Das Recht der Ueberſetzung iſt vorbehalten.
Durch ein langes Augenleiden iſt die Fortſetzung dieſes Buches ver - zögert worden, und ich will nur wünſchen, daß man dem Bande nicht anmerke, wie ſchwer mir zuweilen die Arbeit fiel.
Noch weit mehr als ſeine Vorgänger verdankt der vorliegende Band den Beiträgen freundlicher Leſer. Ohne dieſen gütigen Beiſtand, aus amtlichen Quellen allein hätte ich manche Ereigniſſe nicht verſtehen können, und ich bitte auch für die Schilderung der Revolutionsjahre herzlich um ſolche Mittheilungen. Die Aufgabe wird immer ſchwieriger, je mehr die Erzählung ſich der Gegenwart nähert.
Ein Mangel läßt ſich bei allem Fleiße nicht ganz beſeitigen. Das Leben der breiten Maſſen des Volks bleibt in einem Zeitalter reflectirter Bildung immer geheimnißvoll, und wie viel der Hiſtoriker auch an wirth - ſchaftlichen, politiſchen, religiöſen Erklärungsgründen vorbringen mag, zu - letzt kann er doch nur einfach die Thatſache feſtſtellen, daß die Stimmung der Zeit reif wurde für eine Revolution.
Die Geſchichte dieſer acht Jahre wirkt wie ein erſchütterndes Trauer - ſpiel. Zuerſt hohe Entwürfe, glänzende Hoffnungen, überſchwängliche Träume, nachher faſt überall ein klägliches Mißlingen, ein unvermeidlicher Zuſammenbruch. Den tragiſchen Ernſt, der im Stoffe ſelber liegt, darf der Darſteller nicht durch vornehmen Gleichmuth künſtlich zu verwiſchen ſuchen.
Welchen Mißbrauch treibt man doch heute mit dem Ausſpruch: sine ira et studio — einem Worte, das Niemand weniger befolgt hat als ſein Urheber. Gerecht ſoll der Hiſtoriker reden, freimüthig, unbekümmertVIVorwort.um die Empfindlichkeit der Höfe, ungeſchreckt durch den heute viel mäch - tigeren Haß des gebildeten Pöbels. Aber ſo gewiß der Menſch nur ver - ſteht was er liebt, ebenſo gewiß kann nur ein ſtarkes Herz, das die Geſchicke des Vaterlandes wie ſelbſterlebtes Leid und Glück empfindet, der hiſtoriſchen Erzählung die innere Wahrheit geben. In dieſer Macht des Gemüths, und nicht allein in der vollendeten Form, liegt die Größe der Geſchichtſchreiber des Alterthums. —
Berlin, 10. Auguſt 1894.
Heinrich von Treitſchke.
Fünftes Buch.
König Friedrich Wilhelm der Vierte 1840 — 1848.
Am 9. Juni 1840 verſammelte Fürſt Metternich die ſämmtlichen in Wien anweſenden deutſchen Geſandten zu einem Feſtmahle und gedachte in bewegter Rede jenes ſchönen Bundes, der nunmehr ſeit einem Viertel - jahrhundert den Deutſchen Glück und Frieden ſichere. Fürſtin Melanie weinte tiefgerührt; denn jeden Augenblick erwartete man aus Berlin die Kunde vom Tode des erkrankten Königs, und was mochte die herauf - ſteigende neue Zeit bringen? An der Tafel ſaß auch der Bundespräſi - dialgeſandte Münch-Bellinghauſen, der nach ſeiner Gewohnheit die letzten acht Arbeitsmonate an der Donau zugebracht hatte, um demnächſt wäh - rend der heißen Jahreszeit die Ferien des Bundestags wieder zu unter - brechen. Mancher der Gäſte ſogar konnte ſich der unmuthigen Frage nicht enthalten, ob dieſer von der Hofburg ſo geringſchätzig behandelte Bund wohl eines Feſtes werth ſei. *)Maltzan’s Berichte, 9. Juni 1840 ff.In der Nation ward der Erinnerungstag des Deutſchen Bundes nirgends beachtet, kaum daß da oder dort ein Zeitungs - blatt einen der landesüblichen bittern Scherze über das rothe Frankfurter „ Incompetenzgebäude “brachte.
Wer ſollte auch jubeln über die Saat des Unfriedens, die in dieſen fünfundzwanzig Friedensjahren aufgeſchoſſen war? Schroffer, unverſöhn - licher denn je traten die alten großen Gegenſätze unſerer Geſchichte ein - ander entgegen. Während die deutſche Bundesverfaſſung nur durch die Freundſchaft der beiden Großmächte aufrecht erhalten werden konnte und der Geſandte in Wien, Graf Maltzan, zur lebhaften Befriedigung des alten Königs, den Grundgedanken der correcten preußiſchen Staatskunſt in dem Satze zuſammenfaßte: „ nicht unter, aber ſtets mit Oeſterreich “**)Maltzan’s Berichte, Mai 1840. Randbemerkung des Königs: C’est bien cela Rien de plus correct. , hatte derſelbe Monarch bereits einen Weg eingeſchlagen, welcher un - ausweichlich zur Trennung von Oeſterreich führen mußte. Das ſtolze Werk dieſer neu aufgenommenen fridericianiſchen Politik, der Zollverein,1*4V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.ſtand ſchon ſo feſt, die Gemeinſchaft der Arbeit zwiſchen den Deutſchen außerhalb Oeſterreichs erſchien ſchon ſo unzerreißbar, daß Michel Chevalier eben jetzt, nach einer Reiſe durch Deutſchland, bewundernd ſagte: „ In der europäiſchen Politik weiß ich nichts Merkwürdigeres als die Wieder - herſtellung der Einheit Deutſchlands. Welch ein prächtiges Schauſpiel, das eines großen Volkes, deſſen Trümmer ſich nähern, das zur Natio - nalität, das heißt zum Leben, zurückkehrt! “
Der grelle Widerſpruch zwiſchen dieſem jungen vollſaftigen wirth - ſchaftlichen Leben und den Formen des ſtarren, jeder Verbeſſerung ſpotten - den Bundesrechts mußte die öffentliche Meinung verwirren. Die Einen träumten noch dahin in dem Stillleben eines gedankenloſen Particula - rismus, der durch die großen Verhältniſſe des neuen nationalen Marktes ſchon überwunden war; Andere wiederholten noch wie vor zehn Jahren die Schlagworte des radikalen Weltbürgerthums; in den beſten Klaſſen des Volkes aber erwachte allmählich ein leidenſchaftlicher, reizbarer Natio - nalſtolz. Sie ahnten, daß hier eine ungeheuere Volkskraft durch tauſend verfitzte und verſchrobene politiſche Rückſichten künſtlich unterbunden war. Verwegene Anſprüche, wie ſie vordem nur vereinzelte Schwärmer gewagt hatten, wurden zum Zeitungsgeſpräche. Man begann zu fragen, warum dieſer junge Zollverein nicht, wie einſt die Hanſa, ſeine Flagge auf dem Weltmeere entfalte und durch ſeine Orlogsſchiffe beſchütze, warum er nicht theilnehme an der Eroberung der transatlantiſchen Welt. Nach allen entfremdeten Tochterlanden unſeres Volkes, bis nach Flensburg, bis nach Riga und Reval ſchweiften die verlangenden Blicke der patriotiſchen Schriftſteller; und als in dieſem wechſelreichen Sommer die Rheingrenze von Neuem bedroht ſchien, da erhob ſich mit elementariſcher Gewalt ein Sturm nationalen Zornes, der deutlich bekundete, daß der Geiſt der Be - freiungskriege nicht erſtorben war, daß die Zeiten der Erfüllung unſerem ringenden Volke endlich nahten. Mit dem nationalen Stolze wuchſen auch die Freiheitshoffnungen. Nach ſo vielen Kämpfen und Enttäuſchun - gen begannen ſich die Liberalen um dieſe Zeit das theoretiſche Ideal des parlamentariſchen Staates zu formen, das ſie ſeitdem feſthielten bis mit dem Jahre 1866 der monarchiſche Staatsgedanke wieder erſtarkte. Einer ihrer Führer, der Braunſchweiger Karl Steinacker erklärte jetzt kurzab: „ die Regierung im Repräſentativſtaate iſt immer die Darſtellung der Majorität im Staate; “der beſonnene, wohlmeinende Mann ahnte nicht, daß er mit dieſer Lehre dem Königthum jede ſelbſtändige Macht raubte und nur den Weg ebnete für die republikaniſchen Ideen, die unter den Flüchtlingen, unter der aufgeregten Jugend gewaltig überhandnahmen.
Wie weitab von ſolchen beſtändig ſteigenden doctrinären Anſprüchen des Liberalismus lag die Wirklichkeit der deutſchen Zuſtände: die über - aus beſcheidene Macht der ſüddeutſchen Landtage und die dreiſte Willkür des Welfenkönigs, der ungeſtraft ſein Landesrecht mit Füßen trat. Auch5Gegenſätze des deutſchen Lebens.auf dem Gebiete der Theorie erſtanden der liberalen Lehre einflußreiche Gegner. Unklare Erinnerungen aus Haller und den Werken der hiſto - riſchen Rechtsſchule lieferten dem jungen Fürſten Ludwig zu Solms - Lich den Stoff zu ſeinem Büchlein „ Deutſchland und die Repräſentativ - verfaſſungen “(1838), einer Schrift, die in der vornehmen Welt, zumal am Berliner Hofe lebhafte Bewunderung erregte, von dem alten Hans Gagern aber mit dem treffenden Vorwurfe abgefertigt wurde: „ Es kom - men uns, vorzüglich aus dem Norden, allerlei ſophiſtiſche myſtiſche Be - hauptungen zu, die wie die Nebel von den Sonnenſtrahlen des natürlichen Verſtandes zerſtreut werden. “ Deutlich war in den verſchwommenen Sätzen nur das Eine, daß der fürſtliche Verfaſſer die ganze neue Geſchichte des deutſchen Südens für eine große Verirrung anſah und ihr die preußi - ſchen Provinzialſtände als lichtes Gegenbild entgegenhielt. Ebenſo un - friedlich geſtalteten ſich die wirthſchaftlichen Zuſtände. Kaum begann unter dem Schutze des Zollvereins die junge Großinduſtrie aufzublühen, ſo zeigte ſich auch ſchon die finſtere Schattenſeite der neuen Verhältniſſe; weithin durch die lange Kette der mitteldeutſchen Hungergebirge erklang der Jammerruf der Arbeiter; die grimme Noth ſtimmte die Maſſen em - pfänglich für communiſtiſche Träume.
Eine ſchwere ſociale Erſchütterung ſchien im Anzuge, und ſie drohte um ſo verheerender zu wirken, da auch das kirchliche Leben tief zerklüftet war. Derweil das römiſche Prieſterthum ſeit dem Kölniſchen Biſchofs - ſtreite ſeine Macht täglich wachſen ſah und der Glaubensernſt der wieder - erwachten evangeliſchen Frömmigkeit ſich in fruchtbaren Liebeswerken be - thätigte, verhöhnten die Kritiker der junghegelſchen Schule jede Form des Chriſtenthums; der Bodenſatz der alten Aufklärung wirbelte wieder empor, weite Kreiſe der Gebildeten vermochten noch gar nicht zu begreifen, daß es mit der Religion wieder Ernſt ward. Als ein Zeichen der Zeit er - ſchien am hundertſten Gedenktage der Thronbeſteigung die Jubelſchrift „ Friedrich der Große und ſeine Widerſacher “von dem jungen C. F. Köppen, ein geiſtreiches Buch, das die erhabene Sittlichkeit des ſchaffenden und wiſſenden Heros wider die moraliſchen Splitterrichter ſiegreich vertheidigte, aber auch die katholiſchen Wölfe im Schafskleide, die proteſtantiſchen Schafe im Wolfskleide, die aus allen Pfützen quakenden glaubensſeligen Fröſche mit ätzendem Hohne überſchüttete. Die reiche Gedankenarbeit dreier Genera - tionen, welche die Herrſchaft der Ideen Voltaire’s in Deutſchland gebrochen hatte, ſchien für dieſe radicale Jugend gar nicht vorhanden zu ſein. Und welche Gegenſätze endlich in der Literatur. Neben der ſtrengen Forſchung der hiſtoriſchen und der Naturwiſſenſchaft trieb eine freche und flache Tages - ſchriftſtellerei ihr Weſen, durch und durch tendenziös, in Vers und Proſa alle überlieferte Ordnung verſpottend, immer nur auf den flüchtigen Er - folg des Augenblicks bedacht.
Deutſchland war in einem Zuſtande bedenklicher Gährung, und einer6V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.der wenigen Franzoſen, welche den Schickſalen des Nachbarlandes mit Ver - ſtändniß folgten, Saint-René-Taillandier, meinte beſorgt: ſolche Anarchie der Geiſter erinnere an die Zuſtände Frankreichs vor der Revolution. Aber in den deutſchen Wirren offenbarte ſich nicht wie einſt in Frank - reich die Fäulniß einer ſittlich zerſetzten Geſellſchaft, ſondern der unklare Jünglingsmuth eines edlen aufſtrebenden Volkes, das ſeine Kraft zu fühlen begann. Wie leicht eine große Idee alle dieſe hadernden Köpfe unter einen Hut zwingen, alle dieſe durch einander fluthenden Gedanken, von denen keiner die Nation ganz beherrſchte, völlig überſchatten konnte, das lehrte jener wunderbare Einmuth kriegeriſcher Begeiſterung, der die Deutſchen ergriff als ſie ihre Weſtmark gefährdet ſahen. Wenn der Nach - folger Friedrich Wilhelm’s III. durch freien königlichen Entſchluß, wie bis - her noch alle die großen Wendungen unſerer Geſchichte ſich entſchieden hatten, durch eine rechtzeitige weiſe Gewährung ſeine heimiſchen Verfaſſungs - händel ſchlichtete, wenn er alſo zugleich das Anſehen ſeiner Krone ſtärkte und die Kluft überbrückte, welche ſein Preußen von den kleinen deutſchen Staaten abſchied, wenn er das edle Vermächtniß der Befreiungskriege, das erſtarkte religiöſe Leben treu behütete, ohne die freie Forſchung von ſich zu ſtoßen, dann durfte er wagen die fridericianiſchen Gedanken in einem großen und freien Sinne wieder aufzunehmen, das Werk des Zoll - vereins zu vollenden und mit dem Degen in der Hand für den Staat, der das Arbeitsleben der Nation bereits beherrſchte, auch die Leitung der deutſchen Politik zu fordern. —
Selten hat ſich ſo fühlbar die alte Wahrheit beſtätigt, daß Männer den Lauf der Zeiten beherrſchen. Friedrich Wilhelm der Vierte blieb acht Jahre hindurch der Mann des Schickſals für Deutſchland; die Kräfte, die er weckte, und weit mehr noch die Gegenkräfte, die er wider ſich auf - rief, trieben unſer Volk der Revolution entgegen. Aber ſelten auch ward ſo anſchaulich, daß die Zeit ſich ihre Männer bildet. Der räthſelhafte Charakter des neuen Königs war ſelbſt nur eine letzte feine Blüthe der langen, kaum erſt überwundenen Epoche äſthetiſcher Ueberſchwänglichkeit; erſt den thatkräftigeren Söhnen eines anderen abgehärteten Geſchlechts, das die Gräuel der Revolution durch die Gaſſen hatte raſen ſehen, ſollte gelingen was dieſen weichen Händen mißrathen mußte. Eine ſo eigen - artige Anſicht von der Vollgewalt des Königthums, wie dieſer Fürſt ſie in begeiſtertem Herzen hegte, hatte mit der frivolen Selbſtvergötterung der Bourbonen, mit der gedankenloſen Ruheſeligkeit der Wiener Hofburg gar nichts, mit der pfäffiſchen Königskunſt der Stuarts auch nur wenig ge - mein; ſie konnte, gleich dem künſtleriſchen Abſolutismus König Ludwig’s von Baiern, nur auf deutſchem Boden erwachſen, nur auf dem Boden jener romantiſchen Weltanſchauung, welche in der ſchrankenloſen Entfal - tung aller Gaben, in der Selbſtgewißheit und dem Selbſtgenuſſe des ſtolzen Ichs ihr Ideal fand. In der gedrückten und beengten Zeit rief7Friedrich Wilhelm’s Anſchauung vom Königthum.Jedermann nach Freiheit, Niemand lauter als der neue König. Aber vor Allen wollte er ſelber frei ſein, um auf den Höhen des Lebens ſich aus - zuleben, die Fülle ſeiner königlichen Weisheit und Geſtaltungskraft zu be - thätigen. Er glaubte an eine geheimnißvolle Erleuchtung, die den Königen vor allen anderen Sterblichen durch Gottes Gnade beſchieden ſei; er hegte ein warmes Zutrauen zu den Menſchen und meinte die Zeit zu verſtehen, weil er allem Schönen und Großen was ſie bot mit feinſinniger Empfäng - lichkeit gefolgt war. Darum dachte er kraft ſeiner königlichen Vollgewalt ſeinem geliebten Volke mehr wahre Freiheit zu ſchenken als jemals eine geſchriebene Verfaſſung gewähren könne.
Friedrich Wilhelm hatte das fünfundvierzigſte Lebensjahr faſt erreicht, und ſeine gedunſene Geſtalt mit den geiſtreichen, aber ſchlaffen, bartloſen Ge - ſichtszügen erſchien trotz der jugendlich unruhigen Bewegungen ſchon etwas gealtert. Wie viel hatte er auch ſchon erlebt in dieſen langen Jahren des Wartens, welche Huldigungen waren ihm zu Theil geworden von jenen fernen Tagen an, da die alte Albertina den dreizehnjährigen Knaben zu ihrem Rector erwählte, und am letzten Geburtstage ſeiner Mutter „ des Vater - landes blühende Hoffnung “durch eine Denkmünze geehrt wurde, bis herab zu den ſpäteren Zeiten, da Goethe weiſſagte, dies große Talent müſſe neue Talente wecken, und Jedermann die Geiſteshoheit des Kronprinzen bewunderte. Seit Langem ſchon führte er den Vorſitz im Staatsrathe wie im Miniſterium und glaubte daher das geſammte Getriebe des Staats zu überſehen. Sein Vater ſorgte jedoch mit ſeinem ſchlichten Menſchenverſtande dafür, daß dieſe einem Thronfolger wenig angemeſſene glänzende Stellung nicht zu einer Mitregentſchaft entartete. Der alte König war in ſeinem Hauſe weit mehr der Herr als im Staate; ſeine Kinder blickten zu ihm alle empor mit jener ſcheuen Ehrfurcht, welche ernſte, wortkarge Väter ſelbſt begabteren Söhnen einzuflößen wiſſen. Der politiſche Einfluß des Kronprinzen reichte nicht ſehr weit. Einzelnen Perſonen, zumal rechtgläubigen Geiſtlichen konnte er wohl durch ſeine Fürſprache vorwärts helfen; auch die wenig erheblichen Verhandlungen mit den Provinzialſtänden blieben faſt ausſchließ - lich ſeiner Leitung überlaſſen. Aber alle entſcheidenden Beſchlüſſe faßte der alte Herr ſo ganz nach eigenem Ermeſſen, daß der Thronfolger ſeine Ohnmacht bald ſehr ſchmerzlich empfand und einen ſtillen, beſtändig wach - ſenden Groll gegen das alte Regiment faßte.
Er haßte nicht nur die bureaukratiſche Formenſtrenge, die er als „ Diener-Anmaßung “abzufertigen liebte, ohne ihre großen Vorzüge zu würdigen; er verabſcheute noch mehr den ganzen Geiſt dieſer Regierung, der ihm von der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts nur wenig abzuweichen ſchien. Wenn er als Kronprinz in Charlottenhof dicht unter dem Hügel von Sansſouci weilte, in der roſenumrankten Villa, die ihm der Vater geſchenkt und Schinkel mit italieniſcher Anmuth ausgeſchmückt hatte, dann verglichen die Gäſte zuweilen in erregten Geſprächen Ver -8V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.gangenheit und Zukunft. Das aufſtrebende junge Geſchlecht meinte der alten Zeit durch den Schwung, die Gläubigkeit, die Gemüthstiefe, die Ironie der Romantik weit überlegen zu ſein. Friedrich Wilhelm’s Herzens - freund Prinz Johann von Sachſen beſang in feierlichen Trochäen die kalte Marmorpracht der Königsſäle da droben:
und ſchilderte dann in hüpfenden Daktylen das Gartenhaus drunten mit ſeiner jugendlichen Fröhlichkeit:
Bald nach ſeiner Thronbeſteigung ſchlug der neue König ſelbſt in dem Schloſſe des großen Friedrich ſein Hoflager auf, was keiner ſeiner beiden Vorgänger gewagt hatte. Die unausbleiblichen erdrückenden Ver - gleichungen erſchreckten ihn nicht, denn er hoffte, daß jetzt zum zweiten male von dieſem „ hiſtoriſchen Hügel “herab ein neuer Geiſt ſich über das Land ergießen würde, ein anderer freilich als der fridericianiſche, der Geiſt des chriſtlichen Staates. In ernſter Arbeit und ſchweren Seelenkämpfen hatte er die rationaliſtiſchen Lehren ſeiner Jugenderzieher längſt über - wunden und den Glauben als die höchſte Potenz der Vernunft begriffen. Unauslöſchlich ſtand in ſeinem Herzen der Spruch des heiligen Auguſtin: das unwandelbare Licht Gottes war über mir, weil es mir das Daſein gegeben, und ich war unter ihm weil es mich erſchaffen hat. Daraus ergab ſich ihm „ der unausſprechliche Unterſchied des Schöpfers und Geſchöpfes, daher auch der Wahnſinn, die Gottheit aus dem eigenen Weſen, als einem Analogon der Gottheit!!! zu conſtruiren. “ *)Bemerkungen des Kronprinzen zu Bunſen’s Abhandlung über Eherecht, Staat und Kirche.Nichts war ihm darum haſſenswürdiger, als „ die Drachenſaat des Hegel’ſchen Pantheismus “; tiefſinniger als Hegel erkannte er, daß jedes Zeitalter nicht bloß als eine Entwicklungsſtufe für die Zukunft etwas bedeutet, ſon - dern ſeinen ſelbſtändigen Werth, ſeine eigene Beziehung zu Gott hat. Die neue Zeit aber, die jetzt heraufgraute, ſollte mit der Erbſchaft der alten Aufklärung gründlich aufräumen, die Revolution durch die Freiheit, die fleiſchliche Freiheit durch die chriſtliche, den mechaniſchen durch den chriſt - lichen Staat überwinden.
Eine Welt herrlicher Pläne hatte er ſich mit künſtleriſcher Phantaſie ſchon ausgeſonnen, und nun, da er der Herr war, drängte ihn ſein liebe - volles Gemüth, das überall augenblicklich Freude bereiten, überall glück - liche Geſichter um ſich ſehen wollte, ſie alle zu verwirklichen. Er dachte die provinzialſtändiſche Verfaſſung durch die Einberufung eines ſtändiſch gegliederten Reichstags zu vollenden, nimmermehr durch eine papierene9Friedrich Wilhelm’s Pläne.Conſtitution; denn obwohl er allen politiſchen Theorien ſeine Verachtung auszuſprechen liebte, ſo war er doch ſelbſt ganz durchdrungen von einer unwandelbaren politiſchen Doctrin. Jener künſtliche Gegenſatz des revo - lutionären Repräſentativſyſtems und des legitimen Ständeweſens, welchen Gentz einſt in der Karlsbader Denkſchrift vom Jahre 1819 geſchildert hatte, erſchien ihm als eine unumſtößliche Wahrheit; wie die alte Natur - rechtslehre an ein abſtraktes, über allen poſitiven Geſetzen erhabenes Ver - nunftrecht glaubte, ſo er an ein hiſtoriſches Recht der Stände, das ohne Zuthun der Staatsgewalt entſtanden, auch von ihr nur anerkannt, nicht aufgehoben werden könne. Die Wahrheit, daß der rechtsbildende Gemeingeiſt der modernen Völker ſich am ſtärkſten in ihren Staatsgeſetzen bethätigt, ver - achtete er als eine Verirrung der hegelianiſchen Staatsvergötterer; von dieſer „ Staatsallmacht “ſollte ſeine chriſtliche Monarchie ſich allezeit fern halten. Haller’s Staatslehre feierte jetzt da ihr Urheber ſchon das ſiebzigſte Jahr überſchritten hatte, ihren höchſten Triumph, nur daß dieſe derbproſaiſche Machttheorie ſich in der Seele Friedrich Wilhelm’s zu einem reichgeſchmückten künſtleriſchen Bilde ausgeſtaltete: die Idee der Staatseinheit galt ihm gar nichts, genug wenn alle Stände und alle Landſchaften ſeines weiten Reichs ſich frei und farbenprächtig in ihrer hiſtoriſchen Eigenart entfalteten, auch die Wenden, auch die Litthauer, die Kaſſuben, die Maſuren ſich un - geſtört ihrer volksthümlichen Sprache und Sitte erfreuten.
Alle Härten des alten Syſtems dachte er zu mildern; alſo Verzeihung für die Demagogen, auch für die Polen, die er als widerrechtlich Unter - drückte bemitleidete; Freiheit für die Preſſe, und vornehmlich für die Kirche. Den Groll der Katholiken über den Kölniſchen Biſchofsſtreit hoffte er durch hochherzige Zugeſtändniſſe zu verſöhnen. Die evangeliſche Landeskirche aber und die oberſtbiſchöfliche Gewalt des Königthums betrachtete er kaum als zu Recht beſtehend: wenn der Proteſtantismus nur erſt alle ungläu - bigen Elemente ausgeſtoßen hätte, dann ſollten ſich die Gemeinden der Gläubigen aus eigener Kraft, ungeſtört von der Staatsgewalt, ihre Kirche neu erbauen, und alſo die unſichtbare Kirche ſichtbar werden. Auch die knappe Sparſamkeit des alten Regiments betrachtete er längſt mit Un - willen: um eine prächtige, geſchmackvolle, des hohenzollerſchen Namens würdige Hofhaltung hoffte er Alles zu verſammeln was Deutſchlands Kunſt und Wiſſenſchaft an großen Namen beſaß. Schon als Kronprinz hatte er den Ausbau der Marienburg und des Kölner Domes gefördert, zu Caſtel auf der Felsplatte hoch über der Saar die Gruftkirche ſeiner lützelburgiſchen Ahnen, auf Stolzenfels das Rheinſchloß der trieriſchen Kurfürſten ſtattlich hergeſtellt, auf Stahleck die Pfalzgrafenburg der Altvordern ſeiner Gemahlin wieder zugänglich gemacht; jetzt ſollten über - all die halbzertrümmerten Bauten der deutſchen Vorfahren prächtig auf - erſtehen und zugleich den ſchöpferiſchen Talenten des jungen Künſtler - geſchlechts eine Fülle neuer Aufgaben geſtellt werden. Jeder friſchen Kraft10V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.des vaterländiſchen Lebens wollte der chriſtliche Monarch ſorgſam gerecht werden: dem Handel, dem Gewerbfleiß, dem Verkehre und nicht zuletzt den arbeitenden Maſſen, deren wachſende Macht er ſchon als Kronprinz, früher als die meiſten Zeitgenoſſen, ſcharfſichtig würdigte.
Von der überlieferten auswärtigen Politik war er nicht gemeint ſich gänzlich loszuſagen; er betrachtete den Bund der Oſtmächte als den Schutz - wall wider die Revolution, ſeine alte Verehrung für Metternich’s Weis - heit hatte ſich mit den Jahren nur geſteigert, und gegen den ruſſiſchen Schwager zeigte er ſich ſchwächer als ſein Vorgänger. Der alte Herr hatte „ den lieben Niks “wie einen Sohn geliebt, aber ihn in ſeiner ſtillen Weiſe immer in Schranken gehalten. Dem neuen Könige war die Härte des Czaren tief zuwider, und vor Vertrauten äußerte er ſich oft ſehr bitter über „ Seine Autokratiſche Majeſtät “, doch er empfand vor ihm jene geheime Furcht, welche der überlegene Wille dem überlegenen Geiſte aufzwingt. Dabei fühlte er doch ſehr lebhaft, daß ſeine innere Politik weder mit dem gemüthlichen Seelenſchlafe des alten Oeſterreichs, noch mit der knechti - ſchen Stille des Czarenreichs irgend etwas gemein haben durfte, und erſehnte die Zeit, da England wieder in den alten Vierbund eintreten, Preußen aber, geſtärkt durch ein engeres Bündniß der beiden proteſtan - tiſchen Großmächte, etwas freiere Hand in Europa erhalten würde. Dieſem ſtammverwandten Inſelvolke widmete er ſeit einigen Jahren eine feurige durch Bunſen’s enthuſiaſtiſche Briefe beſtändig geſchürte Bewunderung. Mit Freuden nahm er wahr, wie die Anglomanie ſeit dem Ende der dreißiger Jahre überall in Mitteleuropa, bis nach Ungarn hinein, unter dem Adel überhandnahm, Trachten und Sitten der engliſchen Sportsmen von der vornehmen Welt eifrig nachgeahmt wurden. Er ſah in der briti - ſchen Verfaſſung das Muſterbild jener organiſchen Entwicklung, die er, in anderen Formen freilich, für ſeinen eigenen Staat erhoffte, und theilte die unter dem liberalen Adel wie im Bürgerthum weit verbreitete Mei - nung, daß England unſer natürlicher Bundesgenoſſe ſei. Immerhin hatte er ſchon mehr politiſche Erfahrung geſammelt als die freiwilligen Staatsmänner des Liberalismus und erkannte wohl, daß die Verbindungen der Staaten nicht allein durch ihre innere Verwandtſchaft beſtimmt wer - den; nur wenn der alte Oſtbund unerſchütterlich fortbeſtehe, hielt er das engere Bündniß der zwei proteſtantiſchen Mächte für möglich.
Noch lebhafter beſchäftigte ihn Preußens deutſche Politik. Er rechnete nicht auf ein langes Leben und ſagte bald nach ſeiner Thronbeſteigung: ob dieſe kurze Regierung ruhmreich werde, das wiſſe er nicht, aber einen deutſchen Charakter ſolle ſie tragen. Da er „ die Vorurtheile “des fride - ricianiſchen Zeitalters verachtete und dem alten Kaiſerhauſe neidlos den Vortritt überließ, ſo hielt er den Deutſchen Bund mitſammt der fried - lichen Zweiherrſchaft für eine höchſt ſegensreiche Einrichtung, und ſein Ehrgeiz ging nur dahin, daß Preußen dieſe trefflichen Inſtitutionen be -11Europäiſche und deutſche Politik.leben, dem Bunde die wirkſame Leitung des Heerweſens, der Verkehrs - verhältniſſe, der Handelspolitik verſchaffen müſſe. Wie die erweiterte Bundesgewalt ſich mit dem Zollvereine vertragen ſollte, der doch ohne und gegen den Bund entſtanden war — ſolche Fragen legte er ſich kaum vor; denn ſein preußiſches Staatsgefühl blieb allezeit ſchwächer als die unbeſtimmte Begeiſterung für Deutſchlands Einigkeit, und der Gedanke, im Kampfe mit Oeſterreich die Führung der Nation für Preußen zu fordern, lag gänzlich außerhalb ſeines Geſichtskreiſes. Unter allen hohen - zollerſchen Königen war er der friedfertigſte, friedfertiger noch als ſein Vater und darum auch der einzige, der nie einen ernſten Krieg geführt hat. Auf eines ſeiner Muſeen ließ er den alten Cäſarenſpruch ſetzen: Melius bene imperare quam imperia ampliare — ein Wort, das dem Beherrſcher eines Weltreiches wohl anſtand, doch wahrlich nicht dem Könige eines jungen, unfertigen Staates mit lächerlichen Grenzen. Er war kein Mann des Degens; nur ungern beſtieg der Kurzſichtige ein Roß, und wenngleich er bei den Manövern die Offiziere oft durch ſeine ſcharfſin - nigen kritiſchen Bemerkungen überraſchte, ſo fühlten ſie doch alle, daß er dieſe kriegeriſchen Pflichten nur aus Gewiſſenhaftigkeit, ohne Freude er - füllte. Sein Herz hing an dem Glücke des Friedens. Alle die fried - lichen Segnungen aber, welche ſein Volk unter der chriſtlich-ſtändiſchen Monarchie zu erwarten hatte, ſollten allein ausgehen von der Weisheit der Krone; denn wie ein Patriarch des Alten Teſtaments verſtand er ſeine Würde, recht eigentlich als eine väterliche von Gott ſelbſt zur Erziehung der Völker eingeſetzte Gewalt erſchien ihm das Königthum. Auf die Perſon des Monarchen bezog er Alles was im Staate geſchah. Der höchſte Zweck der freien Preſſe war ihm „ das Aufdecken von Miß - bräuchen und Unbilden, von denen Ich auf keinem anderen Wege unter - richtet werden dürfte “;*)Marginalnote, 7. Juni 1843. und wenn er ſeinen Unterthanen zürnte, dann ſagte er drohend: „ ungezogene Kinder zur rechten Zeit die Ruthe fühlen zu laſſen iſt ſchon durch Salomon und Sirach empfohlen. “**)Marginalnote, 10. Juni 1847.
Wenn ſich nur unter allen dieſen vielverheißenden Plänen des Thron - folgers ein einziger völlig ausgereifter, ſtaatsmänniſch durchdachter Ent - wurf befunden hätte! Indeß jene leidenſchaftliche Luſt am Erfolge, ſelbſt am verkümmerten Erfolge, welche den Mann der That bezeichnet, war ihm völlig fremd. Er liebte an der Fülle ſeiner Gedanken wie an einem künſtleriſchen Spiele ſich zu weiden, und in den langen Jahren des Harrens verlernte er faſt zu fragen, wie alle dieſe Herrlichkeit ins Leben treten ſolle. Sogar den Plan der Befreiung der evangeliſchen Kirche, der ihm unter allen das Herz am ſtärkſten bewegte, dachte er nur ſieben Jahre lang mit ganzem Ernſt zu fördern; zeige ſich dann der Widerſtand12V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.unüberwindlich, ſo wollte er das Buch zuſchlagen. So ſprach nicht ein geborener Herrſcher, ſondern ein phantaſiereicher Kopf, der ſich den Ein - drücken des Lebens mehr hingab als ſie ſelbſt beſtimmte, eine weiche Natur, die im Vertrauen auf Gott und die Menſchen allezeit hoffte, die Dinge würden nach ihren Wünſchen gehen und dann das Mißlingen nicht der eigenen Schwäche, ſondern dem unerforſchlichen Rathſchluſſe der Vor - ſehung zuſchrieb. Auf ſeinem Schreibtiſch in Sansſouci ſtanden neben einander die Statuetten der Venus von Melos, des frommen Gellert, des Czaren Nikolaus, beredte Zeugen einer wunderbaren Empfänglichkeit, die in Kunſt und Wiſſenſchaft, in Staat und Kirche alles Bedeutende zu verſtehen ſuchte, ohne irgendwo ganz heimiſch zu werden.
Im Geſpräche mit den Helden des deutſchen Geiſtes zeigte er eine ſo blendende Ueberlegenheit, daß Leopold Ranke ſtaunend ſagte: er iſt unſer Aller Meiſter. Und doch war er kein Meiſter, ſondern nur der größte aller jener geiſtreichen Dilettanten, an denen die vielgeſtaltige moderne Cultur ſo reich iſt. Auf keinem der unzähligen Gebiete des geiſtigen Lebens, die ſein ruheloſer Geiſt zu umfaſſen ſtrebte, zeigte er ſich wahrhaft mächtig, wahrhaft ſchöpferiſch, am wenigſten in ſeinem poli - tiſchen Berufe. In ſpäteren Jahren wetterte einmal ein klagender Bauer, der von dem Monarchen an den Staat gewieſen wurde, über dieſen „ Racker von Staat “, und der König pflegte dies geflügelte Wort halb im Scherz zu wiederholen. In ſeinem Munde war es leider mehr als ein Scherzwort; die unerbittliche Regelmäßigkeit der Staatsgeſchäfte widerte ihn ebenſo tief an wie die Härte der politiſchen Machtkämpfe, obgleich er die Arbeiten ſeines königlichen Amts mit gewiſſenhaftem Fleiße, bis in die tiefe Nacht hinein beſorgte. Immer athmete er auf ſobald er ſich aus dieſer Welt der Nüchternheit in ſein eigenes reiches Ich zurückziehen konnte, und nie war er glücklicher, als wenn er, berauſchend und berauſcht, die Fluth ſeiner Gedanken und Gefühle in begeiſterter Rede ausſtrömen ließ. „ Es ließ mir keine Ruh’, ich mußte reden, “ſo ſagte er dann, durchaus ehr - lich, zu ſeinen Freunden. *)K. Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846 u. ſ. w.Nur die ihn nicht kannten, beſchuldigten ihn einer ſchauſpielernden Berechnung, welche ſeinem Charakter fern lag. Sein volles Herz auszuſchütten, an der Pracht hoher Bilder, an dem Wohl - laut der heißgeliebten, mit Meiſterhand gepflegten Mutterſprache ſich zu erfreuen war ihm Bedürfniß. Die Wirkung dieſer geſprochenen Selbſt - bekenntniſſe ſtellte er dem barmherzigen Himmel anheim, ganz anders als ſein Ahnherr Friedrich, der, auch ein geborener Redner, immer zum Zwecke ſprach, jeden Satz auf den Willen der Hörer berechnend, und nie ver - gaß, daß Königsworte nur wenn ſie Thaten ſind in der Nachwelt fort - leben. Jenen unbewußten Schauſpielerkünſten freilich, welche jedem be - gabten Redner nahe liegen, unterlag er oftmals; wenn er an froher13Selbſtherrſchaft des Königs.Tafelrunde in allen Augen den Abglanz ſeiner eigenen ſiegreichen Per - ſönlichkeit widerſtrahlen ſah, dann ſagte er oft mehr als in ſeinem Willen lag.
Und ſeltſam, während ſonſt Naturen von ſo vielſeitiger Empfänglich - keit ſich Anderen anzuſchmiegen pflegen, ſtand Friedrich Wilhelm ganz auf eigenen Füßen. Hier lag das Räthſel dieſes ſeltſamen Charakters, hier der Grund, warum er ſelbſt von großen Köpfen ſo oft überſchätzt wurde. In ſorgloſer Heiterkeit, ganz unanthunlich, wie die Holländer ſagen, ſchritt er durch das Leben; kraft der Weihe ſeines königlichen Amtes, kraft ſeiner perſönlichen Begabung glaubte er alle Welt weit zu überſehen, und es gefiel ihm zuweilen, ſeine Abſichten in ein ahnungsvolles Dunkel zu hüllen, durch halbe, unklare Worte die kleinen Sterblichen in Verwirrung zu ſetzen. Ohne durchgreifende Willenskraft, ohne praktiſchen Verſtand, blieb er doch ein Selbſtherrſcher im vollen Sinne. Niemand beherrſchte ihn; aller Glanz und alle Schmach ſeiner Regierung fiel auf ihn ſelbſt allein zurück. Auf den Widerſpruch ſeiner Räthe ließ er wohl einen Lieblings - plan plötzlich fallen, und dann ſchien es eine Weile, als ob die Gedanken in dieſem unruhigen Kopfe wechſelten wie die Bilder im Wandelglaſe — bis ſich endlich mit einem male zeigte, daß der König an ſeinem urſprüng - lichen Plane mit einer ſeltſamen ſtillen Zähigkeit feſtgehalten hatte und, trotz Allem was dazwiſchen lag, zu ihm zurückkehrte. Er gab nichts auf und ſetzte wenig durch. Neigungen des Gemüths und fertige Doctrinen beſtimmten ſeine Entſchlüſſe; Gründe der politiſchen Zweckmäßigkeit konnten dawider nicht aufkommen.
Und dieſe Unabhängigkeit von fremdem Urtheile war ein Glück für den Monarchen; denn aller Menſchenkenntniß baar zeigte er eine höchſt unglückliche Hand in der Wahl ſeiner Rathgeber, eine wunderliche Nei - gung, bedeutende Männer an die falſche Stelle zu ſetzen oder ſie durch unmögliche Zumuthungen raſch zu vernutzen, ſo daß, außer den beiden perſönlichen Vertrauten Thile und Stolberg, nur ein einziger ſeiner Mi - niſter, Eichhorn, die acht Jahre bis zur Märzrevolution ganz bei ihm ausgehalten hat. In Allem abweichend von der unzugänglichen Schüch - ternheit des Vaters, liebte er Jedermanns Meinung zu befragen; in der Unterhaltung hörte er freimüthigen Widerſpruch gern, ja er ſchien ihn durch kecke Behauptungen faſt herauszufordern. Den Freunden betheuerte er ſeine Zuneigung mit einer Ueberſchwänglichkeit, die ihn oft in den Verdacht der Falſchheit brachte, obwohl ſie ſtets der unwillkürliche Aus - druck ſeiner Stimmung war. Feinſinnig errieth er alle Wünſche ſeiner Getreuen und erfüllte ſie mit königlicher Freigebigkeit, zart und rückſichts - voll ſchonte er ihre menſchlichen Schwächen. Wenn er gewinnen wollte, dann entfaltete er eine bezaubernde Liebenswürdigkeit und verſchmähte ſelbſt die kleinen weiblichen Künſte des Schmollens nicht. Gleichwohl fühlte er ſich durch ſeine königliche Würde ſo hoch erhoben, daß ihm die14V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Perſonen im Grunde wenig galten. Mit erſtaunlicher Kälte konnte er ſich von altbewährten Vertrauten trennen, wenn ſie ihre abweichende Mei - nung öffentlich kundgaben und ihm ſeine Zirkel ſtörten. In jedem er - klärten politiſchen Gegner ſah er einen perſönlichen Feind, und nach der Weiſe aller Gemüthsmenſchen behandelte er dann die entfremdeten Freunde ebenſo hart und ungerecht wie vordem zärtlich und liebevoll, obgleich er es oft als ſeinen heißeſten Herzenswunſch ausſprach gegen Jedermann ſtreng gerecht zu ſein.
Nicht bloß ſeine äußere Erſcheinung, auch ſein edel aber unglücklich angelegter Geiſt gemahnte an das Dichterbild des Hamlet. Wie reich war er an ſchönen, hohen Gedanken, und doch ſo unſicher in ſeinen Ent - ſchlüſſen, daß ſeine Miniſter beim Schluſſe einer Sitzung nie errathen konnten, ob er noch dieſelbe Meinung hegen würde wie am Anfang. Seine Frömmigkeit kam aus den Tiefen eines gottbegeiſterten Herzens, ſeine milde Hand ſchwelgte in den Werken einer jeden Schein verſchmähenden chriſtlichen Barmherzigkeit; und dieſer Gütige konnte, wenn der Jähzorn ihn übermannte, ſich bis zur Grauſamkeit verfolgungsſüchtig zeigen. Selber ſittenſtreng urtheilte er hart, faſt prüde über lockeren Lebenswandel; das ſchloß nicht aus, daß er an ſaftigen Eulenſpiegeleien und Berliner Straßen - witzen ſeine Freude fand. Wie groß war ſein Wiſſen und ſein Wiſſens - drang; aber die reinſte Blüthe aller Bildung, die Einfachheit des Fühlens und Denkens blieb ihm unverſtändlich und unerreichbar; überall ſuchte er das Abſonderliche, weitab von der Heerſtraße; immer mußte er witzig und geiſtreich ſein, ſelbſt wenn er durch einen paradoxen Einfall den Er - folg eines politiſchen Geſchäfts gefährdete. Die männliche Kraft des Leibes und der Seele, welche allein ſo viele widerſprechende Gaben im Einklang halten konnte, war ihm verſagt, und zuweilen ließen ſich ſchon die Spuren einer ſchlechthin krankhaften Anlage erkennen.
Der alte König hatte immer, oft allzu ängſtlich, die Gegenſätze zu beſchwichtigen verſucht, immer gehandelt nach dem alten Grundſatze, daß die erſte Pflicht jeder Regierung gebietet beſtimmte politiſche Ueberliefe - rungen feſtzuhalten; zuletzt, in den Tagen ſeines erſtarrenden Alters, war es dahin gekommen, daß Miniſter Alvensleben beruhigt ſagte: wir kennen die Meinungen des Monarchen ganz genau und können unſere Berichte ſtets alſo abfaſſen, daß wir der Genehmigung ſicher ſind. *)Nach Kühne’s Aufzeichnungen.Wie anders der neue Herrſcher. Er beabſichtigte ebenfalls die Traditionen ſeiner alten Monarchie in Ehren zu halten; doch durch ſeine vielverheißenden Reden, durch die Fülle ſeiner Pläne, durch ſein unſtet abſpringendes Weſen, durch das beſtändige Ausſprechen perſönlicher Gefühle wirkte er überall ſo aufregend und aufreizend, daß bald ein Sturm der Leidenſchaften ſein ruhiges Land durchtobte und er ſelbſt dem Schickſal des Zauberlehrlings15Friedrich Wilhelm’s Verhältniß zu ſeiner Zeit.verfiel. Die Schwäche jeder neuen Regierung, die Unberechenbarkeit aller Verhältniſſe, währte unter dem vierten Friedrich Wilhelm nahezu acht Jahre, bis eine furchtbare Niederlage des Königthums die ganze Lage veränderte. Und wenn nur die Zeit und ihr königlicher Erwecker einander irgend verſtanden hätten! Er aber hatte ſich in einem ſeltſam verſchlun - genen Entwicklungsgange ſo eigenthümliche Ideale gebildet, daß er zu - weilen in den Worten, niemals in der Sache mit der Durchſchnitts - meinung der Zeitgenoſſen übereinſtimmen konnte; er redete eine andere Sprache als ſein Volk. Man jauchzte ihm zu, weil er nach dem Wunſche aller Welt dem Zwange, der Stille des alten Syſtems ein Ende bereitete, und auch durch die Form ſeiner Reden ſchien er zu beweiſen, daß Niemand ſich völlig von ſeiner Zeit losſagen kann; denn ganz wie die Poeten des jungen Deutſchlands, die er ſo tief verabſcheute, liebte er durch das Ungewöhnliche zu blenden und verſchmähte Schlichtes ſchlicht zu ſagen. Doch wenn er von Freiheit ſprach, ſo meinte er ſein althiſtoriſches Stände - weſen, das nur die Macht des Beamtenthums, nimmermehr die monar - chiſche Gewalt beſchränken ſollte, während ſeine Zuhörer an das Reprä - ſentativſyſtem dachten, das man allmählich für die einzige eines geſitteten Volkes würdige Staatsform anſah. Wenn er die deutſche Einheit pries, ſo dachte er an den Deutſchen Bund und deſſen friedliche Fortbildung, der - weil die Gebildeten das ganze Treiben in der Eſchenheimer Gaſſe ſchon längſt als einen geſpenſtiſchen Mummenſchanz verurtheilten. Wenn er von der Selbſtändigkeit der Kirchen redete, ſo ſtimmte ihm Jedermann zu, denn wer konnte dem Zauberworte der Freiheit widerſtehen? — aber die chriſtliche Geſinnung, die er für die freien Gemeinden der Gläubigen verlangte, war den Wortführern des Zeitgeiſtes völlig fremd, und alle die edlen Stiftungen ſeiner großartigen Wohlthätigkeit, die von ihren Pfleg - lingen noch heute dankbar geſegnet werden, galten der Welt für Fröm - melei und Muckerei. Wenn er der Kunſt und Wiſſenſchaft freie Bahn verſprach, ſo dachte er an die alte Naturphiloſophie und die romantiſche Dichtung, geiſtige Mächte, welche das ſelbſtgefällige neue Geſchlecht längſt überwunden zu haben glaubte.
So ward die erſte Zeit ſeiner Regierung eine lange Kette von Miß - verſtändniſſen, und an dieſer wechſelſeitigen Verkennung trug der König ebenſo viel Schuld wie die unklar gährende Zeitſtimmung, die ihn erſt für ihren Helden hielt, um ihn dann mit der ganzen Bitterkeit der Ent - täuſchung zu bekämpfen. Selbſt General Gerlach, der getreue Freund und Diener, ſagte zuweilen: „ die Wege des Herrn ſind wunderbar, “und der nicht minder ergebene Bunſen ſchrieb neben die Klage des Königs: „ Niemand verſteht mich, Niemand begreift mich “die verzweifelte Rand - bemerkung: „ Wenn man ihn verſtände, wie könnte man ihn begreifen! “ Friedrich Wilhelm vermochte nicht, wie ſein ebenſo phantaſiereicher bairi - ſcher Schwager, durch despotiſche Härte und durchtriebene Schlauheit ſich16V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.aus ſelbſtverſchuldeten Verwicklungen herauszufinden; er rieb ſich auf in unfruchtbaren Verſuchen, bis die Geſchichte über ihn hinwegſchritt. Weder zum herzhaften Genuſſe, noch zu herzhafter That beſaß er die Kraft, und obwohl ihn die angeborene muntere Laune nie ganz verließ, ſo fühlte er ſich doch innerlich unbefriedigt. Er erkannte bald mit Schmerz, daß ihm nichts gelinge, und die aufgeregte Zeit war nicht in der Stimmung, dieſem ſtillen Leiden eines hochbegabten Geiſtes menſchliche Theilnahme zu zollen. Der von dem Berufe der Könige von Gottes Gnaden ſo überſchwänglich hoch dachte, mußte noch erleben, daß ſein Regiment den Glauben an das Königthum in einem altmonarchiſchen Volke tief, zum Glück nicht für immer, erſchütterte. Es war, als wollte die Vorſehung dieſem überbildeten und den Werth der Bildung maßlos überſchätzenden Geſchlechte an einem tragiſchen Beiſpiele zeigen, wie wenig in den Machtkämpfen des Staats - lebens Geiſt, Wiſſen, Edelſinn, Herzensgüte vermögen ohne die ſchlichte Kraft eines männlichen Willens. In dem großen Zuſammenhange der deutſchen Geſchichte erſcheint dieſe tief unglückliche Regierung doch als eine nothwendige, heilſame Schickung; denn unter einem ſtärkeren Könige wäre der unvermeidliche Uebergang der ſtolzen preußiſchen Monarchie zur conſtitutionellen Staatsform ſchwerlich ohne furchtbare Kämpfe erfolgt. —
Das Schickſal fügte, daß faſt zu gleicher Zeit mehrere der wichtigſten Staatsämter durch Todesfälle erledigt wurden. Wenige Wochen vor dem alten Könige war Altenſtein geſtorben, ſchon etwas früher ſein frommer Rathgeber Nicolovius. Noch ehe das Jahr zu Ende ging, ſtarb der treue Stägemann, der ſo lange in allen vertraulichen Angelegenheiten die Feder für den Monarchen geführt hatte. Schinkel wurde in der Kraft ſeiner Jahre von einer ſchrecklichen Krankheit ergriffen, die ſeinen Geiſt um - nachtete und ihn bald dahinraffen ſollte. Den Tod des Grafen Lottum und des Kriegsminiſters General Rauch erwartete man binnen Kurzem; Beide fühlten ſich altersmüde. Der ebenfalls hochbejahrte Fürſt Wittgen - ſtein hielt ſich gefliſſentlich von den Geſchäften zurück und äußerte bitter, mit dieſer verwandelten Welt wolle er nichts mehr gemein haben. So ward denn überall Raum für friſche Kräfte, und aufjubelnd ſchrieb Peter Cornelius: „ es naht eine Feſt - und Frühlingszeit für ganz Deutſchland! “ Deutſchland hatte aber in dieſem Vierteljahrhundert erſtaunlich raſch ge - lebt, und durch die lange Regierungszeit des alten Königs wurde die natürliche Folge der Generationen verſchoben. Die neuen Männer, welche jetzt in die Höhe kamen, gehörten nicht der Jugend an; ſie waren zu - meiſt, gleich ihrem königlichen Gönner, aufgewachſen unter den beſtimmen - den Eindrücken der Befreiungskriege, der Zeit der Reſtauration und der religiöſen Erweckung; manche von ihnen bewahrten auch noch die Frei - heitsideale der älteſten Burſchenſchaft treu im Herzen. Das allerjüngſte radicale Geſchlecht jedoch belächelte ſie ſchon als Reactionäre, ihre chriſtlich - germaniſchen Ideen erſchienen der neuen Aufklärung der Junghegelianer17Königin Eliſabeth.ſogar noch haſſenswürdiger als die trocken verſtändige Bureaukratie des alten Syſtems.
Unter Allen ſtand Königin Eliſabeth dem Herzen des Königs am nächſten. Ihr widmete er eine unbegrenzte Zärtlichkeit, faſt über das Maß hinaus, das einem Herrſcher erlaubt iſt. Als er ſich, von Thränen überſtrömt, ganz in Rührung zerfließend vom Todesbette ſeines Vaters erhob, ſagte er zu ihr: „ Jetzt ſtütze mich, Eliſe, nun bedarf ich der Kraft. “ Wenn er gepeinigt von der jeden Entſchluß erſchwerenden Ueberfülle ſeiner Gedanken, aufgeregt durch die Geſchäfte zu ihr heimkehrte, dann empfing ſie ihn immer gleich heiter, geiſtreich, liebevoll; nur wenn der Jähzorn ihn ganz aus der Faſſung brachte, ſchaute ſie ernſten Blicks im Zimmer um - her und ſprach: „ ich ſuche den König. “ Sein glückliches Haus ſuchte er ſich ſo gemüthlich einzurichten als es die Fürſtenſitte erlaubt; zum Weihnachts - markte ging das königliche Paar ſelbſt auf den Schloßplatz herunter, und am Sylveſterabend mußte der Nachtwächter ins Schloß kommen um mit ſeinem Horne das neue Jahr anzukündigen. Was der König ſeiner Ge - mahlin nur an den Augen abſehen konnte, that er mit Freuden. Hoch - herzig überwand ſie den ſtillen Kummer über die kinderloſe Ehe; ſie ließ es ſich nicht nehmen, ihren Neffen Friedrich Wilhelm, den vermuthlichen Thronfolger, ſelbſt über die Taufe zu halten und wurde dem Knaben eine zweite Mutter. Ihr höchſtes Glück aber fand ſie in unerſchöpflichem Wohl - thun; ſie half dem Gemahl bei den unzähligen Unternehmungen ſeiner chriſtlichen Milde und ſteuerte aus eigenen Mitteln ſehr große Summen, mindeſtens 60,000 Thaler jährlich bei; in allen den entlegenen Stadt - vierteln Berlins, wo die neu gegründeten Krankenhäuſer und Kinderbewahr - anſtalten ſich erhoben, kannte Jedermann den Wagen der Königin mit den vier Apfelſchimmeln. Trotzdem war ſie im Volke nicht beliebt. Die Katholiken des Weſtens verziehen ihr den Uebertritt nie; in den hartproteſtantiſchen alten Provinzen aber, zumal in Berlin, wo der Geiſt des Jeſuitenriechers Bieſter noch immer umging, erzählte man überall, ſogar in den Kreiſen der Hofdienerſchaft, mit der höchſten Beſtimmtheit, die Königin ſei im Herzen katholiſch geblieben und wolle ihren Gemahl zur römiſchen Kirche bekehren. Das Gerücht ward eine Macht, ſchädlich für das Anſehen des Königs, und entbehrte doch jedes Grundes. Aus freier Ueberzeugung, nach ernſtem Nachdenken war Eliſabeth einſt zum evangeliſchen Glauben übergetreten, und noch in ſpäten Jahren ſagte ſie dem Papſte Pius IX. mit ihrer gewohnten ſchönen Wahrhaftigkeit ins Geſicht: „ wenn man zum Gemahl einen ſolchen König hat, der das Evangelium vorlebt, dann wird man im evangeliſchen Glauben gewiß. “ Freilich trug ihre kirchliche Geſinnung eine romantiſche Färbung, welche der Freigeiſterei der Zeit verdächtig blieb; das Ideal der einen chriſtlichen Kirche ſtand ihr ſo hoch wie ihrem Ge - mahl. Die ſtreng legitimiſtiſchen Anſchauungen der baieriſchen Schweſtern verleugnete ſie nie; mit den Höfen von Wien, Dresden, München bliebv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 218V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.ſie in unabläſſigem Verkehre, und wenn ſie das Anſehen des Königthums gefährdet glaubte, dann konnte die leutſelige Fürſtin Manchem kalt und ſtolz erſcheinen; daher ſchrieb man ihr einen verderblichen politiſchen Ein - fluß zu, obwohl ſie während dieſer erſten Jahre ſich ſeltener als ſpäterhin mit Staatsgeſchäften befaßte.
Etwas weiter reichte die politiſche Wirkſamkeit des Grafen Anton Stolberg, der anfangs neben dem Fürſten Wittgenſtein, nachher als deſſen beſtallter Nachfolger die Leitung des Hausminiſteriums übernahm. Er hatte ſchon bei Jena tapfer gefochten, darauf die Verfolgungen der könig - lich weſtphäliſchen Polizei glücklich überſtanden — Dank den treuen Harzern, die den Sohn des altbeliebten Harzgrafengeſchlechts immer zu verſtecken wußten — dann im Befreiungskriege mit dem älteren Prinzen Wilhelm, mit Gneiſenau und York als treuer Waffengefährte Freundſchaft ge - ſchloſſen. Dieſe Kriegserinnerungen blieben ihm immer heilig; als er nach dem Frieden heimkehrte um ſeinen Vater bei der Regierung der Grafſchaft zu unterſtützen, ließ er ſogleich auf den Felſen des Ilſenſteins den gefallenen Freunden zu Ehren ein eiſernes Kreuz aufrichten. Erſt weit ſpäter trat er in den Verwaltungsdienſt und erwarb ſich als Prä - ſident in Düſſeldorf wie in Magdeburg allgemeines Vertrauen durch jene vornehme und doch ſchlicht menſchliche Liebenswürdigkeit, welche ſein edles Geſchlecht von jeher ausgezeichnet hat. Lebendiger als ſein po - litiſcher Sinn war ſein religiöſes Gefühl. Er ſchloß ſich früh den Krei - ſen der „ Erweckten “an, unterſtützte in Düſſeldorf die beiden Wohl - thäter des Niederrheins, den Grafen v. d. Recke und den Paſtor Fliedner bei ihren Liebeswerken und übernahm die Leitung des neuen Diakoniſſen - vereins. Dieſe lautere, durchaus duldſame Frömmigkeit gewann ihm das Herz Friedrich Wilhelm’s. Alsbald nach dem Thronwechſel mußte „ Graf Anton “nach Charlottenhof überſiedeln, damit er dem Könige als ein getreuer Eckart immer zur Hand ſei bei jeder Gewiſſensfrage der Politik, und er entſprach dem Vertrauen durch freimüthige Offenheit. Aber, ſelbſt ein Gemüthsmenſch und darum trotz ſeiner natürlichen Milde zu - weilen ungerecht, vermochte er den Stimmungen des Monarchen nicht das Gegengewicht zu halten; von ſeiner Geſchäftskenntniß und der Schärfe ſeines Verſtandes ſprach er ſelber ſehr beſcheiden. *)Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.Das religiöſe Leben ſeines Hauſes bewegte ſich in Formen, welche den proteſtantiſchen Ge - wohnheiten widerſprachen; wenn er allabendlich mit ſeinen frommen lieb - reichen Töchtern und dem geſammten Hausgeſinde auf den Knien lag, ſo waren im neuen Berlin nur Wenige duldſam genug um die ganz ungeheuchelte Inbrunſt ſolcher Andachtsübungen zu achten.
Dieſe kirchliche Strenge zeigte ſich noch ſchärfer ausgeprägt in der Geſinnung des Generals v. Thile, der fortan als Cabinetsminiſter, wie19Anton Stolberg. Thile.vordem Graf Lottum, die regelmäßigen politiſchen Vorträge hielt. Ein ernſter gläubiger Sinn, redlich und ohne Wortprunk war in der preußi - ſchen Armee von jeher heimiſch; faſt alle ihre berühmten Führer meinten mit dem alten Deſſauer: ein Soldat ohne Gottesfurcht iſt nur ein Matz; ſie thaten unbefangen ihre Pflicht und ſtellten das ungewiſſe Schickſal des Kriegers demüthig dem Herrn der Heerſchaaren anheim. Jetzt, unter einem theologiſirenden friedfertigen Könige, gewann ein neuer, ganz un - preußiſcher Schlag von Offizieren die Gunſt des Hofes, Männer, denen das Gebetbuch theuerer war als der Degen, Soldaten nicht ohne mili - täriſches Verdienſt — denn Alle hatten ſie im letzten Kriege ſich ritter - lich gehalten — aber ohne den rechten, die ganze Seele erfüllenden mili - täriſchen Ehrgeiz. Ihre ſalbungsvolle Frömmigkeit erinnerte an Cromwell’s gottſelige Dragoner; von der fürchterlichen Härte der Puritaner beſaßen dieſe ſanften romantiſchen Gläubigen freilich nichts. Zu ihnen zählte auch Thile. Dem unſcheinbaren kleinen Manne ſah man nicht ſogleich an, wie brauchbar er in den Geſchäften war, fleißig, gewiſſenhaft, federgewandt und that es noth auch beredſam. An ſeinem Charakter haftete kein Makel; in ſtillem Wohlthun war er unermüdlich, ſelbſt einen perſönlichen Feind, der ins Unglück gerathen war, unterſtützte er jahrelang unerkannt aus ſeinen beſcheidenen Mitteln. Befreundet mit Boyen und manchen an - deren Offizieren von freierer Richtung, hielt er ſich den politiſchen Ex - tremen fern und ſcheute ſich nie dem heißgeliebten Monarchen ehrlich zu widerſprechen. Jedoch zu ſelbſtändigen ſtaatsmänniſchen Ideen erhob er ſich nicht, und nur zu oft ward ſein politiſcher Blick getrübt durch eine überſpannte, myſtiſche Frömmigkeit, die ihm bei den Berliner Spöttern den Namen des Bibel-Thile verſchaffte. Noch vor Kurzem hatte er ernſt - lich daran gedacht, als Miſſionär nach Auſtralien oder Afrika zu gehen. Ebenſo leidenſchaftlich wie Friedrich Wilhelm verabſcheute er jene neuen Philoſophen, welche, wie man bei Hofe ſagte, die Bibel hegelten und den Hegel bibelten; noch tiefer als der König war er durchdrungen von der Ueberzeugung, daß jetzt der entſcheidende Kampf zwiſchen Glauben und Unglauben herannahte und neben dieſem einen großen Gegenſatze alle con - feſſionellen Unterſchiede verſchwänden. Er glaubte nicht nur an die gött - liche Führung der Geſchichte mit einer fataliſtiſchen Zuverſicht, welche ihm leicht die freie Thatkraft hemmte; er glaubte auch an die unmittelbare Einwirkung der himmliſchen Gnade auf die weltlichen Entſchlüſſe, und in ſolchen Augenblicken der Verzückung ward ſeine politiſche Haltung ſchlechthin unberechenbar. Als er einmal dem Grafen Stolberg ſeine Meinung über die Neuenburger Händel auseinandergeſetzt hatte, ſchrieb er dem Freunde ſchon nach wenigen Stunden: „ Heute früh ſah ich nur mit dem Auge des natürlichen Menſchen in der Sache und faßte ſie nur von der ſogenannten politiſchen Seite auf. “ Dafür wurde ich am Abend beſchämt, als „ mir die Worte entgegengetragen wurden, daß über alle2*20V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Macht von Roß und Reutern die Macht eines mit ſeinem König im Gebet vereinten Volkes ſteht. .. In Sachen des Gebets zählen nur die Beter, und wenn Gottes Wort wahr iſt, ſo werden ſie über die Spötter ſiegen. “ *)Thile an Stolberg, 8. Dec. 1846.Mit dieſen Sätzen begründete er eine Veränderung ſeines politiſchen Urtheils. Ein ſolcher Mann konnte dem Könige wohl als pflichtgetreuer Gehilfe dienen, doch nimmermehr ihn ergänzen.
In dem etwas eintönigen Verkehre mit dieſen beiden alltäglichen Vertrauten fühlte ſich der König immer erquickt, wenn ein anderer Freund aus dem alten Kreiſe der Wilhelmſtraße, Oberſt Joſeph v. Radowitz in der Hauptſtadt erſchien. Dann rief er fröhlich: Petz iſt wieder da! Radowitz ſtammte aus einem alten, wenig bekannten ungariſchen Ge - ſchlechte; ſein Großvater erſt war als Kriegsgefangener nach Preußen ge - kommen und dann in Deutſchland geblieben. Der merkwürdig frühreife Knabe wurde für den weſtphäliſchen Dienſt beſtimmt und auf franzöſi - ſchen Kriegsſchulen ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren war er ſchon Offizier, im Jahre darauf erwarb er ſich bei Bautzen das Kreuz der Ehrenlegion, mit achtzehn Jahren übernahm er, nach der Auflöſung des Königreichs Weſt - phalen, die erſte Lehrerſtelle für Kriegswiſſenſchaften am Caſſeler Kadetten - hauſe. Dann wurde er aus Heſſen vertrieben, weil er für die mißhandelte Kurfürſtin ritterlich eintrat,**)S. o. III. 532. und fand ehrenvolle Aufnahme im preußiſchen Heere, wo er bei der Leitung der Militär-Bildungsanſtalten und bei der Neugeſtaltung der Artillerie einſichtig mitwirkte. Der Gluthblick der tief - liegenden kurzſichtigen Augen unter der hohen Stirn, die gebräunte und doch bleiche Hautfarbe, die feinen, von dunklem Schnurrbart überſchatteten Lippen gaben ſeinem ſcharfgeſchnittenen Kopfe ein fremdländiſches Gepräge. Ueber ſeinem ganzen Weſen lag ein geheimnißvoller Zauber; die feierlich würdevolle Haltung der hohen, ſtarken Geſtalt verbot jede Vertraulichkeit. In Geſellſchaften ſaß er gern abſeits, zeichnend oder in einem Buche blätternd, bis er plötzlich eine geiſtreiche Bemerkung in das Geſpräch ein - warf und den Plaudernden zeigte, daß er jedes Wort vernommen hatte. Leibliche Bedürfniſſe ſchien er kaum zu kennen; er aß wenig, trank nur Waſſer, und man merkte ihm an, daß er niemals jung geweſen war. Von früh auf beherrſchte ihn ein unerſättlicher Wiſſensdrang; Bücher waren ſeine einzige Leidenſchaft, und in ſeinem ſtarken Gedächtniß ſpei - cherte er allmählich eine erſtaunliche Fülle vielſeitiger Kenntniſſe auf. Schon ſeine Jugendſchrift über die Ikonographie der Heiligen bewies, wie gründ - lich er in der Geſchichte der Sitten, der Kunſt, der Kirche bewandert war. In den Salons des Kronprinzen ward er bald ein unentbehrliches Orakel, das Berliner Wochenblatt verdankte ihm mehrere ſeiner beſten Aufſätze.
Obgleich er durch ſeine Verheirathung mit einer Gräfin Voß in die21Radowitz.Kreiſe des alten Landesadels eingetreten war, blieb er den ſtrengen Alt - preußen noch lange als Fremdling verdächtig. Manche nannten den edlen, alle Ränkeſucht mißachtenden Mann einen neuen Caglioſtro, die Meiſten einen verkappten Jeſuiten. Der eifrig proteſtantiſche, den conſtitutionellen Ideen zugeneigte Kriegsminiſter Witzleben hielt endlich für nöthig, dieſen katholiſchen Legitimiſten aus der Umgebung des Kronprinzen zu entfernen — um dieſelbe Zeit, da auch General Gröben und Oberſt Gerlach in die Provinz verſetzt wurden. Der alte König genehmigte den Antrag, aber in ſeiner gerechten Weiſe: er ernannte den kaum vierzigjährigen Stabs - offizier zum Nachfolger des Generals Wolzogen bei der Militärcommiſſion des Bundestags. Auch dort wurde Radowitz durch Fleiß und geiſtige Ueberlegenheit den bequemeren Amtsgenoſſen bald ſehr läſtig. Der Sohn einer gemiſchten Ehe und in der Kindheit evangeliſch erzogen, hatte er ſich erſt in ſeinen reiferen Jugendjahren, mit wachem Bewußtſein der römiſchen Kirche zugewendet und in ihr ſo gänzlich ſeinen Frieden gefun - den, daß er kurzweg ausſprach, jede Wahrheit ſei katholiſch. Sein ent - ſagendes Denkerleben führte ihn zu einer mönchiſch ſtrengen Auffaſſung der ſittlichen Welt. Niemals erkannte er, daß das ſittliche Ideal der Proteſtanten, die Einheit des Denkens und des Wollens, dem ſchwachen Sterblichen weit ſchwerere Pflichten auferlegt als die Werkheiligkeit der Katholiken. In dem Cölibate ſah er nicht ein Meiſterſtück päpſtlicher Politik, ein klug erſonnenes Machtmittel, das den Clerus als eine ge - ſchloſſene Prieſterkaſte von der bürgerlichen Geſellſchaft abtrennen ſoll, ſondern eine hohe ſittliche Idee; den Kampf der Proteſtanten wider dieſe frevelhafte Verſtümmelung der Natur konnte er ſich nur aus der Fleiſches - luſt erklären, obgleich er ſelbſt in einer glücklichen, mit Kindern geſegneten Ehe lebte. Bei ſolcher Geſinnung mußte er den Kölniſchen Biſchofſtreit mit tiefem Kummer betrachten. Die Freude an ſeinem neuen preußiſchen Vaterlande erlitt plötzlich einen ſchweren Stoß, und er pries es als eine gnädige Fügung, daß ſein Amt ihn nicht nöthigte in dieſem Kampfe öffentlich Farbe zu bekennen.
Ebenſo einſeitig war auch, trotz aller Gelehrſamkeit, ſein äſthetiſches Urtheil. Goethe’s warme Sinnlichkeit blieb ihm ſo unverſtändlich wie die geſammte Bildhauerkunſt, weil ſie in der Darſtellung heidniſcher Nackt - heit ihr Höchſtes leiſtet, und den letzten Quell aller modernen Sünden ſuchte er in der großen Zeit des Cinquecento, in der Wiederbelebung des claſſiſchen Heidenthums. Daher verabſcheute er, ganz in Haller’s Sinne, die Revolution als ein teufliſches Princip und bekämpfte die geſammte neuere Staatslehre, weil ſie den Staat nicht als den Schutzherrn, ſon - dern als den Schöpfer des Rechts betrachte. Noch war ihm nicht klar, daß der rechtsbildende Gemeingeiſt der modernen Völker ſich gerade in ihrer Geſetzgebung ausſpricht, und die hiſtoriſche Entwicklung des Rechts heute nicht mehr ohne die Mitwirkung frei geordneter Staatsgewalten22V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.erfolgen kann. Dem „ pſeudo-liberalen Getriebe “des Beamtenthums ebenſo gründlich abgeneigt wie ſein königlicher Herr, behauptete er ſtolz „ den höheren Standpunkt, der ſich erhebt über die Anſicht vom abſoluten Staate. “ *)Radowitz an den König, 23. Jun 1844.Er hoffte auf eine große chriſtlich germaniſche Monarchie — denn ob eine chriſtlich-germaniſche Republik überhaupt möglich ſei, ſchien ihm mindeſtens zweifelhaft — und ſo feſt hielt ihn in dieſen drei - ßiger Jahren der Bannkreis der Haller’ſchen Ideen noch umfangen, daß er ſogar den Satz wiederholte, die Macht der Krone beruhe auf dem fürſt - lichen Grundbeſitze — eine doctrinäre Behauptung, die in Preußen, wo alle Domänen längſt dem Staate gehörten, jeden Sinn verlor.
Trotzdem ward er niemals zum Sklaven einer Theorie; ſcharfen Blickes ſchaute er in die Welt der Wirklichkeit, ſtets bereit ſeine Meinungen zu berichtigen. Er erkannte ſehr früh — was ſich freilich erſt nach langen wirrenreichen Jahren als wahr erweiſen ſollte — daß die Herzensſehnſucht der Deutſchen ſich nicht eigentlich auf die conſtitutionellen Formen richtete, ſondern auf wirkliche politiſche Güter: auf Rechtsſicherheit, Nationalität, Selbſtverwaltung. Auch der ſociale Untergrund der politiſchen Bewegung entging ihm nicht. Er ſah, wie die Mittelklaſſen ſich zur Herrſchaft heran - drängten, und meinte, die Liberalen ſeien nur mächtig weil ſie ſich als Vertreter des Volks gebährdeten; darum müſſe die Krone durch eine ſchöpferiſche ſociale Geſetzgebung beweiſen, daß die Maſſen des Volks nur bei ihr Fürſorge und wirkſamen Schutz finden könnten. Am ſchärfſten aber — weit richtiger als der König ſelbſt oder irgend einer ſeiner Freunde — urtheilte Radowitz über die deutſche Bundespolitik. Da er in der römiſchen Kirche nicht eine bildungsfeindliche Macht, ſondern die Vollen - dung aller Cultur ſah, ſo konnte er ohne gehäſſiges Vorurtheil die öſter - reichiſchen Zuſtände mit den preußiſchen vergleichen, und gleichwohl kam der ſtrenge Katholik zu dem Schluſſe: dies zur Sonne aufſtrebende Preußen bedürfe des Lichtes, der öſterreichiſche Schwamm gedeihe nur im Schatten. Die geiſtloſe Unfruchtbarkeit der in ſo mannichfache europäiſche Intereſſen verflochtenen und darum der deutſchen Nation entfremdeten Wiener Politik durchſchaute er ebenſo ſcharfſinnig, wie die oberflächliche Halbbildung der öſterreichiſchen Völker, die dem platten Joſephinismus und der liberalen Phraſe gar kein Gegengewicht zu bieten hätten. Stolz hielt er dieſem ver - ſumpften Leben die geſunde, kerndeutſche Kraft des preußiſchen Volkes und Staates entgegen. Schon vor dem Thronwechſel (1839) ſprach er aus, Preußen allein könne die Führung der Nation übernehmen, Deutſchlands Fürſten und Völker müßten lernen, in Berlin die Vertheidigung ihrer Rechte und Intereſſen zu ſuchen. Darum verlangte er Fortbildung des Zollvereins und vor Allem Schutz der Rechte aller Deutſchen durch die Krone Preußen — eine heilige Pflicht, welche leider in den hannoverſchen Verfaſſungs -23Radowitz’s Geſpräche. Bunſen.händeln ſo ſündlich verabſäumt worden ſei. So begann ihm jetzt ſchon die Idee des preußiſchen Reiches deutſcher Nation aufzudämmern, und er verhehlte nicht, daß er ſich zuerſt als einen Deutſchen, dann erſt als einen Preußen fühlte. Der König befragte und benutzte den alten Freund bei allen Fragen der deutſchen Bundespolitik, doch er vermochte weder den Gedanken dieſes Rathgebers ganz zu folgen, noch ihn an die entſcheidende Stelle zu ſetzen.
In den Geſprächen über Staat und Kirche (1846) faßte Radowitz ſeine politiſchen Ideen zuſammen. Das anonyme Buch wurde von Vielen für ein Werk des Königs ſelbſt gehalten, obgleich die keuſche Einfachheit dieſer muſterhaften Proſa mit dem aufgeregten Pathos Friedrich Wilhelm’s gar nichts gemein hatte. Es war ſeit Paul Pfizer’s Briefwechſel unzweifel - haft das bedeutendſte Werk der deutſchen Publiciſtik. Aber wie anders hatte einſt der tapfere Schwabe verſtanden, die erſte Aufgabe des Publiciſten zu erfüllen, den Willen der Leſer auf ein feſtes Ziel zu richten; er benutzte die Form des Dialoges nur um alle Einwendungen ſiegreich zu widerlegen, und ſchließlich mit höchſter Beſtimmtheit zu ſagen was er ſelber wollte: die Einheit Deutſchlands unter Preußens Führung. In Radowitz’s Geſprächen hingegen tauſchten der hochkirchliche Offizier, der liberale Fabrikant, der ſtrenge Bureaukrat, der jugendliche Socialiſt ihre Anſichten aus, alle höf - lich, alle in ſauber gewählten Worten. Dann trat Waldheim dazwiſchen, unverkennbar das Ebenbild des Verfaſſers, um mit ſtaatsmänniſcher Ruhe Jedem die Beſchränktheit ſeiner Parteigeſinnung nachzuweiſen; über ſeine eigenen Meinungen äußerte er ſich nur ſelten, kühl, zurückhaltend, un - maßgeblich. So hinterließ die Schrift doch den Eindruck einer geiſtreichen Hilfloſigkeit, welche trotz oder wegen der Mannichfaltigkeit ihrer Geſichts - punkte ſchwer zu einem einfachen Entſchluſſe gelangte. Ihr fehlte die Macht der Begeiſterung. Ihre Gedanken waren nicht aus einer Wurzel heraus mächtig emporgeſchoſſen, ſondern am Spalier gezogen, mehr ausgezeichnet durch edle Form als durch urſprüngliche Kraft. Sie bewies, wie frei und unbefangen ihr Verfaſſer dachte, der in der That, entwicklungsfähiger als der König, von der Unentbehrlichkeit der conſtitutionellen Staatsform ſich bald überzeugen ſollte. Aber ſie zeigte auch ihn angekränkelt von jenem vornehmen Dilettantismus, der ſich wie ein Mehlthau über alle Um - gebungen König Friedrich Wilhelm’s lagerte. Radowitz war von Allem etwas, weder ganz Soldat, noch ganz Staatsmann, noch ganz Gelehrter; auch ſein feiner und reicher, allen anderen preußiſchen Staatsmännern dieſer Epoche überlegener Geiſt vermochte der Zeit nicht zu bieten was ſie brauchte: die furchtbare Einſeitigkeit einer dämoniſchen Willenskraft.
Wäre es mit Plänen, Einfällen, edlen Vorſätzen gethan geweſen, dann hätte Bunſen der Zeit helfen können. Was kümmerte es ihn, daß die Berliner Geheimenräthe ihm den ſo kläglich mißlungenen Kampf gegen Rom nachtrugen und ihn, von wegen der Anconer Note, nur noch den24V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Ritter von Ancona nannten? Der Gunſt des neuen Königs war er ſicher, und mit jugendlicher Wageluſt ſpannte er an ſeinem glückhaften Schiffe alle Segel auf. Schon vor Jahren hatte er von der Regierung dieſes Fürſten erhofft, daß ſie das heilige Reich aufrichten werde:
Nun ſollte Berlin, bevor Größeres ſich vollendete, zunächſt ein deutſcher Muſenhof werden wie einſt Weimar, und ſofort begann der Eifrige einen Briefwechſel mit Gelehrten und Künſtlern um ſie für die Hauptſtadt zu gewinnen. Für ſich ſelbſt wünſchte er, da der Berner Geſandtſchafts - poſten ſeinen Anſprüchen nicht genügte, den Vorſitz in einem großen Aus - ſchuſſe für Kirche und Unterricht; ſo konnte er, unbeläſtigt von den lang - weiligen Verwaltungsgeſchäften, nach ſeiner Neigung anregen, belehren, Ideen wecken und fördern.
Nicht ganz ſo nahe ſtand General v. Canitz dem Monarchen. Er hatte ſich als Kriegsmann wie als militäriſcher Schriftſteller ausgezeichnet, dann aus Diebitſch’s Lager über den ruſſiſch-polniſchen Krieg ebenſo ein - ſichtig als unparteiiſch berichtet, endlich auf den ſchwierigen Geſandtſchafts - poſten zu Caſſel und Hannover eine ſo ſelbſtändige Haltung eingenommen, daß er trotz ſeines feinen Taktes dem Unwillen des Kurprinzen und des Welfenkönigs nicht entgehen konnte. Eng befreundet mit den romantiſchen Genoſſen Clemens Brentano’s und Savigny’s, hielt er die Befreiung der Kirche von der Staatsgewalt und die Aufrichtung der ſtändiſchen Mon - archie für die beiden großen Aufgaben der neuen Regierung. Indeſſen hatte er nicht umſonſt in dem unruhigen Caſſel gelebt; er ſah ein, daß Preußen, um die Politik des Zollvereins durchzuführen, ſich auch in ſeinem inneren Leben den kleinen conſtitutionellen Nachbarlanden annähern, mit - hin ſeinen Reichstag, allerdings einen ſtändiſch gegliederten, ſchleunigſt einberufen müſſe. Harte Parteigeſinnung blieb ihm fremd. Eine ſchöne vornehme Erſcheinung, geſprächig, geiſtreich, ſarkaſtiſch, ließ er im Verkehre von ſeinen ſtreng kirchlichen Grundſätzen gar nichts merken; die in dieſem romantiſchen Kreiſe ſo gröblich verkannten Verdienſte des preußiſchen Be - amtenthums würdigte er gern; mit den Liberalen, ſogar mit Varnhagen kam er freundlich aus. Unter allen den frommen Freunden des Königs zeigte er am meiſten das unbefangene Weſen des Weltmannes.
Von anderem Schlage war General Graf Karl v. d. Gröben, der Schwiegerſohn Dörnberg’s, ein langer, hagerer altpreußiſcher Hüne, dem der weiße Mantel des Deutſchen Ordens noch um die Schultern zu hängen ſchien. Dem Ritter ohne Furcht und Tadel ließ es keine Ruhe bis er noch im hohen Alter die Pilgerfahrt in das gelobte Land unternehmen konnte. Wie freudig hatte er einſt bei der Vorbereitung des Befreiungskrieges und an dem Kampfe ſelbſt theilgenommen; mit Gneiſenau und Arndt, mit Schenken - dorf und Görres war er ſo innig verbrüdert, daß er eine Zeit lang ſogar25Canitz. Gröben. Die Gebrüder Gerlach.den Argwohn der Demagogenverfolger erregte. *)S. o. III. 116.Die enthuſiaſtiſche Kreuz - fahrergeſinnung jener frommen Tage bewahrte er ſein Leben lang. Was ihm an politiſchem Urtheil abging erſetzte er durch unverbrüchliche Treue gegen ſeinen chriſtlichen König und durch eine allgemeine Menſchenliebe, welche Gerechte und Ungerechte ſo ohne jeden Unterſchied ſanftmüthig um - faßte, daß Königin Eliſabeth einmal ſagte: der gute Gröben wird uns näch - ſtens von dem lieben, vortrefflichen Nero ſprechen.
