze der Krainiſchen Schneeberge, dicht am Eingangsthore des warmen Südens gelegen, bot zwar etwas mehr Genüſſe als das langweilige Trop - pau; immerhin erſchien auch dieſer Aufenthalt den verwöhnten Großſtädtern als ein harter Frohndienſt, und auch die politiſchen Sorgen, welche die letzten Tage in Troppau verdüſtert hatten, ſchwanden nicht ſo bald. Denn mittlerweile, gerade als die Troppauer Verſammlung auseinander ging, war eine zweite, noch ſchärfere Depeſche Lord Caſtlereagh’s an ſeinen Bruder (vom 16. Dec.) eingelaufen. Der Lord wies darin die Grund - ſätze des Troppauer Protokolls entſchieden zurück; er erklärte ſich ent - ſetzt bei dem bloßen Gedanken, der großen Allianz in einer förmlichen Urkunde den Anſpruch auf die Ausübung einer ſo beiſpielloſen Gewalt zu übertragen , und verwahrte ſich feierlich dawider, daß dieſe Grund - ſätze unter irgend welchen denkbaren Umſtänden jemals gegen England angewendet werden ſollten. Am 19. Januar ſendete er noch eine dritte Depeſche an die Geſandtſchaften bei den kleinen Höfen, welche die Troppauer Grundſätze als den Geſetzen Englands widerſprechend nochmals verwarf; das Recht der Einmiſchung, ſo ſchloß ſie, laſſe ſich nur von Fall zu Fall er - weiſen, für einen unmittelbar betheiligten Staat und auf Grund beſon - derer Umſtände. *)Caſtlereagh an Stewart, 16. Dec. 1820, an die Geſandtſchaften, 19. Jan. 1821.Währenddem erdröhnte das engliſche Parlament von Zornreden wider die große Allianz. Lord Grey und Lord Holland be - wieſen, wie unverſöhnlich ein Fürſtenbund, der alle Staaten in ihrem inneren Leben meiſtern wolle, den altengliſchen Ueberlieferungen inſula - riſcher Selbſtändigkeit gegenüberſtehe; und unter dem Jubel der Whigs rief Mackintoſh, nach der Troppauer Verabredung könne es dereinſt noch dahin kommen, daß Kroaten und Koſaken als europäiſche Polizeiwache im Hyde-Park einzögen.

Mancher der kleinen Höfe, die in der That guten Grund hatten für ihre Selbſtändigkeit zu zittern, mochte dieſe Reden mit ſtillem Behagen leſen; aber nur einer, der Stuttgarter, wagte der engliſchen Regierung zu danken, und auch er nur mit behutſamer Umſchreibung. Er ſtellte ſich an, als ob Caſtlereagh’s Meinung mit den Abſichten der Oſtmächte ſelbſt vollkommen übereinſtimme; und nur unter dieſer boshaften Vorausſetzung erklärte er ſein freudiges Einverſtändniß. König Wilhelm, ſo erwiderte Wintzingerode dem engliſchen Geſandten, hält ſich verſichert, daß die Be - freier Europas nicht beabſichtigen konnten, den Völkern dieſes Welttheils, die ſie vom Joche befreit, ein anderes ebenſo erniedrigendes Joch aufzu - legen. Nein, dies hat, nach der feſten Ueberzeugung des Königs, nicht die Abſicht der Troppauer Conferenzen ſein können. Noch deutlicher äußerte ſich der König perſönlich in Gegenwart des preußiſchen Geſandten: er liebe176III. 3. Troppau und Laibach.keine Einmiſchung in fremde Angelegenheiten, möge Jeder Herr in ſeinem Hauſe bleiben; und ſein Wangenheim verkündete in Frankfurt triumphirend, nunmehr beginne der Entſcheidungskampf zwiſchen dem Abſolutismus und der conſtitutionellen Freiheit. Indeß die deutſchen Mächte wußten längſt, was von dieſen württembergiſchen Nadelſtichen zu halten war, und zum Ueberfluß betheuerte Wintzingerode dem preußiſchen Geſandten, ſein König habe zwar als conſtitutioneller Fürſt nicht anders reden können, bewahre aber den Oſtmächten ſeine alte Verehrung. *)Cockburn an Wintzingerode, 29. Jan.; Wintzingerode’s Antwort, 31. Jan.; Küſter’s Bericht, Stuttgart 26. Febr. 1821.Selbſt der Widerſpruch Englands, der anfangs lebhafte Beſtürzung hervorrief und den Grafen Bernſtorff zu freundſchaftlichen Warnungen in London veranlaßte, erſchien bei ruhiger Prüfung doch recht harmlos. Denn die Tory-Regierung fügte ihren geharniſchten Proteſten ſtets die Verſicherung hinzu, daß ſie ſich weder von der großen Allianz trennen, noch den Wiener Hof in ſeinem Kampfe gegen Neapel irgend hindern wolle. Caſtlereagh’s ſtarke Worte galten, wie er dem preußiſchen Geſandten geſtand, mehr der Beſchwich - tigung des Parlamentes, als der Sache ſelbſt. Seine Thaten zeigten, wie fern ihm der Gedanke lag, ſeine Wiener Freunde zu kränken. Er ließ, allerdings in vorſichtiger Form, den König von Neapel auffordern, der Einladung der Oſtmächte zu folgen, und ſtellte ihm für die Reiſe ein engliſches Schiff zur Verfügung; derſelbe Capitän Maitland, der einſt den gefangenen Napoleon an Bord geführt, geleitete jetzt den Bourbonen nordwärts. **)Bernſtorff, Weiſung an Maltzahn in London, 11. Febr. 1821. Maltzahn’s Berichte, 19. Dec. 1820, 27. Febr., 6. März 1821.

Wenn England ſo wenig Widerſtandskraft zeigte, wie viel ſchüchterner mußte der Tuilerienhof reden, der den Plänen der Oſtmächte von Haus aus näher ſtand. Zu den beiden franzöſiſchen Bevollmächtigten war mitt - lerweile Graf Blacas hinzugekommen, ein ſtrenger Ultra, ganz erfüllt von der Würde ſeines Allerchriſtlichſten Königs. Er konnte es nicht ſchweigend mit anhören, daß Metternich in einer veröffentlichten Erklärung der Welt erzählte, Frankreich habe den Troppauer Beſchlüſſen mit einigen Vorbe - halten zugeſtimmt, und übergab mit ſeinen Genoſſen am 20. Febr. eine Note, welche ſich nachdrücklich gegen das Syſtem der europäiſchen Inter - vention ausſprach; aber auf die ſcharfe Verwahrung folgte die beſcheidene Verſicherung, Frankreich ſei mit der Vorladung König Ferdinand’s ein - verſtanden und werde nur, falls es zum Schlagen komme, den Krieg zu mildern ſuchen. ***)Verbalnote der franzöſiſchen Bevollmächtigten, 20. Febr. 1821.Auch dieſe den engliſchen Proteſten nachgebildete Er - klärung erfüllte die Oſtmächte mit Unmuth; Ancillon nannte ſie in hei - liger Entrüſtung die ſchlechte Nachahmung eines ſchlechten Originals. Be - drohlich konnte die Sonderſtellung der beiden conſtitutionellen Höfe doch177König Ferdinand in Laibach.nur dann werden, wenn ſie feſt zuſammenhielten; und daran war nicht zu denken, da ihre mediterraniſchen Intereſſen ſcharf auseinandergingen. Der Zuſtand blieb wie er in Troppau geweſen: die große Allianz war etwas gelockert, aber keineswegs aufgelöſt. Die Oſtmächte allein faßten die entſcheidenden Beſchlüſſe, wenngleich ſie diesmal, um Frankreich zu ſchonen, nicht wieder förmliche Conferenzen unter ſich abhielten; die Fran - zoſen ſtimmten in der Regel nachträglich zu, und Lord Stewart nahm das Meiſte ſchweigend zu Bericht.

