PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Biologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Aerzte.
Dritter Band.
Göttingen,beyJohann Friedrich Röwer.1805.
[II][III]

Inhaltsverzeichniſs.

  • Geschichte des physischen Lebens.
  • Drittes Buch. Revolutionen der lebenden Natur. S. 1.
  • Viertes Buch. Erzeugung, Wachsthum und Abnahme der lebenden Körper. S. 227.
  • Erster Abschnitt. Erzeugung. S. 231.
  • Erstes Kapitel. Keime der lebenden Körper
  • Eintheilung der letztern nach der Verschieden - heit ihrer Erzeugung. S. 231.
  • Zweytes Kapitel. Erzeugungsart der ersten Classe. S. 256.
  • Drittes Kapitel. Erzeugungsart der zweyten Classe. S. 271.
  • Viertes Kapitel. Erzeugungsart der dritten Classe. S. 342.
  • IV
  • Fünftes Kapitel. Bemerkungen über die Er - zeugung nach vorhergegangener Befruchtung. S. 366.
  • Zweyter Abschnitt. Wachsthum und Ab - nahme der lebenden Körper. S. 463.
  • Dritter Abschnitt. Versuch einer Ablei - tung der bisherigen Erfahrungssätze aus den obersten Sätzen der Biologie. S. 544.
  • Vierter Abschnitt. Bedingungen des Wachs - thums und der Abnahme der lebenden Kör - per. S. 566.
Geschich -
[1]

Geschichte des physischen Lebens.

Drittes Buch.

III. Bd. A[2][3]

Drittes Buch. Revolutionen der lebenden Natur.

§. 1.

Wir betreten einen dunkeln, nur durch schwa - che Lichtstrahlen erhellten Pfad. Unser Zweck ist, zu wissen, welche Verwandlungen die leben - de Natur erlitt, ehe sie ihre jetzige Bildung er - hielt. Was kann uns hier führen, was unsern Weg erleuchten? Mündliche Ueberlieferungen reichen nicht an die Zeiten der Urwelt. Nur die Trümmer der jugendlichen Erde, und die Hie - roglyphen, welche die Natur diesen eingrub, können uns belehren. Aber wer kann sagen, er verstehe die Sprache dieses Lehrers? Nur muthmaſsen können wir ihren Sinn, und der Spielraum für diese Muthmaſsungen ist unend - lich, weil er nicht durch Versuche beschränkt ist. Es giebt daher in diesem Abschnitt derA 2Bio -4Biologie nur wenig Sätze, worauf wir mit Sicherheit bauen dürfen. Blos auf diese be - schränken wir unsere gegenwärtigen Untersuchun - gen, und überlassen künftigen, reichlicher mit Beobachtungen versehenen Zeitaltern die vollstän - digere Darstellung der Art und Weise, wie die Urkeime der lebenden Welt sich entwickelten und die letztere diejenige Bildung erhielt, die wir in den beyden vorigen Büchern geschildert haben.

Jedes materielle System durchläuft eine Reihe von Veränderungen, die so beschaffen ist, daſs jenes nach gewissen Revolutionen irgend einem Zustande, worin es sich vorher schon einmal be - fand, wieder nahe kömmt, ohne doch mit dem - selben ganz zusammenzutreffen. Die Natur läſst sich daher unter dem Bilde einer Spirallinie dar - stellen, worin sich ein bewegter Körper jedem beliebigen Punkte immer wieder nähert, um sich immer weiter von demselben zu entfernen.

Auf diesen Satz führten uns die metaphysi - schen Untersuchungen, die wir im zweyten Ka - pitel der Einleitung über die Organisation der ge - sammten Natur anstellten(a)Biol. Bd. I. S. 50., und von ihm wer - den wir hier ausgehen. Wir werden daher er - stens auch die lebende Natur für ein Ganzes an - sehen, das in beständigen Umwandlungen vonjeher5jeher begriffen gewesen ist, noch begriffen ist, und stets begriffen seyn wird, aber auch zwey - tens in diesen Verwandlungen einen festen, ge setzmäſsigen Gang annehmen.

Jetzt laſst uns zuerst Thatsachen sammeln, und diese ordnen; laſst uns dabey von den spä - testen Zeiten zu den frühesten, wovon Denkmä - ler übrig sind, aufsteigen, und von diesen wie - der zu jenen zurückkehren; laſst uns aus jeder dieser Thatsachen die Resultate ableiten, die sich aus ihr ziehen lassen; die letztern unter einan - der vergleichen, und uns so zu immer höhern Folgerungen erheben.

§. 2.

Das Meer naget unaufhörlich an den Festen der Erde, und verändert die Gestalt derselben. Es vermindert in einigen Gegenden das feste Land, indem es in andern Gegenden dasselbe vergröſsert. Städte prangen jetzt da, wo einst die Meereswellen schäumten, und wo vormals der Fischer seine Netze warf, weidet jetzt der Hirt seine Heerden. Aber Städte und Wälder wurden auch vom Wasser verschlungen. Schon Ovid singet:

Fluctibus ambitae fuerant Antissa Pharosque Et Phoenissa Tyros, quarum nunc insula illa est. Leucada continuam veteres habuere coloni:A 3Nunc6Nunc freta circumeunt. Zancle quoque juncta fuisse Dicitur Italiae, donec confinia pontus Abstulit, et mediam tellurem reppulit unda.
(Metamorphos. 1. XV. v. 260. )

So war auch noch am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts da Meeresboden, wo nun die Stadt Hudwikswall liegt, und bey Tanum, Fellbaka, in Leksand, bey Biörkö und Wasa mähet man jährlich Gras, wo man im siebenzehnten Jahr - hundert fischte. Hingegen ist die Stadt Done - wich in der Grafschaft Suffolk mit dem angrän - zenden Lande jetzt gröſstentheils vom Wasser be - deckt, und bey Landscron flieſst die See über einem ehemaligen Buchenwalde(b)Bergmann’s physikal. Erdbeschreibung. 3te Aufl. B. 2. S. 196 ff..

Aehnliche, aber schnellere Veränderungen werden durch Ausbrüche von Vulcanen und Erd - beben hervorgebracht. Die Erdrinde zerreiſst, sinket an einigen Stellen, und erhebt sich in an - dern Gegenden; neue Inseln gehen aus dem Mee - re hervor, und alte verschwinden in der Tiefe des Oceans. Thera, Therasia, Delos, Rohdus, Anaphe, Nea, Halope, Hiera, Thia, und viele andere Inseln wurden auf diese Art erzeugt. Aber Chryse sank bey demselben Zufalle, der Hiera hervorbrachte, und Trinidad wurde imJahre7Jahre 1766 durch ein Erdbeben so verändert, daſs die höchsten Berge zu Ebenen herabsanken(c)Bergmann a. a. O. S. 152. Lulolf’s Einleitung zu der mathem. und physikal. Kenntniſs der Erdku - gel. Uebers. von Kästner. S. 151 ff..

Oft sinket auch der Boden, untergraben von unterirdischem Wasser, ohne Spuhren eines Erd - bebens. Borge, ein Ort bey Friedrichshall in Norwegen, sank im Jahre 1702 zu einer Tiefe von 100 Faden, und hinterlieſs einen Sumpf von 3 bis 400 Ellen in der Länge, und ohngefähr 200 in der Breite. Die Insel Pontico bey Negroponte verschwand mit vielen andern benachbarten Inseln im Jahre 1758 ohne Merkmale von Erdbeben, und ein Stück der Insel Banda Necra von 5 Meilen im Umkreise im Jahre 1763(d)Bergmann a. a. O. S. 143.. Eben dies war das Schicksal der neuen Goubermanns Inseln, welche etwa 4 Französische Meilen von Sandeneſs zwischen Patrixfiord und Cap Nord lagen, und alle plötzlich versanken(e)Pennant’s Thiergesch. der. nördl. Polarländer. Th. 2. S. 60. 61..

Winde, Regen und Ueberschwemmungen ver - ändern ebenfalls die Oberfläche der Erde. Selbst die athmosphärische Luft verwandelt alles, wasihremA 48ihrem Einflusse ausgesetzt ist. Alles Oxydirbare wird früh oder spät von ihr gesäuert; alles ver - wittert und zerfällt, und daſs selbst die Felsen diesem Schicksale nicht entgehen, sieht man in Finnland an der Landstraſse, die von Âbo nach Wiborg führt, wo es groſse, mit Steinbrech (Sa - xifraga) bewachsene Hügel giebt, die ganz aus einer verwitterten Art von Feldspath bestehen(f)Abilgaard, Abhandl. der Schwed. Akad. 1757. S. 215. Tilas ebendas. S. 219..

Bedarf es nach diesen Thatsachen noch wei - terer Gründe, um darzuthun, daſs nichts auf Er - den ruhend, alles in ewigen Verwandlungen be - griffen ist? Und ist es nöthig, zu zeigen, daſs durch diese Veränderungen auch die lebende Na - tur verändert werden muſs?

§. 3.

Aber die lebende Natur verändert wechselsei - tig die Gestalt und Beschaffenheit des leblosen Theils der Erde. Myriaden von Thieren, Zoo - phyten und Pflanzen vermodern täglich in dem Schooſse dieser Mutter alles Lebendigen, und schwängern die Luft, das Wasser und die Erde mit neuen Stoffen, und diese Stoffe verbinden sich zu neuen Körpern und Formen. Ein Bey - spiel giebt die Entstehung des Sumpfeisensteinsund9und des Wiesenerzes. Aus den abgestorbenen und in Gährung übergehenden Pflanzentheilen entbindet sich eine vegetabilische Säure, welche von dem Quell - und Regenwasser aufgelöset wird, und dieses tüchtig macht, die Eisentheile aus den Erden und Steinen, worüber es flieſst, auszulau - gen. Die aufgenommenen Eisentheile führt das Wasser mit sich in die Sümpfe, worin es sich ergieſst, und läſst dieselben hier beym Verdün - sten wieder fallen. Auf diese Art sammelt sich auf dem Boden stehender Gewässer eine Schichte gelblichbraunen Eisenokers an, welche immer stärker und fester wird, und den Sumpfeisen - stein bildet. Trocknet endlich der Sumpf ganz aus, so erhärtet dieser Eisenstein noch mehr, und geht in Wiesenerz über(g)Kronstädt’s Vers. einer Mineralogie. Uebers, von Werner. B. 1. Th. 1. S. 7.. So bildet ein vormaliger Bestandtheil vegetabilischer Organismen einen neuen Körper des Mineralreichs.

Moräste und Sümpfe werden durch Pflanzen in festes Land verwandelt. An den Ufern ste - hender Gewässer wachsen verschiedene Arten der Nymphaea, Typha, des Sparganium, Potamoge - ton, die Zanichellia palustris, Stratiotes aloides, Conferven und Ceramien. Diese brechen die Be - wegung des Wassers, nehmen den angespühltenSchlammA 510Schlamm auf, und verfaulen endlich. Hierdurch bildet sich allmählig Land, welches anfangs mit Erlen, Weiden u. d. gl. in der Folge mit gröſserm Holze bedeckt wird. So geht endlich der ganze Sumpf in einen mit Büschen bedeckten Boden über. Abilgaard erwähnt einer Gegend in Nor - wegen, welche ehedem aus lauter kleinen Seen bestand, und jetzt ganz in ein Torfmoor verwan - delt ist.

Sogar Inseln verdanken lebenden Körpern ihr Entstehen. Ein groſser Theil der Inseln des stil - len Meers wurde durch die üppige Vermehrung und Ausbreitung der Corallen erzeugt(h)Biol. Bd. 2. S. 155. 437.. Mu - scheln trugen ebenfalls und tragen noch heut zu Tage zur Bildung neuer Küsten und Inseln bey. Schöpf sahe bey York in Virginien eine mit et - was Sand und Letten vermischte Muschelbank unter einem Sandbette von ohngefähr 30 Fuſs Tiefe. Die Muscheln waren nicht versteinert und es fanden sich keine Arten darunter, welche nicht jetzt noch an der östlichen Küste von Ame - rika beynahe überall angetroffen werden(i)Schöpf’s Reisen in den vereinigten Nordamerikan. Staaten. Th. 2. S. 127.. Aehn - liche Muschelberge, die sich in Bohus finden, beschreibt Linné in seiner Westgothischen Reise. Diese liegen auf dem festen Lande an manchenOrten11Orten fast eine viertel Schwedische Meile von der See, aber gleich unter der seichten Damm - erde; ihre Schaalen sind unverändert, und beste - hen ebenfalls aus solchen Arten, deren Originale noch an der Schwedischen, Norwegischen, Eng - lischen und Französischen Küste leben.

In dem Clima können Ursachen, welche ge - ring zu seyn scheinen, sehr wichtige Verände - rungen hervorbringen. Baco erzählt, daſs zu der Zeit, als Gascogne unter Englischer Herr - schaft stand, dem Könige von den Einwohnern von Bourdeaux und den umliegenden Gegenden eine Schrift mit der Bitte übergeben sey, das Verbrennen der Heiden in Sussex und Hampton zu verbieten, weil daraus am Ende des Aprils ein Wind entstände, der ihren Weinbergen nach - theilig wäre(k)Baconi hist. vent.. Die Geschichtschreiber des Kriegs zwischen den Venetianern und Uscochen versichern, die Einwohner von Zeng hätten gro - ſse Feuer in den Wäldern angezündet, und da - durch einen heftigen Wind erregt, der die feind - lichen Schiffe verhinderte zu landen, und sie zuweilen zu Grunde richtete(l)Fortis Reise in Dalmatien. Th. 2. S. 159.. Ist es also nicht wahrscheinlich, daſs das Clima auch von der lebenden Natur sehr abhängig ist, und daſs keine wichtige Revolutionen in der letztern ohnegleich -12gleichzeitige Veränderungen des erstern statt finden?

Diese Vermuthung wächst fast bis zur Ge - wiſsheit, wenn man erwägt, was das Clima Ita - liens und der Gegenden am schwarzen Meere noch zu den Zeiten des August und seiner Nach - folger war, und was dieses jetzt ist. Virgil spricht von den Flüssen Calabriens und Juvenal von der Tiber als zugefroren. Laurentinum am Ausflusse der Tiber hatte zu den Zeiten des Pli - nius keinen so gelinden Winter, um Myrthen, Oel - und Lorbeerbäume zu beherrbergen, da doch die letztern jetzt in England ausdauern. Virgil giebt Mittel an, das Vieh vor dem Schree und Eise zu schützen, und Aelian, den Aal unter dem Eise zu fangen, Mittel, die jetzt in Italien ganz überflüssig sind. Ovid beschreibt das schwarze Meer als so stark im Winter gefroren, daſs die Sarmater darüber fuhren; in dem jetzi - gen Temeswar fror, seiner Beschreibung nach, der Wein, und man theilte ihn stückweise aus. Alles dies paſst jetzt nicht mehr auf jene Gegen - den(m)Vergl. Mann, Hist. et commentat. Acad. scient. Theodoro - Palat. Vol. VI physicum.. Aber woher diese Veränderungen, als von dem Aushauen der groſsen Waldstrecken, dem Austrocknen der vielen Sümpfe, und der Cultur der Wüsteneien, woraus zu den Zeitender13der Römer gröſstentheils das nördliche Europa bestand? Frankreich hatte noch im Jahre 1543 so harte Winter, daſs der Wein, nachdem er mit Aexten zerhauen war, den Soldaten in Körben zugetheilt werden konnte(n)De Serres inventaire general de l’Hist. de France. Vol. 2. p. 231. Zimmermann’s geogr. Gesch. des Men - schen. B. 3. S. 210.. Einen noch neu - ern Beweis giebt Pensylvanien, in welchem schon seit der kurzen Zeit, da es urbar gemacht ist, sowohl die Winterkälte, als die Sommerhitze weit gelinder geworden ist(o)Bergmann a. a. O, S. 210..

Holzungen äussern auch einen groſsen Ein - fluſs auf die Menge des fallenden Regens. Seit - dem auf den capverdischen Inseln und auf Bar - bados die ehemals bewaldeten Höhen ihrer Bäume beraubt sind, regnet es dort oft in mehrern Jah - ren nicht, und von eben diesem Mangel an Hol - zungen rührt es auch her, daſs in Aegypten der Regen eine so groſse Seltenheit ist.

§. 4.

Veränderungen des Clima müssen wieder ge - genseitig den wichtigsten Einfluſs auf die lebende Natur äussern. Hiermit stimmt auch die Ge - schichte überein. Julius Cäsar erwähnt einesThiers14Thiers unter dem Namen Urus(p)J. Caesar de bello Gall. L. VI. C. XXVIII., der ältere Plinius eines Bison(q)C. Plinii nat. hist. L. VIII. C. XV., und Oppian eines Pi - ston(r)Oppian. Cyneget. L. II. l. 160., die nichts anders als Auerochsen (Bos taurus) oder Bisonten (Bos Bison) gewesen seyn können. Der Urus des Cäsar lebte im Hercini - schen Walde, der Bison des Plinius ebenfalls in Germanien, und der Piston des Oppian bey den Pistonern in Thracien. Aber jetzt giebt es in diesen Ländern keine Auerochsen und keine Bi - sonten mehr. Polen und Litthauen sind die ein - zigen Gegenden von Europa, wo dieselben noch gefunden werden(s)Zimmermann a. a. O. B. 1. S. 153. B. 2. S. 84..

Ein anderes Thier, das jetzt keine andere Theile von Europa als Liefland, Preussen, Cur - land, Polen und Litthauen bewohnt(t)Zimmermann ebendas. B. 1. S. 263. 264., das sich aber zu den Zeiten des Julius Cäsar ebenfalls im Hercinischen Walde aufhielt(u)J. Caesar l. c. C. XXVII., ist das Elenn (Cervus Alces).

Ferner beschreibt Cäsar ein Thier, das zu seiner Zeit in den groſsen Waldungen von Deutsch - land einheimisch war, und welches kein anderesals15als das Rennthier (Cervus Tarandus) seyn kann(v)J. Caesar l. c. C. XXVI.. Ja, noch vierzehnhundert Jahre nachher spricht Gaston Phoebus, der Verfasser eines Jagdbuchs, von dem Rennthiere unter dem Namen Rangier oder Ranglier, als einem Wildprett, welches damals in den Wäldern von Frankreich einheimisch war(w)La venerie de Gaston Phoebus, imprimé à la suite de celle de Jacques Dufoilloux. Paris. 1614. p. 97.. Und wo ist jetzt der Aufenthalt dieses Thiers? Erst jenseits dem 61ten Grade der Breite fängt derselbe heut zu Tage in Europa an(x)Zimmermann a. a. O. B. 1. S. 260..

In neuern Zeiten haben sich die Bieber im - mer mehr aus den Ländern der wärmern Zone entfernt. Ehedem fand man sie am schwarzen Meere, in Italien, Aegypten und Persien. Jetzt gehen sie nicht weiter nach Süden, als bis zum 43ten Grade nördlicher Breite(y)Zimmermann a. a. O. S. 272..

So wie sich diese Thiere von Süden nach Norden zurückgezogen haben, so sind andere aus südlichern Gegenden nach den nördlichen Län - dern herübergewandert. Der Liguster - Sphinx (Sphinx ligustri L.) und der Todtenkopf (Sphinx atropos L.), zwey Arten von Schmetterlingen,die16die eigentlich die südlichen Theile von Europa und Nordafrika bewohnen, scheinen seit der Mit - te des vorigen Jahrhunderts in Deutschland weit gemeiner geworden zu seyn(z)Zimmermann a. a. O. B. 3. S. 212. Die Blatta Orientalis L. soll ebenfalls aus dem Orient nach Eu - ropa gekommen seyn. Ich weiſs aber nicht, wor - auf sich diese Behauptung stützt. Schon Matthio - lus, der vor mehr als 200 Jahren schrieb, erwähnt jenes Thiers.. Eine ähnliche Veränderung hat sich in Nordamerika mit dem Aufenthalte des Virginischen Beutelthiers ereignet, das sich in neuern Zeiten auf der südlichen Seite des Delaware in Neu-Yersey eingefunden hat(a)Biol. Bd. 2. S. 175..

§. 5.

Aber nicht nur die lebende und die leblose Natur verändert sich wechselseitig; auch die ein - zelnen Arten und Individuen der lebenden Orga - nismen stehen in einer Wechselwirkung, bestim - men und beschränken einander bey ihrer Verbrei - tung. Vögel folgen der Cultivirung und werden in neuen Gegenden einheimisch. Der Kreutz - schnabel (Loxia curvirostra) folgte dem Apfel nach England. Glenco in den Hochländern von Schott - land hatte keine Rebhühner, und Siberien keine Sperlinge, bis in jener Gegend Korn gebauet,und17und in diesem Lande die ungeheuren Wüsten desselben urbar gemacht wurden. Der Reisam - mer, der zu Cuba einheimisch ist, verläſst jähr - lich, seitdem in Carolina Reisfelder sind, in My - riaden jene Insel, um an der Erndte in Carolina Theil zu nehmen(b)Pennant’s Thiergesch. der nördl. Polarländer. Th. 1. S. 8..

§. 6.

Ehe wir jetzt weiter gehen, müssen wir eine Schwürigkeit, die uns im Wege zu stehen scheint, wegräumen. Bey den Thatsachen nehmlich, die wir bisher zum Beweise der Abhängigkeit des Clima von der lebenden Natur und einzelner Theile der letztern von andern angeführt haben, war immer der Mensch die erste Triebfeder. Al - les aber, was von diesem der Natur aufgedrun - gen wird, ist unbeständig und von kurzer Dauer. Es giebt eine Insel, die einem irdischen Para - diese glich, so lange die Spuhren des Fleisses von mehr als 30000 Menschen, denen sie einst zum Wohnplatze diente, auf ihr übrig waren. Diese ist Tinian. Krankheiten und Barbarey ent - völkerten sie, und schon nach dem vierten Thei - le eines Jahrhunderts war dieses Eden in eine Wüste verwandelt(c)E. Earchand’s Reise um die Welt. B. 2. Kap. 7.. So kehrt alles in dieHandIII. Bd. B18Hand der Natur zurück, sobald die Thätigkeit des Menschen zu erschlaffen anfängt. Daſs also Veränderungen der lebenden Natur Einfluſs auf das Clima äussern, daſs dieses wieder auf die lebende Natur einwirkt, daſs der Aufenthalt und die Verbreitung einzelner Arten von Thieren und Pflanzen durch andere Arten verändert wird, folgt allerdings aus den angeführten Thatsachen. Allein es läſst sich in Zweifel ziehen, ob diese Veränderungen auch ohne Zuthun des Menschen erfolgt seyn würden, und dem Gange der sich selber überlassenen Natur gemäſs sind.

Diese Schwürigkeit ist indeſs gehoben, so - bald sich zeigen läſst, daſs ähnliche Veränderun - gen, wie der Mensch in dem Organismus der Erde hervorbringt, endlich auch ohne seine Hül - fe erfolgen. Dieser verändert das Clima durch Austrocknen der Sümpfe und Aushauen der Wäl - der. Aber daſs die Natur, sich selber überlas - sen, ebenfalls stehende Gewässer in Land ver - wandelt, haben wir schon oben gesehen, und daſs auch die Vegetation der Wälder ein gewisses Ziel hat, beweisen die Orkneys-Inseln, und die Schettländischen Inseln. In dem Kirchsprengel St. Andrew auf den Orkneys, in North Maven und zu Foela auf den Schettländischen Inseln, wo jetzt gar kein Holz mehr gezogen, und selbst niedriges Gebüsch nur mit groſsen Schwürigkei -ten19ten unterhalten werden kann, werden oft ansehn - liche Strecken Landes mit Ueberbleibseln groſser Bäume angefüllt entdeckt, und dies geschieht ge - wöhnlich, wenn ein heftiger Sturm die darauf liegenden Sandschichten weggewehet hat. Sie lie - gen in einem morastigen Boden, oft 10 Fuſs un - ter dem Torf. Einige stehen aufrecht, wie sie gewachsen sind, andere liegen horizontal, und zwar so, als ob sie alle durch einen Sturm, oder durch eine Ueberschwemmung umgeworfen - ren(d)Pennant a. a. O. Th. 2. S. 38.. Warum ist die Vegetation jetzt nicht mehr so kraftvoll in jenen Gegenden? Zum Theil ist wohl der Grund in einer Veränderung des Clima zu suchen. Aber diese Ursache allein ist zur Erklärung jener Thatsachen nicht hinreichend. Denn Norwegen und Notka - Sund sind kälter, als jene Inseln, und doch wachsen in diesen Ländern Bäume von einer ungeheuren Höhe und Dicke(e)Biol. Bd. 2. S. 428.. Ich glaube daher, daſs der Boden eben sowohl durch Wälder, wie, der täglichen Erfahrung nach, durch den Anbau des Getreides endlich erschöpft wird, und daſs hierin die Hauptursache der erstorbenen Vegetation mancher Gegenden zu suchen ist.

Ferner bringt die Natur ohne Zuthun des Menschen auch in dem Aufenthalte und der Ver -brei -B 220breitung einzelner Arten von lebenden Körpern Veränderungen hervor, indem sie die Wohnorte anderer Arten verändert. Durch den Golfstrohm von Mexico werden die Saamenkörner der Mi - mosa scandens, Dolichos urens, Guilandina Bon - duc und Bonduccella, und anderer Westindischer Gewächse, Amerikanische Schildkröten und Ue - berbleibsel von Schiffen bis nach den Hebriden, ja bis nach Norwegen und dem nördlichen Asien getrieben(f)Sloane, Phil. Trans. n. 222. Pennant Voyage to the Hebrides. p. 232. 233. Linnei amoen. acad. Vol. VII. p. 477. Schöpf’s Reisen durch die vereinigten Staaten von Nordamerika. Th. 2. S. 399 ff.. Es ist leicht einzusehen, wie auf diese Art die Verbreitung der Pflanzen, und also auch die der Thiere, die von jener abhängt, ohne Hülfe von Menschenhänden sich verändern kann.

§. 7.

Als ausgemacht können wir also jetzt den Satz annehmen, daſs der Organismus der leben - den Natur eben so wohl, als alles Uebrige, was im Raume und in der Zeit existirt, unaufhörli - chen Verwandlungen unterworfen ist. Alle That - sachen, die wir bisher zum Beweise dieser Meta - morphosen angeführt haben, betrafen indeſs nur die Verbreitung der lebenden Körper. Aber soll - te nicht auch die Organisation dieser Körper sichver -21verändern? Sollten nicht ganze Arten unterge - hen, und neue ihre Stelle einnehmen?

Ohnstreitig verhält es sich so. Wo ist jetzt der Bonasus der Alten, ein Thier, das sich in Päonien aufhielt, die Gestalt des Ochsen, die Mähne des Pferdes und einwärts gebogene, zum Kampfe untaugliche Hörner hatte, und auf der Flucht einen brennenden Unrath weit von sich warf(g)Aristotelis hist. anim. L. II. C. 5. Plinii nat. hist. L. VIII. C. 15.? Wo das Scandinavische Thier Machlis, das dem Elenn ähnlich war, aber nicht nieder - knien konnte, und deswegen gelehnt an einem Baume schlief(h)Plinius l. c.? Doch, warum suchen wir auch Beweise in den Schriften der Alten, deren Beschreibungen freylich zum Theil blos auf - rensagen beruhen, da selbst die neuere Geschich - te Beyspiele von untergegangenen Arten enthält? Die Gattung des Alpensteinbocks hat sich in der Schweitz seit 200 Jahren so vermindert, daſs die - ses Thier vielleicht in einigen Jahrhunderten dort nicht mehr vorhanden seyn wird(i)Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 3. S. 176.; die des Dudu (Didus ineptus L.) ist wahrscheinlich schon verschwunden(k)Blumenbach’s Abbildungen naturhistorischer Ge - genstände. H. 4. n. 35.. Unter den Pflanzen sind ver -muth -B 322muthlich die Disa longicornis, Serapias tabularis, das Origanum Tournefortii und die Fagraea Cey - lanica im Begriffe, sich zu verliehren. Die bey - den ersten wurden von Thunberg blos auf einem einzigen Fleck des Tafelberges am Vorgebirge der guten Hoffnung entdeckt; das dritte fanden Tour - nefort und Sibthorp nur auf einem einzigen Felsen der kleinen Insel Amorgos im Archipelagus des mittelländischen Meers; die vierte traf Thun - berg nur einmal an einer einzigen Stelle auf Ceylon, und sonst nirgends, an. Die Fagraea Ceylanica war auch den Einwohnern von Cey - lon so unbekannt, daſs sie keinen inländischen Namen dafür anzugeben wuſsten(1)Neue Abhandl. der Schwed. Akad. Th. 3. S. 125.. Keine Gat - tung aber kann aus der lebenden Natur verschwin - den, ohne daſs die Organisation der letztern da - durch verändert wird; der Untergang einer Art muſs nothwendig die Entstehung einer andern zur Folge haben. So werden vielleicht neue Thiere und Pflanzen erzeugt, die wir als neu entdeckte in unsere Verzeichnisse der Natur - produkte eintragen, denen aber eigentlich der Name neu entstandene gebührt.

Solche Arten. die schon in den ersten Zeiten der Menschengeschichte vorhanden waren, und sich bis auf den heutigen Tag fortgepflanzt ha - ben, sind zum Theil von ihrer ehemaligen Ge -stalt23stalt beträchtlich abgewichen. Selbst der Mensch hat nicht mehr ganz dieselbe Bildung, die er in dem Zeitalter besaſs, aus welchem die Aegypti - schen Mumien herrühren. An vielen dieser äl - testen Ueberbleibsel des frühern Menschenge - schlechts sind die Schneidezähne nicht, wie bey uns, einem Meisel, sondern einem abgestumpf - ten Kegel ähnlich, und gleich den Backenzähnen mit einer platten Krone versehen. Die Eckzähne haben nicht eine Spitze, sondern sind oben so breit und platt, daſs sie sich blos durch ihre Lage von den Backenzähnen unterscheiden las - sen. Das Gesicht ist länglicht, aber nicht ma - ger; die Stirne niedrig, klein, vorne rund ge - wölbt, aber auf den Seiten ganz flach gedruckt, und von den Backenknochen und den Schläfen nach dem Scheitel conisch zulaufend; die Nase groſs, und unten breit; der Mund klein; die Lippen sind wulstig aufgeworfen und hervorste - hend; die Ohren groſs und hochliegend(m)Blumenbach im Göttingischen Magazin von Lichtenbero u. Forster. Jahrg. 1. S. 1. S. 109 ff.. Was kann der Art nach abweichender von der Gestalt aller jetzigen Menschenracen seyn, als diese Bildung? Würde ein Naturforscher, der eine solche Abweichung zwischen andern Thieren von einerley Geschlechte anträfe, Bedenken tra -gen.B 424gen, diese zu einer specifischen Verschiedenheit zu erheben?

§. 8.

Diese Veränderungen können indeſs seit je - ner Zeit. wovon Denkmäler menschlicher Thä - tigkeit übrig sind, nicht das Ganze der lebenden Natur betroffen haben. Man findet in Aegypten nicht nur Mumien von Menschen, sondern auch von Crocodilen, Ichneumon. Ibis und andern Thieren, die vor zwey bis dreytausend Jahren, oder vielleicht noch früher, balsamirt sind. Aber die nehmlichen Thiere leben noch jetzt in Aegyp - ten, und haben in diesem langen Zeitraume keine so groſse Veränderungen in ihrer Struktur erlitten, daſs sie ihren Vorfahren ganz unähnlich geworden wären(n)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. 1. p. 235.. Ereigneten sich also einst totale Verwandlungen aller Arten der lebenden Körper, so müssen diese in weit frühern Perio - den, als die sind, zu welchen die Geschichte reicht, gesucht werden.

Die Denkmäler dieser frühern Zeiten sind Fossilien und Versteinerungen, und diese treffen wir in allen Welttheilen, und selbst auf den Gi - pfeln der höchsten Berge an. De Luc(o)Reisen nach den Eisgebirgen von Faucigny in Savoyen. S. 63. fand sie auf der Spitze des Grenairon, welche 7844Fuſs25Fuſs über dem Weltmeere erhaben ist; Ra - mond(p)Annales du Mus. d’Hist. nat. T. III. p. 76. auf dem Montperdu, der höchsten Spitze der Pyrenäen; Ulloa(q)Le Gentil’s Reisen in den Indischen Meeren. S. 137. 138, in der Neuen Samml. von Reisebeschrei - bungen. Th. 2. Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1770. Hist. p. 25. auf einem Berge in der Kette der Andes, in der Peruanischen Provinz Guanca-Velica, 13200 Fuſs über der Mee - resfläche; Molina(r)Nat. Gesch. von Chili. S. 48. auf dem Gipfel des gro - ſsen Descabesado, welcher mitten in der Kette der Andes steht, und, wie jener Schriftsteller glaubt, dem Chimborasso an Höhe nichts nach - giebt; Schöff(s)Reisen durch die vereinigten Nordamerikan. Staa - ten. Th. 1. S. 287, und an mehrern andern Stellen. im nördlichen Amerika; Schous - boe(t)Beobachtungen über das Gewächsreich in Marocko. Th. 1. S. VII. und Hornemann(u)Tagebuch seiner Reise von Cairo nach Murzuck, an mehrern Stellen. im nördlichen, und Patterson(v)Reise in das Land der Hottentotten. Uebers. von Forster. S. 110. im südlichen Afrika(w)Viele ältere Beobachtungen der Art sind in Buf - ron’s Supplem. à l’Hist. nat. T. V. p. 288, undBerg -.

JeneB 526

Jene Denkmäler der Vorwelt finden sich aber nicht nur auf der Oberfläche, sondern auch im Innern der Erde. Zu Paraguay, ohnweit dem Plataflusse, traf man hundert Fuſs tief in einem sandigen Boden das Gerippe eines unbekannten vierfüſsigen Thiers an, worauf wir unten zu - rückkommen werden. Nach Ramazzini’s Berich - te(x)In Opp. p. 251. erblickt man zu Modena beym Brunnen - graben von der Oberfläche der Erde an bis zur Tiefe von 14 Fuſs Ueberbleibsel einer alten Stadt; dann folgt ein weisser, fester Boden, hierauf eine schwarze, mit Sumpfrohr vermischte Erde, und so wechseln Schichten von schwarzer und weisser Erde, worin Aeste, Blätter und Rinden von Bäumen vorkommen, mit einander ab, bis man in einer Tiefe von 28 Fuſs zu einer Krei - denlage gelanget, die eine Dicke von 11 Fuſs hat und eine Menge Muschelschaalen enthält; diese ruhet wieder auf einer zwey Fuſs dicken Schichte von Sumpferde voll Binsen, Zweigen und Blät - tern; dann kömmt von neuem eine Lage von Kreide, die sich bis zur Tiefe von 52 Fuſs er - streckt; und so wechselt noch einmal eine Schich - te von Sumpferde mit einer Kreidenschichte, und diese wieder mit Sumpferde ab, bis man endlich zu einem, mit Meeresprodukten vermischtenSand -(w)Bergmann’s physikal. Erdbeschreibung. 3te Aufl. B. 1. S. 247 ff. gesammelt.27Sandboden kömmt, worin zuweilen auch groſse Thierknochen und Holzkohlen gefunden werden. In den Steinkohlengruben von Whitehaven zu Cumberland sind sogar mehr als 2000 Fuſs unter der Meeresfläche Pflanzenschiefer ausgegraben(y)Blumenbach’s Handb. der Nat. Gesch..

Diese Thatsachen beweisen, daſs die Ueber - bleibsel der lebenden Natur, die wir auf den - hen und im Innern der Erde finden, von glei - chem Alter mit der Oberfläche des jetzigen festen Landes seyn müssen, und hieraus folget weiter, daſs sich über die frühere Geschichte der leben - den Natur nichts bestimmen läſst, so lange wir über die Entstehung und Bildung der Erde über - haupt in Ungewiſsheit sind. Von diesem Punkte werden wir daher jetzt ausgehen.

§. 9.

Alle Beobachtungen über die Struktur des In - nern der Erde kommen darin überein, daſs die - ses aus verschiedenen Lagen von Stein - und Erd - arten besteht. Diese Lagen können nur auf ei - nem doppelten Wege gebildet seyn: entweder durch Schmelzung, oder durch Niederschläge. Welche dieser Entstehungsarten aber auch statt gefunden haben mag, so ist es doch gewiſs, daſs die untere Schichte früher vorhanden gewesenseyn28seyn muſs, als die obere, wenn nicht Iocale Ur - sachen eine gänzliche Umkehrung derselben be - wirkt haben. Mit Hülfe dieses Satzes wird sich daher das relative Alter der verschiedenen Erdla - gen bestimmen lassen.

Alle jene Beobachtungen kommen ferner in dem Resultat überein, daſs die Grundlage, gleich - sam das Gerippe der Erdrinde, aus Steinarten besteht, die keine Spuhr von Ueberbleibseln le - bender Körper enthalten(z)Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 2. S. 325. Ferber, Mém. de l’Acad. des sc. de Berlin. 1790 et 91. p. 151. 153..

Diese Steinarten sind: der Granit, Gneis, Glimmerschiefer, ursprünglicher Thonschiefer und Kalkstein, Urtrapp, Serpentin, Quarz, Topas, ursprünglicher Kieselschiefer, und Urgyps.

Der älteste von diesen ist der Granit. Ihm gebührt daher vor allen andern der Name des Urgebirges. Da, wo die erste Anlage dessel - ben unverändert geblieben ist, findet man ihn in Schichten oder Bänken gelagert(a)Pallas Reise durch versch. Provinzen des Russi - schen Reichs. Th. 3. S. 227. Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 114. Th. 2. S. 322. Schach - mann’s Beobacht. über die Gebirge bey Königsheim. S. 8.. Die Gipfelder29der Berge, die aus ihm gebildet sind, machen die erhabensten, aber auch zugleich die dürre - sten Theile der Erdfläche aus, ragen mit ihren schroffen, ewig beeisten Gipfeln und ihren nack - ten, steilen Wänden hoch über die Wolken em - por, und enthalten die Quellen der gröſsten Flüsse des Erdbodens. In manchen Gegenden, z. B. im Königreiche Kaschimir bey Tibet, und um Quito im südlichen Amerika, bilden ihre Rücken weite, unwirthbare Ebenen, von welchen nach allen Seiten Zweige ausgehen.

Auf und an den Granitgebirgen liegen die übrigen genannten Steinarten in groſsen, doch gewöhnlich sanften, mit Wäldern bedeckten Ge - birgen. Ihr Hauptbestandtheil ist Thon. Sie bil - den Schichten, die meist sehr mächtig sind, und seltener horizontal, als senkrecht fallen. Gewiſs ist es, daſs sie nach dem Granit entstanden sind,da(a)S. 8. 9. 11. Charpentier’s mineralog. Geographie der Chursächsischen Lande, an verschiedenen Stel - len. Palasseau Mineralogie des Pyrénées. p. 155. Ferber, Act. Acad. sc. Petropol. 1782. P. 2. p. 201 Von Buch’s geognostische Beobachtungen auf Rei - sen durch Deutschl. u. Italien angestellt. B. 1. S. 245. Jameson’s mineralog. Reisen durch Schottland u. die Schottischen Inseln. Uebers. von Meuder. S. 19. Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen auf einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 25.30da sie allenthalben, wo nicht locale Ursachen, z. B. Umsturz eines Berges, die Ordnung der Schichten verändert haben(b)Ferber, Nov. Act. Petropol. T. 1. p. 297 sq., auf diesem, nie unter demselben gefunden werden(c)Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 113. 114. Ferber, Act. Petropol. 1782. P. 2. p. 208.. Wahr - scheinlich ist es, daſs sie bald nach der Entste - hung des Granits, als dieser noch nicht ganz erhärtet war, erzeugt wurden, weil man Gneis mit eingemischtem Granit, und Granit mit ein - gemischten Schieferstücken findet, und weil der Granit oft so unmerklich in den Gneis übergeht, daſs sich keine genaue Gränzlinie zwischen ihnen angeben läſst(d)Haidinger in den physikal. Arbeiten der ein - trächtigen Freunde in Wien. 2ten Jahrg. 2tes Quart. S. 42..

Die angeführten Gebirgsarten bestehen aus Kieselerde, Thonerde, Bittersalzerde, Kalkerde, Metallkalken, besonders Eisenoxyd, und einigen Säuren. Unter diesen Säuren kömmt häufig die Kohlensäure vor. Keine jener Steinarten aber enthält flüchtiges Laugensalz und Phosphorsäure. Diese zeigen sich erst in den Erden und Steinen, die von späterer Entstehung sind.

Aus den bisherigen Thatsachen würde sich jetzt schon ein merkwürdiges Resultat in Bezie -hung31hung auf den frühern Zustand der lebenden Na - tur ziehen lassen, wenn wir darüber in Gewiſs - heit wären, ob die angeführten Gebirgsarten dem Wasser, oder dem Feuer ihr Entstehen verdan - ken. Fände neh[m]lich das Erstere statt, so wür - de folgen, daſs bey der Entstehung jener Gebirge entweder noch gar keine lebende Wesen, oder nur erst Infusionsthiere vorhanden waren, und liesse sich darthun, daſs auch diese microscopi - sche Thierwelt damals noch fehlte, so würde sich weiter schliessen lassen, daſs Kieselerde. Kalkerde, Bittersalzerde, Thonerde, Metalle und die Basen aller Säuren, nur den Phosphor aus - genommen, früher waren, als lebende Körper.

Daſs alle blättrige Felsarten, und namentlich der Kalkstein, durch Crystallisation im Wasser entstanden sind, ist eine, keinen vernünftigen Zweifeln ausgesetzte Meinung. Nur über die Entstehungsart des Granits können Zweifel statt finden. Doch kommen auch bey diesem mehrere Umstände vor, welche für die Bildung desselben durch Präcipitation aus dem Wasser sprechen. Wir haben gesehen, daſs er ebenfalls in Schich - ten gelagert ist. Er geht in manchen Gegenden, wo er dem Gneis zur Unterlage dienet, so un - merklich in diesen über, daſs sich keine Gränze zwischen ihm und dem letztern angeben läſst(e)Charpentier’s mineralogische Geographie der Chursächsischen Lande. S. 390.;man32man findet Gneis mit eingemischtem Granit(f)Charpentier a. a. O.; der Gneis aber ist häufig mit Kalk vermischt, und der Kalk mit Gneisadern durchzogen(g)Charpentier. S. 85 127. 174 und an mehrern andern Stellen.; überhaupt gehen fast alle Gebirgsarten, nur den Porphyr und die Trappformation ausgenommen, allmählig in einander über(h)Von Buch’s geognostische Beobachtungen. B. 1. S. 56.. Räumt man also die Entstehung des Kalks durch Niederschläge aus dem Ocean der Vorwelt ein, so läſst sich auch eine gleiche Entstehungsart des Gneis und des Granits nicht läugnen. Noch einen andern Umstand, welcher diese Meinung bestätigt, ent - deckte Saussure in der Gegend von Valorsine. In dem dortigen Hornsteine befanden sich an de - nen Stellen, wo er dem Granit am nächsten ist, Spalten von verschiedenen Breiten, die mit einem Granit angefüllt sind, der in ihrem Innern er - zeugt und geformt seyn muſs. Aehnliche Beob - achtungen machte eben dieser Naturforscher auch zu Lyon und zu Saumur in Auxois(i)Saussure a. a. O. Th. 2. S. 317 ff.. Der Granit jener Spalten konnte unmöglich anders, als durch das Eindringen eines granithaltigen Wassers gebildet worden seyn. Da nun die Be -stand -33standtheile des Granits der Crystallisirung durch das Wasser fähig sind, warum tragen wir denn Bedenken, den ersten Ursprung jener Gebirgsart aus eben dieser Ursache zu erklären? Zu diesen Gründen kömmt endlich noch der Umstand, daſs man in einer der einfachen Steinarten, aus wel - chen der Granit zusammengesetzt ist, dem Quarz, oft Wassertropfen eingeschlossen findet(k)Act. Hafniens. Vol. V. p. 200.. Wie wäre dies möglich, wenn sich der Granit auf ei - nem andern, als dem nassen Wege, gebildet hät - te? Ich weiſs zwar, daſs Ferber in den Chalce - donkugeln, die sich, nach seinem Vorgeben, in einer vulcanischen Schichte des Euganäischen Gebirges befinden sollen, ebenfalls Wasser beob - achtet hat. Aber wenn auch diese Schichte in der That vulcanischen Ursprungs ist, so können doch unmöglich die Chalcedonkugeln durch das Feuer hervorgebracht seyn.

Die ursprünglichen Gebirge wurden also auf eine solche Art gebildet, daſs, wenn bey ihrer Entstehung schon lebende Körper vorhanden ge - gewesen wären, viele von diesen nothwendig hätten versteinert werden, oder doch Merkmale ihrer Gegenwart zurücklassen müssen. Alle jene Steinarten enthalten aber keine Petrefakten. Die Zeit kann die Spuhren derselben nicht verwischthaben:III. Bd. C34haben: denn in jenen Felsarten sind dünne Stei - ne, zarte Schichten und Crystalle von der Fein - heit der Seide aufs vollkommenste erhalten; um so mehr hätten also starke Muscheln der Zer - stöhrung widerstehen müssen(l)Saussure a. a. O. Th. 2. §. 605.. Bey der Bil - dung der ursprünglichen Gebirge existirten folg - lich entweder noch gar keine lebende Wesen, oder nur erst Infusionsthiere, von deren Daseyn keine Spuhr zurückbleiben konnte. Doch auch Infusionsthiere können damals schwerlich schon vorhanden gewesen seyn. Es müſste sich flüch - tiges Laugensalz in den frühern Gebirgsarten fin - den, wenn dies der Fall gewesen wäre. Wir können daher schliessen, daſs Kieselerde, Kalk - erde, Bittersalzerde, Thonerde, und, ausser dem Phosphor, die Basen aller übrigen Säuren, na - mentlich Kohlenstoff, früher waren, als lebende Körper.

§. 10.

Wir gehen jetzt weiter in der Betrachtung der Gebirgsschichten, und wenden uns zu den Ueber - gangsgebirgen, den Flötzgebirgen und den aufge - schwemmten Erdlagen. Zu den ersten gehören: die Grauwacke, der Grauwackenschiefer, der Ueber - gangskalkstein, der Uebergangstrapp und die neue - re Formation des Kieselschiefers; zur zweyten derSand -35Sandstein, der Flötzkalk, die Kreide, der Gyps, das Steinsalz, die Steinkohlen und der Flötztrapp; zu den letztern der Thon, Sand, Kalktuff, die Braunkohlen und der Torf.

Alle diese Substanzen tragen die deutlichsten Merkmale der Entstehung durch Niederschläge an sich. Ihre Schichten sind unter einander parallel, aber nicht nach ihrer specifiquen Schwere geord - net. Oft liegen sie horizontal, oft aber sind sie auch unter jedem andern Winkel gegen den Ho - rizont geneigt. Die ältesten, welche aus Kalk - stein bestehen, der unmittelbar auf den ursprüng - lichen folget, enthalten Versteinerungen von Po - lypen und Schaalthieren, doch nur erst in sehr geringer Menge(m)Ferber, Mém, de l’Acad. des sc. de Berlin. 1790 et 91. p. 155 sv.. Zwischen ihnen findet sich diejenige, von den uranfänglichen merklich ver - schiedene Art von Thonschiefer, die wir oben mit dem Namen des Grauwackenschiefers belegt haben. Hier fangen nicht nur ebenfalls Ueber - bleibsel von Thierpflanzen und Mollusken, son - dern auch von Farrnkräutern und andern Phyto - zoen an, sich zu zeigen. Die Zahl dieser Orga - nismen mehrt sich in den Gebirgsarten der Flötz - formation, doch auch hier nur erst stufenweise. Der älteste Flötzkalk, welcher entweder unmit -tel -C 236telbar auf die Grauwacke folgt, oder von dieser blos durch die erste Sandsteinformation getrennt ist, enthält auch noch erst wenig Versteinerun - gen. In demselben liegt aber oft ein kupferhal - tiges Flötz, worin Skelette von Fischen mit an - dern wirbellosen Seethieren vorkommen. Nach der Bildung dieser Gebirgsarten erfolgte der Nie - derschlag eines Gypsflötzes, und einer Sandstein - lage, dessen Ursache zugleich groſse Veränderun - gen in der lebenden Natur bewirkte, indem viele der frühern Arten von Meerthieren in den folgen - den Schichten von Muschelkalk und Kreide jetzt verschwanden, und an deren Stelle neue erschie - nen, welche nicht in den vorhergehenden Schich - ten gefunden werden. Hierauf trat eine Periode ein, in welcher eine zahllose Menge zertrümmer - ter Phytozoen und Pflanzen auf den Meeresboden kam. Jetzt bildeten sich die Steinkohlenflötze, zwischen welchen Schiefer mit Abdrücken von Pflanzenthieren und Vegetabilien befindlich sind. In allen diesen Schichten kömmt aber noch keine Spuhr von Landthieren vor. Groſs ist dagegen die Menge von Knochen vierfüſsiger Thiere, die man in den letzten Erdlagern von Sand, Mergel und Kalktuff antrifft.

Hier ist eine neue, an Folgerungen sehr fruchtbare Reihe von Thatsachen. Wir sehen jetzt, daſs die Bildung der lebenden Natur vonPoly -37Polypen und Mollusken, also von den untersten Stufen der Organisation anfing, von diesen zu den Pflanzen, und erst dann zu den Landthie - ren fortschritt. Ein ähnlicher Fortgang vom Ein - fachern und Zusammengesetztern findet aber noch heut zu Tage bey der Erzeugung aus formloser Materie in Aufgüssen von vegetabilischen und animalischen Substanzen statt(n)Biol. Bd. 2.. Die ganze le - bende Natur wurde also durch eine Kraft hervor - gebracht, die noch jetzt auf gleiche Art wirksam, aber freylich in ihren Wirkungen weit beschränk - ter ist, als in den Zeiten der Urwelt.

Jene Kraft ist die Lebenskraft. Keine Kraft läſst sich als absolut unwirksam denken. Nun aber finden wir keine Spuhren von Wirkungen der Lebenskraft im Granit und den übrigen Urge - birgen. War also etwa jene Kraft bey der Bil - dung dieser Gebirge noch nicht vorhanden? Oder befand sie sich damals in einem gebundenen Zu - stande? Diese Fragen führen auf das Problem vom ersten Ursprunge alles Lebens. Um das - selbe zu lösen, müssen wir den, im zweyten Buche dieses Werks(o)S. 483 ff. bewiesenen Satz zu Hül - fe nehmen, daſs mehrere, bis jetzt noch unzer - legte Stoffe, namentlich Kohlenstoff, Eisen, Kie -sel -C 338selerde, Kalkerde und Bittererde, im lebenden Körper blos aus Wasser und athmosphärischer Luft erzeugt werden. Wir müssen uns ferner erin - nern, daſs eben diese Stoffe in den Urgebirgen enthalten sind, und also früher vorhanden gewe - sen seyn müssen, als Thiere, Zoophyten und Pflanzen waren. Wir müssen endlich annehmen, daſs der Kohlenstoff, die Metalle und Erden, die sich in den Urgebirgen befinden, nicht von jeher als solche vorhanden gewesen sind, sondern aus einfachern Grundstoffen zusammengesetzt wor - den, indem die entgegengesetzte Voraussetzung auf die Hypothese eines allgemeinen Auflösungs - mittels, worin alle Bestandtheile der Gebirgsarten vor ihrer Präcipitation zu gleicher Zeit enthalten waren, also auf eine, mit chemischen Gesetzen ganz unvereinbare Meinung führt. Aus diesen Sätzen folgt nun, daſs die Erde in ihrem ur - sprünglichen Zustande gleiche Produkte hervor - brachte, wie in spätern Zeiten, als sich lebende Körper auf ihr erzeugten, von diesen gebildet wurden. Aber gleiche Wirkungen setzen gleiche Ursachen voraus. Da wir also keine andere Kraft kennen, welche Kohlenstoff, Metalle und Erden aus einfachern Stoffen zusammenzusetzen vermag, als die Lebenskraft, so ist es wahr - scheinlich, daſs diese es auch war, welche den Grundstoffen der Urgebirge ihr Entstehen gab.

So39

So wie es für die Wärme einen gewissen Zu - stand giebt, den wir mit dem Namen des Ge - bundenseyns derselben bezeichnen, so fand daher auch für die Lebenskraft in den frühesten Zei - ten der Erde ein ähnlicher Zustand statt. Aber Gebundenseyn der Wärme ist nicht aufgehoben, sondern nur anders modificirte Thätigkeit dersel - ben. Eben diese Bewandniſs muſs es in jenen Zeiten mit der Lebenskraft gehabt haben. Leben war damals ein Attribut der ganzen Erde; der Charakter dieses Zustandes war damals vielleicht auch in der Struktur der Erde noch deutlich ausgedrückt(p)Metallurgi passim vulgari ratione venas pro trun - cis ramisque habent, quasi vegetatione crevissent: scilicet quia delineatas a mensoribus hanc speciem aliquando praebere vident. Nec dubium est, cum prima telluris tenerae stamina duceret sapientissimus conditor, aliquid formationi animali aut plantae simile contigisse, sed incendiis et eluvionibus ac ruinis nunc ita detortum perturbatumque in hac superficie et velut cute, ut aegerrime nosci possit. Leibnitii Protog. p. 17. 18.; es fand noch keine Trennung zwischen dem Lebendigen und Leblosen statt; diese entstand erst, als sich einzelne Organismen von der Erde losrissen, und kleinere, in sich geschlossene Welten darstellten. Aber auch jetzt noch ist der Gegensatz des Lebendigen und desLeblo -C 440Leblosen nur für unsern Gesichtspunkt, nicht aber für die Natur vorhanden. Alles, das Uni - versum selber, besitzt Leben: denn wie ist es sonst erklärbar, daſs in der Thätigkeit des Welt - alls, welche durch Einwirkungen unterhalten wird, die aus der Unendlichkeit kommen, und in die Unendlichkeit übergehen(q)Biol. Bd. 1. S. 33., dennoch Gesetzmäſsigkeit herrscht(r)Biol. Bd. 1. S. 50.?

Der erste Ursprung des Lebens überhaupt verliehrt sich also in dem Ursprunge des Univer - sums. Das aber, was uns als lebende Natur er - scheint, war ein Produkt der Erde, und das Ent - stehen und die Stufenfolge in der Entwickelung derselben erfolgte nach demselben Gesetze, nach welchem jedes Individuum, das für unsern Stand - punkt lebend ist, Perioden der Erzeugung, des Wachsthums, der Metamorphose und Fortpflan - zung durchläuft.

§. 11.

Dies sind die allgemeinern Resultate, die sich aus der Ordnung ergeben, in welcher die Ueberbleibsel ehemaliger lebender Körper in den verschiedenen Gebirgs - und Erdschichten vorkom - men. Laſst uns jetzt diese Ueberbleibsel näherunter -41untersuchen, die Familien, Geschlechter und Ar - ten, zu welchen sie gehören, bestimmen, und sehen, auf welche Folgerungen diese Betrach - tungen uns führen werden. Vorläufig müssen wir indeſs einige allgemeine Bemerkungen über den Zustand machen, worin sich jene Reste zeigen.

Man trifft diese Reliquien in einem dreyfa - chen Zustande an: sie sind entweder durchdrun - gen von einer fremden Substanz; oder man fin - det sie in dieser eingeschlossen; oder es ist ein bloſser Abdruck ihrer Form, was von ihnen übrig ist.

Durchdrungen von einer fremden Substanz sind:

  • 1) die wahren Petrefakten, ehemalige lebende Körper, welche in steinartige Massen verwandelt sind;
  • 2) die metallisirten Körper, die mit erzhaltigem Stoff durchzogen sind;
  • 3) die blos calcinirten Körper, oder Fossilien im engern Sinne, Ueberbleib - sel von Thieren, die blos ihre Gallerte ver - lohren haben, und dagegen von fremden Erd - theilen durchdrungen sind;
C 5Zu42

Zu den Substanzen, worin ehemalige lebende Körper eingeschlossen vorkommen, gehöret vor - züglich der Bernstein.

Bloſse Abdrücke von Thieren, Pflanzen und Zoophyten findet man häufig im Sandsteine, Thon - schiefer und andern Steinarten. Sie sind von doppelter Art:

  • 1) Steinkerne, Abdrücke der innern Höh - lung von Muscheln, Schnecken und Gehäu - sen der Würmer und Zoophyten;
  • 2) Spuhrensteine, Typolithen, Abdrük - ke der äussern Oberfläche ehemaliger leben - der Organismen in weichen Steinmassen, die nachher erhärtet sind.

§. 12.

Untersuchen wir jetzt zuerst diejenigen Reste von lebenden Wesen, die in den ältesten Flötz - gebirgen vorkommen, und also früher als alle übrige Thiere, Zoophyten und Pflanzen entstan - den sind, so ergeben sich mehrere, höchst merk - würdige Resultate. Ehe wir diese aber mitthei - len können, müssen wir ein Verzeichniſs der verschiedenen Geschlechter jener Körper voraus - schicken.

Von Thierpflanzen gehören hierher:

1) Die43
  • 1) Die Encriniten, Zoophyten, welche zu - nächst an die heutige Familie der Seefedern, und zwar vorzüglich an das Geschlecht En - crinus gränzen, und aus einem einfachen ge - gliederten Stiele, und einfachen, artikulirten, der Länge nach gespaltenen, auf ihrer in - nern Seite mit Flossen versehenen, auf dem Gipfel des Stiels rings um eine gemeinschaft - liche artikulirte Basis sitzenden, und, bey der gemeinen Art, zusammengeschlagen einer unaufgeblühten Lilie ähnlichen Organen be - stehen.
  • 2) Die Pentacriniten, Thierpflanzen, wel - che ebenfalls dem jetzigen Geschlechte En - crinus verwandt sind, auch aus einem ein - fachen, gegliederten Stiele bestehen, auf welchem gegliederte, aber vielästige Arme um einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt sitzen, und an das vorige Geschlecht durch den Encrinus coralloides
    (s)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. 2ter Abdruck. S. 4. Versuch einer Beschreibung historischer und natürlicher Merkwürdigkeiten der Landschaft Basel. St. 7. Tab. 7. g. h. i. k. l. m.
    (s) gränzen, eine seltene Art von Versteinerungen, deren Stiel aus einer Reihe sehr breiter Glieder (Trochi - ten) besteht, und deren Kopf dem der gemei - nen Encriniten ähnlich ist, nur daſs dieAeste44Aeste nicht so regelmäſsig, wie bey den letz - tern, sondern unordentlich unter einander verschlungen sind.
  • 3) Die Echiniten, Asteriten, Madre - poriten u. s. w. Polypen aus den jetzigen Geschlechtern Echinus, Asterias, Madrepora u. s. w.
    (t)Zu den Thierpflanzen der Vorwelt müssen ohne Zweifel auch die sogenannten versteinerten Schwäm - me (Fungiten) gerechnet werden.
    (t).

Hierher gehörige Mollusken sind:

  • 1) Die geraden Tubuliten, gerade, glatte, mit ringförmigen Absätzen, aber keinen Scheidewänden versehene Röhren.
  • 2) Die Doppelröhren
    (u)Bitubulites problematicus. Blumenbach specimen archaeologiae telluris etc. p. 23. Tab. II. fig. 9.
    (u), zwey gerade, cy - lindrische, parallele Röhren, die in einer ge - meinschaftlichen Scheide eingeschlossen sind.
  • 3) Die Dentaliten, pyramidalische, ge - krümmte, der Länge nach gestreifte Körper mit einem Canal ohne Scheidewände.
  • 4) Die Belemniten, conische, vielkamme - richte, mit einer dicken Rinde, in deren Queerbruche Strahlen aus dem Mittelpunkte nach der Peripherie laufen, umgebene Röh - ren.
5) Die45
  • 5) Die Orthoceratiten, ebenfalls conische und vielkammerichte, aber mit keiner Rinde bedeckte Röhren.
  • 6) Die Ammoniten und Lituiten, lange, conische, vielkammerichte, spiralförmig ge - wundene Röhren mit abgesonderten Windun - gen
    (v)In diesem letztern Zusatze unterscheiden sich die Ammoniten und Lituiten von den Nautiliten, de - ren äusserstes Gewinde die innern umfaſst und mit diesen verwachsen ist.
    (v).
  • 7) Die Lenticuliten, Linsensteine, Helici - ten, Phaciten, vielkammerichte, spiralförmig gewundene, auf beyden Seiten der Fläche, in welcher sich die Windungen befinden, mit einer nach aussen convexen Schaale be - deckte Gänge.
  • 8) Die Nautiliten, Turbiniten, Strom - biten, Bucarditen, Pectiniten, Cha - miten, Terebratuliten, Soleniten, Mytuliten, Telliniten u. s. w. Conchy - lien der Vorwelt, die sich zu den jetzigen Geschlechtern Nautilus, Turbo, Strombus, Buccinum, Cardium, Pecten, Chama, Tere - bratula, Solen, Mytilus, Tellina u. s. w. bringen lassen.
9) Die46
  • 9) Die Pantoffelmuschel
    (w)Von Hüpsch’s neue in der Nat. Gesch. des Nie - der-Deutschland’s gemachte Entdeckungen. S. 40.
    (w), eine Mu - schel aus der Familie der Austern, von de - ren beyden ungleichen Schaalen die eine co - nisch ist, eine stumpfe umgebogene Spitze, Eine platte Seite und der Queere nach ge - hende Rippen hat, die andere, oder der Deckel, flach, halbcirkelförmig, mit ähnli - chen Rippen versehen, und am Rande ge - zähnt ist.
  • 10) Die beyden Delucschen Bivalven vom Berge Saleve
    (x)Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 215. Tab. II.
    (x). Die eine der - selben, welche sich der Form der Herzmu - scheln nähert, zeichnet sich vorzüglich durch zwey sehr ungleiche Klappen, durch ein grö - ſseres und stärker artikulirtes Schloſs, wie man bey irgend einer bekannten Art der noch lebenden Muscheln antrifft, und darin aus, daſs das Innere der kleinen Klappe dem menschlichen Ohre sehr ähnlich ist. Die an - dere hat in der Textur der Schaalen einige Aehnlichkeit mit den Schinkenmuscheln (pin - na). In der Form aber entfernet sie sich gänzlich von diesen. Die beyden Klap - pen sind nicht symmetrisch; die eine ist con -vex47vex und mit groben Höckern besetzt; die andere hingegen ist plattgedrückt, erhebt sich aber doch gegen das Schloſs hin, von welchem kleine Rinnen, die sich in Aeste zertheilen und den Rippen eines Blatts ziem - lich gleich kommen, bis ohngefähr über zwey Drittheile der Oberfläche hinlaufen.

Diesem Verzeichnisse müssen wir aber noch eine Bemerkung beyfügen. Wir haben hier die Tubuliten, Doppelröhren, Dentaliten, Belemni - ten, Orthoceratiten, Ammoniten, Lituiten, und Lenticuliten zu den Mollusken gerechnet. Indeſs scheint es mir, aus Gründen, die weiter unten vorkommen werden, sehr zweifelhaft zu seyn, ob diese Eintheilung richtig ist, und jene Kör - per nicht vielmehr zu den Thierpflanzen, oder gar zu einer ausgestorbenen Classe, welche, gleich den Würmern, zwischen den Mollusken und Thierpflanzen in der Mitte stand, aber doch von den Würmern sehr verschieden war, ge - zählt werden müssen.

Folgendes sind nun die Resultate, die sich aus einer genauern Untersuchung der Struktur und Verbreitung der angeführten Körper ergeben:

  • 1) Alle gehören, wie schon gesagt ist, entwe - der zu den Polypen und Schaalthieren, oder doch zu einer Classe, die zwischen diesen in der Mitte stand.
2)48
  • 2) Manche derselben sind von höchst wunder - barer, fremdartiger Struktur, wovon sich nichts Aehnliches unter den jetzigen Bewoh - nern der Erde mehr findet, und viele zeich - nen sich durch eine ausserordentlich groſse Menge von Artikulationen aus.

Höchst fremdartig ist zuerst die Struktur der Ammoniten. Bolten(y)Beschäftigungen der Berlinischen Gesellschaft. B. IV. S. 510 ff. löste von einem Am - monshorne den steinartigen Thon ab, wodurch die Windungen dieser Thiere an einander gekit - tet sind, worauf das ganze Horn, wie eine auf - gewundene und wieder losgelassene Uhrfeder, sich von einander gab, und so beweglich, wie die Schwanzspitze einer Klapperschlange, wurde. Die Ammoniten sind also Ueberbleibsel eines aus vielen Gelenken bestehenden, und mit einer har - ten Schaale gleichsam gepanzerten Thiers, das seinen Körper ausstrecken und spiralförmig zu - sammenlegen konnte. Wo findet sich etwas Aehn - liches unter den jetzigen Polypen oder Mollusken?

Eben diese Frage läſst sich bey den Lenti - culiten aufwerfen. Zwischen den beyden kreis - förmigen, inwendig concaven Schaalen, womit diese Körper bedeckt sind, findet man einen spi - ralförmigen Gang, dessen Centrum mit dem Mit -tel -49telpunkte der Schaalen übereinkömmt, und wel - cher durch zahlreiche queerliegende Scheidewän - de in eine groſse Menge kleiner Zellen abgetheilt ist. In dieser Struktur sind also die Linsen - steine den Nautiliten verwandt. Allein bey den Nautiliten, und selbst den kleinsten microscopi - schen, sind die Scheidewände der Kammern durchbohrt, und jede Schnecke dieser Art hat nur einen einzigen Bewohner. Zwischen den Kammern der Lenticuliten aber findet gar keine Verbindung statt. Nur die äussersten Zellen sind nach aussen offen; alle übrige hingegen von allen Seiten verschlossen. In dieser Struktur ent - fernen sich die Linsensteine ganz und gar von den Nautiliten, und nähern sich den Thierpflan - zen. Es ist unmöglich, daſs bey dieser Einrich - tung die sämmtlichen Kammern von einem ein - zigen Thiere können bewohnt gewesen seyn; sehr wahrscheinlich ist hingegen Saussure’s Mei - nung, daſs jede der äussersten Zellen einen eige - nen Bewohner gehabt habe; daſs sich dieses Thier fortpflanzte, indem aus dem obern Theile desselben ein neues Thier hervorsproſste, wel - ches sich dann ebenfalls eine neue Zelle bauete; daſs unterdeſs das alte Thier starb, und seine Kammer durch eine Wand verschlossen wurde, welche der Wohnung des neuen Thiers zur Grundlage diente; und daſs sich auf diese Art nach und nach immer neue Thiere erzeugt ha -III. Bd. Dben,50ben, welche ihre Wohnungen in der Gestalt einer Spirallinie an einander bauten(z)Saussure’s Reisen. Th. 2. S. 84 ff..

Die Belemniten wurden vermuthlich auch von einer Thierpflanze bewohnt, die sich in der äussersten Zelle dieser vielkammerichten, coni - schen Röhre aufhielt. Andreä(a)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 31. sahe eine Versteinerung dieser Art, deren Schaale an dem spitzen Ende weggebrochen war. Dadurch war ein Körper entblöſst worden, der sich mit ver - schiedenen Furchen oder Falten in eine Spitze endigte. Diese war bey einigen etwas abgerun - det. Die Falten bildeten an dem Ende, wo sie zusammenliefen, kleine Erhöhungen, meist acht an der Zahl, und schlossen eine sternförmige Oeffnung ein. Nicht unwahrscheinlich ist An - dreä’s Vermuthung, daſs jene polypenartigen Körper die Einwohner der Belemniten waren.

Von eben so wunderbarer, dem Baue der jetzigen Thierarten ganz unähnlicher Struktur sind die Orthoceratiten. Sie gränzen aber von manchen Seiten so nahe an die Ammoniten und Lenticuliten, daſs sie ohne Zweifel mit diesen in einerley Classe gesetzt werden müssen. Er - wägt man nun die gänzliche Verschiedenheit der angeführten Körper von allen heutigen Organis -men,51men, und diese nahe Verwandtschaft, die sie un - ter einander haben, so wird man unsere obige Vermuthung, daſs sie zu einer ausgestorbenen Classe gehört haben, die, gleich den jetzigen Würmern, das Mittel zwischen den Mollusken und Thierpflanzen hielt, jedoch von den heuti - gen Würmern sehr verschieden war, nicht un - wahrscheinlich finden.

Bey denjenigen Organismen der Urwelt, wel - che mit Zoophyten oder Mollusken der jetzigen Erde zu einerley Familie oder Geschlecht gehört haben, und wovon also noch analoge Formen übrig sind, erstreckt sich diese Analogie doch meist nur auf das Ganze der Organisation. In einzelnen Theilen zeigt sich dagegen auch hier die auffallendste Abweichung von allen heutigen Gestalten der lebenden Natur. So giebt es zwar unter den ältern Petrefakten sehr zahlreiche Ar - ten, die mit dem noch vorhandenen Geschlechte der Seeigel (Echinus) übereinkommen. Aber alle heutige Gattungen dieses Geschlechts haben Sta - cheln; hingegen unter den Seeigeln der Vorwelt waren viele mit Organen von ganz anderer Struk - tur, mit den sogenannten Judensteinen, besetzt(b)Andreä a. a. O. S. 265. Tab. 14. fig. d. Tab. 15. fig. a. De Luc, Mém. présentés à l Acad. des sc. à Paris. T. IV. 1763. p. 467..

AlsD 252

Als einen andern merkwürdigen Charakter der ersten lebenden Produkte der Erde haben wir die ausserordentlich groſse Menge von Artikula - tionen genannt, womit viele derselben versehen sind. In diesem Stücke zeichnen sich vorzüglich die Encriniten und Pentacriniten aus. Bey ihnen besteht zuerst der Stiel aus lauter scheibenförmi - gen Wirbeln, (Trochiten, Asterien) die mit wun - derbarer Kunst durch zahlreiche Hervorragungen, womit sowohl die obere, als die untere Fläche eines jeden Wirbels besetzt ist, und welche aufs genaueste in Einschnitte der beyden anliegenden Wirbel passen, unter einander verbunden sind. Bey den Encriniten artikulirt ferner der Stiel mit den Armen durch mehrere Knochen, die eine ganz ähnliche Verbindung unter einander haben, wie die Knochen der Handwurzel des Menschen. Aber noch weit zahlreicher sind die Glieder jener Arme, die aufs regelmäſsigste von der Basis bis zur Spitze an Gröſse abnehmen. Jeder der Arme artikulirt wieder nach innen an beyden Seiten - rändern mit einer höchst zart gefiederten Flosse, und von diesen Flossen sind endlich noch die einzelnen Fäden aufs feinste gegliedert(c)Vergl. Rosini tentaminis de lithophytis etc. pro - dromus. Hollmann pentacrinorum etc. descriptio, in Eiusd. Commentat. sylloge altera. Blumenbach in Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 4. S. 1..

3)53
  • 3) Viele sind von einer Riesengröſse, wozu keine ähnliche Organismen heutiges Tages mehr gelangen.

So giebt es Nautiliten, die bis 2 Fuſs(d)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 23. 265., und Ammonshörner, die mehrere Ellen im Durch - messer haben(e)Eines Ammoniten von Fuſs erwähnt Esper (Schriften der Berlin. Gesellschaft. B. V. S. 57.)..

  • 4) Manche zeichnen sich durch eine sehr weite Verbreitung aus, und zugleich beweisen meh - rere Umstände, daſs sie an denjenigen Orten, wo sie in jetzigen Zeiten gefunden werden, ursprünglich gelebt haben müssen, und nicht aus fremden Welttheilen durch Meeres - fluthen dahin gebracht seyn können.

Von der ausgedehnten Heimath mancher Thiere der Vorwelt geben vorzüglich die Ammo - niten einen Beweis, die fast in allen bekannten Ländern entdeckt sind(f)Unter andern findet sich an der Mündung des Indischen Flusses Gandica eine eigene Art von Ammoniten, (Ammonites sacer. Blumenbach specimen archaeolog. telluris etc. p. 21. Tab. II. fig. 7.) die bey den Indiern heilig ist.. Es zeugen dafür dieEncri -D 354Encriniten, welche ebenfalls in dem ursprüngli - chen Ocean sehr gemein und sehr weit verbreitet gewesen seyn müssen, wie die Menge einzelner Glieder von ihnen beweiset, die man an so vie - len Orten antrifft(g)Blumenbach in Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 4. S. 16..

Daſs aber die Gegenden, wo man jene Thie - re versteinert findet, auch ihr ursprünglicher Aufenthalt gewesen sind, erhellet daraus, weil diese Petrefakten an ihren jetzigen Lagerstäten eben so in Colonien und Familien vorzukommen pflegen, wie die Mollusken und Polypen heut zu Tage auf dem Boden des Meers leben. Von die - ser Bemerkung findet man unter andern einen Beweis im Luzerner Gebiete, wo eine eigene Art von Dentaliten in einem aschgrauen, festen Kalk - steine in gröſster Menge und ohne mit irgend einem andern Petrefakt vermengt zu seyn, dicht beysammen liegen(h)Blumenbach a. a. O. B. V. St. 1. S. 14.; an der Menge von Lilien - steinen, die oft in einem kleinen Raume zusam - mengedrängt sind, und an den ungeheuren Mas - sen von Gliedern der Encriniten, die man in so vielen Gegenden antrifft(i)Blumenbach a. a. O. B. VI. St. 4. S. 16. 17., und welche häufig in einer Versteinerungsschichte ruhen, wodurch der ältere Sandstein und der auf ihm ruhendeKalk -55Kalkstein von einander getrennt sind(k)Von Buch’s geognostische Beobachtungen. B. 1. S. 149.. Nir - gends aber giebt es so einleuchtende Belege zu jenem Satze, als in dem Thale von Trento. Hier sieht man von der Fläche des Thals an bis 500 Fuſs hoch am Abhange der Berge, welche diese Fläche begränzen, nichts als Tausende von Ammoniten, die Fuſs und darüber im Durch - messer haben. Alle liegen wie mit Kunst geord - net neben einander, alle mit der Fläche der Win - dungen parallel auf der geneigten Fläche der Schichten; nie steht einer von ihnen den Schich - ten entgegen; auch bedecken sie nur die Ober - fläche der Lagen; fast niemals sieht man sie in der Mitte, oder am Boden. Höher hinauf ver - schwinden diese Körper völlig, und man erblickt dagegen ein zahlloses Heer von Belemniten. Bucciniten, Volutiten, Echiniten und andern un - kenntlichen Versteinerungen, die in wilder Ver - wirrung durch einander liegen. Ganz oben er - scheint wieder eine neue Familie, die der Lenti - culiten, die so dicht an einander gedrängt die Schichten erfüllen, daſs kaum noch eine Spuhr des sie bindenden Kalksteins zu sehen ist(l)Von Buch a. a. O. S. 303.. Noch eine andere Erscheinung, welche ebenfalls für den obigen Satz spricht, sieht man in denThon -D 456Thonhügeln von Toscana, besonders in der Ge - gend von Siena, wo von benachbarten Hügeln, ja zuweilen von an einander stoſsenden Flächen eines und desselben Hügels einige so voll von versteinerten Muscheln sind, daſs das Erdreich weiſs davon ist, indem die anliegenden keine Spuhr von Petrefakten enthalten(m)Saussure’s Reisen. Th. 1. S. 50. §. 65.. Diese Thatsache würde unerklärbar seyn, wenn jene Muscheln durch Meeresfluthen, oder auf eine andere zufällige Art in ihre jetzige Lagerstäte gebracht wären.

  • 5) Groſs ist die Mannigfaltigkeit der Arten und die Zahl der Individuen dieser Organismen. Die Menge der letztern, welche in manchen Gegenden vorkömmt, übersteigt alle Vor - stellungen selbst der kühnsten Einbildungs - kraft, und zeugt von der üppigsten Frucht - barkeit der jugendlichen Erde.

Sehr reich an Arten sind vorzüglich die Ge - schlechter der Encriniten, Pentacriniten, Echini - ten und Ammoniten. Von den Encriniten und Pentacriniten findet man selten vollständige Exem - plare, aber desto häufiger die scheibenförmigen Glieder ihrer Stiele, die sogenannten Trochiten, Entrochiten, und Asterien, und diese variirenaus -57ausserordentlich in ihrer Gröſse und Gestalt(n)Rosinus de lithophytis. Tab. IV sq. Walch’s Nat. Gesch. der Versteinerungen. Th. 2. Kap. XI. S. 69 ff.. Eben so groſs ist die Mannichfaltigkeit der Echi - niten, und gerade diejenigen müssen zu den zahl - reichsten dieses Geschlechts gehört haben, die statt der Stacheln mit den sogenannten Juden - steinen besetzt sind, und wovon nichts Analo - ges in der jetzigen Schöpfung mehr vorhanden ist. Nichts kömmt aber der Verschiedenheit bey, die wir unter den Ammonshörnern antreffen. Schon Jussieu(o)Mém. de l Acad. des sc. de Paris. 1722. Ed. 8. p. 319. zählte blos in Frankreich über hundert Arten derselben.

Von der unendlichen Menge der Individuen, die den Ocean der Vorwelt bewohnten, enthält fast jedes Land Beweise. Es giebt ganze Theile der Erdrinde, die fast blos aus ihnen zusam - mengesetzt sind. Unzählbare Schaaren derselben liegen in den Höhen um Paris und um Bour - gogne. Bey Chaumont bestehen die Hügel, die zum Theil von ansehnlicher Höhe sind, aus lau - ter Schnecken. Bey Rheims findet sich ein sol - ches Bett, das viele Meilen lang und breit ist(p)Bergmann’s physik. Erdbeschreibung. B. 1. S. 248.. In Touraine liegt eine Schichte von lau -terD 558ter Conchiten, die einen Raum von mehr als 130 Millionen Cubikfaden einnimmt(q)Hist. de l Acad. des sc. de Paris. 1720. Ed. 8. p. 8.. In den Pyrenäen tritt man fast bey jedem Schritte auf Lenticuliten(r)Ramond, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 82.. In den Gegenden von St-Go - bain in der Picardie sind ganze Kalkfelsen mit dieser Petrefaktenart angefüllt(s)Saussure’s Reisen. Th. 2. S. 86.. In England giebt es Steinkohlengruben, wo die Arbeiter in einer Tiefe von 9 bis 10 Fuſs, und in ei - ner Weite von mehrern Englischen Meilen oft nichts als eine gewisse Art von Conchiten fin - den(t)Richard Richardson in Luidii Lithophyl. Bri - tann. p. 109. Eine Menge anderer Thatsachen der Art haben Bergmann (Physik. Erdbeschr. B. 1. S. 247. §. 57) und Hollmann (Commentat. sylloge altera. p. 43. §. 12) gesammelt..

  • 6) Unter allen Petrefakten der Uebergangsge - birge und der ältesten Flötzgebirge kömmt keine Art vor, die noch in der jetzigen le - benden Natur zu finden wäre. Alle diese Erstlinge der Erde gingen unter, und neue Geschlechter folgten ihnen.
Hier59

Hier ist der wichtigste unter den bisherigen Sätzen.

Von Belemniten, Orthoceratiten, Lituiten und Lenticuliten ist noch nie auch nur etwas Aehn - liches in der jetzigen Natur entdeckt worden. Von den übrigen Zoophyten und Mollusken des obigen Verzeichnisses giebt es zwar analoge Kör - per unter den heutigen Bewohnern der Erde, aber die Aehnlichkeit ist entweder eine bloſse Gleichheit des Geschlechts (genus) bey gänzlicher Verschiedenheit der Art (species); oder es ist gar nur eine schwankende Uebereinkunft in dem Habitus.

Die Encriniten und Pentacriniten sind, wie schon gesagt ist, dem heutigen Geschlechte En - crinus, und zwar die erstern dem, aus der Tie - fe des Grönländischen Meers hervorgezogenen, von Mylius(u)Schreiben an den Herrn von Haller. London. 1753. und Ellis(v)Essais sur l’Hist. nat. des Corallines. p. 110. beschriebenen En - crinus radiatus (Vorticella Encrinus L.), die letz - tern der Guettardschen Encrinus Asteria (Isis Aste - ria L.), wovon ein Exemplar an der Küste von Barbados gefunden ist(w)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1755., ähnlich. Allein schon bey einer flüchtigen Vergleichung der Beschrei -bun -60bungen des Encrinus radiatus mit einem voll - ständigen Encriniten, oder mit den Beschreibun - gen und Abbildungen, welche Rosinus(x)A. a. O., Ha - renberg(y)Encrinus s. lilium lapideum. Wolfenb. 1729., Hollmann(z)A. a. O. und Blumenbach(a)Voigt’s Magazin f. das Neueste aus der Physik. B. VI. S. 4. von dieser Petrefaktenart geliefert haben, zeigen sich groſse Verschiedenheiten, worunter die wich - tigste diese ist, daſs der Stiel des letztern nicht aus artikulirten Gliedern besteht, wie der der sämmtlichen Encriniten. Nicht weniger verschie - den ist die Guettardsche Seepalme von allen be - kannten Arten der Pentacriniten. An jener hat der Stiel wirtelförmige Seitenäste, welches bey keinem der letztern statt findet(b)Vergl. E. F. Hiemeri Caput medusae, utpote no - vum diluvii universalis monumentum. Stuttg. 1724. Collini in Commentat. Acad, Theodoro - Palat. Vol. 3. phys. p. 69. Andreä’s Briefe aus der Schweitz. Tab. 6. Blumenbach’s Abbildungen na - turhistorischer Gegenstände. H. VII. Nro. 70., ausser bey einem, von Andreä(c)A. a. O. S. 8. Tab. I. fig. 1. abgebildeten Entrochi - ten, der aber vielleicht erst von neuerer Entste - hung ist.

Die61

Die Verschiedenheit der Ammonshörner von den neuern Meeresprodukten hat de Lamanon durch eine umständliche Vergleichung beyder dargethan(d)La Perouse’s Entdeckungsreise. B. 2. S. 346. der Uebersetzung von Sprencel u. Forster.. Diese läſst sich aber noch auf einem andern Wege beweisen. Man ist allgemein darüber einverstanden, daſs es unter den jetzigen Mollusken keine Lituiten mehr giebt. Nun aber findet kein anderer Unterschied zwischen den Ammoniten und Lituiten, als nur dieser, statt, daſs bey den erstern die ganze Röhre spiralför - mig gewunden, bey den letztern hingegen der weitere Theil derselben gerade ausgestreckt ist. Und daſs dieser Unterschied blos zufällig ist, beweiset die oben erwähnte Beobachtung von Bolten, nach welcher die Ammonshörner Ue - berbleibsel des gegliederten Panzers eines Thiers sind, welches seinen Körper ausstrecken und spi - ralförmig zusammenlegen konnte. Die Lituiten sind daher ausgestreckte Ammonshörner, so wie diese zusammengelegte Lituiten. Da also kein Lituit in der lebenden Natur mehr existirt, so müssen auch die Ammonshörner zu den unter - gegangenen Thieren gehören.

Eben dieses Resultat ergiebt sich, wenn man die Dentaliten, Echiniten, Madreporiten u. s. w. der62der Uebergangsgebirge und der ältesten Flötzge - birge mit den jetzigen Arten der Geschlechter Dentalium, Echinus, Madrepora u. s. w. ver - gleicht. Inzwischen würde eine solche Verglei - chung uns hier zu weit führen. Es läſst sich aber ein allgemeiner Grund für den Untergang aller jener Arten anführen. Dieser ist die groſse Mannichfaltigkeit derselben und die zahllose Men - ge ihrer Individuen. Wie könnten so viele Arten und Individuen Jahrhunderte hindurch unentdeckt geblieben seyn, wenn ihre Nachkommen noch in gleicher Menge vorhanden wären? Giebt es noch Abkömmlinge derselben, so können deren nur noch sehr wenige seyn, und diese wenige müssen blos in den unergründlichsten Tiefen des Oceans leben, indem sonst doch zuweilen einige derselben von Stürmen und Meereswellen an die Küsten müſsten verschlagen werden. Aber in diese Tiefen könnten sie sich doch nur allmählig, nicht plötzlich, zurückgezogen haben. Es müſsten sich also Nachkommen derselben in den jüngern Flötzgebirgen, und in dem aufge - schwemmten Lande finden. Nun trifft man frey - lich auch in manchen von diesen Gebirgen Am - monshörner, Belemniten und andere Versteine - rungen der ältern Gebirge an. Aber die Höhlung dieser Körper ist dann immer mit einer Materie angefüllt, die von der Gebirgsart ihrer Lager - stäte gänzlich verschieden ist. Es leidet also kei -nen63nen Zweifel, daſs sie erst lange nach ihrer Ver - steinerung aus ältern, jetzt zerstöhrten Gebirgen in die jüngern Erdschichten gerathen sind(e)Vergl. Ferber, Mém. de l’Acad. des sc, de Berlin. 1790 et 91. p. 162., und längst nicht mehr existirten, als diese sich bildeten.

Aber giebt es denn nicht Zeugnisse von auf - gefundenen jetzigen Conchylienarten, welche mit versteinerten Schaalthieren völlig übereinkommen? Freylich giebt es deren, und zwar in Menge. Der ältere Bartram bemerkte, daſs die verstei - nerten Seethiere, die man in groſser Menge auf den Nordamerikanischen Bergen findet, zwar nicht dieselben sind, die jetzt unter dem nehm - lichen Grade der Breite an den Amerikanischen Küsten leben, daſs sie aber in den wärmern Cli - maten von Süd-Carolina und Florida vorkom - men(f)Kalm’s Reise. B. 2. S. 281.. Von Hüpsch(g)Neue in der Nat. Gesch. des Nieder-Deutsch - lands gemachte Entdeckungen. S. 14. versichert, eine ver - steinerte Schnecke zu besitzen, welche auf einem hohen Berge in Lothringen gefunden worden, und wovon das Original im Indischen Meere lebt. An einer andern Stelle erzählt er, daſs er aus Cadix eine glatte und eine gestreifte Bohrmuschel(Tere -64(Terebratula) erhalten habe, welche in allen Stücken den glatten und gestreiften Terebratuli - ten ähnlich waren, die in der Eifel und im Ber - gischen gefunden werden(h)A. a. O. S. 67.. Die Taschenmu - schel eben dieses Schriftstellers, die in der Eifel zwischen Terebratuliten vorkömmt, soll von For - tis aus der Tiefe der See von Sebenico, einer Stadt in Dalmatien, herausgezogen seyn(i)So sagt von Hüpsch (Nat. Gesch. des Nieder - Deutschland’s. Th. 1. S. 15.). Fortis selber aber drückt sich nicht so entscheidend aus. Obschon, sagt dieser, die von mir gefischte Terebratul nicht völlig mit seiner (des Baron von Hüpsch) Figur (der Taschenmuschel) übereinkömmt, so bin ich doch geneigt, sie für das Original der seinigen zu halten, da ich beobachtet, daſs auch unter den Exemplaren, die ich besitze, und die alle von gleicher Art sind, einige Verschiedenheit in der Bildung herrscht. (Fortis Reise in Dalmatien. Th. 1. S. 233.. Faujas-St-Fond hat ein ganzes Verzeichniſs von fossilen Conchylien geliefert, welche noch lebend, und zwar meist in der südlichen Erdhälfte, zum Theil auch in Neu-Seeland, vorhanden sind(k)Faujas-St-Fond Hist. nat. de la Montagne de St-Pierre de Maestricht. p. 30. Essai de Géologie. T. 1. p. 58..

Doch alle diese Zeugnisse widerlegen nicht un - sern Satz. Hier nehmlich ist nur von den Verstei -nerun -65nerungen der Uebergangsgebirge und der ältesten Flötzgebirge, nicht der jüngern Erdschichten, die Rede. Unzählige Erfahrungen aber beweisen, daſs zwischen den Versteinerungen der ältern und neuern Gebirgsarten ein groſser Unterschied statt findet. Man darf nur die Petrefakten der Krei - defelsen untersuchen, und sie mit denen der äl - tern Kalkgebirge vergleichen, um sich von die - ser Wahrheit zu überzeugen. Zu Courtagnon in Champagne giebt es eine Kreidenschichte, die mit Versteinerungen so angefüllt ist, daſs ein Cubikzoll dieser Kreide gewöhnlich an hundert Petrefakten enthält. Man findet hier Muscheln. Echiniten und deren Stacheln. Aber es giebt hier keine Ammonshörner, Belemniten, Gryphiten und überhaupt keine von denen Gattungen, die in den ältern Gebirgen der Flötzformation vor - kommen(l)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 15. 17.. Eben dies ist der Fall in den Krei - defelsen von Stevens Klint in Seeland. Aus Abil - gaard’s Verzeichniſs der Petrefakten dieses Ge - birges(m)In dessen Beschreibung von Stevens Klint. S. 21 ff. erhellet, daſs auch hier Echiniten, Pectiniten, Anomiten u. d. gl. in Menge, aber ebenfalls keine Encriniten, Pentacriniten, Ammo - niten, Orthoceratiten und Belemniten zu finden sind. Aber einen noch auffallendern Beweis derVer -III. Bd. E66Verschiedenheit, die unter den Versteinerungen der verschiedenen Gebirgsarten statt findet, giebt eine Beobachtung, die Sauvages(n)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1743. Ed. 4. p. 408. auf zwey benachbarten Bergen der Gegend von Alais mach - te. Auf dem Gipfel des niedrigern dieser Berge fand er Schnecken und Muscheln, die noch jetzt an der Französischen Küste leben. Auf dem - hern aber lagen Ammoniten, Belemniten, und eine, von ihm beschriebene Conchitenart, wel - che ebenfalls von ganz fremdartiger Struktur ist.

Der erstere von diesen Bergen gehöret ohne Zweifel zur Classe der angeschwemmten, und in solchen Gebirgen findet man häufig Gehäuse von Thierpflanzen und Mollusken, deren Origi - nale noch vorhanden sind. Sie liegen hier ver - mischt mit Ueberbleibseln von Landthieren, und gehören theils solchen Arten an, die in benach - barten Meeren leben, theils aber auch solchen, die heut zu Tage erst in fernen Gegenden vor - kommen. Dergleichen Muscheln findet man un - ter andern auch an den Küsten des Caspischen Meers, und auf den Hügeln von Piemont. Die der erstern Gegend sind dieselben, die sich noch jetzt im Caspischen See aufhalten(o)S. G. Gmelin’s Reise durch Ruſsland. Th. 4. S. 49.; in derletz -67letztern Gegend sammelte de Luc(p)Gren’s Journal der Physik. B. VI. S. 304. Kammmu - scheln, Gienmuscheln, Zwiebelmuscheln (Ano - mia cepa) und Meereicheln, die so gut erhalten waren, als ob sie erst eben aus dem mittelländi - schen Meere, wo sich ihre Arten aufhalten, her - vorgezogen wären; er fand aber auch ebenda - selbst und in demselben Zustande Compaſsmu - scheln (Ostrea pleuronectes) und Anomien, die nicht in den Europäischen Meeren leben, und ein Kinkhorn, das jetzt nur in der südlichen Erd - hälfte einheimisch ist.

Solche Muscheln jüngern Ursprungs waren nun gewiſs die, wovon Bartram, von Hüpsch und Faujas-St-Fond die Originale entdeckt ha - ben wollen. Ich sage entdeckt haben wol - len, nicht entdeckt haben: denn ob das Letztere wirklich statt fand, läſst sich mit Recht in Zweifel ziehen. Der Fälle, wo bloſse Aehn - lichkeit für völlige Gleichheit ausgegeben ist, sind in der Petrefaktenkunde so viele, daſs man gegen alle solche angebliche Entdeckungen miſs - trauisch zu seyn groſse Ursache hat. Es sey mir erlaubt, hierüber die Worte eines Naturforschers anzuführen, dessen Zeugniſs in dieser Sache ohn - streitig von Gewicht ist. Es ist fast unbegreif - lich, sagt derselbe, wie weit die Nachlässig - keitE 268 keit mancher Schriftsteller in diesem Punkte (der Beobachtung des Unterschieds zwischen blos ähnlich und wirklich gleich) gegangen ist. So hielt der seel. Baumer die platten klei - nen Ostracitenschaalen, die so häufig an groſsen Ammoniten aufsitzen, geradezu für die Blatta byzantina. So hielt man vulgo die herrliche Bivalve mit den glühenden hohen Goldfarben im sogenannten opalisirenden Muschelmarmor aus Kärnthen für Ostrea ephippium, oder den Linneischen Helmintholithus diluvianus für My - tulus crista galli u. s. w. ... Gegen solche Vergehungen sichert scharfsichtige präjudizlose Vergleichung, die mir oft Dinge als specifisch - verschieden gezeigt hat, die ich anfangs auf den ersten Blick, der Aehnlichkeit wegen, für völlig gleich gehalten hatte. Nur gleich ein Paar interessante Beyspiele der Art statt vieler. Ich erhielt vor kurzen aus dem Westphälischen eine wegen ihrer ansehnlichen Gröſse und Schön - heit auffallende Art von Terebratuliten, die gro - ſse Aehnlichkeit mit Solander’s Anomia venosa von den Falklands-Inseln zeigte. Aber freylich blieb es auch nach genauer Vergleichung bey der bloſsen Aehnlichkeit. So ähnelt ein Muri - cit unter den vulcanisirten Conchylien aus Valle di Ronca, die Hr. Abb. Fortis und Hr. Prof. Hacquet beschrieben, dem neuerlich entdeckten Murex hexagonus aus der Südsee. Aber in bey - den69 den Fällen ist das jetzige Original von dem Pe - trefakt ganz und gar specifisch verschieden(q)Blumenbach in Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik etc. B. VI. St. 4. S. 5 ff..

Eben so sagt Modeer: Gemeiniglich hat man sich vorgestellt, daſs die Originale der Versteinerungen nicht weit zu suchen waren, daſs z. B. das Original des Nautili orthocerae in der Ostsee zu Hause seyn sollte; aber man hat wohl dabey sich sehr betrogen. Von den auf demselben Nautilo angewachsenen Versteinerun - gen, als Lepadibus quibusdam und Asteriae mi - nutae gleichenden, die gar nicht in der Ostsee sich befinden, ist deutlich zu schliessen, daſs diese Nautili in originali in der Ferne zu su - chen sind(r)Schriften der Berlin. Gesellsch. B. VI. S. 249..

§. 13.

Während der Periode, wo die im vorigen § erwähnten Polypen und Mollusken lebten, ent - standen zugleich noch andere Meeresbewohner aus der Abtheilung der wirbellosen Thiere, und namentlich Crustaceen. Indeſs kommen der Ue - berbleibsel dieser Arten nur wenige vor, und sie müssen daher entweder erst in geringer Anzahlvor -E 370vorhanden gewesen, oder, ehe sie versteinert werden konnten, zerstöhrt worden seyn. Die wenigen, noch übrigen, sind aber ebenfalls, wie die damaligen Thierpflanzen und Mollusken, sehr verschieden von den jetzigen Seethieren. Zu ih - nen gehören z. B. die Trilobiten (Entomoli - thus paradoxus L.), eine Thierart, die von so fremdartigem Baue ist, daſs man sogar über ihre Stelle im Naturreiche lange gezweifelt hat, die jedoch ohne Zweifel zur Classe der Crustaceen zu rechnen ist. Man fand sie zuerst zu Dud - ley in Staffordshire(s)Littleton, Philos. Trans. 1750. p. 598. Morti - mer ebendas. p. 600. Da Costa ebendas. 1753. p. 286., nachher aber auch mit einigen Abänderungen in mehrern andern Gegen - den von Europa, z. B. in Schweden(s*)Linné, Abhandl. der Schwed. Akad. 1759. S. 20., in der Gegend von Leipzig(t)Gehler de quibusdam rarioribus agri Lipsiensis petrificatis specim. I., in Böhmen(t*)Von Kinsky, Abhandl. einer Privatgesellsch. in Böhmen. B. 1. S. 246. Erlacher ebendas. B. V. S. 299., und zwar in dem letztern Lande bey Ginez in einem schiefrichten Thone, der von hohem Alter zu seyn scheint(u)Von Born ebendas. B. 1. S. 257 ff. Merkwür -dig. Indeſs gehören nicht alleVer -71Versteinerungen hierher, die bey den Schriftstel - lern unter dem Namen Entomolithus paradoxus vorkommen. So ist das von Modeer in den Schriften der Berlinischen Gesellschaft(v)B. VI. S. 247. be - schriebene Petrefakt von ganz anderer Art, und entweder eine Cassida, oder doch den Schildkä - fern nahe verwandt.

Weniger selten sind Abdrücke oder Versteine - rungen von Fischen. Man findet diese aber nie in den ältern Flötzgebirgen, sondern immer erst in denen, die von späterer Entstehung sind. Jene enthalten blos Zoophyten und Schaalthiere. Das Meer war also mit wirbellosen Thieren schon bevölkert, ehe sich Fische in demselben bildeten.

Sehr häufig sind die Steine, in welchen sich Ueberbleibsel von Fischen befinden, kupferhaltig.

In einigen Gegenden, z. B. in den Kalkbrü - chen des Monte Bolca von Vestena Nova, liegen zwischen den Resten dieser Thiere auch Farrn - kräuter, Mimosen und andere Gewächse(w)Faujas-St-Fond, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 19..

Meist

(u)dig aber ist es, daſs diese Versteinerung noch nie in der Schweitz gefunden ist, Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 339.

E 472

Meist bestehen die versteinerten Ueberbleib - sel von Fischen nur in Knochen und Zähnen. Es hält daher bey ihnen weit schwerer, als bey den Thieren, die wir im vorigen § untersucht haben, über ihre Verwandtschaft mit den jetzigen Thierarten etwas Gewisses auszumachen, und noch schwerer ist es, die Zeit ihrer Existenz mit einiger Gewiſsheit anzugeben, da fast alle bisherige Schriftsteller die Lagerstäten dieser Ver - steinerungen entweder gar nicht, oder doch nur sehr oberflächlich beschrieben haben. Doch ergiebt sich so viel aus einer Vergleichung jener Reste mit den heutigen Fischen, und einer Untersu - chung der Gebirgsarten, worin sie enthalten sind:

  • 1) Daſs mehrere jener Fische, gleich manchen Polypen und Mollusken der Vorwelt, eine Riesengröſse besaſsen, wozu keine verwandte Fischarten der heutigen Natur mehr gelangen.
  • 2) Daſs von solchen, die nicht ganz neuern Ursprungs sind, entweder überhaupt, oder doch in denen Climaten, wo sie versteinert gefunden werden, heut zu Tage nichts Aehn - liches mehr vorhanden ist.
  • 3) Daſs viele von denen, welche vollständig erhalten sind, in einem Zeitraume gelebt ha - ben müssen, in welchem schon Pflanzen vor - handen waren; daſs aber manche von denje -nigen,73nigen, wovon sich nur einzelne Knochen oder Zähne finden, vielleicht aus einer frü - hern Periode herrühren.

In verschiedenen Gegenden von Deutschland, Frankreich und Italien, z. B. im Lüneburg - schen(x)Reiske de glossopetris Luneburgensibus., bey Litskau in Böhmen(y)Mayer, Abhandl. einer Privatgesellsch. in Böh - men. B. VI. S. 265., bey Pa - ris(z)Faujas-St-Fond a. a. O. T. 1. p. 105. und auf Malta findet man groſse verstei - nerte Fischzähne, die unter dem Nahmen der Schlangenzungen (glossopetrae) bekannt sind. Diese nähern sich den Zähnen der jetzigen Hay - fische. Allein die meisten sind den letztern blos dem Geschlechte, nicht aber der Art nach ver - wandt, und zeigen Eigenthümlichkeiten, die man bey keiner bekannten Art der jetzigen Hayen an - trifft(a)Il se trouve, sagt schon Jussieu, des Glosso - petres d’une infinité de figures tout-à-fait dissem - blables des dents de la Lamie, du Marteau et du Carcharias. (Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1723. Ed. 8. p. 302.. Viele unterscheiden sich von diesen ganz auffallend durch ihre Gröſse, und geben dadurch einen Beweis des ersten obigen Satzes. So schätzet La Cepède(b)Hist. nat. des poissons. T. 1. p. 205. die Länge eines Hayfisches, wo -vonE 574von ein Zahn zu Dax in Frankreich gefunden wurde, der 3 Zoll 3 Linien lang war, auf 70 Fuſs 9 Zoll. Dieser Berechnung liegt nun zwar die Hypothese zum Grunde, daſs sich von der Gröſse der Zähne auf die Gröſse des Thiers schliessen läſst, eine Voraussetzung, deren Un - richtigkeit schon von Camper(c)Dentes, sagt dieser, in omnibus, quotquot novi, animalibus rationem nullo modo habent ad corporis vastitatem, sed ad naturam alimentorum, quae usur - pant. Elephas molares decuplo majores habent Rhinocerote, forte decies quinquies majores, licet decuplo majus non sit animal. Equus quamquam minor Camelopardali, dentes majores habet. Apri aethiopici similiter iugentes habent molares, etiamsi nostratibus aequale, immo minus habeant corpus. De exsertis idem pronuntiandum. (Nov. Act. Acad. sc. Petropol. T. II. p. 263.) Wir werden in der Fol - ge auf diese Bemerkung zurückkommen. dargethan ist. Aber so viel erhellet denn doch, daſs es im Ocean der Vorwelt eine Fischart gab, die weit gröſsere Zähne hatte, als der gröſste unter den jetzigen Fischen.

Zu den versteinerten Fischzähnen gehören auch die sogenannten Bufoniten. Diese haben viele Aehnlichkeit mit den Zähnen des Klipp - fisches (Anarrhichas lupus). Aber unrichtig ist es, sie blos dieser Aehnlichkeit wegen für Ueber -bleib -75bleibsel des letztern zu halten, indem auch meh - rere Arten des Sparus mit ähnlichen Zähnen ver - sehen sind, wie schon Scilla(d)De corporibus marinis lapidescentibus. und Jussieu(e)A. a. O. p. 296. bemerkt haben.

