Nur die Anwendung, nicht der Besitz, macht den Werth des Reichthums. Eine geringe Anzahl aus einem obersten Grundsatze abge - leiteter, und zu einem consequenten Ganzen verbundener Sätze ist schätzbarer, als alle un - zusammenhängende Kenntnisse des gröſsten Vielwissers. Jede Wissenschaft, deren Leh - ren blos nach einem willkührlichen System ge - ordnet sind, ist ein Schatz, der erst Zinsen tragen soll, aber noch keine trug. Eine sol - che Wissenschaft war bisher die Naturge - schichte. Lange standen ihre Lehren so iso - lirt, wie die Pyramiden in den Wüsten Ae - gyptens. Als die Menge ihrer Erfahrungen sich mehrte, fühlte man die Nothwendigkeit, durch ein gewisses System die Uebersicht der - selben zu erleichtern. Man suchte ein solches, fand aber desto gröſsere Hindernisse bey der Ausführung desselben, je mehr man mit der Natur vertraut wurde. Diese Schwürigkeiten* 2reitz -IVreitzten den Wetteifer der Naturforscher. Je - der sahe jetzt die Aufstellung einer fehler - freyern Ordnung, als die seiner Vorgänger waren, für die höchste Stufe in seiner Wis - senschaft an; jeder schuf jetzt eine neue, und verwarf alle ältere. Dies dauerte fort, bis Linné mit einer Classifikation der Naturpro - dukte auftrat, die den Forderungen Aller gröſs - tentheils ein Genüge leistete, und die Keiner ganz zu verdrängen sich getrauen durfte. Von seiner Zeit an richtete sich alles auf die Aus - feilung und Erweiterung dieses Systems. Je - der suchte von nun an das Nehmliche für ein - zelne Theile der Natur zu leisten, was Linné für das Ganze gethan hatte. So entstanden neue Systeme einzelner Zweige der Thier - und Kräuterkunde in zahlloser Menge, und zahllose Beschreibungen neuer Geschlechter und Arten, und dieses Drängen und Treiben um einerley Punkt währt bis auf den heutigen Tag, und wird fortwähren, bis die Frage ge - nugsam beherzigt seyn wird, was der eigent - liche Zweck dieses Drängens und Treibens seyn soll, und ob das Alles der Menschheit wahrhaft frommen könne.
ZwarVZwar gab es immer schon Männer, und Linné selbst gehörte zu diesen, welche ein - sahen, daſs alle jene künstlichen Systeme, ohne Beziehung auf höhere Zwecke, nur schwerer Tand seyen. Allein sie erhoben sich nicht zu dem höchsten dieser Zwecke, und darum blieb alles, was sie in Beziehung auf diesen liefer - ten, bloſses Stückwerk. Das letzte Ziel aller Naturforschung aber ist die Erforschung der Triebfedern, wodurch jener groſse Organis - mus, den wir Natur nennen, in ewig reger Thätigkeit erhalten wird, und zu diesem Ziele sind jene künstlichen Systeme, an denen so Vie - le ganze Lebensalter hindurch ihre Kräfte ver - schwenden, noch nicht der erste Schritt. Wir haben erst ein bloſses Register, noch keine Wissenschaft der Natur, so lange wir ewig nur an diesen Systemen kleben, und nicht auf die Erreichung jenes Ziels ausgehen. Ein Werk, worin die vielen Thatsachen, die in den Schriften der Naturforscher zerstreut lie - gen, in Beziehung auf jenen Zweck zu einem Ganzen verbunden wären, würde einen hö - hern Werth haben, als alle Beschreibungen neuer Thiere und Pflanzen, die uns weiter* 3nichtsVInichts sagen, als daſs diese so oder anders aussehen, und in diesem oder jenem Winkel der Erde zu finden sind.
Von der ersten Zeit an, als sich der Ver - fasser dem Studium der Natur widmete, war es eine seiner liebsten Ideen, ein solches Werk für die lebende Natur einst zu liefern. Seine Lust an diesem Gedanken wuchs, je mehr er mit der Natur vertraut wurde, und je erhabe - ner er von ihr denken lernte. Jene Idee wur - de endlich der einzige Gegenstand seiner Be - schäftigung in Stunden der Muſse. Zwar fühl - te er die Last seines Unternehmens. Aber der Gedanke hob ihn wieder, daſs es ehren - voller sey, in der Ausführung eines groſsen Plans zu scheitern, als einen kleinen zu been - digen, und daſs Fleiſs, Beharrlichkeit und Lust an der Arbeit, wenn auch nicht Werke des Genies liefern, doch Werke des Genies vor - bereiten. In dieser Ueberzeugung gieng er schon vor acht Jahren an die Ausführung sei - nes Vorhabens, weihete demselben von dieser Zeit an jede geschäftsfreye Stunde, und ergriff jede Gelegenheit, die ihm zur Erweiterung sei - ner Blicke in das Wirken der Natur behülflichseynVIIseyn konnte. Jetzt glaubt er, seinen Gegen - stand von allen Seiten genug erwogen zu ha - ben, und genug vorbereitet zu seyn, um die Resultate seiner Arbeiten nach und nach er - scheinen zu lassen. Ueber die Grundsätze, von denen er ausgegangen ist, und über die Ordnung, die er in diesem Werke beobachten wird, giebt die folgende Einleitung hinreichen - de Auskunft. Nur über einige Dinge, die dorthin nicht gehörten, und die dem Leser doch zu wissen nützlich sind, wird hier eine Erklärung nicht überflüssig seyn.
Der Verfasser kennt kein traurigeres und geisttödtenderes Geschäft, als das Schreiben und Lesen bloſser Compilationen. Schon das bisher Gesagte wird auch hoffentlich den Leser keine solche Arbeit hier befürchten lassen. Was jenen zur Unternehmung dieses Werks reitzte, war der Wunsch, den Reichthum al - ler Zeitalter an reinen Erfahrungen unter all - gemeine Gesichtspunkte zu bringen, und was der Leser hier finden wird, sind also vielleicht wankende Systeme, unhaltbare Theorien, und voreilige Meinungen. Darum mögen die, die blos nackte Erfahrungen, entkleidet von allem* 4Ge -VIIIGewande der Meinungen suchen, immerhin dieses Buch nur gleich wieder bey Seite legen; für sie wurde es nicht geschrieben. Aber für die, die mit dem Verfasser glauben, daſs nur der Geist, den wir der Erfahrung einhauchen, der Erfahrung Werth giebt, sey Folgendes gesagt.
Der Verfasser wird, wie gesagt, der Theo - rien und Meinungen in diesem Werke manche aufstellen. Aber er ist weit von dem Dünkel jener entfernt, die ihre Träume und Visionen für Wirklichkeiten halten, und ihren Behaup - tungen eine Dauer, wie den Sätzen der Eukli - des und Archimedes, zutrauen. Er glaubt, daſs kein menschlicher Verstand die Subtilität der Natur in irgend einem Stücke erreichen kann, daſs alles, was Sterbliche über die Na - tur dachten, denken, und denken werden, ver - schwinden muſs, wie der Schnee an den Strah - len der Frühlingssonne, so wie jene immer mehr von ihrem Innern offenbaren wird, und er zweifelte nie, daſs auch seiner Gedanken dasselbe Schicksal warte. Aber er hoffte den - noch, seinem Werke einen Werth geben zu können, der es auf einige Zeit vor dem Unter -gangeIXgange aller Meinungen schützen dürfte, wenn er nicht den Strohm leitete, sondern sich von diesem leiten lieſse, nicht die Natur seinen Mei - nungen, sondern seine Meinungen der Natur anpaſste. Und diesem Grundsatze hat er sich auch bemühet und wird er sich ferner bemü - hen, in diesem Werke treu zu bleiben. Der Leser erwarte also, hier die Natur mit einem Gewande bekleidet zu finden, das der Verfas - ser ihr angepaſst hat. Aber er befürchte nicht, sie in ein Gewand eingezwängt zu sehen, das dieser für sie verfertigt hatte, ehe er sie kannte.
Dieses Gewand wird manche Lücken ha - ben. Der Verfasser wird sich auch keine Mü - he geben, diese zu verbergen. Es ist Wahn und Dünkel, zu glauben, daſs Flitterstaat der Beredsamkeit, oder Blendwerke der Dialektik, oder ein heiliges Dunkel die Blöſsen eines Sy - stems auf immer den Augen der Welt sollten entziehen können. Die, welche diesem Wah - ne huldigten, zogen Sektirer und wurden von diesen vergöttert. Aber der Weihrauch ver - brannte bald, und die unverblendete Nachwelt setzte sie in die Classe derer, die der Wahr -* 5heitXheit eben so viel, wo nicht mehr, geschadet, als genützt haben. Nur der Ruhm derer blieb unbefleckt, die sich nicht anmàaſsten, das gan - ze unermeſsliche Gebäude der Natur erleuch - ten zu wollen, sondern ihren Zeitgenossen und der Nachwelt zuriefen: diese Seiten glauben wir erleuchtet zu haben; aber trauet auch dem Lichte nicht zu viel, daſs es euch nicht blende; dort hingegen ist noch völlige Dunkelheit, und dahin Licht zu bringen, wird euer Geschäft seyn! Diese nützten ihren Zeitgenossen und der Nachwelt selbst durch ihre Irrthümer. Und zu dieser letztern Classe wünschte der Verfas - ser zu gehören.
Von diesen Seiten hat also der Leser hof - fentlich nichts zu besorgen. Was er aber wirk - lich zu befürchten hat, ist leider! ein groſses Werk, also freylich ein groſses Uebel. In - zwischen, wir müssen groſse Bücher haben, um kleine zu erhalten. Eines der erstern hofft der Verfasser über den Gegenstand, worüber er zu arbeiten sich vorgesetzt hat, einst zu be - endigen. Aber zu einem kleinern hält er seine Lebenszeit nicht für hinreichend. Doch wird er auch nicht durch überflüssige Citate, oderdurchXIdurch weitläuftige Erörterung alles dessen, was Andere vor ihm gemeint und gesagt ha - ben, seine Schrift ohne Noth ausdehnen. In einem Zeitalter, wo so oft Thatsachen nach vorgefaſsten Meinungen gemodelt werden, in der Hoffnung, daſs Niemand sich die Mühe geben werde, jene an der Quelle zu untersu - chen, scheint es dem Verfasser Pflicht zu seyn, die Schriften, woraus er seine Beweise nahm, immer bestimmt und treulich anzugeben. Aber er hält es auch eben so sehr für Pflicht, hierin die Mittelstraſse zu gehen, und nicht zehn Gewährsmänner da anzuführen, wo der einzi - ge, aus welchem alle übrige schöpften, hin - reichend gewesen wäre. Er glaubt ferner, daſs einer, der einen eigenen Weg geht, sich nicht um das Thun und Lassen Anderer auf dem ihrigen zu bekümmern hat, und daſs es unrecht ist, von einem solchen hierüber Aus - kunft zu verlangen. Ihm gehen nur die an, die entweder schon vor ihm Theile des Weges, den er eingeschlagen hat, bahnten, oder die seinen Weg zu versperren suchten, um den ih - rigen desto weiter und bequemer zu machen; und nur solcher Vorgänger wird in dieser Schrift Erwähnung geschehen.
DiesXIIDies ist es, was der Verfasser vorläufig zu erinnern hatte. Er fügt noch hinzu, daſs er seinem Werke das Loos beklatscht zu wer - den eben so wenig, als das entgegengesetzte, aber wenn eines von beyden seyn sollte, noch lieber das letztere, als das erstere wünschen würde. Ausgepfiffen wurden nicht immer nur Thoren, sondern auch wohl Weise, die nicht mithinkten im Lande der Hinkenden. Aber beklatscht wurden immer nur Gaukler und Possenreisser, niemals die Wahrheit, so we - nig wie die Sonne, wenn sie heraufkömmt, um Licht und Leben auf Erden zu verbreiten. Uebersehen zu werden von dem groſsen Hau - fen der Sektirer aller Art, nur die Aufmerk - samkeit der wenigen ächten Wahrheitsforscher auf sich zu ziehen, und bey diesen zu blühen und Früchte zu tragen; ein solches Loos wünscht der Verfasser seinem Werke, und er wird sich glücklich schätzen, wenn dieser Wunsch in Erfüllung geht.
Bremen, im May 1802.
At illud de nobis ne dubitare quidem fas sit, utrum nos philosophiam et artes et scientias, quibus utimur, destruere et demoliri cupiamus: contra enim, earum et usum et cultum et honores libenter amplectimur. Neque enim ullo modo officimus, quin istae, quae invaluerunt, et disputationes alant, et sermones ornent, et ad profes - soria munera, ac vitae civilis compendia adhibeantur et valeant; denique tamquam numismata quaedam consensu inter homines recipiantur. Quin etiam significamus aper - te, ea quae nos adducemus ad istas res non multum idonea futura, cum ad vulgi captum deduci omnino non possunt, nisi per effectus et opera tantum.(Baconi Nov. Organ. l. II. )
Wir finden die sichtbare Natur in zwey groſse Reiche geschieden, in die leblose und in die leben - de. Die erstere wurde schon sehr früh zum Gegen - stande einer eigenen Wissenschaft gemacht, die man mit dem zu viel umfassenden Namen Physik oder Naturlehre belegte. Die letztere blieb dage - gen immer verwaiset, und nur einzelne Theile von ihr wurden in andern Wissenschaften, wo man ihrer nicht entbehren konnte, als Gegenstände beyläufiger Untersuchungen behandelt. Man frage nicht, woher diese Vernachlässigung? Der Zufall gebahr die Wissenschaften, und ihre Eintheilung fiel daher eben so regellos aus, wie der Zufall selbst. Wohl aber mag man fragen, wie diese Vernachlässigung auch da noch fortdauern konnte, nachdem schon richtigere Begriffe über die ver - schiedenen Zweige des menschlichen Wissens in Umlauf gekommen waren? Erst in den neuestenA 2Zeiten4Zeiten fieng man an zu ahnden, daſs die Lehre von der lebenden Natur mit eben dem Rechte, wie die von der leblosen, zum Range einer eigenen Wissenschaft erhoben zu werden verdiene. Meist aber blieb es noch bey der bloſsen Ahndung. Erst Wenige versuchten es, jene Lehre als eine eigene Wissenschaft zu behandeln, und diese Versuche wurden immer nur einseitig in Beziehung auf die Heilkunde gemacht.
Unsere Absicht ist, einen neuen Versuch der Art zu wagen, wobey wir keine Rücksicht auf die Anwendungen nehmen werden, die sich von den Resultaten unserer Untersuchungen in irgend einer Kunst oder andern Wissenschaft machen lassen. Die Gegenstände unserer Nachforschungen werden die verschiedenen Formen und Erschei - nungen des Lebens seyn, die Bedingun - gen und Gesetze, unter welchen dieser Zustand statt findet, und die Ursachen, wodurch derselbe bewirkt wird. Die Wissenschaft, die sich mit diesen Gegenständen beschäftigt, werden wir mit dem Namen der Bio - logie oder Lebenslehre bezeichnen.
Wir unternehmen hiermit ein Werk, wozu die Materialien bisher in den verschiedensten Wissenschaften, vorzüglich aber in der Natur - geschichte und in der theoretischen Heilkunde, zerstreut lagen. Aus der Naturgeschichte, einerWissen -5Wissenschaft, deren Gegenstand und Umfang nie gehörig bestimmt war, gehören hierher die Bota - nik und Zoologie, so wie die Mineralogie einen Theil der Physik ausmacht. Was jene beyden Fä - cher uns zu unserm Zwecke Dienliches liefern können, betrifft indeſs meist nur die verschiedenen Formen, unter welchen sich das Leben äussert. Den Bedingungen, Gesetzen und Ursachen des Lebens forschten bisher fast allein die Aerzte nach, und aus deren Schriften werden wir daher die Materialien zu diesem Theile unserer künftigen Untersuchungen sammeln müssen.
Also nur bekannte Dinge unter einer neuen Form! ruft man uns entgegen. Aber gesetzt wir lieferten auch weiter nichts, als dies, so könnte doch auch blos die neue Form schon von wichtigem Nutzen seyn. Rechnet ihr es denn für nichts, groſse Wahrheiten unter einen allgemeinen Ge - sichtspunkt zu bringen? Leben ist das Einzige auf Erden, was Reitz für den Menschen hat, das Einzige, was den Sinn für Einfalt, Schönheit und Erhabenheit nährt und erhält, das Einzige, was dem Verstande immer neuen Stoff zum Denken giebt, und zugleich für die Einbildungskraft eine unerschöpfliche Quelle der lieblichsten Bilder ist. Bey dem Leblosen weilt der Mensch nur, insofern er in ihm einen Abglanz des Lebens, oder Lösun - gen der vielen Räthsel zu finden glaubt, die ihmA 3bey6bey seinen Betrachtungen über die lebende Welt aufstoſsen. Tod und öde Stille
sind für ihn schauderhafte Vorstellungen. Und es sollte ein so ganz verdienstloses Werk seyn, das, was Erfahrung und Nachdenken uns über diesen erhabenen Gegenstand gelehrt haben, und was bisher in den verschiedensten Fächern zerstreut lag, zu einem Ganzen zu vereinigen? Es ist eine längst anerkannte, aber noch nie gehörig angewandte Wahrheit, daſs der Mensch nur durch eine gleich - förmige Entwickelung aller seiner Geisteskräfte, und nicht durch eine einseitige, wenn auch noch so weit getriebene Cultur zur höchsten Stufe der Humanität gelangt. Der bloſse Geometer, der immer nur mit den reitzlosen Bildern des Raums beschäftigt ist, erreicht diese eben so wenig, als der bloſse Dichter, der nie das Zauberland der Phantasien verläſst. Aber wo ist eine Wissenschaft, die den Verstand und zugleich die Einbildungskraft so sehr in Thätigkeit erhält, und daher der Erzie - hung des Menschen zur Humanität so angemessen ist, als diejenige, die wir in diesem Werke zu bearbeiten uns vorgesetzt haben? Ihr werdet doch nicht das, was man bisher Naturgeschichte nannte, dafür annehmen, es müſste denn seyn, daſs ihr die bunten Farben der Blumen und Schmetterlinge für Mittel zur Cultur der Phantasie hieltet, und Schärfung des Verstandes durch Erlernung will -kühr -7kührlicher, mit fragmentarischen Beobachtungen vermischter Systeme zu bewirken glaubtet?
Aber man betrachte auch den Einfluſs, den die Ausführung unsers Vorhabens auf mehrere der wichtigsten Wissenschaften haben muſs, und man wird diesem seinen Beyfall nicht versagen können. Was waren Zoologie und Botanik bisher, als trock - ne Namenregister, vermischt mit unzusammen - hängenden Erfahrungen, und geordnet nach Syste - men, die nicht, wie es seyn sollte, zum Mittel, sondern zum Zweck gemacht wurden? Welcher Mensch, der den Sinn für das Höhere noch nicht verlohren hatte, konnte an diesem Gedächtniſswer - ke Geschmack finden? Betrachtet man dagegen jene Wissenschaften als Theile der Biologie, so erscheinen beyde in einem ganz andern Lichte. Wir erkennen dann die Nothwendigkeit der Syste - me in ihnen an; aber wir behandeln diese nur als höhern Zwecken untergeordnet, legen ihnen nicht mehr Wichtigkeit bey, als sie wirklich verdienen, und vermehren ihren Werth, indem wir sie nicht blos in der Absicht entwerfen, um die Benennung der Thiere und Pflanzen, und die Auffindung der schon ertheilten Namen zu erleichtern, sondern auch um als Leitfaden bey unsern biologischen Untersuchungen zu dienen. Die Beobachtungen über die Lebensweise der Thiere und Pflanzen, die bisher in der Naturgeschichte ohne ZusammenhangA 4umher8umher lagen, erhalten dann ihre gehörige Stelle und vereinigen sich zu einem Ganzen, worin der Geist Einheit und Harmonie erblickt.
Noch mehr Werth erhält die Biologie, wenn wir sie in Beziehung auf Oekonomie und Heilkun - de betrachten. Es giebt keine Kunst, die von jeher nach einer rohern Empirie getrieben wurde, als die Landwirthschaft. Noch nie versuchte man es, ihren Regeln eine vernünftige Theorie unterzule - gen, und die edelste unter allen Beschäftigungen des Menschen auch dem Geiste, und nicht blos dem Herzen des Mannes von Bildung schätzbar zu machen. Der Gegenstand der Landwirthschaft aber ist die Erhaltung und Beförderung des vege - tabilischen und animalischen Lebens. Die Biologie muſs also die Grundzüge zu einer Theorie jener Kunst enthalten; blos mit ihrer Hülfe können wir zu entdecken hoffen, was dem Landwirthe zu wis - sen Noth thut,
und aus ihrer Erweiterung müssen dem Ackerbau und der Viehzucht die wichtigsten Vortheile zu - flieſsen.
Die Biologie endlich ist auch die Basis al - ler Heilkunde, und ihrer Vernachlässigung sindunzäh -9unzählige Irrthümer der Aerzte zuzuschreiben. Der Zweck der Medicin ist Erhaltung der Ge - sundheit und Heilung der Krankheiten. Ihre Theorie beruhet also auf der Kenntniſs des gesun - den und kranken Körpers. Aber um uns diese Kenntniſs zu erwerben, müssen wir vorher wissen, was Gesundheit und was Krankheit ist? Beyde Zustände nun sind verschiedene Modifikationen des Lebens. Um jene Frage zu beantworten, müssen wir also erst ausmachen, was Leben ist, und also die Biologie um Rath fragen. Diesen Weg hätten die Aerzte gehen sollen, um eine philosophische Theorie ihrer Kunst zu begründen. Aber wie verfuhren sie dagegen? Sie stellten Erklärungen von Gesundheit und Krankheit auf, die nicht aus höhern Vordersätzen geschöpft, und darum man - gelhaft waren, baueten hierauf zwey Wissenschaf - ten, wovon sie die eine mit einem ganz unpassen - den Namen Physiologie, die andere Pathologie nannten, und füllten die erstere mit Dingen an, die für den handelnden Arzt von geringem oder gar keinem Nutzen seyn konnten. Um sich von der Wahrheit dieser unserer Behauptung zu über - zeugen, durchgehe man nur mit einem flüchtigen Blicke die Schriften der vornehmsten praktischen Aerzte von Galen an bis auf das letzte Jahrzehnd, und halte sie gegen die gleichzeitigen physiologi - schen Lehrbücher. Man wird finden, daſs diese nie einen bedeutenden Einfluſs auf die Handlungs -A 5weise10weise jener Aerzte hatten, und daſs da, wo die bloſse Empirie am Krankenbette nicht ausreichte, das Verfahren derselben immer durch Dogmen bestimmt wurde, die man in den damaligen Com - pendien der Physiologie vergeblich sucht. Nur Stahls Physiologie macht hiervon eine Ausnahme, und ist bis auf die neuern Zeiten die einzige, die - sen Namen führende Schrift, die, wenn auch nicht in der Ausführung, doch in dem Plan für eine Grundlage der Heilkunde gelten kann. Aber Stahl war auch der Erste und der Einzige, der den Begriff von Leben als den Punkt ansahe, wo - von alle Untersuchungen der theoretischen Medicin ausgehen müssen(a)Cum ars medica vitam atque sanitatem corporis humani conservare, laesiones illi impendentes, mo - nendo atque consulendo, quin etiam obsistendo, prae - occupare, labefactatam etiam sanitatem et periclitan - tem qualitercunque vitam integritati atque libertati sui restituere, pro vero suo objecto habeat: necesse proinde utique est, ut Medicus recte certus sit uni - versae constitutionis atque indolis harum rerum, quarum ita curam gerere debet, ut secundum hanc notitiam, quid ita constitutis rebus quadret, atque tali rerum indoli conveniat, per rectam rationem comparare atque colligere possit. Necessaria Medico est haec scientia non solum propterea, ut mox a priori intelligere possit, quid hujusmodi indolis con - stitutioni prodesse, aut nocere possit: sed etiam adquem.
Nicht11Nicht weniger auffallend zeigt sich der Mangel höherer Principien in der Heilkunde bey allen Ge - legenheiten, wo es nothwendig war, zu bestim - men, ob eine Erscheinung Resultat des Lebens, oder Wirkung lebloser Agentien sey. Hätte man früher eine Wissenschaft gehabt, deren Zweck die Untersuchung der Formen, Bedingungen, Gesetze und Ursachen des Lebens gewesen wäre, so würde man eingesehen haben, daſs erst im Allgemeinen ausgemacht werden müsse, was Leben sey, ehe man über die Vitalität einzelner Erscheinungen ur - theilen könne. Statt aber diesen Weg zu gehen, disputirte man über die Vitalität einzelner Phäno - mene, ohne mit Leben überhaupt einen bestimm - ten Begriff zu verbinden, und disputirte immer fort,ohne(a)quem statum restituendae sint, quando a sua vera atque debita constitutione defecerunt: cujus ipsius etiam defectus gradum necunde agnoscere aut metiri possit, nisi veram atque debitam constitutionem in se ipsa recte cognitam atque perspectam habeat. An - te omnia itaque scire convenit, quid sit illud, quod vulgata appellatione Vita dicitur? In quo consistat formaliter? circa quid versetur et occupetur, tam materialiter seu subjective, quam fina - liter et objective? cui usui, imo cui ne - cessitati, in corpore serviat? quid cor - pori praestet? an et quando utilis sit corpori, vel absolute necessaria? (G. E. Stahlii Theoria med. vera. p. 253).12ohne am Ende über den streitigen Punkt etwas Ge - wisses ausgemacht zu haben.
Einen Beweis dieser Behauptung, der selbst ei - nem in der Theorie der Heilkunde wenig Bewan - derten auffallen muſs, giebt der bekannte Streit über die Vitalität des Bluts. Der Erste, welcher dieser Flüssigkeit Leben beylegte, war Harvey(b)Exerc. de generat. animal. in Opp. ex ed. Albini.. Derselbe gründete seine Behauptung auf den Undu - lationen, die er in dem Blute des rechten Herzohrs bey scheinbarer Ruhe des letztern wahrgenommen hatte. Blumenbach(c)In commentat. Soc. Reg. sc. Gotting. phys. Vol. IX. pag. 3. widerlegte diesen Grund, indem er fand, daſs jene Bewegung von der innern Fläche des Herzens herrühre, und eben so gut er - folge, wenn das rechte Herzohr mit einer Auflösung von Hausblase, als mit Blute gefüllt wird. Allein er hätte immerhin jene Undulationen für Wirkun - gen einer dem Blute selbst beywohnenden Kraft an - nehmen, und dennoch den Schluſs daraus auf die Vitalität dieser Flüssigkeit so lange für voreilig er - klären können, als es nicht bewiesen ist, daſs nicht auch vom Leben unabhängige Kräfte die nehmliche Erscheinung zu bewirken vermögen. Aber woher dieser Beweis, so lange wir nicht wissen, was Le - ben ist?
Einen13Einen andern Grund für die Vitalität des Bluts nahm Hunter(d)Ueber das Blut. B. 1. von den Blutgefäſsen her, die sich in gerinnendem Blute erzeugen. Ihn trifft der - selbe Einwurf, den wir gegen den Harveyschen Beweis gemacht haben. Zudem, der Dianenbaum und andere metallische Vegetationen besitzen eine Struktur, welche dem Aeussern nach der des vege - tabilischen Organismus ganz ähnlich ist. Und was fehlt jenen zum Leben? Etwa die Mischung der le - benden Körper? Aber diese kennen wir ja nicht, und wenn wir sie kennten, so würde doch noch zu beweisen seyn, daſs gerade diese und keine andere zur Hervorbringung des Lebens tauglich sey. Et - wa das Vermögen durch Intussusception zu wach - sen? Allein daſs der Dianenbaum durch Ansatz von aussen wachse, ist eine unbewiesene Voraussetzung. Kurz, wir sind nicht einmal im Stande darzuthun, daſs der Dianenbaum aus der metallischen Auflö - sung durch andere Kräfte, als die Gefäſse aus dem Blute, gebildet werde, und wir halten uns für be - rechtigt, diesem Vitalität beyzulegen, und jener Auflösung dieselbe abzusprechen!
Aber wenn die bisherigen Gründe für die Vita - lität des Bluts unhaltbar waren, so waren es die für die gegenseitige Behauptung nicht minder. So wen - det Blumenbach gegen den obigen Hunterschen Grund ein, daſs die erwähnten Gefäſse nicht demBlute,14Blute, als Blute, sondern der plastischen Lymphe nach ihrer Absonderung von den übrigen Bestand - theilen des erstern ihr Entstehen verdanken(e)Blumenbach a. a. O.. Allein wenn gerade die nach der Trennung vom übrigen Organismus aufhörende Verbindung dieser Bestandtheile zu einer homogenen Masse Wirkung der Vitalität des Bluts wäre, so würde dieser Ein - wurf seine Kraft verliehren. Und wendete man hiergegen ein, daſs auch die Einwirkung todter Kräfte auf das gelassene Blut jene Verbindung un - terhielte, so lieſse sich das Beyspiel der Muskeln entgegensetzen, die im lebenden Organismus durch den vitalen Reitz der Nerven in Thätigkeit gesetzt werden, obgleich auch Kräfte der leblosen Natur auf sie als Reitze wirken.
Aus dem Angeführten erhellet hinlänglich, daſs nur die Beantwortung der Frage, was Leben ist? uns die Data zur Entscheidung des Streits über die Vitalität des Bluts an die Hand geben kann. Aber nicht bloſs dieser Punkt erwartet von jener Beant - wortung seine Aufklärung; bey jedem Blicke in die theoretische Medicin zeigen sich Dunkelheiten, die nur von ihr Licht erhalten können. Wir gehen da - her an die Ausführung unsers Unternehmens in der festen Erwartung, daſs schon der Entwurf unsers Werks, wenn auch nicht die Vollendung desselben von den nützlichsten Folgen seyn wird. Um unsaber15aber vor Einseitigkeit zu hüten, werden wir, wie schon einmal erinnert ist, in demselben keine Rück - sicht auf die Anwendungen nehmen, die sich von unsern Lehren auf Ackerbau und praktische Heil - kunde machen lassen. Der Gesichtskreis dessen verengert sich, der alles nur in Beziehung auf kör - perliche Bedürfnisse betrachtet. Erhabene und groſse Wahrheiten zu finden, ist nur dem vorbehal - ten, der sich über die beschränkte Sphäre der all - täglichen Welt erhebt, und die Wahrheit nicht in Beziehung auf diese Sphäre, sondern ihrer selbst wegen aufsucht. Uebrigens kann auch Wahrheit nie ohne Einfluſs auf das Wohl der Menschen blei - ben. Gelingt es uns, sie zu entdecken, so werden sich ihre Anwendungen ohne unser Zuthun erge - ben.
Der Gegenstand unserer Untersuchungen ist das physische Leben. Der erste Schritt hierin muſs al - so die Beantwortung der Frage seyn: Was ist Le - ben? Gerade dieser ist aber der schwerste unter al - len. Noch keinem Schriftsteller glückte es, jene Frage befriedigend zu beantworten. Dies soll in - deſs unsern Muth nicht niederschlagen. Vielleicht gelingt es unserer Kleinheit, was gröſsere Männer umsonst versuchten. Finden wir übrigens eine be - friedigende Erklärung des Lebens, so wird uns da - mit auch der Gang bey unsern weitern Untersu - chungen vorgezeichnet seyn.
Unter Leben denken wir uns einen Zustand von Thätigkeit. Wir nennen ein Thier, eine Pflan - ze lebend, so lange wir noch Spuhren von Wachs - thum und Bewegung, also von Thätigkeit, bey ih - nen antreffen. Allein zugleich denken wir uns die - se Thätigkeit als etwas in dem Körper, dem wir Leben zuschreiben, von Innen, nicht von Aussen hervorgebrachtes. Das Meer, das vom Sturme be - wegt wird, ist auch in Thätigkeit. Dennoch aber schreiben wir ihm kein Leben zu: warum? weil ihm jene Bewegung durch äussere Kräfte mitge -theilt17theilt ist. Jede Bewegung nun, welche von äus - sern Kräften herrührt, welche mitgetheilt ist, nen - nen wir eine mechanische, und diejenigen Bewe - gungen, wodurch sich das Leben äussert, unter - scheiden sich von den mechanischen, folglich da - durch, daſs sie nicht durch äussere, sondern durch innere Ursachen hervorgebracht werden.
So leicht nun auf den ersten Anblick die Unter - scheidung der Lebensbewegungen von den mecha - nischen zu seyn scheint, so unzureichend findet sich bey genauerer Untersuchung der angegebene Unterschied. Wäre der lebende Körper ein ganz isolirtes Wesen, das jeden Grund seiner Bewegun - gen nur in sich selbst enthielte, so wäre die Gränze zwischen diesen und den mechanischen Bewegun - gen freylich leicht zu ziehen. Aber alle Aeusse - rungen seiner Thätigkeit sind Produkte einer Wech - selwirkung zwischen ihm und der Aussenwelt, und eben dies sind auch alle mechanische Bewegungen. Die durch einen Stoſs in Bewegung gesetzte Masse reagirt nicht minder gegen den stoſsenden Körper, als die Muskelfaser gegen den Reitz, der Contrak - tionen in ihr veranlaſst. Welches ist nun der un - terscheidende Charakter jener Wechselwirkung, woraus die mechanische Bewegung entspringt, von der, welche die vitale Bewegung hervorbringt? Hier liegt die erste der Schwürigkeiten, womit wir bey der Erklärung des Lebens zu kämpfen haben.
I. Bd. BEine18Eine zweyte, noch gröſsere Schwürigkeit macht die Unterscheidung der vitalen Bewegungen von den chemischen und physischen. Zu diesen gehö - ret z. B. das Aufbrausen, welches aus der Vermi - schung der Alkalien und Säuren entsteht, das Gäh - ren verschiedener Pflanzensäfte, die Bewegung der Magnetnadel nach Norden u. s. w. Hier ist wieder eine Wechselwirkung. Um zwischen ihr und der - jenigen, woraus die vitalen Bewegungen entstehen, eine Gränzlinie ziehen zu können, müſsten wir jene chemischen und physischen Bewegungen von allen Seiten kennen. An einer solchen Kenntniſs dersel - ben fehlt uns aber noch vieles. Wir sind bey wei - tem noch nicht mit allen Modifikationen der durch die Elektricität, den Magnetismus, die chemische Wahlanziehung, und so viele andere physische und chemische Kräfte hervorgebrachten Bewegungen bekannt. Bis diese Lücken in unserm Wissen aber ausgefüllt sind, werden wir auch auf eine solche Erklärung des Lebens, worin gewisse physische oder chemische Bewegungen als empirische Merk - male dieses Zustandes aufgenommen sind, Verzicht thun, bis dahin jede Definition der Art als unbrauch - bar ansehen müssen.
Unbrauchbar ist daher z. B. die Erklärung Stahls, nach welcher Leben derjenige Zu - stand eines, vermöge seiner Mischung, zur baldigsten Verderbniſs geneigtenKör -19Körpers seyn soll, in welchem jene Mi - schung unverändert bleibt(f)Stahlii Theor. med. vera p. 254.. Offenbar heiſst dies eine dunkele Sache durch eine noch dun - kelere erklären. Denn was sind Mischungsverän - derungen? Chemische Processe. Und wodurch un - terscheiden sich diese von denjenigen, welche un - aufhörlich im lebenden Körper vorgehen? Hier verläſst uns die Erfahrung, und bloſs Hypothesen stehen uns zu Gebote. Ferner, wie läſst sich be - weisen, daſs die Mischung des lebenden Körpers dieselbe noch ist, die wir nach dem Tode finden? Bey dieser sehen wir freylich Hang zur Fäulniſs. Aber daſs auch jene sich dazu neige, ist nicht mehr Erfahrung, ist bloſse Meinung. Noch unbrauch - barer ist von Humboldts ältere Erklärung, nach welcher belebte Körper diejenigen sind, die des ununterbrochenen Bestrebens ihre Ge - stalt zu ändern ohngeachtet, durch ei - ne gewisse innere Kraft gehindert wer - den, ihre erste ihnen eigenthümliche Form zu verlassen(g)Vgn Humboldts Aphorismen aus der chem. Physiol. der Pflanzen. §. 1.. Versteht man hier unter Gestalt bloſs die Gröſse, Figur, Lage und Verbindung der Theile, so wird diese Erklärung durch die Metamorphose der Insekten widerlegt,undB 220und begreift man unter jenem Ausdrucke zugleich die Mischung der Theile, so ist die obige Definition einerley mit der Stahlischen, und daher denselben Einwürfen, wie diese, ausgesetzt.
Ausser den beyden angeführten Schwürigkeiten giebt es nun noch ein Drittes, was der Auffindung einer zureichenden Erklärung des Lebens Hinder - nisse in den Weg legt. In allen Sprachen nehmlich wird Leben nicht bloſs von der Körper -, sondern auch von der Geisterwelt gebraucht(h)Sehr richtig sagt schon Vater: Vita est vocabu - lum nimis ambiguum, et tribuitur spiritibus non minus ac corporibus (Vateri physiol. experim. p. 348). Seine gleich darauf folgende Erklärung des Lebens aber, quod sit motus intestinus et automati - cus, quo corpora generata et viventia nutriuntur et augmentantur, enthält, wie man leicht sieht, einen Cirkel im Erklären.. Auch in den Häusern des Orkus, ruft schon Homer aus, lebt die Seele noch, obgleich kein Leichnam dahin kömmt! Hierdurch verführt, verwechseln wir ge - wöhnlich leben und beseelt seyn mit einan - der. Der Ursprung dieser Verwirrung ist leicht zu entdecken. In uns selbst finden wir ein gewisses Etwas, das wir Seele nennen, dessen Wesen im Empfinden, Denken und Wollen besteht, das vom Körper afficirt wird, und wieder zurück auf den Körper wirkt. Wir nehmen ferner wahr, daſs die Wirkungen desselben auf den Körper gewisse Be -we -21wegungen zur Folge haben, die wir, wenn eine freye Wahl dabey statt findet, willkührliche nen - nen. Aehnliche Bewegungen nun treffen wir auch bey den Thieren an. Wir sehen ausserdem bey die - sen ähnliche Organe, wie die sind, die uns jene Empfindungen zuführen, wodurch wir zu unsern willkührlichen Handlungen bestimmt werden. Da - her halten wir uns nach der Analogie für berechtigt, auch den Thieren eine Seele zuzuschreiben, die Worte lebend und beseelt seyn für einerley anzunehmen, und den Körper nur für eine todte Wohnung, die Seele aber für den lebenden Bewoh - ner derselben zu halten, der durch drückende Fes - seln an jenen Kerker gekettet ist, und erst nach Lö - sung dieser Bande sein eigentliches Leben in schö - nern Welten, einem Eden, Elysium, oder Walhal - lah zu führen anfängt.
Ein Blick auf das partielle Leben, das in den meisten thierischen Organen noch eine Zeitlang nach der Trennung derselben vom übrigen Orga - nismus fortdauert, muſs uns aber bald von dem Ungrunde dieser Meinung überführen. Indeſs ist jener Doppelsinn des Worts Leben geblieben, und giebt noch immer zur Verwirrung ganz verschiede - ner Begriffe Anlaſs. So behauptet Jacob(i)Empirische Psychologie. S. 46., daſs nichts Leben heiſsen könne, als wo Vorstellungen die Bewegungen verursachen. “Alle übrige Er -schei -B 322scheinungen”, sagt er, “sind nur ein Analogon, „ nur ein scheinbares Leben. Uns ist kein inneres „ reelles Princip bekannt, als die Vorstellungen, an „ denen unsere Sinne nichts Aeusseres wahrnehmen, „ und an denen sie doch was Wirkliches vorstellen”. Allein wir sehen, daſs der Herzschlag, die wurm - förmige Bewegung der Gedärme, und überhaupt jede thierische Bewegung eine Zeitlang unter Um - ständen fortdauert, wo keine Einwirkung von Vor - stellungen auf dieselben mehr statt finden kann. Sind jene Bewegungen nur ein Analogon des Le - bens, so frägt sich: was ist denn dieses Analogon? und so ist das Bedürfniſs einer Erklärung nur auf - geschoben, nicht weggeräumt.
Inzwischen sollte grade jener Doppelsinn uns nicht zum Leitfaden dienen können, eine richtigere Erklärung des Lebens zu finden? Der schlichte Menschenverstand, der die Bedeutung und den Ge - brauch der Wörter festsetzte, belegte nie zwey ver - schiedene Subjekte mit einerley Prädikat, wenn sich ihm nicht Analogien zwischen beyden, ob - gleich freylich meist nur in dämmernder Ferne, zeigten. Klären wir also jene Dämmerung auf! Vielleicht finden wir auf diesem Wege, was wir suchen.
Der Charakter des geistigen Lebens ist Will - kühr. Ist also das physische Leben ein Analogon des geistigen, so muſs sich in den Erscheinungendessel -23desselben ein Schein von Willkühr finden, und diesen treffen wir wirklich bey ihm an. Denn war - um schreiben wir den abgeschnittenen und zucken - den Muskeln noch Leben zu, als weil wir in ihren Bewegungen noch eine Art von Willkühr erblicken? Willkühr ist aber nur in Beziehung auf zufällige Einwirkungen der Aussenwelt möglich, und der Zweck derselben besteht darin, diese Einwirkun - gen so zu modifiziren, daſs sie dem Zustande des von ihnen aſſicirten Wesens angemessen werden, und also den Schein der Nothwendigkeit erhalten. Bey dem geistigen Leben ist daher das Gesetz von der Gleichheit der Einwirkung und Gegenwirkung aufgehoben. Der Spiegel der Seele wirft die Bilder des Weltalls nicht so zurück, wie er sie empfan - gen hat, sondern verändert sie, und bildet sich aus ihnen eine andere Welt, die ihm angemessener ist, als die der Urbilder. So muſs es auch bey dem physischen Leben seyn. Auch der lebende, aber seelenlose Körper steht unter zufälligen Ein - flüssen, und er giebt dem Zufälligen bey diesen Einwirkungen den Schein der Nothwendigkeit. Das physische Leben ist daher ein Zustand, den zufällige Einwirkungen der Aussenwelt hervorbringen und unterhalten, in wel - chem aber, dieser Zufälligkeit ohnge - achtet, dennoch eine Gleichförmigkeit der Erscheinungen herrscht.
B 4Aber24Aber woher die Gründe für diese Erklärung? Ist sie richtig, so hat uns blos eine dunkele Ahn - dung der Wahrheit auf sie geführt, und ehe wir Gebrauch von ihr machen dürfen, liegt es uns ob, ihre Wahrheit aus höhern Gründen zu beweisen.
Soviel ist ohne weitläuftige Erläuterung ein - leuchtend, daſs die Einwirkungen der Aussenwelt auf den lebenden Körper zufällig sind. Denn alle lebende Körper sind mittel - oder unmittelbar den Einflüssen geistiger Naturen, deren Charakter Freyheit ist, ausgesetzt. Wo aber Freyheit herrscht, ist Nothwendigkeit beschränkt, oder ganz aufge - hoben. Einleuchtend ist es auch, daſs, dieser Zu - fälligkeit der äussern Einwirkungen ohngeachtet, die Erscheinungen, wodurch sich das Leben äus - sert, doch einen gleichförmigen Gang behaupten. Der Mensch und mit ihm jeder andere lebende Körper wächst, pflanzt sein Geschlecht fort, und verrichtet mit einem Worte alle vitale Funktionen bey den verschiedensten Graden des Lichts und der Wärme, bey den verschiedensten Nahrungs - mitteln u. s. w. Es ist freylich wahr, daſs diese Gleichförmigkeit allerdings gestört wird, wenn jene Zufälligkeit gewisse Gränzen überschreitet. Aber dies schränkt unsern Satz nur ein, ohne ihn aufzuheben.
Es ist uns also nur übrig, zu beweisen, daſs in der leblosen Natur keine Gleichförmigkeit derErschei -25Erscheinungen bey zufälligen äussern Einwirkun - gen statt finden kann, und daſs daher der von uns angegebene Charakter des Lebens zur Unterschei - dung desselben völlig zureichend ist. Zu diesem Be - weise giebt es nur Einen Weg. Wir müssen von dem Begriffe der Materie alles Unwesentliche absondern, ihn so entkleidet zergliedern, bis wir die letzte zur Möglichkeit der Materie überhaupt erforderliche Grundkraft finden, und nun versuchen, ob sich blos aus dieser Grundkraft eine Welt bilden läſst, deren Erscheinungen bey veränderlichen äussern Einwirkungen dennoch einen gleichförmigen Typus beobachten.
Nehmen wir nun von dem Begriffe der Mate - rie alles Unwesentliche hinweg, so erscheint sie uns, als das Bewegliche, in so fern es einen Raum erfüllt.
Diese Eigenschaft kann der Materie nur ver - möge einer eigenen bewegenden Kraft zukommen. Denn Erfüllung eines Raums und Undurchdring - lichkeit sind identische Begriffe. Das Eindringen einer fremden Materie in einen gewissen Raum besteht in einer Bewegung derselben, und das Auf - halten jenes Eindringens in einer Verminderung oder Aufhebung dieser Bewegung. Eine Bewegung aber kann nur durch eine andere, jener entgegen - gesetzte Bewegung derselben Materie vermindert oder aufgehoben werden. Nun ist die UrsacheB 5einer26einer Bewegung eine bewegende Kraft. Folglich erfüllt die Materie ihren Raum durch eine bewegen - de (repulsive) Kraft.
Alle Theile der Materie müssen diese repul - sive Kraft besitzen, weil sonst der Raum der er - stern nicht ganz erfüllt seyn würde. Alle Theile der Materie müssen also einander fliehen, und unaufhörlich bemüht seyn, den Raum, den sie erfüllen, bis ins Unendliche zu erweitern. Folg - lich würde die Materie durch ihre repulsiven Kräf - te allein sich ins Unendliche zerstreuen, und in keinem anzugebenden Raume würde eine anzuge - bende Quantität Materie anzutreffen seyn. Mithin ist ein zweytes Erforderniſs zur Möglichkeit der Materie eine der repulsiven Kraft entgegenwirkende zusammendrückende, oder attraktive Kraft.
Diese von Kant(k)Metaphysische Anfangsgründe der Naturlehre. S. 31 u. 52. zuerst aufgestellten Schlüs - se sind Anwendungen der reinen Verstandesbegriffe auf den Erfahrungsbegriff von der Undurchdringlich - keit der Materie. Nun aber kennen wir keine Mate - rie anders, als in Verbindung mit andern Materien. Wir dürfen daher bey jenen Schlüssen die Materie nicht als isolirt, sondern nur als einen Theil der gan - zen Sinnenwelt betrachten. Hierdurch aber wird die Annahme zweyer verschiedener Grundkräfte, derRegel27Regel zufolge, nicht mehr Ursachen natürlicher Er - eignisse anzunehmen, als zur Erklärung der letztern hinreichend sind, überflüssig gemacht. Widersteht nemlich jede Materie dem Eindringen der übrigen in ihren Raum vermöge ihrer repulsiven Kraft, so werden dieser durch die repulsiven Kräfte jener übrigen Materien eben so gut Schranken gesetzt, als sie durch eine eigene attraktive Kraft begränzt werden würde, und umgekehrt wirkt die repulsive Kraft jeder einzelnen Materie wieder als beschrän - kend auf die repulsiven Kräfte aller übrigen. Un - richtig ist es also, wenn Kant(l)A. a. O. S. 54. behauptet: “Die „ attraktiven Kräfte könnten nicht ursprünglich „ wieder in der Entgegenstrebung einer andern Ma - „ terie gesucht werden; denn diese bedürfte, damit „ sie Materie sey, selbst einer zusammendrückenden „ Kraft”(m)Die nehmliche Erinnerung gegen Kant hat auch schon Schelver (Elementarlehre der organischen Na - tur. Th. 1. S. 21 ff. ) gemacht, ohne indeſs die Fol - gerungen daraus zu ziehen, welche sich aus dersel - ben herleiten lassen..
Wenn die einzelnen Theile der Materie sich bis ins Unendliche zu nähern streben, so können diesem Bestreben eben so wohl durch eine Anzie - hung von Aussen, als durch eine Zurückstoſsung von Innen Gränzen gesetzt werden. Besäſsen alsoalle28alle Materien blos attraktive Kräfte, so würde die anziehende Kraft jeder einzelnen auf die anziehen - den Kräfte aller übrigen, und umgekehrt wurden die anziehenden Kräfte aller übrigen auf die gleich - namige Kraft jeder einzelnen als repulsive Kraft wirken. Da es nun gleichgültig ist, welche von zweyen entgegengesetzten Gröſsen für die positive angenommen wird, so ist es einerley, ob wir uns die zur Möglichkeit der Materie erforderliche Grund - kraft als attraktive, oder als repulsive Kraft denken.
Aus dieser Annahme einer einzigen Grundkraft ergeben sich zwey für den Verfolg unserer Unter - suchungen wichtige Folgerungen, die sich bey der Voraussetzung zweyer Grundkräfte nicht erweisen lassen.
Erstens ergiebt sich daraus die Unendlich - keit des Universums. Ist nehmlich jede Ma - terie nur dadurch Materie, daſs andere Materien auf sie einwirken, so kann das Weltall nirgends Gränzen haben, weil sich sonst alle Materien ins Unendliche zerstreuen würden.
Eine zweyte Folgerung aus jener Vorausse - tzung ist: daſs keine partielle Bewegung im Universum vorhanden seyn kann, ohne daſs das Ganze daran Theil nimmt. Denn Bewegung ist Stöhrung des Gleichgewichts entgegengesetzter Kräfte. Diese Stöhrung aber ist nur dadurch möglich, daſs die eine der letzternwächst,29wächst, indem die andere abnimmt. Folglich kann keine Bewegung der Materie vorgehen, ohne daſs die zu ihrer Existenz erforderliche Grundkraft zu - oder abnimmt, indem diejenigen Kräfte, wovon diese begränzt wird, eine entgegengesetzte Verän - derung erleiden. Nun wird die Grundkraft jeder einzelnen Materie durch die Grundkräfte aller übri - gen begränzt. Also kann keine Bewegung in jener statt finden, ohne daſs auch diese daran Theil nehmen.
Ehe wir von diesen beyden Folgerungen wei - tern Gebrauch machen, ist es nothwendig, zur Rechtfertigung der erstern etwas beyzufügen. Die Anwendung der Bedingungen der Erfahrung auf den empirischen Begriff von der Undurchdringlich - keit der Materie scheint uns hier auf einen Satz zu führen, wohin wir mit Hülfe der erstern allein nicht gelangen können. Inzwischen die Richtig - keit dieser Folgerung ist nur scheinbar. Wir ge - ben euch zu, kann man uns entgegensetzen, daſs das Interesse der Naturforschung es erfordert, zur Möglichkeit der Materie nur eine einzige Grund - kraft anzunehmen. Aber ist es darum auch erlaubt, mit dieser Grundkraft über die Gränzen der Sinnen - welt hinauszugehen? Kann nicht jenseits des Ster - nenhimmels, wohin die Erfahrung nicht mehr reicht, eine Kraft vorhanden seyn, die dem Inbe - griffe aller repulsiven Kräfte Schranken setzt?
Dieser30Dieser Einwurf setzt uns in eine ähnliche Lage, wie die ist, worin sich der Philosoph in Betreff des Daseyns Gottes, der Unsterblichkeit, und der menschlichen Freyheit befindet. Jener sieht sich von allen Mitteln zum Beweise der letz - tern gänzlich verlassen. Aber es giebt auch keinen Weg, worauf ihm das Gegentheil bewiesen wer - den könnte. Er folgt daher blos dem Interesse der Sittenlehre, und nimmt diese Meynungen an, weil die Moral ihrer nicht entbehren kann. So auch hier. Es läſst sich nicht darthun, daſs nicht die Kette der repulsiven Kräfte, welche die sicht - bare Welt bildet, durch eine gegenwirkende Kraft irgendwo beschränkt ist. Aber es läſst sich auch eben so wenig beweisen, daſs diese Kette sich nicht ins Unendliche erstreckt. Es giebt hier also keinen andern Ausweg, als der Voraussetzung zu folgen, die dem Interesse der Naturwissenschaft am angemessensten ist, und dieses geht offenbar auf die einfachere Voraussetzung von einer einzi - gen Grundkraft und von der Unbeschränktheit des Weltalls. Wir müssen auch hier, wie bey den oben erwähnten Gegenständen, ohne Beweis glau - ben, oder auf alle Naturphilosophie Verzicht thun.
So weit unser Blick reicht, finden wir ewig rege Thätigkeit im Universum. Wenden wir auf diesen Erfahrungssatz die letztere der beyden obi - gen Folgerungen an, so ergiebt sich, daſs auchjenseits31jenseits der Gränzen unsers Gesichtskreises bis in die Unendlichkeit hin unaufhörliche Bewegung statt finden muſs. Bewegung aber kann nur da statt finden, wo entgegengesetzte Kräfte mit einander im Streite sind. Soll dieser Streit fortdauern, so muſs etwas vorhanden seyn, was den Uebergang desselben zum Gleichgewichte verhindert. Was ist nun jenes Etwas, das dem Streite entgegenge - setzter Kräfte, wovon die unaufhörliche Thätig - keit im Universum abhängt, Fortdauer giebt? Wir haben hier eine Frage aufgeworfen, ohne deren Beantwortung jeder Schritt in der Naturwissen - schaft wankend und ungewiſs ist.
Schon in der Kindheit des Menschengeschlechts forschte man nach der Lösung dieses Problems, obgleich keiner sich dasselbe bestimmt dachte. Aber auch hier gieng der menschliche Geist densel - ben Weg, wie bey allen Nachforschungen nach den Ursachen natürlicher Ereignisse. Gottheiten, Heroen und Dämonen waren für ihn die Triebfe - dern der ewig regen Thätigkeit im Universum. Der reifere Verstand schränkte die Zahl dieser hy - perphysischen Wesen ein. Doch nie gelang es ihm, sich ganz von ihnen los zu machen. Immer blieb es der unmittelbare Einfluſs der Gottheit, oder eine Weltseele, worauf er endlich zurückkam.
Allein den letzten Grund der fortdauernden Thätigkeit des Weltalls in dem unmittelbaren Ein -flusse32flusse der Gottheit zu suchen, ist dem Naturfor - scher nur dann erlaubt, wenn ihm alle übrige Auswege abgeschnitten sind. Ob dies hier der Fall ist, werden folgende Betrachtungen zeigen.
Kraft können wir uns nur als etwas Endliches denken. Endlich aber ist ihrer Natur nach keine Kraft, als insofern sie durch eine entgegengesetzte beschränkt wird. Wo wir daher Kraft denken, da müssen wir auch eine ihr entgegengesetzte Kraft annehmen. Zwischen entgegengesetzten Kräften aber kann nur ein doppeltes Verhältniſs statt finden: entweder sie sind im relativen Gleichgewichte, wo sie als ruhend gedacht werden; oder man denkt sie im fortdauernden, nie entschiedenen Streite, da die eine wechselseitig siegt und unterliegt. Im letztern Falle aber muſs wieder ein Drittes da seyn, das diesem Streite Fortdauer giebt. Dieses Dritte nun kann nicht selbst wieder Kraft seyn, denn sonst kämen wir auf die vorige Alternative zurück. Es muſs also etwas seyn, das höher ist, als selbst Kraft. Allein Kraft ist das letzte, worauf alle unsere physische Erklärungen zurückkommen: also müſste jenes Dritte etwas seyn, was ganz ausserhalb den Gränzen der Naturforschung liegt. Nun wis - sen wir aber nichts Höheres, für welches Kräfte überhaupt da seyn könnten, als den Geist: denn nur ein Geist vermag Kräfte, und Gleichgewicht, oder Streit von Kräften sich vorzustellen. Mithinkann33kann nur ein Geist dem Streite wechselseitig sie - gender und unterliegender Kräfte Fortdauer geben.
Dies sind die Gründe, woraus der Neueste un - ter den Vertheidigern einer Weltseele auf die Iden - tität von lebend und beseelt schlieſst, und ähnliche sind es auch, womit er die Nothwendig - keit der Annahme einer Weltseele zur Erklärung der fortdauernden Thätigkeit im Universum zu be - weisen sucht(n)Schellings Ideen zu einer Philosophie der Natur, S. LVIII. — Ebenderselbe von der Weltseele.. Keiner vor ihm setzte jene Gründe mit so vieler Klarheit und Bestimmtheit aus einander. Aber auch hier bestätigt es sich, daſs das Irrige einer Meynung desto eher in die Augen fällt, je deutlicher die Schlüsse, worauf sich dieselbe stützt, dargestellt sind. Die Voraus - setzung der Unendlichkeit des Weltalls überhebt uns der hyperphysischen Hypothese von einer Welt - seele. Denn was hindert uns jetzt, für jenes zur Unterhaltung des Streits zweyer entgegengesetzten Kräfte erforderliche Dritte wieder eine Kraft anzu - nehmen? Wir kommen freylich hierbey auf die vori - ge Alternative zurück. Aber da keine Kraft die letz - te seyn darf, so darf uns diese Alternative nicht irre machen. Eine Kraft ist es, die dem Streite jedes Paars entgegengesetzter Kräfte Fortdauer giebt; jene Dritte wird wieder durch eine vierte ihrI. Bd. Centge -34entgegengesetzte in Thätigkeit erhalten; und so er - streckt sich diese Reise von Ursachen und Wirkungen in die Unendlichkeit. Aber von jenem ersten Paar entgegengesetzter Kräfte ist auch jede wieder das für zwey andere entgegengesetzte Kräfte, was die Dritte der obigen für sie ist; und so geht diese Ket - te nicht blos von Einer, sondern auch von allen Seiten in die Unendlichkeit über.
Jede einzelne Kraft in dieser unermeſslichen Schaar, die der Verstand nicht mehr zu fassen ver - mag, ist also durch alle übrige, und alle übrige sind durch jede einzelne. Jede ist Ursache und zugleich Wirkung, Mittel und zugleich Zweck, jede ein Organ, und das Ganze ein gränzenloser Organismus.
Aber nicht nur das Ganze, sondern auch jede endliche Zahl von Kräften bildet einen Organismus. Denn keine Kraft erleidet Veränderungen, ohne daſs nicht auch jede andere daran Theil nimmt. Je mehr sich unser Blick in die Natur erweitert, desto mehr Beweise dieses Satzes liefert uns auch die Erfahrung. Unsere Erde, und das System, wozu diese gehört, zeugen laut für ihn, und jedes Atom würde für ihn zeugen, wenn unser Auge nicht zu blöde wäre, um das zu Kleine, wie das zu Groſse fassen zu können.
