Das Recht der Ueberſetzung iſt vorbehalten.
Durch ein langes Augenleiden iſt die Fortſetzung dieſes Buches ver - zögert worden, und ich will nur wünſchen, daß man dem Bande nicht anmerke, wie ſchwer mir zuweilen die Arbeit fiel.
Noch weit mehr als ſeine Vorgänger verdankt der vorliegende Band den Beiträgen freundlicher Leſer. Ohne dieſen gütigen Beiſtand, aus amtlichen Quellen allein hätte ich manche Ereigniſſe nicht verſtehen können, und ich bitte auch für die Schilderung der Revolutionsjahre herzlich um ſolche Mittheilungen. Die Aufgabe wird immer ſchwieriger, je mehr die Erzählung ſich der Gegenwart nähert.
Ein Mangel läßt ſich bei allem Fleiße nicht ganz beſeitigen. Das Leben der breiten Maſſen des Volks bleibt in einem Zeitalter reflectirter Bildung immer geheimnißvoll, und wie viel der Hiſtoriker auch an wirth - ſchaftlichen, politiſchen, religiöſen Erklärungsgründen vorbringen mag, zu - letzt kann er doch nur einfach die Thatſache feſtſtellen, daß die Stimmung der Zeit reif wurde für eine Revolution.
Die Geſchichte dieſer acht Jahre wirkt wie ein erſchütterndes Trauer - ſpiel. Zuerſt hohe Entwürfe, glänzende Hoffnungen, überſchwängliche Träume, nachher faſt überall ein klägliches Mißlingen, ein unvermeidlicher Zuſammenbruch. Den tragiſchen Ernſt, der im Stoffe ſelber liegt, darf der Darſteller nicht durch vornehmen Gleichmuth künſtlich zu verwiſchen ſuchen.
Welchen Mißbrauch treibt man doch heute mit dem Ausſpruch: sine ira et studio — einem Worte, das Niemand weniger befolgt hat als ſein Urheber. Gerecht ſoll der Hiſtoriker reden, freimüthig, unbekümmertVIVorwort.um die Empfindlichkeit der Höfe, ungeſchreckt durch den heute viel mäch - tigeren Haß des gebildeten Pöbels. Aber ſo gewiß der Menſch nur ver - ſteht was er liebt, ebenſo gewiß kann nur ein ſtarkes Herz, das die Geſchicke des Vaterlandes wie ſelbſterlebtes Leid und Glück empfindet, der hiſtoriſchen Erzählung die innere Wahrheit geben. In dieſer Macht des Gemüths, und nicht allein in der vollendeten Form, liegt die Größe der Geſchichtſchreiber des Alterthums. —
Berlin, 10. Auguſt 1894.
Heinrich von Treitſchke.
Fünftes Buch.
König Friedrich Wilhelm der Vierte 1840 — 1848.
Am 9. Juni 1840 verſammelte Fürſt Metternich die ſämmtlichen in Wien anweſenden deutſchen Geſandten zu einem Feſtmahle und gedachte in bewegter Rede jenes ſchönen Bundes, der nunmehr ſeit einem Viertel - jahrhundert den Deutſchen Glück und Frieden ſichere. Fürſtin Melanie weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf - ſteigende neue Zeit bringen? An der Tafel ſaß auch der Bundespräſi - dialgeſandte Münch-Bellinghauſen, der nach ſeiner Gewohnheit die letzten acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnächſt wäh - rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter - brechen. Mancher der Gäſte ſogar konnte ſich der unmuthigen Frage nicht enthalten, ob dieſer von der Hofburg ſo geringſchätzig behandelte Bund wohl eines Feſtes werth ſei. *)Maltzan’s Berichte, 9. Juni 1840 ff.In der Nation ward der Erinnerungstag des Deutſchen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs - blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter „ Incompetenzgebäude “brachte.
Wer ſollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in dieſen fünfundzwanzig Friedensjahren aufgeſchoſſen war? Schroffer, unverſöhn - licher denn je traten die alten großen Gegenſätze unſerer Geſchichte ein - ander entgegen. Während die deutſche Bundesverfaſſung nur durch die Freundſchaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und der Geſandte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußiſchen Staatskunſt in dem Satze zuſammenfaßte: „ nicht unter, aber ſtets mit Oeſterreich “**)Maltzan’s Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: C’est bien cela Rien de plus correct. , hatte derſelbe Monarch bereits einen Weg eingeſchlagen, welcher un - ausweichlich zur Trennung von Oeſterreich führen mußte. Das ſtolze Werk dieſer neu aufgenommenen fridericianiſchen Politik, der Zollverein,1*4V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.ſtand ſchon ſo feſt, die Gemeinſchaft der Arbeit zwiſchen den Deutſchen außerhalb Oeſterreichs erſchien ſchon ſo unzerreißbar, daß Michel Chevalier eben jetzt, nach einer Reiſe durch Deutſchland, bewundernd ſagte: „ In der europäiſchen Politik weiß ich nichts Merkwürdigeres als die Wieder - herſtellung der Einheit Deutſchlands. Welch ein prächtiges Schauſpiel, das eines großen Volkes, deſſen Trümmer ſich nähern, das zur Natio - nalität, das heißt zum Leben, zurückkehrt! “
Der grelle Widerſpruch zwiſchen dieſem jungen vollſaftigen wirth - ſchaftlichen Leben und den Formen des ſtarren, jeder Verbeſſerung ſpotten - den Bundesrechts mußte die öffentliche Meinung verwirren. Die Einen träumten noch dahin in dem Stillleben eines gedankenloſen Particula - rismus, der durch die großen Verhältniſſe des neuen nationalen Marktes ſchon überwunden war; Andere wiederholten noch wie vor zehn Jahren die Schlagworte des radikalen Weltbürgerthums; in den beſten Klaſſen des Volkes aber erwachte allmählich ein leidenſchaftlicher, reizbarer Natio - nalſtolz. Sie ahnten, daß hier eine ungeheuere Volkskraft durch tauſend verfitzte und verſchrobene politiſche Rückſichten künſtlich unterbunden war. Verwegene Anſprüche, wie ſie vordem nur vereinzelte Schwärmer gewagt hatten, wurden zum Zeitungsgeſpräche. Man begann zu fragen, warum dieſer junge Zollverein nicht, wie einſt die Hanſa, ſeine Flagge auf dem Weltmeere entfalte und durch ſeine Orlogsſchiffe beſchütze, warum er nicht theilnehme an der Eroberung der transatlantiſchen Welt. Nach allen entfremdeten Tochterlanden unſeres Volkes, bis nach Flensburg, bis nach Riga und Reval ſchweiften die verlangenden Blicke der patriotiſchen Schriftſteller; und als in dieſem wechſelreichen Sommer die Rheingrenze von Neuem bedroht ſchien, da erhob ſich mit elementariſcher Gewalt ein Sturm nationalen Zornes, der deutlich bekundete, daß der Geiſt der Be - freiungskriege nicht erſtorben war, daß die Zeiten der Erfüllung unſerem ringenden Volke endlich nahten. Mit dem nationalen Stolze wuchſen auch die Freiheitshoffnungen. Nach ſo vielen Kämpfen und Enttäuſchun - gen begannen ſich die Liberalen um dieſe Zeit das theoretiſche Ideal des parlamentariſchen Staates zu formen, das ſie ſeitdem feſthielten bis mit dem Jahre 1866 der monarchiſche Staatsgedanke wieder erſtarkte. Einer ihrer Führer, der Braunſchweiger Karl Steinacker erklärte jetzt kurzab: „ die Regierung im Repräſentativſtaate iſt immer die Darſtellung der Majorität im Staate; “der beſonnene, wohlmeinende Mann ahnte nicht, daß er mit dieſer Lehre dem Königthum jede ſelbſtändige Macht raubte und nur den Weg ebnete für die republikaniſchen Ideen, die unter den Flüchtlingen, unter der aufgeregten Jugend gewaltig überhandnahmen.
Wie weitab von ſolchen beſtändig ſteigenden doctrinären Anſprüchen des Liberalismus lag die Wirklichkeit der deutſchen Zuſtände: die über - aus beſcheidene Macht der ſüddeutſchen Landtage und die dreiſte Willkür des Welfenkönigs, der ungeſtraft ſein Landesrecht mit Füßen trat. Auch5Gegenſätze des deutſchen Lebens.auf dem Gebiete der Theorie erſtanden der liberalen Lehre einflußreiche Gegner. Unklare Erinnerungen aus Haller und den Werken der hiſto - riſchen Rechtsſchule lieferten dem jungen Fürſten Ludwig zu Solms - Lich den Stoff zu ſeinem Büchlein „ Deutſchland und die Repräſentativ - verfaſſungen “(1838), einer Schrift, die in der vornehmen Welt, zumal am Berliner Hofe lebhafte Bewunderung erregte, von dem alten Hans Gagern aber mit dem treffenden Vorwurfe abgefertigt wurde: „ Es kom - men uns, vorzüglich aus dem Norden, allerlei ſophiſtiſche myſtiſche Be - hauptungen zu, die wie die Nebel von den Sonnenſtrahlen des natürlichen Verſtandes zerſtreut werden. “ Deutlich war in den verſchwommenen Sätzen nur das Eine, daß der fürſtliche Verfaſſer die ganze neue Geſchichte des deutſchen Südens für eine große Verirrung anſah und ihr die preußi - ſchen Provinzialſtände als lichtes Gegenbild entgegenhielt. Ebenſo un - friedlich geſtalteten ſich die wirthſchaftlichen Zuſtände. Kaum begann unter dem Schutze des Zollvereins die junge Großinduſtrie aufzublühen, ſo zeigte ſich auch ſchon die finſtere Schattenſeite der neuen Verhältniſſe; weithin durch die lange Kette der mitteldeutſchen Hungergebirge erklang der Jammerruf der Arbeiter; die grimme Noth ſtimmte die Maſſen em - pfänglich für communiſtiſche Träume.
Eine ſchwere ſociale Erſchütterung ſchien im Anzuge, und ſie drohte um ſo verheerender zu wirken, da auch das kirchliche Leben tief zerklüftet war. Derweil das römiſche Prieſterthum ſeit dem Kölniſchen Biſchofs - ſtreite ſeine Macht täglich wachſen ſah und der Glaubensernſt der wieder - erwachten evangeliſchen Frömmigkeit ſich in fruchtbaren Liebeswerken be - thätigte, verhöhnten die Kritiker der junghegelſchen Schule jede Form des Chriſtenthums; der Bodenſatz der alten Aufklärung wirbelte wieder empor, weite Kreiſe der Gebildeten vermochten noch gar nicht zu begreifen, daß es mit der Religion wieder Ernſt ward. Als ein Zeichen der Zeit er - ſchien am hundertſten Gedenktage der Thronbeſteigung die Jubelſchrift „ Friedrich der Große und ſeine Widerſacher “von dem jungen C. F. Köppen, ein geiſtreiches Buch, das die erhabene Sittlichkeit des ſchaffenden und wiſſenden Heros wider die moraliſchen Splitterrichter ſiegreich vertheidigte, aber auch die katholiſchen Wölfe im Schafskleide, die proteſtantiſchen Schafe im Wolfskleide, die aus allen Pfützen quakenden glaubensſeligen Fröſche mit ätzendem Hohne überſchüttete. Die reiche Gedankenarbeit dreier Genera - tionen, welche die Herrſchaft der Ideen Voltaire’s in Deutſchland gebrochen hatte, ſchien für dieſe radicale Jugend gar nicht vorhanden zu ſein. Und welche Gegenſätze endlich in der Literatur. Neben der ſtrengen Forſchung der hiſtoriſchen und der Naturwiſſenſchaft trieb eine freche und flache Tages - ſchriftſtellerei ihr Weſen, durch und durch tendenziös, in Vers und Proſa alle überlieferte Ordnung verſpottend, immer nur auf den flüchtigen Er - folg des Augenblicks bedacht.
Deutſchland war in einem Zuſtande bedenklicher Gährung, und einer6V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.der wenigen Franzoſen, welche den Schickſalen des Nachbarlandes mit Ver - ſtändniß folgten, Saint-René-Taillandier, meinte beſorgt: ſolche Anarchie der Geiſter erinnere an die Zuſtände Frankreichs vor der Revolution. Aber in den deutſchen Wirren offenbarte ſich nicht wie einſt in Frank - reich die Fäulniß einer ſittlich zerſetzten Geſellſchaft, ſondern der unklare Jünglingsmuth eines edlen aufſtrebenden Volkes, das ſeine Kraft zu fühlen begann. Wie leicht eine große Idee alle dieſe hadernden Köpfe unter einen Hut zwingen, alle dieſe durch einander fluthenden Gedanken, von denen keiner die Nation ganz beherrſchte, völlig überſchatten konnte, das lehrte jener wunderbare Einmuth kriegeriſcher Begeiſterung, der die Deutſchen ergriff als ſie ihre Weſtmark gefährdet ſahen. Wenn der Nach - folger Friedrich Wilhelm’s III. durch freien königlichen Entſchluß, wie bis - her noch alle die großen Wendungen unſerer Geſchichte ſich entſchieden hatten, durch eine rechtzeitige weiſe Gewährung ſeine heimiſchen Verfaſſungs - händel ſchlichtete, wenn er alſo zugleich das Anſehen ſeiner Krone ſtärkte und die Kluft überbrückte, welche ſein Preußen von den kleinen deutſchen Staaten abſchied, wenn er das edle Vermächtniß der Befreiungskriege, das erſtarkte religiöſe Leben treu behütete, ohne die freie Forſchung von ſich zu ſtoßen, dann durfte er wagen die fridericianiſchen Gedanken in einem großen und freien Sinne wieder aufzunehmen, das Werk des Zoll - vereins zu vollenden und mit dem Degen in der Hand für den Staat, der das Arbeitsleben der Nation bereits beherrſchte, auch die Leitung der deutſchen Politik zu fordern. —
Selten hat ſich ſo fühlbar die alte Wahrheit beſtätigt, daß Männer den Lauf der Zeiten beherrſchen. Friedrich Wilhelm der Vierte blieb acht Jahre hindurch der Mann des Schickſals für Deutſchland; die Kräfte, die er weckte, und weit mehr noch die Gegenkräfte, die er wider ſich auf - rief, trieben unſer Volk der Revolution entgegen. Aber ſelten auch ward ſo anſchaulich, daß die Zeit ſich ihre Männer bildet. Der räthſelhafte Charakter des neuen Königs war ſelbſt nur eine letzte feine Blüthe der langen, kaum erſt überwundenen Epoche äſthetiſcher Ueberſchwänglichkeit; erſt den thatkräftigeren Söhnen eines anderen abgehärteten Geſchlechts, das die Gräuel der Revolution durch die Gaſſen hatte raſen ſehen, ſollte gelingen was dieſen weichen Händen mißrathen mußte. Eine ſo eigen - artige Anſicht von der Vollgewalt des Königthums, wie dieſer Fürſt ſie in begeiſtertem Herzen hegte, hatte mit der frivolen Selbſtvergötterung der Bourbonen, mit der gedankenloſen Ruheſeligkeit der Wiener Hofburg gar nichts, mit der pfäffiſchen Königskunſt der Stuarts auch nur wenig ge - mein; ſie konnte, gleich dem künſtleriſchen Abſolutismus König Ludwig’s von Baiern, nur auf deutſchem Boden erwachſen, nur auf dem Boden jener romantiſchen Weltanſchauung, welche in der ſchrankenloſen Entfal - tung aller Gaben, in der Selbſtgewißheit und dem Selbſtgenuſſe des ſtolzen Ichs ihr Ideal fand. In der gedrückten und beengten Zeit rief7Friedrich Wilhelm’s Anſchauung vom Königthum.Jedermann nach Freiheit, Niemand lauter als der neue König. Aber vor Allen wollte er ſelber frei ſein, um auf den Höhen des Lebens ſich aus - zuleben, die Fülle ſeiner königlichen Weisheit und Geſtaltungskraft zu be - thätigen. Er glaubte an eine geheimnißvolle Erleuchtung, die den Königen vor allen anderen Sterblichen durch Gottes Gnade beſchieden ſei; er hegte ein warmes Zutrauen zu den Menſchen und meinte die Zeit zu verſtehen, weil er allem Schönen und Großen was ſie bot mit feinſinniger Empfäng - lichkeit gefolgt war. Darum dachte er kraft ſeiner königlichen Vollgewalt ſeinem geliebten Volke mehr wahre Freiheit zu ſchenken als jemals eine geſchriebene Verfaſſung gewähren könne.