Vollständige Abdrücke und Versteinerungen von Fischen finden sich in der Thüringischen Kupfergrube bey Suhla(f)Spener, Miscellan. Berolinens. T. 1. p. 104 sq., in der Gegend von Coburg(g)Zinke in Voigt’s Mag. f. d. neuesten Zustand der Naturkunde. B. VII. St. 6. S. 512., zu Eisleben in der Grafschaft Mans - feld, zu Eichstädt in Baiern, bey Aix in der Provence, zu Grandmont bey Beaune in Bour - gogne, zu Montmartre und Nanterre bey Paris, zu Devey-Lou-Ranc bey Privas im Departement Ardeche, zu Vestena Nova im Veronesischen, zu Schio, Monteviale und Salzeo im Vicentinischen, zu Tolmezzo in Friaul, zu Alessano an der äus - sersten Spitze von Italien, Corfu gegenüber, zu Scapezzano, Monte Alto und auf dem Vorgebir - ge Focara im Herzogthume Urbino, zu Pietra - Roya in Campanien, zu Stabia, zu Gifon im Königreiche Neapel, auf der Insel Lesina in Dal - matien(h)Fortis Reise in Daimatien. Th. 2. S. 243 ff., auf Cerigo im Archipelagus, und auf dem Berge Libanon(i)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. 1. p. 109..

Die76

Die merkwürdigsten von diesen sind die von Vestena Nova, die in einem Kalkbruche am Fu - ſse des Monte Bolca liegen. Man sieht hier, sagt Faujas-St-Fond(k)A. a. O. p. 110. Fische von jeder Grö - ſse und jedem Alter. Die kleinsten sind einen Zoll, die gröſsten viertehalb Fuſs lang. Alle lie - gen der Länge nach und in der Richtung der Steinschichten ausgestreckt; keiner ist gekrüm - met. Im Pariser Museum der Naturgeschichte befindet sich ein Esox aus jenen Steinbrüchen, der einen kleinern Fisch seiner Art halb ver - schlungen hat. Einige dieser Ichtyolithen sind so glücklich gespalten, daſs ihre beyde Hälften sich von einander getrennt haben und ihre innern Theile entblöſst worden sind. Von solchen ent - halten manche im Magen kleine, noch unverdau - te Fische, die ihnen zur Nahrung gedient haben. Faujas-St-Fond schlieſst aus diesen Umständen mit Recht, daſs alle jene Thiere äusserst schnell getödtet seyn müssen. Zwischen ihnen kommen auch Seekrebse, Phytozoen und Pflanzen vor. Nach Faujas-St-Fond erkennet man unter ihnen eine Japanische Fistularia, einen Pegasus des In - dischen und Brasilischen Meers, und drey Indi - sche Chaetodonarten. La Cepède(l)Hist. nat. des poissous. T. 2. Discours prélimin. p. 54. sprichtgar77gar von dreyſsig Arten der Meere von Asien und Afrika, und der Küsten des heissen Amerika, die er unter den Ichtyolithen von Vestena Nova entdeckt haben will. Fortis fand manche der - selben den Abbildungen sehr ähnlich, die Brous - sonnet von Otaheitischen Fischen herausgege - ben hat(m)Faujas-St-Fond a. a. O. p. 112. Pl. V. VI..

Was von diesen Behauptungen zu halten ist, müssen wir dahin gestellt seyn lassen. Aber so viel läſst sich doch als ausgemacht annehmen, daſs wenigstens in den Europäischen Meeren nichts, den versteinerten Fischen von Vestena Nova Aehnliches vorhanden ist, und dieses Re - sultat bestätigt sich auch bey den Ichtyolithen, die in andern Gegenden vorkommen. Jussieu(n)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1721. Ed. 8. p. 93. 419. erhielt aus der Gegend von Montpellier eine ver - steinerte Kinnlade eines Fisches, die zu keiner Art der Europäischen Meere gehört haben konnte, hingegen mit der Kinnlade eines Chinesischen Fisches einigermaaſsen übereinkam. Faujas-St - Fond(o)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. 1. p. 353. hat einen fossilen Fisch beschrieben, der in den Steinbrüchen von Nanterre bey Pa - ris, 7 Fuſs unter der Erde und 10 Fuſs unter der Oberfläche des Steins gefunden wurde, undwel -78welcher zu den Coryphänen gehörte, also zu ei - nem Geschlechte, das sich in jetzigen Zeiten vor - züglich in den Meeren der heissen Climate auf - hält. Von eben diesem Geschlechte sollen auch Arten bey Schio und Monteviale im Vicentinischen gefunden seyn(p)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. 1. p. 113.. Die Fischskelette, die zu Le - sina in weiſslichtem Kalkschiefer liegen, welcher auch Abdrücke von Zoophyten und versteinerte Mieſsmuscheln enthält, sind ebenfalls, nach der Versicherung von Fortis(q)Reise in Dalmatien. Th. 2. S. 244., zuverläſsig nicht in dem Meere von Dalmatien zu Hause.

Wir haben schon bemerkt, daſs die Ichtyoli - then von Vestena Nova mit Kräuterabdrücken vermischt sind. Eben so verhält es sich mit de - nen, welche bey Vey-Lou-Ranc in einem mer - gelartigen, mit vulcanischen Produkten bedeckten Gesteine vorkommen. Die von Monteviale lie - gen in einem Schiefer, welcher an eine Steinkoh - lengrube stöſst, die von Salzeo unter einer Schichte, welche Spuhren von Pflanzen und ver - kohltes Holz enthält, und die von Eisleben über einem Steinkohlenflötze(r)Faujas-St-Fond a. a. O. T. 1. p. 113. 114. 118. 127. 134.. Diese Thatsachen sind es, worauf wir uns stützten, als wir oben behaupteten, daſs die vollständigern Ichtyolithenzum79zum Theil in einer Periode gelebt haben müs - sen, in welcher die Erde schon Pflanzen her - vorgebracht hatte. Manche Petrefakten von Fi - schen rühren aber aus weit spätern Zeiten her. So giebt es bey Oeningen einen Stinkschiefer, welcher Süſswasserfische, die man noch jetzt in den dortigen Gewässern findet, besonders Aale, enthält(s)Blumenbach in Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. V. St. 1. S. 21 ff., und ähnliche Ichtyolithen finden sich auch im Canton Glarus(t)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 52. 53. 56. und bey Sohlenhofen im Pappenheimischen. Eben diese Schiefer ent - halten überdem Versteinerungen von Krebsen(u)Andreä a. a. O. S. 55., von Libellenlarven und einer Menge anderer In - sekten(v)Ebendas. S. 52.. Bey Sohlenhofen wurde auch der Limulus gigas Müll. versteinert gefunden(w)Ebendas. S. 32. Tab. 4.. Aber diese Petrefakten sind offenbar erst in ganz neuern Zeiten gebildet, wie aus der Beschrei - bung erhellet, die Andreä in seinen Briefen von dem Oeninger Steinbruche geliefert hat(x)Der Oeninger Steinbruch liegt auf einem Berge bey dem Dorfe Wangen am Bodensee. Bey Bestei - gung dieses Berges findet man einen weichernund.

§. 14.80

§. 14.

Es ist merkwürdig, daſs in allen den Stei - nen, worin die Encriniten, Pentacriniten, Am -mons -(x)und einen festern Sandstein, welcher in einigen Gegenden voll Süſswasser-Musculiten stecket, deren perlmutterähnliche Schaale ganz verschiefert ist. Hin und wieder findet sich auch Granit, doch nur in losen Stücken, die abgerollet sind. Oben auf dem Berge ist die Dammerde thonig, und bedecket den Bruch nur sparsam, unter dieser kömmt ein weisser, nicht sehr harter, etwas schiefriger Mergel, welcher viele Blätter von allerley Bäumen enthält, die aber schlecht erhalten sind. Diese Lage ist einige Lachter dick. Hierauf folgt ein weiſsgrauer Schiefer, der sich in ziemlich dünne und groſse Blätter spalten läſst, und hierin finden sich oft In - sekten und Süſswasserschnecken, aber nur selten Blätter und noch seltener Fische. Unter dieser, einige Zolle mächtigen Schieferlage zeigt sich der graue Stinkstein in mächtigen Lagen. Er liefert eine Menge Dendriten, die aber nicht schön sind, und in ihm kommen auch die schönsten Blätter - und Fischabdrücke, doch nicht häufig, vor. Von Süſswassermusculiten trifft man oft ganze Nester darin an. Die Fische sind insgesammt solche, die in dem Bodensee gefunden werden. Alle liegen gerade ausgestrecket. Sie scheinen tod gewesen zu seyn, als sie in den Schlamm gekommen sind: denn man sieht deutlich, daſs einige vor der Ver -steine -81monshörner, Lenticuliten, und überhaupt die ältesten Polypen und Mollusken vorkommen, noch keine Spuhren von Phytozoen und Pflanzen, und selbst nicht einmal von Tangen, gefunden werden. Zwar versichert Pontoppidan in seiner Naturgeschichte von Dännemark, zu Faxoe in den dortigen Kalksteinen den Sargasso haufenwei - se gesehen zu haben. Allein auf diese Angabe läſst sich schwerlich viel bauen, und von eben so geringem Gewichte ist es, wenn Fortis(y)Reise in Dalmatien. Th. 2. S. 106. etwas dem Seegrase sehr Aehnliches in Dalmatien versteinert gefunden haben will, indem dieser hinzusetzt, der Stein, worin die Petrefakten vor - kämen, enthalte keine Ueberbleibsel von Seethie - ren, welches schwerlich der Fall seyn könnte, wenn diese Versteinerungen wirklich Tange - ren. Gleich nach denjenigen Gebirgsarten aber, welche Seethiere enthalten, zeigen sich in vielen Gegenden Lagen von Substanzen, welche offen - bar vegetabilischen Ursprungs, und oft mit Stein - arten bedeckt oder vermischt sind, worin sich zahlreiche Abdrücke von Phytozoen und Pflanzen befinden.

Zu

(x)steinerung schon angefaulet gewesen sind. Ausser - dem giebt es in jenem Stinksteine auch Schilf und Saamenkraut (Potamogeton): Andreä a. a. O. S. 56.

III. Bd. F82

Zu jenen Substanzen gehören vorzüglich die Steinkohlen, die bituminöse Holzerde (Cölnische Erde, Umbererde, Braunkohlen), die Holzkohlen und das fossile Holz. Diese bilden weit ausge - dehnte, mächtige Flötze. Es giebt aber auch Substanzen, welche von Phytozoen und Vegeta - bilien der Vorwelt entstanden sind, die jedoch meist nur einzeln vorkommen. Solche sind das versteinerte Holz, das mineralogische Federharz, der Gagat und der Bernstein.

Von jenen erstern Substanzen, welche schich - tenweise gelagert sind, entstanden die Steinkoh - len und die bituminöse Holzerde am frühesten. Denn jene ruhen in manchen Gegenden unmit - telbar auf Uebergangsgebirgen, und erstrecken sich in Tiefen, worin keine Spuhren von andern lebenden Wesen zu finden sind; diese zeigen einen Grad von Zersetzung, der nur in einer langen Reihe von Jahrhunderten herbeygeführt seyn kann. Spätern Ursprungs sind die Holz - kohlen und das fossile Holz, die noch deutliche Spuhren ihres vegetabilischen Ursprungs an sich tragen.

Doch auch die Steinkohlen rühren nicht alle aus einerley Periode her. Nach Werner’s Beob - achtungen giebt es überhaupt vier verschiedene Formationen der Steinkohlen und der verwand - ten harzichten Körper des Mineralreichs. Zurersten83ersten und ältesten gehören die Steinkohlenlager der Sandstein - und Flötzkalkgebirge. Diese finden sich aber nur theilweise. Die zweyte ist die eigentliche Steinkohlenformation, welche weite Flötze bildet, die mit mürbem Sandsteine, gro - bem Conglomerat, Schieferthon, Brandschiefer, verhärtetem Thon, Kalkstein, Mergel, Thonei - senstein, und der letzten Formation des Porphyrs vermischt sind. Die dritte ist den Flötztrappge - birgen eigen, und besteht aus Braunkohlen, bi - tuminösem Holze und Pechkohlen. Endlich die vierte, welche in den aufgeschwemmten Gebir - gen vorkömmt, enthält Holzkohlen und fossiles Holz; sie macht den Uebergang zu den Torfmoo - ren, die man als das fünfte Glied dieser Forma - tionsfolge ansehen kann.

Die Steinkohlen, die bituminöse Holzerde und das versteinerte Holz haben eine sehr weite Verbreitung. Steinkohlen giebt es fast allenthal - ben in Europa von Norwegen bis Portugal(z)Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen auf einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 45. 50. 84. 167. und Spanien(a)Fischee’s Gemählde von Valencia. Th. 2. S. 67.. Man findet sie in Siberien am Abakan im Berge Ysik, am Jenisei in derGe -F 284Gegend von Krasnojark(b)Pallas Reise durch versch. Provinzen des Russi - schen Reichs. Th. 2. S. 406. 410., am Magdalenfluſs, nordwärts von Quito auf einer Höhe von 2000 Toisen(c)Journal de Phys. T. XXXVIII. p. 30., und in Chili(d)Molina’s Nat. Gesch. von Chili. S. 67.. Nur in den nie - drigen Gegenden der heissen Zonen scheint diese Substanz nicht vorhanden zu seyn.

Zwar seltener, aber auch in sehr verschiede - nen Gegenden kömmt die bituminöse Holzerde vor. Man trifft sie in mehrern Gegenden von Deutschland, z. B. im Cölnischen, Bergischen, Jülichschen, Sächsischen, Coburgschen u. s. w. in Schweden, England, der Schweitz, Italien, Ae - gypten und im Orient an(e)Von Hüpsch in Voict’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik. B. IX. St. 2. S. 57..

Den Bernstein findet man nicht nur in ver - schiedenen Gegenden von Europa, z. B. in Ostpreussen, bey Groſswieg ohnweit Pretsch, bey Schmiedeberg nicht weit von Torgau in Sachsen, in der Mark Brandenburg, bey Oster - holz im Bremischen(f)Von Beroldingen’s Beobachtungen u. s. w. die Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1. 2te Aufl. S. 347 ff., in dem Mizuner Erzge -birge85birge von Galizien(g)Hacquet’s neueste physikalisch-politische Reisen durch die nördlichen Karpathen. Th. 3. S. 72., in der Provence(h)Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1700. Ed. 8. p. 14., bey Marseille(i)Ebendas. 1703. p. 17., in Sicilien(k)Ebendas. 1705. p. 54. Brydone’s Reise durch Malta u. Sicilien. Th. 2. S. 225., im Modenesischen und in Asturien(l)Von Beroldingen a. a. O. S. 358., sondern auch in Siberien an den Küsten des Eismeers neben groſsen Stük - ken Steinkohlen, die von der See gerollet sind(m)Pallas Reise durch versch. Provinzen des Rus - sischen Reichs. Th. 3. S. 30., und in der südlichen Erdhälfte auf Madagascar, wo er von vorzüglicher Schönheit ist(n)Blumenbach’s Handb. der Nat. Gesch..

Versteinertes Holz ist vorzüglich häufig in den Afrikanischen Sandwüsten, wo ganze, mit Kieselerde durchzogene Baumstämme vorkommen. Daſs es auch in Europa und im nördlichen Asien gefunden wird, dürfen wir als bekannt voraussetzen(o)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. 1. p. 380.. Im südlichen Asien sahe Son - nerat(p)Reise nach Indien und China. B. 1. S. 22. 23. auf den mittelmäſsig hohen Ber -gen,F 386gen, die sich bey Trevikarre, einem nicht weit von Pondichery gelegenen Flecken befinden, und welche in jetzigen Zeiten so unfruchtbar sind, daſs aus gänzlichem Mangel an Erde auch das kleinste Gras noch nie dort hat Wurzel schlagen können, sehr dicke versteinerte Bäume an der freyen Luft liegen.

Die Steinkohlen, die bituminöse Holzerde und das fossile Holz kommen, wie gesagt, in sehr weiten Flötzen vor. Faust versichert von dem fossilen Holze des Meiſsner zwischen Allen - dorf und Almerode im Hessischen, alle hessische Wälder enthielten jetzt nicht so viel Holz, wie sich unter dem einzigen Meiſsner fände. Eine gleiche Ueppigkeit der Vegetation giebt es heut zu Tage nur noch in den heissen Zonen, und besonders im wärmern Amerika, wo der Missi - sippi, der Amazonenfluſs und andere Ströhme oft eine so groſse Menge Holz mit sich führen, daſs sie zuweilen blos dieser Ursache wegen un - schiffbar werden. Jene Thatsachen beweisen also, daſs die ersten Phytozoen und Pflanzen, welche dem Schooſse der Erde entkeimten, nicht min - der fruchtbar waren, als die ersten Thierpflanzen.

Wir haben ferner gesagt, daſs auf und zwi - schen den Steinkohlenflötzen häufig Schiefer mit Abdrücken von Phytozoen und Pflanzen gefun -den87den werden. Am reichsten an diesen Abdrücken sind die Steinkohlen der zweyten Formation; nicht so viele kommen in denen der ersten For - mation vor; noch weniger finden sich in der For - mation der Trappgebirge, und gar keine in den bituminösen Holz - und Erdlagern(q)Von Schlotheim’s Beschreibung merkwürdiger Kräuterabdrücke und Pflanzenversteinerungen. H. 1. S. 18.. Die mei - sten liegen in dem Schieferthone, welcher ge - wöhnlich das unmittelbare Dach der Steinkohlen - flötze ausmacht, und in dem darüber befindli - chen Kohlensandsteine(r)Ferber’s Versuch einer Oryktographie von Der - byshire. S. 22. Von Schlotheim a. a. O. S. 20..

Unter jenen abgedruckten Phytozoen sind Farrnkräuter die häufigsten, oft auch die einzi - gen. Zwar läſst sich nicht läugnen, daſs es nicht auch versteinerte Flechten und Moose giebt. Ferber erwähnt eines weissen Achats aus dem Grummbachschen, worin eine Flechte eingeschlos - sen war. Zugleich bemerkt er, daſs wenn auch wirkliches, in Achat eingeschlossenes Moos eine Seltenheit ist, und das Meiste, was dafür ausge - geben wird, nur eingeschlossene Erden sind, doch kein Grund vorhanden sey, das Daseynder -F 488derselben gänzlich zu läugnen(s)Ferber’s bergmännische Nachrichten von den merkwürdigsten mineralogischen Gegenden der Her - zogl. Zweybrückischen u. s. w. Läuder. S. 75. Mém. de l’Acad. des sc. de Berlin. 1790 et 91. p. 153.. Das Nehmli - che erinnert D’Aubenton, und dieser versichert auch, neun Arten von Gewächsen, worunter sich ein Wasserfaden(t)D’Aubenton giebt diesen für Conferva rivularis L. aus. Allein es ist schwer zu glauben, daſs sich die innere Struktur dieser Conferve, worin doch blos ihre unterscheidenden Merkmale liegen, in einer Versteinerung erhalten haben sollte, und darin zu erkennen gewesen wäre. und ein Laubmoos mit Kapseln befand, mit Hülfe des Microscops im Achat entdeckt zu haben(u)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1782. p. 667.. Indeſs bleibt so viel gewiſs, daſs diese Abdrücke und Versteine - rungen, die immer nur im Achat vorkommen, zu den Seltenheiten gehören, und von weit spä - terer Entstehung sind, als diejenigen, die in den Steinkohlenflötzen gefunden werden.

Es war also die Familie der Farrnkräuter, welche unter den vegetabilischen Gebilden zu - erst erzeugt wurde. Warum die Natur diesen Weg einschlug, würde sich erklären lassen, wenn man annähme, daſs das Clima der Gegenden, in welchen jene Farrnkräuter entstanden, dem derjetzi -89jetzigen heissen Zonen ähnlich gewesen wäre. Man weiſs nehmlich, daſs in diesen Gegenden Farrnkräuter die häufigsten, oder gar die einzi - gen Phytozoen sind(v)Biol. B. 2. S. 152.. Ausserdem ist bey der Erklärung jener Thatsache der Umstand in Erwä - gung zu ziehen, daſs der Boden, aus welchem die ersten Landgewächse hervorkeimten, blos aus Steinen ohne alle Dammerde bestand. So wach - sen auch noch heut zu Tage die Farrnkräuter aus Steinritzen hervor, in denen oft nicht ein Atom Erde haftet, und manche, z. B. das Poly - podium filix mas, verdrängen da, wo sie häufig sind, alle übrige Pflanzen, und sogar alle Moo - se(w)Slevogt in Voigt’s Magazin f. d. neuesten Zu - stand der Naturkunde. B. VI. S. 477..

Mit unserer obigen Meinung von dem Cli - ma, in welchem die ersten vegetabilischen For - men erzeugt wurden, stimmet auch noch eine andere Thatsache überein, die sich bey einer Vergleichung der Farrnkräuter aus den Zeiten der Vorwelt mit den jetzt lebenden Arten dieser Fa - milie ergiebt. Es zeigt sich nehmlich, daſs von allen jenen Phytozoen heut zu Tage nur in den heissen Zonen, nicht aber in den gemäſsig - ten, und noch weniger in den kalten Ländern etwas Aehnliches existirt. Diese Bemerkungmach -F 590machte schon Leibnitz an den Farrnkräutern, die man in der Gegend von Osterode, von Eis - leben, und an mehrern andern Orten von Deutsch - land findet(x)Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1706. Ed. 8. p. 11.. Jussieu bestätigte sie nachher an den Abdrücken, die in den Steinkohlengruben von Saint-Chaumont vorkommen, und welche zum Theil so vollkommen erhalten sind, daſs sich noch die tiefen Eindrücke der auf der Rük - kenseite der Blätter sitzenden Saamencapseln un - terscheiden lassen. Ich glaubte, sagt dieser Na - turforscher, unter jenen Trümmern der Vergan - genheit in einer andern Welt zu botanisiren(y)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1718. Ed. 8. p. 366.. Sie wurde ferner von Ferber an den Abdrücken und Versteinerungen gemacht, die an dem Peak von Derbyshire in einem schwarzen Thonschie - fer, der gleich unter der Dammerde über den dortigen Steinkohlen liegt, und in den thonich - ten und mergelartigen Schichten, die zwischen und über den eigentlichen Kohlenbetten an verschie - denen Orten die Stelle jenes Schiefers einnehmen, befindlich sind(z)Ferber’s Versuch einer Oryktographie von Der - byshire. S. 22.. Endlich fanden Bridel, Grimm und von Schlotheim bey einer Verglei - chung der Abdrücke von Farrnkräutern mit denheu -91heutigen Gewächsen dieser Familie die Behaup - tung ihrer Vorgänger, daſs jene Ueberbleibsel, einige wenige ausgenommen, bey welchen noch Zweifel statt finden, offenbar Produkte eines wärmern Himmelsstrichs sind, so vollkommen gegründet, daſs dieser Satz, ihrer Meinung nach, nunmehr als ganz entschieden anzusehen seyn möchte(a)Von Schlotheim a. a. O. S. 18.. Zu diesen zweifelhaften Arten ge - hört eine der Hippuris vulgaris L. sehr ähnliche Pflanze, die unter den Farrnkräuterabdrücken sehr häufig vorkömmt(b)Scheuchzer Herbar. diluvian. Tab. I. fig. 3. 5. Tab. II. fig. 1. Walch’s Nat. Gesch. der Versteine - rungen. Tab. 10. fig. 2. Tab. 10. 11. fig. 1. Von Schlotheim a. a. O. Tab. I. fig. 1. 2. Tab. II. fig. 3.. Allein die Gröſse und Dicke der Stengel bey verschiedenen Exem - plaren und der Umstand, daſs sich zuweilen meh - rere Aeste aus einem gemeinschaftlichen Stamme zu verbreiten scheinen, machen es doch wahr - scheinlich, daſs eine Verschiedenheit zwischen diesen Gewächsen statt findet(c)Von Schlotheim a. a. O. S. 31.. Was die übrigen jener Abdrücke betrifft, so ist es in der That schon hinreichend, auf man - che derselben nur einen Blick zu werfen, um sich zu überzeugen, daſs sie blos in ei - nem wärmern Himmelsstriche entstanden seynkön -92können. Viele sind von einer solchen baumarti - gen Gröſse, wie unter den heutigen Farrnkräu - tern die Zamia, Cycas, das Polypodium medul - lare Forst., Equisetum giganteum und andere den Inseln Westindiens, des Indischen Oceans und des stillen Meers eigene Pflanzen.

Eine Vergleichung jener Abdrücke mit den heutigen Farrnkräutern zeigt aber nicht nur, daſs jene blos in einem wärmern Clima erzeugt seyn können; sie beweist auch, daſs jene Ab - drücke, gleich den Zoophyten und Mollusken der Uebergangsgebirge und der ältern Flötzgebirge, sich von den Körpern der jetzigen lebenden Na - tur merklich unterscheiden. Zwar giebt es eini - ge, welche heutigen Farrnkräutern ähnlich sind, z. B. eine Art, die sich der Pteris aquilina L. - hert(d)Von Schlotheim a. a. O. Tab. IV. fig. 7. 8. S. 34., eine andere, die mit dem Polypodium Oreopteris Ehrh. Aehnlichkeit hat(e)Ebendas. Tab. IV. fig. 12. S. 40., eine drit - te, welche dem Polypodium fragile L. verwandt ist(f)Ebendas. Tab. X. fig. 17. S. 47., und eine vierte, worauf die Charaktere des Adianthum Chusanum L. zu passen schei - nen(g)Ebendas. Tab. X. fig. 18. S. 49.. Allein von keiner dieser Arten läſstsich93sich behaupten, daſs sie jetzigen Farrnkräutern wirklich gleich, und nicht blos ähnlich sind; hingegen von vielen leidet es keinen Zweifel, daſs sie unter dem, was uns von der heutigen Familie der Farrnkräuter bekannt ist, nichts Ana - loges haben.

Bald nach der Periode, in welcher diese Farrnkräuter erzeugt wurden, bildeten sich auch wahre Pflanzen: denn in den meisten Flötzla - gern, in welchen jene Phytozoen enthalten sind, finden sich auch Ueberbleibsel der letztern, je - doch in weit geringerer Menge. An diesen be - stätigt sich nun ebenfalls unsere obige Vermu - thung von dem Clima und dem Boden der Ge - burtsörter jener Pflanzen. Wir finden nehmlich, daſs sehr häufig unter diesen Gewächsen Palmen - arten vorkommen. Ueberbleibsel von Palmen traf Jussieu zu Saint-Chaumont in derselben Ge - gend an, wo die erwähnten Abdrücke von Farrn - kräutern vorkommen(h)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1718. Ed. 8. p. 367.. Versteinerte Stämme von Palmen, die in Frankreich entdeckt wurden, sind ferner in den ältern Abhandlungen der Pari - ser Akademie beschrieben(i)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris avant 1699. T. 2. p. 140. T. 10. p. 140.. In der Gegend von Eschweiler, wo man auch artikulirte, gerei -felte94felte Versteinerungen antrifft, die dem Equise - tum giganteum L. ähnlich sind, fand man einen groſsen Theil eines versteinerten starken Baums, welcher, der Rinde nach, zum Geschlechte der Palmen gehörte(k)Von Crell, Schriften der Berlin. Gesellsch. B. IV. S. 416.. Zu Brühl und Liblar, ohn - weit Cöln, giebt es in den dortigen Gruben, welche die Cölner Erde liefern, Blöcke verkohl - ten Holzes, die oft einen Durchmesser von zwey Fuſs und eine Länge von funfzehn Fuſs haben, nie aber mit Wurzeln und Zweigen versehen sind, und Nüsse, die von einer Palmenart her - rühren müssen, und groſse Aehnlichkeit mit de - nen der Areca Cathecu L. haben(l)Faujas-St-Fond, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. I. p. 445.. Alle Pal - men nun sind Bewohner der wärmern Himmels - striche, und wachsen dort in dem trockensten, dürresten Boden. Wir haben also an diesen Thatsachen einen neuen Beweis. daſs die Vege - tation in den wärmern Zonen ihren Anfang nahm, und daſs die ersten Gewächse, welche die Erde hervorbrachte, solche waren, die keiner Damm - erde und keines feuchten Bodens zu ihrem Fort - kommen bedürfen. Zugleich sehen wir, daſs die Bildung der Vegetabilien von den Farrnkräu - tern zu den Palmen, also zu derjenigen Familiedes95des Pflanzenreichs, welche mit jenen Phytozoen zunächst verwandt ist, fortschritt.

Die übrigen Abdrücke und Versteinerungen von Pflanzen, die von älterer Entstehung sind, gehören ebenfalls solchen Familien und Geschlech - tern an, deren Heimath blos die heissen Climate sind. Jussieu fand unter den Pflanzenabdrücken von Saint-Chaumont eine Figur, die der Saa - mencapsel der Nyctanthes arbor tristis L., einer Pflanze, die im heissen Asien wächst, sehr nahe kam(m)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1721. Ed. 8. p. 89.. Ueberhaupt traf er unter allen jenen Abdrücken nicht einen einzigen an, wovon das Original in Frankreich vorhanden wäre(n)Ebendas. 1718. p. 367.. Ab - drücke und Versteinerungen fremder Gewächse kommen ferner unter den Phytolithen von Der - byshire vor(o)Ferber’s Versuch einer Orykrographie von Der - byshire. S. 22., und hier giebt es auch ein elasti - sches fossiles Harz, das dem Caoutchouk sehr ähn - lich ist, da doch alle Gewächse, wovon das gemei - ne Caoutchouk kömmt, nur zwischen den Wende - cirkeln, theils in Indien (Cecropia peltata, Hippo - mane biglandulosa, Ficus religiosa, Artocarpus in - tegrifolia), theils in Madagascar (Vahea Lamarck. ),und96und theils im südlichen Amerika (Hevea Gui - anensis, Castilla elastica Cavanill. ) einheimisch sind(p)Faujas-St-Fond a. a. O. p. 261.. Bey Landshut in Schlesien findet man versteinerte Blätter, welche den Blättern der Opuntie sehr ähnlich sind(q)Volkmann Silesia subterranea. P. 1. p. 106. Tab. XI. fig. 1., und in einem grauen Schiefer unter den Steinkohlengruben zu Weisstein ohnweit Liegnitz in Schlesien ein sehr breites, gestreiftes Rohr, welches Aehnlichkeit mit dem Zuckerrohre hat(r)Volkmann a. a. O. P. I. p. 110. Tab. XIII. fig. 7.. In mehrern Schie - ferbrüchen und Steinkohlengruben von Deutsch - land und England liegen sehr groſse, oft ästige, mit Schuppen bedeckte Pflanzenabdrücke, die mit keinem bekannten Gewächse ganz überein - kommen, auf jeden Fall aber Erzeugnisse eines warmen Clima seyn müssen(s)Volkmann. P. I. Tab. XV. fig. 4. P. III. Tab. IV. fig. 6. Da Costa, Phil. Trans. Vol. L. P. I. Tab. V..

Diese gröſsern rohrartigen und ästigen Ab - drücke kommen gewöhnlich mit den baumartigen Farrnkräutern in dem Kohlensandsteine vor, wel - cher über dem Schieferthone liegt, der das un - mittelbare Dach der Steinkohlen ausmacht. Oft stehen sie aufrecht, und ragen aus dem Schie -fer -97ferthone und dem Kohlenlager selbst in den Sand - stein so hinauf, als ob sie an Ort und Stelle ge - wachsen, und mit Sand überschüttet worden - ren(t)Von Schlotheim a. a. O. S. 20. 21.. Habel(u)Beyträge zur Nat. Gesch. der Nassauischen Län - der. S. 31. sahe in der Sandgrube bey Duttweiler einen solchen Stamm, der am unter - sten Ende beynahe 1 Fuſs im Durchmesser hatte, wenigstens einige 40 Fuſs durch die Schichten des Kohlendachs hervorragen.

Bey manchen dieser versteinerten Stämme und Aeste ist der Queerdurchschnitt nicht cirkel - förmig, sondern zusammengedrückt(v)Von Schlotheim a. a. O. S. 21., und eben dies findet auch bey manchem bituminösen Holze statt, besonders bey dem Isländischen Su - turbrande, einem schweren, harten und schwar - zen fossilen Holze, welches in groſser Menge auf Island, ziemlich tief in der Erde, zwischen Felsenstücken oder groſsen Steinen, in breiten, dünnen und langen Stücken liegt, und sich ganz wie Holz bearbeiten läſst(w)Horrebow’s Nachrichten von Island. §. 19. S. 95. 96.. An diesem Holze sind die Jahrringe noch kenntlich. Statt concen - trische Ringe zu bilden, laufen sie aber parallel,undIII. Bd. G98und sind am Ende durch Krümmungen mit ein - ander verbunden(x)Bergmann Opuscul. T. III. p. 239.. Vielleicht rührt jene Fi - gur von der Last der Gebirgsschichten her, die über dem Holze liegen; vielleicht aber ist sie auch ursprünglich, und in diesem Falle würde sich hiervon ein neuer Beweis für die Verschie - denheit der fossilen Pflanzen von den jetzigen Gewächsen hernehmen lassen, indem keines der letztern eine solche Struktur hat. Doch ist die erstere Ursache um so wahrscheinlicher, da auch die Orthoceratiten, die in Kalksteinlagern voll - kommene Kegel vorstellen, im Thonschiefer zu dreyeckigen Flächen zusammengedrückt sind(y)Beromann a. a. O..

Selten oder nie findet man unter den Ver - steinerungen der ältern Flötzgebirge Nadelhöl - zer(z)Henkel Flora saturnizans. p. 515. Walch’s Stein - reich. Th. 1. S. 126. Bey Volkmann (Siles. sub - terran. P. I. Tab. XXII. fig. 4.) ist zwar eine Verstei - nerung abgebildet, die allerdings von einem Tan - nenzapfen zu seyn scheint. Aber es sind bey ihm, wie bey allen Schriftstellern seiner Zeit, keine Merkmale angegeben, woraus sich das Alter dieses Petrefakts beurtheilen läſst. Die versteinerten Hölzer (Tab. VII. VIII. IX. ), die er für Nadelhöl - zer ausgiebt, sind gewiſs etwas ganz Anderes., und diese Thatsache schlieſst sich eben -falls99falls an die bisher erwähnten an. Man weiſs nehmlich, daſs in jetzigen Zeiten die Familie der Nadelhölzer fast blos den kalten und gemäſsigten Zonen angehört. Wenn also die ersten Vegeta - bilien, welche die Erde hervorbrachte, unter ei - nem heissen Himmelsstriche erzeugt wurden, so ist es aus der Analogie der jetzigen Natur erklär - bar, warum Nadelhölzer selten, oder vielleicht gar nicht unter den frühern Phytolithen vor - kommen.

Die angeführten Farrnkräuter und Pflanzen waren es, aus deren Zusammenhäufung und Zer - setzung die Steinkohlen und die bituminöse Holz - erde ihren Ursprung nahmen. Wahrscheinlich gingen jene Gewächse zuerst in eine torfartige Substanz, hieraus in bituminöse Holzerde, und dann in Steinkohlen über, indem manche Arten von Torf so nahe an jene Erdart, und manche Arten der bituminösen Holzerde so nahe an die Steinkohlen gränzen, daſs es zweifelhaft ist, wo - hin man sie zu rechnen hat(a)Wiedemann’s Handb. der Mineralogie. S. 630.. Vermuthlich hatten aber auch unterirdische Feuer an der Bil - dung der Steinkohlen Antheil: denn erstens kom - men in der Nähe der Steinkohlen so häufig war - me Quellen vor, daſs zwischen jenen und den letztern nothwendig eine Causalverbindung stattfindenG 2100finden muſs. Aber eben diese Quellen entsprin - gen in manchen Gegenden aus dem Granit. Sie können also nicht, wie man gewöhnlich glaubt, von einem unterirdischen Brande herrühren, son - dern müssen eine weit tiefer liegende Ursache haben, wovon die Steinkohlen Nebenwirkungen sind(b)Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen auf einer Reise durch das südwestliche Europa. S. 53.. Unsere Meinung erhält zweytens auch dadurch eine Bestätigung, daſs man höchst sel - ten unter den Kräuterabdrücken, die in dem Dachgestein der Steinkohlenflötze enthalten sind, Versteinerungen von Muscheln und Schnecken findet. Daſs sich dergleichen Körper anfangs mit unter jenen Gewächsen befunden haben, läſst sich schwerlich bezweifeln, wenn man nicht zu sehr unwahrscheinlichen Voraussetzungen seine Zu - flucht nehmen will. Diese Conchylien aber muſs - ten sich, ihrer Schwere wegen, zn den untern Schichten herabsenken, wo sie durch die Er - hitzung, welche diese Schichten erlitten, calci - nirt und ihrer Struktur beraubt wurden. Ein Nebenprodukt des chemischen Processes, wo - durch die Formation der Steinkohlen bewirkt wurde, war übrigens die Naphtha, wovon das Bergöl, Bergtheer, Erdpech und der Asphalt, vielleicht auch der Gagat, bloſse Modificationen zu seyn scheinen(c)Hatchett in Scherer’s allgem. Journal der Che - mie. B. IV. S. 262..

Von101

Von neuerer Entstehung als die Steinkohlen und die bituminöse Holzerde sind das bituminöse Holz und die Holzkohlen, die sich von den Steinkohlen durch einen weit geringern Grad von Zerstöhrung ihrer Organisation unterscheiden, indem man an den meisten noch Wurzeln, Stamm, Aeste, Jahrwüchse, und sogar oft die Holzart erkennen kann. Als diese Substanzen sich bil - deten, näherte sich die lebende Natur schon ih - rer jetzigen Gestalt: denn unter ihnen trifft man mehrere Holzarten an, die noch jetzt in dersel - ben Gegend wachsen. So finden sich in dem bey Holzheim liegenden Holzkohlenflötze Stücke Holz, welche deutlich für Kiemen oder Fichten zu erkennen sind(d)Ries mineralogische u. borgmännische Beobach - tungen über einige hessische Gebirgsgegenden.. So sahe von Beroldin - gen(e)Beobachtungen, Zweifel u. Fragen die Minera - logie u. s. w. betreffend. 1ter Vers. 2te Aufl. S. 95. in Turgau einen Baum, wovon der Stamm verkohlt, die Wurzeln aber in einem har - ten Sandstein eingeschlossen und gröſstentheils versteinert waren, und in diesem Sandsteine fan - den sich verschiedene Blätterabdrücke, unter de - nen ein Blatt der Plantago latifolia L. deutlich zu erkennen war. Ja, in manchen Flötzen von Holzkohlen und bituminösem Holze, z. B. in dem des Meiſsner zwischen Allendorf und Alme -rode,G 3102rode, in dem von St. Agnes bey Lons-le-Sonnier, und in dem von Katoiskoi Ostrog am Uralischen Gebirge, giebt es Holzstücke, die schon von Menschenhänden bearbeitet zu seyn scheinen(f)Von Beroldingen a. a. O. S. 97. Hermann’s Beschreibung des Uralischen Erzgebirges. S. 181. Ruffey, Mém. de l’Acad. de Dijon. T. 1. p. 47.. Unter den Holzarten der Flötze von St. Agnes las - sen sich Eichen, Hagebuchen, Buchen und Espen erkennen. Ein fossiles Holz, das man bey Han - növerisch Münden findet, hat ziemlich viele Aehn - lichkeit mit dem der Roſscastanie(g)Blumenbach’s Handb. der Nat. Gesch.. In eini - gen Schichten von fossilem Holze kommen aber auch Ueberbleibsel von Gewächsen vor, die in keiner benachbarten Gegend mehr gefunden wer - den. Dies ist z. B. der Fall mit demjenigen, welches in Ostpreussen neben dem Bernsteine liegt. Zwischen diesem trifft man Nüsse an, welche die Figur von Mandelschaalen haben, in - wendig aus kleinen, den Bienenwaben ähnlichen Zellen bestehen, und von keinem Europäischen Baume herzuleiten sind(h)Von Beroldingen a. a. O. S. 348. 349..

In die Periode, worin sich die Holzkohlen bildeten, fällt ohne Zweifel die Entstehung der meisten Versteinerungen von Pflanzen, wovondie103die Originale noch jetzt in den Gegenden der La - gerstäten dieser Petrefakten leben, z. B. der Ab - drücke von Buchen - und Erlenblättern im Eisen - ocker bey Mizun in Galizien(i)Hacquet’s neueste Reisen durch die nördl. Kar - pathen. Th. 3. S. 63. 64.; der versteiner - ten Blüthen von Ranunkeln und ganzer Zweige des Bergahorns (Acer montanum L.) mit daran hängenden Blättern im Oeninger Schiefer(k)Blumenbach in Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. V. St. 1. S. 24. Von Berol - dincen a. a. O. S. 242.; der Blätter von Buchen, Weiden, Aepfelbäumen und andern einheimischen Bäumen, die bey Berlingen an der südwestlichen Seite des Bodensees in ei - nem Sandsteine vorkommen, der mit kleinen Kieseln, Glimmer, vielen Versteinerungen von Landschnecken, z. B. Helix citrina, arbustorum, lucorum u. dgl. und Fragmenten von Hirschgewei - hen vermischt ist(l)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 59.; der versteinerten Wallnüs - se von Lamorra in Piemont(m)Andreä a. a. O. S. 42. 53. 58. Tab. 5. fig. l. 1.; der Abdrücke von der Anemone hepatica, Anemone sylvestris, Asperula odorata und andern Waldpflanzen beySt.G 4104St. Imbert(n)Von Beroldingen a. a. O. S. 129.; und der Frankenberger Kornähren in Fahlerz(o)Waldin’s Frankenberger Versteinerungen. Tab. 1. fig. 1-5..

Aber manche solcher Abdrücke und Verstei - nerungen sind von noch neuerer Entstehung: denn auch in heutigen Zeiten fährt die Natur noch fort, Steinschichten und Petrefakten zu er - zeugen. Ich habe, sagt Saussure, am Ufer des mittelländischen Meers auf dem Faro di Messina, nahe am Schlunde der Charybdis, Sand gesehen, welcher noch beweglich ist, wenn ihn die Wel - len am Ufer anhäufen, der aber, durch den vom Meere hinein filtrirten kalkartigen Kütt, nach und nach bis zur Festigkeit eines Mühl - steins verhärtet. Diese Thatsache ist in Mes - sina bekannt; man nimmt täglich vom Ufer Stei - ne hinweg, ohne daſs der Vorrath erschöpft, oder das Ufer niedriger würde. Die Wellen werfen wieder Sand in die leeren Plätze, und in wenig Jahren küttet sich dieser so zusammen, daſs die neu gebildeten Steine von den alten nicht zu un - terscheiden sind(p)Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 281.. Eine ähnliche Thatsache erzählt Molina. Dieser versichert, daſs man in Chili nicht weit von Valparaiso einige vier -eckige,105eckige, ganz versteinerte Bäume in seiner Ge - genwart ausgegraben habe, woran noch ganz deutlich die Hiebe Europäischer Beile zu erken - nen waren, und die also erst lange nach der An - kunft der Spanier in Chili angefangen haben muſsten, versteinert zu werden. Der Chilesi - sche Weidenbaum, fährt Molina fort, ist viel - leicht zu dieser Versteinerung am geschicktesten; überall findet man Petrefakten von Zweigen des - selben; man darf nur das Holz dieses Baums in ein sandiges und feuchtes Erdreich graben, so wird es gleich versteinert(q)Molina’s Nat. Gesch. von Chili. S. 97..

Noch müssen wir einer merkwürdigen Er - scheinung erwähnen, welche, nach dem Zeug - nisse des Abbé de Sauvages(r)Mém. de l Acad. des sc. de Paris. 1743. Ed. 4. p. 407., in einem bey Alais liegenden Flötze statt findet. In dieser Gebirgsart, die vorzüglich aus Sand und Ocker besteht, trifft man neben solchen Phytolithen, welche einheimischen Gewächsen angehören, an - dere an, deren Originale nirgends in der dortigen Gegend vorhanden sind. Es giebt hier Baum - stämme, welche theils versteinert, theils in Stein - kohlen verwandelt sind, und nicht weit davon Abdrücke von Farrnkräutern und von mehrernArtenG 5106Arten der Iris, des Galium, der Centaurea und des Geranium, die zum Theil noch Blumen tra - gen, und insgesammt mit einheimischen Pflanzen übereinkommen. Nahe dabey liegen aber auch Abdrücke sehr groſser Blätter, von welchen die gröſsten 8 Zoll breit, über 6 Fuſs lang und mit Rippen versehen sind, die sich nicht zerästeln, sondern von der Basis bis zur Spitze des Blatts fast parallel mit einander fortgehen, und in un - gleichen Zwischenräumen knotige Artikulationen haben. Alle diese Abdrücke befinden sich in ei - nem grauen Schiefer; alle sind vollkommen aus - gebreitet; kein Blatt hat Biegungen und Falten; jedes ist mit den Schieferlagen parallel, und die ausländischen Arten liegen dicht neben den ein - heimischen. Jedoch sind diese nie mit jenen vermischt, sondern haufenweise von einander abgesondert.

Zu den jüngsten Ueberbleibseln der groſsen Revolutionen, welche die Erdfläche erlitten hat, gehören endlich noch die vielen verschütteten Wälder, die in vielen Gegenden des nordwestli - chen Europa, besonders in Holland, Ostfriesland, im Bremischen und in Dänemark unter den dortigen Torfmooren vorkommen(s)Leibnitii Protog. p. 80. 84.. Die Wur - zeln dieser Bäume stehen alle im Sandboden, und sind mit 8 bis 18 Fuſs hohen Torfschichtenbe -107bedeckt. Gewöhnlich sind die Stämme abgebro - chen. Oft hat der fallende Stamm die Hälfte der Wurzeln aus dem Sande gehoben. In Ost - friesland sind die meisten dieser Bäume Nadel - hölzer und Eichen. Der letztern giebt es aber nicht so viele, als der erstern. In einigen Ge - genden findet man auch unterirdische Wälder, die ebenfalls in sandigem Boden eingewurzelt, aber blos mit Damm - und Thonerde bedeckt sind. Diese Bäume stehen fast alle noch aufrecht, sind von niedrigem Wuchse, und theils abgebrannt, theils abgehauen. Dem Zeugnisse einiger Chro - niken zufolge, war die Ursache des Umsturzes und der Verschüttung jener Wälder die groſse Cimbrische Wasserfluth, wodurch im Jahre 340 vor Christi Geburt ganz Holland und der an die Nordsee gränzende Theil von Deutschland über - schwemmt, Schonen vom festen Lande gerissen, der Sund entstanden, und England von Frank - reich, so wie Seeland von Flandern getrennt seyn soll(t)Weis in den Schriften der Berlin. Gesellsch. B. V. S. 337..

Das bisher Angeführte ist die Summe unse - rer jetzigen Kenntnisse von den Umwandlungen, welche die Flora der Vorwelt seit ihrer Entste - hung erlitten hat. Sie ist noch zu gering, um mit Genauigkeit die verschiedenen Perioden die -ser108ser Veränderungen schildern zu können. So viel scheint indeſs aus den erwähnten Thatsachen hervorzugehen, daſs sich vier Hauptformationen jener Flor annehmen lassen. Die erste ist gleich - zeitig mit der Steinkohlenformation der Sandstein - und Flötzkalkgebirge. Diese besteht ganz aus untergegangenen Farrnkräutern. Die zweyte ge - hört in diejenige Periode, in welcher sich die eigentlichen Steinkohlenflötze bildeten. Diese enthält, ausser Farrnkräutern, schon wahre Pflan - zen, worunter vorzüglich palmen - und rohrar - tige vorkommen. Vielleicht giebt es unter die - sen auch einige Arten, die noch jetzt vorhanden sind. Alle aber sind Produkte eines wärmern Himmelsstrichs. Die dritte Formation entstand zu gleicher Zeit mit den Flötztrappgebirgen. In ihr finden sich Erzeugnisse der kältern Climate neben solchen, die nur aus einem Palmenclima herstammen können. Zu dieser müssen ohne Zweifel die von Sauvages bey Alais entdeckten Abdrücke und Versteinerungen gerechnet werden. Endlich die vierte Formation gehört den ange - schwemmten Gebirgen an, und enthält einheimi - sche Gewächse, die sich zum Theil bis auf den heutigen Tag erhalten haben.

Die dritte dieser Formationen zeichnet sich noch durch einen merkwürdigen Umstand aus, der uns vielleicht Aufschluſs über die groſse Uep -pig -109pigkeit der ehemaligen Vegetation geben kann. Auf dem Habichtswalde bey Cassel nehmlich liegt ein Holzkohlenflötz, das, nach der Versicherung von Ries, vulcanische Laven zur Unterlage hat, und mehrere Lachter hoch mit vulcanischer Lave be - deckt ist. Eine ähnliche Erscheinung zeigt sich auf dem Meiſsner bey Allendorf. Von dem dor - tigen Flötze von bituminösem Holze ist das Lie - gende ein Conglomerat von Kalkstein, Sand, Thon und Bitumen, das Dach aber ein, die obere Hälfte des Berges ausmachender Basalt(u)Ries mineralogisch-bergmännische Beobachtungen über einige hessische Gebirgsgegenden. S. 69 ff.. Liesse sich nun als ausgemacht annehmen, daſs die Unterlage und das Dach der Holzkohlen des Habichtswaldes wahre vulcanische Lave und der Basalt des Meiſsner vulcanischen Ursprungs - re, so würde hieraus folgen, daſs die Periode, in welcher die dritte der oben erwähnten Pflan - zenformationen statt fand, zugleich die Periode des Ausbruchs der vielen ausgebrannten Vulcane war, die sich, mehrern Schriftstellern zufolge, fast allenthalben in Europa, besonders aber in den Rheingegenden und in Frankreich finden, und daraus würde sich dann die ehemalige gro - ſse Fruchtbarkeit der Gegenden erklären lassen, wo eine so ungeheure Menge Holz verschüttet liegt. Alle, von vulcanischen Ausbrüchen ent - standene Erde nehmlich ist von ausserordentli -cher110cher Fruchtbarkeit. Man sieht dies an dem Fuſse des Aetna, wo der Weitzen in guten Jah - ren, die dort sehr gemein sind, heut zu Tage das sechszigste Korn abwirft, und ehemals, wo der Feldbau in jenen Gegenden emsiger betrieben wurde, gar das hundertste lieferte(v)Von Salis Beyträge zur Kenntniſs beyder Si - cilien.. Die ge - fallene Asche dieses Vulcans befördert so sehr die Vegetation, daſs Erbsen, die in einem Teller voll solcher Asche gesäet wurden, schon am drit - ten Tage keimten, und besser fortwuchsen, als sonst in dem fruchtbarsten Boden(w)Lichtenberg’s physikal. u. mathemat. Schriften. B. 2. S. 302.. Auch der Meiſsner im Hessischen ist noch jetzt von ausgezeichneter Fruchtbarkeit(x)Ries a. a. O. S. 70.. Indeſs gegen den vulcanischen Ursprung des Basalts und ande - rer verwandter Gebirgsarten der Flötztrappforma - tion lassen sich freylich noch Zweifel erheben, obgleich der Umstand, daſs der Basalt, der doch auf dem nassen Wege nicht anders als im Meere erzeugt seyn kann, so höchst selten Versteine - rungen enthält, immer ein wichtiger, und noch von keinem Neptunisten widerlegter Grund für die vulcanische Entstehung desselben ist.

§. 15.111

§. 15.

Ehe Pflanzen waren, gab es noch keine Landthiere: denn in keiner der Gebirgsarten, die der Bildung der Steinkohlenflötze und der älte - sten Ueberbleibsel von Gewächsen vorhergingen, findet sich irgend eine Spuhr dieser Organismen. Nur der Ocean enthielt damals lebende Bewoh - ner; das feste Land bestand aus öden Felsen, auf welchen noch kein Grashalm keimte, die noch keinem Thiere zur Wohnung dienten, wo noch nichts begraben lag, als Thierpflanzen, Schaalthiere und Fische. Nachdem aber die Ur - keime des Pflanzenreichs sich entwickelt hatten, erhob sich auch das Thierreich zu höhern Stu - fen der Organisation.

Von dieser Epoche an finden sich im Bern - steine die ersten Spuhren von Landinsekten. Meist lassen sich dieselben zu einem noch le - benden Geschlechte, z. B. zu dem der Ameisen, Mücken und Spinnen, bringen. Ob es auch Arten darunter giebt, die noch vorhanden sind, müssen wir unentschieden lassen. Gewiſs aber ist es, daſs man niemals unter ihnen Wasserin - sekten antrifft, und wahrscheinlich ist es, daſs jene Insekten selber, und besonders die Ameisen, vermöge der Säure, die sie excerniren, an der Bildung des Bernsteins Antheil gehabt haben, da man noch jetzt in einigen Gegenden, z. B. inden112den Nadelholz-Waldungen des Galizischen Gebir - ges Pisani Kamieni, Kuchen von einem strohgel - ben Harze findet, welches die Ameisen in ihren Haufen verscharrt halten(y)Hacquet’s neueste Reisen durch die nördl. Kar - pathen. Th. 3. S. 21. Vergl. Girtanner in Lich - tenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. IV. St. 2. S. 38.. Die Art, wie der Bernstein gelagert ist, und die Beschaffenheit verschiedener anderer Körper, die in demselben eingeschlossen sind, machen es aber auch glaub - lich, daſs die Lebenszeit jener Insekten und die Entstehung dieser Substanz in eine spätere Pe - riode fällt, als die ist, in welcher diejenigen Farrnkräuter und Pflanzen lebten, wovon entwe - der gar keine Originale, oder doch keine in der gemäſsigten und kalten Zone des Nordens vor - handen sind. Die Lagerstäte des Bernsteins nehm - lich ist meist zwischen Trümmern von Pflan - zen, die noch keinen hohen Grad von Zerset - zung erlitten haben, z. B. zwischen Torf und faulen Holzstücken, unter einer oft nur wenig Schuhe tiefen Sandschichte(z)Von Beroldingen a. a. O. S. 347 ff.. Schon dieser Umstand deutet also auf eine neuere Entstehung jener Substanz hin. Dann aber kömmt auch oft in dem Bernsteine schwarze Moor - oder Pflan - zenerde vor(a)Ebendas. S. 363., woraus erhellet, daſs schonlange113lange vorher, ehe sich der Bernstein bildete, Pflanzen vorhanden gewesen seyn müssen. End - lich findet man in ihm auch Tannen - und Fich - tennadeln, und den Tannenzapfen ähnliche Kör - per(b)Ebendas., folglich Ueberbleibsel einer Pflanzenfa - milie, die erst von späterer Entstehung ist. Ver - muthlich gehöret daher der Bernstein, und mit ihm diejenigen Insekten, die in ihm einge - schlossen sind, in diejenige Periode, aus wel - cher das bituminöse Holz und die Holzkohlen herstammen.

Um eben die Zeit, als jene Landinsekten leb - ten, die als natürliche Mumien im Bernsteine ent - halten sind, waren auch schon Amphibien vor - handen. Wir finden Ueberbleibsel dieser Thiere in Steinschichten, die ohngefähr in derselben Pe - riode, aus welcher die Steinkohlenflötze und Ab - drücke fremder Gewächse herrühren, entstanden sind. Von der Art scheinet z. B. die von Spe - ner(c)Miscellan. Berolinens. T. 1. p. 99. fig. 24. 25. beschriebene crocodilartige Eidechse zu seyn, welche vor ohngefähr hundert Jahren in der Thüringischen Kupfergrube bey Suhla vier - zehn Lachter tief gefunden wurde. Die Stein - art, worin sie lag, war ein kupferhaltiger Schie - fer, der zugleich ziemlich vollständige Versteine -run -III. Bd. H114rungen von Fischen enthielt. Die Knochen des Crocodils waren ebenfalls, und noch mehr als der Stein selber, mit Kupfer geschwängert. Einige Theile desselben, unter andern die Wirbelbeine, ragten einen Zoll hoch über die Oberfläche des Schiefers hervor. Seine ganze Länge betrug ohngefähr drey Rheinländische Fuſs. In dem Profil des Kopfs - hat er Aehnlichkeit mit dem Nilcrocodil, hingegen so wenig mit dem Gavial, daſs es schwer zu begreifen ist, wie Faujas-St - Fond(d)Essai de Géologie. T. 1. p. 157. von Spener’s Abbildung und Beschrei - bung behaupten kann: qu’un homme, un peu exercé dans l’Anatomie comparée, ne sauroit s’em - pecher de reconnaitre qu’elle convient parfaite - ment à un crocodile de l’espèce du Gavial.

Drey solche fossile Crocodile wurden auch in den Marmorbrüchen von Altdorf entdeckt. Merk gedenkt ihrer in seinen Briefen(e)Lettres sur les os fossiles d’éléphaus et de rhino - céros qui se trouvent en Allemagne., und erklärt sie für Gaviale. Einen derselben, welcher sich im Churfürstlichen Cabinet zu Mannheim befin - det, hat Collini(f)Commentat. Acad. Theodoro-Palatin. Vol. V. phys. p. 58. beschrieben, aber unrichtig für einen Ichtyolithen gehalten.

Ein -115

Einzelne Knochen eines Crocodils wurden fer - ner zu Rozzo an der Tyroler Gränze in einem mergelartigen Steine, der zugleich Skelette von Pflanzenblättern enthält(g)Faujas-St-Fond a. a. O. p. 165., und die Kinnladen eines solchen Thiers in dem Felsen bey Honfleur gefunden. Cuvier, der die letztern untersuchte, erklärt sie für Ueberbleibsel einer Art, die dem Gavial verwandt, aber doch von demselben durch auffallende Charaktere leicht zu unter - scheiden ist(h)Die Kiefer dieses Crocodils von Honfleur, sagt er, gleichen ihrer Verlängerung nach denen des Ga - vial’s, nur sind die Zähne minder gleich, und die Näthe der Kopfknochen anders gebildet. Der auffallendste Unterschied liegt in den Halswirbeln. Bey allen übrigen bekaunten Crocodilarten ist die vordere Fläche des Körpers der Halswirbel concav, und die hintere convex; bey der von Honfleur findet gerade das Gegentheil statt. Auch sind die Fortsätze der Halswirbel verwickelter, als bey den gewöhnlichen Crocodilen. Das Thier scheint 18 Fuſs Länge gehabt zu haben. Die Knochen sind versteinert und geben am Stahle Funken. Das schwammige Gewebe derselben ist mit Schwefel - kies ausgefüllt. Sie liegen in einem sehr verhär - teten graulichen mergelartigen Steine, woraus sie sich nur mit Mühe losmachen lassen (Bulletin des sc. de la Soc. philomath. n. 44.).. Eben dieser Naturforscher er -wähntH 2116wähnt eines, in seiner Sammlung befindlichen Stücks eines fossilen Kopfs aus den Steinbrüchen von Montmartre, das von einer dem Crocodil verwandten Eidechsenart herrührt(i)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 385..

Die merkwürdigsten fossilen Knochen croco - dilartiger Thiere sind aber diejenigen, welche in dem Petersberge zu Mastricht zwischen Corallen, Madreporen, Alcyonien, Echiniten, Belemniten, Muscheln und versteinerten Hölzern gefunden sind, und wovon Buchoz(k)Dons de la nature. Pl. 66. 68., Peter Camper(l)Sämmtliche kleine Schriften. B. 3. S. 1. Taf. 1. 2., und Faujas-St-Fond(m)Hist. nat. de la montagne de St. Pierre. Es - sai de Géologie. T. 1. p. 168. Pl. VIII. Abbildungen und Be - schreibungen geliefert haben. Peter Camper hielt sie für Ueberbleibsel einer unbekannten Caschelotart. Hingegen Faujas-St-Fond und Adrian Camper(n)Bulletin des sc. de la Soc. philomath. n. 42. erklärten sie für Reste eines Crocodils, und in der That kann man auch der Meinung des ältern Camper schwerlich beystim - men, wenn man erwägt, daſs die untere Kinn - lade des Thiers von Mastricht, wie bey allen Thieren aus der Familie der Eidechsen, aus mehrern Stücken besteht, da bey den Wallfi - schen, wie bey allen Säugthieren, an jeder Seitenur117nur Ein Stück vorhanden ist, und daſs sich bey jenem, eben so wie beym Crocodil, ein Nasen - canal findet, welcher von der Kehle bis zum Ende der Schnauze geht, da dieser Canal bey den Wallfischen auf der Achse des Schädels senk - recht steht. Indeſs beweisen allerdings manche der Gründe, worauf sich der ältere Camper stützte, als er jenes Thier für eine Caschelotart erklärte, eine specifische, und vielleicht gar ge - nerische Verschiedenheit desselben von allen heu - tigen Crocodilen. Diese haben insgesammt hohle Zähne, bey jenem aber sind die Zähne durchaus dicht; ausserdem hat das Thier von Mastricht Zähne am Gaumen, die allen übrigen Crocodi - len fehlen.

Ein anderes Amphibiengeschlecht, wovon nicht selten fossile Ueberbleibsel vorkommen, ist das der Schildkröten. Man hat Knochen dieser Thiere bey Burgtonna, bey Mastricht, in der Ge - gend von Brüssel, bey Paris und bey Aix an - getroffen.

Von einem bey Burgtonna in einer Mischung von Sande und blauem Thone gefundenen Frag - ment einer Schildkrötenschaale hat Voigt(o)Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. 3. St. 4. Tab. I. fig. 3. eine Abbildung geliefert.

DieH 3118

Die in dem Petersberge bey Mastricht ent - deckten Knochen von Schildkröten zeichnen sich eben so auffallend, wie die dortigen Crocodil - knochen, vor allen heutigen Amphibien aus. Camper besaſs aus diesem Berge den ganzen Rückenschild einer Schildkröte, der bey einer Länge von vier Fuſs die so sehr geringe Breite von sechszehn Zoll hatte(p)Camper’s sämmtl. kl. Schriften. B. 3. S. 12. Fau - jas-St-Fond (Essai de Géologie. T. 1. p. 180) führt eben dieses Faktum aus den Philosophical Trans - actions an, läſst aber Camper’n hier die Breite der Schaale gar nur auf sechs Zoll angeben.. Zwey andere, im Petersberge gefundene Arten, die ebenfalls sehr wunderbar gebildet sind, hat Faujas-St-Fond(q)Hist. nat. de la montagne de St-Pierre. Pl. XII. p. 97. Pl. XIII. p. 99. Pl. XIV. p. 101. abgebildet und beschrieben. Beyde haben nach vorne auf jeder Seite einen aus drey Stücken bestehenden Vorderarm, der wie ein Ermel ge - bildet ist, und nach jeder Seite des Kopfs einen ovalen Ausschnitt.

Von den fossilen Schildkröten, die in den Kalkbrüchen von Melsbroek bey Brüssel vorkom - men, findet man Zeichnungen bey Burtin(r)Oryctographie de Bruxelles. und Buchoz(s)Dons de la Nature.. Lacepède und Faujas-St -Fond119Fond(t)Essai de Géologie. T. I. p. 179. versichern, keinen Unterschied zwischen diesen und der Riesenschildkröte bemerkt zu haben.

Bey Aix in der Provence giebt es eine fos - sile Schildkrötenart, welche durch die ausseror - dentliche Wölbung der Schaale merkwürdig ist. Ein Exemplar, das de Lamanon(u)Journal de Phys. T. XVI. p. 168. ausmaſs, hatte an der Basis eine Breite von nur sechs Zoll, aber eine Höhe von fast sieben Zoll. Keine bekannte Art der heutigen Schildkröten hat eine so beträchtliche Wölbung.

In der Gegend von Paris ist bis jetzt nur erst ein einzelnes Fragment einer fossilen Schild - kröte gefunden(v)Faujas-St-Fond, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. 1. p. 108., woraus sich die Art dieses Thiers schwerlich beurtheilen läſst.

Sehr vollständige Petrefakten von Amphibien befinden sich auch in den Oeninger Steinbrüchen, die so reich an den schönsten Abdrücken und Versteinerungen von Thieren und Pflanzen aller Art sind. Man weiſs aber schon aus dem Obi - gen, daſs die Entstehung jener Schiefer in neue - re Zeiten fällt. Die dortigen Amphibien sinddaherH 4120daher die nehmlichen, die noch jetzt in der dasigen Gegend leben, z. B. gemeine Kröten(w)Andreä’s Briefe aus der Schweitz. S. 267. Taf. XV. fig. b..

§. 16.

Das Merkwürdigste aber, was aus der Periode übrig ist, aus welcher der Bernstein und das bi - tuminöse Holz herrührt, sind die fossilen Reste von Säugthieren, die sich fast allenthalben in Eu - ropa, Nordasien und Amerika finden, jene meist colossalischen Gebeine, welche Thieren angehö - ren, die gröſstentheils mit den jetzigen Elephan - ten, Nashörnern, Nilpferden und Tapirn von einerley Familie und selbst von einerley Ge - schlechte sind, die aber meist mit keiner jetzi - gen Thierart ganz übereinkommen, und eben so wohl aus der lebenden Natur verschwunden sind, wie die Encriniten und übrigen frühern Erzeugnisse der Erde.

Fast alle, bis jetzt entdeckte fossile Ueber - bleibsel von Säugthieren, die aus der Periode herrühren, womit wir uns hier beschäftigen, gehören zu den Familien der Schweine, Rinder, Wallfische, Faulthiere und Hunde. Wir werden zuerst diejenigen untersuchen, die schweinearti - gen Thieren angehören.

I. Fos -121

I. Fossile Ueberbleibsel schweinartiger Thiere.

1. Elephanten.

Schon zu Theophrast’s Zeiten war es eine bekannte Sache, daſs es gegrabenes Elfenbein und fossile Elephantenknochen ausserhalb dem Vaterlande der Elephanten gebe(x)Plinii nat. hist. L. XXXVI. C. 18..

Man fand diese Fossilien in neuern Zeiten:

In mehrern Gegenden von Deutschland, z. B. bey Canstad in Schwaben(y)Spleissii Oedipus osteologicus. Scaphus. 1701. Harenberg de lilio lapideo s. Encrino. Guelpher - bit. 1729. J. S. Carl lapis Lydius philosophico-py - rotechnicus ad ossium fossilium docimasiam analy - tice demonstrandam adhibitus. Francof. ad M. 1704., im Eichstädti - schen über dem Kalkschiefer, welcher die vielen Abdrücke von Krebsen und Fischen enthält(z)Esper, Schriften der Berlin. Gesellsch. B. V. S. 97., bey Burgtonna in Thüringen(a)Hoger in Miscell. Nat. Cur. dec. 3. ann. 7. 8. p. 294. obs. 175. Tentzelii epist. de scelet. elephant. ad Anton. Magliabecchium. Gotting. 1696. Phil. Trans. Vol. XXIV. n. 234. Voigt in dessen Mag. f. d., in dem LeimgrundederH 5122der Oberneustadt von Cassel(b)Raspe’s Beytrag zur Historie von Hessen. S. 6., bey Potsdam an einem hohen Ufer der Havel in einem dahin absetzenden Sandflötz, welches Thon zur Unter - lage hat(c)Fuchs in den Beschäftigungen der Berlin. Ge - sellsch. B. 3. Ebenders. in den Schriften der Ber - lin. Gesell. B. 3. S. 152. B. 4. S. 254., an den Ufern der Elbe in Böh - men(d)Mayer in den Abhandl. einer Privatgesellsch. in Böhmen. B. 6. S. 260., vorzüglich aber in der Gegend des Rheins. Merk versichert, in der obern Graf - schaft Katzenellenbogen, und in den benachbar - ten Ufern des Rheins und Neckars, in einem Umfange von 15 bis 20 Stunden, mehr als 50 Exemplare von Elephanten angetroffen zu ha - ben(e)Deutscher Mercur. 1784. Januar..

Im ehemaligen Polen und in Ungarn. Be - schreibungen und Abbildungen von Elephanten - zähnen, die an verschiedenen Orten dieser Län - der ausgegraben wurden, haben Conrad Ges - ner(f)De fig. lapid. p. 157. und Marsigli(g)Dannub. Pannon. Mysic. Vol. 2. P. 1. p. 73. Tab. 28-31. geliefert. FossilenElfen -123Elfenbeins, das sich bey Danzig, an der Weich - sel nicht weit von Warschau, und in der Unga - rischen Drachenhöhle fand, gedenken Klein(h)Hist. nat. pisc. Miss. II. p. 29 sq. und Rzaczinski(i)Hist. nat. cur. Polon. p. 1. 8..

In Podolien. Hacquet(k)Neueste Reisen durch die nördl. Karpathen. Th. 1. S. 53. erwähnt dortiger Elephantenzähne und Seethierschaalen in weissem Mergel.

In Galizien. In den Salzwerken von Wie - liczka hat man Backenzähne und andere Knochen von Elephanten, nebst vielen Muscheln und Ge - häusen von andern Seethieren, angetroffen(l)Von Born Catalogue de la collection des fossiles de Madem. de Raab. T. II..

In Italien. Am Ende des sechszehnten Jahr - hunderts fand man fossile Elephantenknochen zu Viterbo(m)Langemantel in Miscell. Acad. Nat. Cur. dec. 2. ann. 7. p. 446. obs. 234.. In neuern Zeiten wurden derglei - chen Gebeine von Fortis(n)Mém. pour servir à l’Hist. nat. de l’Italie. T. II. p. 303. und dem Duc de la Rochefoucault(o)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. I. p. 291. bey Rom, und zwar vondem124dem letztern ein Eckzahn in vulcanischer Tuffa entdeckt.

In der Schweitz. Eines Backenzahns von einem Elephanten aus der Birse nicht weit von Basel gedenkt Andreä(p)Briefe aus der Schweitz. S. 31..

In Frankreich. Unter Kaiser Carl VII im Jahre 1456 wurden nicht weit von Valence Ue - berbleibsel eines Elephanten ausgegraben(q)Sloane, Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1727. Ed. 8. p. 454.. Neuere Beyspiele von fossilem, in Frankreich gefundenen Elfenbeine erzählt Buffon(r)Hist. nat. Vol. XI.. Einen Elephantenzahn, welcher zu Darbres im Depar - tement Ardéche gefunden wurde, hat Faujas - St-Fond beschrieben(s)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. II. p. 23..

In Holland. Ein von Camper untersuchtes Stück eines Elephantenschädels, das von einem jüngern Thiere zu seyn schien, wurde in der Gegend von Herzogenbusch(t)Acta Acad. sc. Petropol. 1777. P. 2. p. 203., und ein Hüft - bein mit einem Wirbelknochen von einem ältern Thiere im Bommeler-waard gefunden(u)Verhandel. van het Maatsch. te Haarlem. D. 12. Bl. 373..

In125

In England. Zu Northampton traf man Fragmente von Eckzähnen, und nicht weit da - von den Backenzahn eines Elephanten im Sande an(v)Morton Nat. Hist. of Staffords. p. 78.. In Staffordshire fand sich die Kinnlade eines Elephanten in Mergel(w)R. Plot Nat. Hist. of Staffords. p. 78., und bey Lon - don fossiles Elfenbein(x)Sloane a. a. O. p. 430..

In Irland. Im westlichen Theile dieser In - sel wurden vier Fuſs unter der Erde groſse zer - reibliche Knochen mit vier groſsen Backenzäh - nen, wahrscheinlich von einem Elephanten, aus - gegraben(y)Neville et Th. Molineux Nat. Hist. of Ireland. p. 128..

In Ruſsland entdeckte man Backenzähne von Elephanten am Bache Usen, der sich in den II ergieſst, und in den kupferhaltigen Schichten bey Djoma(z)Rytschkow Tagebuch über seine Reise durch verschiedene Provinzen des Russischen Reichs.; ferner in den Kupfergruben am Bache Sfensa, und am Flusse Ufa(a)Lepechin’s Tagebuch seiner Reise durch versch. Prov. des Russischen Reichs..

In126

In Island. Bartholin hat Nachricht von fossilem Elfenbeine gegeben, welches in dieser Insel gefunden war(b)Act. med. et philosoph. Hafn. T. I. obs. 46..

In Siberien. Von den dortigen Elephanten - knochen handeln, nebst mehrern andern Schrift - stellern, vorzüglich Ysbrand Ides(c)Reise nach China., Tatit - schow(d)Act. litterar. et sc. Sueciae. Vol. II. p. 36., Breyne(e)Phil. Trans. 1737. p. 124., der ältere Gmelin(f)Reise durch Siberien. und Pallas(g)Nov. Commentar. Acad. sc. Petropol. T. XIII. p. 436. T. XVII. p. 576. Reise durch versch. Provin - zen des Russischen Reichs. Th. 3. S. 409.. Dem Berichte des letztern zu - folge giebt es im ganzen nördlichen Asien vom Flusse Tanais an bis zum äussersten, Amerika gegen über liegenden Ende der alten Welt keinen gröſsern Fluſs, in dessen Bette oder Ufern nicht Knochen von Elephanten und andern groſsen fremdartigen Thieren gefunden wären und noch angetroffen würden. Doch gilt dies besonders von denjenigen Flüssen, die ihren Weg durch Steppen nehmen: denn im Allgemeinen läſst sich behaupten, daſs die Siberischen Gebirgsketten, die sich mit ihren uranfänglichen Felsen durch ganz Asien erstrecken, eben so wenig Ueberbleib -sel127sel von fremden Landthieren, als von Seekörpern enthalten. Man findet auch nie, oder doch nur sehr selten diese Fossilien in sehr niedrig gele - genen, sumpfigen Gegenden. Aber allenthalben, wo sich die letzten Hügel der Siberischen Alpen in Ebenen verliehren, und vorzüglich, wo wei - te, sandige Steppen folgen, sind die Ufer der Flüsse auch reich an Knochen und andern Re - sten ausländischer Thiere. Sie finden sich in gleicher Menge unter allen Graden der Breite von der Bergzone an, die das nördliche Asien nach Süden begränzt, bis zu den Küsten des Eis - meers. Ja, das beste Elfenbein wird in der Nähe des nördlichen Polarcirkels und in den al - leröstlichsten Gegenden von Asien, die weit käl - ter sind als Europa, obgleich sie mit diesem Welttheile unter einerley Graden der Breite lie - gen, und deren Boden blos im Sommer und auch dann nur an der Oberfläche aufthaut, aus - gegraben. An einigen Orten liegen Knochen gröſserer und kleinerer Thiere beysammen, so daſs es scheint, als ob hier ganze Heerden von Thieren ihr Grab gefunden hätten. An andern Stellen hingegen trifft man nur die Ueberbleibsel von einigen Thieren, oder auch nur von einem einzigen an. Fast immer aber liegen sie zer - streut, und wie von den Wellen umhergeworfen, mit Schichten von angeschwemmtem Sande be - deckt, und oft mit Ueberbleibseln von Meerthie -ren128ren vermischt. Am Irtisch fand Pallas sogar zwischen den Knochen von Elephanten, Büffeln und Nashörnern Fragmente von andern Knochen, die der Form und Textur nach blos von den Schädeln gröſserer Meerfische seyn konnten. Hingegen unterhalb Krasnojarsk am Jenisei, wo auch einzelne Elephantenknochen ziemlich häufig sind, trifft man keine Spuhr von Seekörpern, wohl aber Stücke von Weiden - und Knüppelholz an, welche offenbar im Wasser vorher gerollt und abgenutzt worden sind, ehe sie in der Erd - lage, welche sie versteinert hat, ihr Lager ge - funden haben.

Nach der Erzählung des ältern Gmelin kom - men in der Gegend von Swiatoi-Noſs auch Ele - phantenknochen in Torflande vor. Unter andern traf man einen ganzen Schädel mit einem noch daran sitzenden, und einem daneben liegenden Fangzahne, und nicht weit von dieser Gegend, ebenfalls im Torfe, einen fossilen Ochsenkopf an.

Ides erzählt, daſs einer seiner Reisegefähr - ten, der jährlich auf das Sammeln von fossilem Elfenbeine ausging, in gefrornem Erdreiche ei - nen ganzen Elephantenkopf mit dem Fleische, das aber sehr verdorben war, mit den Hauzäh - nen, die noch so fest in der Kinnlade saſsen, daſs sie nur mit vieler Mühe davon getrennt werden konnten, und mit den Halswirbeln, dienoch129noch wie mit Blute gefärbt waren, und dane - ben einen Fuſs, der so dick war, wie der Leib eines Menschen von mittelmäſsiger Statur, gefun - den habe.

In der Tartarey(h)Pallas Bemerkungen auf einer Reise in die südl. Statthalterschaften des Russischen Reichs in den J. 1793 u. 1794. Th. 1. S. 36. 83. 89..

Im nördlichen Afrika. Bey Tunis wurde im siebenzehnten Jahrhundert, unter mehrern an - dern colossalischen Knochen, ein Backenzahn gefunden, und an Peiresc geschickt, der ihn mit den Zähnen eines lebenden Elephanten ver - glich und ihn für ein Ueberbleibsel dieser Thier - art erkannte(i)Peirescii vita per Petrum Gassendum. L. IV. p. 256. 263..

In Amerika. Am Ohioflusse sind schon seit hundert Jahren viele einzelne Elephantenknochen gefunden worden(k)Mather, Phil. Trans. 1714. p. 62.. Der Ort, wo diese Fos - silien dort zuerst in groſsen Haufen beysammen liegend entdeckt wurden, ist ein niedriger Hügel an der Ostseite des Ohio. Nachher traf man sie auch in Nordcarolina, in Pensylvanien und Newyork an. Auch erwähnt Catesby eines inSüdca -III. Bd. I130Südcarolina ausgegrabenen Eckzahns vom Ele - phanten, und Kalm eines im Lande der Illinois gefundenen ganzen Gerippes(l)Schöpf’s Reisen in den vereinigten Nordamerikan. Staaten. Th. 1. S. 413.. Von diesem letztern ist indeſs nichts Näheres bekannt gewor - den. Ein vollständiges, von Peale zusammen - gebrachtes Gerippe aber hat Domeier(m)Neue Schriften der Berlin. Gesellsch. B. IV. S. 79. be - schrieben. Dieses wurde im Jahre 1801 zu New - york, in der Nachbarschaft von Newburgh, ohn - weit dem Hudsonflusse, ohngefähr 67 Englische Meilen von der Stadt Newyork entdeckt. Die oberste Lage der dortigen Gegend ist Torf; dann folgt eine mit langen gelben Baumwurzeln ver - mischte Schichte vegetabilischer Erde; darunter liegt eine andere; zwey Fuſs hohe Schichte von grauem Mergel; die folgende besteht aus Schaal - thieren, und unter dieser werden kleine Steine und Schiefer gefunden, welche auf Thonerde ruhen. Die mehresten Knochen sind in der zweyten und dritten Lage gefunden worden, und in der letztern am vollständigsten erhalten, so daſs, wenn ein Knochen in beyden Schichten lag, er in der zwey - ten verweset, in der dritten aber gut erhalten war. Die Nachbarschaft dieser Gegend soll mit verstei - nerten Schaalthieren ganz bedeckt seyn.

Aber131

Aber nicht nur das nördliche Amerika, son - dern auch die südliche Hälfte dieses Welttheils enthält Ueberbleibsel von Elephanten. Von Hum - boldt erhielt solche Fossilien von der Höhe des Campo de Gigante bey Sante-Fe, welche 1350 Toisen beträgt, aus Timana, Ibarra und Chili(n)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. II. p. 177. Gilbert’s Annalen der Physik. B. XVI. S. 474. 475., und nach der Erzählung des Azara(o)Essais sur l’Hist. nat. des quadrupèdes du Para - guay. T. I. p. LII. hat man oft an der Mündung des Plataflusses riesenartige Knochen von Landthieren gefunden.

Es war nöthig, diese Thatsachen so um - ständlich darzustellen, da sie uns in der Folge wichtig seyn werden. Jetzt entsteht die Frage, wie sich jene fossilen Elephantenknochen zu de - nen der noch lebenden Elephantenarten verhal - ten? Der letztern giebt es bekanntlich zwey, die Afrikanische und die Asiatische. Die un - terscheidenden Merkmale der erstern sind: eine convexe Stirn, und Backenzähne, deren Kronen auf den Endflächen mit Queerrauten besetzt sind; die der letztern: ein höherer Kopf, eine flachere Stirn, kleinere Fangzähne, und Backenzähne, deren Kronen auf den Endflächen wellenförmigeQueer -I 2132Queerstreifen haben. Von fossilen Elephanten sind schon mehrere Arten entdeckt worden. Die häufigsten sind der Mammouth und das Ohio - thier. Bey dem Mammouth (Elephas mam - montens Cuv. ) ist der Schädel nach oben spit - zer, und das Verhältniſs der Höhe zur Länge gröſser, wie bey irgend einer andern Elephanten - art; die hervorstehenden Wände der Fangzahn - höhlen sind länger, die Cavitäten selber weiter, und das schnabelförmige Ende der untern Kinn - lade stumpfer, als bey den übrigen Gattungen; die Backenzähne sind mit zahlreichen und gera - den Queerstreifen bezeichnet. Endlich das Ohio - thier (Elephas Americanus Pennant. et Cuv. ) hat an den Kronen der Backenzähne mehrere parallele Reihen von conischen Spitzen, und, ohne höher zu seyn als der Afrikanische Ele - phant, stärkere und dichtere Knochen(p)Cuvier, Mém. de l’Institut National. Sc. ma - thém. et phys. T. II. p. 1. Domeier, Neue Schrif - ten der Berlin. Gesellsch. B. IV. S. 79..

Von dem Mammouth sind die meisten der Knochen, die in Asien und Europa vorkommen; von dem Ohiothiere die mehresten derer, die in Amerika und besonders am Ohio gefunden wer - den. Doch giebt es auch Ueberbleibsel der er - stern Art in Amerika, und der letztern in deralten133alten Welt, z. B. bey Siena(q)Baldassari, Atti di Siena. T. III. p. 243., und auf der westlichen Seite des Ural an dem in den weis - sen Fluſs (Bielaja) flieſsenden Bache Schebysy wo auch versteinertes Holz vorkömmt(r)Pallas, Act. Acad, sc. Petropol. 1777. P. 2. p. 213 sq..

Der Mammouth lebte, gleich den heutigen Elephanten, ohne Zweifel blos von Vegetabilien. Das Ohiothier nähert sich, durch die schneiden - den Hervorragungen der Backenzähne, einiger - maaſsen den fleischfressenden Thieren. Wenn aber Wilhelm Hunter(s)Phil. Transact. Vol. LVIII. 1768. p. 34. und Rembrand Pea - les(t)Philosophical Magazine. 1802. Novembre. n. 46. hieraus folgern, daſs diese Art ein wirk - liches Raubthier war, so streitet dagegen, wie schon Camper erinnert hat, der Umstand, daſs sie offenbar nicht anders, als vermittelst eines Rüssels, ihre Nahrung zu sich nehmen konnte.

Von einer andern fossilen Elephantenart, die dem Ohiothiere nahe verwandt, aber seltener gewesen zu seyn scheinet, rühren die von Reau - mur(u)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1715. Ed. 8. p. 230., Lommer(v)Abhandl. einer Privatgesellschaft in Böhmen. B. 2. S. 112. und Mayer(w)Ebendas. B. 6. S. 264. beschrie -benenI 3134benen Zähne und Knochen her, die sich bey der Stadt Simore in Nieder-Languedoc und bey Les - sa in Böhmen finden, und vermittelst des Feuers in eine, dem ächten Orientalischen Türkis ähn - liche Materie verwandeln lassen. Die Zähne, die man in jenen Gegenden antrifft, sind von verschiedener Art. Einige, welche offenbar Backenzähne sind, haben die Gröſse einer ge - ballten Hand, und ähnliche conische Hervorra - gungen, wie die Backenzähne des Ohiothiers(x)Reaumur a. a. O. Pl. 7. 8. fig. 1. 2. 17. 28.. Diese zeigen, wenn sie abgenutzt sind, die Fi - gur eines Kleeblatts, und solche sind es, die Buffon in seinen Epochen der Natur abgebildet, aber unrichtig für Zähne des Nilpferdes gehalten hat. Ausser diesen giebt es noch zwey kleinere Arten von Backenzähnen. Bey der einen ist die Krone mit vier(y)Ebendas. Pl. 7. fig. 3. 5., bey der andern mit zwey kegelförmigen Zacken(z)Ebendas. fig. 6. besetzt. Beyde haben an der Wurzel vier Höhlungen, die sich bis in die Zacken erstrecken. Bey denen, die nur mit zwey Zacken versehen sind, sieht man ausser - dem noch zwey Höhlungen unten am Anfange dieser Hervorragungen. Ferner trifft man auch Hauzähne, welche die Form eines gekrümmten Kegels haben(a)Ebendas. fig. 7., und Knochenstücke an, wo -von135von einige hundert Pfund gewogen haben sollen. Aber die Knochen sind so weich und zerreiblich, daſs sie nur bey einzelnen Stücken aus ihrem Lager gezogen werden können.

Es gab also mehrere Elephantenarten der Vorwelt, die nicht mehr in der jetzigen leben - den Natur vorhanden sind. Aber existirten mit diesen auch schon die heutigen Gattungen des Elephantengeschlechts? Zur Beantwortung dieser Frage fehlt es noch an hinreichenden Beobach - tungen. Doch versichern Autenrieth(b)Cuvier a. a. O. und von Humboldt(c)Gilbert’s Annalen der Physik. B. XVI. S. 474. An einer andern Stelle (Ebendas. S. 485) sagt aber von Humboldt, daſs die Zähne, die er gefunden hätte, von der Afrikanischen Art etwas verschie - den seyen., Zähne des Afrikanischen Ele - phanten in Amerika gefunden zu haben.

2. Nashörner.

Fast eben so häufig, wie fossile Elephanten - knochen, sind fossile Gebeine von Nashörnern.

Hollmann erhielt theils von einem, zwi - schen Harzfeld und Osterode gelegenen Hügel aus einem Lager von Mergel, theils aus derScharz -I 4136Scharzfelder Höhle eine Menge Rhinozeroskno - chen, die von vier erwachsenen und einem jün - gern Thiere herrührten(d)Commentar. Soc. Reg. sc. Gotting. T. II. p. 215. 242..

In der Gegend von Burgtonna, welche durch das im Jahre 1695 daselbst ausgegrabene Elephan - tengerippe berühmt ist, wurde auch ein Zahn aus dem Oberkiefer eines Rhinozeros gefunden(e)Voiot in Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. III. St. 4. S. 8..

Nashornknochen, welche in dem Zauniken - berge bey Quedlinburg, wo sich auch im Jahre 1663 das Gerippe fand, dessen Leibnitz in sei - ner Protogaea gedenkt, und für ein Einhorn hielt, ausgegraben wurden, hat Zückert be - schrieben(e*)Beschäftig, der Berlin. Gesellsch. B. 2. S. 340..

Eines Theils der obern Kinnlade mit zwey Zähnen, gefunden in der Gegend des Dorfs Issel bey Montagne Noire, eines Zahns der untern Kinnlade von Avignonnet, und einiger Backen - zähne von Canstadt, erwähnt Cuvier(f)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. Pl. V. fig. 2. 3. 5. 8..

In einer Torfgrube der Schweitzerischen Land - schaft Turgau wurden ehedem fast täglich Nas -horn -137hornzähne gefunden. Der Chorherr Gessner er - hielt aus derselben ein ziemlich groſses Stück eines Unterkiefers und beyde Felsenbeine dieses Thiers. Der Kinnbackenknochen war beym Aus - graben so feucht, so weich, und dem ihn um - gebenden Torf so ähnlich, daſs man ihn nicht eher von dem letztern unterscheiden konnte, als bis dieser vollkommen trocken war, wobey sich der wahre Torf von dem etwas festern torfarti - gen Kiefer meist von selbst ablöste(g)Von Beroldingen Beobacht. Zweifel u. Fragen die Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1. 2te Aufl. S. 46. 47..

In Ruſsland wurde ein Stück eines Nashorn - schädels am Bache Tschelna, zwischen den Städ - ten Neu-Scheschminsk und Staro-Scheschminsk, gefunden(h)Rytschkow’s Tagebuch über seine Reise durch versch. Prov. des Russischen Reichs..

Kein Land aber ist reicher an fossilen Nas - hornknochen, und keines enthält so vollständige Gebeine der Art, als Siberien. Hier war es, wo im Jahre 1771 zu Irkutz am Ufer des in die Lena sich ergiessenden Flusses Willui unter ei - nem Sandhügel das merkwürdigste unter allen Ueberbleibseln der untergegangenen Thierwelt,einI 5138ein fast vollkommenes, noch mit der Haut und den Haaren bedecktes Rhinozeros-Gerippe von Ja - kutischen Jägern entdeckt wurde. Pallas erhielt von demselben den Kopf und die Füſse. Der übrige, sehr verdorbene Leichnam war von den Jakuten zurückgelassen. Nach dem Kopfe zu urtheilen, muſste das Thier noch jung und kei - nes von den gröſsten gewesen seyn. Dem Be - richte der Finder zufolge, hatte man das Gerip - pe auf der Stelle gemessen, und die Länge Russische Ellen befunden, die Höhe aber auf Ellen geschätzt. Ausser der Haut und den Haa - ren fand sich an dem Kopfe auch noch ein Theil der Sehnen und Ligamente. Sogar die Augen - lieder schienen nicht völlig ausgefault zu seyn. Unter der Haut, um die Knochen, und in der Hirnhöhle lag eine leimartige Materie, welche vermuthlich von verwesten weichen Theilen her - rührte. Die Haare waren weit länger und zahl - reicher, wie sie Pallas an lebenden Nashör - nern gesehen hatte(i)Pallas, Nov. Comment. Acad. sc. Petropol. T. XIII. p. 445. T. XVII. p. 585 sq. Ebendesselben Reise durch versch. Prov. des Russischen Reichs. Th. 3. S. 97..

Die meisten dieser Ueberbleibsel scheinen ei - ner Art des Rhinozeros angehört zu haben, wel - che mit zwey Hörnern versehen waren. An denSibe -139Siberischen Schädeln wenigstens sind immer deut - liche Spuhren von zwey Hörnern zu bemerken, und oft findet man auch noch die Hörner selber. Obgleich aber jenes Thier in diesem Stücke mit dem jetzigen Afrikanischen Nashorne überein - kömmt, so unterscheidet es sich doch von dem letztern in mehrern Stücken. Der Schädel der Afrikanischen Art ist höher, breiter und stärker, als der des fossilen Rhinozeros; bey diesem hat der Kopf eine mehr länglichte Form. Die Schä - delhöhle ist gröſser bey jener, als bey diesem, und die Scheidewand der Nase bey der erstern knorpelartig, bey dem letztern knöchern(k)Camper, Act. Acad. sc. Petropol. 1777. P. 2. p. 193 sq.. Möglich ist es, daſs jene mit der neuen, von Bell(l)Philosophical Transactions, 1793. P. I. p. 3. beschriebenen zweyhörnigen Art. die sich in Sumatra aufhält, mehr übereinkömmt. Indeſs, wenn man sich auf Bell’s Zeich - nung verlassen darf, so weicht doch diese in der Form des Schädels von dem fossilen Nashor - ne ab. Wäre es ausgemacht, daſs die fossile Art keine Schneidezähne hatte, so würde diesel - be auch darin dem Rhinozeros von Sumatra un - ähnlich seyn: denn dieses hat zwey deutliche Schneidezähne in jeder Kinnlade. Aber Pallas glaubt, auch bey einem fossilen Nashorne vornein140in der untern Kinnlade Spuhren von Zahnhöhlen bemerkt zu haben, und bey dem zu Quedlin - burg entdeckten Oberkiefer, wovon Zückert in den Beschäftigungen der Berlinischen Gesell - schaft(m)B. 2. Tab. X. fig. 3. eine Zeichnung geliefert hat, sieht man ebenfalls auf jeder Seite des vordern En - des bey b eine Oeffnung, die eine Zahnhöhle zu seyn scheinet.

Es giebt aber ohne Zweifel noch andere Ar - ten von fossilen Nashörnern. Zuyew hat ein Horn beschrieben, welches in Siberien gefunden wurde, an der Wurzel etwas gekrümmt und mit Jahrringen versehen, nach der Spitze hin conisch, der Länge nach gefurcht, auf der einen Seite er - haben, auf der andern etwas concav ist(n)Nov. Act. Petropol. T. III. p. 275.. Vielleicht rührt dieses Horn ebenfalls von einer eigenen Art des Rhinozeros her.

3. Paläotherien.

Eine an fossilen Knochen von Säugthieren sehr reiche Gegend sind die Gypsbrüche von Moutmartre bey Paris. Sie ruhen auf einer Thonschichte, in welcher Holzkohlen gefunden werden. Fast alle Fossilien dieser Steinbrüche kommen in den Backenzähnen mit den schwein -arti -141artigen Thieren überein. Es gab ein Geschlecht unter ihnen, welches 28 Backenzähne, 12 Schnei - dezähne und 4 Hundszähne hatte, dessen untere Backenzähne aus zwey bis drey einfachen halb - mondförmigen Stücken bestanden, dessen obere Backenzähne viereckig und auf der obern Fläche mit hervorragenden Leisten besetzt waren, des - sen Hundszähne nicht aus dem Maule hervorrag - ten, und dessen Hinterfüſse wahrscheinlich drey Zehen hatten. Cuvier hat dieses Geschlecht, welches völlig ausgestorben zu seyn scheint, mit dem Namen Palaeotherium belegt. In der Zahl und Gestalt der Zähne nähert es sich theils dem Rhinozeros, theils dem Tapir. In der all - gemeinen Form des Unterkiefers, und besonders in der hintern Krümmung desselben, so wie in der Gestalt des Schädels, und vorzüglich der Nasenknochen, welche kurz sind und einen Rüs - sel getragen zu haben scheinen, und in der Ge - stalt und Zusammensetzung der Knochen des Hinterfuſses ist es mehr dem letztern ver - wandt(o)Cuvier, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 275. 442..

Es sind drey Arten dieses Geschlechts, die sich in der Gröſse und in den Hinterfüſsen un - terscheiden, von Cuvier bestimmt worden.

Die142

Die mittlere Gattung (Palaeotherium medium Cuv. ) scheint die Statur eines gewöhnlichen Schweins gehabt zu haben. Ihr Rüssel kann nicht so zusammengesetzt gewesen seyn, wie beym Elephanten, sondern muſs blos in einer häutigen Verlängerung des Nasencanals bestanden haben, wie beym Tapir: denn die Zwischen - kieferbeine sind nicht so gestaltet, wie beym Elephanten, und die Oeffnung, durch welche der zum Rüssel gehende obere Maxillar-Nerve dringt, ist eben so klein und hat eben die Lage, wie beym Tapir, da sie beym Elephanten ausseror - dentlich groſs ist. Die Gelenkfläche der obern Kinnlade, in welcher sich der Condylus des Un - terkiefers bewegt, kömmt mit keiner eines heu - tigen Thiers überein. Am meisten noch nähert sie sich der des Tapirs. Bey einem der Exem - plare dieses Thiers, das Cuvier untersuchte, war die innere Höhlung des Schädels mit Gyps angefüllt, und der Schädel selber so mürbe, daſs er sich von diesem Abgusse, welcher die Form der obern Flächen beyder Halbkugeln des groſsen Gehirns aufs genaueste darstellte, ab - sondern lieſs. Hiernach war das Gehirn von verhältniſsmäſsig geringem Volumen und horizon - tal abgeplattet; statt der Windungen fand sich auf jeder Halbkugel blos eine der Länge nach fortgehende, schwache Vertiefung(p)Cuvier a. a. O. T. III. p. 275..

Die143

Die groſse Art (Palaeotherium magnum Cuv. ) hat ganz ähnliche, aber doppelt so groſse Bak - kenzähne, wie die mittlere. Cuvier schätzt die Gröſse derselben auf die einer gewöhnlichen Kuh, oder eines kleinen Pferdes(q)Ebendas. p. 365..

Die kleinste Art hält Cuvier für so groſs, wie ein mittelmäſsiges Schaaf. Der erste Bak - kenzahn der untern Kinnlade ist bey dieser et - was spitzer, wie bey der mittlern Gattung(r)Ebendas. p. 367.. Wenn ein ganzes, ziemlich vollständiges Ske - lett, welches bey Pantin gefunden wurde, wirk - lich, wie Cuvier glaubt, diesem Thiere ange - hörte, so hatte dasselbe auf jeder Seite wenig - stens sechszehn Rippen(s)Ebendas. T. IV. p. 66..

Einige Zähne und Knochen eines Thiers, das den Paläotherien verwandt zu seyn scheint, erhielt Cuvier auch aus der Gegend von Orle - ans. Wegen des Mangels der Schneidezähne und Eckzähne konnte er aber nicht mit Gewiſs - heit bestimmen, ob dasselbe in der That zu die - sem Geschlechte gehörte(t)Ebendas. T. III. p. 368..

4. Anoplotherien.

In derselben Gegend, wo die Knochen und Zähne der Paläotherien vorkommen, finden sichauch144auch die Ueberbleibsel eines andern Geschlechts der Schweinefamilie, das sich von allen, sowohl lebenden, als ausgestorbenen Geschlechtern die - ser Familie vorzüglich darin unterscheidet, daſs die Eckzähne fehlen, und die Reihe der Backen - zähne sich bis zu den Schneidezähnen erstreckt. Die untere Kinnlade enthält auf jeder Seite neun Backenzähne; die sechs vordern sind sehr ver - schieden von den drey hintern, und noch ver - schiedener von den Backenzähnen des Paläothe - rium(u)Ebendas. T. III. p. 371.. Man findet auch Knochen von Hinter - füſsen, die wahrscheinlich Thieren dieses Ge - schlechts zugehört haben. Diese Hinterfüſse ha - ben drey Zehen, und nähern sich in der Form und Zusammensetzung theils den Hinterfüſsen der schweineartigen Thiere, theils denen des Ka - meels(v)Ebendas. p. 442..

Von diesem Geschlechte entdeckte Cuvier vier Arten: eine, die etwas gröſser als ein Schwein war (Anoplotherium magnum)(w)Ebendas.; eine zweyte, welche die Statur eines gewöhnlichen Schweins hatte (Anoplotherium medium)(x)Ebendas. p. 379.; eine dritte, die nur etwas gröſser als ein Hase war, und sich nicht nur in der Gröſse, sondernauch145auch in den Kronen der drey letzten Backen - zähne und in der Form der untern Kinnlade von den vorigen unterscheidet (Anoplotherium minus)(y)Ebendas.; endlich eine vierte, die etwas klei - ner als ein Kaninchen gewesen seyn muſs(z)Ebendas. S. 381.. Von dieser letztern Art ist es aber zweifelhaft, ob sie wirklich zu diesem Geschlechte gehört, da Cuvier blos erst die hintern Backenzähne von ihr gesehen hat.

Die Paläotherien und Anoplotherien geben uns also ein Beyspiel von wenigstens sechs Arten fos - siler Thiere, welche insgesammt zur Familie der Schweine gehören, die alle in einerley Gegend vorkommen, und wovon keine Nachkommen mehr übrig sind. Diese Thatsache läſst sich nicht in Zweifel ziehen. Aber zweifelhaft ist es noch, ob jene Arten die Gröſse hatten, die wir nach Cuvier’s Schätzung angegeben haben. Cu - vier hatte von mehrern jener Thiere blos sehr verstümmelte Fragmente der untern Kinnlade vor sich. Diese waren allerdings zur Bestimmung der Art hinreichend. Aber wir wiederhohlen hier noch einmal die schon oben angeführte Be - merkung von Camper, daſs sich die Gröſse eines Thiers nicht blos nach der Gröſse der Zähne,undIII. Bd. K146und also auch nicht der Kinnladen, schätzen läſst. Zweifelhaft ist es auch, ob jede Art wirk - lich solche Hinterfüſse hatte, wie Cuvier ihr zuschreibt. Die Gründe, nach welchen dieser Naturforscher verfuhr, als er unter den vielen Knochen von Hinterfüſsen, die man in den Pa - riser Gypsbrüchen neben den Zähnen und Kinn - laden der Paläotherien und Anoplotherien antrifft, diejenigen aufsuchte, die zu einerley Individuen und mit diesen Zähnen und Kiefern zu einer - ley Art gehören, sind allerdings sehr scharfsin - nig. Indeſs geben sie immer nur Wahrschein - lichkeit, nicht Gewiſsheit.

5. Tapire.

Fossile Tapire kommen vorzüglich in Frank - reich vor. Bis jetzt sind zwey Arten dersel - ben entdeckt worden, eine kleinere und eine gröſsere.

Von der kleinern Gattung fanden sich zwey Bruchstücke der untern Kinnlade am schwarzen Berge (Montagne Noire) beym Dorfe Issel in Lan - guedoc. So viel sich hieraus schliessen läſst, - herte sich diese Art in der Gröſse und Gestalt dem heutigen Tapir. Indeſs sind bey dem letz - tern die Kronen der sämmtlichen Backenzähne in zwey gleich breite Queerhügel getheilt; bey der erstern aber haben die drey ersten Backenzähnezwey147zwey pyramidalische Erhabenheiten, von wel - chen die vordere breiter als die hintere ist. Auch ist bey jener fossilen Art der vordere Theil der Kinnlade schmaler und länger, als bey dem Tapir(a)Cuvier a. a. O. T. III. p. 132..