Wäre hier der Ort, diese Zeugnisse, die uns die Erfahrung für unsern Satz liefert, zu verfol -gen,53[35]gen, so würden wir zeigen, daſs das Wasser und die Athmosphäre unserer Erde die Mittel sind, von deren unaufhörlichen Zersetzungen und Zusammen - setzungen alle Thätigkeit auf diesem Planeten ab - hängt; daſs das Wasser den Stickstoff der Athmo - sphäre erhält, so wie die gehörige Menge Sauer - stoff in derselben durch das Ausathmen der Pflan - zen unterhalten wird; und daſs umgekehrt die Athmosphäre wieder die Erhalterin der gehörigen Quantität und Mischung des Wassers ist. Wir würden zeigen, daſs das Mineralreich die Gewässer in Stickgas umwandelt, indem es diesen einen Theil ihres Sauerstoffs entzieht, und daſs die Ath - mosphäre wieder in Wasser übergeht, indem der Stickstoff derselben mit ihrem Sauerstoff durch den elektrischen Funken verbunden wird. Wir würden die Ursache dieser elektrischen Materie in dem Einflusse der Sonne und des Mondes auf unsern Luftkreis finden, und beweisen, daſs die Einwir - kungen jener beyden Himmelskörper auf die Erde Galvanische Processe sind. Wir würden darthun, daſs die Erde auch wieder Rückwirkungen auf die Athmosphäre des Mondes äussert. Das Daseyn der letztern würden uns aber sowohl Schröters Beo - bachtungen, als die Gegenwart des Feuers auf die - sem Begleiter unserer Erde, welche ohne Sauer - stoffgas nicht statt finden könnte, wahrscheinlich machen, und der Mangel an Flüssen und Meeren auf seiner Oberfläche würde uns vermuthen lassen,C 2daſs36daſs jene Athmosphäre desselben entweder weniger Sauerstoff, oder weniger Stickstoff als die unsrige enthalten. Wir würden bemerken, daſs ausser der Erde und dem Monde auch alle übrige Körper un - sers Sonnensystems nicht nur in ihrem Laufe und in ihren Bahnen sich wechselseitig stöhren und er - halten, sondern auch auf die Organisation ihres Innern gegenseitig einwirken, und daſs hierin die Ursache des beträchtlichen Unterschieds zwischen den Höhen der nördlichen und südlichen Gebirge des Merkurs, der Venus und des Mondes zu su - chen ist. Wir würden endlich einsehen, daſs un - sere Sonne nebst ihren Planeten nur ein Planet mit seinen Trabanten für ein gröſseres Sonnensystem ist, ja, daſs das ganze Weltall nur ein einziges gränzenloses System ausmacht. So würde die ganze sichtbare Welt bis in die Unendlichkeit hin den Satz beweisen, daſs alles organisirt ist, alles von allem in Thätigkeit erhalten wird, und wir würden einige Materialien zu einem schon von Lambert(o)In einer Stelle seines gelehrten Briefwechsels. unter die desiderata gerechneten Wer - ke geliefert haben, das auf den Titel Geist der Naturgesetze Anspruch machen dürfte, an des - sen Vollendung aber nur Männer von dem Range der Baco, Newton, Leibnitz und Kant sich wagen dürften.
Wir37Wir kehren von dieser Ausschweifung zu un - serm Gegenstande zurück. Jeder einzelne Orga - nismus ist abhängig von dem Universum. Wird die Einwirkung des letztern auf ihn verändert, so muſs sich eine gänzliche Umwandelung mit ihm ereignen, und ein neuer, dem vorigen nicht mehr ähnlicher Organismus muſs aus seinen Trümmern hervorgehen — Da possim figere pedem, terram monebo! Gesetzt, einem Archimed würde dieses Verlangen gewährt, und die Erde aus ihren Angeln gerissen, was würde erfolgen? Ihre jetzige Organi - sation würde eine totale Revolution erleiden; keine Spur derselben würde übrig bleiben; dennoch aber würde sie zu einem neuen,[obgleich] dem vorigen ganz unähnlichen Ganzen organisirt werden. Soll also jedes einzelne, einen Theil des all - gemeinen Organismus ausmachende or - ganische System unverändert bleiben, so darf die Einwirkung von aussen nicht verändert werden, und der Willkühr freyer Wesen kein Einfluſs auf dasselbe gestattet seyn.
Mit diesem Satze ist nun die Absicht unserer bisherigen Untersuchungen erfüllt, und unsere obige Erklärung des Lebens gerechtfertigt. Wir giengen auf die Beantwortung der Frage aus: ob sich aus der Grundkraft, worauf uns der Begriff von der Undurchdringlichkeit der Materie führt,C 3eine38eine Welt bilden lasse, in welcher bey zufälligen und daher veränderlichen äussern Einwirkungen doch eine Gleichförmigkeit der Erscheinungen statt fände? Durch den eben gefundenen Satz wird die - se Frage verneinend beantwortet, und hiermit ist es also aus höhern Gründen bewiesen, was der schlichte Menschenverstand schon längst aus Analo - gien ahndete, und was uns schon oben die nähere Beleuchtung dieser Analogien lehrte, nemlich, daſs Gleichförmigkeit der Erscheinungen bey ungleichförmigen Einwirkungen der Aussenwelt den unterscheidenden Charakter des Lebens ausmacht. Das Ziel, das wir erreicht haben, ist der letzte Zweck alles Philosophirens über die ersten Gründe der menschlichen Erkennt - niſs. Der Mensch kannte diese, ehe noch Philo - sophen waren. Aber er kannte sie nur in dunkeln Begriffen. Das Geschäft des Philosophen ist, diese Begriffe aufzuklären. Stellt er euch am Ende sei - ner Arbeit ein Bild auf, das dem, was ihr ahndetet, ganz unähnlich ist, so seyd versichert, daſs er euch, oder sich selber getäuscht hat.
Ehe wir von der gefundenen Erklärung weitere Anwendungen machen, wird es nicht überflüssig seyn, vorher noch auf die Erklärungen, die man bisher vom Leben gab, einen Rückblick zu thun.
Wir haben schon oben der Stahlschen und Humboldtschen Erklärungen gedacht, und Bewei -se39se von der Unbrauchbarkeit derselben geliefert. Von dem Standpunkte aus, den wir jetzt erreicht haben, ist die Unrichtigkeit derselben augenschein - lich. Beyde Männer ahndeten, daſs in der Art der äussern Einwirkungen und der Reaktionen ge - gen diese der unterscheidende Charakter des Lebens liegen müsse. Aber beyde vermogten ihre Begriffe darüber nicht zu entwickeln, und nahmen daher zu unerwiesenen Voraussetzungen ihre Zuflucht.
Nach Kant(p)Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissen - schaft. S. 120. heiſst Leben das Vermögen einer Substanz, sich aus einem innern Princip zum Handeln, einer endlichen Substanz sich zur Veränderung, und einer materiellen Substanz sich zur Bewegung oder Ruhe, als Veränderun - gen ihres Zustandes, zu bestimmen. “Nun kennen wir”, sagt er, “kein anderes Princip „ einer Substanz, ihren Zustand zu verändern, als „ das Begehren, und überhaupt keine andere in - „ nere Thätigkeit, als Denken, mit dem, was da - „ von abhängt, Gefühl der Lust oder Unlust, und „ Begierde oder Willen. Diese Bestimmungsgrün - „ de aber und Handlungen gehören gar nicht zu den „ Vorstellungen äusserer Sinne, und also auch nichtzuC 440„ zu den Bestimmungsgründen der Materie, als „ Materie. Also ist alle Materie als solche leblos”. Man sieht, daſs diese Erklärung einerley mit der oben erwähnten Jakobschen, und also denselben Einwürfen ausgesetzt ist, die wir gegen die letz - tere gemacht haben. Blos von uns selber können wir mit völliger Gewiſsheit behaupten, daſs wir uns aus einem innern Princip zum Handeln bestim - men, nicht aber von irgend einem andern, ausser uns befindlichen Wesen. Nun ist jedes Thier und jede Pflanze den Einwirkungen unserer Willkühr, also zufälligen und veränderlichen Einflüssen aus - gesetzt, und doch lehrt die Erfahrung, daſs, trotz der Veränderlichkeit dieser Einwirkungen, jene Körper in der ihnen eigenen Thätigkeit unverändert beharren. Der Stempel der Eigenthümlichkeit ist also jenen Körpern zu tief eingedrückt, als daſs sie sich der leblosen Natur beygesellen lieſsen. Wir müſsten sie folglich mit einem neuen Namen bele - gen, und als Mittelglieder zwischen uns, dem ein - zigen Wesen im Universum, das wir lebend nen - nen dürften, und der leblosen Natur ansehen. Und was wäre hiermit gewonnen? Die Naturlehre wür - de sicher nicht dabey gewinnen, und der schlichte Menschenverstand sich dagegen empören.
Nicht weniger unrichtig erklärt Schmid(q)Physiologie B. 2. S. 274 u. 371. das Leben, als die Wirksamkeit der Materienach41nach Gesetzen der Organisation. Organi - sation aber ist ihm mit Kant die Einrichtung eines Körpers, wo jeder Theil sich zu - gleich als Mittel und als Zweck zu allen übrigen verhält. Nach den oben erwiesenen Sätzen bedarf es kaum mehr der Erinnerung, daſs diese Erklärung viel zu weit, und nicht nur auf das ganze Universum, sondern auch auf jedes ein - zelne System desselben, z. B. auf unser Sonnensy - stem, anwendbar ist. Unrichtig ist es daher auch, wenn Schmid mit mehrern andern Schriftstellern die leblose Natur unter dem Namen der unorga - nischen der lebenden entgegenstellt. Unorga - nisch ist nichts in der ganzen Natur. Nur unsern eingeschränkten Blicken verdankt dieser Name sein Entstehen.
Die nehmliche Erinnerung trifft die Erhard - sche Erklärung(r)Röschlaub’s Magazin der Heilkunde. B. 1. St. 1. S. 69., nach welcher der Charakter des Lebens in dem Vermögen der Bewe - gungen zum Dienste des Bewegten liegt. Die Bewegung der Sonne um ihre Axe ist zum Dienste des Bewegten; die Bewegung der Planeten um sich selber und um die Sonne ist zum Dienste des Bewegten, und so gilt mit Einem Worte diese Definition, gleich der vorigen, so gut von dem Sonnensystem, als von den Thieren und Pflanzen.
AufC 542Auf eben so unrichtigen Voraussetzungen, als die schon oben getadelte Erklärung von Humboldt’s ist auch die gebauet, die er in der Folge an die Stelle jener ältern gesetzt hat. Dieser zufolge ist derjenige Stoff belebt, dessen willkührlich getrennte Theile, nach der Trennung unter den vorigen äussern Verhältnissen ihren Mischungszustand ändern. “Ein „ Metall, oder ein Stein”, sagt von H. “kann ge - „ trennt werden, und bleiben die äussern Bedingun - „ gen dieselben, so werden die zertrennten Stücke „ auch die Mischung behalten, welche sie vor der „ Trennung hatten. Nicht so jedes Atom der be - „ lebten Materie, es sey starr - oder tropfbar flüs - „ sig”(s)Von Humboldt’s Versuche über die gereizte Mus - kel - und Nervenfaser. B. 2. S. 433.. Schon ein flüchtiger Blick auf diese Er - klärung entdeckt einen Widerspruch in derselben. Wird ein Theil vom Ganzen getrennt, so können die äussern Verhältnisse desselben nicht mehr die nehmlichen, wie vor der Trennung bleiben, und jede Materie, die leblose sowohl, als die lebende, muſs dann eine Aenderung ihrer Mischung erleiden. Auch der Stein kann hiervon keine Ausnahme ma - chen, und nur die Eingeschränktheit unserer Sinne ist Schuld daran, wenn wir diese Mischungsverän - derung bey ihm nicht wahrnehmen.
Endlich43Endlich giebt auch Schelver(t)Elementarlehre der organischen Natur. Th. 1. S. 32. einen unrich - tigen Charakter des Lebens an, wenn er sagt: “Die ganze Natur ist organisch, aber nur ein Theil „ derselben ist es als Phänomen, d. h. erscheint uns „ als ein vollendetes organisches Ganzes. Diese „ Theile der organischen Natur, die uns als vollen - „ dete Organisationen erscheinen, nennen wir die „ lebenden Körper”. Nach dieser Erklärung wäre also Leben ein blos relativer Begriff, und die Gränze, die wir zwischen der lebenden und leblo - sen Natur ziehen, verdankte ihren Ursprung nur unserm engen Gesichtskreise. Die oben erwiese - nen Sätze aber widerlegen diese Behauptung. Jeder lebende Körper ist zwar ein organisches Ganze; aber nicht jedes organische Ganze ist auch lebend.
Dies mag zum Beweise der Unzulänglichkeit aller bisherigen Erklärungen des Lebens genug seyn. Wir gehen jetzt zur Anwendung des von uns aufgestellten Charakters dieses Zustandes über. Der Weg, den wir hierbey einschlagen werden, ist folgender. Wir werden zuerst aus denjenigen Sätzen, worauf uns die Zergliederung des Begriffs der Materie führt, und aus dem Charakter des Lebens die Möglichkeit der letztern darthun; wir werden hieraus die verschiedenen Erscheinungen und Modifikationen des Lebens ohne empirische Voraussetzungen herzuleiten und zu erklären su -chen,44chen, und in diesem Versuche fortfahren, bis wir zu einem Punkte gelangen, wo wir die Erfahrung werden zu Hülfe nehmen müssen. Ehe wir uns aber dieser Hülfe bedienen, werden wir vorher die Probleme, die uns die Erfahrung auflösen muſs, und die möglichen Antworten, die uns die - se geben kann, festsetzen. Zu diesen Untersu - chungen bedürfen wir indeſs noch einiger, die Or - ganisation des Universums betreffender Sätze, die wir hier erst entwickeln werden, bevor wir zu jenen übergehen.
Der erste dieser Sätze ist: daſs alle ur - sprüngliche, im Weltalle stattfindende Thätigkeit in Veränderungen der Dich - tigkeitsgrade der Materien und in Be - wegungen der letztern besteht. Der Be - weis liegt in der Natur der repulsiven Kraft, die keine andere Veränderungen der letztern, als Er - weiterung oder Beschränkung ihrer Wirkungssphä - re, und Veränderung ihres Mittelpunkts im relati - ven Raume zuläſst. Erweiterung jener Sphäre aber giebt das Phänomen der verminderten, Be - schränkung derselben das der vermehrten Dichtig - keit der Materie, und Veränderung ihres Mittel - punkts im relativen Raume erscheint uns als Bewe - gung. Folglich läſst sich, wie gesagt, alle ur - sprüngliche Thätigkeit im Universum auf diese Veränderungen zurückführen.
Vermin -45Verminderte Dichtigkeit einer Materie nennen wir Expansion, und vermehrte Dichtigkeit der - selben Contraktion. Beyde begreifen wir un - ter dem Namen chemischer Veränderungen. Die Veränderungen der Mittelpunkte repulsiver Kräfte im relativen Raume aber heissen mecha - nische Veränderungen. Also sind alle ur - sprüngliche Veränderungen im Weltalle theils chemische, theils mechanische, und jene bestehen entweder in Expan - sionen, oder in Contraktionen.
Mit diesen chemischen und mechanischen Ver - änderungen sind aber noch andere verbunden, von denen unten die Rede seyn wird. Wir werden jene durch den Namen der primitiven, oder Urveränderungen von diesen secundären unterscheiden.
Bey allen mechanischen Veränderungen einer Kraft L wird der Raum, den sie mit einer andern Kraft M einnimmt, erweitert oder verengert, das heiſst, es finden bey denselben zugleich chemische Veränderungen, und zwar entweder Expansionen oder Contraktionen statt. Die Kraft L aber kann sich weder von M entfernen, noch sich dieser nä - hern, ohne daſs sich schon vorher eine andere Kraft K, womit sie auf der entgegengesetzten Seite in Wechselwirkung steht, im erstern Falle von ihr entfernt, und im letztern ihr genähert hat. Ebenso46so kann auch M sich von der Kraft L nicht entfer - nen, oder sich derselben nicht nähern, ohne eine andere Kraft N, womit sie auf der entgegengesetz - ten Seite in Wechselwirkung steht, zu verrücken und den Wirkungskreis derselben zu verändern. So muſs nun überhaupt diese Reihe von Ursachen und Wirkungen von beyden Seiten ins Unendliche fortgehen, und hieraus folgt also:
In dieser unendlichen Reihe muſs aber doch eine Kraft seyn, die ihren Wirkungskreis zu - erst verengert oder erweitert. Diese Verenge - rung und Erweiterung nun läſst sich nur daraus erklären, daſs im erstern Falle irgend eine Kraft aus einer andern Reihe von repulsiven Kräften her - austritt, und in jene erstere eindringt, im letztern Falle aber umgekehrt eine Kraft aus der erstern Reihe heraustritt und in die letztere eindringt. In beyden Fällen muſs in der einen Reihe eine Expan - sion erfolgen, indem die andere contrahirt wird. Bey jeder Contraktion einer Reihe vonrepul -47repulsiven Kräften wird also eine an - dere expandirt, und bey jeder Contrak - tion der letztern entsteht eine Expan - sion der erstern, oder mit andern Wor - ten, alle Urveränderungen des Weltalls beruhen auf der Sympathie und dem Antagonismus verschiedener Systeme von repulsiven Kräften.
Ausser diesen primitiven Veränderungen giebt es aber, wie schon vorhin bemerkt ist, noch se - cundäre. Erstens nehmlich bildet jedes Paar mit einander in Conflikt stehender repulsiver Kräfte eine zusammenge - setzte Flächenkraft, deren Richtung und Stärke verschieden ist, nach der verschiedenen Intensität der einen Kraft gegen die andere, und nach der verschiedenen Lage ihrer Mittelpunkte gegen den relativen Raum. Denn da jede dieser beyden Kräfte, gleich dem Lichte, nach allen Richtungen hin Wirkungsstrahlen aussendet, so werden nur zwey dieser Strahlen in eine gerade Linie fallen und einander aufheben. Alle übrige werden sich scheiden, und also zusammengesetzte Kräfte bilden, deren Richtung und Stärke von dem Winkel, den die beyden Wirkungsstrahlen einschliessen, und von dem Verhältnisse des Stär - ke - Grades der einen Kraft gegen den der andernabhängt.48abhängt. Jener Winkel aber hängt von der Lage der beyden Punkte, woraus die Wirkungsstrahlen entspringen, im relativen Raume ab. Folglich be - stimmt diese Lage und das erwähnte Verhältniſs die Richtung und Stärke der zusammengesetzten Kräfte. Da nun dieses Verhältniſs für jedes Paar einander entgegengesetzter Wirkungsstrahlen das nehmliche ist, so werden die Richtungen aller jener zusammengesetzten Kräfte in einerley Fläche fallen, und diese werden also vereinigt eine einzige Flächenkraft ausmachen.
Man setze jetzt mit den beyden vorigen Kräften noch eine Dritte in Conflikt, so werden die Wir - kungsstrahlen der letztern mit denen der beyden erstern ebenfalls Flächenkräfte bilden; diese werden sich mit der, welche aus dem Conflikte der beyden erstern entstand, zu einer neuen Flächenkraft von einer dritten noch höhern Ordnung vereinigen, und diese dritte Kraft wird verschieden seyn nach der verschiedenen Stärke jener Kräfte und nach der verschiedenen Lage ihrer Mittelpunkte gegen einander. Man vermehre die Zahl der repulsiven Kräfte ins Unendliche, und man wird eine unend - liche Menge unendlich zusammengesetzter Flächen - kräfte erhalten. Hieraus folgt also zweytens: daſs in der Natur, ausser den primitiven, nach allen Richtungen hin wirkenden Kräften, auch noch secundäre Flächen -kräf -49kräfte vorhanden sind, deren Zusam - mensetzung ins Unendliche geht.
Durch die Richtungen dieser Flächenkräfte werden die Gränzen der repulsiven Kräfte be - stimmt, und von diesen Gränzen hängen drittens die Formen der Körper ab. Hiermit ist also alles abgeleitet, was wir zur Construktion der leb - losen Natur bedürfen. Unsere Voraussetzung lei - stet uns folglich dieselben Dienste, die der Corpus - cular-Philosoph aus seiner Hypothese von ur - sprünglichen körperlichen Elementen zieht, ohne einem der Einwürfe, die sich gegen diese machen lassen, ausgesetzt zu seyn. Zu einem Versuche jener Construktion ist hier indeſs der Ort nicht. Wir begnügen uns, nur noch zwey Sätze, deren wir bey unsern folgenden Untersuchungen bedür - fen, den bisherigen beyzufügen.
Die Flächenkräfte, und daher auch die Formen der Körper sind abhängig von der verschiedenen Stärke der repulsiven Kräfte, wodurch sie gebildet werden, und von der verschiedenen Lage, worin sich die Mittelpunkte dieser Kräfte gegen einander befinden. Nun ist jede Expansion und Contraktion eines Systems von repulsiven Kräften mit einer Veränderung jener Lage verbunden, und zugleich ist jede derselben sowohl Ursache als Wirkung ei - ner mechanischen Urveränderung. Folglich werden bey jeder chemischen und me -I. Bd. Dcha -50chanischen Urveränderung neue Flä - chenkräfte und neue körperliche For - men gebildet.
Die Ursachen, wodurch diese primitiven und secundären Veränderungen beständig unterhalten werden, entspringen aus der Unendlichkeit. Jede Ursache kann daher nur einmal und nicht wieder statt finden. Jedes materielle System durchläuft also eine unendliche Reihe von Veränderungen, ohne je zu dem Punkte, wovon es ausging, zu - rückzukehren. In jener Reihe kann folglich keine absolute Gesetzmäſsigkeit herrschen: Denn diese ist nur da, wo ein Kreislauf herrscht. Nun aber zwingt uns dennoch ein Bedürfniſs der Vernunft, Gesetzmäſsigkeit in der Natur anzunehmen. Diese kann daher nur relativ seyn. Die Reihe von Veränderungen, welche jedes materielle System durchläuft, muſs so beschaffen seyn, daſs dieses nach gewissen Revolu - tionen irgend einem Zustande, worin es sich vorher schon einmal befand, wieder nahe kömmt, ohne doch mit demselben ganz zusammenzutreffen, oder jene muſs sich unter dem Bilde einer Spirallinie darstellen lassen, worin sich ein beweg - ter Körper jedem beliebigen Punkte im - mer wieder nähert, um sich immer wei - ter von demselben zu entfernen.
Nach51Nach diesen Voraussetzungen kehren wir zu unserm eigentlichen Gegenstande zurück, und zwar wenden wir uns zuerst zu der Frage: wie jener Zustand, den wir Leben genannt haben, mög - lich ist?
Wir haben gezeigt, daſs alle Materie organisirt und unaufhörlichen Veränderungen unterworfen ist, daſs aber in jener Organisation und in diesen Ver - änderungen nur so lange etwas Bleibendes ist, als die äussern Einwirkungen, wodurch die letztern erregt werden, unverändert bleiben. Keine Ma - terie, und also auch nicht die der lebenden Orga - nismen, kann hiervon eine Ausnahme machen. Wer diesen Satz läugnet, muſs der Materie des lebenden Organismus die Undurchdringlichkeit ab - sprechen, und also zu einer Absurdität seine Zu - flucht nehmen. Die Ausnahme, welche die Mate - rie der lebenden Körper von dem obigen Satze zu machen scheint, kann folglich nur scheinbar seyn. Es muſs ein Damm vorhanden seyn, woran sich die Wellen des Universums brechen, um die le - bende Natur in den allgemeinen Strudel nicht mit hereinzuziehen. Dieses Mittelglied nun zwischen dem allgemeinen Organismus und der Materie der lebenden Organismen, wodurch die veränderliche absolute Stärke der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit erhält, kann nicht einerley mit der zur Möglichkeit der Materie erforderlichenD 2Grund -52Grundkraft seyn, weil sie in diesem Falle entweder zum lebenden Organismus, oder zur Aussenwelt gehören, und also die Schwürigkeit nicht gehoben seyn würde. Wir nennen sie daher Lebens - kraft (vis vitalis), um sie von jener Grundkraft zu unterscheiden.
Immer erregt es, wie schon im Vorigen erinnert ist, ein günstiges Vorurtheil für philosophische Untersuchungen über die ersten Gründe der menschlichen Erkenntniſs, wenn die Resultate derselben mit den Ahndungen des gemeinen Men - schenverstandes zusammentreffen. Auch zu un - sern Untersuchungen wird man also um so mehr Zutrauen fassen, wenn man sieht, daſs wir den Grund des Lebens in einer Ursache suchen, die man schon in der Kindheit der Biologie unter dem Namen eines ὲνοϱμιο῀ν, Lebensgeistes, oder Archeus ahndete. Zwar verwirft unser jetziges Zeitalter diese Ahndung, nennt sie eine hyperphysische Hypothese, und setzt an die Stelle derselben die bloſse Form und Mischung der Materie. Allein jede Grundkraft ist ein hyperphysisches Wesen. Es ist Zweck der Naturwissenschaft, die Zahl dieser hyperphysischen Wesen so viel, wie möglich, zu vermindern. Aber der Zusatz, so viel, wie möglich, schlieſst auch alle willkührliche Voraus - setzungen bey dieser Vereinfachung aus. Daſs übrigens die bloſse Form und Mischung der Mate -rie53rie des lebenden Organismus den Grund des Lebens enthalten sollte, widerstreitet, wie aus den obigen Sätzen erhellet, den metaphysischen Lehren der Naturwissenschaft. Keine Materie, ihre Form und Mischung mag beschaffen seyn, wie sie will, kann für sich gleichförmig reagiren, wenn die Ein - wirkungen, wodurch diese Reaktionen hervorge - bracht und unterhalten werden, zufällig und also veränderlich sind. Jene Hypothese fällt mit un - serer Erklärung des Lebens, und sie würde gewiſs nie vorgebracht seyn, wenn man sich erst nach einer Bestimmung der unterscheidenden Charaktere dieses Zustandes umgesehen hätte, ehe man die Möglichkeit desselben zu erklären unternahm.
Ich weiſs, was man mir entgegensetzen wird. Deine Schlüsse, wird man sagen, haben ihre Rich - tigkeit, sobald eine repulsive, oder attraktive Kraft das Einzige Agens in der leblosen Natur ist. Aber wo ist dies bewiesen? Daſs eine einzige Grundkraft zur Möglichkeit der Materie überhaupt hinreicht, berechtigt dies, auch alle specifiquen Qualitäten der Materie von dieser Grundkraft ab - zuleiten? Sind nicht vielleicht auch chemische Wahl - anziehung, Elektricität und Magnetismus Produk - te eben so vieler verschiedener Grundkräfte, und ist nicht vielleicht das, was du Lebenskraft nen - nest, ein Resultat des Zusammenwirkens jener Kräfte im lebenden Organismus, da sie in der leblosen Natur immer nur isolirt wirken?
D 3Die -54Dieser Einwurf würde freylich von Gewicht seyn, wenn der Vorwurf, den Schelling(n)Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. S. 106. der Kantischen Hypothese von einer attraktiven und repulsiven Kraft, als Grundkräften der Materie, mit Recht macht, daſs sie blos die verschiedenen Dichtigkeitsgrade der Körper, nicht aber die spe - cifiquen Qualitäten und Formen derselben erkläre, auch unsere Voraussetzung von einer einzigen Grundkraft träfe. Es ist aber oben gezeigt worden, daſs sich aus dieser eine unendliche Mannichfaltig - keit von zusammengesetzten Kräften und Formen herleiten läſst. Und bey diesem Reichthume an Erklärungsgründen haltet ihr euch für berechtigt, noch andere Grundkräfte ausser der repulsiven in die Natur einzuführen?
Gesetzt aber, es wäre auch aufs strengste dar - gethan, daſs zur Erklärung mancher Phänomene, die wir gewöhnlich als Wirkungen lebloser Agen - tien betrachten, noch eine andere Grundkraft aus - ser der von uns angenommenen nothwendig sey, so hättet ihr noch zu beweisen, daſs jene zweyte Grundkraft nicht einerley mit unserer Lebenskraft sey, und daſs jene Erscheinungen nicht zu denen der lebenden Natur gerechnet werden können, ehe ihr einen Einwurf davon gegen uns hernehmen dürftet. Aber wie diesen Beweis führen? Wirkön -55können eben so wenig bestimmen, wo der niedrig - ste Grad des physischen Lebens ist, und wo dieses zum Leblosen übergeht, als wir die höchsten Stu - fen des Lebens anzugeben und zu behaupten ver - mögen, daſs nicht über dem Menschen Wesen von einem noch höhern Grade der Vitalität stehen.
Noch mehr! Erklärt eure Hypothese auch wirklich mehr, als die unsrige? Laſst sehen, wie weit wir mit ihr ausreichen. Sind chemische Wahlanziehung, Licht u. s. w. nicht Produkte der repulsiven Grundkraft, sondern Wirkungen eigener Kräfte, so müssen diese entweder mit der repulsi - ven Kraft Modifikationen einer und derselben Grundkraft, oder, wie die letztern, eigene Grund - kräfte seyn. Ist ferner der lebende Organismus ein Produkt eines besondern Zusammenwirkens jener verschiedenen Kräfte, so frägt sich: wodurch wer - den dieselben zu dieser eigenen Zusammenwirkung determinirt? Nehmt ihr sie für Modifikationen einer und derselben Grundkraft an, so ist keine andere Beantwortung dieser Frage, als aus der ursprünglichen Einrichtung des allgemeinen Orga - nismus möglich? Aber woher diese ursprüngliche Einrichtung? Hier liegt ein Knoten, den ihr ohne Dichtungen nicht zu lösen im Stande seyd. Nehmt ihr jene Kräfte für eben so viele verschiedene Grundkräfte an, so entsteht wieder die Frage, was diese Grundkräfte in der lebenden Natur an einanderD 4bin -56bindet? und ihr seyd auch bey dieser Voraussetzung gezwungen, aus dem Lande der Fiktionen einen Weltgeist zu Hülfe zu rufen. Eure Hypothese ver - steckt also das groſse Räthsel, aber löset es nicht.
Nach dem bisher Gesagten sind also zwey Grundkräfte, die repulsive Kraft und die Lebens - kraft, die einzigen, deren wir zur Möglichkeit der materiellen Welt bedürfen. Jene bildet die leblose, diese in Verbindung mit jener die lebende Natur. Ausser diesen beyden Welten kennen wir aber noch eine Dritte, die der geistigen Naturen, und zwar kennen wir diese nur in Verbindung mit dem physischen Leben. In welchem Verhältnisse steht nun jene geistige Welt gegen das letztere? Ist nicht vielleicht die Lebenskraft einerley mit dem denken - den Princip, und der gemeine Glaube, nach wel - chem leben und beseelt seyn für einerley angenommen wird, gegründet? Wir müssen auf diese, schon oben berührte Frage hier noch einmal zurückkommen, um einem Miſsverständnisse vor - zubeugen. Wer nach der Identität von leben und beseelt seyn fragt, verlangt entweder zu wissen, ob alle Erscheinungen des physischen Le - bens ursprünglich willkührliche Handlungen sind? oder er wünscht zu erfahren, ob jene Phänomene insgesammt unmittelbare, doch nicht mit Bewuſst - seyn verbundene Wirkungen der Seele auf die re - pulsiven Kräfte ihres Körpers ohne Vermittelungeiner57einer Dritten, von ihr und diesen repulsiven Kräf - ten verschiedenen Grundkraft sind? Man sieht, daſs in beyden Fällen lebend und beseelt für einerley, doch in einem ganz verschiedenen Sinne angenommen werden könne. Beyde sind aber oft, und besonders von mehrern Schriftstellern aus der Schule Stahls mit einander verwechselt. Die Beantwortung der erstern Frage mag ausfallen, wie sie will, so wird doch dadurch die Hypothese von einer eigenen Lebenskraft so wenig umgestoſsen, als bewiesen. Daſs sie indeſs verneinend beant - wortet werden muſs, erhellet aus der Fortdauer der Lebenserscheinungen in den thierischen Orga - nen nach der Trennung der letztern vom übrigen Organismus, wobey niemand eine fortdauernde Einwirkung von Vorstellungen auf die getrennten Organe annehmen wird. Was die letztere Frage betrifft, so liegen die Gründe zur Bejahung oder Verneinung derselben ganz ausserhalb der Sinnen - welt, und es ist also gar keine Antwort darauf möglich. In diesem Sinne aber kann die Verschie - denheit oder Identität von lebend und beseelt dem Biologen auch ganz gleichgültig seyn.
Aus den obigen Sätzen folget, daſs Leben der Materie etwas durchaus Fremdes ist. Die Bewe - gungen, die wir an dem lebenden Organismus wahrnehmen, sind theils mechanische, theils che - mische. Sie unterscheiden sich in keinem StückeD 5von58von denen, die wir in der leblosen Natur finden, als blos darin, daſs die äussern Anläſse, denen sie ihr Entstehen verdanken, nicht unmittelbar, son - dern durch die Lebenskraft modifizirt, auf die Materie des lebenden Körpers einwirken. Geht z. B. der Sauerstoff, wie man sagt, in dem thie - rischen Organismus mit dem Kohlenstoff wirklich eine Verbindung ein, so geschieht dieser Proceſs hier bey einer Temperatur, wobey sich derselbe nie in der leblosen Natur ereignet(v)Brandis über die Lebenskraft. S. 72. ff.. Aber nichts desto weniger ist jene Verbindung im thierischen Körper so gut ein chemischer Proceſs, wie in der leblosen Natur; nur ist das, was sich in jenem mit dem Kohlenstoff zur Kohlensäure vereinigt, nicht mehr Sauerstoff, sondern ein Drittes, welches blos in der lebenden Natur existirt.
Da also die Materie des lebenden Körpers den - selben Gesetzen folgt, denen die leblose Natur un - terworfen ist, so muſs
Die drey erstern Sätze zusammengenommen lassen sich kürzer dadurch ausdrücken, daſs nicht nur der lebende Körper, gleich al - len leblosen, organisirt ist, sondern daſs auch die Organisation desselben weit deutlicher, als die der letztern, in die Augen fällt. Und hieraus erhellet, wie man darauf verfallen konnte, Organisation für ein ausschlieſsliches Eigenthum der lebenden Körper zu halten, und sie als ein charakteristisches Kenn - zeichen derselben aufzustellen.
Der vierte Satz zeiget, in wie fern sich die Thätigkeiten der lebenden Organismen, unter dem Namen der Funktionen, denen der leblosen Körper, unter dem Namen der Actionen ent - gegensetzen lassen. Ein Gegensatz findet nur in so fern unter ihnen statt, als diese ganz abhängig, jene aber mehr oder weniger unabhängig von den äussern Einwirkungen sind. Hingegen in Rück - sicht des Verhältnisses von Mittel und Zweck fin - det unter ihnen nur ein relativer Unterschied statt, und es ist unrichtig, wenn man dieses Verhältniſs zum charakteristischen Merkmale der erstern macht.
Aus dem vierten Satze läſst sich ferner abneh - men, was davon zu halten ist, wenn die Biologen seit Gautier’s(w)De irritabilitatis notione, natura et morbis. p. 55. §. 9. Zeiten, ausser der Organisation,auch61auch das Vermögen, äussere Eindrücke zu percipiren, und gegen dieselben zu rea - giren, unter dem Namen der Reitzbarkeit (irritabilitas) oder Erregbarkeit (incitabilitas), als etwas dem lebenden Körper ausschlieſslich Ei - genes angeben(x)Reil, in dessen Archiv f. d. Physiol. B. 1. H. 1. S. 82. §. 12 — Röschlaub’s Pathogenie. Th. 1. S. 234. §. 287.. Es bedarf hier kaum mehr der Erinnerung, daſs dieses Vermögen eben so wohl, als die Organisation, einer jeden Materie ohne Ausnahme zukömmt. Einige Aerzte(y)Z. B. Erhard in Röschlaub’s Magazin der Heil - kunde. B. 1. St. 1. S. 74. suchen daher dasselbe durch den Zusatz, “äussere Ein - „ drücke auf eine eigene Art zu percipiren, „ und auf eine eigene Art zu reagiren”, auf den lebenden Körper einzuschränken. Aber woher läſst sich das Eigenthümliche dieser Art zu perci - piren und zu reagiren erkennen? Doch nur aus der Erfahrung. Nun aber soll jene Erklärung uns wieder als Leitfaden bey der Erfahrung dienen. Mithin gerathen wir in einen Cirkel, der jene Definition ganz unbrauchbar macht. Soll Reitz - barkeit eine dem lebenden Körper ausschlieſslich zukommende Eigenschaft seyn, so kann sie nur das Vermögen bedeuten: Einwirkungen der Aussenwelt so zu percipiren, daſs dierela -62relative Stärke derselben, ihrer absolu - ten Verschiedenheit ohngeachtet, un - verändert bleibt. Die Reaktionen gegen jene Einwirkungen können in dieser Erklärung nicht mit in Anschlag kommen, da in ihnen nichts enthalten zu seyn braucht, wodurch sie sich von den Reaktionen der leblosen Natur unterscheiden.
Die Gleichförmigkeit jener Reaktionen ist der Maaſsstab, wonach wir den Grad der Reitzbarkeit zu schätzen haben. Je gleichförmiger jene bey ungleichen äussern Einwirkungen, desto höher, je ungleichförmiger, desto niedriger ist der Grad der letztern. Nach dem ehemaligen Begriffe von Reitzbarkeit wurde der Grad derselben durch die Leichtigkeit bestimmt, mit welcher jene Reaktio - nen erfolgen. Die Reitzbarkeit war daher höher bey dem Kinde, als bey dem Erwachsenen, und höher bey dem Weibe, als bey dem Manne. Nach unserm Begriffe von Reitzbarkeit kann bey einem hohen Grade derselben ein geringer Grad von Empfänglichkeit für die Einwirkungen der Aussen - welt, und umgekehrt bey einem hohen Grade der letztern ein geringer der erstern statt finden. Um Verwirrungen zu vermeiden, werden wir diese Empfänglichkeit des lebenden Organismus für äus - sere Einwirkungen unter dem Namen der Recep - tivität von der Reitzbarkeit in Zukunft unter - scheiden, und das Vermögen desselben, den Ein -wir -63wirkungen der Aussenwelt eine mehr oder weniger gleichförmige Thätigkeit entgegenzusetzen, mit dem Namen des Reaktionsvermögens be - zeichnen.
Reitze sind unserer Erklärung von Reitzbar - keit zufolge: durch die Reitzbarkeit modi - fizirte Einwirkungen der Aussenwelt auf den lebenden Organismus, mithin Pro - dukte einer Wechselwirkung der Reitzbarkeit und der Aussenwelt. Der Einfluſs der Reitze auf den lebenden Körper heiſst Reitzung.
Die Stärke eines Reitzes läſst sich in die absolute und in die relative unterscheiden. Die absolute Stärke desselben ist diejenige, die er ausüben würde, wenn er auf die Materie des lebenden Organismus einwirkte, ohne durch die Reitzbarkeit modifizirt zu seyn; die relative diejenige, die er besitzt, wenn er diese Modifika - tion erlitten hat.
Die relative Gewalt eines Reitzes steht also mit der absoluten Stärke desselben im umgekehr - ten Verhältnisse. Je höher die letztere steigt, desto tiefer sinkt die erstere, und je mehr jene vermin - dert wird, desto mehr nimmt diese zu.
Laſst uns jetzt versuchen, auszumachen, was sich aus den bisher erwiesenen Sätzen in Betreff der verschiedenen Modifikationen des Lebens fol - gern läſst.
Die64Die Einwirkungen der Aussenwelt auf den lebenden Organismus sind, wie wir gesehen haben, zufällig, und die Fortdauer und Unveränderlichkeit der durch diese Einwirkungen veranlaſsten Thä - tigkeit bey jener Zufälligkeit macht den unterschei - denden Charakter des Lebens aus. Jeder lebende Körper aber reagirt auch wieder auf die Aussen - welt. Mithin, wenn die Einwirkungen der letz - tern auf jenen zufällig sind, so müssen es die Reaktionen des erstern auf die Aussenwelt für diese ebenfalls seyn. Nun ist gezeigt worden, daſs nichts in der leblosen Natur bleibend ist, so - bald zufällige und daher veränderliche Einwir - kungen auf dieselbe statt finden. Wie reimt sich hiermit der unveränderliche Typus, den wir den - noch in den Bewegungen des Weltalls wahr - nehmen?
Sollen nicht Dämonen diesen Knoten lösen, und die Stöhrungen, die der freye Wille der leben - den Körper in der Maschine des Universums un - aufhörlich verursachen würde, wieder ausgleichen, so giebt es nur noch einen Ausweg zur Beantwor - tung dieser Frage. Wir müssen annehmen, daſs die Stöhrung, die aus den Reaktionen eines Theils der lebenden Individuen in dem allgemeinen Organismus entste - hen würde, durch die Reaktionen der übrigen verhindert wird.
Die -65Diese Voraussetzung macht eine zweyte noth - wendig. Die Zufälligkeit der äussern Einwirkungen, bey welchen die Thätig - keit der lebenden Organismen unverän - dert fortdauert, muſs ihre Gränzen ha - ben, und jede Ueberschreitung dieser Gränzen muſs die Zerstöhrung jener Organismen nach sich ziehen.
Beyde Voraussetzungen haben die Erfahrung auf ihrer Seite. Belege zu der letztern anzufüh - ren, ist überflüssig. Für die erstere liefern uns die Funktionen der Ernährung und des Athem - hohlens in den beyden lebenden Reichen die auf - fallendsten Beweise. Die Nahrungsmittel der Pflan - zen sind Luft, Wasser und vielleicht auch einige Erdarten, also Stoffe der leblosen Natur. Das Thierreich bedarf zwar auch der Luft und des Wassers zu seinem Unterhalte; aber seine Haupt - nahrung erhält es zugleich von den Vegetabilien. Das Pflanzenreich ist also die erste und niedrigste, das Thierreich die zweyte und höchste Stufe des Ueberganges der leblosen Materie zum Leben. Das Thier, nachdem es sein Geschlecht fortge - pflanzt und den Zweck seines Daseyns erfüllt hat, stirbt, vermodert, und seine Bestandtheile kehren zurück zum Luftmeere und zur Erde, um von neuem zu Pflanzen und aus diesen zu Thieren gebildet zu werden, und so jenen Ueber -I. Bd. Egang66gang ewig zu beginnen, zu vollenden, und von neuem anzufangen. Jedes der drey Naturreiche ist folglich Mittel und zugleich Zweck, jedes ein Glied einer in sich zurückkehrenden Kette von Veränderungen, worin das mittlere immer Wir - kung des vorhergehenden und zugleich Ursache des folgenden ist. Ferner äussern alle Erdarten eine Anziehung gegen den Sauerstoff des Luft - kreises, der sich mit dem Kohlenstoff derselben verbindet, und so das Hauptnahrungsmittel der Pflanzen bildet. Das Thierreich aber, zu dessen Unterhalte der Sauerstoff ein nothwendiges Erfor - derniſs ist, würde aussterben müssen, wenn die - ser Stoff unaufhörlich der Atmosphäre entzogen würde, ohne wieder ersetzt zu werden. Dieser Ersatz geschieht durch die Ausdünstung der Pflan - zen während der Tageszeit, wodurch die Atmo - sphäre mit jenem, zum Athmen der Thiere erfor - derlichen Bestandtheile wieder versehen wird(z)Man hat hiergegen den Einwurf gemacht, daſs die Luft im Sommer mehr Sauerstoffgas, als im Winter enthalten müſste, wenn die Pflanzen wirklich einen bedeutenden Beytrag zur Erhaltung des Oxygene in der Atmosphäre lieferten, daſs aber eudiometrische Untersuchungen von dieser Folgerung das Gegentheil lehrten. Aber man vergiſst bey diesem Einwurfe, daſs der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre im Som - mer vielleicht noch geringer seyn würde, wie erin. So67So wie endlich die leblose Natur dem Pflanzen - reiche, und dieses dem Thierreiche seine Nahrung verschafft, so versorgen auch die Thiere wieder die Vegetabilien mit Nahrung, indem sie statt der eingeathmeten atmosphärischen Luft beständig kohlensaures Gas ausathmen, dessen Basis, die Kohlensäure, zum Unterhalte der Pflanzen dienet.
Die beyden obigen Voraussetzungen aber be - antworten noch nicht Alles. Hat die Zufälligkeit der äussern Einwirkungen, bey welchen die eigen - thümliche Thätigkeit der lebenden Organismen un - verändert fortdauert, Gränzen, und zieht jede Ue - bertretung dieser Gränzen die Zerstöhrung jener Organismen nach sich, so ist zwar keine fortdau - ernde Stöhrung des allgemeinen Organismus von Seiten eines lebenden Individuums möglich. Allein schon die erste Uebertretung dieser Gränzen wird Unordnungen in dem erstern nach sich ziehen, und auch hierauf muſs doch gerechnet seyn. Wie läſst sich diese Schwürigkeit heben? Wir müssen anneh - men, daſs jede Abweichung eines leben - den Individuums von der zur Erhaltung des allgemeinen Organismus nöthigen Thätigkeit eine entgegengesetzte Verän -de -(z)in der That ist, wenn nicht die Pflanzen zur Er - haltung desselben beytrügen. Doch hiervon in der Folge umständlicher.E 268rung desselben nach sich zieht, und daſs die auf die Uebertretung der erwähnten Gränzen folgende Zerstöhrung eines In - dividuums immer durch diese entgegen - gesetzte Veränderung geschieht. Ein Ue - bermaaſs von Thätigkeit muſs durch ein Minus, ein Minus durch ein Plus, und eine anomalische Abweichung derselben durch eine andere nach ent - gegengesetzter Richtung gehende anomalische Ab - weichung wieder gut gemacht werden.
Aus der ersten dieser drey Voraussetzungen folgt, daſs das ganze Reich der lebenden Organismen ein Glied des allgemeinen Organismus ausmacht, und daſs jedes lebende Individuum zur Erhaltung die - ses Gliedes das Seinige beytragen muſs.
Aus der zweyten Voraussetzung ergiebt sich, daſs, je weitere Gränzen die Zufällig - keit der äussern Einwirkungen auf ei - nen lebenden Organismus hat, desto hö - her der Grad des Lebens dieses Körpers ist. Fortdauer desselben bey absoluter Zufällig - keit der erstern würde der höchste Grad des Le - bens (vita maxima) seyn. Ein solches Leben aber existirt nicht, und kann nicht existiren, weil die Schrankenlosigkeit desselben unaufhörliche Revo - lutionen im Universum hervorbringen würde. Je - des Leben ist nur Näherung zu jener Gränze. Soviele69viele verschiedene Stufen dieser Näherung denkbar sind, so mannichfaltig ist auch der Grad des Le - bens. Die niedrigste Stufe (vita minima) macht den Uebergang zur leblosen Natur.
Wären aber alle lebende Organismen nur nach dem Grade ihres Lebens unterschieden, so würde auch in ihren Einwirkungen auf die Aussenwelt kei - ne andere Verschiedenheit, als in dem Mehr oder Weniger statt finden. Allein die Erhaltung der gan - zen Natur macht es, wie vorhin gezeigt ist, noth - wendig, daſs die Einwirkungen eines Theils jener Organismen auf die Aussenwelt die entgegengesetz - ten von denen sind, die ein anderer äussert. Es muſs also eine Mannichfaltigkeit des Lebens nicht nur der Quantität, sondern auch der Modalität nach vorhanden seyn, oder es muſs verschiedene einander entgegengesetzte Formen des Lebens geben.
Diese Formen sind nicht anders denkbar, als unter der Voraussetzung, daſs die verschiedenen Classen und Ordnungen von lebenden Körpern eine nicht blos dem Grade, sondern auch der Moda - lität nach verschiedene Receptivität für die Einwir - kungen der Aussenwelt haben, und diesen Einwir - kungen eben so verschiedene Reaktionen entgegen - setzen. Die Verschiedenheit jener Receptivität und dieses Reaktionsvermögens kann aber nur in der Verschiedenheit der Organisation ihren Grund ha -E 3ben.70ben. Folglich giebt es in der lebenden Natur eben so viele verschiedene Organisationen, wie sie ver - schiedene Formen des Lebens aufzuweisen hat, und einem Gegensatze dieser Formen entsprechen immer auch entgegengesetzte Organisationen.
Aber nicht nur unter den Organismen von ver - schiedenen, sondern auch unter denen von einerley Formen des Lebens müssen Gegensätze in der Re - ceptivität und dem Reaktionsvermögen statt finden, indem alle Individuen in der Natur und also auch diese in dem Verhältnisse von Mittel und Zweck gegen einander stehen. Jene Gegensätze nun kön - nen nicht in der entgegengesetzten Modalität der beyden erwähnten Vermögen gegründet seyn, weil sonst die Organismen, denen sie angehören, nicht von einerley, sondern von verschiedenen Formen des Lebens seyn würden. Sie müssen daher in dem Verhältnisse der Receptivität zum Reaktions - vermögen ihren Grund haben. Dieses aber kann von vierfacher Art seyn:
Diese vier Verhältnisse der Receptivität zum Reaktionsvermögen machen das aus, was man Temperamente nennet. Auf ihnen und den ver - schiedenen Formen des Lebens beruhet die Man - nichfaltigkeit der lebenden Natur.
Jede Form des Lebens ist, wie wir gesehen ha - ben, beschränkt. Diese Schranken aber können in intensiver und in protensiver Hinsicht statt finden. Daſs jedes Leben intensive Schranken hat, folgt unmittelbar aus den obigen Sätzen. Eben die - se intensive Beschränktheit derselben, verbunden mit einem, die Organisation der gesamten Natur betreffenden Satze, den wir oben vorgetragen ha - ben, beweiset aber auch, daſs der Protension des - selben ebenfalls Gränzen gesetzt seyn müssen. Dieser Satz war nehmlich der, daſs jedes System von repulsiven Kräften eine unendliche Reihe von Veränderungen durchläuft, die sich von jedem Punkte ihrer Bahn immer weiter entfernt, indem sie sich demselben immer wieder nähert. Hiernach muſs für jeden lebenden Körper, die Energie seiner Lebenskraft sey so groſs, wie sie wolle, doch end - lich eine Zeit eintreten, wo seine Organisation mit der der Aussenwelt nicht länger bestehen kann.
Dies zum Grunde gelegt, so findet ein drey - facher Uebergang des lebenden Organismus zur leb - losen Natur, oder auch zu andern Formen des Lebens statt:
E 41) durch72Das Uebergehen eines lebenden Organismus zur leblosen Natur, oder zu andern Formen des Lebens nennen wir Sterben, und alles Aufhören des Le - bens überhaupt, oder einer bestimmten Form des - selben Tod. Folglich ist jedes lebende Individuum einer dreyfachen Todesart ausgesetzt. Die beyden erstern aber sind zufällig, und nur die letztere ist nothwendig. Diese ist den Absichten der Natur ge - mäſs, jene sind derselben zuwider. Der Sprachge - brauch setzt daher die letztere Art, unter dem Na - men des natürlichen Todes, den beyden erstern widernatürlichen, mit Recht entgegen. Beyde Ausdrücke sind verschiedentlich, und besonders von Röschlaub(a)Pathogenie. Th. 1. S. 11. ff., angefochten. Indeſs beruhet alles, was man dagegen eingewendet hat, blos auf der Verwechselung von widernatürlich mit unnatürlich und übernatürlich — Ob übrigens das Sterben Ue - bergang zur leblosen Natur, oder zu andern For - men des Lebens ist, müssen wir unentschieden lassen, da die Organisation der Natur mit beyden Voraussetzungen bestehen kann.
Nach dem Gesetze der Stetigkeit kann in kei - nem der drey obigen Fälle jener Uebergang, denwir73wir Sterben nennen, anders als allmählig erfolgen. Der lebende Organismus muſs sich stufenweise der leblosen Natur, oder einer andern Form des Lebens nähern, und in eben dem Verhältnisse muſs er im - mer unvermögender werden, in dem zur Errei - chung der Zwecke seines Lebens nothwendigen Bezirke der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen zu existiren. Dies führt uns auf eine Erklärung von Gesundheit und Krankheit. Gesundheit ist das Vermögen, Krankheit das Unvermö - gen eines lebenden Körpers in der zur Erreichung der Zwecke seines Daseyns nothwendigen Sphäre der Zufälligkeit äusserer Einwirkungen sein Leben fort - zusetzen.
Da jeder Uebergang vom Leben zur leblosen Natur, oder zu einer andern Form des Lebens durch jene Gränze geschieht, die wir vita minima genannt haben, so ist jede Krankheit, absolut be - trachtet, ein niederer Grad der Vitalität in einer ge - wissen Form des Lebens. Aber Krankheit ist ein relativer Begriff, und als ein solcher involvirt er nicht nur einen niedern, sondern auch einen sol - chen Grad des Lebens, der dem Zwecke des Orga - nismus, wobey er statt findet, nicht angemessen ist. So können folglich Gesundheit und vita mi - nima vollkommen mit einander bestehen. Das Le - ben des Embryo nähert sich der vita minima. E 5Aber74Aber krank ist dieser erst dann, wenn er auch in den engen Gränzen der Zufälligkeit äusserer Ein - wirkungen, worin er lebt, den Zweck seines Le - bens nicht zu erfüllen vermag.
Der Uebergang des lebenden Organismus zur leblosen Natur, oder zu einer andern Form des Lebens kann ohne Krankheit nicht statt finden: dies ist eine unmittelbare Folge der obigen Sätze. Nun ist gezeigt worden, daſs jener Uebergang auf eine dreyfache Art herbeygeführt werden kann. Folglich muſs auch Krankheit eben so viele ver - schiedene Ursachen haben. So wie ferner die To - desart, die aus der zu langen Dauer der äussern Einwirkungen entsteht, nothwendig ist, so muſs auch für jedes lebende Individuum aus dieser Quel - le eine nothwendige Krankheit entspringen, die sich mit dem natürlichen Tode endigt. Eben we - gen ihrer Nothwendigkeit aber betrachten wir diese nicht als Krankheit, sondern nennen sie Alter. Daher die Benennung des natürlichen Todes, mors sine morbo. Die beyden übrigen Arten von Krank - heiten hingegen, die aus zu groſser und zu gerin - ger Stärke der äussern Einwirkungen entstehen, sind zufällig, wie die Todesarten, worin sie über - gehen, und eben so wenig, als diese, den Zwecken der Natur gemäſs. Nur diese betrachten wir da - her als Krankheiten, und zugleich als widernatür - liche Zustände. Daher die Association der Begriffe von Krankheit und widernatürlich.
Die75Die Lehren, die wir bisher über Tod und Krankheit aufgestellt haben, sind Folgerungen aus den beyden Voraussetzungen: 1) daſs die Stöhrung in dem allgemeinen Organismus, welche aus den Reaktionen eines Theils der lebenden Individuen entstehen würde, durch die Rückwirkungen der übrigen verhindert wird; 2) daſs die Zufälligkeit der äussern Einwirkungen, bey welchen die eigen - thümliche Thätigkeit der lebenden Organismen un - verändert fortdauert, beschränkt ist, und daſs jede Uebertretung dieser Schranken die Zerstöhrung jener Organismen nach sich zieht. Die letztere geschieht, wie wir gesehen haben, immer durch ein Herabsinken von einer höhern Stufe des Le - bens zur niedrigsten, und das Unvermögen eines lebenden Individuums während dieser Näherung zur vita minima in der zur Erreichung der Zwecke seines Lebens nothwendigen Sphäre der Zufällig - keit äusserer Einwirkungen sein Leben fortzuset - zen, ist es, was man Krankheit nennet. Ausser den beyden erwähnten Voraussetzungen haben wir aber noch eine dritte angenommen. Nach dieser geschieht die Zerstöhrung eines lebenden Indivi - duums, welche auf die Uebertretung seiner Schran - ken folgt, immer durch eine Thätigkeit, welche der, wodurch diese Gränzen überschritten wurden, entgegengesetzt ist. Hieraus folgt, daſs mit jeder Krankheit eine Abweichung des lebenden Körpers von seiner naturgemäſsen Wirkungsart verbundenist.76ist. Allein diese Abweichung kann nicht selber Krankheit seyn, denn vor ihrer Entstehung muſste schon eine Abweichung des lebenden Körpers von seiner naturgemäſsen Wirkungsart vorhergehen. Nur da, wo sie mit einem Unvermögen des leben - den Organismus, in der zur Erreichung der Zwecke seines Lebens nöthigen Sphäre der Zufälligkeit äus - serer Einwirkungen sein Leben fortzusetzen, ver - bunden ist, findet Krankheit statt, nur dieses Un - vermögen ist Krankheit, und von diesem ist jene Abweichung blos ein Symptom.
Der Uebergang der lebenden Individuen zur leblosen Natur, oder zu andern Formen des Lebe〈…〉〈…〉 s würde eine Stöhrung des allgemeinen Organismus nach sich ziehen, wenn dem Zuwachse, den im erstern Falle die leblose Natur, im letztern eine andere Art von lebenden Organismen dadurch er - hält, nicht ein gleicher Verlust, und dem Verluste, den die Gattung dadurch erleidet, nicht ein gleicher Zuwachs das Gleichgewicht hielte. Dieses Gleich - gewicht kann nur dadurch erhalten werden, daſs jeder lebende Organismus, ehe er zu leben aufhört, ein Individuum seiner Art zurückläſst, oder mit andern Worten, daſs er sein Geschlecht fortpflanzt. Bey keinem lebendem Körper tritt daher das Ziel seines Lebens ein, bevor er nicht sein Geschlecht fortzupflanzen im Stande ge - wesen ist.
Das77Das hierbey entstehende neue Individuum ver - dankt seinen Ursprung entweder der Verwandelung lebloser Materie in lebende, oder dem Uebergange einer gewissen Form des Lebens zu einer andern. So wenig als derjenige Uebergang der lebenden Or - ganismen zur leblosen Natur oder zu einer andern Form des Lebens, den wir Sterben nennen, kann aber auch jener entgegengesetzte Uebergang nach dem Gesetze der Stetigkeit anders, als stufenweise, erfolgen. Nur durch die vita minima kann das neu erzeugte Individuum allmählig zu höhern Gra - den des Lebens gelangen. So hat jeder lebende Organismus eine Periode der Jugend, wo er sich der höchsten Lebensstufe nähert, und eine Periode des Alters, wo er zur niedrigsten zurückkehrt; so geht jeder bey seinem Austritte aus dem Leben die nehmlichen Stufen wieder herab, die er bey seinem Eintritte hinaufstieg. Senes bis pueri sagten die Alten in moralischer Hinsicht, und eben dieser Spruch gilt auch von der ganzen lebenden Schöp - fung in physischer Bedeutung.
Soll das neu entstandene Individuum den Aus - tritt des vorigen aus der Kette der Wesen zu erset - zen im Stande seyn, so muſs es auf derselben Stu - fe des Lebens stehen, worauf sich das letztere be - fand. Diese Stufe aber kann es nur allmählig er - reichen, und bis diese erreicht ist, muſs das vorige Individuum noch fortdauern, um das Gleichge -wicht78wicht im allgemeinen Organismus zu erhalten. In - deſs würde dieses dennoch leiden, wenn das ältere Individuum bey der Näherung des neu erzeugten zur vita maxima dieselbe Energie des Lebens be - hielte, die es beym Entstehen des letztern hatte. Folglich muſs sich das ältere in eben dem Verhält - nisse der niedrigsten Lebensstufe nähern, in wel - chem das jüngere zur höchsten hinaufsteigt. Da - her liegt das männliche Alter, die Zeit der Geschlechtsvermehrung, zwischen den Perioden der Jugend und des eigentlichen Alters; daher läſst die Natur das Individuum sinken, sobald sie das Geschlecht gesichert hat.
Gesundheit, Krankheit, Jugend, Mannheit, Alter und Sterben sind also verschiedene Modifika - tionen des Lebens, die Fortpflanzung des Ge - schlechts ist Bestimmung desselben. Diese zweckt zunächst auf die Erhaltung der lebenden Natur, mittelbar auch auf die Erhaltung des allgemeinen Organismus ab; ohne jene Modifikationen des Le - bens war dieser Zweck nicht erreichbar.