Friedrich Wilhelm hatte das fünfundvierzigſte Lebensjahr faſt erreicht, und ſeine gedunſene Geſtalt mit den geiſtreichen, aber ſchlaffen, bartloſen Ge - ſichtszügen erſchien trotz der jugendlich unruhigen Bewegungen ſchon etwas gealtert. Wie viel hatte er auch ſchon erlebt in dieſen langen Jahren des Wartens, welche Huldigungen waren ihm zu Theil geworden von jenen fernen Tagen an, da die alte Albertina den dreizehnjährigen Knaben zu ihrem Rector erwählte, und am letzten Geburtstage ſeiner Mutter „ des Vater - landes blühende Hoffnung “durch eine Denkmünze geehrt wurde, bis herab zu den ſpäteren Zeiten, da Goethe weiſſagte, dies große Talent müſſe neue Talente wecken, und Jedermann die Geiſteshoheit des Kronprinzen bewunderte. Seit Langem ſchon führte er den Vorſitz im Staatsrathe wie im Miniſterium und glaubte daher das geſammte Getriebe des Staats zu überſehen. Sein Vater ſorgte jedoch mit ſeinem ſchlichten Menſchenverſtande dafür, daß dieſe einem Thronfolger wenig angemeſſene glänzende Stellung nicht zu einer Mitregentſchaft entartete. Der alte König war in ſeinem Hauſe weit mehr der Herr als im Staate; ſeine Kinder blickten zu ihm alle empor mit jener ſcheuen Ehrfurcht, welche ernſte, wortkarge Väter ſelbſt begabteren Söhnen einzuflößen wiſſen. Der politiſche Einfluß des Kronprinzen reichte nicht ſehr weit. Einzelnen Perſonen, zumal rechtgläubigen Geiſtlichen konnte er wohl durch ſeine Fürſprache vorwärts helfen; auch die wenig erheblichen Verhandlungen mit den Provinzialſtänden blieben faſt ausſchließ - lich ſeiner Leitung überlaſſen. Aber alle entſcheidenden Beſchlüſſe faßte der alte Herr ſo ganz nach eigenem Ermeſſen, daß der Thronfolger ſeine Ohnmacht bald ſehr ſchmerzlich empfand und einen ſtillen, beſtändig wach - ſenden Groll gegen das alte Regiment faßte.
Er haßte nicht nur die bureaukratiſche Formenſtrenge, die er als „ Diener-Anmaßung “abzufertigen liebte, ohne ihre großen Vorzüge zu würdigen; er verabſcheute noch mehr den ganzen Geiſt dieſer Regierung, der ihm von der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts nur wenig abzuweichen ſchien. Wenn er als Kronprinz in Charlottenhof dicht unter dem Hügel von Sansſouci weilte, in der roſenumrankten Villa, die ihm der Vater geſchenkt und Schinkel mit italieniſcher Anmuth ausgeſchmückt hatte, dann verglichen die Gäſte zuweilen in erregten Geſprächen Ver -8V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.gangenheit und Zukunft. Das aufſtrebende junge Geſchlecht meinte der alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemüthstiefe, die Ironie der Romantik weit überlegen zu ſein. Friedrich Wilhelm’s Herzens - freund Prinz Johann von Sachſen beſang in feierlichen Trochäen die kalte Marmorpracht der Königsſäle da droben:
und ſchilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit ſeiner jugendlichen Fröhlichkeit:
Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſchlug der neue König ſelbſt in dem Schloſſe des großen Friedrich ſein Hoflager auf, was keiner ſeiner beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver - gleichungen erſchreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten male von dieſem „ hiſtoriſchen Hügel “herab ein neuer Geiſt ſich über das Land ergießen würde, ein anderer freilich als der fridericianiſche, der Geiſt des chriſtlichen Staates. In ernſter Arbeit und ſchweren Seelenkämpfen hatte er die rationaliſtiſchen Lehren ſeiner Jugenderzieher längſt über - wunden und den Glauben als die höchſte Potenz der Vernunft begriffen. Unauslöſchlich ſtand in ſeinem Herzen der Spruch des heiligen Auguſtin: das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Daſein gegeben, und ich war unter ihm weil es mich erſchaffen hat. Daraus ergab ſich ihm „ der unausſprechliche Unterſchied des Schöpfers und Geſchöpfes, daher auch der Wahnſinn, die Gottheit aus dem eigenen Weſen, als einem Analogon der Gottheit!!! zu conſtruiren. “ *)Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunſen’s Abhandlung über Eherecht, Staat und Kirche.Nichts war ihm darum haſſenswürdiger, als „ die Drachenſaat des Hegel’ſchen Pantheismus “; tiefſinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeitalter nicht bloß als eine Entwicklungsſtufe für die Zukunft etwas bedeutet, ſon - dern ſeinen ſelbſtändigen Werth, ſeine eigene Beziehung zu Gott hat. Die neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, ſollte mit der Erbſchaft der alten Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit, die fleiſchliche Freiheit durch die chriſtliche, den mechaniſchen durch den chriſt - lichen Staat überwinden.
Eine Welt herrlicher Pläne hatte er ſich mit künſtleriſcher Phantaſie ſchon ausgeſonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn ſein liebe - volles Gemüth, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück - liche Geſichter um ſich ſehen wollte, ſie alle zu verwirklichen. Er dachte die provinzialſtändiſche Verfaſſung durch die Einberufung eines ſtändiſch gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene9Friedrich Wilhelm’s Pläne.Conſtitution; denn obwohl er allen politiſchen Theorien ſeine Verachtung auszuſprechen liebte, ſo war er doch ſelbſt ganz durchdrungen von einer unwandelbaren politiſchen Doctrin. Jener künſtliche Gegenſatz des revo - lutionären Repräſentativſyſtems und des legitimen Ständeweſens, welchen Gentz einſt in der Karlsbader Denkſchrift vom Jahre 1819 geſchildert hatte, erſchien ihm als eine unumſtößliche Wahrheit; wie die alte Natur - rechtslehre an ein abſtraktes, über allen poſitiven Geſetzen erhabenes Ver - nunftrecht glaubte, ſo er an ein hiſtoriſches Recht der Stände, das ohne Zuthun der Staatsgewalt entſtanden, auch von ihr nur anerkannt, nicht aufgehoben werden könne. Die Wahrheit, daß der rechtsbildende Gemeingeiſt der modernen Völker ſich am ſtärkſten in ihren Staatsgeſetzen bethätigt, ver - achtete er als eine Verirrung der hegelianiſchen Staatsvergötterer; von dieſer „ Staatsallmacht “ſollte ſeine chriſtliche Monarchie ſich allezeit fern halten. Haller’s Staatslehre feierte jetzt da ihr Urheber ſchon das ſiebzigſte Jahr überſchritten hatte, ihren höchſten Triumph, nur daß dieſe derbproſaiſche Machttheorie ſich in der Seele Friedrich Wilhelm’s zu einem reichgeſchmückten künſtleriſchen Bilde ausgeſtaltete: die Idee der Staatseinheit galt ihm gar nichts, genug wenn alle Stände und alle Landſchaften ſeines weiten Reichs ſich frei und farbenprächtig in ihrer hiſtoriſchen Eigenart entfalteten, auch die Wenden, auch die Litthauer, die Kaſſuben, die Maſuren ſich un - geſtört ihrer volksthümlichen Sprache und Sitte erfreuten.
Alle Härten des alten Syſtems dachte er zu mildern; alſo Verzeihung für die Demagogen, auch für die Polen, die er als widerrechtlich Unter - drückte bemitleidete; Freiheit für die Preſſe, und vornehmlich für die Kirche. Den Groll der Katholiken über den Kölniſchen Biſchofsſtreit hoffte er durch hochherzige Zugeſtändniſſe zu verſöhnen. Die evangeliſche Landeskirche aber und die oberſtbiſchöfliche Gewalt des Königthums betrachtete er kaum als zu Recht beſtehend: wenn der Proteſtantismus nur erſt alle ungläu - bigen Elemente ausgeſtoßen hätte, dann ſollten ſich die Gemeinden der Gläubigen aus eigener Kraft, ungeſtört von der Staatsgewalt, ihre Kirche neu erbauen, und alſo die unſichtbare Kirche ſichtbar werden. Auch die knappe Sparſamkeit des alten Regiments betrachtete er längſt mit Un - willen: um eine prächtige, geſchmackvolle, des hohenzollerſchen Namens würdige Hofhaltung hoffte er Alles zu verſammeln was Deutſchlands Kunſt und Wiſſenſchaft an großen Namen beſaß. Schon als Kronprinz hatte er den Ausbau der Marienburg und des Kölner Domes gefördert, zu Caſtel auf der Felsplatte hoch über der Saar die Gruftkirche ſeiner lützelburgiſchen Ahnen, auf Stolzenfels das Rheinſchloß der trieriſchen Kurfürſten ſtattlich hergeſtellt, auf Stahleck die Pfalzgrafenburg der Altvordern ſeiner Gemahlin wieder zugänglich gemacht; jetzt ſollten über - all die halbzertrümmerten Bauten der deutſchen Vorfahren prächtig auf - erſtehen und zugleich den ſchöpferiſchen Talenten des jungen Künſtler - geſchlechts eine Fülle neuer Aufgaben geſtellt werden. Jeder friſchen Kraft10V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.des vaterländiſchen Lebens wollte der chriſtliche Monarch ſorgſam gerecht werden: dem Handel, dem Gewerbfleiß, dem Verkehre und nicht zuletzt den arbeitenden Maſſen, deren wachſende Macht er ſchon als Kronprinz, früher als die meiſten Zeitgenoſſen, ſcharfſichtig würdigte.
Von der überlieferten auswärtigen Politik war er nicht gemeint ſich gänzlich loszuſagen; er betrachtete den Bund der Oſtmächte als den Schutz - wall wider die Revolution, ſeine alte Verehrung für Metternich’s Weis - heit hatte ſich mit den Jahren nur geſteigert, und gegen den ruſſiſchen Schwager zeigte er ſich ſchwächer als ſein Vorgänger. Der alte Herr hatte „ den lieben Niks “wie einen Sohn geliebt, aber ihn in ſeiner ſtillen Weiſe immer in Schranken gehalten. Dem neuen Könige war die Härte des Czaren tief zuwider, und vor Vertrauten äußerte er ſich oft ſehr bitter über „ Seine Autokratiſche Majeſtät “, doch er empfand vor ihm jene geheime Furcht, welche der überlegene Wille dem überlegenen Geiſte aufzwingt. Dabei fühlte er doch ſehr lebhaft, daß ſeine innere Politik weder mit dem gemüthlichen Seelenſchlafe des alten Oeſterreichs, noch mit der knechti - ſchen Stille des Czarenreichs irgend etwas gemein haben durfte, und erſehnte die Zeit, da England wieder in den alten Vierbund eintreten, Preußen aber, geſtärkt durch ein engeres Bündniß der beiden proteſtan - tiſchen Großmächte, etwas freiere Hand in Europa erhalten würde. Dieſem ſtammverwandten Inſelvolke widmete er ſeit einigen Jahren eine feurige durch Bunſen’s enthuſiaſtiſche Briefe beſtändig geſchürte Bewunderung. Mit Freuden nahm er wahr, wie die Anglomanie ſeit dem Ende der dreißiger Jahre überall in Mitteleuropa, bis nach Ungarn hinein, unter dem Adel überhandnahm, Trachten und Sitten der engliſchen Sportsmen von der vornehmen Welt eifrig nachgeahmt wurden. Er ſah in der briti - ſchen Verfaſſung das Muſterbild jener organiſchen Entwicklung, die er, in anderen Formen freilich, für ſeinen eigenen Staat erhoffte, und theilte die unter dem liberalen Adel wie im Bürgerthum weit verbreitete Mei - nung, daß England unſer natürlicher Bundesgenoſſe ſei. Immerhin hatte er ſchon mehr politiſche Erfahrung geſammelt als die freiwilligen Staatsmänner des Liberalismus und erkannte wohl, daß die Verbindungen der Staaten nicht allein durch ihre innere Verwandtſchaft beſtimmt wer - den; nur wenn der alte Oſtbund unerſchütterlich fortbeſtehe, hielt er das engere Bündniß der zwei proteſtantiſchen Mächte für möglich.
Noch lebhafter beſchäftigte ihn Preußens deutſche Politik. Er rechnete nicht auf ein langes Leben und ſagte bald nach ſeiner Thronbeſteigung: ob dieſe kurze Regierung ruhmreich werde, das wiſſe er nicht, aber einen deutſchen Charakter ſolle ſie tragen. Da er „ die Vorurtheile “des fride - ricianiſchen Zeitalters verachtete und dem alten Kaiſerhauſe neidlos den Vortritt überließ, ſo hielt er den Deutſchen Bund mitſammt der fried - lichen Zweiherrſchaft für eine höchſt ſegensreiche Einrichtung, und ſein Ehrgeiz ging nur dahin, daß Preußen dieſe trefflichen Inſtitutionen be -11Europäiſche und deutſche Politik.leben, dem Bunde die wirkſame Leitung des Heerweſens, der Verkehrs - verhältniſſe, der Handelspolitik verſchaffen müſſe. Wie die erweiterte Bundesgewalt ſich mit dem Zollvereine vertragen ſollte, der doch ohne und gegen den Bund entſtanden war — ſolche Fragen legte er ſich kaum vor; denn ſein preußiſches Staatsgefühl blieb allezeit ſchwächer als die unbeſtimmte Begeiſterung für Deutſchlands Einigkeit, und der Gedanke, im Kampfe mit Oeſterreich die Führung der Nation für Preußen zu fordern, lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes. Unter allen hohen - zollerſchen Königen war er der friedfertigſte, friedfertiger noch als ſein Vater und darum auch der einzige, der nie einen ernſten Krieg geführt hat. Auf eines ſeiner Muſeen ließ er den alten Cäſarenſpruch ſetzen: Melius bene imperare quam imperia ampliare — ein Wort, das dem Beherrſcher eines Weltreiches wohl anſtand, doch wahrlich nicht dem Könige eines jungen, unfertigen Staates mit lächerlichen Grenzen. Er war kein Mann des Degens; nur ungern beſtieg der Kurzſichtige ein Roß, und wenngleich er bei den Manövern die Offiziere oft durch ſeine ſcharfſin - nigen kritiſchen Bemerkungen überraſchte, ſo fühlten ſie doch alle, daß er dieſe kriegeriſchen Pflichten nur aus Gewiſſenhaftigkeit, ohne Freude er - füllte. Sein Herz hing an dem Glücke des Friedens. Alle die fried - lichen Segnungen aber, welche ſein Volk unter der chriſtlich-ſtändiſchen Monarchie zu erwarten hatte, ſollten allein ausgehen von der Weisheit der Krone; denn wie ein Patriarch des Alten Teſtaments verſtand er ſeine Würde, recht eigentlich als eine väterliche von Gott ſelbſt zur Erziehung der Völker eingeſetzte Gewalt erſchien ihm das Königthum. Auf die Perſon des Monarchen bezog er Alles was im Staate geſchah. Der höchſte Zweck der freien Preſſe war ihm „ das Aufdecken von Miß - bräuchen und Unbilden, von denen Ich auf keinem anderen Wege unter - richtet werden dürfte “;*)Marginalnote, 7. Juni 1843. und wenn er ſeinen Unterthanen zürnte, dann ſagte er drohend: „ ungezogene Kinder zur rechten Zeit die Ruthe fühlen zu laſſen iſt ſchon durch Salomon und Sirach empfohlen. “**)Marginalnote, 10. Juni 1847.