Während Gröben nur das ritterliche Gefühl unbedingter Königstreue hegte, waren die drei Brüder v. Gerlach erklärte Hallerianer. Sie ſtammten von jenem hochangeſehenen alten Kammerpräſidenten, der einſt ſeine Kurmark gegen die napoleoniſchen Erpreſſungen unerſchrocken ver - theidigt, nachher, verſtimmt über die Reform der Verwaltung, den Staats - dienſt verlaſſen und gleich darauf das Oberbürgermeiſteramt von Berlin übernommen hatte. **)S. o. I. 285.Der Muth, die Vaterlandsliebe, die conſervative Geſinnung des Vaters vererbten ſich auf die Söhne; zwei von ihnen trugen das eiſerne Kreuz. Der zweite Sohn, der Gerichtspräſident Lud - wig war ein gelehrter, ſcharfſinniger Juriſt, gerecht nach oben wie nach unten, ſehr eiferſüchtig auf die Unabhängigkeit des Richterſtandes. Wie weit ihn aber ſein kirchlicher Feuereifer führen konnte, das hatte er ſchon vor Jahren gezeigt, als er die halliſchen Rationaliſten durch die rückſichts - loſe Veröffentlichung ihrer Katheder-Ausſprüche bekämpfte und dafür den Beifall ſeines kronprinzlichen Freundes fand. ***)S. o. III. 405.Der chriſtliche Staat, die freie rechtgläubige Kirche und vornehmlich die Zweiherrſchaft der beiden Großmächte im Deutſchen Bunde — dieſe Ideale ſtanden ihm ſo uner - ſchütterlich feſt, daß er ſogar die Freunde Radowitz und Canitz wegen ihrer freieren Anſichten über Oeſterreich bald als Abtrünnige beargwöhnte und des radikalen „ Germanismus “beſchuldigte. Ueberhaupt urtheilte er, wie ſein Bruder Leopold, über politiſche und kirchliche Gegner mit fanatiſcher, unchriſtlicher Härte; er verhehlte nicht, daß ihm der Gegenſatz der Mei - nungen noch wichtiger ſchien als ſelbſt der Gegenſatz der Nationalitäten. Von eigenen ſtaatsmänniſchen Gedanken beſaß ſein weſentlich kritiſcher Geiſt wenig; er vermochte wohl die Sünden der gottloſen Zeit mit erbar - mungsloſer Schärfe zu geißeln, doch wenn es ſich fragte was zu thun ſei, dann entdeckten der junge Otto v. Bismarck und die anderen praktiſchen Talente unter ſeinen Anhängern mit Erſtaunen, daß der geiſtreiche Mann immer nur ſchulmeiſterte und eigentlich an Allem zu tadeln fand. Darum konnte er nur der gefürchtete Schriftſteller der hochconſervativen Partei werden, niemals ihr Führer. Und wie wenig ſtimmte doch die unzweifelhaft ernſt gemeinte fromme Salbung ſeiner mit Bibelſprüchen überladenen poli -26V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.tiſchen Aufſätze zu dem ſprudelnden Witze, der gewinnenden Munterkeit des liebenswürdigen Geſellſchafters. Einige Spuren von dieſem Dualismus altromantiſcher Ironie zeigten ſich auch in dem Charakter des jüngſten Bruders, des Predigers Otto. Der waltete ſeines ſchweren Seelſorger - amtes unter den Berliner Armen mit apoſtoliſcher Hingebung, glaubens - froh, bibelfeſt, ein unermüdlicher Tröſter und Erbarmer. *)S. o. IV. 495.Zweimal trotzte er der angedrohten Amtsentſetzung, weil er leichtfertig Geſchiedene nicht wieder trauen wollte. Und doch geſchah es zuweilen zum Entſetzen der Stillen im Lande, daß er auf der Kanzel ſchöne Stellen aus Shake - ſpeare vortrug; ſo ſeltſam vermiſchten ſich in dieſem geiſtreichen romanti - ſchen Kreiſe die religiöſen und die äſthetiſchen Ideale.
Am liebſten unter den drei Brüdern war dem Monarchen der älteſte, der General Leopold. Er wurde ſchon aus ſeiner Provinzial-Garniſon öfters an das Hoflager gerufen, dann nach Berlin zurückverſetzt und dort bei allen wichtigen Entſchließungen zu Rathe gezogen; doch täuſchte er ſich nicht über ſeinen Einfluß und geſtand offen, keiner der perſönlichen Günſtlinge des Königs beſitze wirkliche Macht. Seine ſchönſten Erinne - rungen hafteten an dem ſchleſiſchen Hauptquartiere, dem er mit großer Auszeichnung angehört hatte;**)S. o. I. 477. nachher war er lange Adjutant des jün - geren Prinzen Wilhelm, der ihm auch ſpäterhin, als ihre politiſchen Wege ſich trennten, ſtets aufrichtige Hochachtung bewahrte. Ganz und gar kein Höfling, gab er ſelbſt dem gefürchteten Czaren zur rechten Zeit eine derbe preußiſche Antwort; das knechtiſche Weſen und der ſchablonenhafte Ord - nungsſinn der Moskowiter blieb ihm tief widerwärtig, obgleich er ſie für Preußens natürliche Verbündete hielt. Das eigenthümliche Selbſtgefühl des Romantikers erging ſich gern in kühnen Paradoxen, Napoleon nannte er einen gutmüthigen, übrigens etwas dummen Kerl. In ſeinen politiſchen Anſichten ging der grundgeſcheidte, vielſeitig gebildete Offizier faſt noch weiter als ſein Bruder Ludwig; unauslöſchlichen Haß widmete er dem Despotismus der Miethlings-Officianten, zu denen er doch eigentlich ſelbſt gehörte. An Gottes unmittelbare Einwirkung auf die gekrönten Häupter glaubte er feſt und ſagte ſtreng: Prätendenten die der Allmächtige ſelbſt aus ihrem hohen Amte geſtrichen hat, gehören ins Feldlager oder ins Kloſter, nicht in den Strudel höfiſcher Genüſſe. Indeß war auch er in der Kritik ſtärker als in eigenen politiſchen Gedanken.
Eine mächtige Stütze fanden die Brüder an Ludwig’s Schwager, dem Freiherrn Senfft v. Pilſach auf Gramenz, der im Hausminiſterium angeſtellt, auf den Domänen, mit erheblichen Koſten aber nur ſelten mit Erfolg, großartige Entwäſſerungspläne ausführte. Ueber ſeine politiſche Wirkſamkeit enthalten die amtlichen Papiere faſt gar nichts. Gleichwohl27Senfft v. Pilſach und die Erweckten.wußten alle Eingeweihten, daß der König auf das Urtheil dieſes Mannes, ſoweit er überhaupt einer fremden Meinung zu folgen vermochte, ſehr großen Werth legte. Schon als Kronprinz hatte er ſich des Freiherrn angenommen, als dieſer, unbekümmert um die Verbote der rationaliſti - ſchen Stettiner Regierung, ſeinen hinterpommerſchen Bauern gottſelige Predigten hielt, und in hellem Zorne geſchrieben: „ das Betragen dieſer Regierung iſt wirklich ſo ungeheuer dumm, daß es zum Erbarmen iſt. “ *)Kronprinz Friedrich Wilhelm an Altenſtein, 2. Mai 1830.Senfft kannte die Eigenart Friedrich Wilhelm’s ganz genau, er wußte ſeine vertraulichen Berichte und Geſpräche ſtets der augenblicklichen Stim - mung des Monarchen anzupaſſen; er ſcheute ſich auch nicht dem Könige, oft ſehr unverblümt, zu ſagen, was man im Volke über ihn redete. Alſo, bald aufrichtig, bald berechnend, gewann er mit ſeiner zähen ſtillen Ausdauer doch einigen Boden, und immer kam ſein Rath den Hochcon - ſervativen zu gute. Durch ſeinen und Ludwig Gerlach’s gemeinſamen Schwager v. Thadden-Trieglaff unterhielt er regen Verkehr mit einem Kreiſe altgläubiger hinterpommerſcher Edelleute, der ſich durch chriſtlichen Wandel und edle Wohlthätigkeit ebenſo ſehr auszeichnete wie durch reac - tionäre Geſinnung.
Auch was ſonſt noch dem Herzen des Königs nahe ſtand, trug hoch - kirchliche Farbe: ſo der Geheime Rath v. Voß-Buch, ſeit Jahren vor - tragender Rath des Kronprinzen und auch jetzt noch mit wichtigen Ar - beiten, namentlich im Juſtizweſen, betraut, nebenbei berühmt durch ſeine unvergleichlichen Junggeſellen-Gaſtmähler; ſo Friedrich Wilhelm’s Jugend - geſpiele, der Kammergerichtspräſident v. Kleiſt, von den Demagogen der blutige Kleiſt genannt, ein eiſerner Ultra, der nachher den Abſchied nahm, als er die neue Verfaſſung beſchwören ſollte; ſo der Hallerianer C. W. v. Lancizolle, vormals Lehrer des deutſchen Staatsrechts für die königlichen Prinzen; ſo der gelehrte Juriſt Götze, der kindlich fromme General Carl v. Röder u. A. m., die einſt in den erſten Friedensjahren den Conventikeln der Erweckten oder dem Maikäfervereine der jungen Berliner Romantiker angehört hatten. **)S. o. II. 27. 91.Einen ehrbareren Hof hat es nie gegeben; Geiſt, Wiſſen, Edelſinn war in dieſen Kreiſen reichlich vor - handen, aber wenig Willenskraft, wenig Verſtändniß für die Bedürfniſſe der Zeit.
Wie ein Fremdling erſchien in dieſer chriſtlichen Umgebung der regel - mäßige Genoſſe der königlichen Abendcirkel Alexander v. Humboldt. Der Geiſt zog den Geiſt an, der König und der große Gelehrte konnten von einander nicht laſſen, und unwillkürlich gedachten die. Zeitgenoſſen der Freundſchaft zwiſchen Friedrich und Voltaire — eine Vergleichung, die doch nur wenig zutraf. Voltaire hatte auf das äſthetiſche Urtheil des28V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.großen Königs entſcheidend, auf ſeine philoſophiſche Ueberzeugung mit - beſtimmend eingewirkt, der preußiſchen Politik wurde er unnachſichtlich immer fern gehalten. Humboldt konnte auf die längſt fertige Weltan - ſchauung ſeines königlichen Freundes ſchon darum keinen Einfluß ge - winnen, weil er halb unter halb über ihr ſtand. Dem Jünger der alten Aufklärung, der ſchon in ſeinen jungen Tagen den preußiſchen Beamten zu Baireuth für einen Jacobiner gegolten hatte, fehlte jedes Verſtändniß für das neue religiöſe Leben, das den Deutſchen tagte und von dem Könige ſo freudig begrüßt wurde; andererſeits würdigte er weit unbefangener als Friedrich Wilhelm die liberalen Ideen des emporſteigenden Mittel - ſtandes. Alſo faſt in Allem verſchieden fanden ſich die Beiden nur zu - ſammen in der leidenſchaftlichen Freude des Forſchens und Erkennens. Humboldt fühlte bald heraus, daß dieſer König kein Mann des Handelns ſei und das Glück, deſſen er doch bedurfte, niemals finden würde; darum beſchied er ſich, auf dem einzigen Gebiete der Politik, das ihm offen blieb, Segen zu ſtiften, die mäcenatiſchen Neigungen des Königs zu nähren, alle aufſtrebenden Kräfte deutſcher Kunſt und Wiſſenſchaft wirkſamer zu fördern als es unter dem ſparſamen, ſchwer zugänglichen alten Herrn mög - lich geweſen. Mit ungewöhnlicher Offenheit ſprach er ſich darüber ein - mal gegen Bunſen aus: „ Ich habe die Schwachheit zu wollen, daß die, deren Talent ich früh erkannt und verehrt habe, etwas Großes hervor - bringen. Dadurch hält man ſich gegenſeitig in der Welt und trägt dazu bei die Achtung vor geiſtigen Beſtrebungen wie ein heiliges Feuer zu nähren und zu bewahren. “
Er wollte der anerkannte Fürſt ſein im Reiche des Wiſſens, aber dieſe Macht auch in großem Sinne gebrauchen, um das perikleiſche Staats - ideal zu verwirklichen, das ihm ſo hoch ſtand wie ſeinem Bruder Wilhelm; ohne die Pflege des Wahren und des Schönen war ihm ſelbſt der ſtark - gerüſtete und wohlgeordnete Staat werthlos. An Allem was Friedrich Wilhelm für die Wiſſenſchaft that hatte Humboldt ſeinen reichen Antheil. Das alte Familienhaus in der Oranienburger Straße ward ein Wall - fahrtsort für alle jungen Talente. Dort fanden Hermann Helmholtz und manche andere vielverheißende Anfänger Rath und Hilfe. Dort ſaß der kleine Greis unter Thürmen von Büchern, Karten, Briefen und Sen - dungen jeder Art, die ihm aus allen Theilen der Erde zuflogen — ihm gegenüber auf der grünen Wand die große Weltkarte — und ſchrieb die langen Nächte hindurch, über ſein Knie gebückt, bald an ſeinem Kosmos, bald Entwürfe für wiſſenſchaftliche Anſtalten oder auch ungezählte Empfeh - lungsbriefe; es war, als ob alle Fäden aus dem unermeßlichen Reiche der Forſchung in der Hand des alten Zauberers zuſammenliefen. Der König überſchüttete ihn mit Ehren und Geſchenken, ohne doch hindern zu können, daß der aller Wirthſchaft Unkundige ſchließlich der Schuldknecht ſeines eigenen Hausdieners wurde. In den Briefen an ſeinen theuerſten Alexan -29A. v. Humboldt bei Hofe.dros entfaltete Friedrich Wilhelm alle Zartheit, alle Wärme ſeines guten Herzens; als Humboldt erkrankte, ſaß er ſtundenlang an ſeinem Bette und las ihm vor. Ueber Alles ſollte der Alles Wiſſende Auskunft geben, bald über ein ernſtes Problem, bald über ein müßiges Curioſum, ſo über die Frage, warum die Produkte der Zahl 9 immer die Zifferſumme 9 ergeben. Wenn der König ſeinen Freund Abends im Potsdamer Schloſſe beſuchte, dann mußten die Diener mit den Windlichtern oft tief in die Nacht hinein warten, weil ihr Herr nach dem allerletzten Abſchied das beglückende Ge - ſpräch noch auf der Treppe von Neuem eröffnete.
Minder liebenswerth als bei ſolchen geiſtreichen Zwiegeſprächen zeigte ſich der große Gelehrte auf den Hoffeſten, wo er, angethan mit der Kammer - herrn-Uniform und dem großen Bande des ſchwarzen Adlerordens, jedem nichtigen Menſchen etwas Verbindliches ſagte, oder auf den kleinen Thee - Abenden der königlichen Familie. Von Paris her war er gewöhnt den Mittelpunkt des Salongeſprächs zu bilden, und er konnte ſich’s nicht ver - ſagen auch hier in Sansſouci oder Charlottenburg Aller Augen auf ſich zu ziehen. Da ſtand er denn vor der mürriſch ſchweigenden Königin, die ihm immer mißtraute, vor neidiſchen Hofleuten und politiſchen Gegnern und berichtete aus neuen Büchern, aus Zeitſchriften, aus eigenen Aufzeichnungen über die Höhe des Popocatepetl oder die Iſothermen oder die Gefängniſſe, immer geiſtvoll, immer lehrreich, aber der Mehrzahl der Anweſenden unver - ſtändlich. Der König allein hörte aufmerkſam zu, und auch er war zuweilen zerſtreut und blätterte in Zeichnungen. Für den verhaltenen Aerger und die Langeweile dieſer unerquicklichen Abende, die er doch nicht miſſen wollte, nahm Humboldt ſeine ſtille Rache; er trug dem Freunde Varnhagen, der jedes Schmutzbächlein wie ein Schwamm aufſog, allerhand boshaften Hofklatſch zu, lieblos ſelbſt gegen den liebevollen König, und zeigte durch ſein Mediſiren, daß in den Hauptſtädten, zumal in dem afterredneriſchen Berlin, ſelbſt der hochbegabte Menſch klein wird, wenn er die Dinge allzu nahe ſieht. Eines freilich ging aus ſeinen gehäſſigen Berichten unzweifel - haft hervor: dieſem ſo mannichfach bewegten Hofe fehlte der beherrſchende Kopf. —
„ Lebt wohl nun, Freuden, Spiele, Töne! Mein höchſter Gott iſt meine Pflicht “— ſo hatte vor hundert Jahren König Friedrich nach ſeiner Thronbeſteigung an Voltaire geſchrieben. Von dieſer entſchloſſenen Sicher - heit des Ahnherrn zeigte der Nachkomme nichts. Friedrich Wilhelm war völlig faſſungslos, als Czar Nikolaus, der noch in der letzten Stunde am Sterbebette des Schwiegervaters erſchienen war, ihm den erſten Segens - wunſch zur Thronbeſteigung ausſprach; auch nachher brauchte er noch lange Zeit um ſeinen Schmerz zu bewältigen und ſich in der neuen Lage zu - rechtzufinden. „ Ach “, ſchrieb er an Metternich, „ wer Ihr warmes Herz mit Ihrem kalten Kopf vereinigte! Das iſt das gewiſſe Mittel immer30V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Recht zu behalten und richtig zu ſteuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß dieſer Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage zu erholen, der uns niedergeſchmettert hat, und meine Lage erſcheint mir wie ein Traum, aus welchem ich ſehnlich das Erwachen wünſche. “ Das ganze Land theilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen ſtanden die Maſſen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten - burger Mauſoleum, wo der Verblichene neben ſeiner Luiſe ruhen wollte; die Laternen waren ausgelöſcht, nur der Mond warf zuweilen aus den Wolken vortretend ſein fahles Licht auf die ſchwarzen Wagen, die lautlos über den weichen Sandboden dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel bis zur Saar wurde gepredigt über den Text „ der Herr hat Dich geſegnet in allen Werken Deiner Hände “; die Stadt Berlin beſchloß, dem Entſchla - fenen, dem ſie ſo viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein Denkmal zu errichten und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain.
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver - ſtorbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor - ſchrift über ſeine Beſtattung, hinterlaſſen hatte. Er fügte den Aeußerungen des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick auf die Kriegsrüſtungen der Franzoſen, ſagte er zuverſichtlich: ſollte je das Kleinod des theuer errungenen Friedens gefährdet werden, „ ſo erhebt ſich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie ſein Volk ſich auf ſeinen Ruf erhoben hat “. Die beiden Teſtamente waren ſchon vor dreizehn Jahren niedergeſchrieben, lange bevor die Julirevolution das deutſche Leben erſchütterte, und ganz in dem patriarchaliſchen Stile jener ſtillen Tage gehalten. Das eine, „ Mein letzter Wille “überſchrieben, er - ging ſich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten „ auf Dich, meinen lieben Fritz “, warnte den Thronfolger vor Neuerungs - ſucht und unpraktiſchen Theorien, aber auch vor der zu weit getriebenen Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Oeſterreich und Rußland „ als den Schlußſtein der großen europäiſchen Allianz zu be - trachten “. Der Berliner Magiſtrat ließ dieſe Vermächtniſſe des alten Königs für ſeine Bürgerſchaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch hingen ſie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußiſchen Häuſern. Aber die Zeit, der ſie angehörten, war vorüber; mit dieſem letzten Zolle der Dankbarkeit ſchien die Vergangenheit abgeſchloſſen; erwartungsvoll wendeten ſich alle Blicke dem neuen Herrſcher zu.
Das Erſte, was er von ſich hören ließ, waren Kundgebungen des Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erſchien ihm als heilige Pflicht. Allen den Abgeſandten, die ſich ihm nahten, ſagte er freundliche, ermuthigende Worte; ſogar die Juden Berlins, die er ſehr wenig liebte, empfingen die Verſicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurtheile31Die Amneſtie.früherer Jahrhunderte ſei. Dann wurde General Boyen, der lange miß - handelte, durch ein überaus gnädiges Handſchreiben in den Staatsrath zurückgerufen, und alle Welt betrachtete dieſe erſte That der neuen Re - gierung als ein Zugeſtändniß an den Liberalismus. Gleich darauf durfte Arndt wieder in ſein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die Bonner Gelehrten den treuen Mann — nur A. W. Schlegel, der alte Feind, hielt ſich abſeits — und erwählten ihn ſogleich zum Rector für das nächſte Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an ſeinem Staate; mitten im Elend der unverſchuldeten Verfolgung hatte er ſeinem Vaterlande zugeſungen:
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe ſeiner Deut - ſchen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf - ſicht entledigt und nachträglich noch mit dem eiſernen Kreuze geſchmückt. Am 10. Auguſt unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche allen politiſchen Verbrechern Amneſtie gewährte, auch den Flüchtlingen, falls ſie heimkehrten, Begnadigung verſprach. Der Erlaß ſollte erſt einen Monat ſpäter, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche Gemüth des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anſtellung im Staatsdienſte. Dieſe Milde gereichte ſeinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenſo feſt wie ſein Vater. Die düſtere Zeit der politiſchen Verfolgungen ging alſo zu Ende, nicht ohne ein ſchauerliches Nachſpiel. Zur ſelben Zeit, da die Demagogen frei kamen, verfiel der boshafteſte ihrer Peiniger, Geheimer Rath Tzſchoppe, in ſchwere Geiſteskrankheit; der Unſelige wähnte ſich verfolgt von allen den Armen, denen er die Jugend verwüſtet hatte, und ſtarb bald nachher im Irrſinn.
Leider zeigte ſich auch ſchon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute er den Prinzen Wilhelm, der den fridericianiſchen Titel eines Prinzen von Preußen erhielt, mit dem Vorſitze im Staatsminiſterium und im Staatsrathe. Er hoffte, ſein Bruder würde einfach in die Stellung ein - rücken, welche er ſelbſt bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber trotz ſeiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenſo beſcheiden zurücktreten, wie es der alte Herr von ſeinen Söhnen verlangt hatte, der Gegenſatz des Charakters und der Geſinnung, der die beiden Brüder trennte, mußte an den Tag kommen, und ſchon die nächſten Wochen lehrten, daß das Amt eines Miniſterpräſidenten für einen Thronfolger zugleich zu niedrig und zu mächtig iſt.
32V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Von vornherein war der König darüber im Reinen, daß die land - ſtändiſche Verfaſſung nicht in ihrem gegenwärtigen unentſchiedenen Zu - ſtande verbleiben durfte. Er ahnte, dieſe große Frage würde den eigent - lichen Inhalt ſeiner erſten Regierungsjahre bilden, und bei einiger Ent - ſchloſſenheit ſchien ihre Löſung keineswegs unmöglich. Die Verheißungen des alten Königs, wie planlos und unbedacht ſie auch waren, enthielten nichts, was die Macht der Krone in der gegenwärtigen Lage irgend be - drohen konnte. Nach der Verordnung vom 22. Mai 1815 war der Mon - arch verpflichtet, eine berathende, aus den Provinzialſtänden gewählte Landesrepräſentation einzuberufen; die Art der Erwählung konnte er als alleiniger Geſetzgeber frei beſtimmen. Er war ferner verpflichtet, die Grundſätze, nach denen Preußens Regierung bisher geführt worden war, in einer ſchriftlichen Verfaſſungsurkunde auszuſprechen, deren Form und Inhalt ihm ebenfalls frei geſtellt blieb. Endlich hatte der alte König durch das Staatsſchuldengeſetz vom 17. Jan. 1820 verſprochen, daß dem künftigen Reichstage über die Staatsſchulden jährlich Rechnung abgelegt, neue Schulden nur mit ſeiner Genehmigung aufgenommen werden ſollten. Auch hiermit war ſtreng genommen nur geſagt, daß die Reichsſtände in regelmäßiger Wiederkehr einberufen werden mußten; die alljährliche Rech - nungsablegung konnte ja, wenn man ſich mit ihnen verſtändigte, auch vor einem Ausſchuſſe des Reichstags ſtattfinden. Zum Ueberfluß beſaß der Monarch die unbeſtrittene Befugniß, die Geſetze ſeines Vorgängers, ſofern ſie nicht die Rechte der Staatsgläubiger unmittelbar berührten, durch neue Geſetze aufzuheben.
Hier zeigte ſich aber, daß ein conſtitutioneller Fürſt in vielen Fällen mächtiger iſt als ein unbeſchränkter Herrſcher. Die Zurücknahme eines übereilten Verſprechens, die im conſtitutionellen Staate, wenn der Reichs - tag zuſtimmt, ohne jede Schwierigkeit erfolgt, mußte dem abſoluten Könige als eine Verletzung der Ehrfurcht gegen ſeinen Vater, faſt als eine ſitt - liche Unmöglichkeit erſcheinen. Friedrich Wilhelm fühlte ſich in ſeinem Gewiſſen an die alten Verheißungen gebunden, und doch ſträubten ſich alle ſeine Neigungen und Doctrinen wider ihre wörtliche Ausführung. Ihr Kernpunkt lag offenbar in der Einberufung eines regelmäßig wieder - kehrenden Reichstags; trat dieſer nur erſt als eine ſtehende Inſtitution zuſammen, in wie beſcheidenen Formen immer, ſo mußte er ſich unfehl - bar weiter entwickeln. Durch die Bildung der Provinzialſtände hatte einſt nicht eigentlich die Reaction, ſondern der Particularismus geſiegt. Um ſo nöthiger war es jetzt, nachdem die Provinzen in einem Vierteljahr - hundert ſich doch leidlich zuſammengefunden hatten, dem Sondergeiſte der Landſchaften ein ſtarkes Gegengewicht zu geben, dem ganzen Volke endlich ein gemeinſames Arbeitsfeld zu eröffnen, auf dem ſich ein bewußtes Preu - ßenthum, eine lebendige Staatsgeſinnung bethätigen konnte.
Das war es was Preußens Nachbarn vornehmlich befürchteten. Nicht33Die Verfaſſungsfrage.blos Fürſt Metternich und Czar Nikolaus lauſchten beſorgt auf jede Nach - richt aus Berlin. Auch König Wilhelm von Württemberg betheuerte dem Geſandten Rochow beſtändig: er ſei jetzt über das conſtitutionelle Weſen ins Klare gekommen und halte die preußiſchen Provinzialſtände für die beſte Form der Intereſſenvertretung. *)Rochow’s Bericht, 29. Febr. 1840 ff.Die kleinen deutſchen Fürſten dachten nur mit Zittern und Zagen an die Möglichkeit einer preußiſchen Verfaſſung. Bei dem bisherigen Zuſtande befanden ſie ſich alleſammt recht behaglich, weil ſie die Unzufriedenen daheim bald durch das abſchreckende Beiſpiel des preußiſchen Abſolutismus beſchwichtigen, bald mit dem Unwillen der beiden Großmächte bedrohen konnten; was ward aus ihrer Souveränität, wenn ein preußiſcher Reichstag die Verfaſſungsherrlichkeit der Kleinen ſofort in den Schatten ſtellte, wenn dies durch den Zollverein ſchon ſo mächtig erſtarkte Preußen auch noch die Bühne des deutſchen parlamentariſchen Lebens wurde und den Deutſchen täglich zeigte, welch ein Stolz es iſt einem mächtigen Staate anzugehören?
Für dieſe einigende Kraft der Reichsſtände beſaß aber Friedrich Wil - helm gar kein Verſtändniß, weil ihm die Energie des preußiſchen Staats - gedankens fremd blieb. Er betrachtete die ſchöne Mannichfaltigkeit der Provinzialſtände als einen Triumph des hiſtoriſchen Princips und warf noch in den dreißiger Jahren zuweilen die Frage auf, ob man nicht die alten Stände der Fürſtenthümer Magdeburg, Münſter, Paderborn als Communallandtage wieder herſtellen könne. Das ſtand ihm feſt, daß die Provinziallandtage der Schwerpunkt der ſtändiſchen Verfaſſung Preußens bleiben ſollten; nur in außerordentlichen Fällen dachte er ſie alleſammt nach Berlin zu berufen und alſo, ohne neue Wahl, einen Vereinigten Landtag zu bilden, der ſchon wegen ſeiner Schwerfälligkeit nur ſelten zu - ſammentreten konnte. Dieſe Gedanken entwickelte er bereits als Kron - prinz vor Leopold Gerlach; an ihnen hielt er mit ſeiner ſtillen Hart - näckigkeit feſt, bis er ſie nach Jahren endlich verwirklichte. Noch andere, rein doctrinäre Bedenken gegen die alten Verheißungen konnte er nicht überwinden. Eine ſchriftliche Verfaſſungsurkunde, wie ſie der Vater ver - ſprochen, erinnerte den Sohn allzuſehr an Rouſſeau und Rotteck-Welcker; niemals wollte er die freie Macht ſeiner Krone durch einen papiernen Vertrag beſchränken. Ebenſo anſtößig ſchien ihm die Verheißung, daß die Reichsſtände für alle Staatsſchulden die Bürgſchaft übernehmen ſollten; in Kriegszeiten wollte er eine ſolche Beſchränkung ſeiner monarchiſchen Ge - walt nicht dulden. Es war eine Sorge, die nur den überfeinen Scharf - ſinn eines ganz unpraktiſchen Kopfes beunruhigen konnte. Denn für die erſten Ausgaben eines plötzlich hereinbrechenden Krieges boten der längſt wieder gefüllte Staatsſchatz, die reichlichen Ueberſchüſſe der Verwaltung, dazu noch die Bank und die Seehandlung vollauf genügende Mittel; undv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 334V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.war der Krieg erſt im Gange, ſo ließ ſich von der ſo oft, ſo glorreich be - währten Vaterlandsliebe der Preußen mit Sicherheit erwarten, daß ihr Reichstag nothwendige Kriegsanleihen nicht verweigern würde.
Von ſolchen Zweifeln gepeinigt, hatte Friedrich Wilhelm einen be - ſtimmten Entſchluß noch nicht gefunden; nur das Eine ſagte ihm ſeine richtige Empfindung, daß der große Augenblick der Huldigung benutzt werden mußte um durch einen freien königlichen Befehl die Verfaſſungs - frage ſofort zu entſcheiden. Da wurde ihm zur unglücklichen Stunde jener Teſtamentsentwurf übergeben, welchen der Vater kurz vor ſeinem Ableben dem Fürſten Wittgenſtein anvertraut hatte. *)S. o. IV. 725. 753.Darin war vor - geſchrieben, daß nur im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe ein Vereinigter Landtag aus 32 Abgeordneten der Provinziallandtage und ebenſo vielen Mitgliedern des Staatsraths gebildet werden dürfe; über - dies verlangte der alte Herr für jede Aenderung der ſtändiſchen Verfaſſung die Zuſtimmung der Agnaten. Daß dieſe Aufzeichnungen im Großen und Ganzen der Anſicht des verſtorbenen Königs entſprachen, ließ ſich nicht beſtreiten. Aber ſie waren rechtlich unwirkſam, da ſie weder Unterſchrift noch Datum trugen, und konnten nur als ein väterlicher Rath und Wunſch, nicht als ein bindendes Teſtament betrachtet werden, obgleich das Allgemeine Landrecht die letztwilligen Verordnungen der Mitglieder des königlichen Hauſes als privilegirte Teſtamente von den üblichen Förm - lichkeiten befreite; denn immer blieb die Frage offen, ob die Willens - meinung des Monarchen genau wiedergegeben ſei. Der neue König zwei - felte lange, wie er ſich zu den Verfügungen des Vaters zu verhalten habe; er ließ Alles was ſie über das Hausvermögen anordneten gewiſſenhaft ausführen, und theilte das Aktenſtück ſeinen Brüdern mit. Da erwi - derte ihm der Prinz von Preußen ſehr ernſt, die Willensmeinung des Vaters müſſe trotz ihrer mangelhaften Form unbedingt geachtet werden, ohne die Zuſtimmung aller erwachſenen königlichen Prinzen ſei fortan jede Verfaſſungsänderung unzuläſſig.
Alſo gemahnt entſchloß ſich Friedrich Wilhelm, ſofort bei der Huldigung die beabſichtigte Einberufung jenes ſeltſamen Landtags von 64 Mitglie - dern anzukündigen, obgleich eine neue Anleihe zur Zeit gar nicht nöthig war; auch eine Ueberſicht des Staatshaushalts wollte er den zur Huldi - gung verſammelten Provinzialſtänden vorlegen und ihnen mittheilen, daß er ſeinem treuen Volke zur Morgengabe einen Steuererlaß zu gewähren denke. Durch ſolche freie Bewilligungen — ſo rechnete er — würden die Stände leicht gewonnen werden und ſich gern entſchließen, dafür auf die verheißene regelmäßige Berufung des Reichstags zu verzichten. Waren dergeſtalt die Befehle des Vaters mit Genehmigung der Agnaten aus - geführt, ſo konnte vielleicht ſpäter einmal, nach dem Ermeſſen der Krone,35Das Teſtament des alten Königs.ein großer Vereinigter Landtag, eine Verſammlung aller Provinzialſtände einberufen werden. Ueber dieſen letzteren Plan äußerte ſich der König vorerſt noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich feſt hielt. Was er aber für die Huldigung beabſichtigte, das gab er ſchon zu An - fang Juli ſeinen Miniſtern kund, und ſagte in ſeinem Handſchreiben: er beſitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche ſein Vater ſich einſt durch eine lange, geſegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe er die ſtändiſche Frage nicht unentſchieden laſſen. Auch Boyen, Voß, Leopold Gerlach nahmen theil an den Berathungen, die ſich durch Wochen hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten.
Für den Vorſchlag des Königs erklärte ſich nur einer der Befragten, General Boyen. Der alte Kriegsmann ſah voraus, daß die erwartungs - volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und ſagte in einer Denkſchrift vom 8. Auguſt: „ In einem ſolchen zweifelhaften Falle iſt es die Hauptfrage: ſoll die Regierung ſich drängen laſſen oder die Initiative ergreifen? “ Ueberdies erwartete er beſtimmt einen neuen Krieg gegen Frankreich, und wie er ſchon im Jahre 1808 die Berufung einer Ständeverſammlung angerathen hatte, um die Krone zum Kampfe gegen Napoleon zu ſtärken, ſo verlangte er auch jetzt, daß unſere bewaffnete Macht „ geiſtig höher “ſtehen müſſe als die Heerſchaaren der Propaganda. Darum betrachtete er „ dieſen durch eine ſonderbare Kette von Verhält - niſſen herbeigeführten Gedanken eines ſtändiſchen Ausſchuſſes … als das beſte und einfachſte Mittel für unſere inneren und äußeren Staatsver - hältniſſe. … Kann Jemand noch ein beſſeres Mittel angeben, in Gottes Namen! Aber für die geſetzliche Lenkung des Volksgeiſtes muß etwas in Zeiten geſchehen. “ In einem Begleitſchreiben rief er dem Könige zu: „ Wir ſtehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Uebergang hat nicht wie bei Caeſar die Zerſtörung zum Zweck. Nein, das Zeil iſt das muthige Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländiſchen Einrichtungen. Dies iſt die von der göttlichen Vorſehung Eurer Majeſtät zugewieſene Aufgabe. “ *)Boyen’s Denkſchrift nebſt Begleitſchreiben an den König, 8. Aug. 1840.So klar der General das Ziel erkannte, ebenſo ſchwer täuſchte er ſich über die Mittel und Wege. Eine Verſammlung von 32 Provinzial - Abgeordneten war kein Reichstag, ſondern nur ein ſtändiſcher Ausſchuß, wie ſie Boyen ja auch ſelbſt nannte; durch eine ſo kümmerliche, faſt ſpöttiſche Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder befriedigt noch begeiſtert, ſondern nur aufgereizt werden zur Forderung ihrer verbrieften Rechte. Dieſe Gefahr lag ſo nahe, daß ſelbſt General Thile, der ſich anfangs zu ſeinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Miniſter alleſammt den Monarchen dringend warnten.
Dergeſtalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt ſchon ſeine verhängniß -3*36V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.volle Neigung, die Geſchäfte an der falſchen Stelle anzufaſſen; in beſter Abſicht verwirrte und verwickelte er die Frage alſo, daß beide Theile zugleich Recht und Unrecht hatten. Die Mehrzahl der Miniſter be - trachtete die ſtändiſche Geſetzgebung der Monarchie als endgiltig abge - ſchloſſen und verwarf jede Neuerung. Rochow vornehmlich, der vor acht - zehn Jahren den Verhandlungen der Notabeln über die Errichtung der Provinzialſtände beigewohnt*)S. o. III. 237., verſicherte in einer Denkſchrift zuverſichtlich, damals hätte „ man allſeitig die allgemeine Verfaſſungsfrage für abgethan gehalten “. In ähnlichem Sinne äußerte ſich Gerlach; der nachdrücklich hervor hob, daß die zur Huldigung einberufenen Stände ſich unmöglich für befugt halten könnten eine ſo wichtige Angelegenheit alsbald zu ent - ſcheiden. **)Rochow’s Denkſchrift, 27. Juli; eine andere Denkſchrift ohne Unterſchrift, offen - bar von Gerlach, 4. Aug. 1840.Vor dieſem allgemeinen Widerſpruche verlor der König den Muth. Er legte ſich nicht die Frage vor, ob es nicht rathſam ſei, ſtatt der geplanten bedenklichen Halbheit vielmehr eine ganze Gewährung zu wagen und den Preußen ſogleich bei der Huldigung die Einberufung eines wirklichen, mit allen verheißenen Rechten ausgeſtatteten Reichstags anzu - kündigen. Für ſolche Pläne konnte er an Radowitz oder Canitz freudige Helfer finden. Da er aber durchaus ſelbſt regieren wollte und in ſeinen Räthen immer nur gleichgiltige Werkzeuge ſah, ſo koſtete es ihn auch wenig Ueberwindung, ſich vorderhand noch mit Miniſtern zu behelfen, welche ſeinen reichsſtändiſchen Abſichten widerſtrebten. Schon halb ent - ſchloſſen die unbequemen Pläne vorerſt zu vertagen, beſuchte er den be - freundeten ſächſiſchen Hof und traf dort in Pillnitz, am 13. Auguſt mit dem Fürſten Metternich zuſammen. Er beſprach ſich mit ihm über die gemeinſamen Rüſtungen gegen Frankreich, über die nothwendige Reform der Bundesverfaſſung, nebenbei auch über die preußiſche Verfaſſungsfrage; und da der Oeſterreicher, wie zu erwarten ſtand, den Bedenken der preu - ßiſchen Miniſter lebhaft beipflichtete, ſo ließ der König für jetzt von ſeinen Vorſätzen ab. Alſo verſäumte er zum erſten male eine wunderbar günſtige Stunde; und oft genug hat er ſpäterhin bitterlich geklagt: „ ich beweine eine neue verlorene Gelegenheit, wie deren ſo viele!!! ſeit Jahren verloren ſind. “ ***)König Friedrich Wilhelm an Thile, 10. Juni 1847.Auch jetzt ſchon war er keineswegs mit ſich zufrieden, ſondern ſagte traurig: „ man wird ſehen, welche üblen Folgen das haben wird. “
Der Teſtamentsentwurf des alten Königs blieb alſo unausgeführt und wurde auf Befehl des Nachfolgers fortan ſtreng geheim gehalten. Nunmehr faßte Friedrich Wilhelm den Plan, die Befugniſſe der Pro - vinzialſtände Schritt für Schritt zu erweitern und dergeſtalt durch die belobte organiſche Entwicklung die dereinſtige Berufung der Reichsſtände37Stände, nicht Volksvertreter.vorzubereiten. Denn ganz etwas Anderes als die ſüddeutſchen Kammern ſollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräſentation, ſondern eine Verſammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu wahren hätten, eine im hiſtoriſchen Rechtsboden feſtgewurzelte Körperſchaft, die eben deshalb weder den befreundeten Oſtmächten Anſtoß geben noch die preußiſche Monarchie dem Staate der Julirevolution in die Arme treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi - ſchen Ständelehre, welche der Fürſt von Solms-Lich den Höfen neuerdings wieder mundgerecht vorgeſetzt hatte. Er überſah, daß der conſtitutionelle bairiſche Landtag doch auch nach dem Grundſatze der ſtändiſchen Gliederung gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußiſche Reichstag, wenn er nur mehr war als ein kleiner Ausſchuß, ſich ſelbſt für eine Volksvertretung anſehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger als der König hatte Dahlmann ſchon vor Jahren dieſe nothwendige Entwick - lung vorausgeſagt, als er in einem der ſchönſten Capitel ſeiner „ Politik “ausführte: dieſelbe Macht der Geſchichte, welche überall an die Stelle der Dienſte das Geld, an die Stelle der Sitte die Einſicht, an die Stelle der Standesmeinung eine öffentliche Meinung geſetzt habe, ſie nöthige auch die alten Landſtände zuſammenzurücken zu einer Volksvertretung. Solche Worte konnte der König nur für revolutionär anſehen, denn der Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche „ den Staat halb als Vaterhaus halb als Kirche übertünchen “wolle.
Eben dieſe Idee des chriſtlich-germaniſchen Patrimonialſtaates war dem Monarchen heilig; ſie wollte er verwirklichen — „ auf Jahrhunderte hinaus “, wie Fürſt Solms zuverſichtlich meinte — im bewußten Gegen - ſatze zu den Staaten der Volksſouveränität und der papiernen Charten. Darum durfte ihm auch kein Unterthan einreden in ſeine verborgenen Pläne. Im buchſtäblichen Sinne verſtand er die Mahnung, die ihm Leopold Gerlach in dieſen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „ dieſen Pumpernickel - Lafayette “geſcholten, als die weſtphäliſchen Stände an das Verfaſſungs - verſprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort ſich durch ſeine kühne Sprache hervorthat. Das Volk ſollte gehorſam abwarten, was des Königs Weisheit ihm ſchenken würde; nimmermehr wollte er ſich drängen laſſen.
Leider bekundeten jetzt ſchon mannichfache Anzeichen, wie wenig dieſe Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerſtehen vermochte. Zu - gleich mit der Verfaſſungsſache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite der beiden großen Fragen, welche ihm ſein Vater ungelöſt hinterlaſſen hatte, den Biſchofsſtreit, ernſtlich ins Auge gefaßt. Er beſchloß, durch eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Papſte den Zwiſt beizulegen und geſtattete ſchon am 13. Juli dem Erz -38V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.biſchof Droſte aus ſeiner ländlichen Heimath nach Münſter überzuſiedeln; nach Köln wollte er den Urheber des Streites auf keinen Fall zurückkehren laſſen. Den anderen der beiden Erzbiſchöfe hingegen, Dunin, der noch rechts - kräftig verurtheilt in Colberg gefangen ſaß, dachte er ſogleich wieder in ſein erzbiſchöfliches Amt einzuſetzen. Welch ein Mißgriff! Dunin war nicht nur der ſchuldigere der beiden Prälaten, da er ganz ohne Noth ein ſeit Jahrzehnten anerkanntes Geſetz eigenmächtig aufgehoben hatte; er gehörte auch einer Provinz an, welche durch ihre Unbotmäßigkeit ebenſo bekannt war wie das Rheinland durch ſeinen geſetzlichen Sinn und ſich längſt gewöhnt hatte, jede That königlicher Milde als deutſche Schwäche zu verſpotten. Während am Rhein die Ruhe faſt nirgends geſtört wurde, nahmen in Poſen die Kundgebungen lärmenden Zornes kein Ende: die Geiſtlichen verbreiteten ein Lied: „ den Hirt und Vater raubt man ſeinen Kindern, den heil’gen Glauben will man uns entreißen. “ *)Bericht des Miniſterialverweſers v. Ladenberg an den König, 3. Aug. 1840.Grade dieſen ſchlech - teſten Unterthanen Preußens, den Polen widmete Friedrich Wilhelm eine ſchwärmeriſche Zärtlichkeit. Er konnte nie vergeſſen, daß Platen ihn einſt in den Polenliedern um Schutz für „ das Volk der Leiden “angefleht und ihm zugerufen hatte:
Mit den Radziwills und Raczynskis verband ihn alte Freundſchaft. Durch Großmuth hoffte er die Großmüthigen, die in Wahrheit nur begehrlich waren, zu verſöhnen.
Daher wurde ſchon am 17. Juli Geh. Rath Aulicke, ein hartkatho - liſcher Weſtphale, der fortan in Preußens Kirchenpolitik noch lange eine verhängnißvolle Rolle ſpielen ſollte, an den Gefangenen geſendet. Die verſchmitzten Augen des glatten kleinen Polen leuchteten, er zerfloß in Dank - barkeit und verſprach in einem höchſt unterthänigen Schreiben fortan Treue und Frieden zu wahren. Darauf geſtattete ihm der König die Rückkehr und ſprach zugleich die Hoffnung aus: „ Es wird Mich freuen, durch die Bethätigung Ihrer gegen Mich ausgeſprochenen Verheißungen Mich bald in den Stand geſetzt zu ſehen Sie an Meinem Hoflager zu empfangen. “ **)Inſtruktion für Aulicke, 17. Juli; Aulicke’s Bericht, 27. Juli; Dunin an den König, 24. Juli; Cabinetsordre an Dunin, 29. Juli 1840.Die Heimkehr erfolgte, um Aufſehen zu vermeiden, am ſpäten Abend des 5. Auguſt; aber natürlich hatte einer der adlichen Vertrauten des Erzbiſchofs, Lipski, die Nachricht ſchon vorher verbreitet, ſo geſtaltete ſich denn die Ein - fahrt zu einem brauſenden Triumphzuge, und es frommte wenig, daß der König dem Herrn v. Lipski nachträglich ſeinen Unwillen ausſprechen ließ. ***)Ladenberg’s Bericht an den König, 6. Aug.; Cabinetsordre an Ladenberg, 7. Aug. 1840.39Begnadigung Dunin’s.Am nächſten Tage erklangen in allen Kirchen des Erzbisthums wieder die Glocken und die Orgeln, die wegen der Gefangenſchaft des Oberhirten bis - her geſchwiegen hatten. Die Stadt Poſen veranſtaltete eine große Erleuch - tung zur Feier der Amneſtie für die politiſchen Verbrecher, und wochenlang ſtrömten Tag für Tag Hunderte von Andächtigen zu dem befreiten Märtyrer. Dunin verſäumte auch nicht in Gneſen einzuziehen, wo ihm die Bauern die Pferde vom Wagen ſpannten; einer Pilgerſchaar, die zu der ſchwarzen Mutter Gottes von Czenſtochau, der Regina Regni Poloniae wallfahrtete, ertheilte er feierlich ſeinen Segen. So verhöhnte der Begnadigte die deutſche Staats - gewalt ins Angeſicht; der ſo lange durch Flottwell’s Strenge niedergehaltene Deutſchenhaß regte ſich wieder, während dieſer Saturnalien polniſcher Sieges - trunkenheit wurde der erſte Keim gelegt für die Aufſtände der nächſten Jahre. Unterdeſſen ließ der verſöhnliche Hirtenbrief, welchen Dunin dem Monar - chen verſprochen hatte, noch immer auf ſich warten. Erſt nach langen peinlichen Verhandlungen mit der Regierung*)Ladenberg an Dunin, 25. Aug. 1840. kam ein geſchraubtes und gewundenes Rundſchreiben zu Stande (27. Aug.): den Geiſtlichen wurde zwar unterſagt das förmliche Verſprechen katholiſcher Kindererziehung zu fordern, anderſeits aber völlig frei geſtellt, ihre Mitwirkung bei der Ab - ſchließung gemiſchter Ehen zu verweigern. Die Entſcheidung über die gemiſchten Ehen lag alſo fortan ausſchließlich in der Hand des römiſchen Clerus; in Poſen wie vorher ſchon am Rhein hatte der Staat völlig nachgegeben. **)S. o. IV. 700.
Damit die Poſener Verhältniſſe wieder in ruhigen Gang kämen, ver - langte der König, daß die beiden alten Gegner, Dunin und der Oberpräſi - dent Flottwell ſich verſöhnen ſollten. Flottwell erklärte ſich auch bereit die ihm anempfohlene Selbſtverleugnung zu üben; der treue Mann ahnte ſchon, die Zeit des feſten und gerechten deutſchen Regimentes werde unter dem neuen Könige nicht mehr lange währen. Dunin dagegen weigerte ſich den erſten Schritt zu thun, was ihm, dem Verurheilten, doch unzweifelhaft zukam. Der Oberpräſident, ſo verſicherte er dem Könige, hätte ihn gar zu ſchlecht behandelt: „ Die dadurch hervorgerufenen Gefühle aus - zutilgen vermag ich nicht, denn wenngleich Prieſter bin ich doch ein Menſch, und ein Wurm krümmt ſich wenn er getreten wird. “ Zugleich fragte er ganz verwundert, warum man ihn noch immer nicht zum Krönungsfeſte nach Königsberg eingeladen habe. ***)Dunin an den König, 24. Aug.; an Ladenberg, 22. Aug. 1840Vergeblich ſuchte ihn Oberſt Williſen, ein dem Könige naheſtehender, mit dem polniſchen Adel eng befreundeter Offizier, mindeſtens zur Wahrung des äußeren Anſtandes zu bewegen; vergeblich erinnerte ihn Miniſter Rochow, im Auftrage des Monarchen, an die Chriſtenpflicht der Verſöhnlichkeit. Dunin blieb bei ſeinem Trotze;40V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.er hatte mit ſarmatiſcher Schlauheit längſt erkannt, daß er dieſer Regierung alles bieten durfte. *)Williſen’s Bericht an den König, 12. Aug. Rochow an Dunin, 29. Aug. 1840.In der That ließ ihn der König zur Krönung an das Hoflager entbieten und gab ſich der angenehmen Hoffnung hin, der Prälat würde den verſäumten Beſuch bei Flottwell ſpäterhin noch nachholen. Dort in Königsberg umringte den Erzbiſchof alsbald der polniſche Adel und begrüßte ihn als einen Vorkämpfer der Nation; mit höchſter Dreiſtig - keit ward unter den Augen des Königs ausgeſprochen, jetzt ſei es Zeit den Deutſchen Flottwell zu ſtürzen. Die öffentliche Meinung zeigte ſich in dieſen polniſchen Dingen völlig urtheilslos; ſie war längſt gewöhnt in jedem poli - tiſchen Gegner der Regierung einen ehrwürdigen Märtyrer zu ſehen und pries dankbar die Milde des neuen Herrſchers.
Unterdeſſen wurden die Zurüſtungen getroffen für die Huldigung in Königsberg. Sie ſollte mit beſonderer Feierlichkeit erfolgen; denn es geſchah zum erſten male, daß ein König von Preußen als völlig ſou - veräner Herr aller ſeiner Lande den Thron beſtieg. In dem alten Ordenslande hatte ſich der verhaltene Partheihaß der letzten Jahre neuer - dings noch mehr verſchärft, ſeit General Wrangel, als Nachfolger des fein gebildeten taktvollen Natzmer, an die Spitze des erſten Armee - corps getreten war. Die oſtpreußiſchen Cüraſſiere fühlten ſich hoch ge - ehrt, wieder unter die Befehle des kühnen Reitersmannes zu kommen, der ſie einſt im Befreiungskriege ſo ruhmvoll geführt hatte. Der Ober - präſident Schön aber vermochte in ſeinem Bildungshochmuth weder die militäriſchen Verdienſte noch die humoriſtiſche Gutmüthigkeit des derben, polternden, ſtreng conſervativen Pommern zu würdigen; er verabſcheute ihn ebenſo gründlich wie den orthodoxen Generalſuperintendenten Sar - torius, und nannte ihn „ das öffentlich daſtehende Standbild der Stupi - dität und Uncultur “. Der Haß der Männer ergriff auch die Frauen - welt Königsbergs: hier Schön’s Freundin, die geiſtreiche, liebenswürdige, ganz demokratiſch geſinnte Freiin Florentine v. Brederlow, dort ſeine feindliche Schwägerin Frau v. Bardeleben mit den Gottſeligen des ver - rufenen Muckerkreiſes. Schön’s Partei aber behauptete entſchieden das Uebergewicht. Durch ſeine langjährige Verwaltung feſt mit dem Lande verwachſen, ſchien er Vielen ehrwürdig, Anderen ſchreckhaft, den Meiſten unentbehrlich; er beherrſchte faſt das geſammte Beamtenthum und den größten Theil des Landadels, desgleichen die hierzulande weit verbreiteten Freimaurer und den ganzen Lehrerſtand, der noch durchaus vom Geiſte des alten Dinter erfüllt war. Mit den Gelehrten ſtand er von jeher auf gutem Fuße. Die akademiſche Jugend endlich verehrte ihn, nach der Legende der Provinz, als den bürgerlichen York, der auch in Zukunft der Vorkämpfer altpreußiſcher Freiheit bleiben müſſe; denn ſeit Kurzem war auf der Albertina das politiſche Leben etwas reger geworden, bei41Schön und die Altpreußen.den alljährlichen Belle-Alliance-Feſten auf dem Galtgarbenberge verherr - lichten Dickert, Falkſon und andere jugendliche Redner die künftige preußi - ſche Verfaſſung. Als nun die Kunde von dem Thronwechſel kam, da fanden die verhaltenen Wünſche den Athem wieder; die Provinz hoffte, Alles werde jetzt anders und beſſer werden, die Einen erwarteten ein unbeſtimmtes politiſches Glück, Andere eine Erleichterung des Druckes der ruſſiſchen Grenzſperre, faſt Alle aber ſahen in Schön den Staatsmann der Zukunft.
Und mochte er es auch ableugnen, unmöglich konnte er ſelbſt ſolchen Hoffnungen fremd bleiben. Wie oft hatte er, alle dieſe Jahre über, ein Cabinet „ das vor dem Volke ſtehe “gefordert. Die bisherigen Miniſter ſchienen ihm alleſammt verächtlich, am verächtlichſten Rochow, der ſein unglückliches Wort vom beſchränkten Unterthanenverſtande der altpreu - ßiſchen Stadt Elbing zugeſchleudert und alſo den reizbaren Provinzialſtolz tödtlich beleidigt hatte. Dieſen Abſcheu erwiderten die Beamten der Berliner Centralſtellen, ohne Unterſchied der Partei, aus Herzensgrunde; ſie alle hatten unter Schön’s ſchroffer Tadelſucht viel gelitten und oft beklagt, daß der alte König ihm Alles nachſah. Der liberale Kühne, der mit dem erklärten Gegner des Zollvereins in beſtändiger Fehde lebte, ſagte in ſeinen Erinnerungsblättern geradezu: „ Nie hat, ſo weit meine Bekannt - ſchaft reicht, das Princip der Lüge und Falſchheit eine vollſtändigere Ver - körperung erlangt als in dieſem Manne. “ War es nicht natürlich, daß Schön dieſe ſeine geſchworenen Feinde durch Männer ſeines Vertrauens zu verdrängen hoffte? Mit dem neuen Könige verband ihn eine lang - jährige Freundſchaft, die allerdings, wie vormals Friedrich Wilhelm’s Ver - hältniß zu Niebuhr, nicht auf wirklicher Geſinnungsgemeinſchaft ruhte, alſo ernſte Prüfungen ſchwerlich aushalten konnte. In ſeinen ſittlichen Grundan - ſchauungen hatte der rationaliſtiſche Kantianer, der Gegner der hiſtoriſchen Schule mit dem chriſtlich germaniſchen Monarchen wenig gemein. Seit ſeinen Kämpfen mit den Muckern war Schön in ſeinem Aufklärungs - Eifer immer fanatiſcher geworden und behauptete jetzt geradezu: „ das rohe Gefühlsleben in den Formen der poſitiven Kirche ſchließt die Intelli - genz aus “; ſtolz ſtellte er der Heuchelei der Jeſuiten, Herrnhuter und Pietiſten, die ihm alle gleich galten, ſein eigenes „ einfaches Chriſtenthum “entgegen, obwohl er in ſeiner Selbſtüberhebung die chriſtlichen Tugenden der Liebe, der Demuth, der Wahrhaftigkeit mehr und mehr verlernte. Aber Beide waren mit Niebuhr befreundet geweſen und erwärmten ſich gern an den großen Erinnerungen des Befreiungskrieges, Beide ſchwärmten für England, Beide liebten leidenſchaftlich das tapfere Volk des Ordenslandes und haßten die Bureaukratie der Hauptſtadt; auch hatten ſie ſchon oft zu - ſammengearbeitet, bei dem Wiederaufbau der Marienburg und nachher in den ſtändiſchen Angelegenheiten. Dem Kronprinzen war es immer eine Freude, wenn er, geſtützt auf das Fürwort des Oberpräſidenten, die An -42V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.träge des preußiſchen Landtags im Staatsminiſterium vertheidigen konnte; in den letzten Jahren glaubte er mit Schön ganz eines Sinnes zu ſein, da ſie Beide, freilich aus ſehr verſchiedenen Gründen, die Kirchenpolitik der Krone entſchieden mißbilligten. Er freute ſich an den immer beleben - den Geſprächen des geiſtreichen, vielerfahrenen Staatsmannes und entwarf ſich von ihm nach ſeiner Künſtlerweiſe ein ideales Bild, ohne zu bemerken, wie dicht Freimuth und Verſchlagenheit, dynaſtiſche Treue und parteiiſche Willkür, Vaterlandsliebe und Eitelkeit in dieſem ſeltſamen Geiſte bei einander lagen. Schön’s Reformpläne gingen ſo weit nicht, wie die liberale Preſſe der kleinen Nachbarſtaaten wähnte, die ihn jetzt beharrlich als Volksmann und antiken Charakter verherrlichte; ein preußiſcher Reichstag von etwa hun - dert Köpfen ſchien ihm genügend, bei der großen politiſchen Unerfahrenheit des Volks. Nur eine raſche Entſcheidung hielt er mit Recht für nothwendig. Zauderte die Krone, dann mußte ſie durch den preußiſchen Landtag ehrer - bietig an die alten Verheißungen erinnert werden. Von ſeinem geliebten Königsberg war einſt die Befreiung des Landvolks und die Erhebung gegen Napoleon ausgegangen; warum ſollte ſich nicht nochmals aus dieſem eigent - lichen Königreiche Preußen ein Strom des Lichtes über Seiner Majeſtät übrige Länder ergießen?
Am 29. Auguſt hielt das Königspaar ſeinen Einzug in der alten Krönungsſtadt. Die Schlächter ritten voran, nach dem Vorrechte, das ſie ſich hier, wie in Berlin, vor Alters durch rühmliche Kriegsthaten erkämpft hatten. Die anderen Innungen bildeten Spalier in den reichverzierten hochgiebligen Gaſſen, die Schiffe auf dem Pregel prangten im Flaggen - ſchmuck. Der König kam zu Roß neben dem Wagen ſeiner Gemahlin daher und beantwortete die Anrede des Bürgermeiſters mit wohlgewählten herzlichen Worten. Stürmiſch, endlos erklangen die Jubelrufe aus den Maſſen; die Kinder ließen ſich nicht halten und drängten ſich an den Herrſcher heran, der gütig lächelnd die kleinen Krausköpfe ſtreichelte; es ſchien als könnte nie mehr ein Mißklang das patriarchaliſche Verhältniß zwiſchen Fürſt und Volk ſtören. Die nächſten Tage verbrachte der König bei den Uebungen der Truppen, auf Ausflügen in das ſchöne Samland und bei mannichfachen Feſtlichkeiten. Mittlerweile verſammelten ſich am 5. Septbr. die preußiſchen Landſtände. Sie waren durch eine Cabinets - ordre v. 15. Juli einberufen und beauftragt, vor der Huldigung die bei - den Fragen zu beantworten: ob eine Beſtätigung ſtändiſcher Privilegien zu beantragen und ob eine beſondere Vertretung des Herrenſtandes bei der Huldigung zu erwählen ſei? Die erſte dieſer Fragen mußte, obwohl ſie ſich nur an althergebrachte Formeln anſchloß, unter den gegenwärtigen Umſtänden den Eindruck machen, als wollte der König ſelbſt die Stände zu einer Aeußerung über die Verfaſſungsfrage auffordern; Friedrich Wil - helm bemerkte die Gefahr nicht, weil er damals noch beabſichtigte den Ständen ſelber die Berufung eines allgemeinen Landtags, nach den Plä -43Der Königsberger Landtag.nen des Vaters, anzukündigen. Inzwiſchen hatte er ſeine Abſicht geändert, und da er jetzt mit leeren Händen kam, ſo verſchuldete er ſelbſt was er doch verhindern wollte: daß die Krone von ihrem treuen Volke gedrängt wurde.
Schön eröffnete den Landtag als königlicher Commiſſar. Er gedachte zunächſt des verſtorbenen Königs und der jedem oſtpreußiſchen Herzen theueren Reformperiode, welche „ den letzten Reſt der Sklaverei “vernichtet habe. In ſeiner klug berechneten Rede, die er überdies noch durch eine Denkſchrift näher begründete, legte er ſodann den Ständen die Antwort in den Mund, welche ſie auf die Fragen des neuen Herrſchers zu geben hätten: er rieth ihnen, dem Könige, nach ihrem alten Ehrenrechte, das herkömm - liche Huldigungsgeſchenk von 100,000 Gulden anzubieten, dagegen auf die Vertretung eines beſonderen Herrenſtandes zu verzichten, auch auf die Beſtätigung ihrer alten, aus der trüben Zeit der Klöſter und der Zünfte ſtammenden Privilegien keinen Werth zu legen. Dieſe Rathſchläge des mächtigen Oberpräſidenten eigneten ſich die Landſtände faſt wörtlich an. Da er durch Brünneck, die Brüder Auerswald und andere Getreue die Verſammlung vollkommen beherrſchte, ſo läßt ſich mit Sicherheit annehmen, daß er auch an Allem was nun folgte, insgeheim theilnahm; den Schein der amtlichen Zurückhaltung wußte er freilich ſo vorſichtig zu wahren, daß er nachher jede Mitwirkung in Abrede ſtellen konnte. Der Kaufmann Heinrich aus Königsberg, ein wohlmeinender, gemäßigt liberaler Mann, der nur dies eine mal eine Rolle in der Geſchichte Preußens ſpielen und nachher bald wieder vergeſſen werden ſollte, beantragte nunmehr, den König um die Erfüllung der alten Verfaſſungsverſprechen zu bitten. Im Sinne dieſes Antrags wurde darauf eine ſtändiſche Denkſchrift ausgearbeitet. Die Feder führte der ritterſchaftliche Abgeordnete Alfred v. Auerswald, ein Sohn jenes wackeren alten Oberpräſidenten, der einſt, noch vor der be - freienden Geſetzgebung des Staates, zuerſt die Hörigkeit auf ſeinen Gütern aufgehoben hatte. Wie ſein Bruder, der jetzt als Oberbürgermeiſter der Lan - deshauptſtadt ebenfalls dem Landtage angehörte, war Alfred Auerswald vor Jahren auf dem Schloßhofe der alten Königsberger Ordensburg der tägliche Spielgefährte der königlichen Prinzen geweſen und ihnen ſeitdem in treuer Freundſchaft verbunden geblieben.
In dieſen Brüdern Auerswald, in dem zweiten Landtagsmarſchall Saucken-Tarputſchen, in Brünneck, Bardeleben und der großen Mehr - zahl der anderen adlichen Landſtände Altpreußens offenbarte ſich zur all - gemeinen Ueberraſchung eine neue politiſche Kraft, die man ſeither ganz überſehen hatte, weil ſie ſich im Stillleben der Provinziallandtage verlor. Die alten Adelsgeſchlechter des Südens hatten bisher in ihrer großen Mehrzahl ſich entweder dem neuen politiſchen Leben der Nation grollend fern gehalten oder ſich der ultramontanen Partei angeſchloſſen, weil ſie die Gewaltthaten der rheinbündiſchen Tage nicht verſchmerzen konnten;44V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.und es war nur menſchlich, daß der ſtarke Bürgerſtolz der Oberdeutſchen adliche und reaktionäre Geſinnung faſt für gleichbedeutend hielt. Hier aber trat ein patriotiſcher Adel hervor, feſt verwachſen mit ſeinem Staate, königstreu durch und durch, ſtolz auf die kriegeriſchen Erinnerungen der ſchwarz-weißen Fahnen des Deutſchen Ordens und des Königreichs Preußen, und dabei altväteriſch einfach, unabhängig, freimüthig bis zur Schroffheit, bei Weitem nicht ſo radikal wie die Kammerredner des Südens, immerhin ſehr empfänglich für die liberalen Ideen des Zeitalters. Wer dieſen Männern herzhaft in die Augen ſah, der mußte erkennen, daß Preußen an geſunden conſervativen Kräften genug beſaß um eine nothwendige Reform getroſt wagen zu können — wenn nur der König ſelber voranſchritt. In den Verhandlungen des Landtags trat die politiſche Unreife der Zeit oft genug zu Tage; Heinrich ſelbſt wußte in ſeinem Antrage zwiſchen der Aſſe - curationsakte des großen Kurfürſten und den neuen königlichen Verhei - ßungen, die doch auf einem ganz anderen ſtaatsrechtlichen Boden ſtanden, noch nicht ſcharf zu unterſcheiden. Aber keine einzige unehrerbietige Aeuße - rung wurde laut, Alle wetteiferten in Betheuerungen unverbrüchlicher Treue, und mitten unter unklaren, leeren Reden fiel doch ſchon das entſcheidende Wort, worauf alles ankam: der preußiſche Reichstag werde dem Könige das ſicherſte und vielleicht einzige Mittel darbieten, die durch Raum, Sprache und Sitte vielfach getrennten Stämme ſeines Volks zu einen.
Nach ernſter, gründlicher Berathung genehmigte die Verſammlung am 7. Sept. mit 89 gegen 5, durchweg adliche, Stimmen die Denkſchrift, welche den König um Aufrechthaltung und Vollendung der von ſeinem Vater neugegründeten verfaſſungsmäßigen Vertretung des Landes bat. Der Landtag gab ſich der Hoffnung hin, daß Se. Majeſtät nicht anſtehen würde „ das fortdauernde Beſtehen der Provinzialſtände, und in den Wegen des Vaters wandelnd, die verheißene Bildung einer Verſammlung von Landes - repräſentanten Ihrem getreuen Volke allergnädigſt zuzuſichern “. Die Stände ſagten nichts was ihnen nicht zuſtand, ſie gaben nur eine ehrerbietige Antwort auf eine königliche Frage, und wenn eine ſolche öffentliche Mahnung das Anſehen der Krone allerdings leicht gefährden konnte, ſo trug die Schuld der König ſelbſt, der nicht verſtanden hatte zur rechten Zeit die rechte Entſcheidung zu geben. Durch dieſen Beſchluß ward das Eis ge - brochen, der vor ſiebzehn Jahren nothdürftig beſchwichtigte preußiſche Ver - faſſungskampf von Neuem entfeſſelt.
Am Hofe fühlte man dies ſogleich. Allgemein war die Entrüſtung. Der Prinz von Preußen, der noch ganz in den ſtreng abſolutiſtiſchen Grundſätzen des Vaters befangen war, richtete ſobald er von dem Vor - haben der Stände erfuhr, noch am 7. Sept. einen ſcharfen Brief an Schön: „ Es iſt in meinen Augen die höchſte Illoyalität, einem neuen Souverän beim Antritt ſeiner Regierung Garantien abzufordern; und wenn ſelbſt der ſelige König 1815 ſolche in Ausſicht ſtellte, ſo blieb es45Ständiſche Denkſchrift. Landtagsabſchied.ſeiner Weisheit ſowohl als der ſeiner Nachfolger vorbehalten die Zeit zu beſtimmen, wenn ſie in Ausführung kommen ſollten. Daß der ſelige König außerdem ſeit Einführung der Provinzialſtände an jener weiteren Ausdehnung der ſtändiſchen Verhältniſſe nicht gearbeitet hat, beweiſt wohl, wie in Allem, ſein tiefer und richtiger praktiſcher Blick, der ihn in der Modernität ſolcher Inſtitutionen ringsum im Auslande nur Nachtheil, Unruhe, Unzufriedenheit erblicken ließ … Anklang würde es bei Allen finden, die Umſturz des Beſtehenden wollen, die Selbſtſuchts-Nährer ſind und ihrer Eitelkeit fröhnen. Bei ſolchen Menſchen populär zu ſein iſt nicht meine und nicht der wahren Patrioten Sache. “ Schön antwortete beſchwichtigend: der Prinz möge der Sache keine Wichtigkeit beilegen, die ſtändiſche Denkſchrift enthalte nichts Gefährliches, überhaupt könne ein preußiſcher Landtag nie etwas beſchließen was dem Wohle des Königs zuwider ſei. *)Prinz v. Preußen an Schön, 7. Sept. 1840. Antwort 8. Sept. früh.Mittlerweile ſetzte auch Miniſter Rochow alle Hebel ein um den König gegen die Stände einzunehmen.
Als Schön am folgenden Tage im Schloſſe erſchien, fand er den König ſehr aufgebracht und ſchon halb entſchloſſen den Landtag ſchnöde abzufertigen. Auf das Zureden des alten Freundes beruhigte ſich Fried - rich Wilhelm allmählich und geſtand: er wolle ja daſſelbe wie die Stände, aber zur rechten Zeit und nach ſeinem eigenen freien Ermeſſen; er deutete auch Einiges an von dem Plane eines großen Vereinigten Landtags, der ihn im Stillen immer beſchäftigte. Im Vorzimmer ſagte Schön nachher zu Alexander Humboldt — wer will entſcheiden, ob aus kluger Berech - nung, oder in der Freude der erſten Ueberraſchung?: — „ der König iſt noch liberaler als ich. “ Dieſe Aeußerung wurde natürlich ſofort über - all verbreitet, und Schön, der in dieſen Tagen mannichfache Beweiſe königlicher Gnade, den ſchwarzen Adlerorden und den Titel eines Staats - miniſters empfing, galt bei allen Oſtpreußen ſchon für den unvermeid - lichen Nachfolger des Miniſters Rochow. Immerhin bewirkte Schön’s Vermittlung, daß der Landtagsabſchied v. 9. Sept. eine ſehr freundliche Form erhielt. **)Die Darſtellung Schön’s (Aus den Papieren III. 137) iſt offenbar gefärbt und lückenhaft. Der wirkliche Hergang ergiebt ſich aus dem Briefe des Prinzen von Preußen, aus den Andeutungen A. v. Auerswald’s (Der preußiſche Huldigungslandtag i. J. 1840 S. 32 f.), endlich aus den mündlichen Erzählungen Schön’s an Frl. v. Brederlow, die mir von guter Hand mitgetheilt ſind.Der König ſagte darin: ſein Vater habe, bewogen durch die in anderen Ländern wahrgenommenen Ergebniſſe, ſein königliches Wort in reifliche Erwägung gezogen und demgemäß beſchloſſen, „ von den herrſchenden Begriffen ſogenannter allgemeiner Volksvertretungen ſich fern haltend “, ſein Wort einzulöſen durch die Einführung der provinzial - und kreisſtändiſchen Verfaſſung. „ Dieſes edle Werk treu zu pflegen und einer immer erſprießlicheren Entwicklung entgegen zu führen “ſei dem neuen46V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Herrſcher „ eine der wichtigſten und theuerſten Pflichten des königlichen Berufes “.
Die Bitte des Landtags war alſo abgeſchlagen, der König ſtellte nicht einmal für die Zukunft irgend etwas Beſtimmtes in Ausſicht, da es ihm gegen die Ehre ging, ſich von vorwitzigen Unterthanen treiben zu laſſen. Darum fühlte ſich auch Czar Nikolaus ſichtlich erleichtert; er dankte ſeinem Schwager, weil die dornige Verfaſſungsfrage jetzt „ ein - für allemal “abgethan ſei. *)Liebermann’s Bericht, 29. Sept. 1840.Die Abweiſung erfolgte jedoch in ſo gnädigem Tone, und Schön wußte ſeinen Landsleuten von den freiſinnigen Ab - ſichten des Monarchen ſo viel Herrliches zu erzählen, daß die Stände in der That glaubten, der Landtagsabſchied enthalte, weil er doch von der Entwicklung des Beſtehenden ſpreche, mindeſtens eine halbe Gewährung. Sie begrüßten die Verleſung des Aktenſtückes mit freudigen Hochrufen. So ward der Grund gelegt für ein verhängnißvolles wechſelſeitiges Miß - verſtändniß. Wer hätte auch jetzt da der Jubel des beginnenden Hul - digungsfeſtes Alles übertäubte, noch die Stimmung gefunden zu ruhigem Nachdenken? Ohnehin konnte ſich der Landtag keineswegs auf eine feſte durchgebildete Volksüberzeugung ſtützen. Da Parteien noch nicht beſtanden, ſo mochten ſich manche der Landſtände bei dem Beſchluſſe wenig gedacht haben, nur die Führer der Mehrheit waren ſich ihres Zweckes bewußt. Aber auch die fünf Stimmen der Minderheit des Landtags beſaßen in der Provinz einen ſtarken Anhang. Siebenundzwanzig der zur Huldi - gung einberufenen adlichen Grundbeſitzer traten noch am 8. Sept., ge - führt von dem Grafen Dohna-Schlobitten zuſammen um gegen die Denk - ſchrift des Landtags Verwahrung einzulegen: ſie ſeien, ſo verſicherten ſie dem Könige, mit den beſtehenden Provinzialſtänden vollauf zufrieden und wünſchten keine Neuerung.
Im Volke fragte noch Niemand nach dieſen politiſchen Gegenſätzen, Alles dachte nur an den königlichen Gaſt und wie man ihn verherrlichen ſollte. Am Abend des 9. Sept. gab die Provinz dem Monarchen ein prachtvolles Feſt; in lebenden Bildern traten die großen Geſtalten der reichen Landesgeſchichte auf; Männer aller Stände und aller Richtungen wirkten einträchtig zuſammen; der liberale Theolog Cäſar v. Lengerke hatte die begleitenden Verſe gedichtet, die der junge Juriſt Eduard Simſon mit klangvoller Stimme vortrug. Am folgenden Tage verſammelten ſich die Deputirten der Provinzen Preußen und Poſen zur Huldigung; mehr denn zwanzigtauſend Menſchen ſtanden in dem weiten Hofe und an den Fenſtern des Schloſſes zuſammengedrängt; der königliche Thron prangte auf einem Altane, von dem eine mächtige Freitreppe in den Hof hinab - führte. Der Kanzler und der Landtagsmarſchall des Königreichs Preu - ßen hielten ihre Anſprachen in der herkömmlichen Weiſe; nur der47Huldigung in Königsberg.Poſener Landtagsmarſchall Graf Poninski verſagte ſichs nicht ſehr deutlich zu erinnern an „ die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs “, der ſeinen polniſchen Unterthanen verheißen habe ihnen Volksthümlichkeit und Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verleſen wurde, klang plötzlich durch die feierliche Stille grell und ſchneidend, wohl zehnmal wiederholt, der Warnungsruf eines wahnſinnigen Weibes: Schwört nicht, ſchwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber ſogleich vergeſſen, als der König vom Throne aufſtand und, die Rechte feierlich erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, ſorg - fältiger, barmherziger Fürſt, ein chriſtlicher König zu ſein. Dann pries er in hochbegeiſterten Worten dies Preußen, ſeine Wehrhaftigkeit ohne gleichen und die Einheit von Fürſt und Volk: „ So wolle Gott unſer preußiſches Vaterland ſich ſelbſt, Deutſchland und der Welt erhalten! Mannichfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen zuſammengeſchmolzen, nur ein einziges edelſtes iſt, keinem anderen Roſte unterworfen als dem verſchönernden der Jahrhunderte. “ Unbeſchreiblich war die Wirkung dieſes rhetoriſchen Meiſterwerkes, das wie alle Werke geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erſchien als ſpäter - hin den Leſenden; faſt Niemand fragte nüchtern, ob denn alle dieſe ſchwungvollen Betheuerungen, alle dieſe prächtigen Bilder irgend einen greifbaren politiſchen Inhalt hätten. Einer der neuen politiſchen Lyriker, der Student Rudolf Gottſchall ſang:
Alles ſchwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der bacchantiſche Taumel.
Währenddem zeigte ſich aber ſchon wieder die mühſam verhaltene poli - tiſche Feindſeligkeit. Umſonſt hatte Graf Poninski ſeine rührſamen Be - merkungen über die treuen Polen nicht ausgeſprochen. Die polniſchen Abge - ordneten beriethen unter einander über eine Adreſſe an den König, und da ſie, wie gewöhnlich, nicht einig wurden, ſo erbat ſich Graf Eduard Raczynski als alter Freund Friedrich Wilhelm’s eine Audienz. Mit ſarmatiſcher Fein - heit wußte er die weiche Stimmung des Königs, der jetzt ganz in Thränen der Rührung zerfloß, zu benutzen und hielt ihm noch einmal alle die ſchon ſo oft auf den Provinziallandtagen beſprochenen Klagen der Polen vor: der weiße Adler und der Name eines Großherzogthums würden der Provinz verſagt, das Deutſchthum bevorzugt, die polniſche Sprache in den Schulen wie bei den Behörden zurückgeſetzt, von polniſchen Beamten nur eine kleine Zahl angeſtellt. Es war, trotz der ehrerbietigen Form, eine ſcharfe An - klage gegen das Regiment des tapferen Flottwell. *)Denkſchriften von Grolman und Flottwell, 6. Oct., von Thile, 23. 29. Dec. 1840.Der König verlangte48V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.zunächſt genauere Beweiſe, doch man merkte ihm an, daß ſeine Polen ihn ſchon halb gewonnen hatten.
Nicht ganz ſo gnädig behandelte er die preußiſchen Landſtände, als ſie ihm am 11. Sept. ihren treuherzigen Dank für den Landtagsabſchied ausſprechen ließen. Sie ſagten in ihrer Adreſſe: „ Feſter noch, iſt es möglich, als vorher iſt das Demantband gezogen, welches um Preußens königlichen Herrſcher und ſein treues Volk ſich ſchlingt. “ Der König aber hielt den Abgeſandten eine lehrhafte, an feinen Bemerkungen reiche An - ſprache, welche leider die allgemeine Verwirrung nur ſteigern konnte. Auf das Lebhafteſte verſicherte er ſeinen Widerwillen gegen alle auf Per - gament geſchriebenen Staatsgrundgeſetze und hob hervor, England biete, kraft einer ganz eigenartigen Geſchichte, das einzige Beiſpiel einer glück - lichen conſtitutionellen Verfaſſung. So ſagte er wohl was er nicht wollte; was er ſelbſt beabſichtigte blieb im Dunkeln. Begreiflich daher, daß als - bald ſehr verſchiedene Berichte über ſeine Rede umliefen, und Rochow in der Königsberger Zeitung erklären ließ, die Worte des Königs ſeien miß - verſtanden worden. Inzwiſchen reiſte Friedrich Wilhelm ab, und nun ent - ſpann ſich ein häßlicher Zeitungskrieg, an dem auch mehrere Mitglieder jener letzten ſtändiſchen Abgeſandtſchaft theilnahmen. Jedermann fühlte, daß Rochow und Schön hinter den Streitenden ſtanden; die Nebenbuhler bekämpften einander durch die Federn Dritter, Beide mit der gleichen Hef - tigkeit perſönlichen und politiſchen Haſſes. Endlich erwirkte Rochow, daß ihn der König durch Cabinetsordre vom 4. Oct. beauftragte die Königs - berger Verhandlungen bekannt zu machen, „ um jeder irrigen Anſicht ent - gegenzutreten, als ob ich meine Zuſtimmung zu dem Antrage auf Ent - wicklung der Landesverfaſſung im Sinne der Verordnung vom 22. Mai 1815 ausgeſprochen hätte “. Die Ordre ſagte im Grunde nur das Näm - liche wie der Landtagsabſchied, doch ſie ſagte es in ſcharfem, ſchneidendem Tone und zerſtörte mit einem Schlage alle die holden Träume der Oſt - preußen. Wie Schuppen fiel es ihnen von den Augen, ſie glaubten ſich in dem Könige getäuſcht zu haben, und von Stund’ an erhob die Oppo - ſition, die während der Feſttage faſt verſchwunden geweſen, wieder ihr Haupt. Schön aber, der die Hoffnung noch nicht aufgab, verbreitete ge - fliſſentlich das Gerücht, dieſe unzweifelhaft die Herzensmeinung Friedrich Wilhelm’s ausſprechende Ordre habe Rochow dem Monarchen durch Ueber - raſchung abgeliſtet.
Außerhalb Oſtpreußens bemerkte man von dieſem unerquicklichen Nachſpiele gar nichts; ſo gering war noch, Dank den Provinzialſtänden, der politiſche Verkehr zwiſchen den Landestheilen der Monarchie. Die Ber - liner wollten ſich nicht gedulden bis zu dem zweiten Huldigungsfeſte, das in der Hauptſtadt vor den Vertretern aller deutſchen Bundeslande des Königs abgehalten werden ſollte, ſondern verlangten das Herrſcherpaar ſchon bei ſeiner Heimkehr feſtlich zu begrüßen, und Friedrich Wilhelm49Einzug in Berlin.willfahrte dem Wunſche durch eines jener geiſtreichen, mehr blendenden als überzeugenden Schlagworte, mit denen er zu ſpielen liebte. Er meinte, ſein Vater, der ſo viel für das Land gethan, hätte beſcheiden ſein dürfen, er ſelber habe ſich dies Recht noch nicht erworben. Der Einzug erfolgte am 21. Sept., vom Frankfurter Thore her, unter Glockengeläute und Kanonendonner, als ob der König aus einem ſiegreichen Kriege zu - rückkäme. Schwungvolle Reden und Gedichte betheuerten die unbegrenzte Ergebenheit „ der getreueſten Stadt des Landes “. Ehrenpforten, Fahnen, Kränze allüberall, und in den Volksmaſſen ein raſender Jubel, wie ihn Berlin ſelbſt bei der Rückkehr der Befreiungskämpfer nicht gehört hatte. Als der König, ganz erſchöpft von dem Uebermaße der Freuden, endlich die Schloßtreppe hinaufſtieg, ſagte er ahnungsvoll zum Oberbürgermeiſter Krausnick: „ Das iſt ja ein Taumel, eine wahre Trunkenheit. Wenn nur der Katzenjammer nicht nachkommt! “
Schon lange vor dem 15. October, dem Tage der großen Huldigung trafen die Abgeordneten, alle froh erregt, in der Hauptſtadt ein. In dieſem heiteren geſelligen Verkehre lernten ſich die Vertreter der verſchiedenen Provinzen zum erſten male perſönlich kennen und ſie entdeckten mit freu - digem Erſtaunen, daß ſie trotz ſo mancher Unterſchiede doch alleſammt gute Preußen waren. Aber während die landſchaftlichen Vorurtheile ſich abſchliffen, beſtanden die alten ſocialen Gegenſätze noch in ungeminderter Schärfe fort. Das zeigte ſich bei einer geringfügigen Etikettenfrage. Die brandenburgiſche Ritterſchaft beſaß von Alters her das Vorrecht den Treu - eid perſönlich in die Hand des Landesherrn abzuleiſten, ein Recht, das ſie noch bei der letzten Huldigung ausgeübt hatte. Da der König ſeine treuen Märker unmöglich eines alten Ehrenrechtes berauben konnte, ſo beſchloß er, die ſämmtlichen Vertreter des Herrenſtandes und der Ritter - ſchaft aus den ſechs Provinzen in ſeinen Gemächern zu empfangen; die Abgeordneten der Städte und des Bauernſtandes ſollten nachher unter freiem Himmel, im Luſtgarten huldigen, weil die Räume des Schloſſes dafür nicht ausreichten. Die Anordnung war ganz harmlos gemeint; doch ſie erregte unter den Vertretern der Städte eine lebhafte Entrüſtung, die von der liberalen Preſſe außerhalb Preußens gefliſſentlich geſchürt wurde. Durch eine ſolche Bevorzugung des Adels fühlte ſich der Bürger - ſtolz beleidigt. Oberbürgermeiſter Francke von Magdeburg verſuchte mit Hilfe des Grafen Stolberg zu vermitteln, und der König ſtellte den Städten frei, eine Deputation in das Schloß zu ſenden. Die märkiſchen Ritter andererſeits erklärten, nach ihrem guten Rechte, ſie würden wohl auf Befehl des Monarchen, doch nimmermehr freiwillig ein Privilegium ihres Landes aufgeben. Die Städter verſammelten ſich nunmehr zu einer Berathung im Grauen Kloſter, und Rochow, der hier ſehr mild und verſöhnlich auftrat, bewog ſie ſchließlich, ſich bei der urſprünglichen Anordnung zu beruhigen. Aber während der Verhandlung fielen ſtarke,v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 450V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.faſt drohende Worte, und man machte die überraſchende, auch für die Zukunft bedeutſame Erfahrung, daß die Abgeordneten aus dem Weſten, die man allgemein wegen ihres Radikalismus fürchtete, den ganzen Streit ſehr leicht nahmen, während die Vertreter von Frankfurt, Breslau, Prenz - lau und anderen Städten der alten Provinzen ihren lang verhaltenen Adelshaß heftig ausſprachen. *)Nach den Aufzeichnungen Kühne’s, der hier die ſehr ausführlichen Mittheilungen ſeines vertrauten Freundes Francke wiedergiebt.