Hieraus erhellet nun, wie die Erhaltung der lebenden Natur und des allgemeinen Organismus mit dem natürlichen Tode bestehen kann. Die un - gestöhrte Fortdauer derselben bey der intensiven Beschränktheit des Lebens bleibt indeſs hierbey noch unerklärt. Folgende Voraussetzungen lösen aber endlich auch dieses Problem:
1) Nicht791) Nicht jede Uebertretung der intensi - ven Schranken des Lebens darf die völlige Zerstöhrung des lebenden Organismus nach sich ziehen. Es muſs bey der Tendenz zur Zerstöh - rung bleiben, und der letztere muſs das Vermögen besitzen, von der nie - dern Stufe des Lebens, worauf ihn jene Uebertretung zurückwarf, sich zu der höhern, worauf er vorher stand, wieder zu erheben, Krankheit wieder in Gesundheit zu verwandeln, kurz wieder zu genesen.
Aber dieses Vermögen muſs so gut beschränkt seyn, als das Leben selber. Denn ohne diese Be - schränktheit könnte auch der natürliche Tod nicht statt finden. Es muſs daher
2) auch bey der Fortpflanzung des Geschlechts hierauf gerechnet seyn, und jeder leben - de Organismus muſs nicht blos ein einzelnes Individuum zum Ersatze seiner selbst, sondern eine desto gröſsere Anzahl von Nachkommen er - zeugen, je mehr die Gattung, wozu er gehört, widernatürlichen Todes - arten ausgesetzt ist. So finden wir es auch wirklich in der Erfahrung. Die Zahl der Nachkommen eines Thiers steigt, je wehrloseres80es ist, und je mehr Feinde es hat. Sie ist am gröſsten bey den völlig wehrlosen Pflanzen.
Es würde uns jetzt obliegen, von den verschie - denen Modifikationen des Lebens und der Ge - schlechtsvermehrung, deren Nothwendigkeit wir aus dem Begriffe des Lebens abgeleitet haben, auch die Möglichkeit zu erweisen. Allein hier ist der Punkt, wo wir ohne Hülfe der Erfahrung nicht weiter kommen können. Um nehmlich den Beweis jener Möglichkeit führen zu können, müſste vor - her das Problem aufgelöset seyn: wie die Lebens - kraft einem System repulsiver Kräfte einen gewis - sen Grad der Unabhängigkeit von den Einwirkun - gen der Aussenwelt ertheilen könne? Diese Frage läſst sich nun zwar durch die Voraussetzung be - antworten, daſs der Charakter der Lebenskraft in absoluter Thätigkeit und gänzlicher Unabhängig - keit von den Einwirkungen der Aussenwelt bestehe; daſs aber jene absolute Thätigkeit derselben durch ihre Verbindung mit den repulsiven Kräften, deren Charakter absolute Trägheit und gänzliche Abhän - gigkeit von den äussern Einflüssen ist, beschränkt wird, und daſs diese Beschränkung den mittlern Zustand zwischen absoluter Thätigkeit und abso - luter Trägheit, den wir Leben nennen, hervor - bringt. Allein dann entsteht wieder die Frage: Was die Lebenskraft nur an gewisse Systeme von repulsiven Kräften bindet, und warum Leben nichtein81ein Attribut der ganzen Sinnenwelt ist? Diese Frage nach dem ersten Ursprunge des Lebens, das Grund - problem der ganzen Biologie, läſst sich nun auf keinen Fall ohne Hülfe der Erfahrung beantworten, wir mögen Lebenskraft und die zur Möglichkeit der Materie überhaupt erforderliche Grundkraft als verschiedene Grundkräfte, oder als Modifikationen einer und derselben Grundkraft ansehen. Bey der erstern Voraussetzung würde eine solche Beantwor - tung auf der Auflösung des Problems beruhen: wo - her das Universum ursprünglich so und nicht an - ders organisirt ist? Aber jene Grundkraft ist für uns, was die Farbe für den Blindgebohrnen, und eine Philosophie, welche diese Aufgabe a priori zu lösen sich unterfängt, ist also nicht mehr Philoso - phie, sondern Schwärmerei. Bey der letztern Vor - aussetzung sind wir gezwungen, noch eine dritte Grundkraft anzunehmen, welche die Grundkraft der Materie an die Lebenskraft bindet. Allein jene dritte Grundkraft ist wieder für uns ein unbekann - tes Etwas, worüber sich nur dichten, nicht philo - sophiren läſst. Hier tritt also auch für uns dieselbe Schwürigkeit ein, welche dem im Wege steht, der die Form und Mischung der lebenden Materie für den einzigen Grund ihrer Vitalität ansieht. Aber wenn auch gegen die Hypothese des Letztern keine weitere Einwürfe statt fänden, so würde die unsri - ge doch schon dadurch vor dieser den Vorzug ver - dienen, daſs sie uns gleich die Gränzen zeigt, dieI. Bd. Funser82unser Erkenntniſsvermögen nicht überschreiten kann, und uns nicht mit Hoffnungen schmeichelt, um uns früh oder spät desto empfindlicher zu täuschen.
Wäre eine Beantwortung der obigen Frage a priori möglich, so würde sich eine von den fol - genden drey Voraussetzungen müssen deduciren lassen.
Wir werden aus jeder dieser Voraussetzungen die Folgerungen entwickeln, die sich aus ihnen herleiten lassen, und so uns die Aufgaben verschaf -fen,83fen, die wir der Natur vorzulegen haben. Der Erfolg dieser Arbeit wird beweisen, daſs die Frage, welche der obigen drey Voraussetzungen die rich - tige ist? mit Recht das Grundproblem der Biologie von uns genannt ist.
Leben besteht in der Gleichförmigkeit der Reak - tionen bey ungleichförmigen Einwirkungen der Aussenwelt. Was dieser absoluten Verschiedenheit in der Stärke der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit giebt, haben wir Lebenskraft ge - nannt. Wir haben ferner gezeigt, daſs jedes Le - ben beschränkt ist, und zwar in protensiver so - wohl, als intensiver Rücksicht. Ist nun Lebens - kraft da, wo lebensfähige Materie ist, und verdankt diese Kräften der leblosen Natur ihr Entstehen, so muſs jeder intensiven Vermehrung oder Verminde - rung der Lebenskraft eine Vermehrung oder Ver - minderung der Lebensfähigkeit der Materie vorher - gehen. Zunahme der Lebenskraft aber ist Nähe - rung zur vita maxima; Abnahme derselben nähertF 2den84den lebenden Organismus der vita minima, oder bringt Krankheit hervor: folglich setzt jede dieser verschiedenen Modifikationen des Lebens eine Form - und Mischungsveränderung der lebensfähi - gen Materie voraus: Allein die Materie bleibt un - verändert, so lange die Einwirkungen der Aussen - welt auf dieselbe sich gleich bleiben. Geschähen nun diese Einwirkungen blos durch das Medium der Lebenskraft, so würde keine relative Ungleich - heit in denselben, und daher auch keine Verände - rung in der lebensfähigen Materie statt finden kön - nen. Um diese Veränderungen möglich zu machen, müssen wir also Kräfte der Aussenwelt annehmen, welche unmittelbar und ohne vorher durch die Le - benskraft gebrochen zu seyn, auf die lebensfähige Materie einwirken.
Diese Einwirkungen können die Lebensfähig - keit der Materie entweder vermehren, oder vermin - dern. Zunahme der Lebenskraft und also auch der Lebensfähigkeit der Materie findet in der Periode der Jugend, Abnahme der erstern, und daher auch der letztern in der Periode des Alters statt. Wären diese Perioden zufällig, wie Krankheiten, so hätte die Erklärung derselben keine Schwürigkeiten. Aber beyde sind für jeden lebenden Organismus durchaus nothwendig. Die Voraussetzung, daſs von dem Ursprunge desselben an bis zu seinen männlichen Jahren nur Potenzen, welche die Le -bens -85bensfähigkeit der Materie vermehren, und von den letztern an bis zum Tode nur solche, welche diese Fähigkeit vermindern, auf ihn wirken, wäre un - gereimt. Ausser dieser Hypothese bleibt uns aber nichts übrig, als anzunehmen, daſs die erstern Potenzen nur bis zur Periode des männlichen Alters auf den lebenden Organismus einwirken, daſs hier - auf ihr Einfluſs durch irgend eine Ursache verhin - dert wird, und daſs den jetzt erfolgenden Ueber - gang zur vita minima lebenswidrige Potenzen ver - ursachen, die zwar auch schon vor jener Periode auf das lebende Individuum wirkten, deren nach - theiliger Einfluſs aber damals durch die Einwir - kung der erstern, die Lebensfähigkeit der Materie vermehrenden Potenzen wieder gut gemacht wurde.
Jene Ursache, wodurch die fernere Einwirkung der dem Leben günstigen Potenzen im Alter ver - hindert wird, kann keine andere, als die Fortpflan - zung des Geschlechts seyn. Diese Potenzen müs - sen, gleich allen übrigen Kräften, ihrer Extension und Intension nach beschränkt seyn. Indem die erstere zunimmt, muſs die letztere sinken; indem die Lebensfähigkeit der Materie des einen Indivi - duums erhöhet wird, muſs die der Materie eines andern Individuums darunter leiden.
Bey dieser Hypothese ist der höchste Grad der intensiven Wirkung jener belebenden Potenzen der Anfang ihrer extensiven Aktion, und das ProduktF 3der86der letztern ist die Erzeugung eines neuen Indivi - duums. Aber warum steigt nun dieses Individuum zur vita maxima herauf, indem das, wovon es erzeugt wurde, zur vita minima zurückkehrt? Wodurch wird der Einfluſs der belebenden Poten - zen von dem ältern abgelenkt, und auf das jüngere geleitet? Hierauf läſst sich blos bey der Annahme der Evolutionstheorie antworten, und man sieht also, in welches System der Biologie diese gehört. Die Thätigkeit der belebenden Potenzen ist immer auf die Produktion eines neuen Individuums gerich - tet. Jeder lebende Organismus ist nur die Schaale, die ein künftiges Geschlecht einschlieſst. Jene lebt nur durch dieses. Aber dieser Kern ist nur ein Kern in Beziehung auf jene Schaale. Auch in ihm ar - beitet schon die Natur auf die Produktion eines neu - en Kerns, und in Beziehung auf den letztern ist er wieder nur eine Schaale, und so geht diese Involu - tion ins Unendliche. Soll hierbey eine Evolution möglich seyn, ohne daſs die belebenden Potenzen mit gleicher Intension immerfort extensiv wirken, so darf die Thätigkeit derselben nur bis zu einem gewissen Zeitpunkte mit auf die Schaale gerichtet seyn. Das neue Individuum muſs diese durchbre - chen, sobald es eine bestimmte Stufe der Ausbil - dung erreicht hat, und von dieser Zeit an muſs jene Thätigkeit sich von der Schaale abwenden, und ausschlieſslich dem Kerne widmen. Diese Theorie beantwortet indeſs nur das Warum? DasWie?87Wie? bleibt hierbey noch völlig dunkel, und muſs es bleiben, da uns die Natur der belebenden Poten - zen unbekannt ist.
Eine andere Art von Potenzen, welche auf die Materie des lebenden Organismus unmittelbar ein - wirken, ohne durch die Lebenskraft modifizirt zu werden, sind diejenigen, welche die Lebensfähig - keit der Materie vermindern. Diese Verminderung kann relativ, oder absolut seyn. Auf die er - stere Art wirken diejenigen Potenzen, welche die Einwirkung der belebenden Potenzen auf die Ma - terie beschränken, oder ganz aufheben; auf die letztere Art diejenigen, welche die Lebensfähigkeit der Materie gradezu zerstöhren.
Die Wirkung der erstern kann nur in dem Zeit - punkte statt finden, wo der Organismus noch im Fortschreiten zur vita maxima begriffen ist, und sie muſs sich durch einen Stillstand in diesem Fort - schreiten äussern. Es werden hier also dieselben Erscheinungen erfolgen, welche das Alter beglei - ten, nur mit dem Unterschiede, daſs in jenem Fal - le das lebende Individuum die Stufen des Lebens, die es seiner Bestimmung gemäſs vor dem Eintritte des Alters ersteigen muſste, noch nicht erreicht hat.
Die letztern Potenzen, welche die Lebensfähig - keit der Materie gradezu zerstöhren, können in jeder Periode auf den lebenden Organismus einwir - ken. Aber die Folgen dieses Einflusses werdenF 4ver -88verschieden seyn, je nachdem sich der Organismus im Fortschreiten zur vita maxima, oder in der Pe - riode des Alters befindet. Im erstern Zeitpunkte wird jede Verminderung der Lebensfähigkeit der Materie durch den Einfluſs der belebenden Poten - zen wieder gut gemacht, so lange jene nur nicht eine gewisse Gränze überschreitet. In der letztern Periode hingegen findet keine Einwirkung der be - lebenden Potenzen weiter statt. Jeder Verlust, den die Materie an Lebensfähigkeit erleidet, ist hier un - ersetzbar. Der Organismus steigt desto schneller zur vita minima wieder herab, je mehr er sich den lebenswidrigen Potenzen aussetzt, desto langsa - mer, je mehr er sie vermeidet. Er würde ein ewi - ges Alter leben, wenn er sich ihnen ganz entzie - hen könnte. Allein wenn auch einzelne Einwir - kungen der Aussenwelt für den lebenden Organis - mus zufällig sind, so ist doch keine Möglichkeit für ihn, sich allen ganz zu entziehen. Seine Frey - heit ist beschränkt, und daher auch jene Zufällig - keit. Er kann den Einfluſs der lebenswidrigen Potenzen einigermaaſsen vermeiden, und sein Alter verlängern, aber nicht jenen ganz aufheben, und nicht dem Tode ganz entfliehen.
Nimmt man die natürliche Krankheit des Alters aus, so giebt es nach diesen Voraussetzungen zwey Quellen von Krankheiten: die von verminderter, oder aufgehobener Einwirkung der belebenden Po -tenzen89tenzen auf den Organismus, und die vom Einflus - se lebenswidriger Potenzen auf denselben. Jene kann nur während der Näherung zur vita maxima statt finden, und nur in dieser Periode ist Heilung von Krankheiten möglich. Bey der erstern Ursa - che geschieht diese durch Wegräumung der Hinder - nisse, welche den Einfluſs der belebenden Potenzen auf den Organismus verminderten, oder aufhoben; im zweyten Falle durch Entfernung der[lebenswi - drigen] Potenzen.
Allein diese letztern Potenzen sind, wie vorhin bemerkt ist, nicht absolut zufällig. Der lebende Organismus kann sich ihnen nur zum Theil, aber nicht ganz entziehen. Auch in der Jugend ist er also ihrer Einwirkung nicht minder, als im Alter ausgesetzt. Soll daher jene Periode nicht in einem beständigen Wechsel von Verminderung der Lebens - fähigkeit der Materie, und Heilung der hieraus ent - springenden Krankheiten bestehen, so muſs etwas vorhanden seyn, was die Einwirkungen der le - benswidrigen Potenzen auf den lebenden Organis - mus beschränkt. Dieses Etwas nun ist die Lebens - kraft, deren unser gegenwärtiges System zwar bis - her entbehren konnte, deren Annahme aber von jetzt an nothwendig wird. Sie nimmt an extensi - ver und intensiver Stärke zu, so wie die Lebens - fähigkeit der Materie wächst, und in eben dem Ver - hältnisse nimmt die Zahl der lebenswidrigen Poten -F 5zen90zen ab. Ihre gröſste Stärke erreicht sie gegen die Zeit der Fortpflanzung des Geschlechts. Sobald aber diese Funktion vollzogen ist, findet keine Zu - nahme derselben weiter statt. Die lebenswidrigen Potenzen fangen jetzt an, die Lebensfähigkeit der Materie wieder zu vermindern; mit dieser Vermin - derung nimmt auch die Lebenskraft wieder ab; hier - durch wird die Menge und Stärke der lebenswidri - gen Potenzen vermehrt, und diese führen endlich den Organismus zu dem Punkte wieder herab, wo - von er bey seinem Entstehen ausging.
Nach der zweyten Voraussetzung ist die Form und Mischung des lebenden Organismus blos ein Produkt der Lebenskraft. Jede Veränderung in je - nen setzt daher eine Veränderung in dieser voraus, und alle Einwirkungen der Aussenwelt auf die er - stern geschehen durch das Medium der letztern.
Das Wesen der Lebenskraft besteht in dem Vermögen, der absoluten Ungleichförmigkeit der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit zu ertheilen. Wir können dieses Steigen und Fallen der relativen Gewalt des Irritaments bey der Ab - und Zunahme der absoluten Gewalt desselben ent - weder aus einer Vermehrung oder Verminderung der Lebenskraft bey unverändertem Reitze, oder aus einer Vermehrung oder Verminderung des Rei -tzes91tzes bey unveränderter Lebenskraft ableiten. Neh - men wir blos das Letztere an, so ist keine Erklä - rung des Ueberganges von niedern Stufen des Le - bens zu höhern möglich. Hingegen wird diese erklärbar bey der erstern Hypothese durch die Vor - aussetzung, daſs der lebende Organismus nicht blos gereitzt wird, sondern auch auf andere lebende Körper als Reitz wirkt, und zwar als ein desto stärkerer Reitz, je niedriger die Stufe der Vitalität ist, worauf er steht, und daſs er aufhört, ihnen Lebenskraft zu entziehen, sobald er einerley Stufe des Lebens mit ihnen erreicht hat.
Der lebende Organismus aber steht nicht blos mit der lebenden Natur, sondern auch mit dem übrigen Universum in Wechselwirkung. Auch durch die leblose Natur wird ihm also unaufhörlich Lebenskraft entzogen. Geht diese für die lebende Natur verlohren, so ist der Untergang der letztern unvermeidlich. Nur dann ist die Fortdauer der - selben bey jener Entziehung von Lebenskraft mög - lich, wenn jede Reitzung auf den Reitz als bele - bend wirkt. Dieser Satz nun schlieſst sich an die vorige Hypothese, daſs die Materie als ein desto heftigerer Reitz wirkt, je geringer ihre Vitalität ist. Zugleich erhellet, daſs die Gleichförmigkeit der Re - aktionen nicht blos von der Vermehrung oder Ver - minderung der Lebenskraft, sondern auch von der Umänderung der einwirkenden Potenz abhängt,und92und daſs keine dieser Voraussetzungen allein, son - dern erst beyde zusammengenommen, eine hin - reichende Erklärungsart abgeben.
Aber in den Einwirkungen der leblosen Natur auf das lebende Individuum ist nichts Bleibendes. Die Materie, die in dem einen Augenblicke auf das letztere als Reitz agirt, wird in dem folgenden durch eine andere verdrängt. Die Fortdauer der lebenden Natur würde also auf keinen festen Ge - setzen, sondern auf einem regellosen Ohngefähr beruhen, wenn die leblose Aussenwelt unmittelbar auf die Lebenskraft einwirkte. Ueberdies darf die Fortpflanzung des Geschlechts erst dann erfolgen, wenn der lebende Organismus sich schon bis auf einen gewissen Punkt der vita maxima genähert hat. Wir entgehen dieser Schwürigkeit, wenn wir annehmen, daſs jeder lebende Organismus von sei - nem Ursprunge an mit einer gewissen Quantität lebloser Materie in Verbindung steht, und daſs die übrige leblose Natur nur durch dieses Medium auf die Lebenskraft einwirkt.
Hierbey stoſsen wir indeſs auf eine neue Schwürigkeit. Wir haben nehmlich angenommen, daſs eine Materie einer andern lebenden desto mehr Lebenskraft entzieht, je geringer die Vitalität der er - stern in Vergleichung mit der der letztern ist. Eine leblose Masse wird also einem lebenden Körper wo nicht mehr, doch eben so viel Lebenskraft rauben,als93als dieser einem andern, auf einer höhern Stufe der Vitalität stehenden Individuum entzieht, und so wird für jenen Körper kein Fortschreiten zur vita maxima möglich seyn. Diese Schwürigkeit aber fällt weg, wenn man annimmt, daſs die leblose Masse, womit jeder lebende Organismus in Verbin - dung steht, und vermittelst welcher alle Potenzen der leblosen Natur auf diesen einwirken, sich mit ihm zu Einem lebenden Ganzen vereinigt, sobald sie durch die ihm entzogene Lebenskraft selber in lebende Materie verwandelt ist. Bey jeder Reit - zung leidet also der lebende Organismus zwar einen Verlust an Lebenskraft; aber dieser Verlust wird ihm durch einen gleich darauf folgenden Gewinn an lebender Materie wieder ersetzt.
Wären diesem Zuwachse an lebender Materie keine Gränzen gesetzt, so würde sich alle in der Natur vorhandene Lebenskraft endlich in einem einzigen Organismus concentriren. Der Grund, warum dieses nicht geschieht, liegt in der Organi - sation des Universums, welche eine Mannichsaltig - keit von Individuen in der lebenden Natur erfor - dert. Jene Gränzen aber sind nur dann möglich, wenn ein Zeitpunkt für jedes lebende Individuum eintritt, wo es aufhört, Lebenskraft zu empfangen, aber fortfährt, dieselbe zu verliehren. Eine solche Revolution ist nur auf folgende Art erklärbar. Je - nes Medium von lebloser Materie, wodurch allePoten -94Potenzen der leblosen Natur auf den lebenden Or - ganismus einwirken, und auf welche jede Reitzung als belebend wirkt, verbindet sich nach ihrem Ue - bergange zum Leben nur so lange mit diesem Or - ganismus, als derselbe eine gewisse Stufe der Vita - lität noch nicht erstiegen hat. Sobald derselbe sich der vita maxima bis auf einen gewissen Punkt ge - nähert hat, hört sie auf, sich mit ihm zu Einem Ganzen zu vereinigen, organisirt sich zu einem eigenen Individuum, und giebt das Phänomen der Fortpflanzung des Geschlechts.
Dieses neue Individuum soll nun ebenfalls ei - nen gewissen Grad der Vitalität erreichen, um auch einst sein Geschlecht fortpflanzen zu können. Zu dem Ende muſs es eine Quelle haben, woraus es Zuwachs an Lebenskraft erhält. Eine solche Quelle sind, wie gezeigt ist, andere lebende Organismen, und es entzieht diesen Lebenskraft, indem es auf dieselben als Reitz wirkt. Die letztern aber können keine Organismen seyn, welche noch im Forschrei - ten zur vita maxima begriffen sind, weil dieses Fortschreiten mit Verluste an Lebenskraft unver - einbar ist. Es müssen also Organismen seyn, wel - che die Periode der Jugend schon zurückgelegt haben, und wir müssen voraussetzen, daſs bey die - sen keine Restauration der Lebenskraft weiter statt findet, weil die Quelle dieses Ersatzes doch endlich irgendwo aufhören muſs. Bis zur Vollziehung derGe -95Geschlechts - Funktion empfängt also der lebende Organismus nur Lebenskraft, ohne daſs ihm diesel - be wieder entzogen wird; nach jener Periode wird ihm nur Lebenskraft geraubt, und keine wieder ersetzt.
Um zu zeigen, wie bey diesem System Krank - heiten und deren Heilung möglich sind, müssen wir die Zeiten der Jugend und des Alters unterschei - den. In der erstern Periode kann ein doppelter widernatürlicher Zustand des lebenden Individuums statt finden: der Zuwachs an Lebenskraft kann ent - weder geringer, oder gröſser seyn, als zur Er - reichung des Zwecks, den es in der lebenden Natur zu erreichen hat, nothwendig ist. In jenem Falle wird die Erreichung der Stufe des Lebens, auf wel - cher die Fortpflanzung des Geschlechts erfolgt, ver - zögert, in dieser beschleunigt. In beyden Fällen entsteht ein Unvermögen des lebenden Individuums, auf eine solche Art thätig zu seyn, wie es die Or - ganisation der lebenden Natur erfordert, d. h. Krankheit. Zuwachs an Lebenskraft aber erhält der lebende Organismus nur dadurch, daſs er auf andere lebende Körper als Reitz wirkt, und diese Einwirkungen desselben werden durch Einwirkun - gen der Aussenwelt bestimmt. Folglich können Krankheiten in der Periode der Jugend einen drey - fachen Grund haben:
1) ein96In den beyden erstern Fällen ist die Heilung nur dadurch möglich, daſs die reitzenden Potenzen auf einige Zeit unter oder über ihr naturgemäſses Maaſs vermindert oder vermehrt werden, und daſs also eine der zu heilenden entgegengesetzte Krank - heit hervorgebracht wird. Im letztern Falle ist das erste Erforderniſs zur Heilung Wegräumung der Ursachen, welche die Einwirkung des lebenden Organismus auf die übrige lebende Natur ver - hinderten. Aber so lange dieses Hinderniſs statt fand, war der Organismus in seinem Fortgange zur vita maxima aufgehalten. Ein zweytes Erfor - derniſs zur Heilung ist daher eine temporäre Erhö - hung der reitzenden Potenzen über ihr mittleres Maaſs.
In der Periode des Alters lebt der Organismus nicht mehr für sich, sondern nur für andere. Nur in Beziehung auf andere lebende Individuen kann hier also ein widernatürlicher Zustand desselben eintreten, und dieser kann entweder in stärkerer, oder geringerer Entziehung von Lebenskraft beste - hen, als zur Erhaltung anderer Organismen erfor - derlich ist. Der erste Fall hat seinen Grund in Ue -ber -97bermaaſs an Reitzungen. Diese aber können entwe - der von Reitzen der leblosen Natur, oder von Ein - wirkungen lebender Organismen herrühren. Ist je - nes, so ist die Heilung nur durch eine temporäre Verminderung der reitzenden Potenzen unter ihr naturgemäſses Maaſs, und hierauf durch Erhöhung derselben bis zu diesem Mittelmaaſs möglich. Die zweyte Ursache setzt schon eine Krankheit eines andern Organismus voraus, und die Heilung beru - het hier also auf der Wiederherstellung des letz - tern — Im andern Falle, wo dem Organismus we - niger Lebenskraft entzogen wird, als die Organisa - tion der lebenden Natur erfordert, liegt die Schuld ebenfalls an einem andern Organismus, welcher we - niger reitzt, wie er seiner Bestimmung gemäſs soll - te, und die Heilung wird auch hier durch Wegräu - mung der Ursachen bewerkstelligt, welche die Ein - wirkung des letztern auf den erstern aufhielten, oder ganz aufhoben.
Sind lebensfähige Materie und Lebenskraft wechselseitig durch einander, so ergiebt sich gleich eine Folgerung, die unsern fernern Untersuchun - gen den Weg bahnet. Wirklicher Uebergang der lebenden Materie zur leblosen Natur kann alsdann nicht statt finden; Sterben kann nur Verwandlung einer gewissen Form des Lebens in eine andere, oder dasselbe für das physische Leben seyn, wasI. Bd. Gdie98die Seelenwanderung des Pythagoras für das geisti - ge seyn würde.
Jeder lebende Organismus steigt also in einer gewissen Form des Lebens von der vita minima her - auf zur vita maxima, und kehrt zurück zur vita minima, und beginnet und vollendet hierauf diesen Kreislauf in einer andern Form des Lebens.
Wir müssen folglich in diesem System mit Needham und Büffon gewisse Formen des Lebens annehmen, worin alle lebende Organismen, sowohl der Schimmel und das kleinste Insekt, als die Eiche und der Mensch nach dem Tode übergehen,
Die lebende Materie muſs daher an sich formlos, und jeder Form des Lebens fähig seyn. Eine be - stimmte Form muſs sie nur durch die Verbindung mit Stoffen der todten Natur erhalten, und jene Form muſs verschieden seyn nach der Verschieden - heit dieser Stoffe.
Eine andere Folgerung aus der obigen Voraus - setzung ist, daſs die Gleichförmigkeit der Reaktio - nen des lebenden Organismus bey ungleichen äus - sern Einwirkungen in diesem System nicht, wie in dem vorigen, von einer Entziehung der Lebens - kraft abgeleitet werden kann, sondern in einerdurch99durch diese Kraft bewirkten Neutralisirung der ein - wirkenden Potenzen seinen Grund haben muſs.
Die Natur des Lebens besteht in dem Vermö - gen der absoluten Ungleichförmigkeit der äussern Einwirkungen relative Gleichförmigkeit zu geben. Verschiedene Formen des Lebens sind also nur dann möglich, wenn jede Art von lebenden Organismen nur für gewisse äussere Einwirkungen jenes Ver - mögen besitzt, oder mit andern Worten, wenn die Lebenskraft desselben sich nur gegen gewisse ein - wirkende Potenzen thätig zeigt, und wenn alle übrige Potenzen die Materie des lebenden Organis - mus afficiren, ohne durch die Lebenskraft vorher gebrochen zu seyn.
Das Fortschreiten des Organismus von der vita minima zu höhern Stufen der Vitalität in einer be - stimmten Form des Lebens läſst sich weder aus ei - ner Zunahme der Lebenskraft allein, noch aus ei - nem Anwachse der bloſsen Materie erklären. Nur in der Verbindung des Organismus mit einer andern, in derselben Form des Lebens befindlichen Materie läſst sich der Grund hiervon aufsuchen.
Eben so kann auch der Uebergang von höhern Stufen des Lebens zur vita minima nicht von Ver - minderung der Lebenskraft, oder der Materie allein abgeleitet werden, sondern nur eine Trennung des Ganzen, wobey aber jeder Theil nach wie vor sei -G 2nen100nen ursprünglichen Antheil von Lebenskraft behält, kann diesen bewirken.
Intensive und extensive Vermehrung oder Ver - minderung der Lebenskraft sind also immer mit einander verbunden. Vom Entstehen des lebenden Organismus an bis zu seinen männlichen Jahren, wo die Lebenskraft im Wachsen begriffen ist, ver - gröſsert sich auch seine Masse; in der Periode des Alters, wo die Lebenskraft sinkt, wird auch diese Masse vermindert.
Vom Entstehen des lebenden Organismus an muſs folglich ein Vermögen in ihm vorhanden seyn, fremde lebende Materie seiner eigenen zu verähn - lichen und zu eigen zu machen, und dieses Vermö - gen muſs bis zu den männlichen Jahren thätig seyn, nach dieser Periode aber seine Wirksamkeit ver - liehren.
Ehe dieses Aufhören der Thätigkeit jenes Ver - mögens eintritt, erfolgt die Fortpflanzung des Ge - schlechts. Daſs also das letztere entweder Ursache des erstern, oder Mitwirkung desselben ist, leidet keinen Zweifel. Aber welches von beyden der Fall ist, und wie die Fortpflanzung des Geschlechts, oder die Ursache, worin dieses seinen Grund hat, die erwähnte Veränderung nach sich zieht? hier - über läſst sich so wenig bey dem gegenwärtigen, wie bey den vorhergehenden Systemen, etwas a priori bestimmen. Nur so viel ist einleuchtend,daſs101daſs bey dem gegenwärtigen System von den ver - schiedenen Zeugungstheorien blos die Epigenese zu - lässig ist.
Wir haben vorhin gezeigt, daſs die lebende Materie in einer bestimmten Form des Lebens sich zur vita maxima erhebt, indem sie fremde lebende Materie ihrer eigenen assimilirt. Da nun die leben - de Materie an sich gestaltlos ist, und erst durch die Verbindung mit Stoffen der leblosen Natur eine be - stimmte Form erhält, so kann diese Verähnlichung nur darin bestehen, daſs der assimilirende Organis - mus die zu verähnlichende Materie erst von den - jenigen Stoffen trennet, welche dieser eine von der seinigen verschiedene Form des Lebens gaben, und sie nachher mit denen wieder verbindet, wodurch die ihm eigene Form des Lebens bestimmt ist. Ei - ne solche Decomposition und Composition erfordert aber eine Thätigkeit des assimilirenden Organis - mus, und jede Thätigkeit des letztern setzt eine äussere Einwirkung voraus. Hiermit ergeben sich also dreyerley ihren Ursachen nach verschiedene Ar - ten von Krankheiten:
Dagegen läſst sich nicht bloſses Uebermaaſs an assimilationsfähiger Materie ohne Uebermaaſs an Reitzungen als eine Krankheitsursache betrachten, indem jeder Assimilation, wie vorhin bemerkt ist, Reitzungen vorhergehen müssen. Jene drey Krank - heitsursachen würden sich übrigens auf zwey zu - rückführen lassen, wenn die Erfahrung zeigte, daſs jede assimilationsfähige Materie das Reaktions - vermögen des lebenden Organismus zur Thätigkeit erweckt.
Ausser dieser Classe von Krankheitsursachen giebt es aber noch eine dritte. Verschiedene For - men des Lebens nehmlich sind nur dann möglich, wenn es ausser den eigentlichen Reitzen noch an - dere Potenzen giebt, die unmittelbar und ohne durch die Lebenskraft vorher gebrochen zu seyn, auf den lebenden Organismus einwirken, und wenn diese Potenzen verschieden sind bey verschiedenen Organismen. Die Einwirkung solcher Potenzen auf den lebenden Körper aber kann blos in Decompo - sitionen seiner Materie bestehen, und diese können dreyerley Veränderungen nach sich ziehen: Exal -tation103tation der Lebenskraft, oder Depression der - selben, oder Umwandelung der Form des Le - bens. Bey jeder dieser Veränderungen vollendet der lebende Körper den ihm vorgezeichneten Kreis - lauf früher, als er den Absichten der Natur gemäſs sollte, und jede derselben ist also krankhaft.
Die Art der Heilung bey diesen verschiedenen Krankheiten übrigens ist aus der Entstehung dersel - ben leicht abzunehmen.
Auf eines der drey Systeme, die wir im vorigen Capitel skizzirt haben, muſs sich jedes, das auf höhern Principien gebauet und consequent ist, zu - rückführen lassen. Diese Reduktion werden wir in der Folge anstellen, und dort wird auch man - ches, was an jenen Skizzen noch dunkel ist, seine Aufklärung finden. Jetzt sey unser nächstes Ge - schäft, den vortheilhaftesten Weg zu finden, um die drey aufgestellten Systeme mit der Erfahrung zu vergleichen. Ob die Summe unserer Erfahrun - gen schon so beträchtlich ist, daſs diese Verglei -G 4chung104chung entscheidende Resultate liefern kann, wird sich am Ende unserer Untersuchungen zeigen. Daſs aber unzählige Hindernisse fast jeden unserer Schritte erschweren werden, wird schon dieses Ca - pitel lehren.
Das erste jener Hindernisse legt uns schon gleich die Ordnung in den Weg, worin wir unsere Untersuchungen anzustellen haben. Wir haben hier mit einem Gegenstande zu thun, worin alles ein ewiger Cirkel ist, und wie wir es auch anfan - gen mögen, so werden wir es doch nie dahin brin - gen, die Regel, nichts als erklärt oder bewiesen vorauszusetzen, was erst im Folgenden seine Erklä - rung oder seinen Beweis findet, immer streng zu befolgen. Wie leicht sind hier also nicht Trug - schlüsse, und Cirkel in den Beweisen möglich!
Um indeſs eine Ordnung zu finden, die an je - nen Mängeln so wenig als möglich leidet, laſst uns annehmen, ein Wesen aus einer andern Welt, das in geistiger Hinsicht eben so beschränkt wäre, wie der Mensch, aber nicht die körperlichen Fesseln trüge, womit dieser beladen ist, beträte die Erde und machte denselben Gegenstand, womit wir uns in diesem Werke beschäftigen, zum Vorwurfe sei - ner Untersuchungen: nach welchem Plane würde dasselbe bey seinen Nachforschungen verfahren? Es würde zuerst eine Gränzlinie zwischen der le - benden und leblosen Natur zu ziehen suchen, danndie105die lebenden Organismen nach dem Beharrlichen, was es an ihnen anträfe, classificiren, hierauf die ganze lebende Natur als einen einzigen groſsen Or - ganismus betrachten, und sehen, in welchen Ver - hältnissen die verschiedenen Classen, Ordnungen und Gattungen, woraus derselbe zusammengesetzt ist, gegen einander und gegen die leblose Natur stehen, und nun in den Ruinen der Vorwelt den Veränderungen nachforschen, welche diese Verhält - nisse und jener Organismus selber erlitten haben. Von diesen Untersuchungen würde es sich zur Be - trachtung der Lebens-Erscheinungen wenden, die wir bey den verschiedenen Classen und Familien der lebenden Körper antreffen, dieselben durch alle verschiedene Modifikationen des Lebens verfolgen, und die Bedingungen und Gesetze derselben bestim - men. Es würde versuchen, diese Erscheinungen aus den Eigenschaften der letzten Grundtheile, worin sich der lebende Organismus durch mechani - sche Hülfsmittel zerlegen läſst, zu erklären, und wäre dieser Versuch gelungen, so würde es endlich noch sich bemühen auszumachen, welchen Antheil die verschiedenen Grundstoffe, woraus die organi - sirten Körper zusammengesetzt sind, an der Ent - stehung und Fortdauer der verschiedenen Lebens - Erscheinungen haben.
Dies ist nun auch der Weg, den wir bey un - sern künftigen Untersuchungen einschlagen werden. G 5Wir106Wir werden zuerst unsere Erklärung des Lebens auf Gegenstände der Erfahrung anwenden, oder die Frage zu beantworten suchen: welche Körper zur lebenden und welche zur leblosen Natur zu rechnen sind? Hierbey aber stoſsen wir auf eine nicht geringe Schwürigkeit. Wir kön - nen jene Erklärung nur da anwenden, wo wir schon eine hinreichende Menge von Erfahrungen haben. Allein wie viele Körper giebt es nicht, wo - bey uns diese noch fehlt, ja, woran nicht einmal Beobachtungen möglich sind. Vielleicht existiren daher manche Körper, die wir als leblos betrach - ten, welche aber in der That zur lebenden Natur gehören.
Der zweyte Gegenstand unserer Untersuchun - gen wird das Beharrliche in den Erschei - nungen des Lebens, oder die Organisa - tion der lebenden Körper seyn. Wir begreifen aber unter Organisation dreyerley:
Dieser Theil unsers Werks würde also eine Classifikation der Thiere und Pflanzen nach derVer -107Verschiedenheit ihrer Struktur, Textur und Mi - schung, oder eine vergleichende Anatomie und Che - mie der lebenden Natur enthalten. Allein um das Ziel unserer Untersuchungen nicht so weit hinaus - zusetzen, daſs wir die Erreichung desselben nicht hoffen dürfen, sehen wir uns genöthigt, von die - sem Theile der Biologie nur das Allgemeine zu be - rühren, und in Betreff des Speciellen auf die Schrif - ten unserer Vorgänger zu verweisen.
Wir betrachten hierauf die Organisation der lebenden Natur, oder die Verhältnisse, worin die lebende Natur, als ein einziger groſser Organismus, gegen das übrige Universum und je - der Theil derselben gegen die übrigen steht. Bey diesem Gegenstande, dessen ausführliche Bearbei - tung ohnehin weit mehr Raum erfordern würde, als uns hier vergönnet ist, fehlt es uns aber fast noch ganz an Vorgängern, und wir glauben daher auf Nachsicht Anspruch machen zu dürfen, wenn unsere Darstellung desselben dem Ideale nicht ganz entspricht, das man sich davon zu machen berech - tigt ist.
Die Organisation der lebenden Natur ist eben so wohl, als die eines jeden lebenden Individuums, einem beständigen Wechsel unterworfen. Wir wer - den einen kurzen Abriſs dieser Revolutionen der lebenden Natur entwerfen, und dann zurUnter -108Untersuchung der einzelnen Lebenserscheinungen übergehen.
Die Lebenserscheinungen lassen sich überhaupt in solche eintheilen, die blos dem Indivi - duum angehen, und in solche, welche auf die Fortpflanzung des Geschlechts ab - zwecken.
Die erstere Classe theilen wir weiter:
Zu denjenigen Lebenserscheinungen, welche blos dem Individuum angehen, und Gegenstände der äussern Sinne sind, gehört die Erzeugung, in - sofern sie den erzeugten Organismus be - trifft; das Wachsthum, nebst der Meta - morphose und Reproduktion; die Ernäh - rung, und diejenigen Lebenserscheinungen, die zunächst von der Ernährung abhängen, nehmlich der bestimmte Grad von Wärme der leben - den Organismen, das Leuchten verschiedener Thiere und Pflanzen, und die Lebenssphäre derselben.
Erzeugung, Wachsthum und Ernährung sind Erscheinungen, die allen lebenden Körpern ohneAus -109Ausnahme zukommen. Nicht so allgemein sind schon die drey letztern der obigen Phänomene. Auf eine noch geringere Anzahl von Organismen sind aber diejenigen Lebenserscheinungen einge - schränkt, die nicht wie die vorigen im Raume und in der Zeit, sondern blos in der Zeit geschehen, die wir nur an uns selber durch den innern Sinn wahr - nehmen, und andern Organismen blos nach der Analogie beylegen. Diese innern Lebenserschei - nungen zeigen sich entweder als Vorstellungen, oder als Bestrebungen. Zur Lehre von den erstern gehört mit die von den äussern Sinnen. Die Lehre von den letztern begreift die von den Trie - ben, Instinkten, Leidenschaften und will - kührlichen Handlungen.
Die zweyte Classe der Lebenserscheinungen enthält diejenigen, welche die Gattung betreffen, und auf die Fortpflanzung des Geschlechts abzwek - ken. Zu diesen gehört die monatliche Rei - nigung, die Begattung, Empfängniſs, Schwangerschaft, Geburt und das Säugen.
Alle Lebenserscheinungen finden wir auf ver - schiedene Art modifizirt, und diese Modifikationen sind Temperament, Geschlechtsverschie - denheit, Wachen und Schlaf, Jugend und Alter, Gesundheit und Krankheit. Die Betrachtung derselben wird den letzten Theil un -serer110serer Untersuchungen des ungetrennten leben - den Organismus ausmachen.
Bey diesen Untersuchungen betrachten wir die Lebenserscheinungen als Wirkungen der Kräfte des lebenden Organismus, insofern er ein Körper von einer eigenen Struktur, Textur und Mischung ist. Diese Ansicht ist die älteste von allen und die ein - zige, die in dem gröſsten Theile der ehemaligen physiologischen Lehrbücher herrscht. An Erfah - rungssätzen ist daher auch dieser Theil der Biolo - gie unter allen der reichhaltigste. Indeſs fehlt noch vieles, daſs jene Erfahrungen so benutzt sind, wie sie seyn könnten. Ein fruchtbares regulatives Princip bey der Anwendung derselben liefern uns die im zweyten Capitel dieser Einleitung bewiese - nen Sätze. Da nehmlich jede materielle Verände - rung aus dem Uebergewichte einer Kraft A über ei - ne ihr entgegengesetzte B entsteht, so muſs, wenn dieses Uebergewicht nicht fortdauern und nicht Ruhe das Produkt jener Veränderung seyn soll, ei - ne dritte Kraft C vorhanden seyn, welche das Ue - bergewicht wieder auf Seiten der Kraft B bringet. Wir sind daher berechtigt, zu jeder Wirkung sowohl einer Classe lebender Organismen auf die übrige lebende Na - tur und auf das Universum, als eines jeden Organs, oder Systems von Orga - nen auf den übrigen Organismus eineent -111entgegengesetzte aufzusuchen. Eben die - ses Princip findet man in Schellings Werken aus andern Vordersätzen abgeleitet, dessen Schrift über die Weltseele (S. 179. ff. ) zugleich Beweise von der Fruchtbarkeit der Anwendung desselben enthält.
Ein ausgerissenes Herz fährt noch eine Zeitlang fort, zu pulsiren; der Darmcanal äussert noch ausserhalb dem Körper peristaltische Bewegungen, und so setzen mit Einem Worte die meisten Organe nach ihrer Trennung vom übrigen Organismus ihre Lebenserscheinungen noch einige Zeit fort. Diese Thatsache giebt uns ein Mittel an die Hand, den Lebenserscheinungen der Grundtheile des Körpers, und den Gesetzen und Bedingungen derselben nach - zuforschen. Nun sind die Eigenschaften des Zu - sammengesetzten Resultate der Eigenschaften seiner Grundtheile und deren Verbindung. Gelingt es uns also, die Eigenschaften der letztern zu entdecken, so werden wir auch die Eigenschaften der verschie - denen Organe des Körpers zu erklären im Stande seyn.
Diese Ansicht der lebenden Organismen von Seiten ihrer Textur und Mischung ist bekanntlich erst seit Hallern ein Gegenstand der Untersu - chung geworden, und daher noch weit weniger reichhaltig an Erfahrungssätzen, als der vorige. Inzwischen liegen auch in der Natur dieser Unter - suchungen Schwürigkeiten, die bey den vorigenweg -112wegfallen. Erstens nehmlich sind in allen Organen die verschiedenen Grundtheile so innig mit einan - der verbunden, daſs in den meisten keine Abson - derung der letztern möglich ist. Das Hirn - und Nervenmark ist allenthalben mit Zellgewebe und Gefäſsen, der Muskel mit Zellgewebe, Gefäſsen, Nerven und Fett, und das Zellgewebe mit Gefäſsen und Fett durchwebt und umgeben. Bey Versuchen über das Hirn - und Nervenmark wird es also in den meisten Fällen ungewiſs seyn, ob die Resulta - te derselben ihnen, und nicht vielmehr dem Zell - gewebe und den Gefäſsen, die man in ihnen an - trifft, zugeschrieben werden müssen. Dieselbe Bewandniſs wird es mit Versuchen an den Muskeln und am Zellgewebe haben. Hier müssen wir also zu Schlüssen unsere Zuflucht nehmen, die uns aber meist nur Wahrscheinlichkeit, selten Gewiſs - heit verschaffen können. Eine zweyte Schwürig - keit bey diesen Untersuchungen macht der Um - stand, daſs wir von manchen Organen die Grund - theile noch nicht kennen. Wir wissen z. B. nicht mit Gewiſsheit, ob der Uterus und die Iris aus Zellgewebe oder Muskelfasern bestehen. Ja, bey einer groſsen Anzahl lebender Organismen reichen nicht einmal unsere Sinne hin, um hierüber zu entscheiden. Wer z. B. vermag zu bestimmen, ob der Körper des zarten Polypen aus Muskelfasern, oder aus Zellgewebe zusammengesetzt ist?
Fer -113Ferner geschehen alle Versuche des Biologen in der atmosphärischen Luft, also in einem Medi - um, das beständigen Veränderungen unterworfen und immer mit einer Menge fremdartiger Substan - zen angefüllt ist, welche den wichtigsten Einfluſs auf den lebenden Körper haben, und die Reinheit der Versuche trüben. In dieser Hinsicht hat der Biologe noch ein weit schlimmeres Schicksal, als der Chemiker, und jener sollte daher bey jeder sei - ner Beobachtungen zugleich die Temperatur der Luft, den Barometer - und Hygrometerstand, und mit Einem Worte alle veränderliche Eigenschaften der Atmosphäre, die wir zu erforschen im Stande sind, mit einer noch weit gröſsern Genauigkeit, als der letztere, angeben. Ich kenne aber keinen Be - obachter, der diese Regel befolgt hätte, und eben daher rühren gewiſs die vielen Widersprüche, die sich vorzüglich in der Lehre vom Galvanismus finden.
Endlich macht noch die Beantwortung der Fra - ge: Was Lebenserscheinungen sind? bey den erwähnten Untersuchungen Schwürigkeiten. Solange es an einer Erklärung des Lebens fehlte, war man nicht im Stande, diese Frage auch nur im Allgemeinen zu beantworten. Unserer obigen Erklärung zufolge können nur solche Phänomene Lebenserscheinungen heissen, welche gleichförmig bleiben, obgleich sie durch ungleichförmige undI. Bd. Hver -114veränderliche Einwirkungen veranlaſst sind, solan - ge nur diese Veränderlichkeit eine gewisse Gränze nicht überschreitet. Die Kraft, wodurch jene Gleichförmigkeit bewirkt wird, haben wir Lebens - kraft genannt. Folglich ist nur das Lebenserschei - nung, wobey Lebenskraft mit im Spiele ist.
So leicht nun aber auch die Bestimmung des Charakters der Lebenserscheinungen vermittelst un - serer Erklärung des Lebens im Allgemeinen ist, so wird doch die Anwendung hiervon auf einzelne Fälle immer noch äusserst schwürig bleiben. Ein Beyspiel giebt das Zellgewebe. An diesem und an den gröſstentheils aus ihm allein gebildeten Orga - nen, z. B. der Bauchhaut, dem Hodensacke u. s. w. bemerkt man zuweilen Contraktionen. Haller sa - he einen Kranken, dessen Unterleib und Oberschen - kel ganz steif waren, und wobey diese Steifheit endlich in eine Beugung desselben überging, ohne daſs sich eine andere Ursache, als eine Zusammen - ziehung des Zellgewebes jener Theile entdecken lieſs(c)Haller El. Physiol. T. IV. L. XI. S. 11. §. 3. p. 443.. Selbst in den harten, aber auch aus Zell - gewebe bestehenden Knochen zeigen sich zuweilen solche Contraktionen. Nach dem Ausfallen der Zähne im Alter schlieſsen sich die Zahnhöhlen, und bey der Nekrose zieht sich der neu erzeugte Knochen, nach der Herausnahme des vorigen ab - gestorbenen, bis zu seiner natürlichen Gröſse zu -sam -115sammen. Trennen wir Zellgewebe von dem übri - gen lebenden Organismus, und reinigen dasselbe von dem Blute und andern fremdartigen Dingen, so äussert dasselbe keine Zusammenziehungen, oder sonstige Bewegungen, solange keine äussere Einwirkungen auf dasselbe statt finden. Jene Con - traktionen erfolgen aber, wenn es mit kaltem Was - ser, verdünnter Salpeter - oder Schwefelsäure be - sprengt wird, und zwar lassen sich dieselben so - lange hervorbringen, als das Zellgewebe noch feucht ist. Auch erfolgen sie noch, wenn gleich alle übrige Organe keine Spuhren des Lebens mehr äussern, und der Leichnam nur noch weich und biegsam ist(d)Haller ibid. p. 444..
Sind diese Contraktionen nun Lebenserschei - nungen? Mehrere Schriftsteller verneinen diese Frage, und berufen sich auf die Zusammenziehun - gen, welche die Kälte und jene Säuren auch in leb - losen Körpern hervorbringen. Allein dieser Um - stand kann hier nichts entscheiden. Nicht die Art der Reaktionen, sondern die Art, wie dieselben durch äussere Einwirkungen erregt werden, macht den Unterschied zwischen den vitalen und leblosen Bewegungen. Die Beantwortung jener Frage beru - het auf der Entscheidung des Punkts: ob bey jenen Bewegungen des Zellgewebes Lebenskraft mit imSpie -H 2116Spiele ist? Das Criterium hiervon ist die Abnahme der relativen Stärke der äussern Einwirkungen bey der Zunahme ihrer absoluten Stärke, und die Zu - nahme der erstern bey der Abnahme der letztern. Allein die Zusammenziehungen des thierischen Zell - gewebes geschehen so langsam, daſs es schwer hält, dieses Criterium darauf anzuwenden. Schnel - ler gehen die Contraktionen vor sich, welche ver - schiedene Vegetabilien, z. B. die mimosa pudica, äussern. Wäre es ausgemacht, daſs der Körper dieser Organismen blos aus Zellgewebe besteht, so würde sich jener Punkt durch Versuche an diesen entscheiden lassen. Aber dann entstände wieder die Frage: ob sich von dem vegetabilischen Zellgewebe auch auf das thierische schliessen läſst? Und so kommen wir hier von einer Schwürigkeit auf die andere.
In den festen Theilen des lebenden Organis - mus hören alle Lebenserscheinungen auf, sobald die Textur desselben zerstöhrt ist. Ueber die Mi - schung der lebenden Organe können wir also keine Versuche anstellen, ohne ihre Textur mit in An - schlag zu bringen, und bey unsern empirischen Untersuchungen über die erstere müssen wir uns also begnügen, nur durch Schlüsse auszumachen, welchen Antheil die Textur und welchen die Mi - schung an der Hervorbringung der Lebenserschei - nungen hat. Nur die Aktionen der flüssigen Thei -le117le sind Resultate ihrer bloſsen Mischung, und nur an diesen lassen sich daher direkte Versuche über die letztere machen. Aber hierbey kommen wir wieder auf die Frage: ob jene Phänomene auch Lebenserscheinungen sind? Hierher gehört die im ersten Capitel dieser Einleitung berührte Streit - frage über die Vitalität des Bluts. Vermittelst des oben angegebenen Charakters der Lebenserschei - nungen läſst sich diese Frage jetzt leicht im Allge - meinen beantworten. Das Blut, und überhaupt jede Flüssigkeit ist belebt, wenn die Erscheinun - gen, die wir an demselben wahrnehmen, ohnge - achtet der Veränderlichkeit der äussern Einwirkun - gen, wodurch dieselben erregt werden, dennoch etwas Bleibendes und Unveränderliches haben; hin - gegen ist sie leblos, und nicht zum lebenden Or - ganismus, sondern zur Aussenwelt gehörig, wenn dies nicht der Fall ist. Die Anwendung dieses Cri - teriums aber wird freylich noch groſsen Schwürig - keiten unterworfen bleiben.
Hier endigen sich unsere empirischen Untersu - chungen der Lebenserscheinungen, oder die Na - turgeschichte des physischen Lebens. Je ärmer dieser analytische Theil der Biologie an Erfahrungssätzen ist, desto schwankender muſs auch der folgende synthetische Theil derselben aus - fallen; hingegen je reicher jener, desto fester die - ser. Der Weg der Erfahrung, erleuchtet durchH 3Phi -118Philosophie der Natur, ist also der einzige, den wir gehen dürfen, wenn sich die Biologie, und mit ihr andere der wichtigsten Fächer des mensch - lichen Wissens ihrer Vollendung nähern sollen. Er ist dornicht, und von unabsehbarer Länge. Aber mögen wir das Ende desselben erreichen, oder nicht; schon unsere Bemühungen, zu diesem Ziele zu gelangen, werden belohnend genug seyn. “Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein „ Mensch ist, oder zu seyn vermeinet, sondern die „ aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter „ die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des „ Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern „ durch die Nachforschung der Wahrheit vermeh - „ ren sich seine Kräfte, worin allein seine immer „ wachsende Vollkommenheit besteht. Der Besitz „ macht ruhig, träge, stolz — Wenn Gott in seiner „ Rechten alle Wahrheit, und in seiner Linken den „ einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, ob - „ schon mit dem Zusatze, mich immer und ewig „ zu irren, verschlossen hielte, und spräche zu „ mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine „ Linke, und sagte: Vater gieb! Die reine Wahr - „ heit ist ja doch nur für dich allein”. — So sprach ein Weiser, und dieser Wahlspruch sey auch der unsrige.
Der Geist strebt nach Einheit im Mannichfaltigen, und er verschafft sich diese durch Vermuthungen, wo sie ihm die Erfahrung nicht liefern kann. Jede empirische Wissenschaft ist aber noch sehr weit von jener Stufe entfernt, wo das Feld der Erfah - rungen nicht mehr unangebaute Stellen hat, und kei - ne weiter als die Biologie. Erwägen wir die im vorigen Capitel aufgezählten Hindernisse, die sich jeder biologischen Erfahrung entgegenstellen, so - ist es sogar unwahrscheinlich, daſs diese Wissen - schaft jene Stufe von Vollkommenheit jemals errei - chen wird. Was ist hier also zu thun? Sollen wir die Lücken, die uns in dem empirischen Theile der Biologie fast bey jedem Schritte aufstoſsen, durch Vermuthungen ausfüllen, oder sollen wir sie unergänzt lassen?
Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Fra - ge leicht zu finden. Ist Einheit im Mannichfaltigen ein Bedürfniſs des menschlichen Geistes, so machtH 4ent -120entweder eure Schüler mit keinen Gegenständen bekannt, bey denen Wahrscheinlichkeit die Stelle der Gewiſsheit vertreten muſs, oder stillet ihnen jenes Bedürfniſs. Und würden sie es auch am En - de nicht selber befriedigen, wenn ihr es nicht thä - tet? Zudem, Vermuthungen und Hypothesen aus Erfahrungswissenschaften verbannen, heiſst den Weg zu allen weitern Erfahrungen versperren. Um zu beobachten, müssen wir wissen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit zu richten haben. Aber woher dies wissen, ohne Erwartung eines möglichen, oder wahrscheinlichen Erfolgs, das heiſst, ohne Vermuthungen und Hypothesen? Die Natur-Wissenschaften würden geistlose Namenre - gister seyn, wenn man sich blos auf das Sammeln von Thatsachen eingeschränkt hätte. Sie wurden das, was sie sind, nur dadurch, daſs man das Sichtbare an ein höheres Unsichtbares knüpfte, ihm dadurch Sinn und Deutung gab, und so in das Mannichfaltige der Erscheinungen Einheit brachte.
Von dieser Seite sind also Vermuthungen und Hypothesen in der Biologie nicht nur zulässig, son - dern auch nothwendig. Allein es giebt hierbey noch einen andern Gesichtspunkt, und aus diesem erscheint die obige Frage in einem ganz andern Lichte. Die Biologie nehmlich ist die Grundlage der praktischen Heilkunde. Indem ihr also, ruft man uns zu, Thatsachen in jener mit bloſsen Wahr -schein -121scheinlichkeiten vermischt, macht ihr die Stützen der letztern wankend, und diese selber zu einer gefährlichen Kunst. Ihr wendet freylich ein, daſs der Miſsbrauch den rechten Gebrauch nicht auf - hebt; aber mit Unrecht. Denn wo der Miſsbrauch häufiger, als der rechte Gebrauch ist, wird jener durch diesen allerdings aufgehoben. Haltet euch also mit uns an die reine Erfahrung, und hütet euch vor allen schimmernden Hypothesen, die den Arzt, unter dem Versprechen einer gröſsern Leich - tigkeit in der Ausübung seiner Kunst, zum Gift - mischer und Meuchelmörder machen!(e)Noua indies prolata, quae examen non sustinent, pestes sunt in schola medica, tum quod discere et dediscere temporis irreuocabilis iactura sit; tum quod systema docere, idque mutare, aliud forsitan ineptius adoptare, reiicereque, docentibus turpe sit, et no - xium discentibus. Utinam demum foecunda fingen - di ingenia Systematum suorum inanitate defatiga - ti, deque eorumdem nocumento conuicti eo demum usque saperent, ut caducae inuenti systematis glo - riolae abnegantes, ad salutare Naturae studium, quo vnico Hippocrates, quo solo, quotquot magni viri Hippocratem sequuti sunt, claruerunt, aeternumque clarebunt, animos nobiscum intenderent, Artisque pomoeria more Hippocratico extendere satagerent! (De Haen rat. med. T. VIII. p. 201.) Aehnliche Er - eiferungen gegen alle medicinische Systeme s. beym Sydenham (opp. med. P. I. p. 8, 407), Bagli〈…〉〈…〉(Prax..
SoH 5122So sprechen alle jene Aerzte, die sich vorzugs - weise rationelle Empiriker nennen, und es läſst sich ihnen nichts entgegensetzen, wenn ihre Kunst, wie sie behaupten, wirklich auf reiner Erfahrung beruhet — Laſst uns unpartheyisch untersuchen, was an dieser Behauptung Wahres ist!
Es giebt zwey Wege für den praktischen Arzt, den der Empirie, und den des Dogmatismus.
Medicinische Empirie nenne ich die Kunst, ei - nen gegenwärtigen individuellen Fall einem andern, zuvor beobachteten, in welchem gewisse Arzneyen die Gesundheit wieder herstellten, anzupassen.
Ihre Theorie besteht in einer Sammlung getreu - er Beobachtungen über die Wirkungen der Arzney - mittel in den verschiedenen Krankheiten, und in einer genauen Bestimmung der Kennzeichen dieser Krankheiten.