Mit dem Czaren war Metternich allmählich auf vertrauten Fuß ge - kommen; faſt jeden Abend trank er bei ihm allein Thee, was als ein beſonderes Zeichen kaiſerlicher Gunſt galt; und obwohl Kapodiſtrias dem Oeſterreicher abermals allerhand Bedenken und Gegenanträge in den Weg ſchob, ſo war doch das Geſtirn des Griechen erſichtlich im Sinken. Der Freund der Hofburg, Neſſelrode, gewann wieder das Ohr des Kaiſers, und da auch die Preußen ſich in Allem, was ihren Staat nicht unmittel - bar anging, willfährig zeigten, ſo konnte die Tragikomödie, welche Metter - nich zum Beſten des Hauſes Bourbon erſonnen, ganz nach dem Plane ihres Dichters über die Bretter gehen.

Der Held des Stückes hatte inzwiſchen ſeinen Sohn zum Regenten ernannt und nachdem der Kronprinz ebenfalls mit bourboniſcher Gewiſſens - ruhe die ſpaniſche Verfaſſung noch einmal beſchworen, ſich von ſeinem ge - liebten Volke verabſchiedet. So lange das Schiff auf hoher See ſegelte, behielt er die Farben der Carbonari auf der Bruſt, denn wie leicht konnte ihn ein Sturm wieder an die Küſte ſeines Landes verſchlagen! Erſt als er ſich im Hafen von Livorno geborgen ſah, riß er das Abzeichen der Re - volution herunter und trat es mit Füßen. Dann ergoß er die Gefühle ſeines landesväterlichen Herzens in Briefen an die fünf Monarchen. End - lich bin ich frei, ſchrieb er an den König von Preußen, endlich mir ſelbſt zurückgegeben. Ohne Ihren Schutz wäre mein Leben den Gewaltthaten erlegen, welche mich zur Anerkennung von Beſchlüſſen nöthigten, wogegen ich unaufhörlich vor Gott und vor den Menſchen, die mir noch zu nahen wagten, proteſtirt habe. Indem er ſeinen Proteſt hiermit erneuerte, bat er zugleich den Brief noch geheim zu halten, damit nicht ſeine Kinder der Rachgier einer ſcheußlichen Sekte zum Opfer fielen. *)Schreiben König Ferdinand’s an König Friedrich Wilhelm aus Livorno.Das war der Mann, der zwiſchen den Großmächten und ſeinem Volke vermitteln ſollte! Der hohe, hagere, ſehnige alte Herr machte den Eindruck eines biederen Landedelmannes, und die unſchuldige junge Prinzeſſin Amalie von Sachſen, die ihn auf dieſer Reiſe kennen lernte, erfreute ſich herzlich an ſeiner gut - müthigen Offenheit. Die Staatsmänner in Laibach erſchraken doch, als der Bourbone nun vor ihnen erſchien, von Neuem gebunden durch heilige Eide, Alles verdammend, Alles beſchimpfend was er ſelber gethan undTreitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 12178III. 3. Troppau und Laibach.beſchworen, und zudem ſo unfähig, daß er kaum eine Depeſche zu Ende leſen konnte. Seinen Begleiter, den Miniſter Herzog von San Gallo ließen ſie nicht vor, weil ſie die revolutionäre Regierung nicht anerkannten. Statt des Zurückgewieſenen berief der König den Fürſten Ruffo zu ſich, einen fanatiſchen Reaktionär, der ſich zu allen Geſchäften ebenſo unbrauchbar zeigte, wie ſein Herr. Beide verlangten, da der Ausgang noch nicht ganz ſicher war, daß der Congreß für ſie und ohne ſie handle. *)Rundſchreiben an die preußiſchen Geſandtſchaften, 12. Febr.; Bernſtorff an An - cillon, 30. Januar 1821.

Nach langen Berathungen beſchloß die Verſammlung, dem neapoli - taniſchen Grundgeſetze die Anerkennung zu verſagen und ein öſterreichi - ſches Heer einrücken zu laſſen um die Gewalt des Königs in Güte oder durch die Waffen herzuſtellen. Ferdinand erwiderte, da er nur noch die Wahl habe zwiſchen dem Kriege und der Verleugnung der Revolution, ſo ziehe er Letzteres vor, und befahl ſeinem Kronprinzen brieflich, ſich den Befehlen des Congreſſes zu unterwerfen. Nunmehr ward auch der un - glückliche Herzog von San Gallo, der unterdeſſen in dem nahen Görz hatte bleiben müſſen, herbeigerufen um den Urtheilsſpruch Europas zu ver - nehmen. (30. Jan.) Vor dem verſammelten Congreſſe verkündigte ihm Metternich die Beſchlüſſe der Mächte und fügte drohend hinzu: ſollten die Neapolitaner auf die väterliche Stimme ihres Königs nicht hören, dann würden die Menſchen, welche aus Fanatismus oder aus noch ruch - loſeren Beweggründen die Augen des treuen Volkes verblendet hätten, die alleinige Verantwortung tragen und ſelber die erſten Opfer des über ihr Vaterland hereinbrechenden Unheils werden. **)Allocution du Prince de Metternich, 30. Jan. 1821.Währenddem ſteckte Fürſt Ruffo nebenan in Metternich’s Cabinet und beobachtete durch ein Loch, das ihm ſeine Gönner in die Thür gebohrt hatten, die Demüthigung ſeines conſtitutionellen Landsmanns. Der aber bewahrte die dreiſte Gei - ſtesgegenwart des ſüdländiſchen Buffo; er lächelte verbindlich zu Metter - nich’s ſchnöden Vorwürfen, als ob er ſich geſchmeichelt fühlte, und ver - ſprach dann ſehr artig, den erhaltenen Auftrag daheim auszurichten. Keiner der Anweſenden ſchien zu empfinden, wie frevelhaft hier die Sache der Legitimität durch ihre eigenen Anhänger geſchändet wurde.

Auch die Preußen nahmen an dem unwürdigen Spiele keinen An - ſtoß, ſondern ließen den öſterreichiſchen Freund in Allem gewähren und widerſprachen ihm erſt, als er die Bürgſchaft der großen Allianz für ein k. k. Kriegsanlehen verlangte. Auf eine ſolche Zuſage, welche leicht zur Ver - mehrung der ſoeben geſchloſſenen Staatsſchuld führen konnte, wollte ſich Hardenberg nicht einlaſſen, und der König ſprach ihm dafür ſeine be - ſondere Anerkennung aus. ***)Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 6. Februar; Albrecht an Hardenberg, 17. Febr. 1821.Bei den letzten Berathungen hatten auch179Oeſterreichs Intervention in Neapel.die Vertreter der kleinen italieniſchen Staaten mitgewirkt, ganz nach Metternich’s Sinne. Als ſtrenger Legitimiſt zeigte ſich namentlich der Mi - niſter des Herzogs Franz von Modena, des böſen kleinen Despoten, der für das Haupt der italieniſchen Reaktionspartei galt und durchaus nur als Erzherzog auftrat. Sogar der piemonteſiſche Bevollmächtigte, Graf St. Marſan derſelbe, der ſich einſt als Geſandter Napoleon’s in Berlin ſo ehrenhaft betragen hatte hielt den Kampf wider die Carbonari für nothwendig. Die Angſt vor der Revolution war ſtärker als das alte Mißtrauen der Piemonteſen gegen die öſterreichiſchen Nachbarn; und in der That hegte die Hofburg augenblicklich keine Eroberungsgedanken, ſie vermied auch weislich, ihre italieniſchen Bundes-Pläne, die den Turiner Hof ſchon ſo oft beunruhigt hatten, wieder zur Sprache zu bringen. Nur der päpſtliche Legat, Cardinal Spina, begnügte ſich mit einigen verlegenen, unverfänglichen Erklärungen; denn der Papſt wollte ſeine kaum erſt wieder - gewonnene Souveränität gegen Jedermann behaupten, und wie er alle Rathſchläge der Großmächte für die Verwaltung des Kirchenſtaates zu - rückwies, ſo wünſchte er auch, ſeinem Lande, das den Angriffen des Revo - lutionsheeres zunächſt ausgeſetzt war, die Neutralität zu bewahren. Es war die alte päpſtliche Politik, die noch niemals einer Macht die Allein - herrſchaft auf der Halbinſel gegönnt hatte; freilich durfte die Curie auch nicht wagen, den Oeſterreichern ihre einzige Straße nach Neapel zu ſperren. *)Hardenberg’s und Bernſtorff’s Bericht, 30. Jan. Journaux de la conférence, 20., 21. Febr. Bernſtorff an Gf. Goltz in Paris, 28. Febr. 1821.Sodann beriethen ſich die Großmächte mit den italieniſchen Geſandten über die Grundzüge der künftigen neapolitaniſchen Verfaſſung. Die Vorſchläge lauteten verſtändig: eine Conſulta mit beſcheidenen Befugniſſen ſollte in Neapel wie in Palermo der königlichen Gewalt an die Seite treten. Doch leider konnte Bernſtorff nicht durchſetzen, daß dem Könige genau vorge - ſchrieben wurde, was er nach ſeiner Rückkehr zu thun habe; und ſo blieb denn das Schickſal Unteritaliens allein dem Kriegsglück und den unbe - rechenbaren Launen des dreifach meineidigen Bourbonen preisgegeben. **)Preußiſche Erklärung, 22. Februar; Bernſtorff’s Berichte, 20., 24. Februar, 5. März 1821.