Das Alles verhallte bald in dem unermeßlichen Jubel des Huldigungs - feſtes. Der König nahm zunächſt im Schloſſe den Eid der Fürſten, der Geiſtlichkeit, der Ritterſchaft entgegen und betheuerte ihnen, daß ſie nicht eine ſogenannte glorreiche Regierung zu erwarten hätten, die mit Ge - ſchützesdonner und Poſaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfülle, ſondern eine einfache, väterliche, echt deutſche und chriſtliche Regierung. Alsdann begab er ſich auf den in Gold und Purpur prangenden Anbau des Schloſſes, wo der Thron ſtand: gegenüber die flaggengeſchmückten Tribünen für die Vertreter der Städte und des Bauernſtandes; dazwiſchen tief unten die Innungen der getreuen Hauptſtadt mit ihren Fahnen; ringsum an den Fenſtern und auf den Dächern des mächtigen Platzes eine ungeheuere Menſchenmaſſe, Alles in muſterhafter Ordnung. Noch bevor der Hul - digungseid den beiden unterſten Ständen abgefordert wurde, ſtand der König vom Throne auf, um abermals, noch ausführlicher und eindring - licher als in Königsberg, zu ſeinem Volke zu reden. Er gelobte im Sinne des Vaters als ein gerechter und friedfertiger König zu regieren, und fragte ſodann alle die Anweſenden: „ Wollen Sie mir helfen und bei - ſtehen, die Eigenſchaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen mit ſeinen vierzehn Millionen den Großmächten der Erde zugeſellt iſt? — nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärts - ſchreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmüthiger Jugendkraft? Wollen Sie in dieſem Streben mich nicht verlaſſen noch verſäumen, ſondern treu mit mir ausharren durch gute wie durch böſe Tage — o, dann antworten Sie mir mit dem klaren, ſchönſten Laute der Mutterſprache, antworten Sie mir ein ehrenfeſtes Ja! “ Unbeſchreiblich war der Ein - druck dieſer Worte, in denen ſich Friedrich Wilhelm’s Künſtlerſeele wie mit elementariſcher Gewalt entlud. Der ſchönſte Laut der Mutterſprache ertönte aus tauſenden ehrlich begeiſterter Herzen; ſelbſt ein heftiger Regenſchauer, der plötzlich herniederpraſſelte, ſtörte die allgemeine Ver - zückung nicht. Und nun rief der König: „ Dies Ja war für mich, das iſt mein eigen, das laſſ’ ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in gegenſeitiger Liebe und Treue, das giebt Muth, Kraft, Getroſtheit, das werde ich in meiner Sterbeſtunde nicht vergeſſen! “ Darauf erſt ward der geſetzliche Huldigungseid geleiſtet, und die ſtürmiſche Begeiſterung dieſes51Huldigung in Berlin.unvergeßlichen Augenblicks hielt noch mehrere Tage hindurch an, bis zum Ende der prächtigen, überaus geſchmackvollen Feſtlichkeiten.
Was dieſe treuen Royaliſten in Berlin erregte war trotz der Ver - ſchiedenheit der politiſchen Geſinnung im Grunde doch nur derſelbe Drang nach großen Worten und großen Empfindungen, der einſt die Volks - redner des Hambacher Feſtes beſeelt hatte. Die lyriſche Stimmung der goldenen Tage unſerer Dichtung war noch immer nicht verflogen. Die Berliner wie vordem die Hambacher Feſtgenoſſen wollten, nach einer ſtillen, allzu nüchternen Zeit, ihrem ſtarken patriotiſchen Gefühle einmal Luft machen. Wie die ſtaatloſen Pfälzer ſich nach einem Vaterlande irgendwo in den Wolken ſehnten, ſo freuten ſich die Preußen ihres glorreichen, waffengewaltigen Staates. Und wie einſt in Hambach die treuherzige Begeiſterung des deutſchen Gemüths durch radikale Zuchtloſigkeit getrübt wurde, ſo ward jetzt in Berlin durch die mächtige Aufwallung wahr - haftiger Königstreue auch der ekle Bodenſatz jener Bedientengeſinnung emporgewirbelt, welche ſelbſt in edlen Monarchien niemals völlig fehlt und bei Thronwechſeln ſich in ihrer ganzen Niedertracht zu zeigen pflegt. Manche der Feſtredner und Huldigungsdichter wußten gar kein Maß zu halten in ihren ſchmeichleriſchen Lobſprüchen für einen König, deſſen Thaten alle noch der Zukunft angehörten. Salbungsvolle Theologen prieſen den Chryſoſtomus auf dem Throne, und Ludwig Tieck ſang gar:
Das Buch „ der Preußen Huldigungsfeſt “, worin der alte Geheimerath Streckfuß die Feſtlichkeiten der beiden Hauptſtädte und der Provinzen ſchilderte, konnte von freien Männern nur mit gemiſchten Gefühlen be - trachtet werden; es war der Unterthänigkeit gar zu viel in allen dieſen Kundgebungen preußiſcher Treue, und der wackere Verfaſſer ſelbſt verfiel zuweilen in einen byzantiniſchen Ton, den ſich unter dem nüchternen, jeder Schmeichelei unzugänglichen alten Könige Niemand erlaubt hatte.
Immerhin mußte Jedermann beim Leſen dieſer Feſtberichte empfin - den, wie ſtark und volksbeliebt Preußens Krone daſtand. Graf Maltzan meldete aus Wien immer wieder, Metternich könne das Gefühl einer Eiferſucht, „ welche eigentlich dem vergangenen Jahrhundert angehören ſollte, “nicht unterdrücken; vornehmlich beunruhigte den Staatskanzler die4*52V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Königsberger Rede des Poſener Landtagsmarſchalls, weil ſie die Polen in Warſchau und Lemberg aufwiegeln müſſe. Der greiſe Erzherzog Karl hingegen ſagte zu Maltzan hocherfreut: die Reden des Königs haben den öffentlichen Geiſt geweckt, „ ich erhoffe davon das gemeinſchaftliche Wohl des deutſchen Vaterlandes. “ *)Maltzan’s Berichte, Oct. Nov. 1840.Welch ein Abſtand doch zwiſchen dieſem feſt - gewurzelten deutſchen Königthum und der Monarchie der Julirevolu - tion! An dem nämlichen Tage, da dem preußiſchen Könige das jauch - zende Ja ſeiner Getreuen entgegen ſcholl, richtete in Paris ein Mordge - ſelle — es war ſeit zehn Jahren der fünfte — die tödliche Waffe gegen Ludwig Philipp. Und war es nicht auch ein Triumph für die Sache des Königthums daß ſie einen ſo glänzenden perſönlichen Vertreter fand? Bisher hatten die Liberalen ſich im alleinigen Beſitze der Bildung und der Beredſamkeit gewähnt, da die trockenen Geſchäftsmänner der kleinen Regierungen als Redner gegen die Wortführer der Oppoſition nur ſelten aufkamen. Jetzt trat ein gekröntes Haupt auf, das durch den Adel ſeiner Rede und die Fülle ſeiner Bildung den Liberalismus ganz zu ver - dunkeln ſchien. Die ſtrengen Hallerianer frohlockten über die ſo plötz - lich wieder erſtarkte Macht des Königthums von Gottes Gnaden. Nun endlich, rief das Berliner Wochenblatt, wird dem revolutionären Reprä - ſentativſyſtem des Auslands etwas Poſitives entgegengeſtellt, der Patri - monialſtaat: „ Derjenige müßte den Irrlehren der neuzeitlichen Staatslehre bis zum Stumpfſinn verfallen ſein, wer ein dürftiges Schreibwerk, was die Fürſten und Völker einander mißtrauiſch gegenübergeſtellt, dieſen im Angeſicht Gottes und der Menſchen übernommenen Verpflichtungen vor - ziehen wollte. “
Aber nach den unmäßigen Uebertreibungen der Huldigungstage mußte in einem verſtändigen Volke ſehr bald der Rückſchlag eintreten. Die Ernüchterung zeigte ſich zuerſt in den Kreiſen der ſtrammen Mon - archiſten. Sie empfanden die überſchwängliche Verherrlichung des Sohnes als eine Undankbarkeit gegen den Vater, und man bemerkte bald, wie nachdrücklich der Prinz von Preußen in ſeinen Anreden an die Offiziere immer wieder die unvergeßlichen Verdienſte des verſtorbenen Königs hervorhob. **)Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.Eben dieſen Männern, die mit ihren Schwüren kein Spiel treiben wollten, drängte ſich unabweisbar die Frage auf: was es denn eigentlich bedeuten ſollte, daß der neue König außer dem Huldigungs - eide, der ihm von Rechtswegen gebührte, noch ein zweites Verſprechen gefordert hatte? Wer in ſolcher Weiſe ein freies Ja von ſeinen Unter - thanen erbat, der gab ihnen auch das gefährliche Recht Nein zu ſagen. Und war denn wirklich durch jenes feierliche Ja eine neue, über die all - gemeine Unterthanenpflicht hinausgehende Verbindlichkeit begründet wor -53Eindruck der königlichen Reden.den? Der König ſelbſt glaubte es feſt; er meinte, durch jene Fragen, die er den Huldigenden gleichſam über den Kopf geworfen, ſei eine ganz eigenartige Verbindung zwiſchen ihm und ſeinem Volke entſtanden, höchſt - perſönlich wie einſt das Verhältniß der mittelalterlichen Fürſten zu ihren Fideles. Immer wieder kam er darauf zurück. Noch fünf Jahre ſpäter, als die Magdeburger Stadtbehörden ſcharf, aber in geſetzlicher Form, einer ſeiner kirchenpolitiſchen Anordnungen widerſprachen, ließ er ihnen die zornige Frage ſtellen: „ ob das die Erfüllung des feierlichen Huldigungs - verſprechens ſei, mir beizuſtehen, mir treu zu helfen auf meiner ſchweren Bahn? “*)König Friedrich Wilhelm an Thile, 29. Mai 1846.
Jenes rührende Gelöbniß, das er doch nur plötzlich, fortgeriſſen von der Größe des Augenblicks, halb erzwungen hatte, beſtärkte ihn alſo in der unſeligen Neigung, politiſche Gegner als perſönliche Feinde, ja als Abtrünnige oder Meineidige zu behandeln. Sobald man nur erſt anfing ruhig nachzudenken, mußte Jedermann einſehen, daß die hochtönenden Reden des Königs keinen einzigen politiſchen Gedanken enthielten: ſie ver - kündeten nur den Anbruch einer neuen Zeit und ſagten ſchlechterdings nicht was dieſe Zukunft bringen ſollte. Darum meinte der kluge ſchleſiſche Fabrikant Milde trocken, der König ſei ein großer Komödiant — was er mit Abſicht niemals war. Billiger urtheilte Friedrich v. Gagern; er ſagte: ſolche Pfarrerspredigten, Domines Pratjes, bezeichnen nicht den Mann der That! Der Wind der Volksgunſt ſetzte plötzlich um, am raſcheſten in der Haupt - ſtadt. Die Berliner ſchämten ſich, ſo viel Gefühl gezeigt zu haben, und nun da ſie ſich wieder auf ſich ſelbſt beſannen, begannen ſie dem Fürſten zu zürnen, der ſie durch den Zauber ſeiner Perſönlichkeit verführt hatte, ihre eingefleiſchte ungemüthliche Altklugheit einmal zu verleugnen. Je ſtürmiſcher in den Feſttagen der Enthuſiasmus aufgebrauſt war, um ſo behaglicher entfalteten ſich nunmehr alle Unarten des Berlinerthums: die Klatſcherei, das kleinliche Afterreden, das Beſſerwiſſen in Allem und Jedem. Mit einer Bosheit, die an die ſchmählichen Zeiten des Tilſiter Friedens erinnerte, wurde Alles was von oben kam, bekrittelt, verhöhnt, heruntergeriſſen; und ſchon zeigten manche Schritte des Königs, wie unſicher er ſich im Regimente fühlte. In Königsberg hatte er bei den üblichen Adelsverleihungen befohlen, daß der neue Titel nur mitſammt dem Grundbeſitze der Familie auf den älteſten Sohn übergehen ſollte; er mußte jedoch, wie vormals ſein Schwager Ludwig von Baiern, die Erfahrung machen, daß dieſer wohlgemeinte Verſuch engliſchen Adelsbrauch in Deutſchland einzubürgern auf den unüberwindlichen Widerſtand alt - nationaler Sitten und Unſitten ſtieß. Bereits bei der Berliner Huldigung ſah er ſich genöthigt die neue Anordnung abzuändern weil die alten Edel - leute einen blos an der Scholle haftenden Adelstitel nicht für voll an -54V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.ſahen. Die Berliner aber begrüßten fortan jede Niederlage ihres Königs mit lauter Schadenfreude; ſie verſpotteten ſich ſelbſt wegen der Begeiſterung der Huldigungstage und überſetzten die damals ſo oft gehörten Worte: „ das gelobe und ſchwöre ich “mit dem anmuthigen Satze: „ dat jlobe ik ſchwerlich. “
Die nächſten Wochen brachten einige wichtige Berufungen. Geh. Rath Eichhorn wurde zum Nachfolger Altenſtein’s ernannt, und ſeine Beförderung befriedigte das Publikum; denn obwohl die in der Politik gründlich unwiſſenden Hauptſtädter nie ein Wort davon erfahren hatten, was dieſer Mann für die Geſchichte des Zollvereins bedeutete, ſo wußten ſie doch durch das Stadtgerede, daß er in Wien als Demagog verrufen war; und überdies beſaß er ein Verdienſt, das die Stadt der Intelligenz einem Miniſter ſehr hoch anrechnete: er war bürgerlich. Auch die Be - rufung der Gebrüder Grimm an die Berliner Akademie fand allgemeine Zuſtimmung. Mit Albrecht ward ebenfalls verhandelt; er lehnte jedoch ab, aus Dankbarkeit gegen ſeine ſächſiſchen Gönner. Man konnte nicht leugnen, daß der König die hochherzige Abſicht hegte, die Mißhandlung der Göttinger Sieben zu ſühnen. Die Freude währte nicht lange, denn zur ſelben Zeit ward der Schwager der Grimms, Haſſenpflug an das Berliner Obertribunal berufen. Der hatte ſeit ſeinen heſſiſchen Mißge - ſchicken erſt in Sigmaringen, dann in Luxemburg als Miniſter gewirkt und ſich in der Weſtmark redlich bemüht, die Unabhängigkeit des deutſchen Großherzogthums gegenüber dem niederländiſchen Königreiche zu ſichern. Niemand rechnete ihm das an; er war und blieb der öffentlichen Mei - nung der kurheſſiſche Reaktionsminiſter. Obwohl er nur ein ſeiner großen juriſtiſchen Befähigung durchaus entſprechendes Richteramt erhielt und niemals auf den Gang der inneren preußiſchen Politik irgend eine Ein - wirkung ausübte, ſo befürchtete man doch ſogleich das Aergſte, da er mit den Gerlachs befreundet war. Ein Gedicht kam in Umlauf, zu ſingen nach der Melodie des neuen Rheinliedes:
In ſolchem Tone redeten die Berliner ſchon über die Umgebung ihres Königs als der tolle Jubel des Huldigungsfeſtes noch kaum verhallt war. Die Verſe ließen zugleich errathen, wo der Grund dieſer gehäſſigen Oppoſition lag. Politiſche Parteien kannte die Hauptſtadt noch kaum, die ſich noch immer mit Vorliebe über Ballettänzerinnen, Opern und Klaviervirtuoſen unterhielt. Doch ſie war die Stadt Nicolai’s, und ihre ſelbſtgefällige Aufklärung, die ſich nach Umſtänden mit jedem beliebigen chriſtlichen oder jüdiſchen Mantel ſchmücken konnte, trug jetzt die Farben der Junghegelianer. Wer den Epigonen Hegel’s widerſprach war verfehmt. 55Haſſenpflug. Stahl.Das mußte der Franke Julius Stahl erfahren, da er in dieſen Tagen als Nachfolger des früh verſtorbenen Gans den Lehrſtuhl des Staats - rechts an der Univerſität übernahm. Ein getaufter Jude wie Gans, war er, anders als jener, von den Glaubenswahrheiten des Chriſtenthums tief durchdrungen und ſah in der Burſchenſchaft, der er ſich mit Be - geiſterung anſchloß, immer nur eine chriſtlich-germaniſche Verbrüderung. Herangereift widerlegte er in dem erſten, kritiſchen Theile ſeiner Rechts - philoſophie mit ſiegreicher dialektiſcher Kraft die Lehren des Naturrechts in allen ihren Verzweigungen, und war jetzt eben dabei, das Ideal der ſtän - diſchen Monarchie, das er keineswegs engherzig auffaßte, nach den An - ſchauungen der hiſtoriſchen Rechtsſchule ſyſtematiſch auszugeſtalten. Wenn er an ſeinem kleinen Tiſche ſaß, den Bleiſtift in der Hand, nichts vor ſich als ein Blatt weißen Papieres, dann ſchien er die Gedanken allein aus ſich heraus zu ſpinnen. Ein Zug von überfeinem Scharfſinn lag in ihm, auch eine fanatiſche Ader, die ſpäterhin, als die Gegenſätze ſich ſchärfer zuſpitzten, ihre Kraft zeigen ſollte. Aber ernſt und ſtreng, ohne jeden perſönlichen Ehrgeiz lebte er ganz der politiſchen Idee, die ihm die wahre ſchien; darum blieb er auch den Brüdern Grimm, die mit dem genialen Inſtinkt ihrer erhabenen Einfalt ſich immer nur an reine Men - ſchen anſchloſſen, allezeit treu befreundet. Als Redner dem Vorgänger mindeſtens ebenbürtig, übertraf er ihn bei Weitem durch Tiefſinn und Schärfe der Gedanken. Und wie pöbelhaft ward er empfangen; die Hegelianer hatten ſich verſchworen den gefürchteten Gegner des Natur - rechts aus dem Hörſaale hinauszuſcharren. Der ſchmächtige kleine Mann mit den glitzernden Augen und den blaſſen ſcharfgeſchnittenen orienta - liſchen Geſichtszügen hielt aber tapfer aus, Stunde für Stunde; er zwang die Hörer ihm zu lauſchen und erreichte wirklich, daß ſeine Vor - leſungen durch lange Jahre die beſtbeſuchten der Hochſchule blieben.
Schlimmer als ſolche unliebſame Berufungen wirkte der Zuſtand unbefriedigter Erwartung. Man hatte nach allen den großen Worten der Huldigungsfeier ſo zuverſichtlich gehofft, daß irgend etwas Außer - ordentliches ſich ereignen müſſe, und da nun zunächſt gar nichts geſchah, ſo wuchs, zum Erſchrecken ſchnell, von Tag zu Tag die grämliche Ver - drießlichkeit. In dieſen Tagen der Verſtimmung unternahm Schön noch - mals dem Monarchen ſeine helfende Hand zu reichen. Er lebte mit Ro - chow in unaufhörlicher Fehde; der König aber, der als Selbſtherrſcher die Zwiſtigkeiten ſeiner Werkzeuge mit gutmüthiger Geringſchätzung zu be - trachten pflegte, ſuchte die Streitenden — ſo drückte er ſich aus — immer wieder zuſammenzuleimen, da er Beide noch zu benutzen gedachte und die Königsberger Vorgänge ſein Vertrauen auf Schön keineswegs erſchüttert hatten. Mittlerweiler erſchien in einer Berliner Buchhandlung ein Bild des alten Königs, mit einer Ehrentafel ſeiner Großthaten, unter denen auch das von Schön verfaßte politiſche Teſtament Stein’s aus dem Jahre 180856V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.prangte. Dies Teſtament bezeichnete Schön ſelbſt als ſein Lieblingskind, auf dieſen Rechtstitel begründete er vornehmlich ſeinen hiſtoriſchen Ruhm. Als er im Jahre 1817 die Bildung eines conſtitutionellen Miniſteriums vorſchlug, wurde dies längſt vergeſſene Aktenſtück zum erſten male von unbekannter Hand in einem liberalen Blatte veröffentlicht*)ſ. o. I. 330. II. 199 ff.; und bei einiger Menſchenkenntniß durfte man wohl vermuthen, daß auch diesmal, bei der wiederholten feierlichen Vorführung des Lieblingskindes, jene liberalen Schriftſteller und jungen Freimaurer, welche jederzeit zu Schön’s Ver - fügung ſtanden, irgendwie mitgewirkt hatten. Die liberale Preſſe benutzte natürlich die willkommene Gelegenheit um die undankbare Mitwelt an die Verdienſte des oſtpreußiſchen Staatsmannes zu erinnern; die Polizei - behörden aber wurden ängſtlich und ließen das gefährliche Bild aus den Buchläden entfernen. Nunmehr ſendete Schön dem Könige das Facſimile der Urkunde, das allerdings bewies, daß er ſelbſt jene Abſchiedsworte Stein’s im Weſentlichen verfaßt hatte; in ſeinem begleitenden Briefe ſuchte er den doktrinären, unbeſtimmten Sätzen des Teſtamentes einen möglichſt harmloſen Sinn unterzulegen.
So hatte er Alles umſichtig für den Hauptſchlag vorbereitet. We - nige Tage nachher ſchickte er dem Monarchen eine anonyme Schrift von ſechs Druckſeiten: Woher und Wohin? Ihr leitender Gedanke war entlehnt aus einem Artikel über das Preußenthum, welchen Arnold Ruge kürzlich unter der Maske „ eines Württembergers “in den Deutſchen Jahr - büchern veröffentlicht hatte. Schön hielt dieſen Aufſatz für ein Werk von Strauß und eignete ſich daraus die Behauptung an, daß Preußen als Staat bisher katholiſch geblieben ſei, von einem politiſchen Prieſterſtande geleitet werde. In ſtarken Zügen führte er aus, der große Friedrich hätte einſt ein „ kaum denkfähiges Volk “vorgefunden und durch ſeine Diener - ſchaft zu erziehen geſucht; dieſe Dienerſchaft aber habe ſich mit der Zeit überhoben, insbeſondere den Grundadel durch eine unerträgliche Be - vormundung erbittert, das ganze Volk am Gängelbande geleitet, die Städte - ordnung wie die Provinzialſtände verkümmert, die Landwehr „ dem Beam - ten-Militär “näher gebracht. Deshalb ſeien die vor dem Volke ſtehenden begüterten Männer des Königsberger Landtages aufgetreten, um „ General - Stände “zu fordern, welche einen großen Theil der Verwaltung ſich zu - eignen, die Zahl der Beamten vermindern, Verſchwendungen entgegen - treten, die Landwehr wieder dem Volke annähern, allen Kabalen und Polizeikünſten ein ſchnelles Ende bereiten und, kraft ihrer Kenntniß der Volksverhältniſſe, auch die Meinung des Volks ſtets für ſich haben würden. „ Nur durch General-Stände — ſo ſchloſſen die Blätter — kann und wird in unſerem Lande ein öffentliches Leben entſtehen und gedeihen … Wenn man die Zeit nicht nimmt wie ſie iſt, und das Gute daraus ergreift und57Woher und Wohin?es in ſeiner Entwicklung fördert, dann ſtraft die Zeit. “ In dieſer nach - drücklichen Mahnung und in der Perſönlichkeit des Verfaſſers lag die einzige Bedeutung der Blätter; von eigenthümlichen Gedanken enthielten ſie nichts, und obwohl die beſtändigen Ausfälle auf „ die Dienerſchaft “un - verkennbar auf Friedrich Wilhelm’s perſönliche Abneigung berechnet waren, ſo mußten doch der abſprechende Ton der Darſtellung, die hochmüthige Verunglimpfung der geſammten Vergangenheit Preußens, und vollends gar die Berufung auf die heidniſchen Junghegelianer den König in tiefſter Seele verletzen. Darum meinte ſein Vertrauter Geh. Rath v. Voß, als er mit Erſtaunen den Namen des Verfaſſers erfahren hatte: „ Ich fand die Schrift ſehr albern und rieth auf einen Querkopf von Gutsbeſitzer. Aus Schön’s Stellung heraus liegt aber in der Abfaſſung einer ſolchen Schrift etwas völlig Verrücktes, und das hat mir ganz melancholiſche Empfindungen gemacht. “*)Voß an Thile, 31. Dec. 1840.
Aber wie ungeſchickt immer, dieſe Blätter waren zweifellos Schön’s Miniſterprogramm; er wollte dadurch entweder den König gewinnen, oder, wenn dies mißlang, durch die Forderung der Reichsſtände ein weithin leuchtendes Panier aufſtecken, das die zerfahrene, rathloſe Oppoſition des Landes um ſich ſammeln ſollte. Der Gedanke war wohl berechtigt, nur mit der Stellung eines Oberpräſidenten kaum vereinbar. Späterhin be - hauptete Schön freilich, ſein Woher und Wohin? hätte nur als eine ge - ſchichtliche Urkunde dienen ſollen, um den Culturſtand des Königreichs Preußen im Jahre 1840 der Nachwelt zu überliefern. Doch unmöglich konnte der welterfahrene alte Staatsmann glauben, eine ſolche Schrift von ſol - chem Verfaſſer würde auf die Dauer geheim bleiben, nachdem ſie in der Königsberger Hofbuchdruckerei gedruckt, an mehrere Archive vertheilt und fünf Freunden von ſehr verſchiedener politiſcher Geſinnung vertraulich zugeſendet worden war. Der König ſelbſt hielt dieſe Geheimhaltung für undenkbar und antwortete dem Oberpräſidenten am 26. Dec. ſehr offen - herzig, jetzt ſei eine Prüfungszeit für ihre alte Freundſchaft eingetreten. „ Woher und Wohin? gefällt mir nicht. “ Das Woher, die hiſtoriſche Darſtellung hätte ſo kurz nach dem Tode des alten Königs anders ge - faßt werden müſſen; das Wohin aber „ wird Ihren Freunden Leid, Ihren Feinden Frohlocken bereiten “. Dann hielt er ihm alle die unbedachten liberalen Redensarten der Schrift vor: daß die Landwehr wie ein Heer der Volksvertreter dem Heere der Krone entgegengeſtellt würde, daß die Generalſtände ſich die Verwaltung zueignen ſollten: „ die Perſpektive iſt ermuthigend für mich! “ Darauf betonte er nochmals den Grundgedanken ſeiner über allem Unterthanen-Vorwitz erhabenen Politik: „ Ich fühle mich ganz und gar von Gottes Gnaden und werde mich ſo mit Seiner Hilfe bis zum Ende fühlen. Glauben Sie mir’s auf mein königliches58V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Wort: zu meiner Zeit wird ſich kein Fürſt, kein Bauernknecht, kein Bauernknabe, kein Landtag und keine Judenſchule etwas was dermalen mit Recht oder Unrecht bei der Krone iſt zueignen, wenn ich es nicht zuvor gegeben habe … Glanz und Liſt überlaſſe ich ohne Neid ſo - genannten conſtitutionellen Fürſten, die durch ein Stück Papier dem Volke gegenüber eine Fiction, ein abſtrakter Begriff geworden ſind. Ein väter - liches Regiment iſt teutſcher Fürſten Art, und weil die Herrſchaft mein väterliches Erbtheil, mein Patrimonium iſt, darum hab’ ich ein Herz zu meinem Volke, darum kann ich und will ich unmündige Kinder leiten, entartete züchtigen, würdigen wohlgerathenen aber an der Verwaltung meines Gutes Theil geben, ihnen ihr eigenes Patrimonium anweiſen und ſie darin vor Diener-Anmaßung ſchützen. “ Endlich befahl er dem Freunde, die Schrift nicht in den nächſten oſtpreußiſchen Landtag hineinzuwerfen, wo ſie nur Unheil ſtiften könne; nachher möge ſie immerhin erſcheinen, doch nur unter Schön’s eigenem Namen. *)König Friedrich Wilhelm an Schön 26. Dec. 1840. Aus dieſem wichtigen Briefe werden in Schön’s Papieren (III. 154) nur einige einleitende Worte mitgetheilt. Die Hauptſätze hat der Herausgeber unterdrückt. Sie ſtehen allerdings in gar zu grellem Widerſpruche mit der dreiſten Behauptung Schön’s (III. 153): der König hätte ſich „ im Geiſte “von Woher und Wohin? gegen Flottwell geäußert.
Der Brief gereichte dem milden Herzen des Königs zur Ehre, nicht ſeinem politiſchen Verſtande; denn verwarf er die Gedanken der Schrift, ſo durfte Schön nicht länger mehr an der Spitze einer Provinz bleiben, deren Stimmung täglich ſchwieriger ward. Doch im Grunde der Seele wünſchte er ja ſelbſt die von Schön verlangten Reichsſtände, nur in anderer Weiſe, und da er den theueren Freund nicht kränken wollte, ſo entſchied er end - lich, obgleich Schön zweimal ſeine Entlaſſung anbot, am 1. Jan. 1841, daß der Oberpräſident als ſein Freund und Bevollmächtigter das Amt des königlichen Commiſſars bei dem nächſten Landtage übernehmen ſolle. Alſo blieb Schön im Amte, und über ihm ſtand Rochow. Der konnte ſich das boshafte Vergnügen nicht verſagen, dem Oberpräſidenten zu be - deuten: eine gefährliche Schrift Woher und Wohin? ſei im Umlaufe, gegen den unbekannten Verfaſſer müſſe man einſchreiten ſobald man ihn erkundet habe. In einem groben Antwortſchreiben bekannte ſich Schön als Verfaſſer und betheuerte, die Schrift ſei nicht für die Oeffentlichkeit beſtimmt. **)Rochow an Schön 19. Dec. Antwort, 23. Dec. 1840.Wie ſollten dieſe beiden Todfeinde einträchtig zuſammen - wirken? Die Verfaſſungsfrage erſchien immer räthſelhafter und verwor - rener. Auf den erſten Weckruf des preußiſchen Landtags war jetzt ſchon der zweite gefolgt, das Banner der Reichsſtände flatterte in den Lüften, und wenn die Krone ſich nicht rechtzeitig entſchloß, ſo konnte keine Macht der Welt mehr hindern, daß eine in Preußen unerhörte Bewegung von unten her anhob.
59Flottwell’s Sturz.Inzwiſchen begannen Poninski’s Königsberger Rede und die Beſchwer - den des Grafen Raczynski ihre Frucht zu tragen. Raczynski verbreitete unter dem polniſchen Adel eine Bittſchrift, welche ſeine mündlichen Aeuße - rungen wiederholte, und ſendete zugleich dem Monarchen die Belege für ſeine Klagen. *)Raczynski, Eingabe an den König, 27. Nov. 1840.Poninski aber, der bei der Huldigung den Grafentitel und mannichfache Gnadenbeweiſe erhalten hatte, bezeigte ſeinen Dank, indem er an der Spitze von fünfzehn anderen polniſchen Edelleuten dem Miniſter Rochow die unglaubliche Zumuthung ſtellte: der zu Recht beſteh - ende Poſener Landtag müſſe aufgelöſt werden, damit bei den Neuwahlen auch die ſoeben begnadigten Hochverräther aus den dreißiger Jahren mit - wirken könnten. **)Rochow, Bericht an den König, 12. Dec. 1840.
Ueber dieſe polniſchen Wirren wurde im Staatsminiſterium während der drei letzten Monate des Jahres gründlich verhandelt. General Grolman und Oberpräſident Flottwell erſtatteten mit gewohntem Freimuth einen aus - führlichen Bericht: nur der Adel und der Clerus ſeien feindlich geſinnt, die polniſchen Bauern zufrieden, die Deutſchen, die ſchon zwei Fünftel der Bevölkerung ausmachten, unverbrüchlich treu. Der Thronwechſel habe jedoch bei den Polen unſinnige Hoffnungen erweckt, welche durch die Triumphreiſen des begnadigten Erzbiſchofs und ſicherlich auch durch die Pariſer Propaganda gefliſſentlich genährt würden. Dem gegenüber müſſe das bewährte Syſtem der „ allmählichen Germaniſirung “unerſchütterlich aufrecht bleiben. Dem - nach baten ſie den Monarchen, die Beſchwerden des polniſchen Adels rund - weg abzuweiſen und ſodann, kraft ſeines königlichen Rechtes, dem nächſten Poſener Landtage zu befehlen, daß dieſe erledigte Sache nicht wieder be - rührt werden dürfe. Aus vollem Herzen ſtimmte der greiſe Stägemann den Beiden zu. In einer Denkſchrift, die er wenige Tage vor ſeinem Tode abfaßte, billigte er namentlich den durch die Regierung betriebenen Ankauf polniſcher Rittergüter und ſagte mit ſeinem alten Markmannen - ſtolze kurzab: man möge den Klagenden nur eröffnen, „ daß ihre Ger - maniſirung beabſichtigt werde “, und ſie an den Treubruch des Jahres 1830 erinnern. Selbſt General Thile konnte nicht umhin, mit einigen Vorbehalten, ſich den Beiden anzuſchließen. Wie durfte man auch im Ernſt von einem Sprachenzwange in Poſen reden? Die Verwaltungs - behörden ſchrieben an Polen deutſch, aber mit beigelegter polniſcher Ueber - ſetzung. Vor Gericht wurden die Proceſſe in der Sprache des Klägers verhandelt; nur wenn er des Deutſchen vollkommen mächtig war verlangte man, daß er ſich der deutſchen Sprache bediente; denn da die Polen ſich dem Staatsdienſte fern hielten, ſo konnten von 168 Richtern nur 54 fertig polniſch ſprechen; ihrer 33 verſtanden nur wenig, 81 gar kein polniſch. ***)Stägemann, Denkſchrift über Poſen. Nov. 1840. Die übrigen Denkſchriften ſ. o. V. 47.
60V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.Trotzdem wollte Friedrich Wilhelm ſeine Großmuth zeigen. In einem großen Kronrathe am 23. Dec., dem auch Grolman und Flottwell bei - wohnten, wurde beſchloſſen, zwar die Eingabe Raczynski’s unbeantwor - tet zu laſſen, aber den Beſchwerden der Polen inſoweit abzuhelfen, daß der nächſte Landtag keinen Grund mehr fände ſie zu erneuern. *)Protokoll über die Verhandlung vor Sr. Majeſtät, 23. Dec. 1840.Das war Flottwell’s Sturz. Der tapfere Deutſche mit den feurigen tiefen Augen durfte ſich’s nicht bieten laſſen, daß man die völlig bodenloſen Klagen ſeiner polniſchen Feinde für halb begründet erklärte. Schon am 31. Dec. wurde er, unter allen Zeichen königlicher Gnade, als Oberpräſident nach Sachſen verſetzt. Die Polen hatten ihr Spiel gewonnen. Mit dieſer That gutmüthiger Schwäche endete das erſte Jahr der neuen Regierung. Was aus ſolchen Widerſprüchen noch hervorgehen würde, das ahnte Nie - mand, nicht einmal Friedrich Wilhelm’s nächſte Vertraute. Schweren Herzens ſchrieb um die Jahreswende Graf Anton Stolberg an den wackeren Präſidenten von Cuny in Aachen und beſchwor den alten Freund, keinem der umlaufenden finſteren Gerüchte Glauben zu ſchenken, ſondern „ der religiöſen aber wahrhaft freiſinnigen Richtung “des Monarchen zu vertrauen. „ Der König will und wird gehen (das iſt ſein eigener Ausdruck). Er wird als ſouveräner König ohne Charte gehen und die Bedürfniſſe ſeiner Zeit erkennen, das halten was er ausgeſprochen in den unvergeßlichen Reden zu Königsberg und Berlin. “ **)Stolberg an Cuny, 12. Jan. 1841.Mehr wußte ſelbſt Stolberg nicht zu ſagen.
Draußen im Reiche aber, wo man ſchon geblendet von dem neu aufſtrahlenden Glanze der Krone Friedrich’s die Augen niedergeſchlagen hatte, begann der alte Preußenhaß wieder hohe Wellen zu werfen. Man rieb ſich die Hände, weil die großen Dinge wieder einmal ein kleines Ende zu nehmen ſchienen. Recht aus dem Herzen der radikalen deutſchen Jugend ſang der geiſtreichſte der neuen politiſchen Lyriker, der kosmopo - litiſche Nachtwächter Franz Dingelſtedt, die höhnenden Gaſelen:
Wie der inneren ſo ſchien ſich auch der europäiſchen Politik Preußens in dem hoffnungsvollen Jahre des Thronwechſels eine Zeit reicher Er - folge zu eröffnen. Auch dieſe Erwartungen blieben unerfüllt, nicht eigent - lich durch die Schuld des neuen Königs, ſondern weil der Zuſtand des Welttheils für große Entſcheidungen noch nicht reif und Preußen am wenigſten in der Lage war die verſchlungenen Machtverhältniſſe Europas frei zu überblicken. Jedem Staate kommen Zeiten, wo ihn ein über - mächtiges Intereſſe zwingt ſeinen Geſichtskreis zu verengern. Durch die unverſöhnliche Rachſucht der Franzoſen wurden Preußen und Frankreich während eines Vierteljahrhunderts auf einer Stelle feſtgebannt, beide Staaten waren verhindert ihre natürliche Intereſſengemeinſchaft zu erkennen und der friedlichen Welteroberung, welche Englands Handelspolitik in der Stille einleitete, rechtzeitig entgegenzutreten. So lange die franzöſiſchen Parteien alleſammt die Vernichtung der ſo unbillig milden Pariſer Ver - träge forderten, mußte der preußiſche Staat die Sicherung ſeiner Weſt - grenze als ſeine nächſte, jeder anderen Rückſicht vorgehende Aufgabe be - trachten; denn umringt von hilfloſen kleinen Nachbarſtaaten, allein an - gewieſen auf die zweifelhafte Hilfe der beiden weit entlegenen Kaiſermächte ſah er ſich dem erſten Angriff allein preisgegeben.
Bis an ſein Ende, und nicht ohne Erfolg hatte der alte König ſich bemüht dieſe Gefahren abzuwenden, ein leidliches Verhältniß zu dem neuen Machthaber Frankreichs herzuſtellen. Aber der Bürgerkönig ſtand ſelbſt nicht feſt genug um den unberechenbaren Aufwallungen des National - haſſes jederzeit Halt zu gebieten; und wie dankbar er auch die Freund - lichkeit des Königs von Preußen anerkannte, ſo ſah er doch, ſcharfſinniger als die Mehrzahl ſeiner Landsleute, beſtimmt voraus, daß dieſer deutſche Staat dereinſt Frankreichs gefährlichſter Nebenbuhler werden müſſe. Nicht Preußens ſondern Oeſterreichs Bundesgenoſſenſchaft faßte er ins Auge, wenn er ſich beharrlich um die Gunſt der deutſchen Mächte bemühte.
62V. 2. Die Kriegsgefahr.Zwiſchen Frankreich und Rußland ward die Kluft mit den Jahren immer breiter, obgleich die erſtarkende altmoskowitiſche Partei am Peters - burger Hofe ein Bündniß der beiden Mächte gegen Deutſchland dringend wünſchte, und der Czar ſeinem preußiſchen Vertrauten Oberſt Rauch oft geſtand: außer mir ſelbſt ſind nur noch Neſſelrode und Orlow aufrichtige Freunde der deutſchen Allianz. Noch immer wollte Nikolaus ſich nicht ent - ſchließen dem franzöſiſchen Thronräuber zu verzeihen; er fand es ſchamlos, daß Ludwig Philipp nach der Geburt ſeines Thronerben, des Grafen von Paris, von der Fortdauer ſeiner Raſſe zu reden wagte, und konnte ſich den ruhigen Schritt der preußiſchen Politik, die in Wahrheit von dem alten Könige ſelbſt geleitet wurde, nur aus der Schwäche Ancillon’s — „ Monſieur Vacillant’s “— erklären. Halsſtarrig blieb er bei ſeiner alten Meinung, daß der Weltkrieg gegen den Staat der Revolution noch kommen müſſe. Die Lage Preußens malte er ſich in den dunkelſten Farben, weil er ſie alſo ſehen wollte und immer noch mit der Hoffnung ſpielte, ſeine formidable ruſſiſche Reſerve würde dereinſt die Deutſchen aus den Klauen der Jacobiner retten. Während des Kölner Biſchofsſtreites erkannte er ſogleich, daß Oeſterreich ſich nicht als ehrlicher Freund Preußens zeigte, und meinte: nun werde Frankreich den günſtigen Augenblick benutzen um den Krieg alsbald auf dem rechten Rheinufer zu eröffnen. Das Alles, ſo betheuerte er heilig, ſagte er nur „ aus kindlicher Verehrung für den geliebten Vater “. Rauch aber erwiderte ſtolz: kommt der Krieg, ſo werden wir ſelbſt die Angreifer ſein. *)Rauch’s Bericht, 26. Dec. 1837.Unabläſſig, und in immer ſchärferem Tone wiederholte der Czar ſeine Beſchwerden über die Umtriebe der pol - niſchen Propaganda; mehrmals befahl er ſeinem Botſchafter Paris auf längere Zeit zu verlaſſen. Seine Ungezogenheit wurde ſo widerwärtig, daß Ludwig Philipp verzweifelnd ausrief: „ ich werde mir meine Verbün - deten anderswo ſuchen. “
Als der alte König dies erfuhr, ließ er ſeinem Schwiegerſohne ſagen: „ Ludwig Philipp hat zum Oefteren die Neigung gezeigt ſich den Conti - nentalmächten zu nähern und in ihrem Sinne zu handeln. So lange indeſſen der Kaiſer ſeine Antipathien gegen ihn nicht zu überwinden im Stande iſt und ſich hierüber unverhohlen, ganz offen, ausſpricht, ſo lange wird auch auf Ludwig Philipp wenig zu rechnen ſein und er allerdings an - dere Alliirte ſuchen müſſen. Wollte der Kaiſer aber an ſeiner vorgefaßten Meinung in etwas nachlaſſen, ſo wäre es auch ein großer Gewinn für die conſervative Partei. “ **)Rauch’s Bericht, 23. Juli 1837, nebſt Randbemerkung des Königs.Die Mahnung fand taube Ohren. Der Czar fuhr fort dem Bürgerkönige bei jeder Gelegenheit ſeine Mißachtung zu zeigen, bis dieſer endlich einen tiefen perſönlichen Haß gegen den unver - ſöhnlichen Peiniger faßte. Nach Nikolaus’ Meinung war Frankreich ſchlecht -63Engliſche Welteroberung.hin die Macht des Unheils, überall, ſogar im Mittelmeer und im Oriente, wo die Intereſſen der beiden Mächte ſich doch keineswegs feindlich be - rührten. Daß Rußland und Frankreich ſich über irgend eine europäiſche Frage ehrlich verſtändigen könnten, ſchien vorderhand rein unmöglich; das unter ſeiner ſchwachen Greiſenherrſchaft mehr und mehr erſtarrende Oeſter - reich that auch gar nichts die beiden Feinde zu verſöhnen.
Alſo herrſchte auf dem Feſtlande wieder jener Zuſtand ſchleichenden Unfriedens, deſſen England für ſeine Pläne bedurfte, und niemals hat ſich die alte Wahrheit, daß Kaufmannspolitik die unſittlichſte von allen iſt, ſo grell gezeigt wie in dieſen Jahren. Unbehelligt durch die hadernden Großmächte durfte Palmerſton, nach ſeiner unritterlichen Weiſe, den bri - tiſchen Uebermuth an den Schwachen auslaſſen. Mit Neapel begann er Streit wegen des ſicilianiſchen Schwefelhandels, mit Portugal wegen der Opfer des letzten Bürgerkrieges, eines Krieges, welchen England ſelbſt gefliſſentlich geſchürt hatte. Mit Serbien ſchloß er einen Handelsvertrag und verſuchte zugleich den Fürſten Miloſch zur Aufhebung der Verfaſſung zu drängen. Mitten im Frieden wurde 1839 das Felſenneſt Aden geraubt, der Schlüſſel zum Rothen Meere, das Gibraltar des Oſtens. Gleich darauf begann der Opiumkrieg, der ſcheußlichſte von allen, welchen jemals ein chriſtliches Volk geführt hat; die Chineſen wurden gezwungen den Opium-Schmuggel aus Oſtindien zu dulden, und während England ihre Leiber vergiftete, ſuchte es ihre Seelen durch die Bekehrungspredigten ſeiner Miſſionäre zu retten. An ſtärkere Gegner wagte ſich Palmerſton nur mit den Waffen der Argliſt. Jedermann ahnte, daß das neutrale England die Tſcherkeſſen in ihrem Kampfe gegen Rußland insgeheim unterſtützte; ruchbar ward das Geheimniß erſt, als die Ruſſen an der kaukaſiſchen Küſte das mit Waffen befrachtete Schiff Vixen aufgriffen. Noch ſchwe - rere Sorgen erregte dem Londoner Hofe die Beſetzung Algeriens, das letzte und beſte Vermächtniß der franzöſiſchen Bourbonen. Nach engli - ſcher Auffaſſung gehörte ganz Afrika von Rechtswegen den Briten. Selbſt der friedfertige Lord Aberdeen ſagte zu dem preußiſchen Geſandten höh - niſch: die Franzoſen haben Algier „ für immer “mit Frankreich vereinigt; dies „ für immer “bedeutet: bis der Krieg erklärt wird, bis das erſte engliſche Linienſchiff im Hafen von Algier erſcheint! Dieſes ſchöne zukunfts - reiche Pflanzungsland der Franzoſen zu zerſtören war jedes Briten Herzens - wunſch; darum konnte Frankreichs gefährlicher Feind, der heldenkühne Abdelkader jederzeit auf Englands geheimen Beiſtand zählen.
Gegenüber einer ſolchen, völlig gewiſſenloſen, überall in der Welt hetzenden und bohrenden Handelspolitik erſchienen alle anderen Cultur - völker als natürliche Bundesgenoſſen. England war der Hort der Bar - barei im Völkerrechte. England allein verſchuldete, daß der Seekrieg, zur Schande der Menſchheit, noch immer ein organiſirter Seeraub blieb. Allen Völkern gemeinſam lag die Aufgabe ob, auch auf den Meeren das64V. 2. Die Kriegsgefahr.Gleichgewicht der Mächte herzuſtellen, das auf dem Feſtlande längſt be - ſtand, jenes heilſame Gleichgewicht, das keinem Staate ermöglichte ſich Alles zu erlauben und darum jedem ein menſchliches Völkerrecht ſicherte. Die Geſittung des Menſchengeſchlechts forderte, daß die vielgeſtaltige Herr - lichkeit der Weltgeſchichte, die einſt mit der Herrſchaft der monoſyllabiſchen Chineſen begonnen hatte, nicht in einem troſtloſen Kreislaufe mit dem Reiche der monoſyllabiſchen Briten endigen durfte. Sobald die orienta - liſche Frage wieder in Fluß gerieth, mußte eine weitſchauende Staats - kunſt darnach trachten, die erdrückende Fremdherrſchaft, welche Englands Flotten von Gibraltar, Malta, Korfu aus aufrecht hielten, zum mindeſten einzuſchränken, das Mittelmeer den mediterraniſchen Völkern zurückzugeben. Der preußiſche Staat aber beſaß noch keine Flotte; er konnte und durfte ſich zu einer ſo freien Anſchauung jener weit entlegenen Händel nicht er - heben, ſo lange er ſelbſt die zerfahrene deutſche Welt kaum nothdürftig zu ſchützen vermochte und eine italieniſche Großmacht noch nicht beſtand.
Der Friede zwiſchen Aegypten und der Pforte wurde nach orienta - liſchem Herkommen von beiden Seiten unredlich gehalten. Sultan Mach - mud dürſtete nach Rache an dem meuteriſchen Vaſallen, und der engliſche Geſandte, der rückſichtsloſe alte Heißſporn Lord Ponſonby beſtärkte ihn in ſeinem Haſſe, desgleichen deſſen Legationsſekretär Urquhart, der fanatiſche Türkenſchwärmer. Mehemed Ali aber war durch das Kriegsglück ver - wöhnt und ſchaltete in ſeinen neu errungenen Paſchaliks wie ein unab - hängiger Fürſt. Er gewann die Freundſchaft des Tuilerienhofes, der ſchon um Algeriens willen ſich der ägyptiſchen Flotte verſichern wollte, und die begeiſterte Verehrung der Franzoſen. Wunderſame Märchen erzählten den Pariſern von der genialen Herrſcherkraft dieſes Napoleon’s des Oſtens, der als echter Orientale franzöſiſche Sitte und Sprache überall bevorzugte; und bald galt es in Frankreich als ein politiſcher Glaubensſatz, daß nur Mehemed Ali in dem erſtarrten Oriente ein neues Leben erwecken könne. In Deutſchland war Fürſt Pückler-Muskau des Paſchas wärmſter Bewun - derer. Der erregte allgemeines Aufſehen, als er von der Nilfahrt und den Wüſtenritten heimgekehrt, im Feß auf arabiſchem Roſſe durch die Straßen Wiens zog; bei Kaiſer Ferdinand ward er erſt vorgelaſſen nach - dem er dem preußiſchen Geſandten verſprochen hatte, dieſen traurigen Hof, der allerdings eine naturgetreue Schilderung kaum vertrug, in ſeinen Reiſebüchern nicht zu erwähnen. *)Maltzan’s Berichte, Jan. 1840.Ueberall, in Wort und Schrift, ver - kündete Semilaſſo den Ruhm des großen Aegypters.
In Wahrheit ſtand Mehemed Ali’s Macht bei Weitem nicht mehr ſo feſt wie zur Zeit des letzten Krieges. Die ungebändigten Völker Sy - riens ertrugen den Druck des aufgeklärten Despotismus ſchwerer als die leidſamen Fellahs am Nil; ein Aufſtand ſchien nicht ausſichtslos, und65Der zweite türkiſch-ägyptiſche Krieg.zugleich ward Englands Feindſchaft immer bedrohlicher. Seit den Tagen der Quadrupelallianz hegte Palmerſton einen heißen, ſtillen Groll gegen die unzuverläſſigen franzöſiſchen Freunde. Wie oft war er damals von Talleyrand überliſtet worden;*)S. o. IV. 507 ff. dies verzieh er nie, denn nach ſeiner An - ſchauung beſaß allein die engliſche Diplomatie das Recht, ihre Bundes - genoſſen zu betrügen. Das gerühmte herzliche Einvernehmen der Weſt - mächte beſtand nur noch dem Namen nach. Obwohl der Lord von den Verhältniſſen des Orients und der Kolonien ſehr wenig wußte, ſo beſaß er doch ein ſicheres inſtinktives Gefühl für die Größe ſeines Landes; nie - mals glaubte er an die neue Lehre der Freihandelsſchule Richard Cobden’s, daß jede Kolonie ſich vom Mutterlande losreißen müſſe und Großbritannien durch ſeinen transatlantiſchen Beſitz nur geſchwächt würde. Er erkannte ſo - gleich, Englands Machtſtellung im Mittelmeere ſei verloren, wenn Mehemed Ali über die ſchwachen Zwiſchenländer hinweg den Franzoſen in Algier die Hand reichte. Der ſchlaue Aegypter wußte auch ſehr wohl, wo er ſeine Feinde zu ſuchen hatte; gefliſſentlich erſchwerte er den Briten den Verkehr mit Indien, er verſperrte den wichtigen Handelsweg durch Vorderaſien zum Euphrat und Orontes, bemächtigte ſich des einträglichen Kaffeehandels im Rothen Meere, begann in Syrien und Aegypten Fabriken anzulegen, welche die engliſche Einfuhr ſchädigten. Dieſe Handelsintereſſen beſtimmten Eng - lands Haltung, ganz wie im Jahre 1830 bei der Preisgebung Hollands der Groll über die niederländiſche Zoll - und Kolonialpolitik den Ausſchlag ge - geben hatte. Mit leidenſchaftlichem Ungeſtüm ſuchte Palmerſton die ge - fährliche Macht des Aegypters zu vernichten oder doch zu ſchwächen; alles Gerede über den unaufhaltſamen Zerfall des türkiſchen Reichs erklärte er kurzab für nonsense.
Schadenfroh konnte der Petersburger Hof abwarten, wie die Feind - ſchaft der beiden Weſtmächte im Oriente ſich mehr und mehr verſchärfte. Seit der Schließung der Dardanellenſtraße beherrſchte er das Schwarze Meer faſt unumſchränkt, und da er durch den Vertrag von Hunkiar Iskeleſſi berechtigt war, ſeinem türkiſchen Schützling im Kriegsfalle Hilfe zu leiſten, ſo betrachtete er nicht ohne Behagen, wie der Sultan und der Paſcha ſich zum Kampfe rüſteten. Mehrere Jahre hindurch ſtanden die türkiſchen und die ägyptiſchen Truppen an der ſyriſchen Grenze einander gegenüber. Durch dieſe gewaltigen Heeresmaſſen wurden die armen Länder am oberen Euphrat völlig ausgeſogen und die Kraft der beiden muhame - daniſchen Reiche dermaßen gelähmt, daß der in Petersburg erſehnte Zu - ſammenbruch vielleicht bald eintreten konnte.
Von dem ermatteten Wiener Hofe hatten die Moskowiter wenig zu fürchten. Deſſen ganze Weisheit lief noch immer darauf hinaus, daß der Sultan der legitime Herrſcher, der Paſcha ein fluchwürdiger Reformer undv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 566V. 2. Die Kriegsgefahr.Empörer ſei. Metternich ſelbſt empfand zuweilen die Laſt ſeiner Jahre und ſagte mehrmals zu Maltzan: „ In meinem Alter muß man zu erhalten, nicht zu ſchaffen ſuchen; es wäre thöricht eine Arbeit zu beginnen, die man wahr - ſcheinlich nicht mehr ſelbſt beendigen kann. “ *)Maltzan’s Berichte, März 1840.Der alte unfruchtbare Streit zwiſchen dem Staatskanzler und dem Grafen Kolowrat währte fort, und da Erzherzog Ludwig noch immer jede Neuerung ablehnte, ſo kam unter der Herrſchaft dieſes traurigen Triumvirats keine einzige der geplanten Verwaltungsreformen zu Stande. Der Staatshaushalt verharrte in der gewohnten Unordnung auch nachdem der mit der Wiener Börſe nahe be - freundete Finanzminiſter Eichhoff endlich den Abſchied erhalten hatte. Die Armee litt, wie Graf Maltzan bedauernd ſagte, „ in faſt unglaub - lichem Grade “Mangel an Allem, und eben jetzt, im Januar 1840, ſtarb General Graf Clam, der einzige Mann, der im Staatsrathe Einiges für ihre Schlagfertigkeit gethan hatte. Schlaffheit und gedankenloſe Routine herrſchten überall; nur das italieniſche Heer unter Radetzky’s Führung zeigte ſich kriegstüchtig. Noch niemals war das alte Oeſterreich für einen ſchweren Kampf weniger vorbereitet geweſen. Unter ſolchen Umſtänden konnte der greiſe König von Preußen, der für das ſtille Erſtarken ſeines Landes ſo dringend des Friedens bedurfte, nur den beſcheidenen Wunſch hegen, daß die Kriegsgefahr im Oſten vorübergehen möchte.
Gleichwohl geſchah das Unausbleibliche. Im Frühjahr 1839 ver - mochte die Pforte die Wucht ihrer Rüſtungen nicht mehr zu ertragen, der Sultan ſeinen Haß nicht mehr zu bändigen. Der Krieg brach aus und endigte mit einem Schlage. Die türkiſchen Truppen hatten Dank der einſichtigen Thätigkeit der preußiſchen Generalſtabsoffiziere ſchon Einiges gelernt, aber auch in dem langen Lagerleben durch Krankheiten furcht - bar gelitten. Nur die Hälfte des großen kleinaſiatiſchen Heeres war unter Hafiz Paſchas Führung bei Niſib vereinigt, und dieſe Hälfte beſtand zum guten Theile aus feindſeligen Kurden, welche die Stunde des Abfalls er - ſehnten. Hafiz hörte mehr auf die thörichten Reden ſeiner Mollahs und Aſtrologen als auf den großen fränkiſchen Rathgeber, der ihm zur Seite ſtand. Er verſäumte, wider den Rath des Hauptmanns Moltke, das Heer Ibrahim Paſchas bei einem Umgehungsverſuche zur rechten Zeit in der Flanke anzugreifen. Er verſchmähte ſodann, die Truppen an den Euphrat in die feſte Stellung von Biredſchik zurückzuführen; und der Preuße legte, das ſichere Verderben vorausſagend, ſein Amt als Rathgeber förmlich nieder. Am nächſten Tage, 23. Juni, ward der Paſcha von dem ſieg - gewohnten ägyptiſchen Feldherrn in höchſt ungünſtiger Stellung ange - griffen; nach kurzem, wenig rühmlichem Widerſtande ſtob ſein Heer ausein - ander. Wie einſt König Friedrich ſein Feldherrnleben mit dem Fluchtritte von Mollwitz eröffnete, ſo begann der größte deutſche Krieger des neun -67Schlacht von Niſib.zehnten Jahrhunderts eine Siegeslaufbahn ohne gleichen, er ſelbſt freilich ſchuldlos, mit der Niederlage von Niſib. An den Gräueln dieſes Rück - zugs lernte er, was die ſittlichen Mächte im Kriege bedeuten; derweil er das unwegſame Land durchritt behielt er immer noch Zeit und Gleich - muth um ſeine geliebten Landkarten ebenſo gewiſſenhaft zu ergänzen, wie er früherhin den einzigen treuen Plan von dem unüberſehbaren Gaſſen - gewirr Konſtantinopels gezeichnet hatte. Nach der Heimkehr ſammelte er dann ſeine Briefe aus der Türkei und ließ das claſſiſche Werk wie ein beſcheidener Anfänger durch ein Vorwort Karl Ritter’s in die gelehrte Welt einführen; ſeine geiſtvolle ältere Schrift über Polen hatte ja nur wenig Leſer gefunden.
Die Niederlage war vollſtändig. Auch die anderen türkiſchen Trup - pen in Kleinaſien löſten ſich auf, obgleich der Sohn Mehemed Ali’s, dem eigenen Heere mißtrauend, ſeinen Sieg nicht zu verfolgen wagte. In - mitten dieſer allgemeinen Verwirrung ſtarb Sultan Machmud plötzlich, noch bevor die Schreckenskunde aus Niſib ihn erreichte — die letzte große tra - giſche Geſtalt der osmaniſchen Geſchichte. Bis über die Kniee war er im Blute gewatet um ſeinem Volke eine höhere Geſittung zu bringen, und verzweifelnd ſank er ins Grab im Bewußtſein eines verfehlten Lebens. Die Zeitgenoſſen verglichen ihn gern mit Peter dem Großen, die Er - mordung der Janitſcharen mit der Vernichtung der Strelitzen. Doch der geniale Barbar des Nordens beherrſchte ein chriſtliches und darum bei aller Roheit bildſames Volk. Die Osmanen blieben eine Reiterhorde des Oſtens, geſchaffen für die Zelte der Wüſte, der Cultur gänzlich un - zugänglich, bei den anderen muhamedaniſchen Völkern ſelbſt wegen ihrer Stumpfheit verrufen; ſie glichen jenen harmloſen wilden Hunden, welche Tags über in den Gaſſen Stambuls ſchlafen, bei Nacht den Unrath aus den Häuſern freſſen, aber ſobald man ſie ins Haus nimmt jeder Erziehung trotzen und aus Sehnſucht nach der Freiheit bald dahinſterben. Nunmehr beſtieg Abdul Medſchid den Thron, Machmud’s junger ſchwächlicher Sohn, der nie zum Manne heranreifte. Zur ſelben Zeit ſegelte die türkiſche Flotte von den Dardanellen ſüdwärts, nicht ohne die geheime Mitwirkung des franzöſiſchen Admirals Lalande, und vereinigte ſich vor Alexandria mit den Schiffen des ägyptiſchen Rebellen. Alſo ohne Heer, ohne Flotte, ohne einen kräftigen Herrſcher ſchien das osmaniſche Reich, zum dritten male binnen elf Jahren, dem ſicheren Untergange zu verfallen. Da die Integrität der Türkei von allen Großmächten — ehrlich oder nicht — für eine europäiſche Nothwendigkeit erklärt war, ſo ergriff die Geſandten der fünf Mächte ein jäher Schrecken. Sie traten zuſammen und auf das Andringen des öſterreichiſchen Internuntius Stürmer ermahnten ſie die Pforte durch eine gemeinſame Note vom 27. Juli 1839, nicht eher mit dem Aegypter abzuſchließen als bis Europa geſprochen hätte. Metter - nich triumphirte, er meinte die Türkei gerettet und das Schickſal des5*68V. 2. Die Kriegsgefahr.Oſtens in ſeiner Hand zu haben; er nannte mit gewohnter Ruhmredig - keit dieſe That einen der größten diplomatiſchen Erfolge ſeines Lebens und ſchmeichelte ſich mit der Hoffnung, nunmehr würde unter ſeiner Leitung ein europäiſcher Congreß in Wien zuſammentreten, der die orien - taliſchen Händel, natürlich zum Nachtheil Mehemed Ali’s, beilegen ſollte. *)Maltzan’s Berichte, 1. Jan. 1840 ff.
Anders dachte der König von Preußen. Er ſah klar voraus, daß dieſe ſcheinbare Einigung Europas die Hintergedanken Rußlands, das Zerwürfniß zwiſchen den Weſtmächten ſehr bald an den Tag bringen, vielleicht gar den allgemeinen Krieg hervorrufen mußte. Aergerlich meinte er, die Mächte hätten beſſer gethan ſich nicht zu übereilen, ſondern dem Sultan die Verſtändigung mit dem Paſcha zu überlaſſen. **)König Friedrich Wilhelm, Randbemerkung zu Maltzan’s Bericht v. 23. April 1840.Weil er auf ſeine alten Tage keinenfalls den Frieden brechen, ſeinem Volke um dieſer entlegenen Händel willen weder Subſidienzahlungen noch Kriegslaſten auflegen wollte, ſo ließ er den großen Höfen mehrmals auf das Beſtimm - teſte erklären: Preußen gewähre den Verſuchen zur friedlichen Löſung der orientaliſchen Frage nur ſeinen moraliſchen Beiſtand (appui moral) und behalte ſich die ſtrengſte Neutralität vor falls die unmittelbar betheiligten Mächte zu den Waffen greifen ſollten. ***)Bericht von Werther d. J., Geſchäftsträger in London, 20. Dec. 1839, mit Randbemerkung des Königs. Miniſter Werther, Bericht an den König 15. Jan., deſſen Weiſung an Werther d. J. 20. Jan. 1840 nebſt Randbemerkungen.Er hatte recht geahnt. Die Abſichten der beiden Weſtmächte zeigten ſich ſofort als unvereinbar. Während Frankreich ſeinen ägyptiſchen Schützling ſchonen wollte, beabſichtigte Pal - merſton den Sieger von Niſib für ſeinen Sieg zu beſtrafen, ihn durch ein ſalomoniſches Urtheil Europas eines guten Theiles ſeiner alten Be - ſitzungen zu berauben.
Auch die Pforte blieb, trotz ihrer Schwäche, unverſöhnlich und er - fand jetzt ein neues, ſehr wirkſames Kampfmittel wider Mehemed Ali. Der Miniſter des Auswärtigen Reſchid Paſcha hatte als Geſandter in London die Macht der Preſſe des Abendlandes kennen gelernt und als - bald begriffen, welchen Vortheil dem Aegypter die brünſtigen Lobeser - hebungen der franzöſiſchen und vieler anderen liberalen Zeitungen ge - währten. Er rieth daher dem jungen Sultan, durch ein feierliches Schauſpiel den Europäern zu bekunden, daß der Großherr noch weit liberaler denke als der aufgeklärte Despot am Nil. Am 2. Nov. verſam - melten ſich die Großwürdenträger des Reichs und die Notabeln der Haupt - ſtadt in einem Hofe des alten Serails vor dem Kiosk von Gülhane, nahe jener alten Platane, in deren Schatten einſt die meuteriſchen Janit - ſcharen zu berathen pflegten. Sobald der Hofaſtrolog mit ſeinem Aſtro - labium den günſtigen Augenblick erkundet hatte, wurde der Hattiſcherif von Gülhane verleſen, eine mit alttürkiſchem und neufränkiſchem Wort -69Die liberale Türkei.ſchwall reich ausgeſtattete Urkunde, welche allen Unterthanen des Sultans Sicherheit von Leib und Habe, Aufhebung der Steuerpacht, gerechte Ver - theilung der Abgaben und des Kriegsdienſtes verhieß. Darauf beſchwor der Sultan nebſt den hohen Beamten ſeinen Gnadenerlaß, der natürlich niemals ausgeführt wurde, und die Batterien auf beiden Ufern des Bos - porus donnerten ihren Feſtgruß.
Der Hattiſcherif eröffnete die lange Reihe jener „ mit Honig beſchrie - benen Papiere “, welche die klugen Moslemin fortan von Zeit zu Zeit den unbeſchreiblich verachteten Franken vorzuhalten pflegten. Wunderbar ſchnell, mit orientaliſcher Findigkeit lebte der Divan ſich in neue politiſche Künſte ein; er ſpielte fortan die liberale Macht und wußte bald durch die dienſtwilligen Federn der befreundeten Geſandtſchaften in Pera, bald durch einfache Beſtechung die europäiſche Preſſe dermaßen zu beherrſchen, daß die einſt im Portfolio angeſchlagenen Töne überall mächtig wieder - klangen. Schon ſeit dem Alterthum waren die Stämme am Bosporus um ihrer Ruchloſigkeit willen verrufen. Hier lag Lesbos, die Heimath der un - natürlichen Wolluſt, hier Lampſakos, wo Aphrodite den ſchamloſeſten ihrer Söhne, den Priapus gebar, hier die große Polis, wo der Auswurf dreier Welttheile ſtinkend zuſammenrann, und mitteninne das barbariſch geſchändete ſchönſte Gotteshaus der morgenländiſchen Chriſtenheit. In dieſen Ländern, wo Menſchenleben wenig, Menſchenwürde nichts gilt, wo die Natur alle ihre Reize, die helleniſchen, die byzantiniſchen, die orientaliſchen Völker ebenſo verſchwenderiſch alle ihre Niedertracht entfaltet haben, wähnte die Preſſe des Abendlandes eine Heimſtätte der Freiheit zu ſehen; mit Aus - nahme der franzöſiſchen verherrlichten jetzt alle europäiſchen Blätter den libe - ralen Sultan mitſammt ſeinem Hofaſtrologen. Der Aegypter aber, der ſeine Leute kannte, ſagte ingrimmig: dieſer Hattiſcherif ſei nichts weiter als ein gegen ihn gerichteter Schachzug.
Mittlerweile vollzog Rußland eine längſt vorbereitete diplomatiſche Schwenkung. Nikolaus hatte gleich nach ſeiner Thronbeſteigung die Er - fahrung gemacht, daß er ſeine Zwecke im Oriente dann am ſicherſten erreichen konnte, wenn er ſich mit dem gefährlichſten Gegner, mit England ſcheinbar verſtändigte. *)S. o. III. 729.Perſönlich hegte er, ſo weit ein Czar dies ver - mochte, faſt eine Vorliebe für die Briten; während der letzten Jahre hatte er ſich ſtets abſichtlich gehütet die revolutionäre Politik Palmerſton’s zu bemerken. Dies England mit Frankreich zu verfeinden, das herzliche Einvernehmen der Weſtmächte zu zerſtören, den alten Vierbund der con - ſervativen Mächte wiederherzuſtellen und alſo den verhaßten Staat der Revolution gänzlich zu vereinzeln, bis vielleicht der große Kreuzzug der Legitimität möglich würde — dahin gingen von langeher die Wünſche des Czaren. Der Vertrag von Hunkiar-Iskeleſſi lief binnen Kurzem ab;70V. 2. Die Kriegsgefahr.ihn zu erneuern ſchien unmöglich da die Eiferſucht der Weſtmächte längſt erwacht war. Die friedliche Schutzherrſchaft Rußlands in der Türkei ließ ſich ja auch ohnedies behaupten, wenn man nur dem engliſchen Hofe und den beiden deutſchen Mächten eine beſcheidene Mitwirkung bei der Rettung des Sultans einräumte. Am Petersburger Hofe wünſchte man die Macht des Aegypters alſo zu ſchwächen, daß er nie mehr hoffen konnte als Hausmeier des Sultans das osmaniſche Reich von innen heraus zu ver - jüngen; man wollte ihn aber auch nicht ganz fallen laſſen, weil ſein halbſelbſtändiger Staat doch immer ein Pfahl im Fleiſche der Türkei blieb. Seit der Schlacht von Niſib mußte auch Palmerſton einſehen, daß man Mehemed Ali nicht vernichten konnte. Mithin beſtand keine ernſtliche Mei - nungsverſchiedenheit zwiſchen den beiden Mächten; ſie mußten ſich nur noch verſtändigen über die beiden Fragen, welche Stücke ſyriſchen Landes dem be - trogenen Sieger verbleiben, und wie die Großmächte im Nothfalle ihre be - waffnete Einmiſchung ausführen ſollten. Da Rußlands Streitkräfte durch die kaukaſiſchen Kämpfe und einen Feldzug gegen Chiwa erheblich geſchwächt waren, ſo wünſchte Nikolaus im Augenblicke keinen europäiſchen Krieg; er hoffte vielmehr Frankreich friedlich zu beſiegen, indem er ſich erſt mit England, dann mit den beiden deutſchen Mächten vereinigte.
Die Einladung zu der Wiener Conferenz lehnte er entſchieden ab, weil er befürchtete dort durch Oeſterreich und die Weſtmächte überſtimmt zu werden Metternich empfand dieſe Abſage als eine ſchwere perſön - liche Beleidigung und erging ſich in Schmähreden wider die Schwäche und die Thorheit des Czaren — ganz wie im Jahre 1826, als ſich Ruß - land und England über die griechiſche Frage verſtändigten. Auch dies - mal mußte er erfahren, daß in den orientaliſchen Händeln Rußland, nicht Oeſterreich die führende Macht des Oſtbundes war. Im September 1839 wurde einer der jüngeren ruſſiſchen Diplomaten, Frhr. v. Brunnow nach London geſendet, ein ſanfter, feiner, geſchmeidiger Mann, der alsbald eine unbegrenzte Bewunderung für die Sitten der vornehmen Geſellſchaft Englands zeigte, an ihrem Sport, ihren Bazaren und Wohlthätigkeits - concerten eifrig theilnahm. In der diplomatiſchen Welt hieß er der ruſ - ſiſche Gentz; die Vergleichung traf freilich nicht zu, denn mit dem Geiſte und der ſchriftſtelleriſchen Größe des öſterreichiſchen Staatsmannes konnte er ſich nicht von fern vergleichen, in den Künſten ſchlauer Unterhandlung war er ihm weit überlegen. Brunnow eröffnete dem britiſchen Miniſter: der Czar habe nichts dawider, wenn England durch ſeine Flotte den Aegyp - ter zur Annahme eines billigen Friedens zwingen wolle, und würde dann nöthigenfalls ſeine eigenen Truppen über Sinope durch Kleinaſien gegen Ibrahim Paſcha vorgehen laſſen. Nicht ohne ein begreifliches Mißtrauen nahm Palmerſton dieſe Anerbietungen entgegen; ſie genügten ihm nicht, da ihm vor Allem daran gelegen war, den Vertrag von Hunkiar-Iskeleſſi zu beſeitigen, der britiſchen Flotte die Einfahrt durch die Dardanellen71Brunnow in London.zu eröffnen. Gleichwohl hegte der Ruſſe, als er unverrichteter Dinge ab - reiſen mußte, die ſtille Ueberzeugung, daß eine Verſtändigung wohl möglich ſei. Auf der Heimkehr traf er am Rhein mit Metternich zuſammen. Der Oeſterreicher zeigte ſich mürriſch, übellaunig, ſichtlich verletzt durch Ruß - lands einſeitiges Vorgehen, aber in der Sache ſelbſt nicht feindſelig. Auch hier empfing Brunnow den Eindruck, die vier Mächte würden ſich ohne Frankreich wohl einigen können, und Neſſelrode ſagte nachher befriedigt, mit dieſem Johannisberger Geſpräche ſei die peinliche erſte Epoche der orientaliſchen Frage abgeſchloſſen. *)Liebermann’s Bericht, 4. Jan. 1840.
In Petersburg mit neuen Weiſungen verſehen, kehrte Brunnow um Neujahr nach London zurück und überraſchte den Lord durch die freund - liche Erklärung: ſein Kaiſer beſtehe nicht mehr auf dem Vertrage von Hunkiar-Iskeleſſi, er wolle im Nothfalle 15000 Mann und acht Kriegs - ſchiffe zur Vertheidigung Stambuls ſchicken, ſei aber auch nicht dagegen wenn die anderen Mächte dann je vier Schiffe in das Marmarameer ſendeten. Zugleich ließ er durchblicken was die ruſſiſchen Diplomaten in Pera ſchon vor’m Jahre angedeutet hatten: künftighin könnten vielleicht beide Meerengen in Friedenszeiten geſchloſſen werden. Damit war das Eis gebrochen, Palmerſton’s Mißtrauen beſchwichtigt. Im Februar 1840 vereinigten ſich die Vertreter der großen Mächte in London zu förmlichen Conferenzen. Sie Alle, mit einziger Ausnahme des franzöſiſchen Geſandten, betrachteten die Erhaltung des osmaniſchen Reichs als ihre höchſte Aufgabe und ſtimmten mit Brunnow dahin überein, daß Mehemed Ali nur die erb - liche Herrſchaft über Aegypten, außerdem noch für ſeine Lebenszeit ein Stück Syriens, etwa das Paſchalik Akkon behalten dürfte; widerſetzte er ſich, dann müßte man ihn durch die Waffen Europas zur Unterwerfung zwingen. Der Sieger ſollte alſo einen Theil ſeines alten Beſitzſtandes dem Beſiegten ſchen - ken! Die grobe Ungerechtigkeit dieſes Schiedsſpruches der europäiſchen Mächte lag auf flacher Hand; ſelten hatte ſich ſo deutlich gezeigt, mit wie wenig Weisheit die Welt regiert wird. Vom Rechte aber war in den ſchmutzigen orientaliſchen Händeln nie die Rede; hier handelte es ſich nur um die Macht, diesmal um die Frage, ob Mehemed Ali ſtark genug ſei den erleuchteten Beſchlüſſen Europas zu widerſtehen. Dargeſtellt hatte Rußland nochmals, wie einſt vor der Schlacht von Navarin, durch eine plötzliche Annäherung an England die entſcheidende Stellung in der orientaliſchen Politik erlangt. Metternich ſah ſich in die zweite Reihe gedrängt und meinte unmuthig: nur die Germanen kennten den Begriff der Ehre, die Romanen über - trieben ihn bis zum point d’honneur, die Slawen hätten nicht einmal ein Wort dafür. Aber einer Staatskunſt, welche die Erhaltung des türki - ſchen Reichs zu erſtreben vorgab, konnte er unmöglich entgegentreten. Auch der Berliner Hof pflichtete den Anträgen Brunnow’s vorläufig bei,72V. 2. Die Kriegsgefahr.immer in der ehrlichen Hoffnung, daß Frankreich den anderen Mächten nicht widerſprechen würde, immer mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß Preußen nur moraliſchen Beiſtand leiſten könne. *)Brunnow an Werther d. J. 23. Jan.; Min. Werther, Weiſungen an Arnim in Paris, 22. Jan., an Werther d. J. 27. 31. Jan. 1840.
Unterdeſſen geſtaltete ſich Frankreichs Lage höchſt bedrohlich. Auf - geregt durch die Pariſer Preſſe ſchwärmte die geſammte Nation für den aufgeklärten Mehemed Ali. Als man nun erfuhr, daß die vier Mächte dieſen Liebling Frankreichs ungerecht mißhandeln wollten, da ging ein Aufſchrei des Zorns durch das Land. Alles rief: England hat uns verrathen, die entente cordiale iſt zerſtört. **)Arnim’s Berichte, Paris 12. 16. 22. Jan. 1840.In der That hatte der ſchlaue Bürgerkönig, der die auswärtige Politik über die Köpfe des Miniſte - riums Soult hinweg leitete, diesmal ſich von ſeinem perſönlichen Haſſe bethören laſſen und ganz falſch gerechnet. Da er mit dem Todfeinde Mehemed Ali’s, mit England ſich über die orientaliſchen Wirren unmög - lich einigen konnte, ſo mußte er mit Rußland und den deutſchen Mächten eine Verſtändigung ſuchen. Er konnte jedoch ſeinen Groll über die Hof - fart des Czaren nicht überwinden und richtete alle ſeine Pfeile gegen Rußland. Wieder und wieder mußte Soult in ſpitzigen Depeſchen er - klären, die Integrität der Türkei ſei nur ein leeres Wort, wenn ihr nicht auch die Unabhängigkeit — das wollte ſagen: die Unabhängigkeit von Rußland — geſichert würde. Neſſelrode rieb ſich die Hände und gab eine hochmüthige Antwort. ***)Soult, Weiſung an Sebaſtiani, 25. Nov. Neſſelrode, Weiſung an Medem, 26. Dec. 1839.Während Ludwig Philipp ſich alſo in einen unfruchtbaren Federkrieg gegen den Czaren verbiß, bemerkte er kaum, wie England und Rußland einander näher traten. Da mit einem male ſtand er zwiſchen zwei Feuern: der engliſche Freund war zu dem ruſſi - ſchen Feinde übergegangen, und die Verſtändigung der beiden Mächte war in ſehr rückſichtsloſer Form geſchehen, ohne daß man den franzöſiſchen Geſandten auch nur einer genauen Mittheilung gewürdigt hätte.
Die Stellung des Tuilerienhofes ward noch ſchwieriger, als im Februar 1840 — wieder durch des Königs Schuld — das gemäßigte, bei den Höfen leidlich angeſehene Miniſterium Soult zuſammenbrach. Ludwig Phi - lipp hatte einſt — den uralten Geſetzen des Landes zuwider — das unge - heuere Vermögen der Orleans, das von Rechtswegen der Krone Frankreich gehörte, ſeinen Kindern abgetreten, und durfte jetzt nicht erwarten, daß die Nation geneigt ſein würde den ſo ſchmählich geretteten Reichthum des unge - liebten königlichen Hauſes noch zu vermehren. Gleichwohl verlangte der König, als ſein zweiter Sohn der Herzog von Nemours ſich mit der reichen Prinzeſſin von Coburg-Kohary verlobt hatte, von den Kammern eine Jahres - rente für das junge Paar. Allgemein war der Unwille. Die Preſſe verdäch -73Miniſterium Thiers.tigte den perſönlichen Charakter des Monarchen mit einer Unehrerbietigkeit, welche dies illegitime Königthum nicht ertragen konnte. Timon-Cormenin, ſeit Courrier’s Tode der wirkſamſte Publiciſt der Radikalen, ſchrieb die wüthenden „ Fragen eines Jacobiners; “er hielt den Franzoſen vor, wie viel unfreier ſie ſeien als die Preußen, denen ihr abſoluter König die altherkömmliche Prinzeſſinnenſteuer regelmäßig erlaſſen habe. Die Dota - tion ward verworfen, das Miniſterium Soult trat zurück, und durch die liberale Oppoſition emporgehoben bildete Thiers am 1. März ein neues Cabinet — der Staatsmann, der von jeher dem Bürgerkönige beſonders widerwärtig und in der gegenwärtigen Kriegsgefahr dreifach unwillkommen war. Auch die vier Mächte verhehlten ihr Mißtrauen nicht. Graf Maltzan ſchrieb aus Wien ſchwer beſorgt: „ die Grundſätze von 1830 ſind wieder am Ruder, “*)Maltzan’s Bericht, 4. März 1840. und der franzöſiſche Geſandte auf der Londoner Conferenz ſah ſich fortan noch weniger rückſichtsvoll als bisher behandelt. Er fühlte, wie die Vier hinter ſeinem Rücken beriethen.
Thiers ſtand bei den Höfen im Rufe eines radikalen Chauviniſten, weil er zur Zeit der Julirevolution für die reine Parlamentsherrſchaft gearbeitet, während des Carliſtenkrieges ſehr übermüthig geredet und durch ſeine Geſchichtswerke die napoleoniſche Legende mächtig gefördert hatte. Indeß war der kluge, bildſame Mann, obwohl noch weit entfernt von der ruhigen Weisheit ſeines Alters, doch ſchon durch die Erfahrung etwas gereift. Die peinliche diplomatiſche Lage, die er vorfand, war nicht durch ihn verſchuldet, ſondern durch den König. Als er die Regierung übernahm, hegte er noch keineswegs kriegeriſche Abſichten; dem ungleichen Kampfe mit vier Großmächten dachte er ſein leidenſchaftlich geliebtes Vaterland nicht auszuſetzen. Am wenigſten wollte er an dem engliſch-franzöſiſchen Bünd - niß rütteln, das ihm für den Hort der Völkerfreiheit galt. Darum ließ er durch den Geſandten Guizot dem engliſchen Hofe ernſt aber freundſchaftlich erklären: zur Integrität der Türkei gehöre die Macht des Paſchas ſo gut wie die Macht des Sultans, und ohne Syrien könne der Aegypter nicht beſtehen. Nachdrücklich verwahrte er ſich gegen die be - waffnete Einmiſchung Europas, die den alten Grundſätzen der Weſtmächte offenbar widerſpreche. **)Berichte von Bülow, London 17. März, 3. Apr., von Arnim, Paris 20. Apr. 1840.Und allerdings bewährte Palmerſton nur von Neuem den grundſatzloſen Wankelmuth ſeiner Staatskunſt, wenn er, der ſo oft die Lehre der Nichteinmiſchung feierlich verkündigt hatte, jetzt zu den Anſichten des Troppauer Congreſſes zurückkehrte und die gewaltſame Intervention der Großmächte wider den ägyptiſchen Rebellen empfahl.