Wenn ſich nur unter allen dieſen vielverheißenden Plänen des Thron - folgers ein einziger völlig ausgereifter, ſtaatsmänniſch durchdachter Ent - wurf befunden hätte! Indeß jene leidenſchaftliche Luſt am Erfolge, ſelbſt am verkümmerten Erfolge, welche den Mann der That bezeichnet, war ihm völlig fremd. Er liebte an der Fülle ſeiner Gedanken wie an einem künſtleriſchen Spiele ſich zu weiden, und in den langen Jahren des Harrens verlernte er faſt zu fragen, wie alle dieſe Herrlichkeit ins Leben treten ſolle. Sogar den Plan der Befreiung der evangeliſchen Kirche, der ihm unter allen das Herz am ſtärkſten bewegte, dachte er nur ſieben Jahre lang mit ganzem Ernſt zu fördern; zeige ſich dann der Widerſtand12V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.unüberwindlich, ſo wollte er das Buch zuſchlagen. So ſprach nicht ein geborener Herrſcher, ſondern ein phantaſiereicher Kopf, der ſich den Ein - drücken des Lebens mehr hingab als ſie ſelbſt beſtimmte, eine weiche Natur, die im Vertrauen auf Gott und die Menſchen allezeit hoffte, die Dinge würden nach ihren Wünſchen gehen und dann das Mißlingen nicht der eigenen Schwäche, ſondern dem unerforſchlichen Rathſchluſſe der Vor - ſehung zuſchrieb. Auf ſeinem Schreibtiſch in Sansſouci ſtanden neben einander die Statuetten der Venus von Melos, des frommen Gellert, des Czaren Nikolaus, beredte Zeugen einer wunderbaren Empfänglichkeit, die in Kunſt und Wiſſenſchaft, in Staat und Kirche alles Bedeutende zu verſtehen ſuchte, ohne irgendwo ganz heimiſch zu werden.
Im Geſpräche mit den Helden des deutſchen Geiſtes zeigte er eine ſo blendende Ueberlegenheit, daß Leopold Ranke ſtaunend ſagte: er iſt unſer Aller Meiſter. Und doch war er kein Meiſter, ſondern nur der größte aller jener geiſtreichen Dilettanten, an denen die vielgeſtaltige moderne Cultur ſo reich iſt. Auf keinem der unzähligen Gebiete des geiſtigen Lebens, die ſein ruheloſer Geiſt zu umfaſſen ſtrebte, zeigte er ſich wahrhaft mächtig, wahrhaft ſchöpferiſch, am wenigſten in ſeinem poli - tiſchen Berufe. In ſpäteren Jahren wetterte einmal ein klagender Bauer, der von dem Monarchen an den Staat gewieſen wurde, über dieſen „ Racker von Staat “, und der König pflegte dies geflügelte Wort halb im Scherz zu wiederholen. In ſeinem Munde war es leider mehr als ein Scherzwort; die unerbittliche Regelmäßigkeit der Staatsgeſchäfte widerte ihn ebenſo tief an wie die Härte der politiſchen Machtkämpfe, obgleich er die Arbeiten ſeines königlichen Amts mit gewiſſenhaftem Fleiße, bis in die tiefe Nacht hinein beſorgte. Immer athmete er auf ſobald er ſich aus dieſer Welt der Nüchternheit in ſein eigenes reiches Ich zurückziehen konnte, und nie war er glücklicher, als wenn er, berauſchend und berauſcht, die Fluth ſeiner Gedanken und Gefühle in begeiſterter Rede ausſtrömen ließ. „ Es ließ mir keine Ruh’, ich mußte reden, “ſo ſagte er dann, durchaus ehr - lich, zu ſeinen Freunden. *)K. Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846 u. ſ. w.Nur die ihn nicht kannten, beſchuldigten ihn einer ſchauſpielernden Berechnung, welche ſeinem Charakter fern lag. Sein volles Herz auszuſchütten, an der Pracht hoher Bilder, an dem Wohl - laut der heißgeliebten, mit Meiſterhand gepflegten Mutterſprache ſich zu erfreuen war ihm Bedürfniß. Die Wirkung dieſer geſprochenen Selbſt - bekenntniſſe ſtellte er dem barmherzigen Himmel anheim, ganz anders als ſein Ahnherr Friedrich, der, auch ein geborener Redner, immer zum Zwecke ſprach, jeden Satz auf den Willen der Hörer berechnend, und nie ver - gaß, daß Königsworte nur wenn ſie Thaten ſind in der Nachwelt fort - leben. Jenen unbewußten Schauſpielerkünſten freilich, welche jedem be - gabten Redner nahe liegen, unterlag er oftmals; wenn er an froher13Selbſtherrſchaft des Königs.Tafelrunde in allen Augen den Abglanz ſeiner eigenen ſiegreichen Per - ſönlichkeit widerſtrahlen ſah, dann ſagte er oft mehr als in ſeinem Willen lag.
Und ſeltſam, während ſonſt Naturen von ſo vielſeitiger Empfänglich - keit ſich Anderen anzuſchmiegen pflegen, ſtand Friedrich Wilhelm ganz auf eigenen Füßen. Hier lag das Räthſel dieſes ſeltſamen Charakters, hier der Grund, warum er ſelbſt von großen Köpfen ſo oft überſchätzt wurde. In ſorgloſer Heiterkeit, ganz unanthunlich, wie die Holländer ſagen, ſchritt er durch das Leben; kraft der Weihe ſeines königlichen Amtes, kraft ſeiner perſönlichen Begabung glaubte er alle Welt weit zu überſehen, und es gefiel ihm zuweilen, ſeine Abſichten in ein ahnungsvolles Dunkel zu hüllen, durch halbe, unklare Worte die kleinen Sterblichen in Verwirrung zu ſetzen. Ohne durchgreifende Willenskraft, ohne praktiſchen Verſtand, blieb er doch ein Selbſtherrſcher im vollen Sinne. Niemand beherrſchte ihn; aller Glanz und alle Schmach ſeiner Regierung fiel auf ihn ſelbſt allein zurück. Auf den Widerſpruch ſeiner Räthe ließ er wohl einen Lieblings - plan plötzlich fallen, und dann ſchien es eine Weile, als ob die Gedanken in dieſem unruhigen Kopfe wechſelten wie die Bilder im Wandelglaſe — bis ſich endlich mit einem male zeigte, daß der König an ſeinem urſprüng - lichen Plane mit einer ſeltſamen ſtillen Zähigkeit feſtgehalten hatte und, trotz Allem was dazwiſchen lag, zu ihm zurückkehrte. Er gab nichts auf und ſetzte wenig durch. Neigungen des Gemüths und fertige Doctrinen beſtimmten ſeine Entſchlüſſe; Gründe der politiſchen Zweckmäßigkeit konnten dawider nicht aufkommen.
Und dieſe Unabhängigkeit von fremdem Urtheile war ein Glück für den Monarchen; denn aller Menſchenkenntniß baar zeigte er eine höchſt unglückliche Hand in der Wahl ſeiner Rathgeber, eine wunderliche Nei - gung, bedeutende Männer an die falſche Stelle zu ſetzen oder ſie durch unmögliche Zumuthungen raſch zu vernutzen, ſo daß, außer den beiden perſönlichen Vertrauten Thile und Stolberg, nur ein einziger ſeiner Mi - niſter, Eichhorn, die acht Jahre bis zur Märzrevolution ganz bei ihm ausgehalten hat. In Allem abweichend von der unzugänglichen Schüch - ternheit des Vaters, liebte er Jedermanns Meinung zu befragen; in der Unterhaltung hörte er freimüthigen Widerſpruch gern, ja er ſchien ihn durch kecke Behauptungen faſt herauszufordern. Den Freunden betheuerte er ſeine Zuneigung mit einer Ueberſchwänglichkeit, die ihn oft in den Verdacht der Falſchheit brachte, obwohl ſie ſtets der unwillkürliche Aus - druck ſeiner Stimmung war. Feinſinnig errieth er alle Wünſche ſeiner Getreuen und erfüllte ſie mit königlicher Freigebigkeit, zart und rückſichts - voll ſchonte er ihre menſchlichen Schwächen. Wenn er gewinnen wollte, dann entfaltete er eine bezaubernde Liebenswürdigkeit und verſchmähte ſelbſt die kleinen weiblichen Künſte des Schmollens nicht. Gleichwohl fühlte er ſich durch ſeine königliche Würde ſo hoch erhoben, daß ihm die14V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Perſonen im Grunde wenig galten. Mit erſtaunlicher Kälte konnte er ſich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn ſie ihre abweichende Mei - nung öffentlich kundgaben und ihm ſeine Zirkel ſtörten. In jedem er - klärten politiſchen Gegner ſah er einen perſönlichen Feind, und nach der Weiſe aller Gemüthsmenſchen behandelte er dann die entfremdeten Freunde ebenſo hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er es oft als ſeinen heißeſten Herzenswunſch ausſprach gegen Jedermann ſtreng gerecht zu ſein.
Nicht bloß ſeine äußere Erſcheinung, auch ſein edel aber unglücklich angelegter Geiſt gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war er an ſchönen, hohen Gedanken, und doch ſo unſicher in ſeinen Ent - ſchlüſſen, daß ſeine Miniſter beim Schluſſe einer Sitzung nie errathen konnten, ob er noch dieſelbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeiſterten Herzens, ſeine milde Hand ſchwelgte in den Werken einer jeden Schein verſchmähenden chriſtlichen Barmherzigkeit; und dieſer Gütige konnte, wenn der Jähzorn ihn übermannte, ſich bis zur Grauſamkeit verfolgungsſüchtig zeigen. Selber ſittenſtreng urtheilte er hart, faſt prüde über lockeren Lebenswandel; das ſchloß nicht aus, daß er an ſaftigen Eulenſpiegeleien und Berliner Straßen - witzen ſeine Freude fand. Wie groß war ſein Wiſſen und ſein Wiſſens - drang; aber die reinſte Blüthe aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens und Denkens blieb ihm unverſtändlich und unerreichbar; überall ſuchte er das Abſonderliche, weitab von der Heerſtraße; immer mußte er witzig und geiſtreich ſein, ſelbſt wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er - folg eines politiſchen Geſchäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes und der Seele, welche allein ſo viele widerſprechende Gaben im Einklang halten konnte, war ihm verſagt, und zuweilen ließen ſich ſchon die Spuren einer ſchlechthin krankhaften Anlage erkennen.
Der alte König hatte immer, oft allzu ängſtlich, die Gegenſätze zu beſchwichtigen verſucht, immer gehandelt nach dem alten Grundſatze, daß die erſte Pflicht jeder Regierung gebietet beſtimmte politiſche Ueberliefe - rungen feſtzuhalten; zuletzt, in den Tagen ſeines erſtarrenden Alters, war es dahin gekommen, daß Miniſter Alvensleben beruhigt ſagte: wir kennen die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unſere Berichte ſtets alſo abfaſſen, daß wir der Genehmigung ſicher ſind. *)Nach Kühne’s Aufzeichnungen.Wie anders der neue Herrſcher. Er beabſichtigte ebenfalls die Traditionen ſeiner alten Monarchie in Ehren zu halten; doch durch ſeine vielverheißenden Reden, durch die Fülle ſeiner Pläne, durch ſein unſtet abſpringendes Weſen, durch das beſtändige Ausſprechen perſönlicher Gefühle wirkte er überall ſo aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenſchaften ſein ruhiges Land durchtobte und er ſelbſt dem Schickſal des Zauberlehrlings15Friedrich Wilhelm’s Verhältniß zu ſeiner Zeit.verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller Verhältniſſe, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königthums die ganze Lage veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander irgend verſtanden hätten! Er aber hatte ſich in einem ſeltſam verſchlun - genen Entwicklungsgange ſo eigenthümliche Ideale gebildet, daß er zu - weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchſchnitts - meinung der Zeitgenoſſen übereinſtimmen konnte; er redete eine andere Sprache als ſein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunſche aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Syſtems ein Ende bereitete, und auch durch die Form ſeiner Reden ſchien er zu beweiſen, daß Niemand ſich völlig von ſeiner Zeit losſagen kann; denn ganz wie die Poeten des jungen Deutſchlands, die er ſo tief verabſcheute, liebte er durch das Ungewöhnliche zu blenden und verſchmähte Schlichtes ſchlicht zu ſagen. Doch wenn er von Freiheit ſprach, ſo meinte er ſein althiſtoriſches Stände - weſen, das nur die Macht des Beamtenthums, nimmermehr die monar - chiſche Gewalt beſchränken ſollte, während ſeine Zuhörer an das Reprä - ſentativſyſtem dachten, das man allmählich für die einzige eines geſitteten Volkes würdige Staatsform anſah. Wenn er die deutſche Einheit pries, ſo dachte er an den Deutſchen Bund und deſſen friedliche Fortbildung, der - weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon längſt als einen geſpenſtiſchen Mummenſchanz verurtheilten. Wenn er von der Selbſtändigkeit der Kirchen redete, ſo ſtimmte ihm Jedermann zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerſtehen? — aber die chriſtliche Geſinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen verlangte, war den Wortführern des Zeitgeiſtes völlig fremd, und alle die edlen Stiftungen ſeiner großartigen Wohlthätigkeit, die von ihren Pfleg - lingen noch heute dankbar geſegnet werden, galten der Welt für Fröm - melei und Muckerei. Wenn er der Kunſt und Wiſſenſchaft freie Bahn verſprach, ſo dachte er an die alte Naturphiloſophie und die romantiſche Dichtung, geiſtige Mächte, welche das ſelbſtgefällige neue Geſchlecht längſt überwunden zu haben glaubte.