Die gröſsere Art, wovon nur erst sehr ver - stümmelte Fragmente der Kinnladen bey Vienne in Dauphine, bey Saint-Lary in Comminge, und in Italien gefunden sind, nähert sich durch die Form der Backenzähne, deren sie wenigstens sechs auf jeder Seite gehabt haben muſs, sowohl dem Manati und Känguruh, als dem Tapir. Da aber an allen jenen Bruchstücken die Schnei - dezähne und Eckzähne fehlten, so läſst sich das Geschlecht, zu welchem jenes Thier zu rechnen ist, mit Gewiſsheit nicht bestimmen. Nach Cu - vier’s Schätzung muſs aber auf jeden Fall die Gröſse desselben sehr beträchtlich gewesen seyn. Denn, sagt er, hatte es einerley Verhältnisse mit dem Tapir, so war es um ein Viertel grö - ſser, als das Rhinozeros, und gehörte es zu einerley Geschlechte mit dem Manati oder Kän - guruh, so übertraf es jenen fünfmal und diesen achtmal an Gröſse(b)Cuvier a. a. O. p. 138.. Wir müssen aber auchhierK 2148hier an die angeführte Campersche Bemerkung erinnern.

6. Fluſspferde.

In Frankreich und andern Ländern hat man Zähne und Fragmente von Kinnladen gefunden, die, nach Cuvier’s Versicherung, in allen Stük - ken mit dem Hippopotamus übereinkommen(c)Bulletin des sc. de la Soc. philomath. An. VI. n. 18. p. 137..

Nach einer andern Anzeige von Cuvier zeig - te ein Sandstein, welcher wahrscheinlich aus der Gegend von Orleans herrührte, beym Zerspren - gen eine ziemliche Menge von Zähnen und an - dern Knochen, die mit den analogen Theilen des Fluſspferdes völlig übereinkamen, aber nur halb so groſs waren, und, wie jener Naturfor - scher glaubt, einem Thiere gehört haben müs - sen, welches, obgleich völlig ausgewachsen, nicht viel gröſser als ein Schwein gewesen seyn kann(d)Bulletin des sc. etc. An. VIII. n. 42. p. 142..

II. Fossile Ueberbleibsel von Rindern.

1. Ochsen.

Vermischt mit den Knochen von Elephanten und Nashörnern liegen in den kalten und gemä -ſsig -149ſsigten Ländern der nördlichen Erdhälfte unge - heure Schädel, Hörner und andere Gebeine von Ochsen, die selbst den Amerikanischen Bison, das gröſste unter den heutigen Landthieren nächst dem Rhinozeros und Nilpferde, an Gröſse über - treffen. Am häufigsten kommen sie, gleich dem Mammouth und dem fossilen Nashorne, in Sibe - rien und selbst noch im äussersten Norden die - ses Theils von Asien vor(e)Pallas, Comment. novi Acad. sc. Petropol. T. XIII. p. 461 sq.. Billings traf sie in der Nähe des Eismeers unter 69° 35′ N. Br. zwischen Elephantenzähnen und Rhinozeros - hörnern an. Aber auch in Deutschland, Preus - sen, Frankreich, Italien und zu Kentuckey in Nordamerika sind diese Fossilien gefunden wor - den. Einen bey Dirschau in der Gegend von Danzig ausgegrabenen Schädel hat Klein(f)Philos. Transact. Vol. XXXVII. 1732, p. 427., ein Horn mit einem Theile des Stirnbeins aus der Gegend zwischen Liboch und Melnik in Böhmen Mayer(g)Abhandl. einer Privatgesellsch. in Böhmen. B. VI. S. 261., und ein Horn, welches in Frank - reich entdeckt wurde, Buffon(h)Hist. nat. beschrieben. Im Eichstädtischen wurde ein ziemlich vollstän -digerK 3150diger Kopf in demselben Lager gefunden, worin die dortigen Elephantenknochen vorkommen(i)Esper, Schriften der Berlin. Gesellsch. B. V. S. 97..

Es giebt mehrere Arten dieser fossilen Ochsen.

Bey der einen Art sind die Hörner rück - wärts und nach innen gekrümmet, eckig und sehr runzlich; der obere Theil des Schädels ist glatt, die Stirne sehr breit und flach; die Au - genhöhlen stehen röhrenförmig hervor, und der Oberkiefer ist sehr breit. Diese Art ist die von Klein und Pallas in den angeführten Abhand - lungen beschriebene, welche so häufig in Siberien vorkömmt. An einem, von dem letztern aus - gemessenen Schädel hatte der knöcherne Kern der Hörner 14 Zoll im Umfange, da diese Periphe - rie bey dem gröſsten Auerochsen kaum über 8 Zoll ist(k)Pallas l. c. p. 465..

Bey der zweyten Art nehmen die Wurzeln der Hörner fast die ganze Stirne ein, sind blos durch einen engen Canal, der kaum die Breite eines kleinen Fingers hat, von einander getrennt, und haben an der Aussenseite einen sehr starken conischen Fortsatz, welcher fast vertical an der Schläfe herabgeht. Diese, ebenfalls von Pal -las151las(l)Nov. Commentar. Acad. sc. Petropol. T. XVII. p. 601. beschriebene Gattung kömmt an der Mündung des Ob in der Nähe des Eismeers vor. Pallas(m)Act. Acad. sc. Petropol. 1777. P. 2. p. 243. und Camper(n)Nov. Act. Acad. sc. Petropol. T. II. p. 252. erklären sie für einerley mit dem Moschus-Ochsen. Hier hätten wir also ein Beyspiel von Fossilien, deren noch lebende Originale im äussersten Norden von Ame - rika einheimisch sind. Indeſs gehören diese Knochen, nach der Versicherung von Pallas, keinesweges in Eine Classe mit den übrigen fos - silen Säugthieren des nördlichen Asiens. Sie liegen an der Oberfläche der Erde, sind noch ganz frisch, und blos von der Athmosphäre et - was angegriffen. Wahrscheinlich also rühren sie von Moschus-Ochsen her, die erst in neuern Zeiten an der West-Küste von Nordamerika durch irgend einen Zufall ins Meer gerathen, und von dorther nach der Siberischen Küste her - übergeführt sind(o)Pallas, Nov. Act. Acad. Petropol. T. II. p. 252..

Eine dritte, von Faujas-St-Fond(p)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. II. p. 188. Essai de Géologie. T. I. p. 543. be - stimmte Art unterscheidet sich darin, daſs dieHör -K 4152Hörner von der Wurzel an bis zu der Länge von einem Fuſs drey Zoll fast horizontal liegen, und die Stirne zwischen den Hörnern mit einer knö - chernen Hervorragung besetzt ist. Der Schädel, wovon Faujas-St-Fond diese Charaktere herge - nommen hat, befindet sich im Pariser Museum der Naturgeschichte ohne Anzeige des Orts, wo er gefunden ist. Peales soll aber ein Horn von derselben Art in Kentuckey angetroffen, und Pa - trin ähnliche in Siberien gesehen haben(q)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. I. p. 347. 348..

2. Hirsche.

Ausserordentlich groſse Geweihe hirscharti - ger Thiere, die häufig in Irland ausgegraben werden, hat Molineux beschrieben(r)Nat. Hist. of. Ireland. p. 137.. Unter andern gedenkt er eines 2 Fuſs langen Schädels, dessen Geweihe sich 10 Fuſs 10 Zoll weit aus - breiteten, mit zwey Seitenästen und einem sehr breiten, handförmigen Ende versehen waren.

Aehnlicher, in Lancashire und Yorkshire ge - fundener Geweihe erwähnen Hopkins(s)Philos. Transact. 1732. p. 257. und Knowlton(t)Phil. Trans. 1746. p. 124..

Nach153

Nach Arthur Young sind die Lagerstellen dieser Geweihe in Irland sehr oft Torfmoore, und nach der Erzählung des Pontoppidan ent - halten die Dänischen Moore ebenfalls häufig Hirschgeweihe.

Ein groſses und seltsam geformtes Geweih wurde auch im Rhein bey Worms im Jahre 1771 gefunden. Es wog 28 Pfund Fleischergewicht. Da es aber nicht die völlige Länge hatte, indem die ganze Krone und nach Proportion noch ein Ende fehlten, so muſs das Gewicht desselben zwischen 40 und 50 Pfund betragen haben. Die Höhe von der Stelle, wo jede Stange auf dem Schädel in gewissen Jahreszeiten festgewachsen ist, bis an den Bruch belief sich auf 3 Fuſs 4 Zoll, der Umfang jener Stelle auf 1 Fuſs(u)Von Rochow, Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 2. S. 388..

Alle diese Geweihe haben ausser ihrer unge - wöhnlichen Gröſse noch dies mit einander ge - mein, daſs sie gleich von der Basis an ästig, und nach oben abgeplattet sind. Diese Charak - tere passen aber auf keine bekannte Gattung der jetzigen hirschartigen Thiere. Jene Fossilien müs - sen daher einer untergegangenen Art des Hirsch -ge -K 5154geschlechts zugehört haben(v)Pallas, Nov. Commentar. Acad. sc. Petrop. T. XIII. p. 468. Camper, Nov. Act. Acad. Petrop. T. II. p. 258.. Inzwischen giebt es allerdings auch in eben den Gegenden, wo jene Geweihe vorkommen, fossile Knochen, die theils vom Elenn, theils vom Rennthiere zu seyn scheinen. Vom Elenn sind vermuthlich die von Kelly(w)Phil. Trans. n. 394. 1726. p. 122. beschriebenen Geweihe, die in Irland gefunden wurden, und daſs auch Renn - thiergeweihe in Irland angetroffen werden, ver - sichert Mortimer(x)Phil. Trans. n. 444. p. 389..

3. Antilopen.

Ein fossiles, in Siberien gefundenes Horn, welches denen der Antilope Oryx Pall., die in Aegypten, der Levante, Arabien, Indien und am Cap lebt, sehr ähnlich ist, führt Pallas(y)l. c. p. 466. an. Auch giebt es, Esper’n zufolge, Antilopenhörner neben den Ueberbleibseln von Elephanten und Büffeln, die im Eichstädtischen vorkommen(z)Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 5. S. 97..

4. Ciraffen.

D’Aubenton fand in der Sammlung des Ga - ston von Frankreich, eines Bruders Ludwig XIII,einen155einen Radius, der von keinem andern Thiere, als der Giraffe herrühren konnte(a)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1762. Ed. 4. p. 224.. Indeſs sagt D’Aubenton nicht, wo dieser Knochen ge - funden ist.

Eine merkwürdige, die fossilen Ueberbleib - sel von wiederkäuenden Thieren betreffende That - sache ist übrigens noch diese, daſs eine so gro - ſse Menge derselben auf dem Felsen von Gi - braltar, und in den senkrechten Spalten der Schichten des Thals von Ruda auf der Insel Lissa bey Dalmatien(b)Fortis Reise in Dalmatien. T. 2. S. 230. vorkömmt, und daſs sie in beyden, so weit von einander entfernten Gegenden auf eine ganz ähnliche Art gelagert sind. Sie liegen sowohl hier, als dort, in einem mit einem unregelmäſsigen Spath, Fragmenten eines blauen Marmors und Schaalen von Erdschnecken, die aber immer leer sind, vermischten Stalaktit, in kleinen Bruchstücken unordentlich unter einan - der(c)Camper, Nov. Act. Acad. sc. Petropol. T. II. p. 256.. Doch gehören sie nicht in einerley Classe mit den bisher erwähnten Fossilien: denn offenbar sind die kalkartigen Concremente, wor - in sie sich befinden, Niederschläge aus dem Re - genwasser, und von ganz neuer Entstehung(d)De Luc, Journal de Phys. T. LV. C. 4. n. 1.. Man156Man trifft daher auch unter jenen Fossilien noch lebende Arten an. Camper(e)A. a. O. besaſs ein Stück des Stalaktits von Gibraltar mit vier Kinnladen von Kaninchen, und Imrie fand in dieser Stein - art den Kopf eines Schaafs mit allen zugehöri - gen Zähnen, deren Schmelz noch vollkommen erhalten war(f)De Luc a. a. O.. Aber merkwürdig bleibt es immer, daſs in so entlegenen Gegenden so viele ähnliche, und auf eine so ähnliche Art gelagerte Fossilien vorkommen.

III. Fossile Ueberbleibsel von Wallfischen.

Nach Kalm’s Erzählung wurde in der Nähe von Quebeck, wo jetzt kein Seewasser ist, ein ganzes Wallfischgerippe gefunden(g)Kalm’s Amerikan. Reise. T. 3.. Vielleicht aber ist dieses erst in neuern Zeiten dahin gera - then. Aeltern Ursprungs war vermuthlich ein fossiler Wallroſszahn, den Bartholin aus einer Gegend von Island erhielt, wo auch fossiles El - fenbein gefunden wurde(h)Act. medic. et philosoph. Hafn. T. I. obs. 46. p. 83..

Fossile Knochen einer Wallfischart, welche in einer Tiefe von 180 Fuſs in dem Alaunschiefer von Whitby zu Yorkshire gefunden wurden, ha -ben157ben Chapmann(i)Phil. Transact. 1758. p. 688. und Wooller(k)Ebendas. p. 786. beschrie - ben, aber unrichtig für Ueberbleibsel eines Ga - vials gehalten(l)Merk lettres sur les os fossiles d’éléphans etc. Camper’s sämmtliche kl. Schriften. B. 3. S. 4..

Bey Paris an der Seine wurde ein, über 4 Fuſs langes Bruchstück eines Knochens in Thon gefunden, das, nach D’Aubenton’s Untersuchun - gen, von der Basis des Schädels eines Thiers aus der Familie der Wallfische herrührte(m)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1782. p. 211..

IV. Fossile Ueberbleibsel von Faulthieren.

Zu Paraguay, in der Nähe des Plataflusses, hundert Fuſs tief in einem sandigen Boden, wurde ein Gerippe entdeckt, das bis auf den Schwanz und einige Paare Knochen, die durch Modelle von Holz ersetzt werden konnten, voll - ständig war, im Museum zu Madrit aufgestellt, und von Abilgaard(n)N. Saml. of det Danske Vedensk. Selsk. Skr. D. 5. S. 402., Cuvier(o)Magaz. encyclop. T. I. p. 303. Wiedemann’s Ar - chiv für Zool. u. Zoot. B. 1. St. 2. S. 208. und Gim - bernat(p)Voigt’s Mag. f. d. neuesten Zustand der Natur - kunde. B. V. S. 530. beschrieben ist.

Die -158

Diesen Beschreibungen zufolge beträgt die Länge jenes Skeletts 12 Fuſs, die Höhe 6 Fuſs. Die Wirbelsäule hat 7 Hals -, 16 Rücken - und 4 Lendenwirbel, also 16 Rippen. Das Kreutzbein ist kurz; die Darmbeine sind sehr breit; ihre Flächen stehen beynahe senkrecht gegen das Rückgrat; sie bilden daher ein sehr weites Bek - ken. Schaam - und Sitzbeine fehlen an diesem Gerippe, und man sieht auch keine Spuhr von einer ehemaligen Gegenwart derselben bey dem lebenden Thiere. Die Oberschenkel, und noch mehr die Knochen der Unterschenkel sind von ausserordentlicher Dicke, wie bey den Schuppen - thieren. Die ganze Fuſssohle berührt im Gehen die Erde, wie bey allen Thieren aus der Fami - lie der Faulthiere. Das Schulterblatt ist viel breiter, als lang. Es sind vollkommene Schlüs - selbeine vorhanden. Die beyden Knochen des Vorderarms sind deutlich abgesondert und um einander beweglich. Die vordern Gliedmaaſsen übertreffen die hintern an Länge, und auch hier - in kömmt also dieses Thier mit der Familie der Faulthiere überein. Aber die Gelenkhöhlen der Schenkelknochen liegen nicht, wie bey allen übrigen Thieren, schräg an der Seite, sondern beynahe horizontal an der Stelle der Sitzbeine. Der Schenkelknochen hat daher keinen schräg liegenden Hals, sondern der Kopf sitzt an der Spitze der Axe jenes Knochens. Die Gestalt derNagel -159Nagelglieder läſst vermuthen, daſs die Nägel sehr groſs und spitz gewesen seyn müssen, und am Grunde in einer knöchernen Scheide gesteckt haben. Es scheint, als wenn an den Vorder - füſsen ihrer drey, und an den Hinterfüſsen nur ein einziger vorhanden gewesen sey, und daſs die Nägel der übrigen Zehen unter der Haut ver - borgen gelegen haben. Diese Struktur findet ebenfalls bey den heutigen Faulthieren und Amei - senfressern statt; nur die Zahl der Nägel ist bey diesen verschieden.

Am meisten aber zeichnet sich an jenem Ske - lett der Kopf aus. Das Hinterhaupt ist lang und platt, der Vorderkopf aber ziemlich gewölbt; die beyden Kinnladen treten schnabelförmig her - vor; sie haben, gleich den Kiefern der sämmtli - chen Faulthiergeschlechter, keine Schneidezähne und Eckzähne; allein hinten im Maule befinden sich an jeder Seite, sowohl oben, als unten, zwey Backenzähne mit zweyspitzigen Kronen. Die Zweige des Unterkiefers sind sehr groſs, wie bey dem Faulthiere und Elephanten, und vom Jochbogen geht ein langer Fortsatz nach unten herab, wie beym Känguruh.

Aus dieser Beschreibung erhellt, daſs jenes Thier, welches Cuvier mit dem Namen Mega - therium Americanum belegt hat, nicht nur der Art, sondern auch dem Geschlechte nach vonallen160allen bekannten Gattungen der heutigen Thiere gänzlich verschieden ist, indem keines der letz - tern drey Nägel an den Vorderfüſsen und einen an den Hinterfüſsen hat, bey keinem die Sitz - und Schaambeine ganz fehlen, bey keinem die Schenkelknochen ohne einen besondern Hals un - mittelbar mit den Darmbeinen artikuliren, und keines eine solche Organisation des ganzen Kör - pers bey einer solchen Gröſse besitzt. Man sieht aber auch, daſs es, der Beschaffenheit der Zähne und Nägel wegen, mit der Familie der Faulthie - re am nächsten verwandt ist.

V. Fossile Ueberbleibsel hundeartiger Thiere.

1. Bären.

In verschiedenen Gegenden des mittlern Eu - ropa, und zwar blos in Höhlen, giebt es fos - sile Knochen, die ehedem für Drachenknochen galten, die aber in der That einem Thiere aus dem Geschlechte der Bären angehört haben. Man fand sie in der Baumann’s - und Scharzfelder Höhle(q)Mylii memorab. Saxon. subterran. P. II. Leib - nitii Protog. §. 34. 36. Tab. XI. fig. 2. 4. Sömme - ring in Grosse’s Mag. f. d. Nat. Gesch. des Men - schen. B. 3. St. 1. N. 3., in mehrern Höhlen des BaireutherOber -161Oberlandes, vorzüglich der Gailenreuther(r)J. F. Esper’s ausführl. Nachr. von neuentdeckten Zoolithen unbekannter vierfüſsiger Thiere. Eben - ders. in den Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 5. S. 56. J. Hunter, Philos. Trans. Vol. LXXXIV. P. II. p. 407. J. C. Rosenmüller’s Beiträge zur Gesch. und nähern Kenntniſs fossiler Knochen. St. 1. S. 38. 39., bey Kahlendorf im Eichstädtischen(s)Esper a. a. O., und in ver - schiedenen Höhlen Ungarns und Siebenbürgens(t)J. P. Hain in Miscell. Acad. Nat. Cur. Dec. I. ann. 3. 1672. p. 257. 366. Vollgnad ibid. Dec. I. a. 4 et 5. 1673 et 1674. p. 226. Brückmann, Bres - lauer Samml. Winterquartal. 1725. S. 509. Relat. XV. S. 628. Relat. XXVI.. In der Gegend von Gailenreuth, die am meisten wegen dieser Fossilien berühmt ist, zeugt eine ungeheure Menge Conchylien, die auf der Ober - fläche und im Innern der dortigen Berge ver - steinert liegt, von ehemaligem Meeresboden.

Es giebt nur zwey Arten unter den heutigen Bären, womit diese fossile Art, ihrer Gröſse wegen, verglichen werden kann, nehmlich den Landbären (Ursus arctos L.) und den Eisbären (Ursus maritimus L.). Aber von dem Landbären unterscheidet sie sich schon auf den ersten Blick in der Form und Gröſse des Kopfs. Der KopfdesIII. Bd. L162des fossilen Bären ist, von der Grundfläche an gerechnet, am höchsten bey den Erhabenheiten des Stirnbeins, die sehr stark sind; eine von dieser Hervorragung auf den untersten Rand des Unterkiefers senkrecht gezogene Linie theilt den Längendurchmesser (von den Schneidezähnen bis zur Spitze des Hinterhauptknochens) in zwey, fast gleiche Theile; die Länge dieses Durch - messers beträgt 16″ 11‴ und die Breite zwischen den Jochbogen 8″ 10‴. Der Kopf des Landbären hingegen hat seine gröſste Höhe nicht bey den kaum sichtbaren Erhabenheiten des Stirnbeins, sondern weiter hinten da, wo das Stirnbein an die Scheitelbeine anschlieſst; ein Perpendikel von dieser Gegend auf die Basis theilt den Längen - durchmesser dergestalt, daſs ein Theil nach hin - ten, zwey aber nach vorne fallen; die Länge des ganzen Kopfs ist 13″ 8‴ und die Breite zwi - schen den Jochbogen 7″ 8‴(u)Vergl. Rosenmüller a. a. O. S. 46 ff. wo noch mehrere andere Verschiedenheiten angeführt sind..

Mehr Aehnlichkeit hat der fossile Bär mit dem Eisbären. Allein in der Gröſse des Kopfs sind beyde noch verschiedener, wie jener und der Landbär. Schon Camper bemerkte, daſs sich der Kopf des erstern zu dem des gröſsten Landbären verhalte, wie 3 zu 2, und fast das - selbe Resultat ergiebt sich, wenn man die ange -führ -163führten Rosenmüllerschen Ausmessungen des fossilen Bären mit den Zahlen vergleicht, die Pallas für den Längendurchmesser (= 12″ 10‴) und den Abstand der Jochbogen (= 6″ 8‴) des Eisbären angegeben hat. Aber auch in der Form des Schädels weichen beyde von einander ab. Der des Eisbären hat zwar ebenfalls seine gröſste Höhe da, wo die Hervorragungen des Stirnbeins sind. Doch theilt eine von dieser Gegend auf die Grundfläche senkrecht gezogene Linie den Längendurchmesser so, daſs ein Theil nach vor - ne, und zwey Theile nach hinten liegen(v)Rosenmüller a. a. O.. Inzwischen darf man nicht übersehen, daſs diese, von Rosenmüller angegebene Unterschiede nur auf einer Vergleichung beruhen, welche zwischen dem Kopfe des fossilen Bären und der, von Pallas gelieferten Beschreibung des Eisbären an - gestellt ist, auch daſs manche der von ihm auf - gezählten Verschiedenheiten blos von der Ver - schiedenheit des Alters herrühren können. In der That zeigen sich auch Verschiedenheiten un - ter den Schädeln des fossilen Bären, wie aus ei - ner Vergleichung der Rosenmüllerschen Zeich - nung mit denen, welche Hunter(w)Phil, Transact. Vol. LXXXIV. P. II. p. 407. Tab. XIX. geliefert hat, erhellet. Möglich ist es, daſs beyde Thie -reL 2164re als bloſse Varietäten erscheinen würden, wenn mehrere vollständige Skelette derselben unmittel - bar gegen einander gehalten würden, und pro - blematisch bleibt die specifische Verschiedenheit derselben, so lange beyde nicht auf eine solche Art mit einander verglichen sind.

2. Hunde.

Cuvier fand unter den vielen Fossilien der Gypsbrüche von Montmartre, welche, wie wir gesehen haben, schweineartigen Thieren angehö - ren, einen Unterkiefer, der die Charaktere des Geschlechts der Hunde hatte, aber von den Kinn - laden des Wolfs, des Fuchses, der Varietäten des Haushundes, des Virginischen Fuchses und des Chacals verschieden war. Nur mit dem Isatis und dem Capschen Chacal hatte Cuvier keine Gelegenheit, ihn zu vergleichen(x)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 382..

Schädel, Kinnladen und Zähne von Hunden und Wölfen finden sich auch in den Gailenreu - ther Osteolithen-Höhlen(y)Esper in den Schriften der Berlin. Gesellsch. B. V. S. 75. 90. 91.. Von den letztern sagt Esper: An Gröſse konnte ich von dem Gewöhnlichen nichts Abweichendes finden; blos einzelne Zähne und Stücke von Kinnladen wie - sen,165 sen, daſs wahre Ungeheuer der gedachten Thie - re einzeln auch hier mit zu Grunde gegangen.

3. Katzen.

In den Scharzfelder und Gailenreuther Höh - len trifft man auch Schädel und Zähne an, wel - che denen des Löwen und Tigers einigermaaſsen ähnlich, und von mehrern Schriftstellern in der That für Ueberbleibsel eines katzenartigen Thiers des Tropenclimas erklärt sind(z)Leibnitii Protog. Tab. XI. Esper a. a. O. S. 92. Sömmering in Grosse’s Mag, f. d. Nat. Gesch. B. 3. St. 1. S. 60 ff. Tab. 1. 2. Blumlnbach specimen ar - chaeologiae telluris. p. 14.. Mir scheint es aber zweifelhaft zu seyn, ob sich diese Fossi - lien mit Sicherheit zum Katzengeschlechte rech - nen lassen. Es giebt ein ganzes Thiergeschlecht, welches in osteologischer Rücksicht fast noch völ - lig unbekannt ist, nehmlich das der Robben. Wir wissen nicht, ob nicht einzelne Arten dieser Thiere einen Schädel und Zähne haben, denen jene Fossilien ähnlicher, als den Schädeln und Zähnen der katzenartigen Thiere sind. Auf je - den Fall ist so viel gewiſs, daſs sich jenes fossile Thier in dem Bau der Kinnladen, in der Be - schaffenheit der Schneidezähne und in der Klein - heit der Eckzähne von allen bekannten Arten der Katzenfamilie wesentlich unterscheidet.

§. 17.L 3166

§. 17.

In der Periode, die wir im vorigen § ge - schildert haben, lebten noch keine Menschen, und noch keines der Thiere, die dem Menschen unter allen am ähnlichsten sind, noch keine Affen.

Alles, was man bisher für fossile Menschen - knochen hielt, rührte entweder von ganz andern Thieren, oder aus einer weit spätern Periode her(a)Convictus cum maxime sum, sagt Camper (Nov. Act. Petropol. T. II. p. 251.) orbem nostrum variis ac horrendis catastrophis fuisse expositum ali - quot seculis, antequam homo fnit creatus: numquam enim hucusque, nec in ullo museo, videre mihi contigit verum os humanum petrefactum, aut fossile, etiamsi Mammonteorum, Elephantorum, Rhinocero - tum etc. aliorumque perplura viderim ossa, et eo - rum haud pauca specimina in Museo meo conser - vem.. So waren es Elephantenknochen, was Felix Plater für Gebeine eines 19füſsigen Rie - sen ansah(b)Blumenbach in Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. V. St. 1. S. 16.; so war der Kopf des Scheuch - zerschen homo diluvii testis von einem groſsen Wels(c)Blumenbach a. a. O. S. 21., und so erkannte de Lamanon in einem vermeinten Menschenkopfe, welcher, nebst meh - rern andern Knochen, die auch anfangs fürMen -167Menschenknochen galten, im Jahre 1760 bey Aix in der Provence gefunden war, eine Schildkrö - tenschaale(d)Journal de phys. T. XVI. p. 468. Guettard (Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1760. Ed. 4. p. 209.) hatte den Irrthum derer, die jenen Kopf für einen Menschenschädel hielten, zwar schon eingese - hen, aber diesen unrichtig für einen groſsen Nauti - liten gehalten.. In neuern Zeiten behauptete zwar Spallanzani, Menschenknochen in der obersten Schichte eines Berges der Insel Cerigo, die in ihrer ganzen Dicke gröſstentheils aus ver - steinerten Knochen zusammengesetzt seyn soll, gefunden zu haben(e)Spallanzani’s angestellte physikal. Beobachtungen auf der Insel Cythera. Strasburg. 1789.. Allein schon de Luc(f)Journal de Phys. T. LV. C. 4. n. 1. hat mit Recht erinnert, diese Beobachtung sey so unvollständig und mangelhaft, daſs sie nichts beweise, so wie überhaupt Spallanzani’s Zeug - niſs in dergleichen Sachen verdächtig sey, da er zu wenig geologische Kenntnisse besessen und nach wunderbaren, unerhörten Dingen gehascht habe. Wenn aber diese Beobachtung auch ge - gründet wäre, so würde sie doch nichts gegen unsere Behauptung beweisen. Die oberste Schich - te jenes Berges der Insel Cerigo ist nehmlich ohne Zweifel von einerley Art mit denjenigen, worinmanL 4168man auf Gibraltar und in Dalmatien die vie - len Ueberbleibsel wiederkäuender Thiere findet. Gleich den letztern, wurde sie erst in neuern Zeiten durch Niederschläge aus dem Regenwasser gebildet, und es wäre daher nicht zu verwun - dern, wenn sie wirklich Menschenknochen ent - hielte.

Fossile Affenknochen giebt es eben so wenig in dem Kalk - oder Gypstuff, welcher neuern Ursprungs ist, als in den früher entstandenen Erdlagen. Auch die Affen entstanden also wahr - scheinlich mit dem Menschen erst nach jener groſsen Catastrophe, in welcher das Ohiothier, der Mammouth u. s. w. ihren Ursprung fanden.

Aber gab es vor dieser Catastrophe noch keine Vögel? Mir scheint es, daſs sich diese Frage noch nicht mit Gewiſsheit beantworten läſst. Zwar hat de Lamanon(g)Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Phy - sik. B. I. St. 4. S. 21. eine Verstei - nerung beschrieben, die er für einen Ornitholi - then hielt. Aber weder Camper, noch Fortis, noch Faujas-St-Fond(h)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 20. haben dieses Fossil für einen wahren Ornitholithen anerkannt.

Eine andere Abbildung eines Ornitholithen findet sich im Journal de Physique. Thermidor. An169An VIII. Es ist aber keine Beschreibung beyge - fügt, und, nach Faujas-St-Fond’s Versiche - rung(i)A. a. O., hat niemand das Original gesehen.

Wichtiger ist Cuvier’s Beschreibung eines in Gyps versteinerten Vogelfuſses, der in den Stein - brüchen von Clignancourt bey Montmartre gefun - den wurde(k)Journal de Phys. Thermidor. An VIII.. Aber es sind keine Merkmale angegeben, woraus sich das Alter dieser Verstei - nerung beurtheilen läſst.

Delametherie hat ebenfalls zwey Abbildun - gen von Knochen geliefert, die auf der nordwest - lichen Seite des Montmartre nicht weit von einem Orte gefunden sind, wo man auch eine kleine fossile Kinnlade antraf, die nur vier Backenzäh - ne hat, welche denen des Vespertilio serotinus vollkommen ähnlich sind(l)Journ. de Phys. T. LV. c. 5. n. 12.. Allein bey diesen Fossilien findet auch der Zweifel statt, ob sie nicht von neuerer Entstehung sind.

Scheuchzer(l*)Vindiciae piscium. Tab. II. und Blumenbach(m)Handb. der Nat. Geschichte. Voict’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. V. St. 1. S. 21. ge - denken versteinerter Federn und Knochen vonSumpf -L 5170Sumpf - und Wasservögeln im Oeninger Stink - schiefer und im Pappenheimer Mergelschiefer. Aber man weiſs schon aus dem 14ten § dieses Buchs, daſs jene Steinarten von neuerer Bildung sind.

An einer andern Stelle seines Handbuchs der Naturgeschichte sagt Blumenbach: Ich besitze einen Osteolithen im festen Kalksteine von un - serm Heimberg, den kein Kenner, der ihn noch gesehen, für etwas anders als für den soge - nannten Daumen am Flügel eines sehr groſsen Vogels hat halten können. Diese Beobachtung würde allerdings entscheidend für das Daseyn von Vögeln in einem sehr frühen Zeitraume seyn, wenn es nicht gewagt wäre, auf die Aehnlichkeit eines einzelnen Knochenstücks etwas zu bauen.

Fauias-St-Fond(n)Annales du Muséum d’Hist. nat. T. III. p. 21. Pl. I. fig. 1. 2. 3. hat zwey Versteine - rungen beschrieben und abgebildet, die mitten in den Steinbrüchen von Vestena Nova unter den dortigen Ichtyolithen gefunden wurden, und die er für Vogelfedern hält. Man kann, sagt er, sie nicht mit gewissen Tangarten verwech - seln, die einige Aehnlichkeit mit Federn ha - ben: denn bey ihnen sind die Haare der Fahne mit andern kleinern Haaren besetzt (parceque celle -171 celle-ci a ses barbes garnies d autres petites barbes). Die Professoren Jussieu, Lamarck, Desfontaines und Thouin, die sie aufmerk - sam untersucht haben, halten sie für eine wah - re Vogelfeder. Diese Autoritäten sind nun freylich sehr wichtig. Allein die Abbildungen jener Versteinerungen scheinen mir doch mehr Aehnlichkeit mit Meergräsern, als Federn zu ha - ben, und allerdings giebt es auch Tange, deren haarförmige Zweige gerade wie bey Federn mit Seitenhaaren besetzt sind.

Man sieht also, daſs die Erfahrung uns noch keinen ganz entscheidenden Beweis für die Exi - stenz der Vögel in frühern Perioden geliefert hat.

Um die Periode, wovon im vorigen § die Rede war, vollständig zu charakterisiren, müs - sen wir hier endlich noch auf eine Bemerkung zurückkommen, die wir schon im 12ten § ge - macht haben. Wir haben dort erwähnt, daſs in einigen Erdschichten der nördlichen gemäſsig - ten Erdzone Conchylien gefunden werden, deren Originale zwar noch jetzt vorhanden sind, aber heut zu Tage blos in der südlichen Erdhälfte ge - funden werden. Jene Erdschichten nun sind dieselben, in welchen die Gebeine der unterge - gangenen Landthiere begraben liegen. Man fin - det hier die letztern oft vermischt mit Schnek - ken und Muscheln des Indischen Oceans. Diesist172ist z. B. der Fall in den Hügeln von Piemont. Wir haben im 12ten § gesehen, daſs de Luc in diesen Anhöhen unter andern ein Kinkhorn an - traf, das jetzt nur in der südlichen Erdhälfte lebt. Von den nehmlichen Hügeln bemerkt er aber auch, daſs sie zugleich Gerippe von Am - phibien und Säugthieren enthalten(o)Grens Journal der Physik. B. VI. S. 304..

§. 18.

So sind wir endlich zu jener Periode ge - kommen, wovon wir im Anfange dieses Buchs ausgingen, zu dem Zeitraume, in welchem der Mensch gebildet wurde und die lebende Natur sich ihrer jetzigen Gestalt näherte. Aber in un - sern bisherigen Untersuchungen findet noch eine groſse Lücke statt; wir haben noch nicht die Fragen berührt: Welchen Aufenthalt und welche Verbreitung jene Körper der Vorwelt hatten, die wir bisher blos in Beziehung auf ihre Organisa - tion und auf die Perioden, in welchen sie leb - ten, betrachtet haben? Ob ihre Heimath die nehmlichen Gegenden waren, wo wir jetzt ihre Gebeine finden; oder ob ihre Leichname durch Meeresfluthen aus fernen Gegenden in ihre jetzi - ge Lagerstäten gebracht sind? Wie sich das Clima der Gegenden, in welchen jene Körper gebohren wurden und lebten, zu dem jetzt da -selbst173selbst herrschenden verhält? Wir liessen diese Fragen bisher unberührt, um nicht das Gewisse mit dem Ungewissen zu vermengen. Die Leh - ren nehmlich, die in den vorhergehenden §§ ent - halten sind, beruhen unmittelbar auf Erfahrun - gen, und haben daher einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Auch sind sie wahrschein - lich, weil sie mit den beyden Sätzen der Natur - philosophie, die wir im 1ten § aufgestellt ha - ben, völlig übereinstimmen. Wir werden, so sagten wir dort, die lebende Natur für ein Gan - zes ansehen, das in beständigen Umwandlungen von jeher begriffen war, noch begriffen ist, und stets begriffen seyn wird; wir werden aber auch zweytens in diesen Verwandlungen einen festen, gesetzmäſsigen Gang annehmen. Diesen Sätzen ganz gemäſs ist die Schilderung, die wir in dem gegenwärtigen Buche von der lebenden Natur entworfen haben. Sie erscheint uns als ein ewig sich verwandelnder, aber bey allen diesen Ver - änderungen zu einer gewissen Stufe der Ent - wickelung regelmäſsig fortschreitender Organis - mus. Einen gleichen Grad von Gewiſsheit kön - nen wir aber nicht bey der Beantwortung der vorhin aufgeworfenen Fragen zu erreichen hof - fen, indem diese mit Problemen in Verbindung steht, bey deren Auflösung uns die Erfahrung gänzlich verläſst. Indeſs laſst uns auch hierbey unsere Kräfte versuchen! Vorher aber wird esnöthig174nöthig seyn, noch eines unmittelbaren Resultats der bisher angeführten Thatsachen zu erwähnen.

Diese Folgerung ist, daſs allen den groſsen Verwandlungen, welche die lebende Natur seit ihrer Entstehung erlitten hat, immer groſse Re - volutionen der ganzen Erde vorhergegangen sind. Unmittelbar vor der Bildung lebender Körper erfolgten häufige Niederschläge der Kalkerde, und diese dauerten in jenem Zeitraume fort, in wel - chem die Encriniten, Pentacriniten, Ammoniten, Orthoceratiten, und die übrigen untergegangenen Thierpflanzen und Mollusken lebten. Eine neue Gestalt erhielt die lebende Natur, als sich die Grauwacken - und Kupferschiefer erzeugten. Jetzt entstanden Fische und Farrnkräuter. Diese ver - lohren sich aber wieder bey einer Catastrophe, wobey Gyps und Sandstein hervorgebracht wur - de. Groſs, doch nicht so allgemein war auch der Einfluſs, den die Ursache des Niederschlags der Kreideschichten auf die lebenden Körper äus - serte. Ueberhaupt scheint die lebende Natur bey jeder neuen Präcipitation von Uebergangs - und Flötzgebirgen wesentliche Veränderungen erlitten zu haben. Die letzte groſse Catastrophe des Zeitraums der Flötzformation war diejenige, in welcher eine ungeheure Menge Pflanzen vom Meere bedeckt und in Steinkohlen verwandelt wurde. Dann folgte endlich die merkwürdigeRevo -175Revolution, welche den Untergang der vielen Ohiothiere, Elephanten und anderer Landthiere bewirkte, und dem Entstehen der jetzigen leben - den Natur vorherging. Die vielen Meereskörper, zwischen welchen sich die Reste dieser Land - thiere befinden, zeugen von einer damaligen gro - ſsen Wasserfluth, und die weite Verbreitung je - ner, in der Mitte des festen Landes befindlichen Meereskörper und Ueberbleibsel von Landthieren beweiset, daſs diese Ueberschwemmung den gröſsten Theil der jetzigen Continente betraf.

§. 19.

Wir haben gesehen, daſs es allenthalben in allen Welttheilen, und selbst auf den Gi - pfeln der höchsten Berge Meeresprodukte giebt. Es folgt hieraus, daſs es eine Periode gab, wo der Ocean das feste Land, und selbst die Spitzen der höchsten Berge bedeckte. Wir ha - ben aber auch gesehen, daſs in vielen Gegenden Ueberbleibsel von Pflanzen und Thieren, be - deckt mit Meeresprodukten, vorkommen, und diese Thatsache beweist, daſs da einst festes Land war, wo Meeresboden jetzt ist, oder gewesen ist. Wir würden also anzunehmen berechtigt seyn, daſs, so wie in unsern Tagen, so auch in den Zeiten der Urwelt, festes Land in Mee - resboden und Meeresboden in festes Land über - ging, wenn nicht dieser Voraussetzung die aus -ser -176serordentliche Höhe der Berge, die einst vom Ocean bedeckt gewesen seyn müssen, entgegen zu stehen schiene. Doch können diese nicht durch irgend eine Kraft aus der Tiefe des Oce - ans hervorgehoben seyn? Sind nicht auch noch in neuern Zeiten alte Berge verschwunden, und neue aus dem Meere hervorgestiegen? Bestehen nicht alle ursprüngliche Veränderungen des Wellt - alls in Expansionen und Contraktionen? Wird nicht bey jeder Contraktion einer Reihe von re - pulsiven Kräften eine andere expandirt, und bey jeder Expansion der erstern die letztere con - trahirt(p)Biol. B. 1. S. 44 ff.?

Ich weiſs, daſs es der Einbildungskraft schwer fällt, sich Berge von der Höhe des Grenairon, oder gar der Andes, als hervorgeworfen aus den Tiefen der Erde zu denken. Aber nur der Ver - stand, nicht die Phantasie, kann hier Richter seyn, und dessen Aussprüche müssen gelten, so - bald sie Gründe auf ihrer Seite, und keine un - widerlegbare Einwürfe gegen sich haben. Und was läſst sich unserer Meinung entgegensetzen? Ich sehe nichts, als nur dieses, daſs alle Berge, die einst unter der Meeresfläche gestanden ha - ben, Spuhren von Wirkungen des vulcanischen Feuers zeigen müſsten, wenn unsere Meinung gegründet wäre. Allein dieser Einwurf wirddurch177durch die Vulcane von Südamerika widerlegt, deren Flammen oft eine Höhe von 3000 Fuſs er - reichen, und welche noch nie einen Tropfen flieſsender Lava hervorzubringen vermogt haben, sondern blos Wasser, Schwefelwasserstoffgas, Koth und kohlenstoffhaltigen Thon auswerfen(q)Von Humboldt in Gilbert’s Annalen der Physik. B. XVI. St. 4. S. 479.. Was zwinget uns auch, das Feuer für die ein - zige Kraft zu halten, wodurch Berge aus dem Schooſse der Erde hervorgehoben seyn könnten? Ist nicht schon bloſse Wärme hierzu hinreichend? Wer kennet nicht die ungeheuren Wirkungen sich ausdehnender Gasarten und Dämpfe? Giebt es nicht warme Quellen, die aus Grauwacke, Glimmerschiefer, Gneis, und selbst aus Granit entspringen(r)Von Buch’s geognostische Beobachtungen. B. 1. S. 240 ff. Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkun - gen auf einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 21. 51 ff. 91.? Ja, sind nicht meist nur dieje - nigen Quellen warm, die aus Urgebirgen ent - stehen(s)Von Buch a. a. O. S. 242.? Beweisen diese Thatsachen nicht, daſs noch heut zu Tage im Innern der Urgebir - ge chemische Processe vorgehen, wobey Wärme und Gasarten entbunden, und Dämpfe gebildet werden?

AlsIII. Bd. M178

Als im Jahre 1783 den 5ten Februar Messina bey einem Ausbruche des Aetna eine heftige Er - schütterung erlitt, wurde an demselben Tage das jenseits dem Adriatischen Meere gelegene Cala - brien noch weit heftiger als Messina selbst zer - rüttet, und zum Theil ganz zerstöhrt. Und doch entdeckte Dolomieu, welcher kurz nach dieser Catastrophe Calabrien bereiste, nicht nur keine Spuhr weder eines neuern, noch ehemaligen Vul - cans in dem ganzen Apulien, sondern er fand auch, daſs die, Italien der Länge nach trennen - de, von aussen ganz aus Kalk - oder Mergel - schichten bestehende Apenninen in Calabrien als Granitgebirge erscheinen, die sich in der soge - nannten Ebene auf einmal ganz entblöſst dar - stellen, und in dieser Gestalt bis an die äusser - ste Spitze Calabriens ununterbrochen fortstreichen. Er beobachtete ferner, daſs in der Gegend dieser Ebene auf den Stellen, wo sich die Flötzgebirgs - schichten an den Granit anlegen, die Wirkung des Erdbebens bey weitem am stärksten und hef - tigsten gewesen war, und zwar so heftig, daſs die auf dem Granit liegenden Flötzschichten zum Theil ganz von ihrer Granitunterlage waren ge - trennt worden. Wenn nun im Innern des Gra - nits Wärme, Gasarten und Dämpfe entwickelt werden, wenn Erdbeben weniger heftig in der Nähe der ausgebrochenen Vulcane, als in ent - fernten Urgebirgen sind, ist es dann nicht zuver -179vermuthen, daſs vulcanische Ausbrüche bloſse Nebenwirkungen von weit gröſsern chemischen Processen sind, die im Innern des Granits vor sich gehen? Ist es dann nicht wahrscheinlich, daſs diese Processe eine noch weit gröſsere Rolle in den Zeiten der Urwelt gespielt haben, wo alle Kräfte der Erde freyer und energischer wirk - ten? Ist es dann nicht glaublich, daſs einst durch jene Entwickelung von Wärme, Luft und Dämpfen groſse Erdstriche aus dem Meere her - vorgehoben sind?

Doch wer wird auch läugnen können, daſs bey der Bildung der Erdrinde elastische Flüssig - keiten in ausserordentlicher Menge entbunden seyn müssen? Wer wird es unwahrscheinlich finden können, daſs der Granit und Gneis lang - sam verhärtet sind, und daſs sich jene Rinde eine Zeitlang in einem teigartigen Zustande be - funden hat? Wer aber diese Sätze einräumt, wird auch zugeben müssen, daſs jene Flüssig - keiten sich zum Theil unter der Erdrinde an - sammeln, und, ausgedehnt von der entbundenen Wärme, diese emporheben muſsten. So konnten denn in den Zeiten der Urwelt Anschwellungen der Erdfläche ohne heftige Explosionen entstehen, und so sind auch noch in neuern Zeiten Ebenen und Tiefen zu Anhöhen emporgestiegen. Die Höhe Maklefield zu Herefordshire im westlichenM 2Eng -180England wurde im Jahre 1751 gebildet, indem sich einige zwanzig Tonnen Landes von dem übrigen Felde trennten, sich binnen drey Tagen allmählig und ohne Geräusch 400 Schritte weit verrückten, und darauf schnell zu einer ansehn - lichen Höhe anschwollen(t)Bergmann’s physikal. Erdbeschreibung. 3te Aufl. B. 2. S. 145.. Im Klaveezer See fand man den 16ten August 1803, Morgens früh, da, wo die Fischer noch einige Tage vor - her ohne Hinderniſs das Netz gezogen hatten, einen Berg, der sich unter der Wasserfläche mit allmähliger Senkung nach jeder Seite über 100 Fuſs weit erstrecket, und welcher ohne die min - deste Spuhr einer Erderschütterung aus der Tiefe des Sees heraufgestiegen ist(u)Bredow in Voigt’s Mag. f. d. neuesten Zustand der Naturkunde. B. VII. St. 4. S. 364..

Jene Entwickelung unterirdischer Gasarten dauerte noch fort, nachdem die Erdrinde schon erhärtet war. Jetzt aber wurden dadurch hef - tige Explosionen hervorgebracht, wovon nach den Beobachtungen von Saussure und Fortis, noch heut zu Tage die Spuhren übrig sind(v)Jener fand unter andern auf der Hinterseite des kleinen Saleve unter Bänken von Sandsteine Lagen einer kalkartigen Breccie, welche die Bänke des so -liden. Jetzt181Jetzt entstanden auch Vulcane, deren Produkte indeſs von denen der heutigen feuerspeyenden Berge sehr verschieden gewesen seyn müssen.

Es liegt uns alles daran, unsere obige Mei - nung zu begründen, denn von ihr hängt der Sinn und die Deutung aller übrigen geologischen Thatsachen ab. Ich werde daher noch andere Gründe anführen, woraus die Wahrheit jener Hypothese aufs einleuchtendste erhellen wird.

Wir

(v)liden und dichten Gesteins, woraus das Innere des Berges besteht, bedecken. Diese Beobachtungen, sagt er, scheinen zu beweisen, daſs die Oberfläche der Erde vor dem gänzlichen Zurückziehen des Meerwassers ausserordentlich muſs erschüttert wor - den seyn; daſs hierdurch einige Felsen zum Ber - sten gebracht wurden, deren Bruchstücke sich wie - der vereinigten, und unter der Gestalt von Brec - cien, während noch das Meer auf diesem Theile der Erde stand, zusammenkitteten; daſs hierauf auch Sand herbeygesehwemmt und darauf in Sand - stein verhärtet worden; und daſs nach diesem allen eine noch heftigere Erschütterung entstand, welche ganze Berge zerbrach und umstürzte, und jenen schnellen und gewaltsamen Rückzug des Meers ver - anlaſste, durch welchen die groſsen Bruchstücke von Felsen fortgeführt wurden, die wir in unsern Thä - lern und auf unsern Bergen zerstreut antreffen. (Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 1. S. 215. Th. 2. S. 312.)

M 3182

Wir haben gesehen, daſs es unter den höch - sten Bergen einige giebt, auf deren Gipfeln sich unverkennbare Beweise finden, daſs sie noch lan - ge nach ihrer Bildung vom Meere bedeckt gewe - sen seyn müssen. Es giebt aber auch andere Berge, auf welchen nichts anzutreffen ist, wor - aus sich auf spätere Wirkungen des Meers schlies - sen läſst, sondern welche seit ihrer Entstehung über die Fläche der Gewässer hervorgeragt zu haben scheinen. Wären die letztern Berge im - mer höher, als die erstern, so könnten jene Thatsachen blos mit Hülfe der Voraussetzung einer Abnahme des Meers erklärt werden. Aber nicht selten findet das Gegentheil statt. Auch manche Berge, die gar nicht zu den hohen ge - zählt werden können, bestehen aus uranfängli - chem, mit keinen spätern Meeresprodukten be - decktem Gesteine. Von der Art sind z. B. die in der Gegend von Dresden(w)Charpentier’s mineralogische Geographie der Chursächsischen Lande. S. 38., um Dogorska im Bannat(x)Born’s Briefe. S. 44., und bey Kladrau und Pilsen(y)Ferber’s Beyträge zur Mineralgeschichte von Böhmen. S. 129. liegenden Granitkuppen. Jetzt sind nur noch zwey mögliche Wege zur Erklärung jener That - sachen übrig: man muſs entweder annehmen, daſs alle die Berge, auf deren Gipfeln sich kei -ne183ne Meeresreste finden, ursprünglich höher gewe - sen sind, als diejenigen, deren Spitzen die Merkmale ehemaliger Ueberschwemmungen an sich tragen, und anfangs über die Fläche des Meers hervorgeragt haben, daſs aber mehrere derselben späterhin, nachdem das Meer die Ober - fläche des jetzigen festen Landes schon verlassen hatte, zu einer weit geringern Höhe herabge - sunken sind; oder man muſs unserer Meinung beytreten, nach welcher alle, mit Meeresproduk - ten bedeckte Berge aus der Tiefe des Oceans hervorgehoben sind.

Es giebt noch einen zweyten Grund, wel - cher auf eben die Alternative führt. Wir finden nehmlich Gebirgsschichten, die jetzt eine verti - kale Lage haben, deren Bildung aber beweist, daſs sie sich ursprünglich in einer horizontalen Lage befunden haben müssen. So traf Saus - sure bey Valorsine eine senkrechte Schichte von Breccien an, die unmöglich in dieser Lage ent - standen seyn konnte(y)Daſs sehr verdünnte Theile, sagt jener Natur - forscher, die in einem flüssigen Körper schwim - men, unter einander ankleben, und senkrechte Schichten bilden können, dies begreifen wir gar wohl, und wir haben Zeugnisse davon an den Alabastern, Agathen, und selbst an den künstli - chen. Solche Gebirgsschich -tenM 4184ten müssen also nach ihrer ursprünglichen Bil - dung sehr groſse Revolutionen erlitten haben. Und worin bestanden diese gewaltsamen Verände - rungen? Sie können nur von einer doppelten Art gewesen seyn: entweder eine Kraft, die vom Innern der Erde aus nach deren Oberfläche wirkte, muſs die ursprünglich horizontalen Schichten gehoben, und in ihre jetzige, oft senk - rechte Lage gebracht haben; oder es war ein Einstürzen der Ränder ungeheurer Erdschollen, wobey der mittlere Theil derselben seine ur - sprüngliche Höhe behielt, was die wagerechte Lage der Erdschichten in eine schiefe oder ver - tikale umänderte.

Auf denselben Schluſs führt uns endlich auch der Umstand, daſs in sehr vielen Gegenden Flötz -lager,(y) chen Crystallisationen. Daſs aber ein ganz gebildeter Stein von der Gröſse eines Kopfs sich mitten an einer senkrechten Wand angehängt, und dort ge - wartet haben sollte, bis die kleinern Theile des Steins ihn einzuwickeln und an dieser Stelle an - zuleimen und zu befestigen gekommen wären, ist eine unmögliche und absurde Voraussetzung. Man muſs es also für eine ausgemachte Sache anneh - men, daſs diese Breccien in einer horizontalen, oder wenigstens derselben nahe kommenden Lage gebildet, und erst nach ihrer Verhärtung in diese Stellung gebracht worden. (Saussure’s Reisen durch die Alpen. Th. 3. S. 116.)185lager, die ganz mit Versteinerungen angefüllt sind, mit andern abwechseln, die keine Spuhr von Petrefakten enthalten. Manche der letztern sind vermuthlich Produkte vulcanischer Ausbrü - che; hingegen manche, und besonders die Gyps - flötze, in welchen die Abwesenheit von Verstei - nerungen fast allgemein ist, sind offenbar auf dem nassen Wege entstanden. Niederschläge des Meerwassers aber können sie nicht seyn: denn sonst müſsten nothwendig Ueberbleibsel von Seethieren in ihnen vorkommen. Wir müssen sie daher für Niederschläge stehender Gewässer, oder der Athmosphäre annehmen. Daraus aber folgt, daſs noch vor jener Periode, in welcher das jetzige feste Land vom Ocean verlassen wur - de, einzelne Theile der Erdrinde abwechselnd vom Meere bedeckt und wieder entblöſst sind, und dies konnte nicht anders geschehen, als da - durch, daſs entweder diese Theile selber, oder andere Erdstrecken sich hoben oder senkten.

Wir befinden uns also wieder auf demselben Punkte, worauf wir schon zuvor standen. Wel - cher der beyden Wege, die vor uns sind, ist nun der richtige? Welchen sollen wir wählen? Ich glaube denjenigen, welcher von der Voraus - setzung ausgeht, daſs eine Hebung der Erd - rinde diejenigen Höhen, die einst vom Meere bedeckt waren, gebildet hat, und der GrundM 5mei -186meines Glaubens ist die specifique Schwere der Erde. Diese nehmlich ist = 5,48, wenn die des Wassers zur Einheit angenommen wird(a)Biol. Bd. 2. S. 445.. Sie steht also blos der der meisten Metalle nach; hingegen ist sie doppelt und dreymal so groſs, als die des Granit, Porphyr, Gneis, Kalkstein, Gyps, Alabaster, Marmor, Basalt, kurz der sämmtlichen Steinarten, woraus die Rinde der Erde besteht(b)Musschenbroek Introd. ad phil. nat. Delame - therie’s Theorie der Erde. Uebers. von Eschen - bach. Th. 1. S. 54.. Hier haben wir eine That - sache, die sich auf keine Weise erklären läſst, wenn man nicht im Innern der Erde einen Kern von beträchtlicher Dichtigkeit annimmt. Die Voraussetzung eines solchen Kerns ist aber ganz unvereinbar mit der Hypothese, welche die Ent - stehung der Berge aus einem Einsinken der ursprünglich horizontalen Erdschichten erklärt. Denn erstens müſsten nach dieser Meinung die - jenigen Niederschläge des Meerwassers, woraus die jetzige Oberfläche der Erde entstanden ist, eine kappenförmige Rinde um die Erde gebildet haben, deren innere Höhlung blos mit Wasser angefüllt gewesen wäre. Allein wenn es einen festen Kern der Erde giebt, so muſste dieser schon vorhanden seyn, ehe die erwähnten Nie - derschläge eintraten, und so widerspricht es al -len187len chemischen Gesetzen, daſs sich jene Rinde an der Oberfläche des Wassers, und nicht un - mittelbar auf dem Kern der Erde gebildet haben sollte. Aber zweytens, wenn man auch dies bey Seite setzt, so bleibt doch noch eine andere, eben so groſse Schwürigkeit übrig. Jener Hy - pothese zufolge zerriſs endlich die bis dahin ho - rizontale Erdrinde, und durch ihr Einsinken wurden die Höhen und Tiefen der Erde hervor - gebracht. Wodurch wurden nun diese Erha - benheiten und Vertiefungen vom Wasser ent - blöſst?

De Luc, der Urheber und Vertheidiger je - ner Meinung, nimmt zur Beantwortung dieser Frage eine Staubmasse an, womit das In - nerste der Erde ursprünglich angefüllt war. Ein Schlamm, der mit Flüssigkeit durchzogen war, setzte sich zuerst auf dieser Rinde ab, und ver - ursachte daselbst ähnliche Einsenkungen, wie wir auf jedem, mit Wasser begossenen Sand - oder Staubhaufen entstehen sehen. Diese Staub - theile, sagt de Luc(c)Voigt’s Mag. f. d. Neuste aus der Physik u. s. w. B. IX. St. 1. S. 88. §. 24., waren von verschie - dener Art, daher denn die eingeseigerte Flüssig - keit hier und da besondere Verbindungen her - vorbrachte, wodurch ebenfalls nach und nach groſse, harte, und verschiedentlich gleichsam in Zwei -188 Zweige sich vertheilende Massen entstanden, dergleichen man in vielerley lockern oder wei - chen Substanzen, wie im Sande, im Thone und in verschiedenen kalkartigen Erden u. s. w. findet. Diese verhärteten Portionen, die im Anfange der Einsenkung widerstanden, bildeten Stützen für die Rinde von Erdlagen, die sich folglich einige Zeit waagrecht erhalten konnte, indeſs sich durch die Einsenkung der lockern Staubtheile in ihren Zwischenräumen Höhlen bildeten, in welchen sich ausdehnbare Fluida sammelten, die durch die innern chemischen Operationen hervorgebracht worden waren. Aber wenn sich die Einsenkung der Staubtheile wei - ter und bis unter die Grundfläche jener verhär - teten Portionen erstreckte, die nun die Schei - dewände der Höhlen bildete, so senkten sich dann diese Scheidewände selbst, und da folg - lich die obere Rinde (als die Decke der Höhlen) nun ihre Stütze verlohren hatte, so brach sie ein, und senkte sich nun selbst in einem wei - tern oder engern Umfange. Da sich hierauf ein Theil der Flüssigkeit in die Höhlen verlief, so trieb er die ausdehnbaren Fluida, die sich darin gesammelt hatten, heraus. Diese schwän - gerten nun die obere Flüssigkeit mit neuen In - gredienzen, und veränderten dadurch die chemi - schen Verbindungen in selbigen, und da sich hierauf von neuem ausdehnbare Fluida an der Ober -189 Oberfläche derselben entbanden, so verursachte dies wieder neue Arten von Niederschlägen. Jene successiven Ergieſsungen der Flüssigkeit veranlaſsten aber wiederum neue Höhlen, in - dem sie neue Einsenkungen der Staubmassen verursachten; dadurch ward aber die äussere Menge der Flüssigkeit allgemach vermindert; und da jene successiven Portionen von verschie - dener Natur waren, weil die äussere Flüssig - keit sich immer mehr durch neue Niederschlä - ge von ihren uranfänglichen Ingredienzen ent - blöſste, so entstand daraus jedesmal eine neue Art von ausdehnbarem Fluidum im Innern, und hierauf wieder neue Verbindungen in der obern Flüssigkeit, wenn jene Fluida sich darin verbreitet hatten.

Ferner sagt er(d)A. a. O. S. 90. §. 26.: Nach allerhand Cata - strophen, die sich mit der Erdrinde zugetragen haben, da sie noch mit Flüssigkeit bedeckt war, und während welcher diejenigen Stellen, die durch die Scheidewände der Höhlen unterstützt wurden, in ihrer primitiven waagerechten Lage geblieben waren, wo sie auf dem Boden dieser Flüssigkeit Ketten von Erhabenheiten oder Ber - gen bildeten, erfolgte endlich eine Epoche, wo - bey, durch groſse Einsenkungen des Staubes die Grundflächen der Scheidewände der Höhlen in190 in einem groſsen Theile der Erde zugleich un - terminirt wurden, und sich daher die Erdrinde in diesem ganzen Umfange einsenken muſste. Dieſs ist die erste groſse Revolution, die einen tiefen Eindruck auf unserer Erdkugel zurückge - lassen hat. Denn sie ist es, wodurch sich die Oberfläche derselben zuerst in Meer und festes Land trennte, weil alle die Flüssigkeit, womit sie damals von aussen umgeben war, in diese eingesenkten Gegenden zusammenfloſs, und der Rest der Rinde hingegen über ihr hinaus - ragte.

So erklärt de Luc den Ursprung der Berge und des festen Landes, und in der That ist die - se Erklärung die einzig mögliche für den, der Einsenkungen der ursprünglich horizontalen Erd - rinde für die einzige Veränderung annimmt, die sich seit ihrer Bildung mit ihr zugetragen hat. Aber wie roh, wie unwürdig der Erhabenheit, welche die Natur überall in ihrem Wirken zeigt, und wie unvereinbar mit der groſsen specifiquen Dichtigkeit des Kerns der Erde ist die Voraus - setzung einer uranfänglichen, im Innersten die - ses Weltkörpers befindlichen Staubmasse, worauf jene Erklärung führt! Da also nicht bloſse Sen - kungen der Erdschichten diese aus Meeresboden in festes Land und Höhen verwandelt haben können, so bleibt nichts übrig, als Kräfte, dievom191vom Innern der Erde nach aussen wirkten, für die Ursache zu halten, wodurch der ehemalige Meeresboden vom Wasser entblöſst wurde.

Man würde mich aber unrecht verstehen, wenn man glauben wollte, daſs ich alle Uneben - heiten der Erdoberfläche blos von diesen Kräften ableitete. Mir scheint es, daſs man, wie schon Tilas sehr richtig bemerkt hat, die Wirkung der Erhöhungen des Landes nicht mit der eigent - lichen Gestalt der Berge verwechscln dürfe. Die Erhöhungen des Landes sind meiner Meinung nach durch unterirdische expandirende Kräfte her - vorgebracht. Für mich leidet es aber auch kei - nen Zweifel, daſs die Erdrinde in ihrem ur - sprünglichen Zustande nicht, wie de Luc und andere Naturforscher behauptet haben, aus lauter horizontalen Schichten bestanden hat, sondern daſs schon gleich bey der Crystallisation dersel - ben Berge und Thäler gebildet sind. Keiner, der unbefangen erwägt, welche Struktur der Granit und Gneis in solchen Gegenden hat, wo die ursprüngliche Anlage dieser Gebirgsarten noch nicht zerstöhrt ist, wird auch hieran zweifeln können. Dort sieht man den Granit in Schich - ten gelagert, die wie ein lateinisches S gestaltet sind(e)Saussurk’s Reisen durch die Alpen. Th. 2, S. 151.. Man sieht andere Urgebirge, worauf Bänke von einer gegen den Horizont perpendiku -lären192lären Richtung in abwärts gehenden Bänken ein - geschlossen sind(f)Saussure a. a. O. S. 14.. Noch andere bestehen aus Schichten, deren vertikaler Durchschnitt sich mit einem offenen Fächer vergleichen läſst, und deren Rippen unten fast horizontal liegen, weiter bin - auf aber sich erheben, bis die obersten allmählig senkrecht stehen(g)Ebendas. Th. 3. S. 76.. Wer wird es wagen, die - se regelmäſsigen Gestalten von einer andern Ur - sache, als der Crystallisation, abzuleiten? Zu - dem ist es offenbar, daſs die chemische Beschaf - fenheit jeder Gebirgsart beym Entstehen der Ber - ge sehr viel zur Bildung derselben beygetragen hat. Feuersteine und Porphyre geben hohe und steile, aber nicht lange, hornglimmerige und wellenförmige Arten auch hohe, aber nicht in die Länge sich erstreckende Gebirge(h)Tilas, Abhandl. der Schwed. Akad. B. XIX. S. 220.. Wie könn - te dies seyn, wenn die Berge nicht Werke der Crystallisation, sondern Wirkungen mechanischer Ursachen wären?

Für mich leidet es auch keinen Zweifel, daſs auf die Crystallisation der Gebirge eine dem Magnetismus analoge Kraft Einfluſs gehabt hat. Dieser Gedanke muſs sich auch jedem auf - drängen, dem bekannt ist, daſs die Richtungder193der Schichten des Granits in den verschiedensten Gegenden mit der Richtung der Magnetnadel über - einkömmt. Nach Saussure(i)A. a. O. Th. 2. S. 14. haben die, ge - gen den Horizont senkrechten Gebirgslagen, die man häufig im Jurassus antrifft, fast alle ihre Flächen von Nordnordost gegen Südsüd - west, nach der allgemeinen Richtung dieser Bergkette, gerichtet. Er beobachtete eben diese Richtung auf dem Mole(k)Ebendas. Th. 1. S. 257. 258., so wie auf dem Buat(l)Ebendas. Th. 2. S. 249., und auf dem Mont-Breven sahe er adrichte Granite, deren fast senkrechte Schichten mit der Magnetnadel eine gleiche Richtung hat - ten(m)Ebendas. Th. 3. S. 49.. Pallas fand, daſs die dicken Granit - schichten, aus welchen die Daurischen Berge bestehen, fast halbrechtwinklicht gegen Süden oder Südosten in die Tiefe sinken(n)Pallas Reise durch versch. Provinzen des Russi - schen Reichs. Th. 3. S. 227. 228.. Vor - züglich wichtig aber sind in dieser Rücksicht von Humboldt’s Beobachtungen. Schon bey seinen Reisen in Deutschland, Italien, dem südlichen Frankreich, den Pyrenäen und Galizien wurde er auf die Bemerkung geführt, daſs das Streichen und Fallen der Urgebirge einem allgemeinen Ge -setzeIII. Bd. N194setze unterworfen sey, und daſs, (abgesehen von den Ungleichheiten, die von kleinen Localursa - chen herrühren) die Lagen des geschichteten grobkörnigen Granits, des Gneis, und ganz be - sonders des Glimmerschiefers und Thonschiefers, insgesammt einen Winkel von 52½° Südwest oder Nordost mit dem Meridian des Orts machen, und daſs sie dabey nach Nordost einfallen. Alle Messungen, die er auf seiner nachherigen Amerikanischen Reise anstellte, ga - ben eben dieses Resultat. Ueberall streichen auch in Amerika die Gebirgslager von Nordost nach Südwest unter einem Winkel von 50° mit dem Meridian, und fallen nach Nordwest unter einem Winkel von 60 bis 80°(o)Gilbert’s Annalen der Physik. B. XVI. S. 427..

Wir behaupten also nicht, daſs alle Uneben - heiten der Erdoberfläche durch unterirdische ex - pandirende Kräfte hervorgebracht sind, sondern unsere Meinung ist nur diese, daſs es solche Kräfte waren, welche groſse Theile der Erdrinde aus der Tiefe des Oceans hervorhoben und in festes Land verwandelten.

§. 20.

Reich an Folgerungen ist der Satz, den wir jetzt dargethan haben. Es ergiebt sich daraus, daſs das feste Land einst auf ähnliche Weise ge -bil -195bildet ist, wie noch in neuern Zeiten Inseln aus dem Boden des Oceans hervorgestiegen sind. Wenn also zu dem gröſsten der geologischen Phänomene aus den Zeiten der Urwelt noch heut zu Tage analoge Erscheinungen vorhanden sind, so dürfen wir um so mehr bey Erklärung ande - rer geologischer Thatsachen die Analogie zu Hül - fe nehmen. Nun lehrt die neuere Geschichte, daſs, indem neue Inseln entstanden, alte vom Wasser verschlungen wurden. Es erhellet fer - ner aus der Bildung mehrerer Küsten, daſs sie ehedem mit festem Lande in Verbindung gestan - den haben müssen, welches jetzt nicht mehr vorhanden ist. Die Analogie führt uns also auf den Satz, daſs bey der Entstehung des jetzigen festen Landes ehemalige Continente verschwun - den sind, und daſs überhaupt seit der Bil - dung der Erde gleichzeitige Contraktionen und Expansionen in derselben statt gefunden haben.

Hieraus folget weiter, daſs wir keinesweges berechtigt sind, alle Ueberbleibsel des Pflanzen - und Thierreichs der Vorwelt für Erzeugnisse des Bodens zu halten, in welchem wir sie heut zu Tage antreffen, sondern daſs manche derselben, die in Siberien und Canada begraben liegen, aus der südlichen Erdhälfte dahin geführt seyn können. Denn wenn es gewiſs ist, daſs einst ganze Länder versanken, indem andere aus demN 2Mee -196Meere hervorstiegen, so ist es auch unläugbar, daſs ein groſser Theil der Thiere und Pflanzen jener erstern Länder von den Fluthen, worin sie ihr Grab fanden, fortgerissen seyn muſs; und daſs sie auf diese Weise bis in die fernsten Ge - genden gelangen konnten, erhellet aus der Ana - logie des Golfstrohms von Mexico, welcher Er - zeugnisse des wärmern Amerika oft bis nach Schottland und Norwegen führt.

Endlich folget noch, daſs die fossilen Reste von lebenden Körpern der Vorwelt, die in dem heutigen festen Lande vorkommen, aus Ländern dahin gebracht seyn können, die heutiges Tages gar nicht mehr vorhanden sind.

Jetzt ist es Zeit die Frage zu untersuchen: Welche Organismen der Vorwelt in denjenigen Gegenden lebten, wo ihre Ueberbleibsel jetzt zu finden sind? Welche aus fremden Ländern her - rühren? Und welches das Vaterland der letz - tern war?

Was die Encriniten, Pentacriniten, Ammoni - ten, Belemniten und die übrigen Versteinerungen von Zoophyten und Mollusken betrifft, die in den ältesten Flötzgebirgen vorkommen, so haben wir schon im 12ten § gezeigt, daſs diese an den Stellen, wo sie jetzt gelagert sind, einst gelebt haben müssen.

Eben197

Eben dies läſst sich von manchen versteiner - ten Fischen, und namentlich von denen, welche in der Gegend von Vestena Nova liegen, bewei - sen. Man hat unter diesen einen Esox gefun - den, der in dem Augenblicke versteinert worden, wo er einen kleinern Fisch halb verschlungen hatte. Man hat groſse Tafeln angetroffen, auf welchen sich Fische befanden, die von kleinern ihrer Art, wie eine Mutter von ihren Jungen, begleitet sind. Diese und ähnliche Umstände lassen sich nicht mit der Voraussetzung reimen, daſs jene Thiere durch heftige Meeresströhme aus andern Zonen in ihre jetzigen Lagerstäten ge - bracht seyn sollten.

Wahrscheinlich ist es, daſs auch die von Spener beschriebene crocodilartige Eidechse die Gegend von Suhla, wo sie entdeckt wurde, zum Aufenthalte gehabt hat. Denn ihr convulsivi - sches Ansehn und der geringe Grad von Zerstöh - rung, den sie erlitten hat, lassen vermuthen, daſs sie gleich nach ihrem Tode in ihrer nach - herigen Lagerstäte versteinert worden, und ihre Struktur beweist, daſs sie nicht zu den Seethie - ren gehört haben kann.

Es lebten also einst in der gemäſsigten Zone der nördlichen Erdhälfte Fische und Amphibien, wovon jetzt nur in weit südlichern GegendenN 3ähn -198ähnliche Formen vorhanden sind. Läſst sich hieraus nicht schlieſsen, daſs das Clima jener Zo - ne ehemals wärmer war, als in jetzigen Zeiten? Ist es daher nicht wahrscheinlich, daſs die Farrn - kräuter, die Ohiothiere, Elephanten, Nashörner und die übrigen Pflanzen und Thiere der Vor - welt, welche Erzeugnisse eines wärmern Him - melsstrichs zu seyn scheinen, und deren Ueber - bleibsel in den gemäſsigten und kalten Ländern des Nordens begraben liegen, ebenfalls in diesen Ländern einheimisch waren? Wird diese Mei - nung nicht dadurch unterstützt, daſs die baum - artigen Farrnkräuter und die groſsen rohrartigen Gewächse, die in manchen Steinkohlenflötzen vorkommen, oft so darin aufrecht stehen, als ob sie an Ort und Stelle gewachsen wären? Spricht für sie nicht der Umstand, daſs man die fossilen Ueberbleibsel von Säugthieren familien - weise gelagert findet, und daſs es z. B. in Sibe - rien Elephanten, Nashörner und Ochsen, in der Gegend von Paris Anoplotherien und Paläothe - rien, in Nordamerika Ohiothiere u. s. w. sind, was man dort von Fossilien antrifft? Beweisen nicht die Fluſsschnecken, womit das Lager der fossilen Elephanten von Burgtonna angefüllt ist, daſs diese Gebeine nicht durch Meeresfluthen da - hin gebracht seyn können, sondern in der Ge - gend, wo sie begraben liegen, gelebt haben müssen?

Diese199

Diese Fragen müssen wir aber mit Nein be - antworten. Daſs in der Gegend von Vestena Nova, von Thüringen u. s. w. sich vormals Fi - sche und Amphibien aufhielten, wovon jetzt nur in Gegenden, die weit mehr nach Süden liegen, analoge Formen gefunden werden, beweiset blos, daſs die Meere der nördlichen Erdhälfte in jenen Zeiten eine Fauna hatten, welche der heutigen südlichen weit ähnlicher war, als der heutigen nördlichen, nicht aber, daſs das Clima der jetzi - gen gemäſsigten Zone ehedem wärmer war, als heutiges Tages. Die Fische und Amphibien nehmlich sind in ihrer Verbreitung von der heis - sen bis zur gemäſsigten Zone nicht so beschränkt, wie die meisten Säugthiere. Der Amerikanische Alligator geht nordwärts bis zum Cap Henry in Virginien(p)Biol. Bd. 2. S. 187., also bis zu einem Himmelsstri - che, der gewiſs nicht wärmer ist, als der, un - ter welchem die Lagerstäte des Spenerschen Cro - codils liegt.

Eben so wenig beweiset der aufrechte Stand mancher gröſserer Phytolithen, daſs diese in ih - rer jetzigen Lagerstäte gewachsen sind. Derglei - chen Fälle von aufrecht stehenden Pflanzenver - steinerungen gehören zu den seltenen. Die mei - sten liegen unordentlich, zerrissen und verstüm -meltN 4200melt durch einander; alles beweist, daſs sie durch eine äussere Gewalt in ihre jetzige Lage gebracht sind(q)Von Schlotheim’s Beschreibung merkwürdiger Kräuterabdrücke und Pflanzenversteinerungen. S. 18.. Daſs nun unter diesen Um - ständen manche gröſsere Stämme eine senkrechte Stellung erhielten, ist nichts weniger als son - derbar; wohl aber würde es sonderbar seyn, wenn dies nicht der Fall wäre, und alle eine horizontale Lage hätten.

So berechtigt auch der Umstand, daſs die Fossilien von Säugthieren meist familienweise gelagert sind, nicht zu dem Schlusse, daſs die jetzige Lagerstäte derselben die vormalige Hei - math dieser Thiere war. Es folgt blos dar - aus, daſs diese einst einen gemeinschaftlichen Aufenthalt gehabt haben müssen. Denn was von einerley Strohme ergriffen und fortgerissen wurde, muſste auch in einerley Gegend abge - setzt werden.

Was endlich den Umstand betrifft, daſs die Mergelschichte von Burgtonna Elephantengerippe und zugleich Fluſsschnecken enthält, so steht diese Beobachtung so isolirt, daſs sich gar nichts daraus schliessen läſst. Fast in allen übrigen Gegenden liegen neben den fossilen Säugthier - knochen Meeresprodukte. Es ist daher weit na -türli -201türlicher zu glauben, daſs die Gerippe von Burg - tonna aus dem Meeresgrunde, worin sie anfangs lagen, in der Folge durch ausgetretene Flüsse wieder hervorgewühlt, in eine andere Gegend geschwemmt, und hier in einem Fluſsbette wie - der verschüttet sind.

Es lassen sich aber auch mehrere Gründe anführen, welche der Meinung, daſs alle Petre - fakten und Fossilien von Pflanzen und Landthie - ren an den Stellen, wo sie jetzt begraben liegen, einst gelebt haben sollten, ganz entgegen sind. Erstens nehmlich ist es gewiſs, daſs, wenn die - se Hypothese gegründet wäre, die Polargegenden ein ähnliches Clima wie die jetzigen heissen Zo - nen gehabt haben müſsten. Elephanten, Nas - hörner, Antilopen und ähnliche Thiere konnten so wenig vormals, als heutiges Tages, in der Eis - zone ausdauern, konnten so wenig ehedem, als jetzt, in diesen unwirthbaren Gegenden Nahrung finden. Aber aus welcher Voraussetzung will man eine so totale Veränderung des Clima erklä - ren? Antwortet man, aus einer Veränderung der Erdaxe, so läſst sich weiter fragen, wo - durch diese hervorgebracht seyn soll? und dann bleibt nichts übrig, als einen Cometen, der mit der Erde zusammenstieſs, zu Hülfe zu nehmen. Aber eine solche Hypothese ist unvereinbar mit geläuterten Begriffen von der Organisation derN 5Na -202Natur und dem regelmäſsigen Gange ihrer Ver - änderungen. Die Lage der Erdaxe ist abhängig von der Organisation unsers ganzen Sonnensy - stems, und diese ist gegenseitig abhängig von jener. Eine plötzliche Verrückung der erstern würde eine eben so schnelle Zerrüttung dieses Systems nach sich ziehen. Aber wo hat sich je, seitdem das Firmament beobachtet ist, ein Bey - spiel von einer unregelmäſsigen Veränderung in der Lage und Bahn eines Himmelskörpers ge - funden?

Auf eine andere Art hat von Humboldt(r)Versuche über die chemische Zerlegung des Luft - kreises. S. 177. die obige Frage zu beantworten gesucht. Setzen wir, sagt dieser, das Daseyn eines ersten Nie - derschlags, einer einmaligen Abscheidung aus der chaotischen Flüssigkeit, worin sich die Erde einst befand, voraus, so liegt in dieser ersten Wir - kung selbst die Ursache aller folgenden. So oft ein Stoff aus dem flüssigen Zustande in den fe - sten übergeht, wird Wärme entbunden. Steigt nun das Thermoskop schon merkbar, wenn we - nige Kubiklinien Eis entstehen, werden die be - nachbarten Wasserschichten merkbar erwärmt, indem die zarten Salzcrystalle sich abscheiden, welche Erhöhung der Temperatur, welche Er - hitzung muſste nicht erfolgen, indem ungeheureMas -203Massen erdiger Grundstoffe, mächtige Gebirgs - schichten sich niederschlugen! Diese entbundene Wärme ging in die noch übrigen Theile der Auflösung, und erregte in diesen Verdampfung, Verminderung des Menstruums, und, als un - mittelbare Folge der Verminderung, neue Nieder - schläge. Die Entstehung der ersten Gebirgs - schichte ist also selbst die Ursache zur Entste - hung einer folgenden. Je gröſser aber die er - härtete, oder niedergeschlagene Masse war, desto schneller muſste derselben ein neuer Niederschlag folgen. Je mehr Niederschläge vorhergegangen waren, desto erwärmter muſste im Ganzen der Rest des Menstruums seyn. Während nun die Temperatur des Mediums allmählig erhöhet wur - de, während die aufgelösten, sich abscheidenden Grundstoffe ihre Ziehkräfte gegen einander und gegen das Medium ausübten, wurde ein Theil des letztern zersetzt. Es entwickelten sich Dämpfe, und mit diesen luftförmige Stoffe, und der Dunstkreis gewann eine neue Mischung und neue Schichten. Mit den aufsteigenden gasför - migen Stoffen ging endlich auch eine groſse Masse von Wärmestoff in den neuen Dunstkreis über. So konnte unter dem 70° der Breite, wie unter 20°, nur ein Palmenclima entstehen.

Ohnstreitig liegt in diesen Schlüssen manches Wahre. Wahr ist es, daſs bey jedem Nieder -schla -204schlage Wärme und gasförmige Stoffe entbunden werden muſsten, und wahr ist es, daſs hier - durch der erste Niederschlag zur Ursache aller folgenden wurde. Aber zweifelhaft ist es, ob jene entbundene Wärme eine bedeutende Erhö - hung der Temperatur bewirken konnte, und un - richtig ist die Folgerung, daſs auf diese Art in den Polarländern ein Palmenclima hätte entste - hen können. Denn entwickelten sich bey je - dem Niederschlage zugleich Dämpfe und luft - förmige Stoffe, so muſste die Wärme, die bey jener Präcipitation entwickelt war, bey der Bil - dung der letztern wieder gebunden werden, und so konnte diese zur Erhöhung der Temperatur des Wassers und der Athmosphäre nicht viel beytragen. Aber gesetzt diese wäre auch be - trächtlich dadurch erhöhet worden, so hätte doch nimmer auf diese Weise in den Polargegenden ein Palmenclima entstehen können. Es ist ja nicht blos der hohe Grad von Wärme, es ist auch der senkrechte Fall der Sonnenstrahlen, die beständige Gleichheit der Tage und Nächte, die Regelmäſsigkeit aller meteorologischen Verän - derungen, kurz es sind noch eine Menge ande - rer, von der Temperatur unabhängiger Einflüs - se, wovon die Pflanzen und Thiere der Tropen - länder abhängen. Wäre dies nicht, warum wüchsen dann nicht in den warmen Quellen von Europa die Pistia Stratiotes, der Saururus, undande -205andere, den Ländern, die zwischen den Wende - kreisen liegen, eigene Wasserpflanzen?

Diese Gründe lassen sich noch durch ande - re, die von den Lagerstäten der Versteinerungen und Fossilien, und der Beschaffenheit mancher Ueberbleibsel ehemaliger Thiere hergenommen sind, unterstützen. Der Bernstein kömmt an den Küsten des Eismeers, im nördlichen und südlichen Europa und auf Madagascar vor. Ele - phantenknochen liegen in allen Ländern von Eu - ropa, in Siberien, in der Tartarey und im nörd - lichen Afrika. Ueberbleibsel des Ohiothiers wur - den nicht nur in Canada, sondern auch in Ita - lien, an der westlichen Seite des Uralischen Ge - birges, auf der Höhe von Santa-Fé, in Tima - na, Ibarra und Chili gefunden. Man nehme, welche Hypothese man will, eine Veränderung der Erdaxe, oder eine Erhöhung der Temperatur durch die Niederschläge, welche in der chaoti - schen Flüssigkeit statt fanden, bey keiner wird man wagen dürfen, zu behaupten, daſs alle diese so verschiedene Länder den Pflanzen und Thieren, wovon jene Fossilien herrühren, einst zur Heimath gedient haben.

Ein zweyter Grund ist dieser, daſs es in mehrern Gegenden, z. B. in dem Petersberge vonMa -206Mastricht(s)Faujas-St-Fond Essai de Géologie. T. I. p. 391., und in mehrern von denjenigen Sandhügeln des flachen Landes von Ruſsland, welche Ochsen - und Elephantengebeine enthal - ten(t)Pallas, Physikal. Arbeiten der einträchtigen Freunde in Wien. 1ten Jahrg. 1tes Quartal. S. 11 ff., versteinerte Holzblöcke giebt, welche von allen Seiten und nach allen Richtungen von Pfahlwürmern durchbohrt sind, unordentlich zer - streut liegen, und also vor der Versteinerung lange ein Spiel der Meereswellen gewesen seyn müssen. Wenn nun diese ohne Zweifel aus fremden Gegenden in ihre jetzige Lagerstellen gebracht sind, warum tragen wir denn Beden - ken, die vielen andern Reste von Thieren und Pflanzen, die in den Ländern der gemäſsigten und kalten Zone des Nordens begraben liegen, ebenfalls für Fremdlinge anzunehmen? Giebt es nicht heut zu Tage noch etwas ganz Aehnliches an der ungeheuren Menge Treibholz, das in Da - vis-Sund, bey Island, und in Siberien zwischen dem Ob und Jenisey angeschwemmt wird, und welches nur aus sehr entfernten Gegenden her - rühren kann(u)Bergmann’s physikal. Erdbeschreibung. B. 2. S. 200.?

Wir haben oben bemerkt, daſs die Steinkoh - lenflötze aus ehemaligen Torfmooren entstandenzu207zu seyn scheinen. Wenn diese Meinung ge - gründet ist, so folgt daraus ebenfalls, daſs die Ueberbleibsel von Gewächsen, die sich in jenen Flötzen befinden, aus wärmern südlichern Ge - genden herrühren müssen. Torfmoore nehm - lich erzeugen sich nur in den kalten und ge - mäſsigten Zonen(v)Jameson’s mineralog. Reisen durch Schottland. Uebers. von Meuder. S. 165. Das südlichste, mir bekannte Land, wo sich noch Torf findet, ist Portugal (Link’s geolog. u. mineralog. Bemerkungen auf einer Reise durch das südwestl. Europa. S. 79.). Nur in diesen Gegenden konnten also auch Steinkohlen entstehen. Dort aber konnten keine baumartige Farrnkräuter, keine Palmen und keine, dem Zuckerrohr ähnli - che Pflanzen wachsen. Die Gewächse, denen die Torfmoore, woraus die Steinkohlenflötze ent - standen sind, ihren Ursprung verdanken, müssen also von den Wendecirkeln hergeführt, in den nördlichern Gegenden angehäuft, und hier in den Zustand des Torfs übergegangen seyn.

Erwägt man ferner den geringen Grad von Zerstöhrung, den manche jener Fossilien erlitten haben, so wird man auch hierin einen Grund gegen die obige Behauptung finden. Ein Reise - gefährte des Ysbrand Ides entdeckte in Siberien einen mit dem Fleische noch bekleideten, mit Blute noch gefärbten Elephantenschädel, undPal -208Pallas ein ganzes, mit Haut, Haaren und Liga - menten noch versehenes Rhinozerosgerippe. Wo anders, als in einem stets gefrornen Erdreiche konnten die weichen Theile dieser Fossilien so viele Jahrtausende hindurch der Fäulniſs wider - stehen? Siberien muſste schon damals, als Ele - phanten und Nashörner auf den Steppen dessel - ben begraben wurden, ein sehr kaltes Clima ha - ben, und widersinnig ist es also, jenen Erd - strich für das ehemalige Vaterland dieser Thiere anzunehmen.

Indeſs dürfen wir auch nicht alle fossile Re - ste von Pflanzen und Säugthieren für ehemalige Bewohner fremder Gegenden ansehen. Einige giebt es allerdings, die an dem Orte, wo sie be - graben liegen, gelebt zu haben scheinen. Aber gerade von diesen läſst sich wieder ein Beweis hernehmen, daſs die meisten der übrigen aus entfernten Ländern herstammen müssen. Zu je - nen gehört vieles fossile Holz und der fossile Bär. In der thonartigen Unterlage ausgeleerter Torfgruben kommen nicht selten noch senkrecht stehende Stämme von Bäumen vor, deren Wur - zeln sich in den Thon verbreiten, und welche zum Theil mit ihrer kennbaren natürlichen Rin - de umgeben sind, so daſs sich die Geschlechter, zu welchen sie gehören, noch deutlich unter -schei -209scheiden lassen(w)Von Beroldingen Beobachtungen, Zweifel u. Fragen die Mineralogie u. s. w. betreffend. Vers. 1. Aufl. 2. S. 37. 38.. Diese Bäume sind ohnstrei - tig an ihrer Geburtsstelle verschüttet. Sie gehö - ren zu den Geschlechtern der Birken, Buchen, Fichten, Eichen, und überhaupt zu solchen, die noch heut zu Tage den gemäſsigten und kalten Zonen eigen sind. Manche sind vielleicht auch auf ähnliche Art zusammengehäuft worden, wie noch heut zu Tage in dem Nordamerikanischen Athapuskow-See jährlich ungeheure Lagen von Treibholz gebildet werden. In dem Athapuskow - flusse, der sich in jenen See ergieſst, ist nehm - lich das Aufbrechen des Eises im Frühjahre im - mer von einer so starken Fluth begleitet, daſs es nichts Seltenes seyn soll, ganze Landspitzen von der Ueberschwemmung weggespühlt zu sehen, wobey dann die Bäume, die dicht am Ufer wach - sen, in groſser Menge mit fortgerissen, nach dem groſsen See geschwemmt, und an den Ufern und Inseln desselben in unglaublicher Menge an - gehäuft werden(x)Hearne’s Reise nach dem nördl. Weltmeere. Uebers. von Sprengel, S. 186.. Aber in dem Torfmoore bey Osterholz im Bremischen hat man neben sol - chen verschütteten Baumstämmen auch Bernstein gefunden. Man hat ferner, wie schon oben be -merktIII. Bd. O210merkt worden, in Torfmooren Elephanten - und Nashornknochen, ausserordentlich groſse Geweihe hirschartiger Thiere, und gigantische Ochsen - hörner angetroffen. Nun sollte in dem Vaterlan - de der Birken, Fichten, Buchen und Eichen zu - gleich der Bernstein erzeugt seyn, der auch in Italien, ja selbst in Madagascar vorkömmt? Un - ter jenen Bäumen sollten Elephanten und Nas - hörner gelebt haben? Wer wird dies zu behaup - ten wagen?

Daſs auch der fossile Bär da gelebt haben muſs, wo die Ueberbleibsel desselben gefunden werden, erhellet daraus, weil diese blos in Höh - len vorkommen. Es ist ungereimt, anzuneh - men, daſs sie durch Meeresströhme dahin ge - bracht seyn sollten. Denn warum wären sie dann blos in Höhlen, und zwar in mehrern, zum Theil weit von einander entfernten Höhlen begraben worden? Warum fände man sie nicht auch in andern Gegenden? Man beruft sich zwar zur Rechtfertigung jener Annahme auf die Ueberbleibsel von löwen - oder tigerartigen Thie - ren, welche ebenfalls in der Scharzfelder und in einer der Gailenreuther Höhlen vorkommen. Al - lein wir haben schon gesehen, daſs es zweifel - haft ist, ob jene Fossilien nicht vielmehr von einer Robbenart, als einem Thiere des Katzen - geschlechts herrühren. Und gesetzt, sie wärenin211in der That, was sie gewiſs nicht sind. Kno - chen eines Löwen oder Tigers, so ist es doch nicht von diesen Fossilien, wohl aber von denen der ausgestorbenen Bärenart ausgemacht, daſs sie blos in Höhlen vorkommen. Sie können also eben so wohl zufällig dahin gerathen seyn, wie die Gebeine von zahmen einheimischen Thieren und von Menschen, die man in den Gailenreu - ther Höhlen antrifft(y)Esper, Schriften der Berlinischen Gesellsch. B. V. S. 68. 69. 93.. Jene Bärenart nun ist dem heutigen Eisbären so nahe verwandt, daſs sie schwerlich in einem Clima gelebt haben kann, welches von der Heimath des letztern sehr ver - schieden war. Und in diesem Clima sollten auch Elephanten und Nashörner existirt haben? Noch einmal frage ich: Wer wird dies zu be - haupten wagen?

§. 21.

Wir haben also einen hohen Grad von Wahr - scheinlichkeit für uns, wenn wir annehmen, daſs der gröſste Theil der fossilen Reste von Pflanzen und Landthieren aus den Tropengegenden in ihre jetzigen Lagerstäten gebracht sind. Die Ursache dieser groſsen Revolution nun kann kei - ne andere gewesen seyn, als eine Ueberschwem -mung,O 2212mung, welche von Mittag nach Mitternacht ging, alles mit sich fortriſs, was ihr an Pflanzen und Thieren in den Tropenländern aufstieſs, und ih - ren Raub bis zur nördlichen Eiszone wegführte. Nur diese Voraussetzung erklärt uns befriedigend alle die Thatsachen, die wir in den vorigen §phen angeführt haben, und ausserdem hat sie noch andere Gründe auf ihrer Seite. Alles nehm - lich beweist, daſs der Ocean von den Zeiten an, wo die Urgebirge gebildet wurden, bis zu der groſsen Ueberschwemmung, die dem Ent - stehen der jetzigen lebenden Natur vorherging, einen beständigen Zug gehabt hat, welcher an - fangs fast gerade von Süden nach Norden ge - richtet war, sich aber in der Folge mehr nach Westen lenkte, und vielleicht in dem Magnetis - mus der Erde seinen Grund hatte. Für diesen Satz spricht die Struktur aller solcher Bergket - ten, die von Morgen nach Abend streichen, und der Gewalt jenes Strohms ausgesetzt waren. Die groſse Reihe von Gebirgen, die ganz Asien bis zu dessen östlichen Küsten durchläuft, und die südliche Gränze von ganz Siberien ausmacht, starrt allenthalben von nackten, zerrissenen, ur - anfänglichen Felsen, ist häufig durch die Betten der Flüsse, die nach Norden fliessen, unterbro - chen, und trägt überhaupt unverkennbare Spuh - ren von gewaltsamen Wirkungen an sich, die sie in der Richtung von Süden nach Nordenerlit -213erlitten haben muſs(z)Pallas, Nov. Commentar. Acad. sc. Petropol. T. XVII. p. 594 sq. Act. Acad. Petropol. 1777. P. 1. Hist. p. 21.. Hier findet man auch den Granit in Schichten gelagert, die von Mit - tag nach Mitternacht streichen. Besteigt man das Riesengebirge, so sieht man allenthalben Granit auf der Nordseite, und Glimmerschiefer auf der Südseite, und diese Gebirgsarten wech - seln genau dort, wo das Gebirge seine gröſste Höhe erreicht hat. Der Glimmerschiefer wurde an jener Bergkette sichtbar von Süden abgesetzt. Die Fluth, aus welcher sich diese neue Gebirgs - art niederschlug, konnte sich nicht weit genug erheben, um sich über den schon gebildeten Granit zu verbreiten(a)Von Buch’s geognostische Beobachtungen, auf Reisen durch Deutschland u. Italien angestellt. B. 1. S. 36..

Daſs aber die Richtung jenes Strohms sich in der Folge mehr nach Westen lenkte, ist dar - aus offenbar, weil solche Länder, die gegen Westen durch uranfängliches Gebirge geschützt sind, keine Spuhr neuerer Flötzgebirgsarten ent - halten, indem sich das Land da, wo der Lauf des Gebirges in Westen aufhört, mit allen Ge - birgsarten der Flötzgebirgsformation bedeckt. Sover -O 3214verhält es sich in Schlesien, und so an der Uralischen Bergkette. Man trifft keine neuere Flötzgebirgsarten weder in dem flachen Lande von Schweidnitz, noch von Breslau, weder in Brieg, noch Münsterberg oder Neisse an, weil auf der Westseite dieser Länder uranfängliche Gebirge liegen; man findet sie aber im Fürsten - thum Jauer, in Troppau, Jägerndorf und den fla - chen Gegenden von Oberschlesien, weil diesen der Schutz jener Gebirge fehlt(b)Von Buch a. a. O. S. 87.. Die Urali - sche Bergkette ist in ihrer ganzen Länge so be - schaffen, daſs sie an ihrer Westseite sehr groſse und erzreiche Flötze hat, an der Ostseite aber mit dem Ganggebirge bis ganz in das flache Land streicht und die Flüsse begleitet, so daſs erst in der Ebene ganz flach streichende Flötze bemerkt werden(c)Pallas, Physikal. Arbeiten der einträchtigen Freunde in Wien. 1ten Jahrg. 1tes Quart. S. 7..

Für diesen Satz würde auch die Lage der umgestürzten Bäume zeugen, die in den Engli - schen, Dänischen, Friesländischen, Bremischen, Holländischen und andern Torfmooren des nord - westlichen Europa liegen, wenn es ausgemacht wäre, daſs, wie von Beroldingen(d)Beobachtungen, Zweifel u. s. w. Vers. 1. Aufl. 2. S. 37. 38. versi -chert,215chert, die Kronen dieser Bäume immer nach Nordost, ihre Wurzeln aber gegen Südwest gerichtet sind, und daſs nicht eine blos partielle Ueberschwemmung den Umsturz dieser Wälder bewirkt hat. Allein mit von Beroldingen’s An - gabe stimmen die Berichte anderer Schriftsteller nicht überein. Nach Weis(e)Schriften der Berlinischen Gesellsch. B. V. S. 345. ist die Lage der verschütteten Bäume durchgängig Nordwest und Südost, und die Kronen liegen nach der letztern, die Wurzeln nach der erstern Himmelsgegend. Daſs übrigens auch die Ursache des Umsturzes jener Wälder vermuthlich keine allgemeine Ue - berschwemmung, sondern die groſse Cimbrische Wasserfluth war, ist schon oben bemerkt wor - den.

Erinnert man sich jetzt unsers obigen Sat - zes, daſs bey der Bildung des festen Theils der Erde gleichzeitige Erhebungen und Senkungen der Erdrinde statt gefunden haben, so wird man die groſsen Catastrophen, welche die lebende Natur seit der Entstehung des festen Landes erlitten hat, befriedigend zu erklären im Stande seyn.

Die Länder der Tropengegenden waren, als die wärmern und der Erzeugung lebender Kör -perO 4216per günstigern, die ersten, auf welchen Pflan - zen gebildet wurden. Allein in der Zeit des Entstehens dieser Organismen, wo Berge zu Ab - gründen herabsanken, und Abgründe sich zu Bergen erhoben, war alles Land von kurzer Dauer. Die ersten Wälder und Haine, welche die Erde hervorgebracht hatte, wurden vom Wasser verschlungen, indem der Boden, der sie trug, zu Meeresboden, und ein anderer Meeres - boden zu festem Lande wurde. Sie wurden fortgerissen von dem allgemeinen Strohme des Oceans, dessen Richtung nach Norden ging, in mitternächtliche Gegenden geführt, wo die Na - tur noch keine Pflanzen zu bilden vermogt hat - te, und hier in Steinkohlen verwandelt.

In der Folge aber gewannen die Theile der Erdrinde, die sich aus dem Meere erhoben hat - ten, mehr Festigkeit und Dauer, und die bil - denden Kräfte der Natur Zeit, auf dem festen Lande ungestöhrt zu wirken. Jetzt erzeugten sich in der wärmern Zone das Ohiothier, der Mammouth, Nashörner, Tapire, Anoplotherien und Paläotherien, und in den kältern mitter - nächtlichen Ländern entstanden jetzt ebenfalls vegetabilische und animalische Organismen, von welchen unter andern der fossile Bär und man - ches fossile Holz Ueberbleibsel sind. Doch auch diese Ruhe der Erde war nicht dauernd. JenePe -217Periode erreichte ein Ende, indem sich im In - dischen Ocean ein groſses festes Land erhob, und eine allgemeine Ueberschwemmung der Ge - genden, die bis dahin über der Meeresfläche her - vorgeragt hatten, verursachte.

Diese Fluth war es, in welcher die Säug - thiere der Vorwelt, wovon die Gebeine noch übrig sind, ihren Untergang fanden. Der all - gemeine Zug derselben ging nach Nordosten. Alles, was in den Tropenländern von ihr ergrif - fen war, wurde nach Mitternacht geführt. Manches wurde von Bergen, die dem Strohme entgegenstanden, ohnweit dem Orte, wovon es weggeführt war, aufgehalten, und auf diesem begraben. Vieles aber trieb bis zum äussersten Norden. Daher rührt es, daſs manche Ueber - bleibsel von Pflanzen und Thieren der Vorwelt so weit von Süden nach Norden verbreitet sind, daſs der Bernstein sowohl in Italien und Mada - gascar, als am Eismeere, und das Ohiothier so - wohl auf der Höhe von Santa-Fé, als in Cana - da, gefunden wird. Diejenigen Pflanzen und Thiere, die bis in die nördlichen Gegenden ge - langten, geriethen hier unter Produkte der kal - ten Zone, und wurden mit diesen in einerley Boden verschüttet. So entstand hier jenes wun - derbare Gemisch von Erzeugnissen eines Palmen - clima und eines kalten Erdstrichs, wovon allent -O 5hal -218halben in Europa, Nordamerika und Nordasien Beyspiele vorhanden sind.

Ferner, was in einerley Gegend von jenem Strohme ergriffen war, wurde auch in einerley Gegend abgesetzt. Deswegen finden wir noch jetzt solche Thiere, die eine gemeinschaftliche Heimath hatten, in gemeinschaftlichen Lagerstä - ten, und umgekehrt läſst sich schliessen, daſs Thiere, welche familienweise gelagert sind, in einerley Gegend gelebt haben müssen, und daſs ihre Verbreitung desto gröſser war, je verschie - dener die Erdstriche sind, in welchen sie vor - kommen. Wir werden daher annehmen dürfen, daſs der Mammouth, das Rhinozeros der Vor - welt, und der fossile Siberische Ochse eine ge - meinschaftliche und dabey sehr ausgedehnte Hei - math hatten, und daſs die Paläotherien und Ano - plotherien sich ebenfalls in einem gemeinschaftli - chen, aber weit eingeschränktern Bezirke auf - hielten. Berge und andere locale Hindernisse bewirkten aber oft in der Richtung des Strohms, der diese Thiere aus ihrem Vaterlande entführte, eine partielle Ablenkung, und so gelangten zu - weilen einzelne Individuen einer Thierart in eine ganz andere Gegend, wie die übrigen. Daher dürfen wir auch nicht aus der Lagerstäte ein - zelner Ueberbleibsel einer Gattung auf den ehe - maligen Wohnort derselben schliessen, und dür -fen219fen nicht glauben, daſs das Ohiothier einerley Heimath mit dem Mammouth gehabt hat, weil einzelne Gebeine des erstern in der alten Welt an denselben Stellen gefunden sind, wo die Ge - rippe des letztern vorkommen.