Thiers’ Warnungen waren ehrlich gemeint; denn wie alle Franzoſen überſchätzte er die Macht Mehemed Ali’s bei Weitem und fürchtete, der Paſcha würde der Einmiſchung Europas einen ſo hartnäckigen Widerſtand74V. 2. Die Kriegsgefahr.entgegenſetzen, daß vielleicht die Türkei ſelbſt darüber in Trümmer gehen könnte. Palmerſton kannte die augenblickliche Lage beſſer, er verſprach ſich einen raſchen Erfolg von den Zwangsmaßregeln gegen den Aegypter. Die Verhandlungen zogen ſich durch mehrere Monate ohne Entſcheidung dahin. Unterdeſſen klagten die Geſandten der drei Oſtmächte laut und lauter über die „ ſubverſive “Politik der Tuilerien, die Londoner Regierungsblätter ſprachen von Frankreich in einem anmaßenden Tone, der von drüben ebenſo kräftig erwidert wurde. Palmerſton fühlte ſich durch den hart - näckigen Widerſpruch der Franzoſen ſchwer gereizt und ſagte in einem Artikel ſeines Morning Chronicle drohend: England würde ſich gezwungen ſehen den alten Vierbund der conſervativen Mächte zu erneuern. Brunnow, der mit ſeiner glatten, kühlen Freundlichkeit dem ungeſtümen Lord immer überlegen blieb, half in der Stille nach. Mehr und mehr befreundeten ſich die Geſandten mit der ruſſiſchen Anſicht, daß man die orientaliſche Frage auch zu Vieren, ohne Frankreichs Mitwirkung, löſen könne.
Dennoch zauderte Palmerſton noch lange. Die ſchwache, von Lord Melbourne ſehr ſchlaff geleitete Whig-Regierung hatte ſich längſt über - lebt. Schon vor’m Jahre war ſie durch das Parlament geſtürzt und nur durch den lächerlichen Zwiſchenfall der ſogenannten Schlafſtubenfrage vor - läufig wieder aufgerichtet worden. Damals hatte die junge Königin zum erſten male etwas gezeigt was einem politiſchen Willen ähnlich ſah und ſich entſchieden geweigert ihre whiggiſtiſchen Hofdamen, wie die Torys verlangten, zu entlaſſen. Nur dieſer perſönlichen Vorliebe der Monarchin verdankten die Whigs die Wiederherſtellung ihrer Herrſchaft, welche ſchon ſeit Jahren nicht mehr auf eine feſte Mehrheit im Parlamente zählen konnte. Und dies altersmüde Cabinet war über die Fragen der großen Politik keineswegs eines Sinnes. Die Lords Holland, Clarendon, Grenville, viele andere der nächſten Freunde und Amtsgenoſſen Palmerſton’s hielten einen Bruch mit Frankreich für rein undenkbar; auf der entente cor - diale oder ihrem Namen beruhte ja die ganze Stellung, welche England während des letzten Jahrzehntes in Europa eingenommen hatte. Selbſt unter den Torys war die Meinung weit verbreitet, daß die Quadrupel - allianz der liberalen Weſtſtaaten den Weltfrieden, das Gleichgewicht Euro - pas aufrecht erhalten habe und nimmermehr durch die Erneuerung des alten conſervativen Vierbundes erſetzt werden dürfe. Alſo wurde Pal - merſton zwiſchen den verſchiedenſten Bedenken hin und her geſchleudert und gelangte immer wieder zu dem Schluſſe: man müſſe die Dinge hin - zuhalten ſuchen. *)Bülow’s Berichte, 26. Mai, 26. Juni 1840.Er hoffte kaum noch den Tuilerienhof umzuſtimmen und wollte doch den Bruch vermeiden. Noch am 11. Juni ſchrieb er dem drängenden öſterreichiſchen Bevollmächtigten Neumann: „ Ich ziehe eine zeitweilige Verzögerung einem ſofortigen ſchlechten Ende vor. “**)Palmerſton an Neumann, 11. Juni 1840.
75Verhandlungen der vier Mächte. H. v. Bülow.Um die Verwirrung zu vollenden ſendete Metternich von Zeit zu Zeit übellaunige Depeſchen; der konnte ſich gar nicht darüber tröſten, daß die Entſcheidung nicht mehr in ſeinen Händen lag und fürchtete immer, Ruß - lands kopfloſe Politik würde ſich in den engliſchen Netzen verfangen. *)Maltzan’s Bericht, 2. Jan. Metternich an Trauttmansdorff, 7. März 1840.Auch der türkiſche Geſandte Shekib Paſcha vermehrte die Mißklänge dieſes ſeltſamen Concerts; er gehorchte blindlings den Rathſchlägen des öſterreichi - ſchen Bevollmächtigten Neumann, der ausdrücklich beauftragt war ſich ſeiner zu bemächtigen (s’emparer). **)Maltzan’s Bericht, 3. März 1840.Da Lord Ponſonby die Pforte, trotz ihrer Niederlage, beſtändig zur Erneuerung des Krieges drängte, ſo zeigte ſich der Türke ſehr zuverſichtlich und beſchwor die Mächte um baldige Ver - urtheilung des ägyptiſchen Rebellen. ***)Shekib Paſcha’s identiſche Noten an die Geſandten der fünf Mächte, 2. Juni 1840.
Die Verwicklung ward unerträglich, beinahe lächerlich. Der preußi - ſche Geſandte Heinrich von Bülow, der zu Anfang März 1840 nach langem Urlaub wieder in London eingetroffen war, ſchrieb im Juni, nachdem er ſich viele Wochen hindurch vergeblich um die Ausſöhnung der Streiten - den bemüht hatte, ganz verzweifelt: „ Was iſt unter ſolchen Umſtänden von dem Fortgang der hieſigen Verhandlungen zu erwarten? Schimpf und Schande! Man thäte beſſer ſie abzubrechen. “ †)Bülow’s Berichte, 3. März ff. 12. Juni 1840.Endlich einigten ſich die Geſandten der drei Oſtmächte zu einem letzten Verſuche; ſie ver - langten von Palmerſton vertrauliche Berathungen ohne Frankreich, das man vorläufig doch nicht gewinnen könne. Seit dem 21. Juni ver - ſammelten ſich nunmehr die Geſandten der vier Mächte, hinter Guizot’s Rücken, zu regelmäßigen Sonntagsſitzungen bei Palmerſton; die Stille des engliſchen Sabbaths kam dem Geheimniß zu ſtatten. Der europäiſche Congreß, zu dem man Frankreich förmlich eingeladen hatte, verwandelte ſich alſo in eine geheime Conferenz der Vier. Dies hinterrückige, aller - dings durch Frankreichs Haltung mitverſchuldete Verfahren mußte den franzöſiſchen Stolz tief verletzten ſobald es ruchbar ward. Die Gefahr eines europäiſchen Krieges rückte ſo nahe, daß der friedfertige Miniſter Wer - ther ſchwer erſchrocken dem Geſandten Bülow ſein Befremden ausſprach und ihm nochmals einſchärfte, auf jeden Fall der Krone Preußen die ſo oft aus - bedungene Neutralität vorzubehalten. ††)Werther, Weiſung an Bülow, 16. Juli 1840.Die Vier einigten ſich in ihren Sonntagsſitzungen über die Grundzüge eines Vertrags zur Rettung des Sultans, aber zum förmlichen Abſchluß gelangte man noch immer nicht, weil Palmerſton der Zuſtimmung ſeines Cabinets nicht ſicher war. †††)Bülow’s Berichte, 23. 30. Juni 1840.
Vergeblich mahnte Metternich in mehreren Depeſchen: die Türkei könne den Zuſtand der Ungewißheit nicht länger mehr ertragen; komme man76V. 2. Die Kriegsgefahr.zu Fünfen nicht weiter, ſo müſſe man ſelbviert vorſchreiten. *)Metternich an Neumann, 24. 27. Juni 1840.Die dritte Sonntagsſitzung mußte verſchoben werden, weil die britiſchen Miniſter noch keinen Beſchluß gefaßt hatten. „ Wir ſtehen auf Flugſand “— ſagte Bülow traurig. Guizot, der die Gefahr wohl ahnte, hielt ſie doch nicht für nahe und verbrachte die koſtbare Zeit in geiſtreicher Unterhaltung mit ſeiner plötzlich eingetroffenen ruſſiſchen Freundin, der Fürſtin Lieven. Der unſchuldige Theil der vornehmen Geſellſchaft glaubte, dieſe feine viel - gewandte Diplomatin, die beredſame Egeria der hohen Politik wollte ins - geheim für den Franzoſen arbeiten. Wer moskowitiſche Verhältniſſe kannte, mußte leicht errathen, daß ſie mit Brunnow in Verbindung ſtand und den Auftrag hatte, jede Annäherung zwiſchen Guizot und Palmerſton zu ver - hindern.
Da faßte ſich Bülow endlich das Herz zu einem entſcheidenden Rath - ſchlag. Im Augenblicke beſaß er nicht einmal eine giltige Vollmacht, da mittlerweile der Thronwechſel in Berlin eingetreten war; indeß wußte er, daß der neue König noch friedlicher dachte als der alte, und ſagte zu Neumann im Vertrauen: weil Preußen an Zwangsmaßregeln gegen Mehemed Ali niemals theilnehmen wird, darum fühle ich mich nicht ver - pflichtet die Anderen zurückzuhalten. Durch ſeinen langen Londoner Aufent - halt und die enge Freundſchaft mit Palmerſton hatte er ſich in engliſche Anſchauungen tiefer eingelebt als einem Preußen geziemte; er betrachtete den Großtürken, nach der britiſchen Ueberlieferung, als heilig und hielt daher Frankreichs orientaliſche Politik, die doch ihre guten Gründe hatte, ſchlecht - hin für revolutionär. Demzufolge arbeitete der geiſtreiche Staatsmann, der in Petersburg des Liberalismus verdächtigt wurde, arglos der ruſſi - ſchen Politik in die Hände; er half ihr die Weſtmächte zu entzweien, das osmaniſche Reich in einem Zuſtande hilfloſer Schwäche vorläufig zu erhalten. Des ewigen Zauderns müde wollte er endlich Thaten ſehen. Am 1. Juli, auf einem Lever der Königin zog ihn Lord Melbourne abſeits und fragte ängſtlich: Was rathen Sie mir in der ägyptiſchen Sache? Bülow erwiderte: Habt Ihr genügende Streitkräfte im Mit - telmeer? Auf die bejahende Antwort fuhr er lebhaft fort: Dann ſeid ſchnell und kühn! Sendet ſofort die Flotte vor Alexandria, werfet die Truppen von Malta und den ioniſchen Inſeln nach Beirut und an die ſyriſche Küſte, wo Mehemed Ali keinen Angriff erwartet. Vorher ſchließen wir hier zu Vieren den Vertrag mit dem türkiſchen Geſandten ab, ohne die Ratificationen abzuwarten. So wird Frankreich über - raſcht und doch nicht unmittelbar beleidigt, der Pforte aber bleibt die gefährliche ruſſiſche Hilfe erſpart. But I say again, be quick and bold! — Bülow glaubte ganz ſicher, Frankreich würde den erſten Aerger bald überwinden und ſchließlich doch genehmigen was nicht mehr zu än -77Londoner Vertrag v. 15. Juli 1840.dern ſei. Das Alles ſagte er, wie er ſelbſt geſtand, unbeauftragt und unvorbereitet. *)Dieſer merkwürdige Vorfall iſt ſchon i. J. 1849 in den „ Politiſchen Briefen und Charakteriſtiken aus der deutſchen Gegenwart “(von Uſedom) S. 270 ziemlich genau erzählt, aber noch von keinem Hiſtoriker beachtet worden. Uſedom’s Mittheilungen werden beſtätigt und ergänzt durch Bülow’s Bericht v. 3. Juli und Bülow’s Schreiben an Maltzan v. 9. Juli 1840.
So geſchah das Seltſame: die friedfertigſte aller Großmächte, die im Oriente gar kein eigenes Intereſſe zu wahren hatte, gab jetzt durch den Mund ihres Geſandten ſelber den verhängnißvollen Rath, welcher unfehl - bar einen Waffengang im Mittelmeer, vielleicht ſogar einen europäiſchen Krieg heraufbeſchwören mußte. Palmerſton athmete auf. Der Gedanke, daß man ohne Rußlands Waffenhilfe, ohne offenbare Kränkung Frank - reichs zum Ziele gelangen könne, leuchtete ſeinen ängſtlichen Amtsgenoſſen ein. Schon am 8. Juli konnte er den Vertretern der Oſtmächte mit - theilen, daß er die Mehrheit im Cabinet gewonnen und dem türkiſchen Geſandten verſprochen habe, England werde den Sultan mit den Waffen unterſtützen. **)Bülow’s Bericht, 10. Juli 1840.Für die Vorbereitung des Kampfes hatte Englands pu - niſche Treue bereits geſorgt. Britiſche Agenten bereiſten als Kaufleute verkleidet mit wohlgefüllten Beuteln die ſyriſchen Gebirge und hetzten das Volk wider den geſtrengen Paſcha auf — eine offenkundige Thatſache, welche Palmerſton ſpäterhin mit gewohnter Dreiſtigkeit in Abrede ſtellte. Schon im Juli ſtand der ganze Libanon in Waffen. Nachher ließ auch Metternich, wie er dem Grafen Maltzan ſelbſt erzählte, einen Sendboten zu den Maroniten abgehen, um ihnen Freiheit des chriſtlichen Glaubens, Sicherheit von Hab und Leben zu verbürgen, falls ſie für den Sultan gegen den rebelliſchen Paſcha kämpften. ***)Maltzan’s Bericht, 7. Sept. 1840.Wenn Mehemed alſo zugleich durch die Aufſtändiſchen im Lande, durch die britiſche Flotte an der Küſte bedrängt wurde, dann mußte ſeine Macht in Syrien raſch zuſammen - brechen. Frohen Muthes ſchritten die vier Mächte zum Abſchluß. Die Conferenzen drängten ſich in raſcher Folge, jetzt auch an den Wochentagen. Bülow empfing von allen Seiten Glückwünſche wegen ſeines klugen Rathes und wiederholte mit Selbſtgefühl die Worte: Be quick and bold! Man dachte, ſobald man fertig ſei den Pariſer Hof um nachträgliche Zuſtimmung oder doch um mittelbaren Beiſtand zu bitten. †)Bülow’s Bericht, 14. Juli 1840.Der Oeſterreicher Neu - mann verſprach ſofort, öſterreichiſche Kriegsſchiffe ſollten mit den britiſchen zuſammenwirken. Brunnow war die Liebenswürdigkeit ſelbſt; denn der Petersburger Hof hatte begreiflicherweiſe nichts dawider, wenn die befreun - deten Mächte auf ihre Koſten ſeine Geſchäfte führen wollten.
Am 15. Juli unterzeichneten die Geſandten der vier Mächte mit Shekib Paſcha einen Vertrag, der nachher in der Preſſe den etwas über -78V. 2. Die Kriegsgefahr.ſchwänglichen Beinamen des Londoner Quadrupel-Allianz-Vertrags erhielt. Der Sultan verſprach, dem Paſcha die erbliche Verwaltung Aegyptens und für Lebenszeit das Paſchalik Akkon zu überlaſſen; die vier Mächte verpflichteten ſich Mehemed Ali gemeinſam zur Annahme zu bewegen und „ behielten ſich vor, zu dieſem Zwecke zuſammenzuwirken nach dem Maße der Machtmittel (moyens d’action), worüber jede von ihnen verfügen kann. “ Dieſe letzte Clauſel hatte Bülow durchgeſetzt um nöthigenfalls erklären zu können, daß Preußen gegen den Aegypter überhaupt keine moyens d’action, außer der moraliſchen Unterſtützung, beſitze. Zunächſt dachten England und Oeſterreich mit ihren Flotten einzuſchreiten; rückten die Aegypter durch Kleinaſien vor, dann wollten die vier Mächte ſich noch verabreden wegen gemeinſamer Sicherung Konſtantinopels zu Lande und zur See. In Zu - kunft aber ſollten beide Meerengen, Bosporus und Dardanellen, zu Friedenszeiten allen Nationen verſchloſſen bleiben. Damit gab der Czar den Vertrag von Hunkiar-Iskeleſſi auf. Dieſer großmüthige Verzicht be - deutete freilich wenig; denn der Vertrag ging ohnehin zu Ende, Rußland aber blieb auch jetzt noch der Beherrſcher des Pontus und, nach ſeiner geographiſchen Stellung, der nächſtberufene Beſchützer Stambuls. Da Gefahr im Verzuge war, ſo nahmen die Geſandten, wie Bülow gerathen hatte, Alles auf ihren Kopf und verabredeten, ohne die Ratificationen ab - zuwarten, die ſofortige Abſendung der engliſch-öſterreichiſchen Flotte.
In Berlin erregten dieſe Nachrichten zugleich Freude und Beſorgniß. Unzweifelhaft hatte Bülow ſeine Inſtruktionen eigenmächtig übertreten, ob - gleich er allerdings im Augenblicke des Abſchluſſes die beiden neueſten Wei - ſungen noch nicht beſaß, welche ihm ausdrücklich anbefahlen, einen Vierer - Vertrag nicht eher zu unterzeichnen, als bis die drei anderen Mächte die Neutralität Preußens für den Kriegsfall förmlich anerkannt hätten. *)Werther, Weiſungen an Bülow, 16. 18. Juli 1840.Dem preußiſchen Hofe ſtanden jetzt zwei Wege offen. Er mußte entweder den ungehorſamen Geſandten abrufen und die Ratification verweigern, oder wenn er das Geſchehene billigte den Vertrag kurzweg genehmigen und deſſen gefährliche Folgen muthig auf ſich nehmen. Einem ſtolzen Staate ſtand es wahrlich übel an, zuerſt die anderen Mächte zu kühnen Thaten zu ermuntern und dann ſich ſelber für neutral zu erklären. Gleich - wohl glaubte der neue König dieſen dritten Weg gehen zu können. Schon bei dieſer erſten an ihn herantretenden großen Aufgabe europäiſcher Politik zeigte ſich ſeine verhängnißvolle Vorliebe für unhaltbare diplomatiſche Stel - lungen, für Alles was vom ſchlichten Menſchenverſtande abwich. Er wollte Bülow’s eigenmächtige Schritte billigen; denn er hielt es für ſeine könig - liche Pflicht, den legitimen Sultan im Kampfe gegen den revolutionären Aegypter zu unterſtützen, und mit Freuden begrüßte er die Verſöhnung ſeines geliebten Englands mit den Oſtmächten. Bei dieſer diplomatiſchen79Preußens Vorbehalt.Wendung wurden ihm alle die theuren Erinnerungen des Befreiungs - krieges wieder lebendig. „ Wir dürfen “, ſo ließ er nach Wien ſchreiben, „ den erſten Vertrag nicht abſchwächen, durch welchen das britiſche Cabinet ſich offen von Frankreich getrennt und ſeinen Platz unter den conſervativen Mächten wieder eingenommen hat. “ *)Werther, Weiſung an Maltzan, 24. Juli 1840.Andererſeits ſah er wohl ein, daß Preußen die ſchwerſte Laſt würde tragen müſſen falls ein allgemeiner Krieg ausbräche. Um dies Unheil von ſeinem Lande abzuwenden, ließ er allen Mächten beſtimmt erklären, er halte feſt an der friedlichen Politik ſeines Vaters. Die Clauſel, welche Bülow dem Vertrage eingefügt, genügte ihm nicht; er verlangte vielmehr, daß ſeinem Staate die Neutralität feierlich verbürgt werden müſſe. **)Werther’s Bericht an den König, 22. Juli; Weiſung an Bülow, 4. Aug. 1840.
Mit erklärlicher Verwunderung nahmen die drei befreundeten Mächte dieſe Mittheilungen entgegen. Palmerſton meinte kurzweg, alle vier Mächte ſeien vertragsmäßig verpflichtet, nach dem Maße ihrer Machtmittel zu - ſammenzuwirken, und ließ in Berlin anfragen, was demnach Preußen für die gemeinſame Sache zu thun gedenke. ***)Werther’s Bericht an den König, 28. Juli 1840.Neſſelrode ſagte dem preußi - ſchen Geſandten Liebermann, der ihm im Stillen nicht Unrecht geben konnte, hoch entrüſtet: das ſei doch unerhört, daß Frankreichs zunächſt bedrohter Nachbarſtaat, nachdem er ſich dem Vierbunde angeſchloſſen, noch neutral bleiben wolle; und der Czar warnte freundſchaftlich, ſolche Vor - behalte erregten in England Geringſchätzung. †)Liebermann’s Berichte, 26. 29. Sept. 1840.Selbſt Metternich konnte nicht umhin, im Auguſt bei der Pillnitzer Zuſammenkunft dem Könige vorzuſtellen: eine förmliche Erklärung der Neutralität erwecke das Miß - trauen Englands, „ das wir ſoeben zu unſerem Banner bekehrt haben “; Thiers aber würde darin ein Zeichen der Schwäche des Vierbundes ſehen. ††)König Friedrich Wilhelm an Werther, Pillnitz 12. Aug. 1840.So geſchah es auch; denn kaum hatte der franzöſiſche Mi - niſter etwas erfahren, ſo ſagte er erleichtert: alſo nicht ein Vierbund, nur ein Dreibund ſteht uns gegenüber! †††)Maltzan’s Bericht, 26. Aug. 1840.Mehrere Wochen hindurch währten dieſe geheimen Verhandlungen; ſie erweckten bei allen Höfen den Eindruck, daß Preußens Diplomatie unter dem beſcheidenen alten Regi - ment doch weit verſtändiger und feſter geleitet worden war als unter dem prunkhaften neuen. Endlich ward ein Vermittlungsantrag Metternich’s angenommen und am 14. Auguſt von den vier Mächten ein geheimes Protokoll unterzeichnet, kraft deſſen Preußen ſich für den Fall eines Krieges „ vollkommene Freiheit des Handelns und namentlich das Recht der ſtreng - ſten Neutralität “vorbehielt. *†)Geheimes Protokoll der vier Mächte, London 14. Aug.; nebſt Briefen von Pal - merſton, Neumann, Brunnow an Bülow, 14. Aug. 1840.Nun erſt ratificirte Preußen den Vertrag. 80V. 2. Die Kriegsgefahr.Das Protokoll ſagte in ſeiner dehnbaren Faſſung ſehr wenig; denn führte der Londoner Vertrag zu einem europäiſchen Kriege, ſo konnte Preußen ſich dem Streite unmöglich entziehen. Unvergeßlich aber blieb die traurige Er - fahrung, daß der Staat, der die verwegenſten Rathſchläge gab, ſich im Handeln unter allen am kleinmüthigſten zeigte. —
Durch den Julivertrag wurde der ägyptiſche Streit zu einer euro - päiſchen Frage, und mit einem male ſah ſich Preußen, dem dieſe orien - taliſchen Händel ſo fern lagen, in die vorderſte Reihe der Streitenden geſchoben. Mit der einzigen Ausnahme Rußlands beabſichtigte keine der vier Mächte den franzöſiſchen Stolz irgend zu kränken. Sie alle meinten, ihr eigenmächtiges Verfahren ſei durch die beſtändig ausweichende, zuwar - tende Haltung der franzöſiſchen Diplomatie vollauf gerechtfertigt; hatte doch Guizot in den letzten Tagen, als Palmerſton ihn fragte, ob Frank - reich nicht mindeſtens die gänzliche Losreißung Aegyptens verhindern wolle, nur achſelzuckend geantwortet: alors comme alors! *)Palmerſton, Memorandum über ſeine Geſpräche mit Guizot, 18 — 20. Juli 1840.Sie alle glaubten, wie Bülow ſagte, Thiers würde gute Miene zum böſen Spiele machen mit An - ſtand zurückweichen und ſich wohl hüten, im Bunde mit dem ägyptiſchen Rebellen der offenbaren Uebermacht zu trotzen. **)Bülow an Maltzan, 9. Juli 1840.An dem nämlichen Tage, da der Vertrag unterzeichnet wurde, ſchrieb Palmerſton mit ungewohnter Höflichkeit an Guizot: die vier Mächte hätten ſich nur mit tiefem Bedauern, nur um doch etwas zu Stande zu bringen, von Frankreich getrennt; ſie hoff - ten, dieſe Trennung würde nur von kurzer Dauer ſein und den Gefühlen aufrichtiger Freundſchaft keinen Eintrag thun; ſie hofften ſogar, Frank - reich würde ſeinen großen Einfluß in Alexandria benutzen um ihnen ſeinen moraliſchen Beiſtand zu leihen und Mehemed Ali zur Nachgiebigkeit zu bewegen. ***)Palmerſton an Guizot, 15. Juli; Bülow’s Bericht 31. Juli 1840.Noch friedfertiger redete Preußen. Bülow ſchrieb nach Paris: „ wir mußten uns der Form nach von Frankreich trennen, hoffen aber in der Sache ſelbſt auf deſſen hilfreiche Mitwirkung; “und Miniſter Werther ſchlug vor, man möge den Tuilerienhof noch vor der Ratification des Vertrags zum Beitritt einladen, damit jeder Schein eines Zerwürfniſſes vermieden würde. †)Bülow an Arnim, 21. Juli; Werther an Bülow, 4. Aug. 1840.Der öſterreichiſche Staatskanzler hegte allerdings einen tiefen Haß gegen Thiers, „ die wahre Verkörperung der Revolution von 1830. “ In ſeinen vertrauten Briefen ſchalt er maßlos auf „ dieſe in jeder Hinſicht elende Perſönlichkeit “, die alle ſchlechten Leidenſchaften der Franzoſen wachrufe und wie ein Trinker ſich nur durch Branntwein ſtärken könne. Er ſagte mit boshaftem Wortſpiele: dieſer Nichtswürdige wolle der Napoleon der Julirevolution werden und ſie wie ein Tertian -81Kriegsrufe der Franzoſen.fieber wiederkehren laſſen (il veut la faire tourner en Thiers). *)Metternich an Werther, 5. Aug. 1840.Aber den Krieg gegen Frankreich wünſchte auch er keineswegs.
Wie wenig ahnte die Diplomatie in ihren feinen Berechnungen von der elementariſchen Macht des franzöſiſchen Nationalſtolzes. Schon längſt empfanden die Franzoſen mit gerechtem Unmuth, daß ihr Land ſeit der Julirevolution in Europa weniger galt als unter den Bourbonen, ihr Bürgerkönig ſich würdelos um die Gunſt der Oſtmächte bewarb. Die Nation begann der Herrſchaft des Großcapitals müde zu werden; Lamar - tine ſprach nur das Herzensgeheimniß der großen Mehrzahl ſeiner Lands - leute aus, als er ſagte: la France s’ennuie. Und nun ward der Liebling der Franzoſen, der aufgeklärte, von der Pariſer Preſſe vergötterte Refor - mator des Orients durch einen offenbar ungerechten Schiedsſpruch Eu - ropas, ohne Frankreichs Vorwiſſen, verurtheilt, durch ein hinterhaltiges Verfahren, das noch tiefer verletzen mußte als ein offener Bruch. Als die Nachrichten aus London allmählich bekannt wurden, bemächtigte ſich der Nation eine furchtbare Aufregung, die allen Höfen ganz uner - wartet kam; nur das Petersburger Cabinet hatte mit dem Scharfblicke des Haſſes Alles vorausgeſehen. Die Franzoſen wähnten wieder von einer Coalition bedroht zu ſein; nach ihrer nationalen Ueberlieferung, die in Thiers’ Geſchichtswerken einen ſo beredten Ausdruck fand, waren ja die Kriege des napoleoniſchen Zeitalters alleſammt nicht durch Frankreich verſchuldet worden, ſondern durch die Herrſchſucht der europäiſchen Coali - tionen. Da ſie ſich zur See den Briten nicht gewachſen fühlten, zu Lande aber den Sieg erhofften, ſo erklang durch das Land lauter und lauter der Ruf: An den Rhein, an den Rhein! Mit einem male erfuhr Europa, daß Frankreich in einem Vierteljahrhundert noch immer nicht ge - lernt hatte, den Eintagsbau des napoleoniſchen Weltreichs als unwieder - bringlich verloren anzuerkennen.
Thiers ſelbſt ſprach anfangs noch mit Mäßigung, da er weder an die Ausführung der geplanten Zwangsmaßregeln des Vierbundes noch an eine mögliche Niederlage Mehemed Ali’s glaubte. Er verhehlte den Mächten nicht, daß er den Frieden für gefährdet halte, mißbilligte offen die Feind - ſeligkeit wider den Aegypter und behielt ſich Weiteres vor. **)Arnim’s Bericht 23. Juli; Thiers’ Denkſchrift zur Antwort auf Palmerſton’s Schreiben, 15. Juli 1840.Doch war er zu ſehr Franzoſe um der nationalen Stimmung auf die Dauer zu wider - ſtehen. Die öffentliche Meinung erhitzte ſich von Tag zu Tage. Da die engliſche Preſſe einen unleidlich anmaßenden Ton anſchlug und kurzweg die Unterwerfung Frankreichs unter die Befehle des Vierbundes forderte, ſo antworteten die Pariſer Zeitungen mit revolutionären Drohungen, und ſelbſt der Herzog von Broglie, der friedfertige Doktrinär meinte, jetzt müſſev. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 682V. 2. Die Kriegsgefahr.der Krieg der Propaganda von Neuem beginnen. Schon am 5. Auguſt ſah ſich Thiers genöthigt, durch königliche Ordonnanz einen außerordent - lichen Credit von 56 Mill. fr. zu verlangen; bald darauf folgten neue Anleihen und Truppenaushebungen, Alles trieb dem Kampfe zu.
Mit ſteigender Angſt betrachtete Ludwig Philipp dies kriegeriſche Treiben ſeines verhaßten Miniſters. Auch er hatte Augenblicke, da er die beſchämende Stellung ſeines Landes bitter empfand und zornig ſagte, er würde wohl die rothe Mütze aufſetzen müſſen. Indeß ſolche Wallungen gingen raſch vorrüber. Der kluge Kaufmann wußte wohl, daß ſeine ille - gitime Dynaſtie einen ſiegreichen Feldherrn ebenſo wenig ertragen konnte wie eine Niederlage. Der Ruf nach der Rheingrenze ließ ihn kalt, und wie ein Axiom wiederholte er den Satz: wer den allgemeinen Krieg anfängt, unter - liegt unfehlbar. Er wünſchte den Frieden um jeden Preis und ſagte ſchon in den erſten Tagen zu dem öſterreichiſchen Botſchafter: lieber wolle er ſein Miniſterium zerſchmettern als ſeine friedlichen Bahnen verlaſſen. Ihm graute vor dem Radikalismus, der unausbleiblich durch den Krieg em - porkommen müſſe; er wollte gar nicht begreifen, wie man ſeine harmloſen Abſichten ſo ſehr verkennen, wie man ihn der Gefahr ausſetzen könne von der Revolution überfluthet zu werden, und beſchwor den jüngeren Werther, als den Vertreter der friedfertigſten Großmacht, für eine Verſtändigung zu wirken: Europa ſitzt auf einem Pulverfaſſe ſo lange Frankreich ver - einſamt daſteht! *)Werther d. J., Berichte aus Paris, 26. Juli, 26. Aug. 1840.Eben in dieſen ſchwülen Wochen landete Prinz Ludwig Napoleon mit einer Handvoll Getreuer bei Boulogne und wagte einen zweiten Aufſtandsverſuch. Das Unternehmen ſcheiterte ſofort, der kühne Abenteurer ſchien dem Fluche der Lächerlichkeit zu verfallen. Dem Könige aber war übel zu Muthe; er ahnte, wie leicht ſein geraubter Thron einem andern Räuber anheimfallen konnte.
Die beiden deutſchen Großmächte verſäumten nicht, den Bürgerkönig in ſeinen löblichen Anſichten zu beſtärken. Friedrich Wilhelm ließ — nicht ohne die halb unbewußte Selbſttäuſchung rhetoriſcher Ueberſchwäng - lichkeit — inbrünſtig verſichern, ſeine perſönlichen Gefühle für Ludwig Philipp ſeien ebenſo unwandelbar wie ſeine Freundſchaft für Frankreich. Metternich aber hielt für gerathen, dem ängſtlichen Orleans das Schreckge - ſpenſt der Revolution vorzuhalten: wolle Thiers den Krieg, ſo müſſe er die Politik des Convents treiben, ſeinen eigenen König entthronen und Mehemed Ali auf den Herrſcherſitz der Sultane erheben. **)Miniſter Werther, vertrauliche Weiſung an Werther d. J., 8. Aug. Metternich, vertrauliche Weiſung an Apponyi, 4. Aug. 1840.
Mit dieſen Friedensmahnungen der deutſchen Mächte ſtimmte die Haltung Rußlands und Englands wenig überein. Czar Nikolaus be - hauptete in Stambul, wie einſt ſeine Großmutter in Warſchau, eine83Rußland und England gegen Frankreich.wohlwollende Schutzherrſchaft. Er traute ſich’s zu, dieſe Stellung, trotz einiger kleinen Zugeſtändniſſe an die anderen Mächte, auch fernerhin auf - rechtzuhalten und alſo den türkiſchen, wie vormals den polniſchen Schütz - ling langſam für die Vernichtung vorzubereiten. Das Schickſal Syriens kümmerte ihn wenig; für jetzt verfolgte er nur den einen Zweck, die beiden Weſtmächte gründlich und für immer zu entzweien. Darum hatte ſich Brunnow, wie man in Berlin wohl bemerkte, während der letzten Wochen beſcheiden zurückgehalten; er ſah voraus, daß England und Frankreich ſich doch nicht einigen würden. Jetzt aber, nachdem der Vierbund ge - ſchloſſen war, trat der ſanfte Mann wieder hervor und führte plötzlich eine ſehr herausfordernde Sprache gegen den Tuilerienhof. Der Czar ſprach nunmehr offen aus, die Vereinſamung und Demüthigung des re - volutionären Frankreichs ſei ſein Ziel. Neſſelrode erklärte hochmüthig: wenn Frankreich ſich jetzt noch erbieten ſollte, mit den vier Mächten ge - meinſam zur Vertheidigung Konſtantinopels mitzuwirken, ſo müſſe man dies Unterfangen als ein feindliches Unternehmen abweiſen; ja er forderte den Sultan im Voraus auf, jeden ſolchen Verſuch der franzöſiſchen Flotte mit den Waffen zurückzuweiſen. *)Weſtphalen’s Bericht, Petersburg 7. Aug. Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff in Berlin, 27. Juli, an Titow in Konſtantinopel, 20. Juli 1840.Einige Wochen darauf enthüllte er der Wiener Hofburg ganz unzweideutig den leitenden Gedanken der ruſ - ſiſchen Politik; er ſchrieb: „ die gegenwärtigen Meinungsverſchiedenheiten der beiden conſtitutionellen Mächte dürfen nicht ſo vollſtändig ausgeglichen werden, daß wir Gefahr liefen, ſie von Neuem gegen die monarchiſchen Intereſſen verbündet zu ſehen. “**)Neſſelrode, Weiſung an Tatiſtſchew in Wien, 10. Sept. 1840.
Während Rußland alſo an der Zerſtörung der entente cordiale arbeitete, dachte Palmerſton nur an Englands mediterraniſche Herrſchaft. Ungeſtüm wie er war fühlte er ſich durch Frankreichs Widerſpruch, den er ſchon in den ſpaniſchen Händeln ſo unliebſam empfunden hatte, tief verſtimmt. Seine Sprache ward immer heftiger; er wollte Frankreich einſchüchtern, der Zorn erweckte ihm eine blinde Hartnäckigkeit. „ Die Abſichten der vier Mächte “, ſchrieb er kurzweg nach Paris, „ ſind uneigen - nützig und gerecht “— eine Behauptung, die den Franzoſen wie Hohn klingen mußte, da ſo große engliſche Handelsintereſſen auf dem Spiele ſtanden. ***)Palmerſton an Bulwer, 31. Aug. 1840.In ſolcher Stimmung hörte Palmerſton williger als ſonſt auf die Rathſchläge Lord Ponſonby’s, der ſtürmiſch die Vernichtung des Aegyp - ters forderte.
Mehemed Ali verhandelte mittlerweile mit zwei Abgeſandten von Thiers, erſt mit einem Sohne Caſimir Perier’s, dann mit einem Sohne Napoleon’s dem Grafen Walewski, der damals dem Geſchichtſchreiber des Kaiſerreichs ſehr nahe ſtand, und erbot ſich ſchließlich, einen guten Theil ſeines Be -6*84V. 2. Die Kriegsgefahr.ſitzes, Kreta, das wichtige Grenzland Adana ſowie die heiligen Stätten Mekka und Medina dem Sultan auszuliefern, wenn ihm dafür Aegypten erblich, Syrien auf Lebenszeit zur Verwaltung überlaſſen würde. Dieſe Anerbietungen klangen aus dem Munde des Siegers von Niſib nicht unbillig; der preußiſche Hof ſelbſt fand ſie befriedigend, doch den anderen Mächten genügten ſie nicht, am wenigſten der Pforte. *)Thiers, Weiſung an Breſſon in Berlin, 27. Sept. Miniſter Werther, Bericht an den König, 23. Sept. 1840.Seit der Sultan an dem Vierbunde wieder einen Rückhalt beſaß, flammte der alte Haß der Osmanen wider den Aegypter mächtig auf, und im September wurde Mehemed Ali, auf Lord Ponſonby’s Andrängen, durch einen Fer - man des Großherrn abgeſetzt, obgleich der Divan verſprochen hatte, nicht einſeitig ohne den Beirath Europas vorzugehen. Eine ſolche Gewaltthat konnten die vier Mächte unmöglich billigen; ſie mußte ebenſo erfolglos bleiben, wie die Acht welche Sultan Machmud vor acht Jahren über den ägyptiſchen Vaſallen verhängt hatte. Immerhin bewies ſie, daß der Streit der beiden orientaliſchen Herrſcher nicht ohne Waffengewalt zu ſchlichten war. Die Gefahr des allgemeinen Krieges rückte näher.
Wunderbar ſtark und von nachhaltigem Segen war die Rückwirkung dieſer Ereigniſſe auf das deutſche Volksleben. Die Deutſchen hatten von den verwickelten Londoner Unterhandlungen nur wenig erfahren und an die Möglichkeit eines europäiſchen Krieges kaum gedacht. Es traf ſie wie ein Blitz vom hellen Himmel, als plötzlich bei der Einweihung der Juli - ſäule auf dem Baſtilleplatze die Marſeillaiſe, diesmal in drohendem Ernſt, erklang und alle franzöſiſchen Blätter den Feldzug an den Rhein forderten. Daß Frankreich wegen einiger ſyriſchen Paſchaliks die deutſche Weſtmark bedrohen wollte, erſchien Allen als ein Beweis raſenden Uebermuths, und ſofort antwortete dem galliſchen Kriegsgeſchrei aus allen Gauen Deutſch - lands der alte Schlachtruf der Germanen: her, her! Deutſchland war einig in dem Entſchluſſe, ſein altes ſo glorreich wiedergewonnenes Erb - theil ritterlich zu behaupten. Die wälſchen Ideale des vergangenen Jahr - zehnts ſchienen wie weggeblaſen, die Heldengeſtalten von Dennewitz und Leipzig traten den Deutſchen wieder leuchtend vor die Augen; auch die äſthetiſche Begeiſterung für das ſchöne Rheinland wirkte mit, die ſich wäh - rend der jüngſten Jahre durch die Bilder der Düſſeldorfer und die Lieder der letzten Romantiker in weiten Kreiſen verbre’tet hatte. In jedem an - deren Volke hätte ſich ein ſolcher Entſchluß von ſelbſt verſtanden; den Deutſchen aber traute das Ausland nationalen Stolz nicht zu, und un - geheuer war der Eindruck, als hier plötzlich, ganz frei und naturwüchſig, an hundert Stellen zugleich der Volkszorn ſeine mächtige Stimme erhob. Man fühlte überall: dieſe Empfindung war tiefer, mächtiger als die Kriegsbegeiſterung der Franzoſen, die freilich auch aus dem Herzen kam,85Deutſche Kriegsbegeiſterung.aber von der Pariſer Preſſe künſtlich gefördert und geleitet wurde. Sogar die allezeit ſtreitluſtigen Elſaſſer erſchraken; die Straßburger Zeitungen ſagten kleinmüthig, auf das preußiſche Rheinland müſſe Frankreich wohl für immer verzichten, nur die Pfalz ſei noch zu gewinnen.
Sofort ſtand außer Zweifel, daß die Deutſchen dieſen Krieg, wenn er kam, ſogar noch einträchtiger führen würden als den Feldzug von Belle Alliance; denn gerade in den Landſchaften, welche bisher für fran - zöſiſche Ideen eine beſondere Vorliebe gezeigt hatten, flammte das kriege - riſche Feuer am hellſten. Wie oft hatten die preußiſchen Rheinländer beim Schoppen über den Ehrenbreitſtein und die anderen „ Zwing-Uris “ihres Königs geſpottet; jetzt fühlten ſie alle dankbar, daß ſie hinter dieſen Bollwerken deutſcher Freiheit ſo wohlgeborgen ſaßen. Den Süddeutſchen aber fiel es ſchwer auf’s Herz, wie gröblich ihre Regierungen und Land - tage ſich durch falſche Sparſamkeit an dem großen Vaterlande verſündigt hatten; ſie ſahen ſich wehrlos und alle wendeten ihre Blicke hilfeſuchend auf den neuen König von Preußen. Recht aus dem Herzen der verſtän - digen Süddeutſchen heraus ſagte Nebenius in einer anonymen Flugſchrift über „ das ſüdweſtliche Deutſchland und ſeine Stimmungen “: unſer Süden bedürfe vor Allem einer Landwehr nach preußiſchem Muſter, damit er ſich endlich aus eigener Kraft zu vertheidigen lerne. Auch die bairiſche Pfalz, vor acht Jahren noch die Heimſtätte des wüſten Radicalismus, hielt ſich ſo muſterhaft, daß der Regierungspräſident Fürſt Wrede den Pfälzern mit vollem Rechte ſagen konnte, ihr Nationalſinn hätte ihn „ mit wahrer Bewunderung erfüllt “. *)Abſchiedsſchreiben des Reg. -Präſ. Fürſt Wrede an die Pfälzer, Speier 30. Apr. 1841.Die tollen Reden des Hambacher Feſtes waren ja doch nur der unbeſtimmten Sehnſucht nach einem großen Vater - lande entſprungen; ſeitdem hatte die Langeweile des Bourgeois-Regiments die franzöſiſchen Sympathien ſehr abgekühlt, die unwiderſtehliche Intereſſen - gemeinſchaft des Zollvereins das deutſche Nationalgefühl mächtig gefördert; und ſobald Noth an Mann kam zeigte ſich ſogleich, daß der Pfälzer ebenſo gut ein Deutſcher war wie der Märker oder der Pommer. In ſchönem Einmuth hielten alle Stämme zuſammen; höchſtens im Königreich Sachſen und den anderen Kleinſtaaten des Oſtens, die ſich nicht unmittelbar bedroht fühlten, erklang noch zuweilen ſchüchtern eine Stimme philiſterhafter Frie - densſeligkeit. **)Jordan’s Bericht, Dresden 24. Oct. 1840.
Und wie das Volk ſo ſeine Fürſten. Von jener rheinbündiſchen Geſinnung, die noch im Jahre 1815 zu Stuttgart und Karlsruhe ſo dreiſt herausgetreten war, fand ſich nirgends mehr eine Spur. Der geſammte hohe Adel der Nation ſchaarte ſich ehrenhaft um das Banner des Vaterlandes: von dem alten Welfen an, der als grimmiger Reaktionär den Vernichtungs - kampf wider die Revolution erſehnte, bis hinüber zu dem Teutſcheſten der86V. 2. Die Kriegsgefahr.Teutſchen, König Ludwig von Baiern, der ſeine Vaterſtadt Straßburg noch als die ſtarke Bundesfeſtung unſeres Südens zu begrüßen hoffte. *)Dönhoff’s Bericht, München 10. Nov. 1840.Die franzöſiſchen Geſandten in Deutſchland fühlten ſich wie verrathen und ver - kauft als ſie in dieſem gutherzigen, gaſtfreundlichen Volke auf einmal den Haß auflodern ſahen. Graf Breſſon in Berlin, ein bekannter Heißſporn, gebärdete ſich wie ein Unſinniger; er klagte, Frankreich ſei erniedrigt, entehrt, von Europa geächtet,**)Miniſter Werther an Bülow, 10. Aug. 1840. und verkroch ſich bei dem nächſten Hoffeſte, um nur den König nicht ſprechen zu müſſen, hinter einem Fenſtervorhang, wo man ihn ruhig ſtecken ließ. Der Geſandte in München wollte gar nicht verſtehen, was man gegen ihn habe, da doch Frankreich immer das deutſche Gleichgewicht vertheidigte;***)Dönhoff’s Bericht, 9. Dec. 1840. der in Darmſtadt bat um Schutz für ſein Haus, weil er ſich durch den Lärm der Preſſe perſönlich bedroht glaubte. †)Nach du Thil’s Aufzeichnungen.Offenbar kam es den Franzoſen ganz unerwartet, daß die Deutſchen ſich als eine Nation fühlten.
Die öffentliche Meinung hielt ſich ganz frei von dem fratzenhaften Franzoſenhaſſe der Zeiten der alten Burſchenſchaft. Man wagte nicht einmal die Wiedereroberung des Elſaſſes zu fordern, ſondern wollte nur tapfer das deutſche Hausrecht wahren. Major Moltke erwies freilich in einem beredten Aufſatze über die weſtliche Grenzfrage, „ daß wenn Frank - reich und Deutſchland je mit einander abrechnen, alles Soll auf ſeiner, alles Haben auf unſerer Seite ſteht “, und ſprach die Erwartung aus, in dieſem Falle würde Deutſchland „ das Schwert nicht eher in die Scheide ſtecken bis Frankreich ſeine ganze Schuld an uns bezahlt “hätte. Solche Hoffnungen mochten in der Stille von Vielen, zumal von preußiſchen Offizieren gehegt werden; in der Preſſe fanden ſie nur ſehr ſelten einen Widerhall. Mitten während des Krieglärms wurden in Deutſchland Samm - lungen für die Ueberſchwemmten zu Lyon veranſtaltet, und weil die Em - pfindung der Nation ſo einfach war, darum fand ſie auch ihren natürlichen Ausdruck in den ſchlichten Worten eines Mannes aus dem Volke. Niklas Becker, ein junger Gerichtsſchreiber im preußiſchen Rheinlande, dichtete in guter Stunde das Lied:
Als die Kölner im October ihrem neuen Könige huldigten, wurde dies Lied zum erſten male geſungen, und feurige rheiniſche Patrioten, die noch halb unbewußt unter dem Einfluſſe der franzöſiſchen Verbildung des letzten Jahrzehntes ſtanden, ſchlugen vor, das Gedicht, als ein Gegenſtück der87Becker’s Rheinlied.Marſeillaiſe, die Colognaiſe zu nennen. Gewaltig war die Wirkung. Mehr als zweihundertmal wurde das Rheinlied in Muſik geſetzt; und eben wegen dieſer überſchwänglichen Begeiſterung konnte es nicht im Ge - dächtniß des Volkes dauern, da keine der unzähligen Melodien die anderen aus dem Felde zu ſchlagen vermochte. Ein Heer von Nachahmern ſtimmte in Becker’s Weiſen ein, unter ihnen auch ein unbekannter junger Schwabe Schneckenburger. Der dichtete in der Schweiz ein Lied „ die Wacht am Rhein “, das als Dichtung dem Vorbilde weit nachſtand. Doch bei einem Volksliede bedeutet die Melodie faſt Alles, der Text wenig; Dank der kräftigen, volksthümlichen Compoſition Wilhelm’s ſollte Schneckenburger’s Lied nach einem Menſchenalter der rauſchende Kriegsgeſang der deutſchen Sieger werden. Damals ſprach Niemand davon; Alles ſchwärmte für Niklas Becker, deſſen poetiſche Kraft freilich mit dieſem einen glücklichen Wurfe erſchöpft war. König Friedrich Wilhelm bewies ihm in Wort und That ſeine Anerkennung; Ludwig von Baiern ſendete ihm als Pfalzgraf bei Rhein einen Ehrenbecher und ſchrieb: „ Aus dieſem vergoldeten, ſil - bernen, von mir angegeben wordenen Pokal trinken Sie oft, das ſingend: Sie ſollen ihn nicht haben! “
Von franzöſiſcher Seite antwortete zuerſt Lamartine mit einer „ Mar - ſeillaiſe des Friedens “, die in den Träumen allgemeiner Menſchenliebe ſchwelgte:
Mit ſolcher Gefühlsſeligkeit konnte der franzöſiſche Uebermuth ſich un - möglich zufrieden geben. Erſt Alfred de Muſſet fand das rechte Wort für die nationale Empfindung, als er den Deutſchen zurief:
und ſie höhnend aufforderte, im freien Rheine ihre Bedientenjacke zu waſchen. In ähnlichem Tone pries Victor Hugo den Kyklopen Frank - reich und ſein eines Auge, Paris; ein anderer Poet ſang gar: nous l’aurons quand nous le voudrons — und mußte ſich von den Deutſchen an den Fuchs, dem die Trauben zu ſauer ſchienen, erinnern laſſen. Mehrere Monate hindurch währte dieſer poetiſche Wettſtreit, in dem die Deutſchen entſchieden die Oberhand behielten; von allen den drohenden und prahlenden Geſängen der Franzoſen hielt keiner den Vergleich aus mit dem friſchen Rheinweinliede Georg Herwegh’s:
Die Geſinnung der Nation ſprach ſich ſo unwiderſtehlich aus, daß ſelbſt Jakob Venedey, der Häuptling der Pariſer „ Geächteten “, der abgeſagte Feind Preußens nicht umhin konnte in ſeinem phraſenreichen Buche „ der Rhein “ehrlich einzugeſtehen, die Rheinfrage dürfe für deutſche Männer keine Frage ſein. Sogar in Oeſterreich regte ſich zuweilen das deutſche Blut. Auf den Straßen Wiens wurde das Rheinlied geſungen, und für den Oeſterreichiſchen Beobachter, der vor Kurzem noch die höchſt - gefährliche Idee der deutſchen Einheit ſo ingrimmig verfolgt hatte, ſchrieb jetzt der junge Liberale Franz Schuſelka die „ deutſchen Worte eines Oeſter - reichers “. Von den Gegnern wagten ſich nur einzelne mit der Sprache heraus; ſo W. Cornelius, der Demagog aus den Hambacher Zeiten, der ließ in einem biſſigen Gedichte den Vater Rhein ſeinen Sängern antworten: „ nennt mich weder deutſch noch frei. “ Heinrich Heine fühlte ſich wie be - täubt, als der kunſtvolle Prachtbau der wälſchen Phraſen des letzten Jahr - zehntes ſo jählings zuſammenbrach und die verhaßten Teutonen ſich ſo ungebärdig wider ſein geliebtes Frankreich erhoben; indeſſen zog er vor, für jetzt noch klüglich zu ſchweigen.
Der fremdbrüderliche Liberalismus der dreißiger Jahre war mit einem Schlage vernichtet. Niemand empfand dies ſchwerer als Rotteck, den die tragiſche Gerechtigkeit des Schickſals eben jetzt, im November 1840, inmitten der Lärmrufe der teutoniſchen Kriegsbegeiſterung aus dem Leben abberief. Auf ſeine Weiſe hatte der ehrliche Doktrinär ſein Vater - land immer geliebt; aber die Möglichkeit eines Krieges gegen das liberale Frankreich war ihm während der letzten Jahre ganz unfaßbar geworden. In der verwandelten Zeit fand er ſich nicht mehr zurecht, und noch auf ſeinem Sterbebette fragte er traurig: in welche Hände wird nun das Ver - nunftrecht kommen? Er ahnte nicht, daß dieſe Hände ſich niemals finden ſollten. Die ſchöpferiſche Wiſſenſchaft war über die Träume des Ver - nunftrechts längſt hinweggeſchritten, die verſtändigen Liberalen begannen ſchon, nach Dahlmann’s Vorgang, ihre Ideale den gegebenen Zuſtänden anzupaſſen; die jungen Schwarmgeiſter aber, die noch an das Wahnbild eines unwandelbaren, in den Sternen geſchriebenen Rechtes glaubten, gingen weit über Rotteck hinaus, ſie hofften auf ein Reich der unbedingten Freiheit und Gleichheit. So ſtarb der Führer des badiſchen Liberalismus zur rechten Zeit für ſeinen Ruhm, in einem Augenblicke, da er den Deut - ſchen nichts mehr ſein konnte.
Zum erſten male ſeit unvordenklichen Zeiten war die deutſche Nation mit ihren Fürſten ganz einig, und Metternich, der jetzt im Alter die Dinge bequem zu nehmen liebte, meinte zufrieden, dieſe nationale Be - wegung ſei ganz unberührt von den revolutionären Gedanken der Be - freiungskriege. Czar Nikolaus dagegen ſagte beſorgt zu dem preußiſchen Geſandten, es ſcheine rathſam die ſtürmiſche nationale Geſinnung der Deutſchen zu überwachen, denn ſie äußere ſich am lauteſten in den Kreiſen89Niedergang des fremdbrüderlichen Liberalismus.der Männer, welche bisher die Regierungen bekämpft hätten. *)Liebermann’s Bericht, 23. Febr. 1841.Der Ruſſe ſah ſchärfer als der Oeſterreicher. Es war in der That der Geiſt von 1813, der aus allen dieſen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln ſprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden ſtarken Nation, der zum vollen Selbſtbewußtſein gereift der Fremdherrſchaft Oeſterreichs ebenſo verderblich werden mußte wie den hohlen Formen der Bundesverfaſſung. Die Kugel ſtand auf ſcharfer Kante; ein leichter Stoß genügte ſie ins Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, ſobald Preußen eine ernſte Anfrage wegen der franzöſiſchen Rüſtungen nach Paris ergehen ließ und ſie veröffentlichte.
Ein König von fridericianiſcher Kühnheit hätte dieſer Verſuchung ſchwerlich widerſtanden. Alle die tapferen Männer des preußiſchen Heeres, welche ſeit Jahren ſchon den dritten puniſchen Krieg für unvermeidlich hielten, vereinigten ſich in der Meinung, jetzt ſei die rechte Zeit zum Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken des rheiniſchen Feldzugs. In ernſter Rede mahnte er die Offiziere der Garde, den vaterländiſchen Sinn wach zu halten in dem Heere, „ der Schöpfung des ſeligen Königs, “die ſich mehr denn je das Vertrauen des befreundeten Auslands erworben habe. **)Berger’s Bericht, 6. Jan. 1841.Er ſchrieb ſich das Rhein - lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte:
ſetzte er jenen kühnen Federzug, der ſpäterhin aus der Namesunterſchrift des Sedanſiegers der weiten Welt bekannt werden ſollte. Auch Radowitz rieth ſeinem geliebten Könige, ſich jetzt durch einen verwegenen Entſchluß eine Stellung ohne gleichen zu gewinnen. Die Lage ſchien für Preußen wunderbar günſtig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen, um dadurch Deutſchland neutral zu halten; er war aber ganz außer Stande, die galliſche Kriegsbegier, ſobald ſie einmal entfeſſelt wurde, von ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte ließ daher die preußiſche Regierung in Paris erklären, ſie müſſe jeden Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich alſo gezwungen wurde ſeine Streitkräfte zu theilen, ſo konnte nach menſch - lichem Ermeſſen den preußiſchen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz der vorausſichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutſchen Bundesgenoſſen. Aber ſo wahrſcheinlich der kriegeriſche Erfolg, ebenſo gewiß war ſchließlich die diplomatiſche Niederlage; denn auch dieſer Krieg hätte wie der Feld - zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Coali - tionskriege verkümmern müſſen; er konnte nach aller Wahrſcheinlichkeit nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die perſönliche90V. 2. Die Kriegsgefahr.Rachſucht des Czaren befriedigt, Englands mediterraniſche Herrſchaft be - feſtigt und für ſich ſelbſt nichts davon getragen hätte als einige werthloſe Grenzplätze in Elſaß-Lothringen.
König Friedrich Wilhelm ließ ſolche Erwägungen gar nicht an ſich herankommen; für ihn hatte der Gedanke eines dritten Pariſer Einzugs keinen Reiz. Er wollte den Frieden, nichts als den Frieden. Erſt als die franzöſiſchen Drohungen unſere Weſtgrenze gefährdeten, rüſtete er ſich zur Abwehr, und für dieſen beſcheidenen Zweck der Vertheidigung Deutſch - lands arbeitete die preußiſche Politik, die ſich in den internationalen Lon - doner Verhandlungen ſo ſchwächlich, ſo widerſpruchsvoll gezeigt hatte, mit ehrenwerther Umſicht und Beharrlichkeit. Der König dachte die Gelegen - heit zu benutzen und mit dem Bundesheerweſen zugleich die geſammte deutſche Bundespolitik, die ſeinem Herzen ſo theuer blieb, neu zu beleben. „ Zu Frankfurt “, ſo geſtand er einem Vertrauten, „ brau’ ich mein Eigenſtes; zu keiner Geſandtſchaft ſteh’ ich in ſo unmittelbarem Verhältniß als zu dieſer. “ *)König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April 1842.Er wußte, wie eifrig ſein Vater ſich während der letzten Jahre bemüht hatte, in Frankfurt durch Radowitz eine Verbeſſerung der elenden Bundeskriegsverfaſſung zu bewirken, und wie kläglich alle dieſe Bemüh - ungen an der Gleichgiltigkeit Oeſterreichs geſcheitert waren. Gerade in den Tagen des Thronwechſels berichtete Radowitz hoffnungslos über die Haltung der Hofburg: „ Bei völliger Kenntniß und Einſicht in die vor - handenen Gebrechen iſt dennoch das Intereſſe an deren Heilung nicht groß genug oder die Berückſichtigung anderweiter Motive zu vorwiegend. “ **)Radowitz, Bericht an Werther, 2. Juni. Eichhorn an den Kriegsminiſter v. Rauch, 9. Juli 1840.Durch den Zauber ſeiner Beredſamkeit hoffte der neue König dieſen Wider - ſtand zu überwinden; ſchon auf der Pillnitzer Zuſammenkunft ſagte er zu Metternich tiefbewegt, fortan müſſe eine neue Zeit auch für die Bundes - politik kommen. Der Oeſterreicher wich aber aus und vermied auch ferner - hin ängſtlich jedes Geſpräch über den Deutſchen Bund.
Metternich verbrachte den Auguſt und September in Königswart, wohin er die Geſandten aller Großmächte nebſt dem päpſtlichen Nuntius eingeladen hatte. Mit Spannung beobachtete die diplomatiſche Welt dieſen geheimnißvollen Congreß. Fleißiger denn je arbeitete Metternich’s Feder; ungezählte Depeſchen flogen aus ſeinem böhmiſchen Schloſſe in alle Welt und ſie klangen alle in hohem Tone. „ Die Frage iſt ganz einfach die des die Pforte zu ſeinem Vortheil freſſen wollenden Paſchas von Aegypten, “ſo ſchrieb er nach Frankfurt. Die orientaliſche Verwicklung war und blieb ihm nur ein Kampf zwiſchen der Revolution und dem legitimen Sultan; den Bürgerkönig ſuchte er zu erſchrecken durch den Bericht eines k. k. Agenten, der ſeit Jahren allen Pariſer revolutionären Clubs ange - hörte und beſtimmt verſicherte, die Radikalen planten einen neuen Streich91Preußens Vertheidigungspläne.wider die Krone. *)Metternich an Münch 9. Sept.; an Apponyi 20. Aug. 1840.In Wahrheit verbarg ſich hinter dieſem vielgeſchäftigen Treiben nur die Angſt. Der greiſe Staatskanzler wollte ſchlechterdings nicht an die Möglichkeit eines europäiſchen Krieges glauben, weil er ſeinem morſchen Reiche nicht mehr die Kraft zutraute ſolchen Gefahren zu wider - ſtehen; er beabſichtigte von vornherein, die dem Sultan verheißene Unter - ſtützung nur durch die Abſendung einiger Kriegsſchiffe, nimmermehr durch Landtruppen zu leiſten, und zeigte eine ſorgloſe Sicherheit, welche Graf Maltzan ganz unbegreiflich fand, da ja bekanntlich alle Rüſtungen in Oeſterreich nur ſchwer und langſam zu Stande kämen. **)Maltzan’s Berichte, 8. 26. 29. Aug. 1840.Endlich gingen dem Preußen die Augen auf. Am 11. Sept. geſtand er ſeinem Monarchen: wir ſind Alle von Metternich betrogen, Alle „ in der poſſierlichſten Weiſe hineingefallen “; der Fürſt hat uns nur in Königswart hingehalten, weil er nicht nach Wien gehen, unliebſame Erörterungen mit ſeinem überſpar - ſamen, den gefährlichen Vierbund verabſcheuenden Nebenbuhler Kolowrat vermeiden will. ***)Maltzan’s Bericht, 11. Sept. 1840.So ſtand es in der That. Metternich regierte Oeſter - reich nicht, er konnte auf die Unterſtützung des Triumvirats nicht zählen; alle die verroſteten Räder der unförmlichen Staatsmaſchine knarrten und knirſchten.
Wie hochbedenklich mußten einem ſolchen Hofe die immerhin etwas herzhafteren preußiſchen Vertheidigungspläne erſcheinen. Schon am 25. Auguſt erklärte Maltzan, ſein Monarch halte für nöthig, daß die beiden deutſchen Großmächte ſich über die gemeinſame Abwehr verſtändigten und dann die kleinen Höfe zur Mitwirkung aufforderten. Preußen könne binnen acht Wochen 200,000 Mann am Rhein verſammeln; wie viele Truppen denke Oeſterreich in Vorarlberg aufzuſtellen? Dort ſtanden augenblick - lich kaum 1000 Mann. Metternich antwortete „ aufs höchſte entzückt “mit einigen allgemeinen Redensarten. †)Maltzan’s Bericht, 25. Aug. Metternich an Min. Werther, 26. Aug. 1840.So ging es weiter, viele Wochen hindurch, ohne jedes Ergebniß. Noch in den erſten Octobertagen ſprach der Oeſterreicher von bewaffneter Neutralität und ſchrieb an Neumann in London: eben weil Frankreich rüſtet dürfen die vier Mächte nicht rüſten. Maltzan ſagte entſetzt: Welche Logik! Und Preußen iſt Frank - reichs Nachbar! Er faßte ſich ein Herz und ſchrieb nach Berlin: „ Heute tauſchen Oeſterreich und Preußen ihre Rollen. Der Geiſt des kaiſerlichen Cabinets iſt weſentlich friedlich. Preußen dagegen, ſtark durch ſeine phy - ſiſche und ſittliche Kraft, überbietet Oeſterreich und iſt offenbar berufen, die Bewegungen der beiden Großmächte und Deutſchlands ſowohl hervor - zurufen als zu leiten. “ ††)Maltzan’s Berichte, 3. 5. Oct. 1840.Nach neuem lebhaftem Andrängen des preu - ßiſchen Hofes ſendete Metternich am 9. Oct. an König Friedrich Wilhelm92V. 2. Die Kriegsgefahr.ein Schreiben, das, ohne beſtimmte Zuſagen zu geben, doch mindeſtens die Hoffnung erweckte, Preußen und Oeſterreich würden „ als die erſten Glieder des Deutſchen Bundes in geſchloſſener Stellung auftreten “. Auch dies blieben nur leere Worte, die Verhandlungen rückten nicht von der Stelle. Schon waren vier Monate ſeit dem Julivertrage verfloſſen, Frank - reichs Rüſtungen wurden immer gefährlicher, die Kriegsdrohungen der Pariſer Preſſe immer lauter, und noch war für Deutſchlands Vertheidi - gung nur das Eine geſchehen, daß Preußen ſeine rheiniſchen Feſtungen in der Stille ausrüſtete, die Mobilmachung des Heeres vorbereitete.
Alles wartete auf den neuen König, und nun endlich ſah er ein, daß er, die Ehrfurcht von dem k. k. Erzhauſe überwindend, ſelber die Vorhand übernehmen mußte. Am 16. Novbr. erſchienen in Wien General Grol - man, Preußens angeſehenſter Heerführer, und Oberſt Radowitz, der unter - wegs den ſächſiſchen Hof beſucht hatte. Derweil die auswärtigen Diplo - maten noch ihre Anſtalten trafen um die erwarteten langwierigen Ver - handlungen zu belauſchen, wurden die beiden Preußen ſchon nach zwei Tagen mit General Ficquelmont handelseins. Grolman’s heldenhafter Gradſinn und Radowitz’s umfaſſende Sachkenntniß ergänzten einander ſehr glücklich. Sie ſetzten durch, daß jener preußiſche Kriegsplan vom Jahre 1831, der damals ſo peinliche Berathungen veranlaßt hatte, jetzt wieder aufgenommen wurde. *)S. o. IV. 214. 740.Nur wollte man diesmal kühner ver - fahren und im Kriegsfalle ſogleich zum Angriff ſchreiten. Alſo ein preu - ßiſch-norddeutſches Heer abwärts von Mainz; ein ſüddeutſches, durch preußiſche Truppen verſtärkt, am Oberrhein, endlich in Oberſchwaben eine öſterreichiſche Reſerve-Armee, deren Stärke Ficquelmont auf 150,000 Mann anſchlug. **)Werther, Weiſung an Liebermann, 3. Dec. Maltzan’s Berichte, 20. 24. Nov. 1840.Dieſen zuverſichtlichen Zahlenangaben traute Grolman freilich ebenſo wenig wie den Prahlereien Metternich’s, der den kleinen deutſchen Geſandten beharrlich verſicherte, Oeſterreich ſei vollkommen gerüſtet; der Ge - neral wußte nur zu wohl, in welchem elenden Zuſtande ſich das k. k. Heer befand, und wie dringend Radetzky, immer vergeblich, um Verſtärkung mindeſtens der italieniſchen Armee flehte. ***)Maltzan’s Bericht 24. Dec. 1840.Indeſſen zog er vor keinen Widerſpruch zu erheben. Ihm genügte, daß die Hofburg, im Gefühl ihrer Ohnmacht, den Oberbefehl über die deutſchen Kleinſtaaten thatſäch - lich an Preußen überließ, auch auf den alten Lieblingsplan des k. k. Hof - kriegsraths, auf den Zug durch die Schweiz nicht mehr zurückkam Von der lächerlichen Bundeskriegsverfaſſung war ohnehin, wie immer in Zeiten der Gefahr, gar nicht mehr die Rede.
Da die günſtigen Nachrichten vom orientaliſchen Kriegsſchauplatze den Muth der Hofburg mittlerweile etwas gehoben hatten, ſo beſchloſſen die93Sendung von Grolman und Radowitz.beiden Mächte, durch ein Rundſchreiben die deutſchen Höfe zur Wachſam - keit aufzufordern und zugleich in Paris vertraulich wegen der franzöſiſchen Rüſtungen anzufragen. Bei Alledem hegte man in Berlin wie in Wien noch durchaus friedliche Abſichten. Der preußiſche Hof hatte dem fran - zöſiſchen die Sendung der beiden Offiziere nach Wien ſchon im Voraus freundſchaftlich angezeigt und die Betheuerung hinzugefügt, durch die Ein - tracht des Deutſchen Bundes werde die allgemeine Ruhe am beſten ge - ſichert. *)Werther, Weiſung an Arnim in Paris, 14. Nov. 1840.Nur für den Fall daß die Kriegspartei den friedlichen Bürger - könig überwältigte, wollte man ſich gedeckt halten. Frankreichs Rüſtungen bewirkten einen Zuſtand des „ bewaffneten Friedens “— ſo lautete der neue Modeausdruck der Diplomaten und der Zeitungen. Deutſchland mußte auf der Wacht ſtehen. Dieſe unſchuldige Abſicht hatte der König durch die Sendung ſeiner Offiziere in der That erreicht, und mit hohem Selbſtgefühle ſagte Maltzan zu Metternich: unſer Monarch achtet Oeſter - reichs Stellung in Deutſchland, er iſt jedoch unabänderlich entſchloſſen, den Deutſchen Bund aus dem Zuſtande der Entwürdigung zu reißen und ihn „ in die Reihe der Mächte wieder emporzuheben “. **)Maltzan’s Bericht, 27. Nov. 1840.Friedrich Wilhelm’s dichteriſche Phantaſie trug ſich wirklich mit dem Wahne, daß der Deutſche Bund neben Oeſterreich und Preußen noch eine ſelbſtändige Macht bilden und Deutſchland alſo mit der Wucht dreier Großmächte in die Geſchicke der Welt eingreifen würde. Metternich’s Nüchternheit konnte dieſe traumhaften Vorſtellungen von den Rieſenkräften Baierns und Darmſtadts unmöglich theilen; er hielt jedoch für klug in den weihevollen Ton des preußiſchen Hofes einzuſtimmen und redete fortan in Geſprächen und Denkſchriften hochpathetiſch von „ dem Deutſchen Bunde, dem Staate des europäiſchen Feſtlandes, der unter allen nach dem Umfange ſeiner Machtmittel den erſten Rang einnehme “, im Kampf gegen Frankreichs bewaffneten Frieden die erſte Rolle zu ſpielen berufen ſei und als fünfte Macht dem Vierbunde beitreten müſſe. ***)Maltzan’s Bericht 14. Dec. Metternich’s Denkſchrift über die europäiſche Lage, 18. Dec. 1840.
Wie dieſe fünfte Macht in Wirklichkeit beſchaffen war, das ſollte Radowitz ſofort erfahren, als er nunmehr die Höfe von München, Stutt - gart, Karlsruhe, Darmſtadt, Wiesbaden beſuchte, die alleſammt ſchon durch die preußiſche Bundesgeſandtſchaft über die europäiſche Lage und die Kriegsgefahr unterrichtet waren. †)Sydow’s Bericht, Frankfurt 23. Oct. 1840.Etwas ſpäter kam auch, mit gleich - lautenden Weiſungen verſehen, General Heß, einer der tüchtigſten Sol - daten aus Radetzky’s Schule. Ueberall wurde der Preuße mit offenen Armen aufgenommen, überall empfing er bundesfreundliche Zuſagen und die vertrauliche Betheuerung, daß Süddeutſchland weder der Kraft noch94V. 2. Die Kriegsgefahr.dem guten Willen des Wiener Hofes vertraue, alſo nur unter Preußens Führung kämpfen wolle. *)Berichte von Rochow, 14. Dec., von Otterſtädt 17. 21. Dec. 1840.Graf Bismarck, der früherhin als Bona - partiſt verrufene württembergiſche Geſandte in Berlin, ſprach jetzt be - geiſtert von dem Nationalkriege und drängte die Preußen zu raſchem Handeln. König Ludwig von Baiern, der ſich noch kürzlich, während des Kölner Biſchofſtreites ſo gehäſſig gegen Preußen gezeigt hatte, erſchien ſchon ſeit Jahresfriſt wie verwandelt. Er merkte, daß er zu weit ge - gangen war, denn die für Baiern ſo überaus vortheilhaften Zollvereins - verträge liefen nächſtens ab. Immer wieder betheuerte er jetzt dem preu - ßiſchen Geſandten: ich bin ſtets für Preußen geweſen und nur ſcheinbar von dieſem Syſteme abgewichen; noch brünſtiger verſicherte er ſeine Be - geiſterung für den Zollverein — was den alten König Friedrich Wilhelm zu der trockenen Bemerkung veranlaßte: „ das glaube ich wohl, da Baiern dabei ſo viel gewinnt als Preußen verliert. “ **)Randbemerkung des Königs zu Dönhoff’s Bericht v. 28. März 1840.Nun vollends, da ſein geliebter Schwager den preußiſchen Thron beſtiegen hatte, ſang der Wittels - bacher hochbegeiſtert:
Er ſchien jetzt ganz in der preußiſchen Politik aufzugehen, überhäufte Radowitz mit Ehren und gefiel ſich darin, den Grafen Dönhoff vor den Augen des franzöſiſchen Geſandten gefliſſentlich auszuzeichnen. ***)Dönhoff’s Berichte, 15. Nov., 5. Dec. 1840.Auch in Hannover fand Radowitz warmen Empfang. Der alte Welfe war der erſte der Bundesfürſten, der die Pferdeausfuhr nach Frankreich ver - bot und dadurch Preußen, nachher auch den Deutſchen Bund zur Nach - folge zwang. †)Berger’s Berichte 27. 29. Dec. 1840, 8. Febr. 1841.
Doch was leiſteten dieſe kleinen Höfe, die alſo von patriotiſchen Worten überfloſſen, für die Vertheidigung des Vaterlandes? Unglaublich, wie dies neue Jahrzehnt conſtitutioneller Kammerherrlichkeit die Wehr - kraft des deutſchen Südens von Grund aus zerſtört hatte. In Baiern zählte die Compagnie auf Kriegsfuß 172 Mann, davon wurden 62 Mann gar nicht eingeſtellt; von den alſo verbleibenden 110 beurlaubte man nach der kurzen Exercirzeit ſtets 85 Mann, ſo daß ein Infanteriebataillon während der längſten Zeit des Jahres 100 (Mißtrauiſche behaupteten ſogar: nur 60) Mann unter der Fahne behielt. Und angeſichts ſolcher Zuſtände meinte König Ludwig ſchon ein Großes zu thun, als er wegen der Kriegsgefahr zwei Batterien auf Kriegsfuß ſetzen und für ſein ganzes Heer etwa 250 Pferde, ſtatt der fehlenden 5000, ankaufen ließ.††)Bericht des Leg. Secr. v. Canitz, München 22. Oct. Dönhoff’s Bericht, 30. Nov. 1840. Er95Süddeutſchlands Wehrloſigkeit.verſprach den Mißbrauch der ſtändigen Beurlaubungen endlich abzuſtellen, kam aber nicht über den guten Vorſatz hinaus. Kaum beſſer ſtand es in Württemberg. Dort hatte das in zwei Bataillone eingetheilte Infan - terieregiment zur Sommerszeit 401, im Winter 307 Mann bei der Fahne. Aufgeregt durch die bedenklichen Pariſer Nachrichten ſprach König Wil - helm wieder viel von einer ſchwäbiſchen Landwehr; er meinte aber nicht das preußiſche Landwehrſyſtem, das ſeinen Landſtänden viel zu koſt - ſpielig ſchien, ſondern wollte nur durch ein Geſetz die Aushebung neuer, ganz unausgebildeter Mannſchaften ermöglichen für den Fall, daß Linie und Reſerve bereits ausgerückt wären. An die allgemeine Wehrpflicht, die von der Ritterſchaft und vom Beamtenthum verabſcheut wurde, ließ ſich vollends gar nicht denken; der Geſandte Rochow ſchrieb: „ das Ein - ſteher-Weſen iſt hier wie eine eherne Mauer “und fand es „ für einen Preußen kaum begreiflich “, wie ſehr man ſich hier vor der mißleiteten öffentlichen Meinung fürchte. *)Rochow’s Berichte, 6. Dec. 1840, 17. Jan. 29. Juni 18. Juli 1841.In Baden geſchah für das Heer ſehr wenig, weil Miniſter Blittersdorff den Argwohn hegte, hinter allen dieſen Kriegsvorbereitungen verbärgen ſich nur Preußens hegemoniſche Gelüſte.
Auch in Darmſtadt hielt du Thil alle Rüſtungen für überflüſſig; er hatte längſt bemerkt, daß Oeſterreich nur mit halber Seele bei der Sache war, nur um Preußen nicht allein das Feld zu überlaſſen an den mili - täriſchen Verhandlungen theilnahm. **)Nach du Thil’s Aufzeichnungen.Ohnehin glaubten dieſe Klein - ſtaaten alleſammt ihren Bundespflichten ſchon überreichlich genügt zu haben; hatten ſie doch im letzten Herbſt am unteren Neckar gemeinſame Ma - növer des 7. Bundesarmeecorps veranſtaltet, die erträglich ausfielen und als ein Beweis thatkräftiger Bundestreue ſelbſt von dem preußiſchen Generalſtabschef Krauſeneck nachſichtig belobt wurden. ***)Berichte von Otterſtedt 21. 22. Sept., von Rochow 12. Sept. 1840.Auch hinter patriotiſchen Bedenken wußte ſich die Schlaffheit zu verſchanzen; als Neſſelrode, taktlos genug, die kleinen Höfe durch ein Rundſchreiben zur Kriegsbereitſchaft mahnen ließ, da hieß es überall: nimmermehr dürfe ſich das ſtolze Deutſchland von Rußland drängen laſſen. †)Neſſelrode, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften in Deutſchland, 2. Dec. 1840.Radowitz’s Rundreiſe brachte zunächſt nur ein greifbares Ergebniß: die ſüddeutſchen Staaten traten im Febr. 1841 zu Karlsruhe zuſammen und beſchloſſen — aus Rückſicht auf Baierns Stolz, zum großen Aerger des ehrgeizigen Schwabenkönigs — den zukünftigen Oberbefehl über das zukünftige Süd - heer dem Prinzen Karl von Baiern zu übertragen. In Norddeutſchland war ſelbſt eine ſolche Einigung unerreichbar, da die kleinen Fürſten des 10. Armeecorps alleſammt Bedenken trugen, ihre Truppen dem verrufenen hannoverſchen Welfen anzuvertrauen. ††)Berichte von Rochow, 27. Febr., von Berger, 28. April 1841.
96V. 2. Die Kriegsgefahr.Der Bundestag trieb unterdeſſen trotz der ſchweren Zeiten ſeine gewohnte Kurzweil. Die Staaten der ſechzehnten Curie hatten bisher an dem reichen Frankfurter v. Leonhardi einen überaus wohlfeilen gemein - ſamen Bundesgeſandten beſeſſen, der die Geſchäfte nur zu ſeinem Ver - gnügen führte, und zankten ſich nunmehr, als dieſer göttliche Philiſter geſtorben war, mit ſolcher Ausdauer über den Gehalt des Nachfolgers, daß der Poſten drei Jahre unbeſetzt blieb. Der Landgraf von Homburg, der im Jahre 1817 dem Bunde nachträglich beigetreten war, forderte ſtürmiſch das ihm gebührende Stimmrecht und erlangte endlich nach fünf - undzwanzigjährigen Kämpfen Einlaß in die ſechzehnte Curie. Die Erne - ſtiner konnten ſich über den Vorrang bei der Unterſchrift nicht einigen, und ihr neuer Bundesgeſandter mußte daher mit vier gleichlautenden Vollmachten ausgerüſtet werden. *)Berichte von Bülow, 15. Oct. 1841, von Schöler 17. Oct. 1840.Derweil man ſich alſo vergnügte, ſuchte Graf Münch, unbekümmert um die dringenden Mahnungen des preußiſchen Geſandten mehrere Monate hindurch jede Berathung über die Kriegsbereitſchaft des Bundes zu vereiteln. Er wußte wohl, daß dieſe Zögerung den ſtillen Wünſchen faſt aller kleinen Höfe entſprach; hatte doch ſelbſt König Ludwig von Baiern in Berlin vorſichtig erklären laſſen: erſt wenn die Rüſtung Süddeutſchlands ganz vollendet ſei, dürfe der Bund in Paris eine Anfrage ſtellen. **)Giſe, königliche Weiſung an Lerchenfeld, 20. Dec. 1840.
Endlich am 13. März 1841, acht Monate nach dem Juli-Vertrage, beantragte Münch, die Militärcommiſſion ſolle aufgefordert werden über die näheren Bedingungen der Kriegsbereitſchaft ein Gutachten zu er - ſtatten. Voran ging ein langer Vortrag, deſſen hochpatriotiſcher Ton von dem dürftigen Inhalte lächerlich abſtach: „ die Pflicht ſämmtlicher deutſchen Regierungen, für die Ehre des deutſchen Namens ſowie für die Sicherheit der Völker Deutſchlands Sorge zu tragen, erheiſcht, daß überall die Wehrkraft der Bundesſtaaten allen eintretenden Wechſelfällen zu genügen im Stande ſei. “ Dieſe tiefſinnigen Worte hatte Metternich ſelbſt in den Präſidialvortrag eingefügt, an der Stelle eines etwas ſchär - feren, von General Heß vorgeſchlagenen Satzes. ***)Sydow’s Bericht, 13. März 1841.Die Hofburg wollte Alles vermeiden was dem Souveränitätsdünkel der kleinen Höfe auch nur wie ein leiſer Zwang erſcheinen konnte. Natürlich wurde der Antrag, unter den üblichen Dankesbezeigungen gegen die allezeit fürſorgliche Prä - ſidialmacht, pflichtſchuldigſt angenommen; die vertraulichen Eröffnungen in Paris überließ man den beiden Großmächten. Es ſtand noch immer wie in den Regensburger Zeiten. Der Bundestag durfte ſich der ange - nehmen Erwartung hingeben, daß ſein Beſchluß gar keine Folgen haben, ſondern entweder durch eine friedliche Wendung der europäiſchen Händel oder durch eine Kriegserklärung Frankreichs überholt werden würde.
97Einführung der Bundesinſpectionen.Dem alten Könige war kurz vor ſeinem Tode noch einmal recht deutlich geworden, was von der Opferwilligkeit ſeiner deutſchen Bundes - genoſſen zu erwarten ſei. Damals (1839) hatte er mit einem Aufwande von Millionen drei ſeiner Armeecorps auf Kriegsfuß geſetzt um den end - lichen Abſchluß des ſchmählichen Luxemburgiſchen Streites zu erzwingen, und bei dieſem Unternehmen, das doch allein der Sicherung des Bundes - gebietes galt, am Bunde keinerlei Unterſtützung, nicht einmal durch Worte gefunden. Jetzt mußte ſein Nachfolger, kaum auf den Thron geſtiegen, ſchon die gleiche Erfahrung machen. Er konnte ſich nicht mehr darüber täuſchen, daß die kleinen Höfe gern bereit waren ſich durch Preu - ßens ſtarken Arm aus der Noth retten zu laſſen, aber nicht im mindeſten beabſichtigten die ſchimpfliche Wehrloſigkeit, welche ein volles Drittel des tapferſten aller Völker darniederhielt, zu beſeitigen. Trotz Alledem hielt der neue König ſeine Bundesreformpläne feſt; an der Bildſamkeit dieſer treff - lichen Bundesverfaſſung wollte er nimmermehr verzweifeln. Am 6. Januar 1841 ſendete er an die Wiener Geſandtſchaft einen Erlaß, worin er beſtimmt ausſprach, er werde allein vorgehen falls Oeſterreich ſeine Mitwirkung ver - weigere. *)Maltzan’s Berichte, Jan. 1841.Dieſe Drohung wirkte für den Augenblick. Auf Preußens Andrängen beſchloß der Bundestag (29. Juni), daß fortan aller drei Jahre Bundesinſpectoren ſich von dem Zuſtande der Streitkräfte der ver - bündeten Staaten überzeugen ſollten,**)Sydow’s Bericht, 24. Juni 1841. und noch im Herbſte 1841 wurde die erſte Bundesinſpection ins Werk geſetzt.