Der nächſte Zweck des Congreſſes war erreicht, die förmlichen Be - rathungen wurden bereits am 26. Febr. geſchloſſen. Schon einige Tage vorher hatte Hardenberg die Congreßſtadt verlaſſen. Er ging nicht nach Berlin zurück, obgleich er wußte, welche dringenden Geſchäfte ihn dort erwarteten, obgleich ſein getreuer Rother ihm ſoeben erſt geſchrieben hatte, wie Alles ins Stocken gerathe, wenn der Kanzler nicht mit dem Könige zuſammen arbeite. ***)Rother an Hardenberg, 31. Jan. 1821.Mit unbegreiflichem Leichtſinn entſchlug er ſich dieſer Sorgen und unternahm eine Erholungsreiſe nach Italien; nebenbei wollte er auch in Rom die nahezu fertige Vereinbarung mit dem12*180III. 3. Troppau und Laibach.heiligen Stuhle förmlich beendigen. Unterdeſſen blieben die übrigen Staats - männer bei den beiden Kaiſern in Laibach um den Gang der kriegeriſchen Ereigniſſe abzuwarten. Der Anfang des Feldzuges verſprach wenig; er bewies, daß Oeſterreich ſeine glänzende Stellung an der Spitze der euro - päiſchen Mächte nicht ſeiner eigenen Stärke verdankte, ſondern nur Met - ternich’s diplomatiſcher Kunſt und der Rathloſigkeit der anderen Höfe. Schwerfällig zog die Armee des Generals Frimont ſüdwärts, und als ſie endlich vor den Thoren Roms anlangte, da ſtellte ſich heraus, daß nach ſiebenmonatlichen Vorbereitungen nicht einmal die Geldmittel für dieſen unbedeutenden Krieg zur Stelle waren. Die Armeeverwaltung gerieth in peinliche Verlegenheit, Niemand wollte ihr leihen. Da half ihr Niebuhr aus der Noth, indem er in ſeinem eigenen Namen Wechſel auf die Preußiſche Bank zog, die von den römiſchen Bankiers ſofort ange - nommen wurden. *)Bernſtorff an Ancillon, 13. März 1821.Der beſchämende Vorfall ward raſch vergeſſen, da das Kartenhaus der Revolution gleich darauf zuſammenfiel. In heller Begeiſterung war die Landwehr der Samniter und der Marſen ſoeben gegen die Schergen der Tyrannen ausgezogen, und die Kronprinzeſſin hatte die Fahnen der Jauchzenden mit ſelbſtgeſtickten Carbonaribändern geſchmückt. Aber Wilhelm Pepe ließ die Oeſterreicher ungehindert durch den ſchwierigen Paß von Antrodocco im Hochgebirge der Abruzzen heran - kommen, und als Frimont ihn darauf am 7. März bei Rieti angriff, da hielt das Freiheitsheer nur vier Stunden lang leidlich Stand, dann lief Alles in wilder Flucht ſchimpflich auseinander; taub für die Mahnungen des tapferen Führers eilte Jeder in unwiderſtehlichem Heimweh ſeinem Vaterſtädtchen zu. Der Krieg war beendet, das ganze Land lag zu Oeſter - reichs Füßen.

Dieſe Siegesbotſchaft hatten die Monarchen noch nicht erhalten, als am 15. März eine andere unerwartete Nachricht bei ihnen einlief, die auf die Laibacher Verſammlung ähnlich wirkte wie einſt die Kunde von Napoleon’s Rückkehr auf den Wiener Congreß. Alle die kleinen Mißhel - ligkeiten, welche noch immer zwiſchen den beiden Kaiſerhöfen beſtanden, verſtummten augenblicklich, ſobald man erfuhr, daß auch in dem königs - treuen Piemont eine Revolution ausgebrochen war. Es war die vierte binnen Jahresfriſt, und ſie ſchien dem Wiener Hofe weit furchtbarer als der Aufruhr in Neapel; denn ſie hatte ihren Sitz in dem einzigen tapferen und nationalen Heere der Halbinſel, in dem Staate, der ſeine Verwandtſchaft mit dem aufſtrebenden Preußen, ſeinen Beruf als Vor - kämpfer der Einheit Italiens bereis zu ahnen begann. Graf Santa Roſa und andere tüchtige Offiziere aus den erſten Familien des Landes, ſogar ein Sohn des Grafen St. Marſan gehörten der Verſchwörung an. Sie ſchaarten ſich nicht um das Parteibanner der Carbonari, ſondern um die181Revolution in Piemont.ruhmreiche Tricolore des Königreichs Italien. Ein Manifeſt der Auf - ſtändiſchen erinnerte an das Vorbild York’s, der durch rühmlichen Unge - horſam ſeinen König von dem Joche der Fremden erlöſt habe. Traum - haft verſchwommen, aber unverkennbar ſtand der Gedanke der nationalen Monarchie des Hauſes Savoyen im Hintergrunde der phantaſtiſchen Pläne. Bernſtorff errieth ſofort, daß dieſe Hyder aus Frankreichs Schooße her - vorgegangen ſei*)Bernſtorff an Ancillon, 15. März 1821.; und allerdings hatte ſich die Verſchwörung in jenen liberalen Turiner Kreiſen vorbereitet, die mit der franzöſiſchen Geſandt - ſchaft verkehrten. Eine Charte, der franzöſiſchen ähnlich, war urſprüng - lich der Zweck der Verſchworenen, und nur weil ſie eines volksthümlichen Schlagworts bedurften, riefen ſie ſchließlich die unglückliche ſpaniſche Ver - faſſung aus.

So gewann auch dieſe nationale Schilderhebung den Anſchein, als wäre ſie nur ein Glied in der Kette einer weltumſpannenden radikalen Verſchwörung. Der Erfolg ſchien Alles zu beſtätigen, was Metternich über die Pläne der im Dunkeln ſchleichenden Partei vorhergeſagt, und ohne Vorbehalt ſchloß ſich der Czar jetzt dem untrüglichen Wiener Pro - pheten an. Die Oſtmächte beſchloſſen (15. März) den Aufruhr unver - züglich niederzuſchlagen: die öſterreichiſchen Truppen in der Lombardei ſollten ſofort verſtärkt und unterdeſſen ein ruſſiſches Heer von 80,000 Mann über Ungarn herangezogen werden. Auch von Preußen erwarteten die beiden Kaiſer, für den Nothfall mindeſtens, die Zuſage bewaffneter Beihilfe. Bernſtorff aber erwiderte ſehr nachdrücklich, er müſſe ſeinem Hofe die Freiheit der Entſchließung vorbehalten, da der König ſeinem Volke keine Laſt auflegen wolle, die über die Verpflichtungen der Verträge hinausgehe. Zugleich kündigte er ſeine bevorſtehende Heimkehr an und reiſte in der That nach einigen Tagen ab. Die Kaiſer ließen ihn ziehen, damit er daheim die gemeinſame Sache wirkſamer unterſtütze; er aber ver - ließ den Congreß um zu verhindern, daß Preußen tiefer als der König wünſchte in die italieniſchen Händel verwickelt würde. General Kruſemark, der nunmehr allein als preußiſcher Bevollmächtigter zurückblieb, konnte ſich allen weiteren läſtigen Zumuthungen leicht entziehen, da er ſtets erſt in Berlin anfragen mußte. **)Bernſtorff’s Bericht an den König, 15. März, an Hardenberg 21. März. Ge - heimes Protokoll über Bernſtorff’s Erklärung, 15. März 1821.So ſeltſam durchkreuzten ſich am preu - ßiſchen Hofe landesväterliches Pflichtgefühl und antirevolutionäre Geſin - nung. Friedrich Wilhelm wollte die Kräfte ſeines Volkes den italieniſchen Plänen Oeſterreichs nimmermehr opfern und übernahm doch unbedenklich vor aller Welt die Mitſchuld an den herriſchen Manifeſten der Wiener Interventionspolitik, weil er in dem Bunde der Oſtmächte die Bürgſchaft für die Sicherheit ſeines eigenen Staates ſah. Seine Haltung bewies,182III. 3. Troppau und Laibach.daß die Nüchternheit ſeines Urtheils immer noch ſtärker blieb als ſeine Freundſchaft für Oeſterreich; aber dem Stolze einer Großmacht ſtand ſie übel an.