Mit völliger Gewiſsheit kann der Empiriker nur dann die Wirkung, welche ein gewisses Arz - neymittel hervorbringen wird, vorherwissen, wenn der gegenwärtige Fall mit dem schon sonst beobach - teten in allen Stücken übereinstimmt. Sobald diese Uebereinstimmung nicht statt findet, muſs er über den Erfolg seiner Bemühungen mehr oder weniger in Ungewiſsheit seyn. Hier giebt es für ihn nur zwey Auswege:
1) Der(e)Prax. med. L. I. C. XI. L. II. C. II), und De Haen (L. c. T. XII. C. IV).
1231) Der gegenwärtige Fall stimmt mit dem schon sonst beobachteten zwar nicht in allen, aber doch in vielen Stücken überein.
Diese Stücke, worin ein vorhandener Fall mit einem schon sonst beobachteten übereinkömmt, ma - chen zusammengenommen das aus, was man In - dikation nennet. Je mehr solcher Stücke zuge - gen sind, desto gröſser ist die Indikation zum Ge - brauche des Mittels, welches in dem schon ehedem beobachteten Falle eine bestimmte Wirkung her - vorgebracht hat, desto mehr hält sich der Empiri - ker für berechtigt, zu schliessen, daſs dieselbe Wirkung auch in dem vorhandenen Falle erfolgen wird. Je mehr solcher Stücke, welche die Indika - tion zum Gebrauche eines gewissen Mittels ausma - chen, der Empiriker aufzufinden weiſs, desto gröſser ist sein praktisches Genie; je weniger, desto mehr nähert er sich dem groben Quacksalber.
2) Die Kennzeichen, wodurch sich der gegen - wärtige Fall auszeichnet, bestehen aus den Kennzeichen zweyer oder mehrerer schon ehe - dem beobachteter Fälle.
Hier hat der Empiriker einen doppelten Weg: er wendet entweder eine Mischung der verschiede - nen Mittel an, welche in jedem der beobachteten Fälle, aus deren Kennzeichen die Merkmale des ge - genwärtigen Falls zusammengesetzt sind, die er -wünsch -124wünschte Wirkung hervorbrachten; oder er wen - det sie nach einander an.
Die Grundlage der Empirie besteht also in Be - obachtungen der iuuantia und nocentia. Je getreuer und zahlreicher diese Beobachtungen sind, desto mehr Gewiſsheit erhält der theoretische Theil der - selben, dessen Ideal eben so wahr und ungezwei - felt ist, wie irgend ein Theil der Mathematik.
Der medicinische Dogmatismus lehrt, aus dem Wesen einer Krankheit die zur Heilung derselben erforderlichen Mittel finden.
Das Wesen einer Krankheit läſst sich nur aus den sinnlichen Merkmalen derselben erkennen. Mithin bedarf der Dogmatiker eben sowohl einer Kenntniſs dieser Merkmale, wie der Empiriker. Nur schlieſst dieser unmittelbar aus jenen Merkma - len auf die erforderlichen Arzneyen, jener hinge - gen zuvor auf das Wesen der Krankheit, und erst hieraus auf die nöthigen Mittel.
Der Weg des Empirikers ist also kürzer, als der des Dogmatikers. Aber wozu denn einen Um - weg nehmen, wenn wir in grader Richtung zu demselben Ziele gelangen können?
Allerdings kann der praktische Arzt des Dog - matismus ganz entbehren, wenn medicinische Er - fahrung möglich und anwendbar ist. Wir werden also zu untersuchen haben, ob und in wie fern dieses der Fall ist.
Erfah -125Erfahrung ist das anerkannte Verhältniſs von Ursache und Wirkung zweyer Erscheinungen ge - gen einander. Es giebt zwey Wege zur Entdek - kung dieses Verhältnisses. Wir erkennen es ent - weder daraus, daſs wir jene Erscheinungen oft mit einander verbunden sehen; oder wir verschaffen uns in Betreff desselben Gewiſsheit, indem wir die Umstände abändern, unter welchen die eine Er - scheinung erfolgt, und sehen, ob diese Abände - rung Einfluſs auf das andere Phänomen hat. Der erstere Weg ist der der Induktion, und dieser führt selten zur Gewiſsheit, meist nur zur Wahr - scheinlichkeit, und dies häufig erst nach langen und mühsamen Untersuchungen. Der letztere Weg ist der des Experimentirens, und der ist der ein - zige, auf dem sich zur völligen Gewiſsheit gelangen läſst. Von diesen beyden Wegen nun ist der letz - tere dem Arzte verschlossen, und blos der erstere steht ihm offen. Hieraus ergiebt sich erstens: daſs alle medicinische Erfahrung meist nur auf Wahrscheinlichkeit, selten auf Gewiſsheit Anspruch machen kann.
Aber auch der Weg der Induktion ist dem Arz - te in sehr vielen Fällen versperrt. Erscheinungen nehmlich, bey denen wir ein Causalverhältniſs muthmaſsen, folgen entweder auf einander, oder sind coexistirend. In beyden Fällen läſst sich auf ein solches Verhältniſs nicht eher schliessen, als bisdarge -126dargethan ist, daſs jene Phänomene nicht Coeffekte irgend einer dritten Ursache sind. Im erstern Fal - le, wo die beobachteten Phänomene der Folge nach mit einander in Verbindung stehen, läſst sich die - ser Beweis auf dem Wege der Induktion nur daraus fuhren, daſs bey dem Gleichbleiben oder der Ver - änderung des einen Phänomens auch ein Gleichblei - ben oder eine Veränderung des andern statt findet. Nun beziehen sich die meisten Beobachtungen des Arztes auf die Frage: ob zwischen gewissen Ein - wirkungen der Aussenwelt auf den menschlichen Körper und gewissen Erscheinungen des letztern eine Causalverbindung statt findet? Der Arzt kann also nur da auf eine solche Verbindung schliessen, wo diese Erscheinungen und jene Einwirkungen so mit einander verbunden sind, daſs bey einer quan - titativen oder qualitativen Veränderung der letztern eine ähnliche Veränderung der erstern eintritt. Der Natur des lebenden Organismus gemäſs, die in der Gleichförmigkeit der Erscheinungen bey ungleich - förmigen Einwirkungen der Aussenwelt besteht, findet aber bey ihm nie ein gleiches Verhältniſs zwi - schen den Einwirkungen und Gegenwirkungen statt, als nur da, wo jene gewisse Schranken über - schreiten. Hier ist also durch Induktion zu keinen auch nur wahrscheinlichen Resultaten zu gelangen. Um diese zu erhalten, müſste der Arzt jene Einwir - kungen nach Gefallen verstärken, schwächen und verändern, also Versuche mit dem menschlichenKör -127Körper anstellen können, welches, wie gesagt, sel - ten oder gar nicht angeht.
Noch unsicherer aber ist der Weg der Induk - tion im zweyten Falle, wo die beobachteten Phäno - mene coexistirend sind. Dieser Fall tritt am häu - figsten da ein, wo es darauf ankömmt, zu entschei - den, ob eine Thätigkeit des thierischen Organismus mit einer andern in Causalverhältnisse steht. Hier ist es nicht, wie im ersten Falle, hinreichend, dieses Verhältniſs aus dem Nicht-Vorhandenseyn einer dritten Ursache, wovon beyde Phänomene Coeffekte seyn könnten, zu beweisen; es muſs auch ausgemacht werden, welche von diesen Er - scheinungen Ursache und welche Wirkung ist. Sind aber nun jene Phänomene Thätigkeiten eines und desselben Organismus, so ist hierüber keine Entscheidung durch die Erfahrung als auf dem Wege des Experimentirens möglich, folglich wieder auf einem Wege, den der Arzt nicht einschlagen darf.
Aus dem Gesagten folgt also zweytens, daſs es Fälle giebt, wo gar keine medicini - sche Erfahrung möglich ist.
Inzwischen läſst sich nicht läugnen, daſs in einigen Fällen diese Schwürigkeiten durch lange und vielfältige Beobachtungen überwunden werden kön - nen. Aber ihre Ueberwindung schafft meist nur dem Ueberwinder selber, und keinem Andern Vortheile. Je -128Jede Erfahrung nehmlich, die Andern nützen soll, muſs sich durch Worte, womit jeder einen bestimm - ten Begriff verbindet, mittheilen lassen, muſs ob - jektiv seyn. Objektive Begriffe verschffat uns aber blos der Sinn des Gesichts. Alle übrige Sinne geben uns mehr oder weniger subjektive Begriffe. Am meisten objektiv sind noch die des Getastes und Gehörs, am wenigsten die des Geruchs und Ge - schmacks. Das Gemeingefühl ist ganz subjektiv, und kann zu gar keinen objektiven Erfahrungen führen. Wie wenige medicinische Erfahrungen giebt es aber, die sich ganz objektiv machen lie - ſsen! Die Kennzeichen, wodurch sich eine be - obachtete Krankheit von andern unterscheidet, be - ruhen immer zum Theil auf subjektiven Empfin - dungen des Kranken und des Arztes, und alle noso - logische Systeme sind daher mehr oder weniger ei - nen Natursystem ähnlich, worin die Pflanzen nach ihrem Geruche, Geschmacke, der Rauhheit oder Glätte ihrer Blätter, und die Thiere nach den Tö - nen, die sie hervorbringen, classifizirt wären. Man nehme die Kennzeichen der ersten Krankheit, die einem beyfällt, und man wird sich von der Wahrheit unserer Behauptung bald überzeugen. Pathognomonische Charaktere des Faulfiebers z. B. sind: eine brennende Hitze (calor mordax); ein ge - schwinder, kleiner, weicher und schwacher Puls; dumpfe und drückende Schmerzen im Hinterhaup - te; ein eigener widriger Geruch des Athems, derAus -129Ausdünstung, des Harns und des Stuhlgangs; u. s. w. Ist unter diesen Kennzeichen ein einziges, das auf andern, als subjektiven Empfindungen des Kranken, oder des Arztes beruhet? Wäre Bordeu’s Pulslehre auch, was sie nicht ist, in der Natur ge - gründet, so würde sie doch, eben weil sie blos auf subjektiven Erfahrungen sich gründete, für die me - dicinische Praxis von geringem oder gar keinem Werthe seyn.
Hieraus läſst sich die Behauptung der empiri - schen Aerzte erklären, daſs der Anfänger in der medicinischen Praxis gezwungen sey, die Lehren der Schule zu vergessen, und aus der Praxis selbst die Regeln der Praxis zu erlernen. Entweder es liegt in dieser Behauptung gar kein Sinn, oder es kann nur der seyn, daſs die Grundsätze der Heil - kunst gröſstentheils subjektiv sind, und durch kei - nen Unterricht objektiv gemacht werden können, sondern blos aus eigener Erfahrung geschöpft wer - den müssen.
Die obigen Sätze zeigen auch die Richtigkeit des Satzes: daſs der Arzt mehr als irgend ein ande - rer Künstler gewisser Anlagen zur Ausübung seiner Kunst bedarf, und daſs auch die ausgebreitetste Ge - lehrsamkeit und der gröſste Scharfsinn den Mangel derselben nicht ersetzen kann. Die Benutzung sub - jektiver Erfahrungen setzt nehmlich eine gleiche Stimmung der Empfindungsorgane bey dem, derI. Bd. Isie130sie zuerst machte, und dem, der sie wiederhohlet, also etwas voraus, das sich weder durch geistige Cultur, noch durch Uebung erwerben läſst. — Eben dieses Erforderniſs aber macht es unmöglich, über die Tauglichkeit eines Menschen zur Ausübung der Heilkunde, und über die Gröſse eines Arztes zu urtheilen. Aus der Menge der Kranken, die unter der Behandlung des letztern genesen, läſst sich die Gröſse desselben nicht schätzen: denn jene ist ab - hängig vom Zufalle. Aus dem Grade seiner geisti - gen Cultur gilt eben so wenig ein Schluſs auf seine Talente als Heilkünstler, da diese Folgen der Orga - nisation sind, und mit jener nichts gemein haben. Blos er selbst könnte über seine Talente ein Ur - theil fällen; aber wer schmeichelt sich nicht, der begünstigte Liebling der Natur zu seyn!
Aus dem Subjektiven der medicinischen Erfah - rungen läſst sich ferner der groſse Werth erklären, den die empirischen Aerzte auf ihr sogenanntes praktisches Gefühl setzen. Dogmatiker ha - ben diesen Ausdruck als nichtssagend darzustellen gesucht. Aber versteht man darunter eine ange - bohrne, durch Uebung vermehrte Fertigkeit in der Auffindung und Anwendung subjektiver Erfahrun - gen, so erhält er eine sehr reelle Bedeutung, und so erscheint er allerdings als ein nothwendiges Er - forderniſs zu einem geschickten empirischen Arzte.
Aus den obigen Sätzen erhellet endlich, in wel - chen Theilen der Heilkunde objektive Erfahrungmög -131möglich, und in welchen dieselbe unmöglich ist. Möglich ist sie bey den meisten örtlichen Krankhei - ten, deren Entstehung, Verlauf und Symptome sich durch den Sinn des Gesichts beobachten las - sen, also bey den meisten chirurgischen Uebeln. Unmöglich, oder doch äusserst schwürig ist sie bey allen übrigen Krankheiten, die keine Gegenstände des Gesichts sind, also bey den innerlichen, oder ausschlieſslich sogenannten medicinischen Krank - heiten. Daher die Vorzüge der Chirurgie vor der Medicin in Hinsicht ihrer Gewiſsheit.
Das Hauptresultat der bisherigen Sätze aber ist, daſs bloſse Empirie zur Richtschnur in der ausübenden Heilkunde durchaus nicht zureicht. Findet man übrigens die obi - gen Gründe zum Beweise dieser Behauptung noch nicht zulänglich, so nehme man hierzu noch fol - gende, und man wird an der Richtigkeit derselben nicht mehr zweifeln können.
Die leblose Natur steht gröſstentheils unter un - serer Herrschaft. Wir können über die meisten Ge - genstände derselben Beobachtungen und Versuche anstellen, wenn und wo wir wollen, und jede die - selben betreffende Frage, die wir auszumachen wünschen, nach Gefallen beantworten. Und doch besitzen wir über die leblose Natur der reinen Er - fahrungen noch so wenige, und wandeln noch inI 2den132den Vorhöfen derselben, und haben kaum noch eine Ahndung von dem, was ihr Heiligthum ver - schlieſst! Wie läſst sich also erwarten, daſs Beo - bachtungen des lebenden menschlichen Organis - mus, wobey tausend Schwürigkeiten statt finden, die dem Physiker nicht im Wege stehen, eine so groſse Anzahl reiner Erfahrungen, wie der Empiri - ker zur Ausübung seiner Kunst bedarf, liefern können?
Jeder Mensch, er gehe mit noch so reinem Herzen an das Studium der Natur, hat gewisse Lieblingsmeinungen, die seinem Beobachtungsgei - ste Fesseln anlegen. Wer sich mit Gegenständen beschäftigt, worüber objektive Erfahrungen mög - lich sind, kann diese Ketten abwerfen; ja, sie müssen ihm endlich abfallen, wenn er nicht schon von Vorurtheilen ganz verblendet ist. Aber wer mit Beobachtungen umgeht, die nur zu subjektiven Erfahrungen führen können, bleibt ewig den Ge - fahren der Täuschung ausgesetzt. Sieht er Dinge, die mit seinen Lieblingsideen übereinstimmen, so kann er gefunden haben, was er finden wollte; ist er eben dieser Ursache wegen miſstrauisch ge - gen seine Beobachtungen, und glaubt er nach öf - terer Wiederhohlung derselben eine Täuschung in ihnen entdeckt zu haben, wer bürgt uns, daſs gera - de dieses Miſstrauen nicht die Quelle einer ent - gegengesetzten Täuschung geworden ist? Die Ue -berein -133bereinstimmung, oder Nicht-Uebereinstimmung der Beobachtungen Anderer mit den seinigen ist ebenfalls zum Beweise oder zur Widerlegung der letztern nicht immer hinreichend: denn diese An - dern sind ebenfalls der Täuschung aus vorgefaſs - ten Meinungen unterworfen, und überdies kann den Sinnen derselben die zu jener Beobachtung erforderliche Stimmung fehlen. Hier ist also nicht einmal bey einem und demselben Menschen, und noch viel weniger bey verschiedenen Personen Ue - bereinstimmung zu erwarten. — Dies übrigens giebt den Schlüssel zur Erklärung der bekannten That - sache, daſs auch die unsinnigsten Meinungen und Systeme sich den medicinischen Erfahrungen an - passen lassen, und es zeigt zugleich, daſs keine Widerlegung derselben aus der Erfahrung möglich ist. Wenn Helmont die Seele in den Magen ver - setzte, und sich dabey auf sein Gefühl berief, wer konnte ihn widerlegen? Und wenn der Arzt, der dem Blutlassen hold ist, da einen harten und vollen Puls fühlet, wo der Freund von reitzen - den Mitteln Schwäche und Weichheit im Schlage der Arterien findet, wer vermag den Zwist auszu - gleichen?
Gesetzt aber auch, diese Schwürigkeiten stän - den dem beobachtenden Arzte nicht im Wege, wo - her wissen wir, daſs er seine Beobachtungen uns unverfälscht überliefert hat? Die Erfahrungen desI 3Phy -134Physikers lassen sich wiederhohlen und prüfen, und er darf daher nicht verfälschen, wenn er auch dazu aufgelegt ist. Aber den Arzt drückt nicht die Furcht vor der Entdeckung eines Betrugs. Er kann bey gehöriger Vorsicht täuschen, ohne Ge - fahr, der Täuschung je überführt zu werden. Zwar sagt man: die Natur hat ein Gepräge der Wahrheit, das keine Kunst nachahmen kann. Aber angenommen, daſs diese Behauptung auch ihre Richtigkeit hat, so wird doch jenes Gepräge schwer aufzufinden, und noch schwerer zu entzif - fern seyn, und kein Menschenalter wird hinrei - chen, um diese Arbeit mit jeder Erfahrung vor - zunehmen. Jede Erfahrung, wovon wir Gebrauch machen wollen, muſs aber dieser Prüfung unter - worfen werden, und zwar von uns selbst unter - worfen werden: denn nur auf unser eigenes Ur - theil, nicht auf die Aussagen Anderer, die von Vor - urtheilen und Leidenschaften verblendet seyn kön - nen, durfen wir uns hierbey verlassen.
Endlich, wenn wir auch diese Schwürigkeit bey Seite setzen, und dem Empiriker einen noch so groſsen Reichthum an reinen objektiven Erfah - rungen zugestehen, so bleibt doch bey allem dem die Anwendung dieser Schätze für ihn höchst be - schränkt. Um nehmlich mit der Gewiſsheit eines glücklichen Erfolgs eine Arzney, die in einem beo - bachteten Falle heilsame Wirkungen hervorbrachte,in135in einem andern Falle anwenden zu können, müs - sen beyde völlig mit einander übereinstimmen. Aber in der lebenden Natur giebt es keine zwey Fälle, wobey eine solche Uebereinstimmung statt findet. Sie wechselt unaufhörlich ihre Gestalten, und nimmt nie die vorigen wieder an, und nir - gends thut sie dies mehr, als in Krankheiten. Der Empiriker kann daher blos nach dem Grundsatze handeln, daſs einerley Ursache in Fällen, die in ei - nigen Stücken übereinstimmen, ähnliche Wirkun - gen hervorbringen wird, das heiſst, sich blos durch Analogie in seiner Praxis leiten lassen. Analogie kann indeſs nie unmittelbar, sondern nur mittelbar durch entscheidende Versuche, die sie veranlaſst, zur Gewiſsheit führen. Aber der Arzt soll und darf keine Versuche anstellen; er soll Ge - wiſsheit haben, um zu handeln, und nicht han - deln, um Gewiſsheit zu erhalten. Was bleibt also von der Kunst des Empirikers übrig?
Ganz anders ist es mit dem Dogmatiker. Zwar bedarf auch er, so gut wie der Empiriker, einer Kenntniſs der Symptome der Krankheit, die er hei - len soll; zwar stehn auch ihm bey Erwerbung die - ser Kenntniſs die nehmlichen Hindernisse im We - ge, womit dieser zu kämpfen hat. Auch er muſs sich auf das trügliche Zeugniſs des Kranken und des Gefühls verlassen. Aber, und dies ist der Hauptvorzug des Dogmatismus vor der rationellenI 4Em -136Empirie, er braucht sich doch nur zum Theil dar - auf zu verlassen; er kann jenes Zeugniſs berichti - gen. Die Krankheitssymptome sind Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung; was ihnen zum Grunde liegt, oder die Krankheit selbst, entzieht sich den Sinnen, und dies ist das Unbekannte, was der Dogmatiker sucht; die veranlassenden Ur - sachen der letztern lassen sich wieder durch Beobach - tungen ausmachen. Die Krankheitssymptome, die Krankheit selbst, und deren veranlassenden Ursa - chen machen also eine Kette von Ursachen und Wirkungen aus, worin der Dogmatiker das erste und letzte Glied kennt, oder wenigstens zu er - kennen im Stande ist, und das mittlere aufsucht. Ist das erste Glied anders, so muſs auch das letz - te anders seyn, und umgekehrt. Mangelhafte Kenntniſs des erstern kann folglich der Dogmatiker durch genauere Untersuchung des letztern, und mangelhafte Kenntniſs des letztern durch sorgfäl - tigere Erforschung des erstern berichtigen. Uebri - gens muſs auch das gröſste Genie bey der Empirie unter der Last der unzähligen zerstreuten Thatsa - chen erliegen. Nur dann assimilirt sich das Man - nichfaltige dem Geiste, nur dann bleibt es ihm im - mer gegenwärtig, wenn er Einheit darin erblickt. Und diese Einheit findet er nur beym Dogmatismus.
Nach dem bisher Vorgetragenen läſst sich nicht weiter zweifeln, daſs medicinische Praxis ohne al -len137len Dogmatismus schlechterdings unmöglich ist. Und wirklich spricht auch für diese Unmöglichkeit die ganze Geschichte der Medicin. Man durchgehe die Schriften der Sydenham, Bagliv, De Haen, Stoll u. s. w., und man wird finden, daſs ihr Verfahren doch gröſstentheils dogmatisch war, so sehr sie auch gegen allen Dogmatismus eiferten, so sehr sie sich auch bestrebten, blos die rationelle Empirie zur Grundlage der praktischen Heilkunde zu machen. Teste Plinio, sagt z. B. Bagliv, ig - nota sunt, per quae vivimus; sed si quid ipse iu - dicare valeo, ignotiora sunt, per quae aegrotamus; nam minimum illud primo-primum et immedia - tum, quod morbos producit, a nobis profecto est incomprehensibile. Undenam igitur in tanta rerum asperitate hauriendae sunt indicationes curativae in morbis? Fateor in hisce angustiis ad sola sensuum testimonia esse refugiendum; id est postquam diu et patienter observaverimus, quo pacto natura se gerat in morbi productione, nec non in concoctio - ne separationeque humoris peccantis, stabiliamus tandem doctrinam eosdem curandi, naturae vesti - giis ad amussim respondentem, et prae oculis sem - per habeamus iuvantium et laedentium observatio - nem; qua tandem in re ratio a Medicis tantopere ostentata oportet ut famuletur Empiricae, sed Em - piricae litteratura expolitae, per plures observatio - num processus vexatae, et mentis lumine acuatae; adminicula nempe quae a theoria sumuntur, inflantI 5pri -138primo spem nostram, postea destituunt. — Aber wie contrastirt mit diesen Lobsprüchen der Empirie die gleich darauf folgende dürftige Regel: Fac igitur ut in tanta rerum caligine et incostantia, theoria tua te manuducat ad solide hauriendas indicationes, nisi per cynosuram observationum, quae varios morbo - rum motus et inclinationes nobis duntaxat manife - stant, genium illorum prius didiceris, et exinde cu - rativas indicationes deprompseris(f)Baglivi prax. med. L. II. C. X.!
Was ist es auch anders, als ein Bekenntniſs des Dogmatismus, wenn unsere Schulen, die immer nur das Wort Erfahrung im Munde führen, alle symptomatische Curen verwerfen, und so sehr auf Erforschung und Hebung der Ursache dringen? Was ist die von ihnen der empirischen Heilung ent - gegengesetzte methodische Curart anders, als ein dogmatisches Verfahren? Alle Aerzte, die sich ra - tionelle Empiriker nannten, gingen eben so wohl, als die erklärten Dogmatiker auf höhere Principien in der Theorie ihrer Kunst aus, und liessen sich durch die gefundenen in ihrer Praxis leiten. Sie unterschieden sich von diesen blos in dem Wege, den sie zur Auffindung dieser Principien einschlu - gen. Diese eilten von einer gewissen Anzahl rei - ner, oder wenigstens als rein von ihnen angenom - menen Erfahrungen zu allgemeinen Grundsätzen, zogen hieraus Folgerungen, und brachten mit denletz -139letzten Sätzen, worauf sie kamen, die übrigen Erfahrungen, die sie vor sich hatten, in Harmo - nie. Jene hingegen gingen stufenweise; sie ver - glichen jede Erfahrung mit den übrigen; hielten die Schlüsse, worauf diese Vergleichung sie geführt hatte, gegen einander, und suchten so zu den obersten Principien zu gelangen. Die rationellen Empiriker gingen also den Weg, den Baco als den einzig richtigen in der Naturforschung empfahl, und ihnen wird immer der Ruhm bleiben, die rei - nen Erfahrungen, welche die Heilkunde wirklich aufzuweisen hat, entdeckt zu haben. Aber sie über - sahen den in der Medicin so wichtigen Unterschied von subjektiver und objektiver Erfahrung; sie übersahen, daſs Sätze, die auf subjektiven Erfah - rungen gebauet sind, auch nur subjektive Realität haben; sie bemerkten nicht, daſs der Weg, den sie einschlugen, zu keinen allgemein gültigen Princi - pien führen konnte. Daher stimmten sie meist nur in ihren Worten, selten in ihren Handlungen überein; daher stieſsen sie bey der Ausübung ihrer Kunst allenthalben auf Lücken, die sie mit Hülfe des Dogmatismus auszufüllen gezwungen waren; und daher findet man in den Schriften aller Empi - riker Spuren des Einflusses, den irgend eine dog - matische Sekte auf ihr Verfahren hatte. Ohne Dog - matismus, wir wiederhohlen es noch einmal, ist also keine medicinische Praxis möglich, und es ist leere Pralilerey, das Gegentheil zu behaupten.
Hat140Hat dies aber seine Richtigkeit, wozu denn jenes Sträuben gegen alle neue biologische Vermu - thungen und Hypothesen? Es giebt nur Eine ver - nünftige Antwort auf diese Frage. Man kann uns erwiedern: der praktische Nutzen unserer Vermu - thungen und Hypothesen ist durch vieljährige Er - fahrungen erprobt, aber nicht so der der eurigen. Allein man vergiſst hierbey unsern obigen Beweis von der Trüglichkeit aller medicinischen Erfahrun - gen; man vergiſst, daſs von den ältesten Zeiten her alle medicinische Sekten auf ihre Erfahrungen trotzten, daſs die Anhänger des Galens von Argen - tier, Fernel und der Sylvischen Schule, die letz - tern von Boerhave und Hoffmann, alle Dogma - tiker von den Empirikern Sydenham, Bagliv, De Haen u. s. w., und diese wieder von den Brownischen Aerzten des Irrthums beschuldigt wurden, und daſs jede Sekte die Wahrheit aus der Grube des Democrits endlich zu Tage gefördert zu haben sich rühmte. Man sage nicht, daſs die me - dicinischen Theorien der vormaligen Zeiten mit den unsrigen nicht verglichen werden, weil uns so viele Wahrheiten aus den Hülfswissenschaften der Heilkunde zu Gebote stehen, die unsern Vorgän - gern fehlten. Mit jeder neuen Wahrheit keimen auch hundert neue Irrthümer auf, und gerade so dachten auch Sylvius, Bagliv u. s. w. von ihren eigenen medicinischen Theorien in Beziehung auf die ihrerVor -141Vorgänger(g)Theoria Recentiorum multo certior est Theoria Ga - lenicorum. Illius nempe fundamenta iacta sunt in experimentis sedulo et coaceruatim factis, e naturalis philosophiae penu depromptis; morborumque causas et symptoma non per incertas coniecturas, sed per mathematicam veritatem, tamquam per radios solis delineat et demonstrat, quaeque olim apud Barbaros barbara evaserant, et apud Doctos in dubium revoca - bantur, nunc clara luce corruscant, discussa ambigui - tatis nebula (Baglivi Prax. med. L. I. C. XI. §. 4.).. Die Erzählung des weisen Nathan beym Lessing paſst nicht blos auf den wahren theo - logischen Glauben. Auch jede medicinische Sekte glaubte sich im Besitze des ächten Ringes, und doch waren bisher alle noch mehr oder weniger Getäuschte.
Aber sollen denn die Regeln einer Kunst, die unter allen für den Staat und die ganze Mensch - heit die wichtigste ist, dem Winde jeder neuen Lehre überlassen werden? Dies können und sollen sie freylich nicht. Es giebt noch einen andern Aus - weg, nehmlich die praktische Heilkunde in engere Gränzen einzuschliessen, als sie bisher hatte, und dieser Weg ist es, den wir einschlagen müssen. Wir wollen uns deutlicher hierüber erklären.
Wir haben bewiesen, daſs alle praktische Heil - kunde nur auf dem Wege des Dogmatismus möglich ist. Die Grundlage des Dogmatismus aber ist die Bio - logie, und daſs diese kein vollendetes System ist,und142und es noch lange nicht werden kann, sahen wir in dem vorigen Capitel. Jede auf dogmatischen Grund - sätzen beruhende medicinische Praxis, das heiſst, je - de medicinische Praxis überhaupt, muſs sich also auf einem Gemisch von Wahrheiten und Irrthümern stützen, wird gegen eine Anzahl Kranker, die sie rettet, vielleicht eine eben so groſse aufopfern, und läſst sich eben deswegen im Allgemeinen als verwerflich ansehen. Aber mag sie immerhin im Allgemeinen noch so verwerflich seyn, bey dem jetzigen Zustande des Menschengeschlechts wird doch jeder Vernünftige ihre Unentbehrlichkeit ein - gestehen müssen. Der Leidende sucht Hülfe, und hierzu treibt ihn nicht kaltes Räsonnement, son - dern ein unwiderstehlicher Instinkt. Würde auch alle Medicin ausgerottet, so würde doch dieser Trieb bleiben, und nur eine gröſsere Anzahl von Schlachtopfern würde der kühnen Unwissenheit überliefert werden. Der Arzt verhütet also wenig - stens groſse Uebel, wenn er auch nicht viel posi - tiven Nutzen stiftet, und Aerzte müssen daher seyn und bleiben, so lange jener süſse Traum, daſs die Erde ein groſser Garten und das Menschenge - schlecht, entfesselt von den Ketten der Vorurtheile, des Aberglaubens und der Tyranney, eine Gesell - schaft von Brüdern und Weisen werden soll, nur noch ein Traum seyn wird. Ja, auch dann wird man ihrer nie ganz entbehren können.
Allein143Allein ist es vorzüglich nur dieser negative Nutzen, worauf die Heilkunde Anspruch machen darf, was ist denn nachtheiliger, als die Gränzen unserer Kunst immer mehr erweitern, da wir dar - auf hinarbeiten sollten, sie bis auf erleuchtetere Jahrhunderte zu verengern; was verwerflicher, als unaufhörlich nach neuen Arzneyen haschen, da wir uns bemühen sollten, unserer Kunst erst eine feste Grundlage zu verschaffen? Jener negative Nutzen der Medicin muſs von dem Schaden, den sie an - richtet, überwogen werden, so lange wir fortfah - ren, mit Hülfe einer unzureichenden Empirie, oder eines mangelhaften Dogmatismus, Beherr - scher, oder, was vielleicht eben so schlimm ist, Diener der Natur seyn zu wollen; so lange wir uns nicht begnügen, unermüdete, aber, so viel wie möglich, müssige Beobachter der Autokratie der Natur oder des Todes zu seyn, und blos da zu han - deln, wo unser Handeln nur nützen, nicht scha - den kann. Gelegenheiten dieser Art, um thätig zu seyn, werden sich noch genug finden. Ein Bey - spiel giebt die venerische Krankheit. Ueberhaupt aber gehören hierher alle Fälle, in welchen sich Regeln, die auf reinen objektiven Erfahrungen ge - bauet sind, anwenden lassen. Eine Schrift, welche diese Fälle genau bestimmte, und sie von denen absonderte, wo alles Handeln schaden kann, wür - de ihren Verfasser einer Bürgerkrone würdiger machen, als die Entdeckung von Hunderten neuer Arzneymittel.
Ju -144Juvenis! tua doctrina non promittit opes. Plebs amat remedia. So rief einst ein Anhänger des Sylvius einem Schüler Stahls zu, und dies wird auch der Zuruf seyn, den meine Lehre von Manchen zu erwarten hat. Aber mag es seyn! Nur euch, in deren Herzen der Hunger nach Gold das Gefühl für das Wohl der Menschheit noch nicht erstickt hat, nur euch wünsche ich zu Lesern, und euch fordere ich auf, zu beherzigen, ob nicht schon deshalb meine Lehre Beyfall verdient, weil sie Moralität unter den Aerzten selbst verbreitet, und unmoralische Handlungen in der Praxis der - selben verhütet! Sahe man, die Priester ausge - nommen, je eine Classe von Gelehrten, die sich pöbelhafter gegen einander betrug, unter welcher Miſsgunst, Neid und Cabalen aller Art gemeiner waren, als unter den Aerzten? Sahe man je Ma - thematiker sich so verläumden und verfolgen, wie es die gröſsten unter den Aerzten thaten, je ihre Werke mit solchen nichtswürdigen Zänkereyen an - füllen, wie Albins Annotat. academ. gegen Haller enthalten? Und müssen diese Kriege nicht fortdau - ern, so lange der Glaube an den positiven Nutzen der Heilkunde noch in dem Maaſse, wie es bisher der Fall war, herrschend bleibt? Ferner, was si - chert uns bey dem jetzigen Zustande dieser Kunst gegen die Immoralität eines Arztes? Nichts, durch - aus nichts! Beschuldigt ihr den Arzt von Kopf ei - nes Fehlers gegen die Erfahrung, so setzt er euchsei -145seine Theorie entgegen, und klagt ihr ihn eines Fehlers gegen die Theorie an, so schützt er sich mit seiner Erfahrung.
Betrachtet man endlich meine Lehre von Sei - ten ihres Einflusses auf die Vervollkommnung der theoretischen Medicin, so lassen sich auch von die - ser Seite ihre Vorzüge nicht verkennen. Die prak - tische Heilkunde war bisher ein Bley, das jeden Flug der Theorie hemmte. Man scheuete jede An - wendung der Physik und Chemie auf die letztere, weil man hiervon einen nachtheiligen Einfluſs auf die erstere befürchtete. Statt seinen Scharfsinn an solchen Anwendungen zu üben, häufte man clini - sche Beobachtungen auf clinische Beobachtungen, und brachte durch alle diese Tausende von Beobach - tungen weder die Theorie, noch die Praxis um einen Schritt weiter. Jene Furcht wird aufhören, sobald wir von dem Wahne zurückkommen, jede Krankheit bekämpfen zu wollen. Die Lehre von der lebenden Natur wird mit Physik und Chemie in den engsten Bund treten; jene wird durch diese, und diese werden durch jene vervollkommnet wer - den, und ist eine praktische Heilkunde möglich, die auch positiv nützen kann, so werden unsere Nachkommen sie einst auf diesem Wege erhalten.
Dieser Weg ist es nun auch, den wir bey un - sern künftigen Untersuchungen einschlagen werden. Unbekümmert, welchen Einfluſs die Theorien, dieI. Bd. Kwir146wir aufstellen werden, auf die praktische Medicin haben könnten, werden wir nur danach fragen, ob sie mit den Regeln der Interpretation der Natur übereinstimmen. Diese Vorschriften hinterlieſs uns Baco, und nur diese laſst uns stets vor Augen ha - ben. Vor allen andern aber laſst uns folgende zwey beherzigen, denn in ihrer Vernachlässigung liegt vorzüglich der Keim zu den vielen Irrthümern, welche die Geschichte der Biologie aufzuweisen hat.
Fast jeder Mensch hat gewisse Ideen, oder ir - gend eine Wissenschaft, die er vorzüglich liebt, entweder weil er sich für den Erfinder derselben hält, oder weil er durch ein langes Studium sehr vertraut mit ihnen geworden ist. Aber so wie der Liebende allenthalben seine Geliebte sieht, so ge - wöhnt sich der, in dessen Seele irgend eine Lieb - lingsidee oder Lieblingswissenschaft einmal herr - schend geworden ist, alles nur in Beziehung auf diese zu betrachten. Sie wird ihm endlich ein ge - färbtes Glas, wodurch ihm alles in einem ganz an - dern Lichte erscheint, wie jedem andern Menschen, wodurch er Analogien entdeckt, die ausser ihm kein Vernünftiger sieht. So bezieht der Philosoph alles auf sein philosophisches System, der Mathe - matiker auf seine Gröſsenlehre, und der Scheide - künstler auf seine Chemie. So erklärte Xenopha - nes, verblendet durch die mystischen Lehren des Pythagoras und Plato von der Kraft der Zahlen inder147der Natur, die Seele für eine Zahl, der Musiker Aristoxenus für eine gewisse Harmonie, und der Stoiker Zeno, in dessen philosophischem System das Feuer eine Hauptrolle spielte, für ein wahres Feuer. Diese Einseitigkeit nun war auch von jeher eine Hauptquelle aller irrigen biologischen Meinungen, wie eine kurze Skizze der letztern und ihrer Urheber beweisen wird.
In den frühesten Zeiten der griechischen Medi - cin standen Biologie und praktische Heilkunde noch in keiner Verbindung. Die Träume der Leukipp, Empedokles, Demokrit, Anaxagoras und Hera - klit über die Natur des Menschen hatten daher auch auf die damalige Medicin eben so wenig Ein - fluſs, wie ihre Speculationen über das Wesen der Götter und der Seele auf die Volksreligion. Hippo - krates war der Erste, der die bis dahin zerstreuten medicinischen Bruchstücke zu einem Ganzen ver - einigte. Dennoch erhielt unter ihm die Biologie eben so wenig Einfluſs auf die Arzneykunde, als unter seinen Vorgängern, und obgleich er zuerst einsahe, daſs ausser der Seele und dem Organismus noch ein ἐνορμῶν nothwendige Bedingung des Le - bens sey, so war er doch theils zu sehr von Sy - stemsucht entfernt, und theils waren seine Vorstel - lungen von der Sache zu dunkel, als daſs er dar - aus Schlüsse für die praktische Heilkunde herzu - leiten im Stande gewesen wäre. Erst die SchuleK 2der148der Dogmatiker bauete ein System der ausübenden Medicin auf biologischen Grundsätzen. Indeſs ha - ben wir so wenig genaue und zuverlässige Nach - richten von den Lehren dieser Sekte, und ihre An - hänger wichen so sehr von einander ab, daſs sie sich hier nicht als Beyspiel anführen lassen. Be - kannter sind wir mit dem System des Galens. Er - zogen in der Schule der Nachfolger des Plato und Aristoteles, deren Philosophie in der Vereinigung der verschiedensten und entgegengesetztesten Mei - nungen ihrer Vorgänger bestand, bildete sich in ihm ein Hang zum Syncretismus, den er, seines wahrhaft groſsen Genie’s ohngeachtet, auch da nicht verläugnen konnte, als er der Schöpfer eines neuen, auf biologischen Dogmen sich stützenden Systems der Heilkunde wurde. Durch diesen Hang verleitet, suchte er ängstlich und sklavisch die Phi - losopheme des Plato und Aristoteles mit den Mei - nungen der Dogmatiker und der übrigen zu seiner Zeit in der Arzneykunde herrschenden Partheyen zu verbinden. Dieser Hang untergrub seine Ori - ginalität, hemmte jeden Flug seines Geistes, und brachte ein System hervor, worin alles von dem Genie seines Urhebers zeugt, das aber dennoch voll von Widersprüchen und Inconsequenzen ist.
Anderthalbtausend Jahre hindurch blieb dieses System herrschend. Erst im sechszehnten Jahrhun - dert wurden die Grundfesten desselben durch Ar -gen -149gentier, Fernel und Vesal erschüttert. Nach dem Sturze desselben erhielt die Scheidekunst aus der trüben Quelle der Alchemie eine Menge neuer Entdeckungen. So wichtig diese für die damaligen Zeiten waren, so blieben sie doch nur, um mich der Worte des Baco zu bedienen, pauca experimen - ta fornacis. Inzwischen hielt sie Sylvius für hin - länglich, um auf ihnen eine neue Theorie der Heil - kunde zu bauen, worin er alles aus chemischen Gesichtspunkten ansahe, alle Lebenserscheinungen für Wirkungen chemischer Kräfte erklärte.
Eine andere Wissenschaft, die in den damali - gen und nächst folgenden Zeiten eifrig getrieben wurde, war die Gröſsenlehre mit ihren Zweigen, der Mechanik und Hydraulik. Mehrere einseitige Köpfe unter ihren Bearbeitern, vorzüglich Pit - cairn, Keil und Borelli, glaubten durch die Fak - kel dieser Wissenschaften Licht in den dunkeln Irr - gängen der Medicin verbreiten zu können, und so entstand die Sekte der Jatromathematiker, in deren biologischem System mechanische Kräfte die Haupt - rolle spielten.
Alle Kräfte der leblosen Natur waren jetzt schon versucht, ohne daſs die praktische Medicin feste Principien dadurch erhalten hätte. Nur die Geisterwelt war noch unangetastet geblieben. Stahl nahm endlich auch diese zur Erklärung der Lebenserscheinungen zu Hülfe. Bey der PrüfungK 3der150der Systeme seiner Vorgänger fand er, daſs in die - sen zu wenig Rücksicht auf den Antheil genommen war, den die Seele an der Hervorbringung jener Erscheinungen hat; er fand, daſs sich mehrere Phänomene in der thierischen Oekonomie weit zu - reichender aus dem Einflusse dieses Agens, als aus mechanischen und chemischen Kräften erklären liessen. Jetzt wurde die Idee, daſs die Seele ein - zige Ursache alles Lebens sey, bey ihm herrschend; sie wurde das gefärbte Glas, wodurch er alles an - sahe, und das Resultat dieser Ansichten wurde ein System, welches consequenter als irgend eines der vorigen, und reich an groſsen Wahrheiten, aber auch reich an den ungereimtesten Behauptungen ist, worauf nur ein Mensch verfallen kann.
Es ist überflüssig, diese Reihe von Beyspielen weiter fortzusetzen. Man wird immer finden, daſs eine Hauptquelle aller biologischen Irrthümer die war, daſs die Urheber derselben durch gewisse Lieblingsideen oder Lieblingswissenschaften ver - führt wurden. Vielseitigkeit ist das Mittel, uns vor dieser Klippe zu bewahren. Der einseitige Kopf ist zum Wahrheitsforscher verdorben. Jene aber erlangen wir nur dadurch, daſs wir uns einen Ueberblick über das ganze Feld des menschlichen Wissens zu erwerben, den Zusammenhang der ein - zelnen Theile desselben einzusehen, und den ge - genseitigen Einfluſs der letztern auf einander zuerfor -151erforschen suchen. Durch jene Vielseitigkeit wur - den die Baco, Descartes, Leibnitz, Newton und Kant das, was sie waren und sind, und nur mit Hülfe derselben läſst sich die Biologie ihrer Vollendung näher bringen.
Eine zweyte Hauptquelle aller biologischen Irr - thümer ist, daſs man sich mit dunkeln und ver - worrenen Begriffen statt klarer und distinkter be - gnügt, und Dinge zu wissen glaubt, die man nicht weiſs. Wer Belege zu dieser Behauptung sammeln wollte, und das genus irritabile medicorum nicht fürchtete, dürfte aus manchem physiologischen Lehrbuche nur den anatomischen Theil wegstrei - chen, und der ganze übrige Inhalt würde zu sei - nem Zwecke dienen können. Doch, dieser Mühe können wir überhoben seyn. Schon jene Decla - mationen über den Vorzug der Empirie vor dem Dogmatismus, die man täglich zu hören gezwun - gen ist, geben einen Beweis unserer Behauptung. Keiner der Declamatoren ahndet, daſs er ein Phan - tom bekämpft, ein Phantom vertheidigt, und den wahren Feind, gegen den er sich eigentlich waff - nen sollte, ruhig im Hinterhalte auf sich lauern läſst. Reine Erfahrungen ohne Hypothesen und Systeme sind Undinge, so gut wie Hypothesen und Systeme ohne Erfahrungen. Man betrachte die Handlungsweise jener Declamatoren! Sind nicht auch ihre Führer an den Krankenbetten HypothesenK 4und152und Systeme, und ist nicht geringere Consequenz das Einzige, was die ihrigen von denen der erklär - ten Dogmatiker unterscheidet? Wir alle, Empiri - ker und Dogmatiker, irren in dämmerndem Hell - dunkel von wandelnden Gestalten umgaukelt. Wer diese Erscheinungen für das hält, was sie wirklich sind, für zusammengesetzt aus Täuschung und Wahrheit, und die letztern von einander zu son - dern sucht, und zu dem Ende jene Gestalten mit der Fackel der Philosophie beleuchtet, und sie von so vielen Seiten betrachtet, wie er auffassen kann, wird immer mehr von den wahren Urgestalten er - kennen, wenn er auch nie dahin gelanget, sie von aller Täuschung befreyet zu erblicken. Aber wer die Dämmerung für helles Mittagslicht und die nächtlichen Schatten für Wirklichkeiten hält, und nie das Zeugniſs der Sinne zu berichtigen sucht, irret ewig betrogen umher und umarmet jeden Au - genblick eine Wolke statt einer Juno. Jener ist der Dogmatiker, und den lasset unangetastet, oder ihr verewigt die Kindheit des Menschen! Nur gegen diesen richtet eure Declamationen: denn dieser hat den Dünkel des Wissens, da er nichts weiſs, und glaubt sich im Besitze klarer Begriffe, da ihm alles dunkel und verworren erscheint.
Erstes Buch.
K 5[154][155]Gränzen der lebenden Natur — Classifikation der lebenden Körper nach der Verschiedenheit ihrer Organisation — Gradationen der le - benden Natur.
Wäre eine lebende Natur ohne eine leblose mög - lich, und wir hätten nur in jener existirt und würden durch einen Zauberschlag plötzlich in diese versetzt; wie würden wir über die Erscheinungen der letztern urtheilen? Ohnstreitig ganz anders, als aus unserm jetzigen Gesichtspunkte. Wir setzen jetzt eine Menge jener Phänomene denen der leben - den Natur entgegen. Würden sie uns aber dann nicht vielleicht als Produkte eines geringen Grades von Vitalität erscheinen? Würden wir nicht viel - leicht gar mit Cardan, Campanella und Helmont Leben für ein Attribut der ganzen Sinnenwelt hal -ten?156ten? So treffen wir z. B. bey allen Organismen der lebenden Natur ein Vermögen an, selbst bey den veränderlichsten äussern Einwirkungen ihre einmal angenommene Gröſse und Gestalt dennoch unver - ändert zu erhalten. Ein Analogon dieses Vermö - gens finden wir aber auch bey dem reinen Wasser. Andere Körper der leblosen Natur werden durch Erwärmung gleichförmig ausgedehnt. Jenes hinge - gen macht in der Nähe des Gefrierpunkts von dieser Regel eine Ausnahme(a)De Lüc Untersuchungen über die Athmosphäre. Th. I. S. 361, 439. Schmidt in Gren’s neuem Journal der Physik B. I. S. 228. Gilpin ebendas. B. 2. S. 374.. Wir sehen ferner, daſs jeder lebende Körper zu seiner Entstehung sowohl, als Fortdauer einer bestimmten Temperatur bedarf, die ihm bey seiner Erzeugung von aussen mitge - theilt werden muſs, die er aber nach seiner Bil - dung sich zum Theil selber schafft. Ein ähnliches Phänomen bringt auch der Sauerstoff hervor. Zur Einleitung eines jeden Oxydationsprocesses gehört ein gewisser Grad von mitgetheilter Wärme. So - bald aber der säurungsfähige Körper einmal mit Sauerstoff verbunden ist, trägt der Proceſs zu sei - ner Fortsetzung selber bey.
Aehnliche Thatsachen liessen sich vielleicht noch in Menge auffinden. Auf wessen Seite liegt aber nun die Wahrheit, auf der unsrigen, die wir, an die Unterscheidung einer leblosen und lebendenNa -157Natur von Jugend auf gewöhnt, jene Erscheinungen aus den Gesetzen der erstern, wenn auch nicht er - klären, doch erklären zu können hoffen, oder auf Seiten dessen, der aus der letztern in die erstere ver - setzt, in jenen Phänomenen noch einen schwachen Widerschein des Lebens findet? Wer unbefangen diese Frage erwägt, wird schwerlich sich zum Schiedsrichter in derselben aufwerfen; er wird ein - gestehen, daſs wir noch nicht im Stande sind, eine Gränze zwischen der lebenden und leblosen Natur festzusetzen.
Wenn wir also in diesem Buche eine Classifi - kation der lebenden Organismen nach der Verschie - denheit ihrer Organisation zu liefern versprechen, so halten wir darum jene Gränze doch keinesweges schon für bestimmt, sondern verstehen unter le - benden Organismen nur diejenigen Körper, deren Vitalität keinen Zweifeln unterworfen ist. Eine nähere Erörterung der Frage, wo die leblose Natur aufhört und die lebende anfängt? wird sich erst am Ende unserer Untersuchungen anstellen lassen.
Alle Zweifel über die Vitalität eines Körpers hören aber auf, sobald wir jene Merkmale bey ihm antreffen, die wir im zweyten Capitel der Einlei - tung als nothwendige Begleiter alles Lebens abgelei - tet haben, sobald er also eine eigene Mischung und Struktur hat, sobald er eine Periode der Jugendund158und des Alters zurücklegt, und sobald er sein Ge - schlecht fortpflanzt.
In Ansehung der Mischung unterscheiden sich alle lebende Körper dadurch von den Produkten der leblosen Natur, daſs sie insgesammt Eyweiſsstoff, Gallerte und Faserstoff zu nähern Bestandtheilen haben. Ihre Struktur aber zeichnet sich vorzüglich durch Regularität verbunden mit Ungleichartigkeit ihrer Theile aus, da hingegen den Körpern der leblosen Natur blos das erstere Merkmal, nicht das letztere eigen ist.
Diese von der Mischung und Struktur herge - nommenen Kennzeichen können aber für sich nur beweisen, daſs der Körper, wobey wir dieselben antreffen, einst Leben besaſs, nicht daſs er es jetzt noch besitzt. Mit mehrerm Grunde können wir schon auf das Letztere schliessen, wenn wir zu - gleich jenen Körper sich von niedern Stufen zu höhern erheben und von diesen wieder zu jenen zurückkehren sehen, oder mit andern Worten, wenn die jenem Körper eigenthümlichen Erschei - nungen bis zu einer gewissen Periode zunehmen, nach derselben aber sich wieder mindern. Auch dieses Merkmal giebt indeſs noch keine völlige Ge - wiſsheit. Der Körper, dem dasselbe angehört, kann bey allem dem blos ein lebloses Produkt eines lebenden Organismus seyn. So sehen wir z. B. die Pilze, gleich allen lebenden Körpern, vonihrem159ihrem Entstehen an bis zu einer gewissen Periode an Masse, an Regularität und an ungleichartigen Theilen zunehmen, und, sobald sie eine gewisse Stufe der Ausbildung erreicht haben, wieder ein - schrumpfen, zerfliessen und vermodern. Aber sie könnten darum doch, wie auch einige Schriftsteller behauptet haben, blos Produkte und Wohnungen kleiner Thierarten seyn.
Mit völliger Gewiſsheit können wir aber einen Körper in die Reihe der lebenden setzen, wenn wir neben jenen Merkmalen noch das der Fortpflan - zung des Geschlechts bey ihm antreffen. Dieses finden wir, wie in der Folge erhellen wird, bey den Pilzen, und darum gehören dieselben, man - cher Erscheinungen ohngeachtet, wodurch sie sich von den übrigen lebenden Körpern unterscheiden, doch zu der Zahl derselben. Wir finden dieses, wie ebenfalls in der Folge gezeigt werden wird, bey den Infusionsthieren, und auch diese sind also eben sowohl lebende Körper, als der Mensch, der Wallfisch und der Adler, obgleich ihre Fortpflan - zungsweise von der der letztern ganz verschieden ist, obgleich sie einer Hitze widerstehen, welche diese und alle ähnliche Organismen tödten würde, und mehrere andere Phänomene äussern, wodurch sich Böffon(b)Hist. nat. T. II. für berechtigt hielt, sie aus der Zahl der lebenden Wesen auszuschliessen.
Alle jene Körper, wobey wir die im vorigen Ab - schnitte angegebenen Merkmale antreffen, und de - ren Vitalität also keinen Zweifeln unterworfen ist, nach der Aehnlichkeit ihrer Organisation zum Be - hufe unserer künftigen Untersuchungen zu ordnen, wird jetzt unser Geschäft seyn. Aber nach welchen Grundsätzen hierbey verfahren?
Jede verschiedene Form des Lebens erfordert eine eigene Organisation, oder eine eigene Mi - schung, Textur und Struktur. Die beyden letztern aber hängen von der erstern ab. Wäre also die Mischung eines jeden lebenden Körpers hinlänglich erforscht, so würde sich die ganze lebende Natur nach dieser allein classifiziren lassen. Allein die Beschränktheit unsers Wissens in diesem Stücke hebt schon den Gedanken an die Möglichkeit einer solchen Classifikation auf. Wir sind daher gezwun - gen, die Textur und Struktur bey dieser Einthei - lung zu Hülfe zu nehmen. Hierdurch aber ent - steht eine neue Schwürigkeit. Die Mischung eines Körpers läſst sich durch chemische Reagentien mitSicher -161Sicherheit bestimmen; nicht so seine Textur und Struktur. Ueber diese urtheilt nur das Auge nach dem so schwankenden Begriffe der Aehnlichkeit. Man vermehrt noch diese Schwürigkeiten, wenn man auch die Gleichheit oder Verschiedenheit der Funktionen zu einem Eintheilungsgrunde macht. Abgerechnet, daſs diese zum Theil sehr hypothe - tisch sind, so soll auch eine Classifikation der leben - den Organismen uns erst zur Entdeckung derselben verhelfen, und man verfällt also in einen Cirkel, wenn man sie bey der letztern schon als entdeckt annimmt.
Diese Schwürigkeiten lassen sich nur dadurch heben, daſs wir die Kennzeichen der Classen, Ord - nungen u. s. w. von der Mischung, Textur und Struktur zugleich hernehmen. Wir müssen zwar hierbey die Einheit des Eintheilungsgrundes aufge - ben. Allein diese läſst sich überhaupt nicht bey der Classifikation der lebenden Körper beobachten. Die lebende Natur brachte eine gewisse Anzahl von Grundformen hervor, bildete durch die verschiede - nen Combinationen derselben alle übrige Gestalten, und verband so unter ihren Produkten das höchste mit dem niedrigsten und das mittelste mit dem äus - sersten. Ein Körper, der in irgend einem Organe zunächst an einen andern gränzt, ist oft in einem andern Organe von diesem ganz verschieden und mit einem dritten Körper verwandt. Jede Classifi -I. Bd. Lkation162kation nach einem einzelnen Theile giebt also eine einseitige Verwandtschaftstafel, oder ein sogenanntes künstliches System, das blos für den Naturalien - sammler nicht aber für den Biologen paſst. Dieser sieht auf die Aehnlichkeit oder Verschiedenheit der gesammten Organisation, und setzt Körper, die in den meisten Organen harmoniren, in einerley Classe, ohne auf die Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit eines einzelnen Theils ängstlich Rücksicht zu nehmen.
Inzwischen, wenn auch ein künstliches System dem Zwecke des Biologen nicht angemessen ist, so ist es ihm doch in subjektiver Hinsicht erlaubt, ein solches so viel wie möglich zu Hülfe zu nehmen, und von einem einzelnen Theile, der bey einer ge - wissen Classe von lebenden Körpern unter allen die meiste Beständigkeit zeigt, den Hauptcharakter die - ser Classe herzuleiten. Aber er zerreiſst, was die Natur an einander geknüpft hat, wenn er diesem Charakter allgemeine Gültigkeit verschaffen will, und er sucht ein Ding, das nirgends vorhanden ist, wenn er diesen Zweck erreichen will, ohne sich je - nes Fehlers schuldig zu machen.
Zwar giebt es Schriftsteller, die das Vorhanden - seyn solcher allgemein gültiger Charaktere zu be - weisen sich unterfangen haben. “Wie die Natur,” sagen diese(c)Wiedemann’s Archiv für Zoologie u. Zootomie. B. 2. St. 1. S. 138., “ein Ganzes, ein System ist; wie„ nur163„ nur eine Darstellung desselben die wahre und ge - „ treue seyn kann, so muſs auch in dieser der Zweck „ des Natürlichen und Künstlichen vereint seyn, „ und dieser Unterschied verschwinden; die wahre, „ natürliche und getreue Copie der Natur muſs auch „ den Zweck der künstlichen Classifikation am voll - „ kommensten befriedigen. Denn daſs Thiere des - „ selben Geschlechts so viel Uebereinstimmendes an „ sich tragen, beruhet doch wohl auf der Verwandt - „ schaft des Princips ihrer innern Organisation; es „ kömmt also nur darauf an, dieses ausfindig zu „ machen, und das äussere Merkmal zu bestimmen, „ worin es ausgedrückt ist, so hätten wir ein Clas - „ sifikationsprincip erhalten, wodurch der Zweck „ des natürlichen und künstlichen Systems zugleich „ erreicht würde.” Aber bey dieser Folgerung ist etwas vorausgesetzt, was mit der Erfahrung keines - weges übereinstimmt, nehmlich die erkennbare Einheit des Princips der Organisation. Die Erfah - rung lehrt, daſs es nicht einen, sondern sehr viele Berührungspunkte zwischen jedem lebenden Körper und der Aussenwelt giebt, und daſs jedem dieser Berührungspunkte ein besonderes Organ oder Sy - stem von Organen entspricht. Sie lehrt, daſs Ab - weichung einer äussern Potenz von ihrer normalen Wirkungsart häufig blos in dem Organe, das ent - weder für sie eine specifique Empfänglichkeit be - sitzt, oder worauf sie zunächst wirkt, nicht aber in dem übrigen Körper, eine erkennbare Abwei -L 2chung164chung von der normalen Organisation hervorbringt. Sie lehrt endlich, daſs diese Abweichungen oft erb - lich sind, ja, bey fortdauernder anomalischer Ein - wirkung jener Potenz endlich unauslöschlich wer - den. Wie läſst sich bey solchen Erfahrungen an eine wahrnehmbare Einheit des Princips der Orga - nisation denken? Man sagt freylich, daſs jene ano - malische Einflüsse nur Varietäten, nicht Arten und Geschlechter hervorzubringen vermögen. Aber man sagt es, ohne es zu beweisen.
Soviel ist indeſs gewiſs, daſs es Theile giebt, welche in engerer Verbindung mit dem übrigen Or - ganismus als andere stehen, und welche daher zur Verbindung des Künstlichen mit dem Natürlichen am tauglichsten sind. Bey den Thieren z. B. sind diese Theile: das Blut, das Gehirn, das Herz, die Respirationsorgane, die Verdauungswerkzeuge und das gesammte Skelett. Unter diesen werden wir da - her bey der Entwerfung eines natürlichen Systems der Thiere künstliche Charaktere der Classen und Ordnungen zu suchen haben. Doch werden wir nie vergessen dürfen, daſs auch von diesen Kennzei - chen blos subjektiver, nie objektiver Gebrauch zu machen ist.