Alſo doch endlich ein beſcheidener Fortſchritt, denn bisher waren nur die lächerlichen Truppen der Reſerve-Infanteriediviſion von Bundes - wegen gemuſtert worden. Der Beſchluß kam unter ſchweren Kämpfen zu Stande; manche der wohl durchdachten Vorſchläge des Oberſten Radowitz, der jetzt ſeinen Sitz in der Bundesmilitärcommiſſion wieder eigenommen hatte, mußten geopfert werden. Oeſterreich zeigte eine wohlbegreifliche Scheu, ſein aus ſo verſchiedenen Völkerſchaften gemiſchtes Heer dem Ur - theile von Ausländern zu unterwerfen. Die Mecklenburgiſchen Höfe hatten ihren Bundesgeſandten Schack bereits angewieſen gegen die Bundes - inſpection förmliche Verwahrung einzulegen, und gaben erſt nach, als König Friedrich Wilhelm ſeine Verwandten in Strelitz perſönlich beſucht hatte. Ihre trotz der Bundesgeſetze gänzlich verwahrloſten Reſerven wollten die Kleinſtaaten ſchlechterdings nicht muſtern laſſen; Mecklenburg erklärte entrüſtet: „ die jährliche Einberufung der Reſerve wäre eine wahre Landes - calamität. “ ***)Sydow’s Berichte, 13. Mai, 4. Juni 1841.Auch eine Beſtimmung über die Dauer der jährlichen Uebungszeit ließ ſich nicht durchſetzen. „ Specielle Zeitbeſtimmungen, meinte Württemberg, würden hier nichts nützen ſondern ſchaden, “da Alles aufv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 798V. 2. Die Kriegsgefahr.die Intelligenz des Volksſtammes ankommt und „ die dieſſeitige Infanterie, wenn ſie auch wenig Paradedreſſur haben mag, doch deſto felddienſttüch - tiger erſcheint. “ *)Sydow’s Bericht, 18. Juni 1841.Nicht einmal zu gemeinſamen Vorſchriften für den Wachtdienſt und den militäriſchen Gruß wollte ſich der Bundestag ver - ſtehen.
Nachdem man ſich alſo mit Müh und Noth über einen möglichſt inhaltloſen Beſchluß geeinigt hatte, begann alsbald ein neuer Zank wegen der Frage, welche Staaten die Bundesinſpectoren ſtellen ſollten. König Wilhelm von Württemberg hatte ſehr lange widerſtrebt und ſich erſt durch das Zureden ſeines alten Waffengefährten FML. Latour davon überzeugen laſſen, daß ſeiner Souveränität keine Gefahr drohe. Indeß wollte er ſeine Schwaben weder durch Oeſterreich noch durch Hannover muſtern laſſen, weil er den alten tiefen Groll gegen die Hofburg noch nicht verwunden hatte und mit dem verhaßten Welfenkönige noch immer um den Vorrang ſtritt. Er erzwang auch, daß ſtatt des Hannoveraners ein däniſcher General nach Stuttgart kam; den Oeſterreicher aber erließ man ihm nicht, und er rächte ſich nach ſeiner Weiſe, indem er den k. k. Feldmarſchall - leutnant Sunſtenau mit ausgeſuchter Grobheit behandelte. **)Berichte von Rochow, 2. Oct., von Maltzan, Oct. 1841.
Auch dieſer Streit hörte endlich auf, und jeder der zehn Inſpections - bezirke wurde wirklich von drei Generalen anderer Bundesſtaaten beſichtigt. Als aber die Berichte der Inſpectoren einliefen, da zeigte ſichs mit er - ſchreckender Klarheit, wie die große Lüge dieſer Bundesverfaſſung Alles was mit ihr in Berührung kam anſteckte und ſogar die ſprichwörtliche Ehr - lichkeit des deutſchen Offizierſtandes verdarb. Die inſpicirenden Generale, unter denen ſich viele Prinzen befanden, waren durch mannichfache poli - tiſche Rückſichten beengt; die meiſten dachten auch mit ſtiller Angſt an den Jammer ihres heimathlichen Heerweſens und verfuhren wie die Krähen, ſie urtheilten ſanftmüthig um nicht ihr eigenes engeres Vaterland hartem Tadel auszuſetzen. Sogar die preußiſchen Generale, die in den Klein - ſtaaten durch ihre ſtrenge Wachſamkeit und den Freimuth ihrer Rügen überall Schrecken erregten, ſprachen in den amtlichen Berichten doch bei Weitem nicht ſo ſcharf wie in ihren vertrauten Briefen. Daher lobte die Bundesmilitärcommiſſion, als ſie nach faſt zwei Jahren (Juli 1843) über das Geſammtergebniß der Inſpection berichtete, mit warmen Worten „ den echt föderativen Geiſt “der Regierungen und verſicherte, es ſeien „ die Armeecorps zum größeren Theil in ganz vollkommen kriegsver - faſſungsmäßigem Stande “; der preußiſche Bundesgeſandte aber bemerkte ſarkaſtiſch: zu einer zweiten Inſpection wird ſich der Bundestag wohl ſchwerlich entſchließen, da ja dieſe erſte faſt gar keine Mängel im Bundes - heere aufgefunden hat. ***)Bülow’s Bericht, 15. Oct. 1841.Wer zwiſchen den Zeilen der höflichen Be -99Ergebniß der erſten Bundesinſpection.richte las, konnte ſolche Mängel, und darunter manche wunderſame, aller - dings entdecken.
In Baiern erhielten die Inſpectoren, nach einer geheimen Weiſung des Königs, keinerlei vertrauliche Mittheilungen von Seiten der Militär - behörden. *)Dönhoff’s Bericht, 4. Oct. 1841.Sie fanden dort eine Landwehrpflicht vor, welche ſich bis zum ſechzigſten Lebensjahre jedes Wehrfähigen erſtreckte und natürlich nur auf dem Papiere ſtand; die Artillerie und Infanterie der Linie wurde nur aller zwei Jahre zu viermonatlichen Uebungen einberufen. Der Präſenzſtand war ſo niedrig, daß ſelbſt die Bundesmilitärcommiſſion den beſcheidenen Wunſch nicht unterdrücken konnte, es möchte künftighin bei der Infanterie ein Sechſtel der gemeinen Mannſchaft ſtets im Dienſte ſein. Trotzdem erklärten die drei inſpicirenden Generale (ein Oeſter - reicher, ein Sachſe, ein Darmſtädter) dies Heer für ſehr lobenswerth. Ueber die Reiterei ſagten ſie liebevoll: Von der Friedenspräſenzſtärke iſt nur die Hälfte vorhanden, und die Leute dienen nur ſechs Monate, „ was ſpecielle Unvollkommenheiten mit Grund entſchuldigen kann. “ Die naheliegende Frage, ob ſich die ſechsmonatliche Dienſtzeit der bairi - ſchen Reiterei ſelbſt entſchuldigen laſſe, übergingen ſie mit Stillſchwei - gen. Noch weniger ſprachen ſie von der Menge der gebrechlichen alten Stabsoffiziere, dem allgemeinen Uebelſtande dieſer langen Friedenszeit, der nirgends greller hervortrat als in Baiern. Darum ſagte Prinz Karl von Baiern traurig zum Grafen Dönhoff: der Bericht iſt viel zu ſanft, er wird auf König Ludwig keinen Eindruck machen. **)Berichte von Bülow, 17. Dec. 1841, von Dönhoff, 2. Nov. 1842.In Sachſen war das ſtehende Heer recht tüchtig, aber für die Reſerve ſchlechterdings gar nicht vorgeſorgt; und als die Bundes-Militärcommiſſion dies leiſe zu rügen wagte, da erwiderte der Dresdner Hof ſpitzig: er könne ſich nicht erklären, warum Sachſen in Frankfurt nicht dieſelbe Berückſichtigung fände wie andere Bundesſtaaten, die ebenſo wenig für ihre Reſerve gethan hatten.
In Luxemburg mußte die Muſterung unterbleiben, weil ein Bundes - contingent dort noch immer nicht beſtand. Der König von Dänemark hatte ſich gradezu geweigert, ſeine Holſten an gemeinſamen Uebungen des 10. Bundesarmeecorps theilnehmen zu laſſen; er ſcheute den Vergleich mit den beſſer ausgerüſteten Hannoveranern, die freilich bisher auch noch nie - mals zu einem Diviſions-Manöver zuſammengetreten waren. ***)Berger’s Bericht, 8. Mai 1841.Völlig troſtlos lauteten die Berichte des preußiſchen Generals Ditfurth über die Bückeburger und die Mehrzahl der anderen Contingente, welche die Re - ſerve-Infanteriediviſion des Bundes bilden ſollten. Zog man ſchonungs - los die Summe, ſo waren die Bundesgeſetze nur in einem einzigen Staate,7*100V. 2. Die Kriegsgefahr.in Preußen ganz gewiſſenhaft ausgeführt worden. Hier genügte ein Drittel des Heeres um dieſen wahrlich beſcheidenen Anforderungen zu ent - ſprechen. Der alte König hatte ſich immer geweigert einen beſtimmten Theil ſeines Heeres als Bundescontingent zu bezeichnen, weil er alle ſeine Truppen ſchlichtweg für deutſche Soldaten hielt. Jetzt wurden drei von den neun Armeecorps für die Bundesinſpection beſtimmt, und die Manöver in Schleſien verliefen ſo gut, daß ſelbſt Erzherzog Ferdinand, der nach öſterreichiſchem Brauche jedem Volksheere mißtraute, ehrlich eingeſtehen mußte: nun erſt habe ich meine Zweifel an dem preußiſchen Landwehrſyſtem aufgegeben. *)Maltzan’s Berichte, Oct. 1841.Da die Zuſammenſetzung der preußiſchen Armeecorps, in Folge des Landwehrſyſtems, von den Ziffern der Bundes - kriegsverfaſſung ein wenig abwich, ſo befahl der König überdies im März 1843, daß fortan fünf ſeiner Armeecorps das Bundescontingent bilden ſollten, damit den Bundesgeſetzen bis auf den letzten Buchſtaben genügt würde.
Das war der Zuſtand der deutſchen Wehrkraft in einer Zeit, da die Liberalen der kleinen Landtage beſtändig über die unerſchwinglichen Heereskoſten klagten; und doch hatte dieſe Oppoſition nicht Unrecht, denn die Ausgaben für ein ſolches Heer waren wirklich Verſchwendung. Am letzten Ende bewirkten Friedrich Wilhelm’s wohlgemeinte Anträge nur, daß einige der ganz gewiſſenloſen kleinen Höfe ſich fortan aus Furcht vor den Bundesinſpectionen ein wenig in Acht nahmen. Doch mit ſo ſanften Mitteln war die dreißigköpfige Anarchie nicht zu heilen; und dies konnte der König, als warmer Verehrer der unwandelbaren Bundesverfaſſung, nicht begreifen.
Etwas beſſer gelangen ſein Bemühungen für die Bundesfeſtungen. Während der letzten Jahre hatte Baiern ſeine Feſtung Germersheim ausgebaut; nur der unentbehrliche Brückenkopf auf dem badiſchen rechten Rheinufer fehlte noch, weil Baden ſich hartnäckig weigerte die kleine Landſtrecke abzutreten. Ueber den Zuſtand von Mainz erſtattete der öſterreichiſche Gouverneur Landgraf von Heſſen-Homburg, ſobald das Kriegsgeſchrei durchs Land ging, einen Bericht, der ſo beſchämende Vorwürfe enthielt, daß die Bundesverſammlung beſchloß ihn nicht in ihre Protokolle aufzunehmen. An der Rheinkehle, der wichtigſten Stelle des Platzes war die Mauer faſt ſpurlos verſchwunden — ſo verſicherte der Land - graf — allerhand Gewerbtreibende hatten dort ihre Lager und Werk - ſtätten aufgerichtet, „ der Hauptſchlüſſel zu den deutſchen Landen iſt an ſeiner Kehle ein vollkommen offener Ort. “ Das Weiſſenauer Lager und die we - nigen anderen neuen Feſtungswerke gereichten ihren öſterreichiſchen Erbauern nicht zur Ehre; den größten Theil der Feſtungsgelder hatte man ver - wendet um Kaſernen zu bauen und für die Amtswohnungen der com -101Die ſüddeutſchen Bundesfeſtungen.mandirenden Offiziere Möbel anzuſchaffen, welche, Dank der mangelhaften Controle, ſchon wieder faſt ganz zerſtört waren. So ſchimpflich das Alles war, Graf Münch meinte achſelzuckend: ein Neubau könne für dieſen Krieg doch nichts mehr nützen und nur gefährliches Aufſehen erregen. Selbſt Radowitz hielt für gerathen, jetzt für Mainz nichts zu fordern, denn ſonſt wäre die Berathung über die ſüddeutſchen Bundesfeſtungen, welche dem Könige zunächſt am Herzen lag, nie zum Abſchluſſe gelangt. *)F. Z. M. Landgraf von Heſſen-Homburg an das Bundespräſidium 21. Aug. Berichte von Schöler 4. 12. Sept., von Sydow 31. Oct. 1840.
Seit dem Jahre 1836 ward dieſe ſo ſündlich verſchleppte Angelegen - heit wieder ernſtlich beſprochen. Die Parteien ſtanden noch wie vor zwei Jahrzehnten. Während die Süddeutſchen, nach Sinn und Wortlaut der Verträge, eine Bundesfeſtung „ am Oberrhein “alſo Raſtatt verlangten, beſtand Oeſterreich noch immer auf der Befeſtigung von Ulm. Der k. k. Hofkriegsrath wollte ſeine Kaiſerſtadt gegen die Gefahren eines neuen napoleoniſchen Donaufeldzugs decken und verfocht hartnäckig die doktri - näre Behauptung, daß die Franzoſen den nächſten Krieg unfehlbar mit einem Zuge durch die Schweiz eröffnen, mithin die oberrheiniſchen Lande von vornherein umgehen würden. Dieſen Anſichten, die nur zu leb - haft an den wunderſamen Feldzugsplan von 1814 erinnerten, pflichtete in Berlin nur ein einziger namhafter Offizier bei: der immerdar öſter - reichiſch geſinnte Kneſebeck. Alle andern Generale, voran der Kriegs - miniſter Rauch und der Generalſtabschef Krauſeneck ſtanden auf der Seite der oberrheiniſchen Höfe. Krauſeneck ſagte mit preußiſchem Gradſinn: „ die Süddeutſchen wollen eine ſie ſchützende Feſtung haben ohne den Oeſterreichern dienſtpflichtig zu werden; dieſe, welche die Revolution zum Geſpenſt machen, mit dem ſie die Cabinette einſchüchtern, wollen eine öſterreichiſche Feſtung mit deutſchem Gelde erbaut wiſſen. “ Aber die ſüße Gewohnheit, deutſche Kräfte für öſterreichiſche Zwecke auszubeuten, war in Wien ſeit Jahrhunderten zu feſt eingebürgert; der Hofkriegsrath blieb unbelehrbar. Daher kam Friedrich Wilhelm III. ſchon frühe zu der Einſicht, der unwürdige Streit laſſe ſich nur dann beilegen, wenn man beide Plätze, Ulm und Raſtatt zugleich befeſtige. Auch General Aſter meinte, es gebe keinen anderen Ausweg. Der Petersburger Hof, der es nun einmal nicht laſſen konnte die Vertheidigung unſerer Weſtgrenze wie ſeine eigene Sache zu behandeln, äußerte ſich in gleichem Sinne gegen die deutſchen Großmächte.
Der alte Herr erlebte noch die Freude, daß die ſüddeutſchen Staaten ſich im April 1840, auf einer Conferenz zu Karlsruhe, über den preußi - ſchen Vermittlungsvorſchlag einigten und auch Baden endlich ein Stück Landes für den Germersheimer Brückenkopf abtrat. **)Dönhoff’s Bericht, 25. April 1840.Aber erſt ſein102V. 2. Die Kriegsgefahr.Nachfolger brachte die Sache vor den Bundestag. Die kriegeriſche Stim - mung des Augenblicks geſchickt benutzend ließ der neue König den un - ermüdlichen Radowitz noch einmal an den ſüddeutſchen Höfen umherreiſen und verſprach hochherzig, zu den noch bei Amſchel Rothſchild aufbe - wahrten franzöſiſchen Contributionsgeldern einen beträchtlichen Zuſchuß zu leiſten. Weil die für den Bau der vierten Bundesfeſtung beſtimmten 20 Mill. Fr. franzöſiſcher Contributionsgelder vorausſichtlich für zwei Feſtungen nicht ausreichten, ſo erklärte er ſich bereit einen beträchtlichen Zuſchuß (noch gegen 10 Mill. Fr.) zu zahlen, obgleich Preußen bereits die niederrheiniſchen Feſtungen, gutentheils aus ſeinen eigenen Mitteln, er - baut hatte. Alſo bewirkte er, daß die Bundesverſammlung am 26. März 1841 endlich den Bau beider Feſtungen beſchloß. Ulm ſollte als ſüd - deutſcher Hauptwaffenplatz dienen, Raſtatt nur als Verbindungs - und Grenzfeſtung, aber zugleich auch als Waffenplatz für das achte Bundescorps, obwohl bisher noch nie ein Staat auf den wunderſamen Gedanken gerathen war, ſeine Militärvorräthe in einer Grenzfeſtung unterzubringen. Nur für ein ſolches, den Anſprüchen Aller zuſagendes Compromiß konnte man die Mehrheit gewinnen. König Friedrich Wilhelm war überglücklich und ließ der Verſammlung ſeine Freude über ihre föderative Geſinnung ausſprechen. Geh. Rath v. Sydow aber, der nach dem Tode des Generals Schöler die Geſchäfte der deutſchen Bundesgeſandtſchaft führte, ſagte weh - müthig voraus: „ Auch die diesjährige Arbeitszeit wird ganz vorübergehen, ohne daß man in Ulm oder Raſtatt eine Schaufel bewegt. “*)Sydow’s Bericht, 22. Jan. 1841.
Er kannte ſeine Leute. Schon bei der Abſtimmung hatte Herr v. Mieg einen der beliebten bairiſchen Vorbehalte geſtellt, da „ die deutſch-patriotiſche Geſinnung “, welche König Ludwig bei dem Bau von Germersheim bewährt habe, beſondere Rückſichten verdiene. **)Sydow’s Bericht, 27. März 1841.Bald darauf verlangte er nach - drücklich, der Gouverneur von Ulm müſſe abwechſelnd von Baiern und von Württemberg ernannt werden; denn die alte Reichsſtadt ſelbſt war württembergiſch, das kleine Neu-Ulm auf dem rechten Donauufer bairiſch. Dawider der Schwabenkönig hochentrüſtet: er habe ſchon genug Opfer gebracht, indem er ſeine gute Stadt zur Bundesfeſtung hergegeben. Alſo entſpann ſich zwiſchen dieſen beiden Königen, welche die liberale Partei vor Zeiten als die Bannerträger der nationalen Einheit gefeiert hatte, ein grimmiger Zank um das Commando einer Feſtung, die noch gar nicht gebaut war. Dies Schauſpiel freundnachbarlicher Eintracht entfaltete ſeinen ganzen Reiz erſt als Mieg eine Zeit lang die württem - bergiſche Stimme führte und mithin genöthigt war ſich ſelber die ſchwä - biſchen Anzüglichkeiten vor dem Bundestage feierlich vorzuleſen. Ein voreiliger Bundesbeſchluß, erklärte Württemberg, könne die Verſtändigung103Ulm und Raſtatt.nur erſchweren. *)Bülow’s Bericht, Frankfurt 24. Dec. 1891.In der That mußte Preußen wieder ins Mittel treten. Radowitz der vielgeplagte reiſte im Januar 1842 nochmals nach Wien, München, Stuttgart und brachte mit unſäglicher Mühe einen Ver - gleich zu Stande, kraft deſſen Württemberg den Gouverneur, Baiern den Commandanten der zukünftigen Feſtung ernennen ſollte. **)Rochow’s Bericht, 16. Febr. 1842.Ein Glück nur, daß der preußiſche Major Prittwitz, einer der tüchtigſten Ingenieure aus Aſter’s Schule, ſich durch ſein anſpruchsloſes Weſen und unbeſtreit - bares Talent das perſönliche Vertrauen König Wilhelm’s gewann; ſo ließ man ihn bei ſeinen Ulmer Bauplänen ziemlich frei gewähren.
Im October 1844 wurde der Grundſtein für die beiden Feſtungen gelegt, und nunmehr ſchritt der Bau langſam aber ununterbrochen vorwärts. Rothſchild mußte die 20 Mill. Fr. die ihm ſo vielen Segen gebracht, nach und nach herauszahlen; er hatte ſie in den letzten Jahren, auf Preußens Andringen, etwas höher als früher, mit 3 — 3½ Procent verzinſt; jetzt zog er bei jeder Rückzahlung ½ Procent Proviſion ab, und der Bundes - tag ließ ſich dieſe vertragswidrige Uebervortheilung gefallen, weil die Frank - furter Bankiers, die es mit dem mächtigen Hauſe nicht verderben wollten, inbrünſtig betheuerten, günſtigere Bedingungen könne Niemand ſtellen. ***)Berichte von Bülow, 7. März 1842, von Dönhoff, 2. Febr. 1847.
Das war das einzige werthvolle Geſchenk, das der Deutſche Bund ſeinem begeiſterten königlichen Verehrer verdankte, und es ward dargebracht mit einer Großmuth, welche der wohlberechtigten Anſprüche Preußens gar nicht gedachte. Friedrich Wilhelm verſuchte nicht einmal, für ſeine Truppen das Mitbeſatzungsrecht in den oberdeutſchen Bundesfeſtungen zu fordern, ſondern bewilligte ganz unbedenklich, daß Oeſterreich im Frieden für Ulm einen Theil der Artillerie, für Raſtatt die Pioniere, im Kriege für beide Feſtungen ein Drittel der Beſatzung ſtellen ſollte; ließ man die Oeſter - reicher alſo bis zum Oberrhein vorgehen, ſo ſchien der preußiſche Staat auf die Vertheidigung Süddeutſchlands, die er doch 1831 und 1840 für ſich gefordert hatte, für die Zukunft freiwillig zu verzichten. Daß Raſtatt jemals, ſo wie es im Jahre 1870 wirklich geſchah, einen Angriff auf Straß - burg unterſtützen könnte, ward noch gar nicht als möglich angenommen; nur Vertheidigungszwecken ſollte die neue Bundesfeſtung dienen und auch die Arbeiten der ſüddeutſchen Generalſtabsoffiziere erörterten immer nur die klägliche Frage, wohin man ſich bei einem franzöſiſchen Angriffe zurückziehen müſſe.
Seit im Frühjahr 1841 die Kriegsrufe der Franzoſen ſchwächer wurden, ließ der politiſche Eifer der kleinen Höfe überall nach; ſie alle prieſen ſich im Stillen glücklich, daß der Deutſche Bund wieder in ſeine Nichtigkeit zurückſank. Baden hatte noch zu Anfang des Jahres einen recht ver -104V. 2. Die Kriegsgefahr.ſtändigen Landwehrplan für Süddeutſchland ausarbeiten laſſen, den ein - zigen, der die Landwehr aus geſchulten alten Linienſoldaten bilden wollte und ſich einigermaßen an das bewährte preußiſche Vorbild anſchloß. *)Badiſche Denkſchrift „ über die Errichtung einer Landwehr in den verſchiedenen ſüddeutſchen Staaten “1841.Nach wenigen Monaten war von Alledem keine Rede mehr, und Prinz Emil von Heſſen ſagte nachher traurig zu dem preußiſchen Bundesge - ſandten: die beſte Gelegenheit, das preußiſche Heerweſen im Süden einzu - führen, iſt verſäumt. **)Dönhoff’s Bericht, 9. März 1843.Metternich ſchrieb noch im Frühjahr triumphirend an den König von Württemberg: Durch das erwachte Nationalgefühl „ hat ſich die gediegenſte der Mächte in innerer Kraft und Kopfzahl, der Deutſche Bund ſeit ſeinem Entſtehen zum erſten male auf dem Felde der euro - päiſchen Politik gezeigt. Die Erfahrung hat bewieſen, was der Bund zu ſein vermag wenn er einig daſteht. “ Die Antwort des Schwabenkönigs aber klang entſchieden mißtrauiſch: „ Dieſe nämlichen Reſultate werden ſich ſtets wieder erneuern, ſo lange die Grundregeln des Bundes — gleiche Rechte und gleiche Pflichten — beobachtet, und ebenſo nur im deutſchen Intereſſe ſolche Opfer verlangt werden, welche Regierungen und Völker bringen können. “ ***)Metternich an König Wilhelm von Württemberg, 26. April. Antwort 5. Mai 1841.Unter Freunden äußerte ſich König Wilhelm noch weit ſchärfer; dem ſächſiſchen Geſandten Noſtitz-Jänkendorf klagte er: ſo weit iſt ſelbſt Napoleon nicht gegangen, daß er die Rheinbundstruppen ge - muſtert hätte! †)Dönhoff’s Bericht, 20. April 1844.
Und wie ſollten auch die kleinen Fürſten Vertrauen faſſen, wenn die Hofburg, die alte Feindin der nationalen Idee, jetzt plötzlich das deutſche Nationalgefühl feierte! Der letzte Grund der deutſchen Zerriſſenheit lag in Wien. „ Die moraliſchen Kräfte Oeſterreichs ſchlummern; Alles was ſich dieſer Luft nähert, wird davon angeſteckt, “ſo ſchrieb Maltzan, der Freund Metternich’s um Neujahr 1841; und ſein Nachfolger Canitz, der dem k. k. Staatskanzler noch näher ſtand, ſagte ein Jahr nachher: „ Man ſcheint hier zu glauben, daß die Maſchine des Deutſchen Bundes zer - brechen würde ſobald man verſuchte ſie in Bewegung zu ſetzen. Da man immer fürchtet zu viel zu thun, ſo liebt man gar nichts oder ſo wenig als möglich zu thun. “ ††)Berichte von Maltzan, 5. Jan. 1841, von Canitz, 26. Jan. 1842.So lange der König von Preußen dieſe Wahrheit nicht einſah, mußten alle ſeine hochherzigen Reformpläne ein Stückwerk bleiben. Er aber wollte ſie nicht einſehen. Er ging darüber hinweg, daß die Allgemeine Zeitung den preußiſchen Staat eben jetzt in höchſt gehäſſigen Artikeln befehdete, welche erſichtlich aus Metternich’s nächſter Umgebung herrührten; er fand es nicht einmal anſtößig, daß Hof -105Ende der Demagogenverfolgung.rath Berly, der Vertraute des Grafen Münch, in der Frankfurter Ober - poſtamtszeitung (3. April 1841) höhniſch ſagte: Preußen denkt nicht „ an das Schreckgeſpenſt der deutſchen Einheit “, das die Franzoſen ſich vor - halten; dergleichen mochte zur Zeit der Schlacht von Roßbach vielleicht zutreffen; Friedrich Wilhelm IV. aber weiß, daß Friedrich von Hohen - zollern in demſelben Jahre Burggraf wurde, da Rudolf von Habsburg die Kaiſerkrone empfing!
Ganz ohne heilſame Nachwirkung blieb die ſchöne nationale Begeiſte - rung dieſer unruhigen Tage mit nichten; in den weltbürgerlichen Taumel des letzten Jahrzehnts konnte der deutſche Liberalismus nie wieder ganz zurückfallen. Aber ſehr merklich war doch die Abkühlung als die Kriegsgefahr verſchwand. Da alle Kriegsrufe, denen kein offener Kampf folgt, nachträglich komiſch erſcheinen, ſo ſäumten die Spötter nicht an dem „ defenſiven En - thuſiasmus “Niklas Becker’s ihren ſtumpfen Witz zu wetzen; unter den radikalen Philiſtern aber entſtand die Meinung, jede deutſche Erhebung, die von den Fürſten gebilligt werde, ſei von Haus aus verdorben. Unter - deſſen verſank die Bundes-Militärcommiſſion bald wieder in ihr gewohntes Scheinleben. Sie berieth gründlich über die Wiedererſetzung eines vor - zeitig zerriſſenen Taues am Rothen Brunnen zu Luxemburg; ſie brauchte Jahre um Frieden zu ſtiften zwiſchen den hadernden Staaten des neunten Armeecorps. Für dieſes hatte bisher vertragsmäßig das Königreich Sachſen allein die Pontoniere geſtellt; da kam der heſſiſche Prinzregent plötzlich auf den Einfall, daß ſich auch Kurheſſen den Genuß eines eigenen Brücken - trains geſtatten dürfe, und kündigte eigenmächtig den Vertrag. Der artige Dresdener Hof konnte darauf nicht umhin „ das lebhafte dieſſeitige Be - dauern über die jenſeitigen Abſichten “auszudrücken; Naſſau und Luxem - burg pflichteten ihm bei. Der Heſſe aber erwiderte entrüſtet: er glaube noch Dank zu verdienen für ſeinen vaterländiſchen Eifer, denn ſein Brücken - train ſei 126 Fuß lang, während Kurheſſen nach den Bundesgeſetzen nur für 110 Fuß Brückenlänge zu ſorgen habe. *)Dönhoff’s Berichte, 17. Mai 1844 ff.Ueber ſolchen wichtigen Berathungen geriethen die Rügen der Bundes-Inſpectoren faſt überall in Vergeſſenheit. In Württemberg betrug der Präſenzſtand der Compag - nie bald wieder nur 15 Mann; und ſollte die Stuttgarter Garniſon bei Eröffnung des Landtags Spalier bilden, dann mußten in Eile die Be - urlaubten einberufen werden. **)Bericht von General v. Thun, Stuttgart 22. Jan. 1848.
Auch auf den anderen Gebieten der Bundespolitik vermochte König Friedrich Wilhelm von ſeinen guten Abſichten faſt gar nichts durchzu - ſetzen. Er erreichte nur, da er ſelbſt mit dem guten Beiſpiele der Am - neſtie vorangegangen war, daß die Demagogenverfolgung endlich aufhörte und die Bundes-Centralbehörde im Auguſt 1842 vertagt wurde — denn106V. 2. Die Kriegsgefahr.ſie gänzlich aufzulöſen ſchien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich. Er ließ dabei die Hoffnung ausſprechen, die Heimkehr der Mitglieder der Centralbehörde werde „ als ein neues ſicheres Zeichen einer günſtigeren Geſtaltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen “in ganz Deutſchland freudig begrüßt werden. Doch ſeine eigenen Beamten ver - mochten dieſe Hoffnungen nicht zu theilen. Nach dem Tode des trefflichen bairiſchen Geſandten v. Mieg geſtand Geh. Rath v. Sydow traurig: jetzt könne der Bundestag ſelbſt ſehr mäßigen Anſprüchen nicht mehr genügen, und nur noch durch einen durchgreifenden Perſonenwechſel neues Leben gewinnen. *)Sydow’s Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842.Geiſtreiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn des mecklenburgiſchen Bundesgeſandten, wurden durch die abſchreckende Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis - mus hinübergeſcheucht. In der Hofburg betrachtete man dieſen Jammer mit unverwüſtlichem Gleichmuth; ja Metternich kam, zur Verzweiflung König Friedrich Wilhelm’s, mehrmals zurück auf ſeinen alten Vorſchlag: ob man nicht den ſtändigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder - kehrende Geſandtenconferenz erſetzen ſolle?
Wie weit die Deutſchen noch von einem lebendigen, inſtinktiven Na - tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in dieſen Tagen vater - ländiſcher Begeiſterung ein aberwitziger Streit, der ſich auf den viel - beſungenen grünen Wogen des freien deutſchen Rheines abſpielte. In ſeiner inneren Politik conſervativ bis zum Starrſinn, blieb Miniſter du Thil doch der beſte Deutſche unter den ſüddeutſchen Staatsmännern. Er hatte bei der Begründung des Zollvereins bewieſen, wie hoch er über allem partikulariſtiſchen Kleinſinne ſtand, und verhehlte keineswegs, daß er die Militärhoheit der kleinen Fürſten für einen gemeinſchädlichen Miß - brauch hielt; aber — das war der Fluch dieſer Bundesverfaſſung — ſo lange die Souveränität der kleinen Staaten beſtand wollte er der Würde ſeines Großherzogs nicht das Mindeſte vergeben. **)Nach du Thil’s Aufzeichnungen.Dies gewaltige heſſen - darmſtädtiſche Selbſtgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwiſtigkeiten. Darmſtadt unterſtand ſich einen Orden Philipp’s des Großmüthigen zu ſtiften. In Kaſſel hingegen wurde der gemeinſame Stammvater der heſſiſchen Häuſer als ein kurheſſiſcher Nationalheld betrachtet und die Selbſtüber - hebung der jüngeren Linie allgemein verurtheilt; es währte mehrere Jahre bis der Zorn ſich legte und kurheſſiſche Beamte die Erlaubniß erhielten den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte ſich der darmſtädtiſche Stolz, als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Caſtel nach Biebrich er - öffnet wurde. Die Bahn war, da ſie durch ein Stück heſſiſchen Gebietes führte, unter Mitwirkung du Thil’s zu Stande gekommen. Es zeigte ſich jedoch bald, daß ſie den Mainzer Handel ſchädigte. Während die vordem107Der Biebricher Rheindamm.ſo ſchwunghafte Schifffahrt auf dem unteren Maine zu erlahmen begann, eröffnete die Naſſauer Regierung zu Biebrich einen Freihafen, in der freundnachbarlichen Abſicht auch den Rheinverkehr des Mainzer Hafens an ſich zu reißen, und ließ ſodann Strombauten ausführen, welche das Fahrwaſſer von Mainz hinweg nach dem rechten Ufer ablenken ſollten.
Da der Bundestag ſeine Pflichten gegen die deutſche Schifffahrt gänzlich verabſäumt hatte, ſo beruhten alle Rechtsverhältniſſe des Rhein - ſtroms lediglich auf Treu und Glauben, auf Verträgen zwiſchen den ſouveränen Uferſtaaten, und Niemand hätte für möglich gehalten, daß ein deutſcher Staat ſich erdreiſten würde den vereinbarten Thalweg eigen - mächtig zu verändern. Um ſo lauter alſo der Zorn der benachtheiligten Rheinheſſen. Die Mainzer tobten: durch die Genehmigung der Taunus - bahn hätten „ die garſtigen Hackeln “— ſo hießen die Darmſtädter Be - amten nach den Tannenzapfen ihrer Nadelwälder — ſchon des Unheils genug angeſtiftet, nun ſollten ſie dem goldenen Mainz mindeſtens ſein altes Fahrwaſſer retten. Denn die Dampfſchifffahrt auf dem Rheine nahm neuerdings erfreulich zu, Preußen unterſtützte ſie durch Nachlaß an den Flußzöllen; ſchon begann man auch die Moſel mit Dampfern zu befahren; Antheil zu behalten an dieſem neuen Verkehrsmittel war für jede Rheinſtadt eine Lebensfrage. Die Rheinſchifffahrts-Commiſſion der Uferſtaaten in Mainz vermochte nicht zu helfen; ſie bemühte ſich ſeit Jahren durch treufleißige Verhandlungen, bei denen Naſſau und Darm - ſtadt ſtets als die ärgſten Zänker auftraten, einen gemeinſamen Tarif für die Flußzölle zu vereinbaren, was ihr im Jahre 1845 endlich gelang; doch eine obrigkeitliche Gewalt beſaß ſie nicht, ſie konnte das ſouveräne Naſſau nicht zwingen. Die Mainzer durch eine linksrheiniſche Eiſenbahn zu entſchädigen war auch unmöglich; denn in militäriſchen Kreiſen herrſchte damals die ängſtliche Meinung, daß eine Verbindungsbahn zwiſchen den großen Rheinfeſtungen nur den Franzoſen die Eroberung des Landes er - leichtern würde, und noch viele Jahre hindurch blieb die kleine Bonn - Kölner Bahn die einzige Eiſenbahn am linken Ufer.
So gerieth du Thil in arge Verlegenheit. Wie verächtlich auch der bureaukratiſche Hochmuth der Darmſtädter „ Dienerſchaft “auf die öffent - liche Meinung herabzublicken pflegte: vor der ungeſtümen Beredſamkeit der liberalen Rheinheſſen fürchtete man ſich doch, denn ſie gab auf den Landtagen oft den Ausſchlag. Der heſſiſche Miniſter verſuchte zu - nächſt, durch dringende Vorſtellungen und Beſchwerden die naſſauiſche Regierung zur Wiederherſtellung des alten Thalwegs zu bewegen. Als er immer nur höhniſche Antworten erhielt, entſchloß er ſich endlich das Fauſtrecht zu gebrauchen und bereitete, mit eifriger Beihilfe der Rhein - heſſen, einen Gewaltſtreich vor. In der Nacht des 28. Febr. 1841 fuhr ein Zug von 103 ſchweren Rheinſchiffen durch die geöffnete Mainzer Schiffbrücke thalwärts; die Schiffer gaben den Feſtungsbehörden an, daß108V. 2. Die Kriegsgefahr.ſie Steine zum Kölner Dombau führten, und ſangen bei der Durchfahrt: „ ſie ſollen ihn nicht haben “, wobei ſie allerdings an die Naſſauer, nicht an die Franzoſen dachten. Nahe beim Biebricher Hafen hielt die Flotte plötzlich an, mehrere der Schiffe verſanken angebohrt, die anderen löſchten ihre Ladung in den Rhein, ein Offizier mit 20 Gensdarmen behütete die Arbeiter, und nach wenigen Stunden war der rechte Rhein-Arm zwiſchen der Inſel Petersau und dem Biebricher Ufer durch einen mäch - tigen Steindamm faſt völlig abgeſperrt. *)Sydow’s Bericht, 4. März 1841.
Mit heller Schadenfreude begrüßten die Rheinheſſen am anderen Mor - gen das ſeltſame Bauwerk. Du Thil hatte ſein ganzes Land hinter ſich und rühmte ſich noch im hohen Alter dieſer darmſtädtiſchen Heldenthat. **)Nach du Thil’s Aufzeichnungen.Unter dem heiligen Reiche hatte der Rhein ſolcher freundnachbarlicher Streiche ja ſchon viele geſehen. Wie oft waren damals die kurkölniſchen oder die bergiſchen Bauern bei Nachtzeit auf Geheiß ihrer Amtleute ausgezogen um die Faſchinen am Ufer gegenüber zu zerſtören. Die Naſſauer aber ſchimpf - ten weidlich auf „ unſere Nachbarn jenſeits des neuen Steindammes “, die fremden Diplomaten am Bundestage höhnten, und alle Witzbolde des lu - ſtigen Rheinlands trieben ihren Schabernack mit dieſem neuen Waſunger Kriege. Ein in der Frankfurter Gegend weitverbreitetes Lied beſang die Stein - leiden des alten Rheins mit einem cyniſchen Witze, der einer ſolchen Sache würdig war, und ſchloß mit der tröſtlichen Verſicherung: „ Der Deutſche Bund verſpricht von Herzen Ihm Hoffnung — Anno Siebenzig. “ ***)Offenes Sendſchreiben an unſre Nachbarn jenſeits des neuen Steindammes. Von einem Biebricher, als Mſcr. gedruckt Wiesbaden 1841. Fliegendes Blatt: „ Selbſt der ſo lange die Franzoſen “ꝛc. — ſehr biſſig, aber ganz unmittheilbar.Indeß die Friedensſtörung war doch allzu roh; ſelbſt das geduldige k. k. Gouvernement in Mainz konnte nicht umhin wegen Verletzung ſeiner Würde und Uebertretung der Rayons-Vorſchriften Klage zu erheben, da der heſſiſche Kyklopenbau noch innerhalb des Feſtungsgebietes lag. †)Bericht des k. k. Gouverneurs F. M. L. Graf Leiningen an das Bundesprä - ſidium, Mainz 2. März 1841.Die Bundesgeſandten bemühten ſich wetteifernd, den ärgerlichen Handel aus der Welt zu ſchaffen. Am gaſtlichen Tiſche des Grafen Münch traten die Miniſter der beiden ſtreitenden Mächte, Graf Walderndorff und du Thil einander näher. ††)Sydow’s Berichte, 1. 23. April 1841.Der Heſſe verſprach, den Steindamm ſo weit hinwegzuräumen, daß zwei Dampfſchiffe neben einander einlaufen könnten, verlangte aber um ſo nachdrücklicher die Wiederherſtellung des alten Thalwegs. Darüber entbrannte der Zwiſt ſofort wieder, und erſt nach dritthalb Jahren, im Auguſt 1843 kam unter Vermittlung des Bundes ein Vergleich zu Stande, der im Weſentlichen den Wünſchen der Heſſen109Frankreichs Bedrängniß.entſprach. *)Berichte von Dönhoff, 16. Aug. 1842, 3. Aug. 1843.Du Thil machte die angenehme Erfahrung, daß unter dieſem Bundestage Selbſthilfe am ſicherſten ihr Ziel erreichte. —
Mittlerweile ging die europäiſche Kriſis unter mannichfachen Schwan - kungen ihrer unvermeidlichen friedlichen Löſung entgegen. Keine der Großmächte, vielleicht mit Ausnahme Rußlands, wünſchte in vollem Ernſt den allgemeinen Krieg, ſie alle wurden durch wechſelſeitiges Mißtrauen in Schach gehalten. Darum erklärten auch die vier Mächte am 17. Sept., in einem Zuſatzprotokolle zum Julivertrage, dem türkiſchen Geſandten feierlich, daß ſie im Oriente weder beſondere Vortheile noch Gebiets - erweiterungen für ſich erſtrebten. **)Metternich an Neumann, 5. Oct. Liebermann’s Bericht, 3. Oct. 1840.Gleichwohl gerieth Thiers in die peinlichſte Lage. Kühne Pläne für Frankreichs afrikaniſche Machtſtellung hegte er nicht, die feſtländiſche Politik lag ſeinem Gedankenkreiſe näher. Aber eine öffentliche Beſchämung Frankreichs konnte ein Mann von ſeiner Vergangenheit kaum ruhig hinnehmen, und tief empörte ihn die heuch - leriſche Sprache in der Preſſe und den Denkſchriften der vier Mächte. Ihr werft uns vor, ſo ſagte er zu Apponyi, daß wir durch die Begün - ſtigung Mehemed Ali’s die Revolution nährten, und Ihr ſelber hetzt durch Eure Agenten die Völker Syriens zum Aufſtande gegen ihren Paſcha! ***)Werther d. J., Bericht aus Paris, 13. Sept. 1840.Doch wie ſollte er den ungleichen Kampf wagen? Seine leiſen Anfragen, ob nicht Preußen und der Deutſche Bund neutral bleiben würden, begegneten ſcharfer Ablehnung. †)Werther d. J., Pariſer Bericht, 5. Oct. 1840.Der Turiner Hof, der anfangs an Neutralität dachte, empfing von Metternich die Zurechtweiſung: „ der Krieg iſt nur möglich entweder mit Niemand oder mit aller Welt. “ ††)Metternich an Schwarzenberg in Turin, 11. Oct., an Trauttmansdorff 13. Oct. 1840.Fuhr das Schwert aus der Scheide, ſo ſtand Frankreich der geſchloſſenen Phalanx des legitimen Europas gegenüber. Thiers ſchwankte lange, der - weil er die Rüſtungen eifrig fortſetzte; noch zu Ende Septembers war er mit ſich nicht im Reinen. †††)Werther d. J., Pariſer Bericht, 30. Sept. 1840.Die Preſſe aber erwies ſich wieder als eine Macht des Unheils für das neue Frankreich, und Thiers am wenig - ſten konnte ihrem wilden Drängen widerſtehen, da er ſeine Laufbahn gutentheils den Zeitungen verdankte. Seine nächſten Freunde im Con - ſtitutionnel drohten: Wir haben ihn erhoben und wir laſſen ihn fallen wenn er Frankreich preisgiebt; „ die Gefahr der Schande iſt für eine Regierung ſchlimmer als die Gefahren des Krieges. “
110V. 2. Die Kriegsgefahr.Nun kam noch die Nachricht, daß die engliſch-öſterreichiſche Flotte den Angriff gegen die Küſtenplätze Syriens begonnen und die Wider - ſtandskraft der Aegypter ſich weit ſchwächer gezeigt hatte als man in Paris hoffte. Da wallte das heiße Provenzalenblut des Miniſters hoch auf; beſſer im Rheine als in der Goſſe ſterben, rief er zornig. Er ver - langte im Miniſterrathe, ohne durchzudringen, die ſofortige Abſendung der Flotte zum Schutze von Alexandria*)Werther d. J., Pariſer Berichte, 6. 11. Oct. 1840., und redete in ſeinen Depeſchen als ob er den Krieg der revolutionären Propaganda eröffnen wollte. Der Bund der vier Mächte, ſo ließ er ſich vernehmen, „ ähnele nur zu ſehr jenen Coalitionen, welche ſeit fünfzig Jahren Europa mit Blut bedeckt hätten “, und habe bereits den ſegensreichen Bund der Weſtmächte zer - ſtört. „ Fraget die Völker von Cadix bis zu den Ufern der Oder und der Elbe! Fraget ſie, und ſie werden antworten, daß dieſer Bund ſeit zehn Jahren den Frieden und die Unabhängigkeit der Staaten erhalten hat ohne der Freiheit der Völker zu ſchaden. “ **)Thier’s an Guizot 3. Oct., an Breſſon 9. Oct. 1840.Dabei hütete er ſich noch immer, die diplomatiſchen Formen allzu gröblich zu verletzen. Den Chartiſten Attwood, der mit einer Verbrüderungs-Geſandtſchaft radikaler Briten nach Paris kam, weigerte er ſich zu empfangen, weil ihm der engliſche Geſandte ſagte, man werde das in London übel aufnehmen. ***)Werther d. J., Pariſer Bericht, 17. Oct. 1840.Als aber die Kammern ſich wieder verſammelten, rieth Thiers dem Könige, ſtolz aufzutreten und in der Thronrede zu ſagen: er werde dem Frieden nicht das ihm von der Revolution anvertraute geheiligte Kleinod der na - tionalen Unabhängigkeit und Ehre opfern.
Dieſen Mißgriff hatte Ludwig Philipp nur abgewartet um ſich des verhaßten Miniſters zu entledigen. Er verweigerte ſeine Zuſtimmung zu der gefährlichen Drohung. Darauf trat Thiers zurück, und am 30. Oct. bildete Guizot ein neues Cabinet, in der erklärten Abſicht, die Verſöh - nung mit den vier Mächten herbeizuführen. †)Die Behauptung H. Wagener’s (die Politik Friedrich Wilhelm’s IV. S. 28), daß der König von Preußen durch Abſendung des Generals Dohna die friedliche Wen - dung der franzöſiſchen Politik mit bewirkt hätte, beruht auf einer Verwechslung. Graf Dohna war 1840 gar nicht in Paris, ſondern i. J. 1837, zum Beſuche der Manöver.Der Bürgerkönig ver - leugnete alle dieſe Zeit über ſeine Friedensſeligkeit niemals und geſtand bereits im September dem preußiſchen Geſchäftsträger: ich betrachte den Kriegslärm als ein Mittel um die längſt nöthige Vermehrung des Heeres und die Befeſtigung von Paris durchzuſetzen. Dies embastillement de Paris — wie die Radikalen ſpotteten — hatte ſchon vor einem Viertel - jahrhundert der Kaiſer Franz den Bourbonen anempfohlen; Ludwig XVIII. war jedoch nicht darauf eingegangen, da er der Treue ſeiner Franzoſen ſicher zu ſein glaubte. Jetzt nahm man die alten Entwürfe wieder auf:111Rücktritt des Miniſteriums Thiers.Ludwig Philipp weil er ſich gegen einen Pariſer Straßenaufruhr decken wollte, Thiers weil er weiter ſchauend erkannte, was die befeſtigte Haupt - ſtadt im Kriegsfalle für die Vertheidigung dieſes centraliſirten Landes leiſten konnte. *)Werther’s d. J. Berichte, 16. 30. Sept. 1840.Durch Thiers’ volksthümlichen Namen wurde die libe - rale Preſſe für den anfangs wenig beliebten Plan gewonnen, und nach - dem dies Ziel erreicht war, konnte der König leichten Herzens den un - bequemen Mann fallen laſſen. Das neue Friedensminiſterium war ſein eigenſtes Werk, und nach alter Gewohnheit ſuchte er nunmehr die vier Mächte zu einiger Nachgiebigkeit zu bewegen indem er ihnen das Schreck - geſpenſt der Revolution vorhielt. „ Wenn das gegenwärtige Cabinet fällt, ſo ſchrieb er, dann gebt Euch keiner Täuſchung hin: was dann folgt iſt der Krieg um jeden Preis und nachher ein vervollkommnetes 1793. “**)König Ludwig Philipp an König Leopold, 5. Nov. 1840.
Auch ſein Schwiegerſohn König Leopold bemühte ſich eifrig für den Frieden. Der hatte den Juli-Vertrag von Haus aus als einen Fehler betrachtet und ſogleich an Metternich warnend geſchrieben: „ Bedenken Sie, welchen Zündſtoff Sie in die Hände von Lord Ponſonby, Napier und Anderen dieſes Schlages gelegt haben. “ Auf der Freundſchaft der Weſt - mächte ruhte ſeine eigene Herrſchaft; und da er richtig erkannte, daß die Friedensſtörung diesmal von England und Rußland ausging, ſo eilte er ſchwer beſorgt nach Windſor um ſeine königliche Nichte vor dieſem „ mon - ſtröſen “Kriege zu warnen, und verſuchte zugleich durch Bülow, der ihm von lange her nahe ſtand, auf Palmerſton einzuwirken. ***)König Leopold an Metternich, mittgetheilt in Maltzan’s Bericht v. 21. Aug. 1840, Bülow’s Bericht 21. Aug. 1840.Sobald das neue Cabinet in Paris gebildet war, beſchwor er den Preußen (3. Nov.), die vier Mächte möchten dem franzöſiſchen Hofe eine goldene Brücke bauen: „ Laſſen wir das jetzige Miniſterium fallen, ſo bekommen wir Thiers als Chef der geſammten Linken ins Miniſterium, der unglückliche König muß ſich dann unterwerfen, und ein Krieg und Unheil jeder Art iſt un - fehlbar. “ Noch drängender ſchrieb er vier Tage darauf, „ da man ja natürlich annehmen muß, daß man es mit Downing-Street und nicht mit Bedlam zu thun hat: Ihre Hand hat mit den trefflichen Traktat unterzeichnet; ſie muß uns daher auch wieder von den Segnungen dieſes Traktats befreien, an denen wir Alle ſchlagähnlich darniederliegen. Laſſen Sie mir das gute jetzige Miniſterium umwerfen, ſo armire ich hier ganz beſtimmt, und das wird dann Deutſchland auch zum Armiren encoura - giren. “†)König Leopold an Bülow, 3. 7. Nov. 1840.
Dies emſige Treiben des ſchlauen Coburgers mußte den vier Mächten hochverdächtig erſcheinen, weil er offenbar nur ſagte was ſein Schwieger - vater ihm eingab. Sie waren, als ſie einſt in ſo vielen Verträgen,112V. 2. Die Kriegsgefahr.zuletzt noch in dem Schlußvertrage vom 19. April 1839, die vollſtändige Neutralität Belgiens ausbedungen hatten, alleſammt von der Voraus - ſetzung ausgegangen, daß die Unabhängigkeit des jungen Staates nur von Frankreich her bedroht werden könne. Nun erfuhren ſie, auf wie lockerem Grunde alle dieſe papierenen Verheißungen ſtanden; ſie durften nicht dulden, daß dies neutrale Land ſich erdreiſtete als europäiſche Macht aufzutreten, und ließen daher in Brüſſel ſehr nachdrücklich erklären: in der gegenwärtigen Lage bedeute die bewaffnete Neutralität Belgiens nichts anders als den Anſchluß an Frankreich, den Bruch aller europäiſchen Verträge. *)Schleinitz’s Bericht, London 18. Sept. Liebermann’s Bericht, Petersburg 23. Sept. 1840.
Alle dieſe Wechſelfälle beirrten den König von Preußen nicht in ſeiner faſt unbedingten Friedfertigkeit. Mit einer Wärme, welche weit über das Maß ſeiner wirklichen Gefühle hinaus ging, betheuerte er dem Bürger - könige beſtändig ſeine perſönliche Verehrung. Die Londoner Conferenz wünſchte er nach Wien zu verlegen, wo man Frankreich zuziehen könne und den Uebermuth Palmerſton’s nicht zu fürchten habe. Als er damit nicht durchdrang, ließ er dem ruſſiſchen Hofe ausſprechen, wie viel Schmerz ihm perſönlich die ablehnende Haltung Brunnow’s bereite. **)König Friedrich Wilhelm an Min. Werther, 26. Aug. 7. Oct. 1840.Noch deut - licher ſchrieb Werther nach Petersburg: Rußland lege dem Julivertrage einen ausſchließlichen und aufreizenden Sinn unter, welchen Oeſterreich und Preußen niemals billigen könnten; ihnen ſei es nie eingefallen, Frank - reich für immer von den orientaliſchen Verhandlungen auszuſchließen. Rußland ſtütze ſich auf Wüſten und auf friedliche Nachbarn und könne ſich daher wohl die Genugthuung geſtatten, das Scheinbild des in Wahr - heit nicht mehr beſtehenden Bundes der Weſtmächte zu zerſtören. Preu - ßen dagegen, obwohl feſt entſchloſſen einen aufgezwungenen Vertheidigungs - kampf mit voller Kraft zu führen, müſſe den Frieden wünſchen, da bei der Schwäche Oeſterreichs und der kleinen Staaten „ die ganze Laſt eines deutſchen Krieges auf Preußen fallen würde. Die Hilfe, welche uns Ruß - land leiſten könnte, würde, wie die Erfahrung gelehrt hat, verſpätet, un - vollſtändig und von tauſend Uebelſtänden begleitet ſein. “ An der Ver - nichtung Mehemed Ali’s wolle Preußen auf keinen Fall theilnehmen; ſein Ziel ſei die Erhaltung des osmaniſchen Reichs unter Mitwirkung Frankreichs. ***)Werther, geh. Weiſung an Liebermann 31. Oct., Bericht an den König 9. Nov., Weiſungen an Bülow 9. 11. Nov. 1840.Ganz ebenſo friedlich äußerte ſich Metternich, obwohl er ſeinen Abſcheu gegen „ Thiers’ verworfene Perſönlichkeit “mit ſtarken Worten bekundete;†)Metternich an Werther, 3. Sept. 1840. in langen lehrhaften Depeſchen verſuchte er den Mächten zu zeigen, wie man Frankreich in das europäiſche Concert zurückführen könne.
113Die Entſcheidung im Mittelmeere.Dieſer verſöhnlichen Politik der deutſchen Mächte widerſtand der Peters - burger Hof lange mit hochmüthiger Schroffheit. Nikolaus verhehlte nicht ſeine Schadenfreude über den Londoner Vertrag; er hoffte dem franzöſiſchen Thronräuber wo nicht eine Niederlage auf dem Schlachtfelde, ſo doch eine beſchämende öffentliche Demüthigung zu bereiten. Unter mannich - fachen Vorwänden lehnte Brunnow alle Vermittlungsvorſchläge ab. *)Berichte von Liebermann 3. Oct.; von Schleinitz, London, 5. 27. Oct., von Bülow 24. Oct. 1840.Auf jeden Fall, meinte der Czar, müſſe Frankreich den erſten Schritt zur Verſöhnung thun: „ wenn die Initiative für das franzöſiſche Cabinet ſchwer iſt, ſo iſt ſie für uns noch viel ſchwerer, und ganz gewiß werden wir ſie nicht ergreifen. “ **)Liebermann’s Bericht, 17. Oct. 1840.Und Neſſelrode ſchrieb den deutſchen Höfen: jeder Verſöhnungsverſuch wird Frankreichs Uebermuth nur ſteigern; jetzt iſt die Zeit „ dem franzöſiſchen Volke eine Lektion zu geben, die ihm ebenſo nöthig iſt wie ſie für uns vortheilhaft ſein wird; “nach den Kriegsdroh - ungen der Franzoſen können die vier Mächte heute Vieles nicht mehr bewilligen was früher annehmbar erſchien. ***)Neſſelrode an Tatiſtſchew in Wien, 5. Oct. a. St., an Meyendorff in Berlin, 12. 25. 31. Oct. a. St. 1840.Faſt ebenſo herausfordernd redete zuweilen das engliſche Cabinet. Obgleich Palmerſton anfangs, gleich den anderen Mächten, die Abſetzung Mehemed Ali’s verurtheilt hatte, ſo blieb er doch auf die Dauer nicht unempfänglich für die Berichte Pon - ſonby’s, der polternd und ſchmähend den fanatiſchen Haß des Divans noch zu überbieten ſuchte. Derſelbe Lord Feuerbrand, der in Europa jede muthwillige Empörung ſchadenfroh begünſtigte, entblödete ſich nicht, die Doktrin der ſtarren Legitimität auf den Orient anzuwenden, wo für ein legitimes Recht gar kein Boden war, und meinte jetzt mit Ponſonby: man dürfe dem Sultan die jedem Souverän zuſtehende Befugniß, einen rebelliſchen Statthalter abzuſetzen, nicht beſtreiten. Der preußiſchen Re - gierung ließ er, da ſie den Gewaltſtreich des Sultans nach wie vor miß - billigte, mit gewohnter Ungeſchliffenheit ſagen: ſie habe ſich „ nicht die Mühe gegeben dieſe Sache und ihre Folgen zu ergründen. “ †)Ponſonby an Palmerſton 10. Sept. Will. Ruſſell an Werther 20. Oct. 1840.Bis zur Vernichtung Mehemed Ali’s wollte er allerdings nicht gehen; er wünſchte vielmehr, der rebelliſche Paſcha möge ſich dem Oberlehnsherrn bald unter - werfen, um dann vom Sultan begnadigt und mit der Erbherrſchaft über Aegypten neu belehnt zu werden. ††)Palmerſton, Weiſung an Ponſonby, 15. Oct. 1840.
Die Meinungsverſchiedenheit im Schooße der vier Mächte begann ſchon bedrohlich zu werden; da fiel die Entſcheidung auf dem orientaliſchen Kriegsſchauplatze. Die Flotte der Verbündeten, mit einer Handvoll tür - kiſcher Truppen an Bord eroberte, nicht ohne die Beihilfe des engliſchenv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 8114V. 2. Die Kriegsgefahr.Goldes, die ſyriſchen Küſtenplätze Byblus, Beirut, Saida. Am 2. Nov. wurde nach kurzer Beſchießung das Banner des Großherrn neben den Fahnen Oeſterreichs und Englands auf den Wällen der unbezwinglichen Feſtung Akkon aufgepflanzt. Der junge Erzherzog Friedrich, ein Sohn des Siegers von Aspern zeichnete ſich bei dieſen Kämpfen rühmlich aus, und groß war die Freude in Wien, da die Welt jetzt zum erſten male von einer Waffenthat der öſterreichiſchen Flotte hörte. Währenddem tobte im Innern Syriens der Aufruhr, und die Verbündeten trugen kein Be - denken die Empörer mit Waffen zu verſehen. Alſo zugleich von der Küſte und vom Binnenlande her bedroht entſchloß ſich Ibrahim Paſcha die Trümmer ſeines zerrütteten Heeres nach Aegypten zurückzuführen. Die Herrſchaft ſeines Vaters über Syrien war vernichtet. Nun ſegelte Com - modore Napier, der gefeierte britiſche Seeheld jener Tage, der auch in Syrien das Beſte gethan hatte, mit ſeinem Geſchwader auf die Höhe von Alexandria und ſchloß dort am 27. Nov. mit dem erſchreckten Paſcha einen Vertrag, kraft deſſen Mehemed Ali verſprach ſich dem Sultan zu unterwerfen und die geraubte türkiſche Flotte wieder auszuliefern; dafür ſollte er, mit Genehmigung der vier Mächte, als Vaſall des Großherrn die ägyptiſche Erbherrſchaft wieder erhalten.
Die eigenmächtige That des tapferen Commodores erregte an den Höfen allgemeine Verwunderung. Metternich ſchrieb entrüſtet: „ Das iſt eine ſaubere Tollheit. Napier hat bewieſen, daß er ſich trefflich aufs Fenſtereinwerfen verſteht, er verſteht indeſſen auch die Vernunft in Stücke zu ſchlagen. “ *)Il est à la fois un brise-raison. Metternich an Eſterhazy 21. Dec. 1840.Palmerſton aber, deſſen Uebermuth ſeit den ſyriſchen Erfolgen ſehr hoch geſtiegen war, heuchelte wieder legitimiſtiſche Bedenklichkeiten; er ſagte ſalbungsvoll: „ es iſt unvereinbar mit den Grundſätzen der engliſchen Regierung einem Unterthan eine politiſche Gewalt, welche ihm ſein Souve - rän gewährt hat, förmlich zu verbürgen. “ **)Palmerſton an die Lords der Admiralität, 15. Dec. Werther’s Weiſungen an Arnim 17. Nov., an Bülow 19. Nov. 1840.Bei ruhiger Prüfung mußte man doch allerſeits zugeben, daß Napier’s derber Seemannsverſtand ge - nau die Löſung gefunden hatte, welche den Ergebniſſen des kurzen Feld - zuges und den neuen Machtverhältniſſen entſprach. Schon vor dem Vertrage von Alexandria, ſchon am 17. Nov. hatte Bülow, der unermüdliche Ver - mittler, auf der Londoner Conferenz durchgeſetzt, daß man dem Paſcha den erblichen Beſitz Aegyptens gewähren müſſe. Ward im Oriente ein Waffenſtillſtand auf ſolche Bedingungen hin abgeſchloſſen, ſo konnte Frank - reich ſeine Zuſtimmung kaum mehr verweigern, weil Syrien doch für Mehe - med Ali verloren war, und das in Berlin ſo ſehnlich gewünſchte Ein - verſtändniß aller europäiſchen Mächte ſtellte ſich faſt von ſelbſt wieder her. ***)Bülow’s Bericht, 17. Nov. Arnim’s Bericht, 22. Nov. 1840.
115Miniſterium Guizot.Die Stellung Guizot’s und ſeines Friedenscabinets blieb gleichwohl noch lange ſehr peinlich. Seit Monaten befand ſich das franzöſiſche Volk in einem krampfhaften Zuſtande kriegeriſcher Aufregung. Alles jauchzte, da aus Algier die Nachricht kam von einem großen Siege, der bei Maſa - gran über die Horden Abdel-Kader’s erfochten ſein ſollte; und als ſich die Siegesbotſchaft bald nachher als eine plumpe Erfindung erwies, da wagte keine einzige Pariſer Zeitung die Lüge zu widerlegen, jeder Fran - zoſe blieb fortan verpflichtet an die märchenhafte Heldenthat zu glauben, deren Ruhm in allen großen Städten Frankreichs durch die neuen Rues de Masagran verewigt wurde. Alſo geſtimmt konnte die Nation durch die wahr - lich beſcheidenen ſyriſchen Siege der Verbündeten nur noch mehr erbittert werden. Zumal die leichte Eroberung jenes Akkon, das einſt einem Bona - parte widerſtanden hatte, erſchien den Pariſer Boulevardiers wie eine perſön - liche Beleidigung. Das Kriegsgeſchrei hielt den ganzen Winter hindurch an und ward für die Regierung immer kränkender. Die öffentliche Meinung beſänftigte ſich auch nicht, als Ludwig Philipp die Aſche Napoleon’s nach Paris zurückführen ließ und in dem pomphaften Leichenzuge mit einem male die verſchliſſenen Uniformen der kaiſerlichen Tage wieder auftauchten. Guizot freilich ſagte in ſeiner verblendeten Selbſtgewißheit: es war ein bloßes Schau - ſpiel; Prinz Ludwig Napoleon aber, der im Schloſſe zu Ham die Strafe für ſeinen zweiten abenteuerlichen Aufſtandsverſuch abbüßte, ahnte ſiegesfroh, daß die napoleoniſche Legende wieder Macht gewann über die Herzen der Franzoſen. Dieſem ſtolzen Volke konnte die Vergleichung der großen Ver - gangenheit mit der kleinen Gegenwart nur tief ſchmerzliche Gefühle erregen. Indeß die Unmöglichkeit, das verlorene Syrien dem Lieblinge der Pariſer zurückzugewinnen lag klar am Tage, früher oder ſpäter mußte ſich Frank - reich in die vollendeten Thatſachen finden.
Noch blieben auf der Londoner Conferenz große Schwierigkeiten zu überwinden. Von dem Oeſterreicher Neumann unterſtützt that Bülow ſein Beſtes um den Knoten, den er ſelber mit geſchürzt, wieder zu löſen. Palmerſton zögerte, weil er ſich zu tief in den Streit verbiſſen hatte, und der beſtändig durch Ponſonby’s brutale Drohungen aufgeſtachelte Hoch - muth der Pforte wollte ſich lange zu keinem Zugeſtändniß an den ägyp - tiſchen Rebellen bequemen. *)Bericht des k. k. Internuntius, 21. Dec. 1840. Werther’s Weiſung an Maltzan, 21. Jan. 1841.Am früheſten bekehrte ſich Rußland zu den verſöhnlichen Anſchauungen der beiden deutſchen Höfe. Mit ganz unge - wöhnlicher Freundlichkeit ſchrieb Neſſelrode ſchon im December nach Paris: er vertraue „ der muthigen Offenheit “Guizot’s, keine der vier Mächte wünſche Frankreich von dem allgemeinen Einverſtändniß auszuſchließen. **)Neſſelrode’s Weiſung an Pahlen, 25. Nov. / 7. Dec. 1840.Müde des ewigen Zauderns der engliſchen Regierung, erklärte Bülow8*116V. 2. Die Kriegsgefahr.endlich, gemeinſam mit dem Oeſterreicher: die deutſchen Mächte müßten dem Divan ihren Beiſtand entziehen. *)Bülow’s Bericht, 26. Jan. 1841.Dieſe Drohung wirkte. Nur vier Tage nachher (30. Jan. 1841) richteten die Geſandten der vier Mächte an Shekib Effendi eine gemeinſame Note, welche den Sultan dringend aufforderte dem Paſcha die erbliche Herrſchaft über Aegypten zu gewähren und dergeſtalt den Streit beizulegen. **)Note der vier Mächte an Shekib Effendi, 30. Jan. 1841.
„ Unſer großes Geſchäft iſt alſo nahezu beendigt “, ſchrieb Palmerſton erleichtert; „ noch bleibt uns übrig der Krieg gegen den bewaffneten Frieden. “ ***)Palmerſton an Bülow, 1. Febr. 1841.Auch dieſer Sorge ſollten die vier Mächte bald enthoben werden. Aufs Eifrigſte bemühte ſich König Leopold, der im Februar nochmals nach London kam, den Franzoſen eine goldene Brücke zu bauen. Da Guizot mittlerweile die Gewißheit gewonnen hatte, daß die Kammern die Befeſtigung von Paris genehmigen würden, ſo durfte er jetzt unbe - denklich dem Protokolle zuſtimmen, das zwiſchen den vier Mächten am 5. März vereinbart wurde und dem Paſcha die erbliche Herrſchaft über Aegypten ſowie den lebenslänglichen Beſitz von Akkon beließ. †)Protokoll der vier Mächte, 5. März; Weiſung Guizot’s an Humann in Berlin, 20. März 1841.Nun galt es nur noch, mit Frankreich gemeinſam einen Vertrag über die orientaliſchen Dinge abzuſchließen um die wiederhergeſtellte Eintracht Europas feierlich zu bekunden. Viel Neues konnte dies Abkommen aller - dings nicht bringen; denn obwohl alle Staatsmänner mit dem Ernſte der Auguren die Unantaſtbarkeit der Türkei als „ ein politiſches Axiom “bezeichneten, ſo wollte doch weder Frankreich noch Rußland eine förmliche Bürgſchaft für den Beſtand dieſes Reichs übernehmen. ††)Neſſelrode an Meyendorff, 10. Dec. a. St. 1840.Mit naiver Dreiſtigkeit bemerkte Brunnow, die häßlichſten Erinnerungen der mosko - witiſchen Politik wieder wach rufend: ſolche Bürgſchaften ſeien nutzlos; das habe man ſeiner Zeit bei der Theilung Polens geſehen. †††)Bülow’s Bericht, 23. Febr. 1841.Der ſoge - nannte Meerengen-Vertrag, der am 15. Juli 1841 zwiſchen der Türkei und den vier Mächten vereinbart, gleich darauf auch von Frankreich an - genommen wurde, enthielt demnach, außer den Verabredungen über Mehe - med Ali, nur noch jene Zuſage, welche der Petersburger Hof gleich beim Beginne der Verwicklung gegeben hatte: beide Meerengen, Bosporus und Dardanellen, ſollten fortan in Friedenszeiten den Kriegsſchiffen aller Nationen verſchloſſen bleiben. Somit ward der gefürchtete Vertrag von Hunkiar-Iskeleſſi noch kurz vor ſeinem Ablauf geopfert, und mit erha - benem Stolze prieſen die ruſſiſchen Diplomaten dieſen neuen Beweis der verſöhnlichen Großmuth ihres Czaren.
117Der Meerengen-Vertrag.Dergeſtalt nahm dieſer große diplomatiſche Kampf, der langwie - rigſte welchen Europa ſeit dem belgiſchen Streite erlebt hatte, ein armſe - liges Ende. Im Grunde konnte ſich nur der Sultan des Ausgangs freuen. Er war durch die vier Mächte vor den Folgen einer ſchmählichen Nieder - lage bewahrt worden und durfte nunmehr hoffen, unbeläſtigt durch einen thatkräftigen Hausmeier ſein nichtiges Schlummerleben noch eine gute Weile fortzuführen. Selbſt die Erbherrſchaft des Rebellen am Nil ließ ſich zur Noth ertragen. Den Osmanen galt ſie keineswegs für eine un - abänderliche Thatſache, weil Mehemed Ali’s Geſchlecht nicht heilig war und der Orient ein geſichertes Thronfolgerecht kaum kennt. Die Fäul - niß des Reiches der Sultane hatte ſich freilich ſo grell offenbart, daß ſogar H. v. Moltke, der den Türken ſo viel edle Kraft geopfert hatte, jetzt in der Allgemeinen Zeitung rundweg ausſprach, ein chriſtlich-byzantiniſches Reich müſſe dereinſt die Erbſchaft am Bosporus antreten. Vorläufig je - doch ſtand der Halbmond auf der Kuppel der Hagia Sophia wieder feſt, und bei der Eiferſucht der Franken blieb es ſehr zweifelhaft, wann jemals das Kreuz wieder über dem Chriſtendome Juſtinian’s glänzen würde. Noch mehr, die Türkei war jetzt zum erſten male in eine europäiſche Conferenz als vertragſchließende Macht eingetreten und hatte alſo, vornehmlich durch Englands Schuld, in der Völkergeſellſchaft des Abendlandes eine Stellung erlangt, welche ihr in keiner Weiſe gebührte; denn das euro - päiſche Völkerrecht beruht auf der chriſtlichen Idee der Verbrüderung der Nationen, der Koran hingegen kennt nur zwei Reiche auf Erden, das Reich des Islams und das Reich des Krieges, mithin darf ein muha - medaniſcher Staat die Grundgedanken völkerrechtlicher Gleichheit und Gegenſeitigkeit nicht ehrlich anerkennen. Die vielverheißene Gleichberech - tigung der Rajahvölker mußte ein leeres Wort bleiben, weil die Herr - ſchaft der Gläubigen über die Ungläubigen eben das Weſen dieſer un - wandelbaren theokratiſchen Verfaſſung ausmachte; noch immer diente kein einziger Chriſt im türkiſchen Heer, das ja ausdrücklich zur Knebelung der Chriſten beſtimmt war. Die Aufnahme eines ſolchen Staates in die Rechtsgemeinſchaft der chriſtlichen Völker war eine häßliche Unwahrheit; ſie wurde jedoch von der aufgeklärten liberalen Welt, die ſich der chriſtlichen Grundlagen unſerer Cultur nur ungern erinnerte, als ein erfreulicher Fort - ſchritt der Geſittung geprieſen; praktiſch ſchien ſie darum erträglich, weil die Pforte im Gefühle ihrer Schwäche ſich bald von einer bald von meh - reren der chriſtlichen Mächte leiten ließ.
Wie man in Petersburg die Londoner Verträge anſah, das hat Neſſel - rode 1850 ausgeſprochen in einem Rechenſchaftsberichte über die auswärtige Politik des letzten Vierteljahrhunderts, den er dem Czaren zum Regierungs - jubelfeſte überreichte. Da ſchilderte er — aufrichtig wie er unter vier Augen ſprechen durfte, und mit einer faſt mongoliſchen Ruhmredigkeit: — erſt die Julirevolution habe der Regierung des Kaiſers „ den wahren118V. 2. Die Kriegsgefahr.Charakter aufgeprägt, der ſie in der Zukunft auszeichnen würde. “ Seit - dem ſei Nikolaus „ für die Welt der Vertreter der monarchiſchen Idee, die Stütze der Grundſätze der Ordnung, der unparteiiſche Vertheidiger des europäiſchen Gleichgewichts geworden, “und, wenn auch oft gehemmt durch „ die Furchtſamkeit “ſeiner deutſchen Verbündeten, doch endlich 1841 dahin gelangt, das feindſelige und verderbliche engliſch-franzöſiſche Bünd - niß zu ſprengen. Ueber Rußlands orientaliſche Politik ſagte er ſehr deut - lich: „ Indem Ew. Maj. ſorgſam vermieden, ſich durch eine Bürgſchaft für den Länderbeſtand eines verfallenden Staates zu binden, um nicht im Voraus die Zukunft Rußlands feſtzulegen, befolgten Sie immer den Grundſatz, für jetzt die Unantaſtbarkeit der ottomaniſchen Beſitzungen zu wahren, da die Nachbarſchaft dieſes Staates, in dem Zuſtande verhält - nißmäßiger Schwäche worin ihn unſere früheren Eroberungen gelaſſen haben, unter den gegenwärtigen Umſtänden das für unſere politiſchen und Handels-Intereſſen günſtigſte Verhältniß darbietet. Sonderbare Wirkung des Wechſels, den das Glück in den gegenſeitigen Beziehungen hervorge - bracht hat! Die Macht, die man früher als den natürlichen Feind der Türkei betrachtete, iſt ihre feſteſte Stütze und ihr treueſter Verbündeter geworden. “ Demgemäß hat Rußland zweimal den Sultan vor dem ägyp - tiſchen Rebellen gerettet. „ Die zweite dieſer Kriſen, weniger glänzend vielleicht, hat beſſer geſicherte Ergebniſſe herbeigeführt. Der Vertrag von Hunkiar-Iskeleſſi, wogegen Frankreich und England ſich vergeblich verwahrt hatten, wurde ſcheinbar vernichtet, in Wahrheit unter einer anderen Form verewigt. Der neue, von allen Mächten anerkannte Vertrag, der an ſeine Stelle trat, unterſagte den Kriegsſchiffen die Einfahrt in die Dardanellen und ſichert uns fortan gegen jeden Angriff von der Seeſeite. “*)Neſſelrode, Denkſchrift über die auswärtige Politik i. d. J. 1825 — 50. St. Peters - burg 20. Nov. a. St. 1850. S. Beilage 19.
Ganz ſo glänzend, wie dieſe prahleriſche Denkſchrift behauptete, waren Rußlands Erfolge nicht. Dem Czaren wurde freilich die Freude, daß der verhaßte Weſtbund ſich eine Zeit lang ſpaltete; doch die Trennung war keineswegs unwiderruflich. Durch den Meerengenvertrag opferte der Peters - burger Hof zwar wenig oder nichts, da das Schwarze Meer jetzt faſt ſo vollſtändig den Ruſſen gehörte wie vor hundert Jahren den Osmanen; gleichwohl war ſeine Machtſtellung in Pera erſchüttert, der Divan zeigte den unbedingten britiſchen Freunden mehr Vertrauen als dem trotz alles Selbſtlobes immerdar zweifelhaften ruſſiſchen Gönner. Und wie un - ſicher blieb das neugegründete freundliche Einverſtändniß mit England. Nikolaus überhäufte den engliſchen Geſandten mit Artigkeiten und zeigte gefliſſentlich überall ſeine Vorliebe für britiſches Weſen. **)Liebermann’s Berichte, 3. Sept. 1841 ff.Solche gottor - piſche Schauſpielerkünſte konnten doch den tiefen Gegenſatz, welcher die beiden um Aſiens Beherrſchung ringenden Mächte trennte, nicht beſeitigten. 119Ergebniſſe des Meerengen-Vertrags.Das mußte Brunnow erfahren, als er während der Londoner Conferenzen bei Wellington anklopfte, ob England und Rußland ſich nicht in Freund - ſchaft über ihr aſiatiſches Machtgebiet verſtändigen könnten. Weder Palmer - ſton noch der eiſerne Herzog wollte ſich auf ſolche Verhandlungen ein - laſſen; denn augenblicklich drang England überall auf aſiatiſchem Boden ſiegreich vor, in Syrien, in Afghaniſtan, in China, derweil die Ruſſen gegen Chiwa einen unglücklichen Feldzug führten, und ſich für die Zukunft die Hände zu binden widerſprach allem engliſchen Brauche. *)Bülow’s Bericht, 27. Nov. 1840.Alſo war der Czar mit Frankreich verfeindet, mit England und der Pforte nur loſe verbunden, von der Hofburg beargwöhnt und ſelbſt der preußiſchen Freundſchaft nicht mehr ſo ſicher wie vormals.
Auch England erfreute ſich keines ungetrübten Triumphes. Seine Herrſchaft im Mittelmeere war freilich von Neuem geſichert; aber Palmer - ſton’s ſchnödes Verfahren hatte die Franzoſen dermaßen aufgebracht, daß Ludwig Philipp den Lord gradezu als den Urheber des franzöſiſchen Miß - geſchicks bezeichnete, und ſelbſt in Guizot’s kaltem Herzen ein Stachel zurück - blieb. Eine Vergeltung konnte alſo ſehr bald eintreten; der jetzt von den Torys ſelbſt für unentbehrlich gehaltene Bund der Weſtmächte war nur nothdürftig wiederhergeſtellt. Auf Frankreichs inneren Frieden wirkten die orientaliſchen Händel wahrhaft verderblich ein. Was man auch zur Be - ſchwichtigung ſagen mochte, die Nachgiebigkeit Ludwig Philipp’s in einer Sache, wo er doch keineswegs Unrecht hatte, erſchien nach ſo lauten und anhaltenden Kriegsdrohungen wie eine Demüthigung Frankreichs. Die Deutſchen vermochten trotz ihrer Friedfertigkeit den Spott doch nicht ganz zu verbeißen; als Thiers bald nach dem Meerengenvertrage durch Berlin kam, ſangen die Studenten vor ſeinen Fenſtern: ſie ſollen ihn nicht haben! Un - möglich durfte eine ehrgeizige Nation, die von jeher gewohnt war die auswär - tige Politik mit argwöhniſcher Wachſamkeit zu verfolgen, eine ſolche Niederlage verzeihen. Guizot handelte klug und verſtändig, da er einem hoffnungsloſen Kampfe auswich; allein nicht jederzeit iſt Mäßigung die höchſte Tugend des Staatsmannes, nicht jederzeit iſt ihm erlaubt die Vorurtheile ſeiner Nation zu mißachten. Der Schimpfname „ Miniſterium des Auslandes “, der ſchon ſo vielen verhaßten Cabinetten beigelegt und immer wieder raſch vergeſſen worden war, blieb an Guizot’s Regierung haften; denn ganz ſinnlos war er diesmal nicht. Durch die Gunſt des Königs und die Machtmittel amtlicher Wahlbeherrſchung behauptete ſich das Friedensminiſterium viele Jahre hindurch am Ruder; im Volke ward es nie beliebt. Die Fran - zoſen wußten nunmehr, daß die Orleans kein Herz für die Ehre des Landes beſaßen, und einen ſolchen Makel konnte eine illegitime Dynaſtie ſchwerlich ertragen. Der Meerengen-Vertrag ward ein Nagel zum Sarge des Julikönigthums.
120V. 2. Die Kriegsgefahr.Auch die wohlgemeinte Politik Preußens erntete in dieſem diploma - tiſchen Spiele keine Lorbeeren. Friedrich Wilhelm hatte ſich durch Pal - merſton und Bülow unbedacht in einen Streit verwickeln laſſen, welcher dem Machtgebiete ſeines Staates fern lag, und war alsdann den engliſch - ruſſiſchen Ränken ſo lange gefolgt, bis er endlich gezwungen wurde, ſich unter manniſchfachen, wenig rühmlichen Windungen aus einer ſelbſtver - ſchuldeten falſchen Stellung wieder hinauszuretten. Er wünſchte auf - richtig den Beſtand des Julikönigthums, das er früher gehaßt hatte, jetzt aber als ein letztes Bollwerk der bürgerlichen Ordnung hochſchätzte; und doch half er ſelbſt mit, durch den Julivertrag die Grundlagen dieſer Monar - chie zu erſchüttern, eine neue franzöſiſche Revolution vorzubereiten, welche ihre Brandfackel leicht nach Deutſchland hinüberſchleudern konnte. Als die Rheingrenze bedroht ward erfüllte er ehrenhaft ſeine Pflicht gegen das Vaterland; aber wie unklar erſchien ſeine hochherzige Bundespolitik. Wo war denn jener Deutſche Bund, der in den Depeſchen der Hofburg als die erſte der europäiſchen Mächte gefeiert wurde? Auf der Londoner Con - ferenz beſaß er nicht einmal einen Vertreter. Es zeigte ſich zur Beſchä - mung der Phantaſten, daß für Europa ein Deutſchland neben Oeſterreich und Preußen überhaupt nicht vorhanden war. Friedrich Wilhelm’s deut - ſche Politik rechnete mit Faktoren, welche nirgends beſtanden. Und zu Alledem noch die klägliche Ohnmacht des altersſchwachen Oeſterreichs, die ſich durch Metternich’s hochtrabende Denkſchriften längſt nicht mehr be - mänteln ließ.