Freilich zeigten ſich die beiden Weſtmächte noch weit rathloſer. Der Miniſter des Auswärtigen, Pasquier, das liberalſte Mitglied des Pariſer Cabinets, ſah voll ernſter Beſorgniß dem Augenblick entgegen, da die Oeſterreicher bis zur franzöſiſchen Grenze vorrücken würden; Metternich ſelbſt fand dieſe Eiferſucht erklärlich und erwog einige Tage lang ernſtlich, ob es nicht gerathen ſei, die Beſetzung Piemonts den Ruſſen zu überlaſſen. Doch wenn der franzöſiſche Hof ſein Intereſſe in Italien wahren wollte, ſo mußte er, den Oſtmächten zuvoreilend, ſelber die Ordnung in Piemont herſtellen, und dieſe Kühnheit war unmöglich, da er dem Geiſte ſeines eigenen Heeres mißtraute. So verſtrich die Zeit, ohne daß man in den Tuilerien einen Entſchluß fand. *)Kruſemark’s Bericht, 24., 29. März 1821.Lord Caſtlereagh vollends wurde durch die Turiner Nachrichten nur in ſeinen öſterreichiſchen Neigungen beſtärkt und gab unter der Hand zu verſtehen, alle ſeine Verwahrungen ſeien nichts weiter als parlamentariſche Schachzüge.

Metternich allein war ſeines Zieles ſicher, und das Glück begünſtigte ihn abermals wunderbar. Der gefürchtete piemonteſiſche Aufſtand erwies ſich bald als ein verfrühtes, unfertiges Unternehmen. Nur ein Theil des Heeres hatte ſich der Revolution angeſchloſſen, die Mehrheit des Volkes harrte geſpannt auf die Entſcheidung des Königs. Der redliche, in dem Abſolutismus des alten Jahrhunderts ergraute Victor Emmanuel wollte weder den ausſichtsloſen Kampf gegen die großen Mächte beginnen, noch das Ausland wider ſeine eigenen Truppen zu Hilfe rufen und faßte endlich denſelben Entſchluß, welchen ſchon mehrere ſeiner pflichtgetreuen Vorfahren gefaßt hatten, wenn ihnen die Bürde der Regierung zu ſchwer wurde: er legte die Krone nieder und ernannte den Prinzen Karl Albert von Ca - rignan zum Regenten, bis der Thronfolger Karl Felix aus Modena zurück - kehren würde, um die Zügel ſelbſt in die Hand zu nehmen. Welche Auf - gabe für den unerfahrenen, ehrgeizigen Prinzen, der mit den Verſchworenen längſt im Verkehr ſtand und ſchon zuweilen von der italieniſchen Königs - krone träumte! Er ließ ſofort durch eine Notabelnverſammlung die ſpa - niſche Verfaſſung annehmen und hoffte in ſeiner jugendlichen Argloſigkeit auf die nachträgliche Zuſtimmung des neuen Königs. Karl Felix aber, ein Geſinnungsgenoſſe des Herzogs von Modena, verwarf in einem ſcharfen Manifeſte jede Neuerung, und ſobald der König geſprochen hatte, war in dieſem Lande der Würfel gefallen. Gehorſam gab Karl Albert ſeine Regentſchaft auf. Mittlerweile war General Bubna mit einem öſter - reichiſchen Heere eingerückt, die treu gebliebenen Truppen vereinigten ſich mit ihm, und ſchon am 8. April unterlagen die Aufſtändiſchen nach tapferem183Niederlage der Piemonteſen.Widerſtande in dem Gefechte von Novara. Einige Tübinger Studenten und andere junge Liberale, die aus den Nachbarlanden herbeizogen, fan - den das Heer der Revolution bereits in voller Auflöſung; ein Geheim - bund in der Lombardei, der ſchon zum Losſchlagen bereit ſtand, ging ent - muthigt auseinander.

Aber auch Rußlands Hilfe war nunmehr überflüſſig. Mit zwei leichten Schlägen, binnen vier Wochen, hatte Oeſterreich allein den Aufſtand im Süden wie im Norden der Halbinſel niedergeworfen, ſein Wille gebot von den Alpen bis zum ioniſchen Meere, und der ſtaatsmänniſchen Größe des ſiegreichen Metternich huldigte alle Welt, nicht blos die Diplomatie, die doch einen raſchen Erfolg erwartet, ſondern faſt mehr noch die widerſtre - bende liberale Partei, die ſich über die Schwäche der Revolution ſo gründ - lich getäuſcht hatte. Mit übermüthiger Schadenfreude berichtete Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter, wie die Helden der Freiheit am Tage der Schlacht nur die Künſte des Pulcinells gezeigt hätten, und ſchloß befriedigt: Der beſſere Bürger verbindet ſich freudig mit der ſchützenden Uebermacht, ſein Vaterland von dem verderblichen Auswurfe der Letzten dieſer Sekte zu reinigen, für die es kein Heil als das allgemeine Unglück, keine Hoffnung als die einer einſamen Herrſchaft auf dem Schauplatze ihrer Zerſtörung giebt.

Für dies Werk der Reinigung bedurfte die Fremdherrſchaft der Bour - bonen allerdings eines ſchärferen Beſens als das nationale Fürſtenhaus von Savoyen. Anfangs erſchien die halberzwungene Abdankung Victor Emmanuel’s den Oſtmächten als ein unzuläſſiger Verſtoß wider die ſtrengen Grundſätze des legitimen Rechts. Die beiden Kaiſer verſuchten ſogar den alten König umzuſtimmen; auch König Friedrich Wilhelm mahnte ihn brieflich zur Wiederbeſteigung des Thrones. Er aber blieb feſt, und die Monarchen beruhigten ſich endlich, zumal da ſein Nachfolger ſich als harter Legitimiſt bewährte und in Laibach an dem Herzog von Modena einen beredten Fürſprecher fand. Das ſtarre, bigotte, geiſtloſe Regiment des neuen Königs traf die Empörer mit harten Strafen, und Metternich beeilte ſich auch die Eidgenoſſenſchaft zur Mitwirkung aufzufordern, da ſie durch ihre Gaſtfreundſchaft für die piemonteſiſchen Flüchtlinge ihre Neutralität moraliſch verletze . Indeß vermied Karl Felix offenbare Rechts - verletzung und Grauſamkeit, er bemühte ſich ſelbſt mit landesväterlichem Eifer, die Oeſterreicher zu baldiger Räumung des Landes zu bewegen; das alte herzliche Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk ward nicht auf die Dauer getrübt. *)Bernſtorff’s Bericht, 30. März. Kruſemark’s Berichte, 2. Mai, 2. Juni, 7., 14., 28. Juli. Metternich an den k. k. Geſandten v. Schraut in Bern, 18. April 1821.Zu beſonderer Genugthuung gereichte dem Wiener Hofe die Entwürdigung des Prinzen von Carignan, der nunmehr dem Throne am nächſten ſtand. Der unglückliche Prinz war bisher die Hoffnung der Pa -184III. 3. Troppau und Laibach.trioten geweſen; jetzt verurtheilten alle Höfe mitleidslos ſein ſchwankendes, zweideutiges Verhalten, die öſterreichiſchen Offiziere verhöhnten ihn ins Geſicht als den König von Italien was dem Stolzen unvergeſſen blieb und die Liberalen, die ſich nach romaniſchem Brauche ihre Niederlage nur aus einer großen Verrätherei erklären konnten, ſangen ihm die grau - ſamen Verſe nach: Dein Name geht durch alle Völker, mit Fluch beladen, Carignan Er ſchien der allgemeinen Verachtung erliegen zu müſſen, und die reaktionäre Partei verſtieg ſich bereits zu dem Plane, den Verhaßten von der Thronfolge auszuſchließen, die Krone nach dem Tode des alten Karl Felix auf Franz von Modena zu übertragen.