Bey der Classifikation der lebenden Organismen überhaupt gilt die Regel: da, wo die Mischung uns bekannt ist, von dieser den Hauptcharakter herzu -leiten;165leiten; da, wo diese nicht zureicht, die Textur zu Hülfe zu nehmen; von der Struktur aber keine an - dere, als untergeordnete Merkmale zu entlehnen. Nach dieser Regel scheint uns die lebende Natur in drey Reiche zu zerfallen.
Das erste Reich besteht aus Organismen, in de - ren Mischung der Stickstoff das Uebergewicht hat, und deren Theile eine ungleichartige Textur und Struktur haben.
Zum zweyten Reiche gehören diejenigen Kör - per, in deren Mischung der Stickstoff ebenfalls herr - schend ist, aber deren Theile von gleichartiger Textur und Struktur sind.
Das dritte Reich begreift diejenigen Organis - men, deren Theile, gleich denen der vorigen, in ihrer Textur und Struktur unter einander und dem Ganzen ähnlich sind, unter deren Grundstoffen aber der Kohlenstoff das Uebergewicht hat.
Wir nennen die Organismen des ersten Reichs Thiere, die des zweyten Zoophyten, und die des dritten Pflanzen.
Ausser jenen von der Mischung und Textur her - genommenen Hauptcharakteren geben uns die Tex - tur und Struktur noch folgende untergeordnete Kennzeichen dieser drey Reiche:
L 31. Der1661. Der Körper aller Thiere, deren Gröſse eine Zergliederung gestattet, läſst sich durch das anato - mische Messer in drey verschiedene Bestandtheile zerlegen, woraus alle Organe zusammengesetzt sind: in Zellgewebe, Muskelfasern und Nerven - mark. Mit dem ersten sind alle Organe, wie des Menschen, so auch aller übrigen Thiere bis zu den Eingeweidewürmern durchwebt und umhüllet. Ge - ringer, als die Menge dieses Bestandtheils, ist die der Muskelfasern. Aber auch sie zeigen sich im ganzen Thierreiche, so weit die Kunst des Zerglie - derers reicht. Unter andern fand sie Swammer - damm(d)Bibel der Natur. S. 44 ff. in der Schnecke, Lyonnet(e)Traité de la chenille du saule. p. 427. in der Raupe, Werner, Zeder und Rudolphi(f)Wiedemann’s Archiv für Zoologie und Zootomie. B. 2. St. 1. S. 5. in den Eingeweidewürmern. Und bey allen diesen Thie - ren, wo Muskelfasern entdeckt sind, nur wenige ausgenommen, fanden sich immer auch Spuren von Nervensubstanz. Das Nervensystem der Schnecken, der Käsemade, des Holzkäfers, der Seidenraupe, Bremse, Biene, Ephemera und Laus bildete Swammerdamm(g)A. a. O. T. IV. f. 6. T. VI. f. 1. T. XI. f. 9. T. XLIII. f. 7. etc., der Weidenraupe Lyon -net167net(h)A. a. O., des Blutigels Redi(i)De animalculis vivis etc. Tab. XIV. f. 9. und des Regen - wurms Mangili(k)De syst. nerveo hirudinis. f. 2. ab.
Bey den Zoophyten hingegen ist noch kein Anatom im Stande gewesen, diese drey Grundtheile des thierischen Körpers von einander abgesondert darzustellen. Von Nervensubstanz findet sich auch bey den gröſsten unter ihnen keine Spur. Muskel - fasern haben nur diejenigen, die zunächst an die Thiere gränzen(l)Z. B. die Holothuria Phantopus. Von Strussenfeld, Abh. der Schwed. Akad. 1765. T. X. f. 5. f.. In dem Körper der übrigen, unter andern der Hydern, zeigt selbst die stärkste Vergröſserung nichts als gelatinöse Kügelchen(m)Nach meinen eigenen Beobachtungen, womit die von Abilgaard, in von Humboldts Aphorismen aus der chemischen Physiol. der Pfl. S. 31. angeführten, übereinstimmen., und giebt es also auch bey diesen Muskel - und Ner - vensubstanz, so muſs wenigstens jene aus unend - lich zartern Fasern bestehen, und dieses nicht sol - che eigene Organe bilden, wie bey den Thieren.
Die Pflanzen enthalten Zellgewebe und Fasern ohne Spuren von Nervensubstanz. Aber diese Fa -sernL 4168sern sind mehr denen des Asbests, als den Muskel - fasern der Thiere ähnlich, und haben ausser ihrer äussern Gestalt nichts mit den letztern gemein.
2. Alle Thiere haben in ihrem Innern wenig - stens zwey Organe, deren Haupttheile nur einfach vorhanden sind, nehmlich ein Herz, oder ein stell - vertretendes Gefäſs, und einen Darmcanal. Jenes fand schon Harvey(n)Exerc. de motu cordis I. cap. 17. in mehrern Mollusken und Insekten, Redi(o)L. c. p. 311, 312, 319. in den Schnecken, und Baker(p)Employement for the microscope. p. 376. in den Läusen. Diesen entdeckten schon Lister(q)Exerc. anat. II. p. 9, 26, 55. Idem de cochleis. p. 73., Redi(r)L. c. p. 312, 313. und Swammerdamm(s)A. a. O. S. 54, 69, 70, 72, 351. in den Mollusken, Malpighi(t)De bombyce., Swammerdamm(u)A. a. O. S. 33, 98, 106. etc. und Schäf - fer(v)Der krebsartige Kiefenfuſs. S. 76. in den Insekten, Willis(w)De anim. brut. in opp. ex ed. Blasii. p. 19, 20., Redi(x)L. c. p. 308, 310, 314, 315 etc., Vandelli(y)De nonnullis insect. terrestr. etc. p. 125. und Tyson(z)Philos. Transact. n. 144. in den Würmern.
Hinge -169Hingegen die Zoophyten haben nur ein einzi - ges System von innern Organen, dessen Theile nur einfach vorhanden sind, nehmlich das der Verdau - ungswerkzeuge. So findet sich z. B. bey den Ho - lothurien und Seeigeln, Geschlechtern von Thier - pflanzen, deren innere Organisation der der Thiere noch am nächsten kömmt, doch keine Spur von Herzen(a)Von Strussenfeld a. a. O. S. 268. Gunnerus ebendas. J. 1767. S. 122. Monro Bau und Physiol. der Fische. Cap. 13. S. 88., und noch weniger zeigt sich etwas diesem Organe Aehnliches bey den Hydern, Alcyo - nien und Infusionsthieren. Das Innere der letztern ist ganz Darmcanal(b)Haller El. Phys. T. I. L. IV. S. 2. §. 1. p. 298. T. VII. L. XXIV. S. 1. §. 1. p. 1.. Bey den übrigen Organis - men dieses Reichs, den Conferven, Tremellen, Meergräsern u. s. w., die wir nebst dem gröſsten Theile der unter dem Namen der cryptogamischen Gewächse bisher als Pflanzen betrachteten Organis - men zu den Zoophyten rechnen, verliehren sich auch die Spuren von einem Darmcanale, und ihr Inneres ist blos Eyerstock.
An den Pflanzen endlich beobachten wir gar keine innere, einfach vorhandene Organe mehr. IhreL 5170Ihre ganze innere Organisation ist ein Gewebe von Fasern und Gefäſsen.
3. Die meisten Organe der Thiere sind doppelt vorhanden, und jeder dieser gleichnamigen Theile stimmt mit dem andern sowohl in seiner Mischung, Textur und Struktur, als in der Art seiner Verbin - dung mit dem übrigen Organismus völlig überein. Es giebt daher eine Fläche, und zwar nur eine ein - zige, die jeden thierischen Körper in zwey, gröſs - tentheils congruente Hälften theilt. Hingegen der Körper der Zoophyten hat immer gewisse gleichar - tige Organe, deren Menge die Zahl zwey übersteigt, und diese bilden unter einander eine strahlenför - mige Figur. Es giebt daher keine Ebene, die den Körper in zwey congruente Hälften theilt, im Fall jene Zahl ungerade ist, oder es giebt ihrer mehrere, wenn dieselbe gerade ist. Bey den Pflanzen findet sich noch eine gröſsere Anzahl gleichartiger Organe, als bey den Zoophyten. Von diesen aber giebt es zwey Classen, die sich in ihrer Struktur und in ih - rer Verbindung mit dem übrigen Organismus von einander unterscheiden. Die zur einen Classe ge - hörigen Theile sind beständig so gestellt, daſs ihre obere Fläche nach dem Lichte, die untere nach der weniger erleuchteten Seite hingekehrt ist, und daſs die obere Fläche des einen Organs nie von der un - tern des andern bedeckt wird. Bey den Organen der zweyten Classe findet sich immer, wie bey denZoo -171Zoophyten, ein Bestreben zur strahlenförmigen Bildung.
Die erwähnte Symmetrie der rechten und lin - ken Hälfte des thierischen Organismus ist schon auffallend an der Oberfläche desselben und den Or - ganen, wodurch diese vorzüglich gebildet wird, nehmlich dem Skelett, den locomotiven Muskeln, den Haaren, den äussern Sinnesorganen, den Drü - sen der Brüste, den Hoden, und den Nerven und Blutgefäſsen, welche diesen Theilen angehören.
Noch ähnlicher aber, und zwar an der Ober - fläche sowohl, als im Innern, sind sich beyde Hälf - ten des Hirns und Rückenmarks(c)Sömmering’s Hirn - und Nervenlehre. §. 23., und hier sind zugleich Abweichungen von dieser Symmetrie weit seltener(d)Sömmering ebendas. §. 22., als bey den vorhin genannten Thei - len(e)Isenflamm’s und Rosenmüller’s Beiträge für die Zergliederungskunst. B. 1. H. 1. S. 7 ff..
Die nächste Stufe nach diesen Organen nehmen die Geschlechtsorgane und die harnbereitenden Theile in Hinsicht des symmetrischen Baues ein. Hierauf folgen die Respirationsorgane, und auf der untersten Stufe stehen die Verdauungswerkzeuge, bey denen jenes Ebenmaaſs ganz verschwindet.
So172So ist es bey den Säugthieren. Daſs aber eben diese Sätze auch von den übrigen Thierclassen gel - ten, lehrt schon eine oberflächliche Betrachtung der Tafeln, welche Scarpa, Comparetti, Harwood, Monro, Rösel, Swammerdamm, Bohadsch, Poli, Malpighi, Lyonnet, Mangili und Andere von dem innern Baue der Vögel, Fische, Amphibien, Mollusken, Insekten und Würmer geliefert haben. Selbst das unvollkommene Skelett der Sepia giebt eine Bestätigung jener Symmetrie(f)Isenflamm’s und Rosenmüller’s Beiträge. B. 1. H. 1. T. III. f. 2, 3.. Bey den In - sekten, die keine Blutgefäſse haben, vertreten die Bronchien die Stelle dieser Theile, und vertheilen sich eben so symmetrisch in alle Organe, die der Verdauung ausgenommen, wie die Arterien und Venen der höhern Thierclassen(g)Lyonnet tr. de la chenille du saule..
Nur ein einziges Thiergeschlecht, das der Schollen, (Pleuronectes), macht im äussern Baue eine Ausnahme von dieser Regel. In der Struktur des Gehirns, der Nieren und der Zeugungstheile aber herrscht bey jenen Fischen dieselbe Symmetrie, wie bey den übrigen Thieren(h)Autenrieth in Wiedemann’s Archiv für Zool. u. Zoot. B. 1. St. 2. S. 4 ff..
Von173Von den Zoophyten zeigen diejenigen, die man gewöhnlich unter diesem Namen begreift, die er - wähnte strahlenförmige Bildung immer in der Bil - dung ihrer Fangarme. Bey manchen, z. B. den Seeigeln (Echinus), Asterien und Madreporen, er - streckt sich dieselbe auch auf ihre kalkartigen Ge - häuse. Bey mehrern von denjenigen Organismen dieses Reichs, die bisher als cryptogamische Ge - wächse zu den Pflanzen gerechnet wurden, ist zwar jene strahlenförmige Bildung nicht so auffallend, wie bey den erstern; die meisten unter ihnen äus - sern mehr eine Tendenz zur blätterartigen Bildung der Vegetabilien. Aber an manchen ihrer Organe, z. B. an den Hüthen der Blätterschwämme und an den Büchsen der Laubmoose, ist sie doch immer noch sehr deutlich.
Bey den Pflanzen sind diejenigen Organe, die ihre obere Seite immer dem Himmel und die untere der Erde zukehren, die Blätter, diejenigen aber, welche zur strahlenförmigen Bildung neigen, die Befruchtungstheile. Jene Stellung der Blätter bringt die Natur meist dadurch hervor, daſs sie dieselben in Schraubengängen um die Aeste und Zweige ord - net(i)Bonnet’s Untersuchungen über den Nutzen der Blät - ter bey den Pflanzen. 2. Abth.. Die strahlenförmige Bildung der Befruch - tungstheile erstreckt sich meist sowohl auf den Kelch und die Blumenblätter, als auf die Staubfäden undGriffel.174Griffel. Am auffallendsten ist sie bey den Salat - pflanzen (Cichorareae), den Corymbiferis und den Schirmpflanzen (Umbellatae). Da, wo die Blu - menblätter und die Geschlechtstheile jene Stellung nicht beobachten, wie bey den Pflanzen mit rachen - förmigen Blumen, findet sie sich doch noch an dem Kelche.
Laſst uns jetzt sehen, durch welche Krüm - mungen sich der Strohm des Lebens in diesen drey Reichen windet, wie er bald von seiner Quelle sich entfernt, bald zu ihr wieder zurückkehrt, sich ihr nähert, und selbst mit ihr verbindet, und wie er endlich nach allen diesen Krümmungen in die leb - lose Natur übergeht.
Der Astronom rühmt sich des Vortheils, daſs der Planet, den er bewohnt, der tauglichste unter al - len zur Betrachtung der himmlischen Welten ist. Der Biologe kann von sich nicht das Nehmliche sa - gen. Sein Körper ist der zusammengesetzteste unter allen jenen kleinern Welten der Erde, die den Ge - genstand seiner Nachforschungen ausmachen, und bey diesen Untersuchungen ist er gezwungen, vonseinem176seinem eigenen Organismus auszugehen. Er muſs also von dem zusammengesetztern auf das Einfa - chere schliessen, und kann nicht, wie er eigentlich sollte, den entgegengesetzten Weg einschlagen. Daher modelt er alle lebende Wesen nach sich sel - ber, und bringt Einförmigkeit, statt Einfachheit in die Natur.
Hier ist wieder eine von den vielen Klippen, die uns bey unsern Untersuchungen aufstoſsen, und zwar eine Klippe, die sich nur umgehen, nicht wegräumen läſst! Es ist nichts damit gewonnen, von dem Einfachsten zu dem Zusammengesetzte - sten in der Biologie fortzugehen: denn jenes hat nur Sinn für uns durch das letztere. Unser Vortrag wird auf diesem Wege nur dem Scheine nach den Regeln der Naturforschung anpassend. Blos da - durch lassen sich die Täuschungen vermeiden, wo - zu uns die Schlüsse, die wir von uns selbst auf die übrige lebende Natur zu machen gezwungen sind, verleiten können, daſs wir diese nur als Probleme betrachten, die noch erst durch entscheidende Er - fahrungen gelöset werden müssen, und auf keinem derselben weiter bauen, so lange solche Erfahrun - gen noch nicht vorhanden sind.
Wir werden daher in diesem Abschnitte bey der Classifikation der Thiere den Menschen zum Muster nehmen, und von ihm zu den einfachstenThie -177Thieren fortgehen, nicht, wie es dem Scheine nach den Regeln der Naturforschung angemessener seyn würde, von diesen zu ihm heraufsteigen. Wir wer - den die Organe der übrigen Thiere nach ihrer Aehn - lichkeit mit den seinigen benennen, unbekümmert, ob die Funktionen jener Organe auch mit denen der seinigen völlig übereinstimmen. Aber wir werden dann auch diese Classifikation nur als Leitfaden zu entscheidenden Erfahrungen betrachten, und auf jener Aehnlichkeit nicht eher Schlüsse bauen, bevor dieselbe nicht aus anderweitigen Gründen darge - than ist.
Dies vorausgesetzt, so können wir mit Cuvier das Thierreich in zwey Hauptclassen eintheilen:
1. In Thiere mit einem innern artikulirten Skelett und rothen Blute.
2. In Thiere, welche weisses Blut und entwe - der gar kein Skelett, oder wenigstens nur ein un - gegliedertes, oder auch ein artikulirtes, aber äusse - res haben.
Die zur ersten Abtheilung gehörigen Thiere ha - ben ausser den beyden angegebenen Merkmalen auch noch insgesammt ein Gehirn, das in einem ei - genen knöchernen Behälter, dem Schädel, einge - schlossen ist. Bey allen findet sich die Abtheilung dieses Eingeweides in zwey Hälften; ein doppelterI. Bd. MSehe -178Sehehügel; ein kleines Gehirn; eine doppelte vor - dere und eine unpaare dritte und vierte Hirnhöhle; eine Wasserleitung; ein Trichter; gestreifte Körper mit gewölbten Anhängen; vordere und hintere Commissuren des Gehirns nebst einer Hirnklappe; eine Zirbel - und Schleimdrüse; und die Vereinigung des kleinen Gehirns durch zwey Queerschenkel mit dem übrigen Theile des Gehirns, der von den bey - den Queerschenkeln des verlängerten Marks ent - steht(l)Cuvier, Bulletin de la Soc. philomath. An VII. n. 27. p. 18.. Man findet bey ihnen wenigstens drey Ar - ten von Sinnesorganen, nehmlich die des Geruchs, Gesichts und Gehörs, und diese sind immer am Schädel angebracht.
Der Geruchsnerve entspringt bey allen aus der Marksubstanz der vordern Hirnhälften, und ausser ihm verbreiten sich bey allen zugleich Hülfsner - ven vom fünften Paare auf der Schleimhaut der Nase(m)Scarpa de auditu et olfactu. S. III. c. 4. §. 12..
Das Auge enthält immer wäſsrige Feuchtigkeit, eine Crystallinse, einen Glaskörper und eine Iris. Der Augapfel ist immer beweglich.
Im Ohre finden sich drey halbcirkelförmige knö - cherne, oder cartilaginöse Canäle, und in diesensind179sind eben so viele häutige Canäle von derselben Fi - gur eingeschlossen. Die letztern schwellen an den Stellen, wo sich der Gehörnerve in ihnen vertheilt, zu einer schlauchförmigen Erweiterung an, und sind sowohl von dem Labyrinthwasser umgeben, als mit demselben angefüllt(n)Scarpa l. c. S. II. c. 4. §. 9..
Alle haben durch Zellgewebe vereinigte Mus - kelfasern.
Das Herz liegt bey allen unterhalb dem Gehirne und oberhalb den Verdauungs - und Zeugungs-Or - ganen, zwischen den Respirationswerkzeugen. Es hat eine oder zwey Kammern, die im letztern Falle immer nur durch eine bloſse Scheidewand von ein - ander abgesondert sind.
Das aus einer Ader gelassene Blut trennt sich bey allen in einen rothen Blutkuchen und in ein gelbliches Serum. Bey allen enthält dasselbe Ey - weiſsstoff, der durch mineralische Säuren und Alco - hol aus demselben niedergeschlagen wird. Mit Weinessig, zerflossenem Weinsteinsalze und Kü - chensalze vermischt, erzeugen sich in demselben schleimige Membranen. In der Mischung mit Wein - essig löſst sich zugleich ein Theil des Cruors auf; hingegen ist dies nicht der Fall in der mit zerflosse - nem Weinsteinsalze und Küchensalze. Die ersterever -M 2180verbreitet immer einen starken Dintengeruch. Der Cruor geht über einem gelinden Feuer in eine schlackenartige Masse über, die vom Magneten an - gezogen wird(o)So lehren es mich eigene Versuche mit dem Blute von Hühnern, Fröschen, Eidechsen und Stören (Aci - peuser sturio)..
Die Kinnladen dieser Thiere liegen horizontal, öffnen sich von oben nach unten, und entblöſsen beym Oeffnen die zwischen ihnen befindliche Zunge.
Der Darmcanal geht ununterbrochen vom Mun - de bis zum After längs der Wirbelsäule fort.
Alle haben eine eigene Membran (das Bauch - fell), welche die Verdauungswerkzeuge einschlieſst, und eine Leber; die meisten auch eine Milz und ein Pancreas.
Endlich finden sich bey allen zwey Nieren, ge - trennte Geschlechter, und zwey Hoden beym männ - lichen Geschlechte.
Zu dieser ersten Abtheilung der Thiere gehören die Säugthiere, Vögel, Amphibien und Fische.
Die Säugthiere und Vögel zeichnen sich vorzüg - lich durch ein Herz mit zwey Kammern, und durchBlut181Blut von einer Temperatur aus, die dem 96° des Fahrenheitschen Thermometers nahe kömmt. Sie haben überdies hohle Knochen; sehr gefäſsrei - che und daher rothe Muskeln; ein zarteres Zellge - webe, als alle übrige Thiere; ein Gehirn, welches die Schädelhöhle völlig ausfüllt; gewundene Kno - chen (Muschelbeine) in den Nasenhöhlen; einen Ci - liarkörper im Auge; einen äussern Gehörgang, ein Trommelfell, eine Eustachische Röhre und eine Schnecke im Ohre; compakte Lungen; eine Milz und ein Pancreas.
Den unterscheidenden Charakter der Säugthiere machen die Brüste (mammae), womit sie ihre Jun - gen säugen, und Lungen aus, die von allen Seiten verschlossen sind.
Die Vögel unterscheiden sich von ihnen durch das negative Kennzeichen des Mangels der Brüste, und durch das positive der Verbindung, worin ihre Lungen mit häutigen Luftbehältern und den groſsen markleeren Höhlen ihrer Knochen stehen.
Unter den gemeinschaftlichen Charakteren der Amphibien und Fische sind die vornehmsten: ein Herz mit einer einzigen Kammer, oder mit meh - rern, die unter einander in unmittelbarer Ver - bindung stehen, und Blut, dessen Wärme von der Temperatur des Mediums, worin sie sich aufhalten,M 3wenig182wenig verschieden ist. Ausserdem zeichnen sie sich noch durch folgende Merkmale aus: durch Knochen, die in ihrem Innern blos Zellen, aber keine gröſsere Höhlen und kein Mark haben; ein laxes Zellgewebe; wenig blutreiche und daher blasse Muskeln; ein Gehirn, welches die Schädelhöhle niemals ganz ausfüllt; die Abwesenheit des Lebens - baums im kleinen Gehirne; die Kleinheit der den gestreiften Körpern analogen Theile(p)Cuvier a. a. O.; den Man - gel des runden Lochs und der Schnecke im Innern des Ohrs(q)Scarpa a. a. O..
Die Amphibien haben überdies wahre Lungen, hingegen die Fische statt dieser Organe Kiemen.
Weit weniger gemeinschaftliche positive Cha - raktere, als bey dieser ersten Abtheilung der Thiere, finden wir bey der zweyten, welche diejenigen ent - hält, die weisses Blut und entweder ein inneres, aber unartikulirtes Skelett, oder ein artikulirtes, aber äusseres, oder auch gar keine Knochen haben. Die Fühlfäden und Fühlhörner sind die einzigen Or - gane, die noch am weitesten unter ihnen verbreitet sind. Indeſs giebt es vier Classen unter ihnen, de - ren Geschlechter in mehrern wichtigen Punkten übereinkommen.
Es183Es giebt nehmlich erstens eine Classe, die ein Herz mit Arterien und Venen, Kiemen wie die Fi - sche, einen nackten Körper, und in ihrem Innern einige wenige unartikulirte Knochen hat. Diese be - steht aus den Mollusken.
Eine zweyte Classe, welche die Crustaceen begreift, hat ebenfalls ein Herz mit Arterien und Venen, und athmet auch, wie die vorige, durch Kiemen; aber sie hat ein äusseres artikulirtes Skelett.
Zur dritten Classe gehören die Insekten. Diese sind, wie die vorigen, mit einem äussern artikulirten Panzer bedeckt. Sie unterscheiden sich aber von jenen durch ein Herz ohne Arterien und Venen, und durch bloſse Luftröhren ohne Lungen.
Bey den Würmern endlich, welche die vierte Classe ausmachen, finden wir Arterien und Venen ohne ein Herz und entweder Kiemen, oder bloſse Luftröhren ohne Lungen, oder auch gar keine Re - spirationsorgane.
Wir können den Menschen als den Prototyp in Rücksicht der Bildung bey den Sängthieren betrach - ten. Alle haben gleich ihm auf jeder Seite des Kopfs ein Ohr, mehr nach innen ein Auge mit zwey Augenliedern, zwischen und unter den beyden Au - gen eine nach hinten in den Rachen sich öffnende Nase, und gleich unter dieser einen Mund, an wel - chem blos die untere Kinnlade beweglich ist. Bey den meisten Geschlechtern dieser Classe ist ferner, wie bey dem Menschen, der Kopf durch einen Hals, welcher wenigstens sechs und höchstens neun Wir - belbeine enthält, mit dem Rumpfe verbunden, und der letztere mit vier äussern Bewegungsorganen versehen, wovon zwey zu beyden Seiten des obern und die zwey übrigen zu beyden Seiten des untern Endes desselben befestigt sind.
Man185Man kann überhaupt annehmen, daſs sich die Figur des Menschen in die eines jeden andern Säug - thiers blos durch Verkürzung oder Verlängerung einzelner Theile verwandeln läſst. So besteht der Unterschied des Menschenschädels von denen der übrigen Säugthiere gröſstentheils nur darin, daſs diese mehr abgeplattet sind, und daſs eine von der Nasenwurzel zu den Enden der vordern Schneide - zähne, oder zu der Gegend, wo diese Zähne beym Menschen sitzen, gezogene Linie, welche beym Menschen auf der Ebene, worin sich die untern Enden der Zähne des Oberkiefers befinden, fast senkrecht steht, bey den übrigen Säugthieren mit dieser Fläche einen mehr oder weniger schiefen Winkel macht; am wenigsten beym Elephanten und Orang-Utang, am meisten beym Hirsche, Del - phin und Ameisenbären, bey welchem letztern jene Linie mit dieser Ebene fast zusammenfällt.
Nimmt man das Cervical-Ligament und den Schwanz aus, so giebt es auch keinen Theil, den die übrigen Säugthiere zusammen vor dem Men - schen voraus hätten. Einzelne unter ihnen haben indeſs freylich Theile, die der Mensch nicht hat, der Ochse, die Antilope u. s. w. Hörner, der Ele - phant einen Rüssel, der Bieber, das Ziebetthier, das Nabelschwein u. s. w. eigene Behälter am Af - ter, Nabel u. s. w.
M 5Die -186Dieser letztere Satz gilt auch von den Säug - thieren in Ansehung ihres innern Baues. Das Ge - hirn zeigt nur bey einzelnen Familien Eigenthüm - lichkeiten, die der Mensch nicht hat. Rechnet man diese wenigen Ausnahmen ab, so läſst sich aller - dings mit Arnemann(s)Vers. über das Gehirn und Rückenmark. S. 92. behaupten, daſs im thieri - schen Gehirne kein Theil vorhanden ist, den der Mensch nicht auch hätte, daſs aber der Mensch viel Eigenthümliches besitzt, was die Thiere nicht ha - ben. Der unterscheidende Charakter des Gehirns der Säugthiere, den Menschen mit eingeschlossen, besteht übrigens in der Gegenwart des Hirnbalkens, des Bogens, der Ammonshörner und des Hirnkno - tens; in der Lage der vier Hügel über der Sylvi - schen Wasserleitung, zwischen den Sehehügeln und dem kleinen Gehirne; in dem gänzlichen Mangel einer Höhle der Sehehügel; in der Lage dieser Hü - gel innerhalb der Hirnhälften; und in den grauen und weissen Streifen der gestreiften Körper(t)Cuvier a. a. O..
Das äussere Organ des Geruchs ist bey den übrigen Säugthieren nicht so hervorragend, wie beym Menschen. Bey allen aber ist die innere Höhle desselben durch eine Scheidewand in zwey Hälften getheilt, die nach hinten mit dem Rachen, nach oben und unten mit Höhlen des Stirnbeinsund187und des Oberkiefers Gemeinschaft haben. Zu bey - den Seiten jener Scheidewand liegen gewundene oder ästige Knochen, auf deren häutigen Bekleidun - gen sich die Zweige des Geruchsnerven, nachdem sie durch die Oeffnungen des Siebbeins gelangt sind, verbreiten(u)Harwood’s vergl. Anat. u. Physiol. H. 1. Abschn. 5, 6..
Der Augapfel ist bey allen Säugthieren, wie beym Menschen, fast kugelförmig. Alle haben eine convexe Hornhaut, eine Sklerotika, Chorioidea, Retina, eine cirkelförmige, flockenartige und von der Traubenhaut fast unzertrennliche Iris, viel wäſsrige Feuchtigkeit, einen groſsen Glaskörper, und eine weit kleinere Crystallinse, die vorne bey - nahe flach ist. Alle haben einerley Augenmuskeln mit dem Menschen, ausgenommen den Bulbosus, der dem letztern fehlt(v)Haller opp. min. T. III. p. 233.. Keines aber, ausser dem Affen, hat mit ihm den gelben Fleck in der Netz - haut gemein(w)Home, Phil. Trans. 1798..
Die meisten Säugthiere haben, gleich dem Menschen, ein äusseres Gehörorgan (auricula) und einen äussern Gehörgang, alle ein Trommelfell, eine Eustachische Röhre, einen Vorhof mit dreyGehör -188Gehörknöchelchen, und ein Labyrinth, worin sich, ausser den halbzirkelförmigen Bogengängen und häutigen Canälen, eine spiralförmige Schnecke be - findet. Das äussere Gehörorgan ist aber bey den meisten Säugthieren nicht flach und oval, wie beym Menschen, sondern einem halben, inwendig ausge - höhlten Kegel ähnlich; ihre häutigen Canäle sind kleiner, als die des Menschen, und der Raum der Schnecke ist viel gröſser, als der des Vorhofs und der Bogengänge, da er beym Menschen dem letztern gleich kömmt(x)Scarpa de auditu et olf. p. 45. §. 4..
Die Zunge aller Säugthiere ist, gleich der menschlichen, fleischigt. Die Nervenwärzchen der - selben aber sind weit gröſser, als die der letztern, schwammicht, und mit einer dicken, breyartigen, bey verschiedenen Thieren an einigen Stellen knor - pelartigen Epidermis überzogen.
Die Nervenwärzchen an den äussersten Enden der äussern Bewegungsorgane, worin der Sinn des Tastens beym Menschen seinen Sitz hat, finden sich blos bey den Affen und Maki’s. Sie fehlen aber, wenigstens an dieser Stelle, allen übrigen Säug - thieren(y)Blumenbach in Commentat. soc. Reg. sc. Gotting. phys. Vol. IX. p. 123..
Die189Die Lungen der Säugthiere, die fast immer in mehrere Lappen abgetheilt sind, füllen die Brust - höhle völlig aus, ohne an der innern Fläche der letztern befestigt zu seyn. Am obern Ende der Luftröhre, gleich hinter der Zungenwurzel, befin - det sich nur ein einziger Kehlkopf mit einem Kehldeckel.
In der Struktur des Herzens kommen die übri - gen Säugthiere mit dem Menschen gröſstentheils überein. Aber die Lage dieses Organs ist bey den erstern anders, als bey dem letztern. Bey jenen liegt dasselbe so, daſs die Basis fast gerade nach dem Kopfe, die Spitze aber gerade nach dem Unter - leibe hin gerichtet ist, und daſs eine durch die Mitte des Brustbeins gelegte vertikale Ebene, wie die Brusthöhle, so auch das Herz in zwey gleiche Hälf - ten theilt.
Die Vertheilung der Aorta ist ebenfalls bey den übrigen Säugthieren etwas verschieden von der beym Menschen. Die beyden Schlüsselbeinarterien und die linke Carotis entspringen bey jenen nicht, wie bey diesem, unmittelbar aus dem Bogen der Aorta, sondern - der letztere spaltet sich in zwey groſse Aeste, wovon sich der eine aufwärts ge - hende in die rechte Schlüsselbeinarterie und in die beyden Carotiden, der andere herabsteigende aber auf ähnliche Art wie beym Menschen theilt.
Die190Die Brusthöhle ist von der Bauchhöhle bey al - len Säugthieren durch ein muskulöses Zwerchfell geschieden. Nach unten wird diese durch die Bek - kenknochen begränzt, die bey den übrigen Säug - thieren nach oben einander näher, nach unten aber entfernter von einander sind, als bey dem Men - schen(z)Autenrieth und Fischer in Isenflamm’s und Ro - senmi ller’s Beiträgen für die Zergliederungskunst. B. 2. H. 2. S. 190..
Alle Säugthiere haben einen muskulösen Darm - canal, der den Magen an Weite nachsteht. Die Ausführungsgänge der Galle und des pankreatischen Saftes öffnen sich in demselben neben einander.
Aus den Gedärmen entspringen Gefäſse, die ei - nen milchigen Saft aus dem obern Theile desselben aufnehmen (Milchgefäſse), und bey ihrem Fort - gange im Gekröse eine Menge Drüsen durch - kreutzen.
Der Darmcanal ist nach vorne mit einer an dem Magen und den benachbarten Theilen befestigten Haut, dem Netze, bedeckt.
Die Milz liegt immer in der linken Seite zwi - schen dem Magen, den Rippen und dem Zwerch - felle.
Von191Von jeder Niere geht bey allen Säugthieren ein Canal (der Harnleiter) zu einem muskulösen Be - hälter (der Urinblase), und von diesem eine Röhre (die Harnröhre) zur Eichel des männlichen Gliedes beym männlichen, und zur Scheide beym weibli - chen Geschlechte, wo sie sich nach aussen öffnet.
Alle männliche Säugthiere haben eine mit einer Eichel versehene Ruthe. Die Ausführungsgänge des Saamens öffnen sich immer in die Harnröhre. Das weibliche Geschlecht hat zwey Eyerstöcke und eben so viele Fallopische Röhren.
Dies sind die wichtigsten Punkte, worin die Säugthiere unter sich und mit dem Menschen über - einkommen. Bey der Aufzählung derselben haben wir schon mehrerer Eigenheiten erwähnt, welche der letztere vor den übrigen Thieren dieser Classe voraus hat. Wir finden ausserdem, daſs der Mensch das einzige, blos zum aufrechten Gange bestimmte Thier ist. Seine ganze Struktur beweiset diesen Satz. Ferner hat nur der Mensch zwey Hände. Bey keinem Thiere finden sich so geordnete und so gestaltete Zähne, und solche Kinnladen. Er hat ein flacheres Becken, als alle übrige Thiere. Er ist das einzige Thier, das Hinterbacken besitzt. Die Axe der weiblichen Scheide weicht bey ihm von der des Beckens weit mehr ab, als bey allen andern Thieren. Nur bey ihm hat das Weib im jungfräu -lichen192lichen Zustande ein Hymen(a)Blumenbach de varietate gen. hum. nativa. Ed. 3.. Diese und die übrigen schon oben erwähnten Eigenheiten, denen sich leicht noch mehrere minder wichtige beyfügen liessen, berechtigen uns, bey der Eintheilung der Säugthiere, die wir jetzt entwerfen werden, den Menschen in eine besondere Ordnung zu setzen, und die übrigen Familien nach der geringern oder gröſsern Abweichung ihrer Organisation von der sei - nigen zu bestimmen.
Wir setzen dieser Regel gemäſs in die zweyte Classe die Affen, welche die Struktur des Men - schen mit folgenden Ausnahmen haben: ein behaar - ter Körper mit vier Händen; ein weniger gewölbter Schädel; mehr hervorstehende Kinnladen, und ein weiter nach hinten liegendes Hinterhauptsloch, als beym Menschen; kein vorderer Nasenstachel; gröſsere Zähne; eine bogenförmige, nicht, wie beym Menschen, wellenförmige Wirbelsäule; Schen - kelbeine, die gerade, nicht nach vorne sanft gebo - gen sind, und deren auswendige Gelenkknöpfe nicht kürzer, sondern eben so lang, als die inwen - digen sind; ein Knie, das tiefer, als breit ist; zum Theil Backentaschen und an der Vorderseite des Halses liegende membranöse Luftbehälter, die sich in den Kehlkopf öffnen; eine gröſsere Clitoris, wie beym Weibe; zwey Muskeln am männlichen Gliede,die193die dasselbe in die Vorhaut zurückziehen, wie bey allen vierfüſsigen Thieren, und ein Knochen in der Ruthe, wie bey der Familie der Hunde(b)Wiedemann’s Archiv für Zool. u. s. w. B. 1. St. 1. S. 28 ff. Camper’s N. G. des Orang-Utang. S. 111 ff..
Des Vorzugs der Hände entbehren alle übrige Familien. Einige von diesen haben statt der Fin - ger Krallen, und bey den übrigen finden sich ent - weder Zehen, die mit stumpfen hornartigen Ueber - zügen bedeckt sind, oder äussere Gliedmaaſsen, die mit den Flossen der Fische übereinkommen.
Die erste jener Familien mit Krallen ist die der Hunde. Diese haben drey Arten von Zähnen, wie die vorigen, aber kürzere, stärkere und zahlrei - chere Schneidezähne, gröſsere und spitzere Eck - zähne, und schärfere Backenzähne. Ihre Kinnla - den und Kaumuskeln sind stärker, und ihre Glied - maaſsen in Vergleichung mit der Länge des Rumpfs kürzer, wie bey dem Menschen und den Affen. Einige Theile, die bey andern Thieren membranös sind, haben bey ihnen eigene Knochen. So liegt eine eigene knöcherne Scheidewand zwischen den groſsen Seitenblättern der harten Hirnhaut, wodurch das kleine Gehirn vom groſsen abgesondert ist, und so ist auch die Harnröhre bey ihnen, wie bey denmeistenI. Bd. N194meisten Affen, von einem Röhrenknochen umgeben. Das Stirnbein hat sehr groſse und zahlreiche Höh - len(c)Blumenbach de sinibus frontalibus. p. 17.. Der Darmcanal ist sehr kurz und der Un - terschied zwischen dem dünnen und dicken Darm geringer, als bey den übrigen Säugthieren. Der Blinddarm fehlt entweder ganz (Mustela, Lutra, Phoca, Meles, Ursus, Talpa, Sorex, Erinaceus), oder er ist wenigstens sehr klein. Die Brüste hän - gen bey allen unter dem Bauche. Die meisten ha - ben zwey Drüsen am After, die eine starkriechende Feuchtigkeit absondern, und die drey Geschlechter Talpa, Sorex und Erinaceus den Mangel der Win - dungen des Gehirns mit den Thieren der folgenden Ordnung gemein. Die beyden Geschlechter Lutra und Phoca zeichnen sich durch die Verwandtschaft ihrer Organisation mit der der Wallfische, besonders des Wallrosses (Trichecus rosmarus), aus.
Die zweyte Familie der Säugthiere mit Krallen besteht aus den Nagethieren. Auch mehrere von diesen haben, wie die vorigen, eine knöcherne Scheidewand zwischen dem groſsen und kleinen Gehirne, einen Knochen in dem männlichen Zeu - gungsgliede, und Brüste, die unter dem Bauche hängen. Aber es fehlen ihnen die Eckzähne, und die langen Schneidezähne sind von den Backenzäh - nen durch einen weiten Zwischenraum getrennt. Die195Die vordern Gliedmaaſsen sind kürzer, als die hin - tern. Der Schwanz ist meist lang und mit starken Muskeln versehen. Am groſsen Gehirne fehlen die Windungen. Der Magen hat bey einigen mehrere Abtheilungen. Der Darmcanal ist sehr lang, und der Blinddarm so groſs, daſs er oft den Magen an Weite übertrifft. Die äussern Zeugungsglieder lie - gen bey mehrern Geschlechtern sehr nahe am After, bey manchen in diesem ganz verborgen.
Bey einigen Arten aus dieser Familie sind die hintern Füſse mit den vordern durch eine Haut ver - bunden, welche den Sprung derselben einem Fluge ähnlich macht. Diese sind das Verbindungsglied zwischen den Nagethieren und der dritten Säugthier - familie mit Krallen, den Fledermäusen, unter deren charakteristischen Kennzeichen eines der her - vorstechendsten eine feine, zwischen den hintern und vordern Gliedmaaſsen ausgespannte Haut ist, welche aber in ihrer übrigen Struktur mehr an die Affen und Hunde, als an die Nagethiere gränzen. Sie haben, gleich dem Menschen und den Affen, ihre Brüste am Thorax, und, gleich den Hunden, starke und scharfe Zähne, nebst einem kleinen Ma - gen und kurzen Darmcanale. Einigen Arten fehlen indeſs die Schneidezähne, entweder in der einen Kinnlade (Vespertilio cephalotes, lepturus), oder in beyden (Vesp. noneboracensis), und Ein Ge -N 2schlecht196schlecht (Galeopithecus) hat, gleich den Nagethie - ren, einen groſsen Blinddarm.
Die letzte Familie der Säugthiere mit Krallen ist die der Faulthiere. Diesen fehlen entweder die Zähne ganz, oder sie haben höchstens nur Bak - kenzähne. Ihr Darmcanal hat keinen Blinddarm. Uebrigens finden sich bey jedem der wenig zahlrei - chen Geschlechter dieser Familie Eigenthümlichkei - ten, welche dieselbe zu einer der merkwürdigsten des ganzen Thierreichs machen.
In mehrern Rücksichten schlieſst sich an diese Familie die der Säugthiere mit flossenartigen Glied - maaſsen, der Wallfische, an. Hier finden sich entweder nur Schneidezähne, oder nur Eckzähne, oder blos Backenzähne, oder statt der Zähne horn - artige Blätter. Der Magen ist vielfach, wie bey ei - nigen Gattungen der Nagethiere und Faulthiere; aber dem Darmcanale fehlt meist die Grimmdarms - klappe und der Blinddarm. Jede Niere ist aus einer groſsen Menge kleinerer Nieren zusammengesetzt. Die Hoden liegen innerhalb der Bauchhöhle, und die Brüste entweder beym Anfange des Schwanzes zu beyden Seiten der weiblichen Geburtstheile, oder an der Brust. Ihre übrigen Theile sind nach dem Mo - dell der Fischorgane gebildet. Ihre äussere Form ist der der Fische ähnlich. Der Kopf ist wie bey die - sen abgeplattet, und von dem Rumpfe durch kei -nen197nen deutlichen Hals abgesondert. Die vordern Glied - maaſsen haben fast die nehmlichen Knochen, wie die der übrigen Säugthiere; aber ihre äussere Struk - tur gleicht der der Fischflossen. Die Lendenwirbel - beine bilden eine ununterbrochene Reihe, die sich hinten durch eine Flosse endigt. Ausserdem findet sich bey den meisten auch noch eine wahre Rücken - flosse. Das Ohr hat keinen äussern Gehörgang, ei - nen unbeweglichen Hammer, keine halbzirkelför - mige Canäle, aber eine geräumige Schnecke(d)Camper’s kl. Schriften. B. 1. St. 2. B. 2. St. 1.. Der Kehlkopf öffnet sich meist in die auf dem Schei - tel des Kopfs liegenden Nasenlöcher, und diese die - nen zugleich zur Ausleerung des mit den Nah - rungsmitteln verschluckten Wassers. Bey den Braunfischen fehlen in den Nasenhöhlen die Ge - ruchsnerven(e)Camper in den Schriften der Berlin. Gesellschaft. B. 3. S. 396. Cuvier, Bulletin de la Soc. philomathi - que. 1797. n. 4. p. 26.. Endlich sind noch bey ihnen, wie bey den Fischen, alle innere Höhlen mit einem flüssigen Oel angefüllt.
Unter denjenigen Thieren, deren Zehen stum - pfe, hornartige Ueberzüge, sogenannte Hufen, haben, giebt es einige, bey welchen an jedem Fuſse mehr als zwey Zehen vorhanden sind; andere haben deren nur zwey, und bey einigen findet sich nureineN 3198eine einzige. Die erste Familie, die der Schweine, enthält Gattungen, die sowohl unter einander, als mit den übrigen Säugthieren so wenig verkettet sind, daſs sie mehr Ueberbleibsel einer untergegan - genen Thierwelt, als Glieder der jetzigen lebenden Natur zu seyn scheinen. Sie sind groſs, plump, dünnbehaart, und haben einen kurzen Schwanz. Die Struktur ihrer Zähne ist so anomalisch, daſs sich nichts Allgemeines darüber festsetzen läſst. Einigen (Elephas) fehlen die Schneidezähne, an - dern (Rhinoceros, Tapir) die Eckzähne. Die letz - tern ragen bey einigen (Elephas, Sus) gekrümmt weit über die Kinnladen hervor. Der Magen hat entweder Verengerungen, und zuweilen überdies noch blinde Anhänge, wie beym Nilpferde (Hip - popotamus amphibius) und Nabelschweine (Sus Taiassu); oder es finden sich, wie beym Elephan - ten, groſse Erweiterungen des dicken Darms, die sowohl ihrer Struktur, als Funktion nach eben so vielen Magen ähnlich sind. Der Blinddarm ist ge - wöhnlich von beträchtlicher Gröſse.
Mehr allgemein passende positive Charaktere finden sich bey den Rindern, oder denjenigen Thieren mit Hufen, bey welchen an jedem Fuſse nur zwey Zehen vorhanden sind. Die meisten von diesen haben Hörner oder Geweihe an der Stirne. Ihre Stirnhöhlen sind groſs und zahlreich, wie beyden199den Hunden(f)Blumenbach de sinibus frontalibus. p. 18.. In der untern Kinnlade stehen gewöhnlich acht Schneidezähne; die obere hinge - gen hat statt der Schneidezähne einen knorpelartigen Wulst. Die Eckzähne fehlen bey den meisten. Die Backenzähne sind bey allen wie mit sägeförmigen Queerfurchen ausgeschnitten, und die Kronen der - selben liegen nicht horizontal, sondern sie sind schräg ausgezähnelt, so daſs an denen im Oberkie - fer die Aussenseite, an denen im Unterkiefer aber die nach der Zunge hingerichtete innere Seite die höchste ist. Die untere Kinnlade ist schmal, und hat eine freyere Seitenbewegung, als bey den übri - gen Säugthieren. Es giebt hier vier verschiedene, unter einander zusammenhängende Magen. Der erste (der Wanst, rumen) ist der weiteste von al - len. Er füllet den gröſsten Theil der linken Seite des Unterleibes aus, und ist auf seiner innern Fläche an mehrern Stellen mit langen dünnen Zotten be - setzt. Der zweyte (der Netzmagen, reticulum) liegt zwischen jenem und dem Mittelpunkte des Zwerchfells, und ist von dem Wanste nur durch eine Verengerung geschieden. Man findet auf der innern Fläche desselben gitterförmige Erhöhungen, deren Zwischenräume Zotten haben. Der dritte Ma - gen (der Blättermagen, centipellio, omasus) liegt zur Rechten des ersten, und mit seinem Vor - dertheile über dem zweyten. Seine äussere GestaltistN 4200ist kugelförmig. Auf seiner innern Fläche trifft man viele halbmondförmige Falten an. Vom Schlunde bis zur Mündung dieses dritten Magens geht eine Rinne, welche gleich dem ersten und zweyten Magen mit Zotten besetzt ist. Der vierte Magen (der Fett - magen, abomasus) liegt auch zur Rechten des Wanstes unter dem Vordertheile des dritten, und kömmt in seiner Struktur mit dem Magen der übri - gen Säugthiere überein. Der Darmcanal überhaupt, und besonders der Blinddarm, ist von ausserordent - licher Länge. Die Darmzotten sind ebenfalls sehr lang. Das Fett ist compakter, das Zellgewebe stär - ker und häufiger, als bey den übrigen Säugthieren. Das erstere erhärtet nach dem Erkalten zu einer bröcklichen Masse. Die Brüste liegen zwischen den Hinterfüſsen, nicht weit von den weiblichen Ge - burtstheilen. Den meisten fehlen die Waden - beine(g)V. Coiter de quadrupedum sceletis. C. 2. Cam - per’s N. G. des Orang-Utang etc. S. 103.. Manche haben keine Gallenblase. Bey zwey Geschlechtern (dem Ochsen und Hirsche) zeichnet sich das Herz durch zwey länglichte Knochen aus, von welchen der eine gröſsere, der nach der Krüm - mung des Einganges der linken Herzkammer gebo - gen ist, unter der sigmaförmigen Klappe liegt, die hinter dem rechten Herzohre ist, der andere klei - nere sich beym Eingange eben der Herzkammer un - ter der sigmaförmigen Klappe befindet, die hinter dem linken Herzohre ist.
Von201Von der dritten Ordnung der Säugthiere mit Hufen, deren Fuſs nur Eine Zehe hat, kennen wir nur erst ein einziges Geschlecht, nehmlich das Pferd. Schneidezähne in der obern und untern Kinnlade, und die in der untern etwas hervorra - gend; isolirt stehende Eckzähne; stumpfe Backen - zähne; ein kleiner und einfacher Magen, aber ein sehr langer Darmcanal, ein Grimmdarm mit sehr weiten Säcken, und ein ausserordentlich groſser Blinddarm; Brüste, die in der Schaamgegend lie - gen; Fett, das sich in Ansehung der Consistenz dem der Rinder nähert: dies sind die vornehmsten Ei - genthümlichkeiten in der Organisation dieser Fa - milie.
Die Geschlechter, die zu den charakterisirten zehn Ordnungen der Säugthiere gehören, nebst ei - nigen merkwürdigen Eigenheiten in der Struktur einzelner Geschlechter und Arten, und den vor - nehmsten Schriftstellern über die Zergliederung der - selben enthält das folgende Verzeichniſs.
Die Vögel haben gleich den Säugthieren einen Kopf, Hals, Rumpf und vier äussere Bewegungsor - gane. Aber der Kopf ist hier immer statt eines Mundes mit einem hornartigen Schnabel versehen, dessen beyde Kinnladen beweglich sind; es fehlen ihm die äussern Geruchs - und Gehörorgane der Säugthiere; er artikulirt immer nur durch einen einzigen Gelenkkopf mit dem ersten Halswirbel. Die Anzahl der Halswirbel variirt von 6 bis 23. Die Brust ist gewöhnlich sehr ausgedehnt, und das Brustbein beynahe viereckig. Die Brusthöhle istnicht,224nicht, wie bey den Säugthieren, durch ein Zwerch - fell von der Bauchhöhle geschieden. Die Hüftbeine machen mit den Lendenwirbeln und dem Kreutz - beine nur einen einzigen Knochen aus, und von ei - nem Becken finden sich nur noch Lineamente. Die vordern Bewegungsorgane sind blos zum Fluge ge - bauet. Der ganze Körper ist bis auf die Zehen mit Federn besetzt, wovon sich die stärksten in den Flügeln und dem Schwanze finden.
Das Gehirn der Vögel ist groſs in Vergleichung mit der Gröſse ihres Körpers. Es fehlen an demsel - ben, wie an dem der Nagethiere, die Windungen (gyri). Das Mark liegt an den meisten Stellen nach aussen, und die Rinde nach innen. Die Quantität des erstern in Vergleichung mit der des letztern ist weit kleiner, als bey den Säugthieren. Ein eigen - thümlicher Charakter desselben ist eine mit Strah - len besetzte Wand, welche jede vordere Hirnhöhle an der innern Seite verschlieſst. Uebrigens hat das - selbe: 1) weder Hirnbalken, noch Bogen, noch die von diesen abhängenden Theile; 2) mehr oder we - niger zahlreiche Hervorragungen, welche den vier Hügeln analog sind, aber zwischen den gestreiften Körpern und den Sehehügeln liegen; 3) Höhlen in den Sehehügeln, und diese selbst ausserhalb den Hirnhöhlen unter der Grundfläche des Gehirns lie - gend; 4) keine Hervorragungen zwischen den Sehe - hügeln und dem kleinen Hirne, so wie auch keinenHirn -225Hirnknoten; 5) meist vier vor den Sehehügeln be - findliche Hervorragungen(k)Willisii Anat. cerebri, in Opp. ex ed. Blasii. p. 35. Cuvier, Bulletin de la Soc. philomathique. An. VII. n. 27. p. 18..
Unter den Nerven der Vögel zeichnen sich die Sehenerven dadurch aus, daſs sie sich deutlich durchkreutzen und auf dem Queerdurchschnitte ih - res Vereinigungsknotens abwechselnde Queerstrei - fen von grauer und markiger Substanz haben.
Dem Geruchswerkzeuge der Vögel fehlen die beweglichen Nasenlöcher der Säugthiere. Die in - nere, sehr weite Nasenhöhle ist aber auch hier durch eine Scheidewand in zwey Hälften getheilt. Zu beyden Seiten der letztern liegen gewundene, knor - pelartige oder häutige, den Muschelbeinen der Säugthiere ähnliche, und mit einer Schleimhaut be - deckte Organe, auf welchen sich die Geruchsner - ven nebst den Hülfsnerven vom fünften Paare eben so wie bey den Säugthieren verbreiten, ausgenom - men, daſs die erstern nicht wie bey diesen durch mehrere, sondern nur durch zwey Oeffnungen zum Schädel hinausgehen. Uebrigens hat auch die Na - senhöhle der Vögel, gleich der der Säugthiere, mit zellenförmigen Höhlen des Oberkiefers undderI. Bd. P226der Anhänge desselben unmittelbare Gemein schaft(l)Scarpa disqu. anat. p. 77. Cap. 4. Harwood’s vergl. Anat. und Physiol. S. 28 ff..
Im Innern des Auges der Vögel geht von dem Ursprunge der Netzhaut aus dem Sehenerven zur hintern Fläche der Crystallinse der sogenannte Kamm (pecten), ein häutiges, gefäſsreiches, schwarzbraunes, fächerartig gefaltenes Paralle - logramm, welches aus dem optischen Nerven zur Linse eben so viele Arterien und Venen, wie es Fal - ten hat, herüberführt. Der Eintritt des Sehener - ven ins Auge hat keine runde, sondern eine eckichte Gestalt. Die Retina ist nach aussen mit einem schwarzen Schleime überzogen, und die Hornhaut von einem Ringe umgeben, der aus ziegelförmig über einander liegenden Schuppen, über welche sich die Sehnen der geraden Augenmuskeln aus - breiten, zusammengesetzt ist. Von einer Tapete und einem gestreiften Körper findet sich keine Spur. Die Augenmuskeln sind sehr verschieden von denen der Säugthiere. Auch giebt es ausser denjenigen Muskeln, die zur Bewegung des Aug - apfels dienen, noch zwey andere, den Vögeln ei - genthümliche, wodurch die Blinzhaut, welche diese Thierclasse mit den meisten Säugthieren gemein hat, nach innen und nach aussen gezogen wird(m)Haller Opp. min. T. III. p. 249. Home, Phil. Trans..
Das227Das Ohr der Vögel ist einfacher, als das der Säugthiere. Ein äusseres Ohr ist nicht vorhanden. Doch wird dieser Mangel einigermaaſsen durch die regelmäſsige Stellung der Federn in der Gegend der beyden Gehörorgane ersetzt. Der äussere Gehör - gang ist kurz und meist häutig, das Trommelfell von beträchtlicher Gröſse(n)Scarpa l. c. p. 57. §. 2.. Der Vorhof steht mit der Trommelhöhle, wie bey den Säugthieren, durch eine ovale und durch eine runde Oeffnung in Verbindung. Von der ovalen Oeffnung geht aber nur ein einziger Gehörknochen zum Trommelfelle. Die runde Oeffnung ist durch eine Membran ver - schlossen. Das Labyrinth enthält drey knöcherne und in diesen eben so viele häutige halbzirkelförmi - ge Canäle nebst einer Schnecke. Jene öffnen sich mit fünf Eingängen in den Vorhof, und haben das Eigene, daſs die eine Oeffnung immer eng, die ent - gegengesetzte weit ist. Die Schnecke ist ungleich einfacher, als bey den Säugthieren, und hat blos die Gestalt eines leicht gebogenen Kegels(o)Scarpa l. c. p. 57. §. 2..
Die Zunge der Vögel hat inwendig einen Kno - chen, und äusserlich ähnliche Papillen, wie die derSäug -(m)Trans. 1796. P. I. Schmidt, Phil. Trans. 1795. P. II. Zinn in Commentat. soc. Reg. sc. Gotting. antiqu. T. I. p. 49.P 2228Säugthiere. Ausserdem ist bey einigen Arten auch der Gaumen mit solchen Papillen übersäet,
Statt der Nervenwärzchen, die sich an den äus - sersten Enden der Bewegungsorgane einiger Säug - thiere finden, ist die Schnabelhaut verschiedener Vögel mit einer groſsen Menge von Zweigen des fünften Hirnnerven-Paars versehen(p)Blumenbach specimen physiol. comp. p. 123..
Die Luftröhre dieser Thiere hat an beyden En - den einen Kehlkopf; dem obern aber fehlt der Kehl - deckel(q)Cuvier, Mag. encyclop. T. II. p. 330.. Bey mehrern Vögeln, vorzüglich den Gattungen Tetrao urogallus, Penelope marail, Pe - nelope cristata, Phasianus paraca, Crax alector, Crax pauxi, und den Geschlechtern Ardea, Anas, Mergus, erweitert sich jene entweder durch Verlän - gerung und Umbiegung, oder durch Anhänge, oder durch Erweiterung und Anhänge zugleich. Meist ist diese Struktur ein Vorzug des männlichen Ge - schlechts. Doch findet man sie auch bey dem Weib - chen der Penelope marail(r)Parsons, Phil. Trans. Vol. LVI. D’Aubenton, Mem. de l’Acad. des sc. à Paris. 1781. p. 369. Bloch, Beschäftigungen der Berlin. Gesellschaft. B. IV. S. 587. Ebenders. Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 3. S. 370. Latham, Trans. of the Linnean Society. Vol. IV..
Die229Die Lungen sind kleiner und lockerer, als die der Säugthiere, und bestehen auf jeder Seite nur aus einem einzigen Lappen, der mit den Ribben zusammenhängt. Aus ihnen gehen Fortsätze der Bronchien zu groſsen und zarten häutigen Zellen, den sogenannten Luftbehältern, welche allent - halben unter der Haut, vorzüglich aber unter der Brust, unter den Achseln, und am Unterleibe ver - breitet sind. Diese haben ferner mit den Spuhlen der Federn und den Höhlen der Knochen, welche letztere hier gewöhnlich markleer sind, besonders denen der Armknochen, der Schlüsselbeine, des Brustknochens, der Ribben, Wirbelbeine, Hüftkno - chen und bey einigen auch der Schenkelbeine, Ge - meinschaft, so daſs Luft, welche in die Luftröhre geblasen wird, in die Lungen, in die Luftbehälter, in die Spuhlen der Federn und in die Knochenhöh - len übergeht(s)Mery, Hist. de l’Acad. des sc. à Paris. 1693. Cam - per’s kl. Schriften. B. 1. St. 1. S. 94, 108, 151. J. Hun - ter, Phil. Trans. Vol. LXXIV. p. 205. Merrem in Schneider’s verm. Abhandlung. zur Aufklärung der Zool. etc. S. 323. Blumenbach specimen phys. comp. p. 119.. Das Gas, das sich in diesen Cavi - täten befindet, muſs specifisch leichter seyn, als die athmosphärische Luft, weil ein Vogel, dem ein groſser Knochen des Beins zerschmettert, oder ein Loch in dem auf der Brust befindlichen groſsen Luft -behäl -P 3230behälter geschossen ist, jedesmal aus der Luft her - abfällt, wenn auch die Wunde sonst von geringer Bedeutung ist(t)Forster in dessen Uebersetzung von Vaillants neuer Reise in das Innere von Afrika. B. 1. S. 344..