Nach dem großen Verſöhnungsfeſte des Meerengen-Vertrages war Europa tiefer denn jemals zerſpaltet. Von den alten Allianzen ſtand keine mehr ganz feſt, neue hatten ſich nicht gebildet. Das Staatenſyſtem der Wiener Verträge trieb rathlos einer furchtbaren Erſchütterung ent - gegen, wenn ſich nicht noch in der elften Stunde ein genialer Wille fand, der die zerſplitterten Kräfte Mitteleuropas zu einer geſchloſſenen Macht zuſammenballte. —
Schwerlich wäre König Friedrich Wilhelm an die Gefahren eines allgemeinen Krieges ſo nahe herangetreten, wenn nicht die religiöſe Be - geiſterung bei ſeinen Entſchlüſſen mitgewirkt hätte. Indem er ſich für die Unantaſtbarkeit der Türkenherrſchaft ausſprach, glaubte er, ſeltſam genug, den philhelleniſchen Geſinnungen ſeiner Jugend keineswegs untreu zu werden. Das herriſche Eingreifen der europäiſchen Mächte in die inneren Verhältniſſe des Orients erſchien ihm vielmehr wie eine Erneue - rung der Kreuzzüge, wie ein Sieg des Kreuzes über den Halbmond, und von vornherein ſprach er die Erwartung aus, dieſe Gelegenheit müſſe be - nutzt werden um allen chriſtlichen Kirchen auf dem Berge Zion eine Heimath zu ſichern. Jeruſalem war die heiligſte Stätte der Chriſtenheit,121Bisthum Jeruſalem.freilich auch die Stätte, wo ſich der Glaubenshaß der kirchlichen Parteien allezeit am roheſten bekundete; an jedem großen Kirchenfeſte mußten in der Kapelle des heiligen Grabes die muhamedaniſchen Kawaſſen da - zwiſchen fahren um mit ihren Stöcken und Krummſäbeln Frieden zu ſtiften unter den raufenden Mönchen der Lateiner und der Orthodoxen. Unter Mehemed Ali’s geſtrengem Regimente war die Ordnung leidlich gewahrt worden; er hatte ſogar den Judenmiſſionaren der Proteſtanten geſtattet ihre Thätigkeit im gelobten Lande zu beginnen. Jetzt da die Herrſchaft der Pforte durch die chriſtlichen Waffen wiederhergeſtellt wurde, machte man die demüthigende Erfahrung, daß die Lage der Chriſten ſich verſchlechterte.
Das rohe türkiſche Recht erkannte nur ſolche Kirchen an, welche ſich um ein ſichtbares Oberhaupt ſchaarten, die Proteſtanten waren mithin recht - los. Darum verlangte Friedrich Wilhelm in einer Denkſchrift, welche ihm ſein Radowitz ausgearbeitet hatte: in Jeruſalem ſollten drei Reſidenten ihren Wohnſitz aufſchlagen um, mit Hilfe einer gemeinſamen Garniſon der Großmächte, die Rechte der drei großen Kirchen Europas zu beſchützen. Die Denkſchrift hatte lediglich kirchliche Zwecke im Auge; an ein deutſch - chriſtliches Fürſtenthum Paläſtina, wie es H. v. Moltke damals für mög - lich hielt, dachte der König nicht von fern. Rußland aber war keineswegs gewillt die Vortheile, deren die Orthodoxen von Altersher in Vorderaſien genoſſen, mit anderen Kirchen zu theilen. Freundlich warnte Neſſelrode vor einem Unternehmen, das die Souveränität der Pforte anzutaſten drohe; er und Orlow meinten bedenklich: wenn man in Jeruſalem ein religiöſes Krakau ſchaffe, ſo würden die Verlegenheiten des Sultans nur wachſen. Auch Metternich ſchützte Beſorgniſſe vor wegen der poli - tiſchen Gefahren einer ſolchen kirchlichen Republik; in Wahrheit betrach - tete der Wiener Hof jedes Erſtarken des Proteſtantismus ganz ebenſo mißtrauiſch wie der Petersburger. Nur Frankreich ſchien den preußiſchen Vorſchlägen günſtig. *)Neſſelrode, Weiſung an Meyendorff, 12. März; Berichte von Liebermann, 9. Febr., Arnim in Paris 12. Febr. 1841.
Friedrich Wilhelm mußte daher einen Theil ſeiner Pläne fallen laſſen und verſuchte nur noch der evangeliſchen Kirche in Jeruſalem die Gleich - berechtigung neben den Lateinern, den Griechen, den Armeniern zu ver - ſchaffen. Da die engliſche Staatskirche auf dem Berge Zion bereits Grundbeſitz erworben und eine Gemeinde gebildet hatte, ſo wünſchte der König, daß ein anglikaniſcher Biſchof die Leitung des evangeliſchen Kirchen - lebens übernähme und von den deutſchen Proteſtanten, die in Paläſtina zerſtreut lebten, als ſichtbares Oberhaupt anerkannt würde. Eine ſolche Unterordnung ſchien ihm mit der evangeliſchen Freiheit wohl vereinbar, weil er die durch Handauflegung geweihten Biſchöfe als rechtmäßige Nach -122V. 2. Die Kriegsgefahr.folger der Apoſtel, ihr Amt als das wahrhaft katholiſche anſah, und gern war er bereit, die Hälfte der Koſten, ein Kapital von 15,000 ₤ für dies anglikaniſche Bisthum zu zahlen, wenn nur die engliſche Kirche der preu - ßiſchen „ eine ſchweſterliche Stellung “geſtatten wolle.
Mit dieſen Aufträgen wurde Bunſen im Sommer 1841, als die orientaliſche Verwicklung eben zu Ende ging, nach London geſendet, und kühner noch als einſt auf dem Capitole erhoben ſich jetzt die Hoffnungen des diplomatiſchen Theologen. Er ſah die Arche der Kirche ſchon auf ihrem Ararat gelandet, die Chriſtenheit im katholiſchen Apoſtolate wieder vereinigt, das jüdiſche Volk in ſeiner Heimath für den chriſtlichen Glauben gewonnen und dadurch der Anfang gemacht zur Herſtellung Israels — und das Alles durch die jugendliche Kraft der evangeliſchen Kirche, denn „ der Tod der beiden alten Kirchen “, ſo ſagte er mit gewohnter Zuverſicht, „ iſt nirgends ſichtbarer als im gelobten Lande “. Der König ſelbſt hielt für nöthig dieſe überſchwänglichen Erwartungen etwas zu dämpfen; er meinte, für jetzt wäre es genug, wenn die Evangeliſchen den Türken gegen - über ſich durch ein ſichtbares Oberhaupt deckten, wenn eine evangeliſch - deutſche Zunge ſich im Oriente zuſammenfände und dieſe evangeliſche Kirche vielleicht den Mittelpunkt bildete für die Juden-Chriſten. Palmer - ſton aber empfing Bunſen’s Vorſchläge zunächſt mit Befremden. Als echter Brite witterte er böſe Hintergedanken, da ſo plötzlich Irus kam den Kröſus zu beſchenken; denn ſo ſtark der confeſſionelle Ehrgeiz des Königs, ebenſo ſchwach war der nationale. Nur die Machtſtellung der evangeliſchen Geſammtheit lag ihm am Herzen, für ſeine preußiſche Landes - kirche forderte er gar nichts. Er ergab ſich darein, daß die engliſche Staatskirche die in Preußen ordinirten Geiſtlichen nicht anerkannte, wäh - rend die preußiſche Kirche die anglikaniſche Ordination unbedenklich als rechtsgiltig anſah; nur für ſich perſönlich als den Mitſtifter forderte er das Recht, abwechſelnd mit der Königin von England den Biſchof von Jeruſalem zu ernennen.
Eine ſo überaus beſcheidene ſchweſterliche Stellung konnte ſelbſt der Erzbiſchof von Canterbury, der anfangs mit phariſäiſchem Dünkel über „ die minder vollkommenen Einrichtungen “des feſtländiſchen Proteſtantis - mus ſprach, der deutſchen evangeliſchen Kirche unmöglich verſagen; waren doch zwei Deutſche, Nicolayſen und Pieritz, die erſten Bahnbrecher der Judenmiſſion in Paläſtina und auch ſonſt überall in Vorderaſien deutſch - evangeliſche Miſſionäre thätig. Zum Glück eiferten Puſey, Newman, alle die fanatiſchen Kryptokatholiken unter den Anglikanern lebhaft wider die Pläne des Königs, und eben dieſer Zorn der verhaßten Puſeyiten-Partei ließ der öffentlichen Meinung die Annäherung an das ungläubige Deutſch - land minder verdächtig erſcheinen.
Im November 1841 wurde der erſte evangeliſche Biſchof von Jeru - ſalem durch den Erzbiſchof von Canterbury geweiht, ein Breslauer Jude,123Verſtimmung der deutſchen Proteſtanten.der in der Taufe den Namen Alexander angenommen hatte und ſein ſchwieriges Amt ſehr würdig ausfüllte. Die Weihepredigt feierte den Biſchof - ſitz auf Zion als die Erſtlingsfrucht der Union aller Evangeliſchen. So ſchenkte Preußen dem neuen anglikaniſchen Bisthum außer der Hälfte der Unterhaltungskoſten auch die Perſon des Biſchofs. Bunſen ſchwamm in Wonne; er glaubte wieder einmal einen großen diplomatiſchen Sieg errungen zu haben, da er die Briten zur Annahme der preußiſchen Ge - ſchenke bewogen hatte, und vernahm mit Entzücken, wie ſein gottſeliger Freund Lord Aſhley Preußens chriſtlichen Monarchen als „ den beſten und herrlichſten König dieſer Welt “pries. Nicht ohne Schadenfreude bemerkte er, daß die anderen Großmächte alleſammt das evangeliſche Bis - thum mit ſcheelen Augen betrachteten. *)Bunſen’s Berichte, 6. Jan. 1842 ff.Rußland und Frankreich bewarben ſich ſeit dem Dardanellen-Vertrage wieder wetteifernd um Englands Gunſt und konnten nicht wünſchen, durch Preußen überboten zu werden, während Metternich von der Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Großmächte unbeſtimmte Gefahren für die katholiſche Kirche befürchtete, und ſein ge - treuer Neumann in London ängſtlich ſagte: Bunſen ſoll hier einen neuen ſchmalkaldiſchen Bund gründen.
Aber auch die deutſchen Proteſtanten zeigten ſich mißtrauiſch. Ganz vergeblich verſuchten General Gerlach in der Augsburger Allgemeinen Zeitung, Hengſtenberg in ſeiner Kirchenzeitung das Werk ihres königlichen Gönners zu rechtfertigen. **)Thile’s Bericht an den König, 14. Dec. 1841.Geradezu abſchreckend wirkte das weihevolle Büchlein über „ das evangeliſche Bisthum in Jeruſalem “, das von Bunſen gemeinſam mit einem anderen theologiſchen Diplomaten, dem jungen Abeken ausgearbeitet war und über die unermeßliche Zukunft des chriſtia - niſirten Paläſtinas mit einer Sicherheit redete, als ob die Weltgeſchichte verpflichtet wäre ihre Schauplätze niemals zu verändern. Die liberale Welt wollte ſich zu kirchlichen Unternehmungen überhaupt ein Herz faſſen; ſie lächelte über die Berliner „ diplomatiſche Romantik “und fragte ſpöttiſch, warum nur dieſer König, der ſeine preußiſchen Juden ſo wenig liebe, für das Volk Gottes in der Urheimath ſo zärtlich ſorge. Aber auch „ ſehr gut geſinnte Männer “in Preußen und in Süddeutſchland fanden, wie General Thile berichtete, die Unterordnung deutſcher Gemeinden unter einen angli - kaniſchen Biſchof höchſt anſtößig; das längſt verbreitete Gerücht von den katholiſchen Neigungen des Königs ſchien jetzt ſeine volle Beſtätigung zu empfangen. Als Biſchof Alexander den erſten Jahrestag ſeines Einzugs in Jeruſalem durch eine Dankſagung feiern wollte und der König die Gemeinden ſeiner Landeskirche „ in aller Freiheit “zur Mitwirkung auffor - dern ließ, da zeigte ſich nur an wenigen Orten aufrichtige Theilnahme. ***)Thile’s Bericht an den König, 14. Aug. 1842. Cabinetsordre an Thile und Eichhorn, 9. Jan. 1843.124V. 2. Die Kriegsgefahr.Da die evangeliſche Kirche ſich auf dem Worte aufbaut, ſo gewährt ſie der Perſönlichkeit, mithin auch der volksthümlichen Eigenart der Prediger einen großen, oft allzu großen Spielraum; die Deutſchen vermißten in den trockenen, ſchablonenhaften Anſprachen der Anglikaner gänzlich die durchgebildete homiletiſche Kunſt ihrer heimiſchen Predigten. Die vorherr - ſchende Meinung der Landeskirche bekundeten zwei ſtreng gläubige Theo - logen, Schneckenburger und Hundeshagen in einer geharniſchten Schrift „ das anglo-preußiſche Bisthum zu St. Jakob “; ſie nannten es unwürdig, daß Deutſchlands Proteſtantismus hinter ſeiner jüngeren Schweſter zurück - ſtehen ſolle: ſei ſeine ſchlichte Wahrhaftigkeit etwa weniger chriſtlich als die werkheilige Selbſtbeſpiegelung jener Staatskirche, welche Milton ſchon mit der Diana von Epheſus verglichen hatte?
Der König ließ ſich durch alle ſolche Einwürfe nicht beirren, und er er - lebte nach einigen Jahren die Freude, daß ſeine fromme Stiftung gedieh, weit beſcheidener freilich als Bunſen geträumt hatte. Die Judenmiſſion fand im Vaterlande Israels begreiflicherweiſe einen ſehr undankbaren Boden; indeſſen mehrte ſich die Zahl der Proteſtanten nach und nach durch Einwanderung und vereinzelte Bekehrungen. Neben der Jakobskapelle auf Zion entſtanden bald ein Hospital, ein Waiſenhaus, eine treffliche Schule. Drei Gemein - den, eine deutſche, eine engliſche, eine arabiſche, erkannten den Biſchof als geiſtliches Oberhaupt an ohne doch ihre Selbſtändigkeit aufzugeben; die deutſche hielt ihren Gottesdienſt nach der Liturgie, welche Bunſen einſt auf dem Capitol eingeführt hatte. Als Alexander’s Nachfolger Biſchof Gobat Alles auf anglikaniſchen Fuß zu ſetzen verſuchte, mußte er raſch wieder einlenken und ſah ſich genöthigt, zuweilen ſelbſt deutſchen Gottes - dienſt zu halten. *)König Friedrich Wilhelm an Thile, 5. Oct. 1847. Heinrich v. Thile d. J., Bericht an den König, Jeruſalem 3. Apr. 1848.Alſo erblühte auf Zion ein geſundes evangeliſches Kirchenleben, vielgeſtaltig und doch einträchtig, wie es der Idee des Pro - teſtantismus entſpricht; und die Macht des jungen Bisthums reichte bald weit genug um den Proteſtanten überall in Vorderaſien eine Stütze zu bieten. Auf die Dauer aber konnten die Deutſchen unmöglich ertragen, daß ihren Geiſtlichen die Gleichberechtigung verweigert wurde; und da der britiſche Hochmuth ſchlechterdings nicht nachgab, ſo ſah ſich die Krone Preußen nach einem halben Jahrhundert (1887) genöthigt, das phan - taſtiſche Unionsbisthum aufzugeben, ihre Gemeinde auf Zion ganz ſelb - ſtändig auszugeſtalten.
Als politiſcher Vertrag war das von Bunſen geſchloſſene Abkommen eine Ungeheuerlichkeit, weil England allein ohne jede Gegenleiſtung die Vortheile daraus zog, und erfahrene Diplomaten meinten ſchon: jetzt werde dem theologiſchen Eindringling doch endlich das Handwerk gelegt werden. Friedrich Wilhelm dachte anders. Politiſche Pläne hatte er bei125Bunſen Geſandter in London.dieſen Verhandlungen überhaupt nicht verfolgt, ſondern immer wieder be - ſcheiden gemahnt: „ effaciren wir uns; “und da er nun das chriſtliche Liebeswerk, das ihm allein am Herzen lag, geſichert ſah, ſo beſchloß er ſeinen Unterhändler glänzend zu belohnen. Seit dem Herbſt 1841 begann er die längſt geplante Verſchiebung im diplomatiſchen Corps durchzuführen. Miniſter Werther erhielt ein hohes Hofamt, und an ſeine Stelle trat Graf Maltzan, bisher Geſandter in Wien. Bülow, deſſen Talente der König ſehr hoch anſchlug, wurde zum Danke nach Frankfurt verſetzt um friſchen Zug in die Bundespolitik zu bringen. Bei der Ernennung des Nachfolgers zeigte Friedrich Wilhelm ein galantes Zartgefühl wie es in der Geſchichte der Diplomatie unerhört war; er ließ der jungen Königin ſelbſt die Wahl zwiſchen drei Namen: Graf Arnim, Graf Dönhoff, Bunſen. Die Antwort konnte kaum zweifelhaft ſein, da Bunſen während der jüngſten Verhandlungen allen engliſchen Wünſchen ſo geſchmeidig nachgegeben hatte. Nach Rückſprache mit der Königin erwiderte Lord Aberdeen: „ wir können nichts Beſſeres thun als zu behalten was wir haben, “alſo Bunſen; die beiden anderen Herren kennen wir nicht. *)Bericht des Geſandtſchaftsverweſers Leg. Rath v. Schleinitz an den König. 16. Nov. 1841. Perſönliche Bedenken gegen die beiden anderen Vorgeſchlagenen lagen nicht vor; die Erzählung in Stockmar’s Denkwürdigkeiten S. 385 iſt nicht ganz richtig.
Unmöglich konnte England eine beſſere Wahl treffen, unmöglich Preußen eine ſchlechtere. Die ſchwächſte der großen Mächte brauchte als Vertreter Männer von ſtarkem preußiſchem Stolze, Männer, welche die Selbſtändigkeit ihres bei den älteren Großmächten noch kaum für voll angeſehenen Staates rückſichtslos wahrten. Daran hatte es ſchon Bülow zuweilen fehlen laſſen, da er ſich mit den Jahren bis zur Selbſtver - geſſenheit in engliſche Anſchauungen eingelebt hatte. Bunſen aber war bereits als er ſein Amt antrat durch den Einfluß ſeiner britiſchen Gattin halb zum künſtlichen Engländer geworden; mehrere ſeiner Kinder nahmen die Nationalität der Mutter an; das Unglück ſo vieler Diplomatenfami - lien, die internationale Verſchwommenheit ließ ſich von dieſem Hauſe gar nicht abwenden. Welch eine Genugthuung für den ſelbſtzufriedenen Mann, als er, ſo bald nach ſeinen römiſchen Niederlagen, aus dem ſtillen Land - hauſe auf dem Hubel bei Bern plötzlich nach dem ſtattlichen Pruſſia - Houſe auf Carlton-Terrace verſetzt wurde. Dort ſah er in ſeiner näch - ſten Nachbarſchaft den Buckingham-Palaſt der Königin, den Weſtminſter - palaſt des Parlaments, das Auswärtige Amt in Downingſtreet, die alten Bäume des St. James-Parkes, überall die Zeugen einer großen Ge - ſchichte. Hellauf leuchtete das Flackerfeuer ſeiner leicht entzündlichen Be - geiſterung; Staat und Kirche, Land und Leute der reichen Inſel erſchienen ihm in roſigem Lichte. Sein eigenes Amt hielt er für den wichtigſten diplomatiſchen Poſten Preußens, und hoch beglückte ihn das Bewußtſein,126V. 2. Die Kriegsgefahr.daß er berufen ſei „ die hiſtoriſche Allianz “der beiden ſtammverwandten Nationen wieder feſter zu ſchließen. Dieſe hiſtoriſche Allianz war ſeit dem Thronwechſel ein Lieblingswort der preußiſchen Diplomatie; Niemand fragte, was der preußiſche Staat durch die engliſche Freundſchaft einſt gewonnen habe und ob er jetzt nicht ſtark genug ſei ihrer zu entrathen.
Hoffnungsſelig wie einſt in Rom betrachtete Bunſen auch in London jede perſönliche Freundlichkeit die ihm widerfuhr als einen politiſchen Sieg und glaubte im Ernſt, das ungemüthlichſte aller Völker durch Gemüth - lichkeit gewinnen zu können; er hoffte harmlos, die Briten würden der Erweiterung des Zollvereins nichts in den Weg legen und falls Deutſch - land Kolonien erwürbe, dieſe liebevoll mit ihrer Flotte beſchützen. Die Engländer betrachteten ihren glühenden Bewunderer mit ſtiller Ironie und verſäumten nicht ſeine unerwiederte Liebe ſich zu nutze zu machen. Ritter Bunſen — ſo hieß er bei Hofe — wurde bald eine gefeierte Größe der Londoner Geſellſchaft, ein Liebling der Zeitungsreporter. Er machte es möglich, neben der Unmaſſe ſeiner immer geiſtreichen aber immer unpraktiſchen Depeſchen und Denkſchriften auch noch an ſeinem Buche über Aegyptens welthiſtoriſche Stellung zu ſchreiben und ſeine liturgiſchen Studien fortzuführen. So ſtand er den diplomatiſchen, den gelehrten, den kirchlichen Kreiſen Londons gleich nahe und konnte immer wieder mit gerechtem Selbſtgefühle berichten, wie er einem Feſte beim Lord Mayor oder beim Erzbiſchof von Canterbury als einziger Foreigner beigewohnt, wie ſein in tadelloſem Engliſch gehaltener speech irgend eine Verſamm - lung begeiſtert, wie die Univerſität Oxford, dankbarer als die deutſchen Hochſchulen, ihn durch ihren Doktorhut geehrt habe. Er benutzte dieſe glänzende geſellſchaftliche Stellung um für die Deutſchen Londons man - nichfache gemeinnützige Anſtalten zu gründen und zumal den jungen deutſchen Gelehrten, die ihm bei ſeinen Arbeiten zur Hand gingen vor - wärts zu helfen. Nach der Meinung des großen Publicums gereichte es auch dem preußiſchen Staate zum Vortheil, daß von dem Prussian Minister in der Rieſenſtadt immer und überall die Rede war. In Wahr - heit brachte ſeine politiſche Wirkſamkeit in London wie vormals in Rom dem Vaterlande nur Schaden. Auf die kalten engliſchen Geſchäfts - männer konnte ein Enthuſiaſt, der ſo leicht mit biederen Worten abzu - ſpeiſen war, unmöglich Einfluß gewinnen. Am preußiſchen Hofe aber wurden durch Bunſen’s ſanguiniſche Berichte grundfalſche Vorſtellungen von Englands deutſcher Politik hervorgerufen, verhängnißvolle Irrthümer, welche ſich ſpäterhin als Schleswig-Holſteins Schickſal auf dem Spiele ſtand ſchwer beſtrafen ſollten.
In Berlin war der Boden für ſolche gemüthliche Selbſttäuſchungen nur zu wohl vorbereitet. Friedrich Wilhelm’s alte, urſprünglich wohl durch Niebuhr’s Vorträge geweckte Vorliebe für England hatte neuerdings noch an Wärme gewonnen, ſeit mit der jungen Königin an den vormals127Prinz Albert.ſo leichtlebigen Hof eine bürgerliche Wohlanſtändigkeit eingezogen war, welche ſelbſt der Sittenrichter-Strenge des preußiſchen Königspaares ge - nügte. Die wenigen entſchiedenen Monarchiſten, welche England noch beſaß, hegten den verſtändigen Wunſch, daß Victoria ſich mit ihrem faſt gleich alten Vetter, dem Prinzen Georg von Cambridge vermählen möchte; dann konnte ein Wechſel der Dynaſtie, der das Anſehen der Krone immer ſchädigt, dem Lande erſpart bleiben. Die Königin aber wollte gut bürger - lich ihrer Neigung folgen, und ihr Oheim König Leopold hatte ſchon dafür geſorgt, daß ihr Herz nicht weit von den Wegen des Hauſes Coburg ab - irren konnte. Sein Neffe, der ſchöne, für die Brautfahrt ſorgfältig vor - bereitete Prinz Albert errang ſich die Hand Victoria’s, die ſo lange ver - geblich erſtrebte Stellung eines engliſchen Prinzgemahls ward wirklich einem Coburger gewonnen, die vierte Königskrone ſtand den Wettinern in Ausſicht, der luftige Bau der ſächſiſchen Hauspolitik kam unter Dach. Prinz Albert bekam anfangs den Deutſchenhaß der Briten ſchwer zu empfinden. Zahlreiche Zerrbilder ſtellten ihn dar inmitten ſeines bärtigen, rauchenden, biertrinkenden Gefolges; man bezweifelte boshaft, ob dieſer Sohn des älteſten Bekennergeſchlechtes der Proteſtanten evangeliſch ſei, da ja ſeine Vettern, die Coburg-Koharys ſich der römiſchen Kirche zuge - wendet hatten; ſein Jahreseinkommen ward vom Parlamente unanſtändig knapp bemeſſen, der Titel eines König-Gemahls, den ihm die zärtliche Gattin zudachte, ſtieß auf allgemeinen Widerſpruch, und ein Mitglied des Geheimen Raths ſagte höhniſch zu Bunſen: wir können ihn doch nicht gegebenen Falles König-Wittwer nennen. *)Bunſen’s Bericht, 6. Jan. 1842.Selbſt den Namen eines Prinz - gemahls gewährte man dem Deutſchen erſt nach Jahren, und Zeit ſeines Lebens gelang es ihm nie das Mißtrauen des Inſelvolkes gänzlich zu überwinden.
Gleichwohl gewann er durch Klugheit, Takt, ernſte gemeinnützige Thätigkeit nach und nach einigen Boden. Die Damen waren von vorn - herein für den ſchönen Prinzen, und die beiden großen Adelsparteien fanden es bald rathſam ſich ſeiner Unterſtützung zu verſichern. **)Bülow’s Bericht, 2. Juni 1840.Die Briten freuten ſich an dem wohlgeordneten Haushalt und dem Familien - glück der Königin, das alljährlich mit großer Pünktlichkeit, ſobald die von den Naturgeſetzen gebotene Zwiſchenzeit ablief, durch die Geburt eines Kindes verſchönt wurde. Der Hof wurde endlich wieder eine ſociale Macht, obgleich er nie mehr, wie einſt in den Tagen der Stuarts, den Mittel - punkt des hauptſtädtiſchen Lebens bilden konnte, und die gründlich fri - vole vornehme Geſellſchaft Londons mußte ſich mindeſtens in ihrer äußeren Haltung nach den ehrbaren höfiſchen Sitten richten. Zum erſten male ſeit der Thronbeſteigung der Welfen zeigte das königliche Haus wieder einiges128V. 2. Die Kriegsgefahr.Verſtändniß für das geiſtige Leben der Nation, eine Theilnahme, die aller - dings nicht in die Tiefe ging; denn Prinz Albert war, wie alle Coburger, ohne warmes religiöſes Gefühl, eine ſchwungloſe proſaiſche Natur, die ſich leicht daran gewöhnte, nach engliſcher Weiſe Alles very interesting zu finden; er hatte ſich zu Brüſſel tief eingelebt in die mechaniſche Welt - anſchauung des Statiſtikers Quetelet, der alle Erſcheinungen des ſocialen Lebens, auch die ſittlichen, aus dem Walten blinder Naturgeſetze erklärte. Das Kunſtgewerbe ſtand ihm höher als die Kunſt, die Technik höher als die Wiſſenſchaft, das Merkwürdige höher als das Ideale. Den eigen - thümlich trockenen Ton dieſes ſittſamen Hofes gaben ſpäterhin Victoria’s „ Blätter aus unſerem Leben in den Hochlanden “getreulich wieder, unbe - ſtreitbar das langweiligſte unter den vielgenannten Büchern des neunzehn - ten Jahrhunderts.
Der Prinz betrachtete, gleich ſeinem Oheim Leopold, den Oranier Wilhelm III. als ſein Muſter, und obwohl er weder die Macht noch das Genie ſeines Vorbildes beſaß, ſo wirkte er doch auf die Entwicklung der engliſchen Verfaſſung nachhaltig ein. Er gewöhnte die Krone, ohne Wider - ſpänſtigkeit und unter Wahrung der äußeren Würde die neutrale Stellung einzunehmen, welche ihr nach dem Verlaufe der Geſchichte dieſes Landes allein noch zukam: die Stellung nicht über, ſondern unter den Parteien. Als er nach England kam, fand er die Whigs noch am Ruder und die Königin ernſtlich gewillt die Freunde ihrer Jugend im Beſitze der Macht zu erhalten. Albert ſelbſt ſtand als Fremdling den Parteien unbefangener gegenüber und wurde von ſeinem getreuen Stockmar dringend ermahnt ſich dieſe Freiheit zu erhalten. Als nun die Whig-Regierung bald nach ihrem letzten Erfolge, dem Meerengen-Vertrage rettungslos zuſammen - brach, da war er es, der die Königin bewog, den jetzt unvermeidlichen Torys mit Wohlwollen entgegenzukommen und ſelbſt die Damen ihrer Umgebung aus den Reihen der herrſchenden Partei zu wählen. In ſpäteren Jahren trug er ſich mehrmals mit der Abſicht die Macht der Krone zu verſtärken, den perſönlichen Willen des Monarchen nach deutſcher Weiſe zur Geltung zu bringen. Sobald er jedoch die Unmöglichkeit ſolcher Pläne erkannte, gab er ſeiner Gemahlin den Rath, jedes Miniſterium, das der Mehrheit im Parlamente ſicher ſei, ohne Hintergedanken zu unter - ſtützen. Der Rath wirkte, und die Krone ward nach und nach ſo an - ſpruchslos, daß die Königin nicht einmal mehr wagte bei der Wahl der Perſonen für das Cabinet mitzureden, ſondern dem leitenden Staats - manne der Mehrheit des Unterhauſes die Bildung der neuen Regierung ſtets unbeſchränkt überließ.
Fortan herrſchte Eintracht zwiſchen Krone und Parlament, während die früheren Könige des Welfenhauſes unwillkommene Miniſter immer durch kleine Bosheiten zu ſchädigen geſucht hatten; und es ergab ſich, daß eine klug berathene Frau die Rolle eines parlamentariſchen Schattenkönigs faſt129Das engliſche Muſterkönigthum.noch beſſer zu ſpielen vermag als ein Mann. Denn eine Fürſtin darf, ohne Aergerniß zu erregen, mit der naiven Unbeſcheidenheit der Weiber Alles was unter ihrem Namen geſchieht für ihr eigenes Werk ausgeben, und die Galan - terie der Männer geſtattet den Frauen jederzeit über unverſtandene Dinge zuverſichtlich abzuſprechen. Von dieſen beiden Vorrechten ihres Geſchlechtes machte Königin Victoria ausgiebigen Gebrauch. Sie ſprach geläufig über alle Einzelheiten der Verwaltung, erzählte dem ironiſch aber ehrfurchtsvoll zuhörenden General Natzmer mit der größten Beſtimmtheit von den Ver - beſſerungen, welche ſie im Heerweſen eingeführt habe, und ließ ſich gern eine andere Eliſabeth nennen, obſchon die Welfin mit der minder tugendhaften aber großen Tochter des Hauſes Tudor eigentlich nichts gemein hatte als den weiblichen Eigenſinn. Alſo lernte das Königthum durch den Prinzgemahl, ſeine Nichtigkeit mit Anſtand zu ertragen; dafür ward der Trägerin der Krone überall mit Worten tiefſter Ergebenheit gehuldigt. Die Phraſe der Unterthänigkeit, der constitutionel cant der Briten blühte wie nie zuvor; wer aufrichtig genug war die junge Königin nicht ſchön zu finden lief Gefahr von der vornehmen Welt für toll gehalten zu werden.
Ein ſolches Schauſpiel inneren Friedens mußte grade die gemäßigten deutſchen Liberalen mit Bewunderung erfüllen; enttäuſcht durch das Ränke - ſpiel des Julikönigthums begannen ſie ſich von den franzöſiſchen Freiheits - gedanken der dreißiger Jahre abzuwenden und fanden nunmehr in dem Staate der Königin Victoria das conſtitutionelle Ideal verwirklicht. Nur Wenige bemerkten, wie der ariſtokratiſche Unterbau des altengliſchen Par - lamentarismus ſeit der Reformbill zerbröckelte, wie die Entſcheidung im Unterhauſe allmählich in die Hände der Schotten und der Iren kam, und alſo neue demokratiſche Umgeſtaltungen ſich vorbereiteten. Zugleich erlebte Großbritannien eine Zeit beiſpielloſen wirthſchaftlichen Aufſchwungs. Sein Gewerbfleiß erſtarkte dermaßen, daß er ſich nunmehr zutraute alle Märkte der Welt zu beherrſchen und darum das Banner des Freihandels aufpflanzte. Eine gewaltige Auswanderung eroberte ihm weite Kolonien, welche ſelbſt wenn ſie die politiſche Herrſchaft des Mutterlandes vielleicht dereinſt abſchüttelten, doch ſeiner Geſittung unverloren blieben und alſo dem angelſächſiſchen Volksthum einen großen Vorſprung vor dem teuto - niſchen ſicherten; nicht lange, ſo lag in jedem Winkel des Erdballs ein Land, das die glückhaften Namen Victoria und Albert führte. Befangen in ihren Parteikämpfen und ihrer nachbarlichen Eiferſucht beachteten die Völker des Feſtlandes kaum, wie alſo in aller Stille das größte Reich der Weltgeſchichte heranwuchs. Ja die deutſchen Anglomanen pflegten Eng - land als eine muſterhaft friedfertige Macht zu preiſen, die in ihrer Harm - loſigkeit mit einem kleinen Söldnerheere auskomme; und doch war dies neue Karthago der einzige Staat Europas, der beſtändig, häufiger ſogar als Rußland, Kriege führte, freilich Kriege, in denen das Gold noch mehr bedeutete als das Eiſen.
v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 9130V. 2. Die Kriegsgefahr.An der Seite der Herrſcherin eines ſolchen Weltreichs mußte ein kleiner deutſcher Prinz in die nämliche Lage gerathen wie eine ins Aus - land verheirathete Prinzeſſin: er konnte ſein Volksthum nicht behaupten. Prinz Albert wurde bald ganz zum Engländer, obwohl er im Familien - kreiſe meiſtens deutſch ſprach und die liebreiche Gemahlin, zum Entſetzen aller frommen Britenherzen, ihm ſogar erlaubte beim Fiſcheſſen ein ſilber - nes Meſſer zu benutzen. Als er wenige Jahre nach ſeiner Heirath Deutſch - land wieder beſuchte, trug er die britiſchen Sitten gefliſſentlich zur Schau und hielt im grauen Sommer-Ueberrock die Heerſchau über die Mainzer Garniſon, ſo daß die preußiſchen Generale erzürnt fragten, ob dieſer junge Wettiner denn gar nicht mehr wüßte, daß deutſche Fürſten die vaterlän - diſchen Fahnen im Waffenſchmucke ehrten. In dem kalten, freudloſen engliſchen Leben verlor er jene menſchenfreundliche Heiterkeit, welche den gebildeten Deutſchen auszeichnet, und wurde ſteif, pedantiſch, in ſeinen Urtheilen ſchroff und lieblos, ſo daß ihm auch die Arbeit der Kinder - erziehung, die er mit großem Pflichteifer betrieb, nur bei einigen ſeiner Töchter, bei dem Thronfolger gar nicht gelang. Sein Selbſtgefühl ward durch die berechneten Schmeicheleien der britiſchen Parteiführer und die harmloſen Lobeserhebungen der feſtländiſchen Conſtitutionellen ſehr hoch geſteigert. Auf ſeine durchlauchtigen Genoſſen daheim ſah er mit Hoch - muth herab; er glaubte die deutſche Politik beſſer als ſie zu verſtehen, obgleich er durch die lange Abweſenheit die Fühlung mit den vaterlän - diſchen Dingen längſt verloren hatte, und meinte nichts Arges zu thun, wenn er die deutſchen Fürſten in hofmeiſterndem Tone aufforderte allezeit den Wegen Englands zu folgen. Derſelben Anſicht huldigte auch die Königin. Sie liebte ihren Gemahl ſo innig, daß ſie auch ſein Vaterland mit ins Herz ſchloß und nach Frauenart ſich berechtigt glaubte über deſſen Wohl zu wachen. Wie ihre Vorfahren als Könige von Hannover, ſo wähnte ſie als Herzogin zu Sachſen dem Deutſchen Bunde mit anzu - gehören, und die deutſchen Höfe boten für die zarten Künſte der Damen - politik einen ungleich dankbareren Boden als das engliſche Parlament.
Zwiſchen London, Brüſſel, Wiesbaden und Coburg wurde, mit Ab - zweigungen nach Paris und Liſſabon, eine Kurierkette eingerichtet, welche die Vertrauten des Hauſes Coburg in regelmäßigem Verkehr erhielt. Während die engliſche Preſſe in ihrem blinden Fremdenhaſſe den angeb - lichen „ deutſchen Einfluß “am Londoner Hofe bekämpfte, konnte Deutſchland mit beſſerem Rechte über engliſch-coburgiſchen Einfluß klagen. Des Prinz - gemahls älterer Bruder, der gut deutſch geſinnte Herzog Ernſt von Coburg empfand dies ſelbſt ſehr lebhaft; bald nachdem er ſeinen kleinen Thron beſtiegen hatte, ſchrieb er dem Oheim Leopold: „ wir müſſen wieder ehrlich deutſch werden, “denn bisher haben wir uns meiſt nur als Verwandte der großen Höfe des Weſtens gezeigt, darum gilt Coburg für ein Neſt undeutſcher Ränke und ultraliberaler Ideen. Doch leider blieb es bei131Friedrich Wilhelm’s Anglomanie.den edlen Vorſätzen. Klugen Rechnern wie Leopold und Albert mußten die großen weſteuropäiſchen Intereſſen ihrer weltbürgerlichen Dynaſtie wich - tiger erſcheinen als das kleine deutſche Stammland; und noch oft ſollten die Rathſchläge der Coburger dem deutſchen Volke ſchädlich werden, um ſo ſchädlicher, da dies überall vom Schickſal begünſtigte Haus auch das ſeltene Glück hatte, nicht von gemeinen höfiſchen Schmeichlern, ſondern von angeſehenen und ehrlichen Schriftſtellern literariſch verherrlicht zu werden. Alle die tüchtigen deutſchen Gelehrten, welche ſich in London der Gönnerſchaft Bunſen’s und Stockmar’s erfreuten, wurden zu Apoſteln der Coburgiſchen Legende und erzählten in gutem Glauben den Lands - leuten daheim, wie wunderbar der Prinzgemahl verſtanden habe zugleich ein ganzer Brite zu werden und ein ganzer Deutſcher zu bleiben.
Niemand hörte auf ſolche Erzählungen williger als König Friedrich Wilhelm. Er zeigte ſchon ſeine Thronbeſteigung auch dem Prinzgemahl in einem eigenhändigen Briefe an, was die Königin hoch beglückte,*)Bülow’s Bericht, 7. Juli 1840. und erwies fortan dem jungen Paare beſtändig zarte Aufmerkſamkeiten. Sein weltkundiger Vater hatte ſich nie darüber getäuſcht, daß Palmerſton den Unfrieden auf dem Feſtlande abſichtlich nährte. **)S. o. IV. 515.Er aber meinte wieder klüger zu ſein und glaubte den Berichten Bülow’s, der ihm nach den Verſicherungen engliſcher Staatsmänner treuherzig betheuerte, Palmerſton ſei nur durch die Schroffheit der Oſtmächte wider ſeinen Wunſch ge - zwungen worden ſich von ihnen zu trennen und mit dem Vierbunde von 1840 zu ſeinen urſprünglichen Anſichten zurückgekehrt. ***)Bülow’s Denkſchrift über die innere Lage Großbritanniens, 17. Juli 1841.Als nun gar die Torys ans Ruder kamen, Lord Aberdeen, der altbewährte An - hänger Metternich’s in das Auswärtige Amt wieder eintrat, da floß man in Berlin von Vertrauensſeligkeit über. Ein Miniſterialſchreiben an die Geſandtſchaft ſagte: ſelbſt unter den Whigs ſeien zwiſchen den beiden hiſtoriſch verbundenen Mächten die Fäden niemals ganz abgeriſſen; um ſo herzlicher werde ſich jetzt das Verhältniß zu Aberdeen geſtalten. †)Werther, Weiſung an Schleinitz, 13. Sept. 1841.Der Führer des neuen Cabinets, Robert Peel gewann ſich durch Gradſinn und ernſte Frömmigkeit das Herz Friedrich Wilhelm’s; ſelbſtändig genug um nöthigenfalls die Dogmen der Partei zu verletzen, hielt er ſich auch frei von nationaler Gehäſſigkeit und betrachtete Deutſchland mit einiger Theilnahme. Wenn ihm Bunſen von dem Deutſchen Bunde als einer Macht erſten Ranges ſprach, dann war Peel ſo höflich dieſe allerneueſte Doktrin des Berliner Hofes mit ſeinen guten Wünſchen zu begleiten.
Als bald nachher dem neuen ſächſiſch-welfiſchen Königshauſe ein Thron - folger geboren wurde, da beſchloſſen die Eltern, auf Stockmar’s Rath, den König von Preußen durch eine klug berechnete Aufmerkſamkeit in ſeiner9*132V. 2. Die Kriegsgefahr.freundſchaftlichen Geſinnung zu beſtärken und baten ihn zu Gevatter. Sie ſelbſt legten, nach Coburgiſchen Grundſätzen, auf kirchliche Feier - lichkeiten wenig Werth. Friedrich Wilhelm hingegen ſah in der Einladung ein feierliches Symbol des Bundes der beiden proteſtantiſchen Großmächte und erklärte ſich bereit, zu der Taufe perſönlich zu erſcheinen. Aberdeen war außer ſich vor Freude, wie Bunſen behauptete, desgleichen der edle, heroiſche neue Biſchof von Jeruſalem. Metternich aber befürchtete von dieſer engliſchen Reiſe eine gefährliche Aufregung proteſtantiſcher Partei - leidenſchaften, und Czar Nikolaus ließ dem Schwager beſorglich vorſtellen, unterwegs würde ſich eine Zuſammenkunft mit dem Bluſenkönige Leopold oder einem der franzöſiſchen Prinzen kaum vermeiden laſſen. *)Berichte von Bunſen, 10. Dec. 1841, 7. Jan. 1842, von Liebermann, 28. Dec. 1841.Im Januar 1842 kam Friedrich Wilhelm auf dreizehn Tage nach England und wurde von der amtlichen Welt mit dem höchſten Glanze empfangen. Nur ein Theil der Preſſe ſchmähte auf den deutſchen Spion, Idioten und Heuchler, und Lord Brougham ſprach im Oberhauſe die höfliche Erwartung aus, der Preuße würde von Englands Freiheit etwas lernen, die Verſprechungen ſeines Vaters endlich ausführen. Feſt folgte auf Feſt, feierliche Trink - ſprüche verherrlichten die Freundſchaft der beiden proteſtantiſchen Nationen. Victoria entfaltete ihre ganze Liebenswürdigkeit, ſchmückte ihren Gaſt eigen - händig mit dem Hoſenbandorden und trug bei den Feierlichkeiten ein Armband mit ſeinem Bildniß. Auch ein junger Coburg-Kohary war zu - gegen, dem der unerſättliche Brüſſeler Eheſtifter, wie Jedermann bei Hofe erzählte, ſchon die Hand der Königin Iſabella von Spanien zugedacht hatte.
Der König zeigte ſich hoch entzückt von allen den britiſchen Inſtitu - tionen, die er doch daheim keineswegs nachahmen wollte und wohnte der Eröffnung des Parlaments nicht als ſchlichter Zuſchauer bei, ſon - dern — wunderlich genug — gleichſam als großbritanniſcher Reichsver - wandter, in vollem Schmuck auf einem beſonderen Sitze, der ihm zwiſchen dem Throne der Königin und den Plätzen der Lords bereitet war. Er hörte den Gottesdienſt in St. Paul mit großer Andacht und ſcheute nicht die beſtändigen dem deutſch-proteſtantiſchen Gefühle ſo widerwärtigen Kniebeugungen; er beſuchte, begleitet von der gottſeligen Quäkerin Mrs. Fry das Gefängniß von Newgate und bewunderte mit der Aufmerkſamkeit des literariſchen Feinſchmeckers die Aufführung Shakeſpeariſcher Luſtſpiele in ihrer urſprünglichen Geſtalt. So verging die kurze Friſt ſehr genuß - reich, aber ohne wirkliche Belehrung und ohne jedes politiſche Ergebniß. Den nüchternen britiſchen Staatsmännern gefiel Friedrich Wilhelm’s Reiſebegleiter, der unerſchöpflich mittheilſame Humboldt weit beſſer als ſein Herr, der trotz ſeiner geiſtreichen Liebenswürdigkeit doch nicht den133Die Taufreiſe nach England.Eindruck eines beherrſchenden politiſchen Kopfes hinterließ. Stockmar erſchrak gradezu über die phantaſtiſchen Einfälle des Königs, als ihm dieſer ſehr ausführlich und ernſthaft vorhielt, Belgien müſſe um ſeiner Sicherheit willen durchaus in den Deutſchen Bund eintreten — ein im Frieden ſchlechthin unausführbarer Plan, da ja Belgien auf Preußens eigenen Antrag von allen Großmächten als neutral anerkannt war.
Unterwegs wurde, trotz der dringenden Einladungen des Geſandten Breſſon, der franzöſiſche Boden und jede Berührung mit den Orleans ſorgfältig vermieden. Leopold von Belgien aber hatte, zur Entrüſtung des Czaren, den deutſchen Nachbarn ſchon auf der Heimreiſe in Oſtende begrüßt; und da Friedrich Wilhelm den für den Zollverein wichtigen belgiſch-luxemburgiſchen Grenzverkehr friedlich zu ordnen wünſchte, ſo entſchloß er ſich ſchweren Herzens, ſeinem geliebten Vetter, dem neuen Könige Wilhelm II. der Niederlande einen Freundſchaftsdienſt zu erweiſen und den belgiſchen Uſurpator auf der Hinreiſe zu beſuchen, in demſelben Schloſſe, das einſt den oraniſchen Verwandten gehört hatte. „ Je Vous porterai un véritable sacrifice, ſchrieb er dem Oranier; j’irai le trouver en chemin (à Laeken!!! —! —! —!!!) pour le travailler. “ *)König Friedrich Wilhelm an König Wilhelm II. der Niederlande 29. Jan. 1842.Trotz dieſes Beſuchs bei dem liberalen Belgier blieb die engliſche Reiſe den aufgeklärten Berlinern hoch verdächtig; ſie meinten in ihrer Tadelſucht, der König ſei drüben ganz in die Netze der Hochtorys und der Anglikaner gerathen. In ihm aber klangen die religiöſen Stimmungen dieſer Tauf - fahrt noch lange nach. Nach einer ſchönen Zeichnung von Cornelius ließ er für ſein Pathenkind einen ſilbernen Glaubensſchild fertigen, der in der Mitte einen Chriſtuskopf, darunter die Darſtellungen der beiden evangeliſchen Sakramente, an den Rändern neben dem Einzuge Jeſu in Jeruſalem auch ein Bild der Meerfahrt des Pathen zeigte: da fuhr der chriſtliche König in Pilgerhut und Muſchelmantel auf einem Schiffe, das ein Engel lenkte und der gefeſſelte Höllengeiſt des Dampfes ſchnaubend vorwärts trieb, neben ihm Humboldt mit einem Oelzweige in der Hand, Anton Stolberg und General Natzmer; drüben am Strande erwartete ihn Englands Schutzpatron, der heilige Georg, mit dem Prinzgemahl und Wellington — eine Zuſammenſtellung, welche dem Coburgiſchen Welt - kinde insgeheim wohl ebenſo fragwürdig erſcheinen mochte wie dem un - gläubigen deutſchen Naturforſcher und im radikalen Lager widerwärtige Hohnreden hervorrief.
Auch das Auswärtige Miniſterium fuhr noch lange fort, dem bri - tiſchen Cabinet unerwiderte Zärtlichkeitsbetheuerungen zu ſenden, zumal ſeit Bülow dem ſchon nach wenigen Monaten unheilbar erkrankten Grafen Maltzan im Amte gefolgt war. Bülow blieb als Miniſter wie vordem134V. 2. Die Kriegsgefahr.als Geſandter ein ſo unbedingter Verehrer Englands, daß Stockmar ihn befriedigt für den fähigſten aller preußiſchen Diplomaten erklärte. Auf die Nachricht von neuen aſiatiſchen Erfolgen der Engländer ließ er durch Bunſen die Glückwünſche ſeines Hofes ausſprechen und fügte hochentzückt hinzu: „ mit Großbritannien verbunden durch die Bande einer langen Allianz und einer beſtändigen innigen Freundſchaft, ſind wir gewohnt Alles was den Ruhm und das Wohlſein des britiſchen Reichs vermehrt faſt ebenſo anzuſehen als wäre es uns ſelbſt widerfahren. “ *)Bülow, Weiſung an Bunſen, 5. Nov. 1842.So un - eigennützig übernahmen dieſe Gemüthspolitiker im Namen ihres ehren - haften deutſchen Staates gleichſam die Mitverantwortlichkeit für Englands ſchmachvollen Opiumkrieg! Freilich war man in Berlin über die orientali - ſchen Dinge ſchlecht unterrichtet, da Bunſen ſeinen britiſchen Freunden Alles glaubte und entrüſtet heim berichtete, wie ſündlich ſein England wegen des Opiumhandels verleumdet worden ſei. **)Bunſen’s Bericht, 10. Dec. 1842.
Sehr lange konnte dieſe Anglomanie, die doch nur den perſönlichen Neigungen des Königs und ſeiner Vertrauten entſprach, unmöglich vor - halten. Zu einem politiſchen Bündniß der beiden Mächte lag gar kein Anlaß vor, ja ihre volkswirthſchaftlichen Intereſſen gingen augenblicklich ſehr weit auseinander. Sobald Preußen einige ſeiner Zölle um ein Geringes erhöhte, zeigte ſich Peel tief entrüſtet, gleich als ob England, deſſen eigene Zölle noch weit höher ſtanden, in ſeinen Rechten gekränkt worden wäre; und wenngleich Bunſen friedfertig erwiderte: „ der Zollverein iſt noch immer der beſte Kunde Euerer Induſtrie, “ſo konnte doch ſein königlicher Herr ſelbſt nicht verkennen, daß der deutſche Gewerbfleiß darnach trachten mußte dieſer Abhängigkeit zu entwachſen. ***)Bunſen’s Berichte, 25. Juli 1842 ff.Wie wenig dem engliſchen Volke an dem deutſchen Bündniß gelegen war, das zeigte eben in dieſen Jahren Macaulay’s Aufſatz über Friedrich den Großen. So hochmüthig, ſo verſtändnißlos, ſo roh hatten ſelbſt die Franzoſen, die den Philoſophen von Sansſouci doch immer gelten ließen, noch nie über Preußen abge - ſprochen, und der glänzende Eſſayiſt ſagte hier wie überall nur was der Durchſchnitt ſeiner gebildeten Landsleute dachte. Auch Friedrich Wilhelm’s kunſtſinniger Freund Graf Raczynski machte ſeine Erfahrungen an der britiſchen Selbſtgenügſamkeit. Als er, bei Hofe freundlich aufgenommen, die Frage aufwarf, ob man nicht deutſche Künſtler einladen ſolle zur Ein - führung der hierzulande noch faſt unbekannten Freskomalerei, da wider - ſprachen die engliſchen Maler ſehr heftig, und Sir Morton Shee erwiderte ſtolz: unſere Schule iſt die anerkannt erſte der Welt. †)Bunſen’s Bericht, 6. Mai 1842.
Mit der Zeit fühlte auch der König ſelber, wie fremd ihm im Grunde die ganz moderne Weltanſchauung des Coburgiſchen Hauſes war. Ein135Der Coburgiſche Hoheitstitel.lächerlicher Titelſtreit brachte ihm dies zum Bewußtſein. Schon längſt ſtrebten die erneſtiniſchen Herzoge nach ſchöneren Titeln, weil ſie bei der großen Rangerhöhung der rheinbündiſchen Zeiten leer ausgegangen waren. Seit das Haus Coburg ſo kühn emporgeſtiegen, meinte ſich vornehmlich der alte Herzog von Coburg als Vater und Bruder gekrönter Häupter wohlberechtigt den Namen eines Großherzogs oder einer königlichen Hoheit zu führen. Die engliſchen Verwandten unterſtützten ihn dabei lebhaft;*)Bunſen’s Berichte, 8. Juli, 25. Aug. 1842. denn die Coburger bewährten ſich auch darin als treue Jünger der alten Aufklärung, daß ſie zwar mit Worten gern über leere Standesunterſchiede ſpotteten, in der That aber ihren Rang ſehr eiferſüchtig wahrten. Nach ſtrengem Rechte konnte der Coburgiſche Herzenswunſch nur durch einen Bundesbeſchluß erfüllt werden, weil der Bund über der Rangordnung ſeiner Mitglieder zu wachen, auch die Mediatiſirten ſchon gewiſſenhaft in Durchlauchten und Erlauchten eingetheilt hatte. In Frankfurt aber lagen die Dinge höchſt ungünſtig. Der Präſidialhof war über das ſelbſtbewußte Auftreten des Herzogs von Coburg-Kohary, der doch unzweifelhaft zu den Unterthanen der Stephanskrone gehörte, längſt ſehr aufgebracht, ſeine Diplomaten redeten mit der äußerſten Gehäſſigkeit über den Coburger Hof. **)Bunſen’s Berichte, 5. 8. Nov. 1842.Auch der König von Preußen wollte den althiſtoriſchen Titel Durchlaucht nicht gern ändern. Nun gar die kleineren Fürſten meinten ſich alleſammt, und manche mit Recht ſchwer beeinträchtigt; ſie beruhigten ſich auch nicht, als Coburg ſeine Anſprüche herabſetzte und nur noch den Titel Hoheit verlangte. Da wünſchten Naſſau und Braunſchweig, von wegen ihrer größeren Macht, Großherzoge zu werden; in Baden, das ja einſt den Kurhut getragen hatte, ſprach man ſchon von der Annahme des Königstitels; der Kurfürſt von Heſſen dachte ſeiner verunglückten Katten - krone, der Großherzog von Darmſtadt dem ſtolzen alten Mainzer Kurhute den Majeſtätstitel beizulegen; Homburg wollte landgräfliche, Schwarzburg fürſtliche Hoheit heißen; der Fürſt von Hechingen ließ die Hoheit für Naſſau nicht gelten, weil ſein Haus früher als Naſſau in den Fürſten - rath des alten Reichstags gelangt war. ***)Berichte von Dönhoff, 27. April ff. ; von Radowitz, 19. Mai; Fürſt v. Hohen - zollern-Hechingen an Dönhoff, 7. Mai 1844.So zeigte ſich an einem ab - geſchmackten und doch ſehr heftigen, die Bundesgenoſſen tief verſtimmenden Zwiſte, daß jene ruheloſe ſociale Eitelkeit, welche beſtändig nach oben drängend, den Herrennamen zum Gemeingut Aller, die Mädchen zu Fräu - lein, die ſchlichten Marſchälle und Seneſchälle zu Großwürdenträgern ge - macht hat, auch in demokratiſchen Jahrhunderten bei Hoch und Niedrig ihren Spuk treibt.
Mittlerweile hatte der unternehmende junge Herzog Ernſt II. die Regierung in Coburg angetreten. Er merkte bald, daß auf dieſem Markte136V. 2. Die Kriegsgefahr.der Eitelkeiten nur vollendete Thatſachen entſcheiden konnten, und ſchloß im April 1844 mit ſeinen Vettern von Meiningen und Altenburg einen Hausvertrag, kraft deſſen die ſächſiſchen Herzoge eigenmächtig den Titel Hoheit annahmen. Alles zürnte über dieſe Umgehung der Bundesgewalten, und auf Metternich’s Befehl brachte Graf Münch am 20. Juni die Sache am Bundestage zur Sprache. Dringend verlangte er zugleich Wahrung des Geheimniſſes, da die Verhandlungen ſich von Haus aus ſehr ſtürmiſch anließen. Während mehrere Regierungen der ſelbſtgeſchaffenen neuen Hoheit die Anerkennung verweigern wollten, erklärte der Geſandte der erneſtiniſchen Herzoge hochtrabend, jeder Bundesbeſchluß in dieſer Frage ſei unzuläſſig, ſei ein Eingriff in die Souveränitätsrechte. Eine ſolche Sprache ſchien dem Könige von Preußen, der den Bundestag ſo warm verehrte, ganz unerträglich. Er ſchrieb entrüſtet: „ Der Zuſtand dieſer ebenſo ridikülen als für die deutſche Sache und Einheit bedrohlichen Sache reducirt ſich nach der letzten inqualifiablen Erklärung der ſächſiſch herzog - lichen Häuſer auf die Frage, ob der Bund und in specie der Bundestag ein alter Eſel iſt, der ſich ſolche Dinge bieten läßt. “ Er ließ ſie ſich bieten; denn ihm fehlte jede Macht ſouveräne Fürſten zu zwingen, und die großen Höfe des Weſtens hatten ſich inzwiſchen ſchon beeilt die Coburger als Hoheiten zu begrüßen. Wohl wies der preußiſche Geſandte Graf Dönhoff die bundesfeindlichen Behauptungen der Erneſtiner in ſcharfer Rede zurück; zuletzt mußte man ſich doch in das Geſchehene ergeben, und der Bund beſchloß (16. Aug.), alle regierenden Herzoge Deutſchlands fortan Hoheit zu benamſen. *)Dönhoff’s Berichte, 20. 27. Juni, 16. Aug. 1844 nebſt Randbemerkungen des Königs.Dann währte der Zank noch ein Jahr lang fort; Dön - hoff fürchtete ſchon, Frankreich könnte die Majeſtäts-Gelüſte Badens und Heſſens für einen neuen Rheinbund ausbeuten, bis ſich endlich der kur - fürſtliche und die großherzoglichen Höfe begnügten die Titel ihrer Prinzen angemeſſen zu verſchönern. **)Dönhoff’s Bericht, 10. Juli 1845.
Friedrich Wilhelm brauchte lange bis er dem Hauſe Coburg dieſen Streich gegen die Würde ſeines geliebten Bundestags verzieh, und auch der engliſche Hof zeigte bald, daß er ſich durch ſeinen kirchlichen und politiſchen Liberalismus wie durch ſeine Familienintereſſen weit ſtärker zu dem Bürgerkönige hingezogen fühlte als zu dem Könige von Preußen. Die enge, durch die Heirathen Leopold’s von Belgien und des Herzogs von Nemours begründete Verbindung der Häuſer Orleans und Coburg wurde während der nächſten Jahre durch zwei neue Prinzenhochzeiten noch mehr befeſtigt, und im Herbſt 1843 ſahen die Franzoſen, was ſeit Jahrhunderten unerhört war, den engliſchen Hof an ihrer Küſte landen um das Königs - paar im Schloſſe Eu zu beſuchen. Der lebhafte Verkehr, der ſich nun -137Preußen, England und Frankreich.mehr zwiſchen den beiden bluts - und wahlverwandten Höfen entſpann, wurde von den gemäßigten Parteien dieſſeits wie jenſeits des Canals nicht ungern geſehen; denn der alte Nationalhaß war wirklich erloſchen, die Idee der Verbrüderung des freien Weſtens kam trotz mancher Ir - rungen immer wieder obenauf. Freilich ſtanden an der Spitze beider Höfe kühle Kaufleute, die ihre dynaſtiſchen Sonderintereſſen niemals aus den Augen verloren, und wie leicht konnten dieſe begehrlichen Hinter - gedanken eine Freundſchaft ſprengen, welche immer des Vertrauens ent - behrte.
Preußen aber ſtand in der diplomatiſchen Welt ſo einſam wie ſeit Jahren nicht. Sein König hatte verſtanden, in kurzer Zeit die alten Freunde Oeſterreich und Rußland mit Mißtrauen zu erfüllen; er hatte mit ſeinen Freundſchaftswerbungen in England wenig Anklang gefunden, und kaum war die Kriegsgefahr vorüber, ſo bemerkte man bald, daß Preußen jetzt auch an den kleinen deutſchen Höfen weniger geachtet war als einſt unter dem alten Könige. Die ruhige Würde des Vaters erweckte Vertrauen, die bewegliche Geſchäftigkeit des Sohnes Zweifel und Arg - wohn. —
Während der drei letzten Jahre ſeiner Regierung hatte Friedrich Wilhelm III. die Prooinziallandtage nicht mehr verſammelt, weil er die Beſprechung des Kölniſchen Biſchofsſtreites vermeiden wollte. Der neue König berief ſie alleſammt ſchon auf das Frühjahr 1841 zur regelmäßigen Tagung; er hoffte — ſo ließ er ihnen ausſprechen — „ mit wahrer Freudig - keit auch für die ſtändiſchen Verhältniſſe eine lebendigere Zeit zu beginnen “. Da erinnerte ihn, gerade als die erſten Landtage zuſammentraten, zum dritten male ein Mahnruf aus Oſtpreußen an die Verheißungen des Vaters. Im Februar erſchienen die „ Vier Fragen, beantwortet von einem Oſtpreußen “— eine den Ständen Altpreußens gewidmete Flugſchrift, die der unklaren Sehnſucht der Liberalen endlich ein brauchbares Programm, ein handliches Schlagwort darbot. In ſcharfer, zuverſichtlicher, beinah drohender Sprache forderte ſie für dies längſt mündige hochgebildete Volk „ Oeffentlichkeit und wahre Vertretung “ſtatt der Beamtenallgewalt und der politiſchen Nichtigkeit aller ſelbſtändigen Bürger; ſie behauptete friſch - weg, das Verſprechen der Volksrepräſentation vom Mai 1815 ſei giltiges Geſetz, und gelangte dann, ohne in die ſchwierigen Rechtsfragen tiefer einzugehen, mit der ſchnellfertigen Logik des Radikalismus zu dem ein - fachen Schluſſe: Preußens Provinzialſtände ſollten „ das was ſie bisher als Gunſt erbeten, nunmehr als erwieſenes Recht in Anſpruch nehmen. “ Otto Wigand in Leipzig, der unermüdliche Verleger der radikalen Partei hatte die Vier Fragen gedruckt; auf dem Titel ſtand aber der Name: Heinrich Hoff in Mannheim, eine Firma, die fortan oftmals von preu - ßiſchen Schriftſtellern vorgeſchoben wurde und in der nächſten Zeit als Herberge der Oppoſition eine ähnliche Rolle ſpielte wie vor zweihundert Jahren die holländiſche Scheinfirma Peter Hammer in Köln.
Der ungenannte Verfaſſer war Johann Jacoby, ein jüdiſcher Arzt in Königsberg. Er gehörte ſchon zu dem neuen Geſchlechte, das die Be - freiungskriege nicht mit Bewußtſein durchlebt hatte, ſeine Ideale der Juli -139Jacoby’s Vier Fragen.Revolution und dem polniſchen Aufſtande verdankte. Jung war er nie ge - weſen, die Welt des Schönen blieb ihm ſo fremd wie das Spiel des Scherzes. In gebückter Haltung, und doch feierlich ſchritt der kahlköpfige kleine Mann daher, ein tiefer Ernſt lag in den ſcharfgeſchnittenen Geſichts - zügen, in den durchdringenden ſtechenden Blicken der großen blauen Augen. Alles verrieth ſogleich den ſittenſtrengen, fleißigen, bedürfnißloſen Stuben - gelehrten. Obgleich er als ſpinoziſtiſcher Freidenker die Synagoge grund - ſätzlich nie betrat, ſo meinte er ſich doch berufen im Namen ſeiner Glaubens - genoſſen zu reden und ſchrieb ſchon als junger Mann ein geharniſchtes Büchlein für die bürgerliche Gleichſtellung der Israeliten. Dieſe Schrift und eine zweite noch ſchärfere wider die preußiſche Cenſur verſchafften ihm bald ein hohes Anſehen unter den Liberalen Königsbergs; bei den Samm - lungen für die Göttinger Sieben erſchien er ſchon wie ein Parteiführer. Da die Oſtpreußen von allen Deutſchen am beſten verſtehen ſich ihre Juden zu erziehen, ſo war auch Jacoby weit mehr Oſtpreuße als Jude. Nur die vordringliche Dreiſtigkeit erinnerte an die orientaliſche Abſtammung; den Grundzug ſeines Charakters bildete jener ſtarre altpreußiſche Rechts - und Freiheitstrotz, der ſchon ſo viel Ruhm und ſo viel Elend, den Befreiungs - krieg ſo gut wie den Eidechſenbund und die polniſche Herrſchaft über das alte Ordensland gebracht hatte. Was er für Recht hielt, dabei blieb er, unerſchrocken und unbelehrbar; wer anders dachte war dem Fanatiker kaum mehr denn ein Thor oder ein Schurke. Auch den ſtarken Provinzial - ſtolz theilte er mit ſeinen Landsleuten; ſprach er von der Stadt, „ wo einſt Kant die Welt erleuchtete, “dann klang durch ſeine allezeit ernſthafte Rede ein Ton hohenprieſterlicher Salbung. Von politiſchem Talente beſaß er freilich gar nichts. Wie einſt Bailly, Condorcet und ſo viele andere in das Staatsleben verſchlagene radikale Naturforſcher lebte er der Meinung, daß man in der Politik jener Sachkenntniß, welche die exakten Wiſſen - ſchaften verlangen, nicht bedürfe, ſondern mit einigen abſtrakten natur - rechtlichen Sätzen und etwas kecker Dialektik wohl auskomme. Darum konnte er ſich nur in einer Zeit der Erwartungen, der Wünſche, der Pro - gramme einen Eintagsruhm erringen. Sobald die Tage des Bauens und Geſtaltens kamen, da ward ſeine politiſche Unfruchtbarkeit offenbar, und die unaufhaltſame Logik ſeines harten Verſtandes, der die Ehrfurcht vor der hiſtoriſchen Welt niemals lernte, trieb ihn dann von einer doktrinären Folgerung zur anderen, bis er endlich in einen bodenloſen, Vaterland und Geſittung zugleich zerſtörenden Radikalismus verſank. Unverkennbar ſtand ihm bei ſeinem Büchlein die Schrift von Sieyes Qu’est-ce que le tiers état? vor Augen. Gleich dem Franzoſen verſtand er die Stimmungen des Augenblicks ſicher zu treffen, gleich ihm ſchritt er hochmüthig über die hiſtoriſche Welt hinweg, und der Gedanke eine Revolution zu entfeſſeln hatte auch für ihn keine Schrecken.
Der König nannte die Vier Fragen ſofort eine revolutionäre Schrift. 140V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Ihm entging nicht, wie nahe ſich ihre Gedanken mit Schön’s Woher und Wohin? berührten, und da er den alten Freund noch immer zartfühlend ſchonen wollte, ſo ſchrieb er ihm vertraulich: der Verfaſſer ſolle unver - folgt bleiben, falls Schön ihn dem Monarchen nenne und ſeine Strafloſig - keit verlange. Doch mittlerweile hatte Jacoby im Bewußtſein ſeiner Un - fehlbarkeit ſelbſt die Flugſchrift an den König geſendet, ſich als Verfaſſer bekannt und ſein Büchlein geradezu unter den Schutz der Krone geſtellt. Dies nahm Friedrich Wilhelm für eine abſichtliche Beleidigung, weil die ſcharfen Vorwürfe, perſönlich überreicht, ihm noch ſchärfer klangen. Um ſich nicht zu übereilen berief er einige „ Doktoren der Rechte “zu ſich — ein Titel, dem er hohen Werth beilegte — und erſt als dieſe ſich für die Einleitung eines Strafverfahrens ausſprachen, gab er Schön zu wiſſen, er habe „ Jacoby’s Herausforderung angenommen “. Nunmehr blieben alle Fürbitten des liberalen Oberpräſidenten vergeblich. Die Unterſuchung nahm ihren Anfang, der Bundestag verbot, auf Preußens Antrag, den Vertrieb der Schrift, die gleichwohl in Aller Händen war; der Königs - berger aber gewann, ohne alle Opfer und Leiden, die Stellung des po - litiſchen Märtyrers, welche ſolchen Rechtsfanatikern beſonders zuſagt und ihre Macht verſtärkt.
Sehr tief wurmte den König, daß die Königsberger Judenſchaft ihren beherzten Wortführer auf den Schild hob. „ Getaufte Juden “, ſchrieb er an Schön, „ zähle ich nicht zu meinen Oſtpreußen. Das iſt ein wahrer Troſt für mich. Machen Sie nur, daß unbeſchnittene Männer von alter Treue und die ein Herz zu mir haben, die Schmach gut machen, welche die Beſchnittenen Oſtpreußen angethan. “ *)König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. 28. Febr., an Thile, 28. Febr. 1841.In ſolchem Tone bekundete er fortan immer ſeinen Judenhaß; ſeine heftigen, der Würde des König - thums wenig geziemenden Aeußerungen wurden von der mächtig angewach - ſenen Schaar der israelitiſchen Zeitungsſchreiber emſig umhergetragen und erweckten in der geſammten Judenſchaft eine unauslöſchliche Rachgier, welche den Ruf ſeiner Regierung noch ſchwer ſchädigen ſollte.
Jacoby’s Schrift wurde an alle Provinziallandtage verſendet, ſie fand aber dort vorerſt nur wenig Anklang; denn die Stände traten über - all in gehobener Stimmung zuſammen. Durch die herzliche Sprache und die reichen Gewährungen ſeines Propoſitionsdekrets gewann der König das allgemeine Vertrauen für kurze Zeit wieder. Um ſeinen getreuen Pro - vinzialſtänden zu beweiſen, wie ernſtlich er ſie ehre, welchen Werth er auf das Erſprießliche ihrer Wirkſamkeit lege, geſtattete er ihnen ihre Pro - tokolle zu veröffentlichen und verhieß ſie fortan regelmäßig aller zwei Jahre zu berufen. Für die Zwiſchenzeit ſollten aus allen Landtagen Ausſchüſſe gewählt werden, damit der Monarch ſich „ ihres Rathes bedienen und ihre Mitwirkung in wichtigen Landesangelegenheiten ſtattfinden laſſen “141Verheißung der Vereinigten Ausſchüſſe.könne; auch behielt er ſich vor, dieſe Ausſchüſſe je nach Umſtänden zu ge - meinſamer Berathung zu vereinigen. Dergeſtalt begann die von Friedrich Wilhelm ſo lang geplante organiſche Entwicklung der ſtändiſchen Inſtitu - tionen. Er ahnte nicht, wie weit ſie führen mußte. Die erweiterte Oeffent - lichkeit, die er den Landtagen gewährte, hatte er freilich ſehr eng umgrenzt; denn er kannte alle Uebelſtände des conſtitutionellen Syſtems nur zu ge - nau, er fürchtete die Eitelkeit der parlamentariſchen Redner und wußte auch, wie ſelten die Zeitungen ein treues Bild von den Landtagsverhand - lungen geben; darum verbot er die Namen der Redner zu erwähnen. Doch wie leicht ließ ſich dies ängſtliche Verbot umgehen. Die klugen Rheinländer wußten ihre Protokolle alsbald ſo einzurichten, daß Jeder - mann auf die Hauptredner mit Fingern weiſen konnte. Mit dem Ge - heimniß der Verhandlungen brach aber ein Grundpfeiler des alten Stände - weſens zuſammen. Landtage, die ſich dem Urtheil der öffentlichen Meinung preisgaben, konnten ſich auf die Dauer nicht mit unmaßgeblichen Rath - ſchlägen begnügen, ſie mußten fordern, daß ihnen irgend ein Recht der Beſchließung gewährt würde und die Räthe der Krone ihnen perſönlich Rede ſtünden. Mehrere Miniſter ſagten dies dem Monarchen ſogleich voraus; er hörte ſie nicht.
Noch unklarer blieb, was die Vereinigten Ausſchüſſe und ihre ver - heißene „ Mitwirkung “bedeuten ſollten. Die Geſandten der kleinen Höfe ſahen in ihrer Herzensangſt ſchon das Schreckbild einer parlamentariſchen Regierung emporſteigen. *)Berger’s Bericht, 29. April 1841.Aber auch mancher ruhige Mann zog den bündigen Schluß: die Vereinigten Ausſchüſſe ſollen aus den Provinzial - ſtänden gewählt werden, ſie ſind mithin nichts anders als die in der Ver - ordnung vom 22. Mai 1815 verheißene Repräſentation des Volks und können ſobald ſie in Berlin zuſammentreten, alle Rechte einer ſolchen verlangen. Der König hingegen betrachtete die Ausſchüſſe, deren Beru - fung ihm Rochow zuerſt vorgeſchlagen hatte, lediglich als ein Mittel um ſeine Preußen nach und nach für einen künftigen Vereinigten Landtag zu erziehen. Seinem Schön erklärte er: „ In den Ausſchüſſen hab’ ich mir Elemente geſchaffen, durch welche ich in den landtagloſen Jahren die wichtigſten Geſetze für die nächſten Landtage vorbereiten und Dinge all - gemeinen Intereſſes von den vorigen Landtagen her ausgleichen kann; † mit einem Worte, die Möglichkeit, ſchon jetzt und ſobald ſich das Be - dürfniß zeigt, alle Vortheile der Generalſtände zu genießen, ohne die Er - ſchütterungen, welche ihre plötzliche Einführung mit ſich führt, befürchten zu müſſen; und kommen die Fälle, die in des ſeligen Königs Geſetzen vorgeſehen ſind, wo ein Allgemeiner Landtag unumgänglich iſt, ſo iſt der Ideen-Austauſch und das Berathen mit Männern aus allen Ländern nichts Ungewohntes mehr. † Kurz, ich habe einen Bau begonnen, der ohne142V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.die ſündlichen Poſſen, die tiefe Unwahrheit und das häßliche Theaterſpiel moderner Conſtitutionen und Grundgeſetz-Wiſche in die Region wahrer Freiheit hinaufreichen kann .. Heute, ich ſage es getroſt, können nur Ja - cobiner, Perrücken oder Eſel über meine ehrliche Liebe zur Freiheit in Zweifel ſein … Den Ständen allen im Lande und denen von Preußen an der Spitze aller, wird die Wahl zwiſchen Israel und mir nicht ſchwer fallen … Den Reuigen, auch den Beſchnittenen, werde ich mit Freuden die begnadigende Hand reichen. “ *)König Friedrich Wilhelm an Schön, 9. März 1841.Die Stelle ſeines Briefes, welche er zwiſchen Kreuzen eingeſchloſſen hatte, befahl der König ſtreng geheim zu halten. Er erwartete alſo, ſeine Unterthanen würden ohne nur zu fragen ſich unbedingt der Leitung ſeiner überlegenen Weisheit überlaſſen; und doch lagen ſeine Abſichten in ſo räthſelhaftem Dunkel, daß ſelbſt Schön, der Empfänger des Briefes, ſie gänzlich mißverſtand und dem Monarchen hoffnungsvoll erwiderte: mit der Einberufung der Ausſchüſſe ſei das Ver - faſſungsverſprechen vom Mai 1815 erfüllt.
Im Volke konnte man noch weniger begreifen, wo hinaus dieſe ge - heimnißvolle Staatskunſt wollte. Aber die alte Treue ſtand noch uner - ſchütterlich feſt; man ſcheute ſich der Krone vorzugreifen, und dem Könige ward die Freude, daß keiner ſeiner Provinziallandtage den Lockungen Is - raels Folge leiſtete. Mit gerührten Worten dankten ſie ihm alle für ſeine Gewährungen. Die preußiſchen Stände wieſen eine in Jacoby’s Sinne gehaltene Petition von dreihundert Königsbergern kurzerhand ab, weil der König ſelbſt ſchon im Begriffe ſtehe die ſtändiſche Verfaſſung weiter aus - zubauen. In ähnlicher Weiſe ward eine Petition preußiſcher Grundbe - ſitzer abgefertigt, die den Landtag aufforderte ſeine Bitten vom vorigen September zu erneuern. Sie ſprach ſchon ſehr bitter von getrübten Hoff - nungen; zum Schluß erinnerte ſie ſcharf mahnend an die Verſe: „ nicht Roß, nicht Reiſige ſchützen die ſteile Höh’ wo Fürſten ſtehn, “und ſeitdem ward es in den Kreiſen der aufgeregten Oppoſition üblich, dieſe Worte des Königsliedes wie eine Drohung gegen das königliche Haus zu richten. **)Protokoll des preußiſchen Landtags vom 25. März; Bericht des Deputirten v. Below an den König 25. März 1841.Auch der ſchleſiſche Landtag ließ ſich durch eine liberale, mit Zeitungs - ſchlagwörtern reichlich ausgeſchmückte Petition der Breslauer Stadtbe - hörden nicht hinreißen, ſondern beſchloß mit allen gegen acht Stimmen, es lediglich der Weisheit des Königs anheimzuſtellen, ob, wann und auf welche Art die Reichsſtände zu berufen ſeien. An der Verhandlung im Plenum betheiligten ſich nur Vertreter der Städte, und ſogar unter ihnen geſtanden mehrere aufrichtig, der Wunſch nach Reichsſtänden ſe noch keines - wegs allgemein.
Noch war der König in der Lage, den Verfaſſungsbau ganz nach143Die Provinziallandtage von 1841.ſeinem Ermeſſen zu vollenden, wenn er nur raſch handelte und auf dem Boden des Rechts blieb. Aber die Stunde drängte. Selbſt die Verhand - lungen dieſer ſo überaus beſcheidenen Stände zeigten, daß eine neue Zeit gekommen war, deren Anſprüche beſtändig wuchſen. Zum erſten male ſeit langen Jahren bewies das Volk den Landtagen wieder lebhafte Theil - nahme, eine unerhörte Menge von Petitionen ward ihnen zugeſandt; und wie ſorgſam man ſich auch hütete die Gefühle des Königs zu verletzen, die beengenden Schranken der Geſchäftsordnung ließen ſich doch nicht ein - halten, immer wieder ſprachen die Redner über allgemeine Landesange - legenheiten.
Im Auslande erweckten ſchon die erſten leiſen Regungen des neuen preußiſchen Parteilebens tiefen Argwohn; man wußte dort von Altersher, obwohl man es ungern ausſprach, daß das deutſche Volk gleich dem edlen Roſſe ſeine Stärke nicht kannte. Schwer geängſtigt hielt Metternich dem Grafen Maltzan vor: durch die Reden des Poſenſchen Landtags würden Oeſterreichs Czechen und Polen aufgeſtachelt, während zugleich der ge - ſammte deutſche Liberalismus hoffend auf Preußen blicke; er wußte aus aufgefangenen Briefen, daß Rauſchenplatt und andere Flüchtlinge den ſüd - deutſchen Genoſſen vorläufig Ruhe empfahlen, weil der Erfolg in Berlin zuletzt nicht fehlen könne. *)Maltzan’s Berichte, 6. April 1841 ff.Auch der franzöſiſche Hof hielt den Sieg des conſtitutionellen Syſtems, bei dem liberalen Geiſte des preußiſchen Be - amtenthums, für unvermeidlich. **)Berichte des Miniſterreſidenten Rumpf an den Hamburger Senat, Paris, April 1841.Nun gar der Czar wähnte ſeinen Schwager ſchon ganz in den Klauen der Revolution; er empfing außer den verſtändigen Berichten ſeines Berliner Geſandten Meyendorff auch Meldungen von ſubalternen Agenten ſeiner geheimen Polizei, die dem Selbſtherrſcher gern nach dem Munde redeten, und ſprach ſeine Beſorg - niſſe für Preußen laut vor dem Hofe aus. Ruhiger ward er erſt, als der Prinz von Preußen zur Hochzeit des Großfürſten-Thronfolgers nach Petersburg kam und ihm die preußiſchen Zuſtände nicht ohne Bedenken, aber ohne Furcht ſchilderte. ***)Liebermann’s Berichte, 23. März, 11. Mai 1841.
In der That bewieſen die Landtage wie in der Verfaſſungsfrage ſo auch in den Finanzſachen dem Könige ein wahrhaft kindliches Vertrauen. Fried - rich Wilhelm verlangte ihren Rath wegen eines Steuererlaſſes von etwa 1½ Mill. Thlr., den er ſeinem Volke zu gewähren dachte falls die Kriegs - gefahr vorüberginge, und befahl darum eine Ueberſicht der außerordent - lichen Ausgaben der jüngſten Zeit für die Stände zuſammenzuſtellen. Die Miniſter Alvensleben und Rother unterzogen ſich, mit Beihilfe des Geh. Raths Voß, dieſer Aufgabe und berechneten (11. Febr.) den außerordent - lichen Aufwand der elf Jahre 1830 — 40 im Ganzen auf 63,222,527 Thaler. 144V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Ausführliche Mittheilungen an die Landtage ſchienen ihnen gefährlich, weil man im In - und Auslande den Zuſtand der Finanzen, auf denen die Kraft Preußens doch vornehmlich beruhe, für günſtiger halte als er ſei; und wie leicht könnten genaue Angaben über die Mobilmachungen oder die Chauſſeebauten den Argwohn des Auslandes, die Eiferſucht der Provinzen erregen. *)Ueberſicht über die außerordentlichen Ausgaben der Jahre 1830 — 40. Von Rother, Alvensleben, Voß, 11. Febr. 1841. S. o. IV. 189. 544.Offenbar erſchreckt durch dieſe Warnungen des alten Beamten - thums ließ der König noch im letzten Augenblicke reichlich 2 Mill. von der Rechnung abſetzen, ſo daß die Propoſitionsdekrete vom 23. Febr. nur 61,208,590 Thlr. als außerordentlichen Aufwand angaben.
Alſo erfuhren die getreuen Stände zum erſten male von Amtswegen was die Einſichtigeren freilich längſt geahnt hatten: daß in Preußen ſchon ſeit langen Jahren neben dem veröffentlichten ordentlichen noch ein geheimes außerordentliches Budget beſtand, und dies wurde ihnen auch jetzt nicht ein - mal in ſeiner Geſammtſumme vollſtändig mitgetheilt. Dieſem Unweſen der doppelten Budgets hatte das Finanzminiſterium, zu Kühne’s Verzweiflung, ſchon längſt ſeine ganze Rechnungsweiſe angepaßt. Man berechnete die wahr - ſcheinlichen Einnahmen nicht nach dreijährigem Durchſchnitte, ſondern be - trachtete die Mehreinnahmen größtentheils als Ergebniſſe vorübergehender günſtiger Umſtände, ſo daß, Dank dem beſtändigen Wachsthum des Volks - wohlſtandes, regelmäßig bedeutende Ueberſchüſſe, im Jahre 1840 wieder 6,8 Mill. Thlr., für außerordentliche Ausgaben verwendet werden konnten. **)Geh. Rath v. Patow, Denkſchrift über den Steuererlaß, 4. April 1842.Der ſoeben veröffentlichte Etat für 1841 ſchloß in Einnahme und Aus - gabe wieder ſäuberlich mit 55,867,000 Thlr. ab, und unmöglich konnte man noch an die Richtigkeit dieſer Zahlen glauben. Gleichwohl ergingen ſich die Landtage alleſammt nur in Dankſagungen für den verheißenen Steuererlaß; Niemand ſchien mehr zu wiſſen, daß der alte König die Be - kanntmachung der Etats einſt ausdrücklich deßhalb angeordnet hatte, da - mit Jedermann ſich von der Nothwendigkeit der Abgabenlaſt ſelbſt über - zeugen könnte. ***)S. o. III. 84.