So ward die erſte Zeit ſeiner Regierung eine lange Kette von Miß - verſtändniſſen, und an dieſer wechſelſeitigen Verkennung trug der König ebenſo viel Schuld wie die unklar gährende Zeitſtimmung, die ihn erſt für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent - täuſchung zu bekämpfen. Selbſt General Gerlach, der getreue Freund und Diener, ſagte zuweilen: „ die Wege des Herrn ſind wunderbar, “und der nicht minder ergebene Bunſen ſchrieb neben die Klage des Königs: „ Niemand verſteht mich, Niemand begreift mich “die verzweifelte Rand - bemerkung: „ Wenn man ihn verſtände, wie könnte man ihn begreifen! “ Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie ſein ebenſo phantaſiereicher bairi - ſcher Schwager, durch despotiſche Härte und durchtriebene Schlauheit ſich16V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.aus ſelbſtverſchuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb ſich auf in unfruchtbaren Verſuchen, bis die Geſchichte über ihn hinwegſchritt. Weder zum herzhaften Genuſſe, noch zu herzhafter That beſaß er die Kraft, und obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, ſo fühlte er ſich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, dieſem ſtillen Leiden eines hochbegabten Geiſtes menſchliche Theilnahme zu zollen. Der von dem Berufe der Könige von Gottes Gnaden ſo überſchwänglich hoch dachte, mußte noch erleben, daß ſein Regiment den Glauben an das Königthum in einem altmonarchiſchen Volke tief, zum Glück nicht für immer, erſchütterte. Es war, als wollte die Vorſehung dieſem überbildeten und den Werth der Bildung maßlos überſchätzenden Geſchlechte an einem tragiſchen Beiſpiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats - lebens Geiſt, Wiſſen, Edelſinn, Herzensgüte vermögen ohne die ſchlichte Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte erſcheint dieſe tief unglückliche Regierung doch als eine nothwendige, heilſame Schickung; denn unter einem ſtärkeren Könige wäre der unvermeidliche Uebergang der ſtolzen preußiſchen Monarchie zur conſtitutionellen Staatsform ſchwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. —
Das Schickſal fügte, daß faſt zu gleicher Zeit mehrere der wichtigſten Staatsämter durch Todesfälle erledigt wurden. Wenige Wochen vor dem alten Könige war Altenſtein geſtorben, ſchon etwas früher ſein frommer Rathgeber Nicolovius. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, ſtarb der treue Stägemann, der ſo lange in allen vertraulichen Angelegenheiten die Feder für den Monarchen geführt hatte. Schinkel wurde in der Kraft ſeiner Jahre von einer ſchrecklichen Krankheit ergriffen, die ſeinen Geiſt um - nachtete und ihn bald dahinraffen ſollte. Den Tod des Grafen Lottum und des Kriegsminiſters General Rauch erwartete man binnen Kurzem; Beide fühlten ſich altersmüde. Der ebenfalls hochbejahrte Fürſt Wittgen - ſtein hielt ſich gefliſſentlich von den Geſchäften zurück und äußerte bitter, mit dieſer verwandelten Welt wolle er nichts mehr gemein haben. So ward denn überall Raum für friſche Kräfte, und aufjubelnd ſchrieb Peter Cornelius: „ es naht eine Feſt - und Frühlingszeit für ganz Deutſchland! “ Deutſchland hatte aber in dieſem Vierteljahrhundert erſtaunlich raſch ge - lebt, und durch die lange Regierungszeit des alten Königs wurde die natürliche Folge der Generationen verſchoben. Die neuen Männer, welche jetzt in die Höhe kamen, gehörten nicht der Jugend an; ſie waren zu - meiſt, gleich ihrem königlichen Gönner, aufgewachſen unter den beſtimmen - den Eindrücken der Befreiungskriege, der Zeit der Reſtauration und der religiöſen Erweckung; manche von ihnen bewahrten auch noch die Frei - heitsideale der älteſten Burſchenſchaft treu im Herzen. Das allerjüngſte radicale Geſchlecht jedoch belächelte ſie ſchon als Reactionäre, ihre chriſtlich - germaniſchen Ideen erſchienen der neuen Aufklärung der Junghegelianer17Königin Eliſabeth.ſogar noch haſſenswürdiger als die trocken verſtändige Bureaukratie des alten Syſtems.
Unter Allen ſtand Königin Eliſabeth dem Herzen des Königs am nächſten. Ihr widmete er eine unbegrenzte Zärtlichkeit, faſt über das Maß hinaus, das einem Herrſcher erlaubt iſt. Als er ſich, von Thränen überſtrömt, ganz in Rührung zerfließend vom Todesbette ſeines Vaters erhob, ſagte er zu ihr: „ Jetzt ſtütze mich, Eliſe, nun bedarf ich der Kraft. “ Wenn er gepeinigt von der jeden Entſchluß erſchwerenden Ueberfülle ſeiner Gedanken, aufgeregt durch die Geſchäfte zu ihr heimkehrte, dann empfing ſie ihn immer gleich heiter, geiſtreich, liebevoll; nur wenn der Jähzorn ihn ganz aus der Faſſung brachte, ſchaute ſie ernſten Blicks im Zimmer um - her und ſprach: „ ich ſuche den König. “ Sein glückliches Haus ſuchte er ſich ſo gemüthlich einzurichten als es die Fürſtenſitte erlaubt; zum Weihnachts - markte ging das königliche Paar ſelbſt auf den Schloßplatz herunter, und am Sylveſterabend mußte der Nachtwächter ins Schloß kommen um mit ſeinem Horne das neue Jahr anzukündigen. Was der König ſeiner Ge - mahlin nur an den Augen abſehen konnte, that er mit Freuden. Hoch - herzig überwand ſie den ſtillen Kummer über die kinderloſe Ehe; ſie ließ es ſich nicht nehmen, ihren Neffen Friedrich Wilhelm, den vermuthlichen Thronfolger, ſelbſt über die Taufe zu halten und wurde dem Knaben eine zweite Mutter. Ihr höchſtes Glück aber fand ſie in unerſchöpflichem Wohl - thun; ſie half dem Gemahl bei den unzähligen Unternehmungen ſeiner chriſtlichen Milde und ſteuerte aus eigenen Mitteln ſehr große Summen, mindeſtens 60,000 Thaler jährlich bei; in allen den entlegenen Stadt - vierteln Berlins, wo die neu gegründeten Krankenhäuſer und Kinderbewahr - anſtalten ſich erhoben, kannte Jedermann den Wagen der Königin mit den vier Apfelſchimmeln. Trotzdem war ſie im Volke nicht beliebt. Die Katholiken des Weſtens verziehen ihr den Uebertritt nie; in den hartproteſtantiſchen alten Provinzen aber, zumal in Berlin, wo der Geiſt des Jeſuitenriechers Bieſter noch immer umging, erzählte man überall, ſogar in den Kreiſen der Hofdienerſchaft, mit der höchſten Beſtimmtheit, die Königin ſei im Herzen katholiſch geblieben und wolle ihren Gemahl zur römiſchen Kirche bekehren. Das Gerücht ward eine Macht, ſchädlich für das Anſehen des Königs, und entbehrte doch jedes Grundes. Aus freier Ueberzeugung, nach ernſtem Nachdenken war Eliſabeth einſt zum evangeliſchen Glauben übergetreten, und noch in ſpäten Jahren ſagte ſie dem Papſte Pius IX. mit ihrer gewohnten ſchönen Wahrhaftigkeit ins Geſicht: „ wenn man zum Gemahl einen ſolchen König hat, der das Evangelium vorlebt, dann wird man im evangeliſchen Glauben gewiß. “ Freilich trug ihre kirchliche Geſinnung eine romantiſche Färbung, welche der Freigeiſterei der Zeit verdächtig blieb; das Ideal der einen chriſtlichen Kirche ſtand ihr ſo hoch wie ihrem Ge - mahl. Die ſtreng legitimiſtiſchen Anſchauungen der baieriſchen Schweſtern verleugnete ſie nie; mit den Höfen von Wien, Dresden, München bliebv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 218V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.ſie in unabläſſigem Verkehre, und wenn ſie das Anſehen des Königthums gefährdet glaubte, dann konnte die leutſelige Fürſtin Manchem kalt und ſtolz erſcheinen; daher ſchrieb man ihr einen verderblichen politiſchen Ein - fluß zu, obwohl ſie während dieſer erſten Jahre ſich ſeltener als ſpäterhin mit Staatsgeſchäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politiſche Wirkſamkeit des Grafen Anton Stolberg, der anfangs neben dem Fürſten Wittgenſtein, nachher als deſſen beſtallter Nachfolger die Leitung des Hausminiſteriums übernahm. Er hatte ſchon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig - lich weſtphäliſchen Polizei glücklich überſtanden — Dank den treuen Harzern, die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeſchlechts immer zu verſtecken wußten — dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm, mit Gneiſenau und York als treuer Waffengefährte Freundſchaft ge - ſchloſſen. Dieſe Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er nach dem Frieden heimkehrte um ſeinen Vater bei der Regierung der Grafſchaft zu unterſtützen, ließ er ſogleich auf den Felſen des Ilſenſteins den gefallenen Freunden zu Ehren ein eiſernes Kreuz aufrichten. Erſt weit ſpäter trat er in den Verwaltungsdienſt und erwarb ſich als Prä - ſident in Düſſeldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene vornehme und doch ſchlicht menſchliche Liebenswürdigkeit, welche ſein edles Geſchlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als ſein po - litiſcher Sinn war ſein religiöſes Gefühl. Er ſchloß ſich früh den Krei - ſen der „ Erweckten “an, unterſtützte in Düſſeldorf die beiden Wohl - thäter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Paſtor Fliedner bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakoniſſen - vereins. Dieſe lautere, durchaus duldſame Frömmigkeit gewann ihm das Herz Friedrich Wilhelm’s. Alsbald nach dem Thronwechſel mußte „ Graf Anton “nach Charlottenhof überſiedeln, damit er dem Könige als ein getreuer Eckart immer zur Hand ſei bei jeder Gewiſſensfrage der Politik, und er entſprach dem Vertrauen durch freimüthige Offenheit. Aber, ſelbſt ein Gemüthsmenſch und darum trotz ſeiner natürlichen Milde zu - weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht das Gegengewicht zu halten; von ſeiner Geſchäftskenntniß und der Schärfe ſeines Verſtandes ſprach er ſelber ſehr beſcheiden. *)Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.Das religiöſe Leben ſeines Hauſes bewegte ſich in Formen, welche den proteſtantiſchen Ge - wohnheiten widerſprachen; wenn er allabendlich mit ſeinen frommen lieb - reichen Töchtern und dem geſammten Hausgeſinde auf den Knien lag, ſo waren im neuen Berlin nur Wenige duldſam genug um die ganz ungeheuchelte Inbrunſt ſolcher Andachtsübungen zu achten.
Dieſe kirchliche Strenge zeigte ſich noch ſchärfer ausgeprägt in der Geſinnung des Generals v. Thile, der fortan als Cabinetsminiſter, wie19Anton Stolberg. Thile.vordem Graf Lottum, die regelmäßigen politiſchen Vorträge hielt. Ein ernſter gläubiger Sinn, redlich und ohne Wortprunk war in der preußi - ſchen Armee von jeher heimiſch; faſt alle ihre berühmten Führer meinten mit dem alten Deſſauer: ein Soldat ohne Gottesfurcht iſt nur ein Matz; ſie thaten unbefangen ihre Pflicht und ſtellten das ungewiſſe Schickſal des Kriegers demüthig dem Herrn der Heerſchaaren anheim. Jetzt, unter einem theologiſirenden friedfertigen Könige, gewann ein neuer, ganz un - preußiſcher Schlag von Offizieren die Gunſt des Hofes, Männer, denen das Gebetbuch theuerer war als der Degen, Soldaten nicht ohne mili - täriſches Verdienſt — denn Alle hatten ſie im letzten Kriege ſich ritter - lich gehalten — aber ohne den rechten, die ganze Seele erfüllenden mili - täriſchen Ehrgeiz. Ihre ſalbungsvolle Frömmigkeit erinnerte an Cromwell’s gottſelige Dragoner; von der fürchterlichen Härte der Puritaner beſaßen dieſe ſanften romantiſchen Gläubigen freilich nichts. Zu ihnen zählte auch Thile. Dem unſcheinbaren kleinen Manne ſah man nicht ſogleich an, wie brauchbar er in den Geſchäften war, fleißig, gewiſſenhaft, federgewandt und that es noth auch beredſam. An ſeinem Charakter haftete kein Makel; in ſtillem Wohlthun war er unermüdlich, ſelbſt einen perſönlichen Feind, der ins Unglück gerathen war, unterſtützte er jahrelang unerkannt aus ſeinen beſcheidenen Mitteln. Befreundet mit Boyen und manchen an - deren Offizieren von freierer Richtung, hielt er ſich den politiſchen Ex - tremen fern und ſcheute ſich nie dem heißgeliebten Monarchen ehrlich zu widerſprechen. Jedoch zu ſelbſtändigen ſtaatsmänniſchen Ideen erhob er ſich nicht, und nur zu oft ward ſein politiſcher Blick getrübt durch eine überſpannte, myſtiſche Frömmigkeit, die ihm bei den Berliner Spöttern den Namen des Bibel-Thile verſchaffte. Noch vor Kurzem hatte er ernſt - lich daran gedacht, als Miſſionär nach Auſtralien oder Afrika zu gehen. Ebenſo leidenſchaftlich wie Friedrich Wilhelm verabſcheute er jene neuen Philoſophen, welche, wie man bei Hofe ſagte, die Bibel hegelten und den Hegel bibelten; noch tiefer als der König war er durchdrungen von der Ueberzeugung, daß jetzt der entſcheidende Kampf zwiſchen Glauben und Unglauben herannahte und neben dieſem einen großen Gegenſatze alle con - feſſionellen Unterſchiede verſchwänden. Er glaubte nicht nur an die gött - liche Führung der Geſchichte mit einer fataliſtiſchen Zuverſicht, welche ihm leicht die freie Thatkraft hemmte; er glaubte auch an die unmittelbare Einwirkung der himmliſchen Gnade auf die weltlichen Entſchlüſſe, und in ſolchen Augenblicken der Verzückung ward ſeine politiſche Haltung ſchlechthin unberechenbar. Als er einmal dem Grafen Stolberg ſeine Meinung über die Neuenburger Händel auseinandergeſetzt hatte, ſchrieb er dem Freunde ſchon nach wenigen Stunden: „ Heute früh ſah ich nur mit dem Auge des natürlichen Menſchen in der Sache und faßte ſie nur von der ſogenannten politiſchen Seite auf. “ Dafür wurde ich am Abend beſchämt, als „ mir die Worte entgegengetragen wurden, daß über alle2*20V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Macht von Roß und Reutern die Macht eines mit ſeinem König im Gebet vereinten Volkes ſteht. .. In Sachen des Gebets zählen nur die Beter, und wenn Gottes Wort wahr iſt, ſo werden ſie über die Spötter ſiegen. “ *)Thile an Stolberg, 8. Dec. 1846.Mit dieſen Sätzen begründete er eine Veränderung ſeines politiſchen Urtheils. Ein ſolcher Mann konnte dem Könige wohl als pflichtgetreuer Gehilfe dienen, doch nimmermehr ihn ergänzen.