Währenddem war über Neapel ein Schreckensregiment hereinge - brochen, faſt ſo gräuelvoll wie jenes erſte bourboniſche Blutgericht vom Jahre 1799. König Ferdinand hatte die Heimkehr verſchoben, bis er der Unterwerfung ſeines Landes völlig ſicher war und ſich nicht mehr um die Rathſchläge der Großmächte zu kümmern brauchte. Dann drängten ſich in endloſer Reihe Einkerkerung, Auspeitſchung, Hinrichtung; viele der beſten Männer des Landes verſchmachteten, mit gemeinen Verbrechern zuſammengeſchmiedet, unter den Inſektenſchwärmen der ſchattenloſen Straf - inſeln, mehr denn Tauſend lebten als Flüchtlinge in England, in der Schweiz, bei den Barbaresken. Das alte Conſcriptionsheer ward auf - gelöſt, ein neues geworbenes gebildet. In den clericalen Urkantonen der Schweiz ließ Ferdinand durch einen anrüchigen alten Landsknecht, General Auf der Mauer die Werbetrommel rühren, und obwohl mancher wackere Eidgenoſſe die biderben Männer von Schwyz beſchwor, die alte, ſchon von Zwingli geſcholtene Nationalſünde des Reislaufens endlich zu laſſen, ſo fanden ſich doch einige Regimenter von tapferen Fremdlingen zuſammen, die nun von den Bergfeſten über der Bai die unruhige Hauptſtadt be - wachten. Die zügelloſe Grauſamkeit dieſer Reaktion zwang die Mächte mehrmals zu ernſten Warnungen; ſelbſt Kaiſer Franz ſchrieb dem König zweimal noch von Laibach aus. *)Kruſemark’s Berichte, 4. April, 11. Mai 1821.Doch was konnten ſolche Mahnungen fruchten, da der gute Kaiſer ſeine eigenen Soldaten Schergendienſte ver - richten ließ bei den Blutrichtern des Bourbonen, ja ſogar in die gräß - lichen Kerker ſeiner mähriſchen Feſtungen außer den lombardiſchen Patrioten, die ſoeben nochmals durch ein Strafverfahren heimgeſucht wurden, auch neapolitaniſche Hochverräther gaſtfreundlich aufnahm? Neapel war nur noch ein Satrapenſtaat der Hofburg; die alte Verbindung zwiſchen dem königlichen Hauſe und den franzöſiſchen Bourbonen lockerte ſich mehr und mehr. Sechs Jahre lang blieben die Oeſterreicher im Lande, der Hof überſchüttete ihre Führer mit Gold und Ehren, durch die Koſten der frem - den Beſatzung wurde die Staatsſchuld in wenigen Jahren auf das Vier - fache erhöht. Ein fürchterlicher Haß, der mit jedem Jahre wuchs, ſammelte185Oeſterreichs Herrſchaft in Italien.ſich an wider die Weißröcke; in Palermo ward einmal ein Geheimbund entdeckt, der die geſammte öſterreichiſche Garniſon zu vergiften bezweckte.

Und dieſer Haß fiel zurück auf die Deutſchen außerhalb Oeſterreichs; denn jeder Kroate, Raize oder Walache, der des Kaiſers Rock trug, hieß den Wälſchen ein Tedesco, und auch die anderen Nationen machten das deutſche Volk verantwortlich für die Sünden der Vormacht des Deutſchen Bundes. In grimmigen Verſen brandmarkte Caſimir de la Vigne die Germanen, dieſe Sklaven von geſtern und Tyrannen von heute, wie ſie mit den elenden Beſiegten zuſammen unter dem Lorbeerſtrauche Virgils ſich betränken. Nur wenige Ausländer unterſchieden ſo gerecht wie Lord Byron, der unbefangen ſchrieb: ich liebe die Deutſchen, nur nicht die Oeſter - reicher; die haſſe und verabſcheue ich. Die Meiſten bemerkten mit ſtiller Schadenfreude, daß die Nation, deren Erſtarken ſie alle fürchteten, nun ſo übel berüchtigt wurde wie die Ruſſen, und die willige Ergebenheit des preußiſchen Hofes der abgünſtigen öffentlichen Meinung zur Rechtfertigung diente. Ueber die unglücklichen Neapolitaner freilich urtheilte die euro - päiſche Welt faſt noch härter; ſie waren ſeit dem Tage von Rieti dem Fluche der Lächerlichkeit verfallen. Ueberall erklang das Spottlied von der großen Retirade , und mancher enttäuſchte deutſche Liberale nannte ſeinen Hund Pepe . Je freudiger man ſoeben noch die Freiheit dieſes Volkes begrüßt hatte, um ſo tiefer erſchien jetzt ſein Fall. Wo ſoll ich meine Schmach begraben? ſo begann das neue neapolitaniſche Nationallied Thomas Moore’s, und den carbone notatis rief der Dichter zu: weit edler die Stiefeln des Czaren zu küſſen, als eure Ketten ſelbſt zu be - ſudeln durch einen Kampf, wie dieſen! So unheimlich hatte ſich die Lage der beiden großen Nationen Mitteleuropas geſtaltet: der einen ſetzte das Haus Oeſterreich den Fuß auf den Nacken, die andere war mit dieſem Feinde ihrer Einheit durch ein unwahres und gleichwohl noch unlös - bares Bündniß verkettet und leiſtete ihm, mit Worten mindeſtens, gehor - ſamen Beiſtand.

Durch Oeſterreichs Erfolge waren die Weſtmächte entwaffnet, und freudetrunken ſchrieb Gentz: Paris und London liegt uns zu Füßen! Wie konnte Frankreich der ſiegreichen Hofburg entgegentreten, da König Ludwig für ſeinen eigenen Thron zitterte? Unabläſſig ängſteten ihn die Ultras durch unheimliche Gerüchte; dieſe verblendete Partei hatte ſoeben, um den Monarchen zu ſchrecken, eine Pulver-Exploſion in den Tuilerien veran - ſtaltet, ſie war in Laibach durch einen geheimen Agenten Jouffroy ver - treten, der dem Czaren einen neuen Brief von Bergaſſe überbrachte und die Zuſtände des Mutterlandes der Revolution wieder einmal in den dunkelſten Farben ſchilderte. Ein Zuſammenwirken der beiden großen conſtitutionellen Höfe ſtand vollends außer Frage, da die Tory-Regierung den Franzoſen ſchlechterdings keinen Uebergriff in die Mittelmeerlande ge - ſtatten wollte. Als die Revolution in Piemont gebändigt war, konnte Lord186III. 3. Troppau und Laibach.Caſtlereagh die Empfindungen ſeines Herzens nicht mehr zurückhalten. Er ſendete dem Wiener Freunde ſeinen Glückwunſch und ſprach zugleich die Hoffnung aus: man werde die Beſetzung des unterworfenen Landes doch nicht franzöſiſchen Truppen anvertrauen. Wie jubelte Metternich über dieſe Aeußerung politiſcher Unſchuld; der Czar aber fragte lächelnd: wofür halten uns eigentlich dieſe Leute?*)Kruſemark’s Bericht, 19. April 1821.