Das Herz der Vögel, das oben in der Brust mit der Basis zwischen den Zweigen der Luftröhre und mit der Spitze zwischen der Leber liegt, weicht darin von dem der Säugthiere ab, daſs bey einigen Geschlechtern (den Sperlingen und Hühnern) die Ventrikel ganz glatt sind, und nicht solche Bündel von Muskelfasern haben, wie sich im menschlichen Herzen durchkreutzen. Bey diesen fehlen zugleich die dreyzackichten Valveln. Bey einigen Arten (dem Schwan und der Gans) befinden sich in der linken Herzkammer solche Bündel von Muskelfa - sern, die rechte hingegen hat eine ganz glatte innere Fläche. Bey allen Vögeln sind die Arterien von den Venen in Ansehung der Dicke ihrer Häute weniger verschieden, als bey den Säugthieren(u)Harvei de motu cordis exerc. 1. cap. 17..
Das Blut der Vögel enthält weit weniger Serum, hat aber eine ungleich höhere Röthe, als das der übrigen rothblütigen Thiere. Das Blutwasser zeigt eine schwache Spur von Alkali. Der Blutkuchen ist nicht so fest, wie bey den Säugthieren.
Der231Der Schlund ist bey den meisten Vögeln weit, und der Magen bey vielen dreyfach. Erstens nehm - lich schwillet jener über der Brust, gleich unter der Haut, zu einem ovalen, sehr dehnbaren, häutigen, doch auch mit einigen Muskelfasern versehenen, drüsichten und vollsaftigen Sack, dem Kropfe (inglunies) auf. Der zweyte Magen liegt am un - tern Ende des Schlundes vor dem Hauptmagen. Er ist fleischicht, gleich dem letztern, doch schwächer als dieser, eyförmig, und mit sehr vielen Drüsen besetzt. Der dritte Magen findet sich bey allen Vö - geln, und bey allen ist er muskulös. Aber die Menge und Stärke dieser Muskelfasern ist sehr ver - schieden. Bey einigen Vögeln sind sie so dünn und in so geringer Anzahl vorhanden, daſs der Magen mehr die Gestalt eines membranösen, als eines fleischichten Sacks hat; bey andern hingegen sind sie stärker und zahlreicher, wie in irgend einem hohlen Muskel eines andern Thiers. Bey den letz - tern bilden sie zwey strahlenförmige Muskeln, wo - von der obere in den Schlund, der untere in den Zwölffingerdarm übergeht, und welche auf der hin - tern und vordern Fläche des Magens in zwey seh - nichten Mittelpunkten zusammenkommen. Die in - nere Höhle dieses Magens ist so klein, daſs ihr Queerdurchmesser kaum der Dicke ihrer Wände gleich kömmt, und die innere Fläche desselben nicht zottig, sondern knorpelartig.
P 4Der232Der Darmcanal der Vögel ist kürzer und weni - ger gewunden, als der der Säugthiere. Die innerste Haut des dünnen Darms hat Falten, Drüsen und bey vielen auch Flocken(v)Diese fehlen bey Sterna hirundo, Fringilla dome - stica, Loxia curvirostra und Parus maior. Rudolphi in Reils Archiv f. d. Physiol. B. IV. H. 1. S. 68. H. 3. S. 346., wie die der Säugthiere. Der dicke Darm, der hier weniger, als bey der vor - hergehenden Thierclasse, von dem dünnen verschie - den ist, hat meist zwey, oft sehr groſse blinde An - hänge, die gleich über dem Mastdarme liegen, und an der Gränze dieser Blinddärme eine der Grimm - darmsklappe ähnliche Valvel. Das Colon aber fehlt bey den meisten. Der Mastdarm ist ein weiter mus - kulöser Sack, in welchem sich zugleich die Harn - gänge öffnen. Am After liegen Drüsen, die eine ölichte Feuchtigkeit absondern, wie bey den meisten Säugthieren aus der Familie der Hunde und Na - gethiere.
Den Milchgefäſsen fehlen die Gekrösedrüsen. Die Lymphgefäſse haben blos Drüsen am Halse(w)A. Monro State of facts concerning the paracente - sis of the thorax etc. Hewson, Phil. Trans. Vol. LXVIII. p. 217..
Statt des Netzes haben die Vögel bloſse Fett - klumpen, die in häutigen Behältern eingeschlos - sen sind.
Die233Die Milz ist sehr klein, länglicht, sehr roth, und liegt in der Mitte des Gekröses.
Das Pancreas ist sehr lang und hat bey den mei - sten Vögeln zwey bis drey Ausführungsgänge, die, wie bey den Säugthieren, ohnweit dem Pförtner in den Zwölffingerdarm dringen.
Eine Leber von beträchtlicher Gröſse, welche zwey bis vier gröſsere und ausserdem noch mehrere kleinere Lappen hat, füllet gröſstentheils beyde Hy - pochondrien aus. Bey den meisten Vögeln vereinigt sich der Ausführungsgang derselben nicht, wie bey dem Menschen, mit dem excernirenden Gang der Gallenblase, sondern beyde öffnen sich an verschie - denen Stellen in den obern Theil des Darmcanals. Es giebt aber bey ihnen andere Canäle, welche von der Leber oder dem Lebergange unmittelbar zur Gallenblase gehen.
Der Nieren, die zu beyden Seiten der Wirbel - säule von den Lungen bis zum Becken gehen, und aus länglichten gewundenen Lappen zusammenge - setzt sind(x)Galvani in Comm. Bonon. T. V. P. 2. p. 500., giebt es zwey, wie bey den Säug - thieren. Aber die Harngänge gehen nicht in eine besondere Harnblase, sondern in den erwähntenmus -P 5234muskulösen Sack über, der zugleich zur Ausfüh - rung des Koths dienet.
Das Weibchen der Vögel hat nur Einen Eyer - stock, der durch eine dünne Haut am Rückgrate be - festigt ist. Die Eyer sind nicht mit so vielem Zell - gewebe umgeben, wie die der Säugthiere. Statt der Muttertrompeten geht ein trichterförmiges Or - gan (infundibulum) zur Mutterscheide. Die äus - sere Oeffnung der letztern liegt nicht, wie bey der vorhergehenden Thierclasse, unter, sondern über dem After.
Die beyden verhältniſsmäſsig sehr groſsen Ho - den des Männchens, denen die Nebenhoden fehlen, liegen an den Seiten des Rückgrats unter den Lun - gen und neben den Nieren. Aus ihnen gehen zwey Saamengänge ohne Saamenbläschen in die kleine und kurze, bey den meisten Vögeln aber doppelte Ruthe, welche beym Anschwellen zum After her - austritt.
Bey der Eintheilung der Säugthiere wählten wir den Menschen zum Muster. Wir werden auf ähn - liche Art bey der Classifikation der Vögel verfahren, und hierbey den Strauſs zum Archetyp nehmen. Unter allen Vögeln gränzt nehmlich dieser zunächst an die Säugthiere und namentlich an das Cameel. Die Aehnlichkeit seiner äussern Form mit der desletz -235letztern ist so auffallend, daſs er in mehrern mor - genländischen Sprachen den Namen des Cameelvo - gels führt. Er hat auf dem gröſsten Theile des Kör - pers mehr Haare, als Federn; der lange Hals biegt sich auf eben die Art, wie der des Cameels; seine Schenkel sind sehr dick und muskulös; seine ner - vichten Füſse haben nur zwey Zehen, wie die des Cameels; seine Flügel gleichen mehr Armen, als Schwingen; seine obern Augenlieder sind beweg - lich, wie bey den Säugthieren, und besetzt mit langen Wimpern, wie beym Menschen und dem Elephanten; seine Augen haben im äussern mehr Aehnlichkeit mit den menschlichen, als mit denen der Vögel; er hat schwielichte Stellen ohne Haare und Federn am untern Ende des Brustknochens und in der Gegend des Schaambeins; das Männchen end - lich hat eine Ruthe, die weit länger als bey den übrigen Vögeln und der der Säugthiere ähnlich ist, so wie das Weibchen eine Art von Clitoris.
Der Strauſs macht also den Uebergang von den beyden letzten Familien der Säugthiere zu den Vö - geln, und wir werden daher aus ihm, dem ver - wandten Casuar und dem Amerikanischen Strauſs die erste Ordnung dieser Thierclasse zusammen - setzen. Ausser den angegebenen Charakteren finden sich übrigens im Innern des Strauſses noch folgende Eigenheiten: Ein sehr weiter und muskulöser Schlund; zwey muskulöse Magen; zwey pankreati -sche236sche Gänge, die sich nicht wie bey den meisten Vö - geln in der Nähe des Leberganges, sondern weit da - von in den dünnen Darm inseriren; keine Gallen - blase; ein langer Darmcanal mit zwey groſsen Blind - därmen; und eine Harnblase.
Zunächst an die Familie der Strauſse gränzt die der Hühner. Diese hat einen convexen Schnabel, der an der Wurzel mit einer fleischichten Haut über - zogen ist, und dessen obere Kinnlade zu beyden Seiten über die untere hervortritt; Nasenlöcher, die mit einer knorpelichten Membran zur Hälfte be - deckt sind; Flügel, die keinen hohen Schwung ge - statten; kurze Füſse; einen sehr weiten Kropf; ei - nen sehr muskulösen Magen; und einen langen Darmcanal mit zwey groſsen Blinddärmen.
Die dritte Ordnung enthält die Sperlingsge - schlechter, die einen conischen, zugespitzten Schnabel, ovale, offen stehende und nackte Nasen - löcher, und kurze schlanke Füſse haben.
Von dieser ist der nächste Uebergang zu den Spechten mit ziemlich langem, geraden und pyra - midenförmigen Schnabel, wurm - oder fadenförmi - ger Zunge und kurzen Füſsen.
Die fünfte Ordnung ist die der Krähen, die einen gekrümmten, starken, zum Theil unförmlichgroſsen237groſsen Schnabel mit Auswüchsen in der Nähe des Stirnbeins, und kurze Füſse haben.
Diese drey letztern Familien sind in anatomi - scher Rücksicht noch wenig bekannt. Die meisten, und besonders mehrere Sperlingsgeschlechter, haben indeſs einen sehr fleischichten Magen, einen langen Darmcanal, und eine gröſsere Anzahl eigener Mus - keln des untern Kehlkopfs, als alle übrige Vögel. Bey manchen (den Spechten) trifft man aber auch, wie bey den folgenden Familien, einen häutigen Magen und einen kurzen Darmcanal ohne Blinddärme an.
An die letzte der bisher erwähnten Ordnungen schliessen sich zunächst die Habichte an, die in ihrer äussern sowohl, als innern Organisation mehr gemeinschaftliche und auszeichnende Charaktere, als die drey vorhergehenden Familien haben. Im Aeussern unterscheiden sie sich vorzüglich durch einen starken krummen Schnabel, dessen obere Kinnlade hinter der Spitze an beyden Seiten eine zahnförmige Hervorragung hat, offen stehende Na - senlöcher, eine sehr convexe Hornhaut, einen mus - kulösen Kopf und Hals, kurze und nervichte Füſse mit groſsen und scharfen Krallen, und durch eine zähe Haut. Unter ihren innern Organen zeichnet sich die Zunge durch ihre knorpelartige Struktur und der Schlund durch seine Weite aus. Der Kropf fehlt bey den meisten. Der Magen ist häutig undvon238von beträchtlicher Gröſse. Die Gedärme sind klein, und Blinddärme häufig gar nicht vorhanden. Die Leber und Gallenblase sind, wie der Magen, von beträchtlicher Gröſse, hingegen die Nieren nach Verhältniſs kleiner, wie bey den übrigen Vögeln.
Mehr in der äussern Form, als in der innern Struktur unterscheidet sich von den Habichten die Familie der Reiher, woran jene durch den Falco serpentarius gränzen. Auch hier findet sich ein mit - telmäſsiger Darmcanal mit kurzen Blinddärmen. Aber ihr Schnabel ist nicht, wie bey jenen ge - krümmt, eckig und spitz, sondern mehr gerade, cy - lindrisch und stumpf, die Zunge nicht knorpelartig, sondern fleischig, und der Magen muskulöser, wie der der Habichte, aber nicht so fleischig, wie der der Hühner.
Bey mehrern Geschlechtern aus der Reiherfa - milie sind die Zehen durch Schwimmhäute verbun - den, und vorzüglich durch diese Geschlechter ist jene Ordnung mit der der Enten verwandt, bey welchen Schwimmfüſse ein allgemeiner Charakter sind. Die letztern haben ausserdem, wie jene, ei - nen stumpfen Schnabel und eine fleischige Zunge; aber der Schnabel ist nicht cylindrisch, sondern breit und platt, und die obere Kinnlade endigt sich meist in ein niederwärts gekrümmtes Häckchen. Alle sind sehr federreich; aber die Federn sind meist nurkurz,239kurz, und bey manchen (den Pinguinen) liegen sie schuppenartig über einander. Bey den letztern sind auch die Schwungfedern mehr den Flossen der Fische, als den Flügeln der übrigen Vögel ähnlich. Die am Schwanze sitzenden Drüsen, mit deren ölichten Feuchtigkeit diese Vögel ihr Gefieder wie mit einem Firniſs überziehen, sind hier von vorzüg - licher Gröſse. Ihre äussere Organisation nähert sie also auf der einen Seite dem Schnabelthiere (Orni - thorynchus paradoxus), und auf der andern den Fi - schen. Untersuchen wir ihre innere Struktur, so finden wir hier noch auffallendere Aehnlichkeiten. Der Schnabel jenes Säugthiers ist mit einer Haut überzogen, in welcher sich Zweige des fünften Ner - venpaars verbreiten. Wir haben aber bemerkt, daſs eben diese Organisation bey mehrern Vögeln statt findet. Wir werden unten sehen, daſs bey mehrern Fischen der Gaumen mit Zähnen besetzt ist, und das Nehmliche finden wir auch in der Familie der Enten. Die Struktur des Nahrungscanals kömmt übrigens bey den meisten mit der der Hühner, bey einigen aber auch mit der der Reiher überein.
(y)Wir glauben, hierher blos den Struthio camelus L.,den
. Stru -240Struthio camelus. Vallisnieri Notomia dello Struzzo. Rambey, Phil. Trans. n. 386. Warren, Phil. Trans. n. 394. Perrault etc. Abh. zur N. G. B. 2. S. 61.Der Körper der Amphibien ist entweder blos mit Schleime, oder mit knöchernen Panzern, Reifen, Schildern, oder Schuppen, nie aber mit Haaren oder Federn bedeckt. Beyde Kinnladen sind bey den mei - sten beweglich, und die untere ist mehrentheils(a)Doch nicht immer. Eine Ausnahme macht der Ma - bouya (La Cepede a. a. O. T. 1. p. 378), und es ist also unrichtig, wenn Schelver (Wiedemanns Ar - chiv für Zoologie etc. B. 2. St. 2. S. 155) hiervon den einzigen unterscheidenden Charakter der Amphibien hernimmt. von der obern so bedeckt, daſs sie wie eingelegt in diese aussieht. Ausser der Bewegung von oben nach unten gestatten dieselben bey manchen (z. B. demQ 4248dem Crocodill) auch noch eine Seitenbewegung. Die Wölbung des Schädels ist geringer, als bey den Säugthieren und Vögeln. Bey einigen ist der Kopf von dem übrigen Körper durch keinen Hals getrennt, und da, wo diese Trennung statt findet, variirt die Anzahl der Halswirbel, so wie überhaupt die Struk - tur der ganzen Wirbelsäule, mehr als bey den Vö - geln und Säugthieren. Nur der kleinere Theil hat Ribben und ein Brustbein. Die übrigen haben ent - weder jene ohne dieses, oder dieses ohne jene. Die äussern Bewegungsorgane fehlen mehrern Thieren dieser Classe ganz. Die übrigen haben vier, oder zwey, meist sehr kurze Füſse; von diesen aber er - halten einige dieselben erst in einer gewissen Periode ihres Lebens.
Das Gehirn der Amphibien hat das Eigenthüm - liche, daſs die Sehehügel hinter den Hirnhälften liegen. Dies ausgenommen kömmt es mit dem Ge - hirne der Vögel in den vier ersten der bey dieser Thierclasse angeführten und mit Zahlen bemerkten Eigenschaften überein(b)Cuvier, Bulletin de la Soc. philomath. An. VII. n. 27. p. 18,.
Unter den Nerven der Amphibien zeichnen sich die des Geruchs und Gesichts durch ihre vorzüg - liche Dicke aus. Jene entspringen, wie bey denübri -249übrigen rothblütigen Thieren, mit distinkten weis - sen Fasern aus den vordern Hirnlappen(c)Scarpa de auditu et olfactu. p. 75, §. 3., diese aus Sehehügeln, welche, wie bey den Vögeln, in - wendig hohl sind. Der eigentliche Gehörnerve (portio mollis) entspringt neben dem Antlitznerven (portio dura) aus dem verlängerten Marke, wie bey den Säugthieren und Vögeln, und beyde Nerven - paare verhalten sich auch in ihrem Fortgange, wie bey den letztern Thierclassen(d)Scarpa l. c. p. 75. §. 3.. Ausser diesen Nerven erkannte Charas(e)Perrault etc. Abh. zur N. G. B. 3. S. 7. bey der Viper auch noch ein Paar, welches mit den Zungenschlundner - ven (glossopharyngaei) übereinkam; eines, den Stimmnerven (par vagum) analoges, und noch mehrere andere, welche aus der Basis des Gehirns hervorkamen, und durch den Schädel drangen, die er aber, ihrer Feinheit wegen, nicht verfolgen konnte. An den Bewegungsnerven dieser Thiere, besonders denen der hintern Gliedmaaſsen, sieht man sehr deutlich die von Molinelli, Fontana und Monro beschriebenen Runzeln und Falten. Nie aber habe ich an den Nerven der Amphibien Ganglien gefunden, und sie fehlen ihnen also wahr - scheinlich, wie den Fischen.
InQ 5250In Ansehung des Geruchsorgans’ nähern sich die Amphibien den Säugthieren wieder durch die be - weglichen Nasenlöcher, die bey den Vögeln ver - schwunden waren. Die sehr weite Nasenhöhle ist auch bey ihnen durch eine Scheidewand in zwey Hälften getheilt, die durch sehr groſse Oeffnungen mit dem Rachen in Verbindung stehen. Zu beyden Seiten jener Scheidewand liegen gröſsere und klei - nere Riechknorpel. Eine dunkelschwarze Riech - haut bekleidet diese Knorpel, und auf ihr verthei - len sich, wie bey den vorigen Thierclassen, die pinselartigen Filamente der dicken und harten Ge - ruchsnerven, die, wie bey den Vögeln, nur durch zwey einfache Oeffnungen in die Nasenhöhle ge - langen(f)Scarpa l. c. p. 75. cap. 3. Harwood’s vergl. Anat. und Physiol. S. 36. Abschn. 9..
Die Augen mehrerer Amphibien haben eine durchsichtige unbewegliche Augendecke, hinter wel - cher sich der bewegliche Augapfel nach allen Rich - tungen herumdreht. Bey dem Chamäleon findet sich die Eigenheit, daſs jene Decke an dem Augapfel be - festigt, chagrinartig und vor der Pupille durch eine horizontale Spalte getheilt ist. Zugleich können beyde Augapfel bey diesem Thiere unabhängig von einander nach verschiedenen Richtungen, und zwar, nach Bartholin’s Versicherung, blos durch Zu -sam -251sammenziehungen der erwähnten Augendecke, ohne Augenmuskeln, bewegt werden. Die Frösche ha - ben drey Augenmuskeln, wovon einer den Augapfel in den Grund der Augenhöhle hinabzieht, und die beyden übrigen jenem entgegenwirken. Ausser die - sen beyden entgegengesetzten Bewegungen findet keine weiter statt, und diese gehen, wie beym Cha - mäleon, in dem einen Auge vor sich, indem das andere in Ruhe bleibt(g)Petit, Mém. de l’Acad. des sc. à Paris, 1737.. Der Augapfel ist bey allen Amphibien verhältniſsmäſsig groſs, und fast ganz kugelförmig. Die Pupille ist gewöhnlich nicht so rund, wie bey den meisten Säugthieren und Vö - geln, bey einigen, z. B. dem Gecko, blos eine ver - tikale Spalte.
In dem Gehörorgane der Amphibien trifft man eine merkwürdige Gradation von dem zusammen - gesetztern Baue der Vögel zu dem einfachern der folgenden Thierclasse an. Einige (die Schildkröten, Eidechsen, Schlangen, Frösche und Kröten) haben über dem Gelenke der untern Kinnlade eine trich - terförmige Vertiefung, in deren Boden ein knorpel - artiges Trommelfell sitzt. Die hinter diesem be - findliche Trommelhöhle ist sehr geräumig, und öff - net sich in eine Eustachische Röhre. Von dem Mittelpunkte des Trommelfells geht ein cylindri - sches Gehörknöchelchen zu der ovalen Oeffnung des Vorhofs. In dem Labyrinth befinden sich dreyhalb -252halbzirkelförmige Canäle mit fünf Oeffnungen, wie bey den Vögeln, aber statt der Schnecke ein mem - branöser, durch eine häutige Scheidewand getheil - ter Sack, dessen obere Hälfte eine kreidenartige Ma - terie, die untere ein klares Wasser enthält. Auf diesem Sack ruhet ein länglichter Schlauch, in wel - chem sich die drey häutigen halbcirkelförmigen Ca - näle vereinigen(h)Scarpa l. c. p. 24. §. 5 sq.. Andere Amphibien (die Sala - mander) kommen in der Struktur derer Organe, die hinter der ovalen Oeffnung liegen, mit jenen ganz überein. Aber es fehlt ihnen das Trommelfell, die Trommelhöhle, die Eustachische Röhre und das Gehörknöchelchen. Ein knorpelartiger Deckel, der das ovale Loch verschlieſst, vertritt bey ihnen die Stelle aller dieser Theile(i)Scarpa l. c. p. 23. §. 3 sq..
Die Zunge der Amphibien zeichnet sich darin aus, daſs sie vorne befestigt, hinten aber frey, und an diesem Ende bey mehrern Amphibien gespal - ten ist.
Das Herz scheint bey einigen Thieren dieser Classe dem ersten Anblicke nach zusammengesetz - ter, als bey den Säugthieren und Vögeln zu seyn. Dieser Schein aber verschwindet bey näherer Unter - suchung. Bey einigen Arten aus der Familie der Schildkröten besteht es aus drey Ventrikeln undzwey253zwey Vorkammern. Aber jene machen in der That nur Eine Herzkammer aus, indem sie alle unter einander Verbindung haben. Die sämmtlichen Ve - nen nehmlich ergieſsen sich in einen weiten Venen - sack; dieser geht in das rechte Herzohr über, und hieraus findet ein Zugang zur rechten Herzkammer statt. Die letztere öffnet sich nach oben in die Aorta, welche alle Theile des Körpers, die Lungen ausgenommen, mit Blute versorgt, und ausserdem auf der linken Seite mit zwey Oeffnungen nach hin - ten in den linken, nach vorne in den dritten vor - dern Ventrikel übergeht. Aus diesem dritten Ven - trikel entspringen die Lungenarterien. Die Venen der Lungen aber endigen sich in der linken Vor - kammer, und diese geht endlich in den linken Ven - trikel über. Die Verbindung dieser Theile ist ver - mittelst Valveln so eingerichtet, daſs sich das ve - nöse Blut der Lungen durch das linke Herzohr und durch den linken Ventrikel, das des übrigen Kör - pers aber durch den Venensack und durch das rechte Herzohr in die rechte Herzkammer, und hieraus theils durch den vordern Ventrikel und durch die Lungenarterien in die Lungen, theils durch die Aorta in alle übrige Organe ergieſsen muſs(k)Du Verney, Mém. de l’Ac. des sc. à Paris. 1699. Moroagni adn, anat. V, 18. p. 26 sq..
Aehnlich diesem ist das Herz der Eidechsen; nur sind die drey Ventrikel bey dem letztern nichtso254so deutlich, wie bey jenem, von einander geschie - den. Bey den Schlangen und Fröschen aber ergieſst sich das Blut des ganzen Körpers in ein einziges Herzohr, und wird auch nur durch einen einzigen Ventrikel wieder ausgetrieben.
Das Blut der Amphibien enthält mehr Serum, als das der Vögel, aber weniger, als das der Säug - thiere. Der Blutkuchen bildet nur eine weiche Gal - lerte, und keine so feste Masse, wie der der warm - blütigen Thiere. Nach einigen Versuchen, die ich mit Froschblute angestellt habe, scheinen mir Alco - hol und mineralische Säuren aus demselben weni - ger Eyweiſsstoff, Hirschhorngeist und zerflossenes Weinsteinsalz, aber mehr Faserstoff, als aus dem der Säugthiere, Vögel und Fische niederzuschlagen.
Die Lungen dieser Thiere befinden sich in ei - nerley Cavität mit mehrern von denjenigen Einge - weiden, die bey den Säugthieren und Vögeln die Bauchhöhle einnehmen, und jene Cavität ist von der letztern bey einigen blos durch eine Verdoppe - lung des Bauchfells, bey den meisten aber gar nicht geschieden. Die Lungen sind ungetheilt, netzför - mig, von zarter, durchsichtiger, etwas gerunzel - ter Substanz, und die Zellen derselben ungleich gröſser, als die der Säugthiere und Vögel.
Die Luftröhre hat nur Einen Kehlkopf ohne Kehldeckel. Die Stelle der letztern wird durch dashintere255hintere bewegliche Ende der Zunge ersetzt, welches beym Schlingen die Stimmritze bedeckt.
Bey allen Amphibien trifft man unter der Haut, vorzüglich unter dem Halse, der Brust und dem Bauche, ein sehr lockeres Zellgewebe an, das wahr - scheinlich bey einigen, z. B. dem Chamäleon, mit den Lungenzellen in Verbindung steht, gleich den Luftbehältern der Vögel während des Einathmens mit Luft angefüllt wird, und hierdurch den Körper dieser Thiere in Turgescenz versetzt(l)Perrault etc. Abh. zur N. G. B. 1. S. 62. Swam - merdam’s Bibel der Nat. S. 168, 169.. Andere (einige Frösche) haben zwey groſse muskulöse Luft - behälter unter dem Halse, die sich auf der untern Kinnlade vor der Stimmritze auf eine solche Art öff - nen, daſs die ausgeathmete Luft in diese Oeffnun - gen dringt und jene Behälter ausdehnt(m)Camper’s kl. Schriften. B. 1. St. 1. S. 141..
Der Schlund zeichnet sich durch seine Kürze und ausserordentliche Dehnbarkeit aus. Der Magen ist lang, aber nicht viel weiter, als der Schlund und Darmcanal, und gleich dem der Vögel drüsicht. Der Darmcanal ist kurz, wie der Schlund, und nur wenig gebogen. Der dünne Darm hat viele Falten, gleich dem der Säugthiere und Vögel. Die Darm - zotten fehlen wenigstens bey den meisten Amphi -bien,256bien, wenn auch nicht bey allen(n)Rudolphi in Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. IV. S. 72, 348,. Das Nehm - liche gilt von dem Blinddarme und dem Colon. Es findet sich jedoch eine Klappe, die der Valvel des Colons analog ist. Der unterste Theil des Darmca - nals erweitert sich, wie bey den Vögeln, und dienet auch hier mit zur Ausführung des Urins und der Eyer. Am After liegen bey mehrern Thieren dieser Classe, wie bey den Vögeln, Drüsen, die einen ölichten Saft absondern.
Das Netz fehlt den Amphibien, wie den Vögeln.
Den Milch - und Lymphgefäſsen fehlen durch - aus die Drüsen, die sich bey den Vögeln doch noch am Halse finden(o)Hewson, Phil. Trans. Vol. LXIX. p. 198..
Eine Milz ist ebenfalls bey mehrern Amphibien nicht vorhanden. Bey den übrigen ist sie klein, und liegt in der Mitte des Gekröses.
Die Leber liegt in der Mitte der Lungen, und das Pancreas neben der Gallenblase. Jene ist in zwey bis vier Lappen getheilt, und mit der Gallenblase durch Leberblasengänge (ductus hepaticocystici) ver - bunden. Dieses ist bey mehrern Amphibien sehr groſs. Einige, z. B. der Crocodil, haben zwey, andere z. B. die Natter, nur einen einfachen Aus -füh -257führungscanal dieses Eingeweides, und bey den letztern verbindet sich derselbe mit dem Lebergange, bey den erstern aber dringen die beyden Canäle des Pancreas, abgesondert von dem der Leber, in den Darmcanal.
Der Harn sammelt sich bey einigen Amphibien vor seiner Ausleerung durch den After vorher in ei - ner Blase, bey andern flieſst er aus den Harngän - gen unmittelbar in den Mastdarm.
Die Eyerstöcke der Weibchen liegen sehr hoch, in der Nähe der Lungen. Unmittelbar aus ihnen gehen zwey sehr lange, den Fallopischen Röhren ähnliche Gänge mit unzähligen Krümmungen bey einigen Amphibien unmittelbar in den After, bey andern vorher in einen häutigen Uterus über. Bey mehrern der erstern endigt sich jeder von jenen Gän - gen vor seiner Verbindung mit dem Mastdarme in einer Mutterscheide.
Die Hoden der männlichen Amphibien liegen, wie bey den Vögeln, in der Nähe der Nieren, und, gleich den Hoden der letztern, fehlen auch ihnen die Nebenhoden. Von Saamenbläschen ist ebenfalls entweder gar keine, oder doch nur eine schwache Spur vorhanden. Die männliche Ruthe ist bey eini - gen kurz, bey andern länger, und bey manchen gespalten. Bey den letztern hat das Weibchen zweyI. Bd. RMut -258Mutterscheiden. Einige haben gar kein männliches Zeugungsglied.
Dies sind die vornehmsten Eigenthümlichkei - ten, welche alle, oder wenigstens die meisten Am - phibien in ihrer Organisation mit einander gemein haben. Wir haben schon bey der Schilderung der Gehörwerkzeuge, des Herzens und der Zeugungs - organe dieser Thiere einer unter ihnen statt finden - den Gradation vom Zusammengesetztern zum Ein - fachern erwähnt. Obgleich sich bey allen in der That nur Eine Herzkammer findet, so hatten doch einige drey Abtheilungen derselben und zwey Vor - kammern. Bey andern aber war nur Eine Abthei - lung des Ventrikels, und Eine Vorkammer vorhan - den. Parallel mit dieser Verschiedenheit des Her - zens geht nun auch die der Gehörwerkzeuge, der Zeugungsorgane, und überhaupt des gröſsten Theils der Organisation. Wir würden hiernach also zwey Ordnungen der Amphibien erhalten. Die erste von diesen enthält indeſs drey Abtheilungen, die in meh - rern andern Stücken zu sehr von einander abwei - chen, als daſs sie sich in Eine Familie bringen las - sen. Die Trennung derselben giebt also vier Ord - nungen, und von diesen enthält nun die erste die Schildkröten, die zweyte die Eidechsen, die dritte die Schlangen, und die vierte die Frösche.
Die259Die Schildkröten haben einen mit einem ge - wölbten Schilde bedeckten Körper; Kinnladen, wel - che meist statt der Zähne mit einem hornartigen schneidenden Ueberzuge bedeckt sind; ein Brust - bein ohne Ribben; ein Herz mit zwey Vorkam - mern; einen weitern Magen, als die übrigen Am - phibien; einen mit einem Blinddarme versehenen Darmcanal; eine Harnblase; eine Clitoris; und eine männliche Ruthe(p)Caldesi osserv. anat. intorno alle Tartarughe. Schneider’s allgem. N. G. der Schildkröten..
Die Eidechsen haben Panzer von Schuppen oder schaalenartigen Platten und äussere Glied - maaſsen; ein Brustbein; Ribben; ein Herz mit zwey Vorkammern; und eingekeilte Zähne. Das Männchen hat ein äusseres Zeugungsglied.
Der Körper der Schlangen ist ebenfalls gepan - zert; aber es fehlen ihnen die äussern Glied - maaſsen. Die Sehnen ihrer Muskeln inseriren sich nicht in das Skelett, sondern in die Haut. Sie ha - ben Ribben, aber kein Brustbein. Das Herz hat nur Einen Ventrikel und Eine Vorkammer. Eine Milz scheint nicht vorhanden zu seyn. Das Männ - chen hat ein äusseres, und zwar doppeltes Zeu - gungsglied.
DieR 2260Die Frösche haben einen nackten und schlüpfri - gen Körper mit vier Gliedmaaſsen, ohne Ribben und Brustbein; ein Herz mit Einer Kammer und Einer Vorkammer; eine ziemlich groſse Milz. Das Männchen hat kein äusseres Zeugungsglied. Die Jungen kommen als wahre Fische aus dem Ey und gehen erst nach mehrern Verwandlungen zur Form der Amphibien über.
Die Fische haben einen ungleich plattern Kopf, wie die bisher betrachteten Thierarten. Es fehlen demselben, wie dem der Vögel, die äussern Ge - ruchs - und Gehörorgane. Beyde Kinnladen gestatten nicht nur eine Bewegung von oben nach unten, und umgekehrt, sondern lassen sich bey manchen auch hervorstoſsen und zurückziehen. Sie sind nicht, wie bey den Säugthieren, die einzigen Organe, wel - che Zähne haben, sondern bey manchen Fischen ist auch der Gaumen, der Schlund und die Zunge da - mit besetzt. Der Kopf geht geradezu in den Rumpfüber,267über, ohne von diesem durch einen Hals abgeson - dert zu seyn. Gleich hinter jenem befinden sich die Kiemen (branchiae), welche allein den Fischen unter allen übrigen Thieren mit einem innern arti - kulirten Skelett, nur das Geschlecht Siren und die Larven der Frösche unter den Amphibien ausgenom - men, eigen sind. Sie liegen zu beyden Seiten des Kopfs entweder frey, und blos von einem Schlieſs - muskel umgeben, oder durch eine halbmondför - mige, mit Muskeln versehene Schuppe, den Kie - mendeckel (operculum branchiale) bedeckt.
Der Rumpf ist bey den meisten Fischen platt - gedrückt, und der Schwanz, so wie der Kopf, durch keine genaue Gränze von ihm getrennt. Die An - zahl der Wirbelbeine variirt eben so sehr, wie bey den Amphibien. Zwischen der Brust und dem Un - terleibe findet äusserlich keine Trennung statt. Bey denen Fischen, welche Ribben haben, schlies - sen diese sowohl die Brust - als die Bauchhöhle ein. Im Innern ist indeſs jene von der letztern bey meh - rern durch ein häutiges Zwerchfell geschieden. Ein Brustbein findet sich nur bey wenigen Arten.
Statt der äussern Gliedmaaſsen besitzen die Fi - sche Flossen (pinnae), oder knorpelartige, durch Membranen verbundene Knochen, wovon die, wel - che die Stelle der vordern Gliedmaaſsen vertreten, seitwärts an der Brust (Brustflossen, pinnaepecto -268pectorales), und die, welche statt der untern oder hintern Gliedmaaſsen dienen, unter dem Bauche vor, unter oder hinter den Brustflossen (Bauch - flossen, p. ventrales) sitzen. Ausser diesen Flos - sen finden sich noch eine oder mehrere auf dem Rücken (Rückenflossen, p. dorsales), eine am Schwanze (Schwanzflosse, p. caudalis), und eine unter dem Schwanze, (Afterflosse, p. analis).
Die Muskeln der Fische inseriren sich mit ihren Sehnen, gleich denen der Schlangen, in die Haut. Die Fasern derselben haben das Eigene, daſs sie nicht rund, sondern platt sind.
In Ansehung der Bedeckungen des Körpers las - sen sich die Fische in drey Familien eintheilen. Ei - nige sind nackt, gleich den Fröschen, und blos mit einem dünnen Schleime überzogen; andere sind mit Schuppen, und noch andere mit hornartigen Schil - dern bedeckt. Sowohl auf der äussern Fläche dieser Bedeckungen, als in allen innern Cavitäten des Kör - pers der Fische, vorzüglich denen des Zellgewebes, findet sich eine groſse Menge eines ölichten Saftes, welcher auf der Oberfläche des Körpers durch zahl - reiche Ausführungsgänge mehrerer, zwischen der Haut und den Muskeln liegenden Canäle excernirt wird. Bey verschiedenen Fischen enthalten die Zwi - schenräume zwischen der harten und weichen Hirn -haut,269haut, dem Herzbeutel und dem Herzen, dem Bauch - felle und den Gedärmen auch eine Menge salzichter Feuchtigkeit.
Unter den innern Organen zeigt das Gehirn in seiner Struktur mehr Abweichungen bey den Fi - schen, als bey irgend einer andern Thierclasse. Es harmonirt indeſs in mehrern Stücken mit dem der Vögel. Wie diesem, so fehlen auch jenem die Win - dungen (gyri), der Hirnbalken, der Bogen, die von diesem abhängenden Theile, die Hervorragun - gen zwischen den Sehehügeln und dem kleinen Hirne, und der Hirnknoten. Es hat dagegen eben - falls Hervorragungen, welche den Vierhügeln ana - log sind, aber zwischen den gestreiften Körpern und den Sehehügeln liegen. Die letztern sind auch hier hohl, und liegen ausserhalb den Hirnhöhlen unter der Basis der Gehirns(s)Cuvier, Bulletin de la Soc. philomath. An VII. n. 27. p. 18.. Von Rinde ist eine beträchtliche, von Mark aber nur eine geringe Quan - tität vorhanden(t)Willisii anat. cerebri. p. 35, in Opp. ex ed. Blasii.. Einen unterscheidenden Cha - rakter desselben machen gewisse, hinter dem klei - nen Gehirne liegende Hervorragungen aus(u)Cuvier a. a. O..
Das Rückenmark liegt nicht in der Höhle des Rückgrats, sondern auf demselben, zwischen denobern270obern Fortsätzen der Wirbelbeine. Der innere Ca - nal des Rückgrats ist mit einer gelatinösen Masse angefüllt.
Das ganze Nervensystem der Fische hat das Ei - gene, daſs blos der Geruchsnerve, und auch dieser nicht bey allen, zu einem groſsen Knoten anschwillt, keiner der übrigen Nerven aber Ganglien hat. Da, wo jener Knoten am Geruchsnerven fehlt, ist dieser Nerve weit dicker und härter, als bey denen, wel - che mit dem erstern versehen sind(x)Scarpa de auditu et olf. p. 67. §. 9, 10..
Die Sehenerven der Fische haben mehrere Ei - genheiten in ihrem Laufe und ihrer Struktur. Bey verschiedenen Fischen mit Gräten gehen diese Ner - ven nur über einander hin, ohne sich zu durch - kreutzen; hingegen bey mehrern Knorpelfischen spaltet sich der Nerve des linken Auges und läſst durch diese Spalte den Nerven des rechten Auges durchgehen(y)Haller, Mém. de l’Acad. des sc. à Paris. 1762. p. 76. Camper’s kl. Schriften. B. 2. S. 14. Sömmering in den Hessischen Beyträgen. 1781. St. 2.. In dem Sehenerven mehrerer gröſseren Fische, unter andern des Schwerdt - und Thunfisches, ist das Mark in lauter wurmförmige, mit der weichen Hirnhaut bekleidete Fortsätze ver - einigt, welche bald parallel mit der Axe des Nervengehen,271gehen, bald sich in Schlangenlinien unter einander vereinigen(z)Malpighi de cerebró, in Opp. p. 120..
Der Gehörnerve (portio mollis) ist bey allen Fi - schen kein eigener Hirnnerve, sondern ein bloſser Ast des fünften Paars der Hirnnerven. Der Antlitz - nerve (portio dura) entspringt bey den Knorpelfi - schen unmittelbar aus dem verlängerten Marke. Hingegen bey den mit Schuppen versehenen Grä - tenfischen ist auch dieser nur ein Ast des letzten Gehirnnerven, der nach der Speiseröhre, den Kie - men und den Präcordien geht(a)Scarpa l. c. p. 12. §. 18 sq. p. 19. §. 5 sq..
Der Sitz des Geruchsorgans der Fische sind zwey vor den Augen, oder auch auf der untern Fläche des Kopfs ohnweit dem Maule liegende Höh - len, deren Eingänge sich gleich den Nasenlöchern der Säugthiere und Amphibien erweitern und ver - engern lassen(b)Scarpa l. c. p. 70. §. 2. p. 72. §. 9. p. 65. §. 2, 3.. Beyde Höhlen haben weder Riechbeine, noch Riechknorpel. Aber die Riech - haut erhebt sich bey den meisten Thieren dieser Classe in eine Menge Falten. Bey den Knorpelfi - schen sind diese in zwey Reihen paralleler Plätt - chen vertheilt, von welchen jede, gleich den Zäh - nen eines doppelten Kammes, an eine mittlere knor -pelige272pelige Scheidewand befestigt ist(c)Scarpa l. c. p. 70. §. 4. p. 72. §. 10. Harwood’s vergl. Anat. u. Physiol. S. 34.. Bey den Grä - tenfischen mit Schuppen bilden die Falten Strahlen eines Cirkels, indem sie sich von einem in der Mitte der Nasenhöhle befindlichen Ligamente nach dem Umkreise derselben ausbreiten(d)Scarpa l. c. p. 65. §. 4. Harwood a. a. O. S. 35.. Bey den erstern hat überdies noch jedes Plättchen wieder eine Menge kleinerer, sehr zarter Falten, welche strahlenförmig vom gemeinschaftlichen Bande nach dem Umkreise jedes Plättchens laufen(e)Scarpa l. c. p. 73. §. 12, 13.. Die Ge - ruchsnerven der runden Knorpelfische vertheilen sich vor ihrem Eintritte in die Nase in viele kleinere Filamente, die durch kleine Oeffnungen häutiger Scheidewände, welche die Nasenhöhlen von der Schädelhöhle trennen, in jene Cavitäten dringen(f)Scarpa p. 71. §. 5, 6.. Bey den platten Knorpelfischen, denen jene mem - branöse Scheidewand fehlt, bildet die harte Hirn - haut eine scheidenartige Bekleidung für jeden ein - zelnen Faden der Geruchsnerven bey deren Zeräste - lung in den Geruchshöhlen(g)Scarpa p. 71. §. 5, 6.. Bey den Gräten - fischen mit Schuppen endlich vertheilt sich der Ge - ruchsnerve ohne diese Hülfsmittel in strahlenförmi - ger Gestalt auf dem Nasenboden(h)Scarpa p. 66. p. 6. sq.. Uebrigenserhält273erhält auch die Nase der sämmtlichen Fische, gleich der der Säugthiere, ausser diesen von den eigentli - chen Geruchsnerven herrührenden Fäden noch Hülfsnerven vom funften Hirnnerven-Paare(i)Scarpa p. 69. §. 12. p. 72. §. 8..
Das Auge der Fische nähert sich dem der Vögel. Es ist bey den meisten flach, nur bey den Raub - fischen convex. Die Sklerotika ist dick und fast cartilaginös. Der Sehenerve durchbohrt in Zwi - schenräumen die Sklerotika, Chorioidea, die Gefäſs - haut und die Ruyschische Membran. Jene Gefäſs - haut, welche die Chorioidea von der Ruyschischen Membran trennt, ist eine zarte, den Fischen ei - gene Haut, welche zur Unterstützung einer aus der Ciliar-Arterie entspringenden Ramifikation von Ge - fäſsen dienet. Die Ruyschische Membran hat eine Grube, in welcher ein sehr rother, ebenfalls nur den Fischen eigener Muskel liegt, der seine Arte - rien aus der Gefäſshaut erhält. Aus dem optischen Nerven kömmt eine Arterie mit zwey Aesten, wovon der eine sich auf der hintern Fläche des Glaskörpers vertheilt, der andere um die Netzhaut herum zu einem von der letztern zur Crystallinse gehenden, dem schwarzen Fächer der Vögel analogen Organe, der sogenannten campanula läuft, nachdem er vor - her zwey Aeste abgegeben hat, welche eben so viele prachtvolle Cirkel um die Glashaut bilden. Jenecam -I. Bd. S274campanula ist bey dem Hechte und der Forelle eine gefleckte, inwendig weisse, gefäſs - und nervenrei - che, glockenförmige Membran, wovon die Spitze mit der Crystallinse, das breite Ende aber mit der Trau - benhaut zusammenhängt. Bey dem Karpfen ist sie ein Fortsatz der Ruyschiana und der Netzhaut, der anfangs die Form eines Beutels hat, nachher aber die eines breiten Bandes annimmt, und in dieser Gestalt zur hintern Fläche der Linse geht. Der Glaskörper ist bey den Fischen klein, aber sehr con - vex, die Menge der wäſsrigen Feuchtigkeit gering, und diese zähe. Eine Tapete und ein Ciliarkörper ist nicht vorhanden. Die Netzhaut ist mit einem schwarzen Schleime überzogen, und leicht in zwey Lamellen, eine fibröse und breyartige zu trennen. Die Iris entspringt aus der Chorioidea, ist aber un - beweglich. Die Traubenhaut ist mit der Glashaut verwachsen(k)Haller opp. min. T. III. p. 261..
Das Ohr der Fische ist von noch einfacherm Baue, als das der Amphibien. Von einem äussern Gehörgange, Trommelfelle, einer Trommelhöhle und Eustachischen Röhre ist keine Spur vorhanden. Bey den Knorpelfischen, wo es noch am zusam - mengesetztesten ist, liegt gleich unter den allgemei - nen Bedeckungen des Kopfs eine ovale, durch eine gespannte Haut verschlossene Oeffnung, und unter dieser die Höhlung des Vorhofs. In der letzternbefin -275befinden sich drey Steinsäckchen mit einer gelatinö - sen Masse, woran hinten ein Steinchen von kalkar - tiger Substanz hängt, und die Zugänge zu den drey halbcirkelförmigen cartilaginösen Canälen. Diese kommen in ihrer Struktur mit denen der Amphibien überein. Die in ihnen enthaltenen häutigen Canäle hängen mit den Steinsäckchen durch Zellgewebe zu - sammen(1)Scarpa l. c. p. 8. c. 2.. Den übrigen Fischen fehlt sogar das ovale Fenster und der Vorhof. Statt des letztern haben sie eine bloſse Vertiefung, die durch eine dünne, mit Gefäſsen durchwebte Haut vom Gehirne abgesondert ist. In dieser Grube befindet sich ein Steinsack mit zwey Steinchen, und über diesem trifft man Spuren von halbcirkelförmigen Canälen an(m)Scarpa p. 18. c. 3.. Beyde Classen von Fischen haben auch noch das Eigene, daſs sich nicht, wie bey den Säug - thieren, Vögeln und Amphibien, blos der eigentli - che Gehörnerve an den schlauchförmigen Erweite - rungen der halbcirkelförmigen membranösen Canäle und an den Wänden der Steinsäcke vertheilt, son - dern daſs sich mit ihm auch Fäden des Antlitznerven vereinigen(n)Scarpa c. 2. p. 8 sq. c. 3. §. 5 sq..
Die Zunge der Fische ist cartilaginös oder knö - chern, und bey mehrern am Boden des Mundes be -festigt.S 2276festigt. Bey einigen fehlt sie ganz, und da, wo sie vorhanden ist, finden sich an ihr keine Nerven - wärzchen(o)Fracassati epist. de lingua, in Mangeti Bibl. anat. T. II. p. 461, 462..
Zum Organe des Tastens dienen wahrscheinlich mehrern Thieren dieser Classe die langen Bartfasern (cirri), an deren Wurzeln sich ein Ast des fünften Hirnnerven-Paars verbreitet(p)Scarpa l. c. p. 72. §. 8., und welche bey einigen Fischen (z. B. dem Geschlechte Silurus) eine auffallende Aehnlichkeit mit den Fühlfäden der Mollusken, bey andern (verschiedenen Lophien) mit den Antennen der Crustaceen und Insekten, vor - züglich mehrerer Tagschmetterlinge(q)Commerson in La Cepede’s Hist. nat. des poissons. T. I. p. 328., haben.
Die Lungen fehlen, wie schon bemerkt ist, al - len Fischen, und mit ihnen auch die hintern Oeff - nungen der Nasenhöhlen, die Luftröhre und der Kehlkopf. Die Kiemen, die ihnen zum Ersatze die - ser Organe dienen, sind bey den meisten Fischen aus mehrern über einander liegenden und mit einer sehr groſssen Menge von Blutgefäſsen durchwebten Blättern, zwischen welchen ein freyer Durchgang vom Rachen zur äussern Kiemenöffnung statt fin - det, zusammengesetzt. Die einzelnen Blätter be -stehen277stehen aus Filamenten, die wie die Zähne eines Kammes geordnet und nach dem Maule hin an klei - nen Gräten befestigt sind. Die letztern artikuliren auf der einen Seite mit dem Schädel, auf der andern mit dem Zungenbeine. Der entgegengesetzte Rand der Kiemen ist entweder an der innern Seite der Haut befestigt, und dann giebt es an diesem Rande eben so viele besondere Oeffnungen zum Durchstrei - chen des Wassers, als Zwischenräume zwischen den Blättern vorhanden sind, oder er ist unbefestigt, und in diesem Falle wird das eingeathmete Wasser aus den Zwischenräumen der Kiemen durch eine gemeinschaftliche Oeffnung wieder ausgetrieben(r)Duverney, Mém. de l’ Acad. des sc. à Paris. 1701. Broussonet, ebendas. 1785.. Gewöhnlich giebt es vier Kiemen an jeder Seite, von welchen jede eine doppelte Lage von Filamen - ten hat. Mehrere Fische besitzen ausser diesen noch eine fünfte einfache Kieme (Pseudobran - chia), die nur aus Einer Lage von Filamenten be - steht, an der innern Seite des vordern Kiemen - deckels liegt, bis an ihren äussern Rand mit diesem zusammenhängt, und bald groſs, bald klein, bald nur ein bloſser Ansatz ist(s)Bloch’s ausländische Fische. Th. 4. S. IV..
Bey einer kleinern Anzahl von Fischen aus der Abtheilung der Knorpelfische liegen, statt dieserblätter -S 3278blätterförmigen Kiemen, sechs bis sieben membra - nöse Beutel an beyden Seiten des Körpers, von wel - chen jeder Eine Mündung hat, die nach aussen geht, und Eine bis zwey andere, wodurch er mit dem Schlunde in Verbindung steht. Zugleich haben diese Fische, wie die Wallfische, einen Canal, des - sen eine Oeffnung am Gaumen, die andere am Ko - pfe liegt, und wodurch sie Wasser, das von aussen durch die Kiemen in den Schlund gekommen ist, wieder aussprützen.
Ausser den Kiemen hat ein Theil der Fische, zum Ersatze der Lungen, auch noch eine Schwimmblase, oder einen häutigen, weissen, durch einen besondern Canal, den Luftgang, mit dem Schlunde oder Magen in Verbindung stehenden Sack, der mit vielen und groſsen Blutgefäſsen durchwebt ist, und sich am Rückgrate herunter bis tief in die Bauchhöhle erstreckt. Er hängt nahe unter dem Zwerchfelle an dem zweyten Wirbelbeine fest an, und bedeckt die hinter ihm liegenden Nie - ren. Bey einigen Fischen ist er einfach, bey andern doppelt, und in diesem Falle stehen die beyden Stücke, woraus er besteht, durch einen Canal mit einander in Verbindung(t)Frscher’s Versuch über die Schwimmblase der Fische.. Die Beschaffenheit des in ihm enthaltenen Gas ist wahrscheinlich veränder -lich.279lich. Fourcroy(u)Annales de Chimie. T. I. p. 47. fand in der Schwimmblase des Karpfen Stickgas, Priestley(v)Versuche und Beobacht. über verschiedene Theile der Naturlehre. B. 2. in denen von meh - rem Fischen unreines Sauerstoffgas, Brodbelt(w)Duncan’s med. Annalen für das J. 1799. S. 203. in der Schwimmblase des Schwerdtfisches unreines Sauerstoffgas, und La Cepede(x)Hist. nat. des poissons. T. I. p. CII. in denen von einigen Schleihen Wasserstoffgas.
Bey mehrern Fischen, vorzüglich den Ge - schlechtern Balistes und Tetrodon, finden sich, statt der Schwimmblase, unter den äussern Bedeckungen ähnliche Luftbehälter, vermittelst welcher sie ihren Körper in Turgescenz versetzen können, wie bey den Vögeln und Amphibien. Bey dem Geschlechte Tetrodon wird der gröſste dieser Luftbehälter durch die innere Membran des Bauchfells gebildet, und es findet zwischen ihr und der Höhle, worin die Kie - men liegen, eine Verbindung statt. Das in diesen Behältern angesammelte Gas wird wahrscheinlich durch zwey neben dem After liegende und mit Klap - pen versehene Oeffnungen, die einen Durchgang von innen aber nicht von aussen gestatten, wieder ausgelassen(y)Monro (Vergl. des Baues und der Physiol. der Fi -sche.
Zwi -S 4280Zwischen dem letzten Kiemenpaare vor dem Brustbeine liegt das Herz, das cylindrisch, prisma - tisch, kurz von sehr mannichfaltiger Gestalt ist. Aus der einfachen Kammer desselben entsteht nach oben und vorne ein groſser Sack, der einem zwey - ten Ventrikel ähnlich ist, und, indem er allmählig enger wird, in die Kiemenarterie übergeht. Diese theilt sich gleich nach ihrem Ursprunge in vier Zweige, die zu den Kiemen gehen, und sich auf deren Blättern verbreiten, nach dieser Vertheilung aber sich wieder zu einem gemeinschaftlichen Stam - me, der Aorta, vereinigen, aus welchem die Arte - rien aller übrigen Organe entspringen. Die des vor - dersten Kiemenpaars vereinigen sich aber mit die - sem Stamme erst, nachdem sie sich im Gehirne und in den Sinnesorganen verbreitet haben. Ei - nige, die man mit den Lungenvenen der Säugthiere und Vögel vergleichen kann, ergieſsen sich auch unmittelbar in die Hohlvene, ohne ihr Blut andernOrga -(y)sche etc. S. 19) und mit ihm mehrere andere Schrift - steller schreiben diesen Oeffnungen einen andern Zweck zu, nehmlich die salzichte Flüssigkeit, die in den Höhlungen des Schädels, der Brust und des Un - terleibs der Fische enthalten ist, einzulassen. Aber es ist gar nicht wahrscheinlich, daſs diese Flüssigkeit von aussen eindringt, und wenn dies auch der Fall wäre, so könnte es doch unmöglich durch jene Oeff - nungen geschehen, wegen der Klappen, womit die - selben versehen sind.281Organen vorher mitzutheilen. Die sämmtlichen Ve - nen fliessen zu drey groſsen Stämmen zusammen; diese vereinigen sich in einem sehr groſsen Behälter (sinus venosus); die obere Oeffnung dieses Sacks geht in das Herzohr über, und aus diesem flieſst wieder das Blut durch eine mit Klappen versehene Oeffnung in den Ventrikel, woraus es gekommen war, um durch eine andere, ebenfalls mit Klappen versehene Mündung von neuem in die Kiemenarte - rie getrieben zu werden.
Das Blut, das in diesen Gefäſsen circulirt, kömmt in der Farbe dem der Säugthiere gleich, ent - hält aber weniger Serum und mehr Cruor, als das der letztern. Beyde Bestandtheile haben auch weit mehr Verwandtschaft zu einander, als die des Bluts der Säugthiere, indem sie bey der geringsten Er - schütterung des Gefäſses, worin sie aufbewahrt wer - den, sich wieder zu einer homogenen Masse verei - nigen. Das Serum zeigt keine Spur von Säuren, oder Alkalien.
Der Nahrungscanal der Fische nähert sich dem der Amphibien. Der Pharynx fehlet hier ganz. Der, zuweilen mit Zähnen besetzte, Schlund ist kurz, dabey aber weit und membranös. Der Ma - gen ist lang, von dem Schlunde in der Weite wenig verschieden, wie bey mehrern Vögeln entweder ganz häutig, oder doch nur zum Theil muskulös,S 5und282und bey einigen durch eine Verengerung in zwey Theile geschieden. Ueberhaupt liegt er, nicht der Queere, sondern der Länge nach. Seine innere Fläche ist mit Drüsen besetzt, wie bey den Vögeln und Amphibien. Bey seinem Eintritte in den Darm. canal findet sich entweder eine Klappe, oder, wo diese fehlt, wird sie durch Verengerungen und Krümmungen des dünnen Darms ersetzt.
An dem Pförtner einer groſsen Menge von Fi - schen findet sich eine Organisation, die man bey keiner der höhern Thierclassen antrifft. Aus ihm entspringen nehmlich cylindrische, auf ihrer innern Fläche mit Drüsen besetzte, und mit einem schar - fen salzichten Schleime angefüllte Blinddärme (ap - pendices pyloricae), deren Zahl sich bey manchen auf viele Hunderte beläuft. Bey diesen, wo die Anzahl derselben sehr groſs ist, vereinigen sich je - doch gewöhnlich mehrere zu einem einzigen Canale, so daſs der Mündungen im Pförtner doch nicht sehr viele sind. Was aber vorzügliche Aufmerksamkeit verdient, ist dies, daſs alle Fische dergleichen blinde Anhänge haben, bey welchen das Pancreas fehlt, und daſs jene denen Fischen mangeln, bey welchen das letztere vorhanden ist.
Der Darmcanal geht bey mehrern Fischen, und besonders bey denen, welche einen sehr länglichten Körper haben, fast in gerader Richtung zum After. Da,283Da, wo er Windungen macht, sind dieser doch nur wenige, so daſs seine Länge die des ganzen Körpers nicht viel übertrifft. Der unterste Theil desselben ist weiter und dicker, als der obere. Beym Anfange desselben liegt eine Klappe und ein kurzer Blinddarm. Der obere dünnere Theil des Darmcanals hat viele und groſse Falten, aber keine Zotten(z)Rudolphi in Reils Archiv f. d. Physiol. B. IV. S. 73, 349.. Der untere dickere Theil, dessen Fi - bern der Länge nach laufen, und in welchem sich bey mehrern Fischen die Ausführungsgänge des Harns und der Eyer öffnen, kömmt mit der cloaca der Vögel und Amphibien überein. Bey einigen von denjenigen Fischen, deren Darmcanal fast in gerader Richtung vom Pförtner zum After fortgeht, erstreckt sich eine groſse Falte der innersten Darm - haut in der Gestalt einer Wendeltreppe vom Pfört - ner bis zum After.
Die Stelle des Netzes wird, wie bey den Vögeln und Amphibien durch groſse Fettklumpen, so hier durch eine weisse, schmierige, über den dünnen Darm verbreitete Materie ersetzt.
Den Milch - und Lymphgefäſsen, die bey den Fischen von beträchtlicher Gröſse sind, fehlen die Drüsen, wie denen der Amphibien, und zugleichdie284die Klappen, ausser am Ende des ganzen Systems. Jene bilden zwischen den beyden innersten Häuten des Darmcanals unter einander, und gegen ihre En - den mit denjenigen lymphatischen Gefäſsen, die sich in der Leber, Milz und dem Pancreas verbreiten, zahlreiche Anastomosen, und diese Geflechte ver - einigen sich weiterhin mit den lymphatischen Ge - fäſsen des übrigen Körpers in zwey Behältern, wel - che durch eben so viele mit Klappen versehene Mündungen bey den Knorpelfischen in die Schlüs - selbeinvene, bey den Fischen mit Gräten aber in die untere Hohlader übergehen.