In dem etwas eintönigen Verkehre mit dieſen beiden alltäglichen Vertrauten fühlte ſich der König immer erquickt, wenn ein anderer Freund aus dem alten Kreiſe der Wilhelmſtraße, Oberſt Joſeph v. Radowitz in der Hauptſtadt erſchien. Dann rief er fröhlich: Petz iſt wieder da! Radowitz ſtammte aus einem alten, wenig bekannten ungariſchen Ge - ſchlechte; ſein Großvater erſt war als Kriegsgefangener nach Preußen ge - kommen und dann in Deutſchland geblieben. Der merkwürdig frühreife Knabe wurde für den weſtphäliſchen Dienſt beſtimmt und auf franzöſi - ſchen Kriegsſchulen ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren war er ſchon Offizier, im Jahre darauf erwarb er ſich bei Bautzen das Kreuz der Ehrenlegion, mit achtzehn Jahren übernahm er, nach der Auflöſung des Königreichs Weſt - phalen, die erſte Lehrerſtelle für Kriegswiſſenſchaften am Caſſeler Kadetten - hauſe. Dann wurde er aus Heſſen vertrieben, weil er für die mißhandelte Kurfürſtin ritterlich eintrat,**)S. o. III. 532. und fand ehrenvolle Aufnahme im preußiſchen Heere, wo er bei der Leitung der Militär-Bildungsanſtalten und bei der Neugeſtaltung der Artillerie einſichtig mitwirkte. Der Gluthblick der tief - liegenden kurzſichtigen Augen unter der hohen Stirn, die gebräunte und doch bleiche Hautfarbe, die feinen, von dunklem Schnurrbart überſchatteten Lippen gaben ſeinem ſcharfgeſchnittenen Kopfe ein fremdländiſches Gepräge. Ueber ſeinem ganzen Weſen lag ein geheimnißvoller Zauber; die feierlich würdevolle Haltung der hohen, ſtarken Geſtalt verbot jede Vertraulichkeit. In Geſellſchaften ſaß er gern abſeits, zeichnend oder in einem Buche blätternd, bis er plötzlich eine geiſtreiche Bemerkung in das Geſpräch ein - warf und den Plaudernden zeigte, daß er jedes Wort vernommen hatte. Leibliche Bedürfniſſe ſchien er kaum zu kennen; er aß wenig, trank nur Waſſer, und man merkte ihm an, daß er niemals jung geweſen war. Von früh auf beherrſchte ihn ein unerſättlicher Wiſſensdrang; Bücher waren ſeine einzige Leidenſchaft, und in ſeinem ſtarken Gedächtniß ſpei - cherte er allmählich eine erſtaunliche Fülle vielſeitiger Kenntniſſe auf. Schon ſeine Jugendſchrift über die Ikonographie der Heiligen bewies, wie gründ - lich er in der Geſchichte der Sitten, der Kunſt, der Kirche bewandert war. In den Salons des Kronprinzen ward er bald ein unentbehrliches Orakel, das Berliner Wochenblatt verdankte ihm mehrere ſeiner beſten Aufſätze.
Obgleich er durch ſeine Verheirathung mit einer Gräfin Voß in die21Radowitz.Kreiſe des alten Landesadels eingetreten war, blieb er den ſtrengen Alt - preußen noch lange als Fremdling verdächtig. Manche nannten den edlen, alle Ränkeſucht mißachtenden Mann einen neuen Caglioſtro, die Meiſten einen verkappten Jeſuiten. Der eifrig proteſtantiſche, den conſtitutionellen Ideen zugeneigte Kriegsminiſter Witzleben hielt endlich für nöthig, dieſen katholiſchen Legitimiſten aus der Umgebung des Kronprinzen zu entfernen — um dieſelbe Zeit, da auch General Gröben und Oberſt Gerlach in die Provinz verſetzt wurden. Der alte König genehmigte den Antrag, aber in ſeiner gerechten Weiſe: er ernannte den kaum vierzigjährigen Stabs - offizier zum Nachfolger des Generals Wolzogen bei der Militärcommiſſion des Bundestags. Auch dort wurde Radowitz durch Fleiß und geiſtige Ueberlegenheit den bequemeren Amtsgenoſſen bald ſehr läſtig. Der Sohn einer gemiſchten Ehe und in der Kindheit evangeliſch erzogen, hatte er ſich erſt in ſeinen reiferen Jugendjahren, mit wachem Bewußtſein der römiſchen Kirche zugewendet und in ihr ſo gänzlich ſeinen Frieden gefun - den, daß er kurzweg ausſprach, jede Wahrheit ſei katholiſch. Sein ent - ſagendes Denkerleben führte ihn zu einer mönchiſch ſtrengen Auffaſſung der ſittlichen Welt. Niemals erkannte er, daß das ſittliche Ideal der Proteſtanten, die Einheit des Denkens und des Wollens, dem ſchwachen Sterblichen weit ſchwerere Pflichten auferlegt als die Werkheiligkeit der Katholiken. In dem Cölibate ſah er nicht ein Meiſterſtück päpſtlicher Politik, ein klug erſonnenes Machtmittel, das den Clerus als eine ge - ſchloſſene Prieſterkaſte von der bürgerlichen Geſellſchaft abtrennen ſoll, ſondern eine hohe ſittliche Idee; den Kampf der Proteſtanten wider dieſe frevelhafte Verſtümmelung der Natur konnte er ſich nur aus der Fleiſches - luſt erklären, obgleich er ſelbſt in einer glücklichen, mit Kindern geſegneten Ehe lebte. Bei ſolcher Geſinnung mußte er den Kölniſchen Biſchofſtreit mit tiefem Kummer betrachten. Die Freude an ſeinem neuen preußiſchen Vaterlande erlitt plötzlich einen ſchweren Stoß, und er pries es als eine gnädige Fügung, daß ſein Amt ihn nicht nöthigte in dieſem Kampfe öffentlich Farbe zu bekennen.
Ebenſo einſeitig war auch, trotz aller Gelehrſamkeit, ſein äſthetiſches Urtheil. Goethe’s warme Sinnlichkeit blieb ihm ſo unverſtändlich wie die geſammte Bildhauerkunſt, weil ſie in der Darſtellung heidniſcher Nackt - heit ihr Höchſtes leiſtet, und den letzten Quell aller modernen Sünden ſuchte er in der großen Zeit des Cinquecento, in der Wiederbelebung des claſſiſchen Heidenthums. Daher verabſcheute er, ganz in Haller’s Sinne, die Revolution als ein teufliſches Princip und bekämpfte die geſammte neuere Staatslehre, weil ſie den Staat nicht als den Schutzherrn, ſon - dern als den Schöpfer des Rechts betrachte. Noch war ihm nicht klar, daß der rechtsbildende Gemeingeiſt der modernen Völker ſich gerade in ihrer Geſetzgebung ausſpricht, und die hiſtoriſche Entwicklung des Rechts heute nicht mehr ohne die Mitwirkung frei geordneter Staatsgewalten22V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.erfolgen kann. Dem „ pſeudo-liberalen Getriebe “des Beamtenthums ebenſo gründlich abgeneigt wie ſein königlicher Herr, behauptete er ſtolz „ den höheren Standpunkt, der ſich erhebt über die Anſicht vom abſoluten Staate. “ *)Radowitz an den König, 23. Jun 1844.Er hoffte auf eine große chriſtlich germaniſche Monarchie — denn ob eine chriſtlich-germaniſche Republik überhaupt möglich ſei, ſchien ihm mindeſtens zweifelhaft — und ſo feſt hielt ihn in dieſen drei - ßiger Jahren der Bannkreis der Haller’ſchen Ideen noch umfangen, daß er ſogar den Satz wiederholte, die Macht der Krone beruhe auf dem fürſt - lichen Grundbeſitze — eine doctrinäre Behauptung, die in Preußen, wo alle Domänen längſt dem Staate gehörten, jeden Sinn verlor.
Trotzdem ward er niemals zum Sklaven einer Theorie; ſcharfen Blickes ſchaute er in die Welt der Wirklichkeit, ſtets bereit ſeine Meinungen zu berichtigen. Er erkannte ſehr früh — was ſich freilich erſt nach langen wirrenreichen Jahren als wahr erweiſen ſollte — daß die Herzensſehnſucht der Deutſchen ſich nicht eigentlich auf die conſtitutionellen Formen richtete, ſondern auf wirkliche politiſche Güter: auf Rechtsſicherheit, Nationalität, Selbſtverwaltung. Auch der ſociale Untergrund der politiſchen Bewegung entging ihm nicht. Er ſah, wie die Mittelklaſſen ſich zur Herrſchaft heran - drängten, und meinte, die Liberalen ſeien nur mächtig weil ſie ſich als Vertreter des Volks gebährdeten; darum müſſe die Krone durch eine ſchöpferiſche ſociale Geſetzgebung beweiſen, daß die Maſſen des Volks nur bei ihr Fürſorge und wirkſamen Schutz finden könnten. Am ſchärfſten aber — weit richtiger als der König ſelbſt oder irgend einer ſeiner Freunde — urtheilte Radowitz über die deutſche Bundespolitik. Da er in der römiſchen Kirche nicht eine bildungsfeindliche Macht, ſondern die Vollen - dung aller Cultur ſah, ſo konnte er ohne gehäſſiges Vorurtheil die öſter - reichiſchen Zuſtände mit den preußiſchen vergleichen, und gleichwohl kam der ſtrenge Katholik zu dem Schluſſe: dies zur Sonne aufſtrebende Preußen bedürfe des Lichtes, der öſterreichiſche Schwamm gedeihe nur im Schatten. Die geiſtloſe Unfruchtbarkeit der in ſo mannichfache europäiſche Intereſſen verflochtenen und darum der deutſchen Nation entfremdeten Wiener Politik durchſchaute er ebenſo ſcharfſinnig, wie die oberflächliche Halbbildung der öſterreichiſchen Völker, die dem platten Joſephinismus und der liberalen Phraſe gar kein Gegengewicht zu bieten hätten. Stolz hielt er dieſem ver - ſumpften Leben die geſunde, kerndeutſche Kraft des preußiſchen Volkes und Staates entgegen. Schon vor dem Thronwechſel (1839) ſprach er aus, Preußen allein könne die Führung der Nation übernehmen, Deutſchlands Fürſten und Völker müßten lernen, in Berlin die Vertheidigung ihrer Rechte und Intereſſen zu ſuchen. Darum verlangte er Fortbildung des Zollvereins und vor Allem Schutz der Rechte aller Deutſchen durch die Krone Preußen — eine heilige Pflicht, welche leider in den hannoverſchen Verfaſſungs -23Radowitz’s Geſpräche. Bunſen.händeln ſo ſündlich verabſäumt worden ſei. So begann ihm jetzt ſchon die Idee des preußiſchen Reiches deutſcher Nation aufzudämmern, und er verhehlte nicht, daß er ſich zuerſt als einen Deutſchen, dann erſt als einen Preußen fühlte. Der König befragte und benutzte den alten Freund bei allen Fragen der deutſchen Bundespolitik, doch er vermochte weder den Gedanken dieſes Rathgebers ganz zu folgen, noch ihn an die entſcheidende Stelle zu ſetzen.
In den Geſprächen über Staat und Kirche (1846) faßte Radowitz ſeine politiſchen Ideen zuſammen. Das anonyme Buch wurde von Vielen für ein Werk des Königs ſelbſt gehalten, obgleich die keuſche Einfachheit dieſer muſterhaften Proſa mit dem aufgeregten Pathos Friedrich Wilhelm’s gar nichts gemein hatte. Es war ſeit Paul Pfizer’s Briefwechſel unzweifel - haft das bedeutendſte Werk der deutſchen Publiciſtik. Aber wie anders hatte einſt der tapfere Schwabe verſtanden, die erſte Aufgabe des Publiciſten zu erfüllen, den Willen der Leſer auf ein feſtes Ziel zu richten; er benutzte die Form des Dialoges nur um alle Einwendungen ſiegreich zu widerlegen, und ſchließlich mit höchſter Beſtimmtheit zu ſagen was er ſelber wollte: die Einheit Deutſchlands unter Preußens Führung. In Radowitz’s Geſprächen hingegen tauſchten der hochkirchliche Offizier, der liberale Fabrikant, der ſtrenge Bureaukrat, der jugendliche Socialiſt ihre Anſichten aus, alle höf - lich, alle in ſauber gewählten Worten. Dann trat Waldheim dazwiſchen, unverkennbar das Ebenbild des Verfaſſers, um mit ſtaatsmänniſcher Ruhe Jedem die Beſchränktheit ſeiner Parteigeſinnung nachzuweiſen; über ſeine eigenen Meinungen äußerte er ſich nur ſelten, kühl, zurückhaltend, un - maßgeblich. So hinterließ die Schrift doch den Eindruck einer geiſtreichen Hilfloſigkeit, welche trotz oder wegen der Mannichfaltigkeit ihrer Geſichts - punkte ſchwer zu einem einfachen Entſchluſſe gelangte. Ihr fehlte die Macht der Begeiſterung. Ihre Gedanken waren nicht aus einer Wurzel heraus mächtig emporgeſchoſſen, ſondern am Spalier gezogen, mehr ausgezeichnet durch edle Form als durch urſprüngliche Kraft. Sie bewies, wie frei und unbefangen ihr Verfaſſer dachte, der in der That, entwicklungsfähiger als der König, von der Unentbehrlichkeit der conſtitutionellen Staatsform ſich bald überzeugen ſollte. Aber ſie zeigte auch ihn angekränkelt von jenem vornehmen Dilettantismus, der ſich wie ein Mehlthau über alle Um - gebungen König Friedrich Wilhelm’s lagerte. Radowitz war von Allem etwas, weder ganz Soldat, noch ganz Staatsmann, noch ganz Gelehrter; auch ſein feiner und reicher, allen anderen preußiſchen Staatsmännern dieſer Epoche überlegener Geiſt vermochte der Zeit nicht zu bieten was ſie brauchte: die furchtbare Einſeitigkeit einer dämoniſchen Willenskraft.
Wäre es mit Plänen, Einfällen, edlen Vorſätzen gethan geweſen, dann hätte Bunſen der Zeit helfen können. Was kümmerte es ihn, daß die Berliner Geheimenräthe ihm den ſo kläglich mißlungenen Kampf gegen Rom nachtrugen und ihn, von wegen der Anconer Note, nur noch den24V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Ritter von Ancona nannten? Der Gunſt des neuen Königs war er ſicher, und mit jugendlicher Wageluſt ſpannte er an ſeinem glückhaften Schiffe alle Segel auf. Schon vor Jahren hatte er von der Regierung dieſes Fürſten erhofft, daß ſie das heilige Reich aufrichten werde:
Nun ſollte Berlin, bevor Größeres ſich vollendete, zunächſt ein deutſcher Muſenhof werden wie einſt Weimar, und ſofort begann der Eifrige einen Briefwechſel mit Gelehrten und Künſtlern um ſie für die Hauptſtadt zu gewinnen. Für ſich ſelbſt wünſchte er, da der Berner Geſandtſchafts - poſten ſeinen Anſprüchen nicht genügte, den Vorſitz in einem großen Aus - ſchuſſe für Kirche und Unterricht; ſo konnte er, unbeläſtigt von den lang - weiligen Verwaltungsgeſchäften, nach ſeiner Neigung anregen, belehren, Ideen wecken und fördern.