Durch Freimuth und Selbſtgefühl übertrafen die Preußen und die Rhein - länder alle anderen Provinzialſtände; jene dachten mit Stolz an ihren Kant, dieſe an die Ideen von 89, die Einen wie die Anderen ließen ſich’s wohlgefallen, daß ihre beiden Provinzen von der ſüddeutſchen Preſſe als die Bannerträger der Civiliſation im preußiſchen Staate gefeiert wurden. Aber ſelbſt dieſe beiden Landtage wagten die Aufhebung der Cenſur nicht förmlich zu verlangen, weil die Krone ſelbſt ſchon einige Erleichterungen in Ausſicht geſtellt hatte. Die Preußen kleideten ihre Beſchwerde über die harte Behandlung der Preſſe in ſo ehrfurchtsvolle Formen, daß der König ſie durch Schön’s Schwager Brünneck ausdrücklich beloben ließ. 145Der Rheiniſche Provinziallandtag.In Düſſeldorf beantragte Dr. Monheim, der Abgeordnete von Aachen, der Landtag möge von der Krone verlangen, daß ſie den Erzbiſchof Droſte entweder wieder einſetze oder vor Gericht ſtelle; der Antrag wurde jedoch nach lebhafter Verhandlung mit Zweidrittel-Mehrheit verworfen, wie vor - her ſchon ein ähnlicher Antrag im weſtphäliſchen Landtage. Die Stände beruhigten ſich vorderhand, weil ihnen der König bei der Eröffnung ſo herzlich verſichert hatte: er umfaſſe alle Unterthanen beider Bekennt - niſſe mit gleicher Liebe und hoffe den geſtörten Einklang der Gemüther wiederherzuſtellen. Nur die Städte Aachen und Coblenz bekundeten durch feierlichen Empfang ihrer clericalen Abgeordneten, wie tief die Pro - vinz den kirchenpolitiſchen Kampf empfand. Ueber die zugeſtandene be - ſchränkte Oeffentlichkeit urtheilten die Provinzen ſehr verſchieden. Wäh - rend die allezeit conſervativen Brandenburger und Pommern ſogar die Gewährungen des Königs bedenklich fanden und ſich gradezu weigerten ihre Protokolle herauszugeben, baten die meiſten anderen Landtage um erweiterte Oeffentlichkeit; eine Petition von tauſend Einwohnern Kölns verlangte ſchon, daß der Zutritt zu den Ständeſälen Jedermann freiſtehen müſſe. Noch etwas ungeduldiger trat das Selbſtgefühl der Mittelklaſſen heraus: faſt ſämmtliche Landtage wünſchten, daß die ſo unbillig ſchwache Vertretung der Städter und der Bauern endlich verſtärkt würde, und ver - langten auch die Wiederherſtellung des Handelsminiſteriums, damit die Intereſſen der aufſtrebenden Großinduſtrie zu ihrem Rechte kämen.
In hoffnungsvoller Stimmung kehrten die Stände nach vollbrachter Arbeit heim. Wie peinlich aber wurden ſie an den Unterſchied von Sonſt und Jetzt erinnert, als im Spätſommer und Herbſt die Landtagsabſchiede erſchienen. Der alte König hatte ſeine getreuen Stände immer ſchlicht und trocken beſchieden, ihre Wünſche indeß, ſo weit es möglich ſchien, er - füllt; der neue Herr antwortete ihnen in gnädigen, gefühlvollen Worten, doch faſt alle ihre beſcheidenen Bitten ſchlug er rundweg ab, und auch jetzt noch ſagte er ihnen nicht deutlich, was er eigentlich mit ſeinen ſtän - diſchen Ausſchüſſen bezwecke. Nur das Eine erfuhren ſie, daß er nicht be - abſichtigte die Befugniſſe der Provinziallandtage an die Ausſchüſſe zu über - tragen. Niemand ahnte, welchen Zielen die angekündigte organiſche Entwick - lung der ſtändiſchen Inſtitutionen zuführen ſolle. Da begannen die kaum wieder erwachten Hoffnungen abermals zu ſchwinden, und auch mancher treu ergebene Mann ward beſorgt: ſo mit verbundenen Augen konnte ein denkendes Volk ſeinem Herrſcher nicht folgen. —
Trotz und Anmaßung zeigte unter allen Landtagen allein der Poſener; hier trug die widerſpruchsvolle Schwäche des neuen Regiments ſchon arge Früchte. Der Landtag wurde am 28. Febr. noch durch Flottwell als königlichen Commiſſar eröffnet; noch einmal mußte der polniſche Adel dem verhaßten ſtolzen Deutſchen in die flammenden Augen blicken. Auch in ſeinen Propoſitionsdekreten ſchien der König anzudeuten, daß er an demv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 10146V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.bisherigen Syſteme feſthalte. Er gab den Ständen zu wiſſen, daß er die zahlreichen Beſchwerden aus der Provinz ernſtlich geprüft habe; die Ver - waltung ſei aber ſtreng nach den Geſetzen verfahren, und ihre weſent - lichen Grundſätze denke er nicht aufzugeben. Darauf hielt er den Polen vor: ſie ſelber trügen die Hauptſchuld an den Mißſtänden, da ſie abſicht - lich dem Staatsdienſte wie dem höheren Lehramte fern blieben; und ſei es denn nicht wider ihre eigene Ehre, wenn ſie dem preußiſchen Be - amtenthum zumutheten, an polniſche Candidaten geringere Anforderungen zu ſtellen? Zum Schluß ſprach er die Hoffnung aus, daß der Landtag ſich weitgehender Anträge enthalten würde. Doch wie ſollten die Polen dieſe Warnungen beherzigen, da ſie alle wußten, daß der gefürchtete Ober - präſident ſchon zu Neujahr nach Magdeburg verſetzt war und nur noch die Geſchäfte des gegenwärtigen Landtags abwickeln ſollte?
Die alte Feſtigkeit der deutſchen Herrſchaft war dahin: das lehrte außer ſo manchen weichmüthigen vertraulichen Aeußerungen des Königs vornehmlich ſeine Cabinetsordre vom 15. Jan. über die Gerichtsſprache. Seit 1817 beſtand in Poſen die Vorſchrift, daß alle Civilproceſſe in der Sprache des Klägers, falls er aber beider Sprachen gleich mächtig ſei, in deutſcher Sprache verhandelt werden ſollten — ſicherlich eine ſehr milde Beſtimmung in einem weſentlich deutſchen Staate, der nur mit Mühe pol - niſch redende Richter auftreiben konnte und für die polniſchen Parteien ſtets eine Ueberſetzung der deutſchen Akten anfertigen ließ. Der ſarma - tiſche Adel indeſſen betrieb die Verhöhnung der preußiſchen Geſetze längſt wie einen ſtandesgemäßen Sport. So hatte auch der als gewandter deutſcher Redner wohlbekannte Oberſt Niegolewski ſich das Vergnügen geſtattet ſeinem Landgerichte polniſch zu ſchreiben und darum, da die Richter keinen Scherz verſtanden, einen Proceß ſowie eine Vormundſchaft verloren. Dies ſelbſtverſchuldete Mißgeſchick ſeines Standesgenoſſen hatte Graf Raczynski dem Könige ſehr rührſam geſchildert, und daraufhin wurde durch jene Cabinetsordre befohlen, daß alle Civil-Proceſſe ohne Unterſchied in der Sprache des Klägers zu verhandeln ſeien. Dem polniſchen Edelmanne ſtand es alſo fortan frei, den königlichen Richtern ihre Amtsſprache vor - zuſchreiben. Zugleich wurden die Belohnungen für die polniſch lernenden deutſchen Beamten abermals erhöht, alle Landräthe und Bezirkscommiſ - ſäre der Provinz, auch die der deutſchen Kreiſe, angehalten, ihren Ver - fügungen polniſche Ueberſetzungen beizulegen.
Seitdem jubelten die Polen, die Politik des Germaniſirens ſei zu Ende, und mit dreiſter Zuverſicht begannen ſie auf dem Landtage den An - ſturm wider das Deutſchthum. Gleich als der Landtagsmarſchall Poninski die Sitzungen mit ſchwungvollen Worten einleitete, wurde der geſetzwidrige Antrag geſtellt, dieſe Eröffnungsreden ſollten künftighin in beiden Sprachen gehalten werden. Nun folgten die alten Beſchwerden über die Begünſtigung der deutſchen Sprache. Glaubte man dieſen Rednern, ſo war die Unwiſſen -147Der Poſener Provinziallandtag.heit und Faulheit der Polen ein Rechtstitel, kraft deſſen ihrer Sprache die Herrſchaft gebührte, denn unter den Deutſchen verſtehe der dritte oder vierte Mann, unter den Juden faſt jeder auch polniſch, während von je ſechs Polen nur einer deutſch rede. Daß dieſe zweiſprachige Provinz einem Staate von elf Millionen Deutſchen angehörte, kam gar nicht in Betracht. Vor acht Jahren ſchon hatte der alte König eine Summe von 16000 Thalern für die Errichtung eines Poſenſchen Convicts an der Landesuniverſität Breslau bewilligt, Erzbiſchof Dunin aber dies bereits angenommene Ge - ſchenk wieder zurückgewieſen und trotzig verlangt, ſeine Theologen, die mit ſeltenen Ausnahmen aller geſellſchaftlichen und gelehrten Bildung ent - behrten, müßten in Rom, München, Wien oder Prag ſtudiren. Der Be - ſuch deutſcher Hochſchulen ward grundſätzlich verworfen. Die von dem neuen Könige berufenen Profeſſoren der ſlawiſchen Sprachen in Berlin und Breslau fanden kaum Zuhörer, ſelbſt um die ſoeben vermehrten Stipen - dien für polniſche Studenten bewarben ſich nur Wenige. Angeſichts ſolcher Thatſachen forderten die Landſtände eine theologiſch-philoſophiſche Facultät für die Stadt Poſen, ferner für die Provinz mehrere Gymnaſien mit vorherrſchend polniſchem Unterrichte, endlich polniſche Schulſprache in den Elementarſchulen aller der Ortſchaften, wo die polniſche Bevölkerung überwöge; zugleich rügten ſie, daß die deutſche Regierung zufrieden ſei, wenn die deutſchen Schüler ein leichtes polniſches Buch geläufig über - ſetzen könnten.
Der Landtag ſcheute ſich nicht, das ſo frech mißbrauchte Recht der Erwählung der Landräthe als einen Schutz für das Großherzogthum zu - rückzufordern, damit die Provinz ſich durch ihre eigenen Beamten gegen die deutſche Krone vertheidigen könnte. Er verlangte Aufhebung der Di - ſtrikts-Commiſſare, deren Verdienſte um die bürgerliche Ordnung er doch ſelbſt anerkennen mußte; er erklärte, das Aufkaufen überſchuldeter polniſcher Güter durch die Regierung hätte die Herzen der Polen mit Wehmuth er - füllt, und bat die Krone, ſie möchte den Warſchauiſchen Offizieren, welche an dem letzten Aufſtande theilgenommen, ihre Penſionen wieder auszahlen. Allen dieſen Anträgen der Ritterſchaft ſchloſſen ſich die Vertreter der deutſchen Städte und Dörfer „ aus Rückſichten der Billigkeit “an; ſo kräftig verſtand der polniſche Adel alle Künſte der Einſchüchterung anzuwenden, und ſo wirkſam unterſtützten ihn die deutſchen liberalen Zeitungen, die noch immer ohne Sinn für die nationalen Machtkämpfe der Oſtmark, jede Oppoſition, auch die der Feinde Deutſchlands grundſätzlich verherrlichten. Worauf die Polen ausgingen, das verrieth ſich deutlich als der Ober - Bürgermeiſter Naumann von Poſen, auf Andringen ſeiner Bürgerſchaft, die Berufung der preußiſchen Reichsſtände befürwortete; da klang es lär - mend von allen Seiten: als Polen ſtimmen wir dagegen. Die Frage wegen des Steuererlaſſes beantworteten die Polen mit der Bitte: der König möge lieber jeder Provinz eine Summe jährlich zu freier Ver -10*148V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.wendung zuweiſen. So in Allem und Jedem dachten ſie für ſich zu bleiben.
Dies Uebermaß des Undanks fand ſelbſt der langmüthige Friedrich Wilhelm unerträglich. Erzürnt ſchrieb er ſeinen Miniſtern: der Landtag habe Mißbrauch getrieben mit dem Worte: polniſche Nationalität, und ſolle daher nachdrücklich darüber belehrt werden, daß die Krone dieſer Provinz keine politiſche Abſonderung geſtatten könne. *)Cabinetsordre an das Staatsminiſterium, 12. Juni 1841.Demgemäß ſagte der Land - tagsabſchied ſehr ernſt: das Großherzogthum ſei eine Provinz wie alle andern, einverleibt der Monarchie, zu deren deutſchem Kerne die Polen ganz ebenſo ſtünden wie die Litthauer oder die Wallonen; der nationale Gegenſatz finde ſeinen Vereinigunspunkt in dem Namen Preußen. Die meiſten Bitten des Landtags wurden abgeſchlagen; die Kreisſtände ſollten das Recht der Landrathswahl, die alten Offiziere ihre Penſionen erſt wieder erhalten, wenn ſie ſich der Gnade würdig zeigten.
Die deutſche liberale Preſſe wollte gar nicht begreifen, warum der freiſinnige König die freiſinnigen Polen ſo hart anließ. Am Peters - burger Hofe dagegen, wo die Poſener Wirren mit wachſender Sorge ver - folgt wurden, athmete man befriedigt auf, der Czar zeigte dem preußiſchen Geſandten wieder eine lang vermißte Vertraulichkeit und Neſſelrode dankte ihm herzlich für die würdige Abweiſung des ſarmatiſchen Uebermuthes. **)Liebermann’s Berichte, 24. Aug., 28. Dec. 1841.Die polniſchen Edelleute klagten laut, in der Stille rieben ſie ſich zu - frieden die Hände; denn der Landtagsabſchied enthielt unter vielen Ver - ſagungen eine Gewährung und ſie betraf grade die wichtigſte aller natio - nalen Beſchwerden. Der König verſprach nämlich, daß die von der Regierung aufgekauften überſchuldeten Landgüter fürderhin auch an Polen veräußert werden ſollten. Bisher hatte der Staat faſt allein ſolche Güter angekauft, deren adliche Herren durch hochverrätheriſche Umtriebe herabgekommen waren. Wenn er dieſe Beſitzungen ſeiner geſchworenen Feinde gegen reich - liche Zahlung an ſich brachte und ſie dann zuverläſſigen Deutſchen anver - traute, ſo arbeitete er nicht nur mit den mildeſten Mitteln an dem großen Werke deutſcher Koloniſation, das hier ſeit ſechs Jahrhunderten im Gange war, er erwies auch den Polen ſelbſt eine Wohlthat, allerdings nicht dem Adel, wohl aber den kleinen Leuten; denn auf allen dieſen verwahrloſten Gütern ſaßen dienſtpflichtige Hinterſaſſen, und bei jedem Verkaufe ließ Flott - well die bäuerlichen Laſten ablöſen oder in billiger Weiſe neu ordnen. Das Verfahren des deutſchen Beamtenthums war ſo unanfechtbar, daß ſelbſt General Thile, der den polniſchen Neigungen ſeines königlichen Gönners ſo weit als möglich nachgab, nichts dawider einzuwenden wußte. Friedrich Wilhelm aber meinte, die Verwaltung hätte ſich dieſer friedlichen Ger - maniſirungspolitik zu ſchämen, weil er den Märchen Glauben ſchenkte, die149Flottwell’s Denkſchrift.im Palaſte Radziwill umhergetragen wurden, und betheuerte kleinlaut, ſchon bisher ſeien dieſe Güter auch an polniſche Erwerber verkauft worden, was aber nur in ganz ſeltenen Ausnahmefällen geſchehen war;*)ſ. o. IV. 558. fortan, ſo verhieß er, würde jeder Unterſchied zwiſchen den beiden Nationen hinweg - fallen. Wie ſollte ſolche Nachgiebigkeit auf dieſe Adelskreiſe wirken, deren Damen bei der Verhaftung Dunin’s Trauerkleider angelegt hatten um ſie beim Tode des alten Königs ſchleunigſt wieder auszuziehen!
Mittlerweile verließ Flottwell das Großherzogthum und überſandte dem Monarchen (15. März) noch eine Denkſchrift über ſeine zehnjährige Verwaltung, ein herrliches Zeugniß für den Freimuth, die Einſicht, die Thatkraft des alten Beamtenthums. Ganz unumwunden ſprach er hier aus, um der menſchlichen Geſittung willen hätte er die deutſche Bildung befördert, die dem preußiſchen Staatsleben widerſtrebenden polniſchen Ge - wohnheiten zu bekämpfen geſucht; dann ſchilderte er mit gerechtem Selbſtgefühle, was alles in dieſer ſchönſten Zeit der Poſener Landesge - ſchichte geleiſtet worden. Wie nachdrücklich hatte vor wenigen Jahren der alte König ſeine getreuen Beamten belobt, als Flottwell ihm nachgewieſen, die ſcheinbare Zunahme der Vergehen in der Provinz ſei nicht ein Zeichen wachſender Verwilderung, ſondern ein Ergebniß des wachſamen Kampfes, welchen die neugebildeten dreißig Land - und Stadtgerichte mitſammt den neuen Diſtrikts-Commiſſären wider die polniſche Geſetzloſigkeit führten. So einfach vermochte der Sohn nicht zu handeln; ſeine Gutherzigkeit und ſeine Neigung für das Abſonderliche verwickelten ihn ſtets in Widerſprüche, welche den Verdacht der Falſchheit hervorriefen. Er dankte dem ſcheiden - den Oberpräſidenten auf’s wärmſte für den Bericht, wie für ſeine kräftige patriotiſche Verwaltung, und verlieh ihm einen hohen Orden. **)Cabinetsordre an Flottwell, 11. Mai 1841.Die pol - niſchen Edelleute murrten, denn Flottwell’s Denkſchrift ward ihnen, ver - muthlich aus den befreundeten Hofkreiſen, bald verrathen und erſchien allen wie das frechſte Selbſtbekenntniß deutſcher Zwingherrſchaft. Doch zur nämlichen Zeit erklärte Friedrich Wilhelm dem neuen Oberpräſidenten Grafen Arnim-Boitzenburg ſeine beſtimmte Abſicht dies ſoeben belobte alte Verwaltungsſyſtem aufzugeben.
Er wünſchte womöglich alle Oberpräſidentenſtellen der Monarchie mit vornehmen Grundherren zu beſetzen, die nach der Weiſe engliſcher Lordlieutenants den Adel der Landſchaft in ihrem gaſtfreien Hauſe verſammeln ſollten. Da das durchaus in demokratiſchen Sitten aufgewachſene preu - ßiſche Volk wohl dem königlichen Beamten, doch keineswegs dem Edelmanne Ehrerbietung zu zeigen pflegte, ſo mußte dieſer Plan ſchon in anderen Provinzen auf manches Hemmniß ſtoßen. Um wie viel mehr in Poſen, wo nur der Adel und der Clerus unzuverläſſig, die Mehrzahl der kleinen150V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Leute treu ergeben war. Arnim wurde für dieſe Stelle ausgewählt, weil er mehrere der angeſehenſten Edelleute der Provinz von der Univerſität her kannte und als Regierungspräſident in Aachen mit den aufgeregten Katholiken gut ausgekommen war; zu der liebenswürdigen Gräfin ſagte der König, ſie ſolle ihm die Herzen der Polen gewinnen. Der neue Oberpräſident zeigte ſich als trefflicher Geſchäftsmann und hielt ein großes Haus; ſeine gemeſſene Ruhe behagte Vielen mehr als das ungeſtüme Weſen Flottwell’s, der, wie er ſelbſt geſtand, gern mit jungen Pferden fuhr, ſeine raſchen Entſchlüſſe am liebſten durch feurige junge Männer ausführen ließ. *)Oberlandesgerichts-Präſident v. Franckenberg-Ludwigsdorf an Thile, 27. Aug. 1841.Das dem Monarchen überreichte Programm der neuen Verwaltung ſagte behutſam: das Großherzogthum dürfe nur als Provinz behandelt, das Ziel der Germaniſirung nie aus den Augen verloren werden, obwohl man die Polen ſchonen und allein edle Mittel anwenden wolle; denn das für Preußen weſentliche Deutſchthum ſei auch in Poſen, wie Fürſt Sulkowski ſelbſt zugeſtehe, der Träger aller Cultur. Darum ſolle, unter Vermeidung jedes Zwanges, das Deutſche doch Staatsſprache bleiben und in allen Schulen nach Bedarf als Haupt - oder Nebenſprache gelehrt werden; der Kirche müſſe man, unbekümmert um die öffentliche Meinung, nach dem Befehle des Königs ihr volles Recht gewähren, aber auch nicht mehr. **)Graf Arnim, Denkſchrift über die Verwaltung Poſens, 30. Juni 1841 dem Könige überreicht.
Selbſt dieſe ſanften Worte klangen dem Monarchen noch zu deutſch; er antwortete mit der Mahnung: „ jeden Anſchein einer verſuchten Ver - drängung oder Beeinträchtigung des polniſchen Elements durch das deutſche zu vermeiden. “ ***)Cabinetsordre an Arnim, 21. Juli 1841.Mangelhaft unterrichtet, empfahl er ſeinem Oberprä - ſidenten das löbliche Beiſpiel der Franzoſen im Elſaß, während in Wahr - heit die Wälſchen gegen das Deutſchthum weit ſchärfer vorgingen als die Deutſchen gegen das Slawenthum: längſt waren in den elſaſſer Volks - ſchulen durchweg franzöſiſche Lehrbücher eingeführt; jetzt verlangte die Pariſer Regierung auch franzöſiſche Sprache für den Religionsunterricht, ſo daß außer den Proteſtanten, die allezeit tapfer für ihre lutheriſche Bibel ſtritten, auch der ſchmiegſame Biſchof Räß von Straßburg erbittert wurde und der Krone erwiderte, ſein Gewiſſen verbiete ihm die Religions - ſtunden anders als in der Mutterſprache der Kinder ertheilen zu laſſen. Graf Arnim aber lernte bald durch ſchmerzliche Enttäuſchungen, daß er das launiſche, nach Weiberart bald trotzende bald ſchmeichelnde Polenthum minder richtig beurtheilt hatte als ſein in dieſer Grenzerwelt aufgewachſener Vorgänger. Die polniſchen Jugendfreunde, von denen er ſo viel Hilfe erwartet hatte, zeigten ihm wie allen königlichen Beamten nur glatte Höf - lichkeit, doch weder Vertrauen noch guten Willen. Der kluge und edle151Graf Arnim in Poſen.Mann ſtand nicht an, dem Könige ſeinen Irrthum zu bekennen. Bereits nach zwei Monaten berichtete er (14. Aug.): die Scheidewand zwiſchen Deutſchen und Polen ſcheine doch weit ſchroffer als er gedacht; „ das Umlenken aus einer ſeit zehn Jahren verfolgten Bahn “biete große Schwierigkeiten, da man die erprobten Werke jenes Jahrzehnts nicht um - ſtoßen wolle, und „ Gott gebe, daß es nicht zu ſpät dazu iſt “. Hierzulande ſei das Beamtenthum Alles, tüchtige Männer fehlten unter den Polen faſt ganz, „ die Aufrichtung des geſunkenen Volkes “laſſe ſich noch gar nicht abſehen. *)Arnim, Bericht an den König, 14. Aug. 1841.Seitdem ward er wachſamer und begann nachzudenken über die Warnung des großen Friedrich: man darf den Polen keine Complimente machen, das verdirbt ſie nur. Aber noch bevor er ſich in ſeinem ſchwie - rigen Amte ganz zurechtgefunden hatte, ſchon nach Jahresfriſt, berief ihn der König auf einen Miniſterpoſten.
Durch ſo jähe Wechſelfälle gewannen die polniſchen Edelleute die tröſtliche Ueberzeugung, daß keine ſtarke Hand mehr das Steuer führte. An den Zwangsverkäufen ihrer Güter betheiligte ſich der Staat nicht mehr, und freiwillig veräußerten ſie nur noch ſelten eine Scholle an einen Deutſchen; das Sprichwort kam auf: große Verräther verkaufen ihr Vater - land im Ganzen, kleine morgenweiſe. Von den Volksſchulen fürchteten ſie auch nicht mehr viel, weil der König, um die römiſche Kirche ganz zu - frieden zu ſtellen, die Aemter der Schulinſpectoren häufig an polniſche Prieſter übertragen ließ. Selbſt das höhere Schulweſen hofften ſie der - einſt noch dem Polenthum zu unterwerfen: war doch ſoeben ein polniſcher Geiſtlicher zum Rector des Poſener Marien-Gymnaſiums ernannt wor - den; und die Regierung hatte bewilligt, daß dort künftighin blos polniſch, nur in den zwei oberſten Klaſſen auch deutſch unterrichtet würde. Der König ahnte nicht, wie ſchwer er dadurch die geſellſchaftliche Stellung ſeiner polniſchen Schützlinge ſelber ſchädigte; ohne gründliche Kenntniß der deutſchen Sprache konnte in Preußen ja längſt niemand mehr zu irgend einer höheren bürgerlichen Wirkſamkeit gelangen. Selbſt ein polniſcher Ju - gendbildungsverein, deſſen eigentlicher Zweck keinem Deutſchen in der Pro - vinz zweifelhaft blieb, wurde von der Regierung freundlich begünſtigt. Nach alter Gewohnheit dankten die ſarmatiſchen Edelleute der deutſchen Schwäche durch Untreue und Verſchwörungen. Daß dieſe Regierung mit Hochver - räthern ſtreng umgehen würde, ſtand ja doch nicht zu befürchten: dem Landtagsabſchied zuwider erhielten die warſchauiſchen Offiziere alleſammt bald nachher ihre verwirkten Penſionen wieder ausbezahlt.
Zwar beſtand, namentlich unter den reichen und bejahrten Grund - herren, eine kleine gemäßigte Partei, die auf das friedliche Erſtarken des polniſchen Volksthums hoffte. „ Werden wir beſſer, gebildeter, reicher als die Deutſchen “, ſo ſagte Graf Eduard Raczynski, „ dann ſind wir die Herren152V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.in Poſen. “ Und Eugen von Breza hatte den Muth, in einer Flugſchrift über Poſener Zuſtände auszuſprechen: der beſte Pole ſeit Caſimir dem Großen ſei der Bauernbefreier Friedrich Wilhelm III. geweſen. Aber ſolche vereinzelte Stimmen wurden durch den Terrorismus der Revolutionäre raſch niedergedonnert; gegen Breza ſchrieb Aug. Hatzfeld eine höhniſche Erwiderung, die unzweifelhaft die Meinung der polniſchen Mehrheit wieder - gab. Die „ Centraliſation “der polniſchen Propaganda in Paris und Ver - ſailles unterhielt ſeit Jahren, durch Palmerſton beſchützt, mit den Poſener Landsleuten einen geheimen Verkehr, den die engliſche Geſandtſchaft in Berlin vermittelte;*)Rochow an Graf Maltzan, 29. Dec. 1841. und trotz der Beſchwerden des preußiſchen Hofes hörte dieſe Verrätherei der britiſchen Freunde ſelbſt als die Torys zur Regie - rung gelangten nicht gänzlich auf. Auch unmittelbar wurden, mit Um - gehung der Poſt, regelmäßige Botſchaften zwiſchen Paris und Poſen aus - getauſcht. **)Nagler an Miniſter Werther, 20. Mai 1841.
Gerade die Großpolen um Poſen und Gneſen beſaßen im höchſten Maße jenen tolldreiſten, abenteuerlichen Sinn, welcher den Polen bei ihren öſtlichen Nachbarn den Namen der Hirnloſen verſchafft hatte. Nach den Erfahrungen des Flottwell’ſchen Regiments mußten ſie auch wohl glauben, daß Gefahr im Verzuge ſei, und das Deutſchthum im polniſchen Rom dereinſt noch ſiegen könnte. Als Menſchen, ſo ſagten ſie oft, befin - den wir uns beſſer, als Polen ſchlechter denn unſere Brüder in Galizien und Warſchau. Seit dem Jahre 1842 ſuchte die Centraliſation grades - wegs einen neuen Aufſtand vorzubereiten; ſie gründete in Verſailles eine eigene Kriegsſchule, Mieroslawski und Wyſocki hielten militäriſche Vor - träge, viele junge Polen beſuchten franzöſiſche Militärbildungsanſtalten. Jedermann fühlte, daß ein Sturm in der Luft lag. Erzbiſchof Dunin, der kaum begnadigte, gebärdete ſich wie der Herr des Landes; das ge - ſchmeidige Pfäfflein mit dem violetten Käppchen lächelte verſtändnißinnig, wenn ihm der Adel als dem Primas von Polen huldigte. Zum Dank für ſeine Befreiung ernannte er den Official Brodzizewski, den eigent - lichen Anſtifter des Kirchenſtreites***)ſ. o. IV. 708. zum Weihbiſchof von Gneſen und verlangte, daß alle Schulbücher der Provinz der erzbiſchöflichen Curie zur Genehmigung eingereicht würden. Er wagte in ſeinen Rundſchreiben an den Clerus die Regierung offen anzugreifen und beklagte ſich vor dem Monarchen über „ die unerhörte Arroganz “der königlichen Beamten in ſo frechem Tone, daß ihm Eichhorn einen ſcharfen Verweis ſenden mußte. †)Dunin, Eingabe an den König, 29. Jan.; Eichhorn an Dunin, 22. Febr., Bericht an den König, 24. Febr. 1841.Das perſönliche Verhältniß zwiſchen Deutſchen und Polen ward um ſo kälter, je leiſer die Regierung auftrat; ſelbſt Graf Raczynski,153Gährung in Poſen.den ſeine Standesgenoſſen wegen ſeines guten Einvernehmens mit den Deutſchen beargwöhnten, warnte nachdrücklich, dieſe beiden Nationen ſollten wohl friedlich neben einander leben doch niemals ſich vermiſchen. Unter ſich waren die Polen keineswegs einig. Neben den Geheimbünden des Adels bildete ſich ein radikaler Verein unter den Gewerbtreibenden der Provinzialhauptſtadt und einem Theile jener müſſigen Händler und Schenk - wirthe, welche in den kleinen Städten den fehlenden Handwerkerſtand vertraten; ſeine von Dr. Libelt herausgegebene Zeitſchrift, das Jahr, ſtand den Lehren des Communismus nahe. Gegen die Deutſchen aber hielten alle Parteien zuſammen. Schon wurde die Loſung ausgegeben, man dürfe nur bei Landsleuten kaufen, und in Poſen ein Bazar auf Aktien gegründet, deſſen Läden die Geſellſchaft ausſchließlich an Polen vermiethete; auch für ein polniſches Theater ward geſammelt.
In Folge der beſtändigen Warnungen der ruſſiſchen Geſandtſchaft erhielten die Landräthe den Befehl, auf die geheimen Umtriebe der Polen ſcharf aufzumerken. Da ſich indeſſen die moskowitiſchen Berichte zum Theil als falſch oder übertrieben erwieſen, ſo ließ ſich die deutſche Gutmüthigkeit bald wieder einſchläfern. Ein berüchtigter Agent der Propaganda Trzemski wurde, als man ihn nach Jahren endlich einfing, wieder losgegeben, weil er ſich auf die Amneſtie des neuen Königs berief;*)Schreiben des Juſtizminiſteriums an Rochow, 16. Oct. 1840. und über den gefähr - lichſten aller Preußenfeinde des Landes, Titus Dzialynski urtheilte das Auswärtige Amt unſchuldig: dieſer Graf ſei viel zu vornehm zum Ver - ſchwörer. **)Weiſung des Auswärtigen Amts an Arnim in Paris, 8. Juni 1841. Vgl. IV. 62.Harmloſer noch als ſeine Beamten war der König ſelbſt. Als er im Sommer 1842 auf der Durchreiſe Poſen berührte, da ließ er ſich, wie man ſagte, durch die Bitten der Radziwills bewegen, dort einige Tage zu verweilen, und die Polen bereiteten ihm eine jener lärmenden Hul - digungen, welche der ſlawiſchen Leichtlebigkeit gar nichts koſten. Entzückt ſchilderte er, wie man ihn über alle Erwartung gut empfangen und wie er beim Feſtmahle 205, meiſt adliche Magen habe füllen müſſen. ***)König Friedrich Wilhelm an Thile, Poſen, 25. Juni 1842.Nach dem kurzen Aufenthalte verlieh er zum Abſchied noch 55 Orden an dieſe ungetreue Provinz, die er ſchon bei der Königsberger Huldigung mit Aus - zeichnungen überſchüttet hatte; ſelbſt Dunin wurde durch einen Orden geehrt. Dergeſtalt trieb man arglos dem großen Verrathe der Polen entgegen. Ein genialer, ſeiner Macht ſicherer Staatsmann darf wohl zuweilen abweichen von der alten Regel, daß die Staatsgewalt ſich auf ihre Freunde, nicht auf ihre Feinde ſtützen ſoll. Eine ſchwache Regierung verräth nur ihre eigene Haltloſigkeit, wenn ſie in kurzſichtiger Ueberſchlauheit unbelehrbaren Gegnern zu ſchmeicheln verſucht. So geſchah es hier: die Polen wurden nicht gewonnen, die treuen Deutſchen aber fühlten ſich wie verrathen und154V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.verkauft, da ſie den König die Politik Flottwell’s beloben und doch ſelbſt den genau entgegengeſetzten Weg einſchlagen ſahen. —
Inzwiſchen wurde das Miniſterium nach und nach völlig neu ge - ſtaltet. Im März 1841 erhielt Boyen, trotz ſeiner ſiebzig Jahre, die Leitung der Kriegsverwaltung, zum Schrecken der alten mecklenburgiſch - welfiſchen Partei, die er noch vor wenigen Jahren durch eine freimüthige Schrift über Scharnhorſt abermals gekränkt hatte. Der König ward nicht müde, den alten Herrn für die Unbill vergangener Jahre durch eine faſt kindliche Verehrung und durch ſinnig gewählte Auszeichnungen zu ent - ſchädigen. Er gab ihm ſofort, nach dem Dienſtalter, die erſte Stelle im Miniſterium, ſchmückte ihn am Grabe Gneiſenau’s zu Sommerſchenburg, als dort das Denkmal des Helden enthüllt wurde, mit dem ſchwarzen Adlerorden, ernannte ihn zum Chef des erſten Infanterie-Regiments, in dem der General einſt ſeine Soldatenlaufbahn begonnen hatte, ließ zum Jubelfeſte ſeiner ſechzigjährigen Dienſtzeit eine ſchöne Denkmünze ſchlagen. Boyen aber täuſchte ſich nicht über die Bedeutung dieſer Gnaden - beweiſe. Aufgewachſen in den Ideen Kant’s, klar, beſtimmt, verſtändig in Allem, auch in ſeiner innigen Frömmigkeit, fühlte er klug heraus, wie wenig er Friedrich Wilhelm’s romantiſchen Träumen zu folgen vermochte, und hielt ſich der großen Politik in der Regel fern; nur zuweilen, wenn er einen verhängnißvollen Mißgriff befürchtete, warnte er den König mit ſeiner kräftigen oſtpreußiſchen Treuherzigkeit. Auch in ſeinem eigenen Miniſte - rium machte er bald die Erfahrung, daß er vor fünfundzwanzig Jahren, trotz der vielbeklagten Unentſchloſſenheit des alten Königs und trotz der Feindſeligkeit der Maulwürfe, wie er ſeine Gegner nannte, doch weit raſcher vorwärts gekommen war als jetzt. Gleich zu Anfang hatte er, wie der König ſagte, „ ein Stückchen Schwerenoth “mit dem Chef des Militärcabinets General Lindheim, und es gelang ihm den rechthaberiſchen Gegner zu verdrängen, indem er offen ausſprach: ich habe das Amt nur angenommen „ um dem König einen Beweis meiner treuen Anhänglichkeit zu geben; ſo - bald ich aber ſehe, daß meine Wirkſamkeit gelähmt wird, ſo hat die Stelle keinen Werth für mich. “*)Boyen an Thile, 28. März; König Friedrich Wilhelm an Thile, 25. 29. März 1841.
Freie Hand jedoch gewann er dadurch noch nicht, denn der König er - ſchwerte ihm, wie allen übrigen Miniſtern das planvolle Arbeiten durch plötzliche Vorſchläge und Entwürfe, die er dann oft ebenſo plötzlich wieder aufgab. „ Es liegen “, ſagte Thile, „ im Geiſte Sr. Maj. noch ſo viele Keime für die raſchere Entwicklung unſerer Staatsverhältniſſe in mannichfacher Richtung. “ Selbſt die Formen des Geſchäftsganges ſtanden nicht mehr155Boyen. Kamptz.feſt. Friedrich Wilhelm ließ ſich zwar, wie ſein Vater, in der Regel von dem Cabinetsminiſter Vortrag halten, berief aber auch zuweilen kurzweg einen oder mehrere der andern Miniſter oder erſchien unerwartet im Miniſterrath; ſo überlaſtete er ſich und fand ſchwer ein Ende. *)Thile, Bericht über die Vereinfachung des Geſchäftsganges, 15. Febr. 1842.Um ſich gegen die unberechenbaren Einfälle des Monarchen zu decken, verſammelte Boyen häufiger als er vordem pflegte berathende Commiſſionen, in deren ſchwerfälligen Verhandlungen mancher gute Plan ſtecken blieb. Dergeſtalt ward ſeine zweite Amtsführung, wenn auch nicht unfruchtbar, doch weit weniger erfolgreich als die erſte. Er empfand oft ſchmerzlich die Laſt ſeiner Jahre, obgleich Andere ſich über ſeine jugendliche Friſche verwunder - ten, und in ſeinen Augen noch immer jene verdeckte Gluth brannte, die ihm einſt den Namen des ſtillen Löwen verſchafft hatte. Mehr als das Alter hemmte ihn die Unſicherheit ſeiner Stellung; alle Rathgeber Fried - rich Wilhelm’s überkam bald das drückende Gefühl, daß man in einer un - möglichen Zeit lebte.
Auch im Juſtizminiſterium ward ein Perſonenwechſel unvermeidlich. Schon gleich nach ſeiner Thronbeſteigung (29. Juni 1840) hatte der König eine dankenswerthe Reform in der Rechtspflege herbeigeführt, indem er erklärte, es widerſtrebe ſeinem Gefühl, die Todesurtheile förmlich zu be - ſtätigen. Die Krone verzichtete alſo auf jede unmittelbare Ausübung ihrer alten oberſtrichterlichen Gewalt, ſie begnügte ſich fortan mit dem Rechte der Begnadigung; wenn ſie von dieſem Rechte keinen Gebrauch machen wollte, dann befahl ſie einfach, der Gerechtigkeit freien Lauf zu laſſen, ſo daß die Unabhängigkeit der Gerichte jetzt auch in der Form ſtreng ge - wahrt wurde. Dieſer erſten Reform ſollten größere folgen, vornehmlich eine Neugeſtaltung des Strafverfahrens. Wie hätte Friedrich Wilhelm für ſolche Pläne den alten, ihm perſönlich widerwärtigen Kamptz gebrauchen können, der mit allem ſeinem Fleiße das Werk der Geſetzreviſion kaum von der Stelle gebracht hatte und, befangen in der todten Gelehrſamkeit ſeines geliebten Reichskammergerichts, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit als Re - liquien aus den Kinderzeiten der Rechtspflege bemitleidete? Vor Kurzem erſt, bei ſeinem Jubiläum waren dem Demagogenverfolger mannichfache Aus - zeichnungen, ſogar das Ehrenbürgerrecht der Hauptſtadt zu Theil geworden. Er hielt ſich für unentbehrlich, ging im Sommer 1841 wohlgemuth nach Gaſtein, dem Jungbrunnen der Greiſe, und wollte ſeinen Augen kaum trauen, als ihm General Thile dorthin ſchrieb: bei ſeiner „ Lebens - und Geiſtesfülle “bedürfe der König jüngerer Diener. Kamptz ſträubte ſich noch heftiger denn vor drei Jahren, als man ihm die rheiniſche Juſtiz - verwaltung nahm;**)S. o. IV. 551. flehentlich bat er den General, ſelbſt zu beurtheilen „ ob ich jemals mit meinen Kräften zurückgeblieben bin “, und beſchwor156V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.den König, ihm die Arbeiten der Geſetzreviſion zu laſſen, da ihm „ Gott dieſe Kräfte ungeſchwächt erhalten habe “. *)Thile an Kamptz 5. Aug.; Kamptz an den König 5. Oct., an Thile 5. Oct. 1841.
Alles vergeblich. Der König hatte die Stelle bereits ſeinem Freunde Savigny zugedacht und verlangte von dieſem Vorſchläge für eine zweck - mäßige Einrichtung der Geſetzreviſion. Die Denkſchrift, welche Savigny darauf (im Januar 1842) dem Monarchen überreichte, enthielt in vornehmer, gemeſſener Form eine entſchiedene Abſage der neuen hiſtoriſchen Rechts - lehre an die Wetzlariſche Gelahrtheit des alten Jahrhunderts. Sie brach den Stab über Kamptz’s geſammte Amtsführung und zeigte mit ſiegreicher Klarheit: grade das Landrecht, grade dieſe ſo ausführliche, ſo in’s Ein - zelne gehende Codification habe den wiſſenſchaftlichen Geiſt des trefflichen preußiſchen Richterſtandes gelähmt; darum ſei auch nicht, wie bisher immer, eine Umarbeitung des ganzen Landrechts zu erſtreben, ſondern zuvörderſt eine Neugeſtaltung des Proceſſes, damit die Richter in ihrer ganzen Thätigkeit freier geſtellt, unabhängiger nach oben, entlaſtet von fremd - artigen Amtsgeſchäften, wieder mit der Wiſſenſchaft in lebendige Wechſel - wirkung träten. Am materiellen Rechte wollte Savigny nur verändern, was durch die Erfahrung widerlegt ſei und den Bedürfniſſen der heu - tigen Geſellſchaft widerſpreche. Er forderte alſo, wie ſein Lieblingsſchüler Ludwig v. Gerlach ſagte, ſtatt todter Codification lebendige Legislation; und bei dem freudigen Verſtändniß, das Friedrich Wilhelm den Ideen ſeines Lehrers immer gewidmet hatte, ſchien die Hoffnung wohlberechtigt, daß Preußens Geſetzgebung ſich fortan auf der Höhe der Wiſſenſchaft halten würde.
Als Savigny auf Grund jenes Programmes im März den Miniſter - poſten erhielt, da meinten faſt alle guten Köpfe an den Hochſchulen wie an den Gerichten, eine glücklichere Wahl hätte der König nicht treffen können; denn durch ſein Wirken im Staatsrathe und neuerdings durch ſein Syſtem des heutigen römiſchen Rechts war der größte Rechtsgelehrte des Jahrhunderts auch bei den Praktikern zu hohem Anſehen gelangt. Schon Stein hatte einſt vorausgeſagt, der würde einſt ein würdiger Nach - folger des Großkanzlers Carmer werden. Nur die Radikalen, die ihm ſeine Kämpfe gegen das Vernunftrecht nicht verzeihen konnten, ergingen ſich in wohlfeilen Spöttereien über den Mann, der einſt unſerer Zeit den Beruf zur Geſetzgebung abgeſprochen hätte und nun ſelbſt das Miniſterium der Geſetzreviſion übernähme; ſie hielten ihm vor, daß er, der Proteſtant, ſeinen Sohn ſtreng katholiſch erziehen ließ, daß er einſt Gans bekämpft und Stahl beſchützt hatte, daß er jetzt Gerlach ſogleich in ſein Miniſterium berief; ſie weiſſagten dem „ chriſtlich-germaniſchen Solon “ein ſchlimmes Ende. Und ſeltſam, dieſen Parteifanatikern gab der Erfolg ſchließlich mehr Recht als den Einſichtigen und Unbefangenen. Es zeigte ſich bald, daß157Savigny. Alvensleben. Bodelſchwingh.Friedrich Wilhelm auch diesmal wieder einen bedeutenden Mann an die falſche Stelle geſetzt hatte; Savigny’s Thätigkeit im Miniſterrathe beraubte die Wiſſenſchaft auf einige Jahre einer unvergleichlichen Kraft und förderte die preußiſche Geſetzgebung nur wenig.
Leichter als Kamptz trennte ſich Graf Alvensleben von ſeinem Amte. Er hatte vor Jahren der romantiſchen Maikäfergeſellſchaft der Gebrüder Gerlach angehört und wurde von dieſen Jugendfreunden noch immer zu den zuverläſſigen Geſinnungsgenoſſen gezählt. Durch ſeine lange Amts - führung war er jedoch an den geräuſchloſen ſtätigen Gang des alten Re - giments gewöhnt und ſagte zu Rochow von vornherein: jetzt ſei für ſie Beide kein Platz mehr, der neue Herr wolle in Allem allein regieren, ſelbſt die Einzelheiten der Verwaltung durch oft willkürliche oder unpraktiſche Befehle regeln, und umgebe ſich darum abſichtlich nur mit Männern, die er weit überſehe. Längſt entſchloſſen ſich bei rechter Gelegenheit zu - rückzuziehen, erhielt der Graf im October 1841 einen ſcharfen Verweis, weil er bei den ſchwebenden Verhandlungen über die Zuckerzölle den Ab - ſichten des Monarchen zuwider gehandelt hätte. Sofort verlangte er ſeinen Abſchied. *)Nach Kühne’s Aufzeichnungen.Das hatte Friedrich Wilhelm nicht beabſichtigt; denn er ſchätzte Alvensleben ſehr hoch, und war vor’m Jahre ſchon nahe daran geweſen ihm das wichtige Cultusminiſterium zu übertragen. Um den ge - kränkten Miniſter zu beſchwichtigen dachte der König in der erſten Ver - legenheit, alle Schuld an dem Streite auf den pedantiſchen alten General - ſteuerdirector Kuhlmayer abzuwälzen. Da trat ihm Thile entgegen und ſagte freimüthig: das würde die erſte wirkliche Ungerechtigkeit in der Re - gierungszeit Sr. Majeſtät ſein, denn Kuhlmayer habe immer nur genau die Weiſungen des Miniſters befolgt. **)Thile’s Bericht an den König o. D. (Januar 1842.)So blieb es denn dabei, daß Alvensleben aus der Finanzverwaltung austrat; mit ihm ſchied auch Kuhlmayer.
Der König war jedoch nicht geſonnen, ſich gänzlich von dem alten Freunde zu trennen; er ließ durch Leopold Gerlach, nachher durch die Königin mit ihm verhandeln, und Alvensleben entſchloß ſich endlich als Cabinetsminiſter neben General Thile einen Theil der politiſchen Vorträge bei dem Monarchen zu übernehmen. Mittlerweile wurde der Oberpräſident v. Bodelſchwingh zum Eintritt in das erledigte Amt aufgefordert, und nach den Anſchauungen des alten Beamtenthums betrachtete er es als ſeine Dienſtpflicht dem Rufe des Königs zu gehorchen, obgleich er ſehr un - gern ſeinen ſchönen rheiniſchen Wirkungskreis verließ. ***)Bodelſchwingh an Thile, 25. Nov. 1841.Im Mai 1842 trat er das Amt an, unter ihm Geh. Rath Kühne als Generalſteuer - direktor. Endlich wieder ſchien ein friſcherer Geiſt in die etwas erſtarrte158V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Finanzverwaltung einzuziehen, da zwei ſo ausgezeichnete Beamte, beide noch im kräftigſten Alter, perſönlich befreundet und in ihren handelspolitiſchen Grundſätzen ganz gleichgeſinnt, die Zügel ergriffen.
Ungleich wichtiger als alle dieſe Aenderungen erſchien der öffentlichen Meinung der hartnäckige Kampf zwiſchen Schön und Rochow. Deſſen Ausgang, ſo glaubte alle Welt, mußte über den Charakter der neuen Re - gierung endlich entſcheiden. Rochow galt nun einmal für den Banner - träger der Reaction. Nicht ganz mit Recht. Eben jetzt vollendete er, durchaus nach den Wünſchen des Provinziallandtages, die Landgemeindeord - nung für Weſtphalen vom 31. Oct. 1841, die an die Stelle von vier rheinbündiſch-franzöſiſchen Gemeindegeſetzen trat und offenbar eine Mittel - linie einhalten ſollte zwiſchen dem napoleoniſchen Verwaltungsdespotismus und der patriarchaliſchen Selbſtverwaltung des Oſtens. Die althiſtoriſchen Ortsgemeinden wurden wiederhergeſtellt, ſofern ſie eigenen Haushalt be - ſaßen; den Gemeindevorſteher ernannte der Landrath, nach franzöſiſchem Brauche, die Gemeinderäthe jedoch ſollten fortan von den Meiſtbeerbten frei gewählt werden und erhielten erweiterte Befugniſſe. Eine oder meh - rere Gemeinden bildeten einen Landesverwaltungsbezirk, das Amt, unter einem ernannten Amtmann. Die Rittergüter konnten in der Regel nur mit Zuſtimmung beider Theile aus dem Gemeindeverbande ausſcheiden. Das Geſetz zeigte gar nichts von ſtaatsmänniſchen Gedanken; es war der Nothbehelf eines wohlmeinenden Beamtenthums, das den im Weſten vorherrſchenden und darum liberal genannten Anſchauungen nach Kräften entgegenzukommen ſuchte. Aber auch dies Zugeſtändniß an den Liberalis - mus vermochte den Haß, der auf Rochow’s Namen laſtete, nicht zu ſänf - tigen. Und ihm gegenüber ſtand Schön, der Abgott der Zeitungen.
Der hatte die Verhandlungen des jüngſten oſtpreußiſchen Landtags durch ſeine Getreuen ſehr klug geleitet; denn er ſtand dem Könige per - ſönlich dafür ein, daß unter den Ständen ſeines Lieblingslandes kein un - ehrerbietiges Wort fallen ſollte. Nichtsdeſtoweniger fuhr er fort, die radi - kale Verſtimmung, die in Königsberg ſeit dem Erſcheinen der Vier Fragen überhandnahm, gefliſſentlich zu ſchüren durch ſeine maßloſe Tadelſucht, durch ſein hoffärtiges Abſprechen über alles was aus Berlin kam, neuer - dings auch durch geheimnißvolle Andeutungen über des Königs Ver - faſſungspläne. Mehrmals warnte General Wrangel die Krone vor dieſem aufreizenden Treiben des Oberpräſidenten; immer ward ihm die Antwort, dem Freunde des Königs ſei nichts Arges zuzutrauen. Mit ſeinem Vor - geſetzen Rochow war Schön bereits ſeit dem Huldigungslandtage gänzlich lich zerfallen. Jetzt ſandte Rochow eine gehäſſige Anfrage wegen eines albernen radikalen Gedichts, das dem Oberpräſidenten zuſang, er habe „ das große Wort der Freiheit uns gelehrt “. Schön’s Erwiderungen wurden immer gröber; es ſchien als ob er den Miniſter verhöhnen wollte. Zugleich verklagte er ihn, freimüthig aber ohne irgend einen Be -159Weſtphäliſche Landgemeindeordnung. Schön und Rochow.weis beizubringen, vor dem Könige als einen gemeinſchädlichen Staats - diener. In den Berliner Regierungskreiſen äußerte man ſchon: wenn Rochow nur einen Funken von Klugheit beſäße, ſo müßte er dieſen Gegner fordern. *)Nach Kühne’s Aufzeichnungen.Beide Feinde zeigten ſich gleich herrſchſüchtig, beide gleich wenig wähleriſch in den Mitteln: während Schön’s liberale Gefolg - ſchaft den Miniſter in den Blättern der Oppoſition ſchmähte, ließ Rochow, wie die Oſtpreußen bald erfuhren,**)Brünneck an Thile, 7. März; Oberſt v. Below an den König, 7. April 1841. in ſeinem Bureau gehäſſige Artikel gegen den Oberpräſidenten ſchmieden und wußte manche davon ſogar in der Augsburger und der Leipziger Allgemeinen Zeitung unterzubringen.
Trotz dieſes offenkundigen Skandales wünſchte der beiden Gegnern gleich wohlgeneigte Monarch beide im Amte zu halten; denn im ſtolzen Gefühle ſeiner Selbſtherrlichkeit legte er auf die Streitigkeiten ſeiner Diener gar keinen Werth. Auch glaubte er keineswegs, daß eine grundſätzliche Feindſchaft die Beiden trennte. Hatte er doch als Kronprinz jahrelang mit Beiden friedlich in der landſtändiſchen Commiſſion zuſammen gearbeitet und von Rochow ſoeben noch Rathſchläge für die Fortbildung der Ständeverfaſ - ſung empfangen. Zwiſchen dem Könige und ſeinem alten oſtpreußiſchen Freunde hatte ſich nach und nach ein gefährliches gegenſeitiges Mißverſtänd - niß gebildet, wie es nur zwiſchen ſo ſeltſamen Charakteren entſtehen konnte. Da Schön Alle die nicht ſeines Sinnes waren als „ Männer der finſteren Zeit “tief verachtete, ſo glaubte er wirklich, ſein geliebter König würde nur durch die reaktionären Hofleute verhindert, die conſtitutionellen Pläne aus - zuführen, die er doch in ſolcher Weiſe gar nicht hegte. Friedrich Wilhelm ſeinerſeits wähnte, „ der Schön “laſſe ſich nur zuweilen „ durch ſeinen jüdi - ſchen Freundepöbel “zu liberalen Aeußerungen verleiten, die in Wahrheit die Herzensgeſinnung des Kantianers wiedergaben. Wieder und wieder ſendete er dem Freunde herzliche Briefe und mahnte ihn zur Verſöhnlichkeit: das Minimiſſimum, das ich zu fordern berechtigt bin, iſt eine Explication mit Rochow, den Sie ungerecht beſchuldigt haben; Ihnen fehlt die Liebe, die auch mit Gegnern für das Ganze zuſammenwirkt. ***)König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. Febr. 1841.Gewandt eingehend auf dieſe ihm ſonſt wenig geläufige bibliſche Sprache erwiderte Schön: der Spruch „ Und hätte ich die Liebe nicht “ſtehe mit Flammenſchrift in ſeinem Herzen. Dem Miniſter aber wollte er ſeine Hand nicht bieten. Vergeblich hielt ihm ſein Landsmann Boyen in einem gemüthlichen Schreiben vor: die Verſöhnung mit Rochow ſei zugleich die Verſöhnung mit dem Monarchen, vergeblich verſuchte des Königs vertrauter Adjutant, Oberſt Below, einer der erſten Grundherren der Provinz, im Verein mit einigen anderen oſtpreußiſchen Edelleuten den Erzürnten zu überreden. †)Boyen an Schön, 25. April. Below’s Bericht an den König, 24. März 1841.
160V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Schön ließ ſich über die Schärfe des vorhandenen Gegenſatzes nicht täuſchen; er blieb dabei, A und Non A könnten nicht zuſammengehen. Zweimal erbat er ſeinen Abſchied, offenbar weil er noch immer hoffte, den Gegner zu ſtürzen. Er wußte längſt, daß der König mehrmals daran gedacht hatte, ihm das Handelsminiſterium zu übertragen — allerdings ein ſonderbarer Einfall, da Schön zwar reiche techniſche Kenntniſſe beſaß, aber als unbelehrbarer Feind des Zollvereins in der Handelspolitik ſicherlich Unheil angeſtiftet hätte — und er war nicht nur bereit dieſem Rufe zu folgen, er traute ſich’s auch zu, den geſammten Miniſterrath zu leiten. Immer wieder kam er in Briefen und Geſprächen auf den allein rettenden Ge - danken zurück: wir brauchen „ ein regulirtes Miniſterium “, an deſſen Spitze „ ein wiſſenſchaftlich gebildeter Staatsmann mit voller Erfahrung “ſtehen muß; und von ſolchen Staatsmännern beſaß die Monarchie nach ſeiner Meinung nur einen einzigen!
Mit leidenſchaftlicher Erregung verfolgte die Provinz dieſe Kämpfe; denn von allen deutſchen Stämmen halten die Oſtpreußen, neben den Holſten, den Schwaben und den Schleſiern, am feſteſten unter einander zuſammen; und Schön liebte, alle Vorwürfe, die ihm aus Berlin zu - kamen, als Verdächtigungen der Treue ſeines Heimathlandes aufzufaſſen, um ſie dann mit hoher patriotiſcher Entrüſtung zurückzuweiſen*)Cabinetsordre an Thile, 30. März; Thile’s Bericht an den König, 31. März 1841.. So erſchien Rochow bald jedem ſtolzen Oſtpreußen faſt wie ein perſönlicher Feind. Mittlerweile verbreitete ſich in der Provinz plötzlich das Gerücht von zahlreichen Brieferbrechungen; Schön ſprach darüber als ob ein Zweifel gar nicht möglich wäre. Der König aber, der ſchon nach ſeiner Thronbeſteigung, zum Kummer des alten Nagler, alle ſolche ſchlechte Künſte ſtreng unterſagt hatte, ſendete ſofort den Oberſten Below mit außer - ordentlichen Vollmachten in ſeine Heimath, um eine ſcharfe Unterſuchung vorzunehmen. Sie brachte ſchlechterdings nichts Bedenkliches an den Tag;**)Cabinetsordre an Below, 10. März; Below’s Bericht an Thile, 24. März 1841. indeſſen ließen ſich die Altpreußen ihren Verdacht nicht nehmen.
Nun begann auch die ſchwache conſervative Partei der Provinz ſich zu regen. Unter dem Vorſitze des übelberufenen Landraths v. Hake verſammelten ſich im Februar einige Grundbeſitzer zu Preußiſch-Holland, um zu erklären, daß ſie die Adreſſe der Freunde Jacoby’s mißbilligten und dem abſoluten Könige unbedingt vertrauten. Hocherfreut erwiderte Rochow einem der Theilnehmer, der Monarch habe die loyalen Grund - ſätze der Verſammlung mit Wohlgefallen aufgenommen. ***)Rochow an Regierungsrath v. Beſſel, 1. März 1841.Da liefen von verſchiedenen Seiten Anzeigen gegen Hake ein; man beſchuldigte ihn eines Caſſendefekts, und Schön beeilte ſich in einem grimmigen Berichte die Nichtswürdigkeit dieſes politiſchen Gegners mit grellen Farben zu ſchildern. 161Schön’s Entlaſſung.Rochow aber verſuchte anfangs den Handel mit Stillſchweigen zu über - gehen und ward erſt durch einen ausdrücklichen Befehl des erzürnten Monarchen gezwungen die Unterſuchung anzuordnen, die mit Hake’s Ver - urtheilung endigte. *)Schön’s Bericht an Thile, 6. Mai; König Friedrich Wilhelm an Thile, 10. Mai; Rochow’s Bericht an den König, 13. Mai 1841.Seitdem war der König über die Parteilichkeit des Miniſters ebenſo ungehalten wie über die geheime Oppoſition des Ober - präſidenten. So ſchleppte ſich der Streit noch durch Monate dahin. Schön triumphirte und verſicherte dreiſt, in ſeiner treuen Provinz gäbe es keine Parteien, allein die winzige Partei des Verbrechers Hake ausgenommen. In Wahrheit war das Ordensland tief aufgewühlt, faſt ſo erbittert wie vor zweihundert Jahren, als die edlen freien Preußen den märkiſchen Des - potismus bekämpften. Unerſchütterlich feſt ſtand die Sage, daß der König bei der Krönung conſtitutionelle Zuſagen gegeben und ſie nachher zurück - genommen hätte; nichts aber verzeiht dieſer kräftige Stamm ſchwerer als die Unbeſtändigkeit. Als Schön im October den Sitzungen des Staatsraths beiwohnte, wollten ihm die Berliner Liberalen ein Ständchen bringen, was er nur mit Mühe verhinderte; bei ſeiner Heimkehr begrüßten ihn ſeine Königsberger Anhänger mit beflaggten Schiffen und erleuchteten Fenſtern als den Helden des Landes, und die Königsberger Polizei meldete dem Miniſte - rium beſchwichtigend: allgemein ſei die Theilnahme doch nicht geweſen. **)Königsberger Polizeibericht, 25. Oct. 1841.
So ſtand es bereits: die oſtpreußiſchen Polizeibehörden erſtatteten Bericht über ihren eigenen Oberpräſidenten! Daß ſolche Zuſtände nicht dauern konnten, mußte ſchließlich auch dem langmüthigen Monarchen ein - leuchten. Als Schön im Januar 1842 zum dritten male ſeinen Abſchied erbat, nahm ſich der König faſt drei Monate Bedenkzeit und genehmigte endlich das Geſuch durch Cabinetsordre vom 31. März. Aber dieſe Ordre blieb tiefgeheim, auch der Zeitpunkt des Austritts noch vorbehalten, und weder der Oberpräſident noch die wenigen anderen Eingeweihten hielten die Entſcheidung für unwiderruflich; Miniſter Alvensleben klagte bitter: „ das Vertrauen des Königs zu Schön beſteht nach wie vor. “ ***)Alvensleben an Thile, 22. Mai 1842.Noch im Mai reiſte Schön, ſchwerlich ganz ohne Hoffnung, wieder nach Berlin zu den Verhandlungen des Staatsraths. Dort traf ihn die erſchreckende Nach - richt, daß ſeine Abhandlung: Woher und Wohin? ſoeben auf dem Bücher - markte erſchienen ſei. Die Schrift war, wie ſich kaum anders erwarten ließ, bei einem der fünf Freunde, denen Schön ſie anvertraut, von un - befugter Hand abgeſchrieben und einem radikalen Buchhändler verrathen worden. †)Rochow’s Berichte an den König, 21. Mai, 9. Juni 1842.Der Diogenes der deutſchen Demagogen, der Flüchtling Georg Fein, Hambacher Angedenkens††)ſ. o. IV. 601., ließ ſie alsdann in ſeinem ſicheren Straß -v. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 11162V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.burg zu billigem Preiſe erſcheinen und fügte ein langes Nachwort hinzu, das in thörichten Schmähungen gegen Preußens Staat und Regierung ſchwelgte. Da ward Friedrich Wilhelm geſchildert als „ ein höchſt ſchlauer, lebensgewandter Ariſtokrat, der ſich ſowohl auf die Schwächen als auf die ſchönſten Eigenſchaften des deutſchen Volkes verſteht und beide mit nicht gewöhnlicher Verſtellungskunſt für ſeine Herrſcherzwecke zu benutzen und auszubeuten weiß. “
Sofort mußte Thile auf Befehl des Königs den Oberpräſidenten „ wegen des Verrathes ſeiner fatalen Schrift “*)König Friedrich Wilhelm an Thile, 24. Mai 1842. befragen, und Schön äußerte ſich natürlich hoch entrüſtet über Fein’s „ Schändlichkeit “. Gleich - wohl unterließ er was die Pflicht des Anſtands und der Treue ge - bieteriſch erheiſchte; er erklärte nicht öffentlich, daß er an dem unbe - fugten Nachdruck keinen Antheil habe und das radikale Nachwort ent - ſchieden mißbillige. Der König in ſeinem argloſen Edelſinne muthete ihm eine ſolche Erklärung auch gar nicht zu, ſondern unterſagte jede Ver - folgung „ des Woher und Wohin mit dem Drachenſchwanze “, damit das Gericht des Publikums „ unedles, ja ehrloſes Gebahren nach Gebühr be - handeln “könne. **)König Friedrich Wilhelm an Thile, 23. Mai; Randbemerkung des Königs zu Rochow’s Bericht vom 21. Mai 1842.Wie gründlich täuſchte er ſich doch über die Urtheils - fähigkeit der öffentlichen Meinung, die zwiſchen gemäßigter und radikaler Oppoſition noch keineswegs zu unterſcheiden verſtand. Da das Machwerk Fein’s unbehelligt umlief, ſo glaubten die Leſer alleſammt, der Straß - burgiſche Demagog und der Freund König Friedrich Wilhelm’s hegten im Grunde die nämliche Geſinnung. In ſolcher Geſtalt dargeboten wirkte Schön’s Abhandlung in der That wie eine Brandſchrift, und ſein Verbleiben im Amte wurde rein unmöglich.
Und doch war Schön nicht ganz im Irrthum, wenn er von dem unberechenbaren Charakter des Königs bis zuletzt noch eine Sinnesän - derung erhoffte. Friedrich Wilhelm hatte mit dem alten Freunde noch nicht ganz gebrochen; und in demſelben Augenblicke da er Schön’s Ent - laſſung genehmigte, ſtrafte er zugleich deſſen Feinde. Am 7. April wurde General Wrangel zu ſeinem ſchmerzlichen Erſtaunen nach Stettin ver - ſetzt, weil der König meinte: der bärbeißige Soldat würde in Königsberg zu früh ſchießen laſſen. Zugleich brach auch über Rochow das Verhäng - niß herein. Friedrich Wilhelm hielt ſich verpflichtet, die offenbare Partei - lichkeit, welche der Miniſter während des langen Streites gezeigt hatte, nicht ungerügt zu laſſen; es entging ihm nicht, daß Rochow’s officiöſe Zeitungsſchreiber an der Zügelloſigkeit der liberalen Preſſe mitſchuldig waren; dennoch brachte er es nicht über das Herz dem Freunde die ganze Wahrheit zu geſtehen. Am 9. April ſagte er dem Ueberraſchten in einem163Rochow’s Entlaſſung.liebevollen Briefe: er hätte erfahren, daß Rochow ſeiner Geſundheit halber auszutreten wünſche, und könne ihn nur unter Thränen ſcheiden ſehen. „ Ich habe “, ſo fuhr er fort, „ den kalten Verſtand zu Hilfe rufen müſſen, und Sie wiſſen, lieber Freund, daß der nicht immer kommt wenn ich ihn rufe. Er iſt aber diesmal Gottlob gekommen, und jetzt — billige ich Ihre Wünſche … Es muß nothwendig ſo eingerichtet werden, daß auch die Bosheit nicht behaupten könne, Sie würden Schön zum Opfer gebracht. Wenn Sie kurz nach Schön’s Abgang Ihre Stel - lung verändern, ſo iſt dies politiſch gut und erſprießlich. “ Dann ließ er ihm die Wahl zwiſchen mehreren hohen Aemtern. Fünf Tage nachher ſendete Rochow das ihm alſo aufgezwungene Entlaſſungsgeſuch ein. Er fühlte ſich tief verletzt durch die freundſchaftlichen Worte, die ihm unter ſolchen Umſtänden faſt wie Heuchelei erſcheinen mußten, und ſagte in ſeinem Begleitſchreiben ſehr deutlich, daß er die Gründe ſeines Sturzes wohl errathen hatte. Die ſchwierige Stellung, ſo ſchrieb er, iſt unter den ſeit 1840 ein - getretenen Verhältniſſen nur dann auszufüllen, wenn den Miniſter „ der Beſitz des Einverſtändniſſes, des offenen Vertrauens und des Schutzes ſeines Souveräns dazu befähigt einen beſtimmt bezeichneten Weg conſe - quent und mit friſchem Muthe zu verfolgen. “ Das Geſuch ward genehmigt, und zugleich verfügte der König, daß Rochow, da er kein anderes Amt annahm, den Sitz im Miniſterium wie im Staatsrathe behalten ſolle. *)König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April; zwei Eingaben Rochow’s an den König, 14. April; Thile’s Bericht an den König, 24. April 1842.
Auch dieſe Befehle wurden vorläufig noch ſtreng geheim gehalten; und ſo konnte das Seltſame geſchehen, daß Rochow, der ſeinen Abſchied bereits in der Taſche hatte, noch über die Schrift des ebenfalls ſchon ent - laſſenen Schön ſein Gutachten abgeben mußte. Im Juni wagte der König endlich abzuſchließen; am 3. wurde Schön’s, am 13. Rochow’s Entlaſſung veröffentlicht; Schön erhielt die Würde eines Burggrafen von Marienburg, verlor aber ſeinen Sitz im Staatsminiſterium. So lagen denn beide Gegner am Boden, obſchon beide noch bis zuletzt auf eine günſtige Wen - dung gehofft hatten; und keine Partei wußte recht ob ſie klagen oder jubeln ſollte. Zufrieden waren vorerſt nur die Clericalen, weil Schön und Rochow beide für Vertreter der alten harten Kirchenpolitik galten. Sehr bald zeigte ſich jedoch, daß die wunderliche Entſcheidung nur den Liberalen Schaden brachte. Als Nachfolger Schön’s wurde Geh. Rath Bötticher berufen, ein tüchtiger Juriſt, der ſich in hohen Richterſtellen bewährt hatte, in der Verwaltung aber nur wenig leiſtete und unter den Oſt - preußen niemals ein geſichertes Anſehen erlangte; ſeine hochconſervative Geſinnung war allbekannt, und der König ſprach bei ſeinem nächſten Be - ſuche auf Marienburg öffentlich aus, daß er ihn nur deshalb zum Ober - präſidenten ernannt hätte. Die Stelle des commandirenden Generals er -11*164V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.hielt der mit Bötticher nahe befreundete Graf Friedrich Dohna, Scharn - horſt’s Schwiegerſohn, ein alter treuer Genoſſe des Gerlach-Stolberg’ſchen Kreiſes; er konnte ſchon weil er dem altbeliebten oſtpreußiſchen Grafen-Ge - ſchlechte angehörte, leichter als Wrangel in Königsberg Boden gewinnen und trat der Partei Schön’s zwar in etwas milderen Formen doch ebenſo beſtimmt entgegen wie ſein Vorgänger. Zu Wrangel aber ſagte der König noch in dieſem Sommer vertraulich: er habe ihn leider einen Augenblick verkannt und jetzt erſt durch bittere Erfahrungen gelernt, daß Schön mit ſeinen Freunden in der That ſehr gefährlich wirke.
Die Stimmung des entlaſſenen Oberpräſidenten verbitterte ſich mehr und mehr. Er mahnte Boyen an das ſchöne Beiſpiel Espartero’s, der die Garde aufgehoben habe, er empfahl den Freigeiſt Alexander Humboldt zum Cultusminiſter; er verſicherte dreiſt, Preußen hätte drei Millionen Thaler für Don Carlos bezahlt und fand des Scheltens wider die Rotte Korah gar kein Ende mehr. Die große Mehrzahl der Oſtpreußen empfand Schön’s Ver - abſchiedung wie eine Beleidigung des Landes. Die Stadt Königsberg verlieh ihm alsbald das Ehrenbürgerrecht, die Ritterſchaft wählte ihn zum Abgeord - neten für den Provinziallandtag; die Königsberger Hartungſche Zeitung, die jetzt anfing Leitartikel unter der Ueberſchrift „ Inländiſche Zuſtände “zu bringen, verherrlichte den Geſtürzten und ſchlug gegen die Krone einen ge - reizten, faſt drohenden Ton an. Da fürchtete der König, Schön könnte auf dem nächſten Landtage die Führung der Oppoſition übernehmen. Um vorzu - beugen ſendete er ihm zu Weihnachten (21. / 27. Dec.) einen neun Folio - ſeiten langen Brief, eine feurige Anſprache, worin ſich das alte noch immer nicht erloſchene Freundſchaftsgefühl mit verhaltenem Unwillen und ſchmei - chelnder Weiberſchlauheit gar ſeltſam vermiſchte. Halb zweifelnd halb ver - trauend ſprach er die Erwartung aus, daß Schön unter den Landſtänden die Vergiftung der öffentlichen Meinung bekämpfen würde. „ In meinem geliebten Oſtpreußen allein herrſcht ſchnöder Friede!! In dem Lande, welches Gott der Herr als ein Bollwerk teutſchen Weſens in das ſlaviſche und ſarmatiſche Wirrleben vorgeſchoben hat, wird das teutſche Wort in Bann, ja in ſchimpfliche Bande gethan durch eine Clique, die mit Fran - zoſen-Sinn und Franzoſen-Mitteln wirkt: mit Lüge! mit Lüge! … Sehen Sie, lieber Schön, die Lüge, vor der fürchte ich mich. “ Dieſer Clique, die doch unzweifelhaft zu ſeiner eigenen Partei gehörte, ſollte Schön ent - gegentreten im Verein mit edlen treuen Männern und laut verkünden: „ daß das Vorgeben dem König zu dienen, den König zu lieben eine infame Lüge iſt, wenn man zugleich ſeine Regierungs - Maſchine, die Ausführer ſeiner Abſichten antaſtet und als Feinde des Volks und des Lichts darſtellt. “ Insbeſondere ſollte Schön die unter Mißbrauch ſeines Namens umhergetragene Lüge wider - legen, daß der König conſtitutionelle Pläne hegte: „ Ich will keine Felo - nie gegen meinen treuen Lehnsherrn treiben und weder von einem165Schön und Dohna.menſchlichen Tage noch von einem Stück Pergament die Rechte meiner Krone nehmen. Ich will nicht die Verfaſſung meines Landes ändern. Und Alles dies weil ich nicht darf. “ Darum verlangte er Schön’s „ Hilfe gegen das Streben der Dunkelmänner, Juden und Juden - genoſſen “und trug ihm auf, das Schreiben den oſtpreußiſchen Freunden zu zeigen.
Er fühlte jedoch insgeheim, daß Schön dieſem Befehle kaum nachkom - men konnte ohne ſich ſelbſt bloszuſtellen, und ließ daher Abſchriften ſeines Briefes dem neuen Oberpräſidenten ſowie anderen namhaften Männern der Provinz zugehen. Als ihm nun Bötticher meldete, daß Schön über „ den köſtlichen königlichen Brief “beharrlich ſchwieg,*)Bötticher’s Bericht an den König, 6. Jan. 1843. da gerieth er in ſchweren Zorn. Vergeblich hielt ihm Schön’s Schüler Flottwell vor: man dürfe die Oſtpreußen nicht mit dem gewöhnlichen Maßſtabe meſſen, da dort die Mehrzahl der einſichtigen und zugleich treu ergebenen Männer „ durch die Ideen von Kant wie die Erde von den Strahlen der herbſt - lichen Sonne auf eine wunderbare Weiſe erleuchtet, erwärmt, ja durch - glüht würde “**)Flottwell an König Friedrich Wilhelm, Magdeburg 24. Dec. 1842.. Neue Kundgebungen Jacoby’s und ſeiner Königsberger Freunde brachten den Unmuth des Monarchen zum Ausbruch, und er wiederholte was er zu Schön geſagt noch nachdrücklicher in einem Briefe an General Dohna (24. Febr. 1843)***)Die beiden großen Briefe des Königs an Schön und Dohna ſind vollſtändig abgedruckt in den „ Aufzeichnungen über die Vergangenheit der Familie Dohna “vom Grafen Siegmar Dohna. Thl. 4. Text-Heft B. Berlin 1885 (Mannſcript).. „ Ich möchte “, ſchrieb er hier, „ wie aus Roland’s Horn einen Ruf an die edlen treuen Männer in Preußen ergehen laſſen, ſich um mich wie treue Lehensmänner zu ſchaaren, die kleineren Uebel über das anwachſende große, jammerſchwangere Uebel zu vergeſſen und auf meiner Seite den unblutigen geiſtigen Kampf zu kämpfen, der allein aber gewiß den blutigen Kampf unmöglich macht … Solch’ Unglück iſt für Preußen und für Königsberg insbeſondere die Exiſtenz und das Walten jener ſchnöden Judenclique mit ihrem ſchwanzläppiſchen und albernen Kläffer!! Die freche Rotte legt täglich durch Wort, Schrift und Bild die Axt an die Wurzel des teutſchen Weſens; ſie will nicht (wie ich) Veredlung und freies Nebeneinanderſtellen der Stände, die allein ein teutſches Volk bilden; ſie will Zuſammenſudeln aller Stände … Ich würde Gott, meinem Volke und mir ſelbſt lügen, gäbe ich je eine Con - ſtitution, eine Charte und meinem Volke mit ihnen die nothwendigen Bedingungen zu endloſen Unwahrheiten: erlogene Unfehlbarkeit des Königs, unwahre Budgets, Lüge des Angriffs und des Vertheidigung, Lüge des Lobes und des Tadels, Comödie vor und hinter den Kuliſſen, wie ſolches zum Schaden und zum Ekel in den conſtitutionellen Staaten zu ſehen iſt, wo nur eine Wahrheit waltet: die, daß eine Partei ſich166V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.an die Stelle der anderen ſetzen will. “ General Dohna beeilte ſich na - türlich dieſen Brief überall zu verbreiten, und von conſtitutionellen Plänen des Königs konnte fortan Niemand mehr reden.
Ein Jahr nach Schön’s Entlaſſung, 8. Juni 1843, feierten die Oſt - preußen den fünfzigſten Jahrestag ſeines Eintritts in den Staatsdienſt. Einige angeſehene Männer des Landes hatten eine Sammlung veran - ſtaltet, und — ſo ſtark war ſchon die Macht der liberalen Legende — ſelbſt aus Süddeutſchland liefen Beiträge ein, obgleich der eingefleiſchte oſtpreußiſche Particulariſt ſich um die übrigen Deutſchen nie viel geküm - mert hatte. Der Ertrag reichte aus um Schön’s Familiengut Arnau von Schulden zu entlaſten; mit dem Ueberſchuſſe wollte man ihm noch bei Lebzeiten ein Denkmal, einen Obelisken in Königsberg, errichten, ein in jener Zeit ganz unerhörter Plan, den der König genehmigte, doch ohne dem Jubilar ſonſt noch eine Gnade zu erweiſen. Schön ſträubte ſich lange dem Feſte der Grundſteinlegung beizuwohnen, er wollte, wie er mit verblüffender Kindlichkeit ſagte, keine Untreue gegen ſich ſelbſt begehen. Die Mitglieder des Feſtausſchuſſes mußten ihn erſt mehrfach durch Briefe und Beſuche bedrängen bis ſie ſich endlich rühmen konnten „ einmal im Leben ſeinen Entſchluß geändert zu haben “. Faſt die ganze Provinz nahm theil, als nunmehr „ großartiger Bürgertugend die Huldigung dar - gebracht “wurde; nur die Strengkirchlichen und einige aus den conſerva - tiven Adelskreiſen hielten ſich fern. Nicht blos der aufgeklärte Theolog Cäſar von Lengerke ließ ſeine den Liberalen allezeit gefällige Leier erklingen; ſelbſt Eichendorff, der gut katholiſche Dichter, der während ſeiner Königs - berger Amtszeit das Land und deſſen langjährigen Beherrſcher lieben ge - lernt hatte, ſendete „ dem braven Schiffer “ſeinen Feſtgruß:
Auch die Univerſität überreichte ihren Glückwunſch; denn faſt überall war das Profeſſorenthum ſchon für den Liberalismus gewonnen. Die Hauptrede hielt Friedrich von Fahrenheid, der volksbeliebteſte Mann vom liberalen oſtpreußiſchen Adel, ein transcendentaler Pferdezüchter, wie Schön ihn nannte, vielſeitig gebildet, menſchenfreundlich, hochverdient um Wieſen - bau und Wettrennen. Beſcheiden wies der Gefeierte die Lobſprüche von ſich und ſagte, durchaus nach dem Sinne der Oſtpreußen: alles Verdienſt ſeines ganz der Idee gewidmeten Lebens gebühre ſeinem großen Lehrer Kant. Es war ein großes Familienfeſt der Provinz, und auch fernerhin blieb der alte Herr bei der Mehrzahl ſeiner Landsleute in ſolchem Anſehen, daß jeder Zweifel an ſeiner Größe faſt wie ein Landesverrath betrachtet wurde; denn in einer langen Amtsführung war ſein Name unzertrennlich mit der Provinz verwachſen, die mannichfachen guten Früchte ſeines Wirkens167Graf Arnim Miniſter des Inneren.mußte ſelbſt ſein Nachfolger Bötticher anerkennen*)Bötticher’s Bericht an Thile, 2. Juni 1844., und in ſeinem ſtreit - baren Weſen zeigten ſich ſcharf ausgeprägt viele Charakterzüge des oſt - preußiſchen Volksthums, nur leider nicht der ſchönſte: die Wahrhaftigkeit. Er zog ſich nach ſeinem ſtillen Arnau im Pregelthale zurück, gründete den landwirthſchaftlichen Centralverein, deſſen Vorſitz er übernahm, und war auch ſonſt vielfach für gemeinnützige Zwecke thätig. Noch lebhafter beſchäftigte ihn die Sorge um den eigenen Nachruhm: unabläſſig bemühte er ſich bald junge Gelehrte ganz mit ſeinem Geiſte zu durchtränken, bald älteren Hiſtorikern jene kunſtvollen Geſchichtsdarſtellungen zu übermitteln, die er ſich zu ſeiner eigenen Verherrlichung erſonnen und dann ſo un - zählige mal wiedererzählt hatte, daß er ſchließlich ſelbſt daran glaubte. Zu einer großen politiſchen Wirkſamkeit gelangte er nie mehr, obgleich der König ihm die perſönliche Freundſchaft mit rührender Treue be - wahrte. —
An Rochow’s Stelle wurde Graf Arnim aus Poſen berufen. Man begrüßte ihn mit großen Erwartungen; man glaubte allgemein, der kräf - tige, noch nicht vierzigjährige Mann, der ſich auch ſofort mit jungen Räthen umgab, würde die geſammte Richtung des Cabinets beſtimmen. Ein Neffe Stein’s hatte Arnim ſeines ariſtokratiſchen Stolzes nie ein Hehl; er nannte es einen unſchätzbaren Vorzug, daß ſein Haus eine der Stätten ſei, wo Recht geſprochen, wo das Unrecht geſtraft, wo die Ord - nung geſchützt würde. An den engliſchen Moden und Paſſionen, welche damals in die vornehme Welt Deutſchlands und Oeſterreichs einzudringen begannen, fand der Graf viel Freude; ſeine hohe, etwas ſteife, ſtets ele - gant gekleidete Geſtalt erinnerte mehr an einen Lord als an den Sohn eines alten deutſchen Kriegergeſchlechtes; nicht ohne Herablaſſung ſchaute der blonde Kopf zwiſchen den mächtigen Vatermördern — wie man die neuen Hemdkragen nannte — auf die gewöhnlichen Sterblichen hernieder. Aber gleich ſeinem großen Oheim war er ganz durchdrungen von dem Grundſatze des Gleichgewichts der Rechte und der Pflichten; er verlangte, daß der preußiſche Adel ſich ſeine Machtſtellung durch politiſche Arbeit verdiene und wünſchte dringend baldige Berufung eines Reichstags auf den vorhandenen ſtändiſchen Grundlagen. Dem Könige konnten ſolche Gedanken, ſchon weil ſie ſo einfach und zweckmäßig waren, unmöglich zuſagen; in ſeinem ſelbſtherrlichen Stolze hatte er es indeß gar nicht für nöthig gehalten, ſich mit dem neuen Miniſter, der ihm perſönlich ge - fiel und ja doch nur Werkzeug ſein ſollte, im Voraus zu verſtändigen. Auch in ihren religiöſen Anſchauungen ſtimmten die Beiden nicht zu - ſammen, da Arnim zwar ein gläubiger Chriſt, doch jeder Art des Pietis - mus feind war und die alte ſtaatskirchliche Politik Altenſtein’s zwar be - hutſam weiterführen doch keineswegs aufgeben wollte. Arnim übernahm168V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.ſein Amt mit einem Gefühle der Entſagung. Er war bereit, den Tadel für alle Mißgriffe und Mißerfolge ſeines königlichen Herrn ritterlich auf ſich zu nehmen; aber der große ſtaatsmänniſche Ehrgeiz, der ſeinem Zeit - alter die Richtung geben will, blieb ihm fremd, und für einen ſo ſelb - ſtändigen Willen war in dieſen Jahren auch kein Raum.