Die Erhebung der Erdrinde im Indischen Ocean war aber von keiner langen Dauer. Der gröſste Theil des festen Landes, das hier ent - standen war, sank bald wieder unter die Fläche des Oceans herab, und es blieben nur die vie - len Inseln, die jetzt den Indischen Archipelagus ausmachen, und deren Küsten noch an vielen Stellen so deutliche Merkmale des ehemaligen Zusammenhangs mit einem andern Lande an sich tragen(f)Der Insel Ceylon sieht man es deutlich an, daſs sie mit Coromandel zusammengehangen hat. Von Marave in Madure geht eine lange und hohe Sand - bank nach der Insel Manaar, die schon zu Ceylon gehört. Die Bewohner von Ceylon nennen sie die Budsobrücke, weil ihr groſser Lehrer Budso darauf nach ihrer Insel herübergekommen seyn soll. Zimmermann’s geogr. Gesch. des Menschen ete. B. 3. S. 223., von demselben übrig. Mit der Senkung dieses Continents sank auch der Ocean wieder zu seiner vorigen geringern Höhe herab; die Länder, die von ihm bedeckt gewesen wa - ren, wurden wieder vom Wasser entblöſst, undes220es erzeugten sich auf ihnen neue Thiere und Pflanzen.

Indeſs blieben noch lange nach dem Rück - zuge des Wassers groſse Spuhren jener Ueber - schwemmung zurück, und langsam ging die neue Organisation der Erde von statten. Wir sehen deutlich an den Ländern, von welchen das Cas - pische Meer und der Baikal-See eingeschlossen ist, daſs diese Seen noch lange nach jener gro - ſsen Wasserfluth einen ungleich gröſsern Erd - strich bedeckt haben, wie sie zu unsern Zeiten einnehmen(g)Pallas Reisen durch versch. Provinzen des Rus - sichen Reichs. Th. 3. S. 286. 569., und sehr wahrscheinlich ist es, daſs der Baikal-See ehedem mit dem Eismeere zusammengehangen hat. Eben diese ausgedehn - tere Herrschaft des Wassers fand ohne Zweifel noch in mehrern andern Gegenden statt. Viele Erdstriche, die jetzt nur durch Flüsse und klei - nere Seen unterbrochen sind, bestanden vielleicht noch viele Jahrhunderte nach der allgemeinen Ue - berschwemmung aus isolirten Inseln. Hingegen waren andere Länder, die jetzt durch Meere ge - trennt sind, z. B. das südliche Europa und das nördliche Afrika, und vielleicht auch das nördli - che Europa und Nordamerika, unter einander verbunden.

So221

So verschieden die damalige Gestalt der Län - der von der jetzigen war, so verschieden muſste auch der damalige Boden und das damalige Clima von dem heutigen seyn. Der Boden enthielt Bestandtheile, die jetzt längst zersetzt, oder mit Ackererde vermischt und bedeckt sind; da, wo in jenen Zeiten zusammenhängendes Land war, und wo jetzt nur noch Inseln sind, muſste ein wärmeres, und da, wo ein jetzt zusammenhän - gendes Land aus Inseln bestand, ein kälteres Cli - ma herrschen, als heutiges Tages; milder muſs - te die Temperatur der Polargegenden seyn, wo sich noch nicht jene ungeheuren Eisberge aufge - thürmt hatten, von welchen jetzt diese Zonen starren; der damalige Gang der meteorologischen Veränderungen muſste ebenfalls sich von dem ge - genwärtigen sehr unterscheiden, und besonders muſste dies der Fall in den gemäſsigten und kal - ten Zonen seyn, wo jene Veränderungen so ab - hängig von localen Ursachen sind.

Eine andere Gestalt, als zu unsern Zeiten, hatte deswegen auch die damalige lebende Na - tur; doch lag in ihr schon der Keim zu ihrer jetzigen Beschaffenheit. Hing in jenen Zeiten das nördliche Europa mit Nordamerika zusammen, und ist Island ein Ueberbleibsel dieser Verbin - dung, so ist es begreiflich, wie in dem noch un - entkräfteten Boden und in dem mildern Climajener222jener Insel einst groſse Wälder haben gedeihen können, so läſst sich einsehen, wie die Thiere und Pflanzen der kalten und gemäſsigten Zone des Nordens sich zum Theil von Osten nach Westen und von Westen nach Osten über alle Länder jener Zone verbreiten konnten, und so ist es erklärbar, warum Europa und Nordame - rika noch in jetzigen Zeiten so viele Gewächse und Thiere mit einander gemein haben(h)Biol. Bd. 2. S. 88. 205.. Eben so läſst sich aus dem ehemaligen Zusammen - hange des südlichen Europa mit dem nördlichen Afrika die groſse Aehnlichkeit herleiten, welche in dem Thier - und Pflanzenreiche dieser Länder statt findet(i)Ebendas. S. 97. 214.. War aber Nordasien ehedem von den Armen groſser Landseen, deren einige mit dem Weltmeere Verbindung hatten, durch - schnitten, so läſst sich einsehen, wie der See - hund in die Siberischen Seen Baikal und Oron gekommen ist(k)Ebendas. S. 158., warum so viele Arten der Europäischen Flora und Fauna im nördlichen Asien fehlen(l)Ebendas. S. 91. 209., warum so viele, diesem Erd - strich eigene Pflanzen und Thiere auf so enge Bezirke eingeschränkt sind, und z. B. der Rham - nus Davuricus Pall. nirgends vorkömmt, alsan223an den Ufern des Argun in Daurien(m)Pallas Reise durch versch. Provinzen des Russi - schen Reichs. T. 3. S. 423., die Robinia ferox sich nirgends in allen Gegenden jenseits des Baikals, als in dem groſsen Thale, welches sich vom Temnik und Gusinoi Osero mit dem Selenga fast parallel bis an den Bach Ubukun erstreckt, und noch einigen Gegenden bis an den Orongoi findet(n)Ebendas. S. 279., die schwarze Birke ausser Daurien in ganz Siberien nicht zu sehen ist, und auch da erst zwischen dem Onon und Argun anfängt(o)Ebendas. S. 224., der Cricetus Songarus und furunculus sich blos in der Baraba aufhal - ten(p)Biol. B. 2. S. 212., und der an die Mongoley gränzende und an der Nordseite von Baikal eingeschlossene Landstrich so reich an eigenen Thieren und Pflanzen ist(q)Pallas a. a. O. S. 270..

Nichts würde aber unrichtiger seyn, als alle Aehnlichkeit des Thier - und Pflanzenreichs ver - schiedener Länder aus einer ehemaligen Verbin - dung dieser Erdstriche erklären zu wollen, und zu glauben, daſs solche Organismen, die in ganz verschiedenen Gegenden einheimisch sind, sich blos durch Wanderungen so weit verbreitet ha -ben.224ben. Wäre diese Meinung gegründet, warum hätte dann das nordwestliche Europa weit mehr mit dem nordwestlichen, als dem nordöstlichen Amerika an Pflanzen gemein(r)Biol. Bd. 2. S. 93. 501.? An jedem Orte der Erde, wo die bildenden Kräfte der Na - tur wirken konnten, haben diese Autochtonen hervorgebracht, lebende Körper,

qui rupto robore nati,
Compositive luto, nullos habuere parentes.

Da, wo ein gleiches Clima, eine gleiche Mi - schung des Bodens, des Wassers und der Ath - mosphäre, und eine ähnliche geographische Lage statt fand, waren auch diese Autochtonen sich gleich, und die Arten, die sich aus ihnen ent - wickelten, blieben sich ebenfalls gleich, so lange sich die Einwirkungen, denen sie ausgesetzt wa - ren, nicht veränderten. Welche Thiere und Pflanzen eines Landes Nachkommen solcher Au - tochtonen sind, und welche von eingewanderten Fremdlingen herstammen, läſst sich indeſs schwer - lich bestimmen.

Aber wie sind die mannichfaltigen Formen der lebenden Natur entstanden? Waren sie alle un - mittelbare Geburten der Erde (γηγενεῖς)? Gin - gen sie, gleich der Aphrodite des Fabellandes, aus dem Schaume des Meers hervor? Oder wur - den blos die einfachern Zoophyten auf dieseWei -225Weise erzeugt, und entstanden die zusammen - gesetztern Organismen, indem sich jene Grund - formen von Generation zu Generation immer mehr ausbildeten?

Sieht man, wie sich in Aufgüssen von thie - rischen und vegetabilischen Substanzen zusam - mengesetztere Organismen aus einfachern ent - wickeln(s)Biol. Bd. 2. S. 264 ff., erwägt man, daſs die ganze leben - de Natur ebenfalls bey ihrer Bildung stufenwei - se vom Einfachern zum Zusammengesetztern fort - geschritten ist, so ist es klar, daſs alles Leben nur von den niedern Stufen der Organisation zu den höhern gelangen kann. Diese müssen also durch jene bedingt seyn. Aber wie können sie dies anders seyn, als dadurch, daſs der einfache - re Organismus sich von Generation zu Genera - tion immer mehr ausbildet? Wir glauben daher, daſs die Encriniten, Pentacriniten, Ammoniten, und die übrigen Zoophyten der Vorwelt die Ur - formen sind, aus welchen alle Organismen der höhern Classen durch allmählige Entwickelung entstanden sind. Wir sind ferner der Meinung, daſs jede Art, wie jedes Individuum, gewisse Perioden des Wachsthums, der Blüthe und des Absterbens hat, daſs aber ihr Absterben nicht Auflösung, wie bey dem Individuum, sondernDege -III. Bd. P226Degeneration ist. Und hieraus scheint uns zu folgen, daſs es nicht, wie man gewöhnlich an - nimmt, die groſsen Catastrophen der Erde sind, was die Thiere der Vorwelt vertilgt hat, sondern daſs viele diese überlebt haben, und daſs sie vielmehr deswegen aus der jetzigen Natur ver - schwunden sind, weil die Arten, zu welchen sie gehörten, den Kreislauf ihres Daseyns vollendet haben und in andere Gattungen übergegangen sind.

So ist alles auf Erden flüchtig und vor - übergehend, die Art wie das Individuum, und das Geschlecht wie die Art. Selbst der Mensch wird vielleicht einst vergehen und verwandelt werden. Aber regelmäſsig war von jeher der Gang der Natur bey allen ihren Veränderungen; regelmäſsig wird er bleiben bis ans Ende der Zeiten, und nicht ohne Grund läſst sich vermu - then, daſs die Natur noch nicht die höchste Stufe der Organisation in dem Menschen erreicht hat, sondern in ihrer Ausbildung noch weiter fortschreiten und noch erhabenere Wesen, noch edlere Gestalten einst hervorbringen wird.

Ge -[227]

Geschichte des physischen Lebens.

Viertes Buch.

P 2[228][229]

Viertes Buch. Erzeugung, Wachsthum und Abnahme der lebenden Körper.

Wie der Inbegriff aller lebenden Organismen der Erde aus dem Schoosse dieser gemeinschaft - lichen Mutter hervorging, sich von den niedrig - sten Stufen des Lebens zu immer höhern erhob, und nach mannigfaltigen Verwandlungen endlich seine jetzige Gestalt erhielt, sahen wir im vori - gen Buche. Der nächste Gegenstand, der uns jetzt zu untersuchen obliegt, ist die Frage: Wie jedes lebende Individuum entsteht, sich ent - wickelt, altert, und endlich aus der lebenden Natur wieder verschwindet? Es giebt aber über - haupt eine doppelte Entstehungsart der lebenden Körper: entweder sie entkeimen ohne Mitwir - kung ähnlicher Wesen der Erde, oder ihre Er - zeugung geschieht auf dem Wege der Fortpflan - zung. Jene erstere Entstehungsart ist schon im zweyten Buche dieses Werks(a)Biol. Bd. 2. S. 264 ff. untersucht wor -den.P 3230den. Hier wird uns daher blos die letztere be - schäftigen. Wir werden zuerst die Keime be - trachten, aus welchen die lebenden Organismen hervorgehen; wir werden die verschiedenen Er - zeugungsarten dieser Keime unter allgemeine Ge - sichtspunkte zu bringen suchen; wir werden fer - ner trachten, die Gesetze zu bestimmen, nach welchen jene Keime sich ausbilden und wieder zu niedern Stufen der Vitalität zurückkehren; und endlich werden wir uns bemühen, die in - nern und äussern Bedingungen des Wachsthums und der Abnahme der lebenden Individuen mit den höchsten Sätzen, wovon unsere biologi - schen Untersuchungen ausgingen, in Ueberein - stimmung zu bringen.

Erster231

Erster Abschnitt. Erzeugung.

Erstes Kapitel. Keime der lebenden Körper Einthei - lung der letztern nach der Verschie - denheit ihrer Erzeugung.

Jeder lebende Körper entsteht aus einer Flüs - sigkeit, und erst mit dem Uebergange der letz - tern in einen festen Körper bemerken wir an ihm Aeusserungen des Lebens, wird er zu ei - nem Keime (germen).

Jene Flüssigkeit, die wir künftig mit dem Na - men des weiblichen Saamens, oder weib - lichen Zeugungsstoffs bezeichnen werden, verdankt bey den meisten lebenden Körpern ei - nem andern Organismus von derselben Art ihr Entstehen, welcher letztere ebenfalls von einem ähnlichen Wesen hervorgebracht wurde. Von diesen Körpern machen alle, welche waren,P 4sind232sind und seyn werden, eine Kette aus, die sich von beyden Seiten in die Vergangenheit und Zu - kunft erstreckt. Blos von diesen wird in dem gegenwärtigen Buche die Rede seyn.

Es giebt zwey Hauptarten von Keimen. Zur einen gehört das Saamenkorn und das Ey, zur andern die Sprosse und die Knospe.

Das Saamenkorn ist ein Keim der Pflanze, das Ey des Thiers. Durch Knospen vermehren sich die Pflanzen und Zoophyten; durch Sprossen vervielfältigen sich sowohl die beyden letztern, als die Würmer.

Saamenkörner und Eyer entstehen in einem eigenen System von Organen, nehmlich dem der weiblichen Zeugungstheile. Die Erzeugung der Knospen und Sprossen aber ist auf keinen beson - dern Theil des Organismus eingeschränkt.

Das Saamenkorn und Ey enthält die mate - riellen Bedingungen der Entwickelung in sich selber. In demselben bildet sich daher die Frucht, getrennt von der Mutter, und das Gan - ze stellt eine, in sich geschlossene Welt vor, die es auch durch seine Tendenz zur kugelförmi - gen Gestalt ausdrückt. Die formellen Bedin - gungen der Entwickelung liegen zwar ausser je - nem Ganzen. Aber diese können lange fehlen,ohne233ohne daſs das Vermögen desselben sich zu ent - wickeln darum verlohren geht. Die Entwicke - lung der Sprosse und Knospe hingegen ist von Stoffen und Potenzen abhängig, die sich ausser diesen Keimen, und zwar zum Theil in der Mutter befinden. Sie sind daher ähnlicher Or - ganen der Mutter, als selbstständigen Ganzen, und ihr Entwickelungsvermögen erlöscht sehr bald, wenn die Bedingungen der Thätigkeit des - selben aufgehoben sind.

Die Saamenkörner werden im Eyerstocke er - zeugt, und kommen auch an eben diesem Orte zur Reife. Die Eyer hingegen entstehen zwar ebenfalls in den Eyerstöcken, aber reifen erst ausserhalb diesen Organen.

Der erste Anfang aller Organisation des Le - bendigen ist ein Aggregat von Bläschen, die un - ter einander keine Verbindung haben(b)Wolf Theor. generat. Ed. nova. p. 2. 3. 16. 93. Ich habe diese Bläschen nirgends so deutlich gese - hen, als in den Knospen der Ranunculus Ficaria L. Eine zarte Scheibe derselben in Wasser unter das Vergröſserungsglas gebracht, läſst sich mit der Spitze einer Nadel in lauter Bläschen zertheilen.. Aus diesen entstehen alle lebende Körper, so wie auch alle darin wieder aufgelöset werden(c)Biol. Bd. 2. S. 272. 277. 321..

UnterP 5234

Unter den Zoophyten giebt es Körper, in deren Textur jene Bläschen beständig sichtbar bleiben, und keine andere Veränderung erleiden, als daſs sie mehr Zusammenhang unter einander bekommen. Dies ist z. B. der Fall bey den Arm - polypen. Bey den Pflanzen und Thieren aber bilden sich aus ihnen schon in dem Keime Fi - bern und Gefäſse.

Das Erste, was an dem Saamenkorne und Ey sich bildet, ist eine doppelte äussere Hülle, von welchen die äussere härtere den Namen des Chorion, die innere zartere den des Amnion erhalten hat. Diese Membranen zeigen sich schon, wenn das Innere des Saamenkorns und Eys noch eine flüssige Substanz ohne sichtbare Organisation ist.

An dem organisirten Saamenkorne entdeckt man den äussern und innern Nabel, den Embryo, den weissen Stoff und die Saa - menblätter.

Der äussere Nabel ist eine Oeffnung oder Narbe des Chorion, aus welcher sich Bündel von Gefäſsen in alle Theile des Saamenkorns ver - breiten. Da, wo diese Bündel in das Amnion dringen, bilden sie den innern Nabel, an wel - chem gewöhnlich eine farbige Stelle und eine etwas erhabene Härte (Chalaza) zu bemerken ist.

Der235

Der Embryo ist derjenige Theil des Saamen - korns, welcher die Grundlage der künftigen Pflanze ausmacht. Er besteht aus zwey Thei - len, aus der Blattfeder (plumula), einem mit kleinen Blättern versehenen Organ, welches zum Stengel der Pflanze heranwächst, und der Wur - zel (Radicula, Rostellum), einem spitzigen, meist einfachen, bey einigen Grasarten aber viel - fachen, jedoch nicht bey allen Gewächsen vor - handenen(d)Willdenow’s Grundriſs der Kräuterkunde. 2te Ausg. S. 281., und auch nicht zur Entwicke - lung der Blattfeder durchaus nothwendigen(e)Vastel in Voigt’s Mag. f. d. neuesten Zustand der Naturkunde. B. VII. St. 3. S. 202. 203. Körper, der beym Keimen in die Erde dringt.

Den Embryo umgiebt bey den meisten Pflan - zen ganz oder doch zum Theil der weisse Stoff(f)Liqueur de la secondine. Grew Anat. des pl. p. 208. Placenta seminalis. Gleichen Neuestes aus dem Reiche der Pfl. Cotyledon. Meese method. pl. Böhmer sper - matol. p. 356. Perispermum. Jussieu gen. pl. Ed. Usteri. p. XXVI. Albu -, eine bald mehlichte, bald fleischichte, bald horn - oder holzartige Substanz.

Zwi -236

Zwischen diesem weissen Stoff und dem Em - bryo liegt der Dotter(g)Scutellum cotyledoneum. Gärtner l. c., welcher eng mit dem letztern verbunden, und bey den verschiedenen Pflanzen von verschiedener Gestalt ist.

Die Saamenblätter(h)Lobi seminales. Meese l. c. Bohmer l. c. sind die Theile des Saamenkorns, welche, verbunden mit der Wur - zel des Embryo, die ersten Blätter der aufkei - menden Pflanze bilden. Es giebt ihrer zwey bey den Dicotyledonen, aber nur eines bey den Monocotyledonen. Saamenkörner, welche die - ser Blätter beraubt sind, wachsen zwar, aber nur bis zu einer geringen Höhe(i)Bonnet über den Nutzen der Blätter bey den Pflanzen. S. 138. Vastel a. a. O. S. 201. 202..

Auf eine theils ähnliche, theils verschiedene Art organisiren sich die Eyer der Thiere. So lange sich diese in den Eyerstöcken befinden, sind sie mit einer gefäſsreichen, vom Ovarium herrührenden Haut umgeben, und mit einem klaren, oft röthlichen oder gelben, in Alcohol und am Feuer gerinnbaren, und in weisse, star - ke Fäden übergehenden Safte angefüllt. In den Eyern der Vögel und der Knorpelfische giebt esausser -(f)Albumen. Gärtner de fruct. et semin. pl. p. 138.237ausserdem noch eine gelbe, ölichte Feuchtigkeit, den sogenannten Dotter (vitellus)(k)Halier El. Phys. T. VII. L. XXVII. p. 113. 114..

Aus dem Eyerstocke gelanget das Ey in die Gebährmutter, und hier entwickelt sich bey den Säugthieren aus der Oberfläche desselben sehr bald eine flockenartige Substanz(l)Haller ibid. T. VIII. L. XXVIII. p. 62. §. 8. p. 188. §. 2., die sich in eine gelbliche, weiche, schlüpfrige, gleichsam fettige, leicht zerreiſsbare, aus einem fadenar - tigen Gewebe bestehende Membran(m)Chorion. Haller l. c. p. 192. Caduca reflexa. G. Hunter Anat. uteri gra - vidi. Tab. XXXIII. fig. 1-4. verwan - delt. Aehnliche Flocken, welche ebenfalls in eine weiche, breyartige, poröse und fast netzar - tige Haut(n)Membrana exterior ovi. Haller l. c. p. 190. §. 3. Tunica crassa. Hunter l. c. Tab. XXXIV. fig. 3-6. übergehen, wachsen aus der in - nern Fläche der Gebährmutter hervor, vereinigen sich mit denen des Eys, und bilden eine einzige Membran(o)Tunica caduca s. decidua Hunteri., welche das Ey in dem Uterus be - festigt.

Nach -238

Nachdem sich die Oberfläche des Eys mit der erwähnten flockenartigen Substanz bedeckt hat, bildet sich in demselben das Chorion, das Amnion mit dem Schaafwasser, der Mut - terkuchen mit den Nabelgefäſsen, der Embryo, und die Allantois mit dem Ura - chus.

Das Chorion(p)Membrana media. Haller l. c. p. 194. §. 5. und die Schaafhaut (Amnion) sind bey dem Menschen gefäſslose, hingegen bey den übrigen Säugthieren mit Blut - gefäſsen versehene, von allen Seiten verschlos - sene Membranen. Die erstere aber ist weiſs, undurchsichtig und ziemlich dick, die letztere durchsichtig und dünn, doch dabey sehr fest. Zwischen beyden findet in den ersten Zeiten der Schwangerschaft ein ziemlich weiter, mit einem crystallhellen Wasser angefüllter Zwischenraum statt. Während dieser Zeit schwimmt das Am - nion in der Flüssigkeit des Chorion, wie eine kleinere Blase in einer gröſsern. Jener Zwischen - raum verschwindet aber in der Folge, indem das Amnion schneller wächst als das Chorion, und sich mit der äussern Fläche an die innere des letztern anlegt.

Das Amnion ist mit dem Schaafwasser ange - füllt, einer klaren, farbenlosen, von Geschmackeetwas239etwas salzigen, von Geruche dem frisch gelas - senen Blute ähnlichen, aus Wasser, coagulabler Lymphe, Kochsalz, Salmiak und Kalkerde be - stehenden Flüssigkeit(q)Scheel de liquoris amnii asperae arteriae foetuum humanorum natura et usu. Hafniae. 1799. App. p. 3. §. 2. p. 79., dessen Quantität in einem kleinern Verhältnisse, als die Gröſse des Embryo, zunimmt.

In der Mitte dieser Flüssigkeit erzeugt sich der Embryo, und zugleich mit demselben, oder vielleicht schon vor ihm(r)Haller l. c. p. 220. §. 15., der Mutterkuchen mit der Nabelschnur.

Der Mutterkuchen bildet sich aus einem Theile jener flockenartigen Substanz, welche die Oberfläche des Eys und die innere Fläche der Gebährmutter im Anfange der Schwangerschaft überzieht. Er zeigt sich als ein rundes, zusam - mengedrücktes, dem Hute eines Blätterschwamms einigermaaſsen ähnliches, auf seiner, dem Em - bryo zugekehrten Seite mit dem Chorion und Amnion überzogenes, theils aus Blutgefäſsen, theils aus Zellgewebe bestehendes, nervenloses Organ, dessen Gefäſse in strahlenförmiger Rich - tung aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunkte hervorgehen. Diese Gefäſse sind vorzüglich dem -jeni -240jenigen Theile desselben eigen, welcher aus der flockenartigen Substanz des Eys entsteht. Sein anderer, durch die Flocken des Uterus gebildeter Theil ist mehr von schwammichter Textur. In diesem fand man oft eine milchartige Feuchtig - keit(s)Haller l. c. p. 220. §. 15.. Bey den Thieren aus der Familie der Rinder bilden sich in jeder Schwangerschaft sehr viele kleinere Mutterkuchen; die übrigen Säug - thiere aber haben deren meist nur einen einzi - gen gröſsern(t)Haller l. c. p. 251. §. 30..

Das Verbindungsorgan zwischen dem Mut - terkuchen und der Frucht ist die Nabelschnur, ein Strang, welcher aus mehrern, neben einan - der fortgehenden, schraubenförmig gewundenen Blutgefäſsen besteht, die mit einer elastischen, fast knorpelartigen, aus dem Amnion entstehen - den Scheide, und innerhalb dieser Bedeckung mit einem Zellgewebe, das eine gallertartige Flüssigkeit enthält, überzogen sind. Jener Ge - fäſse giebt es drey bey dem Menschen, zwey dünnere Arterien, (die Nabelarterien) deren jede ein Fortsatz der Beckenschlagader (arteria hypo - gastrica) des Foetus ist, und eine dickere Vene, (die Nabelvene) welche theils in der Leber des Embryo aus der Pfortader, theils durch einen kleinern Ast (ductus venosus) aus der Hohladerdes -241desselben entspringet. Sowohl die erstere, als die letztere gehen durch den Nabelring aus dem Unterleibe der Frucht in den Nabelstrang über. Bey den übrigen Säugthieren giebt es noch eine dritte Nabelarterie, welche aus der obern Ge - krösarterie entsteht, und noch einen dritten Ast der Nabelvene, welcher zur Gekrösvene geht. Auch theilt sich hier die Nabelvene vom Nabel an in zwey Aeste, welche, von einander ge - trennt, durch den Nabelstrang zum Mutterku - chen fortgehen(u)Haller l. c. p. 227..

Unmittelbare Fortsätze dieser Nabelgefäſse sind diejenigen, wovon oben bemerkt ist, daſs sie sich aus einem gemeinschaftlichen Mittelpunk - te strahlenförmig in dem Mutterkuchen verbrei - ten, und dieser Mittelpunkt ist der Ort, in wel - chem sich der Nabelstrang mit dem Mutterku - chen verbindet.

Ausser den bisher erwähnten Organen ent - hält das Ey der vierfüſsigen Säugthiere noch die Allantois, einen sehr weiten, fast cylindrischen Behälter, welcher zwischen dem Chorion und Amnion liegt, sich in zwey Fortsätze theilt, und aus einer dünnen, glatten, in zwey con - centrische Membranen trennbaren, mit deutlichenBlut -III. Bd. Q242Blutgefäſsen versehenen Haut besteht. In ihn flieſst der Urin des Embryo durch den Urachus, einen sehr groſsen Canal, der aus der Harnblase durch den Nabelstrang in ihn übergeht(v)Haller l. c. p. 213.. Ein Urachus findet sich auch in dem Ey des Men - schen, aber von einer Allantois trifft man in die - sem nur bis zum dritten Monate der Schwanger - schaft etwas Aehnliches an, nehmlich das soge - nannte Nabelbläschen, eine Blase, deren Gröſse mit der Gröſse des Embryo im umgekehrten Ver - hältnisse steht(w)Albini annotat. academ. L. I. Tab. I. fig. 12. c. Zinn in epist. ad Hallerum script. Vol. IV. p. 195. Sömmering Icones foetuum humanorum. Tab. I. fig. 2., und nach deren Verschwin - den sich die Oeffnung des Urachus schlieſst.

Auf eine andere Art organisiren sich die Eyer der Vögel. Statt der flockenartigen Sub - stanz, womit die Eyer der Säugthiere sich gleich nach ihrem Eintritte in die Gebährmutter über - ziehen, werden jene in dem Uterus mit Eyweiſs und einer kalkartigen Schaale bedeckt. Die wei - tern Veränderungen der Vögeleyer ereignen sich erst ausserhalb dem Körper der Mutter während des Brütens. Gleich nach der Geburt findet man in dem Ey unter der Schaale eine dop - pelte, äusserst zarte Membran, deren beyde La -mel -243mellen an dem stumpfen Ende des Eys einen mit athmosphärischer Luft(x)J. C. L. Hehn observata de natura et usu aeris, ovis avium inclusi. Tubing. 1796. Nach Gir - tanner’s unwahrscheinlicher Behauptung ist dieser Behälter mit Wasserstoffgas angefüllt. (Girtanner’s antiphlogistische Chemie. S. 255.) angefüllten Sack bilden(y)Needham de formato foetu. p. 199.. Unter der innern jener Membranen erzeugt sich eine Haut, die sich mit dem Cho - rion der Säugthiere vergleichen läſst(z)La membrane ombilicale. Haller sur la formation du coeur dans le poulet. Mém. 2. p. 25., und unter dieser befindet sich das Eyweiſs (albu - men), das aus einer doppelten Substanz be - steht, einer dünnern und flüssigern, welche nach aussen liegt, und einer dickern, welche von der erstern bedeckt wird. Die letztere umgiebt den Dotter (vitellus), eine gelbe, etwas zähe Flüs - sigkeit, aus deren beyden Polen zwey kleine, weisse, länglichte, mit Eyweiſs angefüllte Säck - chen (chalazae) hervorgehen, die durch eine sehr zarte und gekräuselte Haut gebildet werden, und wovon das eine gegen das stumpfe, das andere gegen das spitze Ende des Eys gerichtet ist(z*)Haller ebendas. Mém. 1. p. 24. Mém. 2. p. 139.. End -Q 2244Endlich zeigt sich noch auf der Haut des Dot - ters ein doppelter farbiger Ring(a)Haller Mém. 1. p. 24., und in des - sen Mittelpunkte die sogenannte Narbe(b)Cicatricula. Harveii de gen. anim. exerc. 12. Le follicule du jaune. Haller Mém. 1. p. 23. Mém. 2. p. 4., ein runder, warzenförmiger Körper, welcher mit einer weissen, gekräuselten Haut bedeckt zu seyn scheinet.

Von dieser Narbe gehen die Veränderungen aus, die sich in dem Ey während des Brütens ereignen. Sie selber, die sich zuvor in der Mitte des Eys befand, steigt herauf zu dem breitern Ende desselben(c)Lancisi de motu cord. et aneurysm. p. 89.. Die Ringe, wo - von sie umgeben ist, werden immer breiter, und es erzeugen sich noch andere, welche wie - der verschwinden und von neuen ersetzt wer - den(d)Haller Mém. 2. p. 18.. Ein Theil des innersten dieser Ringe verwandelt sich in einen perlartigen Körper, in welchem späterhin der Foetus, umgeben von ei - ner crystallhellen, dem Schaafwasser ähnlichen Flüssigkeit, und einer dem Amnion analogen Membran erscheint(e)Haller Mém. 1. p. 23-47.. Die äussern Ringe ge - hen in ein rundes Netz von Blutgefäſsen über,wel -245welches bey dem Embryo der Vögel die Stelle des Mutterkuchens vertritt(f)Haller Mém. 1. p. 41. Mém. 2. p. 18. 22. Wolf Theoria generat. p. 99. §. 173 sq..

Dieses Netz von Blutgefäſsen erscheint zu - erst an dem breiten Ende des Eys in der Nähe der Narbe, also in derselben Gegend, wo sich der Luftbehälter befindet. Von hieraus verbrei - tet sich dasselbe immer weiter zu dem spitzen Ende des Eys, so daſs zuletzt die ganze innere Fläche des Chorion mit demselben bedeckt wird. Gefäſse, die sich mit dem Nabelstrange der Säug - thiere vergleichen lassen, und worunter drey Arterien und zwey Venen sind, verbinden die - ses Netz mit den Eingeweiden des Foetus. Von den Arterien ist die eine ein Ast der Gekrösar - terie, und von den Venen die eine ein Zweig der Lebervene. Diese Blutgefäſse vertheilen sich auf der Haut des Dotters(g)Haller Mém. 2. p. 142.. Die zweyte Schlagader entsteht aus der linken Hüftarterie (Iliaca sinistra), und diese ist es. welche mit der andern Vene, die in die Hohlvene übergeht, das erwähnte Netz von Gefäſsen auf dem Cho - rion bildet. Die dritte Schlagader, die aus der rechten Hüftarterie entspringet, verbreitet sichnichtQ 3246nicht viel weiter, als bis zur Scheide der Na - belschnur(h)Haller Mém. 2. p. 40. Ejusd. Elem. Physiol. T. VIII. L. XXIX. p. 227.. Mit diesen Gefäſsen geht zugleich ein häutiger Canal, welcher von dem Dotter sei - nen Ursprung nimmt, (Ductus vitelli) zum dün - nen Darme des Embryo(i)Needham de form. foetu. p. 95. Stenonis d[e]musc. et gland. observ. specimen. p. 74.. Sowohl dieser Dot - tergang, als die erwähnten Gefäſse und die Ge - därme, sind gegen das Ende des Brütens in einer cylindrischen, am Dotter befestigten Haut eingeschlossen(k)Haller Mém. 2. p. 41..

In gleichem Verhältnisse mit dem Wachsthu - me der Frucht steht die Zunahme der Nabelge - fäſse und der athmosphärischen Luft, welche in dem breiten Ende des Eys eingeschlossen ist. Um die Zeit, wo das Huhn die Schaale zer - bricht, nimmt dieses fast den dritten Theil des Eys ein. Der Umfang des Dotters vergröſsert sich ebenfalls, aber dieser wird zugleich flüssi - ger und grünlich(l)Haller Mém. 2. p. 142. Vicq-D’Azyr in Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik. B. IX. St. 3. S. 3.. Das Eyweiſs hingegen ver -min -247mindert sich, und verschwindet endlich ganz(m)Haller a. a. O. p. 156.. Der Dotter aber tritt kurz vor dem Auskriechen des Küchleins aus dem Ey in den Unterleib des - selben, und hier nimmt er ebenfalls immer mehr an Gewichte ab, so daſs er nach ohngefähr drey Wochen ganz aufgezehrt ist(n)Ebendas. p. 139. Vicq-D’Azyr a. a. O. S. 6.. Thiere, in welchen er in den ersten Tagen nach dem Auskriechen vertilgt wird, sterben mit allen Symptomen der Auszehrung(o)Vicq-D’Azyr a. a. O. S. 8..

Aehnlich den Eyern der Vögel sind die der Amphibien aus der Familie der Schildkröten, Eidechsen, Schlangen, und der Knorpelfische aus der Ordnung der Hayen. Nur in minder wichtigen Punkten weichen diese von jenen ab. So haben z. B. die Eyer der Rochen und Hay - fische nicht eine runde kalkartige, sondern eine viereckige, cartilaginöse Schaale, und bey eini - gen Knorpelfischen öffnet sich der Dottergang nicht, wie bey den Vögeln, in den dünnen Darm, sondern in den Magen(p)Vicq-D’Azyr. S. 7..

Einfacher scheint die Bildung und Entwicke - lung der Eyer bey den Amphibien aus der Fami - lie der Frösche, den Grätenfischen, und allendenenQ 4248denen Thieren zu seyn, die kein inneres artiku - lirtes Skelett haben. Doch fehlt es hier noch an Untersuchungen. Nur von den Eyern ver - schiedener Frösche, Kröten und Salamander(q)Swammerdamm’s Bibel der Nat. S. 319. Rösel hist. ranarum nostratium. Spallanzani’s Versuche über die Erzeugung der Thiere u. Pflanzen. Abth. 1. S. 14. 25. 39. 49. 70., des Blei (Cyprinus Brama)(r)Bloch’s Fische Deutschlands. Th. 1. S. 117 ff. und des Nashorn - käfers(s)Swammerdamm a. a. O. S. 127. ist die Entwickelung einigermaaſsen verfolgt worden. So viel ergiebt sich aus diesen Beobachtungen:

  • 1) Daſs die Eyer aller dieser Thiere, gleich denen der Vögel, mit Eyweiſs versehen sind, und dasselbe erst beym Durchgange durch die Muttertrompeten erhalten
    (t)Swammerdamm ebendas. S. 318.
    (t).
  • 2) Daſs sie ein mit Schaafwasser angefülltes Amnion besitzen, in dessen Mitte sich der Embryo erzeugt
    (u)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. p. 197.
    (u).
  • 3) Daſs die Quantität des Schaafwassers beym Wachsthume der Frucht zunimmt, die des Eyweiſs aber vermindert wird, und daſs von dem letztern endlich blos eine membranöse,eyför -249eyförmige Substanz übrig bleibt, die sich der Queere nach in zwey Hälften theilt, und sich von dem Amnion absondert
    (v)Spallanzani a. a. O. S. 26. 27. Tab. I. fig. VI.
    (v).
  • 4) Daſs wahrscheinlich in dem Darmcanal des Embryo eine, dem Dottergange (Ductus vi - telli) der Vögel analoge Oeffnung vorhanden ist
    (w)Swammerdamm a. a. O. S. 322.
    (w).

Ungewiſs aber ist es, ob auch jene Eyer einen wirklichen Dotter haben, und ungewiſs, ob der Embryo Nabelgefäſse und das Ey einen Mutterkuchen besitzt. Zwar glaubt Swammer - damm(x)Ebendas. S. 321. in einem Froscheye dicht an der Frucht einige weisse Adern gesehen zu haben, und Spallanzani(y)A. a. O. S. 17. 50. Tab. I. fig. 4. schreibt dem grünen Wasser - frosche, so wie der stinkenden Erdkröte, eine Nabelschnur zu, die in der Gegend des Kopfs anhängt. Allein diese Beobachtungen bedürfen noch einer genauern Prüfung, ehe man darauf bauen darf.

Unter den Eyern der Insekten giebt es viele, deren Gestalt sehr verschieden von der Form ist, welche die Eyer der übrigen Thiere haben. SoQ 5250So sehen z. B. die der Landlibelle (Hemerobius perla) ganz wie gestielte Pilze aus(z)Reaumur Mém. pour servir à l’Hist. des Ins. Ed. 8. T. III. P. 2. p. 140.. Diese abweichende Bildung rührt indeſs blos von dem leimichten oder gummösen Safte her, womit die Insekteneyer beym Durchgange durch den Ute - rus befeuchtet werden(a)Biol. Bd. 1. S. 368.. Im Eyerstocke habe ich sie immer, wie die Eyer der meisten übri - gen Thiere, von sphärischer oder elliptischer Ge - stalt gefunden.

Auf diese Art bilden und entwickeln sich die Saamenkörner der Pflanzen und die Eyer der Thiere. Eine ähnliche Gattung von Keimen giebt es auch bey den Zoophyten. Es ist aber, wie sich in der Folge zeigen wird, zweifelhaft, ob diese nicht vielmehr Knospen, als Saamen - körner oder Eyer sind.

Die Entstehung und Ausbildung der Spros - sen läſst sich vorzüglich an dem Armpolypen be - obachten. Man sieht hier aus irgend einem Theile des Körpers zuerst eine warzenförmige, inwendig hohle Erhabenheit hervorkommen, de - ren Höhlung sich in den Darmcanal der Mutter öffnet, und mit diesem, wie der Ast eines Blut - gefäſses mit dem Stamme zusammenhängt. Amzwey -251zweyten oder dritten Tage kommen an jener Erhabenheit sechs bis sieben Spitzen zu gleicher Zeit hervor. Am vierten und fünften Tage er - scheinen diese als die Arme eines neuen Poly - pen. Jetzt wird auch das hintere, mit dem Darmcanal der Mutter verbundene Ende des Ca - nals der Sprosse immer enger. Die Verbindung dieser Cavitäten höret endlich ganz auf, wenn der junge Polyp weit genug ausgebildet ist, um sich seiner Arme bedienen zu können, und nun reiſst sich derselbe von der Mutter los, setzt sich mit dem hintern Ende fest, und versorget sich fortan selber(b)Rösel’s Insektenbelustigung. B. 3. S. 478..

Eben so einfach ist die Entwickelung der Knospen. Die Blattknospe erscheint als eine con - vexe Erhabenheit, (Punctum vegetationis Wolf. ), welche nach innen mit der Marksubstanz der Pflanze in Verbindung steht, nach aussen aber von mehrern Reihen schuppenförmiger, concen - trischer, dicht auf einander liegender Blätter be - deckt ist. Die äusserste Reihe entwickelt sich zuerst, und in eben dem Verhältnisse, wie de - ren Blätter sich entfalten, und, indem sie sich zurückbiegen, von dem Vegetationspunkt ent - fernen, wächst aus dem Umkreise der Basis die - ser Erhabenheit eine neue Reihe von Schuppenher -252hervor, so daſs die Zahl dieser Reihen immer die nehmliche bleibt(c)Wolf Theoria generat. p. 22. §. 45-53..

So entstehen die verschiedenen Keime der lebenden Körper. Aber nur die Sprossen und Knospen bedürfen zu ihrer Entwickelung keiner äussern Einflüsse, als der Wärme und anderer Potenzen der leblosen Natur. Die Saamenkör - ner und Eyer hingegen bilden sich meist nur bis auf einen gewissen Punkt aus, wenn nicht ein männliches Individuum eine eigene Einwir - kung entweder auf sie selber, oder auf das weibliche Individuum äussert, aus dessen Zeu - gungsstoff sie gebildet sind, wenn sie nicht be - fruchtet werden. Diese Einwirkung geschieht durch den männlichen Saamen, eine Flüssigkeit, welche bey den Thieren in den Hoden und Saa - menbläschen erzeugt, und während der Begat - tung entweder unmittelbar auf die Eyer, oder in die Mutterscheide des Weibchens ausgeleert wird, bey den Pflanzen aber in den Antheren enthalten ist, und als Blüthenstaub der Narbe des Pistills zugeführt wird. Sie ist gelblich - weiſs, halbdurchsichtig, dick und klebricht, von einem eigenen durchdringenden Geruch, und ei - ner groſsen specifiquen Schwere, und enthält eine eigene Art von Infusionsthieren, (die Saa - menthiere) die fast bey jeder Thierart von eige -ner253ner Figur, überhaupt aber von denen, die sich in andern vegetabilischen und animalischen Aufgüs - sen erzeugen, sehr verschieden sind. In ihrem Verhalten gegen chemische Reagentien zeigt sie eini - ge Aehnlichkeit mit dem Schleime. Ihre nähern Bestandtheile sind Eyweiſsstoff, Faserstoff, phos - phorsaurer Kalk, und ein eigener flüchtiger Stoff; ihre entferntern die nehmlichen, wie die des Blutwassers(d)Haller El. Phys. T. VII. L. XXVII. p. 517. S. II. Vauquelin, Annales du Chimie. T. IX. p. 64.. Ohne die Einwirkung dieser Flüssigkeit entstehen in den meisten Fällen aus dem Zeugungsstoff der weiblichen Geburtstheile nur Windeyer (ova subventanea), die man häu - fig bey den Pflanzen und Vögeln, doch nicht selten auch bey den Insekten und Fischen(e)Harveii de gen. anim. exerc. V. p. 608, in Man - geti Bibl. anat. T. I., und zuweilen selbst bey dem Menschen fin - det(f)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. p. 65..

Bezeichnen wir also diejenige Flüssigkeit, aus welcher der Keim sich bildet, mit dem Na - men des weiblichen Saamens, oder weiblichen Zeugungsstoffs, ohne jedoch hiermit behaupten zu wollen, daſs dieser Stoff immer eine Flüssig - keit von eigener Art ist, so können wir die ganze lebende Natur in Ansehung der Einwir -kun -254kungen, deren dieser Stoff bedarf, um in einen Keim überzugehen und sich zu entwickeln, in drey Classen eintheilen:

  • 1) In lebende Körper, deren weiblicher Saa - men der Einwirkung des Zeugungsstoffs ei - nes männlichen Individuums zu seiner Ent - wickelung bedarf.
  • 2) In solche, deren weiblicher Saamen sich blos nach gewissen Einwirkungen der leb - losen Natur zu einem eigenen Individuum ausbildet.
  • 3) In solche, die sich sowohl auf die erstere, als auf die letztere Art fortpflanzen.

Diese drey Arten der Erzeugung werden jetzt der Gegenstand unserer Untersuchungen seyn. Doch werden wir sie hier nur in so fern betrachten, als sie den erzeugten Organismus an - gehen. Die Beziehung, worin der erzeugende Körper zu ihnen steht, wird uns erst in der Folge beschäftigen können. Das letzte Ziel die - ser unserer Untersuchungen wird aber die Beant - wortung folgender Fragen seyn: Warum pflan - zen sich nicht alle Organismen durch Sprossen fort? Warum bedarf es bey einigen zur Ge - schlechtsvermehrung der Begattung? Was ist Begattung? Warum entsteht nicht bey jederZeu -255Zeugung eine gleiche Anzahl von männlichen und weiblichen Individuen, sondern ohne be - merkbare Ordnung bald eine männliche, bald eine weibliche Frucht? Woher bleibt sich, die - ses scheinbaren Mangels an Ordnung ohngeach - tet, die Zahl der männlichen und weiblichen In - dividuen im Ganzen doch immer gleich?

Zwey -256

Zweytes Kapitel. Erzeugungsart der ersten Classe.

Die erste der Classen, worin wir die leben - den Organismen nach der verschiedenen Entste - hungsart ihrer Keime eingetheilt haben, enthält alle Säugthiere, Vögel, Amphibien und Fische, mehrere Mollusken, die Crustaceen und Insek - ten(g)Von den Insekten s. m. de Geer’s Abhandl. zur Geschichte der Insekten. B. 2. Q. 1. S. 31.. Der weibliche Zeugungsstoff stirbt bey diesen unentwickelt, wenn nicht der belebende Geist des männlichen Saamens auf ihn einwirkt.

So verschieden aber diese Thiere in ihrer Orga - nisation sind, so sehr weichen sie auch in ihrer Fortpflanzungsweise von einander ab, obgleich sie alle darin mit einander übereinkommen, daſs sie sich nicht anders, als nach vorhergegangener Befruchtung, vermehren.

Die erste dieser Verschiedenheiten betrifft die Art der Befruchtung. Bey den Säugthieren, Vögeln, Amphibien, Fischen und Insekten(h)De Geer a. a. O.ist257ist der männliche und weibliche Zeugungsstoff in verschiedenen Individuen vertheilt.

Eben so verhält es sich in der Classe der Mollusken mit den Sepien. Anders aber ist es bey diesen Thieren mit den Schnecken. Diese sind Hermaphroditen, und jedes Individuum voll - zieht bey der Begattung die Funktion des männ - lichen und weiblichen Geschlechts zugleich(i)Müller vermium terrestr. et fluviat. hist. Vol. II. p. XIV.. Jedes aber befruchtet sich selber, und die Paa - rung dienet wahrscheinlich blos dazu, um die Befruchtung möglich zu machen. So lehren es Bohadsch’s Untersuchungen der Aplysia depi - lans, wie schon im ersten Buche(k)Biol. Bd. 1. S. 317 ff. bemerkt ist. Bey dieser Schneckenart sitzt das männliche Zeugungsorgan am Kopfe, ist undurchbohrt, und hat keine Verbindung mit irgend einem Theile, den man für die Quelle eines männli - chen Zeugungsstoffs annehmen könnte(l)Bohadsch de quibusd. animal. marin. Cap. I. §. XVIII.. Hin - gegen giebt es einen solchen Theil im Unterlei - be, und dieser steht mit einem andern Organ in Verbindung, zu welchem ein Canal von den Eyerstöcken geht(m)Bohadsch ibid. §. XII-XIV.. Eben diese Struktur fin -detIII. Bd. R258det aber überhaupt bey allen Mollusken aus der Familie der Schnecken statt(n)Von der Bulla aperta sagt Cuvier (Annales du Muséum d’Hist. nat. T. I. p. 162.): Les organes des deux sexes sont absolument séparés, et même la verge n’a aucune communication intérieure avec le testicule; und von der Tritonia Hombergii (Ibid. p. 493.): La verge est longue d’un à deux pouces, cylindrique, faisant beaucoup de replis serpentins, et se terminant par une pointe mousse et arrondie, qui n est pas plus percée que dans le limaçon or - dinaire. Bey der Bulla aperta setzt er hinzu: Si la semence est versée par la verge d’un des indivi - dus dans le vagin de l’autre, elle ne peut arriver à cette verge que par la rainure qui joint exterieu - rement les orifices des deux sexes. Ein solcher Uebergang des Saamens ist aber deswegen unwahr - scheinlich, weil bey vielen Schnecken gar keine Rinne der Art vorhanden ist. Cuvier scheint diese Unwahrscheinlichkeit in der Folge auch selber ge - fühlt zu haben, indem er in einem spätern Auf - satze bey der Beschreibung der Aplysia fasciata (A. a. O. T. II. p. 307.) frägt: Cette rainure sert elle à conduire la liqueur séminale d’une Laplysie dans le corps de l’autre? C’est de cette question que dépend l’explication de la maniere dont ces animaux se fécondent. Mais pourquoi une telle rainure n’existe-t-elle pas dans tant d’autres ga - stéropodes qui n’ont pas non plus de communica - tion intérieure entre leur verge et lour testicule?.

Die259

Die Austern, Pholaden und Balanen sollen ebenfalls Hermaphroditen seyn, aber ohne Paa - rung sich selber befruchten. Inzwischen ist dies eine Behauptung, die sich auf keinem andern Grunde, als blos darauf stützt, daſs mehrere die - ser Thiere ausser Stande sind, sich zu begatten. Eine Beobachtung von Baster macht es einiger - maaſsen wahrscheinlich, daſs bey diesen Mollus - ken, wie bey den Fischen, beyderley Geschlechts - theile in verschiedenen Individuen vertheilt sind, und daſs sie sich wechselseitig befruchten, ohne sich jedoch zu paaren. Von mehrern Individuen des Mytulus edulis, die jener Naturforscher in einem Glase voll Seewasser aufbewahrte, gab ei - nes im Anfange des Aprils durch den After eine weisse Flüssigkeit, worin sich Infusionsthiere befanden, und ein anderes im Mai junge Brut von sich(o)Baster opuscul. subseciva. T. I. L. III. §. 105 sq..

Eine zweyte Verschiedenheit in der Fortpflan - zungsweise der erwähnten Thierclassen besteht darin, daſs bey einigen die Befruchtung inner - halb, bey andern ausserhalb dem Körper der Mutter geschicht. Jenes ist der Fall:

  • 1) Bey allen Säugthieren und Vögeln.
  • 2) Bey den Amphibien aus der Familie der Schildkröten, Eidechsen und Schlangen.
3) BeyR 2260
  • 3) Bey den Crustaceen, und den meisten, wo nicht allen, Insekten.
  • 4) In der Classe der Mollusken bey den Schnecken.

Ausserhalb dem Körper der Mutter geschieht die Befruchtung:

  • 1) Bey den Amphibien aus der Familie der Frösche
    (p)Spallanzani’s Vers. über die Erzeugung. 1te Abtheilung.
    (p). Der Wassersalamander sprützt seinen Saamen ins Wasser, und mit diesem vermischt, zieht sich dieser zu den, noch im After des Weibchens befindlichen Ey - ern
    (p*)Spallanzani a. a. O. S. 61 ff.
    (p*).
  • 2) Bey den meisten Fischen. Daſs bey diesen die Befruchtung nicht durch unmittelbare Einsprützung des Saamens in den Körper des Weibchens geschehen kann, erhellet sowohl aus dem Mangel eines Zeugungsgliedes bey dem Männchen, als aus Hellant’s
    (q)Abhandl. der Schwed. Akad. B. VII. S. 271.
    (q), Gis - ler’s
    (r)Ebendas. B. XIII. S. 126. B. XV. S. 206.
    (r) und Argillander’s
    (s)Ebendas. B. XV. S. 77.
    (s) Beobach - tungen über das Zeugungsgeschäft des Lach -ses,261ses, Siks und Hechtes. Die entgegengesetz - ten Beobachtungen von Grant
    (t)Ebendas. B. XIV. S. 142.
    (t) sind durch neuere Erfahrungen von Ferris
    (u)Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Phy - sik. B. II. St. 1. S. 167.
    (u) wider - legt. Nur die Chimaera arctica wird hiervon eine Ausnahme machen, wenn das Männ - chen derselben wirklich eine Ruthe hat, wie La Cepède’s Beobachtungen
    (v)Hist. nat. des poissons. T. I. p. 398.
    (v) zu beweisen scheinen. Ohne Zweifel geschieht bey den meisten Fischen die Befruchtung auf ähnliche Art, wie bey dem Wassersalamander. Das Männchen nehmlich giebt seinen Saamen in der Nähe der weiblichen Geburtstheile von sich, und diese Flüssigkeit dringet, mit dem Wasser vermischt, in den After des Weib - chens zu den Eyern. Gründe für diese Ver - muthung geben die lebendiggebährenden Fi - sche, und einige Fälle, wo man Fische in einer Art von Paarung begriffen fand, wohin die merkwürdige Beobachtung von Stein - buch
    (w)Analekten neuer Beobachtungen u. Untersuchun - gen für die Naturkunde. S. 1 ff.
    (w) gehört, der eine männliche und weibliche Quappe mit an einander liegenden Afteröffnungen durch ein häutiges Band, dasbey -R 3262beyder Körper aufs engste umschloſs, ver - bunden fand.
  • 3) In der Classe der Mollusken bey den Se - pien, und, wenn die angeführte Beobach - tung von Baster zuverlässig ist, auch bey den Austern.
  • 4) In der Classe der Insekten vielleicht bey den Bienen
    (x)Debraw, Philos. Trans. Vol. LXVII.
    (x).

Eine dritte Verschiedenheit der Fortpflan - zungsart der erwähnten Thiere betrifft die Zahl der befruchteten Keime. Je weiter wir uns im Thierreiche von dem Menschen entfernen, desto gröſser wird die Menge der Keime, welche durch eine einzige Befruchtung zugleich erzeugt wer - den. Bey dem Menschen wird nach einer fruchtbaren Begattung meist nur Eine Frucht ge - bildet; gröſser ist schon die Zahl der Früchte in jeder Schwangerschaft bey den übrigen Säug - thieren; noch gröſser ist sie bey den Vögeln; diese werden in Ansehung jener Zahl von den Amphibien übertroffen; bey den meisten Fi - schen(y)Harmer, Phil. Trans. 1767. p. 280., Mollusken(z)Sellii hist. teredinis marinae. und Insekten(a)De Geer a. a. O. S. 39 ff. end - lich geht sie hinaus über die Tausende.

Eine263

Eine noch merkwürdigere Verschiedenheit aber zeigen die Organismen dieser Classe in An - sehung der Zahl der Generationen, zu deren Hervorbringung eine einzige Befruchtung hinrei - chend ist. Bey den Säugthieren erstreckt sich jede Befruchtung nur auf eine einzige Generation. Schon unter den Vögeln aber finden sich einige Arten, die nach einer einzigen Begattung meh - rere Wochen hindurch Eyer legen. Harvey(b)Exerc. de gen. animal. VI, in Mangeti bibl. anat. T. I. p. 609. und Reaumur(c)L’Art de faire éclore des oiseaux domest. T. 2. p. 269. 327. sahen Hühner drey bis fünf Wochen nach der Paarung fruchtbare Eyer ge - bähren(d)Nach Fabricius ab Aquapendente (De gen. ani - mal. L. 3. c. 1.) bleiben Hühner sogar noch ein Jahr nach einer einmaligen Paarung fruchtbar. Eben dieser Naturforscher fand in dem After der weibli - chen Vögel, ausser den Oeffnungen des Mastdarms, der Mutterscheide und der Harnröhre, noch eine vierte Höhlung, in welche, seiner Meinung nach, der Saame des Hahns bey der Begattung dringt, und worin derselbe zur Befruchtung der Eyer auf - bewahrt wird (l. c. L. 3. c. 2.). Diese Hypothese ist aber schon von Harvey (l. c. exerc. V. p. 606.) widerlegt, der jene Cavität eben so wolil bey dem Hahn, als bey der Henne fand.. Auf eine noch weit längere ZeitbehältR 4264behält eine einmalige Befruchtung ihre Wirksam - keit bey dem Salamander, nach den Beobach - tungen von Wurfbain(e)Salamandrolog. p. 83. und Blumenbach(f)Specimen Physiol. comp. inter anim. calidi et fri - gidi sanguinis. p. XXXIV.. Der Letztere erhielt von einem weiblichen Thiere der Art vier und dreyſsig lebendige muntere Junge, nachdem es schon seit fünf Monaten ohne alle Gemeinschaft mit einem andern Thiere in einem Glase eingeschlossen gewesen war. Bey der Bienenkönigin äussert sich die befruchtende Kraft des männlichen Saamens noch nach einem ganzen Jahre(g)Reaumur Mém. pour servir à l’Hist. des Insec - tes. T. V. P. II. Mém. IX. Ed. 8. p. 166. Swammer - damm’s Bibel der Natur..

Noch wunderbarere Erscheinungen trifft man bey verschiedenen Insekten und Crustaceen an. Es giebt in diesen Thierclassen Arten, wobey vielleicht Enkelinnen, Urenkelinnen und noch spätere Generationen durch dieselbe Begattung, wodurch die Stammmutter trächtig wurde, mit befruchtet werden. Vorzüglich gehören hierher die Blattläuse, die, nach Bonnet’s Versuchen(h)Traité d’Insectolog. P. I., im Herbste sich begatten, und Eyer legen, hin - gegen im Frühlinge und Sommer ohne Paarungbis265bis in das neunte lebendige Junge gebähren. Blancard(i)Ephem. Acad. Nat. Cur. An. 3. Dec. 3. obs. 55. p. 65. sahe aber auch eine Spinne vier Jahre hindurch ohne Zuthun eines Männchen fruchtbare Eyer legen. Albrecht(k)Miscell. Acad. Nat. Cur. An. 9 et 10. D. 3. obs. 11. p. 26. erhielt von einem Schmetterlinge, dessen Puppe in ei - nem Glase verschlossen gewesen war, gleich nach dem Auskriechen fruchtbare Eyer. Pallas(l)Nova Act. Acad. Nat. Cur. T. III. p. 430. beobachtete eben diese Erscheinungen an den von ihm unter dem Namen Phalaena Xylophtho - rum und Phalaena casta beschriebenen Nachtvö - geln, Basler an der Phaläne, die von Reau - mur(m)A. a. O. T. II. P. II. Mém. 7. Ed. 8. p. 41. unter dem Namen Paquet de feuilles sêches, und von Rösel(n)Insektenbelustigung. Nachtvögel. II. No. 41. unter der Benennung der groſsen haarichten und mit vielen Warzen und Zapfen bewachsenen Gras - raupe vorkömmt, und Bernoulli an der Pha - läne, die bey Reaumur a. a. O. T. I. P. I. Pl. XVIII. fig. 1. 3. 9. mém. 7. und bey Rösel a. a. O. No. 15. vorkömmt(o)Bernoulli, Hist. de l’Acad. des sc. de Berlin. 1772. p. 24.. Nach den ErfahrungenvonR 5266von Lange(p)Gemeinnützige Arbeiten der Sächs. Bienengesellsch. B. 1. S. 59. und Schirach(q)Ebendas. S. 155. sind die Bie - nenköniginnen bis in die zweyte und dritte Gene - ration ohne alle Drohnen fruchtbar. Etwas Aehn - liches ist endlich noch von Schäffer(r)Der Wasserfloh. S. 65. 66. und Jurine(s)Salzburger med. chirurg. Zeitung. 1801. No. 76. S. 444. an dem Wasserfloh (Daphnia pulex M.) wahrgenommen.

Wir dürfen indeſs nicht unbemerkt lassen, daſs es bis jetzt nur noch bloſse Vermuthung ist, wenn man die zahlreichen, im Frühlinge und Sommer entstehenden Generationen jener Insekten von der im vorigen Jahre vor sich gegangenen Befruchtung ableitet. Die reine Thatsache ist nur diese, daſs es Thiere giebt, die blos zu gewissen Zeiten der Paarung bedürfen, um ihr Geschlecht fortzupflanzen, zu andern Zeiten aber ohne vorhergegangene Paarung Wesen ihrer Art hervorbringen. Alles Uebrige ist eine Hypothese, die wir auch nur mit dem Zusatze eines viel - leicht vorgetragen haben.

Endlich lassen sich diejenigen, zur gegen - wärtigen Classe gehörigen Organismen, bey wel -chen267chen die Befruchtung des weiblichen Zeugungs - stoffs innerhalb dem Körper der Mutter geschieht, noch in eyerlegende und lebendig gebäh - rende eintheilen. Bey jenen wird das Ey ge - bohren, und die Frucht erst nach der Geburt in demselben ausgebildet; bey diesen wird die Frucht innerhalb dem Körper der Mutter gebildet, und das Ey wird entweder schon vor der Ge - burt, oder auch erst nach derselben von dem Foetus durchbrochen. Eyerlegende sind unter den hierher gehörigen Thieren alle Vögel und die meisten Thiere der niedern Classen. Jedes Ey, welches diese Thiere legen, ist von den übrigen, die mit demselben gebohren sind, abgesondert, und enthält in der Regel immer nur einen einzi - gen Keim. Es giebt hiervon keine Ausnahme, als nur bey einer gewissen Gattung von Schaben (Blatta), die, dem Grafen von Fraula zufolge(t)Mémoires de Bruxelles. T. III. p. 219., eine Schote legt, in deren Fächern die Eyer ent - halten sind. Lebendig gebährende Thiere sind:

  • 1) Alle Säugthiere.
  • 2) Unter den Amphibien Chalcides Seps, die Salamander
    (u)Nach den Beobachtungen von Columna und Maupertuis. La Cepède Hist. nat. des quadr. ovip. p. 439. 467.
    (u), und die Vipern
    (v)La Cepède Hist. nat. des Serpens. p. 23. 24.
    (v).
3) Un -268
  • 3) Unter den Fischen der Aal
    (w)Allen, Phil. Trans. 1697. p. 664. Dale, ibid. 1698. p. 90. Fahlberg, Abhandl. der Schwed. Akad. B. XII. 1750. S. 199. Bloch, Schriften der Berlin. Gesellsch. B. 1. S. 258 ff.
    (w), einige Arten des Blennius und Silurus, Cobitis anableps, Syngnathus acus
    (x)Cavolini’s Abh. über die Erzeugung der Fische u. s. w. S. 31.
    (x), die Geschlechter Raia und Squalus
    (y)Portlock’s Reise u. s. w. S. 77. in Forster’s Gesch. der Reisen. B. 3.
    (y).
  • 4) Unter den Mollusken Helix vivipara
    (z)Swammerdamm’s Bibel der Nat. S. 73.
    (z).
  • 5) Unter den Crustaceen und Insekten einige Arten von Kiemenfüſslern
    (a)Cyclops quadricornis M. und Daphnia pennata M. De Geer’s Abh. zur Gesch. der Ins. B. 2. Q. 1. S. 37. Schäffer die grünen Armpolypen u. s. w. S. 58.
    (a), die Kellere - sel (Oniscus asellus L.)
    (b)Frauendorffer in Misc. Acad. Nat. Cur. D. 3. A. 3. 1695 et 1696. p. 3.
    (b), die Skorpione
    (c)Redi opuscul. p. 72.
    (c), mehrere zweyflüglichte Insekten
    (d)Reaumur a. a. O. T. IV. P. 2. mém. 10. p. 153. De Geer a. a. O. S. 38.
    (d), dieBlat -269Blatta Orientalis L.
    (e)De Geer a. a. O. S. 37.
    (e), die Blattläuse
    (f)Geoffroy, Mém. de l’Acad. des. sc. de Paris. 1724. Ed. 8. p. 462. Reaumur a. a. O. T. III. P. 2. mém. 9. p. 61. De Geer a. a. O. S. 28 ff. Semler in Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Phy - sik. B. 2. St. 1. S. 73.
    (f), und vielleicht auch eine Art von Schildläusen (Coccus), die sich auf den Ulmen aufhält
    (g)Reaumur a. a. O. T. IV. P. 1. mém. 2. p. 105. Doch widerspricht diesem Geoffroy (Hist. des Ins. de Paris. T. I. p. 513.).
    (g). Die Blattläuse gebähren aber nur im Früh - linge und Sommer lebendige Junge; im Herb - ste legen sie Eyer.

Der Unterschied zwischen lebendiggebähren - den und eyerlegenden Thieren ist indeſs von ge - ringer Wichtigkeit, wenn man diese Worte blos in der obigen Bedeutung nimmt. Man kann aber unter lebendiggebährenden Thieren auch solche verstehen, deren Früchte ihre Nahrung bis zur Geburt nicht blos von dem Ey, sondern auch durch einen Nabelstrang und einen Mutter - kuchen von der Mutter erhalten, unter eyerlegen - den aber die, deren Embryo bis zum Auskrie - chen aus dem Ey blos von dem Ey genährt wird, und in dieser Bedeutung ist jener Unterschied von gröſserer Wichtigkeit. Alsdann sind dieein -270einzigen Thiere, die lebendige Junge gebähren, blos die Säugthiere, vielleicht nur das Schnabel - thier (Ornithorynchus paradoxus) ausgenommen, dessen Zeugungstheile von denen der übrigen Mammalien so sehr abweichen, und mit denen der Hayfische, Rochen und der lebendig gebäh - renden Amphibien so sehr übereinkommen(h)Home, Phil. Trans. 1802.; alle übrige Thiere aber sind dann eyerlegende.

Drittes271

Drittes Kapitel. Erzeugungsart der zweyten Classe.

Es giebt Organismen, an welchen sich nichts wahrnehmen läſst, was Zeugungsorganen, oder einer Geschlechtsverschiedenheit ähnlich wäre, de - ren einfacher Bau auch keine Geschlechtstheile vermuthen läſst, bey welchen noch kein Natur - forscher etwas, einer Befruchtung Aehnliches be - obachtete, und die sich durch Sprossen, leben - dige Junge, und Eyer oder Saamenkörner fort - pflanzen. Diese Körper sind es, die zur gegen - wärtigen Classe gehören.

Aber ist das Nichtwahrnehmen von Zeu - gungstheilen und Befruchtung ein hinreichender Grund, um jene Körper in eine eigene Classe zu setzen? Ja, ist überhaupt die Erfahrung im Stande, zu entscheiden, ob es Organismen giebt, deren weiblicher Zeugungsstoff blos nach gewissen Einwirkungen der leblosen Natur in einen Keim übergeht? Diese Fragen werden sich jedem gleich beym Eingange dieses Kapitels aufdrängen. Wir wollen indeſs, ehe wir sieerör -272erörtern, zuvor eine Reihe von Thatsachen auf - stellen.

Bey den Insekten scheint das weibliche Indi - viduum schon mehr, als bey den höhern Thier - classen, der Hülfe des männlichen zur Fortpflan - zung entbehren zu können, wie das erwähnte Beyspiel der Blattläuse beweist. Die nächste Stufe nach den Insekten nehmen die Würmer ein, und diese machen den Uebergang zu derje - nigen Classe von Organismen, die noch keinem Beobachter eine Spuhr von Zeugungstheilen und von Paarung gezeigt hat.

Bey den Naiden(i)O. F. Müller von Würmern des süſsen u. salzi - gen Wassers. S. 33 ff. und der Nereis prolife - ra M.(k)O. F. Müller Zool. Dan. Vol. 2. p. 34. dehnt sich das letzte Gelenk ohne vor - hergegangene Befruchtung allmählig aus, und sondert sich nach einiger Zeit vom Körper ab. Vorher aber treibt es selber erst andere Junge durch die Ausdehnung seines letzten Gelenks hinten hervor.

Eben so pflanzt sich der Lumbricus variega - tus durch junge Brut fort, die wie Sprossen aus demselben hervorwächst(l)Bonnet Traité d’Insectolog. T. II. Obs. 1. 30..

Für273

Für eben diese Thiere(m)Spallanzani’s physik. u. mathem. Abhandl. S. 15. Müller von Würmern u. s. w. a. a. O., für den gemei - nen Regenwurm(n)Haller El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. 2. §. 32. p. 164. Müller vermium etc. hist. Vol. I. P. II. p. 9., für den Blutigel(o)Haller l. c. Doch ist dies sowohl nach Mül - ler’s Versuchen, (A. a. O.) als meinen eigenen Be - obachtungen noch zweifelhaft. Von mehrern Span - nenmessern, (Hirudo geometra) die ich in der Mit - te durchschnitt, starben die Vordertheile gleich nach der Operation, und die hintern Hälften nach weni - gen Tagen. Indeſs habe ich diese Versuche im October angestellt. Vielleicht würden sie in der Mitte des Sommers günstiger ausgefallen seyn. und für die Intestinalwürmer, besonders den Band - wurm(p)Haller l. c. p. 158., ist ferner jede gewaltsame Zerstücke - lung ein Mittel zu ihrer Vermehrung.

Inzwischen gehören manche dieser Thiere doch eigentlich in die dritte der Classen, worin wir die lebenden Organismen nach der Verschie - denheit ihrer Fortpflanzung eingetheilt haben. Von dem Regenwurme wenigstens ist es ausge - macht, daſs er sein Geschlecht auch durch Paa - rung vermehrt(q)Poupart, Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1699. Ed. 8. p. 46..

ErstIII. Bd. S274

Erst mit den Thierpflanzen fängt sich ei - gentlich die zweyte jener Classen an. Die Hy - der pflanzt sich während des ganzen Sommers durch Keime fort, die aus ihrem Körper her - vorsprossen, sich zu einem der Mutter ähnli - chen Individuum entwickeln, sich von dieser trennen, sobald sie einen gewissen Grad von Ausbildung erreicht haben, und nun abgesondert ihr Leben fortsetzen. Eben diese Thiere aber bringen im Herbste, statt der vorigen knospen - artigen Keime, Eyer hervor, welche den Winter hindurch unentwickelt bleiben, und erst im fol - genden Jahre durch die Frühlingswärme ausge - brütet werden(r)Pallas Elench. zoophyt. p. 28.. Hier ist kein Verdacht von Befruchtung durch männlichen Saamen. Die Fortpflanzung geht in das sechste Glied fort, auch wenn die Hyder ganz abgesondert von ei - nem ähnlichen Individuum aufbewahrt wird(s)Haller l. c. §. 34. p. 173..

Auf ähnliche Art vermehren sich die übri - gen Polypen. Die Fortpflanzung der Eschara pilosa des Pallas geschieht durch Auswüchse aus den äussersten Zellen, welche ebenfalls in vollständige Zellen übergehen, aus denen ein jun - ger Polyp hervorkömmt(t)Löfflino, Abhandl. der Schwed. Akad. B. XIV. 1752. S. 118.. Die Jungen derSer -275Sertularien, der Cellularia eburnea und Cellula - ria falcata P. entstehen aus blasenartigen Aus - wüchsen(u)Pallas l. c. p. 60. 110.. Die Blumenpolypen (Brachionus) bilden sich entweder in Eyern, (wie der B. caly - ciformis, capsuliflorus, tubifex und rotatorius P.) oder werden durch Theilung eines Individuum’s in zwey andere erzeugt, (wie der B. campanula - tus und stentoreus P.) oder wachsen aus dem schleimigen Mittelpunkte eines Büschels in Ge - sellschaft hervor, trennen sich nach einiger Zeit von diesem Büschel, und vereinigen sich hierauf zu einer neuen Colonie, (wie der B. socialis P. und eine von Columbo beschriebene Art Blu - menpolypen)(v)Pallas l. c. p. 90. Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 2. S. 48..

Durch Sprossen und Eyer pflanzten sich auch die Zoophyten der Vorwelt fort. An den meisten vollständigen Exemplaren von Encriniten ist der Stamm an der Basis mit Sprossen be - setzt(w)Voigt’s Magazin f. d. Neueste aus der Physik. B. VI. St. 4. Tab. I. fig. 1., und auf der Hube bey Einbeck, so wie bey Brügge ohnweit Hannover, findet man nicht selten neben Encriniten eine groſse Mengekugel -S 2276kugelförmiger Körper, welche die Eyer dieser Thierpflanzen zu seyn scheinen(x)Blumenbach specimen Archaeologiae telluris etc. p. 24. Tab. III. fig. 11..

Noch einfacher, als die Fortpflanzung jener Polypen, ist die der Infusionsthiere. Bey dem Kugelthiere (Volvox globator L.) spaltet sich der Körper der Mutter, und aus der entstandenen Oeffnung tritt die Nachkommenschaft hervor, die man schon im Leibe der Erwachsenen bis in das vierte Glied erkennt(y)Rösel’s Insektenbelustigung. B. III. S. 619. De Geer, Abhandl, der Schwed. Akad. B. XXIII. 1761. S. 112. Pallas l. c. p. 416..

Der Kleisteraal gebährt lebendige Junge durch peristaltische Bewegungen seines Ute - rus(z)Haller l. c. L. XXIX. S. 1. §. 2. p. 3..

Ein von Müller entdecktes Infusionsthier, das Gonium pectorale, das aus sechszehn, durch eine viereckige Membran unter einander ver - bundenen Kugeln besteht, vermehrt sich, indem sich diese Kugeln eine nach der andern von der Mutter losreissen(a)Neue Abhandl. der Schwed. Akad. B. 2. 1782 S. 21 ff..

Am277

Am einfachsten aber ist die Vermehrung der zur Gattung Monas gehörigen Infusionsthiere und der Saamenthiere. Sie geschieht durch eine frey - willige Theilung derselben(b)Müller vermium etc. hist. Vol. I. P. 1. p. 8..

Auch bey den Infusionsthieren erfolgt übri - gens jene Fortpflanzung nach dem Zeugnisse al - ler Beobachter von Gewichte ohne vorhergegan - gene Befruchtung. Niemals, sagt Bonnet, hat man dergleichen Thiere sich begatten gese - hen, und wenn man sowohl Eyer legende, als lebendige Junge gebährende von ihnen in einen völlig abgesonderten Zustand gebracht hat, so haben sie sich allemal fortgepflanzt. Blos Leeuwenhoek und in neuern Zeiten ein Physiker in Rouen(c)Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. V. St. 2. S. 111. wollen Beobachtungen von Begat - tungen der Infusionsthiere gemacht haben. Al - lein der Leeuwenhoekschen Beobachtung hat schon Müller(d)l. c. p. 10. 11. die Bemerkung entgegenge - setzt, daſs, wer die Vermehrung der Infusions - thiere durch Theilung nur oberflächig betrachtet, sehr leicht verführt werden kann, sie für eine Begattung zu halten, und daſs es vermuthlich jene war, was Leeuwenhoek für die letzterean -S 3278ansahe. Die Beobachtung des Physikers in Rouen trifft zwar dieser Einwurf nicht, aber doch ein anderer eben so wichtiger, nehmlich daſs man bey keinem Gegenstande in der Natur - lehre so leicht sehen kann, was man sehen will, als bey den Infusionsthieren.

An die Thierpflanzen schliessen sich unter den Pflanzenthieren die Familien der Wasserfäden, Tange und Pilze, wie in ihrer Organisation, so auch in ihrer Fortpflanzungsweise zunächst an.

Die Brunnenconferve (Conferva fontinalis L. C. limosa Dillwyn. ) vermehrt sich durch ein eyförmiges Knöpfchen, wozu die Spitze des zar - ten Fadens, aus welchem jenes Gewächs besteht, anschwillt. Dieser Knopf trennt sich nach eini - ger Zeit vom Faden, setzt sich am nächsten Or - te fest, und treibt bald eine Spitze, die sich zu einem vollkommenen Wasserfaden verlängert(e)Blumenbach im Götting. Mag. von Lichten - berg u. Forster. Jahrg. 2. St. 1. S. 80..

Auf eine ähnliche einfache Art geschieht die Fortpflanzung aller von Roth zur Gattung Ce - ramium gerechneten Arten. An der Oberfläche ihres Stamms oder ihrer Zweige erzeugen sich zu gewissen Zeiten, und zwar meist im Früh - linge, heerenartige Körper, welche gewöhnlich ein oder zwey kleinere Körner enthalten, undbey279bey völliger Reife entweder abfallen, oder sich öffnen und sich ihres Saamens entledigen(f)Roth catalecta botan. f. 1. p. 155. Ebenders. über das Studium der cryptogam. Wassergewächse. S. 35..

Eben solche beerenartige Körper, wie bey den Ceramien, findet man auch bey dem Batra - chospermum moniliforme. Sie sitzen hier zwi - schen den büschelförmigen Zweigen, womit die Glieder dieses Gewächses besetzt sind, und ent - halten eine Menge dunkler Körper, die viel - leicht die Saamenkörner sind.

Bey den eigentlichen Conferven (Conferva R.), dem Wassernetze (Hydrodictyon R.), den Rivularien und vielen Tremellen befinden sich die Organe der Fortpflanzung in der Substanz des Gewächses, und zwar sind sie von doppel - ter Art. Sie bestehen entweder in kleinern, re - gelmäſsig an einander gereiheten Körnern, die schon bey der ersten Bildung des Gewächses in demselben vorhanden sind; oder sie zeigen sich als gröſsere, eyerartige Körper, die mit dem innern Schlauche der Conferven einen gleichen Durchmesser haben, und erst in einer gewissen Lebensperiode dieser Phytozoen entstehen.

Jene kleinern Körner sind bey den verschie - denen Arten der Conferven auf verschiedene Artgeord -S 4280geordnet. Bey einigen, z. B. Conferva setifor - mis (decimina Müll.), und spiralis R. (quinina Müll.) sind sie in einem Zickzack, oder in ei - ner Spirallinie an einander gereihet; bey der Con - ferva bipunctata R. (stellina Müll.) bilden sie sternförmige Figuren, und bey der Conferva di - varicata R. machen sie rechtwinklichte Parallelo - gramme aus. Bey der Rivularia endiviaefolia R., die aus einer schlüpfrigen, knorpelartigen, mit keiner äussern Haut bekleideten Masse besteht, ist diese Masse aus einer doppelten Substanz zusammengesetzt, aus einer homogenen, halb - durchsichtigen Materie und aus kleinern Körnern. Diese Körner sind in ästiger Gestalt an einander gereihet, und die Aeste sitzen wirtelförmig um einen gemeinschaftlichen Stamm. Die Tremella pruniformis(g)Linckia pruniformis. Roth’s Neue Beyträge zur Botanik. B. 1. findet man in einem doppelten Zustande. Die schleimartige Masse der ganz jungen Tremellen enthält kleine gegliederte Röh - ren, die ganz das Ansehn von Conferven haben. Mit zunehmendem Alter erzeugen sich in oder neben diesen Röhren zugleich kleine runde Körner.

Diese kleinern Körner sind diejenigen, wo - von ich im zweyten Buche dieses Werks(h)Biol. Bd. 2. S. 383 ff. 507. 508.be -281behauptet habe, daſs sie nach dem Ausfliessen aus der Substanz der Conferven, Rivularien und Tremellen unter gewissen Umständen willkühr - liche Bewegungen äussern, und ein neues Ge - wächs der Art zu reproduciren vermögen. Seit der Herausgabe jenes Buchs habe ich einen neuen Beweis für die willkührliche Bewegung jener Körner an der Rivularia endiviaefolia R. gefun - den. Ich sahe in den letzten Tagen des Juny 1803 sich einzelne dieser Körner ohne eine be - merkbare äussere Veranlassung von den übrigen trennen, und in dem Wassertropfen, worin sich das Gewächs unter dem Vergröſserungsglase be - fand, eine Zeitlang herumschwimmen. Von dem Vermögen derselben, nach ihrer Absonderung von dem Mutterstamme ein neues Gewächs zu repro - duciren, erhielt ich ebenfalls um diese Zeit einen neuen Beweis an der Conferva spiralis R. Ich hatte ein Stück dieser Conferve von der Länge eines halben Zolls, das noch im jugendlichen Zustande war und daher noch keine andere, als jene kleinern Körner enthielt, die an der innern Fläche dieser Conferve in der Form eines einfa - chen Zickzacks oder einer Spirallinie befestigt sind, auf den Boden eines mit reinem Brunnen - wasser angefüllten Glases gelegt. Nach einigen Tagen war dieses Stück zu einer Länge von mehrern Zollen herangewachsen. Zugleich fan - den sich auf dem Boden des Glases eine MengeS 5grü -282grüner Punkte, die sich unter dem Microscop als die ersten Anfänge einer neuen Conferva spi - ralis zeigten, und wovon kein anderer Ursprung, als aus den ausgeflossenen Körnern des abge - schnittenen Stücks, denkbar ist.

Sehr verschieden von diesen kleinern Kör - nern ist aber eine gröſsere Art runder Körper, die sich in einigen gegliederten Conferven erzeu - gen. Wir werden in der Folge auf diese zu - rückkommen. Hier bemerken wir von ihnen nur Folgendes. Man findet sie, wie gesagt, nur in einigen gegliederten Conferven, nament - lich der Conferva setiformis, spiralis und bi - punctata R. und nur in einer gewissen Periode ihres Lebens, die bey allen, welche ich bis jetzt beobachtet habe, in die Monate Mai, Juny und July fällt. Um diese Zeit verlassen die klei - nern ursprünglichen Körner ihre regelmäſsige Stellung, und vereinigen sich zu gröſsern ova - len oder kugelförmigen Körpern. Mit der Bil - dung dieser letztern verliehrt die Conferve ihre grüne Farbe, und es bleibt blos eine durchsich - tige, farbenlose Haut übrig, welche in jedem ihrer Glieder eine bräunliche Frucht enthält. Nachdem endlich jene Membran aufgelöset ist, sinken diese Früchte zu Boden, und ruhen hier bis zum folgenden Frühjahre, wo sich, nachVau -283Vaucher’s Beobachtung(i)Vaucher Hist. des Conferves d’eau douce., aus jeder derselben eine Conferve von gleicher Art mit der vorigen auf eine Weise entwickelt, die mehr Aehnlichkeit mit dem Auskriechen der Thiere aus dem Ey, als mit dem Keimen der Saamenkörner zu haben scheint.

Manche Conferven haben aber auch die Fortpflanzungsweise durch Theilung mit den Thierpflanzen gemein. Nach Adanson(k)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1767. Ed. 4. p. 568. tren - nen sich bey einer Confervenart, die er nicht näher charakterisirt, alle die einzelnen Artikula - tionen, woraus dieses Gewächs besteht, nach und nach von einander, um ein für sich beste - hendes Individuum auszumachen. Die Conferva limosa Dillwyn., das nehmliche Gewächs, wel - ches eine Art von willkührlichen Bewegungen äussert(l)Meine frühern, im Juny und July 1803 über diese merkwürdige Conferve gemachten Beobachtun - gen habe ich im 2ten Bande der Biologie S. 205. beschrieben. Im Herbste eben dieses Jahrs fand ich eine Varietät derselben, welche auf der Erde und an Mauern, zwischen der Dillwynschen Conferva muralis, in der Gestalt eines Fells wächst,von, und das Blumenbach sich durcheyför -284eyförmige Knospen fortpflanzen sahe, theilt sich, wenn sie ihre gröſste Länge von 3 Linien er -reicht(l)von schwarzgrüner Farbe ist, und sich durch die ausserordentliche Schnelligkeit ihres Wachsthums auszeichnet. Ein Stück jenes Fells, das ich in Wasser gelegt hatte, trieb binnen wenig Stunden Fäden, die mehrere Linien lang waren, und sich von allen Punkten des Umfangs jener Substanz strahlenförmig ausbreiteten. In ihren Bewegungen kam diese Art oder Varietät mit derjenigen überein, die ich in den Sommermonaten 1803 beobachtet habe. Roth scheint diese Conferve, die man Oscillatoria terrestris nennen könnte, im 2ten Hefte seiner Catal. botan. (p. 192.) als eine Varietät seiner Conferva amphibia, unter dem Namen Conferva amphibia atra, angeführt zu haben. Sie hat aber mit der Conferva amphibia nichts weiter gemein, als daſs sie auch auf der Erde wächst. Noch eine andere Art oder Varietät, die gröſste und schönste, die mir bis jetzt vorgekommen ist, fand ich im März 1804 in Gräben bey Bremen, wo sie Haufen von verfaulten Blättern, die an einander klebend auf dem Wasser schwammen, bedeckte. Ihre Farbe war von dem schönsten, ins Blaue fal - lenden Dunkelgrün. Ihre, dem bloſsen Auge sichtbare Fäden waren halb so dick, wie die der Conferva spiralis R. und zeigten unter einer stär - kern Vergröſserung eine zahllose Menge, der Quee - re nach liegender, paralleler, nur durch enge Zwi - schenräume von einander abgesonderter Ringe. DieBewe -285reicht hat, in zwey ungleiche Hälften. Die kleinere, von der Länge einer halben Linie, wächst an ihren beyden Enden fort; diese wer - den rund, und sie selber theilt sich auf die nehmliche Art, wie die vorige, sobald sie auch 3 Linien groſs geworden ist. Die Mutterpflanze ersetzt unterdeſs ihren Verlust ebenfalls wie -der(l)Bewegungen dieser Fäden waren weniger lebhaft, als die der beyden oben erwähnten Arten. In der Schnelligkeit ihres Wachsthums kamen sie aber de - nen der vorhin erwähnten Oscillatoria terrestris völ - lig gleich. Sogar unter einer Loupe, die nur ei - nige mal im Durchmesser vergröſserte, konnte ich die Verlängerung der Fäden deutlich wahrnehmen. Ich legte diese Conferve in ein gläsernes Gefäſs, das einige Pfund Wasser enthielt. Hier trieb sie dicke, mehrere Zoll lange Bündel von Fäden, die von der Oberfläche des Wassers herabhingen. Von Zeit zu Zeit sonderten sich einzelne Fäden von diesen Bündeln ab, und sanken im Wasser zu Bo - den. Vor ihrer Absonderung machten sie Oscilla - tionen, die sich schon mit der bloſsen Loupe wahr - nehmen liessen. Man muſs sich aber hüten, nicht jede Bewegung dieser und ähnlicher Conferven für automatisch zu halten. Ich beobachtete an einigen jener Fäden, die zur Hälfte mit Schlamm bedeckt waren, sehr heftige Oscillationen. Bey genauerer Untersuchung aber fand ich, daſs diese durch eine sehr groſse, meines Wissens noch unbeschriebene Art von Infusionsthieren verursacht wurden, die sich in dem Schlamme aufhielt.286der(m)Adanson a. a. O.. So sahe Vaucher(n)A. a. O. auch an dem Wassernetze (Hydrodictyon utriculatum R.) die einzelnen Seiten der Pentagone, woraus dasselbe zusammengesetzt ist, sich von einander trennen, und nach der Absonderung sich zu einem eige - nen Wassernetze entwickeln(o)Vielleicht theilen sich unter gewissen Umständen auch noch diese einzelnen Seiten wieder. Ich er - hielt im Anfange des August 1803 von meinem Bru - der einen Haufen Wassernetze, woran jede Seite des Pentagons nicht, wie gewöhnlich, einen Cy - linder bildete, sondern aus zwey oder drey, durch dünne Fäden zusammenhängenden ovalen Schläuchen bestand. Vermuthlich würden sich diese Schläuche an dem natürlichen Standorte jener Gewächse von einander getrennt und zu eigenen Wassernetzen or - ganisirt haben. Mir gingen sie indeſs, aller ange - wandten Sorgfalt ohngeachtet, bald in Fäulniſs über..

Endlich finden wir an der Tremella prunifor - mis auch noch ein Beyspiel von Fortpflanzung durch Knospen. Jenes Gewächs nehmlich sieht man im Mai mit grünen Punkten besetzt, die sich immer mehr vergröſsern, bald darauf als gleichartig mit der ursprünglichen Tremelle zei - gen, und sich wahrscheinlich von dieser tren -nen,287nen, wenn sie eine gewisse Gröſse erreicht ha - ben(p)Reaumur’n (Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1722. Ed. 8. p. 165.) gelang es auch, diese Knospen in Blumentöpfen, worin er sie auf Sand oder Erde säete, aufzuziehen. Er erinnert aber, daſs er sie niemals auf dem eigentlichen Nostoch, sondern auf einer andern Art gefunden habe, die er den ge - kräuselten Nostoch nennet, und welche ohne Zweifel mit demjenigen Körper einerley ist, den Lin - né unter dem Nahmen Ulva pruniformis beschrieben, Roth aber anfangs unter die Tremellen, und nach - her unter die Linckien versetzt hat. Zugleich be - merkte er, daſs die gesäeten Knospen nie wieder zu einer Tremella pruniformis, sondern immer zu einer Tremella Nostoch wurden, und als solche nie wieder Knospen ansetzten. Diese, von neuern Schriftstellern übersehene Beobachtung beweist, daſs die Tremella pruniformis und der Nostoch nicht ver - schiedene Arten, sondern bloſse Varietäten sind..

Weniger Mannigfaltigkeit, als bey den er - wähnten Pflanzenthieren, scheinet bey den Ulven und Tangen in Betreff der Fortpflanzung statt zu finden, so viel sich wenigstens nach den bisherigen, freylich noch sehr eingeschränkten Beobachtungen, die über diese Körper gemacht sind, urtheilen läſst. Bey den Ulven sind es blos einfache, in der Substanz derselben, beson - ders um den Rand, ohne eine gewisse Ordnungzer -288zerstreute Körner, was sich für Keime anneh - men läſst. Bey den Tangen findet man auf der Oberfläche derselben warzenförmige Erhabenhei - ten, die an ihrer Spitze mit einer Oeffnung ver - sehen und mit einem gelatinösen Safte angefüllt sind. Unter ihnen liegen Bläschen, welche Kör - ner enthalten, die zur Zeit der Reife aus den Oeffnungen der warzenförmigen Körper ausflies - sen. Bey den Ulven berechtigt uns indeſs blos noch die Analogie, die erwähnten Körner für Keime zu halten. Daſs aber die Körner, die man in der Substanz der Tange antrifft, wahre Keime sind, ist durch Stackhouse(q)Nereis Britannica. Fasc. II. Praefat. bewie - sen, der sie mit der schleimigen Feuchtigkeit, worin sie eingehüllet sind, auf Felsenstücke strich, diese abwechselnd in Seewasser tauchte und wieder der Luft aussetzte, um die Ebbe und Fluth nachzuahmen, und bey diesem Verfahren binnen einer Woche aus jenen Körnern kleine Tange erhielt.

Sehr nahe verwandt mit den Algen, und besonders mit den Ceramien, sind, dem äussern Ansehn nach, die Staubpflanzen (Byssus). Auch geschieht wahrscheinlich ihre Fortpflanzung auf ähnliche Art, wie die der Ceramien. Man fin - det nehmlich auf ihrer Oberfläche pulverartigeKör -289Körner, welche vielleicht dasselbe für sie sind, was für die Ceramien die beerenförmigen Kör - per, womit deren äussere Fläche besetzt ist.

Bey den Pilzen entdeckte schon Micheli(r)Gen. pl. p. 135. auf beyden Seiten der Lamellen des Huts der Blätterschwämme ausserordentlich kleine Kügel - chen, welche, nachdem sie gesäet waren, eben - falls zu Pilzen wurden. Manche dieser Phyto - zoen pflanzen sich auch durch Knospen fort. So wie ihr oberer Theil vergeht, wächst der un - tere fort, dringet tiefer in den Boden ein, und wird mit kleinen kugelförmigen Körpern besetzt, woraus neue Pilze hervorkeimen(s)Buxbaum in Commentar. Petrop. T. III. p. 263. N. J. Jacquin collectaneorum supplementum. p. 160. Hedwig theor. generar. et fructif. plant. cryptogam. Ed. 2. p. 228..

An den Thierpflanzen, Wasserfäden, Cera - mien und Ulven beobachtete noch kein Naturfor - scher etwas, das sich mit Wahrscheinlichkeit für Geschlechtsorgane hätte annehmen lassen An den Tangen und Pilzen hingegen fand man Thei - le, die man für Zeugungsorgane halten zu müs - sen glaubte.

DerIII. Bd. T290

Der Erste, der die Tange genauer untersuch - te, Reaumur(t)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1711. Ed. 8. p. 371. 1712. p. 26., sahe auf den Blättern des Fu - cus serratus L. eine Menge sternförmiger, aus unzähligen sehr zarten Fäden bestehender - schel, wovon diejenigen, welche zu einerley - schel gehörten, aus einerley Oeffnung des Blatts hervorkamen. Zugleich beobachtete er, daſs ge - gen die Zeit des Abfallens dieser Fäden die En - den der Blätter anschwollen, und daſs sich in der angeschwollenen Substanz die oben beschrie - benen saamenartigen Körper erzeugten. Gestützt auf diese Beobachtungen erklärte er jene - den für die männlichen Geschlechtsorgane der Tange.

An den Blätterpilzen (Agaricus) beobachtete Hedwig(u)l. c. p. 231 sq., in der ersten Zeit des Entstehens derselben, auf der obern und untern Fläche der Haut, wodurch während jener Zeit der Hut mit dem Stiele verbunden ist, eine violette Masse. welche bald röthlich braun wurde. Brachte er hiervon einen Theil behutsam unter das Micro - scop, so zeigten sich ihm durchsichtige saftige Fäden, an welchen unzählige hellbraune Kügel - chen befestigt waren. Diese sind, seiner Mei - nung nach, die männlichen Befruchtungstheile. Den291Den untern Rand der Blätter des Huts fand er mit sehr vielen zarten, cylindrischen Fäden be - setzt. An einigen derselben hingen kleine Ku - geln. Die Blättchen selbst bestanden aus lauter Bläschen, von welchen einige gröſser und erha - bener als die übrigen waren. Nach vierzehn Tagen fiel aus den Blättchen ein schwarzer Staub, der unter dem Vergröſserungsglase kleine länglichte Kugeln bildete. Die Bläschen der Blätter hielt Hedwig für die Fruchtknoten, den schwarzen Staub aber für den reifen Saamen. Aehnliche Beobachtungen machte er an den - cherpilzen (Boletus). Bey den Stachelpilzen (Hydnum) traf er die von ihm für männliche Befruchtungstheile angenommenen Körper in der Haut an, welche den Hut bekleidet. Ob aber die, an den Blättern oder Röhren der Pilze be - findlichen Fäserchen für Griffel oder Narben anzusehen sind, getraute er sich nicht, zu ent - scheiden.

Was ist von diesen Behauptungen zu halten? In Betreff der Reaumurschen Meinung von den männlichen Zeugungstheilen der Tange wird sich die Antwort auf diese Frage leicht ergeben, wenn man folgende Thatsachen erwägt:

  • 1) Nach Baster’s Beobachtungen finden sich die erwähnten Büschel da, wo sie vorkom - men, immer nur an ganz jungen Pflan -T 2zen292zen
    (v)Baster opuscul. subcesiv. T. II. L. 3.
    (v). Bey allen Thieren und Pflanzen aber entwickeln sich die Zeugungstheile erst in der Periode des vollkommnern Lebens (vita maxima). Der Analogie nach können also jene Büschel keine Geschlechtstheile seyn.
  • 2) Wir haben gesehen, daſs die Saamenkörner der Tange in der Substanz der Blätter und zugleich in einer gallertartigen Materie liegen. Wie kann also der männliche Zeugungsstoff aus jenen Büscheln zu diesen Körnern ge - langen?
  • 3) Stackhouse
    (w)l. c.
    (w) bemerkte, daſs jene - schel sich blos zur Zeit der Ebbe auf den Tangen finden, und verschwinden, wenn diese eine Zeitlang im Wasser gewesen sind. Hiermit fällt die Reaumursche Meinung gänz - lich, und es bleibt nichts übrig, als anzu - nehmen, daſs die pinselförmigen Härchen, die man auf der Oberfläche der Tange an - trifft, blos eine schleimichte, zur Zeit der Ebbe an der freyen Luft verdickte Substanz sind.

Eben so unrichtig ist auch Hedwig’s Mei - nung von den männlichen Geschlechtstheilen der Pilze. Die Filamente, die er auf der obernund293und innern Fläche der Haut, wodurch bey den Blätterschwämmen, während der ersten Zeit des Entstehens derselben, der Hut mit dem Stiele verbunden ist, in einer violetten Masse antraf, sind nichts weiter, als Reste der feinen Fäden, wodurch die Ränder der Lamellen dieser Schwäm - me mit der zottigen inwendigen Oberfläche der Saamendecke so lange zusammenhängen, bis sich der Rand des Huts bey seiner Ausbreitung vom Stiele entfernt, so wie die Filamente, die er bey den Löcherschwämmen fand, Ueberbleibsel der klebrigen Masse, welche die Löcher derselben in ihrer ersten Jugend incrustirt, und bey der Er - weiterung des Huts und der Röhren in Fäden ausgezogen wird. Dies hat schon Tode(x)Schriften der Berlinischen Gesellschaft. B. VI. S. 271 ff. bemerkt, und ich kann noch hinzusetzen, daſs auch die Kügelchen, die Hedwig an jenen - den hängen sahe, gar keine Beziehung auf die Fortpflanzung des Geschlechts haben. Sie sind dieselben, die man in allen gallertartigen, ani - malischen und vegetabilischen Substanzen unter dem Vergröſserungsglase wahrnimmt. Uebrigens lassen sich einer jeden Hypothese von männli - chen Geschlechtsorganen der Schwämme die Trüf - feln und der Bovist entgegensetzen. Bey jenenfindetT 3294findet man, wie schon Geoffroy(y)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1711. Ed. 8. p. 29. beobach - tete, nichts Saamen-Aehnliches, ausser schwar - zen Körnern, die in dem Fleische derselben ver - borgen liegen. Wie ist hier eine Befruchtung möglich? An dem Bovist ist das Einzige, was sich für Zeugungsstoff annehmen läſst, der in dem Hute desselben enthaltene Staub. Ist dies männlicher Zeugungsstoff, was soll er befruch - ten? Ist es weiblicher, wodurch kann er be - fruchtet werden?

Das Resultat unserer bisherigen Untersuchun - gen ist, daſs bey einigen Würmern, bey allen Thierpflanzen und bey den Pflanzenthieren aus den Familien der Pilze, Wasserfäden und Tange keine männliche Zeugungstheile wahrzunehmen, und allem Vermuthen nach auch nicht vorhan - den sind. Geschieht also die Entwickelung des weiblichen Zeugungsstoffs dieser Organismen ohne alle vorhergegangene Befruchtung? Diese Frage drängte sich uns schon im Anfange des gegen - wärtigen Kapitels auf, und jetzt ist es Zeit, sie näher zu beleuchten.

Es giebt viele Naturforscher, die sich für berechtigt halten, auf die Analogie der zusam - mengesetztern Organismen des Thier - und Pflan -zen -295zenreichs eine verneinende Beantwortung jener Frage zu bauen. Die Vermehrung der Thier - pflanzen durch Sprossen, sagen diese, geschieht freylich ohne vorhergegangene Paarung, wie die Analogie der Pflanzen beweist. Aber bey allen Organismen, die sich durch Saamenkörner oder Eyer fortpflanzen, ist die Befruchtung ein noth - wendiges Erforderniſs zur Bildung dieser Keime. Sollte sie es also nicht auch bey den Thierpflan - zen, Pilzen, Wasserfäden und Tangen seyn?

Dieser Meinung lassen sich indeſs wichtige Gründe entgegensetzen. Man kann erstens fragen: ob es so ganz ausgemacht ist, daſs sich nicht auch auf den höhern Stufen des Thier - und Pflanzenreichs Körper finden, welche ohne vorhergegangene Paarung fruchtbare Eyer oder Saamenkörner erzeugen? Wir haben schon oben bemerkt, daſs manche Insekten, und besonders die Blattläuse, mehrere Generationen hindurch fruchtbare Eyer oder lebendige Junge gebähren und daſs es eine ganz unbewiesene Hypothese ist, wenn man bey diesen Thieren einer einzi - gen Paarung das Vermögen zuschreibt, alle fol - gende Generationen zu befruchten. Wir können noch hinzusetzen, daſs es sehr zweifelhaft ist, ob nicht sogar einzelne Arten der höhern, mit einem artikulirten Skelett versehenen Thierclas - sen der Begattung zur Fortpflanzung entbehrenT 4kön -296können. Vielleicht sind die Meernadeln (Syn - gnathus) solche Arten. Pallas fand niemals unter diesen Thieren ein Männchen. Alle, und selbst die jüngern, waren im Monat July mit Brut angefüllet(z)Pinnarum ventralium, sagt Pallas (Spicil. zool. Fasc. VIII. p. 32.) von der Fistularia paradoxa, in pisciculo nostro situs, magnitudo, cohaesio sunt ejusmodi, ut ad peculiarem necessario usum desti - natae videri debeant. Forte in sacco, quem effor - mant, ova sua circumfert pisciculus donec excludan - tur, uti Didelphis imperfectissimos catulos intra saccum abdominalem maturare solet. Sic in Syn - gnatho (ni fallor, non enim bene notavi) pelagico ova rupto longitudinaliter abdomine protrusa et se - riatim maternae alvo adhucdum inhaerentia vita. Sed anne tunc masculis Fistulariae nostrae eadem erit constitutio sacci ventralis? Et quanam ratione sperma masculi ad ova laxo sacco latentia perve - nit? Haec difficillime explicantur! Imo ne in Syn - gnathis nostratibus (Acu et Typhle) viviparis quidem, adhucdum scimus, anne masculi ope, per intromissionem spermatis, foetura foecundatur, quum aestate in omnium matrum alvo copiose vivam re - perimus. Nemo circa hanc rem curiosior fuit. Ego fere dubitare coepi, an dentur in horum pisciculo - rum specie masculi, quum nuper (Mens. Jun. 1767) ad Holsatiae littora, inter Squillas copiose captas hujusmodi pisciculos omnes foeminini sexus esse etetiam. Im folgenden Kapitel wirdsich297sich auch zeigen, daſs man von verschiedenen Pflanzen ebenfalls fruchtbare Saamenkörner unter Umständen erhalten hat, wo kein männlicher Zeugungsstoff auf die weiblichen Geschlechtsor - gane Einfluſs gehabt haben konnte.