Nicht ganz ſo nahe ſtand General v. Canitz dem Monarchen. Er hatte ſich als Kriegsmann wie als militäriſcher Schriftſteller ausgezeichnet, dann aus Diebitſch’s Lager über den ruſſiſch-polniſchen Krieg ebenſo ein - ſichtig als unparteiiſch berichtet, endlich auf den ſchwierigen Geſandtſchafts - poſten zu Caſſel und Hannover eine ſo ſelbſtändige Haltung eingenommen, daß er trotz ſeines feinen Taktes dem Unwillen des Kurprinzen und des Welfenkönigs nicht entgehen konnte. Eng befreundet mit den romantiſchen Genoſſen Clemens Brentano’s und Savigny’s, hielt er die Befreiung der Kirche von der Staatsgewalt und die Aufrichtung der ſtändiſchen Mon - archie für die beiden großen Aufgaben der neuen Regierung. Indeſſen hatte er nicht umſonſt in dem unruhigen Caſſel gelebt; er ſah ein, daß Preußen, um die Politik des Zollvereins durchzuführen, ſich auch in ſeinem inneren Leben den kleinen conſtitutionellen Nachbarlanden annähern, mit - hin ſeinen Reichstag, allerdings einen ſtändiſch gegliederten, ſchleunigſt einberufen müſſe. Harte Parteigeſinnung blieb ihm fremd. Eine ſchöne vornehme Erſcheinung, geſprächig, geiſtreich, ſarkaſtiſch, ließ er im Verkehre von ſeinen ſtreng kirchlichen Grundſätzen gar nichts merken; die in dieſem romantiſchen Kreiſe ſo gröblich verkannten Verdienſte des preußiſchen Be - amtenthums würdigte er gern; mit den Liberalen, ſogar mit Varnhagen kam er freundlich aus. Unter allen den frommen Freunden des Königs zeigte er am meiſten das unbefangene Weſen des Weltmannes.
Von anderem Schlage war General Graf Karl v. d. Gröben, der Schwiegerſohn Dörnberg’s, ein langer, hagerer altpreußiſcher Hüne, dem der weiße Mantel des Deutſchen Ordens noch um die Schultern zu hängen ſchien. Dem Ritter ohne Furcht und Tadel ließ es keine Ruhe bis er noch im hohen Alter die Pilgerfahrt in das gelobte Land unternehmen konnte. Wie freudig hatte er einſt bei der Vorbereitung des Befreiungskrieges und an dem Kampfe ſelbſt theilgenommen; mit Gneiſenau und Arndt, mit Schenken - dorf und Görres war er ſo innig verbrüdert, daß er eine Zeit lang ſogar25Canitz. Gröben. Die Gebrüder Gerlach.den Argwohn der Demagogenverfolger erregte. *)S. o. III. 116.Die enthuſiaſtiſche Kreuz - fahrergeſinnung jener frommen Tage bewahrte er ſein Leben lang. Was ihm an politiſchem Urtheil abging erſetzte er durch unverbrüchliche Treue gegen ſeinen chriſtlichen König und durch eine allgemeine Menſchenliebe, welche Gerechte und Ungerechte ſo ohne jeden Unterſchied ſanftmüthig um - faßte, daß Königin Eliſabeth einmal ſagte: der gute Gröben wird uns näch - ſtens von dem lieben, vortrefflichen Nero ſprechen.
Während Gröben nur das ritterliche Gefühl unbedingter Königstreue hegte, waren die drei Brüder v. Gerlach erklärte Hallerianer. Sie ſtammten von jenem hochangeſehenen alten Kammerpräſidenten, der einſt ſeine Kurmark gegen die napoleoniſchen Erpreſſungen unerſchrocken ver - theidigt, nachher, verſtimmt über die Reform der Verwaltung, den Staats - dienſt verlaſſen und gleich darauf das Oberbürgermeiſteramt von Berlin übernommen hatte. **)S. o. I. 285.Der Muth, die Vaterlandsliebe, die conſervative Geſinnung des Vaters vererbten ſich auf die Söhne; zwei von ihnen trugen das eiſerne Kreuz. Der zweite Sohn, der Gerichtspräſident Lud - wig war ein gelehrter, ſcharfſinniger Juriſt, gerecht nach oben wie nach unten, ſehr eiferſüchtig auf die Unabhängigkeit des Richterſtandes. Wie weit ihn aber ſein kirchlicher Feuereifer führen konnte, das hatte er ſchon vor Jahren gezeigt, als er die halliſchen Rationaliſten durch die rückſichts - loſe Veröffentlichung ihrer Katheder-Ausſprüche bekämpfte und dafür den Beifall ſeines kronprinzlichen Freundes fand. ***)S. o. III. 405.Der chriſtliche Staat, die freie rechtgläubige Kirche und vornehmlich die Zweiherrſchaft der beiden Großmächte im Deutſchen Bunde — dieſe Ideale ſtanden ihm ſo uner - ſchütterlich feſt, daß er ſogar die Freunde Radowitz und Canitz wegen ihrer freieren Anſichten über Oeſterreich bald als Abtrünnige beargwöhnte und des radikalen „ Germanismus “beſchuldigte. Ueberhaupt urtheilte er, wie ſein Bruder Leopold, über politiſche und kirchliche Gegner mit fanatiſcher, unchriſtlicher Härte; er verhehlte nicht, daß ihm der Gegenſatz der Mei - nungen noch wichtiger ſchien als ſelbſt der Gegenſatz der Nationalitäten. Von eigenen ſtaatsmänniſchen Gedanken beſaß ſein weſentlich kritiſcher Geiſt wenig; er vermochte wohl die Sünden der gottloſen Zeit mit erbar - mungsloſer Schärfe zu geißeln, doch wenn es ſich fragte was zu thun ſei, dann entdeckten der junge Otto v. Bismarck und die anderen praktiſchen Talente unter ſeinen Anhängern mit Erſtaunen, daß der geiſtreiche Mann immer nur ſchulmeiſterte und eigentlich an Allem zu tadeln fand. Darum konnte er nur der gefürchtete Schriftſteller der hochconſervativen Partei werden, niemals ihr Führer. Und wie wenig ſtimmte doch die unzweifelhaft ernſt gemeinte fromme Salbung ſeiner mit Bibelſprüchen überladenen poli -26V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.tiſchen Aufſätze zu dem ſprudelnden Witze, der gewinnenden Munterkeit des liebenswürdigen Geſellſchafters. Einige Spuren von dieſem Dualismus altromantiſcher Ironie zeigten ſich auch in dem Charakter des jüngſten Bruders, des Predigers Otto. Der waltete ſeines ſchweren Seelſorger - amtes unter den Berliner Armen mit apoſtoliſcher Hingebung, glaubens - froh, bibelfeſt, ein unermüdlicher Tröſter und Erbarmer. *)S. o. IV. 495.Zweimal trotzte er der angedrohten Amtsentſetzung, weil er leichtfertig Geſchiedene nicht wieder trauen wollte. Und doch geſchah es zuweilen zum Entſetzen der Stillen im Lande, daß er auf der Kanzel ſchöne Stellen aus Shake - ſpeare vortrug; ſo ſeltſam vermiſchten ſich in dieſem geiſtreichen romanti - ſchen Kreiſe die religiöſen und die äſthetiſchen Ideale.
Am liebſten unter den drei Brüdern war dem Monarchen der älteſte, der General Leopold. Er wurde ſchon aus ſeiner Provinzial-Garniſon öfters an das Hoflager gerufen, dann nach Berlin zurückverſetzt und dort bei allen wichtigen Entſchließungen zu Rathe gezogen; doch täuſchte er ſich nicht über ſeinen Einfluß und geſtand offen, keiner der perſönlichen Günſtlinge des Königs beſitze wirkliche Macht. Seine ſchönſten Erinne - rungen hafteten an dem ſchleſiſchen Hauptquartiere, dem er mit großer Auszeichnung angehört hatte;**)S. o. I. 477. nachher war er lange Adjutant des jün - geren Prinzen Wilhelm, der ihm auch ſpäterhin, als ihre politiſchen Wege ſich trennten, ſtets aufrichtige Hochachtung bewahrte. Ganz und gar kein Höfling, gab er ſelbſt dem gefürchteten Czaren zur rechten Zeit eine derbe preußiſche Antwort; das knechtiſche Weſen und der ſchablonenhafte Ord - nungsſinn der Moskowiter blieb ihm tief widerwärtig, obgleich er ſie für Preußens natürliche Verbündete hielt. Das eigenthümliche Selbſtgefühl des Romantikers erging ſich gern in kühnen Paradoxen, Napoleon nannte er einen gutmüthigen, übrigens etwas dummen Kerl. In ſeinen politiſchen Anſichten ging der grundgeſcheidte, vielſeitig gebildete Offizier faſt noch weiter als ſein Bruder Ludwig; unauslöſchlichen Haß widmete er dem Despotismus der Miethlings-Officianten, zu denen er doch eigentlich ſelbſt gehörte. An Gottes unmittelbare Einwirkung auf die gekrönten Häupter glaubte er feſt und ſagte ſtreng: Prätendenten die der Allmächtige ſelbſt aus ihrem hohen Amte geſtrichen hat, gehören ins Feldlager oder ins Kloſter, nicht in den Strudel höfiſcher Genüſſe. Indeß war auch er in der Kritik ſtärker als in eigenen politiſchen Gedanken.
Eine mächtige Stütze fanden die Brüder an Ludwig’s Schwager, dem Freiherrn Senfft v. Pilſach auf Gramenz, der im Hausminiſterium angeſtellt, auf den Domänen, mit erheblichen Koſten aber nur ſelten mit Erfolg, großartige Entwäſſerungspläne ausführte. Ueber ſeine politiſche Wirkſamkeit enthalten die amtlichen Papiere faſt gar nichts. Gleichwohl27Senfft v. Pilſach und die Erweckten.wußten alle Eingeweihten, daß der König auf das Urtheil dieſes Mannes, ſoweit er überhaupt einer fremden Meinung zu folgen vermochte, ſehr großen Werth legte. Schon als Kronprinz hatte er ſich des Freiherrn angenommen, als dieſer, unbekümmert um die Verbote der rationaliſti - ſchen Stettiner Regierung, ſeinen hinterpommerſchen Bauern gottſelige Predigten hielt, und in hellem Zorne geſchrieben: „ das Betragen dieſer Regierung iſt wirklich ſo ungeheuer dumm, daß es zum Erbarmen iſt. “ *)Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 2. Mai 1830.Senfft kannte die Eigenart Friedrich Wilhelm’s ganz genau, er wußte ſeine vertraulichen Berichte und Geſpräche ſtets der augenblicklichen Stim - mung des Monarchen anzupaſſen; er ſcheute ſich auch nicht dem Könige, oft ſehr unverblümt, zu ſagen, was man im Volke über ihn redete. Alſo, bald aufrichtig, bald berechnend, gewann er mit ſeiner zähen ſtillen Ausdauer doch einigen Boden, und immer kam ſein Rath den Hochcon - ſervativen zu gute. Durch ſeinen und Ludwig Gerlach’s gemeinſamen Schwager v. Thadden-Trieglaff unterhielt er regen Verkehr mit einem Kreiſe altgläubiger hinterpommerſcher Edelleute, der ſich durch chriſtlichen Wandel und edle Wohlthätigkeit ebenſo ſehr auszeichnete wie durch reac - tionäre Geſinnung.
Auch was ſonſt noch dem Herzen des Königs nahe ſtand, trug hoch - kirchliche Farbe: ſo der Geheime Rath v. Voß-Buch, ſeit Jahren vor - tragender Rath des Kronprinzen und auch jetzt noch mit wichtigen Ar - beiten, namentlich im Juſtizweſen, betraut, nebenbei berühmt durch ſeine unvergleichlichen Junggeſellen-Gaſtmähler; ſo Friedrich Wilhelm’s Jugend - geſpiele, der Kammergerichtspräſident v. Kleiſt, von den Demagogen der blutige Kleiſt genannt, ein eiſerner Ultra, der nachher den Abſchied nahm, als er die neue Verfaſſung beſchwören ſollte; ſo der Hallerianer C. W. v. Lancizolle, vormals Lehrer des deutſchen Staatsrechts für die königlichen Prinzen; ſo der gelehrte Juriſt Götze, der kindlich fromme General Carl v. Röder u. A. m., die einſt in den erſten Friedensjahren den Conventikeln der Erweckten oder dem Maikäfervereine der jungen Berliner Romantiker angehört hatten. **)S. o. II. 27. 91.Einen ehrbareren Hof hat es nie gegeben; Geiſt, Wiſſen, Edelſinn war in dieſen Kreiſen reichlich vor - handen, aber wenig Willenskraft, wenig Verſtändniß für die Bedürfniſſe der Zeit.