Die Milz der Fische ist der der Säugthiere ih - rer Lage, Gröſse und Struktur nach weit ähnlicher, als die, welche sich bey den Vögeln und Amphi - bien findet.
Von dem Pancreas ist schon oben bemerkt, daſs nur diejenigen Fische damit versehen sind, welche keine Blinddärme am Pförtner haben.
Eine Leber mit einer Gallenblase haben alle Fi - sche, und zwar sind beyde hier von beträchtlicher Gröſse. Jene ist bey einigen Fischen so lang, wie der ganze Unterleib, und bey manchen einfach, bey andern in zwey bis drey Lappen getheilt. Sie ist aber nicht immer, wie bey den vorhergehenden Thierclassen, braunroth, sondern bey einigen gelb,bey285bey andern bläulich, bey andern grün, und bey manchen purpurfarben. Vorzüglich in ihr findet sich jene ölichte Flüssigkeit, womit alle innere Theile der Fische getränkt sind(a)Bey dem Rochen ist mehr als die Hälfte der Leber bloſses Fett. Vauquelin, Annales de Chimie. T. X. p. 193.. Ihr Ausfüh - rungsgang öffnet sich bey den meisten Fischen, wie bey den mehrsten Vögeln, abgesondert von dem der Gallenblase in den dünnen Darm, aber, wie bey den letztern, so steht auch hier diese Blase mit ihr durch Leberblasengänge in Verbindung.
Die schmalen und platten Nieren, die so lang wie der ganze Unterleib sind, liegen parallel neben einander zu beyden Seiten des Rückgrats auf dem Bauchfelle. Ihre Ausführungsgänge öffnen sich bey einigen Fischen in den untersten Theil des Darmca - nals; einige aber haben eine Harnblase, und diese öffnet sich nach aussen durch ein besonderes Loch, welches zwischen der Afterflosse und dem After liegt. Der Harn der Fische ist consistenter, als der der übrigen Thiere.
Die Zeugungstheile sind bey den meisten Fi - schen (den Grätenfischen) einfacher, wie bey irgend einer andern Thierclasse mit getrennten Geschlech - tern. Die des Männchen bestehen in einem einfa -chen,286chen, oder doppelten, länglichten, parallel mit den Nieren vom After bis zum Zwerchfelle herabgehen - den, und aus mehrern Lappen zusammengesetzten Körper, welcher zur Laichzeit mit männlichem Saa - men angefüllt, ausser dieser Periode aber kaum sichtbar ist. Die Ausführungsgänge, wodurch der Saamen excernirt wird, gehen der Länge nach durch den Hoden herunter zu den Saamenbläschen. Diese liegen am After und vereinigen sich in einen ge - meinschaftlichen Canal, der sich neben dem Ende des Mastdarms und der Mündung der Harnröhre nach aussen öffnet.
Verwickelter ist der Bau der männlichen Zeu - gungsorgane bey einigen Knorpelfischen. Der Hode ist hier theils aus einer weissen Materie, wie der der Grätenfische, theils aus runden Körperchen zu - sammengesetzt. Aus diesen entspringt ein Neben - hode, welcher gröſstentheils aus zusammengewun - denen Röhren besteht, die sich in ein schlangenför - miges ausführendes Gefäſs endigen. An dem letz - tern ist der untere Theil sehr erweitert, und nahe an der äussern Seite dieser Erweiterung liegt ein Beutel von ziemlicher Gröſse, der mit einer grünen Feuchtigkeit angefüllt ist, und sich mit dem Saamen in den nehmlichen Trichter ergieſst.
Eine männliche Ruthe ist bey keinem Fische, ausser vielleicht der arktischen Chimäre, vorhan -den.287den. Die Anhänge am After, womit die Männ - chen der Rochen und Hayfische versehen sind, und welche ehedem für ein männliches Glied angesehen wurden, dienen zur Umfassung des Weibchens bey der Begattung(b)Bloch in den Schriften der Berlinischen Gesellschaft, B. VI, S. 377. B. IX. S. 9..
Die Zeugungsorgane des Weibchens bestehen bey den Grätenfischen in einem einfachen oder dop - pelten, aus mehrern Lappen zusammengesetzten, und zur Laichzeit von Eyern strotzenden Eyer - stocke, der fast dieselbe Lage wie der Hode des Männchens hat, und unten in eine Art von Mutter - trompete übergeht, die sich an derselben Stelle nach aussen öffnet, wo der Ausführungsgang des Saamens bey dem Männchen seine Mündung hat. Einige Knorpelfische haben bey einem einfachen Eyerstocke zwey lange und gewundene Muttertrom - peten, welche beym Zwerchfelle ihren Anfang neh - men und in eine doppelte Gebährmutter übergehen. Auch findet sich bey diesen an jedem Eyerleiter ein drüsenartiger Körper, der bey trächtigen Fischen eine groſse Menge trüben und salzichten Wassers enthält, und sich mit einer dicken Warze in die Muttertrompete öffnet.
Wir haben oben gesehen, daſs die letztern Fi - sche auch unter allen die am meisten zusammenge -setz -288setzten Geruchs - und Gehörorgane besitzen. Sie haben überdies ein knorpelartiges Skelett, in dessen Mischung die Gallerte von dem phosphorsauren Kalk überzogen wird, da sich das Verhältniſs die - ser Bestandtheile in den Knochen der übrigen Fische demjenigen mehr nähert, das wir bey den höhern Thierclassen antreffen. Ferner haben jene entweder gar keine Ribben, oder doch meist nur Spuren der - selben. Ihre Brusthöhle ist geräumiger, der Darm - canal meist kürzer, weniger gewunden und weiter, und das Gehirn in nicht so viele Lappen getheilt, als bey den Grätenfischen. Das Herz ist bey den mehrsten nicht, wie bey den letztern und den vor - hergehenden Thierclassen, in einem Herzbeutel ein - geschlossen.
Die Classe der Fische zerfällt also in zwey Ab - theilungen: in Knorpelfische (P. cartilaginosi, chondropterygii) und Knochen - oder Grätenfi - sche (P. ossei). Aus dem Obigen erhellet, daſs die erstern in mehrern Punkten an die höhern Thierclassen gränzen. Linné, welcher diese Ver - wandtschaft bemerkte, und ausserdem mehrern un - ter ihnen unrichtig Lungen zuschrieb, setzte sie daher unter dem Namen der schwimmenden Am - phibien in die vorhergehende Thierclasse. Dieser Irrthum ist nun zwar längst widerlegt(c)Camper in den Schriften der Berlin, Gesellschaft. B. VII. S. 197.. Manhat289hat indeſs seit Linné doch immer die Knorpelfische als diejenigen betrachtet, welche in der Reihe der Thiere zunächst auf die Amphibien folgen. Wir glanben aber diese Stelle den Grätenfischen einräu - men zu müssen, und zwar theils deswegen, weil der Bau der Knorpelfische noch mehr Verwandtschaft mit der Struktur der Mollusken und Crustaceen, als mit der der Amphibien hat, und theils darum, weil sich die Familie der Schlangen unter den letz - tern so genau an die der Aale unter den Knochen - fischen anschlieſst, daſs sich die Knorpelfische ohne Zerreissung eines von der Natur geknüpften Bandes zwischen diese Ordnungen nicht einschieben lassen. Zum Beweise des erstern Grundes führen wir nur folgende Analogien an: Die Gattung Myxine, wel - che offenbar das Bindungsglied zwischen den Knor - pelfischen und den Mollusken ausmacht; der arti - kulirte Panzer, womit die Gattung Syngnathus be - waffnet ist, und der sich so auffallend dem äussern Skelett der Crustaceen und Insekten nähert; den Mangel der Zunge bey eben dieser Gattung; die Gegenwart wirklicher Antennen bey einigen Lo - phien; die Aehnlichkeit der Kiemenöffnungen bey den Lampreten und Schleimfischen mit den Stigma - ten, und ihrer blasenartigen Kiemen mit den Luft - säcken mehrerer Insekten.
Die Grätenfische zerfallen in zwey gröſsere Ab - theilungen: in solche, die eine bewegliche ZungeI. Bd. Thaben,290haben, und in solche, bey welchen dieses Organ unbeweglich ist. Jede von diesen Abtheilungen hat ferner entweder einen nackten schlüpfrigen Körper, oder Schuppen. Hieraus ergeben sich vier Familien der Grätenfische: die Aale mit einer freyen Zunge und einem schlüpfrigen Körper; die Lachse mit einer freyen Zunge und mit Schuppen; die Welse mit einer unbeweglichen Zunge und einem schup - penlosen Körper; und die Seehähne mit einer un - beweglichen Zunge und mit Schuppen.
Die Knorpelfische haben insgesammt weder eine bewegliche Zunge, noch Schuppen, und von diesen Organen lassen sich also bey ihnen keine Eintheilungsgründe hernehmen. Aber die Zähne geben uns bey ihnen ein Mittel, sie in zwey ziem - lich natürliche Familien zu theilen. Bey einigen nehmlich fehlen diese entweder ganz, und die nack - ten hervorstehenden Kinnladen vertreten die Stelle derselben, oder sie sitzen doch blos in den Kinnla - den. Bey den übrigen sind sie in weit gröſserer Menge vorhanden, und nicht nur die Kiefern, son - dern auch die Zunge und der Gaumen damit be - setzt. Jene Familie ist die der Störe, diese die der Hayen.
In der Familie der Aale fehlen den meisten die Lippen und die Bauchflossen. Alle haben eine ein - zige, meist lange und niedrige Rückenflosse. Dievor -291vornehmsten Eigenheiten in ihrer innern Struk - tur sind: ein Schädel, der aus einem einzigen Stücke besteht; ein bewegliches Knöchelchen in der Com - missur der Kinnladen, wie bey den Schlangen; zahlreiche und unmerklich abnehmende Ribben und Wirbelbeine; eine enge Brusthöhle; ein langer, ge - rader, mit der Länge des Thiers parallel gehender Magen, ein Darmcanal, der neben dem obern Ma - genmunde entsteht, mit dem Magen einen Winkel macht, und dann gerade zum After fortgeht; meist keine Harnblase; einerley Ausführungsgang des Harns und der Eyer, oder des Saamens.
Die drey folgenden Familien der Lachse, Welse und Seehähne haben meist Lippen, und, mit Aus - nahme der beyden Geschlechter Stromateus und Xiphias, insgesammt Bauchflossen. In ihrer innern Struktur kommen sie gröſstentheils mit einander überein, unterscheiden sich aber von den Aalen vor - züglich durch einen Schädel, der aus einer groſsen Menge Knochen besteht; weniger zahlreiche und nicht so unmerklich abnehmende Ribben und Wir - belbeine; einen runden Magen mit einem engen Pförtner; zahlreiche blinde Anhänge an dem letz - tern; einen ziemlich langen und vielfach gewunde - nen, aber meist schwachen und engen Darmcanal; eine Harnblase; und besondere Ausführungsgänge des Harns und der Eyer, oder des Saamens.
T 2Von292Von den beyden Familien der Knorpelfische zeichnen sich die meisten Störgeschlechter entweder durch eine Schwimmblase, oder durch zellenartige Luftsäcke, vermittelst welcher sie ihren Körper in Turgescenz setzen können, und durch einen ge - wundenen Darmcanal, unter den Hayen aber die meisten durch einen geraden Darmcanal und die Männchen mehrerer Geschlechter durch knorpelar - tige Anhänge zur Umfassung des Weibchens bey der Begattung aus. Der Spiegelroche (raia miraletus) und der Carcharias (Squalus carcharias) haben eine Art Augenlieder, die in der vordern Kammer der wäſsrichten Feuchtigkeit herabhängt, und ein am obern Rande des Augapfels befestigter Fortsatz der Traubenhaut zu seyn scheint. Der knorpelichte Augenball hat hinten einen Knopf, mit welchem er sich auf einem unten in der Augenhöhle befindlichen Knorpel herumdreht. Vielleicht gehört auch diese Struktur zu den Eigenthümlichkeiten der Hayen.
(e)chen, aber zum Theil oberflächlichen Zergliederungen aus dessen beyden gröſsern Werken nur die wichti - gern hier angeführt,
T 3294Immer dunkler werden die Spuren von der Orga - nisation des Menschen, je näher wir in der Reihe der Thiere den Zoophyten kommen. Aber der in - nere Bau zeigt uns doch noch einige Verwandt - schaft, wenn auch der äussere nach einem ganz an - dern Modell, wie der des Menschen, geformt zu seyn scheint. Wer nie eine andere Organisation, als seine eigene, gesehen hätte, und einen Kugel - fisch erblickte, würde schwerlich eine der seinigen ähnliche innere Struktur bey diesem ahnen. Nochmehr305mehr ist dies der Fall bey den Mollusken. Eine an - dere lebende Welt eröffnet sich für uns, sobald wir die äussere Form dieser Thiere mit der unsrigen vergleichen, ohne auf ihre innere Organisation und auf die Zwischenglieder, wodurch sie in der Kette der Natur an uns geknüpft sind, Rücksicht zu neh - men. Jener Unterschied von Kopf, Brust und Un - terleib, wovon wir bey den Amphibien und Fischen doch noch einige, wenn auch nur schwache Spuren finden, verschwindet hier ganz. Der Kopf läſst sich bey manchen nur aus der Gegenwart des Mundes noch erkennen, und selbst dieser ist zuweilen sehr verborgen. Nur wenige haben an demselben Au - gen, und noch wenigere Ohren. Keines hat ein Organ, das sich seiner Struktur nach mit der Nase der höhern Thierclassen vergleichen liesse. Statt des fehlenden Geruchswerkzeugs sind indeſs jene Theile, die wir bey den Fischen Bartfasern (cirri) nannten, hier als sogenannte Fühlfäden (tenta - cula) desto mehr ausgebildet und zu desto mannich - faltigern Zwecken eingerichtet. Sie sitzen auch hier, wie bey den Fischen, in der Nähe des Mun - des. Bey mehrern Mollusken aber vertreten sie die Stelle der äussern Bewegungsorgane, und bey die - sen sind sie zugleich mit Säugdrüsen zum Festhal - ten versehen; bey andern tragen sie an ihren Enden augenähnliche Organe. Nur wenige haben ausser diesen Fühlfäden auch Flossen, wie die Fische. Den meisten fehlen alle äussere Gliedmaaſsen, undI. Bd. Usie306sie bewegen sich entweder durch eine abwechselnde Zusammenziehung und Erschlaffung ihrer Bauch - muskeln, oder sie sind einer fortschreitenden Be - wegung ganz unfähig. Der ganze Körper ist mit einer Menge Schleimdrüsen besetzt, und bey man - chen von allen, aktiven sowohl, als passiven Ver - theidigungsmitteln entblöſst, bey mehrern aber an einem kalkartigen Gehäuse durch Muskeln befestigt, das entweder aus mehrern Klappen zusammenge - setzt ist, die von dem Thiere nach Willkühr geöff - net und geschlossen werden können, oder welches nur aus einem einzigen Stücke besteht, das von dem Bewohner verlassen und wieder bezogen wird. Im letztern Falle zeichnet sich dasselbe gewöhnlich durch spiralförmige Windungen aus. Die Grund - lage desselben ist, wie bey dem Skelett der roth - blütigen Thiere, eine knorpliche, membranöse, oder häutige Substanz, die mehrere Gradationen von der zarten, kaum sichtbaren Gallerte an bis zu den vollkommen organisirten Häuten durchgeht. Aber der erhärtende Bestandtheil ist nicht, wie bey diesen, phosphorsaure, sondern kohlensaure Kalk - erde(g)Hatchett, Phil. Trans. 1799. P. II. Scherers allg. Journal der Chemie. B. VI. H. 33. S. 256..
Dieser äussern Verschiedenheit der Mollusken von den höhern Thierclassen ohngeachtet finden wir dennoch in ihrem Innern zum Theil die Orga -nisa -307nisation der letztern wieder. Wir sehen ein Ge - hirn; ein Herz mit Arterien und Venen; in diesen Gefäſsen eine Flüssigkeit, welche eben so wohl, als das Blut der Säugthiere, Vögel u. s. w. Faserstoff (Fibrine) enthält; Kiemen, wie bey den Fischen; einen Brust - oder Rückenknochen; eine Art von Zähnen; einen gewundenen und bey einigen sogar aus einem muskulösen Magen entspringenden Darm - canal, und eine sehr groſse Leber. Zum Theil aber entspricht allerdings auch jener Verschiedenheit des äussern Baues eine eben so groſse der innern Organisation. Die Lage aller innern Organe hat keine Aehnlichkeit mehr mit der, die wir bey dem Menschen antreffen. Das Gehirn z. B. ruhet auf dem Schlunde, blos durch eine Fettlage von diesem getrennt. Von manchen Organen der hö - hern Thierclassen findet sich nichts Analoges, so von einer Milz und einem Pancreas. Dagegen fin - den sich Theile, wovon nichts Aehnliches bey den höhern Thierclassen vorhanden ist, so bey den Se - pien der Dintensack, bey mehrern Schnecken der Purpurbeutel u. s. w. Das Blut ist von weisser oder bläulicher Farbe, und der Faserstoff bildet sich nicht im Cruor, sondern seine Fäden schwimmen frey in dem Serum. Die männlichen und weibli - chen Geschlechtsorgane sind nur bey wenigen in verschiedenen Individuen vertheilt, und bey diesen ist der Bau jener Organe so eigen, daſs sich ihre Bestimmung oft nicht einmal muthmaſsen läſst. U 2Bey308Bey einer gröſsern Anzahl von Mollusken sind bey - derley Zeugungsorgane in einem einzigen Individu - um vereinigt, und bey diesen ist die Bestimmung mancher jener Theile in ein noch gröſseres Dunkel gehüllt, wie bey den vorigen. Bey andern endlich ist gar keine Spur von männlichen Geschlechtsthei - len bemerkbar; ihre Zeugungsorgane scheinen sich blos auf einen Eyerstock zu beschränken.
Die meiste Aehnlichkeit mit der Organisation der höhern Thierclassen treffen wir unter den Mol - lusken in der Familie der Sepien an. Ein musku - löser Sack; ein aus diesem hervorragender, dicker, mit einem hornartigen Schnabel und groſsen Augen versehener Kopf; neben diesem ein trichterförmi - ger Canal, der die Stelle des Afters vertritt; um den Kopf sitzende und mit Saugplatten versehene Fühl - fäden: dies sind die vornehmsten unter den äussern Charakteren dieser Familie. Von den fünf zu ihr gehörigen Geschlechtern Sepia, Loligo, Octopus, Argonauta und Nautilus sind die beyden letztern mit gewundenen Gehäusen versehen, die übrigen aber schaalenlos.
Die erwähnte Aehnlichkeit der Sepien mit den höhern Thierclassen zeigt sich vorzüglich im Innern derselben. Sie haben unter allen Mollusken die meisten Ueberbleibsel von einem innern Skelett. Das eigentliche Geschlecht Sepia hat knorpliche Kapseln, worin das Gehirn und die Augen liegen,einen309einen Ring von einer ähnlichen Substanz, woran die Fangarme befestigt sind, ein hornartiges, dem Schnabel des Papageyen ähnliches Gebiſs, cartilagi - nöse Säulen zu beyden Seiten der Leber, und einen groſsen Rückenknochen von einer muschelartigen Substanz.
Das Gehirn liegt bey diesem Geschlechte zwi - schen den Augen über dem Schlunde in einem fet - ten Schleime. Es gleicht einem Kegel, dessen Spitze und Grundfläche abgerundet sind. Die Basis hat einen ringförmigen Fortsatz, der dem Schlunde zum Durchgange dienet, und ruhet auf zwey Hü - geln (Sehehügeln?), von denen die beyden Ge - sichtsnerven ausgehen, die vor ihrer Vertheilung in den Augen zu groſsen Ganglien anschwellen. Un - ter diesen Hügeln zu beyden Seiten neben dem Aus - tritte des Schlundes entspringen die Gehörnerven; ferner ein Nervenpaar, das zur Leber geht; ein anderes, das einen groſsen Plexus bildet und sich in den Eingeweiden des Unterleibs vertheilt; und ein viertes, welches die äussern Theile des Unterleibs versorgt, nachdem es vorher ein groſses Ganglion gebildet hat. Aus dem obern Theile des Gehirnke - gels, über den Augennerven, entstehen drey Ner - venpaare, die zu den Fangarmen und den Freſs - werkzeugen gehen. Das eine derselben schwellet zu einem groſsen Knoten an, aus welchem die Ner - ven der Fangarme in strahlenförmiger Gestalt ent -U 3sprin -310springen, einer Gestalt, die überhaupt allen Ner - venknoten der Sepien eigen ist.
Die Augen sind groſs und haben breite Augen - lieder. Der Glaskörper hat die gewöhnliche Bil - dung. Aber die Crystallinse ist hinten in eine wei - chere Materie eingeschlossen, und vorne, ohne die Zwischenkunft von einer Iris und wäſsrichten Flüs - sigkeit, an die Hornhaut geleimet.
Das einfache Gehörorgan liegt an dem hintern Theile des Kopfs in einer knorpelartigen Erhaben - heit verborgen. In dieser Hervorragung befinden sich zwey ovale, durch eine Scheidewand getrennte Gruben, und jede der letztern enthält ein länglich - tes, mit einer wäſsrichten Feuchtigkeit angefüll - tes Bläschen, in welcher an ihrem Grunde bey der Sepia officinalis ein muschelförmiges Knöchelchen, bey der Loligo vulgaris ein Steinchen von kreiden - artiger Substanz und kegelförmiger Figur befestigt ist. Der Gehörnerve durchbohrt gleich nach sei - nem Austritte aus dem Gehirne mit drey bis vier Fäden die knorplichte Wand, wodurch die Höhlung der Grube, welche die Gehörblase enthält, vom Ge - hirne abgesondert ist, geht hierauf durch die an jener Wand befestigte Spitze dieses Bläschens in das - selbe über, und breitet sich hier in eine blendend weisse breyartige Substanz aus(h)Scarpa disqu. anat. de auditu. S. 1. C. 1. §. 9 sq. Comparetti de aure interna comp. p. 312. 314..
Die311Die Kiemen sind zwey kegelförmige, graue, mit vielen weissen Blutgefäſsen durchwebte Körper, wovon an jeder Seite einer, inwendig an der losen muskulösen Scheide zwischen dieser und den Ein - geweiden des Bauchs liegt, und deren jeder mit ei - nem besondern Herzen versehen ist.
Das Herz nehmlich ist dreyfach. Zwey Herzen liegen zu beyden Seiten des Körpers beym Anfange jeder Kiemenschlagader, und eines in der Mitte. Jene bestehen aus Einer Vorkammer und Einem Ventrikel, und sind in einem groſsen Herzbeutel eingeschlossen. Die Vorkammer empfängt ihr Blut aus der Hohlader, die sich nahe an der Rückenseite der Leber in zwey gleiche Aeste theilt. Aus dem Ventrikel wird das Blut durch eine groſse Lungen - arterie in die nächste Kieme getrieben, und hier - aus durch die Lungenvenen zu dem dritten mittlern Herzen geführt. Dieses ist muskulös und hat die Gestalt zweyer, mit der Basis zusammengefügter Kegel. Aus dem vordern Ende desselben kömmt eine vordere, und aus dem hintern eine hintere Aorte hervor. Jene geht zu den Armen, zum Kopfe, zu der Leber, den auf dem Rückenknochen liegen - den Muskeln, der Speiseröhre und den Zeugungsor - ganen; diese versorgt mit ihren Zweigen die beyden Kiemenherzen, den Dintenbeutel, den Schwanz und den untern Theil der äussern muskulösen Scheide.
U 4In312In der Höhlung des Schnabels breitet sich eine mit mehrern Reihen von Zähnen besetzte Haut aus. Der obere, breitere, umgebogene und bewegliche Theil besteht aus Knorpeln, die sowohl unmittel - bar, als durch eine Membran an einander befestigt sind, und dieser vertritt die Stelle der Zunge; der untere verlängert sich in eine Röhre und bildet den Schlund.
Der Schlund geht durch den Hirnring nach der Brust, ruhet hier auf zwey Speicheldrüsen, die mit ihm zusammenhängen, begiebt sich darauf in gera - der Richtung nach dem Bauche hin, und endigt sich dort in einem groſsen muskulösen Magen. Dieser hat am Pförtner einen groſsen gewundenen Blind - darm, worin eine ähnliche Feuchtigkeit, wie in den Pförtner-Anhängen der Fische enthalten ist. Der Darmcanal ist kurz, macht einige Biegungen und endigt sich in die oben erwähnte trichterförmige Röhre, welche die Stelle des Afters vertritt.
An der vordern Seite des Schlundes, der Länge des Körpers nach, liegt die Leber, die von groſsem Umfange ist, und zwischen dieser und dem Mast - darme der Dintensack, ein Behälter, welcher theils häutig, theils muskulös, mit Blutgefäſsen durch - webt, und auf seiner innern Fläche von drüsichter Struktur ist. Die Dinte ist ohne Geschmack und gerinnbar.
In313In Ansehung der Zeugungstheile der Sepien wissen wir nur soviel mit Gewiſsheit, daſs beyder - ley Geschlechtstheile bey ihnen, wie bey den hö - hern Thierclassen, in verschiedenen Individuen vertheilt sind. Der Bau, die Lage und Verbindung dieser Theile aber haben mit denen der letztern we - nig Aehnlichkeit.
Die übrigen Mollusken lassen sich nach ihrer gröſsern oder geringern Aehnlichkeit mit den Sepien in fünf Familien abtheilen. Zuerst nehmlich zer - fällt diese ganze Thierclasse in zwey gröſsere Ab - theilungen: in solche, die ein Analogon von einem Kopfe haben, und in solche, denen dieses fehlt. Jene haben entweder ein hornartiges Gebiſs, und diese sind die eben geschilderten Sepien; oder ihr Mund ist fleischicht, und diese sind die Lernäen und Schnecken. Die Lernäen nähern sich den Sepien durch Fühlfäden, die zugleich als Bewegungsorgane dienen, da bey den Schnecken diese Organe blos zu Sinneswerkzeugen, zur fortschreitenden Bewegung aber blos die Muskeln ihrer scheibenförmigen Bauch - fläche geeignet sind. Beyde Familien haben gleich den Sepien entweder gar kein Gehäuse, oder nur ein einschaalichtes.
Unter den kopflosen Mollusken haben einige blos fleischichte, andere aber artikulirte, den An - tennen der Insekten ähnliche Fühlfäden. Die letz -U 5tern314tern sind die Balanen. Die erstern, ungleich zahl - reichern, lassen sich weiter eintheilen in Austern, die einen aus zwey Hälften bestehenden Mantel ha - ben, welche blos am Schlosse der zweyklappichten Schaale mit einander verbunden, an den entgegen - gesetzten Rändern aber frey sind; und in Phola - den, deren Mantel sackförmig oder cylindrisch, und an dem einen oder an beyden Enden offen ist.
Die Lernäen und Schnecken haben ausser dem angegebenen Unterschiede wenige allgemein pas - sende, positive Eigenthümlichkeiten. Die beyden Gattungen Aplysia depilans und Helix pomatia las - sen sich für die Muster annehmen, wonach beyde Familien gebildet sind, und von welchen die übri - gen Geschlechter und Arten meist nur in weniger bedeutenden Punkten abweichen.
Ein eyförmiger Körper; ein länglichter, mit vier Fühlfäden besetzter Kopf, von welchen aber doch eigentlich nur die beyden obern diesen Namen verdienen; an der Basis dieser obern oder hintern Fühlfäden zwey dunkelschwarze, mit einem weis - sen Kreise umgebene Augen; ein auf der untern und rechten Seite des Halses entstehender fleischich - ter Mantel, der den übrigen Körper umkleidet, von dem Thiere willkührlich zurückgezogen und aus - gespannt wird, und im erstern Falle den Rücken entblöſst, den gröſstentheils ein muschelförmiger, mit zwey Häuten bedeckter Knochen einnimmt,unter315unter welchem die Kiemen liegen; neben dem hin - tern Ende dieses Rückenschildes eine Oeffnung, welche die Stelle des Afters vertritt; an dem vor - dern Ende desselben eine zweyte Oeffnung, die zur Mutterscheide führt, und neben dem Munde eine dritte, mit jener zweyten durch eine Furche ver - bundene Oeffnung, aus welcher das männliche Glied zur Zeit der Turgescenz hervortritt; endlich eine aus mehrern, nach verschiedenen Richtungen laufenden Muskelsträngen zusammengesetzte Bauch - fläche: dies ist es, was die Aplysia depilans dem Aeussern nach charakterisirt.
Im Innern dieses Thiers findet sich gleich un - ter den Bauchdecken oben am Munde der Schlund, diesem zunächst der erste Magen, dann der zweyte, und an diesem ein Darmcanal, der sich mit meh - rern Krümmungen in den After endigt. Der Mund ist zahnlos und der Schlund ohne Runzeln und Fal - ten. Seine äussere Seite ist gegen die Regel, nach welcher alle weiſsblütige Thiere weisses Fleisch ha - ben, mit verschiedenen Lagen von rothen Mus - keln umgeben. An seinem hintern Theile liegt eine Speicheldrüse. Der erste Magen hat eine kap - penähnliche Gestalt und ist häutig. Der zweyte Magen, welcher gleich unter ihm liegt, hat die Form eines abgestumpften Kegels, besteht aus ringförmi - gen, starken und, wie am Schlunde, rothen Mus - kelfasern, welche auswendig von einer zarten,durch -316durchsichtigen Haut umgeben, inwendig aber, gleich dem Magen der Hühner, mit einer festen, fast sehnichten Membran bedeckt sind, und enthält drey Reihen von knorplichten Zähnen.
Ueber dem Schlunde liegt das Gehirn, wie bey allen übrigen Mollusken, in der Form zweyer Halb - kugeln, welche die Speiseröhre mit einem ringför - migen Fortsatze umfassen. Die unmittelbar aus ihm entspringenden Nerven schwellen an mehrern Stellen zu groſsen Knoten an, die sich, wie bey den Sepien, in strahlenförmiger Gestalt ausbreiten.
Nach dem zweyten Magen folgt der Darmcanal, der, gleich dem ersten Magen, häutig ist, und mit mehrern Krümmungen durch die Leber zum After geht.
Die Leber, welche alle Krümmungen des Darm - canals begleitet, besteht fast aus eben so vielen gröſsern Lappen, als dieser Canal Krümmungen macht, und ist von einem so groſsen Umfange, daſs sie der Gröſse aller übrigen Eingeweide zusammen - genommen gleich kömmt. Sie hat aber keine Gal - lenblase.
In einerley Höhle mit den Verdauungsorganen befinden sich die männlichen und weiblichen Ge - burtstheile, welche hier, wie überhaupt bey den Schnecken und Lernäen, die sich wechselseitig be - gatten, ohne sich jedoch wechselseitig zu befruch -ten,317ten, in Einem Individuum vereinigt sind. Die zun - genförmige, undurchbohrte, aber zur Zeit der Turgescenz mit einer Rinne versehene männliche Ruthe liegt abgesondert von den übrigen Zeugungs - theilen in einer Scheide am Halse, woraus sie durch die oben erwähnte Oeffnung hervortritt. Die übri - gen männlichen Zeugungstheile sind ein herzförmi - ges, hodenähnliches Eingeweide, das am untern Theile des Darmcanals und der Leber befestigt ist, und ein schlangenförmig gewundenes, dem Neben - hoden analoges Gefäſs, das aus der Mitte jenes Ein - geweides entspringt, und einen milchichten Saft enthält. Beyde Organe stehen aber nicht mit dem männlichen Gliede, sondern mit den weiblichen Ge - burtstheilen in Verbindung.
Diese weiblichen Zeugungsorgane sind die Mut - terscheide, ein kugelförmiges Organ von unbekann - tem Nutzen(i)Bohadsch’s unrichtig sogenannte Gebährmutter., und der Eyerstock mit dem Eyer - gange. Die Mutterscheide ist ein gebogener, zum Theil drüsichter und muskulöser Canal, dessen äussere Oeffnung an der rechten Seite der Aplysia liegt. Sie endigt sich in dem erwähnten kugelför - migen Eingeweide, welches zum Theil unter den Därmen und in der Leber verborgen ist, eine dem Gehirne anderer Thiere nicht unähnliche Textur hat, und den erwähnten schlangeförmigen Nebenhodenauf -318aufnimmt. Der runde Eyerstock liegt fast in der Mitte des Körpers. Von ihm entsteht ein dünner Canal (der Eyergang), der sich in die Spitze der Biegung, welche die Mutterscheide macht, inserirt, und zwar so, daſs der Weg aus dem Eyerstocke in die Mutterscheide offen, der Rückweg aber ver - sperrt ist.
Die Eyer der Aplysia werden also, wie aus die - ser Struktur erhellet, bey ihrem Uebergange in die Mutterscheide durch den Saamen desselben Indivi - duum’s befruchtet, der sich aus dem Hoden durch den Nebenhoden in das kugelförmige Organ und daraus in die Mutterscheide ergieſst, und die wech - selseitige Begattung dienet blos dazu, die Auslee - rung des Saamens und der Eyer zu bewirken.
Ausser diesen Eingeweiden enthält der Körper der Aplysien in einer besondern Höhle noch eine Giftdrüse, die Kiemen und das Herz. Die Kiemen füllen den hohlen Theil des Rückenknochens aus, sind in zwey Lappen getheilt, und durch zwey starke Bänder befestigt. Jeder Lappen gleicht einer halbmondförmigen Franze. Den innern glatten Bo - gen machen die erwähnten Bänder aus; der aus - wendige Bogen hängt frey, und besteht aus ver - schiedenen Aesten, wovon sich jeder wieder in klei - nere Zweige theilt. Zwischen beyden Lappen nach dem innern Bogen hin läuft die Kiemenschlagader. Unter319Unter ihnen liegt das Herz, das nur einen einfachen Ventrikel mit einer einzigen Vorkammer hat, einem hohlen pyramidenförmigen Muskel ähnlich und mit zwey Gefäſsen versehen ist, wovon das eine sich an der Grundfläche der Pyramide endigt, das an - dere aus der Spitze derselben hervorkömmt.
Dasselbe Muster, wonach die Aplysia gebildet ist, finden wir auch in der Hauptsache bey der Weinbergschnecke (Helix pomatia), so wie bey al - len Lernäen und Schnecken, wieder. Nur in fol - genden Stücken entfernen sich beyde von einander.
Der Kopf der Weinbergschnecke trägt vier wahre Fühlfäden, zwey groſse und zwey kleine, die mit eigenen Muskeln und Nerven reichlich ver - sehen sind. Die beyden Augen, worin Swammer - damm die nehmlichen drey Säfte entdeckte, die sich in den Augen der höhern Thierclassen finden, sitzen nicht an den Wurzeln, sondern an den Spitzen der beyden gröſsern Fühlfäden. Der Rücken trägt nicht ein Schild, sondern ein gewundenes Gehäuse, das den gröſsten Theil der Eingeweide dieses Thiers enthält. Statt des Mantels der Aplysia findet sich hier ein fleischichter Saum, der den Rand des Ge - häuses umfaſst, und dieses mit dem Rücken der Schnecke verbindet. Die Oeffnung am Halse, die bey der Aplysia blos zur Scheide des männlichen Gliedes führt, enthält bey der Weinbergschneckezugleich320zugleich den Eingang zur Mutterscheide. Der Af - ter liegt rechter Hand an dem Saume, der den Rand des Gehäuses umgiebt, und neben diesem ist noch eine andere Oeffnung zum Athmen vorhanden, die sich nicht bey der Aplysia findet.
Unter den innern Organen unterscheiden sich zuerst die Freſswerkzeuge von denen der Aplysia. Zieht man nehmlich die äussern Lippen von einan - der, so erscheinen acht knorpelartige, unter einan - der verwachsene Zähne, und am untersten Theile des Mundes da, wo bey den Säugthieren die untere Kinnlade liegt, nach vorne zwey inwendige Lippen, welche beym Fressen die Bewegung der Speise len - ken. Hinter diesen findet sich ein gebogenes Knor - pelchen, mit dessen unterm und hinterm Theile die Zunge verwachsen ist, und unter dessen hohler Beugung sich diese beym Hinunterschlucken auf ähnliche Art verbirgt, wie bey uns der Kopf der Luftröhre unter dem Kehldeckel. Am vordern En - de der Zunge sitzt noch ein anderer kleiner Knor - pel, der sich in drey zarte Haken endigt, und mit welchem die Weinbergschnecke ihre Speise in den Mund zieht.
Statt dieser zusammengesetztern Freſswerk - zeuge fehlt aber der Weinbergschnecke der musku - löse, mit Zähnen versehene zweyte Magen der Aplysia. Ihr Darmcanal hat nur eine einzige zarte und dünne Erweiterung, welche die Stelle des Ma -gens321gens vertritt. Auf diesem liegen zwey schneeweisse Speicheldrüsen, deren Ausführungscanäle sich hin - ter den Zähnen am Gaumen öffnen.
Zwischen dem Herzen, der Leber und den Ge - därmen befindet sich ein Organ, wovon nichs Aehn - liches bey der Aplysia vorhanden ist, der Kalk - beutel. Er ist dreyeckig, hängt mit den angeführ - ten Organen genau zusammen, enthält einen kalk - artigen Saft, und ergieſst sich durch einen ziemlich weiten Canal in die Mutterscheide.
Verschieden von der Aplysia ist ferner die Weinbergschnecke in Ansehung ihrer Zeugungs - theile. Wir finden zwar auch bey dieser eine männ - liche Ruthe, eine Mutterscheide, einen Eyerstock, einen dem kugelförmigen Organe der erstern ähnli - chen Theil, und einen Hoden, der sich durch ein geschlängeltes Gefäſs in diesen öffnet(k)Bey Lister und Swammerdamm heiſst dieses Or - gan der Eyerstock, und bey beyden sind auch Eyer darin abgebildet. Ich habe indeſs nie Eyer in dem - selben angetroffen, und finde überhaupt nicht die mindeste Aehnlichkeit zwischen diesem Theile und einem Eyerstocke. Seine Struktur, die Abwesenheit eines andern Organs, das sich mit Wahrscheinlich - keit für einen Hoden annehmen liesse, und die Ana - logie der Aplysia lassen vermuthen, daſs in ihm der männliche Saame abgesondert wird.. Aber dasmänn -I. Bd. X322männliche Glied liegt in seiner Scheide neben der Mutterscheide, und diese schwellet, gleich jenem, gegen die Zeit der Begattung an, und tritt mit dem - selben durch einerley Oeffnung umgestreift hervor, um das männliche Glied einer andern Schnecke auf - zunehmen. Auch geht die Mutterscheide nicht, wie bey der Aplysia, zu dem kugelförmigen Organ, sondern zu dem Eyerstocke, der hier nicht rund, sondern eine lange, um ein festes Band spiralförmig gewundene Röhre ist. Diese Röhre öffnet sich in das erwähnte Organ, das aber hier nicht kugelför - mig, sondern oval ist.
Ausserdem finden sich an den Zeugungsorganen der Weinbergschnecke noch verschiedene andere Theile, die man nicht bey der Aplysia antrifft, nehmlich der Liebespfeil, den diese Thiere vor der Begattung auf einander abschiessen; der Behälter desselben mit dessen blinden Anhängen; der Pur - purbeutel; und ein Verbindungscanal zwischen der Scheide der männlichen Ruthe und der Mutter - scheide. Der Liebespfeil ist ein kalkartiger, birn - förmiger Körper mit einem pfriemenförmigen Stiel, und der Behälter desselben ein fester, muskulöser Sack, der sich in die Mutterscheide öffnet. In die - sen Behälter ergiessen sich zwey hohle Canäle, die sich in Aeste und Zweige vertheilen, an ihren äus - sersten Enden verschlossen sind, und einen weis - sen, dicken Saft enthalten, der vielleicht zur Bil -dung323dung jenes Pfeils dienet(l)Lister und Swammerdamm halten jene Canäle für die Sekretionsorgane des männlichen Saamens. Al - lein diese Meinung beruhet auf der unrichtigen, mit der Struktur des männlichen Gliedes der Schnecken ganz unvereinbaren Voraussetzung, daſs sich diese Thiere nicht nur wechselseitig begatten, sondern auch wechselseitig befruchten. Blos durch eine sehr unwahrscheinliche Hypothese liesse sich jene Mei - nung retten, nehmlich, wenn man annähme, daſs die Befruchtung durch den Liebespfeil bewirkt würde.. Der Purpurbeutel ist ein hohles, birnförmiges Organ, das nahe am Her - zen liegt, einen dicken, purpurfarbenen Saft ent - hält, und sich durch einen länglichten Canal erst in den Eyergang und dann in die Mutterscheide öffnet.
Verschieden von der Aplysia ist endlich noch die Weinbergschnecke in Ansehung ihres Respira - tionsorgans. Dieses nehmlich ist eine mit einem Netze von Blutgefäſsen tapezirte Höhle, die sich innerhalb dem Gehäuse bis zur zweyten und drit - ten Windung der Gedärme und der Leber erstreckt, und mit den blasenförmigen Kiemen der Lampreten übereinkömmt, da hingegen die Respirationswerk - zeuge der Aplysia den blätterförmigen Kiemen der Grätenfische gleichen.
MitX 2324Mit einem jener beyden Thiere kommen alle übrige Lernäen und Schnecken in ihrer Organisa - tion gröſstentheils überein, und da, wo sich diese von jenen unterscheiden, betrifft der Unterschied meist nur Organe, die von geringerer Wichtigkeit sind, z. B. die Form des Gehäuses, des Mantels, oder des Saumes u. dgl. Aehnlich der Aplysia de - pilans ist z. B. Bulla aperta. Mit Helix Pomatia kommen Helix putris, Helix nemoralis, und Turbo littoreus überein. Andere nähern sich in einigen Stücken der Aplysia depilans, in andern der Wein - bergschnecke, so z. B. das Geschlecht Limax, wel - ches in allen Stücken der letztern ähnlich ist, nur daſs es statt des Gehäuses ein Dach mit einem Rückenknochen, einen muskulösen Magen, einen Purpurbeutel, der sich nicht in den Eyerstock und in die Mutterscheide, sondern entweder in ein eige - nes Loch, das neben den Oeffnungen der Mutter - scheide und des Behälters der männlichen Ruthe liegt, wie bey Limax cinereus, oder in die Scheide des männlichen Gliedes, wie bey L. ater, ergieſst, und keinen Canal, sondern ein bloſses Ligament zwischen der Ruthe und dem Ligament des Eyer - stocks hat; ferner die Wasserschnecke (Helix stag - nalis), deren Augen nicht an den Gipfeln, sondern an den Wurzeln der Fühlfäden liegen, welche statt der einfachen Oeffnung für beyderley Zeugungsglie - der, die sich bey der Weinbergschnecke finden, deren zwey hat, und bey welcher der Magen fastknor -325knorpelartig und mit Zähnen besetzt ist; so auch Planorbis purpura, Tethys fimbria, Clio borea - lis u. s. w.
Die letzten Familien der Mollusken waren die der Austern, Pholaden und Balanen. Bey allen diesen Thieren findet sich ein bloſser Rumpf ohne Kopf, der in einen fleischichten Mantel ganz einge - hüllet ist, und ausser diesem entweder gar keine weitere Bedeckung, oder ein Gehäuse hat, das aus mehr als Einem Stücke besteht. Einige haben eine mit starken Muskelfasern versehene Verlängerung des Bauchs, die entweder zur Befestigung des Thiers vermittelst einer klebrigen Materie, wie bey den Geschlechtern Lima, Pinna, Mytilus u. s. w., oder zur fortschreitenden Bewegung, wie bey dem Holzbohrer (Teredo), den Pholaden u. s. w. die - net(m)Reaumur, Mém. de l’Acad. des sc. à Paris. 1710, 1711. 1712., und aus deren knorpelartigen Wurzel alle, in die Schaale sich inserirende Muskeln entsprin - gen. Bey andern aber fehlet ein solcher Fuſs, und diese sind gar keiner, oder höchstens nur einer sehr geringen, fortschreitenden, aktiven Bewegung fähig.
Eine elliptische, mit zwey Lippen, und zu beyden Seiten mit dreyeckigen, ovalen, oder band -förmi -X 3326förmigen, auswendig gestreiften Anhängen (Fühl - fäden?) versehene Spalte am vordern Ende des Körpers, die sich in einen röhren - oder trichterför - migen Schlund fortsetzt, vertritt die Stelle des Mun - des. Bey den Austern ist sie blos fleischicht; bey den Balanen und den mit Schaalen versehenen Thie - ren aus der Familie der Pholaden, wo sie Zähne hat, gleicht sie sowohl durch ihre Form, als durch die schaalichten Kinnladen und Palpen, womit sie besetzt ist, den Freſswerkzeugen der Crustaceen und Insekten. In Ansehung des Magens nähern sich diese Familien der Aplysia und den ähnlichen Mol - lusken aus der vorhergehenden Ordnung. Er ist, wie bey den letztern, meist doppelt und muskulös. Bey manchen hat er einen scheidenförmigen, oft an dem dicken Darme befestigten Anhang von knor - pelartiger Substanz, worin der Krystallgriffel mit dessen keulenförmigen Ende steckt. Dieser letztere Theil, dessen Funktion noch problematisch ist, be - steht aus einer durchsichtigen, dem Flintglase ähn - lichen, aber im frischen Zustande biegsamen Mate - rie, und hat an dem, in die Höhlung des Magens hervorragenden Ende einen dünnen, cartilaginösen, dreyspitzigen Anhang. Der Darmcanal hat das Ei - gene, daſs er nicht, wie bey den übrigen Thieren, weiter, sondern enger vom Magen nach dem After wird, daſs der Mastdarm von den beyden Aorten eingeschlossen ist, und daſs der Unrath aus demletz -327letztern in den untern Respirationscanal gelangt und durch diesen ausgeleert wird.
Ueber dem Maule soll, nach Cuvier’s Unter - suchungen, das Gehirn liegen. Aus diesem sollen nach vorne zwey Fortsätze entspringen, welche, wie bey den Sepien, Lernäen und Schnecken, einen Ring um die Speiseröhre bilden, und nach hinten zwey Nerven, die nahe am After in einem groſsen Knoten zusammenkommen(n)Cuvier, Bulletin de la Soc. philom. An. VI. n. 11. p. 83.. Poli hingegen konnte bey seinen vielen und genauen Zergliede - rungen dieser Mollusken nie eine Spur von Gehirn und Nerven entdecken, und auch mir ist dies bey dem Mytilus edulis, mit dessen Zergliederung ich mich seit mehrern Jahren beschäftigt habe, immer unmöglich gewesen. Da, wo Poli anfangs etwas Hirn - und Nervenartiges gefunden zu haben glaub - te, zeigte sich bey näherer Prüfung, daſs er entwe - der das kalkbereitende Organ, oder den Milchbehäl - ter und die Milchgefäſse für Theile des Nervensy - stems angesehen hatte(o)Cordados Lectores monitos facimus, nos rei inso - lentia percitos, iterum iterumque singulas istorum animalium partes minutim perlustrasse; et quamvis acri studio, ac diligentia pene incredibili illud prae - stiterimus, nullum umquam adparuisse, neque cere -brum. Wahrscheinlich wurdeauchX 4328auch Cuvier durch diese letztern Organe getäuscht: denn gerade bey den Geschlechtern Pholas und So - len, wo er das Nervensystem entdeckt haben will(p)Tableau élém. de l’Hist. nat. des animaux. p. 415., hat der Milchbehälter nebst dessen Ge - fäſsen, nach Poli’s Abbildung(q)Testac. T. 1. Tab. VIII. f. 1. i. und Beschrei - bung(r)Nulla molluscorum pars adeo nervorum habitum mentitur, ac vasa lactifera nuper descripta. Nos in hypogaea solenis strigilati eorumdem ra mos abdomen transvehentes, absque ulla labefactatione a ceteris par - tibus divulsos, ea ratione super crystalli laminam digessimus, ut non nisi pro nervis ab omnibus acci - piendos arbitrabamur. Tempore autem procedente, ac saepe iterato molimine, eo tandem pervenimus, ut non modo eorum truncos, sed etiam multiplices ipsorum surculos, in quos dirimuntur, hydrargyro complere potuimus: unde errorem nostrum perspicue deteximus. Poli Testac. T. 1. O. 1. p. 49. — Cf. O. 2. p. 8., dieselbe Lage und Figur, welche, Cu - vier’s Angabe zufolge, das Gehirn mit den daraus entspringenden Nerven haben soll.
Die(o)brum, neque nervorum vestigium. Dissimulare uti - que non audemus, nos in primis tum a glandula te - stacea, tum a cisterna et vasis lacteis fuisse deceptos; quae praesertim prae nimia exilitate nervorum habi - tum referebant: subinde autem re melius ad examen revocata, quantum a vero aberraverimus, dilueide cognovimus. Poli Testac. T. 1. Introd. p. 44.
329Die groſse Leber umfaſst auch hier, wie bey den Lernäen und Schnecken, den Magen und einen Theil der Gedärme, und auch ihr fehlt die Gallen - blase. Die Galle wird durch mehrere Canäle in den Magen geführt.
Zwischen dem Mastdarme und der Leber findet sich auch bey diesen Mollusken jenes drüsichte, mit einer kalkartigen Materie angefüllte Organ wie - der, das wir bey den Schnecken den Kalkbeutel genannt haben, und an jeder Seite des Mantels ein Behälter, der mit einem rothen Safte angefüllt ist, und mit dem Purpurbeutel der letztern über - einzukommen scheint.
Noch gröſser, als die Leber, ist der Eyerstock, das einzige Zeugungsorgan, das man in diesen Fa - milien antrifft. Er besteht aus ästigen, gekrümm - ten und unter einander verwickelten Schläuchen, die in den Zwischenräumen der Muskeln liegen, alle übrige Eingeweide bedecken, und zur Zeit der Trächtigkeit die ganze Bauchhöhle einnehmen, ja sogar in die Duplicatur des Mantels eindringen. Ausser der Zeit der Fruchtbarkeit ist er hochroth. Gegen diese Periode wird er braun, und endlich milchfarben. Die Eyer werden nach ihrer Auslee - rung aus dem Ovarium noch eine Zeitlang in klei - nen, reihenweise geordneten Säckchen, womit die Kiemen an ihren innern Rändern versehen sind, aufbewahrt.
X 5Die330Die bisher angeführten Eingeweide liegen in ei - ner Höhle, welche von muskulösen Decken gebil - det wird. Verschieden von jener Cavität ist dieje - nige, worin sich das Herz befindet. Diese ist in dem hintern Theile des Rumpfs enthalten, und von jener durch die Bauchdecken und durch eine eigene Haut abgesondert. Das von einem Herzbeutel umgebene Herz ist oval, muskulös und hat nur Ei - nen Ventrikel, aber eine bis zwey Vorkammern, welche den Ventrikel um Vieles an Weite übertref - fen. Bey einigen, z. B. Arca Noae, finden sich, wie bey den Sepien, zwey Herzen, eines an jeder Seite des Thiers. Bey manchen, z. B. dem Geschlechte Pinna, entspringet die absteigende Aorta aus zwey Anhängen des Herzens, welche Vorkammern ähn - lich sind, und diesem Organe das Ansehn eines Herzens mit vier Herzohren geben. Die Gefäſse, welche unmittelbar zum Herzen gehören, sind zwey gröſsere Arterien und zwey Venen. Von je - nen entspringt die eine aus dem obern Ende des Herzens, und geht vorzüglich zum Herzen selber, zum Herzbeutel und zum Mantel. Die andere, welche aus dem untern Ende des Herzens entsteht, vertheilt sich in den Verdauungsorganen, im Eyer - stocke, im Fuſse, und in den Kiemen. Beyde Aor - ten umfassen, wie schon oben bemerkt ist, den Mastdarm. Uebrigens hat das Gefäſssystem dieser Mollusken, nach Poli’s Beobachtung, noch das Ei - gene, daſs sich weder die Venen durch die Arterien,noch331noch die Arterien durch die Venen anfüllen lassen, obgleich das eingesprützte Quecksilber ungehindert bis in die feinsten Haargefäſse dringt.
In Ansehung der Respirationswerkzeuge ma - chen die Austern, Pholaden und Balanen den Ue - bergang von den Fischen zu den Insekten. Sie ha - ben, gleich jenen, groſse, gefäſsreiche Platten, die zu beyden Seiten des Fuſses, der Leber, des Nah - rungscanals und des Herzens gleich unter dem Man - tel liegen, und das eingesogene Wasser zwischen sich hindurch streichen lassen. Aber mehrere ha - ben zugleich den Luftröhren der Insekten ähnliche Canäle (Tracheen), welche meist aus dem obern Ende des Mantels entstehen, und dey den Phola - den, wo sie eine Verlängerung des Mantels sind, die Kiemen selbst einschliessen. Sie enthalten zahl - reiche kleinere, zum Einsaugen und Aussprützen des Wassers eingerichtete, mit Sphinkteren verse - hene, muskulöse Canäle, welche der Länge nach in jenen fortgehen, an deren Mündungen in der Ge - stalt zarter Fäden (cirri) auswendig hervorstehen, mit ihren innern Enden in einem geräumigen Be - hälter (lacuna Poli), der mit den Kiemen in un - mittelbarer Verbindung steht, zusammenkommen, und theils das aufgenommene Wasser den Bran - chien zuführen, theils dasselbe wieder fortschaf - fen. Daſs durch die Eine jener Tracheen sich der Mastdarm entleert, ist schon oben bemerkt. Bey332Bey manchen dienet diese auch zur Exkretion der Eyer.
Die Mollusken scheinen ein Versuch der Natur zu seyn, mit der gröſsten Eingeschränktheit des Sy - stems der Bewegungsorgane die gröſste Mannichfal - tigkeit der Absonderungsorgane zu verbinden. Die Crustaceen lassen sich als ein Versuch von entgegen - gesetzter Art betrachten.
Es giebt eine Familie unter den letztern, die ein äusseres Skelett mit einer gröſsern Menge von Gelenken, als irgend ein Thier aus der vorherge - henden Classe hat. Jenes Gerippe besteht aus knor - pelartigen, durch eine Mischung von kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk erhärteten(t)Hatchett in Scherers allg. Journal der Chemie. B. VI. H. 33. S. 263., und bey der Verbindung mit Sauerstoff sich roth färben - den(u)Olivi Zoologia Adriatica. P. I. p. 41. Platten, in welchen alle weiche Theile ein -geschlos -341geschlossen sind. Nur eine einzige Platte bildet den Kopf, die Brust und den Leib. Aber der Kopf trägt artikulirte Röhren, an deren Gipfeln die Au - gen sitzen; neben diesen zwey lange conische Or - gane, die mit den Fühlfäden der Mollusken über - einkommen, aber, gleich allen übrigen Theilen, ebenfalls in knöchernen Scheiden eingeschlossen, mit einer groſsen Menge von Gelenken verse - hen(x)Swammerdamm zählte beym Pagurus Bernhardus drey gröſsere und mehr als 120 kleinere Gelenke, Ba - ster (Verhandl. door de Holl. Maatsch. der Weten - schapen te Haarlem. D. XII. p. 147) beym Astacus marinus sogar 250 Artikulationen., und bey einigen Arten allenthalben mit zarten Borsten besetzt sind; unter den Augen und zwischen diesen gröſsern Fühlfäden noch zwey Paar kleinere, den letztern ähnliche Organe (Palpen), deren jedes gleichfalls mehrere Gelenke hat; und unter diesen die Freſswerkzeuge, die aus mehrern Paaren ebenfalls artikulirter, auf ihrer Rückenfläche mit kleinern Palpen besetzter, und sich seitwärts bewegender Kinnladen bestehen. Am Rumpfe sit - zen nach vorne zwey Arme mit fünf Artikulationen, von welchen letztern das vorderste mit einer Schee - re bewaffnet ist, und hinter diesen auf jeder Seite meist vier Füſse, wovon jedes der beyden vordern Paare sechs und jedes der beyden hintern fünf Ge - lenke hat. Endlich ist noch der Schwanz mit meh -rernY 3342rern Gelenken, mit Flossen und bey manchen Ar - ten auch mit kleinern artikulirten Füſsen versehen.
Aber bey dieser groſsen Menge von Bewegungs - organen ist die Zahl der secernirenden Eingeweide jener Thiere ungleich kleiner, als bey den vorigen Thierclassen. Ein kurzer und gerader Schlund führt in den muskulösen Magen, der auf seiner in - nern Fläche mit drey Zähnen besetzt ist, und von diesem geht der Darmcanal, in welchem sich beym Anfange des Mastdarms ein ziemlich langer und ge - wundener Blinddarm öffnet, fast in gerader Rich - tung zum After. Es giebt keine Leber, keine Gal - lenblase, keine Milz, kein Pancreas und keine harn - absondernde Organe. Dagegen aber öffnen sich zu beyden Seiten in den Pförtner zwey ästige und kno - tige blinde Gefäſse, welche so lang und so vielfach zertheilt sind, daſs sie fast die ganze Bauchhöhle ausfüllen. Zu beyden Seiten des Magens liegen bey den männlichen Thieren dieser Familie zwey Hoden, und bey den Weibchen zwey Eyerstöcke, deren Ausführungsgänge sich bis zu dem ersten Gliede des vierten Paars der Beine bey dem Männ - chen, und des dritten bey dem Weibchen erstrecken, wo die erstern auf jeder Seite in eine Ruthe und die letztern in eine Mutterscheide übergehen.
Dies sind alle Absonderungsorgane, die wir bey den Thieren dieser Familie antreffen. Ihreübrigen343übrigen Eingeweide sind theils nach dem Muster der Fische und Mollusken, theils nach einem eige - nen Model gebildet. Mit jenen kommen sie in An - sehung des Herzens überein. Auch bey ihnen ist dieses Organ muskulös, in einem Herzbeutel ein - geschlossen, und mit Einem Ventrikel und Einer Vorkammer versehen. Es liegt hinter dem Magen, nach der Rückenseite zu, zwischen den Hoden, oder Eyerstöcken. Aehnlich sind ferner die Werk - zeuge des Athemhohlens den blätterartigen Kiemen der Fische. Sie liegen zu beyden Seiten der Brust unter dem Brustharnisch, der eine Oeffnung zur Aufnahme des Wassers hat.
Mehr Eigenheiten hat das Nervensystem, nebst den Sinnesorganen dieser Thiere. Das Gehirn be - steht, wie bey den Mollusken, aus zwey Halbku - geln und einem ringförmigen Fortsatze zur Durch - lassung des Schlundes. Aber es unterscheidet sich von dem der letztern durch einen vom Kopfe bis zum Schwanze sich erstreckenden und an mehrern Stellen zu groſsen Ganglien anschwellenden Fort - satz, der mit dem Rückenmarke der Säugthiere, Vögel u. s. w. übereinkömmt, und allen gröſsern Nerven, ausser den Sehenerven, welche unmittel - bar von den beyden Halbkugeln des Gehirns ausge - hen, zum Ursprunge dienet. Die Fühlhörner sind, wie schon oben bemerkt ist, hornartige gegliederte Röhren. Jedes Glied ist mit kleinen OeffnungenY 4ver -344versehen, woraus weisse Papillen hervortreten(w)Baster a. a. O. S. 174., zu welchen Nervenäste vom vierten Paare ge - hen(x)Scarpa disqu. anat. de auditu et olf. p. 3.. Das Auge enthält eine Netzhaut, die nach Innen mit einem schwarzen Schleime überzogen ist, einen unmittelbar auf dieser ruhenden gallertartigen Glas - oder Krystallkörper, und eine Cornea, die aus unzähligen kleinern, regelmäſsige Sechsecke bildenden Hornhäuten von geringer Convexität zu - sammengesetzt ist. Die Gehörorgane liegen gleich an den Wurzeln der Antennen, in der Gestalt zweyer knöcherner Warzen, deren in die Höhe und etwas nach Innen gerichtete, abgerundete Spitzen eine runde, mit einer gespannten elastischen Mem - bran verschlossene Oeffnung haben. In jeder von ihnen befindet sich eine häutige Röhre von gleicher Gestalt, die allenthalben verschlossen, und an der erwähnten elastischen Membran befestigt ist. Diese Röhre enthält ein klares Wasser, und auf ihrer in - nern Fläche verbreitet sich der Geruchsnerve, der ein bloſser Ast des zu dem gröſsern Fühlhorne ge - henden Nerven ist(y)Scarpa disqu. anat. S. 1. c. 1. §. 2 sq. Comparetti de aure interna comp. p. 306 sq. 318. Cavolini über die Erzeugung der Fische. S. 119. Fabricius, Nye Skrifter af det Danske Videnskabers Selskab. D. II. p. 376..