Ja, was noch mehr ist, sogar bey dem Men - schen zeigt sich in manchen Fällen eine Tendenz zur Bildung von Früchten, die durch keine vor - hergegangene Begattung verursacht seyn kann. Diese Behauptung klinget zwar befremdend. Aber man erwäge folgende Erfahrungen, und man wird eingestehen müssen, daſs sie wichtige Gründe auf ihrer Seite hat.

Aus den Eyerstöcken wird eine Flüssigkeit ausgeleert, von den Franzen der Muttertrompe - ten aufgenommen, durch diese Röhren zur Ge - bährmutter geführt, und hier zu einer Frucht ausgebildet. Dies ist der gewöhnliche Gang der Natur bey der Erzeugung des Menschen und der übrigen Säugthiere. Aber es giebt auch Fälle, wo man Embryonen in dem Eyerstocke, in der Fallopischen Röhre und in der Bauchhöhle fand. Einen Fall der erstern Art, wo ein Foetus, derdie(z)etiam juniores foetura repletos repererim, neque unicum masculum. Disquiraut alii rem omni certe attentione dignissimam.T 5298die Länge von drey Linien hatte, in einer Bla - se des linken Eyerstocks lag, hat Littre be - schrieben(a)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1701. Ed. 8. p. 149.. Eben dieser Schriftsteller(b)Ebendas. 1702. p. 277. und Duverney(c)Ebendas. p. 398. trafen auch Früchte in den Mut - tertrompeten an, und Martin(d)Ebendas. 1716. Hist. p. 32. fand bey der Leichenöffnung einer Schwangern in der rechten Seite der Bauchhöhle ein Kind von 9 Monaten, das mit dem Gesichte auf der Leber und Gallen - blase, und mit dem Hinterkopfe auf dem Pylo - rus lag, und dessen Mutterkuchen an den drey ersten Lendenwirbeln befestigt war. Mehrere ähnliche Fälle haben Haller(e)Elem. Physiol. T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 21. 22. und Josephi(f)Ueber die Schwangerschaft ausserhalb der Gebähr - mutter und über eine höchstmerkwürdige Harnbla - senschwangerschaft insbesondere. S. 25 ff. gesammelt. Der letztere hat zugleich die Ge - schichte einer funfzehnjährigen Schwangerschaft geliefert, wobey das Kind in der Harnblase lag. Die Gebährmutter und der linke Eyerstock wa - ren natürlich beschaffen, von dem rechten Eyer - stocke aber blos noch ein dünner Strang übrig. In der Harnblase, die widernatürlich dick, aneini -299einigen Stellen knorplicht und scirrhös, und auf ihrer innern Fläche voll schwammichter Aus - wüchse und zottiger Büschel war, fanden sich zwey Oeffnungen, eine am Grunde und eine an der rechten Seite(g)Josephi a. a. O. S. 182 ff..

Es giebt noch andere Fälle, wo man nicht einen vollständigen Foetus, sondern blos Kno - chen, Zähne und Knäuel von Haaren in einem der Eyerstöcke fand. Blumenbach hat Zeich - nungen von acht Knochen geliefert, die im lin - ken Eyerstocke einer Bäurin gefunden wurden. Vier derselben sind mit Zähnen besetzt, welche denen eines zwanzigjährigen Menschen gleichen. Einer ist 10 und ein anderer 7 Pariser Zoll lang. Keiner hat die mindeste Aehnlichkeit mit irgend einem Menschenknochen. Die Zähne hängen in denselben so unordentlich, daſs zwischen diesen Knochen und den Kinnladen gar keine Analogie statt findet. Der Eyerstock, worin sie sich befanden, war in eine Honiggeschwulst (Meliceris) von ungeheurer Gröſse verwandelt, und zwischen ihnen lagen sehr viele, unter ein - ander verwickelte Haare, die keine Wurzeln hat - ten. Blumenbach sagt in seiner Beschreibung, die Massen seyen Ueberbleibsel einer Frucht, die ein und zwanzig Jahre lang im Eyerstocke gele - gen hätte; er fügt aber hinzu: quantum scil. exrela -300relatione et viso reperto, crassiore quidem Miner - va consignato, maxima cum probabilitate hariola - ri licet(h)Blumenbach de nisu formativo et generationis negotio nuperae observat. p. XIX. Tab. I. II.. Eine ähnliche Beobachtung mach - te Cleghorn(i)Duncan Medical Commentaries. 1790. Dec. 2. Vol. V. n. 7.. Die Haare, Knochen und Zähne lagen in einem groſsen Sack des linken Eyerstocks. Die Knochen waren auch hier, wie in allen ähnlichen Fällen, keinem menschlichen Knochen ähnlich, einen einzigen ausgenommen, der mit Zähnen besetzt war, und einem Stück der obern Kinnlade glich. Man fand 44 Zähne, worunter einige Milchzähne, die meisten aber so waren, wie sie im 14ten oder 15ten Jahre zu seyn pflegen. Ploucquet(k)Diss. sistens memorabile Physconiae ovaricae, nec non Osteogoniae et Odontogeniae anomale exemplum, quam praeside G. G. Ploucquet defendet T. F. Braun. Tubing. 1798. fand in einem ähnlichen Gewächse des rechten Eyerstocks bey einer 22jährigen Frau Haare, Häute, verschiede - ne Knochen und dreyhundert Zähne. Stalpart van der Wiel(l)Observ. rar. Cap. 2. obs. 37. fand einen einzelnen Knochen und Haare in dem rechten Eyerstocke eines funf - zehnjährigen Mädchen, das noch nie die monat - liche Reinigung gehabt und seit einem Jahre amschlei -301schleichenden Fieber und hysterischen Uebeln ge - litten hatte. Zugleich lagen hier in der rechten Niere mehrere Steine. Joh. Baptist de Lamzweerde(m)Tractat. de molis uteri. Cap. 2. fol. 15. hat einen Fall von einem eilf - jährigen Mädchen, deren Eyerstock in eine knor - pelartige, 15 Pfund schwere Masse verwandelt, und mit fleischartigen, knöchernen und haarich - ten Concrementen angefüllt war.

In noch andern Fällen traf man in einer Balggeschwulst des Eyerstocks, und zwar, wel - ches beachtet zu werden verdient, meist des rechten Eyerstocks, blos Conglomerate von Haaren an. Solcher Beobachtungen sind sehr viele in den Schriften der Aerzte aufgezeich - net(n)Joh. Rhodii obs. med. Cent. 3. cap. 44. p. 166. Casp. Bauhini Theatrum anatom. L. I. cap. 35. Blancardi Anatom. pract. Cent. 2. obs. 27. J. Bau - hinus in Schenckii observ. med. L. IV. p. 556. Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1700. Ed. 8. p. 49. Haller opuscul. patholog. obs. LI. In allen die - sen Fällen war es der rechte Eyerstock, worin die Haare befindlich waren. Ich begreife daher nicht, wie Bose (Progr. de praeternaturali pilorum proventu. Lips. 1776.) sagen kann, daſs vorzüglich im linken Eyerstocke Haare gefunden seyen.. Baillie(o)London med. Journal. X. 111. n. 8. erzählt einen Fall von ei - nem 12 bis 13jährigen Mädchen, bey welchemalle302alle Zeichen des jungfräulichen Zustandes, keine der Schwangerschaft, und doch solche Haare im Eyerstocke vorhanden waren.

Man hat endlich Beyspiele von Knochen, Haaren, Ligamenten und andern Organen, die sich ausserhalb den Eyerstöcken, und selbst aus - serhalb den Zeugungstheilen, an ganz ungewöhn - lichen Stellen erzeugt hatten. G. Horstius(p)De morbis infimi ventris. Obs. 53. p. 249. fand Haare, die mit einer fetten Materie ver - mischt waren, in der Gebährmutter Rous - set(q)De part. caesar. sect. V. cap. 4. traf in der Substanz des Uterus fleisch - artige Auswüchse und Concretionen von Membra - nen, Sehnen, Knochen und andern Dingen an, deren Gewicht 40 Pfund betrug Wien - holt(r)Heilkraft des thierischen Magnetismus. Th. 1. S. 483 ff. entdeckte bey der Leichenöffnung eines Frauenzimmers, das an einem krebsartigen Ge - schwüre der innern Geburtstheile starb, zwischen dem Mastdarme und der Mutterscheide ein unor - dentliches rundes Geflecht von Haaren, die von derselben Farbe wie das Haupthaar waren; auch war hier der rechte Eyerstock in zwey ovale, mit einer honigartigen Materie angefüllte Körper übergegangen, wovon der gröſsere ebenfalls ein Geflecht von Haaren enthielt Stalpart vander303der Wiel(s)Observat. rar. Cent. I. obs. 93. gedenkt eines Falls, wo bey ei - nem Frauenzimmer ein Geschwür des Unterleibs, das eine Hand breit unter dem Nabel saſs, mit Haaren angefüllt war Einer der merkwürdig - sten Fälle dieser Art ist aber der, welchen Schüt - zer(t)Abhandl. der Schwed. Akad. B. XX. S. 173. beschrieben hat. Bey einem Mädchen, welches erst zweymal das Monatliche, und zwar das letzte mal einige Wochen vor ihrem Tode. gehabt hatte, und an einer Zerreissung des Net - zes gestorben war, fanden sich an dem Bauch - felle, am Gekröse und über dem linken Psoas - Muskel eine Menge harter Klumpen und Gewäch - se. Das gröſste, welches an Gröſse einem klei - nen Kinderkopfe glich, befand sich im Gekröse über den beyden letzten Rückgrathswirbeln und den beyden obersten Lendenwirbeln. Die obere Hälfte dieses Gewächses bestand aus einem Sack, welcher ein bräunliches Wasser enthielt. Zwi - schen ihr und dem Bauchfelle lagen einige Haare, die eine halbe Elle lang waren. In der untern Hälfte, welche weiſs und dicht war, lagen zwey Vorderzähne, ein oberer und ein unterer, acht Backenzähne, zwey Eckzähne, ein oberer Kinn - backen mit seinen Zahnhöhlen, worin zwey Schnei - dezähne saſsen, und mehrere kleinere Knochen, die sich mit keinem andern vergleichen liessen. Die Zähne waren so groſs wie bey Kindern umdie304die Zeit des Wechselns der Zähne, und an eini gen zeigten sich neue an der Wurzel. Die Ge - burtstheile der Verstorbenen hatten alle Kennzei - chen der unverletzten Jungfrauschaft.

In denjenigen von diesen Fällen, wo eine vollständige Frucht an ungewöhnlichen Stellen gefunden wurde, fand wahrscheinlich eine vor - hergegangene Befruchtung statt. Die Flüssigkeit, die gewöhnlich bey der Empfängniſs aus dem Ey - erstocke durch die Muttertrompeten zum Uterus gelanget, blieb in dem Eyerstocke oder in der Fallopischen Röhre zurück, oder gerieth zufällig in die Höhle des Unlerleibs. Aber auf diese Art lassen sich nicht die übrigen Fälle erklären, wo man einzelne Knochen, Zähne, Haare und son - stige Organe in den Eyerstöcken und in andern Theilen antraf. Solche Erzeugnisse sind nicht, wofür man sie gewöhnlich hält, Ueberbleibsel eines einst vollständigen Foetus. Denn wie ist es denkbar, daſs in den Fällen, welche van der Wiel und Lamzweerde beobachteten, eine Be - fruchtung und Empfängniſs bey Mädchen statt ge - funden haben sollte, die noch nicht mannbar waren? Wie läſst sich diese in den Fällen, die Baillie und Schützer beschrieben haben, bey Mädchen annehmen, deren Zeugungstheile noch ganz im jungfräulichen Zustande waren, und wovon die eine erst zweymal kurz vor ihremTode305Tode das Monatliche gehabt hatte? Wie hätten sich, wenn hier auch eine Befruchtung vorherge - gangen wäre, in so kurzer Zeit Zähne bilden können, die ganz von der Gröſse und Beschaffen - heit waren, wie sie sonst um die Zeit des Wech - selns der Zähne sind? Woher rührte in allen den angeführten Fällen die gänzliche Verschie - denheit der meisten Knochen von den menschli - chen Knochen, wenn eine Befruchtung die Ursa - che des Entstehens jener Knochen gewesen wäre? Wie konnten sich dann in dem Falle, den Rous - set beschrieben hat, Knochen, Haare und Liga - mente in der Substanz der Gebährmutter, und bey der Beobachtung, die von Wienholt ge - macht wurde, Knäuel von Haaren nicht nur in dem Eyerstocke, sondern auch zwischen dem Mastdarme und der Mutterscheide finden?

Mehr Wahrscheinlichkeit hat auf den ersten Blick die Meinung derer, welche die fremdartigen Massen, die in den erwähnten Fällen gefunden wurden, für Ueberbleibsel eines Foetus halten, der in einem andern eingeschlossen war, und wovon sich blos einige Haare, Knochen und Zäh - ne entwickelten. Solche Früchte giebt es aller - dings. Man trifft häufig Vogeleyer an, in wel - chen kleinere Eyer enthalten sind(u)Miscell. Acad. Nat. Curios. Dec. A. 1. 1670. p. 120. Ibid. A. 2. 1671. p. 348. Ibid. A. 3. 1672. p. 50. Ibid., und ebensoIII. Bd. U306so oft kommen dergleichen Beyspiele im Pflan - zenreiche, vorzüglich bey den Citronen, vor(v)Miscell. Acad. Nat. Curios. Dec. 1. A. 3. 1672. p. 432. Ibid. Dec. 3. A. 1. 1694. p. 125. Ibid. A. 4. 1696. p. 66. Abhandl. der Schwed. Akad. 1745. S. 286.. Man hat Menschen gesehen, an deren Brust oder Unterleibe der Ober - oder Untertheil eines andern Menschen herabhing, oder die einen Sack mit auf die Welt brachten, der mit ihnen verwachsen war, und in welchem Ueberbleibsel eines andern Foetus lagen(w)Haller Opp. min. T. III. p. 77 sq. The London med. Journal. Vol. X. P. IV. No. 6.. Indeſs auch diese Meinung wird man bey genauerer Untersuchung unbefrie - digend finden. Denn wie will man aus ihr den von Ploucquet beobachteten Fall erklären, in welchem ein Gewächs des Eyerstocks dreyhundert Zähne enthielt? Unmöglich konnten diese Ueber - bleibsel einer Frucht seyn.

Mir scheinen diese Gründe keinen Zweifel übrig zu lassen, daſs sich sogar bey dem Men -schen(u)Ibid. A. 6 et 7. 1675 et 1676. p. 115. Ibid. Dec. 2. A 1. 1682. p. 38. 122. Ibid. Cent. 1. 2. App. p. 198. Act. Acad. Nat. Curios. Vol. VI. p. 295. Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1706. Ed. 8. p. 28. Ibid. 1742. p. 59. Ibid. 1745. p. 40. Ibid. 1775. p. 24. Journal des Sçav. 1696. Janv.307schen in gewissen Fällen, zwar nicht vollständige Früchte, aber doch Bruchstücke eines lebenden Ganzen, ohne Befruchtung bilden können. Was aber die Ursache der Erzeugung solcher Frag - mente betrifft, so glaube ich, daſs sie in einer krankhaften Beschaffenheit der Eyerstöcke besteht, und folgende Beweise sind es, worauf ich diese Meinung baue:

  • 1) In den angeführten Beobachtungen waren unter den fremdartigen Substanzen fast im - mer Haare. Man weiſs aber, in wie ge - nauem Consensus die Entstehung und das Wachsthum der Haare mit den Zeugungsthei - len steht.
  • 2) In sehr enger Verbindung mit diesen Orga - nen steht auch die Erzeugung der Knochen - materie, wie bey den Thieren aus der Fami - lie der Rinder erhellet, deren Hörner und Geweihe erst zu den Zeiten der Mannbarkeit hervorwachsen. Aber nächst Haaren waren auch Knochenmassen die häufigsten, die in den erwähnten Fällen gefunden wurden.
  • 3) Man hat Haasen, Schweine, Katzen, Hun - de, Pferde und sogar Menschen beobachtet, welche Hörner trugen
    (x)Haller Opp. min. T. III. p. 5. Essais sur l’Hist. nat. des quadrupèdes du Paraguay par Don F. D’Aza - ra. T. II. p. 313.
    (x). Eine solche ge -hörn -U 2308hörnte Hündin wurde in England zergliedert. Man fand den Eyerstock der einen Seite scirrhös. Aber auch nur auf dieser Seite des Kopfs hatte sie ein Horn gehabt, welches völlig dem eines dreyjährigen Hirsches glich. Auf der andern Seite hingegen, deren Eyer - stock gesund war, fand sich keine Spuhr ei - nes solchen Auswuchses
    (y)Göttinger Taschenbuch von 1796.
    (y). Bey den Hir - schen sind Monstrositäten der Geweihe, nach der Erfahrung aller Jäger, immer mit Feh - lern der Zeugungstheile verbunden
    (z)Von Rochow in den Schriften der Berlin. Ge - sellsch. B. 2. S. 394.
    (z). Da nun in diesen Fällen die widernatürlichen Auswüchse an der Stirne von einer krankhaf - ten Beschaffenheit der Geschlechtsorgane her - rühren, warum sollte die nehmliche Ursache nicht eben so wohl knochenartige Concremen - te im Innern des Körpers hervorbringen kön - nen, wie sie dort solche Auswüchse ausser - halb dem Körper bildet?

Alles dies beweist, daſs sich nicht einmal von den Thieren und Pflanzen, und also noch viel weniger von den Zoophyten, die unbeding - te Nothwendigkeit der Begattung zur Fortpflan - zung des Geschlechts behaupten läſst. Aber zweytens, wenn auch der Satz bewiesen -re,309re, daſs bey den zusammengesetztern Körpern des Thier - und Pflanzenreichs niemals fruchtbare Eyer - oder Saamenkörner ohne Einwirkung ei - nes männlichen Zeugungsstoffs auf den weiblichen Saamen gebildet werden, so läſst sich doch be - zweifeln, daſs hiervon ein Schluſs auf die ein - fachern Organismen des Reichs der Zoophyten gilt. Man kann sagen: Unsere bisherigen, ob - gleich noch sehr eingeschränkten Erfahrungen zeigen uns schon so viele Mannichfaltigkeit in der Entstehung der lebenden Körper, daſs die Hoffnung, bey noch gröſserm Reichthum an Be - obachtungen einst alle mögliche Formen der Er - zeugung erschöpft zu finden, schon von dieser Seite nicht ohne Grund ist. Diese Hoffnung er - hält noch mehr Wahrscheinlichkeit, wenn der Satz, daſs im allgemeinen Organismus alle mög - liche Arten des Daseyns wirklich vorhanden sind, seine Richtigkeit hat. Ist es also nicht glaub - lich, daſs sich die Natur auch in Formen ergoſs, die ohne Geschlechtsverschiedenheit und Befruch - tung ihr Geschlecht erhalten?

Man kann ferner sagen: Bey mehrern von denjenigen Mollusken und Pflanzen, bey wel - chen die männlichen und weiblichen Zeugungs - theile in Einem Individuum vereinigt sind, fin - det keine Geschlechtsverschiedenheit mehr statt. Hier ist es nicht mehr eine eigene Art von Ein -U 3wir -310wirkung eines Individuums auf ein anderes, son - dern blos eines Organs auf ein anderes Organ, wodurch die Fortpflanzung des Geschlechts ge - schieht. Beyde Organe sind hier freylich so - wohl in ihrer Bildung, als in ihren Funktionen von allen übrigen Theilen des Organismus, woran sie sich befinden, ganz verschieden. Aber die nehmlichen Zwecke, wofür bey der einen Clas - se von lebenden Körpern verschiedene Organe vorhanden sind, erreicht die Natur bey einer an - dern Classe durch einerley Mittel. Das Athem - hohlen, die Verdauung und die Ausleerung der zu excernirenden Stoffe geschehen bey den mei - sten Thieren durch verschiedene, hingegen bey den Pflanzen durch einerley Organe. Nach die - ser Analogie könnte es aber auch wohl Orga - nismen geben, bey welchen die verschiedenen Geschlechtstheile, die wir bey mehrern Mollus - ken und den meisten Pflanzen in einem Indivi - duum beysammen, obgleich blos noch zur Fort - pflanzung des Geschlechts bestimmt finden, eben - falls in Einem Individuum vereinigt wären, aber zugleich noch andern Funktionen, z. B. der Er - nährung, vorständen. Gesetzt nun, die Zoophy - ten wären solche Organismen, was liesse sich gegen die Meinung von der Fortpflanzung dersel - ben ohne vorhergegangene Begattung dann noch einwenden?

Eine311

Eine solche einfache Befruchtungsart ist in der That auch die, wozu mehrere Naturforscher, die das Ungereimte der Meinungen ihrer Vorgän - ger einsahen, und sich doch nicht entschlieſsen konnten, der Linneischen Sexualhypothese zu entsagen, bey den Algen ihre Zuflucht nahmen. So werden, nach Roth(a)Neue Beyträge zur Botanik. Th. 1. S. 24 ff., bey den Conferven und Tangen die nackten Fruchtkeime auf dem einfachsten Wege an gewissen dazu bestimmten Orten, und in einer, einem jeden Individuum angewiesenen Ordnung gebildet, und nach ihrer Befruchtung bis zur völligen Reife aufbewahret. Auf eine eben so einfache Weise scheinet ihm auch die Erzeugung des männlichen Saamens in jenen Phytozoen bewirkt zu werden. Mit dem letztern wird aber, seiner Meinung nach, bey sehr vielen Pflanzenthieren aus den erwähnten Familien zugleich eine schleimige Substanz er - zeugt, die ihn umgiebt und beschützet, oder in gewissen Fällen das Gleichgewicht mit dem Wasser, worin sich jene Organismen befinden, herstellet. Bey einigen soll derselbe unmittelbar an dem Orte, wo die Fruchtkeime sitzen, abge - sondert, bey andern an besondern, von den Fruchtkeimen getrennten Orten erzeugt, und zur Zeit der Befruchtung entweder durch eigen dazu bestimmte Canäle, oder durch ein Anziehungs -vermöU 4312vermögen, mit Hülfe einsaugender, auf der Ober - fläche des Gewächses befindlicher Gefäſse, den Fruchtkeimen zugeführt werden. Aehnliche Ideen äussert Thomas Velley(b)Cum haec contemplemur, clarius fortasse patebit, quod, dum harum structuram Algarum moliretur natura, paululum deflexerit ab usitata sua operandi ratione et quod nullis prolatis de florescentia ha - rum plantarum testimoniis, verosimillimum duce - retur, in his propagandi modum simplicem esse, ut sibi ipsis vi insita restrictum, ab ullo exteriori adiumento nequaquam pendentem et a principiis, quibus sexuum distinctio asseritur, prorsus alienum. Römer’s Archiv f. d. Botanik. B. 1. St. 3. S. 106.. Es ist aber ein - leuchtend, daſs eine solche Befruchtungsart, wie hier vorausgesetzt wird, gar kein Gegenstand der Erfahrung mehr seyn würde, und daſs sich mit Hülfe einer ähnlichen Hypothese auch bey der Fortpflanzung durch Knospen und Sprossen, ja selbst bey der Regeneration eine vorhergehende Befruchtung annehmen liesse.

Endlich drittens, wenn es auch dargethan wäre, daſs zur Bildung eines Eys oder Saamen - korns immer eine Befruchtung erforderlich ist, so liesse sich doch von den Vertheidigern der obi - gen Meinung der Beweis verlangen, daſs dasje - nige, was sie für Eyer oder Saamenkörner der Zoophyten halten, nicht vielmehr Knospen sind. Man kann zu ihnen sprechen: Ihr selber erklärtdie313die Keime solcher Körper, an welchen ihr nicht hoffen dürfet, männliche Geschlechtstheile zu entdecken, z. B. der Ulven(c)Nullum hucusque observatum est in ulvis sexus vestigium, nec ejusmodi aliquid iis inesse puto, sed per gemmas potius simplicissimas, quas b. Gärt - ner in opere suo pretiosissimo de fructibus et semi - nibus plant. introd. p. 3. gongylos appellat, propa - gantur. Roth Tent. fl. German. T. III. P. I. p. 533., für Knospen. Aber ihr gebt keine Charaktere an, worin sich diese von den saamenartigen Keimen der übrigen Zoophyten unterscheiden. Mit eben dem Rech - te, womit ihr die Keime der Ulven für Knos - pen haltet, können wir auch die vermeinten Eyer und Saamenkörner der übrigen Zoophyten als Knospen betrachten. Ja, wir können für diese unsere Meinung Gründe der Analogie an - führen, da ihr zu eurem Geständnisse in Betreff der Ulven blos durch die Noth gezwungen seyd. Medicus fand, daſs die Geschlechtstheile man - cher Pflanzen nur ein scheinbares Daseyn haben, zur Erzeugung von Saamenkörnern aber ganz untüchtig sind(d)Act. Acad. Theodoro-Palat. Vol. VI. phys. no. 23.. Nach Smith’s Beobach - tung(e)Bey de Luc in Voiot’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. XI. St. 1. S. 26. trägt das Lilium bulbiferum zu der Zeit, wo es sich durch Knospen fortpflanzt, unfrucht -bareU 5314bare Blüthen. Läſst sich nach diesen Erfahrun - gen nicht vermuthen, daſs es Organismen giebt, denen auch die scheinbaren Geschlechtsorgane feh - len, und welche blos durch Knospen und Spros - sen ihr Geschlecht erhalten? Und ist es nicht glaublich, daſs sich diese Organismen auf den untersten Stufen der thierischen und vegetabili - schen Organisation und in der Classe der Zoo - phyten finden müssen?

Wer die bisherigen Gründe und Gegengründe unbefangen gegen einander abwägt, wird gewiſs eingestehen, daſs das Uebergewicht auf Seiten de - rer ist, die bey den einfachern Organismen der lebenden Natur eine Fortpflanzung ohne Begat - tung annehmen. Ehe wir indeſs ein entscheiden - des Urtheil zu fällen wagen, müssen wir eine Thatsache in Erwägung ziehen, welche die Ver - mehrung der Conferven betrifft.

Wir haben gesehen, daſs bey mehrern ge - gliederten Conferven im Frühlinge und im An - fange des Sommers die grünen Massen, womit das Innere derselben angefüllt ist, verschwinden, daſs sich dagegen in ihnen gröſsere eyer - oder bee - renartige Körper bilden, die mit dem innern Schlau - che jener Wasserfäden einen gleichen Durchmesser und eine bräunliche Farbe haben, und daſs aus diesen im folgenden Herbste oder Frühlinge Con -fer -315ferven, die mit den vorigen von gleicher Art sind, wieder hervorwachsen. Der Bildung die - ser Eyer oder Saamenkörner nun geht ein höchst merkwürdiges Phänomen, die Conjugation oder Copulation der Conferven, vorher. Ge - gen die Zeit nehmlich, wo sich jene Fruchtkeime bilden wollen, schwillt die Conferve etwas an, und aus den einzelnen Gliedern derselben schies - sen an den Seiten kurze, offenstehende Röhren hervor. Vermittelst dieser Röhren vereinigt sich jener Wasserfaden mit einer andern Conferve, die ebenfalls mit solchen Seitencanälen versehen ist, dergestalt, daſs die Mündungen der erstern ge - nau an die Oeffnungen der letztern stoſsen, mit diesen verwachsen, und Gefäſse bilden, wodurch eine Verbindung zwischen den innern Schläuchen beyder Wasserfäden bewirkt wird. Eine solche copulirte Conferve ist Roth’s Conferva scala - ris(f)Roth Catal. botan. fasc. 2. p. 196., die also keine eigene Art ausmacht. Oft findet man auch mehr als zwey Conferven auf diese Art vereinigt. Nachdem die Verbindung vor sich gegangen ist, behalten die ursprüngli - chen grünen Massen noch eine Zeitlang ihre regel - mäſsige Stellung(g)M. vergl. Hedwig Theor. generat. et. fructif. pl. crypt. Ed. 2. Tab. XXXVII. f. 3.. Bald darauf aber verlassen sie diese, und ballen sich zu unregelmäſsigengrünen316grünen Klumpen zusammen. Diese Verände - rung tritt indeſs nicht in allen Gliedern zu glei - cher Zeit ein. Früher ereignet sie sich in de - nen, die sich früher copulirt haben, und gar nicht in denen, welche keine Verbindung einge - gangen sind. Zuweilen findet man auch ganze Haufen von Conferven, die sich gar nicht ver - einigt haben, und den ganzen Sommer hin - durch unverändert bleiben. Mit jener Verbin - dung höret zugleich die Absonderung des Schleims auf, der die Fäden vorher einhüllte, und diese bekommen jetzt eine gewisse Sprödigkeit.

Setzt man die Beobachtung noch weiter fort, so wird man nach einiger Zeit wahrnehmen, daſs die erwähnten grünen Massen das Glied der einen Conferve, worin sie sich vorher befanden, ganz verlassen haben, und durch die Verbin - dungsröhre, vermittelst welcher sich jenes Glied mit einem Gliede eines andern Wasserfadens co - pulirt hat, in das letztere übergegangen sind. Ich will der Kürze halber in Zukunft das erstere Glied das ausgeleerte, und das letztere das angefüllte nennen. In der Struktur dieser beyden Glieder läſst sich kein wesentlicher Un - terschied entdecken. Nur einmal habe ich bey zwey copulirten Fäden der Conferva setiformis R. gesehen, daſs die nach Art von Perlenschnüren an einander gereiheten Körper, womit diese Con -ferve317ferve inwendig besetzt ist, in beyden Fäden ent - gegengesetzte Windungen machte. Ich kann aber nicht sagen, ob dieser Unterschied nicht zufällig war. Oft findet man auch, daſs in ei - nem und demselben Faden einige Glieder ihre grünen Massen an den copulirten Faden abgege - ben, und andere die des letztern aufgenommen haben(h)Eben dies beobachtete Vaucher (Hist. des conf. d’eau douce.).

In dem angefüllten Gliede verliehren die grünen Massen ihre grüne Farbe, und schmelzen zu einem von jenen bräunlichen Eyern oder Saa - menkörnern zusammen, aus welchen, wie schon gesagt ist, in der Folge wieder ähnliche Con - ferven hervorwachsen. Die Bildung dieser Kör - ner nimmt von einem Punkte der Peripherie ih - ren Anfang, und geht von diesem zu dem ent - gegengesetzten Punkte fort. Oft ist daher die eine Hälfte der Kugel oder der Ellipse schon ge - ründet, indem die andere Hälfte noch einen unförmlichen Klumpen vorstellet. Sobald jene Körner völlig ausgebildet sind, ist von den co - pulirten Wasserfäden nichts mehr, als die farben - lose äussere Haut übrig(i)Hedwig l. c. fig. 4.. Wer zwey solche Fäden in diesem Zustande erblickt, kann leicht verführt werden, sie für die beyden Hälfteneiner318einer und derselben, mit reifen Saamenkörnern angefüllten Conferve zu halten, deren Röhre sich durch einen, mit der Axe parallelen Riſs geöff - net hat. Er wird aber von dieser Meinung zu - rückkommen, wenn er andere Fäden aufsucht, die sich erst seit kurzer Zeit vereinigt haben, und am deutlichsten wird er die beschriebenen Veränderungen an der Conferva setiformis R. be - obachten können. Die Fruchtkeime bleiben so lange in der äussern Haut der Conferve, bis diese aufgelöst ist, und sinken dann im Wasser zu Boden.

Ein einziges mal habe ich unter mehrern verbundenen Fäden der Conferva scalaris R. ei - nen angetroffen, in welchem die Bildung der Fruchtkeime ihren Anfang genommen hatte, ob - gleich der Faden mit keinem andern copulirt war. Er war aber von schwarzer Farbe, und es fand hier also ohne Zweifel eine krankhafte Beschaffenheit statt. Indeſs giebt es allerdings eine Art von Conferven, welche ohne Copulation Saamenkörner hervorzubringen scheint. Diese ist die Conferva annulina, eine neue, von mei - nem Bruder entdeckte Art, die man bey Bremen in Gräben und stehenden Wassern findet, und in deren langen einfachen Fäden die grüne Mate - rie parallele, durch leere Zwischenräume getrenn - te Ringe bildet. Der Grund dieser Anomalieliegt319liegt vielleicht darin, daſs jene Conferve entwe - der gar keine Scheidewände, oder doch unge - wöhnlich lange Glieder hat.

Uebrigens vermuthe ich, daſs manche Con - ferven sich noch auf eine andere Art, als durch Seitenröhren, copuliren. Im Juny 1804 fand ich unter einem Haufen des Ceramium cespito - sum R., der Conferva bronchialis R., spiralis R. und anderer Wasserfäden einige, in deren etwas angeschwollenen Gliedern sich Saamenkörner zu bilden angefangen hatten, die aber mit keinen Seitenröhren versehen waren, sondern dadurch sich copulirt zu haben schienen, daſs das Ende der einen mit dem Schlauche der andern ver - wachsen war. Eine, in diesem Zustande be - findliche Conferve war es ohne Zweifel auch, was von Roth(k)Catal. botan. fasc. 2. p. 204. unter dem Namen Conferva fragilis als eine eigene Art beschrieben ist. Viel - leicht findet diese Art von Conjugation bey meh - rern Conferven statt, und manche mögen daher in einer gewissen Periode als ästig erscheinen, die in der That einfach sind.

Was ich bisher über die Copulation der Confer - ven gesagt habe, ist das Resultat meiner eigenen Beobachtungen. Vor mir ist sie von O. F. Mül -ler320ler(l)Flora Dan., Hedwig(m)l. c. p. 220., Roth(n)Schrader’s Journal für die Botanik. und Vau - cher(o)A. a. O., doch weniger umständlich, beschrie - ben. Frägt man diese Schriftsteller, was man von jener Erscheinung zu denken hat, so erhält man von allen eine unbefriedigende Antwort. Alle gestehen ein, daſs die Conjugation der Was - serfäden auf die Bildung der Fruchtkeime einen Einfluſs haben müsse, aber keiner wagt es, sie für eine wahre Begattung zu erklären. Nun ist freylich auch jenes Phänomen von allen be - kannten Arten der Begattung ganz verschieden. Wir finden keinen Unterschied zwischen denjeni - gen Gliedern, die sich ausleeren, und denen, welche die ausgeleerten Massen der conjugirten aufnehmen; ja, wir treffen an einem und dem - selben Individuum ausgeleerte und angefüllte Glieder an. Inzwischen, sobald wir unsere Begriffe erweitern und unter Begattung die Ver - einigung zweyer Individuen zur Bildung einer eigenen Art von Fruchtkeimen verstehen, so müssen wir auch die Copulation der Conferven für eine wahre Begattung halten. Denn aus welchen Gründen läſst sich behaupten, daſs Ho - den oder Saamenbläschen und Eyerstöcke, Anthe - ren und Narben nothwendige Bedingungen die -ses321ses Acts sind? Wer kann sagen, daſs, bey der so äusserst zarten, auch dem scharfsichtigsten und mit dem besten Vergröſserungsglase bewaff - neten Auge verborgenen Struktur des Innern der Conferven, zwischen den copulirten Individuen doch nicht eine Verschiedenheit statt findet, wenn wir diese auch nicht zu entdecken im Stande sind? Und was hindert uns anzunehmen, daſs bey den Conferven die Begattung eben so wohl durch einen Uebergang des weiblichen Zeugungs - stoffs zum männlichen Saamen, als auf dem ent - gegengesetzten Wege geschieht?

Hat dies nun seine Richtigkeit, so ergeben sich zwey Folgerungen, wodurch der im Vorhergehen - den berührte Streit über die Nothwendigkeit der Be - gattung zur Erzeugung von Eyern und Saamen - körnern seiner Entscheidung genähert wird.

Erstens nehmlich, da wir jetzt unter den ein - fachsten der lebenden Körper ein Geschlecht ange - troffen haben, welches nicht anders als nach vollzo - gener Begattung eine gewisse Art von Keimen her - vorbringt, so ist es höchst wahrscheinlich, daſs die - se Art von Keimen in der ganzen lebenden Natur immer nur nach erfolgter Einwirkung eines männ - lichen Saamens auf einen weiblichen Zeugungsstoff gebildet wird. Mithin liegt die Wahrheit auf Seiten derer, welche die Befruchtung für ein nothwendi - ges Erforderniſs zur Erzeugung von Eyern undIII. Bd. XSaa -322Saamenkörnern ansehen, wenn wir unter diesen Benennungen jene Keime verstehen. Deswegen aber läſst sich keinesweges behaupten, daſs bey allen lebenden Körpern eine Geschlechtsverschie - denheit und Begattung statt findet: denn es ist ja nicht bewiesen, daſs alle diese Organismen Eyer oder Saamenkörner bilden, im Gegentheil ist es nach den oben erwähnten Gründen sehr wahrscheinlich, daſs sich manche blos durch Knospen oder Sprossen fortpflanzen.

Zweytens, da die Begattung der Confer - ven auf eine so ganz eigene Art geschieht, so läſst sich schliessen, daſs sie auch bey den übri - gen Zoophyten auf eine, von der Paarung der Thiere und Pflanzen ganz verschiedene Art voll - zogen wird. Sehr wenig Erfolg ist daher von allen Untersuchungen zu erwarten, wobey man zur Absicht hat, ähnliche Geschlechtsorgane bey den Zoophyten, wie bey den Thieren und Pflan - zen, zu entdecken. In der That haben auch die bisherigen Nachforschungen der Art die un - gereimtesten Hypothesen zu Resultaten gehabt. Selbst Hedwig’s so hoch gepriesene Meinung von der Befruchtung der Moose hat der Gründe mehr gegen, als für sich, und würde schwerlich den Beyfall erhalten haben, den sie gefunden hat, wenn nicht die Begierde des groſsen Hau - fens derer, für welche die Natur blos ein syste -mati -323matisches Wörterbuch ist, alles, was nur eini - germaaſsen einer Pflanze gleicht, unter das Joch des Linneischen Sexualsystems zu bringen, ihr Eingang verschafft hätte. Vielleicht wird diese Behauptung manchem gewagt scheinen. Allein man höre unparteyisch meine Gründe, und ur - theile!

Wir haben im ersten Buche(p)Biol. Bd. 1. S. 418. 419. gesehen, daſs man an den Moosen verschlossene Behälter antrifft, welche mit kleinen Körnern angefüllt sind, und in einer gewissen Periode bey den Lebermoosen dadurch, daſs sie der Länge nach sich in mehrere Theile spalten, bey den meisten Laubmoosen aber durch Abwerfung eines Deckels sich öffnen(q)Blos das Geschlecht Phascum, dessen Kapseln ungeöffnet abfallen, macht hiervon eine Ausnah - me.. Seit Dillen’s und Micheli’s Zeiten hielten die meisten Naturforscher jene Kapseln für die männlichen Geschlechtstheile der Moose(r)Michelii nova gen. pl. p. 108. Dillenii catalo - gus plantarum Giessensium in app. p. 77. Ejusd. hist. muscorum in praefat. Linnei syst. plant. Haller hist. stirpium Helvet. T. III. p. 42.. Hedwig widerlegte diesen Irrthum, indem er, nach dem Vorgange von Kölreu -ternX 2324tern(s)Das entdeckte Geheimniſs der Cryptogamie., durch mehrere Versuche bewies, daſs die Körner, die in jenen Kapseln enthalten sind, vorsichtig ausgesäet, keimen, und also nicht für männlichen Zeugungsstoff, sondern für Saamen - körner angesehen werden müssen(t)Hedwig theor. generat. et fructif. plant. crypt. retractata et aucta. p. 152 sq. 171. 179. 194.. Zum Ran - ge männlicher Geschlechtsorgane erhob er dage - gen gewisse ovale oder cylindrische Körper, wel - che aus kleinen blasenförmigen Körnern beste - hen, bey den Laubmoosen gestielt sind, bey vielen Lebermoosen aber unmittelbar an den Ober - flächen der Blätter sitzen, und bey den erstern von eigenen Blättern, welche die Form einer Scheibe, eines Sterns, oder einer Rose bilden, (Perigonia Hedw.) umgeben, bey den letztern aber unbedeckt sind(u)Hedwig l. c. p. 129. 154 sq.. Als Gründe für diese Hypothese gab er, ausser der blasenförmigen Textur jener Körper, welche derjenigen, die man an den männlichen Geschlechtstheilen der Apocineen antrifft, nicht unähnlich ist(v)Ibid. p. 133., fol - gende Beobachtungen an:

  • 1) Bey mehrern Moosen sahe er jene Körper unter Wasser sich öffnen, und eine Masse aus ihnen hervorkommen, welche der Formund325und Consistenz nach derjenigen ganz ähnlich war, die unter gleichen Umständen aus dem Blüthenstaube (pollen) der Pflanzen hervor - dringt
    (w)Ibid. p. 132. 162.
    (w).
  • 2) An der hölzernen Einfassung eines Fisch - teichs fand er einen Rasen der Marchantia polymorpha, welcher ausgezeichnet groſse und mit sehr zahlreichen weiblichen Blüthen besetzte Individuen enthielt. In keiner die - ser Blumen waren aber Fruchtkeime zu ent - decken. Verwundert über die Unfruchtbar - keit derselben durchsuchte Hedwig die um - liegenden Plätze. Allein nirgends traf er ein Individuum an, worauf sich die Organe, die er für die männlichen Zeugungstheile der Marchantien hielt, gezeigt hätten. Deerant itaque, setzt er dieser Erzählung hinzu, his diphytis mares, quorum venere frui potuis - sent, ut inde perpetuo quasi lasciviantes il - lae, vires proli foecundando impendendas, impenderent promotioni thalamorum genita - lium
    (x)Hedwig l. c. p. 178.
    (x).

Diese Gründe lassen sich indeſs widerlegen. Eine blasenförmige Textur ist nicht blos den An -the -X 3326theren der Pflanzen, sondern überhaupt jeder zarten vegetabilischen und animalischen Substanz im Anfange ihres Entstehens eigen(y)Biol. Bd. 1. S. 428.. Hiervon läſst sich also gar kein Beweis für Hedwigs Meinung hernehmen. Es ist aber auch gar nicht ausgemacht, ob nicht jedes vegetabilische oder animalische Bläschen, in Wasser gelegt, unter gewissen Umständen zerspringet, und den Stoff, der in ihm enthalten ist, ausleert. Sahe doch Stähelin sogar den elastischen Ring des Saa - menbehälters eines Farrnkrauts sich öffnen, und aus der Oeffnung eine gelbliche Materie hervor - dringen(z)Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1730. Ed. 8. P. I. p. 87.. Ehe also die erste der obigen Hed - wigschen Beobachtungen für beweisend gelten könnte, müſste vorher dargethan seyn, daſs je - nes Zerspringen und diese Exkretion blos dem Blüthenstaube der Pflanzen eigen sey. Bey der zweyten seiner angeführten Beobachtungen schlieſst Hedwig folgendermaaſsen: die weiblichen Indi - viduen der Marchantien waren unbefruchtet ge - blieben, daher ihre Unfruchtbarkeit und ihr üp - piges Wachsthum. Aber was hindert uns die - sen Schluſs umzukehren, und anzunehmen, daſs die Unfruchtbarkeit jener Individuen nicht von der Abwesenheit der angeblichen männlichen Zeu -gungs -327gungsorgane, sondern von ihrem zu üppigen Wachsthume herrührte?

Es läſst sich aber auch zeigen, daſs die Kör - per, die Hedwig für die männlichen Geschlechts - theile der Moose hielt, dieses nicht seyn kön - nen, sondern wahrscheinlich eine gewisse Art von Knospen sind. Nehmlich

  • 1) im Pflanzenreiche sind nur bey einer, ver - hältniſsmäſsig sehr kleinen Anzahl von Arten die männlichen und weiblichen Geschlechts - theile in verschiedenen Blumen, und bey ei - ner noch kleinern in verschiedenen Gewäch - sen vertheilt. Und doch hat hier schon die Natur bewunderungswürdige Einrichtungen getroffen, um die Befruchtung möglich zu machen, indem sie in solchen Zwitterblumen, wo beyderley Geschlechtstheile sich zu glei - cher Zeit entwickeln, diesen Organen das Vermögen ertheilte, sich zur Zeit der Reife einander zu nähern und zu berühren, und den übrigen Blumen eigene Insekten zu Be - wohnern gab, welche den männlichen Blü - thenstaub zur weiblichen Narbe zu überbrin - gen bestimmt sind, wie im folgenden Kapi - tel umständlicher gezeigt werden wird! Bey den Moosen hingegen müſste der Hermaphro - ditismus zu den seltenen Erscheinungen ge - hören, wenn die von Hedwig entdecktenX 4Kör -328Körper wahre Antheren wären. Die meisten würden zur Linneischen Classe der Dioeci - sten gezählt werden müssen
    (a)Bridel muscolog. recent. T. 1. p. 18.
    (a). Und doch gab die Natur den Moosen keine Insekten, welche die Befruchtung möglich machen könn - ten! Sie traf zur Erreichung dieses Zwecks keine andere Anstalten, als daſs sie jenen Organismen ein gesellschaftliches Leben zu führen vorschrieb
    (b)Hedwig l. c. p. 140.
    (b), und jeder weiblichen Blume eine groſse Menge von Griffeln gab
    (c)Ibid. p. 139.
    (c). Alles Uebrige wurde dem Winde und dem Zufalle überlassen! Wer vermag, dies mit richtigen Begriffen von der Natur zu vereini - gen? Hierzu kömmt noch, daſs bey meh - rern Arten des Hypnum, der Neckera und Leskia die weiblichen Individuen eigene, von den sogenannten männlichen Stämmen weit entfernte Rasen bilden
    (d)Bridel l. c. p. 68.
    (d). Wie äusserst selten müſsten also jene Individuen mit rei - fen Saamencapseln vorkommen, wenn diese Stämme wirklich das wären, wofür Hedwig sie ausgiebt? Und doch sind die fruchtba - ren Saamencapseln bey ihnen nicht seltener, als bey andern Arten, deren weibliche Blü -then329then sich in der Nähe der männlichen be - finden!
  • 2) Ganz unmöglich aber muſs jedem Unbefan - genen die vermeinte Befruchtung der Moose erscheinen, der erwägt, daſs die sogenannten Blumenblätter der Laubmoose erst dann sich öffnen, wenn die angebliche Begattung schon längst vollzogen seyn müſste. Unbegreiflich ist es, wie Hedwig selber diese Beobachtung machen, und doch den unwiderlegbaren Ein - wurf übersehen konnte, der sich von ihr ge - gen seine Meinung hernehmen läſst. Si a masculis floribus terminalibus recesserimus, sagt er selber
    (e)l. c. p. 128.
    (e), omnium Perigonia etiam inter ipsum actum florescen - tiae connivent. Occurrunt vero inter illos haud pauci, quorum foliola perigonalia latiuscula, adeo de sui summitate ab invi - cem tandem recedunt atque in horizontalem directionem reponuntur, ut quasi aliquam rosulam seu stellulam repraesentent, hincque ab auctoribus rosaceae aut stellatae saluten - tur. Horum exempla evidentissima exhibent, praeter Mnium hornum, cuspidatum, undu - latum, fontanum, etiam Polytrichorum spe - cies, nec non Barbula ruralis, muralis cet. SedX 5330Sed teneamus oportet, tum officium suum explevisse intus contenta ge - nitalia, antea vero etiam istos flo - res magis ad capituli formam acces - sisse.
  • 3) Bey den Laubmoosen haben die vermein - ten männlichen Genitalien fast einerley Bil - dung mit den ersten Anfängen der weibli - chen Zeugungstheile
    (f)Ante actum ipsius (genitalis foeminei), sagt Hed - wig selber (l. c. p. 136), seu plenariam adaptatio - nem suscipiendi vim masculam, ratione coloris nec non structurae styli aliquo modo convenire viden - tur cum genitalibus masculis. Cf. ejusd. Tab. XI. XIII. fig. 3.
    (f). Diese haben eben - falls eine cylindrische, oder ovale Form, und eine blasichte Textur; sie öffnen sich auch zuweilen an ihrer Spitze, und geben eine körnichte Materie von sich
    (g)Hedwig l. c. p. 137. Ejusd. fundam. hist. nat. muscor. frondos. Tom. I. Tab. X. fig. 6.
    (g); sie haben, gleich jenen, neben sich gewisse artikulirte saftige Fäden
    (h)Hedwig theor. generat. et fructif. etc. p. 135. 137. Diese Fäden sind indeſs nichts anders, als zarte Haare. Ich finde einen ganz ähnlichen Bau in den Haaren, womit die Blätter und Blattstiele der Stachelbeeren (Ribes grossularia) besetzt sind.
    (h). Hat man also nicht mehrGrund,331Grund, bey jenen eine Funktion anzuneh - men, welche der der weiblichen Genitalien ähnlich ist, als sie für männliche Geschlechts - organe zu halten?
  • 4) Die Blätter, wovon die angeblichen männli - chen Geschlechtstheile der Laubmoose um - geben sind, haben aber auch ganz dieselbe Form, wie diejenigen, welche den Knospen zur Bedeckung dienen. Ist es also nicht wahrscheinlich, daſs jene Organe die ersten Anfänge von Knospen sind? Gegen diese, schon von Andern geäusserte Meinung sucht zwar Bridel
    (i)l. c. p. 70.
    (i) die Hedwigsche Hypothese zu vertheidigen, indem er behauptet, die männlichen Blumen wären gröſser, als die Knospen, säſsen nicht so frey, wie diese, sondern zwischen den Blättern versteckt, hät - ten eine andere Farbe, und hingen fester mit dem Stamme zusammen. Aber wie un - bestimmt und schwankend sind diese Merk - male! Und kann es denn nicht eben so wohl bey den Moosen, wie bey den Pflan - zen, verschiedene Arten von Knospen ge - ben?
  • 5) Ich habe seit mehrern Jahren im Anfange des Sommers das gemeine Haarmoos (Poly - trichum commune) untersucht, und immerum332um diese Zeit in den scheibenförmigen Blu - men desselben neue Schöſslinge gefunden. So traf auch Hedwig
    (k)l. c. p. 158. Cf. Tab. XVI. fig. 2. d.
    (k) an einer Junger - mannia asplenioides L. eine neue Verlänge - rung an, die mitten aus einer sogenannten männlichen Blume hervorgekommen war. Hier sind nur zwey Fälle denkbar: entwe - der jene Sprossen sind aus den sogenannten männlichen Geschlechtsorganen selber entstan - den; oder sie sind neben diesen hervorgewach - sen. Das Letztere behauptet Hedwig. Al - lein er selber fand mehrere Individuen des Polytrichum undulatum, aus deren männli - chen Blumen weibliche Fortsätze, von wel - chen einige schon Früchte angesetzt hatten, hervorgewachsen waren
    (l)Hedwig l. c. p. 141.
    (l), und Meese traf ganze Rasen des Haarmooses an, deren männliche Blumen insgesammt weibliche, Kapseln tragende Blüthen aus ihrem Mittel - punkte hervorgetrieben hatten
    (m)Verhandelingen van het Maatschappy te Haar - lem. D. X. St. 2. p. 171. Hedwig (a. a. O.) ver - muthet zwar bey dieser Beobachtung von Meese ei - nen Irrthum. Er glaubt, die weiblichen Indivi - duen wären anfangs niedriger, als die männlichen, und unter diesen verborgen gewesen. nach der Be -fruch -
    (m). Bey Hed -wig’s333wig’s Hypothese streiten diese Thatsachen mit aller Analogie des Pflanzenreichs. Das Haarmoos gehört zu denjenigen Laubmoo - sen, deren weibliche und männliche Blü - then auf verschiedenen Individuen vertheilt sind. Nie aber sahe man eine männliche Pflanze aus der Linneischen Classe der Dioecie weibliche Knospen treiben, und noch viel weniger solche Knospen mitten aus den männlichen Blumen entstehen.
  • 6) Meese bedeckte die abgeschnittenen männ - lichen Blumen eines Haarmooses mit Erde, und sahe sie, gleich Saamenkörnern, zu Moosen heranwachsen
    (n)Meese a. a. O.
    (n). Es ist ein schlech - ter Nothbehelf, die Beweiskraft dieses Ver - suchs durch den Einwurf schwächen zu wol - len, daſs wohl Saamenkörner aus den Kap - seln in jene Blumen gefallen seyn könn - ten
    (o)Bridel l. c. p. 111.
    (o). Aus demselben Grunde liesse sich den Pflanzen das Vermögen absprechen, sich durch lebendiggebährende Knospen (gemmaevivi -
    (m)fruchtung aber über diese hervorgewachsen, und darauf von Meese für Sprossen der männlichen Blüthen angesehen. Allein es ist kein Grund vor - handen, einen so scharfsichtigen Beobachter, wie Meese war, einer so groben Täuschung zu be - schuldigen.
    (m)334viviparae) fortzupflanzen. Zudem glückte es bisher noch keinem Naturforscher, das ge - meine Haarmoos aus Saamenkörnern aufzu - ziehen
    (p)Bridel l. c. p. 70.
    (p). Wie sonderbar müſste also der Zufall gespielt haben, wenn die Moose, die in Meese’s Versuchen aus gepflanzten männ - lichen Blüthen hervorwuchsen, aus Saamen - körnern, die zufällig in diese Blumen gefal - len wären, entstanden seyn sollten?

Solche Schwürigkeiten stehen der Hedwig - schen Meinung von der Befruchtung der Moose im Wege! Und diese Hypothese hat unter allen denen, welche bisher über die Begattung der so - genannten cryptogamischen Gewächse vorgebracht sind, noch das Meiste für sich! Ist es also nicht wahrscheinlich, daſs bey denjenigen Phytozoen, die sich wirklich befruchten, dieser Akt vielmehr auf eine Art, welche der Copulation der Confer - ven ähnlich ist, als nach der Analogie der Pflan - zen geschieht?

Es finden sich in der That mehrere Erschei - nungen bey den Zoophyten, welche dieser Ver - muthung günstig sind. Zuerst gehört hierher jener Uebergang mancher Conferven in Tremellen, Rivularien und ähnliche Körper, welche oben imzwey -335zweyten Buche(q)Biol. B. 2. S. 381 ff. durch mehrere Erfahrungen dargethan ist, und den ich seit der Herausgabe dieses Buchs noch häufig an der, schon oben un - ter dem Namen Oscillatoria terrestris erwähnten Abart der Linneischen Brunnenconferve beobach - tet habe. Die zarten, horizontalen, strahlenför - mig sich ausbreitenden und oscillirenden Fäden nehmlich, die aus dem Umkreise dieser Substanz im Wasser hervorwachsen, vereinigen sich bald zu einer ähnlichen Membran, wie diejenige ist, woraus sie ihren Ursprung genommen haben, und welche ohne Zweifel zu den Rivularien ge - rechnet werden muſs. Eben so werden über - haupt die Rivularien durch zarte, confervenarti - ge Fäden gebildet, welche aus der Oberfläche je - ner Phytozoen hervorwachsen, denselben im jün - gern Zustande ein behaartes Ansehn geben, und eine schleimartige Materie ausschwitzen, die eine knorpelartige Härte bekömmt. Ich zweifele da - her nicht mehr, daſs die Rivularien, Linckien, Tremellen und alle ähnliche Körper Aggregate wirklicher Conferven sind, welche das Eigene haben, daſs der Schleim, den sie excerniren, bey den Rivularien in eine cartilaginöse Masse, bey den übrigen jener Algengeschlechter aber an seiner Oberfläche in eine Membran über - geht.

Wor -336

Worauf zweckt nun dieser Uebergang der Conferven in Rivularien, Tremellen u. s. w. ab? Meiner Ueberzeugung nach auf die Begattung der - selben. Bey den Rivularien und Linckien bilden die Haarröhren, woraus ihr Inneres zum Theil besteht, in einer gewissen Periode deutliche Ana - stomosen, und bald darauf erzeugen sich in oder an diesen Röhren die kleinern Körner, die man für die Fruchtkeime jener Phytozoen annimmt. Ist es daher nicht glaublich, daſs diese Confer - ven sich in dem Schleime, worin sie eingehüllet sind, oder zwischen der Haut, die sie umgiebt, auf ähnliche Art, wie die Conferva setiformis, spiralis u. s. w. copuliren?

Aehnlich dem Uebergange der Wasserfäden in Rivularien, Tremellen u. d. gl. ist die Verwand - lung der Tubularien in Alcyonien und Spongien(r)Biol. Bd. 2. S. 379. 393.. Da man nun niemals in den Tubularien, wohl aber in den Alcyonien Eyer antrifft, so ist zu vermuthen, daſs sich die Tubularien auf ähnliche Art, wie die Conferven, copuliren, und bey dieser Begattung in der Gestalt von Alcyonien erscheinen.

Eine andere Art von Erscheinungen, welche vermuthlich auch der Copulation mancher Con - ferven analog ist, zeigt sich bey der Confervafloccu -337flocculosa Roth., den Bacillarien und den Sal - pen. Diese Körper haben das Eigene, daſs sie sich in wunderbaren, höchst regelmäſsigen Stel - lungen an einander reihen.

Die Conferva flocculosa ist eine, dem bloſsen Auge unsichtbare, sehr kurze, gerade, unter dem Vergröſserungsglase viereckicht erscheinende Haar - röhre, die man in den Monaten Juny und July zwischen andern Wasserfäden, jedoch um diese Zeit niemals einzeln, sondern als ein flockichtes Wesen antrifft, welches unter dem Vergröſse - rungsglase folgendes Ansehn hat: Zwey oder drey solche Fäden liegen der Länge nach dicht an ein - ander und bilden ein Rechteck; ein solches Recht - eck hängt mit den Spitzen zweyer entgegengesetz - ter Winkel an den Spitzen der Winkel zweyer anderer ähnlicher Rechtecke; von jedem der letz - tern ist wieder die Spitze des entgegengesetzten Winkels mit einer der Spitzen eines vierten und fünften Rechtecks verbunden, und so bilden alle diese Parallelogramme ein Zickzack, welches jene flockenartige Materie ausmacht(s)Roth Catal. botan, Fasc. I. Tab. V. fig. 6..

Die Bacillarien, eine von O. F. Müller an dem Ufer von Kopenhagen auf der Ulva latissima entdeckte Art von Infusionsthieren, die mit der Conferva flocculosa viele Aehnlichkeit zu habenscheint,III. Bd. Y338scheint, besteht aus länglichten, cylindrischen, steif ausgestreckten Körpern, die immer einzeln neben einander und in einer parallelen Stellung liegen, und sich dergestalt bewegen, daſs der äusserste Körper über den zweyten, dieser über den dritten, der letztere über den vierten u. s. w. der Länge nach fortgleitet, wodurch dann bald die Figur einer geraden Linie, bald die eines Rhombus, bald die eines Zickzacks u. s. w. ent - steht(t)O. F. Müller’s kleine Schriften aus der Naturhi - storie. B. 1. S. 1 ff..

In noch wunderbarern Ordnungen gruppiren sich die Salpen, vermittelst Saugwarzen, die sich auf ihrer Aussenseite finden(u)Cuvier, Annales du Muséum d’Hist. Nat. T. IV. p. 380.. Von der Salpa pinnata Forsk. vereinigen sich mehrere In - dividuen mit den Spitzen ihrer flossenartigen Rük - kenanhänge in einem gemeinschaftlichen Mittel - punkt, so daſs sie eine sternförmige Figur aus - machen(v)Forskal descript. animal. p. 113. n. 31. Ejusd. Icon. rer. nat. Tab. XXXV. fig. B. b. 2.. Die Salpa confoederata F. bildet zwey Reihen, wovon jede aus parallel neben ein - ander liegenden, mit den Seiten unter sich ver - bundenen und mit den vordern Enden alle nach vorne, so wie mit den hintern Enden nach hin -ten339ten gerichteten Individuen besteht, und diese bey - den Reihen liegen so an einander, daſs der Rük - ken eines jeden Gliedes derselben nach innen, der Bauch aber nach aussen gerichtet ist, daſs ferner der Rücken eines jeden Individuums der einen Reihe sich zwischen den Seitentheilen der Rücken zweyer Individuen der andern Reihe be - findet, und daſs die eine Reihe über die andere hervorragt(w)Forskal descr. p. 115. n. 35. Icon. Tab. XXXVI. fig. A. a.. Noch andere, eben so regel - mäſsige Verbindungen gehen die Individuen der Salpa maxima(x)Ejusd. deser. p. 112. n. 30. Icon. Tab. XXXV. fig. A. a. 2., democratica(y)Ejusd. descr. p. 113. n. 32., mucronata(z)Ibid. p. 114. n. 33. und polycratica(a)Ibid. p. 116. n. 40. ein.

Es ist unbegreiflich, welchen Zweck jene Verbindungen haben können, wenn sie nicht eine Art von Begattung sind. Daſs sie dieſs wirklich sind, wird auch dadurch um so wahrscheinlicher, weil sie ohne Zweifel erst in einem gewissen Al - ter der erwähnten Organismen eintreten, und nicht gleich vom Entstehen der letztern an statt finden. Die Conferva flocculosa zeigt sich indemY 2340dem beschriebenen Zustande um dieselbe Zeit, wenn die sich conjugirenden Conferven ihre Co - pulation eingehen, und von der Salpa pinnata be - merkt Forskål, daſs er in dem Bauche gröſse - rer Individuen kleinere gefunden habe, die sich darin frey herumbewegt hätten, und welche also noch nicht copulirt waren(b)Quid? quod inter Salpas ventricosas, sagt Fors - kal (l. c. p. 113.), visae mihi sint parvulae libere natantes, casu, nescio quo, ingressae.. Man sieht, daſs hier noch ein weites Feld zu neuen Untersuchun - gen ist, dessen Bearbeitung die merkwürdigsten Resultate verspricht.

Die Copulation der Conferven, Bacillarien und Salpen verdient übrigens noch in anderer Rücksicht unsere Aufmerksamkeit. Was ist es, das die Individuen der Conferva setiformis, spi - ralis und verwandter Arten von Wasserfäden zwinget, in einer bestimmten Periode ihres Da - seyns sich gegenseitig aufzusuchen, und durch Seitenröhren unter einander zu verbinden? Was ist es, das die Conferva flocculosa, die Bacilla - rien und Salpen bewegt, sich in so regelmäſsigen Figuren zu ordnen? Ohnstreitig ist es keine mechanische, sondern eine höhere, nicht an die gröbere sichtbare Materie gefesselte, dem Magne - tismus und der Elektricität analoge Kraft, welche diese Erscheinungen hervorbringt. Hier findenwir341wir also einen neuen Beweis des Satzes, worauf uns schon oben(c)Biol. B. 2. S. 453. andere Thatsachen führten, daſs der lebende Organismus eine dynamische Einwirkung auf die übrige Natur äussert. Ver - liehren wir diesen Satz, nebst den Gründen, woraus wir ihn gefolgert haben, nicht aus den Augen! Er wird uns in Zukunft Aufschluſs über Räthsel geben, die keine andere Voraussetzung zu lösen vermag.

Y 3Vier -342

Viertes Kapitel. Erzeugungsart der dritten Classe.

Nach den Untersuchungen, die wir im vorigen Kapitel angestellt haben, giebt es keine Art von lebenden Körpern, wovon sich behaupten liesse, daſs nicht unter gewissen Umständen eine Begat - tung bey derselben einträte. Aller Unterschied, welcher unter den Organismen der lebenden Na - tur in Hinsicht auf die Fortpflanzung nach vor - hergegangener Befruchtung statt findet, besteht nur darin, daſs bey einigen diese Art der Ge - schlechtsvermehrung zu den ungewöhnlichen, bey andern zu den gewöhnlichen Erscheinungen ge - hört. Wir werden daher von jetzt an die Be - stimmung der zweyten und dritten jener Classen, worin wir im ersten Kapitel dieses Buchs die leben - den Körper eingetheilt haben, abändern, und in die zweyte diejenigen Organismen, bey welchen die Fortpflanzung nach vorhergegangener Befruch - tung die seltenere, die aber, welche ohne Paa - rung geschieht, die häufigere ist, in die dritte hingegen diejenigen, bey welchen die erstere Art der Geschlechtsvermehrung eben so häufig, oder häufiger als die letztere vorkömmt, setzen müssen.

Aus343

Aus dem Thierreiche gehören zu dieser drit - ten Classe die Wurmgeschlechter Lumbricus, Hi - rudo, Planaria, Serpula, Dentalium, Nereis, Nais, Aphrodite, Terebella, Amphitrite, und verschiedene Eingeweidewürmer. Bey mehrern dieser Thiere bedarf es indeſs noch einer genau - ern Untersuchung, ob sie wirklich zu dieser dritten, und nicht vielmehr zur vorhergehenden zweyten Classe zu rechnen sind.

Von den Regenwürmern ist es ausgemacht, daſs sie sich durch Sprossen, durch Theilung, und durch Eyer fortpflanzen, und zwar auf die letztere Art nach vorhergegangener Befruchtung.

Von den Blutigeln ist schon im vorigen Ka - pitel bemerkt worden, daſs sie sich vielleicht durch Theilung vermehren. Zugleich gebähren einige Arten lebendige Junge(d)Z. B. Hirudo depressa fusca, margine laterali fla - vo. Linnei Faun. Suec. 1272., und einige pflanzen sich durch Eyer fort(e)Bergmann, Abhandl. der Schwed. Akad. 1756. B. XVIII. S. 187. 1757. B. XIX. S. 296. Berkenmeyer, Neue Abhandl. der Schwed. Akad. 1784. B. V. S. 80.. Aber nie sa - he man bisher noch ihre Begattung(f)Nach dem gewöhnlichen Gesetze der Natur, sagt Bergmann (a. a. O. B. XIX. S. 296.), sollten diese Würmer, ob sie gleich Zwitter sind, sich dochzur, und esistY 4344ist bloſse Vermuthung, wenn man eine kaum merkliche Oeffnung am Bauche für das weibli - che, und ein fadenförmiges Organ, das sich in der Nähe dieser Oeffnung befindet, für das männ - liche Zeugungsorgan dieser Thiere annimmt(g)Beromann a. a. O..

Noch zweifelhafter ist es, ob auch die übri - gen der erwähnten Würmer in die dritte Classe gehören. Bey der gezüngelten Naide (Nais pro - boscidea) kam dem unermüdeten Müller(h)Von Würmern des süſsen u. salzigen Wassers. S. 42. nie die mindeste Spuhr von Zeugungsgliedern oder Paarung vor. Zudem gränzen jene Thiere in ih - rer Struktur so nahe an die Polypen, daſs man sehr in Versuchung geräth, sie auch in Betreff ihrer Fortpflanzungsweise mit diesen in Eine Classe zu setzen, und die Paarung für eine, bey ihnen sehr seltene Erscheinung zu halten. Man vergleiche z. B. Müllers blinde Naide(i)Ebendas. Tab. V. f. 2., dessenBlu -(f) zur Fortpflanzung paaren. Aber ich bin nie so glücklich gewesen, das geringste Zeichen davon zu sehen, ob ich gleich viel, und auch von un - terschiedenen Arten gesammelt, und genau darauf acht gegeben habe, nichts desto weniger haben sich verschiedene vermehrt.345Blumenthier(k)Ebendas. f. 5., die buschichte(l)Ebendas. Tab. XV. und nieren - förmige(m)Ebendas. Tab. XVI. f. 1. Amphitrite mit den letztern, und man wird eben so viele Gründe finden, sie den Holothurien und Afterpolypen, als den Regen - würmern und Blutigeln, beyzugesellen.

Von einem Theile der Eingeweidewürmer ist es dagegen gewiſs, daſs eine Geschlechtsverschie - denheit und Begattung bey denselben statt findet. Bey den eigentlichen Spuhlwürmern (Ascaris lum - bricoides, Gigas und teres Goezii) unterscheidet man deutlich männliche und weibliche Geburts - theile(n)Goeze’s Vers. einer Nat. Gesch. der Eingeweide - würmer thierischer Körper. S. 88.. Manche Würmer dieses Geschlechts sind zugleich lebendiggebährend(o)Rudolphi in Wiedemann’s Archiv für Zool. u. Zoot. B. 2. St. 1, S. 20.. Goeze’s breite Plattwürmer (Fasciola hepatica L.) sind Hermaphroditen, und jedes Individuum leiht dem andern, wie die Schnecken, bey der Begat - tung sein Geschlecht. Dicht an einander klebend fand sie jener Naturforscher oft in den Lebergän - gen, so daſs das männliche, wie ein Posthorn gekrümmte Glied des einen in dem weiblichendesY 5346des andern, und umgekehrt, steckte(p)Goeze a. a. O. S. 170.. Das - selbe sahe er auch bey den Fadenrundwürmern und Pfriemenschwänzen in dem Darmcanale frisch zergliederter Wasserkröten(q)Ebendas. S. 433.. Bey diesen Eingeweidewürmern tritt indeſs wieder ein ande - rer Umstand ein, der es zweifelhaft macht, ob sie nicht vielmehr zur ersten, als zur dritten Classe in Betreff ihrer Fortpflanzungsweise zu rechnen sind. Wir haben nehmlich keine Be - weise, daſs sie sich, gleich den Regenwürmern, auch durch Theilung, oder auf andere Art ohne Paarung vermehren, und schwerlich sind auch entscheidende Erfahrungen hierüber möglich.

So ungewiſs aber die Classifikation der er - wähnten Würmer ist, so wenig ist es die der Pflanzen. Jeder dieser Organismen vermehrt sich, wie die tägliche Erfahrung lehrt, durch Saamenkörner, durch Knospen und durch Thei - lung. Die beyden letztern Fortpflanzungsarten geschehen ganz ohne alle vorhergegangene Be - fruchtung. Nicht so aber ist es mit der erstern. Ueber einer weiblichen Zwergpalme (Chamaerops humilis L.), die schon alt aus Holland gekom - men war, schon länger als 30 Jahre in einem Treibhause zu Berlin gestanden hatte, und bis dahin immer nur kleine unreife Früchte getragenhatte,347hatte, hing der Königl. Preussische Gärtner Mi - chelmann auf Gleditsch’s Veranlassung im Jah - re 1749 zwey männliche Palmen von derselben Art auf. Diejenigen Blumen, die sich in der Nähe der männlichen befanden, lieferten jetzt völlig reife und mit fruchtbaren Kernen versehe - ne Früchte; hingegen die, welche von den letz - tern entfernt waren, trugen so wie sonst nur unreife Früchte. Dieser Versuch wurde in den Jahren 1750, 1751 und von Kölreutern 1767 mit gleichem Erfolge wiederhohlt. Eben der Michel - mann erhielt auch von Mastixbäumen (Lentiscus L.) und Terpenthinbäumen (Terebinthinus L.) keine Früchte, wenn er die männlichen Pflanzen von den weiblichen während der Blüthe entfern - te; das Gegentheil aber erfolgte, wenn er beyde zusammenbrachte(r)Gleditsch, Mém. de l Acad. des sc. de Berlin. 1749. p. 103. 1767. p. 3. Kölreuter, Act. Acad. Theodoro-Palat. T. III. phys. p. 36 sq..

Schon diese Beobachtungen lassen keinen Zweifel an der Nothwendigkeit der Befruchtung zur Erzeugung reifer Saamenkörner übrig. Aber auch noch eine Menge anderer Thatsachen, vor - züglich die Erzeugung der Bastardpflanzen, und die vielen Anstalten, welche die Natur getroffen hat, um die Einwirkung des Blumenstaubs aufdie348die Narben der Stigmate möglich zu machen, bestätigen diese Wahrheit.

Durch Befruchtung der Pistille verschiedener Vegetabilien mit dem Blumenstaube von andern Pflanzen gelang es Kölreutern(s)Kölreuter’s vorläufige Nachricht von einigen Versuchen, das Geschlecht der Pflanzen betreffend. Idem in Nov. Commentar. Acad. Petrop. T. XX. p. 431. Act. Acad. Petrop. 1777. P. 1. p. 215. Ibid. 1778. P. 2. p. 261. Ibid. 1777. P. 2. p. 185. Ibid. 1778. P. 1. p. 219. Ibid. 1781. P. 1. p. 249. Ibid. 1781. P. 2. p. 303. Ibid. 1782. P. 2. p. 251. Nov. Act. Acad. Pe - trop. T. 1. p. 339. Ibid. T. III. p. 277. Ibid. T. XI. p. 389. Ibid. T. XII. p. 378., Hedwig(t)Theor. generat. et fructif. plant. crypt. Lips. 1789. p. 56. und einem ungenannten Schriftsteller(u)Beschäftigungen der Berliner Gesellsch. B. 1. S. 380. aus ver - schiedenen Arten der Nicotiana, der Lychnis und des Cucubalus, der Digitalis, Lobelia, des Ly - cium, Verbascum, der Datura, Malva, des Li - num, Dianthus, der Jalappa und Aquilegia wah - re Varietäten hervorzubringen.

In Betreff der Art, wie der männliche Saa - menstaub auf die Narbe der weiblichen Geschlechts - theile einwirkt, lassen sich alle Vegetabilien mit Sprengel(v)Das entdeckte Geheimniſs der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. S. 17. in homogamische und dicho -gami -349gamische unterscheiden. Bey jenen kommen beyderley Geschlechtstheile zu gleicher, bey die - sen zu verschiedener Zeit zur Reife.

Bey vielen von denjenigen Zwitterblumen, wo sich beyderley Geschlechtstheile zu gleicher Zeit entwickeln, sieht man entweder, wie bey Cactus Opuntia, Fritillaria Persica, Hyosciamus aureus, Polygonum Orientale, Tamarix Gallica, Ruta graveolens und Chalepensis, Zygophyllum Fabago, Sedum Telephium und reflexum, Saxi - fraga tridactylites, Geum urbanum, Agrimonia Eupatoria, verschiedenen Arten des Ranunculus und der Scrophularia, Rhus Coriaria u. s. w., die männlichen Zeugungsorgane zur Zeit ihrer Rei - fe sich zu den weiblichen hinbewegen, auf die Narben der letztern ihren Blumenstaub ausschüt - ten, und dann in ihre vorige Lage zurückkeh - ren(w)Medicus, Act. Acad. Theodoro - Palat. T. III. phys. p. 117. Von Humboldt in Usteri’s Annalen der Botanik. St. 3. S. 7. Ebendesselben Aphorismen aus der chem. Physiol. der Pflanzen. S. 57. Des - fontaines in Lichtenberg’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik. B. III. St. 4. S. 37-43. Smith ebendas. B. VI. S t. 2. S. 34.; oder, wie bey Nigella sativa, Sida Ame - ricana, Passiflora, Oenothera, Hibiscus, Cactus hexagonus und grandiflorus, Turnera ulmifolia u. s. w. das Pistill zu den Staubfäden wan -dern350dern(x)Medicus l. c. p. 123. Desfontaines a. a. O. S. 43. 44.; oder endlich, wie bey der Boerhaavia diandra und den sämmtlichen Arten der Malva, Lavathera, Althea und Alcea beyderley Ge - schlechtstheile sich wechselseitig zur Begattung aufsuchen(y)Medicus l. c. p. 126. Desfontaines a. a. O..

Andere Homogamisten, bey welchen eine solche Näherung der Narben und Antheren we - gen der gegenseitigen Stellung der männlichen und weiblichen Geschlechtstheile unmöglich ist, werden durch Insekten befruchtet, so die Aristo - lochia Clematites L. durch die Tipula pennicornis Fabr. Die zungenförmige, unten runde, und auf ihrer innern Fläche mit Haaren, die nach innen gerichtet sind, versehene Blumenkrone je - ner Pflanze erlaubt diesem Insekt den Eingang in ihr Inneres, aber versperrt ihm den Rückweg, und zwingt es, durch Herumkriechen in seinem Kerker den Blumenstaub abzustreifen, und auf die Narbe zu tragen. Sobald diese Befruchtung vollendet ist, verschrumpfen die Haare, legen sich an die innern Wände der Blumenkrone, und verstatten dem Insekt wieder den Ausweg(z)Sprencel a. a. O. S. 418 ff..

Diejenigen Zwitterblumen, bey welchen die männlichen Zeugungstheile nach den weiblichen,oder351oder diese nach jenen zur Reife kommen, ha - ben entweder eine, durch ihren Honigsaft die Insekten anlockende Blumenkrone, oder eine sol - che fehlt ihnen. Die Befruchtung der erstern geschieht blos durch Insekten, und zwar auf folgende Art.

Die weiblichen Zeugungstheile entwickeln sich bey diesen Pflanzen entweder nach den männli - chen (Dichogamia androgyna Sprengel. ) oder die - se nach jenen (Dichogamia gynandra S.). Ein Beyspiel der Dichogamia androgyna giebt das Epi - lobium angustifolium L. Nachdem die Blume dieser Pflanze sich geöffnet hat, erhalten die Fi - lamente entweder alle zugleich, oder eines nach dem andern eine bestimmte Stellung, in welcher ihre Antheren sich entwickeln, und ihren Staub zur Befruchtung darbieten. Unterdessen befindet sich das Stigma an einer von den Antheren ent - fernten Stelle, und ist noch unentwickelt. Die - ser Zustand währt eine gewisse Zeit. Wenn nach Verfliessung derselben die Antheren keinen Staub mehr haben, so gehen mit den Filamenten ver - schiedene Veränderungen vor, deren Resultat die - ses ist, daſs sich nun die Narbe gerade an der Stelle befindet, wo vorher die Antheren waren, und hier sich ebenfalls ausbreitet, oft auch den - selben Raum einnimmt, welchen vorher die An - theren einnahmen. Von den letztern kann abernun352nun jene keinen Blumenstaub mehr erhalten, weil diese keinen mehr besitzen. Die Stelle, wo sich anfangs die reifen Antheren befanden, und nachher das reife Stigma gefunden wird, ist aber in jeder Blume so gewählt, daſs das Insekt, für welches die Blume bestimmt ist, nicht anders zum Honigsaft gelangen kann, als indem es zu - gleich mit einem Theile seines Körpers in der jüngern Blume die Antheren, und in der ältern die Narbe berührt, den Staub von jenen auf die - ses überträgt, und auf solche Art die ältere Blu - me durch den Staub der jüngern befruchtet(a)Sprengel a. a. O. S. 17. 18..

Zur Dichogamia gynandra gehört z. B. die Euphorbia Cyparissias. Sobald eine Blume die - ser Pflanze aufgebrochen ist, sieht man die Stig - mate aus derselben hervorkommen, gerade in die Höhe stehen, und sich ausbreiten. Nach eini - gen Tagen kömmt das ganze Pistill, welches auf einem eigenen Stiele sitzt, aus der Blume hervor, verliehrt nach und nach die aufrechte Stellung, und kehrt endlich die Stigmate der Erde zu. Als - dann erst kommen die Staubgefäſse eines nach dem andern aus der Blume zum Vorscheine, und die Antheren nehmen jetzt eben die Stelle ein, welche vorher die Stigmate einnahmen. Insek - ten, welche die ältere Blume besuchen, müssen also nothwendig den Staub der Antheren abstrei -fen,353fen, und eben deswegen, damit sie dieses unge - hindert thun können, hat das Pistill seine vorige Stelle verlassen, und sich der Erde zugekehrt. Gehen sie hierauf zur jüngern Blume, so müs - sen sie nothwendig wieder mit ihrem bestäubten Körper die Narben berühren, und auf solche Art die jüngere Blume mit dem Staube der äl - tern befruchten(b)Sprengel a. a. O. S. 18. 19..

Bey dieser Einrichtung würde aber eine Ver - mischung der ungleichartigsten Zeugungsstoffe vorgehen, wenn die Insekten ohne Auswahl von Blume zu Blume flögen. Um dies zu verhin - dern, hält sich entweder jedes, zur Befruchtung der Pflanzen dienende Insekt nur auf einer ein - zigen Blüthenart auf, oder besucht doch, wenn dies nicht der Fall ist, den ganzen Tag hindurch nur diejenige Art, worauf es sich zuerst am frü - hen Morgen setzte. Jenes findet unter andern bey der Tipula pennicornis, welche zur Befruch - tung der Aristolochia Clematitis dienet, und blos die Blume dieser Pflanze zum Wohnorte hat(c)Ebendas. S. 427., dieses bey den Bienen statt, die z. B. Quendel - blüthen und andere aromatische Kräuter unbe - rührt lassen, wenn sie einmal auf dem scharfen Hahnenfuſse zu sammeln angefangen haben(d)Aristotelis hist. anim. L. IX. c. 64. Schrank’sBrie -.

Die -III. Bd. Z354

Diejenigen Blumen, welche weder eine ei - gentliche Krone, noch einen ansehnlichen und gefärbten Kelch haben, also die Gräser, Pap - peln, Kiefern, Haselstauden u. s. w. werden blos durch den Wind befruchtet(e)Sprengel a. a. O. S. 29.. Diese Pflanzen haben deswegen eine weit gröſsere Menge Blu - menstaub, als diejenigen, welche durch Annähe - rung der Antheren zur Narbe, oder durch In - sekten befruchtet werden, und ihre Zeugungs - organe liegen nicht versteckt, wie die der letz - tern, sondern unbedeckt, und sind von ansehn - licher Gröſse(f)Ebendas..

Die Fortpflanzung der Gewächse durch Saa - menkörner ist im Allgemeinen die fruchtbarste bey den Kräutern. Sie geht häufig mit der Cul - tur verlohren, und es bleibt dann blos das Fort - pflanzungsvermögen durch Sprossen zurück(g)Forster’s Bemerkungen auf einer Reise um die Welt. S. 156. 157.. Bey der erstern finden wir, wie schon zum Theil aus dem Gesagten erhellet, eben so viele, ja in manchen Stücken noch mehr Mannichfaltigkeiten, wie bey der Geschlechtsvermehrung der zur er - sten Classe gehörigen Organismen. Wir findenhier(d)Briefe naturhistorischen, physik. u. oekonom. In - halts an Nau. S. 126.355hier die männlichen und weiblichen Zeugungsor - gane entweder, wie bey den Säugthieren, - geln, Amphibien u. s. w. in verschiedenen Indi - viduen vertheilt, oder, wie bey manchen Mol - lusken und Würmern, in einem und demselben Individuum vereinigt. Ferner sind die erstern Individuen entweder verschiedene Blumen auf einerley Pflanzen (Monoecia L.), oder verschie - dene Blumen auf verschiedenen Pflanzen (Dioecia L.). Bey den meisten Pflanzen treffen wir aber beyderley Geschlechtsorgane in Einer Blume ver - einigt an, und zugleich enthalten mehrere von diesen, ausser den Zwitterblumen, auch noch blos männliche, oder blos weibliche Blüthen(h)Linnei Philosophia botan. p. 94 sq..

Aber nur die homogamischen Zwitterblumen befruchten sich selber. Die dichogamischen, bey welchen der Saamenstaub durch Insekten zu den Stigmaten überbracht wird, sind in Rücksicht ihrer Befruchtung den Blumen mit halbgetrenn - ten Geschlechtern ähnlich. Im Anfange sind sie männlichen, in der Folge weiblichen Geschlechts. In keiner derselben wird das Stigma durch den Staub ihrer eigenen Antheren, sondern immer durch den männlichen Zeugungsstoff von fremden Blumen befruchtet(i)Sprengel a. a. O. S. 18. 43.. Auch sind bey ihnen,soZ 2356so wie bey den Monoecisten, immer einige Blu - men unfruchtbar. Weil nehmlich die letzten Blumen der zur Dichogamia androgyna gehörigen Pflanzen ihren Staub den nächst vorhergehenden Blumen mittheilen, so können sie keine Früchte ansetzen. Und weil die ersten Blumen eines Di - chogamisten aus der Classe der Dichogamia an - drogyna ihren Staub den nächst folgenden Blu - men mittheilen, ihre Narben aber keinen Staub von andern Blumen erhalten können, so müssen sie ebenfalls unbefruchtet bleiben(k)Sprengel S. 19..

Nirgends finden wir dagegen bey den Pflan - zen, wie bey einigen Amphibien, den Fischen u. s. w. Beyspiele von Befruchtungen des weib - lichen Zeugungsstoffs ausserhalb dem Körper der Mutter. Das Saamenkorn ist schon vor der Be - fruchtung im Fruchtknoten enthalten. Aber bey keiner bekannten Pflanze trennt es sich von der Mutter, ehe nicht der männliche Zeugungsstoff auf die Narbe des Stempels gewirkt hat.

In Ansehung der Zahl der Keime, welche durch eine einzige Befruchtung zu gleicher Zeit hervorgebracht werden, kommen die Pflanzen mit den Fischen und Insekten überein. Rai er - hielt aus einer Tabackspflanze 360000 Saamenkör - ner, und nach Grew’s Berechnung kann ein ein - ziger Mohnkopf deren 320000 enthalten.

Man -357

Manchen Insekten, und besonders den Blatt - läusen, nähern sich einige Pflanzen auch in dem Vermögen, unter gewissen Umständen ohne vor - hergegangene Befruchtung eine ähnliche Art von Keimen hervorzubringen, wie sonst nach erfolg - ter Begattung entsteht. Spallanzani öffnete bey zwey Arten von Zwitterblumen, dem Ocymum Basilicum und Hibiscus Syriacus, die Blumen - blätter einige Zeit vorher, ehe sie anfingen, sich auszubreiten, schnitt alle Staubfäden ab, ehe der Blumenstaub zur Reife gekommen war, und überlieſs die weiblichen Geschlechtsorgane ihrem Schicksale. Die Folge war, daſs bey vielen Pflan - zen die Saamenkörner nicht reif wurden, oder ihre gehörige Gröſse nicht erreichten, oder, wenn dies auch der Fall war, doch nicht aufkeimten, nachdem sie gesäet waren(l)Spallanzani’s Versuche über die Erzeugung der Thiere u. Pflanzen. Abth. 2. S. 378. §. 16-19.. Einen ähnlichen Erfolg hatten schon frühere Versuche von Came - rer(m)J. G. Gmelin serm. acad. de novor. vegetab, exortu. Tubing. 1749. Misc. Acad, N. C. Ann. IX. d. 2. p. 212. Ann. X. p. 90., Geoffroy(n)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1711. Ed. 8. p. 293., Brodly(o)New Improvements of Gardeuing. P. I. p. 20., Miller(p)Gärtner-Lexicon. Th. 2. S. 543-544.,undZ 3358und Logan(q)Experimenta et meletemata de plantarum genera - tione. Lond. 1747. gehabt. Mit besserm Glücke wiederhohlte diese Versuche Alston(r)Essays and observat. physical and litterary. Vol. 1. p. 205.. Pflan - zen, die er eben so, wie Spallanzani, behan - delte, trugen nicht nur reife, sondern auch eben so viele Saamenkörner, als wenn ihnen die männ - lichen Geschlechtsorgane nicht wären genommen gewesen. Denselben Erfolg hatten nachherige Versuche von Spallanzani mit Gewächsen aus der Classe der Monoecie. Kürbispflanzen, deren männliche Blüthen er zerstöhrte, sobald sie sich sehen liessen, trugen Früchte, die nicht nur in ihrer Farbe, ihrer Struktur und ihrem Geschmack denen von ähnlichen Pflanzen, wovon die männli - chen Blüthen unzerstöhrt geblieben waren, nichts nachgaben, sondern auch reife Saamenkörner ent - hielten, die in der Folge keimten und Blüthen hervorbrachten. Aber noch mehr! Auch von diesen Blüthen streifte Spallanzani die männli - chen gleich nach ihrer Erscheinung ab, und doch gaben die weiblichen Blumen wieder reife Kür - bisse, deren Saamenkörner zu eben so vollkom - menen Pflanzen, wie im ersten Versuche, heran - wuchsen(s)Spallanzani a. a. O. S. 384. §. 20-22.. Ferner stellten Spallanzani und Fougeroux noch ähnliche Versuche mit Pflanzenaus359aus der Classe der Dioecie an. Sie brachten weibliche Hanfstöcke und Spinatpflanzen an Orte, wo die Möglichkeit einer Befruchtung durch den Wind, oder durch Insekten gänzlich aufgehoben war, und doch erzeugten alle diese Weibchen eben so gut reife Saamenkörner, als wenn sie mit männlichen Blumen wären umgeben gewe - sen(t)Ebendas. S. 391. §. 23-32. Fougeroux, Journa! de phys. 1775.. Hingegen miſslang dieser Versuch mit weiblichen Stöcken des Bingelkrauts (Mercurialis annua). Diese muſsten in der Nähe von männli - chen Pflanzen ihrer Art stehen, wenn sie reife Saamenkörner hervorbringen sollten(u)Spallanzani a. a. O. S. 406. §. 33-36.. Endlich erhielt auch Heller(u*)Specimen inaugurale bot. sistens organa planta - rum functioni sexuali inservientia. Würzburg. 1801. Allgem. botan. Bibliothek des 19ten Jahrhunderts. Herausgegeben von der botan. Gesellsch. in Regens - burg. 1803. H. 3. S. 199. von weiblichen Pflan - zen, worauf keine männliche Blume Einfluſs ge - habt haben konnte, keimende Saamen. Doch wurden in dessen Versuchen die Keime bleichsüch - tig, bekamen keine Blätter, wuchsen schnell, und starben in der ersten Kindheit.

WasZ 4360

Was läſst sich aus diesen Beobachtungen schlieſsen? Mit Smellie(v)Philosophie der Nat. Gesch. Uebers. von Zim - mermann. Th. 2. daraus gegen Linné eine völlige Geschlechtslosigkeit der Pflanzen zu folgern, ist zu weit gegangen, da die Sexual - Hypothese zu viele sonstige Gründe auf ihrer Seite hat. Es sind aber auch keine hinreichende Gründe vorhanden, an der Genauigkeit jener Be - obachtungen zu zweifeln. Mithin bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daſs das Vermögen der Blattläuse und mehrerer anderer Insekten, unter gewissen Umständen ohne Paarung sich durch Keime fortzupflanzen, die den befruchteten Ey - ern ähnlich sind, den Pflanzen ebenfalls eigen ist.

Es zeigt sich ferner bey den Pflanzen etwas Aehnliches von dem, unter den Organismen der ersten Classe statt findenden Unterschiede zwi - schen eyerlegenden und lebendiggebährenden. Die reifen Saamenkörner der Nymphaea Nelumbo ent - halten schon grüne Keime, und die Rhizophora Mangle bringt Saamen hervor, in denen sich schon der Anfang der Wurzel und des Stamms befindet.

Manche Gewächse aus der Familie der Hül - senpflanzen besitzen auch die merkwürdige Eigen -schaft,361schaft, ihre Saamenbehälter vor der Reife unter der Erde zu vergraben. Besonders thut dies die Arachis hypogaea. Die Blume dieses Gewächses kömmt unten am Stengel zum Vorscheine, und neiget sich tief gegen den Boden, in welchem das Pistill sich vergräbt, unter der Erde fort - wächst, und zu runden Schooten mit zwey bis drey Saamen reift(w)Schöpf’s Reisen durch die vereinigten Staaten von Nordamerika. Th. 1. S. 545..

Aber mit noch mehrerm Rechte, als die Saa - menkörner der Nymphaea Nelumbo und Rhizo - phora Mangle, lassen sich die Knospen, die sich bey allen Vegetabilien, nur manche Arten der Malvenfamilie ausgenommen(x)Adanson, Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1761. p. 227., finden, wo - durch sich jedoch vorzüglich die Bäume und Sträucher fortpflanzen, mit den lebendigen Jun - gen der Thiere vergleichen. Die Eyer der letz - tern bleiben noch lange nach ihrer Trennung von der Mutter fähig, sich zu entwickeln, und so auch die Saamenkörner der Pflanzen. Aber die Frucht des lebendig gebährenden Thiers stirbt, gleich der Knospe, sobald sie nach der Trennung von der Mutter auch nur auf kurze Zeit der Nahrung entbehren muſs. In dem Ey und demSaa -Z 5362menkorne wird durch die Befruchtung blos erst die Fähigkeit zur Entwickelung begründet; hin - gegen bey den lebendig gebährenden Thieren ent - wickelt sich der männliche Zeugungsstoff, sobald der männliche Saamen auf ihn gewirkt hat, und so findet man auch schon bey dem ersten Ent - stehen der Knospe die Rudimente des künftigen Blatts oder Zweiges in ihr eingeschlossen(y)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. 2. §. 7. p. 81.. Die Pflanzen lassen sich daher als Organismen betrachten, welche ohne Befruchtung lebendige Junge gebähren, hingegen nach der Begattung Eyer hervorbringen, und sie gränzen also auch von dieser Seite an die Blattläuse, mit denen sie, wie schon oben erinnert ist, noch in an - dern Stücken bey ihrer Geschlechtsvermehrung übereinkommen. Diese Insekten bringen im Frühjahre und den ganzen Sommer hindurch be - ständig lebendige Junge zur Welt. Allein die Blattläuse der letzten Generation des Jahrs, die man bey Annäherung des Winters antrifft, sind eyerlegende, und um diese Zeit wird man die Männchen unter ihnen gewahr, welche sich blos mit den eyerlegenden paaren(z)De Geer Abh. zur Gesch. der Ins. B. 2. Quart. 1. S. 29..

Es giebt bey den Pflanzen zwey Hauptarten von Knospen: die Zwiebel (bulbus) und dieeigent -363eigentliche Knospe (gemma). Beyde beste - hen aus concentrischen, gleich Dachziegeln über einander liegenden Schuppen, in deren Mitte der Keim der künftigen Pflanze verborgen liegt. Bey der erstern Art aber sind diese fleischicht, bey der letztern holzicht.

Die Zwiebeln sind den Monocotyledonen ei - gen. Sie wachsen bald oben an der Wurzel, bald in dem Winkel zwischen dem Stengel und Blattstiele, wie beym Lilium bulbiferum(a)Böhmer diss. de plantis caule bulbifero. Lips. 1749. und der Fritillaria regia, bald in den Blumen, wie bey mehrern Arten des Allium, hervor.

Diejenigen Pflanzen, deren Wurzeln Zwie - beln tragen, erzeugen gewöhnlich unfruchtbare Saamenkörner. Diese werden aber fruchtbar, wenn die Zwiebelbrut gleich bey ihrem Entste - hen zerstöhrt wird.

Von der Fritillaria regia hat jedes Blatt das Vermögen, auch abgesondert vom Stamme, Zwie - beln hervorzubringen. Ein solches, im Herbste dicht an der Zwiebel abgeschnitten, zwischen Löschpapier mäſsig gedrückt, und an einem war - men Orte aufbewahrt, treibt am untersten Ende, wo es mit der Wurzel vereinigt gewesen ist, neue Zwiebeln, und in eben dem Verhältnisse,wie364wie diese sich entwickeln, stirbt dasselbe nach und nach ab(b)Brandis über die Lebenskraft. S. 105..

Bey manchen von denen Pflanzen, deren Zwiebeln in den Winkeln der Blätter, oder an den Stengeln hervorkommen, sondern sich diesel - ben zuweilen freywillig von dem Mutterstamme ab, und treiben, getrennt von diesen, Wurzeln und Blätter. Solche Gewächse verdienen vorzüg - lich den Namen der lebendig gebährenden. Bey dem Lilium bulbiferum, der Poa bulbosa, und mehrern Arten des Allium erfolgt diese Erschei - nung ohne Zuthun der Kunst. Bey der Tulipa Gesneriana, Eucomis punctata und mehrern an - dern saftigen Monocotyledonen läſst sie sich mit Hülfe der Kunst hervorbringen, wenn man die - sen Gewächsen die Blume vor der Befruchtung nimmt, und den Stengel mit den Blättern an ei - nen schattigen Ort setzt.

Durch eigentliche Knospen pflanzen sich die Dicotyledonen fort. Diese Keime trennen sich zwar nie freywillig von der Mutterpflanze. Ver - suche von Julius Pontedera(c)Anthologia in diss. 2da. p. 25. und Agrico - la(d)Versuch der Universal-Vermehrung aller Bäume, Stauden u. Blumengewächse. Regensb. 1716. haben indeſs bewiesen, daſs sie vorsichtigabge -365abgesondert und ausgesäet, ebenfalls gleich Saa - menkörnern aufkeimen.

Die dritte Fortpflanzungsart der Gewächse ist die durch Theilung. Diese aber geschieht nie bey ihnen, wie bey den Zoophyten, von freyen Stücken, sondern immer durch Kunst oder Zufall. Das Vermögen, sich auf diesem Wege zu vermehren, besitzt vorzüglich die Til - landsia usneoides, eine parasitische Pflanze aus der Familie der Bromelien. Wird irgend ein Theil dieses Gewächses vom Winde losgerissen, und von den Zweigen der Bäume aufgefangen, so schlägt er sogleich Wurzeln, und wächst eben so gut, als wenn er aus dem Saamen aufge - schossen wäre(e)Bartram’s Reisen in Nordamerika, im Mag. von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen. B. X. S. 89.. Auf der Fortpflanzung der Vegetabilien durch Theilung beruhet übrigens die Kunst des Oculirens, Pfropfens u. s. w.

Fünf -366

Fünftes Kapitel. Bemerkungen über die Erzeugung nach vorhergegangener Befruchtung.

Wir haben im Anfange dieses Buchs erinnert, daſs die Erzeugung hier nur in so fern ein Ge - genstand unserer Untersuchungen seyn würde, als sie den erzeugten Körper beträfe. Indeſs ist es unmöglich, bey diesen Betrachtungen die Ver - hältnisse ganz bey Seite zu setzen, worin der er - zeugende Körper zur Erzeugung steht. Wir wer - den daher jetzt die Ordnung des Vortrags etwas unterbrechen, und einige Sätze aus der Zeu - gungsgeschichte, in so fern diese die erzeugen - den Individuen angeht, anticipiren müssen. Die Gegenstände aber, die uns jetzt beschäftigen wer - den, sind: das Verhalten des weiblichen Zeu - gungsstoffs vor und nach der Befruchtung, und die Einwirkung, die der männliche Saamen auf denselben äussert.

Sowohl bey allen, zur ersten und dritten Classe gehörigen eyerlegenden Organismen, als bey denen, deren weiblicher Saamen ausser - halb dem Körper der Mutter befruchtet wird,zeigt367zeigt sich dieser schon vor der Befruchtung in der Gestalt eines Eys. Der Meinung mehrerer ältern Naturforscher zufolge ist das Nehmliche bey den Säugthieren der Fall. Regnier de Graaf hielt die blasenförmigen Erhabenheiten, die man auf den Eyerstöcken findet, für die Rudimente der künftigen Eyer. Malpighi und Vallisnieri nahmen zwar nicht jene Erhabenheiten, aber doch kleinere, in diesen befindliche Bläschen für die Behälter an, worin die Frucht nach der Be - gattung gebildet würde(f)Boerhaavii praelect. acad. Vol. IV. P. II. p. 83. not. 15 *). Haller El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 18. p. 40. §. 25. p. 24.. Beyden Meinungen aber fehlt es ganz an Erfahrungsgründen. Hal - ler fand in der Gebährmutter befruchteter Schaa - fe nicht vor dem 17ten Tage nach der Begattung irgend einen begränzten Körper, sondern bis dahin immer nur unregelmäſsige Massen von Schleim. Eine ähnliche Substanz trafen auch schon vor ihm Harvey, Jacob Sylvius und An - dere in den Muttertrompeten und im Uterus an. Was ältere Beobachter für Eyer hielten, waren nach Hallers Meinung nichts weiter, als krank - hafte Hydatiden(g)Haller l. c. §. 19. p. 44. §. 26. p. 58.. Haigthon(h)Philosoph. Trans. 1797. P. I. p. 159. Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. III. H. 1. S. 71. 72. sahe eben - falls bey Kaninchen nie vor dem sechsten Tageeinen368einen begränzten und regelmäſsigen Körper in der Gebährmutter, und um diese Zeit war die Sub - stanz erst mit einer so zarten Haut umgeben, daſs sie kaum Festigkeit genug hatte, ihre runde Gestalt zu erhalten. Vor dem sechsten Tage fand er nichts in dem Uterus, als eine unregelmäſsige schleimige Masse. Endlich traf auch Cruikshank bey Kaninchen nie vor dem sechsten Tage nach der Begattung weder in den Muttertrompeten, noch im Uterus Eyer an(i)Phil. Trans. 1797. P. I. p. 197. Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. III. H. 1. S. 78, Vers. 2. S. 88, Vers. 23. S. 89, Vers. 27., und selbst dann waren in einigen Versuchen noch keine vorhan - den(k)Reil’s Archiv a. a. O. S. 78, Vers. 3. S. 84, Vers. 17. S. 85, Vers. 20.. Wahrscheinlich also findet zwischen den eyerlegenden und den lebendig gebährenden Thieren die Verschiedenheit statt, daſs die Hülle der Frucht bey jenen schon vor der Befruchtung vorhanden ist, bey diesen aber erst nach der letz - tern gebildet wird.

Der männliche Saame zeigt sich dagegen bey allen lebenden Organismen in der Gestalt einer Flüssigkeit, und zwar einer Flüssigkeit, die so - gar bey den Pflanzen eine ähnliche Farbe, ei - nen ähnlichen Geruch und ähnliche Bestandthei -le,369le, wie bey dem Menschen besitzt(l)Fourcroy, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. I. p. 417.. Nur weichen die Pflanzen darin von den Thieren ab, daſs jener Zeugungsstoff bey ihnen nicht, wie bey den letztern, ohne Hülle von den männli - chen Zeugungsorganen zu den weiblichen über - geht. Der Saamenstaub der Pflanzen besteht nehmlich aus schleimichten, in gefäſsreichen Häu - ten eingeschlossenen Massen. Bey der Befruch - tung trennen sich diese Körper von den Staubfä - den und gehen zur Narbe des Pistills über, und erst hier zeigt sich der weibliche Zeugungsstoff als eine Flüssigkeit, indem er entweder, nach Kölreuter’n(m)Vorläufige Nachricht von einigen, das Geschlecht der Pflanzen betreffenden Versuchen. §. 2 ff., durch feine Oeffnungen sei - ner Hülle durchschwitzt, oder, nach Needham’s Du Hamel’s, Jussieu’s und Hedwig’s(n)Theor. generat. et fructif. plant. cryptog. p. 65. Beob - achtungen, durch ein plötzliches Aufspringen die - ser Haut ausgeleert wird.