Wie das neue Syſtem in Poſen durch Arnim’s plötzliche Abberufung geſtört wurde, ſo kam auch die für Frankfurt geplante unternehmende Bundes - politik ſogleich wieder in’s Stocken, da Graf Maltzan nach kurzer Amtsfüh - rung tödlich erkrankte, und nunmehr der Bundesgeſandte Heinrich von Bülow im Frühjahr 1842 das Auswärtige Amt übernahm. In Petersburg und Wien ward dieſe Ernennung mit Mißtrauen aufgenommen, da der Freund Lord Palmerſton’s dort für einen ſchlimmen Liberalen galt; in Berlin erwartete man von dem geiſtreichen Manne, der einſt an der Begrün - dung des Zollvereins ſo rührig theilgenommen hatte, eine entſchloſſene nationale Handelspolitik. Gleich darauf ſtarb der alte Ladenberg, und Graf Stolberg übernahm neben dem Hausminiſterium noch die Verwal - tung der Domänen. Alſo war nach zwei Jahren das Staatsminiſterium endlich ganz neu geſtaltet. In ihren alten Stellen blieben nur noch: der kränkelnde Nagler, der ſich, ärgerlich über die neue Zeit, ganz auf ſein Poſtfach beſchränkte, der ebenfalls ſtark gealterte Rother und der Juſtiz - miniſter Mühler. —
Der veränderte Charakter des Regiments offenbarte ſich auch in der unruhigen Reiſeluſt des neuen Herrſchers, der gern unterwegs war ſo weit es die mangelhaften Verkehrsmittel irgend erlaubten. Auf die Huldigungsreiſen folgte im Spätſommer 1841 ein längerer Aufenthalt in Schleſien. Den Breslauer Stadtbehörden ließ der König ſagen, daß er von ihnen weder ein Feſt noch einen feierlichen Empfang annehmen wolle, weil ſie beim ſchleſiſchen Landtage die Berufung der Reichsſtände befürwortet und alſo „ offene Oppoſition “getrieben hätten. Die Breslauer antworteten ehrfurchtsvoll, das ſei ihr gutes Recht geweſen, und als ſie dann nochmals durch Abgeſandte einluden ließ der Zürnende ſich beſänftigen. Er wurde glänzend empfangen, freute ſich tiefbewegt des patriotiſchen Jubels ſeiner treuen Schleſier, die zugleich den hundertſten Jahrestag ihrer Vereinigung mit Preußen feierten, und bezauberte wieder alle Herzen, als er zum Ab - ſchied in begeiſterter Rede der alten Stadt „ noch tauſend Jahre wie dieſe hundert “wünſchte. Den Stadträthen aber ſagte er in einer Audienz: was ihm eine fünfundzwanzigjährige Erfahrung als unzweckmäßig gezeigt das laſſe er ſich durch keine Macht der Erde abzwingen; ſie ſollten ſich hüten der Zeit vorzugreifen; was kommen ſolle, komme doch. So verlangte er wieder unbedingtes Vertrauen auf Pläne, deren Sinn Niemand ent - räthſeln konnte.
169Ruſſiſche Reiſe.Von Schleſien eilte er nach Warſchau um mit Kaiſer Nikolaus zu - ſammenzutreffen. Mehrmals hatte der Czar neuerdings dem Berliner Hofe heilig betheuern laſſen, die Annäherung an England ſolle der älteren und engeren Freundſchaft der drei Oſtmächte keinen Abbruch thun; er bemühte ſich auch ſeinen Gaſt liebenswürdig zu empfangen. Aber die harmloſen Tage waren längſt vorbei, da die Berliner immer den Czaren meinten wenn ſie von „ dem Kaiſer “ſchlechthin ſprachen. Wie das wieder emporkommende, von Nikolaus ſelbſt begünſtigte Altmoskowiterthum gegen die culturbringenden Weſtler, die Deutſchen einen barbariſchen Ingrimm zeigte, ſo war auch in Preußen die ruſſiſche Kriegsgenoſſenſchaft jetzt gründlich vergeſſen; der Zorn der Oſtpreußen über „ die chineſiſche Mauer “der moskowitiſchen Nachbarn vereinigte ſich mit dem alten Haſſe der li - beralen Polenfreunde, im Hohne gegen Rußland fanden ſich faſt alle Parteien zuſammen. Unwillkürlich wurden auch die beiden Herrſcher mit berührt von der veränderten öffentlichen Meinung ihrer Völker. Nikolaus war etwas gealtert, aber noch immer fühlte er ſich als Gottes auser - leſenes Werkzeug, zum Vernichtungskampfe gegen die Revolution feſt entſchloſſen, und ſeit ſein Thronfolger kürzlich eine heſſiſche Prinzeſſin ge - heirathet hatte meinte er ſich mehr denn je berufen über Deutſchlands Ruhe zu wachen; die unberechenbare Neuerungsluſt Friedrich Wilhelm’s blieb ihm verdächtig. Dem Künſtlergemüthe des Königs widerſtand die harte menſchenverachtende ruſſiſche Zucht; er langweilte ſich bei den Ka - ſernengeſprächen dieſes Schwagers, der im vollen Ernſte ſagte was un - ſchuldige Leute für eine boshafte Erdichtung hielten: nichts verdirbt ein Heer ſo ſehr wie der Krieg. Die kurze Zuſammenkunft brachte kein po - litiſches Ergebniß, nicht einmal einen gründlichen Gedankenaustauſch; immerhin erweckte ſie dem Könige wieder alte theuere Jugenderinnerungen. Als er auf der Heimreiſe bei Kaliſch das Denkmal für die Jahre 1813 und 1835 erblickte, deſſen Inſchrift den Segen Gottes für das preußiſch - ruſſiſche Bündniß erflehte, da ſchritt er tief bewegt die Stufen hinauf und ſchrieb mit dem Finger „ Amen “unter die Zeilen — was ihm die liberale Welt ſehr übel nahm. Im November beſuchte er ſodann den Münchener Hof. Bald nachher verlobte ſich der vielumworbene Kronprinz Max von Baiern mit der ſchönen Prinzeſſin Marie von Preußen, einer Tochter des älteren Prinzen Wilhelm; und die dem Könige ſo theuere Freundſchaft des bairiſchen Hauſes ſchien von Neuem geſichert.
Noch im ſelben Winter folgte die engliſche Reiſe. Um die doch recht bemerkbare Eiferſucht des Czaren zu beſchwichtigen, wurde dann der fünf - undzwanzigſte Jahrestag ſeiner Ernennung zum Chef der brandenburgiſchen Küraſſiere mit vielem Glanze gefeiert. Als Nikolaus die Abgeſandten ſeines Regiments empfangen hatte, ſagte er zu dem preußiſchen Geſandten nicht ohne Wehmuth: das ſeien damals doch die glücklichſten Zeiten ſeines Lebens geweſen, die Tage der jungen Liebe und des zwangloſen Verkehrs170V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.mit den preußiſchen Schwägern. *)Liebermann’s Bericht, 19. April 1842.So unſchuldig dachte die deutſche Welt jedoch nicht mehr. Die Königsberger Zeitung forderte ſtürmiſch die Be - feſtigung Oſtpreußens und ſprach von einem möglichen Kriege gegen Ruß - land ſo deutlich, daß der ruſſiſche Geſandte angewieſen wurde, ſich über die Milde der preußiſchen Cenſur zu beſchweren. Unter ſolchen Umſtänden hielt Friedrich Wilhelm für rathſam, der ſilbernen Hochzeit des ruſſiſchen Kaiſerpaares im Juni 1842 ſelber beizuwohnen. Das Familienfeſt ver - lief in guter Freundſchaft, Kaiſerin Charlotte bemühte ſich redlich die beiden Schwäger in heiterer Stimmung zu erhalten. Doch unterdeſſen ſpielten hinten den Kuliſſen unerquickliche politiſche Verhandlungen.
Die für Preußen ſo läſtige, für Rußland ſo vortheilhafte Cartellconven - tion war dem Ablaufe nahe, und die Königsberger Kaufmannſchaft bat den König, den Vertrag nicht zu erneuern, worauf ihr der herriſche, an Ro - chow’s Zeiten erinnernde Beſcheid zuging: ſolche politiſche Fragen lägen über den Geſichtskreis der Unterthanen hinaus. Indeſſen empfand Fried - rich Wilhelm ſelbſt, wie berechtigt die Klagen ſeiner Oſtpreußen waren. Er nahm die Cabinetsräthe Uhden und Müller nach Petersburg mit um in vertraulichen Unterhandlungen eine Milderung der Grenzſperre durch - zuſetzen und unterſtützte beide mit der ganzen Macht ſeiner Beredſam - keit. **)Bülow an Rauch, 20. Aug. 1842.Ein befriedigender Abſchluß wurde noch nicht erreicht, obgleich der Czar ſeinem königlichen Gaſte zu Ehren die nach Sibirien verbannten preußiſchen Schmuggler begnadigte, und man trennte ſich ſchließlich nicht ohne Verſtimmung. Im Auguſt, bald nach der Heimkehr des Königs, befahl eine Cabinetsordre die Befeſtigung Königsbergs und des Städtchens Lötzen in der maſuriſchen Seelandſchaft; auch Memel und einige andere kleine Plätze an der Oſtgrenze ſollten Feſtungswerke erhalten. Der Plan war längſt vorbereitet, denn unleugbar hatte der alte König über der Sorge um Deutſchlands Weſtgrenze die Oſtmarken militäriſch vernachläſſigt; das geſammte preußiſche Land öſtlich der Weichſellinie entbehrte der Feſtungen, und ſobald General Boyen das Kriegsminiſterium übernahm, ſchritt er ſofort daran, das ſeiner geliebten Heimath angethane Unrecht zu ſühnen. Daß Preußen dem mächtigen polniſchen Feſtungsdreieck der Ruſſen einige Bollwerke entgegenſtellte, konnte an der Newa billigerweiſe nicht befremden. In dieſem Augenblicke aber erſchien die Cabinetsordre wie eine Antwort auf den Petersburger Empfang, und man hielt das Verhältniß zwiſchen den beiden Nachbarhöfen überall für unfreundlicher als es war.
Auf der Heimreiſe verweilte der Monarch einige Tage in Königsberg. Er wußte, hier ſei „ im Volke ein Grund edelſter Geſinnung und uralter Treue wie vielleicht in keinem anderen Lande “. Darum kam er in den erſten ſechs Jahren ſeiner Regierung fünfmal nach Oſtpreußen, in der aus -171Die Königsberger Univerſität.geſprochenen Abſicht durch königliche Großmuth, durch rückhaltloſe Offen - heit dies geliebte Volk ganz für ſeine Krone zu erobern. Diesmal er - ſchien er verſtimmt, nicht blos wegen der anwachſenden Partei Jacoby’s, ſondern auch wegen der Univerſität, die ihm als langjährigem Rec - tor beſonders nahe ſtand. Vor kurzem war der Mecklenburger Hä - vernick, ein gelehrter Theolog von der ſtrengſten Hengſtenbergiſchen Schule, durch Miniſter Eichhorn nach Königsberg berufen worden, damit die Exegeſe des Alten Teſtaments nicht dem liberalen Lengerke allein über - laſſen bliebe. Hävernick ſtand im Geruche eines Denuncianten, denn als blutjunger Student hatte er einſt der Evangeliſchen Kirchenzeitung jene Collegienhefte von Geſenius und Wegſcheider mitgetheilt, aus denen nachher Gerlach ſich die Waffen zur Bekämpfung der Halliſchen Rationaliſten ſchmiedete;*)ſ. o. III. 405. und trotz der langen Jahre ſeither wollte man ihm dieſen häßlichen Streich jugendlicher Glaubenswuth noch immer nicht verzeihen. Die Studentenſchaft, die faſt durchweg aus Oſtpreußen, nebenbei noch aus einigen allezeit lärmluſtigen Polen beſtand, fühlte ſich in ihrem Pro - vinzialſtolze beleidigt und bereitete dem Neuberufenen einen ſo ſtürmiſchen Empfang, daß er auf lange hinaus ſeine Vorleſungen einſtellen mußte; nachher brachten die jungen Leute ſeinem Gegner Lengerke als dem Ver - treter freier Wiſſenſchaft ein Ständchen, und der Gefeierte erwiderte wohl - gefällig, dieſe Huldigung gelte nicht ihm, ſondern dem Geiſte ſeiner Lehre. Anfangs wollte Friedrich Wilhelm kaum glauben, daß „ meine Studenten “ſich ſolcher Ungebühr erdreiſtet, „ mein Senat “ſie ungeſtraft gelaſſen hätte; er drohte im erſten Zorne den Purpurmantel der Albertina abzu - legen. **)König Friedrich Wilhelm an Schön, 6. Dec. 1841.Als er in Königsberg eintraf hatte er ſich ſchon etwas beruhigt; er belobte die Provinzialſtände wegen der würdigen Haltung des Landtags, an die Decane der Univerſität richtete er aber eine höchſt ungnädige An - ſprache, die in den Zeitungen ſogleich dermaßen entſtellt wurde, daß die Miniſter ſich zu amtlichen Berichtigungen genöthigt ſahen. ***)Arnim an Thile, 19. Oct.; Stolberg an Arnim, 21. Oct. 1842.Der letzte Eindruck war ſehr peinlich. Die Oſtpreußen dankten dem Monarchen ſeine Liebe wenig. Sie fanden es unköniglich, daß er auch in kleinen Dingen regieren wollte; die beſtändige Väterlichkeit ward ihrem Selbſtgefühle läſtig.
Glücklicher verlief gleich darauf die Reiſe des Königs in die weſtlichen Pro - vinzen. Mochte er nun in Minden mit freundlichen Worten dem alten Vincke den ſchwarzen Adlerorden überreichen oder den Ravensbergiſchen Geiſtlichen einſchärfen, alle Furcht vor der freien Forſchung ſei Glaubensſchwäche, oder in Hamm „ mit überfließendem Herzen “auf das Wohl der treuen Grafſchaft Mark trinken, oder den Bürgern von Barmen danken für die einſt dem Kronprinzen gewährte Gaſtfreundſchaft: überall zeigte er ſich gütig, hoch - gemuth, enthuſiaſtiſch erregt; es war als ob ihn ein wonniger Traum um -172V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.fange. Zu den Manövern der beiden weſtlichen Armeecorps ſodann kamen Offiziere aus faſt allen Ländern Europas, mehrere der benachbarten Fürſten erſchienen perſönlich; nur der Großherzog von Baden entſchuldigte ſein Ausbleiben, er durfte ſich von den liberalen Kammerrednern nicht nachſagen laſſen, daß er preußiſchen Rathſchlägen folge. *)Radowitz’s Bericht, 20. Aug. 1842.Von den kriegeriſchen Uebungen reiſte der König alsdann zu dem Feſte der zweiten Grundſtein - legung des Kölner Doms. Auch Sulpiz Boiſſeree wollte an ſeinem Ehren - tage nicht fehlen, und wie erſtaunte er, da er nach langjähriger Abweſen - heit die Heimath wiederſah; Alles war anders geworden unter der preu - ßiſchen Herrſchaft, die wieder aufgeblühten alten Städte und der mächtige Verkehr auf dem befreiten Strome, anders auch die Geſinnung des Volkes. Einſt in den napoleoniſchen Zeiten hatten die Kölner über ihn die Ach - ſeln gezuckt wenn er ihnen von der Erhaltung ihres ewigen Domes ſprach, und es keineswegs befremdlich gefunden, daß der franzöſiſche Biſchof Ber - dollet die alte gothiſche Steinmaſſe ganz abzutragen dachte; jetzt drückten Alle dem Herausgeber des Domwerkes freudig die Hand, Alle meinten, den unvergleichlichen Bau wieder herzuſtellen ſei eine Ehrenpflicht der Provinz. Und daß es ſo ſtand, daß die Rheinländer ihrer eigenen großen Vorzeit wieder liebevoll in die Augen zu ſehen wagten, das verdankten ſie der Krone Preußen, die dies Land ſeinem halbwälſchen Sonderdaſein entriſſen und in die Strömung des nationalen Lebens zurückgeleitet hatte.
Gedanken, die aus der Literatur verſchwinden, klingen in den Sitten der Geſellſchaft oft noch lange nach; ſo waren auch die romantiſchen Stimmungen, obgleich die Chorführer der Dichtung längſt andere Wege gingen, am Rheine noch ſehr mächtig. Eben in dieſen Jahren ſang Karl Simrock unter dem Jubel ſeiner Landsleute die ſchalkhafte Warnung vor dem Rhein:
Niemals früher waren die alten Gemäuer der rheiniſchen Schlöſſer ſo viel beſucht und geprieſen worden wie jetzt, da die neuen Dampfboote täglich wein - ſeliges junges Volk, Maler aus Düſſeldorf, Studenten aus Bonn, Sänger aus Köln rheinaufwärts führten. Prinz Friedrich von Preußen ließ den Rheinſtein, Bethmann-Hollweg die Burg Rheineck wieder aufbauen, Graf Fürſtenberg auf dem Apollinarisberge die weithin das Stromthal beherr - ſchende prächtige gothiſche Kirche errichten; auf den Mahnruf Ferdinand Freiligrath’s, der in Unkel beim rothen Bleichert glückliche Dichtertage verträumte, wurden Sammlungen veranſtaltet, um den eingeſtürzten Fen - ſterbogen der Burg Rolandseck herzuſtellen; bald nachher entſtand auch der Königsſtuhl von Rhenſe aus ſeinen Trümmern wieder. Aus dieſen173Der Kölner Dom.romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Dom urſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei - niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs - ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver - mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer - ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge - wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ ein rieſig Fragezeichen “, ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver - ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten, dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in Erfüllung gehen.
Und nun geſchah was einſt Schenkendorf*)Vgl. o. II. 45. geweiſſagt:
Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über - reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau des geſammten Domes, ein rieſiges Unternehmen, das ſelbſt Boiſſeree früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdeſſen traten die Bürger Kölns zuſammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten ſie ſich nicht einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: ſo lange der Stuhl des Oberhirten im hohen Chore leer ſtehe dürfe man keine Hand regen. Da trat der junge Auguſt Reichensperger in’s Mittel, ſelbſt ein ſtrenger Cle - ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten rheiniſchen Kunſt; er mahnte ſeine Landsleute in einer beredten Flugſchrift, alle Späne zu vergeſſen und den günſtigen Augenblick des Thronwechſels zu benutzen. So ward der Widerſtand überwunden und der große Dom - bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderſchaft des Mittel - alters für den Ausbau des Gotteshauſes ſammeln und arbeiten ſollte. Nichts konnte dem Könige willkommener ſein. Seit er einſt, von Boiſſeree geführt, zum erſten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge - wandert war, alle dieſe Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder -174V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.aufbau der Marienburg noch zu überbieten, in ſeinen Träumen beſchäftigt. Er übernahm ſofort das Protectorat des Domvereins und beſtimmte 50000 Thaler aus Staatsmitteln jährlich für den Fortbau. Die gleiche Summe etwa dachte man aus freiwilligen Beiträgen zu gewinnen; und da Zwirner die Geſammtkoſten auf 5 Mill. anſchlug, ſo hielten ſelbſt hoffnungsvolle Schwärmer für wahrſcheinlich, daß erſt das zwanzigſte Jahr - hundert die gänzliche Vollendung erleben könnte.
Am 4. September wurde der zweite Grundſtein gelegt, faſt volle ſechshundert Jahre nachdem einſt Erzbiſchof Konrad von Hochſtaden den Bau des hohen Chores begonnen hatte; die zerriſſene Kette der Zeiten ſollte ſich wieder ſchließen. Der König beſuchte zuerſt den Gottesdienſt in der proteſtantiſchen Kirche; denn heute am wenigſten wollte er ſeinen evange - liſchen Glauben verbergen, dieſer Bau war ihm ein Werk des Bruder - ſinnes aller Bekenntniſſe. Darauf fuhr er zum Hochamt in den Dom; und als er dann draußen im Freien, umgeben von der Schaar ſeiner fürſt - lichen Gäſte, von der Cleriſei und einem glänzenden Gefolge, von dem Dom - bauvereine und einer ungeheueren Zuſchauermenge, den Hammer erhob um den Grundſtein zu legen, da entlud ſich die Begeiſterung ſeiner Künſtler - ſeele wieder in einer prächtigen Rede: „ Hier wo der Grundſtein liegt, dort mit jenen Thürmen zugleich, ſollen ſich die ſchönſten Thore der ganzen Welt erheben. Deutſchland baut ſie, ſo mögen ſie für Deutſchland durch Gottes Gnade Thore einer neuen, großen, guten Zeit werden. Der Geiſt, der dieſe Thore baut … iſt der Geiſt deutſcher Einigkeit und Kraft. Ihm mögen die Kölner Dompforten Thore des herrlichſten Triumphes werden! Er baue, er vollende! Und das große Werk verkünde den ſpäteſten Geſchlechtern von einem durch die Einigkeit ſeiner Fürſten und Völker großen, mächtigen, ja den Frieden der Welt unblutig erzwingenden Deutſchland! Der Dom von Köln, das bitte ich von Gott, rage über dieſe Stadt, rage über Deutſchland, über Zeiten, reich an Menſchenfrieden, reich an Gottesfrieden, bis an das Ende der Tage! “ Und mit der Sicherheit des geborenen Redners die Em - pfindungen ſeiner rheiniſchen Hörer richtig herausfühlend, rief er zum Schluß „ das tauſendjährige Lob der Stadt: Alaf Köln! “ Ein unbeſchreiblicher Jubel folgte dieſen Worten, wie einſt der Königsberger Rede; auf’s Neue erbrauſte der Beifallsſturm, als nunmehr der alte Krahn droben in Be - wegung gerieth und der erſte Bauſtein auf den Thurm emporſchwebte. Auch auf dem Feſtmahle nachher, das ſiebenhundert Gäſte des Königs unter einem großen Zelte verreinigte, herrſchte die helle Freude; alte Männer fielen einander weinend in die Arme und prieſen ſich glücklich dieſen Tag noch zu erleben, Friedrich Wilhelm ſelbſt überſchüttete den aus dem Getümmel herangeholten Sulpiz Boiſſeree mit dankbarer Huld. Am Abend war die Stadt mit ihren maleriſchen Thürmen feſtlich beleuchtet — ein unver - geßlicher Anblick für die Tauſende, die auf reichbeflaggten Dampfern den Rhein auf und nieder fuhren.
175Das Domfeſt.Unter den namhaften Gäſten war wohl nur Einer, den die allgemeine Glückſeligkeit kalt ließ: Fürſt Metternich. Der ſtand derweil der König redete in deſſen nächſter Nähe und zog einen langen Kamm aus der Taſche um ſich bedächtiglich ſein gelichtetes Haar vom Hinterkopfe nach vorn zu ſträhnen. Nicht ohne Ironie betrachtete er jetzt ſeinen königlichen Verehrer, der Alles in Unruhe bringe und immer ſich ſelber in’s Licht zu ſtellen ſuche; vor Vertrauten beſpöttelte er dieſe Siege auf Schlachtfeldern, wo kein Blut vergoſſen würde, und meinte, man wiſſe nicht, ob der hohe Herr ſich ſelbſt oder Andere mehr berauſche. Leider lag ein Körnlein Wahrheit in dieſem boshaften Urtheile. Friedrich Wilhelm’s Reden waren, wie der Bildhauer Rietſchel mit congenialem Verſtändniß nachfühlte, echte Kunſtwerke, nicht gemacht, ſondern geworden, unmittelbare Ergießungen ſeines bewegten Inneren und eben darum, wie der Geiſt des Redners ſelbſt, ohne klaren politiſchen Inhalt, jeder Deutung und Mißdeutung fähig. Gründlicher als hier in Köln war der königliche Redner noch niemals mißverſtanden worden. Der junge Poet Robert Prutz ſang ihm zu:
Und wenn auch nur ein kleiner Theil ſeiner Hörer ſo beſtimmte liberale Wünſche hegen mochte, ſo glaubten doch alle, daß er mit ſeinen verhei - ßungsvollen Worten eine ganz neue Ordnung der Dinge ankündigen wolle, eine Zeit der Erfüllung, die dem Freiheits - und Einheitsdrange der Nation endlich gerecht werden müſſe. Er aber meinte, das einige, den Frieden unblutig erzwingende Deutſchland hätte ſich ja ſchon vor zwei Jahren vor aller Welt bewährt, und dachte weder den Bundestag noch die Souveränität der kleinen Kronen jemals anzutaſten.
Sobald die Nation den wahren Sinn der königlichen Worte zu er - rathen begann, mußte der patriotiſche Hoffnungsrauſch der Feſttage ver - fliegen. Aber die Begeiſterung für den Dombau hielt an. Raſcher als man zu hoffen gewagt ſchritt die Arbeit vorwärts. Meiſter Zwirner’s Bauhütte wurde eine hohe Schule der bildenden Künſte für unſeren Weſten; Männer wie Statz und F. Schmidt gingen aus ihr hervor, große Talente, die das Werk der Vorfahren „ nach Zirkels Kunſt und Gerechtigkeit “weiterführten und doch die überlieferten Formen, den Ge - fühlen des neuen Jahrhunderts gemäß, leiſe umbildeten; nur in den maſſenhaften Sculpturwerken des Bildhauers Fuchs verrieth ſich oft die Flüchtigkeit überhaſteten Schaffens. Die reichſten Spenden gab wie billig das Rheinland, ſelbſt die Studenten in Bonn hatten einen akade - miſchen Domverein gebildet; aber auch aus Berlin und anderen entlegenen Städten kamen reiche Beiträge. Unter den Eifrigſten war König Ludwig von Baiern. Er ſprach die Hoffnung aus, daß „ ſeiner Baiern Mitwirkung “176V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.nicht fehlen werde wo es gelte „ teutſchem Sinn und teutſcher Eintracht ein großartiges Denkmal zu ſetzen “, und bemühte ſich einen Dombau - verein deutſcher Fürſten zu bilden. Da dieſer Plan an den proteſtan - tiſchen Bedenklichkeiten der Höfe von Stuttgart und Caſſel ſcheiterte, ſo ging der Wittelsbacher allein vor und ſtellte der unter ſeiner Herrſchaft wieder aufgeblühten Kunſt der Glasmalerei eine würdige Aufgabe; die herrlichen Fenſter, die er dem ſüdlichen Seitenſchiffe ſchenkte, konnten den Vergleich mit der glühenden Farbenpracht der Werke des Mittelalters beinahe aushalten. Es war ein ſchöner Wetteifer; die Mehrheit der Na - tion ließ ſich in ihrer politiſchen Hochherzigkeit nicht beirren durch die leider ſehr nahe liegende Frage: ob denn die Prieſter dieſes Domes ſich ſelbſt bekennen würden zu dem Geiſte chriſtlicher Liebe, der den könig - lichen Protector des Baues beſeelte?
Nur die alten Rationaliſten und die jungen Atheiſten überſchütteten das Unternehmen mit Spott und Hohn. Der halbverſchollene greiſe Bret - ſchneider in Gotha zeterte wider den Kölniſchen Pfaffengeiſt, da ja Görres ſoeben in einer warmen und ausnahmsweiſe friedfertigen Schrift ſeinen alten Weckruf erneuert hatte. David Friedrich Strauß faßte einen grim - migen, geradezu perſönlichen Haß wider den Dombau, denn nach ſeiner Mei - nung wohnte „ der Gott in keinen Tempeln mehr “. Heine aber weiſſagte mit wiehernder Schadenfreude:
Er weidete ſich an dem Gedanken, daß man das Gotteshaus dereinſt noch in einen Pferdeſtall verwandeln würde. So gänzlich hatte er an der Seine die Fühlung mit ſeinem verlaſſenen Volke verloren. Die geborenen Franzoſen dachten anders; ihrer viele geſtanden mit ſtillem Neide: zu einem ſolchen Werke, deſſen das zerriſſene Deutſchland ſich erdreiſte, würde romaniſcher Opfermuth ſchwerlich ausreichen.
Noch einige Wochen verweilte der König am Rhein, ſchwelgend in den hiſtoriſchen und künſtleriſchen Reizen des Landes. Ueberall riß er die warmherzigen Maſſen hin; ſelbſt die gegen alles preußiſche Weſen noch ſehr mißtrauiſchen Aachener fühlten ſich geehrt als er in gütiger Anſprache ihre Treue lobte. Darauf gab er in Brühl, dem lieblichen Rococoſchloſſe der Kölniſchen Kurfürſten ſeinen hohen Gäſten nochmals ein Feſt und feierte in ſeinen Trinkſprüchen erſt die beiden Helden des Be - freiungskrieges, die Könige von Württemberg und Niederland, alsdann, an die alte Waffenbrüderſchaft erinnernd, den Erzherzog Johann, deſſen Name „ uns anwehe wie die Bergluft der Hochalpen “. In Deutſchland war der greiſe Erzherzog ſo gut wie unbekannt, von den wenig glücklichen Kriegsthaten ſeiner Jugendjahre ſprach längſt Niemand mehr. In der177Trinkſpruch des Erzherzogs Johann.Hofburg dagegen galt er für verdächtig; das alte grundloſe Märchen, daß er in den napoleoniſchen Tagen ſich ein Alpenkönigreich Rhätien hätte ſchaffen wollen, fand dort noch immer Glauben. Seit Jahren lebte er dem Hofe fern in der Steiermark, ein rüſtiger Landwirth und Gemsjäger, mit vielen Gelehrten und Künſtlern befreundet, eifrig bemüht um die wiſſenſchaftlichen Sammlungen der ſteiriſchen Hauptſtadt. Er ſah aus wie ein ſchlichter Bauersmann, und die ſeinem Hauſe eigenthümliche Kunſt der gemüthlichen Anbiederung verſtand er aus dem Grunde; auch wußte man, daß er ſich unter Freunden zuweilen mit dem Unmuthe des gebil - deten Mannes über die Thorheiten der k. k. Cenſur äußerte. So gelangte er unverdientermaßen in den Ruf eines Oppoſitionsführers; noch lauter ward ſeine Freiſinnigkeit geprieſen, als er ſich in die Tochter eines ein - fachen Poſthalters verliebte und dies wackere Kind heimführte, denn der gefühlvolle Liberalismus jener Tage ſchwärmte für Mißheirathen ganz ſo treuherzig wie die Putzmacherinnen und die Ladenmädchen. Auf den Trinkſpruch des Königs dankte der Erzherzog tief gerührt und ſchloß etwa alſo: „ So lange Preußen und Oeſterreich, ſo lange das übrige Deutſch - land ſo weit die deutſche Zunge klingt einig ſind, werden wir unerſchütterlich daſtehen wie die Felſen unſerer Berge. “ Wunderbar war die Wirkung dieſer unſchuldigen Worte; den Zeitgenoſſen ſchien es ganz unerhört, daß ein Erzherzog in Gegenwart Metternich’s, und mit den Worten des ver - fehmten Arndt’ſchen Vaterlandsliedes die Einigkeit Deutſchlands geprieſen hatte. Sofort wurde der alte Herr ein berühmter Mann; die Zeitungen verſicherten, er hätte geſagt: kein Oeſterreich, kein Preußen mehr! ein einig Deutſchland hoch und hehr, ein einig Deutſchland feſt wie ſeine Berge! In Nationen, die einer großen Entſcheidung entgegenzittern, walten die Kräfte der Mythenbildung mit räthſelhafter Stärke; ſie warfen ſich jetzt auf den Oeſterreicher und geſtalteten ihn zu einem volks - thümlichen Helden, ganz wie die Italiener ſich bald nachher ein phanta - ſtiſches Idealbild von dem liberalen Papſte Pius IX. aufbauten. Der neckiſche Humor der Weltgeſchichte war damit noch nicht erſchöpft; die Zeit ſollte kommen, da Erzherzog Johann zur Belohnung für einen Trink - ſpruch, den er ſo nicht gehalten, an die Spitze der deutſchen Nation be - rufen wurde.
Nach dem Brühler Feſtmahle raſtete Friedrich Wilhelm eine Weile auf ſeinem Stolzenfels. Dann ging er nach Trier, wo ihn die alten Erinnerungen wieder zu einer Rede begeiſterten. Als er darauf nach Saarbrücken, an die äußerſte Weſtgrenze ſeines Reiches kam, da ſtieg das Bild der fernen Oſtmark vor ſeiner Seele auf, das Bild der anderen Grenzſtadt, wo er erſt vor zwei Monaten, von Rußland heimkehrend gelandet war. Für dies Memel hegte er ſtets eine Paſſion, wie er ſagte; dort waren ihm einſt frohe Knabentage vergangen, dort hatte er ſo oft am Strande geträumt, wenn die Dünenreihe der Nehrung im geheimnißvollenv. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. V. 12178V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Dämmerſcheine der langen nordiſchen Sommernächte wie ein grüngoldener Schleier über dem Meere lag. In ſinnigen Worten faßte er jetzt zu - ſammen was er für den Oſten wie für den Weſten ſeiner Lande empfand und trank auf das Wohl der beiden Städte Saarbrücken und Memel. So wand er ſich Roſe auf Roſe in den Kranz ſeines Lebens. Er be - durfte des Glückes; in ſolchen Tagen poetiſcher Wanderfreuden ſprühte er von Geiſt und Leben. Der Eindruck war ſo blendend, daß ſelbſt der nüchterne König von Württemberg ganz bezaubert von den rheiniſchen Feſten heimkam, und der Geſandte aus Stuttgart ehrlich berichtete: „ wenn Seine Majeſtät überhaupt ein Herz für irgend Jemand auf der Welt haben, ſo iſt es Euerer Majeſtät zugewandt. “*)Rochow’s Bericht, 25. Sept. 1842.
Auch außerhalb des Rheinlandes erwarb ſich Friedrich Wilhelm durch dieſe Feſtreden für kurze Zeit wieder die Gunſt des Volkes; denn überall in Deutſchland herrſchte während des heißen Sommers von 1842 eine gehobene patriotiſche Stimmung. Mehr noch als die Freude an dem großen rheiniſchen Nationalwerke beſchäftigte die deutſchen Herzen die ge - meinſame Theilnahme für das unglückliche Hamburg. Am 5. Mai, als man grade die neue Eiſenbahn nach Bergedorf feſtlich zu eröffnen dachte, wurde die Hanſeſtadt von einem ungeheueren Brande heimgeſucht. Drei und einen halben Tag hindurch wütheten die Flammen; an zweitauſend Häuſer, mehr als ein Fünftel der Stadt, ſanken in Aſche, darunter alle die prächtigen neuen Gebäude des Jungfernſtiegs an dem Waſſerbecken der Alſter; faſt zwanzigtauſend Menſchen verloren ihr Obdach, den Schaden ſchätzte man auf 45 Millionen Thaler. Das grauenhafte Schauſpiel erinnerte an die Sagen des Alterthums. Ein Funkenregen, wie er einſt auf Pompeji herabſank, wurde vom mißgünſtigen Winde weithin über die Stadt getragen; in mächtigen Springquellen ſtieg der brennende Sprit aus den großen Weinlagern auf und nieder, das Waſſer der Fleete mit blauen Flämmchen bedeckend; die ſchreckliche Hitze und ein feiner Staub, der wie glühendes Mehl in alle Poren drang, benahmen den Menſchen faſt die Sinne. Zu Anfang betrugen ſich die Behörden ſchwach und kopflos; auch die Bürger zeigten die allen Großſtädtern bei Feuerlärm eigenthümliche Gleichgiltigkeit und vertrauten blindlings auf ihre gerühm - ten Löſchanſtalten. Die Größe der Gefahr ward erſt erkannt, als der hohe Thurm der Nicolaikirche jählings auf das Kirchendach herabſtürzte, mit ſeinen umherfliegenden Trümmern alle Häuſer ringsum entzündend, und ſein ſchönes Glockenſpiel im Herabfallen wie in wahnſinniger Ver - zweiflung grelle Mißtöne erklingen ließ. Nun erſt erlaubte der Senat, daß unter der Leitung des verdienten engliſchen Ingenieurs Lindley ganze Häuſerreihen in die Luft geſprengt oder mit Kanonen zuſammengeſchoſſen wurden, ſogar das ehrwürdige Rathhaus, wo der Senat ein halbes Jahr -179Brand von Hamburg.tauſend hindurch getagt hatte. Am dritten Tage hatten ſich die Bürger an die Gefahr gewöhnt und, obwohl auch ihre älteſte Kirche, St. Petri noch in Trümmer fiel, doch die Hoffnung gewonnen, daß die Stadt nicht ganz verloren ſei; mit wachſender Zuverſicht und zuletzt in trefflicher Ordnung führten ſie den Kampf zu Ende.
Wie immer wenn die Sterblichen vor der Macht der Elemente ihre Kleinheit fühlen, traten alle edlen und alle gemeinen Kräfte der menſch - lichen Natur zugleich zu Tage. Wenn die Pulverwagen durch die bren - nenden Straßen fuhren, dann ſetzten ſich manche wackere Bürger-Artil - leriſten freiwillig auf die Pulverfäſſer um ſie mit ihrem Leibe gegen die umherſtiebenden Funken zu decken. Aber auch der berüchtigte Pöbel vom Hamburger Berge und Maſſen wüſten Geſindels vom Lande her waren zuſammengeſtrömt; die Unholde umtanzten die Flammen mit viehiſchem Gejohle, hielten ihre Saufgelage in den brennenden Häuſern, raubten, plünderten, zerſtörten nach Herzensluſt; und das Bürgermilitär, das ſich überhaupt in dieſer ernſten Probe weit beſſer hielt als ſonſt auf den Exercirplätzen, mußte mehrmals, mit den Linientruppen vereint, den ſcheußlichen Banden Straßengefechte liefern. Selbſt ruhige Männer wurden krankhaft aufgeregt durch den finſteren Argwohn, der bei ſolchem Unheil ſelten ausbleibt. Die Engländer ſtecken die Stadt an — ſo hieß es überall, denn die große Maſchinenfabrik auf dem Grasbrook beſchäf - tigte viele engliſche Arbeiter, die den einheimiſchen längſt verhaßt waren; und manche Leute von engliſchem Ausſehen, auch der junge Dichter Fried - rich Hebbel ſahen ſich von der erhitzten Menge ſchwer bedroht. In der langen Unterſuchung nachher wurde jedoch kein einziger Fall von Brand - ſtiftung nachgewieſen, auch die erſte Urſache des Unglücks blieb immer verborgen. Als die Gefahr überwunden war, da zeigte ſich erſt was Deutſchland an dem Reichthum und dem Bürgerſinne ſeiner erſten Handels - ſtadt beſaß. Schon nach wenigen Tagen erklärte man den benachbarten Regierungen zuverſichtlich: für den Geldverluſt könne die Stadt allein aufkommen. *)Thile’s Bericht an den König, 16. Mai 1842.Der Stolz der Kaufmannſchaft, die neue Börſe, war unter der Hut beherzter Männer unverſehrt geblieben inmitten der Trüm - mer; die Bank hatte ihre Schätze gerettet und das Abſchreiben nicht einen Tag lang eingeſtellt, auch in den Häfen war die Arbeit nicht gänz - lich unterbrochen worden. Salomon Heine, der reiche Oheim des Dichters ſetzte durch, daß der Disconto nicht über vier vom Hundert ſteigen durfte; zwanzig Firmen bildeten alsbald eine Darlehnsgeſellſchaft mit 12 Mil - lionen Mark Banco Capital, und im Auguſt ſchon konnte die Stadt eine große Anleihe zu 3 Procent aufnehmen. Nun wurden die weiten Trümmer - felder abgeräumt, wobei man noch zehn Wochen nach dem großen Brande in manchen Kellern fortſchwelendes Feuer fand, die zerſtörten Straßen12*180V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.ſchöner und ſtattlicher wiederaufgebaut, die Häfen erweitert, neue Verbin - dungen mit dem linken Elbufer eingerichtet.
So erfüllte ſich was Schenkendorf in der Trübſal der napoleoniſchen Herrſchaft vorhergeſagt: man ſah in jungen Ehren den Phönix Hamburg wieder. Doch die Noth lehrt nicht blos beten, ſie lehrt auch in ſich gehen und um ſich blicken. Die politiſchen Gebrechen des unbehilflichen altvä - teriſchen Gemeinweſens waren in den Schreckenstagen doch gar zu fühl - bar geworden; bald nachher beſchloß die angeſehene Patriotiſche Geſellſchaft, auf den Antrag des Publiciſten Wurm, des Doctors Kirchenpauer und anderer jüngerer Bürger, den Senat um Trennung von Rechtspflege und Verwaltung, um ein freieres Wahlverfahren in den ſtädtiſchen Colle - gien, endlich um Verbeſſerung des verwahrloſten Polizeiweſens zu bitten. Der alte Bürgermeiſter Bartels aber und die Mehrzahl der Senatoren erklärten dieſe beſcheidenen Wünſche für jacobiniſch, und da auch die Mehr - zahl der Bürgerſchaft, ganz dahingenommen von wirthſchaftlichen Sorgen, für politiſche Fragen jetzt keinen Sinn hatte, ſo kam von allen geplanten Re - formen nur die eine zu Stande, daß die Juden fortan überall in der Stadt, nicht wie bisher nur in beſtimmten Stadtvierteln wohnen durften. Nach wenigen Jahren ſollten ſich dieſe politiſchen Unterlaſſungsſünden ſchwer beſtrafen.
Bei dem Wiederaufbau der Stadt half die geſammte Nation brüder - lich mit. Schon während des Brandes eilten aus allen deutſchen Nach - barſtaaten Truppen und Löſchmannſchaften herbei, und auch nachher kam die beſte Hilfe, wie billig, aus Deutſchland, obgleich die geſammte geſittete Welt, namentlich das mit dem großen Freihafen der Elbe durch ſo mannich - fache Intereſſen verbundene Nordeuropa reiche Beiträge ſpendete. Vor - räthe aller Art wurden elbabwärts gebracht, ſo daß die kleinen Leute in Hamburg, die nur wenig verloren aber jetzt viel zu verdienen hatten, nach dem Brande faſt beſſer lebten denn zuvor; an baarem Gelde ſendete das noch immer arme Binnenland in wenigen Monaten mehr denn 1,6 Mill. Mark Banco. Selbſt im Süden, wo man die Hanſeſtädte wegen ihrer Handelspolitik wenig liebte, bekundete ſich das Mitgefühl in manchen rührenden Zügen; in Heidelberg bildeten ſogar die Dienſtmädchen einen Hilfsverein. Und alle dieſe Werke der Barmherzigkeit verklärte der pa - triotiſche Gedanke. Zahlloſe Gedichte und Aufrufe ſprachen aus: durch den Kölner Dom und den Wiederaufbau Hamburgs müßten die Deutſchen zeigen, daß ſie als Landsleute in Freud und Leid zuſammenſtünden. Der Naturdrang der nationalen Einheit wallte kräftig auf, und ganz im Sinne ſeines Volkes ſang Hoffmann von Fallersleben:
Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit freudig theil. Er half durch ſeine Truppen die Ordnung aufrecht halten, ſchickte den Oberpräſidenten Flottwell hinüber um ſelbſt nachzuſehen wo Hilfe noth thäte, ſpendete, wie die meiſten anderen deutſchen Fürſten ein großes Geldgeſchenk, ließ überall in ſeinem Staate eine Haus - und Kirchencollecte veranſtalten, weil er glaubte, daß ſeine Preußen dieſe Noth „ als gemein - ſame Noth empfinden würden “, und da die vom Bundestage ſo oft ver - folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand ſchwer gelitten hatte, ſo erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erſt kürzlich wieder in Bauſch und Bogen verboten worden waren, fortan frei umlaufen durften. Dieſe Gnade rechnete man ihm hoch an, weil ſie der liberalen Sache zu gute kam, und nur Wenige bedachten, welch’ eine Willkür doch in ſolcher Gemüthlichkeit lag.
Vom Rhein reiſte der König zu ſeinen treuen Neuenburgern, die ihm vor Kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zuſage er - halten hatten, daß er die Landſchaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit wahren würde. Mit allem monarchiſchen Pomp empfing der Canton ſeinen Fürſten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu - ßiſche und neuenburgiſche, nur ſelten ein ſchweizeriſches Banner. Die amtliche Welt dachte durchaus royaliſtiſch, vom jüngſten Leutnant bis hin - auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichſten Manne des Fürſtenthums; auch die Maſſen bekundeten lebhafte Freude, denn die im Stillen ange - wachſene aber noch führerloſe radicale Partei hielt ſich ſcheu zurück. So em - pfing der König die allergünſtigſten Eindrücke und ſagte oft: auf keine meiner Unterthanen bin ich ſo ſtolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schickſal ihn fragen ſollte, ob er der Mann ſei dieſen Getreuen ſeinen Eid zu halten. —
Während aller dieſer Reiſen beſchäftigte den König fortwährend die Ausbildung der ſeinem Herzen ſo theuren ſtändiſchen Inſtitutionen. Be - glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits im Frühjahr die Abſicht ausgeſprochen, die neu gebildeten ſtändiſchen Ausſchüſſe, die noch in keiner Provinz ihre Thätigkeit begonnen hatten, ſchon in dieſem Jahre insgeſammt als Vereinigte Ausſchüſſe nach Berlin zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte nicht einmal, womit ſich die Ausſchüſſe beſchäftigen ſollten. Friedrich Wilhelm fühlte ſich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters, der es nicht erwarten kann ſeinen wohlgerathenen Kindern eine frohe Ueberraſchung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsminiſterium mit der ſtändiſchen Commiſſion zu gemeinſamer Beſprechung zuſammen - trat, da zeigte ſich faſt Jedermann rathlos. Niemand verſtand recht, was dieſe Ausſchüſſe eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver - ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsſtände vorſchrieb, „ aus den Provinzialſtänden gewählt. “ Waren ſie nun ſelber die damals verheißene Landesrepräſentation, oder ſollten ſie nur über Fragen, die der182V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.Monarch ihnen nach freiem Ermeſſen vorlegte, unmaßgebliche Rathſchläge ertheilen? Der König meinte unzweifelhaft das Letztere, er dachte nach ſeiner patriarchaliſchen Weiſe die Preußen erſt durch die Schule der Aus - ſchuß-Berathungen zu erziehen um ihnen ſpäterhin noch größere ſtändiſche Rechte zu gewähren. Doch wer konnte die Rathſchlüſſe dieſer geheimniß - vollen Staatskunſt ergründen?
Sehr nachdrücklich erklärte ſich der Thronfolger wider das Vorhaben des Königs. Dem klaren Blicke des Prinzen von Preußen entging nicht, wie unbedacht man das Volk erregte und die Hoffnungen der anwachſen - den conſtitutionellen Partei aufſtachelte, wenn immer nur Tropfen für Tropfen kleine Gewährungen aus dem verborgenen Borne königlicher Gnade herniederſickerten. Ihm lag vornehmlich an einer ruhigen, ſtätigen Entwicklung. Darum, ſo ſprach er, ſolle man nur erſt die neuen Aus - ſchüſſe der einzelnen Provinziallandtage in Wirkſamkeit ſetzen und abwarten wie ſie ſich bewährten. Was könne eine verfrühte Berufung der Ver - einigten Ausſchüſſe, ohne einen erheblichen Gegenſtand der Berathung, anders bewirken als falſche Erwartungen? Beſſer alſo, man verſchiebe die Einberufung bis man wichtige Geſetzentwürfe vorzulegen habe; dann biete ſich von ſelbſt die rechte Gelegenheit, um die lange Reihe der ſtän - diſchen Verſprechungen endlich abzuſchließen und ganz beſtimmt zu erklären: „ daß das Gebäude der ſtändiſchen Einrichtungen hiermit vollendet und eine weitere Conceſſion nicht zu erwarten ſei. “ Die Meinung des Prinzen ging demnach dahin, daß die Vereinigten Ausſchüſſe, nachdem ſie einmal leider durch den Befehl des Königs geſchaffen waren, dereinſt als die Verſammlung der Reichsſtände anerkannt und mit ſehr beſcheidenen Rechten ausgeſtattet werden ſollten. In ähnlichem Sinne äußerte ſich der zunächſt betheiligte Miniſter des Innern Graf Arnim. Doch auf die Meinung der Miniſter kam in dieſen Jahren wenig an. Der Monarch regierte nicht nur ſelbſt; er verſtand auch die Dinge alſo einzufädeln, daß ſeine Rathgeber zumeiſt vor halbvollendeten Thatſachen ſtanden. So ſtimmte auch jetzt die große Mehrzahl der Verſammelten dem königlichen Plane zu, manche mit der beſcheidenen Erklärung: der Beſchluß Sr. Majeſtät ſtehe ja feſt und ſei ſchon in weiteren Kreiſen bekannt geworden. General Boyen meinte mit dem Freimuthe des alten Soldaten: die Vereinigten Ausſchüſſe würden immerhin die freiere Entfaltung des ſtändiſchen Lebens fördern und ganz könne ſich Preußen dem Einfluſſe der benachbarten conſtitutionellen Staaten nicht mehr entziehen. *)Protokoll der Sitzung des Staatsminiſteriums und der Ständiſchen Immediat - commiſſion vom 11. Juni; Arnim an Thile, 12. Juni 1842.
Eine Cabinetsordre vom 19. Auguſt entbot nunmehr die Vereinigten Ausſchüſſe zum 18. Oct. nach Berlin. In vieldeutigen Worten, ohne alle juriſtiſche Schärfe ward darin ausgeſprochen: die Vereinigung der183Berufung der Vereinigten Ausſchüſſe.Ausſchüſſe iſt eine Entwicklung der ſtändiſchen Inſtitutionen, indem ſie den ſtändiſchen Beirath der einzelnen Provinzen durch ein Element der Ein - heit ergänzt. Kein Wunder alſo, daß die Regierung ihrem Looſe, über - all mißverſtanden zu werden, auch diesmal verfiel. Fürſt Solms-Lich, der begeiſterte Verherrlicher der ſtändiſchen Monarchie, war zum Marſchall der Vereinigten Ausſchüſſe auserſehen und erſchien während der rhei - niſchen Feſttage auf dem Stolzenfels um ſich nähere Weiſungen zu er - bitten. Wie erſchrak der König, als dieſer Getreue, der doch „ gewiß kein Liberaler “war, ihm in aller Unſchuld geſtand: man glaube allgemein, die Krone beabſichtige vorſichtig zum conſtitutionellen Syſteme überzugehen; da ſcheine es doch rathſamer den Ausſchüſſen ſogleich erweiterte Befugniſſe zu gewähren: Petitionsrecht, Einſicht in den Staatshaushalt, Einberufung aller drei Jahre, berathende Mitwirkung bei den Landesgeſetzen — und zugleich ausdrücklich zu erklären, die ſtändiſche Verfaſſung habe nunmehr ihren Schlußſtein erhalten; ſonſt würden ſich widerwärtige Adreßdebatten in den Ausſchüſſen kaum vermeiden laſſen. *)Bodelſchwingh, P. M. zu der befohlenen Berathung über die Vereinigten Aus - ſchüſſe, 28. Sept. 1842.Auch Metternich, der auf dem rheiniſchen Schloſſe ebenfalls befragt wurde, meinte bedenklich, man habe ſich auf eine ſchiefe Ebene gewagt. Der König aber erwiderte, die Ausſchüſſe ſollten weder ſelbſt Reichsſtände ſein noch den Keim eines künftigen Reichstags bilden. Um alle Mißverſtändniſſe abzuſchneiden be - auftragte er noch unterwegs den General Radowitz mit der Ausarbei - tung eines Manifeſtes, das den Ausſchüſſen bei ihrer Eröffnung vorge - leſen werden ſollte.
Gleich nach ſeiner Heimkehr, in den erſten Tagen des Octobers, ließ er die Miniſter zuſammentreten um über dieſe Bekanntmachung zu berathen. Radowitz’s Entwurf war ſehr doktrinär gehalten. Er ſagte über die Verfaſſungspläne des Königs nichts Beſtimmtes, ſondern bekun - dete lediglich, daß die Theoretiker der ſtändiſchen Monarchie nur wußten was ſie nicht wollten. „ Wir werden “, hieß es da, „ die deutſche fürſtliche Herrſchaft in dieſem Reiche nicht in eine conſtitutionelle Souveränität verwandeln, die königliche Herrſchaft nicht der Herrſchaft der Majoritäten unterwerfen. “ Der Ton klang ſo feindſelig gegen alles conſtitutionelle Leben, daß ſelbſt General Thile meinte: wenn man alſo rede, dann könne man mit den ſüddeutſchen Staaten nicht mehr im Frieden leben, ſelbſt den Zollverein kaum noch aufrecht halten. **)Radowitz, Entwurf zu einem Manifeſt an den Ausſchußtag. Septbr. 1842.Auch die anderen Miniſter fanden das Manifeſt bedenklich. Nur der Prinz von Preußen verlangte, obwohl auch ihn der Radowitz’ſche Entwurf nicht befriedigte, in lebhafter Rede, daß der Monarch jetzt zu den Preußen reden und deutlich angeben ſolle, ob die ſtändiſche Geſetzgebung endlich abgeſchloſſen ſei, oder ob noch weitere Schritte bevorſtünden. Im Volke, rief er aus, beſtehen zwei Par -184V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.teien, die eine voll Furcht, die andere voll Hoffnung; die Nation muß wiſſen woran ſie iſt. *)Protokolle des Staatsminiſteriums, 6. 8. 10. Oct. 1842.Zuletzt beſchloß man, die Verſammlung zu eröffnen ohne ein Manifeſt und ohne eine feierliche Anrede des Monarchen; denn die ſtändiſchen Entwürfe, mit denen der König ſich noch trug, waren ſeinen Räthen noch nicht mitgetheilt, und er wollte davon für jetzt nichts öffent - lich verlauten laſſen.
Am Jahrestage der Leipziger Schlacht traten die Ausſchüſſe im Schloſſe zu Berlin zuſammen. Von der gehobenen Stimmung, welche der große Erinnerungstag erwecken ſollte, zeigte ſich keine Spur. Wohl ſagte Arnim in ſeiner Eröffnungsrede, dies ſei für immer ein glorreicher Tag in der Regierung des Königs. Die Verſammlung aber fühlte ſich unſicher, denn ſie ſah keinen Rechtsboden unter ihren Füßen; um ſo ängſtlicher mußte ſie ſich hüten, in die Rechte der Provinziallandtage oder des künftigen Reichstags einzugreifen. Sie beſtand aus 98 Mitgliedern, 46 von den Standesherren und der Ritterſchaft, 32 ſtädtiſchen, 20 bäuerlichen Abge - ordneten. Jeder Ueberhebung war durch eine überaus kleinliche Geſchäfts - ordnung vorgebeugt. Miniſter Bodelſchwingh erlaubte den Ausſchüſſen nicht einmal, dem Monarchen in einer Adreſſe für die Einberufung zu danken; ſie mußten ihren Dank in den Protokollen niederlegen. Dieſe wurden gedruckt und enthielten — wieder ein kleines Zugeſtändniß — ſogar die Namen der Redner, aber ſie durften nur zum Gebrauche der Mitglieder ſelbſt dienen. Nach langem Suchen hatte das Miniſterium endlich drei Fragen aufgefunden, welche den Ausſchüſſen zur Begutachtung vorgelegt wurden. Die erſte betraf den beabſichtigten Steuererlaß von 2 Mill. Thlr. und war im Grunde überflüſſig. Denn von vornherein hatte das Finanz - miniſterium gerathen, nur eine Steuer, die bei den kleinen Leuten ver - haßte Salzſteuer zu ermäßigen, damit der Beweis königlicher Gnade Jedem in die Augen fiele**)Denkſchriften über den Steuererlaß, von Alvensleben Aug. 1840, von Patow 24. Jan. 1842.; dieſer Vorſchlag war von der großen Mehrzahl der Provinziallandtage angenommen worden, und den Ausſchüſſen blieb nur übrig das ſchon Beſchloſſene nochmals zu genehmigen. Noch weniger po - litiſche Bedeutung hatte die dritte Frage wegen der Benutzung der Privat - flüſſe; dieſer Geſetzentwurf konnte nur techniſche Erörterungen hervorrufen.
Sehr peinlich aber war der Eindruck, als die Regierung ihre zweite Frage ſtellte: ob die Ausſchüſſe die baldige Ausführung eines umfaſſen - den, die Provinzen unter ſich und mit der Hauptſtadt verbindenden Eiſen - bahnſyſtems für nothwendig hielten? Die Frage wurde mit großer Mehrheit bejaht, ſeit dem glücklichen Gelingen der Leipzig-Dresdener Eiſenbahn begannen den Preußen die Augen aufzugehen. Von allen Seiten ward anerkannt, das germaniſche Preußen müſſe „ der Führer185Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe.der Zeit “ſein, das neue Verkehrsmittel ſolle das Gefühl der Einheit in den ſo weit entlegenen Provinzen erwecken, ihre Volkswirthſchaft kräftigen, ihre militäriſche Vertheidigung ſichern; denn daß die Eiſenbahnen mindeſtens Infanteriemaſſen befördern könnten, hielt man jetzt für möglich. Nur der brandenburgiſche Landtagsmarſchall Rochow-Stülpe und einige andere ſeiner conſervativen Landsleute wollten an den Nutzen der Neuerung noch nicht glauben, und Graf Raczynski meinte traurig, der kümmerliche Ge - werbfleiß der Städte Poſens könnte den Wettbewerb, den die Eiſenbahnen bringen würden, ſchwerlich ertragen. Nunmehr erhob ſich die ſchwierigere Frage, was der Staat für den Bau der Eiſenbahnen thun ſolle, und bei dieſer Berathung ward Allen fühlbar, in welcher Verwirrung ſich das Staatsrecht des Landes befand. Die große Mehrheit der Ausſchuß - Mitglieder — Graf Arnim ſelbſt geſtand dies ſpäterhin ehrlich zu*)Arnim, Denkſchrift über die ſtändiſchen Angelegenheiten, 13. Mai 1845. — wünſchte im Stillen, daß der Staat die Hauptlinien ſelbſt bauen ſollte; man fürchtete im Lande den Actien-Wucher der Börſen und begriff nicht, woher die armen Oſtprovinzen das genügende Privatcapital auf - treiben könnten. Die Regierung aber ſtand nicht auf der Höhe der Zeit; ſie entbehrte eines ſtaatsmänniſchen Sachverſtändigen wie ihn die Badener an ihrem Nebenius beſaßen; ſie hielt den Staatsbau für ein zweifelhaftes Wagniß und fühlte ſich zudem unfrei, weil ſie Anleihen ohne Reichsſtände nicht aufnehmen konnte.
Darum erklärte Bodelſchwingh auf das nachdrücklichſte, die Regierung habe beſchloſſen, in den nächſten Jahren keine Eiſenbahn ſelbſt zu bauen, ſie ſei jedoch bereit, wie ſie es bisher ſchon mehrmals gethan, den Pri - vatbahnen für wenige Jahre eine mäßige Verzinſung des Anlagecapitals zu verbürgen. Eine ſolche Zinſengarantie war im Grunde auch nichts anderes als eine Vermehrung der Staatsſchuld. Niemand wußte das beſſer als der kluge Generalſteuerdirektor Kühne;**)So geſteht er ſelbſt in ſeinen Denkwürdigkeiten. indeß mußte er ſchwei - gend mit anhören, wie ſein vorgeſetzter Miniſter die Verſammlung dahin belehrte: zwiſchen einem Bürgen und einem Hauptſchuldner beſtehe doch ein großer Unterſchied. Durch die beſtimmte Weigerung des Miniſters wurden die Ausſchüſſe verhindert, ſich über den Staatsbau zu äußern, da ſie ja nur vorgelegte Fragen beantworten ſollten. Die Stimmung im Saale ward recht unbehaglich, obgleich man die ruhige Haltung be - wahrte; die Reden, die von den ungeübten Sprechern meiſt abgeleſen wurden, klangen verlegen; auf Allen laſtete das drückende Gefühl, daß man ſeine wahre Meinung nicht ſagen konnte. Ganz frei von der Leber weg ſprach nur ein Heißſporn vom Rhein, Kaufmann Bruſt aus Boppard; der meinte, ohne die Reichsſtände könne die Krone keine Zinſengarantie übernehmen, und verlangte erſt genaue Mittheilungen über den Stand186V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.des Staatsſchatzes und der Staatseinnahmen, bevor man ſich über Finanz - ſachen ausſpräche. Niemand wollte ihm folgen, denn zur Löſung der großen Verfaſſungsfragen, die ſich hier drohend ankündigten, hatte der Ausſchuß - tag kein Recht. Viele fühlten, welch’ eine unglückliche Halbheit es doch war, wenn der Staat an den möglichen Gewinnſten der Eiſenbahnen nicht theilnehmen, ſondern nur für ihre Verluſte aufkommen wollte.
Gleichwohl wurde die Frage bejaht: ob die Regierung den Eiſenbahnbau mit allen ihr zu Gebote ſtehenden Mitteln, namentlich auch durch Zins - garantien fördern ſolle. Es war ein Nothbehelf. Die Ausſchüſſe ſtimmten nur zu, weil ſie nach der Erklärung des Miniſters für jetzt auf Staatseiſen - bahnen nicht rechnen konnten, und erwieſen ihm ſodann noch die Gefälligkeit, dieſen ganz unzweifelhaften Beweggrund ihres Beſchluſſes mit einer Mehr - heit von drei Stimmen ausdrücklich in Abrede zu ſtellen. Da der Ca - binetsminiſter General Thile wie ſein Vorgänger General Lottum nach preußiſchem Soldatenbrauche in allen Geldſachen ſehr genau war, ſo be - ſchloſſen die Ausſchüſſe ferner: die Ausführung des Eiſenbahnſyſtems er - ſcheine nothwendig ſelbſt unter dem Vorbehalte einer möglichen Wiederer - höhung der Steuern; doch zugleich baten ſie den König von dieſem Vor - behalt abzuſehen, „ um nicht den wohlthätigen Eindruck des Steuererlaſſes zu ſchwächen. “
So ſchwankten ſie von einer Unklarheit zur anderen; ohne Anleihen, ohne Reichsſtände kam dieſer Staat keinen Schritt mehr vorwärts. Die Oſtpreußen, die überhaupt am feſteſten zuſammenhielten, zeigten ſich ſehr unwillig über die beengende Geſchäftsordnung, die das Reden nur nach der Reihenfolge des Alphabets geſtattete, und Rudolf von Auerswald gab der Geſinnung ſeiner Landsleute einen lebhaften Ausdruck. Als Graf Arnim zum Schluß im Namen des Königs vertraulich anfragte, ob die Provinzen nicht den Bau je einiger Strebepfeiler am Kölner Dome über - nehmen wollten, da wurde ihm in aller Ehrfurcht erwidert, es wäre wohl einfacher, wenn die Provinziallandtage oder ihre einzelnen Mitglieder zu freiwilligen Beiträgen aufforderten; eine Verſammlung, der die Krone gar keine wirkſamen Rechte zugeſtand, konnte doch unmöglich Geſchenke be - willigen. *)Berichte über die Verhandlungen der Vereinigten Ausſchüſſe, von Bodelſchwingh 21. — 29. Oct; von Arnim 3. — 9. Nov. 1842.Am 10. Novbr., nach drei Wochen, wurde die Tagung ge - ſchloſſen; der Erfolg war, wie der Prinz von Preußen vorausgeſagt: die wenig fruchtbaren Verhandlungen hatten in der gährenden Zeit allerhand unbeſtimmte Hoffnungen erweckt und keine befriedigt. Zum Abſchied be - rief der König die Ausſchüſſe zu ſich, dankte ihnen herzlich und hielt ihnen alsdann in einer ſonderbar lehrhaften Anſprache einen Hauptſatz der Haller - ſchen Doctrin vor: ſie ſeien zugleich Vertreter ihrer eigenen ſtändiſchen Rechte und völlig unabhängige Rathgeber der Krone, alſo „ keine Reprä -187Schluß des Ausſchußtages.ſentanten des Windes der Meinung und der Tageslehren “. Mit Ver - wunderung folgten die Stände dieſer dunklen Rede: glaubte der König wirklich, daß irgend ein Mann ſich im politiſchen Leben dem Winde der Meinung ganz entziehen könne? oder wollte er nur den liberalen Tages - lehren Fehde anſagen? Verdrießlich und enttäuſcht ging man ausein - ander. Die vertrauensvolle Stimmung der rheiniſchen Feſttage war ver - ſchwunden, und ſie kehrte nicht wieder. Das Beckerſche Rheinlied ver - ſcholl in Deutſchland bald gänzlich und tauchte erſt nach langen Jahren in Belgien wieder auf, wo die Vlamen drohend den Franzoſen zuſangen: zy zullen hem niet temmen, den fieren vlaamſchen Leeuw! —
Noch während die Ausſchüſſe tagten eröffnete der König neue Ver - handlungen über die Fortbildung der ſtändiſchen Inſtitutionen. In einer Sitzung des Miniſterraths, am 8. Nov. entwickelte er den Verfaſſungsplan, den er fortan mit ſtiller Zähigkeit feſthielt, aber erſt nach vollen vier Jahren ausführte. Er erkannte das Staatsſchuldengeſetz von 1820 als verbindlich an, und da er den „ für Preußen unmöglichen conſtitutionellen Weg nie zu betreten “entſchloſſen war, ſo dachte er der Regel nach mit den Provinzialſtänden und ihrem Centralorgane, den Vereinigten Aus - ſchüſſen auszukommen. Würde aber in Friedenszeiten eine Anleihe oder die Erhöhung direkter Steuern unvermeidlich, dann wollte er die ſämmt - lichen Provinziallandtage als Vereinigten Landtag zuſammenberufen — am beſten wohl in eine harmloſe Provinzialſtadt, etwa nach Brandenburg; denn ſein Lehrer Ancillon, der einſt die Anfänge der franzöſiſchen National - verſammlung als Augenzeuge mit erlebt, hatte ihm oft beweglich vorge - ſtellt, wie tief die Drohungen eines hauptſtädtiſchen Pöbels ein Parla - ment entwürdigen könnten. Dieſem Vereinigten Landtage beabſichtigte er in ſolchen Nothfällen das Recht der Steuerbewilligung einzuräumen. Er ging alſo hochherzig ſehr weit über die Verſprechungen ſeines Vaters hinaus. Sein Billigkeitsgefühl ſträubte ſich dawider, von einem Landtage, der keine Abgaben zu bewilligen hatte, die Bürgſchaft für eine Anleihe zu verlangen; auch wußte er wohl, daß die Steuerbewilligung allezeit ein gutes Recht der alten deutſchen Stände geweſen war. Während er dergeſtalt mit der einen Hand den Reichsſtänden neue Rechte ſchenkte, nahm er leider mit der anderen mehrere Verheißungen des alten Königs zurück. Er fürchtete den bei der günſtigen Lage des Staatsſchatzes höchſt unwahrſcheinlichen Fall, daß ſchon während der geheimen diplomatiſchen Vorbereitung für einen Krieg eine Anleihe nöthig würde, und den faſt undenkbaren Fall, daß ſeine Preußen ihm gar während des Krieges eine Anleihe verweigern könnten; darum dachte er den Ständen die Bürgſchaft für Kriegsanleihen zu verſagen. Ferner wollte er die Verſammlung des Vereinigten Landtags ganz in ſeiner Hand behalten und ſich zu keiner periodiſchen Berufung verpflichten, ob - gleich die Reichsſtände auf Grund des Staatsſchuldengeſetzes alljährlich Rechenſchaft von der Schuldenverwaltung verlangen durften. Auch dies188V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.war ein rein doktrinäres Bedenken; denn kam der Vereinigte Landtag einmal zuſammen, ſo mußte er unfehlbar häufig wiederkehren, keine Macht der Welt konnte dies dann noch verhindern. Endlich ſcheute der König die Aufregung der Wahlen, obwohl doch die Erwählung der Vereinigten Ausſchüſſe ſoeben ganz ruhig verlaufen war, und wollte darum die Reichs - ſtände durch einfache Zuſammenberufung aller Provinziallandtage bilden.
Alle dieſe Abweichungen von den alten Geſetzen hoffte er aber auf ſtreng rechtlichem Wege, mit Zuſtimmung ſeiner getreuen Stände ſelbſt, durchzuführen, und ſtellte daher an den Miniſterrath drei Fragen. Er - ſtens, kann man den Ständen, wenn man ſie auf dem Provinzialland - tage oder in einem Vereinigten Landtage befragt und ihnen das Steuer - bewilligungsrecht zugeſteht, die Anforderung ſtellen, daß ſie auf die Zu - ſtimmung zu Kriegsanleihen verzichten? Zweitens, werden ſie ſich nicht für incompetent erklären? Drittens, ſind für den Fall eines plötzlich ausbrechenden Krieges genügende Mittel vorhanden? Die Befragten waren ebenſo ſehr verwundert über die halb freigebigen halb kargen Ge - währungen des Monarchen, wie über die rechtlichen Schwierigkeiten, die er ſich durch ſeinen künſtlichen Plan ſelbſt geſchaffen hatte. Ganz ein - verſtanden erklärte ſich nur Einer, Geh. Rath von Voß. Die große Mehr - zahl der Miniſter, Boyen, Thile, Bodelſchwingh, Stolberg, Mühler, Eich - horn, Savigny, Bülow, ja ſelbſt der greiſe Präſident des Staatsraths General Müffling hielten für unmöglich, daß ſtändiſche Körperſchaften ihre eigene Macht freiwillig beſchränken könnten; ſie ſagten dem Könige voraus was nach vier Jahren eintraf: die Vereinigten Provinzialſtände würden ſich nicht für befugt halten, in die Rechte des verheißenen Reichs - tags einzugreifen. Nicht ganz ſo ablehnend, aber auch nicht zuſtimmend lau - teten die Gutachten von Rochow, Alvensleben, Rother, Arnim. Mehrere empfahlen die Berufung eines gewählten ſtändiſchen Ausſchuſſes. Der Juſtizminiſter Mühler wagte ſogar die ketzeriſche Behauptung: „ Gegen eine Verfaſſungsurkunde des preußiſchen Staates läßt ſich nichts erinnern. Eine ſolche Urkunde im Sinne des monarchiſchen Princips wäre die erſte ihrer Art und würde dann zu den conſtitutionellen Charten anderer Länder einen intereſſanten Gegenſatz bilden. “
Der alte Rother ſogar, der als treuer Diener des verſtorbenen Königs nur deſſen letzten Willen auszuführen, nur einen kleinen Ausſchuß von 32 Landſtänden und eben ſo vielen Staatsräthen zu berufen vorſchlug, fühlte ſich doch gedrungen zu der beſtimmten Erklärung: die Verwaltung der Staatsſchulden laſſe ſich ohne irgend eine Mitwirkung von Ständen auf die Dauer nicht mehr weiterführen. Die Schuld, ſo führte er aus, ſei ſeit 1820 um faſt 68 Mill. Thlr., bis auf 138,86 Mill. vermindert worden und werde in einer nahen Zukunft nur noch 100 Mill. be - tragen. Tiefer aber dürfe ſie nicht ſinken; ſonſt triebe man das heimiſche Capital in das Ausland oder in Schwindelgeſchäfte; darum müſſe das189Berathungen über die künftige Verfaſſung.Staatsſchuldengeſetz mit ſtändiſcher Zuſtimmung rechtzeitig abgeändert und dann die Tilgung eingeſtellt werden. *)Vota der Miniſter auf die drei Fragen Sr. Majeſtät, vom 9. Nov. 1842 bis zum 15. Nov. 1843.Selbſt dieſer Mann der alten Hardenbergiſchen Schule hatte alſo gelernt von der verwandelten Zeit. Die Meinung, daß Staatsſchulden ſchlechthin vom Uebel ſeien, war einſt in den knappen Jahren nach den Kriegen aufgekommen und durch Ne - benius’ claſſiſches Buch über den öffentlichen Credit im deutſchen Beamten - thum zur Herrſchaft gelangt; jetzt da der Unternehmungsgeiſt erwachte begannen ſchon viele Deutſche bewundernd auf England zu ſchauen, das bei ſeiner rieſigen Staatsſchuld doch immer reicher wurde. Freilich blieb Rother noch weit entfernt von der Einſicht, daß jetzt der rechte Augen - blick gekommen war die preußiſche Staatsſchuld durch produktive Anleihen für den Eiſenbahnbau zu vergrößern.
Die wohlgemeinten Gutachten der Miniſter konnten den König nur verwirren; denn ſie wurden ſchriftlich eingereicht, nach und nach, ohne gemeinſame Vorberathung, manche erſt nach Jahresfriſt, und wichen im Einzelnen weit von einander ab. Es fehlte ein beherrſchender ſtaatsmän - niſcher Kopf, der die Blicke der Amtsgenoſſen auf das Weſentliche ge - richtet und im Namen des Miniſterrathes den Monarchen gebeten hätte: er möge, ſtatt zu künſteln, feſt auf dem Boden der alten Geſetze bleiben, an denen er ja ſelbſt als Kronprinz mitgebaut, und aus den Provinzial - ſtänden einen Reichstag wählen laſſen, deſſen Zahl und Zuſammenſetzung noch ganz in der Hand der Krone lagen. Ein ſolcher gemeinſamer Schritt der Miniſter war allerdings ſehr ſchwer, bei der ſubalternen Stellung, welche Friedrich Wilhelm ſeinen Räthen zuwies; ſie beſchieden ſich alle, nur unmaßgebliche Rathſchläge zu ertheilen und überließen die Verant - wortung dem Monarchen allein. Verſtimmt über die Bedenklichkeit der Miniſter legte der König nach ſeiner Weiſe die ärgerliche Sache vorläufig zur Seite und nahm ſich im Stillen vor, zu gelegener Stunde wieder auf ſeinen unwandelbaren Plan zurückzukommen. Bei der zweckloſen Berufung der Vereinigten Ausſchüſſe hatte er ſoeben Alles überhaſtet; jetzt verlor er wieder eine köſtliche Zeit, die Thatenſcheu hielt dem Ge - fühle ſeiner königlichen Unfehlbarkeit die Wage. Im Miniſterrathe war fortan ein volles Jahr lang von der großen Zukunftsfrage der Monarchie gar nicht mehr die Rede. —
Unter allen den Geſchenken, welche Friedrich Wilhelm aus dem Füll - horn königlicher Gnade ſeinen Preußen zu ſpenden dachte, war ihm die Entfeſſelung der Preſſe beſonders theuer. Er liebte die Freiheit nach ſeiner patriarchaliſchen Weiſe, er hoffte durch die Freiheit die Preſſe zu190V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.erziehen, ſie emporzuheben aus ihrer geiſtloſen Verdumpfung. In die Zeiten ſeiner Thronbeſteigung fiel das Jubelfeſt der Erfindung der Buch - druckerkunſt. Der Tag wurde im Mittelpunkte des deutſchen Buchhandels, in Leipzig glänzend gefeiert; begeiſterte Redner ſprachen die Hoffnung aus, daß die größte aller deutſchen Erfindungen fortan unter dem Segen der Freiheit erſt ihre volle Wirkſamkeit entfalten würde; ſelbſt der Feſt - redner der Aula, der conſervative Gottfried Herrmann pries in elegantem Latein die Macht des freien Wortes. Für Preußen hatte die ängſtliche alte Regierung alle öffentlichen Feierlichkeiten unterſagt; der neue Herr begnügte ſich, im Auguſt noch eine Nachfeier zu erlauben. Um den Wiener Hof nicht zu verletzen ließ er es auch geſchehen, daß der Bundes - tag im Juli 1841, nach einer Verabredung zwiſchen den beiden Groß - mächten*)Sydow’s Bericht, 12. Juni 1841., die Giltigkeit der alten Bundesgeſetze über die Preſſe und die Univerſitäten abermals um ſechs Jahre verlängerte. Trotzdem hielt er ſeine Befreiungspläne feſt; denn da er ſein eigenes Herz eben ſo wenig kannte wie die Herzen Anderer, ſo traute er ſich’s zu, den Lärm der Zeitungen gleichmüthig zu ertragen. Er dachte vorerſt der preußiſchen Preſſe innerhalb der Schranken des Bundesrechts eine freiere Bewegung zu geſtatten und ſpäterhin vielleicht den Bund ſelbſt zur Abänderung ſeiner harten Geſetze zu bewegen. Darum wurde zunächſt der unentbehr - liche Rathgeber für die Bundespolitik, Radowitz, zu einem Gutachten auf - gefordert; der ergriff den Gedanken mit Begeiſterung und ſprach die Hoff - nung aus: alſo würde ſein königlicher Herr in dem Geiſte der Nation ſelbſt „ den mächtigſten Verbündeten gegen die Apathie und den egoiſtiſchen Widerwillen der Cabinette “finden.
Darauf begannen, ſeit dem Herbſt 1841, im Staatsminiſterium ſehr langwierige Verhandlungen über ein neues Preßgeſetz. Der Gedanke, die Preſſe einfach dem gemeinen Rechte zu unterwerfen, lag allen deutſchen Regierungen noch ganz fern. Jedermann in dieſen Kreiſen glaubte noch an den alten Gentziſchen Grundſatz, daß die gefährliche Macht der Zeitungen unter beſondere Behörden geſtellt werden müſſe. Die freieſten Köpfe ver - langten nur eine milde Cenſur und zum Schutze gegen die Mißgriffe dieſer „ Preßpolizei “eine eigene „ Preßjuſtiz “. Präſident Gerlach, der eben - falls befragt wurde, erklärte mit dem Stolze des preußiſchen Richters: wolle man „ die aufregende Maßregel “einmal wagen, dann müſſe das neue Preßgericht auch die ganze Selbſtändigkeit eines Tribunals er - halten. **)Gerlach’s Votum, 31. Dec. 1841.Ueber alles Weitere war man nicht einig, und man em - pfand bei dieſen verworrenen Berathungen zum erſten male, daß der neue Juſtizminiſter Savigny praktiſchen Aufgaben nicht gewachſen war. Der König wollte den Profeſſoren die Cenſurfreiheit, die ihnen vor Alters191Milderung der Cenſur.zugeſtanden, wiedergeben, er wollte die gleiche Freiheit auch anderen Standesperſonen gewähren und dieſen Begünſtigten ſogar erlauben, die Cenſur über die Schriften Anderer auszuüben. Da hielt ihm Thile ent - gegen: grade unter den Gelehrten befänden ſich ſo viele unchriſtliche Ra - dicale. *)Thile’s Bericht an den König, 15. Nov. 1841.Er dachte ferner zu verbieten, daß die Zeitungen ihn ſelber lobten, während ſie die Regierung tadelten „ und ſo die Perſon des Königs in einem Gegenſatze mit dem Geiſte ſeiner Adminiſtration erſcheinen ließen “. Graf Arnim aber erwiderte ritterlich: die Miniſter dürften ſich nicht hinter dem Monarchen verſtecken. **)Thile’s Berichte an das Staatsminiſterium, 25. Aug., an den König, 7. Sept., an das k. Cabinet, 12. Sept. 1842.So zogen ſich die Verhandlungen durch viele Monate fruchtlos hin.
Um doch etwas zu thun, gab der König den Provinzialbehörden durch ein Miniſterialſchreiben v. 24. Dec. 1841 zu wiſſen, daß er das Bedürf - niß einer freimüthigen, anſtändigen Publiciſtik anerkenne, und forderte ſie auf, die beſtehenden Cenſurgeſetze milde zu handhaben; zugleich ward die Preſſe väterlich ermahnt, ſich aller frivolen Feindſeligkeiten und Ver - dächtigungen zu enthalten, auch nicht durch gehaltloſe Tagesneuigkeiten und Klatſchereien auf die Neugier ihrer Leſer zu wirken. Trotz ſeines wunderlichen patriarchaliſchen Tones erregte dieſer Erlaß allgemeine Freude; die geknebelten Schriftſteller athmeten auf und glaubten endlich den Tag der Freiheit zu ſehen. Im Mai 1842 wurden ſodann alle Bilder von der Cenſur befreit; denn Friedrich Wilhelm lachte gern über geiſtreiche Caricaturen, und da die Bundesgeſetze von einer Bildercenſur nicht ſprachen, ſo wollte er den Zeichnern ihren harmloſen Scherz nicht verkümmern. Ein halbes Jahr ſpäter, am 4. October, gab der König alle Bücher von mehr als zwanzig Druckbogen frei — was nach Bundesrecht erlaubt war. Gleich darauf befahl er den Behörden, unwahre Mittheilungen des ſchlechten Theils der Tagespreſſe augenblicklich in dieſen Zeitungen ſelbſt zu berichtigen: „ Eben da wo das Gift der Verführung eingeſchenkt worden iſt, muß es auch unſchädlich gemacht werden … indem man die Redaktionen zwingt, das Urtheil über ſich ſelbſt zu veröffentlichen. “ So fielen Stein auf Stein die alten Schranken, und alle Welt erwartete hoffnungsvoll das von der Regierung oft verheißene umfaſſende Preßgeſetz.
Mittlerweile begann die Milderung der Cenſur ſchon ihre Früchte zu tragen. Es ſchien als ſollte mit dem Jahre 1842 eine Zeit der Blüthe für die preußiſche Preſſe beginnen; und ein ſolcher Umſchwung war dringend nöthig, denn überall in Deutſchland laſtete auf den Schriftſtellern der gleiche unerträgliche Druck, nur die Leipziger Cenſur übte zuweilen ein klein wenig Schonung, um den großen Buchhandel nicht ganz zu verderben. Was verſchlug es, daß einige Bundesſtaaten nur die Schriften unter zwanzig Bogen, andere, wie Hannover, die Karlsbader Beſchlüſſe noch192V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.überbietend, alle Druckſachen ohne Ausnahme der Cenſur unterwarfen? Was nicht