Die345Die Familie der Crustaceen, von deren Organi - sation die wichtigsten Punkte bisher angeführt sind, ist die der Krebse. Eine zweyte Familie in dieser Classe ist die der Kiemenfüſsler. Die Haupt - charaktere, wodurch sich diese im Aeussern von den Krebsen unterscheiden, sind folgende: Augen, die nicht, wie bey den letztern, gestielt (peduncu - lati), sondern mit dem Kopfschilde verwachsen (sessiles) sind; sehr zahlreiche, blätterartige Kie - men, welche ausser dem Leibe zum Theil an den Füſsen liegen; und schaalenartige Rückenschilde, welche bey den meisten eine so täuschende Aehn - lichkeit mit den Gehäusen der Mollusken haben, daſs sie jeder, der die Bewohner nicht kennet, für wahre Muscheln halten wird. Durch diese Aehn - lichkeit gränzen die Kiemenfüſsler von der einen Seite mehr an die vorhergehende Thierclasse, als an die Krebse und Insekten. Aber in ihrem übri - gen Baue sind sie noch näher, als die Krebse, den Insekten verwandt. Die Menge der Artikulationen ihres äussern hornartigen Skeletts ist noch gröſser, als die der letztern. Bey der Daphnia pennata be - läuft sich die Anzahl der Gelenke nach einem ohn - gefähren Ueberschlage auf 2000000(z)Schäffers krebsartiger Kiefenfuſs. S. 61 ff..
Dagegen ist das System der Ernährungs - und Absonderungsorgane noch einfacher, als bey denKreb -Y 5346Krebsen, wenn man die zahlreichen Kiemen aus - nimmt, die indeſs ohne Zweifel hier zugleich als Bewegungsorgane dienen Die Freſswerkzeuge kommen mit denen der Krebse ziemlich überein. Aber der ganze Nahrungscanal besteht in einer ge - raden einfachen Röhre, an welcher sich kaum noch Spuren von einem Unterschiede des Schlundes, Ma - gens und Darmcanals finden. Die Stelle der Leber wird auch hier durch zwey enge, aber sehr lange und ästige Blinddärme ersetzt, die den gröſs - ten Theil der Bauchhöhle ausfüllen, und sich in die Mitte des Nahrungscanals öffnen. Das Herz hat eine auffallende Aehnlichkeit mit dem der Insekten. Es ist ein Gefäſs, das vom vordersten Ende des Kopfs bis zum Schwanze fortgeht, aus mehrern, von vorne nach hinten am Durchmesser abnehmen - den Säckchen zusammengesetzt zu seyn scheinet, und, nach Cuvier’s Untersuchungen(a)Mém. de la Soc. d’ Hist. nat. de Paris. An. VII. p. 34. Reil’s Archiv f. d. Physiologie. B. V. St. 1. S. 116 ff., Blutge - fäſse aus den Kiemen empfängt.
Die weiblichen Geschlechtsorgane bestehen in zwey sehr groſsen Eyerstöcken, die sich, wie bey den Krebsen, an dem ersten Gelenke eines der Fuſs - paare öffnen. Die beyden Zeugungsglieder des männlichen Geschlechts liegen entweder an der Brust ohnweit dem Kopfe (Daphnia), oder an denFühl -347Fühlhörnern (Cyclops). Die Hoden des letztern sind noch unentdeckt.
Ausser diesen Theilen findet sich bey dem Li - mulus palustris an jedem Fuſse noch ein problema - tisches Organ, nehmlich ein Bläschen, das gleich hinter der mit dem Fuſse verbundenen Kieme liegt, und bald zusammengefallen, bald mit einer weissen, durchsichtigen Feuchtigkeit, oder auch mit einem rothen, gerinnbaren Safte angefüllt ist.
Von dem Gehirne dieser Thiere wissen wir nur so viel, daſs es, wie bey den Mollusken und Kreb - sen, auf dem Schlunde liegt. Das Auge, das bey einigen (Argulus, Caligus, Limulus, Lynceus) nur einfach, bey den meisten aber doppelt und drey - fach ist, hat, wie bey den Krebsen, eine aus un - zähligen, mit ihren convexen Flächen nach aussen liegenden Hohlgläsern zusammengesetzte Cornea. Bey den Kiemenfüſslern liegt aber diese Membran nicht, wie bey den Krebsen, unbedeckt, sondern über ihr befindet sich noch eine zweyte, glatte, und nicht zusammengesetzte Hornhaut. Von den einzel - nen Abtheilungen der erstern scheint jede einem ei - genen Auge anzugehören, indem zu jeder ein eige - ner Sehenerve geht. Die Fühlhörner dienen bey den meisten Kiemenfüſslern auch als Bewegungs - organe, und sind gleich den Vorderfüſsen bey meh - rern ästig und mit langen Zweigen versehen. Siefehlen348fehlen bey dem Polyphem, dessen Kopf aber dafür ganz Auge ist.
Wir haben im ersten Capitel dieses Abschnitts für die unterscheidenden Charaktere der Crustaceen weisses Blut, ein äusseres artikulirtes Skelett, ein wahres Herz mit Gefäſsen, und Kiemen angegeben. Aus dem bisher Gesagten ergeben sich nun noch folgende untergeordnete Merkmale der Krebse und Kiemenfüſsler: ein Gehirn, das auf dem Schlunde ruhet und mit einem ringförmigen Fortsatze diesen umgiebt; ein Rückenmark, das bey seinem Laufe zu groſsen Ganglien anschwellt; ein Auge, das aus mehrern kleinern zusammengesetzt ist; Fühlhör - ner, die den Bartfasern mehrerer Fische und den Fühlfäden der Mollusken analog, aber in hornarti - gen und artikulirten Scheiden eingeschlossen sind; ein Nahrungscanal, der fast in gerader Richtung zum After fortgeht; statt der Leber zwey enge, aber sehr lange und ästige Blinddärme, die sich in den Pförtner öffnen; getrennte Geschlechter; zwey Eyerstöcke mit eben so vielen Mutterscheiden bey dem Weibchen, und zwey äussere Geburtsglieder bey dem Männchen.
Ausser den Krebsen und Kiemenfüſslern glau - ben wir noch eine dritte Familie der Crustaceen annehmen, und zu diesen diejenigen Thiere rech - nen zu müssen, die bisher unter dem Namen derChi -349Chitonen zu den Mollusken gezählt wurden. Eine Beschreibung derselben wird unser Verfahren rechtfertigen.
Die äussere Form gleicht der der Phyllidien. Aber der Rücken ist mit sechs bis acht neben einan - der liegenden, und unter sich artikulirenden Plat - ten bedeckt, die weit mehr mit den Schaalen der Krebse und Kiemenfüſsler, als mit denen der Con - chylien übereinkommen. Zu Organen der örtlichen Bewegung dienen den meisten Chitonen, wie den Schnecken, blos die Bauchmuskeln. Der Chiton fascicularis aber hat zu diesem Zwecke auch noch an jedem Gelenke auf beyden Seiten einen Bündel steifer Borsten. Alle Arten haben eine gröſsere An - zahl Muskeln, als die Schaalthiere(b)Olivi Zoolog. Adriatica. P. 1. p. 89..
Die Eingeweide sind meist denen der Phola - den und Balanen ähnlich. Manche aber sind auch von ganz eigenem Baue. Zu diesen gehören die Freſswerkzeuge. Beym Chiton cinereus bestehen diese in einer platten muskulösen Röhre, einer knor - pelichen gezahnten Haut, und den Muskeln. Die sehr dünne durchsichtige Haut ist gleich nach vorne mit einem Ringe von rhomboidalischen Plättchen ausgelegt. Hierauf folgen drey Reihen von Zähnen. Die in der obersten sind den Fangzähnen des Ebers ähnlich. Die mittlere Reihe hat schwarze dreyspit -zige350zige Zähne von fast eisenartiger Härte. Die unter - sten nehmen allmählig an Härte ab. Jeder sitzt auf einem besondern muskulösen Stiele, und ist mit ei - nem zurückziehenden Muskel versehen. Die un - tersten Zähne, welche reihenweise nach der Axe der erwähnten Haut liegen, sind äusserst elastisch. Die gezähnte Haut liegt so in der muskulösen Röhre, daſs die wagerechten Zähne gegen einander gerichtet sind. Der oberste Theil dieser Haut wird von einer sehr verwickelten Reihe von Muskeln umgeben, die den Kopf des Thiers ausmachen. Einige ziehen den Kopf vorwärts, andere rück - wärts; von einigen wird die gezähnte Haut zusam - mengeschnürt, von andern erweitert(c)Poli Test. T. I. O. 1. p. 5 sq..
Ferner finden sich bey diesem Chiton einige Theile, wovon nichts Analoges bey den Schaalthie - ren vorhanden ist. So trifft man an dem untern Theile des Eyerstocks zwey glandulöse, röthliche Körper an, die mit den obern Enden an die Schaale befestigt sind, und mit den untern in einen häuti - gen Canal übergehen(d)Poli l. c. p. 7. Tab. III. fig. 18. ac. db.. Und so liegt an jeder der beyden Hohlvenen, unweit dem Herzen, eine co - nische Röhre von röthlicher, oder gelblicher Farbe, deren oberes Ende fasericht ist(e)Poli l. c. p. 7. Tab. III. fig. 17. cd. cd..
Man351Man sieht, daſs die Chitonen zu keiner Familie der Mollusken recht passen, sondern zwischen die - sen und den Crustaceen in der Mitte stehen, und daſs sie sich mit eben so vielem Rechte den letztern, als den erstern beygesellen lassen.
Die nehmlichen untergeordneten Charaktere, wel - che die Kiemenfüſsler und Krebse mit einander ge - mein haben, sind auch den Insekten eigen, ausge - nommen, daſs hier die äussern Zeugungsglieder meist nur in einfacher Zahl vorhanden sind. Zwey wichtige Merkmale unterscheiden aber diese von der vorigen Thierclasse, nehmlich ein Herz ohne Arterien und Venen, und Luftröhren ohne Lungen. DasI. Bd. Z354Das erstere ist eine von allen Seiten verschlossene Röhre, welche gleich unter der Rückenhaut liegt, und von dem Fette, wovon es umgeben ist, ein knotiges Ansehn hat, von diesem abgesondert aber sich als eine Röhre zeigt, die blos gegen ihre Enden etwas dünner, sonst aber fast von gleicher Dicke ist, worin sich zu beyden Seiten dreyeckige Mus - keln(i)Les ailes du coeur beym Lyonnst., deren Spitzen an dem Skelett befestigt sind, mit ihren breiten Enden inseriren, und an welchem sich weder mit anatomischen, noch mit optischen Hülfsmitteln Spuren von Blut - und Schlag - adern entdecken lassen. Statt der letztern verthei - len sich in alle Organe der Insekten zahlreiche Luft - röhren, deren äussere Oeffnungen zu beyden Seiten des Körpers liegen, und welche eben so, wie die Blutgefäſse der vorigen Thierclassen, unter einan - der anastomosiren und sich auf eben die Art zer - ästeln. Die äussern Oeffnungen derselben (stigmata) bestehen in hornartigen Platten, die in der Mitte durchbohrt und am innern Rande mit Filamenten besetzt sind. Ihre Höhlungen werden durch drey Membranen gebildet, von welchen die innerste aus knorpelartigen, spiralförmigen Dräthen, deren Win - dungen dicht an einander liegen, zusammenge - setzt ist.
Ausser diesen Eigenheiten läſst sich kein Cha - rakter angeben, den alle Insekten in ihrer Organi -sation355sation mit einander gemein hätten. Bey keiner Thierclasse finden wir in diesem Stücke so viele Verschiedenheiten, als bey dieser. Schon gleich im Gröbern der äussern Form treffen wir einen auffal - lenden Unterschied an, indem einige geflügelt, an - dere ungeflügelt sind, und beyde in der Anzahl und Form ihrer Glieder aufs mannichfaltigste von einander abweichen. Unter den erstern giebt es die Familie der Spinnen, bey welchen Kopf und Brust aus Einem Stücke bestehen, und wo mit diesem Stücke acht gegliederte Füſse verbunden sind. Es giebt andere, bey welchen der Kopf ein abgesonderter Theil ist, und unter diesen besteht bey den Asseln der ganze Rumpf aus einer groſsen Meuge Artikulationen ohne Unterschied von Brust und Rumpf, und aus einer eben so groſsen Menge artikulirter Füſse, bey den Milben aber nur aus zwey gröſsern Gliedern, wovon eines der Brust, das andere dem Bauche der höhern Thierclassen ähnlich ist, und nur jenes sechs bis acht Füſse hat.
Der Rumpf der geflügelten Insekten hat nie mehr als zwey gröſsere Artikulationen, eine für die Brust und eine für den Bauch. Auch geht die Zahl ihrer Füſse nie über sechs. Die Bildung der Flü - gel scheint hier die der Gelenke zu verhindern. Aber in der Struktur der erstern variiren diese In - sekten eben so sehr, wie die vorigen in Ansehung ihrer Glieder. Bey allen sind Rudimente von vierZ 2Flü -356Flügeln vorhanden. Doch verdienen bey mehrern nur zwey derselben diesen Namen. Die Mücken - geschlechter (diptera L.) haben statt der untern Flügel auf jeder Seite blos ein gestieltes, meist mit einer gewölbten Schuppe bedecktes Knöpfchen (Ba - lancierstangen, halteres). Umgekehrt ist es bey den Käfern (Coleoptera L.). Hier sind blos die untern Flügel wahre Schwingen, hingegen die obern blos hornartige Decken der letztern (elytra). Vier wahre Flügel sind den Heuschrecken, Wanzen, Schmetterlingen, Libellen und Wespen eigen. Von denen der Heuschrecken (Orthoptera Olivier. ) und Wanzen (Hemiptera L.) nähern sich die obern den Flügeldecken der Käfer, indem sie nur zur Hälfte häutig, halb aber gleich jenen horn - oder lederartig sind. Die untern Flügel der Heuschrecken liegen unter diesen obern der Länge nach gefalten, die der Wanzen aber ge - kreutzt. Die Flügel der Schmetterlinge (Lepidop - tera L.), Libellen (Neuroptera L.) und Wespen (Hymenoptera L.) sind insgesammt ganz membra - nös. Aber die erstern zeichnen sich durch die bun - ten Schuppen, womit ihre Flügel bedeckt sind, die Libellen durch die netzförmigen, oder gitterartigen, und die Wespen durch die ästigen, starken Adern ihrer Schwingen aus.
So mannichfaltig aber auch die Insekten in An - sehung ihrer Bewegungsorgane sind, so kommendoch357doch alle unter einander und mit den Crustaceen darin überein, daſs die Zahl dieser Organe bey ih - nen gröſser ist, wie bey den Säugthieren, Vögeln, Amphibien, Fischen und Mollusken. Es giebt eine Skolopenderart, welche 184 artikulirte Füſse hat, und eine Phalänenraupe (Ph. cossus), woran Lyon - net 4061 Muskeln zählte, da der Mensch deren nicht viel über 400 besitzt. Die Muskeln der In - sekten haben zugleich das Eigene, daſs ihre Fibern nicht durch Zellgewebe zusammenhängen, sondern frey neben einander liegen, und blos an ihren En - den befestigt sind.
Nicht weniger Verschiedenheit, als in den Be - wegungsorganen der Insekten, findet in ihren Sin - neswerkzeugen statt. Die Antennen sind gewöhn - lich über den Augen an der Stirne befestigt, und immer gegliedert. Aber bey einigen giebt es nur vier dieser Glieder; bey andern geht die Zahl derselben in die Hunderte. Ihre Gestalt ist dabey so mannichfaltig, daſs sich nach deren Verschieden - heit schon blos die Familie der Schmetterlinge in sechs gröſsere Classen und mehrere Unterordnungen abtheilen läſst(k)Reaumur Mém. pour servir à l’hist. des ins. T. I. P. 1. Mém. 5. p. 273..
Die Hornhaut der Augen besteht aus vielen sechseckigten Abtheilungen, deren innere FlächenmitZ 3358mit einer farbigen Schleimhaut und einer Retina be - deckt sind. Dies ist aber auch das Einzige, was die Insekten in Ansehung der Augen mit einander gemein haben. Diese Sinneswerkzeuge variiren bey ihnen in der Farbe, Gestalt, Stellung, Gröſse und in der Anzahl der Abtheilungen. Es giebt schwar - ze, schneeweisse, goldfarbene u. s. w. Es giebt ganz runde, halbkugelförmige, sphäroidische u. s. w. Es giebt einige, die nur hundert, andere, die viele tausend Abtheilungen haben.
Ausser jenen zusammengesetzten Augen besit - zen auch die Insekten noch andere einfache Au - gen (Stemmata), die aus einer convexen, mit kei - nen Abtheilungen versehenen, auf ihrer innern Fläche mit einem farbigen Pigment überzogenen, und unmittelbar auf dem Gehirne liegenden Horn - haut bestehen(l)Comparetti de aure interna comp. p. 296.. Diese einfachen Augen sind al - len Insekten eigen, da hingegen jene bey den mei - sten ungeflügelten Thieren dieser Classe fehlen. Der zusammengesetzten Augen giebt es auch nie mehr, als zwey(m)Nur bey den Ephemeren will Reaumur (Mém. pour servir à l’hist. des ins. T. IV. Tab. 19. f. 3. 4. ) deren vier entdeckt haben.; die Zahl der einfachen hinge - gen ist verschieden von zwey bis achten. Die letz - tere Zahl findet sich bey den meisten Spinnen, undmerk -359merkwürdig ist es, daſs bey diesen der nehmliche Antagonismus zwischen den Augen und den Anten - nen herrscht, den wir im vorigen Capitel beym Po - lyphem angetroffen haben. Diejenigen, die nur zwey Augen haben, sind mit Fühlhörnern versehen, und die, welchen die Antennen fehlen, haben sechs bis acht Augen.
Gehörorgane sind bey den Insekten noch nicht gefunden. Die durchsichtigen, mit einer wäſsrich - ten Feuchtigkeit und weissen breyartigen Nervenfä - den angefüllten Säcke, welche Comparetti(n)A. a. O. p. 287. bey mehrern dieser Thiere in Höhlen unter den Aug - apfeln antraf, und für Gehörwerkzeuge hält, lassen sich schwerlich dafür annehmen.
Der Verschiedenheit, die wir in den Bewe - gungsorganen und Sinneswerkzeugen der Insekten antreffen, entspricht ohne Zweifel eine eben so groſse Verschiedenheit des Nervensystems. Schon unsere bisherigen, in Vergleichung mit der Feinheit des Gegenstandes und den zahlreichen Geschlech - tern und Arten dieser Thierclasse sehr groben und eingeschränkten Untersuchungen liefern Beweise da - für. Vorzüglich variirt das Rückenmark dieser Thiere, das hier, wie bey den Crustaceen, am Bauche liegt, und aus mehrern, durch doppelteNer -Z 4360Nervenstränge verbundenen Ganglien besteht, in der Zahl seiner Knoten und in seiner Länge. Bey der Biene giebt es 7 jener Ganglien, beym Nesselvogel (Papilio urticae), der Larve der Musca Chamaeleon und der Ephemera horaria 11, bey dem Seiden - wurme und der Weidenraupe 12, und bey der Larve des Scarabaeus nasicornis 14. Ueberhaupt scheint die Anzahl dieser Knoten mit der Zahl der Bewe - gungsorgane, und vorzüglich der Segmente des Lei - bes, in geradem Verhältnisse zu stehen. Ferner sind jene Knoten bey der Larve des Nashornkäfers und der Musca Chamaeleon fast in unmittelbarer Berührung mit einander; hingegen liegen sie bey eben diesen Insekten nach ihrer Verwandlung von einander entfernt. Bey den Raupen nähern sie sich während deren Verwandlung in Puppen, und ent - fernen sich wieder während dem Uebergange der letztern in Schmetterlinge. Jene Larven und Pup - pen haben daher ein kurzes Rückenmark mit lan - gen Nerven, die Raupen und vollkommenen Insek - ten ein langes Rückenmark mit kurzen Nerven. So wenig übrigens das Nervensystem der Insekten in seiner Struktur mit dem der rothblütigen Thiere gemein hat, so ähnlich ist es diesem in seiner Tex - tur. Das Gehirn und die Rückenmarksknoten der Weidenraupe haben zwey Häute, eine äussere, die mit der harten, und eine innere, die mit der wei - chen Hirnhaut der Säugthiere übereinkömmt. Auf beyden Flächen der äussern Haut verbreiten sichzahl -361zahlreiche Zweige der Luftröhren. In der Substanz des Gehirns und der erwähnten Knoten glaubte Lyonnet auch Rinde und Mark zu unterscheiden. Die Substanz der Knoten unterscheidet sich von der der übrigen Theile des Rückenmarks darin, daſs diese gar keine Luftgefäſse hat, da jene damit ganz durchflochten ist.
Noch gröſser, als diese Verschiedenheiten, sind aber die, die wir in den Ernährungsorganen der In - sekten antreffen. In Ansehung der Freſswerkzeuge zerfällt diese Thierclasse in zwey gröſsere Abthei - lungen: in solche, die ihre Nahrung vor deren Auf - nahme in den Schlund vorher zermalmen, und in solche, die sich blos durch Einsaugen thierischer oder vegetabilischer Flüssigkeiten nähren. Zu den erstern gehören die Spinnen, Asseln, drey Arten von Milben (Podura, Lepisma und Ricinus), die Heuschrecken, Käfer, Wespen und Libellen. Bey diesen sind die Freſswerkzeuge denen der Krebse ähnlich. Sie haben gewöhnlich zwey Paar Kinnla - den, die sich in horizontalen Flächen bewegen, und wovon das obere Paar (die Freſsspitzen, man - dibulae Fabricii) knöchern, das untere (die Kinn - laden, maxillae Fabr.) aber schwächer, oft häutig ist; eine obere und eine untere Lippe, von welchen die letztere sich in eine Art von Zunge endigt; und auf den auswendigen Flächen dieser Kinnladen und Lippen kleinere Fühlfäden (palpi). Bey jeder derZ 5ange -362angeführten Familien, die mit diesen Werkzeugen versehen sind, finden indeſs Abweichungen in der Form. Verbindung und Anzahl der letztern statt. Vorzüglich zeichnet sich die Familie der Heu - schrecken durch ein Organ, das den übrigen fehlt, den sogenannten Helm (galea) aus, zwey beweg - liche, membranöse, kegelförmige, platte Theile, die auf dem Rücken der Kinnladen sitzen und den Mund gröſstentheils bedecken.
Bloſse Saugorgane ohne Freſswerkzeuge sind den Familien der Schmetterlinge, Wanzen und Mü - cken, und den drey Geschlechtern Pulex, Pedicu - lus, Acarus aus der Milbenfamilie eigen. Bey den Schmetterlingen bestehen jene in einem spiralförmig zusammengerollten Rüssel mit einer doppelten Röh - re (Lingua Fabr.); bey den Wanzen in einer arti - kulirten, spitzen, unterwärts gekrümmten Röhre mit drey feinen Stacheln (Rostrum Fabr.), und in einer Oberlippe, welche die Basis dieses Stachels bedeckt; und bey den Mücken in einem oder meh - rern Stacheln nebst einer Rinne, worin diese ausser der Zeit des Gebrauchs liegen, und welche an ihrer Basis häufig zwey Palpen hat (Haustellum Fabr.)(o)Roffredi in Miscellan. Taurin. T. IV. p. 1..
Der Nahrungscanal variirt in seiner Länge, sei - nen Krummungen und seiner Weite; in der Anzahlseiner363seiner Erweiterungen und Verengerungen; in der Textur seiner verschiedenen Theile; und in der Struktur der blinden Anhänge, die sich in ihn öff - nen. In Ansehung der Länge, der Beugungen und Weite desselben ist es bey den Insekten ein allgemei - nes Gesetz: daſs jede der beyden erstern im umgekehrten, die letztere aber im ge - raden Verhältnisse mit der Anzahl der Artikulationen des Thiers steht. Am auf - fallendsten bestätigt sich dieses Gesetz bey der Ver - gleichung des Nahrungscanals der Larven mit dem der vollkommenen Insekten. Da, wo jene eine gröſsere Menge von Artikulationen, als diese, be - sitzen, ist der Nahrungscanal dort kurz, gerade und sehr weit, hier aber lang, gebogen und enge; das Gegentheil zeigt sich, wenn die Larve weniger Artikulationen, als das vollkommene Insekt, hat. Die erstere Bedingung findet z. B. bey den Schmetterlingen statt. Bey der Raupe ist da - her der Schlund und Darmcanal sehr kurz, hin - gegen der Magen ausserordentlich weit und sehr lang. Aber schon bey der Puppe ist der Magen merklich kürzer, hingegen der Schlund und Darm - canal ungleich länger geworden. Und bey dem vollkommenen Schmetterlinge hat der Darmcanal eine solche Länge erhalten, daſs er jetzt mit meh - rern Windungen zum After fortgeht. Das nehmli - che gilt von der Biene und dem Scarabaeus nasicor - nis. Hingegen bey der Musca Chamaeleon, wo dieLarve364Larve weniger Artikulationen, als das vollkommene Insekt, hat, verkürzt sich der Nahrungscanal, der bey der erstern eng, lang und gewunden ist, desto mehr, je näher die Zeit der Verwandlung her - anrückt.
Bey allen Insekten ist der Nahrungscanal durch Verengerungen und Schlieſsmuskeln in mehrere Abschnitte von verschiedener Länge, Weite und Textur getheilt. Der erste Abschnitt, der mit dem Schlunde der höhern Thierclassen übereinkömmt, hat gewöhlich die Gestalt eines mit seinem weiten Ende nach dem Munde und mit dem engen nach dem After hingekehrten Trichters. Am Munde in - seriren sich in ihn bey allen mit Kinnladen versehe - nen Insekten zwey lange und gewundene Spei - chelgefäſse(p)Les vaisseaux dissolvans beym Lyonnet., die gewöhnlich aus einem cy - lindrischen, oder blasenförmigen Behälter entsprin - gen. Der zweyte Abschnitt, der die Funktion des Magens zu vertreten scheint, ist gewöhnlich oval und liegt immer der Länge des Thiers nach, ist aber übrigens eben so vielen, und vielleicht noch gröſsern Abänderungen, als der der Säugthiere un - terworfen. Bey der Laus z. B. hat er an der obern Mündung zwey aufwärts gerichtete blinde Anhänge, die ihm ein gabelförmiges Ansehn geben, fast wie beym Nabelschweine und Nilpferde. Beym Ohr -wurme365wurme ist er durch eine Verengerung in zwey Be - hälter, einen obern, fast kugelrunden und kurzen, und einen untern cylindrischen und sehr langen ab - getheilt. Zugleich sind hier beyde Mündungen der obern Abtheilung auf ihrer innern Fläche mit zwey Reihen von Zähnen besetzt. Das Heupferd (gryl - lus verrucivorus) hat einen kleinen, kugelförmi - gen Magen, dessen innere Fläche in viele, der Län - ge nach laufende und durch Queereinschnitte abge - theilte Falten besteht. Auf jeder Seite desselben liegt ein runder, häutiger Körper von unbekanntem Nutzen. Bey einigen Insekten, z. B. der Larve der Musca Chamaeleon, ist der Magen häutig; bey der Larve der Musca putris sieht man durch den häuti - gen Stoff, woraus er besteht, einige muskulöse Fa - sern hindurch scheinen; und bey den Raupen lassen sich drey Häute an ihm unterscheiden, von welchen die mittelste ganz muskulös ist: Bey der Weiden - raupe und den Raupen mehrerer verwandter Phalä - nen ist der Magen mit Fortsätzen der Rückenmus - keln von oben bis unten umwunden. Von den 4061 Muskeln jener Raupe gehen 2186 allein auf den Nahrungscanal.
An dem Pförtner inseriren sich in den Darm - canal bey den Insekten, wie bey den Crustaceen, auf jeder Seite zwey ästige blinde Gefäſse(q)Vasa varicosa beym Malpighi. Les intestins grêles beym Lyonnet., de -ren366ren Weite, Länge und Krümmungen sich nach der Weite, Länge und den Krümmungen des Darmca - nals richten. Manche Insekten, z. B. der Seiden - wurm, der Nashornkäfer (Scarabaeus nasicornis) und der fliegende Hirsch (Lucanus cervus), haben ausser diesen Lebergefäſsen noch andere, aber sehr kurze blinde Gefäſse, die sich in den Magen inseri - ren und um denselben eine kronenförmige Figur bilden. Die Seidenraupe hat nur Eine solche Krone von blinden Gefäſsen um den obersten Theil des Magens; der Nashornkäfer hat deren drey, Eine am Anfange, Eine in der Mitte und Eine am Ende des Magens; und bey dem fliegenden Hirsch finden sich ihrer vier, zwey an den beyden Enden und zwey in der Mitte des Magens. Bey einigen Käfern (Ca - rabus, Dytiscus), die zwey Magen haben, sieht der untere wie behaart aus. Eine genauere Unter - suchung aber zeigt, daſs diese Haare ebenfalls sehr kurze blinde Gefäſse (Zotten, villi) sind.
Wir haben gesehen, daſs die erwähnten blin - den Anhänge am Darmcanale bey den Krebsen und Kiemenfüſslern die Stelle der Leber, des Pancreas und überhaupt des ganzen Apparats von drüsichten Organen ersetzen, der bey den höhern Thierclassen die Verdauung und Ernährung bewirken hilft. Bey den Insekten findet nicht nur das Nehinliche statt, sondern hier ist überhaupt auch von Drüsen gar keine Spur vorhanden. Immer sind es darmähnli -che367che blinde Gefäſse, welche die Funktion der letz - tern vertreten. Solche Gefäſse liefern bey den Spin - nen die Materie zum Gewebe, bey den Raupen und Afterraupen den Stoff zum Gespinnste, bey der Ga - belschwanz-Raupe (Phalaena vinula) den Saft, den dieses Thier, wenn es gereitzt wird, von sich sprützt, und bey den Bienen das Gift, das der Sta - chel dieser Insekten mittheilt.
Solche Gefäſse sind es ferner, wodurch alle zur Zeugung erforderliche Säfte bey den Insekten zube - reitet werden. Die des Männchen lassen sich mit den Nebenhoden, den Saamengefäſsen und den Saa - menbläschen der Säugthiere vergleichen. Zu bey - den Seiten des Leibes liegt nehmlich ein Körper, der aus einem sehr langen, zugleich aber sehr zar - ten und engen, in sich verschlungenen Canale be - steht, und dieser Körper ist es, der mit dem Ne - benhoden der Säugthiere übereinkömmt. Aus ihm geht eine weitere Röhre, die sich mit dem Saamen - gange der letztern vergleichen läſst, zur männlichen Ruthe, vereinigt sich aber vor ihrem Eintritte in die letztere mit der aus dem andern Nebenhoden entspringenden Röhre, und in den Ort dieser Ver - einigung ergiessen sich zwey weitere, zugleich aber längere, darmähnliche Schläuche, die den Saa - menbläschen analog sind.
Die innern Zeugungstheile des Weibchens be - stehen in einem doppelten Eyerstocke, zwey Mut -tertrom -368tertrompeten, einem Uterus, oder einer Mutter - scheide, und einem leimabsondernden Organ. Von den beyden Eyerstöcken ist jeder aus mehrern, pa - rallel neben einander liegenden und durch Luftge - fäſse unter einander verbundenen Röhren zusam - mengesetzt, deren Anzahl mit der Fruchtbarkeit des Thiers in geradem Verhältnisse steht. Die Ver - einigung dieser Röhren bildet die Muttertrompete, und die Verbindung der letztern mit der des andern Eyerstocks einen noch weitern Canal, dessen unte - rer Theil bey der Begattung das männliche Glied aufnimmt, und der also den Namen des Uterus, oder der Mutterscheide verdient. In den obersten Theil dieses Canals öffnet sich ein darmähnliches Organ, worin bey mehrern Insekten ein leimichter, wahrscheinlich zur Befestigung der Eyer dienender Saft enthalten ist.
Nimmt man die Abwesenheit drüsichter Organe aus, so nähern sich also die Insekten in der Struk - tur ihrer innern Zeugungsorgane den Säugthieren weit mehr, als die Mollusken, und selbst mehr als manche Amphibien und Fische. Diese Näherung wird dadurch vermehrt, daſs sich noch bey keinem Insekt eine Spur von Hermaphroditismus fand, daſs alle männliche Thiere dieser Classe immer ein äus - seres Zeugungsglied haben, und daſs beyderley Ge - schlechtsorgane auch hier, wie bey den meisten Säugthieren, ausserhalb dem After sich nach aus -sen369sen öffnen. Indeſs giebt es auf der andern Seite auch wieder Eigenthümlichkeiten an den Zeugungs - theilen der Insekten, wovon sich bey den Säugthie - ren keine Spur findet. Zu diesen Abweichungen gehört zuerst die Lage der äussern Zeugungsorgane, und besonders derer des Männchen, die nicht im - mer in der Nähe des Afters ist. Bey mehrern Spin - nen befindet sich an jedem der beyden Fühlhörner eine männliche Ruthe. Bey den Afterspinnen (Pha - langium) liegt dieser Theil am Maule, und bey den Libellen am Bauche. Die letztern, die Schmetter - linge und mehrere andere Insekten haben zugleich zangenförmige Organe zur Umfassung des Weib - chens bey der Begattung, fast wie die Rochen und Hayfische.
Eine andere und noch wichtigere Abweichung von der Struktur der Säugthiere ist die völlige Ab - wesenheit der Zeugungstheile, die allen Insekten in ihrem Larvenzustande, und einigen, z. B. den Arbeitsbienen, ihr ganzes Leben hindurch eigen ist. In Betreff dieses Punkts findet bey den Insekten ein merkwürdiges Gesetz statt, worauf wir in der Folge zurückkommen werden. Alle geschlechtslose Thiere dieser Classe haben statt der Zeu - gungstheile gewisse andere Organe, wel - che einen Stoff zur Hervorbringung von Kunstwerken liefern, und alle wenden auch diesen Stoff zur Bildung der letz -I. Bd. Aatern370tern entweder ihr ganzes Leben hin - durch, oder bis zu ihrer Verwandlung an. Indeſs läſst sich dieser Satz nicht umkehren. Es giebt Insekten, z. B. die Spinnen, welche aus einem, durch eigene Organe zubereiteten Stoff Kunstwerke verfertigen, ohne darum geschlechts - los zu seyn.
Die bisher erwähnten Eingeweide sind insge - sammt mit sehr vielem Fett umgeben, worin sich zahlreiche Luftröhrenzweige verbreiten. In vor - züglich groſser Menge findet man diese Substanz bey den Larven, und besonders um den Darmcanal. Bey der Larve der Phalaena Cossus, des Sphinx li - gustri und bey mehrern andern Raupen ist dieser Canal, nebst den Leber -, Speichel - und Seidenge - fäſsen von allen Seiten mit einer Fettmasse umge - ben, welche Windungen bildet, die denen des menschlichen Gehirns nicht unähnlich sind.
Um dieses Gemählde von der Organisation der Insekten vollständig zu machen, müssen wir noch der Verschiedenheiten, die sich in der Struktur des Herzens und der Luftröhren dieser Thiere finden, und ihrer Verwandlungen erwähnen.
Die Verschiedenheit des Herzens der Insekten scheint indeſs blos in der Länge und Weite dessel - ben zu bestehen, also von nicht groſser Bedeutung zu seyn.
Wich -371Wichtiger ist der Unterschied, den man in dem Baue der Respirationsorgane dieser Thiere antrifft. Die Milben, Mücken, Raupen und Käfer athmen durch Luftlöcher, die an den beyden Seitenrändern des Körpers liegen, und hier variirt die Anzahl die - ser Oeffnungen eben so sehr, wie die Menge der Segmente des Körpers. Bey den Afterspinnen (Pha - langium) findet man vier Oeffnungen der Luftröh - ren, zwey oben auf dem Körper, nahe beym An - fange der Vorderfüſse, und zwey gröſsere unter den Oberschenkeln der Hinterfüſse. Die Libellen haben in ihrem vollkommenen Zustande nur zwey Luftlö - cher an der Brust. Die Larven der Libellen und mehrerer Mücken, so wie das Geschlecht Nepa, ath - men durch zwey Oeffnungen, die sich an dem äus - sersten Ende des Schwanzes befinden und sich bey der Nepa in lange Röhren endigen.
Bey den Milben, Mücken, Raupen und Käfern entsteht aus jedem Luftloche eine cylindrische Luft - röhre, die mit denen der beyden nächsten Oeffnun - gen von derselben Seite anastomosirt. Durch diese Anastomosen werden zwey groſse, sowohl oben, als unten etwas eingedrückte Luftröhrenstämme ge - bildet, die zu beyden Seiten des Körpers hinlaufen, und bey jedem Ringe des Körpers, ausgenommen die beyden vordersten, einen Schlieſsmuskel haben. Bey den Raupen bleiben die Zweige dieser Stämme während ihrer Vertheilung immer cylindrisch; beyAa 2den372den Käfern aber schwellen ihre Ramifikationen zu ovalen Bläschen an, welche nicht, wie die Tra - cheen, aus einem spiralförmig gewundenen, knor - pelartigen Drathe, sondern aus einer einfachen Membran bestehen, und daher nicht, wie die letz - tern, immer offen sind, sondern beym Austreten der Luft zusammenfallen. Bey den Libellen erweitern sich die beyden Hauptstämme der Luftröhren bald nach ihrem Ursprunge aus den Luftlöchern zu ähn - lichen, aber noch weit gröſsern Luftblasen, wie bey den vorigen, und aus diesen begeben sich Zweige von Luftröhren, welche ebenfalls bey ihren Rami - fikationen sich in Bläschen erweitern, zu den sämmtlichen Organen. Die Larven mehrerer Libel - len und Mücken haben groſse cylindrische Luftröh - renstämme, die sich von den am Schwanze liegen - den Luftlöchern zu beyden Seiten des Leibes bis zum Kopfe hinschlängeln, und sich mit cylindri - schen Seitenästen durch den Körper verbreiten. Zugleich aber trifft man bey mehrern von diesen, z. B. den Larven der Ephemeren, kiemenartige Blät - ter an, worin sich zahlreiche Luftröhrenzweige ver - theilen. Bey einigen, die nicht solche Blätter ha - ben, sind die Luftlöcher am Schwanze mit einem Cirkel von gefiederten Borsten umgeben. Dies ist z. B. der Fall bey der Larve der Musca Chamaeleon.
Es giebt einige Insekten, die ihr ganzes Leben hindurch die nehmliche Gestalt behalten, womit sieaus373aus dem Ey hervorgehen. Diese Insekten sind die sämmtlichen Geschlechter aus der Familie der Spin - nen, und mehrere aus den beyden Ordnungen der Asseln und Milben. Alle übrige Thiere dieser Classe erleiden während ihres Lebens eine partielle oder totale Verwandlung. Sie kommen als Larven aus dem Ey, gehen aus diesem Zustande in den der Puppen über, und werden hieraus in vollkom - mene Insekten verwandelt. Da, wo die Me - tamorphose nur partiell ist, unterscheidet sich die Larve von der Puppe und diese von dem vollkom - menen Insekt gröſstentheils nur in der geringern Anzahl, oder in der geringern Ausbildung ihrer Organe. Hingegen bey der totalen Verwandlung findet keine Aehnlichkeit zwischen der Larve, der Puppe und dem vollkommenen Insekt statt. Die Larve, die immer ungeflügelt ist, nähert sich in ih - rer äussern Struktur den Asseln, oder den Wür - mern. Sie hat entweder gar keine Zeugungstheile, oder doch nur bloſse Rudimente derselben. Der Nahrungscanal hat meist die entgegengesetzte Struk - tur von der, die sich bey dem vollkommenen Insekt findet. Er ist kurz, weit und gerade bey jener, wenn er bey diesem lang, eng und gewunden ist; und umgekehrt. Im erstern Falle hat die Larve, wie schon oben bemerkt ist, mehr Articulationen, als das vollkommene Insekt; im umgekehrten Falle findet das Gegentheil statt. Die Puppe hat entwe - der keine, oder unbewegliche äussere Gliedmaaſsen. Aa 3Und374Und bey dem vollkommenen Insekt ist keine Spur mehr von dem übrig, was das Thier in seinem Larvenzustande war(s)Lyonnet tr. de la chenille du saule. p. 583: Devenu Phalène, on n’y trouve presque plus aucnne trace de ce qu’ il étoit dans son état de Chenille. Ce nombre prodigieux de muscles, repandus dans tout son corps, et arrangés avec tant d’ordre, a disparu dans la Pha - lène, pour faire place à des muscles d’une forme et d’une structure entièrement différente. Il n’y reste plus que quelques debris grossiers de l’Oesophage, du Ventricule, des Intestins, et des Vaisseaux soyeux et dissolvans. L’Oeconomie du Coeur est entièrement changée, de même que celle des Nerfs, dont neuf ganglions ont disparu. Les Bronches n’ont plus qu’une seule tunique. La plûpart ont perdu leur usage, et ne tiennent à rien. En la place de tout celà, l’on trouve une Tête entièrement nouvelle, à tous égards différente de celle de la Chenille, et pourvüe de plus de vingt et deux mille yeux, dont chaque oeuil est probablement un Telescope à trois lentilles pour le moins. Un corcelet, dont la charpente écail - leuse, intérieure et extérieure, forme un assemblage très composé de pièces d’une structure fort singulière, auquel tiennent des muscles aussi singuliers, qui font agir des jambes, bien différentes des premières, et des ailes d’une composition admirable. Un Corps, qui renferme, dans les Femelles, un uterus, un ovaire, remplis de quelques centaines d’oeufs, des vaisseaux, dont le suc rend les oeufs gluans, et un instrumentarti -.
Wir375Wir haben im Anfange dieses Capitels die In - sekten nach der Verschiedenheit ihrer Bewegungs - organe in zehn Familien eingetheilt. Es würde uns jetzt noch obliegen, für jede dieser Ordnungen auch Charaktere, die von ihrer innern Organisation her - genommen wären, anzugeben. Bey der geringen Anzahl von Insekten, die bis jetzt mit hinreichen - der Genauigkeit zergliedert sind, und der groſsen Menge von Geschlechtern und Arten, welche diese Thierclasse enthält, ist es indeſs unmöglich, ana - tomische Kennzeichen, die auch nur auf den gröſsern Theil jeder Familie paſsten, mit Sicherheit aufzustellen. Wir müssen uns daher begnügen, dem folgenden Verzeichnisse eine Recapitulation dessen beyzufügen, was schon oben über die Ver - schiedenheit der Insekten in Ansehung ihrer äussern Organisation und ihrer Metamorphose gesagt ist.
Keine Flügel. Kopf und Brust bestehen nur aus einem einzigen Stücke, und blos dieses ist mitFüſsen(s)artistement composé, et très agile pour pondre les oeufs. Dans le Corps des Mâles, on ne voit rien de pareil, mais en la place on y trouve les parties pro - pres à la génération, et à l’accouplement.Aa 4376Füſsen versehen. Kleine, oder gar keine Kinn - laden. Keine Verwandlung.
Keine Flügel. Ein distinkter Kopf. Zahlreiche Artikulationen des Leibes und eine groſse Men - ge Füſse. Kinnladen. Keine Verwandlung, oder höchstens eine partielle, welche blos in dem Anwachse neuer Füſse besteht.
Keine Flügel. Ein distinkter Kopf. Sechs bis acht Füſse. Bey den drey ersten der folgenden Geschlechter Kinnladen; bey den drey folgen - den Saugrüssel. Keine Verwandlung, oder nur eine solche partielle, wie bey einigen Asseln statt findet, ausgenommen den Floh.
Zwey Flügel. Zwey Flügeldecken, die an der Basis hornartig, an der Spitze häutig sind. Eine artikulirte, mit Stacheln besetzte und an ihrer Basis mit einer Oberlippe bedeckte Saug - röhre. Eine partielle Verwandlung.
Zwey Flügel. Zwey Flügeldecken, die zur Hälfte hornartig, und zur Hälfte membranös sind.
Aa 5Kinn -378Vier häutige Flügel, die mit gitterförmigen Luft - adern durchzogen sind. Kinnladen. Eine par - tielle Verwandlung.
Vier Flügel, die mit farbigen Schuppen bedeckt sind. Ein doppelter spiralförmiger Saugrüssel. Eine totale Verwandlung.
Vier häutige Flügel, die mit ästigen Luftröhren durchzogen sind. Eine Unterlippe mit einer Zunge. Zwey Kinnladen mit einem membra - nösen Fortsatze zur Bedeckung der Zunge. Zwey Freſsspitzen. Eine vollkommene Ver - wandlung.
Zwey Flügel. Zwey Balancierstangen. Stachel - förmige Saugrüssel, welche ausser der Zeit des Gebrauchs mit einer Scheide bedeckt sind. Eine vollkommene Verwandlung.
Zwey Flugel. Zwey hornartige Flügeldecken. Sechs Fuſse, zwey an der Brust vor den Flü - geln. Zwey Kinnladen. Zwey Freſsspitzen. Eine Unterlippe, die auf einem eigenen schup - penartigen Theile (Ganache) ruhet. Eine voll - kommene Verwandlung.
Indem die Natur von gewissen Formen des Lebens zu andern übergeht, beobachtet sie in einigen Or - ganen eine Gradation, und vereinigt mit diesen an - dere, wobey keine solche Stufenfolge, oder oft gar eine entgegengesetzte bemerkbar ist. Vorzüglich ist die Classe der Würmer nach dieser Regel gebil - det. In dem Gefäſs - und Nervensystem herrscht hier eine noch gröſsere Einfachheit, als bey den Mollusken, Crustaceen und Insekten. Alle übrige Organe jener Thiere kommen mit denen der letztern gröſstentheils überein.
Das Gefäſssystem besteht in zwey oder meh - rern Stämmen, die sich der Länge nach durch den Körper neben dem Nahrungscanale hinschlängeln, und von welchen einige den Arterien, die übrigenden385den Venen der höhern Thierclassen ähnlich zu seyn scheinen. Aber es giebt hier kein wahres Herz, und der Umlauf der Säfte scheint von dem der er - wähnten Thierclassen sehr verschieden zu seyn.
Das Nervensystem hat sich bey allen Würmern, wo es bis jetzt gefunden ist, immer als ein einfa - cher Markstrang gezeigt, der vom Kopfe nach dem Schwanze längs dem Bauche hinläuft, und in Zwi - schenräumen Nerven in strahlenförmiger Gestalt aussendet. Noch bey keinem dieser Thiere hat sich ein Gebirn gefunden, und bey den meisten trifft man auch nicht einmal Ganglien an. Nur das Rü - ckenmark der Aphroditen und Blutigel hat an den Stellen, wo die Nerven aus demselben entspringen, geringe Anschwellungen. Auch scheint keines die - ser Thiere Augen zu haben(v)Zwar finden sich bey mehrern dieser Thiere an der Stirne schwarze Punkte, die von manchen Naturfor - schern, unter andern von O. F. Müller, für Augen angenommen sind. Aber eben dieser Schriftsteller traf eine gezüngelte Naide (Nais proboscidea) an, der diese Augen fehlten, und bey der bunten Nereide (Nereis versicolor) fand er dieselben nur an jüngern und kleinern Exemplaren; bey gröſsern und ältern schien sich oft eine geschwollene Haut über die Au - gen gelegt zu haben (Müller von Würmern des süſsen und salzichten Wassers. S. 24, 122). Dem. Fühlfäden sindver -I. Bd. Bbnehm -386vermuthlich die einzigen Sinnesorgane, welche die Natur mit dem einfachen Nervensystem der Wür - mer zu vereinigen im Stande gewesen ist.
In ihrer übrigen Organisation nähern sich die Würmer theils den Mollusken, theils den Insekten, und theils den Zoophyten. Fast jedes Wurmge - schlecht hat irgend ein Organ, bey dessen Bildung eines jener Thierclassen und dieses Reichs von le - benden Körpern zum Model gedient zu haben scheint. Jedes aber nähert sich auch im Ganzen mehr entweder den Mollusken, oder den Insekten, oder den Zoophyten.
Am nächsten mit den Mollusken, und beson - ders den Balanen, ist die Familie der Röhren - würmer verwandt, deren Unterscheidungszeichen vorzüglich in einem kegelförmigen Körper, Fühlfä - den, Kiemen, und der Vereinigung beyder Ge - schlechtsorgane in Einem Individuum bestehen.
Mehr den Insekten, vorzüglich den Asseln, nä - hern sich die Familien der Aphroditen und Nai - den, von welchen sich jene durch einen ovalenKör -(v)nehmlichen Beobachter zufolge variirt die Zahl der Augen bey der Hirudo hyalina von vier bis sechs (Müller hist. verm. V. I. P. 2. p. 49). Verdienten jene Punkte wirklich den Namen der Augen, so wä - ren dies Thatsachen, wozu noch kein analoges Bey - spiel im ganzen Thierreiche beobachtet ist.387Körper, Fühlfäden, Kiemen und getrennte Ge - schlechtstheile, diese durch einen cylindrischen, oft plattgedrückten Körper, durch den Mangel der Fühlfäden, durch die Vereinigung beyder Ge - schlechtstheile in Einem Individuum, und zum Theil auch durch den Besitz von Tracheen aus - zeichnen.
Das Meiste mit den Zoophyten haben die Ein - geweidewürmer gemein, bey welchen die strah - lenförmige Bildung gewisser, um den Mund sitzen - der Organe der allgemeinste Charakter ist.
Ein Beyspiel von der Struktur der Röhrenwür - mer giebt die cylindrische Terebelle (Terebella cy - lindraria). Der Körper dieses Thiers gleicht einem langen, etwas zusammengedrückten, abgestumpf - ten Kegel, der mit der Basis in den Kopf über - geht und an seiner abgestumpften Spitze einen kahnförmigen Fortsatz hat, an welchem der Af - ter liegt. Seiteneinschnitte theilen ihn in meh - rere Segmente, und jeder von diesen hat zu bey - den Seiten einen Fuſs, der aus einer fleischich - ten Warze mit einem Anhange von einer gleichen Substanz und einem Bündel steifer Borsten besteht. Zu beyden Seiten des Kopfs liegen zwey Kiemen - Paare, und an dem hintern Ende desselben zwey Blätter, die aus flachen, steifen, nach dem Rücken hin etwas gekrümmten und auf einander liegenden Borsten zusammengesetzt sind. Vor diesen BlätternBb 2befin -388befindet sich eine warzenförmige Erhöhung, in de - ren Mitte der Mund liegt, und welche nach hinten, unter den erwähnten Blättern, von einem halbcir - kelförmigen, mit franzenähnlichen Fühlfäden be - setzten Saume, nach vorne von zwey gröſsern und zwey kleinern Bartfasern umgeben ist. Das ganze Thier wohnt in einem conischen, aus einer theils steinichten, theils hornartigen Masse bestehenden Köcher.
Die Form des Körpers, die zahlreichen Fühlfä - den, die Kiemen und der Köcher nähern also dieses Thier den Balanen, indem die Einschnitte und Bor - stenfüſse dasselbe den Asseln ähnlich machen. Noch ähnlicher den erstern sind die Geschlechter Denta - lium und Serpula, und den letztern die Geschlech - ter der Aphroditen und Nereiden, so ähnlich, daſs auf den ersten Anblick manche dieser Würmer mit jenen Mollusken und Insekten nicht nur zu Einer Ordnung, sondern auch zu Einem Geschlechte zu gehören scheinen.
Bey der Zergliederung der erwähnten Terebelle zeigt sich eine ähnliche Organisation des Muskelsy - stems, wie bey den Insekten. Den ganzen Körper nimmt eine länglichte muskulöse Binde ein. Zu beyden Seiten des Bauchs an den Borstenfüſsen lau - fen fleischichte Bänder herab, und ausserdem ist je - der dieser Füſse noch mit eigenen Muskeln ver - sehen.
Vom389Vom Kopfe nach dem Schwanze, zwischen den beyden muskulösen Seitenbändern, läuft der Stamm der Nerven in der Gestalt eines weissen Streifens herunter.
Der Schlund steigt wie ein Faden vom Maule herab, und endigt sich in einem kleinen, ovalen, fleischichten Magen. Der Darmcanal geht von dem letztern bis auf drey Viertel der Länge des Thiers fort, steigt dann wieder herauf zum Magen, und begiebt sich nach einer zweyten Umbiegung gerade zum After. Diese drey Theile desselben sind unter einander und mit den Integumenten durch eine zarte Membran, wie durch ein Gekröse, verbunden.
Den ganzen Darmcanal begleitet ein pulsiren - des, mit rothem Blute angefülltes Gefäſs, das nach dem After hin enger, nach dem Magen zu aber wei - ter wird, und sich an dem letztern Orte in mehrere Aeste vertheilt, von welchen die beyden gröſsten zu den Kiemen gehen, zwey kleinere sich an dem Schlunde vertheilen, und ein einfacher Zweig sich neben dem Rückenmarke hinschlängelt. Ausserdem gehen zu beyden Seiten des Bauchs an den Füſsen noch zwey zarte, rothe Gefäſse fort.
Auf jeder Seite des Schlundes liegt ein darm - förmiges, sehr saftiges und weiches Eingeweide, das sich in den Darmcanal zu inseriren und dieBb 3Stelle390Stelle der Speicheldrüsen, der Leber oder des Pan - creas zu vertreten scheint.
Vor der Insertion der Kiemengefäſse und zwi - schen den eben erwähnten Eingeweiden finden sich zwey Eyerstöcke, und hinter der Insertion der Branchialgefäſse zwey Bläschen, deren jede einen groſsen Nerven aus dem Rückenmarke erhält, und welche Saamenbläschen zu seyn scheinen.
Eine ähnliche Struktur findet sich im Innern der Terebella conchilega. Die Familie der Aphrodi - ten aber unterscheidet sich von jener in mehrern Stücken.
Bey den Geschlechtern der Amphinomen und Amphitriten liegen die Kiemen nicht zu beyden Sei - ten des Kopfs, sondern zu beyden Seiten des Rü - ckens, und es findet hier kein Hermaphroditis - mus statt.
Vorzüglich zeichnet sich das Geschlecht der Aphroditen durch mehrere Eigenheiten aus. Das Muskel - und Nervensystem ist hier dem der Rau - pen sehr ähnlich. Der Schlund ist weit, und, wie bey den eben genannten Insekten-Larven, mit Mus - keln versehen, welche in die Rückenmuskeln über - gehen. Der Magen ist zum Theil knorpelartig, wie der der Hühner, und bey einigen Arten an seiner obern Mündung mit Zähnen besetzt. Der Darmca -nal391nal ist kurz, gerade und der Länge nach auf jeder Seite mit ohngefähr zwanzig ästigen Blinddärmen besetzt, die sich in länglichte Säcke endigen, und mit einem dunkelgrünen, etwas bittern Safte ange - füllt sind. Bey einigen Individuen liegt zwischen dem Darmcanale und dessen blinden Anhängen ein Gewebe von weichen, krausen Filamenten, die sich im Sommer als Eyerstöcke zeigen. Bey andern ist um die nehmliche Zeit die Bauchhöhle mit einer milchartigen, etwas zähen Materie angefüllt.
Bey den Nereiden scheinen die Kiemen am Af - ter zu liegen. Der Nahrungscanal ist eine Röhre, die sich vom Munde bis zum After in gerader Rich - tung herunterschlängelt. Das Gefäſssystem besteht in zwey Stämmen, die zu beyden Seiten dieses Ca - nals liegen, und von welchen das eine mit einer rothen, das andere mit einer weissen Flüssigkeit an - gefüllt ist. Beyde Gefäſse pulsiren; aber die Pul - sationen des einen gehen vom Kopfe nach dem Schwanze, die des andern vom Schwanze nach dem Kopfe.
Den Nereiden nähern sich mehrere Thiere aus der Familie der Naiden. Diese haben ebenfalls ei - nen langen, schmalen, in zahlreiche Abschnitte ein - getheilten Körper, und oft auch, gleich jenen, an jedem Segmente Borstenfüſse. Aber kein Thier aus dieser Familie hat Fühlfäden, und nicht alle schei -Bb 4nen392nen Kiemen zu haben, sondern einige, unter an - dern die Erdregenwürmer, durch Tracheen zu re - spiriren. Da, wo Branchien vorhanden sind, z. B. bey dem Geschlechte Nais, liegen diese am After. Die Struktur des Nahrungscanals und des Gefäſssy - stems kömmt mit der der Nereiden überein, ausge - nommen, daſs hier der After nicht immer am Ende des Schwanzes, sondern bey einigen, z. B. den Sprützwürmern (Sipunculus), am Bauche liegt und der untere Theil des Darmcanals aufwärts gebogen ist. Vorzüglich merkwürdig ist es, daſs sich bey allen Thieren dieser Familie, die genauer unter - sucht sind, immer in einem Theile des Gefäſssy - stems eine rothe Flüssigkeit gefunden hat. Im Erd - regenwurme zog sie schon die Aufmerksamkeit des Willis auf sich. O. F. Müller fand sie in den sämmtlichen Arten aus dem Geschlechte der Naiden, die er zu beobachten Gelegenheit hatte, so wie im Lumbricus tubifex und Lumbricus lineatus. Und daſs der rothe Saft der Blutigel nicht eingesogenes fremdes, sondern eigenes Blut ist, hat Cuvier ge - zeigt. In Ansehung der Geschlechtstheile ist die Familie der Naiden mit der der Röhrenwürmer ver - wandt. Sie bestehen in Saamenbläschen und Eyer - stöcken, welche ohnweit dem Kopfe liegen, und mit vielen und groſsen Blutgefäſsen versehen sind.
Die393Die Familie der Eingeweidewürmer(w)M. E. Bloch’s Abhandlung von der Erzeugung der Eingeweidewürmer. P. C. Werner vermium intestinalium etc. brevis ex - positio. J. A. E. Goeze’s Versuch einer N. G. der Eingewei - dewürmer. J. G. H. Zeder’s erster Nachtrag zur N. G. der Ein - geweidewürmer von J. A. E. Goeze. K. A. Rudolphi’s Beobachtungen über die Einge - weidewürmer, in Wiedemann’s Archiv für Zoo - logie und Zootomie. B. 2. St. 1. 2. ent - hält die untersten Stufen der thierischen Organisa - tion. An keinem dieser Körper ist bisher etwas ge - funden, was sich für Nerven, Sinneswerkzeuge, Respirationsorgane und Blutgefäſse hätte annehmen lassen, und nur die Duplicität und Symmetrie ihrer äussern Struktur, und die nahe Verwandtschaft der - selben mit der, die wir bey den Naiden antreffen, veranlaſst uns,