Die Einwirkung des männlichen Zeugungsstoffs auf den weiblichen geschieht durch den Akt der Begattung. Sie wird von dem höchsten Grade der körperlichen Wollust begleitet, deren das Thier, und vielleicht auch die Pflanze, fähigist.III. Bd. A a370ist. Vielleicht hat diese Wollust einen Einfluſs auf die Organisation der künftigen Frucht. Doch ist sie keine nothwendige Bedingung der Erzeu - gung überhaupt. Eben das, was die Natur durch die Vereinigung der beyden Geschlechter bewirkt, läſst sich auch künstlich durch Ueber - tragung des reifen männlichen Saamens auf den reifen weiblichen Zeugungsstoff bewirken.

In Betreff der Pflanzen erhellet die Richtig - keit dieses Satzes aus den schon im vorigen Ka - pitel erwähnten Kölreuterschen Versuchen über die Bastarderzeugung dieser Körper.

Unter den Insekten sind die Seidenwürmer die einzigen, deren künstliche Befruchtung bis - her von Erfolg gewesen ist(o)Spallanzani’s Versuche über die Erzeugung Abth. 1. S. 245 ff.. Doch sind auch erst wenig Versuche der Art bey dieser Thier - classe angestellt.

Fische brachte Jacobi(p)Gleditsch, Mém. de l’Acad. des sc. de Berlin. 1764. p. 55. durch künstliche Vermischung des männlichen und weiblichen Zeu - gungsstoffs dieser Thiere hervor. Er lieſs den reifen, aber noch unbefruchteten Rogen eines Salms und einer Forelle ins Wasser fallen, und schüttete darauf so viel aus einem männlichenFische371Fische genommene Saamenfeuchtigkeit hinzu, bis das Wasser weiſs zu werden anfing. Nach Ver - lauf von fünf Wochen äusserten die Eyer Leben. Dieser Versuch gelang sogar mit den Eyern eines vor vier Tagen gestorbenen und schon stinken - den weiblichen Karpen.

Die meisten Erfahrungen über die künstliche Befruchtung sind aber an den Amphibien ge - macht. Spallanzani brachte viele Tausende von Eyern der Kröten(q)Spallanzani a. a. O. S. 138 ff., der Wassersalamander(r)Ebendas. S. 156 ff., der Laub - und Wasserfrösche(s)Ebendas. S. 176 ff. zur Entwicke - lung, indem er sie mit dem aus den Saamen - bläschen oder Hoden von gleichartigen Thieren genommenen Saamen befeuchtete.

Spallanzani war auch der Erste, der eine künstliche Befruchtung bey einem Säugthiere zu Stande brachte. Er sperrte eine Hündin von der Raçe der Pudel und von mittlerer Gröſse aufs engste ein. Nach dreyzehn Tagen äusserte sie Zeichen von Brunst. Am 20ten Tage schien sie sehr hitzig zu seyn, und in diesem Zeit - punkte versuchte Spallanzani die künstliche Be - fruchtung an ihr auf folgende Art. Er hatte ei -nenA a 2372nen Hund von der nehmlichen Art, wozu die Hündin gehörte. Von diesem bekam er 19 Gran Saamen, die er vermittelst einer bis zu 30° Reaum. erwärmten Sprütze sogleich in die Ge - bährmutter sprützte. Zwey Tage nach dieser Operation hörte die Hündin auf, läufisch zu seyn, und nach 20 Tagen schwoll ihr der Unter - leib. Nach 26 Tagen wurde die befruchtete Hün - din in Freyheit gelassen. Der Unterleib nahm immer mehr zu, und am 62ten Tage nach ge - schehener Einsprützung warf das Thier drey Junge, zwey Hunde und eine Hündin, welche sehr leb - haft, und nach ihrer Gestalt und Farbe nicht nur der Mutter, sondern auch dem Hunde, von welchem Spallanzani den Saamen genommen hatte, völlig ähnlich waren(t)Ebendas. S. 249 ff.. Eben dieser Versuch wurde in der Folge von Rossi mit dem - selben Erfolge wiederhohlt(u)Ebendas. S. 343 ff..

Bey den Vögeln, Molluske[n]und Würmern fehlt es noch an künstlichen Befruchtungsversu - chen. Indeſs leidet es wohl keinen Zweifel, daſs sie auch bey jenen Thieren von glücklichem Er - folge seyn würden. Diese Versuche übrigens ge - ben uns ein Mittel an die Hand, der Einwirkung des männlichen Zeugungsstoffs auf den weibli - chen, und den Veränderungen, welche hierdurchin373in dem letztern hervorgebracht werden, nachzu - forschen. Nur bey den Pflanzen und Amphibien ist aber dieses Mittel erst angewandt. Wir wer - den hier von den Resultaten dieser Anwendungen einen gedrängten Auszug liefern.

Ueber die Einwirkung des Blumenstaubs der Pflanzen auf den weiblichen Zeugungsstoff der - selben stellte Kölreuter Versuche an. Seine Haupt-Entdeckungen über diesen Gegenstand sind folgende.

In den Staubbeuteln des Hibiscus Syriacus L. fand er 4863 Körner Blumenstaub. Von diesen waren nicht mehr als 50 bis 60 zu einer vollkom - menen Befruchtung nöthig. Nahm er aber we - niger als 50, so kamen nicht alle Körner zur Reife, und zwar desto weniger, je geringer die angewandte Quantität Blumenstaub war. Doch waren die Saamenkörner, welche gebildet wur - den, auch in diesem Falle ganz vollkommen. Zehn Körner war das Wenigste, was er bey die - ser Blume brauchen konnte; unter dieser Zahl geschahe keine Befruchtung mehr(v)Kölreuter’s vorläufige Nachricht von einigen Versuchen, das Geschlecht der Pflanzen betreffend. §. 11. S. 9 ff..

ZuA a 3374

Zu einer spätern Jahreszeit und bey kälterer Witterung wurde eben so wohl zu einer vollkom - menen, als zu einer, sich nur auf eine gewisse Anzahl Saamenkörner erstreckenden Befruchtung, eine weit gröſsere Menge Blumenstaub, als die oben erwähnte, erfordert(w)Ebendas. S. 10. 11..

Die Mirabilis Jalappa hatte in Einer Blume 293 Körner Blumenstaub, Mirabilis longiflora 321. Bey diesem Ueberflusse an männlichen Saamen bedurften doch beyde Pflanzen nur zwey bis drey Körner zu ihrer Befruchtung(x)Ebendas. S. 11..

Um zu erfahren, ob bey solchen Blumen, die mehrere Griffel haben, jeder besonders be - fruchtet werden müsse, schnitt Kölreuter die - selben bey verschiedenen Pflanzen alle bis auf einen ab. Die Befruchtung geschahe aber den - noch eben so vollkommen, als wenn alle Griffel mit Blumenstaub wären bestreuet worden(y)Ebendas. §. 12. S. 11 ff..

Zahlreicher, als diese Kölreuterschen Ver - suche an Pflanzen, sind Spallanzani’s Erfahrun - gen über die Befruchtung und Entwickelung der Eyer von Amphibien. Die Thiere, deren er sich zu diesen Versuchen bediente, waren die Art von Kröten, welche Rösel die Erdkröte mitrothen375rothen Augen und warzigem Rücken nennet, der Wassersalamander, Rösel’s stinkende Erdkröte, und der Wasserfrosch.

Die künstlich befruchteten Eyer der Erdkröte mit rothen Augen und warzigem Rücken krochen eben so schnell aus, als die, welche auf dem natürlichen Wege waren befruchtet worden(z)Spallanzani a. a. O. S. 145..

Auch gelangen diese Versuche eben so wohl mit solchen Eyern, welche aus der Gebährmut - ter genommen waren, als mit solchen, welche das Weibchen freywillig von sich gegeben hat - te(a)Ebendas..

Befanden sich die Eyer ganz nahe in der Nachbarschaft der Gebährmutter, so entwickelten sich die meisten von denen, die mit männlichem Saamen befeuchtet waren; diejenigen aber, wel - che dem Eyerstocke näher in dem engern Theile der Röhren, der nach dem Herzen hin liegt, zu - rück waren, entwickelten sich nicht, obgleich sie mit männlichem Saamen waren benetzt wor - den(b)Ebendas. S. 147.. Eben diese Beobachtung bestätigte sich auch bey den Eyern des Wassersalamanders(c)S. 156 ff.. Spal -A a 4376Spallanzani leitet diesen Unterschied von dem klebrigen Schleime her, der zur Nahrung der sich entwickelnden Eyer dienet, und womit die - selben erst bey ihrem Eintritte in die Gebähr - mutter überzogen werden. Zum Beweise die - ser Meinung führt er die Erfahrung an, daſs von solchen Eyern, denen er den Schleim genommen hatte, keines zum Leben kam, obgleich sie mit männlichem Saamen waren befeuchtet wor - den(d)S. 147..

Eben so wenig entwickelten sich Eyer der erwähnten Erdkröte, die durch eine Oeffnung des Bauchs in den Eingeweiden der Mutter wa - ren befruchtet worden, obgleich sie das Weib - chen nach dieser Befruchtung freywillig von sich gegeben hatte(e)S. 149..

Wurde das Weibchen der stinkenden Erd - kröte getödtet, und blieben dann die Eyer vor der Befruchtung noch einige Zeit in der Gebähr - mutter, so verlohren sie das Vermögen sich zu entwickeln nicht gleich, jedoch desto eher, je wärmer, desto langsamer, je kälter das Medium war, worin sie sich befanden(f)S. 171..

Frü -377

Früher verlohren die Eyer ihre Fähigkeit, belebt zu werden, wenn sie vor ihrer Befruch - tung einige Zeit im Wasser lagen(g)S. 172..

Noch weit länger, als die unbefruchteten Eyer der Kröten, behielten die des grünen Was - serfrosches ihre Fähigkeit, sich zu entwickeln, wenn sie in der Gebährmutter des todten Thiers gelassen wurden(h)S. 178..

Setzte Spallanzani Wasserfrösche während ihrer Begattung in eine Eisgrube, so sonderten sie sich sogleich von einander ab, und fielen in eine Betäubung. Brachte er aber diese Thiere nach ein Paar Tagen wieder in warme Luft, so erhohlten sie sich sogleich von ihrer Betäubung, und begatteten sich alsdann aufs neue. Lieſs er sie über 10 Tage in der Eisgrube, so nahmen sie zwar ihre Begattung wieder vor; aber merk - würdig war es, daſs alsdann die Eyer ihre Ent - wickelungsfähigkeit verlohren hatten, hingegen nicht der männliche Saame seine befruchtende Kraft(i)S. 317. 318..

Wurden befruchtete Eyer einige Stunden hin - durch in eine Eisgrube gesetzt, so kamen siesehrA a 5378sehr gut fort, wenn sie Spallanzani dann nur gleich wieder ins Wasser legte. Lieſs er sie aber etliche Tage hinter einander in der Käl - te, so verlohren sie die Fähigkeit, belebt zu werden(k)S. 318..

Befruchtete Eyer, welche in die Wärme des menschlichen Bluts gebracht wurden, erlitten darin keinen Nachtheil, sondern entwickelten sich sehr geschwind(l)S. 319..

Der Dampf von Schwefel, von Lichtern, verbranntem Tuche, Papier und Tabacksblät - tern brachte in vielen Fällen den Froscheyern keinen Nachtheil(m)S. 319..

Luft war zur Belebung dieser Eyer kein noth - wendiges Erforderniſs. Sie entwickelten sich auch in einer, ganz mit Wasser angefüllten und zugeschmolzenen gläsernen Röhre, wenn nur der Raum, worin sie sich befanden, hinrei - chend war(n)S. 322 ff..

Unbefruchtete Eyer, die eine Viertelstunde in verdünnter Luft standen, verlohren dadurch nichts von ihrer Fähigkeit, sich zu entwickeln(o)S. 332. 333..

So379

So weit Spallanzani’s Erfahrungen über den weiblichen Zeugungsstoff der erwähnten Am - phibien. Ueber die befruchtende Kraft des männ - lichen Saamens machte er folgende Beobach - tungen.

Durch die Befruchtung der Eyer von der Erdkröte mit rothen Augen und warzigem Rük - ken mit solchem Saamen, welcher keine Saamen - thiere enthielt, wurden dieselben eben so wohl ins Leben gebracht, als mit solchem, in wel - chem diese Infusionsthiere befindlich waren(p)S. 146..

Auch war der, aus den zerschnittenen Hoden jenes Thiers ausgepreſste Saft zur Befruchtung eben so tauglich, als derjenige, der aus den Saa - menbläschen genommen war(q)S. 157..

Die Eyer des Weibchens vom Wassersala - mander, die, wie schon oben bemerkt ist, noch in der Gebährmutter durch den, in das Wasser gesprützten Saamen des Männchens befruchtet werden, entwickelten sich nicht, wenn sie mit unvermischtem männlichen Saamen waren befruch - tet worden, wohl aber, wenn dieser Saamen vorher mit Wasser war verdünnt worden(r)S. 158. 159..

Der380

Der männliche Saamen der stinkenden Erd - kröte behielt seine befruchtende Kraft noch sie - ben Stunden nach dem Tode des Thiers(s)S. 162 ff..

Auch behielt der Saamen dieses Thiers noch eine Zeitlang seine befruchtende Kraft, wenn er schon aus den Saamenbläschen herausgenommen war, und zwar desto länger, je kälter, eine desto kürzere Zeit, je wärmer die ihn umgebende Luft war(t)S. 162., Er verhielt sich also in diesem Stücke ganz wie der weibliche Zeugungsstoff.

Noch länger, als der in den Saamenbläschen befindliche Saamen behielt derjenige, welcher in den Hoden der stinkenden Erdkröte enthalten ist, seine befruchtende Kraft(u)S. 165..

Die Hoden besaſsen sogar diese Kraft noch nach dem Austrocknen, so lange nur noch etwas von dem Safte in ihnen übrig war(v)S. 166..

Der Saamen der Kröten blieb ferner unge - schwächt, wenn er auch mit Blut, Galle, und Urin von Kröten, Urin und Speichel von Men - schen, Wasser und Weinessig vermischt wur - de(w)S. 168 ff..

Noch381

Noch länger, als der Saamen der Kröten, be - hielt der des grünen Wasserfrosches seine be - fruchtende Kraft ausserhalb des Körpers. Jenem aber benahm eine groſse Hitze diese Kraft eher als dem letztern(x)S. 178..

Statt die Eyer, wie bey den bisherigen Ver - suchen, ganz in Saamen zu baden, bestrich Spal - lanzani nur einen Theil derselben mit dieser Flüssigkeit. So gering aber auch die Menge des letztern war, so erfolgte doch die Befruchtung eben so gut, als wenn die Kügelchen ganz mit Saamen wären benetzt worden(y)S. 179 ff..

Sogar wenn Spallanzani ein mit Saamen benetztes Ey mit zwey andern Eyern, die nicht mit jener Flüssigkeit befeuchtet waren, in Berüh - rung brachte, so wurden oft durch diese Berüh - rung auch die letztern befruchtet(z)S. 180..

Noch mehr! Mit den feinen Spitzen sehr zarter Zangen zog Spallanzani den Schleim von mehrern Eyern ab. Als er hierdurch einen Schleimfaden von etwa einem Zoll erhalten hatte, hielt er denselben wagerecht angespannt, und be - rührte das eine Ende mit der Spitze einer in Saa - men eingetauchten Nadel. Der Erfolg war, daſsoft382oft die Eyer verdarben, oft aber auch sich ent - wickelten(a)S. 181. 182..

Diesem Versuche ist aber auch der folgende ähn - lich. Spallanzani schüttete in eine Glasröhre, die an dem einen Ende zugeschmolzen war, und eine perpendikuläre Stellung hatte, ohngefähr 50 Eyer. Auf diese legte er eine, etwa einen Zoll dicke Schleimmasse, die er von andern derglei - chen Kügelchen genommen hatte, und lieſs dar - auf einen kleinen Tropfen Saamen fallen. Nach - dem sich derselbe verzogen hatte, legte er die Eyer ins Wasser. War nun der Saamentropfen nicht zu klein gewesen, so wurden fast alle Eyer belebt, sonst aber entwickelten sich nur wenige. Nahm Spallanzani statt des Schleims Eyweiſs, so erfolgte keine Befruchtung(b)S. 182..

Drey Gran Froschsaamen, die mit einem Pfunde Wasser vermischt waren, hatten von ih - rer befruchtenden Kraft noch nichts verlohren. Wurde aber die Menge des Wassers über 18 Un - zen vermehrt, so nahm die befruchtende Kraft des Saamens allerdings ab. Doch entwickelten sich noch immer einige Eyer, wenn auch die Menge des Wassers 22 Pfund gegen 3 Gran Saa - menfeuchtigkeit betrug(c)S. 186..

Wur -383

Wurde in eine Mischung von 3 Gran Frosch - saamen und 18 Unzen Wasser eine Nadelspitze getaucht, und mit diesem nur an Einem Punkte, der kaum 1 / 30 Linie betrug, ein Ey berührt, so entwickelte sich dieses in vielen Fällen doch eben so geschwind, als wenn es in unvermischten Saa - men ganz wäre eingetaucht worden(d)S. 187..

Von 50 verschiedenen Haufen Eyern, welche nach einander in eine Mischung aus 3 Gran Froschsaamen und 1 Pfund Wasser eingetaucht waren, entwickelten sich die zuletzt eingetauch - ten eben so schnell, als die, welche zuerst her - eingebracht waren(e)S. 188..

Es hatte keinen Einfluſs auf die Befruchtung, ob die Eyer in jenem, mit Saamen vermischtem Wasser eine lange oder kurze Zeit lagen(f)S. 188..

Die befruchtende Kraft hielt sich in dem mit Wasser vermischtem Saamen länger, als in dem unvermischten(g)S. 189..

Mit Saamen vermischtes Wasser verliehrt durch Abrauchen seine befruchtende Kraft. Ver - fährt man auf eben die Art mit unvermischtem Saamen, so behält dieser länger jene Kraft(h)S. 331..

Ge -384

Getrockneter und wieder angefeuchteter Saa - men war zur Befruchtung untauglich(i)S. 333. 334..

Besaamtes Wasser, das eine Viertelstunde in verdünnter Luft gestanden hatte, war noch zur Befruchtung tauglich. Hatte es aber eine halbe Stunde darin gestanden, so schien es von seiner befruchtenden Kraft verlohren zu haben(k)S. 332. 333..

Eyer, die mit einer bis zu 30° Reaum. er - wärmten Mischung aus 1 Unze Wasser, und 2 Gran Froschsaamen befeuchtet waren, krochen 10 Stunden früher aus, als solche, die mit dersel - ben, aber vorher abgekühlten Mischung ange - feuchtet waren(l)S. 221..

Zu groſse Kälte und zu groſse Hitze waren aber der Kraft des Saamens nachtheilig(m)S. 335. 336..

Besaamtes Wasser, mit einer mäſsigen Quan - tität Indigo, Molken, einer schwachen Safran - Infusion, Oliven - und Nuſsöhl vermischt, be - hielt seine befruchtende Kraft. Milch benahm ihm einen Theil derselben. Durch Branntewein, Küchensalz, Dinte, Grap-Tinktur, verschiedene Arten von Rauch, z. B. von angezündetem Pa - pier, Taback und einem Lichte, durch starkesSchüt -385Schütteln, und durch Filtriren wurde sie ganz zerstöhrt(n)S. 337 ff..

Preſste Spallanzani das Papier, das er zum Durchseihen des Saamens gebraucht hatte, im Wasser aus, so liessen sich mit diesem Wasser die Eyer befruchten(o)S. 342..

Befruchtete und nachher elektrisirte Eyer ent - wickelten sich früher, als solche, welche nicht waren elektrisirt worden(p)S. 237..

Um zu erfahren, ob auch andere Substan - zen ausser dem männlichen Saamen zur Befruch - tung tauglich seyen, setzte Spallanzani unbe - fruchtete Eyer der Elektricität aus, und tauchte sie in Blut, Galle, in den milchichten Saft, den die Salamander von sich geben, wenn sie ge - reitzt werden, in Limonien - und Citronensaft, und in verschiedene andere saure und laugen - hafte Flüssigkeiten, aber ohne Erfolg. Nur der Urin männlicher Frösche brachte einige male die Eyer zum Leben. Doch gesteht Spallanzani, daſs er sich nicht ganz auf diesen Versuch ver - lassen konnte, weil er ungewiſs blieb, ob nicht etwas Saamen mit dem Urin vermischt gewe - sen sey(q)S. 238 ff. 338 ff..

HierIII. Bd. B b386

Hier ist eine Reihe fragmentarischer Beobach - tungen, die zum Theil vielleicht immer Bruch - stücke bleiben werden, und zum Theil erst in der Folge sich an analoge Thatsachen werden an - reihen lassen. Aus einigen derselben lassen sich indeſs hier schon Folgerungen ziehen, und die - se sind Spallanzani’s Erfahrungen über das Vermögen des männlichen Saamens durch ein langes Medium von Schleim, nicht aber durch ein Medium von Eyweiſs, seine befruchtende Kraft zu äussern. Läſst sich hieraus nicht schliessen, daſs der männliche Saamen nicht durch seine ponderabeln Bestandtheile, sondern durch eine, diesen beywohnende Kraft, welche, gleich der Elektricität und dem Magnetismus, ihre Con - duktoren und Isolatoren hat, seine befruchtende Wirkungen äussert? Zwar will Spallanzani(r)A. a. O. S. 203. unter dem Microscop in jenem Schleim Poren entdeckt haben, wodurch seiner Meinung nach der Saamen bis zum Mittelpunkte der Eyer ge - langet. Allein gesetzt, solche Canäle existirten, so bleibt es doch unbegreiflich, wie ein kleiner Tropfen Saamens durch eine zolldicke Schleim - masse und durch 50 über einander gelegte Eyer bis zum untersten Eye durchdringen sollte.

Unsere Meinung hat dagegen das Vermögen des Saamens, einer an Gewichte 2880 mal grö -ſsern387ſsern Menge Wassers(s)Nehmlich 3 Gran Saamen auf 18 Unzen (= 8640 Gran) Wasser gerechnet. seine befruchtende Kraft ungeschwächt mitzutheilen, und die Analogie der Pflanzen für sich. Nach Hedwig’s und Schrank’s(t)Briefe naturhist. physikal. und oekonom. Inhalts an Nau. S. 43 ff. microscopischen Untersuchungen nehmlich finden sich zwar bey einigen Gewächsen in der Narbe der weiblichen Geschlechtstheile hohle Canäle; diese aber endigen sich in einem festen, gelben, knorpelartigen Körper, der durch den gan - zen Griffel bis zur Nabelschnur der Saamenkörner geht, und zur Fortleitung einer Feuchtigkeit ganz untauglich zu seyn scheint. Da nun der Saft des Blumenstaubs nicht anders als durch jenen Körper auf den weiblichen Zeugungsstoff wirken kann, und da nach Kölreuter’s Beobachtungen eine so äusserst geringe Quantität dieses Safts zur Befruchtung hinreichend ist, so findet wahr - scheinlich bey den Pflanzen keine unmittelbare Action des männlichen Saamens auf den weibli - chen statt.

Diese Gründe würden noch mehr an Gewicht gewinnen, wenn sich zeigen liesse, daſs auch bey denjenigen Organismen, bey welchen die Be - fruchtung innerhalb dem Körper der Mutter ge -schieht,B b 2388schieht, der männliche Zeugungsstoff zu dem weiblichen nicht unmittelbar gelanget, oder ge - langen kann. Ehe wir uns aber auf die Unter - suchung dieses Gegenstandes einlassen, ist es - thig, einige Sätze aus der Lehre von der Begat - tung vorauszuschicken.

Der erste dieser Sätze ist: Daſs die Aus - leerung des weiblichen Zeugungsstoffs aus den Eyerstöcken ohne Zuthun des männlichen Saamens blos durch die Wollust bey der Begattung bewirkt wird.

Von den Vögeln erhellet dies schon aus der bekannten Erfahrung, daſs weibliche Thiere der Art nach dem bloſsen Kitzeln des Rückens Wind - eyer legen. Harvey(u)Exerc. de generat. animal. 5. sahe sogar dasselbe bey einem Casuar nach dem Anblicke der Begattung zweyer Strauſse erfolgen. Von den Säugthieren ist dieser Satz durch Haigthon’s Versuche gleich - falls erwiesen. Kaninchen, denen die Mutter - trompete der einen Seite durchschnitten wurde, hatten nach einer fruchtbaren Begattung an bey - den Seiten Zeichen von ausgeleertem weiblichen Saamen, aber nur an der unverletzten Seite Früchte. Der Canal der verletzten Muttertrom -pete389pete fand sich an dem Orte der Durchschneidung völlig verschlossen(v)Reil’s Archiv f. d. Physiologie. B. III. St. 1. S. 31 ff..

Wahrscheinlich ist es ferner: Daſs diese Ausleerung nicht während der Begat - tung, sondern erst einige Zeit nach - her geschieht.

Bey einem Schaafe fanden Haller und Kuh - lemann 45 Minuten nach der Begattung noch nichts weiter, als ein angeschwollenes Bläschen mit einem rothen Mittelpunkte. Bey einem an - dern Thiere der Art war ein solches Bläschen erst anderthalb, und bey einem dritten drey Stunden nach der Begattung im Begriffe zu ber - sten(w)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 15. p. 29.. Bey Haigthon’s Versuchen an Kanin - chen fanden sich die Bläschen der Eyerstöcke gar erst 48 Stunden nach der Begattung hervor - ragend und dem Platzen nahe(x)A. a. O. S. 69..

Ausgemacht ist es drittens: Daſs die Mut - tertrompeten sich den Eyerstöcken - hern, den ausgeleerten Zeugungsstoff der letztern mit ihren Franzen aufneh - men, und zur Gebährmutter führen.

DieseB b 3390

Diese Bewegung der Muttertrompeten leidet nach den vielen Beobachtungen, welche Hal - ler(y)Boerhaave prael. acad. Vol. IV. P. II. §. 658. not. 18. 20 *). Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 14. p. 27. gesammelt hat, und denen man noch die von Cruikshank(z)Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. III. St. 1. S. 76. Vers. 1. gemachten beyfügen kann, keinen Zweifel mehr. Die von mehrern ältern Schriftstellern(a)Boerhaave prael. acad. Vol. IV. P. II. §. 658. not. 21. p. 72. §. 670. not. 2. §. 671. not. 1. Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. 1. §. 14. p. 28. zum Beweise des Gegen - theils vorgebrachten Erfahrungen sind zur Ent - kräftung der erstern, ungleich zahlreichern nicht hinreichend, und lassen sich auch, wie wir gleich sehen werden, mit diesen sehr gut ver - einigen.

Endlich viertens ist es ausgemacht: Daſs jene Bewegung der Muttertrompeten, so wie die Ausleerung des weiblichen Zeugungsstoffs, nicht während der Be - gattung, sondern erst einige Zeit nach diesem Akt geschieht.

Haigthon(b)A. a. O. S. 57. traf die Franzen der Mutter - trompeten bey einem Kaninchen einige Minutennach391nach der Begattung noch in ihrer natürlichen Lage an. Bey einem Thiere von eben der Art sahe de Graaf die Franzen der Muttertrompeten sich 20 Stunden nach der Beywohnung den Eyerstöcken nähern. Bey Katzen fanden Schu - rig und Lange die Fallopischen Röhren am er - sten und zweyten Tage noch von den Eyerstök - ken entfernt, und erst am dritten Tage mit die - sen in Berührung. Bey einer jungen Kuh sahe Deswig jene Näherung erst gegen den sechsten Tag erfolgen(c)Boerhaave prael. acad. Vol. IV. P. II. §. 658 not. 20..

Hieraus würden sich nun die obigen Beob - achtungen erklären lassen, wo die Muttertrompe - ten nach der Begattung in ihrer gewöhnlichen Lage geblieben waren, und zugleich würden die - se hierdurch ihre Beweiskraft verliehren, wenn nicht Haller(d)El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. I. §. 14. p. 29. die zuletzt angeführten Er - fahrungen in Zweifel gezogen hätte. Er hält es für natürlicher, daſs die Muttertrompeten wäh - rend der Begattung in Bewegung gesetzt wer - den, als daſs sie sich erst nachher, wenn keine bewegende Kraft mehr vorhanden ist, zu den Eyerstöcken begehen, und er führt zum Beweise seiner Meinung das Beyspiel der Vögel an, de -renB b 4392ren Weibchen Eyer legen, wenn ihnen blos der Rücken gekitzelt wird. Hic enim, sagt er, so - lus stimulus sentientium oviductuum et ovariis eos admovet, et ova per eosdem in cloacam du - cit. Gegen diese Einwürfe haben wir indeſs Fol - gendes zu bemerken: Was natürlich (simplex) und nicht natürlich ist, läſst sich selten bestim - men, und am wenigsten bey einem Gegenstande, der in ein so tiefes Dunkel gehüllt ist, wie die Erzeugung. Daſs die Bewegung der Mutter - trompeten zu den Eyerstöcken Wirkung des Or - gasmus bey der Begattung ist, beweiset das Bey - spiel der Vögel freylich; aber es beweiset nicht, daſs es eine unmittelbare Wirkung desselben ist. Endlich würde sich durch eben die Argumente, deren sich Haller bedient, auch beweisen las - sen, daſs sich der Zeugungsstoff der Eyerstöcke schon während der Begattung ergieſsen müſste. Da aber dieser Satz mit so vielen Erfahrungen im Widerspruche steht, so sind wir auch berech - tigt, an der Richtigkeit jener Argumente zu zwei - feln, und wir haben hierzu um so mehr Grund, da es höchst wahrscheinlich ist, daſs die Ergies - sung des weiblichen Zeugungsstoffs aus den Ey - erstöcken und die Bewegung der Muttertrompe - ten zu diesen Organen durch einerley Ursache bewirkt werden, und also auch zu einerley Zeit geschehen.

Aus393

Aus den angeführten Thatsachen folgt, daſs, wenn eine Vermischung des männlichen und weiblichen Saamens auch bey denjenigen Thie - ren, wo die Befruchtung innerhalb dem Körper der Mutter geschieht, zur Erzeugung nothwen - dig ist, diese erst entweder in den Muttertrom - peten, oder in der Gebährmutter vorgehen kann. Es frägt sich also: Ob der männliche Saamen bey der Begattung in die Muttertrompeten, oder wenigstens in den Uterus gelanget? Harvey’s(e)Exerc. de gen. anim. 48. 66. 67. Beobachtungen sprechen nicht dafür. Nie traf er bey einer Menge weiblicher Thiere, die er gleich nach der Begattung öffnete, einen Trop - fen männlichen Saamens in dem Uterus an. Eben so wenig fand ihn Regnier de Graaf(f)Opp. omn. p. 305.. Haller(g)El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. I. §. 11. p. 19. 22. fand ihn ein einziges mal 45 Minu - ten nach der Begattung in der Gebährmutter; in mehrern andern Fällen fand er ihn ebenfalls nicht. Hingegen sahe ihn Verheyen(h)Corp. human. Anat. P. II. p. 314. in dem Uterus einer Kuh, Leeuwenhoek(i)Anat. p. 166. 170. 171. in dem Uterus und dessen Hörnern bey Kaninchen, und Ruysch(k)Thes, anat. VI. p. 13. n. 21. Advers. I. n. 1. T. 2. f. 3. in dem Uterus und zugleich in den Muttertrompeten zweyer Weiber.

HierB b 5394

Hier kämpfen also Erfahrungen gegen Erfah - rungen. Auf den ersten Anblick scheinet das Uebergewicht auf Seiten der letztern, indem den erstern der Einwurf im Wege steht, daſs die Begattung in den beobachteten Fällen vielleicht unfruchtbar gewesen seyn würde, wenn die Thie - re am Leben geblieben wären. Allein untersucht man die letztern Beobachtungen genauer, so wird man sehr bald finden, daſs keine derselben mit hinlänglicher Genauigkeit angestellt ist, um den Zweifel zu heben, ob die in den Mutter - trompeten oder im Uterus gefundene Feuchtig - keit auch wirklich männlicher Saamen war.

Verheyen versichert blos, in dem Uterus der Kuh, die er nach der Begattung öffnete, eine beträchtliche Menge eines, dem männlichen Saamen dem Augenscheine nach gleichen Saftes angetroffen zu haben. In propria cavitate uteri, dies sind seine eigenen Worte, inveniebam notabi - lem quantitatem seminis, nempe humorem illi, quem alias ex tauri vesiculis seminalibus expres - seram, ad oculum plane similem. Aber der blo - ſse Augenschein kann hier nichts entscheiden. Die Erfahrung lehrt, daſs die Absonderung des Schleims in den äussern Geburtstheilen und der Mutterscheide bey der Begattung sehr vermehrt wird. Bey Organen von so engem Consensus, wie diese Theile und der Uterus sind, kann aberkeines395keines Veränderungen erleiden, ohne daſs auch die übrigen daran Theil nehmen, und aller Wahr - scheinlichkeit nach findet daher auch in der Ge - bährmutter eine vermehrte Schleimabsonderung bey der Begattung statt. Ob nun jene Flüssig - keit, welche Verheyen in dem obigen Falle an - traf, nur dieser Schleim, oder männlicher Saa - men war, darüber konnte nicht das Auge ur - theilen, sondern dies hätte sich nur durch che - mische Versuche entscheiden lassen.

Noch weniger Beweiskraft haben Leeuwen - hoek’s Beobachtungen. Blos die Saamenthier - chen, die er in der Flüssigkeit des Uterus antraf, scheinen ihn veranlaſst zu haben, diese für männ - lichen Saamen zu halten. Aber ähnliche Thiere sahen Buffon, D’Aubenton und Needham auch in dem Safte der weiblichen Eyerstöcke(l)Hist. nat. T. I. c. 6..

Ruysch scheint selber zweifelhaft gewesen zu seyn, ob die Flüssigkeit, die er in der Gebähr - mutter und den Fallopischen Röhren antraf, wirk - lich männlicher Saamen war, wenn er sagt: Ca - vitas autem (uteri) referta erat semine albo et bene cocto, aut saltem substantia, quae semini virili ad colorem et visum simi - lis erat. Utraque tuba eodem liquore quoque referta erat(m)Thes. anat. l. c.. Noch zweifelhafter aber wirddies396dies durch einen Fall in seinen anatomisch-chi - rurgischen Beobachtungen, wo er auch in dem Cadaver einer Wassersüchtigen die Muttertrompe - ten mit einer, dem männlichen Saamen ähnlichen Materie angefüllt fand(n)F. Ruyschii obs. anat. chirurg. XLV. p. 60., und durch gleiche, von Bartholin(o)Anat. p. 259. und Santorini(p)Istoria d’un feto etc. C. XI. n. 18. an Wöch - nerinnen gemachte Erfahrungen. Auch in den weiblichen Geburtstheilen werden also gewiſs Flüssigkeiten erzeugt, deren Unterscheidung von dem männlichen Saamen sehr schwer hält, und ich sehe daher nicht ein, wie Haller(q)El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. I. §. 11. p. 21. sagen kann: Ruyschium semen a muco non distinxisse dura est suspicio.

Noch weniger aber begreife ich, wie eben dieser Schriftsteller noch eine Menge anderer Aerz - te, z. B. Fallopia und Postel, als Gewährsmän - ner für die Gegenwart des männlichen Saamens in dem Uterus und den Muttertrompeten anfüh - ren kann(r)Boerhaave prael. acad. Vol. IV. §. 672. p. 101. not. 6. Haller El. Phys. l. c. p. 18.. Fallopia(s)Opp. omn. T. I. p. 106. spricht in der Stel - le, worauf Haller sich beruft, blos von einem weiblichen Saamen, den er in den Mutter -trom -397trompeten gefunden haben will, statt daſs seine Vorgänger diesen in den Eyerstöcken suchten, und Postel(t)Bayle Nouvelles de la Republique des lettres. Mars. 1686. p. 173. erzählt weiter nichts, als einen Fall von einem mit der Nymphomanie behafteten Weibe, deren Eyerstöcke und Muttertrompeten voll von einer Flüssigkeit waren, die er ebenfalls für weiblichen Saamen hält, und für welche, seiner Meinung nach, die Eyerstöcke und Mutter - trompeten eben das sind, was die Hoden und Nebenhoden für den männlichen Saamen.

Gegen alle, für den Zutritt des männlichen Saamens zum Uterus, oder zu den Muttertrom - peten sprechende Beobachtungen lassen sich folg - lich so viele Einwendungen machen, daſs keine derselben für beweisend gelten kann. Und ge - setzt auch, die Flüssigkeit, die man in der Ge - bährmutter oder in den Fallopischen Röhren fand, wäre wirklich männlicher Saamen gewesen, so könnte doch in den von Harvey, de Graaf und Haller gemachten Beobachtungen, wo diese Flüs - sigkeit nicht bis zu jenen Theilen gelangt war, die Begattung vielleicht eben so fruchtbar gewe - sen seyn, als wenn das Gegentheil statt gefun - den hätte.

Von dieser Seite ist folglich keine Beantwor - tung der Frage, ob bey den Säugthieren eineVermi -398Vermischung des männlichen und weiblichen Saa - mens zu einer fruchtbaren Begattung nöthig ist? möglich. Eben so wenig entscheidend sind die von Einigen für die negative Beantwortung die - ser Frage angeführten Fälle von ungewöhnlich kurzen, oder nicht vorne, sondern hinten perfo - rirten, und dennoch zur Zeugung fähigen männ - lichen Gliedern(u)Loder’s Journal f. d. Chirurgie. B. 1. St. 4. S. 675. Hartenkeil’s med. chirurg. Ztg. 1792. B. 4. S. 323. Metzger’s verm. med. Schriften. B. 1. S. 195. Schweickhard in Hufeland’s Journal der prakti - schen Arzneykunde. B. XVII. St. 1., so wie die Beobachtungen von Schwängerungen ohne Einlassung des männ - lichen Gliedes, oder ohne Zerreissung des Hy - mens(v)Haller El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. I. §. 11. p. 20. Hagen’s Versuch eines neuen Lehrbuchs der prakt. Geburtshülfe. B. 2. S. 117. Richter’s chirurg. Bibl. B. VI. S. 742. Walter’s Betrachtungen über die Geburtstheile des weibl. Geschlechts. §. 13. Pyl’s Aufs. und Beobacht. aus der gerichtl. Arzneywissen - schaft. B. VIII. St. 2. N. 4. Osiander’s Denkwür - digkeiten für die Heilkunde u. s. w. B. 2. S. 1 ff. Josephi über die Schwangerschaft ausserhalb der Ge - bährmutter etc. S. 19.. So lange die schon von Haller ange - führte, und durch die Beobachtungen von Na - deln, die in der Gebährmutter gefunden wurden, unterstützte Möglichkeit eines Einsaugungsver - -399mögens des Uterus(w)Boerhaave prael. acad. Vol. IV. P. II. §. 673. not. 6. p. 103., unwiderlegt ist, läſst sich auf jene Fälle keine verneinende Beantwor - tung der obigen Fragen bauen. Ferner sind die schon verschiedentlich erwähnten Haigthonschen Versuche(x)Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. III. St. 1. S. 31 ff. nichts weniger, als entscheidend. Sie beweisen blos, daſs der Zutritt des männli - chen Saamens zu den Eyerstöcken unnöthig zur Ausleerung des weiblichen Zeugungsstoffs ist, nicht aber, daſs dieser ohne unmittelbare Einwir - kung des erstern befruchtet werden kann.

Auf der andern Seite aber entscheidet auch die von Cowper und Haller’n angeführte That - sache, daſs das Opossum für eine doppelte Mut - terscheide, so wie die Familie der eyerlegenden Thiere (die Fische und einige Amphibien ausge - nommen) für einen doppelten Uterus auch eine doppelte männliche Ruthe hat(y)Boerhaave prael. l. c., oder daſs die Gröſse der männlichen Ruthe mit der Capacität der Scheide bey allen Thieren in Verhältniſs steht(z)Haller El. phys. l. c. p. 22., nichts für die gegenseitige Meinung. Der Endzweck beyder Einrichtungen kann blos die Vermehrung der Wollust bey der Befriedi - gung des Geschlechtstriebs seyn, und daſs dieswirk -400wirklich so ist, erhält sehr viele Wahrscheinlich - keit, wenn der Hauptsitz der Wollust, wie Hal - ler selber bemerkt(a)l. c. p. 21., der Muttermund ist.

Ein wichtiger Entscheidungsgrund würden hier Fälle seyn, wo, bey einer völlig verschlosse - nen Muttertrompete, eine Frucht ausserhalb der Gebährmutter auf der Seite dieser Fallopischen Röhre gefunden wäre. Versuche hierüber aber sind schwer, und bisher auch noch von Nieman - den, ausser von Grasmeyer’n(b)De conceptione et foecunditate hum. p. 48., angestellt, aus dessen Beobachtungen sich indeſs wenig schlies - sen läſst. Zufällige, und zugleich sichere Erfah - rungen der Art sind meines Wissens noch nie gemacht worden, und für den entschlossenen Skeptiker bliebe bey diesen immer noch ein Aus - weg offen, wenn er annähme, daſs die Verschlies - sung der Muttertrompeten erst nach der Em - pfängniſs entstanden wäre. Eben dieses Einwurfs bedient sich Haller(c)l. c. p. 22., um die Fälle von Con - ceptionen bey verschlossener Mutterscheide oder verwachsenem Muttermunde zu schwächen. In - zwischen findet man bey den Schaafen den in - nern Muttermund durch Knorpel und durch Schleim fast ganz verschlossen(d)Kuhlemann observ. circa negotium generat. p. 7., und dieserUm -401Umstand ist allerdings ein wichtiger Gegengrund gegen den unmittelbaren Einfluſs des männlichen Saamens auf den weiblichen Zeugungsstoff, in - dem hiergegen jener Hallersche Einwurf weg - fällt. Auch sind gerade bey dem Opossum, das von Haller’n und andern für diesen unmittelba - ren Einfluſs angeführt ist, und dem Känguruh (Jaculus giganteus) die beyden Canäle der Mut - terscheide, die dem doppelten Zeugungsgliede des Männchen entsprechen, so gekrümmt und auf eine solche Art mit dem Grunde der Gebährmut - ter verbunden, daſs der männliche Saamen auf keine Weise zu den Eyerstöcken gelangen kann(e)Biol. Bd. 1. S. 214.. Ferner spricht die Analogie der übrigen Thier - classen, bey welchen die Befruchtung ebenfalls, wie bey den Säugthieren, innerhalb dem Kör - per der Mutter geschieht, für die Meinung, daſs die Wirkung des männlichen Saamens auf den weiblichen bey der Befruchtung eine mittelbare ist. Sie ist ohne Zweifel mittelbar bey den - geln, welche Wochen lang nach einer einzigen Begattung fruchtbare Eyer legen. Nehmen wir hierzu nun auch die Gründe, die uns oben Spal - lanzani’s Versuche an Amphibien, so wie Hed - wig’s und Schrank’s Beobachtungen über die Struktur der weiblichen Geschlechtsorgane bey den Pflanzen für jene Meinung lieferten, so istesIII. Bd. C c402es allerdings sehr wahrscheinlich, daſs der männliche Saamen seinen Einfluſs auf den weiblichen Zeugungsstoff nicht durch seine ponderabeln Bestandtheile, sondern durch eine diesen beywohnen - de Kraft äussert, welche durch gewis - se Körper fortgeleitet und durch ande - re aufgehalten wird.

Mehrere von den Gründen übrigens, wel - che uns bestimmt haben, eine mittelbare Ein - wirkung des männlichen Saamens auf den weib - lichen anzunehmen, veranlaſsten auch schon ähn - liche Ideen bey andern Naturforschern. In der Erklärung jener mittelbaren Einwirkung wichen aber diese ganz von uns ab. In ältern Zeiten nahm man hierzu einen befruchtenden Dunst des männlichen Saamens (aura seminalis) an(f)Boerhaave prael. l. c. not. 14. p. 108. Parsons philos. observat. C. 1. Kuhlemann l. c. p. 32.. Neuere setzten an die Stelle desselben eine Ein - saugung des männlichen Zeugungsstoffs durch die Saugadern der Mutterscheide, und Absetzung desselben in den Eyerstöcken(g)Grasmeyer l. c. Betrachtungen über die Schwän - gerung und über die verschiedenen Systeme der Er - zeugung. Aus dem Engl. übersetzt von Michaelis. Zittau u. Leipzig. 1791.. Die erstere Meinung aber ist durch Spallanzani’s Versuchewider -403widerlegt. Dieser schüttete in ein Uhrglas ohn - gefähr 11 Gran männlichen Saamens aus verschie - denen stinkenden Erdkröten, und in ein anderes etwas kleineres Uhrglas 26 Eyer, die wegen der Klebrigkeit ihres Schleims an dem innern hohlen Theile des Glases hängen blieben. Dieses klei - nere Glas setzte er wie einen Deckel mit seiner Höhlung auf das erstere, und lieſs beyde in die - ser Lage bey einer Temperatur von 18° Reaum. 5 Stunden hindurch stehen. Nach Verlauf die - ser Zeit waren die Eyer von einem Theile des verdünsteten Saamens ganz feucht geworden. Dessen ohngeachtet aber entwickelte sich keines derselben(h)Spallanzani’s Vers. über die Erzeugung. Abthlg. 1. S. 226. 227.. Der Erfolg war derselbe, als die Gläser einer gröſsern Wärme von 25° ausgesetzt wurden(i)Ebendas. S. 227. 228.. Befeuchtete hierauf Spallanzani verschiedene Eyer mit dem in dem untern Glase zurückgebliebenen Saamen, so kamen diese ins - gesammt zum Leben(k)Ebendas. S. 228.. Diese Versuche wur - den noch auf verschiedene Art von Spallanzani abgeändert. Aber das Resultat war immer einer - ley mit dem der vorigen. Gegen die letztere Meinung, die doch im Grunde auf eine unmit - telbare Wirkung des männlichen Saamens hin -aus -C c 2404ausläuft, streiten Spallanzani’s Beobachtungen über das Vermögen dieser Flüssigkeit durch ein langes Medium von Schleim, wodurch, wie schon bemerkt ist, schwerlich eine Fortleitung der ponderablen Bestandtheile derselben statt fin - den kann, ihre befruchtende Wirkung zu äus - sern, und zugleich mehrere, theils schon ange - führte, theils noch in der Folge aufzuzählende Thatsachen, die sich ganz an unsere Meinung, nicht aber an die Grasmeyersche Hypothese an - schliessen.

Eine solche Thatsache ist die im zweyten Bu - che untersuchte Antipathie und Sympathie der le - benden Organismen, woraus wir eine[dynamische] Einwirkung der lebenden Körper auf andere fol - gerten(l)Biol. Bd. 2. S. 455. §. 4.. Eine solche Thatsache ist ferner die Copulation der Conferven, die uns im dritten Ka - pitel des gegenwärtigen Abschnitts auf den nehm - lichen Schluſs führte. Von ähnlicher Art ist nun auch der Einfluſs, den, unserer Meinung von der Empfängniſs gemäſs, der männliche Zeu - gungsstoff auf den weiblichen äussert. Zugleich aber glauben wir auch annehmen zu müssen, daſs dieser Einfluſs nur bey denjenigen Organis - men, bey welchen die Befruchtung ausserhalb dem Körper der Mutter geschieht, unmittelbar auf den weiblichen Zeugungsstoff gerichtet, hin -gegen405gegen bey den übrigen, und besonders den Säug - thieren, mittelbar, durch eine zuvor im Körper der Mutter erregte Veränderung, auf den letz - tern wirksam ist, und folgende Gründe sind es, worauf sich diese Meinung stützt.

Es giebt Krankheiten, die nur durch einen, in lebenden Körpern erzeugten Stoff hervorge - bracht und fortgepflanzt werden, z. B. die Pok - ken, die Masern, die Pest, die Lustseuche, die Hundswuth u. s. w.

Die ansteckenden Stoffe, die sich in diesen Krankheiten entwickeln, lassen sich einigen Ma - terien mittheilen, durch andere aber auch zer - stöhren. Eben so verhält es sich mit dem männ - lichen Saamen, und merkwürdig ist es, daſs die - se Materien zum Theil dieselben für den letztern, wie für jene Gifte, sind. So theilt der Saamen dem Wasser seine befruchtende Kraft mit, und in einer gewissen Quantität dieser Flüssigkeit er - hält sich auch die ansteckende Kraft der Kuh - pocken - und Blatternmaterie. Hingegen werden beyde durch den Rauch brennender Substanzen vernichtet.

Die ersten Wirkungen der Ansteckung des Blatterngifts sind: Blässe, Schauer, Ekel, Er - brechen, vage Schmerzen, Niedergeschlagenheit und Fieberregungen. Aehnliche Symptome äus -C c 3sern406sern sich auch bey dem Weibe nach erfolgter Befruchtung.

Die letzte Wirkung der Ansteckung ist eine gewisse Art von Afterorganisationen, so genannte Exantheme, in deren Mitte sich eine Blase er - zeugt. Diese füllt sich, indem sie gröſser wird, mit einer eiterartigen Flüssigkeit, und öffnet sich endlich, nachdem sie eine gewisse Gröſse er - reicht hat. Die ausgeleerte Materie ist dann das Vehikel des ansteckenden Giftes. Die innere Höhlung der Blase aber füllt sich mit neu er - zeugtem Fleische wieder aus. Eben so entsteht bey den Säugthieren nach der Empfängniſs auf den weiblichen Eyerstöcken eine oberflächige Ent - zündung, und in deren Mitte eine Blase, wel - che sich öffnet und sich des in ihr enthaltenen Zeugungsstoffs entledigt, worauf die leere Höhle mit Fleischwärzchen wieder ausgefüllt wird, und anfangs das Ansehn einer Drüse, dann einer Narbe (Corpus luteum) bekömmt(m)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. p. 29 sq. §. 15. 16., die aus - geleerte Feuchtigkeit aber zur Ursache einer glei - chen Wirkung wird, wie diejenige war, wo - durch sie selber hervorgebracht wurde. Es darf uns übrigens nicht befremden, daſs die letzte Wirkung derjenigen ansteckenden Materie, die wir mit dem Namen des männlichen Saamens be -zeich -407zeichnen, blos auf die Eyerstöcke beschränkt ist: denn die Afterorganisationen, welche von andern ansteckenden Giften entstehen, äussern sich ebenfalls vorzugsweise an gewissen einzel - nen Theilen, z. B. das der Lustseuche zuerst an den Leistendrüsen und am Halse, zuletzt in den Knochen. Ich glaube auch nicht, daſs die weib - lichen Zeugungstheile die einzigen Organe sind, welche Empfänglichkeit für die befruchtende Kraft des männlichen Saamens besitzen. Viel - leicht ist die Befruchtung eben so wohl an jedem andern Orte, an welchem die Epidermis fehlt, oder doch sehr dünn ist, als in den weiblichen Geburtstheilen möglich.

Zur Wirkung der ansteckenden Gifte bedarf es einer gewissen Anlage. Man sahe Menschen Jahre lang unter Pocken - und Pestkranken herum - wandeln, ohne sich eine Ansteckung zuzuziehen, dann aber, bey einer neuen Veranlassung, plötz - lich von den Blattern und der Pest befallen wer - den. Das Nehmliche ist der Fall mit der be - fruchtenden Wirkung des männlichen Saamens.

Jene Anlage ist bey mehrern contagiösen Krankheiten an gewisse Jahreszeiten gebunden, und auch hierin kömmt die ansteckende Kraft derselben mit der befruchtenden Kraft des Saa - mens überein, indem alle Thiere, ausser demC c 4Men -408Menschen, nur in gewissen Jahreszeiten brün - stig werden.

Auffallend und nicht zu verkennen ist also die Aehnlichkeit in der Wirkungsart der anstecken - den Gifte und des männlichen Saamens. Nie - mand aber zweifelt, daſs die Afterorganisationen, welche durch die erstern hervorgebracht werden, Wirkungen einer allgemeinen Affektion des gan - zen Organismus sind. Warum tragen wir denn Bedenken, die Empfängniſs aus einer ähnlichen Ursache abzuleiten?

Der männliche Saamen kömmt aber auch in manchen Stücken mit andern thierischen Giften, welche ebenfalls vermittelst einer, im ganzen Organismus bewirkten Veränderung locale Krank - heiten hervorbringen, z. B. den Schlangengiften, überein. Schöpf(n)Reisen durch die vereinigten Staaten von Nord - amerika. Th. 1. S. 484. erzählt, daſs ein Land - mann, der bey Fredericktown in Nordamerika im Monat Julius von einer Klapperschlange ge - bissen wurde, jährlich um dieselbe Zeit von ei - nem Fieber befallen, und zugleich über den gan - zen Körper blau und gelb gefleckt wurde. Auch schon Carver(o)Reisen durch die innern Gegenden von Nordame - rika. Hamburg. 1780. S. 399. 400. führt es als eine gewöhnlicheWir -409Wirkung des Bisses der Klapperschlange an, daſs derselbe allenthalben auf der Haut die verschie - denen Farben der Schlangen hervorbringt, und als gewiſs spricht er von einer jährlichen Rück - kehr der Zufälle, die zum ersten mal nach dem Bisse eintraten. Ist hier nicht etwas Aehnliches sowohl von dem Vermögen des männlichen Saa - mens, die durch den Einfluſs desselben erzeugte Frucht dem Vater ähnlich zu machen, wovon weiter unten die Rede seyn wird, als von dem Vermögen mancher Vögel, Amphibien und Insek - ten, lange Zeit nach einer einmaligen Befruch -[tu]ng von neuem fruchtbare Eyer zu legen?

Es giebt nur Einen erheblichen Grund, den man dieser Meinung von der Art, wie der männliche Saamen seine befruchtende Wirkung äussert, entgegensetzen kann. Bey manchen Amphibien, den Fischen und verschiedenen Mol - lusken nehmlich geschieht doch offenbar die Be - fruchtung durch einen unmittelbaren Einfluſs des männlichen Saamens auf die schon gelegten Eyer. Die Analogie, kann man uns einwenden, ist also auf Seiten dessen, der auch bey den übrigen lebenden Körpern ein unmittelbares Ein - wirken jener Flüssigkeit auf den weiblichen Zeu - gungsstoff annimmt. Dieser Einwurf fällt aber, sobald sich zeigen läſst, daſs die angeführte Analogie unrichtig ist, und daſs sie dies wirk -C c 5lich410lich ist, wird jeder eingestehen müssen, der er - wägt, daſs der weibliche Zeugungsstoff derjeni - gen Thiere, bey welchen die Befruchtung aus - serhalb dem Körper der Mutter geschieht, schon vor der Begattung in der Gestalt von Eyern vor - handen, hingegen bey den Säugthieren vor der Empfängniſs eine bloſse Flüssigkeit ist. Dort besitzt also jener Stoff das Vermögen, sich ohne Hülfe der Begattung bis auf einen gewissen Grad zu organisiren, hier aber bleibt derselbe ohne den Einfluſs des männlichen Zeugungsstoffs eine ganz unorganische Masse. Und woher diese Ver - schiedenheit? Ohne Zweifel rührt sie von der - selben Ursache her, vermöge welcher die Thiere der niedern Classen im Stande, die Säugthiere aber ausser Stande sind, durch eine einzige Paa - rung auf mehr als Eine Geburt fruchtbar zu wer - den. Möglich ist es, daſs bey den niedern Thierclassen die Befruchtung nicht sowohl zur Belebung der schon vorhandenen Eyer, die sich vielleicht auch ohnehin entwickeln würden, als vielmehr dazu dienet, um diejenigen dieser Eyer, welche weiblichen Geschlechts sind, tüchtig zu machen, in der Folge selber wieder fruchtbare Eyer zu erzeugen. Aus diesem Gesichtspunkte wäre dann auch die Hypothese, daſs bey den Blattläusen und andern Insekten die befruchten - de Wirkung einer einzigen Begattung sich bis auf Enkelinnen, Urenkelinnen und noch spätere Gene -ratio -411rationen erstrecken kann, nicht ohne Wahrschein - lichkeit. Zugleich aber wäre dann zu vermu - then, daſs in den oben angeführten Versuchen von Spallanzani manche Eyer sich eben so wohl ohne den Einfluſs des männlichen Saamens, als nach geschehener Befruchtung entwickelt ha - ben würden, und verschiedene jener Versuche verlöhren dann also ihre Beweiskraft.

Wenden wir uns jetzt zu den übrigen Phä - nomenen, welche die Erzeugung nach vorherge - gangener Befruchtung darbietet, so finden wir wieder einen neuen Beweis des schon oft von uns behaupteten Satzes, daſs ein dynamischer Zusammenhang zwischen allen Individuen der le - benden Natur statt findet. Wir sehen dann eine wunderbare Ordnung im Groſsen zwischen der Zahl der männlichen und weiblichen Individuen, eine Ordnung, die so genau bestimmt ist, daſs beym Menschengeschlechte im Ganzen gegen 20 Mädchen 21 Knaben, oder gegen 25 Mädchen 26 Knaben gebohren werden(p)Süssmilch’s göttliche Ordnung in den Verän - derungen des menschl. Geschlechts. 3te Ausg. Th. 2. S. 241.. Man wird vergeb - lich eine Erklärung dieser Thatsache aufsuchen, wenn man nicht die lebende Natur als einen dy - namischen Organismus ansieht.

Ver -412

Vermöge dieses festen Verhältnisses in der Zahl der männlichen und weiblichen Individuen, welches ohne Zweifel eben so wohl bey allen übrigen Arten der lebenden Körper, als bey dem Menschen, statt findet, bleibt sich die lebende Natur, ihres unaufhörlichen Wechsels ohngeach - tet, doch im Ganzen immer ähnlich. Hierzu kömmt noch, daſs die Einwirkung des männli - chen Zeugungsstoffs auf den weiblichen nicht blos im Allgemeinen die Thätigkeit des letztern erregt, sondern auch die Richtung dieser Thätigkeit be - stimmt. Jeder, aus der Vermischung zweyer ver - schiedener Individuen entstandene Organismus ist sowohl dem Vater, als der Mutter ähnlich, und diese Aehnlichkeit erstreckt sich sogar auf Feh - ler der Organisation(q)Haller El. phys. T. VIII. L. XXIX. S. 2. §. 8. p. 96.. Der Wechsel der leben - den Natur wird endlich auch dadurch in Schran - ken gehalten, daſs jeder Organismus meist nur mit einem Individuum seiner Art sich begattet, und daſs Vermischungen zwischen Thieren von verschiedener Art in den meisten Fällen unfrucht - bar sind, oder wenigstens unfruchtbare Bastarde liefern.

Inzwischen leidet der letztere Satz doch auch manche Ausnahmen. Daſs Maulesel, so wie Ba - starde von Füchsen und Hunden nicht immerun -413unfruchtbar sind, ist eine bekannte Sache. Ein neueres Beyspiel von einem Maulthiere, das sein Geschlecht fortgepflanzt hat, erzählt Link in Voigt’s Magazin für den neuesten Zustand der Naturkunde(r)B. 2. St. 1. S. 22.. Aeltere Beobachtungen der Art sind in der 6ten Ausgabe des Blumenbachschen Handbuchs der Naturgeschichte(s)S. 24 ff. angeführt. Einen Fall von einem Bastarde, den in Schottland ein Fuchs mit einer Hündin erzeugt hatte, und welcher sein Geschlecht fortpflanzte, findet man in Voigt’s Magazin für das Neueste aus der Phy - sik und Naturgeschichte(t)B. IX. St. 4. S. 176.. Bastarde von Wöl - fen und Hündinnen sind in den Neuen Nordi - schen Beyträgen(u)B. I. S. 153. 154. beschrieben. Aus der Begat - tung einer Rehkuh und eines Schaafbocks erhielt Hellenius(v)Neue Abh. der Schwed. Akad. B. XI. J. 1790. S. 269. Rudolphi’s Schwed. Annalen der Med. u. Nat. Gesch. B. I. St. 2. S. 190. eine Nachkommenschaft, die sich durch mehrere Generationen fortpflanzte. Frucht - barer Bastarde, die ein Bauer in Afrika von Afri - kanischen Waldschweinen (Sus Aethiopicus) und gemeinen Schweinen erhalten hatte, erwähnt Sparrmann(w)Reise nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung. S. 352..

So414

So sahe man auch Bastarde von einem Trut - hahn und einer Henne, von einem Hahn und ei - ner Ente. Ein Beyspiel der erstern Art trifft man im ersten Theile der Physikalischen Belustigun - gen, ein Beyspiel der letztern Art in Taube’ns Beyträge zur Naturgeschichte des Herzogthums Zelle(x)B. 2. S. 257. und in Schöpf’s Reisen durch die verei - nigten Staaten von Nordamerika an(y)Th. 1. S. 138.. Daſs solche Vögel ebenfalls nicht immer unfruchtbar sind, beweisen Sprenger’s Versuche(z)Opusc. phys. math. p. 27 sq..

Seltener sind Beyspiele von Bastarderzeugun - gen bey den Amphibien. Eine Beobachtung von Kundmann(a)Rariora naturae et artis. S. 2. Art. 3. p. 402 sq. Act. Acad. Nat. Cur. Vol. V. 1740. p. 366. macht es indeſs wahrscheinlich, daſs sie auch unter diesen Thieren zuweilen statt finden. Nach einer Wasserfluth, so erzählt jener Schriftsteller, wodurch im Jahre 1736 ein groſser Theil von Schlesien überschwemmt wurde, er - schienen in den Sümpfen, die von dem Wasser zurückgeblieben waren, unzählige geschwänzte Thiere, welche anfangs für Eidechsen angesehen wurden, bey genauerer Untersuchung aber sich als geschwänzte Frösche zeigten, deren Schwanz zweymal so lang war, als der übrige Körper. Viel -415Vielleicht waren diese Thiere Bastarde von Frö - schen und Salamandern.

Unter den Fischen sind Bastarderzeugungen ziemlich häufig. Einen Bastard von einem Bar - ben und Karpen hat Defay(b)Schriften der Berlin. Gesellsch. naturf. Freunde. B. 7. S. 490. beschrieben. Daſs aus der Karausche, der Giebel und dem Karpen zu Zeiten Bastarde entstehen, bemerken schon Gesner, Aldrovand, Schwenckfeld, Schone - veld, Marsigli, Willughby und Klein(c)Bloch’s Fische Deutschlands. Th. 1. S. 98.. Unter den Bleyen (Cyprinus Brama) giebt es zu - weilen einen, der sich durch seine schöne Farbe auszeichnet, immer ein starkes Gefolge hinter sich hat, weswegen er von den Fischern Leit - Bley genannt wird, und vermuthlich ein Ba - stard vom Bley und der Plötze (Cyprinus ery - throphtalmus) ist. Eine andere Art, welche un - ter dem Namen der Bley-Güster bekannt ist, gleicht zum Theil der Güster (Cyprinus Plestya Lesk. ), zum Theil dem Bley, und entsteht, wenn der Rogen des einen dieser Fische von der Milch des andern befruchtet wird(d)Bloch a. a. O. S. 81..

Die niedern Thierclassen sind noch zu wenig in Rücksicht ihrer Erzeugung untersucht, alsdaſs416daſs sich bey diesen viele ähnliche Beobachtun - gen erwarten lassen. Indeſs sahe Rossi ein Männ - chen der Cantharis melanura mit einem Weibchen des Elater niger so eng durch die Begattung ver - bunden, daſs es eine geraume Zeit währte, ehe jenes das an der Wurzel sehr kugliche männliche Glied auch nur halb herausziehen konnte, ob - gleich ihm völlige Freyheit dazu gelassen wur - de(e)Memorie della Societa Italiana. T. VIII. p. 119..

Was endlich das Pflanzenreich betrifft, so sind in diesem nicht nur Bastarde überhaupt, sondern auch fruchtbare Bastarde häufiger, als in irgend einer Classe von Thieren. Man erhält sie fast von allen Gewächsen, die getrennte Ge - schlechter haben.

Bey dieser nicht ganz geringen Anzahl von Beyspielen, wo aus der Vermischung verschie - denartiger Individuen fruchtbare Abkömmlinge hervorgingen, ist es eine sehr natürliche Vermu - thung, daſs die Bastarderzeugung einen wichti - gen Antheil an der Entstehung der jetzigen le - benden Natur gehabt haben möchte. Es läſst sich auch zur Unterstützung dieser Hypothese dies anführen, daſs sie uns ein Mittel an die Hand giebt, die groſse Mannichfaltigkeit der Ge - stalten, die wir heut zu Tage in der lebendenWelt417Welt antreffen, aus der Voraussetzung sehr we - niger Urformen, also auf einem sehr einfachen Wege, zu erklären. Man kann sich ferner auf die wunderbare Vereinigung der verschiedenartig - sten Formen in einem einzigen Individuum be - rufen, die wir bey so vielen Organismen wahr - nehmen, und welche in der Bastarderzeugung einen befriedigenden Grund findet.

Allein so scheinbar diese Gründe beym er - sten Anblicke seyn mögen, so wenig vertragen sie eine genauere Prüfung. Es ist erstens ge - wiſs, daſs die Nachkommenschaft fruchtbarer Bastarde binnen einigen Generationen ganz wieder zur Art des Stammvaters oder der Stammmutter zurückkehrt. Vermischen sich jene mit Individuen von der Art des Vaters, so nähert sich die fol - gende Generation wieder dem Vater; geschieht die Vermischung mit einem Individuum mütter - licher Art, so werden die Nachkommen wieder der Mutter ähnlich; begatten sich endlich Bastar - de mit Bastarden, so gehen die erzeugten Indivi - duen wieder zur Art des Stammvaters oder der Stammmutter über, je nachdem die Bastarde mehr mit dem erstern, oder mehr mit der letztern ge - mein hatten. So lehren es Kölreuter’s Versu - che über die Bastarderzeugung der Pflanzen. Wer, dieser Erfahrungen ohngeachtet, der Ver - mischung ungleichartiger Individuen doch einenIII. Bd. D dAn -418Antheil an der Bildung der jetzigen lebenden Na - tur zuschreibt, muſs zu der Voraussetzung, daſs die Rückkehr der Bastardgenerationen zu ihren Urformen in ehemaligen Zeiten nicht statt gefun - den hat, also zu einer Behauptung, die durch keine Gründe unterstützt wird, seine Zuflucht nehmen.

Aber wenn man auch diese Voraussetzung gelten läſst, so bleibt doch gerade das durch jene Hypothese unerklärt, was am meisten der Erklä - rung bedarf. Die Vereinigung verschiedenartiger Formen in einem einzigen Individuum ist nir - gends häufiger, als in Neuholland. Und wo sind die Urformen, durch deren Vermischung diese Individuen gebildet wurden? Sie sind nicht in Neuholland und nicht auf den übrigen Südsee - inseln. Nur in Südamerika, im südlichen Asien und in Afrika finden sich Thiere, die mit jenen in einzelnen Stücken übereinkommen. Aber wer wird die Neuholländischen Thiere von Südame - rika ableiten wollen? Und warum finden sich denn in Neuholland nur noch Bastarde, nicht mehr ursprüngliche Thiere? Sind diese unterge - gangen? Aber Neuholland ist von zu neuer Entstehung, als daſs hier die lebende Natur schon viele Revolutionen erlitten haben könnte. Und gerade in jenem Erdstriche, mit dessen Thieren die von Neuholland manches gemein haben, inSüd -419Südamerika, giebt es ebenfalls Organismen, die ganz das Ansehn von Abkömmlingen verschieden - artiger Stammeltern haben, deren Urformen aber nirgends, als in den nördlichen Gegenden der al - ten Welt existiren. Hier wohnen das Llama und Guanuco, Mittelglieder zwischen den Schaafen und Camelen, hier ein Thier, das ganz das An - sehn des Esels, aber gespaltene Klauen hat (Equus bisulcus Molin. ), und hier das Mniarum biflo - rum, eine Pflanze, die bis auf die Blume völlig mit der Minuartie übereinkömmt. Ganz Amerika aber hat ursprünglich keine Schaafe, keine Came - le, keine Esel und keine Minuartien. Alle diese Thiere und Pflanzen sind Bewohner der nördli - chen Erdhälfte. Wer wird es also wagen, die letztern für Stammeltern jener Amerikanischen Thiere und Pflanzen anzusehen?

Eine andere Schwürigkeit bey jener Hypothe - se ist die verschiedene Zeit der Brunst bey den Thieren und des Blühens bey den Pflanzen. Bey dem Rehbocke fällt die Brunstzeit in den Julius und August, bey dem Hirsche erst in den Sep - tember und October. Anemone narcissiflora und Anemone alpina wohnen oft auf ganz benachbar - ten Felsen der höhern Alpen beysammen, aber die eine blühet erst auf, wenn die andere schon zu verblühen anfängt. Die Gentiana verna blü - het im ersten Frühlinge, und die Chironia cen -D d 2tau -420taureum, die mit ihr gleiche Standörter hat, im späten Sommer und Herbste. Es ist also nicht einmal zwischen manchen Arten, die in ihrer Struktur einander nahe verwandt sind, und ei - nerley, sowohl physische, als geographische Verbreitung haben, eine Vermischung möglich(f)Vergl. Schrank’s Briefe an Nau. S. 119..

Endlich giebt es ja eine Classe von lebenden Körpern, die sich ohne Begattung fortpflanzen, und bey welchen doch eben sowohl, als bey den übrigen, Verwandtschaften in einzelnen Theilen zwischen den verschiedensten Arten statt finden. Solche Körper sind die Zoophyten. Können aber die formenden Potenzen des Lebensstoffs bey die - sen Organismen dergleichen Verwandtschaften oh - ne Mitwirkung der Bastarderzeugung hervorbrin - gen, so ist nicht einzusehen, warum sie nicht auch bey den Thieren und Pflanzen dazu im Stande seyn sollten.

Diese Gründe sind es, worauf wir uns stütz - ten, als wir im letzten Kapitel des zweyten Buchs der Bastarderzeugung allen Antheil an der Bil - dung der jetzigen lebenden Natur absprachen. Alles rechtfertigt dagegen unsere in jenem und dem vorigen Buche geäusserte Meinung, daſs De - generation, oder eine erst nach der Erzeugung durch den veränderten Einfluſs der Aussenwelther -421herbeygeführte und dem Zustande der Gesundheit angemessene Abweichung von der Gestalt der Vor - fahren, die mannichfaltigen Formen der lebenden Natur hervorgebracht hat. Man muſs aber zwey - erley Arten der Degeneration unterscheiden: die - jenige, welche blos Individuen, und die, welche die ganze Gattung betrifft. Jene tritt nur localer Ursachen wegen, z. B. bey verändertem Aufent - halte oder veränderter Lebensweise einzelner Or - ganismen, ein; diese aber wird durch die ewi - gen Verwandlungen des ganzen Weltalls bewirkt.

Die erste Art ist beschränkter als die letz - tere, und zwar desto beschränkter, je zahlrei - cher die Berührungspunkte eines Organismus mit der äussern Welt sind. Je gröſser nehmlich die Zahl dieser Berührungspunkte ist, in desto enge - rer Verbindung steht der Organismus mit der gan - zen Natur, und desto weniger sind wesentliche Veränderungen seiner Organisation ohne Verände - rungen der letztern möglich. Anders aber verhält es sich mit den einfachern Körpern der lebenden Welt. Die Organisation dieser ist weniger eng mit der Organisation des Universums verkettet, und daher abhängiger von einzelnen Einflüssen. Alle Veränderungen in dem Aufenthalte und der Lebensweise ziehen aber nur Veränderungen in einzelnen Einflüssen nach sich. Daher können hierdurch wohl unter den Zoophyten, PflanzenD d 3und422und einfachern Thieren, aber nicht unter den Thieren der höhern Classen neue Arten entste - hen. In der That zeigt auch die Erfahrung, daſs Säugthiere und Vögel, die unter einen an - dern Himmelsstrich, oder aus dem Zustande der Wildheit in den der Sclaverey versetzt sind, blos oberflächige Veränderungen der Haut, des Haars und der Federn erleiden, im Wesentlichen aber ihren Voreltern immer ähnlich bleiben(g)Pallas, Act. Acad. Petropol. 1780. P. 2. Hist. p. 77 sq.. Hin - gegen daſs auf den niedern Stufen der Organisa - tion durch Veränderungen des Climas, des Bo - dens und der Nahrungsmittel neue Arten entste - hen, läſst sich nicht mit Grunde in Zweifel zie - hen. Viele Pflanzen, die gewöhnlich für eigene Arten gelten, sind gewiſs bloſse, durch den Ein - fluſs des Climas und Bodens bewirkte Varietäten. Ein Beyspiel giebt die Asiatische Dotterblume (Trollius Asiaticus L.), die vermuthlich nichts anders als eine Abart der gemeinen Europäischen ist. Pallas fand im östlichen Siberien Exem - plare des Trollius, welche die Farbe und den Geruch der Asiatischen Art hatten, deren Necta - rien aber nicht länger als an der gemeinen Dot - terblume waren. Dagegen aber, sagt er, ha - be ich dieses Kraut von Schneegebirgen zwar in allen Theilen, auch der Blume nach, sehr klein, aber mit den allerlängsten Honigblättern, ge - habt;423 habt; und also möchte man fast den Trollius Asiaticus für eine durch das Siberische Clima und die kältere Gebirgsluft entstandene Spielart des gemeinen erklären, welches auch die an der Ostseite des Uralischen Gebirges häufige feuer - gelbe Ausartung der gemeinen Dotterblume be - stätigt(h)Pallas Reisen durch versch. Prov. des Russischen Reichs. Th. 3. S. 253.. Aehnliche Beyspiele werden jedem unbefangenen Botaniker vorgekommen seyn. Ich habe Ranunkeln gefunden, die so das Mittel zwi - schen zwey Arten hielten, daſs sie mit gleichem Rechte zu beyden gezählt werden konnten.

Wichtiger aber ist die andere Art der Dege - neration, die in den ewigen Umwandlungen, de - nen die ganze Natur unterworfen ist, ihren Grund hat. Durch den Strohm dieser Veränderungen wird alles fortgerissen, das Höchste wie das Nie - drigste in der Reihe der lebenden Wesen. In jedem dieser Körper liegt die Fähigkeit zu ei - ner endlosen Mannichfaltigkeit von Gestaltungen; jeder besitzt das Vermögen, seine Organisation den Veränderungen der äussern Welt anzupassen, und dieses, durch den Wechsel des Universums in Thätigkeit gesetzte Vermögen ist es, was die ein - fachen Zoophyten der Vorwelt zu immer höhern Stufen der Organisation gesteigert, und einezahl -D d 4424zahllose Mannichfaltigkeit in die lebende Natur gebracht hat.

Aber giebt es Beweise der Erfahrung für eine solche Biegsamkeit der Organisation? Aller - dings giebt es deren, und selbst auf der höch - sten Stufe der Organisation, bey dem Menschen. Hier sind es die Miſsgeburthen, welche nicht nur aufs einleuchtendste beweisen, daſs der le - bende Körper ein Vermögen besitzt, seine Orga - nisation der Sphäre, worin er sich befindet, selbst dann noch anzupassen, wenn auch der Zu - stand der Gesundheit mit dieser unvereinbar ist, sondern auch von noch andern Seiten unsere Mei - nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden Natur unterstützen. Um dies aber zu zeigen, müssen wir einige allgemeine Bemerkungen über Miſsbildungen und deren Ursachen voraus - schicken.

Unter Miſsbildungen oder Miſsgeburthen ver - stehen wir krankhafte Abweichungen von der ur - sprünglichen Struktur, bey deren Entstehung der Organismus, an welchem sie vorkommen, sich selber thätig gezeigt hat. Sie unterscheiden sich von Degenerationen darin, daſs sie dem Zustande der Gesundheit unangemessen, diese aber dem - selben angemessen sind, und von bloſsen, durch äussere Kräfte hervorgebrachten Verstümmelungen in dem Zusatze, daſs der Organismus, dem sieeigen425eigen sind, sich bey ihrer Entstehung nicht blos leidend verhalten hat. Indeſs giebt es keine ge - naue Gränze zwischen Miſsbildungen und De - generationen.

Nur in der Periode der Jugend sind Miſsbil - dungen möglich. Sie entstehen desto leichter, und sind desto gröſser, je näher der Organismus seinem Ursprunge ist.

Man kann die Miſsgeburthen in qualitati - ve und quantitative eintheilen.

Zu den erstern gehören zuerst Abweichungen von der regelmäſsigen Lage der Organe. Es hat Fälle gegeben, wo der Magen und ein Theil der Gedärme in der Brusthöhle über dem Zwerch - felle, und die Leber theils unter, theils über dem Diaphragma lag. In andern Fällen machte die Speiseröhre, die sonst gerade zum Magen geht, nachdem sie schon in den Unterleib ge - langt war, eine Krümmung, und kehrte wieder in die Brust zurück. In noch andern, nicht ganz seltenen Fällen fand man sogar alle Einge - weide, die sonst in der rechten Seite liegen, in der linken; und umgekehrt(i)Haller Opp. min. T. III. p. 15. 16.. Aehnliche Bey - spiele kommen auch an den Knochen und Mus - keln vor. Oft sind die äussern Gliedmaaſsengänz -D d 5426gänzlich verdreht, so daſs z. B. das Innere der Hand, oder die Fuſssohle nach oben gekehrt ist(k)Ibid. p. 16. 17. C. VIII.. Mery sahe ein Kind, dessen Wirbel - säule so verdreht war, daſs, wenn das Gesicht, die Brust und der Bauch von vorne angesehen wurden, die äussern Zeugungstheile, die Knie und die Füſse nach hinten gekehrt waren(l)Hist. de l’Acad. des sc. de Paris. 1700. Ed. 8. p. 54..

Es gehören ferner zu den qualitativen Miſs - bildungen diejenigen Fälle, wo an Organen, die in der Regel verwachsen sind, eine Theilung, und an solchen, die in der Regel von einander abgesondert sind, eine Verwachsung statt fand. Eine der häufigsten Deformitäten dieser Art ist die Hasenscharte. Man sahe auch Menschen, de - nen der Gaumen oder die Nase ursprünglich ge - spalten war, bey welchen die Brust und der Unterleib offen standen, oder die eine gespaltene Ruthe hatten(m)Haller l. c. p. 36. C. XI.. Bey andern waren einige, oder alle Zehen der Hand oder des Fuſses unter einander verwachsen. Eine ähnliche Miſsbildung kömmt ziemlich häufig unter den Schweinen vor. Die beyden Augen verschmelzen ebenfalls sowohl bey dem Menschen, als bey den Thieren nicht sel - ten zu einem einzigen, und in den Fällen dieserArt427Art findet eine merkwürdige Stufenfolge vom Ein - fachern zum Zusammengesetztern statt. Oft ist das eine Auge einfach, nur gröſser, wie es der Regel nach seyn sollte; oft sind einige Theile, z. B. die Hornhaut, einfach, hingegen andere, z. B. die Augenlieder, die Crystallinse, der Glas - körper, die Augennerven, oder die Augenmus - keln, doppelt; und oft finden sich zwey Augen in einer einzigen Augenhöhle. So flieſsen auch zuweilen die Luftröhre und der Schlund, die bey - den Hirnhälften, die Nieren, ja sogar die Cavi - täten des Herzens zusammen(n)Ibid. p. 37 sq.. Einen Fall der letztern Art beobachtete Mery bey dem schon erwähnten Kinde, dessen Wirbelsäule gänzlich verdreht war. Die beyden Herzohren bildeten hier eine einzige Höhlung, und die beyden Ven - trikel standen mit einander in Verbindung. Die Lungen waren klein, welk und zusammenge - schrumpft. Die Venen derselben und die beyden Stämme der Hohlader hatten ihre Mündung in der gemeinschaftlichen Höhlung der beyden Herz - ohren, und aus dieser fand ein Uebergang durch ein gröſseres Loch in den rechten Ventrikel, und durch ein sehr kleines in die gemeinschaftliche Oeffnung der Cavitäten beyder Ventrikel statt - Die Lungenarterie und die Aorta entstanden aus der linken Herzkammer. Ein ovales Loch war nicht vorhanden.

End -428

Endlich müssen hierher noch alle Verwand - lungen verschiedenartiger Organe in einander ge - rechnet werden. Vorzüglich reich an solchen Miſsbildungen ist das Pflanzenreich. Häufig ge - hen hier Staubfäden in Blumenblätter über, wo - durch dann gefüllte Blumen entstehen, und bey den Syngenesisten verwandeln sich zungenförmige Blumen in röhrenförmige, so wie diese in zun - genförmige. Zuweilen gehen auch Blumen, ja sogar Früchte in Blätter über, und oft verändern die Blätter ihre Form, so daſs sie gekräuselt, zerschnitten u. s. w. werden(o)Ibid. p. 126. Cap. XXXVII.. Bey den Thie - ren findet nicht selten eine andere, hierher gehö - rige Art von Miſsbildung in dem Ursprunge und der Insertion der Muskeln und Gefäſse statt, z. B. daſs sich der gerade Bauchmuskel bis an den obern Theil der Brust erstreckt, die Nabel - vene über dem Zwerchfelle in die Hohlvene über - geht, oder daſs ein Verbindungscanal zwischen den beyden Hohlvenen vorhanden ist(p)Ibid. p. 142. C. X..

Die quantitativen Miſsbildungen bestehen ent - weder in mangelhafter, oder in übermä - ſsiger Ausbildung des ganzen Körpers oder ein - zelner Theile.

Man -429

Mangelhafte Ausbildung des ganzen Körpers bringet Zwerge, so wie übermäſsiges Wachsthum unter eben dieser Bedingung Riesen hervor.

Miſsgeburthen von mangelhafter Ausbildung einzelner Theile des Organismus sind zuerst die hirnlosen Früchte, Embryonen, denen entweder nur der obere Theil des Schädels und des Gehirns fehlt, und wo das Gesicht noch vorhanden ist, das aber sehr verunstaltet zu seyn pflegt, oder die auch gar keinen Kopf haben(q)Ibid. p. 12. 35.. Diese Deformitäten gehören zu den häufigen. Sandi - fort(r)Anatome infantis cerebro destituti. p. 39 sq. 66. zählt 48, und Sömmering(s)Abbildungen u. Beschreibungen einiger Miſsgebur - then. S. 9. noch 28 andere Fälle der Art, denen sich leicht noch mehrere. z. B. die von Spilenberger(t)Miscell. Acad. Nat. Cur. Dec. 1. A. 3. 1672. p. 178., Jae - nisch(u)Ibid. p. 490., Schelhammer(v)Ibid. Dec. 2. A. 9. 1690. p. 258., Schelhase(w)Ibid. Dec. 2. A. 3. 1684. p. 305., Zwinger(x)Ibid. D. 2. A. 10. 1691. p. 386., Romberg(y)Ibid. D. 3. A. 9 et 10. 1701-1705. p. 197., Van Lis(z)Verhand. van het Genootsch. te Rotterdam. D. 6. Bl. 99., Gi -li -430libert(a)Adversaria medico-practica., Sue(b)Physiologische Untersuchungen u. Erfahrungen über die Vitalität. Uebers. von Harless. S. 7. und Knackstedt(c)Anatomische Beschreibung einer Miſsgeburth, wel - che ohne Gehirn und Hirnschädel lebendig gebohren wurde. Petersburg. 1791. be - schriebenen, beyfügen lassen.

Es giebt aber überhaupt nicht ein einziges Organ, das nicht zuweilen gefehlt hätte. Oft fehlten einige oder alle Finger oder Zehen, oder einzelne Glieder derselben. Bey vielen Miſsgeburthen fehlten auch die Arme oder die Beine entweder ganz, oder doch zum Theil. Andere hatten keine Nase, oder keine Scheide - wand der Nase, keine Geruchsnerven(d)Sömmering a. a. O. S. 26., keine Ohren, keine Augen oder Augenlieder, keine obere oder untere Kinnlade(e)Ebendas. S. 27., keine Zunge, keine Gaumenknochen und keinen weichen Gau - men(f)Flachsland observ. pathologico-anatomicae., keinen Kehlkopf und keinen Pharynx. Man hat Fälle beobachtet, wo die Schulterblätter fehlten, wo keine Schlüsselbeine vorhanden wa - ren, wo der schwerdtförmige Knorpel vermiſst wurde, wo keine Bedeckungen des Thorax oder keine Bauchmuskeln zu finden waren. Sogardas431das Herz, die Venen, die Arterien des Kopfs und der obern Gliedmaaſsen, die Speiseröhre, den Magen, die Gallenblase, die Milz, den Mast - darm, den After, ein oder beyde Nieren, die Harnblase, die männliche Ruthe, die weibliche Schaam, die Mutterscheide, die Gebährmutter, die Eyerstöcke(g)Ford, Medical Facts and Observations. Vol. V., ja selbst die ganze obere Hälfte des Körpers bis zur Brust oder bis zum Nabel hat man fehlen sehen(h)Haller l. c. p. 30 sq.. Einen neuern Fall der letztern Art von einem fünfmonatlichen Foetus, der keinen Magen, keine dünne Gedärme und keine untere Extremität der rechten Seite hatte, hat Sue(i)A. a. O. S. 9., und einen andern, wo der Rumpf mit den Rückenwirbeln aufhörte, der Unterleib wie ein Sack an den Integumenten des Kindes hing, und, ausser der obern Hälfte des Körpers, auch die Harngänge fehlten, Dinmo - re(k)The London medical Journal. 1790. P. IV. beschrieben. Bey den Pflanzen beobachtet man ebenfalls diese Art von Miſsbildung, indem zuweilen an den Blumen derselben die Krone, oder die Staubfäden, und in ihren Früchten die Kerne fehlen(l)Haller l. c. p. 129..

Uebermäſsige Ausbildung einzelner Organe verursacht die auffallendsten Miſsbildungen, undbe -432bewirkt Aehnlichkeiten zwischen den unähnlich - sten Arten. Es gab Menschen, deren ungewöhn - lich hervorragender Unter - oder Oberkiefer ih - rem Gesichte Aehnlichkeit mit dem Gesichte eines Fisches, einer Ente, oder eines Elephanten gab. Andere erhielten durch das hervorragende Steiſs - bein einige Aehnlichkeit mit den geschwänzten Thieren. Bey einem, von Reaumur beschriebe - nen Karpen war die kegelförmige Schnauze in einen Schnabel verlängert(m)Ibid. p. 6..

Eine andere merkwürdige Art der Miſsbil - dung von Uebermaaſs des Wachsthums machen diejenigen Fälle aus, wo ein Exceſs in der An - zahl der Organe statt findet. Diese Fälle bilden eine Stufenfolge, die von denen, wo nur min - der wichtige Organe, z. B. die Finger, überzäh - lig waren, zu denen fortschreitet, wo der ganze Körper doppelt war.

Fälle von überzähligen Fingern, Zehen, und andern Organen kommen sowohl bey dem Men - schen, als bey den Thieren vor. Man hat Be - obachtungen von Menschen, die sechs, sieben, oder acht Finger an Einer Hand hatten, von ei - nem Kalbe, dessen Fuſs in fünf Zehen gespalten war, von einem Schweine mit drey Klauen, von einem Huhne mit fünf Zehen, von einem mitKral -433Krallen versehenen Schaafe, von einem Men - schen mit drey Brüsten, von einem andern mit zwey Nasen, von Eidechsen mit zwey, drey bis vier Schwänzen, von einer Fledermaus mit vier Ohren, von Antilopen mit drey(n)Pallas Spicil. zoolog. Fasc. XII. p. 35, Widdern mit vier, fünf, oder sechs(o)Ibid. Fasc. XI. p. 71., und einem Ochsen mit drey Hörnern, von einem Hirsche mit vier Geweihen, und von einem Krebse mit doppelten Zangen. Selbst die wichtigsten Organe erleiden eine Verdoppelung. Es sind Fälle beobachtet, wo zwey männliche Glieder, drey Hoden, zwey Harnblasen, ein doppelter Uterus, zwey Mutter - scheiden, oder eine doppelte weibliche Schaam vorhanden waren. Ja Borelli, Rudbeck, De - nis und Littre fanden bey Menschen zwey und drey Herzen(p)Haller l. c. p. 27. C. IX.. Eine ähnliche Erscheinung bey den Pflanzen ist die Vermehrung der Staubfäden, Nectarien, Blumen - und Kelchblätter, und bey denen, die eine bestimmte Zahl von Blättern an jedem Stengel haben, z. B. beym Klee, auch die der Stengelblätter(q)Ibid. p. 126 sq..

Verwandt diesen Fällen sind diejenigen, wo Thiere, die in der Regel getrennten Geschlechtssind,III. Bd. E e434sind, Hermaphroditen waren. Solche Fälle sind ziemlich häufig unter den Fischen. Bey derglei - chen Thieren liegt in der einen Seite der Bauch - höhle die Milch, in der andern der Rogen. Hin - gegen bey den Thieren der höhern Classen, und namentlich beym Menschen, findet der Herma - phroditismus nie, oder wenigstens äusserst selten statt(r)Ibid. p. 29..

Nach den Hermaphroditen gebührt die näch - ste Stelle in der Reihe der Miſsgeburthen denen, bey welchen der Kopf doppelt, der übrige Kör - per aber einfach ist; dann folgen diejenigen, die bey einem einfachen Kopfe und Leibe doppelte Gliedmaaſsen haben; hierauf die, bey denen der Kopf ebenfalls einfach ist, welche aber nicht nur überzählige Gliedmaaſsen, sondern auch ei - nen doppelten Rumpf besitzen; und auf der letz - ten Stufe stehen diejenigen, deren ganzer Körper doppelt ist.

Jede dieser Classen enthält ebenfalls Abstu - fungen vom Einfachern zum Zusammengesetztern. Von der Gradation, die unter denen Miſsgebur - then statt findet, welche einen doppelten Rumpf bey einem übrigens einfachen Körper haben, enthal - ten Sömmering’s Abbildungen und Beschrei - bungen einiger Miſsgeburthen, die sichehe -435ehemals auf dem anatomischen Theater zu Cassel befanden, merkwürdige Beweise. Man sieht hier auf der zweyten Tafel eine menschliche Frucht, woran noch keine weitere Merkmale von Duplicität sind, als daſs die rechte Hälfte des Kopfs gröſser wie die linke ist. Auf - fallender ist diese Duplicität schon auf der Miſs - geburth der zweyten Tafel, deren beyde Köpfe an den Seiten so zusammengewachsen sind, daſs ein einziger Kopf mit zwey Ohren, zwey Nasen, einem doppelten Mund und drey Augen, wovon das mittlere aus zwey Zweydrittelstücken zweyer gewöhnlichen Augen besteht, entstanden ist(s)M. vergl. Opere diverse del Sign. Vallisneri. P. III. p. 453. Tab. VI.. Der Kopf der folgenden, auf der fünften Tafel vorgestellten Miſsgeburth besteht fast aus zwey Dreyviertelgesichtern, so wie die vorige ohngefähr zwey Zweydrittelgesichter zeigte. Hier sind zwey Nasen, ein doppelter Mund, und vier Augen, aber auch, wie bey der vorigen, nur noch zwey Ohren. Auf der sechsten Tafel erscheint ein Doppelkopf mit zwey äussern und einem mittlern Ohre, und bey der Miſsgeburth der siebenten Tafel geht die Trennung der beyden Köpfe schon so weit, daſs beyde mittlere Ohren an dem Orte der Verwachsung hervorgetreten sind. ImmersindE e 2436sind aber noch diese Köpfe an den Seiten unter einander vereinigt, und merkwürdig ist es, daſs sie insgesammt zur Classe der hirnlosen Früchte gehören. Fälle von Doppelköpfen, die bey ei - nem einfachen Leibe zwey gänzlich von einander getrennte Köpfe haben, sind sowohl bey dem Menschen, als bey den übrigen Säugthieren(t)Haller l. c. p. 83 sq. Cap. XXII-XXVII.. und vorzüglich bey den Amphibien(u)Ibid. p. 120. C. XXXIII., nicht selten. So ist im Journal de Medecine vom Jah - re 1761 eine Beobachtung erzählt, die ein Mäd - chen betrifft, welches bey zwey Köpfen lauter einfache Organe der Brust und des Unterleibs hatte, nur daſs die Luftröhre, die Speiseröhre, der aufsteigende Ast der Aorta und die beyden Carotiden für die beyden Köpfe gespalten waren, und der Rückenwirbel aus zwey Wirbeln bestand. Es giebt aber unter den zweyköpfigen Miſsge - burthen noch manche andere Varietäten(v)Ibid. p. 46. C. XIII.. So hat Home eine menschliche Frucht beschrieben, deren Miſsgestalt in zwey Köpfen bestand, von welchen der obere umgekehrt auf den untern gesetzt war(w)Philos. Transact. 1790. p. 296. 1799. p. 28..

Eine andere Classe der zusammengesetzten Miſsgeburthen enthält diejenigen, die bey einemein -437einfachen Kopfe und Rumpfe doppelte Gliedmaa - ſsen haben. Einer der merkwürdigsten. zu die - ser Classe gehörigen Fälle ist das von Trombelli beym Vallisneri(x)A. a. O. p. 449. beschriebene Kind, an des - sen Brust die beyden untern Gliedmaaſsen eines andern Kindes hingen. Ein neueres Beyspiel von einem, im Jahre 1788 auf dem Fort St. George lebenden dreyzehnjährigen, gegen 5 Schuh langen, wohlgebildeten Knaben, an dessen schwerdtför - migem Knorpel des Brustbeins eine Hüfte mit einer untern Extremität hing, ist in den philo - sophischen Transactionen vom Jahre 1789(y)Vol. LXXIX. p. 157. er - zählt(z)Noch andere, aus ältern Schriftstellern gesammelte Fälle finden sich in Haller’s angeführtem Werke p. 78 sq.. In andern Fällen waren drey Füſse, vier Hände, drey Schenkel, oder vier Arme vor - handen(a)Haller l. c. p. 50. C. XIV.. Doch kommen dergleichen Beyspie - le häufiger bey den übrigen Säugthieren, als bey dem Menschen vor. Haller(b)Ibid. p. 51. C. XV. hat viele Fälle dieser Art von Hunden, Katzen, Schaafen, Zie - gen, Ochsen, Pferden, Hasen und Vögeln ge - sammelt.

VonE e 3438

Von Miſsgeburthen mit einem einfachen Kopfe, aber mit einem doppelten Rumpfe und überzähligen Gliedmaaſsen, giebt es sehr viele Beyspiele sowohl bey dem Menschen, als bey den übrigen Säugthieren. Doch sind darunter wenige, bey welchen sich nicht auch an dem Kopfe eine Spuhr von Duplicität gefunden hätte. Von den Organen der Brust und des Bauchs wa - ren einige einfach, andere doppelt(c)Ibid. p. 56 sq. C. XVI-XIX.. So zer - gliederte Michael Heyland(d)Monstri Hassiaci disquisitio medica. im siebenzehnten Jahrhundert ein Kind, welches vier Hände und vier Füſse, aber nur ein einziges Gesicht hatte. Der Kopf war sehr groſs. Zwey Ohren befan - den sich an der gewöhnlichen Stelle, zwey an - dere, die nahe zusammenlagen, am Hinterkopfe. Ueber diesen lag ein Auge mit zwey Augenlie - dern. Drey andere wohlgebildete Augen saſsen am Vorderkopfe. Der Hinterkopf, die Schleim - drüse (glandula pituitaria), das Rückenmark, die Rückenwirbel, die Rippen, das Brustbein, das Herz und die groſsen Gefäſse des Herzens, die Lungen, das Zäpfchen, der Kehlkopf, die Spei - seröhre, die Thymus, die Leber, die Gallenbla - se, die Nabelgefäſse, die Milz, und die weibli - che Schaam, von welcher sich aber nur geringe Spuhren fanden, waren doppelt. Einfach warhin -439hingegen das Riechbein (os ethmoides), der Ober - und Unterkiefer, die Brusthöhle, der Magen und das Pancreas. Der Darmcanal war sehr kurz, und allenthalben fast von einerley Struktur. Auf der einen Seite lagen zwey Nieren, deren Harn - gänge in einen, der Blase analogen Körper über - gingen; auf der andern Seite befand sich nur Eine Niere mit einem Harngang, der sich in eine verschlossene Höhlung endigte. Nur der eine Körper hatte ein Zwerchfell, und der an - dere etwas, einer Gebährmutter Aehnliches. Der Brustwirbel waren auf der einen Seite eilf, auf der andern zwölf. Die Beckenknochen wa - ren unvollkommen.

Die letzte Classe der Miſsgeburthen enthält endlich diejenigen, deren ganzer Körper doppelt ist. Auch in dieser Classe finden sich fast alle ersinnliche Varietäten. Einige haben bis zum Nabel zwey von einander gänzlich getrennte Kör - per. Hier aber fliessen sie zu einem einzigen Körper zusammen. Solche Miſsgeburthen haben doppelte Eingeweide der Brust und des Unter - leibs, aber nur zwey Nieren, nur schwache Spuhren von einem After, gar keine Blase und keine Zeugungstheile. Bey andern Miſsgebur - then dieser Classe sind beyde Körper mit den Beckenknochen unter einander verbunden. Eine solche Miſsgeburth zergliederte Duverney, des -E e 4sen440sen Beschreibung unten folgen wird(e)Haller l. c. p. 81. C. XXI.. Andere nähern sich den schon oben erwähnten Körpern, die einen doppelten Kopf haben, deren übrige Körper aber von der Brust an zu einem einzigen vereinigt sind. Manche von diesen hatten zwey Köpfe, zwey Füſse, und zwey Arme, oder auch nur Spuhren von Armen; andere hatten ebenfalls zwey Köpfe und zwey Füſse, aber drey oder vier Arme, von welchen oft zwey unter einan - der verwachsen waren; noch andere besaſsen zwey Arme und drey Füſse, von welchen letz - tern einer aus der Vereinigung zweyer anderer ent - standen zu seyn schien, oder von welchen der eine sechs bis zehn Zehen hatte. Eine, von Tulpius(f)Obs. med. L. III. C. 37. beschriebene Miſsgeburth hatte einen einfachen Rumpf, zwey Köpfe, drey Arme, vier Hände und drey Beine. Die Lungen, das Herz, das Zwerchfell, der Magen, die Leber, Gebährmut - ter, und Harnblase sind bey diesen Miſsgebur - then bald einfach, bald doppelt; Nieren sind bald zwey, bald drey und bald vier vorhanden; der Mastdarm ist aber gewöhnlich einfach(g)Haller l. c. p. 83 sq. C. XXII-XXVII.. Oft sind einige Eingeweide zwar einfach, aber in einzelnen Stücken findet doch an denselbeneine441eine Duplicität statt. So erwähnt Lemery(h)Mém. de l Acad. des sc. de Paris. 1740. Ed. 8. p. 303. einer zweyköpfigen Miſsgeburth, deren Zwerch - fell zwar einfach war, aber zwey sehnichte Mit - telpunkte (centra nervosa) hatte. Endlich giebt es Miſsgeburthen, die aus zwey vollständigen, nur an einer einzigen Stelle verwachsenen Kör - pern bestehen. Meist findet die Verwachsung an der Brust und der Oberbauchsgegend statt, und gewöhnlich sind dergleichen Früchte weiblichen Geschlechts. Alle zum Kopfe, Halse, der Ge - gend des Unterleibs und den Extremitäten gehö - rige Theile sind bey diesen immer doppelt; von denen, welche zur Brust und zur Oberbauchs - gegend gehören, sind aber einige oft einfach, und zwar ist dies immer mit dem Nabel, und meist auch mit der Leber, dem Zwerchfelle, dem Herzen und dem Herzbeutel der Fall. Die - se Miſsgeburthen sind unter denen, welche dop - pelte Organe haben, die häufigsten. Unter 165 Fällen von monströsen Früchten gehörten 64 zu denen, welche doppelte Köpfe, Arme und Beine haben; 44 hatten ebenfalls doppelte Köpfe, aber ein gemeinschaftliches Becken, und an 38 waren blos überzählige Gliedmaaſsen zugegen(i)Haller Opuscul. anat. p. 156.. Insel -E e 5442seltenern Fällen fand die Verwachsung der beyden Körper auch an der Stirne, an den Hintern, oder an den Hinterköpfen und Rücken statt(k)Haller Opp. min. T. III. p. 97 sq. C. XXVIII-XXXII..

Soviel von den mannichfaltigen Arten der Miſsgeburthen. Folgende Sätze sind es nun, worauf sich unsere obige Behauptung gründet, daſs die ganze lebende Natur sich auf ähnliche Art aus wenigen einfachen Grundformen ent - wickelt hat, wie in jetzigen Zeiten Miſsbildungen entstehen.

Erster Satz. Mehrere ganz verschiedene Ursachen können Miſsbildungen hervorbrin - gen. Einige Miſsgeburthen rühren von zu - fälligen Einwirkungen, die erst nach der Empfängniſs eintreten, und namentlich von mechanischen Ursachen, her; andere aber, die ich mit dem Namen der ursprüngli - chen bezeichnen werde, entstehen aus einer krankhaften Beschaffenheit des männlichen oder weiblichen Zeugungsstoffs, die schon vor der Empfängniſs statt findet(l)Diesen und den folgenden Satz wird man auch in dem nachgelassenen 3ten Bande der Heilkraft des thierischen Magnetismus meines ver -ewig -.