Indeſſen hatte das Schickſal dem öſterreichiſchen Staatsmanne be - reits einen bitteren Tropfen in den Becher ſeiner Freuden gegoſſen. Der doktrinäre Gedanke des unwandelbaren großen europäiſchen Bundes wider - ſprach ſo offenbar der Mannichfaltigkeit entgegengeſetzter Intereſſen und ungelöſter Fragen, welche das europäiſche Leben umſchloß, daß jede große Wendung der Völkergeſchicke ihn nothwendig ſtören mußte. Noch während des Laibacher Congreſſes brach eine fünfte Revolution aus, die anfangs am wenigſten beachtet, zuletzt der großen Allianz am verderblichſten wer - den ſollte. Die gräcoſlaviſche Welt begann zu erwachen, die ſchwerſte aller europäiſchen Fragen, die orientaliſche, gerieth wieder in Fluß. Seit hundert Jahren ſchon beſtand das Reich der Osmanen auf abendländiſchem Boden nur noch durch die wechſelſeitige Eiferſucht der europäiſchen Mächte, nicht mehr durch eigene Kraft. Eine im Schlaf erſtarrte Völkerwanderung hatte ſich wie eine ungeheure Schuttlawine, alle Cultur begrabend, über jene geſegneten Lande des Südoſtens gelagert, wo einſt die Chriſtenheit ihr zweites Rom und der Handel zweier Welttheile ſeinen Mittelpunkt gehabt. Was in dieſer Trümmerwelt noch lebte, arbeitete, um die Güter der Geſittung rang, war chriſtlich; das Herrenvolk, das der Rajah mit dem ſicheren Griffe orientaliſcher Herrſcherkunſt das Halsband der Unter - thänigkeit feſt um den Nacken gelegt hatte, blieb im Glanze ſeines er - beuteten Reichthums unwandelbar eine orientaliſche Reiterhorde, die nie - mals heimiſch ward in Europa und über die Weltanſchauung des kriege - riſchen Nomadenthums nie hinausgelangte. Unausbleiblich mußte ſich dereinſt an den Türken, wie vormals an der polniſchen Adelsrepublik, das hiſtoriſche Geſetz erfüllen, das in dieſem Jahrhundert der bürgerlichen Arbeit kein Volk von Rittern und Müßiggängern mehr duldet.

Niemals hatten die Rajah-Völker ſich ausgeſöhnt mit ihren mitleidloſen Herren, niemals aufgehört die Rache Gottes herabzurufen für jenen Tag der Schmach, da der Eroberer in die Hagia Sophia einritt und die Hufe ſeines Roſſes das ſchönſte Gotteshaus der morgenländiſchen Chriſtenheit ſchändeten. Mitten im Schmutz und Elend ihrer Knechtſchaft geboten ſie noch über jene unverwüſtliche Kraft der Verjüngung und Selbſterneuerung, welche das Chriſtenthum überall von der geiſtloſen Erſtarrung des Islam unterſcheidet. Als nun die weltbürgerliche Heilslehre der franzöſiſchen Re - volution und mit ihr zugleich die nationalen Freiheitsgedanken der ſpa -187Griechiſche Revolution.niſchen und der deutſchen Unabhängigkeitskriege langſam ihren Weg in den fernen Oſten fanden, da wirkten ſie zunächſt auf das rührigſte der Rajah-Völker, das unter dem wirthſchaftlichen Druck der Türkenherrſchaft am wenigſten litt. Die Griechen hatten ſeit dem Frieden von Kutſchuk - Kainardſche faſt den geſammten Handel des ägeiſchen Meeres an ſich ge - riſſen, ſie ſchöpften aus den Erinnerungen einer glorreichen Vergangenheit das Selbſtgefühl eines unzerſtörbaren Volksthums, das befleckt mit allen Sünden vielhundertjähriger Sklaverei doch immer noch zäh genug blieb um ſeine uralte Sprache in erſtaunlicher Reinheit zu bewahren und ſtark genug um die zahlreichen in das helleniſche Culturgebiet eingedrungenen albane - ſiſchen und ſlaviſchen Stämme aufzuſaugen und mit griechiſcher Bildung zu erfüllen.

Der Gedanke der Wiederherſtellung des byzantiniſchen Reichs war nie ganz verſchwunden. Selbſt in dem harten ſiebzehnten Jahrhundert hatte Milton mit einem helleniſchen Freunde von der Wiedergeburt Grie - chenlands geträumt, und hundert Jahre darauf waren die Sendboten der Czarin Katharina unter den Griechen umhergezogen um den Haß gegen die osmaniſchen Herrſcher aufzuſtacheln. Doch erſt ſeit Rhigas in feurigen Liedern die Freiheit der Hellenen beſungen hatte, begann die nationale Bewegung ſtärkere Wellen zu ſchlagen. Korais und ſeine Freunde führten die neugriechiſche Sprache in den Kreis der Culturſprachen ein und ſchufen die erſten Anfänge einer nationalen Literatur. Der literariſche Bund der Philomuſen von Athen vermittelte den Gedankenaustauſch zwiſchen den weithin in allen Hafenplätzen der Balkanhalbinſel und Kleinaſiens zer - ſtreuten Griechen, und gleichzeitig, ſeit 1812, gründete die politiſche Hetärie von Odeſſa überall in den gräcoſlaviſchen Landen ihre Geheimbünde.

Während in den meiſten anderen Unabhängigkeitskriegen der neuen Geſchichte die Kämpfenden ſich erſt ſpät ihres letzten Zieles bewußt wurden, faßte dieſe Verſchwörung von vornherein die völlige Befreiung feſt ins Auge, da jede Vermittlung zwiſchen dem Kreuz und dem Halbmond un - möglich ſchien: Unabhängigkeit aller Hellenen hieß die Loſung, und nur wenn das Kreuz wieder auf der Kuppel der Weisheitskirche prangte, ſollte der Kampf enden. Der Beiſtand der Schutzmacht der orthodoxen Kirche ſchien den Verſchworenen um ſo gewiſſer, da ein Liebling des Czaren, der Fanariot Alexander Ypſilanti an ihrer Spitze ſtand und ruſſiſche Agenten überall auf der Halbinſel ihr Weſen trieben. Auch Kapodiſtrias unter - hielt mit der Hetärie geheimen Verkehr, er beſuchte im Jahre 1819, ſicher - lich nicht ohne Hintergedanken, ſeine Heimath Corfu und ermuthigte die Freunde durch halbe Zuſagen, als ſie ihm ein Jahr darauf die bevor - ſtehende Empörung ankündigten. [Obwohl] die Hetärie mit den Venten der Carbonari nicht unmittelbar zuſammenhing, ſo mußte doch der Anblick der Revolution auf den beiden Nachbarhalbinſeln die Ungeduld der Ver - ſchworenen reizen, den Ausbruch des Krieges beſchleunigen. Im December188III. 3. Troppau und Laibach.1820 erhoben ſich die Sulioten in den Gebirgen Albaniens. Die Nach - richt ward in Europa kaum bemerkt; man ſah in dem Kampfe nur einen jener zahlloſen lokalen Aufſtände, welche ſeit Langem den einzigen Inhalt der inneren Geſchichte des Türkenreichs bildeten, und Niemand ahnte, daß dies wilde Bergvolk in die Pläne der helleniſchen Verſchwörer eingeweiht war. Aber welche Beſtürzung auf dem Congreß, als man erfuhr, daß Ypſilanti am 7. März in Jaſſy die Freiheit der Hellenen ausgerufen und den Aufſtänd iſchen die Hilfe des Czaren verheißen hatte; wie ſicher mußte er auf dieſen Beiſtand zählen, wenn er dort an der ruſſiſchen Grenze, unter den gleichgiltigen Rumäniern eine griechiſche Schilderhebung wagte! Wenige Wochen darauf griffen auch die Stämme des Peloponnes zu den Waffen, dann die Inſelgriechen des ägeiſchen Meeres, und nun raſte er dahin, der gräuelvolle Agon der Hellenen, der wildeſte Raſſenkampf des Jahrhunderts: unmenſchliche Wuth, Verrath und Treubruch auf beiden Seiten.