Wie ein Fremdling erſchien in dieſer chriſtlichen Umgebung der regel - mäßige Genoſſe der königlichen Abendcirkel Alexander v. Humboldt. Der Geiſt zog den Geiſt an, der König und der große Gelehrte konnten von einander nicht laſſen, und unwillkürlich gedachten die. Zeitgenoſſen der Freundſchaft zwiſchen Friedrich und Voltaire — eine Vergleichung, die doch nur wenig zutraf. Voltaire hatte auf das äſthetiſche Urtheil des28V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.großen Königs entſcheidend, auf ſeine philoſophiſche Ueberzeugung mit - beſtimmend eingewirkt, der preußiſchen Politik wurde er unnachſichtlich immer fern gehalten. Humboldt konnte auf die längſt fertige Weltan - ſchauung ſeines königlichen Freundes ſchon darum keinen Einfluß ge - winnen, weil er halb unter halb über ihr ſtand. Dem Jünger der alten Aufklärung, der ſchon in ſeinen jungen Tagen den preußiſchen Beamten zu Baireuth für einen Jacobiner gegolten hatte, fehlte jedes Verſtändniß für das neue religiöſe Leben, das den Deutſchen tagte und von dem Könige ſo freudig begrüßt wurde; andererſeits würdigte er weit unbefangener als Friedrich Wilhelm die liberalen Ideen des emporſteigenden Mittel - ſtandes. Alſo faſt in Allem verſchieden fanden ſich die Beiden nur zu - ſammen in der leidenſchaftlichen Freude des Forſchens und Erkennens. Humboldt fühlte bald heraus, daß dieſer König kein Mann des Handelns ſei und das Glück, deſſen er doch bedurfte, niemals finden würde; darum beſchied er ſich, auf dem einzigen Gebiete der Politik, das ihm offen blieb, Segen zu ſtiften, die mäcenatiſchen Neigungen des Königs zu nähren, alle aufſtrebenden Kräfte deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft wirkſamer zu fördern als es unter dem ſparſamen, ſchwer zugänglichen alten Herrn mög - lich geweſen. Mit ungewöhnlicher Offenheit ſprach er ſich darüber ein - mal gegen Bunſen aus: „ Ich habe die Schwachheit zu wollen, daß die, deren Talent ich früh erkannt und verehrt habe, etwas Großes hervor - bringen. Dadurch hält man ſich gegenſeitig in der Welt und trägt dazu bei die Achtung vor geiſtigen Beſtrebungen wie ein heiliges Feuer zu nähren und zu bewahren. “
Er wollte der anerkannte Fürſt ſein im Reiche des Wiſſens, aber dieſe Macht auch in großem Sinne gebrauchen, um das perikleiſche Staats - ideal zu verwirklichen, das ihm ſo hoch ſtand wie ſeinem Bruder Wilhelm; ohne die Pflege des Wahren und des Schönen war ihm ſelbſt der ſtark - gerüſtete und wohlgeordnete Staat werthlos. An Allem was Friedrich Wilhelm für die Wiſſenſchaft that hatte Humboldt ſeinen reichen Antheil. Das alte Familienhaus in der Oranienburger Straße ward ein Wall - fahrtsort für alle jungen Talente. Dort fanden Hermann Helmholtz und manche andere vielverheißende Anfänger Rath und Hilfe. Dort ſaß der kleine Greis unter Thürmen von Büchern, Karten, Briefen und Sen - dungen jeder Art, die ihm aus allen Theilen der Erde zuflogen — ihm gegenüber auf der grünen Wand die große Weltkarte — und ſchrieb die langen Nächte hindurch, über ſein Knie gebückt, bald an ſeinem Kosmos, bald Entwürfe für wiſſenſchaftliche Anſtalten oder auch ungezählte Empfeh - lungsbriefe; es war, als ob alle Fäden aus dem unermeßlichen Reiche der Forſchung in der Hand des alten Zauberers zuſammenliefen. Der König überſchüttete ihn mit Ehren und Geſchenken, ohne doch hindern zu können, daß der aller Wirthſchaft Unkundige ſchließlich der Schuldknecht ſeines eigenen Hausdieners wurde. In den Briefen an ſeinen theuerſten Alexan -29A. v. Humboldt bei Hofe.dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme ſeines guten Herzens; als Humboldt erkrankte, ſaß er ſtundenlang an ſeinem Bette und las ihm vor. Ueber Alles ſollte der Alles Wiſſende Auskunft geben, bald über ein ernſtes Problem, bald über ein müßiges Curioſum, ſo über die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Zifferſumme 9 ergeben. Wenn der König ſeinen Freund Abends im Potsdamer Schloſſe beſuchte, dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abſchied das beglückende Ge - ſpräch noch auf der Treppe von Neuem eröffnete.
Minder liebenswerth als bei ſolchen geiſtreichen Zwiegeſprächen zeigte ſich der große Gelehrte auf den Hoffeſten, wo er, angethan mit der Kammer - herrn-Uniform und dem großen Bande des ſchwarzen Adlerordens, jedem nichtigen Menſchen etwas Verbindliches ſagte, oder auf den kleinen Thee - Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt den Mittelpunkt des Salongeſprächs zu bilden, und er konnte ſich’s nicht ver - ſagen auch hier in Sansſouci oder Charlottenburg Aller Augen auf ſich zu ziehen. Da ſtand er denn vor der mürriſch ſchweigenden Königin, die ihm immer mißtraute, vor neidiſchen Hofleuten und politiſchen Gegnern und berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitſchriften, aus eigenen Aufzeichnungen über die Höhe des Popocatepetl oder die Iſothermen oder die Gefängniſſe, immer geiſtvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anweſenden unver - ſtändlich. Der König allein hörte aufmerkſam zu, und auch er war zuweilen zerſtreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Aerger und die Langeweile dieſer unerquicklichen Abende, die er doch nicht miſſen wollte, nahm Humboldt ſeine ſtille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen, der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufſog, allerhand boshaften Hofklatſch zu, lieblos ſelbſt gegen den liebevollen König, und zeigte durch ſein Mediſiren, daß in den Hauptſtädten, zumal in dem afterredneriſchen Berlin, ſelbſt der hochbegabte Menſch klein wird, wenn er die Dinge allzu nahe ſieht. Eines freilich ging aus ſeinen gehäſſigen Berichten unzweifel - haft hervor: dieſem ſo mannichfach bewegten Hofe fehlte der beherrſchende Kopf. —
„ Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchſter Gott iſt meine Pflicht “— ſo hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach ſeiner Thronbeſteigung an Voltaire geſchrieben. Von dieſer entſchloſſenen Sicher - heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war völlig faſſungslos, als Czar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde am Sterbebette des Schwiegervaters erſchienen war, ihm den erſten Segens - wunſch zur Thronbeſteigung ausſprach; auch nachher brauchte er noch lange Zeit um ſeinen Schmerz zu bewältigen und ſich in der neuen Lage zu - rechtzufinden. „ Ach “, ſchrieb er an Metternich, „ wer Ihr warmes Herz mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das iſt das gewiſſe Mittel immer30V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Recht zu behalten und richtig zu ſteuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß dieſer Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage zu erholen, der uns niedergeſchmettert hat, und meine Lage erſcheint mir wie ein Traum, aus welchem ich ſehnlich das Erwachen wünſche. “ Das ganze Land theilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen ſtanden die Maſſen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten - burger Mauſoleum, wo der Verblichene neben ſeiner Luiſe ruhen wollte; die Laternen waren ausgelöſcht, nur der Mond warf zuweilen aus den Wolken vortretend ſein fahles Licht auf die ſchwarzen Wagen, die lautlos über den weichen Sandboden dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel bis zur Saar wurde gepredigt über den Text „ der Herr hat Dich geſegnet in allen Werken Deiner Hände “; die Stadt Berlin beſchloß, dem Entſchla - fenen, dem ſie ſo viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein Denkmal zu errichten und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain.
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver - ſtorbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor - ſchrift über ſeine Beſtattung, hinterlaſſen hatte. Er fügte den Aeußerungen des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick auf die Kriegsrüſtungen der Franzoſen, ſagte er zuverſichtlich: ſollte je das Kleinod des theuer errungenen Friedens gefährdet werden, „ ſo erhebt ſich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie ſein Volk ſich auf ſeinen Ruf erhoben hat “. Die beiden Teſtamente waren ſchon vor dreizehn Jahren niedergeſchrieben, lange bevor die Julirevolution das deutſche Leben erſchütterte, und ganz in dem patriarchaliſchen Stile jener ſtillen Tage gehalten. Das eine, „ Mein letzter Wille “überſchrieben, er - ging ſich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten „ auf Dich, meinen lieben Fritz “, warnte den Thronfolger vor Neuerungs - ſucht und unpraktiſchen Theorien, aber auch vor der zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Oeſterreich und Rußland „ als den Schlußſtein der großen europäiſchen Allianz zu be - trachten “. Der Berliner Magiſtrat ließ dieſe Vermächtniſſe des alten Königs für ſeine Bürgerſchaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch hingen ſie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußiſchen Häuſern. Aber die Zeit, der ſie angehörten, war vorüber; mit dieſem letzten Zolle der Dankbarkeit ſchien die Vergangenheit abgeſchloſſen; erwartungsvoll wendeten ſich alle Blicke dem neuen Herrſcher zu.
Das Erſte, was er von ſich hören ließ, waren Kundgebungen des Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erſchien ihm als heilige Pflicht. Allen den Abgeſandten, die ſich ihm nahten, ſagte er freundliche, ermuthigende Worte; ſogar die Juden Berlins, die er ſehr wenig liebte, empfingen die Verſicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurtheile31Die Amneſtie.früherer Jahrhunderte ſei. Dann wurde General Boyen, der lange miß - handelte, durch ein überaus gnädiges Handſchreiben in den Staatsrath zurückgerufen, und alle Welt betrachtete dieſe erſte That der neuen Re - gierung als ein Zugeſtändniß an den Liberalismus. Gleich darauf durfte Arndt wieder in ſein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die Bonner Gelehrten den treuen Mann — nur A. W. Schlegel, der alte Feind, hielt ſich abſeits — und erwählten ihn ſogleich zum Rector für das nächſte Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an ſeinem Staate; mitten im Elend der unverſchuldeten Verfolgung hatte er ſeinem Vaterlande zugeſungen:
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe ſeiner Deut - ſchen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf - ſicht entledigt und nachträglich noch mit dem eiſernen Kreuze geſchmückt. Am 10. Auguſt unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche allen politiſchen Verbrechern Amneſtie gewährte, auch den Flüchtlingen, falls ſie heimkehrten, Begnadigung verſprach. Der Erlaß ſollte erſt einen Monat ſpäter, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche Gemüth des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anſtellung im Staatsdienſte. Dieſe Milde gereichte ſeinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenſo feſt wie ſein Vater. Die düſtere Zeit der politiſchen Verfolgungen ging alſo zu Ende, nicht ohne ein ſchauerliches Nachſpiel. Zur ſelben Zeit, da die Demagogen frei kamen, verfiel der boshafteſte ihrer Peiniger, Geheimer Rath Tzſchoppe, in ſchwere Geiſteskrankheit; der Unſelige wähnte ſich verfolgt von allen den Armen, denen er die Jugend verwüſtet hatte, und ſtarb bald nachher im Irrſinn.
Leider zeigte ſich auch ſchon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute er den Prinzen Wilhelm, der den fridericianiſchen Titel eines Prinzen von Preußen erhielt, mit dem Vorſitze im Staatsminiſterium und im Staatsrathe. Er hoffte, ſein Bruder würde einfach in die Stellung ein - rücken, welche er ſelbſt bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber trotz ſeiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenſo beſcheiden zurücktreten, wie es der alte Herr von ſeinen Söhnen verlangt hatte, der Gegenſatz des Charakters und der Geſinnung, der die beiden Brüder trennte, mußte an den Tag kommen, und ſchon die nächſten Wochen lehrten, daß das Amt eines Miniſterpräſidenten für einen Thronfolger zugleich zu niedrig und zu mächtig iſt.
32V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Von vornherein war der König darüber im Reinen, daß die land - ſtändiſche Verfaſſung nicht in ihrem gegenwärtigen unentſchiedenen Zu - ſtande verbleiben durfte. Er ahnte, dieſe große Frage würde den eigent - lichen Inhalt ſeiner erſten Regierungsjahre bilden, und bei einiger Ent - ſchloſſenheit ſchien ihre Löſung keineswegs unmöglich. Die Verheißungen des alten Königs, wie planlos und unbedacht ſie auch waren, enthielten nichts, was die Macht der Krone in der gegenwärtigen Lage irgend be - drohen konnte. Nach der Verordnung vom 22. Mai 1815 war der Mon - arch verpflichtet, eine berathende, aus den Provinzialſtänden gewählte Landesrepräſentation einzuberufen; die Art der Erwählung konnte er als alleiniger Geſetzgeber frei beſtimmen. Er war ferner verpflichtet, die Grundſätze, nach denen Preußens Regierung bisher geführt worden war, in einer ſchriftlichen Verfaſſungsurkunde auszuſprechen, deren Form und Inhalt ihm ebenfalls frei geſtellt blieb. Endlich hatte der alte König durch das Staatsſchuldengeſetz vom 17. Jan. 1820 verſprochen, daß dem künftigen Reichstage über die Staatsſchulden jährlich Rechnung abgelegt, neue Schulden nur mit ſeiner Genehmigung aufgenommen werden ſollten. Auch hiermit war ſtreng genommen nur geſagt, daß die Reichsſtände in regelmäßiger Wiederkehr einberufen werden mußten; die alljährliche Rech - nungsablegung konnte ja, wenn man ſich mit ihnen verſtändigte, auch vor einem Ausſchuſſe des Reichstags ſtattfinden. Zum Ueberfluß beſaß der Monarch die unbeſtrittene Befugniß, die Geſetze ſeines Vorgängers, ſofern ſie nicht die Rechte der Staatsgläubiger unmittelbar berührten, durch neue Geſetze aufzuheben.
Hier zeigte ſich aber, daß ein conſtitutioneller Fürſt in vielen Fällen mächtiger iſt als ein unbeſchränkter Herrſcher. Die Zurücknahme eines übereilten Verſprechens, die im conſtitutionellen Staate, wenn der Reichs - tag zuſtimmt, ohne jede Schwierigkeit erfolgt, mußte dem abſoluten Könige als eine Verletzung der Ehrfurcht gegen ſeinen Vater, faſt als eine ſitt - liche Unmöglichkeit erſcheinen. Friedrich Wilhelm fühlte ſich in ſeinem Gewiſſen an die alten Verheißungen gebunden, und doch ſträubten ſich alle ſeine Neigungen und Doctrinen wider ihre wörtliche Ausführung. Ihr Kernpunkt lag offenbar in der Einberufung eines regelmäßig wieder - kehrenden Reichstags; trat dieſer nur erſt als eine ſtehende Inſtitution zuſammen, in wie beſcheidenen Formen immer, ſo mußte er ſich unfehl - bar weiter entwickeln. Durch die Bildung der Provinzialſtände hatte einſt nicht eigentlich die Reaction, ſondern der Particularismus geſiegt. Um ſo nöthiger war es jetzt, nachdem die Provinzen in einem Vierteljahr - hundert ſich doch leidlich zuſammengefunden hatten, dem Sondergeiſte der Landſchaften ein ſtarkes Gegengewicht zu geben, dem ganzen Volke endlich ein gemeinſames Arbeitsfeld zu eröffnen, auf dem ſich ein bewußtes Preu - ßenthum, eine lebendige Staatsgeſinnung bethätigen konnte.
Das war es was Preußens Nachbarn vornehmlich befürchteten. Nicht33Die Verfaſſungsfrage.blos Fürſt Metternich und Czar Nikolaus lauſchten beſorgt auf jede Nach - richt aus Berlin. Auch König Wilhelm von Württemberg betheuerte dem Geſandten Rochow beſtändig: er ſei jetzt über das conſtitutionelle Weſen ins Klare gekommen und halte die preußiſchen Provinzialſtände für die beſte Form der Intereſſenvertretung. *)Rochow’s Bericht, 29. Febr. 1840 ff.Die kleinen deutſchen Fürſten dachten nur mit Zittern und Zagen an die Möglichkeit einer preußiſchen Verfaſſung. Bei dem bisherigen Zuſtande befanden ſie ſich alleſammt recht behaglich, weil ſie die Unzufriedenen daheim bald durch das abſchreckende Beiſpiel des preußiſchen Abſolutismus beſchwichtigen, bald mit dem Unwillen der beiden Großmächte bedrohen konnten; was ward aus ihrer Souveränität, wenn ein preußiſcher Reichstag die Verfaſſungsherrlichkeit der Kleinen ſofort in den Schatten ſtellte, wenn dies durch den Zollverein ſchon ſo mächtig erſtarkte Preußen auch noch die Bühne des deutſchen parlamentariſchen Lebens wurde und den Deutſchen täglich zeigte, welch ein Stolz es iſt einem mächtigen Staate anzugehören?