Für443

Für das Entstehen mancher Miſsgeburthen aus zufälligen mechanischen Ursachen sprechen erstens die Fälle von doppelten Miſsgeburthen, welche nur an einer einzigen Stelle, z. B. an der Stirne, leicht verwachsen waren. Man würde aus der Ferne hohlen, was in der Nähe zu fin - den ist, wenn man eine andere, als mechanische Entstehung dieser Miſsbildungen annehmen woll - te. Daſs aber verschiedene lebende Individuen mit einander verwachsen können, erhellet nicht nur aus der Analogie der Pflanzen, bey welchen sich ganz verschiedenartige Zweige und Früch - te häufig mit einander vereinigen(m)Haller Opp. min. T. III. p. 156., son - dern auch aus Erfahrungen von Tagliacotius und Hunter, nach welchen wund gemachte Theile von Menschen und Thieren mit Organen von andern, nicht nur gleichartigen, sondern auch ungleichartigen Thieren zusammenwachsen. Ist also eine solche Vereinigung noch bey ausge - bildeten Organismen möglich, um wie viel leich - ter wird sie bey Embryonen, die zufällig mit einander in Berührung kommen, in der ersten Zeit des Entstehens derselben seyn, wo diese noch halbflüssige, leicht in einander flieſsendeMas -(l)ewigten Freundes Wienhoit aus noch andern Ge - sichtspunkten, als woraus ich sie hier darstellen konnte, entwickelt finden.444Massen sind! Und können auf diese Art doppelte Miſsgeburthen entstehen, bey welchen die Ver - wachsung der beyden Körper nur oberflächig ist, warum sollten denn nicht manche von denen, die inniger mit einander verbunden sind, eben - falls einen ähnlichen Ursprung haben? In der That lassen sich auch die Abweichungen vom re - gelmäſsigen Bau, die man in der innern Organi - sation solcher enger verbundenen Miſsgeburthen mit doppelten Körpern wahrnimmt, aus dem Drucke, den beyde Körper auf einander ausübten, zum Theil wenigstens, befriedigend erklären, wie Lemery(n)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1740. Ed. 8. p. 156. 299. 461. an einer von ihm beschriebenen Frucht, bey welcher die untere Hälfte des Kör - pers einfach, die obere doppelt war, gezeigt hat, und bey manchen Miſsgeburthen mit doppelten Köpfen kann man sich kaum enthalten, nicht an eine mechanische Ursache zu denken, welche die Körper derselben an einander gepreſst hat(o)In fetubus hominum et brutorum frequenter ca - put ex duobus capitibus coaluisse videtur Putes, Te manifesto causam videre, quae haec duo capita in unum redegit, modo propius ad se invi - cem adpressisse, modo minus accurate et cum ma - jori intervallo. Haller l. o. p. 152.. Hierzu kömmt noch, daſs man bey einigen zwey - leibigen Miſsgeburthen an der Stelle, wo beydeKör -445Körper in einander übergehen, eine Narbe, folg - lich einen Beweis für die ursprüngliche Trennung beyder Körper findet(p)Lemery a. a. O. 1738. p. 375.. Es ist freylich wahr, bey allen solchen Früchten fehlen manche Organe, wovon doch, wenn beyde Körper erst nach der Empfängniſs mit einander verwachsen sind, die Anlage vorhanden gewesen seyn muſs. Allein dieser Umstand läſst sich ebenfalls aus dem Druck erklären, den der eine Körper von dem andern erlitten hat. Aehnliche Erfahrungen sind von mehrern Beobachtern an Zwillingen gemacht. Un - ter andern sahe Haller(q)Elem. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. V. §. 17. p. 461. einen Fötus, der von dem andern vollständigen Zwilling bis zur Dün - ne des Löschpapiers zusammengedrückt war. An manchen Miſsgeburthen, die aus zwey Leibern bestehen, findet man auch noch Ueberbleibsel der Organe, die bey der Vereinigung beyder Kör - per zerstöhrt, oder an ihrer Ausbildung gehin - dert sind(r)Lemery a. a. O. 1724. Ed. 8. p. 84..

So wahrscheinlich es aber nach allen diesen Gründen ist, daſs manche Miſsgeburthen, und namentlich manche zweyleibige Früchte, erst nach der Empfängniſs entstanden sind, so ge - wiſs ist es auch, daſs nicht alle Miſsbildungen aus dieser Ursache abgeleitet werden können,son -446sondern daſs viele in der ursprünglichen Beschaf - fenheit des männlichen oder weiblichen Zeugungs - stoffs ihren Grund haben. Wer kann die Fälle, wo alle Organe, die sonst in der rechten Seite liegen, in der linken gefunden wurden, und um - gekehrt, für etwas anders als ursprüngliche Miſs - bildungen halten? Hier scheitern alle mechani - sche Erscheinungen(s)Haller Opp. min. T. III. p. 138., und eben so unzurei - chend sind diese in allen den Fällen, wo der übrige Körper wohlgebildet war, aber groſse Ab - weichungen vom regelmäſsigen Bau in der Ver - theilung gröſserer Gefäſse, oder in der Struktur einzelner Muskeln statt fanden, wo einzelne Or - gane, z. B. die Finger, überzählig waren, wo sich bey Menschen ein doppelter Uterus fand(t)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1705. Ed. 8. p. 504., oder wo beyderley Geschlechtstheile in Einem In - dividuum bey Thieren vorhanden waren, die sonst getrennten Geschlechts sind. Wer solche überzählige oder fremdartige Organe, die mit dem in allen übrigen Stücken regelmäſsig geform - ten Organismus, woran sie sich finden, aufs innigste vereinigt sind, für Ueberbleibsel eines andern Foetus hält, der bis auf diese Theile gänz - lich zerstöhrt ist, behauptet etwas, wovon sich, wie Mairan(u)Hist. de l’Acad. des. sc. de Paris. 1743. Ed. 8. p. 60. gezeigt hat, die Unwahrschein - lichkeit mathematisch beweisen läſst.

Doch447

Doch auch bey manchen von solchen Miſs - geburthen, deren Entstehung sich dem Anscheine nach mechanisch erklären läſst, zeigt sich bey genauerer Untersuchung diese Erklärungsart als ganz unzureichend. So verhält es sich mit den hirnlosen Früchten. Haller und Sandifort leiten den Ursprung derselben von einer äussern Gewalt her, die auf den Embryo im Mutter - leibe wirkte. Aber mit Recht hat Sömmering(v)Abbildungen u. Beschreibungen einiger Miſsge - burthen. §. 84. bemerkt, daſs die groſse Menge jener Miſsge - burthen und die Beständigkeit im Baue dersel - ben mit dieser Meinung schwer zu vereinigen ist.

Einen andern, noch wichtigern Grund für die Existenz ursprünglicher Deformitäten geben die Bastarde der Thiere und Pflanzen. Diese sind den Miſsgeburthen sehr nahe verwandt. Sie entstehen aus der Ungleichartigkeit des männ - lichen und weiblichen Saamens. Man hat also eine wichtige Analogie für sich, wenn man aus einer ähnlichen Ursache auch den Ursprung man - cher Miſsbildungen erklärt.

Man hat ferner Beyspiele von Miſsgebur - then einer und derselben Art, die von mehrern Personen aus Einer Familie, oder von EinerMut -448Mutter bey mehrern Geburthen zur Welt ge - bracht wurden. So entband Narf eine Frau von einem monströsen Kinde mit zwey neben einander stehenden Köpfen, dessen Groſsmutter väterlicher Seite ebenfalls eine zweyköpfige Frucht gebohren hatte(w)Osiander’s neue Denkwürdigkeiten für Aerzte u. Geburtshelfer. 1ten Bandes 1te Bogenzahl. S. 9.; und so hat Flachsland(x)Observat. pathologico - anatom. drey Miſsgeburthen beschrieben, die einander ganz ähnlich waren, indem bey allen die Verun - staltung im Mangel der Vorderarme und Unter - schenkel bestand, so daſs die Hände und - ſse mit den Oberarmen und Schenkeln unmittel - bar zusammenhingen, und welche in drey nach einander folgenden Jahren von der nehmlichen Mutter gebohren wurden. Zu diesen Miſsgebur - then muſs doch ohnstreitig der Grund schon vor der Befruchtung vorhanden gewesen seyn.

Was aber endlich allen Zweifel an der Reali - tät ursprünglicher Miſsbildungen hebt, ist die Verwandtschaft der Miſsbildungen und Degenera - tionen, und die Erblichkeit mancher Deformitä - ten. Aehnliche Miſsbildungen nehmlich, wie in einzelnen ungewöhnlichen Fällen durch unbekann - te zufällige Ursachen hervorgebracht werden, ent - stehen oft auch durch den Einfluſs allgemein verbreiteter Ursachen, z. B. des Climas, alsodurch449durch Degeneration; und wie Degenerationen, so sind auch Miſsbildungen zuweilen erblich. Hal - ler(y)Opp. min. T. III. p. 7. erwähnt eines Ochsen, dessen Hufen nach vorne in lange Fortsätze ausgewachsen waren. Hier waren diese Auswüchse Miſsbildung. Aber die Schweine, die im Jahre 1509 von den Spa - niern nach der Westindischen Insel Cubagna ge - bracht wurden, bekamen dort ebenfalls Klauen, die auf eine halbe Spanne lang waren, wie schon oben im 2ten Buche(z)Biol. Bd. 2. S. 497. Durch einen Schreibfehler steht aber an dieser Stelle Elle für Spanne. erzählt ist. Hier war diese Abweichung von der ursprünglichen Bildung Degeneration, und was bey jenem Ochsen von einer zufälligen Ursache herrührte, wurde bey diesen Schweinen durch den allgemeinen Einfluſs des Climas oder der Nahrungsmittel hervorge - bracht, der doch nicht erst nach der Empfängniſs eintreten konnte, sondern jenen Ursachen der Miſsbildung, die wir ursprüngliche genannt ha - ben, ganz analog war. So kommen auch in Eu - ropa wiederkäuende Thiere mit mehr als zwey Hörnern so selten vor, daſs sie hier zu den De - formitäten gehören. Hingegen sind in Siberien unter den Kirgisischen Böcken Individuen mit vier, fünf und sechs Hörnern, so wie unter den Saiga-Antilopen Individuen mit Einem Horne,wel -III. Bd. F f450welches auf der Mitte der Stirne sitzt, oder mit drey Hörnern, so häufig, daſs sich hier diese Abweichungen vom sonstigen Bau fast als Dege - nerationen betrachten lassen(a)Pallas spicil. zool. fasc. XI. p. 71. fasc. XII. p. 35.. Aber vorzüg - lich zeigen sich ähnliche Erscheinungen an der Gröſse des ganzen Körpers und an der Beschaf - fenheit des Haars. In einzelnen seltenen Fällen entstehen durch zufällige Ursachen Thiere, die ihre Stammeltern an Gröſse weit übertreffen. Was in diesen Fällen Miſsbildung ist, wurde bey den Europäischen Schweinen, die von den Spa - niern nach Cuba gebracht waren, Degeneration. Die Abkömmlinge derselben wurden auf dieser Insel alle mehr als noch einmal so groſs, wie ihre Europäischen Vorfahren(b)Blumenbach in Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik etc. B. VI. St. 1. S. 9. 10.. Behaarte Thie - re werfen zuweilen ein unbehaartes Junges. Aber unter den Hunden giebt es eine ganze unbehaarte Raçe, nehmlich die der Türkischen Hunde.

Von der Erblichkeit der Deformitäten giebt es eine Menge Beyspiele bey dem Menschen und dessen Hausthieren. Ja, es sind sehr viele Fälle vorhanden, wo nicht nur angebohrne Verunstal - tungen, sondern selbst zufällige, erst lange nach der Geburth entstandene Verstümmelungen auf die Nachkommen übergingen. Man findet häufigEn -451Enten, Gänse, Hühner und Canarienvögel, wel - che Federbüsche tragen. Begatten sich Männchen und Weibchen, die beyde mit diesem Schmuck versehen sind, unter einander, so geht derselbe nicht nur auf die Jungen über, sondern er nimmt bey den folgenden Generationen zu, und artet endlich in eine wirkliche Krankheit aus. Erst nehmlich entsteht unter der Kopfhaut eine schwie - lichte Masse, welche den Scheitel nach aussen hervorragend macht. Dann schwellen die Schei - telbeine an, werden löchericht, und bilden eine halbkugelförmige Erhabenheit, welche mit Hirn - masse ausgefüllt wird. Die Vögel, die an dieser Deformität leiden, sind stupide, und erreichen kein hohes Alter(c)Pallas l. c. fasc. IV. p. 20.. Nach Clayton’s Erzäh - lung verlohren die Hühner, die von den Eu - ropäern nach Virginien gebracht waren, die Schwanzfedern, und dieser Mangel pflanzte sich auf die Nachkommen derselben fort(d)Miscell. curios. Vol. III. p. 330. Londin. 1727.. Pal - las(e)l. c. fasc. XI. p. 69. Tab. IV. fig. d. hat eine Abbildung von dem Kopfe eines Bocks geliefert, bey welchem der cartilaginöse Theil der Nase niederwärts gebogen war, und der knöcherne Theil über dieser einen Höcker bildete. Er versichert zugleich, daſs diese Ver - unstaltung erblich geworden sey Schulz, derVer -F f 2452Verfasser der Bemerkungen über einen monströ - sen Canarienvogel, hatte eine Spanische Hündin, die von Natur ohne Schwanz war. So oft diese mehr als Einen Jungen warf, hatte unter densel - ben höchstens einer einen vollkommenen, die meisten aber einen um die Hälfte oder noch wei - ter abgekürzten, und wenigstens einer gar kei - nen Schwanz Digby, Highmore, Buffon, Mash und Forster haben Beyspiele von Hunden und Pferden erzählt, denen die Schwänze und Ohren abgekürzt waren, und welche diesen Man - gel ganz oder doch zum Theil auf ihre Nach - kommen forterbten(f)Blumenbach a. a. O. S. 13 ff.. Von der Erblichkeit je - ner Art von Deformität, wo sechs Finger an jeder Hand sind, führt schon Plinius(g)Hist. nat. L. XI. c. 43. ein Beyspiel an. In neuern Zeiten sind mehrere ähn - liche Fälle beobachtet worden(h)Haller Opp. min. T. III. p. 27. c. IX. Van der Haar’s auserlesene med. u. chirurgische Abhandl. u. Beobachtungen. 2ter Band. 17te Abh. Blumenbach a. a. O. S. 18. Hacquet ebendas. B. VI. St. 4. S. 28.. Unter andern erwähnt Blumenbach(i)A. a. O. S. 22. eines Officiers, dem in seiner Jugend der kleine Finger der rechten Hand zerhauen und krumm geheilet worden war, und dessen sämmtliche Kinder ebenfalls den kleinen Finger der rechten Hand krummstehend auf dieWelt453Welt brachten. Daſs in allen diesen Fällen, und besonders in denen, wo die Verunstaltung vom Vater auf die Kinder überging, die Ursa - che der fortgepflanzten Miſsbildung zu den ur - sprunglichen gehörte, bedarf keiner weitern Aus - einandersetzung.

Zweyter Satz. Alle Miſsgeburthen sind im Innern so zweckmäſsig organisirt, wie es der Grad der äussern Deformität nur immer zuläſst; bey allen zeigt sich ein Bestreben der bildenden Kräfte, auch unter den un - günstigsten Umständen, einen möglichst voll - kommenen Organismus hervorzubringen.

Als Belege zu diesem Satze mögen die von Duverney(k)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1706. Ed. 8. p. 538. und Kulmus(l)Descriptio foetus monstrosi. beschriebenen Miſsgeburthen dienen.

Duverney’s Miſsgeburth bestand aus zwey Knaben, die in den Becken mit einander verei - nigt waren, welche aber dennoch vollständige untere Gliedmaaſsen, und einen so wenig als möglich beschränkten Gebrauch dieser Organe hatten. Wie würde ein menschlicher Künstler, der die Natur lebendig nachzuahmen vermögte,undF f 3454und eine ähnliche Vereinigung zu bilden sich vorgesetzt hätte, hierbey verfahren? Man denke nach über diese Frage, beantworte sie, wenn man kann, und lese folgende Beschreibung, und man wird eingestehen, daſs auch miſsgestaltete Werke der Natur erhabener sind über alle Men - schenwerke, wie die höchsten Ideale der Kunst über das Schnitzwerk und die Mahlerey tändeln - der Knaben.

Die beyden Kinder, woraus die erwähnte Miſsgeburth bestand, waren bis zur Nabelgegend vollkommen wohl gebildet. Hier aber fing die Abweichung vom natürlichen Baue an. Die bey - den Schaambeine jedes Kindes hingen nicht, wie gewöhnlich, unmittelbar unter einander durch einen Knorpel zusammen, sondern das rechte Schaambein des einen war mit dem linken des andern, und das linke des letztern mit dem rech - ten des erstern durch ein kurzes, sehr starkes, aber auch sehr biegsames Ligament verbunden, und diese Knochen bildeten mit den Darm -, Sitz - und Kreutzbeinen beyder Individuen ein einziges gemeinschaftliches Becken, welches, ver - mittelst der erwähnten Ligamente, in der Mitte dergestalt artikulirt war, daſs die dem einen Kinde gehörige Hälfte desselben sich um die an - dere Hälfte bis auf einen gewissen Punkt bewe - gen konnte. Festigkeit erhielt dieses Beckendurch455durch ein anderes, sehr starkes und dickes Band, welches von der einen Seite zur andern ging, und an dem untern Rande der Schaambeingelen - ke befestigt war. Bey dieser Struktur nun war es möglich, daſs jener Vereinigung der beyden Früchte ohngeachtet, die nicht nur alle Bewe - gung der untern Hälften ihrer Körper zu ver - hindern, sondern auch keinen Raum für die un - tern Gliedmaaſsen übrig zu lassen schien, diese dennoch eine schickliche Stelle und einen be - trächtlichen Grad von Bewegung erhalten konn - ten. Vermittelst des erwähnten Beckengelenks konnten beyde Kinder nicht nur die Obertheile ihrer Körper nach allen Richtungen bewegen, sondern auch einigermaaſsen, sowohl einzeln, als gemeinschaftlich, fortschreiten.

Durch dieses gemeinschaftliche Becken wur - de aber eine, vom Gewöhnlichen völlig abwei - chende Struktur der Eingeweide des Unterleibs nothwendig gemacht. Die geraden Bauchmus - keln, die hier nicht ihre gewöhnliche Richtung vom Brustbeine zu den Schaambeinen nehmen konnten, theilten sich bey jedem der Zwillinge in der Mitte des Bauchs, und gingen seitwärts zu den Schaambeinen. Hierdurch entstand zwi - schen ihnen ein leerer Raum, der durch die Aponeurosen der übrigen Bauchmuskeln ausge - füllt war, und in dessen Mitte sich der gemein -F f 4schaft -456schaftliche Nabel befand. Das Innere der Ober - theile beyder Körper war, gleich dem Aeussern derselben, und namentlich der Darmcanal bis zum Colon, natürlich gebildet. Das Colon aber war beyden gemeinschaftlich, und endigte sich in einen zweyten gemeinschaftlichen Darm, der zu beyden Seiten mit einem blinden Anhange ver - sehen war. Der letztere ging in einen Behälter über, welcher sich darin mit der Cloaca der - gel vergleichen lieſs, daſs sich in ihn auch die Harngänge und die Ausleerungsgefäſse des Saa - mens öffneten, aber darin von dieser abwich, daſs kein After vorhanden war, sondern daſs aus ihm zwey Harnröhren zu den beyden männlichen Gliedern gingen, die zwischen den Hintern der Zwillinge an der Stelle des Afters nach hinten gerichtet lagen. Der dünne Theil des Darmca - nals hatte bey jedem Kinde sein eigenes Gekröse. Aber an dem gemeinschaftlichen Darm war auf beyden Seiten der Länge nach eine Fortsetzung des Gekröses jedes einzelnen Kindes befestigt, die ihre Blutgefäſse von beyden Zwillingen er - hielt. Diese Gefäſse entsprangen sowohl aus der obern, als der untern Gekrösarterie, und die Vene jenes gemeinschaftlichen Gekröses entleerte sich in die Hohlader unter den Nierenvenen.

Die andere erwähnte Miſsgeburth, welche von Kulmus beschrieben ist, bestand aus weib -lichen457lichen Zwillingen, die von der Mitte der Brust bis zur Nabelgegend verbunden waren. Alles war an diesen Kindern natürlich, bis auf das Brustbein, die Muskeln, die am Brustbeine befe - stigt sind, das Herz, das Zwerchfell und die Le - ber. Diese Organe waren einfach, und gehörten beyden Kindern zugleich an. Aber wie konnte Ein Herz den Blutgefäſsen zweyer Körper zum Ursprunge dienen? Man höre, durch welche Struktur die Natur dieses Problem gelöset hatte.

Jenes Herz hatte zwey Scheidewände, eine auf der rechten und eine auf der linken Seite, mithin drey Ventrikel. Der mittlere von diesen stand durch eine weite Oeffnung, die sich in der linken Scheidewand befand, mit dem linken Ven - trikel in Verbindung; die rechte Scheidewand aber war undurchbohrt. Jeder Körper hatte sei - ne eigene Aorta, Hohlvene, Lungenarterie und Lungenvene. In dem rechten Ventrikel fanden sich zwey Oeffnungen; die eine diente zur Auf - nahme der rechten Hohlvene, und aus der an - dern entsprang die rechte Lungenarterie. Der mittlere Ventrikel hatte, ausser der schon er - wähnten Oeffnung, wodurch er mit dem linken Ventrikel in Verbindung stand, noch vier andere: eine, woraus die rechte Aorta entsprang; eine zweyte, worin sich die rechte Hohlvene inserirte, die auch, wie schon bemerkt ist, in den rech -F f 5ten458ten Ventrikel überging; eine dritte, welche der linken Hohlvene angehörte, und eine vierte, woraus die linke Aorta enstand. Aus dem drit - ten Ventrikel ging blos die linke Lungenarterie hervor. Die beyden Lungenarterien waren mit den beyden Aorten durch arteriöse Canäle ver - bunden. Vier Aurikeln, zwey obere und zwey untere, dienten zur Aufnahme des Bluts der Lun - genvenen. Die beyden obern waren unmittelbar mit diesen Blutadern, und durch zwey andere Oeffnungen mit den beyden untern Aurikeln ver - bunden; die letztern aber standen durch einen weiten Canal mit einander in Verbindung, und öffneten sich auf eine, von Kulmus nicht näher beschriebene Art in die Hohladern. So fanden hier Zugänge aus allen Organen beyder Körper durch die Lungenvenen und Hohladern zum Her - zen, und aus diesem durch die Lungenarterien und Aorten zu allen Organen statt.

Aber die Natur ist unerschöpflich an Hülfs - mitteln. Auf eine noch andere Art, als bey der eben erwähnten Miſsgeburth, hatte sie das Pro - blem, zwey Körper aus Einem Herzen mit Blut - gefäſsen zu versehen, bey einer von Haller(m)Opuscula anatom. de respirat. etc. p. 141. Opp. min. T. III. p. 98. C. XXIX. beschriebenen Miſsgeburth, welche der von Kul - mus geschilderten im Aeussern völlig ähnlich war,auf459auf einem noch andern Wege bey Mulebancher’s vereinigten Zwillingen(n)Opere diverse del Sign. Vallisneri. P. III. p. 414., auf eine dritte Art bey der Miſsgeburth des Mazzuchilli(o)Ibid. p. 440., und so überhaupt fast immer auf eine neue Art bey jedem Paare in der Brust unter einander verwach - sener Körper gelöset. Doch der Raum verbietet uns, dies hier umständlicher zu zeigen.

Dritter Satz. Die Miſsgeburthen bilden unter sich ein ähnliches System, wie die re - gelmäſsig geformten Körper der lebenden Na - tur. Wie diese, so machen auch jene keine einfache Stufenleiter aus, sondern jede Art ist mit mehrern ganz verschiedenen Arten nahe verwandt.

Man nehme irgend eine Deformität eines ein - zelnen, und selbst des wichtigsten Organs, z. B. diejenige, wo zwey Köpfe vorhanden sind, und vergleiche die Körper unter einander, woran sich diese Miſsbildung findet; es wird sich dann zei - gen, daſs mit dieser Abweichung vom regelmäſsi - gen Bau die verschiedensten Deformitäten ande - rer Organe verbunden seyn können. Es gab Miſsgeburthen, die zwey Köpfe und zwey Füſse hatten; andere hatten zwey Köpfe und drey - ſse, und noch andere zwey Köpfe und vier -ſse.460ſse. Eben so verschieden war bey den Doppelt - köpfen die Zahl der obern Extremitäten, und oft waren auch von diesen nur einzelne Knochen vorbanden. Und selbst unter den Eingeweiden der Brust und des Unterleibs ist keines, welches nicht bey jener Art von Miſsgeburthen in der Zahl und Struktur variirt hätte. Sogar das wichtigste dieser Organe, das Herz, war bald einfach, bald doppelt, und bald auf diese, bald auf jene Art gebildet. So können mit der Dupli - cität des Kopfs die mannichfaltigsten Miſsbildun - gen des übrigen Körpers verbunden seyn; und eben so verhält es sich auch mit den verschiede - nen Formen einzelner Organe, die wir bey den verschiedenen Gattungen der lebenden Körper antreffen. Auch unter diesen ist keine, welche mit einer bestimmten Form des übrigen Organis - mus in nothwendiger Verbindung stände; und daher rührt es, daſs jede Art mit mehrern ganz verschiedenen Arten in naher Verwandtschaft steht, und daſs keine einfache Gradation unter jenen Körpern statt findet, wie im sechsten Abschnitt des ersten Buchs dieses Werks umständlicher ge - zeigt ist(p)Biol. Bd. 1. S. 446 ff..

Diese Sätze sind es, worauf sich unsere obige Behauptung gründet, daſs die mannichfaltigen Formen der lebenden Natur aus wenigen einfa -chen461chen Urformen durch den ewigen Kreislauf von Veränderungen, in welchem das Universum be - griffen ist, entwickelt sind. Wir haben nehm - lich erstens gesehen, daſs bey zufälligen, und selbst mechanischen Ursachen, die nach der Em - pfängniſs auf den Keim wirken, und die regel - mäſsige Ausbildung desselben verhindern, dieser dennoch eine, den Verhältnissen, worin er sich befindet, so angemessene Gestalt, wie möglich, annimmt. Um wie viel mehr wird dies also der Fall seyn, wenn jene Ursachen nicht zufäl - lig, sondern Resultate der Organisation des Uni - versums sind! Ursachen aber, die in der Orga - nisation des Weltalls gegründet sind, wirken nicht, wie die zufälligen, wodurch Miſssbildun - gen entstehen, blos vorübergehend, sondern durch ganze Reihen von Generationen. Sie ha - ben also schon vor der Empfängniſs Einfluſs auf den Zeugungsstoff. Wenn folglich diese Ursa - chen in der That denen analog sind, durch wel - che Deformitäten hervorgebracht werden, so muſs es auch Ursachen der Miſsgeburthen geben, die schon vor der Empfängniſs wirksam sind. Daſs es aber solche Ursachen giebt, ist ebenfalls oben bewiesen worden. Ferner, wenn die lebende Natur auf ähnliche Art entstanden ist, wie Miſs - geburthen erzeugt werden, so müssen diese un - ter sich ein ähnliches System, wie die regelmä - ſsig gebildeten Körper der lebenden Welt, aus -ma -462machen; und daſs auch dies der Fall ist, wurde in dem dritten obigen Satze gezeigt. So spricht die Analogie der Miſsbildungen für unsere Mei - nung von dem Entstehen der jetzigen lebenden Natur, und wir beschliessen diesen Abschnitt in der Ueberzeugung, eines der schwürigsten Pro - bleme der Biologie gelöset zu haben.

Zwey -463

Zweyter Abschnitt. Wachsthum und Abnahme der leben - den Körper.

§. 1.

Die erste Lebenserscheinung, die wir an dem neu erzeugten Individuum wahrnehmen, ist das Wachsthum. Versteht man indeſs unter dieser Benennung jede Vergröſserung des Volumens über - haupt, so hat der lebende Organismus hierin nichts vor der todten Natur voraus, als das Ver - mögen, bey ungleichförmigen äussern Einwirkun - gen dennoch gleichförmig sein Volumen zu ver - gröſsern, und so kann uns die Erfahrung hier - über nichts sagen, was sich nicht schon zum voraus wissen liesse. Aber wir treffen bey dem Wachsthume der lebenden Körper noch andere Eigenthümlichkeiten an, die der todten Natur fehlen, und diese sind es, die hier eine nähere Untersuchung verdienen.

§. 2.

Jeder leblose Körper wächst, so lan - ge die Quelle seines Bildungsstoffsnicht464nicht versiegt; aber jedem lebenden Organismus ist eine Gränze gesetzt, die er bey seinem Wachsthume nicht über - schreiten kann, wenn ihm auch der Nahrungsstoff immer in gleicher Menge zuflieſst.

Gebt dem Dianenbaume und andern metalli - schen Vegetationen unaufhörlich neue Nahrung, und sie wachsen bis ins Unendliche. Aber selbst der fruchtbarste Boden verschafft dem Grashal - me, und die nahrhafteste Speise dem Menschen nicht die Gröſse der Eiche.

Indeſs ist jenes Ziel des Wachsthums bey den verschiedenen Arten der lebenden Organis - men sehr verschieden. Die meisten Thiere er - reichen es lange vor ihrem Ende. Hingegen die Grocodile, manche Wasserschlangen und Fische(a)Haller El. phys. T. VIII. L. XXX. S. III. §. 13. p. 91., so wie unter den Pflanzen die Adansonia digi - tata(b)Adanson’s Reise nach Senegal. S. 64. Ebenders. in den Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1761. p. 218., der Ceiba (Bombax L.)(c)Adanson familles des plantes. P. 1. p. 390., die Eiche und die Ceder des Libanons(d)Eine Eiche, deren Umfang im Jahre 1580 vier Fuſsbetrug, nehmen bis zu ihrem Tode immer fort an Gröſse zu.

§. 3.465

§. 3.

Weder das Volumen des ganzen le - benden Organismus, noch das seiner einzelnen Organe, nimmt in gleichen Zeiten um gleiche Theile zu.

Je näher der Mensch seinem Ursprunge ist, desto schneller vergröſsert sich sein Volumen. Doch leidet auch dieser Satz Ausnahmen. Im zweyten Monat wächst der Embryo langsamer, als im dritten; im Anfange des vierten wieder etwas langsamer; von der Mitte des vierten bis zum sechsten wieder stärker, und von dieser Zeit an bis zum neunten wieder etwas langsamer(e)Sömmering Icones embryonum human. In ex - plicat. tabularum..

Unter den einzelnen Organen wächst der Schädel in den neun Monaten vor der Geburth mehr, als in den zwanzig folgenden Jahren(f)Tenon, Mém. de l’Institut nat. Sc. mathem. et phys. T. I. p. 230..

Die

(d)betrug, hatte im Jahre 1760 eine Circumferenz von 15 Fuſs 29 / 10 Zoll, und 1781 von 16 Fuſs 58 / 10 Zoll. Sie nahm folglich bis in ihr 200jähriges Alter noch an Dicke zu. Eine Ceder, welche 1748 nur 1 Fuſs hoch war, hatte 1777 3 Fuſs 15 / 10 Zoll, und 1795 6 Fuſs 15 / 10 Zoll im Umfange. Marsham, Phil. Transact. 1797.

III. Bd. G g466

Die Schirmpalme nimmt in den vier letzten Mo - naten vor ihrer Blüthe 45mal mehr an Gröſse zu, als in den gleichen Zeiträumen der vorhergehen - den 35 Jahre.

§. 4.

Die verschiedenen Organe des leben - den Körpers entstehen nicht gleichzei - tig, sondern nach einander.

Bey dem Embryo des Menschen sieht man um die dritte Woche einen zwey Drittel des ganzen Körpers groſsen Kopf, und die Extre - mitäten als kaum bemerkbare Punkte(g)Sömmering l. c. fig. 1.. Ge - gen die sechste Woche zeigt sich das Nabelbläs - chen(h)Ibid. fig. 2.. Kurz nach derselben erscheinen Spuh - ren vom Munde und von den Augen(i)Ibid. fig. 3.. Nach der siebenten Woche fängt die Bildung der Na - se(k)Ibid. fig. 4., und bald darauf auch die der Ohren, der Finger, vielleicht auch des Afters und der äussern Genitalien(l)fig. 5. an. Um die zehnte Woche zeigen sich an den Ohren der Helix, Tragus, Antitragus und Antihelix; an den Augen die ge - schlossenen Augenlieder; an der Nase der Rük -ken,467ken, die Flügel, und die Scheidewand; am Munde die Lippen, und an den Genitalien der Geschlechtsunterschied(m)fig. 8. 9.. Um die zwölfte Woche unterscheidet man am Kopfe die Stirn -, Scheitel - und Schläfenbeine, die Augapfel, das Grübchen auf der Mitte der Oberlippe, und die Ohrmuschel; am Rumpfe den genau vom Kopfe und von den Schultern begränzten Hals, die Rippen, den stark hervorstehenden Penis, und das Scrotum. Die obern Extremitäten haben ihre Schlüsselbeine, einige durch die Muskeln erha - bene Stellen, an den Fingern die Gelenke, und eine Spuhr von den Nägeln. An den untern Ex - tremitäten unterscheidet man die Hüftknochen, den groſsen Trochanter, die Gelenkköpfe des Schenkels, die Kniescheibe, die Knöchel und am Fuſse die Spuhren der Nägel(n)fig. 10..

Ueber die Zeit des Entstehens, oder viel - mehr des Sichtbarwerdens der innern Organe des Menschen und der übrigen Sängthiere fehlt es noch an hinreichenden Beobachtungen. Cruik - shank(o)Reil’s Archiv f. d. Physiologie. B. 3. H. 1. S. 92. Taf. 1. fand bey Kaninchen am dritten Tage nach der Begattung bey allen das Chorion undAm -G g 2468Amnion, und, wie er glaubt, auch bey einigen die Allantois. Am achten Tage wurden die er - sten Anfänge der Wirbelbeine, des Rückenmarks und der Hemisphärien des Gehirns sichtbar, wenn er einen Tropfen destillirten Weingeist darauf fallen lieſs. Am neunten Tage zeigte sich der Nabelstrang, doch noch sehr kurz.

Zahlreichere und genauere Beobachtungen ha - ben wir über die Zeiten des Sichtbarwerdens der Eingeweide bey dem bebrüteten Ey der Henne. Gegen die 7te Stunde zeigt sich in diesem der Dottersack(p)Haller sur la formation du coeur dans le pou - let. Mém. 1. obs. 1.; gegen die zwölfte das Amnion(q)Ebendas. Obs. 5.; um die 24te das Gehirn und Rückenmark(r)Obs. 19.; um die 31te die figura venosa(s)Obs. 31.; um die 48te das Herz(t)Obs. 37 ff. und die Aorta(u)Obs. 40. 43. 45.; um die 70te die ersten Anfänge der Flügel und Beine(v)Ebendas. Mém. 2. p. 47.; um die 72te die Allantois(w)Ebendas. Mém. 1. Obs. 78. 79.; am Anfange des 4ten Ta - ges die Leber(x)Obs. 102.; am Ende des 5ten Tages dieRudi -469Rudimente der Lungen, des Magens, und des Mastdarms(y)Obs. 133. 126.; am 6ten Tage die Gallenblase(z)Obs. 143., die Nieren(a)Obs. 144. und die dünnen Gedärme(b)Obs. 148..

In den befruchteten Eyern des Blei (Cyprinus Brama) erkennt man am ersten Tage den Dot - ter(c)So nennet Bloch diesen Theil. Es ist aber schon im ersten Kapitel des vorigen Abschnitts bemerkt worden, daſs es zweifelhaft ist, ob die Eyer der Grätenfische einen Dotter besitzen., das Weisse und zwischen diesen eine halbmondförmige Stelle. Am 2ten Tage wird diese Stelle, in welcher von Zeit zu Zeit ein be - weglicher Punkt erscheint, etwas trübe. Am 3ten Tage erblickt man an diesem Orte eine dich - tere Masse, die mit dem einen Ende frey ist, mit dem andern aber im Dotter festsitzt. Am Ende der letztern Stelle sieht man den Umriſs des erwähnten Punkts, dessen Bewegung jetzt ver - doppelt wird. Die angeführte Masse, oder der Embryo, bewegt sich von Zeit zu Zeit mit dem freyen Ende, oder Schwanze. Am 4ten Tage vermehren sich sowohl die Pulsschläge, als auch die Bewegung des ganzen Körpers. Am 5ten Tage nimmt man bey gewissen Lagen des FoetusdenG g 3470den Umlauf der Säfte in den Gefäſsen wahr. Am 6ten Tage läſst sich der Rückgrath mit den daran sitzenden Rippen unterscheiden. Am 7ten erblickt man mit bloſsen Augen zwey schwarze Punkte im Ey, welche die Augen sind. Jetzt stellt sich schon der Fisch mit seinem ganzen Umrisse und die Wirbelsäule mit den Rippen so deutlich dar, daſs man bey einer stärkern Ver - gröſserung die Anzahl der letztern bestimmen kann. Da übrigens die Ausbrütung der Fische durch die Sonnenwärme geschieht, und diese in der Laichzeit das Wasser nicht allemal in glei - chem Grade erwärmt, so geschieht auch die Ent - wickelung der Eyer nicht immer in einerley Zeit - raume, und man nimmt daher die angeführten Erscheinungen bald einen Tag früher, bald spä - ter wahr(d)Bloch’s Fische Deutschlands. Th. 1. S. 117. 118..

§. 5.

Die Theile des lebenden Organismus wachsen nicht alle in gleichem Verhält - nisse. Einige sind schon ausgebildet und zu ihrer gehörigen Gröſse gelan - get, indem andere in ihrer Ausbildung und in der Zunahme ihres Volumens noch begriffen sind.

Der471

Der Embryo der Säugthiere wächst nicht in gleichem Verhältnisse mit seiner Hülle. Je klei - ner jener, desto gröſser dieser; und umge - kehrt(e)Sömmering Icon, embr. human. In expl. tab..

Bey allen Thieren steht das Wachsthum der festen Theile mit der Zunahme der flüssigen im umgekehrten Verhältnisse. Je jünger sie sind, desto gröſser ist die Masse der letztern, und desto kleiner das Volumen der erstern. Mit zu - nehmendem Alter nimmt dieses zu, indem jene vermindert wird.

Je jünger der Embryo ist, desto gröſser ist der Kopf(f)Sömmering l. c., desto gröſser das Gehirn(g)Sömmering’s Hirn - und Nervenlehre. §. 26., und desto dicker sind die Nerven(h)Ebendas. §. 173.. In ganz jungen Früchten übertrifft der Kopf den ganzen übrigen Körper an Gröſse(i)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. IV. §. 38. p. 369..

Ferner erreichen am Kopfe die Augen(k)Ibid. p. 370., die Pyramiden der Schläfenbeine(l)Sömmering Icon. embr. human. In expl. tab., und dasLaby -4472Labyrinth des Ohrs(m)Sömmering’s Eingeweidelehre. §. 54. S. 42.; am Halse die Schild - drüse(n)Albini Icon. ossium foetus. Tab. III. f. 46. 51.; in der Brust das Herz(o)Eph. Nat. Cur. Dec. II. Ann. 1. p. 305., die Thy - mus(p)Haller l. c. §. 39. p. 371., und die Bronchialdrüsen(q)Ibid. p. 372.; im Un - terleibe die Leber(r)Ibid. §. 40. p. 372. 373., das Pancreas, die Ge - krösdrüsen(s)Ibid. §. 39. p. 372. Sömmering’s Eingeweidelehre. S. 151. §. 31., die Nebennieren(t)Haller l. c. und der wurmförmige Fortsatz des Blinddarms(u)Sömmering a. a. O. §. 239. S. 351. frü - her, als die übrigen Organe, ihre bestimmte Gröſse und Bildung.

Langsamer als alle übrige Organe gelangen hierzu die Genitalien, und beym weiblichen Ge - schlechte auch die Brüste.

Selbst jeder einzelne Theil beobachtet jenes obige Gesetz bey seinem Wachsthume. Das äus - sere Stück des Ringes der Iris bildet sich früher, als das innere(v)Sömmering Icon. embr. human. In expl. tab.. Der Schädel wächst von der Geburt an bis zum sechsten Jahre mehr nach dem gröſsten Durchschnitte, als nach dem klei -nern,473nern, welcher unter der Basis des Schädels von dem einen Jochfortsatze zum andern über den Schuppentheil der Schläfenbeine und über die vordern Seiten der Hinterhauptsbeine bis zur Pfeilnath geht; hingegen nach dem sechsten Jahre mehr nach dem letztern, als nach dem erstern. Ferner wächst in der ersten dieser Perioden die gröſste Länge des Schädels von hinten nach vorne mehr, als der gröſste von der einen Seite zur andern gehende Queerdurchmesser, und in der zweyten dieser mehr, als jener. Endlich liegt auch der gröſste horizontale, durch das Stirnbein gehende Durchschnitt des Schädels bey dem neu - gebohrnen Kinde fast um einen Zoll höher, als bey dem Erwachsenen(w)Tenon, Mém. de l’Institut Nat. Sc. mathem. etc. T. I. p. 221..

§. 6.

Einige Organe nehmen sogar wieder ab, oder verschwinden ganz, indem das Wachsthum der übrigen noch fort - dauert; oder mit andern Worten: in dem Wachsthume einiger Organe findet ein Antagonismus statt.

Ein solcher Theil ist bey dem menschlichen Embryo das Nabelbläschen, welches desto mehrab -G g 5474abnimmt, je gröſser dieser wird, und gegen die Mitte der Schwangerschaft ganz verschwindet(x)Lobstein Essai sur la nutrition du foetus, im Neuen Journal der ausl. med. chir. Litteratur von Hufeland u. Harles. B. I. St. 2. S. 20 ff.. Gegen die Zeit der Geburth schwinden bey die - sem das obturaculum meatus auditorii(y)Haller El. phys. T. V. L. XV. S. I. §. 8. p. 198. und die membrana pupillaris(z)Wrisberg, Nov. commentar. soc. reg. sc. Gotting. T. II. p. 108 sq.; nach derselben der ductus venosus und arteriosus, die Nabelgefäſse, die Eustachische Klappe(a)Lobstein de valvula Eustachii Leveling de valvula Eustach. etc. und die Thymus(b)Hewson experimental Inquiries. T. III..

Auffallender als bey dem Menschen, den Säugthieren und Vögeln aber bestätigt sich das obige Gesetz bey mehrern Amphibien und bey den meisten Insekten.

Der braune Grasfrosch (Rana temporaria L.) zeigt sich bald nach seinem Entstehen aus dem Ey als ein länglichter Wurm mit franzenähnlichen Anhängen zu beyden Seiten des Kopfs(c)Rösel’s hist. ranar. nostrat. Tab. II. f. 17. 18. p. 8.. Mit zu - nehmender Gröſse des Wurms verschwinden diese Anhänge, und statt derselben erscheinen Augen undeine475eine Schwanzflosse(d)Ibid. f. 19. 20. p. 8.. So wie die Vorderfüſse erscheinen, fällt der Leib zusammen(e)Ibid. f. 27. p. 10., und so wie auch die Hinterfüſse hervorwachsen, ver - schwindet der Schwanz, die Gedärme werden kürzer, und das Thier bekömmt die Gestalt eines vollkommenen Frosches(f)Ibid. p. 11..

Eine ähnliche, und zum Theil noch auffal - lendere gleichzeitige Ab - und Zunahme der ver - schiedenen Organe beym Wachsthume des ganzen Organismus zeigt sich beym Laubfrosche(g)Ibid. Sect. II. p. 37., dem grünen Wasserfrosche(h)Ibid. Sect. III. p. 53., der Kröte(i)Ibid. S. IV. p. 69., der Pipa(k)Spallanzani über die Erzeugung der Thiere u. Pflanzen. Abth. 1. S. 328. 329., und der Rana paradoxa.

Auf eben dem Gesetze beruhen auch alle Verwandlungen der Insekten. Ausdehnung, oder selbst ganz neue Erzeugung einiger Organe, und zwar innerer sowohl, als äusserer(l)Lyonnet Tr. de la chenille, qui ronge le bois de saule. p. 385., in - dem andere sich verkürzen, oder völlig ver - schwinden, bewirkt diesen Zauber. Eine bloſseVer -476Verkürzung und Verlängerung findet bey der zweyten Classe der Insekten, nach Swammer - damm’s Eintheilung(m)Swammerdamii Hist. insect. gener. S. IV. p. 76 sq. Lesser Theologie des Insectes. P. I. p. 152. not. (*)., eine völlig neue Erzeu - gung und ein gleichzeitiges Verschwinden bey den zwey folgenden Classen statt(n)Swammerdamm a. a. O. p. 88 sq. p. 121 sq.. Indem die äussern Gliedmaaſsen der Larve schwinden und ihre Länge abnimmt, wächst ihre Dicke, und durch jenes Schwinden und jene Verkurzung mit dieser gleichzeitigen Zunahme wird sie in eine Puppe verwandelt. In der Nymphe ereignet sich dasselbe, wie in dem Ey der Säugthiere und Vögel. Je jünger sie ist, desto gröſser ist die Menge der flüssigen, desto geringer die der festen Theile(o)Swammerdamm ebeudas.. Je mehr diese zunimmt, in - dem jene sich vermindert, desto mehr nähert sich die Nymphe dem vollkommenen Insekt.

Eben so ist es endlich auch bey dem Wachs - thume der Pflanzen. Indem die junge Pflanze heranwächst, schwinden die Saamenlappen; in - dem die Frucht ihrer Vollendung entgegenreift, vertrocknet die Blüthe, und indem der Keim ei - nes neuen Blatts sich entwickelt, verwelkt das vorige, das ihn in seinem Schooſse erzeugte. Schon Linné machte die Beobachtung am Hanfe,und477und Bridel bestätigte sie am Erysimum offici - nale, daſs Pistillen, worauf der männliche Saa - menstaub nicht gewirkt hat, sich weit länger er - halten, als befruchtete(p)Bridel muscolog. recent. T. I. p. 54..

So ist jedes Wachsthum unaufhörliche Meta - morphose, und zwar eine Verwandelung, die sich nicht nur auf den ganzen Organismus, son - dern auch auf jedes seiner Organe erstreckt. Der Embryo ist in der ersten Zeit seiner Bildung dem erwachsenen Menschen, und jedes entste - hende Organ des erstern den Organen des letz - tern fast eben so unähnlich, wie die Raupe der Puppe und die Puppe dem Schmetterlinge.

Metamorphose ist daher nicht den Amphibien und Insekten ausschlieſslich eigen. Sie kömmt allen lebenden Körpern ohne Ausnahme zu, und der einzige Unterschied zwischen jenen Thieren und den übrigen lebenden Organismen ist nur der, daſs sie bey diesen noch im Mutterleibe, der geheimen Werkstäte der Natur, geschieht, oder zu alltäglich ist, um uns aufzufallen.

Für die ganze lebende Natur ist jedes lebende Individuum dasselbe, was jedes Organ für das letztere ist. Metamorphose kömmt daher auch der ganzen lebenden Natur als Einem groſsen Organismus zu. Abnahme und Zunahme, Unter -gang478gang und Entstehen ist auch in ihr unzertrenn - lich verbunden. Keine Generation verschwindet, ohne daſs schon eine neue heranwächst, um ihre Steile zu ersetzen. Indem die Bäume der einen Erdhälfte ihre Blätter verliehren, fangen die der andern wieder an, Schatten zu verbrei - ten. Das Blut der Erschlagenen düngt die Erde, und ein schönerer Frühling sproſst auf den Schlachtfeldern.

Daſs endlich auch sowohl die Erzeugung, als der Tod, nichts anders als Uebergänge gewis - ser Formen des Lebens zu andern sind, wissen wir schon aus dem zweyten Buche. So zeigt sich folglich Harmonie zwischen scheinbar ganz verschiedenen Phänomenen, und es eröffnet sich uns die Aussicht, Erzeugung, Wachsthum und Tod auf ein gemeinschaftliches Princip einst zu - rückzuführen.

§. 7.

Einige Theile hingegen haben kein anderes Ziel ihres Wachsthums, als den Tod des ganzen Organismus.

Bey dem Menschen sind diese Theile: die Haare, die Nägel, und das Fett; bey den übri - gen Säugthieren und den Vögeln, ausser den Haaren, den Federn und dem Fett, die Hörnerund479und Krallen; bey den Schaalthieren die Schaa - len; und bey den Pflanzen das Holz. Bey dem Fett aber beobachten wir nur in krankhaften Fällen ein ununterbrochenes Wachsthum. Men - schen, welche vier - bis fünfhundert Pfund, und darüber, gewogen haben(q)Haller El. Phys. T. I. L. I. S. IV. p. 50. Thun - berg’s Reisen. S. 74, im Mag. von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen. B. VII., gehören zu den seltenen Erscheinungen. Bey den übrigen jener Theile hingegen ist das fortdauernde Wachsthum der Natur gemäſs. An den Hörnern und Gewei - hen der Rinder erzeugt sich jährlich ein neuer Wulst, oder ein neues Glied(r)Doch sollen die Rennthiere hiervon eine Ausnah - me machen, und jährlich nach dem Abfallen ihrer Geweihe neue erzeugen, die nicht länger werden, wie die vorigen. Holsten, Abh. der Schwed. Akad. 1774. B. XXXVI. S. 151., an der Klap - per der Klapperschlange ein neuer Ansatz(s)Dobrizhoffers Geschichte der Abiponer. Th. 2. S. 380., an den Gehäusen der Schnecken eine neue Windung, und an dem Holze der Dicotyledonen ein neuer Ring. Vielleicht würde sich etwas Aehnliches bey den Haaren, Nägeln, Krallen und Klauen finden, wenn diese Theile genauer beobachtet, und nicht in ihrem Wachsthume aufgehalten würden.

§. 8.480

§. 8.

So wie nach dem fünften Gesetze (§. 6.) einige Organe bey ihrem Wachs - thume einen Antagonismus gegen ein - ander änssern, so wachsen und verge - hen andere gemeinschaftlich mit einan - der, oder stehen bey ihrer Entwicke - lung und ihrem Absterben in einer Sym - pathie.

Auf diesem Gesetze beruhet die im ersten Buche(t)Biol. Bd. 1. S. 170 ff. erwähnte Symmetrie, welche in der Organisation der rechten und linken Hälfte bey den sämmtlichen Thieren herrscht. Der ver - schiedene Grad dieser symmetrischen Organisation giebt eine Stufenleiter der Stärke jener Sympathie. Am stärksten ist also dieselbe bey den Hälften des Hirn - und Rückenmarks; hiernächst bey den Knochen, den willkührlichen Muskeln, den Haa - ren, den äussern Sinnesorganen, den Drüsen der Brüste, und den diesen Theilen zugehörigen Ner - ven und Blutgefäſsen der rechten und linken Hälfte; dann folgen die zur Bereitung des Urins und zur Fortpflanzung bestimmten Organe; und auf der untersten Stufe stehen die Respira - tionsorgane.

So481

So wie diese Organe zu gleicher Zeit und nach einerley Muster gebildet wurden, so stehen sie auch bey Veränderungen ihrer Organisation in enger Sympathie. Krankheiten des einen Auges ziehen gewöhnlich auch Krankheiten des andern nach sich. Dieselbe Erscheinung beobachtet man häufig bey den Brüsten, Nieren, Eyerstöcken und Hoden.

Ausser den symmetrisch geformten Organen äussern auch die Zeugungsorgane, die Brüste, die Haare der Achselhöhlen, der Bart beym männli - chen Geschlechte, und der Kehlkopf einen hohen Grad von Sympathie. Gemeinschaftlich entste - hen oder vervollkommnen sich diese Theile gegen die Zeit der Mannbarkeit, und gemeinschaftlich vergehen sie im hohen Alter, oder nach der Ca - stration. Einer Frau, welcher Pott die in ei - nem Bruchsacke zu beyden Seiten liegenden Eyer - stöcke unterband und abschnitt, fielen sogleich die Brüste zusammen.

Die Zoophyten und Pflanzen zeigen zwar nur schwache, aber doch immer einige Spuhren von Sympathie. Selten bleiben Verderbnisse der Blät - ter bey den Gewächsen blos auf die eine Seite derselben eingeschränkt. Doch bedürfen diese Organismen in Betreff ihres sympathetischen Wachsthums noch näherer Untersuchungen.

III. Bd. H h§. 9.482

§. 9.

Einige Organe sterben zu gewissen Zeiten von freyen Stücken ab, und er - zeugen sich nachher von neuem wie - der.

Unter den flüssigen Theilen giebt es keinen, der von diesem Gesetze der natürlichen Re - produktion eine Ausnahme macht. Das ganze Leben besteht in einem beständigen Verluste und Ersatze von Flüssigkeiten.

Einen festern Typus aber beobachtet diese Veränderung bey den festen Theilen, und hier ist sie zugleich auffallender.

Unter den festen Theilen des Menschen sind blos die Oberhaut und die Zähne der natürlichen Reproduktion unterworfen. Die erstere aber son - dert sich zu unbestimmten Zeiten, und nur theil - weise vom Körper ab; bey den letztern hingegen ist jene Reproduktion an bestimmte Perioden ge - bunden. Nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur findet dieses Wechseln der Zähne nur einmal in der Jugend statt. In einigen seltenen Fällen aber ist auch im hohen Alter noch eine Wieder - erzeugung der Zähne beobachtet(u)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXX. S. II. §. 11..

Mit dem Menschen haben die bekanntern un - ter den übrigen Säugthieren die Reproduktion derEpi -483Epidermis und der Zähne gemein. Diejenigen, welche mit Hörnern oder Geweihen versehen sind, reproduciren aber auch diese Organe(v)Ibid. L. XXIX. S. II. §. 33..

Bey den Vögeln äussert sich die natürliche Reproduktion durch das Mausern(w)Ibid.; bey den Amphibien überhaupt durch das Häuten, und bey den Fröschen insbesondere gegen die Zeit der Be - gattung durch die Erzeugung einer schwarzen drüsigen Haut an den Vorderpfoten, welche nach der Paarung verschwindet(x)Rösel Hist. nat. ranarum nostrat. p. 4..

Ein Beyspiel von natürlicher Reproduktion bey den Fischen giebt das Wechseln ihrer Zähne und ihrer Stacheln. Jenes unterscheidet sich von demjenigen, welches bey den Säugthieren statt findet, darin, daſs der neue Zahn nicht, wie bey diesen, schon vor dem Ausfallen des alten in der Kinnlade enthalten ist, sondern sich erst nach Erledigung der Stelle des letztern bildet(y)Fischer in Wiedemann’s Archiv für Zoologie u. Zootomie. B. 2. St. 1. S. 151.. Hin - gegen bey dem Wechseln der Stacheln entsteht erst ein neuer an der Wurzel des alten, ehe der letztere ausfällt(z)Bey der Raia aquila: La Cepède Hist. nat. des poissons. T. I. p. 108..

BeyH h 2484

Bey den Garten - und Waldschnecken findet sich ebenfalls eine hierhergehörige Erscheinung. Gegen die Paarungszeit erzeugt sich bey diesen in einer Oeffnung am Halse ein Pfeil von kalkar - tiger Substanz, den die eine der andern vor der Begattung entgegenwirft, und wahrscheinlich im folgenden Jahre reproducirt(a)O. F. Müller in den Schriften der Berlin. Ge - sellsch. B. V. S. 394..

Am stärksten zeigt sich die natürliche Repro - duktion unter den fünf obern Thierclassen bey den Crustaceen und Insekten. Fast alle diese Thiere haben mit den Vögeln und Amphibien die Reproduktion neuer Bedeckungen gemein(b)Haller l. c. L. XXIX. S. II. §. 33. p. 168.. Der Krebs wechselt jährlich im Anfange des Sommers seine Schaale(c)Collinson, Philosoph. Transact. Vol. XLVII. p. 40. Reaumur, Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1712. Ed. 8. p. 295. Leipziger oekonomisch-physikalische Abhandl. T. VI. 1753. S. 333., und die Raupe häutet sich zu wiederhohlten malen vor ihrer Verwandelung, Der Krebs aber erzeugt mit der neuen Schaale zugleich neue Häute des Magens, und die Raupe mit ihrer Haut neue Zähne, Kinnladen, Bron - chien, Luftlöcher, Gedärme, einen neuen Schlund, Schädel, und eine neue Hornhaut(d)Haller l. c..

Die485

Die fünf obern Thierclassen aber werden in Ansehung der natürlichen Reproduktion von den Pflanzen übertroffen. Die periodische Zerstöh - rung und Wiedererzeugung der Blätter und Ge - schlechtstheile bey den Vegetabilien ist eines der auffallendsten unter allen Beyspielen von natür - licher Reproduktion. Doch hatte Hedwig(e)Leipziger Magazin zur Naturkunde. 1784. St. 2. S. 215. Unrecht, wenn er den periodischen Verlust und Ersatz der Zeugungsorgane für den unterschei - denden Charakter des Pflanzenreichs von den Thieren hielt. Auch bey vielen Mollusken findet man ausser der Paarungszeit keine Spuhr von Zeugungstheilen.

Die Würmer und Zoophyten besitzen fast einerley Grad von natürlichem Reproduktionsver - mögen mit den Pflanzen. Bey den erstern so - wohl, als bey den letztern dienet dieses Vermö - gen nicht, wie bey den obern Thierclassen, blos zur Erhaltung des Individuums, sondern auch zur Erhaltung der Art. Die Fortpflanzung der Naiden, Zoophyten und Pflanzen durch Sprossen ist offenbar nichts anders, als eine Art von na - türlicher Reproduktion, und zwischen ihnen und den höhern Thierclassen findet in dieser Hinsicht kein anderer Unterschied statt, als nur dieser,daſsH h 3486daſs die reproducirten Theile nach ihrer Tren - nung vom Körper bey den letztern absterben, bey den erstern hingegen fortleben, und sich zu einem vollständigen Individuum entwickeln. Fort - pflanzung des Geschlechts und Reproduktion sind also wahrscheinlich Wirkungen einer und der - selben Kraft, und mit der Erklärung des einen dieser Phänomene wird ohne Zweifel auch die des andern gegeben seyn.

Eine Vergleichung der bisherigen, über die natürliche Reproduktion vorgetragenen Sätze mit einem im letzten Kapitel des ersten Buchs be - wiesenen Satze liefert uns eine Folgerung, die uns vielleicht einst zu dieser Erklärung führen kann. Wir haben nehmlich dort gesehen, daſs die Gröſse des Gehirns gegen die Dicke des Rückenmarks, der Nerven und Ganglien desto mehr abnimmt, je weiter wir von den Säugthie - ren zu den Zoophyten herabsteigen(f)Biol. B. 1. S. 460. Einer gewissen Veranlassung wegen finde ich für nöthig, bey dieser Gelegenheit zu bemerken, daſs die hier angeführte Stelle in mei - nem Manuscript folgendermaaſsen lautete: Wir finden nehmlich erstens, daſs die Gröſse des Gehirns gegen die Dicke des Rückenmarks und der Nerven desto mehr abnimmt u. s. w. daſs aber die mit Cursivschrift gedruckten Worte beym Abschrei -ben. DieSäug -487Säugthiere haben aber auch weniger Reproduk - tionsvermögen, als die Vögel; diese weniger, als die Amphibien u. s. w. Folglich steht das Reproduktionsvermögen mit der relativen Gröſse des Gehirns im umgekehrten, mit der relativen Dicke des Rückenmarks, der Nerven und Gan - glien aber im geraden Verhältnisse, und der Grad jenes Vermögens hängt von der Verschiedenheit dieses Verhältnisses ab.

Wären unsere Beobachtungen über die natür - liche Reproduktion zahlreicher, wie sie in der That noch sind, so würde sich ohne Zweifel auch zeigen, daſs, so wie bey der Metamorphose mit der Abnahme und dem Verschwinden einiger Organe Zunahme und Entstehung anderer ver - bunden ist, so auch hier, indem sich neue Or - gane erzeugen, nicht nur die vorigen gleicharti - gen, sondern auch andere ungleichartige abneh - men und verschwinden. Doch liefern uns auch schon die bisherigen Erfahrungen Beweise dieses Satzes. Flüssige und feste Theile werden immer auf Unkosten anderer flüssiger Theile reproducirt. Der Hirsch magert ab bey der Wiedererzeugungsei -(f)ben ausgelassen sind, und daſs sich blos auf die - se ausgelassenen Worte die auf der folgenden 461ten Seite citirten Schriften von Haller und Barthez beziehen.H h 4488seines Geweihs, der Vogel bey der Reproduktion seiner Federn, und das Insekt beym Wechseln seiner Häute. Im Magen des Krebses findet sich eine Art von Zähnen, die verzehrt wird und end - lich ganz verschwindet, indem sich ein neues Brustschild bildet(g)Haller l. c..

§. 10.

Die meisten Organe stellen ihre vo - rige Struktur und Textur wieder her, wenn diese durch zufällige Ursachen verändert sind. Einige reproduciren sich gleich denjenigen, welche zu ge - wissen Zeiten von freyen Stücken ab - sterben, sogar dann, wenn sie durch äussere Gewaltthätigkeiten einen Ver - lust an Substanz erlitten haben, oder auch ganz zerstöhrt sind.

Verletzungen der bloſsen Struktur finden bey einfachen Schnitt - und Hiebwunden, der Struktur und Textur zugleich bey gequetschten Wunden statt. In beyden Fällen erfolgt bey allen leben - den Organismen und allen Organen eine Red - integration der vorigen Struktur und Textur entweder durch einfache Vereinigung der getrenn - ten Wundlefzen (Reunion), oder durch Eite -rung,489rung, wenn die Verletzung nicht so beträcht - lich ist, daſs alle Funktionen des Organismus dadurch zum Stocken gebracht werden.

Selbst mit fremden Organen vereinigen sich verwundete Theile. Bey den Pflanzen giebt das Propfen, Oculiren u. s. w. einen Beweis da - von. Die Schwungfedern des Habichts schlagen Wurzeln in den Wunden anderer Thiere, die Krallen anderer Thiere in den Wunden des Ha - bichts, die Spornen der Hahne auf den Kämmen anderer Hahne, die Testikeln derselben in den Bäuchen der Hennen, und nach Tagliacoti’s bekannten Versuchen wächst das Fleisch der Nase mit dem des Arms zusammen(h)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. II. Neues Hamburg. Mag. B. VI. St. 31. S. 157 ff. Hunter über das Blut. Th. 2..

Eingeschränkter als das Vermögen der Redin - tegration ist bey dem Menschen und den übrigen Säugthieren das Vermögen, den Verlust an Sub - stanz, den feste Theile erlitten haben, zu repro - duciren. Nur die Theile, deren Wachsthum keine Gränzen hat, und bey welchen die natür - liche Reproduktion statt findet, also die Ober - haut, die Nägel, die Hörner, Geweihe und Krallen besitzen auch dieses Vermögen in einem hohen Grade.

NächstH h 5490

Nächst den erwähnten Organen wird das Zell - gewebe am leichtesten reproducirt, und zwar um desto leichter, je lockerer und freyer es ist, um desto schwerer, je mehr es sich im compakten Zustande befindet(i)Arnemann’s Versuche über das Gehirn u. Rücken - mark. S. 208.. Schon das Fell (Cutis) wird daher nur unvollkommen ersetzt. Statt der weichen, elastischen, und mit Nervenwärzchen besetzten Membran erzeugt sich eine feste, an - klebende, harte, schwielige, nur hin und wie - der leicht gefurchte, und glatte Substanz, wor - auf die Nervenwärzchen gänzlich fehlen, und welche nur langsam mit Haaren bewächst(k)Arnemann ebendas. Vers. 10. S. 34. 206..

Nur unvollkommen wird daher auch die Bein - haut reproducirt, nehmlich durch eine harte, - he, und knorpelartige Membran(l)Köler exp. circa regenerat. ossium. Exp. 8. p. 66. Exp. 17. p. 101. Arnemann a. a. O. Vers. 1. S. 8. V. 2. S. 13. V. 9. S. 30. S. 204..

Gar keine Reproduktion findet bey der har - ten Hirnhaut und der Arachnoidea statt(m)Arnemann a. a. O. V. 2. S. 13. V. 4. S. 19. V. 5. S. 24. V. 6. S. 26. V. 14. S. 42. S. 201. 202..

Die Knochen aber machen von der obigen Regel eine Ausnahme. Die Schriften der Aerztesind491sind voll von Beobachtungen, wo ganze, durch Zersplitterung, Beinfraſs, und andere äussere und innere Ursachen zerstöhrte Knochenstücke, ja selbst ganze Röhrenknochen wieder ersetzt wurden(n)Haller l. c. S. IV. §. 34. p. 356. Vigaroux, As - semblée publ. de la Soc. roy. des sc. à Montpellier. 1780. p. 85. Ludwigii advers. med. pract. Vol. III. P. 1. p. 45 sq. Hist. de l’Acad. des sc. de Paris, 1770. p. 50. Philos. Transact. Vol. LXIX. P. 1. p. 7. Med. obs. and inquiries. p. 299.. Troja’s(o)De novorum ossium etc. regeneratione experi - menta. und Köler’s(p)In der angeführten Schrift. Ver - suche an Säugthieren haben diese Beobachtungen bestätigt. Die Speiche eines Hundes, wovon ein Stück abgesägt war, und deren Markhöhle nach - her mit Charpie ausgefüllt wurde, fand sich nach 18 Tagen mit einem neuen Knochen umgeben(q)Ibid. exp. 8. p. 61.. Bey den platten Knochen erfolgt diese Regenera - tion, mehrern Beobachtern zufolge, langsamer und unvollkommener, als bey den cylindrischen. Tenon(r)Hist. de l’Acad, des sc, de Paris. 1778. p. 416. sahe an der Haut, wodurch sich eine Trepanöffnung geschlossen hatte, nach vier Mo - naten nur die untere Lamelle knöchern, und erst nach acht bis neun Monaten erfolgte die gänzli -che492che Verknöcherung. Arnemann(s)A. a. O. V. 10. S. 35. V. 14. S. 41. S. 201. 203. traf nach ei - nem Vierteljahre diese Membran in einer Schädel - öffnung sehr compakt und solide, aber nie ver - knöchert an. Inzwischen fand doch Köler eine Trepanöffnung am Stirnbeine bey einem Hunde nach acht Wochen schon gröſstentheils verknö - chert, und nur in der Mitte noch weich und nachgiebig(t)Köler l. c. exp. 17. p. 101.. Bey einem andern Hunde war die Substanz, welche das Loch im Stirnbeine ver - schloſs, nach sieben Wochen an den Rändern fast schon knöchern(u)Ibid. exp. 18. p. 105.. Ueberhaupt ist leicht einzusehen, daſs Alter, Constitution, und an - dere Umstände den Erfolg dieser Versuche sehr abändern müssen. Gelenke werden nur unvoll - kommen durch unregelmäſsige Knochenmassen re - producirt(v)Ibid. exp. 14. p. 89. exp. 15. p. 94., und zwar schwinden nach einiger Zeit immer die Ueberbleibsel des alten Gelenks(w)Albini annotat. academ. L. V. Tab. 2. Sömme - ring’s Knochenlehre. §. 39. S. 40.. Uebrigens ist weder die Beinhaut, noch die Di - ploe zur Regeneration der Knochen nothwen - dig(x)Arnemann a. a. O. S. 203..

Nur eine unvollkommene Regeneration findet auch bey den Gelenkbändern statt(y)Köler l. c. exp. 14. p. 89. exp. 15. p. 94..

Ob493

Ob die bleibenden Knorpel reproducirt wer - den, bedarf noch einer nähern Untersuchung.

Bey den Muskeln wird ein Verlust an Sub - stanz durch ein Zellgewebe ersetzt, das anfangs sehr gefäſsreich ist, in der Folge aber zähe und lederartig wird, und keine wahre Muskelfasern enthält(z)Murray de redintegrat. part. corp. anim. Tab. I. Arnemann a. a. O. V. 5. S. 24. V. 9. S. 31. V. 10. S. 35. V. 12. S. 38. V. 15. S. 43. S. 204 ff..

Durch Zellgewebe, das sich mit der Zeit in eine solide Substanz verwandelt, werden auch verlohrne Sehnenstücke ersetzt(a)Kleemann de redintegrat. part. C. H. Exp. 3. Murray l. c. exp. 11. 12..

Gröſsere zerschnittene Arterien verschrum - pfen an ihren Enden, und schliessen sich. Zu - gleich aber erzeugen sich neue Arterien, welche die Funktion der vorigen, unbrauchbar geworde - nen übernehmen(b)Maybom bey Arnemann a. a. O. S. 207. Söm - mering’s Gefäſslehre. S. 63. §. 52.. Auf die nehmliche Art ge - schieht wahrscheinlich auch die Reproduktion der Venen(c)Sömmering ebendas. S. 361. §. 226..

Erleidet das groſse Gehirn einen Verlust an Substanz, der jedoch gewisse Gränzen nicht über -schrei -494schreiten darf, so rücken die verletzten Hirnwin - dungen einander näher, und aus der Wunde wächst allenthalben ein feines Zellgewebe hervor, welches den gröſsten Theil der Lücke ausfüllt, und eine gelbliche, oder gelbbraune, der von Gennaro und Sömmering entdeckten Hirnsub - stanz einigermaaſsen ähnliche, weiche, lockere, und in concentrirtem Weingeiste auflösliche Mate - rie enthält. Oft ahmet diese neu erzeugte Sub - stanz auch die Gestalt der Hirnwindungen nach, und besonders wenn, wie zuweilen geschieht, sich der Seitenventrikel der verletzten Hirnhälfte während der Regeneration erweitert. Immer blei - ben aber die Gränzen zwischen der reproducirten Materie und der vorigen Substanz noch sichtbar. Auch verwächst sie mit der harten Hirnhaut und der die Schädelöffnung verschliessenden Membran. Zuweilen erzeugt sich in der reproducirten Hirn - substanz eine zähe, solide, lederartige Masse, wovon aber immer die Epilepsie die Folge ist(d)Arnemann a. a. O. V. 1. S. 8. V. 2. S. 13. V. 4. S. 19. V. 5. S. 24. V. 6. S. 29. V. 9. S. 32. V. 10. S. 35. V. 11. S. 36 u. s. w. S. 187 ff..

Wunden des kleinen Gehirns, die nur eini - germaaſsen beträchtlich sind, bringen theils we - gen der entstehenden Blutung, theils wegen des Einflusses jenes Organs auf alle thierische Funk - tionen, zu schnell eine Stockung im Organismusher -495hervor, als daſs eine Reproduktion möglich ist(e)Arnemann a. a. O. S. 78. 79.. Geringere Verletzungen dieses Eingeweides schei - nen aber geheilt zu werden(f)Sömmering’s Hirn - und Nervenlehre. S. 95..

Verletzungen des Rückenmarks in der Nähe des Kopfs tödten augenblicklich(g)Arnemann a. a. O. S. 80. V. 1. Cruikshank in Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. 2. H. 1. S. 64. V. 6. S. 65. V. 7.. Weiter nach unten durchschnitten, erfolgt zuweilen eine Ver - einigung der getrennten Theile. Bey einem mit - telmäſsig groſsen Hunde, dem Arnemann das Rückenmark in der Gegend der letzten Rücken - wirbel durchschnitten hatte, war dieses Eingewei - de nach vier Wochen an der Stelle der Verletzung mit seinen Häuten verwachsen, und theils durch eine unförmliche, feste, röthliche, knorpelartige Masse, theils durch Zellgewebe neu vereinigt. Beyde Enden fanden sich mehr abgerundet und knotig, und das untere schien etwas aufgelöst und welk zu seyn(h)Arnemann a. a. O. V. 2. S. 82. S. 194..

Bey den Nerven findet nach dem einstimmi - gen Zeugnisse aller Beobachter ein Ersatz der verlohrnen Substanz statt. Einige aber halten die reproducirte Substanz für wirkliches Nerven - mark, andere für bloſses Zellgewebe. Zu jenengehört496gehört zuerst Fontana(i)Traité sur le venin de la vipere. T. II. p. 177.. Dieser nahm aus einem doppelten Grunde eine wahre Reproduk - tion der Nerven an. Der erste ist, weil er in der regenerirten Substanz die spiralförmigen Run - zeln fand, die ein charakteristisches Eigenthum der Nerven sind. Der zweyte beruhet auf mi - croscopischen Untersuchungen, wodurch er in dem Nervenmarke eine Menge zarter, durch Zell - gewebe mit einander verbundener Cylinder ent - deckte. Diese Cylinder traf er auch in derjeni - gen Substanz an, wodurch die Enden getrennter Nerven nach einiger Zeit verbunden werden, und zwar in Continuität mit denen in diesen Enden befindlichen Röhren.

Cruikshank(k)Philos. Transact. 1795. P. I. p. 177. Reil’s Archiv f. d. Physiol. B. 2. H. 1. S. 57. zerschnitt bey Hunden das achte Nervenpaar mit dem Intercostalnerven. Die zerschnittenen Nervenenden schwollen hierauf an, wurden wie Ganglien abgerundet(l)Reil’s Archiv a. a. O. V. 1. u. 2. S. 60. V. 3. S. 62., in Einem Versuche mit einer Art callöser Substanz be - deckt(m)Ebendas. V. 4. u. 5. S. 63., und durch eine Materie vereinigt, welche eben die Farbe wie der Nerve hatte, aber nicht so fasericht(n)V. 1. u. 2. S. 60. V. 4. u. 5. S. 64. und dünner(o)V. 4 u. 5. S. 64. war. Cruik -shank497shank äussert sich indeſs nicht bestimmt, ob er die regenerirte Substanz für wahres Nervenmark hält.

Entscheidender nimmt Haigthon(p)Philos. Trans. 1795. P. I. p. 190. Reil’s Archiv. B. 2. H. 1. S. 71. eine wahre Regeneration der Nerven an, aber aus Grün - den, die wir hier noch nicht prüfen können. Nur bey einem einzigen seiner fünf Versuche vereinigten sich die durchschnittenen Enden des einen Nerven vom achten Paare wieder(q)Reil’s Archiv a. a. O. Vers. 4. S. 80., und hier schwollen, nach der Figur(r)Ebendas. Taf. II. CCC, DDD. zu urtheilen, diese Enden, wie bey den Versuchen von Cruik - shank, zu rundlichen Wulsten an.

Der neueste Vertheidiger der Regeneration des Nervenmarks endlich ist J. C. H. Meyer(s)Ebendas. B. 3. H. 3. S. 449.. Dieser suchte die Streitfrage auf einem neuen Wege zu entscheiden. Reil nehmlich fand, daſs die Salpetersäure blos das Zellgewebe und die Scheiden, nicht aber das Mark der Nerven zerstöhrt. Um mit diesem Mittel die vereinigten Nerven zu prüfen, stellte Meyer acht Versuche an Hunden an. Bey fünf dieser Versuche wurde aus dem ischiadischen und dem Tibial - oder Ul -nar -III. Bd. I i498nar-Nerven ein Stück herausgenommen; bey den übrigen wurden einer oder mehrere dieser Nerven blos durchschnitten. Im erstern Falle erfolgte keine Vereinigung der getrennten Nervenenden, wenn der Verlust über zwey Linien betrug(t)Ebendas. V. 1. S. 457. V. 4. S. 459.; waren hingegen nur 1 bis 2 Linien herausgenom - men, oder war der Nerve blos durchschnitten, so wurden die getrennten Enden in einigen Fäl - len durch Nervenmark wieder vereinigt(u)V. 2. 3. S. 458. V. 6. S. 460. V. 7. 8. S. 46., in einigen Fällen aber geschahe dies nicht(v)V. 5. 6. S. 460., und da, wo die Reproduktion bey einem Verluste von 2 Linien erfolgt war, fand sich doch nur ein sehr dünner Vereinigungsfaden(w)V. 5. S. 460.. In den bey - den getrennten Enden schwoll übrigens das Mark aller Markbündel zu einem Knoten an, der am obern Ende etwas weisser als die übrige Mark - substanz, am untern braungelblich war(x)V. 1. S. 457. V. 2. S. 458. V. 3. 4. S. 459..

Ganz andere Resultate gaben die Versuche von Arnemann(y)Versuche über die Regeneration der Nerven. S. 244-258. und Sömmering(z)Hirn - und Nervenlehre. §. 176-179., vorzüg - lich die des erstern, welche ungleich zahlreichersind,499sind, als die der angeführten Schriftsteller zu - sammengenommen. Diesen zufolge wird das obere Ende eines Nerven, der einen Verlust an Substanz erlitten hat, bey der Heilung röthlich oder hellgrau, höckrig, und mit einer Kruste bedeckt. So wie aber die Entzündung sich ver - liehrt, wird er bleicher, glatt, glänzend, nach unten spitzig, und sehr hart; er knirscht unter dem Messer, und bildet eine Art von Knoten, in welchem sich selten eine Spuhr von gebänder - tem Ansehn zeigt. Das untere Ende bekömmr ebenfalls einen, doch kleinern Knoten, welkt, schwindet, und verliehrt zum Theil seine ge - bänderte Struktur, die am obern Theile nur ge - gen den Knoten hin vergeht. Nach einem Mo - nat wird das Mark dieses untern Endes in eine glanzlose, bleiche, röthlichgraue, oder kreiden - weisse, wäſsrige Masse verwandelt, und zer - schnitten flieſst eine gelblichgraue, milchige, wäſsrige Substanz heraus. Späterhin werden die Knoten stärker und fester, so daſs sie auf dem Schnitte eine glänzende Fläche wie Knorpel, und kleine weisse Flecken oder Knoten zeigen. Von jetzt an merkt man keine bedeutende Verände - rung mehr. Was aber die Hauptsache ist, zwi - schen den beyden getrennten Enden erzeugt sich kein Nervenmark wieder, sondern sie werden blos durch einen röthlichen Zellstoff verbunden.

I i 2Die -500

Dieses Resultat der Arnemannschen und Söm - meringschen Versuche ist nun auch das, welches ich für das richtige anerkennen zu müssen glau - be, und zwar erstens schon deswegen, weil bey Versuchen überhaupt, und vorzüglich bey Versu - chen an lebenden Thieren, die Aussprüche des geübtern Experimentators immer von gröſserm Gewichte, als die des minder geübten, sind. Nimmt man aber Fontana aus, so ist keiner unter den obigen Schriftstellern, der sich in die - ser Hinsicht mit Arnemann vergleichen dürfte. Fontana’s Beobachtungen aber beruhen auf mi - croscopischen Untersuchungen, also auf den Aus - sagen eines Zeugen, dessen Unzulässigkeit in die - sem Stücke längst bewiesen ist. Die Resultate der Cruikshankschen Versuche enthalten nichts, was denen der Arnemannschen zuwider wäre. Haigthon schlieſst blos aus den Wirkungen ver - letzter und wieder vereinigter Nerven, daſs diese Wiedervereinigung durch wahres Nervenmark ge - schehe. Allein gesetzt auch, geheilte Nerven äusserten ganz dieselben Funktionen, wie un - verletzte, was aber die Haigthonschen Versuche gar nicht beweisen, so folgt hieraus doch noch keinesweges, daſs die zwischen den getrennten Enden neu erzeugten Mittelstücke wirkliches Ner - venmark enthalten. Gegen die Meyerschen Ver - suche endlich hat schon Arnemann selber(a)Reil’s Archiv. B. 3. H. 1. S. 100 ff. diesei -501seinigen hinreichend vertheidigt. Die, wo nach einer bloſsen Durchschneidung des Nerven die Enden durch Nervenmark wieder vereinigt wurden, beweisen nichts, da hier von Repro - duktion, und nicht von Reunion, die Rede ist. Die, wo nur irgend ein beträchtlicher Theil von 2 und mehrern Linien aus dem Nerven wegge - nommen wurde, stimmen ganz mit den Versu - chen von Arnemann überein. Blos bey denen, wo weniger Substanz ausgeschnitten war, erfolg - te eine Vereinigung durch Nervenmark. Nimmt man aber an, daſs hier, wegen einer günstigen Lage des Nerven und wegen des geringen Ver - lusts an Substanz, das Mark der beyden verlän - gerten Enden in Berührung kam, so lassen sich auch diese Erfahrungen auf eine bloſse Reunion zurückführen.

Zellgewebe, Muskelfasern und Nervensub - stanz sind die Grundtheile, worin sich alle Ein - geweide auflösen lassen. Findet also eine Repro - duktion des erstern, aber keine der beyden letz - tern statt, so kann auch kein Verlust an Sub - stanz bey den Eingeweiden reproducirt werden. Und dieses ist wirklich der Fall. Tulpius(b)Observ. med. L. II. C. 12. heilte einen Menschen, der ein Stück der lin - ken Lunge von 6 Lothen an Gewichte verlohrenhatte.I i 3502hatte. Sechs Jahre nachher fand sich bey der Leichenöffnung die verletzte Stelle mit dem Brust - felle verwachsen. Dies ist auch der Weg, auf dem die Natur alle übrige verletzte Eingeweide der Brust und des Bauches heilt. Die Wunde vereinigt sich mit den umliegenden Theilen durch Zellgewebe; aber nie erzeugt sich wieder eine der verlohrnen gleiche Substanz.

Wir haben im vorigen § gesehen, daſs die festen Theile bey der natürlichen Reproduktion den flüssigen nachstehen. Dieselbe Bewandniſs hat es mit beyden bey der ausserordentlichen Reproduktion. Unter allen Theilen scheint das Blut am leichtesten reproducirt zu werden. Baro - nius erzählt einen Fall von einem Kranken, der durch Blutbrechen nach und nach 202 Pfund Blut, und zwar bey jedem Anfalle 15 bis 30 Pfund ver - lohr, und dennoch wieder hergestellt wurde. Ein Mädchen in Pisa verlohr mehrere Jahre hin - durch monatlich 125 Unzen Blut, und lieſs dabey noch 14 Monate hindurch entweder täglich, oder doch um den andern Tag zur Ader. Mehrere ähnliche Beyspiele aus ältern Schriftstellern hat Haller(c)El. Phys. T. II. L. V. S. 1. §. 3. gesammelt. Die Edinburger Com - mentarien(d)Th. 3. Art. 20. enthalten die Geschichte eines Mäd - chens, welches in seinem funfzehnten Jahre wäh -rend503rend der monatlichen Periode durch einen Fall an der linken Schulter schwer verwundet wur - de, in der folgenden Nacht seine Reinigung ver - lohr, und von dieser Zeit an in den ersten zwey Jahren durch Erbrechen, in den folgenden vier Jahren aber auch durch Hämorrachien aus der Nase, den Ohren und der Mutter täglich ein halbes Pfund Blut, und darüber verlohr. Im sechsten Jahre ihrer Krankheit hielt man durch trockne, auf den Rücken gesetzte Schröpfköpfe die Blutungen sieben Wochen hindurch zurück. Aber diese Unterdrückung verursachte ihr die heftigsten Schmerzen in den Brüsten, welche so stark anschwollen, daſs man über dem schwerdt - förmigen Knorpel zu schröpfen genöthigt war. Im zweyten Jahre kamen die Blutungen nicht mehr so häufig, sondern nur alle vierzehn Tage, oder drey Wochen wieder, und in diesem Zu - stande befand sich die Kranke sieben Jahre hin - durch, nur mit dem Unterschiede, daſs in den bey - den letzten dieser Jahre das Blut aus allen Oeff - nungen des Körpers floſs. Im Anfange der Krank - heit war auch noch alle acht Tage, und zuwei - len noch öfter ein Aderlaſs gemacht. Einen ähn - lichen Fall, wo ein gewisser Ferriol von seinem zwanzigsten Jahre an dreyzehn Jahre hindurch anfangs nur alle zwey bis drey Monate durch den Mund und After, nachher aber in immer kürzern Zwischenräumen auch durch die Nase,I i 4aus504aus den Augen, Ohren und mit dem Urin Blut verlohr, und dabey noch Kinder zeugte, beob - achtete Fabre(e)Untersuchungen über verschiedene Gegenstände der theoret. u. prakt. Arzneywissenschaft. S. 101..

Nächst dem Blute wird auch der Speichel und der männliche Saamen sehr schnell reprodu - cirt. Bey heftigen Salivationen werden oft meh - rere Pfund Speichel in wenigen Tagen ausgewor - fen. Ich habe einen jungen Menschen zu be - handeln gehabt, der ein ganzes Jahr hindurch alle Nächte Pollutionen hatte. Rechnet man hier die Quantität des bey jeder Ausleerung verlohr - nen Saamens nur auf 2 Drachmen(f)Haller El. Phys. T. VII. L. XXVII. S. II. §. 2., so wur - den das Jahr hindurch über 90 Pfund jener Flüs - sigkeit ausgeleert und reproducirt.

Je öfterer und in je kürzern Zwischenräumen eine Flüssigkeit aber ausgeleert wird, desto mehr entfernt sich die reproducirte von ihrer gehörigen Mischung. Bey der in den Edinburger Commen - tarien erwähnten Person war das aus der Ader gelassene Blut in der letzten Zeit so bleich, daſs es wie Wasser, worin Fleisch gewaschen ist, aussahe. Der männliche Saamen ist dick, zähe und undurchsichtig bey keuschen Personen, hin - gegen desto dünner und durchsichtiger, je häu -figer505figer er verschwendet wird(g)Ibid.. Parmentier und Deyeux(h)Précis d’exper. et observ. sur différentes espéces de lait. Sect. 1. erhielten von einer Kuh, wel - che täglich dreymal gemolken wurde, den sie - benten Theil mehr, als zu der Zeit, da man sie nur zweymal molk. Allein im erstern Falle war die Quantität Butter, nach Verhältniſs der gröſsern Menge Milch, geringer. Auch fand sich die zuerst gemolkene Milch weit reichhaltiger an Butter, als die, welche zuletzt gemolken war.

Je weiter wir von den Säugthieren zu den Zoophyten herabsteigen, desto mehr nimmt das Reproduktionsvermögen im Thierreiche zu. Stär - ker als bey den Säugthieren ist dasselbe schon bey den Vögeln. Bey Arnemann’s Versuchen über die Reproduktion des Gehirns an Vögeln heilten die Hautwunden derselben immer sehr bald ohne Eiterung(i)Arnemann’s Vers. über das Gehirn u. Rücken - mark. V. 1. S. 68. V. 2. S. 70. V. 1. S. 73., da hingegen bey Hun - den diese Wunden immer stark eiterten(k)Ebendas. V. 1. S. 6. V. 2. S. 12. V. 4. S. 18. V. 6. S. 25 u. s. w.. Auch wuchsen bey einem Huhne die Federn an der abgeschnittenen Stelle sehr bald wieder(l)Ebendas. V. 1. S. 68..

UeberI i 5506

Ueber die Reproduktion der Membranen, Muskeln, Sehnen und Bänder fehlt es bey dieser Thierclasse noch an Versuchen. Indeſs wird, nach einigen Versuchen von Köler zu schlies - sen, die Beinhaut bey den Vögeln vollkommener als bey den Säugthieren reproducirt. So erzeug - te sich um die reproducirte Tibia einer Taube eine Membran, die in der Farbe und Dicke mit dem Periosteum ganz übereinkam. Blos nach unten war sie dicker, und hing hier mit dem neuen Knochen fester zusammen, wie sonst bey der Beinhaut der Fall ist(m)Köler exp. circa regenerat. ossium. Exp. 1. p. 40.. Die harte Hirn - haut hingegen fand Arnemann bey Hühnern eben so wenig, wie bey Säugthieren, repro - ducirt(n)Arnemann a. a. O. V. 1. S. 68. V. 2. S. 70..

Eben dieser Beobachter traf bey Hühnern(o)Ebendas. V. 1. S. 68. V. 2. S. 70. und Tauben(p)Ebendas. V. 1. S. 73. Oeffnungen im Schädel nach acht bis zwölf Wochen blos noch mit einer festen Membran verschlossen an. Zerstöhrte Röhren - knochen von Vögeln aber wurden bey Tro - ja’s(q)De novorum ossium etc. regenerat. exp. und Köler’s(r)l. c. Exp. 1. p. 37. Exp. 2. p. 46. Exp. 5. p. 52. Exp. 9. p. 73 etc. Versuchen sehr schnell und vollkommen wiedererzeugt.

Das507

Das groſse Gehirn der Hühner und Tauben ersetzt verlohrne Substanz auf ähnliche Art, wie das der Säugthiere, durch eine gelbliche, lockere, und schleimartige Masse, die im Weingeiste ein bröckliches, ungleiches Ansehn erhält, und bis auf ein feines zartes Gewebe zum Theil wegge - spühlt wird(s)Arnemann a. a. O. S. 67-75..

Nach diesen Beobachtungen ist also das Re - produktionsvermögen bey den Vögeln zwar etwas stärker, als bey den Säugthieren; doch ist der Unterschied nicht sehr beträchtlich. Im July - stücke der neuen Berlinischen Monatsschrift vom Jahre 1799(t)S. 77 ff. findet sich aber ein Fall von einer Henne, welche zweymal ohne Schaden ihren Kropf verlohr, und ihn eben so oft reproducir - te, und diese Beobachtung macht es mir wahr - scheinlich, daſs jener Unterschied doch vielleicht gröſser seyn dürfte, wie er nach den obigen Versuchen zu seyn scheinet.

Von weit gröſserer Stärke, als bey den Säug - thieren und Vögeln, ist das Reproduktionsver - mögen bey den Amphibien. Diese ersetzen nicht nur Knochen und Membranen, sondern auch Nerven, Muskeln, ja ganze Gliedmaaſsen wieder. Schon Aristoteles wuſste, daſs die Salaman - der und Schlangen abgehauene Schwänze repro -duci -508duciren. Aber erst Spallanzani stellte hierüber genauere Versuche an.

Diesen zufolge reproduciren alle Arten von Salamandern, sie mögen alt oder jung seyn, im Wasser oder ausser dem Wasser bleiben, nicht nur ihre Schwänze(u)Spallanzani’s physikalische u. mathematische Abhandl. S. 51., sondern auch ihre Bei - ne(v)Ebendas. S. 54. und Kinnladen(w)S. 64. wieder, man mag die - selben lang oder kurz abschneiden.

Die Gröſse des abgeschnittenen Stücks, die Art und das Alter des Thiers haben aber einen Einfluſs auf die Reproduktion(x)S. 52..

Die Beine wachsen viel geschwinder bey jun - gen, als bey alten Salamandern, und unter be - reits völlig ausgewachsenen Salamandern zeigt sich der neue Anwuchs eher bey den kleinern, als bey den gröſsern Gattungen(y)S. 55..

Die reproducirten Beine wachsen, wie die natürlichen, desto langsamer, je gröſser und stär - ker sie werden(z)S. 56..

Schnei -509

Schneidet man die vier Beine dicht am Leibe weg, so zeigen sich meist die vordern zuerst wieder. Nimmt man blos die einzelnen Klauen des einen Beins, z. B des rechten, weg, so ge - schieht die Reproduktion so langsam, daſs an dem zu gleicher Zeit weggeschnittenen ganzen linken Beine die hervorwachsenden Klauen in eben der Zeit den Klauen des rechten Beins gleich werden(a)S. 55..

Der erste Anfang der Reproduktion zeigt sich in der Gestalt eines kleinen, anfangs gallertarti - gen Kegels(b)Ebendas..

Die Theile, woraus die wiedererzeugten Glied - maaſsen bestehen, nehmlich die obere und un - tere Haut, die Drüsen, Muskeln, Knochen, Ge - lenke, Nerven und Blutgefäſse sind von den vo - rigen abgeschnittenen gar nicht verschieden(c)S. 52. 57. 59. 61. 64.. Nur an den Beinen zeigen sich zuweilen kleine Unregelmäſsigkeiten(d)S. 62..

Endlich erfolgt diese Reproduktion nicht nur einmal, sondern auch wenn man dem Salaman - der verschiedene male nach einander den neuen Anwuchs abschneidet(e)S. 53. 63., und bey dem letztenAn -510Anwuchse scheint das Reproduktionsvermögen noch eben so stark, wie bey dem ersten, zu seyn(f)S. 63..

Blumenbach(g)Specimen physiolog. comp. inter animantia calidi et frigidi sanguinis. p. XXXI. vermehrte diese Erfahrun - gen durch die Entdeckung, daſs der Wasser - molch der gröſsern Art (Salamandra lacustris) auch den Augapfel, nebst Hornhaut, Augenstern, Crystallinse, u. s. w. reproducirt.

Ausser den Salamandern besitzen auch die Kaulquappen einen hohen Grad von Reproduk - tionsvermögen. Schneidet man diesen Thieren den Schwanz ganz, oder fast ganz weg, so gehn sie im Wasser zu Grunde und sterben. Wird aber nicht zu viel weggeschnitten, so stirbt kei - nes, sondern der Schwanz wächst allen ohne Ausnahme wieder(h)Spallanzani a. a. O. S. 22..

Die Reproduktion scheint länger zu währen, wenn man ohngefähr den halben Schwanz weg - schneidet, als wenn das Stück gröſser ist. Auch steht die Geschwindigkeit des Ersatzes, sowohl beym ersten Anfange, als beym weitern Fort - gange, mit dem Alter des Thiers in umgekehr - tem Verhältniſse(i)Ebendas. S. 23. 24..

So -511

Sowohl die Membranen, als die Muskeln des neuen Anwuchses schliessen so genau an die des zurückgebliebenen Stücks vom vorigen Schwanze an, daſs sie nur eine Verlängerung der letztern zu seyn scheinen(k)S. 25. 27.. Zwischen den Blutgefä - ſsen des reproducirten und des alten Schwanzes findet aber einige Verschiedenheit statt(l)S. 26..

Bey den jungen Kröten und Fröschen er - folgt auch, wie bey den Salamandern, eine voll - kommene Reproduktion der Beine. Doch miſs - lingt dieser Versuch zuweilen, und nie erfolgt hier die Reproduktion so schnell, wie an den abgeschnittenen Beinen der Salamander(m)S. 65. 66..

Die Fische reproduciren abgeschnittene Stücke ihrer Flossen. Bey Chinesischen Goldfischen fand Broussonnet(n)Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1786. p. 684. schon nach drey Tagen an dem Rande des Schnitts eine Art von Sprosse, und nach acht Monaten war der Verlust vollständig ersetzt. Das Resultat dieses Versuchs ist immer das nehmliche, man mag ihn anstellen, an wel - cher Flosse man will. Nur ist die Schnelligkeit der Reproduktion verschieden nach dem Alter des Fisches, nach der Art desselben, und nach der Art der Flossen. Am schnellsten wurde dieSchwanz -512Schwanzflosse, am langsamsten die Rückenflosse ersetzt. Ueberhaupt scheint die Reproduktion dieser Organe desto schneller von statten zu gehn, je nöthiger sie dem Fische zu seinen Bewegun - gen sind.

Von der zunächst an die Fische gränzenden Gattung der Mollusken, von der Sepia, wuſsten schon Plinius und Aelian, daſs sie einen hohen Grad von Reproduktionsvermögen besitzt, und ihre Arme, die ihr von Muscheln und Fischen oft abgerissen werden, bald wieder ersetzt(o)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. II. §. 31. p. 163..

Bey den Muscheln werden Verletzungen der Schaalen ebenfalls reproducirt(p)Mayer, Abhandl. einer Privatgesellsch. in Böh - men. B. 4. S. 159..

Den auffallendsten Beweis von der Stärke des Reproduktionsvermögens bey den Mollusken geben aber die Schnecken. Schon Schäffer(q)Versuche mit Schnecken. S. 8., Watel(r)Gazette salutaire. 1768. nro. 36. und andere beobachteten, daſs die Schnecken den Verlust des Kopfs lange überle - ben, und Linné(s)Amoen. acad. T. II. p. 58. wuſste, daſs die abgeschnit - tenen Fühlfäden derselben ergänzt werden. Spal -lan -513lanzani war aber der Erste, welcher bewies, daſs die Schnecken ihre abgeschnittenen Köpfe reproduciren. Von 423 Schnecken, denen er den Kopf abschnitt, bekamen 93 ihn vollkommen wieder; bey 145 war er etwas miſsgestaltet; an 32 fand sich nach einem Jahre noch kein Merk - mal von Reproduktion; die übrigen kamen nach der Operation um(t)Spallanzani a. a. O. S. 39. Dessen Italiänische Uebersetzung von Bonnet’s Contempl. de la Nat. in der Vorrede. Memorie di Matematica e Fisica della Societa Italiana. T. I. n. 15.. Lavoisier(u)Journ. des sçav. 1770. Juin. p. 358., Mül - ler(v)Historia vermium. Vol. II. Praef. p. 30., Gianetti(w)Giornale d’Italia. 1773. T. IX. p. 312. 317., Bonnet(x)Palingenesie philosophique. T. I. p. 334. und Abil - gaard(y)Pfaff’s u. Scheel’s Nordisches Archiv für Natur - und Arzneywissenschaft. B. 1. St. 3. S. 566. wiederhohlten diese Versuche mit glei - chem Erfolge. Ich habe ebenfalls 15 Garten - schnecken am Ende des Septembers die Köpfe abgeschnitten. Vierzehn derselben starben; an der einen aber fand ich nach vierzehn Tagen Spuhren eines neuen Kopfs und neuer Fühlfäden in der Gestalt unregelmäſsiger Kegel. Gar keine Reproduktion beobachteten hingegen Cotte(z)Journal des sçav. 1770. Juin. p. 357. Rozier ob - serv. sur la physique etc. T. 3. p. 370.,Bo -III. Bd. K k514Bomare(a)Journal des sçav. 1770. Juin. p. 359., Schröter(b)Versuch einer systemat. Abhandl. über die Erdcon - chylien. S. 50. und Adanson(c)Rozier Journ. de phys. 1777. T. 10. p. 173.. J. A. Murray(d)Opuscul. Vol. I. p. 330 sq. fand zwar, daſs die abgeschnit - tenen Köpfe wieder ersetzt werden, jedoch nicht mit der vorigen Vollkommenheit. Aus diesen negativen Erfahrungen folgt indeſs weiter nichts, als was auch schon Spallanzani’s eigene Beob - achtungen lehren, daſs der Versuch häufig miſs - lingt. Ueberdies wird jeder, der sich die Mühe geben will, jene negativen Versuche zu prüfen, finden, daſs die meisten sehr roh und oberflächig angestellt sind. So reitzte z. B. Murray(e)Ibid. p. 334. zwey Exemplare der Helix Pomatia L., denen er die Köpfe abgeschnitten hatte, schon acht Tage nach der Operation mit einem Federkiel, um sie aus ihrem Gehäuse hervorzulocken. Wie lieſs sich bey einem solchen Verfahren eine vollkommene Reproduktion erwarten? Uebrigens aber ist es, wie schon Abilgaard(f)A. a. O. bemerkt hat, unrichtig, zu glauben, daſs bey jenen Versuchen auch das Gehirn der Schnecken mit den Köpfen abgeschnit - ten und reproducirt wird; denn dieses liegt bey denMol -515Mollusken nicht im Kopfe, sondern auf der Speiseröhre.

Die Crustaceen und Insekten scheinen in ih - rem Reproduktionsvermögen an die Amphibien zu gränzen. Die Krebse(g)Reaumur, Mém. de l’Acad. des sc. de Paris. 1712. Ed. 8. p. 295., der Oniscus aqua - ticus(h)Linnei amoen. acad. T. 2. p. 58., das Phalangium Opilio, die Aranea ho - losericea und Libellula virgo(i)Goeze im Naturforscher. St. 11. S. 221. ersetzen ihre ver - lohrnen Beine wieder. Das Reproduktionsvermö - gen der Insekten verdient indeſs noch eine ge - nauere Untersuchung.

Bey den Krebsen erfolgt die Reproduktion des verlohrnen Theils, man mag die Beine abbre - chen, in welchem Gelenke man will, am leich - testen aber, wenn die Trennung im vierten Ge - lenke, vom Ende des Fuſses an gerechnet, vor - genommen wird(k)Reaumur a. a. O. S. 300..

Der Anfang der Reproduktion zeigt sich als eine röthliche Haut, welche das Fleisch unmit - telbar am Ende des abgeschnittenen oder gebro - chenen Gliedes bedeckt, anfangs flach ist, all - mählig aber sich erhebt, und hierauf eine ke -gel -K k 2516gelförmige Gestalt annimmt(l)Ebendas. S. 303., also auf ähnliche Art, wie bey den abgeschnittenen Theilen der Salamander und Schnecken.

Ausser den Beinen reproduciren die Krebse auch ihre Scheeren und Fühlhörner(m)S. 306.. Bricht man ihnen aber die Schwänze ab, so sterben sie binnen wenig Tagen(n)S. 311., und hierin stehen sie also den Salamandern und Kaulquappen nach.

Ueber die Reproduktion der Würmer haben wir schon im vorigen Abschnitte dieses Buchs die vornehmsten Beobachtungen angeführt. Wir fügen hier nur noch eine Anzeige der Erscheinun - gen bey, welche bey der Reproduktion des Erd - regenwurms statt finden.

Der Erdregenwurm (Lumbricus terrestris L.) reproducirt den Schwanz und den Kopf. Jener wird wieder hergestellt, man mag ein langes oder kurzes Stück desselben abschneiden. Doch giebt es allerdings gewisse Gränzen, jenseits wel - cher keine Reproduktion mehr statt findet(o)Spallanzani a. a. O. S. 6.. In der Reproduktion des Kopfs beobachtet die Natur folgende Regeln: Schneidet man ein kur -zes517zes Stück des Kopfs ab, so erfolgt die Repro - duktion sehr geschwind, und in kürzerer Zeit, als der Anwuchs eines neuen Schwanzes; hin - gegen zeigt sie sich langsam, wenn man ein langes Stück vom Kopfe abschneidet. Nimmt man nur wenige Ringe vom Kopfe weg, so wird der reproducirte Kopf dem verlohrnen ziemlich wieder gleich. Schneidet man aber viele Ringe ab, so pflegt der wieder anwachsende Kopf län - ger zu seyn, und weniger Ringe zu bekommen, als der alte(p)Ebendas. S. 8..