Metternich’s Urtheil über dieſe fünfte Revolution war im erſten Augen - blicke gefunden; denn unter allen ſeinen politiſchen Axiomen ſtand ihm keines ſo feſt wie die Unantaſtbarkeit der Türkei. Keinen Augenblick be - ſchäftigten ihn die Fragen: ob die Herrſchaft des Halbmonds im chriſt - lichen Abendlande auf die Dauer beſtehen könne? ob Oeſterreich nicht verſuchen ſolle, in die Herrſcherbahnen des Prinzen Eugen wieder einzu - lenken und bei dem drohenden Zerfalle des türkiſchen Reichs ſich ſelber eine ſtarke Stellung auf der Balkanhalbinſel, vielleicht ſogar die Herrſchaft über die Mündungen ſeines Stromes zu gewinnen? Der Sultan war ihm ein legitimer Fürſt wie jeder andere auch; mit heiligem Eifer bewies Gentz im Oeſterreichiſchen Beobachter, daß die Herrſchaft der Pforte auf dem überall in der Welt anerkannten Rechtstitel der Eroberung ruhe. Und dieſer legitime Staat zeichnete ſich aus durch eine Verfaſſung, welche den politi - ſchen Idealen des öſterreichiſchen Staatsmannes vollkommen entſprach: hier beſtand noch unberührt von den zerſetzenden Lehren der Revolution die viel - gerühmte force des subdivisions, ein lockeres Nebeneinander zuſammen - geraubter Länder, die unter ſich nichts gemein hatten als den ſchweigen - den Gehorſam gegen den Großherrn. Befangen in dem dürren Prag - matismus der Geſchichtsphiloſophie des alten Jahrhunderts, ohne Sinn für die elementariſche Kraft des nationalen Inſtinkts, die in ſolchen Kriſen des Völkerlebens allein entſcheidet, ſuchte Metternich den Grund dieſer Ent - ladung uralten Raſſenhaſſes allein in den ſchlechten Künſten einer Rotte ehrgeiziger Böſewichter und legte auch die orientaliſche Frage unter die Schablone ſeiner Stabilitätsdoktrin. Auch die helleniſche Bewegung konnte nur durch die im Dunkeln ſchleichende Partei bewirkt ſein, und von vorn - herein nahm er als erwieſen an, daß die Hetärie und die Carbonari der nämlichen Sekte angehörten. Und dieſe unheimlichen griechiſchen Dema - gogen erſchienen ihm zugleich als Werkzeuge der gefürchteten ruſſiſchen189Die Großmächte und die Griechen.Politik. Er ſah wohl ein, daß er die Pforte nicht offen unterſtützen durfte, wenn er die Aufſtändiſchen nicht geradeswegs dem Petersburger Hofe in die Arme treiben wollte; in ſeiner Angſt vor jeder Neuerung konnte er ſich aber auch nicht entſchließen, durch eine gemeinſame Intervention der großen Mächte den Rajah-Völkern ein halbwegs menſchenwürdiges Daſein und damit dem türkiſchen Reiche vielleicht noch eine Lebensfriſt zu ſichern. In ſolcher Bedrängniß erblickte er nur einen Weg der Rettung: wenn die großen Mächte ihren Abſcheu vor der griechiſchen Erhebung nachdrücklich ausſprachen und dann die orientaliſchen Wirren ſich ſelber überließen, ſo mußte die gewaltige Uebermacht der Pforte den Aufſtand bald bemeiſtern und der Krummſäbel der Osmanen, wie Metternich zuverſichtlich hoffte, die alte Ordnung im Reiche des Sultans einfach wiederherſtellen.

In dieſer ſtarr conſervativen Geſinnung begegnete ſich der öſterrei - chiſche Staatsmann mit den Anſichten des engliſchen Hofes, der durch den Aufſtand der Hellenen ſeine gewohnten Handelswege zu verlieren fürchtete und den geheimen Plänen Rußlands noch ängſtlicher als die Hofburg ſelbſt mißtraute. Der Gedanke, daß die erſte Seemacht der Welt durch die Entfeſſelung der gebundenen wirthſchaftlichen Kräfte der Bal - kanhalbinſel nur gewinnen konnte, lag gänzlich außerhalb des Geſichts - kreiſes dieſer Hochtorys. Auch die preußiſchen Staatsmänner ſchloſſen ſich der Meinung Oeſterreichs an, obgleich Bernſtorff die Hoffnungen Metter - nich’s nicht theilte und den Aufſtand der Hellenen keineswegs für aus - ſichtslos hielt. *)Bernſtorff’s Bericht, 20. März 1821.

Doch wie ſollte es gelingen, den Czaren ſelbſt für eine Anſicht zu gewinnen, welche allen Ueberlieferungen der Petersburger Politik und den mächtigſten nationalen Leidenſchaften des ruſſiſchen Volkes widerſprach? Noch ſaß Kapodiſtrias im Rathe Alexander’s, und dieſer Grieche mußte, wie Bernſtorff ſagte, ſeine natürlichſten und mindeſt zweifelhaften Em - pfindungen verleugnen , wenn er der Befreiung der Hellenen entgegen - trat. Aber die Gunſt des Glückes, die dem öſterreichiſchen Hofe in dieſen Laibacher Zeiten unwandelbar zur Seite ſtand, blieb ihm auch jetzt treu. Das Schreiben Ypſilanti’s, das dem Czaren den Beginn des Aufſtandes offen mittheilte, gelangte nach Laibach in den nämlichen Tagen, da Alex - ander durch die Turiner Nachrichten tief erſchüttert war; leidenſchaftlich erregt erblickte er überall in der Welt nur das Schreckgeſpenſt des großen demagogiſchen Geheimbundes, und weil er von den Umtrieben der ruſſiſchen Agenten wenig oder nichts wußte, ſo ſah er auch in ſeinem fanariotiſchen Freunde nur einen Verblendeten, der ſich in den Netzen der Carbonari habe fangen laſſen. In ſolcher Stimmung traf ihn Metternich, und es hielt nicht allzu ſchwer, diesmal mit Hilfe der Feuersbrunſt, die Nerven des Czaren noch mehr zu erregen: die griechiſche Rebellion, ſo verſicherte der190III. 3. Troppau und Laibach.Oeſterreicher, ſei die Fackel der Zwietracht, welche die Demagogen zwiſchen Oeſterreich und Rußland geworfen hätten um die beiden Kaiſermächte zu trennen und die liberale Feuersbrunſt zu unterhalten. Alexander ward völlig bekehrt, er zeigte ſich ſo feſt, daß Metternich ſchreiben konnte: wenn je Jemand aus ſchwarz weiß geworden iſt, ſo iſt er es. Gentz aber froh - lockte: Gott ſtreitet für und mit uns! Wohl mochte er jubeln; denn dieſer Erfolg Metternich’s ſah wahrlich einem Wunder ähnlich. Der unglückliche Kapodiſtrias ſtand in Gefahr, das Vertrauen ſeines kaiſer - lichen Herrn und damit jede Handhabe zur Unterſtützung ſeiner Lands - leute zu verlieren. Geſchmeidig ſchickte er ſich in die Umſtände und ver - faßte ſelbſt das ſtrenge Antwortſchreiben, das dem helleniſchen Rebellen - führer die Ungnade des Czaren ausſprach (26. März); zugleich wurde Ypſilanti’s Name aus den Liſten des ruſſiſchen Heeres geſtrichen. Dieſer Geſinnung blieb Alexander bis zum Schluſſe des Congreſſes treu, und ſein öſterreichiſcher Mentor verſäumte nicht, ihm die Lehrſätze der allein wahren Staatskunſt, die alleſammt auf den einen Gedanken ne rien innover! hinausliefen, nochmals in wortreichen Denkſchriften nachdrück - lich einzuſchärfen.

Gentz eröffnete unterdeſſen im Oeſterreichiſchen Beobachter den Feder - krieg gegen die Hellenen und verfertigte fortan in regelmäßiger Folge jene berufenen Berichte aus Zante , welche die Sünden der Rebellen, ihren Hader, ihre Grauſamkeit mit ungeheuerlicher Uebertreibung ſchilderten. Metternich ſelbſt durfte es wagen, in einer Denkſchrift vom 7. Mai das gemeinſame Urtheil der beiden Kaiſer dahin zuſammenzufaſſen: ſie hätten ſich überzeugt, daß die griechiſche Nation auf der tiefſten Stufe der Ent - artung angelangt ſei. Als die Monarchen am 13. Mai nach halbjährigem Zuſammenleben ſich endlich trennten, da ſchien ihre Freundſchaft inniger denn je. Sie gaben ſich die Hand darauf, daß ſie Beide niemals allein, ſondern immer nur nach den gemeinſamen Beſchlüſſen der großen Allianz in die orientaliſchen Wirren eingreifen würden. Uebers Jahr dachten ſie in Florenz mit König Friedrich Wilhelm zu einem neuen Congreſſe zuſammen - zutreten, inzwiſchen wollten ſie den Verlauf der Bewegung ſcharf beob - achten und einander jede Nachricht freundnachbarlich mittheilen. Beim Abſchied von dem preußiſchen Geſandten pries Alexander den Bund der Oſtmächte nochmals als Europas Schutzwehr gegen die Revolution und erkannte gerührt den Willen Gottes in der wunderbaren Fügung, die ihn eben jetzt mit Kaiſer Franz zuſammengeführt. Nicht minder ſalbungs - voll ſchrieb Ancillon: Wenn man ſieht, wie die Pforte in ihrem Daſein bedroht wird, wie Spanien mit ſchnellen Schritten dem Bürgerkriege ent - gegeneilt, wie Amerika das von Europa empfangene ſchlechte und ver - derbliche Beiſpiel noch überbietet und den alten Continent mit einer ſitt - lichen und politiſchen Anſteckung von ganz neuer Art bedroht, dann fühlt man doppelt den unſchätzbaren Werth der Vereinigung der Alliirten und191Das Laibacher Manifeſt.dankt dem Himmel, daß er der Macht des Kaiſers von Rußland in ſeinem Herzen und in ſeinen Grundſätzen ein Gegengewicht gegeben hat. *)Kruſemark’s Bericht, 15. Mai. Protokoll des Congreſſes vom 26. Febr. An - cillon, Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 28. Mai 1821.