Für dieſe einigende Kraft der Reichsſtände beſaß aber Friedrich Wil - helm gar kein Verſtändniß, weil ihm die Energie des preußiſchen Staats - gedankens fremd blieb. Er betrachtete die ſchöne Mannichfaltigkeit der Provinzialſtände als einen Triumph des hiſtoriſchen Princips und warf noch in den dreißiger Jahren zuweilen die Frage auf, ob man nicht die alten Stände der Fürſtenthümer Magdeburg, Münſter, Paderborn als Communallandtage wieder herſtellen könne. Das ſtand ihm feſt, daß die Provinziallandtage der Schwerpunkt der ſtändiſchen Verfaſſung Preußens bleiben ſollten; nur in außerordentlichen Fällen dachte er ſie alleſammt nach Berlin zu berufen und alſo, ohne neue Wahl, einen Vereinigten Landtag zu bilden, der ſchon wegen ſeiner Schwerfälligkeit nur ſelten zu - ſammentreten konnte. Dieſe Gedanken entwickelte er bereits als Kron - prinz vor Leopold Gerlach; an ihnen hielt er mit ſeiner ſtillen Hart - näckigkeit feſt, bis er ſie nach Jahren endlich verwirklichte. Noch andere, rein doctrinäre Bedenken gegen die alten Verheißungen konnte er nicht überwinden. Eine ſchriftliche Verfaſſungsurkunde, wie ſie der Vater ver - ſprochen, erinnerte den Sohn allzuſehr an Rouſſeau und Rotteck-Welcker; niemals wollte er die freie Macht ſeiner Krone durch einen papiernen Vertrag beſchränken. Ebenſo anſtößig ſchien ihm die Verheißung, daß die Reichsſtände für alle Staatsſchulden die Bürgſchaft übernehmen ſollten; in Kriegszeiten wollte er eine ſolche Beſchränkung ſeiner monarchiſchen Ge - walt nicht dulden. Es war eine Sorge, die nur den überfeinen Scharf - ſinn eines ganz unpraktiſchen Kopfes beunruhigen konnte. Denn für die erſten Ausgaben eines plötzlich hereinbrechenden Krieges boten der längſt wieder gefüllte Staatsſchatz, die reichlichen Ueberſchüſſe der Verwaltung, dazu noch die Bank und die Seehandlung vollauf genügende Mittel; undv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 334V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.war der Krieg erſt im Gange, ſo ließ ſich von der ſo oft, ſo glorreich be - währten Vaterlandsliebe der Preußen mit Sicherheit erwarten, daß ihr Reichstag nothwendige Kriegsanleihen nicht verweigern würde.
Von ſolchen Zweifeln gepeinigt, hatte Friedrich Wilhelm einen be - ſtimmten Entſchluß noch nicht gefunden; nur das Eine ſagte ihm ſeine richtige Empfindung, daß der große Augenblick der Huldigung benutzt werden mußte um durch einen freien königlichen Befehl die Verfaſſungs - frage ſofort zu entſcheiden. Da wurde ihm zur unglücklichen Stunde jener Teſtamentsentwurf übergeben, welchen der Vater kurz vor ſeinem Ableben dem Fürſten Wittgenſtein anvertraut hatte. *)S. o. IV. 725. 753.Darin war vor - geſchrieben, daß nur im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe ein Vereinigter Landtag aus 32 Abgeordneten der Provinziallandtage und ebenſo vielen Mitgliedern des Staatsraths gebildet werden dürfe; über - dies verlangte der alte Herr für jede Aenderung der ſtändiſchen Verfaſſung die Zuſtimmung der Agnaten. Daß dieſe Aufzeichnungen im Großen und Ganzen der Anſicht des verſtorbenen Königs entſprachen, ließ ſich nicht beſtreiten. Aber ſie waren rechtlich unwirkſam, da ſie weder Unterſchrift noch Datum trugen, und konnten nur als ein väterlicher Rath und Wunſch, nicht als ein bindendes Teſtament betrachtet werden, obgleich das Allgemeine Landrecht die letztwilligen Verordnungen der Mitglieder des königlichen Hauſes als privilegirte Teſtamente von den üblichen Förm - lichkeiten befreite; denn immer blieb die Frage offen, ob die Willens - meinung des Monarchen genau wiedergegeben ſei. Der neue König zwei - felte lange, wie er ſich zu den Verfügungen des Vaters zu verhalten habe; er ließ Alles was ſie über das Hausvermögen anordneten gewiſſenhaft ausführen, und theilte das Aktenſtück ſeinen Brüdern mit. Da erwi - derte ihm der Prinz von Preußen ſehr ernſt, die Willensmeinung des Vaters müſſe trotz ihrer mangelhaften Form unbedingt geachtet werden, ohne die Zuſtimmung aller erwachſenen königlichen Prinzen ſei fortan jede Verfaſſungsänderung unzuläſſig.
Alſo gemahnt entſchloß ſich Friedrich Wilhelm, ſofort bei der Huldigung die beabſichtigte Einberufung jenes ſeltſamen Landtags von 64 Mitglie - dern anzukündigen, obgleich eine neue Anleihe zur Zeit gar nicht nöthig war; auch eine Ueberſicht des Staatshaushalts wollte er den zur Huldi - gung verſammelten Provinzialſtänden vorlegen und ihnen mittheilen, daß er ſeinem treuen Volke zur Morgengabe einen Steuererlaß zu gewähren denke. Durch ſolche freie Bewilligungen — ſo rechnete er — würden die Stände leicht gewonnen werden und ſich gern entſchließen, dafür auf die verheißene regelmäßige Berufung des Reichstags zu verzichten. Waren dergeſtalt die Befehle des Vaters mit Genehmigung der Agnaten aus - geführt, ſo konnte vielleicht ſpäter einmal, nach dem Ermeſſen der Krone,35Das Teſtament des alten Königs.ein großer Vereinigter Landtag, eine Verſammlung aller Provinzialſtände einberufen werden. Ueber dieſen letzteren Plan äußerte ſich der König vorerſt noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich feſt hielt. Was er aber für die Huldigung beabſichtigte, das gab er ſchon zu An - fang Juli ſeinen Miniſtern kund, und ſagte in ſeinem Handſchreiben: er beſitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche ſein Vater ſich einſt durch eine lange, geſegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe er die ſtändiſche Frage nicht unentſchieden laſſen. Auch Boyen, Voß, Leopold Gerlach nahmen theil an den Berathungen, die ſich durch Wochen hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten.
Für den Vorſchlag des Königs erklärte ſich nur einer der Befragten, General Boyen. Der alte Kriegsmann ſah voraus, daß die erwartungs - volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und ſagte in einer Denkſchrift vom 8. Auguſt: „ In einem ſolchen zweifelhaften Falle iſt es die Hauptfrage: ſoll die Regierung ſich drängen laſſen oder die Initiative ergreifen? “ Ueberdies erwartete er beſtimmt einen neuen Krieg gegen Frankreich, und wie er ſchon im Jahre 1808 die Berufung einer Ständeverſammlung angerathen hatte, um die Krone zum Kampfe gegen Napoleon zu ſtärken, ſo verlangte er auch jetzt, daß unſere bewaffnete Macht „ geiſtig höher “ſtehen müſſe als die Heerſchaaren der Propaganda. Darum betrachtete er „ dieſen durch eine ſonderbare Kette von Verhält - niſſen herbeigeführten Gedanken eines ſtändiſchen Ausſchuſſes … als das beſte und einfachſte Mittel für unſere inneren und äußeren Staatsver - hältniſſe. … Kann Jemand noch ein beſſeres Mittel angeben, in Gottes Namen! Aber für die geſetzliche Lenkung des Volksgeiſtes muß etwas in Zeiten geſchehen. “ In einem Begleitſchreiben rief er dem Könige zu: „ Wir ſtehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Uebergang hat nicht wie bei Caeſar die Zerſtörung zum Zweck. Nein, das Zeil iſt das muthige Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländiſchen Einrichtungen. Dies iſt die von der göttlichen Vorſehung Eurer Majeſtät zugewieſene Aufgabe. “ *)Boyen’s Denkſchrift nebſt Begleitſchreiben an den König, 8. Aug. 1840.So klar der General das Ziel erkannte, ebenſo ſchwer täuſchte er ſich über die Mittel und Wege. Eine Verſammlung von 32 Provinzial - Abgeordneten war kein Reichstag, ſondern nur ein ſtändiſcher Ausſchuß, wie ſie Boyen ja auch ſelbſt nannte; durch eine ſo kümmerliche, faſt ſpöttiſche Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder befriedigt noch begeiſtert, ſondern nur aufgereizt werden zur Forderung ihrer verbrieften Rechte. Dieſe Gefahr lag ſo nahe, daß ſelbſt General Thile, der ſich anfangs zu ſeinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Miniſter alleſammt den Monarchen dringend warnten.
Dergeſtalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt ſchon ſeine verhängniß -3*36V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.volle Neigung, die Geſchäfte an der falſchen Stelle anzufaſſen; in beſter Abſicht verwirrte und verwickelte er die Frage alſo, daß beide Theile zugleich Recht und Unrecht hatten. Die Mehrzahl der Miniſter be - trachtete die ſtändiſche Geſetzgebung der Monarchie als endgiltig abge - ſchloſſen und verwarf jede Neuerung. Rochow vornehmlich, der vor acht - zehn Jahren den Verhandlungen der Notabeln über die Errichtung der Provinzialſtände beigewohnt*)S. o. III. 237., verſicherte in einer Denkſchrift zuverſichtlich, damals hätte „ man allſeitig die allgemeine Verfaſſungsfrage für abgethan gehalten “. In ähnlichem Sinne äußerte ſich Gerlach; der nachdrücklich hervor hob, daß die zur Huldigung einberufenen Stände ſich unmöglich für befugt halten könnten eine ſo wichtige Angelegenheit alsbald zu ent - ſcheiden. **)Rochow’s Denkſchrift, 27. Juli; eine andere Denkſchrift ohne Unterſchrift, offen - bar von Gerlach, 4. Aug. 1840.Vor dieſem allgemeinen Widerſpruche verlor der König den Muth. Er legte ſich nicht die Frage vor, ob es nicht rathſam ſei, ſtatt der geplanten bedenklichen Halbheit vielmehr eine ganze Gewährung zu wagen und den Preußen ſogleich bei der Huldigung die Einberufung eines wirklichen, mit allen verheißenen Rechten ausgeſtatteten Reichstags anzu - kündigen. Für ſolche Pläne konnte er an Radowitz oder Canitz freudige Helfer finden. Da er aber durchaus ſelbſt regieren wollte und in ſeinen Räthen immer nur gleichgiltige Werkzeuge ſah, ſo koſtete es ihn auch wenig Ueberwindung, ſich vorderhand noch mit Miniſtern zu behelfen, welche ſeinen reichsſtändiſchen Abſichten widerſtrebten. Schon halb ent - ſchloſſen die unbequemen Pläne vorerſt zu vertagen, beſuchte er den be - freundeten ſächſiſchen Hof und traf dort in Pillnitz, am 13. Auguſt mit dem Fürſten Metternich zuſammen. Er beſprach ſich mit ihm über die gemeinſamen Rüſtungen gegen Frankreich, über die nothwendige Reform der Bundesverfaſſung, nebenbei auch über die preußiſche Verfaſſungsfrage; und da der Oeſterreicher, wie zu erwarten ſtand, den Bedenken der preu - ßiſchen Miniſter lebhaft beipflichtete, ſo ließ der König für jetzt von ſeinen Vorſätzen ab. Alſo verſäumte er zum erſten male eine wunderbar günſtige Stunde; und oft genug hat er ſpäterhin bitterlich geklagt: „ ich beweine eine neue verlorene Gelegenheit, wie deren ſo viele!!! ſeit Jahren verloren ſind. “ ***)König Friedrich Wilhelm an Thile, 10. Juni 1847.Auch jetzt ſchon war er keineswegs mit ſich zufrieden, ſondern ſagte traurig: „ man wird ſehen, welche üblen Folgen das haben wird. “
Der Teſtamentsentwurf des alten Königs blieb alſo unausgeführt und wurde auf Befehl des Nachfolgers fortan ſtreng geheim gehalten. Nunmehr faßte Friedrich Wilhelm den Plan, die Befugniſſe der Pro - vinzialſtände Schritt für Schritt zu erweitern und dergeſtalt durch die belobte organiſche Entwicklung die dereinſtige Berufung der Reichsſtände37Stände, nicht Volksvertreter.vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die ſüddeutſchen Kammern ſollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräſentation, ſondern eine Verſammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten, eine im hiſtoriſchen Rechtsboden feſtgewurzelte Körperſchaft, die eben deshalb weder den befreundeten Oſtmächten Anſtoß geben noch die preußiſche Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi - ſchen Ständelehre, welche der Fürſt von Solms-Lich den Höfen neuerdings wieder mundgerecht vorgeſetzt hatte. Er überſah, daß der conſtitutionelle bairiſche Landtag doch auch nach dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußiſche Reichstag, wenn er nur mehr war als ein kleiner Ausſchuß, ſich ſelbſt für eine Volksvertretung anſehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger als der König hatte Dahlmann ſchon vor Jahren dieſe nothwendige Entwick - lung vorausgeſagt, als er in einem der ſchönſten Capitel ſeiner „ Politik “ausführte: dieſelbe Macht der Geſchichte, welche überall an die Stelle der Dienſte das Geld, an die Stelle der Sitte die Einſicht, an die Stelle der Standesmeinung eine öffentliche Meinung geſetzt habe, ſie nöthige auch die alten Landſtände zuſammenzurücken zu einer Volksvertretung. Solche Worte konnte der König nur für revolutionär anſehen, denn der Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche „ den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen “wolle.
Eben dieſe Idee des chriſtlich-germaniſchen Patrimonialſtaates war dem Monarchen heilig; ſie wollte er verwirklichen — „ auf Jahrhunderte hinaus “, wie Fürſt Solms zuverſichtlich meinte — im bewußten Gegen - ſatze zu den Staaten der Volksſouveränität und der papiernen Charten. Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in ſeine verborgenen Pläne. Im buchſtäblichen Sinne verſtand er die Mahnung, die ihm Leopold Gerlach in dieſen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „ dieſen Pumpernickel - Lafayette “geſcholten, als die weſtphäliſchen Stände an das Verfaſſungs - verſprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort ſich durch ſeine kühne Sprache hervorthat. Das Volk ſollte gehorſam abwarten, was des Königs Weisheit ihm ſchenken würde; nimmermehr wollte er ſich drängen laſſen.
Leider bekundeten jetzt ſchon mannichfache Anzeichen, wie wenig dieſe Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerſtehen vermochte. Zu - gleich mit der Verfaſſungsſache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite der beiden großen Fragen, welche ihm ſein Vater ungelöſt hinterlaſſen hatte, den Biſchofsſtreit, ernſtlich ins Auge gefaßt. Er beſchloß, durch eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Papſte den Zwiſt beizulegen und geſtattete ſchon am 13. Juli dem Erz -38V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.biſchof Droſte aus ſeiner ländlichen Heimath nach Münſter überzuſiedeln; nach Köln wollte er den Urheber des Streites auf keinen Fall zurückkehren laſſen. Den anderen der beiden Erzbiſchöfe hingegen, Dunin, der noch rechts - kräftig verurtheilt in Colberg gefangen ſaß, dachte er ſogleich wieder in ſein erzbiſchöfliches Amt einzuſetzen. Welch ein Mißgriff! Dunin war nicht nur der ſchuldigere der beiden Prälaten, da er ganz ohne Noth ein ſeit Jahrzehnten aner