Schneidet man beyde, Kopf und Schwanz, weg, so werden auch beyde reproducirt, und zwar zuerst der Kopf, nachher der Schwanz(q)S. 9..

Das Reproduktionsvermögen des Erdregen - wurms hört nicht mit dem ersten male auf. Nach abermaliger Abschneidung des Anwuchses erfolgt ein anderer; nimmt man denselben wie - der weg, so entsteht ein dritter u. s. w.(r)S. 12..

Nach diesen Beobachtungen ist also das Re - produktionsvermögen bey den Würmern ungleich stärker, als bey irgend einer der übrigen Thier - classen. Man sieht aber, daſs es auch bey denWür -K k 3518Würmern noch beschränkt ist. Fast ganz schran - kenlos ist es dagegen bey den Thierpflanzen. Einer der zusammengesetztesten unter den Or - ganismen dieser Classe, die Seeanemone (Acti - nia senilis L.) ersetzt nicht nur den Verlust ih - rer Arme in sehr kurzer Zeit wieder, sondern jede Hälfte derselben wächst auch wieder zu einer ganzen Thierpflanze heran, wenn man sie der Länge oder Breite nach zerschneidet. Dic - quemare will sogar beobachtet haben, daſs, wenn diese Thierpflanze sich von einer Stelle des Felsens nach einer andern bewegt, kleine unregelmäſsige Stücke ihrer Basis an dem Steine kleben bleiben, aus welchen bald wieder andere vollständige Seeanemonen entstehen(s)Philos. Transact. 1773. p. 361. 1775. p. 207. 1777. p. 56..

Dieselben Erscheinungen zeigt der Seestern (Asterias)(t)Baster opuscul. subseciv. T. I. L. III. p. 118..

Die Wunder des Armpolypen (Hydra) sind seit Trembley’s Zeiten so bekannt, daſs es fast überflüssig ist, ihrer noch zu erwähnen. Sogar der funfzigste Theil dieser Thierpflanze entwik - kelt sich zu einer vollständigen Hyder, und diese Reproduktion findet nicht nur bey Queer - durchschnitten statt, sondern auch wenn manden519den Armpolypen der Länge nach zerstückelt. Theilt man ihn der Länge nach in sechs, sie - ben, oder noch mehr Theile, aber so, daſs die untern Enden derselben vereinigt bleiben, so entsteht eine Hyder mit eben so vielen Köpfen. Schneidet man auch diese Köpfe ab, so ent - stehen an ihrer Stelle neue, und die getrennten Polypen wachsen zu eben so vielen neuen Po - lypen heran. Durchschneidet man den Armpo - lypen mit einer Schlinge von Haaren, so wach - sen die getrennten Theile schon wieder an, in - dem die Schlinge noch im Durchschneiden be - griffen ist. Man kann ihn endlich, seinem Le - ben unbeschadet, umkehren, und seine innere Fläche zur äussern machen(u)Haller El. Phys. T. VIII. L. XXIX. S. II. §. 32. p. 166. Lichtenberg’s u. Forster’s Göttingisches Magazin. Jahrg. 3. St. 4. S. 563 ff..

Die Thierpflanzen sind also unzerstöhrbar, so lange blos ihre Struktur verletzt wird. Nur wenn auch ihre Textur durch Zerquetschung vernichtet wird, hören alle Lebensbewegungen, und mit diesen das Reproduktionsvermögen auf. Sollte es aber nicht Organismen geben, die sich auch nach Zerstöhrung ihrer Textur reprodu - ciren? Aus der Stufenleiter der Wesen schloſs Leibnitz auf das Daseyn der Thierpflanzen,undK k 4520und Trembley’s Entdeckungen bestätigten sei - nen Schluſs. Dieselben Gründe, womit Leib - nitz seine Behauptung unterstützte, sprechen aber auch für unsere Vermuthung. Dürfen wir also nicht erwarten, daſs auch diese von der Erfahrung bestätigt werden wird? Es läſst sich hieran um so weniger zweifeln, da es wirklich schon Erfahrungsbeweise für sie giebt. Wir ha - ben im zweyten Buche(v)Biol. Bd. 2. S. 308. gesehen, daſs die Priestleysche grüne Materie getrocknet, zu ei - nem feinen Pulver zerrieben, und in einem glä - sernen Gefäſse voll Wasser der Sonne ausgesetzt, von neuem auflebt. Hiernach ist es wahrschein - lich, daſs die Pflanzenthiere der untern Ordnun - gen auch nach Zerstöhrung ihrer Textur sich re - generiren, und daher unter allen lebenden Orga - nismen die dauerhafteste Existenz haben.

Die Pflanzen unterscheiden sich in Anse - hung ihres Reproduktionsvermögens merklich so - wohl von den Thieren, als von den Zoophyten. Eine Wunde mit Verlust von Substanz wird bey diesen durch neue Substanz ausgefüllt, und ein verlohrner Theil an derselben Stelle ersetzt, wo er mit dem Ganzen in Verbindung stand. Nicht so ist es bey den Pflanzen. Einschnitte in Bäumen bleiben immer unausgefüllt, und für einen abgeschnittenen Zweig treibt die Pflanzezwar521zwar bald einen andern, aber nie an der Stelle des vorigen. Uebrigens stehen die Pflanzen auch in der Stärke ihrer Reproduktion den Thierpflan - zen nach, indem kein Gewächs sich, wie der Armpolyp, durch longitudinale Theilung vermeh - ren läſst.

Wir haben oben gesehen, daſs jenes Gesetz des Antagonismus, welches die meisten Organe bey ihrem Wachsthume befolgen, auch bey der natürlichen Reproduktion statt findet. Nach dem nehmlichen Gesetze geschieht aber auch die aus - serordentliche Reproduktion. Indem sich Wun - den mit Verlust von Substanz schliessen, schwin - den die benachbarten Theile(w)Mém. de l Acad. de Chirurgie. Vol. IV. p. 64. 106. Blumenbach über den Bildungstrieb. S. 23.. Das abge - schnittene Stück des Erdregenwurms magert ab, indem es einen neuen Kopf oder Schwanz repro - ducirt(x)Bonnet contempl. de la Nat. P. VII. C. 8., und der verstümmelte Rumpf des Armpolypen wird in eben dem Maaſse kürzer und dünner, wie er die verlohrnen Theile wie - der hervortreibt(y)Blumenbach a. a. O. S. 21 ff..

Wir haben ferner gesehen, daſs die natür - liche Reproduktion bey den höhern ThierclassenblosK k 5522blos zur Erhaltung des Individuums, bey den Würmern, Zoophyten und Pflanzen aber auch zur Fortpflanzung des Geschlechts dienet, und wir zogen hieraus den Schluſs, daſs Reproduk - tion und Propagation Wirkung einer und dersel - ben Kraft sind. Bey der ausserordentlichen Re - produktion bestätigt sich jener Satz noch auffal - lender, und mit ihm diese Folgerung.

Die Erscheinungen der ausserordentlichen Re - produktion endlich beweisen noch einleuchtender, als die der natürlichen, daſs mit der Abnahme des Gehirns und der Zunahme der Nerven und Nervenknoten das Vermögen, verlohren gegan - gene Theile zu ersetzen, zunimmt, und über - dies machen jene es wahrscheinlich, daſs auch bey einem und demselben Thiere die Reproduk - tion um desto langsamer erfolgt, je nervenrei - cher das verlohrne Organ ist. Denn nur aus diesem Gesetze läſst es sich erklären, warum bey den Säugthieren Haare, Nägel, Zellgewebe, und Knochen wiedererzeugt werden, aber nicht Muskeln und Eingeweide.

§. 11.

Wird das Wachsthum oder die Re - produktion eines Theils verhindert, so kömmt diejenige Substanz, die für ihnbe -523bestimmt war, entweder dem ganzen übrigen Körper, oder einzelnen Orga - nen zu Gute; oder jener Theil wächst entweder in seiner ursprünglichen Form, oder in einer andern Gestalt an einem andern ungewöhnlichen Orte, wo er keine Hindernisse findet, hervor.

Vorzüglich auf diesem Gesetze beruhet die Entstehung der Miſsgeburthen, und diese lie - fern uns daher auch die auffallendsten Beweise desselben.

Zwerge haben fast immer einen unverhält - niſsmäſsig dicken Kopf.

Winslow(z)Mém. de l Acad. des sc. de Paris. 1740. Ed. 8. p. 811. zergliederte einen monströsen Foetus, dem die ganze obere Hälfte des Körpers bis auf den Nabel fehlte, und welcher nicht länger als acht Zoll war, dessen Hüften und Schenkel aber eine ungeheure Dicke hatten.

Hacquet(a)Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik u. s. w. B. VI. St. 2. S. 109. sahe ein Kind, das, statt der fehlenden Seitenwandbeine (Ossa bregmatis) und des Hinterhauptbeins (Os occipitis), auf der Stir - ne zwey hornartige Erhabenheiten hatte.

Unter524

Unter allen monströsen Früchten habe ich aber keine gefunden, die einen so überzeugen - den Beweis des obigen Satzes giebt, als ein Kind, das im Herbste 1798 von einer Bäurin ohnweit Bremen, nebst einem vollständigen und wohlgebildeten Zwillinge gebohren wurde, und welches auf dem Bremischen Museum aufbe - wahrt wird. Hals und Kopf fehlen bey diesem ganz. Die allgemeinen Bedeckungen des Körpers gehen von der einen Schulter zur andern in gera - der Richtung fort, ohne daſs sich zwischen die - sen eine Erhöhung findet. Doch sieht man in diesem Zwischenraume einige Spuhren von Haa - ren. Die linke obere Extremität fehlt ebenfalls. Hingegen der rechte Arm, die untern Gliedmaa - ſsen, und überhaupt alle unter den Präcordien befindlichen Theile sind dem Aeussern nach voll - ständig und natürlich gebildet. Die Hauptmerk - würdigkeit an dieser Frucht findet sich aber auf der vordern Seite der rechten Brust. In der Nähe des Oberarmgelenks ist hier, statt des Kopfs, eine halbkugelförmige Erhabenheit, und über dem Brustbeine sitzen, statt der fehlenden obern Extre - mität der linken Seite, fingerähnliche Auswüchse.

Seltener als bey den festen Theilen der Lei - besfrüchte, sind solche Erscheinungen bey diesen Theilen nach der Geburth. Meist ist es nur Zu - nahme des Volumens im ganzen übrigen Orga -nismus,525nismus, was bey dem schon ausgebildeten Thiere auf den Verlust von Organen folgt, die entweder an ihrer ursprünglichen Stelle keiner Reproduk - tion fähig sind, oder deren Wiedererzeugung hier durch zufällige Ursachen verhindert wird. So ist es eine bekannte Erfahrung, daſs nach der Am - putation ganzer Gliedmaaſsen die Genesenen häu - fig vollsäftiger und fetter werden. Zuweilen aber entstehen auch nach der Geburth noch, statt ver - lohrner Organe, andere ungewöhnliche an ent - fernten Stellen des Körpers, wie aus der schon im vorigen Abschnitt erwähnten Beobachtung von einer Hündin erhellet, bey deren Zergliederung man den Eyerstock der einen Seite scirrhös fand, und welche auf derselben Seite am Kopfe ein Hirschgeweih hatte.

Nicht so selten, als der letztere Fall, ist nach der Geburth derjenige, wo die gehinderte Repro - duktion flüssiger Theile die Bildung neuer und ungewöhnlicher fester Theile nach sich zieht, und es verdienet bemerkt zu werden, daſs sich diese Erscheinung am öftersten nach dem Aufhören der monatlichen Reinigung zeiget. Häufig beobachtet man nach dieser Periode bey Weibern das Her - vorwachsen von Barthaaren. Riverius, Bar - tholin(b)Hist. anat. rar. Cent. I. Hist. 78. Cent. V. H. 27., und Van Wy(c)Heelkundige Mengelstoffen, in Blumenbach’s med. Bibl. B. 1. S. 673. sahen hornartigeExcre -526Excrescenzen an der Stirne darnach entstehen. Ein genauerer Beobachter würde vielleicht auch in denen Fällen, wo ähnliche Auswüchse bey Kin - dern nach den Blattern entstanden(d)Fahner’s Beyträge zur prakt. u. gerichtl. Arzney - kunde. B. 1. S. 25., die Bil - dung irgend einer Flüssigkeit unterdrückt gefun - den haben.

Die meisten unter das obige Gesetz gehörigen Erfahrungen liefern uns aber die flüssigen Theile, und Brandis(e)Versuch über die Metastasen. hat das Verdienst, diese Phä - nomene zuerst aus einem richtigen Gesichtspunk - te betrachtet zu haben. Hierher gehören zuerst die sogenannten Milchversetzungen. Wird die Bildung der Milch in den Brüsten plötzlich unter - drückt, so übernehmen andere Theile die Funk - tion der Gefäſse jener Organe, und bringen, statt der ihnen sonst eigenen Säfte, milchartige Flüs - sigkeiten hervor. Am häufigsten übernimmt jene Funktion der Brustdrüse das Zellgewebe, womit dieselbe bekleidet ist; hiernächst das Zellgewebe, das über und zwischen den Bauchmuskeln liegt, das Zellgewebe an den breiten Bändern der Ge - bährmutter, das der Schenkel und der Lungen, der Darmcanal, die Speicheldrüsen, die Nieren, und selbst die Schleimhaut der Nase. So entste - hen Ergiessungen milchartiger Flüssigkeiten in derBrust -527Brust - und Bauchhöhle, milchichte Diarrhoeen, milchichter Speichelfluſs u. s. w.

Das Blut der monatlichen Reinigung ist eben - falls eine von jenen Flussigkeiten, deren Unter - drückung die Entstehung ähnlicher Säfte in an - dern Theilen nach sich zieht. Periodisches Blut - speyen, Blutharnen, blutiger Stuhlgang u. s. w. sind die Folgen davon.

Auf dieselbe Art entsteht starker Abgang eines wäſsrigen Urins, die Harnruhr, Diarrhoe und Wassersucht nach Unterdrückung der Transpira - tion; Wassersucht, urinöser Speichelfluſs, und Ausleerung von Harn durch Erbrechen und Durch - fälle nach gehemmter Absonderung des Urins; Gelbsucht nach aufgehobener Thätigkeit der Le - ber. Ueberhaupt giebt es wahrscheinlich keine Flüssigkeit, deren Unterdrückung nicht die Ent - stehung einer ähnlichen in andern Organen nach sich zieht, und nur die Verborgenheit jener Flüs - sigkeiten und dieser Organe ist Schuld daran, daſs wir sie nicht immer wahrnehmen.

Als einen Beweis unsers obigen Satzes kön - nen wir endlich noch die Pflanzen anführen. Wir haben bey dem vorhergehenden Gesetze (§. 10.) bemerkt, daſs bey den Pflanzen verlohrne Theile nie an der Stelle des Verlusts wieder er - setzt werden, und daſs sich hierin das Reproduk -tions -528tionsvermögen derselben von dem der Thiere und Zoophyten merklich unterscheidet. Bey den Pflan - zen findet also eigentlich gar keine Reproduktion statt, sondern blos ein vermehrtes Wachsthum des übrigen Organismus, indem das Wachsthum einzelner Theile desselben unterdrückt ist, und so schliessen sich jene Organismen von dieser Sei - te an die höhern Thierclassen an, indem sie von der andern Seite an die Zoophyten gränzen.

Nennen wir das Wachsthum fester oder flüs - siger Theile, auf dessen Unterdrückung ein ande - res in andern Theilen folgt, das ursprüngli - che, und dieses das vicariirende, so läſst sich das obige Gesetz kürzer auf die Art aus - drücken, daſs die Hemmung eines jeden ursprünglichen Wachsthums ein vica - riirendes nach sich zieht, und wir kön - nen nach den bisherigen Erfahrungen noch hinzu - fügen, daſs das Produkt des vicariiren - den Wachsthums dem des ursprüngli - chen bey den flüssigen Theilen meist ähnlich, bey den festen aber meist un - ähnlich ist. Durch diesen Zusatz unterschei - det sich das obige Gesetz von dem Gesetze des Antagonismus (§. 6.), von welchem es sonst eine bloſse Folgerung seyn würde. Es ist einleuch - tend, daſs wenn zwey Organe bey ihrem Wachs - thume einen Antagonismus gegen einander äus -sern,529sern, das unterdrückte Wachsthum des einen das des andern vermehren muſs, und eben so klar ist die Uebereinstimmung dieses Satzes mit dem obigen, daſs die Hemmung eines jeden ursprüng - lichen Wachsthums ein vicariirendes nach sich zieht. Man sieht aber auch, daſs sich die Aehn - lichkeit dieses vicariirenden Wachsthums mit dem ursprünglichen aus jenem Antagonismus nicht er - klären läſst.

Uebrigens müssen wir noch bemerken, daſs sich das obige Gesetz nicht umkehren läſst, und daſs wir nicht immer aus der Entstehung unge - wöhnlicher fester oder flüssiger Theile auf ein unterdrücktes ursprüngliches Wachsthum schlies - sen dürfen. Häufig bilden sich Speckgeschwülste von ungeheurer Gröſse. ohne daſs sich in dem Wachsthume der übrigen Theile irgend eine Stöh - rung entdecken läſst. Gelbsucht und vermehrter Ausfluſs der Galle aus der Leber und Gallenbla - se zum Darmcanale sind nicht selten mit einan - der verbunden(f)Brandis a. a. O. §. 30.. Nach dem Stiche der Gall - wespen entstehen an verschiedenen Pflanzen son - derbare Auswüchse, welche nicht von einem un - terdrückten ursprünglichen Wachsthume herrühren, wohl aber dieses oft nach sich ziehen.

§. 19.III. Bd. L l530

§. 12.

Nachdem wir die Gesetze des Wachsthums gefunden haben, würde der nächste Gegenstand unserer Untersuchungen der Weg seyn, den der lebende Organismus einschlägt, um die Form des Lebens, die er bey seinem Entstehen annahm, wieder zu verlassen. Diese Untersuchung setzt aber die Lehre von den verschiedenen Ursachen und Formen der Krankheiten voraus, womit wir uns hier noch nicht beschäftigen können. Wir müssen uns daher für jetzt begnügen, nur erst die allgemeinern Gesetze der Abnahme des Le - bens aufzusuchen.

In der Einleitung ist gezeigt worden, daſs es zwey. Wege giebt, worauf der lebende Körper von der höhern Stufe des Lebens zu der niedern zurückkehrt. Der eine ist nothwendig, und die - sen betritt kein lebendes Wesen, ehe es nicht im Stande gewesen ist, sein Geschlecht fortzu - pflanzen; der andere ist zufällig, und diesen kann der lebende Körper in jeder Periode des Lebens einschlagen. Die Zufälligkeit des letztern aber findet nur für unsern Ge - sichtspunkt statt. In der Organisation des Weltalls ist auf ihn eben so wohl gerechnet, und er steht unter eben so strengen Gesetzen, als der erstere.

Hal -531

Halley’s, Wargentin’s, Kerseboom’s, Süss - milch’s und mehrerer Anderer Untersuchungen über die Ordnung der Sterblichkeit unter den Menschen lehren, daſs wenn tausend Menschen sterben, überall eine meist gleiche Anzahl von 20, 50, 60, 80jährigen darunter ist, daſs die Climaten und die Verschiedenheit der Nahrungs - mittel auf diese Verhältnisse fast gar keinen Ein - fluſs haben, und daſs blos die Lebensweise, die moralischen Verhältnisse des Lebens, das Laster und die Tugend, der Müssiggang und die Arbeitsamkeit einen kleinen Unterschied zwischen den Sterbenden auf dem Lande und in den Städten hervorbringen(g)Süssmilch’s göttliche Ordnung in den Verän - derungen des menschl. Geschlechts. 3te Ausg. Th. 2. Kap. 22.. Da nun der Mensch vermöge seiner Freiheit unter allen lebenden Kör - pern den meisten zufälligen Todesarten ausge - setzt ist, so müssen um so mehr noch die übri - gen Organismen der lebenden Natur, wie in Hinsicht auf ihre Erzeugung und ihr Wachs - thum, so auch in Betreff ihrer Abnahme und ihres Todes unter den strengsten Gesetzen stehen.

Hier haben wir eine neue Thatsache, die sich, gleich manchen andern schon in den vo -rigenL l 2532rigen Abtheilungen dieses Werks angeführten Er - scheinungen, nicht anders, als aus einer dyna - mischen Wechselwirkung, worin alle lebende Organismen gegen einander stehen, erklären läſst. Ein anderes Faktum, welches ebenfalls nur in dieser Voraussetzung einen befriedigenden Grund hat, ist das Verhältniſs, worin die Zahl der Nachkommen eines lebenden Körpers gegen die Menge der zufälligen Todesarten steht, denen sie bey ihrem Entstehen ausgesetzt sind. Allge - mein gilt der Satz, daſs beyde gegen ein - ander im geraden Verhältnisse stehen. Die Säugthiere und Vögel hinterlassen nur eine kleine Nachkommenschaft. Aber die Jungen der erstern und die Eyer der letztern sind auch weit mehr vor zufälligen Zerstöhrungen geschützt, als die Brut aller übrigen lebenden Körper. Bey den eyerlegenden Amphibien und Fischen geht die Zahl der Nachkommen in die Hunderte und Tausende. Aber diese sind auch nach ih - rem Austritte aus dem Körper der Mutter ohne Schutz den Wellen und dem Heiſshunger der Bewohner des Wassers Preiſs gegeben. Gehen wir endlich zu den Zoophyten und Vegetabi - lien über, so sehen wir hier die Nachkommen - schaft ganz dem Zufalle überlassen. Die Am - phibien und Fische sind wenigstens im Stande, einen tauglichen Ort zur Niederlage ihrer Eyerauszu -533auszuwählen. Den Zoophyten und Pflanzen hingegen fehlet auch dieses Vermögen. Eben deswegen aber geht nicht nur die Zahl ihrer Eyer ins Unzählbare, sondern die nehmlichen Ursachen, wodurch die höhern Thierclassen ge - tödtet werden, sind auch ein Mittel zu ihrer Fortpflanzung.

Ein drittes, die Abnahme der lebenden Or - ganismen betreffendes Gesetz ist: daſs von der Geburth bis ins höchste Alter eine beständige Ebbe und Fluth des Lebens statt findet; oder mit andern Worten: daſs, wenn gleich bey der Annäherung der lebenden Körper zur höchsten Stufe des Lebens die Sterblichkeit derselben sich vermindert, und bey ihrer Rückkehr zur niedrigsten Stufe sich vermehrt, bey dieser Verminderung und Vermeh - rung doch immer eine gewisse Oscilla - tion bemerkbar ist.

Süssmilch(h)A. a. O. S. 319. §. 461. hat, nach seinen eigenen und seiner Vorgänger Tabellen über die Ordnung der Sterblichkeit, berechnet, wie viele von tausendGe -L l 3534Gebohrnen im ersten, zweyten, dritten, und den folgenden Jahren noch übrig sind. Vermit - telst dieser Tabelle ist es leicht, auszumachen, wie groſs die Sterblichkeit von tausend einjäh - rigen Menschen, tausend zweyjährigen u. s. w. ist. Die Resultate dieser Berechnung enthält die fol - gende Tabelle, und auf dieser gründet sich un - ser obiger Satz. Die Columne A derselben zeigt die Anzahl der Jahre, die Columne B die An - zahl der Menschen an, welche von Tausenden in diesen Jahren sterben; das vorgesetzte Zeichen bedeutet die Abnahme, das Zeichen + die Zunahme der Mortalität.

535
L l 4Aus536

Aus dieser Tafel ergiebt sich Folgendes: Von der Geburth an bis zum 13ten Jahre findet eine schnelle Abnahme der Mortalität statt; doch steigt sie während dieser Abnahme etwas vom Ende des 5ten bis zum 8ten und im 11ten Jahre. Vom 14ten bis zum 37ten Jahre nimmt die Sterb - lichkeit wieder ununterbrochen, doch mit lang - samen Schritten, zu. Im 38ten Jahre bemerkt man wieder eine Abnahme derselben. Jenseits dieser Periode steigt sie wieder bis zum 47ten Jahre, aber so langsam, daſs sie erst im 45ten Jahre um etwas gröſser wird, als sie im 37ten war. Während dem Zeitraume vom 38ten bis zum 47ten Jahre findet also ein Stillstand der Mortalität statt. Nach dem 47ten Jahre erfolgt wieder ein ununterbrochenes Wachsthum der Sterblichkeit bis zum 70ten Jahre, und zwar nimmt dieses von Jahre zu Jahre zu. Vom 70ten bis zum 97ten Jahre tritt ein abwechselndes Steigen und Fallen der Sterblichkeit ein, doch so, daſs das folgende Steigen das vorhergehende Fallen nicht nur immer übertrifft, sondern auch um so mehr übertrifft, je näher man in der Scale der Morta - lität dem 97ten Jahre kömmt.

Das Minimum der Sterblichkeit fällt in die Zeit vom 12ten bis zum 20ten Jahre. Hier ist also die Periode des höchsten Lebens. Aber eben diese Zeit ist zugleich die der Mannbarkeit. Die537Die Bildung des Zeugungsstoffs und die Entwickelung der Frucht stehen folg - lich im Antagonismus mit dem Wachs - thume des Vaters und der Mutter, und dieser Antagonismus ist es, wovon die Nothwendigkeit des Alters und des na - türlichen Todes abhängt. Ein lebender Körper, worin alles nur Sympathie wäre, wür - de blos dem zufälligen Tode ausgesetzt seyn, und einer ewigen Jugend genieſsen können; aber er würde auch nicht im Stande seyn, sein Geschlecht fortzupflanzen. Ein Organismus, welcher nur unter dem Gesetze des Antagonis - mus stände, würde blos sein Geschlecht fortpflan - zen und sterben, ohne vor seinem Tode für sich gelebt zu haben.

§. 13.

Dies sind die Gesetze, die alle lebende Or - ganismen bey ihrem Wachsthume und bey ih - rem Absterben beobachten. Bey der Erläute - rung derselben haben wir schon auf verschie - dene Schlüsse aufmerksam gemacht, worauf wir durch sie geführt werden. Wir wollen mit der weitern Verfolgung der letztern diesen Abschnitt beschliessen.

L l 5Aus538

Aus den Gesetzen des 9ten und 11ten § zo - gen wir den Schluſs, daſs Fortpflanzung des Geschlechts, Wachsthum und Reproduktion Wir - kungen einer und derselben, nur auf verschie - dene Art sich äussernden Kraft sind. Hieraus folgt weiter, daſs Fortpflanzung des Geschlechts ein fortgesetztes Wachsthum ist, und daſs wir jeden lebenden Körper mit seinen Nachkommen als einen einzigen Organismus betrachten kön - nen, dessen Stamm abstirbt, so wie sich seine äussersten Zweige entwickeln.

Ist dieser Gesichtspunkt der richtige, so müssen die allgemeinern Gesetze des Wachs - thums auch die der Erzeugung seyn, und so verhält es sich wirklich. Diese allgemeinern Gesetze waren das der Sympathie und das des Antagonismus. Auf jenem beruhet die Aehn - lichkeit zwischen dem erzeugten Individuum und dem erzeugenden; auf diesem die Abnahme des letztern bey der Bildung des erstern. Hier se - hen wir also zwey, dem Scheine nach ganz ver - schiedene Phänomene auf einerley Gesetze zu - rückgeführt, und wir dürfen nicht mehr zwei - feln, daſs mit Auffindung der Ursachen des einen auch die des andern entdeckt seyn werden.

Eine zweyte Folgerung aus den erwähnten Gesetzen ist, daſs Reproduktion eine partielleErzeu -539Erzeugung ist, oder sich zu dem einzelnen Thei - le eben so verhält, wie die Fortpflanzung des Geschlechts zu dem ganzen Organismus. Auch diesen Schluſs bestätigt die Gleichheit der Re - produktions - und Propagationsgesetze. Wir se - hen, daſs da, wo die Reproduktion eines Theils gehindert ist, an die Stelle derselben ein vica - riirendes Wachsthum tritt. Aber was ist das Hervorwachsen der Bart -, Achsel - und Schaam - haare, und die Entstehung der monatlichen Rei - nigung zur Zeit der Mannbarkeit anders, als ein solches vicariirendes Wachsthum? Dieser periodi - sche Blutverlust dauert nur so lange, als die Reproduktion eines neuen Individuum nicht statt findet; er höret auf, so bald die letztere ihren Anfang genommen hat. Er hat also ganz den Charakter des vicariirenden Wachsthums. Viel - leicht würde das Wachsthum der Achsel - und Schaamhaare beym weiblichen Geschlechte eben - falls einen Stillstand während der Schwanger - schaft zeigen, wenn Beobachtungen über diesen Gegenstand möglich wären.

Jedes einzelne Organ verhält sich also zum ganzen Organismus, wie dieser zu der Reihe von Generationen, woraus er entsprungen ist, und welche ihm ihr Daseyn verdanken. Be - trachten wir diese Reihe als einen einzigen Orga - nismus, so ist das Leben derselben die Summealler540aller einzelnen Leben der Individuen, woraus sie besteht. Eben so können wir aber auch das Leben eines jeden dieser Individuen als die Summe aller einzelnen Leben seiner Theile an - sehen, und jedem Theile ein eigenes Leben (vita propria) zuschreiben.

Das Leben des ganzen Organismus ist daher ein Produkt der Sympathie und des Antagonis - mus mehrerer anderer Organismen, die wir ge - wöhnlich als Theile betrachten, die wir aber auch gewissermaaſsen als selbstständige Wesen ansehen können. Je geringer die Sympathie ist, desto gröſser ist die Selbstständigkeit, und also auch das eigene Leben der eigenen Organe. Die erstere aber ist desto geringer, je weniger Einfluſs Verletzungen einzelner Theile auf den übrigen Organismus haben, also geringer bey den Zoophyten und Pflanzen, als bey den Thie - ren, und unter diesen geringer bey den Wür - mern, Insekten und Amphibien, als bey den Vögeln und Säugthieren. Wir haben aber im sechsten Abschnitte des ersten Buchs gesehen, daſs das Volumen des Gehirns gegen die Dicke des Rückenmarks, der Nerven und Nervenkno - ten, die Quantität von Blut, welche zum Ge - hirne geht, gegen die im übrigen Körper ent - haltene Blutmenge, die Quantität des im ganzen Körper circulirenden Bluts gegen die Masse derfesten541festen Theile, und die Menge der ungleicharti - gen Organe gegen die der gleichartigen desto mehr abnimmt, je weiter wir von den Säugthie - ren zu den Zoophyten herabsteigen(i)Biol. Bd. 1. S. 446 ff.. Hier haben wir also mehrere Phänomene, die mit der Abnahme des eigenen Lebens der Organe bey den höhern Thierclassen, und der Zunahme des - selben bey den niedern Thierclassen, Zoophyten und Pflanzen unzertrennlich verbunden sind, und welche daher entweder Ursachen, oder Mit - wirkungen von diesen seyn müssen.

Zur Beantwortung der Frage, ob jene Phä - nomene Ursachen oder Coeffekte dieser Ab - und Zunahme sind? ist es nothwendig, auf die Sätze zurückzukommen, die wir im 4ten § dieses Ab - schnitts über die Zeit des Entstehens der ver - schiedenen Organe vorgetragen haben. Aus die - sen ergiebt sich, daſs unter allen Organen das Gehirn dasjenige ist, welches am frühesten ge - bildet wird, und daſs hierauf das Herz nebst den gröſsern Blutgefäſsen folgt. Das Gehirn, und nach diesem das Herz, bestimmt also den verschiedenen Grad des eigenen Lebens der Or - gane. Ein groſses Gehirn mit zarten Nerven und Ganglien bringt einen Organismus hervor, in welchem die Sympathie groſs, das eigene Le -ben542ben der Organe aber gering ist; ein kleines Ge - hirn mit groſsen Nerven und Nervenknoten ver - mindert die Sympathie und vermehrt das eigene Leben der Organe.

Hieraus flieſst eine, das Nervensystem der Zoophyten und Pflanzen betreffende Folgerung. Das anatomische Messer zeigt uns bey diesen Organismen kein Gehirn und keine Nerven mehr. Wir sind aber dennoch gezwungen, bey ihnen ein Analogon von Nervensystem anzunehmen, weil sich bey allen noch Spuhren von Sympa - thie finden, welches ohne Nerven nicht der Fall seyn könnte. Jene Sympathie nun ist am gröſs - ten bey den obern Ordnungen der Thierpflan - zen, in deren Struktur noch Symmetrie herrscht; sie nimmt ab, so wie sich diese Symmetrie ver - mindert, und ist also am geringsten bey den Pflanzenthieren; sie äussert sich wieder mehr bey den Pflanzen durch den symmetrischen Stand der Blätter, den man bey diesen Organismen überhaupt, vorzüglich aber bey denen mit gefie - derten Zweigen antrifft. Nach dieser Stufenleiter der Sympathie muſs sich auch die Organisation des Nervensystems bey den Zoophyten und Pflan - zen richten. Die, zunächst an die Thiere grän - zenden Thierpflanzen haben also vermuthlich noch ein Nervensystem mit einer Art von Gan - glien oder Vereinigungsorganen der verschiedenenNer -543Nervenzweige. Hingegen bey den niedern Ord - nungen der Zoophyten, und bey denen Ordnun - gen der Pflanzenthiere, die mit ihnen am näch - sten verwandt sind, giebt es wahrscheinlich kei - ne solche Vereinigungsorgane mehr. Sie bilden sich aber vielleicht wieder bey den Pflanzen, und vorzüglich bey den gefiederten, doch ohne Zweifel in einer ganz andern Form, wie bey den Thieren.

Dritter544

Dritter Abschnitt. Versuch einer Ableitung der bisheri - gen Erfahrungssätze aus den ober - sten Sätzen der Biologie.

In der Lehre von der Erzeugung setzten wir uns als das letzte Ziel unserer Untersuchungen die Beantwortung folgender Fragen vor: Warum pflanzen sich nicht alle Organismen durch Spros - sen fort? Warum bedarf es bey einigen zur Geschlechtsvermehrung der Begattung? Was ist Begattung? Warum entsteht nicht bey jeder Zeugung eine gewisse Anzahl von männlichen und weiblichen Individuen, sondern ohne be - merkbare Ordnung bald eine männliche, bald eine weibliche Frucht? Woher bleibt sich, die - ses scheinbaren Mangels an Ordnung ohngeach - tet, die Zahl der männlichen und weiblichen In - dividuen im Ganzen doch immer gleich?

So führt uns auch die Lehre von dem Wachs - thume und der Abnahme der lebenden Körper auf folgende Probleme: Warum hat jeder le -bende545bende Organismus ein Ziel des Wachsthums? Warum entwickeln sich nicht alle Organe dessel - ben zu gleicher Zeit und in gleichem Verhältnis - se? Warum stehen einige bey ihrem Wachsthu - me in einer Sympathie, und andere in einem An - tagonismus? Warum reproduciren sich nur eini - ge, nicht alle Organe? Woher die wunderbare Ordnung in der Zahl der Sterbenden und Ge - bohrnen?

Was uns die Erfahrung der bisherigen Zei - ten in Beziehung auf diese Fragen liefern konnte, hat sie uns geliefert. Laſst uns jetzt versuchen, jene Probleme aus den obersten Sätzen, wovon unsere biologischen Untersuchungen ausgingen, zu lösen. Diese Auflösung kann indeſs nicht weiter gehen, als die Nothwendigkeit und Mög - lichkeit der mannichfaltigen Erscheinungen der Erzeugung, des Wachsthums und des Alterns der lebenden Körper bey den gegebenen Erfahrungs - begriffen der Materie und des Lebens zu zeigen. Fraget aber nicht nach der Nothwendigkeit dieser Begriffe! Wer diese Frage zu beantworten sich unterfängt, hat keinen Grund, worauf er bauen kann, als das ursprüngliche, unbedingte Seyn. Allein was ist das unbedingte Seyn anders, als die Gottheit selber? Und wozu kann eine Natur - philosophie, die von dieser ausgeht, führen, als zur Mystik und Schwärmerei?

III. Bd. M mJa,546

Ja, es giebt ein absolutes, unbedingtes Seyn, und wer einzig und allein aus diesem Seyn alles Bedingte abgeleitet hätte, würde den Ruhm ver - dienen, der Schöpfer einer wahrhaften Wissenschaft gewesen zu seyn. Aber gerade das beweiset, daſs alle Construktion aus dem Absoluten ein eitles Blendwerk ist, daſs der Mensch sich nicht selber zum Gotte zu machen, nicht zum unbedingten Wissen zu erheben vermag, weil aus dem Ab - soluten nichts Bedingtes hervorgehen kann, wenn dasselbe nicht innere Bedingungen hat, und ein solches noch eben so wenig, als das von aussen Bedingte, den Namen des Absoluten verdient, weil der Einbildungskraft in der Bestimmung die - ser innern Bedingungen freyes Spiel gegeben ist, und weil sich daher auf jenem vorgeblichen Un - bedingten mehrere ganz verschiedene Systeme gründen lassen, welche alle gleich wahr und gleich falsch sind.

Bey den Anhängern jener Philosophie sind die innern Bedingungen des Absoluten die ur - sprünglichen Qualitäten. Aber dieser, aus der Leibnitzischen Monadenlehre entlehnten En - telechien bedürfen wir nur, wie Leibnitz selber schon bemerkt hat(k)Leibnitii Opp. Studio L. Dutens. T. II. P. I. p. 226. 231., zur Erklärung der leben - digen Materie, nicht der Materie überhaupt. Ehealso547also von ihnen Gebrauch gemacht werden darf, muſs vorher dargethan werden, daſs Leben ein Attribut alles Materiellen ist. Nun geht freilich jene Philosophie von einer unbedingten Thätig - keit der Natur aus, und eine solche ist nichts anders, als das absolute Leben, als die Gottheit selber. Aber mit welchem Rechte läſst sich der Natur unbedingte Thätigkeit zuschreiben, mit welchem Rechte sich Gott und Natur für iden - tisch annehmen? Man sucht vergeblich bey den Anhängern jener Philosophie eine befriedigende Beantwortung dieser Frage. Doch träfe auch die - ser Einwurf nicht, so würde sie der noch treffen, daſs mit der Annahme ursprünglicher Qualitäten alle weitere Deduktionen aus dem bloſsen Begriffe des ursprünglichen Seyns aufhören. Denn nur das läſst sich ohne Hülfe der Erfahrung aus einer höhern Voraussetzung ableiten, was der mathe - matischen Construktion und der Anwendung der mathematischen Analysis fähig ist. Aber für ur - sprüngliche Qualitäten giebt es kein Bild, kein Maaſs, und keine analytische Formeln. Daher sind jene Philosophen gezwungen, bey ihrem weitern Philosophiren zu dunkeln, unbestimmten Begriffen und Wörtern ihre Zuflucht zu nehmen; daher läſst sich von ihnen das Nehmliche sagen, was Descartes von den Scholastikern sagte: Ihre Art zu philosophiren ist ganz gemacht für Geister, die tief unter der Mittelmäſsigkeit ste -M m 2 hen.548 hen. Die Dunkelheit ihrer Distinktionen und Principien setzt sie in den Stand, von allen Dingen mit der Miene des gründlichen Kenners zu reden, verschafft ihnen Mittel, jede ihrer Behauptungen zu vertheidigen, und sichert sie gegen alle Widerlegungen. Sie gleichen einem Blinden, der, um dem Sehenden im Zweykam - pfe gleich zu seyn, diesen in ein unterirdisches, dunkeles Gemach führt. Dies sey vorläufig für diejenigen gesagt, die alle Geisteswerke nur nach ihren Grundsätzen würdigen. Und jetzt zur Sache.

Leben besteht in der Gleichförmigkeit der Gegenwirkungen bey ungleichförmigen Einwirkun - gen der äussern Welt, in Erscheinungen, wel - che, obgleich veranlaſst durch wandelbare Ein - flüsse, doch bis auf einen gewissen Grad un - wandelbar sind. Lebend würde z. B. ein beweg - ter Körper seyn, auf welchen während seiner Bewegung ungleiche beschleunigende Kräfte wirk - ten, und welcher dennoch in gleichen Zeiten gleiche Räume zurücklegte.

Auf den lebenden Körper wirkt innerhalb ge - wisser Gränzen alles, was auf ihn einen zerstöh - renden Einfluſs hat, zugleich auch erhaltend. Deswegen ist der Magnet nicht lebend. Der ath - mosphärischen Luft ausgesetzt, wird er oxydirt,und549und mit dieser Oxydation verliehrt er seinen Magnetismus. Wäre er lebend, so würde diese Oxydation für ihn ein Mittel zur Erhaltung oder Verstärkung seiner magnetischen Kraft werden.

Alles Lebendige besitzt das Vermögen, seinen Zustand nach der Beschaffenheit der Sphäre, worin es sich befindet, zu modificiren. Bey al - lem Leben ist daher ein Schein von Willkühr, ein Analogon des geistigen Princips. Aber das Beseelte vermag unter mehrern möglichen Arten der Modifikation seines Zustands zu wählen; das blos Lebendige hingegen folgt bey seiner Modi - fikation der blinden Nothwendigkeit, und der Schein von Willkühr, der dessen Handlungen umgiebt, rührt nur davon her, weil die Art, wie es sich in jedem Falle nach den Einwir - kungen der Aussenwelt modificirt, immer die zweckmäſsigste von allen ist. Daher die Erha - benheit der Naturprodukte über die Werke der Kunst.

Dies alles ist schon in der Einleitung gelehrt worden. In der Folge bemerkten wir, daſs die Anwendung der angeführten Charaktere des Le - bens groſse Schwürigkeiten hat, und daſs viel - leicht von einem andern Standpunkte, als un - serm jetzigen, die ganze Natur uns als lebend erscheinen würde. Indeſs setzten wir unsereM m 3Unter -550Untersuchungen fort, unbekümmert, ob der Ge - gensatz zwischen dem Lebendigen und dem Leb - losen wahr oder nur scheinbar sey. Wir ahm - ten dem Astronomen nach, der in seiner Wis - senschaft von Erscheinungen ausgeht, ungewiſs, ob diese Phänomene nicht Täuschungen sind, aber überzeugt, daſs diese Täuschungen auf ewigen Gesetzen beruhen, und daſs er bey standhafter Verfolgung dieser Gesetze endlich die Wahrheit erreichen wird. Unsere obige Vermu - thung erhielt in der That auch durch die Un - tersuchungen, die wir im vorigen Buche über den Ursprung des Lebens anstellten, einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit, indem sich dort zeigte, daſs Leben ein Attribut nicht blos einzel - ner Organismen der Erde, sondern der Erde sel - ber ist(l)Biol. Bd. 3. S. 37 ff.. Hieraus aber scheint ein Einwurf gegen die im zweyten Kapitel der Einleitung(m)Biol. Bd. 1. S. 16 ff. aufgestellten Fundamentalsätze der Biologie zu flieſsen, der erst gehoben werden muſs, ehe wir auf diesen Lehren weiter bauen dürfen. Alle jene Sätze nehmlich beruhen auf dem Gegensatze des Lebendigen und des Leblosen. Hört die - ser Gegensatz auf, so ist jenen Sätzen ihre Stütze entzogen. Was läſst sich hierauf er - wiedern?

Ich551

Ich antworte, daſs diese Schwürigkeit geho - ben ist, sobald man zwischen dem entlehnten und dem eigenthümlichen Leben unterschei - det. Ein entlehntes Leben besitzen diejenigen Körper, die wir in der Einleitung leblose ge - nannt haben. Diese reagiren nur gleichförmig gegen die Einwirkungen der äussern Welt, weil sie Theile eines lebenden Ganzen sind. Getrennt von diesem, erfolgen an ihnen neue ungleichför - mige Erscheinungen. Diese Trennung nimmt die Kunst bey allen chemischen Processen vor. Daher die Ohnmacht der Chemie in der Nachah - mung alles dessen, was sich im Schooſse der Erde erzeugt, und daher das Unerklärbare aller geologischen und meteorologischen Erscheinungen aus chemischen Grundsätzen. Hingegen was ein eigenthümliches Leben besitzt, ist unmittelbar oder mittelbar dem Einflusse der Geisterwelt aus - gesetzt. Es äussert entweder selber willkührliche Handlungen, oder ist abhängig von Organismen, die sich aus einem innern Princip zur Thätigkeit oder Ruhe bestimmen. Ohne diese Verbindung des Lebens mit der Geisterwelt würden wir gar keinen Begriff von Leben haben, weil es nur vermöge dieser Verbindung Körper giebt, die zufälligen und also ungleichförmigen Einwirkun - gen ausgesetzt sind. Verstehen wir nun in Zu - kunft unter lebenden Körpern blos diejenigen, die ein eigenthümliches Leben besitzen, unterM m 4leb -552leblosen aber die, deren Leben entlehnt ist, so sieht man leicht ein, daſs alle in der Einlei - tung aufgestellte Sätze völlig ungeändert bleiben.

Unter diesen Sätzen verdienen hier vorzüg - lich die beyden folgenden unsere Aufmerksam - keit:

  • 1) Es giebt kein absolutes Leben des Indivi - duums. Alles Leben des Einzelnen ist be - schränkt, alle Reaktionen desselben gegen ungleichförmige Einwirkungen der Aussen - welt sind nur innerhalb gewisser Schranken gleichförmig.
  • 2) Das lebende Individuum ist abhängig von der Art, die Art von dem Geschlechte, die - ses von der ganzen lebenden Natur, und die letztere vom Organismus der Erde. Das In - dividuum besitzt zwar ein eigenthümliches Leben, und bildet in so fern eine eigene Welt. Aber eben weil das Leben desselben beschränkt ist, so macht es doch zugleich auch ein Organ in dem allgemeinen Organis - mus aus. Jeder lebende Körper besteht durch das Universum; aber das Universum besteht auch gegenseitig durch ihn. Ein höherer Verstand würde aus der gegebenen Organisa - tion eines einzigen lebenden Individuums die Organisation der ganzen übrigen Welt ab -zuleiten553zuleiten im Stande seyn. Von jedem dieser Individuen läſst sich dasselbe sagen, was Leibnitz von den Monaden sagte: Atque huic adaptationi rerum omnium creatarum ad unamquamque, et uniuscuiusque ad caeteras omnes tribuendum, quod quaelibet substan - tia simplex habeat respectus, quibus expri - muntur caeterae omnes, et per consequens speculum vivum perpetuum universi exi - stat.

Aus diesen Sätzen folgt nun erstens, daſs es einen quantitativen Unterschied zwischen den verschiedenen lebenden Organismen in Betreff der Intensität ihres Lebens giebt. Aber es folgt zu - gleich auch, daſs diese Stufenfolge sich nur auf einige, nicht auf alle Funktionen erstrecken kann, und daſs, je höher ein Organismus in Betreff einer einzelnen Funktion steht, desto tie - fer er in Hinsicht auf eine andere stehen muſs. Denn wäre dies nicht der Fall, fände unter den lebenden Körpern eine solche Gradation statt, daſs einige in jeder Rücksicht auf einer höhern Stufe des Lebens ständen, als die übrigen, so würden jene bald alle übrige verdrängen; es würde nur ein einziges lebendes Individuum übrig bleiben, und auch dieses würde, weil das Leben desselben immer noch beschränkt wäre, sein Daseyn nur auf eine kurze Zeit behauptenM m 5kön -554können. Wir sehen also, daſs, wenn eine le - bende Natur vorhanden ist, solche Gesetze in derselben statt finden müssen, wie wir im sech - sten Abschnitt des ersten Buchs(n)Biol. Bd. 1. S. 446 ff. aus Erfah - rungen entwickelt haben. Warum aber eine le - bende Natur existirt? Diese Frage liegt nicht uns ob zu beantworten, uns, die wir das Daseyn der Materie und des Lebens als gegeben annehmen, und nur die Möglichkeit derselben zu erklären uns für verpflichtet halten. Diese Aufgabe löse der, welcher aus dem Begriffe des unbedingten Seyns die ganze Natur zu erschaffen sich ge - trauet.

Verliehrt nun alles Leben auf der einen Sei - te eben so viel an Energie, wie es auf der an - dern gewinnet, und dies darum, weil sonst alle Mannichfaltigkeit der Formen aufhören, ein va - cuum formarum, um mich eines Ausdrucks äl - terer Philosophen zu bedienen, entstehen, und das Gleichgewicht im Organismus der Erde ge - stört seyn würde, so folgt, daſs eine Art von lebenden Körpern um desto beschränkter in der Fortpflanzung seyn muſs, je mehr jedes Indivi - duum derselben auf die äussere Welt einwirkt, und je gröſsere Veränderungen dieses in der Or - ganisation der übrigen Natur hervorzubringen im Stande ist. Das Einwirken eines Organismusauf555auf die äussere Welt ist aber desto stärker und vielseitiger, je ausgebildeter und mannichfaltiger seine Organe sind, und diese Mannichfaltigkeit nimmt in einer ununterbrochenen Stufenfolge zu von den einfachsten Zoophyten bis zu dem Men - schen(o)Biol. Bd. 1. S. 448.. Darum sind die Zoophyten die frucht - barsten, die Säugthiere aber, und vorzüglich der Mensch, die unfruchtbarsten unter allen leben - den Körpern.

Jede Funktion hat ihr Organ, und die Man - nichfaltigkeit und Vollkommenheit der Funktionen drückt sich in der Mannichfaltigkeit und Ausbil - dung der Organe aus. Wenn also gewisse Funk - tionen einander beschränken, so müssen auch die Organe, welche diesen Funktionen vorstehen, eine gleiche Wirkung auf einander äussern. Und hierauf beruhet das im 6ten § des vorigen Ab - schnitts aus Erfahrungsgründen hergeleitete Ge - setz des Antagonismus.

Antagonistisch wirken nur solche Organe auf einander, welche verschiedenen Funktionen vor - stehen. Wo also keine Verschiedenheit der Funktionen und keine Mannichfaltigkeit der Or - gane ist, da findet auch kein Antagonismus statt, und bey einem solchen Körper kann daher das Wachsthum des einzelnen Theils ins Unendlichegehen.556gehen. Doch kein Körper hat völlig homogene Organe, wohl aber nähern sich die Theile bey einigen mehr, bey andern weniger der Gleich - artigkeit. Jedes Organ hat also ein beschränktes Wachsthum; aber die Gränzen des letztern sind desto enger, je verschiedenartiger, und desto weiter, je heterogener die Organe des erstern sind. Die gleichartigsten Organe nun haben die Zoophyten und Pflanzen(p)Biol. Bd. 1. S. 165.: daher die Unbe - stimmtheit, welche bey einem und demselben dieser Körper in der Gröſse der einzelnen Theile herrscht(q)Biol. Bd. 2. S. 36 ff. 137..

Eben dies gilt aber auch von dem ganzen Organismus. Je mannichfaltiger und verschieden - artiger seine Organe sind, desto vielseitiger ist sein Einfluſs auf die übrige Natur, und desto beschränkter muſs sein Wachsthum seyn: daher werden die Varietäten in der Gröſse desto selte - ner, je näher wir in der Reihe der Naturpro - dukte dem Menschen kommen, und desto häu - figer, je mehr wir uns den untersten Ordnungen der Zoophyten nähern.

Jener Antagonismus, durch welchen die ver - schiedenen Organe eines lebenden Körpers sich wechselseitig bey ihrem Wachsthume beschrän -ken,557ken, muſs aber auch wieder beschränkt seyn: denn sonst wäre gar keine Mannichfaltigkeit der Funktionen und der Organe an einem und dem - selben Organismus möglich, könnte kein harmo - nisches Zusammenwirken der Theile zu einem einzigen Zweck, also auch keine Organisation, statt finden. Deswegen müssen eben die Organe, die von gewissen Seiten einen Antagonismus ge - gen einander äussern, von andern Seiten wieder in enger Sympathie stehen.

Unter antagonistischen Organen kann aber keine Sympathie statt finden, wenn diese nicht durch ein drittes Organ, womit jene zugleich in Wech - selwirkung stehen, vermittelt ist. Wo also Sympathie herrscht, da ist auch dieses Organ vorhanden, und dieses Organ ist desto ausgebil - deter, je enger die Sympathie ist. Hiermit stim - met auch die Erfahrung überein: denn diese lehrte uns, daſs das Gehirn der Theil ist, mit dessen zunehmender Gröſse bey abnehmender Gröſse des Nervensystems die Sympathie zu - nimmt.

Jenes Organ der Sympathie ist dasjenige, welches die verschiedenen Theile des Organismus zu einem Ganzen vereinigt. Sobald dieses zer - stöhrt ist, hört alle Wechselwirkung, und daher alle Reproduktion auf. Deswegen ist das Gehirnein558ein absolut unersetzbarer Theil, und deswegen ist es wahrscheinlich, daſs in denen Fällen, wo man Fortdauer des Lebens, und selbst Ersatz des Verlohrnen nach dem Verluste eines Theils des Gehirns wahrgenommen haben will, jener Theil nicht durchaus nothwendig zur Vollziehung der Funktionen dieses Eingeweides war.

Es lassen sich Organismen als möglich den - ken, bey welchen zwar Ein Hauptorgan der Sympathie vorhanden wäre, wo es aber zugleich mehrere untergeordnete Organe der Art gäbe, die einzelnen Theilen angehörten, und diese bis auf einen gewissen Grad unabhängig von dem Gan - zen machten. Bey solchen Organismen würden diese Theile einen eigenen Typus in ihrer Ent - stehung, ihrem Wachsthume und ihrer Abnahme befolgen, und, getrennt vom Ganzen, noch eine längere oder kürzere Zeit sich als eigene lebende Ganze verhalten. Solche Organismen sind aber nicht blos möglich; jeder lebende Körper muſs diese Eigenschaften haben. Denn nur bey einem Körper, dessen Leben unbeschränkt wäre, wür - den alle Theile ganz abhängig von dem Ganzen seyn. Da nun jedes Individuum ein beschränk - tes Leben hat, so müssen bey jedem lebenden Körper die einzelnen Theile untergeordnete Or - gane der Sympathie besitzen, vermöge welcher diese mehr oder weniger unabhängig von demGan -559Ganzen sind; sie müssen bey ihrem Ursprunge, ihrer Ausbildung und ihrem Absterben einen ei - genen, von dem des Ganzen verschiedenen Ty - pus haben, und, auch nach der Absonderung von dem letztern, diejenigen Funktionen, denen sie vorstanden, als sie mit diesem in Verbindung waren, noch eine Zeitlang vollziehen; kurz, sie müssen ein eigenthümliches Leben haben.

Die Fortdauer dieses eigenthümlichen Lebens nach der Trennung von dem Ganzen wird desto länger seyn, je unabhängiger die untergeordneten Organe der Sympathie von dem Hauptorgane sind, also je weniger Unterschied zwischen je - nen und diesem in der Gröſse und Gestalt ist, folglich am längsten bey den Würmern, Zoophy - ten und Pflanzen. Bey eben diesen Organismen nun ist zugleich jeder Haupttheil dem Ganzen ähnlich; er besitzt also dieselben Mittel zu sei - ner Fortdauer, die das Ganze hat, und wird daher, auch abgesondert von diesem, den Kreislauf seines eigenthümlichen Lebens vollen - den können.

Aber nicht blos als Theil wird er fortdauern; auch zu einem lebenden Ganzen wird er sich unter günstigen Umständen erheben. Alles Le - ben des Einzelnen nehmlich geht auf Erhaltung der Individualität gegen den Einfluſs der äussernWelt.560Welt. Diese Erhaltung aber ist auf eine zwey - fache Art möglich: das Individuum modificirt sich entweder nach jenem Einfluſs; oder es mo - dificirt ihn selber. Das Letztere aber kann nur dadurch geschehen, daſs durch jenen Einfluſs in dem Individuum, welches von demselben ge - troffen wird, eine ihm entgegenwirkende Funk - tion geweckt, und z. B. durch die Einwirkung einer oxydirenden Substanz ein Desoxydations - Vermögen in Thätigkeit gesetzt wird. Diese Art der Modifikation nun setzt Mannichfaltigkeit der Funktionen und der Organe voraus; sie kann daher nur den Organismen der höhern Classen zukommen. Hingegen bey der andern Art von Modifikation verhält sich der lebende Körper mehr leidend; sie ist daher ein Attribut der ein - fachern Organismen, und durch sie können ein - zelne Theile dieser Körper, bey günstigen Ein - flüssen der äussern Welt, zu eigenen Individuen gebildet werden.

Dieses Vermögen der Würmer, Zoophyten und Pflanzen, sich durch Theilung zu vermehren, läſst sich auch noch auf einem andern Wege als Folge der Beschränktheit des Lebens darthun. Es sind nehmlich zwey Hauptarten der Beschrän - kung des Lebens denkbar. Der erste ist: durch verminderte Dauerhaftigkeit bey vermehrter Frucht - barkeit des Individuums; der andere: durch ver -mehrte561mehrte Dauerhaftigkeit bey verminderter Frucht - barkeit desselben. Aber es giebt Eine Art von Einwirkungen, wogegen die Natur keinen leben - den Körper völlig zu schützen im Stande war, und die gerade eine der häufigsten ist, nehmlich die der mechanisch wirkenden Potenzen. Es ist kein so dauerhafter Organismus möglich, der diesen Einflüssen zu widerstehen im Stande wäre. Wie kann also mit diesen Einwirkungen Dauer - haftigkeit des Lebens bestehen? Es giebt hier zwey mögliche Auswege, und zwar ist der erste dieser, daſs mechanische Zertheilung ein Mittel zur Vervielfältigung des Lebens wird. So zeigt sich auch von dieser Seite die Möglichkeit der Vermehrung durch Theilung. Aber von diesem Gesichtspunkte aus erhellet zugleich, daſs solche Körper, die sich vorzüglich durch Theilung ver - mehren, in anderer Rücksicht sehr unfruchtbar seyn müssen; und dies zeigt sich auch an dem Armpolypen, dessen Vermögen, sich auf jene Art zu vervielfältigen, unerschöpflich ist, der aber nur eine geringe Zahl von Eyern her - vorbringt.

Der zweyte Ausweg, auf welchem Fortdauer des Lebens bey der Gegenwart zerstöhrender me - chanischer Kräfte bestehen kann, ist, daſs das Individuum mit dem Vermögen der willkührli - chen Bewegung begabt, und hierdurch in denIII. Bd. N nStand562Stand gesetzt ist, sich der Einwirkung jener Potenzen zu entziehen. Bey dieser Art von Dauerhaftigkeit des Individuums kann die Frucht - barkeit entweder dadurch beschränkt seyn, daſs jedes Individuum zwar sich selber zur Fortpflan - zung genug ist, aber nur eine geringe Anzahl von Nachkommen hervorzubringen vermag; oder dadurch, daſs mehrere Individuen sich zur Fort - pflanzung vereinigen müssen. Hiermit ist also die Frage beantwortet: Warum bey einigen le - benden Körpern ein nothwendiges Erforderniſs zur Fortpflanzung die Begattung ist? Sie ist es nehmlich als eine Schranke der Fruchtbarkeit jener Körper. Zwar sieht man nicht ein, warum diese Schranke nicht auch dadurch erreicht wer - den konnte, daſs jene Organismen eine geringe Anzahl von Nachkommen ohne Begattung hervor - brächten. Allein aus den empirischen Untersu - chungen, die wir im dritten Kapitel des ersten Abschnitts dieses Buchs angestellt haben, ergab sich in der That auch, daſs es sehr zweifelhaft ist, ob viele von denen Körpern, die sich in manchen Fällen durch Begattung vermehren, sich nicht auch ohne dieses Hülfsmittel fortzupflanzen im Stande sind.

Aber giebt es nicht auch Körper, die sich auf beyderley Art, sowohl durch Theilung, als durch Eyer oder Saamenkörner fortpflanzen? Aller -563Allerdings können diese beyden Arten der Ver - mehrung in einem und demselben Individuum statt finden, jedoch nie zugleich, sondern immer nur zu verschiedenen Zeiten. Ein Körper, bey welchem beyde Arten zu einerley Zeit vorhanden wären, wurde eine unbeschränkte Fruchtbarkeit besitzen, welche nicht mit der Organisation der Natur bestehen kann. Solche Körper, die sich sowohl durch Theilung, als durch Eyer oder Saamenkörner fortpflanzen, müssen aber nur auf den untersten Stufen der Organisation gefunden werden. Denn daſs diese Organismen sich zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Art ver - mehren, kann nur in dem veränderten Einflusse der Aussenwelt seinen Grund haben, und oben ist gezeigt worden, daſs nur Individuen aus den untersten Ordnungen der lebenden Körper durch äussere Einwirkungen so bedeutende Verände - rungen der Form ihres Lebens erleiden, wie hierbey vorausgesetzt wird. Jeder Körper, der sich durch Theilung vermehrt, kann sich also auch durch Eyer oder Saamenkörner fortpflan - zen. Aber sobald die eine dieser Vermeh - rungsarten eintritt, ist die andere aufgehoben. Daher sind die Blüthen des Lilium bulbiferum unfruchtbar, wenn diese Pflanze Knospen her - vorbringt, und daher erzeugt sie keine Knospen, wenn sie fruchtbare Blüthen trägt. Darum pflanzen sich die Hydern nur im Herbste durchN n 2Eyer564Eyer fort, nicht aber im Sommer, wo ihre Ver - mehrung durch Sprossen statt findet.

Mit den bisherigen Sätzen ist das Ziel, das wir im Anfange dieses Abschnitts zu erreichen uns vorgesetzt hatten, gröſstentheils erreicht. Nur Eine Frage ist uns noch zu beantworten übrig. Wir sahen uns nehmlich bey unsern empirischen Untersuchungen gezwungen, zur Erklärung meh - rerer Erscheinungen ein dynamisches Einwirken der lebenden Körper auf einander anzunehmen. Läſst sich diese Hypothese aus den Fundamental - sätzen der Biologie rechtfertigen?

Die Antwort auf diese Frage ist in denen Sätzen enthalten, die wir über die Grundkraft der Materie in der Einleitung aufgestellt haben. Wir fanden dort, daſs eine zahllose Mannichfal - tigkeit von repulsiven Kräften die materielle Welt ausmacht, daſs jede Kraft durch alle übri - ge begränzt ist, und daſs sie in diesen Gränzen als ein Körper von bestimmter Gröſse und Ge - stalt erscheint, daſs sie aber noch über diese Gränzen hinauswirkt, und mit den ihr entge - genwirkenden Kräften Flächenkräfte von man - nichfaltiger Richtung und Intensität bildet(r)Biol. Bd. 1. S. 25 ff.. Diese Flächenkräfte geben das Phänomen imma -teriel -565terieller Wirkungen, weil sie den Raum nicht nach allen Dimensionen erfüllen. Von jedem Körper müssen solche Kräfte ausgehen; auch die lebenden Organismen müssen immaterielle Wirkungen äussern. Diese Wirkungen aber sind es, die wir oben dynamische genannt haben. Wir sind also allerdings befugt, solche Einwir - kungen zur Erklärung empirischer Data zu Hül - fe zu nehmen. Indeſs ist freylich Vorsicht - thig, nicht etwas aus einer solchen Action abzu - leiten, was in der That eine unmittelbare mate - rielle Ursache hat.

N n 3Vier -566

Vierter Abschnitt. Bedingungen des Wachsthums und der Abnahme der lebenden Körper.

§. 1.

Wachsthum beruhet auf einer Thätigkeit des lebenden Körpers. Alle Thätigkeit setzt von Seiten der Aussenwelt eine erregende Potenz, und von Seiten des thätigen Körpers Receptivi - tät und Reaktionsvermögen voraus. Die äussern Bedingungen des Wachsthums aufsuchen, heiſst also, den Potenzen, wofür der lebende Organis - mus Empfänglichkeit besitzt, und der Wirkungs - art dieser Kräfte nachforschen. Das Wachsthum im allgemeinsten Sinne aber ist das Resultat der sämmtlichen Funktionen des lebenden Körpers. Die Bedingungen des erstern sind daher zugleich die der letztern, und der gegenwärtige Abschnitt wird folglich die allgemeinern Gesetze aller Le - bensthätigkeit enthalten. Der Weg hierzu ist uns schon durch die Untersuchungen gebahnt,die567die wir im letzten Kapitel des zweyten Buchs dieses Werks(s)Biol. Bd. 2. S. 407. über die äussern Bedingungen der verschiedenen Formen des Lebens angestellt haben.

Der Einfluſs äusserer Potenzen auf den le - benden Körper geschieht auf eine doppelte Art: sie wirken entweder ohne Zuthun des letztern auf denselben ein; oder ihre Einwirkung setzt eine vorhergegangene Thätigkeit desselben vor - aus. Auf jene Art agirt z. B. die Wärme; auf diese Art wirken die Nahrungsmittel. Vorerst werden wir den lebenden Körper bey allen äus - sern Einwirkungen blos als leidend betrachten.

Die erwähnten Potenzen sind ferner entwe - der absolut, oder relativ äussere. Zu den letztern gehören die Actionen einzelner Theile des lebenden Körpers, in so fern sie einen noth - wendigen Einfluſs auf den übrigen Organismus haben; Potenzen der erstern Art sind alle Ein - flüsse, die nicht in der Organisation des lebenden Körpers einen nothwendigen Grund haben. Eine absolut äussere Potenz ist z. B. das Sonnenlicht; eine relativ äussere, die durch dasselbe erregte Thätigkeit des Gesichtsorgans.

§. 2.N n 4568

§. 2.

Alles, was das Wachsthum beför - dert, beschleunigt auch die Abnahme des lebenden Körpers, und zwar ent - weder durch die Dauer, oder durch die Heftigkeit der Einwirkung. Es giebt daher ein gewisses Maximum der Erregung, über welches diese nicht erhoben werden kann, ohne sich ihrem Minimum wieder zu nähern.

Thatsachen, welche dieses beweisen, sind folgende:

Münzenpflanzen kamen in Unzen Wasser, womit 1 bis 2 Tropfen des stärksten Salpeter - geistes vermischt waren, dem Anscheine nach besser, als in bloſsem Wasser, fort. Enthielt aber das Wasser mehr von dieser Säure, so gin - gen sie sehr bald ein(t)Priestley’s Vers. u. Beobacht. über versch. Thei - le der Naturlehre. Th. 1. S. 302..

In Unzen Wasser, worin 3 Gran Koch - salz aufgelöset waren, kamen Pflanzen besser fort und erhielten sich länger, als in reinem Wasser. Eine gleiche Menge Wasser, welche mehr Kochsalz, doch nicht über 12 Gran ent - hielt, beförderte anfangs das Wachsthum, töd -tete569tete aber bald darauf die Pflanzen. Waren mehr als 12 Gran in jener Quantität Wasser aufgelöset, so starben die Gewächse in demselben augen - blicklich(u)Priestley a. a. O. S. 301..

Saamenkörner der Kresse (Lepidium sativum L.), die ich mit einer Emulsion von Mohnsaft begossen hatte, keimten und wuchsen zum Theil viel schneller, als andere, welche mit dieser Mischung nicht waren befeuchtet worden. Aber von jenen blieben auch weit mehrere, als von diesen, unentwickelt. Zugleich wurden dieje - nigen der erstern, die gekeimt hatten, bleich - süchtig, und starben weit früher ab, als die letztern(v)Pfaff’s u. Scheel’s Nordisches Archiv für Na - tur - und Arzneywissenschaft. B. 1. St. 2. S. 274..

Aus dem obigen Gesetze lassen sich auch die widersprechenden Resultate verschiedener Versu - che über den Einfluſs mancher Mittel, z. B. des Camphers, auf das Wachsthum der Pflanzen erklären. Barton(w)Trommsdorf’s Journal der Pharmacie. B. V. St. 2. und Willdenow(x)Grundriſs der Kräuterkunde. 2te Ausg. S. 327. fanden, daſs der Campher die Vegetation beför -dert.N n 5570dert. In mehrern, von mir über diesen Gegen - stand angestellten Versuchen hingegen wurde das Wachsthum der Pflanzen von einer Emulsion jenes Mittels zurückgehalten, oder ganz aufge - hoben(y)Pfaff’s und Scheel’s Nordisches Archiv. B. 1. St. 2. S. 258. 274. 290. 297..

Aus jenem Gesetze erhellet endlich auch, warum in Spallanzani’s oben gedachten Versu - chen über die Erzeugung der Amphibien, die Entwickelung der Eyer dieser Thiere durch einen gewissen Grad von Wärme beschleunigt, durch Hitze aber aufgehoben wurde. Diese Versuche beweisen zugleich, daſs auch sowohl das Ent - wickelungsvermögen des noch unbefruchteten weiblichen Zeugungsstoffs, als die befruchtende Kraft des männlichen Saamens unter jenem Ge - setze steht. Beyde erhielten sich länger in einer mäſsigen Kälte, als in einer mäſsigen Wärme, ohne Zweifel aus keiner andern Ursache, als weil die Erregbarkeit dieser Materien in einer wärmern Temperatur früher, als in einer käl - tern, zu ihrem Maximum erhoben wurde.

§. 3.

Das erwähnte Maximum der Erre - gung ist verschieden nach der Verschie -den -571denheit der einwirkenden Potenzen. Es giebt einige, die schon Abnahme der Lebensthätigkeit nach sich ziehen, ehe noch verhältniſsmäſsige Zunahme der letztern bemerkbar geworden ist.

Es erfolgen ganz andere Erscheinungen, wenn das Wachsthum einer Pflanze durch Wär - me und Licht befördert wird, als wenn man es durch Opium und andere chemisch wirkende Substanzen beschleunigt. Im erstern Falle trägt das Gewächs Blüthen und Früchte, ehe die Pe - riode der Abnahme des Lebens eintritt, wie die Alpenpflanzen beweisen, welche, erregt durch einen höhern und schneller eintretenden Grad der Wärme und des Lichts, in weit kürzerer Zeit, als die Gewächse des flachen Landes, den Kreislauf ihres Daseyns vollenden, und doch da - bey die höchste Stufe ihres Lebens erreichen(z)Biol. Bd. 2. S. 37.. Hingegen im letztern Falle fängt die Lebensthä - tigkeit schon an zu erschlaffen, ehe noch der vegetabilische Organismus zu dieser höchsten Stufe gelangt ist. Roggenkörner lassen sich durch destillirtes kohlensaures, mit dem achten Theile flüssiger oxygenirter Salzsäure versetztes Wasser sehr schnell zum Keimen bringen, und das Wachsthum derselben läſst sich dadurch sehrbeför -572befördern; aber ihre Halme sterben ab, wenn sie eine Höhe von 9 bis 10 Zoll erreicht ha - ben(a)Schrader im Neuen allgem. Journal der Che - mie. B. 3. S. 533..

§. 4.

Jenes Maximum der Erregung ist auch verschieden nach der Verschieden - heit der Organismen und der Organe.

Saamenkörner, welche während dem Keimen vom Sonnenlichte beschienen werden, gedeihen nicht nur viel langsamer, als andere, im Schat - ten liegende, sondern ein groſser Theil dersel - ben verdirbt sogar völlig, und die, welche auf - gehen, geben nur schwache Pflanzen(b)Ingenhouss in Voigt’s Mag. f. d. Neueste aus der Physik etc. B. V. St. 2. S. 43.. So - bald aber der Keim Blätter getrieben hat, er - reicht er nur beym Sonnenlichte die höchste Stu - fe seines Lebens, und stirbt vor der Zeit, wenn ihm dieses entzogen wird. Aber auch dann be - darf er nur eines gewissen Grades von Licht zu seiner weitern Ausbildung. Derselbe Grad, wel - cher Pflanzen, die auf freyen, dem Sonnenlichte von allen Seiten ausgesetzten Höhen wachsen, unentbehrlich ist, tödtet diejenigen, die in dun - keln Wäldern einheimisch sind.

§. 5.573

§. 5.

Von den drey bisherigen Gesetzen haben wir das erste (§. 2.) schon in der Einleitung(c)Biol. Bd. 1. S. 71. aus den Begriffen des Lebens und der Materie abgeleitet. Ehe wir weiter gehen, ist es - thig, auch die beyden letztern aus den Funda - mentalsätzen der Biologie zu entwickeln. Fol - gende Sätze sind es, woraus sich dieselben er - klären lassen:

  • 1) Die Receptivität für erregende Potenzen ist verschieden sowohl in den verschiedenen Ar - ten und Individuen der lebenden Körper, als in den verschiedenen Theilen eines und desselben Organismus.

Dieser Satz bedarf kaum einer Rechtferti - gung. Die Wahrheit desselben erhellet schon daraus, weil eine Verschiedenheit der Formen des Lebens nur bey einer Verschiedenheit der Receptivität für die Einwirkungen der Aussen - welt denkbar ist. Sie erhellet auch aus dem Antagonismus, den die verschiedenen Theile ei - nes und desselben Körpers bey ihrem Wachsthu - me gegen einander äussern. Nur die verschie - dene Wirkungsart eines und desselben Reitzes auf die verschiedenen Organe giebt eine befrie - digende Erklärung dieses, sowohl aus Thatsa -chen,574chen, als aus höhern Gründen in den beyden letzten Abschnitten bewiesenen Gesetzes.

  • 2) Die Gewalt einer erregenden Potenz nimmt mit jeder Einwirkung immer mehr ab.

Die Richtigkeit dieser zweyten Voraussetzung ist weniger einleuchtend, als die der ersten. Man sieht auf den ersten Blick nicht ein, wie dabey die Erregung durch eine und dieselbe er - regende Potenz erst bis zu einem gewissen Ma - ximum gesteigert werden kann, ehe sie abzu - nehmen anfängt. Es scheint, daſs das Maxi - mum der Erregung schon bey der ersten Ein - wirkung der erregenden Potenz eintreten müſste. Inzwischen sprechen doch für jenen Satz Gründe der Naturphilosophie und der Erfahrung. Die erstere lehrt, daſs Erregung nur zwischen un - gleichartigen Körpern statt findet, und in dem wechselseitigen Bestreben besteht, sich in den Zustand der Gleichartigkeit zu versetzen, daſs in der leblosen Natur das letzte Resultat dieses Bestrebens ein Tausch der Qualitäten beyder Körper und Verwandelung derselben in eine drit - te homogene Materie ist, daſs hingegen der le - bende Organismus bey Erregungen seine eigen - thümliche Form und Mischung behauptet. Aber wie kann der erregte lebende Körper sich dem Bestreben des erregenden, ihn zu verähnlichen, anders entziehen, als dadurch, daſs er entwederdie -575diesen selber assimilirt, oder daſs seine Recepti - vität für den Einfluſs des letztern mit jeder Er - regung immer mehr abgestumpft wird? In bey - den Fällen muſs nun die Gewalt der erregenden Potenz desto mehr abnehmen, je öfterer, oder je länger sie auf den lebenden Körper einwirkt. Die Erfahrung spricht ebenfalls für diesen Satz. Wir wissen, daſs manche Pflanzen und Thiere, die dem kalten Norden angehören, sich an das Tropen-Clima gewöhnt haben, ohne daſs ihre Organisation erhebliche Veränderungen erlitten hat(d)Biol. Bd. 2. S. 127. 153. 246 ff.. Aber wie wäre dies möglich gewesen. wenn die relative Gewalt der Wärme, des Lichts und der übrigen erregenden Potenzen, welche zusammengenommen das Clima ausmachen, nicht in eben dem Maaſse abnähme, wie die absolute Gewalt derselben zunimmt.

Bey allem dem würde aber jener zweyte Satz doch zweifelhaft bleiben, wenn sich die Schwürigkeit, mit ihm das allmählige Gelangen der Erregung zu einem Maximum zu vereinigen, nicht wegräumen liesse. Diese wird indeſs durch folgende Voraussetzung gehoben:

  • 3) In jedem lebenden Körper giebt es einen Cirkel von Erregungen, der bis auf einen gewissen Grad von den Einwirkungen derAussen -576Aussenwelt unabhängig ist, jedoch durch die - sen verstärkt werden kann.

Jener Cirkel von Erregungen besteht darin, daſs die sämmtlichen Organe auf einander als relativ äussere, erregende Potenzen wirken. Um jene Voraussetzung zu rechtfertigen, ist es also nothwendig, zuerst die Frage, ob es dergleichen Potenzen giebt? aus Erfahrungsgründen zu be - antworten. Wir sehen aber, daſs bey allen le - benden Körpern gänzliche Ausleerung der Säfte den Tod nach sich zieht. Es ist also zu ver - muthen, daſs die flüssigen Theile relativ äus - sere, erregende Potenzen für die festen sind. Wir sehen ferner, daſs in jedem Theile das Wachsthum und endlich alle Lebensthätigkeit auf - hört, wenn entweder die Nerven, oder die Blutgefäſse desselben unterbunden, oder auf an - dere Art ausser Verbindung mit dem übrigen Organismus gesetzt werden(e)Stenonii Elem. myolog. specimen. p. 86. Hal - ler in Commentar. soc. Reg. sc. Gotting. T. IV. p. 419. Arnemann über die Reproduktion der Ner - ven. S. 26.. Die Erfahrung lehrt auch, daſs bey den Insekten ein ähnliches partielles Aufhören der Lebensthätigkeit nach dem Bestreichen der Luftlöcher einzelner Ringe mit Oel eintritt(f)Lyonnet Traité de la ohenille du saule. p. 79.. Hier bringt also die Ent -ziehung577ziehung einer absolut äussern Potenz, nehmlich der athmosphärischen Luft, dieselbe Wirkung hervor, welche dort aus dem aufgehobenen Ein - flusse der Nerven und der Blutgefäſse, oder des Bluts, entsteht. Es ist daher höchst wahr - scheinlich, daſs diese Theile als erregend auf den übrigen Organismus wirken, und so wird die Antwort auf die obige Frage bejahend aus - fallen müssen.

Aber mehrere Thatsachen beweisen auch, daſs die Erregungen, welche von diesen relativ äussern Potenzen herrühren, einen Cirkel bilden, der bis auf einen gewissen Grad von den Einwirkungen der Aussenwelt unabhängig ist. Viele Saamenkör - ner, besonders der lilienartigen Gewächse des Caps, die an ihrem Geburtsorte zur Reife gekommen, und in eine andere Zone gebracht sind, keimen hier zu der nehmlichen Zeit, wo sie in ihrem Va - terlande aufgegangen seyn würden. Die Peruani - schen Pflanzen blühen bey uns im Winter, der mit dem Sommer von Peru gleichzeitig ist. Viele fremde, nach Europa versetzte Bäume verliehren hier ihre Blätter nicht im Herbste, sondern in derjenigen Jahreszeit, die mit dem Herbste ihres Landes übereinstimmt. Eben so verhalten sich die aus Europa nach dem Vorgebirge der gu - ten Hoffnung verpflanzten Gewächse; und dasIII. Bd. O oNehm -578Nehmliche findet auch beym Ausschlagen der Knospen statt(g)Thouin, Annales du Muséum d’Hist. nat. T. II. p. 79. Thunberg’s Reisen. S. 7, im Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen. Bd. 7..

Man sucht vergeblich einen andern Erklä - rungsgrund dieser Erscheinungen, als einen sol - chen Cirkel von Erregungen, wie wir vorhin angenommen haben. Doch müssen wir zu - gleich voraussetzen, daſs dieser Cirkel nur bis auf einen gewissen Grad von den Einwirkun - gen der Aussenwelt unabhängig ist. Die er - wähnten Eigenthümlichkeiten fremder Gewächse nehmlich verliehren sich in eben dem Verhält - nisse, wie diese in ihrer neuen Heimath mehr einheimisch werden. Bey Pflanzen, die binnen drey Monaten aufgehen, wachsen und Früchte tragen, fangen sie nach drey bis vier Jahren an zu verschwinden. Eine längere Zeit bedarf es hierzu bey jährigen Pflanzen. In groſsen Bäu - men werden sie mit allen Hülfsmitteln der Kunst kaum in Jahrhunderten zerstöhrt(h)Thouin a. a. O..

Diese Gründe lassen sich noch durch an - dere, welche aus der Natur des lebenden Or -ganis -579ganismus abgeleitet sind, unterstützen. Jedes Organ desselben besitzt ein eigenthümliches Le - ben; für jedes Organ ist also der übrige Or - ganismus dasselbe, was für den ganzen Orga - nismus die übrige Welt ist. Auf jeden Theil wirken also die übrigen als erregende Poten - zen, und jener wirkt wechselseitig eben so auf die letztern. Die Erregung des Theils verbrei - tet sich also über das Ganze, kehrt von dem Ganzen wieder zum Theile zurück, und dauert noch lange nach Entfernung der ersten veran - lassenden Ursache fort. Aber bey dieser in sich zurückkehrenden Kette von Erregungen muſs dennoch die Empfänglichkeit für neue Ein - wirkungen der äussern Welt fortdauern, weil sonst alle Verbindung mit dieser aufgehoben seyn würde. Jeder neue Reitz trifft also schon vorhandene Erregungen an, die er modificirt, und durch welche dessen Einfluſs auch gegen - seitig modificirt wird. So hängt von dem ersten Eindrucke, den der lebende Körper bey sei - nem Entstehen empfängt, die Art der Existenz für sein ganzes künftiges Leben ab; und so wur - de die Beschaffenheit der jetzigen lebenden Natur schon durch diejenigen Einflüsse bestimmt, unter welchen sich vor Jahrtausenden die ersten leben - den Erzeugnisse der Erde bildeten(i)Biol. Bd. 3. S. 225..

DurchO o 2580

Durch den obigen Satz ist nun die Schwü - rigkeit gehoben, die uns im Wege stand, als wir mit dem Satze, daſs jede erregende Po - tenz bey wiederhohlter Einwirkung auf den lebenden Körper an Wirksamkeit verliehrt, die Thatsache vereinigen wollten, daſs die Erre - gung durch den fortdauernden Einfluſs einer und derselben Potenz allmählig bis zu einem gewissen Maximum verstärkt wird. Aus jenem Satze folgt nehmlich, daſs nur dann eine gra - duelle Zunahme der Erregung statt finden kann, wenn die Summe der erregenden Potenzen stufen - weise vermehrt wird. Eine solche Vermehrung tritt aber dann wirklich ein, wenn es relativ äussere Potenzen giebt, welche wechselseitig auf einander wirken, und in deren Cirkel eine ab - solut äussere Potenz eingreifen kann. Diese letztere Potenz wirkt bey ihrem ersten Einflusse nur mit ihrer eigenen Gewalt; bey ihrem zwey - ten Einflusse aber wird sie durch jene relativ äussern Potenzen unterstützt: es ist daher be - greiflich, wie die erste Erregung von der zwey - ten an Stärke übertroffen werden kann, wenn auch die absolut äussere Potenz, für sich betrach - tet, bey der zweyten Einwirkung an Gewalt verlohren hat.

§. 6.581

§. 6.

Die Thatsachen, die wir im letzten Kapi - tel des zweyten Buchs(k)Biol. Bd. 2. S. 407 ff. aufgestellt haben, beweisen, daſs jede absolut äussere Potenz, aus - ser ihrem Einflusse auf die Vermehrung und Verminderung der Lebensthätigkeit überhaupt, noch eine specifique Nebenwirkung auf den Or - ganismus hat, welche in Modifikationen der Mischung, Textur und Struktur besteht. Diese Nebenwirkung ist eine Folge der Beschränktheit alles Lebens. Ein Körper, dessen Leben schran - kenlos wäre, würde seine Organisation gegen jede, auf ihn wirkende Potenz unverändert be - haupten, indem er diese augenblicklich sich ver - ähnlichte, ohne von ihr gegenseitig assimilirt zu werden. Der Körper von beschränktem Le - ben aber kann nichts seiner Natur homogen machen, ohne einen Theil seiner Eigenthüm - lichkeit zu verliehren.

Veränderungen der Mischung, Textur und Struktur müssen Veränderungen der Receptivität und des Reaktionsvermögens zur Folge ha - ben. Diese aber können quantitativ oder qua - litativ seyn. Daſs die Empfänglichkeit für äus - sere Einwirkungen quantitativer VeränderungenfähigO o 3582fähig ist, erhellet daraus, weil heftige Einwir - kungen alle Receptivität vertilgen. Qualitativ würden die Veränderungen der Receptivität dann seyn, wenn jede einwirkende Potenz diese - higkeit nur für sich selber, nicht aber für an - dere Potenzen verminderte, oder sie für an - dere gar erhöhete. Solche qualitative Verän - derungen der Receptivität giebt es wirklich. Es ist nehmlich ein Satz, der sowohl aus dem Begriffe der Reitzbarkeit folgt, als Erfahrungs - gründe auf seiner Seite hat, daſs die Recep - tivität für eine erregende Potenz ver - mehrt wird durch Verminderung oder Aufhebung des Einflusses dieser Potenz. Veränderungen der Receptivität nun müssen in vorhergegangenen Veränderungen der Mischung und Form ihren Grund haben. Die letztern aber entstehen aus der Einwirkung äusserer Po - tenzen. Mithin haben alle Veränderungen der Receptivität ebenfalls, folglich auch Erhöhungen dieser Fähigkeit, hierin ihre Quelle. Allein oben haben wir bewiesen, daſs alle einwirkende Po - tenzen die Receptivität vermindern. Hier ist also ein Widerspruch, der sich nur unter der Voraussetzung heben läſst, daſs jede erregende Potenz durch ihre Einwirkung auf die Recep - tivität diese blos in Beziehung auf sich depri - mirt, und zugleich sie in Beziehung auf andere Potenzen exaltirt.

Bey583

Bey diesen Schlüssen ist indeſs vorausge - setzt, daſs alle einwirkende Potenzen die Re - ceptivität vermindern, und dieser Satz läſst sich in Zweifel ziehen. Man kann einwenden, daſs das Gesetz des Sinkens der Receptivität bey wie - derhohlten Einwirkungen blos von solchen Ein - flüssen gilt, welche durch die Lebenskraft auf die Receptivität agiren. Aber kann es nicht auch Potenzen geben, welche unmittelbar und ohne durch die Lebenskraft vorher gebrochen zu seyn, auf den Organismus Einfluſs haben, und welche Exaltationen der Lebenskraft, Depressionen der - selben, oder Umwandelungen der Form des Le - bens ohne vorhergegangene vitale Reaktionen hervorbringen? Ja, haben wir nicht selber im dritten Kapitel der Einleitung(l)Biol. Bd. 1. S. 102. bey der Dar - stellung desjenigen biologischen Systems, wel - ches durch unsere Untersuchungen über die Ent - stehung und Verwandelungen der lebenden Kör - per begründet ist(m)Biol. Bd. 2. S. 264., die Wirklichkeit solcher Potenzen behauptet?

Diese Einwürfe lassen sich aber beantwor - ten. In der Einleitung, wo unsere Absicht blos war, von den drey möglichen biologischen Sy - stemen Skizzen zu liefern, konnten wir freylich,ohneO o 4584ohne uns in weitläuftige Untersuchungen einzu - lassen, die exaltirenden und deprimirenden Po - tenzen nicht anders, als verschieden von den eigentlichen Reitzen (dieses Wort in der, S. 63 der Einleitung festgesetzten Bedeutung genom - men) ansehen. Allein hier, wo es uns obliegt, dasjenige von jenen Systemen, welches wir für das wahre anerkannt haben, weiter auszufüh - ren, müssen wir erinnern, daſs die Wirkungen der erwähnten Potenzen nur Nebenwirkungen der Reitze sind. Ehe wir indeſs diese Be - hauptung rechtfertigen, werden wir vorher den Beweis eines Satzes liefern, den wir oben vor - ausgesetzt haben, ohne die Richtigkeit dessel - ben darzuthun.

Wir haben nehmlich angenommen, daſs die Empfänglichkeit für eine erregende Potenz durch Verminderung oder Auf - hebung des Einflusses der letztern er - höhet wird. Dieser Satz aber folgt unmit - telbar aus dem Begriffe der Reitzbarkeit. Sie ist, wie wir in der Einleitung(n)Biol. Bd. 1. S. 61. gezeigt ha - ben, das Vermögen lebender Körper, Einwir - kungen der Aussenwelt so zu percipiren, daſs die relative Stärke der letztern, ihrer absoluten Verschiedenheit ohngeachtet, unverändert bleibt. Allein dies heiſst mit andern Worten nichts an -ders,585ders, als die Receptivität steigt, so wie die Ge - walt der einwirkenden Potenzen vermindert wird, und sinkt, so wie diese zunimmt. Die Erfah - rung giebt uns ebenfalls Beweise jenes Satzes. Thiere und Pflanzen, die einem gewissen Grade von Kälte eine Zeitlang ausgesetzt gewesen sind, sterben, wenn sie plötzlich in eine Wärme ge - bracht werden, die ihnen unter andern Umstän - den nicht den mindesten Nachtheil zufügen wür - de. Nachtfröste können ziemlich heftig seyn, ohne den Gewächsen zu schaden, wenn der Himmel am folgenden Tage umwölkt ist, und die Pflanzen nicht eher von den Sonnenstrahlen beschienen werden, als bis das Eis wieder ge - schmolzen ist(o)Du Hamel et Buffon, Mém. de l’Acad. des sc - de Paris. 1737. Ed. 8. p. 404.. Am meisten leiden von ihnen Gewächse, welche vor dem Nordwinde geschützt, und der Mittagssonne ausgesetzt sind, weit we - niger die, welche von dem Nordwinde getroffen werden(p)Ebendas. p. 396.. Die Erklärung dieser Erfahrungen ist ohne Zweifel darin zu suchen, daſs die Re - ceptivität bey der verminderten Wärme zu einer Höhe anwächst, auf welcher schon ein geringer Grad von Wärme eine eben so heftige Erregung hervorbringt, wie sonst nur eine übermäſsige Hitze nach sich ziehen würde. Aus einer ähn - lichen Ursache verwelken Gewächse, die langeunter586unter engen Behältern, z. B. unter Glasglocken, gestanden haben, sehr schnell, wenn sie plötz - lich an die freye Luft gebracht werden.

Diese Zunahme der Receptivität bey verminderter oder aufgehobener Erre - gung hat aber eine gewisse Gränze. Bey fortdauernder Verminderung oder Auf - hebung der äussern Einwirkungen sinkt sie eben so wohl, wie bey übermäſsi - ger Heftigkeit der erregenden Potenzen, zu einer niedrigsten Stufe herab. So muſs es seyn, wenn die ganze lebende Natur ein einziger groſser Organismus ist, in welchem alle einzelne Körper wechselseitig für einander Mittel und Zweck sind. Verhielte es sich an - ders, so würde jedes Thier und jedes Gewächs von diesem Organismus sich loszureissen im Stande seyn, oder losgerissen werden können, indem es in einen Zustand versetzt würde, wo, bey gänzlicher Unthätigkeit, die Lebensfähigkeit desselben dennoch fortdauerte. Bey jenem Ge - setze aber ist jede Trennung vom allgemeinen Organismus der Anfang des Uebergangs zu an - dern Formen des Lebens, mit deren Entstehen jene Trennung wieder aufgehoben wird. So ster - ben alle lebende Körper eben so wohl von zu geringer, als von übermäſsiger Wärme; und so wurde in Spallanzani’s Versuchen über die Er -zeu -587zeugung der Amphibien den Eyern ihr Ent - wickelungsvermögen, und dem männlichen Saa - men seine befruchtende Kraft durch einen ge - wissen Grad sowohl von Kälte, als von Hitze geraubt.

Hier ist nun der Grund, auf welchem sich unsere obige Behauptung stützt, daſs alle Exal - tationen und Depressionen der Reitzbarkeit und alle Umwandelungen der Form des Lebens nicht Wirkungen eigener Potenzen, sondern Neben - wirkungen der Reitze sind. Denn nur bey die - ser Voraussetzung ist eine Erklärung des letz - tern obigen Gesetzes möglich. Gäbe es Poten - zen, welche die Receptivität erhöheten, ohne zu reitzen, so wäre nicht einzusehen, warum nicht diese Fähigkeit bey entzogenen Reitzen ent - weder immer fort steigen, oder sich doch un - verändert auf einer gewissen Höhe erhalten soll - te, ohne daſs das Leben des Organismus wäh - rend jener Entziehung dadurch beeinträchtigt würde. Wirkt aber jeder Reitz zugleich als ex - altirende Potenz, und zwar auf eine solche Art, daſs er die Receptivität zwar in Beziehung auf sich vermindert, aber in Beziehung auf andere Reitze erhöhet, so findet bey entzogenen Reitzen immer nur eine einseitige Erhöhung jener - higkeit, nehmlich in Beziehung auf diese ent - zogenen Reitze, statt. Aber kein Körper kannIII. Bd. P pallen588allen Einwirkungen der Aussenwelt gänzlich ent - zogen werden, und könnte er es auch, so wür - de der lebende Körper doch immer noch dem Einflusse der relativ äussern Reitze ausgesetzt seyn. Auch sind es diese, bey jeder Reitzent - ziehung noch zurückbleibenden Irritamente, wel - che jene einseitige Erhöhung der Receptivität her - vorbringen. Indem sie aber eine solche Exalta - tion bewirken, vermindern sie zugleich die Re - ceptivität für sich selber, und diese Minderung geht bald bis zur völligen Erschöpfung, weil, der entzogenen Reitze wegen, kein Ersatz der Receptivität in Beziehung auf die übriggebliebe - nen Irritamente möglich ist. Nun erhöhet jeder Reitz die Receptivität für andere Reitze nur da - durch, daſs er als Reitz wirkt. Allein wo keine Receptivität statt findet, giebt es auch keinen Reitz. Die erwähnte einseitige Erhöhung der Empfänglichkeit für die entzogenen Reitze dauert also nur so lange, als die übriggebliebenen Irrita - mente diese Fähigkeit in Beziehung auf sich noch nicht völlig erschöpft haben. Mit der völligen Erschöpfung höret auch jene Exaltation auf; das Zusammenwirken der sämmtlichen Organe zu ei - nem gemeinschaftlichen Zwecke wird ebenfalls aufgehoben, und der Organismus zersetzt sich, um sich zu andern Formen des Lebens wieder zusammenzusetzen.

§. 7.589

§. 7.

Alles naturgemäſse Wachsthum, folglich alle gesunde Lebensthätigkeit überhaupt, beruhet da - her auf dem Gleichgewichte antagonistischer Reitze, welche bey ihrer Einwirkung auf den lebenden Organismus die Receptivität in Bezie - hung auf sich selber vermindern, aber wechsel - seitig für einander erhöhen. Alle Stöhrung die - ses Gleichgewichts nähert den Organismus der niedrigsten Stufe des Lebens. Diese Stöhrung kann aber auf eine doppelte Art geschehen: ent - weder dadurch, daſs der eine von zwey anta - gonistischen Reitzen vermehrt wird, indem der andere unverändert bleibt; oder durch Vermin - derung des einen bey unverändertem Einflusse des andern. Der Erfolg dieser Stöhrung ist in beyden Fällen Näherung zur niedrigsten Stufe des Lebens. Aber die Phänomene dieser Nähe - rung sind in beyden Fällen verschieden. So stirbt die Pflanze eines andern Todes bey entzo - genem Lichte und unveränderter Wärme, als bey unverändertem Lichte und vermehrter Wärme.

Nicht jede Stöhrung jenes Gleichgewichts zieht aber sogleich Krankheit nach sich. Es giebt gewisse Gränzen, innerhalb welcher der eine von zwey antagonistischen Reitzen das Ue - bergewicht über den andern haben kann, ohne daſs der Zustand der Gesundheit dadurch aufge -P p 2hoben590hoben wird. Diese Thatsache würde sich durch folgende Voraussetzung erklären lassen: Gesetzt A und B wären zwey absolut äussere Reitze, und z. B. A eine oxydirende, B eine desoxydi - rende Potenz, so wie α und β zwey Systeme von Organen, deren Lebensthätigkeiten wechsel - seitig auf einander als relativ äussere antagoni - stische Reitze wirkten; gesetzt ferner, das Sy - stem α besäſse blos Empfänglichkeit für den Reitz der desoxydirenden Potenz B, und das andere β blos für den Reitz der oxydirenden Potenz A, doch wirkte ausser B auch die Lebensthätigkeit von β mittelbar als erregende Potenz auf α, so wie umgekehrt auf β ausser A auch die Le - bensthätigkeit von α; gesetzt endlich, die Lebens - thätigkeit von α brächte ähnliche Veränderungen in β, wie der absolut äussere Reitz A, und die Lebensthätigkeit von β analoge Veränderungen in α, wie der Reitz B, hervor, jene wirkte also ebenfalls oxydirend und diese desoxydirend; so ist leicht einzusehen, wie in Ermangelung von A die Lebensthätigkeit der Organe α, und in Ermangelung von B die Lebensthätigkeit von β die Stelle jener absolut äussern Potenzen bis auf einen gewissen Grad ersetzen könnte. Der le - bende Körper würde also im Stande seyn, sich die Bedingungen seines Lebens einigermaaſsen selber zu schaffen.

Hat591

Hat jene Voraussetzung die Erfahrung auf ihrer Seite? Man wird die Antwort auf diese Frage im folgenden Buche finden. Es wird dort gezeigt werden, das der lebende Körper das Vermögen besitzt, Wärme, und mit Einem Wor - te, die formellen Bedingungen seines Lebens bis auf einen gewissen Grad selber zu erzeugen.

§. 8.

Jenes unaufhörliche Wirken und Gegenwir - ken der Reitze, jene beständige Herabstimmung und Erhöhung der Receptivität ist nicht ohne einen beständigen Wechsel der Stoffe möglich, woraus der lebende Körper zusammengesetzt ist. Alles Leben besteht also in beständigen Zerset - zungen und Zusammensetzungen; alles Leben - dige ist ein unaufhörlich erlöschendes, und un - aufhörlich sich wieder entzündendes Meteor. Etwas muſs aber allerdings in diesem beständi - gen Wechsel bleibend seyn: denn wodurch wür - de der lebende Organismus sonst bestimmt, in derselben Gestalt, worin er unterging, sich wie - der zu erneuern? Jenes Bleibende ist nun ohne Zweifel kein anderes, als dasjenige Organ, wo - durch die einzelnen Theile des lebenden Körpers zu einem einzigen Ganzen verbunden werden, als das Organ der Sympathie. Doch absolut un - veränderlich kann dieser Theil eben so wenig,P p 3wie592wie jede andere Materie, seyn; nur in Bezie - hung auf die übrigen Organe kann ihm das At - tribut der Unveränderlichkeit zukommen; er kann nur etwas Dauerndes besitzen, in so fern er mit einer höhern Sphäre in unmittelbarer Verbindung steht, die in Beziehung auf das Individuum, wovon er ein Organ ausmacht, unveränderlich ist. Dauernd in Beziehung auf das Individuum ist aber zunächst die Art, und dann die ganze Natur. Das Organ der Sympathie ist also das - jenige, wodurch das Individuum mit der Art und der ganzen übrigen Natur in Verbindung steht. Diese Verbindung nun kann keine blos materielle seyn. Durch jenes Organ wird folg - lich der Zusammenhang des Individuums mit je - nem dynamischen Organismus, dessen schon bey mehrern Gelegenheiten erwähnt ist, vermittelt.

Von dieser Verbindung des Individuums mit dem allgemeinen Organismus hängt, wie wir in der Einleitung sahen(q)Biol. Bd. 1. S. 76 ff,, die Nothwendigkeit des Wachsthums und der Fortpflanzung ab. Wachsthum und Fortpflanzung aber setzen ein Einwirken des Individuums auf die äussere Welt, eine Aufnahme und Aneignung fremder Stoffe, kurz Ernährung, voraus. In dieser Funktion müssen sich daher die allgemeinen Gesetze allerLebens -593Lebensthätigkeit, die wir bisher aus den ober - sten Sätzen der Biologie abgeleitet, und blos erst in den Erscheinungen der Erzeugung und des Wachsthums bestätigt gefunden haben, ebenfalls auffinden und weiter verfolgen lassen. Sie wird daher der Gegenstand unserer Untersuchungen im folgenden Buche seyn. Dann aber werden wir aus den Erscheinungen, die jenes Organ, wo - durch der lebende Körper in einer dynamischen Wechselwirkung mit der übrigen Natur steht, darbietet, uns nähere Aufschlüsse über diese Wirkungsart zu verschaffen suchen.

Druck -[594]

Druckfehler.

  • S. 3. Z. 8. St. Trümmer l. m. Trümmern.
  • S. 74. Z. 4 in der Anmerkung. St. habent l. m. habet.
  • S. 82. Z. 9. St. mineralogische l. m. mineralische.
  • S. 305. In dem Citat u setze man nach Dec. hinzu: I.
  • S. 436. Z. 16. St. der Rückenwirbel l. m. der erste Rük - kenwirbel.
  • S. 505. Z. 4. Nach mehr setze man hinzu: Milch.
  • S. 540. Z. 14. St. eigenen Organe l. m. einzelnen Organe.

About this transcription

TextBiologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte
Author Gottfried Reinhold Treviranus
Extent607 images; 103863 tokens; 14177 types; 710197 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBiologie, oder Philosophie der lebenden Natur für Naturforscher und Ärzte Dritter Band Gottfried Reinhold Treviranus. . IV, 593, [1] S. RöwerGöttingen1805.

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BBAW BBAW, 1999 B 103-3

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Antiqua

LanguageGerman
ClassificationFachtext; Biologie; Wissenschaft; Biologie; core; ready; china

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  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
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ShelfmarkBBAW, 1999 B 103-3
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