In einer hochtönenden Erklärung verkündeten die Oſtmächte beim Schluſſe des Congreſſes (12. Mai) die Ergebniſſe ihrer Bemühungen: der Plan des allgemeinen Umſturzes ſei geſcheitert an den verbündeten Heeren, welche den unterdrückten Völkern zu Hilfe gekommen. Die Vor - ſehung hat ſo ſchuldige Gewiſſen mit Schrecken geſchlagen, und die Miß - billigung der Völker, deren Loos die Urheber der Unruhen gefährdeten, hat ihnen die Waffen aus der Hand fallen laſſen. Ein begleitendes Rundſchreiben an die kleinen Höfe verſicherte ſodann, daß die drei Mächte auch die griechiſche Revolution nach denſelben Grundſätzen wie die italie - niſche beurtheilten, und erklärte nochmals alle durch Aufruhr bewirkten Reformen für null und nichtig. Um jeden Zweifel zu zerſtreuen, ließ der Czar noch eine beſondere Circulardepeſche an ſeine Geſandtſchaften er - gehen, worin feierlich betheuert wurde, daß Rußland ſich auch der Pforte gegenüber ſtreng an die Regeln des Völkerrechts halten werde und kein anderes Ziel verfolge als die Erhaltung der allgemeinen Ruhe. Auch der Berliner Hof ſchloß ſich dem Laibacher Manifeſte ohne Widerſpruch an. Seine Fügſamkeit erſchien vor der Welt ſogar noch unbedingter als ſie war; denn von Bernſtorff’s kluger Zurückhaltung erfuhr man nichts, da - gegen trat Geh. Rath Kamptz eben jetzt öffentlich als Anwalt der neuen Wiener Völkerrechtslehren auf. In einer Völkerrechtlichen Erörterung , deren fanatiſcher Ton die Liberalen empören mußte, behauptete er kurz - weg: das Recht der Intervention ſei für die Staatengeſellſchaft ebenſo nothwendig und wohlthätig wie die Polizei für den einzelnen Staat; ſo - bald ein Staat ſich durch die Verfaſſung des Nachbarlandes in ſeiner Sicherheit bedroht glaube, ſtehe ihm ohne Weiteres die Befugniß zum Einſchreiten zu; nur die Faktionärs , die mit ihrer revolutionären Pro - paganda die Ordnung aller Staaten gefährdeten, wagten dies unbeſtreit - bare Recht in Frage zu ſtellen. Zur Begründung ſeiner rohen Doctrin berief ſich Kamptz ſogar auf die wiederholten Eingriffe Frankreichs und Schwedens in die alte deutſche Reichsverfaſſung. So ſchienen denn die Oſtmächte gänzlich für die Abſichten der Hofburg gewonnen. Metter - nich’s Triumph war vollſtändig. Er ſtand auf der Höhe ſeines Ruhmes, und zum Lohne für die Sorge, die er in dieſen zwei Jahren dem Siege des Rechts über das leidenſchaftliche Treiben der Friedensſtörer gewidmet habe, verlieh ihm ſein dankbarer Kaiſer noch in Laibach die Würde eines Hof - und Staatskanzlers.

Die Vertreter der Weſtmächte hatten die Laibacher Erklärung nicht unterzeichnet, jedoch ſie wagten auch nicht öffentlich zu widerſprechen. Lord192III. 3. Troppau und Laibach.Stewart durfte nur in vertraulichen Geſprächen ſeinen Mißmuth äußern, da ſein Bruder in der orientaliſchen Frage mit dem Wiener Hofe treu zuſammengehen wollte, und das Pariſer Cabinet begnügte ſich den Grafen Caraman zu tadeln, weil er nicht mindeſtens die Veröffentlichung des Rund - ſchreibens verhindert habe. Schadenfroh weidete ſich der neue Hofkanzler an der Verlegenheit der conſtitutionellen Großmächte und meinte, dieſe Demü - thigung ſei ihnen recht heilſam, nachdem ſie ſich ſo weit von der gemein - ſamen Sache getrennt hätten. *)Kruſemark’s Bericht, 2. Juni 1821.Die kleinen deutſchen Höfe erwiderten auf das Laibacher Circular in dem nämlichen Stile, den ſie vormals nach Napoleon’s Siegen anzuwenden pflegten. König Max Joſeph ſtrahlte vor Freude, als er zu Tegernſee das koſtbare Aktenſtück in Gegenwart des preußiſchen Geſandten erbrach; die norddeutſchen Fürſtenhöfe wett - eiferten mit den Senaten der freien Städte in Kundgebungen unter - thäniger Dankbarkeit, die Souveräne der beiden lippiſchen Reiche ſchrieben ſogar perſönlich an Bernſtorff um ihre Bewunderung zu bekunden. Selbſt der König von Württemberg, der nach den Gefechten von Rieti und No - vara ſeinen Aerger kaum hatte verbergen können, hielt es jetzt für ge - rathen, durch Wintzingerode ſeinen Dank auszuſprechen. **)Bericht an Zaſtrow 30. Mai, Küſter 10. April, 22. Mai, Himly 31. Mai 1821 ꝛc.Schließlich gab auch noch der Bundestag der allgemeinen Befriedigung des amt - lichen Deutſchlands einen Ausdruck, wie ihn nur die ſprachgewaltige k. k. Bundespräſidialkanzlei erſinnen konnte. Der Präſidialgeſandte bean - tragte, Ihren K. K. Majeſtäten die Huldigung unſeres ehrfurchtsvollſten Dankes für dieſe Mittheilung mit der ehrerbietigſten Verſicherung ange - nehm zu machen, daß wir einhelligſt in ihren Inhalten das ſchönſte Denk - mal tief verehren, welches dieſe erhabenſten Souveräne Ihrer Gerech - tigkeits - und Ordnungs-Liebe zum verbleibenden Troſte aller rechtlich Ge - ſinnten ſetzen konnten. Einhelligſt , ohne Debatte wurde der Antrag angenommen.

Und doch war die Zukunft dieſes Bundes der Oſtmächte, der ſo herriſch über Europa ſchaltete, bereits ernſtlich bedroht. Als der Czar von Laibach abreiſte, ſagte er zu General Kruſemark: ich wünſche, nie an den türkiſchen Ereigniſſen thätig theilzunehmen; aber, fügte er traurig hinzu, wird dies möglich ſein, da die Pforte ſo harte Maßregeln ergreift? Und er wußte was er ſprach; denn ſoeben, während dieſer freundſchaftlichen Abſchiedsſtunden, hatte er eine neue Unheilsbotſchaft aus dem Oſten empfangen. Am Oſterfeſte war der greiſe Patriarch von Konſtantinopel durch den muhamedaniſchen Pöbel ermordet und an der Kirchthür auf - gehenkt, dann von den Juden durch die Straßen geſchleift und ins Meer geworfen worden; zur ſelben Zeit wurden noch mehrere andere Erzbi - ſchöfe der orthodoxen Kirche niedergemetzelt und zwanzig Mitglieder der grie -193Berwicklung im Orient.chiſchen Gemeinde auf Geheiß des Sultans hingerichtet. Das war die Antwort der Pforte auf die Empörung der Giaurs. Noch einmal er - hob er ſich in der ungebrochenen Barbarei ſeiner Glaubenswuth, der alte ſtreitbare Islam. In Galata freilich ſangen die römiſchen Katholiken ein Tedeum als der</